Library of
Princeton Universitn.
iq AT
The (Gan Éight Fibrarn
of
Économics.
JAHRBÜCHER
FÜR
NATIONALÖKONOMIE UND STATISTIK.
GEGRÜNDET VON
BRUNO HILDEBRAND.
HERAUSGEGEBEN VON
DR. J} CONRAD,
PROF. IN HALLE A, B.,
IN VERBINDUNG MIT
Dr. EDG. LOENING, uno DR. W. LEXIS,
PROF. IN HALLE A. 8., PROF. IN GÖTTINGEN.
IL FOLGE. 21 BAND,
ERSTE FOLGE, BAND I—XXXIV; ZWEITE FOLGE, BAND XXXV—LV
ODER NEUE FOLGE, BAND I— XXI]; DRITTE FOLGE, BAND LXXVI, (III. FOLGE,
AND XXI
JE NA,
VERLAG VON GUSTAV FISCHER.
1901.
ee
D
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Inhalt d. XXI. Bd. Dritte Folge (LXXVI).
I. Abhandlungen.
Below, G. v, Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft (über den Begriff
der Territorialwirtschaft). S. 449, 593.
Caro, G., Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz und angrenzenden ala-
mannischen Stammesgebieten zur Karolingerzeit. S. 474.
Hesse, Albert, Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. S. 737.
Nuglisch, Adolf, Das Finanzwesen des Deutschen Reiches unter Kaiser Sigmund.
S. 145,
Rosendorff, R., Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen
Lobredner. S. 632.
V. Schullern-Schrattenhofen, Hermann, Ergebnisse der über den börsen-
mäßigen Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich abgehaltenen
Enquete (1900). S. 289.
Wolff, Henry W., Die sozialistische Bewegung in England. S. 352.
Zahn, Friedrich, Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert.
S. 1.
Zimmermann, F. W. R., Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum in
ihrem Einfluß auf die Grundbesitzverhältnisse im Herzogtum Braunschweig. 8. 168.
II. Nationalökonomische Gesetzgebung.
Freund, Günther Siegfried, Zur Reform des Börsengesetzes. S. 800.
Gesetz für das Königreich Preußen über die Fürsorgeerziehung Minderjähriger. Vom
‚2. Juli 1900. S. 207.
Gesetz für das Königreich Preußen, vom 18. Juli, betr. die Warenhaussteuer. 8. 210.
Hesse, Albe rt, Die wirtschaftliche Gesetzgebung der deutschen Bundesstaaten im
Jahre 1899. S. 664, 782.
Wissowa, Felix, Die wirtschaftliche Gesetzgebung der deutschen Bundesstaaten im
Jahre 1899. 8. 54.
Derselbe, Die wirtschaftliche Gesetzgebung der Länder der ungarischen Krone im
Jahre 1899. S. 496.
III. Miszellen.
SCH W., Ausstände und Aussperrungen in Dänemark 1897—1899. S. 827.
Bus, Bernhard, Handwerkersöhne an höheren Lehranstalten. S. 215.
esse, P., Zur Revision des Krankenversicherungsgesetzes — ein Vorschlag. 8. 831.
IV Inhalt.
Hofmann, E., Arbeitslosigkeit und Arbeitslosenversicherung in der Schweiz. S. 519.
König, F. Ph., Die englische Agrarkrisis nach der Enquete der Royal Commission
on Agriculture. $S. 100.
Rosendorff, R., Die Bedeutung des Erfordernisses der dritten Unterschrift für bank-
fähige Wechsel in Frankreich. S. 514.
Sehiff, Walter, Geschichte der österreichischen Land- und Forstwirtschaft und ihrer
Industrien 1848—1898. S. 375.
Schmidt, Alb., Die Glas- und Perlenfabrikation im Fichtelgebirge. S. 83.
Stellmacher, A., Von der ersten russischen Volkszählung. S. 227.
Strikes und Aussperrungen im Jahre 1899 in Deutschland und Oesterreich. S. 682.
Thiess, K., Die Entwickelung der Hamburg-Amerika Linie von 1847 bis 1901.
S. 816.
Wolff, Henry W., Staatlicher Hypothekenkredit in Australien. S. 96.
Zahn, Friedrich, Hauptergebnis der deutschen Volkszählung 1900. S. 541.
IV. Litteratur.
Adler, A., Leitfaden für den Unterricht in der Handelswissenschaft mit besonderer
Berücksichtigung der deutschen Gesetzgebung. 5. verbesserte Aufl. (W. Kähler.)
S. 700.
Adler, Paul, Die Lage der Handlungsgehilfen. (A. u. d. T.: Münchener Volkswirt-
schaftliche Studien, herausg. von Lujo Brentano und Walther Lotz, 39. Stück.)
(Wilhelm Stieda.) S. 435.
Ammon, Otto, Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen. Entwurf
einer Sozial-Anthropologie zum Gebrauch für alle Gebildeten, die sich mit sozialen
Fragen befassen. Dritte umgearbeitete Auflage. (A. Hesse.) S. 558.
Antipa, Gr., Industria conservelor din punctul de vedere al aprivisionarii armatei
si al exportului productelor alimentare (Die Konservenindustrie unter dem Gesichts-
punkte der Heeresversorgung und der Nahrungsmittelausfubr). (Carl Grünberg.)
S. 567.
Beiträge zur neuesten Handelspolitik Deutschlands. (R. van der Borght.) S. 112.
Böhm-Bawerk, Eugen von, Kapital und Kapitalzins. (Karl Diehl.) S. 833.
Derselbe, Einige strittige Fragen der Kapitalstheorie. (Karl Diehl.) S. 833.
Borgius, Walther, 1903. Ein handelspolitisches Vademeeum. (Burschenschaftliche
Bücherei, Bd. I, Heft 4) (Wermert.) S. 126.
Curran, J. H., Franeis A. Walker und seine hauptsächlichsten Theorien. (Sammlung
nationalök. und statist. Abhandlungen, Bd. 28.) (von Schullern.) S. 262.
Demuth, Fritz, F. Th. v. Bernhardi. Ein Beitrag zur Geschichte der National-
ökonomie im 19. Jahrhundert. (von Schullern.) S. 699.
1) Die deutsche Volkswirtschaft am Schlusse des 19. Jahrhunderts. (Wilhelm Stieda.)
S. 264.
2) Jahrbuch des deutschen Wirtschaftslebens.. (Wilhelm Stieda.) S. 264.
Eckert, Christian, Das Mainzer Schiffergewerbe in den letzten 3 Jahrhunderten
des Kurstaates. (Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen, herausgegeben von
Gustav Schmoller, Bd. 16, 3. Heft.) (Theo Sommerlad.) -S. 707.
Hager, Die öffentlich-rechtliche Regelung des Privatversicherungswesens in Deutsch-
land. (Brüders.) S. 723.
Hainisch, Michael, Der Kampf ums Dasein und die Sozialpolitik. (K. Diehl.)
S. 561.
Hamon, Franz, L'avenir de la politique française en matière de chemins de fer.
Complement a l'ouvrage de M. R. de Kaufmann. (H. v. Scheel.) S. 574.
Hiestand, Paul, Grundzüge der privaten Unfallversicherung mit Berücksichtigung
der Haftpflichtversicherung. (J. Hochstätter.) S. 129.
Holländer, Ludwig, Die Lage der deutschen Mühlenindustrie unter dem Einflusse
der Handelspolitik 1879—1897. (Münchener volkswirtschaftliche Studien, heraus-
gegeben von Lujo Brentano und Walther Lotz. 29. Stück.) (Wermert.) S. 430,
Huber, C. F., Zur Frage der Errichtung eines GroBschiffahrtsweges auf dem Neckar
(Mannheim-Eßlingen). (Victor Kurs.) S. 569.
Inhalt. y
Hülsemann, Die Viehversicherung, ihr Wesen, ihre Aufgabe, ihre Organisation.
(Brüders.) S. 722.
Human, Arthur, Der deutsch-russische Handels- und Schiffahrtsvertrag vom 20. März
1594, (Fritz Schneider.) S. 573.
Jenks, J. W., The Trust Problem. (Robert Liefmann.) S. 719.
Les industries à domicile en Belgique. Bd. 2. (R. van der Borght.) S. 717.
Keutgen, F., Urkunden zur Städtischen Verfassungsgeschichte. 1. Hälfte. (A. u.
d. T.: Ausgewählte Urkunden zur Deutschen Verfassungsgeschichte, von G. v. Below
u. F. Keutgen. Bd. 1.) (K. Heldmann.) S. 422.
May, R. E., Die Wirtschaft in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit 130 Tabellen
und vergleichenden Uebersichten. Zur Jahrhundertwende 1901. (Troeltsch.) S. 849.
Michaelis, H., Grundzüge des deutschen Gewerberechts. Die Gewerbeordnung für
das Deutsche Reich als Leitfaden für den Unterricht an höheren gewerblichen Lehr-
anstalten zusammengestellt. (W. Kähler.) S. 568.
Mitteilungen über den 41. Allgemeinen Genossenschaftstag der auf Selbsthilfe be-
ruhenden deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften zu Hannover vom
5.—8. September 1900. Herausgegeben im Auftrage des Allgemeinen Verbandes von
Dr. Hans Crüger. (W. Kähler.) S. 714.
Mourre, Charles, D'ou vient la Décadence économique de la France. (J. Gold-
stein.) S. 562.
Neuere agrarpolitische Werke. (J. Conrad.) 8. 248.
Neuere finanzwissenschaftliche Schriften, (Max von Heckel.) 8S. 543.
Neuere Litteratur über den Handel. (A. Wirminghaus.) S. 691.
Oppenheimer, Franz, Die Siedelungsgenossenschaft, Versuch einer Lösung der
sozialen Frage durch positive Ueberwindung des Kommunismus. (Arthur Dix.)
S. 413.
Derselbe, Großgrundeigentum und soziale Frage. (Arthur Dix.) S. 413.
Owen, Robert, Eine neue Auffassung von der Gesellschaft. Vier Aufsätze über die
Bildung des menschlichen Charakters, als Einleitung zur Entwickelung eines Planes,
die Lage der Menschheit allmählich zu verbessern. Nach der 3. im Jahre 1817 in
London erschienenen Ausgabe übersetzt und erklärt von (Prof.) Oswald Collmann.
(W. Kähler.) S. 847.
Pierstorff, Julius, Frauenarbeit und Frauenfrage. (v. Erdberg.) S. 862.
Rossmann, M., Kustermann, R., Pernaczynski, St, Weryho, P., und
Heubach, E., Eisenbahntarife und Wasserfrachten. Studien zur Frage der Ge-
bührenerhebung auf Wasserstraßen. Im Auftrage des Vereins für Sozialpolitik heraus-
gegeben von Walter Lotz. (Victor Kurs.) S. 259.
Röhl, Hugo, Beiträge zur preußischen Handwerkerpolitik vom Allgemeinen Land-
recht bis zur allgemeinen Gewerbeordnung von 1845. (Staats- und sozialwissen-
schaftliche Forschungen. Herausgegeben von Gustav Schmoller. Bd. 17, Heft 4.)
(W. Kähler.) S. 857.
Sacher, Ed., Die Massenarmut, ihre Ursache und Beseitigung. (Franz Dochow.)
S. 724.
Sächsische Volkskunde. Unter Mitarbeit von ...... herausgegeben von Dr. Robert
Wuttke, 2. umgearbeitete und vermehrte Auflage. (W. Kähler.) S. 846.
Schindler, Karl, Finanzwesen und Bevölkerung der Stadt Bern im 15. Jahrhundert.
(F. Eulenburg.) S. 122.
Re Richard, Die Wirtschaftspolitik der historischen Schule. (K. Diehl.)
3. 119,
Schultze, Ernst, Freie öffentliche Bibliotheken, Volksbibliotheken und Lesehallen,
(E. Roth.) S. 869.
Statistik der Evangelisch-protestantischen Landeskirche im Großherzogtum Baden.
Herausgegeben vom Ev. Pfarrverein im Großherzogtum Baden. (W. Kühler.) 8.728.
Steinbrück, Carl, Die Entwickelung der Preise des städtischen und ländlichen
Immobiliarbesitzes zu Halle (Saale) und im Saalkreise. (M. C.) 8. 853.
Stieda, Wilhelm und Mettig, Constantin, Schragen der Gilden und Aemter
der Stadt Riga bis 1621. Herausgegeben von der Gesellschaft für Geschichte und
Altertumskunde der Ostseeprovinzen RuBlands. (Theo Sommerlad.) S. 701.
Supino, Camillo, Il capitali salari. (von Schullern.) $S. 261.
VI Inhalt.
Süßheim, Max, Das moderne Auktionsgewerbe. (Wilh. Stieda.) S. 572.
Tokuzo Fukuda, Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwickelung in Jap
42. Stück der Münchener volkswirtschaftlichen Studien, herausg. von Lujo Bre
tano und Walther Lotz. (Wernicke.) 8. 711.
Trap, Cordt, und Schmidth, Olaf, Les habitations ouvrières en Danemark
principalement de Copenhague. (H. Albrecht.) S. 426.
Zum mittelalterlichen Zollwesen. (Karl Heldmann.) S. 553.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und dt
Auslandes. a 119. 261. 422. 558. 699. 846.
Die periodische Presse des Auslandes. oa 139. 282. 442. 586. 731. 871
Die periodische Presse Deutschlands. S. 143, 287. 447. 590. 735. 873.
Volkswirtschaftliche Chronik. S. 453. 1. 43. 79. 123. 171.
Friedrich Zahn, Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrh. `"
Nachdruck verboten.
I.
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt
ins 20. Jahrhundert.
Von
Friedrich Zahn (Berlin).
Inhalt: Vorbemerkung. — I. Land und Leute. — II. Landwirtschaft. — III. Ge-
werbe, Handel, Verkehr. — IV. Geld- und Kreditwesen. — V. Nationalwohlstand. —
VI. Ausblick. 3
Säkularbetrachtungen pflegen Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft
in großem Stile zu behandeln: man hält Rückblicke, die auf das
ganze verflossene Säkulum zurückgreifen, zieht ein umfassendes
Facit für die Gegenwart und entwirft weitausschauende Ziele für die
Zukunft. Eine solche Darstellung wäre in Bezug auf die deutsche
Volkswirtschaft sehr erwünscht, ihre Inangriffnahme hat für einen
Wirtschaftspolitiker viel Verlockendes. Doch läßt sie sich im engen
Rahmen einer einfachen Abhandlung überhaupt nicht geben und würde
zudem unter dem Mangel von verlässigem Material über die ersten
Jahrzehnte des abgelaufenen Jahrhunderts zu leiden haben. Dieser-
halb bescheiden wir uns bei dem im folgenden beabsichtigten Rechen-
schaftsbericht über das deutsche Wirtschaftsleben mit der Untersuchung
der Frage: In welchem Zustande undin welcher Ent-
wickelungstendenz tritt die deutsche Volkswirtschaft
ins neue Jahrhundert hinüber? und gründen, um eine
möglichst unbefangene Antwort zu geben, unsere Ausführungen auf
das, wirtschaftliche Gewissen des Staates“, auf die amtliche Statistik.
Es trifft sich nämlich günstig, daß kurz vor Jahrhundertschluß
eine große Erhebung zum Abschluß gebracht ist, die von der Reichs-
regierung vorgenommen wurde mit dem Zweck, neue Grundlagen
für die Beurteilung der volkswirtschaftlichen Verhältnisse im Reiche
zu gewinnen. Wir meinen dieBerufs- und Gewerbezählung
vom 14. Juni 1895. In 18 Bänden der Reichsstatistik sind deren
Ergebnisse seit November 1899 vom Kaiserlichen Statistischen Amt
mitgeteilt. Keineswegs handelt es sich dabei lediglich um Zahlen-
werk. Das Kaiserliche Statistische Amt ist ja nicht eine bloße
Rechnungs- und Redaktionsstelle, sondern ein mit wissenschaftlichen
Kräften ausgestattetes Reichsamt, das bestimmungsgemäß die Statistik
den Zwecken der Verwaltung und der Wissenschaft nutzbar zu machen
hat. Da nun selbst die besten Erhebungen ohne entsprechende Be-
arbeitung seitens des mit der Sache einmal befaßten Statistikers totes
Material bleiben, so hat das Kaiserliche Statistische Amt auch eine
textliche Würdigung des Zahlenwerks unter Berücksichtigung und
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 1
2 Friedrich Zahn,
Verwertung von Anschauungen der Theorie und Praxis besorgt
außerdem diesen Beschreibungen und Begutachtungen des gewonne
Materials noch graphische Darstellungen beigegeben, die gewisse
deutsame Ergebnisse durch Karten und Diagramme weiter ver
schaulichen.
Die betreffenden Textbände sind erschienen unter dem Ti
„Die berufliche und soziale Gliederung des Deutsche
Volkes nach der Berufszählung vom 14. Juni 1895“ (Bd. 111 d
Statistik des Deutschen Reichs), „Die Landwirtschaft i
Deutschen Reich nach der landwirtschaftlichen Betriebszählur
vom 14. Juni 1895* (Bd. 112 d. St. d. D. R.), „Gewerbe un
Handel im Deutschen Reich nach der gewerblichen Betriebs
zählung vom 14. Juni 1895“ (Bd. 119 d. St. d. D. R.)
In diesen drei (von mir verfaßten) Werken !) ist das Gesamtergebni.
1) Da eine nähere Besprechung des Detailinhaltes dieser Werke hier nicht müg-
ich ist, mag in Hinblick auf ihre Bedeutung als amtliches Quellenmaterial wenigstens
eine kurze Skizze darüber Platz finden:
a) Die berufliche und soziale Gliederung des Deutschen Volkes.
Einleitungsweise wird die äußere Einrichtung der Berufszählung (ihr Anlaß, ihre Vorbe-
reitung und Aufnahme sowie die Methode ihrer Verarbeitung nebst Kostenaufwand) ge-
schildert. Alsdann gelangt in 14 Abschnitten das materielle Ergebnis der Zählung zur
Darlegung. Alle wichtigeren Fragen, über welche die Erhebung Aufschluß giebt, sind
dabei eingehend beleuchtet. Es wird dargethan, welche Ausdehnung die Erwerbsthätig-
keit im allgemeinen und welche speziell der Frauenerwerb, die Kinder- und die Greisen-
arbeit hat. Zur Klarlegung der Erwerbsthätigkeit in den einzelnen Berufen sind die
Berufe in 207 Arten gegliedert und für jeden dieser Berufszweige die Stärke, seine Ent-
wickelung, seine geographische Verbreitung untersucht. Die soziale Schichtung wird
nicht bloß in Bezug auf die beiden Hauptklassen der Selbständigen und Abhängigen
erörtert, sondern es werden bei den Selbständigen noch die unbemittelte, die Mittel- und
die wohlhabende Klasse, bei den Abhängigen das technische und Aufsichtspersonal, die
gelernten und ungelernten Arbeiter sowie die Arbeiter, die Familienangehörige ihres
Arbeitgebers sind, näher behandelt. Andere Abschnitte sind der Frage des Nebenerwerbs,
dem Alter, Familienstand, der Religion der Erwerbsthätigen, den Dienstboten, nichter-
werbsthätigen Familienangehörigen, Hausindustriellen, Hausierern, Arbeitslosen ge-
widmet. Die meisten der behandelten Fragen sind außer nach dem Stande von 1895
auch hinsichtlich der seit 1882 eingetretenen Entwickelung der einschlägigen Verhältnisse
dargestellt, und ebenso nicht allein für das Reich im Ganzen, sondern auch für die ein-
zelnen Bundesstaaten und unter Berücksichtigung der Verhältnisse von Stadt und Land.
Endlich ist zur genaueren Kennzeichnung der beruflichen und sozialen Gliederung des
Inlandes dieselbe noch im Lichte fremder Verhältnisse betrachtet und zu dem Ende ein
Vergleich mit anderen Kulturstaaten (Oesterreich-Ungarn, Schweiz, Frankreich, Belgien,
Niederlande, Dänemark, Schweden, Norwegen, Großbritannien und Irland, Vereinigte
Staaten von Amerika) angestellt.
Naturgemäß konnten in der textlichen Darstellung (280 Seiten) nicht alle Einzel-
fragen mit zur Erledigung gebracht werden. Um jedoch deren Beantwortung thunlichst
zu erleichtern, ist im Anhang (auf weiteren 427 Seiten) ein umfangreiches Material
von Verhältniszahlen und von sonstigen Zusammenstellungen geboten, das weitere For-
schungen ermöglichen und vorbereiten soll. Außerdem sind zur Illustration wichtigerer
Ergebnisse 28 karto- und diagraphische Beilagen dem Bande angefügt.
b) Die Landwirtschaft im Deutschen Reich. Das Werk, bereits in
Bd. XVI, S. 495 fg. dieser Jahrbücher von J. Conrad besprochen, schildert zunächst Ein-
richtung und Umfang der Erhebung, bringt einen Auszug aus der Berufsstatistik über die
landwirtschaftliche Bevölkerung und verbreitet sich sodann in vier besonderen Abschnitten
über 1. die landwirtschaftlichen Betriebe, 2. die Kunst- und Handelsgärtnereibetriebe und
die Weinbaubetriebe, 3. die forstwirtschaftlichen Betriebe, 4. die landwirtschaftliche Be-
triebsstatistik Deutschlands im Vergleich mit verwandten Erhebungen des Auslandes (ins-
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 3
der Berufs- und Gewerbezählung einer allgemeinen, inzwischen reichlich
erfolgten Benutzung erschlossen, dergestalt, daß die 1895er Aufnahme
in allen ihren Teilen thunlichst ausführlich besprochen wird, zugleich
besondere von Frankreich, Belgien, Niederlande, Großbritannien und Irland, Dänemark,
Schweden, Norwegen, Vereinigte Staaten von Amerika). Den breitesten Raum nimmt
der erste von diesen vier Abschnitten ein. Hier werden die landwirtschaftlichen Betriebe
nach Parzellenbetrieben, kleinen, mittleren, größeren bäuerlichen Betrieben und Groß-
betrieben unterschieden, und es wird für diese Größenklassen näher dargethan, in wel-
cher Zahl, mit welcher Fläche, in welcher Betriebsform (Eigen-, Pacht-, Deputat ete,
Wirtschaft) sie vorkommen und wie das Areal im speciellen benutzt wird (als Acker,
Wiese, bessere Weide, Garten, Wald etc.) Auch die Nutzvichhaltung der landwirtschaft-
lichen Betriebe, die Verwendung von landwirtschaftlichen Maschinen, und die technischen
Nebengewerbe sind eigens behandelt. Eine besondere Erörterung und Klarstellung hat
endlich die Frage gefunden, welchen Berufszweigen die Inhaber von landwirtschaftlichen
Betrieben im Hinblick auf ihre hauptsächliche Beschäftigung angehören, und welche
Besonderheiten in dieser Beziehung bei den Parzellen, Bauern- und Großgütern obwalten.
Bei alledem ist nicht bloß das Reich als solches berücksichtigt, sondern auch die ein-
zelnen Bundesstaaten und Provinzen, und ist, soweit möglich, durchweg Aufschluß dar-
über erteilt, welche Entwickelung in den besprochenen Verhältnissen seit der 1882er
Zählung stattgefunden hat.
Der zweite Teil der Veröffentlichung enthält ein Tabellenwerk von 500 Seiten;
ihm sind auch zusammenfassende Uebersichten, insbesondere Verhältniszahlen, nebst
Vergleichen mit der Zählung vom 5. Juni 1882 beigegeben.
Schließlich sind in 8 Karten die Ergebnisse auch graphisch veranschaulicht. Die
Karten stellen dar, wie die landwirtschaftliche Bevölkerung (im Vergleich zum landwirt-
schaftlichen Areal) und wie die verschiedenen Größenklassen der Betriebe in den klei-
neren Verwaltungsbezirken des Reichs (Kreisen, Bezirksämtern, Kreishauptmannschaften
etc.) vertreten sind.
ec) Gewerbe und Handel im Deutschen Reich. Die Darstellung zerfällt
in elf Abschnitte. Zunächst wird die Ausdehnung von Gewerbe und Handel in ihren
einzelnen Zweigen, deren die Statistik 320 unterscheidet, im allgemeinen betrachtet,
zugleich unter Hervorhebung ihrer Entwickelung seit der Gewerbezählung vom
Jahre 1882. Hieran reihen sich Untersuchungen über Umfang und Entwickelung von
Allein- und Gehilfen-, von Klein-, Mittel- und Großbetrieben. Das Gewerbepersonal
wird nach den drei sozialen Klassen der Unternehmer, Angestellten und Arbeiter ge-
schildert, ebenfalls unter Berücksichtigung der Verschiebungen, die seit 1882 hier er-
folgt sind; besondere Kapitel sind dabei den Lehrlingen, den jugendlichen Arbeitern
sowie dem weiblichen Geschlechte unter dem Gewerbepersonal, namentlich den ver-
heirateten Arbeiterinnen gewidmet. Neu gegenüber der 1882er Gewerbestatistik ist ferner
eine Untersuchung darüber, welche verschiedenen Beschäftigungen in dem gleichen Be-
triebe, andererseits wie häufig gleiche Beschäftigungen in verschiedenartigen Betrieben
vorkommen; die betreffenden Ergebnisse sind wichtig für die Beurteilung der Struktur
der Betriebe und speciell für die Kenntnis von der mannigfaltigen Verwertung von
Handwerkerarbeiten in Fabriken. Ein weiterer Abschnitt beschäftigt sich mit der ge-
werblichen Motoren- und Maschinenbenutzung und zeigt die Technik im Dienst des
Kleingewerbes und der Großindustrie.
Besonders bemerkenswert ist der Abschnitt über Gesamtumfang und Leistungs-
fähigkeit der gewerblichen Unternehmungen. Die kombinierten Betriebe desselben In-
habers, die vorher, um die Entwickelung der einzelnen Gewerbearten zu zeigen, nach
ihren Specialzweigen aufgelöst und als eine Mehrheit von Betrieben behandelt waren,
erscheinen jetzt als Gesamtheiten; die Großunternehmungen treten so in ihrer vollen
Wucht, mit den in ihnen konzentrierten menschlichen und mechanischen Kräften hervor.
Um deutlich zu machen, wie deutsche Riesenunternehmungen an der Jahrhundertwende
aussehen, sind zehn davon nach ihrem neuesten Stande einzeln geschildert. Die Lei-
stungsfähigkeit des Gewerbes wird an der Hand der bis jetzt bekannten, freilich dürftigen
Produktionsstatistik sowie an der Hand der Ausfuhrstatistik dargethan.
Die darauf folgenden Abschnitte haben zum Gegenstand die Rechtsform der
Unternehmungen (Einzelgeschäfte, Kompagniegeschäfte, Aktien-, Gemeinde-, Staats-,
1*
4 Friedrich Zahn,
aber die Resultate der 1882er Berufs- und Gewerbezählung und
anderweitige statistische Ergebnisse zur Berücksichtigung ge-
langen. Um deswillen darf die neue Berufs- und Gewerbezählung
den Anspruch erheben, nicht etwa bloß nach den Bänden von Zahlen,
die über sie veröffentlicht sind, sondern nach dem Umfang und Gehalt
der Thatsachen und Kausalverknüpfungen beurteilt zu werden, welche
an der Hand ihrer Zahlen in sicherer und berechtigter Schlußfolgerung
ans Licht gestellt wurden. Und diese Feststellungen von Thatsachen
erstrecken sich auf die meisten und hauptsächlichsten —
wenn auch nicht auf alle — Zweige der deutschen Volkswirt-
schaft. Für siewird dergegenwärtigeStandundihrejüngste
Entwickelung dargethan. Da, soweit möglich, auch die Erschei-
nungen der allerletzten Jahre in Bezug genommen sind, ist somit
ein Bild über unsere volkswirtschaftlichen Verhältnisse an der Jahr-
hundertwende geschaffen.
Um die wichtigsten Resultate dieser Arbeit im weiteren Um-
fange, als dies bei der vorerwähnten umfangreichen Publikation mög-
lich, für die Allgemeinheit nutzbar zu machen, veröffentlichte das
Kaiserliche Statistische Amt im Mai 1900 unter dem Titel „Die
Deutsche Volkswirtschaft am Schlusse des 19. Jahr-
hunderts“ noch eine weitere vom Direktor des Kais. Statist. Amts
v. Scheel selbst bearbeitete Schrift, in welcher in Verfolg einer An-
regung des Kaisers und des Reichstags die Hauptergebnisse der
Berufs- und Gewerbezählung kurz und gemeinverständlich zusammen-
gefaßt sind und ebenfalls durch Herbeiziehung weiteren Materials
(insbesondere über den deutschen Binnen- und Seeverkehr, über
Außenhandel, über Produktion und Verbrauch) die statistische Dar-
stellung zu einer solchen der deutschen Volkswirtschaft am Schlusse
des 19. Jahrhundert abgerundet ist.
Eıne Ergänzung zu diesen Veröffentlichungen, die sich vor allem
mit den drei großen Gebieten der wirtschaftlichen Thätigkeit des
Volkes, Landwirtschaft, Industrie, Handel und Verkehr, befassen,
dagegen die zur Volkswirtschaft im weiteren Sinne zählenden Ge-
biete, insbesondere die Sozialpolitik und das Finanzwesen, außer
Betracht lassen, bilden die im Auftrag des Reichsversicherungsamts
von Dr. Laß und mir für die Pariser Weltausstellung verfaßte Denk-
Reichs- ete. Betriebe), die Kampagne- und Saisongewerbe, die Hausindustrie, das Hausier-
gewerbe sowie die gewerbliche Gefängnisarbeit.
Während alle diese Ausführungen auf das Reich im ganzen sich beziehen, wird
im zehnten Abschnitte das Wichtigste über die Betriebsverhältnisse und die Arheits-
stellung des Personals noch für die einzelnen Bundesstaaten mitgeteilt. Den Schluß
bildet „Deutschlands Gewerbe und Handel im Vergleich zum Auslande“, es werden die
gewerblichen Verhältnisse von Oesterreich, Ungarn, Schweiz, Belgien, Dänemark,
Schweden, Norwegen, Großbritannien und Irland, den Vereinigten Staaten von Amerika
geschildert, zuletzt wird gezeigt, welche Stellung Deutschland gegenüber allen anderen
wichtigeren Kulturstaaten jetzt auf dem Weltmarkte einnimmt.
Dem Text (von 245 Seiten gr. 4°) ist als Anhang eine Reihe von Tabellen, die
weitere Forschungen durch Verhältniszahlen und Vergleiche von 1895er und 1882er
Zahlen erleichtern sollen, sowie eine Anzahl von Karten beigegeben ; letztere bringen
ausgewählte Gew erbezweige, auch die industriellen Großbetriebe in ihrer geographischen
Verbreitung zur Veranschaulichung.
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 5
schrift über „Einrichtung und Wirkung der deutschen
Arbeiterversicherung“, ferner die vom Fabrikinspektor Pöllath
im bayerischen Ministerium des Innern verfaßte Schrift „Der Ar-
beiterschutz, soweit er Aufgabe der Gewerbeinspektoren ist“
(Stuttgart 1901) und die Denkschrift, welche die Reichsbank
anläßlich ihres 25-jährigen Jubiläums nächstens veröffentlicht.
Auf diese Weise ist für das Deutsche Reich ein so umfassender
und gründlicher Einblick in dessen wirtschaftlichen Verhältnisse er-
möglicht, wie er für kein anderes Land zu Gebote steht. Am nächsten
werden den deutschen Veröffentlichungen wenigstens an Vielseitigkeit
die Arbeiten kommen, welche auf Grund des neuen Census vom
Juni 1900 das Census Office über die Vereinigten Staaten von
Amerika zu veröffentlichen beabsichtigt. Im übrigen ist hinsichtlich
des Auslands, abgesehen von einigen statistischen Publikationen der
letzten Jahre, auf die Werke zu verweisen, die einzelne Staaten an-
läßlich der Pariser Weltausstellung veröffentlichten, so Oesterreich
„Soziale Verwaltung am Ende des 19. Jahrhunderts“, 2 Bände (unter
Leitung von E. von Philippovich und M. Gruber), Ungarn „Das
Königreich Ungarn“, volkswirtschaftlich und statistisch dargestellt
von Alexander von Matlekowits (2 Bände), Schweiz „Inventaire
des Institutions économiques et sociales de la Suisse à la fin du
XIX. siècle“ von A. Le Cointe, Schweden „La Suède, son peuple
et son industrie“ (unter Leitung von Gustav Sundbärg), Norwegen
„Norway“ (amtliche Veröffentlichung für die Pariser Ausstellung 1900),
Rußland „La Russie à la fin du XIX. siècle“ (unter Leitung von
M. W. de Kovalevsky, Rat im russischen Finanzministerium), Ver-
einigte Staaten von Amerika „Monographs on American
Social Economics“, herausgegeben vom Department of Social Eco-
nomy unter Leitung von Herbert B. Adams, sowie „Monographs on
Education in the United States“, herausgegeben vom Department of
Education (unter Leitung von Nicholas Murray Butler).
Nun aber zur Sache selbst: Wie ist die deutsche Volkswirtschaft
eben beschaffen, in welcher Richtung steuert sie ?
I.
Betrachten wir zunächst Land und Leute des Deutschen
Reichs !).
Das Gebiet des Deutschen Reichs umfaßt einen Flächenraum von
540 657,6 qkm. Seine Kolonieen sind fünfmal so groß, nämlich
2665 316 qkm, und zwar in Afrika: Togo 82300 qkm, Kamerun
495 000 qkm, Deutsch - Südwestafrika 835 100 qkm, Deutsch - Ost-
afrika 995000 qkm; in der Südsee: Deutsch-Neuguinea oder Kaiser
Wilhelms-Land 179000 qkm, Bismarck-Archipel, ein Teil der Salo-
monsinseln, Samoa, die Marschallinseln, die Karolinen, Marianen- und
1) Bei den folgenden Ausführungen unter Ziffer I, II und III sind meine die Er-
gebnisse der 1895er Berufs- und Gewerbezählung kurz zusammenfassende Aufsätze in
der Beilage der Münch. Allgemeinen Zeitung vom 26. Juni 1899 und 9. Januar 1900
im Einverständnis der Redaktion der Letzteren mit verwendet, hier aber wesentlich er-
weitert.
6 Friedrich Zahn,
Palau-Inseln, insgesamt 16 nennenswerte Inseln und Inselgruppen
mit 78376 qkm; auf dem asiatischen Kontinent die deutsche Pach-
tung Kiautschou mit 540 qkm und einem Einflußgebiet insgesamt von
50 km im Durchmesser.
Während dieser koloniale Gebietszuwachs in der Hauptsache
erst im Laufe des letzten Jahrzehnts erreicht wurde, hat sich die
Bevölkerung seit Jahrzehnten stetig vermehrt. Sie betrug:
im Jahre Millionen
1816 24,8
1855 36,1
1870 40,8
1882 (Juni) 45,2
1895 „ 51,8
und ist jetzt bei Beginn des neuen Jahrhunderts auf über 56 Millionen,
die sich auf über 11 Millionen Haushaltungen verteilen, zu veran-
schlagen.
Diese rasche Bevölkerungszunahme beziffert sich im Durchschnitt
der Jahre 1890—99 auf rund 700000 und erreichte in den Jahren
1898 und 1899 rund 800000 (d. i. über 1 Proz. jährlich), während
beispielsweise Frankreich in den nämlichen Jahren nur einige 30 000
Seelen Geburtenüberschuß (d. i. 0,09 Proz.) aufzuweisen hat.
Im Vergleich zur Volkszahl anderer Nationen stellt sich die
deutsche folgendermaßen:
Die Bevölkerung Deutschlands und der
ai Gesamtbevölkerung
Land Zählungs- J
termin
männlich | weiblich | überhaupt |
> 1 zZ l
Deutschland 2. XII. 1895|25 661 250 26 618 651| 52 279 901
Oesterreich 31. XII. 1890|11 689 129,12 206 284| 23 895 413
Ungarn 31. XII. 1890| 8 668 175| 8 795 616| 17 463 791
Italien 31. XII. 1881/14 265 383,14 194 245| 28 459 628
Schweiz 1. XII. 1888| 1 417 574| 1500180 2917754
Frankreich 29. III. 1896,18 922 651/19 436 360 38 269011
Belgien 31. XII. 1890 3 026 954| 3 042 367| 6 069 321
Niederlande 31. XII. 1889) 2 228 487| 2282928) 4511415
Dänemark 1.11. 1890 1059 157| 1 113 223| 2172 380
Schweden 1. XII. 1890, 2 317 180| 2467 791) 4784971
Norwegen 1.1. 1891| 951 290| 1 037 384| 1988 674
England und Wales 5. IV. 1891/14 052 901/14 949 624 29 002 525
Schottland 5. IV. 1891 1942717) 2082930 4025 647;
Irland 5. IV. 1891) 2318 953| 2385797 4704750
Großbritannien und Irland 5. IV. 1891118 314 571119 418 351| 37 732 922
Ver. Staaten von Amerika !) 1. VI. 1890 32 067 88030 554 370, 62 622 250
Ruß- | europ. mit Polen u. Finnland | 28. I 152 437 941153 721 200 106 159 141
lanq | “Site a 1897 12 178 339 10 873 633| 23 051 972
| | 9.1. ‚64 616 280,64 594 833,129 211 113
im ganzen
1) Nach den vorläufigen Ergebnissen des Census vom 1. Juni 1900 betrug die
Gesamtbevölkerung 76 304 799, die Fläche 8 502 966 qkm; es kamen demnach auf 1 qkm
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 7
Von der Gesamtbevölkerung sind etwas über zwei
Fünftel (42,7 Proz. oder 22,1 Millionen) am Erwerb beteiligt.
Für das männliche Geschlecht beträgt die Erwerbsziffer 61,11 Proz.,
für das weibliche Geschlecht, von dem die zahlreichen nur in der
Haushaltung thätigen Ehefrauen und Töchter hier nicht in Betracht
kommen, 25 Proz. Zum Verständnis dieses Prozentsatzes muß daran
erinnert werden, daß der Teil der Bevölkerung, welcher sich in einem
Alter befindet, in dem ein regelmäßiger Erwerb noch nicht oder nicht
mehr ausgeübt wird, d. h. die unter 14- und über 60-jährige Be-
völkerung allein über 40 Proz. ausmacht. Für die erwerbsfähige Be-
völkerung verbleiben demnach drei Fünftel, und unter diesen hat
wiederum ein Teil, weil eigenes Einkommen besitzend, nicht nötig,
durch Erwerb seinen Unterhalt zu beschaffen.
Vergleicht man hierzu die Verhältnisse im Ausland, was durch
folgende Zahlen wenigstens annähernd sich bewerkstelligen läßt, so
(Siehe Tabelle auf S. 8.)
erscheint die Beteiligung der Bevölkerung am Erwerb wesentlich
höher nur in Oesterreich und Italien, wesentlich geringer in den
Niederlanden, den skandinavischen Staaten und den Vereinigten
Staaten von Amerika. Diese Verschiedenheit besteht aber weniger
für das männliche als das weibliche Geschlecht und beruht in der
Hauptsache auf der ungleichen statistischen Behandlung der im Beruf
anderen wichtigeren Kulturstaaten.
Auf 1 qkm 4 Geburtenüberschuß
Re S kommen hie? Ne EIN in Proz. der mittleren
TECH Einwohner HRC SE"? Bevölkerung
540 658 96,7 11 256 150 4,64 im Jahre 1898 1,6
300 026 79,6 5 029 919 4,75 i ops Ji
322303 54,2 3 790 741 4,58 PET QT
296 323 96,0 6 251 268 4,55 1,1
40.003 73,3 630 213 4,66 1,0
536 494 71,8 10812151 3,54 im Jahre 1898 0,1
29 456 206,0 1 332 796 4,56 1,1
32 538 138,7 977 915 4,61 1,5
39 = 55,1 475 675 4,59 . f
442 12 10,8 1 265 665 3,76 e 97 1,1
322 594 6,2 443 317 4,50 er
151017 192,0 5 633 192 4,61 1,2
77 142 52,2 876 089 4,59 e 1,2
81 738 57,6 932 113 5,05 au Jahre DEE "Cas
309 897 121,8 7 441 394 5,07 1,1
7 611 839 8,2 12 690 152 4,93
5 280 758 20,1 . F 17%
16 331 078 1,4 P ` im Jahre 1897 1,6
21 611 836 6,0 £ è 1,5
9,0 Einwohner. — 2) Diese Zahl bezieht sich auf das europäische Rußland ohne Polen
und Finnland.
8 Friedrich Zahn,
männ-| weib- |.
liche | liche | Yberhaupt
Land Erwerbsthätige Erwerbsthätige in 0/ der
männ- | weib- Gssänit:
lichen | lichen ~
männlich | weiblich | überhaupt Bevölkerung
Deutschland 15 531 841| 6578 350122 110 191| 61,1 25,0 42,7
Oesterreich 7 391 834| 5 771734113 163 568| 63,2 | 47,3 55,1
Ungarn 5 446 844| 2 189 978| 7 636 822| 62,8 | 24,9 43,7
Italien 9450633, 5 701 27515 151 908| 66,3 | 40,2 53,2
Schweiz 870 460| 435 190| 1305 650| 61,4 | 29,0 44,8
Frankreich 11 137 065| 5 191 084/16 328 149| 58,8 27,0 42,8
Belgien 1811273| 797 143| 2608 416| 59,8 | 26,2 43,0
Niederlande 1299670! 353059] 16527209) 58,3 | 15,5 36,6
Dänemark 608 625| 233453| 842078] 57,5 | 21,0 38,8
Schweden I 263 532| 486872] 1750 404] 54,5 19,7 36,6
Norwegen 530725) 244747| 775472] 55,8 | 23,6 39,0
England und Wales 8 883 254| 4 016 23011 899 484| 63,2 | 20,8 44,5
Schottland 1220 388| 556564! 2776952] 62,8 | 26,7 44,1
Irland 1504319) 634948) 2139 267| 64,9 | 26,6 45,5
Großbritannien und Irland [11 607 961| 5 207 742116 815 703| 63,4 | 26,8 44,5
Ver. Staaten von Amerika |18 821 090! 3 914 571122 735 661! 58,7 | 12,8 36,3
des Haushaltungsvorstands mithelfenden Familienangehörigen. Keines-
falls läßt sich daraus die bisweilen aufgestellte Behauptung ableiten,
daß der Erwerb, insbesondere der Frauenerwerb, von Süd nach Nord
oder von Ost nach West an Intensität abnehme. Hingegen wird es
den Thatsachen entsprechen, wenn die Erwerbsziffer in Großbritannien
die in Deutschland — und zwar für das männliche wie für das weib-
liche Geschlecht — übertrifft, zumal in der britischen Statistik mit-
helfende Familienangehörige überhaupt nicht den Erwerbsthätigen zu-
gerechnet werden.
Seit dem Jahre 1882 haben die Erwerbsthätigen um 3,1 Millionen
oder 16,6 Proz. zugenommen — mithin noch stärker als die Gesamt-
bevölkerung, deren Wachstum innerhalb der letzten 13 Jahre immer-
hin 14,7 Proz. erreicht —, davon entfallen 2,1 Millionen auf das
männliche, 1,0 Millionen auf das weibliche Geschlecht.
Diese Mehrung vollzog sich vornehmlich in industriellen und
kommerziellen Berufen, in der Armee und im öffentlichen Dienst.
So sind beispielsweise
an der seit 1882 eingetretenen Zunahme
die Berufsarten der Erwerbsthätigkeit beteiligt
absolut KEE
Waren- und Produktenhandel 322 416 102,8
Gast- und Schankwirtschaft 213 212 67,6
Armee- und Kriegsflotte 179 153 56,8
Bauunternehmung 175 742 55,7
Schlosserei 167 301 53,1
Schneiderei 129 931 41,2
Maurer 112 109 35,6
Kohlengewinnung 100 177 317
Eisenbahnbetrieb 90 971 28,9
Tischler 80 787 25,9
Staats- und Gemeindedienst 80 216 25,4
Aufwartefrauen, Zugehedienste 69 496 22,0
Bäckerei, Konditorei 64 258 20,4
Post- und Telegraphenbetrieb 60 763 19,3
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 9
Fragt man, wie sich das deutsche Volk überhaupt auf die
einzelnen Berufszweige verteilt, so bekommt man aus der
1895er Erhebung folgendes Bild:
Erwerbsthätige m. Dienst-
x e S Erwerbsthätige im boten und nicht erwerbs-
Berutsabteilüngen Hauptberuf thätigen Angehörigen
(Berufsbevölkerung)
absolut Proz. absolut Proz.
Landwirtschaft 8 292692 36,19 18 501 307 35,74
Industrie 8 281220 36,14 20 253 241 39,12
Handel und Verkehr 2 338 511 10,21 5 966 846 11,52
Häusliche Dienste, Lohn-
arbeit wechselnder Art 432 491 1,89 886 807 1,71
Armee-, Hof-, Staatsdienst,
freie Berufe 1 425 961 6,22 2835014 5,48
Ohne Beruf u. Berufsangabe 2 142 808 9,35 3 327 069 6,43
Summe 22913 683 100 51770284 100
Die Hauptgebiete wirtschaftlicher Thätigkeit, Landwirtschaft,
Industrie und Handel, umfassen sonach 86 Proz. der Reichsbevölkerung,
in ihnen finden 44,7 Millionen als grosse und kleine Unternehmer,
als Verwaltungsbeamte, Arbeiter Beschäftigung und mit ihren An-
gehörigen und Dienstboten die Nahrungsquelle. Und zwar ist es
die Industrie, welche die meisten Menschen — 20,3 Mill.
oder 39 Proz. — versorgt, nächst ihr steht die Landwirtschaft mit
18,5 Mill. Personen oder 35,7 Proz. der Reichsbevölkerung und dann in
weiterem Abstande Handel und Verkehr mit rund 6 Mill. oder 11,5 Proz.
Gegenüber diesen drei materiellen Berufszweigen treten die anderen
Berufsabteilungen sehr in den Hintergrund, doch ist zu beachten,
dass in der Abteilung des öffentlichen Dienstes und der freien Be-
rufsarten politisch und kulturell recht bedeutungsvolle Elemente des
Gesellschaftslebens zusammengefaßt sind, der Wehr-, Lehr-, Gelehrten-,
Künstlerstand, die Beamtenschaft.
Löst man die genannten großen Berufszweige in die Special-
berufe auf, deren die Statistik 207 unterscheidet, so erweisen sich als
am dichtesten besetzt die Berufe Landwirtschaft, Waren- und Produkten-
handel, Maurer, Kohlengewinnung, Bauunternehmung, Schuhmacher
— mit je über 1 Million Berufszugehörigen —, Eisenbahnbetrieb,
Gast- und Schankwirtschaft, Tischler, Schneider, Staats- und Gemeinde-
dienst — mit über 900000 —, Weberei, Armee und Kriegsflotte,
Schlosser, Erziehung und Unterricht, Zimmerer, Schmiede, Lohnarbeiter
wechselnder Art mit über 500000.
Bei vorstehender Berufsgliederung ist nur der sog. Hauptberuf
berücksichtigt, d. h. diejenige Thätigkeit, auf welcher hauptsächlich
die Lebensstellung beruht und von welcher der Erwerb oder dessen
größter Teil herrührt. Thatsächlich spielt sich heutzutage die
Erwerbsthätigkeit keineswegs in scharf abgegrenzten Berufszweigen
ab. Dank unserer Gewerbefreiheit kann jeder treiben, was er versteht
und was ihm lohnend erscheint. Daher erscheint es geboten, um
die thatsächliche Ausdehnung der einzelnen Berufe kennen zu lernen,
daß man sich auch die Nachweise über Nebenerwerb vergegen-
10 Friedrich Zahn,
wärtigt. Die deutsche Statistik hat solche in weitgehendem Maße
erhoben und im Gegensatze zu fast allen anderen Staaten auch aus-
führlich zur Darstellung gebracht. Hier sollen sie wenigstens insoweit
Platz finden, als sie die Art des Nebenerwerbs veranschaulichen ;
da Personen, die mehreren Nebenberufen oder dem nämlichen Berufe
in verschiedenen Berufsstellungen obliegen, mehrfach gezählt sind,
handelt es sich bei den folgenden Zahlen nicht um die Zahl von
nebenerwerbsthätigen Personen, sondern um die Zahl der Fälle, in
welchen Personen einen Nebenerwerb ausüben:
Nebenberufe Haupt- u. Nebenberufe
absolut Proz. absolut Proz.
Land- und Forstwirtschaft 3 648 237 73,71 II 940 929 42,86
Industrie 619386 12,51 8900606 31,94
Handel und Verkehr 569877 11,51 2 908 388 10,44
Häusliche Dienste etc. 16 765 0,34 449 256 1,61
Oeffentlicher Dienst 95 430 1,93 1521 397 5,46
Ohne Beruf u. Berufsangabe — — 2 142 808 7,69
Summe 4949701 100 27 863 384 100
Diese Zahlen ergeben zur Genüge, wie häufig in unserem Be-
rufsleben der Nebenerwerb sich findet, und wie notwendig für die
Feststellung der Bedeutung der einzelnen Berufszweige es darum
ist, auch den Nebenerwerb zu registrieren. Und dabei bleibt die
durch die Berufsstatistik ermittelte Ausdehnung des Nebenerwerbs
infolge der Schwierigkeiten, die einer erschöpfenden Erfassung ent-
gegenstehen, immer noch hinter der Wirklichkeit zurück. Nament-
lich gilt dies von den nicht landwirtschaftlichen Nebenberufen,
welche äußerlich nicht so hervortreten, wie der landwirtschaftliche
Nebenberuf mit dem besonderen Stück Land. Deswegen erscheint
die Stärke des landwirtschaftlichen Interessenkreises, wie sie in der
letzten Zahlenreihe zum Ausdruck gelangt, gegenüber den anderen
Berufszweigen verhältnismäßig zu bedeutend. Uebrigens ist gerade
hinsichtlich der Abmessung des Gesamtgewichts eines Berufszweiges
daran zu erinnern, daß die bloße Nebenbeschäftigung das Interesse
des Einzelnen am Schicksal des betreffenden Berufszweiges selten
in dem Maße in Anspruch nimmt, wie ein zum Haupterwerb ge-
machter Beruf.
Will man die Gesamtsumme der Erwerbsfälle wissen,
so muß man aus obiger Tabelle die Zahl der Berufslosen ausscheiden,
dagegen die der häuslichen Dienstboten mit einrechnen. Alsdann
erhält man 27059892 (18,7 männl., 8,3 Mill. weibl.). Erwerbsfälle.
Selbstredend besagen diese nicht etwa, daß über die Hälfte der Ge-
samtbevölkerung einem Erwerb nachgeht, vielmehr stellt sich dieser
Anteil der Bevölkerung wegen der erwähnten Doppelzählungen von
Personen mit mehreren Berufen erheblich niedriger, immerhin höher
als 42,7 Proz., mit welchem Prozentsatz ja schon allein die haupt-
beruflichen Erwerbsthätigen einschließlich der häuslichen Diensthoten
unter der Gesamtbevölkerung vertreten sind.
Wie verhält sich die geschilderte deutsche Berufs-
gliederung zu der der anderen Kulturstaaten?
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 11
Ein Aufschluß darüber ist angesichts des Charakters des inter-
nationalen berufsstatistischen Materials, welches nach sehr verschie-
denen Grundsätzen aufgenommen und verarbeitet wird, mit völliger
Genauigkeit nicht möglich. Das Kaiserliche Statistische Amt war aber
bemüht, die vorhandenen Daten wenigstens annähernd vergleichbar
zu machen, es hat zu dem Zweck folgende Uebersicht zusammenge-
stellt (den Erwerbsthätigen sind auch die häuslichen Diensthoten
EE EE TEE
zugerechnet):
Die Erwerbsthätigen!) nach Berufsabteilungen.
Land- und Handel m, Sonstiger
F S Industrie Verkehr Armee . Gel Häusliche Sonstige
orstwirt- öffentlicher Dr
Land schaft und (Gast- und und Dienst und (persönliche) Erwerbs-
Fis Ki Bergbau Schank- Marine S Dienstboten thätige
ischerei Set freie Berufe
wirtschaft)
iatschland 8292692 8281220 2338511 630978 794983 1339310 432491
Oesterreich 8 469 223°) 2880897?) 845073‘) 187507 324591 456277 —
agam 44746535) 9614223) 249051 114393) 165089 376270 1295 944°)
tien 8580978 4185 461 592784 160155 498923 596 172 537 435
Schweiz 488 530 531 005 140 289 816 49 837 80 304 14 869
Frankreich 6535599 4548098 2185818 5618755) 768245 1609432 119 082°)
Leien 1) 649252 1081503 327 091 48 282 724 040
Ninlerlande 541 274 532 181 268 730 20 880 98 005 166 495 25 164
Yınemark 228 316 200 700 69 300 8429 44723 217 232 73 378
Süveden 944 562 263 317 102381 39455 460137 237 918 116 634
Norwegen 384 426 177 511 91 257 3 962 22 989 81 380 13 947
England und Wales 1336945 7336344°\ 1399735 126473 799659 1 900 328 —
Schottland 249124 1032404?) 180952 7588 103 731 203 153 -
Irland 940 621 657 1543) 95446 31293 176538 238215 —
Großbritannien und
Irland 2526690 9025 902%) 1676133 165354 1079928 2341696 —
Vereinigte Staaten
von Amerika!) 8626088 5478541 3326122 30 845 913488 4360577") —
Von 100 Erwerbsthätigen gehören zu jeder Berufsabteilung
Ixutschland 37,5 37,4 10,6 2,8 3,6 6,1 2,0
Osterreich 64,37) 21,95) 6,44) 1,4 2,5 3,5 _
rom 58,6°) 12,6%) 3,8 1,5°) 2,1 4,9 17,0")
"ien 56,7 27,6 3,9 1,0 3,3 3,9 3,6
Schweiz 37,4 40,7 10,7 0,1 3,8 6,2 1,1
Frankreich 40,0 27,9 13,4 34°) 47 9,9 SN
Belgien 1°) 22,9 38,2 11,6 1,7 25,6
Sirderlande 32,7 32,2 16,3 1,8 5,9 10,1 1,5
l'anematk 27,1 23,9 8,2 1,0 5,3 25,8 8,7
Yhweden 54,0 15,0 5,8 2,3 2,6 13,6 6,7
\erwegen 49,6 22,9 11,7 0,5 3,0 10,5 1,8
England und Wales 10,4 56,93) 10,8 1,0 6,2 14,7 >
| Shattland 14,0 58,1?) 10,2 0,4 5,9 11,4 TE
` irland 44,0 30,73) 4,5 1,5 8,2 11,1 Ce
vmöbritannien und
Irland 15,1 53,73) 10,0 1,0 6,4 13,8 —
\reinigte Staaten LS
von Amerika 38,0 24,1 14,6 0,1 4,0 19,21!) =
1) Hierunter sind Personen verstanden, welche bei der Aufnahme sich als in einem
Hauptberuf thätig bezeichnet haben, einschließlich der Dienstboten für per-
sönliche (häusliche) Dienste. Nicht zu den Erwerbsthätigen sind also, außer den noch
|
12 Friedrich Zahn,
Der Anteil am landwirtschaftlichen Erwerb ist demgemäß in
Deutschland gegenüber allen anderen größeren Staaten des euro-
päischen Kontinents, auch gegenüber Nordamerika, namhaft geringer,
hingegen viel größer als in Großbritannien. Andererseits ist der in-
dustrielle Erwerb bei uns so mächtig entfaltet, daß nur Großbritannien
uns darin übertrifft, und zwar ist auch die absolute Zahl der indu-
striellen Erwerbsthätigen Deutschlands wesentlich größer als die in
den genannten anderen Staaten und kommt der von Großbritannien
nahezu gleich, so daß unter den Kulturstaaten neben dem britischen
das Deutsche Reich die meisten Menschen von der Industrie ernährt.
Das industriereiche Belgien und die Schweiz können zum Vergleich
mit dem Deutschen Reich als solchem nicht herangezogen werden,
da deren territoriale Ausdehnung und ihre Stellung in der Weltwirt-
schaft zu ungleich ist. Handel und Verkehr ist, was ihre Vertretung
unter der Gesamterwerbsthätigkeit anlangt, außer in Frankreich,
Belgien, den Niederlanden, Norwegen, namentlich in England und
besonders den Vereinigten Staaten von Amerika höher entfaltet; an
absoluter Stärke der im Handel und Verkehr Erwerbsthätigen steht
Deutschland nur hinter den Vereinigten Staaten zurück.
Anlangend die Entwickelungstendenz, welcher der be-
rufliche Aufbau gegenüber dem Stande von 1882 bekundet, so
erfolgte in Deutschland, wie auch anderwärts selbst in Staaten
mit noch ausgesprochen agrarischem Charakter (Oesterreich, Ungarn),
eine Verschiebung zu Ungunsten der Landwirtschaft, zu Gunsten der
Industrie. Deutschland hat sich aus einem überwiegenden Agrikultur-
staate zu einem gemischt landwirtschaftlich-industriellen, (noch ge-
nauer) zu einem überwiegend industriellen Staate entwickelt. Es ent-
fallen nämlich
(Siehe Tabelle auf S. 13.)
Diese Verschiebung besteht nicht allein anteilweise, d. h. in Bezug
auf den Anteil an der Gesamtheit der Erwerbsthätigen bezw. an der
Gesamtbevölkerung, sondern auch absolut. Der Rückgang der Land-
wirtschaftsbevölkerung beträgt rund 70000 Personen, hieran sind
die männlichen Erwerbsthätigen, die Familienangehörigen und die
häuslichen Dienstboten in der Landwirtschaft beteiligt, nicht aber die
nicht oder nicht mehr am Erwerbsleben Beteiligten, den wegen Gebrechlichkeit Arbeitsun-
fähigen, auch gerechnet die Hausfrauen, welche keinen eigenen Beruf ausüben, sowie die
von Vermögen, Renten, Pensionen Lebenden. — 2) Einschließlich der Torfgräberei und der
Gewinnung forstwirtschaftlicher Nebenprodukte. — 3) Darunter Gast- und Schankwirt-
schaft. — 4) einschließlich der Lohnarbeiter wechselnder Art. — 5) Auch die Kohlen-
brennerei, soweit sie nicht in Verbindung mit einem gewerblichen Betrieb steht. —
6) Einschließlich Gendarmerie. — 7) Hauptsächlich Tagelöhner ohne nähere Angabe, un-
bekannte Berufe ete. — 8) Einschließlich Gendarmerie und Polizei. — 9) Im Dienste von
Rentnern thätige Angestellte und Arbeiter. — 10) Die Zahlen beziehen sich auf Berufsfälle,
nicht auf erwerbsthätige Personen. — 11) Außer den häuslichen Dienstboten sind hier
Erwerbsthätige der Gast- und Schankwirtschaft, der Wäscherei ete. nachgewiesen ; außer-
dem Barbiere, Friseure und Arbeiter ohne nähere Angabe. — 12) Für Rußland sind
nur einige Daten über die Ständegliederung vorhanden: 81,5 Proz. paysans, 9 Proz.
marchands et les bourgeois, 6,5 militaires, über 1 Proz. les nobles héréditaires et person-
nels, fast 1 Proz. les ecclésiastiques.
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 13
Berufsbevölkerung
auf die Erwerbsthätige im (Erwerbsthätige, Erwerbs- Berufs-
Berufsabteilungen Hauptberuf Dienende u. An- thätige im bevôlkerung
gehörige) Hauptberuf
1882 1895 1882 1895 1882 1895 1882 1895
Absolute Zahlen Verhältniszahlen
A. Land- u. Forst-
wirtschaft * 8236496 8292692 19225455 18501307 43,38 36,19 42,51 35,74
darunter Landwirt-
schaft 8063966 8045441 18704038 17815187 4247 35,11 41,36 34,41
B. Industrie 6 396 465 8281 220 16058080 20253 241 33,69 36,14 35,51 39,12
C. Handel u. Verkehr 1570318 2338511 4531080 5966846 8,27 10,21 10,02 11,52
D. Häusliche Dienste 397 582 432 491 938 294 886 807 2,10 1,89 2,07 1,71
E. Oeffentl. Dienst,
freie Berufe 1031147 1425961 2222982 2835014 5,43 6,22 4,92 5,48
darunter Armee u.
Marine 451825 630 978 542 282 736 692 2,38 2,75 1,20 1,42
F. Ohne Beruf und
Berufsangabe 1354486 2142808 2246222 3327069 7,18 9,35 4,97 6,43
Summe 18 986 494 22913683 45222113 51770284 100 100 100 100
weiblichen Erwerbsthätigen, deren Zahl ein wenig gestiegen ist, doch
mag diese Steigerung nur auf einer genaueren Erfassung der in der
Wirtschaft mithelfenden Familienangehôrigen beruhen. Die Verlust-
liste in der Landwirtschaft ist dadurch entstanden, daß Personen, die
sonst der Landwirtschaft zugehörten, in andere Berufe abgewandert
sind. Wie schon bemerkt, haben namentlich die industriellen und
kommerziellen Berufe gewonnen, ja man kann sagen, daß fast der
ganze seit 1882 eingetretene Bevölkerungszuwachs — er beträgt
6,5 Mill. oder 14,48 Proz. — sich in die eben genannten Berufe er-
gossen hat, beläuft sich doch die Mehrung der industriellen Berufs-
bevölkerung auf 4,2 und die der kommerziellen auf 1,4 Millionen
Personen.
An dieser Zunahme der Erwerbsthätigen nehmen die drei
sozialen Klassen, die Selbständigen, die Angestellten
und die Arbeiter teil, freilich in verschiedenem Grade.
Die Zahl der Selbständigen ist, was die Abteilungen Landwirt-
schaft, Industrie und Handel angeht, von 5190687 auf 5474046,
d. i. um 283359 oder 5 Proz. gestiegen, die der Arbeiter aber von
10,7 auf 12,8 Millionen, also um 2 Millionen oder 20 Proz., die An-
gestellten haben sich verdoppelt (307 268 im Jahre 1882, jetzt 621 825).
Von der Gesamtmehrung der Erwerbsthätigen in den genannten
Berufszweigen treffen auf die Arbeiter über drei Viertel, auf die An-
gestellten 12 Proz., die Selbständigen 10 Proz. Die Folge hiervon
ist, daß der Anteil der Selbständigen zu Gunsten der
Abhängigen zurückging.
Diese Art Entwickelung vollzog sich aber nicht in der Land-
wirtschaft. Hier haben im Gegenteil die Selbständigen etwas ge-
wonnen, unter gleichzeitigem Rückgang des Anteils der Arbeiter-
schaft, indem frühere Tagelöhner durch Zupacht und Zukauf von Land
zu selbständigen Landwirten sich emporschwangen und auch durch die
Rentengüter die Zahl der landwirtschaftlichen Selbständigen vergrößert
e e
14 Friedrich Zahn,
wurde; andererseits machte die ausgiebigere Verwendung der
Maschinen die Einstellung von Hilfskräften stellenweise entbehrlich,
und veranlaßte die bessere Entlohnung und freiere Lebensstellung in
gewerblichen Berufen zur Abwanderung vom landwirtschaftlichen in
den gewerblichen Dienst. Wenn gleichwohl die Gesamtheit der Selb-
ständigen relativ zurückging, so waren dafür die Verhältnisse in
Industrie, Handel und Verkehr ausschlaggebend, der Großbetrieb
und die fortschreitende Konzentration der Betriebe erschwert hier
immer mehr die Selbständigmachung.
So kommt es, daß jetzt (d. h. nach der 1895er Statistik) fast
drei Viertel aller Erwerbsthätigen oder 16,2 Mill. zur abhängigen,
nur etwas über ein Viertel (26,84 Proz.) oder 5,9 Mill. zur selb-
ständigen Klasse gehören.
Speciell in den drei großen Berufszweigen Landwirtschaft, In-
dustrie und Handel und Verkehr ist die soziale Schichtung folgende:
Selb- ege Von 100 Erwerbsthätigen sind
Eer g Arbeiter Selb- An- E
ständige gestellte ständige gestellte Arbeiter
Landwirtschaft 2568 725 96 173 5 627 794 30,98 1,16 67,86
Industrie 2 061 764 263 745 5955711 24,90 3,18 71,92
Handel u. Verkehr 843 557 261 907 1 233 047 36,07 11,20 52,73
Summa: 5474046 621825 12816552 28,94 3,29 67,77
Sonstige Berufe 460 074 196 065 2541629 14,39 6,13 79,48
Ueberhaupt 5 934 120 817 890 15358 181 26,84 3,70 69,46
Zerlegt man die abhängige Klasse in Landwirtschaft, Industrie
und Handel nach ihren einzelnen Bestandteilen, so erhält man
Proz. aller Erwerbsthätigen
na der genannten Berufszweige
Angestellte 621 825 3,29
Gelernte Arbeiter 6 021 641 31,84
Ungelernte Arbeiter 4 725 326 24,99
Mithelfende Familienangehörige 2 069 585 10,94
Dazu mithelf. Familienangeh. im
Nebenberuf 1311790
Die Angestellten, unter welchen das technische, Aufsichts- und
Rechnungspersonal zu verstehen ist, werden in ausgedehntem Maße
beschäftigt in der chemischen Industrie, der ihr verwandten Industrie
der Leuchtstoffe, Fette, Oele, dann im Maschinen-, im Berg- und
Hüttenwesen, es entspricht dies dem fabrikmäßigen und Großbetriebs-
charakter der erwähnten Berufe. Relativ am geringsten ist ihre Ver-
wendung im Bekleidungs- und Reinigungsgewerbe, in der Holz- und
Schnitz- sowie in der Metallindustrie, Gruppen, in denen das Klein-
gewerbe und Handwerk eine Rolle spielt und daher die Dienste
eines höher qualifizierten Hilfspersonals, sei es technischen oder
Bureaupersonals, weniger von nöten sind.
Die gelernten Arbeiter, d. h. die Gesellen, Lehrlinge und Arbeiter
für Dienstleistungen, zu denen in der Regel eine Vorbildung er-
forderlich ist, vereinigen die Hauptmasse der Erwerbsthätigen auf
sich. Fast ein Drittel sind gelernte Arbeiter, von der Klasse der
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 15
Arbeiter allein entfällt auf sie fast die Hälfte. Den Ausschlag für
diese hohen Anteile geben die Verhältnisse im eigentlichen Handwerk,
das für seine Leistungen bestimmte erlernte oder durch andauernde
Uebung erworbene Befähigungen oder Geschicklichkeiten voraussetzt.
So kommen fast ausschließlich gelernte (männliche) Arbeiter vor bei
den Berufen der Schneider, Barbiere, Friseure, Schornsteinfeger,
dann in den — handwerksmäßig betriebenen — Berufen der Glaser,
Klempner, Schmiede, Stellmacher, Tischler, Schuhmacher, Schlosser,
Bäcker, Fleischer etc. Umgekehrt arbeiten mehr ungelernte Personen
in Bauunternehmung (Erd-, Wege, Eisenbahnarbeiter), Torfgräberei,
Gasanstalten, Ziegeleien etc.
Die Mitarbeit von Familienangehörigen findet sich am ausgedehn-
testen in der Landwirtschaft, wo ihre Zahl sogar die der Knechte
und Mägde übersteigt, und zwar zumeist auf Betrieben mittlerer
Größe, auf Bauerngütern. Schon weniger häufig ist sie bei Handel
und Verkehr, am eingeschränktesten in der Industrie; es hängt da
die Häufigkeit von mithelfenden Familienangehörigen von der Größe
der Betriebe ab, je kleiner der Betrieb, um so mehr hat er familien-
haften Charakter. Uebrigens treffen von allen mithelfenden Familien-
angehörigen der Industrie und des Handels nicht weniger als 84 Proz.
auf die fünf Berufsarten Gast- und Schankwirtschaft, Waren- und
Produktenhandel, Bäckerei, Fleischerei, Weberei, vielfach besteht die
besagte Mithilfe in der Besorgung des Verkaufsgeschäfts und wird
zumeist von Ehefrauen geleistet.
Um die einzelnen sozialen Schichten in ihrer ganzen Ausdehnung
zu erkennen, empfiehlt es sich, die Erwerbsthätigen zusammen mit ihren
Familienangehörigen zu klassifizieren. Alsdann ergiebt sich über den
sozialen Aufbau des Deutschen Volkes nachstehendes Bild:
Erwerbsthätige nebst
Familienangehörigen
Schicht der Selbständigen 23 013 226 44,45
Vermögende Klasse 646 242 1,25 2,81
Mittelklasse 15 874 600 30,66 p 68,98
Unbemittelte Klasse 6492384 12,54 | 28,21
Schicht der Abhängigen 28 757058 55,55
51770284 100,00
Ueber die Hälfte der Bevölkerung gehört der abhängigen Klasse
an, 44,45 Proz. derjenigen der Selbständigen. Auf die sozial so hoch-
bedeutsame selbständige Mittelklasse!) trifft fast ein
Drittel der Bevölkerung — zweifellos eine verhältnismäßig
ausgedehnte Schicht. Hierbei ist nur hinsichtlich der Selbständigen-
Schicht das Moment des Besitzes (auf Grund der Angaben über Aus-
1) Näheres über diese Mittelstandsstatistik im 10. Abschnitt von Bd. 111
der Statistik des Deutschen Reichs. Hier sei, um die Darstellung mit formalen Aus-
führungen nicht zu sehr zu belasten, nur erwähnt, daß bei obiger Unterscheidung von
Wohlhabenheits-Schiehten der Selbständigen zur Mittelklasse namentlich die Inhaber
von bäuerlichen Betrieben von 2—100 ha, sowie von gewerblichen und Handelsbetrieben
mit 2 bis 20 Personen gerechnet sind; zur unbemittelten Klasse sind die Inhaber von
kleineren, zur vermögenden diejenigen von größeren Betrieben gezählt.
16 Friedrich Zahn,
dehnung der landwirtschaftlichen und gewerblichen Betriebe) berü
sichtigt. Wäre dies auch für die Schicht der Abhängigen môgl
so würde ohne Zweifel die unbemittelte Klasse, aber auch die Mitt
klasse eine namhafte Verstärkung erfahren. Die Mittelklasse erhie
insonderheit einen wesentlichen Zuwachs durch die nicht unbeträcl
liche Kategorie von höheren in Landwirtschaft, Industrie, Hana
und Verkehr thätigen Beamten und von sonstigen qualifizierter:
Arbeitern, deren Gehalt oder Lohn den Verdienst des selbständige
Handwerkers nicht selten übersteigt.
Während die Mittelklasse von den Selbständigen (nebst Familie
68,98 Proz. auf sich vereinigt, steigt dieser Anteil speciell bei de
Landwirtschaft auf 83,02 Proz., bei Handel und Verkehr beziffert e
50,84 Proz., bei der Industrie nur 46,36 Proz. Um so stärker sind di
beiden äußeren Klassen — die unbemittelte und die vermögende —
in der Industrie besetzt. Im Gegensatz zu den Vorgängen, die
sich zwischen Großindustrie und Handwerk, zwischen Großhandel
(Großmagazine, Warenhäuser etc.) und Kleinhandel abspielen, ist eben
der landwirtschaftliche Mittelstand der Gefahr der Aufsaugung durch
den Großgrundbesitz in geringerem Grade unterworfen, und darum
gerade hier die Erhaltung und Kräftigung der breiten Mittelschicht
am ehesten durchführbar.
Die unbemittelte Klasse bildet bei dem pyramidenähnlichen Auf-
bau der Bevölkerung nach dem Wohlstand allerdings die breiteste
Schicht. Aber in der untersten Klasse finden sich keineswegs etwa
die schlechtesten Elemente der Gesellschaft, sondern insbesondere
die verjüngenden und belebenden Kräfte des Volkstums, und der
Austausch zwischen den Ständen vollzieht sich bekanntlich derart,
daß, während die verlebten Elemente von oben nach unten herab-
sinken, die jungen und verjüngenden Elemente von unten emporsteigen.
IL.
Was nun die drei großen Produktionsgebiete Landwirtschaft,
Gewerbe und Handel im einzelnen anlangt, so haben, wie schon er-
wähnt, speciell in der Landwirtschaft 8,3 Mill. Personen ihren
ausschießlichen oder wenigstens hauptsächlichen Erwerb; mittelbar
nähren sich von derselben weitere 10,3 Mill, welche im Haus-
halte der ersteren als Familienangehörige oder als Dienstboten sich
aufhalten.
Die genannten 8,3 Mill. Erwerbsthätigen, zu denen noch über
3 Mill. Personen kommen, die nebenher in der Landwirtschaft
thätig sind, arbeiten in 5!/, Mill. landwirtschaftlichen Be-
trieben mit 43 Mill. Hektar Gesamtfläche, wovon allein 74 Proz.
nämlich 32 Mill. ha auf rein landwirtschaftliche Nutzung (Acker,
Wiese, Weide etc.) entfallen; die übrige Fläche jener Betriebe dient
als Ziergärten, Weinland, Oed-, Unland ete., 17 Proz. (7,5 Mill. ha)
sind Forstland. Es steht also der landwirtschaftliche Betrieb noch
heute in enger Verbindung mit Forstwirtschaft und Waldbau. Reine
Forstbetriebe sind es 22000 mit 6 Mill. ha Fläche.
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 17
Nur von der ersten Art der Betriebe, von den eigentlichen land-
wirtschaftlichen Betrieben, sei kurz im weiteren die Rede. Wie ge-
staltet sich die Verteilung dieses Grundbesitzes ?
Auf die einzelnen
Landwirtschaftlich Größenklassen entfallen
Zahl der Betriebe benutzte Fläche ash
Sig SBS? 4 andwirt-
GrüBenklassen D. schaftlich be-
ha | ha 5 nutzter Fläche
| 1852 | 1895 1882 | 1895 1882 | 1895 | 1882 | 1895
unter 2 ha |3 061 83113 236 367| 1 825 938| 1 808 444| 58,03| 58,23] 5,73] 5,56
2ha bis 5 „| 9814071016 318| 3 190 203| 3 285 984| 18,60| (Baal 10,01) 10,11
5, » 20 „| 926605! 998 804| 9 158 398| 9 721 875| 17,56| 17,97! 28,74| 29,90
20 ,, „100 ,, | 281510! 281 767| 9908 170| 9869837. 5,34| So? 31,09| 30,35
100 „u.darüber| 24 991| 25 061| 7 786 263 |
7 831 801] 0,47| 0,45| 24,43] 24,08
Zusammen l; 558 317|5 276 344132 517 941/31 868 972| 100 100 100 100
Wohl sind von den genannten Betrieben über die Hälfte Par-
zellen unter 2 ha; sieht man aber auf das Areal, so ist nur ein
Zwanzigstel des landwirtschaftlichen Bodens in solche Parzellen zer-
splittert, sie repräsentieren einen sozial keineswegs unwichtigen
Faktor, indem deren Inhaber, die ihren Haupterwerb vielfach in
einem anderen Beruf haben, durch diese landwirtschaftliche Be-
schäftigung noch einen engen Zusammenhang mit dem Lande und
der Landwirtschaft unterhalten. Das andere Extrem, die Groß-
betriebe mit 100 und mehr Hektar, umfassen 24 Proz. des länd-
lichen Areals, aber nur 0,45 Proz. der Betriebszahl; unter ihnen
walten die Betriebe über 200 ha — namentlich Rittergüter der preußi-
schen Ostprovinzen — vor. Zumeist haben aber die landwirtschaft-
lichen Betriebe die Größe von Bauerngütern von 2 bis 100 ha.
Mit nahezu drei Vierteln (70,36 Proz.) ist nämlich der bäuerliche
Besitz an der landwirtschaftlichen Fläche beteiligt, wobei der Zahl
nach etwas über zwei Fünftel aller Betriebe auf ihn entfallen. In
Wirklichkeit ist das Bauerngut noch etwas stärker vertreten, indem
auch von den Betrieben mit über 100 ha etliche, namentlich im nörd-
lichen Deutschland, einen ausgesprochen bäuerlichen Charakter tragen,
andererseits die Betriebe mit unter 2 ha zu einem Teil in den frucht-
baren Gegenden des Obst-, Wein-, Tabak- und Hopfenbaues noch
eine selbständige bäuerliche Existenz ermöglichen.
Von besonderer Wichtigkeit ist, daß die Anteile der kleineren
und mittleren Bauerngüter an der gesamten landwirtschaft-
lichen Fläche seit 1882 nicht unerheblich gewachsen sind,
während die Parzellenbetriebe sowohl wie auch die großen Bauern-
güter und die Großgüter einen Rückgang ihres Anteils erkennen
lassen.
Vergleicht man diese Verhältnisse mit dem Auslande, so
findet man, daß die Zwergwirtschaften in Deutschland ziemlich ebenso
Dritte Folge Hd. XXI (LXXVI). 2
18 Friedrich Zahn,
entwickelt sind wie in anderen Ländern; nur in Großbritannien
hier gefördert durch die neuere Allotmentsgesetzgebung —, in Belgi
und in den Niederlanden sind sie zahlreicher. Der Großbetrieb i
abgesehen von den Vereinigten Staaten, nirgends stärker als bei un
Dessenungeachtet erfreut sich gerade Deutschland gegenüber de
Auslande einer besonders kräftig vertretenen Bauernwirtschaft, wob«
einen besonderen Vorzug bildet, daß als Bauerngüter kleine, mittler
und große zahlreich nebeneinander bestehen.
In Bezug auf die Besitzverhältnisse in der Landwirtschaft bilde
die Eigenbewirtschaftung in Deutschland die weit über-
wiegende Wirtschaftsform. 40,68 Proz. aller Betriebe be-
wirtschaften ausschließlich eigenes Land, dazu treten noch jene an
Zahl ebenfalls erheblichen Betriebe, welche hinzugepachtetes oder
sonst zur Nutznießung überlassenes Areal bebauen. So kommt es.
daß nicht weniger als 86 Proz. der landwirtschaftlichen Fläche über-
haupt im Eigentum der Betriebsleiter stehen. Die Betriebe mit
Pachtland sind zwar der Zahl nach sehr bedeutend — 47 Proz. aller
Betriebe —, doch beträgt die gepachtete Fläche nur 12 Proz. des
Gesamtareals. In Wirklichkeit sind auch unter den 47 Proz. Pacht-
betrieben nur 16,43 Proz. lediglich auf Pachtland angewiesen, alle
anderen haben daneben noch Eigenland oder unter einem anderen
Rechtstitel ihnen zur Nutznießung überlassenes Land.
Mit diesen Verhältnissen, die nur in Skandinavien ähnlich ge-
lagert sind, unterscheidet sich Deutschland vorteilhaft von anderen
Staaten, namentlich von Großbritannien und Belgien mit ihrem aus-
geprägten Pachtsystem. Besonders erfreulich ist, daß bei uns gerade
das Bauerngut vom Eigentümer selbst, nur selten von einem Pächter
bewirtschaftet wird, während in Großbritannien und auch in Frank-
reich das Gegenteil stattfindet.
Somit ist die anderwärts auftretende Gefahr eines ausgebreiteten,
weniger für die Bewirtschaftung der Ländereien als für die sozialen
Verhältnisse des Landes nachteiligen Pachtwesens bei uns nicht vor-
handen, andererseits verfügen wir immerhin in der geringen Zahl der
meist staatlichen Pachtwirtschaften großen Umfangs über einen Be-
stand von landwirtschaftlichen Betrieben, die durch mustergiltige und
den technischen Fortschritten folgende Bewirtschaftung weiten Kreisen
der bäuerlichen Landwirte Beispiel und Anregung zu geben vermögen.
Das eigentliche Gepräge empfängt, wie gesagt, die
deutsche Landwirtschaft vom Bauerngut. Welch be-
deutende Stellung es innerhalb der landwirtschaftlichen Betriebe bei
uns einnimmt, ist in der amtlichen Betriebsstatistik, wie folgt, zum
Ausdruck gebracht: Mit fast drei Vierteln an der gesamten land-
wirtschaftlich benützten Fläche beteiligt, wird sein Areal zu neun
Zehnteln vom Eigentümer selbst, und zwar im gleichen Verhältnis
von — ihrem Hauptberuf nach — eigentlichen Landwirten bewirt-
schaftet. Zu über drei Vierteln dient es als Acker, Wiese, bessere
Weide rein landwirtschaftlichen Zwecken. Die Nutzviehhaltung, die
auf demselben stattfindet, ist so ausgedehnt, daß bei fast sämtlichen
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 19
hierher gehörigen Betrieben Großvieh ermittelt wurde, wobei auf
100 ha landwirtschaftlicher Fläche an Pferden 9—13, an Rindvieh
47—85 Stück sich berechneten. Auch die Benutzung von landwirt-
schaftlichen Maschinen ist bei diesen Bauerngütern schon ziemlich
eingebürgert, indem je nach der Größenklasse 14 bis zu 79 Proz.
dieser Wirtschaften sich der — in die Erhebung einbezogenen
Maschinen im Laufe des Jahres Juni 1894/95 bedienten. Zugleich
konnte gegenüber dem Jahre 1882 beim mittleren und größeren
Bauerngut eine Verstärkung des Anteils an der gesamten wirtschaft-
lichen Fläche festgestellt werden. Außerdem hat sich in den letzten
Decennien die Nutzviehaltung erheblich vergrößert und die Ver-
wendung von landwirtschaftlichen Maschinen namhaft gesteigert.
Angesichts dieser seiner hervorragenden Stellung in der deutschen
Landwirtschaft, seiner günstigen Entwickelung und in Anbetracht der
ihm eigenen Widerstandsfähigkeit ist das Bauerngut nach wie vor
für das Gedeihen unseres Staatslebens in politischer wie wirtschaft-
licher Hinsicht von höchster Bedeutung. Der auf ihnen wirtschaftende
Bauernstand ist und bleibt ein Bollwerk gegen umstürzlerische Pläne
und insofern eine der festesten Säulen unseres Staatswesens, er bildet
nach wie vor die wesentliche Grundlage unserer Wehrhaftigkeit und
den Jungbrunnen, der den anderen Berufen und den Städten immer
wieder neue Kräfte, frisches Blut zuzuführen vermag.
Um welche Zahl von Personen es sich aber handelt, wird man
inne, wenn man sich vergegenwärtigt, daß von 2,5 Mill. Personen,
die die Landwirtschaft im Hauptberuf selbständig betreiben, fast
2 Mill. (1,965,212) einen Betrieb in der Größe von 2—100 ha haben
und diese mit ihrer Familie (den mithelfenden und den lediglich von
ihnen zu ernährenden Familienangehörigen) eine Stärke von 8,9 Mill.
Personen, d. i. 84 Proz. aller zur Landwirtschaft zu rechnenden
Selbständigen und Familienangehörigen, repräsentieren.
Wenn im übrigen, wie unter I erwähnt, die landwirtschaftliche
Bevölkerung in Folge Abwanderung von Arbeitern in andere Berufe
zurückgegangen ist, so braucht daraus nichtauf eineMinderung
der Leistungsfähigkeit derLandwirtschaft geschlossen zu
werden. Vielmehr beweisen Anbau- und Erntestatistik, daß dank der
intensiveren und die Errungenschaften der modernen Technik aus-
nützenden Bewirtschaftung der Getreide- und Hackfruchtbau auf
Kosten der Brache und Ackerweide zunimmt, und absolut wie relativ
ein immer größerer Ertrag an landwirtschaftlichen Produkten, ins-
besondere an Getreide, dem Boden abgerungen wird:
Erntemengen in Tonnen (zu 1000 kg)
Anbaufläche in ha | absolut vom Hektar
1880/98 1830 1898 1330/98 1830 1898 1880/98 1880 1895
durchsehn. + in %, in 0% | durchschn. +in % in % |durchschn.
Tam 5865434 +12 +14 6181737 —19,6 + 21,9 1,05 0,84 1,12
Wezen 1924220 —5, + 2,3 2694347 —12,7 +22, 1,40 1,29 1,45
tente 1690 107 —3,7 —1,8 2260610 — 4,9 +IiIl,2 1,34 1,32 1,43
Haer 3884753 Au +29 4586788 — 7,5 +26,0 1,18 1,18 1,30
Kartuffeln 2936765 —5,8 +4,9 25950373 —24,8 +22,5 8,34 7,05 10,42
2*
1898
1,27
1,67
1,51
1,45
10,32
20 Friedrich Zahn,
So bedeutend die Inlandsproduktion !) ist, so reicht sie angesic.
der Vermehrung der Bevölkerung doch nicht hin, um den heimisch
Bedarf voll zu decken. Der letztere betrug für die Erntejah
1880,98
für den Verbrauch
(abzüglich des Aussaatquantu ms)
überhaupt a
pro Kopf der Be-
bei Tonnen Tonnen vülkerung kg
Roggen 7 905 279 6 878 904 141,3
Weizen 3 746 595 3 423 324 70,3
Gerste 3 396 447 3 142947 64,5
Hafer 5 795 402 5 173 862 106,2
Speciell an Brotgetreide — also an Roggen, Weizen, Spelz
für den menschlichen Konsum stellte sich der Bedarf?) für den
Durchschnitt der Jahre 1850,98 auf rund 180 kg pro Kopf, und be-
zifferte sich
1894 197 kg 1597 181 kg
1595 190 ,„ 1898 201 „
| 1596 199 ,,
Zur Befriedigung des durch die heimische Produktion nicht ge-
deckten Bedarfs mußten darum weitere und größere Mengen vom
Auslande bezogen werden. So wurde der Bedarf zu nachstehendem
Prozentanteil durch Zufuhr vom Ausland (namentlich von Rußland
und Amerika) ergänzt:
bei 1894 ‚1895 1596 1897 1898
Roggen 7,9 11,0 9,2 7,6 5,1
Weizen 28,1 34,0 30,0 25,8 30,3
Gerste 30,1 25,9 2,5 33,2 32,7
Hafer 4,6 3,4 9,9 9,0 4,2
Und ähnlich verhält es sich mit dem anderen Haupterzeugnis
der Landwirtschaft, mit der Fleischproduktion. Wohl ist trotz Zu-
nahme der Bevölkerung die auf den Kopf entfallende Quantität
(d. i. Stückzahl) des Viehes im ganzen gleichgeblieben, und hat sich
die Qualität, also das Durchschnittsgewicht eines Stücks der nämlichen
Gattung und desselben Alters gehoben, und ist der Umsatz schneller
1) Ihren (Roh-)Wert berechnet Traugott Müller (in der Denkschrift „Die deutsche
Landwirtschaft auf der Weltausstellung in Paris 1900 S. 76) auf Grund der mittleren
Durchschnittspreise der letzten 3 Jahre auf 5480 Mill. M. jährlich:
Getreide (Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Spelz, Einkorn und
Menggetreide 14268000 ha) 2951 Mill. M.
Hülsenfrüchte und andere Getreidearten (Erbsen, Bohnen, Linsen,
Wicken, Lupinen, Buchweizen, Hirse, Mais, Mischfrucht und
andere 1723000 ha) 201, ze
Hackfrüchte (Kartoffeln, Topinambur, Futterrüben, Zuckerrüben,
Zuckerrübensamen, Mühren, Kohlrüben, Steckrüben u. s. w.
4238000 ha) 1320 nn»
Handelsgewächse (Raps, Leindotter, Mohn, Flachs, Hanf, Tabak,
Hopfen, Cichorien u. a. m. 261000 ha) 6 oe o
Futterpflanzen und Wiesenheu (inkl. Erträge aus Weiden und
Hütungen 2519000 ha) 396 um
Weinbau (132000 ha) 10 y »
Garten- und Obstbau (473000 ha) 380 u»
2) Näheres darüber in der amtlichen Schrift: „Die deutsche Volkswirtschaft am
Schlusse des 19. Jahrhunderts“, S. 44 u. 198.
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 21
geworden, so daß die Versorgung der Bevölkerung mit inländischem
Schlachtvieh an sich jetzt keineswegs ungünstiger, ja eher reichlicher
ist als vor 10 oder 20 Jahren. Aber der Bedarf an Fleisch pro Kopf
der Bevölkerung ist mit dem mehr städtichen und industriellen
Charakter des Volkes und der verbesserten Lebenshaltung der großen
Masse größer geworden (er wird auf 40 kg gegenwärtig veranschlagt).
Dieserhalb erfährt auch der inländische Fleischbedarf eine nicht un-
wesentliche (!/,,) Ergänzung von seiten des Auslands: die Ueberschuß-
Einfuhr von Fleisch macht pro Kopf
1891 2,6 kg 1896 1,4kg
1892 3, ,„ 18977 10 3,
1893 2,8 „ 1898 2,2 „
1894 3,1 „ 1899 2,0 „
1895 2,1 ,„
Indessen wird diese Abhängigkeit, in die wir so gegenüber dem
Auslande gekommen sind, wett gemacht und überwogen durch die
Entfaltung, welche Gewerbe und Handel des Reichs im Laufe der
letzten Jahrzehnte genommen haben, und wodurch sie es vermochten,
ihrerseits das Ausland zu einem ansehnlichen Abnehmer ihrer Waren
zu gewinnen.
III.
Welches ist nun die Entwickelung von Gewerbe und Handel?
In der Industrie arbeiten mit ihrem Hauptberuf 8,3 Mill. Per-
sonen, im Handel und Verkehr 2,3 Mill. Mittelbar nähren sich von
diesen Berufszweigen noch 12 Mill., bezw. 3,6 Mill. als Familien-
angehörige oder Dienstboten der ebengenannten Erwerbsthätigen.
Läßt man von diesen 10,6 Mill. in Industrie und Handel thätigen
Personen, die wir kurzweg als gewerbliche Personen bezeichnen, für
die weitere Betrachtung diejenigen weg, welche im Eisenbahn-,
Post-, Telegraphenbetrieb und einigen anderen Gewerbszweigen
(Theater, Schaustellungen etc.) thätig sind, weil diese Zweige in den
Rahmen der 1895er Gewerbestatistik nicht mit einbezogen waren, so
verbleiben 10,3 Mill. Personen. Sie waren in 3,1 Mill. Betrieben
beschäftigt. 164483 dieser Betriebe bedienten sich außerdem m otori-
scher Kraft. Als Kraftleistung dieser im Gewerbe verwendeten
Elementarkräfte wurden 3,4 Mill. Pferdestärken ermittelt, sie re-
präsentieren die Arbeit von über 80 Mill. Personen (eine Pferdestärke
gleich der von 3 lebendigen Pferden und die Muskelkraft eines
Pferdes gleich der von 8 Männern gesetzt).
Wie sehr diese Gewerbekraft Deutschlands gegen früher sich
entfaltet hat, erhellt aus dem Vergleich mit den Resultaten der
1882er und 1875er Gewerbeaufnahmen. Es beträgt die Zunahme
gegen das Jahr
1832 1875
der gewerblichen Betriebe 1,3 Proz. 13,2 Proz.
der gewerblichen Hauptbetriebe 4,6 D Th i
der gewerblichen Personen 39,9 e Sn
der Pferdestärken der Elementarkräfte 1) „1788
1) Bezügliche Angaben aus dem Jahre 1882 fehlen.
weg go u RC EWR Tg
29 Friedrich Zahn,
und, während die Gesamtbevölkerung seit 1875 um 21,2, seit 1882
um 14,5 Proz. gewachsen ist, erweiterte sich der Anteil der gewerb-
lichen Personen an der Bevölkerung von 15,1 Proz. im Jahre 1875
auf 16,2 (1882) und 19,8 Proz. (1895).
Die stärkst besetzten Gewerbezweige, d. h. solche, deren Per-
sonen mindestens 1 Proz. der Gesamtzahl ausmachen, sind:
Gewerbthät. Pers. t Bewerbihät,
auf .. Eine,
Schneiderei 445 347 116
Schuhmacherei 388 443 133
Bauunternehmung 364 746 142
Gasthöfe 322 625 160
Tischler 299 195 173
Handel mit Kolonial-, Eß-, Trinkwaren 290 584 178
Maurer - 284 265 182
Steinkohlenbergwerke 258 380 200
Gast- und Schankwirtschaft 257 333 201
Bäckerei 231 OQI 224
Gemischter Warenhandel 221 343 234
Ziegelei 219 860 235
Näherei 211 501 245
Handel mit Manufakturwaren 183 024 282
Fleischerei 178 873 289
Bei 1,7 Mill. Betrieben, also der Mehrzahl der Betriebe, arbeitet
der Inhaber allein; 1,1 Mill. sind Gehilfenbetriebe, eine ab-
gekürzte Bezeichnung für Mitinhaber-, Gehilfen- und Motorenbetriebe.
Von diesen Gehilfenbetrieben wissen wir, daß 95 Proz. (1 280 830)
in Händen von Einzelinhabern, 5 Proz. (70050) in Händen von
Kollektivunternehmungen sich befinden. Die Mehrheit der
Kollektivbetriebe sind sogenannte Kompagniegeschäfte, nächstdem
folgen — aber in weitem Abstand — die Aktienbetriebe; es werden
nämlich an Kollektivbetrieben !) gezählt:
Betriebe Personen
Kompagniegeschäfte 55 239 1 475 081
Aktienbetriebe 4749 801 143
Betriebe von eingetr. Genossenschaften 2 212 17 952
Betriebe von Gemeinden 1 642 20 992
Betriebe von Vereinen 1311 11 208
Betriebe von Kommanditgesellschaften 1117 90 155
Betriebe von Gesellschaften mit beschr. Haftung 1028 66 055
Staatsbetriebe 782 135 157
Betriebe von anderen kommunalen Korporationen 542 4 406
Betriebe von Gewerkschaften 440 132 104
Betriebe von anderen wirtschaftl. Korporationen 336 5 609
Betriebe von Kommanditgesellschaften auf Aktien 334 42 945
Reichsbetriebe 277 28 057
Innungsbetriebe 41 833
Was die Größe der Betriebe anlangt, so sind die Kleinbetriebe
nur der Betriebszahl nach in der Mehrheit; das thatsächliche
Schwergewicht von Gewerbe und Handel ruht in den
Mittel- und den Großbetrieben, in ihnen sind 54,6 Proz. des
(resamtpersonals, 88,5 Proz. der motorischen Kräfte thätig. Es
treffen nämlich
1) Ueber die Kartellierung von Betrieben vergl. Band 119 d. St. d. D. R. S. 184.
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 23
Betriebe Personen Pferdestärken
a. in Industrie und Handel zusammen
auf die absolut Proz. absolut Proz. absolut Proz.
Alleinbetriebe 1714 351 55,9 1714351 16,7 — —
Gehilfenbetriebe
mit bis 5 Pers. 1141451 37,3 2947430 28,7 391924 11,5
„6—20 „ 161888 5,3 1513446 14,7 355558 10,5
.21u.mehr,, 47 541 1,5 4094042 39,9 2649706 78,0
und zwar
mit 21 — 100 Pers. 38997 1,2 1621702 15,8 655 231 19,8
„ 101 — 1000 ,„ 8248 0,8 1909712 18,6 1329210 39,1
„ über 1000 „, 296 0,0 562628 5,5 665 265 19,6
überhaupt 3065 231 100,0 10 269 269 100,0 3 397 188 100,0
b. in der Industrie 1),
Alleinbetriebe 1237 349 58,7 1237 349 15,4 = —
Gehilfenbetriebe
mit bis 5 Pers. 717 274 34,0 1905 216 23,8 370549 11,2
„6—20 ` 112212 5,3 1067 785 13,3 335045 10,1
„2lu.mehr , 42039 2,0 3808551 47,5 2615 526 78,7
und zwar
mit 21— 100 Pers. 33895 1,6 1441113 18,0 632624 19,0
„101—1000 ,, 7856 0,4 1825884 22,8 1318702 39,7
„ über1000 ,, 288 0,0 541554 6,7 664 200 20,0
Summe 2108874 100,0 8018901 100,0 3 321 120 100,0
e. im Handel ?).
Alleinbetriebe 454 540 49,7 454 540 21,2 — —
Gehilfenbetriebe
mit bis 5 Pers. 407 255 44,5 995 149 46,3 21170 28,8
n 6—20 „ 47237 5,2 424750 19,8 19997 26,8
„21u.mehr ,, 5273 08 272648 12,1 33 536 44,9
und zwar
mit 21— 100 Pers. 4892 05 172646 8,0 22301 29,9
» 101—1000 „ 374 091 80356 3,8 10376 13,9
„über 1000 , 7 0,0 19646 0,9 859 11
Summe 914 305 100,0 2 147 093 100,0 74 703 100,0
In dieser Zusammenstellung tritt die hohe Ueberlegenheit der
Großbetriebe gegenüber den anderen drastisch zu Tage. In den
Riesenunternehmungen (mit über 1000 Personen), die der
Zahl nach nicht ein Zehntausendstel der Gesamtheit der Betriebe
ausmachen, sind beispielsweise 5 Proz. des Personals, 20 Proz. der
motorischen Kräfte vereinigt, auf einen dieser Riesenbetriebe ent-
fallen durchschnittlich 1900 Personen und 2250 Pferdestärken ; 100 Per-
sonen der Riesenbetriebe werden bereits durch 118,2 Pferdestärken
in ihrer Leistung unterstützt, während dies im Kleinbetrieb nur
durch 8,4 Pferdestärken der Fall ist. Von der Riesenhaftigkeit
solcher Betriebe bekommt man übrigens erst eine richtige Vorstellung,
wenn man einen konkreten herausgreift und ihn näher ansieht. Das
Kais. Statist. Amt ermöglicht dies dadurch, daß es zehn individuell
1) Die gewerbemäßige Kunst- und Handelsgärtnerei, Tierzucht und Fischerei
ist nur unter a. berücksichtigt.
2) Eisenbahn-, Post- und Telegraphenbetrieb fallen nicht in den Rahmen
der Gewerbestatistik.
24 Friedrich Zahn,
vorführt, und zwar unter Berücksichtigung des allerneuesten Standı
(September und Oktober 1899). Natürlich konnten bei dieser b
schränkten Auswahl nicht alle Typen von Riesenunternehmunge
auch nicht einmal für eine einzige Stadt wie Berlin, in Betracl
kommen.
Geschildert sind im einzelnen: 1) Die Werke von Fried. Krupp
2) die Stettiner Werft Vulkan, 3) die Badische Anilin- und Soda-
fabrik in Ludwigshafen, 4) die sächsische Weberei von Hermann
Wünsches Erben, 5) die Schultheiß’sche Brauerei in Berlin, 6) das
Warenhaus Wertheim daselbst, 7) die Berliner Elektricitätswerke,
8) die große Berliner Straßenbahn, 9) die Hamburg-Amerika-Linie.
10) die Deutsche Bank. Wir sehen da, mit welch ungeheurem
Personal gewisse Geschäfte arbeiten — Krupp beschäftigt 44 000
Personen —, aus welch mannigfaltigen Betriebszweigen sich ein
solches Riesenunternehmen heutzutage zusammensetzt, welche Kolosse
in dergleichen Betrieben hergestellt werden); man erkennt, in wie
ausdehntem Maß Motoren und Maschinen zur Verwendung gelangen,
wie namentlich auch Elektromotoren in der mannigfachsten Weise
gewerblich benutzt werden, man erhält eine Vorstellung davon, wie
unsere großen Verkehrsinstitute organisiert sein müssen, um, wie |
die Große Berliner Straßenbahn, im Monat durchschnittlich 15 Mill.
Personen zu befördern, oder um, wie die Hamburg-Amerika-Linie,
auf dem Ozean im Lauf eines Jahres 3,5 Mill. Seemeilen zurück-
zulegen und 74000 Personen, 2,4 Mill. Kubikmeter Güter zu be-
fördern, man erstaunt nicht weiter über die 150 Mill. Aktienkapital,
mit denen die Deutsche Bank arbeitet, wenn man erfährt, daß sie
1625 Angestellte beschäftigt, 53 800 Konten hält und einen Gesamt-
umsatz von 44 Milliarden aufweist. Man sieht deutlich, daß diese
Riesenunternehmungen keineswegs bereits an der äußersten Grenze
angekommen sind, indem z. B. die Badische Anilin- pp. -Fabrik im
Jahre 1890 3500, 1895 4400, 1896 4800, 1897 4900 Personen be-
schäftigte und jetzt dies Personal auf 5400 erhöht hat.
Ueberhaupt steht unsere jüngste gewerbliche Ent-
wickelungim Zeichen der Ausbildungzum Großbetrieb.
Nur die allerkleinsten Betriebe, nämlich die Alleinbetriebe, sind
zurückgegangen, die anderen haben nach Zahl der Betriebe wie nach
Personal zugenommen, und zwar dergestalt, daß die größten Betriebe
die bedeutendste Entwickelung aufweisen. Zahlenmäßig läßt sich
dies darthun, wenn man die 1895er und 1882er Zahlen miteinander
vergleicht, nur muß man bei der 1895er Statistik dann ebenso ver-
fahren, wie dies 1882 geschehen ist, und Unternehmungen mit ver-
schiedenartigen Betriebszweigen in mehrere Betriebe auflösen,
also mehrfach in Ansatz bringen. Hiernach ergiebt sich folgendes
Bild:
1) Der von der Schiffswerft Vulkan erbaute Doppelschraubendampfer „Deutsch-
land“ hat eine Länge von 202 m, eine Raumverdrängung von 23.000 t, 16000 Reg.-Tons
Bruttoraumgehalt, 33 000 indizierte Pferdestärken, eine Besatzung von 550 Mann und
vermag 1320 Passagiere (darunter rund 1000 Kajütenpassagiere) aufzunehmen,
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 25
Zu-, Abnahme (—)
Betriebe Personen in ®,, der
1882 1505 1882 1895 Betriebe Pers.
a) Industrie und Handel.
Alleinbetriebe 1877872 1714351 1877872 1714351 — 8,17 — 8,7
Sonstige Kleinbetriebe 1004 896 1220 372 2457 950 3 056 318 21,4 24,3
{mit bis 5 Personen)
Mittelbetriebe 112715 191301 1391720 2454333 69,7 76,3
(6—50 Personen)
Großbetriebe 9974 18953 1613247 3044 267 90,0 88,7
(über 50 Personen)
darunter mit |
51— 200 Personen 8 095 15622 742688 1439 700 93,0 93,9
201—1000 x 1752 3076 657399 1155 836 75,6 75,8
über 1000 d 127 255 213100 449731 100,8 110,5
b) Industrie.
Alleinbetriebe 1430465 1237 349 1430465 1237 349 — 135 — 13,5
Sonstige Kleinbetriebe 745392 752223 1839939 1953776 0,9 6,2
Mitrelbetriebe 85 001 139459 1109 128 1902049 64,1 71,5
Großbetriebe 9 481 17 941 1554131 2907 329 89,3 87,2
Summe 2270339 2140972 5933663 8000503 — 5,4 + 348
el Handel.
Alleinbetriebe 429 825 454 540 429 825 454 540 5,8 5,8
Sonstige Kleinbetriebe 246 413 450 913 584 156 1054 913 83,0 80,6
Mittelbetriebe 26 531 49 271 271170 526 431 85,7 94,1
Grobbetriebe 463 960 54 557 129754 107,3 137,8
Summe 703232 9550684 1339708 2165638 35,9 61,7
Von einem förmlichen Verschwinden der Kleinbetriebe ist frei-
lich keine Rede, noch immer treffen von den 10 Mill. gewerbthätigen
Personen 4,7 Mill. auf die Kleinbetriebe; ihre Zunahme hält nur nicht
gleichen Schritt mit derjenigen der größeren Betriebe. Und wenn
die Alleinbetriebe von 1,9 auf 1,7 Mill. zurückgingen, so ist auch
hier der Grund nur zum Teil in einer Verdrängung des Kleinbetriebs
durch den Großbetrieb zu suchen; ein Teil der Alleinbetriebe ver-
schwindet aus rein natürlichen Ursachen ohne Nachfolger (der In-
haber stirbt oder zieht sich wegen Alters ete. von der Erwerbsthätig-
keit zurück, Erben oder Käufer des Geschäfts finden sich nicht),
auch an Fälle der eigenen Erweiterung des Betriebs, also des Ueber-
fangs zum Gehilfenbetrieb, ist zu denken.
Am mächtigsten sind die Großbetriebe entwickelt in der Textil-,
chemischen, Maschinenindustrie, namentlich aber im Bergbau. Fast
Wei Drittel, im Bergbau sogar 95 Proz. aller Gewerbthätigen ar-
beiten da in Unternehmungen mit über 50 Personen. Faßt man nur
die Unternehmungen mit über 200 Personen ins Auge, so treffen auf
diese immerhin fast zwei Fünftel, im Bergbau über vier Fünftel des
gesamten in den genannten Gewerben thätigen Personals. Ja selbst
in den Riesenbetrieben, deren jeder mindestens über 1000 Personen
beschäftigt, ist der Anteil des Personals am gesamten Betriebsper-
sonal verhältnismäßig noch sehr stark; er beträgt bei Textilindustrie
43 Proz., chemische Industrie 12,6 Proz., Maschinenindustrie 13,9
Proz., Bergbau 45,3 Proz. Uebrigens sind es von den 320 in der
Statistik unterschiedenen Gewerbearten nicht weniger als 65 — mit
26 Friedrich Zahn,
fast 500000 Personen —, in denen sich der Kolossalbetrieb nach dem
1895er Stand durch sein Dasein als möglich und entwickelungsfähig
erweist; diese Gewerbe (unter denen sich auch eine Tabakfabrik, die
Reichsdruckerei, zwei Straßenbahngesellschaften, vier Rhedereien be-
finden) bekunden also den höchsten technischen und organisatorischen
Fortschritt, in ihnen sind die Grenzen der Weiterbildung des Groß-
betriebs am weitesten gezogen.
Teils Ursache, teils Folge dieser Ausbildung unseres Gewerbes
zur Großindustrie ist die bereits erwähnte erhöhte Verwendung von
motorischer Kraft zu gewerblichen Zwecken. 164290 Betriebe,
das sind 11,1 Proz. aller Gehilfenbetriebe, arbeiten jetzt mit einer
Elementarkraft von 3,4 Mill. Pferdestärken. Nahezu ein Drittel dieser
Betriebe bedient sich der Dampfkraft, fast ebensoviele der Wasser-
kraft, aber der Kraftleistung nach stellt Dampf nicht weniger
als 2,7 Mill. Pferdestärken oder 79,4 Proz., Wasser 629065 oder
18,4 Proz., sohin Dampf und Wasser nicht weniger als 97,8 Proz.
aller Betriebskräfte unserer Fabriken. Wie überwiegend die Be-
nutzung von Motoren gerade in den Großbetrieben erfolgt, beweist
der Umstand, daß, während die Betriebe mit über 20 Personen —
für die Betriebe mit über 50 Personen fehlen entsprechende Daten
— von der Gesamtzahl der Betriebe nur 1,6 Proz. ausmachen, sie
17,7 Proz. von den Motorenbetrieben und nicht weniger als 75,9 Proz.
aller verwendeten Pferdestärken auf sich vereinigen. Unter der Ge-
samtzahl dieser größeren Betriebe benutzen über die Hälfte Motoren,
wobei durchschnittlich auf jeden Motoren benutzenden Großbetrieb
87 Pferdestärken treffen. Zu statten kommt hierbei dem Großbetrieb,
daß er Kraftquellen mit großer Leistungsfähigkeit — teils zur Er-
zeugung starker Kraftäußerungen, teils zur gleichzeitigen Bedienung
mehrfacher Arbeitsmaschinen —- zu verwenden vermag und daß ge-
rade mit wachsender Leistungsfähigkeit der Motoren ihre Anschaffung
und Unterhaltung sich relativ verbilligt.
Gerade um deswillen — über andere Gründe vergleiche Bd. 119
d St. d. D. R. S. 134 ff. — erscheint die Verwertung von Motoren
im Kleingewerbe verhältnismäßig gering, und auch der weiteren Ver-
breitung des Elektromotors, der im übrigen den für das Kleingewerbe
geeigneten Motoren in hohem Maß entspricht, ist einstweilen die
Kostspieligkeit des Betriebes etwas hinderlich. Immerhin macht die
Benutzung von Elektromotoren rasche Fortschritte. So waren Ende
des Jahres 1895 an das Leitungsnetz der Berliner Elektricitätswerke
in ca. 300 Betrieben 930 Elektromotoren angeschlossen; diese Zahl
ist bis Ende 1897 auf 1250 Betriebe mit 2460 Motoren, Ende Sep-
tember 1899 auf rund 2400 Betriebe mit 3858 Elektromotoren an-
gewachsen. Sicherlich wird sich mit der steigenden Verbesserung
der Elektrieitätswerke!) und der damit verbundenen Verbilligung
1) Am 1. März 1900 bestanden im Deutschen Reich 652 Elektricitäts-
werke, die entweder ganze Ortschaften oder größere Teile solcher mit Licht und Kraft
versehen oder anderen gemeinnützigen Zwecken dienen. (Nicht mitgerechnet sind die
zahlreichen Anlagen, die nur im eigenen Interesse des Besitzers zur Erzeugung von
Licht und Kraft für einzelne Fabriken, Werke, Landhäuser ete. errichtet sind, sowie
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 27
von elektrischer Energie deren Verwendung im Kleingewerbe weiter
einbürgern. Auch die Ausnützung von Wasserkraft durch das Klein-
gewerbe wird in nächster Zeit an Umfang gewinnen, da sie mittels
der Kraftübertragungswerke und der Thalsperren wesentlich billiger
und bequemer gemacht wird.
Aber der Großbetrieb ist außerdem im Vorteil durch die von
ihm verwendeten, technisch vollkommenen Arbeitsmaschinen.
Sie erlauben, größere Kräfte auszuüben, lassen größere Geschwindig-
keiten erzielen, vermehren die Arbeitsquantität und gestalten die
Produktion gegenüber der Handarbeit häufig besser und billiger. So
setzt der mechanische Webstuhl den Textilarbeiter in den Stand,
durchschnittlich mindestens das Dreifache von dem zu produzieren,
was er ehedem auf dem Handstuhl fertig brachte; die Nähmaschine
liefert bei Motorenantrieb 1200—1500 Stiche (bei Handbetrieb höch-
stens 700—800) die Minute, bei Schnellpressen kommen bis 20 000 Ab-
drücke in der Stunde vor, auf gewissen Spinnmaschinen laufen mehr
als 1000 Spindeln. Wie sehr diese Vorzüge ausgenützt werden, be-
weist die Thatsache, daß von den 41 000 Jacquardstühlen mit Kraft-
betrieb 40 253 auf Betriebe mit über 20 Personen entfallen (nur
96 auf Kleinbetriebe mit bis 5 Personen); von den 10 Mill. Fein-
spindeln laufen 9,6 Mill. in Großbetrieben, Schnellpressen, deren ins-
gesamt 15460 in 5740 Druckereien benutzt werden, gelangen nur
2396 in (1915) Kleinbetrieben, dagegen 7922 in (1257) Großbetrieben
zur Verwendung.
Begreiflicherweise bedeutet die Benutzung von dergleichen
technisch sehr vervollkommneten Arbeitsmaschinen eine namhafte
Steigerung der Produktivkraft der Großbetriebe, und erscheinen
daher die Fortschritte, die neuerdings hinsichtlich der Arbeits-
maschinen erzielt worden, für die Entfaltung des Großgewerbes viel-
leicht noch wichtiger als die hinsichtlich der Motoren. Ohne Zweifel
steht aber der Maschinenwirtschaft noch Größeres bevor. Gewisse
Ansätze lassen darauf schließen. Man sucht Arbeitsprozesse, die bis-
her auf besonderen Maschinen ausgeführt wurden, mittels sinnreicher
Vorkehrungen auf einer einzigen zu erledigen. Man denke beispiels-
weise an die Rotationspressen in gewissen Druckereien, durch sie
werden die Bogen nicht nur fertig gedruckt, sondern geschnitten, ge-
faltet und regelrecht übereinandergelegt, ferner an die Briefumschlag-
maschinen, denen die fertig zugeschnittenen Papierblätter zugeführt
werden, sie besorgen das Abheben des einzelnen Blattes vom Vor-
ratshaufen, das Falten, Leimen, Kleben, das Trocknen der geleimten
offenen Seite und das Auswerfen der fertigen Umschläge. Der
Maschinenbetrieb gelangt so mehr und mehr zu innerer Geschlossen-
heit, er wird zum selbstthätigen Organismus, der der menschlichen
die lediglich für den elektrischen Straßenbahnbetrieb dienenden Anlagen.) Abgesehen
von 27 Werken, die vor Ende des Jahres 1889 bestanden, sind alle Elektrieitätswerke
im letzten Jahrzehnt erbaut. 166 der genannten Werke sind im Besitz von städtischen
oder ländlichen Gemeinden oder staatliches Eigentum, 463 Werke befinden sich in
Privatbesitz oder im Besitz von Aktien- und anderen Gesellschaften. Angeschlossen
sind an sie 2623 893 Glühlampen, 50 070 Bogenlampen, 106368 Elektromotoren und
58557 Elektrieitätsmesser. Vergl. Archiv für Post und Telegraphie. Jahrgang 1900.
28 Friedrich Zahn,
Unterstützung immer weniger bedarf, er arbeitet mit fortgesetzt
höherer Wirtschaftlichkeit; an Zeit und Kosten, insbesondere Arbeits-
löhnen, wird zunehmend gespart.
Hiermit steht im engen Zusammenhang die rationell ausgebildete
Arbeitsteilung und Arbeitsvereinigung in den Groß-
betrieben. An den eigentlichen Stammbetrieb sind Teilbetriebe mannig-
faltigster Art angegliedert. Man denke an die großen Werftbetriebe,
welche eigene Eisengießereien, Schlossereien, Schiffsschmieden, Tisch-
lereien, Sägemühlen, Modellzeichnereien, Malereien etc. aufweisen, an die
Großbrauereien, wo mit dem eigentlichen Brauereibetrieb nicht selten
eine Mälzerei, Faßböttcherei, Schlosserei, Schmiede, Tischlerei etc.
und ein Ausschank verbunden ist!). Zweck dieser Betriebsvereinigung
ist, dem Hauptbetrieb die Teilfabrikate anderer Gewerbe, die in
ersterem viel und regelmäßig gebraucht werden (z. B. die Arbeiten
von Tischlern, Böttehern, Buchbindern, Schlossern), möglichst billig
und einfach zuzuführen, oder man will die eigenen Produkte weiter
verarbeiten (daher neben Hütten- und Bergwerken Eisengießereien,
Maschinenfabriken), oder man erzielt eine rationelle Verwertung der
Nebenprodukte, oder man sucht sich vom Markt überhaupt unab-
hängiger zu machen (weshalb zum Beispiel Eisenhüttenwerke in ihrer
Nähe belegene Kohlengruben erwerben).
Naturgemäß hatte diese Entwickelung unserer gewerblichen Be-
triebsorganisation eine hervorragende Steigerung der gewerb-
lichen Produktion zur Folge. Dies tritt vor allem bei Kohle
und Eisen hervor, diesen Muskeln und Knochen des gewerblichen
Organismus. Für sie betrug die inländische Erzeugung
in den Kohlen Eisen
Jahren 1000 t 1000 t
1552 65 378 3004
1895 103 958 4770
1599 135 844 7160
Für andere Industriezweige sollen produktionsstatistische Nach-
weise wenigstens in Bezug auf das Jahr 1897 Platz finden, zumal
für eine Reihe derselben keine weiteren Daten existieren, sie ergeben
folgende Werte ?):
Mill. M.
I. Textilindustrie 2749,9
II. Montan- und Eisenindustrie 3876,4
III. Chemische Industrie D 947,9
IV. Kautschuek-, Guttapercha- und Celluloidindustrie 79,1
V. Steinbruchindustrie und Cementindustrie 160,6
VI. Keramische Industrie 113,8
VII. Glasindustrie 115,2
VIII. Papierindustrie 279,5
IX. Papierverarbeitungsindustrie 271,7
X. Lederindustrie 330,3
XI. Tabakindustrie 325,0
XII. Stärkeindustrie (mit Ausschluß der Reisstärkefabrikation) 45,5
1) Ausführliches Material über diese sogenannte Morphologie der GroBbetriebe ent-
hält der vierte Abschnitt von Bd. 119 d. St. d. D. R. (S. 89 ff.); hier wird nachgewiesen,
welch verschiedene Beschäftigungen in einem Großbetrieb vorkommen, andererseits, in welch
verschiedenerlei Gewerbezweigen Arbeiter der gleichen Beschäftigung Verwendung finden.
2) Zu den genannten müssen u. a. noch hinzugerechnet werden die Werte der in-
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 29
Die Entfaltung unseres gewerblichen, insonderheit großindu-
striellen Gewerbefleißes wurde wesentlich unterstützt durch die Aus-
bildung des modernen Verkehrs. Der Bezug von aus-
wirtigen, auch ausländischen Rohstoffen, die Uebernahme von Auf-
trigeen durch und die Ablieferung an außerhalb des Betriebssitzes
wohnende Auftraggeber wurde erleichtert, der Markt für gewerb-
liche Einkäufe oder Verkäufe erfuhr erhebliche Erweiterung, und
es wurde auf diese Weise vielen Gewerbezweigen ermöglicht, ihre
frühere mehr lokale Bedeutung mit einer nationalen, teilweise inter-
nationalen zu vertauschen. Namentlich ist in diesem Zusammenhang
an die im Laufe der letzten Jahrzehnte verbesserten, vermehrten und
verbilligten Einrichtungen bei Post, Telegraph, Telephon,
Eisenbahn, Binnen- und Seeschiffahrt zu denken, die sie
ihrerseits hinwiederum zu erhöhten Leistungen befähigten. Einige
wenige Zahlen mögen das Gesagte veranschaulichen:
1889 1898
Postanstalten 23 396 35 407
Telegraphenanstalten 16 408 22 883
Telegraphennetz !) 98 391?) 126 154
Post- und Telegraphengebühren in 1000 M.®) 217 508 365 380
Telegraphen- (und Telephon-) Gebühren besonders 31618 61870
Telephonstellen 115 007 212 121
Telephonnetz !) 17 740°) 51403
Unterseeisches Reichskabelnetz (km) 8 230
Zahl der Telephongespräche in Tausenden 446 941?) 563 128
Eisenbahnnetz (km) 40 007 1 48 228
Zurückgelegte Personenkilometer (Mill.) 10 172 22013
D Tonnenkilometer (Mill.) 17 554 32 579
Binnenwasserstraßen Di 14 168
Fluß-, Kanal-, Haff-, Küstenschiffe®) (Zahl) 19 989 21 945
Tragfähigkeit (Tonnen) 2 100 705 3 370 447
Tonnenkilometer (Mill.) 2 900 ?) 10 700
Seeschiffe (Zahl) 3 653°) 3713
Tragfähigkeit (Reg.-T., brutto) 1 969 238 °?) 2317 563
Secreisen beladener Seeschiffe 65 817 10) 79 205
Nettoraumgehalt derselben (Reg.-T.) 32 221 1801°) 39 601 338
Unsere deutschen Verkehrsverhältnisse ?) sind jetzt derart, daß im
Postverkehr Deutschland allen übrigen Ländern Europas — aus-
genommen die Schweiz, wo der starke Fremdenverkehr besondere
Verhältnisse bedingt und bewirkt — voransteht, sein Eisenbahnnetz
das viertdichteste in Europa ist, der absoluten Ausdehnung nach
nur hinter dem der Vereinigten Staaten zurückbleibt, sein Binnen-
schiffahrtsverkehr, der doppelt so stark wie der Frankreichs, nur von
ländischen Produktion von Bier (66 378 000 hl im Jahre 1897), Branntwein (3 288 000 hl),
Salz (1108 419 t), Zucker (531 178 t).
1) Länge der Linien in km. — 2) Bezieht sich auf das Jahr 1894. — 3) Ohne
die Einnahmen aus dem Absatze von Zeitungen, und ohne Personenfahrgeld. — 4) Ende
1588. — 5) Schiffbare Strecken in km. — 6) Die Nachweise beziehen sich auf 1887
und 15897. — 7) Im Jahre 1882; 1895: 7,5 Milliarden To-Kilometer. — 8) Im Jahre
1891. — 9) Im Jahre 1896. — 10) Im Jahre 1894.
2) Vergl. auch Walther Lotz, Verkehrsentwiekelung in Deutsehland 1800 bis
1900. Leipzig 1900.
30 Friedrich Zahn,
dem weit ausgedehnten russischen übertroffen wird, seine Handels-
flotte, wenn sie auch die britische bei weitem nicht erreicht, doch der
zweitgrößten der Welt, der der Vereinigten Staaten, fast gleich
kommt und in Bezug auf die leistungsfähigeren Dampfschiffe wesent-
lich über ist; die zwei größten und schnellsten Doppelschrauben-
dampfer der Welt sind deutsches Fabrikat und deutscher Besitz.
Der geschilderten großartigen Entwickelung von Gewerbe, Handel
und Verkehr im Innern des Reiches entspricht auch ein bedeutender
Aufschwung, der auf dem Gebiete unseres auswärtigen Handels
zu verzeichnen ist. 10152 Mill. Mark Waren passierten im Jahre
1899 die deutsche Zollgrenze. 5783,6 Mill. kamen von, 4368,4 Mill.
gingen nach dem Auslande. Und zwar besteht die Einfuhr fast zur
Hälfte aus Rohstoffen, die namentlich unsere Industrie benutzt, zu
mehr als einem Drittel aus Nahrungsmitteln; die Ausfuhr erstreckt
sich in der Hauptsache auf Fabrikate verschiedenster Art:
Einfuhr Ausfuhr
Mill. Mark
Rohstoffe für Industriezwecke 2607,1 1016,1
Fabrikate 1147,6 2712,1
Nahrungs- und Genußmittel, Vieh 1728,4 478,8
Edelmetalle 300,5 161,4
71 Proz. unseres Gesamtaußenhandels treffen auf den Verkehr
mit europäischen, 29 Proz. auf den Verkehr mit außereuropäischen
Ländern. Ueber 70 Proz. des Gesamtaußenhandels ist Seehandel.
In welchem Maße die einzelnen Staaten des Auslandes an ihm
beteiligt sind, und wie überhaupt sich der deutsche Außenhandel in
dem letzten Jahrzehnt entwickelt hat, ergiebt folgende Zusammen-
stellung:
Ein- und Ausfuhr des deutschen Zollgebietes
(einschl. Edelmetallverkehr).
A. Einfuhr im Specialhandel in Mill. Mark
davon kamen aus
im
Jahr 5 Oester- | RuBland | Frankreich den Verein, da
Sat Sir? reich- (einschl. |(einschl. Algier) Staaten von 3 E ER
Ungarn |Finnland)| und Tunis) | Amerika EEN
= o | ET 4 e
1891 | 4403,4 77,1 598,9 580,4 261,8 456,5 1828,7
1892 | 4227,0 | 621,1 575,4 383,4 262,3 612,0 1772,8
1393 | 4134,1 | 656,6 580,2 353,4 241,4 458,1 1844,4
1894 | 4285,5 | 608,9 581,7 543,9 214,0 532,9 1804,1
1895 | 4246,1 | 578,7 525,4 568,8 229,9 511,7 1831,6
1896 | 4558,0 | 647,8 578,0 | 634,7 233,6 584,4 1879,5
1897 | 4864,6 | 661,5 600,3 708,3 248,8 658,0 1987,7
1398 | 5439,7 825,7 661,2 736,5 209,3 877,2 2069,8
1809 | 5783,6 | 777,1 730,4 | 715,9 308,2 907,2 2344,8
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 31
B. Ausfuhr im Specialhandel in Mill. Mark
——_.—…— nn
| davon gingen nach
IP Be = Oester- | Rußland | Frankreich | den Verein. |,
as es reich- | (einschl. ((einschl. Algier! Staaten von re
Kai Ungarn |Finnland)| und Tunis) | Amerika
1591| 3339,8 | 696,8 347,8 262,6 238,0 | 357,8 1436,8
1592 | 3150,1 640,6 376,6 239,5 202,9 346,7 1343,8
1893 | 3244,6 674,0 420,5 184,6 203,1 354,3 1408,1
1594| 3051,5 | 635,1 401,7 194,8 188,1 271,1 1360,7
1895 | 3424,2 678,9 435,8 220,9 202,8 368,7 1517,0
1896| 3753,8 | 715,9 477,3 364,1 201,6 383,7 1611,2
1897 | 3786,2 701,7 435,1 372,1 210,4 397,5 1669,4
1598| 4010,6 | 803,8 453,7 440,5 205,9 334,6 1772,1
1599| 4368,4 | 851,6 466,0 | 437,3 | 217,4 377,6 | 2018,5
Deutlich fällt hier in die Augen, daß Deutschland fortge-
setztmehr Waren sowohl ausführt wie einführt. Aller-
dings ist im letzten Jahrzehnt der Bezug von ausländischen Waren
größer als der Versand von inländischen Waren nach dem Auslande.
Indessen rührt diese passive Bilanz in der Hauptsache lediglich daher,
daß Deutschland zu anderen Ländern vielfach in einem Gläubiger-
verhältnis steht und wir einen Teil der Gewinne und Zinsen, die uns
das Ausland zu zahlen hat, in Form von Waren bei uns einführen.
Will man eine genaue Bilanz unseres Handels ziehen, so darf man
sich nicht mit einer Abgleichung der Ein- und Ausfuhr der Waren
begnügen, ganz abgesehen davon, daß in der offiziellen Statistik der
Wert der Ausfuhr gegenüber dem thatsächlichen zu gering erscheint
(weil ihrer Festsetzung die inländischen Werte im allgemeinen zu
Grunde liegen, diese aber weit niedriger sind, als die im Auslande
zu erwartenden. Man muß auch die Zahlungs- und Effekten-
bilanz, überhaupt alle Uebertragungen von Land zu Land, unter
welcher Form sie sich immer vollziehen, berücksichtigen. Insbe-
sondere sind unseren Aktiven mitzuzurechnen: die gegen 300
Mill. M. anzusetzenden Einnahmen aus der Rhederei (Frachtgelder ete.),
die Erträge aus (See-)Versicherungsunternehmungen, die viele Hundert
Mill. M. betragenden Zinsen aus Kapitalien, die über See — nach
einer durch die deutschen Konsuln veranstalteten Enquete im Jahre
1898 auf 7 1/, Milliarden zu veranschlagen — und in europäischen
Unternehmungen angelegt sind, die Verdienste deutscher Kapita-
listen an fremden, in Deutschland gehandelten Wertpapieren und
Anleihen und durch Operationen an fremden Börsen, endlich die
Einnahmen aus dem stetig steigenden Reiseverkehr von Ausländern
in Deutschland. Durch all diese Erträgnisse wird obenerwähntes
Minus in der Handelsbilanz, welches übrigens zugleich auf eine
erhöhte Konsumfähigkeit des inländischen Marktes hinweist, genügend
aufgewogen und wettgemacht.
Die Entwickelung des deutschen Außenhandels hat dahin geführt,
daß nicht nur die deutsche Volkswirtschaft jetzt innig mit der Welt-
32 Friedrich Zahn,
wirtschaft verflochten, sondern Deutschland zugleich zu einem
mächtigen Faktor auf dem Weltmarkt geworden ist. Es steht unter
den handelstreibenden Nationen jetzt an zweiter Stelle. An dem Ge-
samtwaarenumsatz im internationalen Handelsverkehr, der sich für
das Jahr 1899 auf 83,7 Milliarden M. (1882: 61 Milliarden) bewerten
läßt, ist es mit 9,8 Milliarden beteiligt und geht ihm lediglich Groß-
britannien mit allerdings 14 Milliarden voraus, während in den Hier
Jahren Deutschland noch an dritter und vierter Stelle stand:
Ein- und Ausfuhr (ohne Edelmetallverkehr)
in Mill. M.
1882 1885 1890 1895 | 1899
Deutschland 6 323,1 5 789,1 7 472,1 7 438,6 | 9690,1
Frankreich 6 800,9 5 813,0 6 634,1 5745,9 | 6 574,2
GroBbritannien und Irland 12039,3 | 10 740,5 | 12 656,4 | 11 913,0 | 13 988,7
(einschl. der wicht. Kolonien) 19 420,2 | 18 053,3 | 21 645,5 | 20 928,6 5
Vereinigte Staaten von Amerika 6 050,4 5 412,6 6 812,7 6347,1 | 7 855,5
Gesamter Warenverkehr der |
wichtigeren !) Kulturstaaten 61 268,4 | 57 081,8 | 68 794,2 | 68 677,0 , 83 700,7
Prozentanteil am Gesamt-Warenverkehr der
betrachteten Staaten
e Se 24 H
Deutschland 10,3 10,1 10,9 10,8 11,8
Frankreich 11,1 10,2 9,7 8,4 8,0
Großbritannien und Irland 19,7 18,8 18,4 17,4 17,0
(einschl. der wicht. Kolonien) 31,7 31,6 31,5 30,5 .
Vereinigte Staaten von Amerika 9,9 9,5 9,9 9,2 | 9,6
Gesamter Warenverkehr der
wichtigeren !) Kulturstaaten | 100 100 100 100 | 100
IV.
Begreiflicherweise war dieser Gang unserer wirtschaftlichen Ent-
wickelung nur möglich bei einer entsprechenden Entwickelung unseres
Geld- und Kreditwesens. Die Erweiterung bestehender und die
Begründung neuer Unternehmungen, die Vermehrung der Umsätze,
die große Ausdehnung der Finanzoperationen (dazu die kriegerischen
Wirren in Südafrika und China) hatten eine solche Zunahme den
Geldbedarfs zur Folge, daß der Zinsfuß sich merklich erhöhte, der
Diskont einen seit vielen Jahren nicht dagewesenen Stand — vom
19. bis 51. Dez. 1899 betrug er 7 Proz. — erreichte und das Privat-
kapital mit Vorliebe sich den gut rentierlichen Industriewerten zu-
wandte, während die geringer zinsenden Staatsanleihen in ihrem
Kurse etwas zurückgingen :
Reichsbankzinsfuß Proz. für den Jahresdurchschnitt
für für für für
Wechsel Lombarddarlehen Wechsel Lombarddarlehen
1889 3,676 4,676 1895 3,139 4,139
1890 4,517 5,517 1896 3,656 4,656
1591 3,776 4,776 1897 3,806 4,806
1892 3,203 4,208 1898 4,267 5,267
1893 4,069 5,069 1899 5,036 6,036
1594 3,117 4,117
1) Vergl. Bd. 119 d. St. d. D. R., S. 242 fg.
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20, Jahrhundert. 33
Durchschnittliche Jahreskurse der deutschen Reichsanleihen an der Berliner Börse.
4 Proz. 31/, Proz. 3 Proz.
1889 108,16 103,69
1890 106,74 100,42 3
1891 105,99 98,38 85,10
1892 106,89 99,97 86,27
1893 107,24 100,38 86,27
1594 106,57 102,39 90,73
1895 105,68 104,44 98,91
1896 105,48 104,57 93,22
1697) 103,58 97,65
1895} 1) 102,64 95,51
1899) 99,77 90,71
Um den Umfang unseres Geldbedarfs kurz zu zeichnen, sei er-
wähnt, daß an Münzen seit 1871 folgende Beträge im Umlauf waren :
Seit 1871 bis Ende Hiervon sind bis
Dez. 1900 ausgeprägte Ende Dez. 1900 Mithin bleiben
Münzsorten Reichsmünzen wieder eingezogen
Beträge in 1000 Mark
Goldmünzen 3 701 171,4 39 198,8 3 661 972,6
Silbermünzen 565 176,9 28 747,1 536 429,8
Nickelmünzen 69 602,1 1052,5 68 549,6
Kupfermünzen 15 404,6 1,0 15 403,6
Im ganzen 4351355,0 | 68 999,4 | 4282 355,6
Der thatsächliche Bestand an Reichsmünzen ist etwas niedrige,
als die genannten Beträge, da ein Teil davon im In- und Auslande
bereits wieder eingeschmolzen worden ist. Wie groß dieser Teil ist
läßt sich nicht genau angeben. Was die Reichsgoldmünzen anlangt,
so darf man — in Hinblick auf die Resultate der 1898er Erhebungen
über den Verbrauch von Gold zu gewerblichen Zwecken in Deutsch-
land — annehmen, daß solche noch für etwa drei Milliarden Mark
vorhanden sind. An Reichssilbermünzen gelten außer den oben an-
geführten noch als gesetzliches Zahlungsmittel die Einthalerstücke
deutschen Gepräges und bis 1. Januar 1901 die in Oesterreich bis
Ende 1867 geprägten Vereinsthaler; ihr Bestand wurde für Ende
August 1899 auf 3591/, Mill. geschätzt, wovon 11!/, Mill. öster-
reichischen Gepräges ?). |
Neben den Barvorräten an Geld kommt dem Papiergelde inner-
halb unseres Geldwesens eine zunehmende Bedeutung zu. An solchen
Geldsurrogaten zirkulierten im Jahre 1899: 6,9 Mill. Reichskassen-
scheine im Gesamtbetrage von 120 Mill. M. (4 Mill. Abschnitte
zu 5 M., 1,5 Mill. zu 20 M. und 1,4 Mill. zu 50 M.) und 1322
Mill. M. Noten-Werte, von welch letzteren 86 Proz. (1141,7 Mill.)
auf die Reichsbank, gewissermaßen die Central-Notenbank Deutsch-
1) Die Schuldverschreibungen der 4-prozentigen Reichsanleihe sind seit 1. Oktober
1897 in 31/,-prozentige umgewandelt. Sie sind bei den Kursen der 3!/, -prozentigen
Anleihe nicht berücksichtigt.
2) Vergl. Reichstagsdrucksache 1898/1900, No. 403, S. 8.
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 3
å
34 Friedrich Zahn,
lands, der Rest auf die anderen 7 berechtigten Notenbanken entfielen.
Außerdem fallen die Geldsurrogate in Form von Wechseln, Cheks,
sowie namentlich der Giroverkehr für unseren Geldverkehr immer
mehr in die Wagschale. So betrug der Wechselverkehr bei der
Reichsbank:
im Jahre 1895 im Jahre 1899
Betrag in Betrag in
Stück Millionen M. Stück Millionen M.
Platzwechsel 845 854 2022,2 1 208 132 3228,7
Versandwechsel auf
das Inland 2 355 246 3144,1 2 994 012 4946,7
Wechsel auf das Ausland 13 793 54,0 16 221 131,0
Wechseleinziehung für
fremde Rechnung 385 231 1013,2 456 206 1002,4
1899 die Einnahmen 78010,0 Mill. M. gegenüber 46 862,7 im Jahre
1895, die Ausgaben 77976,8 bezw. 46835,6 Mill. M. Die bei den
10 Abrechnungsstellen der Reichsbank abgerechneten Gesamtbeträge
beliefen sich 1899 auf 30,2 Milliarden M. Solche gewaltige Umsätze |
werden anderwärts nur seitens der Clearing-Houses in London und
New York in noch höherem Maße vermittelt.
Ueberhaupt hat die Reichsbank für das Wirtschaftsleben des
Reichs eine hervorragende Bedeutung erreicht. Nicht nur daß sie
die Währung des Reichs schützt, seine Umlaufsmittel (Reichsmünzen
und Reichskassenscheine) durch das elastische Verkehrswerkzeug der `
Banknoten ergänzt; sie bildet vermöge ihrer reichen Mittel und
ihres weitverzweigten Netzes von Zweiganstalten — 330 (nämlich
17 Hauptstellen, 57 Bankstellen, 256 Nebenstellen und Warendepots)
wovon 303 in den Giroverkehr einbezogen sind — einen starken
Rückhalt für den Kredit des Landes und erleichtert durch Ankauf von
kurzfälligen Wechseln und anderen Papieren, durch ihr Einziehungs-
geschäft und ihren Ein- und Auszahlungsverkehr, namentlich aber
durch den eben geschilderten großartig entwickelten Giroverkehr den
gesamten Zahlungsverkehr !). Um deswillen sind die Geschäftsergeb-
nisse der Reichsbank als Central-Geldbehälter gewissermaßen das
Spiegelbild unseres gesamten Geldverkehrs:
(Siehe Tabelle auf S. 35.)
Der Rückgang der Barbestände der Reichsbank in den letzten
5 Jahren erklärt sich aus den gesteigerten Ansprüchen, welche in-
folge des wirtschaftlichen Aufschwungs das Publikum an die Reichs-
bank stellte. Im Zusammenhang damit steht das Anwachsen des
durch den Barvorrat nicht gedeckten Notenumlaufs (Differenz zwischen
den Zahlen der vorstehenden 3. und 4. Spalte), derselbe hat sich
seit 1876 weit mehr als verdoppelt. Auch diese Entwickelung be-
deutet eine gewaltige Steigerung der Leistungen der Bank, denn die
Bank vermag gerade durch den ungedeckten Notenumlauf die Elasti-
Im Girogeschäft der Deutschen Reichsbank betrugen im Jahre |
1) Vergl. Koch (Präsident des Reichsbankdirektoriums), Münz- und Notenbank-
wesen. 4. Auflage. Berlin.
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 35
Geschäftsergebnisse der Reichsbank seit 1876.
Durch-
Giro-Umsätze | Durch- | Durch- | Durch- | schnitt- Durch Durch- ras
G | (ausschl. der | schnitt- | schnitt- | schnitt- liche h itte schnitt- lich
DRE ‚Zahlungen für| licher liche liche | Deckung P he licher Bank ei
Jahr umatze) Reichs- und | Noten- Bar- | Metall- |der Noten We. hecl Lom- of Sen
Staatskassen) | umlauf |vorräte !)| deckung |u.sonstigen aile bard- Wechsel
derNoten| Verbind- * bestand $ $
in Proz. | lichkeiten | ML M. "ua m. | Verkehr
Millionen Mark in Proz. >
1876| 36685 16 711 | 684,9 | 564,9 | 74,55 56,50 402,9 51,0 4,16
1850] 52194 35 234 755,8 | 628,8 | 76,47 | 61,06 345,7 51,3 4,24
1855| 73 199 53 847 727,4 622,2 | 80,57 60,86 372,7 52,5 4,12
1590| 108 595 79750 983,9 | 831,8 | 81,41 59,54 5341 89,4 4,52
1805 | 121 313 93 698 1095,6 | 1045,4 | 92,35 | 63,43 573,9 83,2 3,14
1896 | 131 499 | 98 249 1083,5 925,3 | 82,32 56,90 646,3 106,0 3,66
1397 [142111] 103 903 1085,7 | 905,3 | 80,27 55,97 644,8 108,3 3,81
1898] 163 396 | 120 828 1124,6 ! 885,9 | 75,67 53,21 713,9 96,4 4,27
1804 179633 | 131 501 1141,8 | 860,6 | 72,30 49,53 817,1 80,7 5,04
citit unserer Zahlungsmittel wesentlich zu erhöhen. Um diese Be-
wegungsfreiheit der Bank weiterhin zu fördern, wurde durch die
Banknovelle vom 7. Juni 1899 mit Wirkung vom 1. Januar 1901 die
Grenze des ungedeckten steuerfreien Notenumlaufs von 293,4 auf
450,0 Mill. M. hinausgeschoben.
Daß die Reichsbank dem deutschen Geldumlauf auch einen an-
gemessenen Anteil an der wachsenden Goldproduktion der Erde zu
beschaffen verstand, ergiebt die Thatsache, daß sie seit ihrem Be-
stehen über 2,5 Milliarden M. Gold angekauft hat, die fast ganz
(ca. 2,2 Milliarden) dem deutschen Wirtschaftsverkehr zu gute kamen.
Auch die 7 Privat- Notenbanken sind innerhalb des ihnen ein-
geräumten Geschäftsbereichs für den Geldverkehr nicht zu unter-
schätzen. Beweis davon, daß sie 1898 182,2 Mill. M. (davon 91,5 Mill.
ungedeckt) im Umlauf hatten, 47,4 Mill. M. sonstige täglich fällige
Verbindlichkeiten aufwiesen und mit einem Grundkapital von 100 Mill.
und 6,7 Proz. Dividende arbeiteten.
Die anderen Privatbanken, die häufig Depositen-, Effekten-
und Mobiliarkreditanstalten zugleich darstellen, haben namentlich das
Verdienst, daß sie durch Unterhaltung zahlreicher Filialen, zum Teil
auch im Auslande, den Geldverkehr außerordentlich erleichtern
halfen und durch Beleihung tüchtiger, aussichtsreicher Unterneh-
mungen, selbst wo diese nicht völlige Sicherheit zu bieten vermochten,
den Unternehmungsgeist und die Produktionsfähigkeit sehr zu be-
leben verstanden. Welche umfassenden Geschäfte dieselben entfalten,
besagen nachstehende, dem amtlichen deutschen Katalog der Pariser
Weltausstellung entnommene Angaben: Danach besitzen die 108
größten und bedeutendsten deutschen Depositen- und Emissions-
1) d. h. Metall, Reichskassenscheine und Noten anderer Banken ($ 9 des Bank-
gesetzes),
Ek
36 Friedrich Zahn,
banken über 5?/, Milliarden eigenen und fremden Kapitals. Ihre
Portefeuilles enthielten 984 Mill. M. in Accepten, die gesamten Ver-
bindlichkeiten der Banken einschließlich des Reingewinnes beliefen
sich auf rund 3°/, Milliarden, denen an unmittelbar und leicht ver-
fügbaren Mitteln — Kasse, Wechsel, Lombards, Effekten etc. —
nahezu 23|, Milliarden M. (97 Proz. aller Passiva) gegenüberstanden.
Der Bruttogewinn der Banken bezifferte sich 1898 auf 218,38 Mill.
M. Der Reingewinn stellte sich auf 162,8 Mill. M. Auf das Aktien-
kapital wurde eine durchschnittliche Dividende von 7,86 Proz.
gezahlt.
Dem gesteigerten Bedürfnis von Kredit seitens Besitzer von
unbeweglichem Kapital tragen Hypothekenbanken, Boden-
kreditanstalten und Landschaften Rechnung. So arbeiteten im Jahre
1898 bei uns 40 Hypothekenbanken mit einem Aktienkapital von
544 Mill. M., die für 6 Milliarden M. Pfandbriefe in Umlauf gesetzt
hatten. Dazu kommen noch 3 Milliarden M. Pfandbriefe, die durch
andere Real- Kredit- Institute (Landesbanken oder Landes- Kredit-
Anstalten etc.) beschafft worden sind.
Außerdem bestehen zahlreiche Genossenschaften, die die Kredit-
beschaffung für ihre Mitglieder zum ausgesprochenen Zweck haben,
so waren von den 16912 Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften
des Jahres 1899 allein 10850 sogenannte Kreditgenossenschaften,
ihre Zahl ist im Laufe der letzten Jahre fortgesetzt gestiegen.
Während bisher von Einrichtungen zur Deckung des Geldbedarfs
die Rede war, ist nun noch der Gelegenheiten Erwähnung zu thun,
die den Geldbedarf hauptsächlich verursachen und also das Haupt-
aufnahmegebiet für das Kapital darstellen.
In Betracht kommen die Staats- und Kommunalanleihen, die
für den Eisenbahnbau aufgenommenen Anleihen, die Industrie- und
Bankaktien, das vornehmlich für Hypothekendarlehen derLandwirtschaft
bestimmte Pfandbriefgeschäft, endlich auch ausländische Anleihen.
Um welche Beträge es sich dabei handelt, ergiebt eine Schätzung
des deutschen Oekonomist, demzufolge in den Jahren 1882 bis 1900
Werte von über 20 Milliarden M. emittiert wurden. Speciell in
den letzten 12 Jahren hatten die deutschen Emissionen folgenden
Kurswert:
Mill, Mark Mill. Mark
1889 1745 S 1895 1375
1590 1520 1896 1896
1891 1217 1897 1944
1892 1016 1598 2407
1893 1266 1899 2611
1594 1420 1900 1851
Zwei Drittel der deutschen Kapitalanlagen kamen dabei dem
heimischen Geldmarkte und deutschen Binnenunternehmungen zu gute,
das andere Drittel widmete sich ausländischen Zwecken. So waren
an den Emissionswerten der Jahre 1399 und 1900 beteiligt!)
A
1) Vergl. Der Deutsche Oekonomist vom 5. Januar 1901.
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 37
1599
Deutsche | Ausländische Deutsche | Ausländische
Papiere Papiere
Mill. Mark
Staatsanleihen 399,13 102,24 200,40 168,86
Kommwnalanleihen 261,05 — 220,35 2,85
Pfandbriefe 447,12 30,86 200,00 5,50
Eisenbahnobligationen 49,58 70,40 85,02 9,00
Industrieobligationen 74,02 — 178,77 —
Eisenbahnaktien 8,78 — 55,68 65,06
Bankaktien 276,50 10,00 174,51 20,90
+ Industrieaktien 861,39 20,32 461,06 3,60
Summe 2377,57 233,82 1575,74 275,27
Wie aus dieser Zusammenstellung hervorgeht, spielt für unsere
Kapitalanlagen der Geldbedarf der Industrie eine ganz besondere
Rolle. Zu dessen Befriedigung bedient man sich mit Vorliebe der
Form der Aktiengesellschaften ; sie erleichtert das Zusammentreten
von Kapitalien sehr erheblich. Die Begebbarkeit der auf den In-
haber lautenden an der Börse verkäuflichen Aktien ermöglicht es,
wie jüngst G. v. Siemens ausführte, daß dem einzelnen Besitzer die
für ihn wünschenswerte flüssige Form seines Einschusses erhalten
und dem Unternehmer die Sicherheit geboten wird, daß ihm das
Kapital verbleibt. So kommt es, daß gerade in den letzten Jahren,
wo die Industrie anhaltend neuer Kredite bedurfte, eine große
Zahl von Neugründungen von Aktiengesellschaften erfolgte; im
Jahre 1898 wurden allein 329 Aktiengesellschaften, 1899 rund 500
gegründet, im ganzen schätzte man Mitte 1899 die Zahl der Aktien-
gesellschaften auf über 5000 mit mehr als 7 Milliarden Mark.
Zur Unterbringung der so benötigten und andererseits verfüg-
baren Kapitalien erweist sich immer unentbehrlicher die Börse,
jener konzentrierte Markt der Geldgeber und Geldsucher, der mit
dem gesamten zahlungsfähigen Publikum in Beziehung steht, wo
jeder die Möglichkeit hat, das daselbst gehandelte Geldobjekt am
leichtesten und angemessensten los zu werden und ebenso es zu
erlangen.
Mit der wachsenden Bedeutung unseres Geld- und Kredit-
wesens hat auch die der Börse rasch zugenommen. Beim Erlaß des
Börsengesetzes 1896 bestanden in Deutschland 29 Börsenplätze.
Einen über die örtlichen Grenzen hinausgehenden Einfluß auf den
Finanzmarkt entfalten die Börsen von Berlin, Hamburg und Frankfurt
a. M Namentlich die Berliner Börse, die 1374 Effekten notiert,
erreichte für ihre Umsätze — nach Saling’s Börsenhandbuch 1897 —
zeitweise eine Höhe, welche selbst die der großen Weltbörsen Paris
und London übertrifft.
Diese Börsenplätze konzentrieren aber nicht bloß den Handel
mit Wertpapieren bei sich, sondern auch den einer Reihe von Waren.
Für sie ermöglicht die Börse als Produktenmarkt namentlich im
Wege des Termingeschäfts eine örtliche und zeitliche Ausgleichung
der Preise und Kurse. Die Hauptstellung auf dem Produktenmarkt
38 Friedrich Zahn,
nimmt die Hamburger Börse ein, sie ist wichtig für das Kaffee-
geschäft und den allgemeinen großen Warenhandel, außerdem ist die
Bremer Börse für Tabak- und Baumwollhandel, Leipzig für Textil-
und Pelzwaren, Berlin für Getreide von Bedeutung.
Welch kolossale Werte auf den deutschen Börsen zum Handel
gelangen, lassen schon die Nennwerte der zum Börsenhandel neu
zugelassenen Wertpapiere sowie die erzielten Beträge der Umsatz-
steuer erkennen:
Nennwerte in Mill. M.
Wertpapiere 1897 1808 1899
deutsche 3787,9 2093,0 2297,5
ausländische 889,6 2534,3 1505,4
Umsatzsteuer
Mill. M.
1896/97 13,2
1897/98 13,7
1898/99 13,5
1899/1900 15,0
V.
Die im Bisherigen geschilderte ökonomische und technische
Entwickelung Deutschlands, das Wachstum der Bevölkerung, die
erhöhte Erwerbsthätigkeit, der Uebergang vom Agrar- zum Industrie-
staat, die Ausbildung des modernen Handels und Verkehrs blieb
nicht ohne namhafte Rückwirkung auf unsere allgemeinen
sozialen und kulturellen Verhältnisse. Eine Betrachtung
derselben erscheint um so wichtiger, als ja die wirtschaftliche Pro-
duktion nicht um ihrer selbst willen, sondern um der Produzierenden,
um des Volkes willen geschieht.
Als eine soziale Erscheinung zeigt sich da, daß der Anteil der
Abhängigen am Gesamtgewerbepersonal sich im Lauf der letzten
Jahrzehnte erheblich verstärkt hat; die Zahl der Unternehmer nahm
zwar keineswegs ab, deren Zunahme wurde aber weit übertroffen
von dem der — unselbständigen — Angestellten und Gehilfen.
Allein von einer Proletarisierung der Gesellschaft, von einer Ver-
elendung derselben ist keine Rede. Insoweit aus dem bisherigen
Mittelstand selbständige Handwerker etc. auszuscheiden ge-
zwungen sind, werden die Lücken ersetzt durch jenen neuen Mittel-
stand, der trotz seiner Abhängigkeit sich weit über das Niveau des
bloßen Arbeiters erhebt. Es sind das die schon erwähnten technisch
und kaufmännisch ausgebildeten Beamten und Angestellten der
größeren Betriebe, ferner die in der öffentlichen Verwaltung thätigen
kleineren Beamten sowie die zu Hunderttausenden vorhandenen
Arbeiter, die sich überdurchschnittliche, den Verdienst des selb-
ständigen Handwerkers häufig übersteigende Bezahlung und eine
ebenso sichere Stellung errungen haben, wie wenn sie unabhängig
geblieben wären. Der Mittelstandist also nichtim Schwin-
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 39
den, sondern lediglich in der Umbildung begriffen. Auch
erfährt der selbständige Mittelstand zu seiner Erhaltung und
Kräftigung nachhaltige Unterstützung durch das von der neueren
Gesetzgebung besonders geförderte Genossenschaftswesen. 16 912
Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften bestanden im Jahre 1899
im Deutschen Reiche. Sie tragen viel dazu bei, dem Kleingewerbe,
Handwerk und der bäuerlichen Landwirtschaft die Vorteile des Groß-
kapitals, Großbetriebs und Großhandels zugänglich zu machen und
sie auf diese Weise dem Großbetrieb gegenüber zu stärken.
Und was die eigentliche Arbeiterschaft angeht, so ist ihre
Lagein vieler Hinsicht gegen früher wesentlich gebessert.
In den verschiedensten Gegenden und Industriezweigen ist eine
namhafte Lohnsteigerung zu beobachten. Sie kommt beispielsweise
zum Ausdruck in der Zunahme der anrechnungsfähigen Jahreslöhne
bei den Berufsgenossenschaften sowie in der Thatsache, daß jetzt
immer mehr Invalidenversicherungsbeiträge in höhere Lohnklassen
entrichtet werden:
Durchschnittlicher Jahresbetrag (M.) der Arbeitslöhne im preußischen Bergbau:
a) Steinkohlenbergbau 1888 1890 1895 1898 1899
in Oberschlesien 516 671 675 771 Sort
in Niederschlesien 630 735 737 812 846
in Dortmund 863 1067 968 1175 1255
in Saarbrücken 842 1114 929 1015 1019
in Aachen — 878 868 1007 1069
b) Braunkohlenbergbau in Halle 653 730 749 832 871
c) Salzbergbau in Halle 920 1012 988 1090 1100
d) Erzbergbau
in Mansfeld 757 853 785 926 967
im Oberharz 552 613 603 637 645
in Siegen-Nassau — 676 620 827 944
sonstiger rechtsrheinischer — 639 643 772 923
linksrheinischer —— 634 616 688 712
im auf 1 Versicherten im auf 1 Versicherten
Zei entfallen anrechnungs- Jahre entfallen anrechnungs-
fühige Löhne z fähige Löhne
M. M.
1886 624,18 1393 651,31
1837 618,75 1394 654,41
1338 612,43 1895 661,35
1339 621,43 1396 684,08
1890 638,40 1897 703,94
1891 650,14 1898 735,09
1592 648,42
Im Von 100 M. Gesamterlös aus I.-V.-
Jahre Beiträgen entfallen auf die Lohnklasse
I I III IV
1891 17,06 36,87 24,98 21,09
1892 15,78 38,69 25,72 19,81
1893 15,31 37,79 26,57 20,33
1394 15,32 37,57 26,65 20,46
1895 15,12 37,21 26,86 20,81
1896 14,59 36,40 27,29 21,72
1397 14,06 35,49 27,35 23,10
1898 13,34 34,35 27,21 25,10
40 Friedrich Zahn,
Auch die Einkommensteuerstatistik bietet hierfür einen Beweis,
insbesondere die von Sachsen. Dort traf:
auf den Kopf auf den Kopf der
der Bevölkerung erwerbsfähigen Bevölkerung
Jahr an Einkommen!) Jahr an Einkommen
M. M.
1878 323,0 1881 517,5
1883 357,8 1856 602,7
1888 399,6 1891 692,3
1893 444,2 1896 724,3
1598 507,2
Und zwar erfolgte diese Einkommensvermehrung der letzten
zwei Jahrzehnte nicht etwa bloß bei den oberen, sondern auch bei
den unteren Schichten der Bevölkerung, diese letzteren partizipieren
jetzt in höherem Maße als früher an den mittleren Steuerklassen.
Es entfielen nämlich von der Gesamtsumme der steuerpflichtigen
Einkommen
: 1879 1894 1898
auf die Steuerklassen Prozent Prozent Prozent
bis 800 M. 39,7 29,6 23,4
» 3300 „ (1898:3400) M. 33,5 37,7 42,0
» 9600 ,, (1898 : 10000) ,, 13,0 13,0 13,3
über 9600 , (10000) M. 13,8 19,7 21,3
Dieselbe gesunde Entwickelung ergiebt sich auch aus der
preußischen Einkommensteuerstatistik: danach besaßen von Tausend
der Gesamtbevölkerung durchschnittlich ein Einkommen
von 1892/93 1895/96 1898/99 1899/1900
über 900 M, 81,5 84,5 89,9 94,0
und zwar:
900 — 3000 M. 70,9 74,0 78,5 82,1
über 3000 „, 10,6 10,5 11,4 11,9
Das höhere Einkommen befähigt die breite Masse immer mehr
zu einer besseren Lebenshaltung. Thatsächlich nimmt sie denn auch
an dem Verbrauch von besseren Lebensmitteln fortgesetzt größeren
Anteil:
Verbrauch von Verbrauch von
Bier (Liter) Zucker (kg)
auf den Kopf auf den Kopf
1880 84,6 1879/80 6,3
1585 88,8 1884/85 9,9
1890 105,8 1559/90 9,5
1895 115,7 1894/95 10,7
1897 123,1 1897/98 11,8
1898 124,2 1598/99 12,4
Kaffee Kakao Reis Thee
(roher) in Bohnen auf den auf den
auf den Kopf auf den Kopf Kopf Kopf
kg kg kg kg
1881/85 2,44 0,06 1,81 0,03
1856/90 2,38 0,10 1,76 0,04
1890 2,39 0,13 1,92 0,04
1895 2,34 0,19 2,33 0,05
1897 2,53 0,27 2,35 0,05
1898 2,80 0,27 2,51 0,05
1) d. i. das geschätzte Gesamteinkommen nach Abzug der Schuldzinsen.
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 41
Fleischverbrauch im Königreich Sachsen
pro Kopf der Bevölkerung
Rindfleisch Schweinefleisch
kg kg
1880 11,1 18,1
1885 12,9 20,4
1890 14,0 20,6
1895 13,7 23,5
1897 15,3 25,9
1898 15,2 26,2
Gleichzeitig hat aber auch die Sparfähigkeit und Sparlust der
unteren Klassen ansehnlich zugenommen :
in Preußen in Bayern
der Einlagen- die Zahl der der Einlagen-
bestand Einlagen bestand
Millionen M. bis 60 M. Millionen M.
1880 1 593 725 477 89
1885 2261 1214 147 130
1890 3 281 1 609 881 184
1895 4 345 1 972 134 254
1896 4656 2 067 980 270
1897 4 968 2 164 621 284
Daß bei diesen Spareinlagen in erheblichem Maße Ersparnisse
der ärmeren und minderbemittelten Volksklassen in Frage kommen,
geht schon aus der großen Zahl der kleinen Einlagen in Preußen
hervor. Noch deutlicher beweist dies die bayerische Statistik über
den Beruf der Sparkasseneinleger für das Jahr 1896 und 1897;
danach gehören fast zwei Drittel (63 Proz.) aller — Kinder ab-
gerechnet — Neueinleger der Klasse der Angestellten und Arbeiter
an, auf sie treffen über zwei Fünftel aller Neueinlagen (44 Proz.).
Die geschilderte Besserung der materiellen Lage der Arbeiter-
schaft tritt um so wirksamer hervor, weil dank der durch die Bot-
schaft Kaiser Wilhelms I. vom 17. November 1881 inaugurierten
staatlichen Arbeiterversicherung jetzt auch in Zeiten
vorübergehender oder dauernder Erwerbsunfähigkeit, wie sie Krank-
heit, Unfall, Invalidität und hohes Alter mit sich bringen, für den
Arbeiter Sorge getragen ist.
Während früher in solchen Fällen Noth und Elend eintrat, und
das dürftige Almosen nur selten den wirthschaftlichen Zusammen-
bruch zu verhindern vermochte, wird der Arbeiter durch das ihm
gesetzlich zustehende Krankengeld bezw. durch Renten, werden die
Angehörigen des Erkrankten vielfach durch besondere Leistungen
der Kassen, seine Hinterbliebenen durch Sterbegeld, Witwen- und
Waisenrenten unterstützt.
‚Ein soziales Riesenwerk hat zu dem Zweck das Deutsche
Reich geschaffen. Beredter als Worte besagen dies einige Zahlen:
Von den 56 Millionen Einwohnern des Reichs mit 16 Mill. Arbeitern
sind 9 Mill. gegen Krankheit, 17 Mill. gegen Unfall, 13 Mill. gegen
Invalidität und die. Not des Alters versichert. Ueber 2 Milliarden
sind seit 1885 (bis 1. Januar 1900) an Entschädigungen der ge-
nannten Art den Arbeitern — in 40 Mill. Fällen — zu Teil geworden.
geng em
42 Friedrich Zahn,
Nahezu 1 Mill. Mark gelangt jeden Arbeitstag als Entschädigung
zur Auszahlung an jährlich rund 4 Mill. Personen aus der arbeitenden
Bevölkerung, An der Aufbringung der 2 Milliarden M. Ent-
schädigungssumme sind die Arbeiter mit 1164 Mill. M., die Unter-
nehmer mit 1099, das Reich mit 150 Mill. M. beteiligt, so daß die
Arbeiter über 1 Milliarde mehr empfangen haben, als sie ihrerseits
zu den Entschädigungen beisteuerten. Alles in allem wurden für
Zwecke der Arbeiterversicherung bis Ende 1898 über 3 Milliarden M.
aufgebracht. Kein anderes Volk übt eine so umfassende Arbeiter-
fürsorge, die Höhe der gemachten Aufwendungen wird nirgends
auch nur annähernd erreicht.
Um Umfang und Gesamtleistung der Arbeiterversicherung weiter
zu veranschaulichen, mag noch folgende Tabelle Platz finden:
Umfang und Leistung der EE E
Arbeiter- Unfall-
v Kranken- Invaliden-
ortrag versicherung ver- k
co 2 À versicherung
insgesamt ` 4 sicherung | à
a) Nash dem neuesten Stande.
| 1898 1898 1899 1899
7 männlich | S 7 328 909
en N er | weiblich i 1 996 813
en zusammen à 9325722 | 17 104000| 12836 000
Zahl der Entschädigungsfälle 4 000 933 3 262 194 543 890 279 000
Beiträge f der Unternehmer M. | 183 007 784 48 959 168 | 82 882 329| 63 631 507
iträge | der Arbeiter „ | 169 166 730 | 110 190.644 = 63631 507
ZuschuB des Reichs e 24 401 014 — — 27 108 444
Zinsen u. sonstige Einnahmen ,, 41 103 901 7585 358 | 12987 238| 24 001453
Einnahmen überhaupt „ | 417679429 | 166 735 170 | 95 869 567| 178 372911
Betrag der Entschädigungen „ | 281 413612 | 140740 159 | 79 284 261| 78 656 626
Verwaltungskosten ü 28 452 237 8542 186 | 12791 830| 8877 666
Ausgaben überhaupt „ | 309 865 849 | 149 282 345 | 92076091| 87 534 292
Vermôgensbestände : | 995 029 495 | 161 618473 |165 292 714, 762 750 402
b) Seit Bestehen der Versicherung.,
1885—1898 | 1885—1898 |1885—1899] 1891—1899
Zahl der Entschädigungsfälle 37 782 448 35 988 182 820 159 1359 143
Beiträ der Unternehmer M. | 1 486938 754| 450 101 6381705 129089 478 221 863
citräge | der Arbeiter » | 1477 269 502| 1 062 679 146 — 478 221 863
Zuschuß des Reichs à 122 754 460 — — | 149 862 904
Zinsen u. sontige Einnahmen ,, 238 867 071 69 435 459| 91935 II1I| 114485 192
Einnahmen überhaupt » |3325 829 787! 1 582 216 243|797 064 200 I 220 791 822
Betrag der Entschädigungen „ |2111 148 809 1 349 330 8841517 732800 402 026 012
Verwaltungskosten Se 233 635 877, 85 251 279] 114038686, 56015 408
Ausgaben überhaupt » 12344 784 686| 1 434 582 163/631 771 486! 458 041 420
Nicht minder segensreich sind die mittelbaren Wirkungen der
Arbeiterversicherung, welche zugleich die hygienischen, sittlichen
und geistigen Interessen des Arbeiters förderten. So hat die
Krankenversicherung durch Sorge für bestmögliche Behandlung der
Krankheit die gesundheitlichen Verhältnisse der Arbeiter erheb-
lich verbessert. Die Unfallversicherung hat durch Einführung eines
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 43
möglichst vollkommenen Heilverfahrens, durch Unfallstationen und
sonstige Unfallverhütungsthätigkeit viel zur Erhaltung der Arbeits-
kraft des Arbeiters und dazu beigetragen, die durch den Unfall-
herbeigeführte Erwerbsunfähigkeit auf das geringstmögliche Maß
zu beschränken. Die Invalidenversicherung leistet Hervorragen-
des auf dem Gebiet der Bekämpfung der Lungenschwindsucht, der
Hauptursache der Invalidität, und unterstützt mit ihren großen
Mitteln den Bau von Arbeiterwohnungen und anderen gemeinnützigen
Bestrebungen.
Ueberhaupt erlangt durch die Versicherungsleistungen auf dem
Gebiete der Hygiene die erwachsene Arbeiterschaft größere Wider-
standskraft gegen Gefahren der Krankheit und Invalidität, das neue
Arbeitergeschlecht wächst von vorne herein gesünder und kräftiger
heran, und diese Entwickelung gestaltet sich unter der Herrschaft
der Sozialgesetzgebung fortgesetzt günstiger, zugleich zum Vorteil
unserer nationalen Wehrkraft. Die Teilnahme an Verwaltung und
Rechtsprechung in Versicherungssachen bietet den Arbeitern Ge-
legenheit, die Rechte und Interessen ihres Standes zur Geltung zu
bringen, sie erlangen dabei eine größere Rechtssicherheit und Rechts-
zufriedenheit, ferner lernen sie in dieser Schule der Selbstverwaltung
die Grenzen des Ausführbaren kennen, mit Sachlichkeit und praktischem
Verständnis an die Behandlung der sie angehenden Fragen heran-
zutreten. Durch die gemeinsamen Beratungen, die sie mit den
Arbeitgebern in Versicherungssachen zu führen haben, wird außerdem
die gegensätzliche Gesinnung der Arbeiter gegenüber dem Unter-
nehmertum gemildert, das gegenseitige Einvernehmen erleichtert.
Politisch wird die Arbeiterschaft vermöge des bei ihr sich einstellenden
Gefühls des Besitzes mit den bestehenden Verhältnissen mehr und
mehr befreundet und namentlich durch den vom Reich geleisteten
Zuschuß immer enger in ihren Interessen mit der Existenz des
Reichs verknüpft.
Auf der anderen Seite sorgte die unter unserem jetzigen Kaiser
Wilhelm II., insbesondere auf Grund seines Erlasses vom 4. Februar
1890 wesentlich ausgebildete Arbeiterschutzgesetzgebung
für Verbesserung sonstiger für die Arbeiter wichtiger Arbeits-
bedingungen. Zeit, Dauer und Art der Arbeit suchte sie so zu
regeln, daß die Erhaltung der Gesundheit, die Gebote der Sittlich-
keit, die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Arbeiter und ihr Anspruch
auf gesetzliche Gleichberechtigung gewahrt bleiben. Zu diesem
Zwecke erging eine Reihe von Gesetzen (insbesondere das Ar-
beiterschutzgesetz vom Jahre 1891, das ein Jahr zuvor erlassene
Gesetz über die Gewerbegerichte, die sog. Handwerkernovelle vom
Jahre 1897, die Verordnung über die Werkstätten der Kleider- und
Wäschekonfektion von demselben Jahre, das Gesetz vom Jahre 1900
über Führung von Lohnbüchern, über Pausen der jugendlichen
Fabrikarbeiter und Ueberarbeit weiblicher Fabrikarbeiter), welche
den Arbeitern Schutz in fünferlei Richtung gewährleisten: einen
Aufnahmeschutz, wonach zu schützende Personen (insbesondere
44 Friedrich Zahn,
jugendliche und weibliche Personen) entweder überhaupt oder zu
gewissen Arbeiten oder Betrieben nicht oder nur bedingt zugelassen
werden dürfen, einen Vertragsschutz, der sich auf Abschluß, Er-
füllung und Auflösung des Arbeitsvertrages erstreckt, einen Ver-
wendungsschutz, demzufolge Beschäftigungsart und Beschäf-
tigungsdauer gewisser Arbeiterkategorien geregelt werden, einen
Betriebseinrichtungsschutz, der die Betriebsführung ge-
wissen Anforderungen an Gesundheit, Sicherheit und Sittlichkeit
unterwirft, endlich einen Entlohnungsschutz, welcher die Ar-
beiter hinsichtlich der Berechnung und des Empfanges des Lohnes,
der freien Verfügung über denselben sowie hinsichtlich der Waren-
kreditierung zu sichern bezweckt. Ohne im einzelnen auf den In-
halt der genannten Gesetze einzugehen, sei nur hervorgehoben, daß
die Sonntagsarbeit als regelmäßige verboten und nur in gesetzlich
bestimmten Ausnahmefällen gestattet ist. Den jugendlichen Ar-
beitern und Kindern ist der dringend nötige Schutz gewährt (Maxi-
malarbeitszeit, Mittagspause etc... Zum Schutz von Leben und Ge-
sundheit der Arbeiter haben Anlagen und Einrichtungen der Betriebe
bestimmten staatlichen Anforderungen zu entsprechen, und haben
die Fabriken und ihnen gleichgestellte Betriebe eine obrigkeitlich
genehmigte und kontrollierte Arbeitsordnung einzuführen. Die Ge-
werbeinspektion, welche über den Vollzug der Arbeiterschutz-
maßnahmen zu wachen hat, wurde verbessert und erweitert.
Dieser sozialen Gesetzgebung des Deutschen Reiches, der Ar-
beiterversicherungs- und Arbeiterschutzgesetzgebung ist es vor- |
nehmlich — bei aller Anerkennung dessen, was die Arbeiter im
Wege der Selbsthilfe, namentlich durch ihre gewerkschaftlichen
Organisationen errungen haben — zu danken, daß trotz der
fortschreitenden Industrialisierung des Deutschen Volkes seine Ar-
beitskraft keine Schwächung erleidet, das körperliche und das
intellektuelle Leistungsvermögen der Arbeiterschaft sich vielmehr
in befriedigender Weise fortentwickelt.
Je kräftiger und leistungsfähiger aber die unteren Klassen sind,
je besser sie ihre materiellen und kulturellen Bedürfnisse zu be-
friedigen vermögen, um so höher steht selbstredend die Gesamt-
leistung, das Gesamtniveau des Volkes, um so mehr kommt dies
dem allgemeinen Wohlstande zu gute. Demgemäß sind die voraus-
gehend erwähnten Daten zugleich ein Beleg für die Zunahme des
Volkswohlstandes überhaupt.
Noch besonders erhellt diese aus der Mehrung des Gesamt-
einkommens der physischen Personen in Preußen; dasselbe stieg im
Zeitraum 1892/03 bis 1897/98 von 9,9 auf 10,7 Milliarden M., diese
Mehrung von 0,8 Milliarden M. oder 7,89 Proz. war größer als die
auf 6,13 Proz. sich belaufende Zunahme der preußischen Gesamt-
bevölkerung. In ähnlichem Maße wird das gesamte deutsche
Volksvermögen, das im Jahre 1887 auf 187 Milliarden M.
(3720 M. pro Kopf an Grund und Boden, Kapital und abschätz-
barem Verbrauchsvorrat) von dem früheren Direktor des Kaiser)
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 45
Stat. Amtes Karl Becker!) geschätzt wurde, sich vergrößert haben
und jetzt wohl gegen 220 Milliarden M.?) betragen.
Auf das mobile Kapital, d. h. denjenigen Teil des Kapitals,
der in der Form von Aktien, Couponschuldverschreibungen, Hypo-
theken etc. Gegenstand des Handels und Geldverkehres ist, treffen
— nach den Schätzungen von Christians?) für die Mitte des Jahr-
zehnts 1890 bis 1900 — 73,6 Milliarden M., davon sind:
Milliarden Mark
Einheimische Werte, die an der Berliner Börse gehandelt werden 27,2
Einheimische Werte, die an anderen Plätzen gehandelt werden 2,8
Ausländische Werte in Deutschland 10,0
Kuxe 0,4
Hypotheken 17,2
Sparkassen 7,2
Wechsel 1,5
Kapitalwert der Lebensversicherungen 0,8
Arbeiterversicherung 0,6
Genossenschaften 0,5
Privates Kapital 2,0
Gold und edle Metalle 3,5
Das Anwachsen des Volkseinkommens erhöhte natürlich zu-
gleich die Finanzkraft der Bundesstaaten und des
Reiches. Wie aber der wirtschaftliche Aufschwung in erster Linie
durch Industrie und Handel hervorgerufen wurde, so ist Haupt-
trägerin der Steuerkraft jetzt nicht mehr die Landwirtschaft, sondern
Industrie und Handel; letztere sind die leistungsfähigeren Produk-
tionszweige auch für unseren Staatshaushalt, während die Land-
wirtschaft teilweise entlastet wurde bezw. werden mußte.
Beispielsweise *) brachte in Baden die staatliche Grundsteuer
im Jahre 1882 4,1 Mill. M. oder rund 39 Proz. des gesamten Er-
trages an direkten Steuern, im Jahre 1896 war der Ertrag der Grund-
steuer nur noch 2.9 Mill. M. oder rund 22 Proz. des gesamten Er-
trages an direkten Steuern. In Württemberg gehen von Industrie
und Handel, die 42,9 Proz. der Einwohner des Landes ernähren,
14 Mill. M. Staats- und Kommunalsteuern ein, von der Landwirt-
schaft dagegen, der 45 Proz. der Bevölkerung angehören, nur 13 Mill.
Auch in Bayern‘) weicht der Anteil, den die Grundsteuer zum
Gesamterträgnis der direkten Steuern beibringt, mehr und mehr
zurück gegenüber den fortgesetzt steigenden Erträgnissen der anderen
Steuerarten:
1) Vergl. Schmoller’s Jahrbuch für Gesetzgebung ete., 11. Jahrg., S. 777.
2) A. de Foville schätzt in seinem Aufsatz L’annuité successorale et la richesse
en France das französische Nationalvermögen an der Jahrhundertwende auf 230 bis 240
Milliarden Franes. Vergl. L’&conomiste français, Paris 1899, No. 23, 25 u. 28.
3) Vergl. Deutscher Reichsanzeiger vom 19. Sept. 1900.
4) Vergl. Bd. 111 d. St. d. D. R., S. 29.
5) In Preußen hat der Staat durch die Steuerreformgesetze vom 14. Juli 1893
dem ländlichen Grundbesitz mehr als 28'/, Mill. M. Steuern abgenommen. Vergl. die
offizielle Denkschrift über die zur Förderung der Landwirtschaft in den letzten Jahren
ergriffenen Maßnahmen. Berlin 1896, S. 14.
46 Friedrich Zahn,
(Brutto-)Erträgnisse
absolut (Mark) in Prozent
1882 1895 1882 1895
Grundsteuer 11490905 11490 208 45,66 36,96
Haussteuer 3 799 641 5 858 236 15,10 18,84
Gewerbesteuer 5 006 003 6 775 088 19,89 21,79
Kapitalrentensteuer 3 186 468 4 490 544 12,67 14,45
Einkommensteuer 1 680 344 2474 318 6,68 7,96
direkte Steuern 25 163 361 31088 394 100,00 100,00
Dank der steuerlichen Leistungsfähigkeit der gewerblichen und
auch der städtischen Bevölkerung, die auch in den steigenden Erträg-
nissen der indirekten Steuern sich zeigt:
Reichseinnahmen Beträge in Millionen Mark
1872 1850 1890 1895 1900
aus Zöllen und Verbrauchssteuern 164,0 286,5 625,2 661,6 789,7
» Reichsstempelabgaben 5,1 7,8 35,4 64,7 66,5
„ Post- und Telegraphenverwaltung 100,0 136,6 224,7 287,0 393,2
„ Eisenbahnverwaltung 25,2 40,1 54,7 68,5 80,2
konnten ohne Beeinträchtigung der Lebenshaltung der Censiten fort-
gesetzt höhere Mittel zur Durchführung der immer zahl-
reicher hervortretenden kulturellen Aufgaben bereit
gestellt werden.
So betrug der Netto-Ausgabebedarf der Reichsverwaltung:
Kee, ; Mark pro Kopf der jewei-
Millionen Mark ligen Reichsbevölkerung
1875 1890 1898 1900 1875 1890 1898 1900
Heerwesen 383,9 490,9 639,4 693,8 9,03 9,96 11,77 10,61
Marine 49,2 46,2 97,3 115,1 1,16 0,94 1,79 2,05
Ausw. Vertretung und Kolonien 6,6 12,1 27,2 42,6 0,15 0,25 050 0,6
Reichsschuld 0,7 48,8 72,3 77,7 0,02 0,98 1,38 1,39
Innere Verwaltung 5,4 16,5 46,6 56,9 0,13 0,34 0,88 1,02
Zusammen 445,8 614,0 882,8 987,1 9,43 12,47 16,27 17,63
Wie diese Zahlen ohne weiteres ergeben, sind die größten
Summen unseres Reichshaushaltsetats der Erhaltung und Vermehrung
der Wehrkraft, dem Heere und der Marine gewidmet. Diese Ausgaben
bilden, um mit Adolf Wagner!) zu reden, die notwendigen Spesen
unserer Volkswirtschaft, sie schaffen die Bedingungen für eine ge-
sicherte, gedeihliche wirtschaftliche Thätigkeit überhaupt und für
den Erfolg dieser Thätigkeit im Inlande wie im weltwirtschaftlichen
Getriebe, sie sind darum die Voraussetzungen für alles andere und
gehen deshalb auch den Ausgaben für andere Zwecke vor.
Was die Pflege sonstiger Kulturaufgaben seitens des Staates
anlangt, so weist schon der oben bei innerer Verwaltung vorge-
tragene Posten darauf hin, daß sie keineswegs vernachlässigt wird,
obschon das Reich hier in seiner Zuständigkeit ziemlich beschränkt
ist und jene Beträge sich zu einem guten Teile nur auf die Arbeiter-
versicherung beziehen. Die Hauptleistungen des Staates für die
kulturellen Aufgaben im engeren Sinn, für Zwecke von Landwirt-
1) Vergl. Adolf Wagner, Die Flottenverstärkung und unsere Finanzen,
Handels- und Machtpolitik. Stuttgart 1900, Bd. 2, S. 49.
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 47
schaft, Gewerbe und Handel, für Bildung, Wissenschaft, Kunst etc.
erscheinen in den Haushaltungsetats der einzelnen Bundesstaaten.
So beträgt der staatliche Aufwand Preußens!).
für Gesamtausgaben in Mill. M
1880 1890 1895 1898 1900
Bauverwaltung einschließlich des Ministeriums der
öffentlichen Arbeiten 29,7 33,7 40,6 495 58,2
Handels- und Gewerbeverwaltung 1,5 4,9 6,8 9,7 13,2
Justizrerwaltung 95,7 92,9 99,2 109,4 114,8
Verwaltung des Innern 41,8 47,1 56,2 616 716
Landwirtschaftliche Verwaltung 12,6 17,8 21,0 25,3 33,9
Verwaltung der geistlichen, Unterrichts- und Medi-
zinalangelegenheiten 57,3 102,4 113,5 146,2 153,5
Auf das Unterrichts- und Bildungswesen wird im gesamten
Reiche alljährlich eine halbe Milliarde M. verwendet; mittels dieser
Summe werden gegenwärtig rund 9!/, Mill. Personen — 17!/, Proz.
der Bevölkerung — in Schulen (aller Art) unterrichtet?). Nimmt man
hinzu, daß auch infolge der allgemeinen Wehrpflicht alljährlich Hun-
derttausende junger Männer — abgesehen von ihrer Ausbildung zu
militärischen Zwecken — auch sonst in bildende und erzieherische
Schulung genommen werden, so ergiebt sich eine so intensive
Pflege der Erziehung und Bildung des jungen Volksnachwuchses im
Deutschen Reiche, wie sie kaum in einem anderen Kulturstaat statt-
findet. Der hierfür gemachte Aufwand liegt ganz besonders in
unserem wirtschaftlichen und sozialen Interesse. Denn zwischen
Volksbildung und Volkswirtschaft bestehen enge Bande. Zweifellos
ist der Aufschwung von Gewerbe und Handel in Deutschland
zu einem guten Teil auf Rechnung unserer Schulen und Hoch-
schulen, unserer geistigen und technischen Bildung zu setzen. Ebenso
bewährte sich die verbesserte Bildung zur Arbeit als wirksames
Mittel zur Bekämpfung der Armut und war überhaupt die Hebung
der Volkserziehung dem Ausgleich der sozialen Gegensätze wesent-
lich förderlich.
VI.
Nach all dem Vorgetragenen erscheint die deutsche Volkswirt-
schaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert in voller Blüte. Starke
Zunahme der Bevölkerung, Erhöhung der Erwerbsthätigkeit, Ueber-
gang aus einem vorwiegend landwirtschaftlichen in einen vorwiegend
industriellen Staat, Aufschwung von Gewerbe und Handel, Verflech-
tung der Volkswirtschaft in die Weltwirtschaft, Entwickelung des
Binnenstaats zur Weltmacht, Hebung der Lebenslage der breiten
Masse, Zunahme des Nationalwohlstandes und Fortschritt der
geistigen und sittlichen Kultur des Volkes überhaupt — ist das
1) Vergl. auch das unter Benutzung amtlicher Quellen bearbeitete Werk von
0. Schwarz und G. Strutz, Der Staatshaushalt und die Finanzen Preußens.
Berlin 1900,
2) Vergl. Statist. Korrespondenz des Kgl. preuB. Statist. Bureaus vom 13. und 20.
‚Januar 1900,
Friedrich Zahn,
48
Resultat, welches die Entwickelung des deutschen Wirtschaftslebens
an der Jahrhundertwende aufweist.
Wehrpflicht,
Intelligenz, Disciplin und Ausdauer, Volksschule,
Oekonomik und Technik, endlich Einigung der Bundesstaaten zu
einem starken Reiche, dessen Macht die innere Entwickelung vor
auswärtigen Störungen sicherte und die Wahrnehmung unserer ge-
samten nationalen Wirtschaftsinteressen ermöglichte — war vornehm-
lich das Rüstzeug, mit dem wir die gegenwärtige Stellung uns
erkämpften.
Mit Stolz und Genugthuung dürfen wir dies Ergebnis feststellen.
Kein anderes Volk außer den Nordamerikanern erfreut sich eines
gleich günstigen Abschlusses des verflossenen Säkulums.
Nun gilt es das Erreichte zu erhalten und weiter auszu-
gestalten.
Mit Besonnenheit und Kühnheit wird deutschem Fleiß und
deutschem Geist auch dies gelingen.
Wohl hält der Aufschwung, den wir in.den letzten Jahren er-
lebten, seit ein paar Monaten etwas inne, gottlob ohne daß diese
Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse die Allgemeinheit
stark in Mitleidenschaft zieht. Die Depression ist hoffentlich nur
eine vorübergehende Erscheinung, sie wird uns nicht hindern, auf
dem Weg der wirtschaftlichen Expansion und der Förderung der allge-
meinen Wohlfahrt weiter fortzuschreiten, wofern wir den Pflichten
gerecht werden, welche die errungene neue Position uns auferlegt.
Deutschland muß seine Industrie ausdehnen, um seine Bewohner
vollauf zu ernähren. Es muß seinen Handel erweitern, um die Er-
zeugnisse seiner Industrie an den Mann zu bringen. Dazu bedarf
es des vergrößerten Absatzes im Auslande, zugleich um die fortge-
setzt vermehrte Zufuhr zu bezahlen, die wir vom Auslande in Be-
zug auf Lebensmittel sowie industrielle Rohstoffe und Halbfabrikate
benötigen. Und ebenso ist zur Aufrechthaltung einer günstigen
Zahlungsbilanz, insbesondere damit uns das für Befriedigung des
wachsenden Geldbedarfs notwendige Gold von außerhalb nicht fehle,
Ausdehnung unserer ausländischen Kapitalanlagen und Unter-
nehmungen erforderlich.
Die so sich aufdrängende Notwendigkeit, am Welthandel und
auf dem Weltmarkte einen erhöhten Anteil uns zu beschaffen, bedingt
eine kraftvolle Uebersee- und Weltmachtpolitik !).
Zu dem Ende müssen wir vor allem zu Lande stark sein und
bleiben. Daneben ist eine ansehnliche Kriegs- und Handelsflotte
unerläßlich. Damit sie ungehindert ihren Weg nehmen, den Ueber-
seeverkehr rasch vermitteln, unseren Handel und Besitz im Aus-
lande wirksam schützen kann, sind weitere Flotten-, Kohlen-,
Verpflegungsstationen, die in angemessener Entfernung voneinander
1) Vergl. Handels- und Machtpolitik. Reden und Aufsätze, herausgegeben von
Gustav Schmoller, Max Sering, Adolf Wagner. Stuttgart 1900.
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 49
liegen und wo unsere Schiffe ausreichenden Rückhalt finden, unent-
behrlich.
Erhöhte Fürsorge beanspruchen ferner unsere Kolonieen. Denn
wir brauchen geeignete Wanderziele für die überschüssigen Kräfte
der Nation, die es gilt, auch in der Ferne dem Heimatlande zu er-
halten, andererseits Produktionsgebiete, die, organisch an die hei-
mische Volkswirtschaft sich angliedernd, uns der bisherigen Notwendig-
keit mehr und mehr entheben, die im Inland selbst nicht beschaff-
baren, aber für uns unentbehrlichen Rohstoffe und Lebensmittel in
fremden Kolonien aufzukaufen.
Weiterhin ist Bedacht zu nehmen auf eigene Kabelverbindungen !)
nach den wichtigsten überseeischen Ländern. Erst dann kommen
wir in die Lage, den Vorsprung einzuholen, den die Engländer
haben, in deren fast ausschließlichem Besitze die derzeitigen großen
Wege des internationalen Telegraphenverkehrs sich befinden und
deren Interessen darum in erster Linie bei den Kabelnachrichten
befriedigt werden. Erst dann erhält über wichtige internationale
Vorgänge die deutsche Geschäftswelt ebenso rasch und verlässig
Bescheid wie die englische Konkurrenz. Erst dann sind wir zu
einer freien Verfügung über unsere naturgemäß weit zerstreuten
Streitkräfte und zu deren Einsetzen am rechten Ort und zur rechten
Zeit befähigt.
Im Auslande selbst läßt sich der bereits in Form des Konsulats-
wesens bestehende Aufklärungsdienst unter Heranziehung von natio-
nalökonomisch, kaufmännisch und technisch gebildeten Kräften noch
nutzbringender gestalten. Gründliche und ausgedehnte Sprach-
kenntnisse werden sowohl diesen offiziellen Vertretern wie den
eigenen Emissären unserer Großindustrie und unseres Großhandels
ihre Aufgabe wesentlich erleichtern. Vielleicht verdient auch die
National Association of Manufacturers of the United States of
America (Sitz Philadelphia) bessere Nachahmung, jene praktische,
ihre Beziehungen über den ganzen Erdball ausdehnende Geschäfts-
einrichtung, welche ihren Mitgliedern über internationale Verhältnisse,
die ihnen geschäftlich von Interesse sind, Mitteilungen macht, an-
dererseits für die nordamerikanische Industrie Propagandaschriften
in die ganze Welt versendet; ein damit verbundenes Informations-
bureau beantwortet alle Fragen der Mitglieder über Waren, Bezugs-
quellen, Gewerbe, Zölle, Frachten, Statistik etc.
Die Handelsbeziehungen zum Auslande erheischen Stetigkeit,
mit der die heimische Gütererzeugung rechnen kann. Darum sind
auch fernerhin langfristige Handelsverträge erwünscht. Die einzelnen
Zollpositionen dürfen die Rohstoffe und Halbfabrikate, deren unsere
Industrie bedarf, nicht zu sehr belasten, müssen zugleich der Land-
wirtschaft den gebührenden Schutz gewähren, jedoch unter Wahrung
des Gesamtinteresses, namentlich unter Förderung der Absatzfähig-
1) Vergl. Thomas Lenschau, Das deutsch-atlantische Kabel und die Bedeutung
eigener Kabellinien. Beilage zur Allgemeinen Zeitung vom 6. September 1900.
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 4
50 Friedrich Zahn,
keit unserer industriellen Erzeugnisse im Auslande, und unter Er-
haltung der Konsumfähigkeit und Konsumkraft der breiten Masse.
Der Abschluß solcher Verträge fällt möglicherweise mit der
Zeit schwer gegenüber der imperialistischen Tendenz gewisser
Staaten, die sich zu Weltreichen mit in sich geschlossenen Wirt-
schaftsgebieten ausbilden. Das von der Ostsee bis zum Stillen
Ozean reichende, von einem Willen gelenkte Russische Reich, das
seine Einflußsphäre immer weiter ausdehnende, seine Glieder immer
fester aneinander kettende Greater Britain und vor allem das mit
Geschick und Rücksichtslosigkeit um die wirtschaftliche Vormacht
ringende Panamerika drohen, uns von ihrem Mutter- und Kolonial-
lande auszuschließen, ihre Konkurrenz läßt uns selbst auf neutralen
Märkten und im Inlande Schwierigkeiten gewärtigen. (Auch Frank-
reich mit seinem ausgedehnten Kolonialreich und Japan mit seiner
rasch, unter billigen Arbeitsverhältnissen aufblühenden Industrie
sind in ihrer den deutschen Absatz hemmenden Bedeutung nicht
zu unterschätzen.)
Um die Handelspolitik jener Weltreiche in maßvollen Grenzen
zu halten, dieselben in der einseitig überspannten Schutzzollpolitik,
im Kolonialerwerb, in der Eroberung, in der Ausbeutung und Miß- |
handlung aller Schwächeren zur Mäfigung zu bestimmen, werden |
die Bestrebungen allmählich praktische Gestalt gewinnen müssen, |
welche auf Herbeiführung einer mitteleuropäischen Zollunion ab- |
zielen !). Unter der wirtschaftlich und politisch mächtigen Führung
von Deutschland ist ein Zollbund der wirtschaftlich ziemlich gleich-
artigen Staaten Mitteleuropas (Deutschland, Oesterreich - Ungarn,
Italien, die nördlichen Balkanstaaten, Schweiz, Holland, Belgien, die
skandinavischen Staaten) im Wege des gewöhnlichen Handelsvertrages
möglich. Dieser Genossenschaftsverband vermag bei Wahrung der
politischen Selbständigkeit des Einzelgenossen die schwächeren
Glieder zu kräftigen und zu schützen und die stärkeren Genossen
noch mehr zu stärken. Er ermöglicht den verbündeten Staaten
eine Vergrößerung des Wirtschaftsgebietes im Interesse des gegen-
seitigen Austausches von landwirtschaftlichen und gewerblichen
Produkten und erleichtert ihre Stellung gegenüber den anderen
Staaten auf dem Weltmarkt.
Aber nicht bloß als Krystallisationskern eines solchen mittel-,
eventuell auch westeuropäischen Zusammenschlusses der Völker und
Staaten zum Gegengewicht gegen die übergroßen Weltreiche er-
scheint das Deutsche Reich berufen. Seine geographische Lage
1) Vergl. Lujo Brentano, Ueber eine zukünftige Handelspolitik des Deutschen
Reichs. Schmoller’s Jahrb., Jahrg. 1885, S. 21 fg. — Ernst Francke, Zollpolitische
Einigungsbestrebungen in Mitteleuropa während des letzten Jahrzehnts. Schriften des
Vereins für Sozialpolitik, Bd. 90. — W. Lexis, Die Zukunft Hollands und seiner
Kolonien. Allgemeine Zeitung vom 21. Februar 1900. — Gustav Schmoller, Die
Wandlungen in der europäischen Handelspolitik des 19, Jahrhunderts. Sehmoller’s
Jahrb., Jahrg. 1900, S. 352. — Adolf Wagner, Vom Tersitorialstuat zur Weltmacht.
Berlin 1900.
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 51
weist ihm eine weitere große Aufgabe zu. Deutschland liegt vorteil-
haft zum Meer- und Seeverkehr, gemäß seiner centralen Lage und
der vielen von ihm ausgehenden Verkehrsadern ist es andererseits
das Herz Europas. Die Mündungen der deutschen Ströme Rhein,
Weser, Elbe, Oder, Weichsel sind von den großen Weltverkehrs-
wegen nur wenig Meilen weiter entfernt als die englischen Häfen,
was bei der heutigen Technik der Schiffahrt nicht ins Gewicht fällt.
Die Ströme selbst beherrschen ein ausgedehntes, konsumkräftiges
Hinterland wie keine anderen in Europa, sie durchlaufen, zumal die
drei größten, ein blühendes, industriereiches Land, das in wirtschaft-
lichem Aufschwung begriffen. Das Hinterland umfaßt außer Deutsch-
land die Schweiz, Oesterreich-Ungarn und einen Teil Rußlands. Die
Stapelung erfolgt nun bekanntlich für den Seehandel da am zweck-
mäßigsten, wo eine Umladung der Waren thatsächlich stattfinden
muß, also wo letztere aus dem Seeschiff auf das Flußschiff oder den
Güterwagen umgeladen werden müssen. Darum erweisen sich als
die rationellsten Umschlagplätze für das europäische Festland nicht
die englischen Häfen, welche im Gegenteil, soweit sie den Handel
des Kontinents vermitteln, nur überflüssige Umladeplätze sind, den
Warenverkehr unnötig aufhalten und verteuern, sondern vielmehr
die deutschen Häfen. Das Herz Europas muß also in den deutschen
Mündungen auch der Mund Europas, wenigstens bedeutender Teile
Mitteleuropas, werden und muß auf diese Weise England in seiner
Rolle als Weltspediteur für einen ansehnlichen Teil des kontinen-
talen, namentlich des deutschen Handels ablösen !).
Dies wird um so besser gelingen, wenn das Reich für ent-
sprechenden Schutz seiner Häfen durch eine starke Seemacht Sorge
trägt und andererseits auf gleichmäßigen Ausbau des Eisenbahn-
und Wasserstraßennetzes bedacht ist. In letzterer Beziehung ist
der eben dem preußischen Abgeordnetenhause vorgelegte Gesetz-
entwurf, betreffend die Herstellung und den Ausbau, von Kanälen
und Flußläufen im Interesse des Schiffahrtsverkehrs und der
Landeskultur, besonders zu begrüßen. Neben dem Rhein-Weser-
Elb-Kanal bezweckt er den Bau eines Großschiffahrtsweges von
Berlin nach Stettin, die Schaffung einer leistungsfähigeren Wasser-
straße zwischen der Oder und der Weichsel, die weitere Re-
gulierung der Warthe von der Mündung der Netze bis Posen,
die Verbesserung der Vorflut in der unteren Oder sowie in der
unteren Havel, und den Ausbau der Spree. Außerdem stehen zur
Erwägung das Projekt des masurischen Schiffahrtskanals, eine Ver-
besserung der Wasserstraße zwischen Oberschlesien und Berlin durch
Anlegung von Staubecken und teilweise Kanalisierung oder Nach-
regulierung des Oderstroms, Kanalisierung der Mosel, Fortführung
der Schiffbarmachung des Oberrheins, Einrichtung eines Groß-
1) Vergl. Arthur Dix, Die Zukunft des deutschen Seehandels. Beilage zur
Allgem, Zeitung vom 13. Januar 1900. — (E. v. Drygalski) Deutschlands geographische
Lage zur See, Beiträge zur Flottennovelle von Nautieus, Berlin 1900, S. 76 fg.
52 Friedrich Zahn,
schiffahrtswegs auf dem Neckar (Mannheim-Eßlingen). die Main-
kanalisierung, die Ausgestaltung des Donau-Mainkanals zu einem
Großschiffahrtskanal, Verbesserung der Donaustraße, dazu noch in
Oesterreich der Donau-Elbe- und der Donau-Oder-Kanal. Die Durch-
führung dieser Projekte wird ein zusammenhängendes, leistungs-
fähiges Wasserstraßennetz schaffen, ein Verkehrssystem, das im
Zusammenwirken mit den bereits vorhandenen oder noch zu
erbauenden Schienengeleisen Binnen- und Seeverkehr in lebendige,
fruchtbringende Wechselbeziehung zu setzen imstande ist, zugleich
der Landeskultur, allen Erwerbszweigen und allen Gebietsteilen des
Reiches in hervorragender Weise zu dienen geeignet ist.
Ueberhaupt muß mit der Weltmachtpolitik die Pflege der Wohl-
fahrt im Innern gleichen Schritt halten. Der Regierung fällt dabei
die Aufgabe zu — um die Worte des gegenwärtigen Reichskanzlers
und preußischen Ministerpräsidenten Graf von Bülow (preußisches
Abgeordnetenhaus 9. Januar 1901) zu gebrauchen —-, in dem Kampf
der wirtschaftlichen Interessen die vorhandenen Gegensätze nach |
Möglichkeit zu versöhnen, zwischen den verschiedenen Interessen
einen möglichst gerechten Ausgleich herbeizuführen und diejenigen
zu stützen, die sich aus eigener Kraft nicht helfen können.
Namentlich wird die Steuerreform, die unter Berücksichtigung
der Leistungsfähigkeit des Einzelnen eine Entlastung der kleineren
Einkommen, eine stärkere Heranziehung der größeren Einkommen
bezielt, in gewissen Bundesstaaten des Reichs fortzusetzen sein.
Im Interesse des Ausgleichs der gesellschaftlichen Gegensätze,
im Interesse der Förderung des sozialen Friedens empfiehlt sich,
die so erfolgreich eingeleitete Sozialreform weiter auszugestalten.
Die Arbeiterversicherung bedarf noch der Ergänzung durch eine
Witwen- und Waisen- sowie eine Arbeitslosenversicherung. Die
unparteiisch geleiteten Arbeitsnachweise, deren Thätigkeit überaus
ersprießlich wirkt, wie beispielsweise das bedeutendste städtische
Arbeitsamt Deutschlands, dasjenige zu München, beweist, sind
zu vermehren und enger noch als bisher in organische Ver-
bindung zu einander zu bringen. Ferner ist an Beschaffung
billiger, gesunder und behaglicher Arbeiterwohnungen zu denken.
Der Arbeiterschutz ist im Sinn des Erlasses des Kaisers Wilhelm II.
vom 4. Februar 1890 weiter auszudehnen. Die Volkshygiene ver-
langt eine der fortschreitenden Kultur entsprechende Fürsorge. Auch
der Pflege des Sports wird weiteres Augenmerk zuzuwenden sein.
Dieser beugt einer Entnervung des Volkes vor, er fördert ähnlich
wie die Ableistung des Militärdienstes Kraft, Gesundheit, körperliche
und geistige Gewandtheit und Wagemut, was für die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit und Unternehmungslust des Volkes von hohem
Werte ist. Die Volksbildung hat fortgesetzt auf die sittliche und
ethische Erziehung abzuzielen, den Nachwuchs mit dem nötigen
Wissen und Können und der entsprechenden Arbeitsbegeisterung
auszustatten und ihn so für den Kampf ums Dasein genügend zu
befähigen.
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 53
Auf diese Weise wird eine weitere Weckung und Hebung der
nationalen Kräfte, eine Steigerung der nationalen Leistungsfähigkeit,
die das Reich zur Bewältigung der immer wachsenden Aufgaben
der Weltpolitik braucht, ein weiteres Fortschreiten der geistigen
und sittlichen Kultur des Volkes und seiner allgemeinen Wohlfahrt
nicht ausbleiben. Zugleich wird hoffentlich das Bewußtsein der Zu-
sammengehörigkeit der Interessen der großen Erwerbsklassen, der
Mitverantwortlichkeit des Einzelnen für des Vaterlandes Wohlfahrt
im Volke sich immer mehr vertiefen, und ein geschlossenes Zusammen-
wirken aller seiner Volksschichten im Dienste des Gesamtwohles,
namentlich nach außen hin, immer mehr zur Regel werden.
Diese Entwickelung, erleichtert durch die Einheit des Reiches
und Einheit des Rechts, gefördert im edlen Wettbewerb von der
eifrigen Mitarbeit der Landesherrn und Landesregierungen, geführt.
von dem thatkräftigen Hohenzollerngeschlecht — möge sie sich so
gestalten, daß jener Bau, der auf dem Grundstein der Krönung des
ersten preußischen Königs in einer 200-jährigen ruhmvollen Ge-
schichte entstand und jetzt als ein einiges, wirtschaftlich und politisch
mächtiges Deutsches Reich emporragt, im neuen Jahrhundert fest-
gefügt bleibe und weiter erstarke zu einem Weltreich, mächtig zu
Land und zur See, groß im Rate der Völker, dem ersten Handels-
staate wenn nicht ebenbürtig, nur wenig nachstehend, allezeit an
der Spitze der Kultur und Gesittung der Menschheit!
18. Januar 1901.
54 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Nachdruck verboten.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
I.
Die wirtschaftliche Gesetzgebung der deutschen Bundes-
staaten im Jahre 1899.
Von Dr. phil. Felix Wissowa (Leipzig).
I. Preufsen.
Verordnung vom 23. Januar wegen Abänderung des $ 4 der
Verordnung vom 25. Mai 1887, betr. die Einrichtung einer
ärztlichen Standesvertretung. (Ges.-S. No. 3 S. 17 f.)
Art. I. An Stelle des $ 4 der Verordnung vom 25. Mai 1887 ...
gende Vorschrift:
$4. Die Mitglieder der Aerztekammern werden gewählt. Die Wahl erfolgt
innerhalb des Bezirks der Kammer getrennt nach Regierungsbezirken (Wahlbe-
zirken). Der Stadtkreis Berlin bildet einen eigenen Wahlbezir di
Nicht wahlberechtigt und nicht wählbar sind . .. die Militär- und Marine-
tritt fol-
ärzte.
Wablberechtigt und wählbar sind dagegen alle übrigen Aerzte, welche inner-
halb des Wahlbezirks ihren Wohnsitz haben, Angehörige des Deutschen Reiches
sind und sich im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte befinden...
Verordnung vom 15. März, betr. die Errichtung von Land-
wirtschaftskammern für die Provinz Hannover und für die
Rheinprovinz (Ges.-S. No. 7. S. 31, die Satzungen für die Provinz
Hannover ebendas. S. 32—36, für die Rheinprovinz S. 36—41.)
Gesetz vom 21. März, betr. die Synagogengemeindenver-
hältnisse in Frankfurt a. M. (Ges.-S. No. 11 S. 73 f.)
Die nachweislich der Synagogengemeinde ,,Israelitische Religionsgesellschaft“ zu
Frankfurt a. M. angehörenden Juden werden von der Verpflichtung zu öffentlich-recht-
lichen Leistungen an die allgemeine Synagogengemeinde „Israelitische Gemeinde“ befreit,
Gesetz vom 25. März, betr. die Erweiterung der Stadt-
gemeinde und des Stadtkreises Cassel. (Ges.-S. No. 10 S. 67 f.)
Vereinigung der Landgemeinde Wehlheiden mit der Stadtgemeinde Cussel auf
Grund des zwischen beiden abgeschlossenen Vertrages (ebendas. 8. 68—72) vom 22,/25. Ok-
tober 1898.
Gesetz vom 1. Mai, wegen Ankauf der Bernsteinwerke der
Firma Stantien und Becker zu Königsberg i.Pr. (Ges.-$. No. 17
S. 105 f.)
Nationalökonomische Gesetzgebung. 5D
Ermächtigung der Staatsregierung, zum Ankauf des der Firma Stantien und Becker
oder dem Geheimen Kommerzienrat Becker in Königsberg i. Pr. gehörigen Grundbe-
eitzer, sowie des gesamten, unter der genannten Firma betriebenen Geschäfts- und
Gewerbeunternehmens eine Numme bis 9°/, Mill. M. zu verwenden.
Gesetz vom 7. Juni, betr. die Verpflichtung der Gemeinden
in der Provinz Sachsen zur Bullenhaltung. (Ges.-S. No. 20
$. 115 £)
Auf jedes volle oder angefangene Hundert von Kühen oder deckfähigen Rindern
mufs mindestens ein Bulle vorhanden sein; die Unterhaltung der Gemeindebullen darf
nicht an den Mindestfordernden vergeben werden; mehrere Gemeinden dürfen sich zu
einem Bullenhallungsverbande vereinigen.
Gesetz vom 30. Juli, betr. die Anstellung und Versorgung
der Kommunalbeamten. (Ges.-S. No. 24 S. 141—148.)
$1. Als Kommunalbeamter im Sinne dieses Gesetzes gilt, wer als Beamter
für den Dienst eines Kommunalverbandes ($$ 8—22) gegen Besoldung angestellt
ist, Die Anstellung erfolgt durch Aushändigung einer Anstellungsurkunde.
$2. Die Rechtsverhältnisse der auf Probe, zu vorübergehenden Dienst-
leistungen oder zur Vorbereitung angestellten Kommunalbeamten unterliegen den
Bestimmungen dieses Gesetzes nur insoweit, als dies ausdrücklich vorgesehen ist.
Auf Personen, welche ein Kommunalamt nur als Nebenamt oder als Neben-
thätigkeit ausüben oder ein Kommunalamt führen, das seiner Art oder seinem Um-
fange nach nur als eine Nebenthätigkeit anzusehen ist, findet dieses Gesetz keine
Anwendung.
$3 Die Zahlung des Gehaltes an Kommunalbeamte erfolgt in Ermangelung
besonderer Festsetzungen vierteljährlich im voraus.
$4. Die Hinterbliebenen eines Kommunalbeamten erhalten für das auf den
Sterbemonat folgende Vierteljahr noch die volle Besoldung des Verstorbenen
(Gnadenquartal); war der Verstorbene pensioniert, so gebührt ihm die Pension
noch für den auf den Sterbemonat folgenden Monat (Gnadenmonat) Dabei finden
die für die unmittelbaren Staatsbeamten geltenden Bestimmungen mit der Maß-
ge Anwendung, daß an Stelle der Genehmigung des Verwaltungschefs und der
ovinzialbehörde, auf deren Etat die Pension übernommen war, dıe Genehmigung
der Kommunalverwaltungsbehörde tritt.
$ 7. Der Bezirksausschuß beschließt über streitige vermögensrechtliche An-
sprüche der Kommunalbeamten, einschließlich der in $ 2 Abs. 1 erwähnten Be-
amten aus ihrem Dienstverhältnisse, insbesondere über Ansprüche auf Besoldung,
Reisekostenentschädigung, Pension, sowie über streitige Ansprüche der Hinter-
bliebenen der Beamten auf Gnadenbezüge oder Witwen- und Waisengeld. Die
Beschlußfassung erfolgt, soweit sie sich auf die Frage erstreckt, welcher Teil des
Diensteinkommens bei Feststellung der Pensionsansprüche als Gehalt anzusehen
it, vorbehaltlich der Beteiligten innerhalb 2 Wochen bei dem Bezirksausschuß
gegen einander zustehenden Klage im Verwaltungsstreitverfahren. Im übrigen
findet gegen den in erster oder auf Beschwerde in zweiter Instanz ergangenen Be-
schluß binnen einer Ausschlußfrist von 6 Monaten nach Zustellung desselben die
age im ordentlichen Rechtswege statt. Beschlüsse sind vorläufig vollstreck-
$ 8. Die Anstellung der städtischen Beamten erfolgt, unbeschadet der Vor-
schriften in $ 9 und 10, auf Lebenszeit.
` Für die Beamten der städtischen Betriebsverwaltungen findet Absatz 1 nur
insoweit Anwendung, als die Stadtgemeinden dies beschließen; welche Verwaltungs-
zweige zu den städtischen Betriebsverwaltungen zu rechnen sind, kann durch Orts-
statut festgesetzt werden.
BU Abweichungen von dem Grundsatze der Anstellung auf Lebenszeit
können durch Ortsstatut oder in einzelnen Fällen mit Genehmigung der Aufsichts-
behörde festgesetzt werden.
. Soweit hiernach eine Anstellung auf Kündigung zulässig ist, darf die
ündigung nur auf Grund eines Beschlusses des kollegialischen Gemeinde-
7
56 Nationalökonomische Gesetzgebung.
vorstandes (Magistrats) oder, wo ein solcher nicht besteht. eines aus dem Bürger-
meister und den Beigeordneten (Schöffen, Ratmänner) gebildeten Kollegiums er-
folgen.
i $ 10. Der Anstellung kann eine Beschäftigung auf Probe vorangehen. Die-
sclbe darf in der Regel die Dauer von 2 Jahren nicht übersteigen. Fine Aus-
dehnung der probeweisen Beschäftigung ist nur mit Genehmigung der Aufsichts-
behörde zulässig.
Im übrigen hat bei Beamten, welche probeweise oder zu vorübergehenden
Dienstleistungen oder zum Zwecke der Vorbereitung beschäftigt werden, die
Regelung der Annahmebedingungen vor dem Eintritt der Beschäftigung zu er-
folgen ...
e $ 11. Die Aufsichtsbehörde kann in Fällen eines auffälligen Mißverhältnisses
zwischen der Besoldung und den amtlichen Aufgaben der Beamtenstelle verlangen,
daß den städtischen Beamten die zu einer zweckmäßigen Verwaltung angemessenen
und der Leistungsfähigkeit der Stadtgemeinde entsprechenden Besoldungsbeträge
bewilligt werden, insoweit nicht die Besoldung der betr. Stelle durch Orts-
statut festgesetzt ist. Im Falle des Widerspruchs der Stadtgemeinde erfolgt die
Feststellung der Besoldungsbeträge durch Beschluß des Besirksausschusses . . .
$ 12. Die städtischen Beamten erhalten bei eintretender Dienstunfähigkeit —
sofern nicht mit Genehmigung des Bezirksausschusses ein anderes festgesetzt ist —
Pension nach den für die Pensionierung der unmittelbaren Staatsbeamten geltenden
Grundsätzen, wobei Artikel III des Gesetzes vom 31. März 1882, betr. die Ab-
änderung des Pensionsgesetzes vom 27. März 1872 (Ges.-S. 1882 S. 133), insoweit
er nicht durch das Gesetz vom 1. März 1801 (Ges.-S. S. 19) abgeändert ist, unbe-
rührt bleibt. Als pensionsfähige Dienstzeit wird, unbeschadet der über die An- f
rechnung der Militärdienstzeit bei Militäranwärtern und forstversorgungsberechtigten
Personen des Jägerkorps geltenden Bestimmungen und in Ermangelung anderweiter J
Festsetzungen nur die Zeit gerechnet, welche der Beamte in dem Dienste der betr.
Gemeinde zugebracht hat. |
Die Bestimmungen des Gesetzes vom 31. März 1882, betr. die Ab- Za
änderung des Pensionsgesetzes vom 27. März 1872 (Ges.-S. 1652 S. 133) in Betreff
der Beamten, welche das 65. Lebensjahr vollendet haben, können durch Ortsstatut
auch für Kommunalbeamte in Kraft gesetzt werden.
$ 15. Die Witwen und Waisen der pensionsberechtigten Beamten der Stadt-
gemeinden . . erhalten — sofern nicht mit Genehmigung des Bezirksausschusses
ein anderes festgesetzt ist — Witwen- und Waisengeld nach den für die Witwen
und Waisen der unmittelbaren Staatsbeamten geltenden Vorschriften unter Zu-
grundelegung des von dem Beamten im Augenblick des Todes erdienten Pensions-
betrages; dabei tritt an die Stelle der für das Witwengeld bei unmittelbaren Staats-
beamten vorgeschriebenen Höchstsätze der Höchstsatz von 2000 M.
Auf das Witwen- und Waisengeld kommen die Bezüge, welche von öffent-
lichen Witwen- und Waisenanstalten oder von Privatgesellschaften gezahlt werden,
in demselben Verhältnisse in Anrechnung, in welchem die Stadtgemeinde sich an
den vertraglichen Gegenleistungen beteiligt hat. Als Beteiligung der Stadtgemeinde
wird es auch, soweit die Zeit vor dem Inkrafttreten des Gesetzes in Betracht
kommt, angeschen, wenn die Gegenleistung seitens des Beamten auf Grund aus-
drücklicher, bei der Anstellung übernommener Verpflichtung oder anderweiter
Festsetzungen erfolgt ist.
Die übrigen Paragraphen (18—28) enthalten analoge Bestimmungen über die Be-
amten der Landgemeinden, der Landbürgermeistereien, Aemter, Zweckverbände und
Amtsbezirke, der Kreis- und Provinzialverbünde und die Gemeindeforstbeamten.
Verordnung vom 2. August, über die Rechtsverhältnisse der
Beamten der Preußischen Central-Genossenschaftskasse.
(Ges.-S. No. 33 S. 397 f.)
Gesetz vom 7. August, betr. Ergänzung der gesetzlichen Vor-
schriften über die Ausübung der Jagd auf eigenem Grund-
besitz. (Ges.-S. No. 25 S. 151.)
|
Nationalökonomische Gesetzgebung. 57
Einziger Artikel. Die Bildung eines eigenen Jagdbezirkes ist auch dann zu-
lässig, wenn die dafür in Betracht kommenden Grundstücke in mehreren Landes-
teilen liegen, in denen die gesetzlichen Vorschriften über die Bildung eines eigenen
Jagdbezirkes voneinander abweichen. In diesem Falle kommen die für den
größeren Teil der Grundstücke geltenden gesetzlichen Vorschriften zur Anwendung.
Bei gleicher Größe ist dasjenige Gesetz maßgebend, welches den größeren Flächen-
inhalt für die Bildung eines eigenen Jagdbezirkes betrifft.
Verordnung vom 10. August, betr. die Verleihung des Zwangs-
vollstreckungsrechts an die Landeskreditkasse zu Cassel.
\Ges-S. No. 28 S. 162f.)
Gesetz vom 23. August, betr. die Bewilligung weiterer Staats-
mittel zur Verbesserung der Wohnungsverhältnisse von
Arbeitern, die in staatlichen Betrieben beschäftigt sind, und von
gering besoldeten Staatsbeamten. (Ges.-S. No. 29 S. 165f.)
$ 1. Der Staatsregierung wird ein weiterer Betrag von 5 Mill. M. zur Ver-
wendung nach Maßgabe des Gesetzes vom 13. August 1895 (Ges.-S. S. 521)...
zur Verfügung gestellt').
Verordnung vom 23. August, betr. die Zuständigkeit der
Verwaltungsgerichte und den Instanzenzug für Streitig-
keiten, welche nach reichsgesetzlicher Vorschrift im Verwaltungs-
streitverfahren zu entscheiden sind. (Ges.-S. No. 29 S. 166.)
$1. Die nach $ 23 Abs. 2 und $ 50 Abs. 3 des Invalidengesetzes in der
Fassung der Bekanntmachung vom 19. Juli 1899 (Reichs-Gesetzbl. S. 463) im Ver-
waltungsstreitverfahren zu entscheidenden Streitigkeiten unterliegen der Ent-
scheidung des Bezirksausschusses. Gegen die Entscheidung des Bezirksausschusses
ist nur das Rechtsmittel der Revision zulässig.
Gesetz vom 2. September, betr. den Charfreitag. (Ges.-S.
No. 28 S. 161.)
Einziger Paragraph. Der Charfreitag hat die Geltung eines bürgerlichen
allgemeinen Feiertages.
In Gemeinden mit überwiegend katholischer Bevölkerung soll die bestehende
herkömmliche Werktagsthätigkeit (auch die gewerbliche Thätigkeit — $ 105a ff.
der Reichsgewerbeordnung —) am Charfreitage nicht verboten werden; es sei denn,
daß es sich um Öffentlich bemerkbare oder geräuschvolle Arbeiten in der Nähe
von dem Gottesdienst gewidmeten Gebäuden handelt.
Gesetz vom 16. September, betr. Schutzmaßregeln im Quell-
gebiete der linksseitigen Zuflüsse der Oder in der Provinz
Schlesien. (Ges.-S. No. 30 S. 169—172.)
$1. Die land- und forstwirtschaftliche Nutzung von Grundstücken der dem
Gebirgs- und Hügelland angehörenden Quellgebiete der linksseitigen Zuflüsse der
SE in der Provinz Schlesien unterliegt den besonderen Bestimmungen dieses
esetzes.
$ 2. Eine forstwidrige Nutzung von Holzungen ist unzulässig. Eine forst-
widrige Nutzung ... liegt vor, wenn durch forstlich unwirtschaftliche Maßnahmen
oder durch Unterlassung wirtschaftlich gebotener Handlungen die Zurückhaltung
des Niederschlagwassers vereitelt oder erheblich erschwert, oder die Gefahr der
Entstehung von Wasserrissen, Bodenabschwemmungen, Hangrutschungen, Geröll-
oder Geschiebebildungen herbeigeführt wird.
Wird eine forstwidrige Nutzung durch den Regierungspräsidenten festgestellt,
so hat dieser dem Eigentümer oder dem Nutsungsbätechilktn die künftige Be-
wirtschaftung vorzuschreiben.
1) Ebenso im Vorjahre ; vgl. Jahrb. f. Nationalükon. 8. F. Bd. 17 (72) 8. 787.
nn
58 Nationalökonomische Gesetzgebung.
$ 3. Die Rodung von Holzungen darf nur mit Genehmigung des Regierungs
präsidenten erfolgen. É à
Die Genehmigung darf nicht erteilt werden, wenn die Erhaltung des Grund:
stücks als Holzung für die Zurückhaltung des Niederschlagwassers oder die Ver-
hütung von Wasserrissen, Bodenabschwemmungen, Hangrutschungen, Geröll- oder
Geschiebebildungen erforderlich ist.
$ 5. Die Neuanlage offener Gräben an Gebirgshängen in der Hauptgefäll-
richtung ist unzulässig . . .
$ 6. Das auf zu Thal führenden Wegen abfließende Wasser ist, soweit es
nach den örtlichen Verhältnissen ohne wirtschaftliche Nachteile geschehen kann,
von den Besitzern der angrenzenden Grundstücke in Stichgräben abzuleiten und,
wo dazu Gelegenheit geboten ist, in Gruben (Schlammfängen) aufzufangen.
Ebenso hat auch die Anlage von Stichgräben zur seitlichen Ableitung des in
Einfaltungen der Gebirgshänge abfließenden Wassers zu erfolgen.
Ko Die Stichgräben und Gruben sind von dem Grundbesitzer jederzeit offen zu
alten.
$ 7. Soweit die Zurückhaltung des Niederschlagwassers oder die Verhütung
der Entstehung von Wasserrissen, Bodenabschwemmungen, Hangrutschungen, Ge-
röll- oder Geschiebebildungen es erfordert, kann der Regierungspräsident
1) die Entwässeruug von Moorflächen,
2) die Beackerung und die Beweidung von Grundstücken auf Hochlagen
oder an (rebirgshängen untersuchen und einschränken,
3) die Verlegung oder Beseitigung vorhandener Gräben anordnen.
Für die den Grundbesitzern oder Nutzungsberechtigten hiermit entstehenden
Nachteile und Kosten haben zu !/, die Gemeinde (Gutsbezirk), zu !/, die Provinz,
zu !/, der Staat Entschädigung zu leisten.
Soweit eine Gemeinde (Gutsbezirk) leistungsunfähig ist, treten an ihre Stelle j
der Staat und die Provinz zu gleichen Teilen. Ueber das Maß der Leistungs-
fähigkeit entscheidet mangels Verständigung zwischen Provinz und Staat endgiltig |
der Bezirksausschuß.
§ 9. Die zu den Quellgebieten zu rechnenden Gemarkungen und Gemarkungs-
teile, die darin vorhandenen Holzungen und diejenigen Grundstücke, auf welche
die Vorschriften der $$ 5—8 Anwendung finden, werden durch eine von dem
Regierungspräsidenten zu berufende Kommission ermittelt. Die Kommission be-
steht aus einem Vertreter des Regierungspräsidenten als Vorsitzendem, einem
Forstsachverständigen , einem Landwirte, dem Meliorationsbaubeamten und
einem vom Provinzialausschusse zu wählenden Vertreter der Provinz. Außerdem
tritt für jeden beteiligten Kreis je ein vom Kreisausschusse zu wählender Ver-
treter der beteiligten Gemeinden und Gutsbezirke hinzu.
Das Ergebnis der Ermittelung wird in den beteiligten Gemeinden und Guts-
bezirken mindestens 4 Wochen lang ausgelegt.
Der Ort und die Dauer der Auslegung sind in ortsüblicher Weise in den be-
teiligten Gemeinden und Gutsbezirken, sowie durch das Kreisblatt bekannt zu
machen. In der Bekanntmachung ist eine mindestens auf 4 Wochen zu be-
messende Frist anzugeben, in der etwaige Einwendungen bei dem Regierungs-
präsidenten geltend zu machen sind. S
Ucber das Ergebnis der Ermittelung und die erhobenen Einwendungen ent-
scheidet der Oberpräsident endgiltig. Die Entscheidung wird im Regierungs-Amts-
blatte veröffentlicht.
Gesetz vom 16. September, betr. die Dienststellung des
Kreisarztes und die Bildung von Gesundheitskommissionen.
(Ges.-S. No. 33 S. 172—176.)
Gesetz vom 16. September, betr. die Gerichtsorganisation
für Berlin und Umgegend. (Ges.-S. No. 33 S. 391—396.)
Errichtung eines Landgerichtes in Berlin - Charlottenburg mit der Bezeichnung:
Landgericht III in Berlin, sowie von 6 Amtsgerichten: in Berlin-Reinickendorf (mit
der Bezeichnung Berlin- Wedding), in Berlin-Schöneberg, in Grois-Lichterfelde, in Lichten-
berg, in Neu-Weifsensee und in Pankow.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 59
Gesetz vom 16. September, über die Ergänzung des Gesetzes,
betr. die Verteilung der öffentlichen Lasten bei Grund-
stücksteilungen und die Gründung neuer Ansiedelungen
in den Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien,
Sachsen und Westfalen, vom 25. August 1876, des Gesetzes, betr. die
Verteilung der öffentlichen Lasten bei Grundstücksteilungen und die
Gründung neuer Ansiedelungen in der Provinz Hannover, vom 4. Juli
1887,... in der Provinz Schleswig-Holstein, vom 13. Juni und...
in der Provinz Hessen-Nassau vom 11. Juni 1890. (Ges.-S. No. 36
S. 497—499).
Der wesentliche Inhalt der Zusätze ist, dafs die Ansiedelungsgenehmigung ver-
sagt werden kann, wenn gegen die Ansiedelung von dem Besitzer eines unter dem zu
besiedelnden Grundstückes oder in dessen Nähe belegenen Bergwerkes Einspruch mit der
Begründung erhoben wird.
„a) daß durch den Betrieb des Bergwerkes in absehbarer Zeit Beschädigungen
der Oberfläche des zu besiedelnden Grundstückes eintreten können, denen im Inter-
esse der persönlichen Sicherheit und des öffentlichen Verkehrs durch bergpolizei-
lich anzuordnendes Stehenlassen von Sicherheitspfeilern vorzubeugen sein würde,
1) daß die wirtschaftliche Bedeutung des uneingeschränkten Abbaues der
Mineralien die der Ansiedelung überwiegt.“
Für den dem Grundeigentum durch die Versagung der Ansiedelungsgenehmigung
zugefügten Schaden wird nach den Bestimmungen der Z2 148—151 des Allgemeinen
Berggesetzes vom 24. Juni 1865 Schadenersatz geleistet.
Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche
Vom 20. September. (Ges.-S. No. 31 S. 177—249.)
Gesetz vom 21. September, über die freiwillige Gerichts-
barkeit. (Ges.-S. No. 31 S. 249 — 284.)
Ausführungsgesetz zum Reichsgesetze vom 17. Mai 1898,
betr. Aenderungen der Civilprozeßordnung. Vom 22. Sep-
tember. (Ges.-S. No. 31 S. 284—290.)
Ausführungsgesetz zum Reichsgesetz über die Zwangs-
versteigerung und die Zwangsverwaltung. Vom 23. Sep-
tember. (Ges.-S. No. 31. S. 291—303.)
Ausführungsgesetz zum Handelsgesetzbuche. Vom
24. September. (Ges.-S. No. 31 S. 307—306.)
Gesetz vom 27. September, enthaltend die landesgesetzlichen
Vorschriften über die Gebühren der Rechtsanwälte und der
Gerichtsvollzieher. (Ges.-S. No. 31 S. 317—323.)
Gesetz vom 28. September, betr. die Kirchenverfassung der
evangelischen Kirche im Konsistorialbezirke Frankfurt a. M.
(Ges.-S. No. 35 S. 457—464; ebendas. S. 465—495; Kirchengemeinde-
und Synodal-Ordnung für die evangelischen Kirchengemeinschaften des
Konsistorialbezirkes Frankfurt a. M.)
Gesetz vom 3. Oktober, zur Abänderung des Gesetzes, betr.
die Landesbank in Wiesbaden, vom 20. August 1883. (Ges.-S.
No. 37 S. 507 f.)
Einziger Artikel. Art. I Abs. 2 des Gesetzes vom 20. August 1883 wird
urch folgende Bestimmung ersetzt.
.,.$7 Abs. 2. Aus den Ueberschüssen sowie aus den etwaigen außerordent-
lichen Einnahmen ist ein Reservefonds zu bilden, welcher mindestens bis zur
60 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Höhe von 2 Proz. der Verbindlichkeiten zu bringen ist, und welcher dazu dieni
etwa rückständige Amortisationsbeiträge, Zinsen und Kosten vorzuschießen un«
etwaige Ausfälle zu decken. Auch der Betrag, um welchen dieser Fonds gegen-
wärtig 2 Proz. der Verbindlichkeiten der Bank übersteigt, darf demselben nur
zu den vorstehend angegebenen Zwecken entnommen werden. Der Reservefonds,
welchem, bis er die angegebene Höhe erreicht hat, seine eigenen Zinsen zuwachsen,
darf nur in Schuldverschreibungen, welche von dem Deutschen Reiche oder von
einem deutschen Bundesstaate mit gesetzlicher Ermächtigung ausgestellt sind, oder
in re ar deren Verzinsung von dem Deutschen Reiche oder von
einem deutschen Bundesstaate gesetzlich garantiert ist, oder in Rentenbriefen der
zur Vermittelung der Ablösung von Renten in Preußen bestehenden Rentenbanken,
oder in Schuldverschreibungen, welche von deutschen kommunalen Korporationen
(Provinzen, Kreisen, Gemeinden u. s. w.) oder von deren Kreditanstalten ausgestellt
und entweder seitens der Inhaber kündbar sind oder einer regelmäßigen Amorti-
sation unterliegen, belegt werden.
Bekanntmachung der Texte
des Preußischen Reichskostengesetzes (Ges.-S. No. 32
S. 326—373),
der Gebührenordnung für Notare (ebendas. S. 374—480),
des Gesetzes, enthaltend die landesgesetzlichen Vor-
schriften über die Gebühren der Rechtsanwälte und der
Gerichtsvollzieher (ebendas. S. 381—387) und
des Ausführungsgesetzes zur Civilprozeßordnung
(ebendas. S. 388—390) in der vom 1. Januar 1900 an geltenden Fassung,
Vom 6. Oktober. (Ges.-S. No. 32 S. 225.)
Bekanntmachung des Textes des Gesetzes, betr. das Verfahreu
inAuseinandersetzungsangelegenheiten, in der vom 1. Januar
1900 ab geltenden Fassung. Vom 10. Oktober. (Ges.-S. No. 34 S. 403;
der Text des Gesetzes ebendas. S. 404—422.)
Verordnung vom 13. November, betr. das Grundbuchwesen.
(Ges.-S. No. 38 S. 519—543.)
Verordnung vom 15. November, betr. das V erwaltungszwangs-
verfahren wegen Beitreibung von Geldbeträgen. (Ges.-8.
No. 39 S. 545—561.)
Verordnung vom 16. November, zur Ausführung des Bürger-
lichen Gesetzbuches. (Ges.-S. No. 39 S. 562—564.)
Gesetz vom 25. November, betr. die ärztlichən Ehrenge-
richte, das Umlagerecht und die Kassen der Aerztekammern,
(Ges.-S. No. 40 S. 565—578.)
Gesetz vom 4. Dezember, betr. die Fürsorge für die Witwen
und Waisen der Lehrer an öffentlichen Volksschulen. (Ges.-S.
No. 42 S. 587—593.)
Verordnung vom 20. Dezember, betr. den G üterstand bestehender
Ehen. (Ges.-S. No. 44 S. 607—610.)
II. Herzogtum Anhalt.
Gesetz vom 6. März, betr. die Stellung der Mitglieder der
Herzoglich Anhaltischen Jägerbrigade und die Ausübung der Dis- |
ciplinarstrafgewalt über dieselben. (Ges.-S. 16. Bd. No. 1027 S, 3—5.)
Nationalökonomische Gesetzgebung. 61
Die Wachtmeister und Jäger gehören fortan nicht mehr zu den Personen des Sol-
datenstandes, sondern sind als Staatsbeamte anzusehen, welche der Disciplinarstrafge-
walt der Civildienstbehörden unterstehen; doch behält der Kommandeur eine beschränkte
Disaplınarstrafbefugnis.
Gesetz vom 17. März, betr. das Pfandleihgewerbe (Ges.-S. 16.
Bd. No. 1030 S. 15—21.)
$1. Der Pfandleiher . .. darf sich an Zinsen nicht mehr ausbedingen oder
zahlen lassen als
a) 2 Proz. für jeden Monat von Darlehnsbeträgen bis zu 30 M.
b) 1 Proz. für jeden Monat, soweit das Darlehen den Betrag von 30 M.
übersteigt.
3. Das Ausbedingen oder Annehmen jeder weiteren Vergütung für das
Darlehen oder für die dem Pfandleiher aus der Pfandbestellung erwachsenden
Leistungen, insbesondere für die Ausstellung des Pfandscheins, für die Eintragung
in das Pfandbuch und für die Aufbewahrung und Erhaltung des Pfandes, sowie
das Vorausnehmen der Zinsen ist verboten.
Die übrigen 22 enthalten die üblichen Bestimmungen über die Rechte und Pflichten
des Pfundleihers, über den Verkauf des Pfandes durch Versteigerung, u. 8. w.
Gesetz vom 21. März, betr. die Befreiung der Civilstaats-
diener von den Witwenkassen-Leistungen. (Ges.-S. 16. Bd.
No. 1032 S. 27— 29.)
Die Leistungen der Civilstaatsdiener, welche auf Grund früherer Verordnungen
und Gesetze betr. die Witwen- und Waisenkasse der Herzoglichen Civilstaatsbeamten zu
entrichten waren, werden vom 1. Juli 1899 unbeschadet des an diese Leistungen ge-
knüpften Anspruchs auf Witwen- und Waisengeld nicht mehr erhoben.
Gesetz vom 21. März, betr. die Abänderung des mit dem Ge-
setz No. 916 vom 15. März 1894 erlassenen Normal-Besoldungs-
tarifs der etatsmälig angestellten Verwaltungs- und Justiz-
beamten mit Ausschluß der Richter. (Ges.-S. 16. Bd. No. 1033 S. 31
—33; dazu Bekanntmachung vom 16. April, betr. die Redaktion des
Gesetzes vom 16. April 1887, betr. die Feststellung des Dienstein-
kommens der Verwaltungsbeamten und der Justizbeamten mit Ausschluß
der Richter, ebendas. No. 1037 S. 47—56.)
Festsetzung veränderter Gehaltssätze; für die vortragenden Räte im Staatsmini-
terium, die Vorsitzenden der oberen Verwaltungsbehörden und den obersten Landesforst-
beamten je 7000—10400 M., für andere höhere Verwaltungsbeamte je 3000—7500 M.,
für Kreisdirektoren 4000—6500 M.
Gesetz vom 21. März, betr. die Abänderung des mit dem Ge-
setz No. 917 vom 15. März 1894 erlassenen Normal-Besoldungs-
tarifs der etatsmäligen richterlichen Beamten bei dem Land-
APA und den Amtsgerichten. (Ges.-S. 16. Bd. No. 1034
. 35 f.)
Das Gehalt des Landgerichtsprüsidenten und des Landgerichtsdirektors steigt vom
1. Juli 1899 ab von Klasse zu Klasse nach 3 (früher 4) Jahren.
‚. Gesetz vom 21. März, betr. die Zwangserziehung Minder-
jähriger. (Ges.-S. 16. Bd. No. 1035 S. 37—41.)
$ 1. Minderjährige können auf Anordnung des Vormundschaftsgerichts zum
Zwecke der Erziehung in einer geeigneten Familie oder in einer Erziehungs- oder
Besserungsanstalt untergebracht werden :
l. wenn die Voraussetzungen des $ 1666 oder des $ 1838 des Bürger-
lichen Gesetzbuches vorliegen,
2. wenn der Minderjährige vor Vollendung des 12. Lebensjahres eine
62 Nationalükonomische Gesetzgebung.
strafbare Handlung begangen hat und die Zwangserziehung zur V
hütung weiterer sittlicher Verwahrlosung erforderlich ist,
3. wenn beim Belassen des Minderjährigen in den bisherigen Erziehun;
verhältnissen sein völliges sittliches Verderben zu befürchten ist ur
zur Verhütung desselben die Zwangserziehung notwendig erscheint.
$ 13. Wer Minderjährige, welche zur Zwangserzichung in einer Erziehung-
oder Besserungsanstalt oder in einer Familie untergebracht sind, der Zwangser
ziehung vorsätzlich entzieht oder zur Selbstbefreiung anstiftet oder denselben zur
Selbstbefreiung durch Rat oder That wissentlich Hilfe leistet, wird mit Geldstrafe
bis zu 150 M. oder mit Haft bestraft.
Gesetz vom 16. April, betr. den Vertragsbruchinlandwirt-
schaftlichen Arbeitsverhältnissen. (Ges.-S. 16. Bd. No. 1036
S. 43—45.)
$ 1. Landwirtschaftliche Arbeiter, welche widerrechtlich den Antritt der Ar-
beit verweigern oder die Arbeit verlassen, werden mit Geldstrafe bis zu 30 M. oder
mit Haft bis zu 10 Tagen bestraft.
Die Bestrafung tritt nur auf Antrag des Arbeitgebers ein. Der Antrag ist
nur zulässig, wenn er innerhalb einer Woche nach Begehung der strafbaren Hand-
lung gestellt wird. Die Zurücknahme des Antrags ist zulässig.
S 2. Wenn landwirtschaftliche Arbeiter widerrechtlich den Antritt der Arbeit
verweigern oder die Arbeit verlassen, so ist die zwangsweise Zuführung derselben
durch die Polizeibehörde des Arbeitsortes auf den Antrag des Arbeitgebers zulässig.
Der Antrag muß innerhalb einer Woche nach dem vertragsmäßigen Antrittstage
oder nach dem Verlassen der Arbeit gestellt werden.
Die Kosten der zwangsweisen Zuführung fallen dem vertragsbrüchigen Ar-
beiter zur Last. Auf Verlangen der Polizeibehörde hat jedoch der Antragsteller
einen angemessenen Kostenvorschuß zu leisten. Die Polizeibehörde kann die Aus-
neue der Zwangsmaßregel von der Zahlung des Kostenvorschusses abhängig i
machen.
$ 3. Wer landwirtschaftliche Arbeiter zur widerrechtlichen Verweigerung des
Antritts der Arbeit oder zum widerrechtlichen Verlassen der Arbeit verleitet, wird
mit Geldstrafe bis zu 150 M. oder mit Haft bis zu 6 Wochen bestraft. Derselbe
ist dem Arbeitgeber für den daraus entstehenden Schaden verantwortlich; er haftet
neben dem Arbeiter als Gesamtschuldner.
S 4 Wer landwirtschaftliche Arbeiter, von denen er weiß, daß sie bei einem
anderen Arbeitgeber widerrechtlich den Antritt der Arbeit verweigert oder die Ar-
beit verlassen haben, für einen Zeitraum in Arbeit nimmt, wo die vertragsbrüchigen
Arbeiter dem anderen Arbeitgeber zur Arbeit verpflichtet sind, wird mit Geldstrafe
bis zu 150 M. oder mit Haft bis zu 6 Wochen bestraft.
$ 5. Arbeitgeber, welche widerrechtlich die Annahme landwirtschaftlicher Ar-
beiter beim Antritt des Arbeitsverhältnisses verweigern oder solche Arbeiter aus
der Arbeit entlassen, ohne denselben die vertragsmäßige Vergütung zu gewähren,
wird mit Geldstrafe bis zu 60 M. oder mit Haft bis zu 14 Tagen bestraft.
Die Bestrafung tritt nur auf Antrag des Arbeiters ein. Der Antrag ist nur
zulässig, wenn er innerhalb einer Woche nach Begehung der strafbaren Handlung
gestellt wird. Die Zurücknahme des Antrags ist zulässig.
$ 6. Landwirtschaftliche Arbeiter, welche ihre Arbeitgeber zu gewissen Hand-
lungen oder Zugeständnissen in Bezug auf den bestehenden Arbeitsvertrag dadurch
zu bestimmen suchen, daß sie die Einstellung der Arbeit oder die Verhinderung
derselben bei einzelnen oder mehreren Arbeitgebern unter einander verabreden,
werden mit Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft. Die Anstifter unterliegen der
gleichen Strafe, auch wenn sie keine landwirtschaftlichen Arbeiter sind.
Gesetz vom 20. April, betr. die Abänderung des Gesetzes
über das Kostenwesen in Verwaltungssachen vom 15. April
1880. (Ges.-S. 16. Bd. No. 1043 S. 137 f)
Abänderung der Gebührentaxren für Ehelichkeits- und Volljührigkeitserklärungen,
Verleihung der Rechtsfähigkelt an Vereine, Genehmigung von Stiftungen.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 63
Ausführungsgesetz zur Grundbuchordnung vom 20. April.
Ges.-S. 16. Bd. No. 1044 S. 139 — 144.)
Gesetz vom 20. April, betr. die Abänderung der Gebühren-
ordnung für Notare vom 22. Mai 1897. (Ges.-S. 16. Bd. No. 1045
S. 145 f.), dazu Bekanntmachung vom 25. September, betr. die Re-
daktion der Gebührenordnung für Notare (ebendas. No. 1060 S. 325
— 334).
Gesetz vom 20. April, betr. die Abänderung des Gesetzes
über die Urkunden-Stempelsteuer vom 22. Mai 1897. (Ges 8.
16. Bd. No. 1046 S. 147—152; dazu Bekanntmachung vom 19. Juni,
betr. die Redaktion des Urkunden-Stempelsteuertarifs; ebendas. No, 1053
S. 221—256).
Gesindeordnung. Vom 21. April. (Ges.-S. 16. Bd. No. 1047
8. 153—170.)
Gesetz vom 21. April, betr. den Ersatz von Wildschaden.
Ges.-S. 16. Bd. No. 1048 S. 171—176.)
Gesetz vom 20. April, betr. die Abänderung des Anhaltischen
Gerichtskostengesetzes No. 985 vom 22. Mai 1897. (Ges.-S.
16. Bd. No. 1050 S. 189—2183); dazu Bekanntmachung vom 25. Juli,
betr. die Redaktion des Gerichtskostengesetzes. (Ges.-S. 16. Bd. No. 1055
S. 261—312.) i
Bergpolizei-Verordnung vom 1. Dezember, für die Braun-
kohlen-Briketfabriken im Herzogtum Anhalt. (Ges.-S. 16. Bd.
No. 1065 S. 351—363.)
Bestimmungen über die Bauart der Fabriken, die Verhinderung von Kohlenstaub-
ansammlungen und Kohlenstaubentzündungen, Beleuchtungsanlagen, Verwendung von
elektrischen Starkstromen, Arbeiterstuben und Badeeinrichtungen, u. s. w.
Verordnung vom 18. Dezember, betr. das Grundbuchwesen.
'Ges.-S. 16. Bd. No. 1068 S. 369—373.)
III. Grossherzogtum Baden.
Gesetz vom 12. April, die Zwangsvollstreckung wegen
öffentlich-rechtlicher Geldforderungen betr. (Ges.- u. Ver-
ordn.-Bl. No. 11 S. 111—113; dazu Verordnung vom 30. Oktober, eben-
as. No. 35 S. 510—515.)
$ 1. Wegen öffentlich-rechtlicher Geldforderungen findet die Zwangsvoll-
streckung auf Grund von Verordnungen der zuständigen Verwaltungsbehörden
statt:
a) gegen den Schuldner,
b) gegen dessen allgemeine und besondere Rechtsnachfolger,
c) gegen denjenigen, der sich gegenüber der mit der Festsetzung oder der Ein-
ziehung der Forderung betrauten Behörde zur Entrichtung des Forderungsbetrags
achriftlich verpflichtet hat.
Die 22 2—5 enthalten Bestimmungen über die Ausführung der Zwangsvollstreckung
nach Mafsqabe der betreffenden Vorschriften der Civilprozefsordnung.
$ 6. Dieses Gesetz tritt gleichzeitig mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch, soweit
es sich jedoch auf die Zwangsvollstreckung in Grundstücke und diesen gleichstehende
Berechtigungen (Civilprozeßordnung $ 864) durch Zwangsversteigerung und Zwangs-
verwaltung bezieht, für jeden Grundbuchbezirk mit dem Zeitpunkt in Kraft, in dem
das Grundbuch als angelegt anzusehen ist.
-=
64 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Gesetz vom 6. Mai, die Besteuerung des Grundstücks-
verkehrs (Verkehrssteuer) betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 15 S. 133
— 147.)
$ 1. Der Verkehrssteuer unterliegt der Erwerb des Eigentums an im Groß-
herzogtum gelegenen Grundstücken durch entgeltliches Rechtsgeschäft oder durch
Zuschlag in einer Zwangsversteigerung.
$ 4. Die Verkehrssteuer beträgt 2'/, Proz. des allgemeinen Werts (Verkaufs-
wert) des Gegenstandes des Erwerbs.
Beim Erwerb durch entgeltliches Rechtsgeschäft werden die von dem Er-
werber zum Zweck des Erwerbs übernommenen Leistungen, beim Erwerb in einer
Zwangsversteigerung wird der Betrag des Meistgebots unter Hinzurechnung des
Wertes der vom Ersteher übernommenen Leistungen regelmäßig als dem gemeinen
Wert des Gegenstandes entsprechend angesehen. Der Steuerbehürde bleibt es vor-
behalten, wenn Grund zur Annahme vorliegt, daß der gemeine Wert höher ist,
die Steuer nach dem wirklichen gemeinen Wert festzusetzen . . .
$ 5. Beim Erwerb durch Tausch wird die Verkehrssteuer nach dem Wert der-
jenigen von einem der Tauschenden hingegebenen Gegenstände bezw. . . . über-
nommenen Leistungen berechnet, die den höheren Wert haben.
Beim Tausch ım Großherzogtum gelegener gegen außerhalb desselben gelegene
Grundstücke ist für die Steuerberechnung nur der Wert der ersteren . . . maß-
gebend.
Persönlich befreit bleiben nach 2 33 von der Verkehrssteuer die Erwerbungen des
badischen Fiskus, der Gemeinden und Kreise, juristischer Personen, die Zwecke der Wohl-
thätigkeit, oder des Unterrichts, oder religiöse Zwecke verfolgen, der Kranken-, Unjall-,
Invaliditäts- und Altersversicherungsanstalten, Erwerbungen von Aktiengesellschaften u.
dgl., welche bezwecken, unbemittelten Familien gesunde, billige Wohnungen zu verschaffen,
Erwerbungen der Kinder von den Eltern, eines Ehegatten von dem andern, des Konkurs-
schuldners aus der Konkursmasse u. 8. w.
Gesetz vom 8. Mai, die Besteuerung des Wandergewerbe-
betriebes betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 13 S. 117—125; dazu
Verordnung vom 18. Mai, ebendas. No. 16 S. 150 und zwei Verordnungen
vom 12. Juni, ebendas. No. 20 S. 186—199.)
$ 1. Personen, welche im Großherzogtum ein Gewerbe im Umherziehen be-
treiben, wozu nach der Gewerbeordnung und den bundesrätlichen Ausführungs-
bestimmungen ein Wandergewerbeschein erforderlich ist, haben für die Ausübung
dieses Gewerbebetriebs die Wandergewerbesteuer nach Vorschrift dieses Gesetzes
zu entrichten.
Die nach diesem Gesetze Steuerpflichtigen sind, insoweit sie der Wander-
gewerbesteuer unterliegen, von der Veranlagung zur Gewerbe- und Einkommen-
steuer befreit.
$ 2. Wer ein der Wandergewerbesteuer unterliegendes Gewerbe ausüben will,
ist verpflichtet, dasselbe alljährlich vor Eröffnung des Betriebs behufs Entrichtung
der Steuer bei der zuständigen Steuerbehörde anzumelden . . .
$ 3. Die Wandergewerbesteuer ist nach dem anliegenden Tarif zu bemessen.
Die Festsetzung derselben erfolgt für das Kalenderjahr, bei Wanderlagern jedoch
für je 7 Tage.
Betreibt der Steuerpflichtige mehrere unter verschiedene Tarifnummern fallende
Wandergewerbe, so ist er mit jedem derselben besonders zur Steuer heranzuziehen.
“ällt jedoch der Betrieb unter verschiedene Abteilungen der nämlichen Tarif-
nummer, so kommt nur der Steuersatz der höheren Abteilung zur Anwendung.
Der Betrag der Steuer wird innerhalb des im Tarif gegebenen Rahmens nach der
Art, dem Umfang und der mutmaßlichen Einträglichkeit des Gewerbebetriebs be-
messen.
Sofern ein Steuerpflichtiger nachgewiesenermaßen das Wandergewerbe auf
Rechnung eines Dritten ausübt, welcher der inländischen Gewerbe- und Ein-
kommenbesteuerung hiefür unterliegt, so ist hierauf bei Bemessung der Höhe der
Wandergewerbesteuer Rücksicht zu nehmen.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 65
$ 4. Die Wandergewerbesteuer ist in dem ganzen angesetzten Betrage vor Be-
ginn des Betriebs zu entrichten.
Steuerpflichtigen, welche im Großherzogtum ihre Hauptniederlassung haben,
kann auf Ansuchen die Entrichtung der Steuer in der Weise gewährt werden, daß
ein Viertel derselben vor Beginn des Betriebs und, falls sie den Betrieb über diese
Termine fortsetzen wollen, je ein Viertel auf 1. April, 1. Juli und 1. Oktober des
betr. Jahres zu zahlen ist. Wird in diesem Falle eine Rate nicht rechtzeitig ein-
bezahlt, so ist bis zu deren nachträglicher Entrichtung die Ausübung des Ge-
werbebetriebs nicht zulässig.
§ 8. Wanderlager (Tarif No. 3) sind solche Unternehmungen, in welchen
außerhalb des Gemeindebezirks des Wohnorts des Unternehmers ohne Begründung
einer gewerblichen Niederlassung und außerhalb des Meß- und Marktverkehrs von
einer festen Verkaufsstelle aus vorübergehend Waren — gleichviel ob zum Ver-
kauf aus freier Hand oder im Wege der Versteigerung — feilgeboten werden.
Durch die Verlegung des Wohnsitzes an den Betriebsort oder durch die
polizeiliche Anmeldung des Betriebs als stehenden Gewerbes ($ 14 Gewerbeordnung)
wird der Inhaber eines Wanderlagers von der Entrichtung der Wandergewerbe-
steuer nicht befreit, wenn die obwaltenden Umstände erkennen lassen, daß die
Verlegung des Wohnsitzes oder die polizeiliche Anmeldung zur Verdeckung des
Wanderlagerbetriebs erfolgt ist.
Handelsgewerbe für den Kleinverkauf in stehenden Lagern, bei welchen die
ewerbliche Niederlassung und die Wiedereinstellung des Betriebs innerhalb eines
itraums von 6 Monaten erfolgt, sind nachträglich wie Wanderlager zu besteuern,
e sei denn, daß die Einstellung des Betriebs ra? von dem Willen des Steuer-
pflichtigen unabhängige Verhältnisse veranlaßt worden wäre . ..
$ 9. Als Wanderlager gelten nicht:
a) Der Verkauf von Ausstellungsgegenständen auf öffentlichen, von der zu-
ständigen Behörde genehmigten Ausstellungen;
b) der Verkauf von gepfändeten Waren durch Pfändungsbeamte (Gerichts-
vollzieher), sofern nicht die ee der Zwangsvollstreckung lediglich zur Umgehung
der Besteuerung nach diesem Gesetze gewählt worden ist. In dem letzteren Falle
ist sowohl der Gläubiger als der Schuldner zur Anmeldung und richtigen Ver-
steuerung des Betriebes verpflichtet.
$ 10. Wanderlager sind für jede Verkaufsstelle, auch wenn mehrere derselben
innerhalb des gleichen Orts gelegen sind, gesondert zur Versteuerung heranzuziehen.
Die Anmeldung zur Steuer hat für jede Verkaufsstelle nicht nur vor Beginn
des Geschäftsbetriebs, sondern, wenn derselbe über die angemeldete Dauer fort-
gesetzt wird, auch vor Ablauf des Zeitabschnitts, für welchen die Steuer entrichtet
war, zu erfolgen. Die angesetzte Steuer ist in allen Fällen vor dem Beginne, be-
EAT AA der Fortsetzung des Betriebs in ihrem ganzen Betrage zu ent-
richten . ..
Ergänzungen des Warenvorrats während des Zeitraumes, für welchen die Steuer
entrichtet ist, sind gleichfalls umgehend anzumelden. Ein hierauf etwa festgesetzter
Mehrbetrag der Steuer ist sofort nach der Anforderung zu bezahlen.
Der Bteuervetwaltüng steht es zu, den Verkaufswert der Warenvorräte durch
Sachverständige schätzen zu lassen und die Abgabe nach dem abgeschätzten Wert
anzusetzen. Die Kosten der Schätzung fallen dem Inhaber des Wanderlagers zur
Last, wenn der geschätzte Wert den angemeldeten nur 10 Proz. oder mehr übersteigt.
$ 12, 13. Strafbestimmungen.
$ 17. Von dem Erträgnisse der im Laufe des Kalenderjahres erhobenen
Wandergewerbesteuer und der wegen Zuwiderhandlungen gegen dieses Gesetz voll-
zogenen Geldstrafen sind 30 Proz. der Kasse desjenigen Kreisverbandes, innerhalb
dessen die Steuern erhoben, bezw. die Geldstrafen erkannt worden sind, zu über-
weisen und von den nach $ 43 des Verwaltungsgesetzes auf die Gemeinden des
Kreises auszuschlagenden Umlagen in Abzug zu bringen.
Der Tarif besteuert: 1) Hausiergewerbe und Handlungsreisende: Abteilung A.
Handel mit Pferden, Rindvieh und Schweinen mit einem jährlichen Steuersatze von 30
bis 600 M., Abteilung B. Handel mit Kurz- und Galanteriewaren, Tuchwaren, Tabak,
Cigarren, Papier- und Schreibmaterialien, Gemälden u. 8. w., mit 12—180 M., Abteilung
C. Alle sonstigen Hausiergewerbe mit 3—86 M. 2) Musikaufführungen und Schaustel-
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 5
66 Nationalökonomische Gesetzgebung.
lungen mit 12—120, beziehungsweise 8—36 M. 3) Wanderlager in Städten von mehr
als 20000 Einwohner mit 60 M. für je 7 Tage des Betriebs und je 10000 M. Gesamt-
wert der Waren, in Städten von 4000—20 000 Einwohnern mit 45 M., in allen übrigen
Orten mit 80 M.
Gesetz vom 18. Mai, die Aufbesserung gering besoldeter
Pfarrer aus Staatsmitteln betr. (Ges.- und Verordn.-Bl. No. 14
s. 128—132; dazu Verordnung vom A. Juni, ebendas. No. 17 S. 157 f.)
Gesetz vom 19. Mai, die Rechtsverhältnisse der Richter
betr. (Ges.- und Verordn.-Bl. No. 16 S. 149 f.)
SL Richterliche Beamte, welche das 65. Lebensjahr zurückgelegt haben,
oder vor dem 1. Januar 1900 zurücklegen, und welche vor dem 1. September 1899
um ihre Zuruhesetzung spätestens au 1. Januar 1900 nachsuchen, erhalten von
der Zuruhesetzung bis zum 31, Dezember 1902 das volle bisherige Diensteinkommen
als Ruhegehalt . . -
§ 2. Vom 1. Januar 1903 an wird der Ruhegehalt auf den höchsten, nach
§ 35, Abs. 3 des Beamtengesetzes zulässigen Betrag festgesetzt.
Gesetz vom 30. Mai, die Aenderung des Verwaltungs-
rechtspflegegesetzes betr. (Ges.- und Verordn.-Bl. No. 17 S. 151
—155; dazu Bekanntmachung vom 16. November, enthaltend die vom
1. Januar 1900 an in Kraft befindliche Fassung des Gesetzes die Ver-
waltungsrechtspflege betr., ebendas. No. 39 S. 543—562.)
eils durch die Reichsgesetze vom 17. Mai 1898;
Die Aenderungen sind gröfstent
sordnung und betr.
betr. Aenderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafproze]
Aenderungen der Civilprozejsordnung hervorgerufen.
Gesetz vom 3. Juni, das Abdeckereiwesen betr. (Ges.- und
Verordn.-Bl. No. 17 s. 155—157.)
Die Gemeinden eines Amtsbezirks sind verpflichtet, eine dem Bedürfnis entsprechende
Anzahl von Abdeckereien, welchen gefallene Tiere oder unschädlich zu machende Tier-
kadaver von den Besitzern zu überweisen sind, zu errichten und sich zu diesem Zwecke
je nach Bestimmung des Bezirksrats zu Verbünden zu vereinigen; die jährlich er-
wachsenen Kosten werden von dem Bezirksrate nach Mafsgabe des bei der letzten Tier-
zühlung festgestellten Viehbestandes auf die einzelnen Gemeinden verteilt. Die Verbände
werden durch Kommissionen von 8—5 Gemeindemitgliedern vertreten, deren Beschlüsse
bei Erwerb und Veräufserung vor Liegenschaften und dinglichen Rechten, bei der Auf-
nahme von Anlehen und bei der Uebernahme von Verpflichtungen im Werte von über
200 M. der Genehmigung des Bezirksrats bedürfen.
Gesetz vom 5. Juni, die Aenderung des Gehaltstarifs betr.
(Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 18 S. 161 £)
Vom 1. Januar 1900 an beziehen die Notare ihr Diensteinkommen wesentlich in
der Form von Gehalt, daneben einen zunächst durch Verordnung, nach Ablauf von
10 Jahren aber durch Gesetz festzusetzenden Anteil an den Gebühren für diejenigen
Geschäfte, bei welchen den Beteiligten die Wahl des Notars überlassen ist.
Gesetz vom 14. Juni, die Erbschafts- und S chenkungssteuer
betr. (Ges. u. Verordn.-Bl. No. 19 5. 165—182; dazu Verordnung vom
8. Dezember, ebendas. No. 50 S. 829— 863.) j
§ 1. Der Erbschaftssteuer unterliegt :
1. Der Anfall von Vermögen von Todeswegen; als solc
yon Vermächtnissen zur Vergeltung geleisteter Dienste (remunera
mächtnisse) ;
9, der Anfall von Familien- oder Stammgut; |
3. der Anfall von Bezügen aus einer Familienstiftung infolge Todesfalls an den
stiftungsgemäß oder gesetzlich Berufenen.
$ 3. Die Erbschaftssteuer beträgt vom Wert des Anfalls:
>
her gilt auch der Anfall
torische Ver-
Nationalökonomische Gesetzgebung. 67
1. bei Anfällen an Eltern des Erblassers 1 Proz.;
2. bei Anfällen an Voreltern des Erblassers von Beträgen bis 5000 M. 1 Proz.
über 5000 M. 2 Proz.;
3. bei Anfällen an Geschwister und Abkömmlinge von Geschwistern des
Erblassers bis 3000 M. 3 Proz., über 3000 M. 4 Proz.;
4. bei Anfällen:
a) an andere Seitenverwandte des Erblassers bis zum vierten Grad (ein-
schließlich),
? b) an Stiefkinder und deren Abkömmlinge, sowie an Stiefkinder des Erb-
e an Schwiegerkinder und Schwiegereltern des Erblassers,
d) bei Anfällen, die ausschließlich zu milden (wohlthätigen), gemeinnützigen
oder sonstigen Öffentlichen Zwecken bestimmt sind, insofern solche nicht einzelne
Familien oder bestimmte Personen betreffen und die wirkliche Verwendung zu dem
bestimmten Zweck gesichert ist, 6 Proz.;
5. bei Anfällen an sonstige Personen 10 Proz. ...
Durch 3 4 werden von der Erbschaftssteuer befreit: die 100 M. nicht übersteigenden,
sowie die zur sofortigen Verteilung unter Arme bestimmten Anfälle, ferner Abkömmlinge
und Ehegatten des Erblassers, sowie dessen Eitern, falls kein Elternteil mehr als
10000 M. erhält; der badische Fiskus, Gemeinden, Kreisen u. dgl., juristische Per-
sonen für Anfälle zu Zwecken der Wohlthätigkeit, des Unterrichts oder der Religion oder
zur Durchführung der Kranken-, Unfall-, Invaliditäts- und Altersversicherung, endlich
Personen aus dem Hausstand und Dienstverhältnis des Erblassers für Anfälle nicht über
1000 M.
Analoge Bestimmungen über die Höhe des Steuersatzes und die Befreiungen gelten
auch für die Schenkungssteuer (8 47, 48).
Gesetz vom 15. Juni, die Gerichts- und Notarskosten in
Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit betr. (Ges.-
u. Verordn.-Bl. No. 21 S. 201—228.)
Gesetz vom 17. Juni, die Ausführung des Bürgerlichen
Gesetzbuchs betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 22 S. 229—248, 1022 A
dazu Verordnung vom 11. November, ebendas. No. 38 S. 521—542.)
Gesetz vom 17. Juni, die freiwillige Gerichtsbarkeit und
das Notariat betr. (Ges. u. Verordn.-Bl. No. 23 S. 249-966; dazu
Verordnung vom 23. November, ebendas. No. 14 S. 665—743.)
Gesetz vom 18. Juni, die Ausführung des Reichsgesetzes
über die Zwangsversteigerung und die Zw angsverwaltung
und der Civilprozeßordnung betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 24
S. 267—272.)
Ausführungsgesetz zur Grundbuchordnung vom 19. Juni
(Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 24 S. 273—282.)
Wassergesetz vom 26. Juni. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 26
S. 309—358); dazu Verordnungen vom 8. Dezember, ebendas. No. 52
S. 897—947.)
Enteignungsgesetz vom 26. Juni. (Ges.- u. Verordn.- Bl.
No. 27 S. 359—378); dazu Verordnung vom 29. Dezember, ebendas.
No. 57 S. 1021.
Bekanntmachung vom 30. Juli, enthaltend das Gesetz betr. das
Hinterlegungswesen, in der vom 1. Januar 1900 an geltenden
Fassung. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 29 S. 393—405; Verordnung dazu
vom gleichen Datum, ebendas. S. 405—-429.)
Bekanntmachung vom 14. August, enthaltend das Gesetz, die
pt
68 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Rechtsverhältnisse der Dienstboten betr., in der vom 1. Januar
1900 an geltenden Fassung. (Ges.- u. Verordn.-Bl. S. 432—437.)
Verordnung vom 14. September, die Führung akademischer
Würden betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 33 S. 485 f.)
$ 1. Badische Staatsangehörige, denen von einer Hochschule außerhalb des
Deutschen Reiches (nach dem 1. September 1899) akademische Würden verliehen
werden, bedürfen zur Wee dieser Würden der Genehmigung des Ministeriums
der Justiz, des Kultus und Unterrichts.
Bekanntmachung vom 26. September, enthaltend das Gesetz vom
21. Juli 1839 über die Verjährung öffentlicher Abgaben in
der vom 1. Januar 1900 an geltenden Fassung. (Ges.- u. Verordn.-Bl.
No. 33 S. 493 f.)
Gerichtsvollzieherordnung vom 16. November. (Ges.- u.
Verordn.-Bl. No. 40 S. 563—580.)
IV. Königreich Bayern.
Verordnung vom 12. Januar, die Ausführung des Art. 1 des
Gesetzes vom 12. Mai 1898 — Gesetz- und Verordnungsblatt
S. 225 — betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 3 S. 21—23; dazu Be-
kanntmachung vom 15. Januar, ebendas. S. 23—25, ferner: Satzungen
des Unterstützungsvereins für die Hinterbliebenen der Offiziere, Sanitäts-
offiziere und oberen Beamten des Kgl. Bayerischen Heeres, ebendas.
S. 25—36; und Bekanntmachung vom 1. März, ebendas. No. 11 S. 79.)
Verordnung vom 4. Juni, die gewerblichen Verhältnisse
der Hebammen betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 34 S. 413—416 mit
Beilage: Gebührenordnung, dazu Bekanntmachung vom 9. Juli, mit
„Dienstanweisung für die Hebammen“, ebendas. No. 34 S. 416—428.)
Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche
vom 9. Juni. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 28 Beilage S. 1—82.)
Gesetz vom 9. Juni, Uebergangsvorschriften zum Bürger-
lichen Gesetzbuche betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 28 Beilage
S. 88—124.)
Ausführungsgesetz zu der Grundbuchordnung und zu
dem Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangs-
verwaltung. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 28 Beilage S. 125—136.)
Notariatsgesetz vom 9. Juni. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 28
Beilage S. 187—166; dazu Verordnung vom 22. Dezember, ebendas.
No. 63 S. 1205—1218.)
Gesetz vom 9. Juni, Aenderungen des Gesetzes über das
Gebührenwesen betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 28 Beilage S. 167
—216; dazu Verordnung vom 28. Dezember, die Notariatsgebühren-
ordnung betr., ebendas. No. 63 S. 1183—1205.)
Gesetz vom 9. Juni, die Kosten der durch die Einführung
des Bürgerlichen Gesetzbuches und seiner Nebengesetze ver-
anlaßten Justizbauten und ihrer inneren Einrichtung betr. (Ges.-
u. Verordn.-Bl. No. 28 Beilage S. 217—222.)
Nationalökonomische Gesetzgebung. 69
Für die durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches und seiner Neben-
gesetze veranlafsten Justizbauten wird ein Kredit von 12726810 M. eröffnet, der nur
bie zum Betrage von 310800 M. durch die Erlöse alter Gerichtsgebäude gedeckt wird,
mit dem Restbetrage von 12416510 M. durch ein Anlehn aufzubringen ist.
Gesetz vom 9. Juni, die Versetzung von Richtern in den
Ruhestand betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 28 Beilage S. 223 f.).
Art. 1. Richter, welche das 65. Lebensjahr vollendet haben oder vor dem
1. Januar 1900 vollenden werden, bleiben bis zum Ablaufe von 3 Jahren nach ihrer
Versetzung in den Ruhestand im Bezuge der nichtpragmatischen Gehaltszulage,
wenn sie auf ein vor dem 16. September 1599 eingereichtes Gesuch in den dauernden
Ruhestand versetzt werden.
Art. 2. Dem nach Maßgabe des Art. 1 in den Ruhestand versetzten
Richter, der, wenn er im Dienst geblieben wäre, innerhalb des Zeitraumes von
3 Jahren nach der Versetzung in den Ruhestand... in den Gehalt einer höheren
Dienstaltersklasse vorrücken würde, kann auf seinen Antrag statt des Bezugs der
nichtpragmatischen Gehaltszulage vom Zeitpunkte des Eintritts in den Ruhestand
an die der höheren Dienstaltersklasse entsprechende Alterszulage als Bestandteil
des Ruhegehalts bewilligt werden.
Gesetz vom 9. Juni, die Ablösung der Steuer-, Umlagen-
und Zollfreiheit der Standesherren betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl.
No. 28 Beilage S. 225 £.).
Art. 1. Die den Standesherren auf Grund der Bestimmungen in den §§ 53,
55 u. 56 der IV. Verfassungsbeilage für sich und ihre Familien zustehende Freiheit
von Steuern, Gemeindeumlagen, Zoll- und Weggeld wird mit Wirkung vom
1. Januar 1900 an aufgehoben.
Art. 2. Für die Aufhebung genannter Vorrechte wird den Standesherren
auf Anmeldung eine Entschädigung aus der Staatskasse in einmaliger Kapitals-
abfindung nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen gewährt.
Art. 3. Bei der Berechnung der Entschädigung für die einzelnen Standes-
herren wird der Jahreswert der nach Art. 1 aufgehobenen Steuer-, Gemeindeum-
lagen- und Zollfreiheit zu Grunde gelegt.
Dieser Jahreswert wird ermittelt, wie folgt:
1) In Bezug auf die Haussteuerfreiheit ist die auf das Steuerjahr 1900 für
die bisher steuerfreien Schloßgebäude der Standesherren rechtskräftig angelegte
Haussteuer maßgebend,
2) In Bezug auf die Personalsteuerfreiheit die auf das Steuerjahr 1900 rechts-
kräftig angelegte Einkommensteuer für die bisher steuerfreien Einkommensbezüge
des Standesherrn und der Familienmitglieder desselben,
3) Für die mit der Haussteuer der von dem Standesherrn bewohnten Schloß-
gebäude in Zusammenhang stehenden Gemeindeumlagen die auf das Jahr 1900
treffende Gemeindeumlage, dagegen für die im $ 55 der IV. Verfassungsbeilage
bezeichneten Gemeindeumlagen der Durchschnittsbetrag der Jahre 1890—1899 ein-
schließlich, wobei die etwaigen Vorteile der Standesherren aus dem Gemeindever-
bande, wie andererseits die nach Art. 50 Abs. 4 der Gemeindeordnung für die
Landesteile diesseits des Rheins den Landesherren etwa zustehende Befreiung von
Gemeindediensten außer Betracht bleiben.
4) Für die Zollfreiheit der Durchschnittsbetrag der in den Jahren 1890—1899
einschließlich auf Grund der Bestimmung in $ 29 lit. c des Zollgesetzes vom
17. November 1837 den Standesherren aus der bayerischen Staatskasse zurückver-
güteten Zollgebühren.
Der 18fache Betrag des in solcher Weise ermittelten Jahreswertes bildet die
den Standesherren zu gewährende Entschädigung.
Gesetz vom 9. Juni, die Einkommensteuer betr. (Ges.- u.
Verordn.-Bl. No. 28 Beilage S. 227—258; dazu: Bekanntmachung vom
10. August, ebendas. No. 41 S. 525—590.)
Das nicht bereits der Grund-, Haus-, Gewerb- oder Kapitalrentensteuer unter-
liegende Einkommen in Geld, Geldeswert oder geldeswertem Nutzgenusse a) aus Lohn-
70 Nationalökonomische Gesetzgebung.
arbeit, b) aus wissenschaftlicher oder künstlerischer Beschäftigung, der Verdienst der
Bezirksgeometer, Gerichtsvollzieher, Steuer- und Gemeindeeinnehmer, Aichmeister u. dergl.,
c) das Einkommen aus gepachteten Oekonomiegütern mit selbständigen Wirtschafts-
gebüuden, sowie aus der Verpachtung von Gewerben, d) das Einkommen aus Be-
soldungen, Dienstemolumenten, Pensionen u. 8. w. der öffentlichen Beamten, sowie der
Privatbediensteten, e) das Einkommen aus Widdumen, Präbenden, Austrägen, Leibrenten
u. dergl., ist der Einkommensteuer unterworfen.
Art. 5. Die jährliche Einkommensteuer wird nach folgenden Klassen angelegt :
Klasse Einkommen Steuer
1 bis zu 500 M. 50 Pf.
2 über soo bis zu 750 M. 1 M.
3 » 750 » » 900 ,;, Zon
4 LE] 900 » 31 1050 HI H ”
5 » 1050 HI HI 1200 ”„ 4 LE
6 ” 1200 HI MI 1400 LE] 5 >
7 »”1 1400 „ HI 1600 » 6 LL]
8 LA 1600 HI » 1800 HI 8 LI)
9 HI 1800 HI HI 2000 19 10 LA]
10 y (2000! a -ÿ: 2200... CM
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17 ” 4200 UI DI 4600 UI 40 HI
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20 LE] 5500 HI n 6000 DI 57 DI
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23 » 7000 wn 7500 „ 80 „
24 LU) 7500 HI ” 8000 UI 90 Ui
25 HI 8000 HI HI 8500 39 100 21
26 HI 8500 LE HI 9000 39 112 HI
27 HI 9000 UI "E 9500 UI) 124 LE
28 LE 9500 HI ” 10 000 n 136 LE
29 HI 10 000 HI UI T I 000 DI 150 UI
30 » 11000 ay ,, 12000 „ 165 „
31 an 12000 wn a 13-000 — 180 „
32 » 13000 „ ;, 14000 , 200 ,„
Die Steuer steigt bei einem höheren Einkommen von mehr als 14000 bis
einschließlich 22000 M. in Klassen von 1000 M. um je 20 M., von mehr als
22000 M. bis 34000 M. in Klassen von 1000 M. um je 30 M., von mehr als
34000 M. bis 41000 M. in Klassen von 1000 M. um je 40 M., von mehr als
41000 M. bis 50000 M. in Klassen von 1000 M. um je 50 M. Bei einem Ein-
kommen von mehr als 50000 M. bis einschließlich 51000 M. beträgt die Steuer
1500 M., bei höherem Einkommen steigen die Klassen um je 1000 M. und es be-
trägt die Steuer jeweils 3 Proz. desjenigen Einkommens, mit welchem die voraus-
gehende Klasse endet.
Nach Art. 18 sind von der Einkommensteuer befreit: Die Gemeinden, die An-
stalten und Stiftungen für Kultus, Wohlthätigkeit und Unterricht, die Stifts- und Spar-
kassen unter behördlicher Aufsicht, die Unterstützungs-, Pensions-, Kranken-, Sterbe- und
Leichenkassen, die in Bayern beglaubigten Missionen, die Konsuln auswärtiger Slaaten,
die Angehörigen des aktiven Heeres, Personen unter 18 Jahren hinsichtlich ihres Arbeits-
verdienstes, weibliche Personen mit einem Gesamteinkommen von unter 700 M., Witwen,
geschiedene oder verlassene Ehefrauen, vaterlose Minderjährige, sowie erwerbsbeschränkte
Personen hinsichtlich ihrer Pensionen und Alimentationen oder sonstiger Bezüge aus
Nationalökonomische Gesetzgebung. 71
irgendwelchen Unterstützungs- und Versicherungskassen, welche zusammen den Jahres-
betrag von 1200 M. nicht übersteigen; Stipendien für Unterricht, Bildung, wissenschaft-
liche oder künstlerische Zwecke; Personen, welche aus öffentlichen Fonds oder seitens
der Armenpflege Unterstützungen empfangen.
Die übrigen Paragraphen betreffen u. a. das Verfahren bei Anlage der Ein-
kommensteuer, die Rechtsmittel gegen die Einsteuerung, die Steuerperioden — von 4 zu
4 Jahren findet eine neue Steueranlage statt — Strafbestimmungen, Kosten des Ver-
fahrens u. 8. w.
Gesetz vom 9. Juni, die Kapitalrentensteuer betr. (Ges.- u.
Verordn.-Bl. No. 28 Beilage S. 259—274; dazu Bekanntmachung vom
10. August, ebendas. No. 42 S. 591—617).
Art. 1. Die Kapitalrentensteuer ist zu entrichten:
a) von Zinsen oder Renten aus Reichs- und Staatsanlehen, dann aus Anlehen
der Gemeinden und anderer öffentlicher Verbände; ferner von Zinsen oder Renten
aus Prioritäten und Pfandbriefen, Hypothekenforderungen, Grundschulden, Renten-
schulden und Bodenzinskapitalien, sodann von Zinsen aus Abrechnungs- und
Kontokorrentguthaben, Sparkasseguthaben, Dienst- und anderen Kautionen, Hinter-
legungsgeldern, Vorschüssen, Kaufschillings- und Handscheinforderungen oder
sonstigen verzinslichen Kapitalanlagen ;
bı von den Zinsen, Renten und Dividenden aus Aktien oder Geschäftsanteilen
von Unternehmungen jeder Art, welche für Rechnung von Aktiengesellschaften
oder für Rechnung von Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften betrieben
werden, ohne Rücksicht darauf, ob das betreffende Unternehmen in Bayern
oder anderswo einer anderweitigen Steuer unterliegt ;
c) von den Zinsen, welche in unverzinslichen Zielforderungen, Wechseln,
Schatzscheinen und anderen unverzinslichen Kapitalforderungen thatsächlich in-
begriffen sind.
Art. 2. Die Anlage der Kapitalrentensteuer erfolgt in nachstehenden Sätzen:
mit IL Proz. bei einer Jahresrente von mehr als 70 bis 100 M.
LA 2 MI HI Hi HI n LA UI 100 LL 400 H
D 21}, LE) 39 LA 39 HU 31 HI 400 LA 700 LL
Du 3 LA EAJ DI » 19 HI » 700 H 1000 LA
LL 3, MI 39 H LL n LA DI 1000 UI 30 000 LL
m 3%, UI LO LL MI 39 » HI 30 000 LU 100 000 HI
LL 4 Hi Le DI DI n” II LE über 100 000 ”
Für die Steuerberechnung werden nur durch 10 M. teilbare Rentenbeträge
in Ansatz gebracht.
Teilbeträge der Kapitalrente von 5 M. und darüber werden auf den nächst
höheren, mit 10 ohne Rest teilbaren Betrag aufgerundet, bis zu 5 M. bleiben die-
selben außer Ansatz.
Art. 3... Als Zinsen von Kapitalanlagen der unter Art. 1 lit. c angegebenen
Art sind, insoweit nicht ein anderer Zinsertrag nachweisbar gemacht werden kann,
3 Proz. des Nennwertes der Kapitalforderung zu berechnen.
Nach Art. 4 sind von der Kapitalrentensteuer befreit: Der Staat, die in Bayern
beglaubigten Missionen, die Konsuln auswärtiger Staaten, die Anstalten für Wohlthätig-
keit oder Unterricht, die Hilfs- und Sparkassen unter behördlicher Aufsicht; die Unter-
stützungs-, Pensions-, Kranken-, Sterbe- und Leichenkassen, genossenschaftliche Darlehens-
kassen, deren Kapitalrenten für gemeinnützige Zwecke bestimmt sind; die Zinsen der
gemäss Z 21 des Finanzgesetzes vom 26. Mai 1892 an die unmittelbaren Städte und
Distriktsgemeinden des Königreichs überwiesenen Kapitalien; Anstalten und Gesell-
schaften, welche fremdes Kapital in Erwerbsgeschäften verwalten, deren Rente an die
Teilnehmer verabfolgt und von diesen versteuert wird; der Rentenertrag des Gewerbe-
Inhabers aus den in seinem Gewerbe angelegten Betriebskapitalien; Witwen, geschiedene
oder verlassene Ehefrauen, vaterlose Minderjährige, erwerbsbeschränkte Personen bei
einem Gesamteinkommen von nicht mehr als 700 M. und einer Kapitalrentensteuer von
nicht mehr als 400 M.
Die übrigen 23 betreffen das Verfahren bei Anlage der Kapitalrentensteuer, die
72 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Rechtsmittel gegen die Veranlagung, die Steuerperioden — von 2 zu 2 Jahren unter-
liegt die Kapitalrentensteuer einer allgemeinen neuen Feststellung — Strafbestimmungen,
Kosten des Verfahrens u. 8. w.
Gesetz vom 9. Juni, die Gewerbesteuer betr. (Ges.- u. Verordn.-
Bl. No. 28 Beilage S. 275—364; dazu Bekanntmachung vom 27. August,
ebendas. No. 44 5. 623—817.)
Bekanntmachung des Textes des ersten Abschnittes des Ge-
setzes zur Ausführung der Reichs-Civilprozeßordnung
und Konkursordnung. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 33 S. 401— 412.)
Auf Grund des Art. 179 des Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche
vom 9. Juni 1899 wird der durch dieses und frühere Gesetze veränderte Tert bekannt
gemacht.
Bekanntmachung vom 30. Juli, die Redaktion der Gesetze
über Heimat, Verehelichung und Aufenthalt, über die öffent-
liche Armen- und Krankenpflege und über die Flurbereinigung
betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 40 S. 469—524.)
Wie bei dem vorhergehenden Gesetze.
Bekanntmachung vom 11. November, die Redaktion der Ge-
setze über die Erbschaftssteuer und das Gebührenwesen betr.
(Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 55 S. 889— 972.) |
Wie bei dem vorhergehenden Gesetze.
Gesetz vom 12. Dezember, die Fortsetzung der Grundent-
lastung betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 58 S. 1003 f.)
Art. 1. Der durch Art. 11 Abs. 1 des Gesetzes vom 2. Februar 1898, die
Fortsetzung der Grundentlastung betr.'!), gegründete Amorstisationsfond wird um
den weiteren Betrag von 9 Mill. M. verstärkt...
Art. 2. I. Die Abs. 1 und 4 des Art. 25 des Gesetzes vom 2. Februar 1898
. erhalten folgende Fassung:
Abs. 1. Das k. Staatsministerium der Finanzen wird ermächtigt, an den jähr-
lichen Leistungen zur Staats- und Ablösungskasse bedürftigen Pflichtigen auf An-
suchen in unverschuldeten Unglücksfällen oder bei unverhältnismäßi hoher Be-
lastung des Grundbesitzes mit Bodenzinsen einen angemessenen Nachlaß zu
gewähren.
Abs. 4. Die Summe der Nachlässe soll zur Staats- und Ablösungskasse den
Betrag von jährlich 500000 M. nicht übersteigen. Der in einem Jahre unverwen-
dete Rest dieser Summe ist übertragbar und kann in späteren Jahren verwendet
werden.
II. Dem Art. 25 des Gesetzes vom 2. Februar 1898 . . . sei folgender Abs. 5
beizufügen:
Das k. Staatsministerium der Finanzen wird ermächtigt, auch in anderen als
in den in Art. 25 Abs. 2 des Gesetzes vom 2. Februar 1808... bezeichneten
Fällen mit den Grundgefällspflichtigen eine Ablösung auf einen geringeren Kapi-
talsbetrag zu vereinbaren und zu diesem Zwecke insoferne die gemäß Abs. 4 zur
Verfügung gestellten Mittel durch die auf Grund des Abs. 1 und 2 gewährten
Nachlässe an Bodenzins- und Kapitalsbeträgen erschöpft sind, einen weiteren jähr-
lichen Betrag bis zu 500000 M. zu verwenden.
Gesetz vom 15. Dezember, Staatsbeihilfe für die durch die
jüngsten Hochwasser Geschädigten betr. (Ges.- u. Verordn.-
Bl. No. 58 S. 1005 f.)
Aus Anlass der durch die Ueberschwemmungen im September 1899 verursachten
grofsen Verheerungen wird eine aujserordentliche staatliche Beihilfe im Betrage von
1) Vergl. Jahrb. f. Nationalökon. 3. F. Bd. 17 (72) 8. 798 f.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 73
5650000 M. zur Verfügung gestellt, aus welchem Beiträge von 3 Mill. M. ohne Verpflich-
tung zur Rückzahlung (in Oberbayern bis 1955000 M., in Niederbayern bis 1025000 M.,
in der Oberpfalz bis 11000 M. und in Schwaben bis 9000 M.) und von 2650000 M.
gegen Rückzahlung als unverzinsliche oder gering verzinsliche Darlehen gewährt
werden können.
Gesetz vom 15. Dezember, die Ausführung des Invaliden-
versicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899 betr. (Ges.- u. Ver-
ordn.-Bl. No. 58 S. 1006 f.; dazu Verordnung vom 14. Dezember, eben-
das. No. 58 S. 1008—1013.)
Verordnung vom 16. Dezember, die Gerichtsvollzieherord-
nung betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 59 S. 1015—1027; dazu Ver-
ordnung vom gleichen Datum, die Vorschriften über die Gebühren der
Gerichtsvollzieher betr., ebendas. S. 1028—1031.)
Verordnung vom 18. Dezember, das gerichtliche Hinter-
legungswesen betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 60 S. 1033—1046.)
VII. Reichsland Elsass-Lothringen.
Gesetz vom 13. Februar, betr. die Disziplin der Richter.
(Gesetzbl. No. 2 S. 3—14.)
Die Bestimmungen des Gesetzes, betr. die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten,
vom 31. März 1878, finden sinngemäfse Anwendung auf die dienstlichen Verhältnisse
der Richter in Elsafs-Lothringen.
Gesetz vom 17. April, betr. die Ausführung des Bürgerlichen
Gesetzbuchs in Elsaß-Lothringen. (Gesetzbl. No. 6 S. 43—78.)
Gesetz vom 26. September, betr. Pensionsbestimmungen für
Richter. (Gesetzbl. No. 13 S. 113 f.)
Gesetz vom 1. November, betr. das Hinterlegungswesen und
den Geschäftskreis der Staatsdepositenverwaltung. (Gesetzbl.
No. 15 S. 143—147.)
$ 1. Hinterlegungsstelle für die gesetzlich angeordnete oder gestattete Hinter-
legung von Geld, Wertpaniären, sonstigen Urkunden und Kostbarkeiten ist die
Kasse der Staatsdepositenverwaltung.
Das Ministerrum bezeichnet an sämtlichen Amtsgerichtssitzen außerhalb
Straßburg Landeskassen, welche für Rechnung der Staatsdepositenverwaltung
Hinterlegungen entgegenzunehmen haben. Die Verpflichtung zur Annahme von
Hinterlegungen kann bezüglich gewisser Gegenstände beschränkt werden. Die
Ueberga er zu hinterlegenden Gegenstände an die Kassen hat die gesetzliche
Wirkung der Hinterlegung.
ei Die Hinterlegung von Geld hat in Zahlungsmitteln zu erfolgen, welche
bei den Staatskassen in Zahlung anzunehmen sind. Nicht kassenmäßiges Geld
ist anzunehmen, wenn der Hinterlegende erklärt, daß er durch die angebotenen
Geldsorten die Verbindlichkeit, von welcher er sich befreien will, erfüllen kann.
In diesem Falle ist, sofern der Hinterlegende nicht anders bestimmt, das nicht
kassenmäßige Geld in kassenmäßiges umzusetzen; der Staatsdepositenverwaltung
gegenüber gilt nur der Reinertrag als hinterlegt. Soll die Aufbewahrung der Geld-
sorten in Natur erfolgen, so finden die Bestimmungen über Hinterlegung von
Kostbarkeiten Anwendung.
$ 4. Das hinterlegte Geld geht in das Eigentum der Staatsdepositenver-
waltung über. Die näheren Bestimmungen über die Verzinsung, die Sätze des
ZinsfuBes, den Beginn, die Unterbrechung des Zinsenlaufs, ferner die Fälle, in
denen nicht erhobene Zinsen bezüglich der Verzinsung als neue Einlagen zu gelten
haben, werden durch kaiserliche Verordnung erlassen.
74 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Die Staatsde sitenverwaltung haftet dem zum Empfan des Geldes ]
rechtigten für das apital zu dem interlegten Betrage und für die Zinsen.
$ 5. Hinterlegte Wertpapiere, Urkunden und ostbarkeiten werden unv
ändert aufbewahrt . » -
§ 6. Bei Hinterlegung von Wertpapie 2, 1525, 16
1814, 1818 des Bürgerlichen Gesetzbuches hat die Staatsdepositenverwaltung £
die Einlösung der gekündigten oder ten Wertpapiere insoweit Sorge z
tragen, als die Kündigung oder Auslosung während der Dauer der Hinterlegun
im Deutschen Reichsanzeiger veröffent
8 7. Allgemeine Bestimmungen über die Gebühren.
8. Die Herausgabe hinterlegter Gegenstände erfolgt auf Antrag. Der An-
bei der Staatsdepositenverwaltung ZU
$
Wei ist schriftlich oder zu Protokoll
stelle:
erhalb 10 Tagen
m.
Sofern keine Hindernisse bestehen, hat die Herausgabe inn
vom Eingang des Antrages an zu erfolgen; anderenfalls sind die Hinderungsgründe
innerhalb dieser Frist mitzuteilen.
g 9. Die Herausgabe darf, sofern nicht Pfändungen oder einstweilige Ver-
fügungen zu Gunsten ritter entgegenstehen, nicht verweigert werden,
1. wenn durch vollstreckbare gerichtliche Entscheidung unter den Beteiligten die
Berechtigung zur Empfangnahme festgestellt oder durch Beschluß des zu-
ständigen Gerichts die Rückgabe angeordnet und Beschwerde nicht mehr zu-
lässig oder erfolglos geblieben ist;
2, wenn der Antrag sich auf Anordnung einer zuständigen Behörde oder auf
eine von dieser ausgestellte Anweisung gründet ; À
i ung als beteiligt be-
die Einwilligun dieser Personen
t
3, wenn der Antrag von sämtlichen bei der Hinterle
t ist oder
nachgewiesen
zeichneten . . . Personen gestell
gurdi öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden
wird...
Hat die Herausgabe nach Maßgabe der vorstehenden Bestimmungen statt-
efunden, so kann die Staatsdepositenverwaltung auf Grund angeblichen besseren
Rechtes zum Empfang nicht in Anspruch genommen werden.
12. Ist über Kostbarkeiten innerhalb 10 Jahren vom Tage der Hinter-
legung ab eine Verfügung nicht getroffen worden, so kann die Efaatsdepositen-
verwaltung den freihändigen Verkauf derselben veranlassen. Der Erlös, von
welchem die Verkaufs- un Aufbewahrungskosten ZU kürzen sind, wird wie hinter-
legtes Geld weiter verwaltet.
Der Hinterleger und die bei der Hinterlegung als beteiligt bezeichneten . +
Personen sind von dem beabsichtigten Verkauf mindestens 3 Monate vorher IAE
e sind, Ein-
eingeschriebenen Briefes zu benachrichtigen, damit sie in der
wendungen gegen d bringen. Ueber Einwendungen ent-
7 enselben zur Gatunr zu r
scheidet das Ministerium. Die Benachrichtigung arf unterbleiben, wenn sie un-
thunlich ist.
Auf die gemäß SS 1818, 1667 des Bürgerlichen Gesetzbu
Hinterlegungen finden die vorstehenden Bestimmungen nur mit der Maßgabe An-
ß der Verkau 5 Jahren seit Beendigung der
wendung, da f nicht vor Ablauf von 9
Vormundschaft oder der elterlichen Gew
g 13. Hat innerhalb 30 Jahren eine Her
funden und sind seit der letztmaligen Erhebung
Hinterlegungsgebühren 90 Jahre verflossen, SO könn
ches erfolgenden
der Zinsen oder Entrichtung der
en die Beteiligten, soweit sie
nicht kraft des Gesetzes mit ihren Ansprüchen gegenüber der Staatsdepositenver-
waltung ausgeschlossen sind, im Wege des gerichtlichen Aufgebotsverfahrens aus-
rar, werden. Die 30-jährige Frist BEST mit dem Tage der Hinterlegung.
ür das Verfahren ist das Amtsgericht Straßburg zuständig.
In den Fällen des $ 382, des $ 1171 Abs. 3 und de g 1269 Satz 3 des
Bürgerlichen Gesetzbuches sowie der $$ 117 Abs. 2, 120, 121, 124, 126, 142 des
Reichsgesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung kann dem
Schuldner oder Hinterleger gegenüber das Ausschlußurteil frühestens ein
nach dem Zeitpunkte, mit welchem das Recht des Gläubigers auf den hinterlegten |
Betrag erloschen ist, erlassen werden. Mit dem Erlaß des AusschluBurteils gelten `
die Ansprüche der Beteiligten aus der Hinterlegung gegenüber der Staatsdepositen- |
verwaltung als erloschen.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 75
Für Urkunden, welche nicht Wertpapiere sind, findet ein Aufgebot nicht statt.
Sind die Voraussetzungen des Abs. 1 gegeben, so können die Urkunden nach An-
ordnung des Amtsgerichts Straßburg vernichtet werden. Vor der die Vernichtung
anordnenden Verfügung sind die Beteiligten, wenn thunlich, zn hören.
Verordnung vom 1. November, betr. die Regelung der Zu-
ständigkeit in den Fällen der $$ 1723, 1745, 1322 des Bürger-
lichen Gesetzbuches. (Gesetzbl. No. 16 S. 172 f.)
$1. Die Erteilung der Ehelichkeitserklärung an ein uneheliches Kind nach
$ 1723 des Bürgerlichen Gesetzbuches ei durch Ee des Statthalters.
Desgleichen steht dem Statthalter die Bewilligung der Befreiung von den für
die Annahme an Kindesstatt in $ 1744 enthaltenen Erfordernissen zu.
$2. Die Bewilligung der nach den $$ 1303, 1312, 1313 zulässigen Befreiung
von dem Erfordernisse der Ehemündigkeit der Frau, von dem Ehehindernisse des
Ehebruches und von der Wartezeit wird durch das Ministerium erteilt.
$3. Die Bewilligung der nach $ 1316 zulässigen Befreiung von dem Auf-
bote geschieht durch den Ersten Staatsanwalt bei dem Landgerichte, in dessen
Bezirke die Ehe geschlossen werden soll.
Gesetz vom 6. November, betr. die Ausführung des Reichs-
gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichts-
barkeit. (Gesetzbl. No. 15 S. 117—136.)
Gesetz vom 6. November, betr. die Ausführung der Grund-
buchordnung vom 24. März 1897. (Gesetzbl. No. 15 S. 137—142.)
Gesetz vom 13. November, betr. die Ausführung der Civil-
prozeßordnung und der Konkursordnung sowie das Rechts-
mittel der Kassation. (Gesetzbl. No. 16 S. 157—161.)
Gesetz vom 13. November, betr. die Ausführung des Reichs-
gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangs-
verwaltung. (Gesetzbl. No. 16 S. 162—172.)
Gesetz vom 29. November, betr. den Güterstand der zur Zeit
des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuches bestehenden
Ehen. (Gesetzbl. No. 17 S. 233 f.)
Gesetz vom 29. November, betr. die Aufhebung von Landes-
gesetzen. (Gesetzbl. No. 17 S. 235—244.)
Aufzählung von 138 Ordonnanzen, Verordnungen, Gesetzen u. s. w., welche nun-
mehr aujser Kraft treten.
Gesetz vom 4. Dezember, betr. die Notariatsgebühren.
(Gesetzbl. No. 17 S. 222 f.; der Text der Gebührenordnung ebendas.
S. 223—233.)
Gerichtskostengesetz für Elsaß-Lothringen. Vom 6. De-
zember. (Gesetzbl. No. 17 S. 175—222.)
Verordnung vom 6. Dezember, betr. die Vereine und Stiftungen.
(Gesetzbl. No. 17 S. 245 f.)
Verordnung vom 17. Dezember, betr. die Uebertragung der
Rechte und Pflichten von Landesbeamten an die Beamten
der Landesversicherungsanstalt. (Gesetzbl. No. 18 S. 287.)
Auf Grund des § 98 des Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899
wird hierdurch bestimmt :
$ 1. Auf die bei der Landesversicherungsanstalt Elsaß-Lothringen und ihren
Organen im Hauptamt beschäftigten Bureau-, Kanzlei- und Unterbeamten finden
die Bestimmungen über die Rechtsverhältnisse der Landesbeamten sinngemäße An-
wendung mit folgenden Maßgaben:
76 Nationalökonomische Gesetzgebung.
1) die Anstellung erfolgt durch den Vorsitzenden des Vorstandes der Landes-
versicherungsanstalt, welche die vorgesetzte Behörde bildet;
2) hinsichtlich der vermögensrechtlichen Ansprüche der Beamten aus ihrem
Dienstverhältnis tritt an Stelle der Landeskasse die Landesversicherungsanstalt.
Verordnung vom 19. Dezember, betr. die Verzinsung der bei
der Staatsdepositenverwaltung eingezahlten Gelder. (Gesetzbl.
No. 19 S. 251 — 253.)
& 1. Gelder, welche kraft gesetzlicher Anordnung oder Ermächtigung hinter-
legt sind ($ 1 des Gesetzes, betr. das Hinterlegungswesen ... vom 1. November
1899) werden unbeschadet der Bestimmung des nachfolgenden $ 3 mit 2 Proz.
verzinst.
Der Zinsenlauf beginnt vom 60. Tage nach der Einzahlung ab.
Die Verzinsung endigt mit dem der Bereitstellung zur Rückzahlung vorher-
en Tage. at die Auszahlung des bereitgestellten Betrages innerhalb
Ionatsfrist nicht stattgefunden, so tritt vom Ablauf dieser Frist ab die Wieder-
verzinsung ein.
Eine Verzinsung der gutgeschriebenen Zinsen findet nicht statt.
$2. Die gemäß der Vorschriften über die Disciplin des Notariats von den
Notaren eingezahlten Gelder werden mit 3 Proz. verzinst ...
$ 3. Die als Amts- und Zeitungskautionen hinterlegten Gelder werden mit
3 Proz. verzinst ...
$5. Alle sonstigen bei der Staatsdepositenverwaltung eingezahlten Gelder
mit Ausnahme der Gelder der Hilfsgenossenschaften, deren Zinsfuß sich nach
dem Gesetz vom 12. Mai 1897 richtet, werden mit 3 Proz. verzinst.
Verordnung vom 27. Dezember, betr. das Verfahren und die
Kosten in einzelnen auf den Personenstand Bezug habenden An-
gelegenheiten. (Gesetzbl. No. 19 S. 253—255.)
IX. Grossherzogtum Hessen.
Gesetz vom 15. März, das Notariat betr. (Regierungsbl. No. 8
S. 47—65; dazu Bekanntmachung vom 30. August, ebendas. No. 42
S. 595f. und Gebührenordnung für die Notare, vom 29. November,
ebendas. No. 60 S. 963—980.)
Gesetz vom 16. März, die Anlegung des Grundbuchs betr.
(Regierungsbl. No. 8 S. 65—83.)
Gesetz vom 1. Juli, die Aufbringung der zur Gewährung
von Darlehen aus der Landeskreditkasse erforderlichen Mittel
betr. (Regierungsbl. No. 22 S. 123 f.)
Ermächtigung der Staatsregierung, aufser den in den Gesetzen vom 30. Mai 1894
und 31. März 1897, die Aufbringung der zur Gewährung von Darlehen aus der Landes-
kreditkasse erforderlichen Mittel betr., aufgeführten Staatsanlehen von zusammen
11350000 M. ein weiteres Staatsanlehen im Nennwerte bis zu 10 Mill. M., verzinslich
zu 3'/, Proz. in geeigneten Abschnitten aufzunehmen.
Gesetz vom 12. Juli, die Haftverbindlichkeit der Ge-
meinden in Bezug auf nicht bezahlte Arzneirechnungen
betr. (Regierungsbl. No. 26 S. 279 f.)
Gesetz vom 17. Juli, die Ausführung des Bürgerlichen
Gesetzbuchs betr. (Regierungsbl. No. 24 S. 133—267; dazu Ver-
ordnung vom 14. Oktober, ebendas. No. 51 S. 673—675.)
Gesetz vom 22. Juli, die Ausführung der Grundbuch-
ordnung betr. (Regierungsbl. No. 29 S. 363—378.)
Nationalökonomische Gesetzgebung. 717
Gesetz vom 24. Juli, die Umwandlung und Ablösung von
Reallasten und Dienstbarkeiten betr. (Regierungsbl. No. 30
$. 879—388.)
Art. 1. Die nachstehend bezeichneten Berechtigungen sind abzulösen, wenn
der Pflichtige oder der Berechtigte die Ablösung verlangt:
1) die Zehntberechtigungen, die Teilabgaben von Weinbergen sowie alle Geld-
und Naturalgrundrenten ;
2) die Weideberechtigungen ;
3) die Fronden, einschließlich der Gemeinde- und Amtsfronden;
4) die auf Grundstücken haftenden Reallasten und die Lasten, welche auf
Grundrenten haften oder wegen Ablösung der mit ihnen belastet gewesenen Grund-
renten auf andere Gegenstände übertragen worden sind, sofern die Reallasten oder
Lasten zum Gegenstande haben:
N die Besoldung von Kirchen- und Schuldienern, einschließlich der Natural-
abgaben,
SZ b) die Anschaffung und Unterhaltung von Bedürfnissen für den Kirchen-
und Schuldienst,
c) die Unterhaltung von Kirchen, Kapellen, Pfarr-, Glöckner- und Schul-
häusern,
d) die Anlegung und Unterhaltung von Friedhöfen,
e) die Anschaffung und Unterhaltung von Faselvieh ;
5) alle Abgaben, die auf Grund eines Erbpachtverhältnisses, einer Erbleihe,
Landsiedelleihe oder einer anderen erblichen Leihe geschuldet werden, sofern nicht
a) außer dem Besitzer oder zusammen beliehenen Eheleuten weniger als zwei
Nachfolgeberechtigte vorhanden sind oder
b) das Leihverhältnis auf eine fest bestimmte Anzahl von Generationen be-
schränkt ist.
Art. 2. Der Berechtigte braucht sich die Ablösung eines Rechtes auf Ver-
langen des Pilichtigen nur gefallen zu lassen, wenn die Ablösung aller ihm in
derselben Gemarkung oder gegenüber demselben Verbande zustehenden, im Artikel 1
unter gleicher Nummer genannten Rechte verlangt wird . ..
Art. 4. Der Berechtigte kann die Ablösung nur verlangen, wenn dem Pflich-
tigen das Ablösungskapital zu dem in Art. 16 bestimmten Zinsfuße von der
Staatsschuldenverwaltung dargeliehen werden kann.
Art. 6. Die Ablösungssumme besteht, sofern der Berechtigte sein Recht zu
versteuern hat, in dem 18-fachen, sofern dies nicht der Fall ist, in dem 25-fachen
Betrage des einjährigen Brutto-Geldertrages des abzulösenden Rechtes.
KS der Fiskus der Pflichtige, so tritt an die Stelle des 18-fachen der 21-fache
und an die Stelle des 25-fachen der 29-fache Betrag.
Art. 15. Die Staatsschuldenverwaltung hat, soweit ihr die erforderlichen
Beträge aus Staatsmitteln zu diesem Zwecke zur Verfügung gestellt werden, den
Pflichtigen die für eine von ihnen Den oder ihnen angesonnene Ablösung
erforderliche Ablösungssumme unter den in den Artikeln 16, 17 aufgeführten Be-
dingungen darzuleihen.
Art. 16. Zum Zwecke der Verzinsung und Tilgung der Ablösungssumme haben
die Schuldner eine jährliche Rente (Tilgungsrente) zu entrichten. Die Höhe des
Zinsfußes und des zur Tilgung bestimmten Betrags bestimmt sich nach den für
die Darlehen aus der Tandek AN tas geltenden Vorschriften . ..
Art. 17. Die Grundstücke, welche mit dem abgelösten Rechte belastet waren,
werden mit der Tilgungsrente als Reallast belastet. Zur Begründung und zur
Wirksamkeit der Reallast bedarf es, auch wenn das Grundbuch für die betr.
Gemarkung als angelegt anzusehen ist, nicht der Eintragung.
Insoweit mit dem abgelösten Rechte Grundstücke nicht belastet werden, sind
anderweitige zur Sicherung ausreichende Grundstücke mit der Tilgungsrente zu
asten.
. Der Eigentümer eines mit einer Tilgungsrente belasteten Grundstückes kann
die Rente dadurch ablösen, daß er den rückständigen Teil der Ablösungssumme
auf einmal an die Staatsschuldenverwaltung bezahlt . . .
RS
78 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Bekanntmachung des Textes des Gesetzes, den Ersatz de:
Wildschadens betr., in der vom 1. Januar 1900 an geltender
Fassung. Vom 28. Juli. (Regierungsbl. No. 32 S. 405—408; dazu
Verordnung vom 2. August, ebendas. S. 409—417.)
Gesetz vom 2. August, die Dienstverhältnisse, Ruhegehalte
und Hinterbliebenenversorgung der Staatsbeamten betr.
(Regierungsbl. No. 31 S. 397—400.)
Gesetz vom 2. August, den Gebührenbezug der Steuer-
kommissäre betr. (Regierungsbl. No. 31 S. 401f.)
Bekanntmachung des Textes des Gesetzes, die Gesindeord-
nung betr., in der vom 1. Januar 1900 an geltenden Fassung. Vom
3. August. (Regierungsbl. No. 34 S. 427—436.)
Gesetz vom 12. August, die Abänderung des Einkommen-
steuergesetzes vom 25. Juni 1895 betr. (Regierungsbl. No. 37
S. 461—471; dazu Bekanntmachung vom gleichen Datum, den neu fest-
gestellten Text des Gesetzes, die allgemeine Einkommensteuer betr.,
enthaltend, ebendas. S. 471—497.)
Die drei wichtigsten abgeänderten Artikel lauten :
Art. 2. Der Einkommensteuer unterliegen ferner:
1) Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften
mit beschränkter Haftung und Berggewerkschaften ;
2) eingetragene Genossenschaften, deren Geschäftsbetrieb über den Kreis ihrer
Mitglieder hinausgeht und unter der gleichen Voraussetzung Konsumvereine, die
tsfähigkeit besitzen, und zwar:
a) wenn sie im Großherzogtum ihren Sitz haben;
b) in allen anderen Fällen mit demjenigen Einkommen, welches aus im Groß-
herzogtum belegenem Grundbesitz oder einem im Großherzogtum betriebenen Ge-
werbe herrührt, sofern dieses Einkommen mindestens 500 M. beträgt.
Als steuerbares Einkommen der hiernach steuerpflichtigen Gesellschaften
u. s. w. gelten die Ueberschüsse der Einnahmen über die Ausgaben, soweit die-
selben als Aktienzinsen, Dividenden, Gewinnanteile, oder unter irgend einer sonstigen
Bezeichnung unter die Mitglieder verteilt oder aus dem Jahresgewinn zur Bildung
von Reservefonds, zur Schuldentilgung, zur Amortisation des Grundkapitals oder
zu Verbesserungen und Geschäftserweiterungen verwendet werden ...
Art. 13. Jeder in der ersten Abteilung (mit einem jährlichen Einkommen
von wenigstens 2600 M.) Steuerpflichtige wird .. . zu einer der nachfolgend ver-
zeichneten Einkommens- und Steuerklassen veranlagt...
Klasse Einkommen Steuerbetrag
1 2600 bis ausschließlich 2900 M. 50 M.
2 2900 HI LE 3200 UI 57 HI
3 3200 LEA n 3000 HI 66 LE
4 3600 LL] HI 4000 n 78 DI
5 4000 ” LA 4500 LE 90 ”
6 4500 » II 5000 Hi 106 LL
7 5000 ,, D 5500 ,, 126 ,
8 5500 „ D 6000 - 144 »
9 6000 „, P 6500 „, 160 -
10 6500 HI n 7000 »” 175 DI
11 7000 » n 7500 LL 192 y
12 7500 . y 8000 ,, 210 „
13 8000 LE n 8500 LL 230 H
14 8500 „ D 9000 ,, 250 „ |
15 9000 , SE 9500 „, 270 „
16 9500 LE 39 10000 Di 290 n
17 10000 , Sp 11000 ,, AE
18 11000 ,, = 12000 ,, 350 „
Nationalökonomische Gesetzgebung. 79
und so weiter in der Art, daß je 1000 M. mehr Einkommen je eine weitere Klasse
bedingen, und daß der jährliche Steuerbetrag für je 1000 M. mehr Einkommen
bis ausschließlieh 34000 M. um je 35 M., von da ab bis ausschließlich 41000 M.
um je 40 M., von da ab bis ausschließlich 80000 M. um je 45 M., und von da ab
um je 50 M. wächst.
Art. 48. Jeder in der zweiten Abteilung (mit einem jährlichen Einkommen
von nnter 2000 M.) a A wiid in einer der nachfolgend verzeichneten
Einkommens- und Steuerklassen eingeschätzt:
Klasse Einkommen Steuerbetrag
1 500 bis ausschließlich 600 M. 3 M. — Pf.
2 600 nm DI 750 6 ur ez,
3 750 ;, DI 900 In
4 900 , D 1100 IT or ;
5 1100 ;, » 1300 14 „ 50 ,
6 1300 LE HI 1500 18 LL 50 Di
7 1500 ,„ » 1700 23 » — »
8 1700 ,„ DI 2000 28 gp SE L'
9 2000 ,„ n 2300 33 » 50 ;,
10 2300 ,„ » 2600 39 » — ;,
Gesetz vom 12. August, die Vermögenssteuer betr. (Reg.-Bl.
No. 38 S. 499—520; dazu Verordnung vom 4. November, ebendas.
No, 55 S. 883— 887.)
Art.. 1. Als Ergänzungsteuer zur allgemeinen Einkommensteuer wird nach
Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes eine Vermögenssteuer erhoben. Mit
Einführung der letzteren werden die Grund-, die Gewerbe- und die Kapitalrenten-
steuer als Staatssteuern aufgehoben.
_ Art. 2. Die Vermögenssteuer wird vom gesamten steuerbaren Vermögen des
Steuerpflichtigen, wie es im Veranlagungsverfahren nach Abzug der Schulden fest-
gestellt wird, erhoben.
Art. 5. Als steuerbares Vermögen im Sinne dieses Gesetzes gelten:
1) Grundstücke und Gebäude nebst deren Zubehör, Bergwerkseigentum, sowie
selbständige Rechte, mit denen ein Grundstück oder Gebäude belastet ist, soweit
sie einen in Geld schätzbaren Wert haben;
2) das dem Betriebe der Land- und Forstwirtschaft einschließlich der Vieh-
zucht, des Wein-, Obst- und Gartenbaues, dem Betriebe des Bergbaues oder eines
stehenden Gewerbes dienende Anlage und Betriebskapital ;
3) alles sonstige Vermögen’).
Art. 13. Die Vermögenssteuer beträgt:
bei einem Vermögen von 3000 M. bis ausschließlich 4000 M. jährlich 1 M.
#5 Pf. und steigt bei höherem Vermögen bis ausschließlich 30000 M. für jede an-
gefangenen 1 M. um je 55 Pf. jährlich;
i einem Vermögen von 30000 M. bis ausschließlich 32000 M. jährlich 16 M.
5) Pf. und steigt bei höherem Vermögen bis ausschließlich 60 000 M. für jede an-
gefangenen 2000 M. um je 1 M. 10 Pf. jährlich;
i einem Vermögen von 60000 M. bis ausschließlich 63000 M. jährlich
3 M. und Kon ... bis ausschließlich 90000 M. für jede angefangenen 3000 M.
um je 1 M. 65 Pf. jährlich;
bei einem Vermögen von 90000 M. bis ausschließlich 94000 M. jährlich
49 M. 50 Pf. und steigt . .. bis ausschließlich 150000 M. für jede angefangenen
4000 M. um je 2 M. 20 Pf. jährlich ;
1) Zu diesem gehören nach Art. 8: Kapitalforderungen jeder Art, Aktien- und
Geschäjtsanteile, Kuze und Gesellschaftsanlagen jeder Art, in- und ausländisches bares
Geld, Banknoten und Kassenscheine, mit Ausnahme der aus dem laufenden Jahresein-
kommen des Steuerpflichtigen vorhandenen Beträge, Urheber-, Verlags-, Patent- und
sonstige in Geldwert schätzbare Rechte, Rechte auf Apanagen-, Leib- und andere Renten-
beträge, Leibgedinge u. dgl., mit Ausschlufs der Ansprüche auf Witwen-, Waisen- und
Pensionskassen, aus Kranken-, Unfall-, Invaliditäts- und Altersversicherungen und auf
Pensionen aus früheren Dienstverhältnissen.
— ————mu rin ..
80 Nationalökonomische Gesetzgebung.
bei einem Vermögen von 150000 M. bis ausschließlich 156000 M. jährlich
82 M. 50 Pf. und steigt... .. bis ausschließlich 300000 M. für jede angefangenen
6000 M. um je 3 M. 30 Pf. jährlich;
bei einem Vermögen von 300000 M. bis ausschließlich 310000 M. jährlich
165 M. und steigt . . . für jede angefangenen 10000 M. um je 5 M. 50 Pf. jährlich.
Die übrigen 22 betreffen u. a. das Veranlagungsverfahren, die Rechtsmittel gegen
die Veranlagung und Strafbestimmungen.
Gesetz vom 12. August, die Einführung einer staatlichen
Klassenlotterie betr. (Regierungsbl. No. 39 S. 521 f.; dazu Ver-
ordnung vom gleichen Datum, ebendas. S. 522 f.)
Unter der Bezeichnung ,,Grofsherzoglich Hessische Landeslotterie‘““ wird eine staat-
liche Klassenlotterie, von welcher alljährlich zwei Lotterien veranstaltet werden, ein-
geführt; auch im Falle der Verpachtung des Lotteriebetriebes haftet der Staat für die
Auszahlung der Gewinne; das Spielen in aufserheimischen, nicht mit staatlıcher Ge-
nehmigung im Grofsherzogtume zugelassenen Lotterien wird mit Geldstrafe bis zu 600 M.
bestraft.
Gesetz vom 12. August, die Hundesteuer betr. (Regierungsbl.
No. 39 S. 523 f., dazu: Verordnung vom 4. November, ebendas. No. 55
S. 888—891.)
Die Besitzer von Hunden haben jährlich an den Staat 10 M. Steuer zu entrichten ;
auch den Gemeinden ist gestattet, eine Abgabe bis zu höchstens 10 M. zu erheben ;
steuerfrei sind die Personen, welche gewerbemäfsig Herden hiiten und die Besitzer von
Bauernhüfen und Mühlen, welche mindestens 500 m vom letzten Hause des Ortes ent-
Jernt gelegen sind.
Gesetz vom 12. August, betr. die Abänderung des Gesetzes
vom 30. August 1884, die Erbschafts- und Schenkungssteuer
betr. (Regierungsbl. No. 39 S. 525 f.)
Art. 1. An die Stelle des Art. 7 des Gesetzes vom 30. August 1884...
tritt die folgende Bestimmung:
Die Steuer beträgt, vorbehaltlich der nach Art. 6 stattfindenden Befreiungen
1. Fünf Pfennige von je einer Mark, wenn der Anfall gelangt an:
a) Verwandte der aufsteigenden Linie;
b) Geschwister und Kinder von Geschwistern;
c) Kinder und deren Abkömmlinge, sofern das Verhältnis auf Annahme an
Kindesstatt beruht;
d) uneheliche Kinder aus dem Vermögen des Vaters, sofern die Vater-
schaft erweislich anerkannt ist.
2. Acht Pfennige von je einer Mark, wenn der Anfall gelangt an:
a) Stiefkinder und deren Abkömnlinge;
b) Schwiegerkinder;
c) Stiefeltern, Adoptiveltern, Schwiegereltern ;
d) Oheim, Tanten, Großneffen und Großnichten.
3. Zehn Pfennige von je einer Mark in allen übrigen Fällen.
Gesetz vom 12. August über den Urkundenstempel. (Re-
gierungsbl. No. 40 S. 529 —580.)
Verordnung vom 19. August, die gerichtlichen Hinter-
legungen betr. (Regierungsbl. No. 41 S. 581—590.)
Gesetz vom 19. August, die Feuerbestattung betr. (Re
gierungsbl. No. 41 S. 580—592.)
Art. 1. Die Feuerbestattung ist unter Beobachtung der nachstehenden Vor-
schriften, und, soweit sie nicht außerhalb des Großherzogtums stattfindet, nur in
solchen Anstalten zugelassen, welche auf Grund ortstatutarischer Bestimmungen
errichtet und geleitet werden.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 81
Art. 2. Die Feucrbestattung darf nur erfolgen, wenn sie von dem Ver-
storbenen angeordnet und von der Ortspolizeibehörde des Bestattungsortes schrift-
lich genehmigt worden ist.
Daß der Verstorbene die Feuerbestattung angeordnet hat, muß durch eine
Verfügung desselben von Todeswegen oder durch eine hinsichtlich der Unterschrift
üffentlich beglaubigte Erklärung derselben oder durch das von einer Öffentlichen
behörde beurkundete Zeugnis zweier glaubwürdiger Personen, welche dem Ver-
storbenen im Leben nahe gestanden haben, dargethan werden . . .
Hatte ein Verstorbener zur Zeit seines Todes das 16. Lebensjahr nicht voll-
endet, so kann die Feuerbestattung von dem Inhaber der elterlichen Gewalt durch
Erklärung gegenüber der Ortspolizeibehörde des Sterbeortes angeordnet werden.
Art. 3. Ist den Voraussetzungen des Art. 2 genügt, so kann die daselbst
vorgeschriebene ortspolizeiliche Genehmigung nur erklärt werden, wenn
l) durch übereinstimmende Zeugnisse des behandelnden Arztes und des Amts-
arztes des Amtsgerichts des Sterbeortes die Todesursache festgestellt, und
2) durch diese Zeugnisse und außerdem durch ein Zeugnis der Ortspolizei-
hehörde des Sterbeortes dargethan ist, daß der Verdacht, es sei der Tod durch
eine strafbare Handlung herbeigeführt worden, ausgeschlossen ist.
Art. 5. Wer eine Leiche zum Zwecke der Feuerbestattung außerhalb des
Großherzogtums verbringen will, hat dem Kreisamt des Sterbeortes den Nachweis
der Anordnung des Verstorbenen nach Art. 2 und die im Art. 3 und 4 vorge-
schriebenen Nachweise zu erbringen.
Gesetz vom 30. August, die Städte-Ordnung und die Land-
gemeinde-Ordnung betr. (Regierungsbl. No. 42 S. 593 f.)
Einziger Artikel: Der 3. Abs. des Art. 88 der Städte-Ordnung vom 13. Juni
1674 und des Art. 76 der Landgemeinde-Ordnung vom 15. Juni 1874 werden durch
folgende Bestimmungen ersetzt:
~ Die Prüfung der Rechnung und des Rechenschaftsberichts erfolgt in öffent-
licher Sitzung unter Leitung eines von der Versammlung zu diesem Zwecke aus
Ihrer Mitte erwählten Vorsitzenden. Gleichzeitig mit der Wahl des Vorsitzenden
ist ein Stellvertreter desselben für den Fall seiner Verhinderung zu wählen.
Bürgermeister und Beigeordnete haben, dringende Verhinderungsfälle ausge-
nommen, behufs Erteilung von Auskunft und Aufklärung der Rechnungsprüfung
beizuwohnen, doch ruht hierbei ihr Stimmrecht.
Bekanntmachung des Textes des Gesetzes, die Ausführung der
Deutschen Civilprozeßordnung und Konkursordnung betr,
in der vom 1. Januar 1900 an geltenden Fassung. Vom 22. Sep-
tember. (Regierungsbl. No. 50 S. 638—672.)
Gesetz vom 27. September, die Anstellung und Disziplinar-
verhältnisse der Kreisbeamten betr. (Regierungsbl. No. 47
S. 620—622.)
. Art. 1. Die Beamten des Kreises können unwiderruflich angestellt werden ;
sie sind der Disziplinargewalt des Kreisausschusses unterworfen.
Die übrigen Artikel enthalten die üblichen Bestimmungen über Strafversetzung,
Dienstentlassung u. 8. w.
Bekanntmachung der Texte verschiedener Landesgesetze in der
vom 1. Januar 1900 an geltenden Fassung. Vom 30. September.
Folgende Gesetze werden veröffentlicht:
Gesetz vom 28. September 1887, die Landeskulturgenossen-
schaft betr. (Regierungsbl. No. 52 S. 678—699.)
Gesetz vom 28. September 1890, die Brandversicherungs-
anstalt für Gebäude betr. (ebendas. S. 699—726.)
Gesetz vom 3. März 1859, die Verantwortlichkeit der Ge-
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI: 6
82 Nationalökonomische Gesetzgebung.
meinden für Verletzungen und Beschädigungen infolge von Zu-
sammenrottungen betr. (ebendas. S. 726—729.)
Gesetz vom 13. September 1858, die Familienfideikommisse
betr. (ebendas. S. 729—735.)
Gesetz vom 26. Juli 1884, die Enteignung von Grund-
eigentum betr. (ebendas. S. 735—754.)
Gesetz vom 7. Mai 1849, den Umfang, die Aufhebung, Ver-
wandlung und Ablösung der Weideberechtigungen auf land-
wirtschaftlichem Boden in den Provinzen Starkenburg und Ober-
hessen betr. (ebendas. S. 754—758.)
Gesetz vom 30. Juli 1887, die Bäche und die nicht ständig
fließenden Gewässer betr. (ebendas. S. 758—801.)
Berggesetz vom 28. Januar 1876. (ebendas. S. 801—854.)
Gesetz vom 11. Juni 1887, die Unterbringung jugend-
licher Uebelthäter und verwahrloster Kinder betr. (ebendas.
S. 855—859.)
Gesetz vom 4. Oktober, die Abänderung des Gesetzes vom
15. Oktober 1890 über die Errichtung einer Landeskreditkasse
betr. (Regierungsbl. No. 48 S. 623 f.)
Art. 1. Die Leistung der Darlehen aus der Landeskreditkasse erfolgt nach
Wahl der letzteren entweder in barem Gelde oder durch Auslieferung von Schuld-
verschreibungen nach Art. 16 des Gesetzes vom 15. Oktober 1890 .. . im Nenn-
wert des Darlehens oder auf Wunsch des Anleihers durch Barzahlung des Wertes
dieser Schuldverschreibungen nach dem jeweiligen Kurswert . . .
Verordnung vom 10. Oktober, die Fahrräder und Automobile
betr. (Regierungsbl. No. 49 S. 625—632.)
Die jährliche Abgabe fiir ein Fahrrad beträgt 5, für ein Automobile je nach dessen
Gröfse, Ankaufspreis und Leistungsfähigkeit 5—50 M. Personen, welche sich zum
Kurgebrauche oder weniger als 30 Tage im Grofsherzogtume aufhalten, ferner solche,
welche Dienstrüder zur Verfügung haben, Kinder, welche Fahrräder nur als Spielzeug,
Lohnarbeiter, welche das Fahrrad als Transportmittel zur Arbeitsstelle und Gewerbe-
treibende, welche das Fahrrad bei Ausübung ihres Gewerbes benutzen, sofern ihr Ein-
kommen jährlich 1500 M. nicht erreicht, sind von der Abgabe befreit.
Bekanntmachung der Texte des Gesetzes vom 6. Juni 1879, die
Uebertragung von Grundeigentum und die Fortführung der
Grundbücher in der Provinz Rheinhessen betr., und des Gesetzes
vom 10. Mai 1893, Grundeigentum und Hypotheken in der
Provinz Rheinhessen betr. (Regierungsbl. No. 74 S. 1435—1456.)
Miszellen. KR
Nachdruck verboten.
Miszellen.
I.
Die Glas- und Perlenfabrikation im Fichtelgebirge.
Von Dr. Alb. Schmidt in Wunsiedel.
Die Geschichte der Glas- und Perlenfabrikation, wie sie in den
Wäldern des Fichtelgebirges getrieben wird, verliert sich soweit zurück
in vergangene Jahrhunderte, daß sich mit ihren Anfängen die Sage
beschäftigt, welche sie auf längst vergangene Völkerschaften zurück-
führt und die ersten Perlen- und Glashütten mit ihren merkwürdigen
Gestalten bevölkert. Der Umstand, daß die oft mißhandelte und falsch
gedeutete Venedigersage auch mit der Glas- und Perlenfabrikation
im Fichtelgebirge in Verbindung gebracht wird, spricht für deren hohes
Alter. Glas herzustellen ist ja bekanntlich lange schon bekannt. Plinius
berichtet, daß die Entdeckung der Herstellung phönieischen Kaufleuten
gelungen sei, die, mit Salpeter handelnd, ihren Feuerkessel auf einen
Salpeterbrocken stellten, der durch die Gewalt des Feuers mit dem
Kiessande des Bodens zu Glas verschmolz. Die alten Kulturvölker
waren im Besitze des Geheimnisses der Glasdarstellung, und ich möchte
hier ausdrücklich darauf aufmerksam machen, daß die Römer Glas-
hütten hatten, hübsch faconierte Gläser herstellten, daß es höchst
wahrscheinlich ist, daß die moderne Glasindustrie auf die antike und
zwar auf eine römisch-italienische zurückzuführen ist und daß, wie wir
sehen werden, ein Zusammenhang der Fichtelgebirger Glasgewinnung
auch mit letzterer bis zu einem gewissen Grade nachgewiesen werden kann.
Wenn man im Fichtelgebirge von den Anfängen dieser Industrie
spricht, pflegt man als die ersten Glasmacher stets die Venediger
Männlein zu nennen und eine der alten Glashütten in dem beim Berge
Ochsenkopf gelegenen Dorfe Bischofsgrün, deren Existenz sich auch
thatsächlich bis in graue Jahrhunderte zurückverfolgen läßt, direkt mit
dem Namen Venetianerhütte zu bezeichnen. Es sind die Venediger,
Venter, Wahlen ja bekanntlich in der Sage jene Halbwesen, welche
nach Gold und überhaupt nach Metallen suchend die Gebirge durch-
ziehen, in den Wäldern geheimnisvoll scharren und schirfen, wohl auch
kleine industrielle Anlagen anlegen, aber rasch, wie sie gekommen,
Cp
R4 Miszellen.
mit ihren Schätzen verschwinden. Es war zu verlockend , jeden Berg
werksunternehmer, jeden Glasmacher, dessen Gebahren und Sprache dei
waldgeborenen Eingeborenen auffallen mußte, und der bei der Kleinheit deı
Betriebe in früherer Zeit rasch auftauchte und ebenso rasch verschwand,
mit den Gestalten zu indentifizieren, welche die Sage schildert, die den
Fichtelgebirgern zu jeder Zeit geläufig war. Nun ist Folgendes zu be-
richten: Im südöstlichen Bayern bis über die Donau herüber können
bis in das Mittelalter herein Reste romanischer Völkerschaften nach-
gewiesen werden, welche entweder als Trümmer romanischer Stämme
oder direkt als Ueberbleisel römischer Kolonisten anzusehen sind. Sie
thaten sich durch besondere Leistungen im Kunstgewerbe hervor. Sind
doch z. B. die mittelalterlichen Arbeiter der Passauer und Regens-
burger Goldschmiede heute noch berühmt. Diese wohnten in besonderen
Straßen und unterschieden sich von ihrer germanischen oder germani-
sierten Umgebung durch Tracht und wohl auch durch Aussehen. Heute
noch dehnt sich in Regensburg die Wahlenstraße (valisk = fremd, welsch),
die bezeichnenderweise bis in das 18. Jahrhundert herein meistens von
Goldschmieden und Zinngießern, also von Vertretern des Kunstgewerbes
bewohnt war. Die Frage, woher diese romanischen Goldschmiede ihr
Gold und vor allem, woher die Zinnarbeiter ihr Zinn hatten, ist noch
zu wenig behandelt, als daß sie hätte entschieden werden können. Ich
möchte aber hier ausdrücklich darauf aufmerksam machen, daß die Völker
des mitteleuropäischen Kontinents mit verschwindender Ausnahme dar-
auf angewiesen waren, sich das Rohmaterial zur Herstellung ihrer Zinn-
bronce von jener Zeit an, welche man die vorhistorische nennen muß,
bis hinein in das 18. Jahrhundert aus dem Erz- und dem diesem be-
nachbarten und genetisch verwandten Fichtelgebirge zu holen), da der
Zinnstein anderwärts selten und überhaupt nur in den Gebirgen, die
krystallinische Silikatgesteine aufweisen, zu finden ist. Sehr wahr-
scheinlich ist, daß die romanischen Zinngießer, aber auch die Gold-
schmiede und die Glas- und Perlenmacher in das überschwänglich ge-
priesene Fichtelgebirge zogen, um dort zu suchen und zu finden, was
sie brauchten, nicht nur Metallen: Zinn in der Schneeberggruppe, bei
Wunsiedel, Weißenstadt, bei Kirchenlamitz und an anderen Orten, Gold
bei Gold-Kronach und an der Acherwiese bei Schönbrun, sondern auch
die Materialien zu der auch ihnen bekannten und von ihnen ausgeübten
Glastabrikation: Alkalihaltige Holzasche, Kalk, eisenfreien Quarz und
passenden Thon zu Ziegeln. So wurde es ihnen möglich, nicht nur
bergmännische Unternehmungen auszuführen, sondern in kleinen An-
lagen die Perle darzustellen, die ja zu allen Zeiten und bei allen Völkern
ein beliebter Schmuck war und geblieben ist, die man neben den Waffen
als das Beste, was der Lebende besaß, den Toten mit in das Grab
legte. Die Gestalten dieser „Ausländer“, die ja wegen Wald und Fels
hier nur in spärlicher Besiedelung sitzen konnten, glichen den Gestalten
1) S. Arch. f. Geschichte und Altertumskunde f. Oberfranken, Bd. 12, Heft 6,
1854, Bd. 18, Heft 2, 1857 und Bd. 18, Heft 1, 1890. — Dr. M. Schurz, Der Seifen-
bergbau im Erzgebirge und die Wahlensage. Stuttgart 1890.
Miszellen. 85
der Sage, ihre Arbeiten standen im engen Zusammenhange mit denen
italienischer, überhaupt südländischer Kunst (die Venedigersage weißt
nicht nur im Fichtelgebirge, sondern überhaupt nach Süden), und so
wurden diese uralten Gestalten indentitiziert mit den Romanen, den
den ungleich jüngeren Venetianern, und eine Reihe der einschlägigen
Erzählungen spielt sich in der Folge direkt in Venedig ab. Wer Glas
schmolz, wer Bergwerk trieb, wer Metalle gewann, anders aussah und
anders sprach, wie die eingeborenen Hinterwäldler, der war nicht eine
Art von Halbwesen mehr, wie früher, sondern ein Venetianer, ein Wälscher,
ein Fremder = ein Wahle und der Begriff erweiterte sich so, daß z. B.
im 17. Jahrhundert das Suchen und Schürfen nach Metallen in offi-
ziellen Berichten geradezu , Wahlereitreiben“ genannt wurde. Wir
werden sehen, daß ein loser Zusammenhang, der Hohlglasindustrie im
Fichtelgebirge mit der in Venedig im Mittelalter wahrscheinlich ist.
Am Osthange des durch ein interessantes Felsengewirre sehenswerten,
in der Schneeberggruppe gelegenen Berges „Platte“, bei dem Dorfe
Tröstau bei Wunsiedel und zwar in der Nähe der ausgedehnten,
lange verlassenen Zinngrubenfelder (Waldabteilung Zinngräben), ge-
lang es, einen solchen alten Venetianerofen auszugraben. ®/, Meter
hoch mit Waldhumus bedeckt, von Baumwurzeln umschlungen, in
unmittelbarer Nähe vom Granitfelsen, an einem sanft ansteigenden
Hang lagen die Reste zweier Glasöfen. Von dem einen fand man nur
die Ueberbleisel einer Backsteinumhüllung und das Bruchstück eines
Thontiegels. Um so besser sah der zweite aus, der ungefähr folgende
Konstruktion hatte: Auf einem Feuerherde stand der Kessel, der zur
Hälfte noch wohl erhalten war. Derselbe ist 15 cm tief, hat 25 cm
im Durchmesser und seine Wände sind 4 cm dick. Er ist mit der
Hand aus feuerfestem Thon geformt, welcher der Hitze vortrefflich wider-
stand. Weniger war dies bei den Wänden der Feuerungsanlagen der
Fall, welche aus Quarz und Granit bestanden, stark gefrittet, ja durch
ermöglichte starke Feuerwirkung zum Teile geschmolzen und von über-
getretener Glasmasse bedeckt waren. Um das Ganze lag ursprünglich
ein Backsteinmantel, dessen letzte Spuren als ganz zersetzte pulverige
Ziegelsteinmasse angetroffen wurden, dessen Höhe einen Meter kaum
überschritten haben dürfte. Bedeutend scheint nach den geschmolzenen
Gesteinsmassen die Hitze gewesen zu sein. Aschereste fanden sich
nicht, sie werden abgeschwämmt gewesen sein und nur sonst sehr wenig
Kohlenreste, die sich sonst bei der Widerstandstähigkeit der Kohle gegen
jedwede Einflüsse lange zu erhalten pflegen. Dagegen fanden sich in
dem vorüberfließenden Bächlein eine Menge zerbrochener Tiegeltrümmer
mit verschieden dicken Wänden, die zum Teil mit verwitterter Glas-
masse gefüllt waren, die auch manchmal, übergelaufen, an den Wänden
hing. Neben Scherben unglasierter Töpfe traf man noch Glasschlacken,
aus denen sich die Art des Glases erkennen ließ, daß grünlich und
ohne Zusatz von färbenden Mitteln hergestellt war. In einem Kessel-
fragmente liegt noch eine mehrere Pfund schwere Glasmasse.
Aehnliche Anlagen wurden in der Nähe der Luisenburg bei Wun-
siedel und bei Waldsassen angetroffen.
"e
RG Miszellen.
Wir sehen hier die allerersten Anfänge der Glasperlenfabrikat
im Fichtelgebirge, welche bis in unsere Tage nicht zum Aufhäöı
kam. Aus diesen primitiven Anlagen entwickelten sich die Glashütt
in Bischofsgrün, denen man nachsagte, daß sie schon im 10. Jal
hundert gegangen sein sollen und in denen man anfänglich wahrschei
lich nur Perlen, viel später erst Hohlglas dargestellt hat und aus dene
in der Folge jene schönen Gläser und Pokale hervorgingen, welch
unter dem Namen Fichtelgebirger, Fichtelberger oder Bischofsgrüne
Gläser begehrt waren. Um deren Besitz bemühte sich mancher hohe
Herr und sie sind heute noch von den Museen stark begehrte Artikel
Zur Perlendarstellung hatte man in Bischofsgrün ungemein billiges
Rohmaterial schon sehr frühzeitig aufgefunden. Die neuere Forschung
hat erkannt, daß man es im Fichtelgebirge mit einem Gebirgsknoten in
des Wortes Bedeutung zu thun hat, d. h. die ältere Richtungslinie des
Erzgebirges wird hier von der Längsachse des Thüringerwaldes durch-
schnitten und die Einwirkung der beiderseitigen Gebirgsmassen veran-
laßte u. a. eine Zersplitterung und Zerspaltung des Gebietes in seinen
Grundmassen, ein Bilden von Rissen und tiefgehenden Spalten, welche
ein Aufsteigen eruptiver Massen ermöglichten. So weist auch das große
Granitmassiv des Ochsenkopfes eine Spalte auf, in dem ein jüngeres
Gestein, der sogenannte Proterobas, eindrang, der Culmitzer der Um-
wohner, das in großen und kleinen, grünen und schwärzlichen Kugeln
zu Tage tritt, das, nebenbei erwähnt, auch in Blöcken in tieferen Lagen
vorkommt, die zu Platten gesägt und poliert das Vestibul des Reichs-
tagsgebäudes zu Berlin mit schmücken helfen. Dieser Proterobas be-
steht aus tiefgrüner Hornblende, Chlorapit, Augit und Plagioklas und
enthält accessorisch Magnet- und Titaneisen, Schuppen von Magnesia-
glimmer und beträchtliche Mengen von Schwefelkies. Analysen ergaben
Kieselsäure 47 —54 Pros
Thonerde 15 —23,4 i
Eisenoxyd 7,09— 3,84 ,
Bittererde 6,18— 0,85 „
Kalkerde 8,41— 6,25 „
nebst kleinen Mengen von Kali, Natron, Phosphorsäure, nebst Spuren von
Schwefel und Chrom !). Dieses Gestein, mit dem wir uns, um das Nach-
stehende verständlich zu machen, kurz beschäftigen müssen, schmilzt
leicht zu einem tiefdunklen Glase, was man in Bischofsgrün sehr bald
erkannt zu haben scheint. Man schichtete es in Haufen auf, zündete Holz
darum an, worauf es sich leicht zerschlagen ließ. Die Trümmer brachte
man in den Schmelzofen der Glashütte, an den der Calcinierofen angabaut
war, dem der Holzdörrofen und dann der Kühlofen folgte. In dem Schmelz-
ofen pflegten sechs Tiegel zu stehen, welche man schon sehr frühe aus
einem sehr feuerbeständigen Thone darstellte, den man bei Niederlamitz
am Fuße des Kornberges fand. In einem dieser Tiegel schmolz man die
Masse und verteilte sie mittels eiserner Löffel unter die übrigen, welche
so angebracht waren, daß die Arbeiter durch Oeffnungen zur Masse
1) Gumbel, Geognostische Beschreibung des Fichtelgebirges, S, 200. Gotha 1884,
Miszellen. 87
konnten. Eiserne Stäbe mit dünnen Spitzen wurden rasch gedreht und
dann die so entstandene Perle, welche man mit einem messerartigen
Instrumente hübsch zurundete und zuputzte, in einem mäßig erwärmten
mit Thonschlamm gefüllten Topfe langsam abgekühlt, ein Verfahren,
das man in den modernen Perlenhütten heute noch anwendet. So wurden
in ältester Zeit aus dem Proterobas ohne Zusatz die Perlen hergestellt,
die allerdings nur schwarz waren und wegen des Hornblendegehalts des
Rohmateriales auch nur schwarz sein konnten. Erst als die Glasher-
stellung sich im Laufe der Zeit von dem Herstellen der Perlen zu solcher
von Hohlgläsern erweiterte, als überhaupt die Technik fortgeschritten
war und man sich auch anscheinend mit der dunklen Perle nicht mehr
begnügte, mußte man sich aus von Holzasche stammenden Alkalisalzen
und Quarz die Masse darstellen, die man auch recht hübsch färben
lente. Zunächst geschah dies bezeichnenderweise mittels einfacher
Hitsmittel und zwar färbte man gelb durch hineingeworfene Birken-
rind, blau durch Smalte, rubinrot durch Braunstein, opalartig
oder milchweiß durch caleinierte Knochen. So wurde es vor langer
Zeit möglich, die begehrte Perle zu färben.
Alle Stürme der Jahrhunderte und allen Wechsel der Zeiten über-
dauerte diese Perlenfabrikation im Fichtelgebirge bis auf den heutigen
Tag, wo sie wieder bestens blüht: zu Ende der 1850er Jahre kam sie
einmal zu hohem Aufschwung. Damals wurde es mode, Damenkleider,
Jacken u. dergl. damit zu zieren, man trug Armbänder, Ketten aus
Fichtelgebirger Glasperlen, auch stellte man damit Tischdecken, Glocken-
züge, Etagerenquasten u. dergl. mit bunten Mustern her. Die Blüte war
kurz, aber für die Unternehmer einträglich, im ganzen Gebiete ent-
standen neue Perlenhütten, luftige einfache Anlagen, in denen nichts, als
ein großer Schmelzofen stand. Die fortgeschrittene Chemie ermöglichte
die Darstellung von allen möglichen Farben und Schattierungen. An
den Oefen arbeiteten in der Regel 28 Arbeiter, 14 und 14 in je zwölf-
stündiger Schicht, und man arbeitete, kühlte, wie vor einem Jahr-
tausend, nur das Produkt war schöner und farbenreicher.
Aehnlich wie die runden Perlen stellte man abgeplattete, die
„Paterle“ her (Abkürzung für Paternosterle, weil man sie zu Rosen-
kränzen verwandte). Sie gingen durch alle Lande wie die Perlen und
wurden zu Tauschobjekten in fernen Erdteilen und man beglückte ebenso
die Wilden, wie man sich zu Hause selbst mit ihnen schmückte.
Jüngeren Datums, aber doch alt genug, ist die Darstellung von
Knöpfen in den Fichtelgebirger Glashütten, die ebenfalls aus dem oben
geschilderten Proterobas hergestellt wurden, der deshalb in unseren
Tagen noch zuweilen Knopfstein genannt wird. Ein aus diesem Ge-
steine bestehender Hügel, in der Waldabteilung Lützellohe bei Bischofs-
grün am Ochsenkopf, führt heute noch den Namen Knopfsteinhügel.
Ursprünglich fügte man eine Drahtöse in die noch weiche Perle und
der Knopf war fertig. Im 17. Jahrhundert erfand man ein Kluppwerk,
das wie eine Lichtscheere konstruiert war und durch einen Druck mit
dem Fuße zusammengepreßt wurde. Durch Einfügen verschiedener
Formen, wie Sterne, Muscheln u. s. w. in die Scheere erzielte man
Ss Miszellen,
Fr hübsche Produkte. Im Jahre 1817 kostete die Schnur schwarzer
i Knöpfe (= 20 Dtz.!) nur 10—12 Kreuzer (30—36 Pfg.), die farbigen
waren etwas teuerer und kosteten 18—20 Kr. (50—60 Pfg.), die
7 teuersten waren die opalartigen, für deren Erzeugung man an den
$ Ofen eine eigene Abteilung so angebracht hatte, daß sie von der aus
diesem überschlagenden Flamme mäßig erwärmt wurden. War dies
j geschehen, so wurden die Knüpfe mit der Oese auf eine Tafel von
frischem Thon gesteckt, wodurch deren Oberfläche wieder zum Flug
kam und dadurch ihr schönes Aussehen erhielt.
Diese Knopffabrikation hat seit ungefähr 50 Jahren aufgehört.
Neben dieser Perlen- und Knopffabrikation, die, wie wiederholt
erwähnt, hauptsächlich im Dorfe Bischofsgrüin am Öchsenkopf ihren
Sitz hat seit unerdenklicher Zeit, die aber auch in Warmensteinach,
Mehlmeisel, Unter- und Mittellind ausgeübt wurde und noch wird, blüht
seit alter Zeit eine Hausindustrie im Fichtelgebirge, welche sich mit
der Herstellung verzinnter Glaskugeln beschäftigt, die zum Christbaum-
schmuck Verwendung finden. Mit Hilfe eines Lötrohres stellte man aus
weißen oder farbigen Glasröhren runde Kugeln her und taucht sie
rasch in geschmolzenes Zinn. Die Kugel überzieht sich mit dünner
vi Zinnfolie mitunter mit schünem Farbenspiel. Hier ist zu erwähnen, |
daß neben anderen Orten in der Bischofsgrün benachbarten Einsatte- }
lung zwischen Ochsenkopf und Schneeberg schon in vorhistorischer
Zeit Zinn gewonnen wurde, die Rohmaterialien also leichter, wie auderswo
zu erhalten waren. Noch in heutigen Tagen werden diese Glaskugeln
von Frauen im Hausierhandel abgesetzt. ]
' Daß sich die uralten Perlenfabriken bald schon zu solchen auf-
schwangen, in denen man Gläser, zunächst einfachster Art, herstellte,
liegt in der Natur der Sache. Im Laufe der Zeit lernte man dann |
jene Kelche und Pokale fabrizieren, die wir schon erwähnten, lernte
sie mit Figuren zu schmücken, mit Ornamenten zu bemalen und mit Versen
und Sinnsprüchen zu versehen und sandte sie unter dem Namen der
Fichtelgebirger Gläser in die Welt. Diese stammen samt und sonders |
aus den Bischofsgrüner Glashütten, und es liegt ihr Wert weniger in |
ihren Formen oder in der Qualität des Glases, als in der Originalität |
der Malerei und der an ihnen angebrachten Sprüchen und Bildern. Es N
ist undenkbar, daß in dem einsamen und zu allen Zeiten abgeschlossenen |
Gebirgswinkel, in dem Bischofsgrün liegt, ein Kunstgewerbe sich ent- |
wickeln konnte, wie es geschah, ohne daß es von außen her eine Be-
einflussung erfuhr. Ein Zusammenhang mit den Glasmalereien ander-
wärts mußte vorhanden sein, obgleich man sich unverkennbar die Motive
zu den Bildern in allernächster Nähe, meist aus dem benachbarten
Walde holte. Wahrscheinlich standen die Unternehmer mit Nürnberg
in Beziehung, zu Nürnberger Schulen und Glasmalern uud über Nürn-
berg hinaus in lockeren Beziehungen zu Venedig. Es existieren Formen, |
welche stark an Venetianer Gläser erinnern. Als Ende des 13. Jahr-
hunderts die Nürnberger Burggralen anfingen, ohne größere kriegerische
Unternehmungen, aber sehr zielbewußt durch Erwerben und Brechen
von Edelsitzen das Gebiet in und um dem Fichtelgebirge sich anzu- |
Miszellen. sy)
eignen, wurde der Einfluß von Nürnberg nach jeder Richtung von Be-
deutung. Ich erinnere nur an die von den Burggrafen vorgenommene
Kolonisierung und an die Rechte, welche sie den Einwohnern boten
(Gerechthülzer, Bergrechte, Zeitelrecht u. s. w). Ursprünglich gehörte
das ganze Waldgebiet der freien deutschen Reichsstadt der nun
böhmischen Stadt Eger zu. Nachdem seit uralter Zeit die Bischofs-
grüner Glashütte im Betriebe war, werden sich die Unternehmer ent-
weder in Nürnberg oder in frühester Zeit umgekehrt die Nürnberger
Glasmaler sich nach den Glashütten in Bischofsgrün umgesehen haben.
Der bekannte Nürnberger Glasmaler Veit Hirschvogel (1461—-1525),
dessen Kunstfertigkeit man an vier Fenstern der Sebalduskirche zu Nürn-
berg bewundern kann, war ein Bischofsgrüner Kind.
Es ist unendlich wenig über diese Art von Glasproduktion in
Bischofsgrün selbst zu erfahren, trotzdem noch Familien existieren,
welche sie betrieben. Wohlstand und Vermögen brachte sie nicht, es
waren die Glasmacher und auch die Unternehmer im Gegensatz zu
denen, welche die Eisengewinnung betrieben, niemals das, was man
wohlhabende Leute nannte. Die ersten Glashüttenmeister führten den
leicht erklärlichen Namen Glaser, was ein Beweis dafür mit sein möchte,
dal die Sache doch recht weit zurückgeht und zwar in eine Zeit, in
der Familiennamen fehlten (analoge Entstehung wie die der Namen
Schmidt, Müller, Schuster, im Fichtelgebirge auch Zeitler. Da das
älteste Kirchenbuch, das mit dem Jahre 1558 begann, bei einem am
19. Mai 1612 stattgefundenen Brande zu Grunde ging, die späteren Kirchen-
bücher meist auch mangelhaft geführt wurden, so läßt sich nichts
Sicheres darüber bestimmen, wann man zuerst malte und wer den An-
fang dazu machte. Das Erscheinen von Veit Hirschvogel im 15. Jahr-
hundert in Nürnberg, der höchst wahrscheinlich seine Kunst schon mit-
brachte, giebt zu denken. Außer Zweifel ist, daß die Bischofsgrüner
Glasmalerei nach der Art der Behandlung in den dortigen Wäldern
ihre ursprüngliche Heimat hatte. Ihre Blüte fällt nach dem Wenigen,
was vorhanden ist, in das 17. Jahrhundert, im 18. kommt ein jüher
Verfall, da wird, wohl gedrückt von den Zeitverhältnissen, die Kunst
rasch zum Handwerk.
Im Jahre 1897 feierte die Glashütte zu Lauscha in Thüringen ihr
300-jähriges Jubiläum. Zwei vertriebene Protestanten, Christoph Müller
aus Böhmen und Hans Greiner aus Schwaben, Glasbläser von Beruf,
kamen 1595 nach Thüringen und erlangten vom Herzog Johann Casimir
von Coburg am 10. Januar 1597 durch einen „Erbbrief“ das Recht zum
Herstellen von Gläsern aller Art. Diese Müller und Greiner fabrizierten
nicht nur Glaskugeln, gläserne Menschenaugen u. dergl., sondern auch
faconierte Gläser und bemalten sie nicht ohne Geschmack in satten
then), Ihre Erzeugnisse sind sehr schön in den Sammlungen der
Veste Coburg vertreten. Nun ist folgendes zu konstatieren: Auch die
Hüttenbesitzer in Bischofsgrün führen jahrhundertelang die Namen,
die in Thüringen gang und gebe waren und noch sind: Müller, Greiner,
———..
i 1) Kommerzienrat A. Fleischmann: Gewerbe, Industrie und Handel des Meininger
Iberlandes, Hildburghausen 1578.
90 Miszellen.
Wanderer, von der Lausch d. h. aus der Lauscha in Thüringen u. s. w.
Die Leute scheinen, gelockt von den alten Bischofsgrüner Anlagen, dorthin
verzogen zu sein. 1616 hat Stephan Greiner die Brandstätte und einen
Teil des Hüttengutes des Mich. Glaser gekauft. Als die Thüringer
eingezogen waren, begann auch die Herstellung von Figuren, von
Hirschen, Vögeln, Häusern, Kindern in Wiegen u. dergl., die meistens
verhausiert wurden, aber immer blieb eine gewisse Armut der Glas-
macher im Fichtelgebirge Begleiter, eine nicht zu überwindende All-
tagsnot, welche wohl auch in dem allzugroßen Einfluß des Waldes und
in dem steinigen Boden ihre Ursache mit hat.
Die Bischofsgrüner Gläser waren teils mit Goldornamenten nach
Venetianer Art, meist aber mit so satten Farben bemalt, daß die Zeich-
nungen reliefartig absteht. Wappen, Familienbilder, letztere meist in
Tracht des 17. Jahrhunderts oder in spanischer Tracht, Scenen, welche
naiv Ereignisse schildern, welche sich bezeichnenderweise in unmittel-
barer Nähe des Dorfes abspielten und die meist heiterer Natur sind,
werden festgehalten. So z. B. der berühmte Auszug der Münchberger
auf die Bärenjagd. wobei sich der Bär als ein durchgebrannter schwarzer
Pudel entpuppte. Eine Fensterscheibe in der 1731 ausgebrannten
Cantoratswohnung zu Wunsiedel bewahrte die Erinnerung an eine Berg-
partie auf den Ochsenkopf, bei welcher ein als Zigeuner verkleideter
Lehrer die Touristen schrecken wollte, aber in dem Augenblick seines
Herantretens von einem aus einer der zahlreichen Höhlen hervor-
brechenden Bären überrannt wurde. Darunter stand geschrieben:
Der Pastor Laumann fürchtet zwar
Der Zigeuner schwarze Schaar,
Der Cantor Jahe, der gerne neckt
Wird von dem Bär dafür erschreckt,
Auch mit Anbringen von Sinnsprüchen war man freigebig.
besang man das Fichtelgebirge folgermaßen :
Von Gold und Silber durchflochten
Ist mein edles Eingeweid,
Adam’s graues Alter reichet
Nicht zu meiner Frühlingszeit.
Dabei stellte man das Gebirge als einen bewaldeten Berg dar,
den eine goldene, umschlossene Kette absperrte, aus dem, den Wild-
reichtum anzudeuten, Tierköpfe hervorlugten und aus dem die vier dem
Fichtelgebirge entquellenden Flüsse Main, Eger, Naab und Saale hervor-
brechen. So schrieb man:
Der Fichtelberg bin ich benannt,
Jin oberen Franken wohlbekannt,
Vier schiffreiche Flüsse aus mir kommen frei,
Ich hab fein Gold, Silber, Erz und Blei.
Den Main laß ich in Franken ein,
Hingegen bekomm ich dann den Wein;
Die Saal, die läuft in Sachsen,
Als da ist mir die Frucht gewachsen,
Die Eger, die läuft in Böhmerland
Da konnt das Vieh wieder zur Hand!
Die Naab, läuft durch die Pfalz,
Hingegen bekomm ich da das Salz!
So
1717
Miszellen. 91
Besser sind die Verse, die zu Ehren Karls XII. von Schweden
auf cylindrische, 23,5 cm hohen Gläser angebracht und gegen die Türken
gerichtet sind. Ein Spruch lobt, was sonst selten geschah, das heilige
rimische Reich:
Das heilige Römische Reich mit
sampt seinen Glidrn
Ein anderes trägt den Reichsadler und die Inschrift:
Gott behüte und bewahre daß
vantze heilige Römische Reich, mit
seinen Gliedern all zu gleich
Anno Domini MDCC
Darunter steht:
Vivant Alle Glieder des r. Reich—<$.
Andere Gläser tragen das Bild eines jungen Mannes mit hell-
grünem Koller, gleichem Beinkleid, Federhut und Handschuhen und
die Inschrift:
Zucht und Tugend
Ziehret voll die Jugend
Komisch wirkt des Bild von Kühe kaufenden Metzgern und die
Inschrift:
Ob wir müßen schon viel lauffen
Dieses doch unß schadet nicht
Wann wir nur braf in verkauffen
führen die Bauern um das Licht
Anno Dom. 1718.
Die poetische Ader der Glasmacher war, wie aus dem wenigen
Mitgeteilten, das sich ja leicht verdoppeln ließe, nicht bedeutend, es ist
der alltägliche Sing-Sang und die Verse sind entschieden besser ge-
meint, als sie ausfielen. Im allgemeinen ist anzunehmen, daß die
älteren Gläser die besseren sind. Die Ornamentik ist gut, flotter, die
Figuren zwar steif, aber richtig gezeichnet. Gläser mit dem Stamm-
baum der Bischofsgrüner Hammerherren, der Schreyer, mit deren Bildern
in spanischer Tracht, die Frauen mit großen weißen Schürzen und weit-
maschigen Hauben, sind nicht übel, auch ein Schneiderbrautpaar kann
sich sehen lassen. Im 18. Jahrhundert verschlechtert sich im Gegen-
satze zu den Thüringer Gläsern die Malerei mehr und die Verse
werden nicht besser. Die Malerei wird immer handwerksmäliger, die
Bäume werden durch grüne Flecken, die Ornamente nur durch Punkte
und Striche angedeutet, unqualifizierbare Tiere und Tierköpfe treten
auf. Springende Tiere sind z. B. so oberflächlich gezeichnet, daß man
sie ebensogut als Hirsche, wie als Esel oder Hasen ansehen kann;
dabei wird die Farbenzusammenstellung immer bäuerlicher und ge-
schmackloser, Rot, Gelb und Blau wechselt in den Ornamenten. Es
fehlte an Meistern, was wohl hauptsächlich Ursache war, daß die Sache
einschlie und nach 1760 wurden in Bischofsgrün überhaupt keine Gläser
mehr gemalt.
92 Miszellen.
Ueber die Technik ist nichts mehr zu erfahren; trotzdem anzu-
nehmen wäre, daß sich die Erinnerung an dies Gewerbe, das sich, wenn
auch nicht viel, doch etwas rentiert hat, in den Familien erhalten
hätte. Viel Glücksgüter scheint wie schon mitgeteilt die Glaserzeugung
und Malerei nicht eingebracht zu haben, ungleich rentabler war, die
bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts blühende Herstellung von Eisen,
welche, wenn auch nicht die Arbeiter, so doch die Hammerherren zu
wohlhabenden Leuten gemacht hat.
Die Bischofsgrüner Gläser, welche von der Größe eines Schnaps-
glases bis zu der eines Malkruges hergestellt wurden, namentlich die
älteren schönen Pokale, waren früher häufiger in den Fichtelgebirger
Familien. Sie waren, trotzdem sie eine Zeit lang sehr begehrt waren,
nicht teuer, sind aber oft mißachtet und zerschlagen worden. Erst seit
die Entwickelung des Kunstgewerbes in neuester Zeit veranlaßte, daß
man sich nach alten Formen und Kunstprodukten umsieht, sind sie ge-
suchte, aber auch seltene Artikel geworden. Das germanische Museum
besitzt kein, das bayerische Nationalmuseum nur ein solches Glas.
Man muß sich hüten, die besseren nicht mit Thüringer Gläsern zu ver-
wechseln.
Als die schöne Kunst der Glasmalerei nicht mehr betrieben wurde,
warf man sich in Bischofsgrün auf die Herstellung von Wein-, Feld-
und Wasserflaschen und von Medizingläsern. Letztere verkaufte man
in Bündeln, welche man mit dem merkwürdigen Worte Schaab benannte,
26 Schock gaben ein Hüttenhundert, aber die Hüttenhunderte hatten
wieder höchst sonderbare Zusammensetzung: Gläser von
1 Lth. Inhalt ging auf ein Schaab 6 Stek., auf ein Hüttenhundert 156 Stck.
2— 3 HI HI HI nm nm » 5 HI MI HI DI 130 nm
4—10 H nm mm ” HI nm 4 Hi n HI EL 104 n
12—14 HI HI ” nm nm » 3 ” DI Di ” 73 D
16—24 , Mn nn v 2 on » » D 50 y
Eine merkwürdige Einteilung, welche sich vielleicht auf die Menge
der verbrauchten Glasmasse zurückführen läßt.
Aber auch diese Art von Glasproduktion konnte bei der primitiven
Einrichtung der Hütten mit ihrer auf den nahen Wald angewiesenen
Holzfeuerung den Einflüssen der auswärtigen Konkurrenz nicht wider-
stehen. Die Produkte von auswärts wurden schöner, exakter und vor
allem billiger. So löschte man 1884 das Feuer in der alten ehrwürdigen
Glashütte zu Bischofsgrün aus und als der Ort zwei Jahre darauf in
Flammen aufging, brannte auch sie mit nieder und ist als Glashütte nicht
mehr erstanden, als Perlenhütte hatte sie nie aufgehört. Damit hatte
die Hohlglasfabrikation im Fichtelgebirge ein Ende. Was die alten
romanischen Leute brauchten für ihre Gläser, sie fanden es hier reich-
lich, es waren Produkte des Mineralreiches, Produkte des Waldes. Als
sich die Gläser zu Erzeugnissen des Kunstgewerbes aufschwangen, als
man sie mit Bildern, Ornamenten und poetischen Ergüssen schmückte,
fehlte sehr bald die Anregung, die Nahrung von außen; denn der
immerhin starre Wald, der graue, wenn auch mächtige Granitfels, die
Miszellen. 93
Steingewirre des Fichtelgebirges bieten manches Schöne, aber wenig
Abwechslung.
Bis in die 1850er Jahre verkehrte man auf miserablen Wegen
mit der Außenwelt über den Schneeberg hinweg nach Wunsiedel und
jenseits noch schlechteren mit Berneck und Bayreuth. Die Bischofs-
grüner trugen ihre Gläser, ihre Wein- und Arzneiflaschen, teilweise
ihre Perlen in hohen Körben über die Berge zu einer Zeit, in
der man anderwärts den Schienenweg benützte, Kohlen herbeischaffte
und neue Systeme beim Glasofenbau anwandte So mußte das un-
schöne Produkt dem schöneren und zudem billigeren weichen. —
Eine erhielt sich und blüht weiter, es ist die Glasperlenfabrikation,
welche zur Zeit entschieden sehr im Aufschwunge begriffen ist. Die
Handelsverträge mit Rußland haben ihr zwar ein ausgedehntes Absatz-
gebiet nach Rußland selbst und seine asiatischen Gebiete, auch nach
Persien entzogen, aber dafür haben die Handelsbeziehungen des Deutschen
Reiches besonders nach Ostasien und in den Orient, auch nach Indien,
dann die Ausbreitung unserer Kolonien, vor allem die Erschließung
Afrikas neue weıte Gebiete erschlossen. Die haltbare Glasperle bleibt
Schmuckgegenstand und als solcher beliebtes Tauschobjekt, was die In-
dustrie z. B. als Besatz von Tüchern, zu Quasten u. dgl. konsumiert,
ist sehr wenig. So gingen von den 30 000 Ctr. Glasperlen, welche man
im Jahre 1899 aus dem Fichtelgebirge versandte, die meisten über
Hamburg nach Indien, dann nach Afrika, vor allem aber in den Kongo-
staat. Augenblicklich sind 10 Perlenhütten im Betriebe, und zwar
5 im Warmensteinachthal mit 300 Arbeitern
1 in Hütten » 50 ei
1 in Bischofsgrün „ 100 A
1 in Oberwarmensteinach ,, 100 on
1 in Mittellind » 100 Se
sämtliche Ortschaften in der Umgebung des Berges Ochsenkopf gelegen.
Die in den 1850er Jahren in der Umgebung von Wunsiedel flott be-
triebenen Perlenfabriken gingen samt und sonders nach kurzem Auf-
schwung ein. Neben den Perlen werden, jetzt und zwar ungefähr ?/, so-
viel, aus derselben Masse Ringe hergestellt, welche dieselbe Verwendung
haben wie die Perlen, die Verwendung zu Schmuck. Diese Art von
Industrie ist von einschneidender Wichtigkeit für die genannten Ort-
schaften. In dem lieblichen Thale von Warmensteinach ist kein Haus
von den vielen an den Bergwänden hängenden, in denen nicht ein
Perlen- oder, wie der gebräuchliche Ausdruck lautet, ein Patterle-
arbeiter mit seiner Familie wohnt. Meist ist die Familie, wenn auch
nicht bei der Herstellung, der Perle, aber beim Herrichten zum Versand
beteiligt. Kinder und Frauen reihen Ringe und Perlen an Fäden zu
100 Stück (Maschen), wofür für 100 X 500 Stück 30 Pfg. bezahlt werden.
Die Männer werden nach der Zahl der angereihten Perlen bezahlt, d bh
nach der Zahl der abgelieferten Maschen. Ein gewandter Arbeiter kann
augenblicklich im Tage 4 M. verdienen, mindere 2—3 M. Die Ver-
hältnisse der Arbeiter sind im Gegensatz zu früher durch die höheren
94 Miszellen.
Lohnsätze viel besser geworden. Während ihnen sonst ein kurzes Leben
prophezeit wurde und man dem Einatmen der heißen Luft die Schuld
gab, daß sie viel an Lungenkrankheiten litten, kann in der Neuzeit von
einer Kurzlebigkeit nicht die Rede sein. Anscheinend macht die bessere
Nahrung ihren Einfluß geltend. In den Hüttenanlagen, die wohl den
vorhistorischen sehr ähnlich sind, sind Marketendereien eingerichtet, in
denen man sich neben Wurst- und Fleischwaren Bier und Schnaps
verschaffen kann, was nicht gerade für die Arbeiter von Vorteil sein
kann. Manchmal wird während der Arbeit mehr gekneipt, als gut ist.
Den Perlenmacherfamilien sagt man nach, daß sie sehr kinderreich
sind, was die Mutter nicht hindert, dem Feldbau nachzugehen, der mit
jeder Wohnung verbunden zu sein pflegt; denn die Kartoffel bleibt
im Fichtelgebirge das beliebteste und gesuchteste Nahrungsmittel. Nicht
selten vermehrt die notwendig gewordene Heimkehr der Töchter, die
auswärts im Dienst standen und nicht immer allein eintreffen, die an
sich schon hohe Kopfzahl der Familie.
Was die Glasperlen selbst anlangt, so sind sie nicht mehr so gleich-
mäßig und schön gearbeitet, wie vor ungefähr 20 Jahren; aber
sie sind viel farbenreicher. Der größere Absatz verlangt ein rascheres
Herstellen und so wird manche Perle und mancher Ring in die Welt
gesandt, den man früher zum Ausschuß geworfen hätte. Experimente
ließen Farben erzeugen, die gegen früher ganz prächtig sind. Während
man sich vor einem ‚Jahrzehnte noch mit der Herstellung von weißen,
blauen, gelblichen, vor allem schwarzen Perlen und Patterlen begnügen
mußte, kommen jetzt alle möglichen Farben, hellrote, grüne, grüngelb-
liche und verschiedene Mischfarben in den Handel: die schillernden Perlen
lernte man überhaupt erst in der Neuzeit herstellen. Die in Fässern
verpackte Ware macht einen Eindruck, der nicht bloß Kinder freut,
und man begreift, daß im dunklen Erdteile manches Häuptlingsherz oder
gar des seiner Frauen mild gestimmt wird, wenn die gleißenden Stränge
überreicht werden. So ist der Fichtelgebirger Perle auch ein gewisser
praktischer Wert nicht abzusprechen. Neben den Ringen und Perlen
stellt eine Hütte in Oberwarmensteinach aus Milchglas, dem sogenannten
Beinglas, auch Salbentöpfe für die Apotheken und jene Gläser her, in
denen das bekannte Zalınwasser Odol verkauft wird, die sich durch
ihre geschmacklose Facon auszeichnen. In dieser Hütte erhalten die
Lehrlinge vom ersten Tage an 1 M. Tageslohn. Sämtliche Oefen werden
nur mittells Holz erwärmt, die Versuche, mit Kohlen oder Gas zu
feuern, mißlangen ; wegen der geringen Größe der einzelnen Kammern
in den Oefen muß die Wärme gleichmäßig und darf nicht scharf sein.
Vielleicht bringt die moderne Zeit in dieser Hinsicht Verbesserung.
Die Gegenden, in.denen diese Glasperlen, Patterle, Ringe u. s. w.
erzeugt werden, gehören zu den schönsten Walddistrikten des Granit-
stockes vom Ochsenkopf.
Noch vor wenigen Jahren ernährte diese Fabrikation kümmer-
lich genug die Menschen, namentlich im Steinachthale, wo die weiten
Wälder, die große Steilheit der Hänge, der quarzitische Boden, die
Miszellen. 95
wenig tiefe Ackerkrume dem Boden nur spärliche Frucht abgewinnen
ließ. In Mittellind und Bischofsgrün wo die Thäler weiter und etwas
sonniger sind, war es besser. Die höheren Lohnsätze, der Fremden-
verkehr haben überhaupt bessere Verhältnisse allenthalben geschaffen.
So hat sich die Perle aus dem Fichtelgebirge ihren kulturhisto-
rischen Wert zu erhalten verstanden. Er war in grauester Vorzeit nicht
geringer, wie in unseren Tagen, und auch die Freude an ihr ist geblieben.
Nieht bloß die Wilden am Kongo, die braunen Brüder in Indien, die
Malayen u. s. w. erfreuen sich an ihr, auch wir, die wir glauben, höher
zu stehen, können den blitzenden, gereihten Kugeln Geschmack ab-
gewinnen, die ja auch unseren Vorfahren nicht gleichgiltig waren, sonst
hätten sie dieselben nicht ihren Toten mit in die Gräber gelegt.
96 Miszellen.
Nachdruck verboten.
Il.
Staatlicher Hypothekenkredit in Australien.
Von Henry W. Wolff in London.
Die australischen Kolonien, mit wie großem Stolze sie auch sonst
gerechterweise das englische Herz erfüllen mögen, sind in zwei Hin-
sichten für britische Volkswirte das Schmerzenskind der großen bri-
tischen Staatenfamilie Fürs erste sind ihre Neigungen durchaus schutz-
zöllnerisch, und zweitens hat das Vorwiegen des Arbeiterelementes in
der Bevölkerung ihr ganzes Wirtschaftssystem sehr stark sozialistisch
gefärbt. Für die Arbeiter, welche ja an der Wahlurne die Herrschaft
führen, wird so ziemlich alles gethan, was sie verlangen. Aber neben
den Arbeitern giebt es auch noch ein anderes Bevölkerungselement,
welches im Lande derartig bedeutende Gewalt ausübt, daß seinen
Forderungen die altenglisch-individualistischen Grundsätze bedingungslos
weichen müssen, derart, daß der Staat sich für es sogar als Geldspender
hinstellt. Dieses Element ist das der Grundeigentümer. Obwohl sich
von Jahr zu Jahr mehr industriell und kommerziell entwickelnd, ist ja
Australien — im Verein mit Neuseeland, welches doch als ein Teil
der australischen Koloniengruppen gelten muß — doch immer noch in
Wahrheit ein landwirtschafttreibendes Land. So ist es gekommen, daß
in einer Kolonie nach der anderen das Ortsparlament den Staatssäckel
geöffnet hat, um den Grundeigentümern, und zwar allein den land-
wirtschaftlichen, mit Einschluß der Handelsgärtner, einen Hypotheken-
kredit zu eröffnen, der dem deutschen Landschafts- und Ritterschafts-
kredit entsprechen soll und der, das darf trotz prinzipieller Bedenken
gleich gesagt werden, sich im allgemeinen nicht schlecht bewährt hat.
In betreff der australischen Kolonien läßt sich nun allerdings für
dieses Eingreifen des Staates etwas sagen, was auf ältere, geldreichere
Kulturstaaten, wie diejenigen Europas, keinerlei Anwendung findet.
Das zu erborgende Geld kommt zur Zeit noch in der Hauptsache aus
England, wo der Zinsfuß niedrig ist und Anlagemittel gesucht sind.
Und es fragt sich dann nur, wer am besten als Zwischenhändler, als
vermittelndes Glied, dienen kann. Der Bankier? Der läßt sich natür-
lich für seine Vermittelung und sein Risiko bezahlen, und zwar nicht
schlecht, und treibt dadurch den Zinsfuß dermaßen in die Höhe, daß
sich daraus in Zeiten der Krisis, die Australien mit seinen Witterungs-
Miszellen. 97
extremen, ganz abgesehen von der Konjunktur, ja doch auch hat, sehr
böse Zustände ergeben haben. Bis vor kurzem war Australien noch
ein Land hohen Zinsfußes. Vor etwa 40 Jahren zahlte man gern 10
bis 15 Proz. Bis 1870 noch immer gern 7—9 Proz. Eine amtliche
Erhebung über im Grundbuche eingetragene Hypotheken ergab 1895
in Neuseeland, daß nur wenig Geld zu 51/,—6 Proz. erliehen war, der
größte Betrag zu 6—8, aber auch sehr viel zu 9 und 10 Proz. Das
hält heutzutage selbst die australische Landwirtschaft nicht aus.
So ist es gekommen, daß sich der Staat ins Mittel gelegt hat.
Seine verschiedenen Prozedurmittel dürften hier vielleicht von Interesse
erscheinen.
Nehmen wir zuerst das Neuseeländer System. Das ist, zum min-
desten als Vorlage, das älteste und hat bisher auch überdies die meisten
Ergebnisse geliefert. Das Neuseeländer Parlament begründete im Jahre
1894 ein Hypothekenleihamt, welches bereits im Februar 1895 zu-
sammentrat und seine Thätigkeit begann. Dieses Amt leiht auf die
Bürgschaft des Staates erborgte Gelder gegen Verpfändung ländlichen
Besitzes aus in Beträgen von wenigstens 500 bis höchstens 60 000 M. für
jeden einzelnen Kreditsuchenden. Gleich den preulischen Rentenämtern
bietet es als bestes Anzugsmittel eine für Australien bisher unerhörte
Herabsetzung der Erhebungsspesen. Wer bis 2000 M. leiht, zahlt
1050 M., darüber hinaus bis zu 10000 M. 21 M. und weiter bis zu
60000 M. 42 M. Sollte sich das Pfandobjekt gleich auf den ersten
Anblick als zur Verpfändung ungeeignet erweisen, so wird von dem
Geschäft Abstand genommen und es werden dem Nachsuchenden die
Spesen gänzlich erlassen. Zu diesen Spesen kommen dann allerdings
noch Gerichtskosten in Höhe von 25,50 bis 77 M. und weiter 5 M.
bei Löschung der Hypothek. Damit ist aber alles gesagt. Und das
gilt in Australien für mäßig. Wo die Eintragung im Grundbuche fehlt,
d. h. bei den älteren Grundstücken, für die der Besitztitel auf andere
Weise festzustellen ist, muß die Uebertragung durch Anwälte besorgt
werden, deren Spesen indessen auf das Doppelte der amtlichen Spesen
als Maximum beschränkt sind. Mit Bezug auf die Werteinschätzung
sind besondere Vorsichtsmaßregeln getroffen, die sich gut bewährt
haben. Nur das Amt als Ganzes bewilligt den Kredit, niemals ohne
die Grundsteuereinschätzung zu Rate zu ziehen, über welche zwischen
Behörde und Steuerpflichtigem gewiß viel debattiert worden ist und die
daher als mäßig gelten muß. Das Amt kann den verlangten Kredit
ganz oder auch nur teilweise gewähren oder aber ganz abschlagen.
Die gewährten Kredite sind zweierlei Art. Entweder erfolgen sie
ohne die Bedingung regelmäßiger Amortisation auf eine Zeitfrist von
höchstens 10 Jahren, jedoch ohne eine frühere Abzahlung nach Wunsch
der Borgenden auszuschließen, bis höchstens die Hälfte des Taxwertes,
zu 5 Proz. Zinsen. In dieser Weise sind seit 1895 nur etwa 2 000 000
ausgeliehen worden. Viel beliebter ist die zweite Art, mit vorge-
schriebener Amortisation, zu 6 Proz. (einschließlich Verzinsung) auf 361/,
Jahre. In dieser Art darf das Amt das Pfandgut bis zu 3/, seines
Wertes beleihen. Und auf diese Weise sind in 5 Jahren 42 740000 M.
Dritte Folge Bd, XXI (LXXVI). 7
98 Miszellen.
ausgeliehen worden, wovon bereits 6 800 000 M. amortisiert sind. Be-
schlagnehmungen des Pfandobjektes scheinen bisher noch nicht statt-
gefunden zu haben. Zum mindesten hat das Amt augenblicklich keinerlei
verpfändete Liegenheiten in seinem Besitz. Banken haben früher durch
Sequestration viel Geld eingebüßt. Ein Uebelstand bei diesem System
ist dieser, daß das Parlament dem Hypothekenleihamt nicht genügende
Freiheit zur Anpassung der erhobenen Kreditmittel an seinen Bedarf
gegeben hat. Das hat zu Anfang zur Anhäufung müligen Kapitals
geführt. Dieser Mißstand ist indessen nunmehr beseitigt. Bis März
1900 wurde von diesem Leihamt für 74220000 M. Kredit nachgesucht
und 43580000 M. gewährt. Die Bevölkerungsziffer für Neuseeland ist
beiläufig 805 000 Einwohner.
In Südaustralien (Bevölkerungszahl: 373000) heißt die leihende
Behörde Staatsbank. Sie besteht erst seit 1896. Der von ihr ge-
währte Kredit ist vorderhand auf Ackerbau und Viehzucht beschränkt.
Doch kann die Regierung in dieser Hinsicht weitere Befugnisse ge-
währen, vorausgesetzt, daß die Pfandobjekte nur landwirtschaftliche
Besitzungen bleiben. Andererseits ist die Staatsbank ermächtigt, an
Munizipalitäten ebensowohl wie an einzelne Personen zu leihen. Be-
leihungen dürfen bis zu 3/, des Taxwertes des Pfandobjektes erfolgen.
Der Zinsfuß ist auf 41/, Proz. festgesetzt. Die erhobenen Spesen sind
noch niedriger als die in Neuseeland. Die Abzahlung geschieht stets
durch halbjährliche Amortisation, sofern der Borgende seine Schuld
nicht aus eigener Initiative schneller abzutragen vorzieht. In betreff
der Amortisationsperiode wird dem Kreditsuchenden, wenn man so sagen
darf, innerhalb engerer Grenzen weit mehr Freiheit gelassen als in
Neuseeland. Er darf auf 31/, Jahre oder bis zu 21 Jahren Hypotheken
aufnehmen und nach Belieben wie in einer Sparkasse die Schuld un-
regelmäßig durch Einzahlungen tilgen. Recht vorteilhaft zeichnet sich
das südaustralische System von dem Neuseeländer dadurch aus, daß
das benötigte Geld nach Bedarf durch Ausgabe 3 1/,-proz. Pfandbriefe
erworben wird. Bis vergangenen März waren in Südaustralien auf die
erklärte Weise, in 4 Jahren, 10 600000 M. ausgeliehen worden, wovon
etwa 1500000 M. amortisiert worden waren. Zinsenrückstände be-
liefen sich damals auf 4900 M. Die jährlichen Verwaltungskosten
stellten sich auf nur 65360 M. im Gegensatz zu 88900 M. in Neu-
seeland.
Das in Westaustralien (Bevölkerungszahl: 178000) herrschende
System gleicht in manchen Stücken dem oben beschriebenen südaustra-
lischen. Doch hat es einige Züge den ja in Deutschland sehr be-
kannten Grundsätzen der Darlehnskassen entnommen, derart, daß es eine
Erkundigung über den Zweck des Anlehens vorschreibt und die Be-
leihung, in Beträgen bis zu höchstens 8000 M. für den Einzelnen, nur
zu Meliorationszwecken gestattet. Es ist also wesentlich für kleinere
Grundbesitzer berechnet. Dieses Leihsystem besteht in der Kolonie
bereits seit 1894, hat somit 51/, Jahre Erfahrungen hinter sich. Im
ganzen sind 2 200 000 M. Kredit gewährt worden, wovon nur 1 705 600 M.
wirklich gezahlt sind. Mit Hilfe solchen Kredites sollen für 8 640 000 M.
Miszellen. 99
Meliorationen zuwege gebracht worden sein. Die jährlichen Verwal-
tungskosten belaufen sich auf 19000 M. Die Bank schloB in diesem
Jahre mit einem Ueberschuß von 8060 M. und Zinsrückständen in Höhe
von 680 M. ab.
Das für die Kolonie Victoria (Bevölkerungszahl: 1165000) seit
1896 bestehende System nimmt die Gelder der öffentlichen Sparkassen
zu Hilfe. Die Sparkassen werden darin ermächtigt, zu Hypotheken-
beleihungszwecken Gelder an das Schatzamt zu leihen, wofür sie nach
Bedarf durch 3-proz. Pfandbriefe sichergestellt werden. In der That
fließen 4/; des erhobenen Geldes aus dieser Quelle. Eine Beschränkung
des Zweckes findet nur insoweit statt, als das Anlehen allein für land-
wirtschaftliche Verwendung, aber für jede solche, statthaft ist, also
namentlich auch zur Tilgung anderer Hypothekenschulden. Neben
4!/, Proz. Zinsen ist als Minimum ein Amortisationssatz von 1!/, Proz.
pro Jahr vorgeschrieben. Bis 30. Juni 1900 wurden im ganzen
19460000 M. ausgeliehen, davon 2140000 M. zum Ersatz teurerer
Hypotheken, und nur 1180000 M. zu eigentlichen Meliorationszwecken.
Etwa 1550000 M. waren bereits amortisiert, die jährlichen Verwal-
tungskosten beliefen sich auf 89300 M. Kapitalrückstände beliefen sich
auf 1085,50 M., Zinsrückstände auf 2016 M. Es hatten 5 kleine Be-
sitzungen von der Bank übernommen werden müssen.
Seit Feststellung der hier herangezogenen Rechnungsabschlüsse sind
in den vier erwähnten Kolonien vermutlich noch etwa 8000000 M. aus-
geliehen worden, so daß sich die Gesamtsumine auf etwa 80000 000 M.
stell. Als Ergebnis läßt sich anführen, daß, während im Jahre 1894
in Neuseeland nur etwa 40000 M. zu 4 Proz. erhoben worden waren,
1480000 M. zu 4—43/, Proz., 7060000 M. zu 5—53/, Proz., dagegen
33080000 M. zu 6—6?/, Proz, 203000000 M. zu 7—78/, Proz.,
10860000 M. zu 8—8?/, Proz. und 4400000 M. zu 9 Proz. und
darüber, die entsprechenden Ziffern für das Jahr 1898 folgendermaßen
lauten: 200000 M., 31540000 M. 83360000 M., 19600000 M.
5600000 M., 3500000 M. und 1660000 M. Der Kreditsatz hatte
sich somit sehr erheblich gemindert, und die Landwirte zum wenigsten
sind zufrieden.
7*
100 Miszellen.
Nachdruck verboten.
II.
Die englische Agrarkrisis nach der Enquete der Royal
Commission on Agriculture,
Besprochen von Dr. F. Ph. König.
Unter obigem Titel ist von Dr. Oskar Stillich 1899 bei G. Fischer
in Jena eine Schrift erschienen, in der in außerordentlich interessanter
Weise die landwirtschaftliche Krisis in Großbritannien geschildert wird,
wie sie durch die 1893 ernannte Kommission (Royal Commission on
Agriculture) dem englischen Parlamente vorgeführt wurde und welche
gleichzeitig Vorschläge zur Verminderung der Krisis in Betracht ge-
zogen hat, wodurch der Krisis durch Gesetzgebung oder andere Mittel
Abhilfe geschaffen werden soll.
Der „Final Report“ erschien 1897 und faßt die ganzen Ergebnisse
der Untersuchung zusammen. Es handelt sich also lediglich um eine
Schilderung der englischen Agrarverhältnisse bis zum Jahre 1897.
Stillich hat nun das ganze Material bearbeitet und bespricht in
einzelnen Kapiteln die Verbreitung und Wirkung der landwirtschaftlichen
Krisis, die Ursachen der Krisis und die Heilmittel der Krisis. Nament-
lich interessant ist das Kapitel über die Wirkung der Krisis auf die
einzelnen agrarischen Klassen, also die Grundbarone, Pächter, Bauern,
große und kleine Farmer und schließlich noch auch die Arbeiter.
Als Ursachen der Krisis finden wir erstens den Fall der Preise in
den Produkten des Ackerbaues und der Viehzucht und zweitens den aus-
ländischen Wettbewerb in Getreide, Vieh, Fleischh Wolle, Molkerei-
produkten, Gemüse, Früchten und Geflügel. — Ganz besonderes Interesse
für deutsche Verhältnisse dürfte das 3. Kapitel haben; es behandelt
die Heilmittel der Krisis, worunter besonders hervorgehoben wäre die
Pachtzinsfrage, die Hypothekenverschuldung, die Verbesserung der
Milchwirtschaft, der Meliorationskredit, Schaffung kleiner Güter, Differenz-
geschäfte im Getreidehandel, die Eisenbahnfrachten, der Verkauf ver-
fälschter Produkte als unverfälschte einheimische, der Viehverkauf nach
Lebendgewicht und schließlich das landwirtschaftliche Bildungswesen
und der Bimetallismus.
Zu bedauern ist, daß Stillich nicht mehr Vergleiche zwischen den
englischen und deutschen Verhältnissen gezogen und besonders die
Miszellen. 101
Punkte hervorgehoben hat, die für Deutschland von besonderem Interesse
und Bedeutung gewesen wären. Es ist eine Lücke, die ich fasit durch-
weg empfunden habe, und werde ich es versuchen, in meiner Kritik die
bedauernswerte Lücke auszufüllen. Stiller’s Schlußfolgerungen sind sehr
interessant, doch kann ich mich auch diesen nicht ganz anschließen und
kann nicht umhin, sogar einigen zu widersprechen.
Durchstreifen wir das erste Kapitel:
I. Verbreitung und Wirkung der landwirtschaftlichen Krisis, so ist
das Land in 3 Gruppen einzuteilen:
1) die ackerbautreibenden Grafschaften,
2) Grafschaften mit Weidewirtschaft,
3) Betriebe in besonders günstiger lokaler Position.
Stillich bespricht unter den ackerbautreibenden Grafschaften in
erster Linie Essex, die außerordentlich durch die Krisis gelitten hat.
Wenn auch zugegeben werden mul, daß Essex von 1875 bis 1895
schwer gelitten hat, so muß ich doch betonen, daß ich genug Landwirte
auch in Essex kenne, denen es heute nicht mehr schlecht geht. Sie
haben es verstanden, durch Energie und Fleiß und Aenderungen des
Betriebes einen früher unrentablen Betrieb rentabler zu gestalten.
Stillich giebt ja selbst Beispiele von Fällen auf S. 4 von Gütern in
Essex, die noch Verzinsung von 6 Proz. erzielen! Ferner erwähnt
Stillich auch die Lage der nach Essex eingewanderten Schotten, die
ihr gutes Auskommen haben; sie wirtschaften, wie Stillich auch sagt,
„Dicht so intensiv“ wie die dort ansässigen Engländer, wodurch aber
die Rente und der Reinertrag ein höherer ist.
Sie wirtschaften nicht so intensiv, also rationeller und
mit größerem Erfolg. In Deutschland herrscht ja die Ansicht, die
auch von von der Goltz und Brentano vertreten ist, daß die Krisis
und der Preisrückfall durch intensivere Bewirtschaftung zu kompensieren
ist. Essex liefert nun den entschiedenen Beweis, daß Howard recht hat,
wenn er sagt, daß viele Betriebe Deutschlands an einem Uebermaß an
Intensität leiden. Die intensive Wirtschaftsweise würde in Deutschland
als das Ideal und den jungen Landwirten als Ziel hingestellt wonach
sie streben, sollten, um die Erträge des Gutes zu erhöhen; letzteres ist
mit genügenden Mitteln absolut kein Kunststück, allein zu oft beweist
die Reinertragsberechnung, daß der Nettoreingewinn statt zugenommen
abgenommen hat und daß die extensivere Wirtschaftsweise doch
die rationellere ist. Diese Thatsache ist auch der Grund, warum es
den Schottländern in Essex heute besser geht als den eingeborenen
Landwirten, eben weil sie zur Einsicht gekommen sind, daß eine ex-
tensivere Wirtschaftsweise am Platze ist und der Reinertrag dadurch
erhöht wird. Aehnlich wie in Essex ging es den Landwirten in Suffolk
und Norfolk. Die Krisis ist sehr fühlbar gewesen und hat den Grund-
eigentümern enorme Verluste in Form von Pachtzinsrückgängen ge-
bracht. Stillich schildert nun die Verhältnisse sehr genau. „Geld-
zusetzen“, „vom Kapital zehrend“ sind häufig wiederkehrende Ausdrücke,
„Leute, die Geld haben, verbrauchen es, solche, die keins haben, machen
Bankrott“.
102 Miszellen.
Diese Schilderungen der ackerbautreibenden Grafschaften stimmen
vielfach nur zu sehr überein mit den ackerbautreibenden Landstrichen
Deutschlands! Wie viele deutsche Gutsbesitzer mußten nicht leider
konstatieren, daß sie Geld zusetzten oder vom Kapital lebten. Wie
viele würden nicht lieber das Geschäft des Landwirts aufgeben, wenn
sie es nur könnten. Wie viele beneiden aus diesem Grunde den Kauf-
mann, der, wenn er nicht mehr weiter arbeiten mag, einfach das Geschätt
schließt und sich einem anderen Geschäftszweig widmet. Leider kann
dies der deutsche Landwirt so wenig wie der englische. Er ist not-
gezwungen, weiter zu arbeiten und zuzusehen, wie er sich am besten
durchschlägt; denn heutzutage ist das Landgut eine kaum noch zu ver-
äußernde Ware, außer zu Schleuderpreisen, die ganz unannehmbar sind.
Wie viele Gutsbesitzer Deutschlands würden nur zu gern verkaufen,
wenn sie könnten! Alles, was ihnen zu thun übrig bleibt, ist zuzusehen,
wie sie am besten durchkommen und wie es ihre Nachbarn machen, um
sich durchzuschlagen. In dieser Beziehung können sie heute noch viel
von ihren englischen Leidensgenossen lernen, namentlich wo diese jetzt
Mittel und Wege gefunden haben, wieder auf einen grünen Zweig zu
kommen!
Traurig sind die Schilderungen der Kommission der landwirtschaft-
lichen Krisis in den ackerbautreibenden Grafschaften. Dort begann
die Krisis schon 1875 sich geltend zu machen. Die bäuerlichen Besitzer
(„yeomen farmers“), deren Grundstücke hypothekarisch belastet waren,
unterlagen zuerst im Kampfe um ihre Existenz; erst in zweiter Linie
litten die Pächter; im letzteren Falle wälzten die Pächter einen Teil des
Verlustes auf die Schultern der Großgrundbesitzer, die notgezwungen ihre
Pachtnachlässe bewilligen mußten. — In Deutschland ist man vielfach
der Ansicht, daß ein Bauernstand ein Segen für ein Land ist; unter
den heutigen Verhältnissen ist diese Behauptung nicht aufrecht zu er-
halten, denn gewissermaßen hat es sich in England gezeigt, daß die
Bauern oder bäuerlichen Besitzer nicht imstande gewesen sind, der
Krisis zu widerstehen. Die meisten bäuerlichen Besitzer haben Bankrott
gemacht; sie waren eben nicht mehr imstande, ihre Hypothekenzinsen
zu zahlen; die verringerte Rente des Grund- und Bodens stand in keinem
Verhältnis mehr zu den Hypothekenzinsen; — ihr Los war in vielen
Fällen, entweder auf die Straße gesetzt zu werden oder aus Gnade als
Verwalter des Gutes für die Rechnung des Hypothekengläubigers weiter
zu wirtschaften. — Ganz anders ist die Lage des Pächters; der Groß-
grundbesitzer ist meist immer imstande, die Pacht zu stunden oder
nachzulassen. Wie viele bäuerliche Besitzer in England würden nicht
gerne ihr Los mit dem der Pächter vertauschen! Glücklicherweise ist
die Krisis in Deutschland bis jetzt nicht so akut aufgetreten wie in
England, sonst hätte sich der ganze deutsche Bauernstand ruiniert ge-
sehen; unter den heutigen landwirtschaftlichen Verhältnissen Deutschlands
hat der Bauer einen schweren Kampf ums Dasein, und es ist nur durch
seine kolossale Genügsamkeit, Sparsamkeit und Fleiß ihm
möglich sich noch so lange über Wasser zu halten; — er kann vom
Hypothekengläubiger keinen Zinsnachlaß verlangen und schwebt
Miszellen. 103
stets in der Gefahr, auf die Straße gesetzt zu werden. — Kommen
dann schlechte Jahre, so ist das Unglück da, und der Bauer kann sich
vor der Subhastation und Pfändung nicht mehr schützen. — Ganz anders
ist die Lage des englischen Pächters; der Großgrundbesitzer weiß, daß
es im gemeinsamen Interesse sowohl des Pächters und des Verpächters
ist, sich einen guten Pächterstand zu erhalten, und kommt einmal
ein schlechtes Jahr, so wird dem Pächter durch Pachterlaß geholfen.
Ein guter Pächter in England kann stets auf seinen Pachtherrn Ver-
trauen haben, denn er weiß, daß die Interessen Hand in Hand gehen
und daß er nicht an die Luft gesetzt wird.
Stillich berichtet uns über den starken Rückgang des Boden-
vertes, Rückgang der Einnahmen und namentlich auch das, daß die
bäuerlichen Besitzer viel schlechter daran sind als die Pächter, weil sie
mehr Hypothekenzinsen zahlen müssen als diese im Verhältnisan Pacht. —
In den ackerbautreibenden Grafschaften haben Pachtermäligungen bis
zu 50 Proz. stattgefunden; für die englische Landwirtschaft war es ein
wahrer Segen, daß die Großgrundbesitzer eine solche Verringerung ihrer
Einnahmen ertragen konnten. Deutschland hätte niemals den Druck
einer englischen Agrarkrisis aushalten können, ohne sich einem wirt-
schaftlichen Bankrott gegenüber zu sehen; und wie leicht könnte die
deutsche Landwirtschaft sich in derselben Lage finden wie die englische,
wenn die Zollschranken aufgehoben würden und die deutsche Land-
wirtschaft gleich der englischen dem Freihandel preisgegeben würde!
Sollte es jemals dazu kommen, daß die freie Einfuhr landwirt-
schaftlicher Produkte in Deutschland gestattet würde, so ging es den
deutschen Landwirten noch viel schlechter als den englischen, denn letztere
sind durch ihre günstige klimatische Lage im stande gewesen, ihre
Betriebsreisen zum großen Teil umzuändern, was den Deutschen un-
möglich wäre, denn Deutschland ist zum großen Teil auf Getreidebau
angewiesen. — Trotz der traurigen Schilderung der Landwirtschaft durch
die Kommission giebt auch Stillich auf S. 8 auf Grund der Aussagen
des M. Pringle zu, daß es auch in Ackerbaudistrikten Farmer giebt,
die dem Sturme erfolgreich die Spitze geboten haben:
1.) „solche, die Privatmittel besitzen;
2.) solche, die noch ein anderes Gewerbe mit der Landwirtschaft
verbinden;
3.) solche, welche Land in der Nähe von Städten besitzen und diesen
Vorteil durch Verkauf von Milch, Kartoffeln, Gemüse, Heu und
Stroh zu benutzen verstehen;
4.) diejenigen, die nicht zu viel Kapital und Arbeit auf den Korn-
bau verwendet haben d. h. (those who hare not pot their eggs
toro much into one basket orinto the wrong basketi. e. corn-groring).
Die Landwirte, die Grasbau, Moorkultur, Gartenbau, Milchwirtschaft
treiben, stehen sich am besten.“
Ich bin ferner in der Lage, durch gewöhnliche Beobachtung in
England zu konstatieren, daß seit 1897 auch in den ackerbautreibenden
Grafschaften ein Aufschwung zum Besseren stattgefunden hat. Die
104 Miszellen.
Behauptung, die ich schon 1896 in meinem Werke!) über die Lage der
englischen Landwirtschaft aufstellte, daß die weidebetreibenden Graf-
schaften, „grazing counties“, damals schon die Krisis überstanden hatten,
und daß die Landwirtschaft wieder im Aufblühen begriffen sei, hat sich
bewahrheitet und wird wohl niemand, der die heutigen englischen land-
wirtschaftlichen Verhältnisse genau kennt und mit ihnen in direkter Be-
rührung steht, widerlegen können.
Damals schon auf Grund meiner eingehenden Erhebungen an Ort
und Stelle war ich in der Lage, das Auf blühen der Landwirtschaft auch in
ackerbautreibenden Grafschaften teilweise zu konstatieren und eine
Zunahme dieses Aufblühens; zu prophezeien. Auch diese Behauptung
hat sich heute bewahrheitet, und kann ich Stillich durchaus nur wieder-
sprechen, wenn er S. 145 sagt, „daß er sich meiner Ansicht nicht an-
schließen könne, indem ich behauptete, daß die englische Landwirtschaft
die Agrarkrieis zum großen Teil überstanden habe“. Schon 1896 habe
ich in meinem Werke 8 395—401 statistisch die Richtung des eng-
lischen landwirtschaftlichen Betriebes nachgewiesen d h. de Abnahme
des Weizenbaues und der Schafhaltung und gleichzeitig eine
Zunahme der Viehweidewirtschaft in Verbindung mit Mol-
kereiwesen. Dieser Umänderungsprozeß im landwirtschaftlichen Be-
triebe hat seit 1896 stetig zugenommen und zwar zur Genesung und zum
Wohl der gesamten Landwirtschaft. Allerdings muß man zugeben, daß
die natürlichen Vorbedingungen zu einemsolchen Umwandlungsprozeß in
England außerordentlich günstige sind.
In allererster Linie gestatten die klimatischen und Bodenverhält-
nisse die Umwandlung des Ackerlandes in Weideland, was in Deutsch-
land mit Ausnahme einiger Küstenstriche ausgeschlossen wäre. Die
natürlichen Vorbedingungen, Klima und Boden, sind die denkbar günstig-
sten. Es giebt ja in anderen Weltteilen bessere Klimate und bessere Böden,
allein faßt man Klima- und Bodenverhältnisse zusammen, so ist wahrlich
England das Eldorado des Landwirtes; in keinem anderen Lande sieht
man, heute noch, so gute Pferde, Rindvieh, Schafe, Schweine in solcher
Vollkommenheit und Frühreife und durchweg in gleich hoher Durch-
schnittsqualität wie gerade in England — also ein sicherer Beweis für
den günstigen natürlichen Vorbedingungen von Klima und Boden aller-
dings in Verbindung mit Verständnis für die Hochzucht seitens der
Farmer. (Hier möchte ich verweisen auf das Kapitel XI meines
Werkes über die englische Agrarkrisis über die natürlichen und künst-
lichen Vorteile in der landwirtschaftlichen Produktion). An dieser Stelle
habe ich eingehender die natürlichen Vorteile des vereinigten Königreichs
besprochen und zu zeigen versucht, wie sehr England von gutem Klima
und Boden begünstigt ist.)
Die englischen Farmer haben es aber auch verstanden, die günstigen
natürlichen Vorbedingungen des Klimas und Bodens auszunützen. Zum
1) Die Lage der englischen Landwirtschaft unter dem Drucke der internationalen
Konkurrenz der Gegenwart und Mittel und Wege zur Besserung derselben. Jena,
Gustav Fischer.
Miszellen. 105
großen Teil, und wo es nur irgend möglich war, haben sie den Getreide-
bau aufgegeben oder bedeutend eingeschränkt. Sie haben bald einge-
sehen, daß sie auf dem Weltmarkt im Getreidebau nicht mehr konkurrieren
können, und folglich sich nach anderen Betriebszweigen umgesehen.
Die natürliche Graswüchsigkeit des Bodens bot ihnen die Möglichkeit,
zur Umwandlung ihres Ackers in Weideland und hierdurch die Mög-
lichkeit zur Ausdehnung ihrer Viehwirtschaft in allen ihren Zweigen
der Pferde-, Rindvieh-, Schweine- und Schafzucht in Verbindung mit
ausgedehntem Molkereibetrieb.
Durch ihre Ausdauer, Arbeit, Energie und Fleiß, verbunden mit
Sparsamkeit in schlechten Jahren, haben die Farmer mit Zuhilfenahme
des Weidebetriebes ihre schwere Lage verändert; sie haben die schweren
Zeiten überstanden und sehen einer besseren Zeit entgegen. Nicht nur
sind sie heute imstande, zu bestehen, sondern sie sind schon imstande,
das Geld, das sie in früheren Jahren zugesetzt haben, wieder zu ver-
dienen. Durch Ausdauer haben sie ihre Weidewirtschaften eingerichtet,
und gönnt man ihnen von ganzem Herzen ihren Erfolg seitens der
Großgrundbesitzer.
Stillich bespricht die Lage der Landwirtschaft in den Weide-
distrikten und deutet auf die Folgen der landwirtschaftlichen Krisis in
den westlich gelegenen Grafschaften und Schottland. In Schottland
wird darauf hingedeutet, daß die Weidebetriebe nur wenig unter dem
Drucke der Krisis gelitten haben; es wird auch schon hier zugegeben,
daß die Nachfrage nach Gütern zugenommen hat; auch in Wales trifft
letzteres zu, wo nach kleinen Gütern die Nachfrage nicht gedeckt werden
kann. In Bezug auf die Weidewirtschaften Englands muß man zugeben,
daß auch bei ihnen die Krisis fühlbar gewesen ist, allein schon 1897
trat eine erhebliche Besserung ein. Aus meiner Heimat Cheshire kann
ich aus persönlicher Erfahrung berichten, daß keine Güter pächterlos
stehen; im Gegenteil, so wie ein Gut pachtfrei wird, sind gleich Lieb-
haber genug zur Hand. Die Nachfrage ist eine große. Aehnlich ist
auch die Lage in Lancashire, wo ich auch Belege dafür habe. Nament-
lich gesucht sind die Pachtgüter mit Milchwirtschaft nach den Städten
und Güter in der Nähe der Industriebezirke, wo der Absatz ein be-
quemer und zunehmender ist. Weiter weg gelegene Pachtgüter mit
Weidebetrieb, „pastureland“,sind auch gesucht und sind die Pachtsummen in
vielen Fällen indie Höhe gestiegen ; seit 1897 kann man von einemallgemeinen
Rückgange der Pachtpreise nicht mehr sprechen. Es ist eher eine Gegen-
strömung eingetreten, und muß man eher zugeben, daß die Pachtpreise
im allgemeinen im Anzug begriffen sind. Namentlich ist dieses der
Fall bei den Pachtgütern mit Milchwirtschaft, Obst und Weideland.
Unverpachtetes Land giebt es heute nirgends mehr; die Pachtgüter
lassen sich leicht verpachten; Pachterlasse werden nirgends mehr ge-
macht, folglich kann man nicht mehr von einer allgemeinen Agrarkrisis
in den Weidedistrikten Englands, Wales, noch Schottlands sprechen!
Wohl giebt man allerdings zu, daß eine Agrarkrisis stattgefunden hat
und daß in den 80er Jahren Pachtreduktionen allgemein notwendig
waren, um die Existenz der Farmer nicht zu gefährden, allein heute,
106 Miszellen.
wo die Pachtpreise das zeit- und preisgemäße richtige Niveau ge-
funden haben und die Farmer heute nicht mehr Pacht bezahlen, als die
Güter imstande sind zu leisten, muß man zugeben, daß die Land-
wirtschaft in ein gesunderes Fahrwasser gelangt ist und schon aufblüht.
Den Pächtern geht es heute im allgemeinen gut, d. h. sie verdienen
sich ein gutes Auskommen und in vielen Fällen sind sie imstande,
die aus früheren Jahren stammenden Verluste wieder gut zu machen!
Interessant sind die Ausführungen Stillich’s über die Wirkung der
Krisis auf die einzelnen agrarischen Klassen: Betrachten wir kurz in
erster Linie den Grundherrn und Großgrundbesitzer. Die Pacht-
reduktionen bilden ein klares Bild für die Intensität der Krisis. Ab-
gesehen von dem thatsächlichen Rückgang des Wertes des Grund und
Bodens in den Jahren 1880—96 hat der Verkaufswert auch stark ge-
litten während dieser Periode. Das Publikum hatte die Lust und das
Vertrauen zum Ankauf von Gütern verloren. Seit 1897 aber sind An-
zeichen dafür da, daß das Publikum mehr Vertrauen zum Erwerb von
Gütern gezeigt hat, wenn auch zugegeben werden mul, daß die in
letzter Zeit abgeschlossenen Verkäufe nur 50—60 Proz, der Güterwerte
vor 25 Jahren repräsentieren.
Allein die Verkaufspreise stehen heute im Verhältnisse zu den
Pachtpreisen und den Getreide- und Viehpreisen. In Deutschland hat
man leider heute noch vielfach bei dem Taxieren eines Gutes und bei
Verkaufsforderungen noch imaginäre veraltete Werte zu Grunde gelegt,
wo möglich eine 20 Jahre alte Taxation und bildet sich heute ein, daß
diese alte Taxe zur Zeit auch maßgebend sei. Die Verkaufsforderungen
in Deutschland stehen heute in keinem Verhältnis mehr zum Reinertrag
des Gutes. Diese Fehlberechnungen existieren in England nicht mehr,
und sind Güter jetzt zu den kapitalisierten Pachterträgen eine markt-
fähige Ware und nicht so schwer zu verkaufen wie vor 10 Jahren, als
die Landwirtschaft noch im Sinken begriffen war. Mit der zunehmen-
den Nachfrage nach Pachtgütern seitens der Pächter ist auch die Zahl der
Käufer auf dem Markte größer geworden; allerdings sind heute die Ver-
kaufspreise viel niedriger als vor 10 und 20 Jahren. Stillich spricht
auf S. 18 über den eingetretenen Fall in dem jährlichen Verkehrswert
des Bodens als um einen Teil des unverdienten Wertzuwachses („un-
earned increment“); zum Teil nnd namentlich bei den Großgrundbesitzern,
die in der Nähe der Städte und Industriebezirke Besitz hatten, ist die
Behauptung wohl wahr, allein im großen und ganzen in rein ländlichen
Bezirken kann man von „unearned increment“ nicht sprechen, obwohl
die allgemeine Wohlhabenheit Englands in den Dier Jahren und der
allgemeine Aufschwung auch den Großgrundbesitzern zu gute kam. —
Die Zustände unter den Grundherren, wie sie Stillich S. 20 schildert,
treffen zu; ihre Einnahmen haben sich verringert; die Zehnten,
Steuern, Reparaturen und Baukosten haben sich vermehrt; namentlich
trifft dies zu bei den Anforderungen der Pächter an Drainage, Ge-
bäude und Meliorationen. Obgleich ich zugeben muß, daß das Rein-
einkommen der Grundherren im stärkeren Maße gefallen ist als das in
Gestalt des Pachtzinses bezogene Reineinkommen, so kann ich der An-
Miszellen. 107
schauung, daß „eine wahre Rente (true rent) heute nicht mehr existiert“,
absolut nicht gelten lassen. Die Ausgaben haben zum Teil die ver-
minderten Einnahmen unterdrückt, allein man darf zu diesen Ausgaben
nicht Gebäude, Drainage und andere Meliorationen permanenter Art
rechnen. Andererseits gebe ich zu, daß das Reineinkommen der „Land-
lords“ viel stärkere Abschwächungen erlitten hat als das Roheinkommen.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Grundbesitzer große Verluste
durch die Krisis erleiden mußten. Sie haben zum großen Teil die
Hälfte ihrer früheren Einkommen aus Grund und Boden einbüfen
mü ssen. Sie mußten zusehen, wie die Pachtrückstände sich vermehrten,
und schließlich mußten sie nolens volens die Rückstände streichen und
ihren Pächtern so lange ihre Pacht stunden und schließlich reduzieren,
bis sie einsahen, daß die Pächter ihr Auskommen hatten. Zum großen
Gläöck für die englische Landwirtschaft befindet sich auch der Grund
und Boden in den Händen des Großgrundbesitzers, der meist neben
seinen Gütern andere Hilfsquellen als die Landwirtschaft besitzt, aus
denen er genügende Mittel schöpft, um seinen Gütern die nötigen Me-
liorationen zukommen zu lassen. Allerdings hatten viele Großgrund-
besitzer Hypotheken- und Familienlasten auf ihren Gütern, was ihre
finanzielle Lage und Abhängigkeit der Rente ihrer Güter verschlimmerte.
Diese haben leider ihre Besitztümer an Kapitalkräftigere. zum großen
Teil Industrielle verkauft, die ihrerseits dann die Krisis eher auszu-
halten imstande waren. Die meisten Grofigrundbesitzer haben neben
der Landwirtschaft andere Nebeneinkünfte, sei es aus der Industrie, an
der sie viel beteiligt sind, sei es in den Kolonien und im Welthandel.
Viele haben in den Industriebezirken Landbesitz und verdienen durch
Bauplatzverkauf einen Ersatz für die reduzierten Pachteinnahmen.
Glücklicherweise, sage ich, ist der Grundadel in der finanziellen Lage
gewesen, der schweren Agrarkrisis standzuhalten und ihrem vorzüg-
lichen Pächterstamme über die Krisis zu helfen.
Die Lage der Pächter schildert Stillich als durchaus kritisch;
er sagt: „Den meisten Pächtern ist es außerordentlich schwer gefallen,
ihre Ausgaben in Einklang zu setzen mit den reduzierten Einnahmen,
und sie sind es, die die schweren Zeiten und den größeren Teil des
Verlustes für eine Zeit wenigstens wohl am meisten empfunden haben.“
Dies kann nur von der Anfangsperiode der Agrarkrisis gelten, aus der
Zeit, wo die Gutsherren die außerordentliche Schärfe der Krisis noch
nicht erkannt hatten. Sowie die Pachtnachlässe zugestanden wurden,
haben die Gutsbesitzer ihren Teil der Verluste auf ihre Schulter ge-
laden, und ging es den Pächtern wieder leidlich. Nur sehr vorüber-
gehend haben die Pächter ihre Pachten aus Kapital zahlen müssen.
Uebrigens fing bereits Anfang der 90er Jahre für die Pächter ein Um-
schwung an Platz zu greifen. Allerdings hat die Dürre im Jahre 1893
große Verluste verursacht, allein 1894 fing eine Reaktion an. S. 25
wird sogar zugegeben, daß seit 1894/95 sich die Chancen für die
Pächter nicht unerheblich gebessert hatten. Die Nachfrage, die damals
schon nach Pachtgütern mit Milchwirtschaft und Weidebetrieb zunahm,
hat von Jahr zu Jahr zugenommen, so daß ich schon seitens der
I
108 Miszellen.
Pächter Klagen gehört habe, daß bei einer Neuverpachtung die neuen
Pächter sich gegenseitig zu sehr in die Höhe steigerten. Immerhin
sind Stillich’s Tabellen auf S. 26, die uns die Profite und Verluste einer
Wirtschaft von 1875 bis 1894 zeigen, sehr belehrend.
Für Deutschland ist die Lage der englischen Bauern außerordent-
lich interessant, und möchte ich auf dieses Kapitel hinweisen; es giebt
uns ein trauriges Bild des Zustandes, in welchem die Bauern ohne
eigenes Verschulden sich befinden. Der bäuerliche Besitz ist von früher
her mit Hypotheken belastet, und das ist der Krebsschaden des ganzen
Standes, denn die Gläubiger (d. h. die Hypothekenbesitzer) gewähren
keine Zinserlasse. Die Last der Zinsen schnürt den Bauern den Hals
zu, bis sie schließlich ruiniert abziehen müssen. Sie beneiden alle ihre
Fachgenossen, die Pächter, die ihre regelmäßigen Pachterlasse erhielten
und heute viel weniger Pacht zu zahlen brauchen als die Bauern an
Hypothekenzinsen. Die Zinslast führt sie zum Bankrott. Die Bauern
in England sind eine Klasse, die zwar stets klein gewesen ist, aber die
durch die Macht der Verhältnisse von der Bildfläche verschwindet.
Mr. Pringle und Mr. Fox schildern S. 28 und 29 in treffender Weise
ihre Lage, die für Deutschland sehr belehrend ist und uns zeigt, wie
durch Verschuldung und unter dem Druck der Krisis ein einst wohl-
habender Bauernstand verschwinden kann und das in relativ kurzer
Zeit, ohne daß weder der Staat noch eine sonstige Macht zur Abhilfe
einzugreifen vermag.
In Deutschland ist meist die Ansicht vertreten, daß eine Agrar-
krisis auf die Bauern am wenigsten nachteilig zu wirken vermag und
daß die Bauern einer Agrarkrisis viel eher widerstehen können als die
größeren Gutsbesitzer. Diese Ansicht hat sich während der landwirt-
schaftlichen Krisis in England durchaus nicht bewahrheitet. Im Gegen-
teil, die Erfahrung hat gelehrt, daß die großen Farmer viel eher schwere
Zeiten auszuhalten vermögen, weilihr Kapital kräftiger ist und sie sich
über eine schlechte Ernte und geringe Jahrgänge eher zu helfen wissen.
Die größeren Farmer konnten schon durch Anschaffung von Maschinen
Arbeitslohn ersparen, was den ärmeren Bauern selten möglich war.
Ferner kann der größere Farmer seine größeren Quantitäten von Produkten
leichter und besser verwerten als der kleine Bauer. In England hat es
sich als ein wahrer Segen erwiesen, daß die Mehrzahl der Landwirte
kapitalkräftigere, größere Pächter waren und nur eine verhältnismäßig
geringe Zahl Bauern waren; wäre das Verhältnis umgekehrt gewesen,
so wären die unausbleiblichen Folgen unermeßlich schlimmer gewesen!
Stillich führt uns die ländlichen Arbeiterverhältnisse vor und deutet auf
die große Abnahme der ländlichen Bevölkerung hin. S. 32 ferner deutet
Stillich auf die Verschlechterung der Lage des landwirtschaftlichen
Arbeiters hin, namentlich seit 1892 in den ackerbautreibenden Grafschaften.
Ich gebe zu, daß in diesen Grafschaften, wo die Agrarkrisis am schärfsten
gewirkt hat die allgemeine Lage des Arbeiters nicht gut ist; der Pächter
sah sich eben gezwungen, durch den Rückgang der Preise an Arbeit
zu sparen und wo irgendmöglich Maschinen anzuwenden. In einem
Punkte muß ich Stillich entschieden widersprechen, und das ist die
Miszellen. 109
Beschaffenheit der Arbeiterwohnungen. Wer die englischen Güter kennt,
muß mir recht geben, daß im großen und ganzen die landwirtschaftlichen
Arbeiterwohnungen Englands unvergleichlich besser sind als die Deutsch-
lands. Die Arbeiterwohnungen auf dem Lande in England sind ehe
zu vergleichen mit den Verwalterwohnungen Süddeutschlands oder gar
Inspektorwohnungen Norddeutschlands. Mancher englische landwirtschaft-
liche Arbeiter wohnt erheblich besser als ein süddeutscher Bauer, und
im Vergleich zu den norddeutschen Arbeiterwohnungen, namentlich im
Norden und Osten Deutschlands, sind die englischen Arbeiterwohnungen
Villen. Es hat meist jede Arbeiterfamilie in England ihr eigenes, allein
zu bewohnendes Haus mit allen neuesten hygienischen Einrichtungen.
Oft auf meinen Wanderungen in England staunte ich über die Vor-
züglichkeit der englisehen Arbeiterwohnungen. Sie haben mehr Aehn-
lichkeit mit den neuesten deutschen Fabrikarbeiterkolonien oder den
neuesten deutschen Zeichenkolonien, die in den letzten 5—10 Jahren auf-
gebaut worden sind. Im großen und ganzen hat die Agrarkrisis die
Lage des Arbeiters nicht verschlimmert. Wenn auch die Löhne zum Teil
zurückgegangen sind, so hat während derselben Zeit eine riesige Ver-
billigung aller Lebensmittel stattgefunden, so daß sozusagen der Arbeiter
eine Kompensation erhielt für den Lohnrückgang. In den Gegenden,
wo kein Lohnrückgang stattfand, hat sich die Lage des Arbeiters ver-
bessert, und ist der „standard of life“ ehe gestiegen als gefallen.
Der englische Arbeiter lebt besser als alle anderen Nationalitäten und
kann auch infolgedessen weit mehr leisten als z. B. der Pole, der
von Speck und Kartoffeln lebt. Den englischen Arbeitern geht es erheblich
besser als den Bauern. Erstere haben keine Sorgen und am Ende der
Woche die klingende Münze in der Hand. Letztere plagen sich jahr-
ans jahrein, und am Ende des Jahres haben sie kaum ihr jährliches
Auskommen.
Sehr belehrend ist das Kapitel Stillich’s über die Ursachen der
Krisis, erstens durch den Fall der Preise und zweitens durch
den ausländischen Wettbewerb, worauf wir hier nicht näher eingehen,
da darüber schon oft berichtet ist.
Der erste Abschnitt, „The Agricultural Holdings Act“, zeigt uns die
Bedeutung des Gesetzes für das in England so ausgedehnte Verpachtungs-
wesen und die große Bedeutung dieses Gesetzes für Verpächter und
Pächter. Der Act schützt die Interessen des Verpächters als auch die
des Pächters. Der Pächter kann z. B. nach Beendigung seiner Pacht
Entschädigung für Errichtung von Gebäuden, Verwandlung von Acker-
land in permanente Weide, Anlage einer Drainage, Verwendung von
künstlichen Düngmitteln verlangen; das Gesetz bestimmt die Dauer der
Ausnützung einer jeden Melioration, und kann der Pächter für die nach
Ablauf seiner Pacht unausgenützte Zeitperiode, die dem Verpächter zu
Gunsten fällt, Entschädigung erhalten.
Es läßt sich nicht leugnen, daß das Gesetz für die Verpächter als
auch für die Pächter segensreich gewirkt hat. Der Pächter scheut es
heute nicht, Verbesserungen an dem Gute auszuführen, denn er weiß,
daß er hierfür eventuell nach Beendigung seiner Pachtperiode Ent-
| gg, *
110 Miszellen.
schädigung verlangen kann, wenn er dieselben nicht voll ausnutzen
konnte. Das Gesetz fördert also die rationelle und gute Bewirtschaftung
der Güter zu Gunsten sowohl des Verpächters als auch des Pächters.
Der Pächter kann ohne Risiko seinen Feldern künstliche Düngemittel
zuführen, denn er weiß, daß er die Zinsen und Nutznießung seiner
seiner Geldanlage genießen wird. Mit Rücksicht auf die Ausdehnung
des Pachtsystems Englands ist eine solche Gesetzgebung wie die der
„Agriculture Holdings Act“ notwendiges Bedürfnis geworden; es giebt
natürlich, wie überall, Leute, Verpächter und Pächter, die mit einzelnen
Paragraphen des Gesetzes unzufrieden sind, und andere wieder, die
Verbesserungen und Aenderungen wünschen, allein die Majorität stimmt
darin überein, daß die „Agricultural Holdings Act“ eine „Ben“ für alle
Interessenten geworden ist. — Im zweiten Abschnitt betrachtet Stillich
die „Land Tenure Bill“; seine Ausführungen sind sehr klar dar-
gelegt; ich möchte hinzufügen, daß sie die Interessen des Pächters fast
aussch ließlich vertritt und zwar zu Ungunsten des Verpächters. Es ist
also kein Wunder, wenn die Pächter die „Land Tenure Bill“ unter-
stützen und wenn sich die Großgrundbesitzer und Landaristokratie da-
gegen sträuben. Wir haben in England deutlich genug die Wirkungen
der „Land Tenure Bill“ in Irland beobachten können, wo die Bill 1881
Gesetz geworden ist, die Grundbesitzer Irlands wurden fast vollständig
ihren Pächtern freigegeben. Wie mir vor einigen Jahren noch ein
irländischer Großgrundbesitzer sagte: „Wenn Sie viel Geld verdienen
wollen, gehen Sie nur nach Irland; werden Sie dort Pächter und nutzen
Sie die Gladstone’schen Land acts aus“. Der Pächter braucht nur an die
„Land Courts“ (Gütergerichtshöfe) um Reduktion seiner Pacht zu
appellieren, und er kann ziemlich sicher sein, daß der Gerichtshof ohne
weiteres, und ohne den Gruudherrn zu berücksichtigen, die Pacht-
nachlasse bewilligen wird und zwar meist auf 4 Jahre. Angeblich soll
ja der Gerichtshof als unabhängige Behörde unparteiisch sein, aber die
Erfahrung hat gelehrt, daß der Gerichtshof eher auf Seiten der Pächter
als auf Seiten der Verpächter steht. Theoretisch ist der Gedanke einer
zeitgemäßen Pacht, „Free Sale“ (d. h. das Recht, die Pacht an
Dritte zu veräußern), “Fair Rent“ (d. h. einen billigen Pachtzins) und
„Fixity of Tenure“ d. h. Sicherheit des Pachtvertrags ganz
gerecht, allein die Ausführung des Gesetzes durch eine dritte, nicht
immer unparteiische Behörde ist sehr schwer und führt meist zu noch
größeren Komplikationen.
Der Grundbesitzer in England wehrt sich natürlich gegen die Er-
hebung der „Land Tenure Bill“ zum Gesetz, und ich möchte selbst be-
zweifeln, ob sie den Pächtern so sehr in England zu Nutzen kommen
würde. Die Pächter wollen erstens keine 5-jährige Pachtperiode und
ziehen eine 1-jährige Pachtrate vor; bei der kürzeren Pacht können
sie eher die Höhe der Pacht den Zeiten gemäß regulieren und der
sinkenden oder steigenden Konjunktur anpassen. Die „Agricultural
Holdings Act“ in England sichert je schon dem Pächter die Sicherheit
des Pachtvertrages und Entschädigung für die von ihm ausgeführten
Meliorationen; mehr braucht er nicht zu verlangen. Das freie Vertrags-
Miszellen. 111
recht zwischen Verpächter und Pächter besteht ja so wie so in England
und ist nur eine Einmischung durch einen Gerichtshof vom Uebel. Ich
bin in der Lage, zu behaupten, daß im allgemeinen Verpächter und
Pächter in England auf ganz gutem freundschaftlichem Fuße leben sie
haben zusammen die schweren Zeiten der Agrarkrisis durchgemacht und
haben beiderseits zusehen müssen, wie ihr Einkommen durch die Macht
der Verhältnisse schwand; sie haben beiderseits in den sauren Apfel
beißen müssen; sie haben sich schließlich gegenseitig, sich über Wasser
zu halten und die schwere Krisis zu überstehen, geholfen. Es wäre
also nicht angezeigt, das gute Verhältnis zwischen Verpächter und
Pächter durch einen Gerichtshof in Frage zu stellen und zu gefährden.
Bezüglich der Pachtzinsfrage stehe ich auf dem Standpunkte,
daß sich im Laufe der letzten 30 Jahre die Pachtzinsen voll-
ständig den veränderten Zeiten und Konjunkturen angepaßt haben.
Durch den natürlichen Weg des Angebots und der Nachfrage ist dieser
Anpassungsprozeß vor sich gegangen, und ich bin der festen Ueber-
zeugung, daß heute der englische Farmer über die Höhe seiner Pacht
nicht mehr klagt. Vor 10 Jahren gab es noch eine Zeit, wo Verpächter
um die Erhaltung ihrer früheren Pachtzinsen kämpften. Der Kampf
war ein ungleicher, und sahen sich die Grundherren gezwungen, der ge-
ringen Nachfrage wegen ihre hohen Pachtforderungen aufzugeben. Die
Zeiten des Antagonismus zwischen Verpächter und Pächter waren
hauptsächlich zu Anfang der Agrarkrisis, als die Verpächter noch nicht
zur Einsicht gekommen waren, daß sie Pachtnachlasse machen mußten,
um ihren alten Pachterstamm zu erhalten. Heutzutage ist dieser
Antagonismus verschwunden; der Gutsbesitzer besteht nicht mehr auf den
früheren hohen Pachtzinsen, sondern begnügt sich mit dem natürlichen
Resultat von Nachfrage und Angebot. Wie die Kommission auch richtig
bemerkt: „Die Hauptlast der landwirtschaftlichen Krisis hat sich
immer mehr und mehr von den Pächtern auf die Eigentümer des Landes
abgewälzt. Es ist das ein Resultat, welches früher oder später, vom
ökonomischen Standpunkte aus betrachtet, unvermeidlich war.“
112 Litteratur.
Nachdruck verboten.
Litteratur.
I.
Beiträge zur neuesten Handelspolitik Deutschlands.
Bd. 1, hrsg. vom Verein für Sozialpolitik. 80. IX. und 336 SS.
Besprochen von R. van der Borght.
Der großen, 4 Bände umfassenden Veröffentlichung „Die Handels-
politik der wichtigeren Kulturstaaten in den letzten Jahrzehnten“ vom
Anfang der 90er Jahre, einer Veröffentlichung von hohem Wert, be-
ginnt jetzt der Verein für Sozialpolitik eine Ergänzung folgen zu lassen,
die zwar geringer an Umfang, aber nicht geringer an Bedeutung zu
werden verspricht. Es handelt sich darum, die „wichtigsten großen
konkreten Einzelfragen der zukünftigen deutschen Handelspolitik“ in
einer Reihe von Specialarbeiten zu behandeln. Von den Antragstellern,
die auf der Generalversammlung des Vereins von 1899 den Anstoß zu
der neuen Veröffentlichung gegeben haben, war eigentlich die „Frage
der sozialpolitischen Bedeutung des Ueberganges Deutschlands zum
Exportindustriestaat“ als Gegenstand der Bearbeitung ins Auge gefaßt
worden. Dieses Thema ist meines Erachtens mit vollem Recht in den
Hintergrund geschoben worden; es wird nach dem für die Gesamt-
veröffentlichung vorliegenden Plan jetzt nur noch bei der Darlegung
der Ergebnisse der Berulsstatistik für die Handelspolitik berücksichtigt
werden. Dagegen sollen die handelspolitischen Beziehungen Deutsch-
lands zu den Vereinigten Staaten, zu England, zu Oesterreich, zum ost-
asiatischen Markt, zu Rußland und die neueste Entwickelung und die
demnächstigen Hauptaufgaben der deutschen Handelspolitik in einer
größeren Zahl von Arbeiten eingehend behandelt werden. Für die
wichtigsten dieser Untersuchungen sind mehrere Referenten derart aus-
gewählt, daß eine Berücksichtigung der verschiedenen miteinander
ringenden Strömungen gesichert ist. So sollen z. B. die Beziehungen
zu den Vereinigten Staaten von einem amerikanischen und einem deutschen
Gelehrten, die zu England von einem englischen und einem deutschen
Schriftsteller, die landwirtschaftlichen Zölle von Dr. Conrad und Dr. Dade
in selbständigen Arbeiten besprochen werden. Man kann dieses Vor-
Litteratur. 113
gehen nur billigen. Aber man wird auch nicht umhin können, schon
in diesem Plan einen neuen Beweis dafür zu finden, wie wenig eigent-
lich in handelspolitischen Dingen wirklich als wissenschaftlich all-
gemein anerkannt und unanfechtbar gilt und gelten kann. Auch der
Inhalt des vorliegenden Bandes bestätigt das. Als Gedanken, die von
allen im 1. Bande erscheinenden Verfassern grundsätzlich gebilligt
werden, kann man etwa feststellen, daß von einer grundsätzlichen Ver-
werfung der Schutzzölle einschiießlich der landwirtschaftlichen Zölle
nicht die Rede sein kann, aber ebensowenig von einer kritiklosen An-
wendung der Zölle ohne Prüfung der Frage, ob die Voraussetzungen
für eine gedeiliche Wirkung des Zolles im einzelnen Fall gegeben sind.
Auch das darf man als von allen Verfassern ausdrücklich oder still-
schweigend anerkannt betrachten, daß der Export an sich heut für
Deutschland unentbehrlich ist. Aber viel weiter geht die Ueberein-
stimmung nicht, und von den angeführten Grundsätzen aus werden sehr
verschiedene Schlußfolgerungen gezogen. In dem Gesagten liegt keines-
wegs ein Tadel für die beteiligten Verfasser oder für die Wissenschaft
der Nationalökonomie. Im Gegenteil! Gerade in der erwähnten That-
sache spricht sich aus, daß die heutige Nationalökonomie sich der
Relativität ihrer Ergebnisse bewußt ist und daß ihre Vertreter nicht
durch einfachen Autoritätsglauben, sondern durch ehrliches und ge-
wissenhaftes Ringen und Kämpfen die Wahrheit zu erfassen und zu
begreifen suchen. Von diesem höheren Gesichtspunkt aus wird man
einen Nachteil nicht darin erblicken können, daß die Autoren des vor-
liegenden 1. Bandes zu verschiedenen Auffassungen gelangt sind. In dem
noch ausstehenden Teil der Veröffentlichung wird es nicht anders sein.
Der vorliegende erste Band enthält 4 Aufsätze, die anscheinend
zufällig nebeneinander gestellt sind und nicht in innerem Zusammen-
hang miteinander stehen. In der That sind, wie Schmoller als
Leiter der Publikation in der Vorrede mitteilt, diese Arbeiten einfach
so, wie sie eingingen, zum Druck befördert worden. Es spricht für
die Logik des Gesamtplanes der Veröffentlichung, daß trotzdem auch
die vorliegenden 4 Arbeiten sich in der glücklichsten Weise gegen-
seitig ergänzen. Um das zu empfinden, muß man von Conrad’s Aufsatz
über die Stellung der landwirtschaftlichen Zölle in den 1903 zu
schließenden Handelsverträgen Deutschlands ausgehen. Conrad wird
am Schluß seiner Untersuchung erklärlicherweise dazu gedrängt, die
bis dahin von ihm behandelten landwirtschaftlichen Interessen in Be-
ziehung zu den industriellen Bedürfnissen zu setzen, und das führt ihn
von selbst dazu, auch unser Verhältnis zu unseren wichtigsten Getreide-
lieferanten, zu den Vereinigten Staaten und Rußland, zu erörtern, die
beide von uns vorzugsweise industrielle Erzeugnisse beziehen, aber auch
beide offen dahin streben, sich in industrieller Beziehung unabhängig
vom Auslande zu machen. Conrad gelangt dabei zu dem Ergebnis,
daß der Interessengegensatz zwischen den Vereinigten Staaten und den
europäischen Industrieländern sich verschärfen mul, daß der Zollkampf
mit den Vereinigten Staaten in der Zukunft unvermeidlich ist und daß
Dritte Folge Ed. XXI (LXXVI). 8
114 Litteratur.
zur erfolgreichen Abwehr der amerikanischen Konkurrenz ein Zoll-
bündnis des europäischen Kontinents angestrebt werden muß,
Die zuletzt von Conrad berührten, naturgemäß nur in den Um-
rissen behandelten drei Themata sind es nun, die den Gegenstand der
übrigen 3 Arbeiten des 1. Bandes bilden. Die Beziehungen zu den
Vereinigten Staaten behandelt Dr. Fisk, der frühere Sekretär der
amerikanischen Botschaft in Berlin, die zu Rußland bespricht Dr. Ballod,
und die Frage der mitteleuropäischen Zolleinigungen hat Dr. Francke
bearbeitet. Die Conrad'schen Ausführungen werden dadurch ergänzt,
erweitert und illustriert, zum Teil auch unbeabsichtigterweise kon-
trolliert. Liest man den Band in der oben angedeuteten Reihenfolge,
so wird man sich des lebhaftesten Interesses für seinen Inhalt nicht
erwehren können und ihn als ein zusammengehöriges Ganzes in sich
aufnehmen. Man wird dann aber auch sofort seine große praktische
Bedeutung erkennen; denn die Lektüre führt uns mitten hinein in die
großen und schwierigen Probleme, die von der deutschen Handels-
politik demnächst zu lösen sein werden.
Wie berechtigt es ist, wenn Conrad auf die zunehmende Ver-
schärfung der wirtschaftlichen Gegensätze zu den Vereinigten Staaten
nachdrücklich hinweist, kann nicht schlagender bewiesen werden, als
durch die Arbeit von Dr. Fisk. Er kennt offenbar die amerikanischen
Verhältnisse und handelspolitischen Grundsätze und Ideen sehr genau,
und was er an thatsächlichen Mitteilungen und Schilderungen bringt,
ist äußerst lehrreich und dauernd wertvoll. Aber was im Augenblick
ganz besonders fesselt, ist das scharfe Hervorleuchten der völligen Un-
bekümmertheit der amerikanischen Handelspolitik um alle nichtamerika-
nischen Interessen. Die amerikanische Auffassung über die Reci-
procität, über Meistbegünstigung, über Zollzuschläge zum Ausgleich
ausländischer Ausfuhrprämien u. dergl. mehr, die kaum noch höfliche
Ablehnung der deutschen Berufung auf die unentgeltliche Anwendung
der niedrigen Zollsätze der Caprivischen Handelsverträge gegenüber
den amerikanischen Erzeugnissen (S. 41), die Darlegungen über die
„Expansion“, die von der naiven Bemerkung ausgehen, daß sich die
Vereinigten Staaten nach dem Kriege mit Spanien „unerwarteter- und
unbeabsichtigterweise im Besitz neuer Gebiete“ sahen: das alles zu
lesen, und zwar recht aufmerksam zu lesen, kann man nicht dringend
genug allen denen raten, die bei der bevorstehenden handelspolitischen
Aktion mit zu handeln haben und mitreden wollen.
Was Rußland anlangt, so hatte Conrad betont, daß von hier aus
eine Konkurrenzierung unserer Industrie in absehbarer Zeit nicht zu
befürchten ist, aber vor einer Zollerhöhung auf Getreide diesem Lande
gegenüber gewarnt. Das erstere bestätigt Dr. Ballod in seinen aus-
führlichen Darlegungen über die Konkurrenzfähigkeit der russischen
Eisenindustrie, auf die es ja in diesem Zusammenhange besonders an-
kommt. . Bezüglich des Getreides kommt dagegen Ballod zu dem Schluß,
daß eine mäßige Erhöhung auf 5, eventuell auf 6 M. ohne Gefährdung
eines Handelsvertrages durchzusetzen sein würde, während er gleich-
Litteratur.’ 115
zeitig eine Herabsetzung der russischen Zölle auf Eisen und fertige
Gewebe nicht für unwahrscheinlich hält, da das starke Exportinteresse
der russischen Landwirtschaft diese Forderung unterstütze. Das russische
Exportinteresse richtet sich nach Ballod in erster Linie auf Weizen,
bei dem zwar eine bedeutende Mehrproduktion im europäischen Rußland
nicht zu erwarten ist, der aber im südlichen Sibirien in erhöhter Menge
gewonnen und ohne Schädigung der russischen Volksernährung in erheb-
lichem Umfange abgegeben werden kann. Auch Holz, Faserstoffe (Hanf
und Lein) und ölhaltige Samen sind wichtige Exportatikel Ruflands.
Sind diese Darlegungen Ballod’s richtig, so ergeben sich daraus be-
achtenswerte Richtpunkte für die deutsche und die russische Handels-
politik. Ballod untersucht auch die Bedeutung und die Wirkung des
deutsch-russischen Handelsvertrages von 1894. Er kommt dabei zu einer
verhältnismäßig geringen Einschätzung der Vorteile, die aus diesem Ver-
trage für Deutschland erwachsen sind. Für wichtige deutsche Ausfuhr-
artikel sind die russischen Zölle trotz der im Handelsvertrage zuge-
standenen Ermäßigung noch „enorm hoch, für viele Artikel direkt prohibitiv
geblieben“. Zölle von 50, 60, 100, 150, 200 Proz. des Wertes sind
noch zu verzeichnen. Nur für Maschinen und Eisenwaren ist ein
mäligerer Satz — 30—40 Proz. — in Geltung. Gerade in diesen Artikeln ist
der deutsche Export nach Rußland seit 1894 erheblich gestiegen. Indes
führt Ballod das weniger auf die mäfigeren Zölle, als auf den Umstand
zurück, daß Rußland bei der umfangreichen Gründung neuer Unter-
nehmungen dieser Waren nicht entraten konnte. Die ausgedehnte
Gründungsthätigkeit ihrerseits aber ist, wie auch Ballod hervorhebt,
durch den russischen Hochschutztarif hervorgerufen; ihr letztes Ziel ist,
die Einfuhr industrieller Erzeugnisse entbehrlich zu machen. Gestiegen
ist auch die Ausfuhr Deutschlands nach Rußland in Büchern, Karten,
Musikalien, Luxusartikeln, feiner Leibwäsche, Handschuhleder, Gold-,
Silber-, Nickelwaren, dagegen fast unverändert geblieben bei chemischen
Erzeugnissen und erheblich zurückgegangen bei Textilwaren. Das alles
sind Erwägungen, die jedenfalls eine ernste Prüfung verdienen, und die,
wenn sie sich als zutreffend erweisen sollten, das übliche Urteil über
die Wirkungen des deutsch-russischen Handelsvertrages beeinflussen
müßten.
Die von Conrad als Endziel bezeichnete engere zollpolitische Ver-
bindung der mitteleuropäischen Staaten mit der Spitze gegen die Ver.
Staaten darf nach den geschichtlichen Darlegungen und nach den Schluß-
folgerungen, die Francke in seinem Aufsatz über die Frage giebt, nicht
gerade als aussichtsvoll bezeichnet werden. Brennend ist meines Erachtens
die Frage zur Zeit nicht, und wenn sie jemals anders als durch bloße
Handelsverträge gelöst werden sollte, dann müßte die wirtschaftliche Ge-
fahr, die von den Ver. Staaten her droht, sich erst noch viel schärfer den
mitteleuropäischen Ländern aufgedrängt haben. Denn manches Sonder-
interesse der einzelnen beteiligten Länder müßte der Erreichung dieses
Zieles geopfert werden, und das geschieht nicht, so lange nicht die
Gefahr dringend ist. Gleichwohl ist es dankenswert, daß Francke die
EK
116 Litteratur.
Entwickelung der einschlägigen Bestrebungen eingehend schildert!) und
die verschiedenen Formen des engeren zollpolitischen Zusammenschlusses
auf ihre praktische Brauchbarkeit und Wirkung hin prüft. Von un-
mittelbarer praktischer Bedeutung ist der Hinweis Francke’s auf die
Notwendigkeit einer Revision der Meistbegünstigungsklausel. Von dieser
Revision hängt nach ihm die Möglichkeit eines engeren Zusammen-
schlusses der mitteleuropäischen Staaten in der Zollpolitik ab. Aber
auch aus anderen und näher liegenden Rücksichten wird die deutsche
Handelspolitik M. E. die Frage sehr ernsthaft prüfen müssen, ob und wie
weit die unbeschränkte, unbedingte und unentgeltliche Meistbegünstigung
überhaupt noch aufrecht erhalten werden kann. Sie ist sicher eine be-
queme, einfache, durchsichtige Formel, aber ihre praktischen Wirkungen
sind sehr verschieden und waren und sind den deutschen Interessen
nicht immer günstig.
Noch einige Worte seien mir über die Conrad’sche Abhandlung
gestattet. Sie hat mit Recht in der Oeffentlichkeit die größte Be-
achtung gefunden. Um die Frage der landwirtschaftlichen Zölle dreht
sich der Kampf der Meinungen, und ein sehr lebhafter Streit ist ge-
legentlich der Beratung des neuen Zolltarifs und der künftigen Handels-
verträge unvermeidlich. Von Conrad konnte man eine ruhige und sach-
liche, aber auch durchaus sachverständige Behandlung der Frage er-
warten. Wer nicht aus den oft recht einseitig gehaltenen Auszügen in
der Tagespresse, sondern durch eigene Lektüre den Aufsatz kennen
lernt, wird sich in dieser Erwartung nicht getäuscht finden.
Conrad ist weit entfernt davon, landwirtschaftliche Schutzzölle
schlechthin abzulehnen. Er hält sie unter bestimmten Voraussetzungen
für unvermeidlich, macht aber mit vollem Rechte nachdrücklich darauf
aufmerksam, daß die Wirkung landwirtschaftlicher Schutzzölle von an-
deren Faktoren bedingt ist, und daß man deshalb mit ihrer Anwendung
noch viel vorsichtiger sein muß, als bei Industrieschutzzüllen, Conrad
gelangt zu dem Ergebnis, daß für die Hauptvieharten, ferner für Käse,
Butter, frisches Fleisch und Konserven tierischer Produkte auch erhöhte
Zölle nicht bedenklich sind. Was das Getreide anbelangt — und auch
nach Conrad ist die deutsche Landwirtschaft in der Hauptsache auf
Getreidebau angewiesen — so empfiehlt er Herabsetzung des Hafer-
zolles im Interesse der Viehzucht, hält eine Erhöhung des Gerstenzolles
für zulässig, lehnt aber eine Erhöhung des Roggen- und Weizenzolles
ab. Mit Rücksicht auf die gedrückte Lage der Landwirtschaft warnt
er gleichzeitig wiederholt vor der Beseitigung der jetzigen Zölle auf
Weizen und Roggen.
Ich will nicht darauf eingehen, ob man bei Hafer und Gerste nicht
von dem Gesichtspunkt aus zu einer anderen Schlußfolgerung kommen
1) Da Francke (S. 190) von vornherein für die Lücken in dem seiner Arbeit
beigegebenen Litteraturnachweis „um mildernde Umstände“ bittet, so wird er es mir
nicht verargen, wenn ich ihn darauf hinweise, daß er unter anderen die in deutscher und fran-
zösischer Sprache in den 80er Jahren erschienenen und damals nicht unbeachtet ge-
bliebenen Aufsätze von R. v. Kaufmann über die Frage des mitteleuropäischen Zoll-
vereins übersehen hat.
Litteratur. 117
konnte, daf Hafer als Futtermittel zwar für die Pferdezucht, aber nicht
für die Fleisch- und Milchproduktion in Betracht kommt und als die
Frucht armer Gegenden erscheint, und daf andererseits Gerste in ihren
geringeren Sorten als Futtermittel, z. B. bei der Schweinezucht dient
und daß ihre besseren Sorten nur in besonders gut kultivierten Gegenden
erzeugt werden können und im allgemeinen günstige Preise erzielen.
Der Schwerpunkt dieser Endergebnisse Conrad’s liegt ja unzweifelhaft
darin, daß eine Beseitigung des jetzigen Zolles für Weizen und Roggen
noch nicht in Frage kommen kann. Diese Schlußfolgerung dürfte
praktisch insofern eine große Bedeutung gewinnen, als sie dem Ansturm
gegen den Roggen- und Weizenzoll überhaupt entgegenarbeitet. Es
fehlt nicht an Anzeichen dafür, daß selbst in Kreisen, die mehr frei-
händlerischen Anschauungen zuneigen, das Eintreten Conrad’s für die
Beibehaltung des jetzigen Weizen- und Roggenzolles einen starken Ein-
druck gemacht hat. Praktischen Politikern drängt sich vielleicht fol-
gende Erwägung auf: Langjährige Handelsverträge im Interesse unserer
Exportindustrie, die auch von Conrad befürwortet werden, lassen sich
gerade wichtigen Ländern gegenüber nicht erreichen, wenn nicht für
Roggen und Weizen Zugeständnisse gemacht werden. Wird es nun
als hinreichend großes Zugeständnis gelten, wenn wir in dem zu er-
wartenden Zolltarif die jetzigen Vertragszölle einsetzen, von denen aber
dann nach Conrad’s Darstellungen nichts mehr abgelassen werden kann ?
Oder ist es taktisch richtiger, den Roggen- und Weizenzoll mit etwas
höherem Betrage in den Zolltarif einzustellen, um durch die vertrags-
mäßige Herabsetzung auf den jetzigen Satz günstigere Vereinbarungen
für unsere Exportindustrie zu erzielen, ohne der Landwirtschaft das
von Conrad als zur Zeit noch nötig bezeichnete Maß des Zollschutzes
für Roggen und Weizen zu entziehen? Das ist eine Frage, die nicht
von der Wissenschaft, sondern von der praktischen Politik zu lösen ist.
Ich führe sie hier nicht an, um sie zu beantworten, sondern um an
diesem Beispiel zu zeigen, daß, so groß auch die Bedeutung der vor-
liegenden wissenschaftlichen Untersuchungen ist, doch unter Umständen
die praktische Politik genötigt sein könnte, anscheinend von der Wissen-
schaft abzuweichen, um gerade das von dieser bezeichnete Ziel zu er-
reichen.
Unter den Gründen, aus denen Conrad zur Ablehnung einer Zoll-
erhöhung für Weizen und Roggen gelangt, findet sich (S. 117) auch die
Erwägung, daß sich der Zoll in eine Steigerung des Grundwertes
umsetzt und deshalb für den Besitzer, der zur Zeit der Zollauflegung
den Boden in der Hand hat, eine Kapitalschenkung in sich schließt,
während der neue Besitzer wegen des höheren Bodenpreises, den er hat
zahlen müssen, doch wieder unter bedrängten Verhältnissen wirtschaftet.
Darin steckt unzweifelhaft viel Richtiges. Der bezeichnete Vorgang wird
aber nur in den Fällen zur vollen Wirkung kommen, in denen der Be-
sitzer, der seinerseits den Boden in Anbetracht der jetzigen Leistungs-
und Ertragsfähigkeit desselben nicht zu hoch bezahlt hat, kurz vor
oder bald nach der Zollerhöhung das Grundstück verkauft, ohne durch
besondere Umstände dabei in eine Zwangslage gebracht zu sein. Liegt
118 Litteratur.
die letztere vor, so wird er nicht immer stark genug sein, die Boden-
wertsteigerung im Kaufpreise zur Geltung zu bringen. Hat er selbst
den Boden zu hoch bezahlt, so erreicht er in dem jetzigen Bodenwert
zuzüglich der durch den Zoll bewirkten Wertsteigerung vielleicht nicht
einmal seinen eigenen Kaufpreis, Verkauft er erst längere Zeit nach
der Zollerhöhung, so haben sich vielleicht inzwischen die Verhältnisse
auf dem Getreideweltmarkt wieder so verschoben, daß die Rentabilität
des Getreidebaues nur gering und deshalb der Bodenwert wieder ge-
sunken ist. Man kann also nicht von vornherein übersehen, ob und
wie weit die durch den Zoll zunächst bewirkte Bodenwertsteigerung
zu praktischer Bedeutung gelangt. Auf der anderen Seite könnte die
Frage entstehen, ob nicht in einem gegebenen Zeitpunkt eine Zollerhöhung
dazu beitragen kann, daß der jetzige Besitzer wegen der Aussicht auf
bessere Rentabilität seinen Grund und Boden festhält, und ob nicht die
Gesamtheit gerade an dem Verbleiben des Bodens in der bisherigen
Hand ein wesentliches Interesse hat. Das sind meines Erachtens
Fragen, die sich bei dem in Rede stehenden Grunde vom praktischen
Standpunkte aus aufdrängen. Sie hier zu lösen, ist nicht der Ort. Ich
erwähne sie nur, um zu zeigen, wie die durchdachten Ausführungen
Conrad’s zum Nachdenken und zur weiteren Verarbeitung der autge-
rollten schwierigen Zeitfragen anregen. Gerade darin liegt der große
Wert wirklich wissenschaftlicher Arbeiten, daß sie den aufmerksamen
Leser zu weiterer Geistesarbeit veranlassen.
Nach allem haben wir es in dem vorliegenden Bande mit einer
Veröffentlichung zu thun, die für die Männer der Wissenschaft und der
Praxis eine besondere Bedeutung beanspruchen kann und die wesentlich
dazu beitragen wird, eine der Gesamtheit zuträgliche Lösung der
schwebenden schwierigen Fragen herbeizuführen.
I
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 119
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Schüller, Richard, Dr., Die Wirtschaftspolitik der historischen
Schule. Berlin 1899. VI und 131 SS.
Als ich vor vier Jabren in diesen Jahrbüchern das Erstlingswerk
des Verfassers anzeigte: „Die klassische Nationalökonomie und ihre
Gegner“ (III. F., Bd. 11, S. 757—759), hob ich als Hauptverdienst
dieser Arbeit hervor, daß der Verf. mit Recht vielen übertrieben
geringschätzigen Beurteilungen der klassischen Nationalökonomie ent-
gegentreten sei und daß er mit guter Auswahl die Stellen der Klas-
siker erwähnt habe, die jene oft maßlosen Vorwürfe unbegründet er-
scheinen lassen. Ich hatte aber dort schon auf einen Irrtum hinge-
wiesen, in den der Verf. geraten ist, indem ich schrieb: „Auch darin
scheint uns der Verf. zu irren, wenn er einen gewissen Einfluß an-
nimmt, den die irrtümliche Beurteilung der klassischen Nationalökonomie
seitens der historischen Schule auf die sozialpolitische Stellung der
letzteren gehabt habe (S. 3): „„Die Auffassung der historischen Schule
über die Smith’sche Wirtschaftspolitik bildet eine wichtige Stütze der
jetzt herrschenden prinziplosen Opportunitätspolitik, welche zu der
Einengung des Koalitionsrechts, zu einer rückläufigen Agrar- und Ge-
werbepolitik, zur Ausdehnung der indirekten Steuern und zu unzuläng-
lichen Sozialreformen führt.““ Thatsächlich sind jedoch die Anhänger
der verschiedensten nationalökonomischen Methoden gemeinsam bei den-
selben sozialpolitischen Bestrebungen beteiligt.“
Dieses Urteil muß ich in noch verstärktem Maße gegenüber der
Grundtendenz der neuen Schrift des Verfassers aufrecht erhalten, in
welcher Schüller speciell die Stellung der historischen Schule zur Wirt-
schaftspolitik beleuchtet und zu dem Resultate gelangt (S. 131): „Seit
der Mitte des 19. Jahrhunderts ist die Methode, welcher die historische
Richtung in praktischen Fragen folgt, vorherrschend geworden, weil
den wirtschaftlichen und sozialen Fragen der Gegenwart entsprechende
prinzipielle Richtungen nicht in der Entwickelung begriffen sind. Die
historische Schule vermag den sozialen Problemen unserer Zeit ebenso-
wenig gerecht zu werden, wie ihre Vorgänger den liberalen Problemen.
Die Volkswirte aber, die auf eine prinzipielle Behandlung dieser Pro-
bleme hinarbeiten, müssen dieselben Methoden anwenden, die von der
120 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
klassischen Nationalökonomie auf die Fragen der liberalen Periode
angewendet worden sind“.
Ich vermag diesem Urteile nicht zuzustimmen: die Frage der wissen-
schaftlichen Methode nationalökonomischer Forschung hat nichts zu thun
mit der Stellungnahme zu den praktischen volkswirtschaftspolitischen
Fragen oder mit anderen Worten: ob man deduktive oder induktive, theore-
tische oder historische Forschungsweise bevorzugt, ist nicht maßgebend für
die gänzlich andere Frage, ob man liberale oder staatssozialistische, ob man
zünftlerische oder gewerbefreiheitliche Politik bevorzugt. Der Verf. scheint
geradezu von dem Standpunkte auszugehen, als ob die Methode der
klassischen Nationalökonomie nicht nur unfehlbar gewesen sei, sondern
auch, als ob nur eben die „liberale“ Wirtschaftspolitik auf Wissenschaft-
lichkeit Anspruch machen könne, als ob alles andere prinziploser
Eklekticismus, oder Rückfall in veraltete, reaktionäre und merkantilisti-
sche Irrtümer darstelle. Verf. scheint nicht genügend die Bedeutung
der Methodenfrage für die theoretische und für die praktische National-
ökonomie zu unterscheiden. Der Anhänger der klassischen National-
ökonomie in der Methodenfrage wird immer noch versuchen, das ganze
gewaltige Gebiet der Volkswirtschaft theoretisch aus gewissen „Prin-
zipien“ zu erforschen, die er isoliert betrachtet; der Historiker ver-
zichtet auf dieses Hilfsmittel und sucht das Wirtschaftsleben als Teil
des gesamten Kulturlebens und im Zusammenhang mit allen wichtigen
anderen Erscheinungen des Volkslebens zu behandeln; der Theoretiker
sucht nach „Gesetzen“ des Arbeitslohnes, der Grundrente, des Zinses,
nach den Zusammenhängen dieser Einkommenszweige etc.; der Historiker
steht dem Suchen nach solchen „Gesetzen“ skeptisch gegenüber — aber in
der Volkswirtschaftspolitik ist der Unterschied längst nicht ein so tiefgrei-
fender. Wer in der „Theorie“, z. B. aus dem Egoismus der einzelnen
Wirtschaftssubjekte die wichtigsten wirtschaftlichen Kategorien, wie z.B.
Lohn, Zins, Rente etc. abzuleiten versucht, braucht keineswegs für
die praktische Volkswirtschaft die Bethätigung des „Egoismus“ als
die Hauptmaxime der Staatspolitik zu empfehlen. In der Frage, wie
weit die staatliche Fürsorge in volkswirtschaftlichen Dingen zu gehen
hat, sind die Vertreter der sogenannten klassischen Nationalökonomie
sehr uneinig und es ist gerade ein Verdienst des Verf., dies des näheren
erwiesen zu haben — Malthus, J. St. Mill, Ricardo, Smith, wie
verschieden sind sie als Wirtschaftspolitiker! Dasselbe trifft aber auch
heute zu, und nichts wäre so falsch, als etwa die Theoretiker unserer
Faches als „Liberale“, die Historiker als „Reaktionäre“ charakterisieren
zu wollen. Die Abneigung der Historiker gegen „Dogmen“ bewirkt
eine gewisse Vernachlässigung prinzipieller Grundfragen in der theore-
tischen Nationalökonomie, hat aber andererseits mit Recht die Oppo-
sition gegen einen „Absolutismus der Lösungen“, dem einzelne Ver-
treter der klassischen Nationalökonomie auch in Fragen der Volkswirt-
schaftspolitik huldigten, wachgerufen. Daß in der Handwerker-,
Agrar-, und Handelspolitik die Lösungen nicht aus einem Prinzip, son-
dern örtlich und zeitlich relativ erfolgen müssen, ist heute die überein-
stimmende Anschauung der „Theoretiker“ wie der „Historiker“. Daß
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 1921
aber die methodologische Richtung nicht maßgebend ist für die wirt-
schaftspolitische Auffassung, mag noch kurz durch ein Beispiel kon-
statiert werden. Unter den Nationalökonomen in Deutschland, die der
Methode der klassischen Nationalökonomie noch am nächsten stehen,
ist in erster Linie Dietzel zu erwähnen; kein anderer hat diese Methode
so heftig bekämpft, wie Brentano. Und doch sehen wir, wie die jüng-
sten handelspolitischen Schriften Dietzel’s beweisen, Brentano und
Dietzel in gleichem Male als eifrige Verfechter der liberalen Handels-
politik auftreten. — Solche Beispiele ließen sich noch zu Dutzenden an-
führen. — Trotz meiner abweichenden Auffassung gegenüber der Grund-
meinung des Verf. soll der Schrift deshalb nicht aller Wert abge-
sprochen werden: die Kapitel über das Verhältnis der klassischen
Nationalökonomie zur Manchester-Doktrin, sowie die Charakteristik
einiger älterer deutscher Volkswirte, wie z. B. Kraus, Lotz, Jacob,
Nebenius, Sartorius, Garve, Luden, enthalten eine Fülle
litterarhistorischen Materials, so daß Schüller’s Schrift, wie seine
frühere, eine wertvolle Bereicherung der Litteratur zur Geschichte
der Nationalökonomie darstellt.
Königsberg i/Pr. K. Diehl.
Bücher, K. (Prof.), Die Entstehung der Volkswirtschaft. Vorträge und Versuche.
3. Aufl. Tübingen, Laupp, 1900. gr. 8 XI—466 SS. M. 6,60.
Geschichtskalender, deutscher, für 1900. Sachlich geordnete Zusammen-
stellung der politisch wichtigsten Vorgänge im In- und Ausland, von Karl Wippermann.
I. Band: (Deutsches Reich und Preußen. — Oesterreich-Ungarn. — Rußland. — Frank-
reich. — Großbritannien und Irland. — Italien.) Leipzig, F. W. Grunow, 1900. gr. 8.
353 SS. geb. M. 6.—.
Sozialistenkongreß, internationaler, zu Paris, 23.—27. September 1900.
Berlin, Vorwärts, 1900. 8. 32 SS. M. 0,20.
„Vaterlandslose Gesellen“. Kurze Biographien der verstorbenen hervorragenden
Sozialisten des 19. Jahrhunderts. Stuttgart, Dietz Nachf., 1901. 12. 105 SS. mit zahl-
reichen Porträts. M. 0,50.
Verhandlungen des Parteitages der deutschen Sozialdemokratie Oesterreichs,
abgehalten zu Graz vom 2. bis 6. September 1900. (Nach dem stenographischen Proto-
kolle.) Wien, Wiener Volksbuchhdlg. Ign. Brand, 1900. 8.175 SS. Kr. 0,50. (Von
besonderem Interesse ist die Debatte über die Agrarfrage.)
Appia, H., Le christianisme social. Trois conférences. Paris, Fischbacher, 1900.
pet. in-8. XI—191 pag. (Publié sous les auspices de la Société chrétienne suisse
d'économie sociale. (Table: Coup d’oeil sur ce mouvement et ses causes. — Ses carac-
Dies et ses tendances. — Ses applications pratiques.)
Bibliothèque socialiste, serie I, n° 1—4. Paris, Société nouvelle de librairie
et d'édition, 1% novembre et 1° décembre 1900. petit in-8. Prix du numéro fr. 0,50.
(Sommaire. N° 1: Maur. Lauzel, Manuel du coopérateur socialiste, 100 pag. — N°24
(en un seul volume): E. Vandervelde, Le collectivisme et l’évolution industrielle.)
Chabin (P., de la compagnie de Jésus), Les vrais principes du droit naturel,
politique et social. (Chätillon-sur-Seine, impr. Pichat, 1901. 8. X—343 pag.
Dubreuilh, H., L'organisation socialiste. I.: le Comité. Troyes, impr. Arbouin,
1000. 8. (Bibliothèque du journal „le Petit Sou“.)
Guesde, J., La loi des salaires et ses conséquences, suivie d’une réponse à la
réponse de M. Clémenceau. Paris, Jacques & C', 1901. 8. 36 pag.
Halévy, E. (prof. à l'Ecole libre des sciences politiques), La formation du radi-
ealisme philosophique: La Révolution et la doctrine de l'utilité (1789—1815). Paris,
F. Alcan, 1900. 8. XXVII—413 pag.
Lechartier, G., David Hume moraliste et sociologue. Paris, F. Alcan, 1900.
8. 283 pag. fr. 5.—.
122 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Lonchampt, J., Notice sur la vie et Poeuvre d’Auguste Comte. Paris, impr.
Dubuisson, 1900, petit in-8. 219 pag. fr. 1.—.
Question de morale, Lecons professes au Collège libre des sciences sociales par
MM. G. Belot, M. Bernès, F. Buisson, A. Croiset, Delbos, Darlu, Fournière, Malapert,
G. Moch, D. Parodi et G. Sorel. Paris, F. Alcan, 1900. 8. 331 pag. (Bibliothèque
générale des sciences sociales.)
Socialisme, le. Paris, impr. P. Dupont, 1900. 8. 184 pag. à 2 vol. avec
portraits. fr. 1,10. (Encyclopédie populaire illustrée du XX” siècle.)
Ashley, W. J. (Prof. of Economic History in Harvard University), Surveys,
historic and economic. London, Longmans, Green, & C°, 1900, 8. XXVIII—476 pp.
9/.—. (Contents: The economie relations between England and her American colonies
during the century from 1660 to 1760, — The true nature of the import trade of
America. — Essay on tory free trade in the age of Dudley North and Bolingbroke. —
Mediaeval agrarian and mediaeval urban, — Industrial organisation in our own time.
— etc.)
Corporations and publie welfare. Addresses at the IVth annual meeting of
the American Academy of polit. and social science, April 19—20, 1900. Philadelphia,
American Academy of political and social science, 1900. gr. in-8. IV—208 pp. (Con-
tents: Part 1. The control of public-service corporations. — Part 2. Influence of
corporations on political life. — Part 3. Combination of capital as a factor in indus-
trial progress. — Part 4. The future of protection.)
Nieboer, H. J., Slavery as an industrial system. Ethnological researches. La
Haye, Mart. Nijhoff, 1900. 8. 478 pag.
Socialist campaign book of 1900. Chicago, H. Kerr & C°, 1900. 8. 154 pp.
8 0,25. (Contents: Evolution of the American proletarian. — Growth of trade-unio-
nism. — Trusts: industrial progress. — Trusts: despotism in industry. — The farmers
and his future. — Labors demands and capitalism’s answers, — Wages and living
expenses. — How the working class live. — Towards plutoeraey. — Capitalist political
platforms. — The growth of socialism.)
Whitaker, Jos., An almanack for the year of our Lord 1901. London, Office:
12, Warwick Lane, 1900. 8. 781 pp., cloth. 2/.6. (Contents: A large amount of
information respecting the government, finance, population, commerce, and general
statistics of the British Empire throughout the world with some notices of other coun-
tries, etc.)
Willoughby, Westel Woodbury (Associate Prof. of polit. seienee in the John
Hopkins University), Social justice. A critical essay. London, the Macmillan Comp.,
1900. gr. in-8. IX—385 pp., cloth. 15/.—. (Contents: Nature and value of the
proposed inquiry. — Justice. — Equality. — Property. — Canons of distributive justice.
The labor theory. — The labor theory as applied to property in land. — Other canons
of distributive justice. — The right of coercion. — The ethics of the competitive process.
— Punitive justice.)
Raddi, A. (ingegn.), La redenzione dei lavoratori : riforma giuridica sotto il regime
monarchico-costituzionale in Italia. Torino, tip. A. Baglione, 1900. 8. 95 pp. l. 1.—.
(Contiene: Pazzia criminosa del socialismo. — Libertà e diritto nell’ individualismo. —
L'ideale di un nuovo partito in Italia. — Abolizione dello incivile contratto di locazione
d'opera. — Il lavoro, primo modo d'acquisto della proprietà.)
Velardita, Ant., La proprietà secondo la sociologia. Napoli, tip. Pansini, 1900.
8. 59 pp.
Abundio da Silva, J., Uma classificação dos phenomenos e das sciencias sociaes.
Coimbra 1899. 8.
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Schindler, Karl, Finanzwesen und Bevülkerung der Stadt Bern
im 15. Jahrhundert. Bern 1900.
Die vorliegende Arbeit giebt eine Darstellung der bernischen.
Finanzen auf Grund der Säckelmeisterrechnungen und der Tellbücher
Wir erhalten einen ziemlich deutlichen Einblick in die Art der
städtischen Einkünfte sowie den Zweck ihrer Verwendung. Der städtische
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 193
Haushalt zeigte keine gesunden Verhältnisse: die Verzinsung der Renten-
schuld verschlang fast ein Drittel aller Ausgaben. Außerordentliche
Steuern blieben daher fast eine stehende Einrichtung, ohne daß damit
eine dauernde Besserung erreicht wurde. — Das Material gestattete dann
auch eine Darstellung der Vermögensverhältnisse für drei Jahre des
15. Jahrhunderts. So erwünscht uns diese Mitteilungen sind und so
sehr sie zur Ergänzung unserer sonstigen Kenntnisse beitragen, so hat
der Verf. seine Quelle doch nur sehr unvollkommen ausgenutzt: er hat
nur die Zahl der Censiten für jede Steuerklasse mitgeteilt, aber es ist
auch der Anteil des Vermögens selbst nötig, um die Verteilung über-
sehen zu können. Ferner sind für die beiden späteren Zählungen
nicht einmal die Relativzahlen der einzelnen Klassen berechnet. Auch
wird kaum ein Versuch gemacht, den außerordentlichen Umschwung der
Einkommensverhältnisse zwischen den Jahren 1448 und 1458 zu er-
klären, der uns so gänzlich unverständlich bleibt. Eine Zusammen-
fassung der 19 Klassen in größere Gruppen fehlt; ebenso jede An-
deutung über die Herkunft der Vermögen, über die sich doch wohl
an der Hand von anderen Quellen einiger Aufschluß hätte gewinnen
lassen. Gegen die ganze Art der Umrechnung in heutiges Geld (S. 10,
32, 37) habe ich die erheblichsten Bedenken. Ein Vergleich der Er-
gebnisse mit denen von O. Richter oder von mir hätte den Verf. doch
stutzig machen müssen. — Interessant endlich ist zu erfahren, wie gering
die Anzahl der Dienstboten und Gesellen war: Bei einer Bevölkerung
von 6000 Seelen im Jahre 1448 nur 9°. Auch die Bevölkerungsver-
hältnisse hätten übrigens eine weitere Ausarbeitung sehr wohl er-
möglicht, namentlich nach Seite des Familienstandes und des Geschlechtes.
Gegenüber der neulich angezeigten Schrift Buomberger’s macht die vor-
liegende Abhandlung einen durchaus unfertigen Eindruck.
Leipzig. F. Eulenburg.
Zehnter, J. A., Geschichte des Ortes Messelhausen. Ein Beitrag zur Staats-,
Rechts-, Wirtschafts-, und Sittengeschichte von Östfranken. Heidelberg, O. Winter,
1901. gr. 8 XII—355 SS. M. 6.—.
Brunet, L. et L. Giethlen, Dahomey et döpendances. Paris, Challamel, 1900.
8, XI—545 pag. avec grav. (Sommaire: Historique général. — Organisation, — Ad-
ministration. — Productions. — Agriculture. — Commerce.)
Kovalevsky, W., La Russie à la fin du XIX" siècle, publié sous la direction
de W. Kovalevsky (adjoint au Ministre des finances de Russie). Paris, Guillaumin & C",
1900, 8. 194 pag. fr. 10.—.
de Semenov, P. (membre du Conseil de l’Empire de Russie), La Russie extra-
européenne et polaire, Sibérie, Caucase, Asie centrale, Extrême Nord. Paris, imprim.
P. Dupont, 1900. 8. 242 pag.
Voyage du général Gallieni, par X *** (attaché à l'état-major du gouverneur
général). Paris, Hachette & C", 1900. in-4. Avec 147 gravures, 1 carte en 3 couleurs
et 13 cartes en noir. fr. 7,50. (Sommaire: Cinq mois autour de Madagascar. — Progrès
de l’agriculture, — Développement commercial, — Ressources industrielles, — Moyens
de transport.)
Hunter, Will. Wilson (Vice-president of the Royal Asiatie Society), A history
of British India. Volume II: To the union of the Old and New Companies under
the Earl of Godolphin’s Award, 1708. London, Longmans, Green, & C°, 1900. 8.
VI—420 pp. 16/.—. (Contents: The Company and the King, 1623—1649. — Our
first settlements on the Bombay coast, 1607—1658. — Our first settlements on the
124 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Madras coast, 1611—1658. — Our first settlements on the Bengal coast, 1633—1655. —
The Company and the commonwealth, 1649—1660. — The Company’s servants and trade
to 1660. — Strife and union of the Companies, 1698—1708. — etc.)
Nash, Vaughan, The great famine and its causes. London, Longmans, Green, & C°,
December 3, 1900. 8. X—262 pp. with 8 illustrations. 6/.—. (Contents: A description
of the condition of the famine-striken districts in India. — The Government relief orgi-
nisation and the different principles and methods which were found in operation in the
various provinces, — The food supply in famine time. — etc.)
3. Bevölkerungswesen. Auswanderung und Kolonisation.
Hermann, E. (Ansiedler in Nomtsas, früher in Kubub), Viehzucht und Boden-
kultur in Südwestafrika. Zugleich Ratgeber für Auswanderer. Berlin, Deutscher Kolonial-
verlag, 1900. gr. 8. 94 SS. M. 2.—.
Leutz, H., Die Kolonien Deutschlands. Karlsruhe, K. Scherer, 1900. gr. 8.
151 SS. mit 31 Illustrationen. M. 2,60. i
Meinecke, G., Der deutsche Export nach den Tropen und die Ausrüstung für
die Kolonien. Unter Mitwirkung hervorr. Fachleute hgg. I. Berlin, Deutscher Kolonial-
verlag, 1900. gr. 8. 282 SS. mit Abbildgn. M. 3.—. — Wirtschaftliche Kolonial-
politik. Heft 1 u. 2. Berlin, Deutscher Kolonialverlag, 1900. gr. 8. (Inhalt: I. Be-
trachtungen und Anregungen. 76 SS. M. 1.—. II. Die Undurchführbarkeit des Pro-
gramms des Herrn v. Liebert und ein neues Kolonialprogramm, 30 SS. M. 0,50.)
Rohrbach, P., Russische Kolonisation in Asien, Vortrag geh. in der Abteilung
Berlin-Charlottenburg der Deutschen Kolonialgesellschaft. Berlin, D. Reimer 1900. 5.
Schanz, Moritz, Australien und die Südsee an der Jahrhundertwende. Kolonial-
studien. Berlin, W. Süsserott, 1901. gr. 8. 325 SS. mit zahlreichen Vollbildern. M. 8. —.
Wagner, Hans, Falsche Propheten. Gouverneur v. Liebert und seine Presse.
Eine Kulturbetrachtung aus Deutschlands erster kolonialer Epoche. Charlottenburg,
Selbstverlag des Verfassers, 1900. gr. 8. 44 SS.
Bernard-Dutreil, Maur., Djibouti. Création d’une colonie française, Laval,
impr. Barnéoud & C", 1900. 8. 112 pag.
Garsault, A. G. (directeur à la manufacture coloniale de tabac de Saint-Paul),
La culture du tabac à la Réunion. Paris, André, 1900. 8. 44 pag. et 1 pl.
Censimento generale (IV) della popolazione del Regno. Istruzioni per il —.
38 pp.; Legge e regolamento per l’esecuzione del —. 23 pp. Roma, tip. di G. Bertero,
1900. gr. in-8.
4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Bewertung, die, von Weizen und Roggen auf den Weltmärkten im Erntejahre
1899/1900. Paritätisch zusammengestellt von der Centralstelle der preußischen Land-
wirtschaftskammern (Notierungsstelle). Berlin, Selbstverlag des Verfassers: W. Mancke,
Vorsteher der Centralnotierungsstelle, 1900. (2 graphische Tafeln in größtem Imp.-
Folio, gefalzt in kl. 4 mit einem Vorwort von 12 SS. Text.)
Carl, Alfr., Die Organisation der landwirtschaftlichen Tierproduktion unter Be-
rücksichtigung der Arbeitsteilung und Spezialisierung. Halle a/S., C. A. Kaemmerer
& C°, 1900. gr. 8 243 SS. M. 3,50.
Forst- und Jagdkalender. XXIX. Jahrg., 1901. Hgg. von M. Neumeister und
E. Behm. I. Teil. Berlin, J. Springer, 1900. 12. XII—780 SS. M. 2.—. (A.d.
Inhalt: Statistische Uebersicht der Forsten des Deutschen Reichs. — Statistik der öster-
reichischen Staats- und Fondsforste. — Waldfläche der Schweiz.)
Getreide, das, im Weltverkehr. 3 Teile: I. Statistische Tabellen über Produk-
tion, Handel, Konsum, Preise, Frachtsätze und Kündigungen. II. Graphische Darstel-
lungen der Preisbewegung. III. Erläuternde Bemerkungen. Wien, W. Friek, 1900.
Lex.-8. XXIII—S59 SS.; 188 SS. u. 2 Diagramme in Imp.-quer-Folio. (Vom k. k.
Ackerbauministerium vorbereitete Materialien für die Enquête über börsenmäßigen Termin-
handel mit landwirtschaftlichen Produkten.)
Lotz, Walther (Prof.), Der Schutz der deutschen Landwirtschaft und die Auf-
gaben der künftigen deutschen Handelspolitik. Vortrag, gehalten am 26. II. 1900 in
der Volkswirtsch. Gesellschaft zu Berlin. Berlin, L. Simion, 1900. gr. 8. 67 SS.
M. 2.—. (A. u. d. T.: Volkswirtschaftliche Zeitfragen, Heft 170 u. 171.)
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 195
Mentzel und v. Lengerkes landwirtschaftlicher Hilfs- und Schreibkalender,
Jahrg. LIV, 1901. Herausgeg. von H. Thiel (Wirkl. Geh. ORegR.). 2 Teile. Berlin,
P. Parey. 1901. 12. (Teil I geb., Teil II br.) M. 2,50. (Aus dem Inhalt von Teil II:
Anerbenrecht, Verschuldung und Entschuldung, von (Ministerial-Direkt.) H. Thiel. —
Die neueste Gesetzgebung auf dem Gebiete der Landwirtschaft, von (Ministerial-Direkt.)
Hermes.)
Moritz, E., Die Familienfideikommisse Preußens. Ein Beitrag zur Frage des
Großbetriebes. Berlin, Siemenroth & Troschel, 1900. gr. 8. XVI—»3 SS. M. 2,50.
Ruhland, G. (ord. Prof. für politische Oekonomie, Univ. Freiburg (Schweiz),
Die internationale landwirtschaftliche Konkurrenz ein kapitalistisches Problem. Berlin,
E. Hofmann & C°, 1901. 8. 61 SS. M. 1,25.
Vererbung, die, des ländlichen Grundbesitzes im Königreich Preußen. Bd. VIII.
Provinz Sachsen, bearbeitet von M. Grabein (Berlin). Berlin, P. Parey, 1900. gr. 8.
VII—151 SS. mit 1 Karte. (Im Auftrage des k. Ministeriums für Landwirtschaft,
Domänen und Forsten herausgeg. von (Prof.) M. Sering.)
Chemin, O. (ingénieur en chef des ponts et chaussées), De Paris aux mines d’or
de l’Australie occidentale. Paris, Gauthier-Villars, 1900. petit in-8. 370 pag. av.
111 photogravures, 7 cartes ete. fr. 9.—.
Congrès, Vlième, international d’agrieulture, tenu à Paris du 1” au 8 juillet
1000. 2 vols. Paris, Masson & Ci, 1900. gr. in-8. fr. 20. (Sommaire: Organi-
sation. — Règlement et programme. — Rapport et travaux préliminaires. — Compte
rendu des travaux du Congrès.)
Congrès international pour l'étude des fruits de pressoir et de l’industrie du
cidre. Organisation, règlement, programme, rapports et travaux préliminaires. Rennes,
impr. Simon, 1900. 8. 407 pag.
Couquaux, Maur. (directeur-propriétaire du journal ‚le Miel), L’apieulture en
France au commencement du 20° siècle, Paris, Chamuel, 1900, 8. 235 pag. fr. 3.—.
Descotes, A. (avocat A la cour d’appel de Chambéry), Les warrants et l’agri-
culture française. Etude économique et juridique sur la loi du 18 juillet 1898 dans
ses rapports avec le crédit agricole. Paris, Chevalier-Maresq & C", 1900. 8. 477 pag.
Church, Seymour R., Analyses of pig iron. San Francisco, Church, 1900.
Folio. 173 pp., cloth. $ 2,50. (Enthält auch ausführliche statistische Nachweise der
Kohlenproduktion der Vereinigten Staaten, Englands und der bedeutendsten anderen
Kohlen produzierenden Länder.)
Senior, Will., Pike and perch. London, Longmans, Green, & C°, October 5,
1960. 8. VIIT—280 pp. with 12 illustrations. 5/.—. (Contents: Pike fishing in lakes,
— Pike fishing in rivers. — Pike in trout waters. — Perch and perch fishing. —
Artificial perch culture. — The perch of the river. — The perch of still waters. — etc.
Shaw, T., Soiling crops and the silo: how to cultivate and harvest the crops:
how to build and fill a silo, and how to use ensilage. New York, Orange Judd C’,
1800. 12. 378 pp., cloth. $ 1,50.
5. Gewerbe und Industrie.
Bericht der k. k. Gewerbeinspektoren über die Heimarbeit in Oesterreich. Bd. I.
Wien, A. Hölder, 1900. Lex.-8. XVI—471 SS. M. 3.—. (Herausgeg. vom k. k.
Handelsministerium.)
Bericht über den Betrieb der Seidentrocknungsanstalt zu Krefeld für das Ge-
schäftsjahr 1899—1900. Krefeld, Druck von Kramer & Baum, 1900. gr. 4 21 SS.
nebst 2 statistischen Tafeln in qu.-Folio. [Berichterstatter: Direktor E. Königs.]
Jahresbericht, XX., des k. k. technischen Gewerbemuseums in Wien, 1899.
Wien, Verlag des Museums, 1900. gr. 8. 65 SS.
Reichsadreßbuch, deutsches, für Industrie, Gewerbe und Handel. Unter Be-
nutzung amtlicher Quellen. II. Ausgabe. 2 Bände. (Bd. I: Adressenverzeichnis 1. Teil;
Bd. II: Adressenverzeichnis 2. Teil. Branchenverzeichnis nebst Register. Schutzmarken-
register. Industrie- und Handelsanzeiger. Volkswirtschaftlicher Teil mit besonderer
Berücksichtigung des Exportverkehrs. Ortsregister.) Berlin, Verlag des Deutschen Reichs-
adreßbuchs G. m. b. H., 1900/1901. 4. 3894; 592; 32; 240; 544; 104 SS. geh.
M. 30.—. (Enthält in einem nach Staaten geordneten Adressenverzeichnis mehr als
1%, Millionen Adressen der Industriellen, Gewerbetreibenden, Kaufleute, Aerzte, Rechts-
126 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
anwälte ete. aus ca. 35 000 Orten des Deutschen Reichs und der deutschen Kolonien ;
Speziallandkarten, etc.)
Wender, N. (Prof.), Die Kohlensäureindustrie. Eine Darstellung der Entwicke-
lung und des gegenwärtigen Standes derselben. Berlin, Max Brandt, 1900. gr. 8.
176 SS. mit zahlreichen in den Text gedr. Abbildgn. u. einer Uebersichtskarte. M. 2.—.
Annuaire des syndicats professionnels, industriels, commerciaux et agricoles con-
stitués conformément A la loi du 21 mars 1884 en France et aux colonies. XI* année:
1900. Paris, impr. nationale, 1900 8. LVII—639 pag. (Publication du Ministère du
commerce, Dircetion du travail.)
Catalogue général de la section russe à l'Exposition universelle de 1900. Paris,
imprim. P. Dupont, 1900. 8. 492 pag.
Fleury, V., Les industries indigènes de la Tunisie, Nancy, Berger-Levrault & C',
1900. 8. 103 pag.
Follin, H. L., Questions du travail (à propos des grèves du Havre). Paris,
Guillaumin & Ci, 1900. 8. 51 pag. fr. 1.—.
Byrn, E. W., The progress of invention in the XIXth century. New York,
Munn & C°, 1900. 8. 482 pp., cloth. $ 3.—.
Report by the Chief Labour Correspondent on the strikes and lock-outs of 1899.
London, printed by Darling & Son, 1900. gr. 8. XCIV—124 pp.
Report of the Chief Labour Correspondent of the Board of Trade on Trade Unions
in 1899, with comparative statisties for 1892—1898. London, printed by Darling & Son,
1900. gr. 8. LXXVI—316 pp. (Parliam. paper by command of Her Majesty.)
Report, XIVth annual, of the Factory Inspector of the State of New York for
year ending November 30, 1899. Albany, J. B. Lyon printed, 1900. gr. 8. 883 pp.
Report of changes in rates of wages and hours of labour in the Un. Kingdom in
1899. With statistical tables. London, printed by Darling & Son, 1900, gr. in-8.
LXXVII--293 pp. 1.10. (Publication of the Board of Trade.)
6. Handel und Verkehr.
Borgius, Dr, Walther, 1903. Ein handelspolitisches Vademecum.
(Burschenschattliche Bücherei, Bd. I, Heft 4.) Berlin W. 1900. 61 SS.
Die kleine Schrift des genannten Decernenten in der Centralstelle
für Vorbereitung von Handelsverträgen erhebt keinen Anspruch auf
wissenschaftliche Gründlichkeit, sondern sie ist lediglich zu dem Zwecke
geschrieben, denjenigen, der für die handelspolitischen Kämpfe der
Gegenwart Interesse gewonnen hat, in möglichster Kürze und gedrängter
Form in das Gebiet der Handelspolitik einzuführen und ihn anzuregen,
sich mit den einschlägigen Fragen eingehender zu beschäftigen. Zu
diesem Zwecke werden die wichtigsten Punkte über den Welthandel,
die Handelspolitik und Handelsverträge, über Weltmarktspolitik oder
Abschließungspolitik und den deutschen Außenhandel, wie er sich unter
der Herrschaft der Caprivischen Handelsverträge gestaltet hat, in
kurzen Zügen erörtert. Ferner hat der Verf. einige Streiflichter über
die Zukunft unserer Handelspolitik angefügt und hierbei namentlich den
mitteleuropäischen "Zollverein und die Meistbegünstigung einer Be-
trachtung unterzogen.
Die vorliegende Arbeit erfüllt ihren Zweck in reichlichem Maße,
indem sie in populärer Sprache ohne Umschweife die bezeichneten
Hauptpunkte der Handelspolitik erörtert und dem Leser einen klaren
Ueberblick über diese Materie verschafft, soweit es innerhalb des
Rahmens der Schrift überhaupt möglich ist. Getragen wird die Arbeit
von der Absicht, die Fortführung der Handelsvertragspolitik und das
Zustandekommen neuer Handelsverträge nicht zu erschweren, sondern
nach Kräften zu fördern, weshalb Stimmung für eine gesunde Weiter-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 127
entwickelung unserer Handelspolitik gemacht wird. — Wenn man nun
auch mit der Tendenz des Büchleins sich einverstanden erklären kann,
weil eine derartige Handelspolitik, wie sie B. im allgemeinen wünscht,
für das wirtschaftliche Gedeihen des Deutschen Reiches eine unab-
lässige Bedingung ist, so weicht unsere Auffassung in manchen Punkten
wesentlich von derjenigen des Verf. ab, wobei solche unrichtige Anschau-
ungen, wie z. B. auf Seite 5, daß Buchweizen, Hirse und andere Ge-
treidearten vom Weizen verdrängt worden seien und solches in ab-
sehbarer Zeit dem Roggen auch widerfahren wird, beiseite gelassen
werden mögen. Wir vermögen indessen B. nicht beizupflichten, wenn
er die Auffassung der internationalen Handelsbilanz gleich einer kauf-
männischen Kontokorrentrechnung als eine grundsätzlich irrige be-
zeichnet und dieses dadurch zu beweisen sich bemüht, daß die Zahlen-
angaben über Ausfuhr und Einfuhr keineswegs richtig seien und die
Nachweise der einzelnen Staaten erheblich von einander abweichen.
Auch soll der internationale Marktwert eines Welthandelsgutes in natio-
naler Währung nicht richtig ausgedrückt werden können. Vor der
Hand, bis eine internationale Währung einheitlich in allen Staaten
herrscht, wird man sich in dieser Richtung aber mit der nationalen
Währung behelfen müssen, und Zahlen, welche Jahr für Jahr nach den
gleichen Grundsätzen gewonnen werden, lassen immerhin eine Ver-
gleiehung zu, auch wenn sie nicht absolut richtig sein können. In der
„verblüftenden Thatsache“, daß bei Addierung der Handelsbilanzen sämt-
licher Staaten der Welt die Einfuhrwerte „mehrere Milliarden“ größer
sind als die Ausfuhrwerte, während sie sich doch decken müßten, liegt
beinäherer Betrachtung nichts Verblüffendes an sich; denn Waren werden
unter normalen Verhältnissen nur dort eingeführt, woselbst für
sie ein höherer Preis als im Ursprungslande entrichtet wird. Daher kann
es nicht ausbleiben, daß sie im Eintuhrlande in der Statistik meistens höher
bewertet zum Vorscheine kommen als im Ausfuhrlande, woselbst sie
nach den dort geltenden Durchschnittspreisen zur Verrechnung gelangen.
Unter diesen Umständen muß gerade die Summe der Einfuhrwerte
höher sein als die der Ausfuhrwerte. Verblüffend würde es sein,
wenn beide Reihen sich decken würden, was nicht der Fall sein kann,
selbst wenn die Berechnung in den einzelnen Staaten auch eine über-
einstimmende sein sollte.
In ähnlicher Weise wäre noch an manchen Stellen Widerspruch
zu erheben, so namentlich in betreff der Auffassung der Meistbegün-
stigungsklausel. Doch mag dieses eine Beispiel genügen. Was Verf.
über den mitteleuropäischen Zollverein in kurzen Zügen ausführt, deckt
sich im wesentlichen mit den von uns bereits im Jahre 1888 in den
Annalen des Deutschen Reiches gegebenen Anregungen, die später von
Lotz, Sartorius Freiherr v. Waltershausen u.a. weiter ausgeführt worden
sind. Der Gedanke einer derartigen Zollvereinigung erscheint in der Gegen-
wart keineswegs mehr als eine Zukunftsmusik, als welche sie früher
vielfach betrachtet worden ist. Die zukünftige Entwickelung dürfte
unseres Erachtens einem solchen, wenn auch gegenwärtig noch sehr
entfernten Ziele mit Notwendigkeit zustreben.
Halle a/S. Wermert.
128 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
Beiträge zur neuesten Handelspolitik Deutschlands. Herausgeg. vom Verein für
Sozialpolitik. Leipzig, Duncker & Humblot, 1900, gr. 8. IX—336 SS. M. 7,60.
(A. u. d. T.: Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Band 90. Inhalt: Die Handels-
politik der Ver. Staaten 1890—1900, von G. M. Fisk (Prof. in der handelspolitischen
Abteilung des Tome Institute), übs. von L Katzenstein. — Die Stellung der landwirt-
schaftlichen Zölle in den 1903 zu schließenden Handelsverträgen Deutschlands, mit
2 Tafeln graphischer Darstellungen, von (GehRegR. Prof.) J. Conrad (Halle a/S.). —
Zollpolitische Einigungsbestrebungen in Mitteleuropa während des letzten Jahrzehnts,
von (Prof.) E. Francke (Berlin). — Die deutsch-russischen Handelsbeziehungen, von
(Privatdoz.) Carl Ballod (Berlin).
Berichte über Handel und Industrie. Zusammengestellt im Reichsamt des Innern.
I. Band. Berlin, C. Heymann, 1900. gr. 8 818 SS. M. 10.—.
Brentano, Lujo (GehHofR.), Das Freihandelsargument. Erweiterter Vortrag.
Berlin-Schöneberg, Buchverlag der „Hilfe“, 1901. gr. 8. 24 SS. (Herausgeg. vom Verein
zur Förderung der Handelsfreiheit.)
Eckert, Ch., Rheinschiffahrt im XIX. Jahrhundert. Leipzig, Duncker & Humblot,
1900. gr. 8. XIX—450 SS. M. 10,60. (A. u. d. T.: Staats- und sozialwissenschaftliche
Forschungen, Band XVII, Heft 5; bildet zugleich das Schlußheft des XVIII. Bandes.)
Handelskammer in Kassel. IV. öffentliche Sitzung der Handelskammer in Kassel
am 24. X. 1900. Kassel 1900. Folio. 14 SS. (Aus dem Inhalt: Revision des Börsen-
gesetzes. — Einrichtungen zur Förderung des auswärtigen Handels.)
Jahresbericht der Handelskammer für Ostfriesland und Papenburg für das
Jahr 1899. II. Teil. Leer, Druck von W. J. Leendertz, 1900. Folio. 59 SS.
Jahresberieht über die Betriebsverwaltung der Oldenburgischen Eisenbahnen
für das Jahr 1899. Oldenburg, Druck von G. Stalling, 1900. gr. 4. 160 SS. mit
19 tabellarischen ete. Anlagen.
Jahresbericht des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller im Zusammen-
hang mit dem Bericht über die Thätigkeit des Centralausschusses hiesiger kaufmännischer,
gewerblicher und industrieller Vereine über das Jahr 1900. Berlin, 1. Januar 1901.
gr. 8. XIII—627 SS.
Naumann, Fr., Handelsverträge oder Brotwucher? Vortrag mit Debatte (ge-
halten in Berlin). Berlin-Schöneberg, 1900. gr. 8. 27 SS. M. 0,30.
Oesterreichisch-ungar. (privileg.) Staatscisenbahngesellschaft. XLV. ordent-
liche Generalversammlung zu Wien am 28. Mai 1900. Wien, Druck von R. v. Wald-
heim, 1900. gr. 4 97 SS. (Inhalt: Bericht, Beschlüsse, Rechnungsabschluß. Beilagen
betr. das Betriebsjahr '1899.)
Regenhardt, C., Geschäftskalender für den Weltverkehr. Adreßbuch der be-
währtesten Bankfirmen, Spediteure, Advokaten, ete. ete. XXVI. Jahrg. (1901). Ge-
schlossen am 1. IX. 1900. Berlin u. Wien, Verlag von Regenhardt, 1900. 12. 439 SS.,
geb. M. 2,80.
Schlachthof und Viehmarkt zu Breslau. Breslau, J. U. Kerns Verlag, 1900.
gr. Folio. 80 SS. mit 52 Taf. urd 28 in den Text gedr. Abbildgn. M. 25.—.
Tischert, G., Unterwegs zu den neuen Handelsverträgen. Eine kritische Darstel-
lung der Vorbereitung der neuen Handelsverträge 1897—1900. Berlin, Siemenroth &
Troschel, 1901. gr. 8. XVI—101 SS.
Congrès, huitième, international de navigation tenu A Paris du 28 juillet au
3 août 1900, Compte rendu sommaire, Paris, imprim. nationale, 1900. 8. 60 pag.
(Publication du Ministère du commerce.)
Annual report of the Superintendent of Publie Works on the Canals of the
State of New York for the year of the ended September 30, 1899. Albany, Lyon
printed, 1900. gr. 8. 483 pp.
Board of Railroad Commissioners of the State of New York. XVth Annual
report for the year 1597. 2 vols New York & Albany 1898. gr. in-8.
7. Finanzwesen.
Entwurf eines Gesetzes betreffend die Feststellung des Haushaltsetats für die
Schutzgebiete auf das Rechnungsjahr 1901 mit VIII Anlagen. Berlin, gedruckt in der
Reichsdruckerei, 20, XI. 1900. Folio.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 129
Budget général de l’exercice 1899. Situation des dépenses engagées au 31 dé-
cembre 1599. Paris, imprim. nationale, 1900. in-folio. 67 pag. (Publication du Ministère
des finances.)
Compte en matières et en deniers de l’exploitation du monopole des allumettes
chimiques pour l’année 1899 (achat, fabrication et vente). Paris, imprim. nationale,
1000. in-4. IX—112 pag. (Publication de la Direction générale des manufactures de
l'Etat.)
L’Impöt de demain ou le travail dégrevé. Etude raisonnée sur la refonte de
notre système fiscal. Lettre ouverte d’un contribuable A nos mandataires, par J. P,
Angoul&me, imprim. de „La Charente“ 1900. 8. 68 pag.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Hiestand, Paul, Dr. jur. in Zürich, Grundzüge der privaten
Unfallversicherung mit Berücksichtigung der Haftpflichtversicherung.
Stuttgart (Ferdinand Enke) 1900.
Das vorliegende Buch sollte einen Artikel des „Handwörterbuchs
des gesamten Versicherungswesens“ bilden. Da dieses Werk leider
nicht fortgeführt wird, übergab der Verf. die Arbeit in Buchform der
Oeffentlichkeit. Wir können dem Verf. nur dankbar sein, denn wir
haben an dem Buche eine gedrängte Schilderung der geschäftlichen
und rechtlichen Verhältnisse des besprochenen Versicherungszweiges,
welche eine Orientierung für den Laien, eine Einführung für den An-
fänger und eine systematische Uebersicht für den Fachmann und
Juristen bietet. Wir glauben, daß der Verf. seine Aufgabe in glück-
licher Weise gelöst hat, und wenn wir etwas bedauern, so ist es einzig
und allein der Umstand, daß das Buch in einzelnen Punkten schon
nicht mehr auf der Höhe der Thatsachen der Gegenwart steht, z. B.
bezüglich der Kinderversicherung u. s. w., was freilich nicht vermieden
werden kann. Vielleicht entschließt sich der verdienstvolle Verf., ab
und zu eine Ergänzung bez. Richtigstellung in einer Versicherungszeit-
schrift erscheinen zu lassen.
Der Inhalt des Buches ist folgender:
Erster Teil. Das Unfallversicherungsgeschäft. $ 1. Begriff und
Wesen. $ 2. Zur Geschichte. $ 3. Prämien (Versicherungsbeiträge).
$ 4. Ergebnisse. $ 5. Volkswirtschaftliche Bedeutung. (Hier konnte
der Verf. noch etwas weiter gehen.)
Zweiter Teil. Der Unfallversicherungsvertrag. $ 6. Begriff des
Unfalls. $ 7. Deklarationen. $ 8. Entschädigung. $ 9. Beginn, Dauer,
Ende. $ 10. Geltendmachung des Anspruchs. $ 11. Specialitäten.
Dritter Teil. Die Haftpflichtversicherung. $ 12. Begriff, Gegen-
stand. $ 13. Geschichte und Bedeutung. $ 14. Arten und rechtliche
Grundlagen. $ 15. Allgemeine Bedingungen.
Das Buch umfaßt 162 Seiten.
Dankenswert ist auch das Sachregister S. 159—162, welches wir
aber weiter ausgedehnt wissen möchten. Es sollten verschiedene Register
vorhanden sein. 1) Sachregister im engeren Sinn. 2) Personen- bezw.
Gesellschaftsregister. 3) Litteraturregister.
Bei einem im großen ganzen höchst gelungenen Werke wird man
nicht an vielen Einzelheiten Kleinigkeiten aussetzen.
Indessen möge folgendes noch angefügt werden. Der Begriff der
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 9
130 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Haftpflicht S. 3 scheint zu eng gefaßt. Was S. 5 über Bereicherung
gesagt wird, ist an und für sich richtig, eine Bereicherung kommt aber
dennoch in manchen Fällen vor, ohne daß man von einem thatsäch-
lichen Unrecht sprechen könnte. Zu S. 6. In Kollektiv werden viel-
fach auch Beamte und Angestellte versichert, keineswegs „meist“ nur
Arbeiter. Auch sind bei Kollektivversicherung zum Teil die Namen
anzugeben. Bei $ 2. 1) war insbesondere die „Victoria“ zu nennen.
Die Fuhrwerksbetriebsunfälle zusammengezählt haben große Zahlen er-
geben, aber sie wurden mehr nur in der nächsten Umgebung bekannt.
S. 7 zur Gründung von Gesellschaften gab auch das Erwerbsbedürfnis
Anlaß.
Von Fremdwörtern darf etwas weniger Gebrauch gemacht werden.
Da der Stil und die Sprache im allgemeinen glatt und rein ist und
ebenso verläuft, bedauern wir die Wendung S. 9 „und macht es
deren Zulassung — abhängig.“ Auch einzelne Druckfehler und kleinere
Mängel waren natürlich nicht zu vermeiden; im ganzen aber ist die
Korrektheit zu loben.
Unter den angeführten Gesellschaften finden wir namentlich auch
den „Allgemeinen Deutschen Versicherungsverein in Stuttgart.“ S. 11.
(Arbeiterunfallversicherung), S. 13 f. („einzige größere“ Anstalt gegen-
seitiger Versicherung), S. 30 („die hervorragendste (deutsche) Gegen-
seitigkeitsanstalt“) u. s. w.
Zu S. 17. Mit der Klassifikation sind wir nicht ganz einverstanden.
Die Bäcker gehören zu den relativ gefährlicheren Risiken, sie haben
Neigung zum Dickwerden, sind infolge vieler Nachtarbeit u. s. w. unbe-
holfen u. s. w.
Einzelne Fabrikanten aufzuführen, hat wenig Zweck, da zu beachten
ist, ob sie im Betriebe mitarbeiten, bezw. in demselben verkehren oder
nicht. Ebenso ist es mit den Handwerkern. Bei „Architekten“ giebt
es viele Unterschiede.
Stuttgart. J. Hochstätter, Präc. a. D.
Geschäftsbericht der Leinenberufsgenossenschaft für das Jahr 1899, Schwelm,
Druck von M. Scherz, 1900. gr. 4.
Geschäftsbericht des Vorstandes der Landesversicherungsanstalt der Hanse-
städte für die Zeit vom 1. I. bis 31. XII. 1899. Hamburg, gedruckt bei Lütcke &
Wulff, 1900. kl. 4. 72 SS.
Geschäftsbericht des Vorstandes der Invalidenversicherungsanstalt Gr. Hessen
für das Jahr 1899. Darmstadt, Buchdruckerei Papierhaus Elbert, 1900. Lex.-8. 30 SS.
und VIII Anlagen.
Kalkmann, Ph., Untersuchungen über das Geldwesen der Schweiz und die Ur-
sachen des hohen Standes der auswärtigen Wechselkurse. St. Gallen, Fehr’sche Buch-
handlung, 1900. kl. 4. 187 SS. mit 4 Tafeln graphischer Darstellungen. M. 3,60.
Versicherungskalender, deutscher, für das Jahr 1901. XXXI. Jahrgang.
Herausgeg. von Wallmann’s Verlag & Buchdruckerei. Lankwitz-Gr. Lichterfelde (Berlin)
1900. 12. 712 SS. M. 10.—. (Der Inhalt erstreckt sich bis auf die niederländischen,
dänischen, norwegischen, schwedischen, russischen und finnischen Versicherungsgesell-
schaften.)
Verwaltungsbericht der land- und forstwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft
für das Großherzogtum Hessen in Darmstadt für das Jahr 1899. Darmstadt, Buch-
druckerei von H. Uhde, 1900. gr. 4. 13 SS.
Verwaltungsbericht der Landesversicherungsanstalt Berlin für das Rechnungs-
jahr 1899. Berlin, Druck von W. & S. Loewenthal, 1900. Imp.-4. 137 SS.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 131
Verwaltungsbericht des Vorstandes der Landesversicherungsanstalt Branden-
burg für das Geschäftsjahr 1899. Berlin, Druck: Deutscher Verlag, 1900. Roy.-8. 35 SS.
Verwaltungsbericht des Vorstandes der Versicherungsanstalt für Mittelfranken
für das Jahr 1899. Ansbach, Druck von C. Brügel & Sohn, 1900. gr. 8. 31 SS.
Verwaltungsbericht der Landesversicherungsanstalt Posen für das Geschäfts-
jahr vom 1. I. 1899 bis 31. XII. 1899. 4. 43 SS.
Administration des monnaies et médailles. Rapport au Ministère des finances.
5* année, 1900. Paris, impr. nationale, 1900. 8. 392 pag.
Almanach des coopérateurs belges pour 1900. Bruxelles, L. Bertrand, 1900. 8.
64 pag. fr. 0,15.
Badon-Pascal, E. (membre de la Société d’économie polit.), Répertoire (3ième)
du journal des assurances contre l'incendie, sur la vie, les accidents, la grêle ete. (1883
à 1599, inclus.) Paris, administration du journal des assur.) 1900. 8. 580 pag.
Lamotte, A., Les institutions nationales de prévoyance en faveur des marins et
pécheurs. Bar-le-Duc, impr. barrisienne, 1900. 8. 190 pag.
Martin, G., Les associations ouvrières au XVIII® siècle (1770—1792). Par is
A. Rousseau, 1900. 8. 285 pag. fr. 7.—.
Soulier, P., Les institutions de retraites des compagnies de chemins de fer. Paris,
Guillaumin & C*, 1900. 8. 194 pag. fr. 10.—.
Annual report of the Superintendent of Banks (of the State of New York) relative
to savings banks, trust companies, safe deposit companies, and miscellaneous corpo-
rations for the year 1899. Albany, J. B. Lyon printed, 1900. gr. in-8. 642 pp.
Towne, E. C., The story of money: a science handbook of money questions.
New York, G. W. Dillingham C°, 1900. 8. 264 pp., cloth. $ 1,25. (Contents: Earliest
origin and idea of money. — Growth of money; origin of stamped coin. — Precious
metals as the material of money. — Making of money. — Uses of money. — Minting
and issue of money. — Fiatism and currency. — Bimetallism. — Bimetallism in Eng-
land, France, United States and Germany. — India and the gold standard, — Money
and prices. — International bimetallism.)
Woodruff, Edw. H., Selection of cases on the law of insurance. New York,
Baker, Voorhis & C°, 1900. 8. 13; 592 pp., cloth. 8 4.—.
Cassa (la) di risparmio in Bologna al 31 dicembre 1899: bilancio con note per
l'Esposizione universale di Parigi 1900. Bologna, tip. fratelli Merlani, 1900. 4. 120 pp.
Fenicia, Salvatore, La cooperazione in Piemonte. Torino, fratelli Bocca, 1901. 8.
9. Soziale Frage.
Benz, G. (Pfarrer, Basel), Der freie Samstagnachmittag. Basel, Fr. Reinhardt,
1901. 8. 32 SS. M. 0,50
Lieber, Arnulf (S. v. S.) [Bielefeld], Gänge durch Jammer und Not und einiges
Andere. Heilbronn, E. Salzer, 1901. gr. 8. VIII—311 SS. M. 3.—. (Inhalt: Gänge
durch Jammer und Not [Danzig; Breslau ; StraBburg; Düsseldorf; Kassel; Magdeburg ;
Posen ; Leipzig; Dresden ; Braunschweig; Berlin; Nürnberg; München; Stettin ; Stuttgart ;
Unna; Chemnitz; Lübeck `! ete.)
v. Oppenheimer, F. (Frh.), Die Wohnungsnot und Wohnungsreform in Eng-
land mit besonderer Berücksichtigung der neueren Wohnungsgesetzgebung. Leipzig,
Duncker & Humblot, 1900. gr. 8. VI-—167 SS. M. 4.—.
Courtin, G. (mineur à Lens), La mine aux mineurs. Vals-les-Bains, Aberlen
& C*, 1900. 8. V—47 pag. (Etudes sociales et psychologiques.)
Manuel des oeuvres. Institutions religieuses et charitables de Paris et principaux
établissements des départements pouvant recevoir des orphelins, des indigents et des
malades de Paris. Paris, Ch. Poussielgue, 1900. 8. 695 pag.
Marro, A., Le rôle social de la puberté. Paris, F. Alcan, 1899. 8.
Crawford, J. H., The autobiography of a tramp. With a photogravure fron-
tispiece „the vagrant“, by Fr. Walker. London, Longmans, Green & C°, 1900. 8. IV—
328 pp. 5/.—.
Fly nt, Josiah (Pseud. für Josiah Flynt Willard) & Francis Walton, The powers
that prey, New York, Me Clure, Phillips & C°, 1900. 8. 10; 260 pp., cloth. $ 1,25.
(Sociological problems on tramp and criminal life.)
Oh
132 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
10. Gesetzgebung.
Gesetzsammlung, ungarische, vom Jahre 1900. Herausgeg. vom k. ung. Mi-
nisterium des Innern. II. Heft (Gesetze VII— XXII). Budapest, Ludw. Toldi, 1900.
gr. 8. Kr. 1,90.
v. Kayser, Bruno, Die Gewerbsmäßigkeit im Glückspiel. Eine Rechtsstudie zu
& 284 Reichsstrafgesetzbuchs. Berlin, R. Hoffmann, rechtswissensch. Verlag, 1900. 8.
44 SS. M. 1.—.
Pick, B. (k. k. Prokuratursekr.), Die Lohnbeschlagnahme nach österreichischem
und deutschem Rechte. Zugleich als Beitrag zur Kritik juristischer Begriffsbildung.
Wien, Hölder, 1900. 8. VI—160 SS. M. 3,20.
Richter, O. (AGerR.), Das Reichsgesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschafts-
genossenschaften in seiner jetzigen Fassung, unter Berücksichtigung der neueren Gesetz-
gebung, insbesondere des Bürgerlichen Gesetzbuches, des Handelsgesetzbuches, der Kon-
kursordnung u. a. samt den dazu erlassenen Ausführungen systematiseh dargestellt, ete.
3. Aufl. Leipzig, G. Weigel, 1900. 8. XVI—644 SS. M. 7,50.
Schmidt, E. (AGerR., Görlitz), Die Zwangsvollstreckung in Grundstücke in
Preußen nach dem 1. I. 1900, auf Grund des preußischen Gesetzes vom 13. VII. 1555,
des Reichsgesetzes vom 24. III. 1897 nebst Einführungsgesetz, und des preußischen Aus-
führungsgesetzes vom 23. IX. 1899. Leipzig, Hirschfeld, 1599. 12. kart. M. 3,20.
Ullmann (Rechtsanw. in Magdeburg), Das gesetzliche eheliche Güterrecht in
Deutschland. Berlin, Siemenroth & Troschel, 1901. gr. 8. XI—195 SS. M. 4.—.
Wiener (GehRegR.), Das badische Wassergesetz vom 26. VI. 1899 nebst Voll-
zugsverordnnngen und Ausführungsbestimmungen mit Zusätzen und Verweisen. Karls-
rube, G. Braunsche Hofbuchdruckerei, 1900, 8. VI—337 SS., geb. M. 4.—.
Wolff, M. (PrivDoz., Univ. Berlin, u. GerAss.), Der Bau auf fremdem Boden,
insbesondere der Grenzüberbau nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche für das Deutsche
Reich auf geschichtlicher Grundlage. Jena, G. Fischer, 1900. gr. 8. XII—207 SS.
M. 5.—. (A. u. d. T.: Abhandlungen zum Privatrecht und Civilprozeß des Deutschen
Reiches. In zwanglosen Heften hgg. von (Prof.) ©. Fischer (Breslau), Bd. VI, Heft 2.)
Zimmermann, E. (FinanzR.), Das Reichsstempelgesetz in der Fassung vom 14. VI.
1900 nebst den Ausführungsbestimmungen des Bundesrats und den badischen Vollzugs-
vorschriften. Karlsruhe, Braun, 1900, 8. 272 SS., geb. M. 3,60.
Annuaire de la législation du travail, publié par l’Office du travail de Belgique.
3° année, 1599. Bruxelles, Société belge de librairie, 1900. 8.
Duboin (avocat général à la Cour de cassation), La législation sociale A la fin
du XIX" siècle, discours à l'audience de rentrée de la Cour de cassation du 16 octobre
1900. Paris, Marchal & Billard, 1000, 8. 195 pag.
Marchand (avocat general), Le vol en cas d’extröme misère et l’état de nécessité.
Naney, impr. Vagner, 1900. 8. 62 pag.
de Medio, A., Il contractus: (ricerche). Messina, tip. Nicotra, 1900. 8. 119 pp.
Roccarino, Maur., Il divorzio e la legislazione italiana: stato odierno della
questione. Torino, fratelli Bocca, 1901. 8. 127 pp. 1. 3.—.
(11. Staats- und Verwaltungsrecht.
Brandenburg a. d. H. Verwaltungshericht der Stadt Brandenburg pro 1. IV.
1899 bis dahin 1900. Brandenburg a. H., J. Wiesike, 1900. gr. 4. 60 SS. mit ver-
schiedenen Anlagen.
Erfurt. Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten der
Stadt Erfurt für das Rechnungsjahr 1509. Erfurt, Druck von Fr. Kirchner, 1900. gr. 4.
188—LXXII SS.
Görlitz. Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten der
Stadt Görlitz im Etatsjahre 1899. Görlitz, Druck von Hoffmann & Reiber, 1900. gr. 4.
168 SS. — Jahresabschluß der Stadthauptkasse zu Görlitz für das Rechnungsjabr 1599.
Ebd. 1900. Folio. 135 SS.
Iserlohn. Haushaltspläne der Stadt Iserlohn für das Rechnungsjahr 1900. Iser-
lohn, 1900. gr. Folio. 157 SS.
Jahrbuch für die evangelisch-Jutherische Landeskirche Bayerns. Herausg. von
S. Kadner (Pfarrer). Erlangen, Fr. Junge, 1900. gr. 8 XNXII—152 S8. geb. M. 1,20.
(Aus dem Inhalt: Statistische Uebersicht, von \KirchenR.) Stark. — Die innere Mission
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 133
che
in Bayern, von Scholler (Vereinsgeistlicher, Nürnberg). — Innere Mission und inneres
Leben, von (Pfarrer) Rupprecht. — Unsere Landeskirche im 19. Jahrhundert, von
Pfarrer) Sperl (Vohenstrauß).
Liegnitz. Bericht über Stand und Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten der
Stadt Liegnitz für das Etatsjahr 1899, Liegnitz, Druck von O. Heinze, 1900. gr. 4.
124 SS.
Merseburg. Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten
der Stadt Merseburg für das Jahr 1899/1900. Merseburg, Druck von Th. Rößner, 1900.
4, 39 SS.
Nöll (Wirkl. GehORegR.), Zur Geschichte des Oberverwaltungsgerichts. Eine
Skizze, enthalten in der Festnummer zum 25jähr. Bestehen des OVerwaltungsgerichts
der Zeitschrift Preußisches Verwaltungsblatt, Jahrg. XXII, Nr. 7, Berlin, den 17. XI.
1900,
Osnabrück. Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegen-
heiten der Stadt Osnabrück für das Rechnungsjahr vom 1. IV. 1899 bis 31. III. 1900.
Osnabrück, Buchdruckerei von A. Liesecke, 1900. gr. 4. 126 SS.
Quedlinburg. Verwaltungsbericht der Stadt Quedlinburg für das Jahr 1899/1900.
Quedlinburg, Druck von GeBler & Strauß, 1900. gr. 4. 135 SS. mit 5 Taf. u. 1 Ab-
bildung.
Schönebeck. Bericht über Stand und Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten
der Stadt Schönebeck für das Jahr 1899. Schönebeck a. E., Druck von C. Hirschfelder,
1900, 4. 44 SS.
Trier. Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten der
Stadt Trier für das Rechnungsjahr 1899 nebst Haushaltsetat für 1900. Trier, J. Lintz-
sche Buchdruckerei, 1900, gr. 4. 82 SS,
Uebersicht über die Thätigkeit der freiwilligen Feuerwehren, des Feuerwehr-
verbandes für die Provinz Hannover bei Bekämpfung von Schadenfeuer im Jahre 1898
nebst Uebersicht der im Jahre 1898 vorgekommenen Unfälle bei Bränden und Uebungen,
bearbeitet von H. Schaefer in Lüneburg. Lüneburg, v. Sternsche Buchdruckerei, 1900.
größt. Imp.-Folio.
Witten. Haushaltsetats der Stadtgemeinde Witten für das Etatsjahr 1899. Nebst
Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten für die Zeit vom
1. IV. 1898 bis 31. III. 1899. Witten, Märkische Druckerei und Verlagsanstalt, 1900.
gr. 4. 171 SS.
Compte général de l’administration de la justice civile et commerciale en France
et en Algérie pendant l’année 1896. Paris, impr. nationale, 1899. gr. in-4. XIV—
176 pag. — Compte général de l’administration de la justice criminelle en France et
en Algérie pendant l’année 1896. Ebd. 1899. gr. in-4. XVI—172 pag.
Duthoit, E. (prof. à la faculté libre de droit de Lille), Le suffrage de demain.
Régime électoral d’une démocratie organisée. Paris, Perrin & C", 1900. 8. fr. 3,50.
de Siebold, A. (le baron), L’accession du Japon au droit des gens européen.
Traduction française, Edition contenant le texte du traité de commerce et de navigation
franco-japonais. Paris, Pichon, 1900. 8. VII—71 pag.
Annual report of the Comptroller of the State of New York. Albany, J. B.
Lyon printed, 1900. LXXVII—736 pp.
Clark, Ch. C. P., The machine abolished and the people restored to power in
the organization of all the people on the lines of party organization. New York and
London, G. P. Putnam’s Sons, 1900. gr. in-8. 196 pp., eloth. $ 1.—. (Contents: The
true root of our political difficulties exposed. — A true organization of the people, or
the natural method of popular elections. — The peculiar features of this plan. — Cor-
rective effects of this system. — This system the true science of political society. —
Creative forces of this system. — etc.)
12. Statistik.
Allgemeines.
Gothaischer genealogischer Hofkalender nebst diplomatisch-statistischem Jahr-
buche, 1901. 133. Jahrgang. Gotha, Justus Perthes, 1900. 12. XXIV—1093 SS. mit
4 Porträts. geb. M. 8.—.
134 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Deutsches Reich.
Auszug, statistischer, und verschiedene Nachweise in Bezug auf Hamburgs Handels-
zustände im Jahre 1899. Hamburg, Druck von Ackermann & Wulff Nachf., 1900
kl. 4. 53 SS.
Beiträge zur Statistik des Herzogtums Braunschweig. Heft 15: Die hypothe-
karische Belastung des Grundbesitzes im Herzogtum Braunschweig am 1. Januar 1897.
I. Abteilung. Bearbeitet vom (FinR.) F. W. R. Zimmermann (Vorstand des statistischen
Bureaus des herzogl. Staatsministeriums). Braunschweig, Druck von Joh. H. Meyer,
1900. gr. 4. 215 SS. (Herausgeg. vom statistischen Bureau des herzogl. Staatsmini-
steriums.)
Beiträge zur Statistik des Großherzogtums Hessen. Band 44, Heft 2. Darmstadt,
Jonghaussche Hofbuchhdl., 1900. 4. 26 SS. (Inhalt: Uebersicht der Geschäfte der ordent-
lichen streitigen Gerichtsbarkeit bei dem großherz. OLandesgerichte zu Darmstadt und
bei den Gerichten und Staatsınwaltschaften im Bezirke desselben während des Geschüfts-
jahres 1899.) [Herausgeg. von der großh. Centralstelle für die Landesstatistik.]
Charlottenburger Statistik. Heft 9. Herausgeg. vom statistischen Amt der
Stadt Charlottenburg, C. Ulrich & C°, 1900. gr. 8. 50 SS. (A. u. d. T.: Beiträge zur
Schulstatistik von Charlottenburg.)
Ergebnisse der Civil- und Strafrechtspflege und Bevölkerungsstand der Gerichts-
gefängnisse und Strafanstalten des Königreichs Bayern im Jahre 1898. München, Chr.
Kaiser, 1900. gr. Folio. XXXVII—89 SS. M. 3.—.
Geissenberger, N. (Direktor des statist. Amtes der Stadt Straßburg), Die Ver-
teilung des Gebäudebesitzes in Straßburg mit wohnungs- und steuerpolitischen Betrach-
tungen. Straßburg, Fr. Bull, 1900. kl. 4. 48 SS. (A. u. d. T.: Beiträge zur Statistik
der Stadt Straßburg i. E. Herausgeg. vom statistischen Amt der Stadt.)
Jahresbericht des statistischen Bureaus der Steuerdeputation (in Hamburg) für
das Jahr 1899. Hamburg, gedruckt bei Lütcke & Wulif, 1900. gr. 4. 16 SS.
Mitteilungen des herzoglich anhaltischen statistischen Bureaus. Hgg. von E.
Diederichs (RegR.) Nr. 38. Dessau, Hofbuchdruckerei C. Dünnhaupt, 1900. gr. 4. 17 SS.
(Inhalt: Einige Ergebnisse der staatlichen Einschätzung zur Einkommen-, Gewerbe- und
Kapitalrentensteuer in Anhalt, insbesondere im Steuerjahre vom 1. Juli 1901/1.)
Münchener Jahresübersichten für 1899. (A. u. d. T.: Mitteilungen des statisti-
schen Amtes der Stadt München, Bd. XVII, Heft 4.) München, Lindauersche Buch-
handlung, 1900. gr. 4. 112 SS.
Statistik des Deutschen Reichs, N. Folge Band 128 (umfassend 24 einzelne
Staatenhefte). A. u. d. T.: Auswärtiger Handel des deutschen Zollgebiets im Jahre
1899, I. Teil. Der Verkehr mit den einzelnen Ländern in den Jahren 1899, 1898 und
1597. Berlin, Puttkammer & Mühlbrecht, 1900. Imp.-4. M. 8.—.
Statistik des Deutschen Reichs, N. F., Bd.129. (A. u.d. T.: Auswärtiger Handel
des deutschen Zollgebiets im Jahre 1899. II. Teil: Darstellung nach Warengattungen.
Ebd. 392 SS. M. 6.
Statistik des Hamburgischen Staates. Heft XIX, 2. Hälfte. Hamburg, O. Meißner,
1900. gr. 4. (SS. 85—176.) [Inhalt: 3. Teil. Die Zählung der Gelasse. — 4. Teil.
Die Zählung der Haushaltungen.]
Statistik der evangelisch-protestantischen Landeskirche im Großherzogtum Baden.
Karlsruhe, Verlag des evangel. Pfarrvereins, 1900. gr. 8. 218 SS. M.9,50. (Herausgeg.
vom evang. Pfarrverein im Großherzogtum Baden.)
Frankreich.
Album de statistique graphique de 1897—1899. Paris, imprim. nationale, 1900.
Imp.-4. (23 planches graphiques relat. aux chemins de fer; navigation intérieure, navi-
gation maritime; routes nationales, importations et exportations; 10 pag. texte.)
Bertillon, J., Nomenclatures des maladies (statistique de morbidité; statistique
des causes de décès) arrêtées par la Commission internationale, chargée de reviser les
nomenclatures nosologiques, Paris, 18--21 août 1900, Paris, impr. municipale, 1900.
Lex. in-8. 58 pug.
Commission internationale chargée de reviser la nomenclature des causes de décès
(classification Bertillon) 18 août—21 août 1900. Procès verbaux, Paris, impr. Chaix,
1900. Folio. 203 pag. (Publication de la préfecture du département de la Scine.)
Natalité, la, en France 1900, par G. M. Paris, Bernard & C", 1900. 8. 167 pag.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 135
England.
Abstract, statistical, for the several colonial and other possessions of the United
Kingdom in each year from 1885 to 15899. XXXVIIM N°. London, printed by Wyman
& Sons, 1900. gr. in-8. 324 pp.
Oesterreich.
Arbeiterschutz, der, bei Vergebung öffentlicher Arbeiten und Lieferungen.
Bericht des k. k. arbeitsstatistischen Amtes über die auf diesem Gebiete in den euro-
paischen und überseeischen Industriestaaten unternommenen Versuche und bestehenden
Vorschriften. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1900. Lex.-8. X—163 SS.
Oesterreichische Statistik. Band LVI, Heft 2. Wien, k. k. Hof- und Staats-
druckerei, 1900. Imp.-4. XLVI—21 SS. Kr. 2.—. (Inhalt: Ergebnisse der Grund-
besitzstatistik (in Cisleithanien) nach dem Stande vom 31. XII. 1896. Heft 2: Ober-
österreich und Salzburg.) [Bearbeitet von dem Bureau der k. k. statistischen Central-
kommission. |
Sanitätsbericht, statistischer, der k. u. k. Kriegsmarine für die Jahre 1898
und 1899. Wien, W. v. Braumüller, 1900. gr. Lex.-8. 180 SS. mit graphischen Dar-
stellungen. M. 6.—. (Im Auftrage des k. u. k. Reichskriegsministeriums (Marinesektion)
zusammengestellt vom k. u. k. Marinesanitätsamte in Pola.)
Rußland.
Falbork, H. und W. Tscharnolusski, Ulroamnunp cratTucruka pt Poceiu
(Prospekt eines geplanten 8-bändigen Werkes über Systematik des Volksschulunterrichts
und der Volksschulstatistik in Rußland.) Cr.-Ilerepöyprg 1900. 8. 43 pp. (Veröffent-
lichung der kaiserl. Freien Oekonomischen Gesellschaft.)
— (Finland).
Bidrag till Finlands offieiela Statistik. I. Handel och Sjöfart, N° 19: Finlands
handel och sjöfart pa Ryssland och utrikes ortes samt uppbörden tillverket àr 1899.
16—138; 108; 35; 6 pp. (Inhalt: Einfuhr und Ausfuhr; Durchfuhr nach Rußland. —
Finlands Handelsschiffahrt. Bewegung von Schiffen des In- und Auslandes in den
Häfen Finlands. — Zolleinnahmen.) — VIIa. Sparbanks-Statistik N° 9: Sparkassen-
statistik für das Jahr 1899. XXXVI—120 pp. — VIIb. Postsparbanken N° 13. Be-
rättelse för är 1899. 34 pp. — IX. Statistisk öfversigt af elementarläroverkens i Fin-
land (Oeffentliche Schulstatistik im Schuljahre 1898/99). 51 pp. — X. Statistik öfver
‘olkundervisningen N° 27: Volksschulstatistik in Finland im Schuljahre 1897/98. XII—
25 pp. — XII. Post-Statistik, ny följd N° 15: Berättelse för ar 1899. XLIV—79 pp. —
XVII. Industri-Statistik N° 14: àr 1897, II. Teil: Fabriker och handtverkerier. XXIX
— 232 pp. — XXIV. Pantläne-Statistik N° 2: Statistik des Betriebes der Leihhäuser in
Finland im Jahre 1899. — Zusammen 9 Hefte. Helsingfors 1900. Lex.-8.
Dänemark,
Danemarks Statistik. Statistisk Aarbog, Ditz Aargang 1900. København, Gylden-
dal, 1900. gr. in-8. XIV—192 pp. (Udgivet af Statens Statistiske Bureau.)
Holland.
Bijdragen tot de Statistiek van Nederland, N. F. n° 1: Eenige hoffstukken uit
het „aperçu sur la Hollande, présenté par M. d’Alphonse“ (intendant de l’intérieur en
Hollande“). ` "e Gravenhage, Gebr. Belinfante, 1900. 4. XXXV—568 blz. (Inhalt: Ge-
schichte und Topographie von Holland. — Bevölkerung, einschl. Gesetzgebung, öffent-
licher Unterrieht und Wohlthätigkeitsanstalten. — Landwirtschaft. — Industrie. — Handel.
— Steuern. — etc.)
Bijdragen tot de statistiek van Nederland. Nieuwe volgreeks (Neue Folge).
Vol. II. Statistiek der gemeentefinantiën in 1896. ’s Gravenhage, Gebr. Belinfante,
1900. gr. in-8. IV—129 blz.
Jaareijfers voor het Koninkrijk der Nederlanden. Kolonien 1898, bewerkt door
bet Centraal Bureau voor de statistiek. ’s Gravenhage, Gebr. Belinfante, 1900. XIX—
147 pp.
136 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Schweiz.
Mitteilungen, statistische, betreffend den Kanton Zürich. Jahr 1898, Heft 2:
Gemeindefinanzstatistik. Nebst Anhang: Staatsbeiträge ‚an die“ Armenausgaben der
Gemeinden vom Jahre 1898. Winterthur, Buchdruckerei Geschwister Ziegler, 1900. 8.
X—248 u. 11 SS.
Rechenschaftsbericht, 69., des Obergerichtes und Kassationsgerichtes über
das Jahr 1899. Erstattet an den h. Kantonsrat des Kantons Zürich. Winterthur, Buch-
druckerei Geschwister Ziegler, 1900. 8. 178 u. 69 SS. (Mit zahlreichen statistischen
Tabellen.)
Schweden.
Bidrag till Sveriges officiela statistik. C. Bergshandteringen (Montanstatistik).
Berättelse för Ar 1899. 22 & 24 pp. — D. Fabriker och handtverk. Kommerskollegii
berättelse för år 1898. XXIV—100 pp. — E. Sjöfart. Kommerskollegii berättelse för
Ar 1898. XVI—142 pp. (Schwedische Handelsflotte und Schiffahrtsbewegung im In-
und Auslande, etc.) — K. Helso- och sjukvärden, 11. Ofverstyrelsens för hospitalen be-
rättelse för är 1898 (Irrenverpflegungsstatistik für 1898). 47 pp. — L. Statens jern-
vägstrafik N’ 37b. 31 och 35 pp. (Allgemeine schwedische Eisenbahnstatistik für das
Jahr 1898. Mit Karte.) — M. Postverket N°36. Berättelse om postverkets förvaltning
under Ar 1899. XXVI & 26 pp. — N. Jordbruk och boskapsskötsel. XXXIV. (Schwe-
dische Agrarstatistik für 1898, nach den einzelnen läns (Provinzen) gesondert und im
allgemeinen.) — O. Landtmäteriet. XXXII. (Schwedischer Landvermessungsbericht für
1598.) 20 pp. — P. Undervisningsväsendet N° 29 & N° 30. (Berichte über die Ver-
waltung der schwedischen Volksschulen in den Jahren 1891 u. 1892.) 21 & 15; 20 &
15 pp. N° 39. (Bericht über die Verwaltung der schwedischen Volksschulen 1897.)
24 & 27 pp. N° 40. (Bericht über den öffentlichen Unterricht in Schweden im Studien-
jahr 1897/98.) 19 & 32 pp. — R. Valstatistik. XIII. (Schwedische Reichstagswahlstatistik,
I. u. II. Kammer, in den Jahren 1897—99.) 38 pp. — T. Lots-och fyrinrättningen samt
lifräddningsanstalterna À rikets kuster. XXVII. Berättelse för 1899. XV—39 pp. u.
Karte. — U. Kommunernas fattigvärd och finanser. XXV. (Gemeindearmen- und Fi-
nanzwesen.) Berättelse för ar 1898. XXIV—112 pp. — V. Bränvins tillverkning
och försäljning samt hvitbetssocker-tillverkningen. XV. (Branntweinbrennereistatistik und
Branntweinhandel u. -Konsum 1890—99.) — (Rübenzuckerfabrikation 1898/99.) XVII
u. 15 SS. — (Zusammen 16 Hefte.) Stockholm, K. L. Beckmans boktryckeri, 1900.
gr. in-4.
Norwegen.
Norges officielle Statistik. III. Række (Serie) N° 329. De offentlige Jernbaner
(Staatsbahnen). Bericht über den Betrieb vom 1. VII. 1898—30. VI. 1899. LXIII—342 pp.
— N° 330. Statistik over Norges kommunale Finantseri Aaret 1895. 42; 79 pp. —
N’ 331. Oversigt over Sindssygeasylernes (Irrenpflegeanstalten) Virksomhed i Aaret
1898. IV—90 pp. ~- N° 332. Beretning om Rigets Distriktsfiengsler (städtische und
ländliche Bezirksgefüngnisse) for Aaret 1898. 39 pp. — N° 333. Tabeller vedkom-
mende Norges Skibsfart i Aaret 1808. 12; 67 pp. — N° 334. Beretning om Skole-
væsenets Tilstand (Oeffentliche Unterrichtsstatistik) for Aaret 1896. 139 pp. — N° 335.
Rekruteringsstatistik for den norske Arme for Aaret 1899. 52 pp. — N° 336. Tabeller
vedkommende Norges Handel i Aaret 1899. XXII—172 pp. — N° 337. Beretning
om Skolėvæsenets Tilstand i Kongeriget Norge for Aaret 1897. 109 pp. — N° 333.
Tabeller vedkommende Norges Postvæsen for Aaret 1899. VI—66 pp. — N° 339.
Tabeller vedkommende den kriminelle Retspleie (Kriminalgerichtsstatistik) i Aarene
1894/1596. 147 pp. — N°340. Tabeller vedkommende Norges Bergværksdrift i Aarene
1896, 1897 og 1898. 7; 19; 139 pp. — 12 Hefte. Kristiania, H. Aschehoug & C°, 1900.
gr. in-8.
Rumänien.
Buletin statistic al Rominiei. Publicat de serviciul statisticei generale. Seria 2*,
anul V, 1900/1901, N° 2 (Bukarest). Inhalt: Landwirtschaftsstatistik für das Jahr 1900.
— Bewegung der Bevölkerung Rumäniens 1899, — Auswärtiger Handel Rumäniens in
den Jahren 1390/99.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 137
Mişcarea populatiunef Romäniei in 1895. Bucuresei 1900. gr. in-4. XLII—
55 pp. [Statistik der Bewegung der Bevölkerung des Königreichs Rumänien im Jahre
1595. Mit einer Einleitung von L. Colescu (Chef der rumänischen Landesstatistik).]
Bulgarien.
Jnnsenue ua Hacerenmero Dptat 1898 ron, Haer, II. Paxaamıa, yamıpanıra
u KeHNIÖH Do OKOAUM M OM0pEb;kum. Sophia, imprimerie de l'Etat, 1900. 4. V—367 pp.
(Bewegung der Bevölkerung des Fürstentums Bulgarien während des Jahres 1395.
I. Teil: Geburten, Todesfälle und Trauungen, gesondert nach Arrondissements und
Departements.)
Dear ITaTH OTS nockBurt u peKoAITATA BB Kunkecteo Biarapgg npb3B 3emae-
ıbrueckara 1897-—98 roruna Coona (Sofia). 1900. 4. 4; 599 pp. (Die Ergebnisse der Aussaat
und der Ernte im Fürstentum Bulgarien während des Agrarjahres 1397/95 mit 4 Karto-
grammen.) [Veröffentlicht von der Direktion der amtlichen bulgarischen Statistik.]
Afrika (Aegypten).
Engel (Bey, médecin-chef de la statistique), Statistique sanitaire des villes de
l'Egypte. Résumé de la période quinquennale de 1886—1890. III'me partie (fin): Mor-
talite des villes de la Basse-Egypte. Le Caire, impr. nationale, 1900. gr. in-Folio.
pp. 60—87 av. 5 planches graphiques (Publication du Ministère de l'intérieur, admi-
nistration des services sanitaires et d’hygiene publique, Bureau de statistique.)
Amerika (Ver. Staaten).
Monthly summary on commerce and finance of the United States, October 1900.
Prepared in the Bureau of Statistics, Treasury Department. Washington, Government
Printing Office, 1900. gr. in-4. pp. 657—1054. (Contents: Commercial notes. — Im-
ports and consumption. — Drawbacks paid on imports. — Financial tables, — Prices
of leading articles. — Commerce of the great lakes. — Foreign commerce of the United
States.)
Report, annual, of the Secretary of State on statistics of crime in the State of
New York. Albany, J. B. Lyon printed, 1900. gr. in-5. 498 pp.
! — (Cuba).
Report on the Census of Cuba, 1899. Washington, Government Printing Office,
1900, gr. in-8. 786 pp. with 43 population tables, 12 maps, 14 diagrams, 60 photo-
graphic reproductions. (Contents: Causes affecting progress of the population. — History
of the population aboriginal, black, coolie, — Discussion of the population tables. —
Families. — Marital condition. — Literacy, and literary among persons over 10 years
ol age, — Occupations. — Sanitary condition of dwellings and unoccupied houses.)
[Publication of War Department, Office of the Director of Census of Cuba.]
Australien (Allgemeines).
Statistics of the seven colonies of Australasia, 1861 to 1899. Compiled from
official sources by T. A. Coghlan. Sydney, W. A. Gullick printed, 1900, 8. VI—72 pp.
— (Kolonie Queensland).
Queensland. Vital statistics, 1899. XL annual report of the Registrar-General.
Brisbane, E. Gregory printed, 1900. gr. in-folio. XXXVII—66 pp.
— (Kolonie Westaustralien).
Register, statistical, of the colony of Western Australia for 1898 and previous
years, Compiled in the Registrar General’s Office, Perth, from official returns. 12 parts
with maps, diagrams, ete. Perth, R. Pether printed, 1900. Folio.
13. Verschiedenes.
Arbeiten aus dem kaiserlichen Gesundheitsamte, Bd. XVII, 2. (Schluß-)Heft.
Berlin, J. Springer, 1900. Lex.-8. SS. 215—572 mit 2 Tafeln. (Inhalt: Sammlung
von Gutachten über Flußverunreinigung (Forts): XI. Gutachten über die Verunrei-
nigung der Haase durch die Piesberger Grubenwässer und deren Folgen, von (Prof.)
Beyschlag, (GehRegR.) Ohlmüller, (GehRegR., Prof.) Orth. — Ueber die Veränderungen
138 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
des Fettes beim Reifen der Käse, von K. Windisch (Dirigent der k. oenochemischen
Versuchsstation zu Geisenheim a. Rh.). — Die im Zinkhüttenbetriebe beobachteten Ge-
sundheitsschädigungen und die zu ihrer Verhütung erforderlichen Maßnahmen, von
(RegR.) Wutzdorff. — Ueber die Hämoglobinurie der Rinder in Finland, von (RegR.,
Prof.) Kossel und (OArzt) Weber. — Ergebnisse der Weinstatistik für 1898, von G.
Sonntag (Hülfsarbeiter im kais. Gesundheitsamte). — Bericht über die gesundheitlichen
Verhältnisse der Provinz Shantung, von (k. preuß. Stabsarzt) Velde. — Bericht über
die Verbreitung der Lepra in China, von (Stabsarzt) Velde. — Mitteilungen über Klima
und Gesundheitsverhältnisse in den deutschen Schutzgebieten. — etc.
Bilfinger, G., Untersuchungen über die Zeitrechnung der alten Germanen.
I. Das altnordische Jahr. Stuttgart, W. Kohlhammer, 1899. kl. 4. 100 SS. M. 2,50.
Blaschko, A., Hygiene der Prostitution und der venerischen Krankheiten. Jena,
G. Fischer, 1900. gr. 8. 128 SS. mit 1 Kartenskizze und 2 Kurven im Text. M.3.—.
(A. u. d. T.: Handbuch der Hygiene, herausgeg. von Th. Weyl, Lieferung 40.)
Büchner, L. (Prof.), Kaleidoskop. Skizzen und Aufsätze aus Natur und Menschen-
leben. Mit Vorwort: Zur Geschichte der volkstümlichen Naturforschung, von W. Bölsche.
Gießen, E. Roth, 1901. gr. 8. XXXII—407 SS. M. 6.—.
Charité-Annalen. Herausgeg. von der Direktion des kgl. Charité-Krankenhauses
zu Berlin. Redigiert von dem ärztlichen Direktor Generalarzt Schaper. Jahrg. XXV.
Berlin, Hirschwald 1900. gr. 8. IV—555 SS.
Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte. In Verbin-
dung mit Fr. Holtze, G. Schmoller und A. Stölzel herausgeg. von Otto Hintze. Band XIII.
"Leipzig, Duncker & Humblot, 1900. gr. 8. M. 12.—.
Gruber, H. (S. J.), Mazzini, Freimaurerei und Weltrevolution. Eine Studie zum
Königsmorde vom 29. VII. 1900, zum 30. Jahrestage der Einnahme Roms und zur
Jahrhundertwende. Regensburg, Manz, 1901. 8. 288 SS. M. 4.—.
Heigl, Ferd., Die Religion und Kultur Chinas. Berlin, H. Bermühler, 1900.
8. 678 SS. M. 5.—.
Heckethorn, Ch. W., Geheime Gesellschaften, Geheimbünde und Geheimlehren.
Autoris. deutsche Ausgabe bearbeitet von Leop. Katscher. Leipzig, Rengersche Buchhdl.,
1900. gr. 8. VIII—542 SS. M. 16.—.
v. Holzinger, C. (Prof.), Das Verhältnis der deutschen Universitäten zu den
Bildungsbestrebungen der Gegenwart. Rectoratsrede geh. in der Aula der k. k. deut-
schen Carl-Ferdinands-Universität in Prag am 4. XI. 1899. Prag, J. G. Calve, 1900.
gr. 8. 32 SS.
Kleinschmidt, A. (Prof. d. Geschichte, Univ. Heidelberg), Bayern und Hessen
1799—1816. Berlin, Joh. Räde, 1900. gr. 8. 344 SS. M. 6.—.
Korrespondenz, politische, Friedrichs des Großen. XXVI. Band. Berlin, Fr.
Duncker, 1900. gr. 8. 405 SS. M. 10.—.
Medizinalbericht von Württemberg für das Jahr 1898. Im Auftrage des k.
Ministeriums des Innern herausgeg. von dem k. Medizinalkollegium. Stuttgart, W. Kohl-
hammer, 1900, gr. 8. VIII—148 SS. mit 3 Uebersichtskärtchen im Text.
Moltkes Taktisch-strategische Aufsätze aus den Jahren 1857 bis 1871. Zur 100jähr.
Gedenkfeier der Geburt des General-Feldmarschalls Grafen v. Moltke hrsg. vom Großen
Gencrulstabe, Abteil. f. Kriegsgeschichte. I. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1900. gr. 8.
XXX—376 SS. Text nebst 20 Uebersichtsskizzen, Skizzen und 4 Karten. M. 12.—.
(A. u. d. T.: Moltkes militärische Werke. II. Thätigkeit als Chef des Generalstabes der
Armee im Frieden, Teil 2.)
Reichsmedizinalkalender für Deutschland auf das Jahr 1901. Begründet
von P. Börner, herausgeg. v. Jul. Schwalbe. Leipzig, G. Thieme, 1901. 12. XX—180;
624 u. 92 SS.
Bechmann (ingénieur en chef des ponts et chaussées), Notice sur le service des
eaux et de l’assainissement de Paris. Paris, C. Béranger, 1900. 8. 528 pag. avec fig.
et grav. (Exposition universelle de 1900.)
Soubeiran, M., Etudes sur les écoles pratiques de commerce et d'industrie en
France. Paris, Nony & C", 1900. 8. 265 pag.
Triboulet, H. et F. Mathieu, L'alcool et l’alcoolisme, Paris, Carré & Naud,
1900. 8. 257 pag. (Sommaire: Notions générales, — Toxicologie et physiologie. —
Pathologie. — Thérapeutique. — Prophylaxie.)
Die periodische Presse des Auslandes. 139
China. Imperial Maritime Customs. II. Special series, n° 2: Medical reports for
the half-year ended 31st March 1900. 59th issue. Shanghai, Kelly & Walsh, and Lon-
don, King & Son, 1900. 4. 17 pp. with 3fig. 8 1.—.
Index-Catalogue of the library of the Surgeon-General’s Office. United States
army, Authors and subjects, Il"d series. Volume V: Enamel-Fyuner. Washington,
Government Printing Office, 1900. Imp.-8. 14—1127 pp.
Ingram, T. Dunbar, A critical examination of Irish history: being a replace-
ment of the false by the true. From the Elizabethan conquest to the legislative union
of 1500. 2 vols. (VI—354 & VI—350 pp.) London, Longmans, Green, & C°, No-
sember 19, 1900. 8. 9/.—.
Mitchell, Chalmers, Thomas Henry Huxley, a sketch of his life and work.
New York, Putnam’s Sons, 1900. 8. XVII—297 pp. with 6 portr. 5/.—.
Report of the Commissioner of Education for the year 1898—99. Volume I.
Washington, Government Printing Office, 1900. gr. in-8. XCII—1248 pp. (Contents:
The Commissioner’s introduction: Education in foreign countries. The Philippines. Cuba,
Porto Rico, ete. — Statistics of State common-school systems. — Education in Great
Britain and Ireland. — Education in Australasia. — Education in Belgium. — Edu-
cation in Central Europa. — Education in Sweden, — State education in Japan. — The
development of the common school in the Western States (of the Un. States) from
1530 to 1865. — Miscellaneous educational topics. — The study of art and literature
in schools. — Publie education in Italy and its reform. — Educational training for
rülway service. — University extension in Great Britain. — School gardens. — Edu-
cation in France. — The future of the colored race, — etc.)
Die periodische Presse des Auslandes.
A. Frankreich.
Bulletin du Ministère de l’agriculture, XIXiöme année 1900, No. 3: Rapport sur
les travaux de la Commission d’études des emplois de l’alcool denature. — Rapport sur
l'exposition des volailles mortes et le commerce des volailles à Londres. — Rapport sur
les moyens de combattre la cochylis de la vigne. — Le sucrage des vins et des cidres
avant la fermentation. — Rapport sur le régime des alcools en Allemagne. — L’agri-
culture danoise en 1898. — No. 4, Novembre 1900: Statistique agricole annuelle de
la France: 1. Tableaux des récoltes pour l’année 1899; 2. Divers (poids et prix);
3. Animaux de ferme (existences au 31 12 1809, principaux produits en 1899: lait,
laine, miel et cire; 4. Importations et exportations des matières et produits intéressant
l'agriculture en 1897, 1898 et 1899. Admissions temporaires des blés en 1899; 5. Appro-
visionnement de Paris: Opérations du marché aux bestiaux de la Villette en 1897,
1598 et 1899; Consommation de la viande a Paris, 1899. — Statistique agricole de
l'Algérie, — Statistique agricole des pays étrangers.
Journal des Economistes. 59e année, 1900, Décembre: Le problème du gouverne-
ment individuel, par G. de Molinari. — Concert méditerranéen, par (contre-amiral)
Reveillère, — Les banques primitives de l’Italie, par Pierre des Essars. — Mouvement
scientifique et industriel, par Daniel Bellet. — Revue de l’Académie des sciences
morales et politiques (du Jet août au 23 novembre 1900), par J. Lefort. — Une théorie
de la population, par G. Cauderlier. — La question de l'Union douanière Austro-
Allemande en Autriche, par E. Castelot. — Histoire des classes ouvrières et de l’industrie
en France avant 1789, par E. Levasseur. — Tolstoi, La guerre et la paix, par Fred.
Passy. — M. Jaurès et les faits économiques, par E. d’Eichtal. — Société d'économie
politique, réunion du 5 décembre 1900: Nécrologie. Discussion: Le sucre. — Chro-
nique, — etc.
Journal de la société de statistique de Paris. XLI“me année, 1900, No. 11,
Novembre: Procès-verbal de la séance du 17 octobre 1900. — De l’infécondité chez
certaines populations industrielles, par M. Arsène (suite et fin.) — La dette hypothécaire
et les résultats des institutions de crédit foncier en France et à l'étranger, par E. Besson,
140 Die periodische Presse des Auslandes,
art. 1: Le crédit foncier et l'agriculture; Etat de la dette hypothécaire dans les diffé-
rents pays, § 1. France, $ 2. Espagne, $ 3. Italie. — Le rapport des naissances A la
population donne-t-il la véritable impression de leur mouvement? par Cl. Juglar. —
Note au sujet du prochain recensement de la population en 1901. — Chronique
trimestrielle des banques, changes et métaux précieux, par Pierre des Essars. — ete, —
No. 12. Décembre: Procès-verbal de la séance du 21 novembre 1900, av annexe:
Note relative au procès-verbal: Note relative au mouvement de la population française
en 1899, par L. March. — Les publications statistiques à l'Exposition universelle, par
E. Levasseur. — La dette hypothécaire et les résultats des institutions de crédit foncier
en France et à l'étranger, par E. Besson (suite et fin). — Chronique des questions
ouvrières et des assurances sur la vie, par Maur. Bellom. — etc.
Réforme sociale, la. XXitme année, 1900, No. 1er et 16 Décembre: Coopération
et mutualité, par E. Cheysson. — Mouvement social et action catholique en Allemagne,
vus de l'assemblée de Bonn, par V. Brants. — La population française en 1800 et en
1900, par Alfred des Cilleuls. — Les œuvres sociales au Chili, par Concha-Suberca-
seaux. — Les revendications de la petite bourgeoisie, par G. Blondel. — Une méthode
d'éducation populaire. L'expérience du Sillon, par Etienne Isabelle, — L'organisation
du travail, d’après le prof. Thury, de Genève, par Fred. Necker. — Chronique du
mouvement social: France et Suisse, par A. Böchaux. — Chronique du mouvement
social: Allemagne et Autriche-Hongrie, par G. Blondel, — etc.
Revue d'économie politique XIV? année, 1900, nos. 10/11, Octobre à Novembre:
Un précurseur de List: Daniel Raymond, par F. Lepelletier. — La législation sociale
en 1898, par Hector Lambrechts (suite). — La législation du travail en Espagne, par
Ad. Buylla. — Evaluation de la fortune privée en France, par V. Turquan (suite), —
Chronique législative, par E. Villey. — etc.
Revue politique et parlementaire. Année VI, 1900: Mois Avril-Décembre 1900:
Notre œuvre de cinq années (1594—1899), par Marcel Fournier, — Les élections muni-
cipales du 6 mai 1900, par M. Fournier. — Le bureau de bienfaisance central de
Paris, par R. Bompart. — Loi sur les congrégations et politique religieuse, par A. Frétel.
— Le problème de l’enseignement secondaire devant les chambres de commerce, par
E. Bourgeois (prof) — Le marchandage, par P. Roué. — La conquête pacifique du
Tonkin, par d’Amfreville. — Le Parlement de Paris sous Louis XVI, par E. Glasson. —
Camille Pelletan, par E. Charles. — L'Université et la République, par Torau-Bayle.
— La conférence internat. de la paix de 1899, par A. Merignhae (prof.) — La phar-
macie est-elle une profession libérale ou une profession commerciale? — La philosophie
et l’université, par Alf. Fouillée. — Le capital a-t-il droit à une rétribution pour les
services qu'il rend? par Maur. Block. — Les dissensions de la socialdémocratie en
Allemagne: A propos des écrits de M. Bernstein, par G. Sorel. — Le mécanisme de la
représentation proportionnelle dans le nouveau système électoral Belge, par Maur.
Vanlaer. — La répression des délits causes par la misère, par Rob. Doucet. — Les
délégations financières Algériennes, par F. Grivaz. — La fédération, ses avantages et
ses bienfaits: A propos de la question d'une fédération européenne, par J. Novieow. —
La réforme des bourses de commerce et la spéculation sur les blés et farines, par
A. E. Sayous. — Les elections en Belgique, par H. Dumont. — L'armée et la démo-
cratie, par J. Charmont (prof. de droit). — Les universités populaires, par A. Rivaud.
— De l'influence de la monnaie sur les prix, par R. Laburthe. — L’augmentation de
la flotte allemande, par L. Jadot. — La rente extérieure espagnole et le projet de
convenio, par G. Manchez. — La course, son rétablissement dans les guerres maritimes,
par G. Gelle, — Le contrôle de l'exécution du budget de l'Etat en Angleterre, par
V. Marcé. — Un projet de crédit agricole au siècle dernier, par C. Bloch. — L’in-
dustrie sucrière en Espagne, par G. Routier. — La defense des porteurs des valeurs
étrangeres, par E. Lacombe — Une enquête sur les marchés de marchandises en France.
I. Les blés et farines A la bourse de commerce de Paris et la spéculation sur les grains,
par A. Charliat (prof.) II. La question et le marché des sucres, à propos de la pro-
position Rajon, par H. Loiseau. — La réforme foncière en France, par G. Chartenot.
— Les warrants agricoles, par E. Rochetin. — L'Université et la République: lettre
à M. Fournier, par A. Darlu. — L’Impöt communal sur le revenu: Application à la
suppression des octrois et à la suppression des centimes additionnels, par Malzac. —
L'Unité socialiste, par E. d'Eichtal. — Une élection en 1848 et le gouvernement pro-
visoire, par Ch, Roussel, — L'Assistance maternelle A domicile et la döpopulation, par
P. Pecker. — etc.
Die periodische Presse des Auslandes. 141
Revue internationale de sociologie, publiée sous la direction de René Worms.
še année, 1900, No. 11, Novembre: A la mémoire d’Auguste Comte, par Hector Denis
— La morale et la science, par L. L. Vauthier, — Constantin Dmitrievitch Kavelin,
par A. Koni. — Demande d'un programme de sociologie, par Alejandro Dorado. — ete.
B. England.
Nineteenth Century (the). N°. 286, December 1900: „Balfourian amelioration“
in Ireland, by H. Plunkett (Vice-president of the Department of agriculture and tech-
uical instruction for Ireland.) — Thomas Henry Huxley, by Leslie Stephen. — Recent
science, by (Prince) Krapotkin. — The rôle of women in society. I. in XVIIIth cen-
tury France; II. in XIX century England, by (Lady) Ponsonby. — The defective
addition to our company law, by (judge) Emden. — Present-day progress in India, by
Chunder Mozoomdar. — The newspapers, by (Sir) Wemyss Reid. — Are we realy
a nation of amateurs? by (Sir) Herbert Maxwell. — Lord Rosebery on the dangers to
British trade, by L. Birchenough. — etc.
C. Oesterreich.
Deutsche Worte. Monatshefte herausgeg. von Engelbert Pernerstorfer. Jahrg. XX,
1900, Heft 11, November: Ueber einige Ziele und Aufgaben der Studenten in Oester-
reich, von Aurelianus (Wien). — Benoit Malon. Eine biographische Skizze, von Leo
Kestenberg (Nürnberg). — etc.
Handelsmuseum, das. Band XV, Nr. 49—52, Wien, 6. Dezember — 27. De-
zember 1900: Der Doppeltarif, von Walther Borgius (Berlin). — Der Rückgang des
Zunzibarer Handels. — Die Zolltarifreform im Deutschen Reiche. — Die Südostafrika-
Linie des Oesterreichischen Lloyd und der Hafen von Triest. — Die Reform der Wiener
Getreidebörse, von Victor Heller. — Die (österreichische) Volkszählung am 31. XII.
1900, — Die Lage der österreichischen Montanindustrie. — Winke für den Export von
Baumwollwaren. — ete.
Statistische Monatsschrift. Herausgeg. von der k. k. statistischen Central-
kommission. N. Folge, Jahrg. V (der ganzen Reihe XXI. Jahrg.) Heft 7, Juli:
Statistik der Börsenschiedsgerichte, von Camillo Roncali. — Ein System der objektiven
Soziologie, von Fr. Hawelka (Il. Art.). — Das Stipendienwesen an österreichischen Hoch-
schulen. — Die Bewegung der Bevölkerung. — etc.
Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung. Band IX, 1900,
Heft 5: Das Administrationsverfahren und seine Reform, von (Prof.) F. Tezner. — Die
Besteuerung der städtischen Liegenschaften Rußlands zu kommunalen Zwecken, von
G. Sodoffsky (II. Artikel). — Das arbeitsstatistische Amt, von M. Hainisch. — etc.
Band IX, 1900, Heft 6: Altersversorgung und Armenrecht im Lichte englischer
Reformprojekte von (Freiherr) F. v. Oppenheimer. — Litteratur und Organisation der
Handelswissenschaften, von A. Richter. — Das Aktienregulativ vom 20. IX. 1899, von
F. v. Sprung. — etc.
E. Italien,
Giornale degli Eeonomisti. Dicembre 1900: Le basi fondamentali di una scienza
finanziaria pura, per G. Montemartini. — La missione speciale del Veltro Dantesco,
per A. Morena. — Ancora del decimo sciopero di Molinella, per G. E. Sturani. —
Una storia dell’ anarchismo e del comunismo: (Adler, Geschichte des Sozialismus und
Kommunismus von Plato bis zur Gegenwart, Bd. I), per V. Giuffrida (pp. 615—6241,
— Previdenza: Gli impiegati, il credito e l’insequestrabilità degli stipendi, per C. Bot-
toni, — Cronaca, per F. Papafava. — etc.
Rivista della beneficenza pubblica delle istituzioni di previdenza e di igiene
sociale. Anno XXVIII, 1900. N°. 11, Novembre: A proposito delle erogazioni di bene-
ficenza della cassa di risparmio delle provincie Lombarde in Milano, per P. Donati. —
La cassa di previdenza e le casse di risparmio italiane, per P. Manassei. — Forme
e patrimonio della beneficenza, per G. Biancoli. — Cronaca. — ete. — N°. 12, Di-
cembre: Forme e patrimonio della beneficenza in Italia, per C. Biancoli. — I V Con-
gresso delle opere pie, per Rod. Läscht, — Istituti di educazione per Pinfanzia, per
P. Donati. — Lo Stato e la beneficenza pubblica. — Disegno di legge sulle esposti. —
Cronaca, — Fra le riviste. — Massime die” giurisprudenza. — ete,
142 Die periodische Presse des Auslandes.
L Holland.
de Economist, opgericht door J. L. de Bruyn Kops. XLIXte Jaargang, 1900,
November: De opleiding van onze werklieden, door E. Fokker. — De werking van den
geslachtaccijns sedert 1860, door C. A. Verrijn Stuart — Besprechungen der Schriften :
„Dietzel, Weltwirtschaft und Volkswirtschaft‘‘ und „Steinmetz, Wat is sociologie?“ von
C. A. Verrijn Stuart. — Economische Kroniek: 1. Niederlande: Unfallversicherung ;
Arbeiterpensionsversicherungsfonds; Landwirtschaftliche Genossenschaften ; Zuckerprämien.
2. Deutschland: Zollgesetzgebung. 3. Dänemark: Altersversicherung. — Handelskroniek :
Drohende Wetterwolken über Handel und Industrie. — ete. — 1900, December:
Europa’s en Amerika’s handelspolitiek, door C. Rozenraad. — De bloei (befriedigende
Stand) der staatsmiddelen in 1900, door J. d’A. D. B. — Het frije ruilverkeer (freie
Tauschverkehr). Verslag van het verhandelde ter algemeene vergadering op zaterdag
17 November 1900 in het gebouw „Eensgezindheid“ te Amsterdam. — Economische
kroniek.
H. Schweiz.
Monatsschrift für christliche Sozialreform. Redaktion: M. v. Vogelsang, Frei-
burg (Schweiz). Jahrg. XXII, 1900, Heft 12: Zur Frage der Dispositionsfähigkeit, von
Or med.) K. Beck. — Zur Wende des Jahrhunderts, von M. v. Vogelsang. — Kapital-
herrschaft und ihr Ende, von Walther Giger. — Wirtschaftliche Tagesfragen, von Sem-
pronius: Hochschutzzoll und Trustwesen in den Ver. Staaten; deren Rückwirkung auf
Europa. — ete. — Sozialpolitisches und Wirtschaftliches aus der Schweiz. — ete.
Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Jahrg. VIII, 1900,
Heft 19 bis 23: Genossenschaften und andere wirtschaftliche Vereinigungen im Deutschen
Reiche, von Max May (Heidelberg). — Zur Frage der Schaffung von Fähigkeitsaus-
weisen für die Ausübung der Advokatur in der ganzen Eidgenossenschaft, von Fr. Volmar
(Fürsprecher in Ostermundigen bei Bern). — Der Verband ostschweizerischer landwirt-
schaftlicher Genossenschaften, von C. Schenkel (Präsident des ostschw. landw. Genossen-
schaftsverbandes). — Die Frauenfrage in politischer, kommerzieller und gewerblicher
Hinsicht, von Bruno Vogler. — Die Erziehung des Referendumbürgers, von Hans Schmid
(OLehrer, LyB). — Exporthandel und Handelsmuseum, von M. Richter (Dozent, Handels-
akademie, Leipzig). — Ein neues Versicherungsgesetz für Ungarn, von L. Katscher
(Budapest). — Der Verein „Reichswohnungsgesetz“, seine Geschichte, seine Ziele, von
Henriette Fürth (Frankf. a. M.). — Der Artikel 33 der Bundesverfassung und die Frei-
zügigkeit der Advokatur, von C. A. Schmid (Zürich). — ete. — Soziale Chronik. —
Sozialpolitisches Archiv, Nr.5 u. 6: Gewerbegerichte und Einigungsämnter in der Schweiz.
VIII. Luzern ; IX Neuchätel.
M. Amerika.
Annals of the American Academy of political and social science (issued bi-monthly).
Vol. XVI, n° 1 & 2, July and September 1900: The doctrines and practico of inter-
vention in Europa, by W. E. Lingelbach., — The Currency law of 1900, by Roland
P. Falkner. — The American newspaper: a study in social psychology, by Delos F.
Wileox. — Representation in State legislatures, III. The Southern Slates; IV. The Western
States, by G. H. Haynes. — Polities and administration, by H. J. Ford. — The law
of the value of money, by Ch. A. Conant. — Natural rights, ra vu Inglis Clark.
The ethical and politieal principles of „expansion“, by Talcott Williams. — Personal al
notes. Book department. Notes on municipal government. Sociological notes. — Supple-
ment to the „Annals“, July, 1900: Selected official documents of the Southern African
Republie and Great Britain. A documentary perspective of the causes of the war in
South Africa. Edited by Hugh Williams and Fred. Ch. aer
Bulletin of the Department of Labor (Washington). N° 30, September, 1900:
Trend of wages from 1891 to 1900. — Statistics of cities. — Foreign labor laws, by
W. F. Willoughby (of the Department of Labor). — Digest of recents reports of State
bureaus of labor statistics: Missouri. — State reports on building and loan associations :
California; Connecticut; Jowa; Michigan, New York. — Digest of recent foreign stati-
stical publications. — Decisions of courts affecting labor. — Laws of various States
relating to labor enacted since January 1, 1896. —- ete. N° 31, November, 1900:
The betterment of industrial conditions, by V. H. Olmsted (of the Department of Labor).
— Present status of employers’ liability in the United States, by Stephen D. Fessenden
Die periodische Presse Deutschlands. 143
{of the Department of Labor). — Condition of railway labor in Italy, by Luigi Einaudi
{of the University of Turin). — Digest of recent reports of State bureaus of labor
statistics: Maine; Massachusetts; New York; Rhode-Island. — ete,
Yale Review, the. Vol. IX, N° 3, November 1900: Comment: The Curreney Act
and the gold standard; the anthracite coal strike. — The alleged failure of democracy,
by J. Bascom. — American international indebtedness, by Nathan. T. Bacon. — Obser-
vations concerning the theory of railway charges, by H. T. Newcomb. — The machi-
nists strike, 1900, by E. L. Bogart. — Notes Book notices. — etc.
Die periodische Presse Deutschlands.
Alkoholismus, der. Vierteljahrschrift zur wissenschaftlichen Erörterung der
Alkoholfrage. Jahrg. I, 1900, Heft 4: Alkoholismus und Zwangserziehung, von (OArzt)
0. Mönkemöller. — Noch einmal Alkoholismus und Lebensversicherung, von A. Em-
minghaus. — Soziale Gesetzgebung und Alkoholfrage, von E. Flade. — Die Trunk-
sucht unter den deutschen Landarbeitern, von A. Grotjahn (Schluß). — etc.
Archiv für Post und Telegraphie. Jahrg. 1900, Nr. 23 u. 24, Dezember, nebst
Ergänzungsheft zu Nr. 24: Beiträge zur Geschichte des Altenburgischen Postwesens, —
Die deutschen Kapitalanlagen in überseeischen Ländern. — Zur Geschichte des Post:
wesens am Niederrhein (Schluß). — Die Schwebebahn Barmen-Vohwinkel. — Die drei
Südstaaten Brasiliens. — Das Postwesen in den Ver. Staaten von Amerika im Jahre
1595/99. — Die große Sibirische Eisenbahn. — Zur Entwickelungsgeschichte der Eisen-
bahnen zwischen Westeuropa und Konstantinopel sowie Soloniki. — Das Briefgeheimnis,
von Heim (k. ung. MinisterialR. a. D., Budapest). [SS. 965—996.] — ete.
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Zeitschrift des Deutschen Vereins
zum Schutz des gewerblichen Eigentums. Herausgeg. von A. Osterrieth. Jahrg. V,
1900, Nr. 11, November: Entwurf eines österreichischen Gesetzes, betreffend den Schutz
gewerblicher Muster (Musterschutzgesetz), von (Prof.) J. Kohler. (Mit einer Begutach-
tung.) — Der Entwurf eines österreichischen Musterschutzgesetzes, von Jul. Ephraim. —
Internationaler Rechtsschutz. — ete.
Masius’ Rundschau. Blätter für Versicherungswissenschaft. N. Folge. Jahrg. XII,
1900, Heft 11: Ueber das Risiko der Auslandreisen in der Lebensversicherung. — Die
Heilbehandlung im Dienste der Invaliditätsversicherung. — Die Prämienreserve bei der
Lebensversicherung. — Die Lebensversicherung in Japan. — Die taxierte Police und
die Feuerversicherung. — Rechtsprechung des Reichsgerichts. — ete.
Neue Zeit, die. Jahrg. 1900—1901, Nr. 3—11, 20. X.—15. XII 1900: Das
persönliche Regiment. — Das landwirtschaftliche Elend Rußlands, von Parvus. — Bruder
Bauer, von A. Hofer (Skaisgirren). — Sozialismus und Erziehung. Eine sozialpädagogi-
sche Skizze, von Ludw. Woltmann. — Stellung der Konsumvereine und allgemeiner
Genossenschaftsverband, von H. Fleißner (Dresden). — Arbeitsteilung und Frauenrecht.
Zugleich ein Beitrag zur materialistischen Geschichtsauffassung, von H. Cunow. —
Woher die Kohlenot und der Kohlenwucher? von O. Hué. — Die 72. Naturforscher-
versammlung in Aachen, von Br. Borchardt. — Die englischen Wahlen, von Jakob
Brockle (IL. Art... — Kommunale Wohnungspolitik, von Paul Hirsch. — Der Kohlen-
wucher und die Verstaatlichung des Kohlenbergbaus, von K. Kautsky. — Die dreijährige
Dienstzeit der berittenen Truppen, von Ernst Däumig. — Die Volksgesetzgebung in der
Schweiz, von J. Hertz (Herisau). — Die Abnahme der Tuberkulose in England, von
Peter Stassow. — Der Kohlenwucher, von A. Bebel. — Klassenkampf und Ethik, von
K. Kautsky. — Der Streik der Kohlengräber in den Ver. Staaten, von J. L. Franz. —
Ein weitverbreiteter Fehlschluß (bei Beurteilung des Imperialismus und der neuen
Kohlenpolitik), von E. Belfort-Bax. — Christentum und Sozialdemokratie. — Kohlen-
versorgung und Grubenverstaatlichung, von O. Hué. — Die ökonomischen Ursachen der
Gährung in Makedonien, von Ziroin Balugdgitsch. — Die Verstaatlichung der Kohlen-
bergwerke, von K. Kautsky. — Vom Wiener Volksstück, von D. Bach. — Probleme
der jüdisch-proletarischen Bewegung, von Max Zetterbaum (Lemberg). — Zwangser-
ziehung gegen minderjährige Arbeiter, von Gust. Hoch. — etc.
144 Die periodische Presse Deutschlands.
Preußische Jahrbücher, herausgeg. von Hans Delbrück. Band 103, 1901, Heft 1,
Januar: Der Ursprung der preußischen Einkommensteuer, von Max Lehmann (Prof.,
Göttingen). — Landwirtschaft und Fachbildung. — Ultramontane Kritik, von (Graf)
Paul Hoensbroech (Steglitz). — Wissenschaftlicher Chauvinismus in Italien, von Justus
Multanovi. — König Jeröme, von A. Wolfstieg (Bibliothekar des Abgeordnetenhauses,
Berlin). — Die Verstaatlichung des Getränkehandels, von W. Bode (Weimar). — etc.
Vereinsblatt für Deutsches Versicherungswesen. Jahrg. XXIX, 1901, No. 1:
Zum Entwurf eines Gesetzes über die privaten Versicherungsunternehmungen. — Kon-
zessionsentziehung der gegenseitigen Lebens-, Invaliditäts- und Unfallversicherungsge-
sellschaft Prometheus in Berlin. — Die Rückversicherungsabteilung des Verbandes
öffentlicher Feuerversicherungsanstalten in Deutschland.
Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. Herausgeg. vom kais.
statistischen Amt. Jahrg. IX, 1900, Heft 4: Konkursstatistik für das Jahr 1899. —
Zur deutschen Justizstatistik für das Jahr 1899. — Zur Kriminalstatistik: Verbrechen
und Vergehen gegen Reichsgesetze 1894—1898. (Vorläufige Mitteilung.) — Die Berg-
werke, Salinen und Hütten im Jahre 1899. — Die jugendlichen Fabrikarbeiter und die
Fabrikarbeiterinnen im Jahre 1899. — Zur Statistik der Preise: 1. Roggen- und Weizen-
preise an deutschen und fremden Börsenplätzen im dritten Vierteljahr 1900; 2. Viehpreise
in zehn deutschen Städten im dritten Vierteljahr 1900 ; 3. Fleischpreise in Berlin in den
Jahren 1895—1899; 4. Lebensmittelpreise in Straßburg i. E. in den Jahren 1895—1899 ;
5. Großhandelspreise von Getreide an 6 österreichischen Plätzen 1897—1899. — Hopfen-
anbau und Hopfenernte im Jahre 1900. — Zur Statistik der deutschen Lebensver-
sicherungsgesellschaften im Jahre 1899 (Forts. u. Schluß). — Salzgewinnung und -Be-
steuerung im Rechnungsjahre 1899. — Bierbrauerei und Bierbesteuerung im Rechnungs-
jahre 1899. — Tabakbau nnd Tabakernte im Erntejahr 1899. — Tabakbau im Ernte-
jahr 1900. (Vorläufige Nachweise.) — Stärkezuckergewinnung und -Handel im Betriebs-
jahre 1899/1900. — Zuckergewinnung und -Besteuerung im Betriebsjahre 1899/1900.
— Nachtrag zur Statistik der Reichstagswahlen 1898: Die Ersatzwahlen. — Konkurs-
statistik für das 3. Vierteljahr 1900. — Streiks und Aussperrungen im dritten Viertel-
jahr 1900.
Zeitschrift für Bergrecht. Hısg. von H. Brassert (Wirkl. GehR., Bonn).
Jahrg. XLII, 1901, Heft 1: Abhandlungen: Reform des Bergwesens in China, von
(BergAss.) Vogelsang (Shanghai). — Ein deutsches Berggesetz, von G. H. Wahle (Geh.
FinR., Dresden). — Gesetzgebung. Bergpolizeivorschriften. — Praxis der Verwaltungs-
behörden ete.
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Hrsg. von (Prof.) Julius Wolf. Jahrg. III,
1900, Heft 12: Besitzen die Naturvölker ein persönliches Ehrgefühl? von Rich. Lasch
(Horn, N.-Oe.) — Sozialpolitische Streifzüge in das deutsche Civilprozeßrecht, von
(GerAss.) Max Fleischmann (Halle a./S.) — Zur Geschichte des ländlichen Gesinde-
wesens in den preußischen Östprovinzen, von P. Frauenstädt (Breslau.) — Sozialpolitik:
Zu dem Entwurfe eines Reichsgesetzes über die privaten Versicherungsunternehmungen,
von A. Emminghaus (Gotha). — Vorschreiben eines Minimallohnes bei Vergebung
öffentlicher Arbeiten und Lieferungen. — Miszellen. — ete.
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Herausgeg. von Fr. v. Liszt
und K. v. Lilienthal (Proff. d. Rechte, Berlin), XXI. Band, 1900, Heft 1: Ein Beitrag
zur Kenntnis des großstäditschen Bettel- und Vagabondentums. Eine psychiatrische
Untersuchung, von (PrivDoz.) K. Bonhoeffer (Breslau). — Ueber Hexenprozesse. Straf-
rechtliche Studie, von (AGerR.) Bartolomäus (Krotoschin.) — Die Stellung des „un-
lauteren Wettbewerbes“ im System des Strafrechts, von A. Schlecht (Regensburg). —
Strafrechtliche Behandlung jugendlicher Personen, von O. Levis (Pforzheim). — Das
gewerbsmäßige Verbrechen. Vortrag, von (Prof.) Fr. v. Liszt. — Unfallfürsorge für
Gefangene, von (KreisgerR.) Hilse. — Professor Dr. Bennecke. Eine Entgegnung, von
(PrivDoz.) Freudenthal.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena,
Adolf Nuglisch, Das Finanzwesen des Deutschen Reiches unter Kaiser Sigmund. 145
Nachdruck verboten.
IL
Das Finanzwesen des Deutschen Reiches
unter Kaiser Sigmund.
Von
Dr. Adolf Nuglisch, Straßburg i. E.
Eine ungeheuere Entwickelung ist es, die das deutsche Finanz-
wesen von den Zeiten des Mittelalters her zu durchschreiten hatte,
bis es den modernen Zustand erreichte. Neben der römischen Steuer-
verfassung beruhte es zunächst auf einer Natural- und Domänen-
wirtschaft. Des Königs und des Reiches Gut ward nicht unter-
schieden. Im 13. Jahrhundert, als das Besitztum der Könige fast
ganz in die Hände der Großen gekommen war, sah man sich nach
neuen Erwerbsquellen um und fand sie vornehmlich in den Steuern
der Juden und Reichsstädte. Es war dies ein kleiner Ersatz für
den Mangel einer allgemeinen Reichssteuer. Große Summen wurden
von jenen erhoben, doch die planlose Verwaltung hinderte die gründ-
liche Ausnutzung und Erhaltung der Einnahmen. Es fehlte die Auf-
stellung eines Etats, eines Voranschlags; wo gerade eine Ausgabe
zu machen war, wurde sie gemacht, ohne Rücksicht darauf, ob ge-
nügend Einnahmen vorhanden waren. So mußten viele Einkünfte
im voraus einem Gläubiger auf ein oder mehrere Jahre, oft für
inmer angewiesen werden und das Finanzwesen artete mehr und
mehr in eine regellose Pfand- und Borgwirtschaft aus. In den
Städten erkennen wir seit dem 14. Jahrhundert die Anfänge moderner
Finanzverwaltung, modernen Steuerwesens, etwas später folgen hierin
die Territorien der Landesherren, während das Reich keine Kraft
mehr besaß, aus sich selbst Neues zu schaffen. Alle Versuche einer
Reichsfinanzreform, die im ausgehenden Mittelalter gemacht wurden,
scheiterten. So erscheint das Finanzwesen geradezu als Spiegelbild
der politischen Geschichte. Wir spüren zuerst die Einheit des Staates,
die Stärke des Königtums, dann seinen Niedergang, die Auflösung
in unzählige kleine Gemeinwesen; schließlich deren Erstarkung und
Befestigung, den völligen Verfall des Reiches. Für den Herrscher
Dritte Folge Bd, XXI (LXXVI), 10
146 Adolf Nugliseh,
des 14. oder 15. Jahrhunderts mußte es schwer sein, das für die
mannigfachen Ausgaben nötige Geld zusammenzubringen, denn für
das Reich etwas zu opfern, der Gedanke lag den Städten und
Herren fern; sie waren nur auf ihre eigenen partikularen Interessen
bedacht. Gerade indem sie die Geldnot des Kaisers benutzten, durch
kluge Finanzgeschäfte, die sie mit ihm machten, vergrößerten sie
ihr Gebiet, erwarben sie ein Hoheitsrecht nach dem anderen. Aller-
dings stand dem Kaiser eine Anzahl fester, in bestimmten Terminen
zu zahlender Abgaben zu Gebote, aber sie genügten bei weitem
nicht, den Bedarf zu decken, und es wird die Aufgabe des Königs,
sich außerordentliche Einnahmen zu verschaffen. An anderer Stelle
ist gezeigt worden, wie Karl IV. dies gelang !).
Aber schon im Beginn des 16. Jahrhunderts sind die regel-
mäßigen Einnahmequellen versiegt und die Macht des Königs reicht
nicht mehr aus, außerordentliche zu erheben. Wie und wann ist
dies vor sich gegangen? Fassen wir den Zeitraum der Regierung
Kaiser Sigmunds, also die Jahre 1410—37, näher ins Auge. Wir
werden sehen, daß unter ihm noch kein wesentlicher Rückgang
im Finanzwesen zu spüren ist; er war im stande, alte Einnahmen
zu erhalten, neue zu erwerben. Einen großen Teil seiner Thätigkeit
füllte er mit finanziellen Beschäftigungen aus und ein starker
Prozentsatz seiner Urkunden ist finanzieller Natur. Sein Ausspruch,
er habe vom Reiche jährlich nicht über 13 000 fl. Einnahmen °), er-
scheint auch für die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts als unrichtig.
Kap. I. Die Finanzverwaltung des Reiches.
Die Verwaltung zeigt eher einen Fortschritt gegen die frühere
Zeit; das Verpfändungs- und Anweisungssystem tritt weniger in den
Vordergrund. Die regelmäßigen Einnahmen werden meist an Ort
und Stelle vom Gläubiger, dem sie angewiesen sind, in Empfang
genommen, die außerordentlichen von Sigmunds Beamten oder dazu
ernannten Personen auf seine Vollmacht hin eingezogen à).
Von dem so bei ihnen sich ansammelnden Gelde zahlten sie
entweder einem Gläubiger des Reiches oder sie lieferten den Ertrag
direkt dem Könige ab. Das erste Verfahren vereinfachte die Sache,
da es den Transport des Geldes an den Kaiser und von diesem an
seinen Gläubiger überflüssig machte. Daher behielten die Beamten
wohl auch das vereinnahmte Geld in Verwahrung, um es gelegent-
lich auf Befehl des Königs zu verausgaben *).
1) Nuglisch, Das Finanzwesen des Deutschen Reiches unter Kaiser Karl IV:
Vorliegende Arbeit ist die Fortsetzung dieser Schrift.
2) Deutsche Reichstagsakten, VII, S. 181.
3) Es sind dies oft Leute, denen Sigmund Geld schuldet und die daher an dem
Einkommen desselben Interesse haben. Regesta Imperii XI. Die Urkunden Kaiser
Sigmunds, herausg. v. W. Altmann, No. 4973, 5053, 10343, 7042, 7259, 8658, 5646,
5069, 5225, 5314.
4) Regesten Sigm. fortan bezeichnet R, S. 3105, 3931, 4690.
Das Finanzwesen des Deutschen Reiches unter Kaiser Sigmund. 147
Kleinere Summen scheinen in eine Centralkasse, die königliche
Kammer gekommen zu sein. Wenigstens weist Sigmund mehrmals
Jahrgelder auf sie an, Handwerkern, die er in seinen Dienst ge-
nommen, giebt er Vorschüsse!); er befiehlt einem Herren, von Juden
Strafgeld einzuziehen, davon 300 fl. zu behalten und den Rest der
königlichen Kammer abzuliefern. Der etwaige Ueberschuß, der beim
Verkauf von Kleinodien erzielt wird, sollan Sigmund gezahlt werden.
In der Schweiz werden Zinsen und Gefälle, die dem Herzog Fried-
rich von Oesterreich gehört hatten, für die königliche Kammer ein-
gezogen. Neben ihr spielt auch Nürnberg wieder eine gewisse Rolle
als Centralstelle. Nicht nur, daß die Insignien des Reiches jetzt
für lange Zeit hier ihren Aufbewahrungsort finden ?), daß auch das
Geld für den Hussitenkrieg hier zusammenkommt, noch andere Gründe
sprechen dafür. Sigmund läßt z. B. den Schlagschatz der Baseler
Münze jährlich nach Nürnberg abliefern®). Hierhin soll auch die
Familie von Egmont die 14000 fl. einsenden, welche der König von
ihr für die Belehnung mit Geldern verlangte 4).
Was für das 14. Jahrhundert von der Trennung der Kammer
des Reiches von der Böhmens gesagt ist, bleibt auch für das 15. be-
stehen ©).
Rechnungsbücher und Aufzeichnungen der Einnahmen und Aus-
gaben waren zweifellos vorhanden. So giebt Sigmund der Stadt
Straßburg den Befehl, einem Getreuen 200 fl. zu zahlen, die von
den 50000 noch ausstehen, wie sich in unserem Rechenbuch und
von unserem Kammermeister befunden hat‘. Ein anderes Mal
stellt er dem Markgrafen von Baden einen Schuldschein über
13467 '/, fl. aus, die er ihm nach erfolgter Abrechnung der Schuld
des Herzogs Friedrich von Oesterreich und des Zehnten in den
oberrheinischen Bistümern noch zu zahlen hat’). Er rechnet mit
seinem Protonotar Johannes Kirchen ab, der in seinem Auftrage eine
Anzahl städtischer Reichssteuern, Sporteln u. s. w. eingezogen hat).
Er teilt Conrad von Weinsberg mit, daß er den Markgrafen von
Brandenburg angewiesen hat, ihm (Weinsberg) über die von seinem
verstorbenen Bruder Johann vereinnahmten Judensteuern Rechen-
1) R. S. 2419, 6751, 3621—24, 35.
.. 2) Hierfür mußte Nürnberg dem Könige 1000 fl. zahlen. Aschbach, Gesch.
Kaiser Sigmunds IV, S. 478.
3) R. S. 7431, 2.
4) Windeckes Denkwürdigkeiten hrg. v. Altmann, S. 196.
5) Vgl. Nuglisch S. 6 f. Einer der hier angeführten Gründe, welcher für die
Trennung beider Kassen spricht, findet sich bestätigt. Es war gesagt worden, bei ver-
tinigter Kasse hätte es der Kaiser in der Hand gehabt, fortwährend mit Hilfe des
Reichsgeldes Reichsgut für sich und sein Haus in Pfandbesitz zu nehmen. In einer
Urkunde an den Statthalter des Königs heißt es nun ausdrücklich, was er mit des
Reiches Gelde löse, verbleibe dem Reiche, was mit seinem Gelde, komme ın seinen
Plandbesitz. R.T.A. VIII, S. 189 f. Als weiterer Beweis gilt auch R. S. 5356.
6) R. S. 2719.
7) R. S. 3853, 5164.
8) Mitt. d. Inst. f. öst. Gesch. 18, 593, vgl. auch 9843.
10*
148 Adolf Nuglisch,
schaft abzulegen und bittet ihn, sich dieser Mühe zu unterziehen 1.
Oft war eine umständliche Abrechnung nötig, da, wie wir sahen, die
Bevollmächtigten des Königs bestimmte Einkünfte einsammelten,
hiervon an Dritte Geld abführten oder es aufbewahrten oder aber es an
die königliche Kammer sandten. Hierzu kam, daß sie für ihre
Thätigkeit einen Teil der Einkünfte für sich behielten und die Kosten
für ihre Reisen abzogen?). Die Forderungen seiner Gläubiger zahlt
der König auch nicht aus, wenn er nicht seibst oder durch seine
Beamten abgerechnet hat). Scheint ihm nicht alles in Ordnung zu
sein, so läßt er durch sie eine Untersuchung anstellen.
Auch mußten Verzeichnisse vorhanden sein, aus denen der König
ersehen konnte, welche Güter ausgeliehen, angewiesen oder ver-
pfändet waren und welche ihm noch zur Verfügung standen *). Macht
der König eine Anleihe oder hatte er irgendwo Schulden gemacht,
so ließ er sich dies auch aufschreiben 5).
Die ständige für die Einziehung der Einkünfte angestellte
Beamtenschaft ist dieselbe wie unter Karl; es giebt Kammermeister
und oberste Kammermeister, die an der kaiserlichen Kammer, Land-
vôgte‘), die an der Spitze einer der Reichsvogteien, Vikare, die in
einigen Teilen Italiens thätig waren’), sodann eine Reihe Unter-
beamter, wie Schultheißen, Vögte und endlich Münz- und Zoll-
beamte 5).
Doch haben sie ihre frühere Bedeutung fast ganz verloren. An
ihre Stelle sind einige Personen getreten, die keine angestellte Finanz-
beamte sind, sondern von Fall zu Fall ernannt werden. Eine Aus-
nahme hiervon macht nur der Kammermeister Konrad von Weins-
berg, der die treibende Kraft bei den Geldgeschäften des Königs
ist. Neben ihm treten hervor die Markgrafen Friedrich von Branden-
burg, Bernhard von Baden und Johann von Neumarkt, der Burg-
graf Johann von Nürnberg, der Bischof Georg von Passau, der Proto-
notar Johannes Kirchheim und andere Herren des hohen und niederen
Adels; auch die Hilfe von Juden, unter ihnen besonders des Lewen
Colner, nimmt Sigmund in Anspruch*). Alle werden, um ihr Amt
mit Erfolg führen zu können, mit exekutiven Machtmitteln aus-
gestattet, sie dürfen Gewaltmaßregeln gegen widerstrebende Steuer-
1) R. S. 4636, auch 3009.
2) R. S. 2101, 2353, M. I. ö. G. 18, 593.
3) R. S. 8721, 5164.
4) Aus der ersten Zeit Sigmunds stammt auch ein von einem Kanzleibeamten
herrührendes Verzeichnis über verpfändete, städtische Reichs- und Judensteuern und
verschiedene dem Reiche entfremdete Städte und Landschaften. R.T.A. VII, 8.182, N.1.
5) Ulrich v. Richental, Chronik des Constanzer Coneils S. 147 f.
6) Als dem Herzog von Oesterreich entrissene Gebiete reichsunmittelbar ge-
macht werden, kommen sie auch unter die Verwaltung von Landvögten. R. S. 1719,
20, 2342, 2483,
7) R. S. 980, 1270, 3412., 4979, 5447, 7245, 7
Dauphinee, Vienne, Avignon und die Provence ernennt
4557, 9.
8) R. S. 3009 wird ein Triselier, Mathis Semmel, erwähnt.
9) R. S. 1379, 3609, 4278, 4420, 4635.
335. Auch für Burgund, die
Sigmund Reichsvikare. R. S.
Das Finanzwesen des Deutschen Reiches unter Kaiser Sigmund. 149
zahler anwenden und diese sogar in die Acht erklären. Zu ihrer
Unterstützung werden Fürsten und Städte aufgefordert.
Kap. II. Die Einnahmen des Reiches.
1. Die Einnahmen aus dem Reichsgut.
Die bei weitem wichtigste Einnahme aus dem Reichsgut bildeten
die regelmäßigen und die außerordentlichen Abgaben der Städte. dr
Der Hauptzahlungstermin für die Jahressteuern derselben bleibt der 17
11. November; nur ganz verschwindende Ausnahmen kamen vor. 4
Einige Städte hatten das Privileg, die Steuer direkt in die kaiser- i
liche Kammer abführen zu dürfen!). Hagenau zahlte sie erst am y
12. Tage nach Weihnachten und nach Empfang der besiegelten
Quittung des Königs ?).
Nicht verändert haben sich seit dem vorigen Jahrhundert die
Steuerbeträge von Nürnberg 2000 fl. #), Lübeck 600 Pfd. lüb. Pfennige +),
Frankfurt 1114 Pfd. Heller), Augsburg und Eßlingen®) je 8007,
Ulm 750°), Hall 600 °). Donauwörth !°) und Reutlingen !!) je 400, Gmünd
270%), Aalen 191. Pfullendorf $), Leutkirch 5), Wangen !‘) je 100,
Bopfingen 80, Weinsberg !7) 50 Pfd. Heller 18). Mehrere Städte zahlten
die Steuer nicht mehr in der Hellermünze, sondern in Gulden, weil
durch die Münzverschlechterung die Silbermünze immer wertloser
geworden war. Bereits Karl IV. hatte sich aus diesem Grunde die Steuer
Nürnbergs in Gulden entrichten lassen. So gaben Konstanz !) und
Friedberg 291 je 600, Reutlingen 400 ?!), Münster i. Els. 240 ??), Winds-
| heim 100 fl. ?3). Kolmar zahlte statt 300 Mark jetzt 500 fl. ?!). Die
| Städte des Elsaß gaben insgesamt 2000 fl. an das Reich?). Ab-
| weichend gegen früher sind die Beträge von Rottweil 500 H ?%) (früher
400 Pfd. Heller), Rotenburg 400 8. 271 (800 Pfd. Heller), Ueberlingen
| Ju Pfd. Heller 2°) (300 Pfd. Heller), Kempten 225 (166 Pfd. Heller) ?°),
| Nördlingen 3%) (300 Pfd. Heller), Lindau (400 Pfd. Heller)*!) und
| Weil 221 (300 Pfd. Heller) je 200 Pfd. Heller, Kaufbeuren (200 Pfd.
| Heller) 291 und Dinkelsbühl je 150 Pfd. Heller) (200 Pfd. Heller),
| Giengen 35) (120 Pfd. Heller) und Isny ê) (50 Pfd. Heller) je 100 Pfd. i
| Heller, Schweinfurt 100 tl.*7). Ueber die Höhe der noch fehlenden
Reichssteuern haben wir für Sigmunds Zeit keine näheren Angaben.
1) Janssen, Frankfurts Reichskorrespondenz I S. 420.
2) R. S. 10025. 3) R. S. 1992, 3663.
4) Lüb. Urkundenbueh VII, S. 612, die Stadt zahlt nicht immer nach demselben
Münzfuß. U.B. VII S. 214, wo sie 750 Mark lüb. Pfennige und NS 699, VI
8. 96, wo sie über 800 fl. zahlt.
5) R. S. 5682, 7338. 6) Mitth. des Inst. für österr. Geschichte 18, 593. 7) R.
S. 874. 8) R. S. 2322, 4129. 9) R. S. 1387. 10) R. S. 5086. 11) Mitt. des Inst.
für österr, Geschichte 18, 593. 12) R. S. 2406. 13) R. S. 4901. 14) R. S. 2406.
15) Mitt. des Inst. für österr. Geschichte 18, 593. 16) R. S. 2402, 17) R. S. 2406.
18) Mitt. des Inst. für öst. Gesch. 18, 593. 19) R. S. 186, 1359. 20) R. S. 734, 1523.
21) R. S. 1529. 22) R. S. 7909. 23) R. S. 6701. 24) R. S. 2391. 25) R.S. 10029.
26) R. S. 2091. 27) R. S. 3642, 6553. 28) R. S. 1731. 29) Mitt. des Inst. für
öst. Gesch, 18, 593. 30) R. S. 2698, 3790. 31) R. S. 1732, 3036, 3675. 32) R. S.
1731, 33) Mitt. des Inst. für österr. Geschichte 18, 593. 34) R. S. 1731. 35) R. S.
2259, 36) R. S. 2839. 37) R. 8. 2406, 6701. — Der rheinische Gulden, nach dem
150 Adolf Nuglisch,
Eine große Rolle spielten im Finanzwesen die Abgaben, welche
die Bürger der Reichsstädte bei besonderen Gelegenheiten, vor allem
bei einem Aufenthalt des Königs in ihrer Stadt diesem überreichten');
ja man kann sagen, daß hierdurch erst die deutschen Herrscher des
ausgehenden Mittelalters in den Stand gesetzt wurden, im Reiche
anwesend zu sein, also für dasselbe zu sorgen. Für die geringen
regelmäßigen Einkünfte fanden sie hier einen "Ersatz, da sie für den
Unter halt “auf ihren Reisen fast niemals etwas auszugeben hatten und
ihnen überdies oft große Geldgeschenke verabreicht wurden ?).
Diese Unkosten spielen denn auch im Etat der Städte eine be-
deutende Rolle. Einige Beispiele mögen genügen: Als Sigmund
1430 in Nürnberg war, erhielt er einen vergoldeten Becher, in dem
900 fl. waren; der Becher selbst war 126 fl. wert. Dazu wurden
ihm auf seine dringende Bitte noch 9000 fl. geliehen 3). 1414 ver-
ehrte die Stadt ihm 2 Becher mit 1000 fl. Inhalt, 1422 : 800, der
Königin 400 fl.t).
Seine Anwesenheit in Augsburg 1431 brachte ihm 1000 fl. ein,
die in einem Becher lagen, der 168 fl. 9 sh. kostete; weitere 3000 fl.
borgten ihm die Bürger, die dazu mehrere Tausend fl. für den König
und seine Gefolge verausgabt hatten. Schon 1418 hatte Sigmund
hier 1000 fl. erhalten). 1417 gab ihm Zürich einen silbernen mit
Gold angefüllten Pokal, dazu viele Lebensmittel®). 1418 war er in
Regensburg; die Stadt bewirtete und beschenkte ihn mit Wein und
Fleisch und gab ihm einen silbernen Becher mit 400 Al. 7).
Als er zum ersten Male eine größere Reise durch Deutschland
machte, wurde er von einer ganzen Reihe von Städten, von Basel,
Straßburg, Speyer, Worms u. a. beschenkt). Die Kosten bei einem
Aufenthalt in Aarberg trug Bern; für eine Bewirtung in Bern selbst
in der Regel gerechnet wird, gilt etwas mehr als das Pfund Heller und etwas weniger
als der ungarische Gulden, der wiederum den Wert eines Dukaten hat. (M. I. Ö. G.
18, 593, R.T.A. IX, 474, R. S. 4410, 6360, 9107). Der rheinische Gulden hat den
Wert von 7'/, Mark heutigen Geldes und die Kaufkraft von etwa 40 Mark.
1) Finke, Sigmunds reichsstädtische Politik, S. 7.
2) Manchmal zeigten sich die Städte nicht geneigt, für alle Ausgaben des Königs,
die er während seines Aufenthaltes gemacht hatte, aufzukommen. So erzählt Ulrich
v. Richental in seiner Chronik des Konstanzer Konzils 8. 152: Och hieß unßer herr
der küng mit den von Ulm rechnen umb alles das, so sine diener verzert hattend und
batt die von Ulm, das sy der schuld uff inn kemind, so wölt er si erlichen zalen in
kurtzer zit und wöll inn gewissenhait gnug darumb tun. do antwortend sy glich, sy
köntend und wöltend das nit tun, welher hinweg wölt riten, der solt zalen vorhin oder
pfand da laßen. da mußt unßer herr der küng gut uffbringen, wie er mocht. Do
beliben vil die da nit dannen mochtend kommen, wann das sy iro pfärd, harnasch
klaider mußtend verkofen. Sigmund mußte unter anderem das Silbergeschirr des Mark-
grafen von Baden für 1000 fl. verpfänden. R. S. 3566.
3) R.T.A. IX, S. 474, 611 f. Chroniken der deutschen Städte I. S. 289.
4) Stehr. III. S. 347, II, S. 10. R.T.A. VII. S. 218, VIII. 8. 232.
5) Stehr. V. Beilage IV. 8. 382 ff., IV. S. 320.
6) Aschbach II, S. 290. Die Kosten einer Bewirtung Sigmunds durch Luzern,
s. ebenda S. 291.
7) Gemeiner, Regensburger Chronik, II. S. 429.
8) Finke, S. 21. Zorn, Wormser Chronik, S. 180 f.
Das Finanzwesen des Deutschen Reiches unter Kaiser Sigmund. 151
gab es 2000 Pfd. Pfennige aust). Auf der Rückkehr von England
wurde Sigmund in Dortrecht von einem Rate Herzog Wilhelms von
Holland empfangen, der die Kosten von Sigmunds Aufenthalt trug?).
Aber nicht nur in Deutschland, auch in Italien und Frankreich konnte
der Kaiser reisen, ohne tief in seine Kasse greifen zu müssen. So
schenkten ihm die Bürger in Avignon, wo er sich drei Wochen auf-
hielt, alles, was er verzehrt hatte und noch 3000 fl. dazu. Die Räte
des französischen Königs kamen mit ihm überein, daß sie ihm täg-
lich 300 Kronen für seinen Unterhalt gaben). Ebenso lebte er auf
seinem Romzuge meist auf Kosten der Bewohner des Landes ®).
Erklärlich war es, daß die Städte dem Könige Geschenke über-
sandten, wenn sie dafür eine Gefälligkeit, ein Privileg oder eine
Gnade begehrten. Solche Mittel waren für Sigmund oft maßgebend,
wie wir später aus seinem Verfahren bei Prozessen und Gerichts-
verhandlungen erkennen werden. Interessant sind hierfür einige
Schreiben eines Frankfurter Gesandten 5): die Stadt solle viel Geld
schicken, schangek iz danck und grosze schangck is groszer danck.
Ouch by unserem allergenedigisten herren dem kunige, alz ich wol
erfarn han zu zwien malen. Want ir im fylte gebit, zo sagit unser
allergenedigister herre: dy von Franckfurt sint mir lybe und sere ge-
truwe, und die stad iz mir lieb, und iz zo frolich und enedielich.
Und an einer anderen Stelle heißt es: Non debemus visetare reges
vacuis manibus. Juxta dictum sacrae scripturae syt ... Non appa-
reat manus tua vacua in conspectu principum. Wir wollen fille
heiszen und winnig gegeyben, daz ist mer vor aughen gestoszen.
hernach weszet uch zu ryechten. Der Rat verfehlt denn auch nicht,
dies zu thun. Er sendet dem Gesandten 2228 fl., die er mit Mühe
aufgebracht habe. Er soll davon die Steuer der Stadt mit 928 fl.
bezahlen, dem Kaiser 1200 fl. schenken und 100 für die Kanzlei-
beamten verwenden. Die beiden letzten Posten dürfe er nach Gut-
dünken vermindern. Bei Uebergabe der Geschenke solle er um Be-
stätigung der Privilegien bitten, “für deren Erlangung ihm nötigenfalls
weitere 100 — 300 fl. zur Verfügung stehen. Inzwischen war ein
neuer Brief von dem Gesandten eingetroffen, in dem er schreibt,
der Rat möchte die Steuer umgehend absenden; am besten wäre es,
wenn er ein Geschenk für den König dazufügte. Sein Kanzler,
Caspar Schlick, sei gegen Nürnberg so freundlich, es habe ihm wahr-
scheinlich etwas gegeben. Sechs Tage später bestätigt der Gesandte
den Empfang des Geldes; er hätte übrigens gemeint, es sei genug,
dem Kaiser 1000 fl. zu geben. Der hätte sich auch sehr darüber
gefreut; denn sie seien zu rechter Zeit gekommen, da er soeben
1) Justinger, Berner Chronik, S. 228, 236; vgl. auch Müller, Gesch. schweizer.
Eidgenoss. III. S. 185.
2) Lenz, Sigmund und Heinrich V. von England, S. 132. So ließen sich noch
viele ähnliche Nachrichten anführen; vgl. Finke, S. 21f. R.T.A. VII, S
3) Windecke, S. 62, 64.
4) Vgl. das Nähere unten bei den Einnahmen aus Italien.
5) Janssen I, S. 318 f.
152 Adolf Nuglisch,
seine Kleinodien hätte versetzen wollen. Solche Gesandtschaften
schickten die Städte oft an den König, um bei ihm für Geld etwas
durchzusetzen )).
Weitere außerordentliche Zahlungen der Städte werden uns be-
richtet von Köln, das 10000, Speyer, das 4000, Lindau, das 2000,
Konstanz und Ueberlingen, die 28000 fl. zahlten. Schweinfurt gab
30000 fl., wofür es Juden aufnehmen durfte?). Weil Sigmund an
Bern einige eroberte Städte überlassen hatte, erhielt er 5000 Al. 5.
Villingen gab ihm 20004), Donauwörth 13000 f.5), weil sie durch
ihn zu Reichsstädten geworden waren. Entsprechende Summen wird
er von anderen zu Reichsstädten. gehobenen Orten bezogen haben.
Auch bei großen Staatsaktionen, bei den Konzilen von Konstanz
und Basel, bei der Romfahrt und den Kriegen gegen die Hussiten
steuerten die Städte Abgaben bei®). So gab Nürnberg beim Kon-
stanzer Konzil 800 fl. und einen kostbaren Becher, beim Baseler
1000 fl. Zu Sigmunds Kaiserkrönung gaben unter anderem Speyer 600,
Basel 700, Münster i. E. 326 fl.”). Energisch besteuert sollten die
Reichsstädte werden, als auf verschiedenen Tagen über eine allge-
meine Reichssteuer zum Zuge gegen die Hussiten beraten wurde.
Doch kam sie nur langsam und ziemlich spärlich ein 8).
Schon 1422 hatten sie gegen denselben Feind Heeresfolge leisten
sollen; damals kauften sich Nürnberg, Augsburg u. a. davon los;
Nürnberg zahlte 3000 fl. °).
Aehnlich befreiten sich viele Städte von der Teilnahme an der
Romfahrt, an der auch die Freistädte sich zu beteiligen hatten. Basel
zahlte damals 1700, Mainz 1000, Straßburg und Köln je 3600, Worms
und Speyer 900 fl. Augsburg gab 206 ungarische fl. und Heilbronn
790 Pfd. Heller 1°).
Von den immerhin nicht ganz unbedeutenden Gütern und Rechten,
die dem Reiche zur Zeit Karls IV. gehörten, erfahren wir wenig.
Dagegen läßt sich eine Anzahl früher nicht erwähnter und neu er-
worbener Güter nachweisen. Die Freien auf der Leutkircher Haide
1) R.T.A. VII, S. 170f. Als der Nürnberger Rat einmal eine Botschaft an
Sigmund nach Konstanz sandte, wurde er mit einem Becher im Werte von 112 fl. und
800 fl. baren Geldes beschenkt.
2) R. S. 1741, 3933, 4314, 8024, 46, 54, 57, 60.
3) Justinger, S. 240.
4) R. S. 2528.
5) In der Form, daß die Stadt das in Basel versetzte Silbergeschirr des Kaisers
mit 5140 fl. einlöste und seine während des Aufenthaltes in Ulm angelaufenen Zehrungs-
kosten bezahlte. R. S. 10745, 10832, Stehr. V. S. 1551.
6) Stchr. I, S. 289.
7) R. S. 10046, Aschbach IV, 8. 81.
8) R.T.A. IX, S. 255 ff. Bezold, König Sigmund und die Keichskriege gegen
die Hussiten II, S. 126 ff.
9) R.T.A. VIII, S. 233, 38, 45. Die Ausgaben Nürnbergs 1421 finden sich
aufgezeichnet Stchr. II, 8. 34, 36. Auch Fürsten kauften sich von der Heeresfolge los.
Der Herzog Friedrich von Oesterreich gab zur Hilfe gegen Venedig 12000 Dukaten,
der Deutschmeister 4000 fl., wofür sie den Zug nicht mitzumachen hatten. R. S. 1412,
8935.
10) R. S. 9033, 9201a, 9843, 10086, Jäger, Gesch. v. Heilbronn, S. 192.
Das Finanzwesen des Deutschen Reiches unter Kaiser Sigmund. 153
und die Ganerben des Buseckerthales gehören dem Reiche. Die
Bürger von Valence und die Leute des Reichshofes zu Lustenau
stehen in seinem Schutz !). Eine Anzahl Dörfer ist reichsunmittel-
bar?); Sufflenhein hat dem Reiche Dienste zu thun, die Dörfer
in der Landvogtei Hagenau dürfen zu Reichsdiensten herangezogen
werden *). Der heilige Forst zu Hagenau, der Büdinger Wald, das
freie Gericht zu Kaichen und die Leute und Dörfer der Grafschaft
zum Bornheimerberg stehen noch mit dem Reiche in direkter Ver-
bindung +).
Die Burgen Zähringen und Rheineck sind vom Reiche abhängig.
Auch auf die Schlösser, welche dem Könige nicht mehr unterstehen,
hat er Einfluß, indem er deren Instandsetzung anbefehlen kann. So
muß Nürnberg als Besitzer der dortigen Burg sie von neuem be-
festigen). Sie ist dem Kaiser als Wohnsitz einzuräumen, so oft
er in Nürnberg ist*). Durch den Markgrafen von Baden läßt Sig-
mund das Schloß Ach einlösen und es für das Reich verwalten °).
Auch sonst befand es sich noch hier und dort im Besitze einiger
Burgen $).
Wie seine Vorgänger machte auch Sigmund den Versuch, ver-
loren gegangenes Reichsgut zurückzuerwerben *). Am bekanntesten
ist sein Bestreben, auf Friesland die Hoheitsrechte des Reiches aus-
zudehnen. Er erklärte es für reichsunmittelbar und, weil er es in seinen
Schutz gegen benachbarte Fürsten genommen hatte, für abgabe-
pflichtig. Von dieser Steuerpflicht hören wir zu verschiedenen Malen.
1412 forderte Sigmund die friesischen Gemeinden auf, seinen Boten
die Himmelfahrt fällig gewesene Reichssteuer zu entrichten. Ferner
verlangte er die Erhebung des hundertsten Pfennigs von allen fremden
Kaufmannswaren in den friesischen Häfen. Dieser Zoll dürfe nie
vom Reiche veräußert werden !®). Auch zu außerordentlichen Ab-
gaben werden die Friesen herangezogen, indem sie dem Könige ein
subsidium charitativum zu den Konstanzer Konzilskosten be-
willigen und es seinen Bevollmächtigten einhändigen sollen ''). Als
Sigmund einem Häuptling erlaubt, bestimmte Gebiete Ostfrieslands
in seinem Namen zu regieren, legt er ihm und seinen Erben eine
jährliche Abgabe von 100 fl. auf!?),
Indem der König sich in innere Streitigkeiten der Friesen mischte,
) R. S. 1508, 22, 2082, 4574.
) R. S. 7820, 7943, 54.
R. S. 3385, 5177.
R. S. 954, 7068, 11880, Lünig, Reichsarchiv, Spic. sec. II, S. 1603 ff. Janssen
50, R. S. 4065, 4224.
) R. S. 3931.
) R. S. 5000. R.T.A. IX, S. 474.
) R. S. 3931.
8) R. S. 8840.
9) Einmal beauftragt er den Herzog von Mailand mit der Revindikation des
Reichsgutes in Italien, R. S. 6694.
10) R. 8. 2585, 6, 94.
11) R. S. 2595.
12) R. S. 4103. Ostfries. U.B. II, S. 723 f.
DEE
on
12
154 Adolf Nuglisch,
zog er daraus auch hier wieder einen Gewinn für seine Kasse. Er
erklärte die eine Partei in die Acht und löste sie erst gegen Zah-
lung von 10000 fl. 1).
1426 und 31 haben wir wieder Nachrichten von Versuchen Sig-
munds, den rückständigen Jahresbeitrag für das Reich einzuziehen *).
Ebenso erklärt er die Güter des geächteten Herzogs Friedrich
von Oesterreich für reichsunmittelbar. Freiburg, Schaffhausen, Diessen-
hofen und viele andere Städte und Ortschaften werden ihm abge-
nommen. So tritt eine Anzahl neuer Reichsstädte auf’), die aber
zum Teil bald für Geld anderen überlassen werden *). Bei seiner
Unterwerfung wird ihm gestattet, fast alle seine Besitzungen für
sich wieder einzulösen, nachdem er dem König 36000 fl. gezahlt
hatte ê).
Wie Friesland, so sucht Sigmund auch sonst den Norden zu den
Unkosten des Reiches heranzuziehen. Er sendet nach Sachsen und
Westfalen Boten, um Gefälle von Christen und Juden einzusammeln.
Er scheint hier auf große Einnahmen gerechnet zu haben, da er
darauf zahlreiche Anweisungen giebt und für seine Bevollmächtigten
hohen Lohn bestimmt °).
Von Schultheißen- und Ammanämtern, die dem Reiche etwas
einbringen, gehören ihm noch die zu Oberehnheim, Mülhausen, Zürich,
Aalen, Gmünd, Ulm, Giengen, Schwäbischhall, Kaufbeuren, Schwein-
furt?). Das Ammanamt zu Nördlingen lieferte dem Reiche jährlich
200 fl. Durch den Abfall Friedrichs von Oesterreich kam es in den
Besitz des Landgerichtes zu Winterthur, des Wildbannes im Thurgau,
der Vogtei zu Frauenfeld und des Schultheißenamtes zu Freiburg à).
Rechte und Einnahmen hatte das Reich in einzelnen Teilen Italiens.
Nach wie vor sind Belluno und Feltre abgabepflichtig. Serravalle,
Cordignano und die Grafschaft Zimella sind von ihm abhängig °).
Als Belluno einen Befehl des Königs nicht ausführen will, droht er
mit hohen Geldstrafen '°). Lucca hat ihm eine jährliche Steuer
zu zahlen, von der er an jemanden 600 Dukaten anweist; falls die
Stadt die Zahlung verweigere, solle jener sich an den Gütern ihrer
Bürger schadlos halten 311. Von Reichsbesitz in Friaul, Padua,
Vicenza ist die Rede, Udine, das dem Könige für seinen Krieg gegen
Venedig 12000 Dukaten gezahlt haben soll!?), und anderes in der
1) O. Klopp, Gesch. Ostfrieslands I, S. 186 f. Wiarda, Ostfries. Gesch. I, S. 397 f.
2) R. S. 6794 U.B. II, S. 728 f., 735.
3) R. S. 1783, 98, 1868, 2050, 2451, 2528 b, 3125.
4) R. S. 6158, 6236—41.
5) R. S. 6202 ff. Windecke, 8. 78, Fester, Regesten der Markgr. v. Baden
No. 3064, 3451.
6) R. S. 3366, 8721, 33, 58.
7) R. S. 376, 639, 759, 822, 36, 73, 2205, 59, 3452, 5465—7, 5998—6000,
7003—5, 8042—4, 11328, 30.
8) R. S. 2640, 5815.
9) R. S. 511, 20, 2368, 3666, 7.
10) R. S. 751, 86, 955.
11) R. S. 3092,
12) Aschbach I, S. 348.
Das Finanzwesen des Deutschen Reiches unter Kaiser Sigmund. 155
Gegend liegendes Gebiet, war Reichsgut!). Allenthalben lassen sich
hier Reichsvikare nachweisen, ein Zeichen, daß Sigmund an seinen
Rechten in Italien festhielt?). In Stadt und Grafschaft Siena be-
handelt er die Juden wie in Deutschland als seine Kammerknechte ;
er nimmt sie in seinen Schutz, wofür sie ihm 6000 Dukaten zu zahlen
haben). Für Bestätigung seiner Privilegien gab Lucca 2000 fl.
aus. Viele Nachrichten haben wir über heimgefallenes oder durch
Mord und Aufstand verwirktes Gut in der Lombardei*). Er ver-
pfändet es an Getreue und zieht so einen Geldgewinn daraus. Einigen,
die sich unterwarfen, giebt er für 20000 Dukaten ihr Gut zurück °).
Auf seinem Romzuge lebte er großenteils auf Kosten der Italiener;
die Ausgaben für die Kaiserkrönung trug der Papst, der ihn auch
sonst mit Geld unterstützte ®). Venedig, das schon früher dem Reiche
Geld gegeben hatte”), zahlte auf Sigmund’s Heimkehr von Rom
20000 Dukaten und „alle zerung für in zu Rome und uf dem wege
biß zu dutschen landen“ 8).
2. Die Einnahmen aus den Klöstern.
Für die Zeit Kaiser Karls IV. ließ sich nachweisen, daß ein im
Schutze des Reiches befindliches Kloster auch Abgaben an dieses
zu zahlen hatte. Danach sind auch unter Sigmund eine große
Zahl steuer- und dienstpflichtig. Hierhin gehören, um nur einige
zu nennen: Kaisersheim, Langheim, Einsiedeln, Disentis, Erstein *).
Das Kloster Ebrach befreit Sigmund auf 3 Jahre ab omni hospita-
litate et alio onere, Gutenzell von allen Steuern und Diensten, Salem
von allen nicht durch Reichsgesetz vorgeschriebenen Dienstleistungen,
Steuern und Einquartierungen.
Wir haben eine Nachricht, nach der der Abt von Kempten 175,
der von Murbach 340 fl. an das Reich zahlte.
Klöster haben auch Heeresfolge zu leisten, von der sie sich
mit Geld loskaufen dürfen 191.
S. 147, 192, 3307.
S. 154, 76, 91, 260, 617, 1212, 1884.
S. 9248, 9.
S. 537.
5) R. S. 480.
6) Sigmund erwartete auch, in Italien Geld zu erhalten. Denn einem seiner
Gläubiger stellt er in Aussicht, er werde sein Geld wieder erhalten entweder aus Ein-
nahmen in Friesland oder von Italien aus. R. S. 8721. Aschbach IV, S. 81, 106,
R. S$. 9462, R.T.A. XI S. 286 ff.
7) Vergl. Justinger S. 212. Die Stadt Venedig war dem Reiche alle Jahr 7000 fl.
schuldig und hatte dazu noch eine jährliche Rente zu zahlen; beides hatte sie unter-
lassen, da sie Streit mit dem Könige hatte. Do nu der krieg gewerte etwe lang, do
taten venedier dem künig ein gros schenke, daz etwe menig jar ein fried gemacht wart.
Hee Abgaben Venedigs weiß auch ein Gesandter Frankfurts zu berichten. Janssen
8. 388.
8) Lindner, Deutsche Geschichte II, S. 371, Windecke, 8. 347.
9) Fester No. 3126.
10) R. S. 923, 1909, 10, 3117, 3454, 7190, 8924, 8187b, 10171. In R.T.A.
156 Adolf Nuglisch,
3. Die Einnahmen aus den Regalien.
a) Das Bergwerksregal scheint dem Reiche auch im 15. Jahr-
hundert Erträge geliefert zu haben. Dem Kloster Langheim wird
jetzt erst das Bergwerksregal verliehen; dem Grafen von Thierstein
wird gestattet, in seiner Grafschaft nach Erzen zu graben, aber das
dabei gefundene Gold muß er der königlichen Kammer abliefern !).
b) Der Schlagschatz stand dem Kaiser in Nürnberg, Aachen,
Köln, Dortmund, im Lande Berg, in Mülheim a. Rh., Frankfurt,
Basel und Nördlingen ganz oder zur Hälfte zur Verfügung?) Er
betrug !/, fl. von der Mark Gold und ebensoviel von 5 M. Silber.
Für die Höhe der Einnahmen aus den einzelnen Münzstätten haben
wir zuverlässige Nachrichten. Die zu Basel ergab vom Martins- bis
zum Michelstag 1433: 389 fl., die zu Frankfurt und Nördlingen
1431/32: 921 */, fl. ë), die zu Nürnberg 1430: 432 fl. 3 sh. vom Herbst
bis Mai 1431: 120 fl., am 14. 8. 1431: 45 fl. 1434 läßt Sigmund
von einem Schlagschatz von 70 fl. 24 einem Goldschmiede auszahlen;
wenige Monate später verfügt er über weitere 330 fl. Am 12. 2.
1435 quittiert er über 882 fl., wobei aber Einnahmen aus Juden-
steuern mit eingerechnet waren. Ein halbes Jahr später erhielt der
König wieder 241 fl.*). Ueber die Einkünfte aus der Münze wurde
genaue Rechnung geführt. Dies war um so nötiger, als meist be-
stimmte Summen auf begrenzte Zeit an diesen oder jenen überwiesen
wurden 5).
c) Die Einkünfte aus dem Judenregal sind bedeutender als sie
unter Karl waren; der konnte die Juden nicht so hoch beschatzen,
wie er es wohl gewünscht hätte, da die großen Verfolgungen in den
vierziger Jahren ihre Steuerkraft geschwächt hatten ®). Sigmund da-
gegen war in der Lage und verstand es, die Juden in hohem Maße
zu den Ausgaben des Reiches heranzuziehen. Ueberall hat er
regelmäßige Einkünfte von ihnen und häufig erzwingt er die Er-
hebung außerordentlicher Abgaben, die er in großem Style durch-
führt. Die beiden vornehmsten Steuern sind der goldene Opfer-
pfennig und die halbe Judensteuer, die zweimal im Jahre, zu
Weihnachten und zu Martini, entrichtet wurde. Die letztgenannte
geht auf ein Abkommen zurück, das König Wenzel mit dem
schwäbischen Bunde schloß, wonach in Zukunft die Hälfte aller Ein-
künfte von den Juden ihm zugestanden wurde”).
VIII. S. 162, IX, S. 530 f. werden die Klöster aufgezählt, welche Glieder des Reiches
sein sollen. RS 1147. M. I. O. G. 18, 593.
1) R. S. 7187.
2) R. S. 730, 1241, 3400, 3817—9, 3862, 4565, 6, 8, 5245, 6310, 8564. R. S.
4568, 7295, Stehr. I, S. 247.
3) Albrecht, Mitt. zur Gesch. der Reichs-Münzstätten zu Frankfurt a. M., Nörd-
lingen u. Basel. S. 10, 71, 76. R. S. 7453.
4) R. S. 10030. C. F. Gebert, Geschichte der Reichsstadt Nürnberg, S. 38 f.
5) R. S. 8951, 9899.
6) Vgl. Nuglisch S. 69 ff.
7) Stehr. I, S. 115, Zeitschr. für die Gesch. der Juden in Deutschl. III, S. 305.
Das Finanzwesen des Deutschen Reiches unter Kaiser Sigmund. 157
In Schwaben, Franken, Bayern, im Elsaß, am Rhein und in der
Wetterau, aber auch im Norden!) hatte das Reich Nutzen von den
Juden. Im Gegensatz zu anderen Einnahmequellen, die versiegten,
wenn sie vergeben waren, war das Reich imstande, aus dem Juden-
regal sich oft frische Erträge zu beschaffen. Denn jederzeit konnten
in eine Stadt neue Juden aufgenommen werden ?), was auch im Ge-
biete des Landesherren nach eingeholter Erlaubnis des Königs ge-
schehen durfte. Solche Aufnahmen lagen im Interesse des Reiches
wie des Landesherren, da beide sich dadurch steuerkräftige Unter-
thanen verschafften.
Den goldenen Opferpfennig entrichteten die Juden in Augsburg,
Rothenburg 3), Hall, Ulm, Heilbronn, Kempten, Lindau, Ravensburg,
Ueberlingen, in den Städten und Bistümern Konstanz, Würzburg,
Bamberg, Eichstädt, Mainz, in der Eidgenossenschaft, in Straßburg,
Speyer, Oppenheim, Frankfurt, Trier, Köln, Erfurt; auch in den
Grafschaften Leiningen, Veldenz, Hanau, Isenburg u. a. wird er für
das Reich eingesammelt 31.
Die halbe Judensteuer zahlten die Juden in Stadt und Bistum
Bamberg, Würzburg, Constanz, in den Erzbistümern Hamburg und
Bremen, den Städten Lindau, Ravensburg, Ueberlingen, Heilbronn,
Kempten, Nürnberg u. a.°).
Die Gesamteinnahme des Reiches aus den regelmäßig ein-
kommenden Judensteuern muß 20 000 ungarische Gulden überschritten
haben. Es kamen auch Befreiungen von der Steuer durch den Kaiser
vor. So verleiht er einigen Juden in Lindau, Ravensburg, Ueber-
lingen und Constanz das Recht, keinen goldenen Opferpfennig und
keine halbe Judensteuer mehr zu zahlen ê). Den Grund hierfür haben
wir in einmaligen Geldleistungen der so Bevorzugten zu suchen.
Zwar standen alle Juden von vornherein im Schutze des Kaisers
und hatten dafür jene oben angeführten Abgaben zu zahlen; doch
ließ er sich für besonders gewährte Vorteile und Privilegien noch
obendrein Geld geben ?).
Viel brachten die Strafgelder ein, die Sigmund von den Juden
1) Dem Burggrafen von Nürnberg erlaubt Sigmund, an seiner Stelle den goldenen
Pfennig und alle seine Rechte, Steuern, Zinsen und Gefälle von allen Juden ein-
zunehmen, die in den Erzbistümern Magdeburg und Bremen, den Bistümern Hildes-
heim, Halberstadt, Schwerin, den Herzogtümern Braunschweig und Lauenburg, Stettin
und Mecklenburg, den Landgrafschaften Thüringen und Hessen, den Markgrafschaften
Brandenburg und Meißen, der Grafschaft Holstein ete. wohnen. R. S. 1872.
2) R. S, 5227.
3) In Rothenburg betrug er im Jahre 1412: 75 fl. Mon. Zoll. VII, S. 89.
à H RS 403—21, 717, 1144, 1849, 5646, 5818, 6798, 7035, 12055. Ennen III,
S. 320 f.
5) Die Steuer Nürnbergs betrug mehr als 200 fl. R. S. 139, 1430, 1845, 5240.
Weitere Angaben über Steuern, die die Juden regelmäßig ans Reich zahlten, haben
wir von Rothenburg, Regensburg, Nördlingen, Hall, Nürnberg und Augsburg. Stchr. V,
8. 372 ff, 378, R. S. 1418, 2886—8, 3145, 3607. Von den Juden zu Mainz er
hielt das Reich 130, von denen zu Gelnhausen 270 fl. Steuer, M. I. ö. G. 18, 593.
6) R. S. 721, 36. `
7) R. 8. 721, 6990, Ennen S. 320.
158 Adolf Nuglisch,
erhob. Dies Recht ließ er sich nicht nehmen. Als einmal die Städte
die bei ihnen wohnenden Juden wegen eines Mordes zur Rechen-
schaft ziehen wollten, erhob er dagegen Einspruch, da dies seine
Sache wäre; sein Landvogt solle sie untersuchen. Er ließ denn auch
hier wie in anderen Fällen den Juden eine Geldbuße auferlegen !).
Von einem Juden, der in den jüdischen Bann gethan war, ließ er
mehr als 300 fl. erheben. Juden, die einen Meineid geschworen
hatten, werden an ihrem Vermögen bestraft. Im Jahre 1417 werden
im Auftrage des Königs größere Summen an Strafgeldern ein-
genommen ?).
1414 beginnt die erste allgemeine Erhebung einer außerordent-
lichen Judensteuer. Sigmund verlangt den dritten Pfennig ihres
Vermögens, weil er ihn zur Förderung der Reichsinteressen brauche
und er großen Aufwand habe machen müssen, um in wälschen
Landen, in Frankreich, England, Aragonien und besonders zu Constanz
Frieden zu stiften). Frankfurt wird zuerst aufgefordert. Am
13. August schreibt der König an die Stadt, sie möge den bei ihnen
wohnenden Juden nicht gestatten, vor Ankunft seiner Botschaft sich
oder ihr Eigentum zu entfernen *). Die Judenschaft in den Reichs-
städten wie in den landesherrlichen Territorien, unter den Komturen
des Deutschordens und unter Grafen, Rittern und Knechten wurde
besteuert’). Diesen mußte der König wiederholt versprechen, die Ab-
gaben sollten ihren Rechten an den Juden keinen Abbruch thun °).
Merkwürdigerweise werden Fürsten und Grafen dazu angehalten, die
königlichen Beamten bei der Einziehung der Steuer zu unterstützen,
obgleich sie doch schädlich für jene war, da die Finanzkraft ihrer Juden
geschwächt wurde. Die Erhebung ihrer Steuer zog sich mehrere Jahre
hin "1. Gewöhnlich wurden die außerordentlichen Steuern landschafts-
weise erhoben, die süd- und norddeutschen Städte wurden getrennt
benachrichtigt. „Der Hergang bei diesem finanziellen Geschäft war
meist der, daß der König oder seine Abgesandten nicht mit den Juden
direkt, sondern mit den Städten, in denen sie wohnten, über die zu
zahlende Summe verhandelten; da sie selbst ihre Juden besteuerten,
waren ihnen solche Angriffe auf diese unerwünscht®).“ Bald nach
der Mitteilung an Frankfurt erging der Zahlungsbefehl an die Städte
und Stifter Augsburg, Eichstädt, Ulm und die mit diesem Orte ver-
bündeten Gemeinwesen: Eßlingen, Reutlingen, Nördlingen, Weil,
Memmingen, Kaufbeuren, Heilbronn und Wimpfen °). Es entrichteten
sodann Nürnberg 12000 fl., Erfurt 6000, Augsburg 2800, Rothen-
burg 2000, Windsheim 1500, Heilbronn und Friedberg je 1000,
1) R. S. 7605—7, 7728, 7812, 7904, 8239.
2) R. S. 2353, 3404, 3743, 3810, 5633.
3) R. S. 1163, 4, 2867.
4) Zeitschr. f. Gesch. d. Juden III, S. 3.
5) R. S. 3257.
6) R. S. 2315, 6, 2072.
7) Stehr. XIII, S. 100 f.
8) Zeitschr. f. Gesch. d. Juden III, S. 4.
9) R. S. 1163.
Das Finanzwesen des Deutschen Reiches unter Kaiser Sigmund. 159
Weißenburg 822, Ulm 933, Schweinfurt 500, Nördlingen 466, der
Propst zu Münster-Mayfeld 400, Eßlingen und Memmingen je 300,
Kempten 280 fl.!). In Regensburg ist Geld im Werte von über
1000 französischen Kronen, im Gebiete der Herzoge Ludwig und
Heinrich von Bayern sind 2620 fl. eingekommen. Nach dem Be-
richte zweier Frankfurter Gesandten hätten die Juden zu Nürnberg
und Köln je 12000, zu Heilbronn 1200, ein Jude zu Windsheim
»400 und einer zu Hall 2000 fl. gezahlt. Bei dem Herzoge von
Oesterreich, in Meißen und Thüringen wird ebenfalls gesammelt;
doch kam das Geld erst 1421 ein?). Einige Judengemeinden, so die
zu Mainz und Worms, wollten nicht den dritten Pfennig, sondern
Pauschalsummen von 1500 und 2000 fl. zahlen, um zu vermeiden,
daß die Boten des Königs Einblick in ihr Vermögen erhielten. 1415
wurden Gesandte an die im Norden wohnenden Juden bezw. ihre
Obrigkeiten geschickt, so an den Erzbischof von Magdeburg, die
Bischöfe von Halberstadt, Naumburg, Hildesheim, Minden, Merse-
burg. die Herren von Anhalt, die Grafen von Mansfeld, den Abt
von Corvey, die Aebtissin zu Quedlinburg, die Städte Goslar, Magde-
burg, Merseburg, Halle u. a. Die Judenschaft in Bayern, Franken,
Schwaben und am Rhein habe ihm die Steuer bereits gezahlt, so
läßt Sigmund ihnen melden 3). Gleichzeitig ließ er auch den
10. Pfennig erheben. Er bestätigte als Einnahme daraus binnen
zwei Jahren 9612 /, fl. erhalten zu haben‘). Von diesen Summen,
welche die Beamten einsammelten, rechneten sie ihre Unkosten für
Reise und Unterhalt ab, so daß die angeführten Zahlen oft nur
einen Teil des den Juden abgenommenen Geldes darstellen.
Im Januar 1418 beginnt die Erhebung einer zweiten allgemeinen
Steuer. Als Grund dafür giebt Sigmund wieder seine großen Aus-
gaben in Italien, Frankreich, England und Aragonien an; aber auch
der Krieg mit dem Herzog von Oesterreich habe große Kosten ver-
ursacht. Der Hauptanlaß jedoch ist, daß der König vom Papst die
Bestätigung der Judenprivilegien erlangt habe. Der 30. Pfennig soll
von allen Juden im Reiche erhoben werden, also eine viel geringere
Steuer, als die vorhergehende es war. Wie sonst war auch hier
wieder Conrad von Weinsberg die Seele des Unternehmens. Kraft
königlichen Auftrags sei den Juden zur Bestreitung der aus der
Anfertigung der Bullen und Briefe erwachsenen Kosten der 30. Pfennig
auferlegt worden. Weinsberg schickte die Steueragenten in die
einzelnen Bezirke, in die zu diesem Zwecke das Reich eingeteilt war.
Die Juden von Ulm, Augsburg, Biberach, Nördlingen, Villingen etc.
hatten 600 fl. nach Constanz zu zahlen. Auch nach Meißen, Thüringen
und Sachsen ging er, während andere das Geschäft in der Schweiz,
1) R. S. 1228—37, 42, 49—51, 1352, 1337, 1435, 46, 1986. Stchr. V, S. 373, No. 1.
2) R. S. 2026, 2101, 2313, 4, 3733, 4422, R.T.A. VII, S. 231.
3) R. 8. 1579.
4) R. 8. 2353.
160 Adolf Nuglisch,
dem Elsaß, in Nord- und Mitteldeutschland besorgten. Doch blieb
der Ertrag weit hinter den Erwartungen zurück !).
Wie der Voranschlag eines Agenten ergiebt, hatte man gehofft,
von den Juden zu Mainz, Oppenheim und den vier Städten in der
Wetterau 1200 fl. einzunehmen. Sie wollten aber nur 536 fl. zahlen.
Die Constanzer versprachen 600 fl. Bis April 1418 muß das Geld
in der Hauptsache abgeliefert sein. Die Nürnberger Juden zahlten
8000 fl., wofür sie für drei Jahre von allen außerordentlichen Ab-
gaben befreit wurden ?).
Am 14. August 1422 hören wir von einer weiteren Steuer, die
anläßlich des Hussitenkrieges erhoben wurde). Sigmund beauf-
tragt den Pfalzgrafen Johann von Neumarkt, mit den Juden von
Nürnberg, Regensburg, Rothenburg, Nördlingen, Weißenburg u. a.
zu verhandeln *). Die Augsburger Juden, deren Stadt eine Be-
steuerung nicht zulassen wollte, schickten eine mit Geld versehene
Botschaft an den König, der auf diese Weise also seinen Wunsch
erfüllt sah. Bald ergingen auch an andere Judengemeinden Zahlungs-
befehle. Selbst verpfändete Städte werden wenn nötig mit Gewalt
herangezogen). Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger
Jahre müssen die Juden wieder zum Hussitenkriege beisteuern. Nürn-
berg quittiert der König 1429 über 2532 fl.6). Bei seiner Krönung
zum Kaiser wurde ihm die letzte große Abgabe, die sogenannte
Krönungssteuer, gezahlt, eine seit langem übliche Einrichtung 7).
Hierbei lernen wir eine weniger gebräuchliche Art der Ver-
waltung kennen, indem nicht der König Boten an die Juden sendet,
sondern er sie auffordert, umgekehrt an ihre Unterhändler zu
schicken®). Es zahlen die Juden in Sachsen, Bayern, in Ulm, Nürn-
berg, Schweinfurt, Erfurt, Augsburg, Bamberg, Heilbronn, Salzburg,
Zürich, Konstanz, Winterthur, Lausanne, Speyer, Worms, Braun-
schweig, in Oesterreich, vielen Grafschaften und Herrschaften. Will
ein Landesherr seine Juden nicht besteuern lassen, so sollen gegen
ihn geeignete Gewaltmittel angewandt werden °). Auch die Juden in
Gallien und Arelat werden aufgefordert. Sigmund sendet Bevoll-
mächtigte an sie, die Gelder einzunehmen und teilt dies — doch
1) Die Juden in Jülich und Geldern, welche auf 2400 fl. eingeschätzt waren, ver-
weigern die Zahlung und werden deshalb von einem Agenten in die Acht erklärt.
Zeitschr. f. Gesch. d. Juden IIl, S. 7 ff.
2) R. S. 3986.
3) R.T.A. VIII, S. 107 f.
4) R. S. 6048.
5) R. S. 5225, 5411, 43, 5942.
6) R. S. 7367, 7791.
7) Die Krönungssteuer zahlen auch die Juden, welche aus irgend einem Grunde
von allen anderen Abgaben befreit waren. Hieraus läßt sich schon die Bedeutung der
Steuer entnehmen. R. S. 2008, 2533. Stehr. XIV, S. CLXXVII.
8) R. S. 9818, 9.
9) R. S. 10 064—81, 10 493, 10 137, 67, 12331.
Mainz zahlte 2000, fünf schweizer Orte 1000 fl. — So verbietet Sigmund den
Städten im Elsaß, dem Erzbischof von Köln die ihnen verpfändete Steuer zu zahlen,
bis er seine Juden die Krönungssteuer habe entrichten lassen. R. S. 12334.
Das Finanzwesen des Deutschen Reiches unter Kaiser Sigmund. 161
ohne sichtbaren Erfolg — den dortigen Landesherren mit. Die im
Kirchenstaat sitzenden solle der Papst zur Zahlung veranlassen 1).
Die merkwürdigste Einnahme ist folgende: Es war das Recht
des Königs, die Schulden der Juden zu anullieren, zu erklären, alles,
was man ihnen schulde, brauche nicht gezahlt zu werden. Sigmund
verspricht ihnen nun, von diesem seinem Recht keinen Gebrauch
machen zu wollen, wenn sie ihm hierfür eine einmalige Summe
geben wollten. Die Nürnberger zahlten daraufhin 6000 fi. Aber
auch sonst sah der mit der Einnahme betraute Agent des Königs
seine Thätigkeit von Erfolg gekrönt ?).
d. Auffallend wenig Nachrichten haben wir von Zollstätten und
Zolleinkünften des Reiches. Die Hoheitsrechte am Zoll wahrt auch
Sigmund sich noch und oft greift er mit Bestimmungen und Ver-
boten ein. Er bestätigt die Zollverpfändungen seiner Vorgänger,
beim Verkauf eines Zolles und bei Verlegung einer Zollstätte an
einen anderen Ort erteilt er die Genehmigung, unrecht erhobene
Zölle läßt er entfernen; überhaupt giebt er gelegentlich Verfügungen
für landesherrliche Zölle, so, wenn er Zollbefreiungen an allen Zoll-
stätten oder auf einem Flusse erteilt). Doch genügen die wenigen
Nachrichten nicht, uns ein Bild von Sigmunds Zollpolitik zu machen.
Der Erzbischof von Köln schoß 1416 dem Könige 18000 fl. vor,
welche durch eine Erhöhung der Zölle zu Linz und Bonn gedeckt
werden sollten 31. Hierdurch konnte sich Sigmund also eine Ein-
nahme verschaffen. Auf der Elbe scheinen noch Reichszölle gewesen
zu sein. Einen Turnos weist Sigmund auf den Zoll zu Cunenengers
für eine Schuld von 6000 fl. an, einen anderen auf den zu Lahn-
stein). Neue Reichszölle hat er in den friesischen Häfen 9 und in
Würzburg errichtet. Dieser war sehr ergiebig. 10000 fl. zieht aus
ihm jährlich der Erbischof von Mainz, 1000 Graf Adolf von Nassau,
100 Schenk von Geiern und andere mehr. Bald wurden die Zoll-
einnhmen erhöht’). Ueber die Einkünfte aus den Zöllen war dem
Könige jährlich Bericht zu erstatten; natürlich, denn er mußte wissen,
wann die auf einen Zoll angewiesene Summe eingenommen war,
wann er eine neue Anweisung geben konnte und was über die An-
weisungen hinaus übrig geblieben war).
4 Die Einnahmen aus den Kanzlei- und Hofgerichts-
gebühren.
Die Einnahmen der Kanzlei sind unter Sigmund ganz besonders
hohe. Bei Belehnungen, bei Erteilung und Bestätigung von Privi-
1) 11 295—302, 11 509, 11 776", 12 317.
2) R. S. 8572, 3, 8615, 51, 8776.
3) R. S. 1348, 2307, 10—2, 516, 1968, 3981, 4848, 6064,
4) Ennen III, S. 203.
5) R. S. 1422, 3315, 4952.
6) R. S. 2597.
7) R. S. 5084, 5105, 16, 18, 20, 43, 56, 12 085
8) R.T.A. VU, S. 199.
Dritte Folge Bd, XXI (LXXVI). 11
162 Adolf Nuglisch,
legien, bei Standeserhöhungen u. s. w. flossen große Summen in die
königliche Kasse. Die Einnahmen waren um so größer, als nach
der Kaiserkrönung alle Stände sich ihre Privilegien erneuern ließen !),
wofür sie auch wieder zahlen mußten. Dazu verlangte Sigmund das
Zehn- und Mehrfache von dem, was frühere Könige genommen hatten:
nicht mehr 60, 80, 100 fl., sondern Tausende müssen die Städte
geben ?).
Bedenklicher war es, daß Sigmund sich auch in Prozessen und
bei Streitigkeiten, die er zu entscheiden hatte, käuflich zeigte. Ueber-
haupt gab ihm seine Eigenschaft als oberster Richter oft Gelegen-
heit, seine Kasse zu füllen 3). Als um Geldern ein Erbfolgestreit
ausbrach, gab er der Partei recht, welche ihm eine gewünschte
Summe Geldes zur Verfügung stellte‘). Augsburg, welches sich mit
den Bayernherzogen entzweit hatte, wollte in seiner Stadt gerichtet
werden; die Herzoge dagegen zogen Regensburg vor. Da erklärte
Sigmund, wollten die Bürger ihm Geld geben, so wolle er die Sache
in Augsburg verhandeln. Hierauf liehen sie ihm 4000 fl.5). Der
Urteilsspruch, den Sigmund zwischen dem Herzog von Berg auf der
einen und dem Erzbischof und der Stadt Köln auf der anderen
Seite zu fällen hatte, brachte ihm auch etwas ein, indem die Ver-
treter Kölns im Interesse ihrer Sache zu handeln glaubten, wenn
sie dem Ansuchen des Königs willfahrten, ihm 9000 fl. zusagten und
Wertgeschenke gaben ®). Ein andermal stellte er zwischen dem Erz-
bischof und der Stadt Köln ein gutes Verhältnis her, wofür er
40000 fl. verlangte, später sich aber mit 30000 begnügte”). Der
große Prozeß zwischen Straßburg und seinem Bischof verschaffte
dem Könige eine Einnahme von 50000 fl.®).
In Lübeck hatte ein neuer Rat den alten vertrieben. Sigmund
wurde Schiedsrichter in dieser Angelegenheit, indem sich die Stadt
an ihn wandte. Durch das Versprechen einer Zahlung von 24000 H.
erlangte der neue Rat seine Gunst und einige vorteilhafte Urkunden.
Da er aber das Geld nicht gab, so erklärte Sigmund die Urkunden
für kraftlos und verlangte sie von dem alten Rat zurück, als dieser
wieder zur Herrschaft gekommen war. Er erhielt sie zwar nicht,
ließ sich aber mit 13000 fl. dafür entschädigen °).
Gegen eine Geldzahlung wurde auch der Herzog Ludwig von
1) RS 8. 235 ff.
2) Finke, S. 21 ff., Stehr. I, S. 289; vgl. Aschbach I, S. 404. R. S. 5901. Als
der Graf von Savoyen Herzog wurde, schenkte er an Sigmund 15000 Dukaten. R. S.
5161. Justinger, S. 236.
3) Vgl. Franklin, Das Reichshofgerieht im Mittelalter I, S. 266 ff., s. auch S. 279
und Windecke, S. 127.
4) Windecke, S. 196.
5) Stehr. V, S. 79.
6) Ennen, S. 203 f. Stehr. XIIT, S. 61 f.
7) Ennen, S. 188 ff. Stehr. SN S S ORA ALY,
8) Finke, S. 103 ff. Justinger, S 235. R. S. 2407, 2719, 2431 f., 34, 57, 63,
71,.70,-76;
9) Hoffmann, Geschichte der freien und Hansestadt Lübeck, S. 148 ff.
Das Finanzwesen im Deutschen Reiche unter Kaiser Sigmund. 163
Bayern wieder zu Gnaden angenommen. Er mußte auf die Rück-
zahlung von 23000 Dukaten verzichten, welche Sigmund ihm
schuldete +).
Wiederholt hôren wir auch von der Einnahme des Reiches
aus dem Achtschatz, der Buße, welche dem Geächteten auferlegt
wurde. Allerdings hatte die Acht gegen früher an Bedeutung ver-
loren, oft konnte sie nicht vollstreckt, konnte ein Urteil nicht aus-
geführt werden. Achtung vor dem Recht und Furcht vor der Strafe
war abhanden gekommen). Einigemale läßt sich aber die Zahlung
des Achtschatzes nachweisen. Rothenburg wurde aus der Acht ent-
lassen, nachdem es den Achtschatz erlegt hatte).
Eine Frau von Westernach, deren Mann einen Ritter erschlagen
und dafür sein Gut verwirkt hatte, wurde erst begnadigt, als sie
1800 fl. gezahlt hatte‘). Rostock wurde geächtet und in eine Strafe
von 1400 Mark genommen 5). Conrad von Stein erhält von Sigmund
den Auftrag, die von Hallenser Bürgern zu zahlende Buße einzu-
ziehen; ein anderer Bote wird nach Besancon und Toul geschickt,
um dort Strafgeld für die königliche Kammer einzunehmen ®).
Die Einkünfte aus dem Reichshofgericht waren in dieser Zeit
jedenfalls höher als 10000 fl. jährlich. Denn als 1425 Heinrich
von Plauen zum Hofrichter ernannt wird, überließ ihm Sigmund
bis zu 10000 fl. Gefälle jährlich aus diesem Amte. Was aus dem
Achtschatz und anderem mehr einkäme, solle der königlichen Kammer
zufallen ?).
5. Die Einnahmen aus Verpfändungen.
Ueber das Wesen der Verpfändung und die Art der Einnahmen
daraus ist für die Zeit Sigmunds nichts Neues zu sagen; es sei
daher auf das für die Regierung Karls IV. ausgeführte verwiesen ®).
Stellen wir nun zusammen, welche Güter Sigmund verpfändete und
welche Summen er dafür erhielt, beziehungsweise welche Beträge
ihm zur Deckung von Ausgaben dadurch erwuchsen.
(Siehe Tabelle auf S. 164.)
Daneben verpfändete Sigmund in sehr vielen Fällen Kleinodien
und Kostbarkeiten. Wir sahen, wie er fast regelmäßig derartige
Geschenke auf seinen Reisen von den Stadtgemeinden erhielt; sie
waren aber so gut wie bares Geld, denn Sigmund hatte nichts Eiligeres
zu thun, als sie in klingende Münze zu verwandeln. So machte er
es auch mit den Ehrengaben fremder Herrscher. Vom Könige von
1) Aschbach IV, S. 230.
2) Franklin I, S. 220.
3) R. 8. 5001; vgl. auch R. S. 2968—3004, 5190, 5215, 5540, 44.
4) R. S. 2854.
5) R. S. 8384.
6) R. S. 5971, 80, 81.
7) Thüring. Geschichtsqu. 5,, S. 598.
8) Vgl. Nuglisch, 8. 95 f.
11*
164
Adolf Nuglisch,
Erhöhung der
Lage des Gutes Pfandsumme | Pfandsumme Belegstelle
um
Landvogtei i. Elsaß 50000 fl. | R. S. 5447; vgl. Oberrh.
| Ztschr. 12, N. F., S. 111f.
Schultheißenamt zu Mülhausen | 2000 2205
Grafenstaden u. a. 9000 2600, 6000 fl.| 3273, 4051, 6400
Schulzenamt zu Ehnheim 1300 9749
Steuer von Schlettstadt u. a. | 1000 986
Landvogtei Schwaben 19 800 6700 1658, 2508, 5399, 7259
Mühlen bei Leutkirch 300 6548
Steuer von Weinsheim und | 1967 '/, 6701 '
Schweinfurt
Steuer von Ulm u, a. 7000 8411
Judensteuer zu Augsburg 2000 | 8866
Steuer von Memmingen, Bibe- | 6000 | 10 348, 635
rach u. a.
Ammanamt von Bopfingen 200 10 644
Ammanamt von Memmingen 600 12 021
Judensteuer im Bistum Kon- | 800 12 055
stanz |
Steuer von Eßlingen 6000 ung. fl. 919, 40
Steuer von Hall 6000 | 1387
Steuern von Kempten, Ulm, | 27 400 1523, 9, 1623, 30, 2322,
Konstanz, Reutlingen, Ueber- 2638
lingen, Giengen
Kellenhöfe von Lindau 400 | 628, 5005
Steuern v. Weil u. Dinkelsbühl | 800 Mark 1731
Ammanamt von Ulm u. a. 3000 2406
Reichsmühlen bei Ueberlingen | 1000 2119
u. a.
Steuer von Reutlingen 3000 600 Dukaten | 3397, 4130
Steuern von Isny und Wangen | 1650 2812, 35
Steuer von Donauwörth 4500 | 5086
Nürnberger Zoll u. a. 20000 ung, fl.| 6986
Opferpfennig der Nürnberger | 500 7244
Juden i
Nürnberger Judensteuer 10 000 8840
Feldkirch u. a. 5000 10 800 1721, 2083, 2518, 2663,
5480, 99
Rheinfelden 8400 3132, 7222, 10415
Landgericht zu Winterthur u.a, | 3100 2640
Gesandtschaften der Stadt 3000 3489
Schaffhausen
Waldsee, Saulgau u. a. 10 400 3129
Aarau u. a. 5000 3125
Zoll zu Basel 1300 4833, 4918
Baden, Mellingen u. a. 4500 1877
Steuer von St. Gallen 2000 1878
Steuer von Wetzlar 7000 1367, 5335
Schlagschatz zu Frankfurt u. | 3000 1900 | 3400, 13, 11002
Nördlingen
Opferpfennig d. Kölner Juden | 1000 400 2670, 3398
Steuer der Erfurter Juden 1000 11 468
Sonstige Güter und Rechte des | 56 800 + 34500 + 500, 37, 1798, 1827, 66,
Reiches 18000 Du- | 600 ung. fl. | 1266, 2127, 2265,91, 2403,
katen 83, 2925, 4224, 27, 22,
5135, 5519, 5797, 7571,
8243, 8571, 8683, 8837,
8900, 9093, 10463, 848, 981
in Summa etwa 390 000 fl.
Das Finanzwesen im Deutschen Reich unter Kaiser Sigmund. 165
England hatte er zwei goldene Kannen, 5000 nobeln und andere
goldene Gegenstände erhalten; diese mußte Eberhard Windeck sofort
in Brügge für 18 000 fl. versetzen !).
Sigmund muß einen großen Vorrat an diesen Gegenständen
gehabt haben, da er davon im Laufe seiner Regierung für viele
Zehntausende von Gulden versetzte ?).
6) Die Einnahme aus dem päpstlichen Zehnten.
Im Jahre 1418 hat Papst Martin V. dem Könige für seine Be-
mühungen um die Einigkeit der Kirche, wie er in einem Briefe an
Straßburg schreibt, den ganzen Zehnten eines Jahres von allen geist-
lichen Renten und Nutzen in Deutschland gegeben und zu Ein-
sammlern den Erzbischof von Riga und die Bischöfe von Branden-
burg und Passau ernannt. Diese haben eine Anzahl Untereinnehmer
bestellt, so der Bischof von Passau den Markgrafen von Baden in
den Diöcesen Konstanz, Basel, Straßburg, Speyer, Worms, Toul,
Verdun und Metz, der Erzbischof von Riga den Marschall von
Pappenheim, Hans v. Blumberg und Konrad Münchweiler für Augs-
burg, Regensburg, Eichstädt, Salzburg, Freising ete. Der Bischof
von Brandenburg und neben ihm Markgraf Friedrich nehmen den
Zehnten ein in den brandenburgischen, sächsischen und nordischen
Bistümern.
An Stelle des Bischofs von Brandenburg treten für Breslau
der dortige Bischof und Herzog Ludwig von Brieg und für das Bis-
tum Lübeck die Stadt. Untereinnehmer sind weiter der Graf v. Lupfen
und Heinrich Beyer für Lüttich, Utrecht, Münster, Osnabrück, Pader-
born, Minden, Michel v. Priest, Andreas v. Potenstein und Niklas
Sifrieds für Passau, Hans v. Bodmann für Chur und Brixen, Fried-
rich von Brandenburg für Bamberg und Würzburg. In Aquileja
läßt der Patriarch einsammeln #).
Die Untereinnehmer liefern das Geld entweder an Boten Sig-
munds oder an die Haupteinnehmer ab, welche es von Ort und
Stelle aus auf Anweisung des Königs einem Gläubiger geben. Dazu
reichen sie schriftliche Aufzeichnungen über Einnahmen und Aus-
gaben ein und erhalten darüber eine Quittung, wenn jene richtig
befunden sind {).
Aus den sächsich-brandenburgischen Bistümern sollen mehr als
23000 ungar. fl. und 1933 Schock Groschen einkommen 5), In den
1) Windecke, S. 80, No. 1. Von auswärtigen Herrschern erhielt Sigmund öfter
Geschenke. Nach der Kaiserkrönung sandte ihm der englische König goldene und
silberne Halsbänder u. a., die Königin Isabella von Frankreich ließ ihm ein goldenes
Kreuz mit Edelsteinen überreichen. Aschbach IV, S. 183, Lang, Ludwig der Bärtige
S. 122. Siehe auch Justinger, S. 237.
2) R. S. 2287, 2590, 4197, 8238, 86, 90, 8546, 10859.
3) R. S. 2851a, 3079, 3103, 41, 3241, 3309, 71, 3424, 73, 3567, 96, 7, 3615
3874, 4628a, 5445.
4) R. S. 3749, 78, 3853, 6815, 8666.
5) R. S. 3072, 4058, 4235, 4690, 4730, 2.
166 Adolf Nuglisch,
bayerischen Stiftern werden 53033, in Metz, Toul, Verdun 13 500 tl.,
in Lüttich, Münster, Osnabrück, Paderborn, Minden mehr als 13 000
franz. Kronen, 13 300 fl., 400 ungar. fl., in Bamberg und Würzburg
4232 fl., in Breslau 500 ungar. fl., in Passau 1100 ungar. fl., 666 Pfd.
Heller ?), i in Basel, Konstanz, Straßburg, Speyer und Worms 43707 fl. 2}
eingenommen. Zu diesen Summen, die uns aus Anweisungen und
Quittungen bekannt sind, werden w ohl noch andere uns unbekannte
hinzugekommen sein, so daß die Gesamteinnahme eine höhere ge-
wesen ist. Sie beträgt etwa 170 000 fl. 3), also mehr, als ein Frank-
furter Gesandter annimmt, der damals an seinen Rat schreibt, der
Papst habe dem Könige erlaubt, den Zehnten von aller Pfaffheit zu
erheben, worauf dieser 100 000 #. entlehnt haben soll +). Während
also Kaiser und Fürsten oft mit Geldschwierigkeiten zu kämpfen
hatten, die Städte aber behaupteten, sie könnten für das Reich nicht
viel aufbringen, flossen alljährlich so bedeutende Summen nach Rom
in die päpstliche Kasse.
Kap. III. Die Ausgaben des Reiches.
Die wichtigsten Ausgaben waren die für den Hof und die Be-
amten und für das Heer. Die sehr große Zahl derer aufzu-
zählen, die als Beamte und Hofgesinde mit einem Jahresgehalt aus-
gestattet waren, würde zu weit führen. Es befanden sich unter ihnen
Vertreter fast ‘aller Gesellschaftsklassen, Geistliche und Weltliche,
Fürsten, Grafen und Herren, Gelehrte und Ungelehrte. Sie em-
pfingen zum Teil nur 3—500 fl., oft aber auch viele Tausende).
Dazu erhielten sie freie Verpflegung auf Kosten des Königs.
Auf Reisen, zumal beim Aufenthalt in Reichsstädten kamen diese
oft für den Unterhalt des königlichen Gefolges auf®). Dagegen hatte
der Kaiser Ausgaben, wenn er einen Bevollmächtigten ausschickte,
um einen Auftrag zu vollführen. Diese waren manchmal recht be-
deutend, Weinsberg z. B., welcher in Sachsen und Westfalen in
Begleitung eines anderen Beamten für den König thätig war, rechnet
diesem für Zehrung 10 fl. den Tag an?).
Die zweite Ausgabe des Reiches bestand in der Besoldung der
Truppen, für die allerdings auch die Stände aufzukommen hatten ë),
der Instandhaltung der Burgen, Bestellung von Büchsenmeistern,
Beschaffung von Waffen und Munition °). Mehrmals hatte der Kaiser
1) R. S. 3074, 80, 3133, 41, 3258, 78, 3309, 2 22, 23, 49, 81, 3581, 91, 92, 67—
79, 3656, 61, 68, 76, 77, 79, 80, 3712, "4, 3853. 5 Kronen waren = 4 fl. (3456).
2) R. S. 5164, Fester No. 3451.
3) Es ist somit unrichtig, was Lindner II, S. 304 sagt, daß von päpstlichen Zehnten
nicht viel eingekommen wäre.
4) Janssen I, 8. 319.
5) Dem Infanten von Portugal verspricht Sigmund 20 000 Dukaten Gehalt, falls
er an seinen Hof kommt. R. S. 3017.
6) R. S. 2478, 2508, 3239, 3950.
7) R. S. 8758 auch 2553.
S. 8932, 3.
S. 3621, 2, 5486, 99.
Das Finanzwesen des Deutschen Reiches unter Kaiser Sigmund. 167
Geschenke zu machen. Seine Unterthanen fand er dabei mit Ertei-
lung von Privilegien und Uebertragung von Hoheitsrechten ab,
auswärtigen Fürsten aber, so dem Könige von England, dem Kaiser
von Konstantinopel verehrte er Wertgegenstände !).
Dazu kommen kleine Ausgaben mannigfacher Art, für die Kanzlei,
für seine eigene Person u. a. m.?).
Immerhin hat Sigmund noch einen wesentlichen Teil der Bedürf-
nisse des Reiches durch Einkünfte aus diesem zu decken vermocht 3),
wenn sie auch nicht mehr genügten. Oft genug zeigen uns die
Urkunden und lassen uns die Berichte der Zeitgenossen erkennen, daß
der Kaiser sich in Geldverlegenheit befand. Kredit aber wurde ihm
dennoch fast stets gewährt und sehr zahlreiche Anleihen konnte er
bei seinen Unterthanen machen. Bei der Beurteilung seines Ver-
fahrens im Finanzwesen dürfen wir nicht den modernen Maßstab
anlegen; die Bestechlichkeit Sigmunds im Gerichtswesen, die Ver-
pfändung seiner Wertsachen und selbst seiner Krone, überhaupt die
Art und Weise, wie er sich Geld verschaffte, wurde nicht in dem
Maße wie heute als unköniglich empfunden. Auch Fürsten und
Städte haben oft zu bedenklichen Mitteln greifen müssen.
1) Der König von England erhielt einen großen, kupfernen Leuchter im Werte
von 1100 Mark (Richental, S. 101), der Kaiser von Konstantinopel 8 vergoldete Becher,
1000 ungar. fl., Tücher und Pferde. (Windecke, S. 186.)
2) Anz. für Kunde deutscher Vorzeit N. F. 1872, S. 14. R. S. 2071, 2190, 2223,
2347.
3) Seine Gesamteinkünfte zu berechnen, erscheint unmöglich, da die uns bekannten
Summen kein erschöpfendes Bild geben.
168 F. W. R. Zimmermann,
Nachdruck verboten.
III.
Die Verfügungsfreiheit über ländliches
Grundeigentum in ihrem Finfluss auf die
Grundbesitzverhältnisse im Herzogtum
Braunschweig.
Von
Dr. F. W. R. Zimmermann, Finanzrat (Braunschweig).
Für die Ausgestaltung der ländlichen Grundeigentumsverhält-
nisse ist durchweg im Herzogtume Braunschweig nach Maßgabe seiner
sächsischen Stammesangehörigkeit, die noch jetzt in dem weißen
Roß des Landeswappens ihren Ausdruck findet, das alte Sachsen-
recht bestimmend gewesen, dessen Grundsätze über Meierrecht,
Erbenzinsrecht, Höfegeschlossenheit, Anerbenrecht etc. sich bis in
die neuere Zeit hinein in unbeschränkter Geltung erhalten hatten.
Unter dieser den örtlichen und den zeitlichen Verhältnissen ent-
sprechenden Regelung konnte sich aber ein kräftiger und nach jeder
Richtung hin leistungsfähiger Bauernstand um so mehr entwickeln,
als sich die Herzöge des Landes in der richtigen Erkenntnis der
hohen Bedeutung des Bauernstandes von vornherein desselben energisch
annahmen und die Bauern gegen die zu willkürlicher Bedrückung
und Erweiterung ihrer Machtbefugnisse geneigten Gutsherrn schützten.
So wird man schon als Grundlage der späteren Bauernverfassung die
allgemeinere Regelung im Vertrage des Herzogs Heinrich mit der
Landschaft vom 17. Mai 1433 ansehen können; des weiteren folgten
die Landtagsabschiede vom 3. Juni 1597, vom 27. Januar 1619, vom
22. November 1643, die allgemeine Landesordnung vom 7. März 1647
und endlich noch eine größere Anzahl von Landesherrlichen Verord-
nungen und Reskripten, die sämtlich den einen Hauptzweck hatten,
den Bauernstand als solchen zu fördern und lebenskräftig unter ge-
sunden Verhältnissen hinzustellen, dabei aber doch dem Geist und
dem Bedürfnis ihrer Zeit entsprechend alle die eigenartigen, oben
schon berührten Beschränkungen des sächsischen Rechts bezüglich der
Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 169
bäuerlichen Grundbesitzungen voll zur Durchführung brachten. Die
auf dieser Grundlage zunächst aufgebaute, normale und durchaus
günstige Entwickelung des Bauernstandes setzte sich dann aber bis
in die neue Zeit hinein fort, weil einerseits die allgemeinen örtlichen
Verhältnisse des Herzogtums und die ganzen Bedingungen des Grund
und Bodens selbst sich als ungemein vorteilhaft dafür erwiesen und
weil andererseits die wohlwollende Einsicht der Landesregierung sich
auch weiter bewährte und stets zeitig die dem älteren Wirtschafts-
stande entsprechenden, mit dem neueren aber nicht mehr Stand zu
halten vermögenden Beschränkungen, wenn auch zunächst unter thun-
lichster Schonung der berechtigten historischen Eigenheiten beseitigte.
Sogleich nach der Abwerfung der französischen Fremdherrschaft
wurde unter ausdrücklicher Anerkennung, „wie nachteilig den Fort-
schritten einer verbesserten Landwirtschaft das Fortbestehen der in
früheren Zeiten und unter ganz verschiedenen Verhältnissen einge-
führten Gemeinheiten und solcher Berechtigungen ist, welche der
freien Benutzung und Beartung des Grund und Bodens beeinträch-
tigende Schranken setzen“, durch eine Verordnung vom 26. März
1823, wenn auch in einer beschränkteren Weise eine Teilung der
Gemeinheiten und Ablösung der Dienstbarkeiten zugelassen und bald
folgte mit der Neuen Gemeinheitsteilungsordnung und der Ablösungs-
ordnung, beide vom 20. Dezember 1834, die allgemeine und durch-
greifende Regelung, auf Grund deren sich die thatsächliche Ausfüh-
rung schnell und segensreich vollzog. War so der Bauer zum unab-
hängigen und unbelasteten Eigentümer des in sachgemäßer Weise aus-
geschiedenen und thunlichst zusammengelegten Grund und Bodens
geworden, so konnte man sich doch verhältnismäßig länger nicht
entschließen, den letzten Schritt zu thun und dem Bauer die voll-
kommen freie Verfügung über seinen entlasteten Grundbesitz zuzu-
gestehen. Man hielt die seit Jahrhunderten bestehende Geschlossenheit
der Bauernhöfe und das damit in Zusammenhang gebrachte Verbot
der Vereinigung mehrerer Bauerhöfe in einer Hand für eine unum-
gängliche Vorbedingung des bäuerlichen Erbrechts und der sonstigen
Institute des Bauernrechts; auf die uneingeschränkte Erhaltung dieser
altbewährten Institute glaubte man aber im Interesse des Bauern-
standes selbst und des Gemeinwohls überhaupt einen besonders hohen
Wert legen zu müssen, so daß man jeder denselben irgendwie Gefahr
bringender Maßnahme von vornherein ablehnend gegenüberstand. Das
stetige und starke Fortschreiten der Landwirtschaft, das sich im
Herzogtum Braunschweig vermöge der in der Hauptsache sehr gün-
stigen Bodenverhältnisse und des früh und schnell zu hoher Ent-
wickelung gelangten Zuckerrübenbaues mit seinen einschneidenderen
Nebenwirkungen in einem ganz besonders hohen Grade geltend machte,
ließ aber das freie Verfügungsrecht über den bäuerlichen Grundbesitz
als ein notwendiges Bedürfnis immer dringender erscheinen, die An-
regungen und Anträge auf Einführung einer solchen freien Verfügung
wurden aus den beteiligten Kreisen immer zahlreicher und konnten
immer sachgemäßer auf thatsächlich bestehende und zur Geltung
170 F. W. R. Zimmermann,
gekommene Beschwerden und Uebelstände hinweisen. Nachdem auch
die Landesversammlung, in welcher das bäuerliche Element eine ver-
hältnismäßig sehr große Vertretung hat, sich den letzteren Bestrebungen
in einem mit ansehnlicher Majorität zur Annahme gelangten Antrage
angeschlossen hatte und man sich der Unhaltbarkeit des bisherigen
Zustandes allgemein nicht mehr verschließen konnte, trat nun die
Landesregierung mit positiven Maßnahmen der Sache näher. Man
konnte sich aber doch regierungsseitig nicht sofort zu einer direkten
Aufhebung der bisherigen Geschlossenheit des bäuerlichen Grund-
besitzes entschließen. Alle die Erwägungen, welche von einem Ein-
greifen überhaupt zunächst abgehalten hatten, machten sich verstärkt
gegen diesen sofortigen vollen Bruch mit dem Bestehenden geltend;
bei dem engen Zusammenhang der Unteilbarkeit der Güter mit den
sämtlichen sonstigen bäuerlichen Institutionen, dem Anerbenrecht,
der Interimswirtschaft, der Leibzucht, ja auch dem Schuldenwesen fürch-
tete man bei sofortiger voller Aufhebung für die Erhaltung eines
gesunden lebenskräftigen Bauernstandes, und wenn man die hohe
Bedeutung des letzteren für die Gemeinheit und das Gemeinwohl
überhaupt berücksichtigt, so wird man ein vorsichtiges und zögerndes
Vorgehen gewiß nur begreiflich finden. Erst nach fast 10-jährigen
Verhandlungen mit der Landesversammlung, bei welchen die Landes-
regierung zunächst nur weitergehende Dispensationserleichterungen
von den prinzipiell aufrecht zu erhaltenden fraglichen Eigentums-
beschränkungen zur Einführung bringen wollte, sodann aber auch
unter dem verstärkten Druck der thatsächlichen Verhältnisse nach
und nach immer weiter zu der einschneidenden Maßregel hingedrängt
wurde, kam endlich als Abschluß das Gesetz vom 28. März 1874,
den bäuerlichen Grundbesitz betreffend, zustande.
In diesem Gesetz vom 28. März 1874 ist ausdrücklich ausge-
sprochen: „Die landesgesetzliche Geschlossenheit des bäuerlichen
Grundbesitzes im bisherigen Sinne und die Rechtsnormen, auf
denen diese Geschlossenheit beruht, insbesondere die Landtagsabschiede
etc., welche die Zerschlagung oder Teilung eines Bauernguts oder die
Veräußerung einzelner Teile desselben verbieten, oder von einer
Genehmigung der Herzoglichen Landesregierung abhängig machen,
treten unbeschadet jedoch der dem Bauernrechte eigen-
tümlichen Institute des Anerbenrechts, der Interims-
wirtschaft und der Leibzucht, außer Kraft — dergestalt,
daß dem Eigentümer eines Bauerngutes fortan die Befugnis einge-
räumt werden soll, über dasselbe und dessen Zubehörungen unter
Lebenden und von Todeswegen in den gesetzlichen Formen frei zu
verfügen.“ Damit ist mit der bisherigen, gesetzlich unbedingt gegebe-
nen Geschlossenheit der bäuerlichen Besitzungen prinzipiell gebrochen.
Gleichzeitig sind die zur Verhinderung der Vereinigung mehrerer
Bauerhöfe in einer Hand erlassenen gesetzlichen Anordnungen etc.
außer Kraft gesetzt. Im Interesse der für die Erhaltung eines
leistungsfähigen Bauernstandes als so wesentlich erachteten bauern-
rechtlichen Institute traf man dann aber daneben noch eine Reihe
Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 171
wichtiger Anordnungen, welche eine sachgemäße Ergänzung der nun-
mehr zugelassenen freien Verfügung bilden sollten, um die Einheit
der Höfe auch unter den veränderten Verhältnissen "soweit thunlich
und nutzbringend zu wahren. Die vorhandenen Bauergüter sollen
als solche fortbestehen und auch ferner in Beziehung auf Anerben-
recht, Interimswirtschaft und Leibzucht nach dem geltenden Bauern-
rechte beurteilt werden; dasselbe gilt auch für künftig entstehende,
nicht zu wesentlich anderen als landwirtschaftlichen Zwecken die-
nenden, bebaueten Wirtschaftsstellen auf dem Lande. Die Grund-
stücke und Berechtigungen, welche bei einem Bauerhofe bewirt-
schaftet bezw. benutzt werden, gelten für dessen Zubehörungen und
bilden mit Einschluß des bebaueten Gehöftes dessen einheitlichen wirt-
schaftlichen Bestand. Auch nach Abtrennung von Zubehörungen
bleibt die Eigenschaft eines Bauergutes für das übrig gebliebene be-
bauete Gehöft und den etwaigen Restbestand der Zubehörungen des-
selben in Kraft. Die Realrechte Dritter sollen durch die neue gesetz-
liche Regelung keine Aenderung erleiden; werden einzelne Zube-
hörungen eines mit privatrechtlichen Reallasten oder mit gegen dritte
‚Besitzer wirksamen Hypotheken beschwerten Bauergutes veräußert,
so bleiben dieselben für die Gesamtleistung bezw. für die gesamte
Hypothekschuld verhaftet. In Ermangelung anderer rechtsbeständiger
Verfügungen des Erblassers gelangt kraft des für die Bauergüter mit
Einschluß der Anbauerwesen in Geltung bleibenden Anerbenrechts
von den vorhandenen mehreren Erben nur Einer (der Anerbe) zum
Naturalbesitze des Hofes samt Zubehör und Inventar; die übrigen
erhalten Abfindungen. Das Anerbenrecht, welches übrigens gesetz-
lich nur für die Nachkommen des Erblassers bestehen und in einigen
besonders bestimmten Fällen nicht eintreten soll, wird sodann nach
Eintritt, Gegenstand etc. näher geregelt; wir heben daraus nur her-
vor, daß der Anerbe mangels giltiger Bestimmung des Erblassers
und gütlicher Einigung der Beteiligten von dem nach Vorschrift zu
ermittelnden Werte des Hofes, der Zubehörungen und des Inventars
seinen Erbteil mit einem so hohen Voraus erhalten soll, als erforder-
lich ist, damit der Hof bei Kräften bleibe, doch soll das Voraus ein
Dritteil des ermittelten Hofwertes nicht übersteigen. Des ferneren
sind über Erbschaftsschulden, Berechnung des Pflichtteils, Leibzucht,
Abfindungen, anticipierte Erbfolge etc. Sondervorschriften getroffen,
auf welche hier nicht näher einzugehen steht. Nur soweit nicht in-
folge rechtsgiltiger Anordnungen des Erblassers oder nach den gesetz-
lichen Bestimmungen das Anerbenrecht Platz greift, wird bäuerlicher
Grundbesitz nach den Bestimmungen des gemeinen Rechts vererbt.
Diese nunmehr seit über ein Vierteljahrhundert in Kraft be-
findliche gesetzliche Regelung muß als eine glückliche, den Verhält-
nissen nach jeder Richtung thunlichst Rechnung tragende Lösung
angesehen werden; von vornherein hat sie, soweit uns bekannt, voll-
auf befriedigt und auch im Laufe der Jahre zu keinerlei Beschwerde
Veranlassung gegeben. Der Eigentümer des ländlichen Grund und
Bodens hat nach dem Gesetz die volle und unbeschränkte Verfügung
172 F. W. R. Zimmermann,
über seinen Besitz nach jeder Richtung hin erhalten; er kann ihn
unter Lebenden beliebig veräußern, er kann Teile davon abtrennen
oder ihn auch ganz zerstückeln, er kann neue Landerwerbungen
machen und dieselben mit seinem bisherigen Landbesitz zu einem
Ganzen vereinigen, er ist in der Lage, sein Eigentum ohne weitere
Beschränkung hypothekarisch zu belasten und sich dadurch die
nötıgen Kapitalien für Meliorationen, Einrichtung eines landwirtschaft-
lichen Industriebetriebes etc. zu verschaffen, er hat schließlich auch
die weitgehendste Freiheit, von Todeswegen über das Grundeigentum
zu verfügen, er ist berechtigt, den Hof in Eins zu vererben, kann
aber ebensogut testamentarisch eine Aufteilung desselben unter die
Erben festsetzen, desgleichen kann er Teile desselben besonders
legieren. Damit ist aber die Bewegungsfreiheit bezüglich des länd-
lichen Grundbesitzes, wie sie im Interesse der vollen wirtschaftlichen
Entfaltung und der sach- und zeitgemäßesten Ausnutzung desselben
zu erstreben stand, im vollsten Maße gegeben. Andererseits ist aber
durch die weiteren Vorschriften des Gesetzes Vorsorge getroften, daß
die altbewährten bäuerlichen Sondereinrichtungen, und so vor allem
das die Hauptbasis bildende Anerbenrecht, trotz der eingeführten
Verfügungsfreiheit sich weiter erhalten konnten; für die thatsächliche
Erhaltung selbst bürgte aber der durchweg streng konservative Sinn
der Landbevölkerung und der Umstand, daß jene Einrichtungen tief
in den Sitten und Gewohnheiten des Bauernstandes wurzelten und
vollständig in das Rechtsbewußtsein desselben übergegangen waren.
So war man nach beiden Seiten thunlichst gerecht geworden, die
Freiheit des Eigentums war gegeben, daneben war aber auch der
Fortbestand der bewährten bäuerlichen Einrichtungen durch ent-
sprechende Neuordnung nach Möglichkeit gewahrt.
Das wesentlichste prinzipielle Bedenken, welches gegen die all-
gemeine Gestattung einer unbeschränkten Verfügung über das Eigen-
tum am ländlichen Grundbesitz geltend zu machen ist, besteht darin,
daß das freie Verfügungsrecht über das Landeigentum zu einer un-
gesunden Verteilung des Grundbesitzes, zu einer volkswirtschaftlich
nachteiligen Ausgestaltung der ganzen Besitzverhältnisse führen
würde. Wie nicht zu leugnen, kann ja allerdings bei einer freien
Eigentumsverfügung sowohl eine übermäßige Zersplitterung des länd-
lichen Grundbesitzes wie auch eine übermäßige Anhäufung desselben
in wenigen Händen stattfinden, die Geschichte giebt uns hierfür zur
Genüge Beispiele an die Hand. Damit aber, daß die Möglichkeit
des Eintritts dieser beiden wirtschaftlichen Uebel mit ihren weiteren
Nebenerscheinungen zugegeben wird, ist noch keineswegs ein Schluß
auf die Notwendigkeit des früheren oder späteren Eintritts eines
derselben bei der freien Figentumsverfügung zu ziehen; diese kann
nicht behauptet werden, denn die Geschichte zeigt uns gleichfalls zahl-
reiche Beispiele von gesunder Grundeigentumsverteilung auch bei
Zulassung der freien Verfügung. Jene Uebel der Ausbildung zu
kleiner oder zu großer Grundbesitzungen sind sonach keineswegs
als die an sich gegebene Folge der freien Eigentumsverfügung an-
Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 173
zusehen; sie werden zwar durch letztere rechtlich ermöglicht, aber
ihre eigentliche Ursache haben sie doch in der ganzen inneren wirt-
schaftlichen Entwickelung des abgeschlossenen Gebietes. Diese Ur-
sachen, welche an sich wieder der verschiedensten Art sein können,
werden sich stets als mehr oder weniger ungesunde Momente in
dem wirtschaftlichen Leben darstellen und ebenso wie sie an sich
schon krankhafte Erscheinungen sind, müssen sie auch weitere krank-
hafte Zustände wie jene beiden erwähnten in der Grundbesitzverteilung
zeitigen. Jene auf der mangelhaften wirtschaftlichen Entwickelung
überhaupt beruhenden Ursachen, mögen sie sein, welcher Art sie
wollen, müssen aber stets auch einen zwingenden Einfluß auf das
Hervortreten weiterer Mißstände des wirtschaftlichen Lebens haben.
Wo eben die freie Verfügung über das Grundeigentum zugelassen
ist, da äußert sich jener zwingende Einfluß nach einer der beiden
erwähnten Richtungen hin, es tritt einerseits eine übermäßige Zer-
splitterung der Grundbesitzungen, ein unverhältnismäßig starkes Vor-
herrschen der Zwergwirtschaften, andererseits die Ausbildung zu
großer Grundkomplexe, die Anhäufung des Grund und Bodens in
wenigen Händen, ein. Besteht aber ein unbeschränktes Verfügungs-
recht über den Grundbesitz nicht, so kann damit noch keineswegs
der Einfluß jener ebenso hervortretenden Ursachen überhaupt be-
seitigt sein; dieser Einfluß wird sich, da er in der einen Richtung
auf Schranken stößt, in einer anderen Richtung geltend machen, denn
irgendwie zum Durchbruch kommen muß er auf alle Fälle; ob nun
aber nicht die Wirkung in dieser anderen Richtung eventuell eine
wirtschaftlich noch nachteiligere ist, ob dadurch nicht schon von vorn-
herein eine thunlichst fördersame Ausnutzung des Grund und Bodens
unterbunden wird, wollen wir dahingestellt sein lassen. Jedenfalls
wird man aber wohl mit Recht behaupten können, daß größere Miß-
stände in der wirtschaftlichen Ausgestaltung, wie sie zur Herbei-
führung einer schädlichen Zwerg- oder Latifundienwirtschaft notwendig
vorhanden sein müssen, durch eine einzelne Rechtsbestimmung, wie
die Eigentumsbeschränkung nur in sehr beschränkter Weise und nach
einer Richtung hin überhaupt berührt, keineswegs aber gehoben und
in ihrer Gesamtwirkung außer Kraft gesetzt werden können. Wie
aber danach das Vorhandensein oder das Nichtvorhandensein der
fraglichen Eigentumsbeschränkung gegenüber der Wirkung größerer
Mißstände des wirtschaftlichen Lebens für dieses im ganzen nur ver-
hältnismäßig wenig ausschlaggebend sein dürfte, so kann auch bei
sonst vollkommen normalen und gesunden Entwickelungsverhältnissen
der Volkswirtschaft das Bestehen der Eigentumsbeschränkung nicht
als ein besonderes oder gar notwendiges Schutzmittel gegen wirt-
schaftliche Anormalitäten, speciell gegen Zwerg- oder Latifundien-
wirtschaft angesehen werden. Die Gesundheit der wirtschaftlichen
Verhältnisse ist hier stets dasjenige, auf das das Hauptgewicht ent-
fallen muß. Ist diese vorhanden, so wird die Beseitigung der Eigen-
tumsbeschränkung, welche als Rechtsbestimmung für die frühere Zeit
sich als durchaus zweckmäßig erwiesen hat, aber bei der stärker
174 F. W. R. Zimmermann,
fortschreitenden Entwickelung nunmehr ein Hemmnis bildet, kaum
einen besonderen Einfluß auf eine nachteilige Ausgestaltung der wirt-
schaftlichen Gesamtlage haben können, und speciell wird sie nicht
eine solche Wirkung haben können, daß allein durch sie Zwerg- oder
Latifundienwirtschaft zum Durchbruch gebracht werden würde. In
der Theorie nimmt man jetzt die Beseitigung der geschichtlich über-
kommenen, durch die Entwickelung aber überholten Beschränkung
als etwas der Sachlage vollauf Entsprechendes und auch jetzt mehr
oder weniger Selbstv erständliches an, zumal da die Frage über das
Grundeigentumsrecht und die Grundeigentumspolitik überhaupt heute
sich wesentlich in anderer zum Teil extremer Richtung bewegt und
so nach Für und Wider behandelt wird. Das Gebiet der Grund-
eigentumspolitik mit all seinen Einzelheiten erscheint aber für die
gedeihliche wirtschaftliche Entwickelung eines Staates doch von einer
so hervorragenden Bedeutung, daß jeder neue praktische Beleg für
eine einzelne Frage, auch wenn sie nicht mehr wie früher im Vorder-
grunde der theoretischen Erwägungen steht, noch als erwünscht und
durchaus beachtenswert zu betrachten ist. Ganz besonders muß
dieses aber bezüglich der von uns berührten Verfügungsbeschränkungen
über das ländliche Grundeigentum der Fall sein; man hatte wohl
praktische Erfahrungen darüber, wie sich die Verhältnisse im einzel-
nen mit denselben und ohne dieselben gestaltet hatten, wenig aber
darüber, welche Wirkung speciell auf die Ausgestaltung der einzelnen
Grundbesitzgrößenklassen die Beseitigung der Beschränkung dort,
wo sie durch lange Zeit hindurch bestanden, gezeitigt hatte. Dieses
giebt uns die Veranlassung, die praktischen Ergebnisse, welche mit
jenem braunschweigischen Gesetz vom 28. März 1874 bezüglich der
Beseitigung der Geschlossenheit des bäuerlichen Grundbesitzes etc.
und der Gewährung der vollen Verfügungsfreiheit an den Eigentümer
erzielt worden, soweit sie speciell nachweisbar hier näher zur Dar-
stellung zu bringen; das Inkraftsein des Gesetzes, welches ein Viertel-
jahrhundert schon etwas überschreitet, dürfte gewiß jetzt genügend
lange sein, um den Einfluß desselben greifbar in Erscheinung treten
zu lassen.
Das praktische Ergebnis des Gesetzes läßt sich nun aber nur in
gewisser Richtung durch sichere, auch zahlenmäßig zu belegende
Nachweise klarstellen. Unmöglich erscheint dieses zunächst schon
bezüglich des eigentlichen Zweckes des Gesetzes, ob die durch den
früheren Rechtszustand für die wirtschaftliche Entfaltung gegebenen
Hemmnisse durch das die Verfügungsfreiheit unter thunlichster Auf-
rechterhaltung der speciellen bauerrechtlichen Einrichtungen ge-
währende Gesetz auch voll und zur Genüge beseitigt worden sind.
In dieser Beziehung ist man lediglich auf den oben "schon kurz ge-
machten Rückschluß angewiesen: die früheren Beschwerden bezüglich
der Beschränkung des Verfügungsrechts über ländliches Grundeigen-
tum haben sich, "seitdem das Gesetz zu Kraft besteht, nicht wieder-
holt, gegen das Gesetz selbst — in einem für unsere Betrachtung
untergeordnetem Punkte hat dasselbe später noch eine Abänderung
Dic Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 175
erfahren, was wir hier nur kurz anführen, sonst aber außer acht
lassen wollen — sind Einwendungen in der nunmehr längeren Zeit
seiner Geltung nicht vorgebracht, daraus dürfte wohl mit Recht zu
folgern sein, daß das Gesetz dem vorhandenen Bedürfnisse voll nach-
gekommen ist, und daß es sich in seiner Durchführung als sachgemäß
und praktisch erwiesen hat. Da andererseits auch Forderungen auf
eine weitergehende rechtliche Sicherung für die Erhaltung der alt-
bewährten bäuerlichen Institutionen nicht gestellt worden sind, so
wird man um so mehr anzunehmen haben, daß das Gesetz nicht nur
seinen Zweck erfüllt, sondern sich auch als durchaus zeitgemäß er-
wiesen hat. Ein weiterer Nachweis für das praktische Ergebnis in
dieser Beziehung steht uns nicht zur Verfügung. Anders verhält es
sich nun aber mit der Ergebnisfeststellung in einer anderen allge-
mein N nn) Beziehung, welche uns hier mehr als der eigent-
liche Zweck des Gesetzes interessieren dürfte, nämlich der Wirkung,
welche das Gesetz auf die Verteilung des Grundbesitzes nach der
Größe der Einzelbesitzungen ausgeübt hat. Es ist dieses eben der
Kernpunkt für die allgemeine wirtschaftliche Bedeutung des Gesetzes
und umfaßt jene oben schon berührte Frage, ob die freie Verfügung
über ländliches Grundeigentum schon an und für sich auf wirt-
schaftliche Mißstände, wie sie die Zwergwirtschaft einerseits und
die Latifundienwirtschaft andererseits bedeutet, hinwirkt. In dieser
Beziehung erweist sich auch ein zahlenmäßiger Nachweis als thunlich.
Als Ausgangspunkt für die zahlenmäßige Feststellung des Ergeb-
nisses müssen uns bezüglich des früheren Zeitpunktes die Daten
dienen, welche in Heft 3 der Beiträge zur Statistik des Herzogtums
Braunschweig, herausgegeben vom Statistischen Büreau des Herzog-
lichen Staatsministeriums (1876), S. 77 ft. in der Uebersicht D über
die Verteilung des landwirtschaftlichen Privatgrundbesitzes nach
Größe und Zahl der Besitzungen, den Städten (mit Ausnahme der
Stadt Braunschweig), den Amtsgerichtsbezirken und nach geogra-
phischen Gruppen zur Veröffentlichung gebracht sind. Es sind hier
neben anderen für die uns hier lediglich interessierenden Land-
gemeinden der einzelnen Amtsgerichtsbezirke des Herzogtums sowohl
bezüglich ihrer Zahl wie bezüglich ihrer Gesamtfläche die Besitz-
komplexe nach den Größenklassen von unter 0,25 ha, von 0,25—1 ha,
von 1—5 ha, von 5—10 ha, von 10—15 ha, von 15—20 ha, von
20—25 ha, von 25—50 ha, von 50—75 ha, von 75—250 ha, von
50—5 750 ha und von über 750 ha angegeben worden;
diese Daten sind die einzigen, welche für den früheren Stand zur Ver-
gleichung heranzuziehen sind. Für die Kennzeichnung des jetzigen
Standes sind nun die Daten der mit der Berufszählung vom 14. Juni 1895
verbundenen landwirtschaftlichen Aufnahme nicht verwendbar, weil
ihnen aus besonderen, hier nicht näher zu erörternden Gründen eine
Vergleichbarkeit mit den früheren Daten fehlt; dahingegen ließen sich
bei einer eingehenden Erhebung über die hypothekarische Belastung des
Grundbesitzes im Herzogtum Braunschweig, deren allgemeine zahlen-
mäßige Resultate unlängst in Heft 15 der Beiträge zur Statistik des
176 F. W. R. Zimmermann,
Herzogtums Braunschweig veröffentlicht worden sind, die bezüglichen
Daten für die einzelnen früher angenommenen Größenklassen wenig-
stens mit allgemeiner Vergleichbarkeit feststellen; da die hypothe-
karische Erhebung auf den Stand vom 1. Januar 1897 gestellt ist,
so erscheint der Zeitpunkt, weil dem Schlusse des Jahrhunderts
näher, sogar noch günstiger. Leider ist nun aber die Vergleichbar-
keit doch keine absolute und in vollem Maße zutreffende, was nament-
lich in einigen nicht zu hebenden Sonderheiten der älteren Daten
seine Veranlassung hat. Die früheren Feststellungen sind allerdings
durch die Bewegung, welche schließlich zu unserem Gesetz vom
28. März 1874 führten, veranlaßt worden, und gehören deshalb zu
den materiellen Unterlagen dieses Gesetzes, als welche sie auch be-
zeichnet worden sind; da aber die fragliche Bewegung schon 10 Jahre
vor dem Zustandekommen des Gesetzes ihren Anfang nahm und
man sofort bestrebt war, jene materielle Unterlage zu schaffen, welche
dann später nicht weiter ergänzt wurde, so sind die Daten auf den
Stand am Schlusse des Jahres 1861 gestellt und geben also diesen
unverändert wieder. Wir haben also nicht die Daten unmittelbar vor
dem Gesetz, sondern weiter zurückliegende. An und für sich würde
dem nun aber kein so großes Gewicht beizumessen sein, denn in dem
fraglichen Zeitraum bestanden die Verfügungsbeschränkungen ja noch
und übten für die Eigentumsveränderung ihren hemmenden Einfluß
aus; auch war ja unter allen Umständen auf eine gesetzliche Er-
leichterung der Veräußerung ländlichen Grund und Bodens zu
rechnen und werden deshalb in Rücksicht genommene Veränderungen
vielfach bis nach der neuen gesetzlichen Regelung hinausgeschoben
und eventuell vorläufig nur faktisch zur Durchführung gebracht sein,
so daß also die älteren Daten noch sehr wohl zur Bezeichnung des
Standes vor dem Gesetz zu verwerten sein dürften. Beachtenswerter
muß sich schon das Folgende erweisen. Die Quelle für die älteren
Daten bildeten die Grundsteuerkataster, aus denen die Zahlen speciell
feldmarksweise ausgezogen waren; die Einführung der Grundsteuer
erfolgte für das Herzogtum Braunschweig durch ein Gesetz vom
24. August 1849; die Festlegung und Erhebung der Steuer geschieht
nach dem zu schätzenden Reinertrag der Grundstücke, und waren
diese Schätzungen bis zum Jahre 1858 durchgeführt, so daß also
die Aufstellung der Kataster etc. erst kurz vor der Extrahierung
vollendet war; naturgemäß konnte aber eine derartige umfangreiche
Arbeit, wie die Grundsteuerkatastrierung für das ganze Gebiet
des Herzogtums sich nicht auf einmal in vollkommen bis in
das Einzelne genauer Weise vollziehen, und war es deshalb er-
klärlich, daß in den ersten Jahren nach der Fertigstellung sich noch
manche Einbesserungen, Nachträge etc. als notwendig erwiesen.
Diese Veränderungen, welche in den Mängeln der ersten Feststellung
begründet waren, sind nun aber in unseren Vergleichsdaten eben-
mäßig nicht berücksichtigt worden, weil diese auf dem Stand vom
Schlusse des Jahres 1861 basieren. Wenn diese Veränderungen der
Zahl nach auch vielleicht umfassendere gewesen sein werden, so haben
Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 177
sie sich aber sicher weitaus in der Hauptsache nur auf an sich geringe
Flächengrößen bezogen; einen sichtbaren Einfluß werden sie nur
auf die Gesamtflächengröße, nicht aber auf die Zahl der Besitz-
komplexe in den einzelnen Größenklassen gehabt haben oder wenig-
stens nur auf die Zahl in den untersten Klassen mit dem geringsten
Besitz. Die Brauchbarkeit unserer Daten wird jedenfalls durch
diesen Umstand nicht ausgeschlossen, nur ist er natürlich bei An-
wendung des Ergebnisses entsprechend zu berücksichtigen.
Daneben sind endlich aber noch zwei Verschiedenheiten in der
Erhebung hervorzuheben, welche die Vergleichbarkeit beeinträchtigen
mußten. Bei der ersten Feststellung nach den Grundsteuerkatastern
sind die Privatgrundbesitzkomplexe ohne Rücksicht auf die Feld-
marks- und Landesgrenzen berücksichtigt worden; einerseits sind
daher die außerhalb des Herzogtums belegenen Zubehörungen der
im Herzogtum belegenen Grundbesitzstellen mit umfaßt, während
andererseits die bei 'nichtbraunschweigischen Stellen bewirtschafteten
Flächen des diesseitigen Territoriums außer Rechnung geblieben
sind. Die jetzige Bearbeitung über die hypothekarische Belastung
des Grundbesitzes gründet sich auf von den Grundbuchämtern auf-
gestellte Nachweisungen, welche sodann durch Vergleichung mit den
Grundsteuerkatastern etc. noch nachgeprüft und vervollständigt sind;
dabeı sind die einzelnen Komplexe nach ihrer wirtschaftlichen Größe
aber nur soweit ermittelt, als die Grundstücke im Herzogtum be-
legen sind, so daß also die Zubehörungen diesseitiger Stellen außerhalb
der Grenzen des Herzogtums abweichend von der früheren Fest-
stellung nicht mit erfaßt worden sind; diejenigen Grundstücke aber,
welche nach den fraglichen Nachweisungen Hofbesitzern in benach-
barten nichtbraunschweigischen Gemeinden gehörten und von denen
daher anzunehmen war, daß sie auch von dort aus bewirtschaftet
werden, sind auch jetzt fortgelassen; ob diese letztere Auslassung
beide Male ganz übereinstimmend vorgenommen ist, war nicht näher
nachzuprüfen und muß dahingestellt bleiben. Da bei der zerstückelten
Lage des Herzogtums und der unverhältnismäßig großen Länge
seiner nur wenig durch Natur gesteckten Grenzen das Ueber-
greifen der Höfe über die Landesgrenze eine ziemlich häufige Er-
scheinung ist, so muß sich die verschiedenartige Feststellungsweise
allerdings stärker bemerkbar machen und das Resultat einer Ver-
gleichung beeinflussen; es muß dadurch ein stärkeres Hervortreten
der unteren Größenklassen mit den geringerem Grundbesitz bewirkt
werden, da eine Anzahl von Höfen jetzt nur mit einem Teil ihres
Wirtschaftsareals, also als kleinere erscheinen. Außerdem hatte sich
die frühere Feststellung ganz ausschließlich auf den landwirtschaft-
lichen Privatgrundbesitz bezogen und deshalb die Forstgrundflächen
im Privatbesitz gänzlich außer Betracht gelassen. In die Nach-
weisungen der Grundbuchämter, die Grundlage der jetzigen Erhebung,
waren aber naturgemäß sämtliche in die Grundbücher eingetragenen
Bodenflächen aufgenommen, also auch die Privatforstflächen und zwar
ungesondert von dem übrigen landwirtschaftlich genutzten Grund
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 12
178 F. W. R. Zimmermann,
und Boden; eine allgemeine nachträgliche Ausscheidung der Privat-
forstflächen ließ sich aber nur mit größeren Weiterungen und um-
fangreicherer Arbeit ins Werk setzen, man mußte sich deshalb be-
gnügen, diese Ausscheidung lediglich für die Rittergüter, welche
meist mit bedeutenderem Forstbesitz in Frage kommen, vorzunehmen.
Da aber, abgesehen von denen der Rittergüter, die als Sonderbesitz
ausgeschiedenen Privatforsten der ländlichen Grundbesitzer meist
nur von untergeordneter Bedeutung sind, so wird diese Erhebungs-
verschiedenheit, obgleich sie sich natürlich immerhin bemerkbar
machen kann, doch keinen so hervorragenden Einfluß haben, daß
man deshalb von einer Vergleichung der beiden Resultate überhaupt
Abstand nehmen müßte; der Einfluß wird zudem teilweise den ent-
gegengesetzten des erstberührten Erhebungsunterschiedes ausgleichen,
so daß sich in den Enddaten beide weniger bemerkbar machen.
Alle die vorbezeichneten Unstimmigkeiten zwischen beiden zur
Vergleichung zu bringenden Erhebungsresultaten, wenngleich sie im
einzelnen und für sich nicht als erheblich ausschlaggebende zu be-
zeichnen waren, dürften aber doch in ihrer Gesamtheit bis zu einem
gewissen Grade einen die Vergleichung störenden Einfluß ausüben
können. Dieses muß namentlich bei den Daten über die Gesamt-
flächen in den einzelnen Größenklassen hervortreten, weil hier die
einzelnen Ungleichheiten summiert erscheinen und eine Ausgleichung
im wesentlichen nicht stattfinden kann. Thatsächlich zeigte sich
dieses auch bei den in Vergleich gestellten Flächendaten in höherem
Maße, bei der jüngsten Erhebung war ein nicht unbeträchtlicher
Flächenüberschuß vorhanden, der zu einem immerhin nennenswerteren
Teil sich ursächlich im einzelnen nicht bestimmen ließ. Unter diesen
Umständen glaubten wir davon Abstand nehmen zu sollen bezüglich
der Gesamtflächengrößen der einzelnen Klassen unsere Vergleichung
durchzuführen und hier zur Darstellung zu bringen. Anders ver-
hält es sich aber mit den Daten über die Zahl der in den ein-
zelnen Größenklassen vorhandenen Besitzkomplexe. Hier kann der
Einfluß weniger in Erscheinung treten, und ist auch weniger in Er-
scheinung getreten, auch kann die im ganzen bekannte Richtung
dieses Einflusses bei der Würdigung der Ergebnisse entsprechend
berücksichtigt werden; er tritt auch am hauptsächlichsten gerade in
den untersten Größenklassen hervor, in denen die meisten Besitz-
komplexe vertreten sind und bei welchen es sich immer schon um
verhältnismäßig größere Zahlenmassen handelt. In den Daten über
die Zahl der Komplexe müssen wir deshalb trotz jener Unstimmig-
keiten noch immer ein brauchbares statistisches Material erkennen,
das wir unbedenklich unter den entsprechenden Vorbehalten ver-
werten können; wir glauben dieses aber um so mehr zu sollen, als
das Material für die Beurteilung der von uns berührten Frage an
und für sich ein sehr spärliches ist.
Um die Zahlenangaben hier nach Thunlichkeit zu beschränken,
unterlassen wir es, die früheren und die jetzigen Daten über die
Zahl der Besitzkomplexe in den einzelnen Größenklassen einander
Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum ete. 179
gegenüberzustellen, wir geben vielmehr lediglich das Resultat aus
der Vergleichung der beiden Daten für die einzelnen Klassen. Dabei
ist die frühere Einteilung ‚in die oben schon angeführten 13
Größenklassen beibehalten, weil dieselbe sich für die neueren Daten
unschwer durchführen ließ und für äußere Zwecke auch die Heraus-
hebung einer größeren Anzahl von Klassen sich nur als förderlich
erweisen konnte; zudem ließ sich die in neuerer Zeit allgemeiner
übliche und auch von der Reichsstatistik für die Bearbeitung der
landwirtschaftlichen Betriebsaufnahme angenommene Einteilung in
Parzellenbetriebe (bis zu 2 ha), kleine, mittlere und große Bauern-
wirtschaften (2—5 ha, 5—20 ha, 20—100 ha) und Großbetriebe
(über 100 ha) wegen des Fehlens der Abstufung von 2 ha und 100 ha
in den älteren Daten für eine Vergleichung nicht verwenden. Als
Bezirke sind die Amtsgerichtsbezirke gewählt, weil es zweckent-
sprechend erschien, hier auf die kleinsten Abgrenzungen über den
Ortsgemeinden — diese selbst zu berücksichtigen hätte zu weit ge-
führt — zurückzugreifen; eine Zusammenziehung für die Kreise,
die größeren Verwaltungsbezirke des Herzogtums, dürfte kein all-
gemeineres, sondern lediglich ein lokales Interesse bieten und ist
deshalb unterlassen, nur für das Herzogtum insgesamt ist das Schluß-
ergebnis gezogen. Da die angegebenen Veränderungen immer
doch nach Maßgabe der Gesamtzahl der überhaupt vorhandenen Be-
sitzkomplexe zu bewerten sein müssen, so ist in der ersten Daten-
kolumne diese Gesamtzahl der in den einzelnen Amtsgerichtsbe-
zirken jetzt, also für 1897, festgestellten Besitzkomplexe angegeben.
Die Daten umfassen ausschließlich die ländlichen Grundbesitzungen,
nur die Landgemeinden sind in Rücksicht gezogen, die Städte da-
gegen anßer Betracht gelassen; eine Ausnahme ist nur bezüglich
der jetzigen Stadt Bad Harzburg gemacht, weil dieselbe zur Zeit
der früheren Feststellung noch zu den Landgemeinden gehörte. Be-
rücksichtigt ist ferner nur der Privatgrundbesitz, das Grundeigentum
des Staats, der Gemeinden, Kirchen etc., welches sich im Herzogtum
Braunschweig auf etwa 40 Proz. der Gesamtfläche (vorwiegend durch
den Forstbesitz) beläuft, ist nicht mit in Rechnung gebracht. Die
ländlichen Privatgrundbesitzungen haben aber sämtlich Beachtung
gefunden, auch dann, wenn sie lediglich aus bewohnten Gebäuden
ohne landwirtschaftlich bebaute Fläche bestanden. Gleichzeitig wollen
wir hier aber noch hervorheben, daß sich unter der Gesamtzahl der
landwirtschaftlichen Privatbesitzungen nur 72 nicht bäuerliche be-
finden, darunter 59 Rittergüter; von der Grundfläche im Privatbesitz
entfällt auf die nicht bäuerlichen Besitzungen etwa der 12. Teil, so
daß also das bäuerliche Besitztum stark vorwiegend ist. Wir lassen
nunmehr die Tabelle folgen:
(Siehe Tabelle auf S. 180.)
Wenn wir nun zunächst die Veränderungen in den Größenklassen
an sich, bei der Klasse mit dem größten Grundbesitz beginnend, ein-
zeln ins Auge fassen, so zeigt uns die oberste Klasse mit einem Be-
sitz von mehr als 750 ha keinerlei Veränderung, sie ist übrigens nur
12*
F. W. R. Zimmermann,
180
5 45 Absolute Zahl der Zunahme (+) bezw. Abnahme (—) der ländlichen Besitzkomplexe
A _ #82 0,25 | 1 5 10 | 15 | 20 | 25 | 50 | 75 | 250 | 500 |750 ha
z | Amtsgerichtsbezirk |3 S o| unter | bis | bis | bis | bis | bis | bis | bis | bis | bis | bis | bis | und |Insge-
E & © 0,25 ha! unter | unter | unter | unter | unter | unter | unter | unter | unter | unter | unter | dar- | samt
Eis m 1 ha | 5 ha |10 ha |15 ha|20 ha | 25 ha|50 ha |75 ha [250 ha 500 ha|/750 ba über
D DH SES Ee 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 18 | 14 | 15 | 16 | 17
1 | Riddagshausen lus + 694|+ 178+ 178] — 23| + 28|— 7|+ ge 5|+ 12|+ 2|t+o|-+o|-+ 0 |+ıo61
2 | Vechelde 2156|+ 444/+ 68+ 138) — 30|— 131 — 6|)+ 2|+3ıl+ 3|1+ 3|—: S + 639
3 | Thedinghausen 588|+ 28+ 49+ 38 — 23|+ 4|+ o|[—10|+ "lt zt o S d é + 89
4 | Wolfenbüttel 2093|+ 678 + alt 1|— 55|— 13| E 0o|— 3|+ 6/+ 3/+ Alto . . + 742
5 | Schöppenstedt 1501 |+ 367)+ 157)— 31|— 13|+ Läit 6|— 9|— ıı + ı)+ 2|+ı š è + 482
6 | Salder 2112|+ 492+ 40— 16] — 75|— 12| + 151 + 11|[+ 2|+ 4|+ 2] +o à š + 463
7 | Harzburg (inkl. Bad
Harzburg 1230|+ 557+ mt 60 + o|+ 15|+ Alt 5|+11|+ it? a S + 667
8 | Helmstedt 420 + 61+ 22+ 26[— 1|— 1|— 8j— ı0|)+ 2|+ 2|+ 3|+o . + 96
9 | Schöningen GIE 327)+ 67— 21 —66\— 4|+ 5|— 2|— 18|+ 4|+ 6 S S + Jk 317
10 | Königslutter 1386|+ 272+ 99— 4+ 6|+ 13)— 7|— 5|+13|+ 2|+ o : e + 389
11 | Vorsfelde 1717 + Got 97|+ 305| + Bolt 161 + 6|— 1|— 8|+ 7|+ 7|-ı + 637
12 | Calvörde 592|+ 31+ 25+ 91 + 41|+ 32 + 7|+ 3|— 25|+ 19 + 3| +1: + 228
13 | Gandersheim 1229 + 125 + 66— 57 — 26| + 40|+ 27|— 1|+ 37|+ 6|+ o| +1 + 218
14 | Seesen 1207 |+ 108+ 86+ 5ı— 8|+ 11|[+ 7|+ 10|[+ 16|+ 2|= 2|+o . + 281
15 | Lutter a. Barenberge | 1739 |+ 241|+ 233) + 69 — 24|+ 10[— 3/+ Alt 24|+ 1|+ 2| To! . . [+ 557
16 | Greene 996 + Soit 1383 + 86 — ı9| + 14|— 10|[+ o|+ mit 8|— ı 5 ë + 290
17 | Holzminden (exkl.
Altendorf 994 |+ 105|+ 113]+ 56[+ 9|+ 4|— 4|— 1[— 2 + 1|+ o S j + 281
18 | Stadtoldendorf 1237|+ S1l+ 94|+ 141| + 32|— 13|— 6|+ 2|+ 8|+ 2|— 2| +2 à + 311
19 | Eschershausen 1388 + 190 + 421+ 46, — ıı + 5|— Alt ı|+ 9|+ 3)— ı) +0 à + 281
20 | Ottenstein 636 + "Dt 52+ 4+ 7|+ 4|— 3,— 5|+ o 4 a +1 + 135
21 | Blankenburg 1577 |+ 302|+ 143]+ 60 + 4|— 4|+1ı2|+ 4|— 2|+ oļ— 3 +2 . + 518
22 | Hasselfelde 880|+ melt ot 44 — 2|+ 7|— 4|— 3|+ o A S | e , |+ 267
23 | Walkenried 23 | Walkenried | 773|+ lr 76+ si Bless Sick 0]— x e e À + 183
Herzogtum insgesamt "Herzogtum insgesamt |30 159 |+5523|+ 2087| + 1329| —202 | + 15: —202 | +154 | + 26 | — 4| +103 | + 83 | + 28 | ka | + 1| £ 0 |+9132
Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 181
in einem Amtsgerichtsbezirk vertreten. In die zweite Klasse —
Besitz von 500—750 ha — ist eine Besitzung (Ottenstein) wie deut-
lich ersichtlich aus der vorhergehenden Klasse (mit weniger Grund-
besitz) hineingerückt, die Klasse ist auf diese Weise jetzt bei 2 Amts-
gerichtsbezirken vorhanden. Besitzungen der dritten Klasse mit 250
bis 500 ha kommen schon in den meisten Amtsgerichtsbezirken vor,
nämlich in 15 und nur in 8 nicht; bei 7 von diesen 15 hat eine Ver-
änderung in der Zahl der Besitzkomplexe überhaupt nicht statt-
gefunden ; bei 3 derselben hat sich die Zahl der Besitzungen je um
eine vermindert, der eine Fall (Ottenstein) entspricht dem bei der
vorigen Klasse berührten Zuwachs, bei den beiden anderen (Vechelde,
Vorsfelde) ist je ein Komplex in die untere Klasse zurückgegangen ;
bei 3 Amtsgerichtsbezirken hat die Klasse um je eine, bei 2 um je
2 Besitzungen zugenommen, in den beiden letzteren Fällen (Stadt-
oldendorf, Blankenburg) hebt sich wiederum deutlich der Uebertritt
aus der nächst unteren Klasse ab. Die nächste Klasse von 75 bis
250 ha kommt nur in 3 Amtsgerichtsbezirken nicht vor, bei 4 der
20 vertretenen Bezirke ist sie unverändert geblieben; eine Abnahme
der Besitzungen tritt bei 5 Bezirken in Erscheinung und zwar be-
trägt dieselbe in 2 Fällen je eins, in 2 Fällen je 2, und in einem
Falle 3; bei 2 Bezirken (Stadtoldendorf, Blankenburg) hatten wir die
ganz oder im wesentlichen entsprechende Verschiebung nach oben
schon hervorzuheben, bei einem (Seesen) hebt sich wieder die Ver-
schiebung nach unten in der Zahl der niedrigeren Klasse scharf ab,
während diese Verschiebung nach unten bei den übrigen in dem
stärkeren Zuwachs der niedrigeren Klasse verschwindet; von den
11 Bezirken mit einer Zunahme in dieser Klasse weisen 4 je 2 Be-
sitzungen, 4 je 3 Besitzungen, einer 4, einer 6 und einer 7 Be-
sitzungen mehr auf, ein ständiger oder auch nur annähernder Ausgleich
mit einer der beiden unmittelbar anschließenden Größenklassen findet
bei diesen nicht statt, meist zieht sich eine Bewegung nach oben schon
durch die anschließenden unteren Klassen hindurch. Die vor-
behandelten 4 Klassen müssen wir als den Großbesitz umfassend an-
sehen, wenn auch die niedrigste derselben etwas tiefer als die sonst an-
genommene Großbesitzgrenze hinabgreift, auf 75 ha statt auf 100 ha.
Wenn wir die Veränderungen dieser Klassen insgesamt zusammenfassen,
so können wir dieselben nur als verhältnismäßig unbedeutendere be-
zeichnen. In der größeren Zahl der Bezirke heben sich die Ver-
änderungen ganz oder doch zum wesentlichen in sich oder mit der
unmittelbaren Vorklasse auf, sehen wir von den Veränderungen um
einen Besitzkomplex ab, so haben wir ein Zunehmen der Groß-
grundbesitzungen nur in 10 Amtsgerichtsbezirken (Riddagshausen
um 2, Vechelde um 2, Wolfenbüttel um 4, Schöppenstedt um 3,
Salder um 2, Helmstedt um 3, Schöningen um 6, Vorsfelde um 6,
Calvörde um 4 und Lutter am Barenberge um 2) und eine Abnahme
in einem Bezirk (Seesen um 2) zu verzeichnen. Von einer zu starken
Abnahme des Großgrundbesitzes wird bei der Sachlage unter keinen
Umständen geredet werden können, in dem einen Fall findet die
182 F. W. R. Zimmermann,
Ausgleichung schon in der nächst niedrigeren Klasse statt. Aber ebenso-
wenig ist die Zunahme als eine unverhältnismäßige oder besonders
große anzusehen. Die absolute Zunahmezahl kommt 2mal auf
6, 2mal auf AA 2mal auf 3 und 4mal auf 2, das sind doch an
sich keine bedeutenden Zunahmen. Dabei ist aber noch zu be-
achten, daß bei diesen Zunahmen zum mindesten jene eine der be-
rührten Erhebungsverschiedenheiten sich stärker geltend gemacht
haben wird, nämlich die verschiedenartige Behandlung der Forsten ;
Forsten haben gerade vorwiegend die größeren Besitzungen und
werden deshalb hier durch die bei der neuen Erhebung vorgenommene
Einziehung des Forstbesitzes verschiedentlich Besitzkomplexe in die
höhere Klasse gerückt sein, so daß sich die thatsächliche Verände-
rung noch wesentlich geringer gestalten wird. Nicht zu übersehen
ist auch, daß die Zunahme fast allein auf die niedrigste der 4 Klassen
kommt, über 250 ha hinaus hat sich also die Vergrößerung der
Grundbesitzkomplexe kaum ausgedehnt. Auch die relative Zunahme
kann unter diesen Umständen nicht als eine besonders hervorragende
bezeichnet werden. Vor der gesetzlichen Aufhebung der Verfügungs-
beschränkungen über das ländliche Grundeigentum wurde befürchtet,
daß die unbeschränkte Verfügungsfreiheit zu einer Anhäufung des
Grundbesitzes in wenigen Händen, zu einem zu starken Vorherrschen
des Großgrundbesitzes führen werde; für diese Befürchtung giebt
das in unseren Daten enthaltene Ergebnis des ersten Vierteljahr-
hunderts mit Verfügungsfreiheit jedenfalls keinerlei Anhalt; die an
sich wenig bedeutenden Verschiebungen bezüglich des Großgrund-
besitzes können als eine Vorstufe oder als ein erster Schritt zu einem
sich in ungesunder Weise fortgesetzt verstärkenden Umsichgreifen
des Großgrundbesitzes oder gar als ein Anfang zu einer Latifundien-
wirtschaft hin unter keinen Umständen aufgefaßt werden, dazu bleiben
sie nach jeder Richtung hin in zu geringen Grenzen; durch die
nachgewiesene Entwickelung dürfte daher jener Befürchtung wohl
der Boden entzogen sein. Bemerkt sei übrigens noch, daß die Be-
zirke, in welchen eine Zunahme der Zahl der Großbesitzkomplexe
hervorgetreten ist, gerade wiederum auch zu «denjenigen gehören,
welche sich durch besonders günstige Bodenverhältnisse und starke
landwirtschaftliche Entwickelung (Weizenboden, Rübenkultur) aus-
zeichnen; eine Ausnahme bilden nur die beiden Amtsgerichtsbezirke
Vorsfelde und Calvörde, bezüglich derer aber ein ganz besonderer
Grund für diese und noch weitere Sondererscheinungen bei den-
selben (Gemeinheitsteilungen) vorliegt, worauf wir demnächst noch
kommen werden; auch für die Verschiebung gerade in den Bezirken
mit hoch entwickelter Landwirtschaft werden wir demnächst noch die
Ursache zu erklären haben.
In den folgenden Klassen, von denen die nächsten drei die
eroßen Bauernwirtschaften umfassen, treten trotz des geringen Ab-
stufungsmaßes ungleich größere Zahlen für die Veränderungen in
Erscheinung. Die nächste Klasse mit den Besitzkomplexen von
D vo ha ist in den 3 gleichen Amtsgerichtsbezirken wie die vor-
Die Verfügungsfreiheit über ländliches Gründeigentum etc. 183
behandelte nicht vertreten, in einem Amtsgerichtsbezirke ist sie ohne
jede Veränderung und in den übrigen 19 Bezirken hat sie überall
eine Vermehrung der Besitzkomplexe aufzuweisen, abgesehen von
der niedrigsten Klasse das einzige Mal, daß eine Abnahme für einen
Bezirk gänzlich fehlt. Die Zunahme selbst zeigt eine stärkere Diffe-
renz; in der großen Mehrzahl der Bezirke, nämlich in 12, kommt sie
allerdings nur auf 3 in maximo, in 5 Bezirken überschreitet sie 3,
bleibt aber unter 10, und endlich in den beiden übrigen geht sie
über 10 hinaus bis zu dem Maximum von 19 (Calvörde); es findet
sich also immerhin eine Anzahl beachtenswerterer Zunahmezahlen.
Eine unmittelbare, in den Zahlen übereinstimmende Ausgleichung
mit einer der anschließenden Klassen zeigt sich nur bei einem Be-
zirk, Seesen, wie wir schon bei der vorigen Klasse hervorzuheben
hatten. Für diese Klasse ist also eine unverkennbare und ziemlich
durchgängige Erhöhung der Besitzungenzahl eingetreten, die sich
für das ganze Herzogtum auf 83 beläuft und gegenüber der früheren
Gesamtzahl von 237 auch als erheblich anzusehen ist. Kein so
gleichmäßig nach einer Richtung hin sich bewegendes Bild hat die
folgende Klasse mit den Besitzungen von 25—50 ha aufzuweisen,
in welcher nunmehr aber ebenso wie in sämtlichen weiteren Klassen
alle Amtsgerichtsbezirke vertreten sind. Es sind hier zunächst 2
Amtsgerichtsbezirke, in denen sich die etwaigen Veränderungen nach
beiden Seiten hin ausgleichen. Sodann kommen hier 8 Bezirke
mit einer Abnahme der Besitzkomplexe vor, welche stellenweise schon
auf an sich höhere Zahlen kommt, denn in einem Fall beläuft sie
sich auf 25, in 2 weiteren überschreitet sie 10, je in einem kommt
sie noch auf 4 und 5, während sie in den übrigen auf 3 und
darunter bleibt. Bei der Hälfte dieser Amtsgerichtsbezirke tritt eine
Ausgleichung dieser Abnahme durch eine Zunahme anderer Klassen
ganz oder doch im wesentlichen nach oben hin ein, bei der anderen
Hälfte ist dieses aber nicht der Fall. Bei 13 Amtsgerichtsbezirken,
also bei mehr als der Hälfte, zeigt sich endlich eine Zunahme der
Komplexzahl, welche sich auch zum Teil in höheren Zahlen be-
wegt; 2 Bezirke überschreiten die Zahl 30 mit dem Maximum 37,
einer steht zwischen 20 und 30, 4 zwischen 10 und 20, 3 zwischen
5 und 10 und die übrigen 3 bleiben unter 5; eine auch nur an-
nähernd unmittelbare Ausgleichung mit den nächst anschließenden
Klassen findet bei den Zunahmefällen hier niemals statt. Insgesamt
bei der Zusammenziehung für das Herzogtum überwiegen die Zu-
nahmefälle um 103: ist dieses an und für sich auch eine nicht un-
erhebliche Gesamtvermehrung, so ist sie im Verhältnis doch bei
weitem nicht so stark, wie die der vorbehandeiten Klasse, weil die
Summe der fraglichen Besitzungen sich hier früher auf 1412 belief;
für einzelne Amtsgerichtsbezirke ist allerdings die verhältnismäßige
Zunahme reichlich ebenso stark oder auch stärker, wie die der vorigen
Klasse. Zu den großen Bauernwirtschaften gehören schließlich noch
die Besitzungen von 20—25 ha, deren Klasse aber der vorigen
gegenüber ein ziemlich abweichendes Bild aufzuweisen hat. Die Zahl
184 F. W. R. Zimmermann,
der Bezirke ohne Veränderung ist hier allerdings die gleiche wie
vorher, nämlich 2. Die Bezirke mit einer Abnahme der Besitz-
komplexe bilden dann aber die Mehrheit, wir haben 11 derselben; die
Abnahme selbst kommt aber nicht so hoch, denn das Maximum der-
selben beträgt 10, es zeigt sich in 2 Fällen, 1mal finden wir daneben
noch 9, 2mal 5 und 6mal 3 und weniger; nur vereinzelt tritt eine
unmittelbare Ausgleichung mit einer der beiden anschließenden Klassen
hervor. Auch die Zunahme, welche für 10 Fälle zu konstatieren ist,
erweist sich durchweg niedriger wie vorhin; 11 haben wir einmal
als Maximum, daneben 1mal 10 und 1mal 5, sämtliche übrigen Bezirke
bleiben unter 5; auch hier verwischt sich wie für die Folge über-
haupt durchweg die Ausgleichung mit den nächstliegenden Klassen.
Insgesamt stellt sich hier für das Herzogtum eine Abnahme der frag-
lichen Besitzkomplexe um 4 heraus, eine Abnahme, die im Verhältnis
zu der früheren Zahl der Komplexe von 701 allerdings nur als sehr
gering zu erachten ist.
Wenn wir nun aber wiederum die vorbehandelten 3 Größen-
klassen zusammenfassen und damit ein Resultat für die großen
Bauernwirtschaften ziehen, so läßt sich nicht verkennen, daß die großen
Bauernwirtschaften während unseres Zeitraumes sich im Herzogtum
vermehrt haben, daß in der Verteilung des Grundbesitzes eine Ver-
schiebung zu ihren Gunsten stattgefunden hat. Insgesamt für das
Herzogtum hat sich die Zahl der großen Bauernwirtschaften um 182
gehoben und wenn man hiervon auch einen Teil wegen der Mängel
der Vergleichbarkeit — von diesen werden hier neben der noch
größeren Einfluß habenden verschiedenen Behandlung der Forsten
auch schon die teilweise Lückenhaftigkeit der früheren Erhebung
und die ungleiche Berücksichtigung der auswärtigen Hofzubehörungen
wesentlich in Frage kommen — in Absatz bringt, so wird doch immer
noch eine an sich beachtenswerte Zahl übrig bleiben, welche die all-
gemeine Fortentwicklung nach der vorbezeichneten Richtung hin
außer Frage läßt. Innerhalb der einzelnen Amtsgerichtsbezirke hebt
sich aber doch eine Verschiedenheit in der Entwickelung ab; bei
der größeren Mehrzahl derselben macht sich allerdings die Ver-
schiebung zu Gunsten der großen Bauernwirtschaften geltend; bei
7 derselben zeigt sich eine Zunahme in allen 3 Klassen, bei 6
weiteren überwiegt die Zunahme die vereinzelt und fast durch-
weg nur in der niedrigsten Klasse auftretende Abnahme und zwar
zum Teil nicht unerheblich, bei einem findet nahezu ein Ausgleich
statt und bei 9 macht sich eine Abnahme bemerkbar, welche aber
bei den meisten verhältnismäßig gering ist und eigentlich nur bei
2 Bezirken, die wiederum gerade zu den am meisten entwickelten
gehören, eine größere Bedeutung hat. Uebrigens tritt die Verschiebung
nach oben hin auch innerhalb der Kategorie der großen Bauernwirt-
schaften selbst noch in Erscheinung, denn die niedrigste Klasse der-
selben zeigte ja überwiegend eine Abnahme und sonst nur meist
eine geringe Zunahme, während wir in der höchsten Klasse aus-
schließlich Zunahmen hatten und in der mittleren die Zunahmen
Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 185
ganz wesentlich überwogen und vielfach auch eine ansehnlichere Hühe
erreichten. Ist es aber auch unverkennbar, daß seit der Zulassung
der freien Verfügung über den ländlichen Grundbesitz die Verteilung
desselben sich in etwas zu Gunsten der großen Bauernwirtschaften
verschoben hat, so kann in dieser Entwickelung keineswegs etwas
an und für sich Ungesundes gefunden werden, und namentlich wird
man sie ebensowenig wie die geringe Zunahme des Großgrund-
besitzes als eine Hinneigung zur Latifundienbildung ansehen können,
man wird dieses auch nicht in Verbindung mit jener Zunahme des
Großgrundbesitzes.
Die 3 nächsten Größenklassen bilden die mittleren Bauern-
wirtschaften. Für die sich unmittelbar anschließende Klasse mit den
Besitzkomplexen von 15—20 ha tritt uns ein von der vorher-
gehenden letzten Klasse der großen Bauernwirtschaften nicht sehr
abweichendes Bild entgegen, obwohl das schließliche Gesamtresultat
für das Herzogtum hier mit einem Plus von 26 Komplexen ab-
schneidet; gegenüber den früher gezählten 1004 Besitzungen dieser
Klasse bedeutet das aber ebensowenig eine nennenswerte Verschiebung,
wie die geringe Abnahme der vorhergehenden Klasse. Unter den
einzelnen Amtsgerichtsbezirken haben auch hier die mit einer Ab-
nahme der Komplexzahl das Uebergewicht, wir haben deren 12;
das Maximum der Abnahme kommt hier gleichfalls, wenn auch nur
in einem Falle, bis auf 10, zwischen 5 und 10 stehen 5 und unter 5
6 Bezirke. In 2 Amtsgerichtsbezirken tritt eine Ausgleichung ein,
so daß sie eine unveränderte Besitzungenzahl zeigen. Eine Zu-
nahme weisen demnach 9 Bezirke auf, doch ist diese in einzelnen
derselben besonders hoch, wodurch eben bewirkt wird, daß das Ge-
samtresultat für das Herzogtum mit einer Zunahme abschließt; wir
haben eine Zunahme von 27, 2 zwischen 10 und 20, 5 zwischen
5 und 10 und nur eine unter 5. In der nächsten Klasse der Be-
sitzungen von 10—15 ha macht sich dagegen wiederum ein starkes
Vorherrschen der Zunahme bemerkbar, letzteres kommt in 15 Amts-
gerichtsbezirken in Erscheinung, und zwar fast durchweg in einem
besonders starken Maße, denn das Maximum zeigt die Zahl von 40,
.je ein Bezirk befindet sich sodann zwischen 30 und 40 und zwischen
20 und 30, 7 zwischen 10 und 20, 2 zwischen 5 und 10 und
3 unter 5. Die übrigen 8 Bezirke haben eine Abnahme, welche
sich in 3 Fällen auf 13 erhebt, dann kommt einmal 12, die übrigen
4 Bezirke bleiben unter 5. Insgesamt haben wir die erheblichere
Vermehrung um 154 Besitzungen gegenüber einer Gesamtzahl von
1804 nach der früheren ‚Erhebung, Ganz entgegengesetzt gestaltet
sich aber das Verhältnis in der letzten der 3 Klassen mit den
Besitzkomplexen von 5—10 ha, denn diese Klasse weist die vor-
wiegendste und stärkste Abnahme der Besitzungen auf. Wir sehen
dieses schon in dem Gesamtresultat für das Herzogtum, welches auf
eine Abnahme von 202 Besitzungen kommt; da bei der früheren
Erhebung die Gesamtzahl der Besitzungen dieser Klasse aber auf
3280 festgestellt war, so ist im Verhältnis die Abnahme doch noch
186 F. W. R. Zimmermann,
nicht so stark, wie die in der absoluten zurückbleibende Zunahme
der vorhergehenden Klasse. Besonders groß ist die Abnahme ein-
zelner Amtsgerichtsbezirke; 15 derselben haben hier überhaupt
eine Abnahme, die 3 ersten derselben bringen es auf eine Ab-
nahme von 75, bezw. 66, bezw. 55, dann folgt eine solche von 30,
4 zwischen 20 und 30, 3 zwischen 10 und 20, 4 unter 10. Ueber-
haupt keine Veränderung haben wir bei einem Amtsgerichtsbzirk;
es bleiben sodann 7 mit einer Zunahme, die allerdings auch wieder
bei einzelnen zu absolut hohen Zahlen ansteigt, denn das Maxi-
mum ist 81. daneben kommt noch 41 und 32 vor, der Rest bleibt
jedoch unter 10. Betrachten wir nun die mittleren Bauernwirt-
schaften als solche, so stellt sich als Ergebnis einer Zusammen-
ziehung der 3 Klassen immer noch eine Abnahme heraus, welche
sich für das Herzogtum insgesamt allerdings bis auf 22 ausgleicht
und in dieser Zahl nicht hervorragend erscheint, namentlich auch
gegenüber der früheren Gesamtheit von 6088 Besitzkomplexen. Hierbei
ist aber der Einfluß der Vergleichbarkeitsmängel beider Feststellungen
besonders in Rücksicht zu ziehen; alle diese Mängel wirken, je kleiner
die Besitzungen in den einzelnen Klassen werden, um so schärfer,
so daß man hier schon mit einer wesentlicheren Beeinflussung unserer
Daten rechnen muß; auszunehmen wäre in dieser Beziehung viel-
leicht nur die verschiedenartige Behandlung der Forsten, welche
oben schärfer sich geltend macht; der Einfluß jener Mängel äußert
sich aber im wesentlichen dahin, daß die früheren Daten als zu
niedrig anzusehen sind, dadurch würde hier aber einerseits die ab-
solute Zunahme sich verringern, andererseits die absolute Abnahme
sich aber erhöhen, insgesamt müßte sich also die Gesamtabnahme
als eine wesentlich höhere erweisen. Dementsprechend dürfen wir
es auch als eine nach den Ergebnissen feststehende Thatsache an-
sehen, daß die mittleren Bauernwirtschaften seit dem Bestehen der
Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum zurückgegangen
sind und daß die Vermehrung der Besitzungen, welche wir für den
Großgrundbesitz und für die großen Bauernwirtschaften bereits kon-
statiert haben und welche wir auch für die kleineren Besitzungen
noch zu konstatieren haben werden, in der Hauptsache auf Kosten:
der mittleren Bauernwirtschaften erfolgt ist. Für die einzelnen Amts-
gerichtsbezirke ist auch hier die Gestaltung eine sehr verschiedene;
in 3 Bezirken tritt die Abnahme in sämtlichen 3 Klassen in Er-
scheinung, einer weist zwei Abnahmen und eine Ausgleichung auf,
8 zwei Abnahmen und eine Zunahme, einer wieder eine Abnahme,
eine Ausgleichung und eine Zunahme, 7.eine Abnahme und zwei
Zunahmen, einer eine Ausgleichung und zwei Zunahmen und endlich
2 drei Zunahmen. Ziehen wir ein Endergebnis nach den 3 Klassen
für jeden Amtsgerichtsbezirk, so haben wir 11 Bezirke mit einer
Abnahme und 12 mit einer Zunahme.
Als kleine Bauernwirtschaften sieht man regelmäßig die Be-
sitzungen von 2—5 ha an; diese ließen sich hier nun nicht be-
sonders ausscheiden, weil bei der früheren Feststellung nur die Be-
Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum ete. 187
sitzungen von 1—5 ha zusammengefaßt waren; wir konnten deshalb
hier auch nur diese Größenklasse annehmen. Das Verhältnis der-
selben wird aber doch im wesentlichen als dem für die kleinen
Bauernwirtschaften entsprechend angesehen werden können, wenn
auch der Umstand, daß die niedrigeren Klassen im Verhältnis noch
stärker zugenommen haben, dafür sprechen könnte, daß auch gerade
die Besitzungen von 1—2 ha mehr als die von 2—5 ha sich vermehrt
haben. Die Besitzungen von 1—5 ha weisen nämlich wieder eine
nicht unerhebliche Zunahme auf; für das Herzogtum insgesamt haben
wir jetzt 1329 Besitzungen mehr in dieser Größenklasse, im Vergleich
mit der früheren Gesamtzahl von 6426 gewiß eine beachtenswerte
Zunahme; dieselbe ist ja allerdings durch die Vergleichbarkeitsmängel
um etwas verstärkt worden, muß aber doch auch bei entsprechender
Berücksichtigung dieser noch als ansehnlich bleibend betrachtet
werden. Die Zunahme geht fast durch sämtliche Amtsgerichtsbezirke
hindurch, nur 5 derselben zeigen eine Abnahme, die bei einem bis
auf 57 ansteigt; die Zunahme in dem einzelnen Bezirk beläuft sich
in maximo auf 305 und überschreitet daneben noch in 3 Fällen das
erste Hundert, bleibt dann in 7 Fällen zwischen 50 und 100 und in
5 zwischen 25 und 50, während sie in den beiden übrigen der Aus-
gleichung nahe kommt. Für die kleinen Bauernwirtschaften ist da-
nach also auch eine stärkere Zunahme als vorhanden anzunehmen.
Die Parzellenbesitzungen, soweit sie nicht schon in der vorigen
Klasse mitenthalten sind, haben nochmals eine Teilung in zwei
Klassen erfahren, um diejenigen, bei denen noch von einem ge-
wissen landwirtschaftlichen Betrieb gesprochen werden kann, Be-
sitzungen von 0,25—1 ha, von denen, bei denen dieses nicht der
Fall ist, Besitzungen unter 0,25 ha, zu trennen. Von den kleinen
Bauernwirtschaften ab verstärkt sich die Zunahme der Besitzungen
fortgesetzt nach den geringsten Größenklassen zu, und so ist die
Zunahme der ersten der beiden jetzt noch zu betrachtenden Klassen
größer als die der vorhergehenden, die kleinen Bauernwirtschaften
mit einschließenden, und die Zunahme der zweiten Klasse ist wieder
absolut und im Verhältnis größer wie die der ersten. Für das
Herzogtum insgesamt beläuft sich die Zahl der ersten Klasse, 0,25
—1 ha, um 2087 Besitzungen mehr, die Zahl der niedrigsten Klasse
um 5523 Besitzungen mehr; bezüglich beider Daten kommen aber
wieder die Mängel für die Vergleichbarkeit der beiden Feststellungen
in einem höheren Maße in Betracht und wird man mit Rücksicht
darauf die thatsächliche Zunahme geringer zu bemessen haben. Die
einzelnen Amtsgerichtsbezirke weisen in beiden Klassen sämtlich
eine Zunahme auf, die allerdings wiederum ziemlich verschieden
hoch ist; in der Klasse von 0,25—1 ha ist das Maximum eine Zu-
nahme um 233 Besitzungen, sodann sind 7 Bezirke mit einer Zu-
nahme von 100—200 Besitzungen vorhanden, 9 mit einer solchen
von 50—100, 4 mit einer solchen von 25-50 und endlich 2 mit
einer solchen unter 25, von denen 11 das Minimum bildet; in der
letzten Klasse haben sich 2 Bezirke um mehr als 600 Besitzungen
188 F. W. R. Zimmermann,
(694 bezw. 678) vermehrt, einer um 500—600, 6 um 250—500,
7 um 100—250, 5 um 50—100 und 2 um weniger als 50, unter
denen 28 als Minimum erscheint. Die Parzellenbesitzungen haben
danach an sich die größte Zunahme aufzuweisen. In dieser kann
aber keineswegs der Anfang zu einer überhandnehmenden und
deshalb nachteiligen Ausbildung der Parzellenwirtschaft überhaupt
erblickt werden, der Grad der Zunahme muß vielmehr als durchaus
der allgemeinen und besonderen wirtschaftlichen Entwickelung ent-
sprechend anerkannt werden, wie wir später noch näher nachzu-
weisen haben werden. Jedes Bedenken in dieser Richtung wird aber
wohl schon durch den Umstand entkräftet, daß die Grundfläche, die
jetzt insgesamt im Herzogtum auf die Parzellenwirtschaften ent-
fällt, noch nicht 2 Proz. des gesamten ländlichen Privatbesitzes
ausmacht.
Das allgemeine Endergebnis der nachgewiesenen Verschiebung
besteht danach in einer geringen Zunahme des Großgrundbesitzes,
in einer vortretenderen Zunahme der großen Bauernwirtschaften, in
einer Abnahme der mittleren Bauernwirtschaften, in einer nennens-
werten Zunahme der kleinen Bauernwirtschaften und in einer stärkeren
Zunahme der Parzellenwirtschaften. Betrachtet man nun aber nicht,
wie wir bisher gethan, die einzelnen Größenklassen als solche unter
Berücksichtigung der Amtsgerichtsbezirke innerhalb derselben, sondern
berücksichtigt man in erster Linie die Amtsgerichtsbezirke und inner-
halb dieser wieder die Entwickelung der einzelnen Größenklassen,
so zeigt sich doch eine Reihe beachtenswerter Abweichungen von
jenem eben bezeichneten Endergebnis, was sich am einfachsten daraus,
wie die Abnahme in Erscheinung tritt, zeigen läßt. So ist bei einem
Bezirk, Harzburg, eine Abnahme der Besitzungen überhaupt in keiner
einzigen Klasse vorhanden, eine Erscheinung, welche darin ihre Er-
klärung findet, daß bei den noch vollzogenen Gemeinheitsteilungen
und Separationen größere, bislang der Gemeinheit zugehörige Grund-
flächen den einzelnen Besitzungen zugeschlagen sind, durch welches
Zuwachsen der Uebergang von Besitzungen aus einer niederen Klasse
in eine höhere wesentlich verstärkt und damit wieder ein sonstiger
Ausfall in mittleren und höheren Klassen verdeckt werden mußte.
Lediglich eine an sich nicht sehr erhebliche Abnahme der großen
Bauernwirtschaften bezw. des Großgrundbesitzes (nur Vorsfelde)
weisen Vorsfelde und Calvörde auf, bei denen gleicherzeit eine
stäkere Zunahme der mittleren und kleinen Bauernwirtschaften her-
vortritt; auch dieses an und für sich etwas anormal scheinende Ver-
hältnis ist ebenmäßig auf die Durchführung von Gemeinheitsteilungen
zurückzuführen; bei diesen wurden namentlich größere Flächen von
geringerem Wert den einzelnen Besitzungen zugeschlagen, welche
für eine rationelle Kultivierung die nötigen Mittel nicht besaßen und
sich derselben daher teilweise wieder durch Verkauf an kleinere Be-
sitzer und Anbauer entäußerten. Dem allgemeinen Verhältnis ent-
sprechend allein eine Abnahme der mittleren Bauernwirtschaften
haben lediglich die beiden Bezirke Vechfelde und Lutter am Baren-
Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 189
berge, Salder hat daneben auch noch eine Abnahme der kleinen
Bauernwirtschaften. Eine Abnahme in 2 oder 3 Klassen der mittleren
Bauernwirtschaften und in einer Klasse der großen Bauernwirtschaften
ist die am häufigsten auftretende Erscheinung, wir finden sie bei
Riddagshausen, Wolfenbüttel, Helmstedt, Greene, Stadtoldendorf,
Eschershausen, Hasselfelde und Walkenried ; bei Schöningen verstärkt
sich der Ausfall der großen Bauernwirtschaften daneben noch um
eine Klasse, und auch bei den kleinen Bauernwirtschaften zeigt sich
eine Abnahme. Nur für eine Klasse der mittleren Bauernwirtschaften,
aber für 2 Klassen der großen Bauernwirtschaften bezw. des
Großgrundbesitzes macht sich eine Abnahme bei Holzminden und
Blankenburg bemerklich, ebenso auch bei Schöppenstedt, bei dem
aber auch noch eine Abnahme in den kleineren Bauernwirtschaften
zu verzeichnen ist. Je in einer Klasse der mittleren und der großen
Bauernwirtschaften bezw. des Großgrundbesitzes haben Thedinghausen,
Seesen und Ottenstein abgenommen und endlich je in einer Klasse
der kleinen, der mittleren und der großen Bauernwirtschaften Königs-
lutter und Gandersheim.
Eine weitere Verschiedenheit zwischen den einzelnen Amts-
gerichtsbezirken besteht dann ferner noch bezüglich der Stärke und
des Ausgleichs der Verschiebungen für die einzelnen Größenklassen ;
unter Ausgleich verstehen wir dabei, wenn für eine Anzahl von
Größenklassen von oben herab gerechnet Zunahme und Abnahme
sich insgesamt mit gleichen oder annähernd gleichen Zahlen gegen-
überstehen. So haben wir zunächst bei einer Anzahl von Amtsge-
richtsbezirken einen derartigen Ausgleich bis zu der Klasse von
5—10 ha hin, also zwischen Großgrundbesitz, großen Bauernwirt-
schaften und mittleren Bauernwirtschaften, woneben dann durchweg
noch eine mehr oder weniger erhebliche Zunahme der kleinen Bauern-
wirtschaften und der Parzellenbesitzungen Platz greift; es gehören
hierher Riddagshausen, Vechelde, Lutter am Barenberge, Greene,
Holzminden, Eschershausen, Ottenstein, Blankenburg und Hassel-
felde; diese Bezirke, deren Abnahme und Zunahme insgesamt meist
nur als eine mittelstarke, zum Teil auch als eine geringe zu be-
zeichnen ist, bieten aber unter sich wieder noch Verschiedenheiten,
indem teils die Ausgleichung wesentlich auch schon innerhalb der
mittleren Bauernwirtschaften, der großen Bauernwirtschaften, des
Großgrundbesitzes stattfindet, teils erst durch die Zusammenziehung
der drei Kategorien, und zwar wiederum durch Ueberwiegen bald
hier bald da erfolgt; nach ihrer wirtschaftlichen Qualifikation sind
diese Bezirke nur zu den zweit- oder drittklassigen des Herzogtums
zu zählen. Ein Ausgleich bis zu der Größenklasse von 1—5 ha
hinab, also bis zu den kleinen Bauernwirtschaften, zeigt sich bei
Thedinghausen, Helmstedt und Gandersheim, und zwar bei Theding-
hausen und Helmstedt unter Zunahme, bei Gandersheim, das sich
zudem durch eine besondere Stärke der Verschiebungen auszeichnet,
unter Abnahme der kleinen Bauernwirtschaften; Thedinghausen steht
als Marschland unter den Bezirken vereinzelt da, die beiden anderen
190 F. W. R. Zimmermann,
sind im wesentlichen den zweitklassigen zuzurechnen. Lediglich be-
züglich der großen Bauernwirtschaften und des Großgrundbesitzes
greift bei Vorsfelde und Calvörde der Ausgleich Platz, während bei
den anderen Kategorien durchweg nur Zunahme hervortritt; die Er-
klärung für diese Erscheinung ist schon oben gegeben, sie liegt
eben in der der Ausführung der Gemeinheitsteilungen. Nach einem
Ausgleich nach oben hin zwischen dem Großgrundbesitz und den
großen Bauernwirtschaften mit den mittleren Bauernwirtschaften
verbleibt doch noch ein nicht unwesentlicher Ausfall bei den letzteren
in den Bezirken Wolfenbüttel und Salder, wozu dann bei letzterem
auch noch eine Abnahme der kleineren Bauernwirtschaften hinzutritt;
andererseits zeigt Schöppenstedt einen Ausfall bei den großen
Bauernwirtschaften, dagegen eine Ausgleichung bei den mittleren,
während die kleinen Bauernwirtschaften sich doch wieder vermindert
haben; eine überwiegende Abnahme sowohl bei den großen, wie
bei den mittleren, wie auch bei den kleinen Bauernwirtschaften
gegenüber nur einer Zunahme bei dem Großgrundbesitz weist
Schöningen auf, so daß dort erst eine Ausgleichung in den Parzellen-
wirtschaften stattfindet; bei allen diesen 4 Bezirken treten die Ver-
schiebungen und speciell die Abnahmen einzelner Klassen in ver-
hältnismäßig höheren Zahlen zu Tage; dieselben gehören übrigens
zu den am durchgehendsten erstklassigen Bezirken des Herzogtums.
Trotz vorhandener Abnahme in Klassen sowohl der großen wie der
mittleren Bauernwirtschaften verbleibt bei Königslutter doch auch
für beide Kategorien eine Zunahme, der dann allerdings eine geringe
Abnahme der kleinen Bauernwirtschaften gegenübersteht, während
der Großgrundbesitz überhaupt keine Veränderung erlitten hat; an
wirtschaftlicher Güte reiht sich Königslutter zum Teil an die vor-
behandelten Bezirke an. Abweichend ist wieder das Verhältnis von
Seesen und Stadtoldendorf, welches einen Ausgleich bei dem Groß-
grundbesitz, eine ausschließliche Zunahme bei den großen Bauern-
wirtschaften, eine die vorhandene Abnahme einzelner Klassen doch
überwiegende Zunahme bei den mittleren und endlich auch eine
starke Zunahme bei den kleinen Bauernwirtschaften in Erscheinung
treten läßt; nach der Bodenbeschaffenheit ist Stadtoldendorf zu den
weniger bevorzugten Bezirken des Herzogtums zu rechnen, Seesen
ist in der Beziehung etwas günstiger; bei Seesen erweist sich
übrigens die Zunahme in den oberen, bei Stadtoldendorf die in den
unteren Klassen als besonders stark. In sämtlichen Klassen eine
Zunahme macht sich sodann bei Harzburg bemerkbar, wobei wieder
besondere Verhältnisse (Gemeinheitsteilung und Ablösung, Ent-
wickelung des Hauptortes als Badeort) maßgebend gewesen sind.
Endlich bleibt noch Walkenried übrig, welches in keiner der vor-
handenen Klassen der großen und mittleren Bauernwirtschaften eine
Zunahme, aber allerdings auch nur eine sehr geringfügige Abnahme
hervortreten läßt; die kleinen Bauernwirtschaften haben stärker zu-
genommen; Walkenried zeichnet sich nicht durch eine landwirtschaft-
lich vorteilhafte Bodenbeschaffenheit aus.
Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 191
Gerade diese an und für sich ziemlich bunte Verschiedenheit,
welche bei den einzelnen Amtsgerichtsbezirken nach den einzelnen
Richtungen hin in den Verschiebungen zwischen den Größenklassen
des ländlichen Grundbesitzes hervortritt, dürfte für unsere Frage
über die Wirkung der Aufhebung der früheren Verfügungs-
beschränkungen über ländliches Eigentum von ganz besonderer Be-
deutung sein. Sie zeigt uns eben, daß jene Aufhebung an und für
sich noch keineswegs eine bestimmte Wirkung nach der einen oder
anderen Richtung hin hat oder haben muß. Die Entwickelung nach
Aufhebung der Verfügungsbeschränkungen hat sich in den einzelnen
Bezirken durchaus verschieden gestaltet, sie ist also in erster Linie
durch andere in den allgemeinen und wirtschaftlichen Sonder-
verhältnissen der Bezirke liegende Einflüsse bedingt worden und
nicht etwa wesentlich durch jene Aufhebung. Hätte die letztere
eine derartig starke selbständige Wirkung, wie früher vor Auf-
hebung namentlich von deren prinzipiellen Gegern behauptet worden,
so mußte dieselbe in einer einheitlichen Weise irgendwie bei der
Fortentwickelung durch eine ‚doch längere Spanne Zeit zu Tage
treten; daß dieses geschehen, wird aber unter bewandten Umständen
nicht behauptet werden konnen. Die allgemeinen und wirtschaft-
lichen Einflüsse sind für die Ausgestaltung der ländlichen Grund-
besitzverhältnisse das Ausschlaggebende geblieben und sie müssen
als solches auch prinzipiell anerkannt werden. Nicht zu leugnen wird
dabei allerdings sein, daß die Wirkungs-Fähigkeit und -Möglichkeit
für diese allgemeinen und wirtschaftlichen Einflüsse durch die Auf-
hebung der Verfügungsbeschränkungen über ländliches Grundeigentum
eine freiere und größere geworden ist. Durch die gegebene Freiheit
in der Veräußerung des ländlichen Grundbesitzes konnten die all-
gemeinen und wirtschaftlichen Einflüsse sich unbehindert geltend
machen und so ihrer sozusagen natürlichen Richtung folgen.
Da man die besagten Einflüsse an und für sich von vorn-
herein nicht als nachteilige oder ungesunde erachten kann, so muß
auch ihre Entwickelung nach ihrer natürlichen Richtung hin als
vorteilhaft und nutzbringend erachtet werden. Auf eine Wirkung
würden jene Einflüsse unter allen Umständen hingedrängt haben;
zeigt sich in der ersten natürlichen Richtung derselben ein Hemm-
nis, so wird die Wirkung lediglich nach anderen Seiten hin ver-
schoben und diese Verschiebung wird, vorausgesetzt daß der Ein-
fluß selbst nicht schon auf einer krankhaften Entwickelung beruht,
sich regelmäßig als das wirtschaftlich weniger Vorteilhafte, wenn
nicht direkt Nachteilige erweisen; das praktische Ergebnis in dieser
Beziehung werden wir demnächst noch zu berühren haben. Daß
aber die allgemeinen und wirtschaftlichen Einflüsse es waren, welche
jene Verschiedenheit in der Entwickelung in den einzelnen Amts-
gerichtsbezirken bedingten, geht wesentlich daraus hervor, daß sich
in dieser Verschiedenheit der Amtsgerichtsbezirke die wirtschaft-
liche Qualifikation derselben im allgemeinen mit einer gewissen
Gleichmäßigkeit abhebt; um dieses sichtbar zu machen, haben wir
192 F. W. R. Zimmermann,
die Qualifikation oben durchweg mit hervorgehoben. So tritt in den
Bezirken mit den günstigsten Bodenverhältnissen und der größten
Entfaltung des landwirtschaftlichen Betriebes regelmäßig oder vor-
wiegend die Abnahme der mittleren Bauernwirtschaften in einem
schärferen Maße hervor; diese Abnahme setzt sich sogar mehr oder
weniger stark zum Teil noch in die kleinen Bauernwirtschaften und
die geringeren Klassen der großen hinein fort, während anderer-
seits die großen Bauernwirtschaften oder auch nur die oberen Klassen
derselben, zum Teil auch der Großgrundbesitz und in der anderen
Richtung die Parzellenwirtschaften in entsprechender Weise sich
vermehrt haben. Die mittleren und weniger guten Bezirke lassen
das vorerwähnte Verhältnis, welches allerdings ja auch die all-
gemeine Verschiebung für das gesamte Herzogtum kennzeichnet,
weit weniger ausgeprägt hervortreten; die Parzellenwirtschaften und
meist auch die kleinen Bauernwirtschaften zeigen in der Regel auch
hier eine stärkere Zunahme, die an Bedeutung hinter der der
besseren Bezirke nur wenig oder auch gar nicht zurücksteht, die
Verschiebung nach oben hin ist durchweg nicht so stark, die Aus-
gleichung schon innerhalb der einzelnen Kategorien ist eine größere,
und wenn auch die Verschiebung im ganzen wesentlich auf Kosten
der mittleren Bauernwirtschaften erfolgt, so ist doch deren Gesamt-
rückgang kein so erheblicher, ebenso wie die Zunahme der großen
Bauernwirtschaften — der Großgrundbesitz kommt bei den Ver-
änderungen nur selten in Frage — sich als gerinfügiger im all-
gemeinen erweist. In einem gewissen Grade macht es sich auch
bemerkbar, daß die vorbezeichnete Verflachung der Gegensätze in
den Veränderungen um so stärker wird, je weniger günstig die
Bodenverhältnisse und je weniger entwickelt dementsprechend der
landwirtschaftliche Betrieb in den einzelnen Bezirken sind. Eine
Uebereinstimmung in der Entwickelung findet sich endlich auch in
Bergdistrikten mit der geringsten landwirtschaftlichen Entwickelung;
hier haben wir nach oben hin bei den großen Bauernwirtschaften
eine Abnahme entgegen dem sonstigen Verhältnis, auch bei den
mittleren Bauernwirtschaften zeigt sich zum Teil diese Abnahme,
zum Teil allerdings auch eine Ausgleichung, dagegen haben die
kleinen Bauernwirtschaften und die Parzellenbesitzungen verhält-
nismäßig stark zugenommen. In alledem tritt aber das Vor-
wiegen der Wirkung der allgemeinen und wirtschaftlichen Ein-
flüsse deutlich in Erscheinung; die Aufhebung der Verfügungs-
beschränkungen am ländlichen Grundbesitz konnte an und für
sich die thatsächlich erfolgte und nachgewiesene Verschiebung
in den Größenverhältnissen der ländlichen Besitzungen nicht hervor-
rufen, sie konnte eben den vorbezeichneten Einflüssen nur freien
Raum für eine Wirkung in ihrer natürlichen Richtung schaffen und
hat dieses auch thatsächlich gethan, wie die Verschiedenheit der
Wirkung in den einzelnen Bezirken bei doch vorhandener Gleich-
mäßigkeit nach den wirtschaftlichen Vorbedinguugen erweist. Daß
aber die Wirkung, welche uns unsere Daten anzeigen, gleichfalls
Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 193
eine durchaus günstige und nach Lage der Sache vorteilhafte ge-
wesen ist, daß sie zu irgendwelchen Befürchtungen, wie sie bei
Erlaß des Gesetzes vom 28. März 1874 geltend gemacht wurden,
keinen Anhalt bietet, das wird erhellen, wenn wir jetzt noch die
treibenden Ursachen für die einzelnen nachgewiesenen Erscheinungen
so weit möglich klarzulegen suchen und sie mit der allgemeinen
wirtschaftlichen Entwickelung in Verbindung bringen.
Es sind hier zwei Erscheinungen, deren Ursachen wir nachzugehen
haben, einmal die an sich stärkere Zunahme der Parzellenbesitzungen
und zweitens die Verschiebung innerhalb der Bauernwirtschaften,
welche sich im wesentlichen in einer Abnahme der mittleren und
einer Zunahme der kleinen und der großen Bauernwirtschaften
äußert; den Großgrundbesitz können wir hier außer Betracht lassen,
da seine Zunahme nur eine an sich ganz unbedeutende und außer-
dem nur wenige Bezirke berührende ist und dieselbe von der der
Bauernwirtschaften zahlenmäßig nicht einmal genau abzutrennen
war; wo sich der Großgrundbesitz thatsächlich vermehrt hat, ist
diese Vermehrung genau der der großen Bauernwirtschaften gleich-
zustellen und das, was für diese gesagt wird, kann dort als für
beide Anwendung findend gelten. Beginnen wir mit der Verschiebung
innerhalb der Bauernbesitzungen. Die mittleren Bauernwirtschaften,
zu deren Ungunsten die Entwickelung in dem betrachteten Zeit-
raum erfolgt ist, sind mit ihrem Flächengehalt von 5—20 ha nach
ihrer Bewirtschaftung und Viehhaltung bei einfacherer Landwirt-
schaft und unter normalen Verhältnissen als durchaus lebensfähig
zu erachten und haben sich auch als solche erwiesen; die Bewirt-
schaftung kann hier allerdings nicht mehr durch die engere Familie
des Besitzers erfolgen, sondern bedarf weiterer Arbeitskraft; das
Ganze trifft auch für die im Herzogtum Braunschweig gegebenen
örtlichen Verhältnisse vollauf zu. Nach dem etwa gegen Mitte des
vorigen Jahrhunderts einsetzenden ungemeinen und vielseitigen Auf-
schwung der Landwirtschaft, von dem das Herzogtum Braunschweig
sofort und nachhaltig berührt wurde, dessen Wirkungen sich aber
in weiterem Maße und namentlich in der Richtung auf eine Ver-
schiebung im Besitz wesentlich erst in dem von uns betrachteten
Zeitraum geltend machen konnten, traten aber doch für die mittleren
Bauernwirtschaften manche Schwierigkeiten hervor, die gerade auf
die Größe ihres Areals zurückzuführen waren. Die frühere Spann-
und Arbeitskraft und namentlich die erstere reichte bei der inten-
siven Bewirtschaftung des Grund und Boden, welche wieder vorzugs-
weise durch den im Herzogtum Braunschweig schnell und weit
Verbreitung findenden Zuckerrübenbau bedingt wurde, nicht mehr
voll aus, während andererseits doch bei einer Vermehrung eine
vollständige Ausnutzung vielfach nicht möglich erschien. Dem-
entsprechend lag es in der Natur der Sache, wenn der besser ge-
stellte, kapitalkräftige Besitzer seinen Grund und Boden zu ver-
größern suchte, um die vermehrte Spann- und Arbeitskraft ganz
zur Verwertung zu bringen, wenn dagegen der weniger Begüterte
Dnite Folge Bd. XXI (LVI, 13
194 F. W. R. Zimmermann,
eines Teiles seines Grundbesitzes sich entäußerte, um seiner sonstigen
Bemittelung entsprechend mit der geringeren Spann- und Arbeits-
kraft den Rest nicht nur relativ, sondern vielleicht auch absolut
vorteilhafter zu bewirtschaften wie früher das Gesamte.
In der weiteren Entwickelung wurde dies dann noch durch
drei Umstände verschärft, nämlich durch den zunehmenden Gebrauch
landwirtschaftlicher Maschinen, durch die Verteuerung der Spann-
kraft und endlich durch die Verteuerung und überhaupt schwere
Beschaffung der Arbeitskraft. Mit dem wissenschaftlichen Fort-
schritt in der Landwirtschaft ging der technische bald Hand in Hand,
der Gebrauch der in großer Zahl und zu den verschiedensten Ver-
richtungen neu erfundenen oder wesentlich verbesserten landwirt-
schaftlichen Maschinen wurde immer ausgedehnter und für den
Einzelnen, auch den kleineren Landwirt, immer notwendigerer, denn
der Nutzen der Maschinenverwendung war so wesentlich und so-
fort fühlbar, daß mit dem sie richtig Verwendenden nur schwer in
Konkurrenz zu treten war; die leistungsfähigeren Maschinen (Be-
trieb durch Spannkraft) waren nun aber regelmäßig für größeres
Areal berechnet, die geringeren (Handbetrieb) dagegen nur für
kleine und ganz kleine Wirtschaften; für die mittleren Bauern-
besitzungen konnten aber wiederum deren Flächengröße entsprechend
nur die ersteren in Frage kommen, aber die an und für sich höheren
Beschaffungskosten machten sich nicht in der Weise wie bei einem
größeren Areal bezahlt, für welches dieselbe Maschine noch aus-
reichend gewesen wäre. Bezüglich der Beschaffung der Spannkraft
war man jetzt fast gänzlich auf den Ankauf angewiesen, denn die
eigene Aufzucht, die bei den einfacheren Wirtschaftsverhältnissen,
den großen Gemeinheitsflächen, dem gemeinschaftlichen Weide-
gang etc. ohne wesentlichere Unkosten und Weiterungen erfolgte,
ließ sich bei der intensiven Wirtschaft, welche sich an Gemeinheits-
teilung und Ablösung anschloß, nicht mehr in der früheren Weise
durchführen; dabei steigerten sich aber die Preise für das Spann-
vieh, für die Pferde sowohl wie für die Ochsen, in einem nicht un-
erheblichen Grade, so daß um so mehr eine Veranlassung gegeben,
bei der Beschaffung nicht über das Notwendigste hinauszugehen,
bezw. über das, was man auch wirklich voll auszunutzen imstande
war. Das Wesentlichste bildete jedoch die Beschaffung der Arbeits-
kraft, welche ja schon an sich zu den Hauptschwierigkeiten der
Landwirtschaft in der Neuzeit gehört, sich aber bei den mittleren
Bauernbesitzungen in besonders scharfer Weise geltend machte;
denn die Besitzer mittlerer Bauernhöfe waren, wie schon gesagt,
für ihren Betrieb fremder Hilfe benötigt, die Schwierigkeit, diese
Hilfe überhaupt zu beschaffen, und der steigende Lohn, der dafür
zu zahlen, kommt daher für sie ebenso wie für die großen Wirt-
schaften in Frage und muß an sich schon auf eine Beschränkung und
auf Vermeidung einer nicht vollen Verwertung hinwirken; dazu
kommt dann aber noch der für die mittleren Bauernhöfe so be-
sonders empfindliche Verlust der früheren billigen Arbeitskraft;
Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum ete. 195
bevor der große die Neuzeit beherrschende Zug vom Land in die
Stadt einsetzte, verblieben die nicht heiratenden jüngeren Ge-
schwister des Hofannehmers fast durchweg im Hofe, sie erhielten
aus den Einkünften desselben alle ihre Lebensbedürfnisse und setzten
dafür auch ihre Arbeitskraft für den Hof ein, der eine bare Auszahlung
der Abfindungen an sie nur selten zu leisten hatte; in der neueren
Zeit wenden sich aber die jüngeren Kinder gleicherweise der Stadt
zu, woselbst sie sich mit ihren Abfindungen, die nunmehr aus-
bezahlt werden müssen, eine angenehmere und selbständige Stellung
verschaffen können, Militärzeit und Gesindedienst bilden dabei viel-
fach den Uebergang; gerade diese Veränderung stellt sich aber als
eine sehr empfindliche und die Leistungsfähigkeit stark beein-
trächtigende Belastung der mittleren Bauernwirtschaften dar; wenn
sie in gewisser Weise auch bei den anderen Bauernhöfen Platz
greift, so ist sie doch bei diesen keineswegs von derselben Trag-
weite, wie wohl nicht näher erörtert zu werden braucht.
Alle diese Einwirkungen, die vorzugsweise in dem von uns be-
trachteten Zeitraum zur vollen Entfaltung kamen, wurden dann aber
wiederum noch verstärkt, als die ganze Lage der Landwirtschaft
sich zu einer weniger günstigen gestaltete, was ja wiederum unser
Zeitraum umfaßt. Brauchte in den guten Zeiten, welche für den
Haupteil des Herzogtums Braunschweig, vorzüglich vermöge der
reichen Erträgnisse aus dem Zuckerrübenbau, unbedenklich auch als
sehr gute bezeichnet werden können, nicht so ängstlich mit den Auf-
wendungen gerechnet zu werden, so mußte dieses naturgemäß aber
immer mehr und mehr geschehen, als die Einkünfte aus dem Grund
und Boden sich mehr und mehr verringerten. Jetzt geboten die
Verhältnisse an sich schon ein sparsames Wirtschaften in jeder Be-
ziehung und so mußte auch eifrigst darauf gesehen werden, daß
alles, was der Grund und Boden bot, und alles, was zu dessen Be-
wirtschaftung beschafft und gehalten werden mußte, voll zur Aus-
nutzung kam. Während früher, und namentlich als noch die auf
dem Lande nie hoch in Anschlag gebrachten Naturalleistungen aus
dem Hofe die weitaus wesentlichste Aufwendung dafür bildeten, das
Halten einer nicht voll zur Ausnutzung kommenden Spann- oder
Arbeitskraft nicht besonders beachtet wurde, mußte es jetzt als eine
an sich zu vermeidende Luxusausgabe angesehen werden, und man
bestrebte sich immer mehr Spann- und Arbeitskraft lediglich mit
dem äußersten Bedürfnis der Wirtschaft in Einklang zu bringen.
Da man aus demselben Bestreben auch die Anschaffung von Maschinen,
welche ihrer Leistungsfähigkeit nach für einen größeren Grundbesitz
bestimmt waren, vermeiden mußte, so war für die sämtlichen drei
Einwirkungen durch die ungünstigen Verhältnisse der Landwirtschaft
eine Verschärfung bedingt. Dazu kamen dann auch wohl noch
einzelne durch die Zeitverhältnisse gegebene Veränderungen, welche
gerade die mittleren Hofbesitzer vielleicht am wesentlichsten betrafen
und zu Schwierigkeiten, wenn auch geringeren Grades, für dieselben
Veranlassung geben konnten, so beispielsweise die Umgestaltung in
13*
196 F. W. R. Zimmermann,
der Viehhaltung durch Aufhebung der gemeinschaftlichen Weiden etc.
und die größere Geldwirtschaft, welche wir schon bei Erwähnung
der Gespannbeschaffung und der Auslohnung der Arbeitskraft zu
berühren hatten. Alle diese Verhältnisse übten einen größeren Druck
auf die mittleren Bauernwirtschaften aus, und dem ist es wiederum
zuzuschreiben, daß die Besitzer ihren Besitz in der Weise aufgaben,
daß sie denselben je nach ihrer sonstigen materiellen Lage zu ver-
kleinern oder zu vergrößern suchten, wodurch dann jene von uns
konstatierte Abnahme der Kategorie der mittleren Bauernwirtschaften
in Erscheinung treten mußte.
Um aber Mißverständnissen vorzubeugen, müssen wir uns hier
ausdrücklich noch dagegen verwahren, daß den vorbehandelten Ein-
wirkungen eine allzu große Tragweite beigemessen werde. Wir haben
im Vorstehenden absichtlich nur von „Schwierigkeiten“ gesprochen
mit dem Nebengedanken, daß Schwierigkeiten als solche sich regel-
mäßig in der einen oder der anderen Weise überwinden lassen. Wir
mußten diese Schwierigkeiten besonders betonen, weil wir sie als
Ursache für die von uns beobachtete Verschiebung in den Größen-
verhältnissen des ländlichen Grundbesitzes anzusehen haben. Es
darf daraus aber keineswegs gefolgert werden, daß diese Schwierig-
keiten von so wesentlicher Bedeutung seien, um eine Gefährdung
des Bestandes der mittleren Bauernwirtschaften überhaupt als mög-
lich erscheinen zu lassen. So liegt die Sache keineswegs. Jene
Verschiebungen insgesamt sind ja, wenn wir sie mit der Gesamtzahl
der mittleren Bauernwirtschaften in Vergleich bringen, keineswegs
so hervorragende, selbst bei Berücksichtigung des Umstandes, daß
eine Umgestaltung in den ländlichen Besitzverhältnissen sich regel-
mäßig nur in längeren Zeiträumen zu vollziehen pflegt. Wäre die
Lebensfähigkeit der mittleren Bauernwirtschaften als solche ge-
fährdet, so würde eine weit größere durchgängigere Abnahme der-
selben in dem mehr als Vierteljahrhundert sich gezeigt haben. Die
berührten Schwierigkeiten ließen sich bei einiger Energie auch ander-
weitig überwinden, ohne daß eine Veränderung in dem Landbestande
des Hofes einzutreten brauchte, letzteres bildete ein Auskunftsmittel
wesentlich nur da, wo einerseits eine günstige Gelegenheit für jene
Veränderung sich bot, andererseits der Besitzer selbst finanziell oder
in sonstiger Weise zerrüttet war. Es gab ja auch eine Reihe ander-
weiter Mittel, um jenen Schwierigkeiten zu begegnen, wir heben
nur die Nutzung der Spann- und Arbeitskraft außerhalb der Land-
wirtschaft durch Fuhren, wofür die auch auf dem Lande sich ent-
wickelnde Industrie und ebenso auch der stets wachsende Verkehr
in mannigfacher Weise Gelegenheit bot, und den Anbau von be-
sonderer Arbeitskraft bedürfender Gewächse, wie Spargel, Konserven-
gemüse, Tabak etc., hervor. Die Möglichkeit jener anderweiten Mittel
war natürlich in den einzelnen Bezirken wiederum in einem ver-
schiedenen Maße gegeben, und daraus erklärt sich zum Teil auch
wieder die Verschiedenheit der einzelnen Bezirke, welche wir zu be-
rühren hatten; dieses im einzelnen näher nachzuweisen würde uns
Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum ete. 197
hier aber zu weit führen. Die einzelnen Ursachen, welche wir als
auf die Abnahme der mittleren Bauernwirtschaften hinwirkend an-
zugeben hatten, machten sich bezüglich der kleinen und großen
Bauernwirtschaften nicht geltend und dadurch rechtfertigt sich schon
so wie so die konstatierte Zunahme beider. Die Spann- und Arbeits-
kraft konnte bei beiden vollständig ausgenutzt werden, und ebenso
stand es mit den zu beschaffenden landwirtschaftlichen Maschinen;
bei den kleinen Höfen kam ja alles dies nur in beschränktem Maße
in Frage, eine volle Ausnutzung der gegebenen Mittel mußte aber
doch einen günstigen Einfluß ausüben; bei den großen Bauernwirt-
schaften ist dann die in weiterem Umfange vorhandene Anwendbar-
keit landwirtschaftlicher Maschinen noch von besonderer Bedeutung,
andererseits ist der Wegfall der Mitarbeit der Hofangehörigen hier
von geringem Einfluß, denn diese Mitarbeit war stets nur eine
weniger erhebliche und konnte der größeren Gesamtarbeitskraft
gegenüber nicht so zu Buche schlagen. Daneben kommt dann für
die kleinen Bauernwirtschaften der gesteigerte Anbau der gerade
für diese Wirtschaftskategorie besonders geeigneten Gewächse hinzu,
so der Spargelbau, der feldmäßige Anbau von Gemüsen für die
Konservenfabriken etc.; die besonders hohen Zunahmezahlen einzelner
Bezirke, wie Riddagshausen, Vechelde sind hierauf zurückzuführen.
Die großen Bauernwirtschaften andererseits erwiesen sich nament-
lich als für den Zuckerrübenbau besonders ausgestaltet, und daher
haben wir auch für diejenigen Bezirke, in welchen dieser Anbau vor-
zugsweise blüht, wie Schöningen, Salder, Schöppenstedt etc. vor-
zugsweise eine Verschiebung nach oben zu verzeichnen gehabt.
Unter diesen Umständen muß aber die zunehmende Entwickelung
der beiden Grundbesitzkategorien durch die wirtschaftlichen Ver-
hältnisse vollauf begründet erscheinen.
Als zweite Erscheinung kommt dann die stärkere Zunahme der
Parzellenbesitzungen in Betracht. Hierzu müssen wir zunächst noch
einen thatsächlichen Umstand von einschneidender Wichtigkeit näher
nachweisen, nämlich den, daß es sich bei dieser Zunahme der Par-
zellenbesitzungen um eine Vermehrung lebensfähiger und in sich
selbst abgeschlossener Besitzungen handelt, um Besitzungen, die auch
mit Gebäuden ausgestattet sind und so als selbständige, abgerundete
Größen für den Unterhalt und die Unterkunft einer Familie in der
Volkswirtschaft in Erscheinung treten, und nicht etwa um Zer-
stückelungen von Grund und Boden in kleine Teile, welche von
Mietsleuten mehr oder weniger unselbständig zur Bewirtschaftung
kommen. Es zeigt sich dieses aus der Zahl der Neuanbauten
(Neubegründung einer selbständigen Besitzung), welche in den Land-
gemeinden des Herzogtums vorgekommen und schon seit längerer
Zeit für jedes Jahr speciell behördlich nachgewiesen sind; diese
Zahl stellte sich für die in Frage kommende Zeit von 1861—1896
einschließlich bei den einzelnen Amtsgerichtsbezirken folgender-
maßen:
198 F. W. R. Zimmermann,
Riddagshausen 1075 Gandersheim 226
Vechelde 530 Seesen 192
Thedinghausen 96 Lutter am Barenberge 403
Wolfenbüttel 714 Greene 237
Schüppenstedt 599 Holzminden 213
Salder 461 Stadtoldendorf 219
Harzburg 502 Eschershausen 186
Helmstedt 110 Ottenstein 110
Schüningen 332 Blankenburg 347 -
Königslutter 324 Hasselfelde 203
Vorsfelde 503 Walkenried 129
Calvörde 125 Herzogtum insgesamt 7836
Diese Zahlen entsprechen fast genau der Zunahme der Parzellen-
besitzungen in den einzelnen Amtsgerichtsbezirken, wobei die Größen-
klasse von 1—5 ha entsprechend noch mit zu berücksichtigen ist.
Die Gesamtzahl der Neuanbauten im Herzogtum beläuft sich auf
7836, oben haben wir als Zunahme der Besitzungen mit weniger
als 0,25 ha 5523 und der mit 0,25—1 ha 2087 festgestellt, das
macht zusammen 7610, es muß also noch etwas von der nächsten
Klasse mit einer Zunahme von 1324 zum Ausgleich hinzugenommen
werden, wie solches aber auch der Natur der Sache entsprechen
dürfte. Berücksichtigt man einerseits, daß von den Neuanbauten
immerhin ein Teil als Ersatzbau für vorhandene Stellen oder als
Zubehörbau zu anderen Höfen errichtet ist und andererseits, daß
die Zahlen über Zunahme der Besitzungen wegen der Vergleich-
barkeitsmängel als zu hohe anzusehen, so wird man doch daran
festhalten müssen, daß zwischen den Neuanbauten und der Zunahme
der Parzellenbesitzungen im wesentlichen ein übereinstimmendes
Verhältnis vorhanden ist. Es ist dadurch aber der Nachweis für
unsere obige Behauptung erbracht, daß es sich bei der Zunahme der
Parzellenbesitzungen ziemlich ausschließlich um Besitzungen mit
Wohngebäuden handelt, welche in sich ein selbständiges wirtschaft-
liches Ganzes bilden und für die Familie nicht nur Unterkunft, sondern
vielfach auch Unterhalt oder wenigstens einen Teil des Unterhalts
bieten. Es zeigt sich daraus aber auch noch ein Ferneres, nämlich
das, daß die stärkere Zunahme der Parzellenbesitzungen gleichfalls
ziemlich ausschließlich auf vollkommenen Neubegründungen von
ländlichen Besitzungen beruht und daß sie nur in einem ganz unter-
geordneten Maße durch eine Hofzerschlagung und Verbleib der Hof-
stätte mit keinem oder nur ganz geringem Landzubehör entstanden
sein kann. Beide Umstände als solche müssen aber schon darauf
hindeuten, daß die Parzellenbesitzungenzunahme wirtschaftlich als
eine gesunde und damit auch vorteilhafte aufzufassen ist.
Die treibende Ursache für die starke Zunahme der Parzellen-
besitzungen ergiebt sich sodann leicht, es ist die gewaltige Ent-
wickelung der Industrie im allgemeinen und daneben das immer
stärker werdende Vordringen derselben auch auf dem Lande. Daß
dadurch eine bedeutende und in die Augen springende Wirkung ge-
geben sein muß, liegt wohl auf der Hand und ebenso auch, daß die
Wirkung gerade in einem Distrikt, in welchem wie im Herzogtum
Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 199
Braunschweig im wesentlichen günstige Verhältnisse für diese Ent-
wickelung vorhanden sind, von besonderer Stärke sich gezeigt
haben muß. Zunächst mag es vielleicht sonderbar und befremdlich
erscheinen, wenn wir die Industrie als Förderin der kleinen Be-
sitzungen auf dem Lande hinstellen, denn sonst hören wir ja stets,
daß gerade die Industrie es ist, welche die Bevölkerung dem Lande
entzieht und in den Städten in stets steigender Weise zusammen-
drängt. Ebenso wie letzteres unbestreitbar richtig ist, ebenso steht
es aber auch mit unserer Angabe. Vom Lande weg hat die In-
dustrie wesentlich die eigentliche Arbeiterbevölkerung geführt,
andererseits hat sie sich aber selbst gleichzeitig auch auf dem Lande
immer mehr ausgebreitet und entwickelt; in den Bevölkerungszahlen
tritt der erstere Umstand, weil es sich bei ihm um größere Massen
handelt, viel schlagender hervor und muß mit seiner Wirkung die
Wirkung des anderen Umstandes nicht nur ausgleichen, sondern
noch ganz wesentlich überragen, weshalb er auch in der Regel nur
bei der Bevölkerungsentwickelung hervorgehoben wird. Das Vor-
dringen der Industrie auf dem Lande hat sich daneben aber eben-
mäßig stetig vollzogen und zwar in der Hauptsache gerade in dem
von uns betrachteten Zeitraum; es geschah in einer zweifachen
Weise. Mit Einführung der Gewerbefreiheit waren die Schranken
gefallen, welche früher für Industrie und Gewerbe sowie auch für
den Handel, welcher hier ebenmäßig mit in Betracht kommt, auf dem
Lande bestanden hatten; nach der Natur der Sache mußte sich bei
Wegfall der alten Beschränkungen schon an sich eine freiere und
kräftigere Entwickelung geltend machen. Diese Entwickelung wurde
dann wesentlich noch durch den gleichzeitigen mächtigen Empor-
schwung der Landwirtschaft vornehmlich in Folge des Zuckerrüben-
baues gefördert, es wurde dadurch teils die Kaufkraft, teils das Be-
dürfnis und der Anspruch wesentlich gesteigert, so daß dem Hand-
werker und Händler auf dem Lande der Boden für eine lebens-
fähige Existenz vollauf gegeben war; die Annehmlichkeit und der
Nutzen, seine Bedürfnisse für Haus und Wirtschaft im eigenen
Orte sich verschaffen zu können, wurde auf dem Lande immer mehr
erkannt und sicherte den sich auf dem Lande Niederlassenden sofort
eine feste ausreichende Kundschaft. Und so kam es denn, daß
wesentlich zur Befriedigung der örtlichen Bedürfnisse sich Industrie,
Gewerbe und Handel in immer ausgedehnterem Maße in den Land-
gemeinden festsetzten. Es handelt sich dabei fast ausschließlich
um selbständige und materiell besser gestellte Elemente, welche
teils schon aus diesem Grunde, theils aber auch weil ihr Berufszweig
dieses so wie so erforderte, für sich, ihre Familie und ihren Betrieb
sich eine eigene Unterkunft begründen mußten, die auf dem Lande
in der Regel nur durch Neuanbau zu erreichen stand. Wie erheblich
der Einfluß dieses Vordringens der Industrie etc. auf dem Lande
im Herzogtum Braunschweig gewesen, muß jedem sofort in die
Augen fallen, der den früheren Zustand gekannt und jetzt die Ort-
schaften durchwandert, er wird staunen über die Fülle von Gewerbe-
200 F. W. R. Zimmermann,
betrieben und Läden — in der Regel verbindet ein Handwerks-
meister mit seinem Handwerk einen Handel mit den bezüglichen
fabrikmäßigen Erzeugnissen —, welche man früher auf dem Lande
vergebens gesucht haben würde. Natürlich äußert sich dieses in den
verschiedenen Bezirken wieder verschieden, in den reicheren tritt
es schärfer zu Tage als in den weniger begünstigten, bei den letzteren
kommt die zweite Art des Fortschreitens der Industrie auf dem
Lande zum Teil mehr in Frage. Bei dieser Art handelt es sich
wesentlich um die Großindustrie. Nachdem die Großindustrie zu-
vörderst weitaus vorwiegend in den Städten sich zu hoher Entfaltung
emporgeschwungen hatte, ging sie zum Teil doch auch auf das Land
über, weil hier die ganze Anlage eines größeren Etablissements
speciell die Beschaffung des nötigen Areals mit geringeren Kosten
verknüpft war; der gesteigerte Verkehr mit seinem über das ganze
Land verzweigten Netze und die günstige Verkehrslage mancher
kleinen Ortschaften erleichterte solches ganz wesentlich. Die so auf
dem Lande entstandenen größeren gewerblichen Etablissements
mußten dann aber auch in irgend einer Weise für die Unterkunft
ihres Beamtenpersonals und ihrer Arbeiter Sorge tragen; wurden
letztere auch vielfach in Kasernements untergebracht, so zeigte sich
doch auch schon früh das Bestreben, durch gute Wohngelegenheit,
durch Verschaffung von Hauseigentum die Arbeiter dauernd an das
Etablissement zu fesseln; für das höhere Personal war letzteres noch
mehr geboten, auch war dasselbe vielfach in der Lage, sich selber
den nötigen Besitz zu schaffen. So lag es wiederum nur in der
Natur der Sache, daß in den von der Großindustrie berührten länd-
lichen Gemeinden sich Neuanbauten und kleine ländliche Besitzungen
bildeten. Die stärkere Zunahme der Parzellenbesitzungen wie die
der Neuanbauten wird aus dieser Ursache völlig erklärt.
In erster Linie werden allerdings für die auf dem Lande fort-
schreitende Industrie Besitzungen mit einem ganz geringen Areal —
etwas Grund und Boden muß wohl stets neben den Gebäuden vor-
handen sein, da das Haushaltsbedürfnis an Gemüsen, Früchten etc.
meist selbst zu beschaffen ist — in Betracht kommen, und dem ent-
spricht es auch, daß die Besitzungen mit weniger als 0.25 ha sich
weitaus am meisten vermehrt haben. Namentlich bei dem erst be-
rührten Eindringen von kleiner Industrie, Handwerk und Handel
wird aber vielfach auch ein landwirtschaftlicher Nebenerwerb sich
finden, weil der Industrie- etc.-Betrieb Zeit dafür übrig läßt und
eventuell im Anfang auch noch nicht ein volles Erträgnis für den
Familienunterhalt abwirft; auch sonst ist für die in der Industrie
auf dem Lande Thätigen die Gelegenheit zur nebenberuflichen Aus-
übung der Landwirtschaft leicht gegeben und wird häufig von den-
selben ergriffen werden. Es zeigt uns dieses auch das Ergebnis
der deutschen Berufszählung vom 14. Juni 1895, nach welchem die
Landwirtschaft weitaus am meisten (zu 75 Proz. der Nebenberufe
überhaupt) als Nebenberuf ausgeübt wird und zwar vorwiegend
wiederum von selbständigen Erwerbsthätigen; andererseits gehören
Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 201
aber von den in der Landwirtschaft nebenberuflich Thätigen im
Herzogtum Braunschweig ihrem Hauptberuf nach gleichfalls bei
weitem die meisten der Industrie an, denn von den die Landwirtschaft
als Nebenberuf Ausübenden im Herzogtum entfallen nach ihrem
Hauptberuf 14565 auf die Industrie, 3000 auf Handel und Verkehr
und 4761 auf Landwirtschaft etc. Mit diesen Daten steht aber die
Vermehrung der oberen Klassen der Parzellenbesitzungen in vollem
Einklang, denn selbstredend wird eine nebenberufliche Ausübung
der Landwirtschaft auf eigenem Grund und Boden nur einen kleineren
Teil der vorbezeichneten Fälle umfassen können. Für die Beur-
teilung im ganzen dürfte es noch von Wert sein, das Verhältnis
des Herzogtums dem Reich gegenüber bezüglch des landwirtschaft-
lichen Nebenberufs hervorzuheben; es ist dieses als ein durchaus
normales und keineswegs extremes zu betrachten, von 100 Erwerbs-
thätigen und berufslosen Selbständigen des Herzogtums haben 12,89
einen Nebenerwerb in der Landwirtschaft; mit diesem Satze (das
Maximum beträgt 26,06, das Minimum 0,26, der Reichsdurchschnitt
10,57) steht das Herzogtum unter den 41 ausgeschiedenen Bezirken
(preußische Provinzen, bayerische Regierungsbezirke, sonstige Staaten)
an 15. Stelle, also zu Beginn des zweiten Drittels, es bleibt dabei
hinter den benachbarten preußischen Provinzen Hannover (16,58;
11. Stelle) und Sachsen (17,57; 6. Stelle), sowie hinter dem sonst
vergleichbaren Anhalt (17,08; 8. Stelle) sogar noch zurück; nach
diesen Daten ist eine dem allgemeinen Verhältnis entsprechende
und daher gesunde Ausgestaltung in fraglicher Beziehung anzu-
nehmen.
Auf die Vermehrung der Parzellenbesitzungen sind neben
der allerdings ganz vorherrschenden Einwirkung des Vordringens
der Industrie auf dem Lande vielleicht auch einzelne besondere
Nutzungsarten des Grund und Bodens, die sich in unseren Zeitraum
mehr entwickelt haben, von einem wenn auch nur geringerem Ein-
fluß gewesen. Verschiedentlich hat sich ein erweiterter, aber immer
noch mehr gartenmäßiger Anbau von Gemüsen und Früchten her-
ausgebildet, der seine Erzeugnisse vermöge der Ausdehnung und
Erleichterung des Verkehrs vorteilhaft nach außen absetzen kann;
auch Blumen-, Samen, und Baumzucht hat sich in ähnlicher Weise
entwickelt. Durch die zahlreich entstandenen Konservenfabriken ist
wiederum in einer Anzahl von Bezirken auf einen feldmäßigen An-
bau von Gemüsen hingewirkt worden, der sich aber schon mit Rück-
sicht auf die erforderliche intensivere Arbeit besonders vorteilhaft
für kleinere Flächen durchführen läßt und daher den Parzellenwirt-
schaften günstig ist, die hier die eigene Arbeit und die der Familie
einsetzen können. Ganz ähnlich verhält es sich auch mit dem
Spargelanbau, der trotz seiner schon vorhandenen großen Aus-
dehnung im Herzogtum noch fortgesetzt wächst und in immer
weitere Bezirke übergreift. Der Tabakanbau, welcher aber in einiger
Ausdehnung nur für den Bezirk Calvörde in Frage kommt, ist
zwar der Gesamtfläche nach schon vor und auch während unseres
202 F. W. R. Zimmermann,
Zeitraumes erheblich zurückgegangen, die Zahl der Pflanzer hat sich
aber in der fraglichen Zeit trotz mannigfachem Schwanken im all-
gemeinen gehoben, da jetzt lediglich Parzellenbetriebe den Tabak-
bau betreiben. Alle diese einzelnen Umstände haben insgesamt
doch einen gewissen Einfluß auf die Vermehrung der Parzellen-
betriebe, für welche sie günstige Unterlagen schafften, ausgeübt;
sie machen sich aber nur in bestimmten Bezirken geltend und recht-
fertigen hier bis zu einem gewissen Grade die stärkere Zunahme
speciell der beiden oberen Klassen der Parzellenbetriebe. Bezüglich
der niedrigsten Klasse der Parzellenbesitzungen haben wir schließlich
noch einen Umstand anzuführen, der auch mit zu ihrer Vermehrung
beigetragen haben muß, aber nur in beschränkterer Weise Als
Naturalunterstützungen aus dem Kammergute wurden seit langer
Zeit Brennholzunterstützungen vom Herzogl. Staatsministerium ver-
teilt, die aber seit Mitte des 19. Jahrhunderts lediglich in Geld
gewährt wurden und damit ihre eigentliche Bedeutung verloren ;
im Jahre 1876 wurde die Unterstützungverteilung eingestellt und
die dadurch zur Verfügung kommende Summe (5400 M.) zur Be-
willigung von Bauprämien ausgesetzt; eine Prämie sollen die dem
Arbeiterstande angehörenden Bauenden in den Landgemeinden er-
halten, welche für sich bezw. für Mieter ihres Standes zweck-
entsprechende gute Wohnungen bauen; in erster Linie soll dabei
die gute Leistung prämiiert werden, bei gleicher Leistung ent-
scheidet Bedürftigkeit; die Höhe der Prämien ist auf 300 M., 200 M.
und 150 M. festgesetzt. Seit 1877 hat die Bauprämienverwilligung
jährlich stattgefunden und war die Zahl der Bewerber stets eine
größere. Durch diese Einrichtung ist nicht nur die Zahl der Neu-
bauten gefördert, sondern auch die zweckentsprechende und gute
Ausführung derselben.
So haben wir denn für die durch unsere Daten konstatierten
Veränderungen in dem ländlichen Grundbesitz des Herzogtums
Braunschweig und zwar sowohl für die Verschiebung innerhalb des
speciell bäuerlichen Besitzes zu Ungunsten der mittleren Bauern-
wirtschaften wie für die stärkere Zunahme der Parzellenbesitzungen
vollwirkende Ursachen nachweisen können, welche als solche mit der
Aufhebung der Verfügungsbeschränkungen über ländliches Grund-
eigentum durch das Gesetz vom 28. März 1874 in absolut keiner
Beziehung stehen. Die hier in Wirksamkeit getretenen Umstände
würden ihren Einfluß stets ausgeübt haben auch ohne jenes Gesetz;
vermöge des letzteren konnten sie diesen Einfluß nur freier und
ungehemmter und damit in naturgemäßer Richtung geltend machen;
hätten die durch das Gesetz von 1874 beseitigten Schranken noch
bestanden, so würden jene Umstände doch in Wirksamkeit getreten
sein, diese Wirksamkeit hätte sich aber neben den Schranken in
unnatürlicher und wahrscheinlich ungünstiger Weise bethätigt. Die
beiden hauptsächlich in Frage kommenden Umstände, die Fortschritte
innerhalb des Landwirtschaftsbetriebes und die steigende Entwicke-
lung der Industrie sind zudem von einer so eminent wirtschaftlichen
Die Verfügungsfreiaeit über ländliches Grundeigentum etc. 203
Bedeutung, daß eine freie Wirkung derselben gewiß nur als ein
Segen für die ganze Volkswirtschaft angesehen werden kann, und
muß deshalb um so mehr der Erlaß des Gesetzes von 1874 als ein
zeitgemäßer und durch die Lage der Verhältnisse gebotener be-
zeichnet werden. Der Zustand, wie er sich unter dem Gesetz im
Herzogtum bislang herausgebildet hat, zeigt sich als ein durchaus
normaler, von schädlichen Extremen freier. Nach dem Stande von
1897 verteilen sich die ländlichen Besitzungen auf die einzelnen ge-
bildeten Größenklassen prozentual in folgender Weise: unter 0,25 ha
31,13 Proz., 0,25 bis unter 1 ha 18,73 Proz., 1 bis unter 5 ha
22,49 Proz., 5 bis unter 10 ha 9,55 Proz., 10 bis unter 15 ha 6,23 Proz.,
15 bis unter 20 ha 3,25 Proz., 20 bis unter 25 ha 2,20 Proz., 25 bis
unter 50 ha 4,91 Proz., 50 bis unter 75 ha 1,06 Proz., 75 bis unter
250 ha 0,38 Proz., 250 bis unter 500 ha 0,06 Proz., 500 bis unter
750 ha 0,01 Proz., 750 ha und darüber 0,003 Proz. Diese ganze
Besitzverteilung wird man als eine nachteilige oder zu Bedenken
Anlaß bietende nicht bezeichnen können; die einzelnen Besitzklassen
sind in einer für das ganze wirtschaftliche Leben vorteilhaften Weise
vertreten und zeigt sich dabei namentlich auch der mittlere Besitz
von einer durchaus angemessenen Stärke. Das ganze Verhältnis,
wie es uns hier entgegentritt, stimmt auch im wesentlichen mit dem
anderer auf ähnlicher Grundlage stehender Landesteile des deutschen
Reiches überein. Es läßt sich dieses aus den Daten der mit der
Berufszählung vom 14. Juni 1895 verbundenen landwirtschaftlichen
Betriebsaufnahme nachweisen, welche aber auf einer anderen Grund-
lage wie unsere hier behandelten Erhebungen, nämlich auf den Be-
trieben und nicht auf den Besitzungen beruht, dadurch jedoch, daß
sie mit der gleichartigen Reichserhebung von 1882 in Vergleich zu
bringen ist, auch die Fortentwickelung ersehen läßt; da hier die
landwirtschaftliche Fläche für die einzelnen Kategorien der Betriebe
auch vergleichbar ist, so wollen wir diese für das Herzogtum auch
mit als besonderes Interesse bietend anführen. Die durch die Reichs-
erhebung für Braunschweig festgestellten Daten sind folgende:
Parzellenbetriebe kleine mittlere große Großbetriebe
Bauernwirtschaften
Zahl der Betriebe:
absolut 1882 39 609 5427 6 137 2 273 165
1895 44 174 5358 6 122 2 256 181
prozentual 1882 73,88 10,12 11,45 4,24 0,31
1895 76,94 9,22 10,54 3,89 0,31
Landwirtschaftliche Fläche der Betriebe in Hektar:
absolut 1882 19 070 17 333 63 840 80 588 39 444
1895 20 134 17 348 62 859 81 590 42 294
prozentual 1882 8,66 7,87 28,98 36,58 17,91
1895 8,98 7,74 28,03 36,39 18,86
Bezüglich der zum Vergleich heranzuziehenden Staaten und
Landesteile können wir aber des beschränkten Raumes wegen nicht
die sämtlichen vorbezeichneten Daten angeben, wir beschränken uns
204 F. W. R. Zimmermann,
deshalb auf die Prozentzahlen der Betriebe und werden diese in
obiger Reihenfolge für 1882 und 1895 in Klammer einschalten. Ein
stärker abweichendes Verhältnis zeigt zunächst das Deutsche Reich
als Ganzes (1882: 58,03 Proz., 18,60 Proz., 17,56 Proz., 5,34 Proz.,
0,47 Proz.; 1895: 58,23 Proz., 18,28 Proz., 17,97 Proz., 5,07 Proz.,
0,45 Proz.), doch ist dieses wohl nicht zu verwundern, da in den
Daten des Reiches die schärfer ausgeprägten Gegensätze der einzelnen
Gebietsteile zum Ausgleich gekommen sind, Braunschweig aber ver-
möge der entwickelten Landwirtschaft und der gleichzeitig vorge-
schrittenen Industrie mehr zu den nach der einen Richtung hin be-
sonders markierten Gebieten gehört. Von den oben vergleichsweise
angezogenen Gebieten steht die Provinz Hannover (1882: 59,33 Proz.,
18,37 Proz., 15,41 Proz., 6,70 Proz., 0,19 Proz.; 1895: 58,20 Proz.,
19,19 Proz., 16,18 Proz., 6,24 Proz., 0,19 Proz.) dem Reichsdurch-
schnitt vermöge besonderer Verhältnisse ziemlich nahe, wogegen die
Provinz Sachsen (1882 : 66,50 Proz, 12,97 Proz., 14,14 Proz., 9,81 Proz.,
0,55 Proz.; 1895: 68,39 Proz., 11,98 Proz., 13,76 Proz., 5,35 Proz.,
10,55 Proz., 4,16 Proz. 0,58 Proz. ; 1895: 77,04 Proz., 8,20 Proz.,
10,68 Proz., 3,57 Proz. 0,51 Proz.) dem Stande von Braunschweig
annähernd gleichkommen ; als näher übereinstimmend können wir
dann noch die Provinz Westfalen (1882: 69,89 Proz., 14,71 Proz.,
11,55 Proz., 3,76 Proz., 0,09 Proz.; 1895: 71,64 Proz., 13,81 Proz.,
11,01 Proz., 3,45 Proz., 0,09 Proz.), Schaumburg-Lippe (1882:
70,76 Proz., 13,94 Proz., 12,86 Proz., 2,35 Proz., 0,09 Proz.; 1895:
72,40 Proz., 13,58 Proz., 11,67 Proz., 2,24 Proz., 0,11 Proz.) und
Lippe (1882: 76,52 Proz., 12,75 Proz., 7,25 Proz., 3,36 Proz., 0,12 Proz.;
1895: 77,12 Proz., 12,32 Proz., 6,83 Proz., 3,58 Proz., 0,15 Proz.)
hervorheben. Bei allen diesen in ihren fraglichen Verhältnissen mehr
oder weniger nahestehenden Gebieten zeigen UNS aber die ange-
gebenen Daten im wesentlichen das gleiche Ergebnis, die Ver-
schiebungen stimmen fast durchweg als solche und auch in ihrer
Stärke ziemlich überein, als eine besondere Abweichung macht sich
vielleicht nur die Abnahme der Parzellenbetriebe in der Provinz
Hannover bemerkbar. Wenn aber die Entwickelung, die wir für
das Herzogtum Braunschweig Zu konstatieren hatten, sich in gleicher
oder ganz ähnlicher Weise auch in anderen 1m allgemeinen mit
Braunschweig übereinstimmenden Gebieten geltend gemacht hat,
so ist dadurch schon eine Gewähr für das Normale dieser Entwicke-
lung gegeben und insbesondere kann dieselbe nicht als nachteilig
durch das Gesetz von 1874 beeinflußt angesehen werden. Um auf
die soeben bezüglich der Betriebe für Braunschweig gegebenen Daten
noch einmal zurückzukommen, SO können wir konstatieren, da
diese Daten fast vollständig mit den von uns behandelten bezüglich
der Besitzungen korrespondieren ; vorzugsweise entsprechen die Zu-
letzt bezüglich der landwirtschaftlichen Flächen der Betriebe einge-
tretenen Veränderungen den von uns hervorgehobenen Verschiebungen
der Besitzungen; da wir wegen der Unvollkommenheit des Materials
Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 205
auf die Flächen oben keine Rücksicht nehmen konnten, so scheint
es doppelt wesentlich, auf das Uebereinstimmende hinzuweisen und
zu konstatieren, daß die Flächenveränderung gegenüber der Ver-
änderung in der Betriebszahl nur geringfügig erscheint und um so
weniger zu wirtschaftlichen Bedenken Veranlassung bietet.
Zum Schluß müssen wir neben den inneren Ursachen für die
Verschiebungen im ländlichen Grundbesitz auch der äußeren Voll-
ziehungsform für dieselben kurz gedenken. Vielfach oder meist
wird sich eben die Verschiebung in der Weise vollziehen, daß von
der einen Besitzung eine bestimmte Fläche abgetrennt und einer
anderen Besitzung zugelegt oder zu einer besonderen Besitzung be-
stimmt wird; wesentlich wird dieses auch bei der Entstehung der
Parzellenwirtschaften Platz greifen ; nähere Daten lassen sich hierüber
nicht geben. Eine besondere und weittragende Vollziehungsform
bilden die sogen. Gutszertrümmerungen, die unter Umständen wirt-
schaftlich höchst bedenklich werden können. Veranlaßt durch das
Vorkommen mehrfacher gewerbsmäßiger Gutszertrümmerungen ver-
folgt man jetzt seit 1896 dieselben statistisch auch im einzelnen;
für die Vorzeit war durch oberflächliche Ermittelung das Vorkommen
von etwa 10 Zertrümmerungen im Jahre festgestellt. Für die
statistische Ermittelung ist als Gutszertrümmerung jedes Geschäft
anzusehen, welches dazu geführt hat, daß ein bäuerliches Anwesen
als solches nicht mehr fortbesteht oder durch Abtrennung von Grund-
stücken so wesentlich verkleinert worden ist, daß sich hieraus nach-
teilige Folgen für den Fortbestand und die gedeihliche Fortführung
der betreffenden Wirtschaft ergeben haben. An Gutszertrümmerungen
wurden in den Jahren von 1896—1899 für die einzelnen Kategorien
der Besitzungen folgende festgestellt:
Parzellenbesitzungen kleine mittlere große Großgrundbesitzungen
Bauernwirtschaften
1896 5 7 23 9 o
1897 8 4 17 4 o
1598 2 5 23 7 o
1599 2 3 20 13 o
Ist der Begriff der Gutszertrümmerung schon ziemlich weit ge-
faßt, so ist bei der praktischen Durchführung der Erhebung doch
noch darüber hinausgegriffen, worauf wir hier aber nicht näher ein-
gehen können; die Zahlen charakterisieren sich dadurch als etwas
zu hohe. Die Daten selbst stimmen aber mit unseren obigen Er-
gebnissen wieder vollkommen überein; die mittleren Bauernwirt-
schaften werden von den Zertrümmerungen weitaus am erheblichsten
betroffen und daraus erklärt sich ihr Rückgang. Bei der Erhebung
ist nun aber auch ferner konstatiert, daß die einzelnen Parzellen,
in welche der zertrümmerte Hof zerlegt worden, wiederum allen
Arten von Höfen, großen, mittleren, kleinen, angegliedert worden
sind, so daß auf diese Weise sich doch immer wieder auch eine ge-
wisse Ausgleichung vollzogen hat und eine ungünstige Allgemein-
wirkung der Gutszertrümınerungen weniger hervorgetreten ist.
Größere Grundflächen sind allerdings vorwiegender gerade mit
206 F.W.R. Zimmermann, Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum ete.
größeren Besitzungen vereinigt worden, wodurch die an sich nicht
so wesentliche Zunahme der großen Bauernwirtschaften mit be-
gründet wird.
Ziehen wir nun kurz das Endergebnis aus unseren Betrachtungen,
so muß als festgestellt gelten, daß die Aufhebung der Verfügungs-
beschränkungen über ländliches Grundeigentum im Herzogtum Braun-
schweig nach den beigebrachten Daten die befürchteten schädlichen
Wirkungen nicht gehabt hat; es hat sich weder eine Neigung zu
einer vorherrschenden Bildung von Parzellenbesitzungen, noch eine
solche zur Bildung von Latifundien gezeigt; die Aufhebung hat eine
selbständige Wirkung nach einer diesen beiden Seiten hin überhaupt
nicht gehabt, sondern die einzelnen Verschiebungen sind lediglich
durch die besonderen wirtschaftlichen Verhältnisse, speciell den
größeren Aufschwung des Landwirtschaftsbetriebes und die stärkere
Entwickelung der Industrie auf dem Lande, bedingt gewesen und
mit Rücksicht hierauf auch als vollkommen normale und wirtschaft-
lich gesunde zu bezeichnen. Aus diesem Ergebnis für das Herzog-
tum Braunschweig erhellt aber weiter, daß mit einer Aufhebung der
aus der früheren Zeit übernommenen Verfügungsbeschränkungen
über ländliches Eigentum prineipiell die besagten schädlichen Ein-
wirkungen nicht verbunden zu sein brauchen, ja daß sie principiell
nicht damit zusammenhängen, daß jene schädlichen Bildungen einer
vorwiegenden Parzellenwirtschaft wie von Latifundien, wo sich solche
bei freiem Verfügungsrecht über ländliches Grundeigentum gezeigt
haben, auf andere allgemeine oder besondere ungesunde Verhältnisse
in der Volkswirtschaft zurückzuführen sind. Hierfür glauben wir
einen zahlenmäßigen und begründeten Nachweis erbracht zu haben.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 207
Nachdruck verboten.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
IL.
Gesetz für das Kônigreich Preussen über die Fürsorge-
erziehung Minderjähriger. Vom 2. Juli 1900.
$ 1. Ein Minderjähriger, welcher das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet
hat, kann der Fürsorgeerziehung überwiesen werden:
1) wenn die Voraussetzungen des $ 1666 oder des $ 1838 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs vorliegen und die Fürsorgeerziehung erforderlich ist, um die Verwahr-
losung des Minderjährigen zu verhüten ;
2) wenn der Minderjährige eine strafbare Handlung begangen hat, wegen der er
in Anbetracht seines jugendlichen Alters strafrechtlich nicht verfolgt werden kann,
und die Fürsorgeerziehung mit Rücksicht auf die Beschaffenheit der Handlung,
die Persönlichkeit der Eltern oder sonstigen Erzieher und die übrigen Lebens-
verhältnisse zur Verhütung weiterer sittlicher Verwahrlosung des Minderjährigen
erforderlich ist;
3) wenn die Fürsorgeerziehung außer diesen Fällen wegen Unzulänglichkeit
der erziehlichen Einwirkung der Eltern oder sonstigen Erzieher oder der Schule
zur Verhütung des völligen sittlichen Verderbens des Minderjährigen notwendig ist.
$ 2. Die Fürsorgeerziehung erfolgt unter öffentlicher Aufsicht und auf
öffentliche Kosten in einer geeigneten Familie oder in einer Erziehungs- oder
Besserungsanstalt.
$ 3. Die Unterbringung zur Fürsorgeerziehung erfolgt, nachdem das Vor-
mundschaftsgericht durch Beschluß das Vorhandensein der Voraussetzungen des
$ 1 unter Bezeichnung der für erwiesen erachteten Thatsachen festgestellt und die
Unterbringung angeordnet hat.
$ 4. Das Vormundschaftsgericht beschließt von Amtswegen oder auf Antrag.
Zur Stellung des Antrags sind berechtigt und verpflichtet:
der Landrath, in den Hohenzollernschen Landen der Ober-Amtmann, in Städten
mit mehr als 10000 Einwohnern sowie in den nach $ 28 der Kreisordnung für
die Prowinz Hannover vom 6. Mai 1884 (Ges.-S. S. 181) denselben gleichgestellten
Städten auch der Gemeindevorstand,
in Stadtkreisen der Gemeindevorstand und der Vorsteher der Königlichen
Polizeibehörde.
Vor der Beschlußfassung soll das Vormundschaftsgericht, soweit dies ohne
erhebliche Schwierigkeit geschehen kann, die Eltern, den gesetzlichen Vertreter des
Minderjährigen und in allen Fällen den Gemeindevorstand, den zuständigen Geist-
lichen und den Leiter oder Lehrer der Schule, welche der Minderjährige besucht,
hören, auch hat, wenn die Beschlußfassung nicht auf Antrag erfolgt, das Vormund-
schaftsgericht zuvor dem Landrath (Ober-Amtmanne, Gemeindevorstande, Vor-
steher der Königlichen Polizeibehörde) unter Mitteilung der Akten Gelegenheit zu
einer Aeußerung zu geben.
Der Beschluß ist dem gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen, diesem
selbst, wenn er das 14. Lebensjahr vollendet hat, dem Landrath (Ober-Amtmanne,
208 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Gemeindevorstande, Vorsteher der Königlichen Polizeibehörde) und dem ver-
pflichteten Kommunalverbande ($ 14) zuzustellen.
Gegen den Beschluß steht den im Abs. 3 Genannten die sofortige Beschwerde
zu, dem gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen oder diesem selbst jedoch nur
dann, wenn der Beschluß auf Unterbringung zur Fürsorgeerziehung lautet. Die
Beschwerde hat aufschiebende Wirkung.
§ 5. Bei Gefahr im Verzuge kann das Vormundschaftsgericht eine vor-
läufige Unterbringung des Minderjährigen anordnen. Die Polizeibehörde des
Aufenthaltsorts hat in diesem Falle für die Unterbringung des Minderjährigen in
einer Anstalt oder in einer geeigneten Familie zu sorgen.
Die durch die vorläufige Unterbringung erwachsenden Kosten fallen, sofern
die Ueberweisung zur Fürsorgeerziehun Femaächst endgiltig angeordnet wird, dem
verpflichteten Kommunalverbande (§ 14), anderenfalls demjenigen zur Last, welcher
die Kosten der örtlichen Polizeiverwaltung zu tragen hat. Die Polizeibehörde hat
nallen Fällen die durch die vorläufige Unterbringung entstehenden Kosten vorzu-
schießen.
Streitigkeiten über die Angemessenheit der dem Erstattungspflichtigen in
Rechnung gestellten Vorschüsse der Polizeibehörde entscheidet der BezirksausschuB
im Beschlußverfahren. Der Beschluß des Bezirksausschusses ist endgiltig.
§ 6. Hat die im $ 4 angeordnete Anhörung der Eltern oder des gesetzlichen
Vertreters nicht stattfinden können, so sind dieselben berechtigt, die Wieder-
aufnahme des Verfahrens zu verlangen.
$ 7. Soweit nıcht in diesem Gesetz ein anderes bestimmt ist, finden auf das
erichtliche Verfahren die allgemeinen Vorschriften über die durch Landesgesetz
en ordentlichen Gerichten übertragenen Angelegenheiten der freiwilligen Gerichts-
barkeit Anwendung.
$ 8. Die gerichtlichen Verhandlungen sind gebühren- und stempelfrei; die
baren Auslagen fallen der Staatskasse zur Last. Ist nach dem Ermessen des
Vormundschaftsgerichts die Vernehmung der nach $ 4 Abs. 2 zu hörenden Personen
erforderlich gewesen, so haben sie Anspruch auf Erstattung der notwendigen baren
Zulagen aus der Staatskasse; dies gilt jedoch nicht für die Eltern des Minder-
jährigen.
Verträge über die Unterbringung von Zöglingen sind stempelfrei.
$ 9. Die Ausführung der Fürsorgeerziehung liegt dem verpflichteten Kom-
munalverband ob ($ 14); er entscheidet darüber, in welcher Weise der Zögling
untergebracht werden soll. Im Falle der Anstaltserziehung ist der Zögling, soweit
möglich, in einer Anstalt seines Bekenntnisses unlersnbringen: Im Falle der
Familienerziehung muß der Zögling mindestens bis zum Aufhören der Schulpflicht
in einer Familie seines Bekenntnisses untergebracht werden.
Der Kommunalverband hat dem Vormundschaftsgericht von der Unter-
bringung und von der Entlassung des Ge Mitteilung zu machen.
Die Ueberführung des Zöglings liegt der Polizeibehörde des Aufenthaltsorts ob.
$ 10. Die Zöglinge dürfen nicht in Arbeitshäusern und nicht in Landarmen-
häusern, in Anstalten, welche für Kranke, Gebrechliche, Idioten, Taubstumme oder
Blinde bestimmt sind, nur so lange untergebracht werden, als es ihr körperlicher
oder geistiger Zustand erfordert.
n Ausführung einer eingeleiteten Fürsorgeerziehung kann die Erziehung in
der eigenen Familie des Zöglings unter Aufsicht des Kommunalverbandes wider-
ruflich angeordnet werden.
$ 11. Für jeden in einer Familie untergebrachten Zögling ist zur Ueber-
wachung seiner Erziehung und Pflege von dem Kommunalverband ein Fürsorger
zu bestellen. Hierzu können auch Frauen bestellt werden.
ÿ 12. Auf Antrag des verpflichteten Kommunalverbandes kann, unbeschadet
der Vorschriften des Artikel 78 $ 1 des Ausführungesetzes zum Bürgerlichen
Gesetzbuche, der Vorstand einer unter staatlicher Aufsicht stehenden Erziehungs-
anstalt vor den nach § 1776 des Bürgerlichen Gesetzbuchs als Vormünder berufenen
Personen zum Vormunde der auf Grund der $$ 3ff. in der Anstalt untergebrachten
Zöglinge bestellt werden.
Das Gleiche gilt für Zöglinge, die unter der Aufsicht des Vorstands der
Anstalt in einer von ihm ausgewählten Familie erzogen werden; liegt die Be-
Nationalökonomische Gesetzgebung. 209
aufsichtigung der Ee einem von dem verpflichteten Kommunalverbande be-
stellten mten ob, so kann dieser auf Antrag des Kommunalverbandes statt des
Vorstands der Anstalt zum Vormund bestellt werden.
Neben dem nach den Vorschriften der Abs. 1, 2 bestellten Vormund ist ein
Gegenvormund nicht zu bestellen. Dem Vormunde stehen die nach $ 1852 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs zulässigen Befreiungen zu.
$ 13. Die Fürsorgeerziehung endigt mit der Minderjährigkeit.
Die frühere Aufhebung der Fürsorgeerziehung Se urch BeschluB des
Kommunalverbandes von Amtswegen oder auf Antrag der Eltern oder des gesetz-
lichen Vertreters des Minderjährigen, wenn der Zweck der Fürsorgeerziehung er-
reicht oder die Erreichung des Zwecks anderweit sichergestellt ist. Die Aufhebung
kann unter Vorbehalt des Widerrufs beschlossen werden.
Gegen den ablehnenden Beschluß des Kommunalverbandes kann der Antrag-
steller binnen einer Frist von 2 Wochen vom Tage der Zustellung ab die Ent-
scheidung des Vormundschaftsgerichts anrufen. Gegen den Beschluß des Vor-
mundschaftsgerichts findet die Beschwerde statt. Die Beschwerde des Kommunal-
verbands hat aufschiebende Wirkung.
p Ein abgewiesener Antrag darf vor dem Ablaufe von 6 Monaten nicht erneuert
werden.
$ 14. Die Provinzialverbände, in der Provinz Hessen-Nassau die Bezirks-
verbände der Regierungsbezirke Wiesbaden und Cassel, der Lauenburgische
Landes-Kommunalverband, der Landes-Kommunalverband der Hohenzollernschen
Lande sowie der Stadtkreis Berlin sind verpflichtet, die Unterbringung der durch
Beschluß des Vormundschaftsgerichts zur Fürsorgeerziehung überwiesenen Minder-
jährigen in einer den Vorschriften dieses Gesetzes entsprechenden Weise zu be-
wirken. Sie haben für die Errichtung von Erziehungs- und Besserungsanstalten
zu sorgen, soweit es an Gelegenheit fehlt, die Zöglinge in geeigneten Familien
sowie in öffentlichen, kirchlichen oder privaten Anstalten unterzubringen, auch,
soweit nötig, für ein angemessenes Unterkommen bei der Beendigung der Für-
sorgeerziehung zu sorgen.
Zur Unterbringung verpflichtet ist derjenige Kommunalverband, in dessen
BER der Ort liegt, als dessen Vormundschaftsgericht das Gericht Beschluß ge-
pt hat.
$ 15. Die Kosten, welche durch die Ueberführung des Zöglings in eine
Familie oder Anstalt, durch die dabei nötige reglementsmäßige erste Ausstattung,
durch die Beerdigung des während der Fürsorgeerziehung verstorbenen und dure
die Rückreise des aus der Fürsorgeerziehung entlassenen Zöglings entstehen, fallen
dem Ortsarmenverband, in welchem er seinen Unterstützungswohnsitz hat, zur
Last. Ist ein solcher Ortsarmenverband nicht vorhanden, so fallen diese Kosten
dem verpflichteten Kommunalverbande ($ 14 Abs. 2) zur Last. Die übrigen Kosten
des Unterhalts und der Erziehung sowie der Fürsorge für entlassene Zöglinge
tragen in allen Fällen die Kommunalverbände.
Die Kommunalverbände erhalten zu den nach Abs. 1 von ihnen zu tragenden
Kosten aus der Staatskasse einen Zuschuß in Höhe von zwei Dritteln der Kosten.
Der Betrag des Zuschusses wird jährlich auf Liquidation der im Vorjahr aufge-
endeten Kosten oder im Einverständnisse mit den einzelnen Kommunalverbänden
periodisch als Bauschsumme von dem Minister des Innern festgesetzt.
$ 16. Die Kommunalverbände sind berechtigt, die Erstattung der während
der Fürsorgeerziehung entstandenen Kosten des Unterhalts eines Zöglings von
diesem selbst oder von dem auf Grund des Bürgerlichen Rechts zu seinem Unter-
halte Verpflichteten zu fordern. Dieselbe Berechtigung steht den Ortsarmen-
verbänden hinsichtlich der ihnen nach $ 15 Abs. 1 zur Last fallenden Kosten zu.
Für die Erstattungsforderung der Kommunalverbände sind Tarife zu Grunde
zu legen, welche von dem Minister des Innern nach Anhörung der Kommunal-
verbände festgesetzt werden. Die Kosten der allgemeinen Verwaltung der Für-
sorgeerziehung, des Baues und der Unterhaltung der von den Kommunalverbänden
errichteten Anstalten bleiben hierbei außer Ansatz.
Wird gegen den Erstattungsanspruch Widerspruch erhoben, so beschließt
darüber auf Antrag des Kommunalverbandes oder Ortsarmenverbandes der Bezirks- '
ausschuß.
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 14
910 Nationalükonomische Gesetzgebung.
Der Beschluß ist vorbehaltlich des ordentlichen Rechtsweges endgiltig.
Zwei Drittel der durch die Kommunalverbände von den Erstattungs-
pflichtigen eingezogenen Beträge sind aaf den Beitrag des Staates ($ 15 Abs. 2)
anzurechnen.
$ 17. Die Kommunalverbände haben für die Ausführung der Fürsorge-
erziehung und für die Verwaltung der von ihnen errichteten Erziehungs- und
Besserungsanstalten Reglements zu erlassen.
Die Reglements bedürfen der Genehmigung der Minister des Innern und der
geistlichen, Ünterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten in Betreff derjenigen Be-
stimmungen, welche sich auf die Aufnahme, die Behandlung, den Unterricht und
die Entlassung der Zöglinge beziehen.
Hinsichtlich der Privatanstalten behält es bei den bestehenden Vorschriften
sein Bewenden.
§ 18. Die gesetzlichen Bestimmungen über die religiöse Erziehung der Kinder
finden auch auf die Fürsorgeerziehun menton
$ 19. Wenn schulpflichtige Zöglinge der öffentlichen Volksschule ohne sitt-
liche Gefährdung der übrigen die Schule besuchenden Kinder nicht zugewiesen
werden können, so hat der Kommunalverband dafür zu sorgen, daß diesen Zög-
lingen während des schulpflichtigen Alters der erforderliche Schulunterricht ander-
weitig zu teil wird. Im Streitfalle entscheidet der Oberpräsident.
§ 20. Die zuständigen staatlichen Aufsichtsbehörden der Kommunalverbände
und in höherer Instanz der Minister des Innern haben die Oberaufsicht über die
zur Unterbringung von Zöglingen getroffenen Veranstaltungen zu führen; sie sind
befugt, zu diesem Zwecke Revisionen vorzunehmen.
$ 21. Wer, abgesehen von den Fällen der $$ 120, 235 des Strafgesetzbuchs,
einen Minderjährigen, bezüglich dessen das gerichtliche Verfahren auf Unter-
bringung zur Fürsorgeerziehung eingeleitet oder die Unterbringung zur Fürsorge-
erziehung angeordnet ist, dem Verfahren oder der angeordneten Fürsorgeerziehung
entzieht, oder ihn verleitet, sich dem Verfahren oder der Fürsorgeerziehung zu
entziehen, oder wer ihm hierzu vorsätzlich behilflich ist, wird mit Gefängniß bis
au 2 Jahren und mit Geldstrafe bis zu Eintausend M. oder mit einer dieser Strafen
estraft.
Der Versuch ist strafbar.
$ 22. Der Minister des Innern ist mit der Ausführung dieses Gesetzes be-
auftragt.
§ 23. Dieses Gesetz tritt mit dem 1. April 1901 in Kraft.
it dem gleichen Zeitpunkte wird das Gesetz vom 13. März 1878, betr. die
Unterbringung verwahrloster Kinder, aufgehoben.
Kommunalverbände, welche zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes über
geeignete Anstalten nicht in ausreichendem Maße verfügen, sollen bis zum 1. April
1903 bei der Unterbringung der Zöglinge den im $ 10 Abs. 1 dieses Gesetzes aus-
gesprochenen Beschränkungen nicht unterliegen.
III.
Gesetz für das Kônigreich Preussen vom 18. Juli, betr.
die Warenhaussteuer.
$ 1. Wer das stehende Gewerbe des Klein- (Detail-) Handels mit mehr als
einer der im $ 6 dieses Gesetzes unterschiedenen Ba ne n betreibt, unterliegt,
i
wenn der Jahresumsatz in diesen Gruppen — einschließlich desjenigen der in
Preußen belegenen Zweigniederlassungen, Filialen, Verkaufsstätten — 400000 M.
übersteigt, der nach Vorschrift dieses Gesetzes zu entrichtenden, den Gemeinden
zufließenden Warenhaussteuer.
Ob der Kleinhandel im offenen Laden, Warenhaus, Lager u. dergl. oder als
Nationalökonomische Gesetzgebung. 211
Versandgeschäft, auf oder ohne vorgängige Bestellung betrieben wird, macht für
die Besteueruug keinen Unterschied.
Erstreckt sich der Kleinhandelsbetrieb über mehrere Orte, so tritt die Steuer-
pflicht nur insoweit ein, als seine Verkaufsstätten in einem und demselben Ort
oder unmittelbar benachbarten Orten mehr als eine der im $ 6 unterschiedenen
Warengruppen führen.
Vereine, eingetragene Genossenschaften und Korporationen, welche nach $ 5
des Gewerbesteuergesetzes vom 24. Juni 1891 der Gewerbesteuer nicht unterworfen
sind, unterliegen auch der Warenhaussteuer nicht. Dasselbe gilt von den auf
Grund des $ 3 des gedachten Gesetzes bezw. $ 28 des Kommunalabgabengesetzes
vom 14. Juli 1803 von der Gewerbesteuer befreiten Betrieben.
$ 2. Die Warenhaussteuer beträgt vorbehaltlich der Bestimmung im $ 5
bei einem Jahresumsatze von
mehr als bis Steuersatz mehr als bis Steuersatz
400000 M. 450000 M. 4000 M. 750000 M. 800000 M. 12500 M.
450000 ,, 500 000 ,„ 5500 m 800 000 ,, 850000 „ 13500 „
500000 a 550000 ,„ 7 500 ;, 850000 „ 900 000 ;, 15000 „
550000 „ 600 000 ;, 8500 ,, 900 000 ,, 950000 „ 16500 ,,
600000 y 650000 „ 9500 ,, 950000 „ 1000000 „ 18000 ,„
650000 „ 700 000 „ 10500 ,„ 1 000 000 „ 1100000 „ 20000 ,„
700000 ,, 750000 „ 11500 ,„ 1000000 ;, 1200000 „ 22000 ,„
u. s. f. für jede 100000 M. mehr 2000 M. Steuer mehr.
$ 3. Unterhält ein Unternehmen der im $ 1 bezeichneten Art, welches
seinen Sitz außerhalb Preußens hat, in Preußen eine oder mehrere Verkaufsstätten
(Zweigniederlassungen, Filialen u. s. w.), so unterliegt jede dieser Verkaufsstätten
ohne Rücksicht auf die Höhe des Umsatzes einer Warenhaussteuer von zwei vom
Hundert ihres Jahresumsatzes.
Der geringste Steuersatz beträgt 200 M. bei einem jährlichen Umsatz von
10000 M. oder weniger. Die Steuersätze steigen um je 200 M. für je 10000 M.
des Jahresumsatzes.
Die Heranziehung nach Abs. 1 und 2 unterbleibt, wenn der Unternehmer
vor eingetretener Rechtskraft der Veranlagung nachweist, daß der Gesamtumsatz
des ganzen Unternehmens 400000 M. nicht übersteigt. Ingleichen sind, wenn der
Gesamtumsatz mehr als 400000 M., aber nachgewiesenermaßen nicht mehr als
1000000 M. beträgt, die inländischen Verkaufsstätten nur mit dem ihrem Anteil
an dem Gesamtumsatz entsprechenden, auf die nächste durch 10 teilbare Zahl von
Mark abzurundenden Teilbetrage desjenigen Stenersatzes zu veranlagen, welcher
nach $ 2 auf das Gesamtunternehmen zu veranlagen sein würde, wenn sich seine
sämtlichen Betriebsstätten in Preußen befänden.
$4. Für die Steuerveranlagung maßgebend ist der Umsatz des bei der Vor-
nahme derselben abgelaufenen Jahres. Besteht der Gewerbebetrieb noch nicht
ein Jahr lang, so ist der Umsatz nach dem zur Zeit der Veranlagung vorliegenden
Anhalte zu schätzen. Während des Steuerjahres eintretende Kenderanden sind
erst bei der Besteuerung für das folgende Jahr zu berücksichtigen.
$ 5. Würde die nach $ 2 berechnete Warenhaussteuer eines Steuerpflichtigen
nachweislich 20 Proz. des nach dem Gesetze vom 24. Juni 1891 für das betreffende
Steuerjahr gewerbesteuerpflichtigen Ertrages seines der Warenhaussteuer unter-
liegenden Unternehmens übersteigen, so ist sie auf seinen Antrag auf diesen Be-
trag, keinesfalls aber weiter als bis auf die Hälfte des nach $ 2 sich ergebenden
Steuersatzes, herabzusetzen. Der Antrag ist entweder bei Abgabe der Steuerer-
klärung ($ 9) oder im Wege der gesetzlichen Rechtsmittel ($ 13) anzubringen.
Auf Konsumvereine und Konsumanstalten, welche nach § 1 Abs. 4 steuer-
panog sind, ingleichen auf die im § 3 bezeichneten Unternehmen findet diese
timmung. keine Anwendung.
$ 6. Die nach $ 1 zu unterscheidenden Warengruppen sind:
A. Material- und Kolonialwaren, Eß- und Tnk arén und Genußmittel,
Tabak und Tabakfabrikate (auch Rauchutensilien), Apothekerwaren, Farbwaren,
Droguen und Parfümerien ;
B. Garne und Zwirne, Posamentierwaren, Schnitt-, Manufaktur- und Mode-
14*
212 Nationalökonomische Gesetzgebung.
waren, gewebte, gestrickte, gewalkte und gestickte Waren, Bekleidungsgegenstände
(Konfektion, Pelzwaren), Wäsche jeder Art, "Betten und Möbel jeder Art, Vor-
hänge, Teppiche, Möbelstoffe und die zu deren Verarbeitung dienende Anfertigung
von Zimmerdekorationen ;
C. Haus-, Küchen- und Gartengerätschaften, Oefen, Glas-, Porzellan-, Stein-
rut- und Thonwaren, Möbel jeder Art und die dazu dienenden Möbelstoffe, Vor-
änge und Teppiche;
D. Gold-, Silber- und sonstige Juwelierwaren, Kunst-, Luxus-, Galanterie-
waren, Papp- und Papierwaren, Bücher und Musikalien, Waffen, Fahrräder, Fahr-,
Reit- und J agdutensilien, sonstige Sportartikel, Nähmaschinen, Spielwaren, optische,
physikalische, medizinische und musikalische Instrumente und Apparate.
Waren, welche zu keiner der im ersten Absatz unterschiedenen Gruppen ge-
hören, werden als besondere Warengruppe nicht gezählt.
Solche Waren, die vermöge ihrer Beschaffenheit oder Bestimmung sowohl
der einen wie der anderen jener Gruppen zugerechnet werden können, werden nur
einmal gezählt, und zwar, wenn auch andere zu denselben Gruppen gehörige Waren
geführt werden, bei derjenigen, der diese Waren angehören.
Ingleichen wird, wenn sich der Handel mit Waren der einen Gruppe nach
Herkommen und Gebrauch auch auf Waren anderer Gruppen erstreckt, welche
mit ersteren zugleich feilgeboten zu werden pflegen — wie bei Handlungen mit
Eisen- und Stahlwaren, Gummiwaren u. dergl. —, nur Handel mit einer Waren-
gruppe angenommen.
Wie eine Ware nach Maßgabe der in den vorstehenden vier Absätzen nieder-
gelegten Grundsätze zu klassifizieren ist, wird im Zweifelsfalle von dem Minister
für Handel und Gewerbe oder der von im bestimmten Behörde mit bindender
Kraft festgestellt.
Maßgebend ist die zur Zeit der Veranlagung geführte Zahl von Waren-
gruppen.
$ 7. Durch die Zerlegung eines Warenhausbetriebes in mehrere gesonderte,
selbständige Betriebe werden diese Betriebe von der Entrichtung der Steuer nach
Maßgabe des Gesamtumsatzes nicht befreit, wenn die begleitenden Umstände er-
kennen lassen, daß die Zerlegung in mehrere Betriebe behufs Verdeckung des
Warenhausbetriebes stattfindet.
Der hiernach auf die Gesamtheit der Betriebe einheitlich veranlagte Steuer-
satz ist unter sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen im $ 38 des Gewerbe-
steuergesetzes vom 24. Juni 1891 bezw. im $ 32 des Kommunalabgabengesetzes
vom 14. Juli 1803 in die auf die einzelnen Betriebe entfallenden Teilbetrige zu
zerlegen.
$ 8. Die Veranlagung der Warenhaussteuer erfolgt für jedes Steuerjahr im
Anschluß an diejenige der allgemeinen Gewerbesteuer nach dem Gesetze vom
24. Juni 1891 (Gesetz-Samml. No. 203) für alle Gewerbesteuerklassen durch den
örtlich zuständigen Steuerausschuß der Gewerbesteuerklasse I. Der Finanz-
minister kann anordnen, daß demselben zu diesem Zwecke zwei weitere Mitglieder
hinzutreten, von denen das eine von dem Finanzminister zu ernennen, das andere
nach Maßgabe des $ 10 des Gewerbesteuergesetzes zu wählen ist.
$ 9. Jeder bereits zur Warenhaussteuer veranlagte Gewerbetreibende ist auf
die jährlich durch öffentliche Bekanntmachung ergehende Aufforderung des Vor-
sitzenden des nach $ 8 zuständigen Steuerausschusses verpflichtet, die Höhe seines
steuerpllichtigen Jahresumsatzes anzugeben. Diese Erklärungen sind innerhalb
der auf mindestens 14 Tage zu bemessenden Frist nach den vom Finanzminister
vorgeschriebenen, kostenlos zu verabfolgenden Formularen bei dem im ersten Satz
bezeichneten Vorsitzenden des Steuerausschusses schriftlich oder zu Protokoll
unter der Versicherung abzugeben, daß die Angaben nach bestem Wissen und Ge-
wissen gemacht sind.
Andere Gewerbetreibende sind zur Abgabe einer solchen Erklärung ver-
pflichtet, sobald eine besondere Aufforderung des im Abs. 1 bezeichneten Vor-
sitzenden des Steuerausschnsses an sie ergeht.
Die Erklärungen (Abs. 1 und 2) sind geheim aufzubewahren.
Der $ 56 des Gewerbesteuergesetzes vom 24, Juni 1591 findet auf diese Er-
klärungen sinngemäße Anwendung.
Nationalükonomische Gesetzgebung. 213
§ 10. Bei der Veranlagung darf von den Angaben in der Erklärung ($ 9)
nur abgewichen werden, nachdem dem betreffenden Steuerpflichtigen Gelegenheit
mit mindestens l4tägiger Frist zur Aeußerung über die obwaltenden Bedenken ge-
geben worden ist.
Zum Zwecke der Prüfung der Erklärung ist der Steuerpflichtige auf Beschluß
des Steuerausschusses auch verpflichtet, seine Geschäftsbücher vorzulegen.
$ 11. Wer die ihm nach $ 9 obliegende Erklärung nicht innerhalb der vor-
geschriebenen Frist abgiebt oder den auf Grund der Vorschrift $ 10 an ihn ge-
richteten Aufforderungen nicht Folge leistet, verliert die gesetzlichen Rechtsmittel
gegen seine Veranlagung zur Warenhaussteuer für das betreffende Steuerjahr, in-
sofern nicht Umstände dargethan werden, welche die Versäumnis entschuldbar
machen.
$ 12. Gewerbetreibende, welche im Laufe des Steuerjahres den Kleinhandel
mit mehr als einer der im $ 6 unterschiedenen Warengruppen anfangen oder
auf mehr als eine dieser Warengruppen ausdehnen, oder eine nach $ 3 der Waren-
haussteuer unterliegende Verkaufsstelle in Preußen errichten, haben hiervon, wenn
nicht nach den Verhältnissen des Betriebes von vornherein ausgeschlossen ist, daß
der Gesamtumsatz die warenhaussteuerpflichtige Höhe erreicht, der von dem
Finanzminister zu bestimmenden Behörde vorher oder gleichzeitig Anzeige zu
machen.
Die im Laufe eines Steucrjahres erfolgende Beschränkung des Kleinhandels
eines zur Warenhaussteuer veranlagten Betriebes auf nur eine der im $ 6 unter-
schiedenen Warengruppen oder auf Waren, welche keiner derselben angehören,
ändert an der veranlagten Warenhaussteuer nichts.
$ 13. Soweit in dem Vorstehenden nicht ein anderes bestimmt ist, finden
auf die Warenhaussteuer hinsichtlich der Veranlagung, der Rechtsmittel, der Zer-
legung der Steuersätze, der Zu- und Abgänge, der Abmeldungen, der Befugnisse
der Steuerausschüsse und ihrer Vorsitzenden, der den Gewerbetreibenden und
ihren Vertretern obliegenden Verpflichtung zur Auskunftserteilung, der Nachbe-
steuerung, der Ausfälle, des Erlasses und der en se S Steuerbe-
träge sowie der Oberaufsicht die für die Gewerbesteuerklasse I geltenden Vor-
schriften $$ 17—21, 25, 26, 27 Abs. 2, 3, §§ 30—38, 42—53, 58, 76—78 des Ge-
werbesteuergesetzes vom 24. Juni 1891 (Gesetz-Samml. S. 203), sowie $$ 9, 10
Abs. 2. $ 11 Abs. 1, 2, $ 14 Abs. 1, 2, $ 15 Abs. 1 des Gesetzes wegen Aufhebung
direkter Staatssteuern vom 14. Juli 1893 (Gesetz-Samml. S. 119) sinngemäße An-
wendung.
Die in den $$ 54 und 56 des Gewerbesteuergesetzes den Gewerbetreibenden
und ihren Vertretern auferlegte Verpflichtung zur Auskunftserteilung erstreckt
sich fortan für alle Gewerbetreibenden, welche den Kleinhandel betreiben, auch
auf die Angabe, mit welchen Warengattungen dies geschieht.
Die Strafbestimmungen in den $$ 70 und 71 No. 1 des Gewerbesteuergesetzes
sind auch auf die durch das gegenwärtige Gesetz den Gewerbetreibenden und
ihren Vertretern auferlegte Verpflichtung zur Anmeldung und zur Abgabe von
Erklärungen entsprechend anzuwenden. Tigleichen finden die $$ 71 No. 2, 72 und
73 a. a. O. bei der Warenhaussteuer sinngemäße Anwendung.
$ 14. Die Veranlagung zur allgemeinen Gewerbesteuer nach dem Gesetze
vom 24. Juni 1891 und zu besonderen auf Grund des $ 28 des Kommunalabgaben-
esetzes vom 14. Juli 1893 eingeführten Gewerbesteuern wird durch die Waren-
aussteuer nicht berührt. Die empfangsberechtigte Gemeinde hat aber die Waren-
haussteuer nur so weit zu erheben, als sie die von ihr nach $ 29 oder § 30 des
Kommunalabgabengesetzes von dem der Warenhaussteuer unterliegenden Betrieb
erhobene Gewerbesteuer übersteigt. Erstreckt sich die Gewerbesteuerveranlagung
auf mehrere Betriebe, die nicht sämtlich der Warenhaussteuer unterliegen, so ist
der auf die warenhaussteuerpflichtigen Betriebe entfallende Teilbetrag der Gewerbe-
steuer unter sinngemäßer Anwendung der Vorschriften im $ 38 des Gewerbesteuer-
gesetzes vom 24. Juni 1891 und $ 32 des Kommunalabgabengesetzes festzustellen.
Die Warenhaussteuer ist von den Gemeinden (Gutsbezirken) in vierteljähr-
lichen Beträgen zu erheben. Die Bestimmung des $ 40 und $ 41 des Gewerbe-
steuergesetzes findet auch auf die Warenhaussteuer Anwendung.
as Aufkommen an Warenhaussteuer ist von den Gemeinden, soweit dieselben
214 Nationalökonomische Gesetzgebung.
zur Deckung ihrer Ausgaben von den nach den Vorschriften des Gewerbesteuer-
esetzes in den Steuerklassen III und IV veranlagten Gewerbetreibenden Prozente
er vom Staate veranlagten Gewerbesteuer oder eine besondere Gewerbesteuer er-
heben, zur Erleichterung der von diesen Steuerklassen zu erhebende Prozente
bezw. Steuer, andernfalls zur Bestreitung von Gemeindebedürfnissen vorzugsweise
im Interesse der kleineren Gewerbetreibenden zu verwenden. Eine Anrechnung
der Warenhaussteuer auf den nach den $$ 54—57 des Kommunalabgabengesetzes
durch besondere Gemeindegewerbesteuern oder Prozente der vom Staate veran-
lagten Gewerbesteuer aufzubringenden Teil des Steuerbedarfs findet nicht statt.
Die Gutsbezirke haben die erhobenen Beträge an Warenhaussteuer am
Schlusse eines jeden Vierteljahres an die Kreiskommunalkasse abzuführen. Die
Kreise haben diese Beträge vorzugsweise im Interesse der kleineren Gewerbe-
treibenden zu verwenden. f
$ 15. Die Warenhaussteuer wird zum ersten Male für das Rechnungsjahr
1901 erhoben.
Die bei Veröffentlichung dieses Gesetzes bereits bestehenden Warenhäuser
haben die Steuer für das Rechnungsjahr 1901 nur zur Hälfte zu entrichten.
$ 16. Der Finanzminister, der Minister des Innern und der Minister für
Handel und Gewerbe sind mit der Ausführung dieses Gesetzes beauftragt.
Miszellen. 215
Nachdruck verboten.
Miszellen.
IV.
Handwerkersöhne an höheren Lehranstalten.
Von Bernhard Harms, Tübingen.
Die Handwerkerfrage ist nach allen Seiten des langen und breiten
debattiert. Wissenschaftlicher Erörterungen wird es zur Klarstellung
der Gesamtlage des Handwerks kaum mehr bedürfen. Die vor-
aussichtlichen Entwickelungstendenzen liegen deutlich vor Augen, die
Berufs- und Gewerbezählung von 1895 redet instruktiver denn alle
Hypothesen und Enqueten. Die Lehre von der unaufhörlich fort-
schreitenden Konzentration wird allgemach selbst von ihren eifrigsten
Vertretern als nur noch in gewissen Tendenzen konstatierbar hinge-
stellt. Mag die moderne Kultur umwälzen und reformieren — der
ganze Handwerkerstand wird niemals ihr Opfer werden. Auch im zu-
künftigen Wirtschaftsleben wird der Handwerker seinen Platz finden. Die
nationalökonomische Wissenschaft steht in dieser Beziehung prinzipiell auf
einem und demselben Standpunkt, verschieden sind nur die Auffassungen
über die Bedeutung jenes Platzes. Welchen Anteil der Handwerker
im Laufe der Zeit an der Gesamtproduktion haben wird, ob er bei
der Neuherstellung unserer Sachgüter eine größere oder kleinere Rolle
zu spielen hat — darüber läßt sich streiten. Die Gesamtforschung
giebt hier keinen Aufschluß, wohl aber die Specialstudie. Nach dieser
Richtung hin bietet auch die Handwerkerfrage noch eine Fülle interessanter
Probleme.
In nachfolgendem wird eine Seite der Handwerkerfrage zur Sprache
kommen, die meines Wissens bisher noch nicht untersucht wurde. Es
handelt sich um die Frage, welches Kontingent die Handwerker-
söhne für unsere höheren Lehranstalten stellen. An und
für sich mag eine solche Untersuchung weniger den Nationalökonomen
als vielmehr den Pädagogen interessieren. Indes ist der Frage die volks-
wirtschaftliche Bedeutung nicht abzusprechen. Denn ohne Zweifel
kann auf diese Weise ein neuer Maßstab gewonnen
werden für die Beurteilung der materiellen Lage des
Handwerks. Hat die Zahl der Höhere Lehranstalten besuchenden
Handwerkersöhne wesentlich abgenommen, so bedeutet das zweifellos
eine Verringerung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Handwerker. In
den Schriften des „Vereins für Sozialpolitik“ weist bereits Paul Voigt
216 Miszellen.
in seiner Arbeit über das Handwerk in Eisleben (Bd. 70, S. 351) auf
den Besuch des dortigen Gymnasiums seitens der Handwerkersöhne hin.
Er findet in den stetig kleiner werdenden Zahlen die Bestätigung seiner
Ergebnisse: den Niedergang des Eislebener Handwerks.
Dieser Hinweis interessierte mich in hohem Maße, ich versuchte,
der bezüglichen Entwickelung an möglichst vielen Schulen nachzugehen,
und kam schließlich auf den Gedanken, hierüber eine Enquete zu ver-
anstalten.
Unter Anleitung des Herrn Prof. Dr. von Schönberg arbeitete
ich einen zweckentsprechenden Fragebogen aus!) und versandte den-
selben an ca. 600 Höhere Schulen ?) Preußens und Württembergs.
Ich war mir von vornherein bewußt, damit eine hohe Anforderung
an die ohnehin mit amtlichen statistischen Aufnahmen viel geplagten
Direktoren zu stellen 2. Indes blieb zur Erreichung des gesteckten
Zieles kein anderer Weg.
Von den ca. 600 Empfängern des Fragebogens haben etwa 330
geantwortet. Leider ließen sich in vielen Fällen die Unterlagen für die
Erhebungen nicht auftreiben, handelte es sich doch darum, für den Zeit-
raum von 25 Jahren sämtliche Handwerkersöhne der betreffenden
Schule einzeln, nach dem speciellen Beruf des Vaters aufzuzeichnen.
Die Schülerverzeichnisse früherer Jahre aber sind vielfach nicht mit
1) Nachstehend eine verkleinerte Kopie des Fragebogens:
Fragebogen betreffend den Besuch deutscher Handwerkersöhne
an Höheren Lehranstalten Preußens.
Fer Es erhielten in den Jahren
54| Zahl der sämtlichen neu | Zahl der sämtlichen neu aufgenommenen 1876—1900 bezw. seit Gründung
„| aufgenommenen Schüler 2 der Anstalt
À a ` Handwerkersöhne in den Jahren lie Berechtio
bz in den Jahren die Berechti-
So | > - - das Zeugnis gung zum
= 2 76—|81—|86—|91—|96—| ; Beruf 76—|81—|86—|91— |96—| . der Reife Einj.-Freiw,
ee 80 | 85 | 90 | 95 19002! des Vaters | 80 | 85 90 | 95 1900, % Militärdienst
Buchbinder Handwerker-
Buchdrucker Söhne
Uhrmacher D SE
| Bäcker Buchbinder
Metzger insbesondere,
Schuhmacher
&chnei
get Nicht-Hand-
Schlosser
werkersühne!
Maler |
Tischler a x |
Ort der Schule:..............2.........-- Sonst. Hand- |
werker
LN D ire aaps a EA Ses
2) Der Begriff „Höhere Schulen‘ ist derartig gefaßt, daß alle diejenigen Anstalten
in Frage kommen, welche das Recht der Verleihung des Berechtigungsscheines zum Einj.-
Freiw. Militärdienst besitzen.
3) Nach Mitteilungen einer großen Zahl von Direktoren erforderte die Beantwortung
jedes Bogens einen Zeitaufwand von 8—12 Stunden.
Miszellen. 217
derart eingehenden Angaben versehen, oder aber sie sind verloren ge-
gangen.
Wirklich brauchbares Material lief von 126 Schulen ein; darunter
65 Gymnasien, 27 Progymnasien und Realgymnasien, 34 Realschulen
und Realanstalten !).
Im ganzen sind auf diese Weise für den Zeitraum 1876—1900
152800 Schüler, darunter 17129 Handwerkersöhne zur Erhebung ge-
kommen. Es konnte den Schulvorständen nicht zugemutet werden,
für jedes Handwerk eine gesonderte Aufstellung zu machen, aber doch
waren die Resultate der wichtigsten unter ihnen von besonderem
Interesse, so daß 10 Handwerke?) auf dem Fragebogen namhaft ge-
macht worden sind.
Gewiß ist eine derartige Erhebung nicht einwandfrei; konnte ich
mich dieser Erkenntnis schon vor der Bearbeitung nicht verschließen,
so ist sie mir jetzt zur Gewißheit geworden. Eine Reihe von Bedenken
muß auch hier zur Sprache gebracht werden.
Der größte Fehler ist jedenfalls der, daß die Statistik sich nur auf
einen Teil — etwa 29 Proz. — aller in Frage kommenden Schulen
erstreckt. Indes sind sämtliche Provinzen Preußens an ihr beteiligt,
so daß gewisse Tendenzen sich trotzdem ergeben. Ferner ist es möglich,
daß einzelne Schüler doppelt gezählt sind, da sämtliche Neuauf-
genommenen verzeichnet wurden, also auch diejenigen, welche von
anderen Schulen kamen. Endlich aber, und das ist für die Beurteilung
der Ergebnisse besonders wichtig, konnten nähere Anhaltspunkte für
den Begriff „Handwerk“ nach Lage der Sache nicht gegeben werden.
Der Beruf mußte so zur Erhebung kommen, wie ihn die Väter resp.
Söhne selbst angegeben hatten. Auf diese Weise sind entschieden
manche Handwerker als Kaufmann, Händler, Fabrikant, Stadtrat u. s. w.
eingetragen. Ein bezüglicher Vermerk seitens der Direktoren ist
vielen Fragebogen beigegeben. Man wird also nicht fehlgehen in der
Annahme, daß die Enquete die Mindestzahl der Höhere Lehr-
anstalten besuchenden Handwerkersöhne angiebt.
Auch die Bearbeitung des Materials bot einige Schwierigkeiten.
Bei dem verschiedenen Charakter der einzelnen Schulen, und vor allem
infolge der stark voneinander abweichenden Gründungsjahre, war eine
summarische Behandlung von vornherein ausgeschlossen ?). Sollte das
ganze Material zweckentsprechend verwertet werden, so mußte die Be-
arbeitung eine individualistische sein. Es war daher notwendig, für
jede Schule den prozentualen Anteil der Handwerkersöhne für je
5 Jahre auszurechnen. Nur auf diese Weise war es möglich, die Einzel-
resultate zu einem Gesamtbilde zu vereinigen.
In nachfolgendem sind die Ergebnisse systematisch zusammengestellt.
1) Württembergische Bezeichnung für „Realschule“.
2) Buchbinder, Buchdrucker, Uhrmacher, Bäcker, Metzger, Schuhmacher, Schneider,
Schlosser, Maler, Tischler.
3) Daher ist auch in nachfolgender Aufstellung die Schlußsumme nicht gezogen,
denn manche der aufgeführten Schulen mußten wegen Fehlens irgendwelcher Zahlen
ausgeschieden werden, so z. B. Berlin IV und Herford u. a.
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RE D I L E
Miszellen. i 293
Schon ein flüchtiger Blick auf diese Tabelle zeigt, daß die Ver-
hältnisse in Preußen und Württemberg grundverschieden liegen, der
Anteil der Handwerkersöhne an der Gesamtzahl der Schüler ist in
Württemberg weitaus größer. Es ergiebt sich daraus die Notwendigkeit
getrennter Darstellung. In Preußen sind in Summa 143 135 Schüler
zur Erhebung gekommen, unter ihnen 15668 Handwerkersöhne
(10,5 Proz). Letztere verteilen sich auf die einzelnen Handwerksarten,
wie folgt:
Zahl der neu aufgenommenen Handwerkersöhne in den Jahren
Beruf des Vaters | 76—80 | 81—85 | 86—90 | 91—95 |96—1900| Summa
Buchbinder 56 33 46 65 | 71 271
Buchdrucker 48 56 | 79 105 120 408
Uhrmacher 71 62 o 74 91 389
Bäcker 304 311 312 338 380 1645
Metzger 212 193 231 266 354 1256
Schuhmacher 208 141 178 157 214 898
Schneider 193 189 199 207 287 1075
Schlosser 117 129 143 199 270 858
Maler 104 81 105 120 171 581
Tischler l 164 130 174 241 257 966
Sonstige Handwerker | 1592 1289 1389 | 1477 | 1574 7321
Summa | 3069 | 2614 2947 3249 | 3789 15 668
Auf je 5 Jahre verteilt, ist die Gesamtzahl der Handwerkersöhne
von 3069 (in den Jahren 1876—80) auf 3789 (in den Jahren 1896/1900)
gestiegen, das bedeutet eine Zunahme von 23,4 Proz. In derselben
Zeit ist die Zahl der Nichthandwerkersöhne von 22085 (in den Jahren
16—80) auf 31 269 (in den Jahren 1896—1900) gestiegen, so daß die
Vermehrung sich hier auf 41,5 Proz. beläuft. Während aber die Zu-
nahme der Nichthandwerkersöhne stetig fortschritt — 22 085, 22 979,
26438, 26 934, 31269 — weist die Quote der Handwerkersöhne in
den Jahren 81—85 eine starke Verminderung auf, die erst in
den 90er Jahren wieder wett gemacht wurde. Auffällig ist dabei, daß
die Abnahme in erster Linie die Rubrik „Sonstige Handwerker“ be-
trifft, ihre ursprüngliche Zahl 1592 ist auch im letzten Zeitabschnitt
(96—1900) nicht wieder erreicht. Der Verlust an Handwerkersöhnen
ist also im wesentlichen den nicht besonders namhaft gemachten Hand-
werken zuzuschreiben, wenngleich auch bei den übrigen, zwischen den
ersten beiden Lustren eine kleine Differenz zu konstatieren ist. Ein
Vergleich der Jahre 76—80 und 96—1900 aber zeigt bei allen nam-
haft gemachten Handwerken eine wesentliche Steigerung !); dieselbe be-
trägt bei den Buchbindern 26,8 Proz, Buchdruckern 150 Proz., Uhr-
machern 25,3 Proz., Bäckern 25 Proz., Metzgern 62,2 Proz., Schneidern
48,6 Proz., Schlossern 130,7 Proz., Malern 66,3 Proz., Tischlern 64 Proz.
Die Zahl der „sonstigen“ Handwerkersöhne hat sich um 1,2 Proz.
1) Mit Ausnahme der Schuhmacher, bei denen die Zunahme nur 2,9 Proz.
beträgt.
224 Miszellen.
vermindert. Bei den meisten Handwerken tendieren die Zahlen
in den 80er Jahren nach unten, dann aber steigen sie, und zwar am
stärksten im letzten Jahrzehnt. Da die Zahl der Nichthandwerker-
söhne nur 41,5 Proz. zunahm, zeigen die Buchdrucker, Metzger,
Schneider, Schlosser, Maler und Tischler eine erheblich
stärkere Vermehrung.
Vergleichen wir mit diesen Ergebnissen die Resultate wissenschaft-
licher Forschung hinsichtlich der Lebensfähigkeit des Handwerks,
so finden wir dort als konkurrenzfähig in erster Linie die hier be-
sonders genannten Handwerksarten verzeichnet, es ist
also kein Zufall, wenn sich aus ihren Kreisen auch die meisten
höhere Lehranstalten besuchenden Handwerkersöhne rekrutieren.
Wenn nun trotzdem bei einer großen Reihe von Schulen die Zahl
der auf je 100 Schüler kommenden Handwerkersöhne kleiner geworden
ist, so liegt das an der starken Vermehrung der Nichthandwerkersöhne
gegenüber den „sonstigen“ Handwerkersöhnen. Die Pro-
hundertquote der namhaft gemachten Handwerke ist durchweg ge-
stiegen. (Siehe Anmerkung 1 auf S. 223.)
Ein wesentlich anderes Bild zeigen die Zahlen, wenn sie nach
dem Charakter der Schulen gruppiert werden.. Stellen wir zu diesem
Zwecke 3 Kategorien auf — Gymnasien, Real- und Progymnasien,
Realschulen — so spiegelt sich die Entwickelung in folgender Auf-
stellung wider.
Gymnasien Realgymnasien ete. Realschulen
| |
Beruf des Vaters |1876 sei eg 1891/96—[1876 1881 1886] 189196—[1876|1881|1886 1891106—
—801—85 —90|—95|1900]— 80 re 90 —95|1900)—80/—85|— 90 — 95/1900
Buchbinder 24 11] 22) ı7| 18] 18| 8| 6| 16) 181 14 | 14, 18| 32| 35
Buchdrucker 24 -22| 30| 32| 37| 10| 11 6| 20| ı3| al 23| 43| 53| 70
Uhrmacher 41, 31) 40| 20| 38] 22| 13| 19| 19| 18 8| 18| 32! 35 35
Bäcker 151 147| ı5ıl ıı7 | 123| 108| 93| 72| 71| 82| 45' 71) 97 150| 175
Metzger 78. 79| 79 88| ro4| 73| 62| 64| 58| Gol 61, 53| 88| rioj 190
Schuhmacher 116, 72| 87| 55| Di 49| 36| 38| 33| 36] 43| 33| 53) 69| 117
Schneider 103, 99' 77| 54| 64] 56| 50| 49| 30| 41] 34| 40| 73 123| 182
Schlosser 34 55 38 46| 31] 53 71 40| 40| 49| 30| 39 65, 103, 170
Maler 48| 42 29| 30| ao 34 | ı8| 22| 23| 23| 22| 21 D 67| 128
Tischler 7 58 44| 50| 58| 54 | 33| 40| 35| 31] 32| 39| oo 156| 168
Sonstige Hand- | |
werker 776| 622, 525| 443 | 455| 440 | 369 | 317 | 253 | 255 [376 |318 | 516) 781| 864
Summa |1473|1230|1153 952 1020 917 730 |673 598 | 626 | 679 | 669 1129/1699 2134
Nehmen wir zunächst die Gymnasien, so zeigt sich hier eine
Abnahme der Handwerkersöhne von 30,2 Proz.; mit Ausnahme der
Buchdrucker und Metzger sind daran sämtliche Handwerke beteiligt,
die nicht namhaft gemachten sogar mit 41,3 Proz.
Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse bei den Realgymnasien und
Realprogymnasien. Die Gesamtzahl ist von 917 auf 626 (31,7 Proz.)
gesunken, auch hieran sind mit Ausnahme der Buchdrucker sämtliche
Handwerke beteiligt.
Miszellen. 225
Der Verlust beider Kategorien findet sich in den Realschulen
wieder, die Zunahme der Handwerkersöhne ist hier enorm, sie beträgt
im Durchschnitt 214,3 Proz. die einzelnen Handwerke sind daran, wie
folgt, beteiligt: Buchbinder 150 Proz, Buchdrucker 400 Proz., Uhr-
macher 337,5 Proz., Bäcker 288,8 Proz. Metzger 211,4 Proz., Schuh-
macher 170,4 Proz., Schneider 435,3 Proz., Schlosser 466,6 Proz.,
Maler 481,8 Proz., Tischler 425 Proz., „sonstige Handwerker“ 129,8 Proz.
Die Realschulen scheinen demnach von den Handwerkern bevorzugt zu
werden. Die Gründe hierfür dürften nur zum kleinsten Teile in dem
billigeren Schulgeld zu suchen sein, die Handwerker betrachten vielmehr in
den weitaus meisten Fällen als das Ziel der Schulbildung ihrer Söhne die
Erlangung des Berechtigungsscheines zum Einjährigen Militärdienst. Zur
Erreichung dieses Zieles wird naturgemäß der einfachste Weg be-
schritten, es ist daher erklärlich, daß mit der Zunahme der Realschulen
die Handwerkersöhne sich den Gymnasien in immer stärkerem Male
abwenden. Die sinkende Tendenz an diesen Schulen beruht demnach
in der Regel nicht auf der geringeren finanziellen Leistungsfäbigkeit
der Handwerker, sondern vielmehr auf der Vermehrung solcher An-
stalten, deren Abgangszeugnis zum Einjährigen Militärdienst berechtigt.
Es kann daher nicht Wunder nehmen, wenn die Zahl der Handwerker-
söhne mit dem „Berechtigungsscheine“ die Zahl der Besitzer des „Reife-
zeugnisses“ weit überholt.
Die Tabelle bietet ferner interessante Anhaltspunkte für die be-
züglichen Verhältnisse in den verschiedenen Landesteilen, indes reden
hier die Zahlen an sich, so daß eine Krystallisierung überflüssig er-
scheint.
Wiederholen wir das Gegebene, so läßt es sich kurz dahin präzi-
sieren, daß 1) die Zahl der Handwerkersöhne an den Höheren Schulen
Preußens in den letzten 25 Jahren im allgemeinen abgenommen
hat, daß aber die Söhne der namhaft gemachten, besser situierten Hand-
werker (mit Ausnahme der Schuhmacher) sich unverhältnismäßig stark
vermehrten, und daß 2) die Realschulen in immer stärkerem Male die
Handwerkersöhne auf Kosten der Gymnasien und Progymnasien an
sich ziehen.
In Württemberg ist die Entwickelung ähnlich gegangen, nur
daß hier der Anteil der Handwerkersöhne an der Gesamtzahl ein größerer
ist. Detaillierte Angaben über die einzelnen Handwerksarten würden
zu einem unklaren Bilde führen, da an der Aufnahme fast ausschließ-
lich Realanstalten beteiligt sind. Ueberdies ist hier der Unterschied
zwischen den besonders genannten und „sonstigen“ Handwerkern nicht
annähernd so groß, als in Preußen.
Einige allgemeine zusammenfassende Zahlen dürften deshalb zur
Klarlegung der thatsächlichen Verhältnisse genügen. Im ganzen haben
sich nur 10 Württemberger Schulen an der Enquete beteiligt. Die
Zahl ihrer Schüler beläutt sich in den letzten 25 Jahren auf 9665,
darunter 1991 Handwerkersöhne!). Während letztere in Preußen nur
mit 10,5 Proz. an der Gesamtzahl beteiligt sind, partizipieren sie in
Württemberg mit 20,6 Proz. Die beiden verzeichneten Gymnasien
Dritte Folge Id. XXI (LXXVI). 15
296 Miszellen.
weisen aber ebenfalls eine verschwindend kleine Ziffer auf. Die Nicht-
handwerkersöhne sind von 1080 in den Jahren 76—80 auf 1748 in
den Jahren 96—1900 gestiegen, in derselben Zeit steigerte sich die
Zahl der Handwerkersöhne von 295 auf 399. Mithin vermehrten sich
letztere um 35,3 erstere sogar um 62,5 Proz. Für je 5 Jahre ging
die Entwickelung, wie folgt:
76—80 81-85 86—90 91—95 96—00
Handwerkersöhne 295 453 452 402 399
Nichthandwerkersöhne ; 1080 1549 1448 1729 1748
Gerade diese Zahlen schließen ein langes und breites in sich, zum
mindesten führen sie zu interessanten Vermutungen.
Wir haben gesehen, daß in Preußen die Zahl der Handwerker-
söhne in den 80er Jahren zu sinken tendiert, in Württemberg macht
sich dieselbe Entwickelung 5—10 Jahre später bemerkbar. Liest da
nicht die Annahme nahe, daß die Wirkungen der modernen Produktions-
form in dem industriereichen Norddeutschland früher fühlbar wurden,
als in Württemberg? Darf aber andererseits aus den Zahlen nicht
auch konstatiert werden, daß sich im Handwerk selbst eine Klärung
vollzog derart, daß das Sterbende vollends abfiel, die konkurrenzfähigen
Handwerke aber nach der ersten Ueberraschung durch die unvermittelt
hereinbrechende neue Zeit schnell wieder erstarkten ? Gerade die später
einsetzende Entwickelung in Württemberg spricht für diese Annahme,
denn hier, wie überhaupt in Süddeutschland, hat sich die alte hand-
werksmäßige Produktionsform weit besser konserviert, als in Nord-
deutschland. Allmählich aber geht auch hier derselbe Prozeß seinen
Weg, das Unhaltbare muß stürzen, der konkurrenzfähige Teil des Hand-
werks dagegen wird sich auch in Süddeutschland den veränderten Ver-
hältnissen anzupassen wissen. Die Enquete bestätigt, was die objektive
Wissenschaft längst erkannte: Fühlbar wurdedem ganzen Hand-
werk die Entwickelung zur Großindustrie, zum Opfer
aber fielen ihr nur gewisse Handwerksarten.
1) Bei dieser Zusammenstellung ist die Tübinger Realschule nicht mit ver-
rechnet, da ihre Resultate erst einliefen, als die Bearbeitung bereits erfolgt war, In die
Tabelle aber ist diese Schule noch aufgenommen, sie zeigt einen sehr hohen Prozent-
satz von Handwerkersöhnen; man wird nicht fehlgehen, wenn man den hierdurch
dokumentierten wohlsituierten Handwerkerstand auf die Universität zurückführt.
Göttingen z. B. zeigt ähnlich günstige Zahlen. In letzter Stunde lief noch der
Fragebogen von der Realanstalt zu Eßlingen ein, auch hier war die Verrechnung
nicht mehr möglich, wenngleich die Aufnahme in die Tabelle noch erfolgte.
Miszellen. 297
Nachdruck verboten,
V.
Von der ersten russischen Volkszählung.
Am 28. Januar (9. Februar n. St.) 1897 wurde in Rußland die erste,
das ganze Reich umfassende Volkszählung ausgeführt. Das gesamte
Zählungsmaterial wurde in duplo angefertigt, und das Urmaterial ging
an das Statistische Centralkomitee in St. Petersburg ab, während die
Kopien den Lokalorganen, den statistischen Lokalkomitees der Regie-
rung, verblieben. Obschon G. v. Mayr, einer der begeistertsten An-
hänger einer centralistisch organisierten Verarbeitung von Volkszählungs-
materialien, die Centralisation in einem Lande für undurchführbar hält,
wo die einzelnen territorialen und politischen Einheiten sich in Kultur-
und Sprachenverhältnissen sehr wesentlich voneinander unterscheiden,
und obschon diese, an dem Prinzip der Centralisation geübte Ein-
schrünkung den Eindruck hervorruft, als sei sie eigens auf die Ver-
hältnisse des Zarenreiches, des „Landes aller Zonen“, gemünzt, hatte
es sich die russische Regierung doch nicht nehmen lassen, durch das
Gesetz vom 5. Juni 1895 eine völlig centralistisch organisierte Ver-
arbeitung des Volkszählungsmaterials festzusetzen und Verarbeitungen
durch die lokalen statistischen Aemter grundsätzlich zu verbieten. Die
am 28, Januar 1897 angefertigten Kopien des Urmaterials liegen noch
heute, wit amtlichem Siegel verschlossen, unberührt unter dem Tisch
der Chefs der lokalen statistischen Büreaus und werden nur in einzelnen
Fällen, wo ergänzende Auskünfte aus Petersburg eingeholt werden,
ausgebeutet, um dann wieder mit aller büreaukratischer Förmlichkeit
unter das Gewahrsam des Amtssiegels gebracht zu werden — ob-
schon die Duplikate der Zähllisten dazu bestimmt waren, den
Zwecken der lokalen Behörden zu dienen. Nach Art. 40
und 41 des Gesetzes vom 5. Juni 1895 über die Ausführung einer
allgemeinen Volkszählung sind nämlich auch lokale Verarbeitungen des
Volkszählungsmaterials vorgesehen und nur von einer speciellen Ge-
nehmigung des Ministers des Innern abhängig gemacht worden, aber
bisher ist diese Genehmigung allen Selbstverwaltungskörpern, die auf
eigene Kosten ein lokales Dépouillement veranstalten wollten, regel-
mäßig versagt worden.
Obschon somit die lokalen Verwaltungszweige auf die Ergebnisse
der Ausbeute durch das Statistische Centralkomitee des Ministeriums
15*
298 Miszellen.
des Innern angewiesen blieben, und obschon man sich bewußt war, daß
bei dem, seit zwei Jahrzehnten im Zarenreich vorherrschenden,
nivellierend-centralistischen System in Verwaltung und Regierung,
daß bei all den Versuchen, die vielfachen, heterogenen Bestandteile des
Reiches wenigstens auf dem Papier einander zu assimilieren, sich auch
das Statistische Centralkomitee dem Zuge der Zeit kaum entziehen und
ein feineres Detail zur Charakterisierung der lokalen Eigenheiten
schwerlich liefern werde, obschon man also in eingeweihten Kreisen
seine Erwartungen nicht allzu hoch spannte, richtete man die ganze
Hoffnung noch auf die elektrische Zählmaschine, die sich nach dem
Zeugnis von Rauchberg !) bei derVerarbeitung des Materials der öster-
reichischen Volkszählung vom 31. Dezember 1890 so gut bewährt
hatte. Da die Regierung sich nun einmal für Centralisation in der
Verarbeitung des Zählmaterials entschieden hatte, war es wohl auch
ganz folgerichtig, zu einer modernen Errungenschaft, der Zählmaschine,
zu greifen. Und das um so mehr, als auch wieder Rauchberg der
Maschinenarbeit gerade dort den Vorzug erteilt, wo die statistische
Technik am wenigsten entwickelt ist — eine Voraussetzung, die, wie
wir weiter unten sehen werden, eigens auf die bekannten Verhältnisse
im Statistischen Centralkomitee in Petersburg paßt.
Eine der wesentlichsten Erwartungen, die die Gesellschaft, wie
auch die Fachkreise Rußlands auf die Zählmaschine setzten, bestand
darin, daß man vor allem eine möglichst schnelle Erledigung der Ver-
arbeitung des umfangreichen Zählmaterials erhoffte Hatten doch die
österreichischen Volkszählungsarbeiten vom Tage der Zählung, dem
31. Dezember 1890, bloß 21/, Jahre, bis zum 15. Juli 1893, gewährt,
und in diesem Zeitraum, von dem die Zeit vom Zählungstage bis zum
15. Juni 1891 der decentralisierten, summarischen Bearbeitung ge-
widmet war, ein überaus reichhaltiges Tabellenmaterial mit den mannig-
faltigsten Kombinationen und einer feinen Detaillierung zu Tage ge-
fördert. DBeiläufig bemerkt, war in dieser Zeit nach Rauchberg die
gesamte Bevölkerung Oesterreichs 4mal durch die Maschine geführt
und außerdem der Nebenerwerb für 587 778 Personen ausgezählt, d h.
rund 96,2 Mill. Karten waren erledigt worden. Jetzt sind seit dem
Zählungstage in Rußland mehr als 3 Jahre verflossen; was aber bisher
auantitativ geleistet worden ist, ist so verschwindend gering, daß man
an der Richtigkeit der Thatsache schier zweifeln möchte, wenn nicht
authentisches, offizielles Material allen Zweifel niederschlüge. Das
Statistische Centralkomitee hat bisher 10 Lieferungen erscheinen lassen,
die sich mit 51/, Mill. Bewohnern aus den verschiedensten Teilen des
europäischen und des asiatischen Rußland befassen. Und auch das
alles ist bloß Bruchstück und bringt keineswegs abschließende Arbeiten,
d. h. wenigstens Gruppierungen sämtlicher Erhebungsmomente für
1) Dr. Heinr. Rauchberg, Die elektrische Zählmaschine u. s. w., in Mayr’s Allg.
Stat. Arch., 2. Jahrg., 1. Halbband, und Derselbe, Erfahrnngen mit der elektrischen
Zählmaschine, in Mayr’s Allg. Stat. Arch., 4. Jahrg., 1. Halbband.
Miszellen. 299
die 5'/, Mill. und Detaillierung der Bevölkerungsverhältnisse in den
Gouvernements, deren Bearbeitung zuerst in Angriff genommen worden ist.
Wie bei der Anwendung der Zählmaschine eine, sich in lauter
Fragmenten bewegende Verarbeitung des Zählungsmaterials möglich
ist, bliebe ein Rätsel, wüßte man nicht, daß die Maschine gerade ganz
besondere Umstände voraussetzt, Umstände, die wohl nur meist dort
anzutreffen sein werden, wo die statistische Technik gerade einen
hohen Stand der Entwickelung einnimmt.
Es berührte etwas eigen, als auf die Anfrage v. Mayr’s „über die
Ausgestaltung des Volkszählungsplanes“ (s. darüber Allg. Stat. Archiv,
4. Jahrg, 1. Halbband, S. 396) Herr v. Troinitzky, Präsident des
Statistischen Centralkomitees, mitteilte, „daß das Projekt der Volks-
zäblung erst nach definitiver Entscheidung durch den Reichsrat mit-
geteilt werden könne“. Man konnte sich nicht des Eindrucks erwehren,
daß ein gewisses Quidproquo gewaltet habe, als Herr v. Troinitzky in
der Folge dem Herausgeber des Allg. Stat. Archives in einer fran-
zôsischen Broschüre das Gesetz vom 5. Juni 1895 mit den Bestimmungen
über den äußeren Gang der Volkszählung, die Organisation der Zäh-
lungsämter, u. s. w. übersandte. Man fragte sich, ob v. Mayr mit der
„Ausgestaltung des Volkszählungsplanes“ nicht am Ende den Ausbeute-
plan ins Auge gefaßt hatte, der nach Art. 40 des Gesetzes von der
Hauptzählungskommission zu konzipieren und darauf von dem Statisti-
schen Centralkomitee auszuführen war. Jedenfalls waren die Fach-
kreise, denen die Bedeutung eines Ausbeuteplanes gerade für die Ver-
wendung einer elektrischen Zählmaschine bekannt war, auf die
Veröffentlichung dieses Planes sehr gespannt. Ist es doch von Rauch-
berg mit größter Eindringlichkeit betont worden, daß gerade in dem
Arbeitsplan der Schwerpunkt gelegen ist, um die Leistungsfähigkeit
der Maschine voll zu entfalten, daß der Leiter des Amtes sich während
der Dauer der Maschinenarbeiten freilich in einen Fabrikdirektor um-
wandeln müsse, der nur darauf zu achten hat, daß sich alles dem im
voraus entworfenen Programm entsprechend abwickele, daß er dafür
aber „vorher und nachher doppelt Statistiker“ sein muß, „Denn
der ganze Plan muß bis in die kleinsten Details konzipiert sein, bevor
nur der erste Schritt zu seiner Verwirklichung gemacht ist“1) Wie
weit man darin vorarbeiten kann, ja muß, hat man an der österreichischen
Volkszählung gesehen. Rauchberg teilt, wie der Plan für die elektrische
Aufbereitung des österreichischen Volkszählungsmaterials verwirklicht
werde, bereits zu einer Zeit mit, wo der Plan nur erst aufgestellt war.
Er schrieb, wie er in seinem zweiten Aufsatz erläuterte, „ein Präsens,
eigentlich war es das Futurum“.
Wie ganz anders in Rußland. Anfragen über den Arbeitsplan, die
von Berufsstatistikern an das Statistische Centralkomitee gerichtet
worden sind, hat man nicht recht verstanden und späterhin mit einem
konfidentiellen, aber dafür entschiedenen: „Das ist Amtsgeheimnis!“
beantwortet. Bis heute besteht jedenfalls ein solcher Plan
en
1) Rauchberg, a. a. O.
230 Miszellen.
für die Ausbeutung der Zählungsmaterialiennicht. Doch
wir wollen nicht vorgreifen, sondern nur bemerken, daß bald die
seltsamsten Nachrichten über die Arbeiten des Statistischen Central-
komitees in die weiteren Kreise der Gesellschaft drangen und von der
Presse bald schärfer, bald weniger scharf kommentiert und glossiert
wurden.
Aus all den Kritiken, die bisher auf die vom Statistischen Central-
komitee veröffentlichten Zählungsresultate erfolgten, sei eine Abhand-
lung herausgenommen, die in der „Russkoje Ekonomitscheskoje Obos-
renje“ (Jahrg. 1900, Heft 5, S. 51—67) vor einiger Zeit erschienen
ist und offenbar aus fachmännischer Hand stammt. Die Sache entbehrt
zudem nicht eines gewissen pikanten Beigeschmackes. Denn die „Russ-
koje Ekonomitscheskoje Obosrenje“ (Russische ökonomische Rundschau)
ist ein hoch-offiziöses, vom Finanzministerium heraus-
gegebenes Journal, das unter der Redaktion M. M. Fedorow's erscheint,
des Redakteurs zweier offizieller Organe des Finanzministeriums: des
„Westnik Finanssow“ (Finanzbote) und der Torgowo-Promyschlennaja
Gaseta“ (Handels- und Industriezeitung).
Die Abhandlung ist „Die allgemeine Volkszählung und
die Bearbeitung ihrer Resultate“ betitelt und gewährt ein
deutliches Bild vom augenblicklichen Stande der Aufbereitungsarbeiten.
Wir lassen sie hiermit in extenso folgen:
„Es ist eine der unvermeidlichen Befugnisse eines wohleingerichteten
Staatswesens unserer Zeit, möglichst genaue und vollständige Daten zu
sammeln über die Zahl und Gliederung der Bevölkerung, sowie über
die verschiedensten Seiten ihrer Lebensbethätigung. Unsere Regierung
hatte schon längst erkannt, wie wichtig die Organisation von statisti-
schen Institutionen ist und deshalb bekanntlich bereits im Jahre 1811
beim Ministerium der Polizei eine besondere statistische Abteilung ein-
gerichtet. Aber auch außerdem wurde noch in anderen Ministerien die
‚Sammlung statistischen Materials, das für dieses oder jenes Ressort ein
größeres Interesse hatte, organisiert. Obschon wir uns nun heute nicht
gerade über einen Mangel an staatlichen und kommunalen Organen für
Statistik beklagen können, so darf dennoch der Reichtum an Institutionen
nicht entfernt als Beweis für einen richtigen Zuschnitt unserer Statistik
angesehen werden. Im Gegenteil, der Mangel an genauen statistischen
Daten für eine ganze Reihe von Grundproblemen unserer Volkswirt-
schaft, begonnen mit den Ernteresultaten, veranschaulicht überzeugend
die Insolvenz der Statistik unseres Landes, so daß eine Reform dieser
Angelegenheit zu den aktuellsten Aufgaben unseres Staatslebens gehört.
Unter den staatlichen Organen für Statistik nimmt die weitaus
größte Bedeutung das Statistische Centralkomitee des Ministeriums des
Innern in Anspruch, nebst allen seinen lokalen Organen, den Gouverne-
ments- und Gebiets-statistischen Komitees: in diesen Institutionen ist,
wie bekannt, unter anderem auch die Bevölkerungsstatistik, der wichtigste
Zweig staatlicher Statistik, konzentriert.
Da bei uns bis zum Jahre 1897 eine regelrechte Auszählung der
Bevölkerung nicht vorkam und da als Hauptquelle für die Bestimmung
Miszellen. 231
der Volkszahl die Angaben der Polizei dienten, darf es nicht Wunder
nehmen, daß das Centralkomitee von allen statistischen Operationen, die
dringend auf ihre Verwirklichung harrten, eine eintägige Volkszählung
des Reiches an die erste Stelle setzte. Als besonders beharrlicher und
kompetenter Vorkämpfer für den Gedanken der Notwendigkeit einer
methodischen Volkszählung trat der bekannte Geograph und Statistiker
P. P. Semenow auf, der längere Zeit an der Spitze der Statistik des
Ministeriums des Innern gestanden hatte. In seiner Stellung als an-
gesehener Gelehrter und offizieller Vertreter der Verwaltungsstatistik be-
nutzte P. P. Semenow jede Gelegenheit, um für die Idee einer eintägigen
Volkszählung und die dringende Notwendigkeit ihrer Verwirklichung
Propaganda zu machen. Leider blieben alle Bemühungen Semenow’s
lange ohne Resultat. Erst im Jahre 1895, in seinem fast erreichten
70. Lebensjahr, gelang es ihm, dank eines mit seiner Idee sympathi-
sierenden Antrages des Finanzministeriums, an der Spitze der Arbeiten
zu stehen, die seine lang gehegte Idee verwirklichen sollten.
Im Jahre 1895 erschien das Gesetz über die allgemeine Volks-
zählung des russischen Reiches, und am 28. Januar 1897 wurde dieses
statistische Werk in der That überall ausgeführt. Indem die erste
allgemeine Volkszählung Rußlands sich als eine grandiose statistische
Arbeit präsentiert, die ein weites Territorium und eine Bevölkerung
von vielen Millionen umfaßt, ist sie zugleich der erste Versuch, die
ganze Bevölkerung Rußlands mit einem Mal auszuzählen, da die bis
dahin ausgeführten „Revisionen“ sich hauptsächlich auf die steuer-
pflichtigen Stände erstreckten. Die bei den „Revisionen“ ermittelten
Daten waren zudem nicht an einen einzigen Zeitpunkt gebunden,
sondern setzten sich über mehrere Jahre fort, so daß sie sich nicht
durch eine notwendige Vollständigkeit auszeichneten. Und selbst die
Kunstgriffe dieser Erhebungen entsprachen nicht den Anforderungen
wissenschaftlicher Forschung. Die bei uns bis zum Jahre 1897 aus-
geführten, eintägigen Zählungen aber haben nur in gewissen, einzelnen
Landesteilen stattgefunden und das ganze Reich nicht umfaßt. Unter-
dessen verlangten aber zahlreiche und verschiedenartige Aufgaben des
Staates einmal dringend genaues statistisches Material für die Gesamt-
bevölkerung Rußlands. Daher erschien die Durchführung einer ein-
tägigen Volkszählung als das Resultat einer vollständig klaren Erkennt-
nis dessen, daß eine systematische Entwickelung des Staatslebens ohne
genaue Ziffern über Zahl und Status der Bevölkerung undenkbar ist.
Als erster Volkszählungsversuch — der dazu noch in einem, für
alle statistischen Operationen so undankbaren Lande, wie Rußland,
unternommen wurde — ist die erste Volkszählung freilich nicht frei
von etlichen Mängeln und Fehlern, die übrigens bei einem so kom-
plizierten, neuen und äußerst schwierigen Werk durchaus natürlich sind.
Nichtsdestoweniger ist der erfolgreiche Ausgang der Zählung selbst als
ein überzeugender Beweis für die Richtigkeit der ganzen Organisation
des Werkes anzusehen.
Nach Schluß der ersten Volkszählung veröffentlichte die mit der
ganzen Leitung betraute Hauptzählungskommission auf Grund der Daten,
232 Miszellen.
die ihr von den unterstellten Aemtern aus allen Ecken und Enden Rub-
lands zugegangen waren — aus den entlegensten Gebieten waren die
Daten telegraphisch übermittelt worden — die Gesamtresultate der
eintägigen Zählung. Sie bezweckte mit diesem Schritt die nach einem
einheitlichen Erhebungsformular ermittelten und an einen Aufnahme-
moment gebundenen Gesamtergebnisse möglichst schnell zum Gemeingut
zu machen. Darauf wurden noch im Jahre 1897 von dem Statistischen
Centralkomitee, in dem sich die Aufbereitung des Zählungsmaterials
konzentrierte, 3 Lieferungen herausgegeben, die gleichfalls die vor-
läufigen Ermittelungen des 28. Januar 1897 enthielten. Die von dem
Statistischen Centralkomitee veröffentlichten Daten waren ebenfalls von
den lokalen statistischen Komitees übernommen worden. Da aber
mittlerweile das Urmaterial in St. Petersburg angelangt war, besaß das
Komitee die Möglichkeit, mit den Resultaten der lokalen Unterämter
kritisch vorzugehen, sie zu revidieren und zu verbessern. Gewiß er-
klärt sich die Veröffentlichung der vorläufigen Daten gleichfalls durch
den Wunsch des Komitees, die von allen Seiten eintreffenden Anfragen
über die Bevölkerungszahl dieser oder jener territorialen Einheit zu
beantworten. Hierauf hat das Statistische Centralkomitee noch 10
Hefte erscheinen lassen, die bereits die Resultate eines endgiltigen
Depouillements des Zählungsmaterials enthalten.
Während die „vorläufigen Mitteilungen“, die von der Haupt-
zählungskommission und dem Statistischen Centralkomitee veröffentlicht
wurden, die wichtigsten Daten für das gesamte Reich zusammenfaßten,
ist bei der Veröffentlichung der Originalresultate bereits ein anderer
Kunstgriff zur Anwendung gelangt: das Komitee giebt nicht eine Zu-
sammenstellung für das Gesamtreich nach einem bestimmten Gesichts-
punkt — (z. B. Bevölkerungszahl in Rußland oder Zahl der Männer,
der Junggesellen, der Personen, die des Lesens und Schreibens kundig
sind, u. s. w.) — ebensowenig die summarische Zusammenfassung von
Erhebungen über die Bewohner eines bestimmten Bezirkes nach allen
Erhebungsmomenten, sondern bloß einen Teil von Daten für einige
Gouvernements. Dabei fehlt es sowohl bei der Auswahl der ver-
arbeiteten Erhebungen, als auch bei der Auswahl der Gouvernements
an einem leitenden Prinzip. In der That, es ist kaum durch irgend
etwas zu erklären, weshalb das Centralkomitee mit dem Gouvernement
Archangel begonnen hat, um dann zur Insel Sachalin, zu dem Gouverne-
ment Astrachan, dem Amurgebiet, dem Gouvernement Witebsk, dem
Küsten-Gouvernement (Ost-Sibiriens), dem Schwarzmeer-Gouvernement,
den Gouvernements Olonetz und Wilna überzugehen. Noch weniger
verständlich ist die Auswahl der veröffentlichten Tabellen: Kinder
unter einem Jahr nach dem Stande der Eltern und nach den Monaten
des Lebensalters, Kinder unter einem Jahr nach der Konfession und
nach Monaten des Lebensalters — das sind z. B. die Daten für das
Gouvernement Archangel, obschon wir bis heute noch keinerlei Mit-
teilungen über die Beschäftigung der Bevölkerung jenes Gouvernements,
ihren Civilstand, physische Gebrechen, u. s. w. besitzen. Wenn das
Statistische Centralkomitee wirklich im Auge gehabt haben sollte,
Miszellen. 233
wissenschaftliche oder praktische Interessen zu verfolgen, hätte es sich
kaum für eine solche Systemlosigkeit in der Verôffentlichung von Volks-
zählungsmaterialien entschieden. Denn es leuchtet jedem ein, daß weder
die Wissenschaft, noch das praktische Leben aus einem Teil von mit-
unter völlig unwesentlichen Daten über einige Landesteile, die zudem
vollständig willkürlich !) ausgesucht worden sind, irgendwelche Schlüsse
ziehen kann. Das vom Komitee erwählte System oder richtiger gesagt,
die Systemlosigkeit in der Veröffentlichung der Zählungsresultate ist
unzweckmälig, da die publizierten Daten erst nach Herausgabe des ge-
samten Materials eine wirklich nützliche Anwendung erfahren werden.
Ganz anders wäre es, wenn sich das Komitee bei der Wahl der
Gouvernements z. B. an die natürlichen Rayons gehalten und eine Zu-
sammenstellung für die Gouvernements gegeben hätte, die zu einem
Rayon gehören, wenn schon aus irgendwelchem Grunde eine Zusammen-
stellung für das Gesamtreich nicht geliefert werden konnte.
Leider hat das Statistische Centralkomitee auch auf eine ausführ-
liche Erläuterung jener Erhebungen, mit deren Hilfe die von ihm ver-
öffentlichten Daten erlangt worden sind, verzichtet. So ist z. B. aus
dem umfangreichen Vorwort, mit dem das Heft 1 über das Gouverne-
ment Archangel ausstaffiert ist, in keiner Weise zu ersehen, welche
Prinzipien der Verarbeitung zu Grunde liegen. In der Statistik gilt
aber als Elementarwahrheit der Satz, daß sich der Grad von Vertrauen
zu Zahlen (d. h. ihre Glaubwürdigkeit) nach dem Grade von Zutrauen
richtet, das von der Technik der Ermittelung eingeflößt wird. Dem
gebildeten Teil der russischen Gesellschaft ist es bekannt, daß die Volks-
zählungsdaten durch Befragen nach Formularen, die jeder in Händen
hatte gewonnen wurden. Wie benahm sich nun die Bevölkerung in
den verschiedenen Teilen unseres Landes bei diesem Befragen, welche
Schwierigkeiten, Mißverständnisse, gab es an den einzelnen Orten, wie
erwies sich im allgemeinen das Zählungsmaterial in den Gouvernements,
für die die verarbeiteten Ermittelungen gegeben werden, auf welche
Weise sind die publizierten Daten aus dem Urmaterial gewonnen
worden — alle diese Fragen sind durchaus wesentlich, um den Grad
von Zutrauen abzuschätzen, das die Zählungsdaten beanspruchen dürfen.
Denn ohne eine solche Abschätzung entschließt sich der Statistiker
nicht zu einer Benutzung des Ziffernmaterials und ist die Anwendung
dieses Materials für den Verwaltungsbeamten bei seinen praktischen
Erwägungen und Maßnahmen nicht zulässig, Dann hat sowohl die
Hauptzählungskommission, als auch das Statistische Centralkomitee durch
die Veröffentlichung von vorläufigen Zählungsresultaten die ganze Wichtig-
keit einer möglichst schnellen Publikation des Zählungsmaterials an-
erkannt; wenn man aber verfolgt, wie die Hefte mit dem verarbeiteten
Urmaterial erschienen sind, muß man annehmen, daß die Frage von
einer Beschleunigung in der Veröffentlichung der Zählungsdaten heute
1) Anmerkung des Uebersetzers. Nach privaten Ermittelungen ist die Auswahl
nicht ganz prinzipienlos getroffen worden. Man hat vielmehr die politischen Bezirke
mit der kleinsten Bevölkerungsziffer ausgesucht.
234 Miszellen.
bereits jegliche Bedeutung verloren hat. Denn in der That, seit der
Zählung sind mehr als 3 Jahre verflossen und unterdessen sind Er-
mittelungen publiziert, die sich — (d. h. nicht entfernt alle von ihnen!) —
auf 5!/, Mill. Einwohner bei einer Gesamtbevölkerung von fast 130 Mill.
beziehen.
Ferner wird in der Vorrede zu Heft 1, Gouv. Archangel, davon
gesprochen, daß das Dépouillement des Zählungsmaterials nach einem
Plane ausgeführt werde, der von der Hauptzählungskommission auf-
gestellt sei. Die Frage eines Arbeitsplanes ist ebenfalls sehr wesent-
lich, aber leider hat das Komitee bisher diesen Plan nirgends veröffent-
licht, während gerade seine Kenntnis die Möglichkeit geboten hätte,
die Zweckmäligkeit des ganzen Werkes abzuschätzen. Außerdem sind
wir aber geneigt, in der Behauptung der Vorrede, der Arbeitsplan sei
von der Hauptzählungskommission konfirmiert worden, eine gewisse Un-
genauigkeit zu erblicken, da, soweit uns bekannt, nach dem Gesetz
vom 5. Juni 1895 obige Verpflichtung allerdings auch der Haupt-
zählungskommission auferlegt war, diese aber noch vor Ausarbeitung
eines Planes für das Dépouillement aufgehoben wurde. Die Ausarbeitung
von Summationstabellen wird man aber kaum als Plan für das Dé-
pouillement ansehen dürfen. Freilich hatten auch die Grundtabellen,
die von der Hauptzählungskommission ausgearbeitet worden waren, die
Bedeutung eines Projekts von Tabellen, aber keineswegs eines definitiv
bestätigten. Dann zeichnen sich die publizierten Daten auch durch
Unvollständigkeit aus und haben gewissermaßen einen fragmentarischen
Charakter. So bringen die Tabellen keine Mitteilungen über die ganze
ständige Bevölkerung, sondern nur über einen Teil der ständigen Be-
völkerung im Moment der Zählung; ferner giebt es keine Klassifikation
der Ausländer nach den verschiedenen Merkmalen, sondern nur eine der
Russen, obschon die Mehrzahl der Ausländer zu den ständigen Be-
wohnern des Gebietes gehört.
Dank einer solchen Unvollständigkeit erweist es sich als unmöglich,
ein vollständiges Bild über Verteilung der ständigen Bevölkerung
nach Alter, Geschlecht, Civilstand, Beruf u. s. w. zu entwerfen. Ferner
werden die Haushaltungen der Einzelpersonen eingeteilt: a) in solche
ohne Gesinde und Mietkräfte, und b) in solche mit angemieteten
Arbeitern, wobei in den veröffentlichten Zählungsresultaten die erste
Gruppe der Einzelpersonen in Männer und Weiber geteilt worden ist,
die zweite aber nicht, so daß eine Bestimmung der ganzen Zahl von
Männern und Weibern, die eine Einzelwirtschaft führen, unmöglich
wird. Anstatt endlich das Zählungsmaterial nach den, von der Haupt-
zählungskommission bestimmten Grundtabellen zusammenzufassen, bietet
das Centralkomitee Tabellen, die, wie wir oben gesehen haben, eine sehr
bedingte Brauchbarkeit und Bedeutung besitzen.
Das sind die allgemeinen Bemerkungen, die wir machen wollten
ohne Ansehung des Wesens des veröffentlichten Materials. In Kürze
lassen sich diese Bemerkungen so zusammenfassen: In der Gesamt-
lage des Depouillements des Zählungsmaterials läßt
sich der Mangel an einem Systemin der Veröffentlichung
Miszellen. 235
der Zählungsresultate beobachten, ferner ein lang-
samer Fortschritt der Arbeit selbst, eine Unerklärbar-
keit des ganzen Planes und der Technik des Dépouille-
ments, Abgebrochenheit und Unvollständigkeit der
zusammenfassenden Tabellen, Mangel an einer voll-
ständigen Beschreibung oder auch bloß an einer all-
gemeinen Charakterisierung des vom Komitee bereits
verarbeiteten Materials!)
Wenden wir uns jetzt einem kurzen Ueberblick über die Bedenken
zu, die in uns bei einer Durchsicht der zehn Hefte des Statistischen
Centralkomitees auftauchten. Allem zuvor beansprucht der Umstand Auf-
merksamkeit, daß das Statistische Centralkomitee als Grundlage für die
Berechnung der Bewohnerzahl die anwesende Bevölkerung genommen
hat. Diese wird in den Editionen des Komitees in ständige und zeit-
weilig anwesende Bevölkerung geteilt. Somit ergiebt das Depouillement
der Zählung nicht die Zahl der ganzen ständigen Bevölkerung, da sich
außer den, im Moment der Zählung gerade anwesenden, beständigen
Bewohnern in jeder Ortschaft auch noch eine größere oder kleinere
Anzahl zeitweilig abwesender, beständiger Einwohner vorfinden muß.
Man könnte sich ja freilich daran genügen lassen, bloß die ortsan-
wesende Bevölkerung zu bestimmen; aber wenn das Komitee es schon
für möglich und notwendig befunden hat, das Verhältnis der anwesen-
den Bevölkerung zum Ort festzusetzen, mußte es auch nicht nur die
Zahl der zeitweilig anwesenden, sondern auch die der zeitweilig ab-
wesenden Bewohner angeben, da nur auf diese Weise die Auszählung
der vorübergehend anwesenden Personen den bekannten Sinn erhält.
Im Bestande der Bewohnerschaft bloß die zeitweilig anwesenden Bewohner
ohne die zeitweilig abwesenden nachzuweisen, ist ebenso gleichgiltig,
als wenn man für ein handels-industrielles Unternehmen den Barbestand
und die Passiva bestimmen wollte, ohne zugleich die Aktiva anzugeben.
Wenn sich daher in den Zählungsämtern mehr oder weniger genügende
Grundlagen finden sollten, um aus der anwesenden Bevölkerung die
zeitweilig anwesenden und folglich auch die zeitweilig abwesenden
Personen auszuscheiden, müßten unbedingt jene und diese Ziffer an-
gegeben werden. Denn nur dann kann die ganze, ständige Bewohner-
zahl, die für sehr viele Verwaltungszwecke notwendig ist, bestimmt
werden. Oder deutlicher: „für administrative Aufgaben hat — nach
dem autoritativen Zeugnis J. E. Janson’s — die ortsanwesende Be-
völkerung bisweilen sogar weniger Bedeutung, als zwei andere Momente,
das Ansässigkeits- und das Rechtsverhältnis, da mit der Ansässigkeit
gewöhnlich bekannte Rechte, Pflichten, die Verteilung von Abgaben
und Steuern u. s. w. verbunden sind“ (Theorie der Statistik, S. 192).
Aber bei diesem Satz hat unser bekannter Statistiker allerdings an
die ganze ständige, ansässige Bevölkerung gedacht, und nicht bloß an
jenen Teil, der gerade im Moment der Zählung ortsanwesend war.
Noch weniger zweckmälig erscheint es, die ortsanwesende Bevölkerung
1) Aller Sperrdruck in dieser Abhandlung rührt vom Uebersetzer her.
236 Miszellen.
nicht nur in ständige und zeitweilig anwesende Bewohner zu teilen,
sondern auch noch die so geteilte nach besonderen Kennzeichen zu
gruppieren. Denn sogar für die Bedürfnisse der Administration wäre
es vüllig ausreichend, wenn sich das Komitee auf eine Reduktion der
gesamten ortsanwesenden, der zeitweilig anwesenden und der beständigen
Bevölkerung beschränkt und diese Gruppen bloß nach dem Geschlecht
gegliedert, einer detaillierten Bearbeitung des Zühlungsmaterials aber
bloß die ortsanwesende Bevölkerung zu Grunde gelegt hätte. Die Ver-
öffentlichung von Daten über die zeitweilig anwesenden Personen mit
einer Gruppierung nach Alter, Kenntnis im Lesen und Schreiben, Stand,
Nationalität ist wahrlich nicht nur ein müßiger, sondern auch ein
schädlicher Luxus: diese Arbeit hemmt den ganzen Gang des Werkes,
nimmt in der Edition des Komitees Raum weg und verteuert die Gesamt-
kosten des Dépouillements.
Gehen wir weiter. Unter den vielen Anfragen, mit denen sich
Wissenschaft, Gesetzgebung und Verwaltung an die eintägigen Volks-
zählungen wenden, beansprucht die Frage nach der genauen Zahl von
städtischen und ländlichen Bewohnern eine ernste Bedeutung. Denn
durch den Vergleich der Daten, die durch einige aufeinander folgende
Zählungen erlangt werden, wird es möglich, das Wachstum der städti-
schen und der ländlichen Bewohnerschaft zu bestimmen. Dieses Wachs-
tum kann aber u. a. wieder als Anzeichen für eine, sich im Lande
vollziehende wirtschaftliche Evolution gelten. Für die Bestimmung
von städtischer und ländlicher Bewohnerzahl ist aber eines notwendig:
man muß über ein Prinzip schlüssig geworden sein, wann eine ge-
gebene Ortschaft zu den Städten oder zu den Dörfern gerechnet werden
soll, und man muß dieses Prinzip streng einhalten. Denn nur bei
einer solchen Einheitlichkeit wird der Vergleich zwischen den Zahlen
für Stadt- und Landbevölkerung, wie sie durch etliche wiederkehrende
Zählungen ermittelt werden, korrekt ausfallen. Leider läßt sich aber
auch bei diesem Problem eine gewisse Haltlosigkeit beobachten.
Wahrlich, von den zwei Prinzipien, die alleinig zur Unterbringung
eines besiedelten Ortes unter die Städte oder die Dörfer als Richt-
schnur dienen könnten — einem wirtschaftlichen und einem administrativ-
rechtlichen Prinzip — benutzt das Komitee in gleicher Weise alle
beide. Auf der einen Seite schließt das Komitee — wie das im Vor-
wort zur zweiten Lieferung der Ausgabe von vorläufigen Zählungs-
resultaten gesagt ist — in die Zahl der städtischen Bevölkerung die
Bewohner der bei einer Stadt belegenen Ssloboden (Dorfschaften) und
Dörfer ein, auf der anderen Seite aber werden hierzu die größten
Possade (Ansiedelungen mit stüdtischem Charakter), wie z. B. Asow
(mit 27000 Einw.), Ssergiewski (25000 Einw.), Dubowka (16000 Einw.),
Klinzy u. s. w., sowie die Flecken in den westlichen Gouvernements
des Königreichs Polen nicht gerechnet. Man kann ja freilich darüber
streiten, welches Prinzip eine bessere Grundlage abgeben würde, um
die Zahl der Stadt- und der Landbevölkerung zu bestimmen; es ist
aber unbestreitbar, daß, welches Prinzip auch acceptiert worden sein
möge, dieses unbedingt bis zu Ende beibehalten werden muß. Außer-
Miszellen. 237
dem: wenn man sich auf die Definition des Medizinal-Departements !) hat
stützen wollen, so muß gesagt werden, daß das Komitee bei der Aus-
zählung der Städte die Einwohner der an Städte grenzenden Possade
und Ssloboden nicht immer zu den Stadtbewohnern gerechnet hat. So
berührt das Medizinal-Departement in seiner Edition „Ssanitarnoje
ssostojanje gorodow Rossiiskoi Imperii“ (Der sanitäre Zustand der
Städte des Russischen Reichs“) als Bestätigung des eben ausgeführten
Gedankens die Stadt Kerensk und nimmt ihre Bewohnerzahl auf Grund
von Mitteilungen der Stadtärzte mit 11 941 Personen an. Nach der Volks-
zählung weist sie aber bloß 4006 Einwohner ant ` Endlich hat noch
D. J. Richter in seinem Bericht an die statistische Kommission der
Kaiserlichen freien ökonomischen Societät darauf hingewiesen, daß die
„bezirkslosen“ ?) (saschtatnyje und besujesdnyje) Städte laut Städtever-
zeichnis in der Beilage zur zweiten Lieferung der vorläufigen Zählungs-
daten ausgelassen sind. Daher kann man nicht behaupten, daß die
Auszählung der städtischen und der ländlichen Bevölkerung in be-
friedigender Weise ausgeführt worden sei. So hat das Komitee die
Zahl der Städte Rußlands mit 865 angegeben, es aber nicht für not-
wendig gehalten, den Unterschied zwischen dieser Zahl und der, von
demselben Komitee und in demselben Jahre 1897 in seiner Edition
„Ssbornik statistitscheskich sswedeni po Rossii sa 1896 g“ („Sammlung
statistischer Mitteilungen über Rußland für das Jahr 1896“) publizierten,
wo die Gesamtzahl der Städte mit 919 angegeben wird, zu erklären. Die
Erklärung der Ursache dieser Verschiedenheit oder wenigstens bloß die
Konstatierung des Faktums erscheint aber sehr wichtig, da das Fehlen
jeglichen Vorbehaltes den Eindruck macht, als ob es dem Komitee selbst
unbekannt wäre, daß sich zwei Mitteilungen über ein und denselben
Gegenstand und in Publikationen ein und desselben Jahres nicht
decken. Es erklärt sich freilich alles dadurch, daß das Komitee sich
zuerst bemüht hatte, die Zahl der städtischen Ansiedelungen überhaupt
festzustellen — (und daß es folglich hierin auch die großen Possade,
Flecken u. s. w. einschloß) — daß es aber bei der Veröffentlichung
der vorläufigen Resultate bloß auf die Zahl der Städte im engeren
Sinne seine Aufmerksamkeit verwandte. Das bedeutet mit anderen
Worten, daß im letzten Falle, bei Bestimmung der Zahl der städtischen
Bevölkerung, dem rechtlich-administrativen Merkmal der Vorzug erteilt
wurde, während durch den Einschluß der bei den Städten gelegenen
Ssloboden und Dörfer in die städtische Bevölkerung gleichzeitig auch
mit dem wirtschaftlichen Merkmal operiert wurde. Ebenso notwendig
wäre es auch gewesen, zu erklären, woher ein so großer Unterschied
1) Anmerkung des Uebersetzers. Das Medizinal- Departement gehört ebenfalls,
gleich dem Statistischen Centralkomitee, zum Ressort des Ministeriums des Innern.
2) Anmerkung des Uebersetzers. Man teilt die Städte in: Gouvernements-
städte, d. h. solche, die den Sitz für die Centralverwaltung eines Gouvernements
abgeben, Kreisstädte, d. h. Städte mit dem Sitz der Verwaltungsorgane eines
Kreises innerhalb eines Gouvernements, also des Polizei-Kreischefs, der Kreis-Wehr-
pflichtsbehörde, des Kreisarztes, der Kreis-Schulbehörde u. s. w. und in saschtatnyje
und besujesdnyje oder, wie ich diese Bezeichnung übersetzt habe, „bezirkslose“,
d. h. Städte, die weder Gouvernements- noch Kreisstäde sind.
238 Miszellen.
zwischen den vorläufigen und den endgiltigen Zahlangaben über die
Stadtbevölkerung gekommen ist, da dieser Unterschied doch nicht bloß
durch die allgemeine Bemerkung des Komitees, in manchen Orten habe
eine allgemeine Leitung bei der Aufrechnung gefehlt und deshalb seien
dort verschiedene technische Griffe angewandt worden, erklärt werden
kann. Eine Erklärung ist aber um so notwendiger, als durch diese
Mängel der lokalen Auszählung — nach den eigenen Worten des
Komitees — „die Bevölkerungsziffern unvermeidlich um einiges von jenen
Ziffern abweichen müssen, die zuerst publiziert wurden und sich auf
lokale Auszählungen stützten“. Wenn nun schon „um einiges“, so, sollte
man meinen, bedeutet das doch nicht, daß die ersten Zahlen zweimal
oder anderthalbmal größer oder kleiner sein dürfen, als die letzten.
Wenn man die Daten über die Bevölkerung einiger Ortschaften nach
den vorläufigen und den endgiltigen Mitteilungen einander gegenüber-
stellt, so erhält man z. B. folgendes:
endgiltige Daten vorläufige Daten
Kem 2261 1673
Schenkursk 1377 1273
Kargopol 2607 2421
Ochotsk 298 197
Ljuzin 4990 3972
Krassnojarsk 5451 4037
Aus dieser Tabelle ist ersichtlich, daß die endgiltigen Daten weit
höher als die vorläufigen sind; aber der Unterschied zwischen ihnen
muß noch größer werden, da die obengenannten Ziffern, obschon sie alle
sich auf die beständige Bevölkerung der Ortschaften beziehen, als Daten
des Dépouillements bloß die ständige Bevölkerung aus dem gerade an-
wesenden Bestande ins Auge fassen -— (das heißt also, daß die eben
abwesenden Personen noch nicht eingeschlossen sind) — während die
Daten der vorläufigen Aufrechnung die ständige Bevölkerung überhaupt,
d. h. zusammen mit den im Augenblick abwesenden Personen, berück-
sichtigten. Angesichts so bedeutender Unterschiede haben wir ein
Recht, vom Komitee irgend welche bestimmte Erklärungen zu erwarten,
und genügt es nicht, sich in diesen Fällen bloß auf den ungenügenden
Stand der lokalen Aufrechnung zu berufen. Der Verzicht auf das Be-
streben, das Zählungsmaterial durch die zuerst erhaltenen Daten zu kon-
trollieren, beweist in Wirklichkeit einen Verzicht auf kritisches Ver-
halten zu dem empfangenen Material überhaupt. So fällt bei der
Durchsicht der Altersgruppe der bisher erschienenen Gouvernements
folgendes in die Augen: in einigen Gouvernements läßt sich z. B. beob-
achten, daß die Zahl der Kinder von 1—2 Jahren kleiner ist, als die
Zahl der Kinder von 2--3 Jahren. So sind gezählt im Küstengebiet
(Ost-Sibiriens) Kinder unter einem Jahre 4886, von einem Jahr 3381 und
von 2 Jahren 4848; im Gouvernement Witebsk bis zu einem Jahr 47 625,
von einem Jahr 39653 und von 2 Jahren 44427; im Gouvernement
Wilna bis zu einem Jahr 49 079, von einem Jahr 40 761 und von 2 Jahren
47048; im Amurgebiet unter einem Jahr 4322, von einem Jahr 3417
und von 2 Jahren 3723, u. s. f£ Wie sich eine solche Abnahme der
Zahl der Kinder von einem Jahr erklärt, ist unbekannt, und in den
Miszellen. 239
Editionen des Komitees giebt es keinerlei Hinweise darauf. Ebenso läßt
sich überall eine Neigung der Bevölkerung für runde Ziffern bei der
Altersangabe konstatieren, so daß fast in sämtlichen Gouvernements
der Bestand der mit einer O oder mit einer 5 schließenden Alters-
gruppen viel höher ist, als der in den angrenzenden Gruppen. Aber
außer dieser allgemeinen und verständlichen Erscheinung begegnet
man mancherorts unverständlichen Schwankungen der Bevölkerungs-
ziffern, Schwankungen, die die beobachtete Folgerichtigkeit zerstören.
So weist im Gouvernement Wilna der ausgerechnete Bestand der Alters-
gruppen der Weiber merkwürdige Schwankungen auf, die den Schwan-
kungen im ausgerechneten Bestande der Altersgruppen der Männer
nicht entsprechen. Noch größere Schwankungen kann man im Gouverne-
ment Witebsk bemerken, aber irgendwelche Aufmerksamkeit ist ihnen
nicht zugewandt worden und die Zuverlässigkeit der Ziffern wird nicht
verdächtigt.
Noch größere Mißverständnisse ergeben sich bei der Durchsicht des
gezählten Bestandes der Haushaltungen. Man muß vorausschicken, daß
das Komitee die Haushaltungen einteilt in: Einzelhaushaltungen, Einzel-
haushaltungen mit Gesinde und Arbeitern, Haushaltungen von
Personen, die durch Verwandtschaft verbunden sind, Haushaltungen von
Personen, die nicht durch Verwandtschaft verbunden sind, und Haushal-
tungen der Anstalten. Da ist es vor allem unverständlich, wodurch sich
eine Haushaltung von Personen, die nicht verwandt sind, von einem
Haushalt der Anstalten unterscheidet. Das wird weder in der Edition der
Zählungsresultate, noch in den Unterlagen zum Zählungsmaterial er-
läutert und kann auch eine gesteigerte Buntfarbigkeit und Verschieden-
heit in der Deutung dieser Rubriken nicht abwehren. Dann werden
auch in den Summationstabellen die „Haushaltungen von Einzelpersonen“
sozusagen in „Proletarierwirtschaften“!) und in Wirtschaften von
Einzelpersonen mit Gesinde oder Arbeitern eingeteilt. Die Haus-
haltungen von Einzelpersonen mit Gesinde oder Arbeitern werden in
5 Gruppen zerlegt: mit 1, 2—3, 4—5, 6—10 und 11 und mehr Dienst-
boten oder Arbeitern. Dann wird weiter „die Summe der Einzelhaus-
haltungen“ gegeben und nebenbei „ihr ausgezählter Bestand“ angeführt,
mit einer Gruppierung in Männer und Weiber. Wenn man sich nun
danach richtet, was in den Ueberschriften der angeführten Tabellen
steht, kann man in eine nicht geringe Bestürzung geraten. Denn in
der That, wenn man in einigen Gegenden (im Gouvernement Archangel,
Wilna, Ssebesh u. a.) die Maximalzahl der Arbeiter und Dienstboten
nimmt, den Haushaltungsvorstand, d. h. je 1 zu jeder Kategorie der
Haushaltungen hinzuschlägt — denn es wird ja von Einzelhaushaltungen
gesprochen — und wenn man dann diese Zahl mit der Zahl der Haus-
haltungen multipliziert, so bleibt, selbst bei der angenommenen Maximal-
zahl für Dienstboten und Arbeiter, der ausgerechnete Personenbestand
1) Anmerkung des Uebersetzers. Das russische Wort heißt ,,bobylnoje und läßt
sich schwer im Deutschen wiedergeben. Bobyl ist ein Bauer ohne Land, wörtlich über-
setzt würde sich also bobylnoje etwa durch „landlose Bauernwirtschuft“ ausdrücken
lassen.
240 Miszellen.
sämtlicher Haushaltungen hinter dem in der Ausgabe des Komitees an-
gegebenen zurück, obschon in Wirklichkeit die Maximalzahl von Ar-
beitern in allen Haushaltungen nicht entfernt vorhanden sein konnte.
Beim ersten Blick erscheint dies als eine derartige unzweifelhafte Ab-
surdität, daß man alle diese Ziffern als gar kein Vertrauen einflößend
ansehen möchte. Indes, dann erklärt sich die Sache doch anders. Das
Komitee hat, wo es von chosaistwo (Wirtschaft, Haushaltung) spricht,
thatsächlich nicht die Haushaltung, sondern die Familie, im Auge ge-
habt, oder richtiger, Personen, die durch Verwandtschaft verbunden
sind. Die Größe der eigentlichen Haushaltung aber kann bei dem vom
Komitee adaptierten System überhaupt nicht festgestellt werden, da aus
dem Personenbestande der Haushaltung nur die Personen in Rechnung
kommen, die mit dem Haushaltungsvorstand verwandt sind oder zu
seinen Dienstboten oder Arbeitern gehören. Die Zahl aller übrigen
Personen kann aber nur als Gesamtsumme und nicht nach Haus-
haltungen geordnet angegeben werden. So sieht man, auf welche
Weise auch diese anderweitigen Personen — (d. i. die „Nicht-Haus-
haltungsvorstände“ und die „Nicht-Dienstboten“ oder „Nicht-Arbeiter“)
— in den ausgerechneten Bestand der Haushaltungen aufgenommen
sind. Allem zuvor stellt sich da doch die Frage ein, wie weit ein
solches Verfahren jenen Formularen entspricht, die von der Haupt-
zählungskommission ausgearbeitet worden sind. Aus diesen Formularen
ersehen wir, daß dort für die Einzelhaushaltung eine völlig andere Tabelle
ausgearbeitet war: dort war nämlich als Einzelhaushaltung nur eine „Pro-
letarierwirtschaft“ angenommen worden, und das Vorhandensein von
bloß einem Dienstboten oder einer fremden Person im Haushalt ent-
kleidete diesen bereits des Charakters der Einzelwirtschaft. Das ist
daraus ersichtlich, daß die Tabelle der Hauptzählungskommission fol-
gendes Aussehen hat: 1) Zahl der Einzelhaushaltungen (männliche und
weibliche); 2) Zahl der Haushaltungen mit 2, 3, 4, 5—7, 6—10, 11
und mehr Personen. Das heißt, den Ausgangspunkt der Hauptzählungs-
kommission bildete die Wirtschaft (die Haushaltung), die aus einer
Person oder 2, 3 und mehr Gliedern bestehen konnte. Das Statistische
Centralkomitee geht aber vom Begriff der Familie aus und erkennt
eine Wirtschaft auch dann als Einzelhaushaltung an, wenn zu ihr
außer dem Haushaltungsvorstande, nehmen wir an, noch Pensionäre
oder Pfleglinge, Handlungsdiener u. s. w. gehören. Dank diesem eigen-
artigen Blick für die Einzelhaushaltung konnte es passieren, daß, wie
die veröffentlichten Ziffern beweisen, die Einzelhaushaltung des Komitees
in einigen Gegenden im Durchschnitt aus 10 und mehr Personen be-
steht. Somit ist die Gruppierung der Bevölkerung nach Haushaltungen
in der Form, wie sie vom Komitee angeordnet ist, sehr dubios, da sie
thatsächlich weder die Zahl der Familienglieder, noch die Zahl der
Haushaltungsglieder angiebt, Denn in der That, das Komitee hat
zwei Zeichen, yx und 6, festgesetzt, um die Stellung einer gegebenen
Person zum Haushaltungsvorstand zu bestimmen, wobei mit dem ersten
Zeichen, wie es in dem Leitfaden No. 2, S. 5 heißt, „diejenigen Haus-
haltungsglieder bezeichnet werden, die mit dem Haushaltungsvorstande
Miszellen. 241
L
verwandt sind, aber anderweitige Personen, die sich bei dem Familien-
haushalt befinden, wie auch die zeitweilig anwesenden Verwandten, mit
dem Zeichen © abgemerkt werden“. Dann lesen wir auf derselben
Seite: „die Familienwirtschaften werden nach der Zahl der verwandten
Glieder unterschieden und dementsprechend wird das Haupt der
Familienhaushaltung in der Rubrik 3 mit dem Zeichen a vermerkt,
wenn sich in der Haushaltung 2 verwandte Glieder, mit dem Zeichen
6 (b), wenn sich 3, mit dem Zeichen » (w), wenn sich 4 verwandte
Glieder vorfinden, u. s. w. Zu den Zeichen a, 6, a werden noch hinzu-
gerechnet die Zeichen op (br), Ip (Ir), 2p (2r), u. s. w., indem darauf
geachtet wird, wie viel angemietete Dienstboten oder Arbeiter (rabo-
tschije) sich in der Haushaltung befinden.“ Hieraus geht es völlig
klar hervor, daß, um die Größe einer Haushaltung zu bestimmen, nur
die verwandten Haushaltungsglieder und die Dienerschaft nebst Ar-
beitern in Betracht gezogen werden, daß die übrigen Haushaltungs-
glieder aber nicht mit in Rechnung gebracht werden, sondern nur, wie
von uns oben gesagt, in der Gesamtziffer für den ganzen be-
wohnten Punkt, nicht aber in den einzelnen Haushaltungen, in die
Erscheinung treten. Daher kann mit der komiteelichen Abmerkung die
Größe einer Haushaltung nicht bestimmt werden, aber dieselbe Ab-
merkung kann auch, wie wir uns zu beweisen bemühen werden, nicht
dazu führen, die Größe der Familie zu bestimmen. Allem zuvor muß
darauf aufmerksam gemacht werden, daß die „Leitfäden“ und die zu-
sammenfassenden Tabellen nicht Familien von verwandtschaftlichem
Bande scheiden, sondern diese Ausdrücke gebrauchen, als ob sie identisch
wären. So ist doch ein Haushalt, den Onkel und Neffe zusammen
führen, zwar ein verwandtschaftlicher, aber noch lange keine Familie.
Dann ist es auch nicht bekannt, welchen Grad von Verwandtschaft die
„Leitfäden“ im Auge haben. Ferner ist aus dem oben angeführten
Citat zu ersehen, daß selbst Familienglieder, die im Moment der Zählung
anwesend waren, gewöhnlich aber außerhalb der Familie leben, nicht
mit Yx, sondern mit 6 abgemerkt, folglich in die Berechnung der Haus-
haltungsglieder nicht aufgenommen werden. Aber auch das ist noch
zu wenig: am 17. März 1900 wurde in Ergänzung der „Leitfäden“,
die als Anweisung für die Abmerkung dienten, folgende ergänzende
Erläuterung zu der uns hier interessierenden Frage herausgegeben:
„Pfleglinge, Pflegekinder und Personen, die sich zur Erziehung und
Beköstigung in Familien und bei Privatpersonen befinden, werden,
wenn sie sich in der Rubrik 14, „beim Haushaltungsvorstand“, zeigen,
unabhängig von ihrem Alter in der Rubrik 3 mit dem Zeichen Yx ver-
merkt.“ Auf diese Weise wurde durch eine neue Verfügung — die
unter anderem erst erschienen ist, nachdem die Daten über den Haus-
haltungsbestand in 9 Gouvernements nicht nur abgemerkt, sondern auch
schon publiziert waren — der Kreis von Personen, die in den Haus-
haltungsbestand einzuschließen sind, erweitert. Da aber außer den Pfleg-
lingen und Zöglingen auch noch etliche andere Personen vorhanden sein
können, so kann auf der einen Seite auch bei dieser Erweiterung dennoch
nicht die Zahl sämtlicher Haushaltungsglieder festgestellt werden. Und in-
Dritte Folge Bd, XXI (LXXVI), 16
22 Miszellen.
dem das Zeichen Yx auch für die Abmerkung von Pensionären und Zieh-
kindern, Zöglingen u. s. w. bestimmt wird, entkleidet auf der anderen
Seite die neue Verfügung das Zeichen Yx jeglicher Bestimmtheit: Denn
während es sich zuerst, im Grunde genommen, durch ge (Yzenz cen !)
ersetzen ließ, hat es jetzt teilweise die Bedeutung von de, teilweise von
Yx (Yress xosalicrsa)?.. Und nun wurden, um den Umfang der Haus-
haltung festzusetzen, alle Yx zusammengezählt und in das Formular des
Haushaltungsvorstandes eingetragen. Was, fragt man nun, stellt jetzt
die Gesamtsumme Ur vor, da dieses Zeichen weder alle Familienglieder,
noch alle Haushaltungsglieder in sich begreift? Was für ein Resultat
hat man erhalten? Bei einem derartigen System kann auf Grund der
Resultate der ersten Volkszählung Rußlands die Größe der „Zellen des
sozialen Körpers“ durchaus nicht festgestellt werden.
Bei dieser Auszeichnungsart, wie sie im Komitee vorherrscht, kann
man nicht anders, als mit Mißtrauen an die Daten über die zeitweilig
anwesenden Personen herantreten. Dort lenkt nun vor allem die Total-
summe der zeitweilig anwesenden Personen für solche territoriale Ein-
heiten, wie Kreis und sogar Gouvernement, die Aufmerksamkeit auf
sich. Die Sache ist die: bei der Erhebung bezog sich die Frage nach
der derzeitigen Anwesenheit oder Abwesenheit nicht nur auf die An-
wesenheit in und Abwesenheit von der gegebenen Ortschaft, sondern
auch auf die Anwesenheit in oder Abwesenheit von der gegebenen
Haushaltung, d. h. als Abwesende oder derzeitig Anwesende stellten sich
die Personen dar, die sowohl aus der gegebenen Ortschaft, als auch
aus der gegebenen Haushaltung abwesend oder dort eben anwesend
waren. Da sich nun die Wanderbewegung innerhalb eines gegebenen
Ansiedelungspunktes oder auch eines Kreises oder selbst eines Grouverne-
ments bedeutend häufiger und intensiver vollzieht, als die Wanderbe-
wegung über die Grenzen eines Gouvernements hinaus, so besagt die
Summe der derzeitig in einem Kreise oder einem Gouvernement an-
wesenden Personen an und für sich gar nichts: sie repräsentiert nicht
die Zahl der in einem gegebenen, besiedelten Ort oder Kreise zeitweilig
anwesenden, da in die Auszählung dieser Gruppe nicht bloß diejenigen
aufgenommen wurden, die thatsächlich aus einem anderen Kreise oder
Gouvernement im gegebenen Kreise oder Gouvernement angekommen
waren, sondern auch diejenigen, die eben aus ihren Haushaltungen
abwesend waren, ohne die Grenzen ihres gewöhnlichen Wohnsitzes zu
verlassen oder die Grenzen des Kreises, indem sie bloß eine benach-
barte Ortschaft aufgesucht hatten, oder endlich die Grenzen ihres
Gouvernements, indem sie bloß in einen benachbarten Kreis gefahren
waren. Nach dem Gesagten leuchtet ein, daß Personen, die sich als
zeitweilig anwesende bezeichneten, dies im verschiedentlichsten Sinn
waren. Wie ist es nun möglich, alle diese Ziffern zusammenzulegen
und sie zu einer Summe der zeitweilig in einem Gouvernement an-
wesenden zu vereinigen? — Somit ist es auf keine Weise möglich,
1) tschlen ssemji d. i. Glied der Familie. D. Uebers.
2) tschlen chosaistwa d. i. Glied der Haushaltung. D. Uebers.
Miszellen. 243
seine Zuflucht zu dem jetzt angewendeten Berechnungsmodus zu nehmen,
wenn man die Zahl der in einem Kreise oder einem Gouvernement
zeitweilig anwesenden Personen bestimmen will Wir könnten nun noch
unter der Summe der Personen, die in den zusammenfassenden Tabellen
als zeitweilig anwesend angeführt sind, die Ziffer für jenen Bevölkerungs-
teil verstehen, der sich im Augenblick der Erhebung nicht an seinem
beständigen Aufenthaltsort befand, wobei wir hierunter die Lokalität
der Haushaltung begreifen. Aber auch da zeigen sich bereits neue
Schwierigkeiten. Das Komitee rechnet z. B. alle Personen, die sich im
Augenblick der Erhebung in Krankenhäusern befanden, zu den dort
zeitweilig anwesenden Personen; und obschon Geisteskranke sehr oft
den ganzen Rest ihres Lebens in Irrenhäusern verbringen, werden auch
diese Kranken zu den zeitweilig in der Anstalt anwesenden gerechnet.
Dann wird in den Krankenhäusern aber auch eine sehr große Menge
zugewanderter Arbeiter angetroffen, die bei der Aufnahme ins Kranken-
haus aus den Haushaltungen, in denen sie bis zum Eintritt in das
Krankenhaus lebten, ausscheiden; — wenn sie nun als zeitweilig im
Krankenhause anwesende gezählt werden, wo sind sie dann als ständig
lebend vermerkt? — Auf der anderen Seite werden aber die im Moment
der Erhebung in Gefängnissen befindlichen Personen als hier beständig
lebende gezählt, ausgenommen die bei der Polizei und den Bauergemeinde-
verwaltungen inhaftierten; indes, viele der internierten Personen sind bloß
auf sehr kurze Zeit ins Gefängnis gekommen und können daher nicht
recht als beständig im Gefängnis lebende anerkannt werden. Endlich
noch werden die Offiziersburschen als zeitweilig in den Offiziers-
wohnungen anwesend und als beständig bei den Truppenteilen lebend
aufgeführt. Statt dessen leben sie aber beständig gerade in den Offiziers-
wohnungen. Man kann daher nur sagen, daß eine derartige Beant-
wortung der Frage nach der zeitweiligen Anwesenheit ein ernstliches
Hindernis abgiebt, um sich davon ein Bild machen zu können, wie sich
die Bevölkerung faktisch über das Territorium verteilt: dieses Bild
wird durch eine so sehr willkürliche und nicht entfernt gleichmäßige
Auffassung davon, was zeitweilige Anwesenheit ist, völlig entstellt.
In der Presse ist bereits, und das nicht einmal allein, auf die
Insolvenz der Klassifikation der Berufe und auf die Unhaltbarkeit der
Abmerkung hingewiesen worden. So hält der Gebrauch der Zeichen
Cx, He und Pn der Kritik nicht Stich. Nach den Regeln der „Leit-
fäden“ werden nun mit dem Zeichen Cx die höheren Personen in Ge-
werbe, Handwerk, Handel u. s. w. bezeichnet, mit He die niederen
Dienenden und mit Pe die Dienstboten und Arbeiter !). Für den Berg-
bau und die Montanindustrie haben aber diese Zeichen aus irgend
einem Grunde eine höhere Bestimmung erhalten: mit dem Zeichen Cx,
1) Anmerkung des Uebersetzers. Hier ist der russische Text wortgetreu, wenn
auch nicht ganz in gutem Deutsch wiedergegeben worden. Gemeint hat das Komitee
offenbar mit „höheren Personen‘ — oder ganz wörtlich „älteren Personen‘ (starschija
liza) — die ‚‚Selbständigen“ und mit „niederen Dienenden“ (nisschije sslushaschtschije)
die „Gehilfen“. In der dritten Gruppe sind wieder „Dienstboten“ und „Arbeiter“ ver-
einigt.
16*
244 Miszellen.
heißt es in den „Leitfäden“, werden abgemerkt Bergingenieure und
höhere Verwaltungsbeamte, mit He Administration, Meister, Steiger, mit
Pı Arbeiter. Wenn die erste Erläuterung zum Gebrauch von Cx, He und
Pn an Ungenauigkeit laboriert, so kann die zweite, trotz einiger Ge-
nauigkeit, nicht als korrekt anerkannt werden. Denn in der That, wie
ist es möglich, mit dem einen Zeichen Hc Steiger und Administration
zu specifizieren, da Steiger bloß höhere Arbeiter sind und als solche
unter Pn untergebracht werden müßten. Auf der anderen Seite müßten
aber sowohl Administration, wie auch die Leiter der technischen Ar-
beiten, scheint uns, ein und dieselbe Bezeichnung erhalten, da sie weder
selbständige Chefs, noch Arbeiter sind: sie nehmen an der Produktion
nicht unmittelbar teil, sondern treten bloß als Leiter auf. Unterdes er-
halten aber die Bergingenieure zusammen mit den höheren Verwaltungs-
beamten nach den Regeln der „Leitfäden“ die Abmerkung Cx, d. h.
die Formel der Selbständigen. Daher kann man mit Ueberzeugung be-
haupten, daß eine solche Abmerkung, die weder mit der Wirklichkeit
noch mit der Abmerkungsweise der auswärtigen Staaten übereinstimmt,
niemals eine Darstellung von der sozialen Gliederung in den Gewerben
liefern wird. Es ist auch unmöglich nicht anzuführen, daß das genaue
Detail in der Gruppierung des Handels in keiner Weise dem ver-
wickelten Charakter des russischen Handels entspricht.
Auch sei noch, und das mit vollem Grunde, auf die Vereinigung
von Dienstboten und Arbeitern zu einer Gruppe hingewiesen. Man
muß es bedauern, daß die erste Volkszählung uns keine Gruppierung
der Haushaltungen nach der Zahl der Dienstboten liefern wird. Außer-
dem wird das Hausgesinde nicht nach dem Beruf seiner Herrschaft
abgemerkt, so daß die Zählung die ganze Zahl der Personen, die ihren
Unterhalt von einem gegebenen Beruf finden, nicht angeben kann.
Aufmerksamkeit muß auch noch auf den Abschnitt „Dienst bei
Privatpersonen“ verwandt werden. Dieser Abschnitt beginnt mit „In
privaten Anstalten dienenden Personen“, was für Anstalten das aber
sind, ist unbekannt. Dann folgen „bei Privatpersonen dienende“: Ver-
mögens- und Hausverwalter, Sekretäre, Aufseher, Gehilfen auf den
Gütern, Abschreiber von Papieren, Zeichner, Translateure, u. s. w. Die
Mehrzahl dieser Berufe findet sich schon im Abschnitt B—08, ist
aber hier nur aus irgendwelchem Grunde wiederholt. Dann sind aber
doch Translateur, Zeichner, Schreiber u. s. w. Vertreter ihres Berufs,
gleichviel, ob sie bei Privatpersonen dienen oder sonstwie private Auf-
träge ausführen. Der Abschnitt „Dienst bei Privatpersonen“ von dem
gleich die Rede sein wird, bildet das Ueberbleibsel von Einrichtungen
jener Zeit, wo sich das Komitee noch nicht für den Beruf der Per-
sonen, sondern für den Ort der Dienstleistung interessierte, d. h. auf
die allgemeine Volkszählung wurden die Prinzipien übertragen, die für
eine Berufszählung ausgearbeitet worden waren. So sind nach dem
Abmerkungsmodus des Komitees die Zimmerleute auf einer Baum-
wollenfabrik nicht als Zimmerleute bezeichnet, sondern im Fabrikformular,
und diese Zimmerleute erhielten ihre Berufsbezeichnung auch bloß in
Miszellen. 245
der Rubrik Nebengewerbe. Dasselbe passierte auch den Aerzten
des Militärressorts, die in der Hauptsache das Zeichen für Militärs
B—01 erhielten und nur als Nebenberuf das Zeichen für Aerzte E—02.
Nicht im geringsten genügend ist auch die Einteilung der Berufe
in gewerbliche und nichtgewerbliche durchgeführt: in dieser zweiten
Gruppe finden sich Tagesarbeiter, Schwarzarbeiter, Fabrikanten, Ver-
walter von Fabriken und gewerblichen Anstalten, während allerdings
alle diese einen Platz im Abschnitt industrielle Beschäftigung (Ab-
schnitt B) hätten finden müssen.
In der Presse — und das nicht nur einmal — ist von Personen,
die zweifellos an der Aufbereitung des Zählungsmaterials Anteil nehmen,
auf die durchaus unhaltbare Technik des Depouillements hingewiesen
worden. Auch wir haben oben darauf hingewiesen, daß man bei der
Auszeichnung des Materials über die Berufe anfangs nicht vom Beruf,
sondern von dem Arbeitsraum ausgegangen ist, während man sich jetzt
an die Profession hält. Dann stoßen wir bei der Durchsicht der Haus-
haltungsgruppen auf eine große Ungleichförmigkeit: in einigen Aus-
zeichnungsabteilungen rechnet man gewisse Haushaltungen zu den
Artellen, während in anderen Abteilungen dieselben Wirtschaftseinheiten
zu den Haushaltungen der Anstalten hinzugezogen werden. Ferner
wird in einigen Abschnitten den Gutsbesitzern, die auch ein kapita-
listisches Unternehmen besitzen, eine Formel gesetzt, die dem Ein-
kommen aus unbeweglichem Vermögen entspricht, in anderen Abschnitten
erhalten dieselben Gutsbesitzer eine Formel, die dem Einkommen aus
der Landwirtschaft entspricht. Es ist wirklich schwer, alle die Fälle
aufzuzählen, wo nicht einheitlich vorgegangen worden ist; das bestätigt
auch der Erlaß der neuen Auszeichnungsregeln vom 17. März 1900,
über die wir bereits oben gesprochen haben. So werden in den neuen
Regeln die Bezeichnungen „Landarbeiter“ 1) und „Landmann unter den
Arbeitern“ identifiziert, obschon diese Bezeichnungen in der Mehrzahl
der Fälle etwas voneinander wesentlich Verschiedenes vorstellen. Ferner
empfehlen die neuen Regeln, wie oben bereits gezeigt, mit dem Zeichen
Yx Verpflegte, Ziehkinder, Zöglinge u. s. w. abzumerken. Diese Ver-
fügung bedeutet aber eine Abänderung des während dreier Jahre ge-
handhabten Systems, nach dem mit dem Zeichen yx nur die beständig
anwesenden, verwandten Glieder der Haushaltung bezeichnet werden
sollten. Wenn nach Ablauf einer mehr als 2-jährigen Thätigkeit ge-
wisse technische Handgriffe aufgegeben werden müssen, so beweist das
kaum eine normale Lage der Dinge.
Wie wir oben sahen, hat die Hauptzählungskommission ein Ge-
samtprogramm für das Dépouillement nicht ausgearbeitet. Zum Unglück
ist auch heute noch ein solcher Plan nicht vorhanden: das Zählungs-
material wird im Hin- und Hertappen bearbeitet. Eine solche Sachlage
führt natürlich eine starke Verzögerung im Gang der Dinge herbei.
Wenn wir uns den auswärtigen Staaten zuwenden, so sehen wir, daß
1) Anmerkung des Uebersetzers. Wörtlich: „Landmann = Arbeiter“.
944 Miszellen.
heißt es in den „Leitfäden“, werden abgemerkt Bergingenieure und
höhere Verwaltungsbeamte, mit Hc Administration, Meister, Steiger, mit
Pn Arbeiter. Wenn die erste Erläuterung zum Gebrauch von Cx, He und
Pn an Ungenauigkeit laboriert, so kann die zweite, trotz einiger Ge-
nauigkeit, nicht als korrekt anerkannt werden. Denn in der That, wie
ist es möglich, mit dem einen Zeichen Hc Steiger und Administration
zu specifizieren, da Steiger bloß höhere Arbeiter sind und als solche
unter Pn untergebracht werden müßten. Auf der anderen Seite müßten
aber sowohl Administration, wie auch die Leiter der technischen Ar-
beiten, scheint uns, ein und dieselbe Bezeichnung erhalten, da sie weder
selbständige Chefs, noch Arbeiter sind: sie nehmen an der Produktion
nicht unmittelbar teil, sondern treten bloß als Leiter auf. Unterdes er-
halten aber die Bergingenieure zusammen mit den höheren Verwaltungs-
beamten nach den Regeln der „Leitfäden“ die Abmerkung Cx, d. h.
die Formel der Selbständigen. Daher kann man mit Ueberzeugung be-
haupten, daß eine solche Abmerkung, die weder mit der Wirklichkeit
noch mit der Abmerkungsweise der auswärtigen Staaten übereinstimmt,
niemals eine Darstellung von der sozialen Gliederung in den Gewerben
liefern wird. Es ist auch unmöglich nicht anzuführen, daß das genaue
Detail in der Gruppierung des Handels in keiner Weise dem ver-
wickelten Charakter des russischen Handels entspricht.
Auch sei noch, und das mit vollem Grunde, auf die Vereinigung
von Dienstboten und Arbeitern zu einer Gruppe hingewiesen. Man
muß es bedauern, daß die erste Volkszählung uns keine Gruppierung
der Haushaltungen nach der Zahl der Dienstboten liefern wird. Außer-
dem wird das Hausgesinde nicht nach dem Beruf seiner Herrschaft
abgemerkt, so daß die Zählung die ganze Zahl der Personen, die ihren
Unterhalt von einem gegebenen Beruf finden, nicht angeben kann.
Aufmerksamkeit muß auch noch auf den Abschnitt „Dienst bei
Privatpersonen“ verwandt werden. Dieser Abschnitt beginnt mit „In
privaten Anstalten dienenden Personen“, was für Anstalten das aber
sind, ist unbekannt. Dann folgen „bei Privatpersonen dienende“: Ver-
mögens- und Hausverwalter, Sekretäre, Aufseher, Gehilfen auf den
Gütern, Abschreiber von Papieren, Zeichner, Translateure, u. s. w. Die
Mehrzahl dieser Berufe findet sich schon im Abschnitt B—08, ist
aber hier nur aus irgendwelchem Grunde wiederholt. Dann sind aber
doch Translateur, Zeichner, Schreiber u. s. w. Vertreter ihres Berufs,
gleichviel, ob sie bei Privatpersonen dienen oder sonstwie private Auf-
träge ausführen. Der Abschnitt „Dienst bei Privatpersonen“ von dem
gleich die Rede sein wird, bildet das Ueberbleibsel von Einrichtungen
jener Zeit, wo sich das Komitee noch nicht für den Beruf der Per-
sonen, sondern für den Ort der Dienstleistung interessierte, d. h. auf
die allgemeine Volkszählung wurden die Prinzipien übertragen, die für
eine Berufszählung ausgearbeitet worden waren. So sind nach dem
Abmerkungsmodus des Komitees die Zimmerleute auf einer Baum-
wollenfabrik nicht als Zimmerleute bezeichnet, sondern im Fabrikformular,
und diese Zimmerleute erhielten ihre Berufsbezeichnung auch bloß in
Miszellen. 245
der Rubrik Nebengewerbe. Dasselbe passierte auch den Aerzten
des Militärressorts, die in der Hauptsache das Zeichen für Militärs
B—01 erhielten und nur als Nebenberuf das Zeichen für Aerzte E—02.
Nicht im geringsten genügend ist auch die Einteilung der Berufe
in gewerbliche und nichtgewerbliche durchgeführt: in dieser zweiten
Gruppe finden sich Tagesarbeiter, Schwarzarbeiter, Fabrikanten, Ver-
walter von Fabriken und gewerblichen Anstalten, während allerdings
alle diese einen Platz im Abschnitt industrielle Beschäftigung (Ab-
schnitt B) hätten finden müssen.
In der Presse — und das nicht nur einmal — ist von Personen,
die zweifellos an der Aufbereitung des Zählungsmaterials Anteil nehmen,
auf die durchaus unhaltbare Technik des Depouillements hingewiesen
worden. Auch wir haben oben darauf hingewiesen, daß man bei der
Auszeichnung des Materials über die Berufe anfangs nicht vom Beruf,
sondern von dem Arbeitsraum ausgegangen ist, während man sich jetzt
an die Profession hält. Dann stoßen wir bei der Durchsicht der Haus-
haltungsgruppen auf eine große Ungleichförmigkeit: in einigen Aus-
zeichnungsabteilungen rechnet man gewisse Haushaltungen zu den
Artellen, während in anderen Abteilungen dieselben Wirtschaftseinheiten
zu den Haushaltungen der Anstalten hinzugezogen werden. Ferner
wird in einigen Abschnitten den Gutsbesitzern, die auch ein kapita-
listisches Unternehmen besitzen, eine Formel gesetzt, die dem Ein-
kommen aus unbeweglichem Vermögen entspricht, in anderen Abschnitten
erhalten dieselben Gutsbesitzer eine Formel, die dem Einkommen aus
der Landwirtschaft entspricht. Es ist wirklich schwer, alle die Fälle
aufzuzählen, wo nicht einheitlich vorgegangen worden ist; das bestätigt
auch der Erlaß der nenen Auszeichnungsregeln vom 17. März 1900,
über die wir bereits oben gesprochen haben. So werden in den neuen
Regeln die Bezeichnungen „Landarbeiter“!) und „Landmann unter den
Arbeitern‘ identifiziert, obschon diese Bezeichnungen in der Mehrzahl
der Fälle etwas voneinander wesentlich Verschiedenes vorstellen. Ferner
empfehlen die neuen Regeln, wie oben bereits gezeigt, mit dem Zeichen
de Verpflegte, Ziehkinder, Zöglinge u, a w. abzumerken. Diese Ver-
fügung bedeutet aber eine Abänderung des während dreier Jahre ge-
handhabten Systems, nach dem mit dem Zeichen yx nur die beständig
anwesenden, verwandten Glieder der Haushaltung bezeichnet werden
sollten. Wenn nach Ablauf einer mehr als 2-jährigen Thätigkeit ge-
wisse technische Handgriffe aufgegeben werden müssen, so beweist das
kaum eine normale Lage der Dinge.
Wie wir oben sahen, hat die Hauptzählungskommission ein Ge-
samtprogramm für das Dépouillement nicht ausgearbeitet. Zum Unglück
ist auch heute noch ein solcher Plan nicht vorhanden: das Zählungs-
material wird im Hin- und Hertappen bearbeitet. Eine solche Sachlage
führt natürlich eine starke Verzögerung im Gang der Dinge herbei.
Wenn wir uns den auswärtigen Staaten zuwenden, so sehen wir, daß
1) Anmerkung des Ucbersetzers. Wörtlich: „Landmann = Arbeiter“.
246 Miszellen.
z. B. in Oesterreich, wo gleichfalls elektrische Zählmaschinen bei der
Summation verwandt wurden, die Verarbeitung des Zählungsmaterials
mit dem Juni 1891 begann und im Juli 1893 vollständig beendet war.
Nach den Worten Inama-Sternegg’s wurden „am 16. Juli 1893 die
Thüren des Gebäudes, wo das Depouillement des österreichischen Volks-
zählungsmaterials ausgeführt wurde, geschlossen“. Wann, fragt man,
werden die Thüren des Hauses geschlossen werden, in dem die Resul-
tate der ersten Volkszählung in Rußland aufbereitet werden? — Es
ist wahrlich schwer, diese Frage zu entscheiden, — sie zu beantworten
vermögen nur die Leiter der Sache.
Als eine ganz eigenartige Besonderheit der Ausbeute der russischen
Zählung muß jene Anordnung angesehen werden, nach der das Ur-
material zuerst den unerfahrensten Händen überliefert wird, von denen
es verbessert, ergänzt und überhaupt revidiert wird (s. darüber „Leit-
faden“ No. 2), um dann eine ganze Reihe mehr erfahrener Kräfte zu
passieren und schließlich an die Kontrolle zu gelangen, die dann über
das definitive Schicksal des abgemerkten Materials entscheidet. Bei
einem solchen System ist das Urmaterial in hohem Grade dem Ver-
derben und seine Aufbereitung selbstverständlich ununterbrochenen Ab-
änderungen ausgesetzt, so daß die unteren Organe absolut nichts mehr
sehen und wissen, was als richtige und was als unrichtige Auszeichnung
zu gelten hat. Die Versuche anderer Länder reden hingegen eine ganz
andere Sprache. Denn überall geht der Aufbereitung des Zählungs-
materials eine einleitende redaktionelle Revision vorher — (diese Arbeit
ist bisher nirgends einfachen Arbeitsleuten übertragen worden!) — und
die Entscheidung über alle Schwierigkeiten der Auszeichnung konzen-
triert sich auf dieses erste Stadium. Dadurch wird einer Menge von
Fehlern vorgebeugt und die Willkür der Subalternen ferngehalten.
Außerdem ist es aber kaum notwendig, das Zählungsmaterial auch nach
den Rubriken, die nichts Schwieriges enthalten, besonders auszuzeichnen.
Braucht man denn z. B. 34 an Stelle von sdorow (gesund) zu setzen,
Kp an Stelle von krestjanin (Bauer), M statt meschtschanin (Bürger),
K statt kupez (Kaufmann)? — Denn die Auszeichnung aller dieser
Rubriken erfordert viel Zeit und Aufwand von Kanzleibedürfnissen —
gerade hier entstammt die unproduktive Verschleuderung von Kräften
und von Mitteln. Man kann dreist behaupten, daß bei dem System,
das sich das Komitee zu eigen gemacht hat, die Aufarbeitung des
Materials wenigstens mal teuerer wird, als wenn der Ersatz durch
die Formeln 3x, K, M, Ilp, P, MP, J, Px u. s. w. vermieden worden wäre.
Als einer der Hauptmängel der derzeitigen Lage der Zählungs-
arbeiten erscheint der große Mangel an Leitungspersonal: der Personal-
bestand an Redakteuren des Statistischen Centralkomitees muß vielleicht
10mal vermehrt werden, damit die Sache mit wünschenswerter
Schnelligkeit und Korrektheit weiterschreite.
Endlich muß aber auch ein Plan für das Dépouillement ausgearbeitet
und von Vertretern der wissenschaftlichen Statistik, der Praxis und
aller unserer Ministerien beprüft werden: dieses verantwortungsvolle
ee ne
Miszellen. 247
Werk soll als das Arbeitsresultat der vereinigten Kräfte des ganzen
Reichs auftreten.“
Mit diesem Postulat schließt der Verfasser, der Cr—xs (St—k)
unterzeichnet, seine interessante Abhandlung. Ob aber die Erfüllung
seines Wunsches und die sich daran knüpfende, endgiltige Ausbeute-
arbeit wirklich noch zweckdienlich wäre und nicht bereits zu spät
käme, erscheint diskutabel. Denn mittlerweile hat Petersburg eine lokale
Volkszählung veranstaltet, und seinem Beispiel werden Moskau und
andere Gebiete von wirtschaftlicher Bedeutung wahrscheinlich folgen.
Vor allem aber: wenn die vorstehende Arbeit im Druck erscheint,
werden rund 4 Jahre seit dem Tage der Volkszählung verflossen sein,
und die Ausbeutearbeiten befinden sich bis heute noch auf dem Stande,
wie er in der vorliegenden Arbeit gekennzeichnet ist.
Dr. A. Stellmacher.
948 Litteratur.
Nachdruck verboten.
Litteratur.
IL.
Neuere agrarpolitische Werke.
Besprochen von J. Conrad.
Die Agrarkrisis in Mitteleuropa, welche jetzt bereits über ein
Decennium währt, hat naturgemäß das Interesse für die Agrarfragen
besonders angeregt und eine reiche Litteratur darüber zu Tage ge-
fördert. Selbstverständlich hat dieselbe einen sehr verschiedenen
Charakter, aber neben vielem Wertlosen und Einseitigen haben wir
darin mehrere bedeutsame wissenschaftliche Werke von nachhaltigem
Werte gewonnen; und nur mit diesen letzteren werden wir uns hier
näher zu beschäftigen haben, so interessant es auch ist, sich die gewaltigen
Gegensätze in den Auffassungen zu vergegenwärtigen, welche in dieser
Litteratur zu Tage getreten sind.
Nur beiläufig erwähnen wir das Werk von K. Kautsky, Die
Agrarfrage, eine Uebersicht über die Tendenzen der modernen Land-
wirtschaft und die Agrarpolitik der Sozialdemokratie. Stuttgart 1899.
Wir brachten ihm ein lebhaftes Interesse entgegen und erhofften von
dem unbedingt sehr begabten Verfasser mindestens reiche Anregung und
aus seiner großen Belesenheit mannigfache Belehrung. Wir fanden uns
aber sehr enttäuscht und wurden durch das ganze unwissenschaftliche
Vorgehen des Verfassers abgestoßen, denn das Buch erwies sich als eine
Tendenzschrift schlimmster Art und als reines Produkt der Parteileiden-
schaft. Die Litteratur, das historische und statistische Material benutzt
er völlig einseitig, um seine vorher aprioristisch aufgestellten Be-
hauptungen zu begründen. Sie gehen in der Hauptsache dahin, daß
auch in der Landwirtschaft, wie in der Industrie die Tendenz zum
Großbetriebe und die Verelendung des Bauernstandes vorliege, während
innerhalb seiner Partei selbst bekanntlich, besonders durch v. Vollmar,
dem auf das entschiedenste entgegengetreten ist. Um zu seinem Zweck
zu gelangen, faßt er den Bauer bald als Großbauer auf, wenn es ihm
darauf ankommt, den Einfluß der Arbeiternot zu schildern, bald als
Parzellenbesitzer mit ungenügendem Lande, um die traurige Lage des
Litteratur. 249
Bauern zu schildern. Er greift aus der Litteratur einzelne ihm passende
Beispiele von Ueberanstrengung der Kinder, ungenügende Ernährung
auf dem Lande heraus, um dies zu generalisieren und das Elend des
Bauernstandes als erwiesen hinzustellen. Er erwähnt wohl, daß der
Bauer eine stärkere Viehhaltung hat, verwertet dieses aber nur dahin,
daß er durch die größere Zahl der Zugtiere gegen den Grundbesitz
im Nachteile sei; daß gerade die Viehzucht für den Bauer die Haupt-
finanzquelle ist, und in ihr die Ueberlegenheit des Kleinbetriebes gegen-
über dem Großbetriebe liegt, das ignoriert er. Die Schattenseiten des
Großbetriebes, die größere Entfernung der Felder vom Hofe und die
Verteuerung der Wirtschaft dadurch ist ihm wohl bekannt, doch wird
sie erst später angeführt, nachdem er die Inferiorität des Kleinbetriebes
bereits als erwiesen hingestellt hat. Die Bedeutung des Gemüse-, Obst-,
Weinbaues, der Kultur des Tabaks und anderer Handelsgewächse für
den kleinen Mann läßt er in einem gänzlich falschen Lichte erscheinen,
indem er die gesamte Ausdehnung der Handelsgewächse in Deutschland
dem Getreidebau gegenüberstellt, während jeder weil, daß auch nur
ein kleiner Prozentsatz des Ackers in dieser Kultur für den Bauern
eine außerordentliche Bedeutung hat, und die ergänzende Heranziehung
dieser Kulturzweige ihm eine Aushilfe schafft, die dem Gutsbesitzer
im allgemeinen fehlt, und zur Zeit niedriger Getreidepreise dagegen
hoher Preise der tierischen Produkte, des Obstes, der Gemüse etc. dem
ersteren eine wachsende Ueberlegenheit über jenen verschaffen müssen.
Ueber die Bedeutung der Landwirtschaft im Kleinbetriebe als Neben-
gewerbe hilft er sich fort, indem er behauptet, daß bei dieser Ver-
bindung beide Gewerbe verkümmern, was wiederum im Widerspruch
mit den Thatsachen steht. So giebt Kautsky ein Zerrbild, welches der
Wirklichkeit nicht entspricht und auf Grund dessen er gänzlich fehl-
gehende Schlüsse auf die Zukunft unserer Landwirtschaft zieht.
Auf ganz gleicher Stufe, in der ganzen Methode der Kautsky’schen
Schrift außerordentlich ähnlich, ist das „agrarische Wörterbuch“,
Berlin 1898, Verlag des Bundes der Landwirte, von dem man nur sagen
kann, es wäre überaus spaßhaft, wenn es nicht so furchtbar ernst in der
Wirkung zu nehmen wäre; es muß noch mehr verwirrend und schäd-
licher wirken, als die ersterwähnte Schrift. Es wird darin der krasseste
Klassenegoismus gepredigt. Wir verweisen nur auf die Artikel: Handels-
verträge, Antrag Kanitz, Wollzoll, Währung, Produktive Stände, Brot-
preise, Wohlstand.
Wir greifen ferner noch einzelne für das nationalökonomische
Verständnis der Verfasser bezeichnende Stellen heraus. S. 840: „Durch
die Thatsache, daß das Deutsche Reich im Handelsverkehr mit dem
Auslande dauernd eine Unterbilanz aufweist, wird zweifelsohne der
Bestand unseres Nationalreichtums in Frage gestellt.“ „Wir bezahlen
also die eingeführten Rohstoffe und Werte nicht mehr mit Fabrikaten,
sondern mit barem Gelde“. S. 806: „Ohne Zweifel ist die gegenwärtige
Goldwährungsperiode die schwerste wirtschaftliche Verirrung, welche
die Welt je gesehen hat.“
S. 546 wird von dem Antrag Kanitz gesagt: „Aus der ganzen sozial-
250 Litteratur.
politischen Gesetzgebung des letzten Jahrzehnts ist kein Gesetz zu
nennen, das eine auch nur annähernd so bedeutsame Wohlthat für
die Arbeiterbevölkerung involviert.“ Ueberhaupt gehört dieser Artikel
zu den unglaublichsten Zumutungen an den gesunden Menschenverstand
selbst in diesem Buche. Indem die 40-jährigen Durchschnittspreise
für Roggen in Berlin von 1836—1875 aufgeführt und diesen die 20 Jahre
von 1875—94, also von dem Moment der Preiserniedrigung an, gegen-
übergestellt werden, wird durch dies Taschenspielerstückchen als be-
wiesen hingestellt, daß der Preisrückgang ganz anormal wäre und die
Landwirtschaft ein gutes, vom Staate zu garantierendes Recht auf die
Preise habe, welche bei gleichmäßiger Fortsetzung der, vorher bekannt-
lich anormal hohen, Preise zu erwarten gewesen wären. Als ob in dem
3. und 4. Decennium des letzten und im 18. Jahrhundert nicht zweimal
Durchschnitte von 20 Jahren zu finden wären, welche gegen die vor-
hergegangenen 40 ebensolche Rückschläge ergeben; und stellt man von
1899 zurück Durchschnitte von 50 Jahren gegenüber, so zeigt das letzte
halbe Jahrhundert sogar noch eine Preissteigerung. Höchst belustigend
sind auf S. 532 u. s. w. die Nachweise, daß in der Landwirtschaft der
Arbeitslohn unter den Herstellungskosten eine größere Rolle spiele als
in der Industrie und niedrige Getreidepreise der Ruin der Kultur und
namentlich des Mittelstandes ist.
Doch schade um die dem Buche gewidmete Zeit und Raum.
Wir haben ferner zwei Schriften zu erwähnen, die aber noch von
anderer Seite hier eine besondere Besprechung erfahren sollen. Dr. Franz
Oppenheimer, „Großgrundeigentum und soziale Frage“. Berlin W.,
Deutsches Verlagshaus, und Derselbe „Die Siedlungsgenossenschaft“,
ebenda.
Beide Schriften haben viel Beachtung und Anerkennung gefunden,
die wir nicht zu teilen vermögen. Die breite historische Grundlage er-
scheint uns durchaus willkürlich aufgebaut; doch wollen wir die Be-
urteilung derselben einer anderen Feder überlassen, und uns nur an die
Behandlung der Gegenwart und die praktischen Vorschläge des Ver-
fassers halten. Der Verf. kommt darauf hinaus, daß die Hauptübelstände
unserer agrarischen Verhältnisse auf den Großgrundbesitz zurückzuführen
sind, dem er doch in ganz Deutschland damit eine zu große Bedeutung
beimißt. Er sieht denselben aber bereits als dem Untergange geweiht
an, was sicher wiederum über das Ziel hinaus schießt, weil durch die
Agrarindustrie, sowie durch Verwertung höherer Intelligenz und größerer
Mittel, z. B. bei der Zucht edlerer Tiere, feinerer Produkte etc., nicht
nur dem Großbetriebe, sondern auch dem Großgrundbesitz eine Ueber-
legenheit inne wohnt, die seine völlige Verdrängung verhindern wird.
Sonst nehmen auch wir eine allmähliche, erhebliche Verminderung des
Großgrundbesitzes gleichfalls an. Der Verf. meint nun aber, daß nicht
der selbständige Bauer der Erbe desselben sein darf, sondern Produktiv-
associationen, berührt sich also darin mit Kautsky, und der Hauptzweck
seiner Schriften ist, nachzuweisen, daß in der Landwirtschaft weit leichter,
als in der Industrie Produktivassociationen mit Erfolg in Wirksamkeit
treten können. Er hält sie in der Industrie für undurchführbar, in der
Litteratur. 251
Landwirtschaft dagegen als die natürliche Entwickelung mit so außer-
ordentlichen Vorteilen, daß er ebenso wie seiner Zeit Robert Owen
meint, es bedürfe nur der Aufklärung der öffentlichen Meinung über ihre
Panacee, um sie in kurzer Zeit allgemein entstehen und die kleinen
und großen Privatwirtschaften aufsaugen zu lassen. Den Gegensatz der
landwirtschaftlichen Produktivassociationen zu den großen Industriellen
räumen wir ohne weiteres ein, dagegen nicht gegenüber den Hand-
werkerassociationen, wo auch theoretisch alle Grundbedingungen für ein
gutes Gedeihen gegeben zu sein scheinen. Auch für diese ist nicht
besonders großer Personalkredit erforderlich, kann durch das Hinzu-
treten neuer Mitarbeiter das Ganze im allgemeinen nur gewinnen, ist
eine Gleichartigkeit in der Leistungsfähigkeit und der gesellschaftlichen
Stellung der sich Vereinigenden vorhanden und bietet der Betrieb im
großen ungleich mehr Chancen, als der im kleinen. Und doch haben
diese Produktivassociationen für Handwerker nirgends eine nachhaltige
Bedeutung zu erlangen vermocht, und genau ebenso ist es bei den
landwirtschaftlichen Produktivassociationen trotz aller Ausführungen des
Vert ie bisher der Fall gewesen und wird es sich in der Zukunft er-
weisen. Der Verf. unterschätzt, und darin sehen wir einen prinzipiellen
Fehler, die überlegene Produktivkraft gerade des kleinen selbständigen
Bauern, der mit seiner Familie den Boden bearbeitet, Gemüse baut,
Vieh züchtet, Geflügel hält, Obst baut etc. Allerdings sind seine
Leistungen in Frankreich, in Belgien, dann in Amerika mustergiltiger
als bei uns in Deutschland, wo namentlich der Nordosten, aber auch
große Teile Mittel- und Süddeutschlands, in dieser Hinsicht ent-
schieden hinter der Zeit bedeutend zurückgeblieben sind. Aber der
Bauer hat auch in Deutschland in neuerer Zeit erhebliche Fortschritte
gemacht, und gewinnt an Leistungsfähigkeit und damit an Ueberlegen-
heit über den Großbetrieb. Der Verf. ignoriert ferner, wie die Sozialisten,
das psychologische Moment, und schwebt infolgedessen mit seinem
ganzen Projekt wie jene in der Luft. Er übersieht, daß jeder tüchtige
Mann, der sich bewußt ist, mehr zu leisten als andere, das Streben hat,
seine Kraft auch in erster Linie in seinem eigenen Interesse zu ver-
werten, also privatwirtschaftlich. Und daß er im Bewußtsein seiner
Kraft seinen eigenen Betrieb haben und ihn nach seiner individuellen
Anschauung durchführen will, nicht aber so, wie es die Mehrzahl seiner
Genossen, die er für nicht ebenbürtig hält, verlangt. Daher werden die
Produktivassociationen niemals die tüchtigsten Leute unter sich ver-
einigen, sondern in der Regel nur mittelmäßige und untergeordnete.
Ferner: Auch bei dem landwirtschaftlichen Betrieb ist natürlich feste
Unterordnung der einzelnen Mitglieder unter die Leitung unbedingtes
Erfordernis, wie bei einem jeden größeren Betriebe Bei dem demo-
kratischen Charakter der Produktivassociationen wird aber dieses nur
zu erreichen sein, wenn eine wirkliche Autorität an der Spitze steht,
deren Ueberlegenheit willig anerkannt wird. Solche Persönlichkeiten
sind aber nur vereinzelt zu finden. Wo man eine solche an die Spitze
zu stellen vermochte, sind die Produktivassociationen gediehen, auch die
Handwerker- und landwirtschaftlichen Produktivassociationen. Sobald
252 Litteratur.
diese Persönlichkeit zurücktrat oder starb, pflegten die Schwierigkeiten
um Ersatz Zwistigkeiten zu veranlassen und den Lebensfaden des
Unternehmens abzuschneiden. Erst wenn es der Sozialdemokratie, nach-
dem sie zur Herrschaft gelangt, gelungen wäre, die Nivellierung der
Kräfte allgemeiner herbeizuführen, strebsame hervorragende Leute mit
Selbstbewußtsein und Streben nach Selbständigkeit überhaupt nicht mehr
emporwachsen zu lassen, oder nachdem jede Gelegenheit zur selbständigen
Verwertung der eigenen Kraft genommen ist, d. h. erst nach Beseitigung
aller individuellen Freiheit, werden sich Produktivassociationen auch auf
dem Lande allgemeiner und nachhaltiger erhalten können. Der Verf.
unterschätzt auch den kaufmännischen Charakter, den heutigen Tages
größere landwirtschaftliche Betriebe, haben müssen und stellt sich die
Durchführung unendlich einfacher vor, als sie in Wirklichkeit ist.
Wenn wir hiernach dem ganzen Projekt irgend eine größere Be-
deutung absolut nicht beizulegen vermögen, so werden wir es doch nur
mit Freude begrüßen, wenn praktische Versuche mit seinen Siedlungs-
genossenschaften gemacht werden, und daß unter sonst günstigen Be-
dingungen einzelne gedeihen können, hat die Geschichte bewiesen und
wird von uns keineswegs geleugnet. Sie werden unzweifelhaft außer-
ordentlich lehrreich sein. Ebenso können wir die Lektüre der Werke
denjenigen, die sich für diese Fragen interessieren und etwas reichlich
freie Zeit haben, durchaus empfehlen. Die Schriften sind nicht ohne
Geist verfaßt und enthalten manche interessante Einzelheiten.
Ganz anders stehen die folgenden Werke da, die wir jetzt anzu-
führen haben. Die sich als rein wissenschaftliche agrarpolitische Lehr-
bücher charakterisieren lassen:
A. Buchenberger, Agrarwesen und Agrarpolitik. 2 Bände.
Leipzig 1892 — 1894.
Derselbe, Grundzüge der deutschen Agrarpolitik. 2. Auflage.
Berlin 1899.
Th. Freiherr von der Goltz, Vorlesungen über Agrarwesen
und Agrarpolitik. Jena 1899.
L. Brentano, Agrarpolitik. Leipzig 1899. 1. Teil.
In den früheren Decennien fehlte es im Auslande völlig an selb-
ständigen, systematischen Lehrbüchern der Agrarpolitik. In Deutsch-
land lag nur das bekannte, hervorragende Werk von Roscher vor: Die
Natjonalökonomik des Ackerbaues, von dem die 1. Auflage 1859
erschien und seitdem 12 Auflagen ausgegeben sind. So hervorragend
dasselbe ist, es war unzweifelhaft die beste Arbeit des berühmten
Nationalökonomen, so reicnte es doch nicht völlig aus, weil es zu über-
wiegend historisch gehalten war. Gerade die gegenwärtigen Verhält-
nisse und die sich daraus ergebenden Staatsaufgaben waren nur flüchtig
behandelt. Es ist deshalb außerordentlich erfreulich, daß in den letzten
Jahren die obigen Werke erschienen sind, die hierfür eine vorzügliche
Ergänzung bieten und dem Bedürfnisse sowohl des Studenten, wie des
Staatsmannes und des praktischen Landwirtes entgegenkommen. Dazu
kommt, daß die Schriften von Persönlichkeiten herrühren, die einen sehr
Litteratur. 253
verschiedenen Studiengang durchgemacht haben und verschiedene Lebens-
stellungen einnehmen.
Zuerst erschien das große zweibändige Werk von Buchenberger,
als zweiter Teil der dritten Hauptabteilung des großen Adolf Wagner-
schen Lehr- und Handbuches der politischen Oekonomie. Es war sicher
eine außerordentlich glückliche Wahl, diese Aufgabe einem Manne zu-
zuteilen, der sich als praktischer Staatsmann, jetziger Chef des Finanz-
ministeriums in Baden, einen hervorragenden Namen verschafft und längst
durch seine schriftstellerische Thätigkeit als eine streng wissenschaft-
liche Persönlichkeit bekundet hat. In einer Zeit, wo die Wogen der
Diskussion gerade auf diesem Gebiete außerordentlich hochgehen, sich
ein intensiver Interessenkampf ausgebildet hat, in dem die Wissenschaft
als graue Theorie auf das schärfste herabgezogen wird, sobald ihr
Votum gewisse praktische Interessen verletzt, ist es wichtig, daß ein
solcher Mann, ausgehend von umfassender historischer Untersuchung,
die schwebenden Tagesfragen eingehend beleuchtet. Es ist auch wichtig,
daß es ein Süddeutscher ist, der den nordischen Verhältnissen sehr ob-
jektiv gegenübersteht und die süddeutsche Landwirtschaft auf das
genaueste kennt, da er sie in einem besonderen großen Werke behandelt
hat. Hat er hier sich hauptsächlich an das studierende Publikum ge-
wendet, dem er nur durch ein sehr umfangreiches Material gerecht
werden konnte, so hat er in der zweiten Schrift die Aufgabe über-
nommen, die hauptsächlichsten Ergebnisse in lesbarer Form dem größeren
Publikum zu übermitteln.
In richtiger Erkenntnis, daß mit diesen beiden Werken, so vor-
trefflich sie sind, die bisherige Lücke in der Litteratur noch nicht voll-
ständig ausgefüllt ist, hat Freiherr von der Goltz in seinen heraus-
gegebenen Vorlesungen ein Buch geliefert, das, vielleicht noch in einem
höheren Male als das zuletzt genannte, berufen ist, gerade in die Kreise
der landwirtschaftlichen Praxis einzudringen und zur Gesundung der
dort so vielfach mißleiteten Anschauungen beizutragen. Der Verf.
hat den großen Vorteil, selbst lange Zeit praktischer Landwirt gewesen
zu sein und noch jetzt als Direktor des landwirtschaftlichen Instituts in
Poppelsdorf mit der Praxis in ebenso naher Berührung zu stehen wie
mit der Wissenschaft. Die Form der Vorlesungen erleichtert es ihm,
in gefälligerer Weise mit unmittelbarer Lebendigkeit und Eindringlich-
keit seine Anschauungen zu vertreten, so daß das Buch sich außerordent-
lich angenehm liest.
In allen drei erwähnten Schriften ist die ruhige, streng objektive
Art der Behandlung in hohem Male erfreulich. Beide Männer treten
nicht einseitig dogmatisch auf, suchen das Für und Wider dem Leser
objektiv vorzulegen und ihm damit die Möglichkeit zu bieten, sich selbst
ein Urteil zu bilden, ohne darum mit der eigenen Auffassung hinter
dem Berge zu halten. Die politische Stellung des Verf’s ist bei
einer derartigen Aufgabe von großer Bedeutung. Buchenberger
scheint uns mehr auf liberalem Standpunkt zu stehen. Von der Goltz
ist ausgesprochener Konservativer; und doch gehen beide Männer in
254 Litteratur.
allen Hauptfragen völlig Hand in Hand, und nirgends tritt eine schroffe
Parteinahme oder Zurückweisung anders Denkender hervor.
Eine wesentlich andere Stellung nehmen der dritte hier in Betracht
kommende Autor und seine Schrift ein. Es ist sehr erfreulich, daß in
Brentano ein hervorragender Nationalökonom in dieser Frage das Wort
ergriffen hat. Er tritt als extremer Freihändler auf und damit in einen
Gegensatz zu den Vorgenannten. Der Verf. zeigt auch hier die hervor-
ragenden Eigenschaften, wie in seinen sonstigen Schriften ; die außerordent-
liche Klarheit und Präzision der Darstellung, das Anziehende der Sprache,
die interessante scharfsinnige Begründung aus breitem Material der
Geschichte, so daß die Lektüre zu einem Genuß wird, was um so höher
zu veranschlagen ist, da wir in Deutschland einen so großen Mangel
an interessant geschriebenen wissenschaftlichen Werken haben. Aber
es kann dabei an dem natürlichen Korrelat nicht fehlen. Sein überaus
lebhaftes Temperament zwingt ihn überall zu einer energischen Partei-
nahme. Im Gegensatze zu den eben betrachteten Autoren tritt er
überall rein dogmatisch auf und ist allein bestrebt seine Auffassung zu
begründen. Er zieht fast nur Material heran, was ihm zu diesem Zwecke
dienlich erscheint, sei es als positive Stütze, sei es, um durch Bekämpfung
und Widerlegung die eigene Ansicht in ein um so besseres Licht zu
stellen. Es ist bekannt, daß dies das beste Mittel ist, eine große
Wirkung auf den Leser oder Hörer auszuüben, dem die genügende
Kenntnis und sonstige kritische Fähigkeit fehlt. Der Verf. nennt
das Ganze ein Lehrbuch, den ersten vorliegenden Teil: „Theoretische
Einleitung“. Gleichwohl gelangt er in den letzten Paragraphen zur leb-
haften Erörterung verschiedener Tagesfragen, und die vorhergehenden
erscheinen allein zu dem Zwecke geschrieben, für diese die Grundlage
zu bieten.
Wenn wir auf einzelne Fragen des näheren eingehen wollen, so
liegt es nahe, die Stellung des Großgrundbesitzes und die Frage der
Erhaltung des Bauernstandes hierzu herauszugreifen. Buchenberger
ist Süddeutscher und zeigt doch volles Verständnis für die wirtschaft-
liche Bedeutnng des Großgrundbesitzes, wenn er auch die bedeutsame
soziale und politische Rolle und Aufgabe desselben im Nordosten leider
nicht berührt. Daß dieses von der Goltz nach allen Richtungen hin
würdigt, bedarf keiner besonderen Hervorhebung, Brentano dagegen
scheint in ihm nur Unbheilvolles zu sehen und beurteilt demgemäß auch
die politischen Aufgaben des Staates ihm gegenüber.
Buchenberger erkennt die Gefahr einer Bodenzersplitterung
ausdrücklich an und betont die Aufgabe, den Bauernstand zu schützen.
Es ist ein wahres Vergnügen, bei ihm zu verfolgen, mit welcher
Objektivität er das Für und Wider des Anerbenrechtes erörtert und an-
erkennt, daß die gleiche Gesetzgebung unter verschiedenen Verhält-
hältnissen eine ganz verschiedene Wirkung haben könne, und dai man
sich wohl hüten müsse, auf Grund der Beobachtung in einem gegebenen
Lande voreilig allgemeine Schlußfolgerungen zu ziehen. Auch wer sich
eingehend mit der Frage beschäftigt hat, wird bei der Lektüre lernen
und neue Anregung empfangen, auch wenn er nicht immer mit dem
Litteratur. 255
Verfasser übereinstimmt. Auch bei von der Goltz wird die Frage
sehr eingehend und vorurteilsfrei erörtert. Beide Autoren gehen von
einer ausführlichen Darlegung der historischen Entwickelung aus und
bieten dadurch der Erörterung eine feste Grundlage. Beide gelangen
zu dem Ergebnis, daß die freie Teilbarkeit und die freie Vererbung die
notwendige Vorbedingung für die gewaltige Entwickelung der deutschen
Volkswirtschaft gewesen und als Regel in Zukunft beigehalten werden
muß. Beide wollen die Kleinbetriebe unbedingt dem freien Verkehre
überlassen. Von der Goltz hält aber die Ansetzung einer Minimal-
parzelle für zulässig (In der Nähe der Städte würden wir dieses be-
klagen, aber auch auf dem Lande, namentlich in Fabrikorten für sehr
bedenklich halten. In Wein- und Gemüsebaugegenden dürfte ohnehin
kaum eine schädliche Grenze der Parzellengröße zu finden sein.) Dies
nimmt um so mehr wunder, da er es an anderer Stelle ausspricht, daß
die Gefahr der übermäßigen Bodenzersplitterung in unserer Zeit geringer
sei, als die Latifundienbildung (S. 116). Voll und ganz tritt er für
ein Anerbenrecht bei Bauerngütern ein, und er legt ein Gewicht darauf,
daß die Regierung durch ein solches Gesetz zeigt, daß sie die geschlossene
Erbfolge für das Normale hält. Besonders gefreut hat es uns, daß er
(S. 114) den Miterben auch nur den Anspruch auf eine Rente zuer-
kennen will. Für den großen Grundbesitz verwirft er aber das An-
erbenrecht als überflüssige und bedenkliche Unterstützung der Latifundien-
bildung, was wir nicht ganz zu unterschreiben vermögen; denn wenn
das Prinzip für die Vererbung an Grund und Boden richtig ist, so
wird es auch für den großen Grundbesitz der Fall sein. Die Unter-
stützung aber der Zusammenlegung von Grundstücken scheint uns da-
durch nur sehr gering zu sein. Ganz auffallend ist es bei diesen An-
schauungen, daß v. d. Goltz für Fideikommisse eintritt, die in einem viel
höheren Maße die Ladifundienbildung zu fördern vermögen und that-
sächlich gefördert haben. Freilich warnt er ausdrücklich (S. 118) vor
einer zu großen Ausdehnung derselben. 6 Proz. der Gesamtfläche er-
scheint ihm in Preußen indessen nicht zu viel, da er „eine wohlhabende,
gebildete unabhängige Grundaristokratie“ für einen jeden Staat für von
höchster Bedeutung hält. Wir halten auch unabhängige, wohlhabende
gebildete Leute für jeden Staat von höchster Bedeutung, warum sie in
unserer Zeit noch gerade Grundbesitzer sein müssen, begründet er nicht
näher. Daß ein Stamm von Gutsbesitzern in dem östlichen Preußen
noch für die Selbstverwaltung von großer Wichtigkeit ist, wird niemand
bestreiten, der die dortigen Verhältnisse kennt; der Westen und Süden
Deutschlands behilft sich im ganzen bekanntlich ohne ihn und steht
sich gut dabei. Im Gegensatz zu v. d. Goltz vermögen wir in der
Gegenwart durchaus nicht „eine Gefahr einer Latifundienbildung für
alle dicht bevölkerten und hochkultivierten Länder“ anzuerkennen, wo
sich der Grund und Boden schlecht verzinst und es an Gelegenheit zu
anderer günstigerer Kapitalanlage nicht fehlt. Nur durch eine künst-
liche Förderung der Konzentrierung in einer Hand und der künstlichen
Verhinderung der Zerteilung würde solche Gefahr erst großgezogen
werden.
254 Litteratur.
allen Hauptfragen völlig Hand in Hand, und nirgends tritt eine schroffe
Parteinahme oder Zurückweisung anders Denkender hervor.
Eine wesentlich andere Stellung nehmen der dritte hier in Betracht
kommende Autor und seine Schrift ein. Es ist sehr erfreulich, daß in
Brentano ein hervorragender Nationalökonom in dieser Frage das Wort
ergriffen hat. Er tritt als extremer Freihändler auf und damit in einen
Gegensatz zu den Vorgenannten. Der Verf. zeigt auch hier die hervor-
ragenden Eigenschaften, wie in seinen sonstigen Schriften ; die außerordent-
liche Klarheit und Präzision der Darstellung, das Anziehende der Sprache,
die interessante scharfsinnige Begründung aus breitem Material der
Geschichte, so daß die Lektüre zu einem Genuß wird, was um so höher
zu veranschlagen ist, da wir in Deutschland einen so großen Mangel
an interessant geschriebenen wissenschaftlichen Werken haben. Aber
es kann dabei an dem natürlichen Korrelat nicht fehlen. Sein überaus
lebhaftes Temperament zwingt ihn überall zu einer energischen Partei-
nahme. Im Gegensatze zu den eben betrachteten Autoren tritt er
überall rein dogmatisch auf und ist allein bestrebt seine Auffassung zu
begründen. Er zieht fast nur Material heran, was ihm zu diesem Zwecke
dienlich erscheint, sei es als positive Stütze, sei es, um durch Bekämpfung
und Widerlegung die eigene Ansicht in ein um so besseres Licht zu
stellen. Es ist bekannt, daß dies das beste Mittel ist, eine große
Wirkung auf den Leser oder Hörer auszuüben, dem die genügende
Kenntnis und sonstige kritische Fähigkeit fehlt. Der Verf. nennt
das Ganze ein Lehrbuch, den ersten vorliegenden Teil: „Theoretische
Einleitung“. Gleichwohl gelangt er in den letzten Paragraphen zur leb-
haften Erörterung verschiedener Tagesfragen, und die vorhergehenden
erscheinen allein zu dem Zwecke geschrieben, für diese die Grundlage
zu bieten.
Wenn wir auf einzelne Fragen des näheren eingehen wollen, so
liegt es nahe, die Stellung des Großgrundbesitzes und die Frage der
Erhaltung des Bauernstandes hierzu herauszugreifen. Buchenberger
ist Süddeutscher und zeigt doch volles Verständnis für die wirtschaft-
liche Bedeutnng des Großgrundbesitzes, wenn er auch die bedeutsame
soziale und politische Rolle und Aufgabe desselben im Nordosten leider
nicht berührt. Daß dieses von der Goltz nach allen Richtungen hin
würdigt, bedarf keiner besonderen Hervorhebung. Brentano dagegen
scheint in ihm nur Unheilvolles zu sehen und beurteilt demgemäß auch
die politischen Aufgaben des Staates ihm gegenüber.
Buchenberger erkennt die Gefahr einer Bodenzersplitterung
ausdrücklich an und betont die Aufgabe, den Bauernstand zu schützen.
Es ist ein wahres Vergnügen, bei ihm zu verfolgen, mit welcher
Objektivität er das Für und Wider des Anerbenrechtes erörtert und an-
erkennt, daß die gleiche Gesetzgebung unter verschiedenen Verhält-
hältnissen eine ganz verschiedene Wirkung haben könne, und dał man
sich wohl hüten müsse, auf Grund der Beobachtung in einem gegebenen
Lande voreilig allgemeine Schlußfolgerungen zu ziehen. Auch wer sich
eingehend mit der Frage beschäftigt hat, wird bei der Lektüre lernen
und neue Anregung empfangen, auch wenn er nicht immer mit dem
Litteratur. 255
Verfasser übereinstimmt. Auch bei von der Goltz wird die Frage
sehr eingehend und vorurteilsfrei erörtert. Beide Autoren gehen von
einer ausführlichen Darlegung der historischen Entwickelung aus und
bieten dadurch der Erörterung eine feste Grundlage. Beide gelangen
zu dem Ergebnis, daß die freie Teilbarkeit und die freie Vererbung die
notwendige Vorbedingung für die gewaltige Entwickelung der deutschen
Volkswirtschaft gewesen und als Regel in Zukunft beigehalten werden
muß. Beide wollen die Kleinbetriebe unbedingt dem freien Verkehre
überlassen. Von der Goltz hält aber die Ansetzung einer Minimal-
parzelle für zulässig (In der Nähe der Städte würden wir dieses be-
klagen, aber auch auf dem Lande, namentlich in Fabrikorten für sehr
bedenklich halten. In Wein- und Gemüsebaugegenden dürfte ohnehin
kaum eine schädliche Grenze der Parzellengröße zu finden sein.) Dies
nimmt um so mehr wunder, da er es an anderer Stelle ausspricht, daß
die Gefahr der übermäßigen Bodenzersplitterung in unserer Zeit geringer
sei, als die Latifundienbildung (S. 116). Voll und ganz tritt er für
ein Anerbenrecht bei Bauerngütern ein, und er legt ein Gewicht darauf,
daß die Regierung durch ein solches Gesetz zeigt, daß sie die geschlossene
Erbfolge für das Normale hält. Besonders gefreut hat es uns, daß er
(S. 114) den Miterben auch nur den Anspruch auf eine Rente zuer-
kennen will Für den großen Grundbesitz verwirft er aber das An-
erbenrecht als überflüssige und bedenkliche Unterstützung der Latifundien-
bildung, was wir nicht ganz zu unterschreiben vermögen; denn wenn
das Prinzip für die Vererbung an Grund und Boden richtig ist, so
wird es auch für den großen Grundbesitz der Fall sein. Die Unter-
stützung aber der Zusammenlegung von Grundstücken scheint uns da-
durch nur sehr gering zu sein. Ganz auffallend ist es bei diesen An-
schauungen, daß v. d. Goltz für Fideikommisse eintritt, die in einem viel
höheren Maße die Ladifundienbildung zu fördern vermögen und that-
sächlich gefördert haben. Freilich warnt er ausdrücklich (S. 118) vor
einer zu großen Ausdehnung derselben. 6 Proz. der Gesamtfläche er-
scheint ihm in Preußen indessen nicht zu viel, da er „eine wohlhabende,
gebildete unabhängige Grundaristokratie“ für einen jeden Staat für von
höchster Bedeutung hält. Wir halten auch unabhängige, wohlhabende
gebildete Leute für jeden Staat von höchster Bedeutung, warum sie in
unserer Zeit noch gerade Grundbesitzer sein müssen, begründet er nicht
näher. Daß ein Stamm von Gutsbesitzern in dem östlichen Preußen
noch für die Selbstverwaltung von großer Wichtigkeit ist, wird niemand
bestreiten, der die dortigen Verhältnisse kennt; der Westen und Süden
Deutschlands behilft sich im ganzen bekanntlich ohne ihn und steht
sich gut dabei. Im Gegensatz zu v. d. Goltz vermögen wir in der
Gegenwart durchaus nicht „eine Gefahr einer Latifundienbildung für
alle dicht bevölkerten und hochkultivierten Länder“ anzuerkennen, wo
sich der Grund und Boden schlecht verzinst und es an Gelegenheit zu
anderer günstigerer Kapitalanlage nicht fehlt. Nur durch eine künst-
liche Förderung der Konzentrierung in einer Hand und der künstlichen
Verhinderung der Zerteilung würde solche Gefahr erst großgezogen
werden.
256 Litteratur.
Buchenberger ist prinzipieller Gegner der Fideikommisse, spricht
sich aber überaus vorsichtig darüber aus, und hebt mit Recht hervor,
daß die Schädlichkeit eine minimale ist, wenn die Zahl derselben un-
bedeutend bleibt. Wir möchten hinzufügen, daß es ebenso bedeutsam
ist, daß sie sich nur auf ein einzelnes Gut erstrecken, also nicht bei Lati-
fundien Anwendung finden.
Brentano tritt natürlich mit der größten Schärfe und ohne Ein-
schränkung gegen jede Bindung des Grundbesitzes auf und geht in der
Beweisführung unserer Ansicht nach dadurch fehl, daß er keinen Unter-
schied zwischen Fideikommiß und Anerbenrecht macht, vielmehr beide
bei der Bekämpfung zusammenwirft. Es erleichtert ihm dieses natürlich
die Bekämpfung des letzteren, macht sie aber allerdings nicht richtiger.
Seite 67 sagt er, „daß die großen Landwirtschaftsschriftsteller aller
Nationen des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts die heftigsten Gegner
jener Reste der alten kommunistischen Agrarverfassung gewesen sind“.
Das war vollständig berechtigt. Aber er fährt fort: „Die große
Kapitalsverwendung in dem Grund und Boden, welche die Steigerung
der Intensität in seiner Bestellung erheischt, verträgt sich nicht mit
den noch bestehenden Beschränkungen und in der freien Verfügung
über den Grundbesitz, sowohl unter Lebenden als auch von Todes wegen,
durch Fideikommisse, grundherrliche Verfassung und Anerbenrecht. Jene
Kapitalsverwendung unterbleibt entweder, wo diese Beschränkungen
fortbestehen, oder führt zu unerträglichen Verschuldungsverhältnissen.“
Es ist klar, daß die Zusammenwerfung dieser verschiedenen Formen der
Besitzbeschränkung völlig unthunlich ist. Unerträgliche Verschuldungs-
verhältnisse können sich bei Fideikommissen kaum nachhaltig ausbilden,
während ein Anerbenrecht eine so tief greifende Wirkung überhaupt
nicht hat und die Verschuldung hintanzuhalten angethan ist. So sehr
wir Gegner der Fideikommisse sind, können wir nicht einmal diese Be-
hauptung des Verf. in betreff derselben unterschreiben. Brentano
ist in England gewesen und zwar noch vor 1889, wo man anfıng, die
alten Beschränkungen zu mildern. Hat er dort nicht wahrgenommen,
daß damals außerordentlich intensiv gewirtschaftet und große Auf-
wendungen auf den Grnnd und Boden gemacht wurden? Wir heben
ausdrücklich hervor, daß diese Aufwendungen sogar vielfach von Pächtern
gemacht wurden, wie ebenso auf preulischen Domänen in der Zeit des
Aufschwungs von den Pächtern Drainageanlagen etc. durchgeführt sind,
für welche die Regierung nicht rechtzeitig die nötigen Mittel flüssig
machen konnte. Die Brentano’schen Ausführungen, darauf wollen wir
nur hinweisen, enthalten hier wie auch sonst sehr häufig gewaltige
Uebertreibungen, die irreführend sind. Auf der folgenden Seite schreibt
er, „daß das intensivste Wirtschaftssystem erst möglich werde mit Ein-
führung der Freiteilbarkeit des Bodens. Der Verf. ist ja auch in
Italien gewesen; ist ihm nicht aufgefallen, daß sich die freie, intensive
Wirtschaft z. B. sowohl in der Lombardei wie zwischen Pisa nnd Florenz
auch auf den Besitzungen der großen Grundherren vorfindet, wo die
kleinen Grundstücke in Halbpacht abgegeben sind und nicht vereinzelt
als Ausnahme, sondern in großer Ausdehnung, während allerdings in
© ———
Litteratur. 257
anderen Gegenden Italiens der Besitz der toten Hand arg vernachlässigt
erscheint. Unsere Kulturstufe bietet eben die mannigfachsten Hilfs-
mittel, um auch die Wirkung schädlicher Einrichtungen abzuschwächen,
und es ist wohl notwendig, für die richtige Beurteilung unserer Zustände
dieses nicht unberücksichtigt zu lassen, auch wenn die Wirkung des
Angriffs dadurch etwas abgeschwächt wird. Wir stimmen dem Verf.
durchaus zu, wenn er H 69 sagt: Daß das Grundeigentum im
allgemeinen die beste Förderung intensiver Kultur in sich schließt.
Aber ohne Einschränkung zu sagen, es sei die Voraussetzung von Meliora-
tionen etc., ist unzweifelhaft zu weit gegangen. Schon die oben ange-
führten Beispiele der Leistungen der Pächter zeigen, daß nicht nur durch
Grundrente Meliorationen veranlaßt werden, wie S. 75 von ihm ausgeführt
ist, und es mutet den Leser doch wie Moderduft an, wenn man die von
ihm herangezogenen Ausführungen Anderson’s liest. Auch S. 104
kommt er wieder auf die Geschlossenheit des Grundbesitzes zurück und
wirft Fideikommisse und Anerbenrecht zusammen, und ohne irgend eine
Bemerkung, daß beide dadurch volkswirtschaftlich ganz verschieden
wirken, daß das erstere den Großgrundbesitz betrifft, das letztere den
bäuerlichen; daß erstere ihn unverschuldbar, unveräußerlich und un-
teilbar macht, das letztere dem Besitzer nach allen diesen Richtungen
hin die Verfügung frei läßt; das erstere die Familie stützen will, das
letztere das Bauerngut. Auf diese Weise muß die gemeinsame Be-
kämpfung beider nach beiden Richtungen eine schiefe werden.
Die eigentümliche Methode Brentano’s kommt natürlich besonders
verhängnisvoll zum Vorschein im $ 7, wo in dieser „theoretischen Ein-
leitung“ die Ueberschrift lautet: „Die Agrarprogramme und der Boden-
preis“, wo also die praktischen Tagesfragen behandelt werden.
Wenn der Verf. S. 61 sagt: eine Steigerung des Rohertrages
sei, „so lange man beim Anbau derselben Frucht bleibt, ohne Steigen
der Produktenpreise nur bei einem außerordentlichen Sinken der
Meliorationskosten, außerdem nur auf dem fruchtbareren Boden und be-
sonders günstig gelegenen Grundstücken der Fall“, so unterschätzt er
erheblich die Wirkung einer Besserung der Wirtschaftsmethode. Eine
geeignetere Fruchtfolge, sorgsamere Sammlung des Düngers, Grün-
düngung gerade auf leichtem Boden, Auswahl vorzüglichen Saatgutes,
Heranziehung geeigneterer Zuchttiere, rationellere Ernährung des Vieh-
standes können allein eine enorme Erhöhung des Roh- und Reinertrages
herbeiführen. Dies ist aber für die weitere Beurteilung der Ent-
wickelung der Landwirtschaft von durchgreifender Bedeutung.
Wir teilen den Standpunkt des Vert a vollständig, daß die An-
setzung einer Verschuldungsgrenze in hohem Maße schädlich für die
Landwirtschaft wäre. Wenn er aber S. 131 sagt: „Der Besitz reizt sie
(kleine ländliche Besitzer in Süddeutschland) zum weiteren Sparen und
zum Abtragen der Schuld, aber auch zu gelegentlichem weiteren Zukauf,
und so ist trotz der großen Belastung dieser kleinen Besitzer beim
Bodenerwerb ihre Lage wegen stärkerer Tilgung ihrer Schulden heute
weit günstiger, als in den großen. Dabei zeigen die von ihm bebauten
Grundstücke eine Steigerung der Intensität im Anbau und eine Ver-
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 17
9258 Litteratur.
besserung der Bodeneigenschaften, womit nichts rivalisieren kann“, so
sind doch diese Thatsachen in erster Linie auf ganz andere Umstände
zurückzuführen, als gerade auf den Parzellenerwerb und die dabei
vorgenommene reiehliche Verschuldung. Wenn der Vert sich im
Thüringischen umsehen will, z. B. im Meiningenschen und dann an der
Eifel, so wird er finden, daß Parzellenbesitz und Ueberschuldung gerade
die entgegengesetzte Folgen erzielt haben, die er ihnen hier nachrühmt,
und eine gewisse Beschränkung in dem Parzellenschacher würde gerade
nach dem Buchenberger’schen Werke über Baden auch in Süddeutsch-
land eher ein Segen als ein Nachteil sein. S. 137 heißt es: „Jede
Verwendung von Arbeit und Kapital, sei es zur Abtragung der Erwerbs-
schuld, sei es zur Verbesserung der Bodeneigenschaften und Steigerung
der Bodenergiebigkeit, bedeutet nunmehr nur eine Beraubung der
weichenden Erben zu Gunsten des Uebernehmers.“ Dies ist gegen das
preußische Rentengesetz von 1896 gesagt, wonach das Gut nicht nach
dem Verkaufs-, sondern nach dem Ertragswerte veranschlagt wird, der
Uebernehmer ein Drittel voraus erhält und die Miterben nur Renten-
anspruch haben, so weit es sich um mehr als 30 M. handelt, und die
auf dem Gute ruhenden Schulden sind, so weit möglich, aus dem mobilen
Kapital zu decken.
Kommt nun trotz des Vorzugsrechtes des Anerben den Miterben
gar nichts mehr zu gute, wie Brentano behauptet, oder nur ein etwas
verringerter Anteil?
So ist kaum eine Seite der Schrift zu lesen, ohne daß man zu
Widerspruch genötigt wird, weil man fortdauernd auf Uebertreibungen
und einseitige Verschiebungen stößt. Auch wenn man in erheblichen
Punkten mit dem Verf. sympathisiert und in höherem Maße als mit
den ersterwähnten Autoren, so kann man sich mit der angewandten
Methode nicht einverstanden erklären, die in erheblichem Maße ver-
wirrend zu wirken imstande ist.
Auch auf Stellen der v. d. Goltz’schen Schrift können wir nicht
unterlassen noch besonders einzugehen. Der Verf. sagt im Vorwort
noch ausdrücklich, daß seine Darlegungen zunächst auf die Verhältnisse
des Deutschen Reiches berechnet sind, und er auf andere Länder nur
zu dem Zwecke eingegangen sei, den Charakter der heimischen Zustände
um so deutlicher hervortreten zu lassen. Aber auch nach dieser Reserve
scheinen uns die ausländischen Verhältnisse nicht genügend berück-
sichtigt zu sein, denn in der ganzen Diskussion in Deutschland über die
Agrarfrage zeigt sich die Unkenntnis der Zustände in den Konkurrenz-
ländern in überaus beklagenswerter Weise. Wir wären daher dem
Verf. außerordentlich dankbar gewesen, wenn er diesem Uebelstande
in einer allgemein wissenschaftlichen Schrift mehr abzuhelfen gesucht
hätte. Aber auch, wo er das Ausland berücksichtigt, können wir nicht
überall mit ihm übereinstimmen. Die Arbeiternot in Deutschland würde
er vermutlich weniger pessimistisch auffassen, wenn er zur Vergleichung
andere Länder wie England und die Ver. Staaten, oder selbst Schweden
und Frankreich herangezogen hätte. Der Nachweis wäre ihm leicht
geworden, daß im Vergleich zu denen in Deutschland noch eine un-
Litteratur. 259
glaubliche Vergeudung menschlicher Arbeitskraft stattfindet, und wenn
der Verf. auch die zu geringe Anwendung von Maschinen hervor-
hebt, so geschieht dies doch mit großer Reserve und nur, weil hier die
Arbeitskräfte immer noch sehr viel billiger sind als im Auslande,
während es gewiß sehr bedeutsam gewesen wäre, auf die große Hilfs-
quelle der Maschinen, die bei uns viel zu wenig zur Anwendung kommen,
hinzuweisen, so wie, daß in den anderen Ländern bei noch niedrigeren
Preisen der Produkte thatsächlich weit höhere Löhne gezahlt werden.
Der Verf. würde S. 184 sicher nicht das deutsche land-
wirtschaftliche Genossenschaftswesen so hoch über das des Auslandes
gestellt haben, wenn ihm die Molkereigenossenschaften in den skandi-
navischen Ländern und die neuere Entwickelung der französischen
landwirtschaftlichen Syndikate genauer bekannt gewesen wären.
Wenn aber die Kreditgenossenschaften bei uns in ganz besonderer Blüte
stehen, so ist dieses doch nur darauf zurückzuführen, daß das Ausland,
z. B. England und die Ver. Staaten, bis zu gewissem Grade auch
Frankreich, eine solche Ergänzung nicht brauchten, weil ihr Banksystem
viel besser entwickelt ist und sich längst bis zum Bauern herunter der-
artig eingebürgert hatte, daß es allen Anforderungen genügte.
Wenn der Verf. die englische Landwirtschaft als eine „unge-
sunde“ hinstellt, so möchten wir doch der Auffassung entschieden ent-
gegentreten. War hierzu früher vielleicht ein gewisser Anhalt geboten,
so ist er in der neueren Zeit längst in Fortfall gekommen.
In der gleichen Weise müssen wir die Ausführung Buchenberger’s
in der kleineren Schrift S. 2 als nicht zutreffend bezeichnen, wenn er
den Großgrundbesitz in Großbritannien dafür verantwortlich macht, daß
das Land auf die Zufuhr von Nahrungsmitteln angewiesen ist. Das
Land ist bekanntlich hauptsächlich in kleinere und größere Farmen ver-
teilt, die vorzüglich bewirtschaftet werden, und die jetzige Bevölkerung,
besonders die industrielle, wäre auch bei Parzellenwirtschaft nicht vom
Inlande zu ernähren.
Schließlich können wir als Nationalökonom nicht umhin, darauf auf-
merksam zu machen, daß auf S. 202 der v. d. Goltz’schen Schrift zwei
verschiedene Begriffe nicht ganz genügend auseinander gehalten sind,
indem unter Geldpreis bald der Preis für ein Darlehen, bald der Wert
des Geldes verstanden wird, wodurch die weiteren Ausführungen leicht
falsch verstanden werden können.
Die Frage, ob Deutschland den Bedarf an Brotgetreide selbst
decken kann, beurteilt der Verf. ebenso, wie wir es in den Jahr-
büchern vertreten haben. Doch möchten wir noch auf einen Punkt
aufmerksam machen, den der Verf. nicht berührt, und der doch für
die Beurteilung der Sachlage sehr wichtig ist. Bei der Untersuchung,
ob das geerntete Getreide für den Bedarf des Landes ausreicht, ist die
Verwendung für menschliche Nahrung oder andere Zwecke natürlich
zu scheiden. v. d. Goltz zeigt nun mit Recht, daß erhebliche Quanti-
täten des Brotgetreides thatsächlich zum Viehfutter verbraucht werden.
Wir vermissen aber den Hinweis, daß ein nicht unbedeutender Teil
des Brotgetreides in jedem Jahre zur menschlichen Nahrung wenig oder
17*
260 Litteratur.
gar nicht geeignet ist, und darum anders verwendet werden muß. Wir
erinnern an das leichte sogenannte Hintergetreide, das fast nur zum
Geflügelfutter zu gebrauchen ist, an das ausgewachsene Getreide nach
ungünstigem Erntewetter, welches stets in einem oder dem anderen
Landesteile vorkommt; an die Weizensorten mit zu geringem Kleber-
gehalt u. dgl. Es kann also gar nicht alles Brotgetreide dem mensch-
lichen Nahungsbedarf gegenübergestellt werden, wie das so vielfach
geschieht, und wodurch ein falsches Ergebnis der Berechnung erzielt wird.
Schwerlich wird es dem Verf. trotz seiner Beharrlichkeit, mit
der er es anempfiehlt, gelingen, dem Gutstagelöhner den Dreschflegel
wieder in die Hand zu drücken, so wenig wie unseren jungen Mädchen
den Strickstrumpf, so nützlich das im Einzelfalle, zur Gewöhnung an
permanente Arbeit und zur Beruhigung der Nerven auch wäre. Der
Mensch arbeitet eben nicht, wenn er sieht, daß das Ergebnis auf andere
Weise auch mit geringerer Mühe zu erreichen ist.
Doch es liegt uns sehr ferne, durch diese Konstatierung ab-
weichender Auffassung den Wert des Werkes irgend herabsetzen zu
wollen. Wir betonen vielmehr noch einmal nachdrücklichst, daß wir es
für ein in jeder Hinsicht empfehlenswertes halten, welches in hohem
Maße dazu angethan wäre, die Verwirrung in den Köpfen unserer
Agrarier, die durch Machwerke, wie das erwähnte Handbuch des Bundes
der Landwirte, und durch deren Bearbeiter in der Tagespresse seit Jahren
angerichtet ist, allmählich wieder etwas zu klären und gesunde Auf-
fassungen zu verbreiten. Der geringe Umfang und die leichte Lesbar-
keit machen es dazu besonders geeignet.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 261
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
L Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Supino, Camillo, Il capitale salari. Torino (Fratelli Bocca)
1900. 102 pag.
Der Verfasser erörtert im ersten Kapitel die hauptsächlichsten unter
den bisher aufgestellten Theorien über die Quelle, aus der die Löhne
geschöpft werden, und teilt sie in zwei Gruppen, deren eine die Löhne
direkt aus dem Kapitale, die andere dagegen aus dem Ergebnisse des
Produktionsprozesses entspringen läßt (S. 1—7, 7—10). Die Kritik der
letzten Auffassung (S. 11 f.), bei der sich Supino besonders mit Walker
auseinandersetzt, führt ihn zum Schlusse, daß in der heutigen Wirt-
schaftsordnung der Lohn vom Kapitale und nicht aus dem Produkte
stammt. Trotzdem acceptiert er nicht ohne weiteres die Lohnfonds-
theorie; die Kritik dieser Lehre füllt die S. 13—15 und fordert die
dynamische Betrachtung des Problems. Der Lohn stammt aus dem für
Löhne bestimmten Teile des Kapitals (dem capitale-salari), dieser aber
ist wieder seinerseits das Produkt der Arbeit und ändert sich mit den
Veränderungen in deren Produktivität, mit denjenigen in der Menge der
Kapitalansammlung überhaupt und in der Höhe der Profitsätze; nach
Abschluß des Produktionsprozesses reintegriert er sich und nach Maß-
gabe des Erfolges dieses letztern wird er wirksam.
Was der Lohnfonds sei, unter welchen Bedingungen er entstehe und
sich bilde, wie er sich verändere aus verschiedenen Ursachen insbesondere
unter dem Drucke der Arbeiter und der staatlichen Intervention, wie
er auf das Ausmaß der Nachfrage nach Arbeit wirke, das sind die
Untersuchungsobjekte der weiteren Kapitel. Das 2. behandelt die Arbeit
als „Ware“. Supino scheidet aus seiner Betrachtung hierbei jene Arbeit
aus, deren Entlohnung nicht aus dem Lohnfonde stammt (Lohn inpro-
duktiver und unabhängiger Arbeiter S. 16, 17); er schildert dann in
kurzen Zügen die Geschichte der Arbeit und kommt auf S. 23 zur
Auffassung der Arbeit als Ware und zur Erörterung der Erzeugungs-
kosten dieser Ware; diese letzteren müssen im Lohne ihre Deckung
finden; der Arbeitsvertrag basiert in diesem Stadium nach S. auf der
sogenannten Freiheit des Arbeiters und der unbeschränkten Konkurrenz
262 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
unter den Unternehmern und beruht auf einer Reihe juristischer Be-
dingungen, die S. auf S. 28 aufstellt und die den Zustand fast absoluter
Herrschaft des rücksichtslosesten Individualismus bedeuten.
Im Kapitel 3 wird der Begriff des Lohnfonds gewonnen (S. 41),
das Kapitel 4 beschreibt die Wandlungen, denen er unterworfen ist
und die stammen: aus den Veränderungen in den Konsumtionsverhält-
nissen, in der Menge des technischen Kapitals, der des unproduktiven
Kapitals und aus den Wandlungen in der Schnelligkeit des Kapital-
umlaufes.
Im 5. Kapitel werden die Einwirkungen untersucht, welche Arbeiter-
associationen und Staat auf den Lohnfonds üben und üben können; damit
wird die sozialpolitische Seite des Problems in Betracht gezogen. Das
Verhältnis zwischen dem Lohnfonde und der wirksamen Nachfrage nach
Arbeit ist Gegenstand des Schlußkapitels und giebt dem Verfasser An-
laß zu einer Besprechung des Problems der Arbeitslosigkeit. Der pessi-
mistische Schluß, zu dem Supino gelangt, bedeutet eine Verurteiluug
des heutigen ökonomischen Systems, das sich den Produktions- und
den Konsumtionsprozeß voneinander unabhängig abwickeln läßt und die
Arbeit zu einer Ware macht, die der Arbeiter verkaufen muß, der
Unternehmer aber nur kauft, wenn es ihm beliebt. — Wenn ich auch
gegen gar vieles in Supino’s Buch und insbesondere gegen dieses Schluß-
urteil Einwendungen hätte, so halte ich es doch für sehr wertvoll, schon
deswegen, weil es dazu anregt, manche Frage unter einem neuen Ge-
sichtswinkel nochmals durchzudenken. Schullern.
Curran, Dr. J.H., Francis A. Walker und seine hauptsächlichsten
Theorien. Jena (Fischer) 1900. Sammlung nationalök. und statist. Ab-
handlungen, Bd. 28. 95 SS.
Die Persönlichkeit Walkers ist in den Fachkreisen Europas vor
allem durch seine großartigen Leistungen auf dem Gebiete der Statistik,
insbesondere durch die Publikationen über den 9. und 10. Census be-
kannt geworden. Seine Bedeutung als Historiker und Schulmann ist
wohl nur für seine Heimat hervorragend; als Nationalôkonom aber wird
er in Europa gewiß noch zu wenig berücksichtigt, wenngleich, wie ich
glaube, es auch bei uns nur wenige Theoretiker giebt, die nicht ge-
nügend über Walker’s Ideen informiert wären. Besonders auf dem
Gebiete der Einkommensverteilung wird er wohl kaum mehr von irgend
jemandem unbeachtet gelassen. f
Nichtsdestoweniger ist es sehr dankenswert, daß Curran sich der
Aufgabe unterzogen hat, in gedrängter, kritischer Darstellung Walkers
theoretische Lehren zusammenzufassen. Er thut dies in drei Kapiteln.
„Allgemeine Lohnlehre“, „Theorie der Ertragsverteilung“, „Das Geld-
wesen“. Da es hier nicht meine Aufgabe ist, Walker's Lehren zu
kritisieren, so beschränke ich mich darauf, zu erwähnen, daß Curran
sich großer Sachlichkeit in der Darstellung und Objektivität in der
Beurteilung befleißigt, sich durchaus nicht in Verhimmelungen Walker’s
ergeht, sondern seine wohl erwogene Auffassung und Beurteilung der
‘Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 263
Lehren desselben mitteilt und uns dadurch einen klaren und im wesent-
lichen erschöpfenden Ueberblick über seine Gedankengänge bietet.
Von Einzelheiten seien die Erörterungen über Walkers Stellung zu
Böhm-Bawerk (S. 45) hervorgehoben; angesichts des Erscheinens der
2. Auflage von Böhm-Bawerk’s großem Hauptwerke sind sie aktuell.
Daß der Verfasser Mangoldt’s Verdienste (S. 65 ff.) in Betreff der Durch-
forschung des Unternehmergewinnes besonders hervorhebt, scheint mir
um so erfreulicher, als dieser hervorragende Gelehrte jetzt schon ernst-
lich der Gefahr des — unverdienten — Vergessenwerdens ausgesetzt ist.
Das Gesamturteil Curran’s über Walker resumiert sich im Schluß-
satze seines Buches:
„Obgleich unseres Erachtens von Walker’s Theorien keine einzige
sich als genügend erwiesen hat, so kann man doch in Bezug auf
ihn... . (sagen), daß das Unternehmen ein dankenswertes sei, auch
wenn die Aufstellung seiner Theorien weiter kein Verdienst gehabt
hätte, als daß sie zur Widerlegung aufforderte.“ Schullern.
Ammon, O., Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen. Ent-
wurf einer Sozialanthropologie zum Gebrauch für alle Gebildeten, die sich mit sozialen
Fragen befassen. 3. Aufl. Jena, G. Fischer, 1900. gr. 8. VI—303 SS. mit 6 Fig.
im Text. M. 2.—.
Conrad, J.(Prof.), Leitfaden zum Studium der Nationalökonomie. Jena, G. Fischer,
1901. gr. 8. VIII—92 SS. M. 1,80.
Eleutheropulos, A. (Privatdoz., Univ. Zürich), Die Philosophie und die Lebens-
auffassung des Griechentums auf Grund der gesellschaftlichen Zustände. 2. Aufl. Berlin,
Hofmann & Ci, 1900. gr. 8. XIV—382 SS. M. 10.—. (A. d. T.: Wirtschaft und
Philosophie ete., I. Abteilung.)
Quaritsch, Kompendium der Nationalökonomie. 6. Aufl. Berlin, W. Weber,
1901. gr. 8. 148 SS. M. 3.—.
Bry, G. (prof. à l’Université d’Aix-Marseille), Histoire industrielle et économique de
l'Angleterre depuis les origines jusqu’à nos jours. Paris, L. Larose, 1900. gr.in-8. V—771 pag.
fr. 15.—. (Table des matières : Livre I. L’Angleterre avant la conquête normande. — Livre Il.
De la conquête normande jusqu’à la Grande-Charte sous Jean-sans-Terre(1066—1215 :) Chap.3.
Formation et condition économique. Chap. 4. Les corporations ou guildes. Chap. 5. Le
commerce et l’industrie pendant cette période. — Livre III. De la Grande-Charte
au règne de Henri VHI (1215—1509:) Chap. 2. Condition des terres et des tenanciers.
Etat de l’agriculture. Les travailleurs agricoles. Chap. 3. L'industrie de la laine et les
manufactures. Les villages industriels. Chap. 4. Les centres commerçants, villes d’&tape.
Marchés et foires. Le commerce maritime, etc. Chap. 5. Les revenus de la couronne.
Le système des impôts. Le crédit public. Les douanes. Chap. 6. Les grands fléaux du
XIV* siècle: famines et peste leurs effets économiques. Corporations et associations
ouvrières. Le prix des denrées et marchandises, Chap. 7. Les nouvelles doctrines sociales
et la révolte des paysans en 1381. — Livre IV. Du règne de Henri VIII à celui de
George III. Du XVI* siècle à l’époque de la Révolution industrielle (1509—1760:)
Chap. 1. Les résultats économiques sous Elisabeth. Le rôle social des Puritains. La
politique économique de Cromwell. La lutte pour la prépondérance. Chap. 2. Les spo-
liations et leurs conséquences économiques. Le paupérisme. La loi des pauvres. Chap. 3.
Les conditions de l’agriculture et de la propriété. Chap. 4. Les progrès de la puis-
sance commerciale et maritime. Les grandes compagnies de commerce et la colonisation,
Chap. 5. Les progrès de l’industrie. Les manufactures et les mines. Condition des
ouvriers. Réglementation du travail. Chap. 6. Les monnaies et le crédit public. Les
revenus de l'Etat et les dettes publiques. — Livre V. La Révolution industrielle et
l'Angleterre contemporaine (de 1760 jusqu’à nos jours:) Chap. 1. La prépondérance de
l'Angleterre. Les relations de l’ordre politique et de l'ordre économique. Chap. 2.
Transformation de l’état industriel. Les grandes inventions et leurs conséquences immé-
264 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
diates. Chap. 3. Le développement de l’industrie. Les grandes cités industrielles et
commerçantes. Chap. 4. La Révolution industrielle et la classe ouvrière. Chap. 5. La
puissance commerciale et maritime. Chap. 6. L'état de l’agriculture depuis la fin du
18° siècle. Chap. 7. La puissance financière. — etc.)
Turman, Max, Le catholicisme social depuis l’encyclique „Rerum Novarum“.
Paris, F. Alcan, 1900. 8. 334 pag.
Blackman, Frank Wilson, Economics. Topeka (Kansas), Crane & C°, 1900.
12. 526 pp., cloth. $ 1.—. (Contents: Discussions on production, distribution, con-
sumption, exchange, trusts, labor organizations, socialism, etc.)
Gierke, O., Political theories of the middle age; trad. with an introduction by
F. W. Maitland. New York, Macmillan, 1900. 8. 80; 197 pp., cloth. $ 2,50. (Cambridge
University Press series.)
Morman, J. Babe, Principles of social progress: a study of civilization. Rochester
(State of New York), E. Darrow & C°, 1901. 12. 240 pp., cloth. $ 0,50.
Phipson, C. Balfour, The science of civilisation, or the principles of agri-
cultural, industrial, and commercial prosperity. London, Swan Sonnenschein & C°, 1900.
gr. in-8. XVI—512 pp., cloth. 10/.6.
Price, L. L. (fellow of Oriel College, Oxford), A short history of English com-
merce and industry. London, Edw. Arnold, 1900. 8. XI—252 pp., cloth. 3/.6. (Con-
tents: Introduction. Economie history, its objects and its difficulties. — Before the
Norman conquest: The Romans and the Anglo-Saxons. — The Norman conquest, and
after. (From William I. to Edward I.): Agriculture, and the country. The Manorial
system. Commerce and industry and the towns. The influence of the kings. The rise
of the gilds. — From the mediaeval to the modern world. (From Edward I. to the
Tudors): Commerce and industry, and the towns. The woollen industry. Agriculture,
and the country. The black death, the peasant revolt, and inclosures. — The mer-
cantile system and the old economics. (From the Tudors to the Georges): Trade and
industry in England. Foreign and colonial commerce. — The industrial revolution and
the new economics. (From the Georges to Victoria): The new agriculture, the factory
system, and free trade. Conclusion: The rise of progress of economie science.)
Sardy, A. L., Practical economics. Chicago, Donohue brothers, 1900. 8. 81 pp.
$ 0,10. (Contents: Who gets the benefit of the increased productions of human labor
due to modern inventions? — What determines value? — Money panics, labor and
capital, trusts.)
Masé-Dari, E., M. T. Cicerone e le sue idee sociali ed economiche. Torino,
fratelli Bocca edit., 1900. 8. 390 pp. l. 4.—. (Contiene: I principi d’eguaglianza, la
divisione per classi, la plutocrazia e l’equilibrio sociale nel eriterio di Marco Tullio. —
Idee di Cicerone sul diritto e sulla legislazione. — Demagogia e comunismo secondo
Cicerone. — Lo stato e l’economia privata secondo Cicerone. — I lavori pubblici e la
relativa funzione dello stato. — La finanza e lo stato mell! opinione di Marco Tullio. —
La politica doganale e tributaria in Cicerone. — I publicani e la loro funzione econo-
mica. — Le leggi agrarie e la politica agraria per Cicerone. — Concetti di Cicerone sul-
l’economia in generale, sull’ utile, sulla ricchezza, sul credito, ete. — Lavoro ed operai
liberi e schiavi nell’ opinione di Marco Tullio; Pagricoltura. — Credito, usura ed argen-
tari. — etc.)
Socialisti e contadini: osservazioni di un campagnuolo. Faenza, tip. Novelli,
1900. 12. 112 pp.
Vrijdenkersalmanak voor 1901 uitgegeven door de zorgen van den sociali-
stischen vrijdenkersbond van Gent, onder redactie van De Rede. Gand, Samenwerkende
volksdrukkerij, 1900. 12. 48 blz.
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
1) Die deutsche Volkswirtschaft am Schlusse des
19. Jahrhunderts. Berlin 1900. 80. VII und 209 SS.
2) Jahrbuch des deutschen Wirtschaftslebens. Frank-
furt a. M. 1900. 89. IV und 308 SS.
Den Wert der Statistik anzuerkennen sind nicht alle geneigt.
Insbesondere diejenigen, die den Gegenstand der Massenbeobachtung
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 965
bilden und Auskunft geben sollen, ohne recht begreifen zu können,
zu welchem Zwecke die verlangten Daten gesammelt werden, sind
gerne bereit, auf die Unruhe zu schelten, die man ihnen .macht.
Sie beschweren sich bitter über die Herren amtlichen Statistiker, deren
Wißbegierde fast bis in den Kochtopf reicht und die gar zu gerne
wüßten, wieviel Kilogramm Brot und Fleisch, Zucker und Eier, Brannt-
wein und Tabak u. a. in einem Arbeiterhaushalt in einer Woche ver-
braucht werden. Und wenn dann erst das Ergebnis aller der hundert
oder tausend Befragungen oder der Zählung der Millionen von Menschen
in einigen auffallend starken Bänden vor ihrem erstaunten Auge sich
zeigt, erschallt womöglich das Gezeter noch lauter als vorher. Ratlos
stehen die Meisten vor den vielen Tabellen, in denen schön geordnet
die vielen Zahlen aufmarschieren. Hilfeflehend irrt ihr Blick von einer
Reihe zur anderen, es fehlt das Verständnis für die große Mühe und
Arbeit, die, um diese Zusammenstellung zu ermöglichen, aufgewendet
wurden, für den Zweck, den man mit der Veröffentlichung aller dieser
Zahlenmassen beabsichtigt.
Mitunter aber erscheint die Statistik in einschmeichelnder, fast
verführerischer Gestalt. Statt des unförmlichen Folianten, in dem
das Auge sich müde gesehen, ehe es die Angaben gefunden, die es
sucht, wird uns ein schmuckes handliches Büchlein gegeben. Immer
weist dasselbe zwar noch viele Zahlen auf, aber zugleich giebt es noch
einen erläuternden Text. Wie ein Ariadnefaden führt uns der letztere
von einem Punkte zum anderen und wir kommen zur Erkenntnis, wie
lehrreich, wie anziehend, wie beruhigend diese Zifferberge auf uns
wirken, wenn eine kundige Hand uns ihre Höhe richtig beurteilen lehrt.
Derart sind die beiden obengenannten statistischen Werke. Das
erstere, vom Kaiserlichen statistischen Amt herausgegeben, rührt von
dem in der Gelehrten- wie in Beamtenwelt gleich hoch angesehenen
Direktor Dr. Hans v. Scheel her; das andere hat, vom Institut für
Gemeinwohl ediert, Dr. Andreas Voigt zum Verfasser, den bewährten
Leiter einer sozialpolitischen Anstalt, die immer mehr die Aufmerksamkeit
auf sich lenkt. Ist das erstere dazu bestimmt, in thunlichst weite Kreise
der Bevölkerung zu dringen, in gediegenster Ausstattung für den billigen
Ladenpreis von 1 Mark zu haben, so wendet sich das letztere, in einer
beschränkten Anzahl von Exemplaren gedruckt, mehr an die sach-
verständigen Wirtschaftspolitiker, Theoretiker und Praktiker. Behandelt
das erstere ausschließlich Deutschland, so geht das letztere teilweise
auch auf die entsprechenden Verhältnisse anderer Staaten ein. Beide
aber treffen darin überein, daß sie auf engem Raum eine Fülle wissens-
werter Details übersichtlich gruppiert und in geschmackvoller Form
auftischen.
Das Werk des Herrn v. Scheel ist veranlaßt durch die
Vollendung der Bearbeitung der Berufs- und Gewerbezählung im
Jahre 1895, die seit Schluß des Jahres 1899 in 18 Bänden vorlag.
Aus diesem Quellenwerke den wesentlichen Inhalt im Auszuge wieder-
gegeben zu sehen, war ein Wunsch, der gelegentlich im Reichstage
verlautete. Der deutsche Kaiser aber, der dem statistischen Amte seine
262 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
unter den Unternehmern und beruht auf einer Reihe juristischer Be-
dingungen, die S. auf S. 28 aufstellt und die den Zustand fast absoluter
Herrschaft des rücksichtslosesten Individualismus bedeuten.
Im Kapitel 3 wird der Begriff des Lohnfonds gewonnen (S. 41),
das Kapitel 4 beschreibt die Wandlungen, denen er unterworfen ist
und die stammen: aus den Veränderungen in den Konsumtionsverhält-
nissen, in der Menge des technischen Kapitals, der des unproduktiven
Kapitals und aus den Wandlungen in der Schnelligkeit des Kapital-
Im 5. Kapitel werden die Einwirkungen untersucht, welche Arbeiter-
associationen und Staat auf den Lohnfonds üben und üben können; damit
wird die sozialpolitische Seite des Problems in Betracht gezogen. Das
Verhältnis zwischen dem Lohnfonde und der wirksamen Nachfrage nach
Arbeit ist Gegenstand des Schlußkapitels und giebt dem Verfasser An-
laß zu einer Besprechung des Problems der Arbeitslosigkeit. Der pessi-
mistische Schluß, zu dem Supino gelangt, bedeutet eine Verurteiluug
des heutigen ökonomischen Systems, das sich den Produktions- und
den Konsumtionsprozeß voneinander unabhängig abwickeln läßt und die
Arbeit zu einer Ware macht, die der Arbeiter verkaufen muß, der
Unternehmer aber nur kauft, wenn es ihm beliebt. — Wenn ich auch
gegen gar vieles in Supino’s Buch und insbesondere gegen dieses Schluß-
urteil Einwendungen hätte, so halte ich es doch für sehr wertvoll, schon
deswegen, weil es dazu anregt, manche Frage unter einem neuen Ge-
sichtswinkel nochmals durchzudenken. Schullern.
Curran, Dr. J. H., Francis A. Walker und seine hauptsächlichsten
Theorien. Jena (Fischer) 1900. Sammlung nationalök. und statist. Ab-
handlungen, Bd. 28. 95 SS.
Die Persönlichkeit Walker’s ist in den Fachkreisen Europas vor
allem durch seine großartigen Leistungen auf dem Gebiete der Statistik,
insbesondere durch die Publikationen über den 9. und 10. Census be-
kannt geworden. Seine Bedeutung als Historiker und Schulmann ist
wohl nur für seine Heimat hervorragend; als Nationalökonom aber wird
er in Europa gewiß noch zu wenig berücksichtigt, wenngleich, wie ich
glaube, es auch bei uns nur wenige Theoretiker giebt, die nicht ge-
nügend über Walker’s Ideen informiert wären. Besonders auf dem
Gebiete der Einkommensverteilung wird er wohl kaum mehr von irgend
jemandem unbeachtet gelassen. |
Nichtsdestoweniger ist es sehr dankenswert, daß Curran sich der
Aufgabe unterzogen hat, in gedrängter, kritischer Darstellung Walkers
theoretische Lehren zusammenzufassen. Er thut dies in drei Kapiteln.
„Allgemeine Lobnlehre“, „Theorie der Ertragsverteilung“, „Das Geld-
wesen“. Da es hier nicht meine Aufgabe ist, Walkers Lehren zu
kritisieren, 80 beschränke ich mich darauf, zu erwähnen, daß Curran
sich großer Sachlichkeit in der Darstellung und Objektivität in der
Beurteilung befleißigt, sich durchaus nicht in Verhimmelungen Walker
ergeht, sondern seine wohl erwogen® Auffassung und Beurteilung der
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 963
Lehren desselben mitteilt und uns dadurch einen klaren und im wesent-
lichen erschöpfenden Ueberblick über seine Gedankengänge bietet.
Von Einzelheiten seien die Erörterungen über Walkers Stellung zu
Böhm-Bawerk (S. 45) hervorgehoben; angesichts des Erscheinens der
2. Auflage von Böhm-Bawerk’s großem Hauptwerke sind sie aktuell.
Daß der Verfasser Mangoldt’s Verdienste (S. 65 ff.) in Betreff der Durch-
forschung des Unternehmergewinnes besonders hervorhebt, scheint mir
um so erfreulicher, als dieser hervorragende Gelehrte jetzt schon ernst-
lich der Gefahr des — unverdienten — Vergessenwerdens ausgesetzt ist.
Das Gesamturteil Curran’s über Walker resumiert sich im Schluß-
satze seines Buches:
„Obgleich unseres Erachtens von Walkers Theorien keine einzige
sich als genügend erwiesen hat, so kann man doch in Bezug auf
ihn... . (sagen), daß das Unternehmen ein dankenswertes sei, auch
wenn die Aufstellung seiner Theorien weiter kein Verdienst gehabt
hätte, als daß sie zur Widerlegung aufforderte.“ Schullern.
Ammon, O., Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen. Ent-
wurf einer Sozialanthropologie zum Gebrauch für alle Gebildeten, die sich mit sozialen
Fragen befassen. 3. Aufl. Jena, G. Fischer, 1900. gr. 8. VI—303 SS. mit 6 Fig.
im Text. M. 2.—.
Conrad, J.(Prof.), Leitfaden zum Studium der Nationalökonomie. Jena, G. Fischer,
1901. gr. 8. VIII—92 SS. M. 1,80.
Eleutheropulos, A. (Privatdoz., Univ. Zürich), Die Philosophie und die Lebens-
auffassung des Griechentums auf Grund der gesellschaftlichen Zustände. 2. Aufl. Berlin,
Hofmann & C', 1900. gr. 8 XIV—382 SS. M. 10.—. (A. d. T.: Wirtschaft und
Philosophie ete., I. Abteilung.)
Quaritsch, Kompendium der Nationalökonomie. 6. Aufl. Berlin, W. Weber,
1901. gr. 8. 148 SS. M. 3.—.
Bry, G. (prof. à l’Université d’Aix-Marseille), Histoire industrielle et économique de
l'Angleterre depuis les origines jusqu’à nos jours. Paris, L. Larose, 1900. gr.in-8. V—771 pag.
fr. 15.—. (Table des matières : Livre I. L’Angleterre avant la conquête normande, — Livre Il.
De la conquête normande jusqu’à la Grande-Charte sous Jean-sans-Terre(1066—1215 :) Chap.3.
Formation et condition économique. Chap. 4. Les corporations ou guildes. Chap. 5. Le
commerce et l’industrie pendant cette période. — Livre III. De la Grande-Charte
au règne de Henri VIII (1215-—1509:) Chap. 2. Condition des terres et des tenanciers.
Etat de l’agriculture. Les travailleurs agricoles. Chap. 3. L'industrie de la laine et les
manufactures. Les villages industriels. Chap. 4. Les centres commerçants, villes d'étape.
Marchés et foires. Le commerce maritime, ete. Chap. 5. Les revenus de la couronne.
Le système des impôts. Le crédit public. Les douanes. Chap. 6. Les grands fléaux du
XIV" siècle: famines et peste leurs effets économiques, Corporations et associations
ouvrières. Le prix des denrées et marchandises, Chap. 7. Les nouvelles doctrines sociales
et la révolte des paysans en 1381. — Livre IV. Du règne de Henri VIII à celui de
George III. Du XVI? siècle à l’époque de la Révolution industrielle (1509—1760:)
Chap. 1. Les résultats économiques sous Elisabeth. Le rôle social des Puritains. La
politique économique de Cromwell. La lutte pour la prépondérance. Chap. 2. Les spo-
liations et leurs conséquences économiques. Le paupérisme. La loi des pauvres. Chap. 3.
Les conditions de l’agriculture et de la propriété. Chap. 4. Les progrès de la puis-
sance commerciale et maritime. Les grandes compagnies de commerce et la colonisation.
Chap. 5. Les progrès de l’industrie. Les manufactures et les mines. Condition des
ouvriers. Réglementation du travail. Chap. 6. Les monnaies et le crédit public. Les
revenus de l'Etat et les dettes publiques. — Livre V. La Révolution industrielle et
l'Angleterre contemporaine (de 1760 jusqu’à nos jours:) Chap. 1. La prépondérance de
l'Angleterre. Les relations de l’ordre politique et de l’ordre économique. Chap. 2.
Transformation de l’état industriel. Les grandes inventions et leurs conséquences immé-
264 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
diates. Chap. 3. Le développement de l’industrie. Les grandes cités industrielles et
commercantes. Chap. 4. La Révolution industrielle et la classe ouvrière. Chap. 5. La
puissance commerciale et maritime. Chap. 6. L'état de l’agriculture depuis la fin du
18° siècle. Chap. 7. La puissance financière. — etc.)
Turman, Max, Le catholicisme social depuis l’encyclique „Rerum Novarum“,
Paris, F. Alcan, 1900. 8. 334 pag.
Blackman, Frank Wilson, Economies. Topeka (Kansas), Crane & C°, 1900.
12. 526 pp., cloth. $ 1.—. (Contents; Discussions on production, distribution, con-
sumption, exchange, trusts, labor organizations, socialism, ete.)
Gierke, O., Political theories of the middle age; trad, with an introduction by
F. W. Maitland. New York, Macmillan, 1900. 8. 80; 197 pp., cloth. $ 2,50. (Cambridge
University Press series.)
Morman, J. Babe, Principles of social progress: a study of civilization. Rochester
(State of New York), E. Darrow & C°, 1901. 12. 240 pp., cloth. $ 0,50.
Phipson, C. Balfour, The science of civilisation, or the principles of agri-
cultural, industrial, and commercial prosperity. London, Swan Sonnenschein & C°, 1900.
gr. in-8. XVI—512 pp., cloth. 10/.6.
Price, L. L. (fellow of Oriel College, Oxford), A short history of English com-
merce and industry. London, Edw. Arnold, 1900. 8. XI—252 pp., cloth. 3/.6. (Con-
tents: Introduction. Economie history, its objects and its difficulties. — Before the
Norman conquest: The Romans and the Anglo-Saxons. — The Norman conquest, and
after. (From William I. to Edward Li: Agriculture, and the country. The Manorial
system. Commerce and industry and the towns. The influence of the kings. The rise
of the gilds. — From the mediaeval to the modern world. (From Edward I. to the
Tudors): Commerce and industry, and the towns. The woollen industry. Agriculture,
and the country. The black death, the peasant revolt, and inelosures. — The mer-
cantile system and the old economics. (From the Tudors to the Georges): Trade and
industry in England. Foreign and colonial commerce. — The industrial revolution and
the new economics. (From the Georges to Vietoria): The new agrieulture, the factory
system, and free trade. Conclusion: The rise of progress of economic science.)
Sardy, A. L., Practical economies. Chicago, Donohue brothers, 1900. 8. 81 pp.
$ 0,10. (Contents: Who gets the benefit of the increased productions of human labor
due to modern inventions? — What determines value? — Money panies, labor and
capital, trusts.)
Mas&-Dari, E., M. T. Cicerone e le sue idee sociali ed economiche. Torino,
fratelli Bocca edit., 1900. 8. 390 pp. 1. 4.—. (Contiene: I principî d’eguaglianza, la
divisione per classi, la plutocrazia e l’equilibrio sociale nel criterio di Marco Tullio. —
Idee di Cicerone sul diritto e sulla legislazione. — Demagogia e comunismo secondo
Cicerone. — Lo stato e l’economia privata secondo Cicerone. — I lavori pubblici e la
relativa funzione dello stato. — La finanza e lo stato nell’ opinione di Marco Tullio. —
La politica doganale e tributaria in Cicerone. — I publicani e la loro funzione econo-
mica, — Le leggi agrarie e la politica agraria per Cicerone. — Concetti di Cicerone sul-
Peconomia in generale, sull’ utile, sulla ricchezza, sul credito, ete. — Lavoro ed operai
liberi e schiavi nell’ opinione di Marco Tullio; l’ugricoltura. — Credito, usura ed argen-
tari. — ete.)
Socialisti e contadini: osservazioni di un campagnuolo. Faenza, tip. Novelli,
1900. 12. 112 pp.
Vrijdenkersalmanak voor 1901 uitgegeven door de zorgen van den sociali-
volksdrukkerij, 1900. 12. 48 blz.
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
1) Die deutsche Volkswirtschaft am Schlusse des
19. Jahrhunderts. Berlin 1900. 89. VII und 209 SS.
2) Jahrbuch des deutschen Wirtschaftslebens. Frank-
furt a. M. 1900. 8° IV und 308 SS.
Den Wert der Statistik anzuerkennen sind nicht alle geneigt.
Insbesondere diejenigen, die den Gegenstand der Massenbeobachtung
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 965
bilden und Auskunft geben sollen, ohne recht begreifen zu können,
zu welchem Zwecke die verlangten Daten gesammelt werden, sind
gerne bereit, auf die Unruhe zu schelten, die man ihnen .macht.
Sie beschweren sich bitter über die Herren amtlichen Statistiker, deren
Wißbegierde fast bis in den Kochtopf reicht und die gar zu gerne
wüßten, wieviel Kilogramm Brot und Fleisch, Zucker und Eier, Brannt-
wein und Tabak u. a. in einem Arbeiterhaushalt in einer Woche ver-
braucht werden. Und wenn dann erst das Ergebnis aller der hundert
oder tausend Befragungen oder der Zählung der Millionen von Menschen
in einigen auffallend starken Bänden vor ihrem erstaunten Auge sich
zeigt, erschallt womöglich das Gezeter noch lauter als vorher. Ratlos
stehen die Meisten vor den vielen Tabellen, in denen schön geordnet
die vielen Zahlen aufmarschieren. Hilfeflehend irrt ihr Blick von einer
Reihe zur anderen, es fehlt das Verständnis für die große Mühe und
Arbeit, die, um diese Zusammenstellung zu ermöglichen, aufgewendet
wurden, für den Zweck, den man mit der Veröffentlichung aller dieser
Zahlenmassen beabsichtigt.
Mitunter aber erscheint die Statistik in einschmeichelnder, fast
verführerischer Gestalt. Statt des unförmlichen Folianten, in dem
das Auge sich müde gesehen, ehe es die Angaben gefunden, die es
sucht, wird uns ein schmuckes handliches Büchlein gegeben. Immer
weist dasselbe zwar noch viele Zahlen auf, aber zugleich giebt es noch
einen erläuternden Text. Wie ein Ariadnefaden führt uns der letztere
von einem Punkte zum anderen und wir kommen zur Erkenntnis, wie
lehrreich, wie anziehend, wie beruhigend diese Zifferberge auf uns
wirken, wenn eine kundige Hand uns ihre Höhe richtig beurteilen lehrt.
Derart sind die beiden obengenannten statistischen Werke. Das
erstere, vom Kaiserlichen statistischen Amt herausgegeben, rührt von
dem in der Gelehrten- wie in Beamtenwelt gleich hoch angesehenen
Direktor Dr. Hans v. Scheel her; das andere hat, vom Institut für
Gemeinwohl ediert, Dr. Andreas Voigt zum Verfasser, den bewährten
Leiter einer sozialpolitischen Anstalt, die immer mehr die Aufmerksamkeit
auf sich lenkt. Ist das erstere dazu bestimmt, in thunlichst weite Kreise
der Bevölkerung zu dringen, in gediegenster Ausstattung für den billigen
Ladenpreis von 1 Mark zu haben, so wendet sich das letztere, in einer
beschränkten Anzahl von Exemplaren gedruckt, mehr an die sach-
verständigen Wirtschaftspolitiker, Theoretiker und Praktiker. Behandelt
das erstere ausschließlich Deutschland, so geht das letztere teilweise
auch auf die entsprechenden Verhältnisse anderer Staaten ein. Beide
aber treffen darin überein, daß sie auf engem Raum eine Fülle wissens-
werter Details übersichtlich gruppiert und in geschmackvoller Form
auftischen.
Das Werk des Herrn v. Scheel ist veranlaßt durch die
Vollendung der Bearbeitung der Berufs- und Gewerbezählung im
Jahre 1895, die seit Schluß des Jahres 1899 in 18 Bänden vorlag.
Aus diesem Quellenwerke den wesentlichen Inhalt im Auszuge wieder-
gegeben zu sehen, war ein Wunsch, der gelegentlich im Reichstage
verlautete. Der deutsche Kaiser aber, der dem statistischen Amte seine
266 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Anerkennung für die hervorragende Leistung, die die statistische Arbeit
anderer Länder auf diesem Gebiete an Vollständigkeit und Genauigkeit
überträfe, ausdrücken ließ, fügte hinzu, daß es sich empfehlen möchte,
„die wichtigsten Resultate der Arbeit in einer kürzeren gemeinverständ-
lichen Form zu veröffentlichen, um sie so der Allgemeinheit in weiterem
Umfange nutzbar zu machen, als dies bei der jetzt vorliegenden umfang-
reichen Publikation möglich sei“. Dieser hohen Anregung verdankt das
Buch seine Entstehung. In mustergiltiger Form hat der Verfasser die
ihm zugedachte Aufgabe gelöst. Klarer und überzeugender konnte die
soziale und berufliche Gliederung des deutschen Volkes, seine wachsende
und gewachsene Bedeutung im Handel und Verkehr, schwerlich zum
Ausdruck gebracht werden.
Das Material, mit dem Dr. Andreas Voigt in seinem Jahrbuch
arbeitete, hat er sich aus gedruckten Quellen zusammensuchen müssen.
Ihm stand nicht amtliches, infolge einer offiziellen Befragung massen-
haft eingegangenes Schriftwerk zur Verfügung, wie e8 im statistischen
Amte des Deutschen Reichs sich anhäuft. Er geht auch auf andere
Fragen und Verhältnisse ein als Herr v. Scheel. Nur in der Schilderung
der deutschen Landwirtschaft treffen sich beide Bücher. So lernen wir
an seiner Hand uns über andere Punkte Klarheit verschaffen.
Auf das Thatsachenmaterial selbst einzugehen, hätte an dieser
Stelle keinen Sinn.
Das Werk des statistischen Amtes könnte erst dann wiederholt
werden, wenn nach einem Jahrzehnt vielleicht, eine neue Aufnahme der
Berufsgliederung des deutschen Volkes anderen Stoff böte. Das Jahr-
buch des Instituts für Gemeinwohl eignet sich dagegen durchaus wirklich
zu dem zu werden, was sein Titel andeutet. Dr. Andreas Voigt wird
sich ein großes Verdienst erwerben, wenn er in derselben vortrefflichen
Form, wie vorliegend, auch in Zukunft die Ergebnisse seiner Be-
obachtungen des deutschen Wirtschaftslebens zusammenstellen läßt
und kritisch beleuchtet.
Leipzig. Wilhelm Stieda.
Dorfkirche und Bauernhaus im Königreich Sachsen. Dresden, G. Schönfeld,
1900. gr. 8. 155 SS. mit 135 Abbildungen, kart. M. 2,50. (Sonderabdruck aus der
2. Aufl. der „Sächsischen Volkskunde“ herausgeg. von R. Wuttke. Inhalt: Die Dorf-
kirche, von (HofR., Prof.) C. Gurlitt. — Haus und Hof, von (OBaukommissar) O. Gruner.
— Die bäuerliche Wohnung, von (Landbaumeister) F. L. K. Schmidt. — Die büuer-
liche Kleinkunst, von A. Kurzwelly.)
Fukuda, Tokuzo, Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwickelung in
Japan. Stuttgart, Cotta, 1900. gr. 8. X—190 SS. M. 4.—. (A. u. d. T.: Münchener
yolkswirtschaftliche Studien, herausgeg. von L. Brentano und W. Lotz. Stück 42.)
Meyer, Elard Hugo, Badisches Volksleben im 19. Jahrhundert. Straßburg,
K. J. Trübner, 1900. gr. 8. X11—628 SS. M. 12.—. (Aus dem Inhalt: Das häus-
liche Leben. (Kleingüter und Hofgüter; Anerbenrecht und Leibgeding ; Gesinde; Tage-
Jöhner ; Handwerker und Hausierer; Bauart, ete.) — Bei der Arbeit (Pferdezucht ;
Rinderzucht; Ackerbau; Flurumgänge ; Hanf und Flachs; Weinbau; Waldarbeiten;
Flößerei; Fischerei ; Schwarzwaldindustrie ; Hausierhandel). — Das Verhältnis der Bauern
zu Kirche und Staat. — ete.) d
Sander, Max, Anklam. Beiträge zur Stadtgeschichte. I. Heft (1763—1816).
Anklam, E. Süssermann, 1900. gr. 8. 156 SS. M. 2.—. (Aus dem Inhalt: Beschrei-
bung der Stadt. Statistische Nachrichten über Einwohner, Handel, Preise etc. — Die
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 267
Aufhebung der Unterthänigkeit im Stadteigentum. — Die Erhebung 1812—1813. —
Milde Stiftungen.)
v. Tugan-Baranowsky, Mich. (ehemals Privatdoz., Univers. St. Petersburg),
Studien zur Theorie und Geschichte der Handelskrisen in England. Jena, G. Fischer,
1901. Lex.-8. VIII—425 SS. mit 2 Fig. im Text u. 12 Diagrammen. M. 8.—.
Volkswirtschaft, die deutsche, am Schlusse des 19. Jahrhunderts. Auf Grund
der Ergebnisse der Berufs- und Gewerbezählung von 1895 und nach anderen Quellen
bearbeitet im kais. statistischen Amt. Berlin, Puttkammer & M., 1900. gr. 8. VI—
209 SS. M. 1.—.
Bloch, Cam. (archiviste du Loiret), Etudes sur l’histoire économique de la France
(1760—1789). Paris, 1900. 8. IX- 271 pag. fr. 5.—. (Sommaire: Le commerce des
grains dans la généralité d’Orl&ans (1768). — La répartition de la propriété foncière à
la veille de la Révolution dans quelques paroisses de la généralité d'Orléans. — Les
assemblées municipales de 1787: leur caractère économique; leur fonctionnement. —
Les cahiers du bailliage d'Orléans au point de vue économique. — Un projet de crédit
agricole au siècle dernier. — Le traité de commerce de 1786, entre la France et l’Angle-
terre, d’après la correspondance du plénipotentiaire anglais.)
Michel, Ch., Vers Fachoda (Mission de Bonchamps), A la rencontre de la
mission marchand à travers l’Ethiopie. Paris, Plon, Nourrit & C", 1901. 8. 560 pag.
avec une carte et des gravures.
Odobesco, A. (prof. d'archéologie à l’Université de Bucarest), Le trésor de
Pétrossa. Historique; Description. Etude sur l’orfèvrerie antique. Paris, J. Rothschild,
1900. gr. in-Folio. 695 pag. avec 16 chromolithographies et héliogravures hors texte et
356 illustrations dans le texte. fr. 200.—.
Oliphant, F. H., The production of petroleum in 1899. Washington, Govern-
ment Printing Office, 1900. Lex.-8. 298 pp. (Extract from the XXIst annual report of
the survey, 1899—1900. Part VI: Mineral resources of the Un. States, calendar year
1899. Contents: Production and value. — Exports. — Production by fields, States, and
districts. — Foreign countries of the Western Continent in which petroleum is found.
— Production of petroleum in countries of the Eastern Continent.)
Teso, Ant., L’Italia e l’Oriente. Studi di politica commerciale. Torino, tipogr.
editr. Union, 1900. 8. 513 pag.
Vandervelde, E., La propriété foncière en Belgique. Paris, Schleicher frères,
1900. 8. 327 pag.
Benger, G., Rumania in 1900. Authorised translation by A. H. Keane. London,
Asher, 1901. imp.-8. 10/.—.
Dutt, Romesh C., Famines and land assessments in India. London, Paul
Trübner & C°, 1901. 8. 341 pp. 7/.6.
In Tibet and Chinese Turkestan. Being the record of three years’ exploration.
London, Fisher Unwin, 1901. 8. With 80 illustrations and maps, ete., cloth gilt. 21/.—.
New Zealand official year-book 1900 (IXth year of issue). Prepared under the
instructions from R. J. Seddon (Premier) by E. J. von Dadelszen (Registrar-General).
Wellington, J. Mackay printed, 1900. gr. in-8. VI—648 pp., with chart, 8 diagrams
and other tables.
Seruggs, W. L., The Colombian and Venezuelan Republics with notes on other
parts of Central and South America. London, $. Low, 1900. gr. in-8. XII—350 pp.
with 3 maps, cloth. 12/.6.
Zwemer, 8. M. (Rev.), Arabia: The cradle of Islam. Studies in the geography,
people and politics of the peninsula with an account of Islam and mission-work. Intro-
duction by (Rev.) James S. Dennis. Edinburgh, O. Anderson & Ferrier, 1900. 8.
434 pp. with 45 illustrations, and 8 maps and diagrams, cloth. 7/.6.
3. Bevölkerungswesen. Auswanderung und Kolonisation.
Denkschrift betreffend die Entwickelung des Kiautschougebiets in der Zeit vom
Oktober 1899 bis Oktober 1900. Berlin, D. Reimer, 1901. Folio. 53 SS. mit 10 kartogr.
und figürlichen (Lichtbilder-)Anlagen. M. 5.—.
Eiboeck, J., Die Deutschen von Jowa und deren Errungenschaften. Eine Ge-
schichte des Staates, dessen deutscher Pioniere und ihrer Nachkommen. Des Moines,
1900. gr. 8. 786 SS., geb. M. 10.—.
268 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
v. Frangois (Major a. D., ehem. Landeshauptmann von Deutsch-Südwest-Afrika),
Staat oder Gesellschaft in unseren Kolonien. Berlin, J. Harrwitz Nachf., 1900. gr. 8.
16 88. M. 0,50. (Soziale Streitfragen, hrsg. von Ad. Damaschke, Heft 10.)
v. Grünbühel. H. Mayrhofer (k. k. Bezirkshauptmann), Die Volkszählung in
Oesterreich vom Standpunkte des geltenden Gesetzes ete. 3. ergänzte Aufl. Graz, Ver-
lagsbhdl. „Styria“, 1900. gr. 8. XII—218 SS. M. 2,50.
Kolonialhandelsadreßb uch 1901. 5. Jahrgang. Herausgeg. von dem kolo-
nial-wirtschaftlichen Komitee. Berlin (U. d. Linden 40). gr. 8. 220 88. Mit der
Karte der Kolonien in Buntdruck. M. 1,50. (Beilage zum „Deutschen Kolonialblatt,
XII. Jahrg.)
Rychna, Jos., Die Nativitäts- und Mortalitätsausweise der k. k. statistischen
Centralkommission in Wien und des kaiserl. Gesundheitsamtes in Berlin. Eine kritische
Studie über die Revisionsbedürftigkeit der periodischen Geburten- und Sterbefülleaus-
weise derselben, als weiterer Beitrag zum Prager Mortalitätsstreite. Prag, Bursik &
Kohout, 1900. gr. 8. 54 SS. M. 1.—.
Schlechter, R., Westafrikanische Kautschukexpedition 1899/1900. Berlin, Verlag
des kolonial-wirtschaftlichen Komitees, 1900. gr. 8. VI—326 SS. mit 13 Tafeln und
14 Abbildungen im Text. M. 12.—. (Beilage zum Deutschen Kolonialblatt, Jahrg. XII.)
L’Annte coloniale. Publiée sous la direction de MM. Ch. Mourey et L. Brunel.
Jr année (1809). Paris, Ch. Tallandier, 1900. gr. in-8. VII—413 pag. fr. 6.—.
Arnaud, À. & H. Méray (inspecteurs de colonies), Organisation administrative,
judiciaire, politique et financière. Paris, Challamel, 1900. gr. in-8. 212 pag. fr. 5.—
(Les colonies françaises, vol. 1I, Exposition universelle de 1900.)
Chemins de fer, les, aux colonies et dans les pays neufs. Bruxelles, Institut
colonial international, impr. Ad. Mertens. 3 vols. in-8. fr. 60.—.
De la Tour, Imbart (auditeur au Conseil d'Etat), Dorvault (ancient chef adjoint
du cabinet du ministre des colonies), Lecomte (prof. au lycée Saint-Louis), Régime de
la propriété. Régime de la main-d'oeuvre. L'agriculture aux colonies. Paris, À. Chal-
lamel, 1900. gr. in-8. 604 pag. fr. 7,50. (Les colonies françaises , vol. V, Exposition
universelle de 1900.)
Gatelet (lieutenant du 14° régiment de chasseurs à cheval), Histoire de la con-
quête du Soudan Français (1878—1899). Paris, Berger-Levrault & Ci, 1901. gr. 8.
VII—520 pag. avec 29 croquis hors texte et dans le texte. fr. 10.—.
Guillemin, J. (substitut du procureur de la République A Clamecy), De la
protection des enfants du premier âge. Dépopulation de la France. Etudes sur la loi
du 23 décembre 1874 et le déeret du 27 févriers 1877 (lacunes; modifications). Bu-
zançais, impr. Deverdun, 1901. 8. 206 pag. fr. 2,50.
Guy, C. (chef du service géogr. et des missions au Ministère des colonies), La
mise en valeur de notre domaine colonial. Paris, A. Challamel, 1900. gr. in-8. 648 pag.
fr. 7,50. (Les colonies françaises, vol. UL: Exposition universelle de 1900.)
Strauss, P., Dépopulation et puériculture. Paris, E. Fasquelle, 1901. 8. 308 pag.
fr. 3,50. (Table: Dépopulation et puériculture. — Les mères en détresse. — L'abandon
secret. — Les secours d'allaitement. — Les futures mères. — Maternités secrètes. —
Assistance maternelle à domicile. — Le travail des mères. — Le repos obligatoire. —
T’allaitement maternel. — La eonsultation de nourrissons. — La mortalité infantile. —
Les nourrissons pauvres. — Les enfants débiles. — Pouponnats et pouponnières. — Les
dispensuires d’enfants secourus, — Enfants assistés. — L'oeuvre philanthropique du
lait, — La maison de l'enfance. — Le certificat médical. — Le patronage des enfants
en bas âge. — La crèche. — L'élevage mercenaire. — Devoir national. — ete.)
Coen, G., La questione coloniale e i popoli di razza latina. Livorno, R. Giusti
edit., 1900. 12. XIV—367 pp. l 3.—. (Contiene: La preparazione alla politica colo-
niale in Italia e in Germania. — La colonizzazione interna. — Fautori ed avversarÌ
dell’ Eritrea. — L’Eritrea giudicata degli stranieri. — Proposte di sistemazione del-
PEritrea. — L'esperimento agricolo. — L'emigrazione et le colonie. — Le colonie francesi
giudicate dagli scrittori francesi. — La tradizionale antipatia dei Francesi alla politica
coloniale. — L'espansione coloniale tedesca. — Le compagnie coloniali. — A chi giovano
commercialmente le colonie?)
Studi e proposte per Pesecuzione del IV Censimento generale della popolazione
del Regno. Discussioni del consiglio superiore di statistica nei giorni 7, 8 e 9 luglio
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 269
1900. Legge 15 luglio 1900, n° 261. Regolamento 17 ottobre 1900, n° 350, Istruzioni
minerali 10 novembre 1900. Roma, tip. naz. di Bertero, 1900. Lex. in-8. 220 pp.
(Pubblicazione del Ministero di agricoltura, industria e commercio, Direzione generale
della statistica.)
4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Bericht über die Verwaltung der ostpreuBischen landwirtschaftlichen Berufs-
genossenschaft im Jahre 1899. (Königsberg) 1900. Folio. 31 SS.
Boysen, C. (OekonomieR., Hamburg), Die landwirtschaftliche Ausstellung in
Odense und die Entwickelung der dänischen Landwirtschaft. Leipzig, Heinsius Nachf.,
1900. 8. 31 SS. (Sonderabdr. aus Milchzeitung 1900, Nr. 30—32.)
Denkschrift betreffend die Verhandlungen des Deutschen Reichstages über die
Kohlenfrage am 3., 6. und 7. XII. 1900. Druck von Thaden & Schmemann, 1901.
gr. 4. 25 SS. (Bearbeitet vom Verein für die bergbaulichen Interessen im Oberberg-
amtsbezirk Dortmund.)
Eichholtz, Th. (k. Landmesser, Lippstadt), Die Bodeneinschätzung unter beson-
derer Berücksichtigung der bei preußischen Generalkommissionen hierüber erlassenen
Bestimmungen. Für die Beamten der Generalkommissionen, Landmesser, Kreiseinschätzer
und Landwirte bearbeitet. Berlin, Parey, 1900. gr. 8. VII—166 SS. mit 11 Textab-
bildgn. u. 3 Tafeln, geb. M. 7,50.
Fürer, F. A. (BergR. u. Salinendirektor zu Dürrenberg), Uebersichtskarte der
Salzbergwerke und Salinen. Nebst Erläuterungen. Braunschweig, Vieweg & Sohn, 1900.
8. 13 SS. mit 1 Karte in Imp.-qu.-Folio. M. 1.—.
v. Hattingberg, Jos. (Ritter), Die gemeinschaftlichen Kredite der österreichi-
schen Landwirte. Wien, Fr. Deuticke, 1900. gr. 8. VII—166 SS. M. 5.—.
Jahresbericht der Pommerschen land- und forstwissenschaftlichen Berufsgenossen-
schaft. Berichtsjahr 1899. Stettin, 1900. 4. 18 SS.
Jahresbericht des niederschlesischen Knappschaftsvereins für 1899. Waldenburg
(Schl.), P. Schmidt’s Druckerei, 1900. gr. 4. 34 SS.
Mitteilungen über die Verhandlungen der Sektion für Land- und Forstwirt-
schaft und Montanwesen des Industrie- und Landwirtschaftsrates bei der ersten und
zweiten Tagung in den Jahren 1898 und 1899. Wien, W. Frick, 1900. Lex.-8. 216 SS.
M. 2.—. +
Polen, die, im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbezirke. Mit einem statistischen
Anhange und einer Sammlung polnischer Lieder. München, J. F. Lehmanns Verlag,
1901. gr. 8. XI—163 SS. mit 2 graphischen Karten in Imp.-qu.-Folio. M. 3,60.
Protokoll der 45. Sitzung der Central-Moorkommission, 11.—13. VI. 1900.
Berlin, Parey, 1900. Lex.-8. IH—36 SS. mit 3 Karten. M. 3.—.
Rabe, O., 40 Jahre Brotgetreidebau. Ein Beitrag aus der Praxis zur Frage der
Kornzölle. Berlin, Parey, 1901. gr. 8. 52 SS. mit graphischen Darstellungen. M. 1,20.
Seefischereialmanach, deutscher, für 1901. Leipzig, J. J. Weber, 1900. 12.
X—472 u. 7 SS. mit Flaggen und Karten, geb. M. 4,50.
Stoetzer (GehOForstR.), Die Eisenacher Forste (Eisenach, Ruhla und Wilhelms-
thal). Ein Wirtschaftsbild. Eisenach, Hofbuchdruckerei H. Kahle, 1900. gr. 8. 49 SS.
M. 1.—.
Zehn Jahre Revisionsarbeit im Molkereirevisionsverbande für die Provinzen Bran-
denburg, Pommern, Sachsen und die Großherzogtümer Mecklenburg in Prenzlau. Eine
Uebersicht über das genossenschaftliche und milchwirtschaftliche Leben im Verbande
während der ersten 10 Jahre seines Bestehens. Prenzlau, A. Mieck, 1900. gr. 8. 40 SS.
mit 3 tabellarischen Anlagen in Imp.-quer-Folio. M. 2.—.
Hauser, H., L'or. L'or dans le laboratoire. L’or dans la nature. Extraction de
l'or, ete. Paris, Nony & Or, 1901. 4. 593 pag.
Monographie agricole de la région du Condroz. Bruxelles, 1900. Imp. in-8.
VIII—120 pag. (Publication de l’agriculture, service des agronomes de l'Etat.)
Schon, Rud., L'agriculture en Danemark. London, Simpkin, 1900. Imp.-8.
402 pp. with plates. 16/.—.
Travaux et comptes-rendus des séances du Congrès international de pêches maritimes
et fluviales de Bayonne-Biarritz du 25 au 31 juillet 1899. Paris, A. Challamel, 1900.
8. fre 10.—:
270 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Garibotti, G., Pane: la produzione anarchica, cooperativa, municipale. Cremona,
tip. sociale, 1900. 8. Cremona, tip. sociale, 1900. 8. 127 pp- l. 1.
5. Gewerbe und Industrie.
Calwer, R., Die Berufsgefahren der Steinarbeiter. Im Auftrage des X. Kon-
gresses der Steinarbeiter Deutschlands als Denkschrift an den Bundesrat, herausgeg. von
der Centralleitung der Organisation der Steinarbeiter Deutschlands. Rixdorf, P. Mitschke,
1901. gr. 8. 196 ss. M. 5.—-
Erriehtung, die, von Lehrlingshorten. Ein Hilfsmittel bei der Heranbildung des
gewerblichen Nachwuchses. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1900. gr. 8. II
48 SS. M. 0,50.
Heucke, K. (Assist. d. k. Gewerbeinspektion , Frankfurt a/M.), Die Gefahr der
Quecksilbervergiftung in den Hutstoff- und Hutfabriken. Ein Beitrag zur Gewerbe-
hygiene. Frankfurt a/M., Gebrüder Knauer, 1900. gr. 8. 43 SS. mit 9 Abbildgn.
M. 2.—.
Jahresbericht über die Thätigkeit der Gewerbeaufsichtsbeamten für den Auf-
sichtsbezirk Lübeck im Jahre 1899. Von (Gewerbeinspektor) Johannsen, Lübeck, Lübcke
& Nöhring, 1900. gr. 8. 27 SS. M. 0,70.
Lang, O., Das schweizerische Fabrikgesetz. Erläutert unter besonderer Bezug-
nahme auf die Notwendigkeit seiner Revision. Zürich, Verlag der Buchhandlung des
Schweiz. Grütlivereins, 1899. 48 SS. M. 0,40.
Menghius, C. M., Tirols Wasserkräfte und deren Verwertung. Eine Studie.
Innsbruck, Verlag der Handels- und Gewerbekammer, 1900. 8. 36 SS. mit 1 Karte.
(Herausgeg. von den Handels- und Gewerbekammern in Tirol.)
Pape, Rich. (Handwerksk.-Sekr.), Hans v. Sagan. Eine monographische Studie
zur Geschichte des deutschen Handwerks. Königsberg, Schubert & Seidel, 1900. gr. 8.
VILI—57 SS. mit Abbildgn. M. 1.—.
Pollitzer, Joh., Die Lage der Lehrlinge im Kleingewerbe in Wien. Tübingen
und Leipzig, J. C. B. Mohr, 1900. gr. 8. 132 SS. Subskr.-Pr. M. 3,40. (Wiener staats-
wissenschaftliche Studien, Bd. II, Heft 3.)
Rausch, E., Die Sonneberger Spielwarenindustrie und die verwandten Industrien
der Griffel- und Glasfabrikation unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse
in der Hausindustrie. Sonneberg, Gräbe & Hetzer, 1900. gr. 8. V—170 SS.
Schmidt, Val., Braubetrieb und Braustätten in Südböhmen. Prag, Calve, 1900.
gr. 8. 134 88. K. 1,60.
y. Tayenthal, M., Die Gablonzer Industrie und die Produktivgenossenschaft der
Hohlperlenerzeuger im politischen Bezirke Gablonz. Tübingen , J. C. B. Mohr, 1900.
gr. 8. 90 ss. M. 2,40. (A. u d. T.: Wiener staatswissenschaftl. Studien, Bd. II,
Heft 2.)
Gaston-Routier, L'industrie et le commerce de l'Espagne. gième édition. Paris,
H. L. Soudier, 1901. gr- in-8. 168 pag. avec 8 tableaux statistiques hors texte. fr. D.—.
(Table des matières ` Une définition du commerce. TT La population de l'Espagne.
Division des habitants par professions. La fraude dans les recensements. — Terres
cultivées et terres incultes. Le morcellement des grandes propriétés. — La prospérité
industrielle de jadis. Les causes de la décadence de l'industrie en Espagne. Nombre
des fabriques. — Le commerce de l'Espagne au dix-huitième siècle. — Les échanges
entre la France et l'Espagne. Prépondérance commerciale de la France en Espagne. —
Les principaux produits de l'Espagne. Les vins. Les blés et les céréales. L'élevage
et l'exportation du bétail. Les produits d'exportation A Cuba. — Les chemins de fer
espagnols. — La marine marchande de lPEspagne. Commerce de cabotage- — L’in-
dustrie minière et sidérurgique en Espagne 1898/99. — L'industrie sucrière en Espagne.
— etc.
Jackson, Alice F. (Mrs. F. Nevill), A history of handmade lace. Dealing with
the origin of lace, the growth of the great lace centres, the mode of manufacture, etc.
London, L. U. Gill, 1900, Roy.-8. 258 pp. 18/—.
Rocheleau, W. F., Great American industries. 3d book : Manufactures. Chicago, À.
Flanagan C°, 1900. 12. 239 pp. (Contents description of the industries: Motors; Glass;
SR Boots and shoes ; Pins and needles; Pincels and pens; Paper, newspapers,
00ks.)
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 271
Sardy, A. L., Practical economics; who gets the benefit of increased productions
of human labor due to modern inventions. Chicago, Donohue brothers, 1900. 81 pp.
6. Handel und Verkehr.
Rossmann, M, Kustermann, R, Pernaczynski, St.,
Weryho, P. und Heubach, E. Eisenbahntarife und Wasserfrachten,
Studien zur Frage der Gebührenerhebung auf Wasserstraßen. Im Auf-
trage des Vereins für Sozialpolitik herausgegeben von Walter Lotz.
Leipzig bei Duncker & Humblot, 1900.
Der Band 89 der Schriften des Vereins für Sozialpolitik enthält
eine Anzahl von Aufsätzen, die Material zur Beantwortung der Frage
liefern sollen, ob sich nicht empfehle, die Bestimmungen der Reichs-
verfassung sowie der Stromschiffahrtsverträge abzuändern, welche gegen-
wärtig verhindern, daß Abgaben auf den offenen Strömen für das bloße
Befahren derselben erhoben werden. Da diese Frage ihre gegenwärtige
Bedeutung hauptsächlich dem Umstande verdankt, daß die Landwirte
des deutschen Ostens in der abgabenfreien Beförderung von auswärtigem
Getreide auf den großen deutschen Strömen, namentlich aber auf dem
Rhein, eine Durchbrechung der Absichten der deutschen Zollgesetzgebung
und Eisenbahntarifierungen erblicken, beschränken sich die Aufsätze der
Hauptsache nach auf diejenigen Wasserfracht- und Eisenbahntarifsätze,
die sich auf Getreide, Mehl und Mühlenfabrikate beziehen.
Die erste der Schriften „Die Getreide- und Mehltarife
der bayerischen Staatsbahnen“ rührt von M. Rossmann her
und sucht festzustellen, wie sich die bayerischen Staatsbahnen im baye-
rischen Gebiet rechts vom Rhein (also mit Ausschluß der bayerischen
Pfalz) in den verschiedenen Verkehren, an denen sie beteiligt sind, bei
der Tarifirung von Mehl und Getreide verhalten.
Der Verfasser hat diese Untersuchungen mit dem Jahre 1898 ab-
geschlossen und ist an der beabsichtigten Weiterführung behindert
worden. Eine ergänzende Studie „Die Beförderung von Brot-
getreide und Mehl auf den bayerischen Staatsbahnen“
von Dr. Robert Kustermann legt nun die seit 1898 erfolgten Ab-
änderungen in den betreffenden bayerischen Bahntarifen dar und macht
durch Anfügung einer tabellarischen Uebersicht über das Verhältnis
des Verkehrs bayerischer Bahnen mit denen der benachbarten Länder
zum inneren Verkehr Bayerns die Entwickelung dieses Verhältnisses
in Bezug auf Getreide und Mehl innerhalb der Jahre 1893—98 an-
schaulich.
Die folgende Schrift von St. Pernaczinski behandelt „Die
Eisenbahntarife und Wasserfrachten für Getreide und
Mehl in der Provinz Posen, ihre Geschichte und Wir-
kungen“. Die Schrift giebt zunächst einen allgemeinen Ueberblick
über die Verhältnisse der relativ sehr viel Getreide ausführenden Provinz
Posen; sodann werden abschnittweise die Eisenbahnen und die Wasser-
straßen der Provinz behandelt und die Güterbeförderung auf beiden
Arten der Verkehrswege betrachtet. Am Schluß werden die Gründe
erörtert, die einen gewissen Stillstand in der allgemeinen deutschen
„Getreide- und Mehlpolitik“ veranlaßt hätten.
272 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Der nächste Aufsatz „Die Eisenbahntarife Rußlands für
Getreide und Mehl im letzten Decennium (1889—1 899)“
von P. Weryho behandelt im Eingang die geographischen und wirtschaft-
lichen Verhältnisse des europäischen Rußlands, soweit sie auf die Ent-
wickelung des Verkehrs und seiner Mittel von grundlegendem Einfluß
sein mußten und auch geworden sind. Die eigentümlichen Wasserstraßen-
verhältnisse Rußlands — einerseits große und teilweis recht leistungs-
fähige Strom- und Kanalsysteme gegenüber einem anfangs sehr wenig
entwickelten Eisenbahnnetz und andererseits lang anhaltender Frost und
dadurch längere Unbenutzbarkeit großer Strecken jener Wasserwege —
werden eingehend geschildert und dann speziell die Getreidetarife be-
sprochen, und zwar sowohl die allgemeinen, für den russischen inneren
Verkehr geltenden und sich als Staffeltarife darstellenden, als auch die
besonderen, im deutsch-russischen Handelsvertrag festgelegten Tarife.
Die letzte Schrift „Skizzen über Verkehrsentwickelung,
Frachtpreise und Verkehrspolitik am Oberrhein und in
Südwest deutschland“ von Ernst Heubach giebt einen Ueber-
blick über die im Titel bezeichneten Verhältnisse während der letzten
20 Jahre, wobei besonders die Verkehrsbeziehungen zwischen den
deutschen Nord- und Ostseehäfen einerseits und den von holländischen und
belgischen Seehäfen aus bedienten Rheinhafenorten andererseits, ebenso
diejenigen zwischen den deutschen Eisenbahnen und der Rheinschiffahrt,
besprochen werden.
An die Wiedergabe der einzelnen vorbezeichneten und durchweg
sehr lesenswerten Schriften knüpft der Herausgeber, Prof. Lotz, die
Darlegung seiner eigenen Ansichten über die Frage der Einführung von
Befahrungsabgaben.
Er hält die Einführung von Abgaben zur nachträglichen Auf-
bringung von Zinsen und Tilgungsquoten für bisher gemachte Auf-
wendung zur Verbesserung der Schiffbarkeit natürlicher Wasserstralen
für unrichtig. Hierin kann man ihm ohne weiteres zustimmen, und
zwar schon allein aus dem mehr technischen Grunde, daß es auerordent-
lich schwierig sein würde, für die Vergangenheit festzustellen, welche
Kosten für Verbesserung der Schiffbarkeit der Ströme und welche im
Interesse ihrer geregelten Hochwasserabführung, also im Interesse der
Anwohner, aufgewendet worden sind.
Des zweiten will er die Abgabenpflichtigkeit beibehalten wissen
in der im Art. 54 der Reichsverfassung festgesetzten Form, wonach für
Benutzung besonderer zu Gunsten der Schiffahrt bestimmter Anstalten,
wie Hafeneinrichtungen U. ®. w., auch auf natürlichen Flüssen Abgaben
in der Höhe der jeweiligen Unterhaltungskosten erhoben werden dürfen.
Für Neubauten von Kanälen empfiehlt Lotz außerdem die Heranziehung
der meist interessierten Gebiete Zur Garantieleistung ; wodurch das
staatliche Risiko gemindert würde.
Unter Hervorhebung Dessen, daß die erfolgte Verstaatlichung des
größten Teils des deutsch Bahnnetzes die Gefahr mit sich gebracht
habe, daß das Verkehrsinteresse, dem die Eisenbahnen in erster Linie
dienen sollen, unter einer gewissen Fiskalität leide, hält Lotz es für
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 273
wünschenswert, daß der bestehende Zustand, wobei die niedrigen
Wasserfrachtsätze einer zu weit getriebenen Rücksichtnahme auf fis-
kalische Interessen und auf die lokale Getreideproduktion entgegen-
wirken, erhalten bleibe. Er weist auch darauf hin, daß die hohen Ge-
treidetarife der Bahnen die für den deutschen Westen und Südwesten
unbedingt notwendige Einführung von ostdeutschem sowohl wie auch
fremdländischem Getreide fast verhindern würden, und daß gerade in
dieser Beziehung die abgabenfreie Rheinschiffahrt ausgleichend wirke
und eine übergroße Teuerung des Brotgetreides im deutschen Westen
und Südwesten ausschließe.
Den trefflichen und sehr interessanten Ausführungen des Prof. Lotz
möchte der Verfasser der gegenwärtigen Besprechung einiges zusetzen.
Es ist, wie im Jahrgang 1895 dieser Blätter!) nachgewiesen, völlig
richtig, daß internationale Verträge sowie die Rhein- und die Elbschiff-
fahrtsakte die Erhebung von Befahrungsabgaben auf den wichtigsten
deutschen Strömen zur Zeit nicht zulassen, und daß die Reichsverfassung
auch das verhindert, daß die bei offenen Flüssen zur Verbesserung
von deren Schiffbarkeit jährlich aufgewendeten Kosten und die Ver-
zinsungs- und Tilgungskosten der zum Bau künstlicher Wasser-
straßen verwendeten Mittel durch Befahrungsabgaben wieder auf-
gebracht werden. Es ist ferner, worauf ebenfalls damals aufmerksam
gemacht worden ist, richtig, daß der dadurch für die Einnahmen der
einzelnen Staaten entstehende Ausfall nicht sehr bedeutend ist, weil an-
dererseits die Wasserstraßen neue Verkehre, namentlich in Rohprodukten,
schaften, die nach „Veredelung“ auch auf die Bahnen übergehen und
diesen Frachten zuführen, die sie sonst ohne Zweifel gar nicht erhalten
würden.
Aber es ist andererseits nicht zu verkennen, daß bei der gegen-
wärtigen Entwickelung der deutschen Binnenschiffahrt die entstandenen
Verhältnisse auch Nachteile mit sich bringen. Wenn auch die auf die
einheimischen Getreidepreise drückende abgabenfreie Einführung fremden
Getreides auf den großen Strömen dadurch in ihren Nachteilen aus-
geglichen wird, daß wenigstens die östlichen deutschen Ströme weit
mehr für die einheimische Landwirtschaft leisten als dagegen ?), so ist
doch nicht zu leugnen, daß die Aufwendung großer staatlicher Mittel
für die Binnenwasserstraßen ohne entsprechendes Aequivalent durch
Befahrungsabgaben in anderen Hinsichten nachteilig wirkt. Zunächst
sind die deutschen Strecken, namentlich von Elbe und Rhein, weit
länger als die ausländischen. Das macht sich namentlich auf der Elbe
im Verkehr zwischen Hamburg und Oesterreich zum Nachteil der
deutschen Produktion und der deutschen Eisenbahnen geltend. Sodann
ist wenigstens bei der preußischen Finanzverwaltung das Bestreben
nicht zu verkennen, die Befahrungsabgaben da, wo ihre Erhebung zu-
lässig ist, und namentlich, wo sie erhebliche Einnahmen für die Staats-
1) Dritte Folge, Band 10.
2) Vergl. diese Zeitschrift, Jahrgang 1899, Februarheft, „Die Abgabenfreiheit
der deutschen Ströme u. s. w.“
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 18
274 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
kasse liefern, in die Höhe zu schrauben. Das gilt namentlich von den
märkischen Wasserstraßen, die nicht allein ihre Verwaltungs-, Unter-
haltungs- und Schleusenbetriebskosten seit Jahren vollständig decken,
sondern auch einen Ueberschuß ergeben, der ohne Zweifel größer ist,
als die Summe der zur Verbesserung ihrer Schiffbarkeit seit längeren
Jahren aufgewendeten Mittel an Verzinsung und Tilgung erfordert. Es
ist aber auf eine Wiederermäßigung dieser Abgaben trotz allem, was
die Verfassung festsetzt, bei den gegenwärtigen Strömungen in Re-
gierung und Volksvertretung nicht zu rechnen. Nun ist es zweifellos
ein kaum erträglicher Zustand, daß diese Wasserstraßen — und ähn-
liches gilt auch von dem kanalisierten oberen Oderlauf — mit so starken
Abgaben belastet sind, während auf jenen beiden großen Strömen keine
Befahrungsabgaben gezahlt werden. Eine gleichmäßige, etwa nach
Tonnenkilometern, mit Bruchteilen eines Pfennigs, zu bemessende Ab-
gabe auf allen deutschen Binnenwasserstraßen würde ausreichen, um sowohl
deren jährliche Bau-, Verwaltungs-, Unterhaltungs- und Schleusen-
betriebskosten, als auch die Kosten der Verzinsung und Tilgung der
auf den Bau künstlicher Wasserstraßen verwendeten Kapitalien zu
decken.
Hinzu kommt, daß die gesetzgebenden Faktoren von der Bewilligung
von Summen für den Bau künstlicher Wasserstraßen abgeschreckt werden
würden, wenn für diese keine ausreichenden Befahrungsabgaben fest-
gesetzt würden. Victor Kurs.
Bericht der Handelskammer in Bremen über das Jahr 1900 erstattet an den
Kaufmannskonvent. Bremen, Druck von H. M. Hausehild, 1901. gr. 8. 66 SS.
Bericht, vorläufiger, der Handelskammer zu Kiel über ihre Thätigkeit sowie
über Lage und Gang des Verkehrs im Jahre 1900. Jahrgang XXIX. Erstattet in
der öffentlichen Sitzung der Handelskammer am 31. XII. 1900. Kiel, Januar 1901.
kl. 8. 77 SS.
Bericht, vorläufiger, der Handelskammer zu Lübeck über das Jahr 1900, er-
stattet am 31. XII. 1900. Lübeck, Druck von Gebr. Borchers, 1900. gr. 8. 26 SS.
Bericht über die Ergebnisse des Betriebes der vereinigten preußischen und hessi-
schen Staatseisenbahnen im Rechnungsjahre 1899. Berlin, W. Moeser, 1900. Folio.
VI—248 SS.
Golwig, Fritz (Ingenieur, Wien), Die finanzielle Zukunft der Bau- und Betriebs-
gesellschaft für städtische Straßenbahnen in Wien. Unter Zugrundelegung der Betriebs-
resultate verschiedener Straßenbahnen nach ihrer Umwandlung auf elektrischen Betrieb.
Wien, F. Deuticke, 1900. gr. 8. 117 SS. M. 4,20.
Jahresberieht der Handelskammer zu Altona für das Jahr 1900. I. Teil:
Thätigkeit der Handelskammer im Berichtsjahre. Altona, H. W. Köbner & C°, 1901.
gr. 8. 36 SS.
Jahresberieht der Handelskammer zu Hamburg über das Jahr 1900. Ham-
burg, Ackermann & Wulff Nachf., 1900. kl. 4. 54 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Hamburg über das Jahr 1900, erstattet
der Versammlung „Eines Ehrbaren Kaufmanns“ vom 31. XII. 1900. Hamburg, Druck
von Ackermann & Wulff Nachf., 1900, 31. XII. Folio. 35 SS.
Jahresbericht der Handelskammer für den Kreis Essen 1900. Teil I. Essen
(Ruhr), Druck von W. Girardet, 1901. gr. Folio. 71 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Leipzig, 1899. Leipzig 1900. gr. 8.
XII—253 SS.
Jahresbericht über (1900er) Kolonialwolle von Gustav Ebell & C°. Berlin, Ja-
nuar 1901. 4. 4 SS. (Nicht im Handel.)
Jahresbericht über die Staatseisenbahnen und die Bodenseedampfschiffahrt im
Großherzogtum Baden für das Jahr 1899 (zugleich als Fortsetzung der vorangegangenen
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 275
Jahrgänge 59. Nachweisung üher den Betrieb der großh. badischen Staatseisenbahnen
und der unter Staatsverwaltung stehenden badischen Privateisenbahnen.) Karlsruhe, Ch.
Fr. Müller, 1900. kl. 4. 104 SS. mit 34 Tabellen und zahlreichen graphischen und
anderen Anlagen. (Herausgeg. von der Generaldirektion der badischen Staatseisenbahnen.)
Pohle, L. (PrivDoz., Univ. Leipzig), Die neuere Entwiekelung des Kleinhandels.
Dresden, v. Zahn & Jaensch, 1900. gr. 8. 62 SS. M. 1.—. (Vortrag, gehalten in der
Gehe-Stiftung zu Dresden am 3. XI. 1900.)
Schneider, Siegm., Die deutsche Baghdäd-Bahn und die projektierte Ueber-
brückung des Bosporus in ihrer Bedeutung für Weltwirtschaft und Weltverkehr. Wien,
Leop. Weiß, 1900. Roy.-8. 146 SS. mit Illustr. und Karten. M. 2,50.
Zimmermann, Alfr., Die Handelspolitik des Deutschen Reichs vom Frankfurter
Frieden bis zur Gegenwart. 2. Aufl. Berlin, Mittler & Sohn, 1900. gr. 8. VIII—
320 SS. M. 6.—.
Tableau général du commerce et de la navigation. Année 1899, I" volume:
Commerce de la France avec ses colonies et les puissances étrangères. Paris, impri-
merie nationale, 1900. Imp.-in-Folio, 108; 794 pag. pro vol. I. et II. fr. 25.—.
(Publication de la Direction générale des douanes.)
Accounts relating to trade and navigation of the United Kingdom for each month
during the year 1900. London, printed by Wyman & Sons, 1900. gr. 8. (Parl. paper.
The monthly accounts contains preliminary information for the year 1900.)
Bryce, G. (Prof. in Manitoba College, Winnipeg), The remarkable history of the
Hudson’s Bay Company including that of the French traders of North-Western Canada
and of the North-West, XY, and Astor fur companies. London, S. Low, 1900. gr. in-8.
XX—501 pp. with numerous full-page illustrations and maps, cloth. 16/.6.
Swift, H. G., A history of postal agitation from fifty years ago till the present
day, ete. London, C. A. Pearson, 1900. gr. in-8. 310 pp. 3/.6.
Commissione centrale dei valori per le dogane. Atti per la sessione 1899—1900.
Roma, tip. di G. Bertero, 1900. gr. in-8. 394 pp. l. 4—. (Annali dell’ industria et
del commereio, 1900. Pubblicazione del Ministero di agricoltura, industria e commereio.
Divisione industria e commercio.)
Trasporti marittimi: tariffe e condizioni pei trasporti comuni, militari e per
eonto dello Stato: itinerari ed orari dei servizi postali e commereiali marittimi, luglio
1900. Roma, tip. della Camera dei Deputati, 1900. 8. 86 pp. con tavola.
7. Finanzwesen.
Mitteilungen aus der Verwaltung der direkten Steuern im Königreich Sachsen.
Band VI, Heft 1 u. 2. Dresden, C. Heinrich, 1900. Lex.-8. 180 SS. à M. 1.—.
(Herausgeg. vom k. sächs, Finanzministerium.)
Rechnung, allgemeine, über den Staatshaushalt des Jahres vom 1. IV. 1597/98
nebst Anlagen. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei, 1900. Folio. 452; 111; 6
u. 3 SS.
Uebersicht von den Staatseinnahmen und -Ausgaben mit dem Nachweise von
den Etatsüberschreitungen und den der nachträglichen Genehmigung bedürfenden außer-
etatsmäßigen Ausgaben für das Etatsjahr 1899 nebst Uebersicht von den Verwaltungs-
einnahmen und -Ausgaben der preußischen Centralgenossenschaftskasse für das Etats-
jahr 1899. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei, 1900. Folio. XXIV—593 SS.
Root, J. W., Studies in British national finance. Liverpool, J. W. Root, Com-
merce Chambers, 1901. 8. IX—116 pp., cloth. 3/.—. (Contents: The growth of revenue
and expenditure. — The incidence of taxation. — National distribution. — The liquor
duties. — Import duties. — Direct taxation. — Income tax and death duties.)
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Assekuranzjahrbuch. Begründet von A. Ehrenzweig (f am 18. I. 1900),
fortgesetzt von Max Wittner (Chefredakteur der „Oesterr. Versicherungszeitung“). Jahr-
gang XXII, 3 Teile. Wien, Manz, 1901. gr. 8. 208; 224; 455 SS., geb. M. 12.—.
(Inhalt: I. Versicherungsrecht : Das Interesse bei der Seeversicherung, von V. Ehrenberg.
— Das öff. Versicherungsrecht in Deutschland und der modifizierte Entwurf eines deut-
schen Reichsversicherungsgesetzes, von A. Wiedemann. — Die Rechtsprechung des deutschen
18*
276 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Reichsgerichtes in Versicherungssachen, von A. Wiedemann. — Ueber die guten Sitten
im Versicherungsrecht, von P. Herrmann. — Der Lebensversicherungsvertrag nach öster-
reichischem Rechte, von Jos. Zalud. — Die Entscheidungen des k. k. Obersten Gerichts-
hofes in Versicherungsrechtssachen , von G. Roztočil. — Der ungarische Entwurf eines
Gesetzes, die Privatversicherungsunternehmungen betreffend, von A. Neumann. — Der
Begriff der culpa nach dem italienischen Unfallversicherungsgesetze, von A. Bruschettini.
— Gesetzgebung und Rechtswissenschaft auf dem Gebiete des Versicherungswesens in
Frankreich, von Raymond Maignin. — Die Versicherungsgesetzgebung in Rußland.
Ueber zwei Fragen der Unfallversicherung, von P. Hiestand. — II. Versicherunpsteohuik:
Die Ausbildung der Versicherungstechniker und das Seminar für Versicherungswissen-
schaft in Göttingen, von W. Lexis. — Einige Bemerkungen über Kindersterblichkeit,
von Harald Westergaard. — Ueber Provisionsnachlässe und deren Folgen, von J. van
Schevichaven. — Ausgleichung mittels der Theorie des Minimums, von Corn. L. Landre.
— Zu welchem Werte sollen die Effekten in die Bilanzen der Lebensversicherungs-
gesellschaften aufgenommen werden? von H. Adan. — Ueber den Einfluß des Sinkens
des Zinsfußes auf die Zweckmäßigkeit der Lebensversicherung, von Ulisse Gobbi. —
Das Kriegsrisico, von C. Girtaner. — Lokale und berufsgenossenschaftliche Versiche-
rungsvereine auf Gegenseitigkeit im KReich Sachsen im Lichte des Entwurfes zu einem
deutschen Reichsversicherungsgesetze, von O. Prange. — Die Stellenlosenversicherung
für Kaufleute, von F. Möller. — Das Projekt einer Effektenversicherungsanstalt, von
Bruno Mayer. — Eine Studie über Sturmschädenversicherung, von A. Human. —
III. Geschichte. Statistik.)
Basch, J. (Redakteur), Wirtschaftliche Weltlage. Börse und Geldmarkt im Jahre
1899. 4. Aufl. Berlin, R. L. Prager, 1900. gr. 8. 64 SS. M. 1.—, (10. Folge.)
Geschäftsübersicht der Landesversicherungsanstalt Königreich Sachsen für
das Jahr 1899. Dresden, Druck von W. Baensch, 1900. 4. 34 SS. u. 2 tabellarische
Anlagen.
Geschäftsbericht des Vorstandes der Landesversicherungsanstalt Westpreußen
für die Zeit vom 1. I. bis Ende Dezember 1899. (Danzig) 1900. Folio. 19 SS. mit
XIV Anlagen.
Glackemeyer (Senator), Bericht über die IV. Versammlung der deutschen Kredit-
genossenschaften am 26., 27., 28. und 29. V. 1899 in Dresden. (Erstattet im Auftrage
der freien Vereinigung der deutschen Kreditgenossenschaften.) Hannover, Manz & Lange,
1900. 8. 129 SS. M. 1,50.
Reuter, M. (k. Bezirkstierarzt, Karlstadt), Die staatliche Pferdeversicherung in
Bayern. (Kommentar des bayer. Gesetzes vom 15. IV. 1000, die Pferdeversicherungs-
anstalt betreffend. München, J. Schweitzer, 1900, 8. VIII—136 SS. M. 1,60.
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formation relating to the origin, history and present position of each of the publie
securities and joint stock companies known to the markets of the United Kingdom.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 277
XXVIIth year of publication. London: 1, Royal Exchange buildings, E. C. LXIV—
1782 pp., cloth. 28/.—.
Verslag aan den Koningin betrekkelijk den dienst der Rijkpostspaarbank in
Nederland over 1899. ’s Gravenhage 1900. 4. 117 blz. en 7 gr. — Extrait du rapport etc.
Franeker, Koksma, 1900. Lex. in-8. 16 pag.
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9. Soziale Frage.
Adler, G. (Prof., Berlin), Die Zukunft der sozialen Frage. Jena, G. Fischer, 1901.
gr. 8. 75 SS. M. 0,60.
Bode, W., Das Gothenburgische System in Schweden. Weimar, W. Bodes Verlag,
1901. gr. 8. 32 SS. mit 5 Illustrationen. M. 0,80.
Dix, A., Die Wohnungsfrage. Berlin, Heymann, 1900. 8. VIO—50 SS. M. 0,60.
(Burschenschaftliche Bücherei. Herausgeg. von H. Böttger. Band I, Heft 6.)
Wagner, E., Wirtschaftliche Fürsorge für Angehörige Detinierter. 2. Aufl.
Breslau, W. G. Korn, 1900. gr. 8. 89 SS. M. 1.—.
Wichern. Briefe und Tagebuchblätter (D.) Joh. Hinrich Wicherns. Herausgeg.
von J. Wichern. I. Band: 1826—1848. Hamburg, Agentur des Rauhen Hauses, 1900.
gr. 8. 459 SS. (Mit dem Jugendbildnis Wicherns von E. Speckter.) M. 6.—.
Housing of the working classes. The housing question in London, 1855—1900;
being an account of the housing work done by the Metropolitan Board of works, and
the London County Council, between the years 1855 and 1900, with summary of acts
which they have worked. London, 1900. Folio. 9/.—. (Publication of the London
County Council.)
Simmons, Mary, A short account of the origin and development of our guar-
dianship of the poor. London, National Home Reading Union, 1901. 12. /.0,6.
Strong, Josiah, Religious movements for social betterment. New York, Baker
& Taylor C°, 1900. 12. 139 pp., eloth. $ 0,50. (An essay prepared as a special con-
tribution to the United States exhibit of social economy at the Paris Exposition.)
Beneficenza, la, veneziana: note e memorie pubblicate a cura del comitato
ordinatore del V congresso nazionale delle opere pie. Venezia, tip. all’ Orfanotrofio,
1900. 8. VIII—299 pp. (Contiene: La beneficenza elemosiniera. — La beneficenza
educativa. — La beneficenza di ricovero. — La beneficenza ospitaliera. — La benefi-
cenza dotalizia. — La beneficenza di credito e anticipazione. — La beneficenza di
culto. — La beneficenza presso gli Israeliti, i Greci e Dalmati. — ete.)
10. Gesetzgebung.
Dernburg, H. (Geh., JustizR., Prof., Berlin), Das bürgerliche Recht des Deutschen
Reichs und Preußens. Bd. II: Die Schuldverhältnisse nach dem Rechte des Deutschen
Reichs und Preußens. II. Abteilung. Einzelne Obligationen. Halle, Verlag der Buchhdl.
d. Waisenhauses, 1900. gr. 8. XII—720 SS. M. 12.—.
Entscheidungen des königlich preußischen Oberverwaltungsgerichts. Bd. XXXVII.
Berlin, C. Heymanns Verlag, 1901. gr. 8. XIX—499 SS. M. 7.—.
Genzmer, St. (OVerwaltGerR.), Die Landgemeindeordnung für die sieben öst-
lichen Provinzen der Monarchie vom 3. VII. 1891. Erläutert. 2. Aufl. Berlin, H. W.
Müller, 1900. 8. VI—207 SS. kart. M. 2,40.
Nürck, St. (ARichter, Rombach), Systematische Darstellung des in Elsaß- Lothringen
geltenden Bürgerlichen Rechts. Metz, G. Scriba, 1901. Lex.—8. XII—1122 SS. und
Register. M. 18.—.
Turnau, W. u. K. Förster (ReichsgerRäte), Das Liegenschaftsrecht nach den
deutschen Reichsgesetzen und den preußischen Ausführungsbestimmungen. Für die Praxis
bearbeitet. I. Band: Das Sachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Paderborn, F.
Schöningh, 1900. gr. 8. XLVI—854 SS. M. 14.—.
Jouet, R., De la réhabilitation. Châteauroux, impr. Mellottée, 1900. 8. 156 pag.
(Thèse.)
Waël, F., Droits des enfants naturels reconnus dans la succession de leurs père
et mère (étude de la loi du 15 mars 1596). Paris, A. Rousseau, 1901. 8. 216 pag.
Elliott, A., The Workmen’s Compensation Acts: being an annotated study of the
278 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Workmen’s Compensation Act, 1897, and the workmen’s compensation, 1900. With an
introduction by (Judge) Parry. London, Stevens & Haynes, 1901. 8. 338 pp. 6/.—
Simonson, P. Fr., The Companies Act, 1900. With oommentaries. London,
E. Wilson, 1900. Roy.-8. 176 pp. 5/.—.
Fadda, Car., Concetti fondamentali del diritto ereditario romano: lezioni dettate
nella università di Napoli, 1899—1900. Napoli, L. Pierro tip. edit., 1900. 8. XIV—
368 pp. 1. 12.—. (Contiene: Concetto della hereditas. — Hereditas e bonorum possessio.
— Eredità e legato. — I requisiti della successione ereditaria.)
11. Staats- und Verwaltungsrecht.
Bericht des Instituts für Gemeinwohl zu Frankfurt a/M. über das 4. Geschäfts-
jahr 1899/1900. Frankfurt a/M., Juli 1900. gr. 8. 18 SS. nebst Bericht der Auskunfts-
stelle für Arbeiterangelegenheiten über das Geschäftsjahr 1899/1900. 4 SS.
Beyendorff, R., Der Polizeibeamte, seine Rechte und Pflichten in populär-
staatsrechtlicher Darstellung. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1900. gr. 8.
Bezirkstag des Unter-Elsaß. Sitzung von 1900. Verhandlungen. Straßburg,
Elsässische Druckerei, vormals G. Fischbach, 1900. 4. XVI u. SS. 265—420.
Glogau. Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegen-
heiten in der Stadt Glogau für die Zeit vom 1. IV. 1899 bis 31. III. 1900. Glogau,
Druck von C. Flemming, 1900. gr. 4. 36 SS.
Krefeld. Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegen-
heiten für das Etatsjahr 1899. Krefeld, Druck von Kramer & Baum, 1900. 4. 176 SS.
mit 2 Tafeln graph. Darstellungen in Imp.-qu.-Folio.
Landtagssession, die preußische. 19. Legislaturperiode , II. Session. Berlin,
Puttkammer & Mühlbrecht, 1900. 8. 200 SS. M. 1.—.
v. Simson, B., Eduard von Simson. Erinnerungen aus seinem Leben. Leipzig,
S. Hirzel, 1900. gr. 8. 440 SS. mit 1 Portr. in Heliogr. und 4 Facsimiles. M. 8.—.
Stettin. Bericht über die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten der Stadt
Stettin für die Zeit vom 1. IV. 1899 bis dahin 1900. I. Darlegung der finanziellen
Ergebnisse. Stettin, Druck von F. Hessenland, 1900. 4. 115 SS.
Thronfolge, die, als Willensakt. Betrachtungen aus dem bayerischen Staats-
rechte von einem Sozialmonarchisten. München, J. Schweitzer, 1900. gr. 8. 14 SS.
M. 0,50,
Wiesbaden. Bericht über die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten im Rech-
nungsjahre 1899 (1. IV. 1899 bis 1. IV. 1900). Wiesbaden, Druck von C. Schnegel-
berger & C', 1900. gr. 4. 228 SS.
Cohen, J. (avocat à la Cour d’appel de Paris), Les israélites de l’Algerie et le
décret Crémieux. Paris, A. Rousseau, 1900. 8. VIII—384 pp. fr. 8.—.
Sveriges Statskalender för är 1901. Stockholm, kungl. bostryckeriet Norstedt &
Söner, 1900. gr. in-8. 991 pp. och bihang: Utdrag ur Norges statskalender, XVI pp.
12. Statistik.
Allgemeines,
Krose, H. A., Der Einfluß der Konfession auf die Sittlichkeit. Nach den Ergeb-
nissen der Statistik. Freiburg i. B., Herder, 1900. 8. 101 SS. 1.—.
Taschenkalender für den katholischen Klerus 1901. Redaktion: (P.) Conrad
Eubel. Jahrg. XXIII. München u. Wien, Rud. Abt, 1900. 176 SS., geb. M. 1.—.
(Aus dem Inhalt: Kalender der alten Römer. — Uebersicht der Abweichungen, welche
die einzelnen Diöcesankalendarien gegenüber dem Kalendarium univ. ecel. aufweisen. —
Spezielle Statistik der Diöcesen Deutschlands, der Schweiz und von Luxemburg nebst
den österreichischen Kirchenprovinzen Wien, Salzburg, Prag und Olmütz.)
Deutsches Reich.
Beiträge zur Statistik der Stadt Karlsruhe. Im Auftrage des Stadtrates herausgeg.
vom statistischen Amt. Nr. 10: Krankenkassenstatistik für 1899. Karlsruhe, Druck
und Verlag der G. Braunschen Hofbuchdruckerei, 1900. 4. 13 SS.
Bericht, statistischer, über den Betrieb der unter k. sächsischen Staatsverwaltung
stehenden Staats- und Privateisenbahnen mit Nachrichten über Eisenbahnneubau im
Jahre 1399. Nebst einer Uebersichtskarte vom Balınnetz, Dresden, Druck von
C. Heinrich, 1900. gr. 4 V—288 SS.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 279
Handbuch der Kirchenstatistik für das Königreich Sachsen. Nach dem Stande
vom 1. I. 1900. N. Folge. 18. Ausgabe. Nach handschriftlichen Angaben und amt-
lichen Quellen bearbeitet von A. Kolbe. Dresden, Ramingsche Buchdruckerei, 1900.
gr. 8. 1V—401 SS. M. 7,50.
Handbuch, statistisches, für das Königreich Württemberg. Jahrg. 1899. Be-
arbeitet im k. statistischen Landesamt. Stuttgart, Kohlhammer, Juli 1900. gr. 8.
XXII—255 SS.
Jahrbuch, statistisches, der höheren Schulen und heilpädagogischen Anstalten
Deutschlands, Luxemburgs und der Schweiz. Jahrg. XXI. 1. Abteilung: Das KReich
Preußen enthaltend mit einem Anhang: Verzeichnis der Mittelschulen; 2. Abteilung:
Die deutschen Staaten (außer Preußen), Luxemburg, die Schweiz und statistische Ueber-
sicht über die höheren Schulen Deutschlands enthaltend. Leipzig, B. G. Teubner,
1900. 12. XXVI—248 und 395 SS. geb. M. 4,40.
Jahresbericht, medizinisch-statistischer, über die Stadt Stuttgart im Jahre 1899.
XXVII. Jahrgang. Stuttgart, Metzlersche Buchdruckerei, 1900. kl. 8. 80 SS.
(Herausgeg. vom Stuttgarter ärztlichen Verein.)
Mecklenburg-Schwerinscher Staatskalender. Herausgeg. vom großh. statistischen
Amt. 126. Jahrgang (1901). 2 Teile. Schwerin, Bärensprungsche Hofbuchdruckerei,
1900. gr. 8. XLIV—543; 158 SS. und (II. Teil): Statistisch-topographisches Jahr-
buch 451 SS.
Mitteilungen aus der Verwaltung der direkten Steuern im preußischen Staate.
Statistik der preußischen Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1900. Berlin, Verlig
des k. statistischen Bureaus, 1900. Folio. XIV—279 SS.
Mitteilungen, statistische , über das höhere Unterrichtswesen im Königreich
Preußen. Berlin, Hertz, 1900. gr. 8. 103 SS. M. 1,80. (A. u. d. T.: Centralblatt
für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen. Ergänzungsheft 17.)
Nachrichten, amtliche, des Reichsversicherungsamtes 1900. I. Beiheft: Statistik
der Unfallversicherung. Tabellen: Umfang, Ausgaben und Einnahmen 1885 bis 1898. Berlin,
A. Asher & C°, 1900. kl. 4 331 S8. — II. Beiheft: Statistik der Unfallversicherung,
Unfallversicherung der bei gewerblichen Betrieben beschäftigten Personen. Unfall-
statistik für das Jahr 1897. II. Teil, 2. Abteilung. Ebd. 1900. kl. 4 VI—479 SS.
(Das II. Beiheft, welches die 1. Abteilung des II. Teils der Unfallstatistik für 1897
enthalten wird, ist noch nicht erschienen.) [Bearbeitet im Reichsversicherungsamt.]
Schematismus des Bistums Breslau und seines Delegaturbezirks für das Jahr
1901. Breslau, fürstbischöfl. Geh. Kanzlei, 1900. kl. 8. 163 SS. (Nicht im Handel.)
Statistik des Hamburgischen Staates. Bearbeitet und hrsg. von dem statistischen
Bureau der Steuerdeputation. Heft 18. Inhalt: Die Ergebnisse der Berufs- und Ge-
werbezählung vom 14. VI. 1895. Hamburg, O. Meissner, 1900. gr. 4. 126 SS.
Frankreich,
Compte général de l’administration de la justice criminelle en France et en
Algérie pendant l’année 1897. Paris, impr. nationale, 1900. gr. in-4. X VIII—172 pag.
— Compte général de l’administration de la justice civile et commerciale en France
et en Algérie pendant l’année 1897. Ebd. 1900. gr. in-4. XXV—176 pag. (Publications
présentés au Président de la République par le Garde des sceaux, Ministre de la justice.)
Documents statistiques réunis par l’administration des douanes sur le commerce
de la France. Onze premiers mois des années 1898, 1899 et 1900. Paris, impr.
nationale, 1900. 8. 204 pag. (Publication du Ministère des finances.)
Statistique des grèves et des recours A la conciliation et à l'arbitrage survenus
pendant l’année 1899. Paris, imprim. nationale, 1900. gr. in-8. XVIII—632 pag.
Fr. 7.—. (Publication du Ministère du commerce, de l’industrie, des postes et des télé-
graphes, Direction du travail.)
Statistique annuelle du mouvement de la population et des institutions d’assistance.
Tome XXVIII, année 1898. Paris, impr. nationale, 1900. gr. in-8. X—197 pag.
Statistique des naufrages et autres accidents de mer pour l’année 1897. Paris,
imprim. nationale, 1900. 8. 112 pag. (Publication du Ministère de la marine.)
Oesterreich-Ungarn.
Arbeitseinstellungen und Aussperrungen in Oesterreich während des Jahres
1809. Wien, Alfr. Hölder, 1900. gr. 8. 125; 264 SS. (Herausgeg. vom arbeits-
statistischen Amte im k. k. Handelsministerium.)
280 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Gebarung, die, und die Ergebnisse der Krankheitsstatistik der nach dem Gesetze
vom 30. III. 1858, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter, eingerichteten
Krankenkasse im Jahre 1898. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1900. 4. 173 SS.
Gebarung, die, und die Ergebnisse der Unfallstatistik der im Grunde des
Gesetzes vom 28. XII. 1887 betreffend die Unfallversicherung der Arbeiter errichteten
Arbeiterunfallversicherungsanstalten im Jahre 1898. Wien, k. k. Hof- und Staats-
druckerei, 1900. 4. 281 SS.
Jahrbuch, statistisches, des k. k. Ackerbauministeriums für 1897. Heft 2: Der
Bergwerksbetrieb Oesterreichs im Jahre 1897, Lieferung 3: Die Gebarung und die Er-
gebnisse der Krankheits-, Mortalitäts- und Invaliditätsstatistik der Bergwerksbruderladen
im Jahre 1896. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1900. Imp.-8. 191 SS.
Jahrbuch, statistisches, der Stadt Wien für das Jahr 1898. Jahrg. XVI. Be-
arbeitet von Stephan Sedlaczek (MagistratsR.), W. Löwy, (Magistratssekr.) und W. Hecke
(Magistratskommissär). Wien, Verlag des Wiener Magistrats, in Kommission bei
W. Braumüller, 1900. gr. 8. XII—936 SS. geb. (Mitteilungen des statistischen
Departements des Wiener Magistrats.)
Statystyka miasta Krakowa, zestawiona przez biuro statystyezne miejskie pod
kierunkiem i redakeya (Prof.) Józefa Kleczyńskiego. Zeszynt VII. Kraków 1900.
gr. 8. VII—253 pp. (Statistik der Stadt Krakau bearbeitet von dem + Direktor des
städtischen statistischen Bureaus, des am 22. IX. 1900 zu Zakopane verstorbenen Prof.
der Statistik, Dr. Jos. Kleczyński. Jahrg. VII. Inhalt: Nekrolog des Prof. Jos. Kleczyński.
— Bewegung der öff. Arbeiten (städtische Bauten Krakaus) in den Jahren 1891—1897.
— Bewegung der Bevölkerung Krakaus 1897/1898. Volksschulstatistik der Stadt-
gemeinde Krakau für die Jahre 1890/1—1897/98. — Oeffentliche Wohlthätigkeitsstatistik
1898. — Eingang und Konsum der wichtigsten Lebensmittel (einschließlich Schlacht-
vieh, Geflügel etc.) und Gebrauchsartikel in Warschau 1897 und 1598, sowie die bezügl.
monatlichen Marktpreise.)
Italien.
Relazione medico-statistica sulle condizioni sanitarie del R. esercito nell’ anno
1898 compilata dall’ ispettorato di sanità militare, ufficio statistica. Roma, tip. ditta
Lud. Cecchini, 1900. gr. 8. IV—169; 149 pp.
Statistica della emigrazione italiana avvenuta negli anni 1898 e 1899 e con-
fronti coll’ emigrazione da altri Stati d'Europa, Con appendice: Leggi e regolamenti
di alcuni Stati d’Europa e d’America e delle colonie inglesi d’Australasia sul? emi-
grazione e sulle immigrazione. Roma, tip. di G. Bertero, 1900. Lex.-8. XXII—188 pp.
l. 2-—.
Dänemark.
Danmarks Statistik. Statistiske Meddelelser. IV. Raekke, 7de Bind (6 Heften).
København, B. Lunos Bogtrykkeri, 1900. 8. Udgivet af Statens Statistiske Bureau.
(Inhalt: Ein- und Ausfuhr Däncmarks, Januar—Juni 1900. — Alkohol-, Bier-, Zucker-
und Kunstbutterproduktion 1899. — Unfallstatistik von Seeland, Sept.-Dezember 1898.
— Verhandlungen der skandinavischen statistischen Gesellschaft zu Kopenhagen am
27.—30. August 1900. — Beschaffenheit der Ernte von 1900 in Dänemark.)
Statistisk Tabelværk. V. Række, Littra D n° 6: Danmarks Vareindforsel
och-Udforsel i Aaaret 1809. København, Gyldendal, 1900. gr. 4. 51; 166 pp.
(Dänemarks Warenein- und Ausfuhrstatistik im Jahre 1899. Herausgeg. von dem
Bureau für dänische Landesstatistik.)
Holland.
Statistiek van het Koninkrijk der Nederlanden. Bescheiden betreffende de
geldmiddelen. XXIVste stuk, 1. gedeelte: Mededeeling van de opbrengst der belastingen
en andere middelen en van verschillende bijzonderheden met de heffing der belastingen
in verband staande, 120 blz: (Inhalt Direkte Steuern; Indirekte Steuern; Einnahmen
aus Accisen 1599; Einnahmen aus Domänen, 1886—1599. — XXIV*te stuk, tweede
gedeelte; Statistiek der domeinen over 1899. 181 blz. (Inhalt: Domänen, Oeffentliche
Bauten ` Staatseisenbahnen ete. und ihre Erträge.) ’s Gravenhage, M. Nijhoff, 1900.
4. (Uitgegeven door het Department van Financiën.)
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 981
Schweiz.
Ergebnisse der eidgenössischen Volkszählung vom 1. XII. 1900 im Kanton
Zürich festgestellt vom kantonalen statistischen Bureau. Zürich, Buchdruckerei Kirsten
& Zeisberg, 1901. 8. 24 SS.
Jahrbuch, statistisches, der Schweiz. IX. Jahrgang. Bern, Buchdruckerei
Stämpli & C°, 1900. gr. 8. 313 SS. (Herausgeg. vom statistischen Bureau des
eidgen. Departements des Innern. (A. u. d. T.: Schweizerische Statistik, Lieferung 126.)
Saladin, V. F., Liegenschaftsverkehr und Hypothekarkredit im Wirtschafts- und
Hötelgewerbe der Stadt Basel 1875—98. Ein statistische Untersuchung. Basel, J. Kron,
1900. gr. 4. VI—86 SS. M. 5,50.
Schweizerische Statistik. Lieferung 125: Die Ergebnisse der schweizerischen
Kriminalstatistik während der Jahre 1892—1896. Bern, Buchdruckerei, Neukomm &
Zimmermann, 1900. gr. 4. 56 SS. (Herausgeg. im Auftrage des eidgen. Justiz- und
Polizeidepartements vom statistischen Bureau des eidgen. Departements des Innern.)
Schweden.
Bidrag till Sveriges offieiela Statistik. A. Befolkningsstatistik. Ny följd XL.
Berättelse för 1898. XVI-55 pp. (Stand und Bewegung der schwedischen Bevölke-
rung im Jahr 1898.) — F. Handel. Kommerskollegii berättelse för är 1899. XVII—
238 pp. — J. Telegrafväsendet. Ny följd 39. Berättelse för Ar 1899. XXVII—
23 pp- — L. Statens Järnvägstrafik 38°. Berättelse för är 1899. 115 pp. mit Dia-
gramm. (Schwedische Staatsbahnstatistik für 1899.) — N. Jordbruk och Boskaps-
skötsel. Berättelse för Ar 1900. 19 pp. (Schwedische Cercalienernte im Jahre 1900.)
— Undervisningsväsendet 41. Berättelse för är 1598: 24 u. 27 pp. (Statistik des
schwedischen Primärunterrichts für das Jahr 1898.) — Y. Sparbanksstatistik I. Be-
rättelse för är 1898. X—46 pp. (Statistik der schwedischen Sparkassen und Volks-
banken für das Jahr 1898.) Zusammen 7 Hefte. Stockholm, P. A. Norstedt & Söner,
1900. Roy.-4.
Norwegen.
Norges officielle Statistik. IlI. Række, n° 341: Beretning om Veterinærvæsenet
og Kjedkontrollen i Norge for äret 1898 udgiven af Direktoren for den civile Vetenær-
væsen. Kristiania, H. Aschehoug & C°, 1900. gr. in-8. VIII—260 pp.
Griechenland.
"Eurnöprov týs EXiôos perd tav Beuin éntxoateuds ar tò Eros 1898. "Aynvars
1809. 4. 328 pp. (Der auswärtige Handel Griechenlands während des Jahres 1898.
Veröffentlichung des statistischen Bureaus im Finanzministerium.)
Portugal (Angola).
Annuario estatistico da provincia de Angola 1898 (IId° anno). Loanda, imprensa
nacional, 1900. Folio. 473 pp. (Publicação da governo geral da provincia de Angola.
Secretario geral.)
Amerika (Argentinien).
Anuario de la Direcciôn general de estadística correspondiente al ano 1899.
Tomo I. Buenos Aires, Compañia Sud-Americana de billetes de banco, 1900. Lex.-8,
XV1II—533 pp. (Inhalt: Der Handel Argentiniens im allgemeinen. — Ein- und Aus-
fuhrhandel nach Herkunfts- und Bestimmungsländern, 1899. — Ausfuhr der argentinischen
Hafenplätze 1899. — Ein- und Ausfuhr nach und von den argentinischen Hafenplätzen
in den Jahren 1875—1899. — Durchfuhr 1899. — Eingang und Ausgang von Schiffen
im argentinischen Außen- und Binnenhandel 1898 u. 1899. — etc.)
13. Verschiedenes.
Böhm, Joh., Beiträge zur Geschichte der bayerischen Volksschule insbesondere
im XIX. Jahrhundert. Nürnberg, Fr. Korn, 1900. gr. 8. VI—128 SS. mit 24 Por-
träts. M. 1,50.
Büsing, F. W. (Prof., Berlin-Friedenau), Die Städtereinigung. Heft 2: Technische
Einrichtungen der Städtereinigung. Stuttgart, A. Bergsträsser, 1901. Lex.8. IV— SS.
345—865. M. 24. (A. u. d. T.: Der städtische Tiefbau. Hrgg. von (GehBauR.)
Prof. Ed. Schmitt [Darmstadt] Bd. III.)
Derichsweiler, H., Geschichte Lothringens. (Der tausendjährige Kampf um
282 Die periodische Presse des Auslandes.
die Westmark.) 2 Bände. Wiesbaden, C. G. Kunzes Nachfolger, 1901. gr. 8 XIV—
538 u. 649 SS. M. 15.—.
Hansen, Jos., Zauberwahn, Inquisition und HexenprozeB im Mittelalter und
die Entstehung der großen Hexenverfolgungen. München, R. Oldenbourg, 1900. gr. 8.
XV—537 SS., geb. M. 10.—. (A. u.d. T.: Historische Bibliothek, hrsg. von der
Redaktion der Historischen Zeitschrift, Bd. XII.)
Jahresbericht über die Verbreitung der Tierseuchen im Deutschen Reiche.
Bearbeitet im kais. Gesundheitsamte zu Berlin. Jahrg. XIV: das Jahr 1899. Berlin
Springer, 1900. Lex.-8. VI—172; 96 SS. mit 5 graphischen Tafeln in quer-folio.
Kraepelin, E. (Prof., Univ. Heidelberg), Einführung in die psychiatrische Klinik.
30 Vorlesungen. Leipzig, J. A. Barth, 1901. gr. 8. VIII—328 SS. M. 8,40.
Levy, Alph., Geschichte der Juden in Sachsen. Berlin, Calvary & C°, 1901.
gr. 8. 114 SS. M. 2,40.
Meyer, G., Die soziale Bedeutung der Medizin. Rückblicke und Ausblicke.
Berlin, Hirschwald, 1900. gr. 8. IV—40 SS. M. 1.—.
Müller, J. P. (Direktor der allgem. deutschen Schule in Antwerpen), Deutsche
Schulen und deutscher Unterricht im Auslande. Leipzig, Selbstverlag, in Kommission
bei Th. Thomas, 1901. Lex.-8. XVIII—412 SS. mit 9 Vollbildern und zahlreichen
Abbildungen im Text. Eleg. geb. M. 12.—.
Müller, S. (Architekt), Der Bauherr und Hauswirt. Ein praktischer Ratgeber
für Jedermann in Bau- und Hausangelegenheiten. Berlin, O. Salle, 1900. gr. 8.
414 SS. mit 8 Separatbildern und 255 Textabbildgn. M. 5.—.
Pache, O., Handbuch des deutschen Fortbildungschulwesens. 5. Teil. Witten-
berg, R. Herrosé’s Verlag, 1900. gr. 8. 243 SS. M. 4.—.
Quanter, Rud., Die Schand- und Ehrenstrafen in der deutschen Rechtspflege.
Eine kriminalistische Studie. Dresden-Altst., H. R. Dohrn, 1901. gr. 8. X—211 SS.
mit 11 Illustrationstafeln. M. 5.—.
Sanitätsbericht über die kaiserlich deutsche Marine für den Zeitraum vom
1. IV. 1897 bis 31. III. 1899. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1900. gr. 8. 317 SS.
Schultze, E., Freie öffentliche Bibliotheken, Volksbibliotheken und Lesehallen.
Stettin, Dannenberg & C, 1900. gr. 8 XX—362 SS. M. 6.—.
Stägemann. Briefe und Aktenstücke zur Geschichte Preußens unter Friedrich
Wilhelm III. vorzugsweise aus dem Nachlasse von F. A. von Stägemann. Herausgeg.
von Franz Rühl. Band II. Leipzig, Duncker & Humblot, 1900. gr.8. LVI—426 SS.
M. 10.—. (Publikation des Vereins für die Geschichte von Ost- und Westpreußen.)
Sternberg, Adalb. (Graf), Aus dem Boerenkriege. Berlin, G. Reimer, 1901.
8 165 SS. M. 3.-—.
Veeh, L., Die Pädagogik des Pessimismus. Leipzig, H. Haacke, 1900. gr. 8.
V—46 SS. M. 1,50.
v. Zernicki-Szeliga, Emilian, Der polnische Adel und die demselben hinzu-
getretenen andersländischen Adelsfamilien. Generalverzeichnis. 2 Bünde. Hamburg,
H. Grand, 1900. gr. 8 IV—502 u. 597 SS. M. 20.—.
Annual report (XXXISt), of the State Board of Health of Massachusetts. Boston,
Wright & Potter printing C°, 1900. gr. in-8. LVII—812 pp.
Righini, E., Antisemitismo e semitismo nell’ Italia politica moderna. Milano,
R. Sandron, 1901. 8. 365 pp. (Biblioteca di scienze sociali e politiche n° 38.)
Carlsen, J. (Ur med.), Dodsaarsagerne i Kongeriget Danmarks Byer i Aaret
1899. Udgivet af det Kgl. Sundhedskollegium. Kjøbenhavn, H. Hagerup, 1900. 4.
35 pp. (Todesursachen der Sterblichkeitsfälle in den Städten Dänemarks im Jahr 1899.
Veröffentlicht vom kgl. dänischen Gesundheitsamt.)
Die periodische Presse des Auslandes.
A. Frankreich.
Annales des sciences politiques. Année 1900. Septembre: La représentation
proportionnelle en Belgique et les élections générales de mai 1900 (art. II), par E. van
der Smissen. — Tribunaux et magistrats militaires en Russie, par A. Scheikewitch. —
La conférence de la Haye (art. Il), par C. Dupuis. — Novembre: L'état anglais et sa
Die periodische Presse des Auslandes. 283
fonction à l'extérieur, par A. Boutmy. — La question des Nouvelles-Hébrides, par P.
Lavagne. — L'assurance obligatoire en Suisse et le plébiscite du 20 mai 1900, par
H. Micheli. — Les élections anglaises, par P. Hamelle.
Bulletin de statistique et de législation comparée. XXIV” année, 1900, No-
vembre: A. France et colonies: Les produits de l’enregistrement, des domaines et du
timbre constatés et recouvrés en France, pendant l'exercice 1899. — Droits sur les
boissons et consommation moyenne par habitant, dans les principales villes. — Les con-
tributions directes et les taxes assimilées, situation au 1° novembre 1900. — Les revenus
de l'Etat (France et Algérie). Recouvrements d’octobre 1900; Recouvrements depuis
le 1” janvier 1900, ete. — Le commerce extérieur, mois d'Octobre 1900. — Exposition
universelle de 1900. Entrées payantes et gratuites. — Les opérations de la chambre de
compensation des banquiers de Paris depuis 1872. — B. Pays étrangers: Belgique:
Les pensions de vieillesse (loi du 10 mai 1900). — Espagne: Le commerce extérieur
pendant les 3 premiers trimestres de 1900. — Italie: Le commerce extérieur pendant
les 3 premiers trimestres de 1900. — Russie: Les résultats définitifs de l'exercice 1899.
— Belgique: Le tarif officiel des douanes. — Japon: Le commerce extérieur de 1888
à 1898. —- etc.
Bulletin de statistique, 1900, Décembre: A. France, colonies: Loi relative A la
réforme du régime des boissons. — Loi portant création d’un budget spécial pour
l'Algérie. — Loi fixant le budget spécial de l’Algérie pour 1901. — Loi et décret
relatifs au douzième provisoire applicable à l’exercice 1901. — Les revenus de l’Etat
(France et Algérie): Recouvrements de novembre 1900; recouvrements depuis le pre-
mier janvier 1900. — Le commerce extérieur, mois d'Octobre 1900. — Production des
vins et des cidres en 1900 (France et Algérie). — Les produits de l’enregistrement des
domaines et du timbre constatés et recouvrés en France, pendant l’exercice 1899 (suite
et fin). — La cote du métal-argent. — B. Pays divers: Angleterre: Le Royaume-Uni
et ses colonies en 1898—1899. La loi sur les sociétés (Companies Act 1900) [suite
et fin]. — Autriche-Hongrie: La prolongation du compromis austro-hongrois. — Belgique:
Le tarif officiel des douanes (suite et fin). — Espagne: Le projet de budget pour 1901.
— Italie: L'exposé financier du Ministre du Trésor. — Inde anglaise: Les droits com-
pensateurs sur le sucre. Le régime monétaire. — etc.
Journal des Economistes. 60° année, 1901. Janvier: Le XIX” siècle, par G. de
Molinari. — Le marché financier en 1900, par A. Raffalovich. — La charité, par
Ladisl. Domanski. — Revue des principales publications économiques de l’&tranger, par
Maur. Block. — La politique coloniale américaine, par Rouxel. — Un hôtel ouvrier à
New York, par D. B. — Un mémoire inconnu de Vincent de Gournay retrouvé en
Suède, par Schelle. — La vulgarisation des connaissances scientifiques. Un nouveau
dictionnaire des sciences, par Dan. Bellet. — Bulletin: Loi concernant le régime des
boissons. Bilan de l'Exposition universelle de 1900. — Société d'économie politique
(réunion du 5 janvier 1901). Discussion: La loi sur les accidents du travail; ses pre-
mières conséquences. — Nécrologie: Maurice Block. — etc.
Journal de la Société de statistique de Paris. 42° année, 1901, n° 1, Janvier:
Procès-verbal de la séance du 19 décembre 1900. — Les lois de la population d’après
M. Gustave Cauderlier (rectification de la méthode de Malthus, par Ad. Coste): § 1.
La théorie de Malthus et la correction proposée par Cauderlier. $ 2. Première analyse
démographique: la nuptialité, la natalité, la mortalité. $ 3. Deuxième analyse démo-
graphique : la matrimonialité, la fécondité légitime et la mortalité par âge. $ 4. Con-
clusions de Cauderlier; critique de sa théorie“, — La fécondité par âges, par V. Tur-
quan (art. 1). — Mouvement de la population de la France en 1899. — Chronique des
transports, par Hertel. —- etc.
Revue générale d’administration. Publication du Ministère de l’intérieur. XXIII®
année, 1900, Octobre, Novembre et Décembre: Assistance publique en France de 1889
à 1900 par H. Monod. — De la représentation de PEtat en justice, par Ferd.Sanla-
ville. — Des infractions postales, par G. Hayes (suite 2 à 3 et fin). — Le régime admini-
stratif du département de la Seine et de la ville de Paris, par Alb. Lavallée (con-
seiller de préfecture de la Seine). — Chronique de l’administration française. — etc.
Revue d'économie politique. XIV° année, 1900, n° 12, Décembre: Le système des
impôts directs d'Etat en France, par H. Truchy. — L'assistance médicale, par Pinon. —
La notion de l'Etat, par Maur. Heins. — Evaluation de la fortune privée en France,
par V. Turquan (suite et fin). — Chronique législative. — etc.
Revue politique et parlementaire. 8° année, 1901, Janvier: Les classes dirigeantes
284 Die periodische Presse des Auslandes.
et le pouvoir politique, par G. Villain. — Le droit d'association et les congrégations
religieuses, par E. Des Granges. — L'accord Anglo-Allemand. Hypothese diplo-
matique, par R. Henry. — Une enquête sur les marchés de marchandises en France.
III: Le terme sur laine peignée et la crise de Roubaix, par Maur. Colrat. — L'Europe
et le canal interocéanique, Un conflit possible entre les Etats-Unis et P’ Angleterre, par
G. Bailleu. — La dépopulation en France et la réforme du régime successorial, par
Rob. Doucet. — L'influence de Ruskin sur l’Angleterre contemporaine, par Jacq. Bardoux.
— Revue des questions agricoles, par D. Zolla. — etc.
Revue internationale de sociologie. 8° année, N°12, Décembre 1900: A la mémoire
d’Auguste Comte, par E. Corra. — La langue bleue: langage international pratique,
par Léon Bollack. — Les chartes de charité de Henri et Marguerite de Navarre, par
Léon Boutry. — Sur la sociologie pure, par A. Groppali et L. Winiarsky. — Société
de sociologie de Paris, séance du 14 novembre 1900: Rapport du secrétaire général,
René Worms, sur les travaux de la société de 1898 à 1900. Impressions de l'Exposition
universelle, par Ad. Coste. — etc.
B. England.
Board of Trade Journal. Vol. XXXI, N” November 29, 1900—to January 17,
1901 (whole N” 209—216): The German subsidised mail service to African ports. —
The future of the coal industry in China. — Trade of Trinidad and Tabago in 1899. —
Trade of the Seychelles islands in 1899. — The industries of Queensland. — Trade
of Mauritius and Rodrigues. — Trade of Russia in 1897—1900. — British trade with
Switzerland. — The American shipping industry. — Trade and industry of Vera Cruz.
— Foreign trade of the United Kingdom in November, 1900. — Cotton eultivation in
Russia. — United States tin plate industry. — Spanish sheep and goat skins. —
Competition with British trade in the Netherlands. Machinery and labour-saving
devices in the United States. — American cottonseed industry. — Trade of Roumania
with, and through, Holland. Foreign capital in Russia. — Swedish iron industry. —
Industries of Huelva. — Coal export trade of Nagasaki. — Sugar industry of Japan. —
Shipbuilding industry of Nagasaki. — Trade and shipping of the Persian Gulf ports
and Maskat. — Trade and industry of Greenland. — The preservation of food in Chicago
by cold storage and refrigeration. — French Congo and the Congo free State. — Foreign
trade of the United Kingdom for the month and twelve months ended 31st December
1900. — Regulations concerning commercial travellers in India and the colonies (art. 1
& 2). — Italian shipping bounties. — Trade of Cape colony (January-November 1900).
— The German cotton industry. — British and Westphalian coal in Hamburg. — Trade
and industry in Liberia. — Rates of import duties leviable on electrical machinery
and apparatus in certain British colonies. — Openings for British trade. — Tariff
changes and customs regulations. — Agriculture. — Miscellaneous. — Statistical tables.
Government publications. — ete.
Economic Journal. Journal of the British Economie Association, ed. by Edge-
worth & H. Higgs. Vol. IX, 1900, December: The monetary condition of India. —
Some policies of the cotton spinner’s trade unions, by S. J. Chapman. — An investi-
gation of the cause of trade fluctuations, by J. B. C. Kershaw. — The incidence of
urban rates (art. III), by E. Y. Edgeworth. — The Canadian preferential tariff, by
J. Davidson. — Municipal telephones, by F. Brocklehurst. — Women in the cigar
trade, by Grace Oakeshott. — etc.
Edinburgh Review, the. N° 395, January 1901: The causes of the American
civil war. — Landscape: Symbolie, imaginative, and actual. — Recent appreciations
of Oliver Cromwell. — The correspondence of Cicero, — The situation in Ireland. — etc.
Journal of the Royal Statistical Society. Vol. LXIII, part 4, 31*t December
1900: On the distribution of population in England and Wales, and its progress in the
period of ninety years from 1801 to 1891, by T. A. Welton (with diseussion). — Popu-
lation and birth rate, by Marcus Rubin. — On life tables, by T. E. Hayward. — On
the use of auxiliary curves in statisties of continuous variation, by W., F. Sheppard. —
Farm prices of wheat and maize in America, 1870—99, by R. H. Hooker. — Progress
of the Australasian eolonies. — ete.
Nineteenth Century, the, and after. N° 287, January 1901: A new century
and an old riddle, by (Mrs.) Chapman. — England’s peasantry, then and now, by (the
Rev.) Jessopp. — Scientifie use of hospitals, by (Sir) Mich. Foster. — The rôle of
women in society (art. II), by (Lady) Ponsonby. — The Nicaragua canal question, by
Die periodische Presse des Auslandes. 285
á
Roh. Bromley. — The catholic doctrine of indulgences, by the Bishop of Newport. —
Note on the Papal indulgence at Oberammergau. — ete.
Statistical and Social Inquiry Society of Ireland Journal, August 1900: The
application of co-operation in the congested districts, by G. W. Russell. — The reva-
luation of Ireland, by N. J. Synnott. — The sanitary condition of our national schools,
by A. Roche. — Economic development in Ireland, by C. H. Oldham. — The new
local bodies and the New Department of Agricultural and Technical Education and the
development of the resources of Ireland, by C. Dawson.
C. Oesterreich.
Deutsche Worte. Monatshefte herausgeg. von Engelbert Pernerstorfer. Jahr-
gang XX, 1900, Dezember: Das Problem der Volksvertretung, von Rudolf Springer
(Wien). — ete.
Handelsmuseum, das. Band XVI, Nr. 1—5, Wien 3.—31. Januar 1900:
Enquete über das kleingewerbliche Kreditwesen, von Ferdinand Schmid. — Der marok-
kanische Hafenplatz Casa-Blanca. — Die Zolltarifreform im Deutschen Reiche. — Bei-
träge zur deutschen Handelspolitik (in 4 Artikeln) von L. — Das österreichische Export-
geschäft nach Sao Paulo. — Die preußische Kanalvorlage. — Der kommerzielle Unter-
richt in den Ver. Staaten. — Der internationale Kongreß für Wirtschafts- und Handels-
geographie in Paris (27.—31. August 1900), von (Prof.) R. Sieger (I. Artik.). — Der
Handel von Siam. (Aus dem Jahresberichte pro 1899 des k. u. k. Konsulates in
Bangkok.) — ete.
E. Italien.
Bulletin de l’Institut international de statistique. Tome XII, 1ire livraison.
Kristiania, 1900. XXIV—377 pag. (Table des matières. Iċre partie: Compte-rendu de
la Vue session de PInstitut international de statistique tenue à Kristiania du 4 au
9 septembre 1899. — IIde partie. Rapports, communications et mémoires presentés à
la session de Kristiania: La noblesse de Suède, étude démographique, par P. E. Fahl-
beck. — New publications of the Board of Trade, including those connected with inter-
national statisties, by A. E. Bateman. — Document pour servir au rapport sur la
statistique de l’enseignement primaire en France, par E. Levasseur., — La réorgani-
sation de la statistique dans les Pays-Bas, par C. A. Verrijn Stuart. — Statistique de
l'évolution de la Bibliothèque nationale de Paris depuis 1847, par Victor de Swarte. —
La statistique internationale des valeurs mobilières, rapport presenté au nom du Comité
des finances élu par l’Institut international de statistique, par Alfr. Neymarck. — Sur
une nomenclature uniforme des causes de décès, par Jaqu. Bertillon. — Projet d’explo-
rations demograghiques à exécuter dans des pays peu connus, par A. N. Kiaer. — Bei-
trag zu einer einheitlichen Aufbereitung der Geburtsstatistik, von Jos. v. Körösy. —
Notes sur quelques cartes et diagrammes de statistique judiciaire, par J. G. de T Tarde.
— Comparability of trade statistics of various countries, by A. E. Bateman. — Memo-
randum on the methods employed in collection of the annual agricultural statistics of
Great Britain, by P. G. Craigie. — International comparisons of cattle and sheep on
the surface areas and with reference to the population of certain countries thirty years
ago and at the present time, by P. G. Craigie. — Wheat and maize production in the
United States. A statistical abstract, by John Hyde. — La statistique internationale des
monnaies et des métaux précieux, par A. de Foville. — Communication sur le projet
des règlements pour l'enregistrement du mouvement des marchandises et des passagers
sur les voies d’eau intérieures de la Russie, par J. Barkovsky. — On the progress of
statistics in Japan, by Yasutoshi Yanagisawa, — Essai historique et statistique sur le
Trésor royal en France au commencement du XVIII siècle, par V. de Swarte. — Rapport
sur la méthode du bulletin individuel appliqué à la st: ıtistique judiciaire pénale en
Italie depuis l’année 1890, par L. Bodio.
Giornale degli Economisti. Gennaio 1901: La situazione del mercato monetario.
— Sulla ragione dell’ imposta, per A. Puviani. — La rinnovazione dei trattati di com-
mercio e gli interessi della provincia di Bari, per A. Bertolini e A. Graziadei. — Il
bonificamento idraulico dell’ agro Romano, per C. Carassai. — Zeeche e metalli preziosi
nel 1899, per G. B. Salvioni. — Previdenza (la „tassetta“ sui titoli al portatore e le
casse di risparmio) per C. Bottoni. — Cronaca (i lavori della Camera), per F. Papafava.
— Rassegna delle riviste. — ete.
286 Die periodische Presse des Auslandes.
G. Belgien und Holland.
Revue de droit international et de législation comparée (Bruxelles). Ilième série,
tome 2, 1900: Le ministère public et la théorie pénale, par K. Ignatius. — Notes sur
la neutralité, par E. Nys (me article), — La constitution de la république fédérative
des colonies anglaises en Océanie, par A. Nerinex. — De l'unité de la faillite en droit
international. — A la mémoire d’Alphonse Rivier. — Quelques réflexions sur l’enseigment
du droit romain, par G. Cornil. — ete.
de Economist, opgericht door J. L. de Bruyn Kops. XL. Jaargang, 1901,
Januari: De ontworpen comptabiliteitsregelen van Minister Pierson, door P. H. van der
Kemp. — De Pruisische wet van 7 Maart en den Duitsche Rijkswet van 20 Febr. 1898,
betrekkelijk de opheffing der ambtelijke borgstellingen, door P. H. van der Kemp. —
Koloniale kroniek, door Quarles van Ufford. — Economische kroniek: Holländische
Reichsfinanzen: Direkte Steuererträge; Einnahmen aus Telegraphie und Telephonie;
Erträgnis der Zuckeraccise; Melasse- und Alkoholproduktion, ete. — Handelskroniek :
Hollands Fin- und Ausfuhrhandel 1895—1899. Klagen in Deutschland über das Kohlen-
syndikat. Französische Getreideausfuhrprämie. Einfluß der Getreidezölle auf die Vieh-
zucht in Deutschland. — Japanische Zuckerindustrie. — ete.
H. Schweiz.
Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Jahrg. VIII, 1900,
Heft 24: Der Sozialismus der Kirchenväter, von P. Pflüger (Zürich). — Nochmals zur
Wohnungsfrage, von A. Drexler (Luzern). — Soziale Chronik. — ete.
Zeitschrift für schweizerische Statistik. XXXVI. Jahrgang, 1900, Band II,
Lieferung 7: Der st. gallische Staatshaushalt in seiner Entwickelung von Jahrzehnt zu
Jahrzehnt, von Othmar Müller (Staatsschreiber in St. Gallen). — Die Frequenz und
Verteilung des Krebses in der Schweiz an Hand der Krebstodesfälle in den Jahren
1889-—1898, von L. Nencki (Arzt aus Bremgarten). — Volkszählung in Schweden. —
Der Gebäudewert im Kanton Zürich, 1809—1898, von Fr. Locher (Zürich). — Ucber
Morbidität und Mortalität bei Abortus, von Fr. Moser (AssistArzt am Zieglerspital,
Bern). — ete.
M. Amerika.
Annals of the Amcrican Academy of political and social science. Vol. XVI,
n° 3, November 1900: Financial aspects of the trust problem, by E. S. Meade. — Law
and practice of the United States in the acquisition and government of dependent terri-
tory, by C. Becker. — Drunkenness and the weather, by E. G. Dexter. — Cultural
factors in the Chinese crisis, by P. S. Reinsch. — Personal notes. Notes on municipal
government. Sociological notes. — ete.
Journal of Political Economy. Vol. VIIT, N° 3, September 1900: The income
tax and the national revenues, by M. West. — The foreign trade of the United States
from 1820 to 1840, by W. P. Sterns. — The modern condition of agricultural labor in
Bohemia, by Katharine B. Davis. — Water rights in the Arid West, by R. P. Teele.
— The unrevealed profits of promoters, by W. Z. Ripley.
Political Science Quarterly. Edited by the faculty of political science of Columbia
University. Vol. XV, n° 4, December 1900: War and economics, by E. V. Robinson.
— Recent discussion of tax reform, by (Prof.) E. R. A. Seligman. — Bismarck as a
maker of empire, by (Prof.) W. M. Sloane. — Neglect of the church in history, by
(Prof.) J. H. Robinson. — Council versus mayor, by (Prof.) E. D. Durand (art. II). —
Record of political events, by W. R. Shepherd. — ete.
Quarterly Journal of Economics. November 1900: Recent discussion of the capital
concept, by F. A. Fetter. — The trusts: Facts established and problems unsolved, by
J. W. Jenks. — Enterprise and profit, by F. B. Hawley. — The capitalization of
public service corporations, by W. Z. Ripley.
Quarterly Publications of the American Statistical Association. New series,
n° 51 (vol. VII) September 1900: The registration laws in the colonies of Massachusetts
Bay and New Plymouth, by Rob. R. Kuczynski. — Tramps and wayfarers. — Mis-
cellany and notices: Race problems in Cuba, by W. Z. Ripley. Education of women,
by Alice Upton Pearmain. Statistics of institutions, by C. E. A. Winslow. — etc.
Die periodische Presse Deutschlands. 287
Die periodische Presse Deutschlands.
Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirt-
schaft. Begründet von G. Hirth und Max v. Seydel. Herausgeg. von Karl Th. Ehe-
berg und Anton Dyroff. Jahrg. XXXIV, 1901, Nr. 1: Die Unzulässigkeit eines Kohlen-
ausfuhrverbots, von Fuld (Mainz). — Die Entwickelung des Etats für die Verwaltung
der kais. deutschen Marine, von W. Thrän (Potsdam) I: Der Etat der preußischen
Marine bis zur Gründung des norddeutschen Bundes. — Die Todeserklärung Verschollener
nach dem B.G.B., von B. Lehmann (Eberswalde). 1. Abschnitt. Die Entstehung und Aus-
bildung der Lehre im geltenden Recht; 2. Abschn. Das Recht der Todeserklärung nach
dem B.G.B. — etc.
Archiv für Eisenbahnwesen. Herausgeg. im kgl. preuß. Ministerium der öffent-
lichen Arbeiten. Jahrg. 1901, Heft 1, Januar und Februar: Die Pensionskasse, die
Krankenkasse und die Unfallversicherung der Arbeiter bei der preußisch-hessischen
Eisenbahngemeinschaft im Jahre 1899, von Niehaus (GehRegR.). — Der Getreideverkehr
und die Eisenbahnen in den Ver. Staaten von Amerika, von K. Wiedenfeld (GerAss.).
— Die Fahrgeschwindigkeit der Schnellzüge auf den Haupteisenbahnen in Europa, von
W. Schulze. — Die ungarischen Staatsbahnen im Jahre 1899, von (Olngen.) Nagel
(Budapest). — Die Eisenbahnen der Ver. Staaten von Amerika in den Jahren 1896/97
und 1897/98. — ete.
Archiv für Post und Telegraphie. Herausgeg. im Auftrage des Reichspostamts. Jahr-
gang 1901, Nr. 1 u. 2, Januar: Die Haftung der nichtrichterlichen Beamten wegen
Verletzung der Amtspflicht (unter besonderer Berücksichtigung des preußischen Rechtes).
— Künstlerische Sachverständigenkommission für die Reichsdruckerei. — Chinas älteste
Seebeziehungen zum Westen. — Post und Telegraphie im südafrikanischen Kriege. — etc.
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Jahrg. V, Nr. 12, Dezember
1900: Das Erfordernis der Musterneuheit im schweizerischen Gesetze vom 30. II. 1900
und im österreichischen Entwurfe, von Schanze (Dresden). — Winke für die sachgemäße
Ausarbeitung schweizerischer Patentgesuche. — Die Regierungsvorlagen der Entwürfe
eines Gesetzes über das Urheberrecht an Werken der Litteratur und Tonkunst, sowie
eines Gesetzes über das Verlagsrecht, von A. Osterrieth.
Masius’ Rundschau. Blätter für Versicherungswissenschaft, Versicherungsrecht und
bemerkenswerte Vorgänge im Versicherungswesen. N. Folge, Jahrg. XIII, 1901, Nr. 1:
Reichsversicherungsgesetz. — Polizeiaufsicht über Feuerversicherungsverträge. — Un-
annehmbare Vorschläge zum Entwurfe eines Reichsversicherungsgesetzes. — Der Rück-
gang der Sterblichkeit. — Prometheus. (Ueber die ungünstige, die Zurücknahme der Kon-
zession begründende Lage dieser Gesellschaft (S. 15/26). — Ein neuer Beitrag zur Lösung
der Syphilisfrage. — Amerikanische Selbstmordstatistik. — etc.
Neue Zeit, Jahrg. 1900/1901 (XIX). Bd. I, Nr. 12—13, 22. XII.—29. XII.
1900: Geist in der Kunst, Unmaßgebliche Betrachtungen über die Kunstsammlungen
der Pariser Weltausstellung, von Joachim Moll. — Probleme der jüdisch-proletarischen
Bewegung, von Max Zetterbaum (II. Art). — Konsumvereinliches, von Fritz Herbert
(Stettin). — Weihnachtsskandale. — Das Wachstum des internationalen Sozialismus, von
E. Vandervelde-Brüssel. — Landwirtschaft und Militarismus in Schweden, von Erik
Brunte. — Bevölkerung und industrielle Entwickelung in Frankreich, von K. Kautsky. —
Vereinsblatt für Deutsches Versicherungswesen. Jahrg. XXIX, 1901, Nr. 2
Der Entwurf eines Gesetzes über die privaten Versicherungsunternehmungen. — Abriß
einer Geschichte der Lebensversicherungstechnik in Deutschland, von Große.
Zeitschrift des königl. preußischen statistischen Bureaus. Herausgeg. von dessen
Direktor E. Blenck. XL. Jahrgang, 1900, 3. Vierteljahrsheft: Die preußischen Landtags-
wahlen. Nebst 2 kartographischen Darstellungen, von (ORegR.) G. Evert. — Die Ge-
burten, Eheschließungen und Sterbefälle im preußischen Staate während des Jahres
1899. — Statistische Korrespondenz. — ete.
Zeitschrift des k. sächsischen Bureaus. Jahrg. XLVI, 1900, Heft 3 u. 4: Die
Berufs- und Gewerbezählung am 14. VI. 1895. II. Abschnitt. Die Gewerbezählung.
2. Die Gewerbebetriebe, b. Die einzelnen Betriebe. 19. Das Beherbergungs- und Er-
quiekungsgewerbe, von Konrad Ganzenmüller. 20. Kunst- und Handelsgärtnerei, von
(RegAss.) G. Wächter. 21. Tierzucht und Fischerei, von (RegAss.) G. Wächter. — Ver-
gleich zwischen den wichtigsten Ergebnissen der Gewerbezählung im Deutschen Reiche
und im Königreiche Sachsen, vom Herausgeber (GehRegR.) A. Geißler. — Die Be-
288 Die periodische Presse Deutschlands.
wegung der Bevölkerung im KReich Sachsen während des Jahres 1899, von (Assess.)
G. Lommatzsch. — Die Sparkassen im KReiche Sachsen von 1894 bis 1898, von (RegAss.)
Georg Wächter. — etc.
Zeitschrift für Kleinbahnen. Herausgeg. vom Ministerium für öffentliche Ar-
beiten. Jahrg. VIII, Heft 1, Januar 1901: Die Kleinbahnen in Preußen. — Kleinbahn-
und Straßenbahnmotoren auf der Pariser Weltausstellung 1900, von (Reg.- u. BauR.)
Rimeott. — Gesetzgebung. — Kleine Mitteilungen. — etc.
Zeitschrift für Sozidwissenschaft. Herausgeg. von (Prof.) Jul. Wolf. Jahrg. IV,
1901, Heft 1: Der Ursprung der sozialen Triebe, von ©. Ammon (Karlsr.) [I. Art.]. —
Die Verbreitung der Sklaverei und ihre Ursachen (mit besonderer Bezugnahme auf das
Werk von H. J. Nieboer: Slavery as an industrial system. Ethnological researches,
Hague 1900), von A. Vierkandt (Privtdoz., Berlin). — Die gelbe Gefahr, von M. v. Brandt
(Wirkl. GehR., ete.). — Die eheliche Fruchtbarkeit in Deutschland, von Fr. Prinzing.
IL Art.] — Sozialpolitik: Unfall- und Invaliditätsversicherung der landwirtschaftlichen
Arbeiter in Ungarn, von Melch. Szántó (MinistSekr. im k. ung. Ackerbauministerium ı.
Eine Maßregel zur Erhaltung des Bauernstandes in Pendschab: Beschränkung der Ver-
äußerungsfreiheit für ländlichen Grund und Boden als Maßnahme gegen den Wucher,
von K. Mareiner (Wien). — etc,
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Band XXI, 1901, Heft 2:
Ein Beitrag zur Revision des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich, von (Strafanstalts-
direktor) Siehart (Ludwigsburg). — Gutachten über $ 300 R.St.G.B., erstattet von (Prof.)
W. Mittermaier (Bern). — Ueber den Rechtsgrund der Strafen. Eine staatsrechtliche
Studie, von Ad. Arndt. — Die Rechtsprechung des k. k. obersten Kassationshofes in
Wien, von (LandGerR.) A. Brunner (in Wels, O-Oesterreich). — ete.
Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft. Herausgeg. vom deutschen
Verein für Versicherungswissenschaft. Schriftleitung: (Reehtanwalt) A. Rüdiger. Bd. I,
1901, Heft 2: Studien zur Entwickelungsgeschichte der Versicherung, von (Prof.) R.
Ehrenberg. — Schiffsexperten und Institute zur Klassifizierung von Sceschiffen in ihrer
Bedeutung für die Seeversicherung, von (JustR.) E. Boyens. — Aus den Grenzgebieten
der Versicherungsmedizin, von G. Florschütz. — Lungenschwindsucht und Lebensver-
sicherung, von (StabsA. a. D.) Gollıner. — Oeffentliche und Privatversicherung, von
L. Fuld. — Die laufende Versicherung, von P. Moldenhauer (Schluß). — Aphorismen
über den deutschen Versicherungsgesetzentwurf, von A. Rüdiger. — Zur Reform im
Sterbekassenwesen, von J. Eggenberger. — Einiges aus der Brandschadenregulierungs-
praxis, von O. Prange. — Die Bewertung von Wertpapieren in den Bilanzen der Lebens-
versicherungsgesellschaften, von (Prof.) A. Emminghaus. — ete.
Notiz zu: Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins
20. Jahrhundert.
S. 12, Zeile 3 von unten: lies 700 000 statt 70 000,
S. 17. Die Summen der Zahl der Betriebe für 1882 und 1805 sind umzustellen,
also 1882: 5276 344, 1505: 5555317. Ebenso bei der landwirtschaftlich benutzten
Fläche, also 1882: 31 868 972, 1895: 32 517 941.
kS. 20 oben. Den Zahlen über den heimischen Bedarf an landwirtschaftlichen
Produkten liegen größere Erntemengen des Inlands zu Grunde, als S. 19 unten an-
gegehen. Letztere beruhen auf den unvollkommenen Ernteschätzungen durch die Ge-
meinden und sind nach Maßgabe der seit 1893 eingeführten, verbesserten Ernteschätzung
durch die landwirtschaftlichen Sachverständigen für Zwecke der Feststellung des heimischen
Bedarfs, wie folgt, erhöht (vergl. die amtliche Schrift von H. v. Scheel, Die deutsche
Volkswirtschaft am Schluß des 19. Jahrhunderts, S. 43):
Erntemengen Erntemengen
in Tonnen in Tonnen
troggen 7 294 760 Hafer 5 550 270
Weizen 3 017 280 Kartoffeln 30 301 500
Gerste 2 690 590
Frommaunsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena,
Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, Börsenmäßiger Terminhandel etc. 289
Nachdruck verboten.
IV.
Ergebnisse der über den börsenmässigen
Terminhandel in landwirtschaftlichen
Produkten in Oesterreich abgehaltenen
Enquête (1900).
Von
Prof. Dr. Hermann v. Schullern-Schrattenhofen (Brünn).
I.
Obwohl die führenden landwirtschaftlichen Kreise in Oesterreich
schon seit langem als einen ihrer größten Feinde den börsenmäßigen
Terminhandel in Bodenprodukten erklärt und bekämpft hatten, war
die Diskussion darüber doch bis zum Zusammentreten der deutschen
Börsen-Enquête-Kommission nicht zu so großer Lebhaftigkeit empor-
gestiegen, daß die große Oeffentlichkeit davon Notiz genommen
hätte. Wenn sich ab und zu eine Stimme etwas lauter vernehmen
ließ, so verhallte sie, denn sie wurde übertönt von zahlreichen
anderen Stimmen, die eine Verteuerung des Brotes und eine Unter-
bindung des unbedingter Freiheit bedürftigen Handels als Folge
jeder Einmischung in das Funktionieren der Börse und insbesondere
jeder Einschränkung des, wie man annahm, so segensreichen Termin-
handels hinstellten und die Forderungen der Landwirte als der
großen Masse der Bevölkerung feindselig, als Ausflüsse des brutal-
sten Egoismus erklärten und als Früchte des Giftbaumes der
Reaktion.
Mehr als die ja verhältnismäßig wenig bekannt gewordenen Er-
gebnisse der genannten Enquête hat nun aber die Publikation des
deutschen Börsengesetzes die Oeffentlichkeit an der unbedingten
Richtigkeit der letztbezeichneten Ansichten zweifeln gelehrt und die
sogenannten Agrarier ermutigt. Schon im Jahre 1897 ist es daher
zur Veranstaltung einer von parlamentarischen Persönlichkeiten
einberufenen Enquête über den Terminhandel gekommen, die aber
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 19
200 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
ohne praktisches Ergebnis blieb, wohl zum großen Teile infolge der
allgemeinen Stockung des verfassungsmäßigen Gesetzgebungsapparates
und, wie es scheint, auch gegen die Absichten und Pläne des Acker-
bauministers Grafen Ledebur.
Erst das Jahr 1900 hat die ganze Angelegenheit in Fluß ge-
bracht, nachdem die Agitation immer heftiger geworden war und
der Widerstand gegen die Veranstaltung einer Enquête in großem
Umfange sich wesentlich abgeschwächt hatte; auch in den Kreisen,
welche den agrarischen Forderungen am meisten abgeneigt waren und
sind, mochte man allmählich erkannt haben, daß ein weiterer Kampf
gegen eine Enquête das Mißtrauen gegen die Börse nur erhöhen
und den gegen diese gerichteten Angriffen nur immer größere
Energie, den gegen sie erhobenen Vorwürfen immer mehr Schein
der Berechtigung geben müsse. Dieses kluge Entgegenkommen
ging so weit, daß das Vorkommen von Mißbräuchen und Ausschrei-
tungen an der Börse für frühere Zeiten wenigstens zugegeben
wurde; die neue Civilprozeßordnung mit ihren Bestimmungen über
die Kompetenz der Börsenschiedsgerichte habe aber unberufene Ele-
mente von der Börse entfernt und damit solche Mißbräuche so gut
wie ausgeschlossen ; da dies die Enquête unwiderlegbar beweisen
werde, entspreche ihre Einberufung auch den Wünschen der Börsen-
kreise, die sich ja nicht in mysteriöses Dunkel hüllen, sondern im
vollen Tageslichte arbeiten wollen. Das Ministerium hat, nachdem
einmal die Einberufung der Enquête beschlossen war, sich wohl zu-
nächst die Frage vorlegen müssen, wie dieselbe einzurichten und
insbesondere, ob sie ganz öffentlich abzuhalten sei.
Diese letztere Form wäre theoretisch wohl die beste gewesen !);
unter den gegebenen Verhältnissen aber war es vollkommen be-
greiflich, daß die Regierung diese Form nicht gewählt hat; da sie
die Enquete auf der denkbar breitesten Basis — kamen doch an
80 Experten zur Vernehmung — durchführte und die weitestgehende
Redefreiheit gewährte, da sie endlich der Presse sorgfältig vor-
bereitete Berichte Tag für Tag zukommen ließ, von denen freilich
vielfach ein sehr einseitiger oder auch ein ganz sachunkundiger
Gebrauch gemacht wurde, und da sie endlich ihre stenographischen
Protokolle nicht als Staatsgeheimnisse behandelt, muß ihr zugestanden
werden, daß sie alles gethan hat, was unter den einmal gegebenen
Umständen nur überhaupt geschehen konnte. Diese Anerkennung
hat die Regierung auch von allen Seiten gefunden; ebenso berührte
die absolute Objektivität und die Beherrschung des Gegenstandes
von seiten des Vorsitzenden nicht nur wohlthuend, sondern sie er-
regte geradezu freudiges Erstaunen.
Die Experten waren den verschiedensten Berufskreisen ent-
nommen, insoweit diese überhaupt mit Börsen und Börsengeschäften
1) Der Referent ist seiner Zeit in der „Münchner Allgemeinen Zeitung‘ für eine
öffentliche Börsenenquöte eingetreten; es ist wohl überflüssig, diese Ansicht hier näher
zu begründen ; obwohl Referent noch immer glaubt, daß derartige Erhebungen, wenn
hierfür die äußeren Verhältnisse günstig liegen, stets öffentlich zu veranstalten wären.
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 291
direkt oder indirekt in Berührung kommen. Wenn es getadelt
wurde, daß verhältnismäßig zu wenige Landwirte einberufen worden
seien, so mag dieser Vorwurf vielleicht eine gewisse Berechtigung
haben; die Ursache für den gerügten Umstand mag darin gelegen
sein, daß man die Berufe eher gezählt, als gewogen haben mag.
Aber auch darüber kann man sich unschwer trösten, da ja auch hier
weniger die Zahl, als die Bedeutung der Persönlichkeiten und das
Maß ihrer Hingabe an die gute Sache entscheidend ist. — Die von
beiden Parteien anfangs mit Mißtrauen, wenn nicht geradezu mit einer
gewissen Geringschätzung aufgenommenen Theoretiker haben im
Laufe der Beratungen um so mehr steigende Aufmerksamkeit erregt,
als sie sich der großen Mehrzahl nach dem agrarischen Standpunkte
wenigstens näherten und dabei — wie ich glaube — den Beweis
erbrachten, daß für denselben auch in der Studierstube des Bücher-
menschen sich manche scharfe Waffe vorfinde, und daß überdies
nicht jeder Theoretiker des praktischen Lebens und seiner Anforde-
rungen vollkommen unkundig ist; auch auf seiten der Börsenver-
treter haben die Theoretiker sich eine gewisse Anerkennung er-
worben, weil den meisten eine genaue Kenntnis des Börsenwesens
und der Börsengeschäfte und volle Objektivität auch den berech-
tigten Anforderungen des Handels gegenüber nachgerühmt werden
mußte.
Die Vertretung der Börse ihrerseits war quantitativ reichlich
genug bemessen und qualitativ die denkbar beste und energischste.
Gegen die Zusammensetzung der Regierungskommission endlich
konnte auch keine ernste Klage geführt werden. Namen zu nennen,
möchte ich an dieser Stelle ganz vermeiden.
Nachdem die Art und Zusammensetzung der Enquête gegeben
war, mußten die an die Experten zu richtenden Fragen festgestellt
werden. Ich glaube, nicht irre zu gehen, wenn ich vermute, daß der
zur Umwendung gekommene Fragebogen das Ergebnis langer Debatten
und die Resultante zahlreicher Meinungsverschiedenheiten war. Er
ist zweifellos sehr umfassend ausgefallen; daß er aber im einzelnen
überall geglückt wäre, läßt sich wohl schwer behaupten; der
Verlauf der Enquête selbst hat gezeigt, daß man sich sehr schwer,
ja daß man sich eigentlich fast gar nicht an die einzelnen
Fragen halten konnte, sondern vielfach mehrere zusammenfassen
mußte, mehrfach auch solche, die nicht unmittelbar aufeinander
folgten. Ich bemerke dies nur im Interesse der Berichterstattung
und ohne daraus jemandem einen Vorwurf machen zu wollen, waren
ja doch auch die Schwierigkeiten der Abfassung des Fragebogens, sowohl
formell als materiell die allergrößten. Uebrigens haben die Mängel
des Fragebogens nichts geschadet, da ja der Gegenstand doch nach
allen Seiten ziemlich intensiv durchleuchtet worden ist und werden
konnte, weil jene Mängel nicht in einer zu engen Abgrenzung des
Gegenstandes gelegen waren.
Die Regierung hat den Experten aber nicht nur Fragen vor-
gelegt, sondern ihnen auch ein reiches und sorgfältig beschafftes
19*
292 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
Material zur Verfügung gestellt, das ihnen die thatsächlichen Ver-
hältnisse in einem lebhaften und figurenreichen Bilde stets vor
Augen halten sollte. Dieses Werk trägt die Ueberschrift „Das Ge-
treide im Weltverkehr“ und giebt im I. Bande auf 859 S. ein enormes,
von der statistischen Centralkommission zusammengestelltes, sta-
tistisches Material, dasim II. Bande („Erläuternde Bemerkungen“ — so-
viel mir bekannt von Hofrat Prof.Dr. v. Juraschek und Sektionrat
Dr. Karl Scheimpflug verfaßt —) eine sachkundige Besprechung
findet. Die Schlußkapitel über die Geschichte und den Begriff des
börsenmäßigen Getreideterminhandels stellen wohl den Hauptinhalt
der ganzen Litteratur über diesen Gegenstand, insoweit sie nicht
bloß agitatorischer Natur ist, zusammen. Ein Heft mit graphischen
Darstellungen ist dem Werke beigegeben. Ich gehe auf diese Ma-
terialien als solche nicht weiter ein und bemerke nur, daß die an-
gegebenen Berliner Notierungen seit Rechtskraft des Terminhandels-
verbotes mehrfach als irrig bezeichnet wurden und damit den
Gegenstand lebhafter Debatten gebildet haben, denen — freilich nur
zum Teil — ein böser Druckfehler zu Grunde lag.
Nach diesen einleitenden Bemerkungen sei es mir nun ge-
stattet, einige Thatsachen hervorzuheben, welche zum Teil in der
Enquête festgestellt worden sind und die Tragweite der ganzen
Frage speciell für Oesterreich charakterisieren sollen.
IT.
In Oesterreich existieren Fruchtbörsen in Wien, Linz, Graz,
Prag und Czernowitz; jene in Triest kommt für den Getreidehandel
kaum mehr in Betracht. Ein Terminhandel im technischen Sinne
des Wortes kommt aber nur in Wien vor, seit er in Triest mit dem
fast gänzlichen Verschwinden des Getreidegeschäftes weggefallen ist.
Der Geschäftsverkehr an der Wiener „Börse für landwirtschaftliche
Produkte“ (II. Bez. Jaborstraße) ist derzeit ein verhältnismäßig ge-
geringer, der Terminhandel insbesondere scheint die Tendenz auf-
zuweisen zu einer quantitativ immer geringeren Bedeutung herabzu-
sinken; jedenfalls trıtt er stark zurück gegenüber demjenigen an der
Börse zu Ofenpest. Trotzdem teilen die Tagesblätter die Börsen-
notierungen vielfach ohne Andeutung über die gehandelten Mengen,
und eine Reihe kleinerer Zeitungen an den Wochentagen, mit Aus-
nahme des Samstags, sogar nur die Wiener Termin notierungen
mit; es dringen also nur diese so recht „ins Volk“, nur sie werden
damit und aus anderen Gründen für die Preisbildung bei Einzel-
geschäften und auf kleineren Lokalmärkten wirksam.
Der Terminhandel wird, durch die „Bestimmungen für den Ge-
schäftsverkehr an der Börse für landwirtschaftliche Produkte in Wien“
(1898) geregelt, nach denen der Lieferungsort ausschließlich Wien
ist, die Lieferungszeiten Frühjahr (15. März bis 15. Mai) und Herbst
(September und Oktober oder vertragsmäßig bezeichnete Monate, ins-
besondere Mai—Juni) sind, die Lieferungseinheit für Getreide 500 q
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 293
beträgt ($ 57) und die Qualität gesundes, zeitgemäß trockenes, ent-
sprechend gereinigtes Getreide letzter Fechsung jeder Provenienz
($ 78) mit bestimmtem Hektoliter-Minimalgewichte (für Weizen 76,
für Roggen 70!/,, Hafer 40, Hirse 72 kg ($ 84) darstellen muß;
Beimengungen sind zulässig bis zu 4 Zählprozenten (durch Körner-
auszählung zu berechnen § 85 und 91.) Die Art und Weise der
Liquidation ist in den Së 61 ff. geregelt und erfolgt durch
das Sekretariat der Börse; die Uebernahme und Uebergabe der
Ware muß am 5. Tage nach der Kündigung (Andienung) be-
gonnen werden. Verträge pro Herbst werden meist erst Anfang
April, aber mitunter auch schon im Februar und Januar, solche
pro Frühjahr meist erst vom August an geschlossen. Ein Angeld
wird seit 1886 nicht mehr geleistet. Die Bestimmung des $ 59, wo-
nach jede im Terminhandel verkaufte Ware im Laufe des Termins
effektiv geliefert und übernommen werden mul, ist ein bloßer Auf-
putz; Beweis dessen ist die Thatsache, daß an der Wiener Börse
in den Jahren 1894—98 durchschnittlich in jedem Jahre nur 139700 q
Weizen, 58600 q Roggen, 106700 q Hafer, 339300 q Mais und
21700 q Raps, also lächerlich geringe Mengen thatsächlich gekündigt
worden sind. Gerste ist kein Objekt des Wiener Terminhandels und
hat auch keine Aussicht es zu werden; der hauptsächliche Grund
dafür ist die außerordentliche Verschiedenheit der Qualität, die bei
der Gerste vorkommt, so daß die Fungibilität der Ware eine für den
Terminhandel viel zu geringe wäre. Die große Masse des an der
Wiener Börse gehandelten Effektivgetreides ist ungarischer Pro-
venienz (Theißweizen, Pesterboden-Roggen u. s. w.), angeblich circa
% Proz., wie denn Oesterreich überhaupt leider immer mehr von
der landwirtschaftlichen Produktion Ungarns abhängig wird. Ge-
naue Ziffern über den ungarischen Getreideimport nach Oesterreich
giebt es freilich heute noch nicht, es werden aber bald solche vor-
liegen, da ja die neu eingerichtete österreichisch-ungarische Zwischen-
verkehrsstatistik uns bald Material hierüber liefern wird, das zu-
verlässiger sein dürfte, als die Ergebnisse der bisher vom ungarischen,
statistischen Centralamte gemachten Erhebungsversuche. Bei dieser
Sachlage ist es klar, daß die Vorgänge in Ungarn und vor allem
die Preisbildung an der Ofen-Pester Börse für Oesterreich im all-
gemeinen und für die Wiener Börse im besonderen nicht bedeutungs-
los sind; es ist daher auch begreiflich, wenn eine mehrfach zum
Ausdrucke gelangte Auffassung dahin ging, daß ein einseitiges Vor-
gehen Oesterreichs in betreff des Terminhandels wirkungslos wäre;
ob diese begreifliche Anschauung auch richtig ist, haben wir hier
nicht zu untersuchen. Zum mindesten ebenso begreiflich ist bei
dieser Sachlage aber auch die Forderung, welche wiederholt außer-
halb der Enquête ausgesprochen worden ist, es sei durch Schaffung
einer Zwischenzolllinie der österreichische Ackerbau vor dem un-
garischen, der österreichische Landwirt vor der ungarischen Kon-
kurrenz und vor der ungarischen Preisbeeinflussung zu schützen.
294 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
Welche Berechtigung diesem Begehren zukommt, haben wir hier
gleichfalls nicht zu prüfen.
III. (Begriff des börsenmäßigen Terminhandels.)
Wir gelangen nun zu den Ergebnissen der Enquete und wollen
dieselben nach der Reihenfolge der Fragegruppen im Fragebogen
darstellen. Zunächst ist es die Bestimmung des Begriffes des Termin-
handels, was uns zu beschäftigen hat. In dieser Richtung haben
sich speciell in den ersten Gruppen der Enquête die erstaunlichsten
Verschiedenheiten der Auffassungen ergeben; es ist auf der einen Seite
geradezu bestritten worden, daß das Termingeschäft eine selbständige
Geschäftsform darstelle; es wurde weiter behauptet, daß sich der
Unterschied zwischen einem Termin- und einem effektiven Lieferungs-
geschäft nicht erfassen lasse (Börsenrat Schwitzer, Gruppe IV, S. 57);
auf der anderen Seite sind ganz strikte Definitionen gegeben worden,
und zwar so strenge, daß jedes Geschäft, welches ihnen nicht aufs
Härchen entspricht, nicht mehr als Termingeschäft anerkannt werden
dürfte. Mit Ausnahme der Vertreter der ersteren Richtung haben
aber fast alle anderen Experten Begriffsbestimmungen des specifischen
Termingeschäftes beigebracht, die sehr bedeutende Abweichungen
prinzipieller Natur nicht aufweisen. Ich möchte mir gestatten, einige
der hervorragendsten zu verzeichnen. Professor Dr. Stanislaus
Glabinski versteht unter börsenmäßigen Termingeschäften solche
Zeitgeschäfte, welche in gleichartiger Form abgeschlossen und ab-
gewickelt werden; damit sei auch ein gleichartiger Inhalt (Schluß-
einheiten, Qualitäten, Lieferungstermine) gegeben ; die Fungibilität
der Ware sei kein das Termingeschäft speciell charakterisierendes
Merkmal, sie sei vielmehr dem ganzen modernen Großhandel eigen.
Dieser erste Definitionsversuch, den die Enquête zu Tage gefördert
hat, krankt meines Erachtens an Unvollständigkeit und daran, daß
der Begriff Fungibilität in einem zu wenig konkreten Sinne aufge-
faßt wurde. Der hervorragendste Vertreter der „Agrarier“, Robert
Sand, sagte: „Das äußere, aber nur scheinbare Merkmal des börsen-
mäßigen Terminhandels mit landwirtschaftlichen Produkten besteht
in dem Umstande, daß sich Verkauf, Kauf, Qualität der Ware,
Lieferungstermin und Erfüllungsmodalitäten genau nach den Be-
stimmungen der bestehenden Börsenusancen richten. In Wirklichkeit
bestehen die kennzeichnenden Merkmale des börsenmäßigen Termin-
handels jedoch darin, daß die Abschlüsse auf Verkauf oder Kauf
nur scheinbar und ausnahmsweise auf eine Bewegung von Ware
abzielen, sondern in der Regel mit dem Ausgleich der Preisdifferenz
zwischen dem Abschluß- und Stichtage enden, und daß zum Ab-
schluß eines derartigen Geschäftes weder der Besitz, noch die An-
wartschaft auf die verkaufte Ware, auch nicht der Besitz des
Kaufpreises, sondern nur die Uebernahme des Risikos für die etwaige
Preisdifferenz erforderlich ist.“ Ich glaube, daß diese Definition,
wenn sie auch nicht nur Begriffsbestimmung ist, sondern schon
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 295
Polemik in sich enthält, vom polemischen Beiwerke freigedacht,
viel Richtiges enthält, sowenig sie auch — wenigstens den Theo-
retiker — vollständig befriedigen kann. Freilich stark verklausuliert
nur, treten die Usancen in die Begriffsbestimmung ein, deren Auf-
treten, Gestaltung und Vorherrschaft eine der Voraussetzungen für
die wirtschaftspolitische Bedeutung des Terminhandels bilden; alles
was Sand als eigentlich charakteristisch auffaßt, würde ohne Usancen
und ohne solche Usancen, wie sie die Börsen anfzustellen pflegen,
entweder gar nicht oder doch so selten vorkommen, daß daraus
keinerlei allgemeine Folgen entstehen könnten. — Der Umstand,
daß einmal in der Enquete ausgesprochene Gedanken nicht mehr
fallen gelassen wurden, ja daß die späteren Experten meist auf den
Ausführungen der früheren weiterbauten, erlaubt es mir, auch die
weiteren Definitionen chronologisch mitzuteilen; teilte ich alle mit, so
würde am Schluse zu erkennen sein, wie sich schließlich die Stand-
punkte in dieser Richtung fast versöhnten und man der allgemeinen
Anerkennung einer bestimmten Charakterisierung nahe kam.
Der Generalsekretär der Börse, Dr. Alex. Horovitz, be-
zeichnet das börsenmäßige Termingeschäft als „Zeit- und Gattungs-
geschäft (mit landwirtschaftlichen Produkten), bei welchem Menge
und Beschaffenheit typisch umschrieben ist, und für welches ein
Markt den Abschluß, die Uebertragung und Abwickelung nach im
voraus durch festgesetzte Usancen oder thatsächliche Geschäftsge-
bräuche geregelten Normen ermöglicht.“ Damit ist ein wichtiger
Schritt nach vorwärts gethan; den Usancen ist ihre maßgebende
Stellung zuerkannt.
Hofrat Pilat sieht den Abschluß nach Börsenusancen (Typen-
qualität und Schlußeinheit) schon als das kennzeichnende Merkmal
an (ähnlich Dr. Kienböck, der aber auch die Unterwerfung unter
das Schiedsgericht heranzieht); das normierte Arrangement betrachtet
er als nicht wesentlich und setzt sich damit zu Horovitz in Wider-
spruch, meines Erachtens insoweit nicht mit Unrecht, als dieses
Moment wirklich nicht charakteristisch ist; wohl aber halte ich es
für qualifizierend in dem Sinne, daß wenn die Skontration organisiert
und nicht in ihrer Durchführung den Parteien überlassen ist, die
Fungibilität des Geschäftes eine ganz besonders intensive wird. Prof.
Dr. Karl Adler (Universität Czernowitz) stimmt nicht mit dieser
meiner Ansicht, noch weniger aber mit derjenigen Pia’s überein, da
er gerade in der irgendwie geregelten Waren- und Geldskontration
das maßgebende Merkmal suchen zu sollen glaubt; alle anderen
Merkmale, insbesondere die Usancen, erachtet er für davon abhängig
und nur dazu bestimmt, die einzelnen Schlüsse fungibel zu machen
und so „das Geschäft für Skontrationen herzurichten“. — Diese Auf-
fassung Adler’s durfte hier nicht übergangen werden, weil sie
wohl als entscheidend betrachtet werden kann für seine weitere
Stellungnahme, die ihn in eine der umstrittensten und bestrittensten
Positionen brachte, die in der Enquete überhaupt eingenommen
worden sind, deren scharfe, juristische Verteidigung aber gerade
296 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
diesem Experten besondere Bedeutung verleiht. Universitätsdocent
Dr. Landesberger-Wien steht in seiner Charakterisierung des
Termingeschäftes jener Auffassung, die ich vertreten habe und die
ich am Schlusse dieses Abschnittes mitteilen werde, ganz nahe; auch
er stellt die Fungibilität von Ware und Geschäft, welche durch die
Usancen gegeben ist, in den Vordergrund (ebenso Prof. Kleinwächter
und wohl auch Ritter von Hohenblum, VIII Gr. S. 285 und Dr.
Weishut, VIII, S. 299, Prof. Dr. Pilat). Skontration (ob von Bureau
zu Bureau oder auf der Börse durchgeführt) und Preisnotierung
(ob amtlich oder nicht) sind wichtige Momente, stehen aber in
zweiter Reihe.
Hofrat Grünhut, der ähnlich wie Prof. Adler und Prof. von
Gorski vorwiegend die juristische Seite des Problems beleuchtete,
erachtet es, ähnlich wie Dr. Landesberger und andere als be-
denklich, eine Legaldefinition des Terminhandels ein für allemal
aufzustellen. „Was dem deutschen Gesetzgeber nicht gelungen ist,
wird auch einem anderen nicht besser gelingen.“ Grünhut er-
klärt das Termingeschäft seinem inneren Wesen nach als juristisch
von dem sonstigen Zeitgeschäfte durchaus nicht verschieden; weder
die Rolle der Usancen, noch die der Skontration, welche das Termin-
geschäft charakterisieren, sei juristisch erheblich; erst die deutsche
Börsengesetzgebung habe dahin geführt, daß man nach jenen charak-
teristischen Merkmalen gesucht habe; im übrigen sei das Termin-
geschäft ein präsumtives Differenzgeschäft. Mit dem Gesagten ist
für die ökonomische Seite der Frage meines Erachtens anerkannt,
daß die Usancen als stereotype Geschäftsbedingungen (und die Skon-
tration) für den Begriff des Terminhandels entscheiden.
Natürlich ist die Legaldefinition des deutschen Börsengesetzes
mehrfach kritisiert worden, in der ausführlichsten Weise von Dr.
Horovitz (II. Gr., S. 204), ihre Mängel wurden bloßgelegt und aus
eben diesen Mängeln ist die thatsächliche Entwickelung der ein-
schlägigen Verhältnisse erklärt worden. Eine strikte Definition
hätte man überhaupt nicht versuchen sollen, weil dieselbe allen
Mißbräuchen und Umgehungen des Gesetzes den Weg bahnen müsse
und im Deutschen Reiche auch schon thatsächlich gebahnt habe;
man müsse sich darauf beschränken, eine möglichst allgemeine
Charakterisierung des Geschäftes zu bieten, um damit auch —
wenigstens bis zu einer gewissen Grenze — Umgehungsversuche
zu erschweren und zu treffen. Vor allem wurde aber die „amtliche“
Feststellung von Terminpreisen als nicht maßgebend, die Aufnahme
dieses Requisites in die Begriffsbestimmung also als verfehlt und für
den Erfolg des Gesetzes verhängnisvoll bezeichnet.
Ich schließe mich diesen Ansichten an, ohne die Meinung von
vornherein als richtig anzuerkennen, die deutsche Legaldefinition sei
so gemacht worden, weil man es mit dem Gesetze nicht ernst ge-
meint habe. Auch ich glaube, daß es hauptsächlich Schuld der
Definition ist, wenn der praktische Erfolg hinter der „Absicht“ der
Gesetzgebung zurückblieb. Wie ist also das Termingeschäft — nicht
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 297
zu definieren, sondern — zu umschreiben? Ich habe in dieser
Richtung bei meiner Einvernehmung als Experte einen Versuch ge-
macht, der, wie ich glaube, nicht ganz unglücklich war und mit dem
ich mich in wichtigen Punkten in der Gesellschaft Landesberger’s
und Pilat’s befinde. In gedrängter Kürze will ich das von mir
Gesagte resumieren, ohne meine Ansicht damit als irgend gewichtiger
hinzustellen, als die anderer Experten. Ich stellte mich auf den
volkswirtschaftlichen Standpunkt und suchte den Begriff so zu um-
schreiben, daß alle jene Geschäftszweige in ihn hineinfallen, denen
man mit Recht oder Unrecht die Wirkung zuschreibt, die Getreide-
preise eventuell sogar unter das Niveau der Produktionskosten zu
drücken; ich that letzteres deswegen, weil ich den entscheidenden
Fragepunkt im Gesamtrahmen des Problems darin erkennen zu
sollen glaubte, ob der Terminhandel jene preisdrückende Tendenz
thatsächlich hat oder nicht. Damit trat mir die von der regel-
mäßigen Anwendung der Börsenusancen bedingte Fungibilität nicht
nur der Waren, sondern auch des Geschäftes vor Augen, wobei es
mir dann allerdings nebensächlich schien, ob man diese Usancen als
solche oder anders bezeichnet, ob im Geschäfte nur auf sie als all-
gemein bekannt und für ein Termingeschäft charakteristisch verwiesen
zu werden braucht, oder ob bei einer ganzen Kategorie von Geschäften
angeblich frei vereinbarte Geschäftsbedingungen, von ganz be-
stimmtem Inhalte immer so und genau so im Schlußbriefe aufge-
nommen werden, weil dieselben stillschweigend von der Geschäfts-
welt als Usancen anerkannt sind. Sind solche Geschäftsbedingungen
als Usancen ausdrücklich und statutarisch erklärt, so mag die Fungi-
bilität von Ware und Geschäft allerdings in der Regel eine größere
und auf breiterer Basis wirksame sein, sie fehlt aber auch sonst
nicht. Während ich weder das Zeitmoment, noch die Skontration
in geregelter Form für entscheidend halte, scheint es mir vom
volkswirtschaftlichen Standpunkte ein Begriffsmoment des Termin-
handels, daß die Preise notiert und publiziert werden; wenn dies
amtlich geschieht, so steigert sich die Wirkung, für den Begriff
aber genügt jede Form der Notierung und Veröffentlichung. Damit
gelangte ich zu folgender Begriffsabgrenzung: Der Terminhandel
ist jenes Lieferungsgeschäft, das kraft seiner Natur und auf Grund
der Usancen fungible Ware durch ein fungibles Geschäft wirksam
macht für den allgemeinen Markt auf dem Umwege über die Preis-
notierung. Innerhalb dieser ganz allgemeinen Charakterisierung
habe ich nun Kategorien (s. Prof. Pilat, IX, 745) von Terminge-
schäften aufstellen zu sollen geglaubt und dieselben so abgegrenzt:
„Ich kann mir ganz gut denken, daß ein Geschäft abgeschlossen
wird — die Frage, ob das wirklich geschieht, lasse ich vollständig
offen — bei dem beide Teile von vornherein nicht die Absicht
haben, Ware zu liefern oder zu übernehmen“; hierin sehe ich
Differenzgeschäfte im eigentlichen Wortsinne, meines Erachtens eine
durchaus verwerfliche Geschäftsform, verwerflich sowohl vom mora-
lischen, als auch vom wirtschaftlichen Gesichtspunkte aus. „Die
298 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
zweite Kategorie sind meines Erachtens jene Termingeschäfte, die
auf Lieferung abzielen und mit Lieferung auch enden", Geschäfte,
die sich vom „Lieferungsgeschäfte nur dadurch unterscheiden, daß
ihnen die Usancen zu Grunde liegen“; ich nenne sie, um ihnen
einen Namen zu geben, effektive Termingeschäfte. „Die dritte
Kategorie von Geschäften ergiebt sich aus der nach meiner Auf-
fassung wichtigsten, wirtschaftlichen Funktion des Terminhandels,
nämlich aus seiner Versicherungs-* — richtiger und unzweideutiger:
Sicherungsfunktion; dabei ist die Möglichkeit, daß schließlich wirk-
lich geliefert und übernommen werde, immerhin gegeben, wenn
auch die eigentliche Absicht der Vertragschließenden nicht dahin
zielt. — Ich gebe ohne weiteres zu, daß wenigstens vereinzelt auch
noch andere Geschäfte vorkommen können, die in den Rahmen des
Termingeschäftes passen und daß es insbesondere sehr wichtige
Geschäfte, — die Report- im Sinne von Prolongationsgeschäften —
giebt, welche sich an das Termingeschäft anlehnen. Für meine
Zwecke genügen aber die 3 Kategorien, von denen zwei, das Diffe-
renz- und das Sicherungsgeschäft für sich meines Erachtens den
landläufig, nicht wissenschaftlich abgegrenzten Begriff des Termin-
geschäftes ausmachen. — Diese Kategorisierung halte ich trotz
ihrer Mängel und Lücken für notwendig, um zu einer volkswirt-
schaftlichen Beurteilung des Termingeschäftes, um die es sich ja
handelt, gelangen zu können; solange man den Begriff „Termin-
handel“ streng definiert und ihn als ganz einheitlich und jedes ein-
schlägige Geschäft vollkommen charakterisierend auffaßt, wird man
nie zu einer objektiven Betrachtung gelangen, man wird immer an-
einander vorüberreden, weil der eine diese, der andere jene
von den genannten Kategorien bei seiner Beurteilung im Auge hat.
IV. (Ueber die Entwickelung des Terminbandels.)
Zu der Frage: Seit wann, aus welchen Anlässen und auf welchen
Börsenplätzen besteht thatsächlich mit oder ohne kodifizierte Usancen
in Oesterreich ein börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaft-
lichen Erzeugnissen ? hat sich Stimmeneinhelligkeit in der Richtung
ergeben, daß Wien derzeit der einzige österreichische Börseplatz
mit Terminhandel in den genannten Waren ist; da Galizien keine
Börse hat, haben wir hier auf die dort üblichen, natürlich außer-
börslichen Geschäftsformen nicht einzugehen, so interessant und
charakteristisch sie auch an sich sind. Weiter wurde so ziemlich
allgemein anerkannt, daß Termingeschäfte im eigentlichen Sinne
und in größerer Zahl sich erst seit der Mitte der 70er Jahre nach-
weisen lassen. Als denjenigen, der zur Einführung derselben die
erste Anregung gegeben hat, als Vater des Wiener Getreidetermin-
handels, hat sich Herr Börsenrat Berthold Schwitzer bekannt (IV.
Gr. S. 54), der seine auf den Terminhandel bezüglichen Erinnerungen
bis zum Jahre 1867 zurückverfolgen konnte, aber nicht für den Wiener
Platz; für Wien bezeichnete er das Jahr 1875 oder das Jahr 1876
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 299
als dasjenige, in dem zuerst solche Geschäfte, und zwar über Hafer,
abgeschlossen wurden. Schwitzer ist in dieser Sache zweifellos
klassischer Zeuge, es verdienen daher auch seine genauen Darlegungen
über die Entwickelung des Wiener Termingeschäftes und seiner
Formen für jeden, der die Wiener Verhältnisse oder die Geschichte
des Terminhandels im allgemeinen studieren will, volle Beachtung.
Hier aber kann ich mich darauf nicht näher einlassen. — Die Be-
urteilung der sachlichen Gründe für die Einbürgerung dieser Ge-
schäftsform zeigt nichts weniger als eine Uebereinstimmung der
Meinungen. Die eine Partei erklärte den Terminhandel als die
selbstverständliche Folge der modernen Verkehrsverhältnisse, ge-
bieterisch und unabweislich von diesen gefordert; die andere
sah in ihm dagegen ein künstliches Produkt der Spekulation,
geschaffen, um dieser immer breitere Gebiete zu erobern und immer
reichere Gewinne dem rücksichtslos die Interessen der Produktion
und des Konsums zertretenden Spekulantentume zuzuführen. Es
fehlte aber auch nicht an Stimmen, welche zwar die naturgemäße
Entstehung dieser Handelsform zugaben, aus dieser Anerkennung aber
nicht den Schluß zogen, daß sie deswegen auch sakrosankt sei; auch
sie könne einmal notwendig und nützlich gewesen sein, diese Eigen-
schaft aber nachträglich verloren haben und zwar sowohl in Folge
von Aenderungen in den äußeren Verhältnissen, als auch in Folge
von inneren Wandlungen der Geschäftsform selbst und von Aus-
wüchsen, die sich aus ihr entwickelt haben. Diese Anschauung habe
auch ich vertreten; ich konnte das um so leichter und um so eher
mit Erfolg thun, als mir meine Klassifizierung von vornherein die
Möglichkeit bot, auch in diesem Punkte ein einheitliches Urteil zu
vermeiden. Es schien mir hier am Platze, darauf aufmerksam zu
machen, daß die wirtschaftliche Entwickelung ständige Wandlungen
in den von ihr geschaffenen Einrichtungen bedinge, die aber nicht
immer nur durch rein wirtschaftliche Prozesse veranlaßt werden
müssen, sondern auch durch politische Erwägungen und sittliche
Forderungen, also durch Wechsel in den sittlichen Anschauungen
und in dem Einflusse, den man diesen letzteren auf die Wirtschaft
zugesteht, verursacht werden können.
Nach diesen allgemeinen Bemerkungen möchte ich die Aus-
führungen einiger Experten zu diesem wichtigen Punkte gedrängt
wiedergeben, um damit einen Einblick in die Atmosphäre zu ge-
währen, in welcher die Enquete stattfand, und welche für ihren Ver-
lauf bedeutungsvoll war. Bei keinem Fragepunkte konnte der „Geist
der Zeiten“ so entschieden zu Tage treten, wie bei diesem. Ich
wähle absichtlich ein paar recht weit voneinander abweichende
Darlegungen. Auf der einen Seite steht Dr. Horovitz, der die
Art der Entstehung des börsenmäßigen Termingeschäftes aus dem
rein handelsrechtlichen Lieferungsgeschäfte unter Berücksichtigung
der Veränderungen, welche diese letztere Geschäftsform durchge-
macht hat, als eine ganz naturgemäße und unverfängliche schilderte
(Gr. II, S. 207) und dabei den roten Faden in dieser Entwickelung,
300 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
die immer wirksamere Gestaltung der Fungibilität sich deutlich
sichtbar abwickeln ließ. Als letzten Entstehungsgrund erklärte er
für die Wiener, wie für jede andere Börse „die unabweisliche Not-
wendigkeit, sich mit Getreide für einen längeren als den gegen-
wärtigen Zeitpunkt zu versorgen“, und das Bedürfnis einer großen
Anzahl von Händlern, Produzenten und Konsumenten, Preis-
erschütterungen möglichst vermieden zu sehen. Daß freilich, wie
Horovitz zu meinen scheint, irgend ein europäischer Getreide-
produzent wirtschaftlicherweise sein Getreide nach „Welthandels-
preisen“ zu verwerten wünschen sollte, statt nach lokalen oder doch
nationalen Preisen, ist meines Erachtens höchst unwahrscheinlich ;
daher ist es auch unrichtig, daß für die Produzenten eine Organi-
sation erwünscht sei, „welche jederzeit die Ausgleichung und Nivel-
lierung der Preise sowohl örtlich an verschiedenen Centren, als
zeitlich zwischen Gegenwart und Zukunft in einer jedermann klar
ersichtlichen und allen leicht zugänglichen Weise zum Ausdruck
bringt“, also der börsenmäßige Terminhandel, dem Horovitz diese
Eigenschaften zuerkennt. Darin liegt meines Erachtens ein großer
Irrtum, denn die Forderung nach Sicherung einer nationalen
Preisbildung auf Grundlage der nationalen Produktionskosten, also
so ziemlich das Gegenteil des von H. Gesagten, muß unter den
heutigen Verhältnissen ein dringender Wunsch der am Getreide-
absatze interessierten landwirtschaftlichen Produzentenkreise sein;
ihnen muß aber ebenso das Recht zustehen, ihre privatwirtschaft-
lichen Forderungen aufzustellen und zu vertreten, um so mehr als sie
ja die einer großen, im Wesen in dieser Richtung solidarischen Be-
rufsgruppe sind, wie man dieses Recht bereitwilligst den industriellen
und Handelskreisen eingeräumt wissen will. Wäre nicht diese Ver-
schiedenheit in der Auffassung und in den Interessen gegeben, so
würde ja überhaupt kaum ein Kampf gegen den Terminhandel als
solchen geführt werden. Die von Horovitz geschilderte Entwickelung
ist auch meiner Ansicht nach eine naturgemäße, aber sie ist un-
streitig bald eine der Landwirtschaft feindliche geworden; letztere
hat die Sachlage rasch erkannt und daher begonnen, den Termin-
handel zu bekämpfen und zu fordern, es sei dafür zu sorgen, daß
die Kosten der modernen Verkehrsentwickelung nicht ganz auf ihre
Schultern gewälzt werden. Bei diesem Kampfe mag man ja manch-
mal zu weit gegangen, vielleicht auch ab und zu nicht haltbare
Stellungen eingenommen haben. Daß aber der Kampf an sich ent-
brannte, ist um so begreitlicher und entschuldbarer, als man ja in
unserer Zeit sich die Gesellschaft immer mehr als eine Summe von
im Streite stehenden Berufsgruppen vorstellt und damit den or-
ganischen Zusammenhang der ganzen Volkswirtschaft negiert. In
Oesterreich speciell, einem Staate mit noch immer vorwiegend land-
wirtschaftlicher Bevölkerung müssen, selbst wenn man diesen übrigens
ganz gewiß irrigen Standpunkt als berechtigt ansieht, die wohler-
wogenen Interessen eben der landwirtschaftlichen Berufsgruppe in
den Vordergrund gerückt, in erster Reihe berücksichtigt werden;
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 301
hierdurch entspricht man nicht nur der Gerechtigkeit, sondern man
fördert auch alle anderen Berufsklassen, die ja eben infolge jenes,
heute so oft übersehenen organischen Zusammenhanges aus dem
Wohlstande der hauptsächlichsten Abnehmer ihrer Produkte auch
ihren Vorteil haben werden; es muß gewiß ein allseitiges Nachgeben
Platz greifen, auch jene zahlreiche Bevölkerungsklasse darf nicht
einseitige Förderung erfahren, aber sie muß in erster Linie berück-
sichtigt werden. — Wird also nachgewiesen, daß eine Institution des
heutigen Verkehrslebens diese zahlreichste Bevölkerungsklasse schwer
schädigt, für sie verderblich geworden ist, ohne den anderen einen
volkswirtschaftlich wenigstens gleichwertigen Vorteil
zu bieten, so muß sie entweder beseitigt oder so reformiert werden,
daß sie nicht nur berufs-, sondern auch volkswirtschaftlich wieder
nützlich werde. So lange dies nicht erzielt ist, ist sie nicht existenz-
berechtigt, mag sie noch so naturgemäß entstanden sein. Damit ist
aber das Beweisthema für beide Parteien gegeben. — Ich habe in
meinen Ausführungen in der Enquête nachzuweisen versucht, daß
alle Bevölkerungsschichten ein Interesse daran haben, daß die
agrarischen Produkte in ihren Preisen nicht unter den Produktions-
kostensatz fallen, auch die Konsumenten, die ja fast ausnahmslos
in irgend einer Richtung auch Produzenten sind, daß aber ebenso
niemand ein Steigen der Preise über ein gewisses Maß hinaus be-
anspruchen dürfe. Ich will diese meine Ausführungen hier nicht
wiederholen, weil ich ja meine persönlichen Meinungen nur in der
Kritik fremder Auffassung, nicht aber in Form einer selbständigen
Darstellung zur Geltung bringen will. Drückt also der Termin-
handel in seiner heutigen Form die Preise unter den Satz der Pro-
duktionskosten, liegt eine solche Tendenz in seinem Wesen oder
haftet sie ihm doch unter bestimmten, häufig vorkommenden Ver-
hältnissen an? In dieses Beweisthema wandelt sich im konkreten
Falle das oben aufgestellte um; mit seiner Beantwortung ist das
Los des Terminhandels, so wie er jetzt ist, entschieden.
Robert Sand ging in seinen Darlegungen über unseren Frage-
punkt auf zwei Edikte der holländischen Generalstaaten aus dem
Jahre 1610 zurück, durch welche bereits eine damals neue Art des
Aktienkaufes, eine Art Termingeschäft in Aktien der ostindischen
Kompagnie stigmatisiert wird. Er betrachtet die Wiener Produkten-
börse als einen Sprößling der Effektenbörse, entstanden unter dem
Einflusse einer damals in der Regierung herrschenden, sogenannten
liberalen Strömung und unter kräftiger Förderung des durch die
Banken und die Effektenbörse repräsentierten, beweglichen Kapitals;
hierdurch sei die Börse zu einem Wettrennplatze um leichten und
großen Gewinn und so sei in Wien der Terminhandel in land-
wirtschaftliche Produkte eingeführt worden. Es erfasse mit seinen
Fangarmen alle jene Produkte, deren Produzenten wirtschaftlich
schwach und schlecht oder gar nicht organisiert seien. — Für
Sand ist also schon der letzte Entstehungsgrund des Terminhandels
ein sittlich und volkswirtschaftlich verwerflicher, das Kind war
302 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
schon in Sünden gezeugt. Obwohl ich nicht glaube, daß Sand ganz
recht habe, und obwohl ich glaube, daß der Terminhandel sich
früher oder später auch ohne jene Faktoren eingebürgert haben
würde, ja sich vermutlich wirklich ohne sie eingebürgert hat,
höchstens unter nebensächlicher Mitwirkung derselben, so kann ich
doch nicht leugnen, daß wenigstens an der Weiterentwickelung der
Institution und an den Mißbräuchen, die sich aus ihr im Laufe der
Zeit ausgestaltet haben, eine all zu sehr fessellos gelassene Ver-
folgung der einseitigen Gewinnsucht des mobilen Kapitales mit-
schuldig ist.
Reichsritter Simitsch v. Hohenblum, der vielleicht tem-
peramentvollste Verfechter der agrarischen Interessen, ging noch
schärfer vor, als der ruhig nnd streng sachlich abwägende Sand
und sagte wörtlich: „Was.... den Anlaß betrifft, warum der
börsenmäßige Terminhandel auch an die Produktenbörse verpflanzt
wurde, so liegt derselbe vor allem darin, daß die internationale,
großkapitalistische Getreidespekulation dadurch unabhängig von der
Erzeugung und dem Konsum, unabhängig vom reellen Angebote und
der effektiven Nachfrage wurde, und im Interesse der jeweiligen
Spekulationsrichtung dem Weltmarkte von ihren grünen Spieltischen
aus beliebige Getreidepreise diktieren kann. Damit ist auch die
Möglichkeit gegeben, das mit jeder Getreidespekulation verbundene
Risiko auf fremde Schultern zu übertragen. Ein weiterer Grund
für die Einführung des börsenmäßigen Terminhandels an den
Börsen für landwirtschaftliche Erzeugnisse liegt darin, daß land-
wirtschaftliche Erzeugnisse sich schon aus dem Grunde vorzüglich
als Unterlage für eine Börsenspekulation eignen, weil eine gänzliche
Entwertung derselben niemals eintreten kann, ..... ” Dr. Weis-
hut’s Gutachten klingt wie eine Polemik direkt gegen v. Hohen-
blum, wenn er sagt, man jage einer falschen Richtung nach, wenn
man den Terminhandel so, wie er sich bis jetzt ausgebildet habe, als
ein künstliches Gebilde bezeichne und wenn man sage, daß er zu
- Spielzwecken geschaffen worden sei; nicht das Spiel habe den
Terminhandel, sondern der Terminhandel habe das Spiel erzeugt
oder wenigstens gefördert, er sei nichts anderes, als eine Etape in
der Entwickelung des Nahrungsmittelverkehrs, ein Geschäft, das
sich aus den Eigentümlichkeiten der Ware herausgebildet habe
und das allerdings zum Spiele geradezu herausfordere, wenn den
Mißbräuchen nicht gesteuert werde. — Ich hätte hierzu nur zu
bemerken, daß die Eigentümlichkeiten der Waren wohl nur insofern
und so weit für die heutige Form des Terminhandels verantwortlich
gemacht werden können, als manche Getreidesorten ihrer Natur
nach einen gewissen Grad von Fungibilität besitzen; diese Fungi-
bilität ist aber im Interesse des Terminhandels und den Eigen-
tümlichkeiten der Ware zuwider künstlich ins Ungemessene er-
weitert worden, indem man für jede Getreidesorte eine einzige
Type von, wie wir sehen werden, ganz ungenügend bestimmten
Eigenschaften usancenmäßig als Objekt des Terminhandels erklärte.
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 303
Aus der Fülle der Meinungsäußerungen, welche die Enquête
zu diesem Punkte geliefert hat, möchte ich der Kürze wegen nur
noch wenige Bemerkungen hervorheben, die meines Erachtens von
allgemeiner Bedeutung sind und daher hier Platz finden dürfen
und müssen.
Während Dr. Landesberger den Entstehungsgrund des
Terminhandels in dem Bestreben der Kaufleute, sich vor den
Gefahren der Konjunktur zu sichern, fand, erklärte ihn Prof.
Karl Adler als aus dem Zeitgeschäfte und seinem Mißbrauche in
der Spekulation entstanden, und suchte Dr. Kienböck eine ähnliche
Ansicht durch den Hinweis auf die abstrakte Usancenware zu stützen.
Sollten sich solche Meinungsverschiedenheiten nicht einfach daraus
erklären, daß in dem landläufigen Begriffe des Terminhandels
verschiedenartige Geschäfte stecken, die weder in ihrem Wesen,
noch in ihrer Entstehung einheitlich sind? Daß Dr. Weiss
v. Wellenstein, einer der namhaftesten Vertreter der Börse,
sich vollständig den Ausführungen Schwitzer's angeschlossen hat,
sei nur nebenbei erwähnt. Der bekannte Politiker, Handelskammer-
sekretär Dr. Otto Lecher, erkennt die Handelsform des börsen-
mäßigen Termingeschäftes nicht als einen Ausdruck des realen,
effektiven Verkehres an, weil technisch und juridisch in Oesterreich
die Vorbedingungen für jenes Geschäft fehlen; es sei weder in den
Anbauverhältnissen der Landwirtschaft, noch in den Verkehrs- und
Absatzverhältnissen begründet; diese Handelsform des Weltmarktes
sei uns höchst wahrscheinlich durch das Auftreten der amerikanischen
Konkurrenz aufgezwungen worden, der gegenüber der österreichische
Getreidehandel, damals noch ein Exporthandel, konkurrenzfähig zu
bleiben trachtete. Damals wurde der Terminhandel, eine welt-
kapitalistische Handelsform künstlich importiert; eben deshalb hat
er sich nie zu einem organischen Verkehrsgliede herausgebildet, und
ist er jetzt, da wir in den ihm anheimgefallenen Produkten keinen
nennenswerten Export mehr haben, zu einem Anachronismus
geworden. — Diese Anschauungen kann ich zwar, wie sich aus dem
oben Gesagten ergiebt, nicht als entscheidend anerkennen, ich ge-
stehe aber, daß sie sehr der Erwägung wert und daß sie um so
bedeutungsvoller sind, weil sich damit und in seinen weiteren Aus-
führungen ein sonst „liberaler“ Politiker auf einen Standpunkt
gestellt hat, der sonst von doktrinären Verfechtern liberaler Partei-
maximen nicht eingenommen wird.
Zum Schlusse muß ich noch einen Experten, Vertreter der
Mühlenindustrie, Amand Fuhrich nennen, der in seinen Dar-
legungen einerseits eine geradezu erdrückende Fülle von Material
beibrachte, und sich andererseits durch ungewöhnliche Schlagfertig-
keit hervorthat. Nach seiner Anschauung ist der Terminhandel (er
verstand darunter immer das Terminspiel) nicht aus der Notwendig-
keit oder den Bedürfnissen der Landwirtschaft, des Effektivgetieide-
handels und der landwirtschaftlichen Industrie herausgewachsen,
sondern ausschließlich für die Zwecke einer Anzahl von Personen
304 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
eingeführt worden, welche diese Art von Geschäft meisterhaft zu hand-
haben und auszunützen verstanden, um sich ohne Arbeit einen mühe-
losen und reichen Erwerb zu sichern.
V. (Wirkungen des Terminhandels.)
Zu dieser Frage muß ich mir einige Vorbemerkungen erlauben,
um so mehr als gerade sie naturgemäß die stärksten Meinungs-
verschiedenheiten zu Tage förderte. Nicht nur das große Problem,
ob die heutigen Verkehrsverhältnisse lokale oder doch nationale
Preise für Welthandelsartikel noch als möglich erscheinen lassen,
ob also die Forderung von Maßregeln, welche die Bildung solcher
nationaler Preise sicherstellen sollen, erfüllbar und dann ob sie be-
rechtigt ist, nicht nur die Frage, welche Maßregeln in diesem Sinne
wirksam und volkswirtschaftlich heilsam sein können, kam
hier zur Sprache, sondern auch die engere Frage, ob der Termin-
handel als eine weltwirtschaftliche Geschäftsform die Tendenz
habe, die Preise zu drücken, und zwar unter jenen Satz, den sie
ohne Terminhandel erreichen würden, jedenfalls aber unter denjenigen,
den ein rein nationaler Markt ergeben müßte, und zwar ohne daß
die nationalen Produktionskosten als unüberschreitbare Untergrenze
hierbei wirksam werden müßten. Diese letztere Frage wird gewöhn-
lich äußerst unklar und vieldeutig gestellt. Wenn man einfach frägt,
ob der Terminhandel eine „baissierende Tendenz“ habe, so setzt
man sich der Gefahr aus, die abweichendsten Antworten zu erhalten,
die aber ganz gut alle richtig sein können. Es ist selbstverständ-
lich nicht wahr, daß der Terminhandel so auf die Preise wirke, daß
dieselben graphisch dargestellt, eine im großen und ganzen nach
abwärts tendierende Kurve, die schließlich auf dem Preisnullpunkte
anlangen würde, bilden; eine solche Auffassung ist der großen
Oeffentlichkeit aber gar nicht fremd und die obige Art der Frage-
stellung ist sehr geeignet, zu ihr zu verführen.
Ebenso halte ich es für durchaus nicht richtig, daß unter der
baissierenden Tendenz des Terminhandels eine solche Einwirkung
auf die Preise verstanden werde müsse, welche vielfältiges, ja sogar
endgiltiges Gelingen von Haussespekulationen, eine der Hauptsache
nach nach oben tendierende Preiskurve ausschließen würde.
Ich halte die Fragestellung nur dann für richtig, wenn sie dahin
geht, ob der Terminhandel die Tendenz habe, immer oder unter
gewissen häufig zutreffenden Voraussetzungen die Preise des Ge-
treides niedriger zu stellen, als sie wären, wenn ausschließlich
Effektivhandel bestünde, also so wie ich die Frage weiter oben
formuliert habe. Unter diesen Voraussetzungen ist entscheidend die
allgemeine Tendenz des Marktes; heute wirkt nun die letztere im
Sinne der Preisabnahme; die wichtigsten Ursachen dafür sind die
enorme Erweiterung der Bezugsgebiete und die Beschleunigung und
Verbilligung des Transportes. Nun ist die Frage, ob diese Ur-
sachen durch das Hinzutreten des Terminhandels in ihrem Einflusse
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 305
gefördert werden oder nicht und diese Frage habe ich bejaht. Viel-
leicht anders läge die Frage, wenn jene allgemeine Tendenz eine
andere wäre; ob dann die Preissteigerung durch den Terminhandel
gehemmt oder gefördert würde, das müßte besonders untersucht
werden; hierzu liegt aber leider bis auf weiteres gar keine Ver-
anlassung vor, weil gar keine Aussicht besteht, daß die aktuelle
Tendenz sich ändere. Unsere Fragebeantwortung ist bei dieser Sach-
lage wesentlich vereinfacht; freilich reiht sich aber noch eine weitere
Aufgabe an, die nämlich, zu untersuchen, ob die zum Teil durch
den Terminhandel verursachte Nivellierung der Preise von Markt
zu Markt, also die räumliche Abgleichung derselben, auch eine ver-
größerte, zeitliche Stabilität, ein Seltenerwerden und eine Mäßigung
der Schwankungen an einem und demselben Markte mit sich bringt.
Es ist nicht möglich, daß ich alle die wertvollen Beiträge, welche
zur Lösung dieser — von mir verneinten — und der obigen Frage
die Enquête geliefert hat, wiedergebe; ich würde in diesem Falle
viel zu viel Raum benötigen; daher beschränke ich mich darauf,
die meines Erachtens wissenschaftlich wichtigsten Ausführungen —
und das waren wohl vorwiegend die der Theoretiker — zu be-
sprechen, ohne aber die Praktiker deswegen ganz unberücksichtigt
zu lassen; es wird sich ja wiederholt Gelegenheit geben, auf Ein-
wendungen derselben gegen die theoretischen Erörterungen zurück-
zukommen.
Zuerst muß ich mich mit Hofrat Prof. Dr. v. Juraschek
auseinandersetzen, der insbesondere das statistische Material als für
die Entscheidung der Frage maßgebend heranzog und in seiner
Eigenschaft als Kommissionsmitglied wiederholt Gelegenheit hatte,
dasselbe eingehend und sachgemäß zu erläutern und die Richtig-
keit der Daten zu vertreten. Hier handelt es sich um eine methodo-
logische Frage von größter Tragweite, die auf das innigste zusammen-
hängt mit dem Sinne, den man dem ganzen Probleme giebt. Ich
fasse es so, wie oben dargelegt, auf und finde mich dabei im Ein-
klange mit Prof. Adler (III. Gr. S. 529). Ist diese Auffassung richtig,
so kann leider die verfügbare Statistik so gut wie nichts zur Lösung
beitragen, weil sie uns keinerlei Vergleich ermöglicht zwischen
gleichzeitigen Preisen einer und derselben Warenqualität, wie
sie sich auf dem Terminmarkte und auf von dem Terminhandel un-
beeinflußten Märkten bilden. Die Schuld hieran trägt nicht die
Statistik, sondern der Hauptsache nach einerseits die Thatsache,
daß der Terminhandel durch die Notierung und Veröffentlichung
seiner Preise alle, selbst die entlegensten Märkte, wenn sie irgend
direkt oder indirekt in Verbindung mit dem Weltverkehre stehen,
beeinflußt, und andererseits der Umstand, daß die Usanceware mit
ihrer für die Bedürfnisse des Müllers und Getreidekonsumenten
viel zu unbestimmten Qualitätsbezeichnung nicht verglichen werden
kann mit den auf dem Effektivmarkte an den Börsen und auf den
sonstigen Märkten gehandelten Sorten. Daß natürlich auch andere
- Umstände die Vergleichbarkeit noch weiter erschweren, so z. B. der
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 20
306 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
ja nicht immer gleich hohe Reportsatz, liegt auf der Hand. Be-
sonders störend ist aber der Umstand, daß, während die Termin-
preise stets nur ganz unbedeutende Spannungen aufweisen, diese
bei den Effektivpreisen oft sehr groß sind und selbst für die Be-
rechnung eines Durchschnittes — ein übrigens unter allen Umständen
bedenkliches Auskunftsmittel — die notwendigen Anhaltspunkte
fehlen. — Damit wäre eigentlich die Statistik für unser Problem
als ganz unverwendbar erklärt; vor allem sind es natürlich alle
Durchschnitte aus zeitlich aufeinandergefolgten Preisnotierungen, die
ja die Tagespreise verwischen und über den wirklichen Gang der
Preisbewegung ein irreführendes Bild ergeben. Sie zeigen gewiß
allgemeine Tendenzen, aber für unsere tief ins praktische Leben
einschneidende Frage kommen nicht diese, sondern wenigstens weitaus
vorwiegend nur Tagesnotierungen in Betracht; nur nach solchen
wird effektiv gehandelt.
Nichtsdestoweniger kann aber auch aus den vorliegenden Daten
die Richtigkeit meiner These wahrscheinlich gemacht werden, selbst
wenn man die ersteren ohne Vorbehalt hinnimmt. Es zeigt sich, daß
die in den „Materialien“ zum Abdruck gebrachten Tagesnotierungen
der Wiener Börse fast durchaus die Maxima der Terminpreise nied-
riger ausweisen, als die Minima der Fffektivpreise desselben Tages.
Wenn wir auf den Report, der die Terminpreise belastet, Rücksicht
nehmen, so tritt dieses Verhältnis noch schroffer hervor. Es frägt
sich nun, wie sich das erklärt. Daß der Terminhandel auf die Preise
einwirkt, ist an sich insoweit selbstverständlich, als die Preise der
Terminware in Frage stehen; aber auch die Preise im effektiven
Lieferungsgeschäfte und im Promptgeschäfte der Börse werden
wohl in der Regel durch die Terminnotierung des Vortages beein-
flußt werden, schon wegen der zuverlässigen Fingerzeige über die
bevorstehende Preisentwickelung, die man in ihr sehen will; Ange-
bot an und Nachfrage nach effektiver Ware werden ja mehr oder
weniger davon beherrscht. Dasselbe gilt aber auch vom Lieferungs-
und Promptgeschäfte außerhalb der Börse. Wie in der Enquete
vielfach festgestellt und, soviel ich weiß, auch ziemlich allseitig an-
erkannt worden ist, weist der Händler dem Getreideproduzenten
stets die Termin- und nicht die Promptnotierungen vor; das er-
leichtert ihm der Umstand, daß viele kleinere, insbesondere Provinz-
blätter außer am Samstag nur die ersteren mitteilen; es ist aber in
gewissem Sinne auch sein gutes Recht, weil er ja die gekaufte
Ware auch nicht immer gleich wieder absetzen kann, in der Regel
doch vorerst auf einen Markt bringen, also mit den Preisen einer
mehr oder weniger fernen Zukunft rechnen muß. Daß der Händler
dem Produzenten nicht den ganzen Terminpreis zahlt, ist teilweise
auch berechtigt, es scheint aber, daß er bei dieser Kürzung nicht
selten seine stärkere Position mißbraucht und den Abzug über Ge-
bühr groß macht.
Unter welchen Einflüssen bildet sich nun aber der Terminpreis
und wie sieht es mit seiner signalisierenden Funktion aus?
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 307
Das Differenzspiel löst das Angebot vollständig von den
realen Versorgungsvorräten und die Nachfrage vom wirklichen Be-
darfe los; ganz willkürlich große Produktenmassen, die jeden
Augenblick sich nach Belieben der Spekulanten ändern können und
für die keinerlei kaufmännische Verantwortung den Spekulanten
trifft, können nominell auf den Markt geworfen und dort gesucht
werden. Die Preise bilden sich nicht nach realem Angebote und
realer Nachfrage, sondern nach rein fiktiven Verhältnissen. Diese
in so ganz unwirtschaftlicher Weise gebildeten Preise üben auf die
amtliche Notierung Einfluß; sie können um so schwerer bei derselben
außer Betracht bleiben, als man ja — wie von den Herren der Börse
in der Enquête mehrfach behauptet worden ist — dem Geschäfte nicht
immer auf den ersten Blick ankennt, daß es ein Spiel sei. Man
kann vielleicht sagen, daß im Differenzgeschäfte die wilde Preisbil-
dung weder eine ständige Tendenz nach oben, noch eine solche nach
unten zu zeigen brauche, da sie fast ganz von thatsächlichen Um-
ständen absähe; das ist aber nicht ganz richtig, denn wenn in den
allgemeinen Verhältnissen die Neigung zur Preisabnahme vorwiegt,
so wird sich auch das Differenzspiel diesem realen Faktor nicht ganz
verschließen und wenigstens im großen die Preissenkung noch ver-
stärkt zum Ausdrucke bringen. Besonders wichtig ist aber der Um-
stand, daß es die zweite Form des Termingeschäftes, das Siche-
rungsgeschäft ist, welches einen enormen — zum Teil allerdings
nur, ich möchte sagen potentiellen — Import ausländischer Ware
auch auf die Gefahr hin, dafür keinen Absatz oder doch keinen
gewinnbringenden Absatz zu finden, ermöglicht; es ermöglicht eine
kolossale Hebung des Angebotes an sich und dann auch dadurch,
daß eine und dieselbe Warenmenge nun wieder holt als Verkaufspost
im Angebote figurieren kann, während sie stets zum mindesten um
einmal seltener — der ursprüngliche und erste Ankauf ist ja im
Auslande erfolgt — in der Nachfrage wirksam wird. Diese meines
Erachtens an sich gesundeste Funktion des Terminhandels — gesund,
solange unsere eigene Produktion den nationalen Bedarf nicht selbst
zu decken vermag und wir auf fremdes Getreide angewiesen sind —
muß also naturgemäß und nach den allgemeinen Preisgesetzen dahin
wirken, daß der Preis der Terminwaren sich niedriger stelle, als er
sich stellen würde, wenn die Sicherungsfunktion nicht bestände. —
Das ist der neue Grund, warum ich und mit mir mehrere andere
Experten eine baissierende Tendenz des Terminhandels als gegeben
erachten, und zwar um so mehr, als ja, je größer die Gefahr einer
zukünftigen Preisabnahme ist, je mehr also die allgemeine Tendenz
sich zur Preissenkung neigt, um so mehr von der Sicherung Gebrauch
gemacht werden dürfte — die berufsmäßigen Importeure können ja
ihr Geschäft in solchen Fällen nicht aufgeben — und andererseits,
weil, wenn sie da ist, trotz der ungünstigen Aussichten Importe
stattfinden können, die sonst unterbleiben müßten. Also auch in
solchen Fällen, in denen der nationale Produzent eines besonderen
Schutzes bedürfte und hierauf einen besonders großen Anspruch
20* f
308 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
hätte, findet er ihn nicht und zwar deswegen nicht, weil sich der
Importeur sichern kann. Leute, die ihm dabei entgegenkommen
und ihm die Verkäufe ermöglichen, findet er ja immer, denn die
Hoffnung stirbt nie aus und es giebt immer Preisoptimisten, die
sich ja übrigens auch immer wieder sichern können. — Und da
liegt noch obendrein nicht einmal etwas unkorrektes, kaufmännisch,
d. h. hier individualwirtschaftlich Verwerfliches vor; ein volkswirt-
schaftlich, soziales Gewissen muß sich ja erst bilden.
Es ist wohl überflüssig, zu bemerken, daß beim effektiven
Lieferungsgeschäfte die oben angedeuteten Umstände nicht zutreffen
können.
In zweiter Reihe ist es die Unbestimmtheit der einen und ein-
zigen Warentype, was naturgemäß den Preis drücken muß (s. auch
Prof. Pilat IX, 747). Die Type ist notwendig, damit das Geschäft
fungibel sei; existiert nur eine, so ist es um so fungibler, und ist
diese eine noch der Qualität und Verwendbarkeit nach unbestimmt,
so ist die Fungibilität zum höchsten Maße gesteigert. Um so
leichter ist es aber auch, die Ware im Notfalle wirklich zu beschaffen,
um so geringere Gefahr läuft der Spekulant sowohl, als auch der sich
sichernde Kaufmann, im äußersten Fall seiner Verpflichtung zu
wirklicher Lieferung nicht nachkommen zu können; um so leichter
kann also spekuliert, um so leichter kann von der Sicherungsfunktion
Gebrauch gemacht, um so massenhafter kann die Ware auch ohne
Bedarf auf den Markt geworfen werden. — Wenn überdies die Type
sich mit in der Regel geringwertigem Produkte deckt, so giebt
dieses die Basis auch für die Preise im effektiven, nach Börse-
usancen gehandelten Lieferungsgeschäft und drückt es den Preis
auch für bessere Ware. Ich möchte sehr daran zweifeln, daß der
Händler dem Bauern oder mittleren Grundbesitzer die Möglichkeit
einräumt, sein Getreide, der höheren Qualität desselben entsprechend,
auch demgemäß teurer loszuschlagen; um so weniger wird der
erstere dies thun, wenn er es versteht, von dem Umstande Ge-
brauch zu machen, daß die Qualität des Usancegetreides eben eine
unbestimmte ist. Ich kann nicht daran glauben, daß, wie aus Börsen-
kreisen behauptet worden ist, der Bauer gescheidter oder doch ziel-
bewußter vorgehe, als der Händler und vor allem glaube ich das
nicht für den nur zu häufigen Fall, daß der Bauer oder der mitt-
lere Grundbesitzer in einer Zwangslage verkauft. In einer solchen
wird er sich aber nur zu oft befinden, so lange diese Klassen der
Grundbesitzer nicht organisiert sind und so lange nicht das Lager-
hauswesen eine entsprechende Ausgestaltung erfahren hat. Der
Zeitpunkt des Verkaufes, ob dieser gleich nach der Ernte erfolgt
oder erfolgen muß, oder später, ist hier gar nicht entscheidend; die
Zwangslage kann an jedem Tage des Jahres eintreten und unter
Umständen wohl auch geradezu dadurch verschärft werden, daß der
Bauer, solange es eben noch anging, hoffnungserweckenden Signalen
des Terminhandels vertraut und daher sein Produkt zurückgehalten
hat. Ueber die Qualität der Type werde ich übrigens noch später
I
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 309
sprechen. Ein dritter Umstand, der meines Erachtens die baissie-
rende Tendenz des Terminhandels noch weiter verstärkt, ist der,
daß der präsumtive Verkäufer am Terminmarkte wohl in der Regel,
weil er sich ja decken muß, oder aus anderen Gründen viel inten-
siver mit seinem Angebote auftreten dürfte, als der Käufer mit
seiner Nachfrage, die er ja in den meisten Fällen, wenn die Ware
ihm heute nicht billig genug ist, auch morgen oder übermorgen
geltend machen kann. Braucht er die Ware wirklich und effektiv,
so braucht er sie doch erst in späterer Zeit und da verschlägt es
wenig, ob das Geschäft ein paar Tage früher oder später abge-
schlossen wird.
Das sind meines Erachtens die allgemeinen ökonomischen
Gründe, welche unter der Voraussetzung einer in der Natur der
äußeren Verhältnisse gelegenen Tendenz zur Baisse die oben an-
gedeutete, preisdrückende Wirkung hervorrufen können und in der
Regel mit sich bringen müssen. Ich werde bei Besprechung der
Ansichten Prof. Adler’s noch andere schwerwiegende Umstände
hervorheben können, die in derselben Richtung wirken. Nach seiner
Auffassung sind die Börsenusancen nur auf die Baisse zugeschnitten.
Vorher aber noch einige Worte über die sogenannte signa-
lisierende Funktion des Terminhandels. Es wurde behauptet,
daß der Terminmarkt vermöge seiner Einrichtung einem Barometer
zu vergleichen sei; er fühle die zukünftige Preisbewegung und
die sie beeinflussenden Zukunftsthatsachen voraus, und zwar von
Jahr zu Jahr mit größerer Sicherheit. Er bringe dieselben in
seinen Notierungen zum Ausdrucke und gebe damit den Produzenten,
Händlern, Müllern und sonstigen Konsumenten einen meist untrüg-
lichen und immer zuverlässigeren Wink darüber, ob sie ihre Ware
zurückhalten oder verkaufen, ob sie kaufen oder mit dem Kaufe
warten sollen. Von den Notierungen, der heutigen Art ihrer Ent-
stehung und darüber, ob sie so der genaue Ausdruck der Marktlage
an dem betreffenden Börsentage sind, werde ich später sprechen;
ich will jetzt annehmen, sie seien es wirklich und von diesem
Standpunkt aus die obige Behauptung untersuchen. Die Marktlage
an einem bestimmten Tage ist gewiß leichter zu übersehen und zu
beurteilen, als diejenige irgend eines zukünftigen Zeitpunktes, und
doch, wie wenige selbst gewiegte Börsenmänner erkennen sie immer
genau und richtig! Wie viele „Imponderabilien“ wirken da im
Verborgenen, lösen sich oder lösen sich auch nicht und lassen ihren
Ausdruck — zum Teil wenigstens dürften sie die Ursache davon
sein — in den großen Preisspannungen bei derselben Warensorte (im
Effektivgeschäfte) zurück. Wie oft verändern, momentan in den
Börsensaal geschleuderte, wahre oder auch falsche Nachrichten, die
Mitteilung der Börsenkurse anderer Plätze u. s. w. das ganze Bild.
Und nun: Signale für die Zukunft, vom Januar oder Februar, ja auch
vom April auf den Herbst, vom September auf den Frühling, wobei
dann noch obendrein Herbst und Frühling je 2 Monate dauernde
Kündigungsperioden bedeuten? Welche Sicherheit kann solchen
310 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
innewohnen, wie wenig nur kann bei ihnen wirkliches Wissen zur
Geltung kommen, wie stark spielen da vage Vermutungen, sub-
jektive Empfindungen und mehr oder weniger unreelle Pläne
zukünftiger Spekulationen mit! Bei näherer Betrachtung sinkt
diese signalisierende Funktion meines Erachtens in das Nichts
zurück, wenn man nämlich an ein vertrauenswürdiges Signalisieren
durch den Terminhandel denkt. Betrachten wir die Sache etwas
näher. Jeder Tag des Jahres, kann man sagen, ist irgendwo auf
der Erde Erntetag, und je mehr sich die Kommunikationen aus-
gestalten, um so weniger Produktionsorte giebt es, die nicht für jeden
Konsumtionsplatz auf der Erde preisbeeinflussend wären oder sein
könnten. Die Ernte an all diesen zahllosen Plätzen hängt von
unendlich vielen Faktoren ab, die für den Menschen meist nur
ganz undeutlich erkennbar sind und die sich abwechselnd günstig
oder ungünstig gestalten. Die fertige Ernte eines Platzes gelangt
mit einer von vornherein nicht genau zu bestimmenden Quote zum
Export, oder es bleibt die ganze Ernte im Lande; viele Plätze
müssen noch Produkte anderer an sich saugen. Tritt Export ein,
so geht derselbe zunächst vielleicht in eine bestimmte Richtung,
an einen bestimmten Platz, vielleicht aber auch schon gleich von
allem Anfange an nach einem absolut unbekannten Teilungsschlüssel
an mehrere Plätze, dort zerteilt er sich wieder, nachdem er sich
möglicherweise mit Ernteteilen anderer Länder, mit Ernteresten
früherer Monate gemischt hat; ein Teil dieser Teile kommt z. B.
nach Wien, findet dort ältere Lagerbestände vor und hat zu er-
warten, daß binnen kurzem neue Vorräte nachströmen. Die
Nachrichten über all diese komplexen Prozesse werden selbst-
verständlich immer schwerer zu übersehen, daher immer unklarer,
sie werden immer mehr irrtümlicher Auffassung und betrügerischen
Einflüssen zugänglich, sie werden also immer minderwertiger. Auf
dem Wiener Platze z. B. läßt sich doch im Herbste noch absolut
nicht voraussehen, welche Vorräte die verschiedenen Bezugsgebiete
pro März, April und Mai zu den noch an Ort und Stelle vorhan-
denen hinzufügen werden, wie viel für jeden Tag dieses zwei-
monatlichen Termins der effektive und der Terminhandel loko Wien
verfügbar machen werden. Genau dasselbe gilt vom Bedarf. Wie
soll also der Terminpreis des Herbstes die Wiener Marktkonjunktur
des Frühjahrtermins auch nur annähernd genau zum Ausdruck
bringen? Oder sollte auch in diesem Sinne schon eine lokale Preis-
bildung ausgeschlossen sein, sollte der Terminhandel wirklich darin
seine Hauptbedeutung finden, daß er von den lokalen Verhältnissen
ganz abstrahieren und einheitliche Weltpreise bilden läßt? Ich
glaube, daß wir von einem solchen Zustande doch glücklicherweise
noch weit entfernt sind, denn dieser würde die schreiendste Un-
billigkeit hier für die Produzenten, dort für die Konsumenten
bedeuten. Ich will hierauf nicht näher eingehen und konstatiere
nur, daß ich auch in diesem Sinne eine zuverlässige Signalisierung
durch den Terminhandel für ausgeschlossen halte, solange wenig-
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 311
stens er so weit aussehende Termine, so breite Kündigungsfristen
kennt und solange die Berichterstattung eine so vage und will-
kürliche ist, wie heute.
Aber auch aus den statistischen Daten läßt sich die Unzu-
verlässigkeit der Signale erkennen. Von Tag zu Tag schwanken
die Notierungen eines und desselben Platzes für denselben Termin,
und so gut wie nie trifft die Voraussicht bei Eintritt des Termines
zu. Wenn wir Notierungen pro Herbsttermin z. B. 1897 aus dem
Frühlinge 1897 und dem Herbste 1897, oder gar solche für den
Frühlingstermin 1897 im Herbste 1896 und im Frühling 1897 ver-
gleichen und dabei den Report berücksichtigen, finden wir diese Be-
hauptung erwiesen ; aber auch innerhalb der schon eingetretenen Ter-
mine schwanken die Preise der Usancenware wild durcheinander.
Schwitzer hat es versucht (VII und VIII Gr.), meine einschlägigen
Behauptungen zu widerlegen; meines Erachtens hat er sie nur bestätigt,
da es ein methodischer Fehler von ihm ist, wenn er die Ab-
weichungen der Preise nach oben und unten Durchschnitte, also
gewissermaßen Irrungsdurchschnitte berechnet und daraus Schlüsse
zieht. Auch darauf kommt es nicht an, ob die signalisierten Preise
von den nachmals wirklich eintretenden überholt werden oder nicht;
geschieht das, so ist nur nachgewiesen, daß im allgemeinen die
Neigung zur Hausse bestanden hat, nicht aber, daß hieran dem
Terminhandel irgend ein Verdienst zukomme. Soweit bekannt,
haben ja die Getreidepreise das ganze Jahr hindurch gewisse nor-
male Bewegungstendenzen, wenigstens wenn eine normale Ernte
innerhalb des Staatsgebietes erwartet werden kann und auch ein-
tritt; das zeigt sich auf allen den Hunderten von Detail-
märkten, von denen die statistische Centralkommission monatlich
Ausweise veröffentlicht; diesen allgemeinen Tendenzen muß sich
natürlich auf die Dauer auch der Terminhandel einigermaßen an-
passen; ebenso wissen wir, daß Mitte April die Schätzungen der
zukünftigen heimischen Ernte schon ziemlich zuverlässig sein können,
ebenso wie die der nordamerikanischen; es ist also nicht zu ver-
wundern, daß die Terminpreise gewisse Hausseperioden und ge-
wisse Perioden leidlicher Zuverlässigkeit wenigstens im Verhältnisse
zu anderen aufweisen, die Perioden reellerer Spekulation (Frühling
auf Herbst); das beweist aber alles nichts für die Zuverlässigkeit
der Signale im allgemeinen, die natürlich im Herbst pro Frühling
oder im Januar pro Herbst noch bedeutend geringer ist, als im
April oder Mai pro August. Ja wenn es einen Terminhandel nur
in dieser letzteren Zeit gäbe! Aber auch in diesem Falle dürfte
nicht übersehen werden, daß Irrungen auch nur um wenige Heller
per Metercentner für den praktischen Landwirt schwer in die Wag-
schale fallen können, und daß der Landwirt durchaus nicht immer
in der Lage ist, einen Verlust beim heutigen oder beim diesjährigen
Verkaufe durch einen Gewinn beim morgigen oder nächstjährigen
auszugleichen; er befindet sich da nicht in der Lage des Händlers.
Wenn die Signale des Terminhandels nun also ganz unzu-
312 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
verlässig sind, so darf man .ihm seine signalisierende Funktion
auch nicht zu Gute halten und man darf es nicht dulden, daß durch
die öffentliche Bekanntmachung amtlicher Terminnotierungen Tau-
senden und Tausenden unsichere oder von vornherein falsche Wege
gewiesen werden. Es wären also die Terminpreise entweder
gar nicht zu publizieren oder doch so, daß das Publikum über das
Maß ihrer Glaubwürdigkeit, über ihren Wert — etwa durch eine An-
merkung aufgeklärt wird. — Wir kommen nun zur Frage, ob die
Terminpreise größere oder häufigere Schwankungen aufweisen,
als die Effektivpreise. Theoretisch müssen wir diese Frage unbe-
dingt bejahen, weil ja der Terminhandel, so als Differenzspiel, wie
als Sicherungsgeschäft einen so fortwährenden und rapiden Wechsel
in dem Warenangebote und der Nachfrage ermöglicht, wie er bei
keinem Effektivhandel denkbar wäre; ja die räumliche Nivellierung
der Preise, die ihm zugeschrieben wird, ist meines Erachtens
überhaupt nur denkbar um den Preis verstärkter zeitlicher Schwan-
kungen, die immer wieder durch äußere Thatsachen neue An-
regungen erhalten. Statistisch ist es freilich sehr schwer, diese
Behauptung nachzuweisen, einfach deswegen, weil vergleichbares
Material fehlt. Die Angabe, daß sich in Berlin die Preisschwankungen
nach Verbot des Terminhandels verschärft hätten, oder daß sie
abgenommen haben — beides wird ja behauptet — beweist nichts,
weil wir ja nicht wissen, wie die Preisbewegung in der betreffenden
Zeit und unter den gerade damals gegebenen konkreten Thatsachen
verlaufen wäre, wenn der Terminhandel in seiner alten Form fort-
floriert hätte. Ebensowenig ist ein Vergleich der Preisbewegungen
bei Terminware mit denen bei Promptware zulässig wegen der
verschiedenen Qualitäten; er ist überdies kaum möglich wegen der
großen Spannungen zwischen Maximum und Minimum der Prompt-
preise und wegen der Verschiedenheit in der Art der Notierung
beider Preiskategorien. Ich muß also auf einen ziffermäßigen
Nachweis, so sehr mich auch das vorliegende Material verlocken
mag, ihn dafür erbracht zu erklären, verzichten und mich mit der
obigen theoretischen Begründung meiner Ansicht begnügen, die es
immerhin wahrscheinlich macht, daß die Praxis der letzteren Recht
giebt. — Ich habe damit meine Ansichten dargelegt und komme
nun zu denen anderer Experten!). (Görski VIII 417.)
In erster Reihe habe ich unter den Vertretern der von mir
verfochtenen Ansicht Prof. Adler zu nennen (Gr. III, S. 528 ff.).
Mit dem „Papier“weizen läßt sich nach seiner Auffassung der Preis
der effektiven Waren drücken, weil er sich im Lieferungstermine
in effektiven Weizen verwandeln kann und weil die Papierware
deswegen billiger ausgeboten werden kann, als die effektive, weil
sie im allgemeinen von den Kosten wirklicher Lieferung befreit ist;
1) Der Kürze halber und weil ja in diesem Artikel nicht das Thema erschöpft,
sondern nur die Ergebnisse der Enquête besprochen werden sollen, gehe ich auf die
wissenschaftliche Litteratur über diesen Gegenstand hier nicht ein.
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 313
(Görski VIII, S. 416); als Motiv für das billige Ausgebot ist die all-
gemeine Tendenz des Zwischenhandels, den Produzenten zu unter-
bieten, zu verzeichnen; diese macht es ihm möglich, den Konsum
an sich zu fesseln. Vor allem ist es die Sicherungsfunktion des
Terminhandels, wodurch der Preis herabgedrückt wird; wer eine
Ware effektiv anschafft, sichert sich den Preis durch eine Kontremine-
spekulation auf dem Terminmarkte, wodurch die preissteigernde
Wirkung des Effektivgeschäftes paralysiert wird und wodurch der
Versicherte zum Feinde der effektiven Ware gemacht und zu weiteren
Baissespekulationen veranlaßt wird. Aehnlich liegt die Sache bei
Deckung am Terminmarkte für effektiv verkaufte Ware, weil hier-
durch der Verkäufer dem Landwirte gegenüber in eine wesentlich
verstärkte Stellung gebracht wird ; dazu kommt, daß eine Kontreminen-
spekulation auf dem Terminmarkte viel leichter mit Erfolg durch-
geführt wird, als eine Haussespekulation (S. 531). Weiter erwähnte
Adler die warenersparende, daher baissierende Tendenz der Skontration,
wodurch große Umsätze, die sonst unmöglich wären, möglich ge-
macht werden. Vor allem aber glaubte Adler darauf hinweisen zu
sollen, daß die Usancen nur auf die Baisse zugeschnitten sind (III,
S. 613). . Die Usancen nehmen konsequent für den Verkäufer Partei,
wodurch die Baisse begünstigt wird; hier kommen in Betracht: die
Bestimmungen über die Warenmenge (Schlüsse mehr weniger, wobei
der Verkäufer um 5 Proz. auf oder ab, also in einer Spannung von
10 Proz. liefern kann), die 2-monatlichen Kündigungsfristen, die
Usancen über die Lieferung nicht kontraktlicher Ware (spätere Liefe-
rung besseren Getreides), über die Beanstandung der Ware durch
den Käufer, die Zulässigkeit der abstrakten Schadensberechnung, die
Minderwertsklausel!). Ich glaube, daß diese Ausführungen durchaus
erwägenswert sind, es verknüpft sich damit aber eine wichtige
juristische Frage, zu der auch Prof. v. Görski in sehr hervor-
ragender Weise Stellung genommen hat, und die auch von Hofrat
Grünhut und Dr. Landesberger beleuchtet worden ist. Wir
werden an einer späteren Stelle darauf zu sprechen kommen.
Prof. Adler vertrat auch die Auffassung, daß der Terminhandel
zwar vorhersehbare und berechenbare Schwankungen und räumliche
Preisunterschiede ausgleiche, daß er aber kleinere Schwankungen
erzeuge und unvorhersehbare verschärfe (III, S.531). — Dr. Landes-
berger wies in seiner eingehenden Rede nach, daß der Termin-
handel die seit vielen Jahren der Landwirtschaft ungünstige Kon-
junktur allerdings nicht geschaffen hat; in der großen Länge der
Kündigungstermine, in der Möglichkeit, auf viele Monate hinaus Ge-
schäfte abzuschließen, in den eigentümlichen Bestimmungen, welche
die „Kontraktlichkeit“ der Ware betreffen, und in der Möglichkeit,
daß ein und dieselbe Warenmenge mehrmals gekündigt werde, end-
1) Im Gegensatze zu dieser allgemeinen Tendenz der Usancen, die zu Gunsten
des Verkäufers sprechen, normiert $ 22 im wesentlichen die Belastung des Verkäufers
mit der Transportgefahr (Adler III, S. 616).
314 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
lich in dem Mangel einer Verbindung zwischen Kündigungs- und
Lagerscheinen liegen aber Momente, die einen Druck auf den Preis
verursachen und damit die Konjunktur fälschen; daß durch die
Möglichkeit der Beteiligung großer Kapitalisten am Terminhandel,
„vor allem aber durch die Hinzuziehung unberufener Kreise die
Schwankungen verschärft worden sind“, steht für den Experten
historisch und theoretisch außer Zweifel. Außerordentlich beachtens-
wert sind in Landesberger’s Ausführungen seine Hinweise auf das
psychologische Moment, das im Marktverkehre steckt, den Anschluß
der Effektivpreise an eine gegebene Baissebewegung der Termin-
preise bedingt, und eine um so größere Rolle spielt, als die Land-
wirtschaft auf der Börse nicht vertreten, und als die signalisierende
Wirkung der Terminpreise ungeheuer eben von der „Phantasie“
abhängig ist (IV, S. 75). — Diese hier aphoristisch mitgeteilten
Thesen Landesberger’s stützen sich auf eingehende Darlegungen
über die gegenseitige Einwirkung der Termin- auf die Effektivpreise,
und umgekehrt, sowie über andere einschlägige Fragen, die leider
hier aus Rücksicht auf den Raum nicht näher verfolgt werden können.
Auf die Ausführungen Kleinwächter’szum Thema der Preis-
beeinflussung (VI, S. 473 f.) sei nur verwiesen und der eine Satz
hervorgehoben, daß die Tendenz der heutigen Spekulation dahin-
gehe, den Preis zu drücken. Von weiteren Vertretern der Ansicht,
daß der Terminhandel eine preisdrückende Wirkung ausübe, nenne
ich Dr. Kienböck (V, 262 f.), den Grafen Kolowrat (V, 280),
Sand (I, 87), den Grafen Kuefstein (VI, 539), Fuhrich (VII,
36), Dr. Lecher (VII, 60 f.) und v. Hohenblum (VIII, S. 287),
welche alle es verstanden haben, sowohl auf dem Gebiete der
Deduktion, als auch auf dem der Induktion die einleitend gebrachte
Beweisführung wesentlich zu unterstützen.
Unter den Gegnern der bisher besprochenen Meinung finde ich
einige, welchen es gelungen ist, die Diskussion lebhaft anzuregen,
denen daher das Verdienst zukommt, die Gegner des Terminhandels
zu einer strikten und, wie ich wohl glaube sagen zu dürfen, sieg-
reichen Beweisführung gezwungen zu haben; insbesondere sind es
Dr. v. Weiß-Wellenstein (VI, 460), Dr. Horovitz (II, 346) und
Dr. Weishut (VIII, 304), die hier genannt werden müssen. Mit
B. Schwitzer habe ich mich bereits oben auseinander gesetzt.
Dr. v. Weiß hat sich hauptsächlich gegen die Ausführungen Adler’s
gewendet, und zwar vorwiegend in der Weise, daß er die von diesem
gebrachten Beispiele zu entkräften suchte. Es ist daher ganz un-
möglich, seinen Gedankengang hier wiederzugeben, und ich muß mich
damit begnügen, hervorzuheben, daß Dr. Weiß unter den heilsamen
Funktionen des Terminhandels besonders die durch ihn, resp. seine
Sicherungsfunktion ermöglichte Herabsetzung der Zwischenspesen
besprochen hat!), und daß er zugab, daß der Terminhandel die
Spekulation erleichtere (S. 466). Dr. Horovitz sagte: „Der
1) S. auch Horovitz II, 348.
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 315
Terminhandel hat allerdings den inländischen Markt von der Welt-
konjunktur abhängig gemacht“ und so den Weltmarktpreis heraus-
gebildet: „nur wer den Bestand eines Weltmarktes bestreitet, kann
auch den Bestand der Weltmarktpreise verurteilen“. Nach ihm
bietet der Terminhandel dem Oekonomen den Vorteil, jederzeit
seine Produkte zu einem der Weltmarktlage angepaßten Preise ver-
kaufen zu können; außerdem habe er den Umsatz und Absatz der
Produkte gefördert, indem er vorratausgleichend und markterweiternd
wirke. — Ich glaube, zu dieser Auffassung nicht erst Stellung nehmen
zu müssen, da es ja klar ist, daß Dr. Horovitz unter den Gegnern
des Terminhandels vor allem Männer vorfindet, welche — allerdings
vielleicht aus verschiedenen Ursachen — die vollständige Verdrängung
des nationalen durch den Weltmarkt, der nationalen Preisbildung
durch den Weltmarktpreis, die gänzliche Ausschaltung der nationalen
Produktionskosten aus dem Kreise der den Preis beeinflussenden,
seine Untergrenze auf die Dauer wenigstens feststellenden Elemente
nicht für volkswirtschaftlich wünschenswert ansehen; diese Männer
haben aber im gegebenen Falle meines Erachtens recht, weil es sich
um das Arbeitsprodukt einer zahlreichen und politisch überaus
wichtigen Bevölkerungs- und Berufsschicht handelt, deren Stellung
im Organismus der Gesellschaft, wenigstens in einem Staate wie
Oesterreich, gebieterisch Berücksichtigung heischt; doch darüber
später.
Dr. Weishut hat meines Erachtens das Problem mißverstanden,
wenn er glaubt, die Annahme von einer baissierenden Wirkung des
Terminhandels dadurch zu widerlegen, daß er den ersten Baissier
als Feind des zweiten und diesen als Feind des dritten bezeichnet,
und hierin eine immer eintretende Remedur der „theoretisch wohl
existierenden Baissespekulation“ sieht; auch seine anderen Versuche,
den Gegenbeweis zu erbringen, scheinen mir nicht stichhaltig; die
von ihm anerkannten, baissierenden Einwirkungen des mit dem
Arbitragegeschäfte verknüpften Terminhandels sind meines Erachtens
richtig nachgewiesen; eine praktische Bedeutung von größerem Um-
fange und insbesondere eine specifische Funktion derselben möchte
ich aber gerade solchen Geschäften nicht zuschreiben; sie wirken
gewiß baissierend, aber aus denselben Gründen, unter denselben
Voraussetzungen und auch quantitativ in ähnlicher Weise, wie alle
anderen Termingeschäfte, die ja stets Waren unbestimmten Ur-
sprungs, also möglicherweise aus aller Herren Ländern stammend
in Betracht ziehen, also in einem gewissen Sinne durchaus Arbitrage-
geschäfte sind; Weishut selbst erkennt dies an und führt daher nur
Wasser auf die Mühle der ,Agrarier“. Damit habe ich meines Er-
achtens das Allerwichtigste aus den in der Enquête zu unserer
Frage gebrachten Ausführungen wiedergegeben; auch manche andere
Experten haben in dem einen oder anderen Sinne Beweismittel bei-
gebracht, die aber, soweit ich beurteilen kann, sich so ziemlich
‚durchaus in den gleichen Bahnen bewegen, wie das bisher Mit-
geteilte; rein thatsächliche Angaben lassen sich leider im Rahmen
316 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
eines kurzen Aufsatzes nicht zusammenfassen, so verdienstlich und
wertvoll sie auch sein mögen. Als Schlußergebnis kann ich nur die
Ueberzeugung aussprechen, daß zum mindesten der theoretische Be-
weis für eine unter den heute allgemein herrschenden Verhältnissen
gegebene, preisdrückende Tendenz des Terminhandels in dem oben
genau umschriebenen Sinne erbracht worden ist.
Nun kann man dagegen einwenden, daß für die Konsumenten,
also für die Gesamtheit der Bevölkerung, es um so besser sei, je
billiger das Getreide werde; um so billiger erhielten sie ihren not-
wendigsten Bedarfsartikel: das Brot; wenn also der Terminhandel
auch wirklich baissierend wirke und die Preise möglicherweise sogar
ab und zu bis unter die nationalen Erzeugungskosten drücke —
daß diese eine Untergrenze bilden, konnte von niemand behauptet
werden, weil ja der internationale Verkehr das Getreide von überall
her und insbesondere aus den billigsten Produktionsgebieten herbei-
schafft und mit solchem billigst erzeugten Getreide unter Um-
ständen den Markt überfluten kann — so wirke er damit nur volks-
wirtschaftlich nützlich. — Gegen diese Auffassung ist mehrfach
Stellung genommen worden; auch Dr. Weishut hat sich gezwungen
gesehen, sich darüber kurz zu äußern (VIII, 306). Ich meinerseits
habe geglaubt, dieser Frage eine eingehende Betrachtung widmen
zu sollen, denn sie ist es, wodurch das Thema: Terminhandel auf
das im engsten Sinne volkswirtschaftliche Gebiet verlegt, daher
auf seinen richtigen Platz gestellt wird. Ich glaube, daß in erster
Reihe der allgemeine, wirtschaftspolitische Zustand des Staates hierbei
berücksichtigt werden muß, insbesondere aber die Berufsgruppierung
der Bevölkerung. Ich glaube aber nicht, daß diese Umstände allein
und absolut entscheiden, weil ich überzeugt bin, daß das gänzliche
oder fast vollständige Verschwinden der landwirtschaftlichen Pro-
duktion aus einem Staate unter allen Umständen ein Krankheits-
symptom ist. Wenn also auch der Staat ein Industrie- oder Handels-
staat im typischen Sinne wäre und wenn auch nur ein geringer
Prozentsatz der Bevölkerung sich der Landwirtschaft widmen würde,
dürften die Interessen und zwar auch die besonderen Berufsin-
teressen dieser Gruppe nicht unberücksichtigt bleiben ; die Staats-
verwaltung müßte vielmehr trachten, das Interesse an der Land-
wirtschaft zu heben, die landwirtschaftliche Berufsgruppe zu ver-
stärken. Ausgenommen sind natürlich Fälle, wo dies aus äußeren
Gründen unmöglich wäre, z. B. in Stadtstaaten und dergleichen.
Wenn nun aber die Bevölkerung eines Staates, wie Oesterreichs,
noch mit einem großen Prozentsatz und zwar mit ca. 60 Proz. der
landwirtschaftlichen Berufsklasse zugehört, dann liegt die Sache so,
daß deren Interessen auch die entscheidenderen sind (v. Görski
VIII, 413); sie sind es deswegen, weil diese Berufsklasse die
numerisch stärkste ist, also ihr Wohlergehen mehr als das irgend
einer anderen Berufsklasse, rein mechanisch betrachtet, caeteris
paribus für den Grad des Gesamtwohlstandes Ausschlag giebt; dann
aber auch deswegen, weil sie als die Hauptabnehmerin der indu-
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 317
striellen Produktion und der Dienstleistungen der sonstigen Be-
rufe, also organisch betrachtet, ihrerseits nur dann deren Wohler-
gehen fördern kann, wenn sie selbst zahlungsfähig ist. Von dem
Gedeihen der landwirtschaftlichen Berufsklasse ist das der anderen
um so mehr abhängig, einen je größeren Prozentsatz der Gesamt-
bevölkerung sie darstellt. Ich will dabei ganz absehen von der
unermeßlichen Wichtigkeit der landwirtschaftlichen Berufsklasse und
der landwirtschaftlichen Produktion vom politischen Standpunkte
aus und davon, daß ich der heterodoxen Meinung huldige, jeder
Staat solle sich mit seinen notwendigsten Bedarfsartikeln möglichst
von anderen unabhängig zu stellen suchen.
Selbstverständlich werden einseitige Berufsinteressen nicht aus-
schließliche und rücksichtslose Beachtung finden dürfen, es wird eine
Resultante zu suchen sein zwischen den widerstreitenden Forderungen
der Berufe; diejenigen des am zahlreichsten vertretenen aber werden
dabei am meisten ins Gewicht fallen müssen. Worin liegen nun
die Wünsche der landwirtschaftlichen Klasse in Betreff der Getreide-
preise? Es ist kein Zweifel, daß in dieser Richtung innerhalb der
landwirtschaftlichen Bevölkerung nicht volle Interessensolidarität
besteht; während die einen Kreise eine möglichst hohe Verwertung,
also möglichst hohe Preise ihres Getreides anstreben, können andere
niedrige Preise wünschen, diejenigen nämlich im allgemeinen und mit
Ausnahmen, welche gezwungen sind, Getreide zu kaufen. Das gilt
von den Grundbesitzern; ihre Familienangehörigen und Bediensteten,
speciell solange das patriarchalische Verhältnis fortbesteht, schließen
sich, wie ich glaube, mit ihren Interessen denen der Grundbesitzer
an. Soweit ich nun die Verhältnisse übersehen kann, gehört —
wenigstens in Oesterreich — die große Mehrheit der landwirtschaft-
lichen Bevölkerung jener Kategorie an, die entweder Getreide ver-
kauft und aus diesem Grunde unmittelbar, oder aber aus anderen
Gründen mittelbar hohe Getreidepreise wünschen muß. Es ist über-
flüssig, hierauf näher einzugehen, da zum mindesten das außer
Zweifel steht, daß die an hohen Getreidepreisen interessierte Be-
völkerungsgruppe weit zahlreicher ist, als jede andere, gewiß aber
als die der Händler.
Aus dem Gesagten ergiebt sich nun, daß die Forderung hoher
Preise auf Widerstand stoßen muß und auf berechtigten Widerstand;
wenn aber die Berufsgruppen, von denen dieser ausgeht, sich die
Sache genau überlegen, so müssen sie erkennen, daß ihr Interesse
nicht niedrigste Preise postuliert, sondern Preise auf einer Höhe,
die die landwirtschaftliche Bevölkerung noch zahlungsfähig, also wohl-
ständig läßt, ohne daß dieses Maß erheblich nach oben überschritten
würde (Görski VIII, 411); damit aber dieser Stand eingehalten
werde, muß vor allem dafür gesorgt sein, daß die Preise nicht unter
die nationalen Produktionskosten sinken, aber auch nicht wesentlich
darüber steigen. Daß das letztere nicht geschehe, dafür sorgt die
auswärtige Konkurrenz, daß aber das erstere vermieden werde, da-
für kann, abgesehen von einer vernünftigen Zollgesetzgebung, nur
318 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
dadurch gesorgt werden, daß alles vermieden wird, wodurch die
Preise unter jenes Maß herabgedrückt werden können. Hieraus er-
giebt sich mir die Notwendigkeit, den Terminhandel aller jener
Eigenschaften zu entkleiden, die ihn mit der bereits charakterisierten,
baissierenden Tendenz ausstatten. Nur nebenbei will ich bemerken,
daß die so oft — manchmal mit agitatorischen Zielen — hinge-
worfene Phrase von der Verteuerung des Brotes gegen die obigen
Ausführungen nicht ins Treffen geführt werden kann, weil eine Ver-
billigung des Getreides noch lange nicht notwendig, auch eine Ver-
billigung des Mehles und des Brotes mit sich bringen muß und
weil diejenige Getreidesorte, welche im höchsten Maße Welthandels-
artikel ist, der Weizen, überhaupt kaum als Volks nahrungsmittel
aufgefaßt werden kann 11.
Andere Bedenken gegen diese Phrase will ich hier der Kürze
wegen nicht erörtern, um so weniger als sie sich zum Teil aus dem
oben Ausgeführten und aus dem organischen Zusammenhange der
Berufsgruppen von selbst ergeben.
Es erübrigt nun nur noch die Frage, welche Produktionskosten
für den normalen Preis maßgebend sein, für die Preisbildung als
Untergrenze dienen sollen. Diese Frage gehört aber nicht streng
in unser Thema; ich will daher auch nicht darauf eingehen und nur
bemerken, daß ich mir natürlich die Sache so denke, daß der Ge-
treidebau nur auf hierzu technisch geeignetem Boden, und zwar der
Anbau jeder Sorte auch immer nur auf entsprechendem Grunde,
also z. B. der Weizenbau nicht in zu großen Höhen stattfinden soll,
daß also ungewöhnlich ungünstige Produktionsbedingungen für jene
Preisuntergrenze nicht mitbestimmend sein können.
Damit habe ich, wie mir scheint, das Wesentlichste zu der
im Beginn dieses Kapitels angeregten Frage mitgeteilt. Ich kann
daher nun auf einen anderen Gegenstand übergehen ?), und wieder-
hole nur noch, daß meines Erachtens die für das Schicksal des
Terminhandels entscheidende Frage jene nach seiner Bedeutung
für die Preisbildung ist. Was zunächst nun von Interesse wäre, ist
die Stellungnahme der Experten zur Frage über die Lebensfähigkeit
und Berechtigung eines lokalen (nationalen) neben oder im Gegen-
satze zum Weltmarkte und nach den volkswirtschaftlich zulässigen
Mitteln, um einen solchen nationalen Markt zu erhalten oder neu
zu schaffen. Da aber die erstere Frage durch die Ausführungen
zum Problem der Preisbeeinflussung wohl schon wenigstens im
wesentlichen beantwortet ist, die letztere aber von den Experten
zwar wohl gestreift, aber nicht ex professo und vor allem nicht mit
neuen Argumenten beleuchtet worden ist, will ich diesen Gegenstand
hier nicht weiter erörtern.
1) An der Wiener Börse wurden 1898 73500 q Weizen und nur 32000 q Roggen
gekündigt, im Durchschnitte der Jahre 1894—98 139700 und 58600 q.
2) Näheres zu all dem Gesagten s. in meiner Aussage als Experte. Gr. VII,
123—133.
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 319
Die Kursnotierung!) ist es, wodurch die Terminpreise
jedes einzelnen Börsentages festgestellt und die Veröffentlichung
dieser Notierung ist es, wodurch sie auch für börsenmäßige und
für das außerbörsliche Effektivgeschäft wirksam werden. Gäbe es
keine Publikation dieser Preise, so wäre meines Erachtens die
volkswirtschaftliche Bedeutung des Termingeschäftes eine ganz ge-
ringe; sie würde schon wesentlich abgeschwächt, wenn die Veröffent-
lichung so stattfände, daß nicht die Meinung erweckt würde, daß
die Terminpreise zuverlässig signalisieren und allein oder doch vor-
wiegend maßgebend seien. Es war daher die hier schon einmal
angedeutete Anregung eines Experten ganz zutreffend, wonach mit
den offiziellen Verlautbarungen der Terminpreise stets eine ihre
wirkliche Bedeutung charakterisierende Anmerkung verbunden
werden sollte, eine Anmerkung, welche auch überall dort aufge-
nommen werden müßte, wo diese Notierungen unoffiziell weiterver-
breitet werden.
Uebrigens ist auch das Verbot der Veröffentlichung von Termin-
notierungen angeregt worden. Das ist die eine Seite der Frage;
das andere Problem betrifft die Notierung selbst, also den Vorgang
bei Feststellung der Terminpreise; ist dieser Vorgang mangelhaft,
stellt er nicht die korrekte Ermittelung der Preise sicher, so kann
das Uebel, welches durch die Veröffentlichung angerichtet werden
kann, noch wesentlich verschärft werden. Die Modalitäten der
Preisermittelung sind nun bekanntlich an verschiedenen Börsen ver-
schieden normiert; uns interessieren hier nur die für die Wiener
Börse für landwirtschaftliche Produkte geltenden Regeln. Nach
ihnen werden die Preise nach Schlußkursen und bei der Effektiv-
ware nach Maximum und Minimum notiert. Beides ist meines Er-
achtens weder nationalökonomisch noch statistisch richtig; in beiden
Fällen ergiebt sich kein korrektes Bild. Die Maxima und Minima
können möglicherweise sehr weit auseinander liegen; es kann sein,
daß zum Maximalpreise ein einziger Schluß gemacht worden ist,
zum Minimum ein einziger und zu Zwischenpreisen eine ganze
Menge von Schlüssen. Ganz außergewöhnliche Schlüsse werden
allerdings nach dem subjektiven Ermessen der Kommission bei der
Notierung nicht berücksichtigt; daß aber trotzdem so große Preis-
spannungen in den Kursen täglich publiziert werden, beweist, daß
man sehr weit voneinander abliegende Preisvereinbarungen für
nichts Ueberraschendes hält. Um also ein richtiges Bild von diesen
thatsächlich an der Börse zustande gekommenen Preisen zu erlangen,
müßte man wissen: wie viel Getreide ist zum Maximal-, wie viel
zum Minimal-, wie viel zu jedem vorgekommenen Zwischenpreise
gekauft worden. Von Börsensensalen vermittelte Geschäfte unter-
liegen bereits dem Deklarationszwange; warum soll er nicht auch
1) Erwähnenswert wären auch die sachkundigen Vorschläge Dr. Lecher’s, über
die Wege, welche beschritten werden sollten, um das schädliche und unökonomische
Monopol der Börse in betreff der Preisnotierung zu durchbrechen (VII, 65).
320 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
auf sonstige an der Börse geschlossene Geschäfte ausgedehnt werden
können!). In diesem Falle würde man in der Lage sein, einen
mathematisch richtigen, die Mengen berücksichtigenden Durchschnitt
zu bilden, der die allgemeine Tendenz auf dem Effektivmarkte, die
allgemeine Anschauung über die Versorgungsverhältnisse richtig
ausdrücken könnte.
Daß die Notierung nach Schlußkursen eine sehr unglückliche
Einrichtung ist, scheint mir klar zu liegen, da ja am Schlusse der
Börse nicht gerade notwendig nur die geläutertste und durch den
Verlauf der Börse abgeklärteste Einsicht in die Zukunftsverhältnisse
(für die letzten Geschäfte) maßgebend gewesen sein muß, sondern
gerade mit Zuhilfenahme dieser Einsicht auch andere Faktoren preis-
beeinflussend herangezogen worden sein können und zwar um so
häufiger und für den Preis entscheidender, je intensiver die Speku-
lation im engeren Sinne des Wortes arbeitet, je mehr sie, der Be-
deutung gerade der letzten Geschäfte bewußt, den Moment ausnützt.
(Weishut VIII, 446). Auch für die Termingeschäfte wäre ein ähn-
licher Modus der Preisermittelung zu wählen, wie für Effektiv-
geschäfte.
Dr. Landesberger hat die Art der Kursnotierung, wie sie in
Wien üblich ist, gleichfalls als reformbedürftig erkannt und sich als
Nationalökonom für die in Berlin üblichen Normen ausgesprochen ;
er hat aber im Anschlusse an meine Vorschläge auch die Frage
nach einer Remedur gegen solche auf dem Terminmarkte vor-
kommende Geschäfte aufgeworfen, „welche zu dem Zwecke gemacht
werden, um die Kurse zu beeinflussen, die Konjunkturen zu ver-
schärfen“ (VII, 153). Ich kann leider auf seine wichtigen Aus-
führungen hier nur verweisen (s. auch Weiß v. Wellenstein VI, 469).
Prof. Adler fordert definitive Feststellung der Kurse durch Staats-
beamte bei mündlichem, börsenmäßig -öffentlichen Verfahren; die
Staatsbeamten hätten inquisitorisch vorzugehen und nach den vor-
gekommenen Schlüssen zu fragen. Ueberdies wäre eine einheitliche
Notierung zu empfehlen (III, 533); Adler fügte dem hinzu: „es
wäre möglich, ein ganz verläßliche Kursnotierung zu sichern, wenn
der Terminhandel beibehalten und Liquidationskassen eingeführt
würden; man könnte nämlich dann an die Anwendung des soge-
nannten Berliner Einheitskurses auf die Terminspekulation denken“ ?).
Börsenrath Kindler (Czernowitz), der sonst energisch für den
Terminhandels eingetreten ist, scheint die Kursnotierung auch für
mangelhaft zu halten, denn er erklärte, daß nicht nur jeder an der
Börse gemachte Schluß notiert und veröffentlicht, sondern auch
Stunde und Minute jedes Geschäftes und das von ihm betroffene
1) S. hierzu die Ausführungen Dr. Fischl’s (IV, 16), Dr. Kienböck’s (V, 269),
und Dr. Landsberger’s (IV, 174).
2) Auf die sehr erwägenswerten Ausführungen Dr. Lecher’s über die Notwendig-
keit einer genauen Ermittelung der Getreidepreise auf allen Märkten kann ich hier nur
verweisen (VII, 63 ff.).
BürsenmäBiger Terminbandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 321
Quantum bekannt gemacht werden sollte (s. hierzu auch Adler und
Grünhut IX, 629, dann Weishut VIII, 445).
Es hat natürlich auch Herren gegeben, die für die Beibehaltung
der heutigen Art der Kursermittelung eingetreten sind; allerdings
sind sie dabei wohl meist von der Meinung ausgegangen, daß die
Loyalität der die Kurse feststellenden Personen in Zweifel gezogen
werde, während thatsächlich die statutenmäßig vorgeschriebenen
Modalitäten angegriffen worden sind. Unter die Anhänger der heu-
tigen Normen ist der Generalsekretär der Wiener Warenbörse
Vidéky zu rechnen (II, 378), ebenso Dr. Horovitz (III, 467),
der sich besonders scharf in diesem Sinne äußerte, und Börsenrat
Gibian (V, 227).
Ich habe nun in diesem Abschnitte nur noch eine Frage kurz
zu berühren, eine Frage, welche in der Enquête verhältnismäßig
wenig besprochen worden ist, die nämlich nach den Wirkungen der
Prolongationsgeschäfte. Ich streife dieselbe nur, weil ich
mich vor Mißverständnissen scheue, in die ich geraten könnte, da
ja das Wort Report doppelsinnig ist und nicht immer sich auf ein
Reportgeschäft zu beziehen braucht; nicht alle Experten, die vom
Report sprachen, geben mir volle Klarheit darüber, was sie darunter
verstanden wissen wollen. Ich habe geglaubt, diesen Punkt in
folgender Weise besprechen zu sollen: „Ich möchte glauben, daß
die Reportgeschäfte im Sinne von Prolongationsgeschäften eine Ver-
schärfung der Tendenz, die ich als potenziell vorhanden erklärt
habe, der Tendenz nämlich, den Preis zu drücken, in sich schließt;
wenn ich das Prolongationsgeschäft richtig auffasse, so schiebt es die
Abwickelung des Geschäftes — in der Regel wenigstens — auf eine
längere Zeit hinaus, wenn und weil die Erwartung des betreffenden
Verkäufers oder Käufers in Bezug auf die Preisbewegung nicht ein-
getreten ist. Dadurch wird die Zeitspannung zwischen Abschluß
und Abwickelung eine wesentlich längere und all jenes Risiko, das
da hineinspielt, wird dadurch meines Erachtens wesentlich verstärkt.
Andererseits glaube ich, daß, wenn das Prolongationsgeschäft eine
große Rolle spielen sollte, dann auch Momente in die Preisbildung
für das Getreide hineingetragen würden, die sonst — wenigstens in
dieser Intensität — nicht wirksam wären, z. B. die Bewegung des
Kapitalzinsfußes, die Versorgung des Marktes mit barem Gelde u. s. w.
Das wären also der Ware Getreide fremde oder doch nur sehr fern
mit ihr in Berührung stehende Momente, und ich würde bedauern,
wenn ich behaupten müßte, daß dadurch, selbstverständlich unbeab-
sichtigt, eine von den Verhältnissen des Angebotes und der Nach-
frage in meinem Sinne vollständig abirrende Einwirkung auf die
Preisbildung hervorgerufen würde.“ Ich möchte jetzt diesen Aus-
führungen nur noch hinzufügen, daß das Prolongationsgeschäft
potenziell geradezu eine Beherrschung des Getreidemarktes und
seiner Preisbildung durch die großen Geldinstitute veranlassen
könnte, wenn es im großen Umfange geübt würde und wenn aus
irgend einem Anlasse die Banken gewillt wären, erhebliche Summen
Dritte Folge Bd, XXI (LXXVI). 21
329 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
á
in den Dienst dieses Geschäftes zu stellen. Ich stimme hier nicht
ganz mit Dr. Landesberger überein, der sagt, daß in der Insti-
tution des Reports an und für sich nicht ein Moment liege,
welches Baisse oder Hausse in irgend einer Richtung begünstigte,
— er sagt: an und für sich! — in der praktischen Anwendung
dürfte wohl auch er eine Verstärkung der Neigung zu Baisse durch
dieses Geschäft anerkennen unter der Voraussetzung, daß schon die
allgemeine Tendenz dahin zielt.
Eine weitere Reihe von Fragen, die mit angeblichen oder that-
sächlichen Wirkungen des Termingeschäftes zusammenhängen, mögen
an anderer Stelle incidenter besprochen werden.
VI. (Verbot oder Beschränkung des Terminhandels.)
Die Frage, ob der börsenmäßige Terminhandel in landwirtschaft-
lichen Produkten zu verbieten sei, hat nicht nur deshalb eine ver-
schiedene Beantwortung erfahren, weil die wissenschaftlichen An-
schauungen über Wesen und volks wirtschaftliche Wirkungen des
Terminhandels, wie wir gesehen haben, weit auseinander lagen,
sondern auch deswegen, weil dabei vermeintliche oder wirkliche,
berufswirtschaftliche Interessengegensätze zur Geltung kommen
mußten und auch politische Doktrinen nicht ganz abseits gehalten
werden konnten. Obwohl man aus Händlerkreisen wiederholt die
Aeußerung hörte, der Handel bedürfe des Terminhandels nicht,
seinetwegen könne man ihn ruhig abschaffen, trat diese Berufs-
schichte doch für seine angeblich v olks wirtschaftliche Nützlichkeit
ein und damit auch für seine Beibehaltung. Die sogenannten agra-
rischen Kreise mit Einschluß der meisten Müller sprachen sich vor-
wiegend entschieden für ein unbedingtes Verbot aus. Meines Er-
achtens war es ein taktischer Fehler, wenn viele Experten aus dem
Grunde, weil sie das Verbot forderten, auf die Reformfragen über-
haupt nicht mehr eingingen und sich auf den Standpunkt stellten,
das Verbot müsse durchgesetzt, nur durch ein solches könne ge-
holfen werden, jede Reform sei ganz und gar wertlos. Während
die Börsenkreise mehr ein ,,Todtreformieren“, als ein Verbot zu
fürchten schienen, versprachen sich die agrarischen von keinerlei
Reform irgend etwas. Die Vertreter des unbedingten Verbotes des
Terminhandels — hierbei wurde dieser Ausdruck meist ohne Ein-
schränkung gebraucht — erhielten in gewissem Sinne Succurs auch
von Seite einiger Theoretiker, insbesondere von Professor Dr. Adler.
Von den übrigen Theoretikern wurde ein umfassendes Verbot ent-
weder als nicht wünschenswert oder als nicht wirksam bezeichnet,
dagegen aber der Gedanke einer mehr oder weniger weitgehenden
Reformierung vertreten. Dabei kam mehrfach die Ansicht zum
Durchbruch, die Reform müsse eine solche sein, welche das Differenz-
geschäft unmöglich machen würde. Die Behauptung, ein Verbot
würde sich bald als unwirksam erweisen, stützte sich meist auf die
mit dem deutschen Verbote gemachten Erfahrungen, also auf ein
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 323
auf den ersten Blick gewiß blendendes, thatsächlich aber, wie ich
jetzt zugeben muß, nicht ganz überzeugendes Argument; andere
Gründe wären genug vorhanden gewesen, um das absolute und um-
fassende Verbot abzulehnen; es wäre nicht notwendig gewesen, den
mangelhaften Erfolg eines meines Erachtens in seiner ganzen Fassung
mißglückten Gesetzes, das überdies unter von den unseren ganz ab-
weichenden Verhältnissen in Kraft trat, ins Treffen zu führen,
Gegen einen technisch so mißglückten Gesetzentwurf, wie er vor
wenigen Wochen im österreichischen Abgeordnetenhause eingebracht
worden ist, allerdings könnte auch diese Einwendung mit einer ge-
wissen Berechtiguug erhoben werden. — Ich bin von der Ansicht
ausgegangen, daß es nicht zulässig sei, ein allgemeines Verbot zu
erlassen, weil damit auch das börsenmäßige Lieferungsgeschäft ge-
troffen würde, gegen das ja nichts einzuwenden sei — wenn sich
der Käufer mit der usancenmäßigen Warenbestimmung begnügt, so
ist das ausschließlich seine Sache — und weil die Sicherungsfunktion
des Terminhandels, entsprechend eingedämmt und mit den erforder-
lichen Garantien umgeben, so lange als nützlich, das Sicherungs-
geschäft so lange vielleicht sogar als unentbehrlich zu betrachten
sei, als Oesterreich auf ausländisches Getreide, sei es ungarisches
oder transoceanisches, angewiesen ist; ja diese Sicherungsfunktion
ermögliche erst die Heranziehung von Getreide aus fernen Gebieten
und befreie uns einigermaßen von der Gefahr, uns bedingungslos den
Forderungen — nicht der ungarischen Landwirte, wohl aber der un-
garischen Händler und den Diktaten der Ofen-Pester Börse unter-
werfen zu müssen. Das Differenzgeschäft könne man auch aus-
schalten ohne ein allgemeines Verbot des Terminhandels. — Ein
solches allgemeines Verbot wäre aber meines Erachtens auch un-
wirksam, weil es entweder einfach den „Terminhandel“ als solchen oder
aber einen bestimmt und strikte definierten Terminhandel verbieten
müßte; im ersten Falle würde es nur zu oft in concreto streitig sein,
ob ein Termingeschäft wirklich vorliege oder ein anderes, nicht ver-
botenes Geschäft, im letzteren Falle würde die leiseste Nuancierung
des konkreten Vertrages genügen, um ihn der Verbotssanktion zu
entziehen; man könnte zwar das Gesetz weit besser machen, als
das deutsche, aber nie so gut, daß es nicht sofort wieder umgangen
werden würde, ohne daß das Gesetz selbst einen Anhaltspunkt böte,
solche Umgehungen zu annullieren und zu ahnden. Das haben uns
ja die Herren von der Börse ganz unumwunden gesagt, als sie
meinten, wenn die Gesetzgeber gescheit seien, so wären die Händler
eben auch nicht auf den Kopf gefallen. Daß die Herren damit voll-
kommen recht hatten, daran zweifle ich wahrlich keinen Augenblick.
Daß derartige Umgehungen des Gesetzes nicht nur für die Auk-
torität der Gesetzgebung selbst, sondern auch wohl in ihren Wirkungen
auf die Preisbildung noch schädlicher sein würden, als selbst der
heutige Zustand, scheint mir zum mindesten wahrscheinlich. Auf
eine weitere Erörterung darüber braucht hier nicht eingegangen zu
werden.
21*
324 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
Von interessanteren Ausführungen einzelner Experten zu diesem
Punkte scheint mir eine besonders charakteristisch. Der Vorstand
des ersten Wiener Konsumvereins A. Maresch hat sich vom Stand-
punkte der „Konsumenten“ für die Beibehaltung des Terminhandels
ausgesprochen, weil er thatsächlichen Bedürfnissen entsprungen, da-
her nie und nimmer aus der Welt zu schaffen sei, weil es durchaus
nicht sicher sei, daß sein Verschwinden den Produzenten günstigere
Preise vermitteln werde, es aber ziemlich außer Zweifel stehe, daß
dadurch die Konsumenten die Basis verlören, auf welcher sie ihren
Bedarf decken können, und daß sie „unbedingt in ihrer Einkaufs-
möglichkeit geschädigt“ würden. — Ich glaube, daß die Richtigkeit
dieser Argumentation schon in dem oben von mir Ausgeführten
widerlegt ist, so daß es genügt, von ihr überhaupt Erwähnung ge-
than zu haben. — Im gegenteiligen Sinne äußerte sich z. B. Güter-
direktor L. Benesch, der geradewegs erklärte, der Landwirtschaft
sei nur mit einem Verbote des börsenmäßigen Terminhandels ge-
dient, nicht aber mit halben Maßregeln; wegen vereinzelter Fälle
wenn auch vielleicht irgend einmal das Termingeschäft keine un-
mittelbar schädliche Wirkung gehabt hätte, oder wenn auch dieser
oder jener Landwirt oder Müller nicht geradezu sein Verbot fordere,
könne man dieses Postulat nicht zurückstellen; wegen dreier Ge-
rechten hätte er Sodoma nicht verschont. A. Fuhrich erklärte
es für notwendig, daß der börsenmäßige Terminhandel mit land-
wirtschaftlichen Erzeugnissen gänzlich verboten werde; R. v. Hohen-
blum äußerte sich genau in demselben Sinn.
Prof. Adler erklärte, daß vom Standpunkte der Landwirtschaft
ein Verbot des Terminhandels nicht bedauert werden könnte,
theoretisch wäre die Vernichtung des Terminhandels sehr leicht,
politisch aber sehr schwer, „weil die politische Macht zum größeren
Teile heute auf seiten der Börsenkreise sei“. Aus diesem Grunde
brachte Adler folgenden Vermittelungsvorschlag: „Kein Terminhandel
per Erntezeit, die Erntezeit im weiten Sinne genommen als jene
Zeit, in welcher der Landwirt seine Ernte zu Markte bringt“, also
Einführung eines tempus clausum für Kündigungen (III, 532f.)
Adler meinte auch, daß man für gewisse Getreidearten, solche
nämlich, an denen die österreichische Landwirtschaft weniger
interessiert ist (z. B. Mais), den Terminhandel könnte fortbestehen
lassen. — Dr. Lecher forderte, daß der börsenmäßige Termin-
handel, ob er nun Effektiv- oder Blankogeschäft sei, unter allen
Umständen allen berufsfremden Personen direkt und indirekt ver-
boten werde; der Blankoterminhandel, das reine Differenzgeschäft,
wäre aber ohne Rücksicht auf die Person, also auch den Börsen-
besuchern zu verbieten und als ungiltig zu erklären. Dr. Lecher,
der bekannte Abgeordnete der deutschen Fortschrittspartei, erklärte
im Anschlusse hieran, daß eine ähnlich lautende Regierungsvorlage
im Abgeordnetenhause zweifellos mit ungeheuerer Majorität würde
angenommen werden; ob aber ein solches Gesetz sich in der
Praxis durchführen ließe?
Börsenmäßiger Terminhandel in lundwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 325
Nach diesen Beispielen komme ich nun noch auf einen der
decidiertesten Vertreter des Verbotes und damit auch auf einen
zu sprechen, den ich bisher noch nicht berührt habe. Unter den
wichtigsten Einwendungen gegen den Terminhandel erscheint der,
daß die Ware nach einer Type und zwar nach einer der Qualität
nach sehr minderwertigen Type, nicht aber nach Bemusterung
gehandelt werde und zwar Ware, welche der Verkäufer meist nicht
besitze, auf die er häufig nicht einmal irgend einen Anspruch habe,
ja die er unter Umständen sich möglicherweise nicht einmal in
dieser Qualität und Menge werde beschaffen können. Ich habe von
diesen Momenten das erstere allerdings als ein Begriffsmoment
des Terminhandels, als einen jener Faktoren erkannt, durch die die
Fungibilität der Ware begründet wird; dem letzteren konnte ich
aber keine charakterisierende Bedeutung zuerkennen, obwohl es
zweifellos qualifizierend ist. Da Termingeschäfte auch mit vor-
handener Ware, handelsrechtliche Lieferungsgeschäfte aber meines
Erachtens auch über im Moment des Geschäftsabschlusses noch
nicht verfügbare Ware abgeschlossen werden können und werden,
schien mir diese meine Auffassung berechtigt; ich habe übrigens
nicht unterlassen, hervorzuheben, daß nach meiner Auffassung so
qualifizierte Geschäfte, speciell wenn sogar die Beschaftungs-
möglichkeit in Frage steht, für bürgerliche Moralbegriffe bedenklich
erscheinen können, daß aber durch die Einführung der ganz
unbestimmten Usancequalität und durch die Verwendung der
Sicherungsfunktion des Terminhandels Mittel geboten seien, um
fast unter allen Umständen für den desperaten Fall, daß die
Lieferung effektiv sollte durchgeführt werden müssen, die Be-
schaffungsmöglichkeit der Ware sicherzustellen. Nichtsdestoweniger
liegt gerade darin, daß solche Geschäfte überhaupt geschlossen
werden können, ein die Beeinflussung der Preise durch den
Terminhandel verschärfender Umstand. Robert Sand fordert
nun das Verbot. des Terminhandels aber in der Weise, daß der
effektive Zeithandel nach Bemusterung und eventuellem Lieferungs-
nachweise dadurch nicht behindert wird. Damit fordert er zweifellos
das Verbot des Terminhandels in seinem ganzen Umfange, er
fordert aber noch mehr, nämlich auch einen Eingriff in die effek-
tiven Lieferungsgeschäfte, wenn er unter dem Lieferungsnachweis
das versteht, daß der Verkäufer beim Geschäftsabschlusse nach-
weisen müsse, daß er im vereinbarten Termine die Ware auch
werde liefern können. Vielleicht verstehe ich Sand in diesem
Punkte falsch, ich will daher hier gegen seine Forderungen nichts
einwenden und mich damit begnügen, sie erwähnt zu haben; sie
schien mir eben viel zu wichtig, um übergangen werden zu dürfen
(I, 53, IX, 619) und hat in viel zu weit gehendem Maße wenigstens
den Schein innerer Berechtigung, um unerwogen bleiben zu dürfen.
— Die Haltung der Börsenkreise und jene der Theoretiker
habe ich schon charakterisiert; in betreff der ersteren Experten-
kategorie möchte ich nur noch bemerken, daß auch in ihrem Kreise
326 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
einzelne Stimmen laut wurden, die ein gewisses Reformbedürfnis
anerkannten, in betreff der letzteren, daß wir deren Haltung zu
dieser Frage implicite bei Besprechung der Reformvorschläge
erörtern werden.
Mehrfach ist als Moment, welches für die Zuverlässigkeit und
Möglichkeit des Verbotes spreche, hervorgehoben worden — auch
ich habe das gethan -— daß an einer großen Zahl von Getreide-
börsen ein Terminhandel nicht betrieben werde, ja daß ganze
Staaten von dieser Einrichtung frei seien, ohne das deshalb irgend
welche Uebelstände sich eingestellt hätten; so wurde darauf ver-
wiesen, daß Mannheim, München und andere wichtige Getreide-
plätze den Terminhandel nie gekannt haben, daß er in Rußland
verboten sei und daß England seinen Getreideimport zum größten
Teil ohne diese Geschäftsform besorge. Daß diese Thatsachen
Eindruck machen, den Eindruck erwecken müssen, daß starker
Import und starker Export und daß ein blühendes Getreidegeschäft
auch ohne Terminhandel möglich sei, liegt wohl auf der Hand.
Ob dieser Eindruck dadurch entkräftet wird, daß Schwitzer im
Sinne der „erläuternden Bemerkungen“ erklärte, in Mannheim und
München finde deswegen kein Termingeschäft statt, weil die Händler
nicht wollen, und in Rußland sei man daran, den Terminhandel
einzuführen, scheint mir sehr zweifelhaft; wenn die Händler
wirklich nur deswegen den Terminhandel nicht wollen, um sich
den Zwischennutzen nicht zu verkümmern, so ergiebt sich daraus
nur, daß sie von dem Terminhandel nicht eine solche Steigerung
des Geschäftes erwarten, daß dadurch der Ausfall an Zwischen-
gewinn bei dem einzelnen Geschäfte, wenn ein solcher überhaupt
eintritt, ausgeglichen würde. Wenn man in Rußland wirklich daran
gehen sollte, den Terminhandel einzuführen, so wäre das auch noch
lange kein Beweis für dessen Notwendigkeit und Vortreftlichkeit,
sondern vielleicht eher dafür, daß auch in Rußland die Macht
des mobilen Vermögens die des unbeweglichen zu überwuchern
beginnt; von einer naturgemäßen Entstehung dieser Geschäftsform
könnte man da gewiß nicht sprechen.
Mit Lebhaftigkeit wurden die Fragen erörtert, ob für den
Terminhandel Beschränkungen gesetzlich zu fixieren wären;
weniger eingehend allerdings jene in betreff der Anwendung
börsenmäßiger Liquidationseinrichtungen, als diejenige
über die Kompetenz der Schiedsgerichte. Es scheint mir, daß
die Ausführungen über diese Punkte, besonders aber jene über
den letzteren, ein großes, allerdings mehr juristisches, als volks-
wirtschaftliches Interesse erwecken müssen; trotzdem will ich mich,
weil das nationalökonomische Interesse hier etwas zurücktritt, sehr
kurz fassen und zwar um so mehr, als ich mir in diesen Richtungen
keinerlei Recht zuschreibe, mein eigenes Urteil für erwähnenswert
anzusehen; ich muß mich hier ausschließlich referierend verhalten.
Der Klarheit wegen möchte ich vorerst die an der Wiener Börse
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 397
für landwirtschaftliche Produkte geltenden gesetzlichen und statuten-
mäßigen Bestimmungen zu diesen Punkten kurz skizzieren. Jeder,
der ein Termingeschäft kündigen will, muß im Börsensekretariat
„das amtliche Blanket erheben, ausfüllen, eigenhändig fertigen und
dann bis längstens 10 Uhr vormittags behufs Protokollierung“ (Sonn-
dorfer: Warenbörse, S. 21) dort selbst produzieren. Jeder, der ein
Terminengagement besitzt, muß während der Dauer des Termines
bis zur erfolgten Abwickelung des Schlusses während der Börsen-
zeit an der Börse anwesend oder vertreten sein. Wer einen
Kündigungsschein zugestellt erhält, muß, wenn er die Ware nicht
selbst beziehen will, ihn giriert seinem Giratar weitergeben; die
Cirkulation des Scheines kann nötigenfalls auch noch am nächsten
Tage, aber immer nur an der Börse fortgesetzt werden. „Wer am
Schlusse der Kündigungszeit“ „im Besitze des Kündigungsscheines
ist, gilt als Uebernehmer der gekündigten Ware. Eine Prolongation
des Kündigungsscheines darf nicht stattfinden. Das Sekretariat
besorgt die Berechnung der Preisunterschiede, welche sämtlichen
Kontrahenten mit der Aufforderung bekannt gegeben werden, zu
einer ihnen bestimmten Zeit mit den Schlüssen behufs Austausches
derselben und behufs Regelung der Guthaben im Liquidationsbureau
der Börse zu erscheinen.“ „Nach Regelung der Guthaben, bezw.
nach Begleichung der Differenzen erhält der letzte Uebernehmer des
Kündigungsscheines einen Legitimationsschein ausgefolgt“, der ihn
ermächtigt und verpflichtet, die gekündigte Ware gegen Erlag des
in der Kündigung geforderten Preises zu besichtigen und am
bestimmten Tage zu übernehmen.
Für die Schiedsgerichte sind in Oesterreich maßgebend: das
Börsengesetz vom 1. April 1875 und die Artikel XIII—XXVI des
Gesetzes vom 1. August 1895, betreffend die Einführung der neuen
Civilprozeßordnung, sowie die $$ 34—86 des Börsenstatuts. Streitig-
keiten aus Börsengeschäften müssen, wenn keine gegenteilige,
schriftliche Vereinbarung der Parteien vorliegt, durch das Schieds-
gericht ausgetragen werden. Nur bestimmte Personen können sich
dem Schiedsgerichte für außerhalb der Börse geschlossene Geschäfte
und zwar durch schriftlichen Vertrag freiwillig unterwerfen und
zwar Organe der öffentlichen Verwaltung, Handelsgesellschaften,
Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, Mitglieder oder Besucher
einer Börse, dann Personen, die sich berufsmäßig mit der Produktion,
dem Handel oder der Verarbeitung jener beweglichen Sachen be-
schäftigen, die den Gegenstand des Geschäftes bilden, wobei diese
Gegenstände Verkehrsartikel der Börse sein müssen. Wenn Land-
wirte auf Grund einer solchen Vereinbarung beim Börsenschieds-
gerichte als Kläger auftreten oder belangt werden, hat das letztere
zu prüfen, ob das verschlossene Quantum nicht in offenbarem Miß-
verhältnisse zu deren landwirtschaftlicher Produktion steht; wäre
dies der Fall, so müßte die Klage ohne weiteres abgewiesen werden.
Bei Börsengeschäften ist es nach $ 13 des Börsengesetzes nicht zu-
328 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
lässig, daß der Beklagte vor dem Schiedsgerichte die Einwendung
von Spiel und Wette erhebe, bei außerbörslichen Geschäften wird
aber diese Einwendung berücksichtigt.
Schiedsrichter sind die 30 Mitglieder des jeweiligen Börsen-
vorstandes; überdies müssen 12 Personen, welche nicht Mitglieder
oder Besucher der Börse sind, als Richter bestellt werden, und zwar
zu gleichen Teilen von der Handels- und Gewerbekammer und
von der Landwirtschaftsgesellschaft in Wien damit sich nicht
der Börse angehörende Parteien, wenn sie dies wollen, aus ihnen
ihre Richter wählen. Die Sekretäre des Schiedsgerichtes müssen
für das Richteramt befähigt sein und werden staatlich er-
nannt. Die Verhandlungen sind mündlich und öffentlich, die Par-
teien sind berechtigt, sich bei denselben vertreten zu lassen; die
Urteile werden nach freier Ueberzeugung gefällt; eine Berufung da-
gegen ist unzulässig; dagegen ist es möglich, sie durch eine Nichtig-
keitsbeschwerde anzufechten; unter den Nichtigkeitsgründen ist be-
sonders derjenige für uns interessant, welcher in Kraft tritt, wenn
und weil das Schiedsgericht die Klage nicht abgewiesen hat, obwohl
eine der Parteien den landwirtschaftlichen Berufskreisen angehörte
und das Warengeschäft, welches den Gegenstand des Streites bildete,
im offenbaren Mißverhältnisse zum landwirtschaftlichen Betriebe der
betreffenden Partei stand. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist binnen
14 Tagen beim Handelsgerichte einzubringen; unter Umständen und
so auch dann, wenn bei außerbörslichen Geschäften über die Ein-
wendung von Spiel und Wette nicht oder unrichtig entschieden
worden ist, kann der Schiedsspruch und zwar binnen 30 Tagen beim
ordentlichen Richter als unwirksam angefochten, und es kann dabei
auch das kraft des Erkenntnisses Geleistete zurückgefordert werden.
Die Exekution erfolgt stets durch das zuständige, ordentliche Ge-
richt. Das Justizministerium ist berechtigt, jederzeit von der Recht-
sprechung der Schiedsgerichte Kenntnis zu nehmen und ihre Akten
zu prüfen.
Wie hat sich nun die Enquête zu unseren Liquidationseinrich-
tungen und zur Organisation der Schiedsgerichte verhalten? Das
Recht, die Liquidationseinrichtungen festzustellen, wurde
mehrfach als Ausfluß der Börsenautonomie bezeichnet; jede Ein-
mischung des Staates demnach als eine Negierung dieser Autonomie
(Videky II, 378); von sehr vielen Experten wurde auf die Frage
überhaupt nicht eingegangen, sei es weil sie sich nicht für kom-
petent erachteten, über eine rein börsentechnische Frage sich zu
äußern, sei es, weil sie durch ihre Stellungnahme für die absolute
Abschaffung des Terminhandels sich der Pflicht, dieses Thema zü
besprechen, entbunden hielten. Andere Experten, z. B. Börsenrat
E. Kauders, erklärten, daß sich diese Einrichtungen stets vorzüg-
lich bewährt hätten, da sie ja nur den Zweck verfolgten, die Ab-
wickelung der Geschäfte zu erleichtern, diesen Zweck aber auch
vollständig erreichen, weil also, um meine eigene Terminologie zu
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 329
gebrauchen, durch sie die angestrebte Fungibilität des Geschäftes
in reichem Maße erzielt werde. In ähnlicher Weise sprach sich
Dr. Horovitz aus, indem er auch noch jede staatliche Einmischung
in diese Angelegenheit als gänzlich überflüssig erklärte (III, 467), ganz
im selben Sinne Handelskammerrat Dr. Fischl, B. Schwitzer,
Landesberger (IV, 170), Gibian (V, 227), Weiß von Wellen-
stein, Dr. Leipen u. s. w Der Experte Economo (Triest)
hielt zwar die bestehenden Institutionen für genügend, würde aber
es für zweckmäßig und nützlich halten, daß Liquidationskassen und
zwar auf Grund staatlicher Bewilligung eingeführt würden.
Im Gegensatz zu diesen Meinungen steht vor allem A. Fuh-
rich, der die staatliche Genehmigung der Liquidationseinrichtungen
für notwendig hält und verlangt, daß nur jenen Effektivgeschäften
auf Zeit Giltigkeit zuerkannt werden solle, deren Abschluß von der
Börse amtlich bestätigt sei (VII, 53).
Die Kompetenz der Schiedsgerichte ist erst durch das
Einführungsgesetz zur neuen Civilprozeßordnung auf das heutige
Maß eingeschränkt worden; es ergiebt sich aus dem ganzen Ver-
laufe der Enquete, daß an der Nützlichkeit dieser Einschränkung
ein ernster Zweifel auch in Börsenkreisen kaum besteht; in der
Richtung aber wurden Bedenken geäußert, daß die Kompetenz noch
zu weit abgesteckt sei.
Eine unter den Persönlichkeiten, deren Urteil über diesen Punkt
als besonders bedeutungsvoll betrachtet werden muß, ist der Präsi-
dent des Landesgerichts in Linz, Hofrat Dr. Julius Pia, dessen
genaue Kenntnis der Verhältnisse daher stammt, daß er durch Jahre
mit der Aufgabe betraut war, die Agenden des Wiener Börsen-
schiedsgerichtes zu revidieren. Genaue Sachkenntnis und absolute
Objektivität standen diesem Experten zur Seite (II, 384). Er kon-
statierte, daß die Geschäftsführung der Wiener Börsenschiedsgerichte
stets gesetzlich gewesen sei und den statutarischen Bestimmungen
entsprochen habe; ebenso konnte er erklären, daß die Schiedsrichter
mit Gewissenhaftigkeit und Unparteilichkeit judiziert hätten. Nach
seiner Ansicht wäre es wünschenswert, daß in die Usancen ein
Passus aufgenommen werde, wonach die Bestimmungen der ein-
schlägigen Paragraphen der allgemeinen Usancen (Protesterhebungen,
Anzeigen u. s. w.) bei außerhalb der Börse abgeschlossenen Ge-
schäften zum Nachteile eines Kontrahenten nur insofern angewandt
werden dürften, als anzunehmen sei, daß er sie rechtzeitig habe
kennen müssen. Damit würde vermieden, daß Leuten, die sich
schlußbriefmäßig den Börsenusancen unterworfen haben, ohne sie
genau zu kennen, daraus Nachteil erwachse; zu einer solchen Unter-
werfung könne ja der schwächere durch den stärkeren Teil sehr
leicht veranlaßt werden. Weiter warf der Experte die Frage auf,
ob nicht Klagen auf Zahlung eines Geldbetrages, bei denen ja eine
sehr schnelle Entscheidung, wie sie nur das Schiedsgericht bieten
könne, nicht unbedingt notwendig sei, wenn die Forderung aus einem
330 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
außerhalb der Börse geschlossenen, börsentechnischen Termin-
geschäfte stammt, überhaupt und insbesondere dann, wenn die Ein-
wendung von Spiel und Wette erhoben werde, der Kompetenz der
Schiedsgerichte zu entziehen sei. Dieser Gedanke dränge sich des-
wegen auf, weil erfahrungsgemäß die Schiedsgerichte jene Einwen-
dung fast immer zurückweisen und weil in diesem Punkte nicht immer
die Entscheidung der Schiedsgerichte ausfalle, wie die ordentlichen
Gerichte, falls dieselben sofort angerufen worden wären, entschieden
hätten. — Wir werden sehen, wie lebhaft die Frage in der Enquête
erörtert worden ist, ob die Zulässigkeit der Einwendung von Spiel
und Wette nicht auch für auf der Börse geschlossene Geschäfte
statuiert werden solle und nicht nur für börsenmäßige, aber außer-
halb der Börse abgeschlossene Verträge. Bekanntlich war die Zu-
lässigkeit dieser Einwendung selbst für die letztere Gruppe von
Geschäften lange Zeit streitig; ja wir sehen aus dem vorliegenden
Gutachten, daß die Schiedsgerichte ihr noch immer mit großer Zurück-
haltung gegenüberstehen. Daß ein Jurist, wie Pia, sich zu dieser
Frage geäußert hat, ist daher doppelt dankenswert, weil anzunehmen
ist, daß seine Auffassung in der Praxis Beachtung finden werde.
Das allgemeinere Thema der uneingeschränkten Zulässigkeit jener
Einwendung werde ich an einer späteren Stelle noch besprechen
müssen. Noch einschneidendere Reformvorschläge machte Prof.
Adler (III, 534); er hob hervor, daß es absolut notwendig sei, die
Einrichtung der Schiedsgerichte auf deren natürlichen Wirkungs-
kreis zu beschränken; ihre Bedeutung sei eine sehr große, sie seien
ja zeitweilig die wesentlichen Träger der Handelsrechtsentwickelung
gewesen und in ihnen würden Personen, „die auf ein ganzes Heer
von geschriebenen und ungeschriebenen Usancen eingeschworen seien,
zu Herren weiter Rechtsgebiete gemacht“. Thatsache sei, daß sich
besonders Landwirte einfach dem Schiedsgerichte unterwerfen
müssen, wenn sie überhaupt ihre Produkte verkaufen wollen, und
damit auch den anderen Usancen, die sie oft nicht genau kennen,
— in der letzteren Richtung allerdings liege eine Ungesetzlichkeit
und ein Mißbrauch. Ueber Personen, welche nicht Börsenmitglieder
oder registrierte Kaufleute sind, sollten überhaupt die Börsen-
schiedsgerichte mit Ausnahme derjenigen in Wien keine Kompetenz
haben; die Schiedsgerichte wären mit technologischen Hilfskräften
auszustatten, auch wären ihnen ständige Anwälte zur Vertretung
der Parteien beizugeben; die Institution des Armenrechtes müßte
eingeführt und es müßten überdies noch eine Reihe anderer Reformen
in nebensächlicheren Punkten vorgenommen werden. — Auch Dr.
Landesberger (IV, 81) ist für eine weitere Einschränkung des
Kreises der heute zum Börsenschiedsgerichte zugelassenen Personen,
und nur diesen zugelassenen Personen will er gestatten, technische
Börsengeschäfte abzuschließen; sie müssen sich dann aber auch
dem Ausschlusse des Differenzeinwandes unterwerfen; insoweit diese
Personen aber Landwirte seien, soll die Einwendung Geltung und
die Annullierung des Geschäftes zur Folge haben, wenn sie also
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 331
richtig erwiesen wird, daß das Warengeschäft im offenbaren Miß-
verhältnisse zum landwirtschaftlichen Betriebe derselben stehe.
Dr. Weishut (VIII, 307) meint zwar, daß sich jeder protokollierte
Kaufmann dem Schiedsgerichte solle unterwerfen dürfen, ist aber
dafür, daß der Ausdruck „Börsenbesucher* im Gesetze nur auf
„ständige“ Börsenbesucher anzuwenden sei, nicht aber auf jeden, der
etwa mit einer Gastkarte kommt. Ueberdies fordert Weishut,
daß, wenn ein außerhalb der Börse Stehender sich dem Börsen-
schiedsgerichte unterwerfen soll, hierüber stets eine besondere Ur-
kunde aufgestellt werden müsse, welche jeden Irrtum und jede
Täuschung auf seiner Seite ausschließe.
Ferner müsse parallel mit der vorgeschlagenen Ausdehnung der
Kompetenz dafür gesorgt werden, daß der rechtskundige Sekretär
nicht ein Beamter der Börsenkammer, sondern Staatsbeamter und
verpflichtet sei, bei Auftauchen von Rechtsfragen Rechtsbelehrungen
zu geben; dies würde weit nützlicher sein, als die Bestellung eines
rechtsgelehrten Vorsitzenden. Auch das Rechtsmittelverfahren hält
Dr. Weishut für mangelhaft und reformbedürftig.
Sand (IX, 623) will, daß außerhalb der Börse stehende Per-
sonen unter keinen Umständen sich der Kompetenz der Schieds-
gerichte unterwerfen können; im gegenteiligen Falle aber wäre für
sie ein Instanzenzug zu eröffnen ; unter gewissen Bedingungen wäre
ein solcher bei allen Schiedssprüchen zuzulassen. Der Vorsitzende
des Gerichtes soll stets ein gelehrter Richter sein, wodurch das üb-
liche Drängen zum Ausgleiche eingedämmt würde. — Dr. Kienböck
(V, 269) erklärte sich geradezu als Gegner der Schiedsgerichte über-
haupt; R. v. Hohenblum (VIII, 288) hält sie für reformbedürftig,
Fuhrich (VII, 53) fordert, daß die Kompetenz der Börsenschieds-
gerichte und die Zulässigkeit eines Kompromisses auf dieselben
bei Streitigkeiten aus Termingeschäften zwischen Streitteilen, von
welchen mindestens einer der Börse nicht angehört, noch weiter
eingeschränkt werde.
Diesen zahlreichen Reformwünschen gegenüber trat eine Reihe
von Experten für die im Wesen unveränderte Beibehaltung der
Schiedsgerichte in ihrer heutigen Kompetenz und Verfassung ein,
oder forderte geradezu eine Erweiterung der ersteren. Ich nenne
hier vor allem Dr. Weiß v. Wellensein und Dr. Horovitz, dem
sich der Experte Kauders ohne Einschränkung anschloß und der
ganz entschieden nicht nur die Berechtigung des Schiedsgerichtes
überhaupt, sondern auch jene der durch die neue Gesetzgebung
festgestellten persönlichen Voraussetzung für die Unterwerfung unter
dasselbe verfocht; die einzig richtige Schranke für die Kompromiß-
fähigkeit sei der Beruf der Vertragsteile. Die heute geltenden
Kompetenzbestimmungen seien sogar zu eng; „eine den thatsäch-
lichen Verhältnissen und praktischen Bedürfnissen entsprechende
Regelung des Börsegesetzes hätte zur Schaffung der Norm führen
müssen, daß jeder Vertrag und jedes Geschäft dem Börseschieds-
gerichte unterbreitet werden kann, sofern dieser Vertrag und dieses
332 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
Geschäft einen Börsenverkehrsgegenstand umfaßt und sofern die Par-
teien protokollierte Kaufleute oder Personen sind, die sich vermöge
ihres Berufes mit dem Ein- oder Verkaufe dieses Börsenverkehrs-
gegenstandes befassen. Horovitz bemerkte auch im Widerspruche
zu anderen Experten, daß Vorkehrungen beständen, um jeden durch
die Mitglieder eines kartellierten Unternehmerverbandes ausgeübten
Druck zur Unterwerfung unter die schiedsgerichtliche Kompetenz aus-
zuschließen. — In ähnlichem Sinne äußerte sich Gibian (V, 227),
Dr. Fischl (IV, 16) und Schwitzer (IV, 66).
Wie ich schon bemerkt habe, verhalte ich mich diesen Fragen
gegenüber ausschließlich als Referent; nur die folgenden wenigen
Bemerkungen möchte ich mir gestatten: jeder Druck auf einen
Kontrahenten, wodurch er gegen seinen Willen moralisch gezwungen
wird, sich einem Schiedsgerichte zu unterwerfen und damit noch
überdies usancemäßigen Vertragsbestimmungen, die er vielleicht
nicht genügend kennt, oder doch auf ihre Tragweite nicht abzu-
schätzen vermag, muß irgendwie ausgeschlossen werden; kommt ein
solcher Druck vor, so wird damit der ganzen Idee des Schieds-
gerichtes Hohn gesprochen und gegen die Institution Mißtrauen
erweckt. — Der dem Schiedsgerichte beigegebene Jurist muß von
der Börsenleitung vollständig unabhängig gestellt sein; nur unter
dieser Voraussetzung kann er ganz unbefangen wirken, und dies ist um
so notwendiger, als ja die Richter, insoweit sie dem Börsenvorstande
angehören, weil sie gleichzeitig die Gesetzgeber der Börse sind und
weil sie ja ebensogut morgen oder übermorgen ihrerseits als Parteien
vor dem Schiedsgerichte stehen können, von einer gewissen Be-
fangenheit, mögen sie noch so integer sein, sich nie ganz werden
frei machen können. Auch ich halte weiters die Zulassung eines
Instanzenzuges für absolut notwendig.
VII. (Reform des Terminhandels.)
Zu diesem Punkte möchte ich mir erlauben, zunächst darzulegen,
wie ich selbst mich über die einschlägigen Fragen geäußert habe;
ich thue dies deswegen an dieser Stelle, weil ich damit der Aufgabe
überhoben werde, immer wieder kritische Bemerkungen in größerem
Umfange in das Referat einzuflechten, weil ich also hierdurch
wesentlich an Raum zu sparen hoffe. Freilich muß ich voraus-
schicken, daß ich nicht zu allen Fragen das Wort ergriffen habe;
nur dort habe ich mich geäußert, wo ich mir ein selbständiges Ur-
teil zumuten konnte. Ich hatte mich in dem ersten Teile meines
Gutachtens gegen das Verbot des Terminhandels ausgesprochen,
aber jene Einschränkung desselben gefordert, welche mir notwendig
erschien, um eine allzu große Vermehrung der Geschäfte, ein allzu
massenhaftes Heranziehen ausländischer Waren auf den inländischen
Markt zu verhindern ; aus diesem Grunde trat ich nun in meinen
weiteren Ausführungen für eine Restriktion der Fungibilität von
Ware und Geschäft ein und zwar ohne dabei die mir fernliegende
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 333
Frage nach der börsentechnischen Durchführbarkeit meiner Vor-
schläge in Erwägung zu ziehen, freilich in der Annahme, ja in der
persönlichen Ueberzeugung, daß sie ohne weiteres durchführbar
seien. Die Fungibilität des Getreides — sagte ich — ist selbstver-
ständlich dann am größten, wenn nur eine Type anerkannt wird;
führte man mehrere Typen ein, so würde sie verringert werden.
Nun haben alle Typen überdies leider gewöhnlich die Eigenschaft,
daß sie fast immer etwas Unbestimmtes bedeuten, daß sie nie ge-
nügend präcis sind, um z. B. sagen zn können, dieser oder jener
Sack Weizen entspreche genau dem Typus oder er entspreche ihm
absolut nicht. Diese Thatsache vermehrt die Fungibilität der Ware
ins maßlose, wenn nur ein Typus gilt; es muß also um so mehr
eine Mehrheit der Typen gefordert werden und zwar etwa drei.
Davon würde der niedrigste aber doch noch immer eine an sich und
ohne Beimengungen brauchbare Ware bezeichnen müssen. Von
einer solchen Reform erwartete ich mir aber nicht nur eine Ver-
ringerung der Fungibilität der Ware, sondern auch direkt eine Ein-
schränkung der die Baisse fördernden Tendenz des Terminhandels,
weil dann jeder, der die Terminnotierung liest, von vornherein
sehen würde, daß verschiedene Preise für verschiedene Qualitäten
vorliegen; es würde dann dem Händler nicht mehr allzu leicht
werden, den Produzenten mit dem Preise auf die niedrigste Type
herabzudrücken.
In zweiter Linie hielt ich dafür, daß die Fungibilität des Ge-
schäftes dadurch verringert werden könnte, daß man die Kündigungs-
fristen abkürzte; es wäre dann weniger Anlaß geboten, Geschäfte
zwischen den ursprünglichen Abschluß und die Abwickelung einzu-
schieben; auch würde in diesem Falle das Risiko des Geschäftes
verringert und die sogenannte signalisierende Funktion der Termin-
preise, wenigstens unter Umständen verbessert werden. Ob dabei
nicht auch ein heilsamer Einfluß auf den Reportsatz abfiele, will
ich dahingestellt sein lassen. Besonders wichtig schien es mir, daß
die Lieferungsfristen kürzer bemessen werden (Görski VIII, 410),
weil dadurch eine die Baisse fördernde Ursache in ihrer Bedeutung
herabgesetzt würde. — Ich ging aber mit meinen Vorschlägen noch
weiter und trat damit in den Kreis der radikalsten Reformer des
Terminhandels ein, indem ich die Aufhebung des $ 13 des Börsen-
gesetzes forderte. Durch diesen Paragraphen wird nämlich die Ein-
wendung von Spiel und Wette gegen auf der Börse geschlossene,
börsentechnische Geschäfte als rechtsunwirksam erklärt. Nur durch
jene Maßregel kann meines Erachtens das Differenzgeschäft, wie
ich es charakterisiert habe, beseitigt werden, soweit eben durch
gesetzliche Bestimmungen Mißbräuche und volkswirtschaftliche Ver-
brechen überhaupt unmöglich gemacht werden können. Ich ver-
schloß mich dabei keineswegs den ernsten moralischen Bedenken
gegen eine derartige Aenderung des geltenden Gesetzes, nahm
aber an, daß es gegebenen Falles Sache des Schiedsgerichtes sein
würde, in seiner Judikatur das erforderliche Korrektiv zu finden.
334 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
Damit gehe ich auf die Ausführungen über, welche von anderen
Experten über diese Fragengruppe gebracht worden sind; ich bin
hier in der Lage, ganz außergewöhnlich wichtige Gutachten von all-
gemeinstem Interesse mitzuteilen, und zwar insbesondere zu einigen
Punkten, nämlich in betreff der Usancen im allgemeinen, der Usancen-
qualität und der Einwendung von Spiel und Wette; auch über das
Selbeintrittsrecht und über die Besteuerung der Termingeschäfte
wurde von maßgebender Seite Erwähnenswertes gesprochen; weniger
Bedeutendes werde ich, um nicht all zu sehr die Geduld des Lesers
in Anspruch zu nehmen, ganz übergehen. Nachdem schon Professor
Adler (III 613) sich über das juristische Wesen der Usancen ge-
äußert und damit Bedenken nicht nur an der Berechtigung einzelner
Bestimmungen, sondern an der Anwendbarkeit der Usancen über-
haupt in dem heutigen Umfange wachgerufen hatte, trat Prof.
Dr. v. Görski mit einer ebenso glänzenden, als, wie ich glaube,
entscheidenden Rede gegen die heute übliche Anwendung dieser
Institution auf. Für ihn sind die Börsenusancen eine Erscheinung
der sogenannten Verkehrssitte, der faktischen Gebräuche, sie sind
keine objektive Rechtsnorm, sondern kommen nur auf Grund des
erklärten oder vermutlichen Parteiwillens zur Geltung, obwohl sie
praktisch manchmal die Funktion einer Rechtsnorm erfüllen. Diese
Verkehrssitte ist nun durchaus nicht eine Errungenschaft etwa nur
des Handels oder der Börse, sie spielt vielmehr auch im allge-
meinen Privatrechte eine große Rolle. Es ist daher notwendig, sie
von einem allgemeinen Gesichtspunkte aus zu beleuchten. Ueberall
haben sich aus der Verkehrssitte Mißstände ergeben, dieselben können
aber im Börsenverkehr nicht durch eine verständnisvolle Judikatur,
die sonst genügt, ausgemerzt werden; hier ist ein „energisches Ein-
greifen der Gesetzgebung unumgänglich“ notwendig. Das oberste
Prinzip, von dem Görski bei seiner Untersuchung ausging, ist die
These, „daß die faktischen Handelsgebräuche nur dann zur An-
wendung kommen können, wenn sich die Parteien denselben unter-
worfen haben, was auch stillschweigend geschehen kann“. Damit von
einer Verkehrssitte die Rede sein könne, muß aber der Geschäfts-
brauch nicht nur thatsächlich eingehalten, sondern auch allge-
mein üblich sein, was eine um so wichtigere Voraussetzung ist,
als ja die Usancen meistens den „Ausfluß eines Kampfes von zwei
divergierenden Interessen darstellen; dort, wo der eine Interessent
sich nur vor die Wahl gestellt sieht“, entweder die gestellten Be-
dingungen anzunehmen, oder das Geschäft nicht abzuschließen, dürfte
von einer Verkehrssitte im technischen Sinne nicht die Rede sein“;
dies ist um so wichtiger, als vielfach der eine Kontrahent sich Ge-
schäftsgebräuchen unterwirft, die er gar nicht kennt. In ähnlichen
Fällen hat auf anderen Gebieten die Judikatur die erforderliche
Hilfe geleistet und so den wirtschaftlich und geistig Schwächeren
gegen Uebergriffe des formellen Rechtes geschützt. In der Börsen-
praxis ist nun aber ein solcher Schutz ganz besonders notwendig.
Die Börse selbst hat dies einigermaßen in dem Satze anerkannt,
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 335
daß die Unterwerfung unter das Schiedsgericht nur insoweit die An-
wendung der Usancen auf den Rechtsfall nach sich ziehe, als diese
Anwendung in der Natur des jeweiligen Geschäftes begründet er-
scheine. Darüber zu entscheiden, ob dieser Fall zutreffe oder nicht,
ist aber Sache des Schiedsgerichtes, und dieses irrt da nur zu häufig
mit seiner Auffassung; es bringt dann nicht die Normen des bürger-
lichen oder des Handelsrechtes, sondern die Usancen zur Anwendung,
in denen „rechtliche Anschauungen codifiziert sind, die dem geltenden
Privatrechte schnurstracks zuwiderlaufen‘“. — Dieser Wider-
spruch zwischen Usancen einerseits, bürgerlichem und Handelsrecht
andererseits bildete den weiteren Gegenstand der ebenso scharfen
als konzisen Darlegungen Görski’s, welcher die unbedingte For-
derung aussprach, daß die Usancen niemals mit dem Privatrechte
in Widerspruch stehen dürfen, ebensowenig wie ein Gegensatz
zwischen bürgerlichem und Handelsrecht bestehen sollte; das aber
könne nur erreicht werden, wenn sie revidiert und wenn die Aus-
gestaltung der Usancen nur auf gesetzlichem oder auf dem Ver-
ordnungswege, also unter staatlicher Genehmigung, erfolgen dürfe.
Die Frage der freiwilligen Unterwerfung der Parteien unter die
Usancen müßte gleichfalls neu geregelt und für deren Giltigkeit
die Ausfertigung eines Notariatsaktes als notwendig erklärt werden.
Ich bedauere, nicht auf Einzelheiten eingehen zu können und mich
mit dieser allgemeinen Andeutung begnügen zu müssen ; da aber
Prof. v. Görski natürlich vorwiegend das österreichische Privatrecht
und die Wiener Usancen besprach, so scheint es mir angemessen,
über seine Anschauungen nur im allgemeinen zu berichten, da mich
das Eingehen auf Details ja wieder zu Vergleichungen mit den im
Deutschen Reiche geltenden Normen zwingen würde.
Prof. v. Görski stellte im weiteren fest, daß „das Privilegium
der Börse, in ihrem und außer ihrem Bereiche Normen zu schaffen,
die als gesetzliche gelten sollen“, einzig dastehe. Dadurch habe
das Subjekt bis auf den Insolvenzfall seine Individualität vollständig
verloren, noch mehr aber sei dies bei der Ware der Fall. „Das
Andienen ist kein Erfüllungsversuch, da es zurückgezogen und durch
eine andere Ware ersetzt werden kann; der börsenmäßige Verzug
ist kein Verzug im Rechtssinne, da er ohne jeglichen Nachteil
saniert werden kann, die Abwickelung ist keine Erfüllung, da keine
Warenbewegung und keine Preiszahlung zu erfolgen braucht. Kurz,
dieses vermeintliche Börsenrecht hat die rechtlichen Begriffe ent-
stellt... .*“ Ueber Prof. v. Görski’s Ausführungen, deren Be-
deutung für das ganze Problem sofort als vom juristischen Standpunkte
entscheidend erkannt worden ist, wurde an einem besonderen Tage
eine eingehende Diskussion geführt, auf die ich aber nur verwiesen
haben will (VIII, Gr.); es genügt das, weil sie nicht imstande war,
Görski’s Stellung irgend zu erschüttern. Ich bemerke hier nur noch,
daß Görski in einer späteren Rede seine Ausführungen vom volks-
wirtschaftlichen Standpunkte aus insoferne ergänzt hat, als er auf
das allgemeine Gebiet überging, die Stellung der verschiedenen Be-
336 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
rufsklassen zum Terminhandel, insbesondere auch die der Groß-
und Kleinmüllerei, des großen und des kleinen Effektivhandels und
des Konsums charakterisierte, den baissierenden Einfluß des Termin-
handels auf die Preise, dann die gänzliche Unbedenklichkeit seiner
Aufhebung oder Beschränkung nachwies und auf die Frage der Be-
steuerung der Termingeschäfte einging. Er gelangte zum Schlusse,
daß die Lahmlegung des Terminspiels eine soziale Notwendigkeit sei
(VIII, 407—418). Die wichtigsten Stellen aus dieser Darstellung
habe ich bereits an den mir geeignet erscheinenden Orten ange-
deutet, was um so mehr genügen dürfte, als Görski in sehr vielen
Punkten mit den von mir vertretenen Anschauungen übereinstimmt;
auf die Besteuerungsfrage habe ich noch später einzugehen.
Ich komme damit zum zweiten aus den Gegenständen, von denen
ich im Eingange dieses Kapitels gesagt habe, sie seien in der En-
quete einer besonders eingehenden Erörterung unterzogen und in
besonders autoritativer Weise beleuchtet worden. Ich meine
hier die Usancequalität des Termingetreides. Die Meinungen
standen sich auch in diesem Punkte anfangs schroff gegenüber; von
der einen Seite wurde behauptet, Getreide von der Usancequalität
sei durchaus bestimmt qualifiziert, es sei vollkommen brauchbar, ja
sogar besser als gar vieles von dem in Oesterreich abreifenden; auf
der anderen Seite dagegen wurde gesagt, Getreide, das der Usance-
qualität entspräche, wachse überhaupt nicht, es müsse im Bedarfs-
falle erst künstlich durch Beimengungen erzeugt werden und sei
für den Müller unverwendbar. Eine Klärung der Ansichten, resp.
die Möglichkeit, sich ein objektives Urteil beiden Anschauungen
gegenüber zu bilden, wurde erst durch die Ausführungen des Kom-
missionsmitgliedes Dr. R. v. Weinzierl, Direktors der k. k. Samen-
kontrollstation und zum Teil durch eine besondere Einvernehmung
von Experten über die Beschaffenheit von Getreideproben herbei-
geführt. Diese letztere Expertise kann naturgemäß höchstens in
ihrem Gesamtergebnisse allgemeineres Interesse beanspruchen; ich
gehe daher darauf nicht näher ein und beschränke mich im wesent-
lichen auf eine kurze Darlegung der Ausführungen Weinzierl’s.
Dieser Fachmann erklärte, daß nicht nur das Qualitäts- (sogenannte
Hektoliter-) Gewicht, sondern auch das absolute Körnergewicht als
wertbestimmender Faktor bei der Beurteilung von Getreide in Be-
tracht gezogen werden müsse, denn dieses gebe „die Menge, die das
Rohmaterial, das Stärkemehl, liefert, an“; das bloße Qualitätsgewicht
sei wohl orientierend, aber nicht für die Qualität bestimmend, um so
weniger als z. B. mehliger Weizen im Litergewichte außerordentlich
leicht sei. Besonders bei Weizen komme aber noch ein weiteres
wertbestimmendes Moment in Frage, nämlich seine Glasigkeit, die
wieder auf den Klebergehalt schließen lasse; bei Hafer sei der
Schalengehalt von Wichtigkeit. In Betreff des Maßes der Bei-
mengungen, welches die Usancen als zulässig erklären, mußte Dr.
Weinzier) darauf hinweisen, daß die Bestimmung desselben nach
der Körnerzahl falsch sei und durch die Feststellung nach dem Ge-
BürsenmäBiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 337
wichte zu ersetzen wäre; in jedem Falle sei die als zulässig er-
klärte Verunreinigung viel zu stark, da ja selbst bäuerliche Markt-
ware im Maximum nur ein Gewichtsprozent aufweise. Außerdem
komme nicht nur die Menge, sondern auch die Art der Beimengungen
in Frage. Uebrigens habe er unter all den zahllosen Getreideproben,
die er geprüft, nie als solches bezeichnetes Usancegetreide gesehen.
Die Provenienz der Ware sei allerdings ein wichtiger Faktor, man
könne mit demselben aber nicht rechnen, da sie in der Regel dem
Getreide nicht anzusehen sei. — Wenn jedoch bloß auf das Qualitäts-
gewicht Rücksicht genommen werde, dann müsse man allerdings zu-
geben, daß die Gewichtsziffern der Usancen Mittelware betreffen ;
damit aber sei, wie schon ausgeführt, die Güte der Ware nicht ge-
nügend charakterisiert. Wenn man bei diesem einen Merkmale
allein bleibe, würde es auch gar nichts nützen, eine Typenskala an
Stelle der einen Type aufzustellen. Weinzierl plädierte schließlich
für die Ersetzung der bisher stets angewendeten subjektiven Kriterien
für die Qualität des Getreides durch objektiv-wissenschaftliche.
Die bei der oben bezeichneten Expertise geprüften Weizen-
proben erklärte Dr. von Weinzierl dem Hektoliter- und Körnerge-
wichte nach als Mittel-, die Roggenproben als gute Sorten ; bezüglich
der Glasigkeit, des Klebergehaltes, fand er dagegen, daß nur zwei
Proben den für die Samenkontrollstation geltenden Normen ent-
sprechen, die anderen aber weit hinter dem Grenzwerte zurückblieben
und in ihren Preisen sehr bedeutende Differenzen aufweisen würden.
Es ist begreiflich, daß speciell dies letztere Urteil von seiten der Ver-
treter der Börse energisch bestritten worden ist, waren doch alle
der Expertise vorgelegten Sorten ausdrücklich als Usanceware er-
klärt und anerkannt worden. Ich halte übrigens dafür, daß für
unser Problem nur zwei Momente von Wichtigkeit sind und von
diesen wieder das eine mehr als das andere. Das Wichtigste ist
wohl die, wie mir scheint, unwiderleglich nachgewiesene Thatsache,
daß das bloße Hektolitergewicht zusammen mit den sonstigen, usance-
mäßigen Qualifikationen die Mahl- und Backfähigkeit des Getreides,
also den Grad seiner Brauchbarkeit durchaus nicht genügend be-
stimmt (s. auch Pilat IX, 747). Der nächst wichtige Umstand ist
der -— daß er zutreffe, wurde allerdings energisch bestritten — daß
usancemäßiges Getreide auch von sehr geringer Brauchbarkeit sein
kann. — Aus diesen Umständen ergiebt sich die Notwendigkeit, daß
in die Usancen ein sicheres Kriterium für die Qualität aufgenommen
werde, als es das Hektolitergewicht ist. Daß ich der Meinung bin,
es müsse auch eine Typenscala eingeführt werden, habe ich schon
oben angedeutet und ich glaube, daß selbst von Seite der Börse
(s. die Ausführungen von Dr. Horovitz III, 582) hiergegen keine
erusten Einwendungen erhoben würden (s. auch Prof. Adler IV,
140, der als technisches Ideal die Organisation nach Typen in Ver-
bindung mit Lagerscheinen bezeichnete). Für eine periodisch
wiederkehrende Feststellung der Typen haben sich nur ganz wenige
Stimmen eingesetzt; auch Dr. v. Weinzierl hat sich nicht dafür
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI), 22
338 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
ausgesprochen. Dr. Horovitz (III, 582) hat Anlaß genommen,
die praktischen Schwierigkeiten und die Nutzlosigkeit einer solchen
Maßregel nachzuweisen, wobei er üble Erfahrungen, welche in Wien
und Ofen-Pest damit gemacht worden seien, und die bereits in der
deutschen Börsenenquete dagegen erhobenen Bedenken anführen
konnte. Auch dem Hinweise auf Nordamerika konnte er die Berech-
tigung absprechen, da in jenen Gebieten die Verhältnisse ganz
anders liegen, als in Europa. In Oesterreich im besonderen differiere
der Weizen der Qualität nach oft um 20--30 Proz., überdies
mischen die Müller die verschiedensten Sorten, um dem Getreide
einen größeren Mahlwert zu verleihen: endlich führe man der Qua-
lität nach weit voneinander abstehende Sorten aus aller Herren
Ländern ein, so daß es ganz unmöglich sei, für alles in Oesterreich
zur Vermahlung gelangende Getreide eine einheitliche Type festzu-
setzen; man habe sich daher darauf beschränken müssen, ein für
allemal das Hektolitergewicht als allein maßgebend zu betrachten
und alle individuellen Merkmale wegzulassen; so habe man die
Mindestqualität generell umschrieben und eine „allgemein ver-
wendbare“ Getreidetype erhalten. — Ich bemerke nur, daß diese
Aeußerung abgegeben wurde, nachdem Dr. v. Weinzierl bereits die
Unbestimmtheit der nur durch das Hektolitergewicht bezeichneten
Type konstatiert hatte (II, 409). — In diesem Punkte traten natür-
lich weniger ablehnende Anschauungen zu Tage; so meinte Frhr. v.
Offermann, der übrigens auch entschieden für eine Typenskala
eintrat, weil dadurch der Terminhandel erst in einen organischen
Zusammenhang mit dem Effektivhandel gebracht würde (III, 600),
man könnte die Typen allerdings wechseln, aber nur in längeren,
etwa 10-jährigen Perioden, wenn nämlich sich die Weizensorten
thatsächlich in ihrer Natur geändert hätten; die Aufstellung kürzerer
Perioden würde nur Unsieherheit in das Geschäft bringen (s. auch
die Aeußerung des Getreidehändlers Pollak IX, 715).
Die Feststellung der Lieferungs- und Kündigungs-
fristen ist in der Enquête vorwiegend nur incidenter behandelt
worden; eine größere Bedeutung hat der Frage nur ein kleiner
Kreis von Experten zuerkannt. unter diesen insbesondere Prof.
Adler, Dr. Landesberger (IV, 170) und Kienböck (V, 415);
meine eigenen Anschauungen, die mit denen Adler’s im Wesen über-
einstimmen, habe ich schon oben verzeichnet. Der Generalsekretär
der Wiener Warenbörse Vidéky war anderer Ansicht; er sagte,
daß jede staatliche Intervention in betreff der Lieferungsfristen
nutzlos wäre; da diese nicht willkürlich in den Usancen festgestellt
worden seien, sondern sich von selbst, „einerseits nach dem Zeit-
punkte der Ernten, andererseits nach dem Zeitpunkte des Er-
schöpfens der Vorräte und der Notwendigkeit, andere Vorräte an
deren Stelle herbeizuschaffen“, entwickelt hätten. Eine Abkürzung
in dem Sinne, daß Zeitgeschäfte nicht auf zu lange Termine hinaus
abgeschlossen werden sollten, würde nur bewirken, daß das Zeit-
dem Effektivgeschäfte auf ein Haar nahe gerückt würde. Die Frage
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 339
nach der zulässigen Dauer der Kündigungsfristen hat Videky ganz
anders verstanden, als ich (s. auch Horovitz III, 584); ich übergehe
daher seine bezüglichen Ausführungen und bemerke nur, daß seine
Aeußerungen in betreff der Lieferungsfristen meines Erachtens nichts
weniger als ein Gegenargument gegen ihre Kürzung beibringen ; sie
zeigen nur, wie schwer es manchen Praktikern wird, sich von der
Vorstellung freizumachen, daß, was ist, schon durch seinen that-
sächlichen Bestand seine Berechtigung erweise, und daß die Inter-
essen des Handels für die Volkswirtschaftspolitik bestimmend
seien; auch andere Experten, so Börsenrat Kauders, haben die
bestehenden Usancen für vollständig berechtigt, jede Aenderung
also als überflüssig erklärt. Im Gegensatze zu diesen Experten hat
B. Schwitzer, einer der energischsten und vielleicht objektivste
Vertreter des Status quo, eine Aenderung der bisher üblichen
Lieferungsfristen als denkbar erklärt, wenn er auch in den
schlechten Kommunikationsverhältnissen zwischen Wien und Ofen-
Pest ernstliche Schwierigkeiten sah; das Recht aber, in diese
Sache hineinzureden, vindicierte er ausschließlich den Händlern,
während er allen anderen Berufsklassen die erforderliche Sach-
kenntnis absprach ; dabei konnte er darauf hinweisen, daß diese
Frage bereits wiederholt den Gegenstand ernster Beratungen inner-
halb des Börsenvorstandes gebildet habe (IV, 156). Auch Dr. Weiß
v. Wellenstein stand auf dem Standpunkte Schwitzer’s. Ich will
diese meines Erachtens irrigerweise in der Enquöte als nebensächlich
betrachtete Frage nunmehr verlassen und auf eine andere übergehen,
die, wie mir scheint, das Interesse stärker auf sich gezogen und in
die Verhandlung ab und zu sogar einen Ton der Gereiztheit hinein-
getragen hat, die Frage nämlich über die Zulassung der Einwen-
dung von Wette und Spiel.
Das österreichische Börsengesetz sagt in den $$ 12 und 13:
„Als Börsengeschäfte sind jene Geschäfte anzusehen, die im ôffent-
lichen Börsenlokale, in der festgesetzten Börsenzeit über solche
Verkehrsgegenstände geschlossen worden sind, welche an der be-
treffenden Börse gehandelt und notiert werden dürfen. — Bei der Ent-
scheidung von Rechtsstreitigkeiten aus Börsengeschäften ist die Ein-
wendung, daß dem Anspruche ein als Wette oder Spiel zu beurteilendes
Differenzgeschäft zu Grunde liege, unstatthaft.“ Ich brauche hier
wohl nicht darauf hinzuweisen, daß der $ 13 parallel mit den
Wandlungen in den allgemeinen, wirtschaftspolitischen Anschauungen,
seit er in Kraft getreten ist, auch sein Anwendungsgebiet in der
Praxis verändert hat; heute wird er im allgemeinen von den Ju-
risten strikte aufgefaßt, also nur für auf der Börse abgeschlossene
Börsengeschäfte als geltend betrachtet; diese Anschauung ist aber
noch nicht so abgeklärt und noch nicht so weit verbreitet, daß sie
zu voller Rechtssicherheit führen würde. Die Meinungsverschieden-
heitin der Enquête bezog sich im Wesen darauf, ob der Paragraph ganz
abzuschaffen, also auch für auf der Börse abgeschlossene Differenz-
geschäfte außer Kraft zu setzen sei, oder nicht. Dr. Landesberger
22*
340 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
sprach sich zwar für eine Einschränkung des Kreises derjenigen
Personen aus, die sich dem Schiedsgerichte unterwerfen können,
verlangte aber, daß eben diesen Personen die Differenzeinwendung
nicht zugänglich gemacht werden solle (IV, 81, 176). In ähnlichem
Sinn und ausführlicher Begründung äußerte sich Prof. Grünhut
(IX. 626), indem er erklärte, alle auf dem Terrain der Börse selbst
abgeschlossenen Zeitgeschäfte müßten unter allen Umständen legitim
und klagbar sein, wobei die inneren Motive der Kontrahenten ganz
gleichgiltig seien; jedes derartige Börsengeschäft müsse vom Gesetz-
geber als Effektivgeschäft fingiert und als solches unwiderlegbar
präsumiert werden. Nur diese den Differenzeinwand ausschließende
Auffassung „entspreche dem Geiste des Handelsrechtes und der
Sicherheit des Geschäftsabschlusses“. Außerhalb der Börse abge-
schlossene Differenzgeschäfte (mit der gleich zu erwähnenden Aus-
nahme) sollen aber keinen Schutz finden, ihnen gegenüber sei jene
Einwendung durchaus zulässig. „Der Gesetzgeber brauche keinen
Anstand zu nehmen, aus höheren volkswirtschaftlichen Rücksichten
sogar den wortbrüchigen Spieler zu schützen“; alle außerbörs-
lichen Termingeschäfte seien als präsumtive Differenzgeschäfte auf-
zufassen; eine Ausnahme bilden nur diejenigen, welche von berufs-
mäßigen Börsenbesuchern oder von registrierten Kaufleuten abge-
schlossen werden; bei diesen müsse vor allem der Grundsatz von
Treu und Glauben gelten, ihnen gegenüber sei also der Differenz-
einwand nicht zulässig. — Um das Differenzspiel des großen Publi-
kums, das Grünhut als ,parasitarisch und am Volkswohlstande
nagend“ bezeichnete, einzudämmen, würde aber die Zulassung des
Differenzeinwandes nach seiner Auffassung nicht genügen; er schlägt
daher eine gesetzliche Bestimmung etwa folgenden Inhaltes vor:
„Wer gewerbemäßig innerhalb oder außerhalb der Börse Geschäfte
über Wertpapiere oder Waren, die an einer Börse gehandelt und
notiert werden, für Personen, die nicht berufsmäßige Besucher einer
Börse oder registrierte Kaufleute sind, vermittelt oder für deren
Rechnung abschließt, obwohl er weiß oder wissen muß, daß diese
Geschäfte ihrer wahren Beschaffenheit nach bloß Wetten auf das
Steigen und das Fallen der Preise sind, macht sich eines Vergehens
schuldig, wenn er eine zur effektiven Erfüllung des Geschäftes ge-
nügende Deckung nicht empfangen hat, oder nicht mit voller
Beruhigung erwarten kann, und soll mit Arrest von 1 Monat
bis zu 1 Jahre und mit Geldstrafe bis zu 10000 Kr. bestraft
werden.“ Der Spieler selbst müßte allerdings straflos bleiben.
Prof. Grünhut ging noch weiter und forderte, daß auch gemeinge-
fährliche Spekulanten auf der Börse selbst verfolgt und wie leicht-
sinnige Kreditare behandelt werden, in folgender Weise: „Wer in
Wertpapieren oder Waren, die an der Börse gehandelt und notiert
werden, in- oder außerhalb der Börse Geschäfte abschließt, die wegen
der Höhe des Betrages mit seinem Vermögen und Kredit in so
auffallendem Mißverhältnisse stehen, daß eine effektive Erfüllung
dieses Geschäftes von vornherein unmöglich ist, macht sich eines
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 341
Vergehens schuldig und soll mit Arrest von 1 Monate bis zu 1 Jahre
bestraft werden.“
Die große Autorität, welche Prof. Grünhut zukommt, mußte
sein Plaidoyer gegen den Einwand von Spiel und Wette bei an
der Börse oder von gewissen Personen außerhalb der Börse ab-
geschlossenen Geschäften als besonders bedeutungsvoll erscheinen
lassen ; trotzdem und trotz der Zugeständnisse, die Grünhut der
öffentlichen Meinung der Gegenwart machte, fand er doch Wider-
spruch, die sich freilich weniger von streng juristischen Gesichts-
punkten, als von dem Gedanken leiten ließ, es solle das Differenz-
geschäft, wo immer es vorkommen möge, ob auf der Börse oder
außerhalb derselben, als volkswirtschaftlich schädlich bekämpft und
soviel wie möglich ganz ausgeschaltet werden. Aber nicht nur von
seiten der Vertreter der Landwirtschaft und derjenigen Experten,
die sich ihnen in diesem Punkte angeschlossen hatten, wurden die
Vorschläge Grünhut’s nicht mit voller Zufriedenheit aufgenommen,
auch einige Vertreter der Börse stießen sich freilich aus anderen
Gründen an denselben oder doch an Einzelheiten seiner straf-
rechtlichen Pläne (Schwitzer IX, 673, 732, Weiß-Wellenstein
IX, 730, Börsenpräsident Jonas Weil IX, 734. Horovitz be-
mängelte zwar auch die nach seiner Ansicht zu enge Abgrenzung
des vom Differenzeinwande auszuschließenden Personenkreises, indem
er in denselben auch jene aufgenommen wissen wollte, „die vermöge
ihres Berufs- und Geschäftsbetriebes sich mit dem Ein- und
Verkaufe von Verkehrsgegenständen der Produktenbörse beschäftigen “;
er war aber in anderer Richtung wesentlich entgegenkommender,
als die eben genannten Experten, indem er zugab, daß bei den, den
inländischen, landwirtschaftlichen Berufskreisen angehörenden Per-
sonen der Differenzeinwand unter der Voraussetzung zu gestatten
sei, daß der Geschäftsumfang zu dem landwirtschaftlichen Betriebe
in auffallendem, den anderen bekannten Mißverhältnisse stehe.
„Allen anderen Personen gegenüber aber soll, ohne Rücksicht auf ihren
Beruf und ihren Geschäftsbetrieb, ihren Bildungsgrad und ihre Kapitals-
kraft von Gesetzeswegen die Unklagbarkeit der börsenmäßigen Termin-
geschäfte (an der Produktenbörse) ausgesprochen werden.“ Die Not-
wendigkeit der von Grünhut geforderten Strafbestimmungen würde
damit entfallen; sie sei übrigens auch heute schon nicht vorhanden,
da seit Einführung der neuen Civilprozeßordnung die Heranziehung
und Ausbeutung wirtschaftlich schwacher, berufsfremder Elemente
an der Wiener Produktenbörse gänzlich aufgehört habe“ (IX, 752).
Mit diesen Vorschlägen ist Dr. Horovitz in wichtigen Punkten
über Grünhut hinausgegangen, in der entscheidenden Frage der
Abschaffung des $ 13 des Börsengesetzes als Ganzem hat aber auch
er nicht transigiert. Mit einem Vorschlage in diesem Sinne ist vor
allem Prof. Dr. Adler hervorgetreten (z. B. IV, 145, VII, 250); er
hat seinen Standpunkt sehr mühsam verteidigen müssen, da er
überaus heftig bekämpft worden ist, hat aber meines Erachtens
schließlich das richtige Wort gefunden, indem er sagte, man müsse
349 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
unter allen Umständen davon absehen, das Unmoralische selbst mit
Moral durchtränken zu wollen. Ich selbst habe mich zu dieser
Frage in dem oben angedeuteten Sinne geäußert und meine Position
ebenfalls zu halten versuchen müssen und zwar insbesondere gegen
Dr. Horovitz und seine wohldurchdachten Einwendungen, über-
dies aber auch gegen Bedenken, die in ganz objektiver Weise und
zum Zwecke der Klärung des Problems von seiten des Präsidiums
ausgesprochen worden sind. Bei der Wichtigkeit der Frage und
im Interesse voller Objektivität kann ich hier diese Diskussion
nicht ganz übergehen; ich möchte aber vorerst bemerken, daß
über den gegenwärtigen Umfang des Differenz- im Rahmen
des Termingeschäftes von seiten der Vertreter der Börse die ver-
schiedenartigsten Urteile ausgesprochen worden sind. Während von
der einen Seite behauptet wurde, das reine Differenzspiel sei an
der Börse ganz unbedeutend und komme nur selten vor, trat aus
den Ausführungen anderer zu Tage, daß es denn doch keine
geringe Rolle spiele; nicht der Börse angehörende Experten stellten
seinen quantitativen Umfang noch erheblich höher, wobei freilich
vielleicht eine etwas extensivere Auffassung über den Begriff des
Differenzgeschäftes nicht geringen Einfluß auf dieses Urteil gehabt
haben mag. Ich möchte hier nur auf die von mir aufgestellten
Kategorien verweisen, die, soviel ich das Material übersehe, eigent-
lich nur von Prof. Adler und auch von diesem meines Erachtens
mehr aus formellen Gründen in ihrer Berechtigung angegriffen
worden sind. Es ist wohl gewiß, daß, wenn das Differenzspiel
heute nur geringe Bedeutung hat, auch das ganze Problem eben
für heute mehr in den Hintergrund treten kann; es ist aber ebenso
wahr, daß die quantitative Bedeutung dieser Geschäftsart sich sehr
heben und damit der Differenzeinwand resp. das Verbot desselben
an Wichtigkeit sehr gewinnen könnte. Da aber die in Frage
stehende Reform unmöglich für jede mögliche Situation an der
Börse besondere Bestimmungen treffen kann, und da es wenigstens
in der Absicht gewiß gelegen ist, die Reform nicht nur mit Giltigkeit
für kurze Zeit durchzuführen, so muß auch von jenen das Problem als
wichtig betrachtet werden, welche das Differenzgeschäft an der
Wiener Börse im jetzigen Zeitpunkte für unbedeutend halten; in
dieser Erkenntnis ist gewiß auch der Grund dafür zu suchen,
daß von Seite der Börse die Aufhebung des $ 13 so entschieden
bekämpft wurde. — Je seltener übrigens heute die Differenzspiele
vorkommen, um so geringer wäre naturgemäß auch die Erschütterung,
welche für die Börse als Folge der Aufhebung des $ 13 befürchtet
wird; um so leichter wäre aber auch das Ziel der Aufhebung, die
Beseitigung des Differenzspieles auch für die Zukunft zu erreichen.
Von Seite des Präsidiums wurde nun darauf hingewiesen, daß durch
die Zulassung des Einwandes von Spiel und Wette auch bei Börsen-
geschäften die diesem Einwande zu Grunde liegende Bestimmung
des Bürgerlichen Gesetzbuches vollständig geändert würde, daß
dadurch der ganze Börsenverkehr den Stempel größter Unsicherheit
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 343
erhielte; weiter würden dadurch nur die unsolidesten Elemente
Schutz finden, weil sich diese, und nur diese, wenn sie ein Spiel-
geschäft gemacht haben, hinter diesem Einwande verschanzen
würden, auch könnte durch die Börse selbst eine solche Reform
illusorisch gemacht werden, wenn sie sich einfach entschlösse,
Elemente, die sich hinter den Spieleinwand verschanzen, zu boy-
kottieren, endlich wäre zu bedenken, daß damit auch die moralische
Auffassung über den Geschäftsverkehr erschüttert würde. Dr. Horo-
vitz verwies auf die unmittelbare Entstehungsgeschichte des Börsen-
gesetzes und damit auch des $ 13, die auf die Krise des Jahres 1873
zurückführt. Der § 13 sei geschaffen worden, um der kauf-
männischen Unehrlichkeit und dem Vertragsbruche einen Schild zu
entziehen, dessen sie sich hätten bedienen können; es sollte dadurch
jene Strenge und Sicherheit begründet werden, deren die Volks-
wirtschaft zu einer gesunden Entwickelung bedarf. Die Aufhebung
des Paragraphen wäre geradezu „eine Freiprämie für kaufmännische
Wegelagerer“. Ich bin weit entfernt, das Gewicht dieser Ein-
wendungen zu unterschätzen und nicht ohne weiteres zuzugestehen,
daß der Paragraph viel für sich hat und das die Frage nur nach
sehr ernster Erwägung aller Umstände gelöst werden kann. Ich
erkenne die moralischen Bedenken gegen die Zulassung des
Differenzeinwandes an der Börse als durchaus begreiflich an und
sehe auch ein, daß seine Aufhebung vorübergehende Erschütterungen
der kaufmännischen Sicherheit verursachen würde; warum ich aber
doch von Dr. Horovitz abweiche, das hat seinen letzten Grund
darin, daß ich nicht nur Spieler, die, wenn sie verlieren, diese Ein-
wendungen erheben, für kaufmännische Wegelagerer halte, sondern
— im volkswirtschaftlichen Sinne — überhaupt alle diejenigen,
welche sich mit dem Differenzspiele im strengen Wortsinne abgeben.
Man soll nicht nur die ersteren, sondern alle Spieler von der Börse,
von dem Markte, an dem die Preise für das Hauptprodukt unserer
Landwirtschaft festgestellt werden, fernhalten. Das aber ist meines
Erachtens nur dadurch zu erreichen, daß man die Gewinnchancen
des Spieles auf ein Minimum herabsetzt, dies aber wieder am besten
dadurch — jeder Spieler kann ja heute Verlierer und morgen Ge-
winner sein — daß man über den jeweiligen Gewinner das
Damoklesschwert des Differenzeinwandes aufhängt. Dr. Horovitz
hat ganz recht, wenn er sagt, daß das nur um den Preis mancher
wirtschaftlicher Existenz zu erreichen sein würde; das wäre gewiß
bedauerlich; es ist aber bei keiner großen Reform, bei keinem
Fortschritte zu vermeiden, daß dem volkswirtschaftlichen Interesse
diese oder jene Privatwirtschaft geopfert werde. — Da ich übrigens
von der Meinung ausgehe, daß das Schiedsgericht, welches ja immer
. darüber zu entscheiden hätte, ob der Einwand zutreffe oder nicht,
durch seine Sachkenntnis nicht nur, sondern auch durch seine
genaue Personenkenntnis in die Lage versetzt ist, objektiv richtige
Entscheidungen zu fällen, eventuell auch ein gewisses Uebergangs-
stadium zu beobachten, kann ich mir diese Gefahren für reelle
344 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
Börsenbesucher wenigstens nicht als gar so groß vorstellen. Ich
gebe auch zu, daß das Schiedsgericht, wenn der $ 13 aufgehoben
würde, eine noch verantwortungsvollere Aufgabe hätte, als bisher,
glaube aber, daß es diese neue Pflicht einfach nicht ablehnen darf,
und daß sie es auch nicht ablehnen wird, weil ja die Börse gewiß
nicht wünschen kann, daß an Stelle der in weitgehendem Maße auch
die Billigkeit und die Börsenanschauungen in Betracht ziehenden
Judikatur des Schiedsgerichtes die viel strengere der ordentlichen
Gerichte trete. Schon heute hat übrigens das Schiedsgericht, aller-
dings nur im Falle sogenannter freiwilliger Unterwerfung, über
Differenzeinwendungen zu entscheiden und zwar gewiß ohne die
Unterstützung jener Personenkenntnis, die ihm zur Seite stehen
wird, wenn regelmäßige Börsenbesucher als Parteien erscheinen.
Jedenfalls hat das Schiedsgericht durch die Unbestimmtheit des
Ausdrucks \Spiel und Wette“ für seine subjektive Ueberzeugung
ein weites Feld der Wirksamkeit; daß es sich schon heute dieses
Umstandes bewußt ist und den Differenzeinwand nur sehr selten
als berechtigt anerkannt, haben wir schon gehört. Ich begreife,
daß der $ 13, wie Dr. Horovitz sagte, auch auswärts als muster-
giltig und nachahmenswert bezeichnet worden ist, ich gebe auch zu,
daß er unter den konkreten Verhältnissen seiner Entstehungszeit
nützlich gewesen sein mag; der seither wesentlich veränderten
Auffassung über die Aufgabe der Gesetzgebung auf dem Gebiete
der Volkswirtschaft gegenüber glaube ich aber, daß er nicht mehr
ernstlich verfochten werden kann. Gegen die Rechtsunsicherheit wird
das Schiedsgericht, durch seine Urteilssprechung binnen kurzem die
erforderliche Remedur zu schaffen wissen; gegenüber dem mora-
lichen Bedenken verweise ich aber auf die bereits citierte Aeußerung
Prof. Adler’s. — Es scheint mir klar, daß die Beseitigung des
$ 13 um so notwendiger wäre, wenn das Differenzspiel häufig vor-
käme, oder, wie auch behauptet worden ist, geradezu das vorwiegende
Geschäft der Produktenbörse wäre, was ich — nebenbei bemerkt —
für eine Uebertreibung halte.
Entscheidend für die praktische Bedeutung der vorgeschlagenen
Maßregel ist — die volle Loyalität des Schiedsgerichtes als selbst-
verständlich vorausgesetzt — die Frage, ob es möglich ist, ein
Differenzgeschäft aus den dasselbe begleitenden Umständen als
solches zu erkennen. Meines Erachtens sind in diesem Punkte
auch von den Vertretern der Börse sich widersprechende An-
schauungen geäußert worden. Wenn es aber wahr ist, daß der
Terminverkehr an der Börse derzeit ein ganz unbedeutender sei,
so muß es auch angesichts der ganzen Art und Weise der Ab-
wickelung der Termingeschäfte mit Bezug auf die ja bekannten
Persönlichkeiten der Terminhändler, auf die Zahl der Schlüsse, also `
auf die Menge der gehandelten Ware und auf andere objektive
Thatsachen leicht sein, wenigstens heute sich darüber ein Urteil
zu bilden; das Heute aber kann dann die Schule für das Morgen
werden. (S. Landesberger VII, 153: „Die Herren von der Börse
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 345
haben erklärt, sie wären nach Verlauf eines größeren oder geringeren
Zeitraumes zu erkennen imstande, zu welchem Zwecke und in welcher
Absicht solche Geschäfte abgeschlossen worden seien“.) Ich verlasse
nun diesen Gegenstand und gehe auf weitere Fragen ein, für die ich
aber wieder nur als Berichterstatter fungieren kann, da ich mangels
genügender Erfahrungen mir ein selbständiges Urteil nicht habe
bilden können.
Ueber die Frage des Verbotes aller Geschäfte mit Zuschuß-
(Nachschuß-) Vereinbarung haben sich Vidéky, Pia und
Landesberger geäußert, freilich auch noch viele andere Experten,
ich glaube aber, daß es genügt, über die Ausführungen der Ge-
nannten kurz zu berichten. Vidéky sprach sich entschieden gegen
die gesetzliche Sanktionierung dieses Verbots aus, das durch eine
Verordnung der Wiener Frucht- und Mehlbörse No. 7 ex 1889 be-
reits thatsächlich eingeführt, aber heute ganz zwecklos sei; es be-
deute nur eine „Warnungstafel gegen diejenigen, welche nicht berufs-
mäßige Kreise zum Terminhandel heranziehen möchten“; solche
Leute gebe es aber heute nicht mehr und berufsmäßigen Kontra-
henten, insbesondere finanziell schwächeren gegenüber könne der
Kaufmann auf die Sicherung nicht verzichten, die ihm die Zuschuß-
vereinbarung biete. Hofrat Pia sprach sich in ganz entgegen-
gesetztem Sinne aus, indem er ein Verbot aller Geschäfte mit Zu-
schuß- und Nachschußvereinbarung unter gesetzlicher Sanktion und
ohne Beschränkung forderte; Geschäfte mit Zuschußvereinbarung
tragen nach seiner Anschauung den Stempel der Irrellität an sich;
dieser Vertragspunkt sei vielleicht ein kennzeichnendes Moment
zur Unterscheidung des Börsenspiels zum legitimen Geschäfte.
Dr. Landesberger, derin seinen Ausführungen auch auf Dr. W eis-
hut (Einschlußpflicht) Bezug nahm, sprach sich mit eingehender
Begründung in demselben Sinne aus. Das Verlangen einer Deckung
sei gewiß unter Umständen eine kaufmännische Notwendigkeit, es
sei aber ein Unterschied, ob dieselbe anfänglich als Einschuß oder
nachträglich als Zuschuß gefordert werde; das Verlangen nach Zu-
schuß habe schon außerordentlich viel Unglück über die Börsen-
kreise selber gebracht und gebe den Kommittenten in außerordent-
licher Weise dem Kommissionär preis. Die Zuschußforderung habe
mitunter die Börse einen Tag lang demoralisiert; am nächsten Tage
habe sie sich als unnotwendig erwiesen, indessen sei aber eine An-
zahl von Existenzen bereits zu Grunde gerichtet gewesen.
Unter den am eingehendsten erörterten Problemen war das der
Reform des Kommissionshandels. Ich muß mich auch hier
auf kurze Andeutungen über die Ansichten nur weniger Experten
beschränken, um nicht allzu breit zu werden; es sind dies Pia,
Offermann, Grünhut, Adler, Landesberger, Schwitzer,
Pilat und Weishut. Hofrat Pia, den ich in solchen Fragen für
besonders maßgebend ansehe, sprach sich zwar nicht für eine be-
sondere Regelung der Kommissionsgeschäfte gerade im börsen-
mäßigen Getreidehandel, wohl aber für eine allgemeine Reform dieser
Institution durch Aenderung, resp. Ergänzung der bezüglichen Be-
346 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
stimmungen des Handelsgesetzbuches aus; da von dem Selbst-
eintrittsrechte des Kommissionärs mitunter Mißbrauch getrieben
werde, müsse ein Schutzmittel für den Kommittenten gefunden
werden; das würde am besten dadurch geschehen, daß Bestimmungen
ähnlich denen der BS 70--74 des deutschen Börsengesetzes ein-
geführt würden; der Kommissionär sei insbesondere zu verpflichten,
„den Kommittenten sofort nach Abschluß des Geschäftes zu ver-
ständigen und hierbei anzugeben, ob er das Geschäft mit einem
Dritten gemacht habe, oder ob er selbst in dasselbe eintrete; unter
Umständen habe er den dem Kommittenten günstigeren Preis in
Rechnung zu stellen, wenn er aus Anlaß der Kommission besser
gekauft oder verkauft habe; darin liege übrigens nichts Neues,
sondern nur eine Präcisierung der bisherigen Normen. In manchen
Punkten im gleichen Sinne, aber vielfach weit schärfer äußerte sich
Prof. Dr. Adler (IV, 141—144), der hierbei auf die Frage der
„abstrakten Schadenberechnung“ (s. hierzu auch v. Görski VI, 526)
zur Sprache brachte. Ich bedauere, daß mir die Rücksicht auf den
Raum es unmöglich macht, auf Prof. Adler’s Ausführungen in
diesen Punkten, wie leider auch in vielen anderen einzugehen; ein
kurzes Excerpt ohne Beigabe der Begründung wäre aber ganz wert-
los. Aehnlich steht es mit den Darlegungen Dr. Landesberger’s
(IV, 172), die sich zum Teile in die Form einer leichten Polemik
gegen Adler kleideten; auch er glaubte übrigens, daß in der Auf-
stellung von Bestimmungen, ähnlich denen des deutschen Börsen-
gesetzes, soweit das Selbsteintrittsrecht in Frage kommt, den größten
Uebeln gesteuert würde; überdies könnten Klauseln, durch welche
der Kommittent auf das Recht, den Selbsteintritt des Kommissionärs
auszuschließen, verzichten würde, als nichtig erklärt werden.
Hofrat Grünhut, dem sich Prof. Pilat anschloß, stellte das
deutsche Handelsgesetzbuch und das Bankdepotgesetz als Muster
für jede Reform des Kommissionsgeschäftes hin; der Kommissionär
sei zu verpflichten, wenn er selbst eintrete, den Beweis zu er-
bringen, daß er seine Pflicht getreu erfüllt habe, daß es ihm nicht mög-
lich gewesen sei, in der Zwischenzeit zwischen dem Einlangen des
Auftrages und der Absendung der Ausführungsanzeige über den
Selbsteintritt für den Kommittenten durch Abschluß mit einem
Dritten günstigere Bedingungen zu erzielen. Auch Strafbestim-
mungen gegen Untreue des Kommissionärs wären von Nöten. Auch
Frhr. v. Offermann sprach sich sehr entschieden für eine Reform
aus; besonders eindringend begründete Dr. Weishut seine An-
sichten (VIII, 443), der den Hauptgrund des Uebels darin sah, daß
die Provisionen der Kommissionäre zu niedrig seien und noch oben-
-drein fortwährend unterboten würden. Die Regelung aller ein-
schlägigen Verhältnisse, insbesondere die Verhinderung des so-
genannten Schnittes, sei schon auf verschiedene Weise versucht
worden, gewisse Vorbedingungen aber habe man nicht erfüllt; es
spiele da auch die Reformbedürftigkeit der Kursnotierungen herein
(Feststellung mehrerer Kurse im Verlaufe der Bürsenzeit); jedenfalls
solle der Kommissionär verpflichtet sein, in allen Fällen sofort nach
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 347
Ausführung des Geschäfts die Anzeige zu erstatten, nicht aber erst
nach Schluß der Börse; die Aufhebung des Selbsteintrittsrechtes
an und für sich sei nicht zu befürworten. Während Weishut
eine Reform des Kommissionshandels im allgemeinen für bevor-
stehend erklärte und eingehend die wunden Punkte in den gegen-
wärtigen Verhältnissen aufdeckte, begnügte sich Schwitzer damit,
einer besonderen Regelung des Kommissionsgeschäftes im Getreide-
handel zu widerraten. Dasselbe haben übrigens die meisten der
oben genannten Experten auch gethan. — Daß der „Schnitt“ der
Kommissionäre Gegenstand lebhafter Kontroversen war, sei nur
noch mit besonderer Bezugnahme auf Adler und Weishut kurz
angedeutet.
Eine eigene Gruppe von Reformvorschlägen betraf die Bekämpfung
von mit dem Terminhandel zusammenhängenden Uebelständen durch
eine besondere Steuerart. Zuerst hat Dr. Kienböck (V, 267)
eine progressive Besteuerung der Giri bei den Kündigungen vor-
geschlagen in der Weise, „daß derjenige, welcher kündigt, bezüglich
seines Umsatzes, seiner Lieferung an die erste Hand einem anderen
Satz unterläge, als bei der Lieferung von der zweiten an die dritte
Hand u. s. w.“, so daß der Händler suchen müsse, möglichst sofort
an die allerletzte Hand zu verkaufen. Nicht ein Verbot der
Skontration, wie es Prof. Adler vorgeschlagen hatte, soll durch
diese Besteuerung erreicht werden, wohl aber im letzten Effekte
soll dadurch die Notwendigkeit der Skontration wegfallen. — Ich
selbst habe einmal einen ähnlichen Gedanken erwogen, bin aber aus
verschiedenen Gründen davon abgekommen, geradezu einen solchen
Vorschlag zu machen; auf der einen Seite versprach ich mir nicht
sehr viel von einer solchen Maßregel schon der technischen Schwierig-
keiten wegen, und auf der anderen war ich der Meinung, daß ein
Vorschlag, der auf eine neue Steuer abzielen würde, nur dann be-
rechtigt erscheinen könne, wenn davon für den Staat ein erhebliches
Erträgnis und in betreff des eigentlichen Zweckes ein wirklich ent-
scheidender Erfolg zu erwarten ist. Ich beurteile den Vorschlag
nicht so strenge, wie Dr. Tollinger (VIII, 490), der eine Be-
steuerung des Termingeschäftes als ein sehr kleines Mittel be-
zeichnete, erwarte aber, wie gesagt, nur geringen Erfolg. Der
Verwaltungsrat der Länderbank, S. Kann (VII, 149), forderte als
einzig mögliches Mittel, „um den Terminhandel wirksam zu er-
schweren“, die Besteuerung der Zwischenhände, nicht des Zwischen-
handels; dabei bliebe das Geschäft zwischen dem Produzenten und
dem Konsumenten von jeder Steuer frei, ebenso das Geschäft
zwischen dem Produzenten und dem Händler einerseits, dem Händler
und dem Konsumenten andererseits, ebenso endlich Umsätze über
kleinere Qualitäten von Händler zu Händler. Steuerpflichtig wären
1) Geschäfte zwischen Händlern in größeren Quantitäten und 2) Ge-
schäfte zwischen Händlern und Outsiders. Dieser von Kann noch
näher ausgeführte und an praktischen Beispielen erläuterte Plan
ging darauf hinaus, „daß Händler, Produzent und Konsument für
ihre Geschäfte, denen keine wirkliche Warenbewegung folgt, die
348 Hermann v, Schullern-Schrattenhofen,
Steuer einmal, der Outsider eine solche für jedes Geschäft — Ein-
und Verkauf — zweimal zu entrichten haben wird“. — Diesem Vor-
schlag würde ich noch etwas skeptischer gegenüberstehen, als dem
Kienböck’s und zwar unter anderem auch aus steuertechnischen
Gründen. — Einen Besteuerungsvorschlag hat auch Dr. Weishut ge-
macht (VIII, 305) und zwar zunächst in betreff der mit dem
Börsenterminhandel kombinierten Arbitragegeschäfte und für jene
Blankogeschäfte in Usancegetreide ausländischer Provenienz, bei
welchen der Händler nicht nachweisen kann, daß er die Ware aus
dem Auslande wirklich bezogen und versteuert hat; den Grund hier-
für sieht Weishut in der preisdrückenden Wirkung, welche er
solchen Geschäften zu Lasten schreibt. Nebenbei sei bemerkt, daß
Weishut in einem Blankogeschäfte nicht ein reines Papiergeschäft
erkennt, sondern daß er dahinter immer eine reale Erfüllungsver-
pflichtung sieht. Weishut ging noch weiter und forderte für alle
Zeitgeschäfte in landwirtschaftlichen Produkten eine entsprechende
Besteuerung, da kein Grund bestehe, sie gegenüber dem Effekten-
umsatze günstiger zu behandeln; das soll aber nur gelten, wenn
nicht der eine Kontrahent Produzent ist und wenn die Geschäfte
auf Grund von Usancen geschlossen werden, oder wenn für die
Streitigkeiten aus demselben das Börsenschiedsgericht kompetent ist.
Die Erfassung des Steuerobjektes wäre durch Einführung der Register-
pflicht oder durch das Gebot von Juxtenbüchern zu ermöglichen. —
Diese Vorschläge scheinen mir technisch leichter durchführbar, als
die früher besprochenen, voraussichtlich wirkungsvoller und einen
größeren finanziellen Ertrag versprechend, wenn auch noch immer
nicht genügend präzisiert. Prof. v. Görski forderte die Besteuerung
aller Verträge, die nicht durch effektive Lieferung zwischen dem
ursprünglichen Kontrahenten abgewickelt werden und zwar ohne
Progression (Kienböck) und ohne Steuerfreiheit zu Gunsten der
Produzenten und Konsumenten (Kann). Die ungeheuere Ueberlegen-
heit des Termin- gegenüber dem Effektivhändler — der Terminhändler
kann das Getreide effektiv zu einem Preise liefern, der dem anderen
Händler Verlust brächte; der Terminhändler kann — überdies —
Blankogeschäfte ohne die Kosten der Lagerung, der effektiven Liefe-
rung u. s. w. machen, der andere kann das nicht — rechtfertigt
nach seiner Ansicht durchaus eine solche Besteuerung, die nicht den
Charakter einer Strafe haben, wohl aber nicht nur die Land-
wirtschaft und die Industrie, sondern auch den effektiven Handel in
seiner Konkurrenzfähigkeit gegen den Terminhandel schützen soll.
Damit hinge die Auferlegung des Schlußnoten- und Deklarations-
zwanges zusammen. Als Erfolg einer solchen Besteuerung erhofft
Görski auch eine Abnahme der so gefährlichen Preisschwankungen.
Dieser Vorschlag Görski's ist der radikalste, damit aber auch
einfachste und wohl wahrscheinlich wirkungsvollste; ich möchte ihm
daher meinerseits in allem wesentlichen zustimmen. — Von den
vielen sonstigen Fragen, die in der Enquête noch besprochen worden
sind, möchte ich nun nur noch ganz kurz Erwähnung thun. Ins-
besondere Dr. Adler (III, 615) und Prof. Görski (VI, 526) haben
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 349
sich, wie schon angedeutet, über die abstrakte Schadenbe-
rechnung und ihre Verwerflichkeit geäußert; die sogenannte
Minderwertsklausel (s. $ 56 der Usancen) bildete den Gegen-
stand eingehender Ausführungen vor allem Prof. Adler’s (III, 615)
und des Hofrates Pia (II, 385), der die Ansicht vertrat, es solle
diese Klausel im inländischen Verkehre ganz beseitigt werden; im
übrigen sollte man bei der angeblich in neuester Zeit herrschenden
Praxis des Schiedsgerichtes bleiben, nur bei einem sehr geringen
Prozentsatze des Minderwertes die Lieferung zuzulassen, die Ware
aber immer zurückzuweisen, wenn der Minderwert so groß ist, daß
sie im Geschäfte des Käufers zu dem beabsichtigten Zwecke nicht
mehr verwendbar erscheint.
Eine äußerst dornige Frage war die, ob mit einem Verbote oder
einer Reform des Terminhandels vorgegangen werden könne und solle,
auch ohne daß ein Uebereinkommen mit Ungarn in dieser Richtung
vorher erzielt wäre. Man dachte dabei nicht nur daran, daß die große
Masse unseres Getreideimportes aus Ungarn stammt, das ja im
Jahre 1896 auch eine Enquete über den Terminhandel abgehalten
hat, ohne aber vorerst Neigung zu einer Reform desselben zu zeigen,
sondern hat dabei auch mehrfache andere Erwägungen im Auge
gehabt. Diese Frage ist nur von einigen Experten ernstlich dis-
kutiert worden, die meisten antworteten nur mit ja oder nein; am
entschiedensten sprach sich wohl Dr. Lecher mit ja aus, die Ver-
treter der Börse so ziemlich ausnahmslos mit nein. Da nun aber
diese Angelegenheit, wenn man sie nicht auf ihre letzten Voraus-
setzungen verfolgen kann, eigentlich so gut wie gar kein theoretisches
Interesse hat und ihre praktische Lösung gewiß fast ausschließlich
von der Opportunität diktiert werden wird, gehe ich ganz darüber
hinweg, ebenso über alle anderen Fragen, die sich nur auf die
Mittel beziehen, welche anzuwenden wären, um den Erfolg einer
eventuellen Reform oder des Verbotes zu sichern. Nur über die
Frage des Terminregisters möchte ich mir wenige Worte er-
lauben. In meinen Ausführungen habe ich erklärt, daß ich auf eine
solche Einrichtung wenig Gewicht legen würde, obwohl es mir ganz
unverständlich sei, warum man sich so leidenschaftlich auf seiten
der Händler dagegen sträube; Dr. Landesberger glaubte dagegen,
daß die Idee des Terminregisters eine sehr gesunde und nützliche
sei, die einen Fortschritt bedeuten und vielen Uebelständen abhelfen
würde; daß im Deutschen Reiche auf dem dort in Betracht kommenden
Gebiete dieser Erfolg nicht erzielt worden sei, müsse man auf die
unglückliche Ausführung schieben. Wir haben schon Gelegenheit
gehabt, darauf hinzuweisen, daß auch andere Experten für eine
ähnliche Einrichtung eingetreten sind, z. B. Dr. Weishut, Pilat,
Dr. Kienböck u. s. w., und ich erwähne nur noch, daß auch in
diesem Punkte sich die Vertreter der Börseninteressen ablehnend
verhielten, so z. B. Weiß v. Wellenstein (IV. 597); Kann sprach
sich mit Rücksicht auf die in Deutschland gemachten Erfahrungen
zwar auch nicht für ein Börsenregister aus, obwohl diese Einrichtung
im Prinzipe nicht so schlecht wäre; mit Rücksicht auf seine Vor-
390 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen,
schläge wünschte er aber die Schaffung eines Umsatzregisters. Die
letzte Fragengruppe betrifft die Börsenautonomie. Auch bei
den Antworten hierauf traten die Gegensätze der Interessentenkreise
hervor; die einen Experten hielten die bestehenden Einrichtungen
für vollständig genügend und zweckentsprechend, die anderen for-
derten eine besondere Vertretung der landwirtschaftlichen Berufsklasse
ebenso wie der Konsumenten im Börsenrate, resp. eine kuriale Ver-
tretung sämtlicher Interessentengruppen in demselben. Dr. Landes-
berger (IV, 178) sprach sich entschieden dahin aus, daß die
Landwirtschaft im Börsenrate mit beschließender Stimme und zwar
kurialmäßig repräsentiert sein müsse als wirklicher Geschäftskon-
trahent. Da man ihm einwendete, daß ja gar keine Schwierigkeit
dagegen bestehe, daß Landwirte, welche Mitglieder der Börse werden,
auch in den Rat gelangen, verwies er auf $ 13 des Statutes, welches,
wenigstens seinem Wortlaute nach, den Landwirten das passive
Wahlrecht abspricht. Eine kuriale Vertretung der Landwirtschaft
sei auch im Interesse der anderen Berufszweige gelegen, da nur
dann die volle Garantie für die absolute Sachlichkeit der Beschlüsse
und für die Vermeidung weitgehender Spaltungen geschaffen wäre.
Ich glaube, daß eine Vertretung der Landwirtschaft im Börsenrate
— am besten kurial!) — unter allen Umständen notwendig ist, da
ja die Börse thatsächlich zur Herrin über Wohl und Wehe, über
Sein und Nichtsein dieser Berufsklasse geworden ist oder doch
werden kann; ich glaube, daß die Forderung der Börsenvertreter,
die landwirtschaftlichen Mitglieder des Börsenrates müßten, bevor sie
gewählt werden können, Mitglieder der Börse sein, viele Berechtigung
für sich hat, denn „wer nicht die Börsentaxe bezahlt, hat auch bei
der Verwaltung des Börsenvermögens nicht mitzureden“ ; andererseits
sind mir aber die Schwierigkeiten ganz verständlich, welche aus
einer solchen Bestimmung erwachsen würden; ich meine daher, daß
ein Ausweg in der Weise gesucht und gefunden werden sollte, daß
laut der zu schaffenden neuen Statuten eine bestimmte Anzahl von
Börsenratsmandaten praktischen Landwirten zu reservieren wären,
und daß die hierfür Gewählten, wenn sie nicht schon Mitglieder der
Börse sind, durch die Annahme der Wahl es werden müssen (s. z. T.
in anderem Sinne Sand IX, 705), oder aber von einer Aufgabe des
Börsenrates, nämlich von der Verwaltung des Börsenvermögens aus-
geschlossen bleiben. Auf die zweifellos reformbedürftigen derzeitigen
Wahlmodalitäten gehe ich nicht ein (Fuhrich VII, 238).
Unter allen Umständen muß bei all diesen Fragen festgehalten
werden, daß die Börse vermöge der enormen Rolle, die sie im
Wirtschaftsleben spielt, nicht mehr als ein isoliertes Werkzeug des
Handels betrachtet werden darf, sondern als ein mitten im Orga-
nismus der Volkswirtschaft im weitesten Sinne stehendes Organ
derselben, das sich daher auch in den Dienst dieses Organismus
einpassen und seinen Zielen und leitenden Ideen, wie man sie jeweils
versteht, dienstbar sein muß; innerhalb dieser Grenzen soll und
1) Fuhrich (VII 238).
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 351
muß sie autonom sein; daß aber die Grenzen eingehalten werden,
darüber zu wachen, kann nicht dem Kreise der Händler allein über-
lassen werden.
Schluß.
Ich bin damit am Ende meiner Ausführungen angelangt; ich
habe mich in denselben, so gut es ging, befleißigt, alles zusammen-
zustellen, was an dauernd Wertvollem von der Enquête zu Tage ge-
fördert worden ist. Um Wiederholungen möglichst zu vermeiden,
habe ich mich darauf beschränkt, zu den einzelnen Fragepunkten
immer nur einzelne, und zwar jene Experten zu nennen, deren
Gedanken mir am charakteristischsten schienen; wenn dabei vielleicht
die Praktiker etwas zu kurz gekommen sind, so möge das damit
entschuldigt werden, daß ich selbst Theoretiker bin und als solcher
mehr den allgemeineren Gesichtspunkten Verständnis entgegenbrachte
und mein Interesse zuwendete. Daß eine Reihe von Experten, so
R. v. Proskowetz, Walzmühlendirektor Laimer u. s. w. keine
besondere Erwähnung gefunden haben, hat nur hierin, nicht aber
etwa in einer Geringschätzung ihrer Ansführungen seinen Grund.
Daß ich überhaupt nicht die ganze Fülle des Materiales auch nur in
den wichtigsten Punkten ausgeschöpft haben mag, gebe ich zu; die
Unübersichtlichkeit desselben — vorläufig fehlt noch ein Index —
trägt zum Teil die Schuld daran, zum Teil aber wohl auch die Not-
wendigkeit, den Raum nicht allzu sehr in Anspruch zu nehmen. Was
Hofrat Grünhut sagte, ist jedenfalls wahr, daß nämlich die Enquête
eine wahre Fundgrube sowohl für den theoretischen Juristen, als
auch für den praktischen Staatsmann bilde; was ich in ihr gefunden
habe, ist oben kurz zusammengestellt. Ich habe, leider, vielleicht
nur zu viel Raum meinen eigenen Anschauungen überwiesen, weil
ich so eine koncisere und übersichtlichere Darstellung zu erreichen
hoffte, als wenn ich den Excerpten aus den Ausführungen der ein-
zelnen Sachverständigen immer meine Kritik angereiht hätte. In
diesem Sinne möchte ich zum Schlusse auch noch für einen Augen-
blick mich selbst zum Worte kommen lassen. Ich glaube, daß die
Reform des Terminhandels zwar eine wichtige, aber doch immer nur
eine unter den zahlreichen Maßregeln ist, die für die Hebung der
landwirtschaftlichen Bevölkerung in Oesterreich ergriffen werden
müssen. Als die wirksamsten derselben betrachte ich die Einführung
von Zwangsgenossenschaften der Landwirte und die Ausgestaltung
des Lagerhauswesens auf nicht kapitalistisch-spekulativer Grundlage
— ich meine also — unter der Aegide des Staates, der Länder und
der Gemeinden.
Nochmals verweise ich auf die außerordentlich wertvolle Publi-
kation: „Das Getreide im Weltverkehr“, durch welche sich das
Ackerbauministerium v. Juraschek und Scheimpflug ein dauerndes
Verdienst um die Wissenschaft erworben haben.
Brünn im Februar 1901.
352 Henry W. Wolff,
Nachdruck verboten.
V.
Die sozialistische Bewegung in England.
Henry W. Wolff in London.
England, das Land des freien Wortes und des freien Vereini-
gungsrechtes, gilt schon lange als bevorzugte Brutstätte des Sozialis-
mus. In trüber Zeit haben die Leiter der sozialistischen Bewegung
hier ein willkommenes Asyl gefunden. Hier haben sie ihre Gedanken
zur Reife gebracht, von hier aus haben sie sie in die Welt hin-
aus verbreitet. Neueren Forschungen zufolge darf England sogar,
wie noch nachgewiesen werden wird, auch als der eigentliche Ge-
burtsort des neueren, specifisch revolutionären und ,wissenschaft-
lichen“ Sozialismus gelten. Unter solchen Umständen scheint die
Frage am Platze: Wie steht es nach so langer Keim- und Treibzeit
heute mit dem Sozialismus, der den Staatsmännern und Volkswirten
anderwärts so viel zu schaffen macht, in diesem seinem Urlande?
Auf diese Frage bekommt man verschiedene Antworten zu hören.
Während der praktische Staatsmann in gemeiniglich sich um den Sozia-
lismus gar wenig kümmern will, haben Sir William Harcourt und,
seinem Beispiel folgend, der heutige König als Prinz von Wales
öffentlich erklärt: „Wir sind heute alle Sozialisten“. Der „Sozialis-
mus“ regt sich, wie es heißt, in Kirche und Gesellschaft; in den
Universitäten treibt er kräftige Triebe — man sagt heute beinahe
jedem Professor der Nationalökonomie sozialistische Anschauungen
nach; die städtischen Verwaltungen sollen von ihm besessen sein,
und in seinem kleinen Buche „Socialism in England“ stimmt Sidney
Webb, der im Ausland oft, aber mit Unrecht, als der erkorene Wort-
führer des englischen Sozialismus angesehen wird, ein wahres Triumph-
lied über die vermeintlichen Erfolge des Sozialismus an, der, ihm
zufolge, heutzutage in England geradezu zum herrschenden Faktor
geworden ist. Auf der anderen Seite klagen die anerkanntesten Sozia-
listen, darunter selbst Hyndman, der wahre englische Marx, über
den lahmen, zögernden Gang der Bewegung, die allerdings eine im-
posante Reihe von 94 Vertretern zu dem internationalen Kongreß in Paris
Die sozialistische Bewegung in England. 353
sandte, es daheim indessen bis jetzt noch nicht zur Bildung irgend einer
erkennbaren Partei gebracht hat, kein effektiv den Sozialismus ver-
tretendes Mitglied in das Parlament entsandt hat. „Es muß zugestanden
werden“, so spricht sich das amtliche Organ der „Social Democratic
Federation“, das Blatt „Justice“, in einer seiner neuesten Nummern
aus, „daß im Hinblick auf das langsame Wachstum sozialistischer
Organisationen eine gewisse Entmutigung eingetreten ist. Zweifellos
breiten sich sozialistische Ideen schnell aus, vor allem unter den
mehr denkenden Mitgliedern der oberen und mittleren Stände. Doch
die Krystallisierung derartiger Bestrebungen in disciplinierten Orga-
nisationen, welche zu praktischem und einmütigem Handeln befähigt
sein würden, schreitet nur langsam vorwärts“. Hyndman, der schon
seit 1882 vergeblich „die nahende Revolution“ voraussagt, drückt
sich nicht viel anders aus. William Morris beklagte im Jahre 1896,
kurz vor seinem Tode, noch in dem „Forum“, daß sich in England
absolut keine sozialistische Partei bilden will, wie sie zu gedeihlichem
Werke doch nötig ist. Bernard Shaw erklärt: „Der Sozialismus würde
schon vorwärts gehen, wenn nur die Sozialisten nicht wären!“ Und
Herbert Burrows benutzt den Tod Liebknecht’s als Text zu einer Er-
mahnung an die englischen Sozialisten, es den deutschen nachzu-
machen, ihre inneren Zwistigkeiten beizulegen, Disciplin zu erlernen
und sich zu einmütigem Handeln zusammenzuraffen, wozu das Witz-
wort des Amerikaners Winchevsky, in der nämlichen Nummer des-
selben Blattes, beinahe als spöttischer Kommentar paßt: „Es wird
eine sozialistische Partei gesucht, welche nicht in Stücke zerfällt“.
Im Auslande scheinen Sozialisten zuzugeben, daß es in England
mit dem Sozialismus als thätiger Faktor nicht recht vorwärts gehen
will. Sie vertrösten sich indessen mit einem hoffnungsvollen: Das
kommt noch.
Wie reimen sich die angeführten widersprechenden Urteile über
die Lage des Sozialismus in England zusammen ?
Ganz vortrefflich. Es kommt nur darauf an, was man unter
„Sozialismus“ verstehen will. Harcourt hat recht, Sidney Webb hat
recht. Ebenso aber auch Hyndman, Burrows, Morris und „Justice“.
Ehe ich auf diese Frage weiter eingehe, sei es mir gestattet, in
aller Kürze die geschichtliche Entwickelung der sozialistischen Be-
wegung in England wiederzugeben.
Von den ersten Lehrern des Sozialismus im Abendlande — auf
den vermeintlichen Sozialisten Aristoteles, brauchen wir nicht zurück-
zugehen — also Fourier, Saint-Simon u. s. w., ist keine Veranlas-
sung hier weiter zu sprechen. Der träumerische, utopistische Sozialis-
mus dieser ersten Schule ist als treibende Kraft schon längst ver-
dorrt. Selbst Owen — dessen Anschauungen sich von denen heutiger
Sozialisten wesentlich unterscheiden — kann nicht mehr in Betracht
kommen. Das Gebäude, wozu er das Fundament legte, ist nicht in
dem heutigen Sozialismus, es ist in den heute blühenden Genossen-
schaften zu suchen, von denen sich viele Sozialisten, als entschieden
individualistisch, mit Abscheu abwenden. Der englische Sozialismus
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 23
354 Henry W. Wolff,
fing, in der ersten Hälfte des verstrichenen Jahrhunderts, mit Godwin,
Hall, Thompson, Gray, Hodgskin und Bray an, zu denen sich noch
andere, weniger bekannte, Leute gesellten, und welche in ihren Werken
schon vor Marx die hervorstechendsten Punkte des sogenannten Marxi-
stischen Sozialismus — Arbeit als alleiniger Ursprung aller Werte,
das Recht des Arbeiters auf den vollen Arbeitsertrag u. s. w. —
entwickelten. Angesichts dieser Urquelle war der Streit zwischen
Rodbertus und Marx über die Urheberschaft dieser Ideen gänzlich
überflüssig. In der 1847er Ausgabe seiner „Misere de la Philosophie‘
nennt Marx noch ehrlich seine englische Quelle und citiert zur Recht-
fertigung der verfochtenen Ansichten neun Seiten aus dem damals
8 Jahre alten Werke von Bray, in welchem der englische Schriftsteller
unter anderem die sogenannte Marxistische Auslegung des „Gewinnes“
kräftigst vertritt. Im Jahre 1859 („Zur Kritik“) nennt Marx seinen
englischen Vorgänger schon nur nebenbei in einer Anmerkung. In
seinem Buche „Das Kapital“ (1847) hat er ihn dann ganz vergessen.
Dort liest man kein Sterbenswörtchen mehr von Bray oder sonst
einem englischen Vorläufer.
Für England hat indessen alles dieses sozialistische Wirken der
zwanziger und dreißiger Jahre nur noch geschichtliche Bedeutung.
Die Saat wurde damals hier ausgestreut, ging aber nur anderwärts auf
und trug nur anderwärts Frucht. In England ging sie ein.
Die revolutionäre Bewegung des Jahres 1548, welche im Aus-
lande den Sozialismus so sehr begünstigte, fand auch in England
ihren Widerhall, der ja für den Sozialismus momentan treibend
wirkte. Man denke nur an die Chartistenbewegung! Unbedingt
gewannen damals hier sozialistische und kommunistische Ideen
Boden. Allein man bemerkte bald, daß die Revolution ander-
'ärts keine der erhofften wirtschaftlichen Erfolge thatsächlich mit
sich brachte, daß man in der That in England auf friedlichem Wege
und ohne Sozialismus weit mehr erlangte. Die staatlichen Werk-
stätten in Frankreich gingen ein. Andererseits übten verschiedene
Anlässe, vor allem die Entdeckung der kalifornischen Goldlager, in
England ihre kräftige Wirkung als Anreger zur Geschäftsentwickelung
aus. Dazu kamen die Eisenbahnen, die freie Getreideeinfuhr. Weiter
die Entwickelung der Arbeiterhilfskassen, bald danach der Ge-
nossenschaften, später auch der Gewerkvereine. Es war Arbeit voll-
auf, und den Umständen nach fühlte sich der englische Arbeiter-
stand trotz später zu erkennender, fortdauernder Mißstände wohl,
oder glaubte doch sich wohl zu fühlen. Und für die Zwecke einer
Agitation ist die „operaria gens“, gleich der „rustica gens“ bekannt-
lich „optima flens, pessima ridens.“ Während solchen wirtschaft-
lichen Wohlbefindens hatten die englischen Arbeiter für sozialistische
Lockungen keine Ohren. Auch heute sucht man sie ja schon seit
längerer Zeit mit Prophezeiungen, nicht eines sozialistischen Millen-
niums, sondern einer kommenden Geschäftskrisis und dadurch be-
dingter Arbeitslosigkeit zu kirren. Weder die eine noch die andere
Prophezeihung will sich indessen bewahrheiten. Effektiv der einzige
Die sozialistische Bewegung in England. 355
„Sozialismus“ aus jener Zeit, welcher sich länger erhielt, war der
Sozialismus der englischen „Christlich Sozialen“, erster Auflage, welcher
von dem heutigen zu unterscheiden ist, und der weiter weder mit dem
deutschen „Muckersozialismus“ noch mit dem Ketteler-Moufang’schen
katholischen Sozialismus irgend etwas gemein hat. Dieser „christ-
liche“ Sozialismus ist, wie heute nicht erst nachgewiesen zu werden
braucht, überhaupt kein Sozialismus. Sein ganzes Streben — unter
Maurice, Kingsley, Hughes, Vansittart Neal und dem allein noch
aus dieser Wirkerschar “überlebenden Ludlow — lief einzig auf die
Bildung von Genossenschaften, zumal der von den Sozialisten be-
sonders perhorrescierten Produktivgenossenschaften , auf Grund
christlicher Prinzipien, zumal der Nächstenliebe wohlhabender aber
freiwilliger Gönner, hinaus.
Mit dieser einzigen Ausnahme verfiel der Sozialismus in England
nach Ablauf der Periode akuter Aufregung in einen langen Winter-
schlaf, aus welchem ihn auch selbst nicht die hier einigermaßen be-
triebene „Internationale“ herauszurütteln vermochte — vielleicht
diese noch weniger als irgendwelche andere, mehr unmittelbare und
thatsächliche Erfolge versprechende, Form des neuen Evange-
liums. Sollte dieses Evangelium den Engländern mundgerecht
gemacht werden, so mußte es offenbar in ein neues Gewand gekleidet
werden.
Solches neue Gewand ist nun in der That gefunden worden.
Es stellt zugestandenermaßen den Sozialismus in wesentlich ver-
änderter Gestalt dar. Auf seine einzelnen Züge wird später einzu-
gehen sein.
Ein plötzliches Erwachen aus dem Winterschlaf erfolgte zu Be-
ginn der achtziger Jahre, und zwar auf Grund eines eigentümlichen
Anlasses. Gerade wie vor vielen Jahrhunderten ein Teil der halb-
friesischen Sachsen, welche das britische England unterjocht hatten,
nach Deutschland zurückkehrten und dort auf von den Thüringern
erobertem Boden ein großes Sachsenvolk heranbildeten, so kehrten
die ursprünglich von Thompson, Gray und Bray ausgegangenen eng-
lischen Lehren, welche mittlerweile in Deutschland und Frankreich
revolutionäre Sozialistenparteien entwickelt hatten, so gekräftigt nach
ihrer Ursprungsstätte zurück. Man wird gut thun, festzuhalten,
daß die gesamte heutige sozialistische Bewegung in England, so weit
sie überhaupt wirklich sozialistisch ist, keine indigene genannt werden
kann, sondern ihre Herkunft ganz und gar festländischer Eingebung
verdankt. Es ist im wesentlichen die Marxistische Lehre ins Eng-
lische übersetzt, doch nicht ohne Fallenlassen verschiedener Sätze,
die sich hier ganz klar als unhaltbar erwiesen haben.
Zu einem neuen Aufleben der jedenfalls in das Sozialistische über-
spielenden demokratischen Bewegung lagen die Umstände allerdings
damals günstig. Nur durfte man vor der Hand zugestandenermaßen
noch nicht offen von „Sozialismus“ sprechen, denn bei dem Worte
„sozialistisch“, so hat Hyndman erklärt, wären die Arbeiter scheu
geworden. Das 6-jährige Regiment des Tories mit ihrem Säbel-
23*
396 Henry W. Wolff,
gerassel war ZU Ende und man war ihrer Jingo-Gedanken herzlich
müde. Hätte noch eine weitere Anregung gefehlt, so hatte sie Glad-
stone durch seine zündende Beredsamkeit, die sich ja niemals durch
Maß auszeichnete, in den beiden berühmten „Midlothiancampagnen `
geliefert. So fortschrittlich dachte man damals allerorts, daß sich die
Liberalen am liebsten „Radikale“ und viele Konservative bereits
„Tory-demokraten“ nannten. Man liebt hier die starken Ausdrücke.
Das ganze Land schien mehr oder weniger in Gärung. SO daß man
in den großen Städten ernstlich über die Bewahrung der Ruhe be-
sorgt wurde und der Sozialist Hyndman nicht ohne mindestens
einen Schein von Begründung Zu sprechen schien, wenn er 1882 die
„Revolution“ in England als nahe bevorstehend bezeichnete. Auf
dem Lande hatten eine Reihe ausnahmsweise schlechter Ernten, die
Arbeiterbewegung unter Joseph Arch und die aufwiegelnde Thätig-
keit des Pächterbundes allgemeine Mißstimmung erweckt. Dazu kam
die äußerst wirkungsvolle Agitation auf Grund des Werkes von
Henry George in der Richtung nach Verstaatlichung des Grundes und
Bodens. Und auch das neue Wahlgesetz, welches trotz Widerstand
des Oberhauses 1884 zur Thatsache wurde, und für die ländliche
Bevölkerung eine bedeutende Ausdehnung des Wahlrechts bewirkte,
spielte schon vor. Der Grundbesitz ist ja in dem latifundienreichen
England immer der Punkt des bestehenden Systems, welchen die
fortschrittliche Politik am besten und am liebsten angreift, weil es
daran so gar viel zu makeln giebt. Wie sich der Sozialist in Deutsch-
land auf das „Kapital“ wirft, so läutet jeder Freund der Reform in
England instinktiv gegen die Gesetze, welche den Besitz und die
Verteilung des Grundes und Bodens regeln, Sturm. Deshalb auch
paßte der Gedanke der Verstaatlichung des Grundes und Bodens
hier, als Rückschlag vom extremen Standpunkt der individuellen Be-
sitzes, der in England noch dazu durch starke Vorrechte stark ge-
schützt war, schnell Boden, und erhält sich noch. In den Städten
war arger 'Arbeitsmangel und die Zahl der Unbeschäftigten wuchs
bedenklich. Die Gewerkvereine waren gerade im Uebergang zu neuerer
Entwickelung. Die alten Führer zogen sich zurück und machten
den neuen Platz, welche den mehr streitbaren „neuen Unionismus“
einleiteten, der mehr darauf bedacht ist, den Verein als Kampfmittel
denn als Hilfskasse auszubilden. Von Irland her übten die dortigen
Unruhen einen sympathisch elektrisierenden Einfluß aus. Selbst
nachdem Gladstone mit seinem vielversprechenden Ministerium ans
Ruder gekommen War, ließ die Gärung nieht nach. Denn, einmal,
werden die extremen Demokraten stets am rührigsten, wenn die ihnen
gewogenste Partei im Amte ist, von der sich ein Nachgeben erwarten
läßt, und weiter kann doch keine Partei wirtschaftliche Verhältnisse
unmittelbar beeinflussen. Ueberdies fuhr Gladstone in Irland mit
Zwangsmaßregeln fort und leitete eine aggressive ägyptische Politik
ein, was beides den äußersten Flügel stark mißfiel.
Mit der Bildung demokratischer Körperschaften, die bald mehr
oder weniger sozialistisch wurden, ließ sich unter diesen Umständen
Die sozialistische Bewegung in England. 351
schnell vorgehen. Im Jahre 1881 bildete sich als erster Organi-
sierungspunkt die „Democratic Federation“, welche sich dann 1883
zur „Social Democratic Federation“ umtaufte, und die sich selbst da-
mals, trotz jämmerlicher numerischer Schwäche, doch recht rührig
zeigte und seitdem zum anerkannten Mittelpunkt der sozialistischen
Bewegung geworden ist. Wie unklar damals noch die Ansichten auf
sozialistischer Seite waren, geht aus dem kurzen Lebenslauf der
1883 gebildeten ,Socialist League“ hervor. Ihre Gründer waren der
erst kurz vorher bekehrte Dichter William Morris, Eleanor Marx, (später
Aveling), und Belfort Bax, also lauter hochorthodoxe, hochzielende
und unnachgiebige Sozialisten. Um Mitglieder zu bekommen, ver-
bündeten sie sich vertrauensvoll mit einer Anzahl erklärter Anarchisten,
mit welchen es bald zum Bruche kommen mußte, und auch kam.
Die Liga hörte auf.
Die „Social Democratic Federation“ kann auch heute noch als
eigentlicher Kernpunkt der englischen sozialistischen Bewegung gelten.
Sie will wirklich sozialistische Ansichten vertreten. Sie hat eine un-
verkennbar Marxistische Grundlage. Will man sich bei ihrem an-
erkannten Führer, H. M. Hyndman, über ihre Zwecke Rat holen, so
findet man, daß der Sozialismus dort in starrster, schroffster, un-
nachgiebigster Form gepredigt wird. Hyndman hält mit eherner
Konsequenz an dem alten bekannten Marxistischen Ideal fest und
will von Halbmitteln, wie sie zur Beschwichtigung der herrschenden
Meinung heute oft vorgeschlagen werden, durchaus nichts wissen. Nur
das hat er nachgegeben, daß er manchmal (nicht immer) eine allmähliche
Umbildung des weiterlebenden Staates als Aequivalent für die früher
unbarmherzig verlangte Staatsumwälzung, und als statthafte Form
der unausbleiblichen „Revolution“ annimmt. Mit dem Kapital will er
nun und nimmermehr paktieren. Das muß schonungslos zerstört
werden, wenn eine gründliche Reorganisierung des wirtschaftlichen
Lebens statthaben soll. Die Munizipalisierung von Gasleitung, Straßen-
bahnen u. s. w., deren Erlangung viele Sozialisten ihrer Sache so
gar hoch anrechnen, bezeichnet er als eine der sozialistischen Ent-
wickelung geradezu schädliche „Krystallisierung bestehender Verhält-
nisse, eine Befestigung der Schranken, an deren Niederbrechen ge-
rade umgekehrt den Sozialisten liegen muß“. In der verstaatlichten
Post sieht man, ihm zufolge, wohin dergleichen Mittel führen.
Die Einrichtung wird Staatseigentum, aber ohne jedweden sozia-
listischen Geist. „Wir besitzen schließlich alles, und haben nichts.“
Solcher Besitz giebt dem Arbeiter nicht zu essen. Ein Zusammen-
gehen mit einer Kirche oder Anerkennung einer Religion erklärt er
für gänzlich unstatthaft. Die Religion ist ihm eine Fabel. Ebenso
verurteilt er ein politisches Zusammenwirken an der Wahlurne
mit ähnlich denkenden Parteien. „Wenn es nach mir ginge, sollte
jeder Sozialist hochkonservativ wählen.“ Damit sollen die bösen
Liberalen bestraft werden, welche den Sozialisten nicht ihren Willen
thun wollen. (Noch vor 3 Jahren indessen forderte mich derselbe
Hyndman auf, auf eine Verständigung zwischen den sozialistischen Ar-
358 , Henry W. Wolff.
beitern und der liberalen Partei vermittelst einer Besprechung aus-
gewählter Vertreter hinzuwirken, derart, daß die Liberalen den
Sozialisten, oder richtiger den sozialistischen Arbeitern, gewisse Man-
date zur Verfügung stellen sollten. Ich hatte früher in der liberalen
Parteiorganisation ein Ehrenamt bekleidet, welches mir solche Ver-
mittelung wohl ermöglicht hätte. Die sozialistische Arbeiterpartei
war damals gerade darüber besonders gereizt, daß die Liberalen
Tom Mann nicht als liberal-arbeiterparteilichen Kandidaten für Ha-
lifax gut geheißen hatten, was allerdings taktisch ein Fehler war.)
Kurz und gut, Hyndman hält an dem starren alten Grundsatz fest, will
sich den sozialistischen Sieg durchaus erkämpfen, und stellt sich
als Ziel die Umbildung des Staates zu einem neuen, vollkommen
sozialistischen, Gefüge hin.
Derartige schroffe Ansichten vermag er nun trotz seines An-
sehens selbstverständlich in ihrer vollen Stärke in seinem Ver-
bande nicht durchzusetzen, zumal dieser Verband mit den Hinder-
nissen seiner englischen Wohnstätte, ohne genügende Ausrüstung
zur Ueberwindung derselben, schon so wie so arg Zu kämpfen hat.
Seine Mitglieder — es sollen heute gegen 9000 sein, zur Zeit des 1896er
Kongresses zählte man indessen nur etwa 3000 — bestehen , dem
bereits herangezogenen Spruche Shaw’s entgegen, fast ausschließ-
lich aus Männern vom Arbeiterstande, was seine eigenen Leiter
als einen Anlaß zur Schwäche bezeichnen. Diese Arbeitermitglieder
sind allerdings vollkommen loyal. Sie suchen nicht etwa unter dem
Mantel eines allgemeinen Sozialismus specifische Arbeiterpolitik zu
betreiben, sie streben nach dem vollen Sozialismus. Sie besitzen
indessen nicht die Kenntnis, um entweder innerhalb der vorgezeich-
neten Grenzen streng konsequent zu bleiben, oder aber andererseits
genügend mit den Zeit- und Ortsumständen zu rechnen und ihre
Forderungen diesen anzupassen. Sie verlangen halsstarrig hier zu
viel, dort etwas, was sich mit dem Sozialismus nicht zusammenreimt.
So kommt es, daß man selbst in diesem Elitekorps eine völlige
Musterkarte von Ansichten zur Schau getragen sieht. Der eine be-
zeichnet das Kapital als absoluten Feind, der andere hat „nichts gegen
das Kapital“; der eine erklärt den Haß der Reichen für Pflicht jedes
guten Sozialisten, der andere lehnt diese Vorschrift entschieden ab;
der eine verlangt, daß der sozialistische Arbeiter möglichst wenig
arbeite, damit dem Arbeitgeber, der ihn im Lohne „betrügt“, Gleiches
mit Gleichem vergolten werde, der andere erhebt hiergegen Ein-
spruch, weil auf diese Weise die Sozialisten schließlich alle Arbeit
einbüßen müßten; der eine hält die Religion für mit dem Sozialis-
mus gut vereinbar, der andere spottet offen über heilige Dinge,
erklärt die Religion mit ihrem Versprechen eines zukünftigen Lebens,
mit Hyndman, für ein seitens der „konfiscierenden Klassen „geflissent-
lich in Anwendung gebrachtes chloroformartiges Betäubungsmittel,
und behauptet mit Morris und Bax, daß der Sozialismus eine eigene
Religion für sich bilde, daher auch seine eigenen „Kirchen“ aufsetzen
muß; der eine hält an Ehe und Familie fest, der andere verlacht
Die sozialistische Bewegung in England. 359
sie; der eine verlangt Entschädigung für den zu enteignenden Privat-
besitz, der andere weist eine derartige Zumutung entschieden zurück.
Und so geht das fort. Man sieht, Bernard Shaw hat nicht ganz
unrecht, wenn er, wie bereits angeführt, die Sozialisten selbst als
das größte Hindernis zur Ausbreitung des Sozialismus bezeichnet.
Das ist alles um so hinderlicher, als ja die Social Democratie
Federation sich auf Grund ihrer numerischen und finanziellen Schwäche
ganz allein damit begnügen muß, propagandistisch zu wirken. Eine
organisatorische Thätigkeit kann sie selber nicht in die Hand nehmen.
Vor allen Dingen fehlt ihr dazu das Geld. Wie soll aber weiter der
wirkungsvoll lehren, der selber mit einem vollen Dutzend verschiedener
Stimmen spricht. Auch mangelt der Social Democratic Federation,
wie Sidney Webb nachweist — wohl wesentlich aus diesem Anlaß —
alle Beständigkeit. Nicht allein schwankt die Mitgliederzahl be-
deutend; auch in den Personen der Mitglieder vollzieht sich ein auf-
fälliger Wechsel. Während alte austreten, treten andere, neu bekehrt,
ein, um vielleicht später ebenfalls wieder auszutreten. Auf diese
Weise bildet sich kein fester Kern, kein leistungsfähiges Heer.
Es bleiben zwei andere specifisch sozialistische Körperschaften
zu erwähnen. Sei hier, um bei der Arbeiterbewegung zu bleiben,
zunächst das Wesen zur Norm nehmend, mit Hintansetzung strenger
chronologischer Ordnung, zuerst der Independent Labour Party ge-
dacht, welche allein unter den drei Verbänden neben ihrer Propa-
ganda bisher auch organisatorisch hat auftreten, und in der Person
ihres Führers Keir Hardie für ihre Stimme im Parlamente Schall hat
gewinnen können. Andere Sozialisten oder angebliche Sozialisten,
die ins Parlament gekommen sind, sind nicht als Sozialisten gewählt
worden. Der heute einflußreiche John Burns unterlag ja jämmerlich
als erklärt sozialistischer Kandidat.
Die unabhängige Arbeiterpartei, obwohl ausgesprochen soziali-
stisch, ist der gleichgesinnten Social Democratic Federation ein Dorn
im Auge, weil sie sich durchaus nicht mit ihr, natürlich unter Leitung
der älteren aber heute schwächeren Körperschaft, vereinigen will.
Dazu ist, wie Keir Hardie kürzlich erklärt hat, vorderhand auch
gar keine Aussicht vorhanden. Und da die Independent Labour
Party mittlerweile numerisch stärker geworden ist als die Federation,
nämlich etwa 13000 stark, so wird das voraussichtlich um so weniger
werden, je mehr man in der Zeit vorwärts schreitet. Man nähert sich
von Zeit zu Zeit, kokettiert miteinander, schließt ein Bündnis, und
wird dann wieder kalt und fremd. Den Gewerkvereinen will die
Social Democratic Federation ihre gesonderte Stellung auf Grund
eigener specifischer Zwecke nicht verargen, vermutlich weil mit einem
derartig kräftigen Nachbar nicht zu rechten ist. Die Independent
Labour Party, der man dies nicht verzeihen will, verfolgt indessen
doch offenbar ebenfalls gesonderte, specifisch arbeiterliche und poli-
tische Zwecke, die dahin gehen, der Arbeiterschaft in völliger Unab-
hängigkeit von den übrigen politischen Parteien, selbst, wenn es sein
muß, im Kampf mit denselben, parlamentarische Vertretung zu er-
360 Henry W. Wolff,
ringen. Das ist ihr nun auch, wie gesagt, in einigen Fällen gelungen.
Offenbar sagt die Verengung und die mehr praktische Gestaltung
des verfolgten Zweckes der englischen Arbeiterschaft mehr zu als die
Festhaltung eines nebelhaften allgemein-sozialistischen Zieles. Sie be-
schäftigt sich nicht gern mit Dingen, die in jahrhunderteweiter Ent-
fernung liegen, und befaßt sich nur ungern mit zweifelhaften „Pro-
grammen“. Andererseits erwärmt sie sich gern für die Kandidatur
ihr zusagender Männer in jedem einzelnen Fall.
Es ist wohl möglich, daß es ihr beschieden ist, in der Entwicke-
lung der Partei in der Folge eine mehr oder weniger bedeutende
Rolle zu spielen. Indessen ist sie bisher zu wirklich kraftvollem
Wirken jedenfalls noch viel zu wenig erstarkt. Und ihre Ziele decken
sich schon so sehr mit denen des mächtigeren Gewerkvereinsverbandes,
daß sie leicht in demselben aufgehen könnte. In erster Linie ist sie
ja zugestandenermaßen Arbeiterverband, bei welchem die soziali-
stischen Anschauungen nur mehr oder weniger Nebensache sind.
Ganz anders steht es mit der zum Schluß noch zu besprechen-
den dritten propagandistisch sozialdemokratischen Körperschaft, der
sogenannten Fabian Society, welche trotz ihrer numerischen Schwäche
— sie zählt nur etwa 860 Mitglieder — bisher am. meisten hat von
sich reden machen — offenbar infolge ihrer zahlreichen Beziehungen
zu der Tagespresse. Sie giebt sich für den Vertreter des „littera-
rischen Proletariats“ aus, und bedient sich ihrer Beziehungen zu der
Journalistik gern und ohne Schüchternheit, was um so leichter an-
geht, als mehr oder weniger sozialistisch gefärbte Ansichten, und im
allgemeinen Besprechungen sozialer Fragen, heute ganz und gar an
der Tagesordnung sind. Dazu kommt noch, daß einzelne ihrer Schrift-
stellermitglieder — wie vor allem ihre hauptsächlichsten Führer, Sidney
Webb und seine Frau — sich durch hervorragende Fähigkeit aus-
zeichnen, wenngleich in Bezug auf das Gros dieser Körperschaft
die Zuschreibung dieser intellektuellen Eigenschaften oft übertrieben
wird. Anregend, oder doch zum mindesten anziehend, wirkt auch
die sehr rührige Journalistik der Fabier — nach dem ,,Cunctator“
sogenannt — durch die, schon bei der Social Democratic Federation
erwähnte, überraschende Verschiedenartigkeit, um nicht zu sagen
Buntscheckigkeit, der aufgestellten Meinungen, deren Vertreter sich
trotzdem alle „Sozialisten“ nennen, obwohl sie sich durch keine gemein-
samen Grenzen des sozialistischen Programms oder der Konsequenz
gebunden erachten. Was momentan auffallen und die Aufmerksamkeit
anziehen kann, wird von ihnen „pro hoc vice“ als „sozialistisch‘“ hin-
gestellt. So kommt es, daß heute selbst der Schriftführer des Cobden-
Klubs, also der Verfechter des strengsten, dem Sozialismus verpönten,
Manchestertums, nebenbei auch Fabier ist, daß ein junger fabischer
Brausekopf, der sich gern in verschrobenen Vorschlägen ergeht, nach-
dem er die neue Lehre von der Strafbarkeit des „Zuwenigverzehrens“
der besitzenden Klassen entdeckt hat, dem sozialistischen Grundsatz
zuwider — wonach die Produktion nur zum Verbrauche, niemals zum
Gewinne statthaben soll — mit großem Beifall seiner Kommilitonen die
Die sozialistische Bewegung in England. 361
Forderung aufstellt, daß das staatliche Konsularwesen zu einem Netze
von Handelsagenturen umzubilden ist, ausgerüstet mit Warennieder-
lagen und Musterhallen, und ermächtigt zur Abstempelung von nach
sozialistischen Grundsätzen hergestellten Waren mit einem amtlichen
vendatur! Das ist, beiläufig, der einzige neue Beitrag, welchen
die Fabian Society in ihrem letzten Wahlmanifest zu der politischen
Kontroverse geliefert hat. Im allgemeinen geht es mit ihrem Einfluß
heute abwärts.
Von seiten der mehr orthodoxen sozialistischen Körperschaft wird
den Fabiern ein sozialistischer Charakter geradezu abgesprochen. Die
Sozialisten der Social Democratic Federation z. B. sticheln in Rede
und Schrift gern, und häufig mit Bitterkeit, gegen ihre vermeintlichen
Verbündeten. „Die Fabian Society — nun ja, dem Namen nach ist sie
sozialistisch, aber in der That schließt sie jede Nüance von Meinungen
ein und sie ist gänzlich frei von jedem Schimmer einer klaren Politik
oder eines klaren Prinzipes.“ So urteilt „The New Age“. „Die Fabier
haben der Bewegung in der Vergangenheit unendlichen Schaden
zugefügt. Ihre Fähigkeit zum Unfugleisten ist jetzt verschwunden,
nachdem Leute entdeckt haben, daß es ihnen nur um einen Scherz
zu thun war. Allein das angerichtete Unheil bleibt“. So erklärt
„Justice“. Dasselbe Blatt nennt das letzterschienene Fabiermanifest,
welches auf die Wahlen einen Einfluß ausüben sollte, es aber nicht
that, „einen von Shaws schlechten Witzen.“ Und so fort. Zwischen
den beiden Flügeln hat sich in der That eine Art Kluft gebildet.
Die Fabier haben indessen trotz alledem der sozialistischen Sache
einige wesentliche Dienste geleistet. Mehr als irgend etwas hat ihre
publizistische Thätigkeit im Lande zur Verbreitung sozialistischer An-
sichten — allerdings im weitesten Sinne des Wortes — beigetragen.
Die veröffentlichten Flugschriften mögen oberflächlich, sich unter-
einander widersprechend, inkonsequent sein. Für das Publikum,
auf welches sie berechnet waren, die nicht übermäßig wissenschaft-
lich gebildete Arbeiterwelt, stellten sie in ihrer populären Fassung
gerade das dar, was gebraucht wurde. Und sie kamen in Zehn- und
Hunderttausenden von Exemplaren zur Verteilung und wurden gierig
verschlungen. Mit der Zeit mußte allerdings solche Wirkung nach-
lassen. Der Köcher wird eben mit der Zeit leer, und man wird kriti-
scher in der Beurteilung der Geschosse.
Dementgegen läßt sich indessen eine andere nützliche Leistung
der Fabier anführen. Die Orthodoxen mögen über den „schlaffen
Gas- und Wasserleitungssozialismus“ spotten, der die Verwirklichung
des sozialistischen Ideals in dem Ankauf und der Betreibung von
Gas- und Wasserleitungen, Straßenbahnen, weiter in dem Aufbau
von Arbeiterwohnungen suchen soll. Das ist indessen gerade das
Feld, auf welchem die öffentliche Meinung heute Raum und Anlaß
für, wie man es nennt, „sozialistische“ Thätigkeit erblickt. Und dieses
Feld haben die Fabier ziemlich gut bearbeitet. Durch ihre bessere
Vorbildung mehr zur Verwaltungsthätigkeit geeignet als die Arbeiter
der Social Democratic Federation, haben sie in Schulräte, Stadträte,
362 Henry W. Wolff,
Grafschaftsräte u. s. w. Einlaß gesucht und gefunden. Da wirken
sie nun zu Gunsten der unteren Klassen, dringen auf Verminderung
der Arbeitsstunden, Vergebung öffentlicher Arbeiten womöglich un-
mittelbar an die Arbeiter, oder doch nur an Geschäftshäuser, welche
Gewerksvereinslöhne zahlen, räumen in ungesunden oder überfüllten
Stadtteilen mit pestbrütenden Baracken auf und sorgen für den
Aufbau zweckdienlieher neuer Wohnungen.
Bei allem diesem stimmt die öffentliche Meinung den Fabiern
gern bei und ist ihr sympathisch. Denn das liegt in dem herrschen-
den Geiste der Gegenwart. Und da die Welt das Thun der Fabier
auf diesem Felde gut heißt, so bilden sich die letzteren mitunter ein
— oder geben doch vor, es zu thun — daß sie die Welt in dieser
Weise bekehrt und ihr das sozialistische Denken durch ihr Wirken
beigebracht haben. Das heißt indessen den Karren vor den Gaul
spannen. Die erwähnte „sozialistische“, richtiger nur humanistische,
den Aermeren freundliche Strömung begann lange ehe irgend jemand
an die Begründung des Fabierbundes dachte, und hat diese vielleicht erst
möglich gemacht. Jedenfalls besitzt sie eine weit breitere Unterlage
als die fabische Bewegung, und wenn die Thätigkeit dieser Leute
auf solchem Felde heute Anklang findet, so ist das nur, weil sie sich,
mit Aufgabe ursprünglicher, sozialistischer Ideale, so ganz und gar
dem humanistischen Streben des Zeitgeistes angepaßt haben.
Man denke doch an die mächtige Bewegung im Volke, zuerst
namentlich in den oberen Ständen, welche der öffentlichen Aufdeckung
der Greuel und Mißstände des älteren Industrieregimentes folgte, die
auf der sozialistischen Tribüne heute noch zur Anfachung einer
Entrüstung herhalten müssen, nachdem sie in der Hauptsache längst
ein Ding der Vergangenheit geworden sind! Lord Shaftesbury be-
gann seine ergiebige Reihe menschenfreundlicher Reformen. Carlyle
warnte mit mürrischer Prophetenstimme. Ruskin predigte das Evan-
gelium der „Arbeit für Alle* und der Preisgabe des Selbst für
andere. Maurice mahnte seine Mitchristen an ihre Pflicht, es dem
Meister nachzumachen und Geld, Arbeit, Zeit dem Wohle der Mit-
menschen zu opfern. Zu gleicher Zeit erfolgte ein gewaltiger Um-
schwung im religiösen Leben in Kirche und Kapelle, welche die
religiösen Gemeinschaften heute gar nicht als dieselben erkennen
läßt. Man wetteiferte förmlich miteinander. Man nahm die Pflicht
der Volksbelehrung mit Eifer auf. Genossenschaften predigten:
Bildung, Bildung, Bildung! Toynbee gründete sein Toynbee Hall,
Besant regte die Gründung des „Volkspalastes* an. Die beiden
großen Universitäten richtete ihre „Ausdehnungskurse“ ein, sandten
allerwärts ihre Lehrer hin, füllten ihre Auditorien während der Ferien
mit Schülerschaaren aus dem Volke, stifteten im östlichen London
Oxford House. Man befaßte sich vor allen Dingen mit der sozialen
Frage, besprach das Für und Wider des Achtstundentages, drang
auf Verbesserung von Arbeiterwohnungen, auf die Herstellung von
Volksparks u. s. w. Vornehme Damen gingen gewohnheitsmäßig
„a-Slumming“, d. h. sie besuchten Arbeiterwohnungen in den elen-
Die sozialistische Bewegung in England. 363
desten, ungesündesten Pesthöhlen, um auf diese, nicht besonders
nutzbringende Art ihre Teilnahme an dem Wohle der arbeitenden
Klassen zu bekunden. Kurzum man kam dazu, daß man den be-
kannten Pope’schen Vers in folgender Parodie annahm:
The noblest study of mankind is (the working) man.
Man ging weiter. Da die Gesellschaft über diese Dinge
spöttelte, von einer „Anbetung“ des Arbeiters sprach, und die Be-
wegung „sozialistisch“ nannte, so nahmen die Kämpfer für die neue
Sache, wie einstmals die „Geusen“, in ihrem Eifer den Spottnamen
auf und behaupteten dreist (in diesem Sinne) Sozialist zu sein. Es
bildeten sich christlich-sozialistische Vereine, „Gilden“ des Heiligen
Matthäus und anderer Heroen aus der Kirchengeschichte. In diesem
Sinne wurden Harcourt, der König und die ganze Welt „sozialistisch“.
Allein die Vorbilder für diesen, heute mächtigen Sozialismus sind nicht
Marx und Lassalle, sondern Carlyle und Ruskin.
Auf diesem kräftigen Strome wurde die schwache Barke des
Fabiertums flott gemacht; unter der Sonne dieser Bewegung wurde
ihr Ei ausgebrütet. Und nun bildet sich die Fliege auf dem Rade
ein, daß sie mit ihrem Summen und Flügelschwirren den Karren erst
in Bewegung gesetzt hat!
Aus eigener Kraft vermag, wie gesagt, keine der drei bestehen-
den sozialistischen Körperschaften — selbst nicht die Independent
Labour Party — bedeutendere organisatorische Erfolge zu erringen,
in der Gesellschaft oder im Parlament Boden zu gewinnen. Notge-
drungen mußten sie sich daher an eine stärkere Organisation jan-
lehnen. Und daher schreiben sich ihre Versuche, den mächtigen und
wohlorganisierten Verband der Gewerkvereine zu beeinflussen und
sich durch ihn einen Erfolg zu sichern. Dem Gelingen dieser Ver-
suche standen nun allerdings von Hause aus zwei bedeutende Hinder-
nisse im Wege: erstens das prinzipielle, daß der Sozialismus nicht,
wie in Deutschland, eine bloße Klassenbewegung, zu Gunsten der
Arbeiter allein, sein will; zweitens das praktische, daß die Gewerkvereine
den Sozialismus nun einmal nicht annehmen wollen. Darüber kann
keinerlei Zweifel sein. Die Gewerkvereinler nehmen Sozialisten gern
zu Verbündeten, zu Führern, zu Anregern. Allein wenn es zur An-
nahme ihrer Grundsätze, ihres Programms kommt, sind sie, wie
„Justice“ klagt, „zu zaghaft“, das „Vorurteil“ macht sich zu stark
geltend.
Trotzdem hat man es redlich versucht, und diese Versuche
stellen das bei weitem interessanteste und, vom praktischen Stand-
punkt aus betrachtet, das wichtigste Kapitel in der Geschichte der
sozialistischen Bewegung in England dar.
Es gebührt ihm um so mehr eine kurze Besprechung, als
offenbar über das Maß seines Erfolges im Auslande, und vielleicht
gerade in Deutschland, hier und da irrige Ansichten vorzuherrschen
scheinen.
Im Jahre 1894 setzte der jährliche Gewerksvereinskongreß die
364 Henry W. Wolff,
Welt durch einen mit besonderem Nachdruck angenommenen, unbe-
stritten kollektivistischen Beschluß in das größte Erstaunen.
Bis dahin hatten die Gewerkvereine mit kollektivistischen An-
sichten keinerlei Koketterie getrieben. Selbst die Verstaatlichung
des Grundes und Bodens, welche in England durchaus nicht als
specifisch sozialistisches Programmstück gelten darf, war kaum ver-
langt worden. „Wir wollen dem Grund und Boden seine Fesseln ab-
streifen.“ So erklärte der Vorsitzende, Harford, im Jahre 1891.
„Es giebt keine Ueberproduktion.“ „Absolute gesellschaftliche Gleich-
heit ist undenkbar.“ „Der einzige Ursprung jedweden Rechtes ist
die Erfüllung einer Pflicht.“ Selbst im Jahre 1893 noch wurde nur
„ein in sehr allgemeiner Weise gehaltener Beschluß“ angenommen, und
der Vorsitzende erklärte, die erhaltene Einladung zum Züricher So-
zialistenkongreß ginge ihn nichts an.
Da, auf einmal, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, hieß es,
daß sämtliche Produktionsmittel zu Gunsten der Allgemeinheit vom
Staate zu erwerben seien. Die Erklärung überraschte allgemein.
Aber mit diesem einen Knalleffekt, der durch besondere Umstände
bedingt war, hatte es auch sein Bewenden. Eine gleich kräftige Er-
klärung ist seitdem an Vereinstagen nicht erfolgt, das Gebrüll des
Löwen ist immer schwächer geworden und heute wäre, wie alle Welt
zugesteht, ein ähnlicher Beschluß nicht denkbar. Man stimmt wohl
stark für gesetzmäßige Verminderung der Arbeitsstunden. Man will
auch den Beginn des Arbeitstages verspäten. Aber selbst von Ver-
staatlichung des Grund und Bodens spricht man heute nur unter
Verdunkelung des Sinnes, indem man „groundvalue“ (Bodenwert)
an die Stelle von „land“ (Grund und Boden) gesetzt hat. „Ground
value“ kann allerdings auch Grund und Boden bedeuten. Wahr-
scheinlich denken sich indessen gar viele dabei etwas anderes.
Es frägt sich nun: Wie kam man im Jahre 1894 zu dieser
demonstrativen Erklärung für den Kollektivismus? Die Erklärung
ist einfach. Mit dem Jahr 1886 hatte ein ganz neues, auf den Kol-
lektivismus hinzielendes, Treiben in dem Lande begonnen. Etwa in
dem genannten Jahre hatte die bereits erwähnte politisch-soziale
Gärung einen Höhepunkt erreicht, an welchem der Schaum über-
laufen mußte. Man stand unter dem Einfluß des neuen Wahlrechtes,
welches große Wohlthaten in Aussicht stellte. Durch sein „unautori-
siertes“ radikales Programm hatte Chamberlain den niederen Klassen
einen völlig neuen treibenden Kampfgeist eingeflößt. Die „homerule“
Bewegung mit den sie begleitenden Unruhen — „Remember Mitchell-
stown“ u. 8. w. — hatte die Gemüter erregt. Und unter solchen
Einflüssen entwickelten die Fabier und die Social Democratic Fede-
ration ihre rührigste Thätigkeit. Das englische Publikum liebt seine
Speisen in Küche und Politik stark gepfeffert Wie man heute
übertrieben imperialistisch ist, so ließ man sich damals gern demo-
kratische Lehren recht scharf gewürzt vorsetzen. Stimmte man dem
Gesagten auch nicht unbedingt bei, so hörte es sich doch gut an.
Man wollte nun einmal demokratische Lehren predigen hören. Und
Die sozialistische Bewegung in England. 365
diesem Wunsche willfahrteten die Sozialisten gern. An wer weiß
wie vielen Straßenecken wurden tagtäglich offene sozialistische Ver-
sammlungen gehalten. Man suchte öffentliche Vereinigungen im Tra-
falgar Square und in Hyde Park zu erzwingen. Dabei kam es zu
heftigen Aufläufen und Kämpfen mit der Polizei und zur Plünderung
einer Reihe von Kaufläden. Zugleich wurden Flugschriften in Masse
verteilt. Das ging im ganzen Königreich so. Die jüngeren, be-
geisterteren Mitglieder der Gewerkvereine schnappten in ihrem
schwachen Wissen die neuen Lehren mit Eifer auf, verschlangen
den Inhalt der Flugschriften mit Gier und gaben ihn dann in ihren
örtlichen Versammlungen getreulich wieder. Nach einiger Zeit
wurden diese Leute ganz natürlich als die regsten, gewandtesten,
anscheinend fähigsten und redegewandtesten ihres Vereins als Dele-
gierte in den Verbandstag geschickt. Und so kam es, daß im Jahre
1894 ein nichtsozialistischer Verband wesentlich durch Sozialisten
vertreten war, was den ausgesprochen kollektivistischen Beschluß
möglich machte.
Im nächsten Jahre wurden selbstverständlich diese Heißsporne nur
in verminderter Anzahl wieder gewählt. Und 1896, bei dem inter-
nationalen Sozialisten- und Arbeiterkongreß, auf welchem durch die
wahrhaft kuriosen Abstimmungsbestimmungen den Sozialisten ein
über alles Verhältnis hinausgehendes Stimmrecht eingeräumt wurde,
stellte sich, infolge des Mißbrauches dieses Stimmrechtes auf sozia-
listischer Seite, unter den Gewerkvereinlern eine offenbare Ver-
stimmung ein, die auch heute noch mehr oder weniger fortwährt.
Man will wenigstens nicht wieder einen gemeinsamen Kongreß
abhalten. Wie lächerlich die Abstimmungsbestimmungen damals
waren, geht unter anderem daraus hervor, daß ein kleiner sozia-
listischer Verein mit nur 4 Mitgliedern das nämliche Stimmrecht
ausübte, wie der Gewerkverein der Eisenbahnarbeiter mit 12000 Mit-
gliedern.
Auch auf sozialistischer Seite ist man nicht mehr in Flitter-
wochenstimmung. Hyndman und seine Freunde geben den Gewerk-
vereinlern mitunter recht unschmackhafte Wahrheiten zu hören —
geht man ja doch an anderer Stelle oft so weit, die beiden Or-
ganisationen geradezu als Gegensätze zu bezeichnen. „Ihr solltet
eine Arbeiterdemokratie bilden,“ sagt Hyndman; „statt dessen
seid ihr nun geradezu Arbeiteraristokraten geworden, und rühmt
euch sogar dessen! Was thut ihr für den Arbeiterstand als Ganzes?
Ihr denkt nur an euch selbst. Einen ansehnlichen Teil der Arbeiter-
bevölkerung, gerade denjenigen, der der Hebung zumeist bedarf,
könnt ihr überhaupt nicht in euren Verband hineinziehen.“
Trotzdem behauptet man, daß die Zahl der erklärten Sozialisten
in den Gewerkvereinen zugenommen hat und noch weiter zunimmt.
Von anderer, schwerlich weniger gut unterrichteter Seite wird dies
entschieden bestritten. Es läßt sich nicht absolut feststellen. Wäre
dem indessen so, wie man angiebt, so würde es jedenfalls an und
für sich nicht viel zu bedeuten haben. Denn einmal muß man, wie
366 Henry W. Wolff,
die Sozialisten William Morris und Belfort Bax selbst erklärend
bemerken, „stets im Auge behalten, daß die große Menge derer, welche
auf diesem Pfade vordringen, sich nur in sehr beschränktem
Maße darüber bewußt sind, wohin der Pfad führt, und
keineswegs die Geburt einer, auf allgemeiner Gleichheit der Stellung
begründeten, neuen Gesellschaftsordnung, sondern vielmehr nur bessere
und gesichertere Lohnverhältnisse und eine vollere Anerkennung
ihrer Stellung von seiten ihrer Vorgesetzten anstreben; kurzum, ihr
Ideal ist nicht das eines Sozialisten, sondern eines Menschen,
der durch einen zunehmenden Instinkt nach dem Sozialismus hinge-
lenkt wird“. So urteilen Morris und Bax. Andererseits sind die
erwähnten Sozialisten durchaus nicht als Sozialisten in den Ge-
werkvereinstag gewählt, sondern nur als Vertreter der Berufs-
arbeiter, mit einem bestimmten Mandat. Der Gewerkvereinstag hat
sich mit ganz anderen Dingen zu befassen, als mit dem Sozialismus.
Durch die Anwesenheit von Sozialisten wird er noch lange nicht zu
einem sozialistischen Kongreß. Wir haben hierzulande nirgends
dieselbe Scheu vor Sozialisten, welche die letzteren in Deutschland
von Hirsch-Duncker’schen Gewerkvereinen und von Genossenschaften
fern hält. In Gewerkvereinen und Genossenschaften sind sie gleich
gern gesehen und leisten dort auch häufig gute Dienste Der
englische Arbeiter denkt, drittens, durchaus nicht programmmälig,
mit der Absicht, eine strenge Konsequenz zu üben. Er urteilt
von Fall zu Fall, und nimmt Anträge an oder lehnt sie ab, je
nachdem sie ihm zur Zeit seinen Interessen förderlich oder anders-
wie erscheinen, mögen sie noch so sehr oder noch so wenig so-
zialistisch sein. Durch gewandte Fassung kann man ihn schon dazu
vermögen, einen sozialistischen Antrag nach dem anderen gutzu-
heißen. Damit wird er indessen noch lange nicht zum Sozialisten.
Und dann kommt wieder ein Fall, in dem das ganze Kartenhaus dieses
schönen Scheines über den Haufen fällt, da er dem Sozialismus ent-
schieden entgegenstimmt.
Es bleibt nun die Frage zu erörtern: Wie hat sich der Sozialis-
mus in England unter den erklärten Einwirkungen gestaltet, was
ist seine gegenwärtige Stellung und was sind seine Aussichten für
die Zukunft?
Zur Beantwortung dieser Fragen wird man sich vor allem darüber
klar werden müssen, was man unter Sozialismus verstehen will. Die
schon erwähnte Carlyle-Ruskin’sche Humanitätsbewegung, welche die
Klassengleichheit und das Wohlbefinden des Himmels zu Gunsten
der Aermeren möglichst schon auf Erden verwirklichen soll? Er-
klärte Sozialisten wollen dies manchmal, um bei drohender Leere
des Küchenschrankes aus jedem Mehl Brot zu backen. Indessen
steht dem ihre eigene Behauptung entgegen, daß der Sozialist nicht
allein, wie die bloß Humanen, die Lage, sondern die Stellung
des Arbeiters verbessern will. Er strebt nicht nach besserem Be-
finden, sondern nach Herrschaft. Da muß man also offenbar den
einfachen humanen Sozialismus ausscheiden, der gerade in England
Die sozialistische Bewegung in England. 367
das Hauptmaß des angenommenen Sozialismus ausmacht, und auch
die Sozialistenfreundlichkeit, welche, wie der Professor Ely richtig be-
merkt, den Sozialismus begünstigt, nicht, weil sie seine Grundsätze gut-
heißt, sondern weil sie ihn, trotz seiner irrigen Grundsätze, momen-
tan, in Anbetracht der Sachlage, für eine in gesunder Weise wir-
kende nütztliche Kraft ansieht. Auch diese Richtung ist in Eng-
land stark vertreten.
Was bleibt dann aber?
Jedenfalls nicht sehr viel; und nur gar sehr wenig was dem
schulgerechten Marxistischen Sozialismus, wie man ihn in Deutsch-
land kennt, ähnelt. Die sozialistischen Ideen haben sich, wie schon
dargelegt worden ist, stark zersplittert, und im ganzen hat man dem
Marxismus die Kanten scharf abfeilen müssen, um ihn für England
überhaupt annehmbar zu machen.
Fürs erste hat man die Marxistische, materialistische Anschau-
ung fallen lassen. Die Bewegung ist hier rein ethisch. Den
Marxistischen Materialismus — die Evolutionstheorie u. s. w. —
könnten, so erklärt Professor Ely in seinem ausgezeichneten Werke,
weder der englische noch der amerikanische Arbeiter jemals an-
nehmen.
Weiter hat man sich, wie Sidney Webb ausdrücklich und mit
Wahrheit nachweist, in dem wichtigen Stücke der Lehre vom Wert
ganz und gar von Marx abgewendet und dafür die Auffassung von
Jevons angenommen. Ueberhaupt folgt man in Bezug auf wirt-
schaftliche Anschauungen, wie Webb klarlegt, weit weniger Marx als
Mill, den Webb auf Grund einer schwerlich ernstlich gemeinten
Aeußerung in seinem letzten Werke zu den Sozialisten zählt. Mill
erklärte sich wohl in der nämlichen Weise „zum Sozialismus be-
kehrt“, wie neuerdings Harcourt.
Ferner ist die Bewegung in England nicht, wie in Deutschland,
eine Bewegung wesentlich zu Gunsten einer einzigen Berufsklasse.
Die große Mehrzahl ihrer Anhänger sind allerdings erklärlicherweise
Arbeiter. Aber es bildet nicht specifisch eine Arbeiterbewegung.
Zur Verfechtung der Arbeiterinteressen hat man, neben ihr,
die Gewerkvereine und die unabhängige Arbeiterpartei. Damit
ist schon dem Sozialismus ein mächtiger Zahn ausgezogen. Er
nährt nicht notwendig den Klassenhaß. Er wird zur spekulativen
Theorie.
Vor allem aber hat man jedweden Gedanken von „Umsturz“
und „Kladderadatsch“ aufgeben müssen. Der englische Sozialismus
ist keine Umsturzbewegung. Der Gedanke eines Umsturzes würde
ihn nur einer sehr geringen Anzahl von Leuten annehmbar machen.
Und er hat solchen Gedanken auch nicht nötig. Denn, um den
Professor Ely noch einmal zu citieren, das Sattelpferd in dem Ge-
spann der deutschen sozialistischen Bewegung, die Demokratie,
welche vermutlich mehr Anhänger anzieht als der Sozialismus, hätte
in England und Amerika nichts zu arbeiten. Die Staatsorganisation ist
bereits demokratisch. Denselben Gedanken benutzt Webb zur
368 Henry W. Wolff,
Herausputzung vermeintlicher sozialistischer Erfolge in England,
wenn er erklärt, daß sich in England viele nur Liberale nennen,
welche in Deutschland als Sozialisten zählen würden, was bei Um-
kehrung der Gleichung bedeutet, daß in Deutschland viele dem
sozialistischen Banner folgen, nicht des Sozialismus, sondern der
Demokratie wegen. An den Umsturz des Staates denkt hier in
England kein Sozialist, selbst Hyndman nicht, wenngleich er fließend
von Revolution, Zusammenbruch und Kataklysmus spricht. „Man muß
die alte Schale zerbrechen; allein die neuen Formen müssen aus
dem alten Kern herauswachsen.“ So schreibt er selber. Also der
auswärts gefürchtete Unhold ist in England zu einem harmlosen
Sozialpolitiker geworden, der sich kein höheres Ziel steckt, als ein-
fach auf friedlichem, verfassungstreuem Wege die Staatsorganisation
umzuformen. Von „Revolution“ spricht man allerdings noch viel,
weil die Revolution von Hause aus als unerläßlich bezeichnet wor-
den ist. Allein unter „Revolution“, so erklärt das Parteiblatt
„Justice“, soll man sich ja nicht eine bewaffnete Volkserhebung
denken. Die angekündigte „Revolution“ vollzieht sich im Gegenteil
schon thatsächlich in der Gegenwart, stückweise, in aller Stille,
nicht „vertikal“, durch einen plötzlichen, gewaltsamen Emporstoß,
der die Welt erschüttert, sondern „horizontal“, durch allmähliches
Schwängern des Volksteiges mit sozialistischer Hefe. Sozialistische
Anschauungen finden zunehmend Verbreitung, sozialistische Reform-
vorschläge finden Annahme, und kaum merkbar und allmählich bildet
sich das Land so zum Sozialistenstaate um. So legt man die Sache
heute aus. Fertig will man allerdings damit noch nicht sein. Im
Gegenteil sagt man sich offen, daß man bis zu endgültiger Er-
reichung des Zieles noch lange wird warten müssen, es kann sein
50, es kann auch sein 500 Jahre.
Vor solch einem Sozialismus, der noch dazu, wie schon erwähnt,
durch Annahme allen und jeden Vorschlages, der gerade der
öffentlichen Meinung zusagt und deswegen, zu dem Zweck der Be-
hauptung eines Parteitriumphes, auf der Stelle „sozialistisch“ ge-
stempelt wird, braucht sich der allerschüchternste Konservative
nicht zu fürchten. Was erst in Hunderten von Jahren geschehen
soll, kann heute nicht schrecken.
Wir haben es also hier mit einem neuen, rein spekulativen
Vorschlage zu thun, der niemandem ernstlich Besorgnis einflößen,
aber auch andererseits niemanden erwärmen kann. Das Ergebnis
sehen wir in dem völligen Fehlen einer sozialistischen Partei. Der
Sozialismus unterstützt, regt an, leitet mitunter. Aber er arbeitet
für andere, die sich seiner gern bedienen, sogar sich seiner Leitung
unterwerfen. Er thut dies in der Hoffnung, daß, wo er jetzt hand-
langt, er späterhin Meister werden und sich selber handlangen
lassen wird.
Ist dazu Aussicht vorhanden? Schwerlich.
Man betrachte nur das englische Volk, zumal das Arbeitervolk,
Die sozialistische Bewegung in England. 369
in der Nähe, wie es seine Entwickelung geschaffen hat! Man irrt
sich so gar häufg in dieser Beziehung — selbst der Engländer Hynd-
man, als er vor 19 Jahren eine nahe bevorstehende Volkserhebung
voraussagte; noch weit mehr Leute in der Fremde. Man sieht den
Stoff zur Unzufriedenheit, das rohe Material zur Erhebung. Man
hört die Menschen mit allem Nachdruck des freien Wortes klagen.
Leute aus den höheren Ständen erwärmen sich darüber und halten
Brandreden. Das „Proletariat“ erhebt sich indessen nicht, und ohne
Erhebung des Proletariates ist der Sozialismus, wie Marx sich selbst
ausgedrückt hat, nichts als ein Sturm im Glase Wasser. Die ganze
Anschauungsweise, das instinktive Denken, die angeborenen Gewohn-
heiten des Engländers widerstreiten sozialistischen Grundsätzen. Man
weiß recht wohl, trotz aller. augenblicklicher Erhitzung, daß es
für bestehende Mißstände auch andere Hilfsmittel giebt, die sich in
der Praxis bereits bewährt haben, und mit dem dem Engländer an-
geborenen Selbstvertrauen verläßt man sich lieber auf sie, als daß
man es mit einem unbekannten System versuchte, welches, in den
Worten Gladstone’s, sich ganz gut für die Planeten Uranus und
Saturn eignen mag, aber nicht notwendig für das kleine Stück bri-
tischer Erde. Sir G. C. Lewis stellte das englische Wesen ganz
wahrheitsgetreu dar, als er bemerkte, daß man in England an dem
Bestehenden, in das man sich hineingelebt hat, in der Regel nur
die Vollkommenheit sieht, an dem Neuvorgeschlagenen nur die
möglichen Mängel.
Und nun kommt noch dazu, daß der Sozialismus gerade das
verlangt, was der englische Arbeiter hoch und wert hält, und das
abschaffen will, an was er sich gewöhnt hat. Das bischen „sein
eigen‘‘ — kein anderes Volk hat einen Ausdruck, der dem in Eng-
land beliebten „My very own“ mein ganz eigen, gleichkommt — die
regelrecht vollzogene Ehe, die alte kirchliche und staatliche Ordnung,
die Familie mit ihrem geheiligten Heim, das idividuelle „Mehr“, was
durch Arbeitsamkeit und Geduld noch zu erringen ist, das Empor-
wachsen in eine höhere Stellung als Lohn für Fleiß und Intelligenz —
alles das läßt er nicht fahren, wenigstens nicht, bis man ihm mit Sicher-
heit die Erreichbarkeit eines Besseren nachgewiesen hat. Er schüttet
sein schmutziges Wasser, wie man hier sagt, nicht aus, bevor er
reines hat. Aber alles dieses will ihm der Sozialismus leid machen.
Zum Herdenleben ist er nicht geschaffen. Eine Welt, in welcher
ein Oberer ihm ohne seine eigene Wahl eine Arbeit zuweist — wo,
wie man gesagt hat, „ein Mann, der mich möglicherweise nicht leiden
mag, mir eine Arbeit zuweist welche mir möglicherweise nicht an-
steht“ — begreifternicht. Er denktallerdings, wie der Sozialist Herbert
Burrows sich in , Justice“ beschwert, vornehmlich „mit seinem Magen“.
Das bedeutet indessen nicht, daß er mit genügendem Essen und
Trinken, mit Kleidung und Wohnung zufrieden ist, daß er keine
höheren Ideale hat. Ganz im Gegenteil. „Passabel essen, und nur von
anderen versorgen lassen, mäßig arbeiten müssen, wo man uns an-
Dritte Folge Bd, XXI (LXXVI). 24
370 Henry W. Wolff,
stellt, mit der Aussicht auf Versorgung in unseren alten Tagen, das
haben wir unter günstigen Umständen schon alles gehabt‘, so sagen
Amerikaner, wenn man ihnen vom Sozialismus spricht, „aber wir
nannten es Sklaverei, und die wollen wir nicht aufs neue schaffen“.
Der englische Arbeiter hat wohl höhere Ideale. Man soll ihn
nur nicht nach dem Zerrbild beurteilen, welches er mitunter selbst von
sich entwirft, als sorglos in den Tag hineinlebend, dem Trunk er-
geben u. s. w. Das ist die Ausartung, welche er selber verurteilt,
brandmarkt und vermeiden will. Deswegen hält er so sehr auf
Erziehung und Sparsinn. Aber gerade das, worin er sein Heil
gesucht hat, das wird ihm von dem Sozialismus verboten. Er soll
nicht sparen. „Thrift“ heißt für Sozialisten ausgesprochenermaßen
nicht, wie für andere Engländer, Vorsorge durch Ersparnis zu
einem späteren Wohlbefinden, sondern es sich jetzt gut gehen lassen,
in den Tag hineinleben mit der Zuversicht, daß die Allgemeinheit
schon für die Zukunft sorgen wird. Damit würden die den Arbeitern
so lieb gewordenen Hilfskassen überflüssig. Die Gewerkvereine werden
ihnen ja jetzt schon verleidet! Es wird ihnen vorgeworfen, daß sie eine
Arbeiteraristokratie, einen Staat im Staate, ein individualistisches
Sonderinteresse bilden. Das ist allerdings ganz richtig, hat auch
seine Schattenseiten. Es entspricht indessen gerade den englischen
Arbeiterideen. „Ich kümmere mich um mein eigenes Interesse.
Mögen sich andere um dasihre bekümmern! Was ich kann, das können
sie auch.“ Die Genossenschaften, welche ja gerade in England und
Schottland so glänzenden Erfolg erzielt und den Arbeiter ohne
viel Anstrengung auf dem Wege der Selbsthilfe so viel Segen
gebracht haben, werden mit scheelen Augen angesehen. Allerdings
giebt es auch Sozialisten, die ihnen günstig denken. Das geschieht
indessen entweder aus Inkonsequenzen, oder mit absichtlicher zeit-
weiser Beiseitesetzung eines sozialistischen Grundsatzes in der Ab-
sicht, aus dieser Preisgabe doch für den Sozialismus Gewinn zu
ziehen. Richtig ist schon, daß die Genossenschaften ein mehr oder
weniger individualistisches Interesse anregen. Und deshalb sind
sie dem strengen Sozialisten anstößig. Sie helfen dem einzelnen seine
Lage ohne Anrufung des Staates oder der Allgemeinheit zu bessern.
Die Produktivgenossenschaften sind den Sozialisten besonders ver-
pönt, weil sie eine neue Art individualistischer Produktion begründen.
Doch hat man nun auch schon erkennen gelernt, daß gerade die
Genossenschaften eine außerordentliche erzieherische Wirkung auf
den Arbeiter ausüben, welche dem Sozialismus möglicherweise zu
gute kommen kann. Und Erziehung, Heranbildung, gerade in der
Handhabung von Warenlagern, Werkstätten und Fabriken ist das,
was anerkanntermaßen für die Herstellung eines sozialistischen
Staates zumeist not thut. Die französischen Nationalwerkstätten des
Jahres 1848 gingen, so urteilt man, zu Grunde, weil den beschäftigten
Arbeitern die geschäftliche Vorbildung mangelte. In Italien gestehen
die Sozialistenführer offen ein, daß sie die Genossenschaft geflissent-
Die sozialistische Bewegung in England. 371
lich als erziehende Vorschule für den Sozialismus betreiben. In
England nimmt man nun auch schon diesen Grundsatz an. Und
seit dem letzten Sozialistenkongreß in Paris, bei welchem den Sozia-
listen aller Länder deutlich vor Augen gebracht wurde, einen wie
bedeutenden pekuniären Gewinn die belgischen Sozialisten aus
ihrer Genossenschaft schöpfen, geht man auch hier, wie in Frankreich,
sozialistischerseits mit dem Gedanken um, es Anseele und Serwy
nachzumachen, und eigene geldbringende Warenlager anzulegen.
Wo sich indessen, wie in England, bereits ein kräftiges nicht-sozia-
listisches Genossenschaftswesen ausgebildet hat, da dürfte es, zumal in
Anbetracht der numerischen Schwäche der Sozialisten, mit der Aus-
führung dieses Gedankens schwer halten. Selbst der britische Löwe,
der dem Arbeiter beinahe wie ein Stück göttlicher Weltordnung vor-
kommt, wird von den Sozialisten heruntergerissen. „Ob es für die
Sozialdemokraten Pflicht sein würde, einem feindlichen Einfall ins
Land Widerstand zu leisten, würde ganz und gar von den Um-
ständen abhängen. Wir sind nicht dazu berufen, die Klasseninter-
essen der herrschenden Klassen zu schützen.“ „Nicht ein einziges
Arbeiterleben dürfte in der Verteidigung kapitalistischen Eigentums
geopfert werden. Mögen die Spitzbuben sich unter sich wegen Ver-
teilung der Beute streiten, während wir den Moment abpassen, wo
der ehrliche Mann wieder zu dem Seinen kommen kann! Für Sozia-
listen gilt der Wahlspruch: Mag das Reich untergehen!“ Das ver-
steht der englische Arbeiter nicht. Er sieht auch das Närrische
solcher Argumentation ein. Wenn der „kapitalistische“ Feind den
„kapitalistischen“ Engländer unterwirft, wird für den Arbeiter als
„ehrlichen Mann“ schwerlich viel übrig bleiben. Mag man sich als
zur „Revolution entschlossen“, als „es stets mit den Unversöhnlichen
haltend“ hinstellen, die Aristokratie, die Regierung, auch das Landes-
haupt selbst schlecht machen! Das gehört alles zu der Herrschaft
der freien Rede, und thut keinem ernstlich Schaden. Aber wenn
man öffentlich über das Aufheben lacht, welches wegen Sipido’s
Attentat — seines „dummen Streiches“, wie die Sozialisten es nen-
nen — gemacht worden ist, und von Preisgeben des Landes an den
Fremden spricht, so wird der englische Arbeiter, so sehr er sich
sagen mag, daß das nicht ernstlich gemeint ist, doch kopfscheu
und mißtraut dem sich anbietenden Führer.
Das Recht der Initiative und des Referendum, womit man ihn
ködern will, versteht er einfach nicht. Und die „Arbeiterkirchen“,
welche für den sozialistisch Denkenden die altgewohnten Kirchen
oder Kapellen ersetzen sollen, ziehen nicht die richtige Art von
Arbeitern an. In derartigen Kirchen wird der landesübliche Gottes-
dienst in sehr freier Art nachgeahmt oder parodiert. Häufig werden
Kapitel aus der Bibel gelesen und es werden von Laien Predigten
gehalten, doch nur, in beiden Fällen, in solcher Art, als es in den Sozialis-
mus hineinpaßt, also das sonst verlachte Wort Gottes wird gerade so
weit herangezogen, als es ausspricht, daß der Arbeiter und der
24*
372 Henry W. Wolff,
Arme bedrückt werden, und daß die Reichen den Armen etwas
schuldig sind. Dann folgt in der Regel eine Debatte. Daß dieses
die richtige Weise ist, um die Arbeiterinteressen zu verfechten, glauben
offenbar nur wenige unter den Arbeitern selbst, mögen auch einige
gern ihrer Beredsamkeit bei solchen Gelegenheiten Luft machen.
Man sieht es, der Sozialismus, so sehr man ihn für englischen
Verbrauch abgestumpft hat, stößt noch immer an allen Ecken und
Enden gegen ziemlich feste Punkte in dem Wesen des britischen
Arbeiters an. Das deutsche Tuch hat gewaltig zugeschnitzt, ge-
dehnt und zurecht gestutzt werden müssen, um auch nur einen halb-
wegs englischen Rock abzugeben. Dieser Rock will nun immer noch
nicht recht passen. Er kneift den einen, wo er dem andern zu
weit ist. Man hat gar manches fallen lassen müssen, gar manches
angeflickt. Allein immer noch nicht will der Sozialismus anziehen.
Will man seine Reihen füllen, neue Wirkung hervorrufen, so muß
man fremde oder wenigstens nicht streng sozialistische Fragen
heranziehen, an die man sich dann gern anklammert und die mit-
unter auch ihre Zwecke erfüllen und für den Moment Rekruten ein-
bringen. Heute ist es die Altersversicherung, morgen sind es die
Vergehen des Oberhauses, dann kommen die armenischen Greuel,
wegen welcher die Regierung Krieg machen sollte, oder der Buren-
krieg, bei welchem sie nachgeben soll. Das sind alles keine sozia-
listischen Trumpfkarten, das heißt „auf die Dörfer gehen“. Es hilft
mitunter, es zieht Leute an, aber nur, um sie vom wahren Sozialis-
mus wegzulenken, ihnen zu lehren, daß die Sozialisten gute Ver-
bündete, aber schlechte Führer abgeben.
Dazu kommt noch das Unpraktische des Sozialismus. Der eng-
lische Arbeiter hat doch jetzt genügend politisch und wirtschaftlich
denken gelernt, um zu wissen, daß er sich in keiner Weise hilft,
wenn er nach dem Monde verlangt, und die Erde vernachlässigt,
daß er Erreichbares, Positives verlangen muß. An dem 1896er
Kongreß befürworteten die englischen Gewerkvereinler einen Antrag,
welcher angesichts der nicht wegzuleugnenden ländlichen Notlage
auf Beschäftigung unbeschäftigter ländlicher Arbeiter und Ausdeh-
nung des landwirtschaftlichen Unterrichts drang. Mit gewaltiger
Stimmenmehrheit wurde dieser Antrag, welcher den Reformfreunden
die Hände hätte kräftigen können, von den anwesenden Sozialisten
(bei der damals herrschenden absonderlichen Abstimmungsweise)
abgelehnt und durch einen pomphaften, nichtssagenden, ganz und
gar unnützen allgemeinen Beschluß ersetzt, welcher Nationalisierung
des Grundes und Bodens verlangt.
Unter solchen Umständen kann es nicht wunder nehmen, wenn
der Sozialismus thatsächlich in England zurückgeht. Für den prak-
tischen Sinn des Engländer bietet er nichts.
Dazu kommt noch, daß, je weiter der Sozialismus, wie man vor-
giebt, fortschreitet, je mehr demokratische Erfolge errungen werden,
welche seine Anhänger ihm gutschreiben wollen, desto mehr er sich
Die sozialistische Bewegung in England. 373
selber den Boden zu weiterem Vordringen abschneidet. Der Sack
der verlangten Zugeständnisse, in dem man seit etwa 70 Jahren
beständig hineinschüttet, muß doch endlich wenigstens so weit voll
werden, daß er allein aufrecht stehen kann. Wie die Sozialisten
selber zugeben, blüht ihr Weizen nur dann, wenn anderer verdorrt.
Wo, wie in England, das demokratische Prinzip ohnedies gewahrt
ist, drückt der Sozialismus schließlich doch nur einen Schmerzens-
schrei der ärmeren Bevölkerung in schlechter Zeit aus, deshalb
auch droht man immer wieder, auch heute, mit einer kommenden
Krisis. Deshalb kramt man die alten Schauderbilder von vor 50 und 60
Jahren wieder aus und beteuert, daß unter dem gegenwärtig be-
stehenden Systeme die Reichen immer reicher, die Armen immer
ärmer werden. Das ist indessen nicht wahr, wie der Arbeiter wohl
weiß. Die Reichen mögen reicher werden, die Armen werden es
indessen auch. Lage und Stellung der arbeitenden Klassen haben
sich im allgemeinen ganz ungemein gebessert und bessern sich
Doch zusehends und schnell Raum zu weiterer Verbesserung ist
allerdings noch reichlich da, sowohl in der Stadt wie auf dem
Lande. Aber die Arbeiter wissen, sie haben es alle Tage vor Augen,
daß ihnen heute Waffen leicht zugänglich sind, die ihnen ohne
Sozialismus, den sie nicht verstehen, das sichern können, was sie
suchen, und zwar mit größerer Sicherheit. Was der Sozialismus ihnen
schließlich bieten wird, das wissen sie noch nicht. Jedenfalls haben
ie mehr Vertrauen zur jetzigen Sachlage als zu seinen Nebelbildern.
Sie suchen sich vollere Vertretung, sie verlangen mit zunehmendem
Nachdruck eine Verkürzung der Arbeitszeit, sie streben danach,
daß Waren und Arbeiten nur von Geschäftshäusern genommen
werden, die Gewerkvereinslöhne zahlen. (Mit dem Gedanken obli-
ga torischer Schiedsgerichte wollen sie sich noch nicht befreunden).
Fiz r die Verstaatlichung der Produktionsmittel ist ihre Liebe höch-
steus mitunter vorübergehend platonisch. So lange der andere diese
“isftel hat, so mag sich das schon hören lassen. Was jeder in-
àes sen selbst besitzt, das will er sich nicht entreißen lassen. Und
was den politischen Umsturz anbelangt, so wünschen sich die Ar-
beitær heute momentan vielleicht gar dazu Glück, daß ein Oberhaus
da ist, welches als oberste Gerichtsinstanz die den Arbeitern un-
güns tigen auf Grund des Unfallgesetzes gefällten Urteile umstößt, und
ihnewa in Zeiten kritischer Arbeitseinstellungen die beliebtesten und
Aas, weiste Vertrauen genießenden Schiedsrichter stellt.
Der Sozialismus wird sich somit in England wohl mit der be-
scheidenen Rolle begnügen müssen, für andere mächtigere Kräfte
neue willkommene und wertvolle Verbündete zu liefern. In solcher
Rolle kann er allerdings noch sehr viel Gutes leisten, wie er ja auch
in der Vergangenheit Gutes geleistet hat. Es ist das nicht zu ver-
kennen. Manch Einem hat er die Augen geöffnet, hat ihm die Kenntnis
seiner eigenen Lage oder ein warmes, humanes Interesse für
Aermer& eingeflößt. Man spottet in England gern darüber, daß im
Henry W. Wolff, Die sozialistische Bewegung in England.
3 g g
Parteiwesen der Schweif so häufig den Hund wedelt, der äußerste
Flügel die Partei zum Handeln bestimmt. Zu solcher Arbeit ist
der Sozialismus in seiner englischen Gestalt geradezu wie geschaffen.
Daß er noch häufigen Zuwachs erhalten wird, ist nicht nur leicht
möglich, sondern sehr wahrscheinlich. Es kommt das auf die Tages-
fragen an, die er gerade aufnehmen mag, wenn sie die öffentliche
Meinung erwärmen. Daß er bleibend einen maßgebenden Einfluß
ausüben, eine mächtige Parlamentspartei zusammenbringen, als be-
stimmende Kraft ebenbürtig neben anderen Parteien eine Stelle im
Nationalleben behaupten werde, ist nicht anzunehmen. Dazu wird
auch schwerlich die Wiederherstellung der Internationale helfen, die
ja gerade, dem englischen Verlangen entgegen, seiner Doktrin
wieder einen mehr festländischen, weniger den Engländern ansprechen-
den Stempel aufzudrücken droht.
Miszellen. 375
Nachdruck verboten.
Miszellen,
VI.
Geschichte der österreichischen Land- und Forstwirtschaft
und ihrer Industrien 1848—1898.
Von Dr. Walter Schiff.
Später und plötzlicher als in Deutschland vollzog sich in Oester-
reich der Uebergang von der feudalen zur liberalen Agrarverfassung.
Der Sprung aus dem Mittelalter in die Neuzeit, aus der Gebundenheit
in die Freiheit geschah fast unvermittelt nach einer agrarpolitischen
Stagnation von mehreren Decennien. Ein halbes Jahrhundert ist seither
verflossen. Haben sich die goldenen Hoffnungen erfüllt, die man all-
gemein an die Beseitigung der veralteten Schranken geknüpft hatte?
Für diese Frage, die neuerdings in den meisten europäischen Staaten
aufgeworfen worden ist, bietet gerade Oesterreich ein besonders in-
teressantes Untersuchungsobjekt ; einmal wegen der Vielgestaltigkeit,
w~ elche die wirtschaftlichen Verhältnisse in den einzelnen Kronländern
az ıfweisen — man denke an solche Kulturgegensätze, wie Böhmen und
G alizien, wie Niederösterreich, Tirol und Dalmatien —, dann auch des-
wegen, weil hier die Beseitigung der feudalen Wirtschaftsverfassung
radikaler und bauernfreundlicher durchgeführt worden ist, als in den
meisten deutschen Staaten. Dazu kommt, daß gerade aus Oesterreich
Klagen über den Niedergang des Bauernstandes besonders häufig und
laut erhoben werden, und daß dabei die Schuld vielfach weder der
Rüc=kständigkeit des bäuerlichen Wirtschaftsbetriebes, noch der un-
günsstigen Preiskonjunktur gegeben wird, sondern daß ausschließlich das
\iberale Agrarrecht für die beklagten Mißstände verantwortlich ge-
macht wird.
Leider fehlt es aber fast durchaus an objektiv festgestellten That-
sachen, welche geeignet wären, die Richtigkeit solcher Behauptungen
zu prüfen. Es verdient deshalb alles, was unsere Kenntnisse über
die landwirtschaftlichen Verhältnisse Oesterreichs, sowie insbesondere
über deren Entwickelung seit dem Jahre 1848, zu vermehren vermag,
die sorgföltigste Beachtung der Volkswirte. Vor kurzem ist nun, an-
läßlich des 60-jäbrigen Regierungsjubiläums des Kaisers Franz Josef,
376 Miszellen.
ein 4-bändiges Werk erschienen !), worin die Entwickelung dargestellt
ist, welche die Land- und Forstwirtschaft Oesterreichs und ihre In-
dustrien seit dem Jahre 1848 — dem Jahre der Thronbesteigung des
Kaisers und dem Geburtsjahre der liberalen Agrarverfassung — ge-
nommen haben. Dieses Werk, an dem mehr als 80 Fachmänner —
Gelehrte, Verwaltungsbeamte, Praktiker — mitgearbeitet haben, leidet
zwar an den konstitutiven Mängeln jeder derartigen Sammlung von
Einzelarbeiten: Ungleichheit des Standpunktes der einzelnen Autoren,
Ungleichmäßigkeit der Behandlungsweise, Widersprüche, Wiederholungen
u. s. w.; es bringt aber doch ein so reichhaltiges und großenteils neues
Thatsachenmaterial, es enthält eine Reihe so interessanter Arbeiten, daß
es wünschenswert erscheint, das Ergebnis dieser umfangreichen Detail-
forschungen einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Im
folgenden ist deshalb der Versuch gemacht, auf Grund und an der
Hand jenes Jubiläumswerkes ein gedrängtes, einheitliches Bild von der
Entwickelung der organischen Urproduktion in Oesterreich während der
letzten 50 Jahre zu entwerfen. Dabei wird sich Gelegenheit ergeben,
auf manche Lücken in dem Werke hinzuweisen und manchen Ab-
weichungen von den Ansichten der Mitarbeiter Ausdruck zu geben.
Die früher erwähnten Mängel des Sammelwerkes werden sich bei dieser
zusammenfassenden Darstellung naturgemäß weit weniger fühlbar machen,
Eine gewisse Ergänzung des in dem Werke Gebotenen wird jedoch
durch den Umstand notwendig, daß der Charakter der Publikation als
einer Jubiläumsgabe für den Kaiser die Kritik der Verhältnisse und
Mafregeln vielfach ganz zurückgedrängt hat. Ja, einzelne Mitarbeiter
scheinen ihre Aufgahe darin erblickt zu haben, nur die Lichtseiten
übermäßig zu preisen, die Schattenseiten dagegen gänzlich zu ver-
schweigen. Solchenfalls ist im folgenden der Versuch gemacht, das
Gleichgewicht wieder herzustellen. Hingegen konnte eine Verbesserung
der zum Teile recht verfehlten Systematik des Werkes in dieser Skizze
nicht unternommen werden. Die Darstellung behält vielmehr die in
dem Werke selbst enthaltene Reihenfolge bei.
Der erste Halbband umfaßt die Geschichte der Agrar-
verfassung und der Agrarverwaltung in Oesterreich.
An die Spitze des ganzen Werkes ist mit Recht die Grund-
entlastung (Grünberg) gestellt. Diese großartigste Reformaktion,
die je in Oesterreich stattgefunden hat, leitet in ruhmvoller Weise die
Regierung des Kaisers Franz Josef ein. Kaum je sonst ist ein solches
Riesenwerk, eine so fundamentale wirtschaftliche Umwälzung, in so
kurzer Zeit, mit so geringen Kosten und so zur Zufriedenheit aller
Beteiligten durchgeführt worden, wie es die Grundentlastung in Oester-
1) Geschichte der österreichischen Land- und Forstwirtschaft und ihrer Industrien
1848—1898. Festschrift zur Feier der am 2. Dezember 1898 erfolgten 50-jährigen
Wiederkehr der Thronbesteigung Sr. Majestät des Kaisers Franz Josef I., herausgegeben
von dem hierzu gebildeten, unter dem Protektorate Sr. Excellenz des k. k. Ackerbau-
ministers Michael Freiherrn von Kast stehenden Komitee. Wien 1899—1901. Ein
5. Band soll Nachträge und einzelne Specialdarstellungen enthalten.
Miszellen. 377
reich gewesen ist!) Ein echtes Kind der Revolution des Jahres 1848,
ist sie durchaus antihistorisch, rationalistisch. Nicht die Fortbildung
oder Verbesserung des seit Jahrhunderten überkommenen Zustandes
ist ihr Ziel, sondern die Neuschaffung, die grundlegende Aenderung
der gesamten Agrarverfassuug. Trotz dieses ihres revolutionären
Charakters ist sie aber doch keineswegs so unvermittelt gekommen,
als es äußerlich den Anschein haben mag. Sie hat schließlich doch nur
dasjenige allgemeiner und konsequenter verwirklicht, was schon die
großen Herrscher des 18. Jahrhunderts angestrebt hatten. Schon Kaiser
Joseph hatte die Aufhebung des Unterthänigkeitsverhältnisses durch-
führen wollen, die Verwandlung der verschieden abgestuften Besitzrechte
der Bauern an ihren Gütern in freies, unbeschränktes Eigentum, die Be-
seitigung der Frondienste, der Zehnten, der Natural- und Geldabgaben
der Bauern an ihre Herrschaften und die Ersetzung dieser Reallasten
durch amortisable Geldrenten; er war aber mit diesem Plane, wie mit
so vielen anderen, nicht durchgedrungen. Die ersten Keime für den
Schutz der leibeigenen Bauern gegen Bedrückung und Aussaugung
durch die Gutsherrn finden sich schon im 17. Jahrhunderte; die da-
maligen Herrscher setzten sich zu Gunsten der „k. k. Kontribuenten“
ein und gaben damit das erste Beispiel eines ländlichen Arbeiterschutzes,
Maria Theresia ging in ihren Robotpatenten weiter; sie suchte nicht
nur die Urbarialschuldigkeiten zu begrenzen, sondern sicherte auch das
Bauernland gegen die Aufsaugung durch die Gutsherrschaft; ja, in den
kaiserlichen Domänen hob sie sogar die Erbunterthänigkeiten auf und
führt die Ablösung der Fronden durch (Raabisches System). Diese
letzteren, grundlegenden Neuerungen, welche die Kaiserin nur als Gutsfrau
anzuordnen wagt, will der Kaiser Josef allgemein einführen. Es gelingt
ihm, durch das Leibeigenschaftspatent die persönliche Rechtsstellung
der Bauern bedeutend zu heben, und er stärkt auch die bäuerlichen
Besitzrechte. Dagegen mußte aber sein größtes Reformwerk, die Steuer-
und Urbarialregulierung, durch welche die gutsherrliche Arbeitsverfassung
allgemein beseitigt und Geldzahlungen an die Stelle der unterthänigen
Arbeitsleistungen gesetzt werden sollten, gleich nach dem Tode des
1) Das Gegenteil behauptet allerdings Jordan-Rozwadowski in seinem Artikel
„Die Bauern des 18. Jahrhunderts und ihre Herren‘ (s. diese Zeitschrift Bd. 20, S. 339 ff.).
Er ist der Ansicht, daß wir in Oesterreich „in wirtschaftlicher Hinsicht noch mitten in
der Durchführung der Grundentlastung stehen“, und er wirft mir vor, mein Buch
„Oesterreichs Agrarpolitik seit der Grundentlastung‘“ enthalte einen krassen inneren
Widerspruch: während ich in der Einleitung sage, daß, wo gegenwärtig agrarische
Uebelstände vorlägen, sie gewiß nicht mehr auf die Grundentlastung zurückzuführen
seien, beweise der ganze Inhalt meines Buches das strikte Gegenteil hiervon. Daß
Jordan-Rozwadowski mir ein so seltsames Mißverstehen meiner eigenen Unter-
suchungen zumuten konnte, rührt ebenso seine die erst citierte Ansicht lediglich daher,
daß er selbst dem Worte „Grundentlastung‘ eine ganz andere Bedeutung beilegt als ich.
Allgemein versteht man darunter nämlich nichts anderes, als die Ablösung der bäuer-
lichen Grundlasten, die Aufhebung des grundherrlichen Obereigentumes und des Patri-
monialverhältnisses, nicht aber die Beseitigung sonstiger kulturfeindlicher Ueberreste
der alten Agrarverfassung, woran Jordan-Rozwadowski denkt. Daß in letzterer
Hinsicht Oesterreich wichtige und dringende Aufgaben erst noch zu lösen hat, das
klar zu machen war doch geradezu der Zweck meiner Untersuchungen.
378 Miszellen.
Kaisers sistiert werden. Es folgt nun ein halbes Jahrhundert völliger
Stagnation in agrarpolitischer Hinsicht, ein Zustand, dem erst durch
den Ausbruch der Revolution des Jahres 1848 ein Ende bereitet wird.
Jetzt muß mit größter Eile und in radikaler Weise nachgeholt werden,
was während zweier Menschenalter versäumt worden war. Später, aber
in unvergleichlich besserer Weise, als in vielen anderen Kulturstaaten,
ist bei uns die Auflösung der feudalen Agrarverfassung erfolgt. Im
Laufe ganz weniger Jahre wurden die Grundlasten von 2,6 Mill. Ver-
pflichteten zu Gunsten von 54267 Berechtigten in Geld abgeschätzt.
Diese Grundlasten bestanden aus jährlich 381/, Mill. Tagewerken (Fuß-
oder Handrobot), aus 291/, Mill. Tagen Zugrobot, ferner aus Zehnten
im Jahreswerte von 4 Mill. fl. C. M. aus 2 Mill. Metzen Getreide und
aus 5,8 Mill. fl. C. M. jährlicher Geldleistungen. Die ermittelten Grund-
entlastungsrenten machten 141/, Mill. fl. C. M. aus, das gesamte Grund-
entlastungskapital fast 290 Mill. f. C. M., wovon ungefähr 112,6 Mill.
durch die Verpflichteten, 144 Mill. durch die Kronländer aufzubringen
waren. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser Reform waren
durchaus günstig, und zwar sowohl für die Bauern als auch für die
früheren Gutsherren.
Ein Gegenstück zu dieser „Grundentlastung“ bildet die „Grund-
lastenablösung und -regulierung“ (Schiff), eine Operation,
die am Ende der 50er Jahre in Angriff genommen worden, heute
aber noch nicht vollständig beendigt ist. Obgleich auch diese hoch-
wichtige Reformaktion vielfach nicht minder tief in die wirtschaft-
lichen Verhältnisse der bäuerlichen Bevölkerung eingegriffen hat, als
die Grundentlastung, war sie doch bis vor kurzem in der Litteratur
ganz unbeachtet geblieben. Und doch hat sie die schwerwiegendsten
und zumeist sehr nachteilige Folgen für die davon betroffenen Bauern-
wirtschaften gehabt.
Waren durch die Grundentlastung diejenigen Reallasten abgelöst
worden, welche auf bäuerlichem Boden zu Gunsten der Großgrund-
besitzer geruht hatten, so sollten durch diese zweite Aktion diejenigen
Realrechte beseitigt oder doch unschädlich gemacht werden, welche
auf herrschaftlichen Gütern, insbesondere auf Wäldern, Weiden und
Alpen zu Gunsten der Bauernwirtschaften lasteten. Die „Wald- und
Weideservituten“, um die es sich dabei handelt, bilden auch heute
noch vielfach, namentlich in den Alpengegenden, einen integrierenden,
ja unentbehrlichen Bestandteil der bäuerlichen Wirtschaften, und früher
war dies in noch höherem Male der Fall. Ohne die Wald- und Weide-
nutzungen könnte die Viehwirtschaft, auf welche die Natur die Alpen-
bauern verweist, vielfach gar nicht betrieben werden. Die genannten
Nutzungsrechte haben denn auch eine ungeheure Verbreitung in Oester-
reich. Allein in den Alpenländern waren um die Mitte des Jahr-
hunderts mehr als 2 Mill. Hektar Forste mit solchen Servituten be-
lastet. Es berührte somit die in Rede stehende Operation geradezu
ein Lebensinteresse eines Teiles des Bauernstandes. Dennoch ist sie
in einer Weise vorgenommen worden, welche den verpflichteten Groß-
grundbesitzern auf Kosten der servitutsberechtigten Bauern bedeutende
Miszellen. 379
Vorteile zugewendet hat. Bei der Ablösung der Servituten wurden
die aufzuhebenden Nutzungen weit unter ihrem wahren Werte in An-
schlag gebracht, so daß die servitutsberechtigten Bauern ein Ablösungs-
kapital erhielten, das nur einen geringen Teil des Wertes besaß, den
das bisherige Nutzungsrecht für sie gehabt hatte. Diese Operation be-
deutete also die Konfiskation eines sehr erheblichen Teiles der bäuer-
lichen Nutzungsrechte. Sie mußte aber überall dort, wo die bäuer-
liche Wirtschaft auf die Servitutsnutzungen basiert war und diese ein
unentbehrliches Hilfsmittel für die Viehzucht darstellten, von geradezu
verderblicher Wirkung für den Bauernstand sein. Der Niedergang der
Bauernwirtschaften ist in vielen Alpengegenden sicherlich zum Teil
gerade durch diese Servitutenablösungen verursacht worden. Nicht
minder ungünstig für die Bauern waren aber großenteils die Servituten-
regulierungen. Oft wurden die servitutsberechtigten Bauern da-
durch verkürzt, daß das Nutzungsrecht nicht auf dem ganzen bisher
belasteten Grundstücke belassen, sondern auf einen Teil des letzteren
eingeschränkt wurde, der sich jedoch in der Folge als unzulänglich er-
wies; die ,regulierten“ Nutzungen mußten dann nachträglich zum
Schaden der Berechtigten gekürzt werden. Auch sonst erlangten die
verpflichteten Grundbesitzer durch die Regulierungen eine Reihe von
Handhaben, die Berechtigten im Genusse ihrer Servitut zu verkürzen,
sie mit oder ohne Rechtsverletzung bei der Ausübung des Nutzungs-
rechtes zu stören. Diese Handhaben wurden und werden von den
verpflichteten Wald- und Weidebesitzern in weitgehendem Maße benützt,
um die Bauern zum Verzicht auf ihre Nutzungen zu zwingen. Damit
verliert aber die bäuerliche Viehwirtschaft zumeist ihr Fundament und
bricht zusammen. Der Aufkauf von Bauerngütern und die Bildung
ausgedehnter Jagdterritorien in den letzten Jahrzehnten wurde in den
Alpenländern gerade durch das Bestehen solcher „regulierter“ Servituten
befördert. Die Letzteren sind denn auch heute noch Gegenstand des
heftigsten Streites zwischen den Bauern und den Gutsherren ; ja in
manchen alpinen Landesteilen (Salzburg, Steiermark) wird zwischen
den Forstverwaltungen und den Servitutsberechtigten geradezu ein Krieg
geführt, der nur durch eine neuerliche und wirksamere Ablösungs- und
Regulierungsaktion beendigt werden könnte.
Die agrarischen Gemeinschaften (Schiff) bilden einen
anderen heute noch bestehenden Ueberrest der mittelalterlichen Agrar-
verfassung. In solcher Gemeinschaft stehen landwirtschaftliche Grund-
stücke, die von einer größeren Anzahl von Personen gemeinsam genutzt
werden, wobei das Anteilsrecht jedoch nicht ein gewöhnliches civilrecht-
liches Miteigentum darstellt, sondern in irgend einer Weise an die Gemeinde-
mitgliedschaft und an den Besitz eines bestimmten Bauernhofes oder an die
Mitgliedschaft in einer bestimmten Familie geknüpft ist. Inhalt und Um-
fang der Nutzungsrechte sind lokal sehr verschieden, desgleichen die Be-
dingungen für dessen Erlangung und Ausübung, sowie die Art der
Verwaltung. Die gemeinsam genutzte Realität steht bald im Eigentum
der Gemeinde oder Ortschaft, bald in dem einer Genossenschaft oder
einer juristisch schwer faßbaren Gesamtheit der nutzungsberechtigten
380 Miszellen.
Bauern. Der wirtschaftliche Zustand der in agrarischer Gemeinschatt
stehenden Grundstücke ist in Oesterreich zumeist ein jämmerlicher;
Uebergriffe, Rechtsverletzungen, Verwüstungen sind durchaus an der
Tagesordnung. Das ist um so bedauerlicher, als gegenwärtig in Oester-
reich noch ungeheure Flächen — mehr als 3 Mill. ha — gemeinsam
genutzt werden. Wie schonungslos der Boden durch diese regellose
gemeinsame Nutzung ausgeraubt wird, dafür bietet der Karst das
traurigste Beispiel. Ueber 1 Mill. ha, die nach Lage, Klima, Boden-
beschaffenheit der Garten Oesterreichs sein könnte, bilden dort gegen-
wärtig eine öde Steinwüste, auf der höchstens die Ziege ihr kärgliches
Futter findet. Die Ursache davon ist, daß dort mehr als ?/, des Bodens
in agrarischer Gemeinschaft stehen und von den Gemeindemitgliedern
um die Wette ausgesaugt werden.
Die Gesetzgebung hat sich seit dem Jahre 1848 mehrfach mit den
agrarischen Gemeinschaften beschäftigt, vermochte jedoch nicht, die
furchtbaren Uebelstände dieser Nutzungsform zu beseitigen; ja sie hat
zum Teil die Verwirrung hinsichtlich der Rechtsverhältnisse noch ge-
steigert oder gar erst hervorgerufen. So die provisorische Gemeinde-
ordnung vom Jahre 1849 und die Gemeindeordnungen der 60er Jahre.
Früher waren die am Gemeindegut nutzungsberechtigten Personen in
der Regel verpflichtet gewesen, für alle Gemeindelasten aufzukommen.
Diese innere Beziehung zwischen Gemeindenutzen und Gemeindelasten
wurde durch die erwähnten Gesetze vernichtet: es wurde zwar die
Beitragspflicht sämtlicher Gemeindemitglieder zu den Gemeindebedürf-
nissen statuiert, dagegen blieben die privilegierten Nutzungen der
Bauern nach der hergebrachten Uebung aufrecht. Dadurch wurde
der schon früher heftig entbrannte Kampf zwischen den altansässigen
Bauern und den anderen Grundbesitzern um die Nutzungen am Ge-
meindegute erst recht angefacht, ein Kampf, der immer noch fortdauert.
Die Teilung der agrarischen Gemeinschaften und die Regulierung
der gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte faßt ein
Reichsgesetz vom Jahre 1885 ins Auge. Doch ist dies nur ein so-
genanntes Rahmengesetz, das zu seiner Wirksamkeit ergänzender Landes-
gesetze bedarf. Solche wurden aber bisher nur in 7 (von 17) Ländern
erlassen. Indessen ist zur Zeit lediglich in Kärnten ein, wenn auch
geringer Erfolg zu verzeichnen. Nur in diesem Lande hatte nämlich das
Gesetz vorgeschrieben, daß alle Nachbarschaften, deren Teilung nicht
beantragt wird, reguliert werden müssen!), während in den 5 anderen
Ländern sowohl Teilung als Regulierung an eine Provokation durch
eine Mehrheit von Beteiligten gebunden ist. Von den mehr als 3 Mill. ha
gemeinschaftlich genutzten Landes sind bis Ende 1896 nur 19 190 ha
geteilt oder reguliert worden. So ist den Verwüstungen und Rechts-
verletzungen an dem einstigen Allmendgute immer noch kein Ziel ge-
setzt.
Erfolgreicher waren die Bestrebungen nach Wiederbewaldung des
Karstes, doch ist auch hier erst ein kleiner Bruchteil der Aufgabe gelöst.
1) Dieser Vorzug wurde durch eine spätere Novelle leider wieder beseitigt.
Miszellen. 381
Ein weiterer aus der mittelalterlichen Agrarverfassung stammen-
der Uebelstand ist die irrationelle Flureinteilung, die nur durch Arron-
dierung und Zusammenlegung der Grundstücke (Schiff)
beseitigt werden kann. Die einzelnen zu einer Wirtschaft vereinigten
Parzellen liegen zumeist weit verstreut, haben vielfach eine ungünstige
Form, entbehren großenteils des eigenen Zuganges. Erhöhung der Be-
stellungskosten, Vermehrung der Arbeit, Verlust an produktivem Boden,
Erleichterung fremder Eingriffe, gegenseitige wirtschaftliche Abhängig-
keit (Flurzwang), Verhinderung einer rationellen Bodenkultur, Er-
schwerung der Bodenverbesserungen sind die bekannten Folgen der
Gemenglage. Diese besitzt, was nicht genug bekannt ist, in Oesterreich
eine ungeheure Verbreitung. Unrichtigerweise pflegt man anzunehmen,
in den Alpenländern herrsche ganz allgemein das Hofsystem, es seien
deshalb dort die Güter stets arrondiert um den Wirtschaftshof gelegen.
Thatsächlich sind jedoch in den eigentlichen Alpenländern über 3700
Katastralgemeinden (von im ganzen 4826 — 77 Proz.) kommassations-
bedürftig. In ganz Oesterreich ohne Galizien weisen nur 13,4 Proz.
aller Katastralgemeinden durchaus arrondierten Besitz aus, in 80 Proz.
wäre die Kommassation dringendes Bedürfnis.
Die Gesetzgebung hat sich jedoch in Oesterreich bisher als ganz
unfähig erwiesen, diese Uebelstände zu beseitigen. Sie versuchte es
zunächst derart, daß sie individuelle Parzellentäusche zwischen Grund-
besitzern zu begünstigen trachtete (Arrondierungsgesetze). Die gänz-
liche Erfolglosigkeit dieses Versuches führte zur Erlassung des Reichs-
gesetzes vom Jahre 1883 über die Zusammenlegung der Grundstücke,
Mittels eines einheitlichen Verwaltungsaktes soll die ganze irrationelle
Feldeinteilung einer Gemeinde durch eine zweckmäligere ersetzt werden.
Die ausgezeichneten Gesetzentwürfe Peyrer’s hatten jedoch im Parla-
mente einschneidende Veränderungen erfahren, die ihre Wirksamkeit
lähmen mußten. Verhängnisvoll war es insbesondere, daß nicht nur die
Einleitung der Kommassationsarbeiten an die Provokation durch eine
Mehrheit von Grundbesitzern gebunden ist, sondern daß auch noch nach
Beendigung des Verfahrens eine abermalige Abstimmung über den aus-
gearbeiteten Zusammenlegungsplan selbst vorgeschrieben ist. Nur in
4 Ländern sind bisher zu diesem Rahmengesetze die ausführenden
Landesgesetze erlassen worden, und nur in ganz vereinzelten Fällen
haben Zusammenlegungen thatsächlich stattgefunden. Während in mehr
als 17 000 Gemeinden ein dringendes Bedürfnis nach Zusammenlegungen
besteht, sind solche bis zum Ende des Jahres 1896 nur in 16 Gemeinden
vorgenommen, in 42 begonnen worden. Die österreichische Gesetzgebung
hat es somit bisher leider nicht verstanden, die Hindernisse zu be-
heben, die sich diesen für alle Beteiligten so ungeheuer vorteilhaften
Maßregeln entgegenstellen.
Die Beseitigung des Bestiftungszwanges und der
Erbteilungsvorschriften für Bauerngüter (Ritter von
Schullern zu Schrattenhofen) hat die letzte Schranke hinweg-
geräumt, welche die Grundentlastung für den Verkehr mit Grund
und Boden hatte bestehen lassen. Das Verbot der Teilung von Bauern-
382 Miszellen.
gütern war teils im Interesse der Grund- und Gutsherren, teils zur
Beförderung der Landeskultur erlassen worden. Ausnahmen konnte
früher durch die Obrigkeit, seit 1848 durch die politische Behörde
bewilligt werden. Das Reichsgesetz vom Jahre 1868 hebt die be-
sonderen, in den politischen Gesetzen enthaltenen Anordnungen über
die Vererbung von Bauerngütern dort auf, wo durch die Landesgesetz-
gebung die Freiteilbarkeit eingeführt wird. Mit Recht ist damit ein
Kausalzusammenhang zwischen Erbteilungsvorschriften und Bestiftungs-
zwang deklariert. Nur in Tirol galt (und gilt) ein wirkliches An-
erbenrecht, d. h. eine Begünstigung des Gutsübernehmers gegenüber
den Miterben. Der Bauernhof geht hier nämlich ungeteilt auf einen
Erben über, und zwar zu einem Wertanschlage, „daß der Uebernehmer
wohl bestehen kann“. Im Gegensatz zu der in dieser Norm gelegenen
Bevorzugung des Gutsübernehmers in Tirol hatten in sämtlichen übrigen
Ländern alle Miterben gleich große Erbteile zu beanspruchen, und nur
die Aufteilung der Nachlaßgegenstände mußte dort, wo der Be-
stiftungszwang galt, modifiziert werden, wenn sich im Nachlasse ein
rechtlich unteilbares Bauerngut befand. Das Letztere konnte wegen
des Bestiftungszwanges nur an einen unter den Erben übergehen,
wurde aber dabei nach seinem wahren Werte abgeschätzt. Zwar hatte
Kaiser Josef den Versuch gemacht, eine Begünstigung des Ueber-
nehmers allgemein zu statuieren; er erließ ein Gesetz, wonach das
Erbgut nach den — sehr niedrigen — Kastralpreisen zu bewerten
sei. Aber der Kaiser selbst war durch den heftigen Widerstand der
Bevölkerung gezwungen worden, dieses Gesetz wieder aufzuheben. So
blieben nur jene ersterwähnten Erbteilungsvorschriften bestehen, die
aber logischerweise beseitigt werden mußten, sobald deren Ursache,
die Unteilbarkeit, weggefallen war. Seit längerer Zeit bestand übrigens
schon die Freiteilbarkeit in Dalmatien, Krain und dem Küstenlande;
in 11 Ländern wurde sie 1868 und 1869 eingeführt; nur in Tirol ist
auch heute noch der Bestiftungszwang (und mit ihm das bäuerliche
Anerberecht) in Geltung.
Da vor dem Jahre 1868 in den einzelnen Gebieten die verschieden-
artigsten Rechtsverhältnisse bestanden hatten, könnte die Würdigung
dieser Reform nur länderweise erfolgen. Das würde jedoch hier zu
weit führen, weshalb auf die sehr vorsichtige Darstellung in dem
Jubiläumswerke verwiesen sei. Ein sicheres Urteil über die Wir-
kungen der Einführung der Freiteilbarkeit läßt sich übrigens derzeit
nicht abgeben, weil es dafür an dem erforderlichen Thatsachen-
material fehlt. Ueberdies darf man nicht übersehen — und dieses
Moment wird zumeist viel zu wenig gewürdigt —, daß auch vor dem
Jahre 1868 der Bestiftungszwang nur sehr lax gehandhabt worden war,
indem die wirtschaftlichen Kräfte sich hier als viel stärker erwiesen, als
die gesetzlichen Vorschriften; eine Thatsache, die auch in dem Jubi-
läumswerke nicht genügend betont ist. Ein eklatantes Beispiel für das
Gesagte bietet gerade Tirol. In Wälschtirol und auch in Deutsch-Süd-
tirol haben Bestiftungszwang und Anerbenrecht trotz der gesetzlichen
Vorschrift niemals verwirklicht werden können. Aber selbst in manchen
Miszellen. 383
Gegenden Nordtirols (Oberinnthal und Bezirk Reutte) ist die Boden-
zersplitterung trotz jener heute noch bestehenden Beschränkungen sehr
weit vorgeschritten.
Gleichzeitig mit der Freiteilbarkeit wurde auch ein anderes liberales
Postulat erfüllt: Die Beseitigung des Wucherverbotes
(Ritter von Schullern zu Schrattenhofen). Welche entsetz-
lichen wirtschaftlichen Verwüstungen der Wucher während der 70er
und 80er Jahre in Galizien verschuldet hat, ist durch eine statistische
Erhebung festgestellt. Man geht kaum fehl, wenn man diese traurigen
Erscheinungen mit der im Jahre 1868 eingeführten völligen Wucher-
freiheit in ursächlichen Zusammenhang bringt. Seither ist zunächst
(1877) in Galizien, später (1881) in ganz Oesterreich der Wucher für
strafbar erklärt worden, was wohl einen günstigen Einfluß auf die
ländlichen Kreditverhältnisse ausgeübt haben dürfte. Die Daten jedoch
über die Anklagen und Verurteilungen wegen Uebertretung dieser Vor-
schriften können zweifellos keinen auch nur annähernden Anhaltspunkt
für das wirkliche Vorkommen wucherischer Geschäfte abgeben. Die
neuere Bewegung, den Wucherbegriff vom Kreditgeschäfte auch auf
andere Formen der Ausbeutung auszudehnen, wird in dem Jubiläums-
werke ebensowenig erwähnt, als die moderne Gesetzgebung über
Ratengeschäfte, die doch mit dem Wucher in engstem Zusammenhange
stehen.
Von besonderer Bedeutung für den rechtlichen Verkehr mit Grund-
sticken und für den ländlichen Realkredit ist auch die formelle
Ordnung des Grundbuchsrechtes (von Nemethy). Im Jahre
1848 bestanden diesbezüglich in Oesterreich noch große provinzielle
Verschiedenheiten. Zwar bildete das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch
die gemeinsame Grundlage; doch herrschte eine große Mannigfaltigkeit
der öffentlichen Bücher: Landtafeln, Stadtbücher, Grundbücher, Verfach-
bücher (Tirol), Hypothekenbücher (Dalmatien), Notifikbücher (Istrien).
Nach dem Jahre 1848 wurde die Führung der öffentlichen Bücher den
Patrimonialgerichten (Grundherren) abgenommen und den bürgerlichen
Gerichten übergeben. Die einheitliche Gestaltung des Grundbuchs-
wesens erfolgte aber erst durch das Grundbuchsgesetz von 1871 und
durch die Landesgesetze, welche die Neuanlegung der Grundbücher
und die Art ihrer Einrichtung vorschrieben; Tirol gab jedoch das Ver-
fachbuchsystem erst im Jahre 1897, Vorarlberg im Jahre 1900 auf.
Das für soliden Realkredit so nnerläßliche Prinzip der publica fides des
Grundbuchs wurde durch diese Reform in weitestem Umfange verwirk-
licht, und es wurde der Inhalt des öffentlichen Buches mit den that-
sächlichen Verhältnissen möglichst in Uebereinstimmung gebracht.
Der im Jubiläumswerke ausführlich behandelte juristische Inhalt
der Grundbuchsgesetze darf hier vernachlässigt werden. Dagegen wären
ergänzend einige wirtschaftlich und agrarpolitisch sehr bedeutsame Mo-
mente hervorzuheben, die dort entweder ganz übergangen oder nur
gelegentlich gestreift sind. Hierher gehören namentlich die höchst
interessanten Besonderheiten des Tiroler Grundbuchsgesetzes, das mit
Rücksicht auf das in Tirol geltende Höferecht ganz eigentümliche Be-
384 Miszellen.
stimmungen enthält. Auch ist sowohl in Tirol als auch in Vorarlberg
den specifisch wirtschaftlichen Bedürfnissen der agrarischen Gemein-
schaften in gewissem Umfange Rechnung getragen, während dies in
den anderen Ländern bedauerlicherweise unterlassen wurde, was viel-
fach große Unklarheit und Verwirrung der Rechtsverhältnisse zur Folge
gehabt hat. Ferner ist in einer Reihe von Fällen durch spätere
Reichsgesetze die publica fides des Grundbuches gemindert und das
Prinzip der zeitlichen Rangordnung der Hypotheken durchbrochen
worden. Die Steuern und Zuschläge, die Umlagen der Wassergenossen-
schaften, die Kommassationskosten genießen auch ohne Eintragung
ein gesetzliches, privilegiertes Pfandrecht. Ferner wurde durch das
Meliorationskreditgesetz vom Jahre 1896 eine Priorität für Meliorations-
renten geschaffen. Endlich hätte an dieser Stelle auch die sehr wichtige
Frage der Hypothekenkonvertierung untersucht und das einschlägige
Gesetz vom Jahre 1888 besprochen werden sollen.
Betrifft das Grundbuchsrecht nur die Form des Realitätenverkehrs, so
muß das Exekutionsrecht (v. Nemethy) materielle Rechtssätze
für einen wichtigen Fall des Realitätenverkehrs selbst aufstellen, näm-
lich für die zwangsweise Veräußerung des Eigentums oder der Nutzungen
eines Gutes durch den Richter zur Befriedigung eines Gläubigers. Ge-
rade auf diesem Gebiete hat im Laufe der letzten 50 Jahre eine agrar-
politisch sehr bedeutsame Entwickelung stattgefunden. Bis zum Jahre
1887 galt im großen und ganzen die höchst unvollkommene allgemeine
Gerichtsordnung von 1781. Die Exekutionsnovelle führte dann in das
österreichische Recht zwei neue Institute ein: das Ueberbot und die Un-
wirksamerklärung einer Feilbietung: im Falle eines Meistbotes von
weniger als ?/, des Schätzungswertes kann innerhalb einer bestimmten
Frist derjenige das Gut erstehen, der das Meistbot um 20 Proz. über-
bietet; bei einem Meistbot von nicht einmal 1/, des Schätzungswertes
kann der Exekut, dessen wirtschaftlicher Ruin durch diesen Verkauf
bewirkt werden würde, verlangen, daß die Versteigerung für unwirksam
erklärt würde.
Noch viel einschneidender sind die Neuerungen der Executions-
ordnung vom Jahre 1896. Vor allem ist es von der größten praktischen
Tragweite, daß nunmehr jede bewilligte Execution durchaus von Amts-
wegen vollzogen werden muß. Ferner sind jetzt erst eingehende Normen
über die Zwangsverwaltung von Liegenschaften vorhanden. Der dritte
Feilbietungstermin ist beseitigt. Dagegen ist die exekutive Schätzung
trotz des heftigen Widersprucbes zahlreicher Männer der Theorie und
der Praxis auch im neuen Verfahren beibehalten worden. Im Gegen-
satze zum Jubiläumswerke kann der Verfasser dies nicht gutheißen. In
der überwiegenden Mehrzahl der Fälle werden ganz kleine, gering-
wertige Objekte subhastiert, bei denen die Schätzung eine ungeheuere
und ganz zwecklose Verzögerung und Verteuerung des Verfahrens be-
deutet.
Neu ist das Institut des geringsten Gebotes: landwirtschaftliche Grund-
stücke dürfen nicht unter ?/,, Häuser nicht unter 1/, des Schätzungswertes
zugeschlagen werden. Bei der Unsicherheit der landwirtschaftlichen
Miszellen. 385
Schätzungen ist das eine, wie mir scheint, sehr gefährliche Bestimmung,
da sie einerseits die Hypothekengläubiger sehr schädigen, andererseits
aber auch den bäuerlichen Realkredit arg erschüttern kann. Ferner
ist nunmehr das bisher geltende Verkaufsprinzip durch das Deckungs-
prinzip ersetzt worden, d. h. ein Zuschlag kann nur dann erzwungen
werden, wenn das Meistbot alle dem betreibenden Gläubiger im
Range vorgehenden Satzposten deckt. Einer Unzahl von unsauberen
Praktiken, von Uebervorteilungen ist damit ein Riegel vorgeschoben
worden. Leider ist dieser Erfolg dadurch etwas abgeschwächt, daß der
Richter auf die Deckung nicht, wie in den meisten deutschen Staaten,
von Amtswegen Rücksicht zu nehmen hat, sondern nur dann, wenn der
geschädigte Gläubiger bei der Feilbietung selbst einen Antrag in dieser
Richtung stellt. In der Streitfrage zwischen dem Uebernahms- und
dem Barzahlungsprinzipe hat der Gesetzgeber einen Mittelweg einge-
schlagen.
Als eine Ergänzung zur Geschichte der österreichischen Agrar-
verfassung können die seit den 80er Jahren unternommenen Ver-
suche einer Agrarreform (Ertl) betrachtet werden. Ihnen
muß hier ein etwas breiterer Raum gewidmet werden, einerseits, weil
sie auf das engste mit den eingangs aufgeworfenen Fragen zusammen-
hängen, andererseits deshalb, weil diese Materie zu den aktuellsten und
strittigsten der modernen Volkswirtschaftspolitik gehört. Auch tritt
gerade in diesem Abschnitte des Jubiläumswerkes der subjektive Stand-
punkt des betreffenden Autors stärker als sonst in den Vordergrund,
und es haben damit in das Werk ganz einseitige Urteile Eingang ge-
funden, welche richtigzustellen Pflicht der wissenschaftlichen Bericht-
erstattung ist.
Schon die Einleitung des in Rede stehenden Beitrages, das agrar-
politische Glaubensbekenntnis seines Verfassers enthaltend, trägt eine
stark subjektive Färbung. Daß die Bauern vielfach überschuldet seien
und durch den Wucher von ihrer Scholle fortgetrieben werden; daß sie
einerseits von Großkapitalisten und Latifundienbesitzern ausgekauft,
andererseits durch ein „armseliges, überschuldetes Proletariat von Zwerg-
gütlern ersetzt werden“; daß dies alles weder durch die technische
Uebermacht des Großbetriebes, noch auch durch die gesteigerte aus-
wärtige Konkurrenz, noch endlich durch das eigene unwirtschaftliche
Verhalten der Bauern, sondern ausschließlich durch das liberale, in-
dividualistische Agrarrecht verursacht werde, — diese gänzlich un-
bewiesenen Behauptungen werden nicht etwa bloß als persönliche An-
sichten des Autors oder als Motiv des Gesetzgebers hingestellt, sondern
wie unumstößliche Wahrheiten, wie notorische Thatsachen vorgetragen,
die weiter keines Beweises bedürfen, und über die nicht gestritten
werden könne. Mit der gleichen erstaunlichen Sicherheit wird be-
hauptet, daß „überall auf Erden, wo Freiheit des Grundeigentums be-
steht, die landwirtschaftliehen Existenzen in einer ganz bestimmten,
charakteristischen Weise ökonomisch erkranken“. Wissenschaftlich ist
aber bekanntlich all das noch durchaus nicht festgestellt, und insbe-
sondere fehlt es bisher zumeist an objektiv konstatierten Thatsachen,
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 25
386 Miszellen.
welche zeigen würden, in welcher Ausdehnung und mit welcher Stärke
sich jene behaupteten Uebelstände geltend gemacht haben. Speciell
bietet die auch hier wieder ins Feld geführte österreichische Hypo-
thekar- nnd Exekutionsstatistik lediglich Scheinbeweise in dieser Richtung;
für weitgehende agrarpolitische Schlußfolgerungen ist sie in Wahrheit
gänzlich unbrauchbar. Sehr geteilt sind denn auch noch die Ansichten
darüber, ob die Einführung eines bäuerlichen Anerbenrechtes, die
Statuierung von Verschuldungs- und Teilungsbeschränkungen, die Er-
richtung von Rentengütern u. dgl. zweckmäßige oder gar notwendige
Maßregeln seien. In dem Jubiläumswerke werden diese Reformen rück-
haltslos befürwortet, ohne daß die dagegen erhobenen Einwände auch
nur erwähnt werden.
Die ersten Versuche in der genannten Richtung betrafen in Oester-
reich die Vererbung der Bauerngüter und die Freiteilbar-
keit. Man liebt es, diese Bestrebungen historisch zu motivieren.
Merkwürdigerweise wird auch wieder in dem Juübiläumswerke die
längst als unrichtig nachgewiesene Ansicht wiederholt, als ob in der
Hälfte dieses Jahrhunderts in ganz Oesterreich ein Anerbenrecht
bestanden hätte. Jedermann kann sich in der Justizgesetzsammlung
davon überzeugen, und Grünberg hat es überdies aktenmälig fest-
gestellt, daß einzig und allein in Tirol eine Begünstigung des Gutüber-
nehmers gesetzlich festgelegt worden war, daß aber, wie oben bereits
erwähnt wurde, der Versuch Kaiser Josefs, auch in den übrigen Pro-
vinzen eine ähnliche Begünstigung einzuführen, gescheitert ist, und daß
der Kaiser selbst gezwungen war, diese Maßregeln zurückzunehmen.
Außerhalb Tirols bestand vielmehr nur das Verbot, Bauerngüter zu
teilen; ein Verbot, das sich naturgemäß auch auf den Gutsübergang
von Todes wegen erstreckte und hier bewirkte, daß ein im Nachlaß
befindliche Bauerngut ungeteilt einem Erben übertragen werden mußte.
Ist also das ins Treffen geführte historische Argument fehlgegriffen, so
hätte schr wohl, um die Einführung eines Anerbenrechtes auch ge-
schichtlich zu begründen, geltend gemacht werden können, daß die
thatsächliche Uebung mit den gesetzlichen Vorschriften nicht überall
übereinstimmte. In der Praxis wurde vielfach bei der Bemessung der
Erbportionen durch eine niedrige Schätzung des Gutswertes darauf
Bedacht genommen, daß der Uebernehmer des Gutes nicht über-
lastet werde — ein Moment, das trotz seiner großen Wichtigkeit im
Jubiläumswerke nicht hervorgehoben ist. Und wie in der Frage der Ver-
erbung, so wird hier auch in der Frage der Freiteilbarkeit die thatsäch-
liche Uebung des praktischen Lebens zu wenig berücksichtigt. Es hätte
sonst betont werden müssen, daß schon lange vor der Aufhebung
des Bestiftungszwanges die Beschränkungen der Freiteilbarkeit in den
meisten österreichischen Ländern nur noch auf dem Papier standen,
daß die Behörden den Konsens zur Zerstückelung fast niemals ver-
weigerten, und daß, selbst wo dies geschah, die Grundbesitzer sich
durch das behördliche Verbot von Teilungen faktisch nicht abhalten ließen,
während andererseits dort, wo vor der Einführung der Freiteilbarkeit
die Bauerngüter ungeteilt geblieben waren, sich daran auch später zu-
meist nicht viel geändert hat.
Miszellen. 387
Das Reichsgesetz vom Jahre 1889, ,betreffend die Einführung be-
sonderer Erbteilungsvorschriften für landwirtschaftliche Besitzungen
mittlerer Größe“ ermächtigt die Landesgesetzgebungen, zu bestimmen,
daß für die von ihr näher zu bezeichnenden Höfe ein besonderes In-
testaterbrecht gelte, wonach das Gut nur ungeteilt auf einen Erben
übergeht und dieser den Hof zu einem unter dem wahren Werte
bleibenden Anschlag übernimmt; dem Anerben kann außerdem ein Vor-
aus in der Höhe von SET des unbelasteten Hofwertes zugesprochen
werden. Ueberdies erteilt das Reichsgesetz den Landesgesetzgebungen
die Ermächtigung, Beschränkungen in der Freiteilbarkeit der Höfe und
das Verbot der Vereinigung mehrerer Höfe in einer Hand zu statuieren.
Man erkennt leicht, daß in dem Jubiläumswerke ganz mit Unrecht be-
hauptet wird, daß dieses Gesetz „bekannlich überhaupt nur die Erb-
teilung reguliert“. Während, wie wir zeigten, das ältere Recht, das in
Wahrheit nur die Erbteilung ordnete, unrichtigerweise als Anerben-
recht bezeichnet wird, ist hier das wirkliche, den Gutsunternehmer sehr
begünstigende Anerbenrecht als eine harmlose Erbteilungsvorschrift hin-
gestellt !
Der Versuch, das Anerbenrecht in Oesterreich einzuführen, ist voll-
kommen fehlgeschlagen. Wührend eines Zeitraumes von 12 Jahren
hat sich kein einziger der 17 Landtage dazu verstanden, das aus-
führende Landesgesetz zu votieren. Ja, selbst die Regierung scheint
in ihrem Eifer für das Anerbenrecht etwas abgekühlt zu sein. Hat
se doch in mehreren Ländern, die dafür sehr in Betracht kämen,
wie Steiermark, Kärnten, Böhmen, nicht einmal eine Gesetzvorlage
eingebracht! Ob da wirklich die Ansicht des Verfassers gerecht-
fertigt ist, daß es „mehr äußerliche und formale als sachliche Um-
stinde“ gewesen seien, die bisher das Zustandekommen der in Rede
stehenden Gesetze gehindert haben?
Mit weit mehr Aussicht auf Erfolg ist die Organisation des
land wirtschaftlichen Berufsstandes in Oesterreich in Angriff
genommen worden. Die Landwirtschaftsgesellschaften, die schon zu
Begiun der Berichtsperiode bestanden hatten, können als eine solche,
die ganze Landwirtschaft umfassende Berufsorganisation allerdings nicht
angesehen werden. Ein erster durch die Regierung unternommener
Reformversuch war die Schaffung von Landeskulturräten und Bezirks-
genossenschaften der Landwirte in einzelnen Kronländern. Aber wenn
auch auf diese Weise Stellen ins Leben gerufen worden waren, welche
die staatliche Verwaltung auf landwirtschaftlichem Gebiete unterstützten,
und wenn auch der berufsgenossenschaftliche Gedanke darin zum Aus-
druck kommt, daß diese Centralstellen aus Wahlen der Bezirksgenossen-
schaften, in Böhmen und Mähren aus Wahlen der landwirtschaftlichen
Vereine hervorgehen, so zeigte sich doch, daß dieser Organisationsform
eine große Anzahl von Mängeln anhaftete. Im Jahre 1898 wurde der
Landwirtschaftsrat errichtet, eine lediglich aus ernannten Mitgliedern
bestehende Korporation, welche eine autonome Interessenvertretung der
Landwirte nicht zu ersetzen vermag. Mit welchem Rechte im Jubi-
läumswerk auch die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (Raiff-
25*
388 Miszellen.
eisenkassen) als Versuche einer solchen Interessenvertretung angeführt
werden, ist ganz unverständlich.
Zufolge des Gesetzentwurfes betreffend die Errichtung von Be-
rufsgenossenschaften — seit dem Jahre 1893 mehrmals in verschiedener
Form eingebracht — sollen sämtliche landwirtschaftlichen Grundbesitzer
obligatorisch zu Bezirksgenossenschaften vereinigt werden, die sich
wieder zu Landesgenossenschaften zusammenschließen. Diesen Berufs-
genossenschaften wäre die Interessenvertretung sowie eine große Zahl
wirtschaftlicher und sozialer Aufgaben zugewiesen, zu deren Erfüllung
sie das Recht, die Kosten auf ihre Mitglieder umzulegen, erhalten sollten.
Der Gesetzentwurf fand nach Loslösung von der Gesetzesvorlage über
die Rentengüter (s. u.) zumeist eine recht günstige Aufnahme. Nicht
gegen die Idee, sondern gegen die Art ihrer Verwirklichung wurden
die meisten Bedenken erhoben, die in den späteren Redaktionen großen-
teils berücksichtigt worden sind. In weiteren Kreisen knüpft man an
die Schaffung von obligatorischen Berufsgenossenschaften sehr große
Erwartungen, und auch das Jubiläumswerk preist mit überschwenglichen
Worten die segensreichen Folgen, die diese Institution haben müßte.
Von anderer Seite steht man jedoch dem Zwangscharakter der Organi-
sation etwas skeptisch gegenüber und befürchtet von ihm Schädigungen
für die freien Organisationen, die sich gerade in der Landwirtschaft so
reich ausgebildet haben. Ob die Verfechter der Berufsgenossenschaften
deren Erfolge nicht stark überschätzen, kann wohl nur die Erfahrung
lehren.
In dem Gesetzentwurf betreffend die Errichtung von
Rentengütern hat die Regierung den umfassendsten Plan einer
bäuerlichen Agrarreform niedergelegt: bei Zwangsversteigerungen von
Bauerngütern sollen die Landesgenossenschaften der Landwirte (s. o.)
mitbieten und, falls sie das Gut erstehen, es als „Rentengut“ in Erb-
pacht geben; der Rentengutsbauer hat eine ewige, unablösbare Rente
zu zahlen, darf ohne Bewilligung der Landesgenossenschaft das Gut
weder veräußern noch teilen noch verschulden und kann bei unwirt-
schaftlichem Gebahren sowie aus einer Reihe anderer Gründe „abge-
stiftet“ werden. Ein derartiges Gesetz müßte notwendiger Weise die
Rentengutsbauern in eine absolute rechtliche und wirtschaftliche Ab-
hängigkeit von den die Landesgenossenschaften dominierenden Groß-
grundbesitzern bringen, in eine Abhängigkeit, die weit größer wäre,
als jene war, die vor dem Jahre 1848 geherrscht hatte. Näher auf
diesen Plan einzugehen, dürfte hier deshalb überflüssig sein, weil er
keineswegs, wie es in dem Jubiläumswerke heißt, „bloß vorläufig zurück-
gestellt“, sondern doch wohl dauernd abgethan ist. Hat doch der
der Entwurf in der wirtschaftlichen Literatur fast einstimmige Verur-
teilung gefunden; eine Thatsache, von der man in jenem Werke nichts
erfährt.
Nebst der Agrarverfassung hat auch die Agrarverwaltung
(Ritter von Herz) in den Jahren 1848—98 bedeutende Umwandlungen
erfahren. Es hätte indessen einer sehr umfangreichen Arbeit bedurft,
um diese Entwickelung auch nur annähernd zu skizzieren. Der Kreis
Miszellen. 389
der Verwaltungsaufgaben hat sich in dieser Zeit auch auf landwirt-
schaftlichem Gebiete außerordentlich erweitert; ganze Verwaltungszweige
sind neu dazu gekommen, die alten an Umfang gewachsen; auch hat
sich inzwischen die Art der Erfüllung der Verwaltungsaufgaben viel-
fach wesentlich geändert. Und nebst dem reichen Gebiete der staat-
lichen Administration wäre auch noch die für die Landwirtschaft hoch-
bedeutsame Thätigkeit der autonomen Körperschaften — Land, Bezirk,
Gemeinde — darzustellen gewesen. Diese schwierige Aufgabe hat sich
indessen der in Rede stehende Artikel des Jubiläumswerkes nicht ge-
stellt; er behandelt vielmehr lediglich die Verwaltungsorganisation,
und auch dabei beschränkt er sich auf die staatlichen Behörden.
Daß die wichtigste Seite der landwirtschaftlichen Verwaltung, die auto-
nome, unbeachtet geblieben ist, daß die Geschichte der in innigster
Beziehung zur Agrarverfassung und Agrarverwaltung stehenden Land-
gemeinde in dem Jubiläumswerke fehlt, bildet eine empfindliche Lücke
des letzteren.
Eine Serie von Artikeln des 2. Halbbandes behandelt das land-
wirtschaftliche Kredit- und Verkehrswesen.
Sehr bedeutsam und erfreulich ist in Oesterreich dieEntwickelung
derHypothekarkreditorganisation(Bräf)gewesen. Auf diesem
Gebiete sind die östereichischen Kronländer schöpferisch gewesen; sie
haben in den Landeshypothekenanstalten ganz eigenartige, den speci-
fischen Bedürfnissen des Landes angepaßte Institute geschaffen, die
sich ausgezeichnet bewähren. Leider schreitet die Konvertierung der
hoch verzinslichen, kündbaren Privatschulden in wohlfeile Amortisations-
kredite nur sehr langsam vorwärts. Die rein formalen Hindernisse, die
sich solchen Konvertierungen entgegenstellen, sollte ein Gesetz vom
Jahre 1888 beseitigen; doch hat es diesen Zweck in Folge seiner ganz
verfehlten Fassung nicht erreicht. Im übrigen sei auf die Besprechung
dieses Teiles des Jubiläumswerkes im Jahrgange 1899 dieser Zeitschrift
verwiesen.
Sehr interessant ist auch die Geschichte des land-
wirtschaftlichen Personalkredites (Schmid). Die Bedeu-
tung der unorganisierten Form dieses Kredites dürfte in dem Jubiläums-
werke wohl unterschätzt sein. Sie ist keineswegs mit Wucher identisch
und spielt auch heute noch in vielen Gegenden Oesterreichs eine sehr
große Rolle. In Galizien hat sie allerdings zu den ärgsten wucherischen
Auswüchsen geführt.
Die ältesten Personalkreditinstitute Oesterreichs sind die Kontri-
butionsfonde in den Sudetenländern. Sie wurden im vorigen Jahr-
hundert errichtet, um die Unterthanen in Notfällen, insbesondere mit
Saatgetreide, unterstützen und ihnen die Steuerlast erleichtern. Seit
den 60er Jahren suchte man diese Fonde zeitgemäß zu reformieren.
Relativ am besten gelang dies in Böhmen. Im Jahre 1863 wurden hier
die Getreidefonde in Geldfonde umgewandelt und als Vorschußkassen
für Hypothekar- und Personalkredit konstituiert, der vorzugsweise den
Teilhabern gewährt werden soll; dagegen gingen die alten Steuergeld-
fonde allmählich in dem Gemeindevermögen auf. In den 80er Jahren
390 Miszellen.
wurden die lokalen Kontributionsvorschußkassen zu größeren Bezirks-
vorschußkassen zusammengelegt, welche billigen Personalkredit erteilen
sollten und ihr Betriebskapital durch verzinsliche Einlagen erhöhen
durften. Das Recht, Hypothekardarlehen zu erteilen, erhielten sie im
Jahre 1885. Später wurde die Errichtung solcher Kassen auch dort
angeordnet, wo sie noch nicht bestanden. Die Reformbedürftigkeit
dieser Institution ist jedoch allseits anerkannt; am meisten würde
sich wohl die Umwandlung der Kontributionsvorschußkassen in reine
Personalkreditanstalten ohne jede Bevorzugung der Teilhaber empfehlen.
In Mähren ist man bei der Konstituierung lokaler Vorschußkassen mit
Bevorzugung der Teilhaber stehen geblieben; nur einige größere Kassen
dürfen Geldeinlagen annehmen. Sie dienen hier vorwiegend dem
Hypothekarkredit. Noch rückständiger ist die Organisation in Schlesien.
Auch die wenig bekannten Gemeinde- und Bezirksdarlehenkassen
in Galizien sind aus den Gemeindespeichern des vorigen Jahrhunderts
hervorgegangen. Seit dem Jahre 1868 wurden viele solcher Personal-
kreditanstalten neu gegründet. Sie funktionieren schlecht, ihre Re-
organisation wird von allen Seiten gefordert. Das Gesetz vom
Jahre 1887 war nur eine halbe Maßregel ohne Erfolg.
Am meisten haben sich auch in Oesterreich die Raiffeisenkassen
bewährt, deren seit dem Jahre 1886 mehr als 1000 entstanden sind.
Die Entwickelung dieser Institution ist in neuerer Zeit vielfach littera-
risch behandelt worden; ebenso ist es bekannt, welch große Ver-
dienste sich auf diesem Gebiete die Landesvertretungen erworben haben.
Dagegen fehlt uns noch genauere Kenntnis mancher wichtiger Details
der Organisation und Wirksamkeit der Raiffeisenkassen ; leider laßt
uns hier auch der vorliegende Aufsatz im Stich.
Der landwirtschaftliche Mobiliarkredit (Adler) ist in
Oesterreich bisher noch ganz unentwickelt; der durch das Gesetz
vom Jahre 1890 geschaffene Lagerschein (warrant) hat sich bei uns
wenig eingebürgert.
Wichtiger wäre die eingehende Darstellung des landwirt-
schaftlichen Meliorationskredites gewesen, der durch eine
eigene, sehr interessante, wenn auch nicht sehr glückliche Gesetzgebung
geregelt ist, und für den auch einige specielle Kreditinstitute errichtet
worden sind. Leider ist diese Darstellung unterblieben.
Auch das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen
entbehrt, trotz seiner hervorragenden Bedeutung, einer speciellen
Berücksichtigung in dem Jubiläumswerke. Am zahlreichsten sind
allerdings die oben erwähnten Kreditgenossenschaften nach den Systemen
Schulze—Delitzsch und Raiffeisen. Aber auch die für die Landwirtschaft
wichtigen Rohstoff-, Einkaufs-, Verkaufs-, Lagerhausgenossenschaften
hätten einer eingehenden Betrachtung gewürdigt werden sollen. Diese
Lücke kann hier natürlich nicht ausgefüllt werden; nur soviel sei hier
erwähnt, daß der Zusammenschluß der Landwirte zu gemeinsamem
Bezuge insbesondere von künstlichen Dungmitteln in neuester Zeit auch
in Oesterreich erfreuliche Fortschritte aufzuweisen hat, während die
Organisation des gemeinsamen Absatzes landwirtschaftlicher Produkte,
namentlich des Getreides, über die ersten Anfänge noch nicht hinaus ist.
Miszellen. 391
Ueber das reich entwickelte landwirtschaftliche Vereins-
wesen soll der Supplementband einen Artikel bringen.
Das land- und forstwirtschaftliche Verkehrswesen
hat in dem uns beschäftigenden Zeitraume nur geringe Fortschritte
aufzuweisen.
Zwar hat das Straßen- und Eisenbahnwesen (Birk) seit
50 Jahren einen bedeutenden Aufschwung genommen, und dies ist, wie
den anderen Produzenten, so auch den Landwirten zu gute gekommen.
Dagegen ist Oesterreich in der Entwickelung der Wasser-
straßen (Ölwein) hinter den anderen Kulturstaaten weit zurück-
geblieben, zum unberechenbaren Schaden für unsere Landwirtschaft.
Bedeutet doch die Wasserfracht eine enorme Verbilligung gegenüber
der Bahnfracht. Es kostet weniger, eine Tonne Getreide von Chicago
oder Calcutta per Schiff, als von Pest per Bahn nach Berlin zu trans-
portieren. Die Herstellung von Wasserstraßen ist daher geradezu eine
Lebensfrage für die Konkurrenzfähigkeit der österreichischen Land-
wirtschaft auf dem Weltmarkte. Da wirkt es fast beschämend, wenn
gezeigt wird, daß bei uns so gut wie nichts in dieser Beziehung
geschehen ist, daß der Verkehr auf der Spree größer ist, als der auf
sämtlichen Wasserstralen Oesterreichs, daß der Wasserverkehr in
Deutschland im Laufe von 10 Jahren sich mehr als verdoppelt hat,
bei uns dagegen zurückgegangen ist. Die Projekte eines Donau-Oder-
und eines Donau-Elbe-Kanals sind leider immer noch — Projekte geblieben.
Weder das Marktwesen im Allgemeinen, noch auch speziell
die Approvisionierung Wiens haben eine zufriedenstellende
Entwickelung aufzuweisen. Die krassen Mängel des Wiener Lebens-
mittelmarktes werden jedoch in dem Jubiläumswerke ganz verschwiegen.
Die Entwickelung des Getreidehandels ist in dem Jubiläums-
werke nicht dargestellt, was bei der außerordentlichen Wichtigkeit
dieses Faktors sehr zu bedauern ist. Das Gesamtbild hat dadurch eine
um so empfindlichere Lücke, als diese bei dem Mangel an Arbeiten
über fraglichen Gegenstand auch anderwärts schwer auszufüllen ist.
Ueber die Kornhäuser, dieses modernste Glied in der Organi-
sation des Getreidehandels, hätte dagegen leicht Einiges gesagt werden
können. Allerdings ist für Oesterreich auf diesem Gebiete noch nicht
viel Positives zu berichten. Nur langsam und zögernd folgt man hier
dem von Nachbarstaaten gegebenen Beispiele. Bisher sind nur einige
genossenschaftliche Kornhäuser, insbesondere in Niederösterreich und
Böhmen, errichtet worden; ihre Thätigkeit bewegt sich noch in sehr
bescheidenen Grenzen.
Die landwirtschaftlichen Börsen (Horaëek) sind infolge
der Erweiterung des lokalen Getreidehandels zum Welthandel entstanden
und haben in neuester Zeit einen stetig wachsenden Einfluß auf den
gesamten Getreidehandel gewonnen. Die Wiener Börse für landwirt-
schaftliche Produkte wurde im Jahre 1854 anerkannt, drei weitere
Börsen in Graz, Czernowitz und Linz wurden in den 70er Jahren, die
Prager Börse im Jahre 1896 errichtet. Ob die landwirtschaftlichen
Börsen überwiegend einen günstigen oder schädlichen wirtschaftlichen
392 Miszellen.
Einfluß ausüben, ist bekanntlich gerade in neuester Zeit außerordentlich
bestritten. Zwingende Argumente oder Beweise bringt das Jubiläums+
werk weder in der einen noch in der anderen Richtung bei.
Auch in Oesterreich gewinnt indessen die gegen die landwirtschaft-
lichen Börsen und speciell gegen das Blankotermingeschäft gerichtete
Bewegung an Verbreitung. Der Glaube, richtiger Aberglaube, das
Sinken der Getreidepreise sei ausschließlich oder doch vorwiegend auf
die Terminspekulation in Papierweizen und Papierroggen zurückzuführen,
dringt auch bei uns in immer weitere Kreise. Praktische legislatorische
Folgen hat diese Agitation bisher noch nicht gehabt. Doch tagte
kürzlich in Wien durch viele Wochen eine Enquête, welche viel zur
Klärung der Ansichten beitragen und wohl auch zu legislatorischen
Versuchen führen dürfte. Die Meinung, die Produktenbörsen seien die
Ursache des Preisfalles, dürfte zwar durch die Verhandlungen schwerlich
an Anhängern gewonnen haben; wohl aber scheint sich zu ergeben,
daß durch die gegenwärtige Organisation der landwirtschaftlichen Börsen
ein gewisser Preisdruck erleichtert wird, der durch Einführung von
Reformen beseitigt werden könnte.
Das Zollwesen im Getreideverkehre (Fort) hat in der
zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts starke Veränderungen erfahren.
Das Getreide konnte seit 1853 aus Deutschland und Rußland, seit 1878
auch sonst zollfrei eingeführt werden ; 1882 wurden Zölle von 25—50 kr.,
1887 von 75—150 kr. statuiert. Ueberdies besitzt Tirol noch seinen
Getreideaufschlag, eine seit altersher bestehende Zwischenzolllinie. Die
Zollfreiheit im sogenannten Mahlverkehr war für die Landwirtschaft
und Mühlenindustrie Oesterreichs besonders schädlich, da sie von den
ungarischen Getreidemühlen dazu benutzt wurde, Oesterreich mit
billigerem unverzollten Mehl aus Balkanweizen zu überschwemmen.
Eine lebhafte Agitation hat die Beseitigung dieser Zollbegünstigung
kürzlich durchgesetzt.
Die Besteuerung der Land- und Forstwirtschaft (Rit-
ter vonSchullern zu Schrattenhofen) hat in dem abgelaufenen
halben Jahrhundert starke Veränderungen erfahren. Bis zum Jahre 1882
galten in den einzelnen Ländern Oesterreichs 7 verschiedene Grund-
steuersysteme nebeneinander, die zum Teil noch auf die Katastrierung
unter Kaiser Josef, ja auf die theresianische Rektifikation zurück-
gingen. Das Jubiläumswerk bringt eine sehr ausführliche Dar-
stellung dieser Grundsteuersysteme. In den Jahren 1851—1860 wurde
zunächst der durch ein Gesetz vom Jahre 1817 angeordnete, in den
Alpenländern bereits verwirklichte „stabile Kataster“ in Böhmen,
Mähren, Schlesien, Dalmatien und im Gebiete von Krakau eingeführt.
Erst ein Gesetz vom Jahre 1869 erließ einheitliche Vorschriften für
die Grundbesteuerung. Diese ist eine Repartitionssteuer auf Grund
des mittleren Reinertrages der einzelnen Parzelle. Es wurde zwar keine
neue Vermessung, aber eine neue Bonitierung und Einschätzung an-
geordnet; nach je 15 Jahren soll eine Revision des Grundsteuerkatasters
stattfinden. Der Abschluß dieser Aktion erfolgte nach Beendigung der
Katastrierung erst in den 80er Jahren. Im Jahre 1881 wurde die
Miszellen. 393
Grundsteuerhauptsumme für 15 Jahre auf 371/, Mill. fl. festgesetzt,
im Jahre 1883 die Evidenzhaltung des Katasters geregelt, die
indessen die eintretenden Kulturänderungen nicht ergreift. Die erste
periodische Revision des Grundsteuerkatasters wurde in den letzten
Jahren vorgenommen; bei ihr sind auch die Kulturänderungen berück-
sichtigt worden. Gleichzeitig wurde die Grundsteuerhauptsumme um
2!/, Mill. fl. herabgesetzt, und die fortlaufende Berücksichtigung
der dauernden Kulturänderungen im Kataster vorgeschrieben. Eine
weitere Verminderung um 10—15 Proz. hat die Neueinführung der Per-
sonaleinkommensteuer im Jahre 1898 zur Folge gehabt. Es hat also
in Oesterreich die staatliche Grundsteuer in den letzten Jahren eine
sehr wesentliche Verminderung erfahren, die durch Steuerabschreibungen
wegen Elementarschäden und wegen der Reblausverwüstungen noch
vergrößert worden ist. Allerdings sind die Zuschläge zur Staatssteuer
(Umlagen) für Landes-, Bezirks- und Gemeindebedürfnisse in stetigem
Wachsen begriffen.
Wenden wir uns nunmehr der Entwickelung des landwirt-
.schaftlichen Betriebes in Oesterreich zu, welchem Gegenstand
der 2. und der 3. Band des Jubiläumswerkes gewidmet sind. In
Bezug auf die Organisation des landwirtschaftlichen Be-
triebes (Hecke und Fruhwirth) ist namentlich in den nordwest-
lichen Kronländern die Ausdehnung des Zuckerrübenbaues, der auch
auf die sonstige Bodenbestellung revolutionierend gewirkt hat, sowie
die Verbreitung des Kleebaues von Wichtigkeit. Die Einführung
rationeller Betriebssysteme hat sich jedoch zumeist auf einzelne Groß-
grundbesitzer beschränkt; nur in den Sudetenländern beginnen -auch
die Bauern allmählich sich die Vorteile des Fruchtwechsels anzueignen.
In den anderen Ländern verharren dagegen die Bauern zumeist noch
bei den überkommenen extensiven Feldsystemen, der Dreifelderwirtschaft
mit angebauter oder sogar mit schwarzer Brache und der Eggarten-
wirtschaft. Diese Wirtschaftssysteme sind ja an vielen Orten durch
die natürlichen Verhältnisse vorgeschrieben; sie finden sich aber auch
in zahlreichen Gegenden, wo eine intensivere Bodenbestellung am
Platze wäre.
Auch sonst läßt die Weiterverbreitung und Weiterentwickelung der
Kulturmaßregeln sehr viel zu wünschen übrig. Die Ausbildung
des Düngewesens weist selbst in den hochkultivierten Nordwestländern
— geschweige denn in den Alpen- oder in den Karstländern — große
Uebelstände auf. Die Verwertung der Fäkalien der Städte ist in
Oesterreich noch nirgends verwirklicht, die Gründüngung nur sporadisch
in Uebung. Seit den 60er Jahren beginnt die Anwendnng von Kunst-
dünger vorzudringen; seither hat sie sich zum Teil auch schon in den
Alpen-, kaum aber noch in den Karstländern festgesetzt. Die neueren
rationellen Maschinen und Geräte finden in bäuerlichen Kreisen nur
langsam Eingang. Nur selten wird die Bekämpfung des Unkrautes,
der tierischen und pflanzlichen Schädlinge mit der nötigen Aufmerk-
samkeit und Energie betrieben. Es sind zwar in allen Kronländern
Gesetze erlassen worden, welche den Landwirten die Vertilgung des
394 Miszellen.
Unkrautes, die Vernichtung der schädlichen Insekten und Pilze zur
Pflicht machen. Doch ist die Durchführung dieser Vorschriften den
Gemeindebehörden übertragen, welche nur lax vorgehen. Ueberhaupt
beschränkt sich der technische Fortschritt meist auf die Großgüter,
deren Beispiel nur sehr langsam auf die bäuerlichen Wirtschaften von
Wirkung ist. Nebst zahlreichen anderen Momenten sind es namentlich
die geringe allgemeine und ökonomisch-technische Bildung, dann die
Gemenglage und die durch sie hervorgerufene wirtschaftliche Beengt-
heit des einzelnen Landwirtes, die dazu beiträgt, daß ein großer Teil
des österreichischen Bauernstandes jeder Neuerung einen so starren
passiven Widerstand entgegensetzt.
Der Getreidebau (Fruwirth) hat bis vor wenigen Jahren
einen Aufschwung in Oesterreich zu verzeichnen, seither befindet er
sich in einem langsamen Rückgange. Am stärksten ist der Anbau der
Brotfrüchte zurückgegangen. Ersetzt werden die Halmfrüchte zum Teil
durch gesteigerten Futterbau und durch die Vermehrung der Vieh-
haltung, namentlich in den Alpenländern. Die Hülsenfrüchte haben an
Verbreitung nicht gewonnen, Lupine und Serradella, zwei für die Grün-
düngung hochwichtige Pflanzen, finden nur langsam Eingang in der
österreichischen Landwirtschaft. Mächtig war die Entwickelung des
Hackfruchtbaues, speciell der Kartoffel- und der Rübenkultur. Unter
den Handelspflanzen haben in den letzten Jahrzehnten mannigfache
Veränderungen Platz gegriffen. Die große Bedeutung der Rapskultur
um die Mitte des Jahrhunderts ist infolge der Mineralölerzeugung fast
ganz geschwunden; der Flachs- und Hanfbau, der noch vor wenigen
Jahrzehnten zu den wichtigsten Zweigen intensiverer Kultur in Oester-
reich gezählt hatte, befindet sich jetzt in einem starken, durch die
Konkurrenz der Baumwolle verursachten Rückgange.
Dagegen weist der Hopfenbau sowohl hinsichtlich der Größe der
Anbaufläche, als auch in der Verbesserung des Kultur- und Ernteverfahrens
mächtige Fortschritte auf. Der Bau von Farbpflanzen (Krapp) ist durch
die Erzeugung von Mineralfarben fast ganz verdrängt. Der Futterbau
(Ritter von Weinzierl) ist auf Kosten der schwarzen Brache und
der Getreidekultur vielfach ausgedehnt worden. Insbesondere hat der
Rotklee stark an Verbreitung gewonnen, und auch mit der Einführung
von Gründüngungspflanzen wurde begonnen. Manche Fortschritte sind
auch in der Wiesen- und Alpenkultur zu verzeichnen. Zumeist aber
fehlt es hier noch an jeder rationellen Behandlung. Bewässerung und
Düngung der Wiesen werden nur selten vorgenommen, die Hutweiden
sind zwar hie und da aus dem Zustande völliger Verwahrlosigkeit
einer besseren Kultur zugeführt worden, die Pflege ist aber zumeist
noch eine sehr schlechte. Ebenso ist die äußerst mangelhafte Bewirt-
schaftung des Alpbodens nur wenig verbessert worden.
Sehr wechselvoll ist die Geschichte des Weinbaues (Mach) in
der uns beschäftigenden Zeitperiode. In den 50er Jahren richtete die
Traubenkrankheit in Oesterreich, deren man erst in den 60er Jahren mit
Schwefel Herr wurde, große Verheerungen an. In den 80er Jahren be-
ginnt die Verseuchung der österreichischen Weingärten mit der Reblaus;
Miszellen. 395
über '/, der Weinbaufläche war im Jahre 1897 bereits von diesem
Insekt befallen, nur Tirol ist davon noch verschont geblieben. Nach-
dem einige andere Gegenmaßregeln sich als fruchtlos erwiesen haben,
wird seit einigen Jahren die Anpflanzung amerikanischer Reben durch
gesetzliche und administrative Maßregeln zu befördern gesucht, und
zwar mit soviel Erfolg, daß die Fortführung des Weinbaues in Oester-
reich auf neuer Grundlage nunmehr wohl als gesichert angesehen
werden darf. Auch gegen die Peronospora, die namentlich in den
Jahren 1883—1887 im Süden furchtbar verheerend auftrat, gelang es
schließlich, chemische Gegenmittel zu finden. Im übrigen haben die
Weinbauverhältnisse sich in den einzelnen Kronländern sehr ver-
schieden entwickelt, worauf indessen hier nicht näher eingegangen
werden kann.
Dies gilt auch von der Obstkultur, vom Garten- und vom
Gemüsebau (Graf von Attems, Lauche, Beck Ritter von
Managatta, von der Planitz und von Janczewski). Die
Obstkultur hat in den letzten 50 Jahren in Oesterreich einen außer-
ordentlichen Aufschwung aufzuweisen; in dieser Zeit ist aus der Klein-
wirtschaft der Obstbauer und aus dem Dilettantismus der herrschaft-
lichen und geistlichen Obstgärten ein tief in die Volkswirtschaft ein-
schneidender Kulturfaktor geworden.
Von besonderer volkswirtschaftlicher Wichtigkeit für die öster-
reichische Landwirtschaft ist die Entwickelung der Tierzucht (Ma-
calik) während der letzten 50 Jahre. In diese Zeit fällt vor allem
der Uebergang von der bloßen Viehhaltung zur eigentlichen Vieh-
zucht. Die Grundentlastung wirkte auch auf diesem Gebiete um-
wälzend. Während früher die Bauern zumeist nur die für die Spann-
dienste notwendigen Pferde zu halten vermochten, gingen sie nach Be-
seitigung der Fronden zumeist zur Rindviehhaltung über. Aehnliches
gilt für die Großgrundbesitzer. Nebst der Quantität steigert sich aber
gleichzeitig auch die Qualität und die Leistungsfähigkeit des Viehes.
Es beginnt die Einfuhr auswärtiger Zuchttiere zur Herstellung teils
reiner Schläge, teils zahlreicher Kreuzungen. Später bestrebte man sich
mehr, die einheimischen Viehschläge zu verbessern, was auch vielfach
sehr gut gelungen ist. Von großem Einflusse waren hier die wissen-
schaftlichen Forschungen über die Körpereigenschaften der Tiere, über
deren physiologische Bedeutung für die Leistungsfähigkeit und über die
Lebensbedingungen der Tiere. Erst dadurch wurden die Veredelungs-
bestrebungen in rationelle, wissenschaftlich fundierte Viehzuchtsmethoden
umgewandelt. Gleichzeitig hat auch die Fütterungslehre, namentlich in
Folge chemischer Forschungen, bedeutende Fortschritte gemacht, die
zur Gewinnung neuer Futtermittel geführt haben. Die erwähnten Mo-
mente, sowie die relativ günstige Preiskonjunktur für die tierischen
Produkte haben es bewirkt, daß die Viehzucht heute nicht mehr als ein
notwendiges Uebel der Landwirtschaft, das der letzteren den erforderlichen
Dünger liefern muß, angesehen wird, daß sie vielmehr in immer steigen-
dem Maße als der wichtigste, häufig als der einzig lukrative Teil des
landwirtschaftlichen Betriebes gilt. Das ist namentlich in Gebirgs-
396 Miszellen.
gegenden der Fall, während in den Ebenen die Intensifikation der
Bodenbestellung, die Ausbreitung der Industrien vielfach einen entgegen-
gesetzten Einfluß ausgeübt haben. Im ganzen hat denn auch die Ver-
mehrung des Viehstandes 1880—1899 mit der Bevölkerungszunahme in
Oesterreich nicht gleichen Schritt gehalten.
Der Staat und die Kronländer haben auf verschiedene Weise ver-
sucht, die Entwickelung der Viehzucht zu befördern: durch Körord-
nungen, durch gesetzliche Regelung der Rindviehzucht, durch veterinär-
polizeiliche Gesetze, durch Viehversicherung, durch Prämien, Subventionen,
Ausstellungen u. s. w. Gleichwohl befindet sich gegenwärtig die Vieh-
zucht noch keineswegs auf jener Höhe, die angestrebt werden muß, und
die in den Nachbarländern auch vielfach schon erreicht ist.
Besonders groß scheint der Fortschritt in der Pferdezucht
(Gassebner) zu sein. Thatsächlich hat auch der Pferdeexport seit
1848 sich von 12741 auf 59182 Stück gehoben. Die staatliche Ein-
flußnahme ist auf diesem Gebiete besonders intensiv. Sie erfolgt durch
Errichtung und Erhaltung von staatlichen Zuchtanstalten — Staats-
gestüten, Hengstendepots and Staatsfohlenhöfen — mit militärischer
Organisation, durch Erlassen von Körungsordnungen, welche das
Privatbeschälwesen gesetzlich regeln, durch Subventionierung und Prämi-
ierung von Privathengsten, durch Ueberlassung von Staatshengsten in
Privatpflege, durch Organisierung des Veterinärwesens, durch Be-
willigung von staatlichen Wettrennpreisen, u. s. w. Ueber die Zweck-
mäßigkeit des letzteren Mittels wird bekanntlich heftig gestritten. Sicher
ist, daß es nicht nur den Rennsport, sondern auch den Wettunfug
befördert. Die neuen Landeskörungsgesetze, die aus den 80er Jahren
stammen, dehnen den Licenzierungszwang auf alle Hengste aus, die zur
Deckung von fremden Stuten verwendet werden. Von den einheimischen
Pferderassen steht das norische Pferd an erster Stelle, dessen Reinzucht
gegenwärtig in den Alpen eifrig betrieben wird.
Die Rindviehzucht (Kaltenegger, Macalik, Freiherr
von der Malsburg, Baier, Torre, Povše) hat sich in den
einzelnen Landesteilen sehr verschieden entwickelt. Um die Mitte des
Jahrhunderts fehlte es überhaupt an einer rationellen Viehzucht. Die
Grundentlastung wirkte gerade auf diesem Gebiete sehr fruchtbringend.
In den Alpenländern nahm die Rindviehzucht erst einen bedeutenden
Aufschwung, als in den anderen Ländern die Bevorzugung des aus-
ländischen (Schweizer, Holländer) Hornviehes einer Würdigung der
alpinen einheimischen Schläge Platz gemacht hatte. Wesentlich ge-
fördert wurde die Entwickelung in den Alpenländern durch die vom
Ackerbauministerium veranstaltete Erhebung über die Rinderrassen
Oesterreichs. Auch sonst hat man es an Versuchen zur Hebung der
Rindviehzucht nicht fehlen lassen, und es sind auch manche gute Er-
folge dabei erzielt worden. Wie das norische Pferd (Pinzgauer), so
erringen sich auch die alpinen Hornviehschläge (Montavoner, Lech-
thaler, Duxer u. s. w.) immer mehr die Anerkennung des In- und Aus-
landes.
Schweinezucht (Baier) wurde vor dem Jahre 1848 fast gar
Miszellen. 397
nicht betrieben. Seit den 70er Jahren werden englische Schweine-
schläge zur Zucht eingeführt. Besonderen Aufschwung nahm die
Schweinezucht in den 90er Jahren; Niederösterreich steht hierbei an der
Spitze, indem hier seit 1887 Schweinezuchtanstalten und Zuchtstationen
mit, wie es scheint, gutem Erfolge, gegründet und subventioniert
wurden. Aber auch in den anderen Ländern sind Fortschritte zu be-
merken. Das von Niederösterreich gegebene Beispiel ist nicht ohne
Wirkung geblieben.
Hingegen hat sich in der Schafzucht (Baier) ein starker
Niedergang vollzogen. Noch um die Mitte des Jahrhunderts stand die
Wollschafzucht, insbesondere in den Nordwestländern, in hoher Blüte
nnd bildete den wichtigsten Teil der damaligen Viehzucht. Seither
wurde sie immer weniger rentabel; seit den 70er Jahren ist sie durch
die überseeische Konkurrenz und von der Baumwollenindustrie immer
mehr verdrängt worden. Nebst dem dadurch hervorgerufenen Preisfall
der Wolle trug auch die steigende Intensität der Wirtschaft und die
Ausbreitung der Rübenkultur dazu bei, daß die Wollschafzucht zumeist
aufgegeben wurde. Während aber so die Zucht edler Feinwollschafe nur
mehr vereinzelt dasteht, hat die Zucht von Fleischschafen in Oesterreich
noch nicht festen Fuß zu fassen vermocht. Im Laufe von 40 Jahren
(1850— 1890) hat sich der Schafstand Oesterreichs um 50 Proz. ver-
ringert.
Auch die Seidenraupenzucht (Bolle), früher ein wichtiger
Zweig der landwirtschaftlichen Produktion in den südlichen Ländern,
hat zuerst durch das Auftreten der Raupenkrankheit, dann durch die
Handelskrise in Seide sehr gelitten und einen bedeutenden Rückgang
zu verzeichnen.
Das mit der Tierzucht in engster Beziehung stehende Veterinär-
wesen (Ritter von Wiedersperg) hat erst im Laufe der letzten
Decennien seine Ausbildung erfahren. Die Wissenschaft, insbesondere
die Bakteriologie, weist in neuerer Zeit ungeahnte Fortschritte auf.
Seit den 60er Jahren gehen aus dem Tierarzenei-Institute in größerer
Zahl Tierärzte hervor, die in steigendem Maße öffentliche Anstellungen
finden und als Ausführungsorgane bei der Bekämpfung der Epizootien
dienen. Diese Bekämpfung selbst war um die Mitte des Jahrhunderts
noch sehr mangelhaft. Das bereits auf moderner Grundlage aufgebaute
Rinderpestgesetz vom Jahre 1868 blieb wegen des Mangels an Durch-
führungsorganen wirkungslos, während das Tierseuchen- und das Rinder-
pestgesetz vom Jahre 1880 infolge der energischen Handhabung durch-
schlagenden Erfolg hatten; ebenso das Lungenseuchengesetz von 1892.
Die Rinderpest und die Lungenseuche sind seither in Oesterreich er-
loschen. Andere Tierkrankheiten — seit einigen Jahren namentlich die
Schweinepest und die Maul- und Klauenseuche — haben dagegen noch
sehr weite Verbreitung.
Nebst der Veterinärpolizei ist die Viehversicherung (Sperk)
ein Mittel zur Bekämpfung der Seuchen; aber sie muß sich nebst diesen
Todesursachen auch auf sonstige Unglücks- und Todesfälle erstrecken.
Die beschränkten Tierseuchenfonde in Tirol, Vorarlberg und Nieder-
398 Miszellen.
österreich haben sich zwar bewährt, nicht aber die 1883—1892 in
Mähren bestandene Rindviehversicherung. Die Einführung einer obli-
gatorischen, staatlichen Viehversicherung steht in Diskussion. Die einer
solchen Einrichtung entgegenstehenden Schwierigkeiten dürften wohl
nicht unüberwindlich sein.
Gehen wir nunmehr zur Betrachtung der Hilfsmittel der land-
wirtschaftlichen Produktion über.
Eine ausführliche Darstellung des landwirtschaftlichen Ge-
rätewesens fehlt leider in dem Jubiläumswerke. Es wäre sehr in-
teressant gewesen, die geographische Verbreitung der verschiedenen land-
wirtschaftlichen Gerätetypen in Oesterreich kennen zu lernen. Auf
diesem Gebiete namentlich sind die Bauernwirtschaften zumeist sehr
rückständig.
Dagegen ersieht man aus dem Jubiläumswerke die großen, im
Laufe von 50 Jahren gemachten technischen Fortschritte hinsichtlich
der landwirtschaftlichen Maschinen (Rezek). Die Betonung
lediglich der technischen Seite kann indessen leicht zu einer Ueber-
schätzung der wirtschaftlichen Bedeutung dieser Fortschritte ver-
leiten. Da ist es nicht überflüssig, daran zu erinnern, daß von den
mehr als 2 Millionen landwirtschaftlichen Betrieben Oesterreichs nur
etwa 138000, also noch nicht 7 Proz., einen mechanischen oder tierischen
Motor verwenden und daher der Unfallversicherungspflicht unterliegen.
Ob es richtig ist, daß die Verwendung der Maschinen in der Land-
wirtschaft bereits allgemein geworden sei, und daß nur einzelne Gebirgs-
gegenden auch heute noch ihre primitiven, unvollkommenen Geräte aus
längst verflossener Zeit beibehalten haben, ob nicht vielmehr die alten,
primitiven Feldgeräte auch heute noch bei den Bauern zumeist vor-
herrschen und Maschinen sich bei ihnen nur sehr langsam Eingang zu
verschaffen vermögen, wird hoffentlich binnen kurzem die landwirt-
schaftliche Betriebsstatistik entscheiden.
Die gesetzlichen Grundlagen des Wasserbau- und
Meliorationswesens (Freiherr von Starkenfels) haben seit
1848 manche einschneidenden Aenderungen erfahren. Die Wasserrechts-
gesetze der Jahre 1869—1875 haben insbesondere die Bildung von
Wassergenossenschaften durch Majoritätsbeschluß, die Leitung des
Wassers über fremde Grundstücke und die Expropriation zu Gunsten
von Wasserbauten ermöglicht; die Interessenkonflikte zwischen Melio-
rationsunternehmungeu und älteren Stauanlagen wurden, wenn auch nicht
durchaus klar und zweckmäßig, so doch irgendwie entschieden. Einen
größeren Fortschritt in letzterer Beziehung bedeutet das Meliorations-
gesetz vom Jahre 1884, das auch die Kreditfähigkeit der Wasserge-
nossenschaften durch Sicherung ihrer Gläubiger erhöht. Auch das Ge-
setz über die unschädliche Ableitung von Gebirgswässern vom Jahre 1884,
das die Zwangsenteignung zu Gunsten von Meliorationsunternehmungen
noch bedeutend erweitert, wäre hier zu nennen gewesen.
Die Wichtigkeit der Hydrographie (Lauda) für den Wasser-
bau ist zwar schon seit langem erkannt; aber erst in den letzten Jahren
wurde in Oesterreich mit der Organisation des hydrographischen Dienstes
Miszellen. 399
begonnen, der sich in 3 Instanzen: Beobachter, hydrographische Landes-
abteilungen und hydographisches Centralbureau gliedert. Die Beob-
achtungen haben im Jahre 1895 begonnen und werden periodisch publi-
ziert; im Jahre 1898 gab es bereits 4572 Beobachtungsstationen für
Wasserstands-, Schneestands- und Regenmessungen.
Dem Wasserbau im engeren Sinne ist in dem Jubiläums-
werke ein breiter Raum gewidmet. Im Interesse der Schiffahrt und
zur Verhütung von Ueberschwemmungen sind nach einer sehr inter-
essanten, tabellarischen Zusammenstellung (Schrey) während der letzten
50 Jabre rund 150 Mill. fl. verwendet worden; davon kommen auf
Niederösterreich 57,6, auf Böhmen 25,3, auf Tirol 24,4, auf Galizien
11,7 Mill. f. u. s. w. Die größten Regulierungsarbeiten betreffen die
Donau (57,6 Mill. Di, Etsch (12 Ma), Moldau und Elbe (14,6 Mill.)
Narenta (7,3 Mill.), Weichsel (4,4 Mill.) u. s. w. Wer sich für diese
Arbeiten interessiert, findet reichlichen Aufschluß in einer Reihe von
Monographien der wichtigsten österreichischen Flüsse
(Weber Ritter von Ebenhof, Franz, Herbst, Florian,
Pesta, Blum); doch müssen hier einige Vorbehalte gemacht werden.
Zunächst sind leider nicht alle wichtigen Flüsse behandelt; es fehlen
insbesondere gerade solche, deren Regulierung speciell für die Land-
wirtschaft die allergrößte Bedeutung besitzt, wie z. B. der Rhein, die
March u. a w. Ferner darf man bei der Lektüre dieser Artikel nicht
vergessen, daß in Oesterreich von den zahlreichen wichtigen Aufgaben
auf dem Gebiete der Flußregulierung bisher erst der kleinste Teil er-
füllt ist. Noch entbehrt Oesterreich der so dringend notwendigen
Wasserstraßen (s. o.), noch fordern Ueberschwemmungen fast alljährlich
zahlreiche Opfer an Menschenleben, noch verheeren Wasserkatastrophen
weite Landstrecken, noch könnten ganze weite Gegenden durch Fluß-
regulierungen entwässert, entsumpft und dadurch für die Kultur ge-
wonnen werden.
Mit den vorstehenden Bemerkungen haben wir uns schon den Fragen
des landwirtschaftlichen Meliorationswesens (Friedrich)
zugewendet. Hier sind im Laufe der letzten Decennien manche Fort-
schritte, wenn auch nicht in allen Kronländern, zu verzeichnen. Be-
sonders fördernd auf die Meliorationsthätigkeit hat in manchen Ländern
die Organisierung eines kulturtechnischeu Dienstes gewirkt, der die
Landwirte zu Bodenverbesserungen anregt und die Durchführung
derselben übernimmt. Doch stehen wir hier erst am Anfange einer
Entwickelung, die übrigens länderweise sehr verschieden weit ge-
diehen ist.
Eine Reihe zum Teil ganz neuer in dem Werke enthaltener Zu-
sammenstellungen über die bisherige Meliorationsthätigkeit in den ein-
zelnen Kronländern enthält viel des Belehrenden. Aus ihnen ersieht
man auch, wie verschwindend gering dasjenige ist, was bisher geleistet
worden ist, gegenüber dem, was noch zu leisten wäre. So sind in
Niederösterreich von 250000 ha drainagebedürftiger Fläche nur etwa
10000 ha oder 4 Proz. entwässert worden. In Böhmen bedürfen etwa
830000 ha einer Bodenmelioration; seit 1884 werden aber im jährlichen
400 Miszellen.
Durchschnitte nur etwa 2300 ha, etwa !/, Proz., thatsächlich melioriert.
Aehnlich ist es in den anderen Kronländern. Die Gemenglage des
Grundbesitzes, die Schwierigkeit, sich — namentlich bei Verschuldung
— das notwendige Baukapital zu verschaffen, die mangelhafte Organi-
sation des kulturtechnischen Dienstes, Unbildung und Indolenz der
Grundbesitzer sind die Ursachen für diese traurige Erscheinung.
In einem speciellen Zweige der Bodenverbesserungen, nämlich in
der Moorkultur (Koppens), hat in den letzten Jahren ein gewisser
Fortschritt stattgefunden, der teils auf private Initiative zurückzuführen
ist, teils auf die Subventionierung von Moorkulturstationen durch Staat
und Land.
In engem Zusammenhange mit der eigentlichen Landwirtschaft
stehen die landwirtschaftlichen Industrien; teils deshalb,
weil sie zumeist von den Landwirten selbst oder doch von landwirt-
schaftlichen Genossenschaften betrieben werden, teils deshalb, weil sie
die wichtigsten Abnehmer der landwirtschaftlichen Produkte sind. Hier-
her werden insbesondere die Milchverarbeitung, Weinbereitung, Bier-
brauerei, Spiritusbrennerei, Zuckererzeugung und Müllerei gerechnet.
In der Milchwirtschaft (Winkler) folgt Oesterreich nur
langsam und zögernd den technischen und ökonomischen Fortschritten,
die in anderen Staaten rasch und allgemein Eingang finden. Das ist
doppelt bedauerlich, weil weite Gegenden unseres Vaterlandes vor-
wiegend auf die Gewinnung von Viehprodukten angewiesen sind. Am
weitesten ist das Molkereiwesen seit jeher in Vorarlberg entwickelt,
wo sich der nachbarliche Einfluß der Schweiz wohlthätig fühlbar macht.
Dort erfolgt die Milchverarbeitung zumeist genossenschaftlich im großen
unter Anwendung von rationellen Methoden und Maschinen, und die
Molkereiprodukte werden hier auch auf gemeinsame Rechnung ver-
wertet. Dagegen steht die Milchbearbeitung in den übrigen Alpen-
ländern heute großenteils noch auf einer sehr niedrigen technischen
Stufe, und zwar selbst dort, wo Molkereigenossenschaften bestehen, da
diese nur selten für einen zweckmäligen Vertrieb sorgen. Milchcentri-
fugen sind bei uns wenig verbreitet; und während Deutschland über
2000, das kleine Dänemark über 1000 Molkereigenossenschaften besitzt,
zählte man deren bei uns erst 350!
Daß bei diesem niedrigen Stande der Technik die Errungenschaften
der bakteriologischen Forschungen, insbesondere hinsichtlich der Be-
freiung der Milch von schädlichen Mikroorganismen, nur wenig ver-
wertet werden, versteht sich fast von selbst.
Auch in der Weinbereitung und Weinverarbeitung
(Mach) spielen die Bakteriologie und Chemie eine große Rolle. Sie
haben die Erkenntnis von der richtigen Behandlung des Weines und
der zweckmäligen Ausnützung der Weinrückstände ungemein gefördert.
Auf sie ist auch der Aufschwung in der Erzeugung von Halb- und
Kunstweinen zurückzuführen, die an chemischer Zusammensetzung, Ge-
schmack und Aussehen den guten Naturweinen immer näher kommen,
ihnen eine immer gefährlichere Konkurrenz machen, ja sie ganz zu ver-
drängen drohen. Daß die so sehr ausgedehnten Verheerungen der
Miszellen. 401
Phylloxera von den Weinkonsumenten kaum gespürt werden, erklärt
sich im wesentlichen daraus, daß jene neue Weinindustrie die Lücken
in der Produktion ausgefüllt hat. In Oesterreich, wie anderwärts,
erstreben die Weinbauer einen gesetzlichen Schutz gegen jene ihnen
höchst unangenehme Konkurrenz, und sie schieben dabei zumeist das
Interesse des Publikums in den Vordergrund. Dieses soll sicherlich
gegen Fälschungen und Irreführungen geschützt werden; nicht aber ist
es im allgemeinen Interesse gelegen, daß den Konsumenten der Bezug
von Kunst- und Halbweinen erschwert oder gar unmöglich gemacht
werde.
In Oesterreich ist bis jetzt nicht viel zum Schutz der Kon-
sumenten geschehen. Das Kunstweingesetz von 1880 ist fast ganz auf
dem Papier geblieben; ob das Gesetz vom Jahre 1896 über den Ver-
kehr mit Lebensmitteln mehr Erfolg haben wird, muß sich erst noch
zeigen. Einiges darf man sich wohl von dem genossenschaftlichen Zu-
sammenschluß der Weinproduzenten zum Zwecke der einheitlichen und
rationellen Weinbehandlung und des gemeinsamen Absatzes versprechen.
Nach deutschem Muster sind in Tirol während der 90er Jahre Ge-
nossenschaften entstanden, die sich bei guter Leitung bewähren dürften.
Eine ähnliche Bewegung macht sich auch in anderen Weinländern be-
merkbar.
Sehr bedeutend ist die technische Umwälzung in der Brau-
industrie(Urban,Sonndorfer, Schreiner, Brauner) gewesen.
Kurz vor dem Jahre 1848 stellte ein Oesterreicher zuerst einen verläß-
lichen Saccharometer her. Seither wurde in immer steigendem Maße die
menschliche Arbeitskraft durch mechanische Motoren und Maschinen
ersetzt, die Produktion rationeller eingerichtet, peinliche Sauberkeit in
den Betrieben durchgeführt. Gleichen Schritt mit den technischen
hielten die wirtschaftlichen Verbesserungen. Mit der Sprengung der
alten Zunftverfassung begann die Verdrängung der kleinen durch Groß-
betriebe, ein Entwickelungsprozeß, der immer größere Dimensionen und
ein immer rascheres Tempo annimmt. In den Jahren 1858—1895 hat
sich die Anzahl der Braustätten um 46 Proz. vermindert. Während aber
die Kleinbetriebe in der Zeit von 1880—1894 eine Abnahme um 32 Proz.
aufweisen, haben sich die mittleren und großen Brauereien um 61 Proz.
vermehrt. Im Jahre 1895 waren die Großbetriebe mit 63,8 Proz, die
Mittelbetriebe mit 14 Proz., die Kleinbetriebe mit 22,2 Proz. an der
Gesamtbierproduktion beteiligt. Die letztere ist vom Jahre 1850—1897
von rund 5 Millionen auf rund 19 Millionen oder um 342 Proz. ge-
stiegen. Die Bierausfuhr ist aber immer noch gering. Speciell die
Entwickelung der Wiener Brauindustrie seit 50 Jahren ist eine un-
geheuere gewesen. Im Jahre 1848 erzeugten in Wien 39 Brauereien
672718 hl, im Jahre 1897 17 Brauereien 3,6 Mill. hl.
Ebenso fällt die Entwickelung der für die ganze Volkswirtschaft
Oesterreichs so wichtigen zwei Industriezweige, derSpiritusbrennerei
(Kruis) und der Rübenzuckerfabrikation (Ritter von
Proskowetz) fast ganz in die Zeit seit dem Jahre 1848. Ungeheure
technische Vervollkommnungen sind in diesen Fabrikationszweigen
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). . 26
402 Miszellen.
eingeführt worden. Doch hat die üsterreichische Steuergesetzgebung in
mehrfacher Hinsicht sehr nachteilig auf diese Produktionszweige gewirkt.
Sie hat einerseits den technischen Fortschritt sehr verlangsamt, anderer-
seits den Umfang der Produktion und den Gewinn der Produzenten
auf Kosten der Konsumenten gesteigert. Im Jahre 1847 bestanden
erst 70, im Jahre 1897 bereits 217 Zuckerfabriken. In der gleichen
Zeit hat sich die Anbaufläche der Zuckerrüben von 4000 auf 350000 ha,
die verarbeitete Rübenmenge von 1 auf 79 Millionen oder pro Fabrik
von 14286 auf 362511 Metercentner gehoben.
Neben der eigentlichen Landwirtschaft spielt in Oesterreich die
Forstwirtschaft eine sehr große Rolle Sind doch im Staats-
durchschnitte nicht weniger als 32,6 Proz. des Areales bewaldet! In
den Alpenländern steigt das Bewaldungsprozent sogar auf 41,8 speciell
in Steiermark auf 47,9 Proz.
Die Entwickelung des forstlichen Betriebes und
seiner Einrichtung (Ritter von Guttenberg) ist daher für
Oesterreich von besonders großer Bedeutung. Gerade in dieser Be-
ziehung aber ist die zweite Hälfte des 19. Jahrhundertes in Oesterreich
eine Zeit großer Fortschritte. Um die Mitte des Jahrhunderts fehlten
namentlich drei wichtige Bedingungen für eine günstige Fortentwickelung
der Forstwirtschaft: die Schaffung einheitlicher forstrechtlicher Be-
stimmungen, die Beseitigung der kulturhinderlichen Einforstungsrechte
und die Förderung der Forstkultur durch Pflege des forstlichen Unter-
richtes. Das Forstgesetz vom 3. Dezember 1852 wollte dem erst-
genannten Bedürfnisse Rechnung tragen, dem zweiten die bereits oben
besprochene Servitutenablösung und -regulierung. Daß das Forstgesetz
sich sehr bald in mannigfacher Hinsicht als ungenügend, den Wald-
devastationen zu steuern, erwiesen hat, sei hier ergänzend bemerkt. Die
Servitutengesetzgebung hingegen war zwar, wie gezeigt worden ist,
ungemein schädlich für die berechtigten Bauern (s. o. S. 379), hat aber
sicherlich viel zur Erhaltung des Waldstandes beigetragen.
Die Forstbenutzung (Hampel) hat in den letzten Jahr-
zehnten mehrfache Veränderungen aufzuweisen. Hier ist insbesondere
die steigende Verwertung der Baumrinde zu Gerbzwecken zu erwähnen,
ferner die Zurückdrängung der Waldweide und der Waldstreuentnahme.
Die Hebung des Forstkulturwesens (Hempel) und der
Waldpflege (Reuss), die schon gegen Ende des 18. Jahrhunderts
in Norddeutschland begonnen hatte, griff seit den Dier Jahren auch
auf Oesterreich über. Hier boten die durch unpflegliche Bewirt-
schaftung hervorgerufenen Waldverwüstungen reichliche Gelegenheit zur
Einführung vou Kulturverbesserungen. In dieser Richtung wirkten
namentlich: die Durchführung der staatlichen Forstaufsicht, die Aus-
setzung von Preisen für erfolgreiche Aufforstung öder Hochgebirgs-
flächen, die Thätigkeit der Forstvereine, das gute Beispiel vieler privater
großer Forstwirtschaften sowie der Staatsforstverwaltung u. s. w. Daß
gleichwohl die Verhältnisse der Forstkultur in vielen Ländern noch
außerordentlich ungünstige sind — wie besonders in den Karstländern
trotz der in Angriff genommenen Aufforstungen —, läßt sich leider nicht
Miszellen. 403
bezweifeln. Muß doch der Entwickelungsgang der Waldpflege selbst in dem
Jubiläumswerke als „in seinen Grundzügen vielleicht etwas konservativ
angehaucht“ bezeichnet werden. Gewiß hat die Waldpflege in den
letzten Jahrzehnten vielfach große Fortschritte aufzuweisen, wie die
Ersetzung des Plänter- durch den Femelschlagbetrieb, die Verstärkung
der Durchforstungen, das rationellere Vorgehen in der Frage der Ent-
wässerung des Waldbodens, die Beförderung des Lichtwuchsbetriebes,
der Aufforstung u. s. w.; doch ist die Verbreitung dieser Verbesserungen
noch bei weitem keine allgemeine. Leider sind darüber keinerlei
statistische Angaben beigebracht; sie erst hätten ein exaktes Urteil
über die Bedeutung der in Rede stehenden Entwickelung ermöglicht.
Wesentliche Umgestaltungen erfuhr in der fraglichen Zeit das forst-
lich e Transportwesen (J. Marchet). Der Ausbau des Eisenbahn-
netzes, die Preissteigerung des Holzes, die Verbesserung seiner Qualität,
die Vermehrung der Hochwasserkatastrophen und der Wildbachverhee-
rungen haben nebst einer Reihe anderer Momente bewirkt, daß die Trift
inmer mehr zurückgedrängt und durch den Landtransport ersetzt
worden ist; ein Umwälzungsprozeß, der indessen zum Schaden der
Landeskultur noch nicht überall erfolgt ist. Die höchste Ausbildung
hat das Bringungswesen wohl in Galizien erfahren, wo infolge des
Baues großer Eisenbahnlinien mit einem Schlage weite, bisher fast
wberübrte Forstgebiete dem Weltverkehre erschlossen worden sind,
welche die Anlage eines eigenen rationellen Waldeisenbahnnetzes er-
möglichten. Vielfach aber, namentlich in den Alpen, findet die
Brin æung der Waldprodukte auch gegenwärtig noch nach primitiven,
mm Teil höchst kulturschädlichen Methoden statt. Wer sich für die
Frage des Holztransportes interessiert, wird aus den 130 Seiten um-
fssenden Detailschilderungen reiche Belehrung schöpfen.
In engster Beziehung zur Entwickelung der Forstwirtschaft steht
die Eöntwickelung der forstlichen Industrien.
Speciell die Imprägnierung des Holzes (Schmook) hat
erst im der Neuzeit größeren Umfang genommen, namentlich infolge
des Eisenbahnbaues (Imprägnierung der Schwellen), aber auch zur
Konservierung der Brücken-, Bau- und Grubenhölzer, der Telegraphen-
stangen u. S. w.
Dagegen ist die Holzverkohlung (Micklitz) ein uralter
Erwerbszweig in vielen Waldrevieren, der gerade in den letzten Jahr-
zehnten außerordentlich zurückgegangen ist. Die Holzkohle, früher bei
der EBisenverhüttung unentbehrlich, ist gegenwärtig fast ganz durch
Koaks ersetzt worden. Gleichzeitig hat aber die Verwertung auch
minderwertiger Hölzer für Nutzzwecke rapid zugenommen; der größte
Teil des Holzes, das früher verkohlt wurde, dient jetzt der Papier-
fabrikation.
Auch die Harzgewinnung (Stöger), früher vielfach die Haupt-
nutzung der Forste, wird immer mehr zurückgedrängt, je mehr die
Erkenntnis von den Gefahren der Harzgewinnung für die Holzzucht
allgemeinere Verbreitung gewinnt.
Die mechanische Bearbeitung des Holzes (Exner), die
26*
404 Miszellen.
bekanntlich in Oesterreich auf einer hohen Stufe steht, hat gerade in
den letzten Jahrzehnten eine bedeutsame Entwickelung durchgemacht.
In diese Zeit fallen die Errichtungen der großen Dampfsägen, die Ver-
wertung des Holzbiegens zur Möbelerzeugung, die Zündhölzchen-
fabrikation, endlich die Verwendung des Holzes in der Papierindustrie,
insbesondere als Cellulose.
Die genannten Momente mußten naturgemäß einen bedeutsamen
Einfluß auch auf den Handel und Verkehr mit Forstprodukten
(Eissler) ausüben. Daß auch die Darstellung eines so nüchternen
Erwerbszweiges, wie dieses, den Verfasser zu bombastischen Phrasen,
ja zu Ausbrüchen der Leidenschaft Veranlassung geben könne, dürfte
die meisten Leser etwas überraschen.
Die Forstgesetzgebung (G. Marchet) ist in dem uns be-
schäftigenden Zeitraume recht stationär geblieben. Im Jahre 1852
wurde nämlich ein allgemeines Forstgesetz erlassen, das mit einem
Dutzend älterer Waldordnungen aufgeräumt hat — schon deswegen
stellt es einen formellen Fortschritt dar —, das aber auch heute
noch, trotz wiederholter Reformversuche, im großen und ganzen unver-
ändert in Kraft steht. Die Kritik des Forstgesetzes hat sich allerdings
weniger gegen die ihm zu Grunde liegenden Prinzipien — Streben
nach Walderhaltung, staatliche Beaufsichtigung, Beförsterung auch der
Privatforste — gewendet als vielmehr gegen die mangelhafte Durch-
führung der gesetzlichen Vorschriften, hervorgerufen teils durch die
Geringfügigkeit der in dem Gesetze enthaltenen Strafsanktionen, teils
durch die ungenügende Organisation des staatlichen Aufsichtsdienstes.
Außerdem gab eine Anzahl von Lücken im Forstgesetze zu Klagen
Anlaß.
Diese Lücken wurden zum Teil durch das Wildbachverbauungs-
gesetz, sowie durch einzelne Landesgesetze ausgefüllt. Unter den
letzteren sind die Karstaufforstungsgesetze der 80er und 90er Jahre
weitaus am wichtigsten, über deren qualitativen und quantitativen Erfolg
das Jubiläumswerk leider keine eingehende Darstellung enthält. In
Dalmatien, Kärnten, Salzburg, Schlesien und Tirol suchen ferner Landes-
gesetze aus den 80er und 90er Jahren die allgemeine Forstkultur zu
sichern, in Tirol, Istrien, Böhmen und der Bukowina bestehen Special-
normen für die Bewirtschaftung der Gemeindewälder. Endlich hat ein
Gesetz vom Jahre 1883 die Bereinigung des Waldlandes von fremden
Enklaven und die Arrondierung der Waldgrenzen zu fördern gesucht.
Die Organisation des Forstdienstes (Rossipal) hat in
dem verflossenen halben Jahrhunderte sehr gewechselt. Man hat nach-
einander und nebeneinander sehr verschiedene Systeme in Anwendung
gebracht. Daß die Forstaufsicht gegenwärtig in einer wirklich wirk-
samen, die Walderhaltung sichernden Weise organisiert sei, wird man
ohne arge Uebertreibung nicht behaupten können. Besonders zahlreiche
und verschiedenartige Experimente wurden in Tirol gemacht, ohne daß
doch von einem befriedigenden Stande der Waldkultur Tirols oder auch
nur von einer durchgreifenden Besserung gesprochen werden könnte.
Relativ große Erfolge hat das staatliche Eingreifen auf dem Ge-
Miszellen. 405
biete der Wildbachverbauungen (Wang) aufzuweisen. Die
verheerenden Hochwasserkatastrophen des Jahres 1882 waren die Ver-
anlassung zu den beiden Gesetzen des Jahres 1884 betreffend die
Förderung der Landeskultur auf dem Gebiete des Wasserbaues und
betreffend die Vorkehrungen zur unschädlichen Ableitung der Gebirgs-
wässer. Das erste schuf durch die Errichtung des seither ständig
vergrößerten Meliorationsfonds die finanzielle Grundlage für bedeutendere
Wasserbauten und damit auch für die Wildbachverbauungen, das zweite
bildet für die letzteren Maßregeln die rechtliche Basis. Zugleich ward
in der forsttechnischen Abteilung für Wildbachverbauung ein Organ zur
Durchführung dieser Arbeiten ins Leben gerufen. Ueberdies haben
sowohl die im Jahre 1883 inaugurierte Gewässerregulierung in Tirol
als auch die Drauregulierung in Kärnten, sowie einige andere grüßere
FluußkKorrektionen eine Reihe von Wildbachverbauungen mit sich ge-
bracht. Die meisten Wildbachverbauungen wurden durch Konkurrenz-
beiträge des Staates, des Kronlandes, zum Teil auch der Interessenten
fnan ziert. Der Gesamtaufwand bis 1898 betrug 51/, Mill. #., mit
deren Hilfe (in runden Zahlen)-30 000 Querbauten, 150 km Längsbauten,
90 km Cunetten, 100 km Entwässerungsanlagen, 1085 km Verpflach-
tungen, 114 km Bachumlegungen und Korrektionen, 1800 km Auf-
frrstungen und 400 ha Berasungen ausgeführt worden sind. Diese
Arbeiten werden in qualitativer Beziehung von fachmännischer Seite
shr günstig beurteilt.
Dagegen fehlt dem in Rede stehenden Artikel jeder Maßstab zur
Beurteilung des quantitativen Erfolges. Dazu müßte man die Gesamt-
zahl der zu bändigenden Wildbäche kennen, was leider nicht der Fall
ist. Doch mag als ein Anhaltspunkt hierfür mitgeteilt werden, daß bis
mm Jahre 1894 technische Vorerhebungen für mehr als 800 gefähr-
liche Wildbäche gemacht worden sind, während nur bei 197 von ihnen
Verbauungen in Angriff genommen worden waren.
Auch dem forstlichen Vereinswesen (Dimitz) kann eine ge-
wisse Einflußnahme auf die Forstgesetzgebung in die Forstkultur nicht
abgesprochen werden, weshalb ihm ein eigener Abschnitt des Werkes
gewid met ist.
Viel ist im Laufe der letzten Jahrzehnte auf dem Gebiete des
land - und forstwirtschaftlicben Unterrichts (v. Zimmer-
auer ) geschehen. Bestanden doch um die Mitte des vorigen Jahr-
hunderts in Oesterreich nur zwei Institute mit höheren Lehrzielen: die
land wirtschaftliche Lehranstalt in Ungarisch-Altenburg und die Forst-
lehranstalt in Mariabrunn. Gegenwärtig besitzen wir ein fachliches
Unterrichtssystem mit drei Stufen. Die oberste Spitze dieser Organi-
sation wird durch die im Jahre 1872 errichtete Hochschule für Boden-
kultur gebildet, die allmählich weiter ausgestaltet worden ist. Außer-
dem wurden an den technischen Hochschulen Lehrkanzeln und Dozen-
turen für Landwirtschaftslehre und — in Prag — für kulturtechnische
Kurse aktiviert. Seit den 70er Jahren sind ferner 3 höhere landwirt-
schaftliche Lehranstalten, 9 landwirtschaftliche Mittelschulen, 3 höhere
Forstlehranstalten, 1 önologische und pomologische Mittelschule, 1 höhere
406 Miszellen.
Gartenbauschule und 141 niedere landwirtschaftliche Schulen — 40 Acker-
bauschulen, 57 landwirtschaftliche Winterschulen, 13 Molkerei- und Haus-
haltungsschulen u. s. w. — errichtet worden. Man darf dem Autor
beipflichten, wenn er sagt, daß dieses Resultat im Vergleich mit dem
Stande anno 1848 ein mächtiger Fortschritt ist. Vergleicht man in-
dessen das Ergebnis der 5O-jährigen Bestrebungen mit dem Ziele, das
erreicht worden sollte, und das darin bestehen muß, den Landwirten
das zu einem rationellen Betrieb erforderliche Minimum an Kenntnissen
und an Bildung zu vermitteln, dann erkennt man, daß das bisher Ge-
leistete gegenüber dem zu Leistenden verschwindend wenig ist. Beträgt
doch die Zahl der in den niederen landwirtschaftlichen Schulen einge-
schriebenen Schüler noch nicht 3000, also einen gar nicht nennens-
werten Bruchteil der bäuerlichen Jugend Oesterreichs! Man bedenke,
daß Oesterreich etwa 2 Mill. selbständiger Landwirte besitzt! Von dem
Nachwuchs an Landwirten genießt nur ein gar nicht in Betracht
kommender Teil auch nur den Unterricht in einem 5—6 Monate
dauernden Unterrichtskurse (Winterschule). So ist thatsächlich die ganze
Bildung, die dem Gros unseren künftigen Landwirte zugeführt wird, auf
die spärlichen allgemeinen Kenntnisse beschränkt, welche den Kindern
während ihres 6—8-jährigen Besuches der Volksschulen, die überdies
zumeist nur aus einigen wenigen Klassen bestehen, beigebracht werden.
Wabrlich, eine durchaus ungenügende Ausrüstung für den wirtschaft-
lichen Kampf, der sich auch in der Landwirtschaft fortwährend er-
neuert und gerade in unseren Tagen besonders schwer und heftig ge-
worden ist.
Daß auch durch den in neuerer Zeit in Angriff genommenen land-
wirtschaftlichen Wanderunterricht, sowie durch fachliche Specialkurse
dem in Rede stehenden Mangel auch nicht einigermaßen abgeholfen
werden kann, ist selbstverständlich.
Aehnliches, wie vom landwirtschaftlichen Unterrichtswesen, wäre
auch vom land- und forstwirtschaftlichen Versuchswesen
(Meissl und J. Friedrich) zu sagen. Auch diesbezüglich ist alles,
was bisher erreicht worden ist, in den letzten 50 Jahren geleistet
worden. Wie wenig das aber ist, mag man es mit der Größe des
Bedürfnisse, mag man es mit den Leistungen anderer Länder ver-
gleichen, ersieht man auch hier aus der im Jubiläumswerke enthaltenen
Schilderung nicht.
Nach Ueberblicken über die Statistik der Bodenkultur
(J.R. Lorenz Ritter von Liburnau) und über die land- und forst-
wirtschaftliche Litteratur (Krafft, Macalik, Jentys,
Bolle, Povše, von Zotti und Dimitz) werden die Verhältnisse
der land- und forstwirtschaftlichen Beamten (Pohl) und
die öffentliche Fürsorge für Dienstboten, Gesinde und
ländliche Arbeiter (Lukä$) besprochen.
Die Stellung der Güterbeamten mußte sich naturgemäß in Folge
der Beseitigung des Patrimonialverhältnisses wesentlich verändern, ohne
daß doch die Civilrechtsgesetzgebung dieser Entwickelung entsprechend
Rechnung getragen hat.
Miszellen. 407
Noch bedeutender ist die Umwälzung hinsichtlich der Stellung der
landwirtschaftlichen Arbeiter gewesen. Plötzlich ist an die Stelle des
ehemaligen Herrschafts- und Dienstverhältnisses der rechtlich freie
Arbeitsvertrag zwischen zwei formell gleichberechtigten Faktoren ge-
treten; die Zwangsdienste sind weggefallen, gleichzeitig aber auch der
ökonomische Rückhalt, den der Unterthan an seiner Obrigkeit besessen
hatte. Erst damit entsteht der moderne Landarbeiter, und mit ihm
entwickelt sich seit dem Jahre 1848 die heutige Landarbeiterfrage.
Gleichwohl fehlt aber dem Jubiläumswerke eine auch nur halbwegs
entsprechende Behandlung dieser sowohl vom allgemeinen sozialen
als auch speciell vom agrarpolitischen Standpunkt aus hochwich-
tigen Frage. Ist doch nicht einmal der Versuch unternommen, die
mannigfaltigen Formen, welche das ländliche Arbeitsverhältnis ‚in Oester-
reich aufweist, zu charakterisieren, geschweige denn, die lokalen Ver-
schiedenheiten und die zeitliche Entwickelung dieser Formen aufzu-
Kären. Ueber die gerade in Oesterreich so schwerwiegende Frage der
Wanderarbeiter, über das Problem der Seßhaftmachung der Landarbeiter,
über die Thatsache des Zuges der Landbevölkerung nach der Stadt und
über deren Ursachen, über den Grad, die Verbreitung, die Folgen der
„Leutenot“ findet man in diesem Abschnitte auch nicht ein Wort. Die
Darstellung der Dienstbotenordnungen ist nicht nur mangelhaft, sondern
geradezu irreführend ; die neueren, wahrhaft drakonischen Landesgesetze
über das Gesindeverhältnis (z. B. in Steiermark), durch welche die
land wirtschaftlichen Dienstboten fast der schrankenlosen Willkür ihrer
„Herrschaft“ preisgegeben werden, sind nicht einmal erwähnt! Während
thtsächlich die landwirtschaftlichen Dienstboten bei Eintritt von Krank-
heit oder Invalidität in 99 Fällen von 100 jedes Versorgungsanspruches
etbehren und der immer noch mit einem sozialen Makel behafteten
Armenpflege anheimfallen, versteigt sich der Autor auf Grund ganz ver-
enzelter humanitärer Einrichtungen zu der Behauptung, „daß in dieser
Richtung von einem Bedürfnisse, das nicht befriedigt wäre, in vielen
Fällen nicht gesprochen werden kann.“ Die Unfall- und Kranken-
versicherung der landwirtschaftlichen Arbeiter erklärt er, wenn auch
mit vielen Umschweifen, für undurchführbar, die Frage eines länd-
lichen Arbeiterschutzes scheint ihm offenbar nicht einmal erwähnenswert
n sein.
Thatsächlich ist eben auf dem Gebiete der Landarbeiterfrage seit
der Gr-undentlastung nicht nur kein Fortschritt, sondern geradezu ein
Rückschritt zu verzeichnen. Denn ein solcher ist — auch wenn wir von
den bereits gestreiften Verschlechterungen des Gesinderechtes in einzelnen
Kronländern absehen — schon dadurch gegeben, daß die alten Gesinde-
ordnungen aus der vormärzlichen Zeit zumeist auch heute noch in
Geltung stehen, daß ferner der Staat, der sowohl zu Gunsten der Land-
wirte als auch zu Gunsten der industriellen Arbeiter zu einschneidenden
wirtschaftspolitischen Maßregeln geschritten ist, die Landarbeiter bisher
konsequent ignoriert, sie gänzlich ihrem Schicksale überlassen hat, das
sich um so trauriger gestalten mußte, als von Selbsthilfe, von der Aus-
nutzung der Koalitionsfreiheit, von einer Organisierung bei ihnen nicht
408 Miszellen.
die Rede sein konnte. Ebensowenig ist man bisher in Oesterreich dem
Problem der inneren Kolonisation, der Arbeitsvermittelung, der Alters-
und Invaliditätsversicherung für Landarbeiter auch nur näher getreten.
In engem Zusammenhange mit der eigentlichen Land- und Forst-
wirtschaft stehen Jagd, Vogelschutz und Fischerei.
Speciell die Jagd (Dimitz) besitzt einen zwieschlächtigen Cha-
rakter. Sie muß einerseits als ein der Landwirtschaft und der Viehzucht
koordinierter Produktionszweig angesehen werden, der vom Standpunkte
der Produktionspolitik staatliche Förderung verdient. Andererseits kann
die Vorbedingung des Jagdbetriebes, nämlich die Hegung eines starken
Wildstandes, vielfach nur auf Kosten und zum Schaden der land- und
forstwirtschaftlichen Kulturen verwirklicht werden. Aufgabe der Ge-
setzgebung ist es da offenbar, zwischen den widerstreitenden Interessen
der Jagd und des Landbaues zu vermitteln. Dabei wird man aber
fordern müssen, daß auf den letzteren Produktionszweig als den öko-
nomisch weitaus wichtigeren in erster Linie Rücksicht genommen werde.
Da die vorliegende Darstellung ganz ausschließlich vom Stand-
punkte bloß der Jagd aus geschrieben ist, gelangt der Verfasser natur-
gemäß zu einem äußerst günstigen Urteil über die Entwickelung seit
dem Jahre 1848. Sicherlich ist es richtig, daß der Uebergang von der
patrimonialen zur liberalen Gesellschaftsordnung „sich in einer Weise
vollzog, welche der Jagd im allgemeinen keinen nennenswerten Abbruch
thun, sie vielmehr in mancherlei Beziehung nur fördern konnte“, daß
das Recht der politischen Behörden, im Interesse der Bodenkultur den
Abschuß des überhegten Wildes anzuordnen „wohl nur von unter-
geordneter Bedeutung“ ist, daß die Wildschongesetze „eine entschieden
günstige Wirkung auf die Entwickelung des Wildstandes geübt“ haben.
In der That haben die großen Eigenjagdgebiete, was hier ergänzend
mitgeteilt sei, in den letzten Jahrzehnten sowohl an Zahl als auch an
Umfang außerordentlich zugenommen, zugleich zeigt sich ein enormes
Anwachsen des Wildstandes, das in der rapiden Vermehrung des all-
jährlich erlegten Wildes seinen Ausdruck findet; nach den im Jubiläums-
werke angeführten Ziffern betrug der jährliche Durchschnitt der Wild-
fällungen in den Jahren 1892—1896 gegen die Jahre 1874—1882:
beim nützlichen Harwild (insbesondere Rotwild, Rehwild und Hasen)
1586477 gegen 986 553 Stück (+ 59 Proz.) beim nützlichen Federwild
(insbesondere Rebhühner, Wachteln und Fasanen) 1439361 gegen
1017471 (+ 41 Proz.)
Unter diesen Umständen kann in der That „heute der österrei-
chische Waidmann mit Befriedigung auf die letzten 50 Jahre zurück-
blicken“, und haben wir in Oesterreich keine Veranlassung, „in die
Klage über den Verfall des edlen Waidwerkes einzustimmen“.
Ebenso sicher ist es aber auch, daß die Landwirtschaft jene
Befriedigung durchaus nicht teilt, daß zahlreiche Klagen über den
Verfall der Landwirtschaft erhoben werden, und daß dabei vielfach,
insbesondere in den Alpenländern, gerade die Wildhegung und der
zunehmende Jagdsport als eine der Ursachen des Verfalles angegeben
werden. Und dies nicht ohne eine gewisse Berechtigung. Die Gesetz-
Miszellen. 409
gebung bat seit dem Jahre 1849 auf dem uns beschäftigenden Gebiete
konsequent die Interessen der Landeskultur ignoriert, die Jagd und
die Wildhegung auf Kosten der Landwirtschaft übermäßig begünstigt
und beinahe planmäßig darauf hingearbeitet, die Ausübung des Waid-
werkes der ländlichen Bevölkerung zu entziehen, um sie dem hohen
Adel und dem reichen Bürgertume zu reservieren. Es ist jetzt nicht
nur die Ausübung des Jagdrechtes, das doch rechtlich als ein Ausfluß
des Grundeigentumes gilt, den Kleingrundbesitzern verwehrt und der Ge-
meinde zugesprochen, sondern es haben die Grundbesitzer resp. die
Gemeinde nach und nach auch jeden Einfluß auf den Jagdbetrieb und
auf die Höhe des Wildstandes in ihrem Territorium verloren. Zu-
nächst büßten die Gemeinden das Recht ein, den Wildabschuß in
eigener Regie durch angestellte Jäger vorzunehmen, sie wurden ge-
zwungen, nicht nur die Jagd zu verpachten, sondern auch, dies im
Licitationswege an den Meistbietenden zu thun. Dann wurden die
Jagdpachtgebiete vergrößert, die Pachtdauer verlängert, die Ver-
pachtung den Gemeinden abgenommen und den politischen Behörden
übertragen, überdies wurden einseitige Vorpachtrechte zu Gunsten von
angrenzenden Eigenjagdberechtigten statuiert. Durch diese Maßregeln
sowie durch die Einführung von Jagdkarten, für die alljährlich eine
Taxe zu zahlen ist, ist die bäuerliche Bevölkerung immer mehr von
der Ausübung der Jagd ausgeschlossen; die Verpachtung der Gemeinde-
jagden erfolgt in steigendem Maße an große Jagdherren, denen natur-
gemäß die möglichste Vermehrung des Wildstandes am Herzen liegt.
Auf diese Vermehrung wurde aber auch durch direkte gesetzliche
Vorschriften zum Schutze des Wildes, insbesondere durch die Einführung
von Schonzeiten, hingewirkt. Da gleichzeitig sich aber auch diejenige
Bodenfläche vermindert hat, auf der das Wild, ohne den Kulturen
Schaden zufügen zu müssen, die erforderliche Nahrung finden kann, so
geschieht die Wildhegung immer mehr auf Kosten der landwirt-
schaftlichen und forstwirtschaftlichen Kulturen, ein volkswirtschaftlicher
Uebelstand, der dadurch auch ein privatwirtschaftlicher Schaden für
die Grundbesitzer wird, daß die Gesetzgebung mit Erfolg bestrebt war,
die Ersatzansprüche der Landwirte wegen Wildschäden an immer
schwerere Bedingungen zu knüpfen, ja sie in immer zahlreicheren Fällen
ganz auszuschließen.
Auf diese Weise wurde im Laufe des letzten halben Jahrhunderts
das Verhältnis zwischen Jagd und Landwirtschaft konstant zum
Nachteile der letzteren verschoben. Ueber die Wirkungen dieser über-
mäßigen Begünstigung der Jagd und Wildhege sind die Meinungen
allerdings geteilt. Die Bildung riesiger Jagdreviere in vielen Teilen
der Alpen- und Sudetenländer, die starke Ueberhegung des Wildes,
die Verdrängung des Viehes aus den Wäldern und Alpen, die Auf-
forstung ausgedehnter Waidegebiete für Jagdzwecke, der Rückgang der
Viehzucht, das Verschwinden des Bauernstandes, die Verarmung und
Auswanderung der Bevölkerung infolge dieser Entwickelung — das
sind die Momente, welche als Folgen der rechtlichen Begünstigung
und des faktischen Ueberhandnehmens der Jagd von den Bauern-
410 Miszellen.
freunden behauptet, von den Jagdfreunden bestritten. Leider ist es
nicht möglich, diese Kontroverse mit Hilfe von exakten Zahlen zu
entscheiden. Thatsachen, welche von der einen Seite als Symptome für
die behauptete Entwickelungstendenz angeführt werden, werden von der
anderen Seite für vereinzelte Ausnahmen erklärt. Das Jubiläumswerk
vermeidet es nicht nur, zu dieser hochwichtigen Frage Stellung zu
nehmen, sondern sogar, ihrer auch nur Erwähnung zu thun!
Gereicht der Wildschutz der Landwirtschaft überwiegend zum
Nachteile, so wird der Vogelschutz(L. Lorenz Ritter von Libur-
nau) gerade im Interesse der Landwirtschaft gefordert. Die dies-
bezüglichen Landesgesetze, zumeist aus dem Jahre 1870 stammend,
haben indessen leider keinen großen Erfolg gehabt. Es ist insbesondere
bisher nicht gelungen, durch interuationale Abmachungen ein gleich-
mäßiges Vorgehen aller Kulturstaaten zu erzielen und namentlich auch
den Zugvögeln im Süden den erforderlichen Schutz zu verschaffen.
Eine gewisse Analogie zur Jagd bietet die Fischerei (Ritter
von Gerl) Doch nähren sich die Fische im Gegensatze zum Wild,
durchaus von Stoffen, welche auf andere, rationellere Art nicht ver-
wertet werden können.
Dennoch kollidiert auch die Fischzucht mit anderen Erwerbszweigen,
indem die Verwendung der Wasserläufe für Zwecke der Industrie und
des Handels die Lebens- und Fortpflanzungsbedingungen der Fische
großenteils aufhebt. Der so rege Schiffsverkehr stört die Ruhe des Wassers
und seiner Bewohner; Flußregulierungen und Wildbachverbauungen,
Stauwerke und sonstige Querbauten berauben die Fische ihres bis-
herigen Aufenthaltes, machen es ihnen, wenn nicht besondere Vor-
kehrungen getroffen sind, unmöglich, ihre gewohnten, im Oberlaufe der
Gewässer gelegenen Laichstätten aufzusuchen; Fabriken und andere
Wasserbetriebe verunreinigen das Wasser und töten dadurch teils die
Fische selbst, teils diejenigen Tiere, welche deren natürliche Nahrung
bilden. Außerdem kann, wie die Wildpflege, so auch die Fischzucht auf
kleinen Strecken rationell nicht durchgeführt werden, so daß hier wie
dort die Zusammenlegung kleiner Reviere zu größeren erforderlich wird.
Während also, wie wir gesehen haben, in der österreichischen Gesetz-
gebung die Interessen der Jagd über die der Landwirtschaft durchaus
den Sieg davongetragen haben, hat die Fischerei gegenüber dem Handel
und der Industrie auf allen Punkten den Kürzeren gezogen; eine Er-
scheinung, die nicht auf Gründe volkswirtschaftlicher Zweckmäligkeit
zurückzuführen, sondern lediglich daraus zu erklären ist, daß die sozial
stärkeren Klassen in dem einen Falle auf der Seite der Jagd stehen,
im anderen Falle dagegen die Fischerei als ein Hindernis empfinden.
So ist denn im Laufe des 19. Jahrhunderts in Oesterreich so gut
wie nichts zur Beförderung der Fischzucht geschehen; nur in einzelnen
Kronländern hat man die Bildung größerer Fischereivereine angeordnet;
nirgends besteht die Verpflichtung, die Abfallwässer zu reinigen, Durch-
lässe durch die Regulierungsdämme, Fischpässe neben die Einbauten und
Wehren, Fischgruben bei den Wehrkanälen anzubringen. Es befindet
sich daher auch die Fischzucht in Osterreich in einem geradezu kläg-
Miszellen. 41
lichen Zustande, die reichsten Fischwässer verarmen immer mehr, von
einer rationellen Wasserwirtschaft ist keine Rede.
Blicken wir zurück auf die Ergebnisse der Untersuchung. Auch
in Oesterreich ist, wie wir gesehen haben, seit dem Jahre 1848 teils
von der Gesetzgebung und der Verwaltung, teils von der Wissenschaft
und der Praxis viel geschehen, um die Landwirtschaft und ihren
Betrieb zu fördern, sie rationeller und lukrativer zu gestalten. Zu-
gleich haben wir aber auch erkannt, daß fast in jeder Hinsicht die
Entwickelung sehr viel zu wünschen übrig läßt, daß das bisher Ge-
leistete hinter den zu erfüllenden Aufgaben weit zurückbleibt, daß es
großenteils wie an zweckmäligen Gesetzen, wie an planvoll eingreifender
Verwaltung, so auch an genügender allgemeiner und technisch-öko-
nomischer Bildung fehlt, um die Landwirtschaft Oesterreichs auf die-
jenige Stufe zu bringen, die ihr dank der natürlichen Bodenverhältnisse
erreichbar wäre.
Daraus ergiebt sich aber auch für die eingangs aufgeworfenen
Fragen zum mindesten das eine Resultat, daß man die liberale Agrar-
verfassung gewiß nicht als „die“ Ursache der auf landwirtschaftlichem
Gebiete vorhandenen Uebelstände bezeichnen darf. Wäre gleichzeitig
für eine bauernfreundliche Ordnung der Servitutsverhältnisse gesorgt
worden, für eine rationelle legislatorische Behandlung der agrarischen
Gemeinschaften, für allgemeine Zusammenlegung der Grundstücke, für
möglichste Erleichterung der Meliorationsthätigkeit, für wirksame Be-
kämpfung der Tier- und Pflanzenschädlinge, für Zurückdrängung des
schädlichen Wildstandes, für Hebung des allgemeinen und des speciell
beruflichen, technisch-ökonomischen Bildungsniveaus der Bevölkerung;
wären ferner die Ergebnisse der Landwirtschaftswissenschaft, die Fort-
schritte der landwirtschaftlichen Betriebslehre, der Agrikulturchemie,
der Züchtigungslehre u. s. w., wären die Verbesserungen der Hilfsmittel
des Landwirtschaftsbetriebes, der Geräte, Maschinen, Düngemittel
u. s. w. der landwirtschaftlichen Bevölkerung allgemein zugänglich
gemacht worden, und hätten sie bei ihr auch allgemeinen Eingang ge-
funden ; wäre weiter durch Arbeitsvermittelung, Arbeiterschutz, Unfall-,
Kranken-, Alters- und Invaliditätsversicherung der Landarbeiter, durch
innere Kolonisation, durch Annäherung der Kultur des flachen Landes
an die Kultur der Städte u. s. w., die ländliche Arbeiterfrage einer
Lösung näher gebracht worden; wäre endlich durch den Ausbau von
Wasserstraßen, durch Regelung der Marktverhältnisse, durch Beseitigung
der schlechten Wirkungen des börsenmäßigen Blankoterminspieles, durch
Organisation des Getreidehandels, durch Schaffung eines Systemes von
Lagerhäusern der Absatz der Bodenprodukte rationeller gestaltet worden
und ließe sieh trotz der Erfüllung all dieser Bedingungen eine Notlage der
Landwirte konstatieren, dann blieben wohl nur die liberale Agrarver-
fassung und die auswärtige Konkurrenz als mögliche Ursachen für diese
Notlage übrig. Da aber, wie sich ergeben hat, all die genannten Bedin-
gungen nicht erfüllt sind, da zum Teile geradezu ihr Gegenteil verwirk-
licht wurde, so ist, wenigstens für Oesterreich, der Beweis dafür nicht
412 Miszellen.
erbracht, daß die Einführung des liberalen Agrarrechtes der Landwirt
wirtschaft von Schaden gewesen sei, geschweige denn, daß sie die vor-
handenen Uebelstände hauptsächlich oder gar ausschließlich verschuldet
habe. Freilich lehrt andererseits auch gerade die Geschichte der öster-
reichischen Landwirtschaft, daß — sei es wegen, sei es trotz des Sieges
des Prinzipes der rechtlichen Freiheit — das erhoffte goldene Zeitalter
nicht eingetreten ist, daß die Agrarfrage, die man für immer gelöst zu
haben glaubte, wenige Jahrzehnte später in anderer Gestalt wieder auf-
getaucht ist. Da liegt doch wohl der Gedanke nahe, daß die Be-
deutung des Agrarrechtes von Freund und Feind überschätzt wurde
und auch heute noch vielfach überschätzt wird, daß dagegen auf die
anderen oben genannten, von der Agrarverfassung nicht direkt abhän-
gigen Faktoren ein größeres Gewicht zu legen wäre, als jetzt zumeist
geschieht.
Litteratur. 413
Nachdruck verboten.
Litteratur.
III.
Dr. Franz Oppenheimer, Die Siedelungsgenossenschaft,
Versuch einer Lösung der sozialen Frage durch positive
Ueberwindung des Kommunismus,
Derselbe, Grossgrundeigentum und soziale Frage.
Leizig 1896. Berlin 1898.
Besprochen von Arthur Dix.
Es gehört zum Wesen der sozialistischen Utopie, daß sie bei der
Untersuchung der „sozialen Frage“ einen einzelnen Stein aus dem Fun-
dament des Gesellschaftsbaues ins Auge falt, diesen einen Stein des
Anstoßes voll und ganz dafür verantwortlich macht, daß der ganze Bau
ihr nicht gefällt, und mit natürlicher Konsequenz diesen Stein aus dem
Fundament herausbrechen will, in dem Wahn, das ganze Gebäude
werde mit der gewaltsamen Entfernung dieses einen Steines in einheit-
licher Form und strahlender, makelloser Schönheit dastehen.
Nun dürfte es sich aber eher ereignen, daß der ganze Bau ob dieses
Eingriffes in das Fundament zusammenstürzt, und daß sich statt des
erträumten Palastes ein jämmerlicher Trümmerhaufen findet. Diese Er-
wägung stört indessen die Utopisten nicht; sie sehen ein Ziel, sie sehen
auch einen Weg, und nun wandern sie munter los, ohne zu merken,
daß der Weg nach einer ganz anderen Richtung als nach dem ersehnten
Ziele führt.
Während die einen den Feind einer gesunden Wirtschaft und
sozialen Organisation lediglich im mobilen Kapital sehen, richten die
anderen ihre Aufmerksamkeit nur auf das immobile Kapital und er-
klären alle Nachtseiten der modernen Wirtschaft aus dem Großgrund-
eigentum, aus dessen Beseitigung alles Heil kommen müsse.
Einen interessanten Beleg für die Entstehung derartiger Utopien
liefern zwei Bücher von Dr. Franz Oppenheimer: „Die Siedelungs-
genossenschaft, — Versuch einer Lösung der sozialen Frage, durch
positive Ueberwindung des Kommunismus“ (Leipzig, Duncker und
414 Litteratur.
Humblot) — und „Großgrundeigentum und soziale Frage — Versuch
einer neuen Grundlegung der Gesellschaftswissenschaft“ (Berlin, Vita).
Wenn man aus dem ersten Werke den ursprünglichsten, realen Kern
herausschält, so bleibt im wesentlichen nichts übrig, als eine Betrachtung
der Vorzüge des landwirtschaftlichen Kleinbetriebes gegenüber den Nach-
teilen des Großgrundbesitzes und eine entschiedene Stellungnahme für
ausgedehnte innere Kolonisation. Bis zu diesem Punkte können wir
ganz getrost mitgehen und dem sehr anregend geschriebenen Werke
alle Anerkennung zollen. Was darüber ist, das ist vom Uebel — und
es ist sehr viel „darüber“, nämlich der Versuch, diese nicht gerade
neuen Betrachtungen ins Grenzenlose zu verallgemeinern, eine ganze
Reihe grundlegender wirtschaftlicher Gesetze daraus zu folgern, die
ganze soziale Frage lediglich durch die Beseitigung des Großgrund-
besitzes zu lösen, diese Beseitigung eventuell durch gewaltsamen Um-
sturz zu vollziehen und dergleichen zweifelhafte Dinge mehr.
Trotz alledem stehe ich nicht an, zuzugeben, daß ich das flott
geschriebene Buch mit großem Interesse gelesen und manche Anregung
daraus geschöpft habe. Nun aber kommt der Verfasser soeben mit
einem zweiten Buche von erweiterten Umfange, und hier verschwindet
jener reale Kern vollkommen und die Utopie allein tritt die Herr-
schaft an. Erde, Höll’ und Himmel werden beschworen, behilflich
zu sein bei dem Beweise, daß das Großgrundeigentum und nichts als
das Großgrundeigentum die Schuld trägt an der Existenz der „sozialen
Frage“, daß das Großgrundeigentum ein „Fremdkörper“ in der modernen
Wirtschaft ist, ein auszurottendes Ueberbleibsel aus barbarischen
Zeiten, daß mit der Ausrottung des Grofgrundeigentums die ganze
soziale Frage restlos gelöst sein wird, daß endlich aber auch im Notfalle
eine Revolution zur Vollziehung dieses Aktes nur berechtigt und will-
kommen wäre.
Hier haben wir also ein deutliches Bild von Werden und Ent-
stehen der Utopie: Ausgehend von ganz realen Erwägungen und von
Maßnahmen der praktischen Politik eine maßlose Ueberschätzung der
einen einmal ins Auge gefaßten Thatsache, und eine Erklärung aller
wirtschaftlichen Erscheinungen aus dieser einen; ein eisern konsequentes
Fortschreiten auf diesem Wege, das nicht nur zu den radikalsten
Forderungen für die Zukunft führt, sondern: auch zu einer angeblich
vollständigen Erklärung der ganzen Vergangenheit auf einem völlig
neuen Boden, von diesem einen Gesichtspunkte aus. Die Konsequenz für
die Zukunft hatte Oppenheimer schon in dem ersten Buche gezogen,
der neuen Erklärung der Geschichte und Grundlegung der Gesellschafts-
wissenschaft überhaupt ist das zweite gewidmet.
Ehe ich auf diese Theorien näher eingehe, muß ich bemerken, daß
eine Diskussion mit Herrn Dr. Oppenheimer leider zweck- und aus-
sichtslos scheint, da er sich redlich bemüht, dem Kritiker — obwohl
er ihn zur Kritik aufruft — überall das Wort abzuschneiden — ein
wenig loyales Verfahren. Schon im Vorwort wirft er gegen alle bevor-
stehenden Kritiken ein, daß selbst „grobe Mißverständnisse“, die man
ihm in seiner Beurteilung der Wirtschaftsgeschichte im einzelnen vor-
Litteratur. 415
werfen könne, „nur die Bedeutung von Druckfehlern haben“. Das ist
denn doch eine gar zu milde Selbstkritik; denn wenn eine neue Er-
klärung der Wirtschaftsgeschichte sich vielleicht auf eine Reihe grober
Mißverständnisse in den Einzelheiten stützt, so dürfte leicht der Schluß
gezogen werden, daß bei Richtigstellung dieser Mißverständnisse jene
gesuchte Erklärung unhaltbar wird.
Sodann verschanzt sich Herr Dr. Oppenheimer hinter der That-
sache, daß eine völlig exakte Kleinarbeit bei einem Werke, das „ein
ganzes Hauptgebiet menschlichen Wissens“ zusammenfaßt, unmöglich
ist; man dürfe ihm „also auch keinen Vorwurf daraus machen“, daß
seine Litteraturkenntnis „keine sehr breite ist“. Nun wird man gewiß
nicht eine genaue Kenntnis aller für die Kleinarbeit in Betracht
kommenden Werke verlangen, wohl aber die Beachtung der für die
Hauptarbeit wesentlichen Werke — und da dürften wir auf
manche schwer ins Gewicht fallende Unterlassungsünde stoßen.
Nicht unerwähnt möchte ich es ferner lassen, daß Oppenheimer den
Kritikern häufig dadurch das Wort abzuschneiden sucht, daß er ver-
sichert, nichts als Binsenweisheiten auszusprechen oder streng mathe-
matische Beweise zu geben, an denen überhaupt kein auf Vernunft
Anspruch machender Mensch zweifeln dürfe. Ich erlaube mir indessen,
jene Binsenweisheiten und mathematischen Beweise prinzipiell anzu-
zweifeln, ja, in einem wirtschaftlichen Buche sogar — so paradox es
klingt — die absolute und überall anwendbare Wahrheit des Satzes
2X2 = 4 entschieden — cum grano salis — in Abrede zu stellen.
Oder wollte Herr Oppenheimer die Ansicht verteidigen, daß die von
einem Arbeiter bei 20-stündiger Arbeitszeit an einem Tage geleistete
Arbeit qualitativ und quantitativ gleich der in 2 je 10-stündigen Arbeits-
tagen gelieferten wäre ?
Um gleich die grundsätzlichen Einwände zu erledigen, sei noch
darauf hingewiesen, daß der Verfasser fortgesetzt mit allem Nachdruck
und wahrer Eifersucht konstatiert, daß er dieses und jenes Gesetz neu
entdeckt, daß er diesen oder jenen Beweis zum ersten Male geführt habe,
während ihm dieser Ruhm in der That, so weit es sich um den wirklich
brauchbaren Kern der Gesetze und nicht um ihre einseitige Uebertreibung
handelt, häufig streitig gemacht werden muß. Sehr störend ist ferner der
ganz übermäßig ausgedehnte Vergleich der wirtschaftlichen und sozialen
Organisation mit dem menschlichen Organismus, und so entschieden
Oppenheimer den früher von anderer Seite erhobenen Vorwurf der über-
mäßigen Häufung medizinischer Vergleiche zurückweist, können wir
diesem Vorwurf doch nur völlig beistimmen, zumal Oppenheimer sich oft
verleiten läßt, aus diesen oft stark hinkenden Vergleichen Schlüsse zu
ziehen, mit denen er dann operiert, wie mit mathematischen Beweisen.
Und endlich muß es gemißbilligt werden, daß Oppenheimer besonders
im zweiten Kapitel gar zu häufig seine Beweise mit Hilfe von allerlei
Sätzen führt, die ihren Beweis selbst erst an ganz anderer Stelle finden
sollen, so daß die Richtigkeit der früheren Beweise erst sehr viel später-
zu prüfen ist; so bleibt ein großes Fragezeichen nach dem anderen
stehen, und der geduldige Leser muß sich ein langes Taschenspiel mit
paradoxen, unbewiesenen Behauptungen gefallen lassen.
416 Litteratur.
Das alles sind Dinge, die dem Autor den „Beweis“ seiner großen
Konstruktion wesentlich erleichtern und dem Kritiker den Gegenbeweis
ebenso erschweren, im übrigen aber diese ganze Kette künstlicher Kon-
struktionen zu keinem wirklichen Beweis zu machen, die Schwächen und
Fehler des ganzen Aufbaues nur zu umhüllen, aber nicht zu beseitigen
vermögen — Potemkinsche Dörfer, die dem Leser aus der Ferne ge-
zeigt werden. —
Nach diesen Einwänden gegen die Art der Beweisführung, durch
die Dr. Oppenheimer seine große Konstruktion in dem Werke: ,Grof-
grundeigentum und soziale Frage“ zu stützen sucht, können wir das
Gebäude selbst etwas näher betrachten.
Die erste Grundlage der Lehre Oppenheimer’s bildet das „Gesetz
der Strömungen“: Die Menschen strömen vom Orte höheren
wirtschaftlichen Druckes zum Orte geringeren Druckes
auf der Linie des geringsten Widerstandes. Dieses Gesetz ist im
Grunde zweifellos richtig, im übrigen aber keineswegs eine Ent-
deckung Oppenheimer’s, den ich nur auf die entsprechenden Darlegungen
Ratzel’s aufmerksam machen möchte. Nun muß das Gesetz immerhin
mit einiger Vorsicht angewandt werden und nicht in jener maßlosen
Ausdehnung, die Oppenheimer für erlaubt hält. Diese unbeschränkte
Anwendung des Gesetzes setzt nicht nur eine rechtliche, sondern auch
wirtschaftlich absolut unbegrenzte Freizügigkeit voraus; sie setzt voraus,
daß ein schlesischer Grubenarbeiter von heute morgen, wenn die Löhne
auch nur um ein geringes sinken, ohne weiteres eine Farm in Süd-
amerika bewirtschaften kann. Aber selbst wenn wir alle praktisch-
wirtschaftlichen und die wahrlich nicht unberücksichtigt zu lassenden
psychologischen Bedenken beiseite setzen — was folgt dann fur unsere
Wirtschaft? Oppenheimer erblickt in den Gebieten des Großgrundbesitzes
einen Ort höchsten wirtschaftlichen Druckes; folglich findet aus jenen
Gebieten eine starke Abwanderung statt; da wir nun die Freizügigkeit
haben, ist nach Oppenheimer’s Strömungsgesetz kein Grund ein-
zusehen, warum nicht schlechtweg alle Arbeiter aus diesem Hochdruck-
gebiete abstrômen; die abströmenden werden faktisch im Gegenteil ersetzt
durch einen Zustrom aus dem Nachbarlande; also ist in den Gebieten
des ostelbischen Großgrundbesitzes der höchste Druck noch nicht
erreicht — dieser muß vielmehr jenseits der Grenze liegen — also
kann keine Revolution in Deutschland ihn abschaffen und das volle
Gleichgewicht herstellen. Gerade wenn in Deutschland der wirt-
schaftliche Druck durchweg stark vermindert würde, müßte nach dem
von Oppenheimer völlig verallgemeinerten Gesetze aus den ausländischen
Hochdruckgebieten eine wahre Völkerwanderung nach Deutschland
stattfinden.
Anderseits steht es mit den Thatsachen keineswegs in Ueberein-
stimmung, wenn Oppenheimer schlechthin das Großgrundeigentum als
Urheber des Abströmens darstellen will; seine Behauptung, daß die
Abwanderung proportional der Ausdehnung des Großgrundeigentums
wäre, ist zwar für „Ostelbien“ vielfach zutreffend, deshalb aber nicht
einfach als gemeingiltiges Gesetz zu formulieren. Ich erinnere beispiels-
Litteratur. 417
weise nur an die kolossale Landflucht, die um 1848 in den kleinbäuer-
lichen Gebieten Württembergs herrschte und dort ganze Dörfer ergriff,
mit dem Großgrundeigentum aber gar nichts zu thun hatte.
Kurz, die beiden Strömungsgesetze Oppenheimer’s sind nicht in der
von ihm benutzten Weise zu verallgemeinern, und mit ihrer Ein-
schränkung fällt eine der wichtigsten Stützen seines ganzen Gebäudes.
Nun zu der historischen Konstruktion. Bei dem geschichtlichen
Aufbau folgt Oppenheimer dem alten Schema: Jäger, Nomaden, Acker-
bauer, und erklärt das Großgrundeigentum als „letzte und überlebende
Schöpfung eines der Tauschwirtschaft fremden, von ihr überall sonst
überwundenen Rechtes, des Nomadenrechtes“, als Fremdkörper
im Reiche der reinen Tauschwirtschaft und des Tauschrechtes. Als
Zeugen für seine Auffassung der älteren wirtschaftsgeschichtlichen
Entwickelung führt er unter anderen besonders die Professoren Bücher
und Meitzen ins Treffen; da muß ich denn allerdings bemerken,
daß gerade diese beiden Gelehrten durchaus nicht mehr für die
Formulierungen Oppenheimer’s zu haben sind, daß sie vielmehr mit
vollen Segeln in das Fahrwasser der neuen und offenbar höchst
beachtenswerten Theorie E. Hahn’s gesteuert, und die alte Stufen-
folge „Jäger, Nomaden, Ackerbauer“ fallen gelassen haben. Die Kon-
struktion Oppenheimer’s läßt sich aber höchstens bei ganz strengem
Festhalten an dem alten Schema aufrecht erhalten, während Hahn und
die große Zahl der Gelehrten, die seine Theorie angenommen haben,
voran gerade Bücher und Meitzen, die Entstehung des Pflanzenbaues in
die frühesten Zeiten zurückverlegen und der Jagd- und Nomaden-
wirtschaft keine selbständige Bedeutung als notwendige Entwickelungs-
Stadien mehr zuerkennen. Auch das „Nomadenrecht“ rückt damit in
eine ganz andere Beleuchtung.
Wir können aber auch von dieser neueren Theorie völlig absehen,
und behalten gleichwohl die schwersten Bedenken gegen die Kon-
struktion Oppenheimer’s, die im wesentlichen folgenden Inhalt hat: Mit
der Nomadenwirtschaft beginnt die Sklavenwirtschaft und die Vermögens-
verschiedenheit. Zunächst erhält der Kriegshäuptling für seine hervor-
ragenden Leistungen einen Anteil an der Beute, sowohl an Vieh wie
an Sklaven. Bei der Ausbildung des Ackerbaues müssen die Besitzer
zahlreicher Sklaven bei der Ackerteilung genug Land erhalten, um die
Sklaven zu ernähren — so folgt aus der Verschiedenheit der Besitzer
an Vieh und Sklaven die Entstehung des Großgrundeigentums. Während
in der freien Tauschwirtschaft nach dem Gesetze der Strömungen
überall wirtschaftliches Gleichgewicht herrschen müßte, ist dieses
Gleichgewicht durch das Großgrundeigentum gestört. Das Großgrund-
eigentum läßt dem, der den Boden bebaut, nicht den vollen Ertrag
zukommen, sondern gewährt ihm nur eine bestimmte „Komfortbreite“.
Der wirtschaftliche Druck treibt die Landarbeiter in die Städte. Dort
vermehrt das Ueberangebot an Arbeitskräften den Druck, so daß auch
hier das Einkommen nicht über die vom Großgrundeigentümer „kon-
zessionierte Komfortbreite“ steigen kann. Das Großgrundeigentum
verschuldet also das niedrige Einkommen in Stadt und Land, läßt
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). € 27
418 Litteratur.
eine Steigerung nicht zu und hat die ganze soziale Frage allein auf
dem Gewissen.
Nun ist mit der allgemeinen Redensart vom Großgrundeigentum
als Fremdkörper im modernen Tauschrecht wenig anzufangen — man
könnte den Satz nach Belieben umdrehen. Wer die wirtschaftliche
Entwickelung als eine natürliche Einheit betrachtet, wird überhaupt
kaum von einem „Fremdkörper“ sprechen dürfen. Im übrigen scheint
mir auch die Darstellung der Entstehung des Großgrundeigentums
schief; die Ableitung aus der Nomaden- und Sklavenwirtschaft halte
ich nicht für zwingend; es genügt zur Erklärung meines Erachtens
vollständig, wenn man sich vergegenwärtigt, daß ein Stamm, dem der
eigene Boden nicht mehr genügende Früchte liefert, zu Beginn des
Frühjahres auszieht, Neuland zu gewinnen. Wenn es ihm gelingt, in
den Besitz eines anderen Stammes einzufallen nnd diesen zu unterwerfen,
so ist es jedenfalls das Nächstliegende, daß er jene Bauern getrost auf
ihrer Scholle sitzen und den Boden bearbeiten läßt und sich von ihren
Abgaben nährt. Weder ist es „Nomadenrecht“, daß das Stammeshaupt
für seine Leistungen den größten Anteil an dem unterworfenen Lande
erhält, noch ist es notwendig, daß es sich bei dem ganzen Prozeß um
eine eigentliche Sklavenwirtschaft handelt — in der That ist es durch
nichts gerechtfertigt, daß Oppenheimer die hörigen Bauern in Deutsch-
land durchweg in allen beiden Werken mit den römischen Sklaven
identifiziert, wie er auch diesen ganz anders gearteten deutschen land-
wirtschaftlichen Kleinbetrieb im Rahmen des Großgrundeigentums mit
Unrecht auf genau dieselbe Stufe stellt, wie den Großbetrieb der
römischen Latifundienwirtschaft. Um Oppenheimer wieder auf eine nicht
zu übersehende Quelle zu verweisen, nenne ich nur Sohm.
Allen Einwänden gegenüber aber wird Oppenheimer auf dem Stand-
punkte verharren, daß der Entstehung des Grundbesitzes die Sklaven-
wirtschaft vorausgehen müsse, da nach seiner Ansicht der Boden nur
für die Sklavenbesitzer Wert hat, der eben eine Reihe von Sklaven
ernähren muß. Sonst gilt der Boden ihm in der alten Wirtschaft —
und wie es scheint, auch heute noch — als etwas durchaus Wertloses,
da bei jeder Steigerung der Nachfrage nach Nahrungsmitteln neuer
Boden in die Wirtschaft hineingezogen werden kann. Er operiert viel
mit einer Erweiterung von Thünen’s isoliertem Staat, die aus der Ab-
straktion gewonnenen Schlüsse immer unbedenklich auf die konkreten
Wirtschaftsverhältnisse übertragend. Hier liegt überhaupt der Grund-
fehler der ganzen Konstruktion; Oppenheimer meint: Wäre das ver-
derbliche Großgrundeigentum nicht als Folge des barbarischen Nomaden-
rechtes entstanden, so hätte nicht nur der Boden keinen Wert — es
wäre überhaupt keine wesentliche Vermögensverschiedenheit möglich,
da nach dem Gesetz der Strömungen der wirtschaftliche Druck sich
immer und überall ausgleichen müßte. Man sieht, bis zu welcher
Konsequenz Oppenheimer das Gesetz durchführen zu können meint.
Im Glase Wasser tritt freilich nach jeder Strömung alsbald volles
Gleichgewicht ein — die Menschheit ist aber denn doch von anderem,
spröderem Stoff, und die Menschen gleichen sich wirklich nicht wie
Litteratur. 419
Wassertropfen — zum mindesten dürfte die Verschiedenheiten der Rassen
nicht aus der Rechnung gestrichen werden. Der Fehler Oppen-
heimer’s, mit dem sein ganzes Gebäude rettungslos zu-
sammenstürzt, ist, daß er seine Gesetze und Konstruk-
tionen, die, soweit überhaupt, nur Giltigkeit haben,
entweder für den absolut ,isolierten Staat“ der Theorie,
oder aber für die ganze Oekumene in ihrer Gesamtheit,
für die erträumte einheitliche, gleiche Menschheit —
daß er diese Gesetze auf einen einzelnen, aber durchaus
nicht isolierten Staat, auf Deutschland anwenden will.
Die „konzessionierte Komfortbreite“ diktiert nicht der Großgrund-
eigentümer, sondern der Weltmarkt. Das Großgrundeigentum, von dem
die Lage des deutschen Landarbeiters und Bauern abhängig ist,
erstreckt sich nicht nur über Deutschland, sondern über Rußland,
Argentinien etc, und der eigentliche Großgrundeigentümer ist
weniger der deutsche Grundbesitzer, als der Großkapitalist. Was
hat beipielsweise das ausgedehnte Großgrundeigentum, das in den
bäuerlichen Gebieten des Westens in den Händen der Großindnstriellen
und Großkapitalisten — unter Beibehaltung des Kleinbetriebes — im
Entstehen begriffen ist, mit dem Nomadenrecht zu thun?
Wenn es überhaupt noch notwendig ist, die Theorie von der Wert-
losigkeit des Bodens besonders zurückzuweisen, so genügt es wohl,
darauf hinzuweisen, welche Summe von Arbeit in einem urbar gemachten
Stück Bodens steckt, welche Summe von Arbeit die Urbarmachung eines
neuen Stückes erfordert. Und der Eroberer, der Vornehme, Adlige, ist
auf den Erwerb eines über das ursprüngiiche Maß hinausgehenden
Stückes nicht deshalb angewiesen, weil er darauf viele Sklaven ernähren
will, sondern weil viele auf dem betreffenden Boden sitzenden Bauern
ihn ernähren müssen; er bedarf eines so weiten Gebietes, daß die be-
treffenden Bauern zusammen von ihrem Ertrage das zu einem Unter-
halt Nötige abgeben können, während er nicht den Boden bebaut,
sondern an der Beherrschung und Sicherung des Landes teilnimmt,
Gericht hält, Krieg führt etc. Einem berufmäßigen Politiker braucht
man es doch wirklich nicht erst zu sagen, daß es eben von Anbeginn
der Kultur zu allen Zeiten Menschen geben mußte, die nicht auf ihrer
Hände Arbeit angewiesen waren! —
Es ist kaum nötig, auf weitere Einzelheiten des Werkes einzu-
gehen. Nur ein wesentlicher Punkt muß noch berührt werden. Dr.
Oppenheimer glaubt nämlich seine theoretischen Darlegungen durch eine
vollständig mit denselben übereinstimmenden Beleg aus der Geschichte
stützen zu können. Er weist darauf hin, daß vom 10.—14. Jahrhundert
ein ganz außerordentlicher wirtschaftlicher Aufschwung stattgefunden
habe, und sucht darzuthun, daß dieser seine Ursache lediglich darin
habe, daß das Großgrundeigentum praktisch „latent“ geworden, die Zu-
wachsrente verschwunden wäre.
Nichts erklärt sich einfacher und natürlicher, als jene Zeit des
Aufschwunges durch die ungemein ausgedehnte Kolonisation, und
27*
420 Litteratur.
nichts ist für diese Erklärung gleichgiltiger als die Existenz oder Nicht-
existenz des Großgrundeigentums.
Daß die Völker Raum gewannen für neue, ausgedehnteste Koloni-
sation, das ist die Ursache des damaligen allgemeinen Aufschwunges,
der übrigens doch auch wieder den Keim der späteren ungünstigeren
Entwickelung in sich trug. Am kürzesten können wir jene Periode mit
den Worten Lamprecht’s charakterisieren, um einen Mann zu nennen,
dessen Werke Oppenheimer selbst oft genug für sich in Anspruch
nehmen zu dürfen glaubt. Die „Wandlungen in Deutschland vom 14.
zum 16. Jahrhundert“ sind von Lamprecht in Kürze im ersten Heft
der Zeitschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte dargestellt; dort
finden wir auch die beiden Gründe des großen Aufschwunges:
„Bis etwa zur Mitte des 14. Jahrhunderts verbrauchten die ge-
schichtlichen Nationen Europas den größten Teil ihrer wirtschaftlichen
Arbeitskraft in der Kolonisation ihrer Länder“, und „vor allem
tritt Deutschland jetzt zum ersten Male in wahrhafte Welthandels-
beziehungen.“
Dieser Großhandel aber führt notwendig zur Bildung des Groß-
kapitals — das mit all seinen schädlichen Einflüssen, also gerade in
einer Zeit entsteht, in welcher der Einfluß des Großgrundeigentums
„latent“ war. Lamprecht zeigt dann, „in wie vollkommener Weise
sich der kapitalistische Großhandel des 15. und 16. Jahrhunderts in
Gegensatz gestellt hatte zu den sozialistischen Idealen der städtischen
Wirtschaft des 13. und 14. Jahrhunderts. Wo war hier die Rede von
dem Gedanken, jeder Bürger solle womöglich gleiche Nahrung mit seinen
Mitbürgern haben? Das individualistische Wesen des Kapitals als
Unternehmerfonds hatte völlig gesiegt über die ältere Auffassung
städtischen Wirtschaftslebens“. Und während auf der einen Seite das
Großkapital die Herrschaft antrat, mußte auf der anderen Seite die
Kolonisation ihre natürliche Grenze finden. „Vier Generationen waren
verflossen, seitdem der deutsche Osten kolonisiert worden war im Aus-
zug aller jener überschüssigen Kräfte des Mutterlandes, die daheim eine
sichere Stätte nicht mehr gefunden hatten. Jetzt gab es für solche
Kräfte keinerlei Aussicht mehr, Sie blieben im Lande, sie drückten es.“
Die äußere nnd innere Kolonisation, die Raum schafft für die über-
schüssigen Kräfte, führt naturgemäß stets einen Aufschwung herbei.
Diese Kolonisation kann aber nicht zu jeder Zeit und nicht ins Grenzen-
lose beliebig fortgehen, sie kann nicht immer Schritt halten mit dem
Anwachsen der Bevölkerung. Diese großen Stockungen dürften auch
durch die von Oppenheimer in seinem ersten Werke vorgeschlagenen
Siedelungsgenossenschaften kaum beseitigt werden; Oppenheimer plant
auf genossenschaftlichem Wege eine Besiedelung des ganzen deutschen
Bodens mit Millionen von Parzellenbesitzern und übersieht völlig, daß
einerseits die dazu erforderlichen Millionen tüchtiger Ackerwirte nicht
von heute auf morgen zu beschaffen sind, und daß anderseits nach
der Aufteilung des gesamten Bodens in die größtmögliche Zahl kleiner
Parzellen (mit genossenschaftlich zusammengefaßtem Betriebe) die Stockung
in noch viel ärgerem Male eintreten müßte, da eine weitere Teilung
Litteratur. 421
unter die überzähligen Kinder dann nicht mehr angängig wäre. —
Wenn wir die praktische Folgerung aus den Betrachtungen ziehen, so
so kommen wir zwar beide zu einem ähnlichen Schluße, aber doch
auf sehr verschiedener Grundlage. Dr. Oppenheimer fordert die Be-
seitigung des Großgrundeigentums als eines aus dem Normadenrecht
überkommenen Fremdkörpers; notwendig verbunden ist damit eine
rapide innere Kolonisation. Wir fordern eine ausgedehnte innere
Kolonisation — notwendig verbunden mit einer Beschränkung
des Großgrundbesitzes. Aber während wir anerkennen, daß die innere
Kolonisation plan- und maßvoll betrieben werden muß und daß eine
derartig tiefgreifende wirtschaftliche Umformung geraume Zeit bean-
spucht, möchte Dr. Oppenheimer von heute auf morgen den gehaßten
„Fremdkörper“ beseitigt sehen. Da eine so schnelle und völlige Um-
wälzung aber weder durch die bisherige Methode noch auch durch die
von Oppenheimer erfundene Siedelungsgenossenschaft zu bewerkstelligen
sein dürfte, bleibt nichts übrig als die letzte Konsequenz, die Oppen-
heimer ja auch unbedenklich zieht: Eine Revolution gegen den Groß-
grundbesitz. Nur daß die einınal entfesselte Revolution nicht bei dem
Großgrundbesitz stehen bleiben dürfte, daß sie auch dem eigentlichen
Großgrundeigentümer, dem Großkapital, und ebenso der Großindustrie
zu Leibe gehen — — — und daß nachher das Großgrundeigentum eine
fröhliche Auferstehung feiern dürfte! Vergleiche die kapitalistischen
Folgen der französischen Revolution.
Auch das neueste Werk Dr. Oppenheimer’s darf man demnach
füglich zu der großen Zahl jener — übrigens oft sehr anregenden und
bis zu einer gewisssen Grenze recht wertvollen — Werke legen, die
die „soziale Frage“ als eine, mit einem Schlage zu beseitigenden
Einheit durch irgend ein Universalmittel lösen wollen; auch die ge-
waltsame Beseitigung des Großgrundeigentums wird diese soziale Frage
nicht lösen, während wir wohl annehmen dürfen, daß eine ausge-
dehnte innere Kolonisation wesentlich zur Hebung der sozialen Ver-
hältnisse beitragen wird.
499 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Keutgen, F., Urkunden zur Städtischen Verfassungsgeschichte.
Berlin (E. Felber) 1899. 80. (1. Hälfte: XXXVII u. 224 SS.) M. 3,60.
Auch unter dem Titel: Ausgewählte Urkunden zur Deutschen Verfas-
sungsgeschichte, von G. v. Below u. F. Keutgen. Bd. 1.
Seitdem Gengler’s groß angelegter Codex iuris municipalis in seinen
Anfängen stecken geblieben war, hat sich das Bedürfnis nach einer
ähnlichen, wenn auch bescheideneren und handlicheren Publikation von
Urkunden, die den Entwickelungsgang der städtischen Verfassungs-
geschichte nach ihren verschiedenen wesentlichen Seiten zu beleuchten
imstande wäre, in einem, entsprechend der intensiven Beschäftigung mit
der Erforschung des städtischen Wesens, immer steigenderen Maße
geltend gemacht. Wir bedürften eines konzentrierten Extraktes aus
den zerstreuten Lokalpublikationen zu praktischen Zwecken eben so
sehr wie zu wissenschaftlichen. Die inzwischen bereits in 2 Auflagen
erschienene Sammlung „ausgewählter Urkunden zur Erläuterung der
Verfassungsgeschichte Deutschlands im Mittelalter“ von Altmann und
Bernheim hat, so verdienstvoll sie an sich war, selbst die nächstliegen-
den praktischen Bedürfnisse für historische Uebungen und als Bei-
spielsammlung für verfassungsgeschichtliche Vorlesungen nur teilweise
befriedigt. Wissenschaftlichen Ansprüchen genügt sie gar nicht. Um-
gekehrt bietet eine territorial begrenzte Sammlung wie die von E. v. Schwind
und A. Dopsch zur Verfassungsgeschichte der deutsch-österreichischen
Erblande den Ansprüchen des Geschichtsunterrichts zu viel, und für
wissenschaftliche Untersuchungen macht sie dennoch die Benutzung
anderer Quellenwerke nötig.
Da ist es denn mit Freuden zu begrüßen, daß zwei unserer tüchtigsten
Verfassungshistoriker es unternommen haben, eine Sammlung von
historischen Zeugnissen (mit Ausschluß der erzählenden Quellen) über die
Verfassung der Städte, der Territorien und des Reiches zu schaffen, die
imstande ist, eben so sehr speciell pädagogischen wie allgemein wissen-
schaftlichen Wünschen zu genügen: zunächst allerdings pädagogisch-
praktischen.
Von dieser geplanten Sammlung liegt nun bis jetzt ein halber Band
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 493
Städteurkunden vor, die F. Keutgen bearbeitet hat. Leider nur ein
halber Band, der mitten in einem Botze abbricht. Welche Gründe für
eine solche Publikationsweise bestimmend waren, entzieht sich unserer
Kenntnis. Es will uns aber dünken, daß mit einem Bruchstück praktisch
zunächst noch nichts anzufangen ist und daß die wissenschaftliche Be-
urteilung und Verwendung eines solchen Werkes namentlich durch das
Fehlen eines Registers sehr erschwert wird. Die Vorreden sind bereits
vor fast 2 Jahren, im April 1899, geschrieben ; hoffentlich bleibt das Buch,
und damit die Sammlung kein Torso: es wäre sehr schade darum.
Was Keutgen bisher in 166 Nummern bietet, sind zunächst. 124
Urkunden über den Ursprung der Stadtverfassung, sodann 42 Stadt-
rechte nach geographisch und damit zum Teil genetisch zusammen-
gehörigen Gruppen, beides bedauerlicherweise mit Ausschluß sowohl des
niederländischen Städtewesens, wie des nordöstlichen Kolonisations-
gebietes. Dem Ursprung der Stadtverfassung gehen nach die Ab-
teilungen Stadtgericht (Uebertragung der Gerichtsbarkeit auf einen
geistlichen Stadtherrn, Stadtgericht und Immunitäten, Gerichtsstand der
Bürger, Gerichtsordnungen); Befreiung von hofrechtlichen und ver-
wandten Abgaben; die Stadt als Burg; Markt und Kaufleute (Aus-
bildung des Marktrechts, Kaufleute und Handel); Niederlassungsver-
hältnisse (Leihe nach Stadtrecht, Gründungen); der Kampf um das
Selbstbestimmungsrecht (Bündnisse mit einem Thronbewerber, der Rat,
das Ungeld, andere Maßregeln des Reiches gegen die Städte, der
Rheinische Bund).
Es ist, wie man schon diesem Ueberblick entnehmen wird, eine
außerordentlich' reichhaltige Sammlung mit im ganzön einwandfreier
und durchsichtiger Gruppierung; und auch die Auswahl der Stücke
im einzelnen dürfte zweckmäßig sein: darüber wird sich erst aus
der praktischen Erfahrung ein sicheres Urteil fällen lassen. Die Schwierig-
keit bei einer solchen sachlichen Anordnung liegt ja immer darin, daß
eine und dieselbe Urkunde bald hier bald dort Material bieten wird,
und daß es doch unmöglich ist, sie in ihre kleinsten Atome nach inhalt-
lich scharf gesonderten Kategorien aufzulösen. Gerade darum aber
müssen wir ein peinlich genaues Register und ein noch etwas genaueres
Inhaltsverzeichnis als das vorliegende haben. Wer sich z. B. über das
Weichbild orientieren will, findet unter der Rubrik „Befreiung von
hofrechtlichen und verwandten Abgaben“ als letzte No. 25 a. b.:
„Bremen: Weichbildrecht. 1186. 1206“ und dann wieder unter der
Rubrik „Gründungen“ als vorletzte No. 106: „Reichsurteil über die An-
lage von Weichbilden 1242“. Weiß er nicht schon vorher, daß das
"Wort „wicbilede* zum ersten Mal in der Leipziger Stadtgründungs-
urkunde (1156—70) No. 102 vorkommt, so wird er aus dem Inhalts-
verzeichnis nicht erfahren, daß diese Urkunde und der ganze Abschnitt
„Niederlassungsverhältnisse“ überhaupt nur das Wort enthält. Ebenso
steht es mit dem Terminus ,Burgrecht“. Uebrigens mag die abusive
Verbindung „Weichbildrecht“, die neuerdings wieder R. Schroeder in
seinem bedeutsamen Aufsatz „Weichbild“ (Festgabe der Heidelberger
Juristenfakultät für E. J. Bekker. Berlin 1899 S. 97—107) als pleo-
424 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
nastisch kennzeichnet, in einem darstellenden Werke gestattet sein:
im Register (No. 25, 94, 97, 105) sollte sie keine Stätte haben, wenn
nicht auch die Urkunde das Wort enthält.
Den Urkunden liegen die besten bisher erschienenen Drucke zu
Grunde, doch hat Keutgen eigenartige und in der Konsonantenbehand-
lung über Weizsäcker hinausgehende Editionsgrundsätze zur Anwendung
gebracht, über die er sich in sehr beachtenswerten Vorbemerkungen
ausspricht. Für die Zwecke seines Buches hat er zweifellos das Richtige
damit getroffen, doch betont er mit sorgsam abwägender Unbefangen-
heit, daß im übrigen stets Art und Zweck der einzelnen Ausgabe bei
diesen Fragen entscheidend mitzureden haben. Vom Ulmer Stadtrecht
(No. 156) besitzen wir jetzt in dem inzwischen erschienenen 7. Bande
des Wirtembergischen Urkundenbuchs (No. 2415, cf. 2414) einen
besseren Abdruck als den von K. zu Grunde gelegten bei Pressel.
Allesin allem begrüßen wir in dem vorliegenden Halbband einen viel-
versprechenden Anfang, dem die Fortsetzung sowohl des Bandes als
der ganzen Sammlung recht bald nachfolgen möge.
Halle a/S. K. Heldmann.
Flesch, K., Zur Kritik des Arbeitsvertrag. Seine volkswirtschaftlichen Funk-
tionen und sein positives Recht. Sozialrechtliche Erörterungen. Jena, G. Fischer, 1901.
gr. 8. VIII- 36 SS. M. 1.—.
Hansemann, G., Die doppelte Buchführung in der Weltwirtschaft. Ein Versuch
zur Einführung des Prinzips von der Erhaltung der Kraft in der Sozialwissenschaft.
Leipzig, Teubner, 1901. gr. 8. VIII—108 SS. M. 2,60.
Jahresbericht des Bundes der Industriellen für das Geschäftsjahr 1899/1900.
Im Auftrage des Vorstandes herausgeg. von Wilhelm Wendlandt (Generalsekretär). Berlin,
Druck von H. Klokow, 1900. 8. III—94 SS.
Simmel, Georg, Philosophie des Geldes. Leipzig, Duncker & Humblot, 1900.
gr. 8. XVI—554 SS. M. 13.—. (Inhalt: Analytischer Teil: Wert und Geld. — Der
Substanzwert des Geldes, — Das Geld in den Zweckreihen. — Synthetischer Teil: Die
individuelle Freiheit. — Das Geldäquivalent personaler Werte. — Der Stil des Lebens.)
Thätigkeit, die 25jährige, der Vereinigung der Steuer- und Wirtschaftsreformer
(1876—1900). Zusammengestellt und dargestellt von F. Stephan (Sekr. der Vereinigung).
Berlin, Verlag des Bureaus der Vereinigung, 1900. gr. 8. 159 SS. M. 2.—.
Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen herausgeg.
C. Joh. Fuchs, G. v. Schulze-Gävernitz, Max Weber. Bd. IV, Heft 5. Tübingen,
J. C. B. Mohr, 1900. gr. 8. 102 SS. Einzelverkaufspreis M. 4.—, Abonnementspreis
M. 2,80. (Inhalt: Konfession und soziale Schichtung. Eine Studie über die wirtschaft-
liche Lage der Katholiken und Protestanten in Baden, von Martin Offenbacher. Mit 4
in den Text eingedr. Karten.)
Walter, Fr. (Privatdoz., Univ. München), Die Propheten in ihrem sozialen Beruf
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Kritik der gegen den Anschluß an die Weltwirtschaft erhobenen Bedenken und der
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Kowalewsky, Maxime, Die ökonomische Entwickelung Europas bis zum Beginn
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der Entwickelung der mittelalterlichen Gutsherrschaft und der Dorfgemeinde. Berlin,
R. L. Prager, 1901. 8. 536 SS. M. 7,50. (A. u. d. T.: Bibliothek der Volkswirt-
schaftslehre und Gesellschaftswissenschaft, begründet von F. Stöpel, fortgeführt von Robert
Prager. Bd. XI.)
v. Lendenfeld, R. (Prof.), Neuseeland. Berlin, A. Schall, o. J. (1900). gr. 8.
VIII—186 SS. mit 25 Bildern und Karten. M. 7.—. (A. u. d. T.: Bibliothek der
Länderkunde, Bd. IX). [Aus dem Inhalt: Bevölkerung. — Produktion des Landes:
(Landwirtschaft. Forstwirtschaft. Bergbau. Industrie) — Handel und Verkehr.]
Naendrup, H. (Privdoz., Univ. Breslau), Zur Geschichte deutscher Grunddienst-
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Städte- und Wirtschaftsgeschichte. Ulm, Gebr. Nübling, 1900. 4. XXIV—320 zweispalt. SS.
426 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
M. 18.—. (Inhalt: Die Entstehung der Ulmer Gret. — Die Verwaltungseinrichtungen
der Gret. — Die einzelnen Handelsgegenstände: 1. Der Salzhandel ; 2. Der Eisenhandel ;
3. Der Gewandhandel ; 4. Der Leinwand- und der Barchenthandel ; 5. Der Kramwarenhandel;
— Der Großhandel: 1. Die Ulmer Handelsherren ; 2. Der Verkehr der Ulmer Handels-
gesellschaften mit Venedig im 15. Jahrhundert ; 3. Die Familie Rot; 4. Die Familie
Vöhlin; 5. Die Familie Welser.)
Schulze, G. (Reg.- u. SchulR., Minden), Heimatskunde der Provinz Westfalen.
Minden i. W., Max Volkening, 1900. gr. 8 VIII—559 SS. M. 5.—. (Aus dem In-
halt: Die Leineweberei im Ravensberger Lande. — Der Gewerbefleiß der Grafschaft
Mark.)
Totomjanz, V. und E. Toptschjan, Die sozial-ökonomische Türkei. Berlin,
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Wichmann, A., Dirck Gerritsz. Ein Beitrag zur Entdeckungsgeschichte des 16.
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translation by A. H. Keane. London, Asher & C°, 1901. Imp.-8. with 14 plates, a
‚map and 26 illustrations in text, eloth. 10/.6. (Contents: Agriculture, — Fisheries. —
Mines, Petroleum. — Mineral waters. Health resorts. — Forestry. — Industries. —
Communications: Railways; Navigation. — Foreign trade. — Tariff policy. — Inland
‚trade. Currency; Retail, and hawking business. — Finance: Revenue; Debt; Taxation;
Monopolies; Public domains. — Banking and credit institutes. — etc.)
Hecquard, Ch., La Turquie sous Abdul Hamid II. Compte rendu de la gérance
d’un empire pendant un quart de siècle (31 août 1876—1* septembre 1900). Paris,
H. Lamertin, 1900. 8. 500 pag. fr. 6.—.
Solvay, E. (industriel et sénateur), Etudes sociales. Notes sur le productivisme
et le comptabilisme. Bruxelles, H. Lamertin, 1900. 8. 172 pag. fr. 2.—.
Solvay et Ed. Anseele (administrateur du „Vooruit“, membre de la Chambre
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mertin, 1900. 8. 52 pag. fr. 1.—.
Suisse, la, au XIX" siècle. Ouvrage publié par un groupe d’&erivains suisses
sous la direction de Paul Seippel (prof. à l’Ecole polytechnique fédérale). 3 vols. Paris,
Fischbacher, 1901. gr. in-8, avec de nombreux portraits et illustrations. fr. 66.—.
(Table des matières: La Suisse à la fin du XVIII: siècle, par Th. de Liebenau.
Histoire politique de la Suisse au XIX"! siècle, par Numa Droz. — L’Ecole, par P. Hunziker
et F. Guex. — L'agriculture, par E. Chuard. — Industrie et commerce, par H. Wart-
mann. — Classes ouvrières. Le socialisme, par Th. Curti. — Le mouvement coopératif,
par H. Muller. — Voies de communication, par H. Georg. — Hygiène, par E. Jordy.
— Le bon vieux temps et la vie moderne, par R. Gunther et A. Godet. — Finances.
— Population, par G. Vogt. — La Suisse en 1900, par P. Seippel. — ete.)
Bourinot (Sir) John, G., Canada under British rule, 1760—1909. Cambridge,
University Press, 1900. crown-8. 358 pp. with 8 maps. 6/.—.
Turquan, V. (ex-chef de la statistique generale de la France), Evaluation de la
fortune privée en France et à l’étranger dans ses rapports avec la fécondité des familles.
Etude économique et géographique de la répartition de la richesse, ornée de nombreux
diagrammes et cartes. Paris, L. Larose, 1901. gr. in-8. fr. 8.—. (Extrait de la Revue
d'économie politique.)
Brogi, Tom., La Marsica antica, medioevale e fino all’ abolizione dei feudi.
Roma, tip. Salesiana, 1900. 12. 435 pp. 1. 2,50.
3. Bevölkerungswesen. Auswanderung und Kolonisation.
Trap, Cordt, und Schmidth, Olaf, Les habitations ouvrières
en Danemark et principalement de Copenhague. Paris, Secrétariat de la
Société française des habitations à bon marché, 1900. 51 pp.
In ihrer dem internationalen Kongreß für Arbeiterwohnungen in
Paris gewidmeten Schrift liefern C. Trap, Direktor des städtischen
statistischen Bureaus in Kopenhagen, und O. Schmidth, Architekt
und Bauinspektor der dänischen Marine, eine Uebersicht über die Ent-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 497
wickelung der Arbeiterwohnungsfrage in Dänemark, insbesondere in
Kopenhagen, die auch für weitere Kreise hinreichendes Interesse bietet,
um eine Besprechung an dieser Stelle zu rechtfertigen. Es entrollt sich
beim Einblick in die kurze Schilderung ein höchst erfreuliches Bild
gemeinnützigen Wirkens auf dem Gebiete des Wohnungsbaues, das von
einem um so unmittelbareren Interesse für unsere deutschen Leser ist, als
gerade von Dänemark aus — wir kommen darauf noch zurück — frucht-
bare Anregungen in dieser Frage nach Deutschland ausgegangen sind.
Der Schilderung der mannigfaltigen Veranstaltungen, die den Bau
von Wohnungen für die unbemittelten Klassen zum Ziele haben, geht
ein statistischer Ueberblick voraus, der darin gipfelt, daß auch in
Kopenhagen ein namentlich in den letzten Jahren immer fühlbarer
werdender Mangel an kleinen Wohnungen in die Erscheinung tritt,
wenngleich im allgemeinen die Wohnungsverhältnisse sich hier relativ
günstiger darstellen, als in anderen größeren Städten des Nordens sowohl
wie in Deutschland. Es ist unschwer zu erkennen, daß darin im wesent-
lichen eine Folgeerscheinung der überaus regen gemeinnützigen Bau-
thätigkeit zu erblicken ist, von der die kleine Schrift Kunde giebt und
die neuerdings unter der Einwirkung gesetzlicher Maßnahmen einen er-
höhten Aufschwung genommen hat.
Die ersten Anfänge einer planmäligen Wohnungsfürsorge reichen
in Dänemark in ältere Zeiten als in irgend einem anderen Lande zurück.
Bereits in der Mitte des 16. Jahrhunderts baute der Staat in der
Umgebung des Königlichen Arsenals Wohnungen für die Angestellten
der Kriegsmarine. 1630 legte dann Christian IV. den Grund zu einer
neuen Ansiedelung, die demselben Zweck gewidmet war: der noch
heute existierenden Ansiedelung „Nyboder“, die, zu verschiedenen Zeiten
erweitert und umgebaut, heute 378 Wohnungen von allerdings, je nach
der Zeit, in der sie entstanden sind, sehr verschiedener Beschaffenheit,
umfaßt. Die erste gemeinnützige Baugesellschaft, die Aktienbaugesell-
schaft für Arbeiterwohnungen in Christianshaven, einem der dichtbe-
wohntesten Industrieviertel Kopenhagens, entstand im Jahre 1851.
Das Cholerajahr 1853 führte zur Begründung einer „Gesellschaft der
Aerzte“, die neben anderen Wohlfahrtszwecken auch den Bau von
Wohnungen für die ärmeren Klassen in die Hand nahm und hierbei
namentlich durch die kommunalen Behörden durch Ueberlassung eines
vor den Thoren der Stadt gelegenen weiträumigen Terrains unterstützt
wurde. Baugelder gewährten die Kopenhagener Sparkasse und die
staatliche Lebensversicherungsgesellschaft. In den Jahren von 1860
bis 1774 entstanden dann noch sechs weitere gemeinnützige Gesell-
schaften, bezw. Stiftungen, die zusammen mit den beiden genannten
bis zum 1. Januar 1900 etwa 2000 meist ein- und zweiräumige
Wohnungen in größeren Gebäuden im Innern der Stadt und in
kleineren Häusern auf Vorortsterrain erstellten.
Neben diesen mehr oder weniger das Wohlthätigkeitsprinzip ver-
körpernden Einrichtungen nimmt in hervorragendem Maße eine Organi-
sation unser Interesse in Anspruch, die das Problem auf der Grundlage
der Selbsthilfe in Angriff nahm und hierfür Formen schuf, die nament-
428 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
lich für die gleichgerichteten Bestrebungen in Deutschland vorbildlich
geworden sind: der Kopenhagener Arbeiterbauverein, der im Jahre 1865
auf Anregung eines Mannes aus den gebildeten Klassen, eines Arztes,
von einer Anzahl von Arbeitern der Schiffswerft von Burmeister & Wain
begründet wurde und der heute die stattliche Zahl von nahezu
14000 Mitgliedern erreicht hat. Der Arbeiterbauverein hat den Bau
kleiner Häuser zum Ziel, die durch Ratenzahlungen in das Eigentum
der Mitglieder übergehen. Er hat jenes System der allmählichen An-
sammlung eines Mitgliederguthabens durch kleinste wöchentliche Ein-
zahlungen inauguriert, das genau entsprechend dem hier gegebenen
Vorbilde Ende der 70er Jahre von dem Flensburger Arbeiterbau-
verein übernommen wurde und in der Folge die Grundlage für die
Geschäftsgebahrung der Hunderte von Baugenossenschaften geworden ist,
die heute in Deutschland in Blüte stehen. Auch bezüglich der Formen
der allmählichen Eigentumserwerbung der erstellten kleinen Anwesen sind
die Einrichtungen des Kopenhagener Arbeiterbauvereins für die deutschen
Baugenossenschaften dieses Systems vorbildlich gewesen. Der Kopenhagener
Verein ist, dank der uneigennützigen Beteiligung von Männern aus
Nichtarbeiterkreisen, insbesondere des bereits erwähnten Dr. Ulrich,
zu hoher Blüte gelangt. Er ist nicht auf Arbeiterkreise im engeren
Sinne beschränkt geblieben, sondern hat die gesamten weniger be-
mittelten Klassen bis in die Kreise der niederen und mittleren Beamten
in sein Wirkungsgebiet einbezogen und ist auf diese Weise ein aus-
schlaggebender Faktor für die Lage des Wohnungsmarktes in der
dänischen Hauptstadt geworden. Die Mitgliederguthaben hatten am
1. Januar 1900 die Höhe von 61/, Mill. M., der Reservefonds von über
300 000 M. erreicht. Zu derselben Zeit waren 1170 Häuser fertiggestellt
und 50 weitere im Bau begriffen, die einen Wert von 11 Mill. M.
repräsentierten, von denen nahezu 6 Mill. bereits abgezahlt sind. Die
Ansiedelungen des Vereins verteilen sich auf 7 verschiedene Gegenden
der Stadt und der Umgebung; sie setzen sich zumeist aus zwei-
stöckigen Reihenbäusern mit Vorgärten und Hof zusammen, deren jedes
2 Wohnungen enthält.
Von der Mitte der 70er Jahre an gerechnet, macht sich ein
gewisser Stillstand in der Entwickelung der gemeinnützigen Bauthätig-
keit insofern bemerkbar, als neue Gesellschaften zunächst nicht mehr
entstanden. Die Folge war, daß in derselben Epoche der Bedarf an
kleinen Wohnungen nicht mehr ganz gedeckt und namentlich in
den letzten Jahren geradezu ein Mangel an solchen fühlbar wurde.
Darin trat erst Ende der 90er Jahre wieder eine Wandlung ein,
als die Gesetzgebung dem Arbeiterwohnungsbau durch Mobilmachung
des Staatskredits neue Anregung zur Bethätigung gab. Durch ein Gesetz
vom 26. Februar 1898 wurde der Finanzminister ermächtigt, Darlehn
bis zum Gesamtbetrage von 2 Mill. Kronen (1 Krone = 11/, M.) an Ge-
meinden und gemeinnützige Baugesellschaften gegen hypothekarische
Sicherstellung zu gewähren. Die Folge war, daß Darlehnsgesuche in so
großer Zahl einliefen, daß über den ausgesetzten Betrag in kurzer Zeit
verfügt war und Forderungen im Betrage von weiteren 2!/, Mill.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 499
zunächst zurückgestellt werden mußten. Einen Teil der verfügbaren
Mittel haben die oben aufgezählten älteren Gesellschaften erhalten;
außerdem sind aber seit Erlaß des Gesetzes eine ganze Anzahl neuer
entstanden, unter denen namentlich die nach dem Vorbilde des Arbeiter-
bauvereins eingerichteten, das Prinzip der Selbsthilfe vertretenden
Arbeiterbauvereine vorwiegen. Die Folge dieser Bewegung, die sich
nicht mehr auf Kopenhagen beschränkt, sondern auf eine ganze Reihe
Provinzialstädte übergegriffen hat, ist gewesen, daß in der Volksver-
tretung bereits Anträge gestellt sind, den Wirkungskreis des Gesetzes
vom 26. Februar 1898 durch Bereitstellung größerer Mittel zu erweitern.
Die kleine Schrift liefert somit den Beweis, daß die Arbeiterwohnungs-
frage in dem kleinen nordischen Nachbarstaat, der uns in dieser Be-
ziehung schon früher wertvolle Anregungen geliefert hat, auch neuer-
dings eine Entwickelung nimmt, die dem in Deutschland bis jetzt
Erreichten in mancher Beziehung voraneilt. Dr. H. Albrecht.
R auber, A. (Prof., Univ. Jurjeff [Dorpat], Weibliche Auswanderung und ihr Ver-
hiltnis zu einer biologisch begründeten Bevölkerungspolitik. IV. Beitrag zu einer natur-
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dem Inhalt: Die Winterversammlung 1900 zu Berlin. — Die XV. Wanderversammlung
zu Posen. — Die XIV. Wanderausstellung zu Posen.)
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die Frage: Brotzoll oder Handelsverträge? Berlin, E. Hofmann & C°, 1901. gr. 8.
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430 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
liche Vorlage. Mit Benutzung amtlicher Unterlagen. Berlin, E. S. Mittler & Sohn,
1901. gr. 8. 148 SS. mit 3 kartogr. Anlagen. M. 1,50.
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Westermeier (Prof. Tetschen), Auswahl und Züchtung ertragreicher Getreide-
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Carville, F., Agriculture. Guide pratique pour fonder et mettre en marche les
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Holländer, Ludwig, Die Lage der deutschen Mühlenindustrie
unter dem Einflusse der Handelspolitik 1879—1897. 98 SS. Stuttgart 1898.
(Münchener volkswirtschaftliche Studien, herausgegeben von Lujo Brentano
und Walther Lotz. 29. Stück.)
Der Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt, einen Einblick in die
wirtschaftliche Entwickelung der deutschen Mühlenindustrie zu geben,
wobei insbesondere gezeigt werden soll, von welcher Bedeutung die
Handelspolitik der letzten 20 Jahre für die Müllerei gewesen ist. Um
dieser seiner Absicht gerecht zu werden, wirft der Verfasser einleitend
einen Blick auf die Entwickelung der Technik in der Mühlenindustrie,
worauf die Schutzollpolitik des Deutschen Reiches der letzten 20 Jahre
und die Umgestaltungen innerhalb der Eisenbahntarife für Mühlen-
produkte und Getreide vorgeführt werden. Sodann werden die Wirkungen
der deutschen Wirtschaftspolitik auf die jeweilige Lage der Mühlen-
industrie besprochen, um zuletzt mit einem Ausblick auf die 3 Gewerbe-
zählungen von 1875, 1882 und 1895 zu schließen. Die inneren Verhält-
nisse der Mühlenindustrie, so z. B. der Kampf der Kleinmüller mit
den Handelsmühlen, sind nur so weit berücksichtigt worden, als sie
durch handelspolitische Maßnahmen Beeinflussung erfahren haben.
Der Verfasser hat einen kräftigen Anlauf genommen, um diese seine
Aufgabe zu lösen. Wenn er auch einen nicht üblen Ueberblick über
die Lage der Mühlenindustrie geliefert hat, so vermag uns doch seine
Lösung nicht ganz zu befriedigen, sondern wir können sie nur als eine
Vorarbeit zu einer umfassenden und gründlichen Studie ansehen. Falls
eine solche unternommen werden sollte, empfehlen wir die vorhandene
Litteratur etwas eingehender, als es geschehen ist, zu würdigen, wie es
auch für eine wissenschaftliche Arbeit nicht ausreichend erscheinen kann,
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 431
sich in Betreff der Berichte solcher Körperschaften, wie Landeseisen-
bahnrat, Bezirkseisenbahnräte, ständige Tarifkommission u. s. w. auf
die Nachrichten von Tageszeitungen zu stützen, zumal über die je-
weiligen Verhandlungen fast immer eingehende Sitzungsprotokolle heraus-
gegeben werden, welche auch außerhalb der Archive dem wirtschaft-
lichen Forscher zur Verfügung stehen. Ferner wird in den Berichten
der Handelskammern, Aeltesten-Korporationen, Vereinigungen der Mühlen-
interessenten etc. manches Material enthalten sein, welches eine Be-
leuchtung der einschlägigen Fragen, wie z. B. die der Staffeltarife,
der gemischten Privattransitläger ohne oder mit amtlichem Mitver-
schluß etc. von dieser Seite ermöglicht hätte, wie wir auch zum Schlusse
nicht allein eine einfache Aufzählung der Ergebnisse der Berufszählung,
sondern eine geeignete Gegenüberstellung und kritische Würdigung
derselben gewünscht hätten.
Trotz dieser angedeuteten Mängel ist die Arbeit nicht ohne Wert,
und wenn sie auch nur die Hauptpunkte der Entwickelung der
Mühlenindustrie in kurzgefaßter Weise berührt, so vermag sie doch den
Leser möglichst rasch in dieses Gebiet einzuführen. Obgleich sie daher
für den Nationalökonomen nicht ausreichend erscheinen kann, so dürfte
sie doch für ein weiteres Publikum nicht unwillkommen sein.
Die knappe, kurze Sprache, die ohne Umschweife und unnötigen
Wortschwall auf die Sache lossteuert, berührt angenehm, wenn sie auch
noch etwas den litterarischen Anfänger vermuten läßt.
Halle a. S. Wermert.
Achtstundenarbeitstag, der, und die kommende Arbeitergeneration. Von
einem in der deutschen Privatindustrie ergrauten Fabrikbeamten. Wiesbaden, Ch. Lim-
barth, 1901. 8. 31 SS. M. 0,50. (Aus dem Inhalt: Die Nachteile höherer Schulen für
die Industrie.)
Bericht der Centralanstalt für unentgeltlichen Arbeitsnachweis in Mannheim
S 1, 17 über das Geschäftsjahr 1900. Mannheim, Druck von Hahn & C°, 1901. gr. 4.
18 SS. mit 1 graphischen Tafel.
Geitel, M. (RegR., Mitglied des kais. Patentamts), Die Praxis des Gesetzes zum
Schutz der Warenbezeichnungen vom 12. V. 1894. Systematische Zusammenstellung der.
grundlegenden patentamtlichen und gerichtlichen Entscheidungen und Mitteilungen, ein-
ulm der veröffentlichten Freizeichen. Berlin, G. Siemens, 1900. gr.8. VI—335 SS.,
geb. M. 7.—.
Katzenstein, L., Die Trusts der Vereinigten Staaten. Vortrag, gehalten in der
Volkswirtschaftlichen Gesellschaft in Berlin am 9. I. 1901. Berlin, L. Simion, 1900.
er. 8. 32 SS. M. 1.—. (Volkswirtschaftliche Zeitfragen, Heft 176.)
v. Liszt, F. (o. Prof., Berlin), Die Gefängnisarbeit. Vortrag gehalten am 26. VII.
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licher Vorträge herausgeg. von der Berliner Finkenschaft.)
Rezegh, Fritz (Ingenieur), Praktische Erläuterungen über Bau, Betrieb und
Verwaltung der Kohlengasanstalten mit besonderer Berücksichtigung für den Gebrauch
von Gemeindeausschüssen kleinerer Städte, ete. Wien, Spielhagen & Schurich, 1900.
gr. 8. 146— XXIV SS. M. 6.—.
Grandgeorge G. et A. Mortier, L’industrie textile en France en 1899, rapport
présenté au nom de la 4° section. Paris, imprim. nationale, 1900. 8. XIV—265 pag.
(Publication du Ministère du commerce.)
Justice, Jean (prof. à l’athénée royal de Gand), Dictionnaire des marques et
we ege de la faïence de Delft. Gand, Vuylsteke, 1901. 12. 131 pag. av. fig.
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432 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
Mines, les, et usines aux ZX: siècle. Les mines et la métallurgie à l'Exposition
universelle de 1900, par un groupe d'ingénieurs, sous la direction de Francis Laur.
5 vols. Paris, impr. Laur, 1900—1901. 8. fr. 50.—.
Tapisserie, la, les tissus, les papiers peints à l’exposition universelle de 1900:
Manufactures nationales de tapisseries des Gobelins et des Beauvais, ete. (100 phototypies
avec texte). Paris, A. Guérinet, 1901. fr. 30.—.
Barber, E. A., American glassware, old and new: a sketch of the glass industry
in the United States and manual for collectors of historical bottles. Philadelphia,
Patterson & White C°, 1900. 12. 112 pp. with plates, cloth. $ 1.—.
Buell, C. E., Industrial liberty ; our duty to rescue the people of Cuba, Porto
Rico and the Philippine islands from the greatest of all evils: poverty. Plainfield (New
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Report, Is, of the Bureau of Labor of the province of Ontario for the year
ending December 31st 1900. Toronto, printed by L. K. Cameron, 1901. gr. in-8. 101 pp.
(Contents: Returns of organizations in detail. — Suggestions and remarks from orga-
nizations. — Particulars of strikes and lockouts from organizations. — Particulars of
strikes given by manufacturers. — Origin, object and growth of Bureaus of labor statistics.
— Labor legislation and its enforcement. — Synopsis of the labor laws of Ontario. —
Wages in the United States and Europe, 1870 to 1898. — etc.)
Koulakov, P E., Xosañcrso u Gr, Bypars Exaunwucxarow KyryAasckaro
BEromcTB Bepxozcucraro okpyra Mpkyrekoï ry6epsis. (Cr.-Ilerepôyprs 1899. 8.
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dustriali. — Della formazione dei sindacati industriali in Europa e in America. —
Costituzione economica dei sindacati industriali. — La costituzione giuridica dei sinda-
cati industriali. — Criterii per la ricerca degli effetti economici dei sindacati industriali.
— Legalità dei sindacati industriali, — I sindacati industriali e la legislazione. — I
sindacati industriali e la giurisprudenza. — Le leggi contro i sindacati industriali negli
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Bürner, R., Der Handlungsreisende im Auslande. Die gesetzlichen Bestimmungen
über die Thätigkeit des Handlungsreisenden in den verschiedenen Ländern. Dresden,
Steinkopff & Springer, 1901. gr. 8. 74 SS. M. 1.—.
Crole, B. E., Illustrierte Geschichte der deutschen Post von ihren Anfängen bis
zum Ableben Kaiser Wilhelms I., bezw. bis zum Tode Stephans (hrsg.) von Bruno
Emil König. 3. Aufl. I. Band. Berlin, Fr. Luckhardt, 1900. gr. 8. XII—372 SS. mit
vielen in den Text gedr. Abbildungen, sowie Notenbeilagen, Bilder- und Briefmarken-
tafeln. M. 6.—.
Danziger Handelsgebräuche. Gutachten des Vorsteheramts der Kaufmannschaft
zu Danzig über Gebräuche im Handelsverkehr. Herausgeg. von Zander (Rechtsanw.,
Danzig) und Fehrmann (Sekret. der Kaufmannschaft, Danzig). Danzig, A. W. Kafemann,
1901. 8. VIII—158 SS. M. 3.—.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 433
Deutscher Handelstag. XXVII. Vollversammlung in Berlin am 8. u. 9. I. 1901.
(Stenogr. Bericht.) Berlin, Liebheit & Thiesen, 1901. 4. XV—102 SS.
Dietzel, H. (Prof, Bonn), Kornzoll und Sozialreform. Vortrag gehalten am
15. XIL 1900 in der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft zu Berlin. Berlin, L. Simion,
1901. gr. S 56 SS. (Mitteilungen des Vereins zur Förderung der Handelsfreiheit,
1901, Nr. 1.
Jahresbericht der Handelskammer für den Kreis Mannheim für das Jahr 1900.
I. Teil. Mannheim, Verlag der Kammer, 1901. gr. 8. 33; 372 SS. mit 3 Taf. graphi-
scher Darstellungen.
Jahresbericht, XXIX., der Handelskammer für die östliche Niederlausitz in
Sorau N.-L. für das Jahr 1900. Sorau, Druck von Rauert & Pittius, 1901. gr. 8.
90; X SS.
Kurs, V., Die neue Kanalvorlage und die preußischen Staatseisenbahnen. Hannover,
Gebr. Jänecke, 1900. 8. 27 SS.
Schimmelpfeng, Bericht der Auskunftei W. Schimmelpfeng, Januar 1901.
Berlin (Selbstverlag), 1901. 48 SS.
Stromgebiete, die, des Deutschen Reichs hydrographisch und orographisch dar-
gestellt mit beschreibendem Verzeichnis der deutschen Wasserstraßen. Teil II, b: Gebiet
der Weser. Bearbeitet im kais. statistischen Amt. Berlin, Puttkammer & Mühlbrecht,
1901. Imp.-4. 105 SS. mit 6 Kartenbeilagen. M. 2.—. (Statistik des Deutschen Reichs,
N. Folge Bd. XXXIX, Teil II, Abteil. b.)
Südbahn, die, und ihr Verkehrsgebiet in Oesterreich-Ungarn. Herausgeg. von
der k. k. priv. Südbahngesellschaft unter Mitwirkung (genannter) Autoren und Künstler.
Wien und Brünn, R. M. Rohrer, o. J. (1900). 8. XVIII —506 SS. mit 197 Illustrationen,
4 Karten ete., geb. M. 1,30.
Volkswirtschaft, die deutsche, und der Weltmarkt. 2. Aufl. Berlin, J. Springer,
1901. gr. 8. 28 SS. mit 1 graphischen Tafel. (A. u. d. T.: Handelspolitische Flug-
schriften. Hrsg. vom Handelsvertragsverein, Heft 1.)
Wiedenfeld, K. (Gerichtsass.', Die sibirische Bahn in ihrer wirtschaftlichen Be-
deutung. Berlin, J. Springer, 1900. gr. 8. 202 SS. mit Uebersichtskarte. M. 3.—. (Sonder-
abdruck aus dem Archiv für Eisenbahnwesen, Jahrg. 1900.)
Chemins de fer, postes, télégraphes, téléphones et marine. Compte rendu des
opérations pendant l’année 1899. Bruxelles, J. Goemaere, imprim., 1900. Folio. 161;
24; 28; 13—X pag. (Rapport présenté aux chambres législatives par le Ministre des
chemins de fer, postes et télégraphes.)
de Cordemoy, C. (ingénieur des arts et manufactures), Les ports modernes.
2 vols. Paris, Bernard & Ce, 1900. gr. in-8. 587 et 656 pag. avec fig. et 1 atlas. fr. 120.
Dardart (conducteur principal des ponts et chaussées), Exécution des travaux
publics. Etude législative et administrative. Paris, Vve Ch. Dunod, 1901. 8. 632 pag.
fr. 12.—. (Bibliothèque du conducteur des travaux publics, 41° volume.)
Monographies industrielles et commerciales, n° 3: Commerce des machines
agricoles. Paris, impr. P. Dupont, 1900. 8. 172 pag. fr. 2.—. (Office national du
commerce extérieur. Publication du Ministère du commerce.)
Sea-borne trade and navigation of the Madras Presidency and of its chief port,
and each of the subordinate ports for 1899—1900. Madras, Governm. Press, 1900. 22/.6.
White, T. Raeburn, Business law: a book for schools and colleges; introduc.
by Rol. P. Falkner; with index and glossary of definitions of technical legal terms.
New York, Silver, Burdett & C°, 1901. 8. 367 pp., cloth. $ 1,50.
O ruers 0 xon& Toprosau BB Huxeroponcko ApMapkb 1899 roma. Moskau, Druck
von A. J. Momontov, 1900. Roy.-4. (Bericht über die geschäftlichen Operationen auf
der Messe von Nishnij Nowgorod 1899, herausgeg. von S. V. Speranski.)
Wanjon, D., Geschiedenis van den Nederlandschen handel sedert 1795. Haarlem,
de erven F. Bohn, 1900. 8. fl. 1,75.
Dahlgren, E. W., De franska sjöfärderna i Söderhafet (Söderhamn) i början af
adertonde seklet. Stockholm, Samson & Wallin, 1900. 8. kr. 10.—.
7. Finanzwesen.
Glück, das, in der Lotterie. Kritische Betrachtungen. Leipzig, Max Sängerwald,
1901. gr. 8. 16 SS. M. 0,30.
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 28
434 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Lipsius, H. F., Die Schaumweinsteuer, eine verhängsnisvolle Thorheit! Berlin,
Max Pasch, 1901. gr. 8 18; 2 u. X SS. M. 0,50.
Compte definitiv des recettes de l’exercice 1899, rendu par le ministre des
finances. Paris, impr. nationale, 1901. in-4. 688 pag.
Digeaux, P., L'impôt sur les titres de rente. Laval, impr. Barnéoud & C**,
1900. 8. XV—304 pag. (thèse.)
Lévy, Raph. G., Le budget de 1901. Paris, Guillaumin & C", 1901. 8. fr. 1.—.
Projet de loi adopté par la Chambre des députés, le 29 décembre 1900, portant
fixation du budget général des dépenses et des recettes de l’exercice 1901. Paris, impr.
nationale, 1900. in-4. 310 pag.
Financial reform almanack, 1901. London, Simpkin, 1901. 8. 1/.—.
à Annuario dei ministeri delle finanze e del tesoro del regno d’Italia. Anno XXXIX
(1900/1901). Roma, tip. Elzeviriana di Pateras, 1900. 8. XLIII—836 pp.
Azienda dei tabacchi. Relazione e bilancio industriale per l’esercizio dal 1° luglio
1899 al 30 giugno 1900. Roma, tipogr. Elzeviriana, 1901. Roy. in-4. LII —135 pp.
(Pubblicazione del Ministero delle finanze, Direzione generale delle privative.)
Cosssa, A., Primi elementi di scienza delle finanze. 8* edizione. Milano, U. Hoepli,
1901. 8. XII—208 pp. 1. 2.—.
Relazione del Direttore generale alla Commissione di vigilanza sul rendiconto
dell? amministrazione del debito pubblico per l’esercizio dal 1° luglio 1899 al 30 giugno
1900. Roma, tip. G. Bertero, 1900. gr. 4. 294 pp. (Pubblicazione del Ministero del
Tesoro, Direzione generale del debito pubblico.)
Servizio del lotto, esercizio 1899/1900. Relazione a S. E. il Ministro delle
finanze. Roma, tip. Elzeviriana, 1901. Roy. in-4. 53 pp. (Pubblicazione della Direzione
generale delle privative.)
Gil y Pablos, F., Estudios sobre el crédito público y de la deuda pública
española. Madrid, M. Murillo, 1900. 8. pes. 3.—.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Basch, Jul., Wirtschaftliche Weltlage. Börse und Geldmarkt im Jahre 1900.
XI. Folge. 3. Aufl. Berlin, Prager, 1901. gr. 8. 64 SS. M. 1.—.
Börsenkalender, deutscher, und Effektenhandbuch 1901. Frankfurt a/M.,
Selbstverlag der Frankfurter Societätsdruckerei, 1900. Jahrg. XVIII. gr. 8. 178 SS.
M. 2.—. (Beilage zur Frankfurter Zeitung.)
Hönig, Fr., Die österr.-ungar. Lebensversicherungsgesellschaften im Jahre 1899.
Wien, Gerold & C°, 1900. 12. 46 SS. u. Tabelle. M. 1.—.
Landmann, Jul., System der Diskontopolitik. Kiel, Lipsius & Tischer, 1900.
Roy.-8. XII—185 SS. M. 3,50.
Land- und forstwirtschaftliche Berufsgenossenschaft für das Königreich Sachsen.
Geschäftsbericht für das Jahr 1899.. Dresden, Druck von A. Schönfeld, 1900. Folio.
34 SS.
Schlachtviehversieherung. Stenographischer Bericht über die Verhand-
lungen einer von der Centralstelle für Viehverwertung der preußischen Landwirtschafts-
kammern veranstalteten Konferenz zur Vorbereitung eines obligatorischen Schlachtvieh-
versicherungsgesetzes in Preußen am 29. u. 30. X. 1900 im Abgeordnetenhause zu Berlin.
Berlin, P. Parey, 1901. gr. 8. 160 SS. M. 2,50.
Wittenberg, Max, Staatshypothekenbanken. Ein Vorschlag zur Reform des
Hypothekenbankwesens. Berlin, Verlag der Berliner Montagszeitung, 1901. 8 9 SS.
M. 0,25.
Bigo, A., Des stipulations pour autrui et des assurances sur la vie en tant
qu’elles s’y rattachent. Tourcoing, impr. Debisschop, 1901. 8. 185 pag.
Clavel, P., Des valeurs mobilières et de leur négociation au comptant et à
terme. Paris, Guillaumin & C", 1900. 8. fr. 2,50.
Congrès international des sociétés par actions, tenu A Paris du 8 au 12 juin
1900. Compte rendu sténographique. Paris, A. Rousseau, 1900. 8. XXXII—594 pag.
(Exposition universelle internationale de 1900. Publication du Ministère du commerce.)
Jarrin, A., Les caisses d'épargne italiennes et le crédit agricole, conférence faite
le 4 mars 1900, au cercle savoisien de la Ligue de l’enseignement, Chambéry, impr.
V° Ménard, 1900. 8. 40 pag.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 435
Morand de la Perrelle, J. (lieutenant-colonel, Membre de l’Institut des actuaires
français), Assurances sur la, vie. Calcul des primes des principales combinaisons aux
compagnies françaises et étrangères, mis à la portée de tous. Paris, L. Larose, 1900.
gr. in-8. fr. 3,50.
Bigelow, Melville Madison, Bills, notes and cheques. Boston, Little, Brown
& C=, 1900. 8. 349 pp. cloth. $ 3.—.
Willis, H. Parker, History of the Latin monetary union: a study of inter-
national monetary action. Chicago, University of Chicago press, 1901. 8. 339 pp.
dos, $ 2.—. (Economic studies of the Univ. of Chicago, n° 5.)
Hammond, J. H., Taxation of business corporations in New York State. New
York, Baker, Voorhis & C°, 1901. 8. 37; 275 pp., cloth. $ 2,75.
Cesura, Melsh., Del cambio estero in economia pura. Pavia, tip. cooperativa,
1900. 8. 44 pp. e 2 tavole.
9. Soziale Frage.
Paul Adler, Die Lage der Handlungsgehilfen. Stuttgart 1900.
8% Bd. XVI, 197 SS. A. u. d. T.: Münchener Volkswirtschaftliche
Studien, herausg. von Lujo Brentano und Walther Lotz, 39. Stück.
An der Hand des von der Reichskommission für Arbeiterstatistik
in den Jahren 1892—1894 gesammelten Materials erörtert die vor-
liegende Schrift sachlich und leidenschaftslos die Mißstände in den
Verhältnissen der Ladengehilfen. Wenn der Verf. auch nur mit einigem
Vorbehalt der Behauptung der Kommission, daß das gewonnene Material
volkommen zuverlässig sei, zuzustimmen vermag, so gelingt es ihm
doch, dasselbe so zu benutzen, daß in dem Leser die Ueberzeugung
von der Notwendigkeit einer Reform entsteht. Mit offenkundiger und
berechtigter Sympathie für das „Leidensstationen“ ausgesetzte Laden-
personal, das übrigens nicht nur in Deutschland, sondern in England,
Frankreich, Oesterreich in gleich ungünstiger Lage erscheint, befür-
wortet er vom Staate zu unternehmende Verbesserungen. Um so leichter
sind solche durchzuführen als die heutigen Mißstände nicht durch die
Beschaffenheit der Branche oder des Betriebes gebotene Notwendigkeiten
sind, sondern der Gewohnheit, der Lässigkeit, dem Vorurteil ihre Ent-
sthung verdanken. Bei der Frage nach der Beschäftigungsdauer spiele
die Rücksicht auf die Konkurrenten die hauptsächlichste Rolle. Die
Schrift ist flüssig geschrieben und läßt in Darstellung wie Beurteilung
anerkennenswerte Gewandtheit und Ueberlegung zu Tage treten.
Wilh. Stieda.
Bonhoeffer (Privdoz.), Ein Beitrag zur Kenntnis des großstädtischen Bettel- und
Vagabondentums. Eine psychiatrische Untersuchung. Berlin, Guttentag, 1900. gr. 8.
SA M. 1,50. (Sonderabdruck aus Ztschr. f. d. ges. Strafrechtswissensch., Bd. XXI,
et 1.)
Gruber, Max (Prof), Die Prostitution vom Standpunkte der Sozialhygiene aus
betrachtet. Vortrag gehalten im sozialwissenschaftlichen Bildungsvereine an der Wiener
Universität am 9. V. 1900. 38 SS. (Zuerst veröffentlicht in der Zeitschrift: „Deutsche
Worte“, 1900, Juniheft.)
Jahresbericht des Berliner Asylvereins für Obdachlose. Jahrg. XXXII (1900).
Berlin, Verlag des Vereins, 1901. gr. 8. 16 SS.
Kampffmeyer, P. (ehemals Arbeitersekr. in Frankfurt a/M.), Die Baugenossen-
schaften im Rahmen eines nationalen Wohnungsreformplanes. Göttingen, Vandenhoeck
& Ruprecht, 19 00. gr. 8. 53 SS. M. 1.—. (Hgg. vom Verein Reichswohnungsgesetz.)
Liebrecht (LandesR., Vorsitzender des Vorstandes der Landesversicherungsanstalt
28*
436 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Hannover), Reichshilfe für Errichtung kleiner Wohnungen. Göttingen, Vandenhoeck &
Ruprecht, 1900. gr. 8. 16 SS. M. 0,40.
Schriften des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit. Heft 51:
Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der XX. Jahresversammlung des
deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit am 20. und 21. IX. 1900 in
Mainz. Leipzig, Duncker & Humblot, 1901. gr. 8. 137—XVII SS. M. 3.—. (Inhalt :
Die Stellung der ehrenamtlichen Organe der Armenpflege. — Einheitliche Gestaltung
der Armenfinanzstatistik. — Fürsorge für Genesende, — Organisation der Gemeinde-
waisenpflege. — Armenärztliche Thätigkeit.)
Martel, H., L’aleoolisme au Congrès pénitentiaire international de Bruxelles en
1900. Bruxelles, veuve Monnom, 1900. 8. 47 pag
Peabody, Francis Greenwood, Jesus Christ and the social question: Exami-
nation of teaching of Jesus in its relation to problems of modern social life. London,
Macmillan, 1901. 8. 380 pp. 6/.—.
Bonardi, J., La cassa di previdenza per gli operai vecchi ed invalidi. Brescia,
tip. della Provincia, 1900. 8. 40 pp.
Cutrera, A., La mafia e i mafiosi: origini e manifestazioni. Studio di sociologia
criminale. Palermo, A. Reber, 1900. 8. VII—197 pp. e 1 tav. 1. 2,50.
10. Gesetzgebung.
Bundesgesetz, das, betreffend die Arbeit in den Fabriken, vom 23. III. 1877
Kommentiert durch seine Ausführung in den Jahren 1878—1899. Bern, Schmid &
Francke, 1900. 8. 308 SS. mit 4 Beilagen (Formulare). M. 2,40. [Herausgeg. vom
schweizerischen Industriedepartement.]
Gerson (ARichter), Die Arbeitsleistung und ihr Lohn nach neuem deutschen
Reichsrecht. Mülheim a. R., Jul. Bagel, o. J. (1900). 12. 111 SS. M. 1.—. (Mit
Anhang 1—3: Die Rechte des Handlungspersonals. Klageentwürfe, etc.)
Handtmann, O., Das russische Handels- und Verkehrsrecht in seinen wesent-
lichen Bestimmungen nach dem gegenwärtigen Stande der Reichsgesetzgebung und mit
Berücksichtigung der internationalen Vereinbarungen und Verträge. I. Teil. Riga, Jonk &
Poliewsky, 1900. gr. 8. 97 SS. M. 3,20.
Kotze, O., Die Fischereigesetzgebung im preußischen Staate. (Enthaltend das
Fischereigesetz vom 30. Mai 1874, in der Fassung des Gesetzes vom 30. März 1880, etc.)
Leipzig, Roßberg’sche Hofbhdl., 1900. gr. 8. 175 SS. kart. M. 2,40.
Lehmann, G. (k. preuß. OKontroleur, Neidenburg), Die Reichsbranntweinsteuer-
gesetze mit den vom 1. X. 1900 ab giltigen Ausführungsbestimmungen. Herausgeg,
von G. L. Breslau, J. U. Kerns Verlag, 1900. gr. 8. IX—209 SS., kart. M. 2,50.
Marchand, H. (Staatsanwaltschaftssekretär), Das Strafregister in Deutschland
unter besonderer Berücksichtigung Preußens nebst einer Zusammenstellung der im Aus-
lande bestehenden Einrichtungen. Berlin, Guttentag, 1900. 8. X—123 SS. M. 3.—.
Otto, F., Das älteste Gerichtsbuch der Stadt Wiesbaden. Wiesbaden, J. F. Berg-
mann, 1900. gr.8. VIII—116 SS. (A. u. d. T. Quellenschriften zur Nassauischen
Rechts- und Verfassungsgeschichte I.)
Schüllermann, W. (k. ForstamtsAss.), Das Jagdrecht in Bayern diesseits des
Rheines nach dem bayerischen Jagdausübungsgesetze, etc. Bamberg, Verlag der Handels-
druckerei, 1900. 12. XII—308 SS. mit EES und 4 Farbentafeln, geb. M. 2,50.
Cailleux, E., La législation belge sur les règlements d'atelier, avec un exposé
de létat de la question en France et des pièces annexes, Paris, À. Rousseau, 1900. 8.
XV—297 pag.
Lescure, P. (sous-chef à la direction générale des finances tunisiennes), Du double
régime foncier de la Tunisie. Droit musulman et loi foncière. Paris, L. Larose, 1901.
gr. in-8. fr. 7,50.
Barassi, L., Il contratto di lavoro nel diritto positivo italiano. Milano, Società
editrice libraria, 1901. 8. XX—914 pp. 1. 20.—.
Contento, Aldo, La legislazione operaia: origini, sviluppo, stato attuale. Torino,
Roux & Viarengo, 1901. 8. 237 pp. 1. 2,50.
Conrotte, Manuel, Questiones juridicas relacionadas con la ley sobre accidentes
del trabajo. Madrid, Romo y Füssel, 1900. 8.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 437
11. Staats- und Verwaltungsrecht.
Charlottenburg. Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegen-
heiten der Stadt Charlottenburg für das Etatsjahr 1899. Charlottenburg, C. Ulrich EC,
1901. Imp.-8. 230 SS.
Duisburg. Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegen-
heiten der Stadt Duisburg für das Etatsjahr 1899 (1. IV. 1899 bis 31. III. 1900).
Duisburg, Druck der Duisburger Verlagsanstalt, 1900. 4. 224 SS. — Haushaltsetat für
das Etatsjahr 1900. Ebd., Druck von F. H. Nieten, 1900. 28 SS. mit XIII Anlagen.
Freudentheil, G. W. (Kanzleiprokurator, Stade), Geschichte des Advokaten-
standes des vormaligen Königreichs Hannover bis zum Jahre 1831. Stade, A. Pockwitz,
1900. 8. 24 SS.
Jahrbuch, politisches, der schweizerischen Eidgenossenschaft. Herausgeg. von
C. Hilty (Prof. d. Bundesstaatsrechts, Univ. Bern). Jahrg. XIV, 1900. VIII—589 SS.
M. 9.—. (Inhalt: Die eidgenössische Schulsubvention, vom Herausgeber. — Ueber die
Handelsmoral, vom Herausgeber. — Das Alkoholpostulat, von C. Hilty. — L’Etat et
les eglises aux Etats Unis, von J. B. Pioda (schweiz. Gesandter, Washington). — (Poli-
tisch-staatswissenschaftlicher) Jahresbericht für das Jahr 1900. — Rede des (BundesR.)
Zemp bei der Eröffnung des internationalen Postkongresses. — Vortrag über die Doppel-
initiative an der Konferenz der freisinnig demokratischen Bundesversammlungsmitglieder
in Münchenbuchsee.)
Jahresbericht, XXXI., des Landesmedizinalkollegiums über das Medizinal-
wesen im Königreiche Sachsen auf das Jahr 1899. Leipzig. F. C. W. Vogel, 1900. gr. 8.
383 SS.
Königsberg i. Pr. Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeinde-
angelegenheiten der k. Haupt- und Residenzstadt Königsberg i. Pr. während des Rech-
nungsjahres 1. IV. 1899 bis dahin 1900. Königsberg, K—ger Allgem. Zeitungsdruckerei,
1900. 4. 307 SS. — Hauptübersicht über die der Stadthauptkasse zu Königsberg i. Pr.
zugewiesenen Verwaltungszweige pro 1. IV. 1899/1900. Ebd. 1900. 4. 103 SS.
Mühlhausen. Bericht des Magistrats der Stadt Mühlhausen i. Th. über den
Stand und die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten der Stadt Mühlhausen im Ver-
waltungsjahre 1899/1900. Mühlhausen i. Th., Druck von Röth & Köhler, 1901. gr. 4.
42 SS.
Paderborn. Bericht über den Stand der Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten
der Stadt Paderborn für das Geschäftsjahr 1899. Paderborn, Junfermannsche Buch-
druckerei, 1900. 4. 20 SS.
Sinzheimer, L., Der Londoner Grafschaftsrat. Ein Beitrag zur städtischen Sozial-
reform. I. Band: Die SchluBperiode der Herrschaft der Mittelklassen in der Londoner
Stadtverwaltung. Stuttgart, J. G. Cotta, Nachfolger, 1900. gr. 8. VIII—512 SS.
Stettin. Verwaltungsbericht der Stadt Stettin vom 1. IV. 1899 bis dahin 1900.
I. Spezialberichte. Stettin, Druck von F. Hessenland, 1900. gr. 4. 139 SS.
Wien. Die Gemeindeverwaltung der k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien
im Jahre 1898. Bericht des Bürgermeisters K. Lueger. Wien, W. Braumüller, 1901.
gr.8. 429 SS. mit Tafeln und Abbildungen (darunter 1 Chromolith.), geb.
Wiener Kommunalkalender und städtisches Jahrbuch, 1901. Jahrg. XXXIX.
Wien, P. Gerin, IL, Circusgasse 13. kl. 8. 677 SS., kart. M. 3,20. (Aus dem Inhalt:
Städtische Unterrichtsanstalten. — Gewerbeschulen. — Armeninstitute. — Gewerbe-
genossenschaften. — Beiträge zur Geschichte der Stadt Wien: Wien im Jahre 1830,
von E. Guglia (S. 532—558). — Chronik der Stadt Wien. — etc.)
Wittenberg. Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten
der Stadt Wittenberg in dem Rechnungsjahre 1899. Wittenberg, Druck von Lübcke &
Brewing, 1900. gr. 4. 56 SS.
Wittwer, J. C. (kais. Kantonalpolizeikommissar), Die politische Polizei und das
französische Polizeikommissariat. Straßburg, St—ger Druckerei u. Verlagsanstalt, 1900.
gr. 8. 86 SS. M. 2.—.
Despagnet, Fr. (prof. de droit internat. à l’Université de Bordeaux), La question
finlandaise au point de vue juridique. Paris, L. Larose, 1901. gr. in-8. fr. 3.—.
Duthoit, E. (prof. à la faculté libre de droit de Lille), Le suffrage de demain.
Régime électoral d’une démocratie organisée. Paris, Perrin & Ci, 1901. 8. 270 pag.
Lévy, G., De la condition internationale des îles Ioniennes, depuis le congrès de
Vienne jusqu’à nos jours. Paris, A. Rousseau, 1901. 8. 159 pag.
438 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Rapport sur l’organisation et la situation de l’enseignement primaire public en
France, présenté à M. le Ministre de l'instruction publique par l'inspection générale
de l’enseignement primaire. Paris, imprimerie nationale, 1900. gr. in-8. XVI—628 pag.
(Publication de l’instruction publique et des beaux arts.)
Situation financière, la, des communes de France et d'Algérie en 1899, présenté
par M. Bruman (conseiller d'Etat, directeur de l’administration départementale et com-
munale) à M. Waldeck-Rousseau (président du conseil, Ministre de l’intérieur et des
cultes). XXITième publication. Melun, imprim. administrative, 1900. gr. in-4. XIX—
649 pag. fr. 10.—. (Publication du Ministère de l’intérieur et des cultes.)
Nyholm, C. V., Finlands stilling i det russike kejserrige. Kobenhavn, Salmonsen,
1900. 8. kr. 2,25.
12. Statistik.
Allgemeines.
Bliss, H. L., Plutocracys’ statistics : statistical lies and liars, official and unofficial,
exposed. Chicago, H. Kerr & C°, 1901. 8. 32 pp. $ 10.
Minguez y Vicente, Tratado de estadística. Madrid 1891. 8. (Table des matières :
Partie mathématique. — Histoire de la statistique en Europe et en Espagne. — Les
machines à calculer employées par les statisticiens. — L'organisation de la statistique
dans divers pays. — etc.)
Deutsches Reich.
Beiträge zur Statistik der Stadt Frankfurt a. M. Neue Folge. Im Auftrage des
Magistrats herausgegeben durch das statistische Amt. Heft 4: Frankfurter Krankheits-
tafeln. Untersuchungen über Erkrankungsgefahr und Erkrankungshäufigkeit nach Alter,
Geschlecht, Civilstand und Beruf, auf Grund des Materials der Ortskrankenkassen zu
Frankfurt a. M. Bearbeitet von H. Bleicher (Direktor des statistischen Amtes). Frank-
furt a. M., J. D. Sauerländer, 1900. Lex.-8. 56—LXXXI SS. Mit 5 graphischen
Tafeln.
Beiträge zur Statistik des GroBherzogtums Hessen. Herausgeg. von der großherz.
Centralstelle für die Landesstatistik. Band XLIV, Heft 3. Darmstadt, G. Jonghaus,
1900. 4. XXVII—141 SS. (Inhalt: Die Volkszählung im Großhzgt. Hessen vom 2. XII.
1895, von G. Fertsch (großh. RegR.). Band XLV, Heft 1. Ebd. 1901. 4. 32 SS. In-
halt: Statistik der Straf- und Gefangenanstalten im Großhzgt. Hessen für das Jahr vom
1. IV. 1898 bis 31. III. 1899.)
Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle, die, im preußischen Staate während
des Jahres 1899 nebst einer Uebersicht der im preußischen Staate in den einzelnen
Jahren von 1816 bis 1899 vorgekommenen Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle,
sowie der entsprechenden Geburts-, Heirats- und Sterbeziffern. Berlin, Verlag des kgl.
statistischen Bureaus, 1901. Roy.-4. XXII—310 SS. M. 8,40.
Jahrbuch, statistisches, der Stadt Berlin. Jahrg. XXV. Statistik des Jahres 1898
nebst Ergänzungen für frühere Jahre. Im Auftrage des Magistrates herausgeg. von
R. Böckh (Direktor des statistischen Amtes der Stadt Berlin). Berlin, Druck u. Verlag
von P. Stankiewicz’? Buchdruckerei, 1900. gr. 8. XXVIII—609 SS.
Protokolle über die Verhandlungen der Kommission für Arbeiterstatistik vom
28. XI. 1900 und Bericht über die Erhebungen betreffend Sonntagsruhe bei der Binnen-
schiffahrt. Berlin, C. Heymanns Verlag, 1901. Folio. 18 SS. (Drucksachen der Kom-
mission für Arbeiterstatistik, Verhandlungen Nr. 19.)
Seeschiffahrt, die, im Jahre 1899. Bearbeitet im kais. statistischen Amt.
I. Abteilung: Bestand der deutschen Seeschiffe (Kauffahrteischiffe) ` Schiffsunfälle an der
deutschen Küste; Verunglückungen deutscher Sceschiffe. Berlin, Verlag von Puttkammer
& Mühlbrecht, 1901. Imp.-4. 175 SS. M. 4.—. (A. u. d. T.: Statistik des Deutschen
Reichs, N. Folge, Bd. 130, Abt. 1.)
Statistik der im Betriebe befindlichen Eisenbahnen Deutschlands nach den An-
gaben der Eisenbahnverwaltungen bearbeitet im Reichs-Eisenbahnamt. Band XX, Rech-
nungsjahr 1899. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1901. gr. Folio. 31 Tabellen mit Text
und einer Karte in größt. Imp.-Folio.
Statistik der Knappschaftsvereine des preußischen Staates im Jahre 1899. Nach
amtlichen Quellen bearbeitet. Berlin, Ernst & Sohn, 1900. 4. 56 SS. (Sonderabdruck
aus der Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen im preußischen Staate,
Band XLVIII.)
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 439
Frankreich.
Documents statistiques réunis par l'administration des douanes sur le commerce
de la France. Mois de janvier à décembre des années 1898, 1899 et 1900. 12livraisons.
Paris, imprim. nationale, 1900. Roy. in-8. fr. 17.—.
Statistique agricole annuelle, 1899. Paris, imprim. nationale, 1900. 8. 285 pag.
(Publication du Ministère de l’agriculture.)
Statistique de l’enseignement primaire. Tome VIime (1896—1897). Paris,
imprim. nationale, 1900. gr. in-4, CCXIX—556 pag. avec 10 planches graphiques.
(Publication du Ministère de l'instruction publique et des beaux-arts.)
Statistique du service de la protection des enfants du premier âge, année 1898;
Enfants admis en 1897. Melun, impr. administrative, 1900. in-4. 368 pag. (Publication
du Ministère de l’intérieur.)
Statistique sanitaire des villes de France. Tableaux récapitulatifs et résumés
généraux des principaux documents contenus dans les relevés annuels de 1886 à 1898
(treize ans). Melun, imprim. administr., 1900. in-4. 144 pag. (Publication de Ministère
de l’antérieur.)
Oesterreich-Ungarn.
Ergebnisse der Grundbesitzstatistik in den im Reichsrate vertretenen König-
reichen und Ländern nach dem Stande vom 31. XII. 1896. Heft 2: Ober-Oesterreich
und Salzburg. Wien, C. Gerolds Sohn, 1900. Imp.-4. XLVI—21 SS. (Oesterreichische
Statistik. Bd. LVI, Heft 2.)
Jahrbuch, statistische, des k. k. Ackerbauministeriums für das Jahr 1899.
Heft 2. Der Bergwerksbetrieb Oesterreichs im Jahre 1899, I. Lieferung: Die Bergwerks-
produktion. Wien, Druck und Verlag der k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1900. gr. 8.
197 SS.
Rychna, Jos., Die Nativitäts- und Mortalitätsausweise der k. k. statistischen
Centralkommission in Wien und des kais. Gesundheitsamtes in Berlin. Eine kritische
Studie über die Revisionsbedürftigkeit der periodischen Geburten- und Sterbefälleaus-
weise derselben, als weiterer Beitrag zum Prager Mortalitätsstreite. Prag, Buchdruckerei
der „Politik“, 1900. gr. 8. 56 SS. M. 1,20.
Statistik der Sanitätsverhältnisse der Mannschaft des k. u. k. Heeres im Jahre
1899. Ueber Anordnung des k. u. k. Reichskriegsministeriums, bearbeitet und herausgeg.
von der III. Sektion des k. u. k. technischen Militärkomitee. Wien, Druck der k. u. k.
Hof- und Staatsdruckerei, 1900. gr. 4. IV—278 u. LII SS.
Rußland.
Bidrag till Finlands officiela Statistik. XIV* Landtmäteriet (Landvermessungs-
wesen). N° 15. Berättelse för Ar 1899. 19 pp. — XIV’ Justeringsverket. N° 9. (Be-
richt über die Thätigkeit des Eichungsamts 1899.) 19 pp. — XIX. Väg- och vatten-
byggnaderna, Berättelse för år 1898. (Bericht über die öffentlichen Weg- und Wasser-
bauten im Jahre 1898.) 153 pp. — XX. Jernvägs-Statistik. N° 29. (Bericht über
Länge, Rollmaterial, Fahrgeschwindigkeit, Zahl der Reisenden und Betriebsbeamten,
Gewicht und Wert der beförderten Güter etc. ete. auf den finländischen Staatsbahnen
im Betriebsjahr 1899.) 107 pp.u.596 pp. Beilagen nebst Karten in gr.-4. — XXI. Fattig-
värdsstatistik. N° 7. (Bericht über die Armenpflege in Finland für das Jahr 1899.)
38 pp. mit 1 graphischen Darstellung. — XXII. Försäkringsväsendet. N° 8. (Bericht
der Versicherungsinspektoren über das Versicherungswesen in Finland im Jahre 1899.)
48 ; 12 pp. nebst 26 statistischen Tabellen. 6 Hefte. Helsingfors, Kejserliga Senatens
Tryckeri, 1900. gr. 8.
Italien.
Relazione sui lavori preparatori pel IV Censimento generale della popolazione
italiana dal 1° luglio 1900 al 10 febbraio 1901. Roma, tip. Bertero & C., 1901. Lex.
in-8. 25 pp. (Pubblicazione del Ministero di agricoltura, industria e commercio.)
Statistica del commercio speciale di importazione e di esportazione dal 1° gennaio
al 31 dicembre 1900. Roma, tip. Elzeviriana, 1900. Lex. in-8. 157 pp. (Pubblicazione
del Ministero dell finanze, Direzione generale delle gabelle. Ufficio centrale di revi-
sione e di statistica.)
440 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Belgien.
Annuaire de l’université catholique de Louvain 1901. LXVième année, Louvain
(Löwen) tip. de Jos. van Linthout, 1900. 12. XXXVII—564 et LXIV pag. '
Statistique judiciaire de la Belgique. I° année: Statistique penale 1898; stati-
stique civile et commerciale 1897—1898. Bruxelles, Vve Ferd. Lancier, 1900. 4. XLII —
109 et XI—52 pag. (Publication du Ministère de la justice.)
Dänemark.
Indkomstforholdene i København i 1898 ved Cordt Trap (Chef for Staden
Københavns statistike Kontor). København, J. Cohens Bogtrykkerier, 1901. gr. 8.
79 pp. (Einkommensstatistik der Bevölkerung Kopenhagens im Jahr 1901, herausgeg.
von dem Gemeindevorstande der Stadt Kopenhagen.)
Schweiz.
Resultate, vorläufige, der eidgenössischen Volkszählung vom 1. XII. 1900 zum
Teile verglichen mit denjenigen früherer eidg. Volkszählungen. Bern, 7. II. 1901. 4.
16 SS. mit deutschem und französ. Text.
Schweizerische Handelsstatistik. Provisorische Zusammenstellung des Spezial-
handels der Schweiz im Jahre 1900. Bern, Druck von A. Benteli, 18. II. 1901. gr.
Imp.-Folio. 16 SS. (Herausgegeben vom schweizerischen Zolldepartement.)
Schweden.
Bidrag till Sveriges officiele Statistik. B. Rättsväsendet. Ny följd. XLII, 1,
2. Justitie-Departementet underdäniga embetsberättelse, är 1899. 50 och 44 pp. (Schwe-
dische Civil- u. Kriminalstatistik für 1899.) — G. Fangvärden. Ny följd XLI. Be-
rättelse för Ar 1899. XXXIV—40 pp. (Schwedische Gefängnisstatistik für das Jahr
1899.) — K. Helso- och sjukvården I. Ny följd 38. 75—LXXVI pp. (Öffentliches
Gesundheitswesen (einschließlich Civilhospital- und Militärsanitätsstatistik, Hebammen-,
Impf-, Veterinärwesen, ete. für 1898). — S. Allmänna arbeten. 28. Väg- och vatten-
byggnadsstyrelsens berättelse für äret 1899. (Bericht über öffentliche Weg- und Wasser-
bauten im Jahr 1899.) Y. Sparbanksstatistik II. Postsparbanken. Berättelse för år 1899.
XXVII—32 pp. Zusammen 5 Hefte. Stockholm, K. L. Beckmans boktryckeri, 1900. 4.
Norwegen.
Resultater, foreløbige, of Folketællingen i Norge, 3 XII 1900. Kristiania,
H. Aschehoug & C°, 1901. gr. in-8. IV—21 pp. (Vorläufige Ergebnisse der norwegi-
schen Volkszählung vom 3. XII. 1900. Herausgeg. vom norweg. statistischen Central-
bureau.)
Statistisk årbog for Kristiania by. Udgivet af kommunens statistiske kontor.
Fjortende årgang. (Statistisches Jahrbuch der Stadt Kristiania. Herausgeg. vom städti-
schen statistischen Bureau. Jahrg. XIV: 1899. Kristiania, Gundersens bog- & nodetrykkeri,
1901. gr. in-8. XII—172 pp.)
Serbien.
Crarucruka Kparesuue Cpôuie. XIV. Band. Beorpara (Belgrad) 1900. gr. in-4.
CHX—787 pp. mit 3 Kartogrammen und 17 Diagrammen. (Statistik der Kriminal-
gerichtspflege im Königreich Serbien für das Jahrfünft 1891—95.)
CraTucTuka Kparcpuue Cpôuie. XVI. Band. Beorpax (Belgrad) 1900. LXXV—
387 pp. Mit 15 Karto- und 3 Diagrammen. (Inhalt: Agrarstatistik des Königreichs
Serbien für das Jahr 1897, umfassend a, Statistik der Grundbesitzer bezw. der Bebauer
des Kulturlandes; b, Statistik des Viehbestandes; e, Anbau- und Ertragsstatistik der
unter Kultur stehenden Ländereien.)
Bulgarien.
Crarucrura sa OCHOBHHTĚ yuurnma BB KHSIKecTBo BrArapun npésB yuebuara
1898—99 romua, (Statistik des Primärunterrichts im Fürstentum Bulgarien im Schul-
jahre 1898/99. Sophia, Staatsdruckerei, 1900. 4. IV—193 SS. Veröffentlichung der
Direktion der bulgarischen Statistik.)
Pesyararu orb nmochuurb H peko.maTa BE KHAXCCTBO BrArapua upE3L 36M-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 441
aexb.rueckara 1898—99 roruna. Coua 1900. 4. 645 pp. (Agrarstatistik des Fürsten-
tums Bulgarien: Aussaat und Ernte 1898,99. Sophia, Staatsdruckerei, 645 SS. nebst
4 Kartogrammen. Veröffentlichung der Direktion der amtlichen bulgarischen Statistik.)
Amerika (Argentinien).
Anuario de la Dirección general de estadística correspondiente al año 1899.
Tomo II. Buenos Aires, Compañia Sud-Americana de billetes de banco, 1900. gr. in-8.
481 pp. (Indice: Proyecto de una nomenclatura internacional de las causas de muerte.
— Estadística policial de la capital, en 1899. — Laimmigraeiön y emigración de los últimos
43 anos.— El censo de la población de la República de México. — Las rentes nacionales
en el quinquenio 1895 à 1899. — Los impuestos internos. — Estadistica escolar. —
Estadistica de ferrocarriles. — Estadistica postal y telegräfica. — etc.)
Australien (Kolonie Süd-Australien).
Statistical register, 1899. Compiled from official records. 7 parts. Adelaide,
C. E. Bristow printed, 1900. Folio. (Contents: I. Population. — II. Vital statistics. —
HI. Production. — IV. Interchange. — V. Law, crime, ete. — VI. Revenue and ex-
penditure. — VII. Religious, educational, and charitable institutions.)
13. Verschiedenes.
Danziger, Fr. (Beuthen O/S.), Die Entstehung und Ursache der Taubstummheit.
Frankfurt a. M., Joh. Alt, 1900. gr. 8. 95 SS. mit 3 Tafeln. M. 4.—.
Dunker, C., Sollen wir in Berlin obligatorische kaufmännische Fortbildungs-
schulen einrichten? Berlin, Mittler & Sohn, 1901. gr. 8 61 SS. M. 1.—.
Ebstein, W. (GehMedR. u. o. ö. Prof. d. Mediz.), Die Medizin im Alten Testa-
ment. Stuttgart, F. Enke, 1901. gr. 8. 184 SS. M. 5.—.
Fischer, Hans R., Adalbert Falk, Preußens einstiger Kultusminister. Blätter
aus der Einsamkeit. Hamm i. W., E. Griebisch, 1901. gr. 8. 87 SS. mit Portr.
M. 1,25.
Hanschmann, A. Br., Friedrich Fröbel. Die Entwickelung seiner Erziehungs-
idee in seinem Leben. 3. bis auf die Neuzeit ergänzte Aufl. Dresden, Bleyl & Kaem-
merer, 1900. gr. 8 XX--535 SS. M. 4.—.
Juden, die, in Rußland. Urkunden und Zeugnisse russischer Behörden und
Autoritäten. Aus dem Russischen übersetzt von August Scholz. Berlin, Concordia,
deutsche Verlagsanstalt, 1900. gr. 8 XII—248 SS. M. 3.—.
Kaemmel, O. (Rektor des Nikolaigymnas., Leipzig), Der Kampf um das huma-
nistische Gymnasium. Aufsätze zur Reform des höheren Schulwesens. Leipzig, F. W.
Grunow, 1901. 8.
Keller, L. (GehStaatsarchivar, Berlin), Die deutschen Gesellschaften des 19. Jahr-
hunderts und die moralischen Wochenschriften. Ein Beitrag zur Geschichte des deut-
sehen Bildungswesens. Berlin, R. Gaertner, 1900. Lex.-8. 21 SS. M. 0,75.
Mirabeau in Berlin, als geheimer Agent der französischen Regierung 1786—
1787. Nach Originalberichten in den Staatsarchiven von Berlin und Paris. Herausgeg.
von H. Welschinger. Uebertragen und bearbeitet von O. Marschall v. Bieberstein.
Leipzig, H. Schmidt & C. Günther, 1900. gr. 8. VIII—487 SS. M. 7,50. (Inhalt:
Anmerkungen zu den verschiedenen bisherigen Ausgaben der „Geheimen Geschichte des
Berliner Hofes“ und zu diesen allein authentischen und mit dem Original übereinstim-
menden Ausgaben, — etc.
Möbius, P. J., Stachyologie. Weitere vermischte Aufsätze. Leipzig, Joh. A.
Barth, 1901. gr. 8 VI—219 SS. M. 4,80. (Aus dem Inhalt: Drei Gespräche über
Metaphysik. — Drei Gespräche über Religion. — Psychiatrie und Litteraturgeschichte.
— Ueber J. J. Rousseau’s Jugend. — Ueber das Studium der Talente. — Ueber die
Vererbung künstlerischer Talente. — Ueber einige Unterschiede der Geschlechter. —
Ueber den physiologischen Schwachsinn des Weibes. — Ueber Entartung. — Ueber
Mäßigkeit und Enthaltsamkeit. — ete.)
Möckel, R., Die Entwickelung des Volksschulwesens in der ehemaligen Diöcese
Zwickau während der Zeit von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Jahre 1835.
Leipzig, Fr. Brandstetter, 1900. gr. 8. 172 SS. M. 2.—.
Neureuther, K. (Generalmajor), Das erste Jahrhundert des topographischen
Bureaus des kgl. bayerischen Generalstabes. Kurzer Auszug aus dessen Entwickelungs-
449 Die periodische Presse des Auslandes.
geschichte als Festschrift zur Jubiläumsfeier. München, Th. Riedel, 1900. gr. 8. 50 88.
M. 2.—.
Philippson, Martin, Das Leben Kaiser Friedrichs III. Wiesbaden, J. F. Berg-
mann, 1900. gr. 8. VIII—431 SS. Mit dem Bildnis des Kaisers in Heliogravüre.
M. 7.—.
Seyler, E., Die Frau des XX. Jahrhunderts und ihre Krankheiten. Mit beson-
derer Berücksichtigung der Frage der „Frauenemanzipation‘ und der Berechtigung einer
„Frauenbewegung.“ Leipzig, O. Borggold, 1900. gr. 8. 234 SS. M. 4.—.
Steinmeyer, H. (Oberlehrer, Braunschw.), Der Oberlehrerstand und seine Lage.
Zusammenfassung und Ergänzung der bezüglichen Untersuchungen. Wolfenbüttel, Jul.
Zwissler, 1900. 8. IV—56 SS. M. 0,75.
Zieger, Br. (OLehrer a. der Oeff. Handelslehranst. zu Dresden), Litteratur über
das gesamte kaufmännische Unterrichtswesen sowie über die seit 1895 erschienenen Lehr-
bücher und Lehrmittel für kaufmännische Unterrichtsanstalten. Braunschweig, Verlag für
kaufmännisches Unterrichtswesen, 1900. gr. 8. VIII—58 SS. M. 1,80.
Zollitsch (Generalarzt im k. b. III. Armeekorps), Die geistigen Störungen in
ihren Beziehungen zu Militärdienstunbrauchbarkeit (bezw. Invalidität) und Zurechnungs-
fähigkeit. Würzburg, A. Stuber, 1901. 8. 28 SS. M. 0,60.
Muret, Maur., L’esprit juif, Essai de psychologie ethnique. Paris, Perrin & C",
1901. 8. fr. 3,50.
Spencer, S. H., Death and the future state. Germantown (Philadelphia), Sweden-
borg Publ. Association, 1900. 139 pp. 12., cloth. $ 0,30. (Teachings of Swedenborg
respecting death, resurrection, and the future state.)
Baccioni, G. B., La vigilanza igienica degli alimenti: note d’igiene e pratica
di bromatologia. Torino, fratelli Bocca, 1901. 12. 426 pp. 1. 4.—.
de Unamuno, M., De la enseñanza superior (öffentlicher Unterricht) en España.
Madrid, A. Marzo, 1900. 8. pes. 1,50.
Die periodische Presse des Auslandes.
A. Frankreich.
Bulletin du Ministère de l’agriculture. XIX” année, N° 5, Décembre 1900:
Rapport sur les résultats obtenus par l’organisation des tirs contre la grêle en Italie
pendant les années 1899 et 1900. — Etude sur la valeur agricole des terres de Mada-
gascar, par MM. A. Müntz et Eug. Rousseaux. — Production des alcools en 1899 et
1898. — Compte rendu de la foire aux jambons en 1900. — ete.
Bulletin de statistique et de législation comparée. XV: année, 1901, Janvier. —
A. France, colonies: Les ministres des finances depuis 1789.— Loi relative aux crédits
provisoires applicables à l'exercice 1901. — Les fabriques de sucre et leurs procédés de
fabrication, pendant les campagnes 1884/85 à 1899/1900. — L’impöt sur les opérations
de bourse (avec diagrammes). — Les revenus de l'Etat. — Le commerce extérieur, mois
de décembre 1900. — Le commerce extérieur en 1900 (résultats provisoires). — Les
achats et ventes de rentes effectués par l'intermédiaire des comptables du Trésor. —
Monnaies fabriquées en 1900 à la monnaie de Paris. — Produit de l'octroi de Paris. —
Les opérations de la caisse nationale d'épargne en 1899. — B. Pays étrangers: Angle-
terre: Le commerce extérieur du Royaume-Uni. Le cours de consolidés de 1875 à 1900.
— Autriche-Hongrie: Le budget autrichien pour 1901. — Belgique: Le commerce
extérieur. — Le budget des voies et moyens pour 1901. — Italie: Le budget de l’exer-
cice 1900—01. L’impöt sur les revenus de la richesse mobilière. Les chemins de fer
en 1898. — Russie: Le budget de l’Empire, pour 1901. — Etats Unis: Le commerce
extérieur. — République Argentine: Le projet de budget pour 1901. — etc.
Journal des Economistes. LX° année, 1901, Février: Sociétés secrètes et assu-
rances fraternelles aux Etats-Unis, par G. Nestler Trieoche. — Coup d'oeil sur la litté-
rature économique de l'Espagne, par F. Custelot. — Le mouvement agricole, par L.
Die periodische Presse des Auslandes. 443
Grandeau. — Revue des publications économiques en langue française, par Rouxel. —
William Petty et son oeuvre économique, par H. Bouët. — Giuseppe Verdi, par P. Ghio.
— Loi autorisant la ville de Paris à établir des taxes directes et indirectes en rempla-
cement des droits d'entrée sur les boissons hygièniques. — Société d'économie politique
(réunion du 5 février 1901): Nécrologie: M. Maur. Block. Discussion: Considérations
sur l'évaluation de la richesse publique en France. — Chronique. — etc.
Journal de la Société de statistique de Paris. XLIIiċme année, N° 2, Février
1901: Procès-verbal de la séance du 16 janvier 1901. — Note sur le crédit foncier
hypothécaire. — Etude sur les lois de la population et la loi de Malthus, par G. Cauderlier.
— Chronique trimestrielle des banques, changes et métaux précieux, par Pierre des
Essars. — etc.
Revue générale d'administration, XXIVième année, 1901, Janvier: Traité élé-
mentaire de droit administratif, par Berthélemy (prof. de droit administratif à Univers.
de Paris): Compte rendu par Maur. Le Gouix. — Le régime administratif du départe-
ment de la Seine et de la ville de Paris, par A. Lavallée (suite 1). — Jurisprudence.
— Chronique de l’administration française. — etc.
Revue d’économie politique. Année XV, 1901. N° 1, Janvier: Révolution moné-
taire du XVI: siècle, par E. Levasseur. — Les insectes sociaux et la société humaine,
par Ch. Emery. — La conciliation et l’arbitrage obligatoires en Nouvelle-Zélande, par
A. Métin. — L’essor économique du Japon d’après quelques publications récentes, par
G. Blondel. — Les prêts et les avances dans les banques modernes, par André E. Sayous.
— Chronique législative. — etc.
Revue politique et parlementaire, 8° année (tome XXVII) 1901, Février: Le
rapprochement des races latine et slave et l’Autriche-Hongrie. — La réforme de l’en-
seignement classique et moderne, par A. Fouillée. — Le congrès sacerdotal de Bourges
et l’église de France, par (l’abbé) Lemire. — Une enquête sur les marchés de marchan-
dise en France IV. Le commerce du café et les opérations de terme qu’il nécessite,
par E. Delivet. — Régime parlementaire et principe représentatif, par F. Moreau (prof.
à la faculté de droit d’Aix). [I" art.) — Ouvrages et brochures publiées à l’occasion
de l'Exposition de 1900. — etc.
Revue internationale de sociologie. 9° année, N° 1, Janvier 1901: La psycho-
logie inter-mentale. Discours lu, le 21 août 1900, à l’ouverture de la section de psycho-
logie sociale et criminelle, au Congrès international de psychologie, par G. Tarde. —
Du déterminisme et de la responsabilité sociologiques, par Raoul de la Grasserie. —
Société de sociologie de Paris, séance du 12 XII 1900: Paroles prononcées à la mémoire
de Louis Beaurin-Gressier, par Ad. Coste, E. Worms et G. Tarde. L’&thnographie dans
les sections russes de l'Exposition universelle de 1900, par Th. Volkov. — Mouvement
social: Italie: Les conditions sociales de l’Italie en rapport avec le developpement de
la sociologie, par Dante Veroni. — etc.
B. England.
Contemporary Review, the. January 1901: The chinese wolf and the european
lamb, by E. J. Dillon. — England and Russia, by J. Novicow. — Farmers villages.
— Dublin University and the Irish catholics, by John Pigot. — Cycles and motors in
1900, by Jos. Pennell. — Women on education authorities, by (Lady) Laura Ridding.
— The Scottish church and the Scottish people, by A. M. Fairbairn. — ete. — Fe-
bruary 1901: The influence of Europe on Asia, by Meredith Townsend. — Science
in agriculture, by (Sir) Edm. Verney. — Russia and the „open door, by a Russian
publicist. — Christianity and public life, by D. S. Cairns. — Co-operators, the State,
and the housing question, by G. Slater. — The savings bank deposits, by H. W.
Wolff. — etc.
Economie Review, the. Published quarterly for the Oxford University branch
of the Christian Social Union. Vol. X1, N°1, January 15, 1901: Progress, by the Lord
Bishop of Durham. — American currency difficulties in the XVIIIth century, by (Rev.)
W. Cunningham. — Some economic aspects of the sugar problem, by G. Mathieson. —
The inspection of women’s workshops in London: a study in factory legislation, by
(Miss) Amy Harrison. — Prosperity-sharing versus profit-sharing in relation to workshop
management, by W. H. Lever. — Trusts in America, by Th. Marburg. — An essay in
statistics, by E. T. Campagnac & C. E. B. Russell. — etc.
Journal of the Institute of Actuaries, N° 200, January 1901: Events and wants:
444 Die periodische Presse des Auslandes.
a presidential address, by Ch. Dan. Higham, — (Prof.) J. D. Everett on a new inter-
polation formula. — (Miss) M. Beeton and (Messrs) G. U. Yule and K. Pearson on
data for the problem of evolution in man V.: On the correlation between duration of
life and the number of offspring. — etc.
Nineteenth Century, the, and after. N° 288, February 1901: My ways and days
in Europe and in India, by (his Highness) the Maharajah Gaekwar of Barado. — The
economie outlook in the Transvaal, by A. B. Markham. — Sham versus real home
defence, by (colonel) L. Hale, — Our absurd system of punishing crime, by Rob.
Anderson (Assistant Commissioner of police of the metropolis). — A plea for the soul
of the Irish people, by G. Moore. — The higher grade board schools, by (Sir) Jos.
Fitch. — Official obstruction of electric progress, by (Prof.) J. A. Fleming. — The
question of the native races in South Africa, by John Macdonell. — etc.
Quarterly Review, the. N° 385, January 1901: British agrieulture during the
XIXth century (part I). — The first century of the East India Company. — Afghanistan
and the Amir. — The later years of Napoleon. — The settlement of South Africa:
1. Finance. 2. Agriculture, immigration, and irrigation. — The Nicaraguan Canal. — etc.
C. Oesterreich-Ungarn.
Deutsche Worte. Monatshefte hrgg. von Engelbert Pernerstorfer. Jahrg. XXI, 1901,
Heft 1, Januar: Die Entwickelung der französischen Gewerkschaften und der Entwurf
Millerand. Nach einem Vortrag, gehalten im sozialwissenschaftlichen Bildungsverein zu
Wien, von Rud. Herbst (Wien). — Die Fürsorge für Geisteskranke, von Max May
(Heidelberg). — ete.
Handelsmuseum, das. Herausgeg. vom k. k. Oesterreichischen Handelsmuseum.
Band XVI, N° 6 bis 9, Wien, 7.—28. II. 1901: Der internationale Kongreß für Wirt-
schafts- und Handelsgeographie in Paris (27.—31. VII. 1900), von (Prof.) R. Sieger
(Schluß). — Der Bergbau in der Türkei. — Das kommerzielle Unterrichtswesen auf dem
internationalen Kongreß für den technischen Unterricht in Paris 1900. — Die wirtschaft-
liche Lage der Capkolonie. — Die Zolltarifreform im Deutschen Reiche. — Die industrielle
Lage in Deutschland. — Der Handelsverkehr zwischen Oesterreich und Ungarn. —
Winke für den Export von Eisenwaren und Maschinen. — Der Handel mit Central-
afrika (I. Artikel). — etc.
Mitteilungen des k. k. Finanzministeriums. Jahrg. VII, Heft 1 (ausgegeben
Januar 1901): Hauptsächliche Ergebnisse der allgemeinen Erwerbsteuer in der Veran-
lagungsperiode 1898/99. Verfaßt von Jos. v. Friedenfels (k. k. Finanzrat) [538 SS.].
(Inhalt: A. Kontingentierte allgemeine Erwerbsteuer. B. Nicht kontingentierte allgemeine
Erwerbsteuer. C. Erwerbsteuer von Hausier- und Wandergewerben.)
Mitteilungen der k. k. Geographischen Gesellschaft in Wien. Bd. XLIII (Wien,
R. Lechner, 1900). [Inhalt: Die Industrie Britisch-Indiens. — Der Verkehr auf dem
Nyassa. — Die Landwirtschaft in Bosnien und der Hercegovina, von F. Heiderich. —
Goldreserven und Notenzirkulation. — Neue Vertragshäfen in China. — Sanitäre Zu-
stände in Havanna. — Ansiedelungen von Kolonisten in Tonkin. — Viehstand und
Fleischhandel der Ver. Staaten von Amerika 1898.99. — Tunis unter französischer Ver-
waltung, von E. Jung. — Der heutige Stand der Industrie in China. — etc.]
Soziale Rundschau. Herausgeg. vom arbeitsstatistischen Amte im k. k. Handels-
ministerium. Jahrg. II, 1901, Jännerheft: Lohnhöhe und Arbeitszeit: Gewinnbeteiligung
der Arbeiter in Gaswerken in England. Lohnschwankungen in Nordamerika in den
Jahren 1891—1900. Regelung der Arbeitszeit für Arbeiterinnen im Staate Nebraska.
— Arbeiterschutz: Französischer Gesetzentwurf über den Arbeitsvertrag der zu Waffen-
übungen einberufenen Reservisten. — Arbeiterorganisationen: Die englischen Gewerk-
vereine im Jahre 1899. — Das österreichische Tabakmonopol im Jahre 1899. — Sozial-
politik: Die Arbeitskammern in den Niederlanden und ihre Thätigkeit im Jahre 1899.
— Soziale Versicherung: Die hauptsächlichsten Ergebnisse der Krankenversicherung in
Oesterreich 1898. — Soziale Hygiene: Sanitäre und Sicherheitsmaßnahmen in gewerb-
lichen Betrieben Belgiens. Kommission für Industriehygiene in Frankreich. — Woh-
nungswesen. — Arbeitseinstellungen und Aussperrungen: Die Streikbewegung in Oester-
reich im Dezember 1900. Die Arbeitskonflikte im Bergbau Oesterreichs im IV. Quartal
1900. Die Streikbewegung in Oesterreich im Jahre 1900 u. im Jahre 1899. Die Streik-
bewegung in Belgien, England und Frankreich. Streits, Aussperrungen und Einigungs-
ämter in England 1899. — Arbeitsmarkt. — Arbeitsvermittelung: Ergebnisse der Ar-
Die periodische Presse des Auslandes. 445
beitsvermittelung in Oesterreich im Dezember 1900. Das neue Arbeitsvermittelungs-
institut in Budapest. — Verschiedenes: Zur Dienstbotenfrage in der österreichischen
Landwirtschaft. — Wirtschaftliche und soziale Verhältnisse in Linz. Sozialstatistisches
aus Italien. — etc.
Statistische Monatschrift. Herausgeg. von der k. k. statistischen Centralkom-
mission N. Folge, V. Jahrg., Heft 8 bis 12, August bis Dezember 1900: Die nächste
Volkszählung, von K. Th. v. Inama-Sternegg. — Die Zwangsversteigerungen von Liegen-
schaften im Jahre 1898, von J. Vinckler, — Ueber die Reform der Budgetierung und
Rechnungslegung für das Herzogtum Krain, von v. Cardona. — Der X. internationale
Kongreß für Hygiene und Demographie in Paris, 10.—17. VIII. 1900, von K. Th.
v. Inama-Sternegg. — Die internationale Kommission zur Revision der Nomenklatur
der Todesursachen in Paris 1900, von K. Th. v. Inama-Sternegg. — Die Ergebnisse des
Konkursverfahrens in Oesterreich im Jahre 1899. — Die Anwendbarkeit der Wahr-
scheinlichkeitslehre im Versicherungswesen. Eine Studie aus der mathematischen Statistik,
von Ernst Blaschke. — Bericht über die Thätigkeit des statistischen Seminars in den
anschließenden statistischen Uebungen an der Universität Wien im Wintersemester 1899 —
1900. — Oesterreichs Sparkassen im Jahre 1898, von H. Ehrenberger (III. Art.). —
Oesterreichs Bank- und Kreditinstitute im Jahre 1898, von H. Ehrenberger. — ete. —
Beilage zur Statistischen Monatschrift, N. F. Jahrg. V. (1900): Arbeitseinstellungen und
Aussperrungen, die, in Oesterreich während des Jahres 1899. Herausgeg. vom arbeits-
statistischen Amt im k. k. Handelsministerium, 125 SS.
E. Italien.
Giornale degli Economisti. Febbraio 1901: La situazione del mercato mone-
tario. — Sul prineipio economico, replica all’ articolo del (Prof.) Pareto, per B. Croce.
— Sul prineipio economico, per V. Pareto. — La riforma monetaria in Austria Ungheria,
per G. Crivellari. — La rinnovazione dei trattati di commercio e gli interessi della pro-
vineia di Bari, per A. Bertolini e A. Graciadei. — La teorica economica della munici-
palizzazione dei pubbliei serviei, per G. Montemartini. — Previdenza (i guadagni delle
casse di risparmio) per C. Bottoni. — Cronaca (premi alla marina e dazio sul grano,
per F. Papafava. — Rassegna delle riviste (francesi, inglesi, americane). — ete.
Rivista della beneficenza pubblica ete. Anno XXIX, N° 1, Gennaio 1901: I
grandi istituti di beneficenza in Torino. (Le opere pie di San Paolo e l’Educatorio
femminile duchessa Isabella.) — La refezione scolastica, per P. Donati. — La protezione
dell’ infanzia e i riformatori, per A. Bianchi. — Il Congresso di Bologna. (Gl’ impiegati
delle opere pie e l'imposta di ricchezza mobile.) — Cronaca. — ete.
Rivista italiana di sociologia. Anno IV, fasc. 6, Novembre-Dicembre 1900:
L’elemento morale nelle consuetudini a nelle leggi, per E. Westermarck. — Pace e
guerra nei premi omerici ed esiodèi, per E. Ciccotti. — Nuove ricerche sulla condizione
del marito nella famiglia primitiva, per G. Mazzarella. — Intorno alla concezione
realistica della psicologia sociale, per Resta de Robertis. — Rassegne analitiche: Storia
e sociologia, per G. Mondaini. — Rassegna delle pubblicazioni. — ete.
G. Holland.
de Economist. Lste jaargang, 1901. (’s Gravenhage) Februari: Een sociale
voordracht, door (Prof.) J. d’Aulnis de Bourouill. — Stoomvaart onder Nederlandsche
vlag, door J. B. R. — Rusland’s finantieele toestand, door G. M. Boissevain. — Econo-
mische kroniek: Holländische Finanzen; Holländisches Münzwesen ` Spiritusfabrikation
aus Melasse in Holland; Holländische Volks-, bezw. Arbeiterwohnungsprojekte, ete. —
Handelskroniek: Gesetzentwurf betreffend die Verstaatlichung der Ausbeute der Stein-
kohlengruben in Limburg. — ete. — Economische nalezingen en berichten: Kaffee-
produktion in Britisch-Indien. — ete,
H. Schweiz.
Monatsschrift für christliche Sozialreform. Begründet von weiland (Frh.) Karl
v. Vogelsang (Basel, Buchdruckerei des „Basler Volksblatt“). Jahrg. XXIII, 1901.
Heft 1 u. 2: Zur Beurteilung des persönlichen Eherechtes im Vorentwurf eines schweize-
rischen Civilgesetzbuches, von (Prof.) U. Lampert (Art. 1 u. 2). — Zur Frage der
Dispositionsfähigkeit, von (Up med.) K. Beck. — Wirtschaftliche Tagesfragen, von
Sempronius: Die Ethik in der Volkswirtschaft; das Manchestertum in der Sackgasse.
446 Die periodische Presse des Auslandes.
Die kumulativen Waisenkassen Oesterreichs ; ihre Geschichte und der neueste Kampf
gegen dieselben. Die Pfandbriefkrise in Deutschland. Wasserstraßen in Oesterreich.
Die Leistungsfähigkeit der amerikanischen Industrie. Die Wiener Terminhandelenquete.
— Sozialer Rückblick, von Walther v. Quarten. — Sozialpolitisches und Wirtschaftliches
aus der Schweiz, von A. Hüttenschwiller. — etc.
Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Halbmonatsschrift.
Jahrg. IX, 1901, Heft 1 und 2: Die Organisation der Schweizer Hötelangestellten, von
H. Bieder (Luzern). — Die Erwerbsfähigkeit schulpflichtiger Kinder in Deutschland.
Nach der Reichsaufnahme und anderen Quellen dargestellt von Henriette Fürth (Frankf.a. M.).
— Zur Frage der Arbeitslosenversicherung, von (Prof.) N. Reichesberg (Bern). — Die Sozial-
politik in der Schweiz im Jahre 1900, von (NationalR.) E. Hofmann (Frauenfeld). —
Soziale Chronik. — Miszellen: Sozialistische landwirtschaftliche Genossenschaften in
Belgien. — Aus dem Bericht der eidgenössischen Banknotenkontrolle. — etc.
M. Amerika.
Annals of the American Academy of political and social science. Vol. XVII,
n° 1, January 1901: Causes of the unpopularity of the foreigner in China, by (His
Excelleney) Wu Ting-fang. — The anthracite coal strike, by Frank Julian Warne. —
The election of 1900, by W. H. Allen. — State boards of control, with special refe-
rence to the experience of Wisconsin, by Sam. E. Sparling. — Communications: The
function of saving, by L. G. Bostedo. Local vs. State constabulary, by W. H. Allen.
— Personal notes. — etc. — Supplement to the Annals, January 1901: Massachusetts labor
legislation, an historical and critical study, by Sarah Scovill Whittelsey. With an intro-
duction by A. Twining Hadley (President of Yale University). [157 pp.]
Bulletin of the Department of Labor (Washington). N° 32, January, 1901:
Accidents to labor as regulated by law in the United States, by W. F. Willoughby. —
Prices of commodities and rates of wages in Manila. — The negroes of Sandy Spring,
Md. (a social study), by W. Taylor Thom. — The British Workmen’s Compensation
Act and its operation, by A. Maurice Low. — Digest of recent reports of State bureaus
of labor statistics: Kansas, Maryland, Michigan, Ohio, Tennessee. — Decisions of courts
affecting labor. — etc.
Journal, the, of Political Economy (Chicago). Vol. VIII, n° 4, December 1900:
The anthracite miners’ strike of 1900, by G. O. Virtue. — Shipping subsidies, by
Frank L. Mevey. — The distribution of money, by Ch. A. Conant. — The real oppor-
tunity of the so-called Anglo-Saxon race, by C. C. Closson. — Slavery in Germanie
Society during the middle ages, by Agnes M. Wergeland. — ete.
Journal of Social Science, containing the proceedings of the American Association.
N° XXXVIII, Decbr. 1900. (Washington papers of 1900.) Contents: A years progress
in education, by W. T. Harris. — False and true teaching in our schools concerning
alcohol, by (Prof.) W. O. Atwater. — Social changes in the United States in the half-
century, by F. B. Sanborn. — Social changes in New England in the past fifty years,
by Edw. W. Sanborn. — The Boers of South Africa in their social relations, by (Miss)
Flora J. White. — An ideal eurreney, by J. L. Greene, — The stability of the gold
standard, by E. Sherwood Meade. — Progress toward and ideal eurreney, by Marriott
Brosius. — etc,
Yale Review, the. A quarterly journal, ete. Vol. IX, n° 4, February 1901:
Comment: The Ship Subsidy Bill. Reactionary democracy. Fraternity among the socia-
lists. — Crises and their management, by Ch. A. Conant. — The entry of the United
States into world politics as one of the great powers, by Sim. E. Baldwin. — The
attitude of the United States toward an interoceanie canal, by Ira D. Travis. — Direct
taxes and the federal constitution, by Ch. J. Bullock (I. art... — Notes: The Minnesota
Primary Election Law. The census of Cuba. Industrial centralization in Sweden. The
Ibero-American Conference. — ete.
Die periodische Presse Deutschlands. 447
Die periodische Presse Deutschlands,
Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft.
Jahrg. XXXIV, 1901, N° 2: Wahlzwang durch Geldstrafe für unentschuldigte Wahl-
enthaltung, von Zimmermann (Braunschw.). — Verleger und Autor nach dem Verlags-
rechtsentwurf, von Mayer (Würzburg). — Zur Entwickelung des Etats für die Verwal-
tung der kais. deutschen Marine, von W. Thrün (Potsdam) [Forts.: Etat der preußi-
schen Marine bis zur Gründung des Norddeutschen Bundes.) — Die Todeserklärung Ver-
schollener nach dem B.G.B. von B. Lehmann (Eberswalde). [Forts.: 2. Abschnitt: Das
Recht der Todeserklärung nach dem B.G.B.] — Miszellen.
Archiv für Post und Telegraphie. Beiheft zum Amtsblatte des Reichspostamts.
Jahrg. 1901, N’ 3 bis 5, Februar—März: Das Hellesenpatenttrockenelement. — Das inter-
nationale Signalwesen der Schiffe. — Das Post- und Telegraphenwesen in Tunis. —
Afrikas handelspolitische Bedeutung. — Telegraphen- und Fernsprechwesen sowie Personal-
verhältnisse in Rußland. — Zur Geschichte des Postwesens in Braunschweig. — Gleich-
zeitiges Fernsprechen und Telegraphieren auf Fernsprechdoppelleitungen. — Die Kanal-
vorlage. — Dienstverhältnisse der Vorsteher der nichtärarischen Postämter in Oester-
reich. — Postsparkasse in Niederländisch-Indien. — Die Kautschukindustrie Boliviens.
— ete.
Beiträge zur Kolonialpolitik und Kolonialwirtschaft. Herausgeg. von der deut-
schen Kolonialgesellschaft (Berlin). Jahrg. II. 1900/1901, Heft 2—8: Die Beamten in
den Schutzgebieten, von B. v. König (Geh. LegationsR.). — Volk und Inseln der öst-
lichen Karolinengruppe, von (Kapitän) M. Prager. — Land- und Forstwirtschaftliches
aus Kiautschou, von E. Ewerlien. — Litteraturverzeichnis über die Philippinen, von
Maximil. Brose (Hauptmann a. DÄ [Art. I—III.] — Die Domanialpolitik des unab-
hängigen Kongostaates, von Ren& Vauthier. — Militär und Marine in den deutschen
Schutzgebieten, von B. v. König. — Statistik der fremden Bevölkerung in den deut-
schen Schutzgebieten, von R. Hermann (Art. I u. II). — Koloniale Studien, von A. A.
Brandt-Soerabaja. — Die Bagdadbahn und die deutschen Interessen in Kleinasien, von
Max Schlagintweit (Major a. D.). — Die Ackerböden Deutsch-Südwestafrikas, von (Prof.)
Th. Rehbock. — Die Finanzen der deutschen Schutzgebiete, von B. v. König (Art. I—
III). — Treibende Kräfte amerikanischer Kolonialpolitik, von K. Stroever (Chicago). —
Bizerta und die Phosphatlager von Thala, von (OLeutn.) Hübner). — Im Golf von
Guinea, von (Hauptm. a. D.) Hutter (Art. 1 u. 2). — Der Wollhandel des Jahres 1899,
von E. Hermann (Nantsas). — Neuseeland, von Mor. Schanz. — Ernste Betrachtungen
über die „Perle unserer Kolonien“, Kamerun, nach langjähriger eigener Erfahrung, von
E. v. Carnap-Quernheimb. — Gold in Erythrea, von (Hauptm.) K. v. Bruchhausen. —
Bericht über die französischen Kolonien auf der Weltausstellung 1900, von (Graf)
v. Zech. — Droht der deutschen Landwirtschaft aus einer zunehmenden Besiedelung
Südbrasiliens Gefahr, von Rob. Gernhard. — Handel und Verkehr in den deutschen
Schutzgebieten, von B. v. König.
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Jahrg. VI, N° 1, Januar 1901:
Die Ausschließung der nicht in die Patentanwaltsliste eingetragenen Personen von der
Vertretung vor dem Patentamte, von D. Damme. — Das Wesen des Patentschutzes und
sein Verhältnis zum Urheberrecht, von (JustizR.) Reuling (Berlin). — Die Denkschrift
der deutschen Komponisten über den Urheberrechtsentwurf, von Prof. H. Schuster. —
Erwiderung auf vorstehende Denkschrift von Fr. Rösch (Generalsekret. der Genossen-
schaft deutscher Komponisten). — etc.
Masius’ Rundschau. Blätter für Versicherungswissenschaft ete. N. Folge, Jahr-
gang XIII, 1901, Heft 2: Reichsversicherungsgesetz. — Das Privatversicherungsrecht.
— Amortisationsschuld und Lebensversicherung. — Selbstversicherung. — Die neuen
englischen Sterblichkeitstafeln. — Die amerikanischen Lebensversicherungsgesellschaften.
— Die Blitzgefahr. — ete.
Neue Zeit, die. Jahrg. XIX, I. Band (1900—1901). N" 14—20, 5. I.—16. II.
1901: Briefe von Fr. Engels über die französische Arbeiterpartei. — Klassenkampf und
Ethik. Eine Entgegnung von F. W. Foerster (Zürich). — Die Genossenschaftsbewegung
und der Sozialismus, von E. Anseele. — Die Ausstände in Frankreich, von H. Lagar-
delle. — Nochmals Klassenkampf und Ethik, von K. Kautsky. — Die sozialistische
448 Die periodische Presse Deutschlands.
Krise in Frankreich, von Rosa Luxemburg (Art. 1—IV). — Das Kommunalprogramm
für Schleswig-Holstein, Lübeck und Lauenburg, von Fanny Imle. — Die deutschen
Herbergen zur Heimat, von Hans Ostwald. — Die Aerztepraxis bei Rentenbegutach-
tungen, von Joh. Timm. — Gewerbliche Kinderarbeit in Deutschland. Nach den Er-
hebungen des Reichsamts des Innern besprochen von Henriette Fürth. — Die Reichs-
tagswahlen in Oesterreich, von Fr. Winter. — Die gegenwärtige Finanzlage Rußlands,
von Parvus. — Die Elektrizität in der Landwirtschaft, von K. Kautsky. — Die Handels-
politik und die Doktrin, von Parvus. — Das Millerandsche Streikgesetz. — Rückblick
auf die Landsagswahlen in Württemberg, von Klara Zetkin. — Probleme der jüdisch-
proletarischen Bewegung. — Die landwirtschaftlichen Einfuhrzölle, von Parvus. — Der
Konflikt in Leipzig, von Fritz Herbert (Stettin). — etc.
Preußische Jahrbücher. Band 103, Heft 2, Februar 1901: Alkohol oder Sport?
von Rob. Hessen (Mannheim). — Die juristische Natur des deutschen Kaisertums, von
W. Rosenberg (Staatsanw. in Straßburg i. E.). — Die Neustädter Sprachschule, von
Sebald Schwarz (Blankenese). — Politische Korrespondenz: Grundsätze deutscher Han-
delspolitik, von Hjalmar Schacht. — ete.
Zeitschrift für Kleinbahnen. Jahrg. VIII, Heft 2 u. 3, Februar u. März 1901:
Die Entwickelung der Kleinbahnen in Preußen. — Statistik der schmalspurigen Eisen-
bahnen für das Betriebsjahr 1898/99. Nach amtlichen Angaben bearbeitet von (OIngen.)
F. Zezula. — Die Kreiskleinbahnen im Kreise Jüterbog-Luckenwalde, von (BauR.) Techow
(mit Karte). — Ueber den internationalen Straßenbahnkongreß in Berlin 1900, von
(Civiling.) E. A. Ziffer. — Gesetzgebung. — Kleine Mitteilungen, ete.
Zeitschrift für Kulturgeschichte. Hrsgeg. von G. Steinhausen. Bd. VIII, Heft 2
u. 3 (1901): Kulturbilder aus der Zeit des untergehenden Roms, von (Pastor) H. Mauers-
berg (Rothenfelde). — Ein Jenaer Schützenfest im Jahre 1490, von Ernst Devrient
(Jena). — Kleine archivalische Beiträge zur Kenntnis der deutschen Agrarverhältnisse
im 16. u. 17. Jahrhundert. Artik. II, von Ed. Otto (Direktor in Offenbach a. M.) —
Apologetische Versuche in der Geschichtsschreibung der Hexenprozesse, von (GehR.
Prof.) Karl Binz (Bonn). — Ein bürgerlicher Haushalt im Jahre 1612, von C. Reichardt
(Wildungen). — ete.
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Herausgeg. von (Prof.) Julius Wolf (Breslau).
Jahrg. IV, 1901, Heft 2: Die Anfänge des Gewerbestandes, von Rich. Lasch (Horn). —
Die eheliche Fruchtbarkeit in Deutschland, von Fr. Prinzing (Ulm) (II. Artik.). — Der
Ursprung der sozialen Triebe, von O. Ammon (Karlsruhe). [Artik. II, Schluß.]— Anglo-
indische Produktionspolitik, von K. Mareiner (Wien). — Sozialpolitik: Stimmen zur
Reform der Krankenversicherung in Deutschland, von (StadtR.) H. v. Frankenberg
(Braunschweig). — Die österreichische Enquete über den börsenmäßigen Terminhandel
mit landwirtschaftlichen Produkten, von (HandelskammerR.) G. v. Weiß-Wellenstein
(Wien). — etc.
Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft. Herausgeg. von A. Schäffle.
Jahrg. LVIl, 1901, Heft 1: Bodenentschuldung und Verschuldungsgrenze, von Buchen-
berger. — „Der Kampf ums Dasein“ in der belebten Natur, insonderheit auch für den
Menschen, von H. Kolb. — Individuum und Gesellschaft am Ende des XIX. Jahr-
hunderts, in der Beleuchtung ungarischer Zustände, von Mich. Kisch. — Die Produktions-
theorie Ricardos und die ersten Aufgaben der theoretischen Volkswirtschaftslehre, von
G. Cassel. — Titelscheine nach dem Torrens’schen Systeme betr. das unbewegliche
Eigentum, von C. D. Carusso, — Zur Lehre vom steuerfreien Existenzminimum, von
J. Nothhardt. — Session, Prorogation, Adjournment und Dissolution des Parlaments.
Ihre Entstehungsgeschichte und Bedeutung im englischen Parlamentsrechte, von Jul.
Hatschek.
Frommaunsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena,
G. v. Below, Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 449
Nachdruck verboten.
VI
Der Untergang der mittelalterlichen
Stadtwirtschaft (über den Begriff der
Territorialwirtsehaft).
Von
G. v. Below.
Erster Teil.
Inhalt. Einleitung, S. 449. I. Die Beseitigung der Autonomie der Städte und der
Zünfte, S. 451. Il. Das Gästerecht, S. 457. III. Das Stapelrecht, S. 460. IV. Die Be-
herrschung des Landes durch die Stadt, S. 462. a) die Herrschaft des städtischen Hand-
werks, S. 465. b) die städtische Getreidehandelspolitik, S. 468.
Vor kurzem habe ich in der Historischen Zeitschrift !) mehrere
Theorien über die wirtschaftliche Entwickelung der Völker einer
Prüfung unterzogen und im Anschluß daran das Wesen der mittel-
alterlichen Stadtwirtschaft zu bestimmen gesucht. In beiden Be-
iiehungen bedürfen meine Ausführungen, wie ich am Schluß der-
selben schon bemerkt habe, der Ergänzung durch die Darstellung
derjenigen wirtschaftlichen Verhältnisse, welche die Stadtwirtschaft
abzelöst haben.
Die Forschung hat sich mit ‘diesem Problem bekanntlich schon
mehrfach beschäftigt.
Perthes spricht in den Erörterungen, die er ihm in seinem Buche
„Das deutsche Staatsleben vor der Revolution“ widmet 21. hauptsäch-
lich den Gedanken aus, daß die Landesherren, den einseitigen Stand-
punkt, den sie im Mittelalter eingenommen hatten, verlassend, seit
lessen Ende sich der Pflege von Handel und Handwerk zuwandten,
und daß damit die selbständige Stellung der Städte ihre Berechtigung
verlor. Nur nebenbei macht er eine übrigens nicht näher erläuterte
1) In der Abhandlung: „Ueber Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung der
Völker, mit besonderer Rücksicht auf die Stadtwirtschaft des deutschen Mittelalters.“
Histor. Ztschr., Bd. 86, S. 1 ff.
2) Vgl. meine Citate a. a. O. S. 2 ff. aus Perthes’ Schrift „Das deutsche Staats-
leben vor der Revolution“ (1845).
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 29
450 G. v. Below,
Bemerkung über eine Veränderung in den Strömungen des Handels
und des Handwerks.
In Schmollers 5) Darstellung steht gleichfalls der Wechsel in der
politischen Gewalt, welche die wirtschaftlichen Verhältnisse regelt,
durchaus im Vordergrund. Er läßt auf die Stadtwirtschaft des
Mittelalters die Territorialwirtschaft folgen, und zwar deshalb, weil
seit dem Beginn der Neuzeit die Landesherren die führende Rolle
in der Wirtschaftspolitik einnehmen. Allerdings setzt er als selbst-
verständlich voraus, daß mit dem Wechsel in der politischen Instanz
sich zugleich eine so große Umwandlung der allgemeinen wirtschaft-
lichen und sozialen Verhältnisse vollzogen hat, daß man im vollen
Sinne von einem Zeitalter der Territorialwirtschaft sprechen darf).
Nach Bücher) folgt auf die Stadtwirtschaft die Volkswirtschaft.
Ihre Ausbildung „ist im wesentlichen eine Frucht der politischen
Centralisation, welche an der Wende des Mittelalters mit der Ent-
stehung territorialer Staatsgebilde beginnt und in der Gegenwart mit
der Schöpfung des nationalen Einheitsstaates ihren Abschluß findet“.
In Deutschland wiegen freilich in den ersten Jahrhunderten „die
landschaftlichen Interessen“ vor, während die westeuropäischen
Staaten seit dem 16. Jahrhundert schon als einheitliche Wirtschafts-
gebiete hervortreten. Es bildet sich jetzt „ein überaus kompliziertes
und kunstvolles System nationaler Bedürfnisbefriedigung*. „Die
Durchführung dieses Systems ist vom 16. bis 18. Jahrhundert das
Ziel der Wirtschaftspolitik aller vorgeschrittenen Staaten. Die Maß-
regeln, welche zur Erreichung des Zieles angewendet wurden, sind
fast in allen Einzelheiten der städtischen Wirtschaftspolitik des
Mittelalters nachgebildet.“
Die nächste Folge der neuen Bestrebungen war ein bedeutender
Aufschwung des Handels; weiterhin wurde das Handelskapital zum
Verlagskapital für die Industrie. „Es entsteht die arbeitsteilige
Massenproduktion in Manufakturen und Fabriken und mit ihnen der
Lohnarbeiterstand.* Indessen blieb „bis gegen Ende des vorigen
[18.] Jahrhunderts die alte stadtwirtschaftliche Organisation mit ihren
Zunft- und Bannrechten, mit der scharfen Trennung von Stadt und
Land erhalten, wenn auch vielfach’ durch die Landesgesetzgebung be-
schränkt — unbekümmert um das neue volkswirtschaftliche Leben,
das ringsum aufsproßte, und um die Fülle neuer Verkehrser-
scheinungen, die es gezeitigt hatte.“
3) Schmoller, Das Merkantilsystem in seiner historischen Bedeutung. Jahrbuch für
Gesetzgebung, 1884, wiederabgedruckt: Umrisse und Untersuchungen S. 1 ff. Vgl. dazu
meine angeführte Abhandlung S, 4 ff. — Ueber die wichtigen Arbeiten der Vorläufer
Schmoller’s s. a. a. O., S. 8, Anm. 2 und meinen Aufsatz „Die städtische Ver-
waltung des Mittelalters als Vorbild der späteren Territorialverwaltung“. H. Z. 75, S.
396 ff.
3a) Schmoller giebt selbst zu, daß viel Altes erhalten bleibt. Er hat aber offenbar
die Meinung, daß so viel Neues eintritt, daß er von einer neuen Wirtschaftsstufe sprechen
zu dürfen glaubt.
4) Entstehung der Volkswirtschaft (2. Aufl.), S. 108 f., 110, 112 f., 151. Vgl.
meine angeführte Abhandlung S. 7 ff.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 451
Schmoller läßt also auf die Stadtwirtschaft die Territorialwirt-
schaft, Bücher die Volkswirtschaft folgen. Dieser gesteht aber ein,
daß in Deutschland nach Schluß des Mittelalters „noch Jahrhunderte
lang die landschaftlichen Interessen vorwiegen“, ein einheitliches
Wirtschaftsgebiet einstweilen nicht vorhanden ist. Mit diesem Urteil
kommt er Schmoller wieder sehr nahe: nur daß er sich mit größerer
Vorsicht äußert und es namentlich vermeidet, eine besondere wirt-
schaftliche Periode für die Zeit jener „landschaftlichen Interessen“
anzunehmen.
I. Die Beseitigung der Autonomie der Städte
und der Zünfte.
Es ist nun ganz unbestreitbar, daß die selbständige Stellung, die
die einzelnen Gemeinden im Mittelalter in höherem oder geringerem
Grade eingenommen hatten, seit seinem Ausgang mehr und mehr zu
Gunsten der territorialen (sewalten beseitigt wird. Uns interessieren
hier nur die Städte. Aber auch in die Verhältnisse der Landge-
meinden griffen die Territorialherren in steigendem Maße ein. In
allen Beziehungen suchen sie die Leitung zu gewinnen. Insbesondere
auch in der Wirtschaftspolitik werden, wie im Mittelalter die Städte,
so in der Zeit vom 16. bis in das 19. Jahrhundert mehr und mehr
die Landesherren die thätigste und erfolgreichste Macht.
Diese Thätigkeit der Landesherren tritt nicht unvermittelt hervor.
Im «deutschen Mittelalter war die städtische Autonomie ja kaum
irgendwo eine vollständige: in den meisten Städten hielt man eine
Mitwirkung des Stadtherrn für notwendig; sie variierte in unendlich
vielen Abstufungen: oft nur formeller Natur, hatte sie andererseits
oft auch materielle Bedeutung. In der Regel freilich handelt der
Stadtherr des Mittelalters, wenn er die Verhältnisse einer Stadt
ordnet, eben nur als Herr dieser einen Gemeinde). Sehr wenig
Beispiele finden sich, daß er die Absicht hat, die sämtlichen Städte
seines Territoriums nach übereinstimmenden Grundsätzen und vor-
bedachtem Plane zu regieren 5). Wohl kommt es häufig vor, daß er
bei der Gründung einer neuen Stadt das Recht einer älteren Ge-
meinde seines Landes kopiert oder mit erkennbarer Absicht ver-
mindert. Indessen wir haben es dabei im allgemeinen doch bloß
mit Entscheidungen von Fall zu Fall zu thun. Namentlich auch die
Entschließungen der Stadtherren bezüglich der wirtschaftlichen Ver-
hältnisse sind Handlungen, die einzeln für sich stehen. Ueberdies
4a) Vgl. Histor. Ztschr., Bd. 75, S. 445.
5) Unter den Fürsten, die über das mittelalterliche System hinausgehen, sind
namentlich Kaiser Karl IV. (für seine Erblande) und Herzog Rudolf IV. von Oesterreich
zu nennen. Ich will übrigens nicht unterlassen hervorzuheben, daß die Kürze, in der
die im Text gegebenen Sätze formuliert werden mußten, der Vielgestaltigkeit des histo-
rischen Lebens nicht ganz Rechnung tragen kann. Wir werden in unserer Abhandlung
Gelegenheit haben, darauf hinzuweisen, daß vereinzelt eine territoriale Wirtschaftspolitik
schon im Mittelalter vorhanden ist. Vgl. auch die S. 449 Anm. 1 erwähnte Abhand-
lung S. 52, Anm. 2. z
29*
452 G. v. Below,
folgt ihre Politik gerade auf diesem Gebiete regelmäßig den An-
regungen, die die Bürgerschaft giebt: ihre Urkunden sind gemeinhin
Bestätigungen städtischer Wünsche oder der Wünsche einer städtischen
Partei. Immerhin sind jene mittelalterlichen Aeußerungen einer
städtischen Politik der Landesherren bemerkenswert als Vorstufe ihrer
späteren weitergreifenden Thätigkeit.
Aus dem Mittelalter verdienen ferner in derselben Richtung Be-
mühungen von Städtegruppen, sich zu einem größeren Ganzen zu-
sammenzuschließen, Beachtung. Bei ihnen finden wir schon mehr
Tendenz auf innere Verbindung der verschiedenen Städte, als bei der
mittelalterlichen Politik der Landesherren, obwohl man ihre Einheits-
bestrebungen nicht überschätzen darf. Wir werden ihren Charakter
im einzelnen noch kennen lernen. (Gemeinsam ist der Politik dieser
Städtegruppen — die größte ist die der Hanse — mit der (der
Landesherren, daß sie sich nur über landschaftlich begrenzte Gebiete
erstreckt, nie über den ganzen Umfang des Deutschen Reiches.
Die Thätigkeit der Landesherren der Neuzeit tritt also nicht
unvermittelt hervor, sondern hat im Mittelalter schon einige Analo-
gien. Es wird nun unsere Aufgabe sein, die neue landesherrliche
Politik in ihren Bestandteilen genauer zu beschreiben.
Vor allem fällt ins Auge, daß die Landesherren danach streben,
die allgemeine politische Gewalt über die Städte zu erhalten. Aller-
dings müssen wir bereits hier die Einschränkung machen, daß die
Zeit der Städtefreiheit noch bis ins 16. Jahrhundert hineinreicht, daß
die Städte jetzt teilweise sogar neue Rechte erwerben, daß den vollen
Verlust der Selbständigkeit erst das 17. Jahrhundert gebracht hat).
Wir dürfen mithin nur von einem allmählich sich vollziehenden
Wechsel in der herrschenden Gewalt sprechen.
Es ist hiernach klar, daß auch für die inneren Verhältnisse der
Städte nicht sofort eine Zeit durchgreifender Regelung durch die
landesherrliche Gewalt begonnen haben kann. Die Verfassung einer
mittelalterlichen Stadt hat, abgesehen von ihrem Verhältnis zum Landes-
herrn, ihr vornehmstes Kennzeichen in der größeren oder geringeren
Bedeutung, welche den Zünften zukommt. Ein Teil der Gemeinden
hält sie dauernd nieder oder drängt sie nach vorübergehenden Er-
folgen in die alte bescheidene Stellung wieder zurück’). In einem
6) Auf diese Thatsachen habe ich schon in der Historischen Zeitschrift 75, S. 407
und 411 und in meinem „Aelteren deutschen Städtewesen und Bürgertum“ S. 9, 17 f.
und 20 hingewiesen.
7) Gegenüber der verbreiteten Anschauung, daß es im alten Nürnberg keine
Zünfte gegeben habe, mag an dieser Stelle auf den überzeugenden Nachweis von Eulen-
burg hingewiesen werden, daß nur politische Zünfte gefehlt haben, während die Hand-
werker, unter starker obrigkeitlicher Beaufsichtigung, eine durchaus zünftlerische Ge-
werbeverfassung — mit Monopolisierung des Marktes und sogar mit „Sperrung“ der
Handwerke — im wirtschaftlichen Sinne hatten. S. Eulenburg’s Kritik von Schönlank’s
„Soziale Kämpfe vor dreihundert Jahren“, Ztschr. f. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte,
Bd. 4, S. 136 ff. Es ist hier daran zu erinnern, daß, wie z. B. auch Schäfer, Die
Hansestädte und König Waldemar S. 240 hervorhebt, das Wort Zunft oft (nicht immer!)
mehr von politischer als gewerblicher Bedeutung ist. Die von Eulenburg festgestellte
Thatsache ist wichtig für die Bestimmung des allgemeinen Wesens der Zunft (vergl.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 453
anderen Teil üben die Zünfte die Herrschaft oder wenigstens nam-
haften Einfluß aus "ai, Diese ihre selbständige Stellung ist beim
Beginn der Neuzeit in manchen Orten zugleich mit der allgemeinen
Autonomie der Stadt beseitigt, in anderen dem Stadtmagistrat ge-
opfert worden: in manchen hat andererseits der Rückgang jener
Autonomie vorerst keine erhebliche Wirkung auf die Freiheit der
Zünfte gehabt. Jedenfalls sah das 16. Jahrhundert, welches auch
die Lage des Stadtmagistrats im einzelnen war, noch recht viel von
der alten Macht der Handwerke.
Es liegt auf der Hand, daß, solange und soweit die äußere Hand-
werksverfassung lebendig blieb, an eine Aenderung der Grundlagen
der mittelalterlichen Gewerbeverfassung durch die Landesherren von
vornherein nicht gedacht werden kann. Da aber die Autonomie der
Städte und der Zünfte an sehr vielen Orten, oft über ganze Terri-
torien hin mehr oder weniger beseitigt war und weiter beseitigt
wurde, so bot sich immerhin für eine landesherrliche Gewerbepolizei
ein großes freies Feld.
Die Landesherren haben denn auch in das Gewerbewesen ihrer
Territorien ordnend eingegriffen. Es geschieht in verschiedener Weise °).
Entweder erlassen die Landesherren besondere Gewerbeordnungen,
teils für sämtliche, teils für einzelne Gewerbe des Landes, teils unter
Beibehaltung (so in der Regel), teils unter Aufhebung der lokalen
Zünfte. Oder sie regeln das Gewerbewesen in ihren großen Polizei-
ordnungen. Oder sie verzichten wohl darauf, allgemeine Ordnungen
zu erlassen, richten sich aber doch in den den einzelnen Städten
oder Zünften erteilten Urkunden nach mehr oder weniger überein-
stimmenden Grundsätzen oder verstärken wenigstens den staatlichen
Einfluß in der einzelnen Stadt. Allerdings muß man sich die vorhin
konstatierte Thatsache gegenwärtig halten, daß für manche Städte
im 16. Jahrhundert eine solche Thätiekeit der Landesherren noch
nicht in Betracht kommt. Es ist ferner zu berücksichtigen, daß die
von den territorialen Regierungen erlassenen gewerbepolizeilichen
Bestimmungen vorerst keineswegs den ganzen gewerberechtlichen
Stoff erschöpfen. Vieles lassen sie unerledigt, so daß für dieses das
alte Recht, d. h. das lokale Zunftrecht, und demgemäß auch die
alten Statuten in Geltung bleiben. Schmoller selbst räumt für Branden-
burg enn: „Die Mehrzahl der Innungsstatuten bleibt in dieser Zeit
(dem 16. Jahrhundert) noch unberührt von außerstädtischem Einfluß,
Histor. Ztschr., Bd. 58, S. 225 ff.) und der Verbreitung des Zunftzwanges, ferner für
die Erkenntnis der Ursachen, bez. der Zwecke der im Mittelalter vorkommenden Zunft-
auflösungen.
7a) Es ist nicht möglich, die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen hier in einem
allgemeinen Satz zusammenzufassen. Gelegentlich fällt die Etablierung der Zunftherr-
schaft in der Stadtverfassung und -verwaltung mit einer Einschränkung der Autonomie
ger einzelnen Zünfte zusammen. Vergl. Geering, Handel und Industrie der Stadt Basel,
8) Vergl. meine Ausführungen in der Histor. Ztschr., Bd. 75, S. 443.
9) In seiner Abhandlung: Das brandenburgisch-preußische Innungswesen von 1640
bis 1800, Umrisse und Untersuchungen, S. 346.
454 G. v. Below,
wird vom Fürsten nicht regelmäßig bestätigt.‘ Und er hebt für das-
selbe Land hervor 1), daß bis zum Jahre 1713 die zunehmende Zahl
der Innungsprivilegien von den Zünften entworfen, von den städti-
schen Räten nicht entsprechend geprüft und geändert, von der Lehns-
kanzlei bis in die späteren Jahre des großen Kurfürsten kritiklos
gegen ihre Gebühren genehmigt worden seien, daß auch bis zu den
Anfängen der Regierung Friedrich Wilhelms I. in der Regel das
Hergebrachte und der Wunsch der einzelnen Zünfte gesiegt habe.
Es sind dies Sätze, die, wie wir sogleich hier bemerken wollen, die
Wahl des Ausdrucks Territorialwirtschaft für dieses Zeitalter nicht
gerade empfehlen. Brandenburg kann freilich kaum als Typus gelten;
in anderen Territorien war die landesherrliche Gewerbepolitik leben-
digerer Natur. Unter den erwähnten Einschränkungen darf man von
einer Tendenz der Landesherren sprechen, ihr Territorium als eine
Einheit in gewerblicher Beziehung anzusehen.
In gewissem Sinne haben die territorialen Ordnungen Vorläufer
gehabt, die nichts mit einer Thätigkeit gerade der Landesherren zu
thun haben. Wir haben hier Verbände zu erwähnen, deren Grenzen
nicht oder nur zufällig mit denen von Territorien zusammenfallen.
Am Ende des Mittelalters finden wir, daß vorhandene Städtebünde
die Ordnung gewerblicher Verhältnisse für den Umfang ihres Vereins
in die Hand nehmen, oder auch, daß mehrere Städte für diesen
speciellen Zweck zusammentreten. Der umfassendste dieser Bünde
ist die Hanse !!). Häufiger als sie als Ganzes beschäftigen sich Gruppen
hansischer Städte, wie die wendischen !?), mit der Regelung gewerb-
licher Verhältnisse. Auch dem übrigen Deutschland sind solche
Vereinbarungen nicht fremd 191. Neben den Städten setzen sich vielfach
die Handwerker selbst das gleiche Ziel. Es vereinigen sich z. B. die
Armbruster verschiedener rheinischer Städte im Jahre 144814), die
Weber von Straßburg, Hagenau und Zabern schon am Ende des
14. Jahrhunderts ©): in den wendischen Städten wechseln Beschlüsse
der Magistrate und der Zünfte miteinander ab ig, Solche Verein-
barungen, der Städte wie der Handwerker, sind auch noch nach Schluß
10) Ebenda, S. 347.
11) Ueber Beschlüsse der Hanse, die in dieser Hinsicht in Betracht kommen, vgl.
z. B. W. Stein, Beiträge zur Geschichte der deutschen Hanse bis um die Mitte des
15. Jahrhunderts, S. 113 ff.
12) Litteratur hierüber neuerdings bei Dragendorff, Hansische Geschichtsblätter, 1899,
S. 190. Vergl. auch Techen, ebenda, 1897, S. 38, 40, 76.
13) Vergl. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1, S.500 ff. über
das Gebiet der Rappenmünze. An dieser Vereinigung waren übrigens auch Landes-
herren beteiligt. Ihre Ziele sind aber die städtischen (Verbot des Vorkaufs u. s. w.).
14) Histor. Ztschr. 68, S. 346.
15) Schmoller, Die Straßburger Tucher- und Weberzunft S. 13, No. 15; Urkunden-
buch der Stadt Straßburg, Bd. 6, S. 308, No. 588 (vom Jahre 1390): Vertrag der Weber
von Straßburg, Hagenau, Zabern und Oberehenheim.
16) S. Anm. 12. Ueber Vereinbarungen der Handwerker (Bäcker, Messerer) öster-
reichischer Städte im 15. Jahrh. s. Eulenburg, Ztschr. für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
Bd. 2, S. 64. Stadtrecht von Baden, hrsg. von Welti, S. 83 (1421) und S. 111 (1466).
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc, 455
des Mittelalters getroffen worden +"). — Die Verbindungen der Hand-
werker sind übrigens sehr verschiedener Art. Wir haben hier zu-
nächst Vereinbarungen der Zünfte desselben Gewerbes aus mehreren
Städten im Auge. Indem sie zusammentreten, begründen sie keines-
wegs immer sogleich einen neuen formellen Verband; sie fassen oft
nur Beschlüsse über einzelne Fragen aus ihrem Gewerbe. Eine
andere Art besteht in dem Zusammenschluß von Handwerkern, die
an ihrem Wohnort keine Zunft bilden, zu einem landschaftlichen
Verband, bezw. in dem Anschluß von solchen an eine in einer Stadt
vorhandene Zunft. Auch damit ist die Mannigfaltigkeit der Fälle
noch nicht erschöpft. Wir haben ferner zu berücksichtigen, daß, was
teilweise aus dem (resagten schon hervorgeht, die Entstehung land-
schaftlicher Verbände sich nicht immer durch das Aufsteigen von
lokaler zu landschaftlicher Organisation erklärt; mitunter ist eine
lokale gar nicht vorhergegangen: es hing etwa mit der Natur des
betreffenden Gewerbes zusammen, daß diejenigen, die es betrieben,
nicht an einen einzelnen Ort gebunden waren !®). Ich hebe diese
Unterschiede hervor, um zu betonen, daß man nicht alle diese ge-
werblichen Vereinigungen !?) mit den durch die landesherrliche Politik
geschaffenen Gemeinschaften in Parallele setzen darf. Andererseits
17) Vergl. z. B. Baasch, Beiträge zur Geschichte des deutschen Seeschiffsbaues,
S. 198: 1589 sucht die Stadt Danzig sich mit Königsberg und Elbing ins Einvernehmen
zu setzen hinsichtlich der Arbeitsverhältnisse der Schiffszimmerleute. Schmoller, Um-
risse und Untersuchungen, S. 333.
18) Hierher gehören die Bruderschaften der Pfeiffer und Spielleute, ferner der
Keßler. Vergl. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1, S. 408 f.;
Schmoller, S. 330 und 334; Stadtrecht von Baden, S. 120 ff. Ganz fehlte hier freilich
eine lokale Organisation nicht. S. das Stadtrecht von Brugg, hrsg. von W. Merz,
S. 38 und 70.
19) Ueber „Hauptladen“ und „Landinnungen‘“ neuerdings reichhaltige Nachrichten
bei Max Flemming, Die Dresdner Innungen von ihrer Entstehung bis zum Ausgang des
17. Jahrhunderts, Mitteilungen des Vereins für Geschichte Dresdens, 12.—14. Heft
(Dresden 1896). S. ferner Gothein a. a. O., S. 445 und 447; Schmoller, Umrisse und
Untersuchungen, S. 330 ff. und 409. Ueber die Steinmetzenverbände s. Histor. Ztschr. 75,
S. 442; Schmoller, S. 332; Eulenburg a. a. O., S. 64. Krumbholtz, Die Gewerbe der
Stadt Münster bis zum Jahre 1661 (Publikationen aus d. kgl. preußischen Staats-
archiven, Bd. 70), Einl. S. 211 ff. zählt als „interlokale“ genossenschaftliche Organi-
sationen außer der der Kupferschmiede auch die der hausierenden Krämer (mit dem
Hansgrafenamt) auf. — Höhlbaum, Histor. Ztschr. 83, S. 491 ff. hat Krumbholtz’
Publikation einer sehr abfälligen Kritik unterworfen. Es liegt hier keine Veranlassung
vor, im einzelnen zu seinen Aeußerungen Stellung zu nehmen (vgl. dazu R. Koser,
Mitteilungen der kgl. preuß. Archivverwaltung 1, S.10 Anm. 1 und Meinecke, Histor.
Ztschr. 84, S. 528). Aber entschiedenen Widerspruch müssen wir gerade im Zusammen-
hang mit den an dieser Stelle gegebenen Erörterungen gegen die Grundanschauung,
von der Höhlbaum’s Kritik ausgeht, einlegen. Er behauptet nämlich (S. 492), daß die
Zeit des „16. und 17. Jahrhunderts (soweit es sich um die städtische Gewerbegeschichte
handelt) die wissenschaftliche Forschung nur in geringem Maße beschäftigen kann, weil
sie nur von Stillstand und Absterben, nicht mehr von lebendiger Entwickelung redet‘.
Erstens ist der Ausdruck „nur Stillstand und Absterben‘“ eine sehr starke Uebertrei-
bung. Namentlich das 16. Jahrhundert zeigt noch viel Blüte und Leben, wie ich es
oben schon angedeutet habe. Zweitens sind die Dokumente des 16. und 17. Jahr-
hunderts, von jener Frage abgesehen, für den Forscher unentbehrlich für die Rekon-
struktion der mittelalterlichen Verhältnisse, für die uns nicht ganz ausreichende Quellen-
zeugnisse zur Verfügung stehen (vergl. zu dieser methodischen Frage meinen Ursprung
der deutschen Stadtverfassung, S. 4 ff.). Drittens haben wir in den Dokumenten über
456 G. v. Below,
ist es freilich mitunter auch schwer, eine scharfe Linie zwischen den
Produkten der landesherrlichen Politik und dem, was aus mehr oder
weniger freiem Belieben der Städte und der gewerblichen Kreise
hervorging, zu ziehen. Doch hiermit gelangen wir von den Formen
zu dem Inhalt der landesherrlichen Politik.
Schon der Ueberblick über die Formen der landesherrlichen
Gewerbepolitik hat erkennen lassen, daß ihr Inhalt in den einzelnen
Territorien verschieden war. Als Pole einer langen Reihe mannig-
faltiger Systeme — wenn der Ausdruck System nicht zu viel besagt —
können im 16. Jahrhundert die brandenburgische und die österreichi-
sche Gewerbepolitik gelten. Die brandenburgische 291 ist von sehr
bescheidener Art. Die österreichische, repräsentiert durch die Hand-
werkerordnung König Ferdinands vom Jahre 1527 ?!), nimmt einen
kühneren Anlauf. Doch beschränkt sie sich im wesentlichen auf die
Beseitigung aller Autonomie der Zünfte und zwar nicht sowohl zu
Gunsten der landesherrlichen Regierung als vielmehr der Stadt-
magistrate: die mittelalterliche Handwerksverfassung in wirtschaft-
lichem Sinne wird in ihrem Kern von ihr kaum getroffen. Ueberdies
haben die Neuerungen von 1527, soweit sie überhaupt praktisch
geworden sind, keinen langen Bestand gehabt: noch im 16. Jahr-
hundert kehrt man in der Hauptsache zu den alten Einrichtungen
zurück 291. Bemerkenswert sind aus dieser Zeit ferner die Maßnahmen
der württembergischen Regierung, namentlich durch die Begründung
von Landeszünften 291. Hier und da konnten die Landesherren bei
einer solchen Maßregel die Verbindungen benutzen, welche die Städte
oder Handwerker von sich aus geschlossen hatten, falls nämlich deren
Grenzen mit «denen des Territoriums zusammenfielen. Meistens je-
doch waren dieselben für jene unverwertbar. Oft setzt sich die
Regierung in direkten Gegensatz gegen sie. Gelegentlich bewilligt
sie Landeszünfte mit aus dem Gesichtspunkt, damit das Land, welches
ein Handwerk ans Ausland knüpfte, zerschnitten werden sollte ?{).
Jedoch nicht überall konnten oder wollten die Landesherren die alten
Verbindungen der Städte und Handwerker sogleich beseitigen *).
das alte Handwerk, mag es nun im „Absterben‘ begriffen sein oder nicht, nach etwaigen
neuen Erscheinungen zu suchen.
20) Schmoller, Umrisse, S. 345 f.
21) Eulenburg, Zischr. für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 2, S 91 Anm. 269
erklärt sich mit Recht gegen Schmoller, welcher in den Forschungen zur branden-
burgischen und preußischen Geschichte 1, S. 81 die Handwerkerordnung Ferdinands
zu gering taxiert und sie mit der Breslauer Maßregel von 1420 unmittelbar zusammen-
gestellt hatte. Eulenburg selbst fällt jedoch nach der anderen Seite hin, hinsichtlich
der Befreiung des Handwerks, manche Urteile, die meines Erachtens zu weit gehen.
Scholler, Umrisse, S. 345 Anm. 3 antwortet auf Eulenburg’s Ausführungen. Vergl.
Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 42.
22) Summarisch (nach Eulenburg) hierüber Wäntig, Gewerbliche Mittelstandspolitik,
8.9.
23) Schmoller, Umrisse S. 15 und 335.
24) Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes 1, S. 445.
25) Die Thätigkeit der Landesherren mußte sich noch bis ins 18. Jahrhundert in
der ungedeuteten Richtung bewegen. Vgl. Gothein S$. 447 über den Reichsschluß
von 1741.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 457
In diesen Beziehungen haben wir es mit der äußeren Gestaltung
der Dinge zu thun. Indem wir uns dazu wenden festzustellen, wie-
viel sich von dem Wesen der Stadtwirtschaft über das Mittelalter
hinaus erhielt, richten wir unser Augenmerk zunächst auf die Mittel,
durch die die Städte das stadtwirtschaftliche System durchgesetzt
und verteidigt hatten *).
II. Das Gästerecht.
Betretfs des Gästerechts begegnen wir am Ausgang des Mittel-
alters hier und da Neuerungen. Im Jahre 1426 sagt Herzog Albrecht
von Oesterreich in einer Urkunde 2: „Etliche Zeit her haben die
Gäste den Gewandschnitt (gwant mit der ellen zu verkaufen‘) auf
den Jahrmärkten in Städten und anderswo in unserm Land geübt,
wodurch unsern Kaufleuten und Einwohnern unseres Landes Oester-
reich großer Schaden erwachsen ist, ‘wan damit die gest den gewin,
der davon kömbt, aus dem lant zu irem nutz füren, des die unsern,
die mit uns und dem land leiden müssen, entberen. Fortan soll
kein Gast im Lande Oesterreich Gewand mit der Elle verschneiden
und verkaufen.“ In diesen Worten wird das Territorium ebenso als
eine Einheit den Fremden (Gästen) gegenübergestellt, wie bisher die
Stadt. Der Grundsatz der Abschließung wird von der Stadt auf das
Territorium übertragen. Jene Urkunde ist sehr lehrreich, insofern
sie die Nachahmung der städtischen Verwaltung des Mittelalters durch
die spätere territoriale Verwaltung erläutert’). Dieses territoriale
(rästerecht ıst mit der klaren Absicht begründet worden, den Terri-
torialeinsassen ebenso Nahrung und Verdienst zu sichern ni, wie
die mittelalterliche Stadt sie ihren Bürgern gesichert hatte. Man
würde freilich irren, wenn man jene Urkunde so auslegen wollte,
als ob durch sie alle Unterschiede innerhalb des Territoriums be-
seitigt worden wären. Es ist vielmehr mit ihrem Inhalt vereinbar,
daß nach wie vor der Bürger einer österreichischen Stadt in einer
26) S. die Schilderung dieser Mittel in meiner oben Anm. 1 erwähnten Abhandlung
S. 63 ff. Im folgenden eitiere ich diese Abhandlung als „meine Theorien der wirt-
schaftlichen Entwickelung“.
27) Kurz, Oesterreichs Handel in älteren Zeiten, S. 391. Ueber den Ausschluß
der Fremden von dem Recht des Gewandschnitts s. meine Abhandlung „Großhändler und
Kleinhändler im deutschen Mittelalter“ (im folgenden citiert als „meine Großhändler“)
in diesen Jahrbüchern Bd. 75, S. 5. — Dopsch, Mitteilungen des Instituts für öster-
reichische Geschichtsforschung, 1895, S. 365 f., will schon in der Urkunde Herzog Albrechts
von 1389 (E. von Schwind und Dopsch, Urkunden zur Verfassungsgeschichte der deutsch-
österreichischen Erblande im Mittelalter, S. 280) eine vom Landesherrn bewirkte Hebung
des Inlandverkehrs mittels Durchbrechung der Verkehrsschranken innerhalb des Terri-
toriums sehen. Allein mit dem Inhalt der Urkunde ist es meines Erachtens vereinbar,
daß die Laibacher, denen sie erteilt wird, in Wien nach wie vor als Gäste gelten und
von dem Recht des Kleinhandels ausgeschlossen sind.
2») Vgl. hierzu im allgemeinen meine Abhandlung „Die städtische Verwaltung
des Mittelalters als Vorbild der späteren territorialen Verwaltung“. Histor. Zeitschr. 75,
S. 396 ff.
28a) Vgl. die charakteristische Aeußerung aus dem Jahre 1486 bei Geering, Handel
und Industrie der Stadt Basel, S. 357.
456 G. v. Below,
ist es freilich mitunter auch schwer, eine scharfe Linie zwischen den
Produkten der landesherrlichen Politik und dem, was aus mehr oder
weniger freiem Belieben der Städte und der gewerblichen Kreise
hervorging, zu ziehen. Doch hiermit gelangen wir von den Formen
zu dem Inhalt der landesherrlichen Politik.
Schon der Ueberblick über die Formen der landesherrlichen
Gewerbepolitik hat erkennen lassen, daß ihr Inhalt in den einzelnen
Territorien verschieden war. Als Pole einer langen Reihe mannig-
faltiger Systeme — wenn der Ausdruck System nicht zu viel besagt —
können im 16. Jahrhundert die brandenburgische und die österreichi-
sche Gewerbepolitik gelten. Die brandenburgische ?°) ist von sehr
bescheidener Art. Die österreichische, repräsentiert durch die Hand-
werkerordnung König Ferdinands vom Jahre 1527 211. nimmt einen
kühneren Anlauf. Doch beschränkt sie sich im wesentlichen auf die
Beseitigung aller Autonomie der Zünfte und zwar nicht sowohl zu
Gunsten der landesherrlichen Regierung als vielmehr der Stadt-
magistrate: die mittelalterliche Handwerksverfassung in wirtschaft-
lichem Sinne wird in ihrem Kern von ihr kaum getroffen. Ueberdies
haben die Neuerungen von 1527, soweit sie überhaupt praktisch
geworden sind, keinen langen Bestand gehabt; noch im 16. Jahr-
hundert kehrt man in der Hauptsache zu den alten Einrichtungen
zurück ??). Bemerkenswert sind aus dieser Zeit ferner die Maßnahmen
der württembergischen Regierung, namentlich durch die Begründung
von Landeszünften ?). Hier und da konnten die Landesherren bei
einer solchen Maßregel die Verbindungen benutzen, welche die Städte
oder Handwerker von sich aus geschlossen hatten, falls nämlich deren
Grenzen mit denen des Territoriums zusammenfielen. Meistens je-
doch waren dieselben für jene unverwertbar. Oft setzt sich die
Regierung in direkten Gegensatz gegen sie. Gelegentlich bewilligt
sie Landeszünfte mit aus dem Gesichtspunkt, damit das Land, welches
ein Handwerk ans Ausland knüpfte, zerschnitten werden sollte 21.
Jedoch nicht überall konnten oder wollten die Landesherren die alten
Verbindungen der Städte und Handwerker sogleich beseitigen >).
das alte Handwerk, mag es nun im „Absterben‘‘ begriffen sein oder nicht, nach etwaigen
neuen Erscheinungen zu suchen.
20) Schmoller, Umrisse, S. 345 f.
21) Eulenburg, Ztschr. für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 2, S. 91 Anm. 269
erklärt sich mit Recht gegen Schmoller, welcher in den Forschungen zur branden-
burgischen und preußischen Geschichte 1, S. 81 die Handwerkerordnung Ferdinands
zu gering taxiert und sie mit der Breslauer Maßregel von 1420 unmittelbar zusammen-
gestellt hatte. Eulenburg selbst fällt jedoch nach der anderen Seite hin, hinsichtlich
der Befreiung des Handwerks, manche Urteile, die meines Erachtens zu weit gehen.
Schmoller, Umrisse, S. 345 Anm. 3 antwortet auf Eulenburg’s Ausführungen. Vergl.
Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 42,
22) Summarisch (nach Eulenburg) hierüber Wäntig, Gewerbliche Mittelstandspolitik,
23) Schmoller, Umrisse S. 15 und 335.
24) Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes 1, S. 445.
25) Die Thätigkeit der Landesherren mußte sich noch bis ins 18. Jahrhundert in
der angedeuteten Richtung bewegen. Vgl. Gothein S. 447 über den Reichsschluß
von 1741.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 457
In diesen Beziehungen haben wir es mit der äußeren Gestaltung
der Dinge zu thun. Indem wir uns dazu wenden festzustellen, wie-
viel sich von dem Wesen der Stadtwirtschaft über das Mittelalter
hinaus erhielt, richten wir unser Augenmerk zunächst auf die Mittel,
durch die die Städte das stadtwirtschaftliche System durchgesetzt
und verteidigt hatten 201.
II. Das Gästerecht.
Betreffs des Gästerechts begegnen wir am Ausgang des Mittel-
alters hier und da Neuerungen. Im Jahre 1426 sagt Herzog Albrecht
von Oesterreich in einer Urkunde ?): „Etliche Zeit her haben die
Gäste den Gewandschnitt (gwant mit der ellen zu verkaufen‘) auf
den Jahrmärkten in Städten und anderswo in unserm Land geübt,
wodurch unsern Kaufleuten und Einwohnern unseres Landes Oester-
reich großer Schaden erwachsen ist, "wan damit die gest den gewin,
der davon kömbt, aus dem lant zu irem nutz füren, des die unsern,
die mit uns und dem land leiden müssen, entberen‘. Fortan soll
kein Gast im Lande Oesterreich Gewand mit der Elle verschneiden
und verkaufen.“ In diesen Worten wird das Territorium ebenso als
eine Einheit den Fremden (Gästen) gegenübergestellt, wie bisher die
Stadt. Der Grundsatz der Abschließung wird von der Stadt auf das
Territorium übertragen. Jene Urkunde ist sehr lehrreich, insofern
sie die Nachahmung der städtischen Verwaltung des Mittelalters durch
die spätere territoriale Verwaltung erläutert’). Dieses territoriale
Gästerecht ıst mit der klaren Absicht begründet worden, den Terri-
torialeinsassen ebenso Nahrung und Verdienst zu sichern foi, wie
die mittelalterliche Stadt sie ihren Bürgern gesichert hatte. Man
würde freilich irren, wenn man jene Urkunde so auslegen wollte,
als ob durch sie alle Unterschiede innerhalb des Territoriums be-
seitigt worden wären. Es ist vielmehr mit ihrem Inhalt vereinbar,
daß nach wie vor der Bürger einer österreichischen Stadt in einer
26) S. die Schilderung dieser Mittel in meiner oben Anm. 1 erwähnten Abhandlung
S. 63 ff. Im folgenden citiere ich diese Abhandlung als „meine Theorien der wirt-
schaftlichen Entwickelung“.
27) Kurz, Oesterreichs Handel in älteren Zeiten, S. 391. Ueber den Ausschluß
der Fremden von dem Recht des Gewandschnitts s. meine Abhandlung „Großhändler und
Kleinhändler im deutschen Mittelalter‘ (im folgenden eitiert als „meine Großhändler“)
in diesen Jahrbüchern Bd. 75, S. 5. — Dopsch, Mitteilungen des Instituts für öster-
reichische Geschichtsforschung, 1895, S. 365 f., will schon in der Urkunde Herzog Albrechts
von 1389 (E. von Schwind und Dopsch, Urkunden zur Verfassungsgeschichte der deutsch-
österreichischen Erblande im Mittelalter, S. 280) eine vom Landesherrn bewirkte Hebung
des Inlandverkehrs mittels Durchbrechung der Verkehrsschranken innerhalb des Terri-
toriums sehen. Allein mit dem Inhalt der Urkunde ist es meines Erachtens vereinbar,
daß die Laibacher, denen sie erteilt wird, in Wien nach wie vor als Gäste gelten und
von dem Recht des Kleinhandels ausgeschlossen sind.
28) Vgl. hierzu im allgemeinen meine Abhandlung „Die städtische Verwaltung
des Mittelalters als Vorbild der späteren territorialen Verwaltung“. Histor. Zeitschr. 75,
S. 396 ff.
28a) Vgl. die charakteristische AcuBerung aus dem Jahre 1486 bei Geering, Handel
und Industrie der Stadt Basel, S. 357.
458 G. v. Below,
anderen desselben Territoriums als Gast galt. Ebenfalls aus Oester-
reich sei noch eine andere Urkunde angeführt, von Kaiser Friedrich III.
für die Stadt Wien aus dem Jahre 14812): sie verfügt, daß “durch
die messrer von beden stetten Waidhoven und Sant Pölten, desgeleichs
durch die gest, so her in das land faren, die nit in unsern aigenen
stetten, herscheften und gebieten wonhaft ‘und gesessen sein, kainerlai
derselben Pültner und Waidhover messer ausserhalb der zwaier
jarmerkt hieher gen Wien gefürt noch daselbs verkauft werden
sullen. Hier ist "wiederum von Gästen als solchen, die nicht zum
Territorium gehören, die Rede. Aber zugleich bestätigt diese Ur-
kunde die vorhin ausgesprochene Ansicht, daß der Landesherr Unter-
schiede innerhalb des Territoriums noch gelten läßt: die Messerer
aus den Städten W. und St. P. dürfen in Wien nur an den zwei
Jahrmärkten ihre Waren absetzen. Insofern herrscht also noch durch-
aus das mittelalterliche Gästerecht. Es wird auch durch die Hand-
werkerordnung Ferdinands I. von 1527 nicht beseitigt ?™%). Die gleichen
Verhältnisse wie in Oesterreich finden wir in W ürttemberg nach der
eingehenden Schilderung, die Schüz%) im Jahre 1850 von der „alt-
württembergischen Gewerbeverfassung in den letzten drei Jahr-
hunderten“ entworfen hat. Es besteht daselbst gewissermaßen ein
doppeltes Gästerecht: einerseits eines, welches die Nicht-Württem-
berger fernzuhalten sucht 211. andererseits eines, welches die Gewerbe-
treibenden eines württembergischen Ortes gegen die eines anderen
württembergischen Ortes schützt??). Aus Bayern sei als Beispiel er-
wähnt, daß in Straubing im Mittelalter der Grundsatz galt (wie in
den mittelalterlichen Städten überhaupt), daß kein Bürger sich mit
einem Fremden zu einer Gewerbsgesellschaft vereinigen dürfe; im
Jahre 1513 wird dies Verbot durch “den Landesherrn auf den Handel
mit Wein, Bier, Salz und Getreide beschränkt 221. Als Motiv wird
angegeben, daß, je mehr Kaufleute, Gewerbe und Hantierungen in
den Städten entstünden, um so mehr geschickte und statthafte Bürger
darin erzogen und dazu auch der Bürger Nahrung gefördert und
die herzoglichen Zölle und Mauten gemehrt würden. Diese Milderung
des mittelalterlichen Rechtes ist bemerkenswert. Allein wie es in
dem hier berührten Falle nicht ganz verschwindet, so behauptet es
sich in anderen Fällen in kaum verminderter Stärke. Aus allen
Gegenden Deutschlands liegen in Menge Nachrichten vor, daß nicht
bloR der Territorialfremde, sondern auch der Stadtfremde bis weit
29) Uhlirz, Urkunden und Regesten aus dem Archive der K. K. Reichshaupt- und
Residenzstadt Wien, Teil II, S.-A. aus dem 17. Bande des Jahrbuches der kunsthistorischen
Sammlungen des allerhöchsten Kuiserhauses, S. 89, No. 15456. Vgl. zu dieser Urkunde
meine Theorien der en Entwiekelung, S. 50 Anm. 2.
29a) Vgl. Eulenburg a. a. O. S. 89 Anm. 261.
30) Zeitschrift für die site Staatswissenschaft, Bd. 6, S. 259 ff.
31) S. 273 ff. Die Privilegien der Leineweberzunft von 1600 enthalten z. B. die
Bestimmung, daß kein Unterthan das Geringste (auch nicht eine Elle) außerhalb des
Herzogtums weben lassen darf.
32) Vgl. z. B. 276, 279, 281.
33) Rosenthal, Beiträge zur deutschen Stadtrechtsgeschichte, Heft 1 und 2, S. 239.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 459
über das Mittelalter hinaus in Handel und Verkehr zurückgesetzt
wird). Im 18. Jahrhundert finden wir eine erheblichere Ein-
schränkung, aber noch keine Aufhebung des lokalen Gästerechts.
Vor einer Ueberschätzung der Thätigkeit der Landesherren werden
wir bewahrt bleiben, wenn wir berücksichtigen, daß ebenso wie sie
auch die Städte Milderungen des Gästerechts vornehmen. Bis ins
16. Jahrhundert dürften diese sogar mehr als die Landesherren das
(rästerecht eingeschränkt haben; vom 17., namentlich aber vom 18.
ab haben allerdings die letzteren entschieden die Führung. Es sind
insbesondere die vorhin geschilderten Städtebündnisse °), welche einen
freieren Verkehr anbahnen. So gilt in den hansischen Städten in
manchen Beziehungen der Satz, daß der Bürger einer Hansestadt in
einer anderen nicht als Fremder angesehen wird). Es wird z. B.
den Bürgern einer hansischen Stadt der Verkauf von Schiffen an
Nichthansen verboten, an Bürger anderer hansischer Städte dagegen
gestattet 857). Jedoch auch die städtischen Bemühungen um Ein-
schränkung des Gästerechts dürfen wir nicht überschätzen. Denn
erstens bewegen sie sich nicht in konsequent aufsteigender Linie *).
34) Es mögen hier einige Beispiele, die sich beliebig vermehren ließen, für die
Konservierung des mittelalterlichen Gästerechtes angeführt werden. Schmoller, Um-
risse, S. 16 (über Brandenburg): „Wie das lokale Sonderzunftrecht, so erhielt sich noch
unumschränkt das lokale Stadtrecht; höchstens daß die Bürger aus anderen branden-
burgischen Städten etwas milderem Gastrecht unterworfen wurden, als die Stettiner oder
Breslauer.“ Ebenda $S. 326 (aus dem Jahre 1637): Fremde Fischhändler sollen in Berlin
gar nicht mehr, fremde Fischer nur an bestimmten Tagen und Märkten zugelassen werden.
Gothein S. 444. Bergius, Neues Polizei- und Kameralmagazin II, S. 406 $ 5 (nach
Urkunden von 1555 und 1747). Techen, Hansische Geschichtsblätter, 1897, S. 48, 55,
Anm. 5 und 60, Anm. 5. Hasse, Leipziger Messen, S. 181: Die Fischhändler klagen 1613
über Personen, welche zwischen den Märkten unbefugt handeln. Bei Breysig-Spahn,
Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Branden-
burg, Ständische Verhandlungen III, Preußen, 2. Band, 2. Teil, S. 1120 sind unter dem
Wort Fremdenhandel viele Stellen über die Konservierung des Gästerechts notiert. Vgl.
z. B. S. 416: „Wegen des handels und dass niemand als welcher bürger mit denen
frembden handeln möge, lassen I. Ch. D. bei dem recht, welches die städte Königs-
berg haben. Dieselben Akten zeigen freilich auch, daß der Landesherr oft einen etwas
anderen Standpunkt einnahm als die Städte. — Zur Geschichte der Konflikte zwischen
der Landesherrschaft und den Gewerbetreibenden im 18. Jahrhundert hinsichtlich der
Behandlung der Fremden vgl. Chr. Eckert, Das Mainzer Schiffergewerbe in den letzten
drei Jahrhunderten des Kurstaates (Schmoller’s Forschungen XVI, 3), S. 84. — Daß im
18. Jahrhundert das lokale städtische Güsterecht prinzipiell noch in Geltung war, zeigen
gerade die damals der Großindustrie und dem Großhandel gewährten Privilegien, die
jenes als den normalen Zustand voraussetzen. Ueber Preußen vgl. z. B. Schmoller,
Umrisse und Untersuchungen, S. 524 (oben).
35) Ueber Milderungen des Gästerechts, die eine einzelne Stadt für sich vornimmt,
s. Gothein, S. 532 und 542.
36) Ueber das hansische Fremdenrecht s. neuerdings die zusammenhängende Dar-
stellung von W. Stein, Beiträge zur Geschichte der deutschen Hanse bis um die Mitte
des 15. Jahrhunderts, S. 112 ff. Vgl. ferner Boos, Geschichte der rheinischen Städte-
kultur, Bd. 3, S. 125 und Höhlbaum, Gött. Gel. Anzeigen, 1899, S. 794 f. Höhlbaum
und Stein S. 145 weisen übereinstimmend darauf hin, daß die Städtebündnisse (wie
insbesondere auch die Hanse) die Thätigkeit der älteren Landfriedensbünde fortsetzen.
37) Stein, S. 136 f.; meine Großhändler S. 47.
38) Eine konsequent aufsteigende Linie in der Milderung des Gästerechts müßte
man nach den Aeußerungen von Boos a. a. O. und Bd. 2, S. 75 und Höhlbaum a. a. O.
460 G. v. Below,
Zweitens wird das Gästerecht nirgends vollständig beseitigt: die Be-
schränkung der Fremden wird vielmehr für die Mehrzahl der dem
Gästerecht unterworfenen Handelsobjekte festgehalten 3°). Drittens
ist das Motiv des milderen hansischen Gästerechts nicht so sehr der
Wunsch, Handelserleichterungen für den gesamten Verkehr der
hansischen Städte zu schaffen, als vielmehr die Absicht, einen ge-
meinsamen Gegner fernzuhalten; man trifft die Bestimmungen über
Fernhaltung Fremder namentlich auch deshalb, um Unklarheiten über
die Teilnahme an den Vorteilen der hansischen Privilegien zu be-
seitigen $°). Die Einheit kommt nur den verbündeten Städten zu gute:
die Absonderung gegen Nichthansen (auch gegen Landsleute) ist jetzt
um so schärfer *%). Endlich ist zur allgemeinen Würdigung der
städtischen Vereinigungen hinzuzunehmen, daß ihr Zweck oft die Er-
haltung des alten stadtwirtschaftlichen Systems — es sei an die
Beschlüsse der wendischen Städte zu Gunsten der zunftmäßigen
Böttcherei +!) erinnert — ist.
III. Das Stapelrecht.
Ueber die Geschichte des Stapelrechts hat Stieda eine in-
haltreiche Skizze gegeben *?). Es kann, wie aus seinen Darlegungen
hervorgeht, gar kein Zweifel darüber bestehen, daß die städtischen
Stapelreehte im 16. und 17. Jahrhundert noch ein Zeitalter ihrer
Blüte hatten, daß die Städte vielfach ihre Befugnisse jetzt sogar er-
weiterten und befestigten +°). Die Landesherren nehmen sich im
16. Jahrhundert 19 regelmäßig, im 17. wenigstens noch meistens
annehmen. Dieser spricht von der Absicht, „die ältere, allgemein herrschende Grund-
anschauung zu revidieren, die wirtschaftspolitischen Richtungen zu erweitern” u. s. w.
„Die städtischen Obrigkeiten . . . versuchten mit Bewußtsein und Absicht ‘die alten
Schranken, die den Rechts- und Handelsverkehr zwischen den Bürgerschaften der ein-
zelnen Städte lange behindert hatten, niederzulegen.“ Hierzu ist vor allem zu be-
merken, daß mindestens mit dem gleichen Eifer, mit dem die Städte Schranken be-
seitigten, sie auch Schranken aufgerichtet haben. Ausführlicher habe ich mich darüber
in meinen Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, S. 72 ff. geäußert. S. auch
Stein a. a. O.
39) Vgl. Techen (s. Anm. 34) a. a. O. Selbst Hamburg giebt das lokale Gästerecht
nicht ganz auf (der Kleinverkauf bleibt den Bürgern vorbehalten); die anderen Hanse-
städte (z. B. Lübeck) noch weniger. Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 2, S. 469 f.
40) Stein, S. 112 ff.
40a) Stein, S. 147 ff.
41) Vgl. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, S. 51.
42) Handwörterbuch der Staatswissenschaften (1. Aufl.), Bd. 5. S. 863 ff.: Art. Stapel-
recht. Vgl. auch Rathgen, Art. Stapelrecht, Wörterbuch der Volkswirtschaft 2, S. 618 f.
Ueber die Entstehung der Stapelrechte s. meine Theorien der wirtschaftlichen Ent-
wickelung, S. 64 ff. und neuerdings W. Stein, Beiträge zur Geschichte der deutschen
Hanse, S. 33 ff. Ich werde auf dessen Ausführungen in meiner Besprechung seines
Buches in der Historischen Zeitschrift zurückkommen. Stein giebt zum ersten Male
eine befriedigende Darstellung des Kölner Stapels im Mittelalter. Danach sind alle
bisherigen Darstellungen (auch die von Stieda) zu berichtigen,
43) Dies hebt auch Schmoller, Umrisse, S. 77, hervor. Zu seinen Ausführungen
über das Stapelrecht vgl. übrigens Höhlbaum, Hansisches Urkundenbuch 3, S. 168
Anm. 1.
43a) Vgl. z. B. Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 44.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 461
der städtischen Ansprüche an. Das Neue dieser Zeit besteht im
wesentlichen nur darin, daß zu der Thätigkeit der Städte die Wahr-
nehmung ihrer Interessen durch die Landesherren in steigendem
Maße hinzutritt; jene wird aber noch nicht durch diese absorbiert *).
Eine tiefer greifende Umwandlung der Verhältnisse beobachten wir
erst im 18. Jahrhundert. Erst jetzt wird auch in der Litteratur +5)
ein energischerer Tadel der alten Einrichtung laut. In diesem Jahr-
hundert werden manche Stapelrechte ganz beseitigt, andere so sehr
durchlöchert, daß man ihm eine erfolgreiche Vorbereitung der defini-
tiven Aufhebung, die im 19. Jahrhundert stattfand, zuschreiben darf;
und die Schritte gegen die Stapelrechte gehen namentlich auch von
den Landesherren aus. — Schmoller +°) sieht es als ein charakteristisches
Merkmal schon des 16. Jahrhunderts an, daß die Landesherren die
kleinen Stapelrechte eingehen lassen, die großen fördern. In der
That begegnet man dieser Erscheinung mehrfach. Allein sie kann,
abgesehen davon, daß vorerst die kleinen Stapelrechte noch nicht
ganz verschwinden, daß die Territorien, die eine Unifizierung vor-
nehmen, damit nicht sofort Erfolg haben, als eine allgemeine deshalb
nicht gelten, weil die meisten deutschen Territorien von zu geringem
Umfang waren, als daß sie vor die Möglichkeit, sich zwischen mehreren
Orten zu entscheiden, hätten gestellt werden können. Das 18., ja
das 19. Jahrhundert hat in vielen Teilen Deutschlands, z. B. am
Rhein 47), noch eine stattliche Zahl von Stapelplätzen gesehen. Das
17. aber weist wohl fast das gleiche bunte Bild auf, wie das spätere
Mittelalter.
Dieselbe Geschichte wie das Stapelrecht selbst haben andere
Einrichtungen, die mit ihm zusammenhängen, gehabt. So die Rang-
oder Reihe- oder Börtfahrt*°). Wie jenes oder vielmehr in noch
stärkerem Maße erlebte sie nach Schluß des Mittelalters einen neuen
Aufschwung +°) und ist im 18. Jahrhundert stark zurückgegangen,
im 19. verschwunden.
44) Bemerkenswert ist es, daß noch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts
Städte verschiedener Landesherren über die Ausübung ihrer Stapelrechte Verträge
schließen. So Breslau, Frankfurt a. d. O., Stettin. Stieda, S. 875.
45) Stieda, S. 850.— Ueber die Beseitigung von Stapeln durch die preußische Re-
gierung im 18. Jahrhundert s. Koser, Friedrich d. Gr. Bd. 1, S. 442.
46) Umrisse, S. 77 (in der Abhandlung: Die Handelssperre in Brandenburg und
Pommern im Jahre 1562).
47) Gothein, Westdeutsche Zeitschrift, Bd. 14 (1895), S. 255. Eckert, Rheinschiff-
fahrt im 19. Jahrhundert, S. 4 f.
48) Stieda, S. 865. Baasch, Forschungen zur hamburgischen Handelsgeschichte,
Teil II: die Börtfahrt zwischen Hamburg, Bremen und Holland (Hamburg 1888).
Zwischen Hamburg und Holland (Amsterdam) ist eine Reihefahrt im Jahre 1613 ein-
geführt worden. Die Einführung hing damit zusammen, daß der Verkehr zwischen
den Niederlanden und der Elbe sich im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts ganz be-
sonders entwickelte. Die Hamburger Reihefahrten haben bis ins 19. Jahrhundert bestanden,
zuletzt allerdings unter starken Aeußerungen der Kritik.
49) Vergl. außer der vorigen Anm. Gothein, Westdeutsche Ztschr., Bd. 14, S. 245
‘über die Errichtung von Rangfahrten am Rhein nach dem S0jährigen Kriege). Aus
der Darstellung von Eckert a. a. O., S. 244 ff. erfährt man die interessante Thatsache,
daß die Rangfahrten am Rhein sogar noch im 19. Jahrhundert erneuert werden, frei-
462 G. v. Below,
IV. Die Beherrschung des Landes durch die Stadt.
Von allen Fragen der Handels- und Gewerbeverfassung hat die
landesherrliche Regierung am meisten wohl das Bannmeilenrecht,
die Beherrschung des platten Landes durch die Städte
beschäftigt.
Man begegnet öfters der Vorstellung, als ob der Kampf zwischen
Landesherren und Städten im Mittelalter darin seine Bedeutung habe,
daß jene die Vertreter specifisch ländlicher Interessen seien 5°). In
Wahrheit wandte der mittelalterliche Staat den ländlichen Verhält-
nissen seine Aufmerksamkeit kaum zu. Die Landgemeinde und die
Markgenossenschaft waren nicht Glied seiner Verfassung. Für sie
erließ er nicht Gesetze 5). Ob eine Landgemeinde von einem Grund-
herrn unterworfen wurde, das registrierte er nicht in seinen Akten.
Die Staatsverfassung jener Zeit war der Hauptsache nach nur Ge-
richts-, Militär- und Finanzverfassung. Soweit sich der Stâat der
wirtschaftlichen Verhältnisse annahm, stand er mehr auf der Seite
der Städter als der Landbewohner. Allerdings wissen wir ja von
vielen und heftigen Kämpfen zwischen Fürsten und Städten. Indessen
es kommt darauf an, diesen Gegensatz in seinem wahren Charakter
zu erfassen. In erster Linie handelt es sich um einen bloßen Kampf
um die Macht. Wir kennen keinen Fürsten (wohl manchen Ritter),
der die Absicht gehabt hätte, das Städtewesen an sich, städtischen
Handel und städtisches Gewerbe zu vernichten; keinen, der der
Meinung gewesen wäre, im Interesse der Landwirtschaft müsse der
Macht des Handels und Handwerks entgegengetreten werden. Die
Landesherren sehen zunächst eine gar zu große Selbständigkeit der
städtischen Gemeinden — die sie freilich zu einem sehr erheblichen
Teile durch Privilegien selbst geschaffen hatten — nicht gern. Sie
wollten sich ferner nicht ihre staatliche Gerichts- und ihre staatliche
Steuerverfassung 52) durch das städtische Pfahlbürgertum durchlöchern
lassen. Sie waren weiter wohl auch oft in finanziellen Anforderungen
an die Städte ungestüm. Sie hatten nicht genügendes Verständnis
für die feineren Bedürfnisse einer höheren wirtschaftlichen Kultur
und schädigten deshalb oft durch plumpes Zugreifen das städtische
Verkehrsleben, wie es sich namentlich im Zoll- und Münzwesen
zeigt. Aber trotz aller Feindschaften und aller Brutalität. mit der
die Landesherren oft den Städten begegneten, haben sie doch anderer-
lich mit einem bemerkenswerten Unterschied (nach holländischem Muster): die Bört-
fahrer haben kein Monopol der Güterbeförderung mehr.
50) Vergl. hierzu meine Bemerkungen in der Histor. Ztschr., Bd. 75, S. 406. Von
unrichtigen Vorstellungen geht z. B. Nitzsch, Geschichte des deutschen Volkes 3, S. 445
aus, wenn er jenen Kampf einfach aus einem Gegensatz von ländlicher („Faktoren der
ländlichen Kultur“) und städtischer Kultur erklärt. Perthes a. a. O., S. 124 läßt in
den Territorien „gutsherrlich-ritterliche Interessen“ vertreten sein. (S. auch Perthes’
Worte in meinen Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, S. 2 f.) So einfach ist
das Problem nicht.
51) Vergl. meinen Ursprung der deutschen Stadtverfassung, S. 69 ff.
52) Vergl. meine Bemerkungen in der Histor. Zeitschr., Bd. 75, 8. 408.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 463
seits gerade diese im Gegensatz zum platten Lande unterstützt. Sie
gewährten ihnen teils für unmittelbare Gegenleistungen, teils weil
sie aus allgemeinen Gründen eine Förderung des Städtewesens für
nützlich hielten, die Zwangs- und Bannrechte, deren Bedeutung nicht
zum mindesten darin liegt, daß sie eine Herrschaft über das um-
liegende platte Land begründeten. Die Territorialherren zeigten sich
freigebig auf Kosten des Landmanns. Insofern müssen wir ihre Politik
städtefreundlich nennen, wenn wir sie auch in ihrem allgemeinen
Werte nicht zu hoch anschlagen dürfen, da die Anregungen zu ihren
Maßnahmen wohl regelmäßig von den Bürgerschaften ausgingen.
So übt denn die Stadt «des Mittelalters, durch die Verkehrsver-
hältnisse der Zeit unterstützt, innerhalb gewisser Grenzen?) eine
Herrschaft über das umliegende Land aus. Wenn wir das Mittelalter
(etwa seit dem 12. Jahrhundert) die Periode .der Stadtwirtschaft
nennen, so liegt zwar nicht die einzige, aber eine sehr wichtige Vor-
aussetzung für diese Bezeichnung eben in der Beherrschung des Landes
durch die Städte. Freilich wird der wirtschaftliche Charakter des Mittel-
alters noch nicht in allen Beziehungen durch den Ausdruck „Periode
der Stadtwirtschaft‘‘ geschildert. Die historischen Erscheinungen sind
stets so kompliziert, daß sich in einem Namen nie die ganze Art
eines Zeitalters offenbart. Immerhin bildet die auf die Beherrschung
des Landes begründete Stadtwirtschaft einen sehr wesentlichen Zug in
dem Bilde, das uns die mittelalterlichen Zustände gewähren zm). Die
— allerdings, wie schon bemerkt, nur innerhalb gewisser Grenzen
entwickelte — Herrschaft der Stadt äußert sich dahin, daß sie den
Handel auf dem Lande für sich in Anspruch nimmt, ein erhebliches
ländliches Gewerbe nicht aufkommen läßt, den Landmann nötigt, im
Körnerbau und in der Viehwirtschaft in erster Linie für den Bürger
zu produzieren $).
53) Ueber diese Grenzen s. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung,
7 und 64 ff.
53a) Schmoller, Die Epochen der Getreidehandelsverfassung und Getreidepolitik,
Jahrbuch für Gesetzgebung, 1896, S. 707, Umrisse und Untersuchungen, S. 642 meint,
daß die städtische Getreidehandelspolitik, d. h. eine den städtischen Interessen aus-
schließlich folgende, „nur in Stadtstaaten von geringem Umfang oder in Ländern und
Staaten, wo eine Großstadt die beherrschende Rolle spielte, oder in Gebieten, wo die
großen Städten politisch und administrativ relativ selbständig waren, ganz vorherrschen
und sich behaupten konnte.“ Gewiß kam es den Städten im deutschen Mittelalter für
ihre Getreidehandelspolitik zu statten, daß sie politisch und administrativ relativ selb-
ständig waren (übrigens handelt es sich hier nicht bloß um „große“ Städte). Aber eine
befriedigende Erklärung giebt erst die Thatsache, daß die mittelalterlichen Landesherren
als solche den specifisch agrarischen Angelegenheiten gar kein Interesse entgegen brachten.
Vergl. übrigens unten Anm. 63.
54) Boos, Geschichte der rheinischen Städtekultur, Bd. 3, S. 108 meint, daß na-
mentlich iu Zunftstädten der Handel stark gemaßregelt worden sei. Aber in einer
Patrizierstadt wie Nürnberg ist er doch auch sehr stark reglementiert. — Zu den Ar-
beiten von Naudé über die Geschichte des Getreidehandels s. die Korrekturen bei
W. Stein, Beiträge, S. 44 Anm. 2 und 8.47 Anm. 5. S. auch oben Anm. 43 und
meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, S. 48 Anm. 2. — Hinsichtlich der
Frage, wie weit die Beherrschung des Landes durch die Städte ausgedehnt worden ist,
bezw. werden konnte, sei hier darauf hingewiesen, daß, wenn in einer Gegend dus
S. 5
464 G. v. Below,
Am Schluß des Mittelalters wurden mancherlei Angriffe gegen
die Vorherrschaft der Städte unternommen ®). Es treten Tendenzen
von verschiedenen Ausgangspunkten hervor. Einmal wachsen ge-
wissermaßen von sich aus die ländlichen Gewerbetreibenden an Zahl
und Art *) und lehnen die Vormundschaft der Städte ab. Auch der
Grundherr oder Gutsherr wünscht auf seinem Besitz einen gewerb-
lichen Betrieb einzurichten. Sodann nehmen reiche Bürger von den
billigeren Produktionsbedingungen des Landes Anlaß, Landleute für
ihre großen Unternehmungen arbeiten zu lassen, wodurch dem zünftigen
Handwerksmeister noch stärkere Konkurrenz gemacht wird als durch
die für eigene Rechnung arbeitenden einfachen ländlichen Hand-
werker 5’). Endlich sucht der Landwirt sich von der drückenden
Forderung der Städte, daß er seine Produkte nur in ihnen und an
Städter absetzen solle, zu befreien; der große Landmann beansprucht,
bei dem kleinen kaufen zu dürfen.
Ueber diese Fragen kommt es überall in Deutschland zu einem
lebhaften Kampfe zwischen Stadt und Land, der in einem Terri-
torium mehr durch Beschwerden, die man vor den fürstlichen Hof
bäuerliche Element besonders kräftig und einflußreich war, es zur Ausbildung einer
Zunftverfassung, d. h. eines das Land beherrschenden Bannrechtes nicht gekommen ist.
Vgl. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1, S. 439 u. 450. Andererseits
kann bei bestimmten Voraussetzungen von einem ländlichen Bezirk dieselbe Nahrungs-
mittelpolitik getrieben werden, wie von einer Stadt: z. B., wenn der betreffende länd-
liche Bezirk entweder Getreide nicht erzeugt oder in einem anderen landwirtschaftlichen
Produkt unergiebig ist. Schmoller, Umrisse, S. 23 verwendet im Rahmen seiner Dar-
stellung das Beispiel von Bern, welches „seinem Oberland mit einer Korn- und Salz-
sperre droht, wenn es nicht alle seine Butter nach Bern bringe“. Allein hier handelt
es sich nicht um den Gegensatz von Stadt und Land, sondern um den zweier länd-
licher Bezirke, die — namentlich weil das Oberland kaum Getreide hervorzubringen
vermag — auf gegenseitigen Austausch angewiesen sind. Dies Beispiel ist von besonderem
Interesse, weil es zeigt, wie die Entwickelungstendenzen, die man sonst wohl beobachten
zu können glaubt, gegebenen Falls durch Wirkungen entgegenstehender Instanzen, hier
der Bodenverhältnisse, durchkreuzt werden.
55) Schmoller, Umrisse, S. 17 meint, daß die Kämpfe zwischen Stadt und Land
„gerade im Nordosten‘ besonders schroff gewesen seien. Waren sie wirklich anderswo
weniger heftig? Eher könnte man einen Unterschied zwischen Osten und Westen in-
sofern annehmen, als im Osten das Land gegenüber der Stadt etwas mehr Selbständirkeit
erringt oder bewahrt als im Westen. Gothein wenigstens glaubt behaupten zu dürfen,
daß die Beherrschung des Landes durch die Städte im Südwesten wesentlich schärfer
als im Nordosten gewesen sei. Vergl. mein Territorium und Stadt, S. 41 f. Indessen
ist mindestens ein wesentlicher Unterschied nicht zu erkennen.
56) Ganz haben auch im Mittelalter die Handwerker auf dem Lande nicht ge-
fehlt. Vergl. Mor. Heyne, Deutsche Hausaltertümer, Bd. 1: Das deutsche Wohnungs-
wesen, S. 203 Anm. 7; meine landständische Verfassung in Jülich und Berg II, 2,
S. 152 Anm. 6 und S 219. Es ist nieht notwendig mit Heyne anzunehmen, daß das
Handwerk nur unter dem Einfluß der Stadt zum Kaufgewerbe wird. Ueber Herstellung
von Büttcherwaren auf dem Lande im Mittelalter s. meine Theorien der wirtschaftlichen
Entwickelung, S. 51 Anm. 2. Ueber die Zunahme der ländlichen Handwerker
am Ende des Mittelalters s. Kaser, Politische und soziale Bewegungen im deut-
schen Bürgertum zu Beginn des 16. Jahrhunderts, S. 206 f.; Ritter, Deutsche Geschichte
im Zeitalter der Gegenreformation und des 30jährigen Krieges, Bd. 1, S. 29; Terri-
torium und Stadt, S. 271 ff.; Historische Zeitschrift 75, S. 446 f.
57) Ueber das klassische Beispiel der Güuweberfrage in Ulm s. Nübling, Ulms
Baumwollweberei im Mittelalter, S. 147 ff.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 465
bringt, in einem anderen mehr auf den Landtagen ausgefochten wird 58).
Ueberall ruft man die Landesherrschaft als Friedensstifterin an. Es
trägt zur Steigerung ihres Einflusses bei, daß diese Streitigkeiten
vor ihr Forum kommen. Wie aber stellt sie sich nun zu den ent-
gegengesetzten Ansprüchen ?
Zunächst haben wir hier an das zu erinnern, was wir vorhin
über die Schaffung eines territorialen Gästerechts gesagt haben. So-
weit dieses Platz greift, wird die Herrschaft der Städte über das
ganze Territorium ausgedehnt. In Hessen wird z. B. im Jahre 1534
den Fremden verboten, die Wolle direkt von den Schäfern zu kaufen
(was den inländischen Wollwebern frei steht a, In Württemberg
wird die Ausfuhr von Eichenrinde im Interesse der heimischen Gerber
verboten %). Im Mittelalter hatte, wenn überhaupt, nur die einzelne
Stadt über das betreffende umliegende Gebiet geherrscht, während
manches frei blieb êt). Jetzt wird durch die Ausbildung des terri-
torialen Fremdenrechts die Herrschaft der Städte noch verschärft.
So verhält es sich wenigstens, wenn neben dem neuen territorialen
das alte städtische Gästerecht bestehen bleibt. Daß aber dieses, zum
mindesten in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit, konserviert
wurde, haben soeben unsere Erörterungen über das Gäste- und das
Stapelrecht gezeigt‘). Im folgenden sehen wir von dem lokalen
Gästerecht, von dem Gegensatz der einzelnen Städte zu einander ab
und betrachten nur das Verhältnis der Städte schlechthin zum platten
Lande. Es sei aber hier ganz im allgemeinen bemerkt, daß die
landesherrlichen Gesetze, welche die Herrschaft der Städte über das
umliegende Land aussprechen, sehr oft zugleich im Dienst der gegen-
seitigen Eifersucht der einzelnen Bürgerschaften stehen. Das für
den Landmann erlassene Verbot z. B., sein Getreide frei zu ver-
kaufen, betrifft ganz gewöhnlich nicht bloß ihn, sondern auch den
Bürger einer Stadt, zu deren Herrschaftsgebiet der betreffende länd-
liche Bezirk nicht gerechnet wird.
a) Die Herrschaft des städtischen Handwerks.
Fast scheint es, daß in Bezug auf das Handwerk die Herrschaft
der Städte in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit noch schärfer
58) Ueber die Form der Erledigung dieser Streitigkeiten s. Territorium und Stadt,
8. 271 ff. — Schmoller, Umrisse, S. 12 behauptet: „Je kräftiger ein ständisches Ver-
fassungsleben Städte und Adel zunächst unter sich und dann die ständischen Korpo-
rationen untereinander zu gemeinsamer Arbeit vereinigte, ... desto leichter gelang der
volkswirtschaftliche Assimilierungsprozeß.‘“ Gegen diese Behauptung erheben sich doch
große Bedenken.
59) Jahrbücher für Nationalökonomie, Bd. 7, S. 90.
60) Schüz, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 6, S. 274.
61) S. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung S. 57.
61a) Die im folgenden citierten Werke enthalten weitere Belege. Vgl. ferner z. B.
unten S. 470 und Schmoller, Umrisse S. 659 f. Wenn die unten Anm. 68 erwähnte
AeuBerung aus dem 18. Jahrhundert von dem städtischen ius prohibendi spricht, so
schließt dieses nicht bloß die Landleute, sondern auch die Händler und Gewerbetreibenden
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 30
466 G. v. Below,
ausgebildet wird, als sie es im Mittelalter gewesen war" In
Württemberg setzen die Metzgerordnungen von 1554 und 1567 fest,
daß nur in denjenigen Flecken, welche von alters her Metzger gehabt,
das Metzgen gestattet, im übrigen aber allmählich abgeschafft werden
soll, und auch die Ordnung von 1651 bestimmt, daß künftig ohne
besondere herzogliche Erlaubnis in Flecken und Dörfern kein Metzig
aufgerichtet werden soll #2), Allerdings ist Württemberg das klassische
Land der Bürgerherrschaft%). Auf seinem Landtag waren die städtischen
Kreise die ausschlaggebende Macht‘) und konnten ihren Wünschen
sehr wirksamen Nachdruck verleihen. Das Territorium ist hier fast
nur ein Mittel für die Zwecke der Städte. In anderen Territorien,
auf deren Landtag die ritterschaftliche Kurie energisch mitsprach,
ist die Idee der Beherrschung des Landes nicht in ganz so schroffer
Form verwirklicht worden. Aber ein sehr starkes Maß der Ab-
hängigkeit von den Städten finden wir auch in ihnen, und überall
in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit erheblich mehr gesetzliche
Bestimmungen über die Beherrschung des Landes als im Mittelalter.
Dieser Unterschied könnte sich freilich so erklären, daß das, was im
Mittelalter überwiegend Produkt der Verhältnisse war, jetzt mehr
durch die Gesetzgebung erstrebt wurde. Jedenfalls indessen be-
haupten sich die Städte nach Schluß des Mittelalters mehr oder
weniger überall in der Beherrschung des Landes. Die lebhaften
Streitigkeiten über diesen Punkt spielen sich in der Weise ab, daß
die Städte die annähernd vollständige Beseitigung der ländlichen
Handwerker verlangen, während das Land — meistens vertreten durch
die Ritterschaft — kaum je alle Arten des Handwerks, in der Regel
nur eine gewisse Zahl für sich mit beansprucht. In solcher Weise
wird bis ins 18. Jahrhundert disputiert. Die zur Entscheidung an-
gerufene Landesherrschaft erfüllt meistens die Wünsche der Städte
nicht ganz, aber in der Hauptsache stellt sie sich auf ihre Seite.
Der Grund, weshalb sie sich so entscheidet, ist vornehmlich ein
steuerpolitischer: das System der in den Städten erhobenen indirekten
Steuern hing eng mit den städtischen Zwangs- und Bannrechten zu-
sammen. Die Klagen der sonst so mächtigen Ritterschaft finden in
diesem Punkte wenig Gehör, weil die Regierung gerade auf die in-
direkte Steuer das höchste Gewicht legt. Die Ritterschaft wird dafür
in anderer Weise entschädigt. So ist denn die Herrschaft des
städtischen Handwerks in ihren wesentlichen Zügen bis in den Be-
anderer Städte aus. S. auch unten den Text zu Anm. 75: der Verkauf auf dem Markt
der nächsten Stadt wird vorgeschrieben.
61b) Es mag hier an Schäffle’s nicht ganz unberechtigtes Wort erinnert werden:
„Die kastenhafte Absehließung der Stände beginnt erst mit dem Zerfall des Mittelalters
oder vielmehr dieser durch jene.“ Gesammelte Aufsätze 1, S. 63.
62) Schüz a. a. O. S. 277. Vgl. ebenda S. 273 und 295.
63) Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1, S. 517. Die Städte,
die diese Herrschaft ausüben, sind dabei nur mittlere und kleine Orte.
64) Diese Thatsache steht außerhalb aller Diskussion, wenn auch darüber gestritten
werden kann, ob der Bauernstand eine gewisse Vertretung auf dem Landtag gehabt hat.
Vgl. m. Territorium und Stadt, S. 213.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 467
ginn des 19. Jahrhunderts bestehen geblieben %). Der Merkantilis-
mus mit seiner staatlichen Begünstigung der Fabriken hat wohl das
Handwerk beeinträchtigt; er bedeutet "aber keine Abweichung von
dem System der Beherrschung des Landes durch die städtischen
Interessen. Er ist vielmehr bloß eine Fortbildung des mittelalter-
lichen Systems, hat diesem nur eine andere, jedoch kaum eine mildere
Form gegeben. — Um über ein einzelnes Gewerbe noch ein Wort
zu sagen, so wird auf den Landtagen mit besonderer Heftigkeit über
das Recht der Brauerei und Brennerei gestritten, „Kaufmannschaft
und Brauwerk* — erklären die Städte des Herzogtums Preußen im
Jahre 1641 — „ist eine Stadtnahrung; die Landleute sollen von ihren
Zinsern, Acker und Vieh sich nähren“ %) Und es ist amüsant zu
sehen, wie sie sich bemühen, darzulegen, daß dem Adel, wie andere
bürgerliche, so die Braunahrung bei Verlust des adligen Standes
„vermöge der kaiserlichen Turnierartikel“ verboten sei 67). "Die Landes-
herrschaft widerspricht den Städten nur wenig. Am meisten schränkt
sie die städtischen Ansprüche zu Gunsten ihrer eigenen Brauereien
und Brennereien ein. Dem Adel und den Bauern gegenüber erkennt
sie dagegen mit Entschiedenheit die Brauerei als städtische Nahrung
an und läßt von der gesetzlichen Regel bloß geringe Ausnahmen zu,
indem sie dem Adel "das Brauen meistens für den eigenen Bedarf,
den Bauern, wenn ihnen überhaupt, etwa zur Erntezeit gestattet 6$),
65) Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 40 f. Schmoller, Umrisse, S. 314 ff.
giebt in seiner Schilderung des brandenburgisch- -preußischen Innungswesens bis zum
Jahre 1800 eine Menge von Belegen für die Festh: itung der städtischen Vorherrschaft.
In seiner Abhandlung über das Merkantilsystem in seiner historischen Bedeutung, ebenda
S. 1 ff., formuliert er mehrmals Urteile, in denen der Erfolg der territorialen Politik
zu günstig dargestellt wird. Wenn er z. B. S. 19 von „Grundsätzen, die das ganze
Territorium gleichmäßig binden, öffnen oder verschließen“, spricht, so ist dabei die Ein-
schränkung zu machen, daß die Zahl solcher Grundsätze im 16. Jahrhundert (das hat er
hier im Auge) noch nicht groß war. Wenn er ebenda sagt, daB „jeder Sieg der Ritter-
schaft . . . freieren Verkehr im Lande, billigere Zulassung der Fremden bedeutete‘, so
ist dazu zu bemerken, daß die Ritterschaft in der Frage der Stadtherrschaft kaum je-
mals einen großen, nur selten überhaupt einen Sieg erfochten hat. „Ein Landesrecht,
das ziemlich einheitlich das Territorium umspannte‘ (ebenda), darf man für das Jahr
1600 gewiß noch nicht annehmen. Vgl. dagegen S. 325: „Die bunteste Mannigfaltigkeit
in der Anordnung und in den materiellen Bestimmungen“. S. 24 läßt Schmoller „die
Vorstellung, daß der territoriale Handel, die territoriale Industrie, der territoriale Markt
ein einheitliches Ganze seien“, im 16. Jahrhundert existieren. Die Landesherren werden
sich doch in jedem Augenblick darüber klar gewesen sein, daß von einem „territorialen
Markt“ als einem einheitlichen Ganzen z. B. deshalb keine Rede sein könne, weil die
ländlichen Weber vor den städtischen zurückstehen müssen.
66) Breysig-Spahn a. a. O., Bd. 1, S. 317.
67) Ebenda S. 318.
68) Vgl. z. B. Eichhorn, Einleitung in das deutsche Privatrecht $ 184 und 393.
Schmoller, Umrisse, S. 17. Breysig-Spahn a. a. O., Bd. 2, S. 1114 unter d. W. Brau-
gewerbe (vgl. namentlich Bd. 1, S. 277 und Bd. 2, S. 636 § 21) und S. 1120. —
Eine lehrreiche Geschichte des „Brauwesens in Jena und Umgegend“ giebt Horst Hoff-
mann in der Jenaer Doktordissertation von 1896, S. 109 ff. 1537 wurde auf einem
Landtage „zum ersten Mal die Brau- und Schenkbefugnis einer Anzahl über den Vor-
stadtring Jenas hinaus liegender Dörfer eingehend erörtert und die aus dem Bannrechte
fließenden Verkehrsbeschränkungen staatlicherseits von neuen festgesetzt und verschärft.
Die Bauern sollten sich des Schenkens sowohl eigenen als fremden Bieres gänzlich ent-
30*
468 G. v. Below,
Auch die Brennerei gilt, wiewohl nicht ganz in gleichem Maße, als
städtisches Vorrecht. Es ist erst das 19. Jahrhundert, welches hier
Land und Stadt dasselbe Recht verliehen hat °°). Nettelbeck schildert
in seiner Lebensbeschreibung "7. wie die allgemeinere Verbreitung
der „Gewerbscheine zum freien Betrieb aller Handtierungen im Staat“
und die dadurch bewirkte Einführung von Branntwein vom platten
Lande es ihm unmöglich gemacht haben, sich länger in seinem
städtischen Brennereigewerbe zu behaupten. Wir sind leicht geneigt,
einem Gemeinwesen, das seine Existenz großenteils auf Privilegien
stützt, ohne weiteres Gesundheit und innere Kraft abzusprechen.
Das Beispiel Nettelbeck’s erinnert uns aber daran, wieviel Tüchtigkeit
doch auch die Stadt der alten Art in sich barg.
b) Die städtische Getreidehandelspolitik.
Auch in Bezug auf den Getreidehandel haben die drei ersten
Jahrhunderte der Neuzeit im wesentlichen an dem alten System fest-
halten und sollten nur noch für ihren Hausbedarf und ihre Familienfeste ein genau
vorgeschriebenes Maß eigener Gerste verbrauen dürfen.“ Es ist, wie vorhin angedeutet,
eine außerordentlich häufige Erscheinung, daß die Beherrschung des Landes im Beginn
der Neuzeit gesetzlich fixiert und vielfach verschärft wird. Insofern bietet also Jena
nichts Besonderes. Später aber, schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts, tritt hier
eine von der allgemeinen Entwickelung abweichende ein, indem Jena den Dörfern die
Brauerei und auch die Einfuhr von Bier in die Stadt gestattet. Es löst sich also damit
die alte Stadtwirtschaft auf. Hoffmann, S. 120 und 126. Indessen steht in dieser Be-
ziehung die Stadt Jena innerhalb des Territoriums isoliert. Die Landesherrschaft hat
die betreffende Entwiekelung nicht befördert, sondern eher rückgüngig zu machen ge-
sucht. Der Landesherr ließ es, im 18. Jahrhundert, „nieht an Vorwürfen fehlen, daß
die Bürger von Jena, obgleich in allen Landen und sonderlich in Sachsen und Thüringen
einzig und allein den Städten die Braunahrung und zwar cum iure prohibendi zustände,
... diesen Erwerbszweig mißachtet hätten, und machte selbst Vorschläge zur Hebung
desselben“. „Die Dorfschaften, die bisher gebraut, dürften dem nicht widersprechen, daß
die Stadt sich ihres Braurechts selbst bediente, da sie kein ius cogendi wider die Stadt
besäßen“. Das Motiv, das den Landesherrn hierbei leitete, war ein steuerpolitisches,
Hoffmann S. 133. Jene Worte zeigen zugleich recht deutlich, daß die Braunahrung
eum iure prohibendi noch im 18. Jahrhundert ganz allgemein städtisches Vorrecht ist.
69) Schmoller, Umrisse, S. 18 sagt, es habe aus den Wirrnissen der lokalen Wirt-
schaftspolitik nur einen Ausweg gegeben: „Uebertragung der wichtigsten... Befugnisse
von den Städten auf die Landesregierung und Herstellung einer inneren vermittelnden
Ordnung, welche den entgegengesetzten Interessen Reehnung trug, im Anschluß an das
Bestehende auszugleichen suchte, aber notwendig und naturgemäß wie auf einen gewissen
Abschluß des Landes nach außen, so auf eine größere Freiheit der wirtschaftlichen Be-
wegung nach innen hindrängte“, und glaubt, daß dies Ziel schon im 16. Jahrhundert
erreicht worden sei. Wir wollen hier davon absehen, daß damals die Herrschaft der
Städte dem Mittelalter gegenüber vielleicht sogar verschärft worden ist. Jedenfalls
lassen sich die landesherrlichen Maßregeln bis zum 18. Jahrhundert nicht dahin defi-
nieren, daß sie „eine vermittelnde Ordnung“ begründen. Der Hauptsache nach stellt
sich der Landesherr zweifellos auf die Seite der Städte. Auf das Beispiel des deutschen
Ordenslandes darf sich Schmoller (a. a. ©.) nicht berufen. Denn in dem betreffenden
Falle handelt es sich nicht um ein Produkt der neueren Territorialpolitik, sondern um
die mittelalterlichen Zustände des Ordenslandes, welehes eine kräftigere Regierung kannte
als die deutschen Territorien gemeinhin. An anderen Stellen hebt übrigens Schmoller
selbst (S. 26 und 658) hervor, daß das Ordensland im Mittelalter eine Sonderstellung
einnahm,
70) Joachim Nettelbeck, Lebensbeschreibung, hrg. von Haken, Bd. 3, S. 213.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 469
gehalten. Man kann hier sogar wiederum die Beobachtung machen,
daß nach Schluß des Mittelalters detailliertere und zwar strengere
gesetzliche Bestimmungen erlassen worden sind, als sie die voraus-
gehende Zeit gekannt hat. Uebrigens bestehen viele Abweichungen
in dem Recht, das diese Verhältnisse ordnet. Schmoller ?!) unter-
scheidet mit Recht mehrere Typen. Freilich handelt es sich dabei
weniger um „historische‘‘ Typen, wie er meint, als um lokale Unter-
schiede, die in derselben Zeit aufgetreten sind und auftreten. Na-
mentlich läßt sich seine Gegenüberstellung einer „älteren“ und einer
„späteren städtischen Getreidehandelspolitik kaum aufrecht erhal-
ten "71. Die Abweichungen in der geographischen Lage der Städte
und das verschiedene Maß, in dem die eine oder andere städtische
Interessengruppe ihren Wünschen Nachdruck zu geben vermag, geben
der städtischen Getreidehandelspolitik eine verhältnismäßig bunte Ge-
stalt. Wir bemerken zwei große Interessengegensätze in den Bürger-
schaften. Auf der einen Seite wünscht man unbedingt billiges Brot
und sucht von diesem Gesichtspunkt aus jeden Handel auch der
städtischen Kaufleute, der es etwa verteuern könnte, nach Möglichkeit
zu verhindern. Andererseits beanspruchen die städtischen Kaufleute
für die gewinnreiche Getreideausfuhr freie Bewegung. Der Konflikt
wird durch mancherlei Kompromisse geschlichtet. In Gent wird
z. B. zwischen „freiem“ und „unfreiem“ Korn unterschieden: alles
in Flandern gewachsene Korn und ein Viertel des aus der Fremde
bezogenen muß als „unfreies“ in der Regel in der Stadt bleiben,
während das übrige dem freien Handel überlassen wird. In der
nächsten Umgegend Stettins darf kein Händler kaufen; der Bauer
soll zu Markt kommen; aber jenseits der Randow darf der Stettiner
Getreidekaufmann selbst das Getreide holen. Meistens hält man es
in den deutschen Städten so, daß die Ausfuhr des neuen Korns für
einen Teil des Jahres, etwa von Bartholomäi bis Lichtmeß, verboten
ist 3). Wie aber auch die einzelne Gemeinde sich in diesem Punkt
zu den heimischen Händlern stellt, alle stimmen darin überein, daß
derjenige, der überhaupt auf dem Lande Getreide kauft, ein Städter
sein soll. Der Getreidehandel wird ebenso als städtischer Nahrungs-
zweig beansprucht wie das Gewerbe einer Handwerkerzunft. So kommt
es, daß die Städte eine doppelte Vormundschaft über das Land aus-
üben: erstens soll der Landmann dem Bürger möglichst billiges Ge-
treide liefern; zweitens darf er nicht selbst Händler werden. In
beiderlei Hinsicht kommen nun die territorialen Regierungen den
städtischen Wünschen sehr weit entgegen. In Brandenburg erneuert
71) Umrisse und Untersuchungen, S. 643 ff.
72) Aus derselben Zeit, aus der Schmoller, S. 644 f. Urkundenstellen aus Nieder-
sachsen zur Charakterisierung seiner ersten Epoche anführt, lassen sich auch Nach-
richten, durch die seine zweite Epoche belegt wird, anführen. Vergl. W. Stein, Bei-
träge, S. 41 und meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, S. 48 Anm. 2.
73) 8. die Beispiele bei Schmoller, S. 650 und Naudé, die Getreidehandelspolitik
der Europäischen Staaten vom 13. bis zum 18. Jahrhundert, als Einleitung in die
preußische Getreidehandelspolitik, 8. 247 ff.
470 G. v. Below,
z. B. eine Verordnung von 1535 die schon früher erlassene Vorschrift,
daß die adligen Grundbesitzer zwar berechtigt sein sollen, Getreide
ihres eigenen Wachstums außer Landes zu führen 4), daß sie aber von
den Bauern kein Korn zu diesem Zwecke kaufen und diese letzteren
das Getreide nur auf dem Markte der nächsten Stadt verkaufen
dürfen 791. Wenn man hiernach annehmen könnte, daß der Adel das
von ihm produzierte Korn uneingeschränkt ausgeführt habe, SO wider-
sprechen dem andere Nachrichten, nach denen insbesondere das Verbot
der Ausfuhr vor Lichtmeß auch in betreff des ihm gehörenden Ge-
treides gilt "71. Die Zölle, die in jener Zeit erhoben werden, sind
reine Finanzzülle; sie sind auch nicht (oder wenigstens nur zufällig)
Grenzzölle; sie kommen dem Inländer in keiner Weise zu statten.
Dieses System wird in der Hauptsache bis ins 18. Jahrhundert fest-
gehalten 1"), In Brandenburg-Preußen bemerken wir erst unter Friedrich
Wilhelm I. und Friedrich dem Großen eine erheblichere Abweichung
von dem mittelalterlichen System zu Gunsten der Landwirtschaft;
unter ihnen kommen auch schon Anfänge von Schutzzöllen „zum Nutzen
des Landmannes vor“ 75). Allein von ihnen wird doch höchstens der
Versuch der Herstellung eines Gleichgewichts zwischen Stadt und
Land gemacht. Und jedenfalls „ging das Verbot des Auf- und Vor-
kaufens des Getreides auch noch in das preußische Landrecht über
und wurde erst durch die Verordnung vom 20. November 1810 auf-
gehoben“ "TL — Der Verlust der Autonomie seitens der Städte hat
allerdings in einem Punkte schon seit etwa dem 16. 8°) Jahrhundert
eine bedeutsame Wandlung in der Getreidehandelsverfassung hervor-
Se
74) Das war ihnen zweifellos auch schon im Mittelalter gestattet gewesen. Man
darf daber diese Bestimmung nicht als ein „vermittelndes Zugeständnis“ seitens des
Landesherrn auffassen.
75) Lexis, Art. Getreidehandel, Handwörterbuch der Staatswissenschaften , 2, Aufl.,
Bd. 4, S. 277.
76) Lexis a. a. O.
77) Vergl. außer Lexis z. B. Breysig-Spahn, Bd. 2, S. 416.
78) Lexis a. a. O. Vergl. ferner Naudé, Die Getreidehandelspolitik Friedrichs des
Großen, Deutsche landwirtschaftliche Presse, Jahrgang 1895, No. 14 und 20; Deutsches
Wochenblatt, Jahrgang 1895, No. 20 und 21. An letzterem Orte, S. 245 bemerkt er:
„Neben Holland und England war Preußen im 18. Jahrhundert der Staat, welcher
seinen Angehörigen am ausgiebigsten den Export von Getreide gewährt hat. Frankreich,
Spanien und Italien litten unter einem andauernden Sperrsystem, das die Landwirtschaft
der romanischen Völker im vorigen Jahrhundert von Grund aus ruiniert hat.“ Anderer-
seits hebt er S. 246 hervor, daß Friedrich der Große „jedem übermäßigen Steigen der
Preise im Interesse seiner Lieblingsschöpfung, der Industrie, und im Interesse seiner
Fabrikarbeiter durch eine umsichtige Magazinverwaltung entgegengetreten ist, . . dal
Friedrich mit allen Mitteln des absoluten Fürsten den Zwischenhandel und die private
Getreidespekulation unterdrückt hat“. Weiter auf Naudé’s Ausführungen einzugehen
ist hier nieht der Ort. Vergl. noch O. Hartwig, Aus Sieilien, Bd. 1, S. 100.
79) Lexis, 8. 278. Schmoller, S. 658 faßt „die deutschen größeren Territorien des
16.18. Jahrhunderts“ als eine Einheit zusammen. Diese Ansetzung ist nach obigem
zu berichtigen.
80) Eine scharfe Zeitgrenze läßt sich nicht ziehen. Schon im Mittelalter erlassen
die Landesherren Ausfuhrverbote. Vergl. meine landständische Verfassung in Jülich
und Berg, Teil 2, S. 59 Anm. 218. Freilich sind diese Jandesherrlichen Ausfuhrverbote
der älteren Zeit in der Regel nur Mittel im politischen Kampf mit politischen Gegnern.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 471
gebracht: während im Mittelalter meistens die einzelne Stadt für sich
Ausfuhrverbote erlieR, beansprucht jetzt der Landesherr das Recht,
für sein ganzes Territorium solche Verfügungen zu treffen Si), Damit
ist der „Gedanke einer territorialen Zusammenfassung der Produk-
tion und Konsumtion des Landes‘ gegeben st, Indessen greift doch
diese Umwandlung nicht sonderlich tief. Denn erstens werden die
lokalen Wünsche der einzelnen Städte keineswegs sogleich über-
wunden; lange kämpfen noch Städte und Landesherr um das Recht
der Getreidesperre; und auch nach seinem formellen Siege rechnet
er noch oft mit den lokalen Wünschen. Zweitens werden, von den
Bedürfnissen der einzelnen Städte abgesehen, seine Entschließungen
doch überwiegend durch die Rücksicht auf die allgemein-städtischen
Interessen, nicht auf die des platten Landes bestimmt ?).
Die preußischen Könige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich der
Große, die einige Ausnahmen zu Gunsten der Landwirtschaft zulassen,
sind im übrigen entschiedene Anhänger des merkantilistischen Systems,
und dieses ist, wie schon bemerkt, nur eine Fortbildung der alten
Stadtwirtschaft. Eine grundsätzlich neue Bestimmung desjenigen,
was in der Volkswirtschaft erstrebenswert sei, haben erst die Phy-
siokraten gegeben. Wenn irgendwo, so trifft es bei ihren Ideen zu, daß
eine Theorie ihre Kraft und ihren Wert weniger durch ihren positiven In-
halt, als durch den Gegensatz erhält, in den sie sich zu vorhandenen Ein-
richtungen stellt. Undein sehr wesentlicher Zugin dem physiokratischen
System ist eben der Gegensatz gegen die stadtwirtschaftlich-merkan-
tilistische Beherrschung des platten Landes. Ihre größte Wirksamkeit
entfalten die Physiokraten in Frankreich. Aber auch in einen Teil
Deutschlands reicht ihr Einfluß hinüber ®). Einen vollständigen Er-
folg haben sie übrigens noch nicht erreicht.
Wenn wir vorhin (S. 459) bemerkten, daß die Städte hinsicht-
lich der Erleichterung des Handelsverkehrs im Verhältnis zu einander
im 16. Jahrhundert vielleicht mehr als die Landesherren geleistet
haben, und jetzt die geringe Produktivität der letzteren in Bezug
auf die Befreiung des Landes von der städtischen Herrschaft kon-
statieren müssen, so dürfen wir doch andererseits hervorheben, daß
81) Schmoller, S. 21 ff., S. 651 und S. 661.
82) Schmoller, S. 22.
83) Das über den Getreidehandel Gesagte gilt mehr oder weniger auch von dem
Handel mit anderen Gegenständen der Urproduktion. Ueber die Beschränkung des
Fleischhandels s. z. B. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1, S. 500 ff. ;
über die Beschränkung des Adels durch die Städte im Fischhandel Breysig-Spahn,
Bd. 2, S. 995; über das Verbot der Holzausfuhr ins Ausland v. Bassewitz, die Kurmark
Brandenburg vor dem Ausbruch des französischen Krieges im Oktober 1806, 8. 441.
Auf die als Verderb des Landmanns bezeichneten städtischen Taxen sei hier summarisch
hingewiesen (vergl. Schmoller, Umrisse, S. 378). Bemerkenswert für den Gegensatz
zwischen Stadt und Land ist auch eine Klage der ostpreußischen Städte bei Breysig-
Spahn a. a. O., S. 1014 Anm.: „In den Dörfern werden zum Nachteil der Stadt-
gerichte Bauerngerichte angestellt, Geburtsbriefe und andere gerichtliche Sachen aus-
gefertigt.“
84) Vergl. meine Anzeige von Th. Ludwig, Der badische Bauer im 18. Jahrhundert
(Straßburg 1896), in der Historischen Zeitschrift, Bd. 84, S. 506.
472 G. v. Below,
den Landesherren mindestens das Verdienst zukommt, den städtischen
Wünschen etwas gesteuert zu haben, und daß jedenfalls ihre Ziele
höher waren, als die der Städte. Die Grenzen, die deren Thätigkeit
hatte, werden uns hier klar. Auch die früher geschilderten Städte-
bünde sind gar nicht gesonnen, etwas von der Herrschaft über das
Land aufzugeben; in der Festhaltung derselben liegt sogar teilweise
der Zweck ihrer Vereinigungen ®). Die Territorien konnten und
mußten mehr und Besseres vollbringen.
An meine Ausführungen über die Stellung der Landesherren zu
der Beherrschung des Landes durch die Städte möchte ich hier einige
weitere Bemerkungen über das wachsende Interesse, das der Staat
an den landwirtschaftlichen Angelegenheiten nimmt, knüpfen. In dem
Verhältnis zu der städtischen Vorherrschaft fanden wir, daß er dem
Landmann als solchem im Mittelalter gar keine, in den ersten Jahr-
hunderten der Neuzeit eine sehr geringe Fürsorge zuwendet, und
daß eine erheblichere Wandlung erst im Laufe des 18. Jahrhunderts
eintritt. Größerer Energie begegnen wir, wenn wir auf die inneren
Verhältnisse der landwirtschaftlichen Bevölkerung blicken. Der Staat
nimmt sich früh der Bauern gegen andere Mächte des platten Landes
an, zunächst aus einem steuerpolitischen, dann aus einem mili-
tärischen Gesichtspunkt zm. Er verbietet schon im Mittelalter, wenig-
stens in dessen letzten beiden Jahrhunderten, den Erwerb von
Bauerngütern durch die Kirche. Diese Verbote werden freilich nicht
aus besonderer Rücksicht auf den Bauernstand erlassen, sondern
bilden Teile der allgemeinen Amortisationsgesetze, welche der Un-
wille über den steuerfreien Klerus hervorruft zën), Seit dem letzten
Jahrhundert folgen, zuerst sparsam auftretend, Verbote des Erwerbs
von Bauerngütern durch Ritter 5%) und Bürger°®). Mit dem 16.
etwa tauchen landesherrliche Unteilbarkeitsordnungen auf°‘). Auch für
85) Vergl. z. B. Naudé, Die Geteidehandelspolitik der europäischen Staaten,
S. 248; Stein, Beiträge zur Geschichte der deutschen Hanse, S. 129; Hansische Geschichts-
blätter, 1897, S. 55 Anm. 5 (S. 56). Die hansische Getreidehandelspolitik richtete sich
übrigens wohl mehr noch gegen die nichthansischen Händler (namentlich die Holländer)
als gegen den Landmann. Stein, 8. 130. — Ueber die schroffe Herrschaft, die Basel in
den neueren Jahrhunderten über das Land ausgeübt hat, s. Geering, Handel und In-
dustrie der Stadt Basel, S. 594 ft.
86) Eines der ältesten Beispiele für das Eintreten der Landesherren zu Gunsten
der Bauern aus einem militärischen Gesichtspunkt ist wohl die in meinem Buch „Terri-
torium und Stadt“, S. 61, Anm, 1 angeführte Altenburger Landesordnung v. 1568.
86a) Die ältesten Amortisationsgesetze stammen aus den Städten, aus dem 13.
Jahrhundert. Die Landesherren folgen ihnen erst im 14. nach. S. meinen oben 8. 450,
Anm. 3 erwähnten Aufsatz über die städtische Verwaltung des Mittelalters S. 4ö4f.
Zu S. 454, Anm. 8 vergl. Frensdorff, Göttinger Festschrift für den Hansischen Ge-
schichtsverein (Göttingen 1900), S. 36 unten.
86b) S. z. B. meine Landtagsakten von Jülich-Berg, Bd. 1, S. 144.
86c) Vgl. freilich unten Anm. 232.
86d) Zur neuesten Litteratur über die Entstehungsursachen der ungeteilten Ver-
erbung der Bauerngüter s. Geffeken, Ztschr. der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte,
Germ. Abteilung, Bd. 21 (1900), S. 280 ff.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 473
die technischen Fragen der Land- und der Forstwirtschaft beginnen
jetzt die territorialen Regierungen zu sorgen pp), Diese verschie-
denen Zweige der landesherrlichen Thätigkeit haben jedoch im 16.
und 17. Jahrhundert nur in Westdeutschland einige Bedeutung, im
Osten so gut wie gar keine. Größere Erfolge haben sie hier wie
dort erst im 18. zu verzeichnen ng, Das 19. Jahrhundert hat eine
weitere Steigerung der staatlichen Fürsorge für die Landwirtschaft
gebracht. Je später die Zeit, desto mehr Aufmerksamkeit widmet man
dem platten Lande; man lernt es jetzt erst schätzen.
86e) S. z. B. Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 1. S. 41f.; meine Landtagsakten,
a. a. O., S. 146.
86f) Vgl. Knapp, Grundherrschaft und Rittergut, S. 47 ff.
(Fortsetzung folgt.)
474 G. Caro,
Nachdruck verboten.
VII.
Die Grundbesitzverteilung in der Nordost-
schweiz und angrenzenden alamannischen
Stammesgebieten zur Karolingerzeit.
(Ein Beitrag zur Verwertung der karolingischen Privat-
urkunden für wirtschafts- und landesgeschichtliche
Forschungen.)
Von
Dr. G. Caro, Privatdocent in Zürich.
Nachfolgende Ausführungen bilden die wenig veränderte Wieder-
gabe eines Vortrags, den ich im vergangenen Winter in der anti-
quarischen Gesellschaft hierselbst gehalten habe. Es kam mir wesent-
lich darauf an zu zeigen, wie aus dem vorhandenen Quellenmaterial
— den S. Galler Traditionsurkunden — Schlüsse gezogen werden
können auf die wirtschaftlichen Zustände des süd-alamannischen
Stammesgebiets im 8. und 9. Jahrhundert. Dazu gehörte denn eine
Orientierung über den Stand der berührten Fragen und eine Dar-
legung des Weges, den ich bei der Untersuchung einzuschlagen
für angemessen fand. Die specielle Bearbeitung des Gegenstandes
wird anderweitig zur Publikation gelangen. Gleichwohl halte ich es
nicht für unangebracht, auch den Vortrag, der teilweise einen Auszug
daraus bildet, einer weiteren Oeffentlichkeit zu übergeben.
Nur durch engstes Zusammenwirken der allgemeinen und der
lokal begrenzten Forschung können auf den Gebieten der Wirt-
schafts-, Verfassungs- und Sozialgeschichte die schwebenden Fragen
gelöst werden. Gerade für die Karolingerzeit fehlt es noch sehr an
einem solchen Zusammengehen. Inama Sternegg’s Deutsche Wirt-
schaftsgeschichte (Bd. 1) nimmt auf landschaftliche Unterschiede
wenig Rücksicht. Lamprecht's Deutsches Wirtschaftsleben steht
allerdings auf dem festen Boden einer genauen Lokalkenntnis; aber
die später für das Moselland so reichlich fließenden Quellen sind
in der Karolingerzeit noch recht dürftig; jedenfalls ist für gar
Die Grundbesitzverteiluug in der Nordosischweiz etc. 475
manche andere Gegend weitaus mehr Material vorhanden. Ich habe
es nun versucht, eine der Gruppen von Privaturkunden, deren aus
der Karolingerzeit noch mehrere erhalten sind, möglichst intensiv zu
verwerten. Den Weg, auf dem ich vorgehe, und die Resultate, zu denen
ich gelange, kann ich hier nur skizzieren. So unvollkommen noch
vieles sein mag an Methode und Ergebnissen, ich glaube annehmen
zu dürfen, daß das hier eingeschlagene Verfahren auch bei sonstiger
Anwendung sich fruchtbar erweisen wird. Noch ist zur Lösung von
Fragen wie derjenigen nach der Grundbesitzverteilung in der Karo-
lingerzeit nur wenig geschehen. Selbst die fundamentalen Unter-
schiede zwischen den gallo-römischen und rein germanischen Ver-
hältnissen werden nicht immer genügend beachtet; geschweige denn
daß die Differenzen, die damals schon zwischen den einzelnen
deutschen Landschaften bestanden haben müssen, eine ausreichende
Würdigung gefunden hätten. Vielleicht können die folgenden Er-
örterungen dazu beitragen, daß den in so überwältigender Menge
vorliegenden Zeugnissen für altdeutsche Zustände nicht mehr bloß
von dem einseitigen Gesichtspunkt der Ortsnamenserklärung aus,
oder höchstens der Entstehung des kirchlichen Großgrundbesitzes
specielle Aufmerksamkeit zu teil wird. Für Rheinfranken, die
Mainlande und Bayern bieten die Lorscher, Fuldenser, Freisinger
und andere Traditionen ein kaum minder wertvolles Material als
die S. Galler für Alamannien.
Vom 13. Jahrhundert bis zur französischen Revolution ist die
Agrarverfassung in ganz Westeuropa wesentlich stabil geblieben.
Es war der Zustand, den man als den feudalen zu bezeichnen pflegt.
Der Boden steht im Eigentum eines Grundherrn und wird
bestellt von Bauern. Der Grundherr gehört dem Adelsstande an,
häufig ist aber auch eine Korporation Grundherr, eine Stadt, eine
kirchliche Genossenschaft oder der Staat. Ob der Adlige wirk-
licher Eigentümer ist oder Lehensträger eines höheren, darauf kommt
vom wirtschaftlichen Gesichtspunkte aus nicht viel an. Weitaus
wichtiger ist, daß der Grundherr selbst die Bodenbestellung gar
nicht oder nur in geringem Umfange betreibt; bloß im Osten
ist, etwa seit dem 16. Jahrhundert, eigener Landwirtschaftsbetrieb
der Grundherren in größerem Maßstabe die Regel geworden. Die
Elbe bildet ungefähr die Grenzscheide zwischen den beiden ver-
schiedenen Formen der Grundherrschaft. Westlich der Elbe be-
schränkt sich die Nutznießung des Grundherrn von seinem Gut fast
ausschließlich auf die Zinse und Abgaben, welche ihm die Bauern
leisten, also auf eine Grundrente. Die Besitzrechte der Bauern auf
das Grundstück, das sie bewirtschaften, sind sehr mannigfaltige,
vom festen erblichen Anrecht bis zur bloßen Zeitpacht abgestuft.
Hörigkeit oder Leibeigenschaft der Bauern hat in manchen Gegenden
bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts bestanden. Freie bäuerliche
Eigentümer, die keinem Grundherrn unterstanden, gab es außer in
den Hochalpen nur ganz vereinzelt.
476 G. Caro,
Durchaus verschieden ist das Bild, welches man von den Agrar-
zuständen der germanischen Urzeit zu entwerfen pflegt. Man stellt
sich die alten Germanen als ein Volk von Bauern vor. Der freie
Mann saß auf eigener Scholle, die er selbst bearbeitete. Erhebliche
Unterschiede in der Größe des Grundbesitzes waren nicht vor-
handen. Was der einzelne besaß, seine Hufe, reichte gerade hin,
ihn, seine Familie, vielleicht auch einige unfreie Knechte zu er-
nähren. Nur der wenig zahlreiche Uradel hatte größeren Grund-
besitz.
Wie der spätere Zustand aus dem früheren entstanden ist,
darauf giebt die herrschende Ansicht etwa folgende Antwort. Nach-
dem die deutschen Stämme in der Völkerwanderung vielfach neue
Sitze eingenommen hatten, wurden sie von den Franken unterworfen.
Alamannen, Bayern, Thüringer, Sachsen sind in das Frankenreich
eingegliedert worden. Dabei fiel das herrenlose Land an den König,
der es an seine Getreuen vergabte, zu Eigentum, später zu Lehen.
Die Kirche erhielt reichlichen Anteil an solchen Vergabungen, viele
Schenkungen flossen ihr zu, von den Gläubigen, die um ihr Seelen-
heil besorgt waren. So entstand ein Großgrundbesitz, der in
raschem Wachstum den kleinen aufgesogen hat. Das Zurückgehen
des letzteren wurde beschleunigt durch den Druck, den die In-
stitutionen der fränkischen Reichsverfassung ausübten. Der freie
Hufenbesitzer war verpflichtet, dem Heerbann Folge zu leisten, er
mußte zu den häufigen Gerichtstagen sich einfinden, er unterlag den
hohen Bußen, die das Volksrecht verlangte. So verarmten die
kleinen Freien, sie suchten Schutz bei den Großen, bei den welt-
lichen Grundherren, die als Grafen es in der Hand hatten, sie ihre
Macht fühlen zu lassen, und vor allem bei den Kirchen, deren Be-
sitzungen die Immunität gegen das Eingreifen der staatlichen Be-
amten verteidigte. In der Karolingerzeit ist dieser Umwandlungs-
prozeß vor sich gegangen. Am Anfang des 8. Jahrhunderts bestand
noch die Hauptmasse des Volks aus freien Grundeigentümern, am
Ende des 9. Jahrhunderts sind diese ganz oder großenteils ver-
schwunden durch Aufgehen in die Grundherrschaften, wo sie mit
den angesiedelten Unfreien und den Halbfreien zu dem Bauernstande
verschmolzen.
Das ist die Auffassungsweise, die besonders auch von den
deutschen Rechtshistorikern vertreten wird (Waitz, Brunner, Dahn,
Schröder). Neuerdings hat sich dagegen Widerspruch erhoben, von
verschiedenen Seiten aus. Der französische Gelehrte Fustel de
Coulange, der Engländer Seebohm, betrachten den grundherrlichen
Zustand als den ursprünglichen; zunächst allerdings für das gallo-
römische Frankreich und für England seit der angelsächsischen Er-
oberung; aber sie übertragen ihre dort gewonnenen Ergebnisse auch
auf deutsche Verhältnisse, deren grundsätzliche Verschiedenheit sie
nicht anerkennen. Noch weiter geht neuerdings Wittich, gestützt
auf eine Untersuchung der späteren Agrarzustände in Nordwest-
deutschland oder Niedersachsen; er erblickt sogar in den Germanen
Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz etc. 477
des Tacitus Grundherren, die von den Zinsen ihrer Hörigen lebten,
und stellt schlechthin in Abrede, daß es kleine freie Grundbesitzer
von der Art, wie sie die herrschende Ansicht annimmt, jemals ge-
geben habe.
Mit der Frage nach der Grundbesitzverteilung berührt sich
eng eine andere, welche mehr auf die technische Seite des
Landwirtschaftsbetriebes Bezug hat. Die Dreifelderwirtschaft hat
wohl mehr als ein Jahrtausend lang die Bodenkultur in ihren Fesseln
gehalten. Die Grundzüge sind bekannt. Das Ackerland einer Dorf-
gemarkung zerfällt in drei Zelgen, bestimmt für den Wechsel zwischen
Wintersaat, Sommersaat und Brache. Jede Zelge zerfällt in eine
Anzahl Gewanne, die wieder durch parallele Streifen in Ackerbeete
von etwa einem Morgen Größe geteilt sind. Zum Bauernhof im
Dorfe gehören nicht etwa zusammenhängende Felder oder ganze
Gewanne, sondern durchschnittlich je ein Acker in jedem Gewann.
Die Pertinenz des Bauernhofes an Ackerland ist über die ganze
Gewannflur ausgebreitet, sie unterliegt bei der Bestellung dem
Flurzwang und nach der Ernte dem Anrecht der Nachbarn auf
Stoppelweide. Außerhalb der Gemenglage befinden sich der ein-
gezäunte Garten beim Gehöft, Specialkulturen wie Weinberge, und
vor allem das unbebaute Land, die gemeine Mark oder Almend,
das ist Wald und Weide; daran hat jeder Hofbesitzer Nutzungs-
rechte. In den Flurkarten, die meist aus dem Ende des vorigen
und dem Anfang unseres Jahrhunderts stammen, läßt sich die ent-
sprechende Ausgestaltung der Dorfgemarkung erkennen, die ja seit-
dem durch Zusammenlegung der Aecker, auch Aufteilung der ge-
meinen Mark, vielfach geändert worden ist.
Eine weitverbreitete Anschauungsweise will nun die Flurkarten
benutzen zu Rückschlüssen auf die Urzeit, auf die ursprüngliche
Anlage der Dörfer bei der germanischen Ansiedelung, von der Vor-
aussetzung ausgehend, daß in solchen grundlegenden Verhältnissen
sich nichts wesentliches geändert haben könne bis eben zu den
modernen Neuerungen. Diese Methode ist eingeführt worden von
Hanssen. Neuerdings hat sie Meitzen in großem Maßstabe zur
Anwendung gebracht in dem Werke: „Wandrungen, Anbau und
Agrarrecht der Völker Europas nördlich der Alpen.“ Die so ge-
wonnenen Ergebnisse sind, abgesehen von mancherlei Modifikationen:
Die Germanen der Urzeit kannten noch kein Privateigentum am
Grund und Boden. Das zum Anbau bestimmte Land wurde alljähr-
lich neu verteilt nach Geschlechtern und Sippschaften. Erst all-
mählich, im Laufe der Zeit, bildeten sich private Eigentumsrechte
heraus, zunächst an Haus und Hof, sodann an den Aeckern; im
Gemeinbesitz blieb nur die ungeteilte Mark oder Almend. Ueber-
reste des alten Agrarkommunismus sind der Flurzwang, Stoppel-
weide, Ueberfahrtsrechte, vor allem aber die eigentümliche Ver-
teilung der Aecker in den Gewannen, die auf eine ursprüngliche
Gleichheit des Besitzes aller Hofinhaber des Dorfes hindeute. Früher
seien unter denselben die Anteile jährlich neu verlost worden, eine
478 G. Caro,
Sitte, deren Ueberreste man sogar noch in der Gegenwart auffinden
wollte, in den rheinischen Gehöferschaften, doch hat sich das aller-
dings als Irrtum erwiesen. Jedenfalls wird die Hufe als das Normal-
maß für den Besitz des freien Mannes angesehen. In der Größe
von etwa 40 Morgen besteht sie aus Haus und Hof, Aeckern in
der Gewannflur und Anteil an der gemeinen Mark. Auch gegen
diese ganze Auffassungsweise ist Widerspruch erhoben worden.
Der schon erwähnte französische Gelehrte Fustel de Coulange
leugnet. daß es Gemeinbesitz an der ungeteilten Mark schon im
8. Jahrhundert gegeben habe, er betrachtet die Entstehung der
Nutzungsrechte an derselben als eine Folge der grundherrlichen
Entwickelung späteren Datums. Zu ähnlichen Schlüssen kommt
neuerdings Hildebrand, in „Recht und Sitte auf den verschiedenen wirt-
schaftlichen Kulturstufen‘“, einem Werke, das freilich vielfach auf
soziologischen Erwägungen beruht.
Zur Lösung historischer Fragen, wie der vorliegenden, giebt es
meines Erachtens nur ein Mittel, das ist Prüfung der Quellen. Es
mag verlockend scheinen, auf systematischem Wege vorzugehen,
eine Entwickelungsreihe aufzustellen, der entsprechend die Dinge
haben verlaufen müssen, und dann, mit vorgefaßter Meinung,
an die Quellen herantretend in ihnen wiederzufinden, was man vorher
als notwendig erwiesen Zu haben glaubt. Eine derartige Methode
führt niemals zu zuverlässigen Ergebnissen. Die Wirtschaftsgeschichte
wie die politische kann historische Erkenntnis nur erschlieRen, wenn
sie unter Verzicht auf spekulative Theorien sich begnügt
zu erkunden, wie die Dinge gewesen sind. Um dies zu erreichen,
muß man aber mit der vorurteilsfreien Interpretation der Quellen
anfangen, höchstens, daß zur Erläuterung vorsichtige Rückschlüsse
aus späteren, wohlbekannten Zuständen gestattet sind.
Nun steht es mit den Quellen folgendermaßen. Vom 13. Jahr-
hundert an sind Urkunden, Urbare, Weistümer, Akten in immer
steigender Menge vorhanden. Die germanische Urzeit hingegen wird
nur durch die Berichte des Cäsar und Taeitus einigermaßen aufgehellt,
die folgenden Jahrhunderte sind völlig dunkel. Was sich für die Mero-
vingerzeit aus den Volksrechten entnehmen läßt, ist mancherlei
Interpretation fähig. Erst um die Wende des 7. und 8. Jahrhunderts
beginnen die Urkunden, deren für die karolingische Epoche mehrere
Tausend vorhanden sind. Das 10. 11. und auch noch 12. Jahr-
hundert sind wiederum verhältnismäßig arm an Urkunden, wenig-
stens an Privaturkunden, die für wirtschaftsgeschichtliche Unter-
suchungen vielfach wertvoller sind als die öffentlichen, die Kaiser-
und Papsturkunden. Es trifft sich also recht günstig. In der Karo-
lingerzeit soll die durchgreifende Umwälzung vor sich gegangen
sein, die an die Stätte des kleinen den Großgrundbesitz setzte;
gerade für diese Epoche mangelt es keineswegs an Quellen.
Die karolingischen Privaturkunden tragen ein durchaus ein-
seitiges Gepräge. Die überwiegende Mehrzahl enthält Schenkungen
an die Kirche. Aussteller ist der Geschenkgeber, Empfänger «in
Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz ete. 479
Kloster oder ein Bistum. Begreiflicherweise erscheinen die Urkunden
deswegen besonders geeignet, über das Wachstum des kirchlichen
Großgrundbesitzes Aufschluß zu geben, das dann allerdings ganz auf-
fällig hervortritt. Indessen, mit der bloßen Addierung der Schenkungen
ist wenig gethan. Einmal schon, weil die Geschenkgeber oder Traden-
ten keineswegs immer sich ihres Rechts auf den geschenkten Grund-
besitz völlig entäußern, vielmehr recht häufig die Nutznießung des-
selben unter verschiedenen Bedingungen sich vorbehalten. Es macht
doch einen großen Unterschied aus, ob dem Empfänger der Schenkung
der Ertrag des geschenkten Objekts ganz zufällt oder nicht. Die
eigentümliche Organisation und Verwaltung des kirchlichen Groß-
grundbesitzes findet eine Erklärung in der Art seiner Entstehung.
Noch wichtiger aber dürfte es sein, die Urkunden überhaupt von
einem anderen Gesichtspunkte aus zu betrachten. Ich stelle die
Frage nicht, wieviel hat die Kirche geschenkt erhalten, sondern was
ist geschenkt worden und von wem. Sehe ich mir die Urkunden
daraufhin an, so muß ich ja sofort in den Tradenten größere oder
kleinere Gutsbesitzer, Grundherren oder Bauern wiederfinden. Ich
kann mich darüber vergewissern, wie der Grund und Boden ver-
teilt war, vor Entstehung wenigstens des kirchlichen Großgrund-
besitzes, und so die Frage lösen, die bisher doch noch immer zu
Zweifeln Anlaß giebt.
Die Benutzung der Urkunden ist nicht so einfach, als es dem
Prinzip nach scheinen mag. Das Material ist ein sehr lückenhaftes.
Wir erfahren nur von den frommen Leuten, die ihr irdisches Gut
dahingaben; von den weltlich gesinnten, die nicht an die Kirche
schenkten, wissen wir wenig, Dazu kommt das Ungeschick der
Urkundenschreiber, die sich an feststehende Formulare hielten und
dem Rechtsinhalt der Urkunde nicht stets den passenden Ausdruck
verliehen haben. Vorbereitende Untersuchungen sind nötig, um die
Urkunden verwendbar zu machen. Indessen eben der Gesichts-
punkt, den ich in den Vordergrund stellen möchte, der Schluß aus
der Größe des tradierten Objekts auf den Besitz des Tradenten ist
bisher nur vereinzelt zur Anwendung gebracht worden. Es ver-
lohnt sich wohl, denselben systematisch zu verwerten. Erst mit
Hilfe der Urkunden lassen sich auch die Angaben in den Gesetzen
und Schriftstellern richtig würdigen.
Die S. Galler Urkunden, die ich im folgenden behandle, liegen
vor in der vortrefflichen Edition von Wartmann. Die wertvollsten
Erläuterungen dazu hat Meyer von Knonau gegeben, besonders in
den S. Galler Mitteilungen zur vaterländischen Geschichte, Heft 13.
Die dort beigefügten Karten erläutern die geographische Verteilung
des S. Galler Grundbesitzes.
S. Gallen schreibt seinen Ursprung her vom h. Gallus (Anfang
des 7. Jahrh.), dessen Einsiedlerzelle in der Waldwildnis am Ufer
der Steinach auch nach seinem Tode der Sitz einer kleinen Kon-
gregation von Geistlichen blieb. Klösterliches Leben scheint sich
dort erst wenig vor der Mitte des 8. Jahrhunderts entfaltet zu haben,
480 G. Caro,
unter dem ersten Abt Otmar, der wegen seines frommen Lebens-
wandels und traurigen Endes später ebenfalls zu den Heiligen
gerechnet wurde. Das Kloster stand unter dem Bistum Constanz,
ein Verhältnis, welches die Mönche als sehr drückend ansahen. Der
entscheidende Schritt zur Befreiung geschah durch Ludwig den
Frommen, 818, mit Verleihung der Immunität und wohl auch des
Rechts der freien Abtwahl. Völlig gelöst wurde die Verbindung
mit Constanz erst später. S. Gallen war fortan ein königliches —
reichsunmittelbares — Kloster.
Das Privileg der freien Abtwahl ist von den karolingischen
Königen mehrfach verletzt worden; aber gerade die dem Kloster
aufgedrungenen Aebte trugen mit am meisten bei zu seiner Blüte,
so Grimold, der Kanzler Ludwigs des Deutschen, unter dem es die
erste Schenkung von Königsgut erhielt, und Salomon III., der Bischof
von Constanz, dessen lange Regierung den Nachlebenden im ver-
klärenden Schimmer der Erinnerung als das goldene Zeitalter S.
Gallens erschien. Von den Herrschern hat sich keiner dem Kloster
gnädiger erwiesen als Karl III., der gutmütige Schwabenkönig, dem
ein verhängnisvolles Schicksal die Krone des wieder vereinigten
Frankenreichs aufbürdete, die für ihn zu schwer war; aber auch
der Zorn Arnulfs verrauchte schnell, den Besuch, den Konrad I.
dem Kloster abstattete, hat Ekkehard in lebhaften Farben geschildert.
Die Entwickelung S. Gallens unterscheidet sich nicht unwesent-
lich von derjenigen anderer großer Klöster. Nur allmählich ist es
emporgekommen, die Gunst der Könige hat ihm spät gelächelt, den
Höhepunkt erreichte es erst, als anderwärts in den Stürmen der
Bürgerkriege und Normanneneinfälle Klosterzucht und Pflege der
Wissenschaften dahinsanken. Bereits in. der Verteilung der er-
haltenen Urkunden auf die Epochen der Klostergeschichte kommt
die wachsende Bedeutung S. Gallens zum Ausdruck. Es entfallen
auf die Zeit
bis zum Tode Otmars, ca. 700—759 22 Urkunden
bis zur Erteilung der Immunität 818 193 A
bis Abt Grimold 842 124 S
unter Abt Grimold 842—872 173 r
bis Abt Salomon 872—890 94
unter Abt Salomon 890—920 95
n
Im Jahresdurchschnitt zeigt sich das Verhältnis ganz deutlich,
zunächst das Steigen von ungefähr */,, pro Jahr auf 34/,,, 54/10,
der Höhepunkt unter Grimold mit 6, dann das Herabsinken auf
51/, und 3?/,,. Etwa das gleiche ergiebt die Verteilung der Ur-
kunden auf die Regierungszeit der Könige. Der sehr geringen
Ziffer des Jahresdurchschnitts vor Pippin (noch nicht !/,) stehen bis
Ludwig den Deutschen stets wachsende Zahlen gegenüber, unter
Pippin circa 2 #/,,, Karl dem Großen 3 !/,,, Ludwig dem Frommen
5+/io, Ludwig dem Deutschen 57/,,. Das Sinken beginnt mit
Karl III. 5 ®/,,, dann Arnulf 3°/,,, Ludwig das Kind 37/10»
Konrad I. 2. Die Abweichungen bei Berechnung nach einem 20-
Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz ete. 481
jährigen Durchschnitt sind nicht erheblich. Das Sinken gegen Ende
der Karolingerzeit tritt hier ebenfalls hervor und wird noch deut-
licher, wenn man die Königsurkunden außer Betracht läßt, die, je
tiefer herab, um so häufiger werden.
Das Verhältnis ist bei anderen Klöstern nicht das gleiche. Die
überwiegende Mehrzahl der Lorscher Urkunden stammt aus den
letzten Jahren Pippins, unter dem Lorsch erst gegründet wurde, und
aus der Zeit Karls des Großen. Zur Zeit des ersten fränkischen
Kaisers erfuhr auch der Urkundenvorrat des Klosters Weißenburg
im Elsaß das erheblichste Wachstum. Man könnte einwenden, ein
Zufall verursache diese Erscheinung, die übrigen Urkunden sind
eben verloren. Indessen bei Lorsch ist ein solcher Zufall fast
ganz ausgeschlossen. Wenn auch die Zusammensteller des Kopial-
buchs, das die Urkunden enthält, eine bestimmte Gattung ganz weg-
gelassen haben, in Bezug auf die übrigen haben sie nach Voll-
ständigkeit gestrebt, und viel mehr als 3600 Urkunden, — so viel
beträgt etwa die Zahl der überlieferten, — sind wohl überhaupt für
Lorsch nicht ausgestellt worden.
Was S. Gallen betrifft, so fehlt jede Gewähr dafür, daß alle
Urkunden des Klosters uns noch vorliegen. Es ist sogar recht
wahrscheinlich, daß viele verloren gegangen sind.
Betreffs der schon angestellten und der noch folgenden Be-
rechnungen ist stets der Vorbehalt zu machen, daß bei vollständiger
Erhaltung des Materials das Ergebnis ein anderes sein könnte; ich
glaube aber nicht, daß die Abweichungen bedeutend genug wären,
um mit Vorsicht gezogene Schlüsse Lügen zu strafen. Dafür ist
denn doch die Anzahl der noch vorhandenen Urkunden zu be-
trächtlich, und die Uebereinstimmung der Resultate mit anderen
Zeugnissen giebt die Gewähr, daß nicht schlechthin Zufälligkeiten
eine Täuschung hervorrufen.
Für die Einteilung der S. Galler Urkunden nach sachlichen
Gesichtspunkten bieten den besten Anhalt die aus dem Kloster
selbst stammenden Formelsammlungen, welche die Muster
enthalten, nach denen die Urkunden geschrieben worden sind.
Danach lassen sich unterscheiden: freie Schenkungen, bedingte
Schenkungen, bedingte Schenkungen mit Rückkaufsvorbehalt, Tausch-
urkunden, Kaufurkunden und einige wenige andere, die sich in diesen
Rubriken nicht unterbringen lassen.
Als freie Schenkungen sind diejenigen zu betrachten, kraft
deren das geschenkte Objekt vom Tage der Rechtshandlung an in
Eigentum und Besitz des Klosters übergeht. Von 647 Privatur-
kunden, die für S. Gallen ausgestellt sind, enthalten nur 72 freie
Schenkungen. Weit höher ist die Zahl der bedingten Schenkungen,
bei denen der Tradent sich vorbehält, daß das geschenkte Gut an
ihn oder auch an seine Erben wieder verliehen wird, fast immer
gegen die Verpflichtung zur Entrichtung eines Zinses an das Kloster.
Unter Einberechnung der Urkunden, die nur über die Wieder-
verleihung aussagen, und derjenigen, die dem Kloster Verpflichtungen
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 31
478 G. Caro,
Sitte, deren Ueberreste man sogar noch in der Gegenwart auffinden
wollte, in den rheinischen Gehôferschaften, doch hat sich das aller-
dings als Irrtum erwiesen. Jedenfalls wird die Hufe als das Normal-
maß für den Besitz des freien Mannes angesehen. In der Größe
von etwa 40 Morgen besteht sie aus Haus und Hof, Aeckern in
der Gewannflur und Anteil an der gemeinen Mark. Auch gegen
diese ganze Auffassungsweise ist Widerspruch erhoben worden.
Der schon erwähnte französische Gelehrte Fustel de Coulange
leugnet. daß es Gemeinbesitz an der ungeteilten Mark schon im
8. Jahrhundert gegeben habe, er betrachtet die Entstehung der
Nutzungsrechte an derselben als eine Folge der grundherrlichen
Entwickelung späteren Datums. Zu ähnlichen Schlüssen kommt
neuerdings Hildebrand, in „Recht und Sitte auf den verschiedenen wirt-
schaftlichen Kulturstufen“, einem Werke, das freilich vielfach auf
soziologischen Erwägungen beruht.
Zur Lösung historischer Fragen, wie der vorliegenden, giebt es
meines Erachtens nur ein Mittel, das ist Prüfung der Quellen. Es
mag verlockend scheinen, auf systematischem Wege vorzugehen,
eine Entwickelungsreihe aufzustellen, der entsprechend die Dinge
haben verlaufen müssen, und dann, mit vorgefaßter Meinung,
an die Quellen herantretend in ihnen wiederzufinden, was man vorher
als notwendig erwiesen zu haben glaubt. Eine derartige Methode
führt niemals zu zuverlässigen Ergebnissen. Die Wirtschaftsgeschichte
wie die politische kann historische Erkenntnis nur erschließen, wenn
sie unter Verzicht auf spekulative Theorien sich begnügt
zu erkunden, wie die Dinge gewesen sind. Um dies zu erreichen,
muß man aber mit der vorurteilsfreien Interpretation der Quellen
anfangen, höchstens, daß zur Erläuterung vorsichtige Rückschlüsse
aus späteren, wohlbekannten Zuständen gestattet sind.
Nun steht es mit den Quellen folgendermaßen. Vom 13. Jahr-
hundert an sind Urkunden, Urbare, Weistümer, Akten in immer
steigender Menge vorhanden. Die germanische Urzeit hingegen wird
nur durch die Berichte des Cäsar und Tacitus einigermaßen aufgehellt,
die folgenden Jahrhunderte sind völlig dunkel. Was sich für die Mero-
vingerzeit aus den Volksrechten entnehmen läßt, ist mancherlei
Interpretation fähig. Erst um die Wende des 7. und 8. Jahrhunderts
beginnen die Urkunden, deren für die karolingische Epoche mehrere
Tausend vorhanden sind. Das 10., 11. und auch noch 12. Jahr-
hundert sind wiederum verhältnismäßig arm an Urkunden, wenig-
stens an Privaturkunden, die für wirtschaftsgeschichtliche Unter-
suchungen vielfach wertvoller sind als die öffentlichen, die Kaiser-
und Papsturkunden. Es trifft sich also recht günstig. In der Karo-
lingerzeit soll die durchgreifende Umwälzung vor sich gegangen
sein, die an die Stätte des kleinen den Großgrundbesitz setzte;
gerade für diese Epoche mangelt es keineswegs an Quellen.
Die karolingischen Privaturkunden tragen ein durchaus ein-
seitiges Gepräge. Die überwiegende Mehrzahl enthält Schenkungen
an die Kirche. Aussteller ist der Geschenkgeber, Empfänger cin
Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz ete. 479
Kloster oder ein Bistum. Begreiflicherweise erscheinen die Urkunden
deswegen besonders geeignet, über das Wachstum des kirchlichen
Großgrundbesitzes Aufschluß zu geben, das dann allerdings ganz auf-
fällig hervortritt. Indessen, mit der bloßen Addierung der Schenkungen
ist wenig gethan. Einmal schon, weil die Geschenkgeber oder Traden-
ten keineswegs immer sich ihres Rechts auf den geschenkten Grund-
besitz völlig entäußern, vielmehr recht häufig die Nutznießung des-
selben unter verschiedenen Bedingungen sich vorbehalten. Es macht
doch einen großen Unterschied aus, ob dem Empfänger der Schenkung
der Ertrag des geschenkten Objekts ganz zufällt oder nicht. Die
eigentümliche Organisation und Verwaltung des kirchlichen Groß-
grundbesitzes findet eine Erklärung in der Art seiner Entstehung.
Noch wichtiger aber dürfte es sein, die Urkunden überhaupt von
einem anderen Gesichtspunkte aus zu betrachten. Ich stelle die
Frage nicht, wieviel hat die Kirche geschenkt erhalten, sondern was
ist geschenkt worden und von wem. Sehe ich mir die Urkunden
daraufhin an, so muß ich ja sofort in den Tradenten größere oder
kleinere Gutsbesitzer, Grundherren oder Bauern wiederfinden. Ich
kann mich darüber vergewissern, wie der Grund und Boden ver-
teilt war, vor Entstehung wenigstens des kirchlichen Großgrund-
besitzes, und so die Frage lösen, die bisher doch noch immer zu
Zweifeln Anlaß giebt.
Die Benutzung der Urkunden ist nicht so einfach, als es dem
Prinzip nach scheinen mag. Das Material ist ein sehr lückenhaftes.
Wir erfahren nur von den frommen Leuten, die ihr irdisches Gut
dahingaben; von den weltlich gesinnten, die nicht an die Kirche
schenkten, wissen wir wenig. Dazu kommt das Ungeschick der
Urkundenschreiber, die sich an feststehende Formulare hielten und
dem Rechtsinhalt der Urkunde nicht stets den passenden Ausdruck
verliehen haben. Vorbereitende Untersuchungen sind nötig, um die
Urkunden verwendbar zu machen. Indessen eben der Gesichts-
punkt, den ich in den Vordergrund stellen möchte, der Schluß aus
der Größe des tradierten Objekts auf den Besitz des Tradenten ist
bisher nur vereinzelt zur Anwendung gebracht worden. Es ver-
lohnt sich wohl, denselben systematisch zu verwerten. Erst mit
Hilfe der Urkunden lassen sich auch die Angaben in den Gesetzen
und Schriftstellern richtig würdigen.
Die S. Galler Urkunden, die ich im folgenden behandle, liegen
vor in der vortrefflichen Edition von Wartmann. Die wertvollsten
Erläuterungen dazu hat Meyer von Knonau gegeben, besonders in
den S. Galler Mitteilungen zur vaterländischen Geschichte, Heft 13.
Die dort beigefügten Karten erläutern die geographische Verteilung
des S. Galler Grundbesitzes.
S. Gallen schreibt seinen Ursprung her vom h. Gallus (Anfang
des 7. Jahrh.), dessen Einsiedlerzelle in der Waldwildnis am Ufer
der Steinach auch nach seinem Tode der Sitz einer kleinen Kon-
gregation von Geistlichen blieb. Klösterliches Leben scheint sich
dort erst wenig vor der Mitte des 8. Jahrhunderts entfaltet zu haben,
480 G. Caro,
unter dem ersten Abt Otmar, der wegen seines frommen Lebens-
wandels und traurigen Endes später ebenfalls zu den Heiligen
gerechnet wurde. Das Kloster stand unter dem Bistum Constanz,
ein Verhältnis, welches die Mönche als sehr drückend ansahen. Der
entscheidende Schritt zur Befreiung geschah durch Ludwig den
Frommen, 818, mit Verleihung der Immunität und wohl auch des
Rechts der freien Abtwahl. Völlig gelöst wurde die Verbindung
mit Constanz erst später. S. Gallen war fortan ein königliches —
reichsunmittelbares — Kloster.
Das Privileg der freien Abtwahl ist von den karolingischen
Königen mehrfach verletzt worden; aber gerade die dem Kloster
aufgedrungenen Aebte trugen mit am meisten bei zu seiner Blüte,
so Grimold, der Kanzler Ludwigs des Deutschen, unter dem es die
erste Schenkung von Königsgut erhielt, und Salomon III., der Bischof
von Constanz, dessen lange Regierung den Nachlebenden im ver-
klärenden Schimmer der Erinnerung als das goldene Zeitalter S.
Gallens erschien. Von den Herrschern hat sich keiner dem Kloster
gnädiger erwiesen als Karl III., der gutmütige Schwabenkönig, dem
ein verhängnisvolles Schicksal die Krone des wieder vereinigten
Frankenreichs aufbürdete, die für ihn zu schwer war; aber auch
der Zorn Arnulfs verrauchte schnell, den Besuch, den Konrad I.
dem Kloster abstattete, hat Ekkehard in lebhaften Farben geschildert.
Die Entwickelung S. Gallens unterscheidet sich nicht unwesent-
lich von derjenigen anderer großer Klöster. Nur allmählich ist es
emporgekommen, die Gunst der Könige hat ihm spät gelächelt, den
Höhepunkt erreichte es erst, als anderwärts in den Stürmen der
Bürgerkriege und Normanneneinfälle Klosterzucht und Pflege der
Wissenschaften dahinsanken. Bereits in. der Verteilung der er-
haltenen Urkunden auf die Epochen der Klostergeschichte kommt
die wachsende Bedeutung S. Gallens zum Ausdruck. Es entfallen
auf die Zeit
bis zum Tode Otmars, ca. 700—759 22 Urkunden
bis zur Erteilung der Immunität 818 19
bis Abt Grimold 842 124 Š
unter Abt Grimold 842—872 173 5
bis Abt Salomon 872—890 94 A
unter Abt Salomon 890—920 95
Im Jahresdurchschnitt zeigt sich das Verhältnis ganz deutlich,
zunächst das Steigen von ungefähr */,, pro Jahr auf 3 4/10, 54/16,
der Höhepunkt unter Grimold mit 6, dann das Herabsinken auf
51/, und 3?/,,. Etwa das gleiche ergiebt die Verteilung der Ur-
kunden auf die Regierungszeit der Könige. Der sehr geringen
Ziffer des Jahresdurchschnitts vor Pippin (noch nicht '/,) stehen bis
Ludwig den Deutschen stets wachsende Zahlen gegenüber, unter
Pippin circa 2®/,., Karl dem Großen 3 /,,, Ludwig dem Frommen
5*/,o, Ludwig dem Deutschen 57/,,. Das Sinken beginnt mit
Karl III. 5 ®/,,, dann Arnulf 3°/,,, Ludwig das Kind 37/0»
Konrad I. 2. Die Abweichungen bei Berechnung nach einem 20-
Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz ete. 481
jährigen Durchschnitt sind nicht erheblich. Das Sinken gegen Ende
der Karolingerzeit tritt hier ebenfalls hervor und wird noch deut-
licher, wenn man die Königsurkunden außer Betracht läßt, die, je
tiefer herab, um so häufiger werden.
Das Verhältnis ist bei anderen Klöstern nicht das gleiche. Die
überwiegende Mehrzahl der Lorscher Urkunden stammt aus den
letzten Jahren Pippins, unter dem Lorsch erst gegründet wurde, und
aus der Zeit Karls des Großen. Zur Zeit des ersten fränkischen
Kaisers erfuhr auch der Urkundenvorrat des Klosters Weißenburg
im Elsaß das erheblichste Wachstum. Man könnte einwenden, ein
Zufall verursache diese Erscheinung, die übrigen Urkunden sind
eben verloren. Indessen bei Lorsch ist ein solcher Zufall fast
ganz ausgeschlossen. Wenn auch die Zusammensteller des Kopial-
buchs, das die Urkunden enthält, eine bestimmte Gattung ganz weg-
gelassen haben, in Bezug auf die übrigen haben sie nach Voll-
ständigkeit gestrebt, und viel mehr als 3600 Urkunden, — so viel
beträgt etwa die Zahl der überlieferten, — sind wohl überhaupt für
Lorsch nicht ausgestellt worden.
Was S. Gallen betrifft, so fehlt jede Gewähr dafür, daß alle
Urkunden des Klosters uns noch vorliegen. Es ist sogar recht
wahrscheinlich, daß viele verloren gegangen sind.
Betreffs der schon angestellten und der noch folgenden Be-
rechnungen ist stets der Vorbehalt zu machen, daß bei vollständiger
Erhaltung des Materials das Ergebnis ein anderes sein könnte; ich
glaube aber nicht, daß die Abweichungen bedeutend genug wären,
um mit Vorsicht gezogene Schlüsse Lügen zu strafen. Dafür ist
denn doch die Anzahl der noch vorhandenen Urkunden zu be-
trächtlich, und die Uebereinstimmung der Resultate mit anderen
Zeugnissen giebt die Gewähr, daß nicht schlechthin Zufälligkeiten
eine Täuschung hervorrufen.
Für die Einteilung der S. Galler Urkunden nach sachlichen
Gesichtspunkten bieten den besten Anhalt die aus dem Kloster
selbst stammenden Formelsammlungen, welche die Muster
enthalten, nach denen die Urkunden geschrieben worden sind.
Danach lassen sich unterscheiden: freie Schenkungen, bedingte
Schenkungen, bedingte Schenkungen mit Rückkaufsvorbehalt, Tausch-
urkunden, Kaufurkunden und einige wenige andere, die sich in diesen
Rubriken nicht unterbringen lassen.
Als freie Schenkungen sind diejenigen zu betrachten, kraft
deren das geschenkte Objekt vom Tage der Rechtshandlung an in
Eigentum und Besitz des Klosters übergeht. Von 647 Privatur-
kunden, die für S. Gallen ausgestellt sind, enthalten nur 72 freie
Schenkungen. Weit höher ist die Zahl der bedingten Schenkungen,
bei denen der Tradent sich vorbehält, daß das geschenkte Gut an
ihn oder auch an seine Erben wieder verliehen wird, fast immer
gegen die Verpflichtung zur Entrichtung eines Zinses an das Kloster.
Unter Einberechnung der Urkunden, die nur über die Wieder-
verleihung aussagen, und derjenigen, die dem Kloster Verpflichtungen
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 31
482 G. Caro,
gegen den Tradenten auferlegen, sind 320 bedingte Schenkungen
vorhanden. Die Erlaubnis zur Auflösung des auf diese Weise
eingegangenen Zinsverhältnisses wird in 126 Urkunden ausdrücklich
vorbehalten. Die Zahl der Tauschurkunden beträgt 91, die der Kauf-
urkunden nur 5, sonstige 33. Nicht unmittelbar auf S. Gallen be-
zügliche Privaturkunden finden sich im Wartmann’schen Urkunden-
buch 32, davon nur 6, die mit Kirchen und deren Besitzungen
überhaupt nichts zu thun haben; außerdem 39 Urkunden aus
Kurrätien. Die Zahl der Königs- und Kaiserurkunden, deren
Empfänger S. Gallen ist, beläuft sich auf 50. Von den anderen
24 Königs- und Kaiserurkunden S. Galler Herkunft sind je 12 für
weltliche und für geistliche Empfänger ausgestellt. Vorhanden sind
noch 1 Fragment einer Herzogsurkunde und 2 Papsturkunden
zweifelhafter Echtheit. Die Gesamtzahl der in Betracht kommenden
Urkunden bei Wartmann B. 1, 2 und im Anhang zu B. 3 beläuft
sich auf 812.
Faßt man die für S. Gallen ausgestellten Privaturkunden aus
je 2 Jahrzehnten zusammen, so zeigt sich ein fast ununter-
brochenes Abnehmen der freien Schenkungen, dem Prozentsatz
nach und selbst numerisch. Die bedingten Schenkungen erreichen
im ersten Drittel des 9. Jahrhunderts einen gewissen Höhepunkt,
von dem sie weiterhin herabsinken; etwas später kulminieren die
Schenkungen mit Rückkaufsvorbehalt, zuletzt die Tauschurkunden.
Je weniger der unmittelbare Besitz des Klosters durch die Art der
Schenkung vergrößert wird, um so später erreicht die betreffende
Urkundengattung ihren numerischen Höhepunkt. Daraus ist zu
schließen, daß im 9. Jahrhundert der fromme Eifer erheblich ab-
nahm, der die Grundbesitzer antrieb, ihr irdisches Gut dahinzugeben,
um das Seelenheil zu gewinnen. Ein wenig mag auch die Konkurrenz
anderer, jüngerer Klöster in Betracht kommen. Abweichungen
gegen Ende der Periode dürften auf die Wirksamkeit des Abt-
bischofs Salomon zurückzuführen sein, von dessen Bemühungen um
Vermehrung des Klostergutes Ekkehard berichtet. Auf allgemeine
Verarmung als Ursache für die Verminderung der Schenkungen,
läßt sich nicht ohne weiteres schließen. Sonst könnten ja nicht,
gerade am Ende der Epoche, die Schenkungen noch eine verhältnis-
mäßig hohe Ziffer erreichen. Anderwärts, so in Freising und Regens-
burg, zeigt sich, daß nach der Mitte des 9. Jahrh. die Schenkungen
an die Kirchen beinahe ganz aufhörten, und diese nur noch durch
Vertauschungen ihren Besitz arrondierten. In S. Gallen übertrifft die
Zahl der Tauschurkunden zu keiner Zeit diejenige der Schenkungen,
ein Zeichen, daß das Kloster seinen Einfluß auf die Gemüter besser
zu bewahren wußte.
Das Gebiet, aus dem die Traditionen nach S. Gallen zusammen-
flossen, ist ein weit ausgedehntes. Allerdings erstreckte sich die
Einflußsphäre des Klosters fast nur über Alamannische Landstriche.
Wenn dem h. Bonifacius zu Fulda alle deutschen Stämme ihre
Verehrung bezeugten, den h. Gallus haben nur die Bewohner der
Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz etc. 483
benachbarten Gaue mit Gaben bedacht, aber diese auch reichlich.
Am dichtesten gesät sind die Ortschaften, aus denen Grundbesitz
nach S. Gallen tradiert wurde, im Hügelland der Nordostschweiz,
vom Zürichsee an, in den Thälern der Thur und ihrer Nebenflüsse
sowie am Bodensee. Nach dem oberen Laufe des Rheins und der
Schweizer Hochebene erstrecken sich nur Ausläufer. Ebenfalls
schwächer vertreten ist die Gegend am Rhein zwischen Constanz
und Basel nebst dem Südabhang des Schwarzwaldes. Dagegen
drängen sich die Orte wieder dicht zusammen am Nordufer des
Bodensees und landeinwärts bis ins Allgäu. Weiter auseinander-
gezogen, jedoch auffällig zahlreich, erscheinen S. Galler Besitzungen
im Quellgebiet der Donau und am oberen Neckar, ferner im Breis-
gau. Die ungleichmäßige Verteilung ist offenbar hervorgerufen
durch die Kreuzung der S. Gallischen Einflußsphäre mit derjenigen
anderer Klöster, Kempten im Osten, Reichenau und auch Rheinau im
Westen. Von den 647 unmittelbar auf S. Gallen bezüglichen Privat-
urkunden betreffen Oertlichkeiten des Thur-, Arbon- und Zürichgaus
347, solche des Linz-, Argen-, Nibel- und Alpgaus (nordöstlich vom
Bodensee) 106, der Baar (obere Donau und Neckar) 62, des Breis-
gaus 40, des Hegau, Klettgau, Albgau und Eitrahuntal 34, Aar- und
Augstgau 9, Rheingau und Rhätien 17, Folcholtsbaar etc. 19, un-
bestimmt 13.
Bemerkenswert ist die Veränderung, welche im Laufe der Zeit
das Zahlenverhältnis der aus den verschiedenen Gauen herrühren-
den Urkunden erfährt. Der Thurgau, der mehr als die Hälfte der
Urkunden aufzuweisen hat, bleibt zu Anfang erheblich hinter dem
Durchschnitt zurück, später übersteigt er denselben nicht unwesent-
lich; ähnlich steht es dem Prozentsatz nach mit den Gauen nördlich
vom Bodensee, umgekehrt verhalten sich Baar und Breisgau. Man
darf daraus wohl auf eine Verkleinerung der Einflußsphäre des Klosters
schließen, die Anziehungskraft S. Gallens auf die Bewohner der Baar
muß im 9. Jahrhundert erheblich nachgelassen haben; Abtbischof
Salomon fand für seine Erwerbspolitik nur noch im Thurgau geeig-
neten Boden.
Betrachtet man die Verteilung der Urkundengattungen
auf die Gaue, so ergiebt sich in der Hauptsache eine Bestätigung
der schon früher gewonnenen Ergebnisse. Die an Zahl niemals
beträchtlichen freien Schenkungen nehmen überall gleichmäßig ab,
bedingte Schenkungen, Schenkungen mit Rückkaufsvorbehalt und
Tauschurkunden erreichen nacheinander ihren Höhepunkt.
Ueber die soziale Gliederung der Bevölkerung auf alamanni-
schem Stammesgebiet ergeben die S. Galler Urkunden etwa folgendes:
Rechtlich sind zwei Klassen zu unterscheiden, die Freien und
die Unfreien. Halbfreie, fränkisch Liten, sächsisch Lazen, bayerisch
und langobardisch Aldionen, werden in den S. Galler Urkunden
nicht genannt. Ebensowenig tritt ein von den Gemeinfreien scharf
gesonderter Adelsstand auf. Immerhin werden Unterschiede unter den
Freien gemacht; es finden sich Erwähnungen der ersten, mittleren
31*
484 G. Caro,
und übrigen. Als Freie sind all die zahlreichen Persönlichkeiten
anzusehen, die von ihrem Eigengut an das Kloster tradieren, und die
in den Urkunden als Zeugen genannt werden. Die Unfreien, servi
oder mancipia, sind noch gutenteils als Sache behandelt, wie Sklaven.
Sie werden verschenkt, vertauscht und selbst verkauft. Die Unter-
schiede unter den Unfreien folgen aus ihrer Verwendung durch den
Herrn, der sie als servi domestici in seinem Haushalt beschäftigt
oder ihnen als servi casati ein Stück Land zu selbständiger Bebau-
ung überläßt. Zins und Dienste, welche die servi casati der Kirche
jährlich leisteten, sind durch die lex Alamannorum titel 21 gesetz-
lich fixiert auf 15 sicle Bier, 1 Ferkel im Wert von !/ solidus,
2 Scheffel Brot, 5 Hühner, 20 Eier, außerdem 3 Tage in jeder Woche
Frohndienst.
Im Betriebe der Landwirtschaft hat also der Freie und der
Unfreie seine bestimmte Stellung. Der Freie ist der Betriebs-
leiter, der nach eigenem Ermessen sein Gut bewirtschaftet, soweit
er nicht etwa durch die üblichen Normen der Dreifelderwirtschaft
gebunden ist. Die Unfreien sind die Arbeitskräfte, denen eine
passive Rolle zukommt. Das gilt natürlich in erster Linie von den
servi domestici, die unbegrenzte Dienste leisten; aber auch die
servi casati sind in einen fremden Wirtschaftsorganismus einge-
gliedert, der Herr verfügt über ihre Arbeitsleistungen an den
Frohntagen. Gleich den servi casati gehört eine Gattung von Freien
zur grundherrlichen Gutsverwaltung, die accolae, das sind freie Leute,
die gegen Zins und Dienst Land zur Bebauung übernommen haben.
Ich kann nun gleich hier sagen, weswegen ich die Ansicht,
welche schon in den alten Germanen Grundherren erblickt, für ver-
fehlt betrachten muß. Ganz einfach deswegen, weil sie von der Vor-
aussetzung ausgeht, jeder freie Mann habe so großen Besitz gehabt,
daß er damit servi casati oder auch accolae ausstatten konnte. Die
S. Galler Urkunden zeigen allerdings, daß es Grundherren gegeben
hat, die über servi casati oder accolae und das an solche ausgethane
Gut verfügten. Meist werden aber mancipia (Unfreie) als Pertinenz
des tradierten Grundbesitzes nicht erwähnt, accolae kommen über-
haupt nur selten vor. Wenn die mancipien von der Tradition aus-
geschlossen sind, so wird das ausdrücklich gesagt. In dem Gebiet,
auf das die S. Galler Urkunden sich beziehen, ist bei weitem nicht
jeder freie Mann in der glücklichen Lage gewesen, als Grundherr
von den Abgaben seiner Hintersassen zu leben.
Andererseits kann ich aber nicht der Ansicht mich anschließen,
welche in der Hufe das Normalmaß für den Grundbesitz des freien
Mannes erblickt. Würde das der Fall sein, so hätten die Urkunden-
schreiber sehr leichte Arbeit gehabt, sie brauchten den Tradenten
dann immer nur sagen zu lassen: ich tradiere meine Hufe an dem
und dem Ort in dem und dem Gau. Diese Ausdrucksweise wird
aber nicht angewandt, es heißt vielmehr, z. B. nro. 77 von 775:
Ich Cundhoh und meine Gattin Boazilana schenke alles, was ich habe,
das ist im Zürichgau im Dorfe Eschenbach (nördlich vom oberen
Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz ete. 485
Zürichsee), Haus und geschlossenes Gehôft mit Nebengebäuden und
Viehbestand, Felder, Wald, Wiesen, Weiden, Wege, Wasser und
Wasserläufe, alles, was gesagt oder genannt werden kann. Hätte
Cundhoh eine Hufe besessen, oder mehrere, oder auch nur einen
Teil einer Hufe, so hätte doch nichts näher gelegen, als diesen That-
bestand anzugeben. Die Hufe als feststehende Maßeinheit ist den
S. Galler Urkundenschreibern wohl bekannt, so z. B. nro. 18 von
754. Rothpald tradiert unter anderem „servum meum nomine Nandeng
et oxorem eius Bruna et cum oba sua et cum omnia, quo vestiti
sunt, et alium servum meum nomine Wolfarium cum uxore sua Atane
cum oba sua et cum omnia, quo vestitus est“. Hier finden sich
also zwei unfreie Ehepaare, deren jedem von ihrem Herrn, Rothpald,
eine Hufe verliehen worden ist.
Ich will die Belegstellen nicht häufen. So viel ich aus den
S. Galler und auch anderen Urkunden entnehmen kann, ist die An-
sicht, die einst Waitz in der Abhandlung über die altdeutsche Hufe
ausgesprochen hat, gerade umzukehren. Waitz meinte, ursprünglich
habe jeder freie Mann eine Hufe besessen, erst im Laufe der Zeit
seien bei Vereinigung mehrerer Hufen in einer Hand solche mit
servi casati oder accolae besetzt worden. Ich finde im Gegenteil:
Unfreier oder abhängiger Bebauer und Hufe gehören zusammen, das
Eigengut, das der freie Mann selbst oder mit Hilfe von servi
domestici bestellt, wird nicht Hufe genannt. Die Hufe ist ein
Bestandteil der grundherrlichen Wirtschaftsorganisation; freie Leute,
die nicht Grundherren sind, haben keine Hufen. Was sie besitzen,
wird in den Urkunden meist ohne Maßbestimmung angegeben. In
dem oben angeführten Beispiel tradiert Cundhoh nicht etwa 30 Morgen
Acker, 10 Morgen Wiesen u. dgl., sondern alles, was er in Eschen-
bach hat, Haus und Hof, Acker, Wiesen, Weiden, Wald u. s. w. Die
Pertinenzformel der Urkunden giebt nur an, welcherlei Objekte das
Zubehör des Gutes bilden, sie sagt nicht, wie groß dasselbe ist. Daß
alle Güter, die nicht näher beschrieben werden, gleich groß waren,
ist höchst unwahrscheinlich, schon weil die Pertinenzformeln in der
Aufzählung der Objekte von einander abweichen. So nro. 76, vom
gleichen Tage wie die mehrfach erwähnte nro. 77, Emthrud und
ihr Sohn Gaerwin schenken all ihren Besitz, nämlich in Hroadgisinchova
(jedenfalls in der Nähe von Uster gelegen) Haus und Hof, Vieh-
bestand, Feld, Wald, Wiesen, Weiden, also wie in nro. 77, aber auch
mancipia, sowie Garten und mit Obstbäumen bestandenes Land
(pumiferis, ortiferis).
Betreffs der Erklärung der Pertinenzformel schließe ich mich
der herrschenden Ansicht an, auch wenn dieselbe von dem mißver-
standenen Begriff der Hufe ausgeht. Es sind drei Teile zu unter-
scheiden: Einmal die Ausdrücke, die sich auf das Gehöft im Dorf
beziehen „casa, curte clausa, cum domibus, edificiis“, das ist das
Herrenhaus mit Nebenräumlichkeiten, Wohnungen für Unfreie, Ställe,
Scheuern u. dgl. Zweitens kommt in Betracht das Ackerland in
der Gewannflur, agris, campis, die Wiesen und Specialkulturen,
486 G. Caro,
Weinberge, Obstgärten, falls solche vorhanden waren. Drittens wird
in der Pertinenzformel erwähnt das Anrecht an der ungeteilten Mark,
an dem Wald, den Weiden, den stehenden und fließenden Gewässern.
Gegen diese Erklärung der Pertinenzformel ließe sich nun der
Einwand erheben, daß es doch auffällig wäre, wenn die verschiedene
rechtliche Qualität der Objekte in der fortlaufenden Aufzählung gar
nicht erwähnt würde. Haus und Hof befinden sich im Sondereigen-
tum des Besitzers, das Ackerland ist dem Flurzwang und der Stoppel-
weide unterworfen, Wald und Weide stehen im Gemeinbesitz der Nach-
barn. Gleichwohlkanndielnterpretationnichtunrichtig
sein. Setzt man voraus, die rechtliche Qualität der Objekte sei
durchgehends die gleiche, so sind nur zwei Möglichkeiten vorhanden:
entweder sind alle aufgezählten Gegenstände von verschiedener wirt-
schaftlicher Nutzbarkeit volles Privateigentum, oder sie befinden sich
in Gemeinbesitz. Letzteres ist ausgeschlossen, weil für Haus und Hof
ganz undenkbar, aber auch ersteres ist nicht möglich. Wald, Weide,
Wasserläufe sind in den Pertinenzformeln der Urkunden fast regel-
mäßig genannt. In wie viel Teile hätten die Gewässer zersplittert
werden müssen, damit jeder Hof seinen besonderen Anteil an den-
selben erhielt. Ebenso ist eine so starke Parzellierung von Wald und.
Weide undenkbar, obgleich natürlich einzelne Stücke Wald gelegent-
lich auch in Sondereigentum übergegangen sind. Ueberdies ist doch
auch in der Ausdrucksweise der Urkunden angedeutet, daß das tra-
dierte Gut einen Komplex verschiedenartiger Bestandteile bildete, es
heißt nicht „quiequid habeo“, was ich besitze in der und der villa,
sondern „quicquid habere videor“, was mir zusteht, also das
Sondereigentum und der Anteil am Gemeinbesitz, an der ungeteilten
Mark.
Es sind nun 2 Umstände, die es verhindern, aus den Urkunden
genaue Angaben über die Größe des Grundbesitzes der Tradenten
zu gewinnen. Einmal bewegt sich die Beschreibung der Güter viel-
fach in den geschilderten allgemeinen Ausdrücken und entbehrt der
bestimmten Maßangaben. Sodann ist nur in sehr wenigen Urkunden
ausdrücklich gesagt, daß der Aussteller über all seinen Grundbesitz
verfügt: etwas häufiger wird angegeben, daß er nur etwas von seiner
Habe tradiert; meist bleibt es unbestimmt, ob es sich um alles oder
einiges handelt.
Gerade dieser Umstand ist bisher nicht ausreichend beachtet
worden. Daß alles geschenkt wird, läßt sich nur aus Ausdrücken
entnehmen, wie eben in nr. 77. Ich Cundhoh mit meiner Gattin
Boazilana habe beschlossen, für unser Seelenheil „omnem pos-
sessiunculam nostram“ an das Kloster S. Gallen zu schenken,
was wir auch gethan haben, „et hoc est quod donamus“, folgt die
Angabe über das Gut. Fraglich kann schon sein, ob es sich um
allen Grundbesitz des Tradenten handelt, z. B. in nr. 284 von 824.
Ich Freddo tradiere an Kloster S. Gallen, was mir mein Vater Petto
hinterlassen hat im Dorfe namens Gossau. Die Ausdrucksweise
schließt hier nicht aus, daß Petto auch anderwärts als in Gossau
Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz ete. 487
Besitz hatte, sei es als Erbschaft vom Vater oder anderweitig er-
worben. Immerhin würde ich diesen Freddo nicht als Großgrund-
besitzer ansehen. Unter dem Zubehör des Gutes in Gossau, das er
tradierte, fehlen Mancipien. Es ist aber undenkbar, daß große Güter
ohne Unfreie bestellt werden konnten. Sollte also auch Freddo in
der Nachbarschaft von Gossau noch einige Aecker besessen haben,
ein reicher Mann nach den Begriffen der Zeit war er nicht, wie er
sich denn auch vom Kloster die Gewährung von Lebensunterhalt als
Gegenleistung ausbedingt. Am häufigsten ist eine Ausdrucksweise,
wie etwa in nr. 120, 789. Ich Pratolt tradiere „quicquid de meo
iure in Lehaim visus sum habere“, oder nr. 686, 892, Wolfrid er-
hält wiederverliehen, was er tradiert hat, nämlich ,quicquid pro-
prietatis hodierna die visus est haberes in Turbental“. Ausgeschlossen
ist es niemals, daß der Tradent auch anderwärts Besitz hatte, so der
Kleriker Vunolf, nr. 138, 795, der tradiert, alles was er in Deger-
schen hat, und das nennt der Tradent hier ausdrücklich „aliquit te
rem mea“, etwas von seinem Grundbesitz.
Der Schluß aus dem Fehlen der Unfreien auf die relative Klein-
heit des Besitzes ist nicht unbedingt zuverlässig. Es giebt auch Ur-
kunden, in denen Besitz an mehreren Orten erwähnt wird, und doch
Mancipien in der Pertinenzformel fehlen; meist fehlt freilich in solchen
Fällen die Pertinenzformel, so daß über das Vorhandensein von Un-
freien nichts Bestimmtes ausgesagt werden kann.
Um eine Uebersicht zu gewinnen über den Grundbesitzbestand
der Tradenten, der sich aus den S. Galler Urkunden ergiebt, habe
ich folgenden Weg eingeschlagen. Ich stelle zusammen, nach Gauen
geordnet: einmal die Urkunden, in denen alles, etwas oder ein un-
bestimmter Teil des Besitzes in Frage kommt. In jeder dieser drei
Rubriken mache ich wieder 5 Unterabteilungen. Ich vereinige je-
weils die Fälle, in denen verfügt wird über allen Besitz des Tra-
denten 1. an einem Ort ohne mancipien, 2. an einem Ort mit man-
eipien, 3. an mehreren Orten ohne ausdrückliche Erwähnung von
Unfreien, 4. an mehreren Orten mit Unfreien, 5. endlich sondere
ich die Fälle aus, in denen sich bestimmtere Maßangaben finden,
worgen, Hufen etc. Die zahlenmäßigen Ergebnisse sind natürlich
mit größter Vorsicht aufzunehmen; ich glaube aber nicht, daß sie für
ganz unbrauchbar angesehen werden dürfen. Auffällig ist schon die
Differenz zwischen den verschiedenen Gauen. Im Thurgau findet
sich in 192 Fällen Grundbesitz an einem Ort ohne Unfreie, in 37
Fällen ebenso mit Unfreien, nur in 25 Fällen an mehreren Orten
mit mancipien; ähnlich im Verhältnis in den Gauen nördlich vom
Bodensee 52, 12 und 7. Dagegen in der Baar 13, 23 und 12, im
Breisgau 10, 7 und 9. Der Schluß dürfte nicht allzu gewagt sein,
daß in der Nordostschweiz die kleinen Grundeigentümer zahlreicher
und die Unfreien seltener gewesen sind als in der oberrheinischen
Tiefebene und in den nördlichen Gegenden Schwabens.
Immerhin ist noch eins zu beobachten: Im 9. Jahrhundert ver-
mindert sich die Zahl der Traditionen, die Mancipien einschließen,
488 G. Caro,
ganz auffällig. Das Verhältnis ist im Thurgau für allen Besitz an
einem Ort ohne und mit Mancipien 761—80: 6 zu 11, 781—800:
9 zu 2, 801—20: 8 zu 6, dann aber 821—40: 45 zu 10, 841—60:
30 zu 1, 861—80: 40 zu 0, 881—900: 25 zu 0, 901—20: 27 zu 4,
ähnlich in den Gauen nördlich vom Bodensee. Aus Baar und Breis-
gau sind für die späteren Zeiten des 9. Jahrhunderts wenig Urkunden
vorhanden. Man könnte annehmen, es habe dort ein ähnlicher Rück-
gang in der Zahl der Unfreien stattgefunden, wie er für den Thur-
gau und die Bodenseegegend wahrscheinlich ist, doch müssen in der
Baar vorher schon mehr Unfreie vorhanden gewesen sein. Das
Zahlenverhältnis für die gleichen Kategorien ist 761—80: 3 zu 5,
731-800: 2 zu 8, 801—20: 4 zu 5, dann 2 zu 2, 1 zu 2. Im Breis-
gau ist die Zahl der Urkunden überhaupt sehr klein, doch beziehen
sich z. B. alle 4 Urkunden aus den Jahren 741—760 auf Grundbesitz
an mehreren Orten mit Mancipien.
Jedenfalls ist die grundherrliche Ansicht in ihrer Allgemeinheit
mit den gewonnenen Ergebnissen unvereinbar. Es ist völlig ausge-
schlossen, daß jeder freie Mann ein Grundherr war; aber es be-
standen in dem numerischen Verhältnis der Grundherren zu den
Nicht-Grundherren zwischen verschiedenen Gegenden erhebliche
lokale Differenzen. Gerade die Nordostschweiz ist das Land,
wo wahrscheinlich sogar die Mehrzahl der Bevölkerung aus kleinen
freien Grundbesitzern sich zusammensetzte. Anderwärts hat schon
in der Karolingerzeit der Großgrundbesitz überwogen und damit zu-
eleich die Zahl der Unfreien, der servi casati, so im Elsaß, wie die
Weißenburger Urkunden zeigen, und in den fränkischen Mainlanden
nach den Fuldenser Urkunden. Dagegen war in Rheinfranken, dem
alten Worms-Lobdengau, der Grund und Boden noch weit stärker
unter vollfreie unabhängige Besitzer zersplittert, als selbst in der
Nordostschweiz.
Zur Ergänzung der bisher gewonnenen Ergebnisse ist es zweck-
mäßig, auf die speciellen Verhältnisse einzelner Großgrundbesitzer
und einzelner Ortschaften einzugehen. Ich kann hier nur die Be-
handlungsweise andeuten. Was die Großgrundbesitzer betrifft, so
decken sich dieselben natürlich mit den hervorragenden Persönlich-
keiten des Landes, den Inhabern der Grafenwürde, den Vorfahren
der späteren Freiherrngeschlechter. Es kommt wesentlich darauf an
zu erkennen, inwieweit verwandschaftliche Zusammenhänge zwischen
den Personen nachweisbar sind, sonst bleiben die aus den Urkunden
entnommenen Daten isoliert. Wie das geschehen kann, will ich an
einem Falle zeigen.
Aus der S. Galler Klostergeschichte ist bekannt der Mönch Iso,
Verfasser der Schrift von der Translation und den Wundern des h. Abts
Otmar. Bruder des Iso ist Luto, der all sein Erbgut im Thurgau
ans Kloster übertrug, ausgenommen Besitz zu Krummbach und
Zihlschlacht, in der Gegend der mittleren Thur gelegen, nro. 539, 568.
Luto ist der Sohn des Erimbert und der Waltarada, auch sein Vetter
heißt Erimbert. Dieser ist offenbar identisch mit dem gleichnamigen
Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz ete. 489
Tradenten in nro. 509 und 510, 865, von dessen Besitz im Thurgau
allerdings nur ein nicht sicher nachweisbarer „Buchberg“ genannt ist.
In nro. 509 erscheinen als erbberechtigte Angehörige des Erimbert
Thioto, Luto und Bono. Bono hat Besitz in Zihlschlacht, auch in
Weinfelden und anderwärts im Thurgau nach nro. 540, 568; als sein
Vetter ist hier Erimbert genannt, als sein Bruder Luto. Dieser
Luto, Bruder des Bono, kann nicht mit dem Bruder des Mönchs Iso
identisch sein, denn Bono ist der Sohn des Bono und der Hiltimota;
aber die Verwandtschaft der beiden Luto ist wohl sicher. Es kehren
eben in derselben Sippe die gleichen Namen wieder, so Bono, Vater
und Sohn, Erimbert, Vater und Vetter des einen Luto. Da verlohnt
es sich, den Namen Iso weiter zu verfolgen. In nro. 86, 779 tradiert
ein Hiso, Sohn eines Luto, mit seinem Sohn Hatti all seinen Besitz
an S. Gallen, nämlich an 8 Orten, zu Rickenbach, Matzingen, Deger-
schen u. s. w. In dieser Gegend ist gleichzeitig ein Iso als Zeuge
öfters nachweisbar, auch erscheint 791 ein Yso als Klostervogt zu
Züberwangen.
In nro. 116, 788 überträgt Petto unter anderem alles, was Hiso
in Zurkenried von ihm zu beneficium hat. Ich glaube, diese Ur-
kunde giebt Aufschluß über die soziale Stellung des Geschlechts der
Isonen. Petto, der Lehnsherr des Iso, dürfte einem gräflichen
Hause angehören. Er war auch begütert in Glattburg, ein älterer
Petto hat 731 oder 736, nro. 6, eine Uebertragung zu Glatt gemacht.
Dieser letztere Petto war Bruder der Grafen Airicus, Bertericus
und des Thurgaugrafen Pepo. Die Namensgleichheit und Identität
der Gegend, in der die beiden Petto ansehnlich begütert sind,
läßt auf ihren verwandtschaftlichen Zusammenhang schließen. Für
die Isonen würde sich daraus ergeben, daß ihre weit verzweigte
Sippe es nicht verschmäht hat, das Eigengut durch Empfang von
Beneficien zu vermehren. Auch bei den Uebertragungen an S. Gallen
verfolgen sie wohl den Zweck, dafür mit Aemtern und Lehen belohnt
zu werden, während zugleich ein und das andere Mitglied des Ge-
schlechts ins Kloster selbst Aufnahme findet. Ein ganz ähnliches
Verhältnis hat für die Notkers und Otheres von Jonswil Meyer von
Knonau im Jahrbuch für Schweizer Geschichte, Bd. 2, S. 103 ff. nach-
gewiesen.
Die Eigentümlichkeit des größeren Grundbesitzes, die sich mit
voller Klarheit aus den Urkunden ergiebt, ist seine Streulage.
Jeder Grundherr hat Besitz an mehreren Orten. Ganze Dörfer, die
einem Herrn gehört hätten, finden sich dagegen kaum vor. Zu
nennen wäre etwa „Deozincova“, Diessenhofen am Rhein. Dieser
Weiler (vilare) wird von Presbyter Lazarus 757, nro. 20, ans Kloster
geschenkt, offenbar ganz. Es gehören dazu eine Kirche, Haus
mit Nebengebäuden, Unfreie, Land, Wiesen, Wald etc. Indessen
dürfte es sich hier um einen Einzelhof handeln, der mit der Kirche
gegründet worden war, und zwar in der Mark des wenig südlich
gelegenen Willisdorf. In nro. 619, 882 ist ausdrücklich gesagt, daß
die Mark von Willisdorf bis in die Mitte des Rheins sich erstreckte.
490 G. Caro,
Für die eigentlichen Dörfer ist als Regel anzunehmen, daß an
der Ackerflur und der gemeinen Mark eine Anzahl freier Grund-
eigentümer Anteil haben, größeren oder kleineren, den sie eigen-
händig oder durch Unfreie bewirtschaften. In den Weilern oder
Einzelhöfen, die gerade in der Nordostschweiz sehr zahlreich sind,
finden sich naturgemäß weniger Anteilhaber als in den größeren
Dörfern. Viele Einzelhöfe dürften durch einen Herrn angelegt sein,
etwa mit Hilfe von unfreien Arbeitskräften. Bei Erbteilungen zer-
stückelte sich der Besitz, manche Bestandteile wurden veräußert.
Durch Anlegung neuer Gehöfte konnte sich der Einzelhof zum Dorf
auswachsen, worauf dann wohl auch eine Markteilung vorgenommen
wurde.
Um ein Beispiel für die Behandlung einzelner Ortschaften zu
geben, will ich auf Uznach eingehen, das schon in sehr früher Zeit
erwähnt wird. Dort war Beata begütert, eine sehr fromme Dame,
die ihren reichen Besitz am oberen Zürichsee und im Tößgebiet der
Kirche schenkte. Nach nro. 7 von 741 gehörten ihr zu Uznach 8
homines, Land und Wald. In diesen homines sind accolae zu er-
blicken, also Freie, die auf dem Grund und Boden saßen, der der
Beata gehörte. Der Ausdruck acolabis findet sich in der Pertinenz-
formel der Urkunde nro. 10, die von Beata in Bezug auf Uznach und
andere Orte ausgestellt ist. S. Gallen wurde später des Besitzes in
Uznach beraubt, der zum Königshof Zürich geschlagen wurde.
Kaiser Ludwig der Fromme ordnete die Rückgabe an, nro. 263, 821.
In der Kaiserurkunde ist die Rede davon, daß Beata oder Pieta und
ihr Sohn die villa Uznach dem Kloster geschenkt hatten. Danach
könnte es scheinen, ganz Uznach habe einst der |Beata gehört;
davon war aber in den Schenkungsurkunden nicht die Rede, und
auch in einer Aufzeichnung, Anhang nro. 19, über Zeugenverneh-
mungen, die augenscheinlich der Restitution vorangingen, heißt es
nur „de Uzinacha, quod Lantolt et Pieta habuerunt“, dagegen „Luzi-
lunavia tota“. Sonach muß die Ausdrucksweise der Kaiserurkunde
ungenau sein. Uznach war nicht ein grundherrliches Dorf; neben
dem Besitz der Beata, später S. Gallens, gab es dort noch freie
Eigentümer, und von solchen gingen andere Traditionen an S. Gallen
aus, zwei von Frauen, Diothniwi und Aldegund, 826 und 829, eine
854 von Wolfger und seinem Sohn Engilgar zu Uznach und „Pua-
binvilare*.
Reicher begütert müßte Cunzo gewesen sein, zu dessen Besitz
in Uznach und am Jonafluß Unfreie gehörten, nro. 350, 834. Auf
die Schwierigkeiten, welche diese Urkunde wegen des darin vor-
kommenden Vogts bietet, will ich nicht näher eingehen, ich bemerke
nur, daß ich denselben auf die Frau des Cunzo beziehe, die Fassung
der Urkunde ist ohnehin mangelhaft. Auch mit diesen Traditionen
ist noch nicht alles Grundeigentum zu Uznach ans Kloster über-
gegangen, noch 912 vertauschte Hegere sein Eigengut in der Mark
Uznach gegen 10 Juchart Land zu ,Hohinwart* und Wald zum
roden.
Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz ete. 491
In der Umgebung von Uznach finden sich nun auch die Weiler
deren Charakter ich schon schilderte. Da ist „Ruadheres“wilare,
Rüetiswil. Dort überträgt Ruadheri die Hinterlassenschaft seines
Vaters und eigenen Erwerb, nro. 297, 826, Unfreie gehören dazu.
Dieser Ruadheri kann nicht der Gründer von Rüetiswil sein, aber
wohl ein gleichnamiger Vorfahr; auch gehörte ihm nicht der ganze
Weiler, nach nro. 582, 874 hatte der Gemahl seiner Tochter, Rating,
dort noch mindestens 4 Juchart, außer dem Anteil der Frau am
Gute ihres Vaters. Ruadheri erscheint einmal als Zeuge in Uznach,
Rating ist der Sohn der dort begüterten Aldegund.
Ein anderer Weiler ist „Eidwartes“wilare, Ernetswil. Dort
übertrugen 885, nro. 641, Eidwart und sein Sohn Iltibold ein ge-
schlossenes Gehöft mit Gebäuden, Land, bebautes und unbebautes,
Wiesen, Wald u. s. w., natürlich um es gegen Zins zurückzuerhalten.
Auf die Absicht zu weiteren Rodungen läßt die Wendung schließen
„vel que postea“ iustis laboribus augmentare potul[er]imus“. Unfreie
besaßen sie nicht.
Ein lebendiges Bild ergeben die trockenen Formeln der Ur-
kunden von den wirtschaftlichen Bestrebungen der Zeit. Noch be-
deckte Wald einen großen Teil des Bodens. Mühsam mußte der
fruchtbare Acker dem Sumpf und der Wildnis abgerungen werden;
aber unermüdlich sind die betriebsamen Landleute thätig, wüst
liegende Flächen in den Bereich der Kultur zu ziehen. Immer
wieder ist vom Erwerb die Rede neben dem Erbgut, und wenn auch
durch Kauf oder Tausch manches Grundstück den Besitzer wechseln
mochte, die rechte Arbeit, die das Eigentum vermehrt, war die
Rodung, das Urbarmachen des Oedlands. Dabei herrschte in der
ganzen Karolingerzeit tiefer Frieden. Kein feindlicher Einfall zertrat
die Saaten und verheerte die Dörfer. Die Stürme der späteren
Bürgerkriege haben die Nordostschweiz wenig berührt. Im Heerbann
des Frankenkaisers trugen die Thur- und Zürichgauer ihre Waffen
in die Ferne. Gar manches weiß der S. Galler Mönch Notker zu
berichten von dem starken Eishere, der Avaren und Slaven nieder-
mähte, wie der Schnitter das Heu, und nach Hause zurückgekehrt
sich rühmte, ihrer 7, 8, sogar 9 an seiner Lanze aufgespießt umher-
getragen zu haben.
Es würde sehr starker Beweise bedürfen, um wahrscheinlich zu
machen, daß in einer so urkräftigen, schaffensfreudigen Zeit ein
volkswirtschaftlicher Umschwung eingetreten sei, der die Masse der
freien Bevölkerung in einen an Hörigkeit grenzenden Zustand er-
niedrigte. Allerdings sprechen die Kapitularien Karls des Großen
vom Druck, den die Beamten ausübten, von Mißbräuchen der Amts-
gewalt, um deren Abstellung sich der Kaiser bemüht. Es frägt
sich nur, ob solche Verordnungen gleichmäßig auf das ganze, große
Reich sich beziehen, ob sie auch den rein germanischen Gebieten
galten, deren wehrfähige Bevölkerung dergleichen Uebergriffe sich
doch kaum hätte gefallen lassen, oder speciell für Gallien, das Land
der Großgrundherrschaften und Sklavenwirtschaft, wo ähnliche Miß-
stände vorher und nachher allerdings sehr häufig gewesen sind.
488 G. Caro,
ganz auffällig. Das Verhältnis ist im Thurgau für allen Besitz an
einem Ort ohne und mit Maneipien 761—80: 6 zu 11, 781—800 :
9 zu 2, 801—20: 8 zu 6, dann aber 821—40: 45 zu 10, 841—60:
30 zu 1, 861—80: 40 zu 0, 881—900: 25 zu 0, 901—20: 27 zu 4,
ähnlich in den Gauen nördlich vom Bodensee. Aus Baar und Breis-
gau sind für die späteren Zeiten des 9. Jahrhunderts wenig Urkunden
vorhanden. Man könnte annehmen, es habe dort ein ähnlicher Rück-
gang in der Zahl der Unfreien stattgefunden, wie er für den Thur-
gau und die Bodenseegegend wahrscheinlich ist, doch müssen in der
Baar vorher schon mehr Unfreie vorhanden gewesen sein. Das
Zahlenverhältnis für die gleichen Kategorien ist 761—80: 3 zu 5,
781-800: 2 zu 8, 801—20: 4 zu 5, dann 2 zu 2, 1 zu 2. Im Breis-
gau ist die Zahl der Urkunden überhaupt sehr klein, doch beziehen
sich z. B. alle 4 Urkunden aus den Jahren 741—760 auf Grundbesitz
an mehreren Orten mit Mancipien.
Jedenfalls ist die grundherrliche Ansicht in ihrer Allgemeinheit
mit den gewonnenen Ergebnissen unvereinbar. Es ist völlig ausge-
schlossen, daß jeder freie Mann ein Grundherr war; aber es be-
standen in dem numerischen Verhältnis der Grundherren zu den
Nicht-Grundherren zwischen verschiedenen Gegenden erhebliche
lokale Differenzen. Gerade die Nordostschweiz ist das Land,
wo wahrscheinlich sogar die Mehrzahl der Bevölkerung aus kleinen
freien Grundbesitzern sich zusammensetzte. Anderwärts hat schon
in der Karolingerzeit der Großgrundbesitz überwogen und damit zu-
gleich die Zahl der Unfreien, der servi casati, so im Elsaß, wie die
Weißenburger Urkunden zeigen, und in den fränkischen Mainlanden
nach den Fuldenser Urkunden. Dagegen war in Rheinfranken, dem
alten Worms-Lobdengau, der Grund und Boden noch weit stärker
unter vollfreie unabhängige Besitzer zersplittert, als selbst in der
Nordostschweiz.
Zur Ergänzung der bisher gewonnenen Ergebnisse ist es zweck-
mäßig, auf die speciellen Verhältnisse einzelner Großgrundbesitzer
und einzelner Ortschaften einzugehen. Ich kann hier nur die Be-
handlungsweise andeuten. Was die Großgrundbesitzer betrifft, so
decken sich dieselben natürlich mit den hervorragenden Persönlich-
keiten des Landes, den Inhabern der Grafenwürde, den Vorfahren
der späteren Freiherrngeschlechter. Es kommt wesentlich darauf an
zu erkennen, inwieweit verwandschaftliche Zusammenhänge zwischen
den Personen nachweisbar sind, sonst bleiben die aus den Urkunden
entnommenen Daten isoliert. Wie das geschehen kann, will ich an
einem Falle zeigen.
Aus der S. Galler Klostergeschichte ist bekannt der Mönch Iso,
Verfasser der Schrift von der Translation und den Wundern des h. Abts
Otmar. Bruder des Iso ist Luto, der all sein Erbgut im Thurgau
ans Kloster übertrug, ausgenommen Besitz zu Krummbach und
Zihlschlacht, in der Gegend der mittleren Thur gelegen, nro. 539, 568.
Luto ist der Sohn des Erimbert und der Waltarada, auch sein Vetter
heißt Erimbert. Dieser ist offenbar identisch mit dem gleichnamigen
Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz etc. 489
Tradenten in nro. 509 und 510, 865, von dessen Besitz im Thurgau
allerdings nur ein nicht sicher nachweisbarer „Buchberg“ genannt ist.
In nro. 509 erscheinen als erbberechtigte Angehörige des Erimbert
Thioto, Luto und Bono. Bono hat Besitz in Zihlschlacht, auch in
Weinfelden und anderwärts im Thurgau nach nro. 540, 568; als sein
Vetter ist hier Erimbert genannt, als sein Bruder Luto. Dieser
Luto, Bruder des Bono, kann nicht mit dem Bruder des Mönchs Iso
identisch sein, denn Bono ist der Sohn des Bono und der Hiltimota;
aber die Verwandtschaft der beiden Luto ist wohl sicher. Es kehren
eben in derselben Sippe die gleichen Namen wieder, so Bono, Vater
und Sohn, Erimbert, Vater und Vetter des einen Luto. Da verlohnt
es sich, den Namen Iso weiter zu verfolgen. In nro. 86, 779 tradiert
ein Hiso, Sohn eines Luto, mit seinem Sohn Hatti all seinen Besitz
an S. Gallen, nämlich an 8 Orten, zu Rickenbach, Matzingen, Deger-
schen u. s. w. In dieser Gegend ist gleichzeitig ein Iso als Zeuge
öfters nachweisbar, auch erscheint 791 ein Yso als Klostervogt zu
Züberwangen.
In nro. 116, 788 überträgt Petto unter anderem alles, was Hiso
in Zurkenried von ihm zu beneficium hat. Ich glaube, diese Ur-
kunde giebt Aufschluß über die soziale Stellung des Geschlechts der
Isonen. Petto, der Lehnsherr des Iso, dürfte einem gräflichen
Hause angehören. Er war auch begütert in Glattburg, ein älterer
Petto hat 731 oder 736, nro. 6, eine Uebertragung zu Glatt gemacht.
Dieser letztere Petto war Bruder der Grafen Airicus, Bertericus
und des Thurgaugrafen Pepo. Die Namensgleichheit und Identität
der Gegend, in der die beiden Petto ansehnlich begütert sind,
läßt auf ihren verwandtschaftlichen Zusammenhang schließen. Für
die Isonen würde sich daraus ergeben, daß ihre weit verzweigte
Sippe es nicht verschmäht hat, das Eigengut durch Empfang von
Beneficien zu vermehren. Auch bei den Uebertragungen an S. Gallen
verfolgen sie wohl den Zweck, dafür mit Aemtern und Lehen belohnt
zu werden, während zugleich ein und das andere Mitglied des Ge-
schlechts ins Kloster selbst Aufnahme findet. Ein ganz ähnliches
Verhältnis hat für die Notkers und Otheres von Jonswil Meyer von
Knonau im Jahrbuch für Schweizer Geschichte, Bd. 2, S. 103 ff. nach-
gewiesen.
Die Eigentümlichkeit des größeren Grundbesitzes, die sich mit
voller Klarheit aus den Urkunden ergiebt, ist seine Streulage.
Jeder Grundherr hat Besitz an mehreren Orten. Ganze Dörfer, die
einem Herrn gehört hätten, finden sich dagegen kaum vor. Zu
nennen wäre etwa „Deozincova“, Diessenhofen am Rhein. Dieser
Weiler (vilare) wird von Presbyter Lazarus 757, nro. 20, ans Kloster
geschenkt, offenbar ganz. Es gehören dazu eine Kirche, Haus
mit Nebengebäuden, Unfreie, Land, Wiesen, Wald etc. Indessen
dürfte es sich hier um einen Einzelhof handeln, der mit der Kirche
gegründet worden war, und zwar in der Mark des wenig südlich
gelegenen Willisdorf. In nro. 619, 882 ist ausdrücklich gesagt, daß
die Mark von Willisdorf bis in die Mitte des Rheins sich erstreckte.
490 G. Caro,
Für die eigentlichen Dörfer ist als Regel anzunehmen, daß an
der Ackerflur und der gemeinen Mark eine Anzahl freier Grund-
eigentümer Anteil haben, größeren oder kleineren, den sie eigen-
händig oder durch Unfreie bewirtschaften. In den Weilern oder
Einzelhöfen, die gerade in der Nordostschweiz sehr zahlreich sind,
finden sich naturgemäß weniger Anteilhaber als in den größeren
Dörfern. Viele Einzelhöfe dürften durch einen Herrn angelegt sein,
etwa mit Hilfe von unfreien Arbeitskräften. Bei Erbteilungen zer-
stückelte sich der Besitz, manche Bestandteile wurden veräußert.
Durch Anlegung neuer Gehöfte konnte sich der Einzelhof zum Dorf
auswachsen, worauf dann wohl auch eine Markteilung vorgenommen
wurde.
Um ein Beispiel für die Behandlung einzelner Ortschaften zu
geben, will ich auf Uznach eingehen, das schon in sehr früher Zeit
erwähnt wird. Dort war Beata begütert, eine sehr fromme Dame,
die ihren reichen Besitz am oberen Zürichsee und im Tößgebiet der
Kirche schenkte. Nach nro. 7 von 741 gehörten ihr zu Uznach 8
homines, Land und Wald. In diesen homines sind accolae zu er-
blicken, also Freie, die auf dem Grund und Boden saßen, der der
Beata gehörte. Der Ausdruck acolabis findet sich in der Pertinenz-
formel der Urkunde nro. 10, die von Beata in Bezug auf Uznach und
andere Orte ausgestellt ist. S. Gallen wurde später des Besitzes in
Uznach beraubt, der zum Königshof Zürich geschlagen wurde.
Kaiser Ludwig der Fromme ordnete die Rückgabe an, nro. 263, 821.
In der Kaiserurkunde ist die Rede davon, daß Beata oder Pieta und
ihr Sohn die villa Uznach dem Kloster geschenkt hatten. Danach
könnte es scheinen, ganz Uznach habe einst der |Beata gehört;
davon war aber in den Schenkungsurkunden nicht die Rede, und
auch in einer Aufzeichnung, Anhang nro. 19, über Zeugenverneh-
mungen, die augenscheinlich der Restitution vorangingen, heißt es
nur „de Uzinacha, quod Lantolt et Pieta habuerunt“, dagegen „Luzi-
lunavia tota“. Sonach muß die Ausdrucksweise der Kaiserurkunde
ungenau sein. Uznach war nicht ein grundherrliches Dorf; neben
dem Besitz der Beata, später S. Gallens, gab es dort noch freie
Eigentümer, und von solchen gingen andere Traditionen an S. Gallen
aus, zwei von Frauen, Diothniwi und Aldegund, 826 und 829, eine
854 von Wolfger und seinem Sohn Engilgar zu Uznach und „Pua-
binvilare*.
Reicher begütert müßte Cunzo gewesen sein, zu dessen Besitz
in Uznach und am JonafluR Unfreie gehörten, nro. 350, 834. Auf
die Schwierigkeiten, welche diese Urkunde wegen des darin vor-
kommenden Vosts bietet, will ich nicht näher eingehen, ich bemerke
nur, daß ich denselben auf die Frau des Cunzo beziehe, die Fassung
der Urkunde ist ohnehin mangelhaft. Auch mit diesen Traditionen
ist noch nicht alles Grundeigentum zu Uznach ans Kloster über-
gegangen, noch 912 vertauschte Hegere sein Eigengut in der Mark
Uznach gegen 10 Juchart Land zu „Hohinwart“ und Wald zum
roden.
Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz ete. 491
In der Umgebung von Uznach finden sich nun auch die Weiler
deren Charakter ich schon schilderte. Da ist „Ruadheres“wilare,
Rüetiswil. Dort überträgt Ruadheri die Hinterlassenschaft seines
Vaters und eigenen Erwerb, nro. 297, 826, Unfreie gehören dazu.
Dieser Ruadheri kann nicht der Gründer von Rüetiswil sein, aber
wohl ein gleichnamiger Vorfahr; auch gehörte ihm nicht der ganze
Weiler, nach nro. 582, 874 hatte der Gemahl seiner Tochter, Rating,
dort noch mindestens 4 Juchart, außer dem Anteil der Frau am
Gute ihres Vaters. Ruadheri erscheint einmal als Zeuge in Uznach,
Rating ist der Sohn der dort begüterten Aldegund.
Ein anderer Weiler ist „Eidwartes“wilare, Ernetswil. Dort
übertrugen 885, nro. 641, Eidwart und sein Sohn Iltibold ein ge-
schlossenes Gehöft mit Gebäuden, Land, bebautes und unbebautes,
Wiesen, Wald u. s. w., natürlich um es gegen Zins zurückzuerhalten.
Auf die Absicht zu weiteren Rodungen läßt die Wendung schließen
„vel que postea“ iustis laboribus augmentare potu[er]imus“. Unfreie
besaßen sie nicht.
Ein lebendiges Bild ergeben die trockenen Formeln der Ur-
kunden von den wirtschaftlichen Bestrebungen der Zeit. Noch be-
deckte Wald einen großen Teil des Bodens. Mühsam mußte der
fruchtbare Acker dem Sumpf und der Wildnis abgerungen werden;
aber unermüdlich sind die betriebsamen Landleute thätig, wüst
liegende Flächen in den Bereich der Kultur zu ziehen. Immer
wieder ist vom Erwerb die Rede neben dem Erbgut, und wenn auch
durch Kauf oder Tausch manches Grundstück den Besitzer wechseln
mochte, die rechte Arbeit, die das Eigentum vermehrt, war die
Rodung, das Urbarmachen des Oedlands. Dabei herrschte in der
ganzen Karolingerzeit tiefer Frieden. Kein feindlicher Einfall zertrat
die Saaten und verheerte die Dörfer. Die Stürme der späteren
Bürgerkriege haben die Nordostschweiz wenig berührt. Im Heerbann
des Frankenkaisers trugen die Thur- und Zürichgauer ihre Waffen
in die Ferne. Gar manches weiß der S. Galler Mönch Notker zu
berichten von dem starken Eishere, der Avaren und Slaven nieder-
mähte, wie der Schnitter das Heu, und nach Hause zurückgekehrt
sich rühmte, ihrer 7, 8, sogar 9 an seiner Lanze aufgespießt umher-
getragen zu haben.
Es würde sehr starker Beweise bedürfen, um wahrscheinlich zu
machen, daß in einer so urkräftigen, schaffensfreudigen Zeit ein
volkswirtschaftlicher Umschwung eingetreten sei, der die Masse der
freien Bevölkerung in einen an Hörigkeit grenzenden Zustand er-
niedrigte. Allerdings sprechen die Kapitularien Karls des Großen
vom Druck, den die Beamten ausübten, von Mißbräuchen der Amts-
gewalt, um deren Abstellung sich der Kaiser bemüht. Es frägt
sich nur, ob solche Verordnungen gleichmäßig auf das ganze, große
Reich sich beziehen, ob sie auch den rein germanischen (Gebieten
galten, deren wehrfähige Bevölkerung dergleichen Uebergrifle sich
doch kaum hätte gefallen lassen, oder speciell für Gallien, das Land
der Großgrundherrschaften und Sklavenwirtschaft, wo ähnliche Miß-
stände vorher und nachher allerdings sehr häufig gewesen sind.
490 G. Caro,
Für die eigentlichen Dörfer ist als Regel anzunehmen, daß an
der Ackerflur und der gemeinen Mark eine Anzahl freier Grund-
eigentümer Anteil haben, größeren oder kleineren, den sie eigen-
händig oder durch Unfreie bewirtschaften. In den Weilern oder
Einzelhöfen, die gerade in der Nordostschweiz sehr zahlreich sind,
finden sich naturgemäß weniger Anteilhaber als in den größeren
Dörfern. Viele Einzelhöfe dürften durch einen Herrn angelegt sein,
etwa mit Hilfe von unfreien Arbeitskräften. Bei Erbteilungen zer-
stückelte sich der Besitz, manche Bestandteile wurden veräußert.
Durch Anlegung neuer Gehöfte konnte sich der Einzelhof zum Dorf
auswachsen, worauf dann wohl auch eine Markteilung vorgenommen
wurde.
Um ein Beispiel für die Behandlung einzelner Ortschaften zu
geben, will ich auf Uznach eingehen, das schon in sehr früher Zeit
erwähnt wird. Dort war Beata begütert, eine sehr fromme Dame,
die ihren reichen Besitz am oberen Zürichsee und im Tößgebiet der
Kirche schenkte. Nach nro. 7 von 741 gehörten ihr zu Uznach 8
homines, Land und Wald. In diesen homines sind accolae zu er-
blicken, also Freie, die auf dem Grund und Boden saßen, der der
Beata gehörte. Der Ausdruck acolabis findet sich in der Pertinenz-
formel der Urkunde nro. 10, die von Beata in Bezug auf Uznach und
andere Orte ausgestellt ist. S. Gallen wurde später des Besitzes in
Uznach beraubt, der zum Königshof Zürich geschlagen wurde.
Kaiser Ludwig der Fromme ordnete die Rückgabe an, nro. 263, 821.
In der Kaiserurkunde ist die Rede davon, daß Beata oder Pieta und
ihr Sohn die villa Uznach dem Kloster geschenkt hatten. Danach
könnte es scheinen, ganz Uznach habe einst der |Beata gehört;
davon war aber in den Schenkungsurkunden nicht die Rede, und
auch in einer Aufzeichnung, Anhang nro. 19, über Zeugenverneh-
mungen, die augenscheinlich der Restitution vorangingen, heißt es
nur „de Uzinacha, quod Lantolt et Pieta habuerunt“, dagegen „Luzi-
lunavia tota“. Sonach muß die Ausdrucksweise der Kaiserurkunde
ungenau sein. Uznach war nicht ein grundherrliches Dorf; neben
dem Besitz der Beata, später S. Gallens, gab es dort noch freie
Eigentümer, und von solchen gingen andere Traditionen an S. Gallen
aus, zwei von Frauen, Diothniwi und Aldegund, 826 und 829, eine
854 von Wolfger und seinem Sohn Engilgar zu Uznach und „Pua-
binvilare“.
Reicher begütert müßte Cunzo gewesen sein, zu dessen Besitz
in Uznach und am Jonafluß Unfreie gehörten, nro. 350, 834 Auf
die Schwierigkeiten, welche diese Urkunde wegen des darin vor-
kommenden Vogts bietet, will ich nicht näher eingehen, ich bemerke
nur, daß ich denselben auf die Frau des Cunzo beziehe, die Fassung
der Urkunde ist ohnehin mangelhaft. Auch mit diesen Traditionen
ist noch nicht alles Grundeigentum zu Uznach ans Kloster über-
gegangen, noch 912 vertauschte Hegere sein Eigengut in der Mark
Uznach gegen 10 Juchart Land zu „Hohinwart“ und Wald zum
roden.
Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz ete. 491
In der Umgebung von Uznach finden sich nun auch die Weiler
deren Charakter ich schon schilderte. Da ist „Ruadheres“wilare,
Rüetiswil. Dort überträgt Ruadheri die Hinterlassenschaft seines
Vaters und eigenen Erwerb, nro. 297, 826, Unfreie gehören dazu.
Dieser Ruadheri kann nicht der Gründer von Rüetiswil sein, aber
wohl ein gleichnamiger Vorfahr; auch gehörte ihm nicht der ganze
Weiler, nach nro. 582, 874 hatte der Gremahl seiner Tochter, Rating,
dort noch mindestens 4 Juchart, außer dem Anteil der Frau am
Gute ihres Vaters. Ruadheri erscheint einmal als Zeuge in Uznach,
Rating ist der Sohn der dort begüterten Aldegund.
Ein anderer Weiler ist „Eidwartes“wilare, Ernetswil. Dort
übertrugen 885, nro. 641, Eidwart und sein Sohn Iltibold ein ge-
schlossenes Gehöft mit Gebäuden, Land, bebautes und unbebautes,
Wiesen, Wald u. s. w., natürlich um es gegen Zins zurückzuerhalten.
Auf die Absicht zu weiteren Rodungen läßt die Wendung schließen
„vel que postea“ iustis laboribus augmentare potul[erlimus“. Unfreie
besaßen sie nicht.
Ein lebendiges Bild ergeben die trockenen Formeln der Ur-
kunden von den wirtschaftlichen Bestrebungen der Zeit. Noch be-
deckte Wald einen großen Teil des Bodens. Mühsam mußte der
fruchtbare Acker dem Sumpf und der Wildnis abgerungen werden;
aber unermüdlich sind die betriebsamen Landleute thätig, wüst
liegende Flächen in den Bereich der Kultur zu ziehen. Immer
wieder ist vom Erwerb die Rede neben dem Erbgut, und wenn auch
durch Kauf oder Tausch manches Grundstück den Besitzer wechseln
mochte, die rechte Arbeit, die das Eigentum vermehrt, war die
Rodung, das Urbarmachen des Oedlands. Dabei herrschte in der
ganzen Karolingerzeit tiefer Frieden. Kein feindlicher Einfall zertrat
die Saaten und verheerte die Dörfer. Die Stürme der späteren
Bürgerkriege haben die Nordostschweiz wenig berührt. Im Heerbann
des Frankenkaisers trugen die Thur- und Zürichgauer ihre Waffen
in die Ferne. Gar manches weiß der S. Galler Mönch Notker zu
berichten von dem starken Eishere, der Avaren und Slaven nieder-
mähte, wie der Schnitter das Heu, und nach Hause zurückgekehrt
sich rühmte, ihrer 7, 8, sogar 9 an seiner Lanze aufgespießt umher-
getragen zu haben.
Es würde sehr starker Beweise bedürfen, um wahrscheinlich zu
machen, daß in einer so urkräftigen, schaffensfreudigen Zeit ein
volkswirtschaftlicher Umschwung eingetreten sei, der die Masse der
freien Bevölkerung in einen an Hörigkeit grenzenden Zustand er-
niedrigte. Allerdings sprechen die Kapitularien Karls des Großen
vom Druck, den die Beamten ausübten, von Mißbräuchen der Amts-
gewalt, um deren Abstellung sich der Kaiser bemüht. Es frägt
sich nur, ob solche Verordnungen gleichmäßig auf das ganze, große
Reich sich beziehen, ob sie auch den rein germanischen Gebieten
galten, deren wehrfähige Bevölkerung dergleichen Uebergriffe sich
doch kaum hätte gefallen lassen, oder speciell für Gallien, das Land
der Großgrundherrschaften und Sklavenwirtschaft, wo ähnliche Miß-
stände vorher und nachher allerdings sehr häufig gewesen sind.
492 G. Caro,
Was die Veränderungen betrifft, die während der Karolingerzeit
in der Grundbesitzverteilung und Lage der Bevölkerung vor sich
gegangen sind, so komme ich zu einem Ergebnis, das die geltenden
Ansichten wenn nicht umwirft, so doch wesentlich modifiziert und
beschränkt. Man nimmt an, der kleine Grundbesitz sei von dem
großen aufgesogen worden, die freien Bauern hätten sich genötigt
gesehen, ihr Eigentum an Große, vor allem Kirchen, zu übertragen,
um Schutz zu finden gegen die Uebergriffe der Gewalthaber. Wäre
dies richtig, so müßten die Urkunden es erkennen lassen. Dort ist
aber nichts davon gesagt. Nur in einem einzigen Falle übergiebt
sich der Tradent an das Kloster „in servitium“ (hier vielleicht vom
Eintritt ins Kloster, also in geistlichem Sinne, zu verstehen), nur in
zwei Fällen treten die Tradenten in das „mundiburdium“ des Klosters,
in einem dieser Fälle handelt es sich um Frauen. Sonst ist nur
vom Seelenheil die Rede, das die Tradenten gewinnen wollen, nicht
vom weltlichen Schutz des Klosters. Sollen diese Angaben der Ur-
kunden durchgängig oder auch nur größerenteils erlogen sein ?
Ferner hat sich das Schutzbedürfnis nach geltender Annahme
im Laufe des 9. Jahrhunderts gesteigert. Karl der Große hielt noch
auf Recht und Ordnung, unter seinen Nachfolgern nahm die Ver-
wirrung überhand. Die logische Schlußfolgerung ist: das Kloster,
das Schutz erteilen soll, steigerte auch seine Forderungen für die
Leistung desselben, die ja schwieriger und wertvoller wurde. Die
Tradenten, die ihr Gut zurückerhalten, müssen immer höheren Zins
dafür zahlen. In Wirklichkeit ist genau das Gegenteil der Fall, der
Zins der Precarien zeigt nicht eine steigende Tendenz, sondern eine
sinkende, er wird zuletzt zur bloßen Rekognition des Obereigentum-
rechts in minimalem Betrage. Ich hebe aus meinen Zusammen-
stellungen hervor:
Nro. 89, von 779. Immo überträgt all seinen Besitz, gelegen zu
Affeltrangen, derselbe wird an ihn wieder verliehen und soll nach
seinem Tode an seine Söhne und deren Nachkommen übergehen.
Der jährliche Zins beträgt 20 sicle Bier, 20 Brode, 1 Ferkel im
Werte von !/, sol, dazu Frohndienst, ein Juchart pflügen und
1 Tag mähen.
Nro. 128, 791. Uebertragung zu Züberwangen unter gleichen
Bedingungen. Zins 30 siele Bier, 30 Brode, 1 Ferkel; dazu Dienst,
in jeder Zelge 1 Juchart pflügen, besäen und abernten.
Nro. 193, 807 in Fägschwil, Zins 1 sol.
Nro. 323, 329 in Eschenbach, Zins 4 den.
dann etwa nro. 335, 830 in Gossau, Zins 2 den. Zur Zeit des Abts
Salomon beträgt der Zins für solche kleinere Traditionen nur noch
2 oder 1 den., letzteres überwiegt.
Das Vergleichsmaterial ist ein vorzügliches. Ich habe nur
einige von den vielen Fällen erwähnt, in denen es sich um allen
Besitz des Tradenten an einem Ort ohne mancipien handelt und
das Zinsverhältnis ein dauerndes werden soll, für andere Urkunden-
gattungen und andere Gaue ist das Ergebnis das gleiche.
Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz ete. 493
Die einzig mögliche Erklärung für die so nachgewiesene Er-
scheinung ist die Abnahme des Schenkungseifers. Es wurde dem
Kloster schwerer, die Leute zu Uebertragungen zu bewegen, so
mußte es mit immer geringerem Zins vorlieb nehmen. Ich will nun
nicht behaupten, daß jede Tradition auf rein ideelle Motive zurück-
geht. Manchmal mag das Kloster nicht nur durch Drohung mit
Höllenstrafen, sondern auch durch weltliche Mittel eine Pression aus-
geübt haben. Die Regel ist das schwerlich, am allerwenigsten in
den früheren Zeiten, als S. Gallen selbst noch Schutz brauchte
gegen den Bischof von Konstanz.
Die vornehmste Stütze sucht die Ansicht von dem Schutz,
den das Kloster den wirtschaftlich Schwachen verliehen haben
soll, in den Bestimmungen der Immunitätsurkunden. Kraft der
Immunität durfte kein Staatsbeamter die Besitzungen der be-
treffenden Kirche betreten, dort Amtshandlungen vornehmen oder
die Hintersassen, freie und unfreie, zu Leistungen irgendwelcher
Art heranziehen. Mit den Traditionen geht das Eigentumsrecht am
tradierten Grundstück an S. Gallen über. Wenn ein Tradent all
seinen Grundbesitz ans Kloster übertragen und dann gegen Zins
zurückempfangen hatte, so gehörte er fortan zu den „ingenui super
terram (monasterii) commanentes“ im Sinne der Immunitätsurkunden ;
er wurde der Staatsgewalt gegenüber durch den Klostervogt ver-
treten. Daran kann kaum ein Zweifel bestehen. Nur darf man
diese karolingische Immunität nicht allzuweit ausdehnen. Ich habe
schon gezeigt, daß bei den meisten Traditionen nicht aller Besitz
des Tradenten ans Kloster übergeht. Behielt aber ein Tradent
neben dem Zinsgut, das unter die Immunität fällt, noch freies Eigen,
so konnte er doch nicht schlechthin als „super terram monasterii
commanens“ bezeichnet werden. Er genießt nicht den Schutz der
Immunität für all sein Besitztum und seine Person, noch auch wird
er durch die Tradition zum Hintersassen der Kirche.
Was ich hier ausführe, ist schon gelegentlich bemerkt worden.
Nur hat man nicht genügend beachtet, daß damit die Lehre von den
zersetzenden Wirkungen der Immunität auf das Staatsleben guten-
teils hinfällig wird. Eben die S. Galler Besitzungen sind weithin
zerstreut über ausgedehnte Gebiete, geschlossene Immunitätsbezirke
können nur an ganz wenigen Orten gebildet worden sein, etwa in
der unmittelbaren Umgebung des Klosters. Sonst befinden sich die
Besitzungen S. Gallens in Gemenglage mit denen anderer Grund-
herren oder auch kleinerer freier Eigentümer. Daß das Obereigen-
tum über ganze Ortschaften dem Kloster zustand, muß noch am
Anfang des 10. Jahrhunderts selten gewesen sein.
Ein massenhaftes Flüchten der kleinen Freien in die Immunität
hat gar nicht stattgefunden. Von einem Versinken der freien Leute
in Hörigkeit kann ebensowenig die Rede sein. Durch die Tradition
eines Teils des Eigenguts oder des ganzen wird der Personenstand gar
nicht berührt. Rechtlich bleibt die Qualität als ingenuus bestehen,
auch bei Uebernahme einer Zinspflicht. Unterschiede zwischen höheren
494 G. Caro,
und niederen Freien, die sich in der Abstufung des Wehrgelds zeigen.
kannte bereits der Pactus Alamannorum; dabei ist es geblieben.
Urkundlich nachweisbarer Grund für Verschlechterung des Personen-
standes sind Mischehen zwischen Freien und Unfreien, bei denen die
Kinder der ärgeren Hand folgten. Das war nicht ganz selten; da-
für wurden auch Unfreie freigelassen, allerdings nach den S. Galler
Urkunden nicht sehr häufig. In der Karolingerzeit hat die alte Schärfe
der Standesunterschiede wenig abgenommen. Mit der wirtschaftlichen
Abhängigkeit, die durch die Uebernahme der Zinspflicht begründet
wird, hat es nicht viel auf sich. Der Zins ist genau fixiert und
meist sehr geringfügig.
Der Entwickelungsgang würde sich etwa folgendermaßen auf-
fassen lassen, und damit gelange ich zum Schluß meiner Erörte-
rungen. Wesentliches Merkmal der Epoche ist das Aufkommen des
kirchlichen Großgrundbesitzes, der in Gegenden mit rein germani-
scher Bevölkerung vorher nicht vorhanden war. Eine neue Wirt-
schaftsform trat damit nicht ins Leben, wenn auch die Notwendigkeit,
das ausgedehnte Klostergut für «den Unterhalt der zahlreichen Mönche
nutzbar zu machen, besondere Organisationen hervorrief. Entstanden
ist der kirchliche Großgrundbesitz auf Grundlage des weltlichen.
Dieser blieb bestehen, gleich dem mittleren und kleinen. Es gab
vor, während und nach der Karolingerzeit freie Leute, denen als
Grundherren vestierte Hufen gehörten, und auch solche, die ihre Aecker
mit eigener Hand bestellten.
Eine Wandlung ging vor sich in den Formen der Besitzrechte
am Grund und Boden. Das freie Eigen, Allod, wurde vielfach in
Leihegut, beneficium, Lehen, verwandelt. Durchgreifend war jedoch
die Umwälzung bei weitem nicht, und sie berührte weder das Standes-
verhältnis noch den Landwirtschaftsbetrieb. Ob ein Frohnhof Lehen
oder Allod, ob ein kleineres Besitztum Eigen oder Zinsgut war, die
Bewirtschaftung erfolgte in der gleichen Weise. Der Vasall, der
zum Ritter wird, und der freie Zinsmann, aus dem der Bauer her-
vorgeht, sind gleichen Standes.
Wahrscheinlich ist allerdings, daß die Gegensätze zwischen groß
und klein, reich und arm, die schon vorher vorhanden waren, sich
verschärften. Ich glaube, dazu haben Vorgänge rein sozialer Natur
viel beigetragen. Es läßt sich nur annehmen, daß die freie Bevölke-
rung in den friedlichen Zeiten rapid sich vermehrte. Die Zeugen-
listen der Urkunden werden immer länger. Andererseits scheint die
Zahl der Unfreien sich vermindert zu haben, wenigstens der
servi domestiei, die nicht in Ehe lebten. Im 9. Jahrhundert verfügen
kleinere Tradenten nur noch ausnahmsweise über mancipien, früher
ist das anders. Schon die lex Alamannorum verbietet, Unfreie außer
Landes zu verkaufen; Import von solchen dürfte kaum noch statt-
gefunden haben. Die kleineren Besitzer verloren die unentbehr-
lichen Arbeitskräfte, während die größeren verheiratete servi casati
besaßen, deren Zahl durch den Nachwuchs sich eher vermehrt als
vermindert haben dürfte. So wurden die Reichen reicher, sie konnten
Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz ete. 495
neue Hufen ansetzen, während der Grundbesitz der Aermeren ohnehin
durch Erbteilungen sich zerstückelte. Die Lage der geringeren Freien
wurde derjenigen der angesiedelten Unfreien sehr ähnlich. Eine neue
Gliederung der Gesellschaft bereitete sich vor, in die arbeitende Klasse
der Bauern, gleichviel ob frei oder unfrei, und den Adelsstand der
ritterlichen Grundherren. Es dauerte aber noch sehr lange, bis diese
neue Gliederung zum vollen Durchbruch kam.
Noch im 13. Jahrhundert gab es in der Nordostschweiz, wie
auch anderwärts, eine ganze Anzahl freier Bauern mit echtem Eigen,
die Zinsleute hatten ihren Ursprung nicht vergessen. Im Gegenzug
zu der Entwickelung, die sonst fast überall vor sich ging, haben in
einzelnen Teilen der Schweiz die Landbewohner jene Vermischung
grundherrlicher und obrigkeitlicher Rechte, auf welche die feudale
Ordnung von Staat und Gesellschaft sich gründete, abgewehrt oder
rückgängig gemacht. Wie in den Städten, so ist auch in Schwyz
und Appenzell an Stelle der alten eine neue Freiheit getreten, als
im Wandel der Zeiten die alten Rechtsbegriffte und Formen ihren
Inhalt eingebüßt hatten. Daß dies geschah, hängt aufs engste zu-
sammen mit den besonderen Umständen, unter denen die spätere
Entwickelung erfolgte, mit den individuellen Eigenschaften der Männer,
welche die Schlachten bei Morgarten und Sempach schlugen; aber
die Eigenart der schweizerischen Verhältnisse wird erst recht erklär-
lich, wenn man die Besonderheiten in Betracht zieht, die schon vor-
handen waren in der Epoche, die durch die Urkunden zuerst einiger-
maßen klar erkenntlich wird.
496 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Nachdruck verboten.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
IV.
Die wirtschaftliche Gesetzgebung der Länder
der ungarischen Krone im Jahre 1899.
Von Dr. phil. Felix Wissowa (Leipzig).
VI. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 9. April, über die
provisorische Regelung jener Einkünfte der ungarländischen
Städte und Gemeinden, welche die Natur von Konsumsteuern
besitzen. (Gesetz-Sammlung S. 10—18.)
$ 1. An jene Städte und Gemeinden, welche auf Grund des § 69 des Ges.-Art.
XXXV vom Jahre 1888 an dem Reinerträgnisse des Schankgefälles beseitigt werden,
ist vom 1. Jänner 1899 an in zwei gleichen Teilen mit Ende der Monate Juni und
Dezember jeden Jahres vom Staatsärar ein Betrag auszuzahlen, welcher dem ein-
jährigen Durchschnitte jener Summen entspricht, die der betr. Stadt oder Gemeinde
als solcher Anteil in den Jahren 1895—97 gebührten.
$ 2. Die Gemeinden und Städte dürfen vom 1. Juli 1899 angefangen von dem
Konsum oder von der Einfuhr der den Gegenstand staatlicher Steuern bildender
Konsumartikel (Wein, Fleisch, Zucker, Bier, Spiritus und Mineralöl) zur Be-
deckung der Erfordernisse ihres eigenen Haushalts . . . keinerlei Konsumsteuer
oder Einfuhrgebühr ... einheben, mit einziger Ausnahme der sogen. Pflastermauth
ün Budapest städtische Mauth), welche von jedem Warenartikel, also auch bei der
Hereinbeförderung obenerwähnter Artikel eingehoben werden kann, in einem die
bei der Hereinbeförderung der übrigen Artikel eingehobenen Sätze nicht über-
steigenden Maße.
An diesem Tage hört das Einhebungsrecht und die Einzahlungspflicht der vor
dem 1. Juli 1899 — wenngleich mit regierungsbehördlicher Bewilligung eingehobenen
Zuschläge, Gebühren ete. konsumsteuerartiger Natur allerart auf, und hören auch
die bezüglich der Einhebung dieser Steuerzuschläge, Gebühren etc. mit den einzelnen
Städten und Gemeinden abgeschlossenen Pachtverträge ohne jeden Schadenersatz auf.
XIV. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 7. Juni,
über die Bedeckung der mit der entsprechenden Unterstützung
der Staats-Elementarschulen verbundenen Ausgaben. (Ges.-S.
S. 170.)
Für Aufführung erforderlicher Lehrsäle und Lehrerwohnungen wird der Betrag
von 1 Mill. Gulden bereitgestellt.
XV. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 7. Juni, über
die Gerichtsbarkeit in Angelegenheit der Wahlen von Reichs-
tagsabgeordneten. (Ges.-S. S. 171—249.)
Nationalökonomische Gesetzgebung. 497
XVI. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 17. Juli,
über die Abänderung des allgemeinen Zolltarifs für das
österreichisch-ungarische Zollgebiet. (Ges.-S. S. 251—254.)
1. Die IV. Tarifklasse (Zucker) wird folgendermaßen lauten:
IV. Zucker.
No. 17 Rohzucker: pro 100 kg
a) unter der holländischen Standard No. 19 6 fl.
b) von der holländischen Standard No. 19 und darüber IL
No. 18. Raffinierter Zucker 11.4,
No. 19. Zuckerlösungen, welche Rohzucker oder Invertzucker
enthalten:
a) zum menschlichen Genusse geeignete 8,
b) zum menschlichen Genusse nicht geeignete, Melasse 6 ,
No. 20. Stärkezucker (Traubenzucker, Glykose u. dgl.), Maltose
und Fruchtzucker (Lävulose) 11,
2. In Klasse XIII (Getränke) haben die Tarifnummern 75 und 76 zu lauten:
No. 75. Bier: pro 100 kg
a) in Fässern 2 fl.
b) in Flaschen und Krügen Ti
No. 76. Gebrannte geistige Flüssigkeiten: pro 100 kg
a) Liqueure, Punschessenzen und andere mit Zucker oder
anderen Stoffen versetzte gebrannte, geistige Flüssig-
keiten, Arak, Rum, Franzbranntwein, Cognac 60 fl.
b) andere gebrannte geistige Flüssigkeiten 44 „
3. Klasse XXI (Mineralöle etc.) hat zu lauten:
XXI. Mineralöle, dann Braunkohlen- und Schieferteer: pro 100 kg
No. 119, roh, zu Beleuchtungszwecken ohne vorausge-
angene, mit Destillation verbundene Raffinierung
Reiiewhen nicht verwendbar 3 fl. 50 kr. netto
No. 120, roh, zu Beleuchtungszwecken ohne vorausge-
gegangene mit Destillation verbundene Raffinierung
verwendbar d An MÉI A 6
No. 121, raffiniert oder halbraffiniert:
a) schwere, deren Dichte 880 Grade übersteigt,
dunkle, auch Rückstände von der Mineralöl-
destillation oder Reinigung 3 un nn
b) schwere, deren Dichte 880 Grade übersteigt,
gelbe und rötlichgelbe, dann Schmieröle, auch
emengt mit animalischen oder vegetabilischen
Oclen und Fetten Due pr wë
c) leichte, von und unter der Dichte von 880 Graden 4 ,, 60 „
XVII. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 17. Juli,
über die Sicherstellung der Bier-, der Mineralöl- und der
Zuckersteuer für das Konsumgebiet und Modifizierung einiger Be-
stimmungen des Gesetz-Art. XV: 1894, betr. die Sicherstellung
der Spiritussteuer für das Konsumgebiet. (Ges.-S. S. 255—269.)
Art. 1. In dem Verkehre zwischen den Ländern der ungarischen Krone und
andererseits den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern, sowie
Bosnien und der Herzegovina wird nach der aus einem der erwähnten drei Kon-
sumgebiete in eines der anderen zwei Konsumgebiete während je einer Betriebs-
periode überführten bereits besteuerten Bier-, Mineralöl- und Zuckermenge die ab-
tattete Steuer zu Gunsten des empfangenden Gebietes vom Aerar desjenigen Ge-
ietes vergütet, von welchem Gebiete die betr. Artikel gesendet werden. Als je eine
Betriebsperiode wırd bezüglich des Bieres und des Mineralöls die Zeitdauer vom
1. September des einen Jahres bis zum letzten Tage des Monates August des
nächstfolgenden Jahres, bezüglich des Zuckers aber der Zeitraum vom 1. August
... bis zu dem letzten Tage des Monats Juli... angenommen. Nach Sendungen,
Dritte Folge Bd. XX (LXXVI). 32
498 Nationalökonomische Gesetzgebung.
welche mehr als 2 1 Bier, 2 kg Mineralöl oder 2 kg Zucker nicht enthalten, findet
keine Vergütung statt, und werden auch grössere Sendungen nur insoweit in Rech-
nung gezogen, als der Transport der Sendungen im Einklange mit den Bestimmungen
der & 3, 4 und 5 im Wege der amtlichen Ueberwachung erfolgt ist, und das Ein-
langen der Sendung in das Bestimmungs-(Empfangs)gebiet amtlich bestätigt
worden ist...
Art. 2. Die Steuer wird vergütet:
a) von jedem hl Bier in dem Betrage, welcher von je einem hl 12 Saccharo-
meter grädiger Bierwürze als Biersteuer zu zahlen ist;
b) von Mineralöl in dem Betrage, welcher von je einem Metercentner Mineral-
öl als Konsumsteuer zu zahlen ist;
c) von Zucker in dem Betrage, welcher von je einem Metercentner Zucker als
Zuckersteuer zu zahlen ist.
Die Vergütung hat bezüglich eines jeden steuerpflichtigen Artikels abgesondert
auf Grund der auf je eine Betriebsperiode sich erstreckenden Abrechnung bis zum
Ende des nach Ablauf der betr. Betriebsperiode folgenden 4. Monats und zwar
in dem Falle, wenn bis zu dieser Zeit die Abrechnung noch nicht endgiltig abge-
schlossen werden konnte, unter Vorbehalt der nachträglichen Richtigstellung zu
erfolgen.
Die Art. 3—14 enthalten Bestimmungen über die Anmeldung des zu versendenden
Bieres, Mineralöls oder Zuckers, Strafbestimmungen u. dergl.
Art 15. Die §§ 4, 7, 10, 11, 12 und 13 des Gesetz-Artikels XV: 1894 über
die Sicherstellung der Spiritussteuer für das Konsumgebiet werden außer Kraft
esetzt und finden anstatt derselben auch für die steuerfreien gebrannten geistigen
lüssigkeiten die in den Artikeln 4, 7, 10, 11, 12 und 13 dieses Gesetzes enthaltenen
Bestimmungen sinngemäße Anwendung . ..
Ferner werden $ 2 und 3 ane Gesetzes, wie folgt, modifiziert, als:
EK)
Die Steuervergütung ($ 1) von jedem hl Alkohol wird in dem Betrage fest-
estellt, welcher auf jenem Gebiete, welches die Vergütung zu leisten hat, nach
er in der Spiritusbetriebsperiode (1. September bis 31. August) besteuerten ge-
samten Alkoholmenge vorgeschriebenen gesamten Spiritussteuer auf je ein hl
Alkohol durchschnittlich entfällt.
3 3 betrifft die Vorschriften über die Anmeldung des in einer 11 übersteigenden
Menge steuerfrei zu versendenden Alkohols bei den Finanzorganen.
XVIII. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 17. Juli,
über die Zuckerbesteuerung und Aufhebung der auf die Zucker-
verbrauchsabgabe bezüglichen Bestimmungen des Ges.-Art. XVII: 1898.
(Ges.-S. S. 270—314.)
§ 1. Zucker jeder Art, welcher aus Rohstoffen oder Rückständen einer
früheren Zuckererzeugung erzeugt wird, unterliegt nach Maßgabe der folgenden
Bestimmungen einer Verbrauchsabgabe, und zwar:
1. Rübenzucker und aller Zucker von gleicher Art (Rohzucker) in jedem
Zustande der Reinheit mit alleiniger Ausnahme von zum menschlichen Genusse
nicht geeigneten Syrup für 100 kg netto 38 Kronen.
2. Zucker anderer Art für 100 kg netto 6 Kronen.
$ 2. Bei der Ausfuhr von Zucker der in $ 1, Punkt 1 bezeichneten Art
über die Zolllinie wird eine Ausfuhrbonifikation gewährt, welche
a) für 100 kg netto ausgeführten Zucker unter 99,3 bis
mindestens 90 Proz. Polarisation 3 Kron. 20 Heller
b) für 100 kg netto ausgeführten Zucker von mindestens
993 Proz. Polarisation 7 eK Bp m
beträgt.
Unter den zum Schutze des Staatsschatzes erforderlichen Bedingungen und
Vorsichten kann die Ausfuhrbonifikation auch für jenen Zucker gewährt werden,
welcher in zuckerhaltigen Waren, zu deren Herstellung derselbe abgabefrei ver-
wendet wurde, ausgeführt wird . ...
Nationalökonomische Gesetzgebung. 499
Der Finanzminister ist ferner EEN im Einvernehmen mit dem öster-
reichischen k. k. Finanzminister die Ausfuhrbonifikationen vorübergehend oder
dauernd zu ermäßigen oder die Bestimmung über die Gewährung von Ausfuhr-
bonifikationen vollständig außer Kraft zu setzen, sobald in anderen Rübenzucker
Ee Ländern, welche gegenwärtig für die Zuckererzeugung oder Zucker-
ausfuhr eine Prämie gewähren, diese ermäßigt oder beseitigt wird. . .
& 3. Sollte die Ausfuhrbonifikation für sämtliche, während einer Betriebs-
periode (1. August bis 31. Juli) aus dem österreichisch-ungarischen Zollgebiete über
die Zolllinie ausgeführten Zucker den Betrag von 18 Mill. Kronen übersteigen,
so ist der die 18 Millionen Kronen übersteigende Betrag von sämtlichen Unter-
nehmern der Zuckererzeugungstätten für Zucker der im $ 1, Punkt 1 bezeichneten
Art zu ersetzen.
Um den in einer Betriebsperiode von der Gesamtheit der Unternehmer der
Zuckererzeugungsstätten
a) in den andern der ungarischen Krone,
b) in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern,
c) in den Ländern Bosnien und Hercegovina
zu leistenden Bonifikationsrückersatz zu ermitteln, wird in folgender Weise vorge-
gangen.
1) Für die aus jeder Zuckererzeugungsstätte innerhalb der betreffenden Be-
triebsperiode weggebrachten Zuckermengen wird der Betrag ermittelt, welcher nach
den verschiedenen Ausfuhrbonifikationssätzen auf dieselben bei der Ausfuhr über
die Zolllinie entfallen wäre. Von diesem Betrage wird jener Betrag in Abzug
gebracht, welcher nach den Ausfuhrbonifikationssätzen auf die innerhalb derselben
Betriebsperiode in diese Zuckererzeugungsstätten etwa eingebrachten fremden Zucker-
erzeugnisse bei der Ausfuhr über die Zolllinie entfallen wäre.
2) Aus den auf solche Weise für sämtliche Zuckererzeugungsstätten des
österreichisch-ungarischen Zollgebietes gewonnenen Ergebnissen wird eine Gesamt-
summe gebildet und dann die Quote berechnet, welche auf jede Krone dieser Ge-
samtsumme von dem zu leistenden gesanıten Bonifikationsrückersatze entfällt.
3. Mittels der berechneten Quote wird für die Gesamtheit der Zuckerer-
zeugungsstätten jedes einzelnen Gebietes der von derselben auf Grund des nach
Punkt 1 berechneten Ergebnisses zu leistende Ersatz ermittelt.
Die Regelung der individuellen Aufteilung des von den Unternehmern der
Zuckererzeugungsstätten zu leistenden Ersatzes wird jeder Staat selbständig im
Gesetzgebungswege vornehmen.
Diese individuelle Aufteilung wird in Bezug auf die in den Ländern der un-
garischen Krone befindlichen Zuckererzeugungsstätten, wie folgt, veranlaßt:
Unter den Unternehmungen der Zuckererzeugungsstätten erfolgt die indi-
viduelle Verteilung so wie bisher auf Grund der gemaß Punkt 2 berechneten
Quote und des bezüglich für jede einzelne Zuckererzeugungsstätte gemäß Punkt 1
ermittelten Ergebnisses, und wird auf Grund dieser Faktoren die Summe berechnet,
welche jede Zuckererzeugungsstätte zu vergüten hat . . . Bezüglich der pünktlichen
Entrichtung dieser Vergütung kann der Finanzminister vor Beginn der Erzeugungs-
periode eine entsprechende Sicherstellung verlangen.
§ 63. Die auf die Zuckerkonsumabgabe bezüglichen Bestimmungen des Ges.-
Art. XVII: 1898 !) werden außer Wirksamkeit gesetzt und erlöschen die auf Grund
des $ 2 desselben in Bezug auf die von der Zuckerkonsumabgabe befreite Be-
schaffung und Benützung des Zuckers, sowie auf Grund des $ 10 desselben in Be-
zug auf die nachträgliche Entrichtung der Zuckerkonsumabgabe erteilten Licenzen
am 1. August 1899. Bei den die betreffende Licenz besitzenden Parteien ist am
1. August 1899 vorschriftsmäßige Abrechnung und Vorratsaufnahme zu pflegen, und
ist die nach dem Ergebnisse dieser Abrechnung und Vorratsaufnahme dieselben
noch belastende Zuckerkonsumabgabe durch sie bei sonstiger Exekution innerhalb
dreier Tage zu bezahlen. In Bezug auf die derart zu bezahlende Zuckerkonsum-
abgabe kann der Finanzminister gegen gehörige Sicherstellung eine entsprechende
Ratenzahlung bewilligen. ,
Von Zucker, Zuckerln, kandiertem Obst, Chokolade, Chokoladefabrikat und
1) Vgl. Jahrbücher f. Nationalükon. u. Statistik, 3. F, Bd. 18 (75), S. 801.
32*
500 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Liqueur, welcher von solchen Orten, auf welche die Wirksamkeit des Ges.-Art. XVII:
1898 sich nicht erstreckt, vor dem 1. August 1899 auf das Gebiet der Länder der
ungarischen Krone gebracht wurde, ferner nach jenen Zuckermengen, welche im
Gewichte von 50 Metercentner oder in kleineren Mengen ohne Entrichtung der
Zuckerkonsumabgabe aus irgend einer Zuckererzeugungsstätte, oder aus einem zum
Halten von Zucker bestimmten Freilager weggeführt worden ist, ist der auf dem
Gebiete der Länder der ungarischen Krone befindliche Empfänger verpflichtet, die
Zuckerkonsumabgabe entsprechend den Bestimmungen des Ges.-Art. XVII: 1898
auch dann zu bezahlen, wenn der Empfang vor oder nach dem 1. August 1899
erfolgt ist. In zweifelhaften Fällen aber ist der Empfänger nach dem 1. August
aufzuweisen verpflichtet, daß von den übernommenen Zuckerwaren die Nachtrags-
steuer oder die erhöhte Konsumabgabe bereits, bevor die Sendung weggeschickt
wurde, entrichtet worden ist. Die wider die auf die Seet bezüg-
lichen Bestimmungen des Ges.-Art. XVII: 1898 begangenen und mit rechtskräftigem
Urteile noch nicht entschiedenen Uebertretungsfälle fallen unter den Bestimmungen
des Ges.-Art. XVII: 1898.
Die übrigen Paragraphen enthalten u. a. Bestimmungen über die persön- und sachliche
Haftungspflicht für die Verbrauchsabgabe, über die Durchführung und Sicherstellung der-
selben durch pflichtmäj/sige Beschreibung der Erzeugungsstätte und der Einrichtung,
Sicherung der Erzeugungsstätte, Bestimmungen für die zeitweilige oder günzliche Be-
triebseinstellung, Bezeichnung der Zuckererzeugnisse mit gewerblichen und der versteuerten
Zuckererzeugnisse mit amtlichen Marken, das Kontrollrecht der Finanzwache, Buchführung
und Geschäjtsgang der Zuckererzeugungsslätte, Fälligkeitstermin und Borgung der Ver-
brauchsabgabe, endlich Strafbestimmungen.
XIX. Ges.-Art. vom Jahre 1899, sanktioniert am 17. Juli, über die
Bierbesteuerung. (Ges.-S. S. 315—345.)
& 1. Die Biersteuer wird von jedem hl und jedem Gradextrakt nach dem
100teiligen Saccharometer (Hektolitergrade-Extrakt) mit 34 Heller festgesetzt.
Unter Bierwürze wird (vom Gesichtspunkte der Besteuerung) jene zucker-
haltige Flüssigkeit verstanden, aus welcher mittels der geistigen Gärung Bier er-
erzeugt werden kann, der aber ein Gärmittel, das ist Hefe, noch nicht beigemischt
worden ist.
Brauereien, welche innerhalb einer Betriebsperiode (1. September bis 31. August)
nicht mehr als 15000 hl Bierwürze erzeugen, wird für die betreffende Periode ein
Steuernachlaß gewährt, welcher bei einer Erzeugung von nicht mehr als 2000 hl
15 Proz., bei einer Erzeugung von nicht mehr als 5000 hl 10 Proz und bei einer
Erzeugung von nicht mehr als 15000 hl 5 Proz. der entfallenden Verzehrungssteuer
beträgt. Eine Ueberschreitung dieser Maximalmengen ist nur gegen vorherige
Rückzahlung des bezogenen Nachlasses, bezw. der Nachlaßdifferenz zulässig. Vor
der vollständigen Rückzahlung werden Anmeldungen von Biergebräuen nicht an-
genommen.
$ 23. Unter den zum Schutze des Staatsschatzes erforderlichen Bedingungen
und Vorsichten wırd für das über die Zollinie ausgeführte Bier, wenn es genießbar
und entkohlensäuert mindestens 2'/, Saccharometergrade zeigt, die Verzehrungssteuer
rückvergütet, und zwar:
l. An jedermann, der solches Bier exportiert, ohne Berücksichtigung des
Extraktgehaltes der Stammwürze (das ist der Bierwürze, aus welcher das Bier
stammt) für jedes hl Bier mit 3 Kronen 40 Heller;
2. an die Biererzeuger, entweder
a) nach dem durchschnittlich auf ein hl fallenden Extraktgehalte der in
den letzten 6 Monaten vor der Ausfuhr erzeugten Bierwürzen, für jedes hl und
jeden Saccharometergrad des durchschnittlichen Extraktgehaltes mit 34 Heller.
Die Ermittelung des durchschnittlichen Extraktgehaltes hat in der Weise zu
eschehen, daß die Gesamtmenge der erzeugten Hektolitergrade Extrakt durch
die Gesamtmenge der erzeugten Hektoliter Bierwürze dividiert wird, wobei in dem
Quotienten die Bruchteile, welche weniger als '/,, ° betragen, wegzulassen sind, oder
b) nach dem vollen versteuerten und durch die amtliche Untersuchung des
Bieres nachgewiesenen ursprünglichen Extraktgchalte der Stammwürze, für jedes
hl Bier und jeden Saccharometergrad dieses Extraktgehaltes mit 34 Heller.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 501
Ergeben sich bei der Ermittelung des ursprünglichen Extraktgehaltes Bruch-
teile eines Saccharometergrades, so wird die Steuerrückvergütung unter Vernach-
lässigung der Bruchteile nach der verbleibenden Anzahl ganzer Saccharometer geleistet.
Für die durch Gärung, Lagerung etc. entstehende Schwendung an der ver-
steuerten Bierwürze werden 6'/, Proz. der jeweilig entfallenden Steuerrückvergütung
zurückbezahlt.
Die übrigen Paragraphen enthalten u. a. Vorschriften über die Sicherstellung der Bier-
steuer durch Verpflichtung des Unternehmers zur genauen Beschreibung seines Betriebes und
der in demselben vorhandenen Einrichtungen und durch Befundsaufnahme seitens der
Finanzdirektion, ferner über die Anmeldung des steuerbaren Verfahrens, Verbot der
Wegführung oder Aufbewahrung der Bierwürze ausserhalb der Gewerbsräume vor
überstandener Hauptgärung, Verpflichtung zur Registerführung in Bierbrauereien,
deren jährliche Erzeugung 20000 hl Bierwürze übersteigt, die amtliche Erhebung der
erzeugten Bierwürze, Fälligkeitstermin und Stundung der Biersteuer, allgemeine und
besondere Strafbestimmungen.
XX. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 17. Juli, über
die Besteuerung des Branntweines und der mit der Brannt-
weinerzeugung verbundenen Preßhefe. (Ges.-S. S. 346—433.)
$ 1. Branntwein, welcher innerhalb der Zolllinie erzeugt wird, unterliegt
einer Abgabe, die nach Verschiedenheit der Brennereien, in welcher die Erzeugung
stattfindet, als Produktionsabgabe bei der Erzeugung oder als Konsumabgabe bei
dem Uebergange des Branntweins aus der amtlichen Kontrolle in den freien Ver-
kehr zu entrichten ist.
Die Produktionsabgabe beträgt 70 Heller für jeden hl und Alkoholgrad nach
dem EES hundertteiligen Alkoholometer (Hektolitergrad Alkohol, Liter
Alkohol).
Die Konsumabgabe hat zweierlei Sätze, nämlich: 70 Heller und 90 Heller
für jeden Hektolitergrad (Liter) Alkohol.
§ 2. 1. Die Alkoholmenge, welche in den unter die Konsumabgabe fallenden
Brennereien zu dem niedrigeren Satze dieser Abgabe in der jährlichen Betriebs-
periode (1. Sept. bis 31. Aug.) erzeugt werden darf, bleibt bis 31. August 1908 mit
1878000 hl für das gesamte österreichisch -ungarische Zollgebiet festgesetzt.
Hiervon entfallen auf die Länder der ungarischen Krone 853 000 hl, auf die im
Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder 1017000 hl, und auf die dem öster-
reichisch-ungarischen Zollgebiete angehörigen Länder Bosnien und Hercegovina
8000
2. Die Regelung der individuellen Verteilung der Alkoholmenge, welche von
den unter die Konsumabgabe fallenden Brennereien zu dem niedrigeren Satze dieser
Abgabe in der Betriebsperiode erzeugt werden darf, wird der betr. Staat selbständig
im Gesetzgebungswege vornehmen.
$ 3. Wenn mit der Branntweinerzeugung zugleich die Erzeugung der Preß-
hefe (zum Absatze bestimmte Hefe) verbunden wird, so ist für Jeden erzeugten
Liter Alkohol eine Abgabe im Betrage von 5 Heller zu entrichten.
$ 4. Unter den zum Schutze des Staatsschatzes erforderlichen Bedingungen
und Vorsichten ist von der Konsumabgabe derjenige Branntwein frei, welcher als
solcher oder in Liqueur und Rum, zu dem er verwendet werde, oder im Weine,
dem er zur Erhöhung des Alkohols beigemischt wurde, über die Zolllinie ausgeführt
oder welcher zu gewerblichen Zwecken einschließlich der Essigbereitung, zum
Kochen, Heızen, Putzen zur Beleuchtung und zu wissenschaftlichen Zwecken ver-
wendet wird. Bei der Verwendung zur Essigerzeugung kommt die Abgabefreiheit
nur dem unter den niedrigeren Satz fallenden Branntweine zu. Für den abgabe-
frei angewiesenen Branntwein, mit Ausschluß desjenigen für wissenschaftliche
Zwecke, ist eine Kontrollgebühr von 3 Heller per Liter Alkohol nach Maßgabe
der im Vollzugswege zu erlassenden Bestimmungen von demjenigen zu entrichten,
auf welchen die abgabefreie Anweisung des Alkohols lautet.
Branntwein, welcher in einer der Produktionsabgabe unterliegenden Brennerei
erzeugt und dessen Alkoholmenge auf Grund der Anzeigen eines Kontrollmeß-
apparates oder unter Anwendung eines Sammelgefüßes ermittelt wird, kann zum
e der Ausfuhr, bezw. zur abgabefreien Verwendung abgabefrei eingelagert
werden.
502 Nationalökonomische Gesetzgebung.
§ 5. Jede unter die Konsumabgabe fallende landwirtschaftliche Brennerei
erhält für jedes hl Alkohol, das aus ihrer Erzeugungsstätte unter Beachtung der
ee Bestimmungen weggebracht wird, eine Bonifikation aus der Étaatianse,
und zwar:
a) Wenn die Einrechnung in diejenige Alkoholmenge stattfindet, welche sie
zum niedrigeren Satze der Konsumabgabe erzeugen darf ($ 2 Punkt 2): von
6 Kronen bei einer durchschnittlichen täglichen Erzeugung über 4 bis 7 hl Alkohol,
von 8 Kronen bei einer durchschnittlichen täglichen Erzeugung bis 2 hl Alkohol.
b) Wenn aber diese Einrechnung nicht stattfindet: von 2 Kronen bei einer
durchschnittlichen täglichen Erzeugung über 4 bis 7 hl Alkohol, von 4 Kronen
bei... 2 bis 4 hl Alkohol und von 6 Kronen bei... bis 2 hl Alkohol.
2. Als landwirtschaftliche wird eine Brennerei behandelt, bei welcher folgende
Bestimmungen vereint vorhanden sind:
a) Sie muß mit einer Landwirtschaft derart verbunden sein, daß sie aus der
Ernte dieser Landwirtschaft ausschließlich oder doch größtenteils die Stoffe zur
Branntweinerzeugung erhält, dagegen an dieselbe Landwirtschaft die bei der Brannt-
weinerzeugung gewonnene Schlempe als Viehfutter oder wenigstens den Dünger
abgiebt, der von dem mittels dieser Schlempe gefütterten Viehe herrührt.
b) Ihr Betriebsumfang darf in der monatlichen Anmeldungsperiode eine
durchschnittliche tägliche Erzeugung von 7 hl Alkohol nicht übersteigen und muß
zu der Fläche der zu der Landwirtschaft gehörigen Aecker, Wiesen und Weiden
in einem solchen Verhältnisse stehen, daß auf ein Hektar dieser Grundfläche die
auf einen Betriebstag der monatlichen Anmeldungsperiode durchschnittlich ent-
fallende Alkoholerzeugung 3 Liter Alkohol nicht überschreitet.
ch. Die in einer jährlichen Betriebsperiode erzeugte Gesamtalkoholmenge
darf 1650 hl Alkohol nicht übersteigen . ..
Die vorstehenden Bestimmungen finden sinngemäß auch auf jede Brennerei
Anwendung, welche von einer Genossenschaft betrieben wird, wenn die Mitglieder
dieser Genossenschaft Eigentümer oder Pächter von Landwirtschaften sind. Hier-
bei wird die Gesamtfläche der zu den Landwirtschaften aller Mitglieder der Ge-
nossenschaft gehörigen Aecker, Wiesen und Weiden in Anrechnung gebracht.
$6. Wird Branntwein, auf welchem die Abgabe haftet, gegen Abschreibung
derselben in Fässern oder anderen Behältnissen und in Mengen von mindestens
1 hl über die Zolllinie ausgeführt, so wird für jeden Hektolitergrad Alkohol (Liter
Alkohol) desselben eine Ausfuhrbonifikation von 10 Heller gewährt.
Bei der Ausfuhr von Liqueur über die Zolllinie wird, wenn die Versendung
mindestens 25 Liter in Gebinden oder in Flaschen umfaßt, die Bonifikation mit
3',, Heller pro Liter geleistet. In einem und demselben Kollo dürfen aber nur
Flaschen von gleicher Form und Größe sich befinden.
Der Finanzminister ist ermächtigt, im Einvernehmen mit dem k. k. öster-
reichischen Finanzminister die Ausfuhrbonifikation vorübergehend oder dauernd
zu ermäßigen oder die Bestimmung über die Gewährung von Ausfuhrbonifikationen
vollständig außer Kraft zu setzen, sobald in anderen Ländern, welche gegenwärtig
für die Branntweinausfuhr cine Prämie gewähren, diese ermäßigt oder beseitigt wird.
Für Branntwein, auf dem die Abgabe nicht haftet. wenn er in Mengen von
mindestens 50 Liter über die Zolllinie ausgeführt wird, wird außer der obigen Bonifi-
kation auch eine Abgaberückvergütung von 35 Heller per Liter Alkohol gewährt . . .
§7. 1. Die Gesamtsumme der nach dem vorstehenden § 6 entfallenden
Bonifikation für die während einer Betricbsperiode über die österreichisch-ungarische
Zolllinie ausgeführten gebrannten geistigen Flüssigkeiten darf den Betrag von
2 Millionen Kronen nicht überschreiten.
2. Bei der Ausfuhr gebrannter geistiger Flüssigkeit über die Zolllinie wird
nur die Hälfte der nach den im $ 6 aufgestellten Sätzen entfallenden Bonifikation
zur Zahlung angewiesen.
Wenn die in der betr. Betriebsperiode zur Ausfuhr gelangte Alkoholmenge
nach diesen Bonifikationssätzen keine Föhore als die obige Maximalsumme (Punkt 1)
in Anspruch nimmt, so wird die andere Hälfte der Bonifikation mit Schluß der
Betriebsperiode ausgezahlt.
Wenn aber die in der betr. Betriebsperiode zur Ausfuhr gelangte Alkohol-
menge einen größeren Betrag in Anspruch nehmen würde, so wird ermittelt, wie
Nationalökonomische Gesetzgebung. 503
viel von der Maximalsumme der Bonifikation auf jeden hl der exportierten Alkohol-
menge entfällt. Hierbei wird [der] dem Bonifikationssatze von 3'/, Heller pro
Liter ale entsprechende Alkoholgehalt mit 35° der hundertteiligen Alkoholo-
meterskala in Rechnung gezogen. Ist der sich ergebende Betrag größer als die
Hälfte der Bonifikation, d. i. größer als 5 Heller per Hektolitergrad Alkohol, so
wird die Differenz zwischen Segen Betrage und der bereits gelcisteten halben
Bonifikation bis zum vollen Bonifikationssatze mit Schluß der Betriebsperiode an
die Exporteure nachgezahlt.
Ist aber der sich ergebende Betrag per Hektolitergrad der exportierten
Alkoholmenge kleiner als die bereits geleistete Bonifikation von 5 Heller, so hat
jeder Exporteur die Difterenz zwischen der bereits empfangenen Bonifikation und
der wirklich entfallenden bei Vermeidung der Exekution binnen 14 Tagen nach
Erhalt der Verständigung an den Staatsschatz zu ersetzen.
8 29. Die Alkoholmenge wird je nach Verschiedenheit der Erzeugungsstoffe,
der Brennvorrichtung und der Größe des Gürraumes ermittelt:
ù I. Im Wege der Pauschalierung nach der Leistungsfähigkeit der Brennvor-
richtung.
IL Auf Grund eines freiwilligen Uebereinkommens mit dem Brennereiunter-
nehmer (Abfindung) nach der wahrscheinlichen Größe des Erzeugnisses an Alkohol.
III. AufGrund der Anzeigen eines Kontrollmeßapparates nach dem wirklichen
Erzeugnisse.
§ 30. Zu diesem Zwecke ($ 29) werden die Brennereien eingeteilt:
I. In Brennereien, welche mehlige Stoffe (Kartoffel, Getreidearten, Hülsen-
früchte und Stärkemehl) verarbeiten.
II. In Brennereien, welche Cellulose, Topinambur, Rüben oder Melasse,
welcher auch Abfälle der Zuckerfabrikation: Syrup und andere Flüssigkeiten von
höherem Zuckergehalte gleichgestellt werden, verarbeiten.
III. In Brennereien, welche Weinabfälle, Weintrester verarbeiten und zu-
gleich mit Branntwein weinsauere Salze erzeugen.
V. In Brennereien, welche andere als die in I. und II. bezeichneten Stoffe,
wie Obst, Treber, Wein, Weinlager, Beerenfrüchte, Wurzeln, Honigwasser u. s. w.
verarbeiten und Brennvorrichtungen besitzen, die mit Dampf zu heizen sind oder
bei welchen die in 24 Stunden zu verarbeitende Maischmenge . . . 16 hl übersteigt.
V. In andere Brennereien, welche Stoffe der sub IV. bezeichneten Art ver-
arbeiten.
$ 31. Unter die Pauschalierung nach der Leistungsfähigkeit der Brenn-
vorrichtung fallen die im $ 30 unter Punkt V bezeichneten Brennereien.
$ 32. Die in $ 29 unter Punkt II bezeichnete Abfindung kann eintreten:
1) Bei Branntweinbrennereien, welche von Bierbrauern betrieben werden, wenn
diese nur die Abfälle ihrer eigenen Biererzeugung — verdorbenes Bier ausgenommen
— zur Branntweinerzeugung verwenden.
2) Bei unter $ 30 Punkt V fallenden anderen Branntweinbrennereien, welche
höchstens zwei Brennvorrichtungen und zwar solche benützen, welche zur direkten
Befeuerung eingerichtet sind und andere Bestandteile als einen einzelnen Kessel,
ein Rührwerk, einen Blasenhelm, eine Kühlflasche, eine Kühlschlange, oder nicht
mehr als zwei gerade Kühlröhren und ein Verbindungsrohr zwischen Blasenhelm
und Kühlvorrichtung besitzen und deren Kessel zusammen genommen einen größeren
Raumgehalt als 4 hl nicht haben und überdies nur durch Abnahme des Blasen-
helms gefüllt werden können, wenn ein Grundbesitzer der Unternehmer ist und
selbsterzeugtes Obst oder Weintreber oder Weinhefe aus der eigenen Weinernte
oder Beerenfrüchte, Wurzeln oder andere wild wachsende Früchte zur Branntwein-
erzeugung verwendet.
er Finanzminister wird jedoch ermächtigt mit Rücksicht auf die Eigenart
ewisser kleinerer landwirtschaftlicher Brennercien bei diesen die Besteuerung im
ege der Abfindung auch dann eintreten zu lassen, wenn die Brennvorrichtungen
derselben nebst den im vorhergehenden Alinea aufgeführten Bestandteilen auch
noch mit einem Lutterkessel und zwei Dephlegmationsvorrichtungen versehen ist
und der Rauminhalt sämtlicher Blasen 3 hl nicht übersteigt.
$ 33. Unter die Ermittelung der Alkoholmenge nach dem wirklichen Erzeug-
nisse auf Grund der Anzeigen eines Kontrollmeßapparates oder mittels Anwendung
504 Nationalökonomische Gesetzgebung.
eines Sammelgefäßes fallen die in $ 30 unter I, II, III und IV bezeichneten
Brennereien.
Diese Ermittelungsart kann auch Brennereien, die in $ 30, Punkt V be-
zeichnet sind, für je eine ganze Betriebsperiode zugestanden werden.
Aus der gemäß des faktischen Erzeugnisses festgestellten Alkoholmenge werden
die im § 30 Punkt IV und V erwähnten Branntweinbrennereien eines Nachlasses
von 15 Proz. teilhaft gemacht.
Die 28 85—62 enthalten nähere Bestimmungen über das Ermittelungsverfahren
der Alkoholmenge im Wege der Pauschalierung, sowie auf Grund der Anzeigen eines
Kontrollme/sapparates nach dem wirklichen Erzeugnisse. Die anderen hier nicht an-
geführten Paragraphen betr. u. a. die Durchführung der Abgabe, die Sicherstellung
der Steuer, Beschreibung der Erzeugungsstätte und Werkvorrichtungen, Obliegenheiten
der Unternehmer in Bezug auf den Gewerbebetrieb, Anlegung des amtlichen Verschlusses
bei Stillstand des Betriebes, ferner die Wegbringung des Erzeugnisses aus der Er-
zeugungsstätte, die Rechnungsführung über die Konsumabgabe, die Raffinierung und
Veredelung von Branntwein, die Fälligkeit und Borgung der Abgabe, endlich allgemeine
und besondere Strafbestimmungen.
XXI. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 17. Juli, über
die Abgabefreiheit des zur Erzeugung von zur Ausfuhr be-
stimmten zucker- und alkoholhaltigen Fabrikaten ver-
wendeten Rübenzuckers und Alkohols, ferner über die Ein-
hebung eines Zollzuschlages im Falle des Importes vom Auslande von
den zucker- oder alkoholhaltigen Artikeln, zu deren Herstellung Zucker
oder Alkohol verwendet worden ist. (Ges.-S. S. 434 f.)
$ 1. Der Finanzminister wird ermächtigt:
a) gewerbliche Unternehmungen, welche Zucker oder alkoholhaltige Erzeug-
nisse zum Export erzeugen, den abgabefreien Bezug des zur Erzeugung dieser
Fabrikate benötigten, im $ 1 Punkt 1 des Zuckersteuergesetzes bezeichneten Zuckers,
bezw. des benötigten Alkohols unter den zum Schutze des Staatsschatzes erforder-
lichen Bedingungen und Vorsichtsmaßregeln zu bewilligen.
b) Im Einverständnis mit dem Handelsminister einen der inländischen Zucker-
bezw. Branntweinsteuer entsprechenden Zollzuschlag nach in das österreichisch-
ungarische rn eingeführten solchen Artikeln einheben zu können, welchen
Zucker oder Alkohol zugesetzt ist, oder zu deren Herstellung Zucker oder Alkohol
verwendet wird, und für deren Similäre innerhalb des Zollgebietes abgabefreier
Zucker oder Alkohol beschafft nicht werden kann.
XXII. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 17. Juli,
über die Aufteilung jener Alkoholmengen, welche durch die
der Konsumsteuer unterliegenden Spiritusbrennereien in je einer Pro-
duktionskampagne zum kleineren Steuersatze produziert werden
können. (Ges.-S. H 436—448.)
§ 1. Die nach dem $ 2 des Gesetz-Artikel XX: 1899 über die Branntwein-
steuer... durch die in den Ländern der ungarischen Krone der Konsumsteuer
unterliegenden Spiritusbrennereien zum kleineren Steuersatze produzierbare Alkohol-
menge von jährlichen 853 000 hl wird unter die Spiritusbrennereien in je einer
Produktionskampagne mit Beobachtung des Grundsatzes verteilt, daß von den
neu entstehenden Spiritusbrennereien nur die landwirtschaftlichen, sowohl jetzt als
auch innerhalb der nach den Produktionskampagnen zu geschehenden Aufteilungs-
frist, an der Aufteilung teilhaben können.
Diese Aufteilung . . . geschieht in der Weise, daß von der innerhalb einer
Produktionskampagne bei dem kleineren Steuersatze produzierbaren Alkoholmenge
von 853000 hl auf die erste Aufteilungsperiode 460 103 hl unter die im Punkt A
a) des § 3 bezeichneten landwirtschaftlichen Brennereien 338 956 hl, unter die im
Punkt B des $3 bezeichneten gewerblichen Spiritusbrennereien 67 206 hl aufgeteilt,
53 941 hl den neu entstehenden landwirtschaftlichen Spiritusbrennereien vorbehalten
werden.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 505
Von diesen . .. 53941 hl können in der ersten Aufteilungsperiode 13 941 hl
in Anspruch genommen werden, während von den übrigen 40000 hl in den
folgenden 4 Produktionskampagnen je 10000 hl in Anspruch genommen werden
können.
Außerdem werden für die neu entstehenden landwirtschaftlichen Brennereien
in erster Reihe jene zum kleineren Steuersatze produzierbaren Alkoholmengen vor-
behalten, welche infolge Auflassung einzelner gewerblicher Spiritus-
brennereien, sowie auch jene Alkoholmengen, welche infolge der Vereinigung
einzelner gewerblicher oder landwirtschaftlicher Spiritusbrennereien zur Verfügung
bleiben werden.
$ 3. Bei der ersten Aufteilung der zum kleineren Steuersatze herstellbaren
Alkoholmenge werden berücksichtigt:
A) jene landwirtschaftlichen Brennereien
a) welche innerhalb der vom 1. September 1897 bis Ende August 1899 reichenden
2 ENEE in Betrieb waren und diesen nicht endgiltig aufgelassen
n;
b) jene, welche während der obigen Zeit nicht in Betrieb waren, bezw. ihren
Betrieb ganż aufgelassen oder gar nicht bestanden haben, jedoch bis 1. Jänner
1900 in Betrieb gesetzt werden.
B) Jene gewerblichen Brennereien, welche innerhalb der vom 1. September
1897 bis Ende August 1899 in Betrieb waren und ihren Betrieb nicht gänzlich
aufgegeben haben.
$ 4. Bei der ersten Aufteilung der Alkoholmenge, welche die landwirtschaft-
lichen Spiritusbrennereien zum kleineren Steuersatze produzieren können, ist
folgender Vorgang zu befolgen:
I. Von denjenigen der in Alinea A a) des $ 3 erwähnten landwirtschaftlichen
Spiritusbrennereien wird für jene, welche als landwirtschaftliche Spiritusbrennereien
vor dem 1. September 1898 bereits in Betrieb waren, jene Alkoholmenge festgesetzt,
welche die betr. landwirtschaftliche Spiritusbrennerei zum kleineren Satze der
Konsumsteuer innerhalb der vom 1. September 1888 bis Ende August 1898
währenden Zeit in jener einjährigen Produktionskampagne hergestellt hat, in
eg die betr. landwirtschaftliche Spiritusbrennerei den größten Geschäftsumfang
besaß.
Die der größten Jahresproduktion entsprechende Alkoholmenge bildet jene
Basis, in deren Verhältnis die betr. Branntweinbrennerei an dem für die landwirt-
schaftlichen Branntweinbrennereien bestimmten Ausmaße von 460103 hl be-
teiligt wird.
II. Für jene in Punkt A a) des $ 3 erwähnten landwirtschaftlichen Spiritus-
brennereien, welche in der Produktionskampagne 1898/99 als neu entstandene land-
wirtschaftliche Spiritusbrennereien in Betrieb gesetzt wurden, wird die Basis, im
Verhältnis zu welcher die betr. Spiritusbrennerei an den für die landwirtschaft-
lichen Spiritusbrennereien bestimmten 460 103 hl beteiligt wird, nach dem Durch-
schnitt der Basis jener Partizipation festgesetzt, welche auf die Spiritusbrennereien,
die in den in die Zeit vom 1. September 1888 bis Ende August 1898 fallenden
Produktionskampagnen neu entstanden sind, nach dem obigen Alinea 1 entfällt.
Behufs Feststellung dieses Durchschnittes wird das im Gesetz-Artikel XXV: 1888
festgesetzte Stäimakontingent der in den in die Zeit vom 1. September 1388 bis
Ende August 1898 fallenden Produktionskampagnen neu entstandenen landwirt-
schaftlichen Spiritusbrennereien addiert; dann wird die für dieselben Branntwein-
brennereien im obigen Punkt festgestellte Partizipationsbasis addiert und berechnet,
wieviel Prozent der ersterwähnten Summe die letzterwähnte bildet; — jede der
in der Produktionskampagne 1898/99 neu entstandenen landwirtschaftlichen
Spiritusbrennereien wird dann im Verhältnis von ebensoviel Prozent ihres im Gesetz-
Artikel XV: 1888 festgesetzten eigenen Stammkontingents an den für die landwirt-
schaftlichen Brennereien bestimmten 460 103 hl partizipieren.
III. Für jede der im Punkt A b) des $ 3 erwähnten landwirtschaftlichen
Spiritusbrennereien wird die Basis, nach deren Proportion die betr. landwirtschaft-
liche Spiritusbrennerei an der für die neu zu errichtenden landwirtschaftlichen
Spiritusbrennereien in den einzelnen Aufteilungsperioden in Anspruch zu nehmen-
den Quote der laut $ 1 ausgeschiedenen Menge von 53 941 hl beseitigt wird, unter
506 Nationalükonomische Gesetzgebung.
Berücksichtigung der Einrichtung der betr. Spiritusbrennerei und der damit zu-
sammenhängenden landwirtschaftlichen Erfordernisse nach Anhörung von zwei, auf
Grund einer vom Ackerbauminister erfolgten Designierung herbeizuziehenden Sach-
verständigen vom Finanzminister festgesetzt.
Die Partizipation dieser Branntweinbrennerei kann nicht größer sein, als die-
jenige, welche die in den Punkten I und II dieses Paragraphen erwähnten, gleich
großen und gleich eingerichteten Spiritusbrennereien im Durchschnitt thatsächlich
genießen und kann die solcherweise festgestellte Partizipation 960 hl nicht über-
steigen. Wenn dagegen die (Quote, welche laut $ 1 aus den für diese Branntwein-
brennereien bestimmten 53941 hl in den einzelnen Aufteilungsperioden in An-
spruch genommen werden kann, nicht genügt, um ihnen die für sie einzeln
festgestellte Alkoholmenge auszufolgen, wird bezüglich jeder der Brennereien ein
verhältnismäßiger Abzug erfolgen .. .
$ 5. Bei der ersten Aufteilung der für die industriellen Spiritusbrennereien
auf Grund des $ 1 vorbehaltenen 338 956 hl ist folgender Vorgang zu befolgen:
Für jede einzelne in Punkt B des $ 3 erwähnte Spiritusbrennerei wird jene
Alkoholmenge festgestellt, welche die betr. Spiritusbrennerei in jeder der Produk-
tionskampagnen 1505,96, 1806,97 und 1597/98 zum kleineren Konsumsteuersatze
erzeugt hat.
Die solcherweise berechnete gesamte Alkoholmenge bildet, je nachdem die
betr. Spiritusbrenncrei in einer, in zwei oder in allen 3 Produktionskampagnen in
Betrieb war, ganz, zur Hälfte oder zum Drittel jene Basis, in deren Verhältnis
die betr. Spiritusbrennerei an den für industrielle Spiritusbrennereien ausgeschiede-
nen 338956 hl partizipiert.
Wenn aber die solcherweise berechnete Partizipationsbasis einer industriellen
Spiritusbrennerei weniger beträgt als 2000 hl, so ist der betr. Spiritusbrennerei die
ihrer Partizipationsbasis entsprechende ganze Menge als Kontingent zuzuwenden.
XXIII. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 17. Juli,
über den unter Aufhebung der Bierkonsumsteuer einzuführenden Bier-
steuerzuschlag. (Ges.-Samml. S. 449—462.)
$ 1. Unter Aufhebung der auf Grund des Ges.-Art. XVII: 1898') derzeit
eingehobenen Bierkonsumsteuer tritt an die Stelle dieser Steuer der Biersteuerzu-
schlag, welcher Zuschlag abgesondert von der Biersteuer als besondere staatliche
Einnahme zu verrechnen ist.
$ 2. Der Satz des Biersteuerzuschlages ist:
l) nach jedem Hektoliter und Saccharometergrad des Extraktgehaltes der
auf dem Gebiete der Länder der ungarischen Krone erzeugten Bierwürze 80 Heller;
21 nach dem aus den außerhalb des Gebietes der Länder der ungarischen
Krone befindlichen Orten eingeführten Bier aber nach jedem Hektoliter Bier und
nach jedem Grade des durch die Partei angemeldeten und auch durch die Unter-
suchung des Bieres unmittelbaren Extraktgehaltes jener ursprünglichen Bierwürze,
aus welcher das betr. Bier erzeugt wurde, 80 Heller.
3) Die Art und Weise der Berechnung des nach dem über die Zolllinie ein-
geführten Biere entfallenden Biersteuerzuschlages wird im Verordnungswege fest-
gestellt.
$ 4 Nach jenem Bier, welches zum Genusse geeignet ist und entkohlensäuert
mindestens 2!/, Saccharometergrad zeigt, wird der Biorsteueazuachläg in dem Falle
rückvergütet, wenn derartiges Bier:
I. aus dem Gebiete der Länder der ungarischen Krone unter Einhaltung der
Bestimmungen der bestehenden Gesetze mit Vorbehalt der Rückvergütung über die
Zolllinie ausgeführt, oder
II. in 2 Liter übersteigender Menge unter Einhaltung der Bestimmungen des
Ges.-Art. XVII: 1898 auf das Gebiet der im Reichsrate vertretenen Königreiche
und Länder, oder Bosniens und der Herzegovina überführt wird.
Der Biersteuerzuschlag wird rück vergütet:
1) Vgl. Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. 8. F. Bd. 18 (78) S. Sit
Nationalökonomische Gesetzgebung. 507
1) Jedem, der solches Bier aus-, bezw. durchführt, nach jedem Liter Bier
mit 8 Heller,
2) den Bierbrau-Unternehmungen und zwar, entweder
a) gemäß dem Extraktgehalte, welcher nach je einem Hektoliter der in den
der Aus- bezw. Durchfuhr vorhergehenden 6 Monaten erzeugten Bierwürze durch-
schnittlich entfällt, nach jedem Hektoliter Bier und nach jedem Grade des durch-
schnittlichen Extraktgehaltes mit 80 Heller. Dieser durchschnittliche Extraktgehalt
wird in der Weise berechnet, daß die Gesamtmenge der erzeugten Extrakt-Hekto-
litergrade mit der Gesamtzahl der erzeugten Bierwürze dividiert wird. Die im
Quotienten sich ergebenden Bruchteile, welche geringer als ° sind, sind außer
Acht zu lassen,
oder:
b) gemäß dem besteuerten und durch die Untersuchung des daraus erzeugten
Bieres auch festgestellten vollen Extraktgehalte der ursprünglichen Bierwürze: nach
jedem Hektoliter Bier und nach jedem Grade dieses Extraktgehaltes mit 80 Heller.
Wenn bei der Feststellung des ursprünglichen Extraktgehaltes sich auch
Bruchteile des Saccharometergrades ergeben, so sind diese außer Berechnung zu
lassen und wird der Biersteuerzuschlag nach dem nächsten kleineren ganzen
Saccharometergrade rückvergütet.
Die übrigen Paragraphen betreffen die Einhebung des Biersteuerzuschlages, das
mit dem 1. Jünner 1900 eintretende Erlöschen der durch Ges.-Art. XVII: 1898 be-
züglich der nachträglichen Zahlung der Bierkonsumsteuer hinausgegebenen Licenzen,
Strafbestimmungen u. dgl.
XXIV. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert vom 17. Juli,
über den nach gebrannten geistigen Flüssigkeiten zu zahlenden Spiritus-
steuerzuschlag und die Aufhebung der Branntweinverkehrs-
steuer. (Ges.-Samml. S. 463—479.)
$ 1. Jede gebrannte geistige Flüssigkeit, nach welcher die im $ 1 des Ges.-
Art. XVI: 1898 Testgesetzte Zollgebühr, bezw. die im $ 1 des Ges.-Art. XX: 1899
festgesetzte Spiritussteuer zu entrichten ist, oder welche aus den im Reichsrate
vertretenen Königreichen und Ländern oder Bosnien und der Herzegovina besteuert
eingeführt wird, unterliegt einem Spiritussteuerzuschlage, welcher Zuschlag nach
jedem Hektoliter und nach jedem Alkoholgrade des amtlichen hundertteiligen
Alkoholmeters (Hektolitergrad Alkohol, Liter Alkohol) mit 30 Hellern festgesetzt wird.
` Der Spiritussteuerzuschlag ist von der Spiritussteuer abgesondert als besondere
staatliche Einnahme zu verrechnen.
Die der Konsumsteuer unterliegenden landwirtschaftlichen Spiritusbrennereien
werden vom 1. September 1899 angefangen nach jedem Hektoliter Alkohol, welcher
mit Beobachtung der hierauf bezüglichen Bestimmungen des Gesetzes über die
Spiritussteuer von ihrer Erzeugungsstätte weggeführt wird, aus der Staatskasse zu
Lasten der Einnahmen des Spiritussteuerzuschlages einer Prämie von 2 Kronen
teilbaft, und ist die Anspruchsberechtigung auf diese Prämie gemäß jener Bestim-
mungen des Gesetzes über die Branntweinsteuer festzustellen, laut welchem die
Anspruchsberechtigung auf die durch das eben erwähnte Gesetz den landwirtschaft-
lichen Branntweinbrennereien bewilligte Prämie festgestellt ist.
$ 2. Unter den vom Finanzminister im Verordnungswege festzustellenden
Bedingun en wird gestattet, daß jener Alkohol, welcher durch Weingroßhändler
oder eine Kellermanipulation von größerer Ausdehnung betreibende Weinproduzenten
ihren Weinen behu? Hebung des Alkoholgehaltes derselben zugesetzt wird, von
dem Branntweinsteuerzuschlage befreit werde.
Ebenso wird der Finanzminister ermächtigt, . . . größeren Cognacfabrikanten
und Obstbranntwein erzeugenden Fabrikanten gestatten zu können, daß sie Alkohol,
aus welchem Cognac bezw. Obstbranntwein bereitet wird, bedingungsweise steuer-
frei beziehen und ihre aus diesem Alkohol erzeugten Fabrikate unter Vorbehalt
der Abschreibung des Spiritussteuerzuschlages über die Zolllinie ins Ausland oder
unter Einhaltung der Bestimmungen des Ges.-Art. XV: 1594, bezw. des diesen
Ges.-Art. modifizierenden Ges.-Art. XVII: 1898 unmittelbar auf das Gebiet der
im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder oder nach Bosnien und der
erzegovina ausführen können.
508 Nationalökonomische Gesetzgebung.
$ 4. Der Spiritussteuerzuschlag wird durch die königl. ungar. Staatskasse
rückvergütet:
1) wenn der bereits besteuerte Spiritus (das ist solcher Spiritus, welchen
Spiritussteuer und Spiritussteuerzuschlag nicht belastet)
a) in Fässern oder in anderen geaichten Behältern und in einer Menge von
50 1 über die Zolllinie ausgeführt wird;
b) in einer einen Liter übersteigenden Menge unter Beobachtung der Bestim-
mungen des Ges.-Art. XV: 1894, bezw. XVII: 1898 auf das Gebiet der im Reichs-
rate vertretenen Königreiche und Länder oder nach Bosnien und der Herzegovina
überführt wird;
2) wenn Liqueur, Rum oder Punschessenz in einer einen Liter übersteigenden
Menge unter Beobachtung der Bestimmungen des Ges.-Art. XV: 1804, bezw. XVII:
1898 nach dem Gebiete der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder
oder nach Bosnien und der Herzegovina überführt wird.
Die Rückvergütung des Spiritussteuerzuschlages und zwar nach jedem Hekto-
litergrade des in den gebrannten geistigen Flüssigkeiten enthaltenen Alkohols er-
folgt in den unter 1 erwähnten Fällen mit 15 Heller, in dem unter 2 erwähnten
Falle mit 30 Heller...
Die übrigen Paragraphen betreffen u. a. die Einhebung und Fälligkeit des Spiritus-
steuer zuschlages, das mit dem 1. Jänner 1900 eintretende Erlöschen der durchGes.-
Art. XVI: 1898 behufs spiritusverkehrssteuerfreier Beschaffung vvn Spiritus, sowie
behufs nachträglicher Entrichtung der Spiritusverkehrssteuer hinausgegebenen Licenzen,
Strafbestimmungen u. dgl.
XXV. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 17. Juli,
über staatliche Getränkeschankgefälle. (Ges.-Samml. S. 480
—511.)
$ 1. Ueber den Ausschank und Kleinverkauf des Weines, Obstweines, Bieres
und der gebrannten alkoholhaltigen Getränke, ferner über den Großverkauf der
ebrannten alkoholhaltigen Getränke verfügt ausschließlich der Staat. Unter ge-
Premten alkoholhaltigen Getränken sind auch die zur Herstellung alkoholhaltiger
Getränke geeigneten gebrannten alkoholhaltigen Flüssigkeiten zu verstehen.
Infolge des oben umschriebenen ausschließlichen erfügungsrechtes kann die
erwähnten alkoholhaltigen Getränke nur derjenige ausschänken und im kleinen nur
derjenige verkaufen, ferner kann mit dem Großverkaufe von gebrannten geistigen
Flüssigkeiten nur derjenige sich beschäftigen, welcher hierzu von der Finanzbehörde
eine Licenz erhält. Der Ausschank ist unbeschränkt oder beschränkt.
Unter unbeschränktem Ausschank ist die gewerbemäßige Ausfolgung alkohol-
haltiger Getränke im kleinen an sitzende oder stehende Gäste, zum Verbrauch im
Geschäftslokale oder außerhalb desselben in offenen oder geschlossenen Gefäßen zu
verstchen.
Die beschränkten Arten des Ausschanks sind
a) der glasweise Ausschank, d. h. die Ausfolgung von Spiritus und daraus
angefertigtem gewöhnlichen Branntwein, ferner mit Ausnahme des Bieres anderer
alkoholhaltiger Getränke zum Verbrauch innerhalb des Geschäftslokals in Gläsern
von höchstens 1 Deciliter ;
b) der Ausschank über die Gasse, d. h. der Kleinverkauf von Spiritus und
daraus angefertigtem gewöhnlichen Branntwein und mit Ausnahme des Bieres
anderer alkoholhaltiger Getränke zum Verbrauch außerhalb des Geschäftslokales
im kleinen und in offenen Getäßen;
c) der Ausschank von Flaschenwein und Flaschenbier, d. h. der Verkauf von
Wein und Bier zum Verkauf im Geschäftslokal in geschlossenen Flaschen.
Unter Verschleiß im kleinen ist der gewerbemäßige Verschleiß von geistigen
Flüssigkeiten im kleinen ausschließlich in geschlossenen Gefässen zum Verbrauch
außerhalb der Geschäftslokale zu verstehen.
Unter Ausschank und Weinverkauf ist der Verkauf von Wein, Weinmost
und Obstwein in Quantitäten unter 50, von Bier unter 25, von Spiritus und daraus
angefertigtem gewöhnlichen Branntwein unter 100 und der Verkauf anderer ge-
brannter alkoholhaltiger Getränke unter 25 Litern zu verstehen.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 509
Unter Verkauf gebrannter alkoholhaltiger Getränke im großen ist der ge-
werbemäßige Verkauf solcher Getränke in größeren Quantitäten als den oben fest-
gesetzten Maßen zu verstehen.
$ 2. Jeder Ausschänker und Kleinverkäufer hat nach der Licenz dem Staats-
ärar eine in fixer Summe festzusetzende jährliche (Schank-)Gebühr zu zahlen.
Die 52 3—15 behandeln die zur Erlangung der Licenz erforderlichen Vorbe-
dingungen, die Wirkungen und das Erlöschen der Licenz.
S 16. Bei der Feststellung der Konzessionsgebühr werden die Geschäfte
ihrem Umfang entsprechend in Budapest in 7, anderswo aber in 5 Klassen gereiht.
An Konzessionsgebühren haben alljährlich zu bezahlen:
I. Alle Jene, welche eine Konzession auf unbeschränkten Ausschank besitzen:
1) Auf dem Gebiete der Haupt- und Residenzstadt 1400, 1000, 600, 400, 200,
100 oder 60 Kronen;
2) in den mit Municipalrecht bekleideten Städten und in Städten mit ge-
regeltem Magistrat und in solchen Gemeinden, welche Sitz eines Municipiums Ge
Gerichtshofes sind, in dem Falle, wenn ihre Bevölkerung:
a) 20000 Seelen übersteigt: 300, 200, 150, 100 oder 50 Kronen;
b) 10000 bis 20000 Seelen beträgt: 200, 150, 100, 80 oder 40 Kronen;
c) weniger als 10000 Seelen beträgt: 150, 100, 80, 60 oder 30 Kronen;
3) in anderen Gemeinden, in dem Falle, wenn ihre Bevölkerung:
a) 20000 Seelen übersteigt: 150, 100, 80, 60 oder 40 Kronen;
b) weniger als 20000 Seelen beträgt: 100, 80, 60, 40 oder 20 Kronen.
II. Jene, welche mit oder ohne Kleinverkauf, auch mit dem glasweisen Aus-
schank und mit dem Gassenschank von geistigen Getränken sich beschäftigen,
ferner jene Cafétiers, Zuckerbäcker und Desserthändler, welche mit oder ohne Klein-
verkauf und mit oder ohne glasweisen Ausschank die Konzession zum Ausschank
von Flaschenbier und Wein besitzen, */. der unter L festgestellten Sätze.
III. Alle jene, welche die Konzession zum Kleinverkauf besitzen, sofern sie
nicht unter die Punkte II, IV oder VI dieses Gesetzesparagraphen fallen, ferner
alle jene, die mit oder ohne Kleinverkauf, mit oder ohne glasweisen oder Detail-
verkauf auch mit dem Gassenschank sich beschäftigen, */, der unter I testge-
stellten Sätze.
IV. Jene Kaufleute und Greißler, welche außer ihrem regelmäßigen Ge-
schäfte als Nebengeschäft nur den Kleinverkauf betreiben, die Hälfte der unter I
festgesetzten Sätze.
V. Alle jene, die nur zum glasweisen Ausschank geistiger Getränke eine
Konzession besitzen, ?/, der unter I festgesetzten Sätze, und
VI. jene Weinproduzenten, welche Konzession zum Kleinverkauf ihrer Eigen-
bauweine besitzen, in dem Falle, wenn sie den Verkauf ständig oder im größeren
Teile des Jahres betreiben, !/, der unter I festgesetzten Sätze, in dem Falle
jedoch, wenn sie den Verkauf nur im kleineren Teile des Jahres betreiben, !/,, dieser
Sätze...
§ 18. Nach den Konzessionen für unbeschränkten Ausschank müssen die
im Sinne des Punkt 1 des $ 16 festzustellenden Gebühren nach je 500 Seelen be-
tragen:
1) auf dem Gebiete der Haupt- und Residenzstadt Budapest mindestens
300 Kronen;
2) in den mit Municipalrecht bekleideten oder einen geregelten Magistrat be-
sitzenden Städten und in solchen Gemeinden, welche Sitz des Municipiums oder
des Gerichtshofes sind, in dem Falle, wenn ihre Bevölkerung
a) 20000 Seelen übersteigt, mindestens 150 Kronen;
b) bei 10000 bis 20000 Seelen mindestens 100 Kronen, und
c) bei weniger als 10000 Seelen mindestens 80 Kronen;
3) in anderen Gemeinden, in dem Falle, wenn ihre Bevölkerung:
a) 20000 Seelen übersteigt, mindestens 80 Kronen;
b) bei 10000 bis 20000 Seelen mindestens 60 Kronen und
c) bei weniger als 10000 Seelen mindestens 40 Kronen.
Wenn dieser Minimalbeirag nach der zu Anfang der Bemessungsperioden er-
folgten rechtskräftigen Klasseneinteilung der Schankgeschäfte nıcht erzielt werden
510 Nationalökonomische Gesetzgebung.
sollte, so sind nach den einzelnen Geschäften die entsprechend dem Punkt I des
$ 16 bestimmten Sätzen festgestellten Gebühren durch die Finanzdirektion ver-
hältnismäßig derart zu erhöhen, daß das obige Minimum erreicht werde. In solchen
Fällen ist auch für die innerhalb der 3-jährigen Bemessungperiode entstandenen
Geschäfte der entsprechend erhöhte Gebührensatz auszuwerfen.
Gemeinden, deren Bevölkerung weniger als 500 Seelen beträgt, sind so zu be-
trachten, als bestände ihre Bevölkerung aus 500 Seelen.
Wenn die Bevölkerungszahl einer Gemeinde durch 500 ohne Rest nicht teil-
bar ist, wird der 100 übersteigende Rest für volle 500 genommen; kleinere Reste
aber kommen nicht in Betracht...
$ 27. An Orten, wo der Mangel einer die natürliche Preisgestaltung der
geistigen Getränke regelnden Konkurrenz dies notwendig macht, kann der Finanz-
minister im Einvernehmen mit dem Minister des Innern, in Kroatien-Slavonien
mit dem Banus von Kroatien-Slavonien und Dalmatien auf Vorschlag oder nach
Anhören des Municipal-Verwaltungsausschusses für die Dauer eines Jahres den
höchsten Preis feststellen, zu welchem die geistigen Getränke oder einzelne Gattungen
derselben ausgeschänkt oder im Detail verkauft werden können. Bei der Fest-
stellung des Maximalpreises dienen jedenfalls die Preise der unter ähnlichen wirt-
schaftlichen Verhältnissen befindlichen benachbarten Gegenden als Richtschnur ...
Die übrigen Paragraphen betreffen die Erhebung der Konzessionsgebühr, Straf-
bestimmungen u. dgl.
XXVI. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 25. Juli, über
die Abänderung des Gesetz-Artikels XIII vom Jahre 1893, betr.
den Justizpalast und die Bedeckung der Kosten desselben. (Ges.-S.
S. 513f)
Die Gesamtkosten des Budapester Justizpalastes sind auf 4910000 Kronen fest-
gesetzt, welche nebst den jährlichen Zinsen von 247718 Kronen 23 Heller durch halb-
jährliche Ratenzahlungen innerhalb 50 Jahren zu tilgen sind.
XXXII. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 21. Septem-
ber, betr. die Feststellung der Kronenwährung. (Ges.-S. S. 532
— 534.)
$ 1. Außer den im Sinne des $ 11 des Ges.-Art. XVII vom Jahre 1892 zu
prägenden Münzen werden an Silbermünzen auch Fünf-Kronenstücke ausgeprägt.
$ 2. Die Fünf-Kronenstücke werden im Mischungsverhältnisse von 900/1000
Silber und 100/1000 Kupfer ausgeprägt.
Aus dem Kilogramm Münzsilber werden 41?/, Fünf-Kronenstücke ausge-
bracht. Es wird demnach das Fünf-Kronenstück das Gewicht von 24 g haben.
Bei der Ausprägung derselben muß das Normalgewicht und der Normalgehalt
eingehalten werden. Soweit eine absolute Genauigkeit bei den einzelnen Stücken
nicht eingehalten werden kann, wird eine Abweichung in Mehr oder Weniger ge-
stattet, welche im Feingehalte */,,,, und im Gewichte 5/,,,, nicht übersteigen darf.
§ 5. Die Ausprägung der Fünf-Kronenstücke erfolgt ausschließlich tür Rech-
nung des Staates. j
Es sind vorläufig für 19200 000 Kronen Fünf-Kronenstücke auszuprägen.
XXXVI. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 21. Septem-
ber, über die Einführung der allgemein-obligatorischen
Rechnung in der Kronen währung, die Regelung des allgemeinen
Münzenverkehrs und Anwendung der Kronenwährung auf die Rechts-
verhältnisse. (Ges.-S. S. 556—563.)
$2. Vom 1. Jänner 1900 an sind sämtliche Staats-, Municipal- und Ge-
meinde-Einnahmen und Ausgaben in der Kronenwährung zu führen...
$ 8. Die Münzen der Kronenwährung sind nach Maßgabe der denselben durch
das Gesetz eingeräumten Zahlkraft bei allen Zahlungen, welche in der gesetzlichen
Währung erfolgen, anzunehmen.
$ 9. An Stelle der Münzen der Kronenwährung sind die Ein-Guldenstücke
Nationalökonomische Gesetzgebung. 511
der österreichischen Währung, insolange dieselben nicht gesetzlich außer Verkehr
gesetzt werden, bei allen Zahlungen unbeschränkt anzunehmen; hierbei ist das Ein-
Guldenstück gleich 2 Kronen zu rechnen.
$ 14. Rechtsgeschäfte, welche vom 1. Jänner 1900 an geschlossen werden,
sind, wenn keine bestimmte Währung benannt ist, in der Kronenwährung zu ver-
stehen, sofern nicht die Absicht, sich einer anderen Währung zu bedienen, nach-
gewiesen wird.
XXXVII. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 21. Sep-
tember über die VerlängerungdesPrivilegiumsder Oesterreich-
isch-Ungarischen Bank. (Ges.-S. S. 564—638) }).
XXXVIII. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 21. Sep-
tember, über das abzuschließende neue Uebereinkommen betr. die
Staatsschuld von ursprünglich 80 Millionen Gulden an die
Oesterreichisch-Ungarische Bank. (Ges.-S. S. 639—641) 2).
XLI. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 15. Dezember,
über die bei Wasserarbeiten, beim Straßen- und Eisenbahn-
bau verwendeten Tagelöhner und Arbeiter. (Ges.-S. S. 647—662.)
Die Bestimmungen des Ges.-Art. II: 1898?) finden auf die hier genannten Tage-
löhner und Arbeiter sinngemässe Anwendung.
XLII. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 15. Dezember,
über die landwirtschaftlichen Arbeitsunternehmer und
Hilfsarbeiter. (Ges.-S. S. 663- 671.)
$ 1. Auf den Vertrag zwischen dem Besitzer (Pächter) und dem Dresch-
maschinen-Unternehmer und auf die aus diesem Vertrage entspringenden Schaden-
ersatzansprüche sind — insofern dieses Gesetz keine entgegenstehenden Bestimmun-
gen enthält — die allgemeinen privatrechtlichen Normen anzuwenden.
$ 2. Die Vertragsbedingungen stellen die Parteien in freier Vereinbarung fest.
Wenn die Parteien bezüglich der Zeit des Beginnes oder der Reihenfolge des
Drusches keine Vereinbarung getroffen haben, so ist der Unternehmer verpflichtet,
die Erfüllung des Vertrages in dem durch den Besitzer (Pächter) bezeichneten und
48 Stunden früher ihm zur Kenntnis gebrachten Zeitpunkte zu beginnen — wenn
weiter die Parteien im Vertrag hinsichtlich der Anstellung der Arbeiter keine
Vereinbarung getroffen haben, so ist die Anstellung der zum Drusch notwendigen
sämtlichen Arbeiter die Pflicht des Unternehmers . . .
§ 3. Wenn der Besitzer . . . verpflichtet ist, die Maschine des Unternehmers
auf den Arbeitsplatz zu befördern, er aber aus eigenem Verschulden innerhalb
48 Stunden von der Meldung des Unternehmers gerechnet für die Beförderung
nicht sorgt: kann der Dreschmaschinen-Unternehmer bei Aufrechterhaltung seines
Anspruches auf Schadenersatz vom Vertrage zurücktreten (ebenso bei anderen
Störungen der Arbeit durch Verschulden des Püchters).
Wenn die für den Drusch bestimmte Fechsung infolge eines Elementarun-
falles zur Gänze oder zum Teil wann immer vernichtet wird, so hat der Unter-
nehmer keinen Schadenersatzanspruch.
Die Vernichtung eines Teiles der Fechsung giebt, insofern in dem Vertrage
diesbezüglich eine andere Abmachung nicht enthalten ist, keiner Partei ein Recht
zur Lösung des Vertrages.
Die meisten übrigen Paragraphen betreffen die Regelung des Rechtsverhältnisses zwischen
dem Dreschmaschinen-Unternehmer und den landwirtschafttichen Arbeitern und beruhen
auf den allgemeinen Grundsätzen des Ges.-Art. II: 1898 über die Regelung der Rechts-
verhältnisse zwischen den Arbeitgebern und den landwirtschaftlichen Arbeitern.
1) Vergl. Jahrb. f. Nat. u. Stat., 3. F., Bd. 20 (75), 8. 775f.
2) Ebenda, 3. F., Bd. 20 (75), S. 776.
3) Ebenda, 3. F., Bd. 18 (78), 8. 795 f.
512 Nationalökonomische Gesetzgebung.
XLIII. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 15. Dezember,
über die Volkszählung im Jahre 1900. (Ges H S. 672—674.)
Am 31. Dezember 1900 findet unter Aufsicht des ersten Beamten des Municipiums
und unter Mitwirkung der Gemeinderorstehungen und Zählkommissare eine allgemeine
Volkszählung, gleichzeitig auch eine Konskription der öffentlichen und Privatgebäude und
der Wohnungen, sowie eine Inevidenznahme der Ausrüstung und der Produktions-
verhältnisse der zur Kleinindustrie gehörigen Industriebetriebe statt. Die nötigen Druck-
sorten stellt der Handelsminister unentgeltlich bei ; für die Entlohnung der Zählkommissare,
Fahr- und sonstige Kosten haben die Gemeinden zu sorgen. Der staatliche Beitrag zur
Volkszählung wird auf 740000 Kronen festgesetzt.
XLIX. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am28. Dezember,
über die der heimischen Industrie zu gewährenden staatlichen
Begünstigungen. (Ges.-S. S. 707—714.)
$ 1. Staatliche Begünstigungen genießen:
1. Diejenigen der Entwickelung der Technik entsprechend eingerichteten
Fabriken, die auf dem Gebiete der Länder der ungarischen Krone solche Industrie-
artikel erzeugen, die vor dem Inslebentreten des gegenwärtigen Gesetzes fabrik-
mäßig nicht erzeugt wurden.
2. Folgende in Hinkunft zu errichtende, der Entwickelung der Technik ent-
sprechend eingerichtete Fabriken, und zwar:
a) diejenigen Fabriken, in denen Porzellan, Steingut, feuerfeste Ziegel, Tafel-
glas, Spiegelglas und Flaschenglas erzeugt wird; sowie jene Industrieetablissements,
welche sich mit einer den technischen Fortschritten entsprechenden maschinellen
Einrichtung mit Marmorerzeugung und Marmorbearbeitung befassen ;
b) Metallblech-Walzwerke (mit Ausnahme der Eisenblech-Walzwerke) und
solche Fabriken, welche Metallröhren (Gußeisenröhren ausgenommen), Metall-
drähte, Drahtnägel. Zinkwaren, Nadelwaren, Werkzeuge, Thüren- und Fenster-
Beschlagartikel, Waffen, Werkzeugmaschinen und Bearbeitungsmaschinen für in-
dustrielle Materialien erzeugen : ferner Lampenwaren, Metall-Luxusartikel, Schrauben
und schmiedbare Gußeisenwaren erzeugende Fabriken ;
c) Instrumenten-, Lehrmittel-, Uhren-, Kinderspielwaren-, Klavier- und Har-
moniumfabriken;
d) Papier-, Papiermaterial-, Cellulose- und Tapetenfabriken ;
e) chemische Fabrikate erzeugende Fabrıken (mit Ausnahme von Bierbrauereien,
Rübenzuckerfabriken und industriellen Spiritusbrennereien), Kautschukwaren- und
Kerzenfabriken ;
f) Seidenerzeugungs-Fabriken, Seidenwalkereien, Seidenspinnereien, Seiden-
webereien und Seidenfärbereien ; Schafwollwäschereien, Schafwollspinnereien und
Webereien, Wollspinnereien- und Wollweberei-Fabriken, Flachsappretur-Anlagen,
Flachsspinnereien und -Webereien; Hanfappretur-Anlagen, Hanfgarn- und Hanf-
webereifabriken, Garn- und Stoffbleichereien und Färbereien; Stoff-Appretur-
anlagen (mit Ausnahme des Farbdruckes), Strick- und Wirkwaren, Spitzenwaren,
Stickerei-, Filz-, Posamentier- und Schnürwarenfabriken ;
g) diejenigen Montanunternehmungen, die Metalle mit Anwendung von Aus-
laugen, Amalgamation und Elektricität erzeugen, ferner Briquettefabriken, inso-
fern dieselben vaterländisches Material aufarbeiten ;
h) Kunstdünger, Malz, Dextrin, Kartoffelsyrup, Pflanzenöl-, Cichorienbrennerei,
Surrogat-Kaffee- und Konservenfabriken, zu Industriezwecken Milch verarbeitende
Etablissements, Reisschälmühlen, insofern dieselben vaterländischen Reis auf-
arbeiten; ausschließlich Ausfuhr-Betriebszweige von gesalzenes, getrocknetes, ge-
räuchertes Fleisch, Würste und Wurstsachen erzeugenden Industrieanlagen.
i) Cognacfabriken, welche Cognac aus Wein oder Weintreber im Wege der
Destillation herstellen, insofern dieselben sich den im Verordnungswege festzu-
stellenden Kontrollvorschriften unterwerfen ;
j) Mineralölfabriken und Mineralöl, ferner Kalisalze schürfende oder erzeugende
Unternehmungen;
k) jene Betriebe der Elektricität erzeugenden Industrieanlagen, welche zu
gewerblichen Zwecken Triebkräfte liefern.
Nationalökonomische Gesetzgebung. ; 513
3) Genossenschaften von Gewerbetreibenden odér Landwirten, insofern sie im
$ 2 Abs. 2 Punkt a—k dieses Gesetzes angeführte Artikel erzeugen.
4) Alle Unternehmungen, welche auf die systematische Beschäftigung einer
größeren Anzahl von Hausindustriellen gegründet sind.
5) Die in $ 13 des Ges.-Art. XXII vom Jahre 1893 erwähnten Seeschiffbau-
anlagen, Seeschiffswerften und Rutschen, sowie die den technischen Anforderungen
entsprechend eingerichteten Schiffausbesserungswerkstätten, Schwimmdocks und
Trockendocks.
$ 2. Den in $ 1 erwähnten Fabriken, bezw. Industrieanlagen werden außer
der in § 2 des Ges.-Art. LI: 1870 schon gewährten Haussteuerfreiheit noch folgende
staatliche Begünstigungen eingeräumt:
a) Sie werden befreit von der Erwerbssteuer, bezw. von der Bergwerkssteuer
und der Steuer der zur öffentlichen Rechnungslegung verpflichteten Unter-
nehmungen, ferner von den nach diesen Steuern zu entrichtenden Kommunalsteuer-
zuschlägen, von den Handels- und Gewerbekammergebühren und endlich vom
allgemeinen Einkommensteuerzuschlag ;
b) sie werden befreit von den für die Erwerbung und Umschreibung von
Fabrikanlagen und Gebäuden, sowie deren Zugehör bildenden Fabrikmaschinen
zu entrichtenden Gebühren und Kommunaltaxen, und wenn solche Unternehmungen
in der Form von Aktiengesellschaften zustande kommen , bezw. wenn sie sich
während der Dauer der Begünstigungen zu Aktiengesellschaften umgestalten, außer-
dem von dem Gebührenäquivalent, ferner von den Stempeln und Gebühren, welche
bei der Konstituierung der Aktiengesellschaften eventuell bei der Erhöhung des
Aktienkapitals, ferner nach den Verträgen, welche in Angelegenheit der Emission
von Aktien oder Prioritätsobligationen sowohl bei der Konstituierung, als auch
behufs Kapitalerhöhung während der Zeit der Thätigkeit abgeschlossen werden
und endlich nach den in Verbindung mit diesen Verträgen und nach den Aktien-
und Prioritätsobligationen ausgestellten sonstigen Urkunden zu entrichten sind;
c) das von den erwähnten Unternehmungen zu Fabrikzwecken este un-
gereinigte Salz kann vom Finanzminister auch in einem geringeren als dem in
$ 13 des Ges.-Art. L: 1875 festgestellten Preis überlassen werden. Der Finanz-
minister kann ferner die Summe der von der betreffenden Unternehmung bei Aus-
lieferung des Salzes zu deponierenden Kaution in einem geringeren als dem im
angeführten Paragraphen angegebenen Maße feststellen ;
d) die Wirksamkeit des $ 159 des Ges.-Art. I: 1890 erstreckt sich auch auf
die, auf Grund dieses Gesetzes begünstigten Industrieunternehmungen.
$ 3. Die Begünstigungen können auf die Dauer von höchstens 15 Jahren
vom Tage ihrer Geltung gerechnet bewilligt werden.
Neu entstandene Fabriken haben um die Bewilligung der Begünstigungen
spätestens innerhalb 3 Jahre nach ihrer Inbetriebsetzung anzusuchen, widrigenfalls
eine Bewilligung der Begünstigungen zu ihren Gunsten nicht erfolgen kann.
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 33
514 Miszellen.
Nachdruck verboten.
Miszellen.
VII.
Die Bedeutung des Erfordernisses der dritten Unterschrift
für bankfähige Wechsel in Frankreich.
Von Dr. R. Rosendorff, Gerichtsreferendar.
. Von den Gegnern der deutschen Reichsbank ist in Wort und Schrift
häufig darauf hingewiesen worden, in welch hohem Maße die niedrige
französische Bankrate dazu geeignet sei, die Bank von Frankreich dem
kleinen Kaufmann zugänglicher zu machen, als dies der durchschnittlich
höhere Diskont der Reichsbank gestatte 1).
Zum Beweise hierfür berufen sie sich darauf, daß die Zahl der
Wechsel unter 100 fres. sich bei der Bank von Frankreich beständig
vermehrt habe. Sie betrug nämlich
1880 1023 919
1599 2101830 Stück,
hat sich also im Laufe von 20 Jahren verdoppelt, während die Reichs-
bank im Jahre 1899 nur 440 871 von Wechseln im Betrage von 100 M.
und weniger in ihrem Portefeuille hatte. Wenn zwar diese Ziffern in
der That auf den ersten Blick als dazu geeignet erscheinen, die er-
wähnte Ansicht zu unterstützen, so ist es doch im Gegensatz hierzu
außerordentlich auffallend, daß sich der kleine Kaufmann und In-
dustrielle in Frankreich gerade darüber beschwert, daß ihm der direkte
Zugang zur Bank so gut wie verschlossen sei und der Vorteil, den er
anderenfalls von ihrem niedrigen Diskont hätte, ihm nicht zu statten
komme.
Diesen Klagen haben die französischen Abgeordneten bei Gelegen-
heit der Beratung des Gesetzes vom 17. November 1897, „Portant
prorogation du privilège de la Banque de France“, den lebhaftesten
Ausdruck gegeben. So sagte der Abgeordnete Pelletan in der Sitzung
der chambre des députés vom 25. Mai 1897 2):
1) Cf. die Reichstagsverhandlungen bei der Beratung der Novelle zum deutschen
Bankgesetz vom 7. Juni 1899 und die Broschüre: „Warum zahlt der Deutsche 5 Proz.,
der Franzose 2 Proz. Bankdiskont? Berlin 1897.
2) Stenogr. Ber., S. 1365.
Miszellen, 515
„Vous êtes arrivé à tromper une partie du grand public, et un
certain nombre des commerçants m'ont écrit, pour me demander, comment
il se fait qu'alors, que le taux officiel est 2 °/,, ils paient 5—7 0},
et plus. Oui, le petit commerce se permet de se plaindre“,
Diese Ausführungen zeigen wohl jedenfalls, daß die Zahl der kleinen
Wechsel bei der Bank von Frankreich nicht deshalb größer ist wie bei
der Reichsbank, weil der niedrigere französische Diskont dem kleinen
Kaufmann den Zutritt zur Bank erleichtert. Die verhältnismäßig größere
Zahl der kleinen Wechsel in Frankreich erklärt sich vielmehr dadurch,
daß man sich dort, auch im kleinen Verkehr, in wesentlich höherem
Maße des Wechsels bedient, als dies in Deutschland üblich ist.
„In Frankreich werden“, so führte Königs, der frühere Direktor
des Schaafhausen’schen Bankvereins in der Währungskommission von
1894 aus!), „alle kommerziellen Transaktionen in 30-tägigen Tras-
sierungen erledigt. Der Grossist trassiert auf den Detaillisten 30 Tage
dato, jeder Fabrikant auf den Grossisten 30 Tage dato. Und all dies
Papier geht an die Bank. Eine derartige Verbreitung hat der Wechsel
bei uns nicht“.
Die citierten Ausführungen des Abgeordneten Pelletan zeigen ferner
aber auch, daß man den Wert der Vorteile, welchen Handel und In-
dustrie beider Länder von ihren Banken haben, nicht einfach durch
Vergleich der offiziellen Diskontsätze feststellen kann, daß man viel-
mehr zu dem Diskont der Bank von Frankreich noch eine gewisse
Summe hinzurechnen muß, die der ursprüngliche Wechselverpflichtete
dort noch an den Bankier zahlen mul, durch dessen Vermittelung seine
Wechsel überhaupt erst bankfähig werden ?).
Während nämlich die Reichsbank nach $ 13 des Reichsgesetzes
vom 14. März 1875 befugt ist, jeden Wechsel zu diskontieren, aus
welchem auch nur zwei als zahlungsfähig bekannte Verpflichtete haften,
hält die Bank von Frankreich streng daran fest, daß jeder ihr zum
Diskont präsentierte Wechsel mit mindestens drei Unterschriften von
notorisch als zahlungsfähig bekannten Personen versehen ist 8). Wechsel
mit zwei Unterschriften diskontiert sie nur dann, wenn der présenteur
ihr französische Wertpapiere bestimmter Art als Unterlage giebt),
Trotz der zahllosen Angriffe, denen sich die Bank von Frankreich
deshalb ausgesetzt hat, hat sich die Verwaltung jedoch nicht einmal
dazu entschließen können, das Erfordernis der dritten Unterschrift statt
wie jetzt obligatorisch auch nur fakultativ zu machen. Der Grund,
welcher sie dazu veranlaßt. ist in erster Linie die Rücksicht auf ihre
eigene Sicherheit, denn die Thatsache, daß sich auf den ihr zum Diskont
vorgelegten Wechseln noch die Unterschrift eines Bankiers befindet,
vermindert ihr eigenes Risiko. Sie enthebt die Centralbank auch der
Notwendigkeit, das ihr eingereichte Papier einer sorgfältigen Prüfung
1) Verhandlungen der Kommission behufs Erörterungen von Maßregeln zur Hebung
und Befestigung des Silberwertes, S. 254. y
2) Vergl. die Rede des Abg. v. Siemens im Reichstage, v. 8 Februar 1899,
3) Deeret du 16. janvier 1808, Art. 11.
4) Ebenda, Art. 12 u. Loi du 30. juin 1540, Art. 3.
516 Miszellen.
zu unterziehen, da der Bankier seine Unterschrift nur dem geben wird,
den er für zahlungsfähig hält!). Diese Vorschrift setzt sie schließlich
auch in den Stand, an einem niedrigeren Diskontsatz festzuhalten, als
wenn sie auch Wechsel mit nur 2 Unterschriftan nehmen müßte. Denn
bei der infolge der Haftung von nur 2 Personen größeren Unsicherheit des
Wechsels müßte die Bank sich für dadurch etwa nicht gedeckte Aus-
fälle durch eine Risikoprämie, d. h. einen höheren Diskont schadlos zu
halten suchen ?).
Dies mag auch bis zu einem gewissen Grade seine Richtigkeit
haben. Wenn aber der französische Finanzminister Cochéry#) nach-
zuweisen versucht hat, daß durch diese Risikoprämie gerade dem
kleinen Kaufmann der Diskont verteuert werden würde, da er sie tragen
müßte, so irrt er.
Das obligatorische Erfordernis der dritten Unterschrift bewirkt
vielmehr, daß dem kleinen Kaufmann und Industriellen der direkte
Zutritt zur Bank vollständig verschlossen ist, und er ihr nur durch
Vermittelung eines Bankiers seine Wechsel zum Diskont einreichen
kann 4).
Während nun zwar die großen französischen Privatbanken den
größeren Kaufleuten, an deren regelmäßiger Kundschaft ihnen gelegen
ist, bereitwilligst ihre Wechsel zu einem Satze diskontieren, der nicht
viel höher, ja manchmal sogar niedriger ist als der Bankdiskont 5), um
sie so auch für ihre anderen Transaktionen zu gewinnen, diskontieren
sie die Wechsel der kleinen Kaufleute nicht selbst, sondern geben
ihnen nur ihre Unterschrift zu einer Provision, die weit höher ist, als
der Satz der Centralbank jemals sein würde, auch wenn dieselbe sich
für einen Wechsel mit 2 Unterschriften noch eine Risikoprämie ver-
, güten lassen würde.
So kommt es, daß gerade der kleine und mittlere Kaufmann in
Frankreich für seine Wechsel 4—6 Proz., und nach anderer Berechnung
sogar 5—7 Proz. bezahlen muß 6).
Während also das Erfordernis der dritten Unterschrift auf der
einen Seite eine Verteuerung des Diskonts für den kleinen Kaufmann
bedeutet, hat es auf der anderen Seite ganz außerordentlich dazu bei-
1) Cf. Rapports faits au nom de la comınission chargée d’examiner le projet de
loi portant prorogation du privilège de la Banque de France par Burdeau, Lebon,
Dubost, Paris 1892 u. 1897, S. 59.
2) Jourdan in der Chambre des députés am 25. Mai 1897.
3) Chambre des députés vom 17. Juni 1897.
4) „Que signifie done cette danse des trois signatures, sinon que la Banque de
France ne veut pas être la banque du commerce et veut être la banque des banquiers?
Si vous exigez l'inscription d’une troisième personne, vous imposez un intermédiaire
au contrat, et quel peut être cet intermédiaire sinon banquier?“ Pelletan, ebenda. —
Lotz, Handwbch. der Staatsw. Bd. III, S. 180. Berliner Korresp. vom 11. Januar 1897.
5) Thèry, Économiste Européen, Dezember 1897.
6) „Je vous demande surtout, pourquoi vous ne vous êtes pas attachés du moins,
si vous ne voulez pas supprimer la troisième signature, A la rendre facultative comme
en Belgique, en Allemagne et à faire que le petit commerce, la petite agriculture, la
moyenne industrie n’achdtent pas A 4—6 °/, le crédit que la banque leur fait“? Cf.
Viviani u. Pelletan in der Chambre des dep. von 1897, S. 1291 u. 1365.
Miszellen. 517
getragen, die Bank von Frankreich aus dem Wechselverkehr zurück-
zudrängen und die Aktionssphäre der großen Privatbanken zu er-
weitern, welche unter ihrer Wirkung als die ersten Diskonteure auf-
treten und die Wechsel erst kurz vor Verfall an die Bank von Frank-
reich abgeben.
Diese Behauptung wird durch einen Vergleich des Wechsel-
portefeuilles der 4 größten französischen Kreditinstitute!) mit dem der
Bank von Frankreich bestätigt.
Dasselbe betrug?) am 31. Dezember bei
den 4 Banken Banque de France Proz.
in Millionen fres.
1880 316 926 74,5
1855 429 616 58,9
1890 821 868 51,3
1895 935 625 40,9
1898 1199 901 42,9
Wie sehr diese Verhältnisse von den deutschen abweichen, ergiebt
sich durch einen Vergleich des Wechselportefeuilles der 6 größten
deutschen Banken 8) mit dem der Reichsbank. Dieselben besaßen am
31. Dezember der nachfolgenden Jahre
in Millionen Mark
18804) oi 1898 502
1885 223 1899 544°)
1890 283
Dagegen betrugen die Wechselbestände der Reichsbank ®) allein am
Schlusse des Jahres
in Millionen Mark’)
1880 434,4 1898 837,5
1885 434,5 18599 1051,5
1890 690,9
Während also in Deutschland das Wechselportefeuille der Reichs-
bank allein bedeutend größer ist als das der 6 größten deutschen Banken
zusammengenommen und gleichzeitig parallel mit dem der Banken be-
ständig wächst, ist der Wechselbestand der Bank von Frankreich, der
1881, dem Jahre, als die französischen Kreditbanken sich zu entwickeln
begannen, dreimal so groß war als die Wechselbestände jener, im Laufe
der Jahre 1880— 1894 bei beständiger Vermehrung des Diskontgeschäftes
derselben, fortwährend geringer geworden. Seit dem Jahre 1894 zeigt
sich zwar wieder ein langsames Wachstum ihres Portefeuilles, welches
aber nur dem Umstande zuzuschreiben ist, daß die französischen Privat-
1) Crédit Lyonnais, Comptoir d’Eseompte, Société générale, Crédit industriel et
commercial.
2) Loubet, La Banque de France et l’escompte, S. 82.
3) Deutsche Bank, Dresdner Bank, Diskontogesellschaft, Berliner Handelsgesell-
schaft, Nationalbank, Darmstädter Bank.
4) Exkl. Nationalbank, die damals noch nicht existierte,
5) Model-Löb, Die großen Berliner Effektenbanken, S. 170—177; Landmann,
System d. Diskontpolitik, S. 24.
6) Exkl. Devisen.
7) Nach den Verwaltungsberichten.
518 Miszellen.
banken seit dieser Zeit weniger Mittel zum Diskontieren von Wechseln
zur Verfügung hatten, da sie ihre disponiblen Gelder nach Deutschland
zu senden begannen, um an den dortigen, infolge des industriellen Auf-
schwunges gestiegenen Geldsätzen auch ihrerseits zu profitieren !).
Die Thatsache, daß die Bank von Frankreich mehr und mehr den
Charakter einer Kreditbank verloren und den einer Rediskontbank ange-
nommen?) hat, zeigt sich auch an der durchschnittlichen Verfallzeit
ihrer Wechsel, die bei ihr nur 271/, Tage beträgt, im Gegensatz zur
Reichsbank, deren Wechsel durchschnittlich noch 45 Tage zu laufen
haben.
Berücksichtigt man schließlich die zur Verminderung des gesamten
Wechselbestandes in auffälligem Gegensatz stehende Vermehrung der
kleinen Wechsel bei der Bank von Frankreich, so kommt man zu
dem auch von französischen Schriftstellern 3) bereits ausgesprochenen
Resultate, daß sie zwar die Bank des kleinen Kaufmannes ist, im
übrigen aber unter dem Einflusse des französischen Bankgesetzes mehr
und mehr die Bank der Banken geworden ist und die Befriedigung
der eigentlichen Kreditansprüche den Privatbanken überlassen mul.
Die weitere Folge hiervon ist notwendigerweise die, daß ihr Ein-
fluß stark im Abnehmen begriffen, und sie häufig nicht dazu imstande
ist, eine Diskonterhöhung auf dem Markte durchzusetzen ®).
Wenn die Bank von Frankreich übrigens durch die dritte Unter-
schrift ihr Risiko vermindern will, so ist trotzdem die Zahl ihrer not-
leidenden Wechsel bei weitem größer als bei der Reichsbank, bei welcher
die Summe der ins Stocken geratenen Wechsel 1899 nur 107533 M.
betrug, während dort 7835392 frcs. nicht bezahlt waren.
Da auch die Rente der Bank von Frankreich wegen ihres ver-
minderten Anteiles am Diskontgeschäft außerordentlich gelitten hat),
so kann man es nur für wünschenswert halten, daß sie sich, insbesondere
im Interesse des kleinen Handels, dazu entschließt, die dritte Unterschrift
nur fakultativ zu fordern.
1) So erklärt es sich auch, daß zu der Zeit, als der deutsche Bankdiskont 7 Proz.
betrug, die Wechselanlage bei der Bank von Frankreich bis auf 1200 Mill. fres. stieg,
um dann allerdings parallel mit der Verminderung der Spannung zwischen der deutschen
und französischen Zinsrate schnell wieder zu sinken. Am 28. Februar dieses Jahres
betrug ihr Wechselportefeuille nur noch 815 Mill. fres.
2) Loubet, S. 74, 77, 88.
3) Hourtois, Histoire des Banques en France S. 277; Loubet S. 77.
4) Cf. Kalkmann, Die Entwertung der österreichischen Valuta im Jahre 1893
S. 22, Heiligenstadt, in Conrad’s Jahrb., 1893, S. 215. — Eine ausführliche Erörterung
dieser Erscheinung siehe bei Rosendorff, „die Goldprämienpolitik der Bank von Frank
reich“, Abschnitt VI im nächsten Heft dieser Zeitschrift.
5) Reichsbankpräsident Koch im Herrenhaus am 16. Dezember 1897.
Miszellen. 519
Nachdruck verboten.
VIII.
Arbeitslosigkeit und Arbeitslosenversicherung
in der Schweiz.
Von Nationalrat Dr. E. Hofmann-Frauenfeld (Thurgau).
Das Problem der Arbeitslosenversicherung ist in diesem Winter bei
uns in ein neues Stadium getreten, nachdem es im Laufe des letzten
Jahrzehnts des vergangenen Jahrhunderts schon eine ganze Reihe ver-
schiedener Phasen durchgemacht hatte. Der erste Versuch, die Arbeits-
losigkeit auf dem Wege der fakultativen Versicherung zu bekämpfen,
hatte sich bald als unwirksam erwiesen. Die freiwillige Arbeitslosen-
kasse der Stadt Bern fand daher in der Schweiz gar keine und im
Auslande nur sehr vereinzelte Nachahmungen. Noch schlimmer erging
es der obligatorischen Arbeitslosenversicherung. Nachdem der Versuch
mit dieser Lösung der Arbeitslosenfrage in St. Gallen gescheitert war,
wollte man in der Stadt Zürich und Baselstadt ebenfalls nichts mehr
davon wissen und wagte man in Bern den Schritt zum Obligatorium
immer noch nicht. Der Sparzwang!), welcher in verschiedenen Formen
vorgeschlagen wurde, machte nur geringe Fortschritte. Eine Verbindung
des Sparzwangs mit Arbeitsnachweis und Einigungsamt nahm gleichfalls
nirgends praktische Gestalt an. Die Versicherung gegen Arbeitslosigkeit
auf gewerkschaftlichem Boden nahm nicht den gehofften Aufschwung,
trotzdem einzelne Versuche damit als wohlgelungen zu betrachten sind.
Hierher gehört vor allem die Viatikums- und Konditionslosenkasse des
schweizerischen Typographenbundes, über deren vortreffliches Funktio-
nieren unter anderem auch beistehende Uebersicht Auskunft giebt:
(Siehe Tabelle auf S. 520.)
Wir rechnen aber zu diesen wohlgelungenen Versuchen auch die im
Jahre 1897 in Kraft getretene obligatorische Arbeitslosenkasse des
Zeichnerfachvereins der Ostschweiz 2). Dieselbe gewährt gegen eine
Monatsprämie von 30 bezw. 60 cts. eine tägliche Entschädigung
1) Sparzwang, Arbeitslosenstatistik und Arbeitsnachweis. Gutachten, erstattet an
das eidgenössische Handels-, Industrie- und Landwirtschaftsdepartement vom Vorort
Zürich des schweizerischen Handels- und Industrievereins. Zürich 1899.
2) Statuten des Zeichnerfachvereins der Ostschweiz. St. Gallen (Zollikofer’sche
Buchdruckerei) 1397. S. 13 ff.
520 Miszellen.
Viatikums- und Konditionslosenkasse
von 1887—1897.
Konditions- brei
KN doser Abreisegeld
Viatikum und Umzugs- | Jahr
unter-
= kosten
stützung
fres. ets. ! Ares. | cts. | fres. ets.
5634 | 40 | 3826 — 731 — 1888
3858 | 90 | 1956 — 860 | — 1889
3957 ! 60 : 4337 | 50 | 1365 | — | 1890
5 632 20 | 5031 16 | 600 — 1891
7285 | 20 ı 7562 | — 780 | — 1892
4771 | 20 4610 — | 610 = 1893
5 784 | 60 4410 =E 645 | — 1894
5255 70 | 3636 | — | 545 — 1895
5433 | 40 | 3594 ı — | 550 | — | 1896
4457 | — | 4832 — | 560 | — 1897
52070 | 20 43794 | 65 | 7246 | — | Total
von 1 bezw. 1,8 fres. für höchstens 50 Tage innerhalb eines
Jahres und höchstens 250 Tage im ganzen. Die Bezugsberechtigung
beginnt nach einjähriger Mitgliedschaft und nach einer Karenzzeit von
7 Tagen, sofern nicht durch den Stellenvermittler Arbeit zu den orts-
und saisonüblichen Löhnen angewiesen werden kann. Arbeitslose gehen
der Entschädigungsansprüche verlustig: a) wenn sie ausschließlich durch
grobes Selbstverschulden arbeitslos geworden sind, b) die ihnen zu-
gewiesene Arbeit ohne zureichenden Grund verschmähen, c) wenn sie
durch Unfall-, Krankheit oder Militärdienst arbeitsunfähig sind. Die
Eintragung in die niedere oder höhere Prämien- und Entschädigungs-
klasse geschieht durch Selbstbestimmung der Mitglieder. Tritt ein
Mitglied von der niederen Klasse in die höhere, so wird die höhere
Unterstützung erst nach Verfluß von 6 Monaten ausbezahlt.
Neben den Prämien der Versicherten stehen der Kasse die Zinsen
des 10000 fres. betragenden Reservefonds zur Verfügung. Ferner wird
an allfällige Schenkungen von Privaten und Subvention von Staat und
Gemeinden als Einnahmequelle gedacht. Sollten diese letzteren die
Deckung der Defizite nicht gestatten, so hat dies durch entsprechende
Nachtragsleistungen aller Mitglieder zu geschehen. Auch kann in Zeiten
großer Krisen und daheriger ausnahmsweise großer Inanspruchnahme
der Kasse auf Antrag der Arbeitslosenkommission und durch Urabstimmung
die Entschädigung herabgemindert werden, die Reduktion darf aber
30 Proz. nicht übersteigen.
Die Zahl der sogenannten Arbeiterkolonien hat sich ebenfalls nicht
vermehrt. Trotzdem die beiden bestehenden Arbeiterkolonien, Tannen-
hof im Kanton Bern und Herdern im Kanton Thurgau, alle Jahre eine
ganz beträchtliche Zahl von Anmeldungen wegen Platzmangels ab-
weisen müssen, hat sich weder eine Stadt noch ein Kanton zur Gründung
einer derartigen Anstalt entschließen können.
Die Gründe dieses Zögerns sind mannigfaltig. Vor allem mag hieran
Miszellen. 521
das finanzielle Resultat dieser Kolonien schuld sein. Trotz des verhältnis-
mäßig billigen Betriebes und anderer sehr günstiger Umstände muß die
Leitung des Arbeiterheimes Tannenhof!) folgendes zugestehen: „Die
kühne Hoffnung, welche anfänglich bestanden, die Anstalt werde sich
nach Verlauf einiger Jahre, nach Ueberwindung der ersten Schwierig-
keiten, selbst gänzlich erhalten können, hat sich leider nicht verwirklicht
und scheint sich auch in Zukunft nicht erfüllen zu können. Es liegt
dies in der Zweckbestimmung des Vereins, welche zu einer, wenn wir
so sagen sollen, irrationellen Bewirtschaftung zwingt. Der Tannenhof
muß, um seiner Aufgabe zu dienen, das ganze Jahr, besonders aber den
Winter hindurch, einer viel größeren Zahl von Menschen Unterkunft
und Nahrung bieten, als der Betrieb der Landwirtschaft erfordern
würde, und so kommt es, daß nicht bloß der größte Teil der Erträgnisse
auf dem Gute selbst verzehrt, sondern noch für bedeutende Summen
von auswärts Lebensmittel angeschafft werden müssen; daß daneben
insbesondere auch die Beschaffung der notwendigen Kleidungsstücke,
Wäsche etc. für die stattliche Kolonistenschar bedeutende Kosten ver-
ursacht, kann man denken.“
Die jüngere Schwesterkolonie in Herdern hat noch unter schwierigeren
Verhältnissen nach dieser Seite hin zu leiden. Dort kostet der Ver-
pflegungstag per Kolonisten einen Zuschuß von 1 fres., wenn der durch-
schnittliche Geldwert der Tagesarbeit des Einzelnen zu 80 cts. ver-
anschlagt wird. Daher kann diese Kolonie nur fortbestehen unter der
Voraussetzung derselben werkthätigen Hilfe von Seite der Behörden,
gemeinnützigen Gesellschaften und Privaten, durch die sie gegründet
worden ist. Wie weit aber diese Opferwilligkeit in Anspruch ge-
nommen wird, mag daraus hervorgehen, daß im 1. Betriebsjahr vom
15. März 1895 bis 30. April 1896 für nicht weniger als 120310 fres.
Gründungsbeiträge, Anteilscheine und Jahresbeiträge gezeichnet wurden,
sowie daß im 4. Jahre 28902,5 fres. Beiträge eingingen, während
der Bund in zwei Raten seit des Bestehens der Kolonie 30 000 fres. ge-
spendet hat?) Derartige Resultate lassen die Zurückhaltung auf diesem
Gebiete begreiflich erscheinen.
Ferner ist nicht zu verkennen, daß derartige Kolonien bloß für be-
stimmte und beschränkte Kategorien von Arbeitslosen in Betracht kommen
können. Selbstverständlich kommen diese in erster Linie den Ledigen
zu gut. So waren beispielsweise von den Kolonisten in Herdern
im Jahre ledig verheiratet verwitwet geschieden
1397/98 87 15 14 13
1893 104 15 10 9
Im Tannenhof ist dieses Verhältnis ähnlich. Wenigstens wird von
dort berichtet, daß auch hie und da Familienväter dorthin gebracht
werden, die sich wieder an häuslichen Sinn gewöhnen sollen.
1) 10. Jahresbericht über den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 1898
mit einleitendem Rückblick. Bern (Buchdruckerei des Berner Tageblatt) 1899, S. 11 f.
2) Jahresbericht und Rechnung über die Arbeiterkolonie Herdern. Vom 1. Mai 1897
bis 30. April 1898. Zürich (Buchdruckerei Ed. Leemann) 1898. S. 19.
522 Miszellen.
Ein gewichtiges Kontingent der Kolonisten setzt sich aus Arbeitern
von geringerer Leistungskraft infolge von mangelhafter Begabung und
Berufsbildung, sowie infolge von Gebrechlichkeit und Alter zusammen.
„Um von den Alten zu reden, so ist es bekannt, daß es für Arbeiter
von mehr als 50 Jahren, ja oft schon für solche von mehr als 40 Jahren,
wenn sie einmal ohne Stelle sind, sehr schwer ist, wieder eine solche
zu finden.“ So hat Herdern in den ersten 4 Jahren 35,2 Proz.
Kolonisten im Alter von über 50 Jahren aufgenommen, und waren unter
den 122 Kolonisten des Tannenhof im Jahre 1898 etwa 30 Proz. über
50 Jahre alt.
Dazu kommen Alkoholiker und entlassene Sträflinge. „Ein dank-
bares Feld für einen Psychologen bietet die winterliche Tannenhof-
gesellschaft. Die frühere Lebensweise hat den Gesichtszügen den mannig-
faltigsten Charakter aufgeprägt. Einer ist willig und führt die gegebenen
Befehle mit Lust und Liebe aus, jenem ist tägliche Arbeit eine Qual,
das Leben eine Last. Diese kommen aus Strafanstalten und Untersuch-
ungsgefängnissen, jene aus Spitälern. Alle sind abgemagert, hungrig
und abgerissen“ 1).
Schließlich kommen in die Kolonien Berufsleute, deren Beruf über
den Winter nicht betrieben werden kann oder sonst Saisonschwankungen
„unterliegt. Für mittellose Leute ohne Verwandte ist die Kolonie eine
große Wohlthat. Sie können daselbst, vor Not geborgen, sich um eine
Stelle bewerben. Doch muß hier gleich erwähnt werden, daß die Ver-
mittellung von Arbeit den Anstaltsleitungen sehr große Schwierigkeiten
bereitet, wodurch in vielen Fällen die günstige Wirkung des Anstalts-
aufenthalts sehr bald verwischt werden dürfte.
Damit ist eine weitere Schwierigkeit angedeutet, wodurch zur Er-
klärung der nicht gerade günstigen finanziellen Resultate namentlich
der Arbeiterkolonie Herdern ein neues Moment hinzu kommt. Im
Tannenhof, welcher seiner Bestimmung gemäß Arbeitslose, welche mit
landwirtschaftlichen Arbeiten gar nicht vertraut sind, nur ausnahmsweise
aufnimmt, bilden die Landarbeiter unter den Kolonisten einen weit
stärkeren Prozentsatz als in Herdern. Waren beispielsweise von den
im Jahre 1897 dort aufgenommenen 94 Kolonisten nicht weniger als
44 Landarbeiter, während in Herdern im Jahre 1897 von 129 nur 17
und im folgenden Jahre von 138 nur 26 Landarbeiter waren. Die
landwirtschaftlichen Arbeiter, die in die Kolonie kommen, sind fast
durchweg ältere Leute, welche bei Privaten nicht mehr leicht An-
stellung finden, oder dann solche, welche sich durch Trunksucht und
Unbotmäligkeit in ihren bisherigen Stellungen unmöglich gemacht haben.“
Diese neben den Angehörigen einer Reihe unter den Kolonisten ver-
tretenen Berufsarten mögen für die landwirtschaftliche Arbeit tauglich
sein. Die Beschäftigung einer Anzahl anderer für die Bedarfszwecke
von Haushalt und Landwirtschaftsbetrieb mag gleichfalls keine große
Mühe bereiten. Dagegen findet sich jeweils eine Anzahl, bei denen
1) 8. Jahresbericht über den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 1896.
Bern 1897. S. 4.
Miszellen. 523
dies schwer, ja sehr schwer fallen muß, wie z. B. bei den 16 Ange-
.hörigen des Handels, dem Tierarzt und Architekten der Fall gewesen
sein dürfte, die im Jahre 1897/98 in die Arbeiterkolonie Herdern ein-
traten.
Mit einem Wort läßt sich auf dem Gebiete der Arbeitslosenfrage
nach allen Seiten hin eine gewisse Ruhe und Stille konstatieren. Als
Beweis hiefür notieren wir zu guter Letzt die weitere Thatsache, daß
das im Juni 1894 von den eidgenössischen Räten beschlossene Postulat
betreffend Arbeitsnachweis und Maßnahme gegen unverschuldete Arbeits-
losigkeit immer noch unerledigt ist, sowie daß das eidgenössische In-
dustriedepartement trotz dreimaliger Mahnung immer noch vergeblich
auf die Berichterstattung der Kantonsregierungen von Zürich, Bern,
Luzern, Neuenburg und des schweizerischen Arbeiterbundes wartet. Die
Hauptschuld an dieser Erscheinung mag neben einer ganzen Reihe
specieller Ursachen auf den industriellen Aufschwung entfallen, durch
den die akute Arbeitslosigkeit mehr oder weniger von der Tages-
ordnung verschwand und die chronische Arbeitslosigkeit sich etwas
weniger bemerkbar machte. Zum Beweis für die Wirkung dieses
Faktors führen wir die Ergebnisse der Arbeitslosenunterstützung in der
Stadt Zürich an. Es betrug
ia Tahia die Zahl die Zahl die Unterstützungs-
der Angemeldeten der Unterstützten summe
1893 1052!) 17505,9
1894 885 7498,07
1895 650?) 8065,55
1896 179°) 51 854,6
1897 — 4) — —
1898 400°) 232 2372,1
1899 — — —
1900 630°) 353 6598
Die günstige wirtschaftliche Lage war selbst für das Postulat der
Arbeiterschaft betreffend Verbindung einer Arbeitslosenzählung mit der
Volkszählung vom 1. Dezember 1900 ein Hemmnis. Es wurde von einer
allgemeinen Zählung der Arbeitslosen Umgang genommen, während die
Kantone auf die Gelegenheit zu Zusatzfragen nach dieser Seite hin
größtenteils verzichteten. Einzig in den beiden Städten Zürich und
Basel wurden die Arbeitslosen bei diesem Anlaß gezählt. Das Ergebnis
1) Aug. Merk, Die Arbeitslosigkeit in Zürich in den Wintern von 1892/93 und
1893/94 und Versuch einer Arbeitslosenstatistik. Zeitschrift für schweiz. Statistik
Jahrg. 1894, S. 314. ff.
2) Geschäftsbericht des Stadtrates und der Centralschulpflege Zürich vom Jahre
1895, S. 4 f.
3) Geschäftsbericht des Stadtrates und der Centralschulpflege Zürich vom Jahre
1896, S. 3 f.
4) Geschäftsbericht des Stadtrates und der Centralschulpflege Zürich vom Jahre
1897, S 3.
5) Geschäftsbericht des Stadtrates und der Centralschulpflege Zürich vom Jahre
1898, S. 5.
6) Die Arbeitslosigkeit in Zürich im Winter 1899/1900 und die Unterstützung der
Arbeitslosen. Bericht des Sekretärs der Arbeitslosenkommission. Zürich (Buchdruckerei
des schweizerischen Grütlivereins) 1900,
524 Miszellen.
dieser beiden Zählungen ließ erwarten, daß die Arbeitslosenfrage in
der nächsten Zeit wieder in den Vordergrund treten werde. Dies ist
denn auch geschehen.
Hierbei treten, wie bereits erwähnt wurde, die Versicherungspro-
jekte ziemlich in den Hintergrund, worüber sich nach dem Gesagten
niemand wundern wird. Einzig Arbeitersekretär Dr. med. Wassilieff
rückt mit einem Statutenentwurf der Arbeitslosenkasse des Arbeiter-
bundes Basel in die Linie. Die Arbeitslosenkasse des Arbeiterbundes
Basel steht allen organisierten, wie auch den Fachvereinen noch ferne-
stehenden Arbeitern und Arbeiterinnen, welche wenigstens 3 Monate
in Basel wohnen und arbeiten, offen. Arbeiter, welche in Basel ar-
beitend in der Umgebung der Stadt wohnen, aber einem Fachvereine
seit wenigstens 6 Monaten angehören, können ebenfalls als Mitglieder
aufgenommen werden. Die Aufbringung der Mittel geschieht durch
die Monatsbeiträge der Mitglieder, die Jahresbeiträge der Passivmit-
glieder, durch Schenkungen, Sammlungen, Subventionen der Fachvereine
und endlich durch event. Subvention des Staates und umliegender Ge-
meinden. Die Monatsbeiträge der Mitglieder stufen sich nach der Lohn-
höhe und dem Familienstand ab. Sie betragen
bei einem Lohne bis 4 fres. 40 cts. für alleinstehende u. 30 cts. für verheiratete
Mitglieder Mitglieder
Di D DI von 4—5 » 50 y D HI u. 40 - n D
H 23 n Hi über 5 LE 60 LE n HI u. 50 LL Hi Hi
In außerordentlichen Fällen kann die außerordentliche Generalver-
sammlung mit einer Mehrheit von Zweidritteln wöchentliche Extrabei-
träge für die in Arbeit stehenden Mitglieder für die Periode der Ar-
beitslosigkeit beschließen. Die Passivmitglieder, welche nicht der ar-
beitenden Klasse angehören, aber den Bestrebungen der Kasse sym-
pathisch gegenüberstehen, haben per Jahr einen Beitrag von mindestens
10 frcs. zu bezahlen. Die Entschädigungsberechtigung beginnt nach einer
Karenzzeit von 3 Wochen und mindesteus 7-monatlicher Zugehörigkeit
zur Kasse. Die Höhe der Taggelder wird von der Verwaltung der
Kasse gemeinschaftlich mit der Arbeitslosenkommission nach dem Grund-
satze festgesetzt, daß für Ledige und Familienväter besondere Minimal-
sätze gelten sollen, wobei für jedes minderjährige Kind ein Fünftel
des Ansatzes hinzukommt. Die Taggelder werden wöchentlich oder
alle 14 Tage ausbezahlt und können diese in außerordentlichen Fällen
in Form der Naturalverpflegung (gemeinschaftliche Abkochung etc.)
umgewandelt werden.
Melden sich während einer Woche mehr als '/, aller Mitglieder
der Kasse als arbeitslos, so sind die sämtlichen Mitglieder an einem
Sonntagnachmittag zu einer außerordentlichen Generalversammlung ein-
zuladen. Am folgenden Montag haben sämtliche arbeitslosen Mitglieder
eine 15-gliederige Arbeitslosenkommission für die arbeitslose Periode
zu wählen.
Die Verwaltung der Kasse wird von einem 11-gliederigen Vor-
stande besorgt. Präsident und Hauptkassier werden an der Delegierten-
versammlung auf Vorschlag des Ausschusses des Arbeiterbundes, die
Miszellen. 525
übrigen 9 Mitglieder nach Vorschlägen der beteiligten Fachvereine ge-
wählt. Bei der Subvention der Kasse durch den Staat oder die Nach-
bargemeinden erhalten die Regierung oder die Gemeinderäte das Recht
der Vertretung in der Rechnungsprüfungskommission, während die
Passivmitglieder Zutritt zu den Generalversammlungen und das Recht
der Revision der Kassarechnungen haben sollen.
Als Zweck dieser Kasse wird neben der Verabfolgung von ange-
messenen Tagegeldern an die arbeitslosen Mitglieder der frühzeitige
Appell an die Behörden für genügende und anständig bezahlte Arbeit
zu sorgen, namhaft gemacht. Daneben soll die Kasse dazu dienen, die
arbeitslosen, sowie die in Arbeit stehenden Kameraden für gemein-
schaftliches Zusammenwirken anzuspornen und alle arbeitsscheuen Ele-
mente, welche die Arbeitslosenbewegung in Mißkredit bringen, fernzu-
halten. Ferner soll sie die Löhne der arbeitenden Mitglieder während
der Perioden der Arbeitslosigkeit gegen das Sinken schützen und
schließlich die Oeffentlichkeit und die Presse mit den Verhältnissen der
aufgetretenen Arbeitslosigkeit auf dem Laufenden halten.
Dieser neueste Entwurf von Dr. Wassilieff unterscheidet sich wesent-
lich von seinen früheren Projekten 1). Wie weit hieran der Wandel
seiner Anschauungen auf Grund seiner reichen Erfahrungen mit der
Arbeitslosenkasse der Stadt Bern und wie weit die Rücksicht auf die
Taktik sowie auf die speciellen Verhältnisse seines neuen Wirkungs-
kreises in Baselstadt beteiligt ist, wäre wohl schwer zu sagen.
Als Hauptunterschied macht sich der vorläufige Verzicht auf die
Regelung der Arbeitslosenversicherung auf staatlicher oder kommunaler
Grundlage bemerkbar. Die obligatorische städtische Arbeitslosenver-
sicherung scheiterte an der Abneigung weiter Kreise gegen den
Versicherungszwang, während die fakultative Versicherung nur unge-
nügende Leistungen aufweist. Zeigen ja die Ergebnisse der Kassen in
Bern und Köln zur Genüge, daß sich bloß die schlechten Risiken ver-
sichern, während die anderen fernbleiben. Als Beleg hierfür führen wir
den Mitgliederbestand und die Zahl der unterstützten Arbeitslosen
innerhalb der verschiedenen Rechnungsjahre an. Es waren
in Bern in Köln
im Jahre Mitglieder Arbeitslose Mitglieder Arbeitslose
1893 354 216
1894 333 226
1895 544 325
1896 494 242 220 96
1897 431 295 324 108
1898 543 375 347 112
1899 585 297 256 142
Um dieser Zurückhaltung der Arbeiterschaft die Spitze abzubrechen,
überweist das Projekt von Dr. Wassilieff die Arbeitslosenversicherung
der organisierten Arbeiterschaft. Die Arbeitslosenkasse soll ein Mittel
1, Die obligatorische Arbeitslosenkasse als Grundlage für ein kommunales Arbeits-
amt. Bern (Verlag der Arbeiterunion) 1898, und ein kommunales Arbeitsamt. (Arbeits-
losenkasse, Arbeitsnachweis, Einigungsamt.) Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und
Sozialpolitik, Jahrg. 7, Bd. 2, S. 681 ff.
526 Miszellen.
sein, der Organisation der Arbeiter neue Mitglieder zu erwerben.
Diesem Zweck zu lieb, so scheint der Schöpfer dieses Entwurfes an-
zunehmen, werden sich die organisierten Arbeiter zu einem Opfer von
3,6—-7,2 fres. per Jahr gerne entschließen. Selbst die, welche unter
geringerem Risiko der Arbeitslosigkeit leiden, werden hierzu gerne
bereit sein; denn ihre Beiträge sind in erster Linie nicht eine Steuer,
welche die Gemeinde den Schwachen auferlegt. sondern eine Bethätigung
der Solidarität und ein Mittel zur Kräftigung und Ausdehnung der
Arbeiterorganisation. Ob die Arbeiterschaft ein Opfer in diesem Umfang
auf sich nehmen will und kann, hängt selbstverständlich nicht zuletzt
von den Resultaten einer solchen Kasse ab. Sind dieselben günstig,
so dürfte auch der Zweck der Stärkung der Arbeiterorganisation mehr
oder weniger erreicht werden.
Die Mehrzahl der Arbeitslosen gehören nämlich keiner Arbeiter-
organisation an. So waren z. B. unter den 510 Arbeitslosen der
städtischen Arbeitslosenversicherungskasse in St Gallen!)- bloß 82 oder
16 Proz. Mitglieder einer Arbeiterorganisation. In Basel ergab eine
vom Arbeitersekretär Dr. Wassilieff aus diesem Winter durchgeführte
Erhebung über die Arbeitslosen, daß von 598 eingeschriebenen Arbeits-
losen 80 Proz. den unorganisierten Arbeitern angehörten. „Von den
120 Erdarbeitern waren nur 4 in der Organisation, von den 89 Maurern
nur 15 im Maurerfachverein, von 57 Schreinern nur 20 organisierte,
von 53 Metallarbeitern gehörten nur 8 dem Metallarbeiterverbande an,
von 62 Malern waren wieder nur 13 organisierte“?). Die vom Arbeiter-
sekretär der Stadt Bern vorgenommene Arbeitslosenzählung zeigte
ähnliche Resultate. Allerdings waren dort von den 227 angemeldeten
Arbeitslosen 101 Mann oder 44 Proz. organisiert. Aber hieran ist
neben der verhältnismäßig großen Ausdehnung der Arbeiterbewegung
in Bern noch eine ganze Reihe anderer Ursachen mit beteiligt. Der
organisierte Arbeiter scheut sich meistens weniger, sich als arbeitslos
anzumelden, als der Nichtorganisierte. Braucht und will dieser letztere
während der Periode der Arbeitslosigkeit keine Unterstützung, so geht
es auch niemand etwas an, ob er Arbeit hat oder nicht. Nicht selten
betrachtet dieser Arbeitslosigkeit als eine Schädigung des Kredits oder
Ansehens, die man nach Kräften zu vermeiden strebt. An dieser
Auffassung ist die öffentliche Meinung sowie die nicht vereinzelte Ein-
reihung der Arbeitslosen unter die Almosengenössigen nicht ganz un-
schuldig. Daher muß es als ganz natürlich erscheinen, wenn sogar die
amtlichen Arbeitslosenzählungen zu kleine Ziffern liefern. In Zürich
begegnen wir ähnlichen Verhältnissen wie in Basel und St. Gallen.
Dort waren 1897/98 unter den Arbeitslosen nur 3 Personen, welche
einem Arbeiterverein angehörten. Im Jahre 1899/1900 gehörten dort
82,6 Proz. aller angemeldeten Arbeitslosen weder einer Krankenkasse
1) Vergl. hierzu: Die Arbeitslosenversicherung der Stadt St. Gallen. Im Auftrage
des Volkswirtschaftsdepartements des Kantons St. Gallen bearbeitet von Dr. E. Hofmann.
St. Gallen 1898. S. 47.
2) Arbeitslosenbewegung in Basel. Winter 1900/1901. Basler Arbeitersckretariat.
Bericht 1. Basel 1001. S. 7f.
Miszellen. 527
noch einem anderen Vereine an, woraus der Sekretär der Arbeitslosen-
kommission den gewiß ganz richtigen Schluß zieht, daß man es hier
größtenteils mit einer indifferenten Arbeiterbevölkerung zu thun hat.
Angesichts dieser Zahlen scheint es doch etwas gewagt, den
organisierten Arbeitern eine derartige Last sozusagen ohne jedes Sicher-
heitsventil aufzubürden. Neben der Verpflichtung der in Basels Um-
gebung wohnenden Arbeiter zur Zugehörigkeit zu einem Fachverein
hätte füglich auch noch die Festsetzung einer oberen Altersgrenze und
der Ausschluß der körperlich oder geistig abnormalen Arbeiter treten
dürfen. Wie sehr die alten und die körperlich gebrechlichen Mitglieder
eine Kasse zu belasten vermögen, hat man in St. Gallen und Bern
reichlich erfahren. Aehnliche zur Vorsicht nach dieser Seite hin
mahnende Erfahrungen machte man an mehreren Orten mit der Arbeits-
losenunterstützung. So mußten beispielsweise in Zürich im Jahre 1898
von der Arbeitslosenkommission wegen Arbeitsunfähigkeit, hohen Alters,
Krankheit oder Almosengenössigkeit rund 40 Proz. der Angemeldeten
von der Unterstützung ausgeschlossen werden. Solche Bestimmungen
wären geeignet, die Kasse vor allzu starker Inanspruchnahme zu schützen,
ohne daß der genannte Nebenzweck darunter leiden müßte. Ferner
wird von vornherein auf die Berücksichtigung des Risikos bei der
Prämienbemessung verzichtet.
Dies ist für ein in Basel zu realisierendes Projekt etwas auffällig.
Dort hat man im Laufe der Jahre die Berücksichtigung des Risikos bei
der Prämienbemessung für die Arbeitslosenversicherung immer ängst-
licher herauszuarbeiten versucht. Prof. Georg Adler wollte für die große
Masse der Berufe einen einheitlichen Prämientarif einführen und nur
die Bauarbeiter gesondert behandeln, wobei er sich durch folgende
Gründe leiten ließ. „Die Bauarbeiter unterliegen nicht nur, wie alle
anderen Arbeiter auch, der gewöhnlichen Gefahr der Arbeitslosigkeit
infolge von ungünstigen Konjunkturen, sondern noch außerdem der
Saisonarbeitslosigkeit. Für die meisten Arbeiter. der genannten Branche
erweist es sich als unmöglich, das ganze Jahr hindurch mindestens in
ihrem Berufe thätig zu sein, und die Auffindung passender Arbeit in
anderen Berufen ist natürlich nicht leicht. Die Bauarbeiter stellen
daher auch zu den unfreiwillig Arbeitslosen das relativ größte Kon-
tingent. Es wäre daher im Prinzipe wünschenswert gewesen, daß die
Versicherungsanstalt in zwei Abteilungen zerlegt worden wäre, da es
eine schwere und ungerechtfertigte Belastung der anderen Branchen
bedeuten würde, wenn man sie alle Kosten gemeinsam mit den Bau-
arbeitern tragen ließe. Ueberdies sind ja die Bauarbeiter gewöhnt,
höhere Löhne während der guten Jahreszeit gerade mit Rücksicht auf
die Verdienstlosigkeit während eines Teiles des Winters in Anspruch
zu nehmen.“ Die Großratskommissiont), welche den Adler’schen Entwurf
behandelte, stellte sogar drei Risikogruppen auf. Sie wurde hierzu
durch die Berechnung geführt, daß für die dem Fabrikgesetz unter-
.1) Bericht und Gesetzentwurf der Großratskommission, betreffend Versicherung
gegen Arbeitslosigkeit. Dem Großen Rate zugestellt den 23. April 1896, S. 13 ff.
528 Miszellen.
stellten Arbeiter in einem Jahr 10 Proz. Arbeitslose mit einer durch-
schnittlichen Unterstützungsdauer von 5,6 Tagen auf einen Versicherten
oder von 56 Tagen auf einen Arbeitslosen und für die Bau- und Erd-
arbeiter 50 Proz. Arbeitslose mit einer durchschnittlichen Unterstützungs-
dauer von 33,4 Tagen auf einen Versicherten oder von 66,8 Tagen
auf einen Arbeitslosen entfallen. Unter dieser Voraussetzung ergiebt
sich für die erste Risikogruppe ein Ueberschuß der Einnahmen über
die Ausgaben im Betrage von 44302 fres., während für die zweite und
dritte Risikogruppe ein jährlicher Fehlbetrag von 24207 fres. berechnet
wurde, der durch den Staatsbeitrag hätte gedeckt werden sollen. Aus
der Ersparnis auf den dem Fabrikgesetz unterstellten Arbeitern sollte
ein Reservefonds gegründet werden, welcher bei den unregelmäßig auf-
tretenden Geschäftsstockungen zur Verwendung käme Nach der
Rückweisung dieses Entwurfs ging die Großratskommission !) in der
Berücksichtigung des Risikos noch weiter, indem sie für die Prämien-
berechnung 4 Gruppen aufstellte.
Zur ersten Gruppe gehören die Arbeiter in den der Arbeitslosigkeit
am wenigsten ausgesetzten, dem Fabrikgesetz unterstellten Betrieben,
die nicht zum Baugewerbe gehören; zur zweiten Gruppe die Arbeiter
in allen übrigen, dem Fabrikgesetz unterstellten Betrieben, die nicht
zum Baugewerbe gehören, zur dritten die Bauarbeiter in den der
regelmäßigen Arbeitslosigkeit am wenigsten ausgesetzten Betrieben; zur
vierten alle übrigen Bau- und Erdarbeiter, die vorwiegend auf Arbeit
im Freien angewiesen sind und deren Arbeitsbetrieb von den Witterungs-
verhältnissen abhängig ist.
Ob für .das Fallenlassen der Risiko Berücksichtigung bei der
Prämienbemessung mehr der Gedanke an die praktische Schwierigkeit
der Durchführung oder das Vertrauen auf das Solidaritätsgefühl aus-
schlaggebend war, mag dahingestellt sein. Thatsache ist, daß nach den
Erfahrungen der Versicherungskasse in St. Gallen und Bern die Ab-
stufung der Prämien nach dem Berufe eigentlich unmöglich erscheint.
Unter den Saisonarbeitern finden sich Berufe mit geringerem Risiko
der Arbeitslosigkeit als unter den anderen Arbeiterkategorien, während
andererseits Alter, physische, geistige und moralische Eigenschaften
beim Risiko der Arbeitslosigkeit gleichfalls eine bedeutende Rolle spielen,
ohne daß sie bei der Prämienbemessung zu fassen wären.
Das Vertrauen auf das Solidaritätsgefühl der Arbeiterschaft zeigt
sich ferner in der Abstufung der Prämien nach dem Lohn und dem
Stand ohne Berücksichtigung des ersteren und mit ‘umgekehrter Wir-
kung der letzteren bei der Ausrichtung der Entschädigung. Die Be-
messung der Prämien geht von dem ganz richtigen Grundsatz aus, daß
höherer Lohn sowie der ledige Stand zu größeren Leistungen an die
Kasse befähigen, während die Entschädigung für den Familienvater
größer sein soll als für den ledigen oder alleinstehenden Arbeitslosen.
1) Bericht und Gesetzentwurf der Großratskommission, betreffend Errichtung einer
Versicherungsanstalt für Arbeitslose. Vorlage zur zweiten Beratung dem Großen Rate
zugestellt den 20. April 1899.
Miszellen. 529
Mutet man dem Opferwillen der Arbeiter dieses zu, so ist die Bestim-
mung, daß in außerordentlichen Fällen Extrabeiträge für die in Arbeit
stehenden Mitglieder festgesetzt werden können, bloß die letzte Konse-
quenz dieser Anschauung. Selbst vor der Möglichkeit, daß die Mehrheit
der außerordentlichen Generalversammlung, der in Arbeit stehenden
Minderheit Extrabeiträge diktieren könnte, schreckt diese so wenig
zurück, daß sie sogar auf die Festsetzung eines Maximums dieser Beiträge
verzichtet. Sie denkt wohl an ähnliche Proben der Opferwilligkeit bei
Strikes etc. und hat wohl insofern recht damit, als gerade bei Lohn-
bewegungen diese Kasse der Arbeiterschaft unter Umständen wertvolle
Dienste zu leisten imstande wäre.
Allerdings wird die Wirksamkeit nach dieser Seite hin durch die
3-wöchentliche Karenzzeit sehr beschränkt. Man wird kaum fehlgehen
mit der Behauptung, daß dadurch die Ausgaben der Versicherung
beinahe auf die Hälfte reduziert werden können. Zum Beweise hier-
für führen wir einige Thatsachen an. In St. Gallen entfielen im Durch-
schnitt auf einen Entschädigungsberechtigten 35,24 entschädigte Tage.
In Straßburg kamen am 2. Dezember 1895 auf einen Arbeitslosen rund
55 arbeitslose Tage, in Stuttgart 40,9 und in Berlin 38,8. In Zürich
belief sich die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit auf
66,5 Tage im Jahre 1893
ERR e A „ 1894
Bei der Berner Arbeitslosenkasse betrug die mittlere Bezugszeit eines
Berechtigten im Jahre 1898 41/, Wochen und das darauffolgende Jahr
51}, Wochen.
Und endlich berechnet Prof. Dr. Georg Adler in seinem bekannten
Gutachten die durchschnittliche Zeit der Arbeitslosigkeit auf 67 Tage
für Baselstadt 1).
Diese lange Karenzzeit wird ihre Wirkungen aber nicht bloß nach
der genannten Seite hin geltend machen, sondern sich auch noch in
anderer Beziehung wirksam erweisen. Vor allem entlastet sie die unter
periodischer Arbeitslosigkeit leidenden Mitglieder nicht von jeder Sorge
für die Zeit der Arbeitslosigkeit und schafft damit eine gewisse Kautele
gegen voreiliges Auflösen des Arbeitsvertrags sowie gegen Inanspruch-
nahme der Kasse wegen bloß vorübergehender Beschäftigungslosigkeit.
Ferner ist diese Karenzzeit ohne weiteres ein Abschreckungsmittel für
schlechte Risiken verschiedenster Art. Der Arbeiter, der an keiner Arbeits-
stelle lange zu bleiben vermag, wird sich sagen, daß die Versicherung mit
einer so langen Karenzzeit ihm nichts nützen würde und daher der Kasse
fern bleiben. Dasselbe wird der Leichtsinnige thun. Es wird diesem
nie und nimmer einfallen, für die Aufsicht nach 3-wöchentlicher Ar-
beitslosigkeit endlich Unterstützung zu erhalten, mindestens 7 Monate
lang Beiträge zu entrichten. Er wird sich hierzu um so weniger ent-
schließen, als die Entschädigung nicht in einem genau bestimmten
1) Die Versicherung der Arbeiter gegen Arbeitslosigkeit im Kanton Baselstadt.
Gutachten erstattet dem Departement des Innern des Kantons Baselstadt. Basel (Ver-
lag von Dr. H. Müller) 1895, S. 35.
Dritte Folge Bà, XXI (LXXVI). 34
530 Miszellen.
Betrag in Aussicht gestellt wird, sondern jeweils nach den Verhält-
nissen fixiert werden soll. Endlich wird auch die Aussicht, in außer-
ordentlichen Fällen statt Taggelder Naturalverpflegung zu erhalten,
seine abschreckende Wirkung auf einen Teil der schlechten Risiken
ausüben. Unter solchen Umständen mag der Verzicht auf Festsetzung
eines Maximums der Entschädigungsberechtigung weniger verhängnis-
voll für die Kasse werden. Immerhin darf diese Neuerung nicht zu
leicht genommen werden. Waren ja z. B. im Jahre 1893 von den
Arbeitslosen Zürichs fast 20 Proz. über 90 Tage arbeitslos. Im Jahre
1899/1900 waren die beiden obersten Gruppen mit 3-monatlicher und
länger als ein Vierteljahr dauernder Arbeitslosigkeit mit 95 und 68
Personen oder 15,5 und 11,1 Proz. noch sehr stark besetzt.
In Bern betrug die durchschnittliche Arbeitslosigkeit bei 227 Ar-
beitslosen, welche sich auf dem dortigen Arbeitersekretariat meldeten,
schon in der ersten Januarwoche des laufenden Jahres 71/, Wochen
und wird sich seither noch wesentlich gesteigert haben.
In St. Gallen bezogen im ersten Jahre der Versicherung 77 und
im zweiten Jahre sogar 189 Versicherte mit 60 Taggeldern das Maxi-
mum, und ist wohl die Annahme nicht irrig, daß bei manchem die
Arbeitslosigkeit noch länger dauerte. Die Erfahrungen, welche man in
Buselstadt mit der Dauer der Arbeitslosigkeit machte, dürften schließ-
lich gleichfalls zur Vorsicht mahnen.
Dort wurde unter Abrechnung der invaliden, alten und gebrech-
lichen Arbeitslosen von Dr. Wassilieff folgendes konstatiert: „52 Mann
waren über 3 Monate arbeitslos, 154 Mann 2—3 Monate, 84 waren
3 Wochen und 70 nur eine Woche arbeitslos.“ Wären bei dieser Ueber-
sicht der durchschnittlichen Dauer der Arbeitslosigkeit die alten, in-
validen und gebrechlichen Arbeiter mit einbezogen worden, so würde
die Dauer der Arbeitslosigkeit wohl noch ein ganz anderes Bild ergeben
haben. Ebenso hätte ein späteres Datum der Erhebung zweifelsohne
eine erhebliche Verlängerung der durchschnittlichen Dauer der Arbeits-
losigkeit ergeben. Diese Erfahrungen dürften dem bereits im Voran-
gehenden von uns erwähnten Ausschluß der invaliden, alten und ge-
brechlichen Arbeiter vollends rechtfertigen. Ohne diesen würden die
Kassen ohne eine Beschränkung der Unterstützungsberechtigung nach
oben einfach nicht existieren können.
Es ist wohl ebenfalls als Ausdruck des Solidaritätsgefühls zu be-
trachten, daß die bei allen übrigen Kassen und Projekten spukende
Ausländerfrage bei diesem Vorschlag aus Abschied und Traktanden
fällt. Die Frage der Herkunft der Arbeitslosen kann der Arbeiter-
schaft völlig gleichgiltig sein, während dies für Staat und Gemeinde
nicht der Fall ist. Diese letzteren fühlen sich ibren eigenen Ange-
hörigen gegenüber eher zur Arbeitslosenfürsorge oder zur Unterstützung
der Versicherungskasse verpflichtet, als den Angehörigen anderer Kan-
tone oder Länder gegenüber. Dazu spielt bei den Erwägungen und
Entschließungen derselben die Befürchtung keine geringe Rolle, daß die
Arbeitslosenfürsorge die ohnehin schon große Einwanderung von Aus-
ländern in die Schweiz und die Zuwanderung der Landbevölkerung in
Miszellen. 531
die Städte noch vermehren werde. Diese Befürchtung, welche schon
früher ihren Ausdruck in den verschiedenen Gesetzen und Statuten
betr. Arbeitslosenversicherung fand, dürfte durch die Resultate der
Volkszählung vom 1. Dezember 1900, der Arbeitslosenstatistik in den
Städten Zürich und Basel sowie der Erfahrungen der Arbeitslosen-
kommissionen in Zürich etc. noch wesentlich gestärkt worden sein.
So waren von den Arbeitslosen Zürichs
im Jahre Schweizer Ausländer
1893 68,1 Proz. 31,9 Proz.
1894 79,4 ep 20,6 ,,
1597/98 TOD u) 218 j
1399/1900 64,1 „ 35,9 UI
Sehr auffallend erscheint da dem Berichterstatter die große Zahl
der Italiener (16,2 gegen 1,2 Proz. im Jahre 1897/98). Angesichts
dieser Thatsache kann sich derselbe des Eindruckes nicht erwehren,
daß die ledigen Italiener extra den Winter hier zubringen wollten, um
die Arbeitslosenunterstützung mitgenießen zu können. Im ersten Winter
begaben sich diese Italiener, damals noch nicht wissend, daß in Zürich
im Winter Arbeitslose unterstützt werden, fast alle nach Hause. Im
zweiten Winter hatten sich dieselben die Thätigkeit der Arbeitslosen-
kommission so gut gemerkt, daß ein älterer, lediger Italiener, welcher
mehrere Tausende Franken Geld auf der Bank liegen hatte, einen glück-
licherweise mißlungenen Versuch, Arbeitslosenunterstützung zu erhalten,
unternahm.
Für eine Arbeitslosenkasse ist die Gefahr nach dieser Seite hin
schon etwas geringer. Bis die Italiener sich zum freiwilligen Beitritt
in größerer Zahl entschließen, wird geraume Zeit verfließen. Ihr an-
geborener Sparsamkeitstrieb wird sie die Beiträge an die Kasse schwer
verschmerzen lassen. Es wird dies um so weniger geschehen, als die
Aussicht auf eventuelle Ausrichtung der Unterstützung in Naturalien,
die 3-wöchentliche Karenzzeit etc, nicht gerade verlockend ist. Handelt
es sich aber um organisierte Arbeiter, so würde das Solidaritätsgefühl
sowieso von einer solchen einseitigen Inanspruchnahme der Arbeits-
losenkasse abhalten. Dem Staate oder der Gemeinde etwas abzuzwacken,
der von der Gemeinde ausgerichteten Arbeitslosenunterstützung zuliebe
auf die Rückkehr in die Heimat im Winter zu verzichten, mag allen-
falls auf den Betreffenden keinen allzu schweren Makel werfen. Einer
Arbeiterkasse gegenüber würde dies im Durchschnitt anders aufgefaßt.
Zudem wäre in einer solchen Kasse die Kontrolle über die Arbeits-
losen und ihre Beweggründe eine ganz andere, viel schärfere und ein-
dringlichere als bei anderen Instituten.
Aus diesen Gründen ist das Fallenlassen jeglicher beschränkenden
Bestimmung hinsichtlich der Ausländer begreitlich und völlig gerecht-
fertigt.
Die Ueberweisung der Arbeitslosenversicherung an die organisierte
Arbeiterschaft bedingt selbstverständlich auch wesentliche Unterschiede
hinsichtlich der Organisation der Kasse und der Aufbringung der Mittel.
Wollte man hinsichtlich jener völlig freie Hand haben, so mußte das
34*
532 Miszellen.
Prinzip der Beitragspflicht der Arbeitgeber, des Staats und der Gemeinde
fallen gelassen werden. Daß dies unter Umständen sehr wichtig sein
kann, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden. Staat und Gemeinde
können auf die Statuten und die.Leitung einer solchen Kasse einen
ungünstigen Einfluß ausüben, ohne dafür die Verantwortung tragen zu
müssen. Die Verantwortung wird der Arbeiterschaft aufgebürdet, ob-
wohl sie auf die Wahl der Beamten und Angestellten keinen Einfluß
hatte und die von den Versicherten bestellten Kommissionen auf sehr
beschränktem Wirkungskreis mit vorgeschriebener Marschroute funktio-
nierten. Ebenso sind Reibereien zwischen Arbeitern und Arbeitgebern
bei der Verwaltung dieser Kasse ausgeschlossen. Die letztere liegt
gänzlich in der Hand der organisierten Arbeiterschaft. Ihre Organe
bestellen den Vorstand. Die nichtorganisierten Mitglieder haben nur
in außerordentlichen Fällen von Arbeitslosigkeit bei der Wahl der
15-gliedrigen Arbeitslosenkommission mitzuwirken. Auch die Rech-
nungsrevisoren werden durch die Delegiertenversammlung des Arbeiter-
bundes gewählt, wobei allerdings unter Umständen Regierung, Ge-
meinde und Passivmitglieder das Recht der Vertretung in dieser Kom-
mission haben sollen. Funktioniert diese Kasse nicht recht, so trägt
die organisierte Arbeiterschaft die Verantwortung. Weder Staat noch
Gemeinde noch den unorganisierten Arbeitern kann ein Teil derselben
aufgebürdet werden. Diese Bewegungsfreiheit wiegt den Verzicht auf
die genannten Beiträge wohl mehr als auf.
An Stelle dieser Zwangsbeiträge sollen in erster Linie die Beiträge
der Passivmitglieder, Schenkungen und Sammlungen treten. Die Er-
giebigkeit dieser Einnahmequellen läßt sich nicht im voraus bestimmen.
Was zunächst die Passivmitglieder anbetrifft, so wird die Zahl derselben
kaum eine sehr große werden. Jedenfalls wird sich dieselbe wenigstens
in den ersten Jahren bloß aus den der Arbeiterschaft nahestehenden
Kreisen rekrutieren. Wollte man diese Behauptung mit dem Hinweis
auf die Erfahrungen mit der Stadtkölnischen Versicherungskasse gegen
Arbeitslosigkeit im Winter entkräften, so müßte dies als unzutreffend
erklärt werden. Gewiß wurde dort schon im ersten Jahre von den
Patronen eine Summe von 700001) M. aufgebracht und machen die
Beiträge der Ehrenmitglieder jährlich ca. 4000 M. aus?).
Aber Organisation und Zweck dieser Kasse sind eben doch ganz
andere als bei der geplanten Arbeitslosenkasse des Arbeiterbundes Basel.
Hier hätten die Passivmitglieder bloß das Recht der Vertretung bei
der Rechnungsrevision und der Teilnahme an der ordentlichen General-
versammlung. Dort wählen die Patrone und Ehrenmitglieder die Hälfte
der Mitglieder des Vorstandes und nehmen an der Generalversammlung
mit den Rechten der versicherten Mitglieder teil. Der Einfluß der
1) Geschäftsbericht der Stadtkölnischen Versicherungskasse gegen Arbeitslosigkeit
im Winter für die erste Betriebszeit vom 9. Mai 1896 bis 31. März 1897, S. 14.
2) Geschäftsbericht der Stadtkölnischen Versicherungskasse gegen Arbeitslosigkeit
im Winter für die Betriebszeit vom 1. IV. 1897—31. III. 1898
PA » „ 1. IV. 1898—31. TII. 1899
d A 2 „ 1. IV. 1899—31. II. 1900.
Miszellen. 533
Patrone und Ehrenmitglieder ist also ein ganz anderer, abgesehen da-
von, daß die Zahl derselben diejenige der Versicherten bis jetzt über-
troffen hat. In Baselstadt wird daher die Arbeitslosenkasse nicht auf
dieselbe Bereitwilligkeit zu Beiträgen rechnen können, während auf der
anderen Seite die Summe von 10 fres. wiederum für viele, welche den
Bestrebungen der Kasse sympathisch gegenüberstehen, als jäbrlicher
Beitrag zu hoch ist.
Von den Sammlungen und Schenkungen erwarten wir noch weniger.
Gewiß ist der Wohlthätigkeitssinn, welcher in Baselstadt herrscht, seit
altersher berühmt und sind die Gaben für die Arbeitslosen schon mehreremal
reichlich geflossen. Aber damit ist für das Ergebnis allfälliger Samm-
lungen, welche durch die Arbeitslosenkasse des Arbeiterbundes veran-
staltet würden, absolut kein Maßstab gewonnen und keine Garantie
gegeben. Wir fürchten, diese Sammlungen würden aus mehrfachem
Grunde auf Zurückhaltung beim Publikum stoßen; denn auch in Basel
ist es nicht gleichgiltig, wer mit dem Klingelbeutel geht und durch
wen die Verteilung der Gaben geschieht. Einen Vorgeschmack hierfür
liefert die in diesem Winter vom Arbeitersekretariat veranstaltete Samm-
lung für diesen Zweck. Diese ergab 1447,85 frcs. in bar und 640 frcs.
in Gutscheinen, Waren, Kleidungs- und Wäschestücken und wird vom
Arbeitersekretär folgendermaßen glossiert: „Unsere Versammlungen,
zwei Demonstrationszüge und unser Aufruf „Friede auf Erden“ haben
— wie wir vernehmen konnten — in einigen Kreisen böses Blut ver-
ursacht. „Es wäre viel mehr Geld für die Arbeitslosen zusammen-
gekommen ohne diese „empörenden“ Züge und Aufrufe!“ Die Leute,
die so reden, vergessen, daß unter Führung des Arbeitersekretariats die
Arbeiterschaft nicht das Recht auf Almosen sucht, sondern gegen die
Ausbeutung und das Elend und die Armut kämpfen will. Wir wollen nicht
auf den Knieen rutschen und betteln, und haben kein Interesse, zu
sorgen, daß das Auge und das Ohr der Satten und Besitzenden von der
Ansicht der Armut und des Elends und vom Geschrei der hungrigen
Kinder geschont wird. Wer noch Herz hat und nicht ganz rücksichtslos
gegen das arme Volk ist, wird mit uns gegen die herrschenden Miß-
stände arbeiten und wird auch immer aufrichtig helfen.“
Mit den Schenkungen dürfte es sich ähnlich verhalten. Wie unsicher
und schwankend diese Einnahmequelle ist, muß die Berner Versiche-
rungskasse gegen Arbeitslosigkeit deutlich erfahren, wie folgende Zahlen
lehren. Es betrugen dort
ia Tire die freiwilligen Beiträge
der Arbeitgeber anderer
1894/95 949,6 fres. 1005,90 fres,
1895/96 1048 „ 901,30 „
1896, 97 1642 „ 287 x
1397,98 1090 ;, 245,70 „
1898/99 1248 ,, 2383,40 „
1899, 1900 1484 y 628,95 „
Die vierte Einnahmequelle, die Subventionen der Fachvereine, wird
ebenfalls nicht sehr reichlich fließen. Schließen sich die Mitglieder der
Arbeiterorganisationen zahlreich der Arbeitslosenkasse an, so hat eine
534 Miszellen.
große Zahl derselben schon persönlich ein Opfer gebracht und dürfte
man nicht noch einmal gewissermaßen von denselben Leuten allzuviel
erwarten. Dies dürfte auch dann zutreffend sein, wenn die Arbeits-
losenkasse die Arbeiterorganisation verstärken sollte und darf hervor-
gehoben werden, daß schon in diesem Winter der Beitrag der Arbeiter-
organisationen an die vom Arbeitersekretär veranstaltete Sammlung
531,6 fres. ergab.
Als fünfte und letzte Einnahmequelle wird an eventuelle Sub-
ventionen des Staats und der umliegenden Gemeinden gedacht. Daß
von diesen keine sehr hohen und namentlich keine regelmäßigen Beiträge
erwartet werden, geht aus der Organisation der Kassenverwaltung hervor,
welche bereits im vorhergehenden Erwähnung fand; denn bei einiger-
maßen nennenswerten Beiträgen der Genannten würden sich diese schwer-
lich mit einer Delegation in die Rechnungsprüfungskommission begnügen.
Die Frage nach der Existenzfähigkeit der geplanten Kasse drängt
sich in Anbetracht dieser Beschränkung der Beitragspflicht auf die
genannten Kreise ohne weiteres auf. Der vom Volke des Kantons
Baselstadt verworfene Gesetzesentwurf sah einen jährlichen Staats-
beitrag von 30000 frcs. und einen Gesamtbeitrag der Arbeitgeber von
rund 60000 frcs. per Jahr voraus. Das Budget der Arbeitslosenkasse
der Stadt St. Gallen balancierte ebenfalls bloß mit einem nennenswerten
Zuschuß von Stadt und Kanton. Gleicherweise bedarf die Arbeitslosen-
kasse der Stadt Bern eines regelmäßigen Zuschusses der Stadtgemeinde.
Wird die Arbeitslosenkasse diese Zuschüsse entbehren können ?
Die Beantwortung dieser Frage ist nicht leicht. Unserer Ansicht
nach darf sie unter zwei Voraussetzungen, welche bis jetzt noch nicht
erwähnt wurden, bejaht werden. Die Kasse wird existieren können in
Zeiten, welche keine abnormal hohe Arbeitslosigkeit aufweisen und wenn
der Staat ihre Bestrebungen durch planvolle Arbeitspolitik zu unter-
stützen bestrebt ist.
Und das führt uns auf den zweiten besonders scharf ausgeprägten
Unterschied dieses Projekts von den früheren Entwürfen. Die Arbeits-
losenkasse des Arbeiterbundes will bei aufgetretener Arbeitslosigkeit sich
frühzeitig an die Behörden wenden, damit diese für genügende und anstän-
dig bezahlte Arbeit sorgen. Die Beschaffung von Arbeit wird daher auch
im Statutenentwurf der Auszahlung des Taggeldes vorausgestellt. Erst
wenn jene nicht möglich ist, soll das Recht auf die Taggelder beginnen.
Die Aufgabe, welche damit den Behörden zugewiesen wird, ist unter
Umständen schwerer als die Ausrichtung eines hohen Beitrags an die
Arbeitslosenversicherungskasse und sind die Erfahrungen, welche man
damit in der Schweiz machte, sehr lehrreich. Wir erinnern an die Be-
schäftigung der Arbeitslosen in der Stadt St. Gallen im Jahre 1888,
1891/92, 1892/93 und 1893/94.
Nach der sehr instruktiven Darstellung dieser Arbeitsbeschaffung
durch Polizeidirektor Zuppinger erlitt die Gemeinde hierbei einen Schaden
von 3078,3 frcs. im Jahre 1891/92, von 6564 frcs. im Jahre 1892/93
und von rund 10000 frcs. im folgenden Jahre 1),
1) Statistik des Kantons St. Gallen. II. Heft. Die Arbeitslosigkeit in St. Gallen.
Miszellen. 535
In Zürich !) konnten im Jahre 1892/93 städtische Notarbeiten von
den Behörden nicht angeordnet werden, weil sie erst mit der Stadt-
vereinigung am Neujahr in die Geschäfte eingetreten und vorläufig mit
Organisationsarbeiten vollauf beschäftigt waren. Dagegen konnte der
Kanton 250 Mann mit Eisbrucharbeiten einige Tage beschäftigen. Aber
auch im folgenden Jahre konnte außer einigen kleineren Arbeiten von
der städtischen Bauverwaltung keine Beschäftigung erhältlich gemacht
werden, ja es waren von dieser Verwaltung selbst gegen Ende 1893
wegen Einstellung der Tiefbauarbeiten eine Anzahl Arbeiter entlassen
worden. Aber auch später war für die Arbeitslosenkommission die
Beschaffung von Arbeitsgelegenheit der schwierigste Teil ihrer Aufgabe.
Im Winter 1893/94 wird neben vereinzelten Aufträgen Privater der
Abbruch eines Hauses auf dem Areal der Gewerbeausstellung sowie
die Erdaushebung für die Fundamente eines städtischen Schulhauses
erwähnt 2). Im folgenden Jahre scheinen die Bemühungen der Kommission
für Schaffung von Arbeitsgelegenheit von noch geringerem Erfolge be-
gleitet gewesen zu sein, während im Jahre 1898 an 56 Arbeitslose
durch die Kommission Arbeit angewiesen werden konnte. Das zeit-
weise Einschlummern der Thätigkeit der Arbeitslosenkommission nach
dieser Richtung erklärt sich teils aus dem wirtschaftlichen Aufschwung
und teils aus der Schwierigkeit dieser Aufgabe. Die letztere trat aber
besonders in diesem Winter deutlich hervor. In einer Sitzung des
Großen Stadtrates interpellierte Arbeitersekretär Greulich den Stadtrat
über die Vorkehrungen, die dieser getroffen habe, um Arbeitsgelegenheit
für die Arbeitslosen zu beschaffen sowie über die Schritte, die er ange-
sichts der bereits vorhandenen und noch stärker zu gewärtigenden
Arbeitslosigkeit zu thun gedenke. Obwohl sich der Stadtrat) schon
seit August mit der Arbeitslosigkeit beschäftigte und in einigen Ver-
sammlungen, zu denen Vertreter des Gewerbeverbandes und der Ar-
beitskammer eingeladen worden waren, die Lage allseitig geprüft hatte,
fiels eine Antwort nicht sehr tröstlich und befriedigend aus. Die Anfrage
bei den eidgenössischen und kantonalen Behörden hatte mit dem Erfolge
geendigt, daß seitens des Kantons größere Erdarbeiten und Korrektions-
arbeiten an der Limmat in Aussicht gestellt wurden, bei welchen 50—
60 Mann beschäftigt werden könnten. Die Nachfrage bei den Organen
der städtischen Bauverwaltung hatte das Resultat ergeben, daß dieselben
nicht imstande sein würden, Arbeitsgelegenheit für eine größere Zahl
von Arbeitslosen zu schaffen; ja manche erklärten, sie müßten sich glück-
lich schätzen, wenn sie sich nicht gezwungen sehen, zu Entlassungen
(Geschichte der Arbeitslosigkeit, der Versicherung gegen ihre Folgen und des Arbeits-
nachweises.) Bern, Buchdruckerei Stäümpfli & Cie, 1895, S. 8 ff.
1) Aug. Merk, Die Arbeitslosigkeit in Zürich in den Wintern von 1892/93 und
1893/94 und Versuch einer Arbeitslosenstatistik, Zeitschrift für schweizerische Statistik.
Jahrgang 1894, S. 316 und 317.
2) Geschäftsbericht des Stadtrates und der Centralschulpflege der Stadt Zürich
vom Jahre 1894. Zürich (Buchdruckerei Berichthaus) 1895, S. 6.
3) Vergl. hierzu: H. Schatzmann, Die städtische Arbeitslosenunterstützung in Zürich.
Schweizerisches Centralblatt für Staats- und Gemeindeverwaltung, I. Jahrgang, No. 24,
S. 198,
536 Miszellen.
zu schreiten. Dafür erließ der Stadtrat am 1. Dezember einen Aufruf,
in dem die Einwohnerschaft der Stadt aufgefordert wurde, ihrerseits
die Beschaffung von Arbeitsgelegenheit ins Auge zu fassen und durch
rechtzeitige Vornahme von Reparaturen aller Art, Bauarbeiten im Innern
der Häuser, Ausbessern von Geräten, Möbeln etc. mit dazu beizutragen,
daß den Arbeitslosen Beschäftigung geboten werden könne. Ende No-
vember bestellte er die Arbeitslosenkommission, bestehend aus 3 Ver-
tretern der Verwaltungskommission des städtischen Arbeitsamtes, 3 Ver-
tretern des stadtzürcherischen Gewerbeverbandes, 3 Vertretern der Ar-
beitskammer, 2 städtischen Beamten und dem Generalsekretär der frei-
willigen und Einwohnerarmenpflege, wozu später noch 4 Vertreterinnen
des Frauenverbandes kamen. Am 7. Dezember erließ dann die Arbeits-
losenkommission die Anzeige, daß Anmeldungen unterstützungsberech-
tigter Arbeitsloser von diesem Tage an vom städtischen Arbeitsamte
entgegengenommen werden. Dabei scheint es sein Verbleiben haben zu
sollen und änderten mehrere sehr stark besuchte Arbeitslosenversamm-
lungen vorderhand hieran nichts. Im Gegenteil scheint auch unter den
Arbeitslosen die Hoffnung auf Beschaffung von Arbeitsgelegenheit für
diesen Winter bereits sehr stark geschwunden zu sein, wie aus ihren
Resolutionen sowie aus einem Votum Greulich’s hervorgeht, der sich
dahin äußerte, daß man in Zukunft vielleicht eher daran denken werde,
Arbeit für die Zeit der Arbeitslosigkeit zu beschaffen, wenn die Aus-
gaben für Unterstützung dieses Mal höhere sein werden, als gewöhnlich.
In Bern ist die Arbeitsbeschaffung für die arbeitslosen Mitglieder
der Versicherungskasse ebenfalls die schwierigste Aufgabe, obwohl diese
in mehreren Berichten dankend des Vorgehens der städtischen Bau-
direktion erwähnt, welche für Straßenbau, Erdaushub, Schneeräumungs-
arbeiten etc. jeweils für einen Teil der Arbeitslosen Arbeitsgelegenheit
anwies. Allein diese Maßnahmen erwiesen sich doch als zu schwach,
um der herrschenden Arbeitslosigkeit mit Erfolg zu begegnen, nament-
lich auch angesichts des Umstandes, daß neben den arbeitslosen Mit-
gliedern der Versicherungskasse noch viele andere Arbeiter jeweils
arbeitslos waren und sich sogar zur Sommerszeit starke Arbeitslosigkeit
bemerkbar machte.
Bezeichnend für die dortigen Verhältnisse ist eine im Juli 1900 dem
Stadtrat eingereichte Motion der sozialdemokratischen Stadtratsfraktion,
welche folgenden Wortlaut hatten:
Angesichts des Umstandes, daß die Arbeitslosigkeit einheimischer
Arbeitskräfte einen für die gegenwärtige Jahreszeit ungewöhnlichen
Umfang angenommen hat, der sich zu einer förmlichen wirtschaftlichen
Katastrophe auszugestalten droht, wird der Gemeinderat ersucht,
1) unverzüglich darüber Bericht und Antrag einzureichen, ob nicht
sofort größere städtische Arbeiten zur Ausführung zu bringen seien;
2) bei der Gürbethalbahngesellschaft und bei den Bauunternehmern
energische Schritte zu thun, um das Mißverhältnis in der Zahl der ein-
heimischen und der ausländischen Arbeitskräfte zu beseitigen;
3) in Zukunft die Unternehmer von großen Gemeindebauten und
die von der Gemeinde subventionierten Gesellschaften zu verpflichten,
Miszellen. 537
75 Proz. der Arbeiter aus der einheimischen Bevölkerung zu ent-
nehmen und über die Beobachtung dieser Verpflichtung Kontrolle zu
führen, zu welchem Zweck die Unternehmer dem Gemeinderate die
Lohnlisten und die Verträge mit den Unteraccordanten vorzulegen haben;
4) die Direktion der Linie Bern-Neuenburg zu bewegen, ein-
heimische Arbeiter in größerem Umfang zu beschäftigen; bei der kanto-
nalen Regierung vorstellig zu werden, die Hochschulbauten, und beim
Bundesrate, das Postgebäude in Angriff nehmen zu lassen, wobei diesen
Behörden empfohlen werden soll, den Unternehmern die in Ziffer 3
angeführte Verpflichtung aufzuerlegen.
Im Winter beschloß dann der Stadtrat infolge einer Motion von
Stadtrat C. Moor die sofortige Anhandnahme von Erdarbeiten, welche
aber infolge der inzwischen eingetretenen kalten Witterung nicht aus-
geführt werden konnten. Am 15. Februar widersetzte sich der Ge-
meinderat einer von C. Moor eingereichten Motion, welche eine Sammlung
zu Gunsten der Arbeitslosen verlangte. Dagegen beschloß der Stadtrat,
den Arbeitslosen Lebensmittel auf Kosten der städtischen Armenpflege
zu verabreichen, eventuell weitere Straßenbauten ausführen zu lassen.
Das Facit dieser Bestrebungen ist nichts weniger als vielversprechend.
Einen Teil der Schuld hieran trägt die mangelhafte Kenntnis über Wesen,
Umfang und Intensität der Arbeitslosigkeit, welche nur durch einläß-
liche und regelmäßige Zählungen der Arbeitslosen gewonnen werden
kann. Diese Ursache des Versagens der Arbeitbeschaffung für Arbeits-
lose könnte durch Kassen nach dem Muster des Basler Projekts leicht
gehoben werden. Ebenso würden durch derartige Kassen, falls sie die
Mehrzahl der Arbeiter einer Stadt umfassen, die Behörden jeweils recht-
zeitig auf ihre Pflicht der Arbeitsbeschaffung aufmerksam gemacht werden
können, wodurch sie von Massenarbeitslosigkeit weniger überrascht würden.
Zu der angedeuteten Schwierigkeit, die sich nie ganz vermeiden
lassen wird, gesellt sich noch eine andere. Die durch die Behörden
anzuweisende oder zu beschaffende Arbeitsgelegenheit wird stets nur
für einen Teil der Arbeitslosen in Betracht fallen können. Der Uhr-
macher, Spinner oder Weber wird zu Erdarbeiten so wenig taugen,
wie der Kommis etc. zum Eisbrechen. Auch nach dieser Seite hin
liefern die Erfahrungen in der Schweiz sprechende Belege, indem sich
in den meisten Fällen ein Teil der Arbeitslosen zu schwach oder ge-
radezu unfähig erwies, die auf diese Art zur Verfügung gestellte Arbeit
zu verrichten. Dadurch wird aber wiederum eine gewisse Ungleichheit
entstehen. Die Erd- und Bauarbeiter sowie die Angehörigen verwandter
Berufsarten werden bei Arbeitslosigkeit unter Umständen von der
Kassenverwaltung jeweils Arbeit angewiesen erhalten können, während
bei anderen Berufsgruppen die Arbeitsbeschaffung sozusagen gar nicht
in Betracht käme. Man wird nun allerdings mit Recht dagegen ein-
wenden, daß die Beschaffung von Arbeit die wertvollere und begehrtere
Hilfe sei als die karge Arbeitslosenentschädigung. Ebenso mag mit
gleichem Recht die Thatsache wider dieses Bedenken ins Feld geführt
werden, daß die Arbeiterkategorien, für welche die Behörden am
leichtesten Arbeit für Zeiten der Arbeitslosigkeit beschaffen könnten,
538 Miszellen.
sowieso das größte Risiko der Arbeitslosigkeit aufweisen. Aber mit
dem allem ist der Stachel, den jede Ungleichheit der Behandlung an
sich trägt, eben doch nicht ganz weggenommen. Dies wird umsoweniger
geschehen, als die Verwaltung in einem Falle sozusagen ausnahmslos
in der Anweisung von Arbeit ein treffliches Mittel zur Konstatierung
der sogenannten Unverschuldetheit der Arbeitslosigkeit hat, während
bei der anderen großen Gruppe der Versicherten ein solches sozusagen
gänzlich fehlt. Wie wichtig ein solches Kontrollmittel ist, hat man in
St. Gallen erfahren, erfährt es jeden Winter in Bern bei der Verwal-
tung der Arbeitslosenkasse und spürt es in Zürich und anderen Orts,
wo Arbeitslosenkommissionen sich mit der Unterstützung von Arbeits-
losen abzugeben haben. Diese Erfahrungen haben den Adjunkten des
schweizerischen Arbeitersekretärs zu dem originellen Vorschlag veran-
laßt, die Behörden möchten wenigstens Arbeitsgelegenheit bieten, die
lediglich als Kontrolle zu dienen hätte, wobei er ausschließlich an solche
Arbeiten denkt, die ohne die Arbeitslosigkeit nicht gemacht würden.
Als Beispiele solcher Arbeiten, die ganz gut von Arbeitslosen verrichtet
werden könnten, ohne daß andere Arbeiter darunter zu leiden hätten,
führt er folgende an:
1) Man läßt die Arbeitslosen während mehrerer Stunden des Tages
die Trottoirs reinigen, was niemals, besonders zur Winterszeit, den Ein-
druck machen wird, als ob es durchaus unnötig wäre. Diese Arbeit
könnte jeder verrichten, einen Besen und eine Schaufel kann am Ende
jeder notdürftig handhaben, auch wenn er sonst ein Maler oder ein
Schuhmacher ist. Das Publikum hätte noch seine Freude daran, wenn
die Trottoirs und die Perrons vor den Häusern immer schön sauber
gehalten werden; es würde sich vielleicht gerade dadurch noch zu frei-
willigen Gaben für die Arbeitslosen hinreißen lassen.
2) Die große Mehrzahl der Arbeitslosen rekrutiert sich gewöhnlich
aus Erd- und Bauarbeitern. Diesen könnte eine besondere Arbeit an-
gewiesen werden. Wie wäre es, wenn die Stadt durch diese Arbeitslosen
am Uetliberg drüben oder am Zürichberg, wo die Stadt schon eigenes
Land besitzt, Keller graben oder sogar einen Tunnel zum jenseitigen
Thal und mittels der ausgehobenen Erde einen Aussichtshügel mit
botanischem Garten, einen Tiergarten oder dergleichen erstellen ließe.
So etwas böte für die Arbeitslosen jahrzehntelang Arbeit genug und
könnte von der zukünftigen Menschheit als Beweis für den Stand der
heutigen Kultur betrachtet werden, wie von uns die Pyramiden der
alten Aegypter.
3) Will man einwenden, nicht jeder eigene sich zu solcher Arbeit,
oder mancher würde zu sehr herabgewürdigt, wenn er sich zu solcher
Arbeit hergeben mülte oder würde, sogar geschädigt, weil er später
zu feinerer Arbeit nicht mehr fähig wäre und auch kaum mehr An-
stellung finden könnte, z. B. Schreiber und Kanzlisten, so könnte solchen
auch andere Arbeit angewiesen werden, z. B. das Abschreiben (und
zwar recht schön) von alten vergilbten Urkunden. Glaubt wohl jemand
im Ernst, diese Arbeit würde, weil sie nicht eine unbedingte Not-
wendigkeit ist, widerwärtiger vorkommen, als das Abschreiben irgend
einer Rechnung oder eines gerichtlichen Urteils ?
Miszellen. 539
4) Schneidern könnte das Reinigen, Ausbessern oder Umändern der
Kapüte der städtischen Angestellten übergeben werden.
5) Ebenso könnte auch den Wiäscherinnen, Spetterinnen etc. immer
Arbeit zur Genüge angewiesen werden mit dem Reinigen von Treppen-
häusern in öffentlichen Gebäuden. Die Abwärte würden sich darüber
nicht beklagen.
6) Aber die Goldschmiede mit ihren feinen Händen (solche haben
sich zwar bei uns noch nie als arbeitslos gemeldet), was sollen die
denn thun? Mit denen könnte man dem großen Publikum eine Freude
machen, ohne daß den Kollegen dadurch Schaden erwachsen würde.
Man würde einfach ausschreiben, daß alle unechten Schmucksachen
durch die arbeitslosen Gold- und Silberschmiede unentgeltlich geputzt
würden und sie erhielten Arbeit in Hülle und Fülle.
Einem Teil der gegen dieses Projekt geäußerten Bedenken kann
leicht abgeholfen werden, während der andere in seiner Natur begründet
ist. Doch ist derselbe nicht so schwerwiegend, daß daran das Gelingen
eines praktischen Versuchs scheitern müßte. Die Hauptstärke des Vor-
schlags liegt ja gerade darin, daß derselbe ohne lange Vorbereitungen,
Gutachten, Kommissions- und Parlamentsberatungen etc. praktische Ge-
stalt annehmen kann. Ist die Mehrzahl der organisierten Arbeiterschaft
mit dem Projekte einverstanden, so dokumentiert sie damit auch ihr
Vertrauen auf das Solidaritätsgefühl, die wichtigste Bedingung des Ge-
lingens. Mit derselben Leichtigkeit gestaltete sich die Einführung.
Diese brauchte keinen neuen und weitläufigen Beamtenapparat. Die
Kasse gliederte sich einfach den bestehenden Organisationen an. Im
Arbeitersekretariat hätte die Kasse einen erfahrenen Sekretär, welcher
im Vorstand der Arbeitslosenkasse wohl die Hauptarbeit zu besorgen
hätte. Dadurch würden die Einrichtungs- und Verwaltungskosten auf
ein Minimum reduziert, was auf Arbeiterschaft und Publikum nicht
ohne guten Eindruck bliebe Im Vorstand der Kasse säßen die Ver-
trauensmänner der Arbeiterschaft; den festen Grundstock der Mit-
glieder bildeten die Angehörigen der Fachvereine und der politischen
Organisationen. Sollte sich das Bedürfnis nach Abänderungen ergeben,
so wird demselben ebenfalls auf einfacherem Wege Genüge geleistet
werden können, als wenn verschiedene Behörden oder gar das Volk
dazu die Einwilligung zu geben hätten. Namentlich das letztere spricht
sehr für einen Versuch mit diesem Projekte. Nachdem die bisherigen
Projekte sich zerschlagen und die Versuche gescheitert sind, mag die
Arbeiterschaft den Wurf wagen, das Problem der Arbeitslosenversiche-
rung in erster Linie aus eigener Kraft zu lösen.
Man darf daher auf die Aufnahme dieses Vorschlags bei der
Arbeiterschaft von Baselstadt gespannt sein. Der Boden dürfte dem-
selben dort bereits vorbereitet sein. Sofort nach dem verwerfenden
Volksentscheid über dir Arbeitslosenversicherung reichte Nationalrat
Wullschleger dem Präsidenten des Großen Rates eine Motion ein, durch
die der Regierungsrat eingeladen wurde, die Frage der Errichtung eines
staatlichen Fonds zur Unterstützung unverschuldeter arbeitsloser Bürger
und Einwohner des Kantons zu prüfen und die Frage zu erwägen, ob
540 Miszellen.
und unter welchen Bedingungen an berufliche Vereine oder Verbände
von Arbeitern und Angestellten, die sich mit der Arbeitslosenversiche-
rung befassen wollen oder zugleich an berufliche Arbeiter- und Unter-
nehmervereine oder Verbände, die gemeinsam die Arbeitslosenversiche-
rung betreiben wollen, Beiträge verabreicht werden können. In der sich
an die Begründung dieser Motion anknüpfenden öffentlichen Diskussion
wurde von sozialdemokratischer Seite darauf hingewiesen, daß staatliche
und kommunale Versuche die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, nicht zu
den sozialpolitischen Aufgaben gehören, mit denen sich die Arbeiter-
schaft befassen sollte Es sei begreiflich, daß die Arbeiterschaft von
einer staatlichen oder kommunalen Arbeitslosenversicherung nichts
wissen wollte, weil diese Forderung nichts Sozialistisches enthalte.
Etwas anderes sei es mit der Arbeitslosenunterstützung durch
die Gewerkschaften. Diese sei nicht Selbstzweck, sondern Mittel zu
dem Zweck, die Organisation in die Höhe zu bringen. Denkt die Mehr-
zahl der organisierten Arbeiterschaft von Baselstadt ähnlich, wird die
Arbeitslossenkasse des Arbeiterbundes Basel nicht lange auf sich warten
lassen.
Miszellen. 541
Nachdruck verboten.
IX.
Hauptergebnis der deutschen Volkszählung 1900.
Von Friedrich Zahn (Berlin).
Das Hauptergebnis der am 1. Dezember 1900 erfolgten deutschen
Volkszählung ist für das gesamte Reich vom Kaiserl. Statistischen Amt
am 20. Februar 1901 in der „Berliner Korrespondenz“, am 27. Februar
im „Reichsanzeiger“ und hernach ausführlicher in den „Vierteljahrs-
heften zur Statistik des Deutschen Reiches‘, 1901, Heft 1 veröffentlicht.
Die Veröffentlichung giebt die Einwohnerzahl des Reichs, der Bundes-
staaten und der Großstädte (Städte mit über 100 000 Einwohnern) nebst
Vergleichen mit früheren Zählungsergebnissen und mit Zählungs-
ergebnissen anderer Länder. Durch diese Veröffentlichung, die seitens
einzelner Bundesstaaten durch eigene eingehendere ergänzt ist, ist dem
vordringlichsten Bedürfnis, das durch die Volkszählung befriedigt werden
soll, Genüge gethan. Die Reichs- und Landesstatistik, welche diese
verhältnismäßig rasche Bereitstellung des wesentlichsten Zählungs-
resultats herbeiführte, hat aufs neue bewiesen, daß das von manchen
Leuten gerne gebrauchte Schlagwort von der „sprichwörtlichen Lang-
samkeit, mit der die Statistik arbeitet“, zum mindesten auf die amtliche
Statistik in Deutschland nicht zutrifft. Wer übrigens das derzeitige
Verfahren für noch nicht schnell genug erachtet, dem ersten Resultat
der Volkszählung vielmehr eine solche Wichtigkeit beilegt, daß es nach
seiner Ansicht noch rascher als diesmal, d. h. noch früher als drei
Monate nach der Aufnahme, zur Verfügung stehen soll, dem wird der
Vorschlag des Direktors des Kaiserl. Statistischen Amts H. v. Scheel
(vergl. dessen Artikel „Volkszählung“ im Handwörterbuch der Staats-
wissenschaften, 2. Aufl.) sympathisch sein, welcher diese Beschleunigung
mittels umfassender Benutzung des Telegraphen erreichen will.
Nachstehend teilen wir die Hauptzahlen der neuesten deutschen
Volkszählung mit und verweisen im übrigen auf die genannten Ver-
öffentlichungen des Kaiserl. Statistischen Amts.
542
Die Bevölkerung des Deutschen Reiches 1900.
Miszellen.
Ortsanwesende Bevölkerung
Zunahme,
Abnahme (—)
| Auf 1 qkm
kommen Ein-
Fläche —| in Proz. der: the
Staaten (1895) !) am 1. Dezemler 1900 sm Bevölkerung |
Cep 2. Dez. |1895—|1871—
St dam 1895 2 50 | 1900 | 18 !
männlich | weiblich |zusammen| 1895 1900 | 1900 |
= _ 5 = E L pm EN
Prov. Ostpreußen 36 989,6 959588 1034829 1994 air! 2006689 —0,61| 9,41) 53,9 N 493
» Westpreußen 25 521,3 767826 795633: 1563459 1494385 4,652| (Ban 61,8 515 |
Stadt Berlin 63,4 901 805 982346 1 884151! 1677 304 12,33) 128,01/?) pasi ND 1,3
Prov. Brandenburg 39 834,9 | 1523 358 1584 593 3 107 951 2821695 10,14] 52,58) 78,0 ai
» Pommern 30 116,3 799693: 834 966 1634659 1574147 3,8s| 14,18) 543 45
» Posen 28 966,2 901675: 986380 1888055 1828633! 3,25) 19,23 65,2 54:
» Schlesien 40 312,8 | 2 226 536| 2441 842 4668378 4415309 5,73| 25,98 115,8, 920
» Sachsen 25 251,5 | 1 389 204| 1 444020 2833 224| 2 698 549 4,99| 34,11 112,2 $33
» Schleswig-Holsteinj 19001,8' 701583) 686004 1387587| 1286416 7,86| 32,78) 73,0 550
» Hannover 38 500,8 | 1 296 829. 1 293 507: 2590330 2422020 6,95| 32,06 67,3 508
» Westfalen 20 209,2 | 1646 218) 1541854| 3 188072| 2701420 18,01) 79,59) 157,8, 873
» Hessen-Nassau 15 694,2 923 641| 973669 1 897 310, 1756802, Bol 35,419) 120,9) D:
„ Rheinland 26 993,7 | 2900 142| 2858853 5 758 9095! 5 106002! 12,79) 60,90! 213,8] 132
Hohenzollern 1 142,3 31 987 34 796! 66 783! 65752 1,57| 1,86 58,5! DÉI
Königreich Preußen 348 607,0 |16 970 085/17 493 292 34 463 2 377 31 855 123° Bun 39,59) 98,9) 70:
Bayern r. d. Rh. 69 936,7 | 2614 423| 2729 197| 5 343 620) 5052553, 5,16| 26,12) 76,4 boi |
Bayern 1. d. Rh. (Pfalz)| 5 928,0 Kä 670| 418863) 831533| 7059911 8,56| 35,20) 140,3 =
Königreich Bayern 75 864,7 3 027 093| 3 148 060! 6 175 153 5818 544) 6,13| 26,97| 81,4] 641
Königreich Sachsen 14 992,9 | 2 042 437| 2157 321| 4199758 3787 688) 10,88) 64,29! 280,1 vol
Württemberg 19517,1| 1051815) 1113 950| 2 165 765 2081151) 4,07| 19,09] 111,0) CHE
Baden 15 081,0 925 670| 940914! 1866584 1725464 8,18| 27,71) 123,8] 90
Hessen 7 681,8 558062) 561 404| 1120426 1039020] "aal 31,37] 145,9) 1110
Mecklenburg-Schwerin 13 126,9 300419) 307 4160| 607835 597 436) 1,74 Hun 40,3] 42:
Sachsen-Weimar 3 615,3 176 650 185 368| 362018 339217! 6,72| 26,50] 100,41! 7%
Mecklenburg-Strelitz 2 929,5 50 870! 51758] 102628 ot 540) 1,07| 6,82| 350 351]
Oldenburg 6425,2| 197954] 200545| 398499 3737391 Gel 25,851 620] 4%]
Braunschweig 3 072,2 230 351 233 900| 464251 434213!) 6,92| 48,91| 1204 4;
Sachsen-Mciningen 2 408,1 123 027| 127056] 250683 234005! 7,13) 33,37| 101,6 704 i
Sachsen-Altenburg 1 323,7 05442) 98831] 194273 180313! 7,74| 30,09] 146,8! 1074
Sachsen-Coburg-Gotha 1 958,0 110949, 118618] 229507 216603 5,99| 31,68| 117,2 540
Anhalt 2294,4| 155 162| 160865] 316027 293298 7,75) 55,34| 137,7 part
Schwarzb.-Sondershaus. 862,0 | 39 401) 41 277 80 678 78074! 3,34] Song Dä ,: a
Schwarzb.-Rudolstadt 940,8 45 082 47 575 92657 88685) 448| 22,09] 985] Di
Waldeck 1 121,0 27 936, 29 977 57 913 57766) oan 3,00 517| 5%
ReuB ält. Linie 3164| 32518) 35769 68 287| 57 468| teil 5u,a3| 2158) 14°
ReuB jüng. Linie 825,7 66 554 72439, 138993 132130, 5,19, 56,12] 168,8) 10,
Schaumburg-Lippe 340,2 | 21449 21683) 43132) 41224| Aenl 34,54] 120,8) 93°
Lippe 1215,2 | 67 113 72125] 1392381 134854| 3,25| 25,29) 114,6 Je
Lübeck 297,7 47784 48 991, 96775 83324] 16,14] 85,54] 3251) 175
Bremen 256,7| 111094| 113 603! 224697 196g04| 14,41) 83,57) 875,3 Ah
Hamburg 415,01 375811] 392538) 708349 681 632| 12,72| 126,67) 1851,4 Géi
Elsaß-Lothringen 14 507,1 879439| 838 012| 1717451) 1640986) 4,66| 10,82 118, Ai 10b,
Peutsches Reich | 54° 657,6 |27 731 067/28 613 947156 345 014152 279901) 7,78 Dä 104,8) d 75
1) Die Flächenzahlen für 1900 sind noch nicht zuss ımmengestellt.
2) Diese Zahlen beziehen sich auf die Provinz Br: andenburg mit Berlin.
Litteratur. 543
Nachdruck verboten.
Litteratur.
IV.
Neuere finanzwissenschaftliche Schriften.
Besprochen von Max von Heckel.
1) Schwarz und Strutz, Der Staatshaushalt und die Finanzen
Preußens. Unter Benutzung amtlicher Quellen.
Bd. 1: Die Ueberschußverwaltungen von Strutz, 2. Lieferung: III.
—V. Buch: Berg-, Hütten-, Salinen- und Bernsteinverwaltung.
Seehandlung. Lotterie- und Münzverwaltung. Berlin (Gutten-
tag) 1900. VIII und S. 279—564.
Bd. 2: Die Zuschußverwaltungen von Schwarz, 1. Lieferung;
I. Buch: Die Verwaltung der geistlichen, Unterrichts- und
Medizinalangelegenheiten. Berlin (Guttentag) 1900. XXII und
S. 1—560.
2) Feitelberg, Dr. D, Die Einkommenbesteuerung nicht phy-
sischer (juristischer) Personen. Jena (G. Fischer) 1900. gr. 8%. 191 SS.
(Staatswissenschaftliche Studien von Ludwig Elster, Bd. 6, Heft 7.)
3) Cohn, Dr. S., Die Finanzen des Deutschen Reiches seit seiner
Begründung. In den Grundzügen dargestellt. Berlin (Guttentag) 1899.
gr. 80. VI und 209 SS.
4) Schmelzle, Dr. Hans, Der Staatshaushalt des Herzogtums
Bayern im 18. Jahrhundert. Stuttgart (Cotta) 1900. gr. 8. XX und
425 SS. Münchener Volkswirtschaftliche Studien herausgegeben von
L. Brentano und Walther Lotz. 41. Stück.
5) Drenkhoff, Dr. phil. Iwan K., Die Steuerverhältnisse Bul-
gariens. Jena (G. Fischer) 1900. gr. 8°. X und 146 SS. Sammlung
nationalökonomischer und statistischer Abhandlungen des Staatswissen-
schaftlichen Seminars in Halle a. S., herausgegeben von J. Conrad.
Bd. 29.
6) Creanga, Dr. George D., Die direkte Besteuerung in Preußen
und Rumänien. Berlin (Ebering) 1900. gr. 80. 237 SS. Rechts- und
Staatswissenschaftliche Studien, veröffentlicht von Dr. E. Ebering. Heft 8.
7) Kaizl, Dr. Josef, Finanzwissenschaft. Erster Teil. Aus dem
Böhmischen übersetzt von Dr. Alois Körner. Wien (Manz) 1900.
gr. 8°. XVI und 213 SS.
544 Litteratur.
8) Jean de Bloch, Les Finances de la Russie au XIX. siècle.
Historique et Statistique. T.I. Paris (Guillaumin) 1900. gr. 80. 265 p.
9) Freiberger, Gustav, Handbuch der österreichischen direkten
Steuern in systematischer Darstellung. 2. Aufl. Wien (Manz) 1899.
gr. 8%. XVI und 664 SS.
10) Raffalovich, Arthur, Le Marché financier en 1899—1900.
Paris (Guillaumin) 1900. VII, XXX und 824 p.
11) Gothaischer Genealogischer Hofkalender nebst diplomatisch-
statistischem Jahrbuche 1901. 138. Jahrg. Gotha (J. Perthes) 1901.
XXIV und 1093 SS.
Unsere finanzwissenschaftliche Fachlitteratur ist im Laufe des
letzten Jahres durch eine stattliche Reihe neuer Darbietungen bereichert
worden. Wir dürfen hier an erster Stelle die Fortsetzung des groß
angelegten Werkes von Schwarz und Strutz über den Staatshaus-
halt und die Finanzen Preußens erwähnen. Von diesem liegt nun auch
die 2. Lieferung des I. Bandes und das 1. Buch des II. Bandes vor.
Wir haben uns bereits früher in diesen „Jahrbüchern“ (III. F. Bd. 20
S. 130—132) über Charakter, Art, Methode und System dieser Publi-
kation ausgesprochen und ergreifen jetzt gerne die Gelegenheit, die
Fortführung an dieser Stelle anzukündigen. Strutz bringt in der
2. Lieferung des I. Bandes die Fortsetzung der „Ueberschußverwaltungen“
und zwar das 3. bis 6. Buch. Von weiteren privat- oder erwerbs-
wirtschaftlichen Einnahmequellen kommen nunmehr die Berg-, Hütten-,
Salinen- und Bernsteinverwaltung, die Seehandlung, die Lotterie- und
Münzverwaltung an die Reihe. Die Schilderung knüpft überall an eine
dreifache Gliederung an. Zuerst wird die Entwickelung der einzelnen
Einnahmezweige vorgeführt, dann folgen die verwaltungstechnischen
Organisationen, die Stellung im Staatshaushalt und endlich die Betriebs-
ergebnisse in Einnahme, Ausgabe und Ueberschuß. Auf diese Weise
wird der Leser in einer ansprechenden Form in den geschichtlichen
Entwickelungsprozeß, in die Thatsachen des Rechtsstandes und in die
statistischen Resultate eingeführt. Das Werk bewährt sich auch in
diesen Partien als ein vortreffliches Hilfsmittel zum Studium des preu-
Bischen Staatshaushalts-Etat. Aber es leistet mehr als ein syste-
matischer Kommentar, da in den dargestellten Materien ein beachtens-
werter Einblick in des Getriebe der preußischen Staatsverwaltung
vermittelt wird, der Zusammenhang ihrer Einzelheiten verständlich er-
scheint, das Zusammenwirken der treibenden Kräfte sich in einer
realistisch faßbaren Gestalt wiederspiegelt. Ebenso wird man die
größte Anerkennung der ausführlichen Darstellung gerade der privat-
wirtschaftlichen Einkünfte zollen, die jetzt schon zwei stattliche Bände
füllt und wohl noch einen weiteren der Staatseisenbahnverwaltung
widmen wird. Diese umfassende Behandlung entspricht ganz der wich-
tigen Rolle, die den Reinerträgen aus dem Finanzvermögen im preuli-
schen Staatshaushalt zukommt. Und gerade auch der Finanztheoretiker
wird sich über diese Thatsache nur freuen können: ist sie doch ein
Beweis für das Obsiegen unserer neueren Lehrmeinungen auch in der
Litteratur. 545
Praxis, die den privatwirtschaftlichen Einkünften eine hervorragende
Stellung im Staatshaushalte einräumen. Die preußische Staats- und
Finanzverwaltung hat am besten durch Thaten die Unzulänglichkeit
jener Anschauungen der individualistisch-liberalen Epoche widerlegt, die
den Staat zur Verwaltung und Ausnutzung von wirtschaftlichen Er-
werbsquellen für ungeeignet hielten. Wir dürfen somit den weiteren
Fortsetzungen dieses großen Werkes mit erheblichem Interesse ent-
gegen sehen,
Schwarz bietet uns im I. Buche des II. Bandes von den „Zuschuß-
verwaltungen“ die Verwaltung der geistlichen Unterrichts- und Medi-
zinalangelegenheiten in einem stattlichen Bande. Das ganze Material
wird in sechs Hauptstücken, die sich in der Hauptsache mit den
Etatstiteln decken, dem Leser vorgeführt. Diese sind überschrieben:
Ministerium (Centralverwaltung), Verwaltung der kirchlichen Angelegen-
heiten, Unterrichtsangelegenheiten, Kultus und Unterricht gemeinsam,
Kunst und Wissenschaft, Medizinalwesen. Ein siebentes Hauptstück
giebt auf 2 Druckseiten eine gedrängte Uebersicht über die Allge-
meinen Fonds des Kultusministeriums. Wir haben in diesen Aus-
führungen ein vollständig abgerundetes Bild der Entwickelung des
preußischen Kultus-, Unterrichts- und Medizinalwesens vor uns, soweit
sich diese Thatsachen in Budgetziffern ausdrücken. Schon die kurze,
übersichtliche Einleitung ist von sehr erheblichem Interesse, das zu uns
aus ein paar vergleichenden Tabellen spricht. Ich erwähne z. B., daß
die Kultusausgaben vom Etat 1849 bis zum Etat 1899, also in genau
50 Jahren von 9,225 Mill. M. auf 135,797 Mill. M. gestiegen sind.
Unter den verschiedenen Gruppen des Staatsaufwands nehmen sie
die erste Stelle unter den Civilzuschuß-Verwaltungen mit 27,8 Proz.
(1849: 10,0 Proz.) ein. Die Verhältniszahlen für die übrigen Zweige
des Netto-Staatsaufwands sind nämlich: für das Finanzministerium
22,2 Proz. (1849: 23,5 Proz), für die Justizverwaltung 21,7 Proz.
(21,4 Proz.), für das Innere 13,3 Proz. (11,3 Proz.), für Handel, Ge-
werbe und öffentliche Bauten 8,4 Proz. (22,00 Proz.), für landwirt-
schaftliche Zwecke 4,4 Proz. (8,1 Proz.), für das Staatsministerium
1,7 Proz. (0,7 Proz.), für Medizinalangelegenheiten 0,4 Proz. (0,9 Proz.)
und für auswärtige Angelegenheiten 0,1 Proz. (2,1 Proz.). Diese stati-
stischen Streiflichter kennzeichnen schon einigermaßen die erfreuliche
Thatsache der weitgehenden Fürsorge des preußischen Staates für die
Zwecke von Kultus und Unterricht. Auch die Schwarz’schen Dar-
bietung ist weit entfernt, bloße finanzstatistische Daten vorzuführen,
sondern wir finden hier gleichtalls eine umfassende und grünliche Sub-
stanziierung der Budgetzwecke und Etatsnachweise durch die Klarlegung
aller jener Ursachen und Einrichtungen, die zum Verständnis jeder
einzelnen Entwickelung notwendig sind. Wir haben auch in dieser
1. Lieferung des IL Bandes eine allseitige Darstellung des gesamten
Kultus-, Unterrichts- und Medizinalwesens vor uns.
Beiden Lieferungen ist von den beiden Verfassern wiederum eine
Mehrzahl von Anlagen beigegeben worden, die in wünschenswerter
Weise unsere Kenntnisse zu ergänzen vermögen.
Dritte Folge Bd. XXI (LXX VI). 35
546 Litteratur.
Auch für die Entwickelung der Reichsfinanzen liegt uns wenigstens
ein Versuch einer Darstellung in den Grundzügen vor. In seiner Schrift
über die Finanzen des Deutschen Reiches seit seiner Begründung will
Cohn kurz, im wesentlichen nur unter Benutzung der stenographischen
Berichte und der Drucksachen des Reichs zeigen, wie sich Einnahmen
und Ausgaben des Reiches von 1872 —1899 gestaltet haben. Es war eine
staatsrechtlich-statistische Beschreibung vom Verfasser in Aussicht ge-
nommen, keine Entwickelungsgeschichte der Finanzpolitik des Deutschen
Reiches. Nach einer kurzen Darlegung der staatsrechtlichen Grund-
lagen der Reichsfinanzwirtschaft folgt die vierfach gegliederte Behand-
lung des Stoffes. Zuerst wird der Finanzbedarf des Reiches geschildert
und nach den verschiedenen Aufwandszwecken vorgeführt. Dann folgt
die Darstellung der Einnahmequellen des Reichs, der sich dann ein
Kapitel über die formelle Ordnung des Reichsfinanzwesens anschließt.
Ein Schlußabschnitt über die Ergebnisse der Reichsfinanzwirtschaft und
ein Anhang, der die Uebersichten über die Reichseinnahmen bringt,
beendigen die Schrift. Sie sollen eine abschließende statistische Ver-
gleichung und Würdigung des Thatsachenmaterials von 1871/72—1899
darbieten. Die Arbeit trägt den Stempel einer Anfängerarbeit und sie
ist auch aus einer Hallenser Doktordissertation herausgewachsen. Und
als specimen eruditionis stellt sie eine befriedigende und erfreuliche
Leistung dar, die eine hinreichende Sachkenntnis nicht verkennen läßt.
Allein als grundlegende und systematische Behandlung der Reichs-
finanzen, deren wissenschaftliche Darstellung, abgesehen von den betr.
kürzeren Artikeln im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, dem
Wörterbuch der Volkswirtschaft und im Wörterbuch des deutschen
Verwaltungsrechts, uns noch fehlt, kann sie nicht gelten. Die Materialien
sind öfters nicht genügend gesammelt, die Auszüge zu dürftig, die
einzelnen Partieen zu ungleich ausgearbeitet und außerdem treffen wir
hin und wieder wirkliche Unrichtigkeiten und Mifverständnisse an.
Der Wurf ist dem Verfasser daher nur teilweise gelungen, wenn man
auch seinem Fleiße und redlichen Streben alle Anerkennung zollen muß.
Einen beachtenswerten Beitrag zum Problem der Einkommen-
besteuerung hat uns Feitelberg mit seiner Arbeit über die Ein-
kommenbesteuerung der nichtphysischen Personen geleistet. Seine Ab-
sicht war es zunächst ein Bild der Mannigfaltigkeit in der konkreten
Behandlung dieser Frage zu geben und die prinzipielle Verschiedenheit
und Gleichartigkeit nachzuweisen. Zu diesem Behufe hat er 22 Gesetz-
gebungen herangezogen. Auf eine allgemeine orientierende Einleitung
folgt die eigentliche Behandlung seines Vorwurfs. Es werden vier
Hauptgruppen nichtphysischer Personen unterschieden: die Zwangs-
gemeinwirtschaften (Staat und öffentliche Körper), Associative Privat-
wirtschaften (Erwerbsgesellschaften), Freie Gemeinschaften (Genossen-
schaften) und Karitative Wirtschaftsbetriebe. Das Charakteristische der
Arbeit darf ich wohl in zwei Punkten erblicken. Einerseits ist der ganze
Stoff systematisch und prinzipiell durchgearbeitet, der Verfasser verliert
sich nicht in Einzelheiten, sondern schält mit viel Geschick die typischen
Erscheinungen und Entwickelungstendenzen heraus und andererseits
Litteratur. 547
verdient die ausgiebige Auswertung und kritische Verarbeitung der ein-
schlägigen staatswissenschaftlichen, wie juristischen Litteratur unsere
volle Anerkennung. Der Verfasser kann daher wohl den Anspruch er-
heben, ein Spezialgebiet des großen Einkommensteuerproblems mit Umsicht
erschöpfend behandelt zu haben und mit seiner Schrift die Fachlitteratur
mit einer sehr erwünschten Gabe bereichert. Aber es ist auch ein feueriges
Bot, das der Verfasser tummelt, auch zum Durchgehen geneigt. Er ist
daher auch vor Entgleisungen nicht bewahrt geblieben. Dies muß ich
schon geltend machen bei seiner Begriffsbestimmung der Einkommen-
steuer, die er, wenn ich ihn recht verstanden habe, als eine Ueber-
schußbesteuerung des „freien“, d. h. den notwendigen Konsumtionsbedarf
übersteigenden, wirtschaftlichen Gesamterfolgs. Diese Ansicht wider-
streitet allen recipierten theoretischen Anforderungen, wie den That-
sachen und Erfahrungen der Praxis. Und ebenso möchte ich mich
seinen Schlußbemerkungen gegenüber äußerst skeptisch verhalten: die
Aussicht, eine reichsgesetzliche Regelung und einheitliche, das
ganze Deutsche Reich umspannende Ordnung der Besteuerung nicht-
physischer Personen des Privatrechts herzustellen erscheint mir keine gün-
stige zu sein. Allerdings verkennt der Verfasser selbst die „Schwierig-
keiten“ keineswegs, die seinem Vorschlage im Wege stehen. Auch
andere Stellen hätten vielleicht vorsichtiger gefaßt werden können.
„ Diese Ausstellungen vermögen aber in keiner Weise das Verdienst zu
verkümmern, das sich Feitelberg durch seine tüchtige Leistung um die
Entwickelung der Einkommensteuertheorie erworben hat.
Die Finanzgeschichte der süddeutschen Territorien ist bis jetzt
noch immer wenig erforscht. Es ist daher erfreulich, daß wir über den
Staatshaushalt Bayerns im 18. Jahrhundert eine ausführliche Monographie
erhalten haben. Hans Schmelzle, dessen Schrift aus einer von der
staatswirtschaftlichen Fakultät der Universität München gestellten Preis-
aufgabe hervorgegangen ist, versucht uns ein abgerundetes Bild über
das bayerische Finanzwesen des 18. Jahrhunderts zu geben. Er be-
schränkt sich dabei aber nicht nur auf die Thatsachen und Zustände
der Finanzwirtschaft und des Steuerwesens, sondern er greift über diesen
engen Rahmen hinaus und sucht die Struktur des bayerischen Staats-
haushalts aus den allgemeinen volks- und staatswirtschaftlichen Zu-
ständen jener Epoche zu erklären und durch sie aufzuhellen. Auf diese
Weise erweitert sich seine Darstellung zu einem Stück bayerischer
Wirtschaftsgeschichte überhaupt. Die Arbeit stützt sich teils auf ältere
und neuere gedruckte Litteratur, teils ist sie unmittelbar aus archiva-
lischen Quellen geschöpft. Der Stoff ist in zwölf Abschnitten behandelt,
von welchen die ersten acht allgemein wirtschaftsgeschichtlichen Gegen-
ständen gewidmet sind. Sie schildern uns Größe und Umfang des
bayerischen Territoriums im 18. Jahrhundert, die Größe und den sozialen
Aufbau der Bevölkerung, die Zustände in Landwirtschaft, Gewerbe und
Handel und endlich die politischen Verhältnisse jener Zeit. Die folgen-
den vier Abschnitte beschäftigen sich mit dem Staatshaushalt selbst,
mit der formalen Ordnung des Staatshaushalts (Behördenorganisation,
Kassa-, Rechnungs- und Kontrollwesen, landschaftliche Verwaltung),
35*
548 Litteratur.
mit dem Ausgabeetat, den Einkünften und den außerordentlichen Deckungs-
mitteln. Es ist aber nicht einzusehen, warum hier der Verfasser nach
dieser Einteilung das Schuldenwesen unter dem Ausgabeetat behandelt,
wo es doch nur teilweise hingehört. Meines Erachtens wäre es besser
im letzten Abschnitt untergebracht, zumal seine Darlegungen in Ab-
schnitt XII nicht nur die Staatsschulden als Aufwandskategorie be-
trachten, sondern eine hübsche und übersichtliche Darstellung des
Schuldenwesens überhaupt geben. Eine Mehrzahl von Anlagen erläutern
und ergänzen die Ausführungen des Textes. Es wäre wünschenswert,
auch für andere deutsche Territorien solche zusammenhängende Dar-
stellungen des Finanzhaushalts für einen längeren, abgeschlossenen Zeit-
raum zu erhalten. Hoffentlich reizt Schmelze’s ansprechende Arbeit
auch andere zur Nachahmung an.
Zwei hochwillkommene litterarische Gaben sind zwei Einzelschriften,
die uns die Steuerverhältnisse Bulgariens und die direkte Besteuerung
Rumäniens näher bringen. George D. Creanga betitelt seine Schritt:
Die direkte Besteuerung in Preußen und Rumänien und versucht eine
vergleichende Darstellung zu geben. Sie zerfällt daher in 3 Teile, von
denen der erste eine Uebersicht über die Entwickelung der Einkommen-
besteuerung in Preußen giebt und dann den bestehenden Rechtsstand
näher auslegt. Der 2. Teil schildert zunächst die rumänischen Steuer-
verhältnisse, er giebt über das rumänische Steuerwesen bis 1869 Aufschluß,
beschreibt dann die direkte Besteuerung seit 1860 und geht endlich in
eine ausführliche Kritik der Steuern im einzelnen ein. Ein 3. Teil beschäf-
tigt sich mit der Anwendung der gewonnenen Resultate, auf eine Ver-
gleichung folgt ein Reformvorschlag, dem ein vollständig ausgearbeiteter,
mit eingehenden Erläuterungen versehener Gesetzentwurf beigegeben
ist. Den Weg zur Reform erblickt der Verf. in der Einführung einer
Klassen- und klassifizierten Einkommensteuer nach dem Vorbild der
preußischen Gesetzgebung von 1851/1873. Er ist dabei der Ansicht,
daß für die heutige Entwickelung in Rumänien zwar die Grundsätze der
preußischen Gesetzgebung von 1891 nicht passend seien, daß dagegen mit
der Rezeption des älteren Rechtsstandes ein wesentlicher Fortschritt erzielt
werden würde. Dagegen sollen die bestehenden Ertragssteueru in ihren
Sätzen ermäligt, die Kopfsteuer von der Klassensteuer resorbiert und
vor allem die Einkommen aus Zinsen und Kapitalrenten schärfer be-
lastet werden. Für den deutschen Leser sind weniger die Reform-
{ragen und die Darstellung der preußischen Besteuerung von Interesse
als die Thatsachen der positiven Gesetzgebung in Rumänien, die uns
bisher in dieser Vollständigkeit nicht zugänglich waren. Nachdem ich
wohl annehmen darf, daß der Verf. mit der deutschen Ausgabe eine
rumänische veranstalten wird, so erscheint die für uns an sich über-
flüssige ausführliche Darstellung der Einkommensteuer in Preußen ganz
am Platze und gerechtfertigt.
Iwan Drenkoff schildert uns die Steuerverhältnisse seiner Hei-
mat Bulgarien. Seine Problemstellung ist insofern eine weitere, indem
er uns die Kenntnis des gesamten, bulgarischen Steuerwesens vermittelt,
sich nicht auf die direkte Besteuerung beschränkt. Er hat seinen Stoff
Litteratur. 549
unmittelbar aus den Quellen geschöpft, da er brauchbare Vorarbeiten
nicht benutzen konnte. Seine Studien beginnt er mit der Entwickelung
des bulgarischen Steuerwesens, er zeigt uns in einem abgeschlossenen
Bilde die Steuerverfassung unter der türkischen Herrschaft vor der Be-
freiung Bulgariens, er wirft einen Blick auf die Zustände der „Ueber-
gangsperiode“, die vom russisch-türkischen Feldzug bis zu Annahme der
bulgarischen Verfassung vom 6. April 1879 währt, und teilt uns dann
die verfassungsmäßigen Vorschriften über die Besteuerung mit. Der
nächste Abschnitt beschäftigt sich mit Steuerverwaltung, mit den Grund-
sätzen und Normen der Steuerveranlagung und Steuererhebung, die uns
mancherlei interessante Einzelheiten liefern. Nun beginnt der Verf. mit
der Beschreibung und Analyse des bulgarischen Steuersystems, das er
nach wissenschaftlichen Grundsätzen in drei Gruppen gliedert. Zuerst
schildert Drenkoff die direkten Steuern, die mehr oder weniger rohen,
mitunter den Vermögenssteuern sich nähernden Ertragssteuern und die
verschiedenen Personalsteuern, dann die indirekten Steuern, Zölle und
Aufwandsteuern und endlich die Stempelsteuern. Ein Schlußkapitel be-
trachtet dann endlich die Stellung der Steuern im Budget. Von 1887
—1899 haben die Steuereinnahmen 81-—89 Proz. der Staatseinnahmen
gedeckt, woran die direkten Steuern mit 49—73 Proz. und die Aufwand-
steuern mit 51—27 Proz. beteiligt waren. Eine Mehrzahl von statisti-
schen Tabellen, die im Texte weiter erläutert sind, bilden eine ganz
wünschenswerte Beigabe.
Eine Uebersetzung eines böhmischen Werkes ins Deutsche ist ein
höchst seltener Gast in unserer staatswissenschaftlichen Litteratur.
Aber diesmal ist doch einer bei uns erschienen. Vor uns liegt der 1.
Teil der Finanzwissenschaft von Josef Kaizl in deutscher Ueber-
tragung von Alois Körner. Das böhmische Original ist 1892 in 2. Auf-
lage erschienen. Der Uebersetzer hat aber noch weiter das Bedürfnis
gefühlt, sein böhmisches Adoptivkind dem deutschen Leserpublikum
angelegentlich empfehlen, indem er eine äulerst warm gehaltene Be-
sprechung des Buches durch Meisel im Finanzarchiv (Bd. I. S. 462—
465) vordruckt. Es ist in der That ein nicht gewöhnliches Vorgehen,
daß der Autor eine solche Befürwortung seines Werkes zuläßt. Nach
unseren reichsdeutschen Begriffen ist eine solche Empfehlung durch
eine Art Prospekt nur Sache des Verlegers. Der nunmehr vorliegende
1. Teil behandelt die Probleme der öffentlichen Wirtschaft und der
Finanzwissenschaft, sowie Arten und Entwickelung der Finanzen. Der
zweite noch zu erwartende Band soll die Lehren von den Erwerbs-
einkünften, Gebühren und Steuern darstellen. Die uns vorliegende erste
Hälfte ist in 2 Bücher eingeteilt, von denen das erste das Wesen der
öffentlichen Wirtschaft und der Finanzwirtschaft erörtert, während das
zweite die Arten und Entwickelung der Finanzen, d. h. der Geldein-
nahmen der öffentlichen Körper behandelt. Die Stellung des Verf.'s zu
den Fragen, die er in Angriff nimmt, wird vor allem durch seine Vor-
stellung von den Aufgaben der Finanzwissenschaft gekennzeichnet.
Kaizl betont die Allgemeinheit jeder Wissenschaft nnd damit auch der
Finanzwissenschaft und sieht ihren Wirkungskreis in der generalisieren-
546 Litteratur.
Auch für die Entwickelung der Reichsfinanzen liegt uns wenigstens
ein Versuch einer Darstellung in den Grundzügen vor. In seiner Schrift
über die Finanzen des Deutschen Reiches seit seiner Begründung will
Cohn kurz, im wesentlichen nur unter Benutzung der stenographischen
Berichte und der Drucksachen des Reichs zeigen, wie sich Einnahmen
und Ausgaben des Reiches von 1872 —1899 gestaltet haben. Es war eine
staatsrechtlich-statistische Beschreibung vom Verfasser in Aussicht ge-
nommen, keine Entwickelungsgeschichte der Finanzpolitik des Deutschen
Reiches. Nach einer kurzen Darlegung der staatsrechtlichen Grund-
lagen der Reichsfinanzwirtschaft folgt die vierfach gegliederte Behand-
lung des Stoffes. Zuerst wird der Finanzbedarf des Reiches geschildert
und nach den verschiedenen Aufwandszwecken vorgeführt. Dann folgt
die Darstellung der Einnahmequellen des Reichs, der sich dann ein
Kapitel über die formelle Ordnung des Reichsfinanzwesens anschließt.
Ein Schlußabschnitt über die Ergebnisse der Reichsfinanzwirtschaft und
ein Anhang, der die Uebersichten über die Reichseinnahmen bringt,
beendigen die Schrift. Sie sollen eine abschließende statistische Ver-
gleichung und Würdigung des Thatsachenmaterials von 1871/72—1899
darbieten. Die Arbeit trägt den Stempel einer Anfängerarbeit und sie
ist auch aus einer Hallenser Doktordissertation herausgewachsen. Und
als specimen eruditionis stellt sie eine befriedigende und erfreuliche
Leistung dar, die eine hinreichende Sachkenntnis nicht verkennen läßt.
Allein als grundlegende und systematische Behandlung der Reichs-
finanzen, deren wissenschaftliche Darstellung, abgesehen von den betr.
kürzeren Artikeln im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, dem
Wörterbuch der Volkswirtschaft und im Wörterbuch des deutschen
Verwaltungsrechts, uns noch fehlt, kann sie nicht gelten. Die Materialien
sind öfters nicht genügend gesammelt, die Auszüge zu dürftig, die
einzelnen Partieen zu ungleich ausgearbeitet und außerdem treffen wir
hin und wieder wirkliche Unrichtigkeiten und Mißverständnisse an.
Der Wurf ist dem Verfasser daher nur teilweise gelungen, wenn man
auch seinem Fleiße und redlichen Streben alle Anerkennung zollen muß.
Einen beachtenswerten Beitrag zum Problem der Einkommen-
besteuerung hat uns Feitelberg mit seiner Arbeit über die Ein-
kommenbesteuerung der nichtphysischen Personen geleistet. Seine Ab-
sicht war es zunächst ein Bild der Mannigfaltigkeit in der konkreten
Behandlung dieser Frage zu geben und die prinzipielle Verschiedenheit
und Gleichartigkeit nachzuweisen. Zu diesem Behufe hat er 22 Gesetz-
gebungen herangezogen. Auf eine allgemeine orientierende Einleitung
folgt die eigentliche Behandlung seines Vorwurfs. Es werden vier
Hauptgruppen nichtphysischer Personen unterschieden: die Zwangs-
gemeinwirtschaften (Staat und öffentliche Körper), Associative Privat-
wirtschaften (Erwerbsgesellschaften), Freie Gemeinschaften (Genossen-
schaften) und Karitative Wirtschaftsbetriebe. Das Charakteristische der
Arbeit darf ich wohl in zwei Punkten erblicken. Einerseits ist der ganze
Stoff systematisch und prinzipiell durchgearbeitet, der Verfasser verliert
sich nicht in Einzelheiten, sondern schält mit viel Geschick die typischen
Erscheinungen und Entwickelungstendenzen heraus und andererseits
Litteratur. 547
verdient die ausgiebige Auswertung und kritische Verarbeitung der ein-
schlägigen staatswissenschaftlichen, wie juristischen Litteratur unsere
volle Anerkennung. Der Verfasser kann daher wohl den Anspruch er-
heben, ein Spezialgebiet des großen Einkommensteuerproblems mit Umsicht
erschöpfend behandelt zu haben und mit seiner Schrift die Fachlitteratur
mit einer sehr erwünschten Gabe bereichert. Aber es ist auch ein feueriges
Roß, das der Verfasser tummelt, auch zum Durchgehen geneigt. Er ist
daher auch vor Entgleisungen nicht bewahrt geblieben. Dies muß ich
schon geltend machen bei seiner Begriffsbestimmung der Einkommen-
steuer, die er, wenn ich ihn recht verstanden habe, als eine Ueber-
schußbesteuerung des „freien“, d. h. den notwendigen Konsumtionsbedarf
übersteigenden, wirtschaftlichen Gesamterfolgs. Diese Ansicht wider-
streitet allen recipierten theoretischen Anforderungen, wie den That-
sachen und Erfahrungen der Praxis. Und ebenso möchte ich mich
seinen Schlußbemerkungen gegenüber äußerst skeptisch verhalten: die
Aussicht, eine reichsgesetzliche Regelung und einheitliche, das
ganze Deutsche Reich umspannende Ordnung der Besteuerung nicht-
physischer Personen des Privatrechts herzustellen erscheint mir keine gün-
stige zu sein. Allerdings verkennt der Verfasser selbst die „Schwierig-
keiten“ keineswegs, die seinem Vorschlage im Wege stehen. Auch
andere Stellen hätten vielleicht vorsichtiger gefaßt werden können.
Diese Ausstellungen vermögen aber in keiner Weise das Verdienst zu
verkümmern, das sich Feitelberg durch seine tüchtige Leistung um die
Entwickelung der Einkommensteuertheorie erworben hat.
Die Finanzgeschichte der süddeutschen Territorien ist bis jetzt
noch immer wenig erforscht. Es ist daher erfreulich, daß wir über den
Staatshaushalt Bayerns im 18. Jahrhundert eine ausführliche Monographie
erhalten haben. Hans Schmelzle, dessen Schrift aus einer von der
staatswirtschaftlichen Fakultät der Universität München gestellten Preis-
aufgabe hervorgegangen ist, versucht uns ein abgerundetes Bild über
das bayerische Finanzwesen des 18. Jahrhunderts zu geben. Er be-
schränkt sich dabei aber nicht nur auf die Thatsachen und Zustände
der Finanzwirtschaft und des Steuerwesens, sondern er greift über diesen
engen Rahmen hinaus und sucht die Struktur des bayerischen Staats-
haushalts aus den allgemeinen volks- und staatswirtschaftlichen Zu-
ständen jener Epoche zu erklären und durch sie aufzuhellen. Auf diese
Weise erweitert sich seine Darstellung zu einem Stück bayerischer
Wirtschaftsgeschichte überhaupt. Die Arbeit stützt sich teils auf ältere
und neuere gedruckte Litteratur, teils ist sie unmittelbar aus archiva-
lischen Quellen geschöpft. Der Stoff ist in zwölf Abschnitten behandelt,
von welchen die ersten acht allgemein wirtschaftsgeschichtlichen Gegen-
ständen gewidmet sind. Sie schildern uns Größe und Umfang des
bayerischen Territoriums im 18. Jahrhundert, die Größe und den sozialen
Aufbau der Bevölkerung, die Zustände in Landwirtschaft, Gewerbe und
Handel und endlich die politischen Verhältnisse jener Zeit. Die folgen-
den vier Abschnitte beschäftigen sich mit dem Staatshaushalt selbst,
mit der formalen Ordnung des Staatshaushalts (Behördenorganisation,
Kassa-, Rechnungs- und Kontrollwesen, landschaftliche Verwaltung),
35*
548 Litteratur.
mit dem Ausgabeetat, den Einkünften und den außerordentlichen Deckungs-
mitteln. Es ist aber nicht einzusehen, warum hier der Verfasser nach
dieser Einteilung das Schuldenwesen unter dem Ausgabeetat behandelt,
wo es doch nur teilweise hingehört. Meines Erachtens wäre es besser
im letzten Abschnitt untergebracht, zumal seine Darlegungen in Ab-
schnitt XII nicht nur die Staatsschulden als Aufwandskategorie be-
trachten, sondern eine hübsche und übersichtliche Darstellung des
Schuldenwesens überhaupt geben. Eine Mehrzahl von Anlagen erläutern
und ergänzen die Ausführungen des Textes. Es wäre wünschenswert,
auch für andere deutsche Territorien solche zusammenhängende Dar-
stellungen des Finanzhaushalts für einen längeren, abgeschlossenen Zeit-
raum zu erhalten. Hoffentlich reizt Schmelze’s ansprechende Arbeit
auch andere zur Nachahmung an.
Zwei hochwillkommene litterarische Gaben sind zwei Einzelschriften,
die uns die Steuerverhältnisse Bulgariens und die direkte Besteuerung
Rumäniens näher bringen. George D. Creanga betitelt seine Schritt:
Die direkte Besteuerung in Preußen und Rumänien und versucht eine
vergleichende Darstellung zu geben. Sie zerfällt daher in 3 Teile, von
denen der erste eine Uebersicht über die Entwickelung der Einkommen-
besteuerung in Preußen giebt und dann den bestehenden Rechtsstand
näher auslegt. Der 2. Teil schildert zunächst die rumänischen Steuer-
verhältnisse, er giebt über das rumänische Steuerwesen bis 1869 Aufschluß,
beschreibt dann die direkte Besteuerung seit 1860 und geht endlich in
eine ausführliche Kritik der Steuern im einzelnen ein. Ein 3. Teil beschäf-
tigt sich mit der Anwendung der gewonnenen Resultate, auf eine Ver-
gleichung folgt ein Reformvorschlag, dem ein vollständig ausgearbeiteter,
mit eingehenden Erläuterungen versehener Gesetzentwurf beigegeben
ist. Den Weg zur Reform erblickt der Verf. in der Einführung einer
Klassen- und klassifizierten Einkommensteuer nach dem Vorbild der
preußischen Gesetzgebung von 1851/1873. Er ist dabei der Ansicht,
daß für die heutige Entwickelung in Rumänien zwar die Grundsätze der
preußischen Gesetzgebung von 1891 nicht passend seien, daß dagegen mit
der Rezeption des älteren Rechtsstandes ein wesentlicher Fortschritt erzielt
werden würde. Dagegen sollen die bestehenden Ertragssteueru in ihren
Sätzen ermäßigt, die Kopfsteuer von der Klassensteuer resorbiert und
vor allem die Einkommen aus Zinsen und Kapitalrenten schärfer be-
lastet werden. Für den deutschen Leser sind weniger die Reform-
fragen und die Darstellung der preußischen Besteuerung von Interesse
als die Thatsachen der positiven Gesetzgebung in Rumänien, die uns
bisher in dieser Vollständigkeit nicht zugänglich waren. Nachdem ich
wohl annehmen darf, daß der Verf. mit der deutschen Ausgabe eine
rumänische veranstalten wird, so erscheint die für uns an sich über-
flüssige ausführliche Darstellung der Einkommensteuer in Preußen ganz
am Platze und gerechtfertigt.
Iwan Drenkoff schildert uns die Steuerverhältnisse seiner Hei-
mat Bulgarien. Seine Problemstellung ist insofern eine weitere, indem
er uns die Kenntnis des gesamten, bulgarischen Steuerwesens vermittelt,
sich nicht auf die direkte Besteuerung beschränkt. Er hat seinen Stoff
Litteratur. 549
unmittelbar aus den Quellen geschöpft, da er brauchbare Vorarbeiten
nicht benutzen konnte. Seine Studien beginnt er mit der Entwickelung
des bulgarischen Steuerwesens, er zeigt uns in einem abgeschlossenen
Bilde die Steuerverfassung unter der türkischen Herrschaft vor der Be-
freiung Bulgariens, er wirft einen Blick auf die Zustände der „Ueber-
gangsperiode“, die vom russisch-türkischen Feldzug bis zu Annahme der
bulgarischen Verfassung vom 6. April 1879 währt, und teilt uns dann
die verfassungsmäßigen Vorschriften über die Besteuerung mit. Der
nächste Abschnitt beschäftigt sich mit Steuerverwaltung, mit den Grund-
sätzen und Normen der Steuerveranlagung und Steuererhebung, die uns
mancherlei interessante Einzelheiten liefern. Nun beginnt der Verf. mit
der Beschreibung und Analyse des bulgarischen Steuersystems, das er
nach wissenschaftlichen Grundsätzen in drei Gruppen gliedert. Zuerst
schildert Drenkoff die direkten Steuern, die mehr oder weniger rohen,
mitunter den Vermögenssteuern sich nähernden Ertragssteuern und die
verschiedenen Personalsteuern, dann die indirekten Steuern, Zölle und
Aufwandsteuern und endlich die Stempelsteuern. Ein Schlufkapitel be-
trachtet dann endlich die Stellung der Steuern im Budget. Von 1887
—1899 haben die Steuereinnahmen 81-—89 Proz. der Staatseinnahmen
gedeckt, woran die direkten Steuern mit 49—73 Proz. und die Aufwand-
steuern mit 51—27 Proz. beteiligt waren. Eine Mehrzahl von statisti-
schen Tabellen, die im Texte weiter erläutert sind, bilden eine ganz
wünschenswerte Beigabe. e
Eine Uebersetzung eines böhmischen Werkes ins Deutsche ist ein
höchst seltener Gast in unserer staatswissenschaftlichen Litteratur.
Aber diesmal ist doch einer bei uns erschienen. Vor uns liegt der 1.
Teil der Finanzwissenschaft von Josef Kaizl in deutscher Ueber-
tragung von Alois Körner. Das böhmische Original ist 1892 in 2. Auf-
lage erschienen. Der Uebersetzer hat aber noch weiter das Bedürfnis
gefühlt, sein böhmisches Adoptivkind dem deutschen Leserpublikum
angelegentlich empfehlen, indem er eine äußerst warm gehaltene Be-
sprechung des Buches durch Meisel im Finanzarchiv (Bd. I. S. 462—
465) vordruckt. Es ist in der That ein nicht gewöhnliches Vorgehen,
daß der Autor eine solche Befürwortung seines Werkes zuläßt. Nach
unseren reichsdeutschen Begriffen ist eine solche Empfehlung durch
eine Art Prospekt nur Sache des Verlegers. Der nunmehr vorliegende
1. Teil behandelt die Probleme der öffentlichen Wirtschaft und der
Finanzwissenschaft, sowie Arten und Entwickelung der Finanzen. Der
zweite noch zu erwartende Band soll die Lehren von den Erwerbs-
einkünften, Gebühren und Steuern darstellen. Die uns vorliegende erste
Hälfte ist in 2 Bücher eingeteilt, von denen das erste das Wesen der
öffentlichen Wirtschaft und der Finanzwirtschaft erörtert, während das
zweite die Arten und Entwickelung der Finanzen, d. h. der Geldein-
nahmen der öffentlichen Körper behandelt. Die Stellung des Verte zu
den Fragen, die er in Angriff nimmt, wird vor allem durch seine Vor-
stellung von den Aufgaben der Finanzwissenschaft gekennzeichnet.
Kaizl betont die Allgemeinheit jeder Wissenschaft nnd damit auch der
Finanzwissenschaft und sieht ihren Wirkungskreis in der generalisieren-
550 Litteratur.
den Betrachtung allgemeiner, finanzwirtschaftlicher Erscheinungen in
Gegenwart und Vergangenheit und in ihrer wissenschaftlichen Erklärung.
Sie beschäftigt sich nicht mit der Finanzgeschichte oder der gegen-
wärtigen finanziellen Einrichtung eines bestimmten Staates. Die konkreten
Erscheinungen bilden für die Finanzwissenschaft ein Hilfsmittel und ein
Material von Thatsachen, aus denen sie allgemeine Begriffe und Schlüsse
durch Abstraktion ableitet. Deshalb wird auch die Finanzwissenschaft
systematisch als besonderer Zweig der soziologischen Wissenschaften
neben der Volkswirtschaftspolitik und den Wissenschaften vom Staate
in Anspruch genommen. Die Aufstellung von Zielen und die Festhal-
tung von Regeln für die angemessenste Einrichtung des Finanzwesens
wird aus dem Thätigkeitsfelde der Finanzwissenschaft als eine ungesunde
Vermischung von Theorie und Praxis ausgeschieden. Das Streben des
Verf’s ist die Darbietung einer theoretischen Finanzwissenschaft auf
positiver Basis. Der Inhalt derselben wird daher ausschließlich von den
Geldeinnahmen der Zwangsgemeinschaften!), von den „Finanzen“ ge-
bildet. An diese allgemeinen, auf die Ziele der Finanzwissenschaft ge-
richteten Auseinandersetzungen Kaizl’s reihen sich Betrachtungen über
das Vermögen der Zwangsgemeinwirtschaften und generelle Betrachtungen
über die Wurzeln der öffentlichen Einnahmen. Ein letztes Kapitel des
1. Buches ist dann einer Mehrzahl von Erörterungen über das Budget-
wesen gewidmet,
Das 2. Buch über die Arten und die Entwickelung der Finanzen
wird durch einen Abschnitt über die Arten der Finanzeinnahmen ein-
geleitet. Sie werden geschieden in zwei große Gruppen, in einkommen-
artige Einkünfte und solche, die diesen Charakter nicht haben. Hier
haben wir an alle Eingänge zu denken, die ohne Verringerung der
Vermögenssubstanz nicht verwendet werden können, wie Veräußerungen
des Kapitalvermögens, Ab- und Rückzahlungen, öffentliche Schulden
u. s. w. Da das ökonomische Wesen dieser Einkünfte das gleiche ist,
wie bei den Privatwirtschaften, so scheiden sie aus dem Gesichtsfeld
der Finanzwissenschaft aus. Die einkommenartigen Einkünfte sind teils
Produktions-, teils Steuer-, teils abgeleitete Einkünfte. Die Produktions-
einkünfte sind dreierlei Art: einmal Betriebe auf dem gemeinen Rechts-
boden mit dem Streben nach dem höchsten Gewinne und auf der Grund-
lage des Erwerbsstandpunktes, sodann Betriebe auf dem gemeinen
Rechtsboden, die bei der Produktion die Erwerbsrücksichten mehr
oder weniger den höheren Verwaltungsrücksichten unterordnen und
endlich Monopole mit wirtschaftlichen Gewinnabsichten. Eine vierte
Art, die Finanzmonopole, die nur Formen der Besteuerung sind, werden
den Steuereinnahmen zugerechnet. Die Steuereinnahmen selbst zer-
fallen in Gebühren und eigentliche Steuern. Unter den abgeleiteten
Einkünften versteht Kaizl schließlich, die nicht in das Vermögen der
Zwangsgemeinwirtschaften fließen, da sie zur Deckung des Aufwandes
1) Die Uebersetzung und Ersetzung des bisher in der wissenschaftlichen Termino-
logie gebräuchlichen „Zwangsgemeinwirtschaften oder „öffentliche Körper“ durch Ge-
meinden kann ich nieht als glüeklieh halten. Der Uebersetzer bietet dem deutschen
Leser leicht Anlaß zu Mißverständnissen.
Litteratur. 551
erforderlich sind. Sie werden nicht zur Deckung des Verwaltungs-
aufwandes erhoben, sondern entstehen aus einer anderen Ursache. Als
solche werden erwähnt z. B. Geldstrafen, Kaduzitäten, Kriegskosten-
entschädigungen u. s. w. Nachdem uns der Verfasser mit großer Aus-
führlichkeit mit seinem Ideengange bekannt gemacht hat, zeichnet er
in einem litterarhistorisch-kritischen Kapitel eine Reihe von Autoren
und bespricht deren Klassifikation der Finanzeinnahmen, wobei er
namentlich auch die slavische Litteratur weitgehend berücksichtigt.
Den Schluß des ganzen Bändchens bildet eine historische Entwickelung
der Finanzen in den europäischen Kulturländern in großen, summarischen
Zügen. Die letzten 40 SS. sind der Entwickelung der böhmischen
Lokalfinanzen gewidmet. Für den deutschen Leser bieten sie nur ein
geringfügiges Interesse und würde man das Fehlen dieser Ausführungen
kaum bedauern können.
Ueber den Standpunkt und die Ziele des Verfassers wird man
sehr verschiedener Meinung sein können. Ich halte die Idee einer .
„reinen“ Finanzwissenschaft nicht für besonders glücklich und aussichts-
reich. Die Einengung des Forschungs- und Arbeitsgebietes der Finanz-
wissenschaft erscheint mir nicht als entscheidender Fortschritt. Aber
es ist jedenfalls ein interessanter Versuch, unter diesem Gesichtswinkel
die finanzwirtschaftlichen Probleme beleuchtet zu sehen, und man wird
dem Verfasser auch da die Anerkennung nicht versagen können, wo
man ihm auf den steilen und steinigen Pfaden der reinen Theorie
nicht zu folgen vermag. Es soll dabei aber keineswegs in Abrede
gestellt werden, daß auch heute noch — trotz Adolf Wagner’s um-
fassender Darstellung der Thatsachen des Finanzwesens — die Frage
nach der Stellung des gesetzgeberischen und statistischen Materials
ein noch wenig behandeltes und ungelöstes Problem ist. Körner’s
Uebertragung der Kaizl’schen Gedanken ist als durchaus gelungen zu
bezeichen und ein erfreulicher Beweis für seine Uebersetzungsgabe,
soweit natürlich ein der Sprache des Originals Unkundiger darüber
urteilen kann. Dagegen macht sich ein anderer Mißstand störend
geltend. Die Kürner'sche Uebersetzung giebt die Gedanken der 2.
Auflage des im Jahre 1892 erschienenen böhmischen Buches wieder, so
daß zwischen dem Erscheinen beider ein 8-jähriger Zwischenraum
liegt. Die ganze Litteratur-Bewegung von 1892—1900 ist daher un-
berücksichtigt geblieben. Und Kaizl selbst ist der Vorwurf nicht zu
ersparen, daß er seine Citate häufig auf ältere Auflagen stützt. So ist
z. B. Wagner’s Grundlegung nach der Ausgabe von 1876, seine Finanz-
wissenschaft nach derjenigen v. J. 1877, Stein wird nach der 3. Auflage
v. 1876 und auch Leroy-Beaulieu wird nach älteren Ausgaben citiert.
Dies sind litterarische Fehler, die das Buch als Hilfsmittel zum Studium
sehr erschweren. Trotz seiner systematischen Anlage ist Kaizl’s Finanz-
wissenschaft eine Einzeluntersuchung aber kein Lehr- und Handbuch
unseres Fachs.
Der als Publizist auch in Deutschland durch eine Anzahl von
Schriften bekannte Jean de Bloch versucht es in dem vorliegenden
Buche, eine Darstellung der russischen Finanzen im 19. Jahrhundert
552 Litteratur.
zu entrollen. Er will ihr Bild sowohl historisch als auch statistisch
zeichnen. Bis jetzt liegt der 1. Band vor, der uns die Zustände von
862—1853 schildert. Ein einleitendes Kapital behandelt das ältere
Finanzwesen bis auf die Zeiten Peter I. des Großen (862—1696). Die
beiden folgenden Abschnitte charakterisieren die Finanzreformen Peter I.
des Großen (1696—1725) und die Finanzverwaltung seiner Nachfolger
(1725—1762). Dann folgt die Beschreibung der Finanzen unter
Katharina II, Alexander I. und Nikolaus I, so daß mit dem Jahre
1853 der 1. Band seinen Abschluß findet. Für die Finanzgeschichte
Rußlands ist vorliegende Publikation von großer Bedeutung und nament-
lich eine willkommene Bereicherung unserer Litteratur, nachdem die
russischen Quellen für dieses Gebiet doch nur schwer zugänglich sind.
Der 2. Band wird uns dann den interessanteren Abschnitt der neueren
Entwickelung bringen.
Freiberger’s Handbuch der österreichischen direkten Steuern
in systematischer Darstellung liegt in 2. Auflage vorundRaffalovich’s
Marché financier en 1899—1900 erscheint im 10. Jahrgange. Freiberger’s
Handbuch hat insbesondere durch die Reform der Personaleinkommen-
steuer einer Neubearbeitung bedurft. Es hat die alten Vorzüge auch
im neuen Gewande bewahrt und wird sich wiederum als zuverlässiger
Ratgeber in allen Materien der direkten Besteuerung in Oesterreich
bewähren. Sehr wünschenswert ist auch der 1. Teil, der die allgemeinen
Gesichtspunkte in übersichtlicher, systematischer Form zusammenfaßt.
Die Bezugnahme und Vergleichung der ausländischen Gesetzgebung,
der Nachweis der Verschiedenheiten und der Gleichartigkeit der ein-
zelnen Steuersysteme verdient dankbare Anerkennung. Ebenso er-
freulich ist die Fortsetzung der Buchausgabe von Raffalovich Marché
financier, der die volkswirtschaftliche Chronik des Journal des Econo-
mistes uns konzentriert als brauchbares Nachschlagebuch wiedergiebt.
Die Anordnung ist nach Ländern getroffen und ein Schlußabschnitt
erörtert die Bewegung der Edelmetalle und die Münzfragen. Dem Inhalte
nach sind nicht nur finanzwissenschaftliche, sondern verschiedene all-
gemeine, volkswirtschaftliche Fragen erörtert. Auch auf die „Anlagen“
sei an dieser Stelle verwiesen.
Endlich erwähnen wir das Erscheinen des 138. Jahrgangs des
Gothaischen Hofkalenders, der für finanzstatistische Aufklärung zu einem
der wichtigsten Hilfsmittel geworden ist. Seine Vorzüge sind zu be-
kannt, als daß sie noch der besonderen Hervorhebung bedürften.
Münster i. W., 1. März 1901.
Litteratur. 553
Nachdruck verboten.
vV.
Zum mittelalterlichen Zollwesen.
Von Karl Heldmann, Hale.
Köberlin, Alfred, Der Obermain als Handelsstraße im späteren
Mittelalter. Mit Vorwort von G. Schanz. Erlangen und Leipzig,
A. Deichert (G. Böhme). 1899. VIII, 70 SS. 8°. (Auch unter dem Titel:
Wirtschafts- und Verwaltungsstudien mit besonderer Berücksichtigung
Bayerns. Hrg. von G. Schanz. Heft 4.)
Dem Interesse weitester Kreise in Bayern an der Kanalisation des
Maines und dessen seit mehr als einem Jahrtausend bereits geplanter
Schiffahrtsverbindung mit der Donau sind vor Jahren die Studien von
G. Schanz über die bayerischen Wasserstraßen, besonders Bd. 3, (Die
Mainschiffahrt im XIX. Jahrhundert und ihre künftige Entwickelung.
1894) wissenschaftlich entgegengekommen. Als Ergänzung dazu ist die
vorliegende Arbeit zu betrachten. Sie fällt zugleich in die Richtung
jener dem Verf., wie es scheint, leider unbekannt gebliebenen wirt-
schaftsgeschichtlichen Abhandlungen über den Schiffsverkehr und die
Zollverhältnisse auf den großen deutschen Strömen überhaupt, die seit
einer Reihe von Jahren längst fühlbar gewordene Lücken unseres
Wissens auszufüllen bestimmt sind.
Die Mainstrecke, die Köberlin behandelt, reicht von etwa Markt
Zeuln an, wo der Main durch Aufnahme der Rodach schiffbar wird,
bis Würzburg. Als Handelsstraße steht sie in engstem Zusammenhang
mit dem Aufkommen des Bistums und der Stadt Bamberg im 11. bezw.
12. Jahrhundert, und die Arbeit kehrt daher mit Recht im letzten
Kapitel wieder zu dieser oberfränkischen Metropole als dem Ausgangs-
und Endpunkt des Obermainverkehrs auch noch um die Wende des 15.
und 16. Jahrhunderts zurück. Wie zwischen diesen beiden Zeitgrenzen
in der Vermehrung der Produkte und der Steigerung des sowohl lokalen
wie in den ferneren Westen gerichteten Obermainverkehrs und der Ex-
portzölle sich die Fortschritte der Kultur im Bambergischen und speciell
die Entwickelung der Stadt Bamberg spiegeln, macht einen nicht ge-
ringen Teil des Reizes unseres Schriftchens aus.
Sein eigentlicher Inhalt gehört der Geschichte der Volkswirtschaft
im Obermaingebiet an. Dessen Produktion ist zunächst landwirtschaft-
licher Art: Getreide, Flachs, Malz und Hopfen, später Wein, sodann
554 Litteratur.
Wachs, Fette, Unschlitt, Schmalz, später Wolle. Im Vordergrunde aber
steht die Wald- und Holzwirtschaft. Schon im 2. Viertel des 14. Jahr-
hunderts stoßen wir auf Export von Lohe, Kohlen und Pech, von Schiffen
und Kufen, aus den Wäldern unseres Gebietes. Aber erst seit Beginn
des 15. Jahrhunderts tritt die Ausfuhr von Holz und Holzwaren aus dem
Frankenwald bedeutsamer hervor und „Bamberger Holz“ bildet seit Mitte
des Jahrhunderts den Haupthandelsartikel den Fluß abwärts, aber nicht
über Mainz hinaus, obwohl damals noch am Untermain und Rhein reiche
Waldbestände vorhanden waren. Der Mittelpunkt des Bambergischen
Holzhandels war Hallstadt (S. 44), der eigentliche Markt für denselben
das Mainthal mit seinen Uferlandschaften. Im Zusammenhang mit dem
Holzhandel und der Flößerei, die noch am Anfang des 16. Jahrhunderts
keine kaufmännischen Formen der Vergesellschaftung zeigte, stehen die
ersten erkennbaren Anfänge einer geordneten Forstwirtschaft schon
um 1430.
Weiter bietet K. reichhaltiges Material für die Geschichte der
Güterbewegung und Preisbildung, der Spedition, der Frachtkosten und
des Zwischenhandels, besonders aber für die Geschichte des Fluß-
zollwesens. Zu bedauern ist es, daß der Verf. sich der Tabellen-
form hierbei weder in genügendem Umfang noch mit genügendem Ge-
schick bedient. Wahre Muster von Unübersichtlichkeit sind z. B. die
Tabellen auf S. 31, 39 ff, 48 f. Die Zolltarife (S. 7 ff, 26) hätten
durchaus in Tabellenform wiedergegeben werden müssen. Auch sind
die Berechnungen nicht ganz zuverlässig; z. B. muß die Statistik der
Ausfuhrwerte von 1483/84 (S. 42) lauten:
Balken (statt 5508) 5610 g Silber
Blöcher AT A mn
Pfatten 1462 au
Dielen 4268, à
Stubdielen (statt 117) IT, af
Weinbergspfühle A Tr A A wë
Tröge (statt 384) 380% 5
Brennholz (statt 3 388) 406 ;;.. 4
(statt 33760) 30878 g Silber).
Ein deutliches Bild von dem Import-, Durchgangs- und Export-
verkehr auf dem Main giebt schon der Bamberger Zolltarif von 1330
(bezw. 1348). Verzollt wird nach Maßen (Fässer, Güsse, Scheffel, Säcke)
und Gewicht (Centnern), Lohe und Kohle nach Schiffsladungen. Auch
1406/08 werden Rohstoffe, Halbfabrikate und Fabrikate, nach (zwischen
dem Bischof von Würzburg, dem Abt zu Theres und dem Grafen von
Henneberg) verabredeten festen Tarifen, “deren Beobachtung freilich
unsicher blieb’ (S. 7), ganz roh nach dem nämlichen Gewichtssatze
(Centnern) der gleichen Zollgebühr unterworfen, sonst nach Malen
(Faß, Tonne), Schiffs- und Wagenlasten. Dagegen wird die Belastung
bei Holzflößen nirgends besonders verzollt (S. 11). Die Höhe der
1) Auf die Münzreduktionen der Schrift mache ich besonders aufmerksam. Die
S. 6 N. 3 versprochenen münzgeschichtlichen und metrologischen Studien des Verf.
zur fränkischen Geschichte sind etwa gleichzeitig (Fränk, Münzverhältnisse zu Ausgang
des Mittelalters“) als Bamberger Progr. 1899 erschienen.
Litteratur. 555
Zollsätze bei den zu diesen Jahren in Frage kommenden fünf Zoll-
stätten (Eltmann, Hallburg, Haßfurt, Mainberg, Theres) ist im einzelnen
durchaus verschieden. Im allgemeinen wird man sagen können, daß
Zollstätten, die sich in erster Hand (der Landesherren) befinden, wie
die drei letztgenannten, mäßige und normale Zollsätze haben, ver-
pfändete dagegen, wie die beiden ersteren, übermäßige Abgaben er-
heben 1). Die stärkere Betonung der fiskalischen Interessen in der
zweiten Hälfte des 14. und im Anfang des 15. Jahrhunderts läßt neue
Wasserzölle erstehen, als bedeutendsten im Bamberger Frankenwald
den von Kronach. Die Kronacher Kastenamts- und Zollrechnungen von
1485—1508 mit den Forstknechtsrechnungen von 1490—1505, und die
Rechnungen des Lichtenfelser Forstmeisters von 1480—1519, die im
2. Teile ausführlich‘ zu Worte kommen, gewähren reiche Aufschlüsse
über die Flußzölle?2) um die Wende des 15. zum 16. Jahrhundert.
Während dieser Zeit ist nur der Handel mit rohem und ge-
schnittenem Bauholz (Balken, Pfatten, Einzelstämme, Blöcher) und mit
Weinbergspfählen zollbelastet, dagegen werden, wie schon am Anfang
des 15. Jahrhunderts (S. 7) die Erzeugnisse der Holzindustrie des
Frankenwaldes zollfrei ausgeführt (S. 22). Die verhältnismäßig starke
Belastung des schweren Bauholzes mit Zöllen erklärt K. (S. 27) aus
den natürlichen Rücksichten auf den Eigenbedarf und die Schonung
der besseren Waldbestände. Eine solche schutzzöllnerische Wirtschafts-
politik lag ja auch den Reichszöllen des Mittelalters überhaupt nicht
fern (cf. A. Niggl, Der Zoll im altdeutschen Rechte und nach mo-
dernem Reichsrecht, Diss. Erlangen 1897, S. 32). Erst seit 1496 lassen
sich Zölle auf andere Floßlasten als Holz (Metalle, Steine, Waldneben-
produkte des Frankenwaldes, landwirtschaftliche Erzeugnisse und Bier)
nachweisen. Verzollt aber wird weder nach Qualität noch nach Ge-
wicht, sondern nach „Böden“, d. h. nach der Quantität, die von einer
Floßabteilung von 6—12 Stämmen getragen werden konnte (S. 26, 31).
Der Zoll betrug jetzt für Holz in Kronach 16 Pfg. (seit 1488 nach
dem Härtegrade, also dem Werte des Holzes differenziert, 12, 14 oder
18 Pfg.), in Lichtenfels 2, später 4 Pfg, für andere Produkte regel-
mäßig 12 Die, und der gleiche Satz gilt auch für die Verzollung von
Speditionsgütern (z. B. Heringstonnen). Niggl (a. a. 0.8.30) hat gemeint,
die ältere Zolltarifierung sei nur auf den Wert des Gesamtwarentrans-
portes begründet gewesen und der mittelalterliche Zoll also als Wertzoll
aufzufassen. Das ist doch wohl nicht ganz richtig. In merowingischer
Zeit wird der Zoll berechnet einmal nach Wagen- und Schiffsladungen,
sodann nach dem Wert der Ware (Dahn, Zum merowingischen Finanz-
wesen, Germanist. Abhandlungen für K. v. Maurer, S. 369 u. 371),
nur im letzteren Falle also handelt es sich um einen Wertzoll, im
ersteren dagegen um einen echten Warenzoll nach der Zahl der Karren
und Schiffe. Und entsprechend diesem carrale und navigale will auch
schon der Cod. Theodos. VIII 5,21 von Straßenzöllen das rotaticum
1) Die vom Verf. S. 17 N. 1 im Staatsarchiv zu Marburg vermuteten Höchster
Zollrechnungen finden sich dort nicht.
2) S. 60 „so mag es an Zollkuriosas so wenig .. . gefehlt haben‘, ist sehr
häßlich.
556 Litteratur.
wegen der ‘rotarum tritura et ministeria erhoben wissen ‘pro rotis
et angariis, nach der Zahl der Räder und Gespanne (E. Mayer, Zoll,
Kaufmannschaft und Markt zwischen Rhein und Loire, dieselben Ab-
handlungen S. 380). Karl d Gr. gewährte 775 den Eigenleuten der
Straßburger Kirche (Keutgen, Urkk. No. 68) Zollfreiheit „de rebus,
quas navigio aut terreno, id est cum carris et saumariis ... negotiandi
gratia duxerint“. Das Raffelstetter Zollweistum von 903/6 (Keutgen
No. 70) tarifiert ebenfalls nach Schiffen und Karren: Schiffe, die vom
Westen kommen, geben je 1 semidragmam — 1 scoti, wenn sie zwecks
Handels anlanden, 3 semimodios = 3 scafilos de sale dagegen, wenn sie
weiterfahren wollen ($ 1); von der „navis legittima, id est quam
3 homines navigant (ich verweise hier auf Köberlin, S.7, z. J. 1406/8:
einfaches Floß, von einem Knecht geführt und das "gehertte stock, daz
czwen knechte fären"), exsolvant de sale scafil 3“ ($ 7, cf. § 8); „carre
autem salinarie, que per stratam legittimam Anesim fluvium transeunt,
ad Urulam tantum 1 scafil plenum exsolvant“ ($ 5). Als Tarifierungs-
basis auch für den Koblenzer Tarif von 1104 (Keutgen No. 80) ist
wieder sehr primitiv das Transportmittel, Schiff und Saumtier, zu
Grunde gelegt; nur Kupfer wird nach Centnern, also nach dem ge-
nauen Werte, verzollt (cf. Sommerlad, Die Rheinzölle im Mittelalter,
Halle a. S. 1894, S. 35): an den Zollstätten des Obermaines ` 1406/7
dagegen Eisen ebenfalls nach Schiffs- und Wagenladungen (Köberlin
S. 12). In dem Koblenzer Rheinzolltarif von 1209 (Beyer, MR. UB.
II No. 242) wird unterschieden zwischen Floß, Vollschiff und Nachen:
ähnlich entrichtet nach dem Eltmanner Tarif von 1406/7 ein kleines
Floß 371/,, ein großes 75 Pfg., ein Schiff mit Holz oder Weinberg-
pfählen 1 Goldfl. (Köberlin, S. 10 f.) Ferner darf ich hinweisen
auf eine ähnlich differenzierende Bestimmung aus dem Osten Deutsch-
lands und einer genau zwischen dem Koblenzer und dem Eltmanner
Tarif liegenden Zeit. Im Jahre 1317 hob Herzog Boleslav von Brieg und
Liegnitz den Zoll auf Holz und andere Waren bei Köln (ö. Brieg) auf
und bestimmte, daß derselbe fortan bei der Brieger Brücke entrichtet
werden solle. Die Brieger Bürger als Käufer oder Verkäufer von Holz,
Salz, Wachs, Ziegeln, Kalk und anderen Waren sind zollfrei; die Fremden
dagegen „ligna aut alia mercimonia prenarrata ibidem circa pontem
ementes solvant teloneum constitutum videlicet de magna navi 2 scotos,
de parva navi !/, scotum, de congerie lignorum edificalium 2 scotos,
de congerie lignorum combustibilium 1 scotum“ (Wutke, Die schlesische
Oderschiffahrt in vorpreußischer Zeit, Breslau 1897 — Cod. dipl. Silesiae,
Bd. 17, S. 7): also wie 1209 in Koblenz Vollschiff, Nachen und Floß,
letzteres in zwei nach der Qualität des Holzes (wie 1488 in Kronach)
differenzierten Arten (vergl. auch Wutke, S. 9, 1375: „De navi dan-
tur 2 scoti . . . de quolibet maldrato annone dantur 4 den. et specia-
liter de navi recipitur theolonium, sed de aliis mereimoniis ad placitum
recipitur“).
In der Koblenzer Dreiteilung der Transportmittel von 1209 hat
Lamprecht (Deutsches Wirtschaftsleben II, S. 297) eine Verfeinerung
der Transportmittelveranlagung erblickt. Dagegen will Sommerlad
Litteratur. 557
(a. a. O. S. 36) darin „nur eine ganz äußerliche höchst willkürliche Um-
änderung“ sehen, und vollends die Meinung von Braunholtz (Das
deutsche Reichszollwesen, Diss. Berlin, 1890, S. 35), daß die Höhe des Fluß-
zolles abhängig gewesen sei von der Größe der Fahrzeuge, erklärt er für
„naiv“. Ohne auf die meines Erachtens von S. zutreffend beantwortete
Frage nach dem früher behaupteten rechtlichen Zusammenhang zwischen
dem fränkisch - deutschen und dem römischen Zollwesen einzugehen,
glaube ich doch als wahrscheinlich annehmen zu dürfen, daß nicht
eine willkürlich gebrochene, sondern die gerade Linie der primi-
tiven Tarifierungstechnik überhaupt von der Zollveranlagungsweise des
Cod. Theodos. nach dem Grade der Abnutzung der Straßen durch größere
oder kleinere Wagen hinüberführt zu den Flußzolltarifen des Mittelalters
mit ebenfalls der Basierung auf die Größe und Tragkraft (Köberlin,
S. 53, Note) der Transportmittel; mit anderen Worten: auf die Ver-
schiedenheit der Ansprüche der einzelnen Schiffstypen an die Wasser-
stralen mit ihren Bauten und Schutzvorrichtungen im Interesse der
Schiffahrt (cf. neuerdings B. Weißenborn, Die Elbzölle und EIb-
stapelplätze im Mittelalter, Diss. Halle 1900, S. 14, N. 2). Köberlin
hat sich davon ottenbar keine klare Vorstellung gemacht; aber Braun-
holtz scheint mir in der That hier auf dem richtigen Wege zu sein.
Neben diesem Transitzoll mit reinem, eine bloße Gegenleistung für
die Instandhaltung und Abnutzung der Verkehrswege und den Ver-
kehrsschutz darstellenden Gebührencharakter (cf. Soemmerlad, S. 8,
10; Köberlin, S. 12) waren allerdings, wie wir sahen, sehr früh
auch schon wirkliche Wertzölle vorhanden, deren Objekte sich stetig
erweiterten. So weit wird man Niggl recht geben.
Wenn mich nicht alles täuscht, haben wir in den komplizierten
und differenzierten Tarifierungsweisen des späteren Mittelalters mit
ihrem nicht mehr rein grundherrlichen, sondern zunehmend fiskalischen
Charakter das Ergebnis der unter dem Einfluß fortgeschrittener Wirt-
schaftszustände vollzogenen Kombination jener beiden Zollarten zu sehen,
von denen gelegentlich bald die eine, bald die andere wieder einmal
stärker hervortritt.
558 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Ammon, Otto, Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen
Grundlagen. Entwurf einer Sozial-Anthropologie zum Gebrauch für alle
Gebildeten, die sich mit sozialen Fragen befassen. Dritte umgearbeitete
Auflage. Jena, Gustav Fischer, 1900. 803 S.
Die zweite Auflage des Buches von Ammon ist in diesen Jahr-
büchern III. F. Band. 10 S. 103 ff. sehr eingehend besprochen worden.
Die vorliegende dritte Auflage unterscheidet sich nicht wesentlich von
der zweiten: es sind einige Absätze gestrichen bezw. zusammengezogen,
vor allem die neueren statistischen Ergebnisse verwertet, so die säch-
sische Einkommenstatistik bis zum Jahre 1898. Es kann daher eine
Besprechung der neuen Auflage auf das früher Gesagte Bezug nehmen
und sich auf einige ergänzende Bemerkungen beschränken.
Der erste Teil des Buches giebt eine naturwissenschaftliche Theorie
der Gesellschaftsordnung, beginnt mit einer Darlegung der Entwick-
lungslehre Darwins und der Behauptung, daß diese auch für das
menschliche Gesellschaftsleben Geltung besitze. Diese Meinung setzt
voraus, daß die gesellschaftlichen Phänomene als Naturdinge zu fassen
sind, ihre Entwicklung als eine gesetzliche im Sinne der Naturwissen-
schaft sich darstellt. Auf diese Grundfrage geht Ammon nicht ein.
Ihre Beantwortung erfordert des weiteren eine maßgebliche Feststellung
des Begriffs der Gesellschaft, eine Untersuchung, ob das gesellschaft-
liche Zusammenleben dem bloß physischen Beisammensein als besonderer
Gegenstand gegenüber zu stellen ist, und welches Merkmal gegebenen
Falls das soziale Leben als eigenartiges Objekt unserer Erkenntnis zu
begründen vermag. Eine grundlegende Behandlung dieser Frage ver-
mutt man bei Ammon. Er nimmt ohne weiteres nicht eine prin-
zipielle, sondern nur graduelle Verschiedenheit zwischen dem Gesell-
schaftsleben der Menschen und dem Genossenschaftsleben bei Tieren
an, glaubt durch ein Zurückgehen auf die ersten Anfänge eines Zu-
sammenschlusses von Individuen die besonderen Bedingungen des Ge-
sellschaftslebens darlegen zu können. Dies ist unrichtig. Einmal setzt
die Frage nach der Entstehung des Gesellschaftslebens schon voraus,
daß man weiß, was überhaupt Gesellschaftsleben ist, denn sonst kann
man jene Anfänge eines Zusammenschlusses nicht als Beginn gesell-
schaftlichen Lebens fassen. Des weiteren kann das Zusammenleben der
Menschen zum Tierleben nicht in Parallele gesetzt werden, sofern die
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 559
normierten Beziehungen der Menschen untereinander in Rücksicht ge-
zogen werden; Ammon betrachtet jedoch die Regelung des mensch-
lichen Zusammenlebens, welche den richtigen Mann an den richtigen
Platz stellen soll. Diese Regelung rührt vom Menschen her, sie tritt
von außen als selbständiger Bestimmungsgrund an den ihr Unterstellten
heran, ist von den dem Einzelindividuum als solchen zugehörigen Trieb-
federn unabhängig, da sie nur äußere Legalität fordert, ohne Rücksicht
auf die Motive des einzelnen sie zu befolgen. Dies tritt uns im Tier-
leben nicht entgegen, wir finden hier allein bestimmend die natürlichen
Triebe, wissen nichts von selbständig neben den Naturtrieben stehenden,
von den Individuen selbst gesetzten äußeren Regeln. Durch diese
Regeln wird das soziale Leben als besonderer Gegenstand unserer Er-
fahrung konstituiert. Es kann daher nur unter Voraussetzung einer in-
haltlich feststehenden sozialen Ordnung von gesellschaftlicher Ent-
wickelung, der Notwendigkeit des Auftretens sozialer Phänomene geredet,
nicht von Gesellschaft schlechthin, sondern immer nur von einer be-
stimmten Gesellschaft gehandelt werden. Endlich verbreiten die Viel-
gestaltigkeit der sozialen Erscheinungen und die Thatsache, daß hin-
sichtlich dieser ganz andere Faktoren von maßgebender Bedeutung sind
als in der Natur, die prinzipielle Gleichstellung beider Gebiete unserer
Erfahrung.
Was die Beweisführung Ammons betrifft, so seien hier nur
zwei Bedenken hervorgehoben, einmal gegen die statistische Grundlage,
die er selbst giebt, und dann gegen die Herübernahme der Ergebnisse
aus dem Buch von Hansen, „Die drei Bevölkerungsstufen.“
Ammon stützt seine Theorie hinsichtlich der Verteilung der
Begabung auf Deduktionen aus der Kombinationslehre und auf das
Zahlenmaterial, das Galton in seinem Buch, „Hereditary Genius“ an-
führt, das die Verteilung einer Million Menschen auf 16 Begabungs-
klassen veranschaulicht. Diese Zahlen vermöger der Antorderung
objektiver Massenbeobachtung nicht zu genügen. Sie sind weder das
Ergebnis wirklicher Beobachtung, noch würde, wenn sie es wären, aus
der Verteilung der Begabung in einer Million von Angehörigen eines
bestimmten Volkes ein Schluß auf die Verteilung der Begabung über-
haupt statthaft sein. Dieser letzte Einwand ist in gleicher Weise
dagegen zu erheben, dal Ammon seine Meinung hinsichtlich der
Verteitung des Einkommens allein auf die sächsische Einkommenstatistik
stützt. Und die Vergleichung dieser Zahlen mit denjenigen, welche
Galton für die Verteilung der Begabung angiebt, ist vollends wissen-
schaftlich nicht zu rechtfertigen.
Ammonn nimmt weiterhin die Ergebnisse des Buches von Hansen
herüber. Nach seiner Meinung genügen die von diesem gebrachten
Beweise in der Hauptsache, um den Bevölkerungsstrom, die durch den
Kampf ums Dasein hervorgerufenen Binnenwanderungen zum Zweck
der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage, zu erklären. Dies ist jedoch
nicht der Fall Hansen geht davon aus, daß alle Städte einen ver-
hältnismäßig geringen Geburtenüberschuß, teilweise sogar ein Defizit
aufweisen. Dies trifft jetzt durchaus nicht zu. So betrug z. B. der
556 Litteratur.
wegen der ‘rotarum tritura et ministeria erhoben wissen ‘pro rotis
et angariis, nach der Zahl der Räder und Gespanne (E. Mayer, Zoll,
Kaufmannschaft und Markt zwischen Rhein und Loire, dieselben Ab-
handlungen S. 380). Karl d. Gr. gewährte 775 den Eigenleuten der
Straßburger Kirche (Keutgen, Urkk. No. 68) Zollfreiheit „de rebus,
quas navigio aut terreno, id est cum carris et saumariis ... negotiandi
gratia duxerint“. Das Raffelstetter Zollweistum von 903/6 (Keutgen
No. 70) tarifiert ebenfalls nach Schiffen und Karren: Schiffe, die vom
Westen kommen, geben je 1 semidragmam — 1 scoti, wenn sie zwecks
Handels anlanden, 3 semimodios = 3 scafilos de sale dagegen, wenn sie
weiterfahren wollen ($ 1); von der „navis legittima, id est quam
3 homines navigant (ich verweise hier auf Köberlin, S. 7, z. J. 1406/8:
einfaches Floß, von einem Knecht geführt und das "gehertte stuck, daz
czwen knechte füren’), exsolvant de sale scafil 3“ ($ 7, cf. § 8); „carre
autem salinarie, que per stratam legittimam Anesim fluvium transeunt,
ad Urulam tantum 1 scafil plenum exsolvant“ ($ 5). Als Tarifierungs-
basis auch für den Koblenzer Tarif von 1104 (Keutgen No. 80) ist
wieder sehr primitiv das Transportmittel, Schiff und Saumtier, zu
Grunde gelegt; nur Kupfer wird nach Centnern, also nach dem ge-
nauen Werte, verzollt (cf. Sommerlad, Die Rheinzölle im Mittelalter,
Halle a. S. 1894, S. 35): an den Zollstätten des Obermaines ` 1406/7
dagegen Eisen ebenfalls nach Schiffs- und Wagenladungen (Köberlin
S. 12). In dem Koblenzer Rheinzolltarif von 1209 (Beyer, MR. UB.
II No. 242) wird unterschieden zwischen Floß, Vollschiff und Nachen:
ähnlich entrichtet nach dem Eltmanner Tarif von 1406/7 ein kleines
Floß 371/,, ein großes 75 Pfg., ein Schiff mit Holz oder Weinberg-
pfählen 1 Goldfl. (Köberlin, S. 10 f). Ferner darf ich hinweisen
auf eine ähnlich differenzierende Bestimmung aus dem Osten Deutsch-
lands und einer genau zwischen dem Koblenzer und dem Eltmanner
Tarif liegenden Zeit. Im Jahre 1317 hob Herzog Boleslav von Brieg und
Liegnitz den Zoll auf Holz und andere Waren bei Köln (ö. Brieg) auf
und bestimmte, daß derselbe tortan bei der Brieger Brücke entrichtet
werden solle. Die Brieger Bürger als Käufer oder Verkäufer von Holz,
Salz, Wachs, Ziegeln, Kalk und anderen Waren sind zollfrei; die Fremden
dagegen „ligna aut alia mercimonia prenarrata ibidem circa pontem
ementes solvant teloneum constitutum videlicet de magna navi 2 scotos,
de parva navi !/, scotum, de congerie lignorum edificalium 2 scotos,
de congerie lignorum combustibilium 1 scotum“ (Wutke, Die schlesische
Oderschiffabrt in vorpreußischer Zeit, Breslau 1897 — Cod. dipl. Silesiae,
Bd. 17, S. 7): also wie 1209 in Koblenz Vollschiff, Nachen und Floß,
letzteres in zwei nach der Qualität des Holzes (wie 1488 in Kronach)
differenzierten Arten (vergl. auch Wutke, S. 9, 1375: „De navi dan-
tur 2 scoti .. . de quolibet maldrato annone dantur 4 den. et specia-
liter de navi recipitur theolonium, sed de aliis mercimoniis ad placitum
recipitur“).
In der Koblenzer Dreiteilung der Transportmittel von 1209 hat
Lamprecht (Deutsches Wirtschaftsleben IT, S. 297) eine Verfeinerung
der Transportmittelveranlagung erblickt. Dagegen will Sommerlad
Litteratur. 557
(a. a. O. S. 36) darin „nur eine ganz äußerliche höchst willkürliche Um-
änderung“ sehen, und vollends die Meinung von Braunholtz (Das
deutsche Reichszollwesen, Diss. Berlin, 1890, S. 35), daß die Höhe des Fluß-
zolles abhängig gewesen sei von der Größe der Fahrzeuge, erklärt er für
„naiv“. Ohne auf die meines Erachtens von S. zutreffend beantwortete
Frage nach dem früher behaupteten rechtlichen Zusammenhang zwischen
dem fränkisch - deutschen und dem römischen Zollwesen einzugehen,
glaube ich doch als wahrscheinlich annehmen zu dürfen, daß nicht
eine willkürlich gebrochene, sondern die gerade Linie der primi-
tiven Tarifierungstechnik überhaupt von der Zollveranlagungsweise des
Cod. Theodos. nach dem Grade der Abnutzung der Straßen durch größere
oder kleinere Wagen hinüberführt zu den Flußzolltarifen des Mittelalters
mit ebenfalls der Basierung auf die Größe und Tragkraft (Köberlin,
S. 53, Note) der Transportmittel; mit anderen Worten: auf die Ver-
schiedenheit der Ansprüche der einzelnen Schiffstypen an die Wasser-
straßen mit ihren Bauten und Schutzvorrichtungen im Interesse der
Schiffahrt (cf. neuerdings B. Weißenborn, Die Elbzölle und Elb-
stapelplätze im Mittelalter, Diss. Halle 1900, S. 14, N. 2). Köberlin
hat sich davon offenbar keine klare Vorstellung gemacht; aber Braun-
holtz scheint mir in der That hier auf dem richtigen Wege zu sein.
Neben diesem Transitzoll mit reinem, eine bloße Gegenleistung für
die Instandhaltung und Abnutzung der Verkehrswege und den Ver-
kehrsschutz darstellenden Gebührencharakter (cf. Sommerlad, S. 8,
10; Köberlin, S. 12) waren allerdings, wie wir sahen, sehr früh
auch schon wirkliche Wertzölle vorhanden, deren Objekte sich stetig
erweiterten. So weit wird man Niggl recht geben.
Wenn mich nicht alles täuscht, haben wir in den komplizierten
und differenzierten Tarifierungsweisen des späteren Mittelalters mit
ihrem nicht mehr rein grundherrlichen, sondern zunehmend fiskalischen
Charakter das Ergebnis der unter dem Einfluß fortgeschrittener Wirt-
schaftszustände vollzogenen Kombination jener beiden Zollarten zu sehen,
von denen gelegentlich bald die eine, bald die andere wieder einmal
stärker hervortritt.
558 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Ammon, Otto, Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen
Grundlagen. Entwurf einer Sozial-Anthropologie zum Gebrauch für alle
Gebildeten, die sich mit sozialen Fragen befassen. Dritte umgearbeitete
Auflage. Jena, Gustav Fischer, 1900. 803 S.
Die zweite Auflage des Buches von Ammon ist in diesen Jahr-
büchern III. F. Band. 10 S. 103 ff. sehr eingehend besprochen worden.
Die vorliegende dritte Auflage unterscheidet sich nicht wesentlich von
der zweiten: es sind einige Absätze gestrichen bezw. zusammengezogen,
vor allem die neueren statistischen Ergebnisse verwertet, so die säch-
sische Einkommenstatistik bis zum Jahre 1898. Es kann daher eine
Besprechung der neuen Auflage auf das früher Gesagte Bezug nehmen
und sich auf einige ergänzende Bemerkungen beschränken.
Der erste Teil des Buches giebt eine naturwissenschaftliche Theorie
der Gesellschaftsordnung, beginnt mit einer Darlegung der Entwick-
lungslehre Darwins und der Behauptung, daß diese auch für das
menschliche Gesellschaftsleben Geltung besitze. Diese Meinung setzt
voraus, daß die gesellschaftlichen Phänomene als Naturdinge zu fassen
sind, ihre Entwicklung als eine gesetzliche im Sinne der Naturwissen-
schaft sich darstellt. Auf diese Grundfrage geht Ammon nicht ein.
Ihre Beantwortung erfordert des weiteren eine maßgebliche Feststellung
des Begriffs der Gesellschaft, eine Untersuchung, ‘ob das gesellschaft-
liche Zusammenleben dem bloß physischen Beisammensein als besonderer
Gegenstand gegenüber zu stellen ist, und welches Merkmal gegebenen
Falls das soziale Leben als eigenartiges Objekt unserer Erkenntnis zu
begründen vermag. Eine grundlegende Behandlung dieser Frage ver-
mißt man bei Ammon. Er nimmt ohne weiteres nicht eine prin-
zipielle, sondern nur graduelle Verschiedenheit zwischen dem Gesell-
schaftsleben der Menschen und dem Genossenschaftsleben bei Tieren
an, glaubt durch ein Zurückgehen auf die ersten Anfänge eines Zu-
sammenschlusses von Individuen die besonderen Bedingungen des Ge-
sellschaftslebens darlegen zu können. Dies ist unrichtig. Einmal setzt
die Frage nach der Entstehung des Gesellschaftslebens schon voraus,
daß man weiß, was überhaupt Gesellschaftsleben ist, denn sonst kann
man jene Anfänge eines Zusammenschlusses nicht als Beginn gesell-
schaftlichen Lebens fassen. Des weiteren kann das Zusammenleben der
Menschen zum Tierleben nicht in Parallele gesetzt werden, sofern die
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 559
normierten Beziehungen der Menschen untereinander in Rücksicht ge-
zogen werden; Ammon betrachtet jedoch die Regelung des mensch-
lichen Zusammenlebens, welche den richtigen Mann an den richtigen
Platz stellen soll. Diese Regelung rührt vom Menschen her, sie tritt
von außen als selbständiger Bestimmungsgrund an den ihr Unterstellten
heran, ist von den dem Einzelindividuum als solchen zugehörigen Trieb-
federn unabhängig, da sie nur äußere Legalität fordert, ohne Rücksicht
auf die Motive des einzelnen sie zu befolgen. Dies tritt uns im Tier-
leben nicht entgegen, wir finden hier allein bestimmend die natürlichen
Triebe, wissen nichts von selbständig neben den Naturtrieben stehenden,
von den Individuen selbst gesetzten äußeren Regeln. Durch diese
Regeln wird das soziale Leben als besonderer Gegenstand unserer Er-
fahrung konstituiert. Es kann daher nur unter Voraussetzung einer in-
haltlich feststehenden sozialen Ordnung von gesellschaftlicher Ent-
wickelung, der Notwendigkeit des Auftretens sozialer Phänomene geredet,
nicht von Gesellschaft schlechthin, sondern immer nur von einer be-
stimmten Gesellschaft gehandelt werden. Endlich verbreiten die Viel-
gestaltigkeit der sozialen Erscheinungen und die Thatsache, daß hin-
sichtlich dieser ganz andere Faktoren von maßgebender Bedeutung sind
als in der Natur, die prinzipielle Gleichstellung beider Gebiete unserer
Erfahrung.
Was die Beweisführung Ammons betrifft, so seien hier nur
zwei Bedenken hervorgehoben, einmal gegen die statistische Grundlage,
die er selbst giebt, und dann gegen die Herübernahme der Ergebnisse
aus dem Buch von Hansen, „Die drei Bevölkerungsstufen.“
Ammon stützt seine Theorie hinsichtlich der Verteilung der
Begabung auf Deduktionen aus der Kombinationslehre und auf das
Zahlenmaterial, das Galton in seinem Buch, „Hereditary Genius“ an-
führt, das die Verteilung einer Million Menschen auf 16 Begabungs-
klassen veranschaulicht. Diese Zahlen vermöger der Anforderung
objektiver Massenbeobachtung nicht zu genügen. Sie sind weder das
Ergebnis wirklicher Beobachtung, noch würde, wenn sie es wären, aus
der Verteilung der Begabung in einer Million von Angehörigen eines
bestimmten Volkes ein Schluß auf die Verteilung der Begabung über-
haupt statthaft sein. Dieser letzte Einwand ist in gleicher Weise
dagegen zu erheben, daß Ammon seine Meinung hinsichtlich der
Verteitung des Einkommens allein auf die sächsische Einkommenstatistik
stützt. Und die Vergleichung dieser Zahlen mit denjenigen, welche
Galton für die Verteilung der Begabung angiebt, ist vollends wissen-
schaftlich nicht zu rechtfertigen.
Ammonn nimmt weiterhin die Ergebnisse des Buches von Hansen
herüber. Nach seiner Meinung genügen die von diesem gebrachten
Beweise in der Hauptsache, um den Bevölkerungsstrom, die durch den
Kampf ums Dasein hervorgerufenen Binnenwanderungen zum Zweck
der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage, zu erklären. Dies ist jedoch
nicht der Fall. Hansen geht davon aus, daß alle Städte einen ver-
hältnismäßig geringen Geburtenüberschuß, teilweise sogar ein Defizit
aufweisen. Dies trifft jetzt durchaus nicht zu. So betrug z. B. der
560 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Geburtenüberschuß in den preußischen Städten in den Jahren 1886— 1890
31 Proz. in den Jahren 1896—1898 35 Proz. des gesamten Geburten-
überschusses, während die Stadtbevölkerung in dieser Zeit 37 Proz.
bezw. 41 Proz. der Gesamtbevölkerung ausmachte. Hansen stützt
dann seinen Versuch, die Ursachen für das Blühen und Altern der
Völker nachzuweisen, auf die Bevölkerungsverhältnisse eines einzelnen
Mittelstaates, teilweise nur auf das Material aus einzelnen Städten,
auf Zahlen, denen die Ergebnisse der Wanderungsstatistik anderer
Städte widersprechen. Die Schlüsse, die er aus diesen Zahlen zieht,
sind nicht zwingend. Wichtige Punkte seiner Theorie beweist er gar
nicht. So beruht die Ansicht, daß die Landbevölkerung ?/, des Zu-
zugs in die Städte ausmacht, während !/ der Zuwanderer aus anderen
Städten kommen, auf bloßer Schätzung. Und diese erscheint unrichtig,
wenn man z. B. bedenkt, daß unter den Personen, die in den Jahren
1886—1890 nach Berlin zogen, jährlich allein 8—9 Proz. geborene
Berliner sich befanden, und daß, wie Wirminghaus in diesen Jahr-
büchern III. F. Band 9 S. 169 ausführt, in Frankfurt am Main im
Jahre 1891 allein 40 Proz. der Zugewanderten aus den 19 Städten
der näheren Umgebung und den 25 deutschen Großstädten kamen.
Gegenüber diesen wichtigen Punkten können Bedenken im ein-
zelnen außer Betracht bleiben.
Der zweite Teil des Buches bietet Nutzanwendungen der natur-
wissenschaftlichen Gesellschaftstheorie, giebt allgemeine Gesichtspunkte
zur Beurteilung sozialer Fragen macht Reformvorschläge und zieht
unter anderem Wahlrecht, Verfassung, Heer, Beamtentum, Großbetrieb
und Handwerk, Großgrundbesitz und Bauernwirtschaft, Sozialismus und
Sozialdemokratie in den Kreis seiner Erwägungen hinein. Eine Würdigung
der Einzelheiten würde zu weit führen; nur ein grundsätzliches Be-
denken sei hervorgehoben: Die Meinung Ammon’s, daß die gesellschaft-
liche Entwickelung von festen Naturgesetzen beherrscht werde, besagt,
daß alle sozialen Erscheinungen als mit Naturnotwendigkeit eintretend
gedacht werden. In diesem Fall ist aber für menschliche Zwecksetzung
und zielbewußte Thätigkeit, wie Ammon im zweiten Teil sie fordert,
kein Raum, denn das, was als Zweck gesetzt, als zu bewirkend vor-
gestellt wird, wird als ohne hin, von selbst eintretend gerade nicht
gedacht.
Es erbringt Ammon den Nachweis, daß die soziale Entwicklung
in einem natürlichen Prozeß gemäß der Entwicklungslehre Darwins sich
vollziehe, nicht, weil er von unbewiesenen Voraussetzungen ausgeht und
sich auf unzureichendes statistisches Material stützt. Er bietet jedoch
einen der besten Versuche, die gesellschaftliche Entwicklung natur-
gesetzlich zu begreifen und so der Sozialwissenschaft eine feste Grund-
lage zu geben. Und wenngleich dieser Versuch in seiner Berechtigung
nicht dargethan ist, so bietet er doch so viel Anregung, im einzelnen
richtige und neue Gesichtspunkte für die Auffassung und Würdigung
der sozialen Bestrebungen unserer Zeit, daß dieses Buch jedem, der
sich mit den Fragen des Gesellschaftslebens, besonders mit dessen
Grundlagen befaßt, empfohlen werden kann, und weitere Verbreitung
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 561
verdient. Verfasser und Verleger haben in dieser Beziehung durch
Herabsetzung des Preises das Ihrige gethan.
Halle a. S. A. Hesse.
Baron Mourre, Charles, D'ou vient la Décadence économique
de la France. Paris (Librairie Plon) 1900. 8°. 460 pp.
Die französische Litteratur der letzten 2 Jahrzente weist zahllose
Werke auf, die sich mit diesem Problem beschäftigen. Es genügt in
dieser Hinsicht auf die Werke von Georges Blondel, Cheysson, Frary,
Leroy-Beaulieu, Poinsard, Schwob etc. etc. zu verweisen. Einige darunter
halten für die Hauptursache der wirtschaftlichen Dekadenz den lang-
samen Bevölkerungszuwachs Frankreichs, während andere auch den
langsamen Bevölkerungszuwachs nur als eine der Begleiterscheinungen
der wirtschaftlichen Dekadenz ansehen.
Je nach der politischen Parteistellung, dem religiösen Standpunkt,
den persönlichen Sympathien und Antipathien werden dabei als Haupt-
ursache der Bevölkerungsstagnation und der wirtschaftlichen Dekadenz
das Umsichgreifen des Atheismus und Sozialismus oder die mit dem
Erbrecht in Verbindung stehende eigentümliche Verteilung des Grund-
besitzes oder die schwache Auswanderung, die wahnsinnig hohen Schutz-
zölle u. s. w. in den Vordergrund geschoben.
Das Werk Charles Mourre’s fördert keine neuen Gesichtspunkte
auf diesem Gebiete, sondern beschränkt sich darauf, in behaglicher
Breitspurigkeit eines Dilettanten die keineswegs neue Behauptung breit-
zutreten, daß die Hauptursache der Dekadenz die Geringschätzung der
französischen Bourgeoisie für den industriellen, kommerziellen und
landwirtschaftlichen Erwerb bietet, als deren weitere Folge dann der
übertriebene Funktionarismus erscheint.
Um diese These zu stützen, erzählt er uns von der Invasion der
Germanen und ihren Lebensgewohnheiten, von der Anarchie unter den
Merovingern, von den Sitten des französischen Feudal- und Hofadels,
von dem vergiftenden Einfluß der Ideen der politischen Gleichheit, von
dem Einfluß des Klimas, von der Intervention des Staates u. s. w.,
wobei überall durch oberflächliche Vergleiche und voreilige Schluß-
folgerungen auf die Notwendigkeit des Zurückgehens auf die Geschichte
Frankreichs im Alterum und Mittelalter hingewiesen wird.
Dabei wird natürlich die Thatsache zu wenig berücksichtigt, daß
die Momente, welche das Aufblühen eines Staates im Mittelalter ver-
ursachen konnten, in der Neuzeit ohne Einfluß bleiben können,
während im Gegenteil heutzutage Momente auftreten, die im Mittel-
alter entweder ganz unbekannt waren oder kaum in Betracht kamen.
Dementsprechend werden auch die Hauptmomente, welche die wirt-
schaftliche Dekadenz Frankreichs in der Neuzeit verursacht haben,
nämlich die relativ außerordentlich schwache Entwickelung der Groß-
industrie, kaum erwähnt oder nur ungenügend hervorgehoben, obwohl
gerade diese Momente, die ihrerseits auf die Armut Frankreichs an
Kohle und Eisen und auf die verkehrte Wirtschaftspolitik Frankreichs
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 36
562 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
in den letzten Jahrzehnten zurückzuführen sind, auf diesem Gebiete die
wichtigste Rolle spielen.
Zum Beweise dafür, wie oberflächlich und widerspruchsvoll die
Vergleiche und Ausführungen Mourre’s sind — gegen eine gründliche
historische Untersuchung kann man natürlich nichts einwenden — werden
folgende Beispiele ausreichen. Auf: S. 221 bespricht der Verf. die
Gefahren einer geringen Natalität bei den „Intelektuellen“. „Die in-
telektuellen Klassen“, führt er aus, „deren Teil ohnedies durch den Staats-
dienst und die liberalen Professionen absorbiert wird, werden dann nicht
in der Lage sein, in genügender Anzahl Direktoren für industrielle und
kommerzielle Unternehmungen zu liefern; die Produktion wird eine Ab-
nahme erleiden, und viele Proletarier werden ohne Arbeit bleiben. Das
trifft gegenwärtig für Italien zu.“
Die Beweise dafür, daß in Italien wirklich eine mehr oder weniger
lang andauernde Abnahme der Produktion stattfand u. dgl. m., werden
natürlich nicht erbracht.
Noch seltsamer sind die Ausführungen Mourre’s auf S. 415. „Quelque
féconds, au point de vue économique, qu’aient été les résultats de la
découverte du Nouveau-Monde et de la Réforme, le veritable essor
économique de l’Angleterre nedate toutefois que du XIXe siècle, alors
quon se mit à employer dans les usines la vapeur comme moteur, et
le charbou comme combustible.“ Angesichts dessen frägt es sich, ob es
denn wirklich notwendig war, der Wiedergabe der Familienstreitigkeiten
des Feudaladels, der Geschichte der Reformation, der Lebensgewohn-
heiten der Germanen u. dgl. m. 300—400 Seiten zu widmen, um dann
die wirtschaftliche Entwickelung der letzten Jahrzehnte mit ein Paar
Dutzend Seiten abzuthun ?!
Ueber den wissenschaftlichen Wert der Untersuchungen Mourre’s
geben übrigens einen ausreichenden Ausweis schon folgende Aus-
führungen: „Les plus grands savants“, schreibt er auf S. 417, „n’ont-ils
pas été presque tous Francais?“ Dieser Frage folgt dann die Beweis-
führung.
Zürich, J. Goldstein.
Hainisch, Michael, Dr, Der Kampf ums Dasein und die
Sozialpolitik. Leipzig und Wien (F. Deuticke) 1899.
Mit Recht stellt Hainisch in seiner Broschüre an die Vertreter
der naturwissenschaftlichen Richtung in der Sozialpolitik die Anforde-
rung, daß sie, bevor sie uns Ratschläge erteilen, sich die wesentlichsten
Voraussetzungen unserer Wissenschaft klar machen sollen. In scharf-
sinniger Weise erörtert Verf. eine Reihe von wichtigen Unterschieden
zwischen sozialer und naturwissenschaftlicher Betrachtungsweise. Zwei
Momente sind es nach Hainisch’s Ansicht namentlich, die dem mensch-
lichen Ausleseprozeß einen völlig verschiedenen Charakter von dem Aus-
leseprozeß in der Tier- und Pflanzenwelt verleihen ; einmal die gesellige Natur
des Menschen und dann seine die Tierwelt turmhoch überragende Be-
gabung; neben dem Kampfe der Individuen herrsche beim Menschen-
geschlecht der kollektive Kampf, und damit finde jener seine Schranken
dort, wo im Interesse der höheren Einheit Zusammenwirken nötig ist.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 563
Der Verf. hätte noch schärfer betonen müssen, daß das Objekt der
Sozialwissenschaft von dem der Naturwissenschaft völlig verschieden
ist; während für letztere auch die einzelnen Individuen Gegenstand
der Forschung sind, sind diese für die nationalökonomische Betrachtung
gänzlich irrelevant. Erst die durch Recht und Sitte zusammengefügte
Personenmehrheit bildet den Gegenstand sozialwissenschaftlicher Be-
trachtung; diese wird auch nicht nach Gesetzen, die angeblich von Natur
den Menschen gegeben sind, forschen, sondern nach den Erscheinungen,
die sich in den durch menschliche Gesetze geschaffenen Organisationen
zeigen. Im Sinne dieser schärferen Formulierung hätte Verf. auch
nicht die weitgehende Konzession an die von ihm bekämpfte Rich-
tung machen dürfen, daß „eine Analogie zwischen der Gesellschaft und
einem tierischen oder menschlichen Organismus nur besteht, wo die
erstere durch Zwangsgesetze zusammengehalten wird. Nur im Staate
oder in anderen Zwangsgemeinschaften ist der Zusammenhang der ein-
zelnen Teile ein so fester wie im animalischen Körper, nur im Staate
und in ähnlichen Zwangsgemeinschaften sind Organe vorhanden, die
dem Centralnervensystem entsprechen, welches für alle Teile des Orga-
nismus empfindet und denkt“ (S. 51). Uns scheint, daß gerade umge-
kehrt die Errichtung des Staates und staatlicher Funktionen aufs deut-
lichste den Unterschied kennzeichnet, der zwischen natürlichen und
sozialen Erscheinungen besteht.
Königsberg i/Pr. K. Diehl,
d’Avis, E. (Wirkl. GehORegR. a. D.), Die natürliche Volkswirtschaftsordnung
und die staatliche Wirtschaftspolitik. Nach dem Leben dargestellt. Berlin, Puttkammer &
Mühlbrecht, 1901. gr. 8. 106 SS. M. 1,80.
Friedlaender, B., Die vier Hauptrichtungen der modernen sozialen Bewegung:
Marxistische Sozialdemokratie; Anarchismus ; Eugen Dührings sozialitäres System; Henry
Georges Neophysiokratie. I. Teil: Marxismus und Anarchismus. Berlin, Calvary AC,
1901. gr. 8 XX—220 SS. M. 3.—.
Pesch, H. (S. J.), Liberalismus, Sozialismus und christliche Gesellschaftsordnung.
2 Teile. 2. Aufl. Freiburg i. B., Herder, 1901. 8. XII—772 u. VII—601 SS. M. 14.—.
(Zum größeren Teile bereits veröffentlicht in den „Stimmen aus Maria-Laach.)
Staatslexikon. Unter Mitwirkung von Fachmännern herausgegeben im Auf-
trage der Görresgesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland
von Jul. Bachem (Rechtsanw., Köln). I. Band: Aargau bis Deutsches Reich. VII
1439 SS. M. 13,50.
Vorländer, K., Kant und der Sozialismus unter besonderer Berücksichtigung
der neuesten theoretischen Bewegung innerhalb des Marxismus. Berlin, Reuther & Reichard,
1900. gr. 8 69 SS. M. 1,20.
Wollt, K., Sozialer Geist. Sein Wesen und seine Entfaltung. Mannheim, E.
Aletter, 1901. gr. 8. 151 SS. M. 2,40.
L'année scientifique et industrielle (fondée par L. Figuier). XLIVième année
(1900) par E. Gautier. Paris, Hachette & OC, 1901. 8. XII—410 pag. avec 64 figures.
fr. 3,50.
Bonnaud, F., Cabet et son oeuvre. Appel À tous les socialistes. Paris, Société
libre d’edition des gens de lettres, 1901. 8. IV—202 pag. fr. 3.—.
Congrès général (eme) des organisations socialistes françaises, tenu A Paris du
28 au 30 septembre 1900. Compte rendu sténographique officiel. Paris, G. Bellais,
1901. 8. IX—386 pag. fr. 3.—.
Conseil supérieur du travail. Lime session, juin 1900. Paris, imprim. nationale,
1900. in-4. 525 pag.
36%
564 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
Croce, Benedetto, Mat£rialisme historique et &conomie marxiste. Essais eriti-
ques, traduit par Alfr. Bonnet. Paris, Giard & Brière, 1901. 8. 326 pag. fr. 3,50.
De la Grasserie, Raoul, Des principes sociologiques de la criminologie. Avec
une préface par C. Lombroso. Paris, Giard & Brière, 1901. gr. in-8. VII—442 pag,
toile. fr. 10.—. (Table des matières: Des définitions et des grandes divisions de la
criminologie. — De l'analyse d’une obligation pénale. — Des anormaux. — Le criminel
dans le crime. — De la victime. — Des délits publies et des délits privés. — Du rôle
de la société dans la criminalité et dans le crime. — De la cause, élément de la erimi-
nalité, du crime et de l’obligation pénale. — Des objets du crime. — Des modes
d'exécution du crime. — De la transmission et de la communication actives et passives
de la criminalité et du crime. — De la répercussion du crime, de la criminalité et de
la peine. — De l’élément du nombre dans le crime ou de la pluralité des crimes ou
de l’un de leurs éléments. — De la fixation des incriminations. — De la mesure dans
le crime ou de ses degrés d’accomplissement. — De l'élément du poids dans le crime
et la criminalité. — De la fonction sociale du crime, de la criminalité et de la peine
et de leur utilisation.) [Bibliothèque sociologique internationale, publiée sous la direction
de René Worms, vol. XXIIL.]
Historique du monument de François Quesnay. Livre d’or (1900). Versailles,
impr. Aubert, 1900. 8. 118 pag. et grav.
Picot, G., Léon Say. Notice historique, lue en séance publique (de l’Académie
des sciences morales et polit.) le 1 XII 1900. Paris, Hachette & C, 1901. 12. 125 pag.
fr. 0,60.
Skarzinski, L., Le progrès social à la fin du XIX” siècle. Préface de M. Léon
Bourgeois. Paris, F. Alcan, 1901. 8. 496 pag.
Rae, J., Contemporary socialism. New edition. London, Sonnenschein, 1901,
March, 8. 568 pp. 5/.—.
Byaraxkos», C., Kansranısup u semaenbaie Tome I u U. C.-Ierepéyprs,
B. A. TuxauoBa, 1900! gr. in-8. (Bulgakoff, Kapitalismus und Landwirtschaft, 2 Bde.
St. Petersburg.) IV—338 pp. u. IV—458 pp.
Drago, L. V., Il socialismo: conferenza popolare. Roma, tip. Sallustiana, 1900.
8. 41 pp.
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Darmstaedter, P., Das Großherzogtum Frankfurt. Ein Kulturbild aus der
Rheinbundszeit. Frankfurt a. M., J. Baer & C°, 1901. gr. 8. VI—414 SS. mit Karte.
M. 7.—. (Aus dem Inhalt: Die Finanzen: Das ältere deutsche Finanzwesen. Finanz-
verfassung der Territorien. Die reichsstädtische Finanzverfassung in Frankfurt. Auf-
gaben der großherzoglichen Finanzverwaltung. Das Budget von 1810, ete. — Die
Gleichheit: Privilegierte und Minderberechtigte. — Die wirtschaftliche Gesetzgebung:
Die Agrarpolitik. Die Gewerbepolitik. Die Handelspolitik. Die Wirtschaftspolitik. Die
Verkehrspolitik. — Der Zusammenbruch (1813).
Delffs, O., Deutschlands Aufgaben als Groß- und Weltmacht. Dresden, E. Pierson,
1901. gr. 8. VI—54 SS. M. 1.—. (Die wirtschaftliche Tendenz dieser Schrift be-
zeichnet u. a. die Losung: „Unsere Zukunft liegt auf dem Lande, nicht auf der See!“)
Demme, L. (weiland Stadtsekr.), Nachrichten und Urkunden zur Chronik von
Hersfeld. III. Band (betrifft die Zeit von Beginn des 7jährigen Krieges bis einige Jahre
nach der westfälischen Zeit). Hersfeld, A. Webert, 1901. gr. 8. 380 SS. M. 4,50.
Leo, Heinrich, Untersuchungen zur Besiedelungs- und Wirtschaftsgeschichte des
thüringischen Osterlandes in der Zeit des früheren Mittelalters. Leipzig, B. G. Teubner,
1900. gr. 8. 93 SS. mit 1 Kartenskizze. M. 3,20. (A. u. d. T.: Leipziger Studien
aus dem Gebiete der Geschichte, Bd. VI, Heft 3.)
Sommerlad, Theo, Wirtschaftsgeschiehtliche Untersuchungen. Heft 1: Zur
Würdigung neuester rechtsgeschichtlicher Kritik. Abwehr und Antwort an Ulrich Stutz
in Freiburg i. B. Leipzig, J. J. Weber, 1900. kl. 4. 83 SS. M. 1.—.
Wittich, W. (aord. Prof. d. Staatsw. an der Kaiser Wilhelms-Univers. Straßburg),
Deutsche und französische Kultur im Elsaß. Straßburg, Schlesier & Schweikhardt,
1901. gr. 4 92 SS. mit 99 Abbildgn. im Text. M. 5.—. (Aus der „Illustrierten
Elsässischen Rundschan“,)
d’Avenel, G. (le vicomte), Etude d’histoire sociale. La noblesse française sous
Richelieu. Paris, Colin, 1901. 12. 365 pag. fr. 4.—.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 565
Benger, G. (Consul général de Roumanie), La Roumanie en 1900. Traduit de
PAllemand par J. C. Filitti. Paris, Le Soudier, 1900. Lex. in-8. VI—195 pag. Ouvrage
orné de 26 gravures dans le texte, 1 carte et 14 planches hors texte. fr. 10.—. (Table
des matières: Agriculture. — Pêche. — Mines. — Forêts. — Industrie. — Voies de
communication. — Commerce extérieur. — Commerce intérieur. — Finances. — Eta-
blissements de crédit. — La Roumanie à l'Exposition universelle de 1900. — etc.)
Ferniot, P., L'Inde. Lectures de géographie et d'histoire, Tiere partie. Paris,
édition de la „Maison d'art", 1900. 8. 619 pag. fr. 5.—. (Tables des matières (extrait):
Gouvernement du Bengale. — Etats tributaires du gouvernement du Bengale. — Gou-
vernement de l’Assam. — Gouvernement des provinces du Nord-Ouest. — Etat tributaire
des provinces du Nord-Ouest: Etat de Rampour. — Oude. — Gouvernement du Pandjab.
— Etats tributaires du Pandjab. — Gouvernement et Etats tributaires des provinces
centrales. — Présidence de Madras et Etats tributaires de la Présidence de Madras. —
Présidence de Bombay et Etats tributaires de la Présidence de Bombay. — etc.)
Hogge, J., La Serbie de nos jours. Etude politique et économique. 2 parties.
Bruxelles, Falk fils, 1901. 8. 163 et 102 pag. fr. 3,50. (Table des matières: La
situation financière des Balkans. Les finances serbes. — Les chemins de fer serbes. —
Coup d'oeil général sur la Serbie économique. — Les richesses minérales. — Le com-
merce et l’agriculture. — Le bétail, la race chevaline, la faune ete. — Les vins serbes. —
Les tabacs. — Le commerce extérieur. Les etoffes et tissus. Les nouvelles industries.)
Dellenhaugh, F. S., North Americans of yesterday. Comparative study of
North American Indian life. New York & London, Putnam, 1901. 8, 21/.—.
Parker, E. H., China, her history, diplomacy and commerce from the earliest
times to the present day. London, J. Murray, 1901. gr. in-8. XX—332 pp. with
19 maps, eloth. M. 9,60. (Contents: Early trade notions. — Trade routes. — Arrival
of Europeans. — Siberia, ete. — Modern trade. — Population. — Revenue. — The salt
gabelle. — ete.)
Loncao, Enr., Il lavoro e le classi rurali in Sicilia durante e dopo il feudalismo,
con prefazione di G. Salvioli. Palermo, A. Reber, 1900. 8. VIII—132 pp. 1. 2.—.
Erichsen, Chr., Siam, som Handelsland og det Østasiatiske Kompagni med et
tilleg om Malaria o. s. v. Kjøbenhavn, H. Hagerup, 1900. 8. 160 pp. M. 3,50.
(Indhold: Landet og Hovedstaden. — Mineralrigdom. — Agerdyrkningen. — Skovene.
— Industri. — Siams Jernbaner. — Siams udenlandske Handel. — Handelsberettelser.
— Banker ete. i Bangkok. — Meddelelse fro Grosserer-Societetens Komite. — Malaria.
— ete.)
3. Bevölkerungswesen. Auswanderung und Kolonisation.
Gernhard, R. (ehem. Redakteur der „Reform“ in Joinville (Brasilien); Dona
Francisca, Hansa und Blumenau, drei deutsche Mustersiedelungen im brasilianischen
Staate Santa Catharina. Breslau, S. Schottlaender, 1901. gr. 8. XXIV—416 SS. mit
1 Karte, 2 Stadtplanskizzen und zahlreichen Abbildgn. ete. M. 8.—. (Festschrift zur
Feier des 50jähr. Bestehens von Dona Francisca und Blumenau.)
Jahresbericht über die Entwickelung der deutschen Schutzgebiete im Jahre
1899,1900. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1901. kl. Folio. 266 SS. (Beilage zum
Deutschen Kolonialblatt, Jahrg. 1901. Inhalt: Togo; Kamerun; Ostafrika; Deutsch-
Südwestafrika; Neu-Guinea; Marshallinseln; Erteilungen von Landkonzessionen im
Jahre 1599/1900; Afrikafonds.)
Vohsen, E., Zur Deutsch-ostafrikanischen Seenbahnfrage. Berlin, D. Reimer,
1901. gr. 8 30 SS. Mit einer Karte von Afrika zur Uebersicht der Eisenbahnen,
des Freihandelsgebiets und des Erschließungsgebiets der deutschen Seenbahnen nach
der Deutsch-Ostafrika-Küste. M. 0,60.
d’Almada Negreiros, A., Colonies portugaises. Angola. Brève notice. Paris,
impr. Alcan-Lévy, 1901. 8. 48 pag.
Strauss, P., Dépopulation et puériculture. Paris, Fasquelle, 1901. 8. 308 pag.
fr. 3,50.
%. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Bericht über die I. Hauptversammlung des deutschen Forstvereins (28. Ver-
sammlung deutscher Forstmänner zu Wiesbaden vom 17. bis 22. IX. 1900). Berlin,
Jul. Springer, 1901. gr. 8. IV—243 SS. M. 3.—.
566 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Börnstein, R. (Prof.), Wetterkunde und Landwirtschaft. Festrede, geh. in der
kgl. landwirtschaftl. Hochschule zu Berlin am 17. I. 1901. Berlin, Parey, 1901. gr. 8.
18 SS.
Braungart, Rich. (k. b. Prof. der Landwirtschaft a. D.), Der Hopfen aller
hopfenbauenden Länder der Erde als Baumaterial. Nach seiner geschichtlichen, bota-
nischen, chemischen, brautechnischen, physiologisch-medizinischen und landwirtschaftlich-
technischen Beziehungen, wie nach seiner Konservierung und Packung. München, R.
Oldenbourg, 1901. Imp.-4. XVI—598 SS. mit zahlreichen in den Text gedr. Ilustra-
tionen, geb. M. 25.—.
Jahrbuch für den Oberbergamtsbezirk Dortmund. Nach den Akten des kgl.
OBergamts zu Dortmund und mit Zugrundelegung zahlreichen sonstigen authentischen Ma-
terials. Jahrg. V (1900—1901). Essen, G. D. Baedeker, 1901. gr. 8. XII — 648 SS. mit einer
farbigen Karte des Ruhrkohlenbeckens nebst Bezeichnung seiner verschiedenen Kohlen-
sorten, geb. M. 10.-—.
Jahresbericht des Vereins für die bergbaulichen Interessen im Oberbergamts-
bezirk Dortmund für das Jahr 1900. I. Allgemeiner Teil. Essen, Druck von Thaden
& Schmemann, 1901. 4. 42 SS. Mit 1 graphischen Darstellung.
Kaerger, K. (Drot, Landwirtsch. Sachverständiger bei der kais. Gesandschaft in
Buenos Aires), Landwirtschaft und Kolonisation im spanischen Amerika. 2 Bände.
Leipzig, Duncker & Humblot, 1901. gr. 8. IX—939 u. VII—743 SS. M. 42,50. (Bd.I:
Die La Plata-Staaten; Bd. IL: Die südamerikanischen Weststaaten und Mexiko.)
Neumann, C. (Generalsekr. des Verbandes der hess. landw. Genossenschaften zu
Darmstadt), Das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen in Deutschland. Stuttgart,
E. Ulmer, 1901. 12. VIII—222 SS., kart. M. 1,50.
Pfefferkorn, R. (Badischer Forstpraktikant), Geländeerwerbungen des großh.
badischen Domänenärars auf dem hohen Schwarzwalde. Veranlassung und Wirkung
unter besonderer Berücksichtigung der dortigen Waldarbeiterverhältnisse. Karlsruhe,
W. Jahraus, 1900. gr. 8. IV—147 SS. M. 2,50.
Rossmüller, G., Die Frachtkostenfrage in der Müllerei. Nebst einem Anhange:
Erzeugung und Bedarf Deutschlands an Brotgetreide und Mehl. Hannover, Gebr.
Jünecke, 1901. 8. 18 SS. mit 2 Tafeln tabellarischer Zusammenstellungen. M. 0,50.
Skarytka, W. (OLehrer, Schletz), Volksbienenzucht. Eingehende Belehrung
über ertragreiche Behandlung der Klotz-, Bretter-, Lagerbeute und des Strohkorbes nebst
Berücksichtigung des Ueberganges zum Mobilbau. Wien, A. Hartleben (o. J.) [1900].
VIII—-138 SS. M. 2,25.
Taschenberg, OÖ. und Paul Sorauer (Proff.), Schutz der Obstbäume gegen
feindliche Tiere und gegen Krankheiten. 2 Teile. Stuttgart, E. Ullmer, 1901. gr. 8.
X—341 u. XVI—235 SS. mit 155 in den Text gedr. Abbildgn. M. 9.—.
Voigt, Paul (weiland PrivDoz. an der Berliner Universität), Grundrente und
Wohnungsfrage in Berlin und seinen Vororten. Eine Untersuchung ihrer Geschichte
und ihres gegenwärtigen Standes. I. Teil. Jena, G. Fischer, 1901. gr. 8 XIV—
276 SS. mit einer Karte u. 5 Plänen im Text. M. 6.—. (Herausgeg. vom Institut für
Gemeinwohl zu Frankfurt a. M.)
Malpeaux, L., La betterave A sucre. Paris, Masson & C", 1901. 8. 206 pag.
Inman, A. H., Domesday and feudal statistics. London, Elliot Stock, 1901. 8.
10/.6. (Contents: The population of counties with illustrative statistical tables. — The
value of oxen and implements. — The question of the extent of hides. — Ownership
of land and rotations. — Taxation, fees, and assessments. — The holding of manors.
— Service and wages and the duties of labourers. — The state of agriculture at various
periods (with statisties). — The condition of agricultural lands and their values. — The
differents tenures of land. — Village communities).
Annali di agricoltura N° 225: Il consiglio dell’ agricoltura: Ordinamento del
consiglio e indice sistematico per materia dei lavori e dei principali argomenti discussi
dal 1870 al 1900. Roma, tip. naz. di Bertero, 1901. gr. 8 47 pp. (Pubblicazione
del Ministero di agricoltura, industria e commercio.)
Berti, Gius., Della vecchia e nuova coltivazione della canapa anche nei rapporti
fra il capitale e il lavoro. Bologna, N. Zanichelli, 1901. 8. 63 pp.
Nazari, V., Esercito e agricoltura. Roma, E. Voghera, 1900. 12. 92 pp. 1. 1.—.
Selopis, V. e A. Bonacossa, Monografia sulle miniere di Brosso (circondario
di Ivrea). Torino, G. B. Paravia & C., 1901. 8. 90 pp. e 8 tav. L 6.—.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 567
5. Gewerbe und Industrie.
Dr. Antipa, Gr, Industria conservelor din punctul de vedere al
aprivisionarii armatei si al exportului productelor alimentare (Die Kon-
servenindustrie unter dem Gesichtspunkte der Heeresversorgung und der
Nahrungsmittelausfuhr). Bucarest, Carol Göbels Verlag, 1898. gr. 8°.
VI—122 SS.
Die vorstehend angezeigte Schrift des namentlich durch seine
Arbeiten über das rumänische Fischereiwesen und seine Thätigkeit
als rumänischer Fischereiinspektor hochverdienten Verf. ist nach zwei
Richtungen hin lebhafter Beachtung wert: nicht nur wegen der Art,
wie der Verf. seinen Gegenstand behandelt, sondern auch weil sie uns
einen interessanten Einblick in die Bestrebungen Rumäniens, sich eine
nationale Industrie zu schaffen, gewährt. Sie ist die Frucht einer Reise,
die der Verf. im Jahre 1897 im Auftrage des rumänischen Ministeriums
des Aeußeren unternommen hat, um die verschiedenen Systeme der
Heeresversorgung mit Konserven, sowie die Erzeugungsstätten für
letztere zu studieren, da das Problem einer genügenden Versorgung der
Truppen mit im Inlande erzeugten Konserven für den Kriegsfall
seit dem Beginne der 90er Jahre die rumänische Regierung beschäftigt.
Im Jahre 1892 bereits wurde auch der Versuch gemacht, eine in-
ländische Produktion für diesen Zweck ins Leben zu rufen. Derselbe
mißlang jedoch. Zwar sicherte ein Specialgesetz dem Gründer einer der-
artigen Fabrik für den Zeitraum von 10 Jahren Staatsaufträge in der
Höhe von 1 Million Konservenrationen jährlich; im übrigen aber waren die
Konzessionsbedingungen so ungünstige, daß sich kein Unternehmer fand,
der bereit gewesen wäre, auf dieselben einzugehen. Der Staat war nach
wie vor gezwungen und ist es, nebenbei bemerkt, auch heute noch fast
ausschließlich, seinen Konservenbedarf im Auslande zu decken. Die
4 kleinen Fabriken, die allmählich entstanden sind und jährlich Staats-
aufträge von je 20—30000 Rationen erhalten, sind nämlich vor allem
pur außerordentlich primitiv eingerichtet. Auf der anderen Seite aber
verfügen sie über eine sehr beschränkte Leistungsfähigkeit, die pro Jahr
höchstens 600000 Rationen in Summa erreicht.
Diese Verhältnisse waren es, die den obenerwähnten Reise- und
Studienauftrag an den Verf. hervorriefen.
Was nun dessen Stellungnahme zu dem fraglichen Problem betrifft,
so untersucht er nach einer klaren und übersichtlichen Darstellung der
Ergebnisse seiner Studien vornehmlich in Deutschland, dann aber auch
in Oesterreich-Ungarn, Belgien, Frankreich, Holland, Rußland und Italien
(S. 13—47) folgende drei Fragen: welche Konserven zur Heeresver-
sorgung im Kriegsfalle am geeignetsten wären; welches Aprovisionierungs-
system der Staat zu wählen hätte; endlich wie der Staat sich die
nötigen Konserven verschaffen könnte (S. 50—76). In letzterer Be-
ziehung tritt er weder für Privatindustrie, noch für Staatsbetrieb in
entschiedener Weise, sondern setzt in objektiver Weise dieses und jenes
System auseinander, um zu dem Schlusse zu gelangen, daß es von der Ge-
staltung der konkreten Verhältnisse abhängig bleiben müsse, ob der
Staat die Privatindustrie fördern oder Staatsfabriken für die Kon-
servenproduktion einrichten solle.
568 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Uebrigens erhofft der Verf. — und mit Recht — von der Entstehung
der Konservenindustrie auf dem einen oder anderen Wege auch eine be-
deutsame Förderung der für Rumänien unentbehrlichen Viehzucht. Eine
solche Förderung und gerade im Wege einer nationalen Konserven-
industrie hält er aber für um so notwendiger, als die rumänische Vieh-
ausfuhr unter den Sperrmaßregeln Oesterreich-Ungarns schwer zu leiden
hat, die Monarchie weder als Markt, noch als Transitland zu entbehren
oder zu ersetzen vermag und, wie der Verf. meint, auf Wiedereroberung,
bezw. Wiedereröffnung des österreich-ungarischen Marktes gar keine
Aussicht hat. Die Forderungen der landwirtschaftlichen Interessenten
in Oesterreich-Ungarn angesichts der für 1902 zu erwartenden Ver-
handlungen wegen Erneuerung des Handelsvertrages mit Rumänien
scheinen ihm allerdings Recht zu geben. Es muß sich aber erst zeigen,
ob dieselben durchsetzbar sein werden, oder ob es den an der Aus-
dehnung der Ausfuhr nach Rumänien höchst interessierten industriellen
Kreisen gelingen wird, die Vertragsverhandlungen in ihrem Sinne zu
beeinflussen und Kompensationen zu Gunsten der Cerealien- und Vieh-
ausfuhr Rumäniens zu erreichen.
Schließlich sei noch auf die treffenden Bemerkungen Antipa’s
(S. 107—113) über die Möglichkeit einer selbständigen nationalen In-
dustrie bei dem gegenwärtigen Stande der rumänischen Volkswirtschaft
hingewiesen. Im Gegensatz zu so vielen seiner Landsleute beurteilt der
Verf. die Sachlage richtig, weil kühl-kritisch, und weil er nicht den
Wunsch, auch schon als Garantie für dessen Realisierbarkeit ansieht.
Er empfiehlt denn auch, zunächst bloß die Produktion von Halbfabrikaten
anzustreben und zu fördern, um auf diese Art eine — wegen der
voluminösen Beschaffenheit der betreffenden Artikel und der hohen
Transportkosten — sonst unmögliche Ausdehnung der Rohstoffausfuhr
zu erzielen.
Wien. Carl Grünberg.
Michaelis, H. (Dr, Konsulent der Gewerbekammer ` Bremen),
Grundzüge des deutschen Gewerberechts. Die Gewerbeordnung für das
Deutsche Reich als Leitfaden für den Unterricht an höheren gewerb-
lichen Lehranstalten zusammengestellt. Bremen 1900. 36 SS.
Das Heftchen giebt in knapper Darstellung die wichtigsten Vor-
schriften der Gewerbeordnung wieder, indem es deren System folgt und
jeweils die einzelnen Gesetzesstellen anführt, um dem Schüler den Ueber-
gang von diesem kurzen Schulabriß zu dem Gesetzestext zu erleichtern.
Dadurch wird dem Lehrer das Diktat erspart und dem Schüler das
allernotwendigste Material in einwandsfreier Form zur Verfügung ge-
stellt. Zum Schluß hat der Verf. den Gedankengang des Unterrichts
noch einmal in Frage und Antwort zusammengefaßt.
Zwei Ausstellungen möchte ich kurz erwähnen: Was denkt sich
der Verf. unter dem, was er auf das Titelblatt hat drucken lassen ?
Er kann doch höchstens die Gewerbeordnung als Leitfaden bearbeiten,
aber nie „zusammenstellen“. Zusammenstellen kann er aber Grund-
züge. — Außerdem würde ich es für das Verständnis der ganzen Materie
für dienlicher halten, wenn auf S. 7 auch die Novellen zur Gewerbe-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 569
ordnung ausführlicher citiert und in ihrer materiellen Bedeutung er-
klärt worden wären.
Aachen. W. Kähler.
Jahresberichte der königlich bayerischen Fabriken- und Gewerbeinspektoren,
dann der kgl. bayerischen Bergbehörden für das Jahr 1900. Mit einem Anhange be-
treffend das Maurergewerbe. München, Th. Ackermann, 1901. gr. 8. 285 u. 78 SS.
M. 5.—.
Schäfer, F. (Direktor des statistischen Amts der Stadt Karlsruhe), Die Lohn-
verhältnisse der städtischen Arbeiterschaft (in Karlsruhe) im Auftrage des Stadtrates
dargestellt. Karlsruhe, 20. XJI. 1900. kl. 4. 32 SS.
Siebel, K. A., Die Unfallpflicht im Fabrikbetriebe nach dem 1. I. 1900. Ein
Beitrag zur Lehre vom Schaden und Schadenersatz. Düsseldorf, A. Bagel, 1899. 8.
84 SS. M. 1,50.
Wohnungs- und Gesundheitsverhältnisse der Heimarbeiter in der Kleider- und
Wäschekonfektion. Wien, A. Hölder, 1901. gr. 8. IV—121 SS. (Herausgeg. vom
k. k. arbeitsstatistischen Amte im Handelsministerium.)
Compte rendu des opérations de la condition publique des soies, laines et cotons
de Lyon pendant l’année 1900. Lyon, impr. Rey, 1901. 8. 29 pag.
Exposition universelle de Paris en 1900. Catalogue de I’Exposition spéciale de
la ville de Paris et du département de la Seine. Paris, impr. Chaix, 1900. gr. in-8.
179 pag. av. frontispice. — Exposition retrospective: (Collection historique de la ville
de Paris, Musée Carnavalet.) Paris, impr. Chaix, 1900. gr. in-8. 61 pag.
Razous, P. (inspecteur départemental du travail dans l’industrie), La sécurité du
travail dans l’industrie. Moyens préventies contre les accidents d’usines et d’ateliers.
Paris, Ve Ch Dunod, 1901. gr. in-8. 380 pag. fr. 12,50. (Table des matières: Isole-
ment des moteurs. Passages entre les machines. — Causes d’aceidents des monte-
charges. — Protection des pièces saillantes mobiles et autres parties dangereuses des
machines. — Mise en marche et arrêt des machines. — Précautions A prendre contre
le danger d'incendie. — Appareils électriques, — Vêtements des ouvriers. — Précautions
à prendre contre les brulures. — Mesures préventives contre les explosions. — Prescrip-
tions qui seraient de nature A mieux assurer la sécurité du travail industriel. — Premiers
soins à donner en cas d’accidents. — etc.
de Seilhac, Léon, La verrerie ouvrière d'Albi. Paris, A. Rousseau, 1901. 8.
173 pag. (Bibliothèque du Musée social.)
Ville de Paris. Monographies municipales. L'enseignement professionnel A Paris.
IVieme volume (de 1896 à 1898); Vime vol. (1899 à 1900). Recueil annoté contenant
les discussions, délibérations, rapports du Conseil municipal de Paris et les documents
administratifs se rapportant à la question, publié par L. Lambeau (chef de bureau à la
préfecture de la Seine). Paris, imprim. municipale, 1900. gr. in-8. XII—1998 et
XII—1380 pag. (Table des matières: Ecoles d'apprentissage. — Enseignement du
dessin. — Enseignement commercial, — Encouragements aux associations libres d’enseigne-
ment professionnel. — Cours pour les adultes et les apprentis. — Subventions aux
patronages de jeunes apprentis.)
Cave, Henry W., Golden tips. A description of Ceylon and its great tea
industry. London, S. Low, 1900. gr. in-8. X1I—474 pp. with numerous illustrations,
cloth. 19/.—.
Owen, H., Staffordshire potter. With a chapter on dangerous processes in potting
industry by the Duchess of Sutherland. London, Richards, 1901. 8. 366 pp. 6/.—.
Flora, Federico, I sindacati industriali (trusts). Torino, Roux & Viarengo,
1900. 8. 48 pp. 1. 1. —.
6. Handel und Verkehr.
C. F. Huber, Zur Frage der Errichtung eines Großschiffahrts-
weges auf dem Neckar (Mannheim-Eßlingen). Stuttgart (Karl Hammer)
1900.
Obengenannte Schrift legt die hydrotechnischen und die Verkehrs-
verhältnisse des Neckars (und seines Gebiets) zwischen Mannheim und
570 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
Eßlingen dar, und untersucht, wie dieser Wasserweg durch entsprechende
Verbesserung leistungs- und wettbewerbsfähiger gemacht werden kann.
Die Darlegungen gründen sich auf die Denkschrift eines Komitees aus
den nächstbeteiligten Stadtgemeinden und Handelskammern zu einem
von verschiedenen Fachmännern bearbeiteten Verbesserungs-Entwurf.
Die hierzu erforderlich gewesenen Vorarbeiten, Aeußerungen und Gut-
achten hat der Verfasser kritisch gesichtet und zusammengefaßt.
Die Hauptergebnisse seiner Untersuchung sind kurz folgende:
1) In technischer Beziehung ist für die Strecke Mannheim-Eßlingen
die Herstellung eines Großschiffahrtsweges mit 2 m Fahrwassertiefe
durch eine Kanalisierung des Neckars ausführbar.
2) Die Baukosten würden sich auf etwa 42,7 Mill. M. belaufen,
von denen auf die badische Strecke etwa 14,5 Mill. fielen. Die jähr-
lichen Unterhaltungskosten werden auf 1 Proz. des Anlageaufwandes mit
427000 M. die jährlichen Betriebsselbstkosten auf etwas über 1 Mill. M.
geschätzt; ihre Deckung würden diese letzteren voraussichtlich in der
zu erwartenden Frachteinnahme finden.
3) Die Flößerei und die vorhandenen Wassertriebwerke werden
nur auf der Strecke Heilbronn-Mannheim erheblich beeinträchtigt werden.
4) Die durch die Kanalisierung zu gewinnenden Wasserkräfte würden
einen Hoffnungswert von 26 Mill. M. darstellen.
5) Für den Betrieb läßt sich auf eine Frachtmenge von 80,5 Mill. tkm
rechnen.
6) Die Schleppreise für die Strecke Mannheim-Cannstatt und zurück
dürfte 10, für die Strecke Mannheim-Heilbronn und zurück 6 Tage
dauern. Es sind 280 Zugtage im Jahre zu rechnen.
7) Die durch die Ausgaben für Verzinsung und Tilgung des Anlage-
kapitals, sowie für die Verwaltung und Erhaltung der Gesamtanlagen
entstehenden und durch die Zinseinnahmen aus den gewonnenen Wasser-
kräften nicht aufzubringenden Mehrkosten müssen eventuell durch Schiff-
fahrtsabgaben gedeckt werden. Diese Abgaben dürften jedoch den Be-
trag von 0,42 Pig. für das Tonnenkilometer nicht überschreiten, wenn
nicht die Wettbewerbsfühigkeit mit der Eisenbahn bedroht werden soll.
8) Trotz einiger Schwierigkeiten, von denen auf dem mittleren
Neckar die Ausführung des Entwurfs begleitet sein würde, hat dieser
doch für die Entwickelung Heilbronns und der kleineren Nachbarorte,
ferner für Cannstatt, Eßlingen und Stuttgart eine zu große Tragweite,
als daß man nicht fortgesetzt versuchen sollte, die beteiligten Regierungen
und die öffentliche Meinung für die Ausführung des Entwurfs zu er-
wärmen.
Die Schrift enthält einen geschichtlichen Rückblick auf die Ent-
wickelung der Neckarschiffahrt und leitet die Besprechung des Entwurfs
des neuen Schiffahrtsweges mit einer Schilderung der gegenwärtigen
Schiffahrtsverhältnisse ein, aus der u. A. zu ersehen ist, daß seit 1878
zwischen Mannheim und Heilbronn Kettenschleppschiffahrt (von einer
Aktiengesellschaft in Heilbronn) regelrecht betrieben wird. Oberhalb
Heilbronn ist die Schiffahrt nur noch bis Marbach von einigem Belang,
weiter oberhalb hört sie ganz auf.
Aus der Gesamtheit der Vorschläge und verschiedenen Be-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 571
urteilungen derselben folgert der Vert, daß eine Kanalisierung des
Neckars und Schaffung eines Großschiffahrtsweges nur Sache der
Staaten sein könne, da die neue Wasserstraße mehr die allgemeine
Produktivität und Wohlhabenheit der ganzen Gegend heben, als Erträge
liefern würde, die das Privatkapital reizen könnten.
Für das Großherzogtum Baden läge die Frage der Verzinsung und
Rentabilität des ganzen Unternehmens günstiger, als für Württemberg,
da dort eine erhebliche Jahreseinnahme aus der Verpachtung neuer
Wasserkräfte zu erhalten wäre, so daß in Zukunft die Einnahme aus
denselben zur vollen Verzinsung des Anlagekapitals und zur Deckung
des Unterhaltungsaufwandes für die badische Strecke ausreichen würde.
Ferner würde auch der Eisenbahnverkehr hier gewinnen, indem er in
der Beförderung wertvoller Güter zunehmen, minderwertige Güter, die
geringeren Frachtgewinn brächten, an die Schiffahrt abgeben würde.
Der Neckar bilde jetzt großenteils noch ein totes Kapital, dessen
Erschließung höhere Erträge für die Landwirtschaft, billigere Nahrungs-
mittel für die Arbeiter, Erleichterungen und Erweiterungen des Handels-
absatzes, billigere Heiz- und Rohmaterialien für Fabriken und das
Kleingewerbe, schaffen würde. Besonders wichtig aber sei die direkte
Verbindung mit dem Ruhrkohlenbecken, die eine Lebensfrage für viele
Neckarorte geworden sei. Württemberg verbrauche an Kohlen im
Jahre 11/, Mill. t; bei einer Ersparnis von nur 2—3 M. pro Tonne
würde das Baukapital mehr als reichlich verzinst und getilgt werden.
Mit zunehmendem Eisenbahngüterverkehr gehe jetzt der Wasserverkehr
immer mehr zurück, da die großen Rheinschiffe den Neckar nicht hinauf-
fahren können und ein Umladen auf die kleineren, bis höchstens 200 t
ladenden Schiffe, die den Neckar befahren können, zu kostspielig wird,
diese kleineren Schiffe aber andererseits mit den großen Schiffen auf
dem Rhein nicht konkurrieren können. Es würden daher jetzt allgemein
die in Mannheim zu Schiff anlangenden Kohlen nicht auf Neckarschiffe,
sondern gleich auf die Eisenbahn übergeladen. Doch vor allem sei es
von Wichtigkeit und von bestimmendem Einfluß auf die württembergische
Regierung, daß für Stuttgart-Cannstatt der billige Bezug von
Roh- und Feuerungsmaterialien sichergestellt würde, wichtig nicht nur
für die Frage, ob die Kanalisierung des Neckars auch oberhalb Heil-
bronn fortzuführen sei, sondern überhaupt für die Beurteilung des
ganzen Unternehmens. Denn Stuttgart-Cannstatts Entwickelung und
Wettbewerbsfähigkeit mit den im Rhein- und Ruhrgebiet gelegenen
Fabrikstädten leide hauptsächlich an den hohen Frachtkosten jener Roh-
materialien. Nur niedrigere Frachtkosten und die Schaffung eines In-
dustriehafens neuerens Stils könnten Stuttgart-Cannstatt den Wettbewerb
mit anderen günstiger gelegenen Städten noch fernerhin ermöglichen.
Die der Kanalisierung mißtrauisch gegenüberstehenden Landwirte
verweist der Verf. auf den 1899er Bericht der Handelskammer zu
Frankfurt a. M., der nachweist, daß nach den einstimmigen Urteilen der
Vertreter der betreffenden landwirtschaftlichen Kreise die Kanalisation
des Mains der Landwirtschaft nur Vorteile, und zwar von erheblicher
Bedeutung, gebracht habe. Den Gegnern, die Beeinträchtigung der
Eisenbahneinnahmen besorgen, führt der Verf. vor Augen, daß durch
572 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
die Mainkanalisierung von 1886 bis 98 sich der Schiffahrtsverkehr um
das 7-fache, aber daneben der Bahnverkehr um mehr als das
Doppelte gehoben hat. Eine derartige Einwirkung eines leistungsfähigen
Wasserweges werde den Eisenbahnverkehr in Württemberg mit seinem
immer wiederkehrenden Eisenbahndefizit ebenfalls in günstigem Sinne
beeinflussen. Auch preußische und bayerische Verkehrsbeziehungen
zwischen Bahnen und Wasserwegen werden zum Vergleich herangezogen.
Die lehrreiche, einen Gesamtüberblick über die gegenwärtigen
Schiffahrtsverhältnisse auf dem Neckar und über deren Verbesserung
gewährende Schrift, die übrigens das eigene Urteil des Verf. zumeist
nur aus der Art der Besprechung der anderweit abgegebenen Urteile
erkennen läßt, würde durch die Beifügung einer Uebersichtskarte des
besprochenen Gebiets an Wert für den Leser noch sehr gewonnen haben.
Victor Kurs.
Max Süßheim, Das moderne Auktionsgewerbe. Leipzig 1900.
8%. IV u. 109 SS.
Auf einem Gebiete, das nationalökonomisch seither noch wenig ge-
würdigt ist, wird eine ansprechende und sorgfältige Untersuchung ge-
boten. Die Erscheinung, um die es sich handelt, ist alt. Ihre Aus-
wüchse gehören der neueren Zeit an. Es ist lehrreich, den Zusammen-
stellungen des Verf.s zu entnehmen (S. 9ff.), wie in einer einzelnen
großen Stadt das Auktionsgewerbe in einer stets zunehmenden Aus-
dehnung begriffen ist. Daß dadurch den ansässigen Kaufleuten und
Handwerkern schwere Wunden geschlagen werden müssen, leuchtet ein,
Die Mißstände erblickt der Verf. vorzugsweise in dem Bezug der
Auktionsobjekte von auswärts durch den Auktionator selbst auf dessen
Rechnung und Gefahr, in der unglaublichen Vielseitigkeit der Ver-
steigerungsobjekte, in der Preisbildung. Des weiteren wird alsdann
die Bedeutung der Auktionen für die Gewerbetreibenden sowie den
Konsumenten gegenüber untersucht. Eine Betrachtung über die zu-
künftige Gestaltung des Auktionswesens schließt die dankenswerten Aus-
führungen. Der Verf. sieht von radikalen Mafregeln ab. Er hält ein
Verbot der Versteigerung neuer Waren für ungerechtfertigt. Das hieße
dem gesamten Auktionsgewerbe den Lebensnerv durchschneiden. Und
wolle man ein Verbot erlassen, Waren ausschließlich zu Versteigerungs-
zwecken einzuführen, so müsse doch für Versteigerung von Kunst-
objekten und von Nachlässen eine Ausnahme vorgesehen werden. Er
empfiehlt namentlich die Einführung der Konzessionspflicht, die die
Möglichkeit gewährt, einer zu starken Ueberhandnahme der Auktions-
hallen zu steuern und unlautere Elemente fernzuhalten, sowie die Be-
schränkung der Thätigkeit des Auktionators auf den Verkauf fremder
Waren. Es ist gewiß, daß die Durchführung solcher Reformen das heutige
Unwesen sehr stark zurückdrängen würde. Verhängnisvoll ist sicherlich
gerade die neuerdings aufkommende Versteigerung für eigene Rechnung
von seiten des Auktionators. Was der Verf. in dieser Hinsicht über
den Vorsprung des Auktionators vor anderen Verkäufern sagt (S. 46 ff.)
scheint zutreffend und bemerkenswert. Wünschenswert erschiene aber
auch, wenn im Interesse der steigernden Konsumenten etwas geschehen
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 573
könnte, so namentlich um das vom Auktionator veranlaßte Mitbieten
und Unterbieten zu beseitigen. Die hier zu Tage tretenden Uebel-
stände sind schon früher erkannt worden. Es ist doch auch gegen
dieses Vorgehen gerichtet, wenn es in der Formula juramenti des
Auctions-Proclamatoris in Erfurt!) heißt: „Hierbey will ich durchaus
keine Commissiones zu licitieren übernehmen und auf nichts etwas
biethen als was ich vor mich selbst haben will“ etc. In Bayern unter-
sagt neuerdings die Bekanntmachung vom 3. Mai 1898 das Mit- und
Unterbieten des Auktionators. Nur müßte recht strenge auf die Durch-
führung geachtet und die weitere Verallgemeinerung auch in anderen
Staaten angestrebt werden. Wilh. Stieda.
Dr. Arthur Human, Der deutsch-russische Handels- und Schiff-
fahrtsvertrag vom 20. März 1894. Leipzig 1900; Bd. 17, Heft 3 der
staats- und sozialwissenschaftlichen Forschungen von Gustav Schmoller.
Die Arbeit bildet eine kurzgefaßte, brauchbare Zusammenstellung der
vom historischen Gesichtspunkte wichtigsten ökonomischen und politischen
Fragen, welche sich an den deutsch-russischen Vertrag knüpfen. Es
würde zu besserer Beurteilung des Heftes gedient haben, wenn der
Verf. seiner Anfängerarbeit einen weniger umfassenden Titel ge-
geben hätte. Der Inhalt beschränkt sich auf das bekannteste und zu
Tage liegende Material, sowie in der Hauptsache auf das historische
Interesse — eine lediglich akademische Erörterung. Derjenige, welcher
das Büchlein in der Erwartung aufschlägt, einen Beitrag zur weiteren
Klärung der zahlreichen mit dem Vertrag verbundenen Fragen und
Fingerzeige für Bedürfnisse und Politik der Gegenwart gegenüber diesem,
nächst Großbritannien für uns wichtigsten Absatzgebiet zu finden, wird
getäuscht. Die Litteratur der Handelsverträge ist zwar relativ klein,
aber der Gegenstand würde eine eingehendere und mühevolle Be-
arbeitung gelohnt haben, auch wenn die Zeit zur Durchforschung von
Zeitschriften und Zeitungen hätte geopfert werden müssen.
Die bedeutsamsten Abschnitte der Arbeit sind die Ausführungen
über Vertragsdauer und Zollbindung, sowie über die Staffeltarife
(S. 20 #). Mit Recht wird das Interesse der Landwirtschaft in den
Vordergrund gerückt. Hier geht Verf. auch auf die politischen Tages-
fragen ein und fällt ein Urteil. Er meint, daß der Abschluß eines
Vertrages mit Rußland ohne erneute gleichmäßige Bindung der Getreide-
zölle kaum durchführbar sein dürfte (S. 27). Die Staffeltarife werden
empfohlen „als eine volkswirtschaftlich durchaus gerechtfertigte Ein-
richtung zur Herbeiführung eines inneren Ausgleichs“ zwischen Westen
und Osten (S. 31). Die Ableitung dieser Folgerung ist leider äußerst
mangelhaft und sollte in einer wissenschaftlichen Arbeit nicht statt-
haben. Auf eine Heranziehung konkreter Thatsachen oder Zahlen als
Grundlage der Erörterung, wie es doch unmittelbar vorher für die
weniger wichtige Frage des Identitätsnachweises geschieht, wird völlig
verzichtet, statt dessen eine Aeußerung des Frhr. v. Stumm eitiert! und
die ganze Erörterung mit einer knappen Seite abgethan.
1) Curfürstlich Mayntzische gnädigste Ordnungen vor der Stadt Erfurth.
574 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Der folgende Abschnitt (S. 32 ff.) über russische Valutaschwankungen
ist wieder ein drastisches Beispiel für die leider noch so vielfach be-
liebte Methode, die Untersuchung sozialer Erscheinungen (nach dem
Vorgange der sogenannten klassischen Schule der theoretischen National-
ökonomie) mit Erwägungen von möglichen Ursachen und wahrschein-
lichen Wirkungen, mit hypothetisch konstruierten Fällen abzuthun, anstatt
eine exakte Untersuchung der in möglichst erschöpfender Fülle zu-
sammengestellten Thatsachen zu unternehmen. Verf, begnügt sich
schließlich mit Citaten aus Helfferich. — Ein weiterer Abschnitt be-
handelt Rußlands Zugeständnisse, deren Wirkung und Bedeutung für uns.
Hier war zur vollen Klarstellung ein Blick auf die Konkurrenz Eng-
lands, Oesterreichs, der Vereinigten Staaten mit uns in Rußland un-
erläßlich, wie es in ähnlicher Weise für die umgekehrte Betrachtung
an Deutschland (S. 53 ff.) geschehen ist. Verf. beschränkt sich aber
auf eine summarische Bemerkung im Schlußwort. — Die für unsere
Zukunft wichtigste Frage der deutschen Zugeständnisse wird auf
11/, Seiten (S. 49/50) abgethan! — Für den Verkehr mit Finland sind
Berichte und Statistik beispielsweise der Handelskammer Lübeck nicht
zu Rate gezogen worden. Ueberhaupt haben die wichtigen Aeußerungen
von Handelsvertretungen Berücksichtigung nur obenhin durch einige
Citate im Schlußwort gefunden. — Das Kapitel über die Regelung der
Eisenbahntarife läßt die neueren Bestrebungen und Ereignisse im Ver-
kehr mit Rußland ganz außer acht. Die aktuelle Frage der Vorschriften
für Handlungsreisende wird nicht behandelt, die wichtige Trennung von
See- und Landhandel nicht vorgenommen, die Bestimmungen für die
Verzollung und die Durchführung derselben nur berührt (S. 55 ff),
ohne die große Tragweite dieser Sache erkennen zu lassen.
Schließlich darf, ohne noch auf Einzelheiten eingehen zu wollen,
nicht unerwähnt bleibt, daß insbesondere die Ausführungen über die
Wirkung des Vertrages auf den deutsch-russischen Handel (S. 49 ff.)
außer jedem Verhältnis zu den Abschnitten stehen, welche dem land-
wirtschaftlichen Interesse und der Erörterung von Rußlands Zugeständ-
nissen gewidmet sind. Die Abschnitte S. 49 ff. sind viel zu kurz,
lassen Vertiefung in wichtige Einzelheiten vermissen und entbehren
jeglicher Berücksichtigung der wirtschaftlichen Entwickelung der Ver-
tragsstaaten. — Es bleibt zu hoffen, daß uns eine dem Titel entsprechende
Arbeit noch beschieden wird !).
Sorau N.-L. Dr. Fritz Schneider.
Hamon, Frantz, L'avenir de la politique française en matière de
chemins de fer. Complement à l'ouvrage de M. R. de Kaufmann. Paris
(Librairie polytechnique.) 1900. 351 SS,
In diesen Jahrbüchern, Jahrg. 1897, Bd. III, 13, S. 915 ff. hat der
Ref. R. v. Kaufmann’s Eisenbahnpolitik Frankreichs, die 1896 in 2 Bänden
1) Eine sehr gute, ergänzende Arbeit ist inzwischen erschienen: Dr. C. Ballod,
„Die deutsch-russischen Handelsbeziehungen“ in den Beiträgen zur neuesten Handels-
politik Deutschlands vom Verein für Sozialpolitik.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 575
erschien, besprochen. Nunmehr ist unter dem Titel „La politique française
en matiere de chemins de fer“ eine Uebersetzung dieses Werkes er-
schienen, welcher der Uebersetzer, ein Beamter des französischen Finanz-
ministeriums, ein besonderes Buch unter obigem Titel angefügt hat.
„En publiant l’Eisenbahnpolitik Frankreichs, sagt Herr Hamon, nous
croyous faire oeuvre de bon Français, en montrant que l’Etranger nous
apprend à apprécier ce que tant de nos compatriotes, mal informés,
sont disposés à détruire.
„Quoi qu’il advienne, l'édition française de l’ouvrage qu’a publié,
il ya quatre ans, M. de Kaufmann, vient à son heure; après avoir reconnu
la justesse de ses vues, la sagacité de son jugement, la netteté de ses
conclusions; après avoir apprécié la nouveauté et la valeur de ses
comparaisons entre les deux grandes nations, autrefois ennemies aujourdhui
simplement rivales dans la lutte économique, les lecteurs français salue-
ront l'oeuvre du savant professeur de l’université de Berlin, de cet
ami de la France aussi impartial que compétent.
Hamon führt die Eisenbahngeschichte Frankreichs bis auf die
neueste Zeit fort — nach dem Stande von Anfang 1899 handelt es sich
um 37423 km d'intérêt general, davon 2683 km Staatsbahnen (in Deutsch-
land waren zum selben Termin von den 48300 km vollspurigen Bahnen
3830 Privatbahnen), mit einem Anlagekapital von 13'/, Milliarden und
einer Schuld von 20 Milliarden Franken — und wendet sich mit be-
sonderem Nachdruck gegen die immer wieder auftauchenden Pläne, die :
gesamten Bahnen oder wenigstens einen großen Teil derselben für den
Staat zu erwerben. Er ist ganz der Ansicht Kaufmann’s. Frankreich
solle auf dem bisherigen Wege bleiben, der dem Staate die Uebernahme
des gesamten Bahnnetzes bald nach Mitte des 20. Jahrhunderts, im
wesentlichen gegen Bezahlung des beweglichen Materials, sichere. Der
Senator Prövet hat in der Sitzung des Senats am 30. März 1900 die
Eisenbahnen „La caisse d'épargne de nos budgets“ genannt, und Hamon
macht sich diesen Ausspruch zu eigen. Seine Argumente gehen aller-
dings über das gestellte Beweisthema hinaus, indem er sehr lebhaft
gegen die staatliche Verwaltung von Eisenbahnen überhaupt spricht,
mit besonderer Rücksicht auf die politischen Verhältnisse in Frankreich.
Einstweilen scheinen die Beziehungen von Staat und Eisenbahnen, die
ihm nicht nur Spar-, sondern auch Leihkassen sind, noch immer ver-
wickelter zu werden, und gerade dadurch wird immer wieder die
Forderung nach Klarstellung dieses Verhältnisses mittels Verstaatlichung
der Bahnen hervorgerufen.
Für R. v. Kaufmann als Verfasser des grundlegenden Werks ist
es jedenfalls eine hohe Anerkennung, daß dieses nicht nur eine Ueber-
setzung durch einen höchst kompetenten Fachmann, sondern auch eine
wissenschaftlich gleichfalls hochstehende Fortsetzung gefunden hat.
H. v. Scheel.
Bericht der Handels- und Gewerbekummer Dresden über das Jahr 1900.
I. Teil: Thätigkeit der Kammer. Dresden, C. Heinrich, 1901. gr. 8. 102 SS.
Bericht der Handelskammer zu Düsseldorf über das Jahr 1900. I. Teil. Düssel-
dorf, Druck von Fr. Dietz, 1901. gr. 8. 119 SS.
576 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
Bericht der Handels- und Gewerbekammer zu Sonneberg auf das Jahr 1900.
Sonneberg, Druck von Grübe & Hetzer, 1900. gr. 8. X—108 SS.
Bericht, LXX., der beiden Verwaltungskörper der Ludwigs-Eisenbahn-Gesell-
schaft in Nürnberg. Nürnberg, Druck von J. L. Stich, 1901. gr. 4. 37 SS.
Denkschrift der Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin betreffend die Neu-
gestaltung der deutschen Handelspolitik. Nachtrag zu dem ersten Teile des Berichtes
über Handel und Industrie von Berlin im Jahre 1900. Berlin, Druck von R. Boll,
1901. Folio. 43 SS. (Nicht im Handel.)
Geschäftsbericht über den Betrieb der Main-Neckar-Eisenbahn im Jahre 1899.
Darmstadt, J. C. Herbert’sche Hofbuchdruckerei, 1901. Roy.-4. 8 SS. mit XII An-
lagen (darunter 2 umfangreiche tabellarische).
Häfen, die wichtigsten, Chinas. Ein Handbuch für Kapitäne und Reedereien.
Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1901. Lex.-8. XI—282 SS. mit IX Tafeln. M. 2,50.
(Veröffentlichung der „Deutschen Seewarte.‘“)
Hamburgs Handel im Jahre 1900. Sachverständigenberichte herausgeg. auf Ver-
anlassung der Handelskammer. Hamburg, Ackermann & Wulff Nachf., 1901. 124 SS,
Handel und Wandel. Jahresberichte über den Wirtschafts- und Arbeitsmarkt.
Jahrg. 1900. Herausgeg. von Richard Calwer (Mitglied des Reichstags). Berlin u.
Bern, Akad. Verlag f. soziale Wissenschaften (J. Edelheim), 1901. gr. 8. 290 SS.
M. 10.—. (Inhalt: Vorboten und Beginn der Krise. — Zunahme der Produktivkräfte
und Aufnahmefähigkeit des Marktes. — Entwickelung der Produktion. Kartellwesen.
Rentabilität der Großindustrie. — Die Lage des Arbeitsmarktes. — Landwirtschaft. —
Kohlenbergbau. — Eisengewerbe. Metalle und Maschinen. — Textilgewerbe. — Bau-
gewerbe. Cement- und Ziegelfabrikation. — Börse und Bankwesen. Die Krise auf dem
Pfandbriefmarkt. — Auswärtiger Handel. Verkehrswesen. — Einkommen und Konsum.
Warenpreise. Die Wohnungsnot. — etc.)
Jahresbericht, vorläufiger, der Handelskammer zu Köln für 1900. Köln,
Druck von M. Du Mont Schauberg, 1901. gr. 8 XIV—98 SS.
Jahresbericht der Handelskammer für den Kreis Solingen für das Jahr 1900.
Solingen, Druck von R. Boll, 1901. gr. 8 VI—104 SS. (Herausgeg. am 11. II.
1901.)
Krauss, J., Deutsch-türkische Handelsbeziehungen. Seit dem Berliner Vertrag
unter besonderer Berücksichtigung der Handelswege. Jena, G. Fischer, 1901. gr. 8.
IV—114 SS. M. 2,50.
Moltke, S. (Bibliothekar der Handelskammer zu Leipzig), Die Leipziger Kramer-
innung im 15. u. 16. Jahrhundert. Zugleich ein Beitrag zur Leipziger Handelsgeschichte,
Herausgeg. von der Handelskammer zu Leipzig. Leipzig, Verlag der Handelskammer,
1901. gr. 8. 186 SS. mit einem Stadtbilde und mehreren Tafeln. M. 3.—.
Riesenfeld, C. E. (Syndikus der Handelskammer, Breslau), Die Anstellung von
Handels- und Schiffahrtssachverständigen (Handelschemiker, Probenehmer, Messer, Wäger,
Bücherrevisoren, Dispacheurs, Schiffsfrachtgutbesichtiger u. s. w.) durch die amtlichen
kaufmännischen Interessenvertretungen in Preußen. Berlin, R. Gaertner, 1901. 8.
XVI—226 SS. kart. M. 4.—.
Schuemacher, K. (Revisor bei großh. bad. Zolldirektion), Europäische Zoll-
beamte in China und ihr Einfluß auf die Förderung unseres Außenhandels. Karlsruhe,
J. J. Reiff, 1901. 95 SS. M. 1,20.
Sympher (Reg.-BauR.), Emscherthallinie und Kanalisierung der Lippe. Im amt-
lichen Auftrage bearbeitet. Berlin, Mittler & Sohn, 1901. gr. 8. 16 SS. mit 1 Karte.
M. 0,40.
Verwaltungsbericht der kgl. württembergischen Verkehrsanstalten für das
Etatsjahr 1899. (1. IV. 1899 bis 31. III. 1900.) Stuttgart, Metzler’sche Buchhandlung,
1901. Lex.-8. VI—434 SS. mit Karte. (Herausgeg. von dem kgl. Ministerium der
auswärtigen Angelegenheiten, Abteilung für die Verkehrsanstalten.)
Artignan, Le commerce des Arméniens au XVIIe siècle. Nancy, impr. Berger-
Levrault & Or, 1901. 8. 17 pag.
Foveau de Courmelles, [année électrique, électrothérapique et radigraphique.
Revue annuelle des progrès électriques en 1900. Paris, Ch. Béranger, 1901. 8. 334 pag.
fr. 3,50. (Table des matières: L’electrieite A l'Exposition de 1900. — Faits, théories
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 577
et méthodes. — Signaux et télégraphie. — Télégraphie sans fils. — Traction électrique. —
L'électricité aérienne. — Accidents électriques. — etc.)
Lenthéric, Ch., Côtes et ports français de l'Océan. Le travail de l’homme et
l'oeuvre du temps. Paris, Plon, Nourrit & C'*, 1901. 8. 400 pag. avec 11 cartes et
plans.
Davidson, J. (Prof. of polit. economy in the University of New Brunswick),
Commercial federation and colonial trade policy. London, Swan Sonnenschein & C’,
1900. 8. 155 pp., cloth. 2/.6. (Contents: England’s commercial poliey towards her
colonies since the treaty of Paris. — Commercial federation. — Canada and the Empire.
— Trade and the flag.)
„Shipping World“ year book: A desk manual in trade, commerce, and navi-
gation. Edited by E. Rowland Jones, 1901. London, „Shipping World“ Office, 1901.
8. 1192 pp. with new map specially prepared by J. G. Bartholomew, cloth. 5/.—.
Bellone, Luigi, La carrozza nella storia della locomozione. Milano fratelli
Bocca, 1901. 8. VIII—-270 pp. e 41 tavole. 1. 10.—.
7. Finanzwesen.
Jahrbuch der St. Petersburger Zeitung. Kalender für 1891. Jahrg. V.
St. Petersburg, Buchdruckerei der St. Petersburger Zeitung, 1901. gr.8. 245 SS. (Aus
dem Inhalt: Das Stempelsteuerreglement, bestätigt am 10. VI. 1900, S. 201 ff.)
Rechnung, allgemeine, über den Reichshaushalt für das Etatsjahr 1897/98 nebst
den dazu gehörigen Spezialrechnungen, einem Vorbericht und den Bemerkungen des
Rechnungshofs. Berlin, 4. III. 1901. hoch-4. 543 SS.
Schubert, G. (OSteuerR.), Das württembergische Umgeld. Die über die Be-
steuerung des Weines und Obstmostes in Württemberg geltenden Bestimmungen nach
dem neuesten Stande für die Steuer- und Kontrollpflichtigen dargestellt. Stuttgart,
Ulmer, 1901. 12. 78 SS. M. 0,80.
Compte définitif des dépenses de l’exercice 1899 du ministère de l’instruction
publique et des beaux-arts. Paris, impr. nationale, 1900. in-4. 523 pag.
Réclamations en matière de contributions directes et taxes assimilées dans le
département de la Seine. Observations statistiques 1871—1898. Paris, impr. Chaix,
avril 1900. Impér. in-4. 66 pag. et 3 tableaux graphiques. (Publication de la préfec-
ture du département de la Seine.)
Rogelio de Madariaga, La dette publique en Espagne de 1801 à 1850 (congrès
international des valeurs mobilières). Paris, impr. Dupont, 1900. 8. 7 pag.
Tabella indicante i valori delle merci nell’ anno 1900 per le statistiche commer-
ciali. Roma, tip. Elzeviriana, 1901. gr. in-8. 72 pp. (Pubblicazione del Ministero
delle finanze, Direzione generale delle gabelle.) d
Obreen, A. L. H., Over verhooging van invoerrechten en andere onderwerpen.
Amsterdam, van Holkema & Warendorf, 1901. 8. 204 blz. fl. 1,90.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Bayerische Landesviehversicherungsanstalt. Geschäftsbericht für das Versiche-
rungsjahr 1899/1900. (1. November 1899—1. November 1900.) München, Druck von
C. Gerber, 1901. 4. 12 SS.
Dittrich, P. (k. k. o. ö. Prof. d. gerichtl. Mediz., Prag), Praktische Anleitung
zur Begutachtung der häufigsten Unfallschäden der Arbeiter. Wien, W. Braumüller,
1901. 8. XI—224 SS., geb. M. 5.—.
Eberstadt, Rud., Der deutsche Kapitalmarkt. Leipzig, Duncker & Humblot,
1901. gr. 8. VI—250 SS. M. 7.—. (Inhalt: Teil I. Der Kapitalmarkt und die
die Börsenemissionen vornehmlich des Jahres 1899. — Teil II. Der Kapitalmarkt und
die Kapitalisierung des Bodens.)
Frankfurter Bank. Geschäftsbericht über das Verwaltungsjahr 1900. Vorgelegt
der 59sten Generalversammlung der Aktionäre am 26. III. 1901. Frankfurt a. M.
C. Naumanns Druckerei, 1901. 4.
Geschäftsbericht der land- und forstwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft des
Fürstentums Reuß j. L. für das Jahr 1900. Gera 1901. 4. 34 SS.
Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften. Jahrbuch der deutschen Börsen.
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 37
578 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Ausgabe 1900—1901, I. Band. Nebst einem Anhang: Die deutschen und ausländischen
Staatspapiere sowie die übrigen an deutschen Börsenplätzen notierten Fonds ete. 5. um-
gearbeitete u. vermehrte Aufl. Leipzig, Verlag für Börsen- und Finanzlitteratur, A-G.,
1900. gr. 8. geb. M. 20.—.
Jahresversammlung, XXIII. regelmäßige, der österreichisch-ungarischen Bank
am 4. II. 1901. Wien, Selbstverlag der Bank, 1901. gr. 4 XX—121 SS.
Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz. Uebersichten über die Geschäfts-
und Rechnungsergebnisse für das Rechnungsjahr 1899. Aufgestellt zur Sitzung des
Ausschusses vom Dezember 1900. (Düsseldorf) 1900. Folio. 49 SS.
Reichsbank, die, 1876--1900. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei, o. J.
(1901). gr. 4 XI—485 SS. mit einer Uebersichtskarte der Bankbezirke und Bank-
plätze nach dem Stand vom 31. XII. 1900. in größt. Imp.-Folio. (Inhalt: Verwaltungs-
organisation. — Die Notenausgabe. — Der Giro- und Abrechnungsverkehr. — Der An-
kauf und die Einziehung von Wechseln und Wertpapieren. — Der Lombardverkehr. —
Die Diskontpolitik. — Die Leistungen für die Finanzverwaltungen des Reichs und der
Bundesstaaten. — Die Regelung des Geldumlaufs. — Die Banknovelle vom 7. VI.
1899 als Ergebnis der bisherigen Entwickelung. — Tabellen Nr. 1 bis 85. — Anlagen.)
Stand, der, des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens in Bayern 1899. München,
Druck von R. Oldenbourg, 1900. Lex.-8. VI—195 SS. M. 3.—, (Ausgearbeitet im
k. b. Staatsministerium des Innern, Abteilung für Landwirtschaft, Gewerbe und Handel.)
L’Annuaire parisien de la banque et de la bourse pour 1901. XVII* année.
Paris, Cayeaux, 1901. 12. 80 pag. fr. 1.—.
Maréchal, C., Les marchés à terme (conditions; validité; exception de jeu).
Paris, Chevalier-Mareseq & Ci*, 1901. 8. 37 pag.
Mayen, Cl., Les sociétés de secours mutuels, de prévoyance et de retraite (traité
théorique et pratique). Lyon, Effantin, 1901. 8. 539 pag. fr. 8.—.
Cannon, James, G. (Vice-President of the IV. National Bank of the city of
New York), Clearing-Houses, their history, methods and administration. London, Smith,
Elder & C°, 1901. gr. in-8. XIV—383 pp. with numerous plates, cloth. 10/.6.
(Contents: Classes of clearing-houses. — Clearing-house terms. — Special functions of
a clearing-house. — Possible developments of the clearing-house system. — The admini-
stration of clearing-houses. — The settlement of clearing-house balances. — Clearing-
house exchanges. — Clearing country checks. — Typical journey of a country check
remitted for a city account. — Clearing-house loan certificates. — The New York
clearing-house. — Daily routine of the New York clearing-house. — The clearing-
house association of the banks of Philadelphia. — The Boston clearing-house. — The
Chicago clearing-house. — The St. Louis clearing-house. — Canadian celearing-houses.
— The London clearing-house. — Japanese elearing-houses. — etc.)
Cohen, H. and G. Howell, Trade unions law and cases. A text book relating
to trade unions and to labor. London, Sweet & Maxwell, 1901. 8. VIII—250 pp,
cloth. M. 7,20.
Life assurance companies. Statements of accounts and of life assurance and annuity
business during the year 1900. London, Eyre & Spottiswoode, 1901. Folio. 3/.—.
Fenicia, Salvatore, La cooperazione in Piemonte: contributo alla storia della
cooperazione. Torino, fratelli Bocca, 1900. 8. X—256 pp. 1. 4.—. (Biblioteca di
scienze sociali, vol. XXXIII.)
Istruzioni per gli uffici di ragioneria della amministrazione centrale della Cassa
di risparmio delle provincie lombarde in Milano. Milano, tip. E. Regiani, 1900. in-4.
531 pp.
Marchi, A., Relazione di perizia penale sul fallimento della banca popolare
cooperativa di Palerma S. Gervasio: saggio di ragioneria legale. Potenza, Garramone &
Marchesiello, 1900. 8. 105 pp.
van der Marck, Th., Boerenleenbanken (systeem Raiffeisen). Roermond, Roer-
mondsche stoomdrukkerij, 1901. 8. 40 blz. fl. 0,30.
9. Soziale Frage.
Armenunterstützungsverein in Siegen. Geschäftsbericht pro 1900. Siegen,
Druck von W. Vorländer, 1901. 8. 23 SS.
>
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 579
Bericht über die Thätigkeit der Berliner Rettungsgesellschaft (bestehend in der
Versorgung der Kranken und Unterbringung der Verunglückten der Reichshauptstadt)
für das III. Geschäftsjahr vom 1. X. 1899 bis 30. IX. 1900. Berlin, Druck von
A. Unger, 1900. 4. 14—II SS.
Centrale für private Fürsorge. (Hochstraße 9 part.) Frankfurt a. M., Druckerei
Gebr. Fey, 1900. gr. 8. 28 SS. (Inhalt: Neue Erscheinungen auf dem Gebiete der
praktischen Fürsorge in Frankfurt a. M. — Jahresbericht für das Rechnungsjahr
1899/1900.)
Jahresbericht, LXXIII., der Rheinisch-Westfälischen Gefängnisgesellschaft über
das Vereinsjahr 1899/1900 im Auftrage des Ausschusses zusammengestellt von dem
Hauptagenten v. Rohden (Gefängnisgeistlicher in Düsseldorf). Düsseldorf, Voß & C",
1900. 8. 184 SS. M. 0,75. (Aus dem Inhalt: Strafvollzug an den Jugendlichen. —
Ueber Zwangserziehung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. — Die Kriminalität der
Jugendlichen.)
Müller, Jul. (Vorsitzer des Vereins „Berliner Brockenhaus‘“), Das Berliner
Brockenhaus. Seine Bedeutung für die Gegenwart. Berlin, L. Frobeen, 1901. 8. 64 SS.
M. 0,50.
Muensterberg, E., Bibliographie des Armenwesens. Bibliographie charitable.
Herausgeg. von E. M. Berlin, C. Heymann, 1900. gr. 8. XVI—160 SS. M. 3.—.
(Schriften der Centralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen, Abteilung für Armen-
pflege und Wohlthätigkeit.) E
Wagner, Ad. (GehRegR., Prof.), Wohnungsnot und städtische Bodenfrage. Mit
einem Anhang: Die soziale Bedeutung des Erbbaurechts, von (Prof.) P. Oertmann,
(GehR., Prof.) R. Sohm und (Rechtsanw.) A. Eschenbach. Berlin, Harrwitz Nachf.,
1900. gr. 8. 43 SS. M. 0,50. (A. u. d. T.: Soziale Zeitfragen, hrsg. von Ad. Dae
maschke, Heft 11.)
Smissaert, H., Overzicht van het Nederlandsch armwezen. Haarlem, H. D.
Tjeenk Willink & Zoon, 1901. 8. 8 en 184 blz. fl. 1,90.
DO. Gesetzgebung.
Plotke, Jul. (Rechtsanw., Frankf. a/M.), Rechtliche Beurteilung und gesetzliche
Regelung gewerblicher Kartelle. Berlin, C. Heymann, 1901. 12. 15 SS. (Sonder-
abdruck aus der ,,Monatsschrift für Handelsrecht und Bankwesen“, Jahrg. 1901.)
Preußische bürgerliche Gesetzsammlung. Sammlung der noch geltenden Landes-
gesetze privatrechtlichen Inhalts. Herausgeg. von (Gerichtsassessoren) D. Fischer und
F. Schroeder. I. Band: Das Allgemeine Landrecht mit den Einführungspatenten. Berlin,
Guttentag, 1901. 8. XVI—565 SS., geb. M. 6.—.
Raschke, Marie (Ur Der Betrug im Civilrecht. (Gemeines Civilrecht und
B.G.B.) Berlin, E. Ebering, 1900. gr. 8 114 SS. M. 3.—. (A. u. d. T.: Rechts-
und staatswissensch. Studien, Heft 6.)
Schwabe, Max, Die juristische Person und das Mitgliedschaftsrecht. Basel, Be
Schwabe, 1900. 8. 48 SS. M. 1,20.
Ullmann (Rechtsanw., Magdeburg), Das gesetzliche eheliche Güterrecht in Deutsch-
land. Berlin, Siemenroth & Troschel, 1901. gr. 8. XI—195 SS. M. 4.—.
Brochard, P. (avocat à Laval), Une loi méconnu (en faveur de la petite pro-
priété). Paris, Larose, 1901. 8. 32 pag.
Leseure, P. (sous-chef à la direction générale des finances tunisiennes), Du
double régime foncier de la Tunisie. Droit musulman et loi foncière. Paris, L. Larose,
1901. gr. in-8. fr. 7,50.
Banking cases, annotat. A collection of all cases affecting banks decided by the
courts of last resort in the United States, ed. J. T. Michie. Charlottesville, Michie C°,
1901. 8. 803 pp. $ 5.—.
Hedderwick, T. C. H. (barrister-at-law), The sale of foot and drugs. The Acts
of 1875, 1879, and 1899 (with notes of the reported cases decided since the Acts became
law). 2nd edition. 7/.6.
Reports from Her Maj.—’s representatives abroad on trade-marks laws and regu-
lations. 2 parts. London, printed by Harrison & Sons, 1900. gr. in-8. 307 and 55 pp. 1/.8.
37*
580 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Bo, Francesco, La legislazione italiana sui dazi di consumo: commento. Torino,
Unione tipogr.-editrice, 1901. 8. VIII—959 pp. 1. 12.—.
Chironi, G. P. (Professore ord. di diritto civile nella R. Universita di Torino),
Trattato dei privilegi delle ipoteche e del pegno. 2 volumi. Torino, fratelli Bocca,
1894—1901. 8. 1. 28.—. (Contiene: Vol. I (parte generale): Contenuto del pegno nel
diritto odierno e nella sua storia. -— Analisi del contenuto della garanzia reale (pegno
in generale). — Il concetto del pegno studiato comparativamente ad altri istituti ai
quali è affine. — Teoria del privilegio in generale. — Privilegi speciali sui mobili. —
Teoria generale del privilegio. — Il diritto di garanzia reale, e gli altri istituti affini.
— La nascita del diritto di pegno. — La costituzione del rapporto di pegno. — La
costituzione della sicurtà reale. — Effetti del pegno costituito. — L’estinzione del diritto
di pegno. — Volume II (parte speciale): La creazione del rapporto reale d’ipoteca. —
L’ipoteca volontaria tacita (legale impropria). — L’ipoteca legale propriamenta detta. —
L’ipoteca giudiziale. — Effetti della creazione dell’ ipoteca. — La costituzione del
diritto reale d’ipoteca. — La sanatoria dell’ invalida creazione dell’ ipoteca, e l’effetto
che ne deriva all’ iscrizione già eseguita. — Delle modificazioni che possono seguire
rispetto agli elementi dell’ ipoteca costituita. — Gli effetti dell’ ipoteca costituita. —
L’estinzione del diritto d’ipoteca. — ete.)
van Walsem, J. M., De wet op de vermogensbelasting toegelicht. ’s Gravenhage,
Gebr. Belinfante, 1901. gr. 8. 8 en 391 blz. fl. 6,25.
11. Staats- und Verwaltungsrecht.
Bonn. Bericht über den Stand und die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten
der Stadt Bonn während der Zeit vom 1. IV. 1899 bis 31. III. 1900. Bonn, Druck
xon J. F. Carthaus, 1901. gr. 4. 171 SS.
Breslau. Stadthaushaltsetat für Breslau für das Rechnungsjahr 1901. Breslau,
Druck von Graß, Barth & C°, 1901. hoch-4. 1396 SS.
Dirschau. Bericht über Stand und Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten der
Stadt D. für das Rechnungsjahr 1899/1900. Dirschau, Druck der Dirschauer Zeitung,
1900. kl. 4. 42 SS.
Dresden. Verwaltungsbericht des Rates der kgl. Haupt- und Residenzstadt
Dresden für das Jahr 1899. Dresden, v. Zahn & Jaensch, 1901. hoch-4. XIII—348 SS.
mit 2 graphischen Tafeln in Imp.-Folio.
Funk, M., Kirche und Staat in Lübeck. Leipzig, A. Deichert’sche Verlagsbhdl.,
1901. kl. 8. 42 SS. M. 0,60.
Gall (Bureaudirektor des Hauses der Abgeordneten), Gehaltstafel für die Beamten
der preußischen Staatsverwaltung. Berlin, W. Moeser, 1901. gr. 8. 72 SS. M. 1.—.
Gemeindewahlrecht, das, in Preußen. Zusammenstellung der gesetzlichen und
ministeriellen Bestimmungen von Ch. Seuffert. Berlin-Gr. Lichterfelde, 1901. 12. 32 SS.
M. 0,40.
Geschäftsbericht des schlesischen Landesausschusses für den Zeitraum vom
1. X. 1899 bis Ende September 1900. Troppau, Selbstverlag des Ausschusses, 1900.
Lex.-8. 104 u. 61 SS.
Handbuch für das preußische Herrenhaus von 1899. Nachtrag zum —, .heraus-
gegeben von dem Bureaudirektor des Herrenhauses A. Reissig. Berlin, C. Heymanns
Verlag, 1901. 8. 80 SS., geb. (Abgeschlossen am 26. III. 1901.)
Handbuch für das Deutsche Reich auf das Jahr 1901. Jahrg. XXVI. Berlin,
C. Heymanns Verlag, 1901. gr. 8. XXXVI—625 SS., kart. M. 6.—.
Hof- und Staatshandbuch der österreichisch-ungarischen Monarchie für 1901. Wien,
Druck und Verlag der k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1900. Roy.-8. XVI—1354 SS.
geb. M. 11,60.
Ilwof, Franz, Der provisorische Landtag des Herzogtums Steiermark im Jahre
1848. Graz, Verlagsbhdl. „Styria“, 1901. gr. 8. IV—153 SS. M. 2,50. (A. u. d. T.:
Forschungen zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Steiermark, Bd.IV, Heft 2.)
Jebens, A. W. (WirklGehR.), Die Instruktion für die Stadtmagisträte vom 25. V.
1835 nach neuestem Recht. Berlin, C. Heymanns Verlag, 1901. 12. 80 SS. geb.
M. 1.—. (Sonderabdruck aus dem „Prenßischen Verwaltungsblatt.‘)
Kassel. Bericht über die wichtigsten Zweige der Verwaltung der Residenzstadt
Kassel im Etatsjahr 1899. Kassel, Druck von Gebr. Gotthelft, 1901. gr. 4. 254 SS.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 581
Kassel. Haushaltsetat für das Etatsjahr 1901 (1. IV. 1901 bis Ende März 1902)
der Residenzstadt Kassel. Kassel, Druck von Weber & Weidemeyer, 1901. 4. 211 SS.
Kiel. Uebersicht der Einnahmen und Ausgaben der Stadthauptkasse Kiel für das
Rechnungsjahr 1899. Kiel, Sept. 1900. Folio. 181 u. 181 autographierte SS.
Kiel. Voranschlag für die Einnahmen und Ausgaben der Stadtgemeinde Kiel für
die Zeit vom 1. IV. 1901 bis 31. III. 1902. Kiel, Druck von L. Handorff, 1901. gr. 8.
358 SS.
Lengnich, Gottfr. (Syndikus der Stadt Danzig), Jus publicum eivitatis Gedanensis
oder der Stadt Danzig Verfassung und Rechte. Nach der Originalhandschrift des Dan-
ziger Stadtarchives herausgeg. von O. Günther (Stadtbibliothekar, Danzig). Danzig,
Th. Bertling, 1900. gr. 8. XX—607 SS. Mit dem Porträt Lengnichs in autotypischem
Druck. M. 8.—. (A. u. d. T.: Quellen und Darstellungen zur Geschichte Westpreußens.
Herausgeg. vom westpreußischen Geschichtsverein, I.)
Mecklenburgische Urkunden und Daten. Quellen vornehmlich für Staats-
geschichte und Staatsrecht Mecklenburgs. Ausgewählt und zum Druck gegeben von
H. Sachsse (o. Prof. d. Rechte). Rostock, G. B. Leopolds UniversBhdl., 1900. gr. 8.
812 SS. mit 2 Stammtafeln. M. 12.—.
München. Haushaltsplan der Stadtgemeinde München für das Jahr 1901. München,
Druck der G. Franzschen Hofbuchdruckerei, 1901. 4. 523 SS.
Redlich, Jos., Englische Lokalverwaltung. Darstellung der inneren Verwaltung
Englands in ihrer geschichtlichen Entwickelung und in ihrer gegenwärtigen Gestalt.
Leipzig, Duncker & Humblot, 1901. gr. 8. XXII—835 SS. M. 20.—.
Rückblick, ein, auf die ersten 25 Jahre der schlesischen Provinzialverwaltung
vom Landessyndikus, GehRegR. Gürich. Breslau, Graß, Barth & C°, 1901. gr. 8. 47 SS.
Schmidt, Br. (Privdoc., Heidelberg), Der schwedisch-mecklenburgische Pfand-
vertrag über Stadt und Herrschaft Wismar. Leipzig, Duncker & Humblot, 1901. gr. 8.
85 SS. M. 1,80.
Budget des recettes et des dépenses (du département de la Seine) exereice 1900,
Paris, impr. nouvelle (association ouvrière) 1900. Roy. in-4. 211 pag.
Chéradame, A., L'Europe et la question d'Autriche au seuil du XX: siècle.
Paris, Plon-Nourrit & C, 1901. 8. Avec 14 cartes et 5 fac-similés de documents,
fr. 10.—.
Conseil général du département de la Seine. 2itme session de 1899. Mémoires
de M. le Préfet de la Seine et de M. le Préfet de police et procès-verbaux des déli-
bérations. Paris, imprimerie nationale, 1900. gr. in-8. 1582 pag.
Conseil général du département de la Seine, 1iċre et 2iʻme session de 1900. Paris,
impr. nat., 1900. gr. in-8. 292 et 262 pag.
Daniel, André, L'année politique 1900. Avec une table chronologique, des
notes, des documents et de pièces justificatives. X XVIIIème année. Paris, E. Fasquelle,
1901. 8. X—496 pag. fr. 3,50.
Duguit, L. (prof. de droit à l’Université de Bordeaux), Etudes de droit public.
I: L'Etat, le droit objectif et la loi positive. Paris, A. Fontemoing, 1901. 8. 625 pag.
Pétin, H., Les Etats-Unis et la doctrine de Monroe. Paris, A. Rousseau, 1900.
gr. in-8. 445 pag. fr. 6,40. (Table des matières: Le message de 1823. — La doctrine
de Monroe et ses applications: 1. Le congrès de Panama; 2. L'affaire du Texas;
3. L'affaire du Yucatan; 4. L'affaire de l’Orégon; 5. Le canal interocéanique; 6. Le
Mexique; 7. Saint-Domingue; 8. Le conflit anglo-vénézuélien; 9. Cuba; 10. Le panamé-
ricanisme. — La nouvelle politique des Etats-Unis: 1. Samoa; 2. Hawaï; 3. Les Phi-
lippines ` 4. La politique nouvelle de la doctrine de Monroe. — ete.)
Rapport sur le service d'architecture du département dressé à l’appui du compte
départemental de 1899. Paris, impr. Chaix, 1900. 4. VIII—203 pag. (Publication de
la direction des affaires départementales du département de la Seine.)
Rapport d'inspection sur le service des enfants assistés, présenté par l’Inspecteur
principal à Monsieur le Prefét de la Seine pour l’année 1898. Paris, impr. Chaix, 1900.
Roy. in-4. 194— XIV pag. (Publication de la préfecture du département de la Seine.)
Rapport annuel de l’année 1899 sur les services municipaux de l’approvision-
pement de Paris. Paris, imprimerie municipale, 1900. 4. (Publication de la préfecture
du département de la Seine, Bureau de l’approvisionnement. Sommaire: Abattoirs. —
Entrepôts. — Halles centrales. — Marché aux bestiaux. — Marchés de quartier. — etc.)
582 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Municipal register, the, for 1900, containing a register of the city government,
the rules of the Board of aldermen, common council and city council. Boston, Muni-
eipal Printing Office, 1900. gr. in-8. 296 pp. with map. in Imper.-Folio, 3 plates
(portraits) ete.
12. Statistik.
Deutsches Reich.
Beiträge zur Forststatistik von Elsaß-Lothringen. Heft 18: Wirtschafts- und
Rechnungsjahr 1899. Straßburg, Kommissionsverlag der Straßburger Druckerei und
Verlagsanstalt, 1901. gr. 8. 138 SS. (Herausgeg. vom Ministerium für Elsaß-Lothringen,
Abteilung für Finanzen, Gewerbe und Domänen.)
Jahrbuch, statistisches, für das Großherzogtum Baden. Jahrgang XXXI, 1900,
Karlsruhe, Macklot’sche Druckerei, 1901. Lex.-8. XXII—559 SS.
Jahresstatistik pro 1900 über die in der Altonaer Fischauktion versteigerten
frischen Fische u. s. w. durch den beeidigten Fischauktionator Joh. Cohrs. Altona,
Druck von Köbner & C°, 1901. gr. 8. 7 SS.
Statistik, die, der Bewegung der Bevölkerung sowie die medizinische und geburts-
hilfliche Statistik des Großherzogtums Baden für das Jahr 1898. Karlsruhe, 1900. gr. 8.
76 SS.
Statistik der zum Ressort des k. preuß. Ministeriums des Innern gehörenden
Strafanstalten und Gefängnisse, der Zwangszöglinge nach § 56 und 55 des Str.-G.-B.
und der Korrigenden für das Etatsjahr 1899 (1. IV. 1899 bis 31. III. 1900). Berlin,
Druckerei der Strafanstaltsverwaltung, 1901. gr. 8 XXXIV—229 SS.
` Wermbter, H. (OLehrer am k. Herzog-Albrechtsgymnas. Rastenburg), Die höhere
Schullaufbahn in PreuBen statistisch beleuchtet. Schalke, Verlag von E. KannengieBer,
1901. gr. 8. III—66. M. 1.—.
Frankreich.
Annuaire de la Société de statistique de Paris pour 1901. Nancy, impr. Berger-
Levrault & Ci, 1901. 16. 63 pag.
Documents statistiques réunis par l’administration des douanes sur le commerce
de la France. Mois de janvier des années 1899, 1900 et 1901. Paris, impr. nationale,
1901. 8. 203 pag. (Publication du Ministère des finances.)
Résultats statistiques du recensement des industries et professions (dénombrement
général de la population du 29 mars 1896). Tome III: Région de l'Ouest au Midi
(45 départements). Paris, impr. nationale, 1900. CIX—633 pag. fr. 11.—. (Publication
du Ministère du commerce, de l’industrie, des postes et des télégraphes. Direction du
travail, service du recensement professionnel.)
Statistique de l'industrie minérale et des appareils à vapeur en France et
en Algérie pour l'année 1899. Paris, imprim. nationale, 1900. gr. in-4. XXII—132 pag.
et (tableaux) 266 pag. av. 22 diagrammes (période de 1880 à 1899). fr. 10.—. (Table
des matières: Rapport de la Commission de statistique de l’industrie minérale et des
appareils à vapeur au Ministre des travaux publics. — Exposé des principales données.
de la statistique de l’industrie minérale et des appareils à vapeur en France et en
Algérie, pour l’année 1899: Chap. 1. Mines et autres exploitations minérales.” Chap. 2.
Usines métallurgiques. Chap. 3. Appareils à vapeur. — Appendice: A. Tableau com-
paratif de la production minérale de la France et des principaux pays. B. Tableau
comparatif de la production métallurgique de la France et des principaux pays.
C. Tableau comparatif de la production des métaux précieux dans les differents pays.)
Statistique médicale de l’armée pendant l’année 1898. Paris, impr. nationale,
1900. in-4. 471 pag. (Publication du Ministère de la guerre.)
England.
Annual abstract, VIIth, of labour statisties of the United Kingdom, 1899—1900.
London, printed by Darling & Son, 1901. gr. in:8. XV—233 pp. 1/.—. (Publication of
the Board of Trade, Labour Department. Contents: State of employment. — Changes
in rates of wages. — Changes in hours of labour. — Trade disputes. — Industrial
accidents. — Prices. — Production, — Workmen’s organisations. — Miscellaneous.)
Annual report, XLVth, of the Registrar-General on the births, deaths, and mar-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 583
riages registered in Scotland during the year 1899; and XXXVth annual report on
vaccination. Glasgow, printed by J. Hedderswick & Sons, 1900. gr. in-8. XXVI—62 pp.
Navy (Health). Statistical report of the health of the navy for the year 1899.
London, printed by Eyre & Spottiswoode, 1900. gr. 8. IX—111 pp. and (appendix)
84 pp. with 3 graphics. (Parliam. paper, presented by Her Mai. is command.)
Oesterreich-Ungarn.
Handbuch, statistisches, für die Selbstverwaltung in Schlesien. Herausgeg. vom
landesstatistischen Amte des schlesischen Landesausschusses. 2. Abteilung des ersten
Jahrganges 1899 und II. Jahrg. 1900. Troppau, Selbstverlag des Landesausschusses,
1901. Lex.-8. IX—413 SS.
Oesterreichische Statistik. Band LIV, Heft 3, II. Abteilung: Statistik des
Verkehrs in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern für die Jahre
1896 u. 1897. Abteilung 2: Seeschiffahrt und Seehandel, Eisenbahnen, Posten, Tele-
graphen und Telephone, Außenhandel und Handel zwischen Oesterreich und Ungarn.
Wien, k. k. Hof- u. Staatsdruckerei (in Kommission bei C. Gerold’s Sohn, 1900). Imp.-4.
XLVI—62 SS. Kr. 3,20.
Oesterreichische Statistik. Band LVI, Heft 3: Ergebnisse der Grundbesitz-
statistik in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern nach dem Stande
vom 31. XII. 1896. Heft 3: Steiermark. Wien, C. Gerold’s Sohn, 1901. Imp.-4.
XXXIX—21 SS. Kr. 2.—. (Herausgeg. von der k. k. statistischen Centralkommission.)
Magyar statisztikai &vkönyv. VII. Ungarisches statistisches Jahrbuch. Neue
Folge VII, 1899. Im Auftrage des kgl. ung. Handelsministers verfaßt und herausgeg.
durch das kgl. ung. statistische Centralamt. Amtliche Uebersetzung aus dem ungarischen
Originale. Budapest, Buchdruckerei der Aktiengesellschaft Athenaeum, 1901. gr. 8.
XIX—442 SS., Kr. 10.—.
Rußland.
C60PHHKT CTATHCTHyUEcKHx% CRbutui NMO TYÖCPHCKOMy M 3CMCKOMY B3aHMHOMY
crpaxoBaniro 1866—1895 r. Haer I. Tao.ıımesı. Cr.-Ilerep6ypre 1900. Folio. 139 pp.
{Assurance mutuelle des provinces en Russie 1866—1895, I° partie: Tableaux statistiques.
Publié par la section des assurances du Ministère de l’intérieur. Tables des matières:
Assurance mutuelle des zemstwos contre les incendies. — Assurance des zemstwos en
1891, 1892, 1893, 1894, 1895: Assurance obligatoire des bâtiments; Assurance facul-
tative des bâtiments; Assurance facultative du mobilier. — Assurance mutuelle pro-
vinciale contre les incendies. — Assurance mutuelle obligatoire dans les provinces de
la Vistule en 1875—1896.)
Italien.
Annali statistica. Serie IV, n° 98: Atti della Commissione per la statistica giudi-
ziaria e notariele, sessione del luglio 1900. Roma, tipogr. di G. Bertero & C., 1901.
gr. in-8. XXVI—214 pp. (Pubblicazione della Direzione generale della statistica.)
Statistica giudiziaria civile e commerciale e statistica notariele per Panno 1898.
Parte I. Statistica giudiziaria civile et commerciale. Roma, tipogr. di Bertero & C.,
1900. Lex. in-8. CXLV—146 pp. 1. 2,50. (Pubblicazione della Direzione generale della
statistica.)
Statistica giudiziaria penale per l’anno 1898. Roma, tipogr. di G. Bertero
& C., 1901. Lex. in-8. CLIX—116 pp. (Pubblicazione della Direzione generale della
statistica.)
Dänemark, ‘
Danmarks Statistik. Statistiske Meddelelser, IV. Række (Serie) 9. Band, 1stes Heft:
Foreløbig Opgørelse af Folkemængden 1. II. 1901 i det egentlige Danmark. Køben-
havn, Bl. Lunos Bogtrykkeri, 1901. 8. 44 pp. (Vorläufige Ergebnisse der Volkszählung
in dem eigentlichen Dänemark (ohne die Kolonien) vom 1. 1I. 1901.) [Herausgeg. vom
Dänischen statistischen Landesbureau.]
Danmarks Statistik. Statistisk Tabelværk. Vme série, lettre C n° 2: Kreatur-
holdet den 154e Juli 1898. København, Gyldendalske Boghandel, 1901. 4. 52 u.
144 SS. (Dänisches statistisches Tabellenwerk. 5. Reihe, Abteil. C n° 2: Viehzühlungs-
584 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
ergebnisse der Zählung vom 15. VII. 1898. Herausgeg. vom städtischen statistischen
Bureau in Kopenhagen.)
Holland.
Statistiek van de zeescheepvaart over het jaar 1899. ’s Gravenhage, Gebr. von
Cleef, 1901. gr. 4. 151 blz. met 1 krt. fl. 1.—.
Schweiz.
Ergebnisse, vorläufige, der eidg. Volkszählung vom 1. XII. 1900. Die Gesamt-
bevölkerung der einzelnen Gemeinden. (Wohn- und ortsanwesende Bevölkerung.) Bern,
Buchdruckerei Stämpfli & C, 1901. 4. 31 SS. (Deutscher und französischer Text.)
Statistique générale du service postal, publiée par le Bureau international.
Année 1899. Berne, imprim. Suter & Lierow, 1901. Imp. in-Folio. 34 pag. (Publi-
cation d'Union postale universelle.)
Portugal.
Commercio e navegagäo. Estatistica especial, anno de 1899. 4 partes. Lisboa,
imprensa nacional, 1900. gr. in-8. CXLIII—591 pp. con X graphicos. (Publicação de
Direcção geral da estatistica e dos proprios nacionaes.)
Bulgarien.
CTAaATHCTHKA 3a CpËAHMTĚ, CHENMAAHUTÉ, NPOSCCHOHAIHUTÉ M Bycmero yuısaıuıa
BE Kuasecrpo Bhirapua npbat, yucbnara 1898—99 Toun, Coua 1901. 4. 149 pp.
(Statistik der Sekundär-, Spezial- und Gewerbschulen sowie der Hochschule im Fürstentum
Bulgarien im Schuljahr 1898—99.)
Amerika (Porto Rico).
Report on the Census of Porto Rico, 1899, by J. P. Sanger (Inspector-General)
and H. Gannett & W. F. Willcox (Statistical Experters) Washington, Government
Printing Office, 1900. gr. in-8. 417 pp. with 9 maps, 6 diagrams and 46 photographie
reproductions. (Taken under the direction of the War Department.)
Asien (China).
China. Imperial Maratime Customs. I. statistical series, n° 2: Customs Gazette.
N° CXXVII, July-September 1900. Shanghai, Kelly & Walsh, and London, King & Son,
1900. 4. 285 pp. $ 1.—. (issued 18th XII. 1900. Published by order of the Inspector
General of Customs.)
— (Japan).
Annuaire statistique de l’Empire du Japan. Année XIX (1899). Tokio 1900.
gr. in-8. 1175 pag. (Ganz in japanischer Sprache. Inhalt: Areal und Bevölkerung. —
Oeffentlicher Unterricht und Kultus. — Civil- und Kriminalgesetzgebung. Polizei und
Gefängniswesen. — Armee und Marine. — Landwirtschafts-, Forst- und Jagdwesen.
Fischerei. — Montanindustrie. — Binnen- und Außenhandel. — Sparkassen. — Ver-
kehr zu Wasser und zu Land. Post-, Telegraphen- und Telephonwesen. — Oeffentliche
Arbeiten. — Oeffentliche Gesundheitspflege. — Oeffentliches Armenwesen. — Finanz-,
Bank- u. Geldzirkulationswesen. — Wahlstatistik. — etc.)
Australien.
Coghlan, T. A. (Statistician of New South Wales), A statistical account of the
seven colonies of Australasia, 1899—1900. VIII issue. Sidney, W. A. Gullick printed,
1900. gr. in-8. 836 pp. with chart,
— (Kolonie Neu-Süd-Wales).
New South Wales statistical register for 1899 and previous years. Compiled from
official returns by T. A. Coghlan (Government Statistician). Sidney, printed by W. A.
Gullick, 1900. gr. in-8. VIII—1013 pp., cloth. 5/.—. (Contents: Local government. —
Shipping. — Commerce. — Land settlement. — Agriculture. — Manufactories and works.
— Population and vital statistics. — Education, science, and art. — Law and crime. —
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 585
Hospitals and charities. — Financial institutions. — Public finance. — Miscellaneous. —
Industrial wages. — etc.)
— (Kolonie Tasmania).
Statisties of the colony of Tasmania for the year 1899. Hobart, J. Vail printed,
1900. gr. Folio. VIII—425 and 28 pp. (Contents: Blue book. — Population. — Inter-
change. — Finance. — Accumulation. — Law, crime, and protection. — Production. —-
Intellectual, moral, and social provision. — etc.)
— (Kolonie Victoria).
Australasian statistics for the year 1898. Adelaide, C. E. Bristow printed, 1900.
gr. in-Folio. 53 pp. with folding sheet in max.-Imp.-Folio. (Compiled by the Govern-
ment Statist of Victoria.)
13. Verschiedenes.
Arbeiterschutz! Warum kein Schülerschutz? Ein Weckruf an Eltern und
Erzieher. Zur Reform der Gymnasien in Oesterreich, von (Pater familias). Wien, W.
Frick, 1900. gr. 8. 64 SS. M. 1,50.
Böhm, J., Beiträge zur Geschichte der bayerischen Volksschule insbesondere im
XIX. Jahrhundert. Nürnberg, Fr. Korn, 1900. 8. VI—128 SS. mit 23 Porträts.
M. 1,50.
Brüggemann, F. (Dirigent der 11. städtischen Fortbildungsschule in Berlin) und
F. Groppler (Lehrer in Berlin), Volks- und Fortbildungsschulwesen Frankreichs im
Jahre 1900. Zwei Berichte auf Grund einer von der Diesterwegstiftung veranlaßten
Studienreise nach Paris. Berlin, L. Oehmigke, 1901. gr. 8. VIII—188 SS. M. 3.—.
Erweiterung, die, der Westfülischen Hochschule. Münster i. W., Druck von
Joh. Bredt, 1901. gr. 8. 35 SS. Als Manuskript gedruckt. (Denkschrift des Senates
der kgl. Akademie zu Münster.)
Felden, E., Der Ultramontanismus im Reichsland am Ende des 19. Jahrhunderts.
Heidelberg, Evangel. Verlag, 1900. 12. 71 SS. M. 0,40.
Großherzog Friedrich von Baden. Reden und Kundgebungen 1852—1896.
Herausgeg. von Rud. Krone. Freiburg i. B., P. Waetzel, 1901. gr. 8. XVI—358 SS.
M. 6.—.
Haefcke, H., Städtische Fabrikabwässer. Ihre Natur, Schädlichkeit und Rei-
nigung. Wien, A. Hartleben, 1901. kl. 8 XVI—480 SS. mit 80 Abbildgn. M. 8.—.
Hoppe, L. (P., weiland Reiseprediger der Riograndenser Synode.) Mit Geleitswort
von C. Klingemann (Superintend., Essen), Aus dem Tagebuch eines brasilischen Urwald-
pfarrers. Essen, G. D. Baedeker, 1901. 8. VIII—235 SS. M. 2.—.
Jahrbuch der schweizerischen Gesellschaft für Schulgesundheitspflege. I. Jahr-
gang: 1900. 1. Teil. Zürich, Druck von Zürcher & Furrer, 1900. gr. 8. 106 SS. mit
24 Taf. Abbildungen. Preis für Teil 1 u. 2. M. 5,60.
Jahrbuch des Unterrichtswesens in der Schweiz 1899. Jahrg. XIII. Bearbeitet
und mit Bundesunterstützung herausgeg. von Albert Huber (Sekretär des Erziehungs-
wesens des Kantons Zürich). Zürich, Verlag des Art. Instituts Orell Füssli, 1901. gr. 8.
X11—169 SS. und 260 SS. Beilagen. M. 5.—.
Killmann, A. (Direktor der k. Realschule, Dirschau), Die Direktorenversamm-
lungen des Königreichs Preußen von 1890—1900. Die Meinungsäußerungen, Wünsche,
Anträge und Beschlüsse der Mehrheiten nebst einzelnen Berichten und Verhandlungen
in Auszügen oder wörtlicher Wiedergabe. Zusammengestellt von M. K. Berlin, Weid-
mannsche Buchhdl., 1900. gr. 8. XII—192 SS. M. 6.—.
Knopf, 8. A. (Arzt, New York), Die Tuberkulose als Volkskrankheit und deren
Bekämpfung. Berlin, 1900. gr. 8. 48 SS. (Preisschrift, gekrönt mit dem Preise des
Kongresses zur Bekämpfung der Tuberkulose als Volkskrankheit, Berlin 24.—27. V.
1899. Herausgeg. vom deutschen Centralkomitee zur Errichtung von Heilstätten für
Lungenkranke.)
Mertz, G., Das Schulwesen der deutschen Reformation im 16. Jahrhundert. Liefe-
rung 1. Heidelberg, C. Winters Universitätsbuchhdl., 1901. gr. 8. 64 SS. M. 1,20,
(Das Werk erscheint in Lieferungen zum Subskriptionspr. von je M. 1,20.)
v. d. Osten, G., Geschichte des Landes Wursten. I. Teil: Bis zu den Erohe-
586 Die periodische Presse des Auslandes,
rungskriegen. Bremerhaven, G. Schipper, 1900. gr. 8. IV—99 SS. M.4.—. (Herausgeg.
im Auftrage des Bundes der Männer vom Morgenstern.)
Schultheß’ Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Jahrg. XVI: 1900
(der ganzen Reihe XLI. Band). Herausgeg. von Gust. Roloff. München, C. H. Beck-
sche Verlagsbhdl., 1901. gr. 8. VIII —375 SS. M. 8.—.
Sozialdemokratie im Heere. Reform des deutschen Heeresdienstes zur Abwehr
des Sozialismus. Von einem Offizier. Jena, H. Costenoble (1901). gr. 8. 55 SS.
M. 1.—.
Weißenfels, O. (Prof. am k. frzs. Gymnas. in Berlin), Kernfragen des höheren
Unterrichts. Berlin, R. Gaertner (H. Heyfelder) 1901. gr. 8. XVI—352 SS. M. 6.—.
Annuaire de l’instruction publique et des beaux. arts pour l’année 1901 rédigé
et publié par MM. Delalain (imprimeurs de l’Université). Paris, Delalain frères, 1901.
gr. in-8. 882 pag. av. carte. fr. 5.—.
Fleury (le comte), Un grand terroriste: Carrier à Nantes (1793—1794). 2° édition.
Paris, Plon-Nourrit & Ci, 1901. 12. XV—343 pag. et 1 portr. fr. 4.—.
Notice sur les asiles publics d’aliénés et les colonies familiales (du département
de la Seine) 1900. Paris, imprim. Chaix, 1900. Lex. in-8. 98 pag. av. gravures et
planches. (Publication de la préfecture du département de la Seine, service des aliénés.)
Arreguine, V., En que consiste la superioridad de los Latinos sobre los Anglo-
Sajones. Buenos-Ayres 1900. 8.
Die periodische Presse des Auslandes.
A. Frankreich.
Annales de l’Institut des sciences sociales. VI° année, n° 4: Comptabilisme et
productivisme, par E. Solvay. — L'oeuvre d’Auguste Comte et son influence sur la
pensée contemporaine, par H. Denis.
Annales des sciences politiques, 1901, Janvier: Les marchés à terme, par R. G.
Lévy. — L'Armée allemande, par M. B. — Les finances de la ville de Paris de 1798
à 1900, par C. Picot. — La marine anglaise. — La commission de 1897 sur la marine
marchande et ses résultats, par J. Wilhelm.
Bulletin de statistique et de législation comparée. XXVième année, 1901, Février:
A. France, colonies et Tunisie: Loi sur la tutelle administrative en matière de dons et
legs. — L'exploitation du monopole des allumettes chimiques. — L'exploitation du mono-
pole des tabacs. — Les revenus de PEtat, exercice 1900. — Les recettes des théâtres
et spectacles de Paris. — Les revenus de l'Etat, Janvier 1901. — L’eneaisse, la circu-
lation et les opérations de la Banque de France en 1900. — Le commerce extérieur,
mois de Janvier 1900. — Tunisie: Le budget de la Régence pour 1901. La situation-
économique et financière de la Régence. — Pays étrangers: Pays divers: La production
des vins. — Angleterre: Le monnayage. — Italie: La production de vins. — Russie:
Le relèvement des droits de douane et d’accise. — Création d’une section des fonds
publics à la Bourse de Saint-Pétersbourg. — Grand-duché de Luxembourg: Le projet
de budget pour 1901. — Suisse: Le monopole de l'alcool. Loi fédérale sur l'alcool
(loi du 7 juin 1900). — Etats-Unis: Le rapport annuel du Secrétaire du Trésor. Les
opérations des Clearing-Houses en 1899 et en 1900. — etc.
Journal des Economistes. 60° année 1891, Mars: La suppression des congré-
gations religieuses et l’expropriation de la mainmorte ecclésiastique en Italie, par
Vittorio Racca. — Sociétés secrètes et assurances fraternelles aux Etats-Unis, par G. Nest-
ler Tricoche (suite et fin). — Un nouveau monopole: Le rachat des chemins de fer,
par Emman. Ratoin, — Mouvement scientifique et industriel par Daniel Bellet. —
Revue de l’Académie des sciences morales et politiques (du 15 novembre 1900 au
28 février 1901, par J. Lefort. — Société d'économie politique (réunion du 5 mars
1901): Discussion: Regime douanier du blé. — ete. — Comptes rendus. — Chronique:
Une épidémie de grèves. Un trust monstre de l’acier, etc.
Die periodische Presse des Auslandes. 587
Journal de la Société de statistique de Paris. 42i@me année, 1901, N° 3, Mars:
Procès-verbal de la séance du 20 février 1901. — Annexes au procès-verbal: Discussion
sur „les lois de la population“ d’après M. G. Cauderlier: Observations de MM. Loua
March, Vauthier, J. Bertillon, Ad. Coste. — Le coût de la vie à Paris A diverses
époques, par G. Bienaymé. — Chronique de statistique judiciaire, par Maur. Yvernès.
Moniteur, le, des assurances: Revue mensuelle. N” 388 à 390, Janvier, Février,
Mars 1901: Production des compagnies françaises d'assurances sur la vie, en 1900, par
Ed. Olivreau. — De la clause à ordre dans les polices d'assurances sur la vie et mari-
times, par Paul Bailly, chap. 1 (suite 3 et 4). — La patente des compagnies d’assuran-
ces. — L'assurance sur la vie en Turquie, par Ali. — L’effort moral dans l’assurance
sur la vie, par Alexis Frochot. — Assurances contre les accidents: Dangers et la con-
currence au rabais, par E. Pagot. — La patente des agents généraux d’assurances. —
Au delà de l'épargne. Observations sur quelques-uns des mobiles de la prévoyance. —
Assurances contre l’incendie: Du danger et de l'évaluation du risque dans l’emploi de
l’acétylène, par L. Arraou (art. 1). — Assurances contre les accidents: Commentaire
pratique de la loi du 9 avril 1898, par E. Pagot (art. 1). — Assurances contre la grêle
ét la mortalité du bétail: Les mutuelles agricoles. — etc.
Réforme sociale, la. Année 1901, n° 1: Les nouveaux droits sur les successions
et la propriété foncière, par C. de Meaux. — Le projet de loi sur les établissements
libres de bienfaisance, par H. Valleroux. — N° 2: La formation des villes dans l’Europe
occidentale aux origines de la civilisation moderne, par F. F. Brentano. — La réforme
de la bienfaisance en Belgique, par L. Rivière. — Pays de langue anglaise, par J. A.
des Rotours. — N° 3: Les immeubles des congrégations d’après l’enquête officielle, par
H. Valleroux. — Après l'Exposition, par M. Lair. — N° 4: Que doit le patron A ses
ouvriers en plus du salaire, par M. Tolman. — Le progrès social et ses conditions
nécessaires, par L. Skarzynski. — N° 5: L'évolution industrielle des Etats-Unis, par
F. Lepelletier. — Le Congrès international d’assistance publique et de bienfaisance
privée et l’Office central des oeuvres de bienfaisance, par A. des Rotours. — L’admi-
nistration parisienne de 1800 à 1870, par A. Babeau. — N° 6: Le scrutin uninominal
et la représentation proportionnelle, par J. Mommaerte. — La fortune de la France des
familles et des individus, par V. Turquan. ete.
Revue d'économie politique. XV° année, 1901, n° 2, Février: L'agriculture
moderne et sa tendance A s’industrialiser, par Jos. Hitier. — La spécialisation et ses
conséquences, par Laurent Dechesne. -— Le développement des principaux ports mari-
times de l’Allemagne, par A. Aftalion. — Chronique législative, par Edm. Villey. — ete.
Revue politique et parlementaire. N° 81. Paris 10. III. 1901: L’échec pédagogique
des lettrés et des savants, par A. Fouillée (de l’Institut). — Notes de jurisprudence
parlementaire: 1. Les additions aux ordres du jour motivés, par A. Esmein (prof. de
droit, Paris). — Le projet de loi sur l'arbitrage et la grève obligatoire, par E. d’Eich-
thal. — Portraits politiques: Monsieur A. Ribot, par J. Ernest-Charles. — Des relations
mutuelles de l'assistance et de l'assurance ouvrière, par Maur. Bellom. — Le Slesvig
du Nord sous le gouvernement Prussien, par M. C. Mathiesen. — Les banques de
Londres, par A. A. Sayous. — Revue des questions ouvrières et de prévoyance, par
L. de Seilhae. — ete.
Revue internationale de sociologie. 9° année, 1901, N° 2, Février: Un monastère
d’ermites avant la Révolution, par Ch. Roussel. — Du déterminisme et de la respon-
sabilité sociologiques, par Raoul de la Grasserie (suite). Société de sociologie de
Paris, séance du 9 janvier 1901: La Pologne A l’Exposition universelle, par L. Skar-
zynski, avec discussion. — Mouvement social: Suisse (1900), par Virg. Rossel, — Revue
des livres, — Informations. — etc.
B. England.
Board of Trade Journal. N° 217—223, January 24—Mareh 7 1901: Trade between
India, Chinese Turkistan and Tibet via Leh. — Export of Russian tissues. — Trade
and industry in Liberia. — Trade and industry of the Faroe islands. — Improvements
in German harbours. — Manufacturing industries in East Siberia. — British cement
in the United States. — The trade of Ssumao and Mengtse in 1899. — The camphor
industry of Formosa. — The Mexican Cotton Industry. — Trade of Tonga (Friendly
Islands) in 1899. — Foreign trade of the United Kingdom in January 1901. — Horti-
culture and viticulture in South Australia. — Yarns and textiles. — Agricultural in-
588 Die periodische Presse des Auslandes.
dustries and botanical stations in Southern Nigeria. — The mineral wealth of Servia. —
Trade of the Jonians Islands (Corfu and Cephalonia). — The coal trade of the United
States. — French shipping in 1900. — Commercial and industrial conditions in Spain.
— Condition of trade in Angola. — The cotton industry of British India. — The
American boot and shoe industry. — Openings for British trade. — Tariff changes and
customs regulations, — Shipping and transport. — Mining, metals and machinery. —
Agriculture. — Statistical tables. — etc.
Economie Journal, the, of British Economic Association. Vol. XI, N° 1. March
1901: Further notes on the economie aspects of the war, by (Sir) R. Giffen. — The
statistics of municipal trading, by J. Row-Fogo. — Contracting-out from the Workmen’s
Compensation Act, by Mona Wilson. — Some features of the economie movement in
Ireland, 1880—1900, by C. F. Bastable. — Theory of international trade, by A. Loria.
— An agricultural excursion in Lombardy, by L. L. Price, — Philanthropy and wage-
paying, by Virginia M. Crawford. — The protection of labour in Japan, by E. Foxwell.
Journal of the Royal Statistical Society. Vol. LXIV, part 1, 30'% March 1901:
The State monopoly of spirits in Russia, by Alexis Raffalovich (with discussion). — A
review of Indian statisties, by F. C. Danvers (with discussion). — The growth of muni-
cipal and national expenditure, by (Lord) Averbury. — Miscellanea: Prices of com-
modities in 1900, by A. Sauerbeck. The statistics of wages in the United Kingdom
during the last hundred years, by A. L. Bowley (part VIII). — Commercial history
and review of 1900. — Fires in London and the metropolitan fire brigade in 1900.
— etc. >
Nineteenth Century, the, and after. N” 289 and 290, March and April 1901:
The civil list, by E. Robertson. — The South African Hospitals Commission, by Fr.
Treves. — Sham versus real home defence, by A. Conan Doyle. — The admirulty versus
the navy, by H. W. Wilson. — The drama in the English provinces, by H. A. Jones.
— Imperial eivil service: a suggestion from Australia, by (Prof.) Edw. E. Morris. —
The British workman and his competitors, by W. Woodward. — Some American im-
pressions of Europe, by Ph. Alex. Bruce. — Monarchy in the XIXth Century, by Sidney
Low. — Leaders of opposition, before and after 1832, by T. E. Kebbel. — The modesty
of englishwomen, by (Mrs.) W. Mahood. — Emigration for gentlewomen, by A. Monte-
fiore Brice. — Doctors in hospitals, by B. Burford Rawlings. — British communication
with East and South Africa, by E. Ceeil. — Company law reform, by R. Gervase
Elwes. — Lord Curzon in India, by Steph. Wheeler. — etc.
C. Oesterreich-Ungarn.
Deutsche Worte. Monatshefte herausgeg. von Engelbert Pernerstorfer. Jahrg. XXI,
1901, Heft 2, Februar: Das Volksheim, von Leo Halberstam (Wien). — Volksbildung
und Volkscharakter, von Aurelianus (Wien). — Delle Grazie’s „Schlagende Wetter‘,
ein soziales Problemstück, von Max Adler (Wien). — ete. — Heft 3: Die Agrarfrage
in Rußland. — Litterarische Anzeigen.
Handelsmuseum, das. Herausgeg. vom k. k. österr. Handelsmuseum. Bd. XVI,
Nr 10—15, 7. III.—11. IV. 1901: Der Handel mit Centralafrika (Schluß). Die Zoll-
tarifreform im Deutschen Reiche. — Die amerikanische Konkurrenz, von L. — Winke
für den Export von Baumwollwaren, — Eine deutsche Reichshandelsstelle, von J. Gensel
(Leipzig). — Eine deutsche Handelshochschule in Deutschland, von Schmid. — Kanal- und
Hafenbauten in Frankreich. — Die Schiffahrt in der Levante, von G. Herlt (Konstantin-
opel). — Die ungarische Industrie im Jahre 1900. (Aus dem „Pester Lloyd.) — Die
Brünner Spitzen- und Vorhangindustrie. — Die Handelspolitik Englands (I. Ami, —
Die wirtschaftlichen Verhältnisse auf den Philippinen.
Mitteilungen des k. k. Finanzministeriums. Jahrg. VII, Heft 2, ausgegeben
im März 1901: Rede des Finanzministers Ir Ritter Böhm v. Bawerk anläßlich der Ein-
bringung des Staatsvoranschlages pro 1901. — Statistische Mitteilungen über das öster-
reicbische Tabakmonopol für das Jahr 1899. — Ergebnisse der Punzierung im Jahre
1599. Kassaerfolg des Stempel-, Tax- und Gebürengefälles im Jahre 1899. — Die
Stempelwertzeichenmaterial- und Stempelsignatursgebarung im Jahre 1899. — Ueber die
Fondsbeitrüäge von Verlassenschaften. — Statistik der in den Jahren 1896, 1897 und
1598 auf Grund der Gesetze vom 9. II. 1850 (R.G.Bl. N° 50), 13. XII. 1862 (R.G.Bl.
N’ 89) u. 31. III. 1890 (R.G.Bl. N’ 53) bemessenen Bereicherungs- und Immobiliar-
gebühren für Vermögensübertragungen unter Lebenden und von todeswegen. — Ergebnisse
Die periodische Presse des Auslandes. 589
des Tabakverschleißes der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder im 1. Se-
mester 1900.
Monatschrift, statistische. N. Folge, VI. Jahrg., Wien, 1901, Jännerheft: Ernte-
ergebnisse der wichtigsten Körnerfrüchte im Jahre 1900. Im k. k. Ackerbauministerium zu-
sammengestellt. — Mitteilungen und Miscellen: Die ältesten Einrichtungen zur Registrie-
rung der Bevölkerungsbewegung in den Ver. Staaten von Amerika. — Konferenz für
Landesstatistik. — Die Landesfinanzen Galiziens, von (Graf) St. H. Badeni. — Die
Organisation der kommunalen Statistik, insbesondere in Oesterreich-Ungarn, von Helene
Landau. — Einheitliche Gestaltung der Armenfinanzstatistik in Deutschland, von Fuhr-
mann. — etc.
Oesterreichisch-ungarische Revue. Band XXVII, Heft 4 u. 5 (Wien 1901):
Die Hebung des ungarischen Bauernstandes, von Mosco-Wiener (Forts). — Die Ent-
wickelung des gewerblichen und kommerziellen Unterrichts in Oesterreich, von K. J.
Romstorfer. — Zur Ethnographie des serbokroatischen Volkes, von Mor. v. Landwehr-
Pragenau. — etc.
Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung. Organ der Gesell-
schaft österreichischer Volkswirte. Band X, 1901, Heft 1: Zur Reform der österreichi-
schen Arbeiterwohnungsgesetzgebung, von (Frh.) v. Schwartzenau. — Der Chekverkehr
der österreichischen Postsparkasse, von K. Leth. — Die theoretischen Grundlagen der
doppelten Buchhaltung, von G. Seidler. — Die Budgets der bewaffneten Macht Oester-
reich-Ungarns für das Jahr 1900, von J. Ullmann. — Ein Rückblick auf die Entwicke-
lung der Triester Lagerhäuser, von G. Lippert. — etc.
D. Rußland
Russian Journal, the, of Financial Statistics. February 1901. (St. Petersburg,
Millionnaia, 23, printed by W. Kirchbaum.) II"d specimen number. Contents: Official
diserepancies. — Profits and addresses of joint stock companies in Russia. — English
companies in Russia. — Russian Joint Stock Companies Bill. — Iron industry in the
Urals. — Charcoal versus coal. — Baku Petroleum industry. — Russian railways receipts,
mileage, ete. — Budget of the Empire for 1899, 1900 and 1901. — Labour legislation
and factory inspection in Russia. — The emaneipation of the serfs and land redemption.
— Index to the 2 specimen numbers.
E. Italien.
Rivista della beneficenza pubblica ete. Anno XXIX, 1901, N°2, Febbraio: Pro-
poste pel riordinamento del servizio degli esposti, per R. Perla. — Gli educatori di
San Leonardo in Bologna. — Il progetto di legge sulle esposti, per Silvio de Kunert,
— V Congresso nazionale delle opere pie in Venezia. — Cronaca: Sul lavoro delle
donne e dei fanciulli. L’Orfanotrofio dei servi a Palermo. La società di previdenza pei
disoccupati in Venezia. Carità e agricoltura. Congregazione di carità a Napoli, ete. —
Massime di giurisprudenza. — etc.
G. Holland.
de Economist opgericht door J. L. de Bruyn Kops. Lete jaargang, 1901, Maart:
Het ontworpen tarief van invoerrechten, door D. Bos. — Längeres Referat (S. 252/263)
über „Ashley, Histoire et doctrines économiques de l'Angleterre“, tome 1 et 2, von
Ph. Falkenburg. — Economische kroniek: Auszahlungen an Gemeinden (gemäß der
Gesetze vom 24. V. 1897 u. 2. VI. 1900 über holländische Kommunalfinanzen). Kon-
stituierung des Vereins für gesetzlichen Arbeiterschutz in Amsterdam. Englische Kriegs-
kosten 1899/1900. Französischer Zuckertrust. ete. — Handelskroniek: Das Referat der
Handels- und Industriekammern in Holland über die gegenwärtige Lage der hollän-
dischen Industrie. — etc.
H. Schweiz.
Monatsschrift für christliche Sozialreform. Redaktion: M. v. Vogelsang, Frei-
burg (Schweiz). Jahrg. XXIII, 1901, Heft 3: Zur Beurteilung des persönlichen Ehe-
rechts im Vorentwurf eines schweizerischen Civilgesetzbuches, von (Prof.) U. Lampert
(Freiburg, Schweiz) [3. Artik., Schluß]: Die Ehescheidungsgründe; Die Scheidungs-
klage; Die Folgen der Scheidung. — Wirtschaftliche Tagesfragen, von Sempronius
(Wiener Korrespondenz vom 4. III. 1901:) Das Vorstadium der Handelsverträge von
590 Die periodische Presse Deutschlands.
1903. Die österreichische Frage in Frankreich. — Mobiles und immobiles Kapital. —
Sozialer Rückblick, von Walther v. Quarten. — Sozialpolitisches und Wirtschaftliches
aus der Schweiz, von A. Hüttenschwiller. — ete. >
Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. IX. Jahrg., 1901,
Heft 3 u. 4: Zur schweizerischen Handelspolitik. Vortrag, geh. am 4. II. 1901 von
O. Hunziker. — Die russische Arbeiterschutzgesetzgebung, von Hans Fehlinger (Liesing,
bei Wien). — Soziale Chronik. — Statistische Notizen: Die Naturalverpflegung in der
Schweiz. — Sozialpolitisches Archiv, N’ 1: Gewerbegerichte und Einigungsämter in der
Schweiz. X. Solothurn. — Die rechtliche Stellung der Ehe- und Handelsfrau in Deutsch-
land, von Bruno Volger (Leipzig). — Die Krankenversicherung in der Hausindustrie,
von Eug. Schwiedland. — Soziale Chronik: Arbeiterbewegung, ete. — Statistische Notizen :
Die Auswanderung aus der Schweiz im Jahre 1900. — ete.
Zeitschrift für schweizerische Statistik. Jahrg. XXXVI, 1901, I. Band, 1. Liefe-
rung: Protokoll der Jahresversammlung des Verbandes schweizerischer amtlicher Statistiker
und der schweizerischen statistischen Gesellschaft den 24. u. 25. IX. 1900 im GroBrats-
saale in Chur (S. 1—154). — Protokoll der Jahressitzung der schweizerischen statisti-
schen Gesellschaft, Montag, den 24. IX. 1900.
M. Amerika.
Annals of the American Academy of political and social science (issued bi-montly).
Vol. XVII, n° 2, March 1901: Election methods and reform in Philadelphia, by Clinton
Rogers Woodruff. — The reorganization of railroads, by Edw. Sherwood Mende. —
Politieal and municipal legislation in 1900, by Rob. H. Whitten. — Paternal insurance
in the United States, by B. H. Meyer. — Editorial, by Rob. P. Falkner. -— Communi-
cations: Greater Chicago, by J. H. Gray. — The juvenile court of Chicago and its
work, by C. Kelsey. — Meeting of the American Economic Association, by H. R. Seager.
— Theoretical socioloy, conducted by J. E. Hagerty: The origin of totemism. Child
suieide in Prussia. — etc.
Bulletin of the Department of Labor. N° 33, March 1901 (Washington): Foreign
labor laws, by W. F. Willoughby (of the Departm. of Labor). — The British conspiracy
and protection of Property Act and its operation, by A. Maur, Low. — Digest of recent
reports of State bureaus of labor statistics: Connecticut; North Carolina; Pennsylvania ;
West Virginia. — State reports on building and loan assoeiations: California; New
York. — Digest of recent foreign statistical publications. — Deeisions of courts affect-
ing labor. — Laws of various States relating to labor enacted since January 1, 1896.
Journal of Political Economy. Vol. IX, N° 1, December 1900: The anthracite
miners’ strike of 1900, by G. O. Virtue. — Shipping subsidies, by F. L. Me Vey. —
The distribution of money, by C. A. Conant.
Quarterly Publications of the American Statistical Association, New series, N° 52,
December 1900: Advertising in the United States, by Sidney A. Sherman. — The prac-
tical use of vital statisties, by Fred. L. Hoffmann. — Miscellany and notices: Classifi-
cation of causes of death, by C. E. A. Winslow; Employers liability, by Miles Men.
Dawson; Vital statistics of the army; Notes on vital statistics; A mathematical analysis
of the curve of deaths of different ages, by C. E A. Winslow. — etc.
Die periodische Presse Deutschlands.
Alkoholismus, der. Vierteljahrsschrift zur wissenschaftlichen Erörterung der
Alkoholfrage. Jahrg. II (Dresden 1901). Heft 1: Ueber die Notwendigkeit der Gründung
von Triukerheilstätten, von C. Pelmann (GehMedR.). — Wer soll die künftigen Trinker-
heilanstalten errichten und leiten? von Schaefer. — Die Verwendung des Spiritus zur
Krafterzeugung, von G. Asmussen. — Mitteilungen aus der Trinkerfürsorge, von (Rektor)
Neumann. — Die Alkoholfrage in Rußland, von A. v. Rothe (GehStaatsR.). — Referat
über „Das Temperenzproblem und die soziale Reform“, von Jos. Rowntree und Arthur
Sherwell. — VII. internationaler Kongreß gegen den Alkoholismus in Wien, 1901.
= etc.
Die periodische Presse Deutschlands. 591
Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft.
Jahrg. XXXIV, 1901, Nr 3. Herausgeg. von K. Th. Eheberg und Ant. Dyroff: Der
hessische Gesetzentwurf über die öffentlichen Sparkassen, von Seidel (Wiesbaden). —
Gold ersparende Zahlungsmethoden in dem heutigen Bankverkehr Deutschlands, von
Dunker (Frankfurt a/M.) |I. Art... — Ueber die rechtliche Stellung der ärztlichen
Standesvertretungen, von Schanze (Dresden) [I. Vortrag]. — Zur Entwickelung des Etats
für die Verwaltung der kais. deutschen Marine, von W. Thrän (Forts.). — Die Todes-
erklärung Verschollener nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, von B. Lehmann (Ebers-
walde) [Schluß]. — etc.
Archiv für Eisenbahnwesen. Jahrg. 1901, Heft 2, März und April: Theoretische
Betrachtungen über das Binnenschiffahrtsabgabenwesen in Deutschland, von (Prof.) Herm.
Schumacher. — Die russischen Südwestbahnen, von (Ingen.) F. Thiess. — Deutsch-
lands Getreideernte in 1899 und die Eisenbahnen, von G. Thamer. — die Reichseisen-
bahnen in Elsaß-Lothringen und die Wilhelm-Luxemburgbahnen im Rechnungsjahre
1899. — Hauptergebnisse der österreichischen Eisenbahnstatistik für das Jahr 1898. —
Die Betriebsergebnisse der Staatsbahnen und der 6 großen Eisenbahngesellschaften in
Frankreich im Jahre 1899. — etc.
Archiv für öffentliches Recht. Band XVI, 1901, Heft 1: Zollausschlüsse und
freie Niederlagen. Eine zollrechtliche Studie, von Chr. Behr. — Eisenbahn und Wege-
recht, von O. Mayer. — Geburt und Aufenthalt als Anknüpfungspunkte für den Erwerb
der Staatsangehörigkeit, von J. Keidel. — Soldatentestament in China, von R. Weyl.
Kapitalabfindung der Rentenberechtigten, von B. Hilse. — ete.
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Herausgeg. von A. Osterrieth.
Jahrg. VI, 1901, N" 2, Februar: Konferenz des Deutschen Vereins zum Schutze des
gewerblichen Eigentums am 19. Dezember 1900 (S. 29—56).
Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich.
Herausgeg. von Gustav Schmoller. Jahrg. XXV, 1901, Heft 1: Neuere Agrarpolitik in
Algerien und Tunesien, II. Art. (Tunesien), von G. K. Anton. — Die gewerbliche Ent-
faltung im Deutschen Reiche nach der Gewerbezählung vom 14. VI. 1895, von Paul
Kollmann (Schluß). — Die Gewerbeinspektion in Deutschland, von (Fabrikinspektor)
Fuchs. — Die Winzergenossenschaften und die deutsche Gesetzgebung über Wein unter
eingehender Schilderung der Verhältnisse von preußischen Winzervereinen, von Fritz
Deichen (Art. II). — Die Krankenversicherung der Verlagsarbeiter, von E. Schwiedland.
— Zur wirtschaftlichen Lage in den tropisch-amerikanischen Staaten, von Alfr. Weber.
— Auflösung und Wiederherstellung der Berliner Produktenbörse, von F. Goldenbaum.
(Art. II). — Die englische Gewerkvereinsentwickelung im Lichte der Webbschen Dar-
stellung, von G. Schmoller. — Die deutschen Staatsanleihen von 1894—1900, von R.
Eberstadt. — etc.
Masius’ Rundschau. Blätter für Versicherungswissenschaft. Neue F. Jahrg. XIII,
1901, Heft 3: Bedenkliche Bestimmungen für die Reichsinvalidenversicherung. —
Reichsversicherungsgesetz. — Die Lage des Versicherungsgeschäfts im Jahre 1900. —
Die Zunahme der Sterblichkeit durch Krebs. — etc.
Vereinsblatt für deutsches Versicherungswesen, Jahrg. XXIX, 1901, N°5: Die
Bestrebungen der International Law Association, betreffend Ausgleich der wesentlichsten
Verschiedenheiten im Seeversicherungsrecht der einzelnen Länder. — Geschäftsstand des
Rückversicherungsverbandes deutscher Lebensversicherungsgesellschaften, Ende 1900).
Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbefleißes. Jahrgang
LXXIX (1900) (Berlin). Inhalt. Abhandlungen: Ueber Wellenstromenergie, von C.
Heinke (München). — Die Weltausstellung in Paris 1900, von W. Gentsch. — Die
Elektrotechnik auf der Pariser Weltausstellung, von W. Wedding. — Die Thonindustrie
auf der Weltausstellung 1900 in Paris, von (RegR.) Hecht. — Das Eisenhüttenwesen
auf der Pariser Weltausstellung 1900, von (GehBergR. Prof.) H. Wedding. — Die
kunstgewerblichen Metallarbeiten auf der Pariser Weltausstellung 1900, von Fr. Liebe-
tanz (Düsseldorf). — B. Vorträge: Schrift und Schreibgeräte verschiedener Völker und
Zeiten, von Naß. — Ueber Neuerungen in der Zuckerindustrie, von (Prof.) Herzfeld.
— Technische Reisenotizen aus Süditalien, von Frank. — Ueber die Bedeutung der
Elektrochemie für die Technik, von (Prof.) v. Knorre. — Ueber die sozialen Aufgaben
des Maschinenbaues, von (Direktor) Blum. — etc.
Verwaltungsarchiv. Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichts-
barkeit. Herausgeg. von M. Schultzenstein (k. preuß. OVerwGerR.) und A. Keil (k.
592 Die periodische Presse Deutschlands.
preuß. OHofKammerR.). Bd. IX, Heft 4/5, März 1901: Das englische Local Govern-
ment, seine heutige Form und Bedeutung für die preußisch-deutsche Rechtsentwickelung,
von Jul. Hatschek (Privdoz., Heidelberg). — Ueber das Anschlagwesen, insbesondere
nach preußischem Rechte, von Gerland (Senator u. Polizeidir., Hildesheim. — Ueber die
polizeiliche Beschlagnahme eines durch Brand zerstörten Grundstücks behufs Zwangsver-
steigerung, von (AmtR) Altmann (Rixdorf). — Die Heranziehung des gewerblichen Ein-
kommens der Aktiengesellschaft und der Dividende des Aktionärs zur Gemeindeein-
kommensteuer in Preußen (unter dem Gesichtspunkte der Doppelbesteuerung de lege
lata und de lege ferenda), von Wangemann (RegAss., Königsberg i. Pr.).
Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. Herausgeg. vom kaiserl.
statistischen Amt. Jahrg. X, 1901, Heft 1: Anordnungen für die Reichsstatistik aus
dem Jahre 1900. — Zur Statistik der Preise: A. Großhandelspreise wichtiger Waren an
deutschen Plätzen 1900 und in den 20 Jahren 1881/1900. B. Roggen- und Weizen-
preise an deutschen und fremden Börsenplätzen im 4. Vierteljahr 1900. C. Viehpreise
in 10 deutschen Städten im 4. Vierteljahr 1900. — Erntestatistik für das Jahr 1900,
— Der Tabak im deutschen Zollgebiet 1899. — Zollfreie Schiffsbaumaterialien 1900. —
Bestand der deutschen Kauffahrteischiffe am 1. I. 1900. — Verunglückungen deutscher
Seeschiffe 1898 und 1899. — Die Schiffsunfälle an der deutschen Küste 1899. — Die
Förderung und der Absatz von Steinkohlen 1891—1900. — Petroleumproduktion,
Petroleumhandel und Petroleumverbrauch 1891/1900. — Die überseeische Auswande-
rung 1900. — Die Selbstmorde 1899. — Die Eheschließungen, Geburten und Sterbe-
fälle 1899. — Die Bevölkerung des Deutschen Reichs nach der Volkszählung vom 1.
XII. 1900. — Konkurse im 4. Vierteljahr 1900. Vorläufige Mitteilung. — Die jugend-
lichen Fabrikarbeiter und Fabrikarbeiterinnen 1899. — Zur Statistik der Streiks und
Aussperrungen im 4. Vierteljahr 1900. — Bei den deutschen Börsen zugelassene Wert-
papiere 1900. — Die Grundlagen der Handelsstatistik einiger fremder Staaten.
III. Frankreich.
Zeitschrift des kgl. bayerischen statistischen Bureaus. Jahrg. XXXII, 1900,
N" 4: Die Ernte des Jahres 1900. — Die Hagelschläge in Bayern während des Jahres
1900. Mit Rückblicken auf die Erhebungen seit 1879. — Nachweisungen über den
Verkauf von Getreide auf den bayerischen Schrannen sowie über die erzielten Durch-
schnittspreise für das Jahr 1900. — Durchschnittspreise der Viktualien an verschiedenen
Orten Bayerns für das Jahr 1900. — Geburten und Sterbefälle in 25 bayerischen Städten
im 2. Halbjahr 1900.
Zeitschrift für Kleinbahnen. Jahrg. VIII, Heft 4, April 1901: Die elektrischen
Straßenbahnen und das Telegraphenwegegesetz in Preußen, von (RegR.) v. Rohr. —
Staatsbeihilfe für Kleinbahnen. — Ueber elektrische Lokomotiven auf Klein- und Neben-
bahnen, von F. Hermann. — Gesetzgebung. — Kleine Mitteilungen. — ete.
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Jahrg. IV, 1901, Heft 3: Das Bazarwesen
als Wirtschaftsform, von H. Schurtz (Bremen). — Die deutsche Besteuerung des 19.
Jahrhunderts, von A. Buchenberger (Finanzmin., Karlsruhe). — Die eheliche Frucht-
barkeit in Deutschland, von Fr. Prinzing (Ulm) (III. Art. Schluß). — Sozialpolitik:
Von der sozialen Bedeutung des preußischen Fürsorgeerziehungsgesetzes, von G. v. Rohden
(Düsseldorf). — Miszellen. — ete.
Druckfehlerberichtigung.
Seite 202 des Bd. 21 Zeile 14 ist anstatt „Brenn holzunterstützung‘“ zu lesen
„Bau holzunterstützungen“.
Zeile 18 ist in der Klammer hinter 5400 M. einzuschalten „jetzt 8800 M.“.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena,
G. v. Below, Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft et. 593
Nachdruck verboten.
VIII.
Der Untergang der mittelalterlichen
Stadtwirtschaft (über den Begriff der
Territorialwirtschaft).
Von
G. v. Below.
(Fortsetzung und Schluß.)
Zweiter Teil.
Inhalt. V. Die Vorkaufsgesetzgebung, S. 593. VI. Die Grundlagen der Zunft-
verfassung, S. 594. VII. Verleger und Fabrikanten, 8. 596. VIII. Der Handel, S. 609.
IX. Die Ursachen der neuen Erscheinungen, S. 616. X. Das Steuerwesen, S. 624.
XI. Resultate, S. 627.
V. Die Vorkaufsgesetzgebung.
Eines der wichtigsten Mittel, die die mittelalterliche Stadt zur
Aufrechterhaltung ihrer wirtschaftlichen Selbständigkeit und Herr-
schaft angewandt hat, ist das Verbot des Vorkaufs. Begrifflich
könnte man es geradezu als die Grundlage der gesamten Stadt-
wirtschaftspolitik auffassen ®). Praktisch gehen freilich die ver-
schiedenen Sätze des mittelalterlichen Stadtrechts meistens auf beson-
dere Antriebe zurück.
Die Idee der Verwerflichkeit des Vorkaufs wird aus den Städten
durch die Landesherren übernommen, wie Schmoller selbst hervor-
hebt 8): „Der Glaube an die Schädlichkeit des Vorkaufs, der alle
Waren nur verteuere, ging von den städtischen Statuten ziemlich un-
verkürzt in die Landesgesetze über.“
Man kann bei den städtischen Vorkaufsgesetzen des Mittelalters
drei Kategorien unterscheiden ®): der ,Vorkauf* ist Gegenstand der
Gesetzgebung als 1) Kauf außerhalb der städtischen Märkte, 2) „In
87) Vgl. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung S. 42, 64, Anm. 1
und S. 72. Schmoller, Umrisse. S. 645.
88) Schmoller, Umrisse, S. 19. Histor. Ztschr. 75, S. 443, Anm. 4, Ritter,
Deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 40f.
89) Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht, Bd. 37 (1890), 8. 268.
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI) 38
594 . G. v. Below,
den Kauf fallen“, 3) Lieferungskauf. Uns interessiert hier, weil
wir die Frage der Ausdehnung des Verkehrs über das Stadtgebiet
hinaus beantworten wollen, näher nur die gewerbepolizeiliche Be-
stimmung, die in der ersten Kategorie ausgesprochen ist, während
wir die privatrechtlichen Sätze außer Acht lassen dürfen. Von jener
aber ist es bekannt, daß sie noch im preußischen Landrecht durch-
aus festgehalten wird. „Wer durch Auf- und Vorkäuferei — heißt
es Teil II, Titel 20, § 1292°°%) — „Lebensmittel und andere gemeine
Bedürfnisse verteuert oder die Zufuhr derselben zu den öffentlichen
Märkten zu hindern oder zu schwächen unternimmt, soll nach Be-
stimmung der Polizeigesetze eines jeden Orts nachdrücklich bestraft
werden.“
VI. Die Grundlagen der Zunftverfassung.
Die vorstehende Darstellung hat gezeigt, daß die alten Mittel
der Stadtwirtschaftspolitik in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit
nicht beseitigt worden sind. Nun wäre es freilich denkbar, daß die
Bürgerschaften unter Festhaltung der Abschließung nach außen und
der Herrschaft über das umliegende Land ihre innere Organisation
verändert hätten. Gästerecht und Bannmeilenrecht wären vereinbar
mit Preisgabe der Zunftverfassung. Wir haben ja auch schon die
Beobachtung gemacht, daß ein Teil der mittelalterlichen Zunftver-
fassung, die Autonomie, gefallen ist. Indessen die wesentlichen
Stücke der alten Zünfte‘%), der Zunftzwang und die Regelung der
Produktion des Einzelnen im Interesse der ganzen Korporation, die
Beschränkung auf mittlere und kleinere Betriebe, sind bis zum Be-
ginne des 19. Jahrhunderts bei Bestand geblieben. Nur vereinzelt
und dann in der Regel vorübergehend ist es zu Zunftauflösungen
gekommen. Die hochfliegenden Pläne auf radikale Aenderungen für
große Gebiete!) sind nicht verwirklicht worden. Die Thätigkeit der
Landesherren beschränkt sich auf Abstellung von Mißbräuchen und
auf Reformen in Einzelheiten. Die viel genannte Handwerkerpolitik
König Friedrich Wilhelms I. von Preußen ®?) hat auch keinen anderen
Inhalt: weitere Fortschritte in dem Kampf gegen die Zunftautonomie,
in der Abschließung des Territoriums nach außen (Beseitigung der
Abhängigkeit von auswärtigen Hauptladen), etwas größere Unifizie-
rung im Innern des Landes, etwas Abbröckelung von dem alten
90) Vgl. auch Teil II, Titel 8, $ 1355.
90a) Es mag hier darauf hingewiesen werden, daß die oben (S. 454 ff.) erwähnten
Handwerker- und Städtevereinigungen sich keineswegs eine Aenderung der Grund-
lagen des Zunftwesens zum Ziele setzen, sie eher zu befestigen suchen. Vgl. dazu noch
Hansische Geschichtsblätter, 1897, 8. 76 und 103; Ztschr. für Sozial- und Wirtschafts-
geschichte, Bd. 2, S. 64. Auch darin zeigen sich die Schranken, über die die Städte
aus eigenem Antrieb nicht hinausgegangen sind. Vgl. oben S. 472.
91) Vgl. über die an sich interessanten Pläne aus der zweiten Hälfte des 17.
Jahrhunderts summarisch Stieda, Art. Zünfte, Handw. d. St. VI. (1. Aufl.), S. S88f.
92) Vgl. über sie die eingehende Darstellung von Schmoller, Umrisse S. 344 ff.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 595
Zwang?) — diese Neuerungen sind gewiß, für sich betrachtet, der
historischen Betrachtung sehr würdig; indessen die Grundlagen der
Zunftverfassung tasten sie noch nicht an. Es sind dies alles bekannte
Thatsachen. Um sie uns aber ganz und gar gegenwärtig zu machen, ist es
vielleicht gut, daran zu erinnern, daß im 16. Jahrhundert, gegenüber dem
Mittelalter, die Zahl der Zünfte noch wächst %), die Redaktion ihrer Sta-
tuten erst jetzt detaillierter, das Zunftrecht überhaupt bestimmter
ausgebildet wird, daß viele Zünfte erst im 16. Jahrhundert ihre
Zunfthäuser erhalten 291. daß im 16. und 17. die Bedingungen für das
Meisterwerden verschärft werden, daß nicht bloß im 16. und 17.%),
sondern auch noch im 18. Jahrhundert”) niemand zwei offene Läden,
bez. einen offenen Laden und eine Marktbude zugleich halten darf,
daß selbst ein Gesetzbuch wie das allgemeine preußische Landrecht,
welches eine umfassende Kodifikation des Gewerberechts enthält, dem
lokalen Brauch einen weiten Raum gestattet”). Gothein spricht im
Hinblick auf die Uebernahme wesentlicher Stücke der mittelalter-
lichen Zunftverfassung durch die Landesherren von einem „Einge-
ständnis der eigenen Ideenlosigkeit“ "1. Wir wollen hier nicht unter-
suchen, ob und inwiefern wir sie wegen ihres Anschlusses an die
mittelalterliche Form zu tadeln haben "mat, Vielleicht geht es auch
zu weit, der landesherrlichen Gewerbepolitik des 16.—18. Jahr-
hunderts 1°°) eigene Gedanken schlechthin abzusprechen. Thatsache
ist es aber, daß die Landesherren in hohem Maße, oft in über-
raschender Weise in) das städtische Muster nachgeahmt haben.
93) Zu den interessantesten Maßnahmen gehören in dieser Hinsicht die Kon-
zessionierung der Freimeister und die der Hausierer. Klagen der Städte über die Frei-
meister bez. Freibriefe s. z. B. bei Breysig-Spahn, Bd. 2, S. 637 (vgl. S. 727), über die
Hausierer (Schotten) ebenda S. 1120 und Schmoller, Umrisse S. 19. Im Allg. Prß.
Landrecht Teil II, Titel 8, $ 184 wahrt sich der Staat das Recht, Freimeister anzu-
stellen. Die Freiheit, die den Hausierern gewährt wird, ist übrigens lokal verschieden.
Manchen Orts wird das Hausieren für bestimmte Waren streng untersagt. Tröltsch,
Die Kalwer Zeughandlungskompagnie, S. 72.
94) Von Schmoller selbst angedeutet, Umrisse S. 324 und 329 (Forschungen zur
brandenb. und preuß. Gesch., Bd. 1, S. 65 und 69). Hier und da wird die Zunftver-
fassung erst im 18. Jahrhundert eingeführt. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarz-
waldes, Bd. 1, S. 450.
95) Vgl. mein älteres deutsches Städtewesen und Bürgertum, S. 59.
96) Techen, Hansische Geschichtsblätter, 1897, S. 91. Kleine Abweichungen vom
Marktzwang kommen, wie es scheint, schon seit dem 16. Jahrhundert auf. S. ebenda
S. 92. Ueber eine Milderung in Breslau im 17. Jahrhundert s, Walter Borgius, Archiv
für soziale Gesetzgebung, Bd. 13, S. 47.
97) Schmoller, Umrisse, S. 422
98) Teil II, Titel 8, § 179 ff.
99) Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd, 1, S. 3934
99a) Zur Rechtfertigung der Konservierung (auch Verschärfung) der Zunftver-
fassung im 17. Jahrhundert vgl. Tröltsch, Die Kalwer Zeughandlungskompagnie, S. 76.
100) Gothein, S. 394.
101) Vgl. das von mir in meinem Aufsatz „Die städtische Verwaltung des Mittelalters
als Vorbild der späteren Territorialverwaltung‘“, Histor. Ztschr., Bd. 75, S. 444 ange-
führte charakteristische Beispiel. Daselbst habe ich auseinandergesetzt, in welchen
Zweigen der Verwaltung die Städte von den Territorien kopiert worden sind, bez.
diese sich als selbständig schöpferisch erwiesen haben. In mehreren Verwaltungs-
38*
596 G. v. Below,
Jedenfalls ist es richtiger, auf die „Ideenlosigkeit* hinzuweisen, als
den Beginn einer neuen Wirtschaftsperiode mit dem Eintritt der
Neuzeit zu behaupten.
Schmoller’s Periodisierung erklärt sich daraus, daß er sein Augen-
merk fast nur auf die politische Seite der Gewerbegeschichte richtet
und den Erfolg der territorialen Politik jener Jahrhunderte zu hoch
anschlägt. Wer aber eine Theorie der Wirtschaftsstufen aufstellen
will, wird in erster Linie die allgemein wirtschaftlichen und sozialen
Momente zu untersuchen haben. Man darf nicht ohne weiteres an-
nehmen, daß eine Verändernng im Subjekt der Gewerbepolitik zu-
gleich eine allgemeine Umwandlung der gewerblichen Verhältnisse
bedeutet.
Als erster hat wohl Tröltsch der Schmoller’schen Periodisierung
der Gewerbegeschichte widersprochen. In der Rezension einer Publi-
kation zur Gewerbegeschichte der Stadt Münster i. Westf.!02) hebt
er hervor, daß das Jahr 1661, in dem die Selbständigkeit der Stadt
und damit auch die Autonomie der Zünfte ihr Ende erreicht, wohl
rechtlich und politisch, nicht aber wirtschaftlich und sozial einen
Abschnitt bezeichnet. In vielen anderen Städten beseitigen die
Landesherren die städtische Autonomie schon im 16. Jahrhundert.
Daher. datiert Schmoller von da ab die Periode der Territorial-
wirtschaft. Allein das politische Ereignis greift hier eben nicht so
tief. In ihrem Kern bleiben die alten Zustände bis in das 19. Jahr-
hundert erhalten !°3), Man muß äußere und innere Gewerbever-
fassung unterscheiden.
VI. Verleger und Fabrikanten.
Die soeben gemachten Bemerkungen über die Fortdauer der
alten Gewerbeverfassung bedürfen nun allerdings einer Einschrän-
kung. Wir haben schon angedeutet, daß der grundsätzlich anerkannte
Zunftzwang sich manche Abbröckelung im einzelnen gefallen lassen
mußte. Es könnte ferner sein, daß, wie die äußere Gewerbeverfassung
nicht mehr mit der inneren übereinstimmt, so auch diese mit der
zweigen sind die Landesherren originaler gewesen als auf dem Gebiet der Gewerbe-
olitik.
> 102) Histor. Vierteljahrsschrift Bd. 1 (1898), S. 544 ff. Vgl. oben S. 455, Anm. 19,
über die Publikation von Krumbholtz.
103) Bücher, Entstehung der Volkswirtschaft, S. 113, läßt die alte stadtwirtschaft-
liche Organisation nicht ganz korrekt „bis gegen Ende des vorigen (d. h. des 18.) Jahr-
hunderts“ bestehen. — Eine unrichtige Anschauung von der sozialen Struktur des Hand-
werkerstandes in der Zeit des Uebergangs vom Mittelalter zur Neuzeit hat Schönlank,
Soziale Kämpfe vor dreihundert Jahren (Leipzig 1894). Zur Kritik seiner Ansichten
vgl. Oldenberg, Jahrbuch für Gesetzgebung, 1896, S. 322, Stieda, Histor. Ztschr, Bd. :
74, S. 100, Sombart, Archiv für soziale Gesetzgebung, Bd. 7, S. 720 ff., Eulenburg,
Ztschr. für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 4, S. 136ff. Auch Lamprecht beur-
teilt die sozialen Verhältnisse der gewerblichen Kreise nicht richtig. Zur Kritik seiner
Behauptungen vgl. Max Lenz, Histor. Zeitschr., Bd. 77, S. 385 ff., Kaser, Politische und
soziale Bewegungen im deutschen Bürgertum zu Beginn des 16. Jahrhunderts und W.
Stolze, zur Vorgeschichte des Bauernkrieges.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 597
thatsächlichen Gestaltung der Dinge nicht gleichen Schritt hält. In
Bezug auf den ersten Punkt sind namentlich zu erwähnen die be-
schränkte Zulassung von Freimeistern und Hausierern 1) und die
ebenfalls beschränkte, sogleich näher zu erörternde Anerkennung
einer großindustriellen Thätigkeit. In Bezug auf den zweiten Punkt
ist daran zu erinnern, daß schon im Mittelalter die Durchführung
der Idee der Zunftverfassung an den Thatsachen Grenzen gefunden
hat 981 Sie ist immerhin in so hohem Maße gelungen, daß wir nicht
Bedenken tragen, das Mittelalter eine Periode der Stadtwirtschaft
zu nennen. Suchen wir jetzt ein Urteil darüber zu gewinnen, ob
in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit der Widerspruch zwischen
Zunftverfassung und thatsächlichen Zuständen ein erheblich größerer
geworden ist. Uebrigens werden sich die Betriebe, die unter staat-
licher Anerkennung aufkommen, und diejenigen, die sich mehr oder
weniger im Gegensatz zum geltenden Gewerberecht ausbilden, nicht
ganz scharf von einander sondern lassen.
Die Entstehung einer Grofindustrie 1%) in Deutschland ist in
neuerer Zeit mehrfach geschildert worden. So hat Stieda in den
Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 39 und 40106), eine Dar-
stellung der Entstehung der Hausindustrie gegeben. Er nimmt
drei Quellen für diese an: 1) Entsteht sie durch Auflösung der
Fabrikunternehmung (S. 108 ff.), 2) aus einer Nebenbeschäftigung
des Landvolkes (S. 110 ff.), 3) durch Umbildung des handwerks-
mäßigen Betriebes in einen hausindustriellen (S. 115 ff). Die
erste Art dürfte für uns nicht in Betracht kommen. Die zweite
wird uns später beschäftigen. Für den am häufigsten eingeschlagenen
Weg hält Stieda die dritte Art. Er weist zunächst auf die expor-
tierenden Handwerker hin, die genötigt waren, sich für ihren Absatz
der Vermittelung des Kaufmanns zu bedienen. Das konnte den An-
laß zur Ausbildung neuer Formen der wirtschaftlichen Beziehungen
geben. In dieser Hinsicht ist besonders lehrreich ein Vertrag, den
104) S. oben S. 595 Anm. 93.
105) Vergl. meine Theorieen der wirtschaftlichen Entwickelung, passim, z. B. S. 56
Anm. 2.
106) Das Wort Großindustrie gebrauche ich hier im allgemeinen Sinne und unter-
scheide zwei Formen derselben: 1) Das Verlegertum mit hausindustrieller Thätigkeit
der abhängigen Leute, 2) die Fabrik. Nur bei der zweiten Kategorie liegt ein gewerb-
licher Großbetrieb vor. Bei der ersten haben wir es mit gewerblichen Kleinbetrieben
(beziehungsweise Mittelbetrieben) zu thun, die jedoch im Dienste eines kaufmännischen
Großbetriebs stehen. Den Ausdruck „kapitalistische Unternehmung“ vermeide ich wegen
des verschiedenen Gebrauchs, den man von dem Worte Kapital macht. Vergl. Bücher,
Entstehung der Volkswirtschaft, S. 151 ff.; meine Theorien der wirtschaftlichen Ent-
wickelung, S. 59 ff.
106a) S. auch den Ueberblick bei Roscher, Stieda, Nationalökonomik des Handels
und Gewerbefleißes, 7. Auflage, S. 725 ff., der freilich nicht ganz kritisch ist. Der
Aufsatz von R. Martin, Großbetrieb und Handwerk vor 600 Jahren, Preußische Jahr-
bücher, Bd. 91 (1898), S. 305 ff. bezieht sich nur auf die Ersetzung der Fußwilkerei
durch die Walkmühle und der Spindel durch das Spinnrad. Vergl. neuerdings hierzu
kritisch Al. Schulte, Geschichte des mittelalterlichen Handels und Verkehrs zwischen
Westdeutschland und Italien mit Ausschluß von Venedig, Bd. 1, S. 113 und 117 ff.,
besonders S. 118 Anm. 9 und S. 121.
98 G. v. Below,
EI
4 Lübecker Kaufleute im Jahre 1424 mit der Zunft der Bernstein-
dreher daselbst schließen: die Meister derselben — 12 an der Zahl
— verpflichten sich, während der beiden nächsten Jahre ihr gesamtes
Produkt an Paternosterkränzen den Kaufleuten zu überlassen. Eine
solche Verpflichtung stellt eine bedeutsame Abweichung von der
mittelalterlichen Gewerbeverfassung dar. Freilich stehen solche Hand-
werksmeister immerhin noch verhältnismäßig selbständig: „es fehlt
die Anweisung des Kaufmanns, wie die Ware herzustellen sei, die Liefe-
rung des Rohstoffes ‘durch den Unternehmer“ 1971. Der ausgedehnte
Paternosterhandel jener Zeit!) führte auch an anderen Stellen zu
ähnlichen Verhältnissen. Das Ulmer 1%) Handlungshaus Ruland setzt
im 15. Jahrhundert ganze „Fässer“ von Paternostern (aus Mistelholz)
und ferner Salzburger „Tafeln“ 10) in Menge um. Es erhält
sie von Handwerkern, die durch einen wohl um eine Nuance schärferen
Vertrag als die Lübecker Pasternostermacher gebunden sind!!). Die
107) Max Weber, Zeitschrift für Handelsrecht, Bd. 37 (1890), S. 270 faßt den
Vertrag von 1424 in Uebereinstimmung mit F. Conze, Kauf nach hanseatischen Quellen
(Bonner Dissertation von 1889), S. 55 juristisch als Kauf (Lieferungskauf), nicht als
Dienstmiete auf. „Wirtschaftlich“ — fährt er fort — „hat allerdings . . . die schiefe Ebene
zum hausindustriellem Betrieb bereits begonnen; juristisch aber läge zu einer Aende-
rung der Konstruktion selbst dann noch ein Anlaß nicht vor, wenn eine Monopolisie-
rung der gesamten Arbeitsleistung (Verbot, für andere zu arbeiten) stattfände und die
Art der Herstellung seitens des „Verlegers‘“ speciell vorgeschrieben wäre. Erst die
mindestens teilweise Lieferung des Rohstoffes durch den Kapitalisten bildet, wie wirt-
schaftlich einen der wichtigsten, so juristisch den entscheidenden Schritt.“
108) Stieda hat über die Thätigkeit des von ihm S. 118 erwähnten Hildebrand
Vockinchusen inzwischen in seinen „Hansisch-venetianischen Handelsbeziehungen im
15. Jahrhundert“ Näheres mitgeteilt. Vergl. diese Jahrbücher, Bd. 75, S. 12 Anm. 27.
Ueber die Bernsteindreher (Paternostermacher) s. auch Pauli, Lob, Zustände 3, S. 41 f.
In großem Umfang blieb bei ihnen neben dem Absatz an Verleger der an das große
Publikum erhalten.
109) Ich habe über die Unternehmungen dieses Handelshauses schon in diesen Jahr-
büchern, Bd. 75, S. 12 und 41 gesprochen. Stieda bezeichnet als Sitz desselben irr-
tümlich Augsburg. — Vergl. auch meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung,
S. 52 Anm. 1 und S. 54.
110) Stieda, S. 118 Anm. 3 denkt hier an Schreibtafeln. Richtiger scheint mir
die Erklärung zu sein, die der Herausgeber des Ruland’schen Handlungsbuches dem
Worte giebt. Ott Ruland’s Handlungsbuch, herausgeg. von Hassler, Bibliothek des
Stuttgarter litter. Vereins, Bd. 1 (1843), S. VII f.
111) Die Bestimmung, daß sie von ihren Erzeugnissen niemand etwas verkaufen
sollen, „sy geben dan ainen 1 tafel und nicht sammenkaufs“ (Stieda, S. 119 Anm. 2),
findet sieh ganz ähnlich in dem Arbeitsverhältnis der von der Kalwer Kompagnie ab-
hängigen Zeugmacher. Tröltsch, Die Kalwer Zeughandlungskompagnie, $. 92: Verbot
vom Juhre 1653, die Waren kisten- oder ballenweise abzusetzen. Diese Abmachungen
illustrieren gut die neuen Verhältnisse im Gegensatz zum mittelalterlichen Stadtrecht
(speciell Gästerecht), welches im Interesse der städtischen Gewerbetreibenden den Gästen
den Kleinverkauf untersagt, sie auf den Großhandel beschränkt. S. diese Jahrbücher,
Bd. 75, S. 6. Man sieht, wie das eine Mal der Verkauf im kleinen, das andere Mal
der im großen als Vorrecht gewährt, bez. vorenthalten wird. Es mag hier auch noch
die Rolle der Lübecker Schuhmacher von 1441 herangezogen werden, welche dem
Schuhmacher, der dem Kaufmann „thor seewart“ Schuhe machen will, verbietet, ihm
mehr als 10 Paar zu liefern, ehe sie von den Elterleuten „besehen“ sind. Wehrmann,
Die älteren Lübeckischen Zunftrollen, S. 414; Stieda, S. 116. Nach dem Zusammen-
hang der Zunftrolle ist diese Bestimmung wohl zunächst nur so zu verstehen, daß die
Notwendigkeit der gewerblichen Schau eingeschärft wird. Aber zugleich diente sie
gewiß der Tendenz, den Handwerker von dem Kaufmann unabhängig zu halten.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 599
Frage, ob die Lieferanten des Ruland’schen Handlungshauses durch-
weg städtische Handwerker oder neben solchen auch Landleute ge-
wesen sind, mag hier unbeantwortet bleiben. Weiter in das Mittel-
alter zurück reichen die von Stieda verwerteten Nachrichten über
Abweichungen vom strengen Zunfthandwerk in der Böttcherei, die
mit dem großen Heringshandel der Hanseaten zusammenhängen.
Diese Abweichungen sind indessen in den neueren Jahrhunderten
kaum stärker, eher geringer geworden. Ueberdies betreffen sie nur
ein lokal beschränktes Gebiet. Wichtiger ist das Schicksal der
Klingenschmiede und der Messermacher in Solingen, die im 17., teilweise
schon im 16. Jahrhundert unselbständige Lohnarbeiter werden; frei-
lich ist auch dies ein lokaler Vorgang. Die von Stieda erwähnten
Kämpfe im Hutmachergewerbe erheben sich wohl kaum über mittel-
alterliche Gegensätze und endigen außerdem mit einem Siege der
Zunftverfassung (im 17. Jahrhundert). Er weist ferner auf die Um-
wandlungen innerhalb der Textilbranche hin, die sich seit dem Aus-
gang des Mittelalters vollziehen !!?). Bei ihnen haben wir es zweifellos
mit den lokal am weitesten greifenden Abweichungen vom mittel-
alterlichen System zu thun. Sie sind denn auch von anderen
Forschern eingehender, sogar in besonderen Monographien, behandelt
worden 13), Die Geschichte der Ulmer Barchentindustrie hat E. Nüb-
ling, Ulms Baumwollweberei im Mittelalter (Schmoller’s Forschungen
IX, 5) erzählt!!4). Ulmer Kaufherren beschäftigten Landleute, die
neben der Weberei zugleich Landwirtschaft trieben !15). Ihre Barchent-
produktion erreichte einen außerordentlichen Umfang ; aber die Thätig-
keit der „Gäuweber“ 116) rief den heftigen Unwillen der zünftigen
112) Uebrigens haben wir es auch hier teilweise mit Gegensätzen zu thun, die
schon dem Mittelalter bekannt waren und gewissermaßen in der Natur der Sache lagen.
113) Um bei dieser Gelegenheit ein paar Nachrichten über Städte, deren Gewerbe-
geschichte noch nicht monographisch behandelt worden ist, zusammenzustellen, so lesen
wir bei P. v. Stetten, Geschichte der reichsfreien Stadt Augsburg, Bd. 1, S. 703 und
779, daß einige Kaufleute den Färbern ihren Arbeitslohn mit allerhand Waren (Farb-
und anderen Waren) und noch dazu zu einem zu hoch angesetzten Preise bezahlt haben
(es wird deshalb eine Untersuchung gegen sie angestellt). Buff, Augsburg in der Re-
nuissancezeit, S. 92 hebt hervor, daß, während bei den meisten Handwerken die Zahl
der Meister viel größer als die der Gesellen ist, sich bei den Bleichern 4 Meister und
83 Gesellen finden. Dieselbe Thatsache erwähnt Hartung, Jahrbuch für Gesetzgebung,
Bd. 19, S. 850 Anm. 4, knüpft aber daran eine zu weit gehende Generalisation. Der
Rat von Ravensburg traf schon im Mittelalter Bestimmungen über den Fall, daß je-
mand „sein Geld auf Leinwand leihen will“. Hafner, Geschichte der Stadt Ravens-
burg, S. 135. Den (zünftigen) Stadtwebern in Memmingen und Biberach droht eine
Zeit lang die Konkurrenz der Gäuweber (im 15. Jahrhundert). Es gelingt ihnen jedoch
bald, deren Abtreibung durchzusetzen und ihr Zunftmonopol zu behaupten. Nübling,
Ulms Baumwollweberei im Mittelalter, S. 149 f.
114) Vergl. dazu neuerdings Al. Schulte a. a. O., Bd. 1, S. 646.
115) Nübling, S. 148.
116) Nach Nübling, S. 145 erhalten in der früheren Zeit die Weber als Lohn-
weber die Baumwolle von den Wollherren zum Weben; später dagegen „fungiert viel-
fach der Weber als selbständiger Unternehmer, kauft die Wolle vom Wollherrn, läßt
sie spinnen, verwebt sie und verkauft dann den rohen, d. h. ungebleichten Barchent
wieder an den Barehenthändler, trägt also das ganze Risiko der Produktion.“ Die Lage
der Güuweber würde sich hiernach also im Laufe der Zeit nicht verschlechtert haben,
sondern wäre, wenigstens vielfach, eine selbständigere geworden.
600 G. v, Below,
Stadtweber hervor, die den Rat gegen die verderbliche Konkurrenz
in Bewegung zu setzen suchten. Dieser nahm indessen die Partei der
Kautleute. Lange hat jedoch die Ulmer Großindustrie nicht geblüht.
Sie fiel zwar nicht den heimischen Handwerksmeistern, sondern aus-
wärtiger Konkurrenz (namentlich der der Fugger’schen Weber aus
Weißenhorn) zum Opfer (seit den dreißiger und vierziger Jahren des
16. Jahrhunderts) 117). Geering, Handel und Industrie der Stadt
Basel, S. 359 ff. schildert, wie die Mitglieder der Handelszunft „zum
Schlüssel“, der alten Gewandschneiderzunft 118), eine größere Industrie
zu begründen suchen, wie aber die Weber ihnen widerstreben und
wie diese — im Zusammenhang mit einem allgemeinen großartigen
Siege der Zünfte — das entschiedene Uebergewicht erlangen. Die
betreffenden Kämpfe fallen in das ausgehende 15. und die erste
Hälfte des 16. Jahrhunderts. Von da ab herrscht die zünftige Arbeit
in der Stadt Basel. Allerdings kommt nachträglich wieder eine Groß-
industrie daselbst auf. Allein diese sieht sich genötigt, ihre Arbeiter
außerhalb der Stadt zu suchen 115*). Tröltsch giebt in seinem Buch
„über die Calwer Zeughandlungskompagnie und ihre Arbeiter“ die
eingehendste und gründlichste Darstellung, die bisher ein Zweig der
in den neueren Jahrhunderten aufkommenden Großindustrie gefunden
hat. In Württemberg entfaltet sich das neue Gewerbe der Zeug-
macherei aus der städtischen Tuchmacherei !!°?) und zwar in der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Bei dieser Entwickelung spielt
einmal die Mode eine sehr wesentliche Rolle, indem man sich in
jener Zeit in ganz Mittel- und Süddeutschland von den Tuchen den
Zeugen zuwendet 12°). Sodann ahmt Württemberg das in der Nach-
barschaft, insbesondere im Badischen Pforzheim, schon angenommene
Verlagssystem nach; es zeigt den Wunsch, den außerwürttembergischen
Händlern ihr Geschäft abzuschneiden 1211. Unter den Verlegern
spielen die Färber die Hauptrolle!??). Sie bringen die anderen
Personen, die bei der Produktion beteiligt sind, in Abhängigkeit.
Diese Gestaltung der Dinge beschränkt sich freilich auf einen Teil
Württembergs, „das Schwarzwaldgebiet und den größten Teil des
sogenannten Gäus (Herrenberg und Böblingen) bis gegen den Schön-
buch hin“ +23). Hier ist der Sieg der Verleger um 1612 entschieden.
117) Nübling, S. 159. Nur eine dürftige Existenz führte die Ulmer Barchent-
weberei noch im 17. Jahrhundert.
118) Vergl. meine Großhändler und Kleinhändler im deutschen Mittelalter, in diesen
Jahrbüchern, Bd. 75, 8. 17.
118a) Auch die Frankfurter Kapitalisten haben ihre industriellen Anlagen außer-
halb des Stadtgebictes begründet. Ein Hauptgrund dafür war ebenfalls die in der
Stadt herrschende zünftlerische Organisation. Darmstädter, Das Großherzogtum Frank-
furt (Frankfurt a. M. 1901), S. 291,
119) Tröltsch, S. 10.
120) Tröltsch, S. 18.
121) Tröltsch, S. 19.
122) Tröltsch, S. 20 und 28. Wie ein einzelner Fürber in Konstanz schon in der
ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu einer solchen Stellung gelangt, darüber s. Gothein,
Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1, 8. 523.
123) Tröltsch, S. 29.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 601
Im ganzen übrigen Württemberg bleibt die Zeugmacherei wie die
Tuchmacherei Handwerksbetrieb. Die Vereinigung der Verleger zu
der Calwer Zeughandlungskompagnie fällt in das Jahr 1650124),
Dieselbe hat bis zum Ende des 18. Jahrhunderts bestanden. Die
Beziehungen der Kompagnie zu den von ihr abhängigen Webern
sind durch die sogenannte „Moderationsverfassung“ geregelt; sie
bedeutet die Gebundenheit der Zeugmacher (ländlicher wie städtischer)
gewisser Distrikte an die Calwer Kompagnie. Die abhängigen Weber
sind, soweit ihr Verhältnis zu der Kompagnie in Betracht kommt,
der alten Zunftverfassung entrückt; in anderen Beziehungen gelten
aber für sie wie für die freien Weber manche Schranken der Hand-
werkerverfassung. Gothein würdigt in seiner Wirtschaftsgeschichte
des Schwarzwaldes eingehend das Aufkommen der Großindustrie auf
verschiedenen Gebieten, besonders auch das in der Textilbranche.
Er spricht die Ansicht aus (S. 35), daß „die ursprüngliche Gestalt
der Großindustrie die Handelsvormundschaft ist“. Der Ausdruck
Handelsvormundschaft wird, obwohl er etwas der Sache Wesentliches
gut hervorhebt, besser vermieden, da man ihn auch in anderem
Sinne gebraucht '?®). Bleiben wir also bei der Bezeichnung Ver-
legertum. Richtig wird es sein, daß dieses die älteste nachweisbare
Form der Großindustrie ist!?®). Indessen ist doch der gewerbliche
Großbetrieb nicht viel jünger. Bekanntlich hat im Jahre 1391 der
Nürnberger Patrizier Ulman Stromer eine Papiermühle angelegt,
zweifellos die erste, die Deutschland erhalten hat 127). Er beschäftigte
in ihr im ganzen 12 Arbeiter — das ist eine Zahl, welche für mittel-
alterliche Verhältnisse einen Großbetrieb ersten Ranges darstellt.
Die Papierproduktion ist wohl auch weiterhin regelmäßig in der
Form des Großbetriebes erfolgt!*®). Ueber die Verbreitung der
Großbetriebe überhaupt äußert sich Gothein !?°) dahin, daß sie „zu-
nächst nur da möglich waren, wo neue Gewerbe mit schwer erlern-
barer Technik, die alsbald auf einen weiten Absatzkreis spekulierten,
rasch in die Höhe kamen“. Für die Papiermacherei trifft diese Er-
klärung unzweifelhaft zu. Sie gilt ferner großenteils für den Buch-
124) Tröltsch, S. 55.
125) Vergl. Wilh. Stolze, Zur Vorgeschichte des Bauernkrieges (Schmoller’s Forsch»
ungen, XVIII, 4), S. 47.
126) Gothein, 8. 35 verweist namentlich auf die seit dem 14. Jahrhundert be-
stehende Organisation in dem Konstanzer Leinwandhandel. Ganz schlüssig ist seine
Beweisführung hier übrigens nicht.
127) Chroniken der deutschen Städte, Bd. 1, S. 77 f. und 474. Geering a. a. O.,
S. 286 f.
128) Vergl. Geering, S. 287 f. Hafner, Geschichte von Ravensburg, S. 275, 327,
440, 606. Al. Schulte, Geschichte des mittelalterlichen Handels und Verkehrs zwischen
Westdeutschland und Italien, Bd. 1, S. 623 und 663. Die früher weit verbreitete An-
sicht, daß Ravensburg die erste Papiermühle in Deutschland gehabt habe (s. z. B.
Theodor Herberger, Augsburg und seine frühere Industrie [Augsburg 1852], S. 17), ist
irrtümlich. Ueber die Papierindustrie vergl. ferner Pauli, Lüb. Zustände 3, 3:
Siewert, Rigafahrer in Lübeck, S. 191 (vor 1425).
129) Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1, 8. 29. Achnlich Stieda bei
Roscher a. a. O., S. 726.
602 G. v. Below,
druck 13°). Man kann von ihr aber auch bei der Frage nach der
Verbreitung des Verlegertums in gewissem Sinne Gebrauch machen.
Wenigstens wies der Ulmer Stadtrat die Ansprüche der Weberzunft
auf das Barchentmonopol mit der Motivierung zurück, der Barchent
sei ein fremdes Gewirk und gehöre überhaupt gar keiner Zunft;
d. h.: die Barchentweberei sei nicht einer von den seit alters von
den städtischen Zünften mit Beschlag belegten Berufen, sondern
etwas neu Importiertes #1). Andererseits sind die Gewerbe, in denen
Großbetriebe aufkommen, nicht bloß die neuen, vielmehr auch manche
alte, So verfällt vor allem der Bergbau dem Großbetrieb !3?). In
anderen alten Gewerben finden sich wenigstens einzelne Beispiele
desselben. Aus Worms!3?) hören wir von einem (im Jahre 1514
wegen Aufruhrs hingerichteten) Kürschner, daß er „gemainlichen 12,
14, 16, 13 und daruber knecht gehalten“ und daß „auch vil ander
kursner kursenwerk zwischen Frankfurter messen bei ime kauft
haben“ 184), Es liegt auf der Hand, daß wir es hier mit einem
wirklichen Großbetriebe zu thun haben !?5), der sich an das alte
Handwerk anschließt, gewissermaßen auf einer Erweiterung desselben
beruht. Die vorhin erwähnte große Ausdehnung der hansischen
Böttcherei zeigt, wie bemerkt, das Verlegertum; vielleicht aber sind
daneben auch schon industrielle Großbetriebe einzelner Böttcher-
meister vorgekommen. Gothein glaubt Beispiele von Großbetrieben
in der Metzgerei konstatieren zu können !3®), Indessen sind es
doch durchaus Ausnahmen, wenn wir innerhalb der alten Gewerbe
Großbetriebe finden. Soweit die Großindustrie in ihnen Platz greift,
geschieht es vom Ende des Mittelalters bis ins 18. Jahrhundert ganz
überwiegend in der Form des Verlegertums !37). Wenn wir hiermit
130) Vergl. Roscher-Stieda a. a. O., S. 728 Anm. 2 über die gewaltige Ausdehnung
der Druckerei des im Jahre 1513 verstorbenen Nürnberger Bürgers A. Koberger. —
Ein anderes Beispiel eines neuen Gewerbes, in dem der Großbetrieb Anwendung findet,
liefert die Sammetweberei. Nübling, S. 161 Anm. 2.
131) So im 15. Jahrhundert. Nübling, S. 149,
132) Vergl. Gothein, S. 30 ff. und S. 667 ff.
133) Quellen zur Geschichte der Stadt Worms, herausgeg. durch H. Boos, Bd. 3
(Monumenta Wormatiensia), S. 647 Anm. 1.
134) Beachtenswert ist es auch, daß dieser Kürschner nach dem bei Boos a. a. O.
mitgeteilten Inventar über seinen Nachlaß ein sehr bedeutendes Warenlager besessen hat.
35) Wenn man mit Hasbach (vergl. meine Theorien der wirtschaftlichen Ent-
wickelung, S. 61 Anm. 2) den Begriff der lokalen Arbeitsvereinigung als wesentlichen
Bestandteil des Begriffs Fabrik ansieht, wird man kein Bedenken tragen, den Groß-
betrieb jenes Kürschners Fabrikbetrieb zu nennen. Bücher wird dagegen von seiner
Definition des Wortes Fabrik aus ihn nicht so bezeiehnen. Entstehung der Volks-
wirtschaft, 2. Aufl., 8. 154 (3. Aufl., S. 204).
136) Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1, S. 501: die Metzgerei habe
sich in Freiburg i. B. (im 16. Jahrhundert) infolge der Fleischtaxen als Großgewerbe
entwickelt. Ueber Beispiele des Großbetriebes in anderen Berufen s. ebenda S8. 856
s. v. Großbetrieb.
137) Ueber die Verbreitung des Verlegertums und der Hausindustrie im 17. und
18. Jahrhundert s. Stieda, Entstehung der deutschen Hausindustrie, S. 129 ff. Es mag
hier hervorgehoben werden, daß die viel genannte, im Jahre 1685 herausgegebene
Schrift „Entdeckte Goldgrube in der Accise“ die hausindustrielle Betriebsform nament-
lich gegenüber dem Fabriksystem rühmt. Stieda, S. 130.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 603
die sachlichen Grenzen der Verbreitung der Großindustrie beschrieben
haben, so dürfen wir hinsichtlich des numerischen Verhältnisses
sagen, daß die Zahl der großindustriellen Unternehmungen in den
ersten Jahrhunderten der Neuzeit noch immer eine ziemlich be-
scheidene bleibt. Die Großbetriebe (Fabriken) — innerhalb der an-
gegebenen sachlichen Grenzen — mehren sich etwas seit den letzten
Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts infolge der Anregungen, die die
um ihres Glaubens willen aus den Niederlanden, Frankreich und
teilweise Italien vertriebenen Protestanten !?®) gaben. Allein ein er-
heblicher Fortschritt tritt doch wohl erst im 18. Jahrhundert mit
den unter dem Einfluß des Merkantilsystems begründeten Fabriken
ein, die der Mehrzahl nach teils staatliche Begünstigung erfuhren,
teils direkt staatliche Unternehmungen waren 139), und die deshalb
auch vielfach einen künstlichen Charakter zeigen 140), Unternehmungen
von Verlegern kommen seit dem Ausgang des Mittelalters häufiger
—
138) Vergl. z. B. Geering, Handel und Industrie der Stadt Basel, 8. 449 ff.;
Gothein a. a. O., S. 46 ff., 565 und mehrfach; Tröltsch a. a. o. S. 3f; Roscher-
Stieda a. a. O., S. 729. — Uebrigens sind die Anregungen, die Deutschland von Süden
und Westen erhalten hat, bekanntlich älter als die Hugenottenzeit , und auch in ihr
gehen sie nicht bloß von einwandernden Protestanten aus. Vielfach erfolgt der Aus-
tausch in der Weise, daß Deutsche ins Ausland wandern und von dort die bessere
Kenntnis heimbringen. Ueber die Italiener als Lehrmeister der Deutschen des Mittel-
alters in der Papierindustrie s. Geering, S. 286 ff. und Al. Schulte, Bd. 1, S. 623
Anm. 1. Vergl. ferner Nübling, S. 161 Anm. 2; G. v. d. Ropp, Hansische Geschichts-
blätter 1892, S. 174 ff.; Stieda, Hausindustrie, S. 125. E. O. Schulze, Die Kolonie-
sierung und Germanisierung der Gebiete zwischen Saale und Elbe, 8. 234 Anm. 3
(dazu Tröltsch, S. +). Bei der Umwandlung des Betriebes im Bauwesen — im Mittel-
alter erfolgt die Ausführung der Bauten durch zünftige Handwerker (vergl. meine
Theorien der wirtschaftlichen Entwiekelung, S. 54 Anm. 3) — spielen die Ausländer auch
eine groBe Rolle. Ueber die Verwendung italienischer Architekten im 16. Jahrhundert
s. Histor. Zeitschr., Bd. 75, S. 429. Ueber die allmähliche Einschränkung des Monopols
des zünftigen Handwerksmeisters im Bauwesen vergl. Hansische Geschichtsblätter 1897,
S. 49. Es bedarf übrigens ja keiner Beweisführung , daß der Klein- und Mittelbetrieb
sich hier noch in bedeutendem Umfang behauptet hat. Noch im Jahre 1760 entschied
das Wismarsche Konsulat, daß Schiffsarbeit nur von dem ganzen Reiferamte gemein-
schaftlieh und nicht von einzelnen Meistern zu übernehmen und zu verrichten sei. Han-
sische Geschichtsblätter, 1897, 8. 104. Vergl. diese Jahrbücher, Bd. 75, S. 47.
139) Die Litteratur über diesen Gegenstand ist so groß, daß sie hier auch nicht
annähernd vollständig eitiert werden könnte. Um einige Beispiele zu geben, sei auf
Koser, König Friedrich der Große, Bd. 1, S. 429 ff., v- Bassewitz, Die Kurmark Branden-
burg vor 1806, S. 444, Roscher-Stieda, S. 729, Schüz, Ztschr. für die gesamte Staats-
wissenschaft, Bd. 6, S. 297 hingewiesen.
140) Sehr ungünstig äußert sich hierüber v. Bassewitz a. a. O., S. 457 f. Tröltsch,
Histor. Vierteljahrssehrift, Bd. 3, Jahrgang 1900, S, 138 urteilt über die Fabrikgrün-
dungen des 18. Jahrhunderts in Berlin, es handle sich „um künstliche Pflanzungen,
deren Lebensfähigkeit nur ausnahmsweise die Stürme der napoleonischen Kriege über-
dauerte.“ Wir werden freilich darin, daß wirtschaftliche Unternehmungen bei gewal-
tigen politischen Erschütterungen zurückgehen, noeh keinen unzweifelhaften Beweis für
ihren Mangel an Lebensfähigkeit sehen dürfen. Uebrigens aber ist es für den Zusam-
menhang unserer Untersuchung nicht notwendig, eine allgemeine Würdigung der merkan-
tilistischen, hier speeiell der Friderieianischen Politik zu versuchen. Wir haben nur
die einfache Thatfrage zu beantwarten, wie weit man sich in den neueren Jahrhunderten
vom alten Handwerk entfernt hat. Ueber die Berechtigung der Pflege der Großindustrie
im merkantilistischen Zeitalter vergl. einerseits Schmoller, Umrisse , a 530 ff. anderer-
seits Gothein, Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein, Heft 58, S. 198 ff.
604 G. v. Below,
vor als Fabriken. Aber „bisweilen mußte die Großindustrie von
Positionen, die sie schon erobert zu haben glaubte, noch zurück-
weichen t41), Immer wurde durch sie der Kreis des zunftmäßigen
Handwerks nur eingeschränkt, nicht dieses selber umgewandelt“ 1+2).
Es dürfte hier für die Interpretation der Quellen der Gewerbe-
geschichte eine allgemeine Bemerkung nicht überflüssig sein. In der
Gegenwart ist die Neigung sehr verbreitet !‘3), bei jeder Nachricht,
die einen Gegensatz zwischen Altem und Neuem anzudeuten scheint,
ohne viel Ueberlegung „Verfall“, „Zersetzung“, „Auflösung“ des Alten
zu wittern. Auf einem solchen Wege würde es ein leichtes sein,
bereits für das Ende des Mittelalters die völlige Auflösung des
Zunftwesens zu demonstrieren 1%). Ja, wir müssen sogar hinzu-
fügen: schon für das echte und rechte Mittelalter ließe sich ein
derartiger Beweis führen. Wir haben uns jedoch daran zu erinnern,
daß kaum einmal ein System absolut herrscht, daß es regelmäßig
gilt Gegensätze zu überwinden. Ein System, eine Tendenz wird nur
immer die Vorherrschaft ausüben. Und gerade bei dem Zunftwesen
des Mittelalters wird jeder Forscher, je mehr er sich in jene Zeiten
vertieft, um so deutlicher erkennen, daß es seine Geltung Kämpfen
verdankt, keineswegs reines „Naturprodukt“ ist145), dem etwa,
nachdem seine Periode abgelaufen war, kraft derselben Natur-
gewalt ein anderes System folgte. Man hat mit Recht den mittel-
alterlichen Zünften von ihrem ersten Bestehen an eine antikapita-
listische Tendenz zugeschrieben !*®). Wir dürfen uns deshalb nicht
wundern, wenn im weiteren Verlauf ihrer Geschichte immer und
immer Mächte auftauchen, die sich ihnen nicht fügen wollen. Auch
schon im Mittelalter mußten die Zunftmeister beständig auf ihrer
Hut sein, um die Vorherrschaft ihres Betriebes zu behaupten. Was
wir nun seit dem Beginn der Neuzeit von Gegensätzen gegen das
Zunftwesen beobachten, das hat sehr oft keinen wirklich neuen
Charakter; es finden sich vielmehr genug Analoga solcher Differenzen
schon im Mittelalter.
Wir werden über die maßgebende Stellung, die das Zunftwesen
auch in den neueren Jahrhunderten eingenommen hat, noch größere
141) S. z. B. oben S. 599 Anm. 113 über Memmingen und Biberach und unten
die Beispiele über den Kampf des Handwerks gegen die Großindustrie. Auch inner-
halb der gewerblichen Großbetriebe hat manches Unternehmen nur ein kurzes Leben.
Nübling, S. 161 Anm. 2.
142) Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1, S. 437, mit beson-
derem Bezug auf das 18. Jahrhundert.
143) Vergl. diese Jahrbücher, Bd. 75, S. 37.
144) Solche Fälle der Gefahr einer Bildung von Großbetrieben, wie sie Stieda im
Histor. Taschenbuch, Jahrgang 1855 (z. B. S. 330 ff.) schildert, konnten wohl auch im
Mittelalter vorkommen.
145) Vergl. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, S. 63 ff. (über
die Entstehung der mittelalterlichen Stadtwirtschaft),
146) Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1, S. 28. Vergl. dazu
meine Theorien der wirtschaftlichen Entwiekelung, S. 71 Anm. 2. Man wird freilich
darüber streiten können, in welchem Maß die antikapitalistische Tendenz bei der ersten
Begründung der Zünfte mitgewirkt habe.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 605
Klarheit gewinnen, wenn wir jetzt die Haltung der Staatsgewalt in
den Kämpfen zwischen Handwerk und Großindustrie in den Grund-
zügen zu schildern versuchen.
Manches, was in dieser Hinsicht lehrreich ist, haben wir schon
zu erwähnen Gelegenheit gehabt. Es sei namentlich an die Entschei-
dungen der städtischen Regierungen in Ulm und Basel erinnert:
dort zu Gunsten des Kaufmanns, der Großindustrie, hier!) zu
Gunsten des Handwerks. Beide Male wurden die Entscheidungen
von städtischen Republiken, von Reichstädten getroffen. Je nachdem
die Kaufleute oder die Handwerker zu maßgebendem Einfluß in der
städtischen Verwaltung gelangt waren, ergriff man diese oder jene
Wirtschaftspolitik. Weniger einfach liegen die Verhältnisse in den
Territorien. In ihnen hat es die Regierung mit komplizierteren In-
teressengegensätzen zu thun; die Politik der Landesherren zeigt nicht
so radikale Umschläge wie die städtische. Im ganzen darf man sagen,
daß die territoriale Gewerbepolitik der Hauptsache nach unter dem
Einfluß der mittelalterlichen Tradition, nämlich der der Stadtwirt-
schaft, steht und in dieser durch die Rücksichten, die die territoriale
Steuerpolitik ihr auferlegt, festgehalten wird. Ein charakteristischer
Fall mag hier aus dem Herzogtum Jülich 4) erörtert werden.
Im Jahre 1539 erhob die Stadt Düren Beschwerde darüber, daß
durch die einem gewissen Clemens gehörige Kupfermühle Holz und
Kohlen verteuert würden. Darauf entschied die Herzogliche Regierung
folgendes: Clemens soll „gein holz oder koelen mit wagen oder
karren van den anbrengeren oder zufoereren gelden noch gebruichen;
sonder, wes ime so zuqueme, sol er abwisen und nit annemen; aber,
wes ime van m. g. h. of anderen uf dem stock van eigen buschen
an schlagholz verkouft wurde, ungeferlich zu dri, vier und zom aller-
hochsten vunf morgen zu, jarlichs verbruichen mogen. Und notturf-
tige holzkoelen sullen ime durch einen koller zom hochsten jarlichs
zu 18 wagen zugefoert werden. Und sunst sol er gein holz oder
holzkolen gebruichen, usgescheiden wachholter- und ginzteren-
Schanzen, ... Und damit die holzkoelen nit zu hoech verduirt, wil
hochg. m. g. h. bevelhen, das geine holzkoelen us dem . . . lande
van Gulich gefoirt sullen ‘werden, doch nach befinden . . . siner f. g.
solichs zu veranderen und das den undertanen auch geburliche beza-
long nach der werde geschehe.*
Wie man sieht, wird hier eine Entscheidung gefällt, die sich
durchaus im Rahmen der mittelalterlichen Stadtwirtschaftspolitik hält:
Wenn für den Holz- und Kohlenverbrauch ein Maximum festgesetzt
wird, so ist dies eine Maßregel, die der städtischen Verwaltung des
Mittelalters ganz geläufig (st Dn. Wenn die große Entwickelung einer
Industrie die für den täglichen Bedarf unentbehrlichen Waren ver-
teuert, so hält die Obrigkeit sich für berechtigt und verpflichtet, sie
147) Ueber die ähnlichen Fälle in Biberach und Memmingen s. oben $S. 599
Anm. 113.
148) S. meine Landtagsakten von Jülich-Berg, Bd. 1, S. 234.
149) Hansische Geschichtsblätter 1397, S. 83 f.
606 G. v. Below,
zu hindern. Wie der Kölner Stadtrat das blühende Gewerbe der
Kunsttöpferei mit Rücksicht auf die durch sie herbeigeführte Teuerung
des Brennholzes (und die Feuergefährlichkeit des Betriebes) gewaltsam
vernichtete und die Krugbäcker zur Auswanderung trieb 1%), so be-
seitigt der Jülicher Landesherr jenen Großbetrieb zwar nicht, redu-
ziert ihn aber auf einen bescheideneren Umfang. In der verhält-
nismäßigen Duldung, die er ihm gewährt, wird man kaum eine
Abweichung vom mittelalterlichen System sehen dürfen.
Die territoriale Gewerbepolitik des 16. Jahrhunderts nimmt wohl
durchweg den Standpunkt ein, den der Jülicher Herzog dort vertritt.
Aber auch noch im 17. ändert sie sich nicht, bis strengere merkan-
tilistische Anschauungen zur Herrschaft gelangen. In den Territorien
wie in den Reichsstädten 151) befreundet man sich sehr langsam mit
der neuen Betriebsweise. Wenn in Württemberg die Kalwer Zeug-
handlungskompagnie über die freien Handwerker siegt, so sind ihre
Mittel Täuschung der Regierung und die württembergische Vettern-
wirtschaft 152).
Seit dem Ausgang des 17. Jahrhunderts, seit dem Anschluß an
strengere merkantilistische Grundsätze sind die Regierungen, sind
wenigstens einzelne Fürsten oft sehr energisch für die Großindustrie
gegen die Zünfte eintreten 1791. Aber im allgemeinen hat man doch
die groRindustriellen Unternehmungen als eine Abweichung von dem
normalen, wünschenswerten Zustand der Dinge empfunden 154), Auch
Schmoller bestreitet dies nicht. Er beschreibt die Stellung der
preußischen Regierung im 18. Jahrhundert in folgender Weise:
„Man könnte sagen, die Gesetzgebung habe die Ausbildung größerer
Geschäfte und ihre Konkurrenz untereinander fördern oder nicht
hindern wollen, habe aber doch jede Wendung zum spekulativ-kapi-
talistischen Betrieb unter dem Handwerk noch als ein Uebel ange-
sehen 155).*
Ohne den zähen Widerstand der Zünfte hätte die Großindustrie
zweifellos mehr Terrain gewonnen. In ihrem Kampfe gegen dieselbe
kam ihnen nicht bloß die Haltung der Regierungen zu statten, sondern
auch ihre vom Mittelalter ererbte wirtschaftliche Organisation. Für
einzelne Gewerbe, die ohne größeres Anlagekapital "nicht betrieben
werden konnten, waren im Mittelalter Anstalten zu gemeinsamer
Benutzung errichtet worden, die sich entweder im Eigentum der
Stadt oder in dem der Zünfte befanden 155°). Durch sie erhielt der
150) Korrespondenzblatt der Westdeutschen Zeitschrift, 1899, Sp. 87.
151) Ueber das 17. Jahrhundert s. z. B. Roscher-Stieda, S. 729.
152) Tröltsch, S. 73, 80, 84 f.
153) Vergl. z. B. Koser, Friedrich d. Gr., Bd. 1, S. 432,
154) Vergl. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1, S. 438.
155) Umrisse, S. 452. Schmoller äußert sich daselbst weiter über die Stellung der
Kaufleute, von der er meint, daß sie im Verkauf von Produkten des Handwerks freiere
Bewegung erhielten. Hierzu nachher noch ein Wort.
155a) Vergl. Schönberg, Jahrbücher für Nationalökonomie, Bd. 9, S. 113. Diese
Thatsache wird in dem oben 8. 597 Anm. 106a erwähnten Aufsatze von Martin nicht
genügend gewürdigt.
(Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 607
einfache Handwerksmeister die Vorteile, die sonst großer Kapital-
besitz gewährt. Solche gemeinsamen Anstalten sind nun auch in
den neueren Jahrhunderten bestehen geblieben, ja öfters neu ange-
legt worden 15%5°) und haben die Zünfte im Kampf gegen die Groß-
industrie unterstützt 155°),
Ein Schüler Schmollers, Ed. Otto. schildert den Zustand des
18. Jahrhunderts mit den Sätzen: „Unter dem Einflusse des fürst-
lichen Absolutismus und seiner merkantilen Wirtschaftspolitik trat
neben das zünftige das freie 155) Handwerk, neben den handwerks-
mäßigen Kleinbetrieb die „Industrie“, d. h. der hausindustrielle und
der fabrikmäßige Mittel- und Großbetrieb. Die Kundenproduktion #5?)
trat allmählich zurück, zwischen den Gewerbetreibenden und den
Kunden schob sich mehr und mehr der zur Zeit der Zunftblüte ver-
pönte Zwischenhändler ein.“
Es scheint mir, daß in diesen Worten das Verhältnis, welches im
18. Jahrhundert zwischen Handwerk und Großindustrie bestanden
hat, doch nicht ganz richtig ausgedrückt ist. Gewiß gehört es zu den
schwierigsten Aufgaben, große und komplizierte Verhältnisse in einer
einfachen Formel zusammenzufassen, und wir wollen darum keine
Splitterrichterei treiben. Indessen ist es doch ein tieferer sachlicher
Gegensatz, wenn wir sagen, es hätte der handwerksmäRige Betrieb
als der noch überwiegende, die Kundenproduktion als die noch vor-
herrschende bezeichnet werden müssen. Der Zwischenhändler ist im
18. Jahrhundert zwar nicht in dem Maße wie in früheren Jahrhun-
derten verpönt gewesen; aber für viele Waren schloß ihn die Ge-
werbeverfassung des 18. noch aus 158). Die Schilderung Otto’s dürfte
mehr für das 19. als für das 18. Jahrhundert zutreffen 15°).
Schmoller +°) sagt über das 18. Jahrhundert: „Seit dem 15.
und 16. Jahrhundert hatte der größere interlokale Absatz dahin ge-
drängt, daß der Handwerker nicht mehr alle seine Produkte selbst
verkaufe. ... Der große Schritt der Arbeitsteilung, daß der Hand-
werker technisch produziere, der Kaufmann den Vertrieb besorge,
. . . mußte gemacht werden.“ Und ferner über das 16. Jahr-
hundert 61): „Allerwärts drängte das Arbeiten für entfernteren Ab-
155b) Geering, Handel und Industrie der Stadt Basel, S. 395.
155e) Ueber die Stellung der Händler und der Kupfermühlenbesitzer zu den
Kupferschmieden und die Wahrung des Zunftinteresses im 17. Jahrhundert vgl. Krumb-
holtz, Gewerbe der Stadt Münster, Einleitung, S. 213.
156) Uebrigens ist es wohl richtiger (vgl. die Darstellung von Tröltsch), die zünf-
tiren Handwerker freie Handwerker zu nennen, im Gegensatz zu den von einem Groß-
industriellen abhängigen.
156a) Zur allgemeinen Würdigung der historischen Stellung der Kundenproduktion
vergl. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, S. 41 ff.
157) Eduard Otto, Das deutsche Handwerk in seiner kulturgeschichtlichen Ent-
wickelung (Leipzig 1900), S. 105. -
158) Schmoller, Umrisse, S. 425 macht meines Erachtens einen zu scharfen Unter-
schied zwischen dem Mittelalter und dem 18. Jahrhundert.
159) Ein dem Otto’schen entgegengesetztes allgemeines Urteil fällt Schüz a. a. O.,
S. 297. Richtiger als Otto Gothein, S. 437.
160) Umrisse, S. 426.
161) Straßburger Tucher- und Weberzunft, S. 520.
608 G. v. Below,
satz auch zu einer anderen Organisation des ganzen Gewerbes; das
Befahren der Messen durch den Weber selbst wurde seltener.“ Hier-
zu wäre folgendes zu bemerken. Der interlokale Verkehr bildet auch
schon im Mittelalter ein konstitutives Element im wirtschaftlichen
Leben 1991. Auch das mittelalterliche Handwerk konnte, selbst in
seiner alten Verfassung, bis zu einem gewissen Grade für den ent-
fernteren Absatz arbeiten. Ein erheblicher Export war möglich ohne
Verlegertum und industriellen Großbetrieb 16%). Zuzugeben ist, daß
bei wesentlicher Steigerung des entfernteren Absatzes die alte Hand-
werksverfassung schwer gelitten haben würde. Allein es läßt sich
für Deutschland eine bedeutende Zunahme des Exports im 16. und
17. Jahrhundert doch wahrlich nicht behaupten; sogar im Laufe des
18. findet mehr eine Minderung des Imports als eine Steigerung des
Exports statt. Immerhin soll zugegeben werden, daß in diesem
wenigstens innerhalb der großen deutschen Staaten der Austausch
lebendiger wird. Ein Zug zu größerer Konzentration im Verkehr
tritt schon seit dem Beginn der Neuzeit hervor 154). Doch darf
man sich den Unterschied zwischen dem Mittelalter einerseits und
dem 16. und 17., auch 18. Jahrhundert andererseits nicht zu groß
vorstellen. Wenn Schmoller mit Recht hervorhebt, daß das Befahren
der Messe durch den Weber selbst seltener wurde, so ist es doch
auch wieder notwendig zu betonen, daß der Besuch entfernter Märkte
durch den Handwerker keineswegs aufgehört hat. Sogar in Württem-
berg, trotz der Privilegien der Kalwer Zeughandlungskompagnie,
bringt der Handwerker teilweise selbst auf entferntere Messen sein
Produkt zum Verkauf165), Umgekehrt sind auch im Mittelalter
nicht alle einzelnen Handwerksmeister selbst auf die Märkte gezogen,
haben nicht alle ihre Produkte selbst verkauft. Ein gewisser Spiel-
raum stand bereits damals dem Zwischenhändler frei 166). Jedenfalls
sind in Bezug auf jenen „großen Schritt der Arbeitsteilung“ das 16.
und das 17. Jahrhundert nur wenig und das 18. noch nicht gerade
sehr viel über das Mittelalter hinausgegangen 167).
162) S. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, S. 55.
163) Stieda, Hausindustrie, S. 116 bemerkt mit Recht: „Diese exportierenden Hand-
werke änderten zunächst ihre Verfassung nicht. Sie hielten an der zünftlerischen Orga-
nisation fest.“ Man braucht ja nur daran zu erinnern, daß im 13. Jahrhundert in
beträchtlichem Umfang Handwerksprodukte exportiert wurden, ohne daß es eine Groß-
industrie gab.
164) Ueber eine in dieser Hinsicht bemerkenswerte Thatsache vergl. meine Groß-
händler und Kleinhändler im deutschen Mittelalter, 8. 35.
165) Tröltsch, S. 29.
166) Es sei an die Thätigkeit erinnert, die der Hamburger Gewandschneider Vicko
von Geldersen im Zwischenhandel entfaltet hat. 8. meine Großhändler und Klein-
händler, S. 30 ff.
167) Als Gegenstück zu Schmoller’s Urteil über das 16. Jahrhundert vergl. man
Geering’s Schilderung der Baseler Verhältnisse (Handel und Industrie der Stadt Basel,
S. 396 f.): „Noch zur Zeit der Reformation präsentiert sich uns das Zunfthandwerk in
seiner höchsten Kraft und Lebensfülle. Und der Sieg des Kleinbetriebsprinzips, der
dem Handwerk die bequemsten denkbaren Vorbedingungen schuf, konnte nicht anders
als es wenigstens zeitweilig heben. , , , In Basel dauert die Blüte des Handwerks etwa
bis 1650.“ Betreffs der späteren Zeit sei die Ansicht von Tröltsch (s. oben S. 603
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 609
VIII. Der Handel.
Betreffs des Handels können wir uns kürzer fassen. Unsere
Bemerkungen über das Gäste-, das Stapelrecht, die Beherrschung
des Landes durch die Stadt, die Vorkaufsgesetzgebung, die gewerb-
lichen Verhältnisse haben bereits wichtige Fragen der Handels-
verfassung zum Gegenstand gehabt.
Wir haben gesehen, daß die Leitung der Handelspolitik mehr
und mehr von den Städten auf die Landesherren übergeht !#8). Sie
nehmen sich der Interessen ihrer Städte gegen die Städte fremder
Territorien an!®8®), wofür wir einen bezeichnenden Ausdruck in der
Ausbildung eines territorialen Gästerechts kennen gelernt haben.
Ihre Handelspolitik ist ferner gegen das platte Land, auch gegen
die Landleute des eigenen Territoriums gerichtet, indem sie, wenig-
stens in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit, in dem Streit zwischen
Stadt und Land überwiegend den Ansprüchen der Bürgerschaften
nachgeben. Ueber den Rahmen ihrer Territorien hinaus reicht ihre
Handelspolitik aber nicht !#®®). Das hat vor allem die Hanse er-
fahren müssen. Das Reich war groß genug, um die Aufgabe in sich
zu fühlen, für den deutschen Kaufmann einzutreten. Es fehlte ihm
jedoch die Kraft. Die Landesherren sahen in den selbständigen
Städten „lästige Durchbrechungen des landesfürstlichen Prinzips“ 15°)
und erblickten ihre oberste Aufgabe darin, sie dem territorialen
Anm. 140) angeführt, daß Berlin nach den Stürmen der Napoleonischen Kriege, die
der Mehrzahl nach die unter Friedrieh Wilhelm I. und Friedrich d. Gr. gegründeten
Fabriken zerstörten, „im ganzen wieder das Bild einer Handwerkerstadt bot.‘
163) Beispiele des Uebergangs der handelspolitischen Vertretung von den Städten
auf die territorialen Regierungen bei Schmoller, S. 12 f., der übrigens mit Recht her-
vorhebt, daß anfangs die Anregungen noch von den Städten ausgehen. Dopsch, in
seiner inhaltreichen Besprechung von Luschin v. Ebengreuth, Die Handelspolitik der
österreichischen Herrscher im Mittelalter, Mitteilungen des Instituts für österreichische
Geschichtsforsehung, Bd. 16 (1895), 8. 365 f. hebt mehrere Thatsachen zur Geschichte
der Handelspolitik der österreichischen Herrscher im späteren Mittelalter hervor: so
die Begünstigung Triests als Handelsstadt durch nachdrückliche Betonung eines darauf
abzielenden Straßenzwanges (1459); die Weisung Kaiser Friedrichs vom 17. Juli 1478
an den Hauptmann von Triest darauf zu sehen, daß die Fremden, welche in Triest
Handel und Gewerbe trieben, ihr Gut in Immobiliarbesitz daselbst festlegen sollten ;
den Abschluß von Handelsverträgen mit dem Ausland, soweit dieselben z. B. die Auf-
hebung des für den Handel so schädlichen Rechts der Grundruhr oder die Offenhaltung
und Sicherung der Handelsstraßen auch für den Fall einer kriegerischen Komplikation
der beiden vertragschließenden Mächte bezweckten (1375). So interessant diese That-
sachen an sieh sind, so scheinen sie mir doch über den Rahmen des mittelalterlichen
Systems kaum hinauszugehen (vergl. übrigens oben S. 457 Anm. 27). Wenn Dopsch
meint, die Landesherren suchten darauf hinzuwirken, daß „der Handelsgewinn des
fremden Kaufmannes dem Lande selbst zu Nutzen werde“, so ist doch wohl die Ein-
schränkung zu machen, daß nur der Nutzen der Städte des Landes erstrebt wird.
Vergl. über das älteste Vorkommen wirklicher Handelsverträge A. Oncken, Art. Handels-
verträge, Handwörterbuch d. Staatsw., 2. Aufl., Bd. 4, S. 1080.
168a) Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 45.
168b) Die Regierung der burgundischen Niederlande (vergl. Ritter a. a. O.) kann
als eine einfache deutsche Territorialregierung nicht angesehen werden.
169) Vergl. die präeisen Sätze bei Dietrich Schäfer, Deutschland zur See, S. 22.
Histor. Ztschr., Bd. 75, S. 448; Bd. 83, S. 431.
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 39
610 G. v. Below,
Organismus einzufügen. Eine weiter ausschauende Handelspolitik
entfalten die Territorien erst später und auch nur diejenigen unter
ihnen, die sich über das Maß der normalen deutschen Landesherr-
schaften hinaus zu größeren Staaten entwickeln.
Unter den Maßregeln positiver Natur, die die Landesherren im
Interesse des Handels ergriffen haben, sind ihre Leistungen auf dem
Gebiete des Straßenwesens, der Land- wie Wasserstraßen, zunächst
bescheidener Natur. Eine namhaftere Thätigkeit entfalten sie hier
erst im 18. Jahrhundert 170). Für die Belebung des kaufmännischen
Verkehrs sind im Laufe der Zeit die Posten 1711 von großartiger
Bedeutung geworden. Man kann darüber debattieren, ob Maximilian I.
(soweit seine Person überhaupt in Betracht kommt) sie in Deutsch-
land als König oder als Landesherr eingeführt hat. Jedenfalls wird
man sagen dürfen, daß, von der juristischen Frage abgesehen, seine
königliche Stellung und der außerordentliche Umfang seines landes-
herrlichen Besitzes ihn zu ihrer Einführung veranlaßt haben. Vom
Standpunkt eines normalen deutschen Landesherren aus wäre er
kaum dazu gelangt. Die Landesherren haben anfangs sämtlich ohne
eigene Post die kaiserliche, die Taxissche Post benutzt, und die
kleinen sowie viele mittlere Territorien sind ihr noch sehr lange treu
geblieben. Hauptsächlich nur solche Territorien, die sich schon zu
größeren Staaten ausbildeten, haben eigene Posteinrichtungen ge-
schaffen. In der Geschichte des deutschen Münzwesens hat man
mitunter zu scharf zwei Perioden unterschieden, das Mittelalter als
die Zeit des städtischen, die neueren Jahrhunderte als die des
territorialen Münzwesens. Thatsache ist, daß auch schon im Mittel-
alter die Landesherren sich manche Verdienste um das Münzwesen
erwerben !??). Die Zeit ihrer fruchtbaren Thätigkeit beginnt frei-
lich erst mit dem Beginn der Neuzeit. Anfangs, namentlich im
16. Jahrhundert, erfahren sie noch manche Anregungen vom Reiche.
Im Jahre 1559 wurde durch Reichsgesetz eine einheitliche Münze
für das ganze Reichsgebiet angeordnet 1722), Am meisten kamen
dieser Forderung diejenigen Gegenden nach, in denen die Kreis-
verwaltung stark war, also eine Instanz, die über die Territorien
hinaus ragte. Trotz der geplanten Einheit bestanden selbst in diesen,
die sich doch dem Willen des Reichs gefügt hatten, Verschieden-
heiten 172). Und überhaupt genügten die Kreise nicht der schweren
170) Vergl. Histor. Ztschr., Bd. 75, S. 440 Anm. 1; Roscher-Stieda, S. 455 Anm. 8;
Koser, Friedrich der Große, Bd. 1, S. 440 ff.
171) Zur Litteratur über ihre Einführung in Deutschland s. die neuen Mitteilungen
von Al. Schulte, Bd. 1, S. 500 ff.
172) Vergl. Histor. Zeitschr., Bd. 75, S. 449 f. (zu S. 450 Anm. 2 vergl. Bd. 76,
S. 192); E. v. Schwind und A. Dopsch, Urkunden zur Verfassungsgeschichte der dentsch-
österreichischen Erblande im Mittelalter, S. 191 ff. Am Ende des 15. Jahrhunderts
gehen die Reformen im Münzwesen nicht von der Stadt Köln, sondern von den rheinischen
Fürsten aus. Knipping, westdeutsche Zeitschr., Bd. 13, 8. 374. — Ueber die Frage,
inwieweit das Münzwesen der Städte durch die Territorialregierungen nachgeahmt worden.
ist, s. Hist. Ztschr. a. a. O., S. 450 und Schmoller, S. 427.
172a) Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 56 f.; Bd. 2, S. 460.
172b) Ritter, Bd. 2, S. 461 Anm. 3.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 611
Aufgabe.. Die weiteren Verbesserungen im Münzwesen gehen durch-
aus auf die Landesherren zurück. Das einzelne Territorium war
aber zu klein, um als Grundlage einer besonderen Münzwirtschaft
dienen zu können. Deshalb vereinigten sich mehrere größere Staaten
zu einem Gebiet von gleichem Münzfuß. Für die Ordnung von Maß
und Gewicht hatten die Landesherren sich im Mittelalter sehr wenig
interessiert 178). Seit dem 16. Jahrhundert nehmen sie sich der-
selben mit größerem Eifer an. Im Beginn der Neuzeit, in der Zeit
der Bauernkriege, verlangen mehrere Reformprogramme Einheit von
Maß und Gewicht für das ganze Reich 174). Diese Forderung kommt
aus Kreisen, die den Landesherren feindlich waren. Wie nun die
lokalen Gewalten den Sieg davon trugen, blieb jener Wunsch un-
erfüllt. Die Landesherren haben im Laufe der Zeit wohl daran ge-
arbeitet, innerhalb ihres Territoriums Maß und Gewicht mehr ein-
heitlich zu gestalten. Indessen voile Gleichheit haben sie nicht
erreicht 175). Es blieben in der Reichszeit nicht nur die Verschieden-
heiten von Territorium zu Territorium, sondern auch viele Ab-
weichungen in diesen selbst erhalten.
Von der Stellung der Landesherren zu dem lokalen Gästerecht
und dem Stapelrecht haben wir oben bemerkt, daß sie die mittel-
alterlichen Schranken im 16. und 17. Jahrhundert nur unerheblich,
mit mehr Energie und größerem Erfolge erst im 18. Jahrhundert
zu beseitigen suchen, daß aber von beiden noch das 19. mancherlei
gesehen hat. Ungefähr ebenso verhält es sich mit dem alten Zoll-
wesen. Die Landesherren bemühen sich, im Interesse ihrer Städte
die Beseitigung oder Herabsetzung fremder Zölle zu bewirken 176)
oder fremde Territorien durch Zollerhebungen zu bekämpfen. Im
18. Jahrhundert 1771 werden höchst energische Zollkriege zwischen
den größeren deutschen Staaten geführt. Diese Zusammenfassung
des Territoriums als eines zollpolitischen Ganzen ist dem Mittel-
alter gegenüber etwas durchaus Neues, zumal in der Steigerung, die
uns im 18. Jahrhundert begegnet. Indessen im Innern wird an den
mittelalterlichen Zollschranken kaum gerüttelt; vielmehr bleibt das
System der Binnenzölle im wesentlichen bis ins 19. Jahrhundert er-
halten 175),
Von dem größten Interesse ist für unser Thema aus dem Handels-
173) S. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, S. 41 Anm. 1 und
Ztschr. für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 481 ff.
174) Vergl. darüber z. B. Roscher-Stieda, S. 623.
175) Ueber Anfänge eines einheitlichen Maßes innerhalb des Territoriums im 18. Jahr»
hundert s. Roscher-Stieda, S. 624 Anm. 5.
176) Vergl. Histor. Ztschr., Bd. 75, S. 408 Anm. 1 und S. 447 Anm. 3.
177) Koser a. a. O., S. 442 ff.
178) Sommerlad, Art. Binnenzölle, Handwörterbuch d. St., 2. Aufl., Bd. 2, S. 808.
Aus der Schrift von Ötto Pilet, Ein Rückblick auf mein Leben (Magdeburg 1900),
S. 77 ersieht man gut, wie schr es noch der Kaufmann der zweiten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts empfand, daß „die Binnenwasserstraßen bis auf den Rhein, der durch die
Rheinschiffahrtsakte von Abgaben zuerst frei geworden war, mit Zöllen hoch belastet
waren, namentlich die Elbe“. Die gänzliche Aufhebung der Elbzölle ist bekanntlich
erst sehr spät erfolgt. Vergl. den Art. Elbschiffahrt im Handwörterbuch d. St.
39*
612 G. v. Below,
leben die Bedeutung, die der Großhandel in den neueren Jahr-
hunderten hat. Im Mittelalter hat ein Großhandel keineswegs gefehlt.
Allein er wurde in der Regel von Personen betrieben, die zugleich
im Kleinhandel thätig waren. Jedenfalls gab es keinen Stand der
Engroshändler in der offiziellen Gewerbeverfassung der Stadt 179),
Anders wird es in dieser Hinsicht mit dem Beginn der Neuzeit 18°),
Der Großhandel, gleichviel von wem er betrieben wird, gewinnt ge-
waltig an Ausdehnung. Es ist aber auch ein besonderer Stand der
Engroshändler deutlich wahrnehmbar, und die städtische Gewerbe-
verfassung nimmt jetzt von ihnen auch mehrfach offizielle Notiz.
Um eine Anschauung von der großartigen Ausdehnung des Groß-
handels zu geben, brauchen wir nur an die Unternehmungen der
Fugger und Welser zu erinnern. Es ist bekannt, daß die großen
oberdeutschen Handelshäuser in der zweiten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts sehr schwere Verluste erleiden 1911. Trotzdem scheint die
Tendenz zu stärkerer Ausbildung des Großhandelsverkehrs nicht nach-
zulassen, bleiben namentlich die neuen Formen des Großhandels er-
halten. Diesen widmen wir jetzt eine etwas eingehendere Betrachtung.
Als neue Formen des Großhandels, die die Neuzeit vor dem Mittel-
alter voraus hat, sind namentlich die Börsen und die öffentlichen
Banken, die sich vor der mittelalterlichen Wechselbank zugleich
durch die Ausbildung des Depositen- und Giroverkehrs auszeichnen,
zu nennen. Auch eine zunehmende Bedeutung der Messen darf man
wohl als ein Zeichen der unmittelbar auf das Mittelalter folgenden
Jahrhunderte ansehen !8?). Es wird wenigstens die Behauptung zu-
lässig sein, daß die eigentliche Blütezeit der Messen von Frank-
furt a. M. das 16. Jahrhundert ist !33). Jedenfalls steht so viel fest,
daß Deutschland in diesen, ferner — seit dem 17. Jahrhundert —
in denen von Frankfurt a. d. O. und von Leipzig sehr bedeutende
Messen gehabt hat. Einen ausgeprägteren neuzeitlichen Charakter
als die Messen tragen übrigens die Börsen und öffentlichen Banken ;
sie überdauern auch jene, welche im 19. Jahrhundert ihre alte
Wichtigkeit verlieren.
Wenn wir nun das Verhältnis des deutschen Großhandels zu den
Territorien bestimmen wollen, so nehmen wir wahr, daß er an sie
179) Vergl, meine Großhändler und Kleinhändler im deutschen Mittelalter, S. 7.
150) Auf die ersten Anfänge eines Standes der Großhändler in Deutschland habe
ich in meiner angeführten Abhandlung hingewiesen.
181) Vergl. darüber Ehrenberg’s Buch über das Zeitalter der Fugger. — Ueber
Uas Problem des schon vor dem 30-jährigen Kriege einsetzenden Rückgangs des deut-
schen Volkswohlstandes vergl. u. a. Gothein, Zeitschr. für die Geschichte des Ober-
rheins, 1888, S. 61. S. übrigens auch Westdeutsche Zeitschr., 1900, S. 74.
182) Ueber die historische Stellung der Messen vergl. Rathgen, Art. Märkte und
Messen, Handw. d. St. Die Frage, ob die großen deutschen Messen vorzugsweise eine
neuzeitliche Erscheinung sind, ist übrigens nieht bloß eine Frage der allgemeinen Ver-
schiedenheit von Mittelalter und Neuzeit, sondern hängt auch mit besonderen, momen-
tanen Umständen zusammen. Z. B. war Frankfurt a. M. zu einem beträchtlichen Teil
Erbe von Antwerpen.
153) Man darf freilich andererseits die große Bedeutung der Messen von Frankfurt a. M,
nicht zu spät ansetzen. Vergl. Westdeutsche Zeitschr. a. a. O.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 613
recht wenig gebunden ist, und insbesondere die eben erwähnten
drei Einrichtungen des Großhandels weisen weit über sie hinaus.
Das Haus der Fugger z. B. an ein bestimmtes Territorium zu knüpfen
ist ganz unmöglich. Bekanntlich sind die Landesherren im Verein
‘mit der großen Mehrheit des deutschen Volkes im 16. Jahrhundert
den monopolsüchtigen oberdeutschen Handelshäusern feindlich ge-
sinnt gewesen und haben Versuche gemacht, sie zu beseitigen oder
wenigsten ihren Geschäftsbetrieb einzuschränken; auch die mittleren
und niederen Schichten der Bürgerschaften schlossen sich ihnen hierbei
an !8%+), Die Unterstützung, die die großen Firmen hiergegen ge-
nossen, lag einmal in der städtischen Politik, soweit sie von ihnen
beeinflußt wurde, sodann in der Haltung des Kaisers. Jene Be-
kämpfung der Monopolmacher hat die Landesherren nicht abgehalten,
im einzelnen mit ihnen in Beziehungen zu treten. Die Fugger haben
wohl mit allen namhafteren deutschen Landesherren in Geschäfts-
verkehr gestanden. Aber weit größere Bedeutung hatten für sie die
Beziehungen zu den Häuptern großer Reiche. Und im übrigen ent-
faltet das Haus der Fugger eine Thätigkeit, die nur im Rahmen des
Welthandels Platz findet 184). Betreffs der deutschen Messen des
16.—18. Jahrhunderts kann man darüber streiten, ob sie nur der
Volkswirtschaft oder teilweise auch der Weltwirtschaft angehören.
Unbestreitbar ist es, daß das Territorium einen viel zu kleinen Um-
fang hat, um als Grundlage für den Verkehr einer Messe zu dienen.
Die deutschen Börsen jener Zeit '®5) gelangen nicht zu einer großen
Stellung. Allein einer „Territorialwirtschaft“ kann doch keine ein-
gereiht werden. Sie sind eine Einrichtung für volks- und weltwirt-
schaftliche Beziehungen. Ich führe einen charakteristischen Bericht
des Kölner Bürgers Hermann Weinsberg 186) an: „1597 Februar 15
haben die us- und inwendige kauflude angehalten umb eine neue
183a) Von besonderer Wichtigkeit sind in dieser Hinsicht die Beschlüsse des Nürn-
berger Reichstags. Vgl. O. R. Redlich, Der Reichstag von Nürnberg 1522—23 (Leipzig
1557). Höchst interessant ist es zu beobachten, wie die Vertreter der großen Handels-
häuser die Absichten der deutschen Reichsstände beim Kaiser zu hintertreiben wissen.
S. darüber Kluckhohn, Zur Geschichte der Handelsgesellschaften und Monopole im Zeit-
alter der Reformation, Historische Aufsätze dem Andenken an G. Waitz gewidmet. S.
auch Frensdorff, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanist. Ab-
teilung, Bd. 20; meine Großhändler und Kleinhändler, S. 8 ff. Auch hier (vgl. meine
Theorien der wirtschaftlichen Entwiekelung, S. 76) sieht man übrigens, daß die Aus-
dehnung des Großhandels zum Teil davon abhängig ist, welche Interessenkreise in der
städtischen Verwaltung zu maßgebendem Einfluß gelangen.
184) Welthandel und Weltwirtschaft sind ebenso relative Begriffe wie Weltgeschichte,
Ich verstehe unter Weltwirtschaft eine Wirtschaft, die über den Rahmen der Volks-
wirtschaft hinausgeht.
185) Ueber die Gründung der Kölner Börse s. die Nachrichten im Buch Weins-
berg (herausgeg. von Höhlbaum und Lau), Bd. 2, S. 143; Bd. 4, S. 184 und 268, dureh
die die Angaben von Ehrenberg, Zeitalter der Fugger, Bd. 1, S. 82 und Bd. 2, S. 244
vervollständigt, bez. berichtigt werden. Außer der Kölner kommen aus dem 16. Jahr-
hundert die Börsen von Hamburg, Nürnberg („Herrenmarkt“) und Augsburg (,„Perlach‘)
in Betracht, aus dem 17. die von Lübeck und Bremen. Vergl. den Art. Börsenwesen
von Ehrenberg in der 2. Auflage des Handwörterbuchs der Staatswissenschaften.
156) Buch Weinsberg, Bd. 4, S. 268.
614 G. v. Below,
burse; dan der kaufhandel und wetzel [Wechsel] heufet sich eitz
[jetzt] seir in Italien, Frankrich und ander landen.“ Die öffentlichen
Banken des 17. Jahrhunderts haben mit einem einzelnen Territorium
nichts zu thun. Im weltwirtschaftlichen Verkehr spielen sie wohl
kaum 187) eine Rolle. Sie dehnen ihr Arbeitsfeld indessen über einen `
sehr großen Teil des Deutschen Reiches, wiewohl nicht gerade über
das ganze, aus. Im 18. Jahrhundert bringen allerdings die großen
Staaten, die freilich das Maß regelrechter deutscher Territorien schon
weit überschreiten, Bankinstitute hervor, die ihre Bedeutung in der
Thätigkeit für das Landesgebiet haben. Die wichtigste deutsche Bank
bleibt jedoch einstweilen noch eine nicht territoriale, die Hamburger.
Der Großhandel ist in den neueren Jahrhunderten in Deutsch-
land bedeutender als die Großindustrie. Die Deutschen gehören
wohl zu denjenigen Völkern, deren Geschichte noch verhältnismäßig
viel Uebereinstimmung zwischen Gewerbe- und Handelsentwickelung
aufweist. Aber eine Identität ist nicht vorhanden. Im Mittelalter
giebt es keine Großindustrie in Deutschland, wohl aber einen Groß-
handel fest, Bücher hat seine Theorie der Stufen der wirtschaftlichen
Entwickelung und der mittelalterlichen Stadtwirtschaft unter der
Voraussetzung ausgebildet, daß Handels- und Gewerbegeschichte zu-
sammenfallen, bezw. daß mit der Gewerbegeschichte oder der Handels-
geschichte der Gewerbe auch die allgemeine Handelsgeschichte ge-
geben ist!8°). Eben deshalb hat er vielfach geirrt. Der Handel
fügt sich nicht so gut der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ein, wie
Bücher meint. In der Neuzeit nun beobachten wir wiederum ein
Auseinandergehen von Gewerbe- und Handelsgeschichte. Um nur
zwei Punkte hervorzuheben, so hält sich das Gewerbe offenbar in
stärkerem Grade an die Territorien als der Handel, und die Aus-
dehnung des Großhandels übertrifft, wie bemerkt, die der Großin-
dustrie. Es giebt in Deutschland im 16. Jahrhundert nicht entfernt
so bedeutende Großindustrielle wie Großhändler °°). Es kann eben
der Großhandel Fortschritte machen, während im Gewerbe der kleine
Betrieb die Herrschaft behält.
Es ist bemerkenswert, daß die älteren deutschen Börsen durch-
weg in Reichsstädten gegründet werden. Auch die öffentlichen
Banken des 17. Jahrhunderts (Hamburg, Nürnberg) haben ihren
Sitz in solchen 1°91). Die großen Messen, welche in landesherrlichen
Städten gehalten werden, sind die jüngeren.
Die Frage, welche Politik die Landesherren den Messen gegen-
187) Die Hamburger Bank hatte jedoeh für die nordischen Reiche Wichtigkeit.
188) Natürlich ist dieser Satz in der oben S. 612 Anm. 179 gegebenen Begren-
zung zu verstehen.
189) S. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, S. 29. Vergl. unten
Anm. 237.
190) Allerdings besitzen einige bedeutende Großhändler zugleich großindustrielle
Unternehmungen.
191) Die älteren öffentlichen Leihhäuser sind ebenso wie die älteren öffentlichen
Banken städtische Einriehtungen. Vergl. den Art. Leihhäuser im Handwörterbuch der
Staatswissensehaften und Mor. Ritter, Deutsche Geschichte, Bd, 2, S. 464.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 615
über eingenommen haben, ist nicht einfach zu beantworten. Einer-
seits hat in Leipzig die sächsische Regierung wiederholt die Freiheit
des Verkehrs gegen lokalpatriotische Anwandlungen des Stadtrates
geschützt 19721. Andererseits „mußte die merkantilistische Handels-
politik die internationale Bedeutung der Messen herabdrücken, wie
dies unter Friedrich d. Gr. thatsächlich in Frankfurt a. O. der Fall
war1°%).* Jedenfalls treiben die landesherrlichen Regierungen —
und auch nur einige größere unter ihnen — erst in ziemlich später
Zeit eine ansehnlichere Meßpolitik.
Wir haben nun noch eines für die Handelsverfassung sehr wich-
tigen Punktes zu gedenken, nämlich der Stellung, die die Gesetz-
gebung betreffs des Vertriebs von Handwerksprodukten durch den
Kaufmann einnahm. Die Haltung der Landesherren zu dieser Frage
ist ungefähr dieselbe, die sie in den neueren Jahrhunderten gegen-
über dem Handwerk überhaupt beobachten. Im wesentlichen bleiben
sie dem mittelalterlichen System treu, gestatten nur einige Milde-
rungen !?*),. Vielleicht darf man für das 18. Jahrhundert eine er-
heblichere Abweichung behaupten !°5),
192) Rathgen, Art. Märkte und Messen, Handwörterbuch der Staatswissenschaften
(1. Aufl.), Bd. 4, S. 1121. Uebrigens nimmt einen solchen Standpunkt auch schon der
mittelalterliche Stadtherr ein. S. 1123 verweist Rathgen ferner auf die preußischen
freilich wenig erfolgreichen Versuche, die Messen von Halle und Naumburg zu heben,
solche in Breslau (1742—49) neu zu gründen. „Auch in Oesterreich steht am Beginne
einer staatlichen Handelspolitik die Gründung einer Messe zu Triest (1729)“. Rathgen
räumt übrigens ein, daß Frankfurt a. M. „für seine im 16. Jahrhundert die größte
Bedeutung erlangenden Messen keinen Rückhalt an einer größeren Territorialgewalt ge-
habt hat“. Beispiele einer „territorialen Marktpolitik“ führt er S. 1123 für Frankreich
aus dem 15., für Deutschland erst aus dem 18. Jahrhundert an.
193) Rathgen, S. 1121. Natürlich schließt dies nicht aus, daß innerhalb gewisser
Schranken die preußische Regierung zu Gunsten der Frankfurter Messe thätig war.
194) Vergl. oben S. 606 Anm. 155, S. 607 Anm. 158 und 8. 608.
195) Am Schlusse dieses Abschnittes mögen noch einige einzelne Notizen zur Ge-
schichte des Großhandels gegeben werden. Ueber den Großbetrieb im Holzhandel und
im Weinhandel s. meine Großhändler und Kleinhändler, S. 43. Ueber die Verwand-
lung der zunftmäßigen Kleinschiffahrt in kapitalistische Großschiffahrt s. neuerdings
Chr. Eckert, Rheinschiffahrt im 19. Jahrhundert (Sehmoller’s Forschungen, XVI, 4).
In der Seeschiffahrt kommt der Großbetrieb etwas früher vor. S. meine Großhändler,
S. 45 f. Auch hierbei sieht man, daß Großhandel und Großindustrie in ihrer Ent-
wickelung nicht zusammenfallen: zur Zeit der ersten Anfänge des Großbetriebs in der
Reederei herrscht im Schiffbau noch der Handwerksbetrieb. Vergl. oben S. 603 Anm. 138.
Von Interesse ist es in diesem Zusammenhang, daß die Kaufleute lange Zeit die klei-
neren Fahrzeuge bevorzugt haben. So bemerkt Gothein, Westdeutsche Zeitschr. 14,
S. 241 betreffs der Rheinschiffahrt, daß man erst seit dem 16. Jahrhundert begonnen
hatte, größere Schiffe zu bauen, daß aber dieser technische Fortschritt sich keineswegs
der allgemeinen Billigung erfreute (auch die kaufmännischen Kreise waren viel dagegen).
E. Baasch, Die Börtfahrt zwischen Hamburg, Bremen und Holland, S. 54 f. erwähnt
einen Konflikt zwischen der Bremer Kaufmannschaft und den Bremer Schiffern (im
17. Jahrhundert). „Die fremden Schiffe, die Amelander und Friesen, waren wegen
ihrer Tragfähigkeit . . . sehr beliebt, weil sie Alleinbefrachtungen auch bei kleineren
Ladungen ermöglichten ` die Bremer Schiffe waren dagegen meist größer... . Aber
gerade jene Alleinbefrachtungen . . . waren der Schiffergilde ein Dorn im Auge.“ Ueber
die Bemühungen Friedrichs des Großen um den Bau größerer Seeschiffe s. Koser, Bd. 1,
S. 443. — Um ein vollständiges Bild von der Stellung der Territorien zu den Bewegungen
im Handelsleben zu geben, müßten wir auch auf die Erleichterungen, die die neueren
616 G. v. Below,
IX. Die Ursachen der neuen Erscheinungen.
Bisher haben wir von dem unmittelbaren Verhältnis der Terri-
torien zu den neuen Erscheinungen im Wirtschaftsleben, von ihrer
Gewerbe- und Handelspolitik, gesprochen. Es kann aber auch
eine mittelbare Einwirkung von jenen auf diese stattgefunden haben.
Ueber sie unterrichten wir uns, indem wir die allgemeinen Ursachen
jener Erscheinungen, insbesondere der Ausbildung der Großbetriebe
im Gewerbe und Handel und der neuen Formen des Großhandels,
der Messen, Börsen, Banken, festzustellen suchen.
Nach Bücher’s Auffassung ist, wie wir schon erwähnt haben !°®),
„die Ausbildung der Volkswirtschaft im wesentlichen eine Frucht der
politischen Centralisation 1°”), welche an der Wende des Mittelalters
mit der Entstehung territorialer Staatsgebilde beginnt und in der
Gegenwart mit der Schöpfung des nationalen Einheitsstaates ihren
Abschluß findet. Die wirtschaftliche Zusammenfassung der Kräfte
geht Hand in Hand mit der Beugung der politischen Sonderinteressen
unter die höheren Zwecke der Gesamtheit.“
Gegen den zweiten dieser beiden Sätze wird sich, falls Bücher
damit nicht einen genauen zeitlichen Parallelismus aussprechen will,
Jahrhunderte auf dem Gebiete der Kreditgewährung, der Zinsgesetze und des Handels-
rechts überhaupt bringen, eingehen. Vergl. dazu z. B. Erdmannsdörffer, Deutsche Ge-
schichte von 1648—1740, Bd. 1, S. 113 ff., Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 46 f.
und Gothein, Die deutschen Kreditverhältnisse und der 30-jährige Krieg (Leipzig 1893).
Zum großen Teil hängen jene Fragen mit dem Problem der Rezeption des römischen
Rechts zusammen (vergl. z. B. Weber, Ztschr. f. Handelsrecht, Bd. 37, S. 268). Viel-
leicht ist es der Erwähnung nicht unwert, daß der Bekämpfer des kanonischen Zins-
verbotes Dumoulin bei deutschen Landesherren Aufnahme fand. Doch kommt hier wohl
mehr der Gegensatz des protestantischen Deutschland gegen das katholische Frankreich
in Betracht. Für unseren speciellen Zweck wird es aber nicht erforderlich sein, das
Verhältnis der Territorien zu allen diesen komplizierten Vorgängen darzulegen, da auch
schon die Erörterung der Punkte, die wir in den Vordergrund gestellt haben, ein Urteil
darüber möglich macht, ob man von einer besonderen Periode der Territorialwirtschaft
sprechen darf.
196) S. oben S. 450.
197) Wie früher schon (s. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung,
S. 22), so hat Schmoller auch wieder in seinen „Umrissen und Untersuchungen‘, S. 60
Bücher’s Ausführungen nicht richtig verstanden. Nach ihm liegt das Wesen der Bücher-
schen Stufentheorie darin, daß derselbe „die wirtschaftliche Organisation verschiedener
Epochen unabhängig von Gemeinde, Territorium und Staat aus rein wirtschaftlichen
Ursachen ableiten“ will. Hierzu ist zunächst zu bemerken, daß Bücher durchaus nicht
die Frage nach den Ursachen in den Vordergrund stellt; seine Absicht ist lediglich, die
Etappen der wirtschaftlichen Entwickelung zu schildern. Wo er von Ursachen spricht,
da geschieht es bloß zur Illustrierung, mehr nur nebenbei. Sodann aber zeigt die oben
im Text mitgeteilte Stelle deutlich, daß Bücher wahrlich nicht alles aus rein wirtschaft-
lichen Ursachen „ableiten“ will. Niemand ist weiter davon entfernt als er. Wenn man
ihm einen Vorwurf hinsichtlich der Ableitung der Ursachen machen will, so wäre es
vielmehr der, daß er die politischen Ursachen zu stark anschlägt. Ich habe mich in
dieser Beziehung schon gegen seine Erklärung der Entstehung des Städtewesens aus-
gesprochen. S. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, S. 35. Im übrigen
kann die vorsichtige Art, mit der Bücher sich über die wirtschaftlichen Momente als
Ursachen äußert, anderen Autoren dringend zur Nachahmung empfohlen werden. S.
meine Theorien der wirtschaftlichen Entwiekelung, S. 21 f.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 617
nicht viel einwenden lassen. Hier interessiert er uns so wie so
weniger, da er über die Frage der Ursachen nichts behauptet.
Gegen den ersten Satz indessen dürfte ein Einwand zu erheben
sein. Hören wir aber zunächst Schmoller’s Ansicht !98),
„Der Kampf gegen den großen Adel, die Städte, die Korporationen
und Provinzen, die nicht bloß politische, sondern auch wirtschaftliche
Verschmelzung dieser Sonderkreise zu einem Ganzen, der Kampf
für gleiches Maß und Geld, für ein geordnetes Münz- und Kredit-
wesen, für gleiches Recht und gleiche Polizei, für einen freieren
und lebendigeren Verkehr im Lande war es vor allem, was eine
Arbeitsteilung und einen Wohlstand ganz anderer Art schuf, tausend-
fache Kräfte entband.“
Was Schmoller Arbeitsteilung, zunehmenden Wohlstand und
Kräfteentbindung nennt, das ist ungefähr dasselbe wie das, was
Bücher unter Volkswirtschaft, bezw. Annäherung an die Volkswirt-
schaft versteht. Beide leiten also die neuen wirtschaftlichen Er-
scheinungen „im wesentlichen“, „vor allem“ überstimmend aus einer
politischen Thatsache ab, nämlich dem Fortschritt der Territorial-
bildung. Schmoller’s Satz ist allerdings als nicht ganz klar oder
auch als inkorrekt insofern zu bezeichnen, als er unter die Kategorie
der Ursachen schon „die wirtschaftliche Verschmelzung“ rechnet.
Wir wollen die Möglichkeiten, wie er diese Worte aufgefaßt zu sehen
wünschen mag, nicht durchsprechen. — Beide Autoren sind der (zu-
treffenden) Ansicht, daß die politische Centralisation im Anfang der
Neuzeit noch verhältnismäßig gering war. Aber Schmoller schlägt
sie noch immerhin zu hoch an. Wir haben ja schon von verschie-
denen der hier von ihm berührten Zweige des wirtschaftlichen Lebens
auseinandergesetzt, daß in ihnen ein freierer Verkehr, eine Ver-
schmelzung in den ersten Jahrhunderten kaum erreicht, sogar kaum
erstrebt worden ist. Der Partikularismus innerhalb des Territoriums
ist bis ins 17. Jahrhundert noch recht groß!?®?), Der angebliche
Kampf für gleiches Geld kann für das 16., auch wohl das 17. Jahr-
hundert bei der Kleinheit der deutschen Territorien schwerlich viel
bedeuten. Ueberhaupt sind die landesherrlichen Bemühungen auf
dem Gebiete des Münzwesens in diesen beiden Jahrhunderten, ja
sogar im 18. weder so radikal noch so sorgfältig, daß sich tiefgrei-
fende Wirkungen davon erwarten ließen. Am radikalsten dürften
sie in den Mißgriffen gewesen sein !%?8’). Doch wir wollen über das
Maß der erreichten politischen Centralisation hier nicht weiter streiten.
Daß politische Vorgänge die größte Wirkung auf die Gestaltung
der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse ausüben können, ist
nicht im mindesten zu bezweifeln. Das 19. Jahrhundert hat ja da-
für die greifbarsten Beweise geliefert, z. B. in den Wirkungen, die
die Versorgung der gewaltigen Armeen für die Vermehrung und
198) Umrisse und Untersuchungen, 8. 37 f.
198a) S. mein Territorium und Stadt, S. 223 und 266.
198b) Vergl. z. B. Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 2, S. 463 Anm. 2; Bd. 3,
8. 204 ff.
618 G. v. Below,
Steigerung der Großbetriebe im Handel und Gewerbe gehabt hat,
und in den Folgen der Aufhebung der Binnenzölle für die Belebung
des Verkehrs. Auch andere Zeiten liefern genug Belege für die
Wichtigkeit des politischen Faktors. So hat die Stadtwirtschaft des
deutschen Mittelalters sowohl in der Herrschaft, die sie ausübt, wie
in den Grenzen, die ihr gezogen sind, mancherlei politische Ur-
sachen !?8°). Der deutsche Großhandel z. B. würde zweifellos eine
größere Ausdehnung gewonnen haben, wenn die Macht der Vene-
tianer ihm nicht den Weg über Venedig hinaus versperrt hätte.
Es fragt sich nun aber, ob speciell die neuen Erscheinungen im
Wirtschaftsleben des 16.—18. Jahrhunderts auf politische Ursachen
zurückgehen, und, wenn das der Fall ist, ob die betreffenden poli-
tischen Gewalten gerade die Territorien sind.
Das Aufkommen der großen oberdeutschen Handelshäuser des
16. Jahrhunderts darf man insofern mit den Territorien in Zusammen-
hang bringen, als die Geldverlegenheiten des Landesherrn von Tirol
zur Verpfändung von Bergwerken führten, deren Ausnutzung den
Betrieb der Fugger erheblich gesteigert hat 1991. Auch sonst hat
das große Geldbedürfnis der deutschen Fürsten zur Ausdehnung des
Betriebs der Geldhändler beigetragen. Indessen diejenigen politischen
Mächte, die den Geldhändlern in erster Linie zu thun gaben, waren
nicht die deutschen Landesherren, sondern der Papst 2%), der deutsche
Kaiser und die Monarchen großer Volksstaaten. Soweit also die
Bildung der oberdeutschen Handelshäuser auf politische Ursachen
zurückgeht, sind es überwiegend universale oder volksstaatliche
Kräfte, welche wirksam werden. Nun müssen wir jedoch konstatieren,
daß eben nicht bloß politische Momente in Betracht kommen. Die
Geldhändler Oberdeutschlands haben sämtlich mit dem Warenverkehr
begonnen und die meisten ihn nie ganz aufgegeben. Die einzelnen
haben somit verschieden starke Beziehungen zu den politischen Ge-
walten. Alle jedoch haben den Grund zu ihrer Wohlhabenheit durch
den Warenhandel gelegt. Neben dem großen Geldhandel bildet der
deutsche Kaufmann gleichzeitig den Großbetrieb im Warenverkehr
aus oder vielmehr steigert ihn über das im Mittelalter vorhandene
Maß hinaus. Hier könnte die Analogie der späteren Zeiten die
Vermutung nahe legen, daß der Großbetrieb im Warenverkehr und
ebenso die früher geschilderte Großindustrie durch die Notwendig-
keit der Versorgung der ansehnlichen Söldnerheere, die damals auf-
gestellt wurden, verursacht worden seien. Allein diese Erklärung
wird schwerlich 2911 zutreffen. Dagegen wird man in anderer Weise
198e) Vergl. oben Anm. 183a.
190) Dies ist jedoch nieht die älteste und nicht die einzige Art, wie die Fugger
(und andere oberdeutsche Handelshäuser) zu ihrem großen Bergwerksbetrieb gelangen.
Vergl. darüber neuerdings Al. Schulte, Bd. 1, S. 650 ff.
200) Der Papst leiht nieht bloß Geld von den Fuggern (Schulte, S. 653), sondern
zieht außerdem durch sie von der deutschen Kirche Geld ein.
201) Vergl. Forschungen zur deutschen Geschichte, Bd. 4, S. 485: Mit dem Gelde,
das der Erzbischof von Salzburg 1486 als Reichssteuer einkassiert, wuchert er, indem
er sich durch einen Nürnberger für 1700 Gulden Tuch zu Gewändern einkaufen läßt
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 619
die Steigerung des Großbetriebes im Warenverkehr, wie wir sie im
16. Jahrhundert beobachten, allerdings auf politische Ursachen zu-
rückführen müssen. Wir haben hier an die neuen Entdeckungen ?°1:),
an, die jetzt in großen Massen herbeiströmenden Produkte Indiens
zu denken. Lag darin schon an sich ein Anlaß zur Ausdehnung der
Betriebe, so wirkten noch mehr dahin die strenge staatliche Regelung
des Verkehrs der Kolonieen mit dem Mutterlande und der damit
in Zusammenhang stehende Grundsatz der portugiesischen Regierung,
den Ertrag der Handelsflotte nach Möglichkeit nur im großen zu
veräußern. Es sind dies jedoch wiederum politische Ursachen, die mit
den deutschen Territorien gar nichts zu thun haben.
Die Gründe, die weiterhin den Großhandel und die Großindustrie
befördert haben, lassen sich nicht einfach herzählen und sind schwie-
riger zu erkennen als die genannten. Bald wirkt eine besonders
günstige Absatzgelegenheit°). Bald liegt der Antrieb zur Wahl der
neuen Betriebs- oder Wirtschaftsform in der schwer erlernbaren
Technik eines neuen Gewerbes, das auf einen weiten Absatzkreis
spekuliert ?°). Bald wird die Lücke benutzt, die die mittelalterliche
Zunftverfassung frei läßt?%). Bald bringen Einwanderer die neuen
Einrichtungen ins Land, oder die Deutschen ahmen die fremde Sitte
nach 2%). Großenteils geschieht dies, um der Konkurrenz des Aus-
landes zu begegnen). Mit allen diesen Anlässen kann die Wir-
kung aufgespeicherten Kapitals verbunden sein; aber es kann ferner
auch ohne sie wirken. Wir haben uns dabei jedoch gegenwärtig zu
halten, daß das Kapital nicht getrennt von der menschlichen Persön-
lichkeit seine Wirkungen ausübt 2971. Auf die nicht politischen Ur-
und dies dann bei der Ausgabe (doch wahrscheinlich an die in Sold genommenen Lands-
knechte) mit 2550 Gulden berechnet. Das wäre ein Fall, der in jenem Zusammenhange
in Betracht kommen könnte. Aber es handelt sich hier doch nur um ein Kuriosum.
Veberdies stammt das Geld, das den großen Umsatz möglich macht, nicht aus einer
Territorial-, sondern einer Reichssteuer, — Daß die landesherrliche Verwaltung anfangs
keine erhebliche Bedeutung für die Förderung von Handel und Gewerbe hat, darf man
auch schon der Thatsache entnehmen, daß es im 16. und zunächst auch im 17. Jahr-
hundert noch keine Residenzen im Sinne von Hauptstädten giebt und daß demgemäß
Residenzen als Mittelpunkte von Handel und Gewerbe noch keine Rolle spielen.
201a) Wenn ich hier eine Wirkung der neuen Entdeckungen auf die Art des
Handelsbetriebs in Deutschland annehme, so schließe ich mich damit keineswegs der
Ansicht un, daß dieselben sogleich eine allgemeine Verlegung der Verkehrswege in
Europa hervorgerufen haben. Gegen diese noch immer hier und da vorgetragene An-
schauung hat sich mit Recht wiederum Dietrich Schäfer, Hansische Geschichtsblätter,
1597, S. 3 ff. ausgesprochen.
202) Vergl. oben S. 599 über die Böttcherei.
203) S. oben S. 601 zu Anm. 129.
204) S. oben S. 602 zu Anm. 130.
205) S. oben S. 603 Anm. 138.
206) Das Ausland bilden nieht bloß außerdeutsche Staaten, sondern auch das eine
Territorium im Verhältnis zum anderen. Vergl. Tröltsch, Die Calwer Zeughandlungs-
kompagnie, S. 5 f.
207) Schmoller, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, Bd. 1, S. 97 und 430 weist
treffend die irrige Anschauung zurück, daß die ungleiche Kapitalverteilung an sich die
Großbetriebe erzeuge. „Was sie schafft und erhält, bleiben immer die persönlichen
Eigenschaften.“ „Nicht eine Untersuchung der Natur der Ware, des Kapitals und Aehn-
620 G. v. Below,
sachen sind wir übrigens nicht genötigt näher einzugehen. Denn
für uns handelt es sich ja nicht sowohl um die Frage, ob politische
oder nichtpolitische Momente maßgebend sind, als vielmehr um die,
welche Rolle unter den politischen Gewalten speciell den Territorien
zukommt.
Hinsichtlich der Ursachen der großen Messen, Banken und
Börsen haben wohl schon unsere obigen Erörterungen den Beweis
geliefert, daß sie in Wirkungen, die von den Territorien ausgehen,
wenigstens während des 16. Jahrhunderts nicht gesucht werden können.
Somit können wir also Schmoller und Bücher nicht darin bei-
stimmen, daß die in dieser Zeit bemerkbaren Ansätze zur Ausbildung
einer „Volkswirtschaft“ „vor allem“, „im wesentlichen“ eine Frucht
der politischen Centralisation — beide haben den politischen Fort-
schritt der deutschen Territorien im Auge — seien.VWir haben
uns wiederum daran zu erinnern, daß die politische Gewalt damals
die Großindustrie und den Großhandel weit mehr gehindert als be-
fördert hat. Soweit sie aufkamen, setzten sie sich überwiegend
trotz der politischen Gewalten durch ??8). Uebrigens nimmt Bücher
das, was er zuerst gesagt, nachträglich großenteils zurück. Nachdem
er nämlich von den politischen Kräften, auf die das Neue „im
wesentlichen“ zurückgehe, gesprochen, hebt er die daneben wirkenden
nichtpolitischen Ursachen hervor und nennt als deren Folgen ?°°):
liches bringt uns weiter, sondern eine solche der Ursachen menschlicher Verschiedenheit
und der Institutionen, die diese steigern oder mildern und die den Güterverteilungsprozeß
beherrschen und beeinflussen.“ Wenn man sich aber diese Thatsache gegenwärtig
hält, darf man unbedenklich das Kapital als Ursache des Großbetriebs nennen. Vergl.
Tröltsch, Historische Vierteljahrsschrift, 1900, S. 136 f. — Zum nicht geringen Teil ist
das Kapital, welches den Großhandel und die Großindustrie befördert, ausländisches.
Teilweise bringen es die Einwanderer nach Deutschland. Teilweise bleibt es im Eigen-
tum des Auslandes. Bei dem Aufkommen der Seeversicherung in Deutschland dürfte
italienisches Kapital (das der „Lombarden‘“) thätig gewesen sein. Die bedeutende Rolle,
welche das ausländische Kapital bei der Ausbildung der neuen Erscheinungen im wirt-
schaftlichen Leben Deutschlands spielt, läßt auch wiederum erkennen, daß die Bezeich-
nung „Territorialwirtschaft‘‘ doch nicht viel zur Charakterisierung der ersten Jahrhunderte
der Neuzeit beiträgt.
208) Stieda bei Roscher a. a. O., S. 725 f. setzt in seiner Erörterung über die
Gründe des Aufkommens der Fabriken richtig auseinander, daß die Beseitigung der
Zunftschranken eine Voraussetzung für dasselbe ist. In der That hätten Großindustrie
und Großhandel auch schon im Mittelalter eine bedeutende Rolle gespielt, wenn ihnen
nicht die Stadt- und insbesondere die Zunftpolitik feindlich gewesen wären; das Hand-
werk und der kaufmännische Mittelstand mußten stets sorgsam vor dem Aufkommen
großer Unternehmungen auf der Hut sein. Diese Thatsache ist ein wertvoller Beleg
für die Wichtigkeit des politischen Faktors. Es mag hier an die modernen Bestre-
bungen erinnert werden, bei der Deckung des Bedarfs der Armeen nach Möglichkeit
die Produzenten und bei dem Verkauf der in den staatlichen Gruben gewonnenen Kohlen
die Konsumenten zu berücksichtigen. Solche Bestrebungen können viel Erfolg haben.
Ihre Wirkung ist freilich von mancherlei Faktoren abhängig. Es können auch große
Unternehmungen gegen den Willen der politischen Gewalten aufkommen. Daß es sich
so im 16. und 17. Jahrhundert in Deutschland im allgemeinen verhielt, hätte Stieda,
S. 725 hervorheben sollen (die Andeutungen S. 729 genügen nicht).
209) Entstehung der Volkswirtschaft, S. 112. Die nachher aufgezählten Erschei-
nungen leitet Bücher durchweg aus der Thatsache ab, daß in den Städten das Leih-
kapital entwickelt wurde und zu dem bis dahin allein vorhandenen Handelskapital trat.
Er nimmt also eine im engsten Sinne wirtschaftliche Ursache an.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 621
die steigende Bedeutung der Messen (Frankfurt a. M. im 16. Jahr-
hundert), die neuen Banken, das Aufkommen der Großindustrie, ja
sogar das neue Transportwesen, die Staatsposten, die Zeitungen, die
nationale Handelsflotte (?) u. s. w. Nun, da wären wir ja einig;
oder vielmehr, wir müssen jetzt nach der anderen Seite Front
machen und es monieren, daß Bücher in der Leugnung politischer
Ursachen zu weit geht.
Im 17. Jahrhundert ändert sich die Situation kaum ?!°), Nur
eine kleine Verschiebung zu Gunsten des Einflusses der Territorien
ist bemerkbar. Erst mit dem 18. Jahrhundert treten wir in Ver-
hältnisse ein, die einen größeren Gegensatz gegen den älteren Zu-
stand zeigen. Freilich gilt dies der Hauptsache nach nur von den-
jenigen Territorien, die sich zu bedeutenderen Staaten entwickeln.
Diese befördern innerhalb der früher geschilderten Schranken direkt
den Großhandel und die Großindustrie, und auch indirekt erfahren
beide von den kräftigeren Staaten und durch deren steigende Be-
dürfnisse manche Anregungen *!1) Wir haben bereits bemerkt,
daß jetzt speciell die Messen sich der Gunst der Landesherren er-
freuen. Aber gerade hierbei beobachten wir wiederum die Grenze
des Einflusses der Territorien: die allgemeine Stellung einer Messe
hängt doch nicht von der Unterstützung des Fürsten ab. Und wenn
man von der Leipziger Messe sagt?!?), daß sie sich infolge des
Erwerbs von Polen durch den Kurfürsten von Sachsen gehoben hat,
so geht das Hinterland, auf das sie sich stützt, eben bei weitem
über den Rahmen eines deutschen Territoriums hinaus.
Von der Frage nach den Gründen jener neuen wirtschaftlichen
Erscheinungen ist das Problem der Entstehung einer territorialen
Wirtschaftspolitik zu sondern.v Was hat dahin geführt, daß die
Landesherren, die im Mittelalter überwiegend die Stadt als etwas
für sich Stehendes behandelten ?!?), in den neueren Jahrhunderten
ihr Herrschaftsgebiet mehr und mehr als ein wirtschaftliches Ganzes
zusammenzufassen suchen? Es liegt nahe, hier von vornherein
namentlich zwei Unterfragen zu stellen: geht die Tendenz zur Zu-
sammenfassung von den Unterthanen, bezw. von welchen Kreisen
derselben aus? oder ist die Bildung eines größeren Wirtschafts-
körpers ein Gedanke und das Werk der landesherrlichen Ge-
210) In den agrarischen Verhältnissen, die uns jedoch hier nicht interessieren,
machen Großbesitz und Großbetrieb in der Zeit vom 16. bis 18. Jahrhundert gewaltige
Fortschritte, nicht am wenigsten gerade im 17. Jahrhundert. Und die Ursachen dieser
Erscheinung sind in schr starkem Maß politischer Natur. Ueber Norddeutschland
s. mein Territorium und Stadt, S. 1 f., über Böhmen Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 3,
S. 196 ff.
211) Schmoller, Umrisse, S. 422 macht interessante Mitteilungen über die Deckung
des Bedarfs der preußischen Armee in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts.
Man sieht, wie die Regierung, trotzdem sie prinzipiell den Zunftmeistern den Anspruch
auf die Arbeit zuerkannte, doch wegen des starken Bedarfs der Armee eine Einschrän-
kung dieses Prinzips zu Gunsten des GroBbetriebs, des Zwischenhandels vornimmt.
212) Rathgen, Handwörterbuch d. St., Bd. 4 (1. Aufl.), S. 1124.
213) 8. oben S. 451.
622 G. v. Below,
walt? Sowohl für das eine wie für das andere läßt sich manches
anführen.
Wir haben früher die schon im Mittelalter hervortretende
Neigung der Städte größerer Gebiete sich zusammenzuschließen
kennen gelernt ?!*). Die Unterlage dieser Gruppen wurde keines-
wegs immer durch ein Territorium gebildet. Aber wir dürfen aus
der Thatsache des Zusammenschlusses die Neigung der Bürger-
schaften, überhaupt die alte Isolierung zu verlassen, folgern. Aller-
dings erfordern die Ziele, die sie erreichen wollen, doch eine be-
sondere Berücksichtigung. Die städtischen Münzverträge können im
vollen und besten Sinne des Wortes als ein Fortschritt von der
Stadt zur Volkswirtschaft hin bezeichnet werden; sie entspringen
der Ueberzeugung, daß im Interesse des Verkehrs ein größeres
Münzgebiet hergestellt werden müsse ?15). Uebrigens verfolgen die
Landesherren dasselbe Ziel. Die allgemeinen Zwecke der Hanse
wollen wir hier nicht erörtern; aber es darf in diesem Zusammen-
hang nicht unerwähnt bleiben, daß bei ihrem Bunde und bei den
Verkehrserleichterungen, die er seinen Mitgliedern gewährte, das
Motiv der gemeinsamen Vereinigung gegen einen Gegner stärker
als der Wunsch der Beseitigung innerer Schranken war ?!®). Die
Vereinigungen der Handwerker verschiedener Städte ferner haben
wohl durchweg, wie schon angedeutet ?!?), nicht sowohl die Be-
seitigung alter Einrichtungen als vielmehr ihre Konservierung zum
Ziele?1%). Man hatte offenbar vielfach die Ueberzeugung, daß die
strenge Zunftverfassung sich in der einen Stadt nicht aufrecht
erhalten ließ, wenn in einer anderen laxere Grundsätze herrschten,
oder man glaubte mit vereinten Kräften einem irgendwie gearteten
Einbruch in die Zunftverfassung besser wehren zu können. Teil-
weise ist das Ziel der Vereinbarungen einer Mehrzahl von Städten
die einfache Behauptung der Herrschaft, indem sie etwa dahin
gerichtet sind, das patrizische Regiment in den miteinander ver-
bundenen Gemeinden zu stützen.
Stärker als die spontane Bewegung der Bevölkerung, bezw.
bestimmter Gruppen derselben auf Herstellung größerer wirt-
schaftlicher Gebiete hin ist aber unzweifelhaft der dahin gerichtete
Zwang, der von der landesherrlichen Gewalt ausgeht. Die Ziele,
die sie dabei verfolgt, sind wiederum verschiedener Art. In der ersten
Zeit erstrebt sie überwiegend nur äußere Herrschaft. Wenn sie
ein wirtschaftlich einheitliches Gebiet zu schaffen sich bemüht, so
214) S. oben S. 452, S. 454, S. 459, S. 604.
215) Histor. Ztschr. 75, S. 449; Schmoller, Umrisse, S. 25.
216) S. oben S. 460.
217) S. oben S. 460 und 594 Anm. 90a.
218) Hansische Geschichtsblätter, 1897, 8. 76: Die Handwerker der wendischen
Städte fassen Beschlüsse über das Lehrlingswesen, also im zünftlerischen Interesse. Ebenda,
S. 103: die Vereinigung der Rotgießer verschiedener Städte spricht das Verbot aus, daß
der eine dem anderen seine Arbeit abspanne (16. Jahrhundert). Die oben S. 454
Anm. 14 erwähnte Vereinbarung der Armbruster bezieht sich auf gemeinsame Regelung
der Stücklöhne. Etwas anders verhält es sich wohl bei den Gesellenvereinigungen.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc, 623
sind diese Bestrebungen gewiß oft unbewußte Wirkungen der er-
langten einheitlichen politischen Macht, beruhen nicht immer auf
allgemeinen wirtschaftspolitischen Erwägungen ?1°). Teilweise ent-
schließen sich die Landesherren aus lediglich finanziellen Motiven zu
den Maßregeln, die eine Beseitigung der mittelalterlichen Schranken
anbahnen ??°). Die Einführung eines territorialen Gästerechts, das
sie im Beginn der Neuzeit dem städtischen Gästerecht an die Seite
setzen, ist wohl die früheste Aeußerung einer Politik, die sich das
wirtschaftliche Gedeihen der Territorialinsassen ??!) zum Ziele setzt.
Ob die Landesherren dabei die Stadt des Mittelalters in bewußter
Weise nachgeahmt haben, mag hier unerörtert bleiben. Eine starke
Anregung zur Ordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse ihrer
Territorien gaben ihnen die Kämpfe zwischen Stadt und Land,
zwischen großen und kleinen Unternehmungen. Gerade hier zeigt
es sich besonders deutlich, daß die lokalen Gewalten den in der
neueren Zeit hervortretenden Schwierigkeiten nicht gewachsen waren,
daß eine umfassendere Gewalt eingreifen mußte ???). In manchen
Beziehungen waren die Unterthanen, speciell die Städte, sogar
Gegner der wirtschaftlichen Einheit, wie es namentlich darin hervor-
tritt, daß sie die Herrschaft über das platte Land nicht aufgeben
wollten 22). Erinnern wir endlich noch daran, daß die Gebiete, für
die sich die erwähnten Städtebünde konstituierten, keineswegs immer
mit den Grenzen der Territorien zusammenfielen, so kann vollends
kein Zweifel bestehen, daß die Hauptarbeit von den Landesherren
gethan worden ist??#), und es ist auch klar, daß die Einigung durch
219) Wie noch sogleich hervorzuheben sein wird, erwarben die Landesherren sich
das Verdienst, in die Streitigkeiten der verschiedenen Interessengruppen ordnend einzu-
greifen. Für die Erkenntnis ihrer Motive ist es aber in der im Text angedeuteten
Richtung lehrreich, daß sie mitunter das Mittel der Erregung von Uneinigkeit anwandten,
um ihre Herrschaft um so leichter etablieren zu können. Vergl. Histor. Ztschr., Bd. 75,
S. 410 Anm. 2.
220) Vergl. z. B. die oben S. 458 angeführte Aeußerung aus dem Jahre 1513:
Der Landesherr hofft, daß eine Milderung des städtischen Gästerechts den Ertrag der
herzoglichen Zölle steigern werde. Er spricht freilich auch noch ein allgemeineres wirt-
schaftliches Motiv aus.
221) Freilich noch nicht aller, sondern, da das lokale städtische Gästerecht daneben
beibehalten wurde, nur der Bürgerschaften. S. oben S. 465 ff.
222) Die Eingriffe der Landesherren in die inneren Verhältnisse der Städte beziehen
sich bekanntlich nieht bloß auf wirtschaftliche Dinge im engeren Sinne, sondern auch
z. B. auf die Abstellung der Vetternschaft im städtischen Beamtenwesen. Es ist be-
merkenswert, daß schon Melchior v. Ossa fordert, der Landesherr solle „gegen die
Unrechtlichkeit in den Städten“ und gegen die Vetternwirtschaft (die Bevorzugung der
zur „Kette“ gehörenden Personen) einschreiten. F. A. v. Langenn, Melchior v. Ossa,
S. 173 und 183.
223) S. oben S. 465.
224) Die erwähnten Vereinigungen verschiedener Städte, bezw. ihrer Handwerker
werden teilweise in der späteren, in der nachhansischen Zeit noch fortgesetzt. Aber es
steckt in ihnen nichts Kräftiges mehr. Vergl. Dragendorff, Hansische Geschichtsblätter,
1599, S. 190. Allerdings könnte man zu obigem bemerken, daß, wenn in früherer Zeit die
Territorien nicht das politische Uebergewicht erhalten hätten, nicht sie, sondern die
Städte die wirtschaftliche Einigung durchgesetzt hätten. Gewiß ist es durch politische
Kämpfe entschieden worden, wem diese Aufgabe zufallen sollte. Aber es ist doch wohl
nicht reiner Zufall, daß die Territorien siegten und so die Aufgabe lösten.
624 G. v. Below}
die Bevülkerung allein nicht zustande gekommen wäre. Freilich
ist das Ziel nur sehr langsam und vollständig nicht im Rahmen der
Territorien, sondern erst in dem des nationalen Staates erreicht worden.
Mit den hier erörterten Kategorien ist das Problem der Ursachen
noch nicht erschöpft 2231. Aber das Gesagte wird für die Beant-
wortung der speciellen Frage, die wir uns gestellt haben, hinreichen.
X. Das Steuerwesen.
Der Gegensatz der Begriffe Stadt-, „Territorial“- und Volks-
wirtschaft betrifft bloß die Verhältnisse von Handel und Gewerbe.
Der Ackerbau wird von ihm nur insofern berührt, als zum Wesen
der Stadtwirtschaft die Beherrschung des platten Landes gehört 291
Es kommt hier zum Ausdruck, daß die Fülle des geschichtlichen
Lebens durch einfache Kategorien nie erschöpft wird. Die Frage
nach der Berechtigung der Annahme eines besonderen Zeitalters
der „Territorialwirtschaft* darf daher auch bei ausschließlicher
Berücksichtigung der Verhältnisse des Handels und der Gewerbe
225) Von größtem Interesse sind z. B. noch die Fragen, ob der Fabrikbetrieb sich
aus oder neben dem Handwerk entwickelt, aus welchen Kreisen die Großindustriellen
und Großhändler hervorgehen. Vergl. dazu Roscher-Stieda, S. 739 Anm. 3; Stieda,
Hausindustrie a. a. O.; Tröltsch, Historische Vierteljahrsschrift, 1900, S. 138. — Man
könnte ferner die Frage erörtern, ob der Sieg der Landesherren über die Städte mit
einem wirtschaftlichen Rückgang derselben (vergl. Westdeutsche Zeitschrift, 1900, S. 74)
zusammenhängt, bezw. in welchem Maße dieser durch jenen bedingt ist. Freilich ist
das Problem des wirtschaftlichen Rückgangs der Städte in seinen Einzelheiten bisher
noch nicht genügend untersucht worden. — Ueber die besonderen Ursachen, welche
bald zu der einen, bald zu der anderen Getreidehandelspolitik führen, s. Schmoller,
Umrisse, S. 657 f. — Zu der in meiner Abhandlung über Theorien der wirtschaftlichen
Entwickelung, 8. 63 ff. gegebenen Schilderung der Ursachen der mittelalterlichen Stadt-
wirtschaft trage ich hier den Hinweis auf Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarz-
waldes, Bd. 1, S. 475 nach. Derselbe spricht sieh — ebenso wie ich a. a. O. — gegen
die Anschauung aus, daß im Anfange der gewerblichen Entwiekelung der Städte die
größte wirtschaftliche und soziale Gebundenheit bestanden habe und daß sie trotz ein-
zelner Rückschläge im Laufe der Zeit nur Lockerungen erfahren habe. Er sieht sich
„vielfach zu einer entgegengesetzten Ansicht“ genötigt. Richtig bemerkt er, daß jene
irrige Anschauung mit der hofrechtlichen Theorie zusammenhänge. Unzulässig ist es
aber, wenn er weiterhin behauptet: „Die Städte waren ursprünglich ohne Acker-
gemarkung. Es darf nur gesagt werden, daß einzelne sie nicht besaßen. Keussen ist
kürzlich zu dem Resultat gelangt, daß auch Köln entgegen der bisher allgemein herr-
schenden Annahme eine Allmende gehabt hat.
226) Es liegt nahe, Aenderungen im Betrieb der Landwirtschaft auf den Einfluß
der Stadt-, bezw. Volkswirtschaft zurückzuführen, und gewisse Einwirkungen sind ja
nicht zu bestreiten, Aber es wäre unzulässig, wenn man behaupten wollte, daß das
Aufkommen der Stadt-, bezw. der Volkswirtschaft oder gar einer „Territorialwirtschaft“
bestimmte Aenderungen in der Landwirtschaft unbedingt nach sich ziehe. Um uns
auf unser specielles Beweisthema zu beschränken, so sind im 16. Jahrhundert — mit
dem das Zeitalter der „Territorialwirtschaft“ beginnen soll — aus West- und Süddeutsch-
land nur ganz geringe Aenderungen in der Landwirtschaft zu verzeichnen, im Osten,
speciell im Nordosten größere. Aber — von anderem abgesehen — gerade diese ört-
liche Verschiedenheit der Entwiekelung beweist, daß jenes neue nicht Ausdruck eines
neu aufkommenden allgemeinen wirtschaftlichen Zeitalters sein kann. Ueber die Um-
wandelung der Verhältnisse im Osten und ihre Ursachen s. übrigens mein Territorium
und Stadt, S, 1 ff.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 625
beantwortet werden. Man könnte aber immerhin noch weitere Zweige
der staatlichen Verwaltung daraufhin untersuchen, ob sich aus
ihrer Gestaltung ein Anhalt für die Konstruierung eines solchen
Zeitalters gewinnen ließe. Wir wollen deshalb wenigstens dem
Steuerwesen 2271 noch ein kurzes Wort widmen.
Schmoller ??®) läßt die territorialen Steuersysteme „die alten
städtischen Steuersysteme teils beseitigen, teils wesentlich verändern“
und „zwischen Stadt und Land, . .. zwischen den einzelnen Land-
schaften des Territoriums Beziehungen und Bande“ schaffen, „welche
das wirtschaftliche Leben von Grund aus umgestalteten“. Von vorn-
herein ist die letzte Behauptung abzulehnen: eine radikale Um-
wandlung des wirtschaftlichen Lebens hat in keiner Weise statt-
gefunden. Sodann haben die territorialen Steuern ganz gewiß dazu
beigetragen, die einzelnen Teile des Territoriums einander nahe
zu bringen: aber diese Annäherung hält sich doch in bemerkens-
werten Grenzen. Manche Landschaften des Territoriums behalten
ihr eigenes Steuersystem??”). Es wird ferner den lokalen Ver-
waltungssprengeln noch viel Freiheit der Bewegung zugestanden 2901.
Wichtiger ist es, daß die städtischen Steuersysteme nicht „beseitigt“
oder „wesentlich verändert“ worden sind, sondern sich im wesent-
lichen behauptet haben. Erst in und seit der zweiten Hälfte des
17. Jahrhunderts findet eine tiefer greifende Beeinflussung der
städtischen Steuern durch die territorialen Regierungen statt 2911.
Wie wir beobachtet haben, daß in allgemein wirtschaftlicher Be-
ziehung die Städte ihre bevorzugte Stellung in den ersten Jahr-
hunderten der Neuzeit bewahren, so gehen sie auch hinsichtlich der
Steuerverfassung keineswegs im Territorium auf. Die Landesherren
erkennen noch im 16. Jahrhundert die eigentümlichen städtischen
Privilegien des Mittelalters in den direkten Steuern des Territoriums
an 222), Von dem im Beginn der Neuzeit geschaffenen indirekten
territorialen Steuersystem meint Schmoller ?#), daß es „notwendig
einen Kampf gegen die städtischen indirekten Steuern und die auf
sie sich gründende Handelspolitik erzeugte“. Man wird doch wohl
umgekehrt finden, daß das indirekte territoriale Steuersystem des
227) Aehnliches wie für das Steuerwesen ließe sich wohl für die Luxusgesetzgebung
ausführen. Vergl. Sommerlad, Art. Luxus, Handw. der St., 2. Aufl., Bd. 5, S. 652 ff.
Es mag hier noch hervorgehoben werden, daß die ständische Teilung des wirtschaft-
lichen Daseins, wenn sie auch gesetzlich überwiegend erst in nachmittelalterlicher Zeit
festgelegt worden ist, doch wesentlich auf mittelalterlichen Gedanken beruht (vgl. mein
Territorium und Stadt, S. 271 ff. und Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 41). Sie
bleibt bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts rechtlich anerkannt.
228) Umrisse und Untersuchungen, 8. 29 f.
229) Vergl. z. B. meine landständische Verfassung in Jülich und Berg, Teil UI,
Heft 1, S. 82 f. und Heft 2, S. 80 f.; Territorium und Stadt, S. 223.
230) Vergl. z. B. meine landständ. Verf. a. a. O., Heft 2, S. 45 und 51.
231) Schmoller schreibt die von ihm behauptete Umwandlung der Zeit vom 15.
bis 17. Jahrhundert zu. Den Anfang bildet nach ihm etwa das Jahr 1470.
232) S. meine landst. Verf. a. a. O., Heft 1, S. 39 Anm. 17 und S. 40 Anm. 19;
Heft 2, S. 85 f.
233) Umrisse, S. 30.
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 40
626 G. v. Below,
16. bis 18. Jahrhunderts überwiegend den Verhältnissen der Städte
angepaßt war und daß der Landesherr aus Rücksicht auf seine in-
direkten Steuern die alte Stadtherrschaft konservierte 2%), wodurch
seine Handelspolitik wesentlich bestimmt wurde. Allerdings mußte
ja die Einführung territorialer indirekter Steuern die alten städtischen
Accisen beeinflussen. Das System der indirekten Steuern wurde
weiter ausgebaut; ihr Ertrag fiel mehr dem Landesherrn zu, während
ihn im Mittelalter fast ausschließlich die Städte genossen hatten;
ihre Verwaltung endlich wurde im Laufe der Zeit, hauptsächlich
übrigens erst seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, eine
landesherrliche. Aber gerade die von Schmoller behauptete Wirkung
trat kaum ein 235),
Die im 16. Jahrhundert begründete territoriale Steuerverfassung
erinnert in gewissem Sinne an das damals geschaffene territoriale
Gästerecht. Beide übertragen den in der mittelalterlichen Stadt-
wirtschaft herrschenden Gedanken der Abschließung auf das Terri-
torium, indem sie es dem Auslande gegenüber als eine Einheit auf-
fassen und den Ausländer dem Insassen gegenüber benachteiligen ?5).
234) An anderer Stelle (Umrisse, S. 379) hebt Schmoller übrigens richtig hervor,
daß die Entscheidungen in der Frage der Beherrschung des Landes durch die Stadt
„mehr vom fiskalischen Aceisestandpunkt eingegeben“ wurden.
235) Die Schilderung des mittelalterlichen Steuerwesens bei Schmoller, S. 30 ist
unzutreffend. Es verhält sich nicht so, daß „in den Städten‘ „das 13. Jahrhundert haupt-
sächlich die direkte Vermögenssteuer ausbildete“, sondern die specifisch städtische Steuer
des 13. Jahrhunderts ist durchaus die indirekte (die Aceise). Die direkte Steuer des
13. Jahrhunderts (auch schon des 12.) ist eine landesherrliche (Bede, Schatz). So bleibt
es auch der Hauptsache nach im ganzen Mittelalter; nur daß in fast allen größeren
und auch manchen kleineren Städten seit dem 14. Jahrhundert zu der indirekten all-
gemeine Vermögenssteuern hinzutreten. Aber die Grundlage der städtischen Finanz-
wirtschaft bildet in allen Jahrhunderten des Mittelalters die Aceise. Der von Schmoller
für das 14. Jahrhundert behauptete Wechsel hat nicht stattgefunden. Er unterscheidet
ferner nicht zwischen der landesherrlichen und der landständischen Bede. Irrig ist
ferner seine Angabe, daß die territorialen direkten Steuern des 14. und 15. Jahrhunderts den
„älteren städtischen Steuern nachgebildet“ worden seien. Um Nachahmung kann es sich
hier schon deshalb nicht handeln, weil die städtischen direkten Steuern gar nicht älter sind.
Eine Nachahmung der Städte durch die Landesherren ist im Mittelalter nur auf dem
Gebiet der Accise zu beobachten. Vergl. meine Abhandlung über die städtische Ver-
waltung des Mittelalters als Vorbild der späteren territorialen Verwaltung, S. 432;
meine Artikel Bede und Grundsteuer im Handw. d. St., 2. Aufl., Bd. 2, S. 535 ff.
und Bd. 4, S. 917 H: Gött. Gel. Anzeigen 1890, S. 314; Westdeutsche Ztschr., 1900,
S. 67. Das mittelalterliche Steucrwesen läßt sich nur verstehen, wenn man die Be-
deutung der älteren Bede richtig würdigt. Auch in Schmoller’s Abhandlung über die
Epochen der preußischen Finanzpolitik (Umrisse, S. 104 ff.) kommt dieselbe nicht zu
rechter Geltung. Er hat es unterlassen, beim Wiederabdruck dieser Abhandlung die
Bemerkungen in der in meinem Art. Grundsteuer erwähnten trefflichen Schrift von
F. J. Neumann und in meiner landständ. Verfassung a. a. O., Heft 1, S. 54 Anm. 1 zu
verwerten. Auch hier sehen wir wiederum, daß der Beginn der Neuzeit nicht den
Anfang einer ganz neuen Wirtschaftsperiode bezeichnet. Wie einerseits das mittelalter-
liche System noch weit in die neuere Zeit hineinreicht, so beginnt andererseits das, was
Schmoller „Territorialwirtschaft“ nennt, schon erheblich früher im Mittelalter, als er an-
nimmt. — Ueber die von Schmoller, Umrisse, S. 29 Anm. 1 erwähnten Schriften von
Hoffmann und Bielfeld vgl. Gött. Gel. Anzeigen, 1890, S. 323 Anm. 2.
236) Vergl. die stärkere Heranziehung der Ausländer, die im Lande Grundbesitz
haben. zu den territorialen Steuern. 8. meinen Artikel Grundsteuer a. a. O., S. 920
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 627
Aber beide stimmen auch darin überein, daß sie innerhalb des
Territoriums noch keine Gleichheit einführen, vor allem die Sonder-
stellung der Städte nicht beseitigen, sondern nur neben das städtische
das territoriale Recht setzen.
XI. Resultate.
Wir können jetzt aus unseren Betrachtungen das Facit ziehen.
Man darf von einer wirtschaftlichen Territorialpolitik, nicht
aber von einer Territorialwirtschaft sprechen. Wenn man die
Perioden der Wirtschaftsgeschichte je nach dem einflußreichsten
Faktor in der Wirtschaftspolitik bilden will, so mag Schmoller recht
haben. Allein die Berechtigung eines solchen Verfahrens ist zu
bestreiten. Es muß in jedem einzelnen Fall erst nachgewiesen
werden, daß mit einem Wechsel in dem Subjekt der Politik sofort
eine allgemeine Umwandlung der wirtschaftlichen Verhältnisse zu-
sammenfällt. Der von Schmoller vorausgesetzte enge Zusammenhang
zwischen den verschiedenen Seiten der wirtschaftlichen Kultur ver-
steht sich keineswegs von selbst 29". Mit der Kenntnis der religiösen
Bewegung einer Zeit gewinnen wir noch keine Kenntnis der wirt-
schaftlichen Zustände derselben, und selbst innerhalb der wirt-
schaftlichen Kultur vermittelt uns die Anschauung der einen Seite
noch nicht ohne weiteres ein Bild der anderen.
Mit dem 16. Jahrhundert beginnt eine Wirtschaftspolitik der
Landesherren. Aber die mittelalterliche Stadtwirtschaft bleibt im
wesentlichen bestehen. Falls wir eine einfache Formel zur Bezeichnung
des wirtschaftlichen Charakters der Zeit vom 16. bis zum 18. Jahr-
hundert aufstellen wollen, so dürfte es sich empfehlen, sie die
Periode der Stadtwirtschaft unter landesherrlicher Leitung zu nennen,
im Gegensatz zum Mittelalter als der Periode der Stadtwirtschaft
unter städtischer Leitung ?#).
§ 6; Th. Knapp, Die Verfassung der Landorte des jetzigen Oberamts Heilbronn, Württem-
bergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde, 1899, S. 38.
237) Oben S. 614 ff. habe ich auseinandergesetzt, daß die Entwickelung des Han-
dels und die der Gewerbe durchaus nicht in einem so engen Zusammenhang stehen,
wie es z. B. Bücher voraussetzt. Vergl. ferner meine Theorien der wirtschaftlichen
Entwickelung, S. 26 f. Es kann bei einem Volke großer Handel ohne städtisches Leben
bestehen. Ueber das Verhältnis der Entwiekelung der Landwirtschaft zu der von Handel
und Gewerbe s. oben Anm. 226. Hildebrand sagt in seinen Jahrbüchern, Bd. 2, S. 10:
„jede Nation hat ihre Naturalwirtschaft und mit ihr in der Regel auch ihre feudalen
Institutionen gehabt.“ Aber Bauernrepubliken haben trotz der Naturalwirtschaft feudale
Institutionen nicht. Die Vertreter der Kulturgeschichtschreibung im 19. Jahrhundert
gehen (soweit sie überhaupt einen prinzipiellen Standpunkt einnehmen) übereinstimmend
von dem Gedanken der Einheit der Kultur aus. Maßvoll verteidigt diesen Gedanken
Gothein, Die Aufgaben der Kulturgeschichte (Leipzig 1899), S. 37 ff., in extremer Weise
Lamprecht (s. Historische Zeitschrift, Bd. 81, S. 258 HL Die Vertreter der Idee der
Einheit der Kultur müßten nachweisen, daß der Kundenproduktion überall die gleiche
politische Verfassung entspricht. In Deutschland sehen wir aber, daß die Kunden-
produktion, die im Mittelalter mit der Autonomie der Städte gleichzeitig ist, in den
ersten Jahrhunderten der Neuzeit auch mit der Herrschaft der Landesherren bestehen kann.
238) Auch Koser, Friedrich d. Gr., Bd. 1, S$. 438 lehnt Schmoller’s „Territorial-
40*
628 G. v. Below,
Die gewerbliche Produktion und der Austausch der Waren,
der „Weg“, den sie zurücklegen ??°), haben in den ersten Jahr-
hunderten nach Schluß des Mittelalters überwiegend noch denselben
Charakter, den sie in diesem hatten. Es herrscht somit noch das
stadtwirtschaftliche System in wenig verminderter Weise vor. Und
die Landesherren stellen auch ihre Politik vorzugsweise in den
Dienst der Ziele der Stadtwirtschaft. Nun giebt es freilich neben
dem alten auch neue wirtschaftliche Erscheinungen: Aufkommen
einer Großindustrie, Steigerung des Großhandels, große Messen,
Banken, Börsen. Indessen soweit die Landesherren mit diesen
Dingen überhaupt zu thun haben, fördern sie sie einstweilen nur
wenig oder stehen ihnen sogar feindlich gegenüber, bekämpfen sie
im Interesse der alten Stadtwirtschaft. Der Hauptsache nach stehen
jene neuen Erscheinungen gar nicht im Rahmen der territorialen
Grenzen. Der Handel ist entweder lokal oder er geht nicht bloß
über das Stadtgebiet, sondern auch über das Territorium hinaus.
Die neuen wirtschaftlichen Erscheinungen gehören überwiegend der
Volks-, teilweise sogar der Weltwirtschaft an. Die Territorien sind
sämtlich nicht groß genug, die meisten viel zu klein, um eine
Territorialwirtschaft möglich zu machen. Der Landesherr sieht es
mitunter selbst ein, indem er sich -- so beim Münzwesen — mit
Nachbarn vereinigt, um ein größeres Wirtschaftsgebiet herzustellen.
Mit den Bemerkungen über die neuen wirtschaftlichen Er-
scheinungen deute ich schon an, daß ich keineswegs beanspruche,
durch die vorhin aufgestellte Formel die ganze Fülle des wirtschaft-
lichen Lebens der hier in Betracht kommenden Jahrhunderte wieder-
zugeben. Ich bin vielmehr der Ansicht, daß wir bei historischen
Erscheinungen überhaupt darauf verzichten müssen, eine Bezeich-
nung ausfindig zu machen, die allen ihren Seiten gerecht wird. Bei
ihrer Kompliziertheit werden wir nur immer das Ueberwiegende an-
deuten können. Die Autoren, die nicht müde werden, über die Ver-
kehrtheit der herkömmlichen Einteilung des geschichtlichen Verlaufs
Altertum, Mittelalter und Neuzeit zu sprechen, haben ihrerseits noch
keine Terminologie vorschlagen können, die imstande wäre, jene
wirtschaft‘ stillschweigend ab, indem er als den positiven Kern des Merkantilismus
„das Ringen nach Ersetzung des Widerstreits örtlicher, stadtwirtschaftlicher Sonder-
bestrebungen durch eine staatliche und nationale Gemeinpolitik, durch eine Volks-
wirtschaft“ auffaßt. Er läßt also auf die Stadtwirtschaft unmittelbar die Volkswirtschaft
folgen. Al. Schulte, Handel mit Italien, Bd. 1, S. 678 schildert die wirtschaftlichen
Verhältnisse des 16. Jahrhunderts als noch durchaus mittelalterlich. Er geht darin
vielleicht etwas zu weit, trifft aber mit seinem Urteil mehr das Richtige als Schmoller.
Im einzelnen ließe sich sonst Manches gegen seine Ausführungen einwenden, z. B.
gegen den Satz: „die wirtschaftliche Gliederung in Handelsstädte und wesentlich von
der Urproduktion lebende Halbstaaten blieb in Deutschland bestehen.“ Diese „wirtschaft-
liche Gliederung“ bestand ja auch in denjenigen Staaten, welche — wie England —
im 16. Jahrhundert eine energische Handelspolitik entfaltet haben. Eine andere Auf-
fassung als Schmoller hat ferner offenbar Rathgen, wenn er in Oesterreich „eine staat-
liche Handelspolitik“ erst seit dem 18. Jahrhundert bestehen läßt. S. oben S. 615
Anm. 192.
239) Vergl. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, S. 11.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 629
in befriedigender Weise zu ersetzen?4°). Daß auch der Ausdruck
„Stadtwirtschaft“ dem mittelalterlichen Wirtschaftsleben nicht in
allen Beziehungen gerecht wird, haben wir schon angedeutet. Noch
schwieriger ist die Auffindung eines Terminus für die uns hier be-
schäftigende Zeit. Vielleicht zieht mancher es vor, für sie eine
Formel aufzustellen, in der vorzugsweise die neuen Erscheinungen
(der zunehmende Großhandel u. s. w.) zum Ausdruck gelangen. Ich
lehne eine solche Formel ab, weil meiner Meinung nach das Alte
überwiegt ?*'). Aber gesetzt, es stellte sie jemand auf: das Wort
„Territorialwirtschaft“ würde sie keinenfalls enthalten. Denn für
jene neuen Erscheinungen ist es charakteristisch, daß sie an den
Rahmen des Territoriums nicht gebunden sind.
Ein Zugeständnis könnte man Schmoller’s Auffassung allenfalls
für das 18. Jahrhundert machen. Jetzt besitzen einige deutsche
Staaten, insbesondere Preußen und Oesterreich, ein in hohem Maße
abgeschlossenes und eigenartiges wirtschaftliches Leben. Sie er-
reichen für ihr großes Gebiet ungefähr dieselbe Abgeschlossenheit,
die die mittelalterliche Stadt für ihr kleines Gebiet durchzusetzen
wußte. Allein den Ausdruck „Territorialwirtschaft“ wird man doch
auch auf sie nicht anwenden. Denn erstens gelangen zu jenem Ziel
nicht alle deutschen Territorien, sondern nur einige wenige. Und
diejenigen, die überhaupt in Betracht kommen, haben das Maß des
normalen deutschen Territoriums weit überschritten. Perthes nennt
sie „Staaten mit europäischem Charakter“ 242). Weiter aber #43)
haben sie, so bedeutsam ihre Fortschritte in der Ueberwindung der
mittelalterlichen Schranken im Innern sind ?**), mit ihnen noch
‚keineswegs vollständig aufgeräumt: sie bewahren noch viel von der
mittelalterlichen Stadtwirtschaft. Statt daß man sie als Repräsen-
tanten der „Territorialwirtschaft‘“ bezeichnet, sollte man lieber die
Formel gebrauchen, sie stellten die Anfänge der Volkswirtschaft
dar ?*5). Die Schritte, die über die Stadtwirtschaft hinaus gethan
240) Für die Wirtschaftsgeschichte, speciell die Gewerbegeschichte Deutschlands
weist die vorliegende Untersuchung nach, daß das Jahr 1500 einen weniger bedeut-
samen Abschnitt bildet als das Jahr 1800 oder richtiger 1810. Für die allgemeine
Geschichte aber bleibt die Einteilung in Mittelalter und Neuzeit immer noch die
brauchbarste. Wichtiger als das kritische Urteil über die Mängel einer Einteilung ist
die Erkenntnis, daß die Einheit der Kultur nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden darf.
241) Daran kann doch wohl nicht gezweifelt werden. Ueber den Umfang und die
Kraft des Neuen gehen die Ansichten allerdings etwas auseinander. Vergl. einerseits
Bücher oben S. 450, andererseits Tröltsch oben S. 608 Anm. 167.
242) Das deutsche Staatsleben vor der Revolution, S. 154 ff.
243) Wir wollen davon absehen, daß ihre wirtschaftliche Abgeschlossenheit nicht
vollständig ist. Auch ein Staat wie Preußen sucht z. B. für das Münzwesen Anschluß
an andere.
244) Vergl. z. B. oben S. 461 Anm. 45.
245) S. oben S. 628 Anm. 238. — Schmoller scheint öfters einen Unterschied
zwischen territorialer und staatlicher Wirtschaftspolitik, zwischen territorialen und staat-
lichen Wirtschaftskörpern zu machen. Vergl. z. B. Umrisse, S. 28 Anm. 1 und S. 34—37.
Er drückt sich jedoch nicht ganz klar darüber aus. Auf eine Schwierigkeit im Aus-
druck weist Ratzel hin. S. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, 8. 21
Anm. 3. Für Deutschland hat jedoch der Sprachgebrauch dahin entschieden, daß man
630 G. v. Below,
werden, führen nicht zu einer „Territorialwirtschaft“; sondern zu der
Volks-, teilweise sogar Weltwirtschaft.
Wenn wir der Politik der deutschen Landesherren die Wirkung
und Bedeutung für das Wirtschaftsleben des 16. bis 18. (oder 17.)
Jahrhunderts, die Schmoller ihnen beimißt, absprechen, so unter-
schätzen wir die Wichtigkeit des politischen Faktors für die wirt-
schaftliche Entwickelung keineswegs. Wir sehen vielmehr gerade
in der Thatsache, daß die politische Schwäche Deutschlands, seine
Zersplitterung mit einem Zurückbleiben in wirtschaftlicher Beziehung
zusammenfällt, einen Beweis für seinen Einfluß. Wir wollen auch
der Arbeit der Landesherren in der auf das Mittelalter folgenden
Zeit die Anerkennung im allgemeinen nicht versagen. Aber ihre
Thätigkeit ist im 16. und meistens auch noch im 17. Jahrhundert
mehr anderen Fragen als den wirtschaftlichen gewidmet. Die Ver-
größerung des Territoriums, die Niederwerfung und Angliederung
lokaler Gewalten mannigfacher Art ?#6), die Herstellung von Ord-
nung und Sicherheit ?*°), die großen kirchlichen Angelegenheiten,
die Reform der Verwaltungsorganisation ?*®), die im Zusammenhang
mit der Rezeption des römischen Rechts vorgenommenen Kodifika-
tionen — das waren Probleme, deren Bewältigung gewiß nicht gering
anzuschlagen ist. Von den wirtschaftlichen Fragen sind es jedoch
hauptsächlich nur die Steuerverfassung, das Münzwesen und die
Domänenverwaltung, in geringem Grade die Landwirtschaft ?*°) als
solche, die eine selbständige Thätigkeit der Landesherren zeigen.
Territorium und Staat öfters in verschiedenem Sinne nimmt. Hat man die ältere Zeit
im Sinne, so spricht man von den „deutschen Territorien“. Denkt man an das 19. Jahr-
hundert, so spricht man von den „Einzelstaaten‘ oder von den deutschen Staaten schlechthin.
Für uns sind diese Unterschiede nicht von Wichtigkeit, da es eine „Territorialwirtschaft“
jedenfalls nicht gegeben hat. Der Ausdruck Staatswirtschaft ist in dem uns interessie-
renden Zusammenhange schon deshalb zu vermeiden, weil er den Gedanken an eine
ganz andere Vorstellungsreihe erweckt. Das, was man allenfalls in jenem Sinne Staats-
wirtschaft zu nennen sich genötigt sehen könnte, läßt sich auch als Volkswirtschaft
bezeichnen, da bei diesem Begriff, wie er nun einmal von Bücher ausgebildet worden
ist, nicht sowohl an das nationale Moment als vielmehr nur an eine bestimmte Art des
wirtschaftlichen Austausches innerhalb eines großen Gebietes gedacht wird. Vergl. oben
S. 613 Anm. 184. Ad. Wagner, Preuß. Jahrbücher, Bd. 75, S. 553 macht gegen
Schmoller den Einwand, zwischen seiner Territorial- und Volkswirtschaft sei nur ein
gradweiser Unterschied vorhanden. Er gesteht damit implieite also die Existenz einer
Territorialwirtschaft zu. Im übrigen trifft sein Einwand zu. — Es würde sehr lehr-
reich sein, hier noch die Verhältnisse anderer Völker zum Vergleich heranzuziehen.
Vergl. dazu Schmoller, Umrisse, S. 442 ff. und meine Theorien der wirtschaftlichen
Entwickelung, S. 76 Anm. 2. Allein wir müssen uns aus Rücksicht auf den uns zur
Verfügung stehenden Raum auf die deutsche Wirtschaftsgeschichte beschränken. Es
mag nur hervorgehoben werden, daß Schmoller, Umrisse, S. 658 von den französischen
pays d'élection bemerkt, sie seien schon so groß gewesen, „daß man nicht eigentlich
mehr von einer territorialen, sondern von einer staatlichen Politik sprechen muß“.
246) Es handelt sich hier keineswegs bloß um die Beseitigung der Autonomie der
Städte. Ueber eine andere Kategorie vgl. z. B. meine landständische Verfassung in
Jülich und Berg, Teil III, Heft 2, S. 183 ff.
247) Nähere Ausführungen hierüber s. in meinen Landtagsakten von Jülich-Berg,
Bd. 1, S. 113 ff. und 139 ff.
248) S. mein Territorium und Stadt, S. 283 ff.
249) Vergl. oben S. 472 Anm. 86 ff.
Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 631
Im übrigen schließen sie sich in wirtschaftlicher Beziehung, wie wir
gesehen haben, einstweilen überwiegend an das mittelalterliche
System an. Erst im 18. und vor allem im 19. Jahrhundert begegnen
wir ihnen hier in erhöhter und originaler Thätigkeit.
Wie im 16. und 17. Jahrhundert die Bedeutung der politischen
Verhältnisse für die wirtschaftlichen uns in negativer Hinsicht ent-
gegentritt, SO zeigen sie im 19. in hohem Maße ihre fördernde Kraft.
Wenn wir dieses im vollem Sinne eine Zeit der Volkswirtschaft zu
nennen berechtigt sind, so ist die eingetretene Erweiterung des Ver-
kehrs zu einem sehr beträchtlichen Teile Produkt politischer Vor-
gänge. Die Bedürfnisse des großen Staates und die Herstellung
der Verkehrsfreiheit und Verkehrseinheit haben den Güteraustausch
außerordentlich gesteigert. Neben den neuen volkswirtschaftlichen
Beziehungen sind die alten stadtwirtschaftlichen noch nicht ganz
geschwunden und werden voraussichtlich auch nicht ausscheiden.
Die Neigung der Gemeinden Zu Abschließung und Ausübung der
Herrschaft wird immer wieder hervortreten. „Der wirtschaftliche
Städtekrieg früherer Jahrhunderte tobt immer weiter“ ?5°). Aber
der Staat hat die alten Schranken beseitigt und die Mittel, mit denen
sonst die Gemeinden einander und das platte Land zu bekämpfen
pflegten, an sich genommen. Das gewaltigste Verkehrsmittel der
Gegenwart ist in Deutschland fast ausschließlich in seiner and.
Die lokalen Bestrebungen werden keine großen Erfolge haben, SO
lange der Staat kräftig bleibt.
250) Hasbach, Histor. Zeitschr., Bd. 63, S. 352.
632 R. Rosendorff,
Nachdruck verboten.
IX.
Die Goldprämienpolitik der Banque de France
und ihre deutschen Lobredner.
Von
Dr. R. Rosendorff.
I. Teil. Die Goldprämienpolitik der Banque de France.
I. Die Angriffe der Bimetallisten auf die Diskont-
politik der Reichsbank.
Seit mehreren Jahren wird die Diskontpolitik der Reichsbank
von seiten der Agrarier und Bimetallisten einer scharfen Kritik
unterzogen. Diese Politiker behaupten nämlich, lediglich durch das
Festhalten an der „durchaus veralteten“ Praxis der Diskonterhöhungen,
die bei internationalen Goldbewegungen seitens der Reichsbank zum
Schutze ihrer Goldreserve vorgenommen würden, würde die pro-
duktive deutsche Arbeit in Industrie und Landwirtschaft zu Gunsten
der „spekulativen Arbitrage‘ oder des „goldbedürftigen Auslandes“
schwer belastet, während die Leitung der Reichsbank durch Ueber-
gang zu dem seitens der Bank von Frankreich angeblich mit durch-
schlagendem Erfolge geübten System der ,Goldprämienpolitik* sehr
wohl dazu imstande sei, die deutschen Goldbestände ohne eine die
gesamte Volkswirtschaft belastende Geldverteuerung wirksam zu
schützen.
Zum Beweise für diese Behauptung weist man auf den dreimal
so großen Goldschatz der Bank von Frankreich hin, welcher bei
einem wesentlich niedrigeren und stabileren Bankdiskont lediglich
mit Hilfe von Goldprämien erworben und festgehalten sei.
Nachdem die deutschen Bimetallisten unter dem Beistande des
Franzosen Théry diese Ansichten schon im Jahre 1897 in der Bro-
schüre: „Warum zahlt der Deutsche 5 Proz., der Franzose 2 Proz.
Bankdiskont?“, zu vertreten gesucht hatten, wurden ihre Angriffe
gegen die Leitung der Reichsbank 1898 und 1899, Jahren, in welchen
der deutsche Bankdiskont eine Höhe von 6 und 7 Proz. erreichte,
Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 633
während Frankreich mit einem wesentlich geringeren Satze auskam,
um so heftiger, und sie versuchten sogar, einen positiven Einfluß auf
die Gesetzgebung zu gewinnen.
So wurde von Arendt bei Gelegenheit der Beratung der Bank-
gesetznovelle dem Reichstage eine Resolution vorgelegt, in der es
heißt:
„Der Herr Reichskanzler möge behufs Sicherung reichlicher
Goldbestände in der Reichsbank und eines dadurch bedingten billi-
geren Diskont das Direktorium der Reichsbank anweisen, dem Bezuge
von Gold zu Exportzwecken seitens der Arbitrage durch ein Auf-
geld für exportfähiges Gold bis zu höchstens 10°/,, entgegen-
wirken.“
Die dieser Resolution zu Grunde liegenden Anschauungen sind
noch nicht alt. Noch in der Vorrede zur 3. Auflage des Buches
von Goschen „The theory of the foreign exchanges“ spricht Leon
Say, der frühere französische Finanzminister, von diesem seitens der
Bank von Frankreich geübten System als einer „méthode nouvelle
et dangereuse“. Und während dieselbe bisher allgemein — auch
von französischen Volkswirten — verdammt wurde, begann sie erst
Landesberger im Jahre 1892 in ein wissenschaftliches System zu
bringen und dem damaligen österreichischen Finanzminister in einer
Denkschrift für die Politik der Bank von Oesterreich- -Ungarn — aller-
dings erfolglos — zu empfehlen 1).
Zur Entscheidung der Frage, ob die deutsche Reichsbank gut
daran thäte, das von ihr im Einklang mit sämtlichen Notenbanken
der Welt mit alleiniger Ausnahme der Bank von Frankreich geübte
System der Diskontpolitik zu verlassen und dem Beispiele der letzt-
genannten Bank zu folgen, darf man jedoch nicht, wie dies Landes-
berger thut, auf Grund theoretischer Deduktionen urteilen, sondern
muß, wie wir dies in den folgenden Aufsätzen versuchen werden, die
Prämienpolitik in dem Lande und zu der Zeit ihrer praktischen Wirk-
samkeit einer Untersuchung unterziehen.
II. Die Handhabung der Goldprämienpolitik
in Frankreich.
Die Goldprämienpolitik der Bank von Frankreich basiert auf
dem ihr gesetzlich zustehenden Rechte, die silbernen Fünffrancs-
stücke in jedem Betrage an Stelle von Gold in Zahlung zu geben.
1) Landesberger, Währungssystem und Relation, 2 Bde. Ueber die Goldprämien-
politik der Zettelbanken. Wien 1892.
Zu den zahlreichen bimetallistischen Unrichtigkeiten gehört auch die Behaup-
tung der Thatsache, daß die Bank von Oesterreich-Ungarn ihren Goldschatz durch Gold-
prämien schütze. (Cf. Arendt, Dtsche Tagztg. vom 6. Mai 1900). Bei einer Bank, die wie
die erwähnte, ihre Barzahlungen überhaupt noch nicht aufgenommen hat, kann natür-
lich von Prämienpolitik nicht die Rede sein. Thatsächlich thut sie aber seit einigen
Jahren sogar genau das Gegenteil davon, d. h. sie giebt Gold, oder vielmehr größten-
teils Devisen ab, um den Wechselkurs möglichst niedrig zu halten, ohne dazu irgend-
wie verpflichtet zu sein, und trachtet dabei danach, dem Diskont des Auslandes so weit
als möglich zu folgen. (Cf. Ostersetzer, Die Entwickelung der Valuta und die Zukunft
der Währungsreform.)
634 R. Rosendorff,
Während die Reichsbank, die bis zur vülligen Durchführung der
Münznovelle vom 13. Juni 1900, dasselbe Recht hinsichtlich der in
ihrem Besitz befindlichen Thaler hat, davon trotz mancher wider-
sprechender Gerüchte im Interesse der deutschen Valuta thatsächlich
niemals zwangsweise Gebrauch gemacht hat, benutzt die Bank von
Frankreich jenes erwähnte Recht, in nicht exportfähigem Silber zu
zahlen, um das von ihr verlangte exportfähige Gold entweder ganz
zu verweigern oder doch zu verteuern !).
Die deutschen Bimetallisten gehen bei ihrer Darstellung der
Wirkungen der Goldprämien von einer in Frankreich angeblich
systematisch ausgebildeten und gehandhabten Politik aus. Sie stellen
sich dieselbe sehr einfach, aber völlig unrichtig vor. Sie glauben
nämlich, Gold gäbe die Bank dem, der es im Inlande für inländische
Geschäfte braucht; habe sie jedoch die Vermutung, das von ihr ge-
forderte Gold solle dem Export dienen, so verlange sie eine so hohe
Prämie, daß der Export des Goldes wegen der durch diese hervor-
gerufenen Verteuerung unrentabel und daher unmöglich werde. In-
folgedessen behalte die Bank ihr Gold und sei in der Lage, den
Diskont niedrig und stabil zu erhalten.
In dieser von den deutschen Bimetallisten und Landesberger
geschilderten systematischen Weise wird die Prämienpolitik von der
Bank von Frankreich jedoch nicht zur Anwendung gebracht. In
Wirklichkeit geht sie in ihrer Münzpolitik oft recht launenhaft vor.
Dem einen giebt sie Gold selbst bei Bereitwilligkeit zur Zahlung
hoher Prämien überhaupt nicht heraus, ein anderer erhält es schon
gegen eine verhältnismäßig niedrige Prämie. Einem dritten giebt sie
es sogar zu pari, sofern er ihr lange Diskonten einreicht. Es ist daher
nicht immer leicht, die jeweiligen Ziele der französischen Bankpolitik
herauszufinden, und die Korrespondenten deutscher Blätter in Paris
sind oft schon in Verlegenheit gewesen, diese Politik richtig wieder-
zugeben ?). Im allgemeinen dürften jedoch die Grundsätze der Bank
die folgenden sein:
Napoleons, die französischen Goldmünzen, giebt sie in größeren
Quantitäten überhaupt nicht heraus. Sie thut dies nur dann, wenn
sie weiß, daß damit Getreide oder Baumwolle bezahlt werden soll,
weil dieses Geld in 6 Monaten doch wieder zu ihr zurückkehrt.
Falls sie sich entschließt, größere Beträge französischen gemünzten
Goldes herzugeben, so thut sie dies nur dann, wenn man bei ihr
Wechsel, die noch 75—90 Tage zu laufen haben, zum Banksatze
diskontiert, langes Papier, das sie sonst nur wenig erhält’); sie hat
dann in der längeren Laufzeit dieser Wechsel ihr Entgelt‘).
1) Nitti in der Révue d’écon. polit., 1898, p. 385. The Economist f. 1895, p. 382.
2) Bürsencourier vom 8. März 1898.
3) Ueber die Gründe dieser Erscheinung cf. Rosendorff, „Die Bedeutung des Er-
fordernisses der dritten Unterschrift für bankfähige Wechsel in Frankreich“ in dieser
Zeitschrift 1901, Aprilheft.
4) Heiligenstadt, „Beiträge zur Lehre von den auswärtigen Wechselkursen“, in
dieser Zeitschr. 1893, S. 233.
Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner, 635
Fordert jemand kleinere Beträge gemünzten französischen Goldes
in Noten oder Guthaben, so giebt es ihm die Bank ohne
weiteres, bedient sich hierbei aber häufig abgenutzter, also minder-
wertiger Stücke, die zum Export weniger geeignet sind. Jedenfalls
besteht bei der Bank von Frankreich für den, der Gold haben will,
durchaus keine Verpflichtung, anzugeben, wofür es bestimmt ist;
thatsächlich wird es freilich häufig gethan, besonders wenn es zur
Bezahlnng von Getreide oder Baumwolle dient, weil es heißt, daß
die Bank zu diesem Zwecke das Gold lieber hergebe.
Eine „Prämie“ verlangt die Bank nur beim Verkauf von Gold-
barren und fremden Goldmünzen in der Form, daß sie zu dem Gold-
preise von 34,37 fres., zu welchem sie gesetzlich das Kilo fein an-
kaufen muß, einen wechselnden Betrag hinzuschlägt, den man auf
4— 80/0 beziffert). Genaue Angaben über die Höhe desselben
lassen sich nicht machen, da die Prämiensätze offiziell niemals be-
kannt gemacht worden sind. Die hierüber in den Zeitungen ge-
machten Mitteilungen können daher auch nicht den Anspruch auf
Zuverlässigkeit erheben. Die Bimetallisten verwechseln vielfach die
an der Pariser Börse notierten Goldprämien mit denen der Bank.
Selbst Landesberger macht sich dieses Fehlers schuldig.
Auch die Reichsbank verlangt, wenn sie fremde Goldmünzen
zum Export verkauft, einen etwas höheren Preis dafür, als deren
Goldwert nach Gewicht betragen würde Sie kann dies, weil die
fremden Goldmünzen an ihrem Herkunftsorte zu ihrem Nominalwerte
ohne Rücksicht auf einen etwaigen, durch die Abnutzung bewirkten
Gewichtsverlust in Zahlung genommen werden. Auch steigert sie
mitunter den Verkaufspreis für Barren. Wenn man Zeitungsnach-
richten glauben darf, so verhielt sie sich gegenüber Gesuchen um
Ueberlassung von Barren und fremden Goldmünzen in früheren
Jahren sogar ablehnend. Hierin ist jedoch schon seit mehreren
Jahren eine Aenderung eingetreten. Für die Industrie giebt die
Reichsbank jetzt kleine Goldbarren 900/1000 fein zum Preise von
1396 M. pro Pfund ab?).
Häufig giebt sie zu Exportzwecken Münzen, die dem Passier-
gewicht nahe kommen. Auch in der Aufstellung und eventuellen
Veränderung eines Tarifes für den An- und Verkauf fremder Gold-
münzen besitzt die Reichsbank ein Mittel, sich der Prämien nicht
nur beim Verkauf, sondern auch beim Ankauf fremder Goldmünzen
im Interesse des heimischen Goldvorrates zu bedienen.
1) Cf. hierzu die Angaben des Reichsbankpräsidenten Dr. Koch im Reichstag am
10. Febr. 1899 und dessen Citate aus Briefen Pariser Bankiers: „dans ces conditions,
quand elle paie en napol&ons, elle ne demande jamais d’agio et elle n’aurait pas le
droit de le faire. Ces dernières années elle n’a donné des napoléons en sommes im-
portantes que pour le paiement du coton en Égypte. Là encore elle n’a pas demandé
de prime, ce, que légalement elle ne pent pas faire. .... “ La Banque vend des
monnaies d’or &trangeres et de lingots d’or avee une prime sur son prix d’achat en
prenant pour base le prix de l’or fin à Londres. Elle facilite ainsi des achats de
denrées alimentaires telles que céréales. La Banque décide chaque jour Ja somme
qu’elle vent donner et la partage au prorata des demandes des banquiers."
2) Frankf. Ztg. v. 16. Jan. 1893, Mgbltt. Nat.-Ztg. v. 14. Febr. 1893.
636 R. Rosendorff,
Die Bank von England hat besonders in letzter Zeit Gold, das
sie Zu 77 sh. 9 d. pro Unze standard angekauft hatte, nur für 77 sh.
11 d. abgelassen.
Trotzdem so das Verfahren der Banken von England und
Deutschland bei der Herausgabe von fremden Goldmünzen und
Barren dem der Bank von Frankreich scheinbar sehr ähnlich ist,
unterscheidet sich die Praxis der erstgenannten Banken jedoch
prinzipiell von der von der Bank von Frankreich geübten Prämien-
politik. Während, wie wir gesehen haben, letztere oftmals die Heraus-
gabe von Landesgoldmünzen überhaupt verweigert und so den Be-
trag der Prämien, theoretisch genommen, bis ins ungemessene erhöhen
kann, können die Banken von England und Deutschland den Ver-
kaufspreis für fremde Goldmünzen und Barren nur bis zum Betrage
der Prägekosten und der Abnutzung steigern. Sonst würde man
auf die Barren und fremden Münzen verzichten und statt dessen
Zwanzigmarkstücke resp. Sovereigns verlangen, die für den Expor-
teur denselben Wert haben. Eine höhere Prämie ist nämlich den
Banken von England und Deutschland deshalb unmöglich, da sie im
Gegensatz zu Frankreich ihre Noten stets zum Nennwerte in Landes-
goldmünzen einlösen und niemals den Versuch gemacht haben, ihr
Gold dem Verkehre zu verweigern !).
III Die Wirksamkeit der Goldprämienpolitik.
Die Behauptungen der deutschen Bimetallisten, daß die Bank
von Frankreich bei der Abgabe von Gold jedesmal den Zweck
dieser Entnahme prüfe, falls das Gold zum Export verlangt wird, stets
unter allen Umständen, Restriktionen eintreten lasse und so imstande
sei, jeder Verringerung ihres Goldbestandes erfolgreich Widerstand
zu leisten, findet also in der Art, wie diese Politik thatsächlich von
der Bank von Frankreich gehandhabt wird, keine Stütze.
Sie findet sie ebensowenig in der Goldbewegung Frankreichs.
Seit 1895, dem Jahre, in welchem die Bank am 14. März ihren Diskont
auf 2 Proz. herabsetzte und diesen Satz bis zum 28. Okt. 1898 un-
verändert beibehielt, zeigt der Goldverkehr Frankreich folgendes Bild:
Jahr Import Export Ueberschuß
1895 253 244 + 9
1896 301 311 — 10
1597 291 132 + 159
1898 200 313 — 113
1899 319 161 + 158
Summa 1304 1161 323 ?)
1) Cf. Heiligenstadt in dieser Zeitschr. 1893, S. 224 ff. Ostersetzer, Währungs-
wechsel I, S. 132 ff. Helferich, Zur Erneuerung des deutschen Bankges., S. 112 u. a.
Es ist vielleieht nicht uninteressant, an dieser Stelle auf die Praxis der Bank von
Holland hinzuweisen. Sie hat bisher ganz im Gegensatz zur Bank von Frankreich in
bereitwilligster Weise zum Exporte Gold zur Verfügung gestellt, verweigert es jedoch
häufig für den inländischen Bedarf. Cf. Ausführungen des Direktors der österreichischen
Kreditanstalt, Mauthner, in der Wärhungsenquete-Komm. in Wien. Sten. Prot. S. 168.
Wien 1392.
2) Rapport du Ministre des finances éd. par l’Administration des Monnaies et
médailles 1900, S. 73.
Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 637
Der Goldbestand der Bank von Frankreich betrug am 31. Dez.
in Millionen Francs
1894 2060 1897 1945 + 33
1895 1950 — 110 1898 1818 — 127
1896 1912 — 38 1899 1865 + 47°)
Differenz vom 31. Dez. 1894—1899 = 195 Mill. frcs.
Diese Ziffern beweisen, daß thatsächlich trotz der Prämienpolitik
die Goldbestände des Landes zeitweise eine erhebliche Verminderung
erfahren haben. Die Goldbestände der Bank haben sich von ihrem
höchsten Stande am 1. Sept. 1894 sogar um 365 Mill. fres. vermindert.
Wenn also Landesberger ?) auf Grund theoretischer Deduktionen
behauptet: „Durch eine successive Erhöhung der Prämie ist die
Centralbank in der Lage, den Goldexport gänzlich hintenanzuhalten,
indem sie die Exportgrenze, den Goldpunkt, immer um etwas weiter
hinausrückt, als es die Verschlimmerung der Wechselkurse bedingt“
— so findet diese Behauptung in den französischen Verhältnissen keine
Stütze.
Die Vorgänge im Herbst und Winter 1898 und 1899 sind ein
geradezu klassischer Beweis dafür, daß thatsächlich die von der Bank
von Frankreich geübte Prämienpolitik den Goldabfluß bei starkem
ausländischen Goldbedarfe, resp. bei großer Verschuldung Frank-
reichs ans Ausland, nicht zu verhindern vermag.
Infolge der schlechten Ernte des Jahres 1897, welche den Im-
port großer, zum größten Teil aus Amerika exportierter Mengen von
Cerealien nach Frankreich notwendig gemacht hatte), verringerten
sich bereits im Monat März des Jahres 1898 die Goldbestände der
Bank um etwa 12 Mill. fres. innerhalb von 8 Tagen.
Die Bank suchte nun ihren Goldschatz durch gesteigerte Prämien
zu schützen und gab Eagles nur gegen ein Agio von 6°/,, und Ein-
reichung von 75—90 Tage langen Diskonten heraus®). Zeitweise
verweigerte sie das Gold für Amerika gänzlich; infolgedessen stieg
der Wechselkurs auf New York auf521 gegenüber einer theoretischen Pa-
rität von 518,13. Dies bedeutete ein Agio von 2,87 fres. = 51/3 Don,
So war es trotz der großen Prämien immer noch billiger, zu den
Eagles der Bank zu greifen, als Wechsel anzukaufen. Nunmehr ver-
suchten die Bankiers, welche mit Amerika arbeiteten, den Versand
des Goldes nach London abzulenken. Darauf stieg der Chek London
auf 25,32 und erreichte damit eine seit langem nicht mehr dagewesene
Höhe, eine Thatsache, die um so größere Verwunderung erregte, als
Hand in Hand damit 27 Mill. fres. Gold abgeflossen waren, worauf
man bei den von der Bank gegen Goldentnahmen geübten Restrik-
1) Nach den Comptes rendus de la Banque de France 1894—1899.
2) Währungssystem und Relation, S. 104.
3) Cf. The Econ. 1899, p. 40, 41, 50, 51, Compte rendu f. 1898, p. 12.
4) Die Schilderung der Verhältnisse des französischen Geldmarktes in den
Jahren 1898/99 beruht auf den Berichten des Börsencouriers, der Frankfurter Zeitung,
der Conrad’schen Chronik, des Économiste français, the Economist u. Moniteur des
ntérêts matériels.
638 R. Rosendorff,
tionen auch nicht entfernt gerechnet hatte. Zu den Gründen, die
den Goldexport nach Amerika hervorriefen, trat im Laufe der folgen-
den Monate noch ein anderes den Goldabfluß steigerndes Moment
hinzu, nämlich der durch die Differenz in den Zinssätzen hervor-
gerufene Abfluß französischen Kapitals nach dem Auslande, insbe-
besondere nach Deutschland, welches dort lohnendere Anlage fand
als in Frankreich.
Am 19. Oktober erreichte der Londoner Checkkurs die Höhe von
25,34. Die Prämie auf Barren und fremde Goldmünzen war jetzt
auf 80%, gestiegen. Napoleons gab die Bank überhaupt nicht ab.
Trotzdem verlor sie in der Zeit vom 30. Dezbr. 1897 bis 20. Oktbr. 1898
111 Mill. fres. Gold, während in den ersten 9 Monaten des Jahres
1898 etwa 89 Mill. fres. ins Ausland abflossen.
Endlich, als die Bank die Unmöglichkeit einsah, bei den starken
Anforderungen des Auslandes ihren Goldbestand durch Prämien allein
zu schützen, erhöhte sie ihren Diskont auf 3 Proz. am 20. Oktbr.
1898, zu einer Zeit, in welcher er in London auf 4, in Berlin auf
5 Proz. stand.
Bei dieser Differenz kann es auch nicht wunderbar erscheinen,
das die Bank von Frankreich ihren eigentlichen Zweck, nämlich den
Goldausgang, resp. die Geldausleihungen der Pariser Privatbanken
an ausländische Plätze zu hemmen, nicht erreicht hat. Trotz der
Erhöhungen blieb die Prämie, und der für die Goldbewegung Frank-
reichs entscheidende Checkkurs auf London ist im Gegensatz zur all-
gemeinen Erwartung in den letzten Tagen des Oktober auf 25,42
= 8%, über die theoretische Parität von 25,22 gestiegen. Im No-
vember wurde er wiederholt noch mit 25,355 notiert; auch die Gold-
exporte hörten nicht auf, so daß die Bank im ganzen Jahre 127,1 Mill. fres.
verlor. In derselben Zeit gingen aus dem Lande per Saldo 111 Mill. fres.
Erst als im Januar 1898 die Bank von England mit ihrer Rate auf
3!/ə Proz. herabgegangen war, hörte der Goldexport auf.
Diese Verhältnisse wiederholten sich im Jahre 1899 mit gestei-
gerter Heftigkeit. Im Anfange des Jahres zeigte sich in Frankreich
eine große Geldfülle. Im Gegensatz zum Schluß des vorigen Jahres
war der Check London zeitweise bis auf 25,17 gesunken. Die Gold-
ausfuhr hatte aufgehört. Die Goldprämien der Bank, die Anfang
Januar noch 2—4 "hoo betragen hatten, verschwanden mit Ende des
Monats ganz. Man führte diese Erscheinung auf die Annahme zurück,
daß Deutschland einen Teil der von ihn im vergangenen Jahre auf-
genommenen Darlehne durch Ziehungen auf London beglichen hätte,
und daß in Paris infolge der Emission der indo-chinesischen Anleihe
englische Wechsel auf den Markt gebracht seien, die bisher in den
Portefeuilles der französischen Bank geruht hatten 1).
Nachdem im Februar der Diskont in Berlin auf 4!/,, in London
auf 3 Proz. gesunken war, hatten die französischen Bankiers vorder-
hand auch weniger Anlaß zu neuen Darlehngewährungen ans Aus-
1) Volksw. Chron. f. 1899, S. 7.
Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 639
land. Unter diesen Umständen stieg in Verbindung mit starken Rück-
flüssen aus dem inneren Verkehr der Goldbestand der Bank vom
12. Januar, dem Tage, an welchem er seinen tiefsten Stand erreicht
hatte, bis zum 24. August um 120 Mill.
Erst als im Herbst die Zinssätze Deutschlands und Englands
wieder bedeutend höher als die französischen gestiegen waren, änderte
sich dies. So war der Check London am 30. Septbr. wieder bis auf
25,29 gestiegen. Nunmehr stellte nämlich der französische Markt
dem Auslande wieder große Kredite zur Verfügung. Dazu kam noch,
daß Frankreich im Herbste an Argentinien für Wolle große Zahlungen
zu machen hatte!). Je mehr sich infolgedessen die Goldbestände der
Bank verminderten, um so höher wurde auch wieder die Prämie,
welche im Oktober auf 5!/, °/ stieg, während gleichzeitig der Check
London die Höhe von 25,34 erreichte, da man in Paris bei den
starken Restriktionen der Bank gegen Goldentnahmen die Zahlungen
wiederum auf London abzuwälzen versuchte. All dies war aber nicht
imstande, den weiteren Goldexport zu hindern. Die Bankbestände
verminderten sich vom 24. August bis 7. Dez. um 43 Mill. fres. Dies
veranlaßte die Bank endlich am 7. Dezbr. zu einer Steigerung ihres
Diskonts von 3 auf 3!/, Proz. Allein trotzdem in Verbindung
damit auch die Prämie wieder auf 6—7 Ou gestiegen war, vermochte
diese Erhöhung das weitere Steigen des Checks London und die Gold-
ausgänge nicht zu verhindern. Der Checkkurs stieg bis zum 21. De-
zember bis auf 25,405. Dabei verringerte sich der Goldbestand der
Bank vom 7. bis 21. Dezbr. um weitere 8,6 Mill. fres. Die Be-
fürchtung eines Disagios der französischen Valuta lag nahe. Dies
veranlaßte die Bank endlich am 21. Dezbr. zu einer weiteren Dis-
konterhöhung, und zwar dieses Mal um ein volles Prozent, eine Maß-
nahme, die denn auch sofort den gewünschten Erfolg zeitigte.
Diese Darstellung der Verhältnisse des französischen Geldmarktes
in den Jahren 1398 und 1899 zeigt zur Evidenz, daß die Goldprämie,
sobald größere und vor allen Dingen andauernde Goldnachfragen des
Auslandes auftreten, völlig versagt.
Sie beweist ferner aber auch, daß die Prämie nicht, wie Landes-
berger behauptet, den Einfluß des internationalen Goldbedarfs auf
den heimischen Geldmarkt zu teilen und abzugrenzen imstande ist?).
Arendt erklärt freilich die Diskonterhöhung der Bank von Frank-
reich im Herbst 1898 und Winter 1899 durch die großen Anforde-
rungen des inneren Verkehrs und will für diese Ansicht auch die
Ausführungen verwerten, durch welche im „Compte rendu* der
Banque de France die Diskonterhöhung des Jahres 1898 begründet
wird 3).
Aus obiger Darstellung der Verhältnisse des französischen
Geldmarktes geht deutlich hervor, daß es die Ansprüche des Aus-
1) Compte rendu f. 1899, S. 8.
2) Währungssyst. u. Relation, S. 108.
3) Im Reichstage am 28. April 1899.
640 R. Rosendorff,
landes waren, welche die Verminderung des Goldvorrats der Bank
und damit die Erhöhung ihrer Rate verursacht haben. Noch deut-
licher wird sich dies durch eine Betrachtung der Bewegung der Noten
und des Wechselverkehrs bei der Bank von Frankreich in den kriti-
schen Zeiten zeigen. Wir verweisen dafür auf den 2. Teil unserer
Arbeit, in der diese Verhältnisse einer ausführlichen kritischen Be-
trachtung unterzogen werden sollen.
An dieser Stelle beschränken wir uns, um die Unrichtigkeit der
Ansicht Arendts zu erweisen, darauf, die bezüglichen Stellen der
Jahresberichte der Bank von Frankreich hierher zu setzen.
Unter der Ueberschrift: ,Réserves métalliques“ heißt es dort,
nachdem eine Verringerung der Metallreserve von 126,8 Mill. fres.
konstatiert ist!): L’encaisse argent n’a guère varié: elle est de
1,205 Millions à la fin de 1898 comme à, la fin de 1897. La dimi-
nution porte entièrement sur l'or. La récolte insuffisante de 1897,
qui a necessité d'énormes importations de céréales pour la plus
grande partie tirées des États-Unis en a été la principale cause.
Unmittelbar darauf, zur Erklärung dafür, daß man einen durch
die Anforderungen des Auslandes hervorgerufenen Abfluß des Goldes
zunächst ruhig mitansehen konnte, fährt der Bericht fort: „La ré-
serve métallique accumulée dans nos caisses nous permit de satis-
faire aux demandes, qui nous étaient adressées (scl. des Auslandes,
wie ja eben auseinander gesetzt wurde) et nous avons pu dans cette
passe difficile maintenir le change à un niveau modéré.“
„Au mois d'octobre (also, wie wir gesehen haben, zu einer Zeit,
als die Differenz zwischen den Zinssätzen Frankreichs und des Aus-
landes den Goldexport rentabel machte) une tension plus marquée
(nämlich der Wechselkurse, die man bisher „à un niveau modéré“
hatte halten können) se manifesta et en présence de cette aggra-
vation nous dûmesrecourir au seulrémède qu’en pareil cas con-
seillel’expérience, l’élévation du taux de l’escompte.*
Und was war die Folge dieser Maßnahme, etwa eine Verminderung
der Kreditanlagen der Bank? Sie war dies ebensowenig, wie eine
Vergrößerung der Kreditanlagen, ein allzu hoher heimischer Bedarf,
den man hätte einschränken müssen, die Ursache der Diskont-
erhöhung gewesen war, „il eut l’effet attendu, le change baissa et, à
la fin de l’année, il était revenu à un niveau plus normal“.
Und der Bericht schließt mit den Worten: „Au surplus, les
sorties d’or, si importantes qu'elles aient été, laissent encore notre
encaisse or à un niveau très élevé; elle dépasse l’encaisse de toutes
les banques du monde, à l'exception de celle de la Banque impériale
de Russie. Si nous nous efforçons de conserver dei grandes disponibilités
métalliques et de les ménager le mieux possible, nous ne devons
pas non plus perdre de vue les intérêts du commerce et lui refuser
les moyens de paiement qu'il réclame pour les besoins les plus
1) Compte rendu f. 1898, S. 12.
Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. GA)
légitimes, c'est-a-dire pour l’approvisionnement du marché francais“.
(Verproviantierung, nämlich zur Bezahlung des Getreides aus Amerika.)
Kein Wort findet sich hier also davon, daß die Metallreserve
sich durch Prämien wirksam verteidigen lasse. Kein Wort davon,
daß etwa ein innerer hoher Bedarf die Diskonterhöhung veranlaßt
hätte. Hat hiernach die Interpretation des Bankberichtes durch Arendt
auch nur einen Schatten von Beweiskraft für sich? Und muß man
sie nicht vielmehr für völlig unvereinbar mit diesen strikten Erklä-
rungen des Gouverneurs der Banque de France halten?
Auch die erwähnte Unveränderlichkeit des Silberstandes spricht
gegen die Annahme, daß Gold vorzugsweise in den inneren Verkehr
geflossen sei, denn sonst müßte sich auch beim Silber eine Abnahme
der Bankbestände, wie dies in Deutschland geschehen ist, zeigen.
Der von uns angeführte Schlußsatz des Berichtes klingt gegen-
über den zahlreichen Angriffen, die man in Frankreich gegen die
Bank wegen ihrer Prämienpolitik erhoben hat!), fast als eine Ent-
schuldigung und als eine Versicherung, daß sie trotz ihres Bedachtes
auf Vergrößerung ihres Metallbestandes, doch niemals dem Handel
das nötige Gold für seine legitimen Bedürfnisse verweigern werde.
Unter dem Titel „Taux de l’Escompte“ finden wir eine weitere
Bestätigung unserer Ansicht. Es heißt dort: „Les conditions du
marché nous ont fait une obligation de ce relèvement, seul moyen
connu de défendre l’encaisse; à la date, où nous avons pris
cette mesure, le taux était de 4%, à la Banque d'Angleterre, de 5%
à la Banque d'Allemagne et bientôt après de 6%. Un pareil écart
entre le prix du capital en France, en Angleterre et en Allemagne
avait plusieurs effets regrettables, notamment celui de faire de
partout converger sur la France les demandes de crédit du dehors.
Nous avions donc pour devoir de sauvegarder notre situation ainsi
menacée.“
Noch viel deutlicher treten die Gründe für die Diskonterhöhung
der Bank von Frankreich und die Unmöglichkeit, die Goldbestände
durch Prämien gegen starke ausländische Anforderungen zu schützen,
in dem „compte rendu“ für 1899 hervor, welcher zu der Zeit, als
Arendt die erwähnte Aeußerung that, noch nicht erschienen war.
Hier heißt es unter dem Titel „Réserves métalliques“ 2).
„La guerre du Transvaal, qui a tari une des principales sources
de la production de l'or, les besoins qui se manifestaient autour de
nous et qu'attestait la hausse de l’escompte sur les principales places
étrangères, ont amené de nouvelles sorties dans les derniers mois,
mais elles ont été rélativement faibles. . . . .. .. Toutefois, nous
1) Cf. z. B. Le Temps vom 17. Oktbr. 1898 (also kurz vor der Diskonterhühung):
N'est-ce pas l’occasion et le moment pour notre banque d'abandonner son attitude im-
possible, son système d’invariabilité de l’escompte, en un mot à s’émouvoir? Deoit-elle
continuer à défendre son encaisse par l’élévation de la prime sur Por? Mais alors il se
produira ce que nous disons toute à l'heure disparition du métal jaune de la circulation,
changes défavorables et plaintes du commerce extérieur?“
2) Compte rendu f. 1899 p. 7.
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 41
640 R. Rosendorff,
landes waren, welche die Verminderung des Goldvorrats der Bank
und damit die Erhöhung ihrer Rate verursacht haben. Noch deut-
licher wird sich dies durch eine Betrachtung der Bewegung der Noten
und des Wechselverkehrs bei der Bank von Frankreich in den kriti-
schen Zeiten zeigen. Wir verweisen dafür auf den 2. Teil unserer
Arbeit, in der diese Verhältnisse einer ausführlichen kritischen Be-
trachtung unterzogen werden sollen.
An dieser Stelle beschränken wir uns, um die Unrichtigkeit der
Ansicht Arendts zu erweisen, darauf, die bezüglichen Stellen der
Jahresberichte der Bank von Frankreich hierher zu setzen.
Unter der Ueberschrift: „Réserves métalliques“ heißt es dort,
nachdem eine Verringerung der Metallreserve von 126,8 Mill. fres.
konstatiert ist): L’encaisse argent n’a guère varié: elle est de
1,205 Millions à la fin de 1898 comme à, la fin de 1897. La dimi-
nution porte entièrement sur lor. La récolte insuffisante de 1897,
qui a necessité d'énormes importations de céréales pour la plus
grande partie tirées des États-Unis en a été la principale cause.
Unmittelbar darauf, zur Erklärung dafür, daß man einen durch
die Anforderungen des Auslandes hervorgerufenen Abfluß des Goldes
zunächst ruhig mitansehen konnte, fährt der Bericht fort: „La ré-
serve métallique accumulée dans nos caisses nous permit de satis-
faire aux demandes, qui nous étaient adressées (scl. des Auslandes,
wie ja eben auseinander gesetzt wurde) et nous avons pu dans cette
passe difficile maintenir le change à un niveau modéré.“
„Au mois d'octobre (also, wie wir gesehen haben, zu einer Zeit,
als die Differenz zwischen den Zinssätzen Frankreichs und des Aus-
landes den Goldexport rentabel machte) une tension plus marquée
(nämlich der Wechselkurse, die man bisher ,à un niveau modéré*
hatte halten können) se manifesta et en présence de cette aggra-
vation nous dûmes recourir au seulrémède qu’en pareilcascon-
seillel’expérience, l'élévation du taux de l’escompte.*
Und was war die Folge dieser Maßnahme, etwa eine Verminderung
der Kreditanlagen der Bank? Sie war dies ebensowenig, wie eine
Vergrößerung der Kreditanlagen, ein allzu hoher heimischer Bedarf,
den man hätte einschränken müssen, die Ursache der Diskont-
erhöhung gewesen war, „il eut l’effet attendu, le change baissa et, à
la fin de l’année, il était revenu à un niveau plus normal“.
Und der Bericht schließt mit den Worten: „Au surplus, les
sorties d'or, si importantes qu'elles aient été, laissent encore notre
encaisse or à un niveau très élevé; elle dépasse l’encaisse de toutes
les banques du monde, à l'exception de celle de la Banque impériale
de Russie. Si nous nous efforçons de conserver dei grandes disponibilités
métalliques et de les ménager le mieux possible, nous ne devons
pas non plus perdre de vue les intérêts du commerce et lui refuser
les moyens de paiement qu’il réclame pour les besoins les plus
1) Compte rendu f. 1898, S. 12.
Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. (541
légitimes, e’est-a-dire pour l’approvisionnement du marché français“.
(Verproviantierung, nämlich zur Bezahlung des Getreides aus Amerika.)
Kein Wort findet sich hier also davon, daß die Metallreserve
sich durch Prämien wirksam verteidigen lasse. Kein Wort davon,
daß etwa ein innerer hoher Bedarf die Diskonterhöhung veranlaßt
hätte. Hat hiernach die Interpretation des Bankberichtes durch Arendt
auch nur einen Schatten von Beweiskraft für sich? Und muß man
sie nicht vielmehr für völlig unvereinbar mit diesen strikten Erklä-
rungen des Gouverneurs der Banque de France halten?
Auch die erwähnte Unveränderlichkeit des Silberstandes spricht
gegen die Annahme, daß Gold vorzugsweise in den inneren Verkehr
geflossen sei, denn sonst müßte sich auch beim Silber eine Abnahme
der Bankbestände, wie dies in Deutschland geschehen ist, zeigen.
Der von uns angeführte Schlußsatz des Berichtes klingt gegen-
über den zahlreichen Angriffen, die man in Frankreich gegen die
Bank wegen ihrer Prämienpolitik erhoben hat!), fast als eine Ent-
schuldigung und als eine Versicherung, daß sie trotz ihres Bedachtes
auf Vergrößerung ihres Metallbestandes, doch niemals dem Handel
das nötige Gold für seine legitimen Bedürfnisse verweigern werde.
Unter dem Titel „Taux de l’Escompte“ finden wir eine weitere
Bestätigung unserer Ansicht. Es heißt dort: „Les conditions du
marché nous ont fait une obligation de ce relèvement, seul moyen
connu de défendre l’encaisse; à la date, où nous avons pris
cette mesure, le taux était de 4%, à la Banque d'Angleterre, de 5%
à la Banque d'Allemagne et bientôt après de 6%. Un pareil écart
entre le prix du capital en France, en Angleterre et en Allemagne
avait plusieurs effets regrettables, notamment celui de faire de
partout converger sur la France les demandes de crédit du dehors.
Nous avions donc pour devoir de sauvegarder notre situation ainsi
menacée.“
Noch viel deutlicher treten die Gründe für die Diskonterhöhung
der Bank von Frankreich und die Unmöglichkeit, die Goldbestände
durch Prämien gegen starke ausländische Anforderungen zu schützen,
in dem „compte rendu“ für 1899 hervor, welcher zu der Zeit, als
Arendt die erwähnte Aeußerung that, noch nicht erschienen war.
Hier heißt es unter dem Titel „Réserves métalliques“ ?).
„La guerre du Transvaal, qui a tari une des principales sources
de la production de l'or, les besoins qui se manifestaient autour de
nous et qu'attestait la hausse de l'escompte sur les principales places
étrangères, ont amené de nouvelles sorties dans les derniers mois,
mais elles ont été rélativement faibles. ...... . Toutefois, nous
1) Cf. z. B. Le Temps vom 17. Oktbr. 1898 (also kurz vor der Diskonterhöhung):
.. N'est-ce pas l’occasion et le moment pour notre banque d’abandonner son attitude im-
possible, son système d’invariabilité de l’eseompte, en un mot à s’'émouvoir? Doit-elle
continuer à défendre son encaisse par l'élévation de la prime sur Por? Mais alors il se
produira ce que nous disons toute à l’heure disparition du métal jaune de la circulation,
changes défavorables et plaintes du commerce extérieur?“
2) Compte rendu f. 1899 p. 7.
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 41
642 R. Rosendorff,
avons relevé à 31/,%,, puis à 41/, %, le taux de l’escompte, et cette
mesure a donné, comme toujours en pareil cas, le résultat qu'on en
attendait.“
Obgleich nun zwar des weiteren gesagt wird, daß der große
industrielle Aufschwung, der sich bereits seit mehreren Jahren in
England, Deutschland und Amerika bemerkbar gemacht habe, seine
Rückwirkungen auch auf Frankreich ausgeübt habe, zeigen doch die
nachfolgenden Ausführungen des Berichtes, daß es nicht etwa ein
hierdurch hervorgerufener außerordentlicher Kreditbegehr war, der
die Erhöhungen des Diskontes der Bank von Frankreich notwendig
machte, sondern der durch die Differenz zwischen den französischen
und deutschen Zinssätzen hervorgerufene Abfluß der französischen
Kapitalien ins Ausland 11.
Der Bankbericht sagt hierüber: „A la fin de l’année, le taux de
l’escompte était de 7°/, à la Banque impériale d'Allemagne, de 6%,
à la Banque d'Angleterre, de 7°/, à la Banque impériale de Russie, etc.
Devant un si pressant appel du dehors adressé d'une manière aussi
continuée aux capitaux francais et à notre numéraire, nous avions le
devoir de relever notre taux. Nous avions réussi à le maintenir à
3°, pendant la plus grande partie de l’année, et même après une
hausse importante de l’escompte sur toutes les grandes places du
monde; mais nous aurions manqué à la plus élémentaire prevoyance,
si, en présence des besoins du dehors et de la tension des changes
qui commençaient à se manifester, nous n'avions pas pris souci de
notre encaisse; après un relèvement de '/,°/, qui n'eut qu’un effet
très passager, nous dûmes nous résoudre à prendre une mesure
plus efficace, en procédant à une hausse de 1°.
Cette fois, le résultat cherché était obtenu, le change sur Lon-
dres, qui est l'indice le plus sûr de notre balance des paiements,
s’est mis à baisser, dès que notre escompte eut atteint un taux en
harmonie avec celui du marché international.“
Auch in dem „Rapport de MM. Les Censeurs“, welchen M.
Delaunay-Belleville als rapporteur abstattete, wird die Diskonterhöhung
auf diese Weise erklärt, wenn er sagt?):
„La Banque de France, en effet, pas plus qu’aucune autre institution
financière, ne saurait se soustraire à la loi de l’offre et de la demande;
et, sous peine de voir s'épuiser les ressources qui constituent la
suprême réserve nationale, elle ne peut faire autrement que de
demander, pour ses capitaux, le prix du marché“.
Wenn die Leitung der Banque de France es somit selbst aus-
spricht, daß die Prämien zum Schutze ihrer Goldreserven nicht wirk-
sam gewesen seien, so haben dieselben, wie wir gesehen haben, einen
um so größeren Einfluß in anderer Richtung gehabt.
Während nämlich die Wechselkurse zwischen Ländern mit gleicher
Währung von ihrer Parität nur um so viel abweichen können, als die
1) Ebenda, $. 10.
2) Ebenda 8. 76.
Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 643
Prägungs-, Versendungs- und Versicherungskosten des Goldes betragen,
bewirkte die Erhebung der Prämie durch die französische Centralbank
eine Erweiterung des sonst begrenzten Spielraumes der Wechselkurse
um den jeweiligen Betrag der Prämie. Die Schwankungen der aus-
wärtigen Wechselkurse in Paris in den Jahren 1898—1899, in welchen
die Prämie in so ausgedehntem Maße in Wirksamkeit trat, zeigten
dies ganz deutlich.
Und während auf der einen Seite der Kurs der fremden Wechsel
in Paris fast andauernd nicht nur über die Parität, sondern sogar
über dem Goldpunkte stand, sind auf der anderen die Kurse der
französischen Wechsel auf den ausländischen Börsen genau im Ver-
hältnis zum Steigen der fremden Wechsel auf den inländischen Börsen
gefallen.
Diese Wirkungen der Goldprämienpolitik der Banque de France
erstrecken sich nicht nur auf Frankreich selbst, sondern auch auf
die Schweiz, welche durch ihre Teilnahme am Lateinischen Münz-
bunde von Frankreich in währungspolitischer Hinsicht vollständig
abhängig ist.
So hat Kalkmann !) nachgewiesen, daß die Höhe der französischen
Goldprämie bis zu einem gewissen Grade die Höhe des Aufgeldes
in der Schweiz bedingt. Wird nämlich in Frankreich eine erheb-
liche Prämie auf Gold bezahlt, und ist dies in der Schweiz nicht
gleichzeitig der Fall, so — führt er aus — wird es ein sehr lohnendes
Geschäft sein, in Frankreich Silber zu sammeln, dasselbe nach der
Schweiz zu bringen und zu pari gegen Gold einzutauschen, dieses
dann nach Frankreich zu importieren und dort gegen eine Prämie
wieder in Silber einzulösen.
Da nun ferner die schweizerische Währung in ihrem Wertgange
von den Schwankungen der französischen Währung abhängt, so hat
jedes Auftreten einer Goldprämie in Frankreich nicht nur für dessen
eigene, sondern auch für die schweizerische Währung die Bedeutung,
daß ihre Parität nach oben verschoben wird, und die schweizerischen
Wechselkurse auf England und Deutschland z. B. müssen daher,
wenn sich beim Erscheinen eines Aufgeldes auf Gold in Paris die
französischen Kurse auf die genannten Länder ungünstig für Frank-
reich stellen und sich hoch über die Münzparität erheben, diese Be-
wegung auch dann mitmachen, wenn in den Beziehungen der Schweiz
zu Deutschland und England Gründe für einen hohen Stand der
Kurse nicht vorhanden sind. Die Thatsache, daß sich die schweize-
rischen Wechselkurse auf Deutschland und England in ihrem Preise
nach den entsprechenden französischen Kurse richten und stets um
so viel höher oder tiefer als die letzteren stehen müssen, bewirkte
ferner, daß, wenn die Devise Frankreich den Goldpunkt überschritten
hat, die schweizerischen Kurse auf Deutschland und England auch
über die Goldpunkte steigen können. Dies wird aber um so häufiger
eintreten, als die Wertschwankungen der Devise Frankreich in der
1) Kalkmann, Untersuchungen über das Geldwesen der Schweiz. St. Gallen 1900.
41*
644 R. Rosendorff,
Schweiz unbegrenzt sind. Die Schweizer Notenbanken können näm-
lich nach Frankreich, wenn dort eine Prämie bezahlt wird, Gold zu
pari nicht abgeben, da sie sonst Gefahr liefen, sofort ihren ganzen
Goldbestand zu verlieren; andererseits würde ihnen niemand gegen
Zahlung einer Prämie Gold abnehmen, da nach Frankreich auch in
Silber gezahlt werden kann. Die Banken müssen daher stets das
nötige Silber in ihren Kassen für die Zahlungen nach Frankreich
bereit halten, was ihnen um so schwerer wird, als die 34 Noten-
banken der Schweiz nur 10 Mill. fres. Silber besitzen. Infolgedessen
können sie bei einem Silberexport auch nicht so lange warten, bis
der Kurs sich wieder günstig für die Schweiz stellt und das Silber
von selbst zurückkehrt, sondern müssen es um jeden Preis wieder
in ihre Kassen zurückzubringen suchen. Dieses Verfahren eben be-
wirkte den hohen Stand der Devise Frankreich. Denn die Ent-
lastung des Wechselmarktes, welche mit dem Export von Silbergeld
eintreten sollte, kommt nicht zustande. Diejenigen, welche Zahlungen
in Frankreich zu leisten haben, kaufen zwar keine Wechsel mehr,
aber die Banken sind an ihre Stelle getreten und zwar kaufen die-
selben Wechsel genau für die gleichen Beträge, welche ihnen in
Silber entzogen worden sind. Infolgedessen ist die obere Grenze
für die Steigerung der französischen Wechsel nicht mehr vorhanden,
denn jeder Export von Silber nach Frankreich ruft einen neuen Be-
darf an Wechseln auf dasselbe Land hervor +).
Leider existiert eine Untersuchung über die Wirkungen fran-
zösischer Goldprämienpolitik auf die Länder des Lateinischen Münz-
bundes nur für die Schweiz. Sicherlich ließen sich dieselben auch
für die übrigen Länder dieses Bundes nachweisen, was einer späteren
Untersuchung vorbehalten bleiben muß.
Wenn wir schließlich die Resultate dieses Abschnittes kurz zu-
sammenfassen, so ergiebt sich:
Die Goldprämienpolitik der Banque de France ist dauernd nicht
imstande, als definitiver Schutz gegen Goldausgänge zu dienen. Sie
vermag auch nicht den Einfluß des ausländischen Goldbedarfs auf
den heimischen Geldmarkt dergestalt abzugrenzen, daß sie Diskont-
erhöhungen dauernd unnötig macht. Dagegen bewirkt sie eine zeit-
weilige Entwertung der Valuta Frankreichs und der Schweiz, welche
um so erheblicher wird, je höher die Prämie steigt und je länger sie
erhoben wird.
IV. Vergleich der deutschen mit der französischen
Goldbilanz.
Noch mehr als durch eine einseitige Betrachtung der Gold-
bewegung Frankreichs innerhalb der letzten Jahre wird das soeben
gewonnene Resultat von der Unwirksamkeit der Prämie bestätigt
1) Cf. für die vorstehenden Ausführungen Kalkmann, S. 11—17, 35—36, 77,
80—82, 87.
Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 645
durch einen Vergleich der Goldbilanz Frankreichs mit der Deutsch-
lands innerhalb desselben Zeitraums.
Der deutsche Goldbestand sowohl im Lande wie bei der Reichs-
bank hat sich seit 1885 nicht, wie die Bimetallisten behaupten, ver-
mindert, sondern dauernd vermehrt.
Während die Golddeckung der Noten bei der Reichsbank in
früheren Jahren nur 37 Proz. des Metallbestandes betrug, beläuft
sie sich jetzt auf etwa 65—70 Proz. 1880—84 hat allerdings die
Goldausfuhr aus Deutschland um den Betrag von 86,9 Mill. über-
wogen. Dagegen stellen sich seit 1885 ununterbrochen beträchtliche
Ueberschüsse der Goldeinfuhr über die Ausfuhr heraus.
So — in tausend Mark —
1885 18 023 1393 38 465
1886 26 317 1894 251154
1887 37 832 1895 15 132
1888 35 113 1896 22 479
1889 13751 1897 36 065
1890 60 221 1898 104 439
1891 99 415 1899 135 042
1892 28 640 Summa 929088 Mark!)
Unter Abrechnung des Exportsaldos von 1880—84 bleibt also von
1880—99 ein Mehrimport von 842 Mill. M. Gold.
In dieser Summe ist der Ueberschuß des eingeführten Bruch-
goldes, welches unter Nummer 305 der Statistik zusammen mit
Pagament geführt wird, nicht enthalten. Bei einem Vergleich der
deutschen mit den französischen Zahlen muß es jedoch in Rechnung
gebracht werden, da es die französische Statistik unter der Goldein-
und -Ausfuhr enthält, eine Nichtberücksichtigung das Bild also
in unrichtiger Weise zu Ungunsten Deutschlands verschieben würde.
Nach den Angaben des Geh. Ober-Finanzrats Dr. von Glasenapp,
Mitglied des Direktoriums der Reichsbank, im Reichstage am 28. April
1899 erhöht sich dann der Ueberschuß von 1885—98 um weitere
175,5 Mill. Hierzu kommen für 1899 noch etwa 13,5 Mill., also für
die ganze Zeit 189 Mill. Danach vermehrten sich die deutschen
Goldbestände von 1880—99 insgesamt um 1031 Mill. M.
Wenn diese Ziffern von bimetallistischer Seite mit dem Hinweise
auf die Unmöglichkeit einer derartigen Wertberechnung bemängelt
werden, so ist dies unrichtig ?).
1) Nach Helfferich, Reform des deutschen Geldwesens, Bd. 2, S. 51, den monat-
Nachweis über den auswärtigen Handel des deutschen Zollgebietes u. der Volksw.
Chronik für 1899, S. 417.
2) Der Abg. Arendt verlas am 28. April 1899 im Reichstage zum Beweise dieser Be-
hauptung eine ihm auf eine Anfrage mitgeteilte Auskunft des Kaiserlich Statistischen
Amtes, welche lautete: „Die deutsche Handelsstatistik giebt keine besonderen Zahlen für
Bruchgold. Dasselbe wird in Zusammenfassung mit Pagament (aus Bruchsilber und Bruch-
gold zusammengeschmolzenen Barren) und Bruchsilber unter Nummer 305 der Statistik
aufgeführt. Zur Kenntnis des statistischen Amtes werden nur die Mengen der unter
dieser Nummer fallenden Waren ohne Bezeichnung der Warengattung gebracht.“
Der Abg. Arendt hat jedoch aus der ihm zu teil gewordenen Auskunft nur den-
jenigen Teil verlesen, welcher geeignet war, seine Deduktionen über die Unmöglichkeit
646 R. Rosendorff,
Es ist nämlich sehr wohl möglich, aus den in der Handelsstatistik
unter einer Nummer zusammengefaßten Mengen „Pagament, Bruch-
gold und Bruchsilber“ das in dem Gesamtquantum enthaltene Gold
zu berechnen, weil dort nicht nur die Menge, sondern auch der Wert
angegeben wird. Dieser Wert wird nach dem Ergebnisse festgestellt,
das sich bei der Scheidung des Pagaments seitens der Affinieran-
stalten ergiebt. Das importierte Pagament kommt in diese Anstalten,
wird dort affiniert, und das Ergebnis ist dann zur Feststellung des
für das Pagament angegebenen Wertbetrages maßgebend. Ebenso
wird das Bruchgold dort in die reinen Metalle zerlegt, und so der
genaue Nachweis darüber geliefert, wie viel reines Gold es enthält.
Auf der anderen Seite braucht aber bei der Ausfuhr das Bruchgold
nicht berücksichtigt zu werden, da es in Verbindung mit Pagament
und Bruchsilber nach den statistischen Nachweisungen nur in so ver-
schwindend kleinen Beträgen exportiert wird, daß die für Bruchgold
in Betracht kommende Ziffer das Resultat nicht ändern kann.
Vergleichen wir hiermit die Goldbewegung Frankreichs, so zeigt
sich zunächst in Uebereinstimmung mit Deutschland, daß es von
1880—84 gleichfalls Gold verloren hat, und zwar mehr als Deutsch-
land, nämlich im ganzen 136 Mill. fres. gleich 109 Mill. M. Es hat
also in dieser Zeit 22,1 Mill. M. Gold verloren als Deutschland. Für
1885—99 stellt sich das Bild folgendermaßen !)
in Millionen fres.
1885 42 1893 188
1886 62 1894 353
1837 —165 1895 9
1888 — 91 1896 — 10
1889 209 1897 159
1890 —134 1898 —113
1891 127 1899 158
1892 276 Sa. 1070 Mill. fres. = 856 Mill. M.
Hiervon gehen die 109 Mill. M. Gold, die 1880—84 per Saldo ex-
portiert wurden, ab, so daß Frankreich im Laufe der Jahre 1880—99
einen Goldimportsaldo von nur 747 Mill. M. zu verzeichnen hat.
Während sich also für Deutschland unter dem Einflusse der
Diskontpolitik seit 1885 fortgesetzt Ueberschüsse ergeben, hat die
französische Goldprämie, worauf wir bereits im vorigen Abschnitte
hingewiesen haben, zeitweise recht erhebliche Mehrexporte nicht zu
verhindern vermocht.
Für die Zeit von 1880—-99 stellt sich denn auch der Gesamt-
überschuß an Gold für Frankreich um 284 Mill. M. geringer als der
für Deutschland ermittelte Ueberschuß.
der Wertberechnung des eingeführten Bruchgoldes zu unterstützen. Wie v. Glasenapp
mitteilte, istihm aber auf eine weitere Anfrage noch eine zweite Auskunft zu teil geworden,
welche dahin lautete, daß es sehr wohl angängig sei, mit annähernder Sicherheit den
Wertbetrag des Bruchgoldes zu ermitteln. Arendt hat es aber, da ihm diese Mitteilung
natürlich nicht paßte, für zweckmäßig gehalten, sie überhaupt nicht zu erwähnen. —
Cf, Reichstagsverhandlungen vom 28. April 1899.
1) Nach Rapport für 1900, 8. 73.
Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 647
In der Anlage zum Bericht der 8. Kommission des Reichstages
von 1899 bemängelt der Abg. Arendt zunächst die Statistik, auf Grund
welcher diese Resultate gewonnen sind. Abgesehen davon, daß er
das Bruchgold nicht in Rechnung bringen will, behauptet er, daß
die Handelsstatistik keine genügende Grundlage für die deutsche
monetäre Statistik biete. Er beruft sich hierfür auf das Zeugnis des
verstorbenen Soetbeer, unseres ersten Währungsstatistikers, dessen
Anschauungen im übrigen nicht gerade geeignet sind, die Beweis-
führung von Arendt und seinen Gesinnungsgenossen zu unterstützen.
Dieser hat allerdings vor Jahren einmal geäußert, daß die Nachweise
der Ein- und Ausfuhr von Gold und Silber in deutsche Zollgebiet
unvollständig seien.
Es ist eigentümlich, daß Arendt diese Ziffern nur dann zu be-
mängeln für gut befindet, wenn ihre Resultate seinen Deduktionen
ungünstig sind, dagegen beruft er sich mit Vorliebe auf dieselben,
wenn die Ausfuhr von Gold die Einfuhr übersteigt.
Gegenüber der citierten Aeußerung Soetbeer’s ist zu bemerken,
daß seit 1879 die ganze Statistik über Ein- und Ausfuhr auf neue
Grundlagen gestellt ist.
Besonders ist hierbei in Betracht zu ziehen, daß jetzt das Gewicht
deklariert wird, und also eine ,Unterdeklaration“, wie Arendt be-
hauptet, nicht möglich ist. In der That dürften unsere amtlichen
statistischen Veröffentlichungen über die Einfuhr von Edelmetallen
auf durchaus zuverlässiger Basis ruhen, insbesondere wenn man
berücksichtigt, daß in anderen Ländern gleichfalls derartige Veröffent-
lichungen erfolgen, aus denen sich passendes Vergleichsmaterial und
eine gewisse Kontrolle ergiebt, so daß man hieraus ein richtiges Bild
über die Edelmetallbewegung gewinnen kann.
Arendt hat ferner an derselben Stelle behauptet, daß von dem
Ueberschusse, den wir seit 1885 an Gold gehabt haben, der industrielle
Verbrauch abgerechnet werden müsse. Dieser beziffere sich von
1885—98 auf 570 Mill Der Zuwachs des monetären Edelvorrats
betrage demnach für diese Jahre nur 130 Mill. M. Er berechnet
nämlich den Ueberschuß der Goldeinfuhr nach Deutschland fälsch-
lich nur auf 702 Mill., eine Vermehrung, die wie er meint, kaum der
Volkszunahme, geschweige denn dem in diesen Jahrzehnten so außer-
ordentlich gesteigerten wirtschaftlichen Verkehr entspricht.
Wie verhalten sich die Dinge in Wirklichkeit?
Will man die Summe Goldes berechnen, welche nach Ab-
zug des industriellen Edelmetallverbrauches für monetäre Zwecke
übrig bleibt, so muß man hierbei das Quantum berücksichtigen,
welches Jahr für Jahr auf dem Wege der Goldproduktion in Deutsch-
land gewonnen wird!). Dieses Gold wird zum kleinen Teil aus ein-
heimischen „güldischen Silbererzen“, zum größeren Teil aus impor-
tierten fremden Golderzen, goldhaltigen Silbererzen und goldhaltigem
Silber gewonnen. Diese letzteren gelangen bei der Goldein- und
1) Cf. Glasenapp im Reichstag am 25. April 1599.
648 R. Rosendorff,
Ausfuhr nicht zur Nachweisung. Das daraus gewonnene Gold muß
daher der Goldmenge hinzugerechnet werden, welche in Deutschland,
sei es für monetäre, sei es für industrielle Zwecke verwendbar wird.
Nach Foville!) wird in Deutschland pro Jahr durchschnittlich
für 7,5 Mill. M. Gold produziert. Unter Hinzurechnung dieser Summe
ergiebt sich von 1880—1899 ein gesamter (Goldüberschuß von
1181 Mill. M. Hiervon ist der industrielle Verbrauch im Betrage
von durchschnittlich 30 Mill. pro Jahr in Abzug zu bringen. Nach
Abzug dieser Summe verbleibt von 1880—1899 ein Ueberschuß von
581 Mill. M. für monetäre Zwecke. Hiervon darf nicht etwa noch,
wie Arendt will, der Wert der exportierten Goldwaren abgerechnet
werden. Denn da wir die industriell verwandten Summen von
dem Gesamtvorrat subtrahiert haben, so ist dieser Betrag schon darin
enthalten.
Wenn wir dieselbe Rechnung für Frankreich aufmachen, so er-
giebt sich folgendes Bild.
Die Goldimportüberschüsse Frankreichs beziffern sich von 1880
bis 1899 auf 747 Mill. M.
Hierzu kommt die französische Goldproduktion welche nach
Foville?) pro Jahr durchschnittlich !/, Mill. M. beträgt. Die Ge-
samtüberschüsse beziffern sich demnach auf 742 Mill. M. Nun ist
aber die industrielle Verwendung des Goldes in Frankreich er-
heblich bedeutender als in Deutschland. Sie beträgt nach Fovilles
Berechnungen pro Jahr durchschnittlich 40 Mill. M. Zieht man
diese Summe von der von uns ermittelten Ziffer von 742 Mill. ab,
so ergiebt sich, daß die Goldbilanz Frankreichs seit 1880 nicht nur
keine Ueberschüsse für monetäre Zwecke, sondern ein Minus von
43 Mill. M. aufweist.
Das Resultat des vorigen Abschnittes wird also durch das Er-
gebnis, zu welchem uns die vergleichende Betrachtung der franzö-
sischen und deutschen Goldbilanz geführt hat, dahin verstärkt, daß
Frankreichs Stellung unter dem System der Goldprämie im inter-
nationalen Goldverkehr eine wesentlich ungünstigere war, als die
Deutschlands unter dem Einflusse der Diskontpolitik.
V. Wie erklären sich die durch die Prämienpolitik
hervorgerufenen Erscheinungen?
Wie erklärt es sich nun, daß das System der Goldprämien so
wesentlich andere Wirkungen zeitigt, als man nach den Darstellungen
der Bimetallisten glauben sollte?
Daß die Prämie nämlich, statt, wie Arendt meint, einer Steige-
rung der Wechselkurse entgegenwirken und so den Goldexport und
dadurch notwendig gew ordene "Diskonterhöhungen zu verhindern, zeit-
1) Foville, Rapport fe 1599, S. 234.
2) Foville, S. 118.
Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 649
weilig größere Schwankungen der französischen Valuta hervorruft,
als es durch die Paritäten gerechtfertigt ist?
Ist dies doch um so auffallender, als die Arendt'sche Annahme
auf den ersten Blick ganz plausibel erscheint. Denn wenn der
Wechselkurs so weit gestiegen ist, daß es für den, welcher im Aus-
lande Zahlungen zu leisten hat, rentabler wird, Gold zu versenden
als Wechsel, so müßte, da ja durch die Prämie das Gold verteuert
wird, jetzt trotz des hohen Wechselkurses wiederum zu Wechseln
gegriffen werden.
Diese Argumentation setzt jedoch voraus, daß trotz der Prämie
der Wechselkurs derselbe bleibt wie vorher, eine Annahme, die aber,
wie wir gesehen haben, nicht den Thatsachen entspricht. Die Prämie
überträgt sich vielmehr auf den Wechselkurs und ruft in dem Lande,
welches eine Prämie erhebt, eine Steigerung, in dem, welches sie
zahlen soll, ein Sinken des Wechselkurses hervor.
Zur Erklärung dieser Erscheinung ist es notwendig, auf die
Gründe zurückzugehen, welche den Goldexport hervorrufen.
Die Ursachen, welche internationale Goldbewegungen veranlassen,
sind zweierlei Art.
Man muß nämlich dabei unterscheiden zwischen Goldexporten,
welche durch internationale Finanzoperationen hervorgerufen werden
und Goldexporten, welche einem ungünstigen Stande der Zahlungs-
bilanz ihre Entstehung verdanken. Letztere haben ihre Ursache
wiederum entweder in der Thatsache, daß das Gold exportierende
Land nicht genügend Forderungen auf das andere hat, mit welchem
es seine Schuld an dasselbe kompensieren könnte oder darin, daß
der Wert des Geldes im anderen Lande ein höherer ist.
Die erste Art von Goldoperationen, die von Heiligenstadt so-
genannten „Ordrebezüge“, sind nicht die Folgen von legitimen Handels-
beziehungen zwischen zwei Ländern, sondern stellen nur eine Seite
größerer finanzieller Operationen dar. Sie sind z. B. die Folge des
Ueberganges eines Staates zur Goldwährung. Auf diese Weise sind
die Goldbezüge Rußlands und Oesterreichs im Jahre 1895 zu er-
klären, welche Goldexporte aus allen Staaten in größerem oder ge-
ringerem Umfange zur Folge hatten.
Gerade gegen diese plötzlichen sprunghaft und unvorhergesehen
auftretenden Nachfragen des Auslandes soll, wie Landesberger be-
hauptet!), die Prämie eine definitive Schutzwaffe bilden.
Glaubt er aber im Ernste, daß etwa das Konsortium, welches
im Jahre 1895 die Beschaffung von 100 Mill. fl. gleich 228 Mill.
Kronen Gold für die österreichische Regierung zum Zwecke der be-
absichtigten Valutaregulierung übernahm, sich durch eine auch noch
so hohe Goldprämie an der Durchführung der beabsichtigten Trans-
aktion hätte verhindern lassen ?
Landesberger giebt selbst zu, daß die Prämie eine gewisse Höhe
— bei der Bank von Frankreich betrug sie nie mehr als Dog —
1) Währungssystem u. Relation, S. 100.
650 R. Rosendorff,
niemals überschreiten dürfe, sofern sie nicht die Stabilität der Valuta
gänzlich aufheben solle. Wir werden noch sehen, daß auch aus
anderen Gründen die Erhebung höherer Prämien gänzlich unmög-
lich ist.
Aber selbst eine sehr hohe Prämie, etwa von 2—3 Proz., würde
diese Art von Goldexport nicht verhindern können. Die Banken
würden sich zur Uebernahme einer derartigen Anleihe niemals ver-
stehen, wenn ihnen nicht der Tragweite der Operation entsprechende
sehr hohe Gewinne winkten. Bei der dem Abschlusse des Vertrages
vorausgehenden Kalkulation würde dann die Prämie einfach seitens
der Banken in ihre Unkosten einbezogen werden, und eventuell
in einem höheren Emissionskurse ebenso ihre Deckung finden, wie
alle anderen Unkosten der Transaktion.
Andererseits würde sich aber auch das Land, welches das Gold
zur Durchführung der Währung braucht, falls die Banken wegen
der Prämie einen höheren Preis fordern würden, sicherlich nicht
dadurch davon zurückschrecken lassen. Es müßte dann eben seine
Goldwährung um so viel teurer bezahlen.
Auch Frankreich hat im Jahre 1895 einen erheblichen Betrag
Goldes. nämlich 38 Mill. fres., für die österreichische Valuta-Regulie-
rung hergeben müssen, und wenn diese Summe geringer war als
das, was beispielsweise England und Deutschland dazu beisteuerten,
so liegt dies nicht an der Prämie, sondern findet seine Erklärung in
der im Vergleich zu den genannten beiden Ländern größeren Ab-
neigung Frankreichs gegen die direkte Beteiligung an ausländischen
Finanzgeschäften !).
Ebensowenig wie die Prämie imstande ist, ihre prophylaktischen
Funktionen auf dem Gebiet auszuüben, auf welchem sich Landes-
berger gerade die größten Wirkungen von ihr verspricht, vermag
sie einen Goldabfluß hintanzuhalten, welcher sich als Folge un-
günstiger Wechselkurse darstellt.
Findet auf Grund eines solchen ein Goldabfluß ins Ausland statt,
so bedeutet dies nämlich nichts anderes, als daß im Inlande keine
genügend große Anzahl von Wechseln, d. h. von Forderungen aufs
Ausland, vorhanden ist, mit denen das Ausland seine Forderungen
kompensieren könnte. Mangels derartiger Wechsel kann aber die
Begleichung eines aus dem legitimen Handel herrührenden Saldo
nur mittels des Weltgeldes, des Goldes, erfolgen.
Wie sollnun eine auch noch so hohe Prämie das Ausland daran
verhindern können, auf sein Recht auf Einkassierung seiner fälligen
Forderungen zu verzichten? Es wird dasselbe vielmehr gebieterisch
geltend machen, und das Inland wird sich, wenn es auf andere Weise
kein Gold erlangen kann, wohl oder übel zur Zahlung der Prämie
an seine Centralbank entschließen müssen, sofern es nicht durch ein
höheres Zinsäquivalent das Ausland dazu veranlassen kann, ihm
1) Cf. Heiligenstadt, „Die internationalen Goldbewegungen“ in Schmoller’s Jahrb.
L 1894, S. 575. e
Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 651
seine Schuld zunächst noch zu stunden. Ein solcher Aequivalent
bietet dem Auslande eine Diskonterhöhung seitens der Centralbank
des anderen Landes, nicht aber die Prämie. Ein weiterer Goldabfluß
wird also durch die Diskonterhöhung verhindert, da durch den höheren
Zinsfuß das Ausland veranlaßt wird, seine Guthaben noch stehen zu
lassen. resp. Wechsel des höheren zinsgewährenden Landes gegen
Gold zu kaufen. Und zwar wird das eine Land um so mehr von
den hohen Diskontsätzen des anderen profitieren, um SO mehr Gold
dahin senden, je größer die Differenz der Diskontsätze bei den
Ländern ist!).
Sucht man durch die Prämie im Inlande einer eventuell not-
wendigen Diskonterhöhung entgegenzuwirken, SO sind eben jene Ver-
hältnisse, wie wir sie auf dem französischen Geldmarkte in den
Jahren 1898 und 1899 kennen gelernt haben, und die unsere soeben
nn Ausführungen bestätigen, die notwendige Folge des Ver-
ahrens.
e Es wirkte damals in Frankreich die Notwendigkeit, das Saldo
der momentan ungünstigen Zahlungsbilanz zu decken mit dem Wunsche
der Banken zusammen, von den höheren Zinssätzen des Auslandes
zu profitieren, SO daß trotz der hohen Prämien große französische
Kapitalien ins Ausland wanderten.
Immerhin aber war doch die Macht der Prämie in Verbindung
mit den übrigen restriktiven Maßnahmen der Bank von Frankreich
stark genug, um den Goldexport zu erschweren. Derselbe konnte
sich thatsächlich nur unter gewissen Reibungen vollziehen, da eben
bei den Schwierigkeiten, die die Bank machte, Gold nicht, wie in
Deutschland und England, jederzeit in beliebiger Menge zu einem
bestimmten Preise zum Export zu haben war. Da aber die Ur-
sachen, die die Nachfrage im Auslande an Gold hervorriefen, un-
verändert bestehen blieben, so konzentrierte sich die Nachfrage unter
den obwaltenden Umständen in Frankreich um SO mehr auf die Gold-
wechsel, die im Preis immer höher stiegen und sich um so mehr
von der Parität entfernen mußten, je höher die Prämie der Bank
stieg.
Dies erklärt die zeitweise starke Entwertung der französischen
Valuta gegenüber der englischen und deutschen.
In Ländern, wie Deutschland und England, welche der Preis-
steigerung der Devisen durch Goldabgabe zu einem bestimmten
Preise eine Grenze ziehen, kann eine derartige Valutaentwertung
aber niemals eintreten. Die deutsche Währung kann sich beispiels-
weise gegenüber der englischen immer nur um den Betrag entwerten,
den die Versendungs- und Versicherungskosten Von Berlin nach
London ausmachen. Wollte der Wechselkurs in Berlin die Neigung
zeigen höher zu steigen, SO würde es in Deutschland rentabler sein,
die englischen Forderungen mit Gold zu decken. Hierdurch wird
1) Cf. auch den Kommissionsbericht über die Beratung der Novelle zum deutschen
Bankgesetz von 7. Juni 1899.
652 R. Rosendorff,
aber die Nachfrage nach Wechsel verringert und dem weiteren Steigen
eine feste Grenze gezogen.
Wenn die französische Valuta nicht in noch höherem Grade
schwankt, als dies thatsächlich der Fall ist, so hat dies seinen Grund
darin, daß Frankreich bei seiner so außerordentlich günstigen Zah-
lungsbilanz nur selten und ausnahmsweise Zahlungen ans Ausland
zu leisten hat und daher auch nur in Ausnahmefällen zur Prämien-
politik greift‘). Aber auch in den Jahren, in denen die Bank die
Prämie erhob, stieg der Wechselkurs in Frankreich nicht so hoch,
wie dies zweifellos der Fall gewesen wäre, wenn der Goldexport aus
Frankreich durch die Prämie völlig unmöglich gemacht worden wäre.
In Frankreich ist nämlich Gold in der Cirkulation in derartigen
Mengen vorhanden, daß sie beträchtliche Summen davon ohne Schaden
entbehren kann. Infolgedessen gehen trotz aller erschwerenden Maß-
regeln der Bank bedeutende Beträge Goldes aus dem Lande, die
das weitere Steigen des Wechselkurses verhindern.
Und zwar kann die Entnahme von Gold aus der Cirkulation
statt aus den Kellern der Bank in Frankreich um so leichter vor
sich gehen, als dort gerade die Goldprämienpolitik der Centralbank
zu einem besonderen banktechnischen Geschäftszweige geführt hat.
Die Privatbanken sammeln nämlich, unterstützt von einem weit-
verzweigten Kreise von Helfershelfern zunächst große Mengen Goldes
aus der Cirkulation, speichern sie bei sich auf und stellen sie dann
dem Auslande, dem die Prämienpolitik der Bank den Bezug von Gold
in Frankreich zu erschweren sucht, gegen eine Verfügung, die zwar
geringer sein muß als die jeweilig von der Bank geforderte Prämie,
aber immerhin noch groß genug ist, um dieses jeden Risikos ent-
behrende Geschäft recht rentabel zu machen ?).
In der That zeigt auch die Statistik, daß die im französischen
Verkehr befindlichen Goldmengen sich trotz der starken Ausmün-
zungen im Laufe der Jahre verringert haben. Während bei der von
der französischen Regierung im Jahre 1885 vorgenommenen Kassen-
enquete, bei welcher die Münzbestände einer sehr großen Anzahl
öffentlicher Kassen auf ihre Zusammensetzung hin geprüft wurden,
in Noten 67,63 Proz,
in Gold 22,44 ,„
in Silber N er
vorhanden waren, waren 1897 nur
11,25 Proz. Gold
84,21 ,„ Noten
4,52 , Silber
in den Kassenbeständen 3).
1) Cf. Landmann, System der Diskontpolitik, S. 185. Deutscher Oekonomist,
1893, S. 490.
2) Gegen Landesberger’s Behauptung (Goldprämienpolitik S. 50/51), daß die Ent-
nahmen von Gold aus der Cirkulation in Frankreich schwer durchführbar seien, cf.
Heiligenstadt in Conrad’s Jahrb. f. 1893, S. 230. Ostersetzer, Währungswechsel, Bd. 2,
S. 140. — Stenogr. Prot. der Wiener Währungs-Enquête 1892, S. 26, I68.
3) Cf. Glasenapp im Reichstage am 28. April 1899.
Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 653
Obgleich diese Verschiebung zu Ungunsten des Goldes auch auf
andere Ursachen zurückzuführen ist, hat das Bestreben der franzö-
sischen Arbitrageurs, Gold zum Export an sich zu ziehen, hierbei
sicherlich stark mitgewirkt.
Wie sehr die Politik der Bank von Frankreich aus den genannten
Gründen das Verschwinden des Goldes aus dem Umlauf bewirkt,
geht auch aus der Thatsache hervor, daß sich auch in der von ihr
beeinflußten Schweiz die Proportion des Goldes zum Silber zu deren
Ungunsten verschoben hat.
Wie Kalkmann ausführt), übt nämlich die Prämie, solange sie
sich noch nicht auf den schweizerischen Geldmarkt übertragen hat, eine
gewisse Anziehungskraft auf schweizerisches Gold aus und veranlaßt
es zur Auswanderung nach Frankreich.
Raffalovich ?) hat daher recht, wenn er sagt: „La prime défensive
protège, si l’on veut, l’encaisse visible, le réservoir central du pays,
mais elle permet l’appauvrissement de la circulation métallique, or la
Banque doit surveiller aussi bien sur l'encaisse qu'elle détient que
sur la porte-monnaie du particulier. N'est-il pas absurde à Paris
de voir les grands magazins tout comme l'épicier du coin porter
leurs pièces de 20 francs chez Je changeur qui pratique le tré-
buchage?* —
Allein wenn so die große französische Cirkulation auch teilweise
dem Bedürfnisse nach Gold zu genügen vermochte, so war sie
doch, wie wir gesehen haben, nicht vollständig hierzu imstande. Sie
vermochte dem Steigen des Wechselkurses zwar eine gewisse Grenze
zu ziehen, es aber nicht zu verhindern. Die Prämie bewirkte in-
folgedessen für diejenigen eine Verteuerung, welche Zahlungen ans
Ausland, sei es in Wechseln oder Gold, zu machen hatten. Wenn nun
allerdings diese Zahlungen auch seitens der Arbitrage gemacht werden,
die darüber entscheidet, ob es für sie vorteilhafter ist, sich dafür
des Goldes oder Wechsel zu bedienen, so ist sie doch weit entfernt
davon, wie dies die Bimetallisten glauben und für so überaus wün-
schenswert halten, die durch die Prämie bewirkte Verteuerung auch
zu tragen.
Der Arbitrageur zahlt ja nicht für sich, sondern ist nur der
Vermittler der internationalen Ausgleichung. Wenn er nun entweder
die Prämie oder den durch sie verursachten höheren Wechselkurs
zahlen muß, so vergrößern sich seine Spesen, und da mit der wech-
selnde Prämie auch diese schwanken, auch sein Risiko. Infolgedessen
läßt er sich noch eine gewisse Risikoprämie vergüten. Derjenige,
welcher sich zur Zahlung ausländischer Schulden der Vermittelung
der Arbitrage bedient, muß daher außer der ordentlichen Provision
auch diese noch tragen. So bewirkt die Prämie eine doppelte Ver-
teuerung des Importeurs und einen besonderen Nebenverdienst der
Arbitrage. Diese leidet daher auch nicht unter der Prämie, sondern
Kalkmann, Geldwesen der Schweiz, S. 11.
1)
2) Marcher financier pro 1899/1901. S. X.
654 R. Rosendorff,
steht sich recht gut dabei, was ja auch die Thatsache beweist, daß
die Thesaurierung von Gold, welches man bei hoher Prämie etwas
billiger hergiebt als die Centralbank, sich zu einem besonderen Ge-
schäftszweige der französischen Bankiers herausgebildet hat. Um so
schlechter kommen dabei die Importeure und damit diejenigen weg
welche die vom Ausland bezogenen Waren konsumieren und dafür
einen höheren Preis zahlen müssen !).
Vergegenwärtigt man sich, daß Frankreich pro Jahr etwa für
eine Milliarde Nahrungsmittel, für 1!/, Milliarden Rohstoffe und für
eine !/, Milliarde Fabrikate einführt, so bekommt man einen unge-
fähren Begriff davon, wie bedeutend die durch die Prämie herbei-
geführte Belastung der französischen Konsumenten und Industriellen
sein muß?).
Die Ansicht der Bimetallisten darüber, daß die Prämie von der
Arbitrage getragen und daher durch sie im Gegensatz zur Diskont-
erhöhung die große Masse der Konsumenten nicht belastet, beruht
auf der völlig falschen Vorstellung, die dieselben von dem Wesen
der Arbitrage haben. Sie übersehen nämlich, daß der Wechselkurs,
bei welchem ein Goldexport der Arbitrage als rentabel erscheint,
nicht von ihr willkürlich hervorgerufen wird, sondern die Folge der
internationalen Zahlungsbilanz ist, welche es notwendig macht, daß
das eine Land mangels eines genügend großen kompensablen W echsel-
vorrats in Gold zahlt. Thatsächlich spielt heute übrigens die Arbi-
trage beim Goldexport bei weitem nicht mehr die große Rolle, welche
ihr die Bimetallisten beimessen. Sehr oft ist es in den letzten Jahren
zu Zeiten hohen Bankdiskontes auch vorgekommen, das sie nach
Verständigung mit dem Reichsbankpräsidium, trotzdem es für sie
lohnend gewesen wäre, keinen Goldexport vorgenommen hat, um
nicht durch ihre Thätigkeit ein weiteres Steigen des Diskontes her-
vorzurufen.
Nur bei verhältnismäßig hoher Marge hat sie Gold exportiert
und dafür mittels Wechsels Deckung genommen. Ueberhaupt werden
Edelmetalltransporte heutzutage vielmehr von den Centralbanken als
der privaten Arbitrage ausgeführt). Sehr häufig wirkt gerade ihre
Thätigkeit darauf hin, den Goldexport solange als möglich zu ver-
hindern, da sie ja in jedem Winkel der Welt einen billigeren Wechsel
zu erspüren sucht, um so lange es irgend geht, damit zu zahlen. Kann
sie einen solchen nicht mehr billig genug erhalten, so wird sie viel-
fach auch dann noch nicht zum Goldexporte schreiten, sondern zu-
nächst größere Beträge von im Inlande placierten ausländischen
Papieren ins Ausland zu schaffen suchen. Dies wird sie den Metall-
transaktionen um so mehr vorziehen, als hierbei der Nutzen für sie
ein bedeutender größerer ist als bei dem Goldversande 21.
1) Cf. den eitierten Kommissionsbericht.
2) Cf. auch Hertzka, Das internationale Währungsproblem, S. 55.
3) Ehrenberg, Art. „Arbitrage“ im H. d. St., Bd. 1, S. 1042,
4) Saling, Börsenpapiere, Bd. 1, S. 282,
Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 655
VI. Die Gründe der Bank von Frankreich i
für die Goldprämienpolitik.
Angesichts der Unwirksamkeit der Goldprämienpolitik zum dauern-
den Schutze des französischen Goldschatzes und zur dauernden Ver-
meidung von Diskonterhöhungen fragt man sich wohl nach den Gründen,
die die Leitung der Bank dazu veranlaßt haben mögen, im Gegen-
satz zu sämtlichen Notenbanken der Welt von den bewährten Grund-
sätzen der Diskontpolitik abzuweichen und eine Politik einzuschlagen,
welche Léon Say, der frühere französische Finanzminister, als „dangereuse
et nouvelle méthode“ bezeichnet !). Thatsächlich schlägt auch die
französische Bank die Goldprämienpolitik durchaus nicht freiwillig
ein, weil sie von ihrer absoluten Ueberlegenheit gegenüber der Dis-
kontpolitik überzeugt ist, sondern «poussée par la fatalité des choses”,
wie sich ein französischer Nationalökonom nicht unrichtig ausdrückt.
Die Bank wird nämlich durch die eigentümlichen französischen
Verhältnisse häufig auch dann zur Vermeidung von Diskonterhöhungen
gezwungen, wenn die französische Goldbilanz sich derart ungünstig
gestaltet, daß man in anderen Ländern unter diesen Umständen zu
einer Korrektur derselben durch eine Diskonterhöhung schreiten
würde.
In solchen Fällen kann die Bank aber trotzdem natürlich nicht
darauf verzichten, ihren Goldschatz zu schützen und greift daher
dann zur Erhebung von Prämien als Palliativmittel.
Wenn die Bank in der That danach strebt, Diskonterhöhungen
soweit als möglich zu vermeiden und den Erfolg derselben durch
andere Mittel zu ersetzen, SO wird sie hierzu in erster Linie durch
einen von der Regierung auf sie ausgeübten Druck bestimmt, welche
aus bestimmten noch zu erörternden Gründen ein Interesse an niedrigem
Diskont hat.
Die Beobachtung, daß die französische Bankpolitik sich vielfach
den Zwecken der jeweiligen Regierung anpaßt, ist von englischen und
französischen Schriftstellern bereits des öfteren gemacht worden.
So sagt George Clare?):
„Unlike the bank of England which is a private corporation
existing solely for the benefit of its stockholders, the Bank of France
is regarded as semi-independent department of the state and as such
is expected to adapt its poliey to the views of the Government as
well as to private ends.“
Und Courcelle-Seneuil *) :
„La Banque de France n'est pas un établissement commercial
seulement, c'est aussi et avant tout un instrument politique, une
banque d'État.“
1) Vorwort zur 3. Auflage des Werkes von Goschen.
2) Clare, A money market primer, $. 110.
3) Courcelle-Seneuil, Les opérations des banques, 7. Aufl., S. 247.
656 R. Rosendorff,
. Die Ansichten dieser Schriftsteller werden auch durch die Er-
gebnisse der Jahre 1898 und 1899 bestätigt.
Schon im April 1898 erwartete man allgemein mit Rücksicht
auf den enormen Goldexport nach Amerika, der selbst durch Prämien
bis zu 9 % nicht gehemmt werden konnte, eine Diskonterhöhung,
die aber mit Rücksicht auf die Regierung erst im Oktober vorge-
nommen wurde, da sie wegen der bevorstehenden Wahlen eine Ver-
teuerung der Diskontsätze vermieden wissen wollte. Auch im folgen-
den Jahre übte die Regierung in gleicher Weise einen Druck auf die
Leitung der Bank aus!).
Zum Verständnis des großen Interesses, das die französische
Regierung am niedrigen Diskont hat, muß man sich zweierlei ver-
gegenwärtigen. Zunächst die eigentümliche Art, in welcher in Frank-
reich die Staatsanleihen begeben werden, und ihre dadurch herbei-
geführte Demokratisierung. Die französische Rente wird nämlich
in der Weise vertrieben, daß durch den Hauptsteuereinnehmer,
„receveur general“, ein beständiger Rentenverkauf stattfindet, wo-
durch bewirkt wird, daß sie in alle Volksschichten getragen wird
und gerade die kleinen und kleinsten Kapitalisten an ihrem Kurse
vorzugsweise interessiert werden. In der That ist sie dadurch
auch in dem Maße zu einer Nationalschuld geworden, daß sie sich
fast völlig in den Händen von Inländern befindet. So wünschens-
wert diese Thatsache auch aus manchen Gründen sein mag, führt sie
doch zu einer Schwäche des französischen bankpolitischen Systems ?),
da die Regierung im Interesse der großen am Hochstande der Rente
interessierten Volkskreise, auf die sie sich stützt, gezwungen ist, durch
Maßnahmen ihrerseits für einen günstigen Kurs Sorge zu tragen ?).
Bei einem dauernd hohen Diskont würde sie aber in Anbetracht des
engen Zusammenhanges, der zwischen dem Kurse der Staatspapiere
und dem Diskont besteht, hierzu kaum in der Lage sein. Denn der
gestiegene Diskont würde die Besitzer der Rente dazu veranlassen,
ihre darin angelegten Mittel flüssig zu machen und in Wechseln
bezw. als Depositum, dessen Einsatz bekanntlich mit dem Diskont
steigt, zu verwerten. Hierdurch würden die Kurse der französischen
Rente stark sinken und ihre Besitzer lebhafte Klagen gegen die
Regierung erheben, die dieselbe bei den von uns geschilderten eigen-
artigen französischen Verhältnissen mehr Aufmerksamkeit zu schenken
gezwungen ist, als in anderen Ländern, in denen die Regierung nicht
derart von den Rentenbesitzern abhängig ist, wie in Frankreich $).
1) Cf. Moniteur des intérêts matériels vom 14. Dezbr. 1899: „On dit courramment
en Bourse, que le ministre des finances A l’instigation sans doute des grands politiciens
avait fait le possible auprès du conseil de régence, pour que le taux de l'escompte
nestät immuable malgré la cherté progressive de l'argent à Londres.“
2) Heckel im W. d. V., Bd. 2, S. 601, 603, Art.: „Staatsschulden“.
3) Lotz, Art.: „Diskont“ im H. d. St., Bd. 3, S. 181. $
4) Struck, Studien über den englischen Geldmarkt in Schmoller’s Jahrb. 1898,
S. 408. — Wie sehr die französische Regierung offenbar an dem Hochhalten der Renten-
kurse interessiert ist, zeigt sich auch an versehiedenen gesetzgeberischen Maßnahmen
derselben. Es sind alle französischen Sparkassen gezwungen, ihre Gelder in 3-proz.
Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 657
Die Diskontpolitik wird in Frankreich aber auch noch von Rück-
sichten auf andere Volkskreise zweifellos stark beeinflußt, in deren
Interesse es wünschenswert erscheint, der Goldausfuhr lieber durch
ein System entgegenzuwirken, welches zwar, die Schwankungen des
Wechselkurses vergrößert, den Kredit aber nicht derart versteuert,
wie dies bei einer Erhöhung des Diskontes der Fall ist.
Es sind dies die Rücksichten auf die bäuerliche Bevölkerung.
Staaten wie England und Deutschland, deren wirtschaftliche Blüte auf
dem Außenhandel beruht, würden freilich durch die durch die Gold-
prämie hervorgebrachten Schwankungen der Wechselkurse weit em-
pfindlicher leiden, als durch eine Kreditverteuerung, da jede, auch
die kleinste Entwertung der Valuta, ja selbst die bloße Möglich-
keit des Eintritts einer solchen, genügt, um den auswärtigen Handel
zu schädigen; dagegen, wird der englische oder deutsche Kauf-
mann durch eine Kreditverteuerung lange nicht so hart getroffen,
da er nur einen kurzen Betriebskredit braucht und einer Ver-
teuerung oder Verbilligung desselben in seinen Kalkulationen leicht
Rechnung tragen kann !).
Im Gegensatz zu diesen Ländern beruht das wirtschaftliche
Schwergewicht in Frankreich auf dem Ackerbau, im Verhältnis zu
welchem Handel und Industrie schwächer entwickelt sind. Unter
den Schwankungen des Wechselkurses leidet daher nur ein kleiner
Teil der Bevölkerung, während die Kreditverteuerung Produktion und
Absatz im Innern hemmen würde. Denn der Bauer braucht lang-
fristigen Kredit, und ist daher sowohl deshalb wie wegen seiner ge-
ringen kommerziellen Beweglichkeit nicht imstande, seine Kalkula-
tionen dementsprechend einzurichten. Wie Grunzel?) ausführt, übt
dies aber auch seine Wirkung auf den Industriellen aus, da die
Rohstoffmärkte entlegen sind, und das Inkasso durch den temporären
Charakter der landwirtschaftlichen Produktion beeinflußt wird.
Zu diesen politischen und wirtschaftlichen Gründen, welche
zweifellos einen maßgebenden Einfluß auf die Entwickelung der
Prämienpolitik in Frankreich ausgeübt haben, kommt noch, daß die
Banque de France, selbst wenn sie den geschilderten Verhältnissen
nicht in dem Maße, wie sie es thut, Rechnung tragen würde, bei der
eigentümlichen Lage des französischen Geldmarktes und den be-
Rente anzulegen, ebenso müssen auch die ausländischen Lebensversicherungsgesellschaften
einen Teil ihrer Prämienreserve aus 3-proz. Rente bilden. Nach einem Gesetz aus
dem Jahre 1895, welches am 1. Jan. 1901 in Kraft getreten ist, darf niemand mehr als
1500 fres. bei einer öffentlichen Sparkasse guthaben. Wenn die diesen Betrag über-
steigenden Summen bis zu jenem Termin nicht zurückgezogen waren, so verloren die
Sparer das Recht der Rückforderung ihres Kapitals und mußten es sich gefallen lassen,
daß jene Summen in französischer Rente angelegt wurden. Dies Gesetz zeitigte auch
den gewünschten Erfolg. Denn der Kurs der 3-proz. amortisierten Rente hob sich vom
2. Jan. bis 31. Dez. von 92,20 auf 101,30 Proz. Cf. Volksw. Chron. f. 1900, S. 471,
536. Ichenhäuser, Finanzielle Zeit- und Streitfragen, S. 12. Wolff, money in wrong
place in the Econ. Review f. 1895, S. 291 ff.
1) Cf Lotz, H. d. St., Bd. 3, S. 180.
2) Grunzel, Der internationale Wirtschaftsverkehr, S. 113.
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 42
658 R. Rosendorff,
sonderen monetären Verhältnissen des Landes in normalen Zeiten
gar nicht imstande sein würde, durch eine Diskonterhöhung einen
Goldabfluß zu verhindern und daher auch aus diesem Grunde ge-
zwungen ist, sich nach einem Ersatzmittel dafür umzusehen, welches,
den Goldabfluß aus dem Lande zwar nicht gänzlich zu verhindern
vermag, immerhin den Goldbeständen der Bank doch vorübergehend
einen gewissen Schutz verleiht, sofern die Anforderungen des Aus-
landes nicht allzu groß und nur vorübergehender Natur sind.
Wenn die Bank von Frankreich durch eine Diskonterhöhung
nicht in der Lage ist, den Goldabfluß ins Ausland zu verhindern,
so hat dies seinen Grund darin, daß Frankreich sehr reich an Kapital
ist, seine wirtschaftliche Entwickelung aber zurückgeht und seine
Bevölkerung stagniert. Infolgedessen und wegen der Abneigung der
französischen Banken überhaupt sich an Gründungen und in-
dustriellen oder Handelsunternehmungen zu beteiligen, sind diese
großen Kapitalien niemals dauernd dem französischen Markte ent-
zogen, sondern werden in kurzfristigen Darlehen oder im Wechsel-
diskontgeschäft immer nur auf kurze Zeit festgelegt. Im Gegensatz
zu den deutschen Banken, die bei der steten und energischen Unter-
stützung, die Handel und Industrie durch sie finden, teilweise den
Charakter von Credit-mobilier-Instituten haben, sind die französischen
Banken viel mehr bloße Depositen- und Kommissionsbanken !)
Würde die Bank von Frankreich nun ihren Zinsfuß erhöhen,
um den Goldabfluß zu verhindern, so würde sie damit auch nicht
den geringsten Einfluß auf den Markt ausüben, denn auf die große
Menge unbeschäftigten Kapitals hat der Abfluß eines Teiles des-
selben gar keine Bedeutung 71. Die großen Kreditinstitute würden
die Bank einfach unterbieten und ihr einen noch größeren Teil des
Wechselmaterials entführen, als dies bekanntermaßen trotz des
niedrigen Diskonts der Bank schon heute der Fall ist?).
Würde nun der Goldabfluß sich sehr steigern, so würde sich
allmählich wohl eine Goldknappheit und damit ein Goldagio heraus-
bilden, der Zinsfuß für Geld aber damit nicht steigen 21.
Diese Thatsache kann aber für die Bank um so verhängnis-
voller werden, als sie damit zu kämpfen hat, daß sie neben ihrem
Goldschatz noch einen sehr hohen Silbervorrat besitzt’). Diese
Silbermengen sind fast ebenso groß wir ihr jeweiliger Goldvorrat
und bestehen zu Hunderten von Millionen in fremden Prägungen
der anderen Staaten des Lateinischen Münzbundes, welche bei ihr
festliegen. Diese enormen Silbermengen haben, zumal da auch der
1) Sugous, Le banche Tedesche e la loro influenza sulla slancio industriale e
commerciale della Germania in der Riforma sociale vom 15. Jan. 1899. — Derselbe,
Les banques de dépôt, les banques de crédit et les sociétés financierès, Paris 1901,
Teil II, Cap. 2 und 3.
2) Kalkmann, Entwertung der österreichischen Valuta im Jahre 1899, S. 22.
3) Heiligenstadt im Reichstag am 8. Febr. 1899. Rosendorf bei Conrad, März 1901.
4) Landmann, S. 189.
5) Reichsbankpräüsident Koch im Reichstage am 26. Jan. 1901. — L. Say in der
Vorrede zu Goschen, abgedruckt bei Raffalovich, Le marcher fin., 1896/97, S. 59.
Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 559
französische Verkehr mit ca. 400 Milliarden Franken Silber-
courant gesättigt ist, eine große Bedeutung für die Münzpolitik der
Bank.
Wenn sich nämlich in einem Lande ein weit über den Bedarf
hinaus gehender Vorrat von entwertetem Silber befindet, so läuft die
Cirkulation leicht die Gefahr, fortwährend Gold zu verlieren und
statt dessen nur Silber zu erhalten. Wegen ihrer Minderwertigkeit
können die Goldsurrogate die Grenze nicht überschreiten, sie bleiben
stets im Lande und befriedigen auch bei großer Ausdehnung des
Verkehrs die Bedürfnisse desselben. Hierdurch wird das Gold frei
und kann, ohne daß sich im Verkehr ein Mangel an Zahlungsmitteln
geltend macht, der dem weiteren Abströmen des Goldes Einhalt
thun würde, das Land verlassen. Eine Folge hiervon ist, daß auch
die Bank nur Silber bekommt, und die Masse des unterwertigen Silbers
droht die ganze Valuta zu entkräften. Auch in Frankreich drängte
das Silber stets in die Bank, und trotz aller Gegenmaßregeln mußte die-
selbe es schließlich aufgeben, es wieder in den Verkehr zu bringen
und ihr Heil nur noch in einer Vergrößerung ihres Goldschatzes
suchen. Hierdurch erklärt sich die Stabilität des Silbers bei der
Bank von Frankreich im Verhältnis zur stärkeren Vergrößerung ihres
Goldvorrates.
Bei diesen Verhältnissen könnte die Bank von Frankreich auch
aus diesem Grunde durch eine Diskontpolitik ihren Goldschatz über-
haupt nicht wirksam verteidigen. Denn bei der stark gemischten
Cirkulation vermag sie die Metallströmungen nicht so vollständig zu
beherrschen, wie die Centralbank eines monometallistischen , resp.
eines Landes, dessen Cirkulation nicht so stark mit Silber gesättigt
ist. Ermöglicht z. B. der Stand der Wechselkurse ein Ausströmen
des Goldes, so würde die Bank, selbst wenn sie den Diskont zur
Verteidigung ihres Goldbesitzes noch so sehr erhöhen würde, die
Arbitrage nicht daran verhindern können, der mit beiden Metallen
reichlich versehenen Cirkulation Gold zu entnehmen. Der Bank
würde dann nur fort und fort Silber zuströmen. Es würde also
durch den hohen Diskont wohl der Barvorrat, nicht aber der Gold-
schatz der Bank verstärkt werden.
Da auch die französische Cirkulation, wie wir bereits bemerkt
haben, übergroße Mengen Silbers enthält, so wird diese Gefahr um
so größer, denn der Verkehr wird sich des lästigen Silbers dadurch
zu entledigen suchen, daß er es in die Bank und die öffentlichen
Kassen ableitet. Je größer dann die dort lagernden Silberbestände
werden, um so kleiner wird der Goldschatz der Bank, bis schließ-
lich die Goldzahlungen und damit die Solvenz des Instituts ihr Ende
erreicht. Die Bank muß sich also bemühen, ihr Gold möglich durch
andere Mittel festzuhalten. Daß sie dies auf jede ihr zu Gebote
stehende Weise selbst bei einem sehr großen Goldbestande thut, be-
weist, wie sehr die Verwaltung befürchtet, daß einmal jene oben
besprochenen Folgen einer zu hohen Silbereirkulation eintreten
könnten. Es gewinnt dabei, wenn man sieht, wie ängstlich die Bank
42%
660 R. Rosendorff,
über ihrem Goldschatze wacht, fast den Anschein, als besäße sie
mit Rücksicht auf ihren starken Silberbestand relativ immer noch zu
wenig Gold !).
Bei diesen Verhältnissen kann die Bank einen Schutz ihres
Goldes, wenn überhaupt, nur durch die Goldprämie erreichen.
Wenn die Bank von Frankreich, nachdem bei den andauernd
großen Goldnachfragen die Goldprämie selbst ihren beschränkten
Schutz verlor, trotzdem in den Jahren 1898 und 1899 zu Diskont-
erhöhungen griff, und dadurch dem reicheren Goldabfluß Einhalt zu
thun vermochte, so steht dies zu unseren Ausführungen durchaus
nicht in Widerspruch, sondern bestätigt dieselben. Bei den gewaltigen
und fortgesetzten Bedürfnissen, die sich in England als Folge des
Transvaalkrieges in Deutschland als Folge des gewaltigen Auf-
schwunges geltend machten, waren derartig große Summen aus Frank-
reich ans Ausland abgeflossen, daß selbst die bedeutenden flüssigen
Kapitalien dieses Landes davon aufgesaugt worden waren und sich
infolgedessen auch dort eine so empfindliche Geld- und Goldknapp-
heit bemerkbar machte, daß die Bank annehmen konnte, nunmehr
mit einer Erhöhung des Diskonts auch auf dem offenen Markte
durchzudringen, und in der That damit auch den gewünschten Erfolg
hatte. War doch der Verkehr sogar derart an Gold geschwächt, daß
vollwertige 20-Francs-Stücke bereits rar zu werden begannen und
die Bank sich infolgedessen veranlaßt sah, für 10 Mill. leichte
10-Francs-Stücke in den Verkehr zu bringen.
VI. Die Uebertragbarkeit der Goldprämienpolitik
auf Deutschland.
Wollte die Reichsbank, den Wünschen der deutschen Bimetal-
listen folgend, einem Goldabfluß aus Deutschland durch Erhebung
von Goldprämien nach dem Beispiele der Banque de France ent-
gegenzuwirken suchen, so würde sich, bei der im Verhältnis zu
Frankreich ungünstigeren deutschen Handelsbilanz, noch deutlicher
zeigen, daß das System der Goldprämien ebensowenig imstande
ist, die deutschen Goldbestände wirksam zu schützen, wie den
deutschen Diskont dauernd stabil zu erhalten.
Auf der anderen Seite würden sich aber die durch diese Politik
mit Notwendigkeit vergrößerten Schwankungen der Wechselkurse
um so fühlbarer machen.
Die Wirkungen von Valutaschwankungen äußern sich bekannt-
lich in zweierlei Hinsicht.
Sie vermindern einmal die Bedeutung des Landes, dessen Valuta
schwankt, für den Weltverkehr, da in dem Handel mit demselben
1) Ostersetzer in Volksw. Wochenschr. vom 18. Juni 1891 und Lieben, Ebenda
25. Febr. 1892. Cf. auch Thery, Les fonctions de la Banque de France, S. 8. „Lette
masse d’or est nécessaire pour dorer nos écus, c’est-à-dire pour défendre l’ensemble de
la circulation monétaire française contre la dépréciation extérieure dont la baisse du
metal blane devait être la conséquence rationelle.‘
Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 661
ein aleatorisches Moment tritt. Hierdurch verlieren seine Wechsel
ihre Ebenbürtigkeit mit barem Golde und sind nun nicht in dem
Maße, in dem sie dies sonst wären, für Gold gut“ 1):
Die Wirkung der Valutaschwankungen äußert sich ferner darin,
daß durch sie Kapitalsübertragungen aus dem einen Lande in das
andere gehemmt werden, weil der Ausländer befürchten muß, bei vor-
übergehenden Geldanlagen in dem Lande mit schwankender Valuta
Kursverluste zu erleiden.
Wenn Frankreich trotzdem die durch seine Goldprämienpolitik
erzeugten mehr als normalen Schwankungen seiner Valuta zu Of:
tragen vermag, SO hat dies seinen Grund einmal, wie wir bereits
früher erwähnten, darin, daß das wirtschaftliche Schwergewicht Frank-
reichs nicht so sehr im auswärtigen Handel liegt, wie in Deutsch-
land und England. Insbesondere beruht auch gerade die wirt-
schattliche Entwickelung Frankreichs in den letzten Jahren, in
welchen dort so hohe Prämien erhoben wurden, nicht auf einer Aus-
dehnung seines Handels. Dazu kommt aber vor allen Dingen, daß
Frankreich ein so reiches Land ist, daß es auf den Kredit des Aus-
landes nicht angewiesen ist und bei seiner SO überaus günstigen
Handelsbilanz die Prämie immer nur vorübergehend zu erheben braucht.
Wäre dem nicht so, SO würden die durch die Prämie erweiterten
Schwankungen der französischen Valuta bald derartige Dimensionen
annehmen, daß man sich auch dort entschließen müßte, ihre Ursachen
durch Aufgeben der sie erzeugenden Politik zu beseitigen. Aber
auch bei diesen für Frankreich so günstigen Verhältnissen hat die
Goldprämienpolitik der Banque de France der internationalen Um-
laufsfähigkeit der französischen Wechsel sehr geschadet, da man
infolge der durch sie hervorgebrachten mehr als normalen Schwan-
kungen der französischen Wechsel Frankreich zu den Ländern mit
schwankender Valuta rechnet 2). Als Beweis hierfür kann auch gelten,
daß die Bank von Oesterreich-Ungarn, welche einen gewissen Betrag
von Devisen als Bardeckung einrechnen darf, französische Wechsel
nieht als einrechenbare Goldwechsel behandelt, sondern nur Devise
London und Deutschland °).
Wenn sich nun die Nachteile der durch die Prämienpolitik er-
zeugten Valutaschwankungen selbst für Frankreich fühlbar gemacht
haben, so würden dieselben für Deutschland wesentlich verhäng-
nisvoller sein. Denn es würde dadurch gerade in seiner Ent-
Ae Ee
1) Landmann, S. 184.
2) Landesberger, Währungssystem und Relation, S. 94.
3) Wegen der mit der Prämienpolitik unzertrennlich verbundenen starken Schwan-
kungen der Wechselkurse warnt Kalkmann (S. 87) auch die Schweiz, falls sie sich ein-
mal währungspolitisch selbständig machen sollte, davor, sich die Politik der Bank von
Frankreich zum Muster zu nehmen, da die Schweiz zur Entwickelung ihrer heimischen
Volkswirtschaft fremder Gelder bedürftig sei und die fremden Kapitalisten bei Schwan-
kungen der Wechselkurse davon abgehalten werden würden, ihre Gelder vorübergehend
in der Schweiz anzulegen. Er meint sogar, schon der hohe Kursstand der letzten Jahre
habe manchen fremden Gläubiger dazu veranlaßt, seine in der Schweiz angelegten
Kapitalien zurückzuziehen.
662 R. Rosendorff,
wickelung in der Richtung gehemmt werden, in welcher es in den
letzten Jahren so mächtig fortgeschritten ist, nämlich auf seinem
Wege zur Verflechtung in die Weltwirtschaft, auf welchem es nur
bei unbedingter Stabilität seiner Valuta fortschreiten kann. Ist es
doch nicht zum wenigsten der Kräftigung der deutschen Valuta
in den letzten Jahrzehnten zu verdanken, daß die deutschen Wechsel,
die früher als nicht marktgängig im Auslande nur mit Verlust zu
verkaufen waren. heute den Londoner Wechseln ebenbürtig sind,
und der deutsche auswärtige Handel dadurch von den Londoner
Bankiers, denen er schwere Provisionen zu zahlen hatte, unabhängig
geworden ist!).
Dieses unbedingte Vertrauen, das die deutsche Valuta hinsicht-
lich ihrer Stabilität im Auslande genießt, hat die ausländischen Kapi-
talien häufig und insbesondere in den Jahren des deutschen Auf-
schwunges 1895—1900 zur Anlage in Deutschland und zur Unter-
stützung des deutschen Unternehmungsgeistes veranlaßt. Ohne diese
fremden Kapitalien, die sich auf Hunderte von Millionen beziffern,
wäre aber eine derartige Entfaltung der deutschen volkswirtschaft-
lichen Kräfte, wie wir sie in den letzten Jahren erlebt haben, kaum
möglich gewesen.
Würde Deutschland in jenen Jahren durch die Prämienpolitik
und die dadurch herbeigeführten Valutaschwankungen dieses Ver-
trauen wieder verscherzt haben, so würde auf der einen Seite wegen
Mangels an Kapital der deutsche Aufschwung gehemmt, auf der
anderen aber die durch die Anspannung aller verfügbaren Mittel
bewirkte Geldteuerung und damit die Diskontsätze noch erhöht worden
sein ?). Die Goldprämienpolitik würde also gerade in entgegengesetzter
Richtung gewirkt haben, als «dies die Bimetallisten wünschen °).
Angesichts dieser Sachlage würde die Uebertragung der franzö-
sischen Goldprämienpolitik auf die deutschen Verhältnisse von den
größten Nachteilen für Deutschland begleitet sein, während sie die
von den Bimetallisten gerühmten Vorzüge um so weniger mit sich
bringen würde, als sie dieselben, wie wir gesehen haben, auch
in Frankreich nicht gezeitigt hat.
1) Heiligenstadt in Conr. Jahrb. f. 1893, 8. 227.
2) Helfferich, Zur Erneuerung des deutschen Bankgesetzes, S. 130.
3) Anfangs des Jahres 1900 ist es einmal vorgekommen, daß es in Deutschland
bei den Erschwerungen, die die Reiehsbank der Entnahme von Gold bereitete und da
auch die deutschen Banken in Anbetracht der Schwierigkeiten auf dem inneren Geld-
markt von der lohnenden Versendung von Gold nach England Abstand nahmen, unmög-
lich war, Gold zur Ausfuhr zu erlangen und der Londoner Cheekkurs über 20,60
stieg, eine Abweichung von der Parität, die seit der Valutakrisis von 1874—75 sich
niemals wieder gezeigt hatte und ein offenbares Disagio der dentsehen Währung be-
deutete, Die Reiehsbank wurde deshalb auch sehr getadelt. Denn es war ein Fehler
zu einer Zeit, wo Dentschland so viel fremdes Geld in Form sehwebender Bankiers-
darlehen von aller Welt hatte und brauchte, diesen fremden Kapitalien schwere Ver-
luste am Wechselkurse zuzufügen. Es hat dies offenbar auch absehreekend auf das
Ausland gewirkt. Denn die Arbitrage war später vielfach nur gegen Sicherung des
Wechselkurses seitens der Darlehnsnehmer dazu zu bewegen, mit Deutschland zu arbeiten.
Cf. die Reichsbank von 1576—1900, Amt), Publikat., Berlin 1901.
Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 663
Wenn diese Politik daher selbst dort von den Nationalökonomen
verurteilt wird *), 50 wird man es um SO begreiflicher finden, daß
die Reichsbank den Wünschen der Bimetallisten zum Trotz bisher
an dem System der Diskontpolitik festgehalten hat.
In Zukunft wird übrigens die Agitation für die Goldprämien-
politik in Deutschland nur noch eine historisch-akademische Be-
deutung haben. Denn da durch die Münznovelle von 1809 die
Gleichstellung der Thaler mit dem Golde, worauf bisher die rechtliche
Möglichkeit der Prämienpolitik beruhte, ihr baldiges Ende erreichen
wird, scheint es schon durch die Gesetzgebung als ausgeschlossen,
daß diese Agitation in Zukunft jemals einen praktischen Einfluß auf
die Maßnahmen der Verwaltung der Reichsbank gewinnen kann.
1) Cf. z. B. Raffalovich: „La pratique de la prime n’a jamais eu nos sympathies.
Elle a été formellement condamnée par M. Léon Say dans sa dernière préface à la tra-
duction du Traité des changes de Goschen. (Le marcher financier 1598/99, D XIV.)
Ferner Say in der citierten Vorrede:
„Si la Banque de France ne devait livrer d’or pour l'exportation qu’en le vendant
à prime, si pour en augmenter en cas de besoin la quantité, elle n'avait recours qu’au
achats de matières à l'étranger, elle ne ferait que de la bien fausse et bien impru-
dente administration monétaire. Il n’y a qu’une opération licite pour attirer l'or étranger
quand le change devient contraire, c’est l'élévation du taux de lescompte, et ce moyen
tout dans l'ouvrage de Goschen prouve surabondamment qu’on ne peut le remplacer par
aucun autre quelque ingénieu que puisse paraitre un expédient quelconque.”
664 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Nachdruck verboten.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
V.
Die wirtschaftliche Gesetzgebung der deutschen
Bundesstaaten im Jahre 1899.
Von Dr. jur. Albert Hesse.
(Fortsetzung.)
Sachsen.
Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich
Sachsen vom Jahre 1899.
Verordnung sämtlicher Ministerien, die Einziehung nicht mehr um-
laufsfähiger Zehn- und Fünfpfennigstücke betr. Vom 9. Februar 1899,
Ss. 17.
Verordnung des Ministeriums des Innern, die Ermittlung der Anbau-
flächen betr. Vom 7. März 1899, S. 71.
Die Ermittlung der Anbauflächen hat alljährlich durch die Ortsbehörden unter
Hinzuziehung von Orts- und Landwirtschaftskundigen, bezüglich der Forsten und Hol-
zungen von Forstwirtschaftskundigen zu erfolgen. Die vom statistischen Amt teils unter
Vermittlung der Amtshauptmannschaften, teils direkt den Ortsbehörden übersandten
Formulare sind von diesen innerhalb der ersten beiden Wochen des Monats auszufüllen
und bis Mitte Juni an die Amtshauptmannschaften bezw. direkt an das statistische Amt
einzusenden. Etwaige Fehler sind auf Erinnerung des statistischen Bureaus ab-
zustellen.
Verordnung des Ministeriums des Innern, eine Aenderung der Aus-
führungsverordnung zur Gewerbeordnung vom 28. März 1892 betreffend.
Vom 7. März 1899, S. 73.
Verordnung des Ministeriums des Innern, eine anderweite Aende-
rung von $ 6 der Ausführungsverordnung zur Gewerbeordnung vom
28. März 1892 betr. Vom 30. März 1899, S. 101.
Dritter Nachtrag zu den Ausführungsvorschriften zum Reichsgesetz
über die Ausdehnung der Unfall- und Krankenversicherung vom 28. Mai
1885 im Bereich der sächsischen Staatseisenbahnverwaltung. Vom
15. März 1899, S. 84.
Bekanntmachung des Kriegsministers, anderweite Ausführungsvor-
schriften zu dem Reichsgesetze über die Ausdehnung der Unfall- und
Nationalökonomische Gesetzgebung. 665
Krankenversicherung vom 28. Mai 1885 für den Bereich der sächsischen
Heeresverwaltung betr. Vom 28. März 1899, S. 95.
Verordnung des Ministeriums des Innern wegen Abänderung der
Ausführungsverordnung vom 23. Mai 1888, die Unfall- und Kranken-
versicherung der in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben beschäf-
tigten Personen betr. Vom 8. Juni 1899, S. 153.
Verordnung sämtlicher Ministerien und der Generaldirektion der
Königlichen Sammlungen, das Verzeichnis der den Militäranwärtern im
königlich sächsischen Staatsdienst vorbehaltenen Stellen betr. Vom
17. Mai 1899, S. 121.
Verordnung der Ministerien des Innern und des Kriegs, die Be-
setzung der Subaltern- und Unterbeamtenstellen bei den Kommunal-
behörden u. s. w. mit Militäranwärtern betr. Vom 30. Oktober 1899,
S. 483.
Verordnung sämtlicher Ministerien, die Behandlung nachgemachten,
verfälschten, beschädigten und abgenutzten Metall- und Papiergeldes
betr. Vom 23. Mai 1899, S. 112.
Verordnung sämtlicher Ministerien, die silbernen Zwanzigpfennig-
stücke betr. Vom 30. Mai 1899, S. 125. Entsprechende Verordnung
vom 18. August 1899, S. 383.
Anweisungen an die Staatskassen zum Zweck der Einziehung der silbernen
Zwanzigpfennigsticke.
Verordnung sämtlicher Ministerien zur Ausführung des Bürgerlichen
Gesetzbuchs und der zu dessen Ein- und Ausführung ergangenen
Gesetze. Vom 6. Juli 1899, S. 203.
Verordnung der Ministerien der Justiz und des Innern zur Aus-
führung einiger mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch zusammenhängender
Reichsgesetze. Vom 24. Juli 1899, S. 217.
Verordnung des Ministeriums des Innern zu weiterer Ausführung
des Gesetzes vom 1. Juni 1898, die Einführung einer allgemeinen
Schlachtvieh- und Fleischbeschau betreffend. Vom 23. Juli 1899, S. 331.
Verordnung des Ministeriums des Innern zur Ausführung des Ge-
setzes vom 2. Juni 1898, die staatliche Schlachtviehversicherung betr.
Vom 24. Juli 1899, 5. 366.
Verordnung der Ministerien der Justiz und des Innern zur Aus-
führung der gesetzlichen Bestimmungen über die Angelegenheiten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Hinterlegungswesens. Vom 25. Juli
1899, S. 246.
Verordnung der Ministerien der Justiz und des Innern zur Aus-
führung des $ 126 des Reichsgesetzes über die Angelegenheiten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit. Vom 11. November 1899, S. 564.
Verordnung des Ministeriums der Justiz zur Ausführung der Grund-
buchordnung. Vom 26. Juli 1899, S. 261.
Verordnung der Ministerien des Innern und der Finanzen zur Aus-
führung der Aichordnung für die Binnenschiffahrt auf der Elbe Vom
19. August 1899, S. 384.
Verordnung des Finanzministeriums, die Ausführung des Gesetzes
666 Nationalökonomische Gesetzgebung.
über den Urkundenstempel vom 13. November 1876 in der Fassung
des Gesetzes vom 10.Juni 1898 betr. Vom 12.Oktober 1899, S. 444.
Wahlordnung, die Wahlen von Vertretern der Arbeitgeber und der
Versicherten für die Invalidenversicherung betr. Vom 27. Oktober 1899,
S. 471.
Verordnung der Ministerien der Justiz und des Innern zur Aus-
führung des Handelsgesetzbuches, des Binnenschiffahrtsgesetzes und des
Flößereigesetzes. Vom 10. November 1899, S. 562.
Verordnung des Ministeriums der Justiz zur Ausführung der Civil-
prozefordnung und der Konkursordnung. Vom 20. November 1899,
S. 583.
Verordnung des Ministeriums der Justiz, die Zwangsvollstreckung
in das unbewegliche Vermögen betr. Vom 5. Dezember 1899, S. 589.
Dazu Verordnung vom 6. Dezember 1899, S. 595.
Verordnung des Ministeriums des Innern zur Ausführung des In-
validenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899. Vom 30. November
1899, S. 599.
Gesetz, die provisorische Forterhebung der Steuern und Abgaben
im Jahre 1900 betr. Vom 13. Dezember 1899, S. 610.
Im Jahre 1900 sind vorbehältlich der definitiven Regulierung durch das für die
Finanzperiode 1900/01 zu erlassende Finanzgesetz, bis zum Erlajs dieses Gesetzes zu
zu erheben: a) Die Grundsteuer nach 4 Pfennigen für die Steuereinheit; b) die Einkom-
mensteuer; €) die Steuer vom Gewerbebetrieb im Umherziehen; d) die Schlachtsteuer,
ingleichen die Uebergangsabgabe vom vereinsländischen und die Verbrauchsabgabe vom
vereinsansländischen Fleischwerke; e) die Erbschaftssteuer und f) der Urkundenstempel.
Alle sonstigen Abgaben, Natural und Geldleistungen, die nicht ausdrücklich aufgehoben
sind oder noch aufgehoben werden, bestehen vorschriftsmäjsig fort. Auch bleiben den
Staatskassen die ihnen im Jahre 1899 in Gemäfsheit des Staatshaushaltsetats zugeteilten
übrigen Einnahmequellen ebenfalls bis zum Erlasse des künftigen Finanzgesetzes für
die Finanzperiode 1900/1901 zugewiesen,
Verordnung über die Kosten. Vom 18. Dezember 1899, S. 611.
Gesetz, die Anlegung von Mündelgeld betr. Vom 22. Dezember
1899, S. 619. Dazu Ausführungsverordnung des Justizministeriums
von demselben Tage. S. 620.
Württemberg.
Regierungsblatt für das Königreich Württemberg
vom Jahr 1899.
Bekanntmachung des Medizinalkollegiums, betr. die Einführung
einer neuen Arzneitaxe. Vom 28. Dezember 1898, S. 12.
Gesetz, betreffend Aenderungen des Landtagswahlengesetzes vom
nn Vom 28. Januar 1899, S. 27. Dazu Bekanntmachung
des Ministeriums des Innern, betr. den Text des Landtagswahlgesetzes.
Vom 2. Februar 1899, S. 31.
Gesetz, betr. die Ermächtigung des Finanzministeriums zur Ge-
währung von Darlehen an die landwirtschaftliche Genossenschafts-
centralkasse in Stuttgart. Vom 4. Februar 1899, S. 31.
Nationalökonomisehe Gesetzgebung. 667
Gesetz, betr. Abänderung des Gesetzes, betr. die Errichtung von
Handels- und Gewerbekammern vom 4. Juli 1874. Vom 10. Februar
1899, S. 43.
Die gegenwärtigen Mitglieder der Handels- und Gewerbekammer bleiben im Amt,
bis die auf Grund des bevorstehenden Gesetzes — Ges. vom 30. Juli 1899 — über die
Handelskammern erstmals gewählten Kammern sich konstituiert haben,
Verfügung des Ministeriums des Innern, betr. das Verbot der
öffentlichen Ankündigung von Geheimmitteln. Vom 14. Februar 1899,
S. 45.
Verfügung des Ministeriums des Innern, betr. die Umlage zur Be-
streitung der Entschädigung für auf polizeiliche Anordnung getötete
oder vor Ausführung der Tötungsanordnung gefallenen Tiere, sowie zur
Bestreitung der Entschädigung für an Milzbrand und an Maul- und
Klauenseuche gefallene Tiere. Vom 9. März 1899, S. 51.
Fiir jedes Pferd ist ein Beitrag von 10 Pia, für einen Esel, Maultier oder Maul-
esel sind 15 Pfg., für jedes Stück Rindvieh 25 Pfg. zu entrichten.
Verfügung der Ministerien des e? und der Finanzen, betr. die
Sammlung von Anblümungs-, Saatenstands- und Erntenachrichten. Vom
15. März 1899, S. 51.
Auf Grund des Bundesratsbeschlusses vom 19. Januar 1899 unter Aufhebung der
Verfügung vom 25. März 1898: Der Stand der Felder, Anblümung, wird in jeder
Gemeinde alljährlich im Juni erhoben. Der Ortsvorsteher hat zunächst die Hauptarten
der landwirtschaftlichen Bodenbenutzung mit ihrer Fläche summarisch darzustellen. So-
dann haben vom Gemeinderat zu bestellende örtliche Sachverständige die dem Anbau
der einzelnen Fruchturten und Gewächse gewidmeten Flächen schätzungsweise zu er-
mitteln'). Diese Uebersicht ist an das Oberamt spätestens bis 1. Juli einzusenden. Das
Oberamt stellt diese Uebersichten der Gemeinden zusammen. Die Oberamtsübersicht ist
bis spätestens 15. Juli an das statistische Landesamt zu senden?) Zum Zweck der
Erhebung des Saatenstandes und der Ernteerträge werden besondere Er-
hebungsbezirke gebildet?) und in jedem Bezirk ein ehrenamtlich thätiger Berichterstatter
samt Stellvertreter bestellt*). Die Saatenstandsberichterstattung bezieht sich auf den
Saatenstand von Winter- und Sommerweizen, Winterdinkel, Winter- und Sommerroggen,
Sommergerste, Haber, Kartoffeln, Hopfen, sowie auf den Stand von Klee, Luzerne,
Wiesen, von Aepfeln, Birnen und auf den Stand der Weinberge). Die Beurteilung
des Standes hat in der Gestalt von Noten mit nachstehender Abstufung zu geschehen:
1 = sehr gut, 2 = gut, 3 = mittel (durchschnittlich) 4 -= gering, 5 = sehr gering DL,
Die Berichterstattung erfolgt in den Monaten April bis November für die Mitte jedes
Monats). Die Formulare gehen an das Statistische Landesamt®). Ueber den Ernte-
ausfall in ihrem Erhebungsbezirks haben die Berichterstatter in der ersten Häljte des
November Durchschnittsangaben in Gewicht der vom Hektar geernteten Frucht von den
nachgenannten Fruchtarten zu machen: Winter- und Sommerweizen, Winterdinkel,
Winter- und Sommerroggen, Sommergerste, Haber, Kartoffeln, Winterraps, Hopfen,
Klee, Luzerne, sowie von Wiesen HL, Ueber weitere Feldfrüchte sind Erntenachrichten
einzusenden, sofern sie in erheblichem Umfang angebaut werden. Auch über die Menge
des Strohertrages der Halmfrüchte ist in Gestalt der oben angeführten Noten zu be-
richten. Am Schlufs des Berichts sind allgemeine Angaben über wichtige Erscheinungen,
1) Im wesentlichen entsprechend: Altenburg.
2) Entsprechend: Altenburg.
3) Entsprechend: Altenburg.
4) Altenburg: Vorzugsweise Vertrauensmänner der Jlandwirtschaftlichen Vereine
5) Im wesentlichen entsprechend: Altenburg.
6) Ebenso: Altenburg.
7) Ebenso Altenburg.
8) Altenburg: Statistisches Bureau vereinigter Thüring. Staaten.
9) Im wesentlichen entsprechend: Altenburg.
668 Nationalökonomische Gesetzgebung.
die den landırirtschaftlichen Ertrag beeinflufsten, beizufügen. Die Berichte gehen an
das statistische Lundesamt.
Die Zahl der tragfähigen Apfel-, Birnen-, Pflaumen-, Zwetschgen- und Kirschen-
bäume, sowie deren Ertrag nach Gewicht und Geldiwert ist gemeindeweise durch den
Ortsvorsteher zu erheben. Die einzelnen Berichte gehen an das Oberamt, welches sie
zu einer Oberamtsliste zusammenstellt und diese dem statistischen Lundesamt vorlegt.
Die Kosten der Ermittlung der Felderanblümung trägt die Gemeinde. Den Saaten-
stands- und Ernteberichterstattern werden notwendige Auslagen aus der Staatskasse
ersetzt.
Gesetz, betr. die Giltigkeitsdauer der mit dem 31. März 1899 außer
Wirksamkeit tretenden Bestimmungen über die Besteuerungsrechte der
Gemeinden. Vom 24. März 1899, S. 237.
Verlängerung der Giltigkeitsdauer bis zum 31. März 1905.
Verfügung des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten, Ab-
teilung für Verkehrsanstalten, betr. die Ergänzung der Württembergi-
schen Telegraphenordnung vom 3. Juli 1897. Vom 21. März 1899,
H 247.
Verfügung des Ministeriums des Innern, betr. das Statut der Staats-
irrenanstalten. Vom 20. März 1899, S. 249.
Gesetz, betr. die Aufhebung der Dienstkautionen der Staatsbeamten.
Vom 28. März 1899, S. 273.
Die Verpflichtung der im Sinne des Art. 1 des Beamtengesetzes vom 28. Juni
1876 angestellten Staatsbeamten zur Leistung von Dienstkautionen wird aufgehoben.
Denjenigen, im Staatsdienst beschäftigten Personen, welche nicht Beamte im Sinne
dieses Artikels sind, kann nach Bestimmung der obersten Dienstbehörden die Leistung
von Kautionen auch fernerhin auferlegt werden.
Dazu Verfügung der Ministerien der Justiz, der auswärtigen An-
gelegenheiten, des Innern, des Kirchen- und Schulwesens und der
Finanzen. Vom 29. April 1899, S. 323.
Königliche Verordnung, betr. die Gebühren der Aerzte, Zahnärzte,
Wundärzte zweiter Abteilung und Hebammen. Vom 17. März 1899,
S. 274.
Königliche Verordnung, betr. die Gebühren der öffentlichen Feld-
messer. Vom 28. März 1899, S. 307.
Verfügung des Ministeriums des Innern, betr. Maßregeln zur Be-
kämpfung der Geflügelcholera. Vom 14. April 1899, S. 314.
Gesetz, betr. die Beschaffung von Geldmitteln für den Eisenbahn-
bau und für außerordentliche Bedürtnisse der Verkehrsanstaltenverwaltung
in der Finanzperiode 1899/1900. Vom 27. Mai 1899, S. 329.
Gesetz über das Gerichtskostenwesen in Angelegenheiten der frei-
willigen Gerichtsbarkeit, sowie im Zwangsversteigerungs- und Zwangs-
verwaltungsverfahren. Vom 4. Juli 1899, S. 365.
Behält die Regelung dieser Materie, soweit diese der Landesgesetzgebung zusteht,
einer königlichen Verordnung vor.
Finanzgesetz für die Finanzperiode 1. April 1899 bis 31. März 1901.
Vom 27. Juli 1899, S. 381.
Der Staatsbedarf ist festgesetzt für das Jahr vom 1. April 1899 bis 31. März 1900
auf 80750167 M., für das Jahr vom 1. April 1900 bis 31. März 1901 auf 81864 787 AL,
zusammen 162 114 904 M. Zur Deckung dieses Aufwandes sind bestimmt der Reinertrag
des Kammerguts, veranschlagt auf 58462652 M., direkte Abgaben, veranschlagt auf
35 227 840 M., indirekte Abgaben, veranschlagt auf 70 080 100 M., zusammen 163 720 092 M.,
sodafs ein Ueberschufs von 1605 188 M. verbleibt.
Nationalükonomische Gesetzgebung, 669
Dazu Gesetz, betr. einen Nachtrag zum Finanzgesetz für die Finanz-
periode vom 1. April 1899 bis 31. März 1901. Vom 6. Dez. 1899.
S. 1081.
Vermehrung des Stautsbedarfs um 2 254 633 M. Erhöhung der indirekten Abgaben
um 950 500 M.
Ein weiterer Nachtrag im Gesetz vom 26. Dez. 1899, S. 1295.
Vermehrung des Staatsbedarfs um 40000 M. Einmalige Zuweisung des Betrages
von 2.000 000 M. aus dem Vermögen der Restverwaltung an den Hagelrersicherungs-
Jonds.
Bekanntmachung des Finanzministeriums, betr. die Bestimmungen
über die Ursprungsnachweise für die aus meistbegünstigten Ländern
eingehenden Waren. Vom 13. Juli 1899, S. 393.
Ausführunggesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch und dessen Neben-
gesetzen. Vom 28. Juli 1899, S. 423.
I. Freiwillige Gerichtsbarkeit. 1. Grundbuchwesen — Grundbuchamt ;
Grundbuchgeschäftez; Grundbuchgeschäfte bezüglich der Fideikommisse, Stammgüter oder
Lehen: Uebergangsvorschriften; Beurkundung von Rechtsgeschäften über Grundstücke ;
Schätzung von Grundstücken. — 2. Vormundschaftswesen — Vormundschaftsgericht ;
Vormundschaftsgeschäfte; Gemeindewaisenrat; Besondere Vorschriften für das Ver-
fahren vor dem ordentlichen Vormundschaftsgericht; Uebernahme einer Vormundschaft
dureh Beamte und Polizeidiener; Anlegung von Mündelgeldern. — 8. Nachlafswesen —
Nachlajfsgericht; amtliche Verwahrung von Testamenten und Erbverträgen; die Ge-
schäfte des Nachlafsgerichts; Verfahren in Nachlafs- und Teilungssachen; Besondere
Vorschriften für das Verfahren vor dem ordentlichen Nachlafsgerichte; Nachfolge in
ein Familienfideikommiys, Stammaut oder Lehen. — 4. Notariatswesen — Bezirksnotare ;
öffentliche Notare; Dienstaufsicht über die öffentlichen Notare; Geschäfte des üffent-
lichen Notars; Erledigung des Amtes; gerichtliche Urkunden ; öffentliche Beglanbigung. —
5% Oeffentliche Vermögensverzeichnisse. 6. Ordnungsstrafen.
Dazu Königliche Verordnung, betr. die Gerichtskosten in An-
gelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, sowie im Zwangsversteige-
rungs- und Zwangsverwaltungsverfahren. — Gerichtskostenordnung. —
Vom 11. Nov. 1899, S. 925.
II. Gerichtsstand der Mitglieder des Königlichen Hauses in An-
selegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. III. Bürgerliches
Recht. A. Allgemeiner Teil. 1. Namensänderung. 2. Juristische Personen —
Vereine; Stiftungen; Abgabe von Willenserklärungen gegenüber juristischen Personen;
Eriwerbsbeschränkungen juristischer Personen. — 8. Verjährung öffentlich rechtlicher An-
sprüche. B. Recht der Schuldverhältnisse. 1. Zahlung aus Öffentlichen Kassen.
2. Hinterlequngswesen. 3. Verbot der stückweisen Veräufserung von Grundstücken.
4. Gesindewesen — siehe unten. — 5. Schuldverschreibungen auf den Inhaber. 6. Er-
satz des Wildschadens. 7. Haftung des Staats und der Gemeinde für ihre Beamten.
8. Brandversicherung. C. Sachenrecht. 1, Sachenrechtliche Vorschriften mit Aus-
nahme des Nachbarrechts — Jagd- und Fischereirecht; Bergrecht; Nutzungsrecht;
Zwoangsenteignungz; Feldbereinigung; Uebertragung des Eigentums, Begründung und
Aufhebung von Dienstbarkeiten an nicht im Grundbuch eingetragenen Grundstücken ;
Pfandrechte an Grundstücken. — 2. Nachbarrecht — Einleitende Bestimmung; Ver-
kehrsunternehmungen ; nachbarrechtliche Bestimmungen in Bezug auf Gebäude und andere
Bauwesen; von Aufbereitungen auf Grundstücken; von der Erhöhung der Grundstücke ;
von der Beschaffenheit der Einfriedigung an der Grenze; ron den Abständen der Ein-
friedigungen und Pflanzenanlagen; vom Abstand der Waldungen; von überragenden
Wurzeln und Zweigen; allgemeine Bestimmungen. — D. Familienrecht. 1. Bürger-
liche Ehe. 2. Verwandtschaft. IV. Streitige Gerichtsbarkeit. 1. Gerichts-
rerfassungsgesetz. 2. Cirilprozejsordnung. 3. Gesetz über die Zwangsrersteigerung und
die Zwangsrerwaltung. V. Ausführungsrorschriften zum Handelsgesetz-
buch.
670 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Gesindeordnung. Vom 28. Juli 1899, S. 528.
Der Dienstrertrag bedarf keiner Form); vorbehaltlich der durch Gesetz begrün-
deten Beschränkungen unterliegt sein Inhalt freier Uebereinkunft — Art. 1. — Die
Gültigkeit des Vertrages ist von der Leistung einer Draufgabe — Hajtgeld — nicht
abhängig. Ein dem Dienstboten gegebenes Haftgeld ist im Zweifel auf den Lohn nicht
anzurechnen?), aufser bei Aufhebung des Dienstverhältnisses schon vor dem ersten
Termin, für welchen es gekündigt werden konnte, aus Gründen, die in der Person des
Dienstboten liegen — Art. 3. — Einer Person, welche selbst, oder deren in demselben
Haushalt lebender Ehegatte 8) sich nicht im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte be-
findet oder unter polizeilicher Aufsicht steht, kann die Annahme oder Beibehaltung von
Dienstboten unter 18 Jahren *) von der Ortspolizeibehörde untersagt werden. Der Dienst-
bote, der ohne Schuld auf diese Weise seinen Dienst verliert, hat Schadensersatzanspruch
— Art. 4. — Hat sich ein Dienstbote mehreren Herrschaften für die gleiche Zeit ver-
dingt, so kann jede zurücktreten, die erste kann Antritt des Dienstes verlangen, aufser
wenn der Dienstbote schon bei einer anderen den Dienst angetreten hat®). Die Herr-
schaften, bei denen der Dienstbote nicht eintritt, haben Schadensersatzanspruch. —
Art. 5°).
$ Für den Beginn des Dienstverhältnisses ist in erster Linie die Vereinbarung mafs-
gebend; dann ist er aus der Beschaffenheit oder dem Zweck der zu leistenden Dienste
zu entnehmen; ist auch dies nicht möglich, so bestimmt sich der Beginn nach der
Kiindigungsfrist als der erste Tag, der auf den Vertragsschlufs folgenden Kalenderwoche,
des Kalendermonats, des Kalendervierteljuhres ?) — Art. 6. — Auch für die Dauer des
Dienstverhältnisses ist in erster Linie die Vereinbarung ma/fsgebend; nötigenfalls ist sie
wieder aus dem Zweck oder der Beschaffenheit der Dienste zu entnehmen; eventuell
richtet sie sich nach der Zeit, für die die jeweilige Vergütung bemessen ist — Art. 783) =
Widerspruchslose Fortsetzung eines auf Zeit geschlossenen Dienstrerhültnisses über die
Zeit hinaus begründet ein solches auf unbestimmte Zeit — Art. 10%). — Rücktrittsrecht
der Dienstherrschaft vor Beginn des Dienstrerhältnisses bei Vorliegen eines wichtigen
Grundes), z. B. Verweigerung des Dienstantritts Y), Unfähigkeit, Verzögerung des
Dienstantritts ohne Verschulden der Herrschaft um mehr als eine Woche — Art. 11. —
Bei Weigerung der Herrschaft ohne rechtfertigenden Grund hat der Dienstbote das
Recht, das Hartgeld zu behalten, aufserdem, Schadensersatz oder die nach Z 615 B.G.B.
zustehenden Ansprüche geltend zu machen. — Art. 121%). — Rücktrittsrecht des Dienst-
boten vor Beginn des Dienstwerhältnisses bei Vorliegen eines wichtigen Grundes !®), 2. B.
Weigerung der Herrschaft, den Dienstboten anzunehmen, Unfähigkeit, Gelegenheit zur Ein-
1) Mündliche Verträge nur giltig, wenn Handgeld gegeben und angenommen oder
der Dienst angetreten ist: Schaumburg-Lippe, Lübeck, Schwarzburg, Oldenburg. Wie
oben: Weimar, Gotha, Braunsehweig, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz.
2) Die gleiche Bestimmung in der Mehrzahl der anderen Staaten, z. B. Oldenburg,
Weimar, Gotha, Braunschweig, Schaumburg-Lippe, Schwarzburg; in den übrigen um-
gekehrt, da dann § 337 B.G.B. eintritt.
3) 4) In einigen Staaten weitergehende Bestimmungen, so Weimar und Gotha.
5) Grundsätzlich ebenso in den anderen Gesindeordnungen.
6) Entsprechend in den anderen Bundesstaaten; in einigen daneben Strafe, so
Gotha, Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz, Lippe.
7) In den übrigen Staaten gesetzliche Antritts- und Wechseltage,
8) So Lübeck; gilt als auf unbestimmte Zeit geschlossen: Weimar, Schaumburg-
Lippe; gesetzliche Dauer: Gotha, Mecklenburg, Braunschweig, Lippe.
9) Ebenso: Weimar, Mecklenburg; bestimmte Dauer: Gotha, Braunschweig.
10) Entsprechend in der Mehrzahl der übrigen Staaten, so z. B. Oldenburg, Weimar
Gotha, Schaumburg-Lippe, Braunschweig, Lübeck, Schwarzburg.
11) In diesem Full in der Mehrzahl der Bundesstaaten außerdem obrigkeitlicher
Zwang, so z. B. Oldenburg, Weimar, Lippe, Schaumburg-Lippe, oder Strafe, so Lippe.
Schwarzburg, Gotha.
12) Grundsätzlich in den übrigen Staaten entsprechend ; im einzelnen Abweichungen.
13) Entsprechend in der Mehrzahl der Bundesstaaten, so: Oldenburg, Weimar,
Gotha, Schaumburg-Lippe, Lippe, Braunschweig, Lübeck, Schwarzburg.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 671
gehung einer Ehe, zur Gründung eines eigenen Hausstandes, zum Eintritt in eine öfe
liche Dienststellung, falls diese Gelegenheit durch Antritt des Dienstes versäumt wird ').
Bei Weigerung des Dienstboten, den Dienst anzutreten, ohne rechtfertigenden Grund: Er-
Jüllungsanspruch oder Verlust des Haftgeldes und Schadensersatzpflicht — Art. 14°). —
As Vergütung ist im Fall, dafs nichts vereinbart ist, zu gewähren, was einem Dienstboten
der betreffenden Art am Ort und zur Zeit des Vertragsschlusses gegeben zu werden pflegt
— Art. 15°). — Der Dienstrerpflichtete hat vorzuleisten®). Der Lohn ist jedoch mindestens
in vierteljährlichen Raten zahlbar®). Entschädiqungsansprüche wegen vorsätzlicher Ver-
letzung der Verpflichtungen des Dienstboten können seitens der Herrschaft unbeschränkt
gegen die Lohnforderung aufgerechnet werden — Art. 168). — Die Dienstboten haben sich
der Hausordnung zu fügen und sich nach Anordnung der Herrschaft allen. Verrichtungen
zu unterziehen, die ihren Kräften und dem Dienstrerhültnis entsprechen’). Nie dürfen
sich im Zweifel ohne Zustimmung der Herrschaft nicht vertreten lassen®). Die Dienst-
herrschaft hat das Recht der Zurechtweisung bei Nachlässigkeit und Pflichtwidrigkeit
— Art. 19. — Auschlufs der Haftung der Dienstboten gegenüber der Herrschaft für ge-
ringes Versehen, wenn die Haftung nach den Umständen der Billigkeit nicht ent-
spricht — Art. 20%). — Durch den Tod des Dienstherrn wird das Dienstwerhältnis
nicht beendet‘). In einem anderen Haushalt als dem bisherigen ist der Dienstbote
seine Dienste zu leisten nicht verpflichtet — Art. 20. — Das Dienstrerhültnis kann von
jedem Teile ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn ein
wichtiger Grund vorliegt — Art. 23"). — Als wichtiger Grund berechtigt die Herr-
schaft zur sofortigen Entlassung besonders Unfähigkeit des Dienstboten, beharrliche
Weigerung, Verlassen des Dienstes für eine den Umständen nach erhebliche Zeit, an-
haltende Krankheit, längere Freiheitsstrafe, Untreue, Unehrlichkeit, Unsittlichkeit, grober
Ungehorsam, Trunkfälligkeit — Art. 24"). — Als wichtiger Grund berechtigt den
Diensthoten zum Verlassen des Dienstes unter anderem: Unfähigkeit, Mifshandlung,
unsittliche Zumutung seitens des Herrn, Verlegung des Wohnsitzes aufserhalb des
Königreichs, Nichtgewährung des Lohnes oder des gebührenden Unterhalts — Art. 25"). —
Im Fall der Beendigung des Dienstrerhältnisses nach Art. 2353—25 kann der Dienst-
bote nur einen seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung ver-
langen unbeschadet jedoch des Art. 27 — Art, 26%). — Wird eine sofortige Kündigung
(Art. 23—25) durch schuldhaftes Verhalten des anderen Teiles verursacht, so ist dieser
dem Kündigenden zum Ersatz des dadurch entstehenden Schadens verpflichtet —
1) Unter diesen Voraussetzungen in der Mehrzahl der Bundesstaaten nur, wenn
der Diensthote einen anderen tauglichen Dienstboten statt seiner stellt, so z. B. Schaum-
burg-Lippe, oder eineXündigungsfrist einhält, so z. B. Lippe, oder Entschädigung leistet,
so z. B. Mecklenburg.
2) Entsprechend in den übrigen Staaten.
3) Die gleiche Bestimmung in Weimar und Gotha. In den übrigen Staaten ebenso
wegen $ 612, II B.G.B.
4) Entsprechend in den übrigen Staaten.
5) So: Weimar, Mecklenburg. Anders: Oldenburg. Gesetzliche Termine: Gotha.
6) Ebenso: Weimar; enger: Gotha; weiter Lübeck.
7) Entsprechend in den Gesindeordnungen der übrigen Bundesstaaten.
3) Entsprechend in den Gesindeordnungen der übrigen Bundesstaaten.
9) Grundsätzlich entsprechend in den übrigen Staaten.
10) Kündigungsrecht der Erben unter Einhaltung gesetzlicher Frist. Grund-
sätzlich entsprechend: Oldenburg, Schaumburg-Lippe, Gotha, Braunschweig. Beider-
seitiges Kündigungsrecht: Weimar, Lippe.
11) Entsprechend die übrigen Gesindeordnungen in einigen Staaten außerdem unter
bestimmten Voraussetzungen Kündigungsrecht beider Teile mit gesetzlicher Frist, so z. B
Schwarzburg.
12) Entsprechend, jedoch mehr kasuistisch die übrigen Gesindeordnungen.
13) Entsprechend die übrigen Gesindeordnungen.
14) Entsprechend die übrigen Gesindeordnungen; in einigen Entschädigungen an
die Herrschaft, so Lübeck, Mecklenburg.
672 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Art. 271), — Ebenso, wenn die Dienstherrschaft ohne wichtigen Grund und ohne Ein-
haltung der Kindigqungsfrist den Dienstboten entläjst oder dieser den Dienst aufgiebt,
und der Verletzte nicht Erfüllung des Vertrages verlangen will — Art. 281), — Wer
Dienstboten verleitet, ohne Grund nicht anzutreten oder den Dienst zu verlassen oder
einen Dienstboten in Kenntnis eines bestehenden Dienstwerhältnisses annimmt, ist der
Dienstherrschaft verantwortlich und haftet mit dem Dienstboten als Gesamtschuldner —
Art, 29°). — Der Dienstbote kann ein schriftliches Zeugnis über Art und Dauer der
Beschäftigung, Leistungen und Verhalten verlangen — Art. 30%). — Erteilung eines
unrichtigen Dienstzeugnisses wissentlich oder in grober Fahrlässigkeit begründet Nchadens-
ersatzpflicht gegenüber der nichstfolgenden Dienstherrschaft hinsichtlich des durch die
Wuhrheitswidrigkeit des Zeugnisses entstandenen Schadens — Art. 81%). — Die Ge-
sindeordnung tritt mit dem 1. Januar 1900 in Kraft. Ein zu dieser Zeit bestehendes
Dienstverhältnis bestimmt sich nach dem alten Recht nur, wenn es für den ersten,
nach dem bisherigen Recht zulässigen Termin gekündigt wird, bis zu diesem Zeit-
punkt — Art. 32. —
Königliche Verordnung, betr. das Grundbuchwesen. Vom 30. Juli
1899, S. 540.
Gesetz, betr. die Einrichtung eines Reservefonds der Staatseisen-
bahnen. Vom 29. Juli 1899, S. 575.
Gesetz, betr. den Bau von Nebeneisenbahnen und die Beschaffung
von Geldmitteln für die in der Finanzperiode 1899 —1900 herzustellenden
Nebeneisenbahnen. Vom 29. Juli 1899, S. 577.
Gesetz, betr. die Handelskammern. Vom 30. Juli 1899, S. 579.
Art. 1: Die Handelskammern haben die Bestimmung, die Gesamtinteressen der
Handels- und Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrzunchmen, insbesondere die Behörden
in der Förderung des Handels und der Gewerbe durch thatsächliche Mitteilungen, An-
zeigen und Erstattung von Gutachten zu unterstützen®). Sie sollen in allen wichtigen,
die Interessen des Handels oder der Gewerbe berührenden Angelegenheiten gehört werden.
Die Handelskammern haben alljährlich dem Ministerium des Innern über den Zustand
des Handels und der Gewerbe ihres Bezirks, über wünschenswerte Verbesserungen und
über die mögliche Art der Ausführung derselben Bericht zu erstatten. Sie sind befugt,
Veranstaltungen zur Förderung von Handel und Gewerbe zu unterstützen®). Art. 2:
Die Errichtung der Handelskammer, sowie die Feststellung ihrer Bezirke, der Zahl
der Mitglieder einer jeden Kammer und des Sitzes derselben erfolgt nach Anhörung der
beteiligten Kreise durch Königliche Verordnung‘). Dem Ministerium des Innern steht
es zu, festzusetzen, dafs eine bestimmte Zall der ordentlichen Mtylieder aus am Sitz
der Kammer nicht wohnhaften Mitgliedern zu bestehen habe. Art. 3: Das Amt der
Mitglieder der Handelskammer ist ein Ehrenamt’) Pflicht zur Uebernahme besteht
nicht®). Rücktritt während der Amtsdauer ist zulässig. Art. 4—19: Wahlordnung.
Art. 20: Eintritt eines die Wählbarkeit ausschliefsenden Umstandes hat Erlöschen der
Mitgliedschaft zur Folge‘). Art. 21: Die Handelskammer kann ein Mitglied, welches
die öffentliche Achtung verloren oder sich eines groben Verstofses gegen die kaufmänni-
sche Ehre schuldig gemacht hat, ausschliefsen‘!). Art, 22: Die Handelskammern wählen
1) Grundsätzlich entsprechend in den anderen Staaten.
2) Die gleiche Bestimmung in den Gesindeordnungen für Weimar und Gotha.
3) Entsprechend die übrigen Gesindeordnungen.
4) Entsprechende Bestimmung in der Mehrzahl der übrigen Gesindeordnungen `
daneben Strafe: Gotha, Lippe, Schwarzburg.
5) Entsprechend: Sehwarzburg-Sondershausen, Reuß j. L.
6) Entsprechend: Schwarzburg, Reuß.
7) Gesetz: Schwarzburg, Reuß.
8) Ebenso: Reuß, Schwarzburg.
9) Anders: Schwarzburg.
10) Die gleiche Bestimmung in Schwarzburg.
11) Ebenso: Schwarzburg.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 673
für je 3 Jahre einen Vorsitzenden und einen Stellvertreter aus ihrer Mitte‘). Art. 28:
Abstimmung. Art. 24: Die Sitzungen der Kammer sind öffentlich, sofern es sich nicht
um Gegenstände handelt, bei welchen die Oeffentlichkeit der Beratung entweder von der
'rorgesetzten Behörde ausdrücklich ausgeschlossen ist oder von der Kammer selbst als
ungeeignet befunden wird®). Art. 25: Die näheren Bestimmungen über den Geschäfts-
gang der Handelskammer werden durch Beschlufs derselben in einer Geschäftsordnung
zusammengefafst, welche durch Vermittlung der Centralstelle für Handel und Gewerbe
dem Ministerium des Innern zur Genehmigung vorzulegen ist”). Art. 26: Die Handels-
kammern beschliefsen über den zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben erforderlichen
Kostenaufwand und ordnen ihr Kassen- und Rechnungswesen selbständig. Sie nehmen
die von ihnen für erforderlich erachteten Arbeitskräfte an, setzen die Vergütung für
dieselben fest und beschaffen die nötigen Räumlichkeiten®). Art. 27: Die Handels-
kammer kann unter ihrem Namen Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, vor Ge-
richt klagen und verklagt werden®). Für ihre Verbindlichkeiten haftet den Gläubigern nur
ihr Vermögen. Sie wird nach aufsen vertreten durch den Vorsitzenden oder seinen
Stellvertreter®). Urkunden, welche die Handelskammer vermögensrechtlich verpflichten
sollen, müssen unter ihrem Namen von dem Vorsitzenden oder seinem Stellvertreter und
rinem weiteren Mitglied der Handelskammer vollzogen werden’). Art. 28: Die Behörden
sind innerhalb ihrer Zuständigkeit verpflichtet, den im Vollzug dieses Gesetzes an sie er-
gehenden Ersuchen der Handelskammer um Auskunftserteilung zu entsprechen®). Art. 29:
Jede Kammer hat alljährlich einen Einnahme- und Ausgabeetat aufzustellen, der Central-
stelle für Gewerbe und Handel vorzulegen und öffentlich bekannt zu machen®). Art. 80:
Die Kosten der Handelskammer sind von den Wahlberechtigten des Kammerbezirks °)
nach dem Mafsstab ihrer Gewerbesteuerkapitale ) zu tragen und werden auf Grund
der von der Handelskammer gefertigten Umlage durch die Steuereinbringer der Ge-
meinde'?) als Zuschlag zur Gewerbesteuer bei dem Einzug der letzteren erhoben. Für
die zur Gewerbesteuer nicht veranlagten (Gewerbebetriebe des Staats, sowie die Vorschufs-
und Kreditvereine wird durch die Bezirkskommission ein als Majsstab dienendes fingiertes
Gewerbesteuerkapital gebildet. Einer vorgängigen Genehmigung des Ministeriums des
Innern bedarf es, wenn die Beschaffung des Aufwandes für ein Jahr mehr als zwei
vom Tausend des Gewerbekatasters beträgt. Die Erhebung der Beiträge geschieht gegen
eine von dem Ministerium des Innern zu bestimmende Gebühr. Art, 81: Die Einnahmen
der Handelskammer können von derselben mit ministerieller Genehmigung der Gemeinde-
oder Oberamtspflege am Sitz der Kammer zu rechnerischer Verwaltung überwiesen werden.
Art. 33: Nach Verkündigung dieses Gesetzes ist die Umbildung der bestehenden Handels-
und Gewerbekammern in Handelskammern einzuleiten.
Gesetz, betr. die Einkommensverhältnisse der Volksschullehrer die,
Trennung des Meßnerdienstes vom Schulamt und die Rechtsverhält-
nisse der Lehrerinnen an Volksschulen. Vom 31. Juli 1899, S. 590.
Dazu Ausführungsverordnung vom 30. September 1899, S. 659.
1) Für je ein Jahr: Schwarzburg. Wie oben: Reuß.
2) Ebenso: Schwarzburg. Reuß: Die Handelskammer kann die Oeffentliehkeit
ihrer Sitzungen beschließen; Ausschluß derselben: entsprechend obigen Bestimmungen.
3) Entsprechend: Schwarzburg.
4) Entsprechend: Schwarzburg, Reuß.
5) Entsprechend: Schwarzburg, Reuß.
6) Gleiche Bestimmung für Reuß.
7) Schwarzburg: Zwei weitere Mitglieder. Reußj: wie oben.
8) Ebenso: Reuß.
9) Entsprechend: Schwarzburg, Reuß.
10) Entsprechend: Zuschuß des Staates in Höhe von "/, der Kosten, jedoch nicht
über 1500 M. Sonst wie oben. Reuß: wie oben.
11) Maßstab ist das aus Handel und Gewerbe herrührende Einkommen: Schwarz-
burg, Reuß.
12) Reuß: nur auf Antrag der Kammer. Schwarzburg: direkte Zahlung an die
Kasse der Kammer.
Dritte Folge Bd, XXI (LXXVI) 43
674 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Verfügung des Justizministers, betr. die Gerichtsvollzieherordnung.
Vom 8. September 1899, S. 631.
Verfügung der Ministerien der Justiz, des Innern und der Finanzen,
betr. die Erhaltung und Fortführung der Flurkarten und Primärkataster.
Vom 1. September 1899, S. 667.
Königliche Verordnung, betr. Vorschriften für die Sicherheit der
Bodenseeschiffahrt. Vom 25. September 1899, S. 721.
. Staatsvertrag zwischen Württemberg und Preußen über die Auf-
hebung der Flößerei auf dem Neckar oberhalb der Enzmündung und auf
der Glatt. Vom 7. April 1899, S. 753. Dazu Königliche Verordnung
vom 13. Otober 1899, S. 752.
Verfügung der Ministerien der Justiz und der Finanzen zur Voll-
ziehung des Gesetzes vom 23. Mai 1890, betr. weitere Aenderungen
des Gesetzes vom 19. September 1852 über die Steuer von Kapital-,
Renten-, Dienst- und Berufseinkommen. Vom 20. Oktober 1899, S. 765.
Verfügung des Ministeriums des Innern, betr. den Vollzug des
Abschnitts III (Handwerkskammern. Së 103—103 q) des Titels VI der
Gewerbeordnung in der Fassung des Reichsgesetzes vom 26. Juli 1897.
Vom 31. Oktober 1899, S. 785.
Errichtung von 4 Handwerkskammern: Stuttgart, Ulm, Heilbronn, Reutlingen.
Höhere Verwaltungsbehörde ist der Verwaltungsausschufs der K. Centralstelle für Ge-
werbe und Handel. Dazu Anlage I: Wahlordnung; II—V: Statuten der Handwerks-
kammern; VI: Wahlordnung für den Gesellenausschufs der Handırerkskammern: VII:
Regulativ für die Gewährung einer Entschädigung für Zeitversäumnis und des Ersatzes
barer Auslagen an die Mitglieder der Handelskammer und ihrer Organe.
Verfügung des Justizministeriums, betr. die Führung des Handels-
registers. Vom 9. November 1899, S. 823.
Verfügung des Justizministeriums, betr. die Führung des Genossen-
schaftsregisters. Vom 9. November 1899, S. 844.
Verfügung des Justizministeriums, betr. die Führung des Vereins-
registers und des Güterrechtsregisters. Vom 9. November 1889, S. 845.
Verfügung der Ministerien der Justiz und des Innern, betr. die
Ausführung des Reichsgesetzes über die Beurkundung des Personen-
standes und der Eheschließung. Vom 30. Oktober 1899, S. 861.
Verfügung der Ministerien der Justiz und des Innern, betr. die
Führung der Familienregister und die Mitteilungen über Personenstands-
änderungen. Vom 30. Oktober 1899, S. 893.
Bekanntmachung des Landesversicherungsamts, betr. die Wahlord-
nung für die Wahl der Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten
bei den unteren Verwaltungsbehörden im Sinne des $ 57 des Invaliden-
versicherungsgesetzes. Vom 4. November 1899, S. 911.
Bekanntmachung des Landesversicherungsamts, betr. die Wahlord-
nung für die Wahl der Mitglieder des Ausschusses der für Württem-
berg errichteten Versicherungsanstalt. Vom 4. November 1899, S. 917.
Königliche Verordnung, betr. eine Gebührenordnung für öffentliche
Notare, Rechtsanwälte und andere in Rechtsangelegenheiten thätige
Personen. Vom 14. November 1899, S. 964.
Verfügung des Ministeriums des Innern, betr. den Vollzug des
Nationalökonomische Gesetzgebung. 675
Hypothekenbankgesetzes vom 13. Juli 1899. Vom 16. November 1899,
S. 980.
Aufsichts- und Centralbehörde im Sinne dieses Gesetzes ist das Ministerium des
Innern.
Verfügung des Ministeriums des Innern, betr. den Betrieb und die
Ueberwachung der Privatirrenanstalten. Vom 18. November 1899, S. 983.
Verfügung der Ministerien der Justiz und der Finanzen, betr. das
Hinterlegungswesen. Vom 1. Dezember 1899, S. 995.
Verfügung des Justizministeriums, betr. die Hinterlegung bei den
Gemeinderäten. Vom 1. Dezember 1899, S. 1032.
Verfügung des Ministeriums des Innern, betr. den Vollzug des
Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899. Vom 25. November
1899, S. 1037.
Verfügung des Ministeriums des Innern, betr. die Vollziehung des
Reichsgesetzes über die Abwehr und die Unterdrückung der Reblaus-
krankheit vom 3. Juli 1883 und des Ausführungsgesetzes vom 3. Mai
1885. Vom 5. Dezember 1899, S. 1079.
Verfügung der Ministerien der Justiz und des Innern, betr. die
Bestellung der Revisoren zur Prüfung der Gründung von Aktiengesell-
schaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien. Vom 11. Dezember
1899, S. 1082.
Verfügung des Ministeriums des Innern, betr. die Behandlung der
Fundsachen durch die Polizeibehörden. Vom 14. Dezember 1899, S. 1142.
Bekanntmachung des Königlichen Medizinalkollegiums, betr. die
Abänderung und Ergänzung der Arzneitaxe vom 28. Dezember 1898.
Vom 16. Dezember 1899, S. 1158.
Gesetz, betr. die Wandergewerbesteuer. Vom 15. Dez. 1899.
S. 1163. Dazu Verfügung der Ministerien des Innern und der Finanzen,
betr. den Vollzug des Gesetzes vom 15. Dez. 1899 über die Wander-
gewerbesteuer. Vom 18. Dez. 1899, S. 1185.
Der Gewerbebetrieb im Umherziehen (Wandergewerbebetrieb) unterliegt ausschliefs-
lich der Wandergewerbesteuer. Erster Abschnitt: Staatliche Besteuerungder
Wandergewerbe, I. Allgemeine Bestimmungen. Wandergewerbesteuerpflichtig
ist, wer im Lande aufserhalb des Gemeindebezirks seines Wohnorts oder der im Ver-
ordnungsiweg dem Bezirk des Wohnorts gleichgestellten nächsten Umgebung desselben
ohne Begründung einer gewerblichen Niederlassung und ohne vorgängige Bestellung in
eigener Person 1. Waren feilbieten, 2. Warenbestellungen aufsuchen oder Waren bei anderen
Personen als bei Kaufleuten oder an anderen Orten als in offenen Verkaufsstellen zum
Wiederverkauf ankaufen, 8. gewerbliche Leistungen anbieten, 4. Lustbarkeiten, ohne dafs
ein höheres Interesse der Kunst oder der Wissenschaft dabei obwaltet, darbieten will —
Art, 2. — Befreiungen von der Wandergewerbesteuer : Art. 3—5. Die Steuerpflicht der
Angehörigen aufserdentscher Staaten: Art. 6. Wer ein der Wandergewerbesteuer unter-
liegendes Gewerbe ausüben will, ist verpflichtet, dasselbe vor Eröffnung des Betriebes
behufs Entrichtung der Steuer der zuständigen Steuerbehörde anzumelden und einen
Stenerschein zu lösen — Art. 7. — Steuertarif: 1. Hausiergewerbe: a) Sammeln ge-
ringwertiger Erzeugnisse, Anbieten gewerblicher Arbeiten von untergeordneter Beschafen-
heit, Handel mit rohen Erzeugnissen, geringwertigen Haushaltungsgegenständen: 1—6 M.,
b) sonst 2—150 M. 2. Detailreisende: 5—300 M. 3. Lustbarkeiten wie oben: a) unter-
geordneter Art 3—6 M., b) besserer Art 6—36 M. Stets für das Kalenderjahr. Für
Begleiter gewöhnlich die Hälfte des einfachen Satzes. 4. Wanderlager: a) Feilbieten
roher Erzeugnisse und geringwertiger Haushaltungsgegenstände: 2—4 M., b) anderer
Waren 10—20 M. für je 1000 M. Warenwert und weniger und für jede Woche des Be-
43*
676 Nationalökonomische Gesetzgebung.
triebes an einem Orte. 5. Aufserdeutsche Handlungsreisende 30 M. für das Kalender-
jahr. Betreibt der Steuerpflichtige mehrere unter verschiedene Tarifnummern fallende
Wandergewerbe, so ist er mit jedem besonders zur Steuer zu ziehen. Fällt der Betrieb
unter mehrere Abteilungen derselben Tarifnummer, so kommt nur der Steuersatz der
höheren Abteilung zur Anwendung — Art. 8. — Das Finanzministerium kann Steuer-
freiheit oder Ermäfsiqung des Tarifs für gewisse Zweige eintreten lassen und von der
Erhebung der Steuer gegenüber hilfsbedürftigen Personen absehen — Art. 9. — Die
Steuer ist vor Beginn des Betriebes in dem ganzen angesetzten Betrage zu entrichten —
Art. 10. — Art. 11: Inhalt des Steuerscheins. Der Steuerschein ist nicht übertrag-
bar — Art. 12. — Bei Abstandnahme, Einstellung, Unterbrechung oder Verminderung
des Gewerbebetriebes findet keine Erstattung der Steuer statt — Art. 14. — II. Be-
sondere Vorschriften. 1. Hausiergewerbe. 2. Detailreisende — Inhaber stehender
Gewerbe und die in deren Diensten stehenden Reisenden, welche aufrerhalb des Ge-
meindebezirks ihrer gewerblichen Niederlassung bezw. der gewerblichen Niederlassungen
ihres Geschäftsherrn ohne vorgängige ausdrückliche Aufforderung Bestellungen auf Waren
bei anderen Personen als bei Kaufleuten oder solchen Personen, in deren Geschäftsbetrieb
Waren der angebotenen Art Verwendung finden oder bei Kaufleuten auyserhalb ihres
Geschäftsraumes aufsuchen — Art. 16. — 3. Schaustellungen und Lustbarkeiten,
4. Wanderlager — Wanderlager sind solche Unternehmungen, in welchen aujserhalb
des Wohnorts des Unternehmers und aufser dem Mefs- und Marktrerkehr ohne Be-
gründung einer dauernden gewerblichen Niederlassung von einer festen Verkaufsstätte
aus vorübergehend Waren, gleichviel ob zum Verkauf aus freier Hand oder im Wege
der Versteigerung feilgeboten werden — Art. 18. — 5. Aufserdeutsche Handlungs-
reisende, III. Beschwerde. IV. Strafbestimmungen. Zweiter Abschnitt:
Kommunale Besteuerung der Wandergewerbe. Diejenigen Gemeinden und
Amtskörperschaften, für welche eine Umlage auf Grundeigentum, Gebäude und Ge-
werbe stattfindet, haben eine Wandergewerbesteuer in der Form von Zuschlägen zu
der staatlichen Wandergewerbesteuer zu erheben — Art. 27. — Die Höhe der für die
Gemeinden und Amtskörperschaften zu erhebenden Wandergewerbesteuer bemifst sich
nach dem gleichen prozentualen Verhältnis zur staatlichen Wandergewerbesteuer, in
welchem der auf das stehende Gewerbe entfallende Gemeindeschaden und Amtsschaden
zu der staatlichen Gewerbesteuer steht — Art. 28. — Dritter Abschnitt: Schlufs-
und Uebergangsbestimmungen.
Gesetz, betr. die Anlegung und Fortführung der Steuerbücher.
Vom 20. Dez. 1899, S. 1219.
Verfügung des Ministeriums des Innern, betr. die öffentliche Ver-
steigerung von Grundstücken. Vom 20. Dez. 1899, S. 1229.
Gesetz, betr. die Fürsorge für nicht pensionsberechtigte Staats-
beamte im Falle der Dienstunfähigkeit. Vom 26. Dez. 1899, S. 1231.
Beamte im Sinne des Art. 1 des Beamtengesetzes vom 28. Juni 1876, welche nàch
2 1 Ziffer 2 in Verbindung mit Z 2 Absatz 1 des Imvalidenversicherungsgesetzes vom
18. Juli 1899 der Versicherungspflicht unterliegen würden, haben im Falle der Dienst-
unfähigkeit nach Vollendung von 4 Dienstjahren gegen die Staatskasse Anspruch auf
eine lebenslängliche Unterstützung im Mindestbetrage der Invalidenrente nach den
Sätzen der ersten Lohnklasse. Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Beamte die
Dienstunjähigkeit vorsätzlich herbeigeführt hat,
Gesetz, betr. weitere Aenderungen des Gesetzes vom 24. März 1881
über die Erbschafts- und Schenkungssteuer. Vom 26. Dez. 1899,
S. 1232. Dazu: Bekanntmachung der Ministerien der Justiz und der
Finanzen, betr. den Text des Erbschafts- und Schenkungssteuergesetzes.
Vom 26. Dez. 1899, S. 1296. Verfügung der Ministerien der Justiz
und der Finanzen, betr. den Vollzug des Erbschafts- und Schenkungs-
steuergesetzes. Vom 27. Dez. 1899, S. 1318.
I. Erbschaftssteuer. Zu Art. 1: Schenkungen unter Lebenden, deren Voll-
zug bis zum Ableben des Schenkers aufgeschoben war, werden wie schenkweise ver-
sprochene Leistungen auf den Todesfall behandelt. Neuer Art. 2: Das Gesetz erstreckt
sich auf Erwerbungen von unbeweglichem Vermögen — Grundstücke, Zubehör und die
Nationalökonomische Gesetzgebung. 677
Rechte an Grundstücken. mit Ausnahme der Hypotheken, Grund- und Rentenschulden —
welches sich innerhalb Württembergs befindet. Art. 2a: Das bewegliche Vermögen unter-
liegt der Erbschaftssteuer stets, wenn der Erblasser zur Zeit seines Ablebens in Württem-
berg seinen Wohnsitz hatte. Das in Württemberg befindliche bewegliche Vermögen eines
Erblassers, welcher zur Zeit seines Ablebens in Württemberg einen Wohnsitz nicht hatte,
unterliegt der Steuer namentlich in den Fällen, dafs der Erblasser auch aufserhalb Württem-
bergs einen Wohnsitz nicht hatte, dafs das Vermögen einem zur Zeit des Erbfalls in
Württemberg wohnhaften Erwerber zufällt. Art. 2b: Vergeltungsrecht gegenüber An-
gehörigen aufserdeutscher Staaten auszuüben durch Verordnung des Finanzministeriums ;
diese hat auch einzutreten zur Vermeidung von Doppelbesteuerung. Zu Art. 4: Wenn
ein mehrfaches Verwandtschaftsverhältnis zu dem Erblasser besteht, oder Verwandt-
schaft und Schwägerschaft zusammentreffen, so ist die Steuer nach dem für den Steuer-
pflichtigen günstigsten Verhältnis zu berechnen. Art. 5: Eintritt der Steuerpflicht bei
Erbschaften, Vermächtnissen, Pflichtteilen, sowie Schenkungen auf den Todesfall und
denen des Zusatzes zu Art. 1 mit dem Erbfall; sie tritt aufser Wirkung im Fall der
Ausübung des Ausschlagungsrechts oder des Wegfalls des Pflichtteilsanspruchs; bei
Zuwendungen in (Gemäj/sheit von Auflagen, Bedingungen u. s. w. ist mafsgebend der
Zeitpunkt der Erfüllung seitens des Beschwerten. Art. 5a: Zur Entrichtung der Steuer
ist derjenige verpflichtet, welcher den steuerbaren Vermögensanfall erwirkt. Art. 8: Neue
Grundsätze für die Berechnung des Wertes von Forderungen und Nutzungen. Art. 11
—13: Neue Bestimmungen über die Ermittelung und Feststellung der steuerbaren An-
fülle sowie den Ansatz und Einzug der Erbschaftssteuer. Anmeldungspflicht des Er-
werbers; Auskunftspflicht der Erben, Testamentsvollstrecker, Nachlajsverwalter, Nach-
lafspfleger. Art. 15: Recht der Beschwerde und der weiteren Beschwerde. Art. 16:
Verjährung.
II. Schenk ungssteuer. Art. 17: Die Schenkungssteuer wird erhoben von den
nicht unter die Erbschaftssteuer fallenden Schenkungen an unbeweglichem Vermögen, das
sich innerhalb Württembergs befindet, an beweglichem Vermögen, wenn der Beschenkte in
Württemberg einen Wohnsitz hat. Eine auswärts auferlegte Steuer ist an der württem-
bergischen in Abzug zu bringen. Wiedervergeltungsrecht wie oben Art. 2b. Zusatz zu
Art. 18: Befreit von der Schenkungssteuer sind Schenkungen, deren Wert 500 M. bei
unbeweglichem Vermögen 120 M. nicht übersteigt. Art. 20: Eintritt der Steuerpflicht mit
dem Vollzug der Schenkung. Zur Entrichtung der Steuer ist der Beschenkte verpflichtet.
Art. 21: Anmeldungspflicht desselben. III. Strafbestimmungen. IV. Schlufs:
bestimmungen.
Gesetz, betr. die Besteuerung des Umsatzes von Grundstücken.
(Umsatzsteuer) Vom 28. Dez. 1899, S. 1254.
I. Steuerpflicht. Der Steuer vom Grundstücksumsatz unterliegen Kauf- und
Tauschverträge und andere entgeltliche Rechtsgeschäfte, welche den Erwerb des Eigen-
tums an Grundstücken und solcher Berechtigungen zum Gegenstand haben, für welche
die sich auf Grundstücke beziehenden Vorschriften gelten. Dem Erwerb durch ent-
geltliches Rechtsgeschäft steht gleich der Erwerb durch Zwangsversteigerung oder durch
Zwangsenteignung. Zu den steuerpflichtigen Gegenständen gehören auch die Bestand-
teile des Grundstücks. Die Steuerpflicht wird nur begründet, insoweit als die Gegen-
stünde des Erwerbs sich in Württemberg befinden. Die entgeltliche Abtretung von
Forderungen, die auf Uebertragung des Eigentums an Grundstücken oder auf die Be-
gründung oder Uebertragung eines den Grundstücken gleichgestellten Rechts gerichtet
sind, unterliegt gleichfalls der Umsatzsteuer. Ma/sgebend für die Bemessung der Steuer
ist der Wert des Gegenstandes, also z. B. bei Kaufverträgen der Kaufpreis unter Hinzu-
rechnung der zum Zweck des Erwerbs übernommenen sonstigen Leistungen und der vom
Veräujserer vorbehaltenen Nutzungen. Sachliche Steuerbefreiungen vor allem: Der
Rückerwerb im Fall des gesetzlichen oder vorbehaltenen Rücktrittsrechts oder der Wandlung ;
Erwerbungen im Interesse der Landeskultur, aus Anlafs der Auflösung von Realgemeinde-
rechtsverhältnissen ; Erwerbungen durch Zwangsenteignung zur Durchführung der Orts-
baupläne; Erwerbungen, deren steuerpflichtiger Wert den Betrag von 120 M. im Ganzen
nicht übersteigt. Aussetzung des Steuereinzugs und Rückerstattung der Steuer Art. 8—9.
II. Person des Steuerpflichtigen. Die Entrichtung der Umsatzsteuer liegt dem
Erwerber der Gegenstände und Rechte ob. Mehrere haften als Gesamtschuldner. Verein-
barungen über die Tragung der Steuer sind nur für die Beteiligten wirksam. Persön-
678 Nationalökonomische Gesetzgebung.
liche Steuerbefreiungen: Staatsoberhaupt; Staat; Reich; die kirchlichen Korporationen
für Erwerbungen zu gottesdienstlichen Zwecken; Aktiengesellschaften, Genossenschaften,
Gesellschaften m. b. H., welche ohne Gewinnabsicht den Zweck verfolgen, unbemittelten
Familien gesunde Wohnungen billig zu verschaffen; entsprechend Körperschaften des
öffentlichen Rechts, rechtsfähige Vereine und Stiftungen; Abkömmlinge in bestimmten
Umfang bei Rechtsgeschäften mit ihren Eltern und Ureltern; Abkömmlinge bei Aus-
einandersetzung eines Nachlasses oder einer fortgesetzten Gütergemeinschaft; Konkurs-
schuldner und Zwangsvollstreckungsschuldner sowie deren nächste Angehörige für Er-
werbungen aus der Konkursmasse oder der Zwangsversteigerung. III. Besteuerung
in einigen besonderen Fällen. IV. Festsetzung der Steuer. Die Umsatz-
steuer beträgt vorbehaltlich des verfassungsmäj/sigen Abgabeverwillungsrechts der Stände
1 M. 20 Pig. für 100 M, steuerpflichtigen Wert. V. Strafbestimmungen. VI. Ver-
jührung und Schlufsbestimmungen.
Gesetz, betr. Aenderungen des allgemeinen Sportelgesetzes vom
24. März 1881
74 TRS 199m: 5 3 1271;
14. Juni 1887 Vom 28. Dez. 1899, S 7 Dazu Bekanntmachung
des Finanzministeriums betr. die Redaktion des allgemeinen Sportel-
gesetzes. Vom 28. Dez. 1899, S. 1334.
Gesetz, betr. die Zwangserziehung Minderjähriger. Vom 29. Dez.
1899, S. 1284.
Mecklenburg-Schwerin.
Regierungsblatt für das Großherzogtum Mecklenburg-
Schwerin. Jahrgang 1899.
Verordnung zur Aenderung der Verordnung vom 3. Januar 1876,
betr. die baupolizeilichen Vorschriften für das Domanium. Vom 17. Januar
1899, S. 4.
Edikt, betr. Ausschreibung einer Bienenseuchenabgabe für das Jahr
1899. Vom 24. Januar 1899, S. 7.
Von jedem am 15. Februar 1899 vorhandenen Bienenstock eine Abgabe von 30 Pig.
Bekanntmachung, betr. Feststellung des Verhältnisses des gestriche-
nen zu dem gehäuften Landesscheffel (Rostocker) für Weizen, Roggen
und Gerste, sowie Rauminhalt und Gewicht des letzteren. Vom 1. Fe-
bruar 1899, S. 12. Entsprechende Bekanntmachung vom 18. März 1899,
S. 46.
Verordnung zur Ergänzung der Verordnung vom 8. August 1855,
betr. die Heilighaltung der Sonn- und Festtage. Vom 3. Februar 1899,
S. 11.
Auch das nicht gewerbsmäfsige Aufsuchen von Bestellungen, Herumtragen, An-
bieten und Vorteilen von Schriften und Bildwerken wird der Verordnung von 1855
unterstellt,
Bekanntmachung, betr. die Getreidedurchschnittspreise, nach welchen
der Geldkanon der Erbpächter u. s. w. in den Domänen für die nächste
Zahlungsperiode zu regulieren ist. Vom 3. Februar 1899, S. 13.
Kontributionsedikt für das Jahr Johannis 1899/1900. Vom 23. Fe-
bruar 1899, S. 29.
I. Erhebung der ordentlichen Kontribution, und zwar a) der ordentlichen Domanial-
Hufenstener im Betrage von 77 M. für die Hufe; b) der ordentlichen ritterschaftlichen
Hufensteuer sowie der ordentlichen Necessarien zusammen mit 86 M. für die Hufe;
€) Die lundstädtische Steuer von Häusern und Ländereien. II. Erhebung der Kon-
Nationalökonomische Gesetzgebung. 679
tribution nach dem Kontributionsedikt vom 2. Mai 1597 mit zehn Zehnteln des vollen
ediktmäfsigen Betrages,
Bekanntmachung, betr. die der Berechnung der Landeskontribution
im Steuerjahr 1899/1900 zu Grunde liegenden Getreidepreise. Vom
2. Juni 1899, S. 416.
Bekanntmachung, betr. Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugend-
lichen Arbeitern in Ziegeleien. Vom 20. März 1899, S. 47.
eststellung der Fassung der Auszüge, die in den Ziegeleien auszuhängen sind,
welche von den Bestimmungen unter II der Bekanntmachung des Reichskanzlers vom
18. Oktober 1898 Gebrauch machen wollen.
Zusatzverordnung zur Verordnung vom 16. Januar 1895 zur Be-
förderung der Landespferdezucht. Vom 4. April 1899, S. 51.
Verordnung zur Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Vom
9. April 1899, S. 57.
Bekanntmachung, betr. die Aufsicht über bäuerliche Fideikommisse.
Vom 20. Dezember 1899, S. 970.
Verordnung zur Ausführung der Grundbuchordnung. Vom 9. April
1899, S. 173.
Anordnungen zur Ausführung der Grundbuchordnung. Vom 9. April
1899, S. 191.
Verordnung, betr. das Verfahren in Vereinssachen. Vom 9. April
1899, S. 209.
Verordnung, betr. die Zwangserziehung Minderjähriger. Vom 9. April
1899, S. 221.
Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über die Angelegenheiten
der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Vom 9. April 1899, S. 227.
Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über die Zwangsversteige-
rung und die Zwangsverwaltung. Vom 9. April 1899, S. 257.
Verordnung zur Ausführung der Civilprozeßordnung. Vom 9. April
1899, S. 263.
Verordnung zur Ausführung der Konkursordnung. Vom 9. April
1899, S. 279.
Verordnung zur Ausführung des Handelsgesetzbuchs. Vom 9. April
1899, S. 283.
Verordnung, betr. das Hinterlegungswesen (Hinterlegungsordnung).
Vom 9. April 1899, S. 291.
Gesindeordnung. Vom 9. April 1899, S. 3231).
I. Begründung des Dienstrerhältnisses, II. Vergütung der Dienstleistungen. III. Ver-
pflichtungen aus dem Dienstverhältuis. A. Obliegenheiten der Dienstherrschaft. B. Pflichten
der Diensthoten. IV. Dauer des Dienstrerhältnisses. V. Art der Beendigung des
Dienstrerhältnisses. VI. Gesindedienstbücher, VII Besondere Bestimmungen für das
platte Land. VIII. Strafbestimmungen. IX. Schlufsbestimmungen,
Verordnung, betr. den Ersatz vom Wildschaden. Vom 9. April
1899, S. 311.
Bekanntmachung, betr. die Einrichtung und Führung des Vereins-
registers und des Güterrechtsregisters. Vom 25. April 1899, S. 383.
Bestimmungen, betr. die Einrichtung und Führung des Handels-
registers und des Güterrechtsregisters. Vom 4. Juli 1899, S. 477.
1) Siehe die Anmerkungen zur Wüttembergischen Gesindeordnung oben S. 670.
678 Nationalökonomische Gesetzgebung.
liche Steuerbefreiungen: Staatsoberhaupt; Staat; Reich; die kirchlichen Korporationen
für Erwerbungen zu gottesdienstlichen Zwecken; Aktiengesellschaften, Genossenschaften,
Gesellschaften m. b. H., welche ohne Gewinnabsicht den Zweck verfolgen, unbemittelten
Familien gesunde Wohnungen billig zu verschaffen; entsprechend Körperschaften des
öffentlichen Rechts, rechtsfähige Vereine und Stiftungen; Abkömmlinge in bestimmtem
Umfang bei Rechtsgeschäjten mit ihren Eltern und Ureltern; Abkömmlinge bei Aus-
einandersetzung eines Nachlasses oder einer fortgesetzten Gütergemeinschaft; Konkurs-
schuldner und Zwangsvollstreckungsschuldner sowie deren nächste Angehörige für Er-
werbungen aus der Konkursmasse oder der Zwangsversteigerung. III. Besteuerung
in einigen besonderen Fällen. IV. Festsetzung der Steuer. Die Umsatz-
steuer beträgt vorbehaltlich des verfassungsmäfsigen Abgabeverwillungsrechts der Stände
1 M. 20 Pig. für 100 M. steuerpflichtigen Wert. V. Strafbestimmungen. VI. Ver-
jührung und Schlufsbestimmungen.
Gesetz, betr. Aenderungen des allgemeinen Sportelgesetzes vom
=4. März 1891 vom 28. Dez. 1899, S. 1271. Dazu Bek h
14, Jani 1887 om 28. Dez. ; Ds è azu Bekanntmachung
des Finanzministeriums betr. die Redaktion des allgemeinen Sportel-
gesetzes. Vom 28. Dez. 1899, S. 1334.
Gesetz, betr. die Zwangserziehung Minderjähriger. Vom 29. Dez.
1899, S. 1284.
Mecklenburg-Schwerin.
Regierungsblatt für das Großherzogtum Mecklenburg-
Schwerin. Jahrgang 1899.
Verordnung zur Aenderung der Verordnung vom 3. Januar 1876,
betr. die baupolizeilichen Vorschriften für das Domanium. Vom 17. Januar
1899, S. 4.
Edikt, betr. Ausschreibung einer Bienenseuchenabgabe für das Jahr
1899. Vom 24. Januar 1899, S. 7.
Von jedem am 15. Februar 1899 vorhandenen Bienenstock eine Abgabe von 80 Pig.
Bekanntmachung, betr. Feststellung des Verhältnisses des gestriche-
nen zu dem gehäuften Landesscheffel (Rostocker) für Weizen, Roggen
und Gerste, sowie Rauminhalt und Gewicht des letzteren. Vom 1. Ee-
bruar 1899, S. 12. Entsprechende Bekanntmachung vom 18. März 1899,
S. 46.
Verordnung zur Ergänzung der Verordnung vom 8. August 1855,
betr. die Heilighaltung der Sonn- und Festtage. Vom 3. Februar 1899,
S: 11.
Auch das nicht gewerbsmüfsige Aufsuchen von Bestellungen, Herumtragen, An-
bieten und Vorteilen von Schriften und Bildwerken wird der Verordnung von 1855
unterstellt.
Bekanntmachung, betr. die Getreidedurchschnittspreise, nach welchen
der Geldkanon der Erbpächter u. s. w. in den Domänen für die nächste
Zahlungsperiode zu regulieren ist. Vom 3. Februar 1899, S. 13.
Kontributionsedikt für das Jahr Johannis 1899/1900. Vom 23. Fe-
bruar 1899, S. 29.
I. Erhebung der ordentlichen Kontribution, und zırar a) der ordentlichen Domanial-
Hufensteuer im Betrage von 77 M. für die Hufe; b) der ordentlichen ritterschaftlichen
Hufensteuer sowie der ordentlichen Necessarien zusammen mit 86 M. für die Hufe;
€) Die landstädtische Steuer von Häusern und Ländereien. II. Erhebung der Kon-
Nationalökonomische Gesetzgebung. 679
tribution nach dem Kontributionsedikt vom 2. Mai 1897 mit zehn Zehnteln des vollen
ediktmäfsigen Betrages.
Bekanntmachung, betr. die der Berechnung der Landeskontribution
im Steuerjahr 1899/1900 zu Grunde liegenden Getreidepreise. Vom
2. Juni 1899, S. 416.
Bekanntmachung, betr. Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugend-
lichen Arbeitern in Ziegeleien. Vom 20. März 1899, S. 47.
Feststellung der Fassung der Auszüge, die in den Ziegeleien auszuhängen sind,
welche von den Bestimmungen unter II der Bekanntmachung des Reichskanzlers vom
18. Oktober 1898 Gebrauch machen wollen.
Zusatzverordnung zur Verordnung vom 16. Januar 1895 zur Be-
förderung der Landespferdezucht. Vom 4. April 1899, S. 51.
Verordnung zur Ausführung des Bürgerlichen Gesetzhuchs. Vom
9. April 1899, S. 57.
Bekanntmachung, betr. die Aufsicht über bäuerliche Fideikommisse.
Vom 20. Dezember 1899, S. 970.
Verordnung zur Ausführung der Grundbuchordnung. Vom 9. April
1899, S. 173.
Anordnungen zur Ausführung der Grundbuchordnung. Vom 9. April
1899, S. 191.
Verordnung, betr. das Verfahren in Vereinssachen. Vom 9. April
1899, S. 209.
Verordnung, betr. die Zwangserziehung Minderjähriger. Vom 9. April
1899, S. 221.
Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über die Angelegenheiten
der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Vom 9. April 1899, S. 227.
Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über die Zwangsversteige-
rung und die Zwangsverwaltung. Vom 9. April 1899, S. 257.
Verordnung zur Ausführung der Civilprozeßordnung. Vom 9. April
1899, S. 263.
Verordnung zur Ausführung der Konkursordnung. Vom 9. April
1899, S. 279.
Verordnung zur Ausführung des Handelsgesetzbuchs. Vom 9. April
1899, S. 283.
Verordnung, betr. das Hinterlegungswesen (Hinterlegungsordnung).
Vom 9. April 1899, S. 291.
Gesindeordnung. Vom 9. April 1899, S. 3231).
I. Begründung des Dienstverhältnisses. TI. Vergiitung der Dienstleistungen. TIT. Ver-
pflichtungen aus dem Dienstverhältnis. A. Obliegenheiten der Dienstherrschaft. B. Pflichten
der Dienstboten. IV. Dauer des Dienstverhältnisses. V. Art der Beendigung des
Dienstverhältnisses. VI. Gesindedienstbücher. VII. Besondere Bestimmungen für das
platte Land. VIII. Strafbestimmungen. IX. Schlufsbestimmungen.
Verordnung, betr. den Ersatz vom Wildschaden. Vom 9. April
1899, S. 811.
Bekanntmachung, betr. die Einrichtung und Führung des Vereins-
registers und des Güterrechtsregisters. Vom 25. April 1899, S. 383.
Bestimmungen, betr. die Einrichtung und Führung des Handels-
registers und des Güterrechtsregisters. Vom 4. Juli 1899, S. 477.
1) Siehe die Anmerkungen zur Wüttembergischen Gesindeordnung oben S. 670.
680 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Bekanntmachung, betr. Bestimmungen über die Einrichtung und
Führung des Schiffsregisters für Binnenschiffe. Vom 11. November
1899, S. 802. Für Seeschiffe. Vom 18. November 1899, S. 822.
Bekanntmachung, betr. die Eintragung der sogenannten buchungs-
freien Grundstücke in das Grundbuch. Vom 22. September 1899, S. 537.
Gerichtsvollzieherordnung. Vom 4. Oktober 1899, S. 675.
Verordnung zur Ausführung der Gebührenordnung für Rechtsan-
wälte. Vom 18. Dezember 1899, S. 899.
Verordnung, betr. die Gebührenordnung für Notare. Vom 18. De-
zember 1899, S. 909.
Einführungsverordnung zur Gerichtskostenordnung. Vom 18. Dez.
1899, S. 917. Dazu S. 1035. 1036.
Verordnung, betr. die Erhebung des landwirtschaftlichen An-
baues, sowie der landwirtschaftlichen Bodenbenutzung. Vom 17. Mai
1899, S. 403.
I. Erhebung des landwirtschaftlichen Anbaues. Alljährlich, Anfang
Juni findet eine statistische Erhebung über den Anbau von Feld- und Gartenfrüchten
statt (2 1). Die Erhebung geschieht nach Gemeinden bezw. Gutsbezirken durch die
Ortsobrigkeiten, die sich der Hilfe besonderer Beauftragter bedienen können; die Müt-
glieder der Gemeindevertretung sind auf Verlangen dazu verpflichtet. Die Inhaber
landwirtschaftlicher Betriebe sind verpflichtet, die an sie von den Ortsobrigkeiten oder
deren Beauftragten gerichteten Fragen über die Anbauverhältnisse ihrer Lündereien
nach bestem Wissen und Gewissen zu beantworten (3 2). II. Erhebung über die
landwirtschaftliche Bodenbenutzung. Alle 10 Jahre (2 3). Verfahren wie
bei I. III. Gemeinsame Bestimmungen für die Erhebung des land-
wirtschaftlichen Anbaues und der Bodenbenutzung.
Verordnung zur Aenderung und Ergänzung der Verordnung vom
17. Februar 1897, betr. das Wegerecht. Vom 9. Juni 1899, S. 419.
Bekanntmachung, betr. die Ausführung der Bestimmungen des
Bundesrats über die Einrichtung und den Betrieb der Roßhaarspinne-
reien u. s. w. Vom 18. September 1899, S. 535.
Bekanntmachung, betr. die im Bundesrat vereinbarten Grundsätze
über die Besetzung der Subaltern- und Unterbeamtenstellen bei den
Kommunalbehörden u. s. w. mit Militäranwärtern. Vom 10. Oktober
1899, S. 545.
Bekanntmachung, betr. die Wahlen von Vertretern der Arbeitgeber
und der Versicherten im Bereiche der Versicherungsanstalt Mecklen-
burg. Vom 25. Oktober 1899, S. 572,
Bekanntmachung, betr. die Wahlordnung, für die für den Ausschuß
bei der Versicherungsanstalt Mecklenburg zu wählenden Mitglieder. Vom
8. November 1899, S. 779.
Verordnung, betr. die Versetzung richterlicher Beamten in den
Ruhestand. Vom 28. November 1899, S. 839.
Bekanntmachung, betr. die Anlegung von Mündelgeld bei inlän-
dischen öffentlichen Sparkassen. Vom 19. Dezember 1899, S. 973.
Verordnung, betr. die Aufhebung der Verpflichtung zur Bestellung
von Dienstkautionen. Vom 22. Dezember 1899, S. 971.
Ausgenommen: Rechnungsbeamte, Beamte der Grundbuchämter und Gerichtsvoll-
zieher.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 681
Verordnung, betr. die Stempelsteuer. Vom 22. Dezember 1899,
S. 9751).
Verordnung, betr. die Erhebung einer Erbschaftssteuer. Vom 22. De-
zember 1899, S. 1005.
I. Gegenstand der Erbschaftssteuer. Einer Erbschaftssteuer unterliegen
ohne Unterschied, ob der Anfall an Inländer oder Ausländer gelangt, Erbschaften, Ver-
müchtnisse, Lehns- und Fideikommifsanfälle, Schenkungen von Todesiwegen, Schenkungen
unter Lebenden, deren Vollzug bis zum Tode des Schenkers aufgeschoben ist, sowie Zu-
wendungen durch eine einer letztwilligen Verfügung oder dieser gleichstehenden Schen-
kung hinzugefügte Auflage (2 1). Innerhalb des Landes belegenes unbewegliches Ver-
mögen und Nutzungen eines solchen unterliegen ausnahmslos der Erbschaftssteuer ohne
Rücksicht auf den Wohnsitz und die Staatsangehörigkeit des Erblassers (Z 2). Beweg-
liches Vermögen unterliegt der Erbschaftssteuer, wenn der Erblasser bei seinem Ableben
seinen Wohnsitz in Mecklenburg-Schwerin hatte. Für die Fälle, da/s der Erblasser
aufserdem in einem anderen Staate des Deutschen Reiches seinen Wohnsitz oder bei
seinem Ableben keinen Wohnsitz hatte, folgen eingehende Bestimmungen (4 3). Fidei-
kommifsanfälle von unbeweglichem Vermögen unterliegen nur der Besteuerung, wenn
dasselbe im Lande belegen ist. Die aus beweglichen Gegenständen, aus Kapitalien u. 8. w.
bestehenden Fideikommisse sind beim Eintritt eines Erbfalles der diesseitigen Besteuerung
unterworfen, wenn sie tm Lande errichtet und bestätigt eind (2 4). Befreiungen von
der Erbschaftssteuer: I. Zuwendungen an Eltern und Voreltern, Abkömmlinge, Ehe-
gatten; Zuwendungen unter 1000 M. an häusliches Dienstpersonal; II. Zuwendungen
an milde Stiftungen, für Kunst und Wissenschaft; III. Anfälle, deren Wert den Be-
trag von 150 M. nicht übersteigt; Nutzungen und Leistungen, deren Jahresbetrag die
Summe von 75 M. nicht übersteigt; alle Erbschaften, deren Reinbestand den Betrag von
1000 M. nicht übersteigt (25). II. Erbschaftssteuerpflichtige Masse. Zu der
steuerpflichtigen Masse gehören auch die ausstehenden Forderungen, auch die Beträge,
die der Erwerber selbst zur Masse schuldet (2 6). Unsichere, unbekannte, bestrittene
Teile der Masse; Abzüge von der Erbmasse: 32 7,8. III. Eintritt der Steuer-
pflicht und Ermittelung des Wertes der Anfälle. Die Pflicht zur Ent-
richtung der Erbschaftssteuer tritt mit dem Zeitpunkt ein, in dem der Steuerpflichtige
den der Besteuerung unterliegenden Anfall erworben hat ($ 9). IV. Von dem Be-
trage der Erbschaftssteuer. Es zahlen: 1 Proz.: Geschwister, Adoptirkinder ;
2 Proz.: Geschwisterkinder, Stiefkinder; 8 Proz.: Geschwisterenkel, Schwiegerkinder,
Geschwister des Vaters oder der Mutter des Erblassers und deren Kinder, stets Dienst-
personen für Nutzungen; 4 Proz.: Schwiegereltern, Stiefeltern und Stiefenkel; 6 Proz.:
Stiefgrofseltern, zusammengebrachte Geschwister, Schwäger und Schwägerinnen, die
Abkömmlinge der Adoptivkinder, alle übrigen Verwandten bis zum 6. Grad einschliefs-
lich; 8 Proz.: alle sonstigen Erwerber (2 20). V. Von den für die Feststellung
der Erbschaftssteuer zuständigen Behörden un dderen Verfahren.
VI. Kontrolle-, Straf-, Verjährungs- und Schlufsbestimmungen.
Verordnung, betr. die Erhebung einer Fideikommißsteuer. Vom
22. Dez. 1899. S. 1029.
Von jedem neu errichteten Familienfideikommifs und von jedem einem bestehenden
Familienfideikommifs neu hinzugefügten Gegenstand ist für die Entziehung der zum
Fideikommi/s gehörenden Gegenstände aus dem freien Verkehr eine Fideikommijssteuer
zu entrichten (2 1). Diese beträgt Ein vom Hundert des Wertes der zum Fideikommifs
gehörenden Gegenstände (2 2). Die Steuer ist von dem Fideikommifsinhaber zu ent-
richten, sobald das Frdeikommifs in Wirksamkeit tritt (2 3). Art der Entrichtung:
£ 4 Verfahren: 2 5.
Bekanntmachung, betr. Ausführung der Vorschriften im $ 64, Abs. 2
und 6 des Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899. Vom
23. Dez. 1899, S. 1033.
1) Siehe die Anmerkungen zum Altenburgischen Gesetz vom 24. Dezember 1899
unten unter Altenburg. (Fortsetzung folgt.)
682 Miszellen.
Nachdruck verboten.
Miszellen.
X.
Strikes und Aussperrungen im Jahre 1899 in Deutschland
und Oesterreich.
Die vom Kaiserlichen Statistischen Amt herausgegebene „Statistik
des Deutschen Reichs“, N. F. Bd. 134, Berlin 1900, Verlag von Putt-
kammer und Mühlbrecht, veröffentlicht eine Statistik der Strikes und
Aussperrungen im Jahre 1899, der wir folgende interessante Thatsachen
entnehmen und mit den Ergebnissen der österreichischen Statistik mit
dem Titel „Die Arbeitseinstellungen und Aussperrungen in Oesterreich
während des Jahres 1899, herausgegeben vom Arbeitsstatistischen Amte
im k. k. Handelsministerium“, Wien (Alfred Hölder) 1900 vergleichen.
Erst seit dem 1. Januar 1899 ist das Deutsche Reich dem Vor-
bild anderer Staaten gefolgt, fortlaufende statistische Erhebungen über die
im Gewerbebetrieb vorkommenden Strikes und Aussperrungen zu machen,
um dadurch Klarheit in die Beurteilung dieser wichtigen. wirtschafts-
politischen Fragen zu bringen. In erster Linie hat man deshalb die
Zahl, Gründe und Dauer der Strikes und Aussperrungen zum Gegen-
stand der Untersuchung gemacht, die Orte, an welchen sie zum Austrag
gekommen sind, die betroffenen Gewerbearten, die Ziffern der in Mit-
leidenschaft gezogenen Betriebe und Personen, der Inhalt der gestellten
Forderungen, der Ausgang der Ausstände. Endlich die Art und Weise
ihrer schließlichen Beilegung und die nachweisbaren Verluste am Arbeits-
lohn. Auch ist die Frage nach Einwirkung von Berufsvereinigungen
oder dritter Personen auf den Beginn und den Verlauf der Arbeiter-
konflikte gestellt worden. Weiter hat man zu ermitteln gesucht, wie
oft sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei ihrem angriffsweisen Vor-
gehen auf dem Boden des Rechts gehalten, wie oft gegen den Arbeits-
vertrag verstoßen haben, und ob Strikes oder Aussperrungen Anlaß zu
polizeilichen Maßnahmen, insbesondere zum Zwecke des Schutzes Arbeits-
williger oder zur Inanspruchnahme der Staatsanwaltschaft gegeben
haben.
Die Erhebung des Urmaterials erfolgte in einheitlicher Weise für
das ganze deutsche Reichsgebiet.
Miszellen. 683
Als Strike ist bei diesen Erhebungen „jede gemeinsame
Arbeitseinstellung mehrerer gewerblicher Arbeiter, die
zum Zweck der Durchsetzung bestimmter Forderungen beim Arbeit-
geber erfolgt ist“, aufgefaßt.
Als Aussperrung ist „jede gemeinsame Ausschließung
mehrerer gewerblicher Arbeiter von der Arbeit, die von dem
Unternehmer zum Zwecke der Durchsetzung bestimmter Forderungen
bei den Arbeitern vorgenommen wird“, anzusehen.
Als „Zählungseinheit“ gilt in unserer Statistik nicht der einzelne
Betrieb, sondern der einzelne Strikefall. Ein gemeinsames Vorgehen
von in verschiedenen Unternehmungen beschäftigten Arbeitern wird als
„Gruppenstrike“ bezeichnet. Dasselbe Zählungsprinzip ist für die Aus-
sperrungen maßgebend, nur ist hier das gemeinsame Vorgehen der Unter-
nehmer maßgebend, die gleichzeitig mehrere Betriebe schließen. Unter
Betrieb ist hierbei auch ein Arbeitsplatz zu verstehen, auf denen Arbeiter
verschiedener Gewerbe thätig sind, z. B. Neubauten. „Angriffsstrikes*
sind solche Arbeitseinstellungen, durch welche die Beteiligten eine
Aenderung des bisherigen Arbeitsverhältnisses zu erzielen suchen, „Ab-
wehrstrikes“ solche, durch welche die Arbeiter eine Verschlechterung
ihrer Arbeitsbedingungen verhindern wollen.
Nur sehr ungenau sind die Angaben über die nachweisbaren Ver-
luste an Arbeitslohn aus Anlaß des Strikes. Summiert man den Aus-
fall des Arbeitslobnes an sich, was wohl noch den sichersten Anhalt
geben würde, so erhält man dadurch noch keineswegs ein klares Bild,
denn manche der Arbeiter finden während des Strike Gelegenheits-
arbeit; andere haben noch über die Dauer des Strike hinaus unter
den direkten Folgen desselben zu leiden, sie finden keine oder minder-
bezahlte Arbeit u. dergl.
Die Sonn- und Landesfeiertage sind in die Zahl der Striketage mit
eingerechnet.
In Bezug auf die Forderungen der Strikenden hat man drei Haupt-
gruppen unterschieden, insofern sich dieselben auf Arbeitslohn, Arbeits-
zeit oder andere Gegenstände bezogen. Zur ersten Gruppe gehören
auch die Forderungen, die sich auf die Bezahlung von Ueberstunden
bes. Entschädigung für Zeitverlust durch Warten beziehen etc. Zur
Gruppe zwei, Verlängerung der Arbeitspausen, Vermeidung oder Ein-
schränkung der Sonntags- und Nachtarbeit etc. In Rubrik „andere
Gegenstände“ fallen endlich alle Forderungen, die sich nicht in die
erstgenannten einreihen, z. B. in Bezug auf Aenderung der bisherigen
Löhnungsweise, Entfernung von Vorgesetzten und Wiederanstellung ent-
lassener Arbeiter. Forderungen in Bezug auf hygienische Einrich-
tungen u. dergl. mehr.
Auch den Ausfall der Strikes hat man besonders registriert und
die Angaben darüber in Gruppen geordnet.
Die Art der statistischen Erhebung in Oesterreich, weicht nicht
wesentlich von der in Deutschland ab, so daß ein Vergleich der Er-
gebnisse im großen ganzen leicht durchgeführt werden kann. Oester-
reich ist in einigen Fragen noch mehr in das Detail gegangen, zum
684 Miszellen.
Beispiel hat es häufig gelernte und ungelernte Arbeiter besonders auf-
geführt, auch vielfach das Geschlecht unterschieden; beides hat Deutsch-
land unterlassen. Dagegen hat die österreichische Statistik das Alter
der Arbeiter in den meisten Fällen nicht berücksichtigt, wo sie aber
in der Weise unterschieden hat, rechnet sie unter Erwachsene alle
Arbeiter über 16 Jahre, die deutsche Statistik dagegen nur die
Arbeiter über 21 Jahren, wodurch jene Zahlen für einen Vergleich kaum
verwendbar sind. Eine im Jahre 1899 zum erstenmal in Oester-
reich gemachte Fragestellung nach Strikewiederholungen ist in Deutsch-
land bis jetzt noch unterlassen. Der Hauptunterschied in der Strike-
statistik dieser beiden Länder liegt aber darin, daß die österreichische
Statistik den Nachdruck auf die Untersuchung der Zahl der Strikenden,
während die deutsche den Schwerpunkt auf die Zahl der Strike fälle legt.
Gehen wir nun zu den Ergebnissen der statistischen Erhebungen über.
Es fanden im Jahr 1899 im Deutschen Reich im ganzen 1336 Aus-
stände statt, von denen 14 bereits vor dem 1. Januar begonnen hatten;
zur Beendigung gelangten in jenem Jahre 1288 Strikes. Demgegenüber
hat Oesterreich !) für das Jahr 1899 nur 311 Strikes zu verzeichnen.
Unter den deutschen Bundesstaaten waren Schwarzburg-Rudolstadt,
Waldeck, Schaumburg-Lippe und Lippe die einzigen, in denen gar
keine Strikes vorkamen. Diesen steht natürlich Preußen mit einer
recht bedeutenden Zahl von Ausständen gegenüber, es hatte 835 oder
62,50 Proz. aller Strikefälle zu verzeichnen, dann kommt das industrie-
reiche Sachsen mit 149 oder 11,15 Proz., Bayern mit 102 oder 7,64 Proz.,
Hamburg mit 62 oder 4,64 Proz. u. s. w. abwärts; Lübeck hatte ver-
hältnismälig viele, nämlich 3 oder 0,60 Proz, Sachsen-Weimar dagegen
nur 5 oder 0,38 Proz., die beiden Mecklenburg als Agrarstaaten zu-
sammen nur 6 oder 0,45 Proz. Unter den preußischen Provinzen ist
Hohenzollern die einzige, die ganz ohne Strike ausging. Dagegen thut
sich Berlin mit 227 oder 27,19 Proz. aller innerhalb Preußens be-
gonnener Strikes hervor. Brandenburg hat 169 = 20,24 Proz., das Rhein-
land, 125 — 14,97 Proz. und so geht es zurück bis auf Schleswig-Holstein
mit 35 — 4,19 Proz., Westfalen 33 — 3,95 Proz., Westpreußen mit 6
= 0,72 Proz. und endlich Ostpreußen mit 5 = 0,60 Proz.
In welchem Umfang die einzelnen Gewerbegruppen in Mitleiden-
schaft gezogen wurden, hat die Statistik des Deutschen Reiches genau
festgestellt; wir greifen nur einige bedeutsame Zahlen heraus. Die
meisten Strikes entfielen auf das Baugewerbe, nämlich 478 oder
35,78 Proz. aller 1899 begonnenen Strikes, dann folgt die Industrie der
Holz- und Schnitzstoffe mit 163 — 12,20 Proz., die Metallverarbeitung
mit 146 = 10,93 Proz., die Textilindustrie mit 106 = 7,93 Proz. am
1) Die Zahlen für Oesterreich sind, wie oben angegeben, der vom „Arbeits-
statistischen Amte im k. k. Handelsministerium‘“ veröffentlichten Statistik entnommen,
merkwürdigerweise weichen dieselben ganz wesentlich von den Zahlen ab, welche die
„Soziale Rundschau, I. Jahrgang im Januar-Februarheft 1900 über die gleichen Ver-
hältnisse giebt, die ebenfalls vom Arbeitsstatistischen Amt im k. k. Handelsministerium
in Wien herausgegeben wird. Wir wissen uns diese eigentümliche Erscheinung nicht zu
erklären.
Miszellen. 685
wenigstens wurden die künstlerischen Gewerbe, die Beherbergungs-
und Erquickungsgewerbe und die Kunst- und Handelsgärtnerei von
Strikes betroffen mit 4 = 0,30 Proz., 3 — 0,22 Proz. und 1 = 0,07 Proz,
was ja durch ihre Eigentümlichkeit des Gewerbebetriebes leicht zu erklären
ist, aber auch die chemische und die Papierindustrie waren nur mit
4 = 0,30 Proz. und 9 = 0,68 Strikefällen beteiligt. Stellt man diesen
Zahlen die Ergebnisse der österreichischen Erhebungen zur Seite, so
findet man einige Abweichungen. Es steht dort die Textilindustrie
mit 84 oder 27,00 Proz. aller Strikes an der Spitze, dann folgt auch an
zweiter Stelle die Industrie der Holz- und Schnitzwaren und Kautschuk
mit 35 oder 11,25 Proz., dann die Baugewerbe mit 33 oder 10,60 Proz.
etc. Nur ein Strikefall fand im Tapeziergewerbe statt, das in Deutsch-
land gar nicht besonders angeführt ist, in der chemischen Industrie 4,
im Verkehrswesen 3, im Gast- und Schankgewerbe kamen gar keine
Strikes vor.
Die Feststellung der Verteilung der Strikes auf die verschiedenen
Quartale ist nur für die Saisongewerbe von Bedeutung. Von den
Strikes, welche das Baugewerbe erfaßten, fielen 41 in das erste Quartal,
232 in das zweite, 141 in das dritte und 64 in das vierte Und zwar
verteilten sich diese 478 Strikefälle des Baugewerbes in der Weise,
daß in 244 oder 51,05 Proz. der Fälle die Maurer strikten, in 67 oder
14,02 Proz. die Zimmerer, in 9 oder 1,88 Proz. der Fälle die Dach-
decker und Ofensetzer etc. Hier läßt sich leider, wegen der Ver-
schiedenheit der statistischen Erhebung, ein Vergleich mit Oesterreich
nicht durchführen, doch möchten wir die Thatsache berichten, daß von
den insgesamt 311 Strikes in Oesterreich 98 in das Frühjahr fielen,
94 in den Sommer, 80 in den Herbst und 39 in den Winter.
In die Details gehende Angaben kann die deutsche Statistik von
1899 nur über die 1288 Strikefälle geben, die am 31. Dezember 1899
ihre Erledigung gefunden hatten, die übrigen 48 in jenem Jahre nicht
beendigten können erst im folgenden Jahrheft nähere Berücksichtigung
finden.
7121 Betriebe waren mit 256 858 Arbeitern durch die hier in Be-
tracht kommenden Ausstände betroffen, darunter 40062 Arbeiter im
Alter von unter 21 Jahren, von diesen traten im ganzen 99338 in die
Strikebewegung ein, worunter sich 15 600 jugendliche befanden, das sind
38,94 Proz. aller jugendlichen, in den betroffenen Betrieben beschäftigten
Arbeiter. In Oesterreich erstreckten sich die Strikes auf 977 Betriebe
mit 82 682 beschäftigten und 59 146 strikenden Arbeitern.
Zum völligen Stillstand wurden in Deutschland 1890 Betriebe ge-
bracht, das sind etwa ein Viertel aller von der Strikebewegung er-
griffenen Betriebe.
Von den im Jahre 1899 zur Beendigung gelangten Strikes waren
in Deutschland 1019 oder 79,11 Proz. aller als Angriffsstrikes zu be-
zeichnen, nur 269 oder 20,89 Proz. als Abwehrstrikes. Die Angriffs-
strikes waren gegen 6717 Betriebe mit 200 935 beschäftigten Arbeitern,
darunter 28 692 jugendliche gerichtet und bewirkten den Stillstand von
1809 dieser Betriebe; Abwehrstrikes wendeten sich gegen 404 Betriebe
686 Miszellen.
mit 55 923 Arbeitern, darunter 11 370 jugendliche. Die Hüchstzahl der
gleichzeitig Strikenden betrug bei sämtlichen 1288 Strikes 99 338 Per-
sonen, das ist 38,67 Proz. aller in den betroffenen Betrieben überhaupt
beschäftigten Personen. Durchschnittlich betraf eine Arbeitseinstellung
77,1 strikende Arbeiter und 5,5 Betriebe; bei den Angriffsstrikes er-
höht sich die Durchschnittsziffer der Strikenden auf 81,4, diejenigen
der in Mitleidenschaft gezogenen Betriebe auf 6,6, während auf jeden
Abwehrstrike sich im Durchschnitt nur 61,1 Strikende und 1,5 Betriebe
berechneten. 10122 Arbeiter oder 3,94 Proz. aller in sämtlichen vom
Strike betroffenen Betrieben Beschäftigten mußten unfreiwillig feiern.
Auf je 100 Strikende fielen somit 10,19 Proz. gezwungen Feiernde, auf
Angriffstrikes 11,34 Proz., auf Abwehrstrikes 4,38 Proz. Oesterreich
hatte 206 Angriffs- und 68 Abwehrstrikes zu verzeichnen.
Von allen 1288 Arbeitseinstellungen waren 931 oder 72,28 Proz.
(nur auf einen Betrieb ausgedehnte) Einzelstrikes, nur 357 oder 27,72 Proz.
Gruppenstrikes, die in 24 Fällen über 50 Betriebe umfaßten.
In Oesterreich waren 45 oder 14,47 Proz. aller Gruppenstrikes
und 266 oder 85,53 Proz. aller Einzelstrikes. Auf eine Arbeitseinstellung
entfallen dort etwa 176 strikende Arbeiter.
Der uns vorliegende statistische Band suchte auch festzustellen,
wieweit Einzel- resp. Gruppenstrikes vollständige oder unvollständige
Strikes waren, wie viel Strikende, wie viel gezwungen Feiernde auf
diese verschiedenen Kategorien fallen. Wir wollen hier nicht darauf
eingehen.
Um ein Bild davon zu geben, wie sich die Strikenden auf div
28 deutschen Großstädte verteilen, hat man die Zahl der Strikenden
in den betreffenden Städten den, nach der Zählung von 1895 in den-
selben ermittelten gewerbsthätigen Gehilfen und Arbeitern gegenüber-
gestellt. Danach steht Krefeld in erster Linie, da 10,54 Proz. aller
seiner Arbeiter strikten, dann folgt Halle mit 7,65 Proz., Leipzig mit
5,67 Proz., Berlin mit 4,98 Proz., Elberfeld 4,46 Proz. u. s. w. Am
günstigsten stehen Straßburg und Dortmund da, die überhaupt keine
Strikenden hatten, Danzig mit 0,20 Proz., Chemnitz, diese bedeutende
Industriestadt, mit nur 0,25 Proz., Hannover mit 0,29 Proz. u. s. f.
Interessant sind die Mitteilungen des uns beschäftigenden Bandes
in Bezug auf die Beteiligung von Arbeitervereinigungen (Gewerkschaf-
ten etc.) an der Vorbereitung und Durchführung von Strikes, allerdings
sind die Angaben darüber mit etwas Vorsicht aufzunehmen Strikes
mit Beteiligung von Berufsvereinigungen sind im Jahre 1899 744 ge-
zählt worden, darunter 451 Einzelstrikes und 293 Gruppenstrikes, wäh-
rend die übrigen 544 Strikes unabhängig von Berufsvereinigungen be-
gonnen und durchgeführt wurden. Von allen 471 auf das Baugewerbe
entfallenden beendeten Strikes sind 57,1 Proz. mit und 42,9 Proz. ohne
Intervention von Berufsvereinigungen ins Werk gesetzt worden. Für
die Strikes in der Industrie der Holz- und Schnitzstoffe stellt sich
dieses Verhältnis wie 64,9 Proz. zu 35 Proz., in der Metallindustrie
wie 70,0 zu 30,0, in der Textilindustrie wie 50,0 Proz. zu 50,0 Proz.
In allen Gewerben, die in die Strikebewegung hineingezogen wurden,
Miszellen. 687
waren auch Berufsvereinigungen beteiligt gewesen, abgesehen von der
Gruppe der Kunst- und Handelsgärtnerei, sowie des Beherbergungs-
und Erquickungsgewerbes, die ja überhaupt nur in geringem Maße an
den Strikes teilnahmen.
Nun noch einige Angaben in Bezug auf die Dauer der Strikes.
133 oder 10,33 Proz. aller dauerten weniger als 1 Tag
439 » 3408 „ ” r 1— 5 Tage
I91 ,, 14,83 „ e fe 6— 10 „
182 „ 14,18 „ D 5 II — 20 „
106 ,, 8,23 , Pr i 2I— 30 „
105 „ 8,15 „ F ze 31— 50 „
94 » 7,30 » a D 51—100
38 „ 2,95 101 u. mehr Tage
Von den Strikes mit einer Dieser über 100 Tage entfielen 16 auf das
Baugewerbe, 7 auf die Metallverarbeitung, je 4 auf die Textilindustrie
und die Industrie der Holz- und Schnitzstoffe etc. Die österreichische
Erhebung hatte in Bezug auf die Dauer der Strikes folgende Ergeb-
nisse. Nach ihr dauerten 54,66 Proz. aller Ausstände 1—5 Tage,
26,37 Proz. 6—25 Tage, über 100 Tage währten nur 0,96 Proz. der
Strikes, die durchschnittliche Dauer betrug dort 14 Tage.
Was die aktive Beteiligung der Arbeiter an den beendeten Strikes
anlangt, so hatten die Arbeit eingestellt:
bei 78 Strikes oder 6,06 Proz. aller 2— 5 Arbeiter
» DÉI » 5, ASE, ye e 6— 10 w
an, 262 ai ep 20,36, a D II— 20 s
en, SET Lis „ 16,61 „ Ss 21— 30
» 189 4 se TARE on D 31— 50
» 70 à „ 1320 a fs 51—100
102 „ n 7,92 » „ IOI—200 oe
Dr 5; 5 4,66 » " 201—500 o
0 va a 279 aw a SOL gt mehr „
Die Forderungen der Strikenden hat man, wie oben erwähnt, in
drei Gruppen geschieden, je nachdem sie sich auf Arbeitslohn, Arbeits-
zeit oder andere Gegenstände beziehen. Im Jahre 1899 gehörten die
Forderungen vorwiegend der ersten Gruppe an, nämlich in 1126 Fällen;
Forderungen hinsichtlich der Arbeitszeit wurden 379mal erhoben, die
übrigen zur dritten Gruppe zählenden 596mal. Am häufigsten wurde
eine Erhöhung der Stunden-, Tage-, Wochen- und Accordlöhne ange-
strebt und zwar in 820 Fällen, nur in 67 handelte es sich um die
bloße Aufrechterhaltung der bisherigen Arbeitslöhne, 275mal wurde von
den Strikenden auf eine Verkürzung der Arbeitszeit hingearbeitet, 23mal
auf die vollständige Abschaffung von Ueberstunden. Die übrigen Forde-
rungen bezogen sich meist auf die Wiederanstellung entlassener Ar-
beiter, nämlich in 153 Fällen; in 34 Fällen suchten die Strikenden die
Entfernung von Vorgesetzten zu veranlassen. In Oesterreich zielten
die meisten Forderungen, 217, auf Verbesserung der Lohnverhältnisse
hin, 122 richteten sich auf die Arbeitszeit, 169 auf sonstige Forde-
rungen, vor allem in Bezug auf die Dienstverhältnisse.
Von sämtlichen im Jahre 1899 zur Erledigung gelangten Strikes
endeten für die Strikenden mit vollem Erfolg 331 mit 18699 Striken-
688 Miszellen.
den in 2092 Betrieben, mit teilweisem Erfolg 429 mit 51 835 Strikenden
in 8853 Betrieben, ohne Erfolg 528 mit 28804 Strikenden in 1176 Be-
trieben. Es hatten also die Strikenden vollen Erfolg in 25,7 Proz. aller
Strikes mit 18,8 Proz. aller Strikenden und 29,4 Proz. aller betroffenen
Betriebe, teilweisen Erfolg in 33,3 Proz. aller Strikes mit 52,2 Proz.
aller Strikenden und 54,1 Proz. aller betroffenen Betriebe, keinen Erfolg
in 41,0 Proz. aller Strikes mit 29,0 Proz. aller Strikenden und 16,5 aller
betroffenen Betriebe. Von je 100 der in die betreffenden Kategorien
fallenden Strikes brachten den Beteiligten
vollen teilweisen keinen
Erfolg Erfolg Erfolg
Angriffsstrikes 24,6 37,6 37,5
Abwehrstrikes 29,7 17,1 53,2
In Oesterreich hatten die Ausständigen in 48 Fällen vollen Erfolg, in
123 Fällen teilweisen und in 140 gar keinen.
Von den vollständigen Einzel- und Gruppenstrikes in Deutschland
endeten für die Strikenden mit vollem Erfolg 42,0 Proz. der Fälle, mit
teilweisem 29,3 Proz. und ganz zurückgewiesen wurden die Forderungen
in 28,7 Proz. Aus den Angaben ist ersichtlich, daß die unvollständigen
Strikes, in denen keine Gewerbegruppe ganz strikte, am wenigsten Er-
folge erzielten. Wollen die Arbeiter etwas erreichen, so müssen sie
solidarisch vorgehen, sonst können sie auf keine Erfolge rechnen. Aus
den vorliegenden statistischen Angaben geht ferner hervor, welchen
wirksamen Einfluß die Arbeiterorganisationen in Bezug auf den Strike-
ausfall haben. Nur 34,0 Proz. aller Strikes mit Intervention von Be-
rufsvereinigungen blieben ganz ohne Resultat, 41,0 Proz. setzten ihre
Ansprüche teilweise durch. Diesen Zahlen sind die der von Berufs-
vereinigungen unabhängigen Strikes gegenüber zu stellen, die in 50,5 Proz.
aller Fälle resultatlos verliefen, in 22,8 Proz. einen teilweisen Erfolg zu
verzeichnen hatten. Hinsichtlich der Strikes mit vollem Erfolg stehen
sich diese beiden Kategorien allerdings mit 25,0 Proz. zu 26,7 Proz.
gegenüber, Die Thatsachen verhalten sich so, daß Einzelstrikes mit
Intervention von Arbeiterorganisationen erfolgreicher sind als ohne
solche Unterstützung, Gruppenstrikes dagegen eher, wenn sie unabhängig
dastehen.
Von den in 820 Fällen gestellten Forderungen auf Lohnerhöhun
wurden 228, also 27,8 Proz. aller dahingehenden Forderungen, voll-
ständig, 287 oder 35,0 Proz. nur teilweise und 305 oder 37,2 Proz.
überhaupt nicht durchgesetzt, während die 275mal angestrebte Verkür-
zung der Arbeitszeit 116mal oder in 42,2 Proz. der Fälle in vollem
Umfang, 5lmal oder in 18,5 Proz. teilweise und 108mal oder in 39,3 Proz.
der Fälle gar nicht erreicht wurde.
In Oesterreich hatten von den 197 auf Lohnerhöhung hinzielenden
Strikes 41 vollständigen Erfolg, 84 teilweisen und 72 gar keinen, in
25 Fällen konnte der Ausgang nicht ermittelt werden. Von den Strikes
in Bezug auf Verkürzung der Arbeitszeit setzten 34 ihre Forderungen
ganz durch, 23 nur teilweise und 42 gar nicht. In Bezug auf 14 Fälle
ist das Resultat unbekannt. Sonstige Forderungen wurden 45mal mit
Miszellen. 689
vollständigem Erfolg geltend gemacht, 33mal mit teilweisem und 65mal
wurden die Forderungen nicht bewilligt. In 19 Pallen blieb der Aus-
gang unermittelt Da zuweilen bei einem Ausstand verschieden-
artige Forderungen gestellt werden, so deckt sich die Zahl der Forde-
rungen nicht ganz mit der Zahl der Strikefälle.
Sehr bedeutsam ist die, in dem vorliegenden Band gemachte Fest-
stellung über die Zahl der durch die Strikes kontraktbrüchig Gewor-
denen. Danach waren von der 99338 Arbeiter umfassenden Höchst-
ziffer der Strikenden nach amtlicher Zählung 71968 oder 72,5 Proz.
aller bei Ausbruch des Strikes zur sofortigen Arbeitsniederlegung be-
rechtigt, 27 345 oder 27,5 Proz. dagegen kontraktbrüchig geworden. Sämt-
liche Strikenden waren kontraktbrüchig in den preußischen Regierungs-
bezirken Köslin und Oppeln, in dem bayerischen Regierungsbezirk Ober-
pfalz, im badischen Kreis Heidelberg u. s. w. Es handelte sich dabei
um 15 Strikefälle mit zusammen 929 aktiv beteiligten Arbeitern. Da-
gegen waren in den Regierungsbezirken Königsberg, Marienwerder, im
Herzogtum Oldenburg, den beiden Mecklenburg etc. gar keine Kontrakt-
brüchigen unter den Strikenden. Auch in der Stadt Berlin, der Provinz
Posen, Hamburg etc. befanden sich wenig Kontraktbrüchige, um so
mehr im Schwarzwaldkreis, in Elsaß-Lothringen u. s. f.
Unsere Statistik giebt uns auch darüber Auskunft, wie sich die
Kontraktbrüchigen auf die verschiedenen Gewerbegruppen verteilen.
Wir bemerken hier nur, daß in dem Beherbergungs- und Erquickungs-
gewerbe alle Strikenden kontraktbrüchig waren, im Bergbau, Hütten-
und Salinenwesen fast alle. Etwa die Hälfte in der chemischen und
der Textilindustrie. Im Handelsgewerbe, im Baugewerbe und in der Leder-
industrie ist die Zahl der Kontraktbrüchigen dagegen eine sehr geringe.
Jedoch sind aus den Angaben bezw. Kontraktbruches resp. berechtigter
Arbeitsniederlegung ohne weiteres keine sicheren Schlüsse zu ziehen,
denn aus den Tabellen ist nicht ersichtlich, ob in den Gegenden resp.
Gewerbearten ohne Kontraktbruch die Kündigungsfrist eingehalten wurde
oder gar keine Kündigungsfrist bestand.
Schließlich sei noch erwähnt, daß in 50 zur Erledigung gebrachten
Strikefällen das Gewerbegericht in Gemäßheit der Së 61—69 des
Reichsgesetzes, betreffend die Gewerbegerichte vom 29. Juli 1890 als
Einigungsamt thätig gewesen ist. Es geschah dies in Preußen in 35 Fällen,
in Bayern in 3 Fällen, in Hessen in 5 Fällen u. s. f. In die Textil-
industrie fallen davon 6, in das Baugewerbe 29 etc. In Oesterreich
wurde in sehr vielen Fällen von staatlichen Behörden eine Vermitte-
lungsthätigkeit mit Erfolg durchgeführt.
Die im Berichtsjahr beendeten Strikes führten in 170 Fällen zur
Aurufung der Staatsanwaltschaft, wie weit dieselbe wirklich eingeschritten
ist, konnte noch nicht festgestellt werden. In 256 Fällen wurde ein
Eingreifen der Polizeibehörden notwendig, was aber im allgemeinen nur
in einer Postierung von Schutzleuten auf der Arbeitsstelle, auf Bahn-
höfen u. s. w. bestand.
Man hat den Gesamtverlust an Arbeitslohn aus Anlaß von Strikes
Dritte Folge Bd, XXI (LXXVI). 44
688 Miszellen.
den in 2092 Betrieben, mit teilweisem Erfolg 429 mit 51 835 Strikenden
in 3853 Betrieben, ohne Erfolg 528 mit 28 804 Strikenden in 1176 Be-
trieben. Es hatten also die Strikenden vollen Erfolg in 25,7 Proz. aller
Strikes mit 18,8 Proz. aller Strikenden und 29,4 Proz. aller betroffenen
Betriebe, teilweisen Erfolg in 33,3 Proz. aller Strikes mit 52,2 Proz.
aller Strikenden und 54,1 Proz. aller betroffenen Betriebe, keinen Erfolg
in 41,0 Proz. aller Strikes mit 29,0 Proz. aller Strikenden und 16,5 aller
betroffenen Betriebe. Von je 100 der in die betreffenden Kategorien
fallenden Strikes brachten den Beteiligten
vollen teilweisen keinen
Erfolg Erfolg Erfolg
Angriffsstrikes 24,6 37,6 37,5
Abwehrstrikes 29,7 17,1 53,2
In Oesterreich hatten die Ausständigen in 48 Fällen vollen Erfolg, in
123 Fällen teilweisen und in 140 gar keinen.
Von den vollständigen Einzel- und Gruppenstrikes in Deutschland
endeten für die Strikenden mit vollem Erfolg 42,0 Proz. der Fälle, mit
teilweisem 29,3 Proz. und ganz zurückgewiesen wurden die Forderungen
in 28,7 Proz. Aus den Angaben ist ersichtlich, daß die unvollständigen
Strikes, in denen keine Gewerbegruppe ganz strikte, am wenigsten Er-
folge erzielten. Wollen die Arbeiter etwas erreichen, so müssen sie
solidarisch vorgehen, sonst können sie auf keine Erfolge rechnen. Aus
den vorliegenden statistischen Angaben geht ferner hervor, welchen
wirksamen Einfluß die Arbeiterorganisationen in Bezug auf den Strike-
ausfall haben. Nur 34,0 Proz. aller Strikes mit Intervention von Be-
rufsvereinigungen blieben ganz ohne Resultat, 41,0 Proz. setzten ihre
Ansprüche teilweise durch. Diesen Zahlen sind die der von Berufs-
vereinigungen unabhängigen Strikes gegenüber zu stellen, die in 50,5 Proz.
aller Fälle resultatlos verliefen, in 22,8 Proz. einen teilweisen Erfolg zu
verzeichnen hatten. Hinsichtlich der Strikes mit vollem Erfolg stehen
sich diese beiden Kategorien allerdings mit 25,0 Proz. zu 26,7 Proz.
gegenüber. Die Thatsachen verhalten sich so, daß Einzelstrikes mit
Intervention von Arbeiterorganisationen erfolgreicher sind als ohne
solche Unterstützung, Gruppenstrikes dagegen eher, wenn sie unabhängig
dastehen.
Von den in 820 Fällen gestellten Forderungen auf Lohnerhöhung
wurden 228, also 27,8 Proz. aller dahingehenden Forderungen, voll-
ständig, 287 oder 35,0 Proz. nur teilweise und 305 oder 37,2 Proz.
überhaupt nicht durchgesetzt, während die 275mal angestrebte Verkür-
zung der Arbeitszeit 116mal oder in 42,2 Proz. der Fälle in vollem
Umfang, 5lmal oder in 18,5 Proz. teilweise und 108mal oder in 39,3 Proz.
der Fälle gar nicht erreicht wurde.
In Oesterreich hatten von den 197 auf Lohnerhöhung hinzielenden
Strikes 41 vollständigen Erfolg, 84 teilweisen und 72 gar keinen, in
25 Fällen konnte der Ausgang nicht ermittelt werden. Von den Strikes
in Bezug auf Verkürzung der Arbeitszeit setzten 34 ihre Forderungen
ganz durch, 23 nur teilweise und 42 gar nicht. In Bezug auf 14 Fälle
ist das Resultat unbekannt. Sonstige Forderungen wurden 4ömal mit
Miszellen. 689
vollständigem Erfolg geltend gemacht, 33mal mit teilweisem und 65mal
wurden die Forderungen nicht bewilligt. In 19 Fällen blieb der Aus-
gang unermittelt. Da zuweilen bei einem Ausstand verschieden-
artige Forderungen gestellt werden, so deckt sich die Zahl der Forde-
rungen nicht ganz mit der Zahl der Strikefälle.
Sehr bedeutsam ist die, in dem vorliegenden Band gemachte Fest-
stellung über die Zahl der durch die Strikes kontraktbrüchig Gewor-
denen. Danach waren von der 99338 Arbeiter umfassenden Höchst-
ziffer der Strikenden nach amtlicher Zählung 71 968 oder 72,5 Proz.
aller bei Ausbruch des Strikes zur sofortigen Arbeitsniederlegung be-
rechtigt, 27 345 oder 27,5 Proz. dagegen kontraktbrüchig geworden. Sämt-
liche Strikenden waren kontraktbrüchig in den preußischen Regierungs-
bezirken Köslin und Oppeln, in dem bayerischen Regierungsbezirk Ober-
pfalz, im badischen Kreis Heidelberg u. s. w. Es handelte sich dabei
um 15 Strikefälle mit zusammen 929 aktiv beteiligten Arbeitern. Da-
gegen waren in den Regierungsbezirken Königsberg, Marienwerder, im
Herzogtum Oldenburg, den beiden Mecklenburg etc. gar keine Kontrakt-
brüchigen unter den Strikenden. Auch in der Stadt Berlin, der Provinz
Posen, Hamburg etc. befanden sich wenig Kontraktbrüchige, um so
mehr im Schwarzwaldkreis, in Elsaß-Lothringen u. s. f.
Unsere Statistik giebt uns auch darüber Auskunft, wie sich die
Kontraktbrüchigen auf die verschiedenen Gewerbegruppen verteilen.
Wir bemerken hier nur, daß in dem Beherbergungs- und Erquickungs-
gewerbe alle Strikenden kontraktbrüchig waren, im Bergbau, Hütten-
und Salinenwesen fast alle. Etwa die Hälfte in der chemischen und
der Textilindustrie. Im Handelsgewerbe, im Baugewerbe und in der Leder-
industrie ist die Zahl der Kontraktbrüchigen dagegen eine sehr geringe.
Jedoch sind aus den Angaben bezw. Kontraktbruches resp. berechtigter
Arbeitsniederlegung ohne weiteres keine sicheren Schlüsse zu ziehen,
denn aus den Tabellen ist nicht ersichtlich, ob in den Gegenden resp.
Gewerbearten ohne Kontraktbruch die Kündigungsfrist eingehalten wurde
oder gar keine Kündigungsfrist bestand.
Schließlich sei noch erwähnt, daß in 50 zur Erledigung gebrachten
Strikefällen das Gewerbegericht in Gemäßheit der Së 61—69 des
Reichsgesetzes, betreffend die Gewerbegerichte vom 29. Juli 1890 als
Einigungsamt thätig gewesen ist. Es geschah dies in Preußen in 35 Fällen,
in Bayern in 3 Fällen, in Hessen in 5 Fällen u. s. f. In die Textil-
industrie fallen davon 6, in das Baugewerbe 29 etc. In Oesterreich
wurde in sehr vielen Fällen von staatlichen Behörden eine Vermitte-
lungsthätigkeit mit Erfolg durchgeführt.
Die im Berichtsjahr beendeten Strikes führten in 170 Fällen zur
Aurufung der Staatsanwaltschaft, wie weit dieselbe wirklich eingeschritten
ist, konnte noch nicht festgestellt werden. In 256 Fällen wurde ein
Eingreifen der Polizeibehörden notwendig, was aber im allgemeinen nur
in einer Postierung von Schutzleuten auf der Arbeitsstelle, auf Bahn-
höfen u. s. w. bestand.
Man hat den Gesamtverlust an Arbeitslohn aus Anlaß von Strikes
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI), 44
690 Miszellen.
auf 4300000 M. veranschlagt; eine Summe, die nur ungefähr an-
genommen ist, der deshalb kein großes Gewicht beigelegt werden kann.
Machen wir nun noch einige Angaben über die Aussperrungen im
Jahr 1899. Es waren im Deutschen Reich deren 28 zu verzeichnen.
Von den 23 noch während des Berichtsjahres wieder aufgehobenen
Aussperrungen wurden im ganzen 427 Betriebe betroffen, in denen
8290 Arbeiter, darunter 408 jugendliche (unter 21 Jahren) bei Beginn
der Aussperrung beschäftigt waren. Nur in 8 Fällen betraf die Aus-
sperrung den Gesamtbetrieb, in den übrigen beschränkte sie sich auf
einzelne Beschäftigungsarten innerhalb desselben, denen zusammen
3486 Arbeiter, darunter 44 Personen unter 21 Jahren angehört hatten.
Ausgesperrt wurden im ganzen 5298 Personen, darunter 219 jugendliche
Arbeiter. Von den Ausgesperrten waren 5236 oder 98,8 Proz. ohne
Verletzung der Kündigungsfrist, 62 oder 1,2 Proz. dagegen mit Ver-
letzung derselben von der Weiterarbeit ausgeschlossen. Außerdem
wurden 1728 infolge der Aussperrungen unfreiwillig Feiernde gezählt.
Die bedeutendsten Aussperrungen waren diejenigen von Maurern in
Bauunternehmungen Berlins, Charlottenburgs, Steglitz ete., von Stein-
metzen in Dresden, Pirna, Neundorf etc., die Roßlederfabrik in Wilster
sperrte 268 Arbeiter aus, die Eisengießereien in Torgelow 248 in 8 Be-
trieben. In 17 Fällen suchten die Arbeitgeber auf der Aufrechterhaltung
der bisherigen Löhne und zwar in 7 Fällen gleichzeitig unter Beibehaltung
der bisherigen Arbeitszeit zu bestehen, in 2 Fällen wollten sie die
Lohnsätze herabdrücken, in einem Fall auch die Arbeitszeit verlängern.
8 Fälle waren für die Arbeiter erfolglos, 9 hatten teilweisen, 6 voll-
ständigen Erfolg. 11 Aussperrungen sind durch Intervention von Berufs-
vereinigungen in die Wege geleitet und durchgeführt worden; in 5 Fällen
brachte das Gewerbegericht eine Einigung zustande.
Eine große Anzahl von Arbeitern wurde den 2. Mai von der
Arbeit ausgeschlossen, weil sie unerlaubterweise am 1. gefeiert hatten,
diese hat unsere Statistik nach Beschäftigungsart und -ort geordnet
in einer besonderen Tabelle dargestellt.
In Oesterreich kamen im Jahre 1899 nur 5 Aussperrungen vor,
wobei die Hauptursachen die Maifeier, sowie die Solidarität der Arbeit-
geber gegen die Strikebewegung gebildet haben. Diese 5 Aussperrungen
betrafen 38 ‘Betriebe mit 5671 Beschäftigten und 3457 Ausgesperrten.
Eine der Aussperrungen erstreckte sich auf 30 Betriebe, eine auf 5
und die übrigen nur auf je einen Betrieb. E. C.
Litteratur. 691
Nachdruck verboten.
Litteratur.
VI.
Neuere Litteratur über den Handel.
Besprochen von Dr. A. Wirminghaus, Köln.
1) Cohn, Gustav, Nationalökonomie des Handels und des Ver-
kehrswesens. Ein Lesebuch für Studierende. Stuttgart 1898. VIII,
1030 SS.
2) Roscher, Wilhelm, Nationalökonomik des Handels- und Ge-
werbfleiBes. Ein Hand- und Lesebuch für Geschäftsmänner und
Studierende. 7. vermehrte Auflage, bearbeitet von Wilhelm Stieda.
Stuttgart 1899. XVIII, 1119 SS.
3) van der Borght, R., Handel und Handelspolitik. Leipzig 1900,
XII, 570 SS.
Trotz der vortrefflichen Bearbeitung, welche der Handel und das
Verkehrswesen im Schönberg’schen Handbuch der politischen Oekonomie
sowie im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, namentlich auch in
deren neuen Auflagen erfahren haben, wird man das Erscheinen der drei
obigen Werke, die größtenteils bezw. ausschließlich den kommerziellen
Fragen gewidmet sind, als besonders zeitgemäß bezeichnen dürfen. Die
behandelten Gegenstände stehen teilweise geradezu im Mittelpunkte des
öffentlichen Interesses, und es müssen deshalb neue Lehr- und Lese-
bücher willkommen sein, welche eine abgerundete systematische Dar-
stellung des Stoffes bieten. Cohn behandelt, wie der Titel seines Werkes
besagt, den Handel und das Verkehrswesen, Roscher-Stieda daneben noch
die gewerblichen Fragen, während van der Borght sich ganz auf den
Handel beschränkt. Auch im einzelnen weichen die drei Autoren hin-
sichtlich des Umfanges des Stoffes und der Gliederung desselben er-
heblich voneinander ab. Diese Verschiedenheiten sind, abgesehen davon,
daß sich überhaupt noch keine feststehende Systematik des volkswirt-
schaftlichen Lehrstoffes eingebürgert hat, darauf zurückzuführen, daß
alle drei Werke Teile eines größeren Ganzen darstellen und sich diesem
einfügen mußten. Das Cohn’sche Werk bildet den 3. Band seines
aufs beifälligste aufgenommenen „Systems der Nationalökonomie“, von
44*
692 Litteratur.
welchem der 1. Band, die Grundlegung enthaltend, im Jahre 1885,
und der 2. Band, die Finanzwissenschaft enthaltend, im Jahre 1889 er-
schien. Als Roscher 1894 gestorben war, trat an den Verlag seines
berühmten „Systems der Volkswirtschaft“ die Aufgabe heran, die 5
Bände desselben durch Neubearbeitungen vor dem Veralten zu schützen.
Zunächst erschien der 1. Band: Grundlagen der Nationalökonomie,
bearbeitet von Robert Pöhlmann, dem nunmehr der 3. Band gefolgt
ist, dessen Bearbeitung in die bewährten Hände Stieda’s gelegt wurde.
Das van der Borght’sche Werk endlich bildet einen der zahlreichen
Bände des von Kuno Frankenstein begründeten und von Max von Heckel
fortgesetzten „Hand- und Lehrbuchs der Staatswissenschaften“, zu dem
van der Borght früher bereits den Band über das Verkehrswesen bei-
gesteuert hat, welcher bei seinem Erscheinen im Jahre 1894 allgemeinem
Interesse begegnete.
Wir haben es also in allen drei Fällen mit Männern zu thun, deren
wissenschaftliche Richtung und Arbeitsweise genugsam bekannt sind,
und deshalb auch einer kritischen Würdigung an dieser Stelle kaum
bedürfen. Indessen mag doch ausgesprochen werden, daß die obigen
Werke, abgesehen von ihrem streng wissenschaftlichen Gepräge, hin-
sichtlich der Gesamtauffassung der wirtschaftspolitischen Fragen im
wesentlichen übereinstimmen, eine Auffassung, welche auf der Ueber-
zeugung beruht, daß die gegenwärtige, unter dem Einfluß der ge-
steigerten Kapitalmacht, der vervollkommneten Verkehrsmittel und der
immer weiteren Verbreitung des genossenschaftlichen Gedankens stehende
Entwickelung unserer wirtschaftlichen Verhältnisse zu neuen Gestaltungen
führt, die trotz einzelner Härten dem allgemeinen Fortschritt dienen.
Dieser gesunde, abgeklärte Optimismus steht in erfreulichem Gegensatz
zu anderen Richtungen, welche zur Zeit nicht ohne Erfolg im öffent-
lichen Leben nach Einfluß ringen. Jene wirtschaftspolitische Gesamt-
tendenz darf aber hier um so mehr mit Genugthuung hervorgehoben
werden, als alle drei Werke Lehrzwecken dienen, indem Cohn das seinige
ausdrücklich für „Studierende“ bestimmt, Roscher daneben bekanntlich
auch für „Geschäftsmänner“ geschrieben hat und van der Borght be-
sonders betont, daß er sich der möglichsten Gemeinverständlichkeit der
Sprache befleißigt habe, wenngleich ihm der sogenannte „wissenschaft-
liche Stil“ bequemer sei. Am lebhaftesten kommt die fortschrittliche
Auffassung bei Cohn zur Geltung; wesentlich zurückhaltender ist van
der Borght, welcher nach meiner Empfindung namentlich bei der Be-
urteilung der Detailhandelsfragen den zur Zeit in vielen Kreisen unseres
Kleinbürgertums herrschenden reaktionären Tendenzen zu weit entgegen-
kommt. Stieda hat seine Aufgabe im Geiste Roscher's mit bestem Er-
folge gelöst. Die allgemeine Richtung, welche in seiner bekannten
Stellungnahme zur Handwerkerfrage Ausdruck findet, tritt auch bei den
übrigen Ergänzungen des Roscher’schen Bandes bestimmend hervor.
Cohn bespricht nach einer allgemeinen Einleitung, welche u. a.
eine lehrreiche Erörterung über die Bedeutung der sogen. Handels-
wissenschaft enthält, die Entwickelung des Handels in der Geschichte,
die öffentlichen Veranstaltungen im Dienste des Handels, die Organisations-
Litteratur. > 693
formen und die Elemente desselben, den Börsenhandel und die Fragen
der äußeren Handelspolitik. Es folgen sodann das Bank-, Versicherungs-
und Verkehrswesen, wobei wiederum einmal die geschichtliche Ent-
wickelung, und sodann das Wesen und die verschiedenen Arten dieser
Zweige des Wirtschaftslebens, beim Verkehrswesen auch die Oekonomik
der einzelnen Verkehrsmittel zur Erörterung gelangen. Die Vorzüge,
welche die Kritik bei den beiden früheren Bänden von Cohn’s Systems
rühmen konnte, der lebendige Stil und die anschauliche Darstellung
sind auch dem neuen Bande eigen. Es liegt dem Verfasser allerdings
weniger an einer gleichmäßigen Ausführlichkeit in der Behandlung der
einzelnen Fragen, als an der Hervorkehrung namentlich derjenigen
Punkte, welche ihm besonders interessant erscheinen und über welche
er eigene Gedanken vorzubringen hat. Manche Probleme werden
nur gestreift, einzelnes kommt bei der Darstellung überhaupt zu kurz.
Andererseits ist darauf Bedacht genommen, durch geeignete historische
oder statistische Beispiele die allgemeinen Ausführungen zu erläutern.
So wird auch dieser Band seiner ganzen Anlage nach zwar dem Neuling
in der Wissenschaft manches dunkel lassen, aber seinen ausgesprochenen
Zweck, als „Lesebuch“ für gereiftere Studierende zu dienen, zweifellos
in hohem Maße erfüllen. Auch die entschiedene Betonung des ethischen
Moments bei der Beurteilung der ökonomischen Probleme ist, abgesehen
von der vollen sachlichen Berechtigung dieses Standpunktes, von großem
pädagogischen Wert, wenn man bedenkt, daß die Praktiker unseres
Wirtschaftslebens diesen allgemeinen Gesichtspunkt häufig nur zu sehr
zurücktreten lassen. Auf Einzelheiten des Werkes hier einzugehen,
kann ich mir schon deshalb versagen, weil viele Fragen, so namentlich
die das Börsen- und Bankwesen und das Verkehrswesen betreffenden,
in größeren Specialwerken und Abhandlungen von Cohn in anerkannt
hervorragender Weise behandelt worden sind. In der zur Zeit brennenden
Frage der Konkurrenz der Wasserstraßen und Eisenbahnen nimmt Cohn
bekanntlich einen Standpunkt ein, der ihn in scharfen Gegensatz zu
den entschiedenen Anhängern des Ausbaues unserer Binnenwasserstraßen
stellt, und gerade in diesen Abschnitten seines Werkes weiss Cohn
seine Auffassung mit Lebhaftigkeit und Geschick zu verteidigen, wobei
freilich auch mancher dem neuesten Kanalenthusiasmus kühler gegen-
überstehende Leser die Empfindung haben dürfte, daß Cohn die
fiskalischen Interessen zu sehr in den Vordergrund stellt. Die Behand-
lung dieses Gegenstandes sowie seine Beurteilung der sog. Mittelstands-
politik im Kleinhandel zeigen, daß Cohn auch vor der Erörterung akuter
Tagesfragen nicht zurückschreckt, weshalb ich seine Bemerkung im Vor-
wort, die vorläufige Zurückstellung der Agrar- und Gewerbepolitik habe
auch das für sich, daß auf diesen Gebieten gegenwärtig eine unbehag-
liche Gärung herrsche, der gegenüber man gerne eine wissenschaftliche
Enthaltung beobachte, nicht wohl gelten lassen möchte. Der vorliegende
Band ist aber schon reichlich stark geworden, weshalb Cohn recht
daran thut, den noch rückständigen Teilen seines „Systems“ einen be-
sonderen Band zu widmen. In dem Wunsche, daß derselbe rascher er-
scheinen möge als der dritte, werden sich alle Freunde seines umfang-
reichen Unternehmens vereinigen.
694 Litteratur.
Ueber Stieda’s Neubearbeitung der Roscher’schen National-
ökonomik des Handels- und Gewerbfleißes kann ich mich kurz fassen.
Die Besonderheiten und Vorzüge des Systems Roscher’s sind bekannt.
Auch über dessen allgemeine wissenschaftliche Stellung ist hier kein
Wort zu verlieren. Zweifelhaft könnte es sein, ob bei der Eigenart
der Roscher’schen Darstellungsweise, bei welcher die allgemeinen Aus-
führungen im Texte fortlaufend durch eine Menge von Citaten sowie
von historischen und statistischen Beispielen unterstützt und erläutert
werden, was eine ungewöhnliche Belesenheit und Sammelthätigkeit
voraussetzt, eine dem jeweilig neuesten Stande der Wissenschaft ent-
sprechende Fortführung der Bände auf die Dauer möglich sein wird.
Man muß diese Frage der Zukunft überlassen. Jedenfalls ist an-
zuerkennen, daß Stieda seine Aufgabe, sowohl den Haupttext wie auch
die Anmerkungen zu ergänzen, ohne dem Werke das eigentümliche
Roscher’sche Gepräge zu nehmen, richtig angefaßt hat. Mit Rücksicht
darauf, daß Roscher selbst bei den späteren Auflagen seiner Bände
manchmal zu starr an dem Haupttext festhielt und neuere Forschungs-
ergebnisse, die wohl eine entsprechende Umgestaltung der textlichen
Ausführungen nötig gemacht hätten, in die Anmerkungen verwies, hätte
Stieda hier und da vielleicht weniger konservativ sein können. Im
ganzen aber wird man Art und Inhalt der Stieda’schen Ergänzungen
als durchaus sachgemäß bezeichnen müssen. Die Einteilung des Stoffes
bei Roscher ist völlig beibehalten worden. Dementsprechend finden in
der ersten Abteilung (Handel) auch das Geld- und Kreditwesen, das
Verkehrswesen und das Maßwesen ihren Platz. Die zweite Abteilung
(Gewerbefleiß im engeren Sinne) bringt u. a. auch die Erörterung über
Handelspolitik, unlauteren Wettbewerb u. dergl. Den Schluß bildet der
Bergbau, während der Band durch eine Abhandlung über die Entwickelung
des Städtewesens nach der topographischen, historischen und sozial-
statistischen Seite hin, unter besonderer Berücksichtigung der Wohnungs-
frage, eingeleitet wird. Ueber alle diese verschiedenen Gebiete des
öffentlichen Lebens haben ja im Laufe der letzten Jahre die Gesetz-
gebung, die Verwaltung und die privaten Bestrebungen, nicht minder
auch die amtliche Statistik und die wissenschaftliche Litteratur ein
außerordentlich reiches Material beigebracht, so daß namentlich in den
Abschnitten über das Börsen- und Bankwesen, das Verkehrswesen, die
Handelspolitik und die Gewerbepolitik (Handwerkerfrage, Maßregeln
im Interesse der Industriearbeiter u. s. w.) der kundigen Hand Stieda’s
eine sehr vielseitige Aufgabe zufiel, welche er aufs beste zu lösen ge-
wußt hat. Es bleibt nur zu wünschen, daß die noch ausstehenden Bände
eine gleich gute Fortführung erfahren, damit das beliebte Roscher’sche
System neben den neuen Handbüchern seinen Platz behauptet.
Das Werk van der Borght’s zerfällt in zwei Teile, von denen
der erste dem Handel selbst, der zweite der Handelspolitik gewidmet
ist. Dasselbe trägt wesentlich einen lehrbuchartigen Charakter. Die
einzelnen Unterabteilungen sind dementsprechend recht gleichmäßig und
vollständig ausgearbeitet; nur vereinzelt, so bei dem Kapitel über die
auswärtige Handelspolitik, ist mit Rücksicht auf die sonstige reiche
Litteratur. 695
litterarische Bearbeitung des Gegenstandes eine mehr summarische Be-
handlung desselben vorgezogen worden, obwohl auch dieser Teil sich
dem Ganzen gut anfügt. Anmerkungen sind fast ganz vermieden; dafür
ist der von P. Lippert bearbeitete Litteraturnachweis am Schlusse des
Werkes besonders reichhaltig. Wenn auch das demselben vorangeschickte
Inhaltsverzeichnis den Inhalt der Unterabschnitte wiedergiebt, so wäre
doch eine Hervorhebung der einzelnen Fragen durch Sperrdruck im
Texte sehr wünschenswert gewesen; dieser würde hierdurch bei der
Verschiedenartigkeit der in den Unterabteilungen behandelten Materien
an Uebersichtlichkeit wesentlich gewonnen haben. Im übrigen ist die
ganze Anlage des Werkes eine sehr zweckentsprechende.
Zunächst wird das Wesen des Handels nach der begrifflichen Seite
hin erörtert. Der Verfasser legt hierbei ein besonderes Gewicht auf die
Unterscheidung zwischen dem eigentlichen Handel (bei dem ein Kaufen
zum Zwecke des Wiederverkaufens vorliegt) auf der einen und dem
Handel des Fabrikanten und Handwerkers auf der anderen Seite. Ob
die Bezeichnung jenes eigentlichen Handels als „Kaufmannshandel“ in
Anbetracht der jedem Geschäftsmanne geläufigen Bestimmungen des$ 1
des Handelsgesetzbuches eine besonders glückliche ist, lasse ich dahin-
gestellt. Jedenfalls ist die stärkere Hervorhebung jenes Gegensatzes
berechtigt, um so mehr, als van der Borght diese begrifflichen Unter-
scheidungen im weiteren Verlauf seiner Darstellung, so namentlich in
dem Abschnitt über den Betrieb des Warenhandels, auch sachlich weiter
zu verwerten gewußt hat. Fraglich scheint mir dagegen, ob es mit
Rücksicht darauf, daß der Begriff der Handelspolitik allerdings ein weit
umfassenderer ist als der des Handels, nötig war, eine Definition des
„Handels im allgemeinen“ zu geben, dahingehend, daß derselbe „die
Ueberwindung der persönlichen, räumlichen und zeitlichen Trennung des
Konsumenten vom Produzenten“ bedeutet. Mit einer solchen, der An-
schaulichkeit entbehrenden, abstrakten Formulierung dürfte namentlich
in einem Lehrbuche der Sache wenig gedient sein.
Die weiteren Kapitel behandeln die volkswirtschaftliche Bedeutung,
die geschichtliche Entwickelung des Handels, die Gegenstände des Handels-
verkehrs, die menschliche Arbeit im Dienste des Handels, das Kapital,
den Kredit und die Konkurrenz im Handel. Das hierauf folgende um-
fangreiche Kapitel über den Betrieb des Warenhandels (Beschaffung
der Waren, Absatzgewinnung, Bekanntmachung der Waren und Firmen,
Festsetzung und Einziehung der Verkaufspreise, Buchführung) ist be-
sonders deshalb wertvoll, weil van der Borght hier als der erste den
ernstlichen Versuch macht, diesen bisher nur nebenher behandelten
Fragen wissenschaftlich näherzutreten und damit den Grund für eine
Handelsbetriebslehre zu schaffen, deren Fehlen besonders bei der
theoretischen Ausbildung des Kaufmanns zur Zeit sehr empfunden wird.
Hierbei würde auch auf die einzelnen Zweige des Warenhandels ein-
zugehen sein, welche teilweise erhebliche Besonderheiten darbieten. Der
auch von van der Borght besprochene Betrieb des Buchhandels ist
wegen seiner Eigenart schon längst Gegenstand litterarischer Darstellung
gewesen. Auch über andere Handelszweige liegen bekanntlich schon
696 Litteratur,
gute Monographien vor, auf denen weiter gebaut werden könnte.
Einzelnes wird übrigens von van der Borght in anderen Kapiteln be-
reits berührt (Getreidehandel S. 53 f). Den Beschluß des ersten Teiles
bildet eine eingehende Darstellung des Börsenhandels.
Im zweiten Teile wird nach einer einleitenden Abhandlung über
Begriff und Arten der Handelspolitik, sowie über die Organe derselben
zunächst die innere und sodann die äussere Handelspolitik besprochen
und zwar wird hierbei der ersteren eine besondere Aufmerksamkeit ge-
widmet. Unter anderem werden die mannigfachen polizeilichen Be-
schränkungen des Handels (Detailreisen, Hausierhandel, Wanderlager),
die Frage des unlauteren Wettbewerbes, die Verhältnisse im Klein-
handel (Konsumvereine, Warenhäuser) eingehend erörtert. Auch die
Börsengesetzgebung, sowie die sozialen und Bildungsverhältnisse im
Kaufmannsstande finden an dieser Stelle ihre Würdigung.‘ In diesem
Kapitel über die innere Handelspolitik bringt van der Borght wiederum
manches, was in anderen Werken, so auch von Cohn und Roscher-
Stieda nur nebenher oder gar nicht erörtert worden ist. Nicht recht
einzusehen ist, warum van der Borght die innere Handelspolitik aus-
drücklich auf den „Handel im engsten Sinne des Wortes“, also auf den
„Kaufmannshandel“ im Gegensatz zum Fabrik- und Handwerkshandel
beschränken will, da doch auch für diesen manche Fragen der inneren
Handelspolitik eine Rolle spielen, wie z.B. die sozialen und Bildungs-
fragen, der unlautere Wettbewerb u. a m. Mit Recht betont van der
Borght, daß in der Handelspolitik, und zwar sowohl in der inneren wie
in der äußeren, bei Berücksichtigung der Bedürfnisse des Handels von
seiten des Staates die Interessenten der Gesamtheit stets mit in Rech-
nung gezogen werden müssen und führt diesen Gedanken auch im
einzelnen durch. Was die äußere Handelspolitik selbst anbetrifft, so
geben die, wie schon bemerkt, verhältnismäßig kurzen, aber doch mit
hinreichender Specialisierung behandelten Punkte (Handelsbilanz, Zölle,
Handelsverträge u. s. w., endlich Seeschiffahrtspolitik) zu keinen besonderen
Bemerkungen Anlaß.
Dagegen möchte ich zum Schluß noch auf gewisse Einzelheiten der
van der Borght’schen Ausführungen hinweisen, die mir nicht ganz ein-
wandsfrei zu sein scheinen. Sie betreffen speciell den Kleinhandel,
dessen Verhältnisse vom Verfasser besonders eingehend behandelt sind.
Hier bemerkt man eine gewisse Aengstlichkeit bei der Erörterung der
aktuellen Probleme. So läßt sich nach van der Borghts Ansicht
auf die Frage, ob eine berufliche Ueberfüllung im Kleinhandel vorliege,
keine allgemeine Antwort geben (S. 40). Bis jetzt habe noch niemand
die Formel gefunden, nach der man berechnen könnte, wieviel Ein-
wohner mindestens auf einen Kleinhandelsbetrieb entfallen müssen, wenn
die Bedarfsversorgung in der wirtschaftlichsten Weise bewirkt werden
solle, Auch die derzeitige Konkursstatistik ermögliche keinen Schluß
auf die Ueberfüllung, obwohl die von van der Borght selbst (S. 143)
mitgeteilten konkursstatistischen Ziffern schon zu denken geben könnten.
Nach meinem Dafürhalten unterliegt es bei unbefangener Beobachtung
der Verhältnisse namentlich auch in den größeren Städten gar keinem
Litteratur. 697
Zweifel, und wird auch in den Kreisen des Kleinhandels durchaus an-
erkannt, daß sich demselben im Laufe der Zeit viel zu viele, und be-
sonders viele ungeeignete Elemente zugewandt haben und noch zu-
wenden, auch wenn die Statistik wegen ihrer Unvollkommenheit noch
nicht den bündigen ziffernmäßigen Beweis hierfür geliefert haben sollte.
Die Gewerbezählungen haben übrigens ergeben, daß in Preußen die Be-
triebe des Handels und Verkehrs von 1882 bis 1895 um mehr als ein
Drittel, die Geschäfte mit 1—5 Angestellten um 75 Proz., die Ge-
schäfte mit nur 1 Angestellten sogar um 112 Proz. zugenommen haben.
Auch dies ist gewiß beachtenswert. Jedenfalls hätte die Thatsache, daß
die Vermehrung der Kleinhandelsbetriebe der gleichzeitigen Bevölkerungs-
zunahme nicht entspricht, und mit einer vorhandenen Ueberfüllung zu
rechnen ist, ganz anders in den Mittelpunkt der Erörterung gestellt
werden müssen, als dies vom Verfasser geschehen ist. Er hätte dann
vielleicht auch sonstige Fragen, wie z. B. die der Warenhausbesteuerung,
anders angesehen. Auch hier macht sich bei van der Borght eine
gewisse Unentschiedenheit im Urteil geltend Am Anfang der bezüg-
lichen Erörterung (S. 373) wird der Zweck der Warenhaussteuer als
Kampfmittel zu Gunsten der Eleinhändler im Grunde als berechtigt
anerkannt, während im weiterer Verlauf (S. 378) auf das Bedenkliche
dieses Prinzips in beredten Wort: n hingewiesen wird. Schließlich führt
der Verfasser für die stärkere H ‘anziehung der Großbetriebe die beiden
Gesichtspunkte der steuerlichen Leistungsfähigkeit und des Interesses
an den Gemeindeeinrichtungen ins Feld, welche gewiß jeder unbefangene
Steuerpolitiker als richtig gelten lassen wird, mit denen aber doch weder
das neue preußische Gesetz noch überhaupt die Bestrebungen der
Warenhausgegner in Einklang zu bringen sind. Auch Konsumvereine,
Versandgeschäfte und Hausierhandel (S. 155) werden hauptsächlich von
dem Gesichtspunkte aus betrachtet, daß sie dem Kleinhändler das Leben
sauer machen, daß „der Großhandel damit über seine eigentliche Grenze
hinausgreife“, was „im allgemeinen kein erfreulicher Vorgang sei“.
Wesentlich auch vom Standpunkte der Detaillisten glaubt van der
Borght selbst für das Reklamewesen in längeren Ausführungen (S. 194 ff.)
eine Lanze brechen zu sollen. Gewiß ist die Reklame grundsätzlich
durchaus geboten und bringt manchen Nutzen. Aber hat nicht auch
Cohn recht, wenn er (S. 237) sagt, das ganze Reklamewesen, wie es
sich heute darbietet, sei eine wechselseitige Treiberei, selbst der kleinsten
Geschäftsleute, zu ruhelos wachsenden Unkosten?
Die Kleinhandelsfrage sollte nicht vorwiegend von dem Gesichts-
punkte aus betrachtet werden, daß an den bestehenden Verhältnissen
möglichst nicht gerüttelt werden dürfe, sondern von dem eines gesunden
Fortschrittes aus. Ein solcher ist es aber, wenn die mit dem wachsenden
Wohlstande des Landes Hand in Hand gehende Kapitalansammlung
auch dem Kleinhandel zu gute kommt, wenn auch diesem Erwerbs-
gebiete das große Kapital sich zuwendet und so vollkommenere Be-
triebsformen schafft. Der Kleinhandel hat keinen natürlichen Anspruch
darauf, nur mit mäßigem Kapital betrieben zu werden. Er kann sich
auch nicht beklagen, wenn neue Formen der Güterverteilung, durch
698 Litteratur.
welche Großhändler und Fabrikanten den Konsumenten besonders ent-
gegenzukommen glauben, sich neben ihn stellen. Ein Anlaß, hier mit
hemmenden Verwaltungs- und steuerlichen Maßregeln einzugreifen, liegt,
abgesehen von allen grundsätzlichen Bedenken, für den Staat um so
weniger vor, als der Weg der Selbsthilfe, was genossenschaftliche
Organisation, berufliche Vorbildung u. s. w. anbetrifft — von der Ueber-
füllung wurde oben bereits gesprochen — noch keineswege so, wie man
wünschen muß, beschritten worden ist. Es ist zu bedauern, daß sich van
der Borght nicht entschiedener auf diesen fortschrittlichen Standpunkt,
wie er auch von Cohn ($ 172 ff.) zum Ausdrucke gebracht worden ist,
gestellt hat. Ich will gerne zugeben, daß er neben der einen Seite der
Frage auch die andere nicht ganz unbeachtet läßt, daß er nebenher
auch auf das Bedenkliche der zur Zeit im Kleinhandel vielfach herrschenden
rückschrittlichen und pessimistischen Auffassungen hinweist. Aber die
Probleme werden doch von dieser Seite nicht fest angegriffen, die Grund-
stimmung scheint mir zu sehr von den Klagen einzelner Handelskammern
und Detaillistenverbände beeinflußt zu sein, deren Aeußerungen doch
mit großer Vorsicht aufzunehmen sind.
Gerade weil ich das van der Borght’sche Lehrbuch im ganzen sehr
schätze, habe ich mir erlaubt, eine gegensätzliche Auffassung in Bezug
auf einzelne Punkte zum Ausdrucke zu bringen. Vielleicht veranlaßt dies
den Verfasser zu einer Nachprüfung seiner Ausführungen gelegentlich
der späteren Auflagen, die das Werk bei seinen großen Vorzügen
zweifellos erleben dürfte.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. (699
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
L Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Dr. Fritz Demuth, F. Th. v. Bernhardi. Ein Beitrag zur Ge-
schichte der Nationalökonomie im 19. Jahrhundert. Jena (Fischer) 1900.
68 SS.
Die vorliegende Schrift ist so verdienstlich, wie eine litterar-
historische Monographie über einen verstorbenen Gelehrten nur über-
haupt sein kann, und zwar schon deswegen, weil sie eine bisher wohl
auch in nationalökonomischen Werken oft nebenher genannte (S. 45),
aber wenig beachtete und noch seltener zum Gegenstande des Studiums
gemachte, höchst bedeutende Persönlichkeit an den ihr gebührenden
Platz stellen will. Vor allem interessiert die Darstellung der ein-
schneidenden und siegreichen Kritik, die B. an Smith und seiner Schule
übt, einer Kritik, in der B. dem großen „Vater der Nationalökonomie“
viel mehr im wahren Sinne gerecht wird, als viele von des letzteren
Nachfolgern und Nachbetern. Dabei tritt Dis Auffassung des Wert-
begriffes als höchst lehrreich hervor. Bis Stellung zur Grundrenten-
theorie wird auf S. 23 ff. charakterisiert.
Groß zeigt sich uns Bernhardi in seiner historischen Auffassung
und in seinen sozialpolitischen Ansichten, die der Verf. treffend im
Zusammenhange mit seinen theoretischen Lehren darstellt (z. B. S. 37,
40, 43). Der eigentliche Gegenstand von Dia Werk: Die Bedeutung
der verschiedenen Größenkategorien des Grunbesitzes, ist heute wieder
höchst aktuell geworden (s. insbesondere S. 36); die vorliegende Schrift
wird hoffentlich alle, die sich mit diesem Thema befassen, veranlassen,
fortan B. nicht mehr unberücksichtigt zu lassen.
Zu Demuth’s Bemerkungen über Fichte und sein Verhältnis zu
B. möchte ich auf ein eben erschienenes Werk hinweisen: Luigi Clerici:
„Le idee economico-sociali di Fichte, Modena 1900“, das in einer deutschen
Zeitschrift nicht ohne lobende Erwähnung bleiben darf.
Gegen den Schluß seiner Schrift behandelt Demuth die Stellung
Bis in und zu der sogenannten deutsch-russischen Schule (S. 50 ff.),
zu F. B. W. Hermann und zur eigentlichen historischen Schule.
700 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Die Darstellung Demut’s ist im wesentlichen gedrängt und doch
das Wichtigste erschöpfend, klar und überzeugend; ich hoffe, daß sie
ihr Ziel erreicht, und Bernhardis Bedeutung zur Geltung bringt im
Interesse seines Namens nicht nur, sondern auch im Interesse der
Wissenschaft, die an ihm nicht achtlos vorübergehen darf.
Schullern.
Adler, A. (Prof. Dr., stellv. Direktor der öffentl. Handelslehr-
anstalt in Leipzig), Leitfaden für den Unterricht in der Handelswissen-
schaft mit besonderer Berücksichtigung der deutschen Gesetzgebung.
5. verbesserte Aufl. Leipzig (Gebhardt) 1900. 159 SS.
Ein Leitfaden für den Unterricht in den Handelswissenschaften
kann nur eine Zusammenfassung von Stoffen sein, die den verschieden-
sten Wissenszweigen und Wissenschaften entnommen sind und lediglich
unter dem Gesichtspunkt dargestellt werden, wieweit ihre Erkenntnis
für den Betrieb und die Beurteilung des Handels förderlich sein kann.
Mag man dabei das Gebiet weiter fassen oder ihm enge Grenzen
stecken, wie der Verf. es thut, wenn er lediglich die allgemeine Handels-
lehre (Handelsbetriebslehre) in seinem Leitfaden vorträgt, immer ist
man darauf angewiesen, die Ergebnisse anderer selbständiger Disciplinen
zu übernehmen; die eigene Arbeit des Schriftstellers beschränkt sich
dann auf zweckmälige Auswahl des Stoffes, die kritische Beurteilung
der Quellen, die systematische Anordnung und die klare Darstellung
des Uebernommenen. In diesen Hinsichten wird man dem vorliegenden
Leitfaden einen erheblichen Wert beimessen können, da er in Knapp-
heit und Klarheit der dargestellten Materien allen zu stellenden An-
forderungen genügt und im einzelnen auf gediegener Sachkenntnis sich
aufbaut.
Aachen. " W. Kähler.
Volkswirtschaftliehe Abhandlungen der badischen Hochschulen. Band V,
Heft 1. Tübingen, Mohr, 1901. gr. 8 IV—88 SS. M. 3,50. (Inhalt: Die Entwicke-
lung des Sparkassenwesens im Großherzogtum Baden), von Fr. Schulte.
Roche, Jul., Les budgets du XIX" siècle et questions diverses. Paris, E. Flam-
marion, 1901. gr. iu-8. 376 pag. fr. 7,50. (Table des matières: Les budgets du
XIX" siècle, — Tablean des budgets depuis Pan 1801 jusquà 1900. — La Banque de
France et la Banque d’Etat. — Le crédit agricole et les caisses d'épargne. — Nécessité
de supprimer l'initiative parlementaire en matière de dépenses (Discours prononcé à la
Chambre des Députés, le 16 mars 1900). — La ligue des contribuables. — Le Creusot
et les grèves. -— La leçon du Creusot. — Contre le socialisme: 1. Le danger du socia-
lisme. 2. L'Etat et l'individu. 3. Une apologie du capital. — L'armée française et
l’armée allemande (Discours prononcé à la Chambre des Députés, le 25 3 1895). — Le
service des deux ans. — Congrès télégraphique. — La liberté d'enseignement, — La
population au AIX" siècle, — Le bi-centenaire de la Prusse.)
Un siècle. Mouvement du monde de 1800 à 1900. Paris, H. Oudin, s. a. (1901).
gr. in-8. XXVI—914 pag. fr. 7,50. (Table des matières: I” partie. Mouvement poli-
tique et économique: L'oeuvre et l'influence de Napoléon, par Mar. Sepet. — Les natio-
nalités, par Etienne Lamy. — Les gouvernements, par H. Joly. — La législation, par
E. Chénon. — Le partage du monde, par R. Pinon. — Les peuples nouveaux, par
(le vicomte) de Meaux, — La guerre, par (le général de division comte) de la Girennerie.
— L'industrie et le commerce depuis un siècle, par (le vicomte) G. d’Avenel. —
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 701
L’homme et la terre cultivée, par Jean Brunhes. — La question sociale au XIX* siècle,
par (le comte) Albert de Mun. — L'église Romaine et les courants politiques du siècle,
par G. Goyau. — II“ partie: Mouvement intellectuel. — III“ partie: Mouvement
religieux.)
Cromwell. Speeches of Oliver Cromwell, 1644—1658. Collected and edited by
Ch. L. Stainer. London, H. Frowde, Oxford University Press Warehouse, 1901. 8.,
cloth. 6/.—.
Hobson, J. A., Social problem, life and work. London, Nisbet, 1901. Roy.-8.
308 pp. 7/.6. -
Robertson, John M., Modern humanists: Sociological studies of Carlyle, Mill,
Emerson, Arnold, Ruskin and Spencer. With an epilogue of social reconstruction. London,
Sonnenschein, 1901. erown-8. 278 pp. 2/.6.
Stubbs, C. W., Pro patria: sermons on special occasions in England and America.
New York, Longmans, Green & C°, 1901. 8. 187 pp. cloth. $ 1,50. (Contents: A
May festival of church and labour. — The health right of the people. — Village
citizenship and religion. — The creed of christian socialism. — etc.)
Mirabelli, R., Relazione al congresso repubblicano di Firenze. Napoli, A. Tocco,
1900. 8. 17 pp.
Tangorra, V., Saggi critici di economia politica. Torino, fratelli Bocca, 1901.
8. 228 pp. 1l 5.—:
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Stieda, Wilhelm und Mettig, Constantin, Schragen der
Gilden und Aemter der Stadt Riga bis 1621. Herausgegeben von der
Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde der Ostseeprovinzen
Rußlands. Riga (Alexander Stieda’s Buchhandlung) 1896.
Seitdem Wilhelm Stieda im Jahre 1876 seine Habilitationsschrift
über die Entstehung des deutschen Zunftwesens veröffentlicht hatte,
hat er dieser Seite deutscher Wirtschaftsgeschichte sein Interesse be-
wahrt und solches dann, durch lokale Umstände unterstützt, auch auf
die Gewerbegeschichte von Liv-, Est- und Kurland übertragen. Die
umständliche aber erfolgreiche Arbeit, aus Archiven, Bibliotheken und
Handwerkerladen, die Schragen zu sammeln und zu sichten, mußte
nach einer 5-jährigen Thätigkeit leider im Jahre 1882 unterbrochen
werden, bis es Stieda gelang, im Jahre 1885 Constantin Mettig, den
Verfasser der „Beiträge zur Geschichte der Rigaschen Gewerbe“ zur
Mitherausgabe des Schragenbuches zu gewinnen.
In dem jetzt vorliegenden stattlichen Bande findet sich als erster
Teil aus der Feder Stieda’s eine Geschichte des Zunftwesens in Riga
von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Bis zum Anfang des
17. Jahrhunderts beruht diese auf der Urkundensammlung des zweiten
Teiles, für die späteren Zeiten auf dem heute schon bekannten Material
gewerbegeschichtlicher Litteratur und gliedert in die Darstellung auch
die gewerblichen Zustände von Reval und Dorpat ein.
Der erste Abschnitt des ersten Teils behandelt Alt-Rigas
gewerbliches Leben. Die älteren Vorschriften von der Handelskonzen-
tration auf den Markt widersprechende Anordnung, daß sich Gewerbe-
treibende einer und derselben Art in der gleichen Straße niederzulassen
hätten — sie ist wahrscheinlich hofrechtlichen Ursprungs, wohl nie
streng durchgeführt, erleichtert aber die Erhebung der Verkaufsab-
gaben und die Bewegung zu größerer Handelsfreiheit — giebt zunächst
Veranlassung, die Rigischen Straßennamen, die von den Benennungen
702 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Gewerbetreibender abgeleitet sind, zu verfolgen. Dann werden die
Stätten des Gewerbebetriebes (dabei u. a. Mühlen, Brauhäuser, Gerber-
häuser, Ziegelhütten, Badestuben, Apotheken) betrachtet, ihre Zahl und
Bedeutung festgelegt und weiter die Stätten, an denen der Verkauf
der dort hergestellten Erzeugnisse vor sich ging. Während in den
abgeschlossenen Handwerkerstraßen gelegentlich nur Gegenstände eines
bestimmten Gewerbes gehandelt werden durften, ist der Mittelpunkt
geschäftlichen Treibens namentlich auch für die Waren, die von außer-
halb kommen, der Markt mit seinen mannigfachen Verkaufsbuden (Brot-
und Fleischscharren, der Fischhalle, dem Butterhaus), die, wenn nicht
auf dem Markt selbst, doch durch Nebenstraßen mit ihm verbunden
waren. Gegen den Ausgang des 15. Jahrhunderts tritt dann neben
dem in diesen Anstalten betriebenen Kleinhandel der Großhandel rege
hervor, mit dem die Talg-, Wachs- und Flachsspeicher, die Therebane
(Platz zur Verpackung und Stapelung des Theers), die im Jahre 1516
zum erstenmal auftretende Heringswrake u. ä. teilweise in einem be-
sonderen Wrackhof in Zusammenhang zu bringen sind. Für Handel
und Gewerbe gemeinsam waren Münze (1498 für 18M., 1503 für 25 M.
Jahresmiete verpachtet), Wage (1487 auf 20 Jahre für 520 M. jährlich
verpachtet) und Zollbude (Vereinnahmung von hansischem Pfundgeld,
Zöllen fremder Kaufleute und etwa der Accise) bestimmt. Endlich
gehören zu gewerblichen Anstalten Bier-, Weinstuben und Gasthäuser.
Der Weinschank war in Riga nicht wie in Hamburg, Lübeck, Wismar
und Elbing ein Monopol des Rates. Als Gasthäuser dienen im Mittel-
alter entweder Stiftungen der Mildthätigkeit für Arme und Kranke (so
die 1435 in Riga errichtete Herberge für obdachlose Reisende, eine Art
Nachtasyl) oder für Bemittelte die Zunftherbergen und die privaten
Unterkünfte bei Geschäftsfreunden (Dolmetschern und Maklern — in
Brügge sind im 15. Jahrhundert die Makler Wirte der Kaufleute). In
Riga erwähnt das Stadtrecht von 1270 an zwei Stellen die Personen, die
als „Wirte“ Leute beherbergen, daneben kommen im 15., 16. und 17. Jahr-
hundert noch öffentliche Herbergen im Stadtbesitz in Betracht.
Der zweite Abschnitt ist den Gewerbetreibenden ge-
widmet, d. h. Personen, die sich berufsmäßig mit der Umformung von
Rohstoffen beschäftigen oder in Dienstleistungen für Handel und Ver-
kehr ihren Unterhalt erwerben. Zuerst stellt da Stieda eine Gewerbe-
statistik Rigas nach dem Rigischen Schuldbuch, den Libri redituum und
den Erbebüchern auf, wobei die verschiedenen Gewerbe zu Gruppen
nach der Art der Durchführung der deutschen Berufs- und Gewerbe-
statistik zusammengefaßt und im Sinne des Mittelalters Arzt und
Rechtsanwalt zu den Gewerbetreibenden gerechnet werden. Dabei ist
zu bedenken, daß bis weit ins 15. Jahrhundert hinein die Handwerker
noch keine Familiennamen führen, und es dürfen deshalb von etwa 1488
an bei der Betrachtung der Verschiebung im gewerblichen Leben nur
die Fälle gewählt werden, wo der Gewerbebetrieb durch Zusatz des-
selben zum Familiennamen zweifellos ist. So sind im 13. Jahrhundert
2. Hälfte bis ins 14. Jahrhundert 2. Hälfte nach dem Schuldbuch 49,
im 14. Jahrhundert 1. Hälfte nach den Libri redituum 29 verschiedene
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 703
Gewerbearten, im 14. Jahrhundert 2. Hälfte 63, im 15. bezw. 16. nur 23,
nach den Erbebüchern im 14. bezw. 15. Jahrhundert 68 und im 15. bezw.
16. Jahrhundert 30 Benennungen nachweisbar. Um nun ein vollstän-
digeres Bild über die Bedeutung der gewerblichen Gliederung und Ar-
beitsteilung in Riga während des 13. und 14. Jahrhunderts zu gewinnen,
stellt Stieda einen Vergleich mit Reval, dann auch mit deutschen Städten
an, und zwar mit Hansestädten — 2 kleinere: Stralsund, Kiel; 2 größere:
Hamburg, Lübeck — und 2 süddeutschen Städten —- Frankfurt a. M.
und Nürnberg. Vor allem zeigt Frankfurt a. M. die stärkste Mannig-
faltigkeit: In Kiel sind 39, in Reval 53, in Nürnberg 96, in Riga 90,
in Stralsund 113, in Hamburg 114, in Lübeck 129, in Frankfurt a. M. 137
verschiedene Gewerbearten erkennbar. Für das 15. Jahrhundert ergiebt
ein Vergleich der gewerblichen Zustände Rigas mit denjenigen der
3 Ostseestädte Reval, Danzig und Lübeck an Gewerbearten: Lübeck 116,
Danzig 82, Reval 73, Riga 142. In den höher entwickelten Gewerbs-
arten steht Riga also hinter Lübeck und Danzig zurück, dagegen ist
seine Gewerbethätigkeit auf dem Gebiet der Verarbeitung und Beschaf-
fung der Rohprodukte mannigfaltiger. Vermutlich hat aus den Hanse-
städten ein starker Strom einwandernder Handwerker sich nach Livland
ergossen, auch aus Thüringen, Westfalen, den Rheingegenden, Holland
und Flandern hat, wie Stieda aus der häufig dem Rufnamen zugesellten
Angabe der Heimat schließt, ein lebhafter Zuzug stattgefunden, und so
blieb Rigas Gewerbewesen stets im Einklang mit den Errungenschaften
der Schwesterstädte des Westens. Zuletzt wird dann die Frage der
Frauenarbeit erörtert. Grundsätzlich ist die Frau bis zum Jahre
1300 nicht von der Teilnahme an der Zunft ausgeschlossen, was aber
geschieht, seitdem die Zünfte aus gewerblichen auch kommunale Ver-
bände werden und rechtliche, politische, militärische und administrative
Funktionen erhalten und die Frau nur noch in eigener Behausung als
Gehilfin des verwandten Meisters thätig ist. Doch kommt in Riga,
Reval, Kiel, Stralsund, Lübeck und Hamburg die Frauenarbeit während
des 14. Jahrhunderts nur auf beschränktem Felde zur Geltung.
Ein dritter Abschnitt behandelt die Organisation der Gewerbe-
treibenden in Aemtern. Die Heilig-Kreuz-Gilde, deren ältestes erhal-
tenes Statut aus dem Jahre 1252 stammt, umfaßt ziemlich alle Berufe
ohne Unterschied und dient vorzugsweise dem Seelenheil ihrer Mit-
glieder. Aus ihr scheiden 1352 die Handwerker, 1354 auch die Kauf-
leute aus und gründen unter Betonung ihrer Erwerbsinteressen mehr
weltlichen Zwecken dienende Kompagnien, die dann allmählich auch poli-
tischen Inhalt erhalten, zunächst aber keinen Zunftzwang kannten. Die
Statuten der Handwerksämter Rigas (es sind die für Befriedigung un-
entbehrlicher Lebensbedürfnisse sorgenden Gewerbe) sind alle aus der
2. Hälfte des 14. Jahrhunderts, aber nur in zeitgenössischen Kopien auf
uns gekommen. Die Bruderschaft der Bierträger, die große Gilde und
Kompagnie der Schwarzen Häupter in Riga weisen den Charakter geist-
licher Bruderschaft auf; letztere, nach dem Schutzpatron strebsamer
Jugend, dem hl. Mauritius, dem christlichen Mohren genannt, vereinigt
die männliche Jugend der Rigischen Aristokratie, der Kreygesche Schragen
704 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
von 1390 gilt für einen Verband der bei dem Bau eines einzelnen be-
stimmten Gebäudes beteiligten Werkleute. Neben diesen Korporationen
erscheinen fast gleichzeitig Gesellenbruderschaften in Riga, nicht, wie
in deutschen Städten oftmals, in bewußtem Gegensatz zu den Meister-
verbänden, sondern lediglich religiösen Bedürfnissen entsprungen. Die
Handwerksämter stehen ganz unter Botmäligkeit des Rates, werden
dann bei der Ordnung gewerblicher Angelegenheiten von diesem häufig
befragt, bis schließlich die aus allen Aemtern gebildete „kleine Gilde“
als Gegengewicht gegen die „große Gilde“ (die Vereinigung der Kauf-
leute) als dritte Körperschaft in das Stadtregiment eintritt.
Der vierte Abschuitt schildert die Verfassung der Aemter
im 14. Jahrhundert. Er geht aus von der häufigen Entlehnung
der Amtsrollen Rigas und anderer Kolonialstädte bei den Statuten der
Handwerksämter des Mutterlandes und namentlich der Hansestädte und
entwirft dann ein Bild von der Verfassung. Alle Grundzüge derselben:
Lehrzeit, Gesellenwesen, Bedingungen für die Gewinnung des Meister-
rechts, Regelung der Arbeitsordnung, Vorstand des Amtes, Versamm-
lungen, Morgensprache, Gerichtsbarkeit, Aufsicht über die Arbeit der
Amtsmitglieder, zeigen eine überlegte Ordnung der gewerblichen Zu-
stände mit Rücksicht auf die Konsumenten; eine Fürsorge für die
Produzenten offenbart sich nicht, sie könnte höchstens in dem freilich
in den Rigischen Schragen nicht ausgesprochenen Zunftzwange erscheinen.
Die Rigische Zunftverfassung des 14. Jahrhunderts weist keine Spur
von einem drückenden Gewerbemonopol auf und bewahrt sich neben
der wirtschaftlichen auch eine gesellige und kirchliche Seite.
Im fünften Abschnitt wird der Aufschwung der Handwerks-
ämter im 16. Jahrhundert verfolgt. Eigentliche Handwerksämter giebt
es am Ende des 15. Jahrhunderts in Riga höchstens 13, während sich
wenigstens 21 für den Ausgang des 16. Jahrhunderts nachweisen lassen,
In dieser Zeit tauchen auch Verbindungen undeutscher Gewerbetrei-
bender auf: Der Gegensatz, der zwischen deutschen und lettischen
Amtsmitgliedern erwuchs, machte die Vereinigung der Letten in be-
sonderen Aemtern zweckmäßig; als das erste derartig organisierte Amt
tritt 1582 das der „unteutschen Schneider“ auf. Daneben haben die
Aemter der dem Handel dienenden Hilfsberufe nach Stieda’s Vermutung
von vornherein nur Personen lettischer Nationalität umfaßt. In Reval
sind für den Ausgang des 16. Jahrhunderts nicht mehr als 13 Aemter
anzunehmen gegen 21 in Riga. Einer Untersuchung der Quellen der
livländischen Schragen erscheint Entlehnung lübischen Zunftrechts glaub-
haft, die Rigischen Hutmacher berufen 1595 Vertreter der Hutmacher-
ämter aus Stettin, Hamburg, Wismar, Rostock und Mölln nach Riga,
die ihnen den Schragen aufsetzen. Bei den Gesellenschaften vermutet
Stieda eine Statutenentlehnung aus einer süddeutschen Stadt, etwa Nürn-
berg, die vielleicht auf Umwegen erfolgt ist. Die Verfassung der Aemter
blieb in ihren Grundzügen unverändert, doch wird ihre Tendenz strenger,
der Arbeitskreis begrenzter, die Bedingungen zur Erlangung der Meister-
schaft werden verschärfter. Aber wenn auch das Riga von 1458 ein
anderes wie das von 1544 ist, und wenn auch die Leiden, die trotz Be-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 705
völkerungszunahme das Gewerbewesen durch Krieg und Unruhe erduldete,
zwecks Erhaltung der Preise zu einer Verringerung der Produktion und
einer Verbesserung ihrer Absatzfähigkeit anleiteten, so blieben die Hand-
werker doch auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit, ja suchten es
gesellschaftlich und geschäftlich den Kaufleuten gleich zu thun. Und
endlich erwuchsen die beiden Gilden, die große oder „die Stube zu
Münster“ (Vereinigung der Kaufleute) und die kleine oder „die Stube
zu Soest“ (Mittelpunkt der verschiedenen Handwerksämter) zu verfas-
sungsrechtlicher Bedeutung. Erst nach den Kämpfen von Jahrzehnten
wird den Rigischen Gilden am 29. April 1604 die volle Anteilnahme
an der gesamten städtischen und finanziellen Verwaltung gesichert.
Der sechste Abschnitt betrachtet den Verfallder Aemter
im 17. Jahrhundert und die Reformbestrebungen. Diese
Epoche ist friedlicher als die voraufgegangene, das im Jahre 1621 das
polnische passive Königtum ablösende Schweden-Regiment bringt für Liv-
land geordnetere Verhältnisse; auf gewerbegeschichtlichem Gebiet einen
immer ausgedehnteren Zunftzwang. An dem Amt der Rigischen Leine-
weber entwickelt Stieda die Signatur der damaligen gewerblichen Verhält-
nisse, kommt weiter auf die Bestrebungen deutscher Städte und Regie-
rungen sowie des Reiches nach einer Reform des Zunftwesens und
besonders auf die zeitlich diesen vorausgehenden Pläne und Vorschläge
nach einer Beseitigung gewerberechtlicher Mißstände in Riga vom Jahre
1661 zu sprechen. Doch die Anregungen verliefen im Sande, selbst
die allgemeine schwedische Gewerbeordnung vom 1. März 1669, die
3 Jahre vor dem für einzelne deutsche Territorien maßgebenden deut-
schen Reichsgutachten vom 3. März 1672 veröffentlicht wurde, schuf
für Riga keinen Wandel. Es herrschte unter den livländischen Juristen
überhaupt Unklarheit, ob die schwedische Skraordnung Landesrecht
geworden sei oder nicht.
Der siebente Abschnitt behandelt die gewerblichen Zu-
stände im 18. Jahrhundert, das unter russischer Herrschaft nur
geringfügige Aenderungen in der "Gewerbeverfassung aufwies. In Riga
wie in Dorpat ängstliche und kleinliche Abgrenzung der gegenseitigen
Handwerksbefugnisse, die häufig zu Rechtshändeln führten. An einem
kleinen noch vorhandenen Etui hatten nach einem Ausgabebeleg vom
Jahre 1705 in Riga Bildhauer, Handschuhmacher, Buchbinder und Uhr-
macher zusammen gearbeitet. Interessant ist, daß Peter d. Gr. durch
Ukas vom 15. Dezember 1720 die Errichtung von Zünften für Rußland
anordnete, wie er sich ja auch nach seinem Ideal der mittelalterlichen
deutschen Stadtverfassung um die Einführung einer Städteordnung be-
mühte. Dasselbe Ziel verfolgte Katharina IL, die sich auf die Schragen
Rigischer Aemter stützte. Allein die Uebertragung der aus Deutschland
übernommenen Einrichtungen in Livland und Estland auf das russische
Gewerbewesen blieb erfolglos, weil ihr alle geschichtlichen Voraussetz-
ungen fehlten.
Der achte Abschnitt ist dem Ende des Zunftwesens
gewidmet und verfolgt die Bestrebungen des 19. Jahrhunderts, das
Zunftwesen der Ostseeprovinzen in zeitgemäßem Sinne umzubilden. , Das
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 45
706 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Handels- und Gewerbesteuerreglement vom 9. Februar 1865 und seine
Einführung durch Patent vom 4. Juli 1866 für die Ostseeprovinzen
hat dem Zunftwesen das Grab gegraben. Die Aemter blieben zwar be-
stehen, aber sie büßten das ausschließliche Recht auf Ausübung der
Gewerbe ein.
Der zweite Teil enthält die Schragen und Verordnungen. Die
ihm von Stieda 1891 übergebene Sammlung von 41 Nummern Rigischer
Handwerkerschragen von 1280—1595 hat Mettig verdreifacht und, wie
er in der Einleitung zu diesem Teil auseinandersetzt, bis zum Jahre
1621, dem Ausgang der drückenden Polenherrschaft und Beginn des
schwedischen Regiments, fortgesetzt. Daneben wurden der Sammlung
auch die Statuten der Gesellenverbände, sämtlicher Gilden, auch der
von Kaufleuten gebildeten, verschiedene Entscheidungen des Rats, auch
die kulturgeschichtlich wertvollen Fastnachtsordnungen einverleibt, wäh-
rend Handel und Brauereiwesen unberücksichtigt blieben. Bei der Methode
der Edition sind als Norm die bei der Herausgabe der Hanserecesse
beobachteten Grundsätze im Auge behalten worden; die Schreibweise
der Schriftstücke bis zum Ende des 16. Jahrhunderts ist vollständig
genau wiedergegeben worden. Den Anhang zu den Rigischen Amts-
und Gildeschragen bilden einzelne auf Gildewesen und Handwerk im
allgemeinen bezügliche Verordnungen und einige für die Reformbestre-
bungen charakteristische Aktenstücke des 17. Jahrhunderts. Beigetügt
ist endlich ein niederdeutsches Glossar und ein Personen- und Orts-
register.
Beiden Verfassern, die das Buch als ihr gemeinsames Werk be-
trachtet wissen wollen, gebührt Dank für das Unternehmen, das unter
großen Schwierigkeiten vollendet wurde. Wenn ich an Stieda’s klarer
und flüssiger Darstellung noch besonders einen wesentlichen Vorzug
anerkennen soll, so ist es die Eingliederung der Zunftgeschichte einer
oder mehrerer Städte in die gesamte gewerbegeschichtliche Entwicke-
lung der zunächst beteiligten Länder, Deutschland, Schweden und Ruß-
land. Der Umstand, daß dabei für die Probleme der Zunftgeschichte
überhaupt wichtige und neue Gesichtspunkte erschlossen worden sind,
macht das Buch zu einer bedeutenden wirtschaftsgeschichtlichen Leistung.
Ich schließe in dieses Urteil gerade auch die Schilderung der Zustände
des 17. und 18. Jahrhunderts, die auf Grund des zur Zeit bekannten
Materials gegeben ist und die Stieda bescheiden nur einen „vorläufig
orientierenden Versuch“ genannt hat, ausdrücklich ein. Je mehr uns
noch immer genügende zusammenhängende Darstellungen dieser wirt-
schaftlich wichtigen Zeit, wo sich aus mittelalterlicher wirtschaftlicher
Gebundenheit und rechtlicher Regellosigkeit allmählich die Freiheit der
Arbeit und die organische rechtliche Regelung losschälte, fehlen, um so
sicherer erweitert sich die beabsichtigte lokalgeschichtliche Orientierung
zu einer allgemein geschichtlichen Pfadfindung. Und wenn dabei, wie
in Stieda’s Darstellung neben und über der statistischen die rechts-
geschichtliche Methode angewandt wird, so bleibt die Gefahr, daß ein
einseitiges und undeutliches, ja willkürliches Bild entstehen könnte, so
gut wie ganz ausgeschlossen. So hat denn Stieda auch nie etwa den
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 707
Verhältnissen einzelner Aemter absolute Giltigkeit beigemessen, aber
doch sich nicht dem Eindruck verschlossen, daß auch auf einem ver-
fassungsgeschichtlichen Sondergebiet die Ideen, die die Verfassung auch
der anderen Institutionen einer Zeit beherrschen, zur Geltung gekommen
sind. Wie vorsichtig er sich gleichwohl wieder vor Verallgemeinerungen
hütet und wie er namentlich unausgesetzt bestrebt ist, den mancherlei
und mannigfaltigen Ursachen wirtschaftlicher Erscheinungen nachzu-
gehen, das wird demjenigen, der auch nur einen Blick in die einander
widersprechenden und häufig so vorschnellen Arbeiten über die Wirt-
schaftsgeschichte des 16. Jahrhunderts geworfen hat, die Schilderung
der gewerblichen Verhältnisse dieser Epoche glänzend erweisen: Da
fehlt neben dem Hinweis auf die Zunahme der Bevölkerung und auf
die mancherlei Leiden des Gewerbewesens auch nicht die Betonung der
Behäbigkeit des Handwerkerstandes und auch nicht die Würdigung
der Bestrebungen, die Produktion zu verringern und ihre Absatzfähig-
keit zu erweitern, ohne daß sofort unsystematisch und unhistorisch eine
Thatsachenreihe aus der anderen abgeleitet würde.
Zugleich ist auch an Constantin Mettig’s Edition nicht allein die
Zuverlässigkeit und Akribie der Edition lobend hervorzuheben, sondern
dankbar ist auch sein niederdeutsches Glossar zu erwähnen, das jedem,
der über diese Gegenden arbeitet, hoch willkommen sein dürfte. Mettig
selbst deutete schon darauf hin, daß das sprachliche Material gegen-
über dem Wörterschatz der Hamburger und Lübecker Schragen manches
Eigenartige aufweist und so auch die Beachtung der Sprachforschung
verdienen dürfte.
Nach alldem ist. wie ich glaube, die Hoffnung der beiden Gelehrten
noch reichlicher erfüllt, als sie das selber erwarteten. Keineswegs allein
den Landsleuten ihrer alten Heimat haben sie einen Dienst geleistet,
vielmehr allen Kreisen, die bis auf die Gegenwart das Andenken an
die Glanzzeiten der Zünfte bewahrt haben, und das sind die Angehörigen
des Handwerkerberufes ebenso wie die verschiedenen Arbeitsrichtungen
allgemein geschichtlicher und besonders wirtschaftlicher und kultur-
geschichtlicher Forschung.
Halle a. S. Theo Sommerlad.
Eckert, Christian, Dr. jur. et phil, Das Mainzer Schiffer-
gewerbe in den letzten 3 Jahrhunderten des Kurstaates. (Staats- und
sozialwissenschaftliche Forschungen, herausgegeben von Gustav Schwoller.
Bd. 16, 3. Heft.) Leipzig (Duncker u. Humblot) 1898.
Der Verfasser erzählt in dem Vorwort, seine Abhandlung über die
Berufsorganisation der Rheinschiffer solle sich in der Hauptsache des-
halb aut die Zeit von 1462 bis 1798 beschränken, weil der Akten-
bestand des Mainzer Stadtarchivs für die frühere Zeit nur spärliche
Ausbeute biete und weil gerade die spätere Entwickelung der Zünfte
gegenüber der Behandlung ihrer Entstehung und Blütezeit von der bis-
herigen Forschung vernachlässigt worden sei. Das wesentliche Moment,
das die Einrichtungen der Spät- und Frühzeit voneinander unterscheide,
liege in den Beziehungen der Zünfte zur Staatsgewalt.
45*
708 Uebersicht über die nenesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
So ist denn der eigentliche Wert der Schrift in der Darstellung
dieser späteren Entwickelung zu erkennen. In 4 Kapiteln verfolgt der
Verfasser die Organisation der Schifferzunft nach der politisch-recht-
lichen und volkswirtschaftlichen Seite, den Schiffahrtsbetrieb und seine
Benutzung, die Zunftorganisation und ihre wesentlichen Einrichtungen
in ihrem Verhältnis zu Publikum und Handwerksgenossen, die Reform-
versuche des 18. Jahrhunderts und die Schifferzunft beim Ausgang der
kurfürstlichen Herrschaft. Verdienstlich ist es auch, daß als Beilagen
bisher ungedruckte 9 Ordnungen mitgeteilt worden sind.
Bedauerlich ist es nun aber, daß der Verfasser sich nicht that-
sächlich der Verheißung seines Vorworts entsprechend auf die spätere
Zeit beschränkt hat, sondern auch allerlei Seitenblicke auf die früh-
mittelalterliche Entwickelung geworfen hat.
Der Verfasser behauptet, er habe versucht, aus der Fülle der Einzel-
erscheinungen ein klares einheitliches Gesamtbild loszulösen. Es scheint
ihm aber unbekannt zu sein, wie wichtig gerade für die mittelalterliche
Wirtschaftsgeschichte die Zeitbestimmung der Begebenheiten ist und
daß von deren exakter Feststellung gerade die Auffassung der Ent-
wickelung wesentlich mit bedingt wird. So begegnen wir auf Schritt
und Tritt höchst verschwommenen Zeitbestimmungen, deren ich nur
einige zusammentragen will. S. 36: „Seit dem frühen Mittel-
alter wurde der Verkehr der Niederlassungen an der Mainmündung
untereinander fast lediglich durch Fähren bewerkstelligt.“ — „Nicht
allzuspät muß sie denn (die Verbindung mit Kassel) an die Mainzer
Erzbischöfe übergegangen sein.“ S. 44: „Mainz hat das Umschlagsrecht
für sich seit dem frühen Mittelalter in Anspruch genommen.“
S.55: „Das Volk hatte wohl seit den Tagen des frühen Mittel-
alters sich genügend Wertvorstellungen erworben.“ S. 78: „Wie am
Oberrhein hat auch in der Mittelrheingegend das Fischergewerbe seit
dem frühen Mittelalter geblüht. In Basel, Straßburg, Worms und
ganz ebenso in Mainz gab es seit alters Leute u. s. w.“
Eine derartige Ungenauigkeit in den Zeitangaben hängt aber damit
zusammen, daß der Verfasser bei seinen mittelalterlichen Streifzügen
nicht auf die primären Quellen zurückgreift, sondern aus zweiter Hand
seine Nachrichten schöpft. Häufig eitiert er da seinen Lehrer Gustav
Schmoller, „der ibn in das Studium der Nationalökonomie eingeführt
hat“, und gelangt so beispielsweise auf S. 4 zu dem bemerkenswerten
Schluß, daß die Eingliederung von Mainz in das Erzstift ein Vorteil
für die Städter war, weil „die freien Reichsstädte des 17. und 18. Jahr-
hunderts den Gipfelpunkt der Mißbildung der mittelalterlichen Selbst-
verwaltung darstellen (vergl. Schmoller, Tucherbuch S. 200)“. Daneben
bleibt häufig die neuere Litteratur unberücksichtigt, ein Mann wie der
alte Ockhart, der ja selber Schiffahrtskommissär war und für die Zeit
des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts wohl als kom-
petenter Beurteiler gelten kann, fungiert auf S. 44 als Quelle für das
frühmittelalterliche Umschlagsrecht von Mainz und auf S. 2 sogar für
die Errichtung der berühmten Rheinbrücke Karls d. Gr. Ich will dem
Verfasser verraten, wo sich die Quelle für jenen Brückenbau findet: in
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 709
Einhards Vita Karoli Magni c. 17, wo die Nachricht also lautet: „Inter
quae (sc. opera) — et pons apud Mogontiacum in Reno quingentorum
passuum longitudinis — nam tanta est ibi fluminis latitudo. Qui tamen
uno antequam decederet anno incendio conflagravit, nec refici potuit
propter festinatum illius decessum, quanquam in ea meditatione esset,
ut pro ligneo lapideum restitueret,“ S. 36 Anm. 6 wird für diesen
Brückenbau auch nicht Einhard, sondern Quetsch, Geschichte des Ver-
kehrswesens am Mittelrhein eitiert, dessen vom Verfasser häufig ange-
zogene Stoffsammlung für mittelalterliche Zeiten indessen auch keineswegs
genügt, wie Eckert S. 54 Anm. 6 wohl selbst einmal herausgefühlt hat.
Es ist fraglich, ob man für das 13. Jahrhundert, wie das Eckert
S. 2 thut, eine beständige und allgemeine Steigerung der Bedeutung
der Wasserstraßen im Verkehr, und nicht vielmehr schon wiederum
eine Minderung anzunehmen hat. Sah auch Erzbischof Konrad im
Jahre 1252 tausend Schiffe zu Köln am Seile hangen (Niederrhei-
nisches Jahrbuch für Geschichte 1843, I, 141), so wissen wir doch
andererseits, daß Basel schon im Jahre 1262 Maßregel gegen die Um-
gehung der mit Zollstätten belasteten Rheinstraße ergriffen hat. (Geering,
Handel und Industrie der Stadt Basel, S. 153.)
Auch die Behauptung auf S. 5 von den Zünften, „die einstens so
lange gegen die Patrizier und Erzbischöfe gekämpft hatten“ ist geeignet,
unrichtige Vorstellungen über die Stellung der gewerblichen Verbände
zu der geistlichen Gewalt zu verbreiten. Die Unruhen des 13. Jahr-
hunderts wenigstens zeigen in Kölng Speier und Worms die Bischöfe
gerade als Verbündete der Zünfte gegen das Patriziat, in seiner Reim-
chronik kann Meister Godefrit Hagene nicht genug spotten über die
neuen Schöffen von erzbischöflichen Gnaden, die Esel blieben, auch
wenn man sie in eine Löwenhaut stecke (I. J, 1259). Daß die Dinge
im 15. Jahrhundert vielfach anders lagen, zeigt ein Blick auf Worms,
wo im Jahre 1406 die Zünfte, vor allem die Bäcker, beim Streit des
Bischofs Matthaeus mit dem Rat den Standpunkt treuer Ergebenheit
gegen den Rat gewahrt haben. (Zorns Wormser Chronik, Bibl. d.
Litterar. Vereins in Stuttgart, XLIII, S. 162.)
Auf S. 29 wird gesagt, die Leinpfade seien zum Teil schon von
den Römern angelegt worden. Vorsichtiger hatte sich Lamprecht aus-
gedrückt, der (deutsches Wirtschaftsleben, II, 242) den Moselleinpfad
mit Berufung auf Ausonius Mosella V, 41 aus römischer Zeit stammen
läßt, dagegen bei dem Rheinleinpfad diese Herleitung nur für „höchst
wahrscheinlich“ hält.
Auf S. 42 vertritt Eckert die längst überwundene Anschauung, es
hätte sich „mit der Entdeckung Amerikas ein gewaltiger Umschwung
vollzogen.“ Einmal hat sich die Folge dieser Entdeckung keineswegs
plötzlich fühlbar gemacht. Dann aber sind meines Erachtens die
Gründe dafür, daß der Rhein nicht mehr Hauptverkehrsader des Welt-
austausches blieb, weit mehr in dem Einfluß der Entdeckung des Seewegs
noch Ostindien zu suchen. An Stelle Venedigs wurde Lissabon der
Stapelplatz für die ostasiatischen und indischen Produkte, damit hörte
der Zwischenhandel deutscher Kaufleute im Gewürzhandel auf und Eng-
710 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
land kam in unmittelbare Beziehung zu dem portugiesischen Gewürz-
markt (vergl. W. Heyd, Geschichte des Levantehandels im Mittelalter,
II, 507—539), Deutschland deckte seinen Bedarf zunächst in Lissabon
oder in Anwerpen, dessen nördlichem Stapelplatz Auch traten die
Niederländer nicht auf die Dauer die Erbschaft Venedigs an, sondern
Venedig nahm seit den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts die Handels-
beziehungen zu Deutschland, vornehmlich zu Süddeutschland, wieder
auf (vergl. Simonsfeld, der Fondaco dei Tedeschi in Venedig, S. 123).
Auf S. 43 ist das Wesen des Stapelrechts nicht exakt und scharf
analysiert, namentlich aber ist auch der Entwickelung dieser In-
stitution nicht ihr Recht geworden. Die drei Aeußerungen der Natur
dieses Rechtes (Vorkaufsrecht, Feilhalten für die Stapelberechtigten,
Umschlagsrecht) treten doch nicht zu gleicher Zeit, sondern nachein-
ander auf. Es wird nicht möglich sein, das zweite vom ersten zu tren-
nen, namentlich aber ist das Umschlagsrecht naturgemäß das zeitlich
erste. Das Stapelrecht ist ein Ergebnis der geographischen Beschaffen-
heit einer Gegend: besondere Verkehrsschwierigkeiten bieten Anlaß,
die Waren abzuladen und mit Hilfe der Ortsbewohner weiterzuschaffen,
und aus diesem Umschlagsrecht entwickelte sich erst das Niederlage-
recht und Vorkaufsrecht. Es wäre also entwickelungsgeschichtlich rich-
tiger das Stapelrecht so zu gliedern 1) Umschlagsrecht, 2) Niederlage-
recht, 3) Vorkaufsrecht.
S. 56 meint der Verfasser, in den Zunftbestimmungen sei die Rück-
sicht auf das Publikum oft nur eine vorgeschützte, hinter welcher sich
das egoistische Interesse der Bruderschaft verbirgt. Stieda hat (Schragen
der Gilden und Aemter der Stadt Riga, S. 106 f.) bei der Verfassung
der rigischen Aemter des 14. Jahrhunderts nicht solche egoistische
Hintergedanken angenommen, sondern klipp und klar gesagt: „Den
Konsumenten vollkommen zu befriedigen ist das Ziel, das die damalige
Gewerbepolitik ins Auge faßt. Daher die ängstliche Ueberwachung der
gewerblichen Thätigkeit, die Vorschriften über die Güte des Rohstoffes,
die Kontrolle über das fertige Produkt. — Gegenüber diesen zum Teil
einschneidenden und strengen Mafregeln ist es auffällig wahrzunehmen,
daß ein Interesse für die Produzenten selbst kaum sich zeigt.“
Schließlich sei noch eine Argumentation herausgegriffen, die für
die Methode des Verfassers charakteristisch ist.
S. 3 sucht er die Thatsache, daß in den ältesten Aufzählungen von
Genossenschaften Mainzer Gewerbtreibender Namen, die auf die Be-
schäftigung ihrer Träger mit dem Wasserverkehr hindeuten, nicht
erwähnt sind, einmal damit zu erklären, daß handeltreibende Kaufleute
vermutlich durch Knechte und Eigenleute die Wasserbeförderung vor-
nehmen ließen, dann aber damit, daß der Beruf des Schiffmannes nur
im Nebenberufe geübt worden sei, „wie dies noch in späterer Zeit
beispielsweise von den Mainz-Frankfurter Marktschiffern urkundlich
bezeugt ist.“ Es hat nun meines Erachtens gar keinen Wert, in den
„ältesten Aufzeichnungen“ nach solchen Namen zu suchen oder sie zu
vermissen; denn — wieder citiere ich das treffliche Werk von Stieda,
S.33 — „wann der Prozeß der Bildung von Familiennamen beginnt
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 711
und beendet ist, harrt zur Zeit nach genauerer Feststellung. Unan-
fechtbar erscheint einstweilen nur, daß bis gegen Ende des 14. Jahr-
hunderts die Handwerker durchweg noch keine Familiennamen führen
und weit bis ins 15. Jahrhundert hinein diese Gewohnheit beibehalten.“
Zweitens aber ist es meines Dafürhaltens völlig unstatthaft, urkund-
liche Bezeugungen späterer Zeiten auf die „ältesten Aufzählungen“
zurück anwenden zu wollen.
Nach alledem muß ich leider bezüglich der Methode, die der Ver-
fasser bei Fragen mittelalterlicher Wirtschaftsgeschichte
anwendet, einen starken Dissens anmelden. Ich vermisse Genauigkeit
in den Zeitangaben, Berücksichtigung der primären Quellenzeugnisse,
genügende Beachtung der neuesten wissenschaftlichen Ergebnisse und
vor allem eine gründliche genetische Methode, die gerade auf diesem
Gebiet überkühne Konstruktionsversuche allein einzuschräuken vermag.
Das alles aber hindert mich nicht, die Arbeit für die Erkenntnis
der neueren Zeit, wo der Verfasser das archivalische Material benutzt
hat, sowie namentlich für das Verständnis der Umwandlung der zunft-
mäßigen Kleinschiffahrt zur kapitalistischen Großschitfahrt für geeigent
zu halten. Sie kann auch als eine im großen und ganzen brauchbare
Vorarbeit zu einer zukünftigen rheinischen Verkehrsgeschichte neuerer
Zeiten gelten.
Halle a. S. Theo Sommerlad.
Tokuzo Fukuda, Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Ent-
wickelung in Japan. 190 SS. 42. Stück der Münchener volkswirt-
schaftlichen Studien, herausg. von Lujo Brentano und Walther
Lotz. Stuttgart 1900, J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachtolger, G.
m. b. H.
Die japanischen wissenschaftlichen quellenkritischen Forschungen
begannen in der Hauptsache erst in den 80er Jahren, Bis zum Jahre
1890 zählte man etwa 1 Dutzend solcher Arbeiten, die zum Teil in den
„Transactions of the Asiatic Society of Japan“ und in den „Mitteilungen
der Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens zu
Tokyo“, Tokyo und Berlin, niedergelegt sind.
Mit Anfang der 90er Jahre aber schwillt die wissenschaftliche
Litteratur über die japanische Geschichte und Entwickelung, sowohl in
japanischer, wie auch in europäischen Sprachen, beträchtlich an. Als
grundlegende Arbeiten von wissenschaftlichem Werte über Japan in
englischer und deutscher Sprache seien an dieser Stelle folgende, auch
von Fukuda angeführten, hervorgehoben:
Chamberlain, Kojiki, or Records of Ancient Matters, in den Trans-
actions, Supplement to vol. 10; Rein, Japan, nach Reisen und Studien,
Leipzig 1881 u. 1886, 2 Bd.; Rathgen, Japans Volkswirtschaft und
Staatshaushalt, Leipzig 1891; Kempermann, Die Gesetze des Jyeyasu,
Mitteilungen, Bd. 1; Rudorff, Bemerkungen über die Rechtspflege
unter den Tokugawa, Mitteilungen, Bd. 4; ders, Tokugawa-Gesetz-
sammlung, Mitteilungen, Supplementheft zu Bd. 5; ders., Kwamporitsu
oder Gesetze aus der Kwampoperiode (1741), Tokyo 1892; Weipert,
712 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Das Familien- und Erbrecht Japans, Mitteilungen, Bd. 5; Florenz,
Die staatliche und gesellschaftliche Organisation im alten Japan, Mit-
teilungen, Bd. 5; ders., Nihongi oder japanische Annalen, übersetzt und
erklärt, Mitteilungen, Supplement zu Bd. 5 u. 6.
Die vorliegende Broschüre von Fukuda über die gesellschaftliche
und wirtschaftliche Entwickelung in Japan ist in der Hauptsache eine
Zusammenlassung und — an einigen Stellen — eine Ergänzung der
bisherigen Litteratur. Der Titel wäre besser enger gefaßt und auf die
„gesellschaftliche“ Entwicklung beschränkt worden, die, außer den damit
zusammenhängenden Wandlungen der Agrarverfassung, in der Haupt-
sache in Fukuda’s Buch nur zur Darstellung kommt. Ueber die „wirt-
schaftliche“ Entwickelung Japans orientiert das in jeder Beziehung
vortrefiliche und grundlegende Werk von Rathgen wie kein anderes
und steht bisher völlig unerreicht da.
Auch sonst vermag die Arbeit von Fukuda dem Kenner der oben
aufgeführten Arbeiten nur an einigen Stellen Neues zu bieten. So be-
richtigt: Fukuda bezüglich der Eheverhältnisse der Japaner in den
ältesten Zeiten, soweit man sie eben zurückverfolgen kann, die bisherige,
wohl nicht zutreffende Ansicht mancher Autoren, über das Mutterrecht,
falls man darunter eine mutterrechtliche Herrschaft verstanden haben
sollte, eine Matriarchie im Gegensatz zur Patriarchie, eine Ansicht, die
auch Weipert zu teilen scheint. Eine solche Matriarchie hat allerdings
wohl niemals, bei keinem Volke bestanden, sondern man hat unter
Mutterrecht wohl einen Gesellschaftszustand zu verstehen, bei dem die
Frauen, als gesuchte Arbeitskräfte und als Quelle solcher im Hause des
Familien-, Geschlechts- oder Stammoberhauptes zurückgehalten wurden,
und ihre Kinder, auch die von familien-, geschlechts- oder stammes-
fremden Männern, bei ihnen und unter der Gewalt des Patriarchen
blieben. Daß in solchen Zeiten Endogamie herrschte und daneben auch
Frauenraub vorkam, ist selbstverständlich. Immerhin ist das noch eine
keineswegs allgemein aufgeklärte Frage, und es klingt daher etwas
sonderbar, wenn Fukuda Weipert wegen der Ausführung über den
mutterrechtlichen Zustand „Voreiligkeit“ vorwirft (S. 15), ebenso wie
an anderer Stelle dem trefflichen Japan-Forscher Chamberlain, der für
diese älteste Periode irrtümlich das Fehlen von Sklaverei angenommen
hatte (S. 13). Wörter wie „voreilig“ oder „oberflächlich“ (S. 14), „sich
täuschen lassen“ (S. 132), namentlich wenn es sich gegenüber sonst so
gewissenhaften Forschern wie Weipert und Rathgen nur um Kleinig-
keiten oder zweifelhafte Dinge handelt, machen einen störenden Ein-
druck.
Neue Gesichtspunkte enthalten für den europäischen Forscher,
der die japanischen Werke nicht lesen kann, weiter die Ausführungen
über die Gründe des Zerfalls der alten Geschlechterstaaten,
der Ujiverfassung.
Iu dieser ältesten historisch erfaßbaren Zeit lebte das japanische
Volk, in Geschlechtern, uji, gegliedert, die je unter einem Oberhaupte
standen. Diese Groß-Uji stellten die politischen Einheiten dar, während
ihre Unterabteilungen, Klein-Uji und Ko, größere und kleinere Familien-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 713
verbände, die wirtschaftlichen Einheiten bildeten. Nach außen gab es
noch keine verantwortlichen Individuen. Die zunehmende Bevölkerung,
die Gebietserweiterung und dadurch notwendige Bildung neuer Uji, die
Machtentwickelung des Kaisers, der als vornehmstes und angesehenstes
Geschlechtsoberhaupt — weil Vermittler des Kultus der gemeinsamen
Stammgöttin, der Amaterasu, der Sonne — ursprünglich nur primus
inter pares gewesen war, und schließlich das Eindringen des Buddhis-
mus mit der höheren chinesischen Kultur, der die Bedeutung der In-
dividuen stark betonte und mehr zur Geltung brachte —, führten
schließlich zur Sprengung der Uji, der Geschlechtsverbände und ge-
stalteten die Ko, die erweiterten Familienhäuser, zur Grundlage des
Japanischen Staats- und Gesellschaftslebens. Mit dem Ende des 6. Jahr-
hunderts war die Macht des Kaisers derartig gestiegen, daß er das
Obereigentum an Grund und Boden, der bisher Eigentum der
Uji war und von denen an die Ko zur gemeinschaftlichen Bebauung und
Nutzung — ähnlich wie in Irland in der Clan- und in Rußland in der
Mirverfassung — vergeben wurde, beanspruchen konnte. Den Abschluß
dieser zweiten Entwickelungsperiode bildete die sogenannte
Taikwareform seit Mitte des 7. Jahrhunderts, deren Kernpunkt die
Nachahmung und zeitweise Durchführung des chinesi-
schen Beamtensystems und die Verteilung des Grund
und Bodens an die einzelnen Familien auf gewisse Zeit
sowie die gesetzliche Regelung einer den neuen Ver-
hältnissen angepaßten Erbfolge war.
Diese Entwickelung geht merkwürdigerweise fast gleichzeitig mit
der sehr ähnlichen des Lehensgedankens in Europa vor sich, der vom
Frankenreich seinen Ausgangspunkt nahm, aber nach Meitzen seine
Wurzeln bis in die Ansiedelungszeiten des 4. und 5. Jahrhunderts zurück
erstreckte.
Und ebenso wie in Europa folgte auch in Japan nach dem Er-
starken der kaiserlichen Macht sehr bald, bereits im 9. Jahrhundert,
die Periode des Niederganges derselben. Seit Mitte des 9. Jahr-
hunderts bis 1867 ist das Kaisertum zur Ohnmacht verurteilt und
steht unter der Regentschaft eines bis 1601 mehrfach wechselnden,
von da ab in einer einzigen Familie bleibenden Hausmeiertums,
des Shogunats.
Es entstehen — und damit beginnt die dritte Periode —
große, steuerfreie Grundherrschaften — die Tairafamilie
besaß um 1200 fast die Hälfte des gesamten Grund und Bodens —, auf
deren Grundlage sich ein dem europäischen sehr ähnliches Lehn-
system entwickelt. Die Darstellung dieser Entwickelung gehört mit
zu den besten Partien der Fukuda’schen Arbeit.
Die Lehen wurden erblich, aus den großen Lehensbeamten, den
Jitos, sowie den früheren Großgrundherren wurden die späteren Dai-
mios, Landesherren, deren man Mitte des 17. Jahrhunderts an 260,
Mitte des 19. Jahrhunderts 160 zählte.
Dieses Feudalsystem hat nominell bis zur Restauration 1869
714 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
gedauert, ist aber unter der Tokugawaherrschaft, Shogunat, seit 1603
derartig ausgehôhlt und seines Wesens entkleidet worden, daß man
diese — vierte — Periode seit 1603, wie Fukuda mit Recht be-
sonders hervorhebt, die Zeit des absoluten Polizeistaates,
des werdenden nationalen Einheitsstaates nennen mul.
Auch während dieser Zeit sehen wir Japan merkwürdigerweise
dieselbe gleichzeitige Entwickelung wie Europa durchmachen, obwohl es
fast hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen war.
Die Tokugawa-Shogune, bezw. die wirklichen Gewalthaber des
Shogunats, wußten die Landesherren durch eine Reihe von entsprechenden
Malregeln während dieser langen Zeit des Friedens, des Kulturfort-
schrittes, aber auch der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stagna-
tion, in der sich das in Gilden organisierte Bürgertum, trotz
seiner gesellschaftlichen Unterordnung unter die Soldatenkaste, nament-
lich infolge der wachsenden Geldkalamitäten der Landesherren, zu An-
sehen und Bedeutung erhob, in einer solchen Abhängigkeit und Un-
selbständigkeit zu erhalten, daß, als die nationale Erhebung das Shogunat
hinweggefest hatte, die 146 Daimios, die mehr und mehr in die Stellung
von Beamten herabgedrückt waren, im Jahre 1869 ihre Macht freiwillig
in die Hand des Kaisers zurückgaben
Die neueste — fünfte — Entwickelungsphase ist nur
sehr kurz — auf 8 Seiten — gestreift. Das Buch macht dadurch einen
nicht vollständigen, unfertigen Eindruck. Bei derartigen Arbeiten, deren
Hauptgewicht in die Darstellung der Vergangenheit fällt, würde es sich
wohl empfehlen, die Leser in einem kurzen Vorwort über die Absicht
des Verfassers und die Begrenzung des Stoffes zu unterrichten. Ein
Hauptaugenmerk sollte auch auf die richtige Fassung des Titels gelegt
werden, der die Haupttendenz und den Hauptinhalt des Buches wie
in einem Brennpunkte stets wiedergeben sollte.
Hätte Fukuda sein Buch etwa „Die gesellschaftliche Entwickelung
Japans bis zur Restauration“ betitelt und sich in einem Vorwort darüber
geäußert, wieweit er die bisherigen Forschungsergebnisse durch eigene
Zuthaten bereichern wolle, und hätte er sich von den oben angeführten
zu weitgehenden Tadelsäußerungen freigehalten, so würde sein Buch
entschieden an Wert gewonnen haben.
Aber auch so kann dasselbe Lesern, denen die japanische Litteratur
nicht geläufig ist oder nicht vollständig zu Gebote steht, die aber über
die früheren gesellschaftlichen Zustände dieses lange Zeit „geschlossen
gewesenen Handelsstaates“ aus einer knappen Darstellung das Wissens-
werteste erfahren möchten, empfohlen werden. Dr. J. Wernicke.
Mitteilungen über den 41. Allgemeinen Genossen-
schaftstag der auf Selbsthilfe beruhenden deutschen Erwerbs- und
Wirtschaftsgenossenschaften zu Hannover vom 5.—8. September 1900.
Herausgegeben im Auftrage des Allgemeinen Verbandes von Dr. Hans
Crüger, Anwalt des Allgemeinen Verbandes der deutschen Erwerbs-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 715
und Wirtschafts-Genossenschaften. Berlin (Kommissionsverlag von
J. Guttentag) 1900. 558 SS.
Auch dieser Band der „Mitteilungen“ bietet wie seine Vorgänger
(vergl. darüber III. F. 19. Bd., S. 563) eine Fülle von Material zur
Beurteilung der Entwickelung des deutschen Genossenschaftswesens,
wenn er sich auch natürlich in erster Linie auf die Schulze-Delitzsch’sche
Richtung bezieht. In den Jahresversammlungen werden die augen-
blicklich schwebenden Fragen gründlich erörtert und mancherlei Ein-
blicke in das Leben und Treiben der Genossenschaften gegeben, die
aus den statistischen Mitteilungen des ,Jahrbuchs“ und den Jahres-
berichten der Genossenschaften selbst nicht gewonnen werden können.
Aus dem Inhalt heben wir neben dem Jahresbericht (S. 35) des Ver-
bands-Anwalts Dr. Crüger hervor den Vortrag über die nächsten Auf-
gaben der Fortentwickelung des Genossenschaftswesens, den Verbands-
direktor Dr. Alberti-Wiesbaden unter dem Thema: „Das Genossen-
schaftswesen im 20. Jahrhundert“ (S. 60) hielt. Aus den Spezial-
verhandlungen sind als interessant zu erwähnen der Vortrag des
Justizrat Gebhard-Zweibrücken über die rechtliche Natur und die
wirtschaftliche Bedeutung des Kontokorrent-Verkehrs für die Kredit-
genossenschaften (S. 119), die Verhandlungen über die genossenschaft-
lichen Bestrebungen betr. die Ansiedlung ländlicher Arbeiter (S. 79),
die Vorträge und Verhandlungen über die heutige Lage der Hand-
werkergenossenschaften (S. 329), bei denen auch die Folgen der Neu-
organisation des Handwerks in den Handwerkerkammern gestreift
wurden. Besondere Beachtung werden in der gegenwärtigen Zeit-
strömung aber für sich in Anspruch nehmen dürfen einmal die mancher-
lei Verhandlungsgegenstände der Baugenossenschaften (S. 261) und
ferner die Beratungen, in denen die Lage des Kleinhandels und die
Konsumvereine zu lebhaften Auseinandersetzungen führten; Verbands-
direktor Barth-München empfahl den Kleinkaufleuten Zusammenschluß
zu Kredit- mit Einkaufsgenossenschaften (S. 355), während in der Dis-
kussion von sozialdemokratischer Seite lebhaft dagegen opponiert wurde;
Verbandsekretär Häntschke behandelte „die gewerberechtlichen Be-
stimmungen und die Konsumvereine“ (S. 196).
Dem allgemeinen Verbande gehörten am 1. Oktober 1900 (gegen
den 31. März 1899) an 1643 (1571) Genossenschaften, davon waren
Kreditgenossenschaften 942 (927), Konsumvereine 591 (538), Rohstoff-,
Magazin-, Werk-, Produktivgenossenschaften u. s. w. 53 (51), Bau-
genossenschaften 57 (41). Davon gehörten den 32 Unterverbänden
1578 (1501) an.
Aachen. W. Kähler.
Ammann, Aug., Die Hungersnot in Indien und die britisch-indische Regierung.
Ein Beitrag zur Zeitgeschichte, Frauenfeld, J. Huber, 1901. gr. 8 63 SS. M. 0,50.
Beck, Ludw., Die Geschichte des Eisens in technischer und kulturgeschichtlicher
Beziehung. V. Abteilung: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluß. Liefe-
rung 1. Braunschweig, Fr. Vieweg & Sohn, 1901. gr. 8. 176 SS. Mit in den Text
eingedr. Abbildgn. M. 5.—.
716 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock, Band III, Heft 2. Rostock, Stiller-
sche Buchhandlung, 1901. gr. 8. 120 SS. M. 2.—. (Aus dem Inhalt: Die Beschrän-
kungen der Warnemünder in Bezug auf Handel, Schiffbau und Schiffahrt, von K. Kopp-
mann. — Zur Geschichte des Amts der Wassermüller zu Rostock, von E. Dragendorff.)
Doren, A., Studien aus der Florentiner Wirtschaftsgeschichte. Band I. Die
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Royal Niger Company. — Missionary enterprise. — The Hausa assoeiation. — Kano
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Schwerin, Ed. Hallberger, 1901. gr. 8. 86 SS. M. 2.—.
Hertel, G. (Prof, Magdeburg), Die Wüstungen im Nordthüringau (in den Kreisen
Magdeburg, Wolmirstedt, Neuhaldensleben, Gardelegen, Oschersleben, Wanzleben, Kalbe
und der Grafschaft Mühlingen. Halle, O. Hendel, 1901. gr. 8 XXXIV—557 SS.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 717
mit einer Wüstungskarte von Nordthüringen in Farbendruck, entworfen von (OLehrer)
G. Reischel, Maßstab 1 : 100 000. M. 16.
Heß, R., Die Forstbenutzung. Ein GrundriB zu Vorlesungen mit zahlreichen
Litteraturnachweisen. 2. Aufl. Berlin, Parey, 1901. gr. 8. XVI—318 SS. M. 8.—.
Jahrbuch, landwirtschaftliches, der Schweiz. Herausgeg. vom schweizerischen
Landwirtschaftsdepartement. Band XIV, 1900. Bern, K. J. Wyss, 1900. gr. 8.
Jahresbericht des Bienen- und Seidenzuchtvereins der Rheinprovinz für das
Jahr 1900. LI. Jahrg. M. Gladbach, Druck von W. Hütter, 1901. gr. 8 9 SS.
Annuaire des associations de pêcheurs à la ligne de France pour 1901. Toulouse
imprim. spéciale, 1901. 8. 161 pag. av. fig.
Hawksworth, A., Australian sheep and wool. London, T. Fisher Unwin, 1901.
8 7,.6.
Manicastri, Biagio, La questione agraria in Sicilia. Palermo, tip. Virzi, 1900,
8. 46 pp.
Elink Schuurman, Ger. A., De coffiecultuur in Brazilië. Eenige aanteekeningen
en beschouwingen. Bijvoegsel van ,,De Indische Mercuur“ 1901, N°8. Amsterdam,
J. H. de Bussy, 1901. gr. 8. 67 blz. met afb., 5 tab. en 1 krt. (Nicht im Handel.)
5. Gewerbe und Industrie.
Les industries à domicile en Belgique. Bd. 2. 8°,
465 SS. Brüssel 1900.
Dem unlängst in diesen Jahrbüchern angezeigten 1. Bande hat das
belgische Office du travail jetzt einen zweiten Band folgen lassen, der
interessante Aufschlüsse über drei sehr verschieden geartete haus-
industrielle Erwerbszweige bringt, nämlich über die Leinenweberei in
Flandern (bearbeitet von Prof. Ernst Dubois). die Strohflechterei in den
Provinzen Lüttich und Limburg (behandelt von Dr. Anciaux) und über
die Schuhmacherei in Flandern (dargestellt von Dr. Ch. Gilles de
Pélichy). Die Strohflechterei ist eine rückständige und im Absterben
begritfene Industrie. Ihre Betriebsweise ist „elementar“ und von Arbeits-
teilung ist nicht die Rede. Die bisherigen Absatzmärkte im In- und
Auslande sind verloren gegangen bis auf den amerikanischen Markt,
der aber ebenfalls immer mehr gefährdet wird. Die wirtschaftlichen
und sozialen Nachteile, die absterbenden Erwerbszweigen anzuhaften
pflegen, treten scharf zu Tage. Günstiger liegen die Verhältnisse bei
den erwähnten Hausindustrien in Flandern. Die Schuhmacherei, in
kleinen Orten dichtbevölkerter Distrikte ansässig, ist zum Teil erst im
19. Jahrhundert entstanden. Sie arbeitet vorzugsweise für den inlän-
dischen Bedarf, in Specialitäten auch für den Export. Der Betrieb stützt
sich im wesentlichen auf Handarbeit, hat aber manche Fortschritte der
Betriebsweise und auch eine erheblich entwickelte Arbeitsteilung auf-
zuweisen. Die Arbeiterorganisationen haben sich schon bis zu einer
gewissen Höhe entwickelt, die Einkommens- und Wohnungsverhältnisse
sind relativ günstig.
Die Leinenweberei ist eine alt eingesessene Industrie Flanderns,
die sich aus natürlichen Gründen in den Bezirken konzentriert, in denen
der Spinnstoff gewonnen wird. Die hausindustrielle Leinenweberei hat
einen ausgesprochen lündlichen Charakter und erscheint vielfach als
Winterarbeit der Landbevülkerung. Wohn- und Lohnverhältnisse sind
günstiger, als sie oft in städtischen Hausindustrien gefunden werden.
718 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Die mechanische Weberei hat aber die Hausindustrie schon beträchtlich
zurückgedrängt, und das künftige Schicksal der letzteren hängt nament-
lich davon ab, ob es gelingt, sie mehr in der Richtung des Kunst-
gewerbes zu entwickeln und ihr dadurch neben der fabrikmäligen
Weberei eine selbständige Bedeutung zu sichern.
Daß der vorliegende Band die Möglichkeit bietet, sich über so ver-
schiedenartige Hausindustrien an der Hand fleiliger und tüchtiger
Arbeiten zu unterrichten, wird ihm in weiteren Kreisen Beachtung
verschaffen.
Berlin. R. van der Borght.
Cremer, Chr. Jos., Das gewerbliche Leben im Kreise Teltow. Aus Veranlas-
sung der „Berliner Gewerbeausstellung 18965“ im Auftrage des Kreisausschusses heraus-
gegeben. Berlin, C. Heymanns Verlag, 1900. Imp.-Folio. VII—400 SS. Mit zahlreichen
Vollbildern.
v. Hössle, Fr., Geschichte der alten Papiermühlen im ehemaligen Stift Kempten
und in der Reichsstadt Kempten. Kempten, Kôselsche Bhdl., 1901. gr. 4. Mit 6 Taf.
und in den Text gedr. Abbildg. M. 4.—.
Michel, C., Lehrbuch der Bierbrauerei nach eigenen Erfahrungen unter Zugrunde-
legung der neuesten Theorien. 3. Aufl. Augsburg, Gebr. Reichel, 1901. Lex.-8. XII—
717 SS. M. 21.—.
Poellath, K. (k. bayer. Fabriken- und Gewerbeinspektor), Der Arbeiterschutz.
Der Schutz der gewerblichen Arbeiter Deutschlands soweit er Aufgabe der Gewerbe-
inspektion ist. Stuttgart, E. H. Moritz, o. J. (1901). kl. 8. 166 SS. geb. M. 1. (A.
u. d. T.: Volksbücher der Rechts- und Staatskde. Bd. 1.)
Sanders, W. (Sekr. der „Battersea Labour League), Die moderne Arbeiterbewegung
in England. Frankfurt a. M., Ed, Schnapper, 1901. gr. 8. 32 SS. M. 1,20.
Bailly, L. (ingenieur des mines), L’avenir &conomique et financier de l’industrie
houillère et de la sidérurgie en France. Paris, V“ Dunod, 1901. gr. in-8. 27 pag. av.
5 diagrammes. fr. 2.—.
Razous, P. (inspecteur départemental du travail dans l'industrie) et A. Razous
(eondueteur de travaux publies), Réglementation du travail industriel. Commentaire
pratique. Paris et Nancy, Berger-Levrault & Or, 1901. 8. X—328 pag. fr. 6.—.
(Table des matières: Livre I. Durée du travail. — Livre II. Hygiène et sécurité du
travail et des travailleurs. — Livre III. Réparation civile des accidents du travail. —
Annexes.)
Allan’s Housing of the working classes. 2" ed. London, Butterworth, 1901. 8.
7/.6.
Courtney, L. H., Working constitutions of the United Kingdom. New York,
Macmillan, 1901. 8. 391 pp. cloth. 2/.—.
Factory and Workshop Acts Consolidation Bill. London, Eyre & Spottiswoode,
1901. Folio.
Factory & Workshop Acts Amendment Bill. London, Eyre & Spottiswoode,
1901. Folio.
Levasseur, P. E., The American workman; an American traduct. by T. S. Adams,
ed. by Th. Marburg. Baltimore, J. Hopkins Press, 1901. 8. 529 pp. cloth. $ 3.—.
(Studies in histor. and polit. science, extra vol. Contents: The progress of American
industry in the last fifty years. — The productivity of labor and machinery. — Labor
laws and trade regulations, -— Organizations of labor. — The strike. — Wages of men.
— Wages of women and children. — Factors determining nominal wages. — Real
wages and workmen’s budget’s. — Present conditions and future prospects ofthe Ame-
rican workmen. — etc.)
Report, I", of the Bureau of Labor of the province of Ontario for the year ending
December 31% 1900. Toronto, L. K. Cameron, 1901. 8. 101 pp.
Report, III" biennial, of the Bureau of Labor of the State of New Hampshire.
Manchester, N. Hamp., 1900. 8. 270 pp. (Der Bericht umfaßt die Jahre 1899 und 1900.)
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 719
Report, IX" biennial, of the Bureau of Labor Statistics of the State of California
for the years 1899—1900. Sacramento (Calif.), A. J. Johnson, 1900. 8. 152 pp.
Women worker’s conference, 1900. Papers read at the conference held at Brighton,
arranged by the National Union of Women Workers. London, P. S. King & Son, 1901.
8. 213 pp. 3/.—.
6. Handel und Verkehr.
Jenks, J. W., The Trust Problem. New York (McClure, Philipps
& Co.) 1900
Der Verfasser, Professor an der Cornell-Universität, ist als Mitglied
und Experte der großen United States Industrial Commission, welche
bisher namentlich eine umfangreiche Trust-Enquete ausgeführt hat, einer
der besten Kenner des heute in den Vereinigten Staaten im Vorder-
grunde stehenden Problems und hat dasselbe schon in mehrfachen Schriften,
so auch in diesen Jahrbüchern (3. Folge, Bd. 1, 1891) behandelt. Sein
neuestes Werk beruht insbesondere auf dem Thatsachenmaterial, welches
die erwähnte oflizielle Enquete sowie auch die Chicagoer Trustkon-
ferenz zu Tage gefördert hat, und bespricht in übersichtlicher Disposition
und mit zahlreichen Beispielen die vielen Fragen, welche sich an die
Erscheinung der Trusts knüpfen. Auf allgemeine Untersuchungen zur
Theorie und Systematik der Monopole ist der Verfasser nicht einge-
gangen. In dieser Hinsicht sei auch hier das Werk von R. T. Ely,
monopolics and Trusts New York 1900, erwähnt. Das vorliegende Buch
ist mehr für weitere Kreise bestimmt, die sich für die Trustfrage
interessieren. Doch beabsichtigt der Verfasser in nicht zu ferner Zeit
eine größere Arbeit über das ganze Problem der Monopole zu veröffent-
lichen.
Der Stoff ist, abgesehen von der Einleitung, in 11 Kapitel verteilt.
Die Einleitung bringt unter anderem die Abgrenzung des Themas.
Jenks bespricht die Trusts — man gebraucht das Wort heute in sehr
verschiedener Bedeutung — insoweit, als sie „kapitalistische Monopole“
darstellen: „industrielle Gesellschaften mit so großem Kapital und solcher
Macht, daß sie als eine Gefahr für die Allgemeinheit erscheinen können
und wenigstens zeitweise thatsächlich eine beträchtliche monopolistische
Macht besitzen.“
Die ersten 2 Kapitel erörtern die Grundlagen, auf welchen die
Trusts entstanden sind, d. h. die modernen Wirtschaftsverhältnisse, die
freie Konkurrenz und ihre Wirkungen. Denselben werden als Gegen-
satz die Vorteile der Vereinigung gegenüber gestellt, während die
folgenden Kapitel, in denen der Geschäftsbetrieb und die Wirkungen
der Trusts geschildert werden, besonders ihre schlechten Seiten ent-
hüllen. Die allgemeinen Vorteile der Trusts liegen hauptsächlich in
der Verminderung der Produktions- und Absatzkosten, wofür Jenks in-
teressante Beispiele anführt, dann in der Möglichkeit, die fähigsten
Männer an die Spitze zu stellen, in der Einheitlichkeit der Leitung,
endlich in der Möglichkeit dem Hauptproduktionszweige andere Stadien
der Vor- oder Weiterverarbeitung anzugliedern (Kombinationen in unserem
Sinne, während im Englischen der Ausdruck „Kombination“ alle Arten
720 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
der Vereinigungen bezeichnet). Natürlich ist für alles dies ein abso-
lutes Monopol nicht unbedingte Voraussetzung und bei der Zusammen-
fassung mehrerer Produktionsstadien (Kombinationen) ist ein solches
auch gar nicht beabsichtigt.
Im 3. Kapitel erörtert der Verfasser diejenigen Umstände,
welche der Gründung von Industrieverbänden förderlich sind, also
namentlich Schutzzülle, und wendet sich gegen die Ansicht, daß der
Schutzzoll die „Mutter aller Trusts“ sei, wenn er auch natürlich seine
unterstützende Wirkung nicht verkennt. Von einer Aufhebung der
Schutzölle verspricht er sich keinen Nutzen; sie würden entweder
die ganze Industrie ruinieren oder den Trusts nichts schaden. Inter-
nationale Vereinbarungen sieht er für die Zukunft in größerer Zahl
voraus, namentlich mit Ländern, in denen ebenfalls Vereinigungen be-
stehen, und in der That scheinen nach neuesten Berichten die Ameri-
kaner mehrfach dahingehende Bestrebungen auch Deutschland gegen-
über zu verfolgen.
Im 4. Kapitel: Combination and Monopoly zeigt der Verfasser,
wie die Wirkungen sich steigern, wenn eine Vereinigung allmählich zu
einem wirklichen Monopol gelangt. Auch sehr große Betriebe können
aber schon eine monopolartige Stellung einnehmen. Weiter wird daun
der Nutzen geschildert, welchen den Trusts ihr großes Kapital gewährt,
und darauf hingewiesen, daß auch das Streben nach großer Macht viel-
fach hervorragende Geschäftsleute ‘zur Bildung von Vereinigungen ge-
trieben hat.
Von großem Interesse auch für diejenigen, welchen die übrigen bei
uns ja ebenfalls viel erörterten Fragen bekannt sind, werden die Aus-
führungen des 5. Kapitels: Promoter and Financier sein, die den
amerikanischen Zuständen eigentümliche Erscheinungen besprechen und
auf das dortige Gründungswesen ein helles Licht werfen.
Die beiden nächsten Kapitel behandeln die Organisation der mono-
polistischen Vereinigungen von den einfachen „pools“, die aber bei
weitem nicht in so mannigfacher Form ausgebildet sind, wie unsere
Kartelle, bis zu den eigentlichen „trusts“ und ihren unter dem Einfluß
der Gesetzgebung entstandenen Weiterbildungen, den „voting trusts“
und den großen einheitlichen Kompagnien, ferner die Art und Weise,
wie dieselben mit Kapital ausgestattet werden, namentlich das „stock
watering“ endlich die Art ihrer Leitung und die große Machtstellung
der Direktoren. Das 8. Kapitel bringt dann auf Grundlage der
Trustenqueten interessante durch beigegebene Diagramme illustrierte
Mitteilungen über den Einfluß der Trusts auf die Preise. Der vertüg-
bare Raum verbietet es, darauf näher einzugehen, wie ich auch aus
dem folgenden Kapitel: „Trusts und Löhne“ nur als Hauptergebnis
mitteilen kann, daß die Trusts im allgemeinen durch Lohnerhöhungen
für die Arbeiter vorteilhaft gewesen sind, wenn sie auch bei Streitig-
keiten den Arbeitern mit größerer Macht gegenübertreten. Es scheint
aber, daß die größere Leichtigkeit, die Preise zu erhöhen, die Trusts
den Wünschen der organisierten Arbeiter gefügiger macht, so dal
schließlich der Konsument die Zeche bezahlen mul.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 721
Im 10. Kapitel besprichtJenks die allgemeinen politischen und sozialen
Wirkungen der großen Vereinigungen. Er giebt zu, daß die große Kapital-
macht nicht selten mißbraucht wurde, meint aber, daß Bestechungen
der gesetzgebenden Faktoren doch seltener waren als behauptet wird,
und legt dieselben mit Recht weniger den Trusts als den geringen mo-
ralischen Qualitäten der Regierenden zur Last. Die Trusts erschweren
aber das Aufkommen neuer Unternehmungen, bringen eine Anzahl von
Leuten aus ihrem Wirkungskreise, die großen Machthaber haben das
Bestreben, ihre Stellungen auf ihre Kinder zu vererben. Aber auf der
anderen Seite köunen Unfähige leichter von der Leitung entfernt werden,
als wenn sie selbst Besitzer der Werke sind, es werden überhaupt
nicht mehr so viel Unfähige leitende Stellungen einnehmen, und wenn
auch die Verminderung selbständiger Stellungen oft beklagt wird, so ist
es doch vielleicht ein Vorzug, daß nicht mehr so viele Personen nie-
mandem verantwortlich sind.
Das letzte Kapitel behandelt die Fragen der gesetzlichen Regelung
der Trusts. Im Gegensatz zu den Aufgaben eines Kartellgesetzes bei
uns handelt es sich hier in erster Linie um eine Verbesserung des
Korporationsrechtes, welche den Gründungsschwindel und un-
lautere Mafregeln der Leiter möglichst einzuschränken imstande ist.
Größere Oeffentlichkeit in der Geschäftsgebahrung der großen Korpo-
rationen, tieferer Einblick öffentlicher Behörden in dieselben muß ge-
fordert werden. Jenks scheint mir hier nicht energisch genug, nament-
lich in der Forderung eines für alle Staaten giltigen Gesetzes, er
fürchtet zu sehr, die Freiheit des Einzelnen zu beeinträchtigen. Wo die-
selbe aber zu solchen die moralische Integrität eines Staates gefährdenden
Mißbräuchen geführt hat, wie das bei den Trusts nachgewiesen wurde,
da ist unserer deutschen Auffassung nach eine Beschränkung des Ein- `
zelnen im Interesse der Gesamtheit am Platze. Diese Riesenunter-
nehmungen müssen auch nicht mehr als private Betriebe, in denen die
Leiter nach Belieben schalten und walten können, sondern als halb
öffentliche Anstalten betrachtet werden, an deren Thätigkeit die ganze
Volkswirtschaft im höchsten Grade interessiert ist.
Im Anhang werden noch einige Pläne zur gesetzlichen Regelung
der Trusts mitgeteilt. Wie gezeigt, bespricht der Verfasser überall nur
die amerikanischen Zustände. Seine Ausführungen sind aber auch für uns
in Deutschland, namentlich zum Zwecke des Vergleichs mit unserem
Kartellwesen, von hohem Interesse. Robert Liefmann.
Anton, G. K. (Privdoz., Univ. Jena), Der Mittellandkanal (Rhein-Elbekanal).
Hamburg, Verlagsanstalt und Druckerei (A.-G.) 1900. gr. 8. 40 SS. M. 0,75.
Bericht der Direktion der pfälzischen Eisenbahnen über die Verwaltung der unter
ihrer Leitung stehenden Bahnen in dem Jahre 1900. Ludwigshafen a. Rhein, Maursche
Buchdruckerei, 1901. gr. 4. 164; 33 u. 29 SS.
Bericht des Verbandes der Handels- und Gewerbevereine für das Herzogtum
Oldenburg für die Jahre 1899 und 1900 (bis zur Auflösung am 1. VII). Oldenburg,
Druck von G. Stalling, o. J. (1901). gr. 8. 128 SS. (Inhalt: Einrichtungen für Handel
und Gewerbe. — Verkehrswesen. — Zölle und Steuern. — Statistisches. — Anlage I:
Eingabe an das Staatsministerium, Dep. der Finanzen, zur Herbeiführung der Besteue-
Dritte Folge Bd. XXI (LXX VI). 46
722 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
rung der Konsumvereine. — Gesetz für das Herzogtum Oldenburg, betreffend die Er-
richtung einer Handelskammer.)
Dehn, P., Nationale Verkehrspolitik. Ein Beitrag zur Wasserstraßenfrage. Berlin,
Gose & Tetzlaff, 1901. 8. 52 SS.
Monthly summary of commerce and finance of the United States, January, 1901.
Washington, Government Printing Office, 1901. gr. in-4. (pp. 1619—1893). [Prepared
in the Bureau of Statisties, Treasury Department. General contents: Commercial notes. —
Internal commerce. — Financial tables. — Prices of leading articles. — Foreign com-
merce of the United States.]
Stretton, Clement E., The history of the Midland railway. London, Methuen,
1901. Roy.-8. 370 pp. with 100 illustrations and 6 diagrams. 12/.6.
de Stoppelaar, J. H., Balthasar de Moucheron. Een bladzijde uit de Neder-
landsche handelsgeschiedenis tijdens den tachtigjarigen oorlog. "e Gravenhage, M. Nijhoff,
1901. gr. 8. 230 en 101 blz. met 1 facs., geb. fl. 3,75.
de Molins, Jose Elias, Puertos francos: Puertos de Marsella, Genova y Bar-
celona. Estudio economico. Barcelona, imprenta Barcelona, 1901. 8. 295 pp.
7. Finanzwesen.
Finanzverwaltung Preußens, die, in der Zeit vom 1. IV. 1897 bis 1. IV.
1899. Bericht des Finanzministers an Se. Majestät den Kaiser und König. Berlin,
gedruckt in der Reichsdruckerei, 1900. 4. 107 SS.
Schreiber, H. (Geh. RechnR.), Das preußische Etats-, Kassen- und Rechnungs-
wesen in dem Rahmen des Gesetzes, betr. den Staatshaushalt, vom 11. V. 1898 (G.S. 8.77)
für den praktischen Gebrauch bearbeitet. Potsdam, Krämersche Buchdruckerei, 1900.
Roy.-8. VIII—846 SS. M. 15.—. (Selbstverlag des Verfassers.)
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Hülsemann, Tierarzt Dr., Die Viehversicherung, ihr Wesen, ihre
Aufgabe, ihre Organisation. Verlag von Richard Schoetz, Berlin 1899.
Preis 2 M.
In der spärlichen und dürftigen Litteratur über die Viehversiche-
rung verdient das vorliegende Werk besondere Beachtung. Der Verf.
giebt auf Grund reichlichen Materials und eigener praktischer Erfahrung
ein anschauliches Bild von dem Stande und den Zielen der Vieh-
versicherung. Er behandelt nach einer Einleitung zunächst das Wesen,
die statistischen Grundlagen und die Bedeutung der Viehversicherung
für die Land- und Volkswirtschaft. Darauf folgen eingehende Aus-
fübrungen über die Seuchengesetzgebung im Deutschen Reich, in der
Schweiz und die Bestrebungen in Oesterreich, sowie über die Betriebs-
formen der Versicherung gegen Viehverluste durch sporadische Krank-
heiten und Unglücksfälle. Den Grund für die geringe Ausbreitung der
Viehversicherung sieht er in der völligen Unzulänglichkeit der heutigen
Betriebsformen, von denen er den Ortsverbänden vor den großen Gegen-
seitigkeits- und Aktiengesellschaften namentlich wegen der leichteren
Kontrolle und der billigeren Verwaltung den Vorzug giebt. Die einzige
Möglichkeit zu einer gesunden Entwickelung der Viehversicherung sieht
er in staatlicher Zwangsversicherung, freilich ohne die praktischen
Schwierigkeiten des Zustandekommens derselben zu übersehen. Er
glaubt jedoch, daß durch methodische Aufklärung des Volkes, nament-
lich durch die landwirtschaftlichen Schulen, der anfängliche Widerstand
dagegen bald beseitigt werden kann. Wenn man gegen die vom Verf.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 723
vorgeschlagene Zwangsversicherung auch erhebliche Bedenken wird er-
heben müssen, so wird doch die Lektüre des Werkes jedem, der sich
für die von der Wissenschaft leider allzusehr vernachlässigte Vieh-
versicherung interessiert, Anregung und Belehrung geben. Dem
Werke beigefügt sind Normalstatuten für Viehversicherungsvereine,
welche die Ausführungen erläutern.
Berlin. Brüders.
Hager, Dr. P., Die öffentlich-rechtliche Regelung des Privat-
versicherungswesens in Deutschland. Verlag von Georg Reimer, Berlin
1900. Preis 3 M.
Die Schrift bietet namentlich dem nichtfachmännischen Juristen
und Nationalökonomen eine gute Einführung in das Studium des
augenblicklich dem Reichstage vorliegenden Gesetzentwurfs über die
privaten Versicherungsunternehmungen. Sie ist klar und verständlich
gefaßt und zeugt von anerkennenswerter Sachkunde. Nach einigen ein-
leitenden Paragraphen, welche die Einteilung, die wirtschaftliche Be-
deutung und die Statistik des Versicherungswesens betreffen, schildert
der Verf. den gegenwärtigen Rechtszustand in Deutschland wie im
Auslande, um sich dann kritisch zunächst im allgemeinen über die Auf-
gabe des Staates gegenüber dem Versicherungswesen und den Umfang
der Staatsaufsicht auszulassen. Darauf folgt eine ausführliche Behandlung
der einzelnen Spezialfragen, der Konzessionierung, Beaufsichtigung, Be-
handlung ausländischer Versicherungsanstalten, der Besteuerung und im
Anschluß daran eine Kritik der einzelnen Bestimmungen des Gesetz-
entwurfs. Der Verf. weiß hier mit Geschick die dem wirtschaftlichen
Zweck der Versicherung und den praktischen Bedürfnissen der Ver-
sicherungsanstalten entsprechenden Grenzen des staatlichen Aufsichts-
rechtes zu ziehen. Seine zahlreichen Verbesserungsvorschläge gegenüber
der Fassung des Entwurfs sind wohldurchdacht und beachtenswert,
haben zum Teil auch bereits durch den Bundesratsentwurf und die
Beschlüsse der Reichstagskommission ihre Erledigung gefunden, so
namentlich die Ausnahme der Transport- und der Rückversicherung von
den Bestimmungen des Gesetzes.
Berlin. Brüders.
Biermann, W. E., Die deutsche Viehversicherung und ihre Reform. Berlin,
Puttkammer & Mühlbrecht, 1901. gr. 8. 84 SS. M. 1,20.
v. Cetto, Die Entwickelung der Organisation des landwirtschaftlichen Kreditwesens
in Bayern. München, R. Oldenburg, 1901. gr. 8. VI—88 SS. M. 1,50.
Exportfirmenadreßbuch, deutsches. Herausgeg. vom Exportbureau der deut-
schen Exportbank. 28. Aufl. Berlin, W. 35, 1901. gr. 8. CIII—320 SS. mit Tele-
graphenkarte für den Weltverkehr. Herausgeg. von R. Jannasch in Imp.-Folio. M. 5.
Jahresbericht der Handelskammer zu Aachen für 1900. Aachen, Druck von
€. H. Georgi, 1901. gr. 8. V—245 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Leipzig, Jahrg. 1900. Leipzig, J. C.
Hinrichssche Bhdl., 1901. gr. 8. XIl—261 SS. mit dem Stadtplan von Leipzig (innere
Stadt) für die Zwecke der Messen bearbeitet und herausgeg. vom Meßausschuß der
Handelskammer.
Jahresbericht der Handelskammer zu Nordhausen für das Jahr 1900. 3 Teile,
46*
724 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Nordhausen, Müller, 1901. 8. 104 SS. (Inhalt: I. allgemeiner Teil; II. besonderer
(die einzelnen Industrien behandelnder) Teil; III. statistischer Teil.)
Kanal-A-B-C. Kurze Angaben aus den Drucksachen zu den preußischen Kanal-
vorlagen von 1899 und 1900 aus der Reichsstatistik und sonstigen amtlichen wie anderen
Druckschriften. Hrsg. von Fr. Geck (Ingen.). 2. Aufl. Hannover, Gebr. Jänecke, 1901.
3. 99 SS. M. 0,60.
Leipzigs Handel und Industrie. Adreßbuch sämtlicher handelsgerichtlich einge-
tragenen Firmen und der größeren gewerblichen Betriebe für 1901. Jahrg. V. Leipzig,
Schulze & C°, 1900. gr. 8. 340 u. 71 SS., geb. M. 6.—.
Regelung, die, des deutschen Apothekenwesens. Denkschrift des deutschen
Apothekervereins. Berlin, Selbstverlag des DAVereins, 1901. 4. 19 SS.
Verwaltungsbericht der sächsischen Holzberufsgenossenschaft für das Jahr
1899. Dresden, Druck von C. Heinrich, 1900. 4. 27 SS.
Congrès international des accidents du travail et des assurances sociales. Viz session,
tenue A Paris du 23 au 30 juin 1900. Tome I. Paris, Béranger, 1901. 8. V—704 pag.
(Table des matières: Rapports présentés par MM. Boediker, Zacher, Hartmann, Lach-
mann, Koegler, Magaldi, de Angeli, Hjelt, Paulet, Gigot, Vermot, Marestaing, Neu-
man-Bijleveld, Wodon, Dejace, Repond, Bellom, Fontaine, Cheysson, Bielefeldt,
Roques, Ruysch, Villaret, Carroll D. Wright, Tessenden, Willoughby, Kaan, Colajanni,
Schiff, Scodnik et la caisse nationale de prévoyance italienne, et publiés par les soins
du comité d’organisation. (Exposition universelle de 1900. (Publication du Ministère
du commerce et de l’industrie.)
Dufourmantelle, Maur., Congrès international du crédit populaire, tenu à
Paris du 8 au 11juillet 1900. Proces-verbaux sommaires, par M. D. (secrétaire général
adjoint du congrès. Paris, impr. nationale, 1900. 8. 72 pag.
Cordingley, W. G., Dictionary of stock exchange terms. London, E. Wilson,
1901. crown-8. 96 pp. 2/.6.
Hurrell, H. and Clar. G. Hyde, The joint stock companies’ practical guide,
7% ed. London, Waterlow, 1901. 8. 400 pp. 6/.—.
Parker Willis, H., A history of the latin Monetary Union, a study of inter-
national monctary action. Chicago, the University of Chicago Press, 1901. 8. 332 pp.
Report of the Director of the Mint upon the production of the precious metals
in the United States, during the calendar year 1899. Washington, Government Printing
Office, 1900. 8. 435 pp.
9. Soziale Frage.
Sacher Ed. K. K. Direktor, Die Massenarmut, ihre Ursache
und Beseitigung. Akademischer Verlag für soziale Wissenschaften Dr.
John Edelheim. Berlin-Bern 1901.
Die Erscheinung, daß die Arbeit an und für sich immer ergiebiger
wird, während gleichzeitig die Menschen, die diese Arbeit verrichten,
immer ärmer werden, welche der Verf. als erwiesene Thatsache auf-
faßt, hat ihn zu seiner Schrift angeregt. Um zur Lösung dieses Rät-
sels zu gelangen, ist es notwendig, sich eine Vorstellung von der
Gesamtwirtschaft eines Volkes zu machen. Ausgehend von den wichtigsten
Bedürfnissen nach Nahrung, Wohnung und Kleidung, bespricht der
Verfasser die Entstehung des Eigentums durch Arbeit, die Arbeits-
teilung und das damit verbundene Tauschgeschäft, das den Grund-
gedanken für die Wirtschaftsmoral und für das wirtschaftliche Recht
bildet. Die Frage, ob der Boden für die wachsende Bevölkerung noch
lange ausreichen werde, wird dahin beantwortet, daß bei vernünftiger
Bewirtschaftung die hundertfache Anzahl der heutigen Menschen sich
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 725
Nahrungsmittel leicht verschaffen könne. So könne Deutschland bei
etwas intensiverer Landwirtschaft leicht 150 Millionen Menschen ernähren.
Im Anschluß an den Darlehnsvertrag geht der Verfasser sehr ein-
eingehend auf die Geschichte und Wirkung des Zinses ein. Im Zins
ist die Ursache der Massenarmut zu erblicken, und „die Beseitigung
des Wucherrechtes ist demnach der wichtigste Teil der Lösung der
sozialen Frage“ (S. 51).
Zur Beseitigung dieser Ursache ist eine Revolution nicht am
Platze, „Da die Ursache der Massenarmut wirtschaftlicher Natur ist,
so ist es höchst wahrscheinlich, daß die Heilmittel gegen diese Krank-
heit auf wirtschaftlichem Gebiet gesucht werden müssen.“ Zu diesem
Zweck hat der Verfasser in der gegenwärtigen Wirtschaftsweise nach
Keimen für deren nächste Form gesucht und in England in den Pro-
duktivgenossenschaften und Konsumvereinen gefunden. Selbstdisciplin
und Sparsamkeit müssen vpraufgehen, ehe man den Weg der Selbst-
hilfe betritt. Um aber dem Volke den Sparsinn in richtiger Weise
anzuerziehen und um es zu vermeiden, daß das allgemeine Elend nur
noch vergrößert werde, wie es bei der heutigen Art zu sparen der Fall
ist, wird die Gründung eines Sparvereins empfohlen.
Dieser Verein soll die drei Wege, auf denen der Zins aufgebraucht.
wird, versperren. Die Vereinsmitglieder müssen erstens so gestellt
werden, daß sie durch Organisation des Handels unter den erhöhten
Verkaufspreisen nicht mehr zu leiden haben. Die Ueberproduktion,
der zweite Weg, läßt sich dadurch beseitigen, daß die Mitglieder wesent-
lich für einander arbeiten. Drittens sollen die Mitglieder mit Arbeits-
mitteln versehen werden, „so daß sie sich der Unterzahlung der Lohn-
arbeit nicht mehr wegen ihrer Notlage zu unterwerfen brauchen.“
Damit ist der Weg zur Beseitigung der Massenarmut angegeben.
Der Schrift sind als Anhang die Satzungen des zu gründenden Vereins
beigegeben. Die beitretenden Mitglieder haben die allgemeine Ver-
pflichtung, zur wirtschaftlichen Förderung aller Mitglieder und zùr
thunlichen Förderung des Vereinsvermögens beizutragen. Außerdem
wirken sie bei der Durchführung der drei angegebenen speciellen wirt-
schaftlichen Aufgaben mit. Alle, die elend sind und in ihrer Wirt-
schaft nicht vorwärts kommen und den Armen helfen wollen, sind auf-
gefordert, den allgemeinen Sparverein Selbsthilfe zu gründen. Der
Verfasser hebt aber hervor: „Die soziale Frage vollständig zu lôser,
ist natürlich nicht die Sache eines Privatvereins, denn es bleiben ganz
selbstverständlich einige wirtschaftliche Maßregeln übrig, welche nur
die Gesetzgebung unternehmen kann“ (S. 53).
Die Anregung zu derartigen staatlichen Gesetzen soll den politischen
Vereinen überlassen bleiben, da für den Sparverein die genannten drei
Aufgaben vollauf genügen.
Halle S. Franz Dochow.
Becker (LandgerDir. u. Vorsitzender des Dresdner Spar- u. Bauvereins), Die Woh-
nungsfrage und ihre Lösung auf baugenossenschaftlichem Wege. Dresden, v. Zahn A
Jaensch, 1901. gr. 8. 44 SS.
726 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Centralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen. Vorberichte für die Konferenz
am 6. u. 7. Mai 1901 in München: Die Fürsorge für die schulentlassene gewerbliche
männliche Jugend. Berlin, Heymanns Verlag, 1901. 8. 67 SS. (Als Manuskr. gedruckt.)
Wie wirtschaftet man gut und billig mit einem jährlichen Einkommen von 1400—
2000 Mark? Dresden, G. V. Böhmert, 1900. 8. 38 SS. M. 0,20. Herausgeg. von
der volkstümlichen Ausstellung für Haus und Hof in Dresden. (A. u. d. T.: Volks-
wohlschriften von (Prof.) V. Böhmert, Dresden, Heft 29.)
Congrès international du patronage de la jeunesse ouvrière, tenu à Paris du 10
au 13 juin 1900. Procès-verbaux sommaire, par P. Griffaton (secrétaire général du
congrès. Paris, impr. nationale, 1901. 8. 27 pag. (Exposition universelle de 1900.)
Grève (la) générale. Paris, impr. Mangeot, 1901. 8. 16 pag. (Publication du
Comité de propagande de la grève générale. Table: La grève generale. — Pourgoi la
grève générale. — Son but. — Ses moyens. — Lendemain de grève générale et attitude
des partis politiques.)
Andersson, Thor, Om nykterheten och Göteborgs maltdrycksaktiebolag. Göte-
burg, Wettergren & Kerber, 1901. 8, 32 blz. (Vorschlag, betreffend Ausdehnung des
Gothenburger Absistenzsystems auf den Bierausschank.)
Page, Jesse, General Booth. The man and his work. London, Partridge, 1901.
crown-8. 160 pp. with portr. of General Booth. 1/.6. (New century leaders.)
10. Gesetzgebung.
Dambach, O. (weil. Wirkl. GehR. ete.), Das Gesetz über das Postwesen des
Deutschen Reichs vom 28. 10. 1871. Erläutert. 6. Aufl., hrsg. von (PostR.) E. v.
Grimm. Berlin, R. Schoetz, 1901. 8. XXIII—364 SS. M. 5.—.
Gesetzsammlung vom Jahre 1900, Heft 3: (Gesetzartikel. N° XXIII—XXX VI.)
Budapest, Pester Buchdruckerei-Aktiengesellschaft, 1900. gr. 8. Kr. 3,30. (Herausgeg.
vom k. ung. Ministerium des Innern.)
Grotefend, G. A. (GehRegR.), Das gesamte deutsche und preußische Gesetz-
gebungsmaterial. Die Gesetze und Verordnungen sowie die Ausführungsanweisungen,
Erlasse, Verfügungen etc. der preußischen und deutschen Centralbehörden. Zusammen-
gestellt und herausgeg. von G. Jahrgang 1900. Düsseldorf, L. Schwann, 1901. gr. 8.
977 SS.
Josef, E. (Notar a. D., Freiburg i. Br.), Rechtsfälle zum Handelsgesetzbuch unter
Berücksichtigung von Vorschriften des sonstigen bürgerlichen Reichsrechts. Berlin, Fr.
Vablen, 1901. 8. IV—163 SS. M. 2.—.
Mancke, Die Bürsenjuristen gegen das Reichsgericht. Berlin, Selbstverlag, 1900.
gr. 8. 89 SS.
v. Mandry, G., Das Grundbuchwesen in Württemberg. Tübingen, H. Laupp-
sche Bhdl., 1901. gr. 8. 52 SS. M. 1.—.
Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiete des Civilrechts. Her-
ausgegeben von B. Mugdan und R. Falkmann (KammergerRäten). I. Band, Jahrg. 1900.
Leipzig, Veit & C°, 1900. Lex.-8. XVI—492 SS. M. 6.—.
Rochette, H., Législation des logements insalubres (loi de 1850); aperçus eri-
tiques sur les législations étrangères; projet de loi de 1901. Lyon, impr. Legendre
& C", 1900. 8. 280 pag.
Pingrey, D. H., Treatise on the law of suretyship and guaranty. Albany,
Matthew Bender, 1901. 8. 459 pp. $ 4.—.
Lavänyi, B., A birtokos és gazdatiszt közti jogviszonyok szabályozásáról szóló
törvény magyarázata. Budapest, Grill, 1900. 8. 164 pp. (Erläuterung des Gesetzes betr.
Regelung des Rechtsverhältnisses zwischen Landwirten und landwirtschaftlichen Beamten
in Ungarn.)
11. Staats- und Verwaltungsrecht.
Angerburg. Verwaltungsbericht des Kreisausschusses des Kreises Angerburg für
1900/1901. Angerburg 1901. Folio. 12 SS. — Kreishaushaltsetat des Kreises Anger-
burg für die Zeit vom 1. IV. 1901 bis 31. III. 1902. Ebd., Druck von G. Werda,
1901. Folio. 13 SS.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 727
Bochum. Bericht des Magistrats der Stadt B. über die Verwaltung und den
Stand der Gemeindeangelegenheiten für das Rechnungsjahr 1899. Bochum, Druck von
W. Stumpf, 1901. 4. 145 SS. — Städtische Beleuchtungs- und Wasserwerke Bochum.
Verwaltungsbericht für die Zeit vom 1. IV. 1899 bis 31. III. 1900. Ebd. 1900. 4.
Dengler, P., Der 29. schlesische Bädertag und seine Verhandlungen nebst dem
medizinischen , statistischen Verwaltungsbericht für die Saison 1900. Reinerz, 1901.
gr. 8. 150 SS.
Flensburg. Haushaltungsplan der Stadt Flensburg für das Rechnungsjahr vom
1. IV. 1901 bis Ende März 1902. Flensburg, Druck von J. B. Meyer, 1901. Lex.-8.
162 SS.
Generalbericht über die Sanitätsverwaltung im Königreich Bayern. XXX. Band
(Neue Folge XIX. Band), das Jahr 1899 umfassend. München, Fr. Bassermann, 1901.
gr. 8. 351 u. 53 SS. mit 22 Tabellen, 8 Kartogrammen und 20 Diagrammen (Heraus-
gegeben vom k. Staatsministerium des Innern. Bearbeitet im k. statistischen Bureau.)
Halle a/S. Haushaltspläne der Stadt Halle a/S. für das Rechnungsjahr 1901.
Halle a/S., Gebauer-Schwetschkesche Buchdruckerei, 1901. gr. 4, 706 SS.
Hamburgisches Staatshandbuch für 1901. Amtliche Ausgabe. Hamburg, gedruckt
bei Lüteke & Wulff, 1901. kl. 4. 403 SS.
Hubrich, E., Parlamentarische Immunität und Beamtendisciplin. Ein Beitrag
zur rechtlichen Beleuchtung der „Beamtenmaßregelung“ in Preußen. Berlin, Gose &
Tetzlaff, 1901. gr. 8. 63 ss. M. 1.—.
Hugo, C., Die deutsche Städteverwaltung. Ihre Aufgaben auf den Gebieten der
Volkshygiene, des Städtebaus und des Wohnungswesens. Stuttgart, J. H. W. Dietz
Nachf., 1901. gr. 8. XII—512 SS. M. 10.—.
Königsberg i. Pr. Stadthaushaltsetat von Königsberg i. Pr. für das Rechnungs-
jahr 1. IV. 1901/1902. 3 Hefte. Königsberg 1901. 4. 139; 164; 192 SS.
Landsberg a. W. Bericht des Magistrats über die Verwaltung der Gemeinde-
angelegenheiten für das Rechnungsjahr 1899. Landsberg a. W., Buchdruckerei des General-
anzeigers, 1900. kl. 4. 60 SS.
M. Gladbach. Haushaltspläne der Stadt M. Gladbach für das Rechnungsjahr
1901. M. Gladbach, Druck von A. Korten, 1900. 4. 73 SS.
Sammlung der Polizeiverordnungen und polizeilichen Vorschriften für Berlin. 4.
umgearb. u. vermehrte Ausgabe. 3 Bde. Im amtlichen Auftrage herausgeg- Ende De-
zember 1900. Berlin, A. W. Hayns Erben, 1900—1901. gr. 8. (Inhalt: I. Bd. Bicher:
heits- und Ordnungspolizei, Medizinal- und Sanitätspolizei. 1V—517 SS. M. 7.
II. Bd. Gewerbepolizei. 668 SS. M. 10,50. — III. Bd. Strom- und Schiffahrtspolizei,
Baupolizei. 1V—186 SS. M. 3.—.)
Verfassung, die, für die Ver. Staaten von Amerika. Uebersetzt und erläutert,
Tübingen, J. C. B. Mohr, 1901. 8. VII—184 SS. M. 3.—.
Verwaltung, die, der öffentlichen Arbeiten in Preußen 1890 bis 1900. Bericht
an Se. Maj. den Kaiser und König, erstattet von dem Minister der öffentlichen Arbeiten.
Berlin, Jul. Springer, 1901. Lex.-8. X—330 SS. mit 22 Abbildgn. im Text, 33 An-
lagen und 2 Karten in größt. Imp.-qu.-Folio.
Annual report of the executive Department of the city of Boston for the year
1899. 2 parts. Boston, Munieipal Printing Office. 1900. 8. ca. 2800 pp. with numerous
plates, charts, diagrams ete. (Contents: Part I: Address of Mayor. — Art Department.
— Assessing Department. — Auditing Department. — Building Department. — Cemetery
Department. — Children’s Institutions Department. — City Clerk Department. — City
Messenger Department. — Clerk of Committees Department. — Colleeting Department.
— Election Department. — Engineering Department. — Fire Department. — Health
Department. — Hospital Department. — Insane hospital Department. — Institutions
Registration Department. — Inspection of vessels and ballast Department. — Lamp
728 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
Department. — Law Department. — Part II: Library Department. — Market Depart-
ment. — Music Department. — Overseeing of the Poor Department. — Park Depart-
ment. — Pauper Institutions Department. — Penal Institutions Department. — Printing
Department. — Public Buildings Department. — Public Grounds Department. — Registry
Department. — Sailing of Weights and Measures Department. — Sinking Funds Depart-
ment. — Soldiers’ Relief Department, — Statistics Department, — Street Department.
— Street Laying-out Department. — Treasury Department. — Water Department. —
Wire Department.)
City of Boston. Statistics Department. Special publications n°6: Extraordinary
receipts and expenditures 1893—1897. Boston, Municipal Printing Office, 1900. gr. in-4.
218 pp.
Hopkins, J. H., A history of political parties in the United States, being an
account of the political parties since the foundation of the government. Together with
a consideration of the conditions attending their formation and development, with a
reprint of the several party platforms. London, Putnam’s Sons, 1901. 8. 477 pp.
12/.6.
12. Statistik.
Allgemeines.
Staats-, Hof- und Kommunalhandbuch des Reichs und der Einzelstaaten (zu-
gleich statistisches Jahrbuch). Herausgeg. von Jos. Kürschner. 16. Ausgabe: 1901.
Leipzig, G. J. Göschen, 1901. 8. IV—1252 Spalten mit Porträts, Flaggen-, Wappen-
und Ordenstafeln. M. 6,50.
Deutsches Reich.
Statistik der Evangelisch - protestantischen Landeskirche im
Großherzogtum Baden. Herausgegeben vom Ev. Pfarrverein im Groß-
herzogtum Baden. Verlag desselben. Karlsruhe 1900. 220 SS.
Die Arbeit würde wohl besser mit dem Namen Amtskalender
oder Stellen- und Personalverzeichnis bezeichnet worden sein. Denn
sie giebt zwar ein sehr genaues Verzeichnis der evangelischen Pfarreien
mit eingehender Beschreibung der Kirchen, Pfarrhäuser, Gottesdienste
u. s. w., der Finanzverhältnisse, Angabe der Seelenzahl, der wichtigsten
bürgerlichen und sonstigen Verhältnisse, nach denen ein Pfarrer sich
etwa eine Stelle auswählen würde. Aber eine Zusammenfassung der
Einzelangaben in tabellarischen Uebersichten oder eine irgend sonst
als spezifisch statistische Arbeitsleistung zu bezeichnende Verarbeitung
des reichhaltigen Materials fehlt vollständig. Als Nachschlagebuch,
vielleicht im Sinne eines kirchlichen Adreßbuchs, wird die Arbeit also
ihren Wert haben; für eine statistische Erfassung der Verhältnisse der
Evangelisch-protestantischen Landeskirche in Baden giebt sie aber doch
nur Materialien hinsichtlich der Pfarrer, deren Verarbeitung zu wirk-
licher „Statistik“ erst noch erfolgen müßte. Eine Feststellung der
Verhältnisse im kirchlichen Leben der Gemeinden selbst, deren Ent-
wickelung mit Zahlen mefbar ist, ist nicht beabsichtigt, hätte aber
doch erfolgen müssen, wenn man den Titel im strengen Wortsinne
erklärt.
Aachen. W. Kahler,
Ergebnisse, vorläufige, der Volkszählung vom 1. XII. 1900 im Königreich
Preußen sowie in den Fürstentümern Waldeck und Pyrmont. Berlin, Verlag d. K.
statist. Bureaus, 1901. Roy.-4, XVIII—66 SS.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 729
Jahrbuch, statistisches, für das Großherzogtum Baden. Jahrg. XXXI, 1900.
Karlsruhe, Macklotsche Druckerei, 1901. gr. 8 XXII—559 SS.
Statistik des Deutschen Reichs. N. Folge. Band 130, Abteilung 2: Die See-
schiffahrt im Jahre 1899. Bearbeitet im kais. statistischen Amt. II. Abteilung: See-
verkehr in den deutschen Hafenplätzen ; Scereisen deutscher Schiffe. Berlin, Putt-
kammer E Mühlbrecht, 1901. Imp.-4. 134 u. 124 SS. M. 4.—.
England.
Annual report, LXII", of the Registrar-General of births, deaths, and marriages
in England (1899). London, printed by Darling & Son, 1901. gr. in-8. CXLIV—308 pp.
2/).—. (Parl. paper. Contents: Report to the R. Hon. Walter H. Long, President of
the Local Government Board ete. presented by Reg. Mac Lead, Registrar-General.
— etc.)
Oesterreich- Ungarn.
Ergebnisse, vorläufige, der Volkszählung vom 31. XII. 1900 in den im Reichs-
rate vertretenen Königreichen und Ländern. Bearbeitet und herausgeg. von der k. k.
statistischen Centralkommission. Wien, A. Hölder, 1901. gr. 8 XXXI—156 SS.
M. 3,20.
Nachweis, provisorischer, des Zwischenverkehres zwischen den im Reichsrate ver-
tretenen Königreichen und Ländern und den Ländern der ungarischen Krone im Jahre
1900. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1901. Lex.-8. 52 SS. (Herausgeg. vom
k. k. zwischenverkehrsstatistischen Amte im k. k. Handelsministerium.)
Magyar statisztikai küzleméniek. Új folyam, XXVIT kötet: A Magyar korona
országainak mezögazdasági statisztikája. Negyedik rész: Végeredmények. Budapest,
Pester Buchdruckereiaktiengesellschaft, 1900. Folio. 118 u. 234 SS. Mit 17 graphi-
schen Karten. (Ungarische statistische Mitteilungen. N. Folge, Band XVII: Landwirt-
schaftliche Statistik der Länder der ungarischen Krone. 1V. Teil: Endergebnisse. Im
Auftrage des k. ungarischen Handelsministers verfaßt u. hrsg. vom k. ung. statistischen
Centralamt. Kr. 8.—.)
Magyar statisztikai évkönyv. IT. Évfolyam 1899: Ungarisches Jahrbuch. Neue
Folge. Bd. VII (1899). Im Auftrage des kön. ung. Handelsministers verfaßt und her-
ausgegeben durch das k. ungar. statistische Centralamt. Amtliche Uebersetzung aus dem
ungarischen Originale. Budapest, Buchdruckerei der Aktiengesellschaft Athenaeum,
1901. gr. 8. XIX—442 SS. (Inhalt: Flächeninhalt, Bevölkerung und Sanitätswesen.
— Volkswirtschaft. — Allgemeine Bildung. Unterrichtswesen und kirchliches Leben.
— Staatliches und munizipales Leben.)
Italien.
Popolazione. Movimento dello stato civile, anno 1899. Roma, tip. di G. Bertero
& C°, 1901. Lex. in-8. LIX—71 pp. (Pubblicazione del Ministero di agricoltura,
industria e commercio, Direzione generale della statistica.)
Holland.
Bijdragen tot de statistiek van Nederland. Uitgegeven door het Central Bureau
voor de Statistiek. Nieuwe volgreeks n° 3: Uitkomsten der VIII tienjaarlijksche
volkstelling in het Koninkrijk der Nederlanden gehouden op den 31“*% XII 1899 (met
uitzondering van de beroepstelling en de woningsstatistiek). Deel I, V en VI. (Ergeb-
nisse der VIII. Zählung der Bevölkerung des Königreichs der Niederlande am 31. De-
zember 1900, ausschließlich der Berufs- und Gebäudezählung. Teil I. Provinz Nord-
brabant 345 SS.; Teil V. Provinz Seeland 178 SS.; Teil VI. Provinz Utrecht 148 SS.)
’s Gravenhage, 1901. Folio.
Bijdragen tot de statistiek van Nederland. Nieuwe volgreeks. IV. Statistiek
der gemeentefinantien in 1897. ’s Gravenhage, Gebr. Belinfante, 1901. Lex. in-8. VIH —
123 pp.
Jaarcijfers voor het koninkrijk der Nederlanden. Rijk in Europa 1899. ’s Graven-
hage, Gebr. Belinfante, 1900. gr. in-8. XXVIII —276 pp. (Herausgegeben vom stati-
stischen Centralbureau des KReichs der Niederlande.)
730 Uebersicht über die nenesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Coffee-statisties running from 1884 to 1905. Compiled by J. H. F. Schmedding
& Zonen. Amsterdam, J. H. de Bussy, 1901. 4. 33 blz. fl. 1,50.
Schweiz.
Schweizerische Statistik. Lieferung 127: Die Bewegung der Bevölkerung in
der Schweiz im Jahre 1899. Bern, Schmid & Francke, 1901. 4. 32 SS. (Herausgeg.
vom statistischen Bureau des eidgen. Departements des Innern.)
Amerika (Ver, Staaten).
Abstract, statistical, of the United States, 1900. XXIII“ number. Washington,
Government Printing Office, 1901. gr. 8. XV—467 pp. (Contents: Population. —
Finance. — Commerce. — Agricultural and other leading products. — Mining. —
Railroads and telegraphs. — Immigration. — Education. — Public lands. — Pensions.
— Postal service. — Prices. — Tonnage. — etc.) [Prepared by the Bureau of Statisties
under the direction of the Secretary of the Treasury.)
Annual report, XIII", of the Bureau of statistics of labor, March (for the com-
monwealth of Massachusetts) 1900. Boston, Wright & Potter Printing C°, 1900. gr. in-8.
XXI—247 pp. cloth. (Contents: Part I. Changes in conducting retail trade in Boston,
since 1874. — Part II. Chronology, 1899: Hours of labor; Wages; Trade Unions;
Condition of workingmen, and labor legislation.)
Annual statistics, the, of manufactures for the year 1899. XIV‘ report. Boston,
Wright & Potter Printing C°, 1900. gr. in-8. XI—168 pp., cloth. (Publication of the
Bureau of Statisties of labor) for the commonwealth of Massachusetts. Contents: Part I.
Industrial chronology, 1899; Part II. Statistics of Manufactures, 1898, 1899.)
13. Verschiedenes.
Achelis, Th., Die Wandlungen der Pädagogik im XIX. Jahrhundert. Berlin,
S. Cronbach, 1901. 12. 204 SS. M. 2,50. (A. u. d. T.: Am Ende des Jahrhunderts.
Bd. XXI.)
Behringer, G. (Freiburg i. B.), Die Gefüngnisschule. Ein Ueberblick über die
geschichtliche Entwiekelung, den heutigen Stand und die Bedeutung des Schul- und
Bildungswesens in Strafanstalten. Leipzig, C. L. Hirschfeld, 1901. gr. 8. IV—132 SS.
M. 3,60.
Bleibtreu, K., Zur Geschichte der Taktik und Strategie. 2. Ausgabe. Berlin,
A. Schall, 1901. 8. XVI—495 SS. mit 11 Karten. M. 3.—.
Jähns, Max, Was ist des Deutschen Vaterland? Berlin, G. Reimer, 1900. 8.
46 SS. M. 0,50.
Jahrbuch der Astronomie und Geophysik. Enthaltend die wichtigsten Fortschritte
auf den Gebieten der Astrophysik, Meteorologie und physikalischen Erdkunde. Unter
Mitwirkung von Fachmännern herausgeg. von Herm. J. Klein. XI. Jahrg.: 1900.
Leipzig, Ed. H. Mayer, 1901. gr. 8. VIII—379 SS. mit 5 Tafeln in Schwarzdruck.
M. 7.—
Jahrbuch der Wiener k. k. Krankenanstalten. Herausgegeben von der k. k. n.-
österr. Statthalterei. Jahrg. VII (1598) in 2 Teilen. Wien, W. Braumüller, 1900.
Imp.-8. X—527 u. 366 SS. mit 13 Taf. u. 3 Abbildgn. im Text. M. 10.—.
Jahresberichte über das höhere Schulwesen, herausgegeben von Conrad Reth-
wisch. Jahrg. XIV. Berlin, R. Gaertner, 1900. gr. 8. VII—700 SS. M. 14.—.
Kampf, der, um die deutsche Schulschreibung im Jahre 1900. Urkundliche Bei-
träge zu einem nicht unwichtigen Kapitel der Geschichte unserer Muttersprache. Leipzig,
Verlag des Börsenvereins deutscher Buchhändler, 1900. 8. 32 SS. M. 0,50.
v. Müller, A. (OLeutnant im 1. Hanseatischen Infanterieregim. N° 75), Der Krieg
in Südafrika 1599/1900 und seine Vorgeschichte. 5 Teile (in 1 Bande). 4. Aufl. Berlin,
Liebelsche Buchhdl., 1900. gr. 8 VII—320 SS. mit zahlreichen Karten, Skizzen und
Anlagen. M, 6.—.
Provinzial-Irrenanstalt zu Leubus in Schlesien. Aus dem Jahresbericht für
1899/1900. Wohlau, Buchdruckerei Schulze, 1900. 8. 30 SS.
Schmölzer, Hans, Andreas Hofer und seine Kampfgenossen. Innsbruck, Wagner-
sche Universitätsbuchhandlung, 1900. gr. 8 NIII—255 SS. mit zahlreichen in den
Text gedr. Porträts u. 1 Karte. M. 5.—.,
Die periodische Presse des Auslandes. 731
Stern, Alfr., Geschichte Europas seit den Verträgen von 1815 bis zum Frank-
furter Frieden von 1871. Band IH. Berlin, Hertz, 1901. gr. 8. XII—419 SS.
M.7.—
Taube, Fr. W., Ludwig der Aeltere als Markgraf von Brandenburg (1328—
1351). Berlin, E. Ebering, 1900. gr. 8. 146 SS. mit 1 Stammtafel. M. 4—. (A. u.
d. T.: Historische Studien, Heft 18.)
Türkel, S., Irrenwesen und Strafrechtspflege. Ein Vortrag über einige Kapitel
aus der forensischen Psychiatrie, dem Straf- und StrafprozeBrecht, gehalten im Jänner
1900. Wien, Manz, 1900. gr. 8. 38 ss. M. 2.
Verhandlungen über Fragen des höheren Unterrichts. Berlin, 6. bis 8. Juni
1900. Halle a. S., Verlag der Buchhdl. des Waisenhauses, 1901. gr. 8. XVI-414 SS.
M. 5.—. (Nebst einem Anhange von Gutachten herausgeg- im Auftrage des Kultus-
ministers.)
Walcker, K. (Privdoz., Univ. Leipzig) , Priesterherrschaft oder Laienherrschaft?
Sondershausen, Fr. A. Eupel, 1901. gr- 8. XI-36 SS. M. 1.—.
Dupuis, V. (eapitaine breveté d’Etat-Major), L'évolution militaire en Allemagne
et en France. Essais de sociologie militaire. Paris, G. Kleiner, 1901. 8. fr. 2,50.
Annual report of the Board of Regents of the Smithsonian Institution, showing
the operations, expenditures, and condition of the Institution for the year ending June
30, 1898. Washington , Government Printing Office, 1899. gr. in-8. LV—713 pp-
with plates and charts.
Purves, G. T. (Prof. of Princeton theological Seminary), Christianity in the
Apostololic age- London, Smith, Elder & C°, 1901. 8. 6/.—.
Report of the Commissioner of Education for the year 1898—99. Vol. I. Was-
hington, Government Printing Office, 1900. gr. in-8. VIII — pp- 1249—2518, cloth.
Contents: Education and crime. — Education in Canada. — Education in Alaska. —
IX" Annual report of the introduetion of domestie reindeer into Alaska. — Consular
reports: Study of commerce in France. Education of German consuls. Workingmen’s
aid societies in France. — List of foreign Universities and other institutions of higher
education. — City school systems. — Institutions for higher education. — Professional
schools. — Agricultural and mechanical colleges. — Statistics of normal schools. —
Statistics of secondary schools. — Commercial and business schools. — Education of
the colored race. — Schools for the defective classes. — Statistics of publie kinder-
gartens. — Contribution to the history of normal schools in the United States. — Necro-
logy for 1898. — Statisties of elementary education in foreign countries. — ete.
Whittaker, T., The neo-Platonists: a study in the history of Hellenism. New
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d’Andrea, Givanni, Progetto di regolamento d’igiene per la citta di Taranto.
Taranto 1900. 8. XIV—368 pp.
Malagodi, O., Imperialismo, la civiltà industriale € le sue conquiste: studi
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l'exercice 1901. — Produit des contributions indirectes pendant Vannée 1901. — Les
bons du Trésor. — Les revenus de PEtat. — Le commerce extérieur, mois de Février
1901. — B. Pays étrangers: Pays divers: Production des métaux précieux. Les émissions
732 Die periodische Presse des Auslandes.
publiques en 1900. — Angleterre: Le produit de l’income-tax. — Espagne: La contri-
bution industrielle et commerciale. — Russie: Le régime d'exportation des sucres.
— etc.
Journal des Economistes. Revue mensuelle. 60° année, 1901, Avril: Un pro-
fesseur d'économie politique sous la restauration: J. B. Say, au Conservatoire des arts
et métiers par A. Liesse. — Le mouvement financier et commercial, par Maur. Zablet.
— Revue des principales publications économiques de l’étranger, par Em. Macquart. —
La lutte contre les relèvements du droit sur les céréales en Allemagne, par Arthur
Raffalovich. — Les dessous de la civilisation, par Fred. Passy. — Correspondance, par
Vilfr. Pareto. — Société d'économie politique, réunion du 4 avril 1901. Discussion:
De l’accaparement. — Comptes rendus. — Chronique. — etc.
Revue d'économie politique. 15° année, 1901. N° 3, Mars: La crise du vin en
France et les associations de vinification, par Ch. Gide. — La nouvelle réglementation
de la journée de travail et ses premiers effets dans la grande industrie du Nord, par
Maur. Bourguin. — Une forme nouvelle d'organisation du travail par les groupements
professionnels, par Raoul Jay. — Le système des impôts directs d'Etat en France, par
H. Truchy (suite) — Chronique législative. — etc.
Revue politique et parlementaire. N° 82, 10 avril 1901: La réforme de Pen-
seignement secondaire, par Th. Ferneuil. — La valeur dans le système collectiviste,
par Maur. Bourguin (1% Article.) — Régime parlementaire et principe représentatif, par
Félix Moreau (2° article.) — L'établissement du jury en 1790, par Edm. Seligman. —
Les solutions du problème des retraites A l'étranger, par G. Salaun, — Un nouveau
traité de droit administratif (par Berthélemy, prof. à l’Université de Paris) par Maur.
Colin. — Ouvrages et brochures publiés à l’occasion de J’Exposition de 1900 (suite). —
Revues des principales questions politiques et sociales, par R. Darlae et D. Zolla. —
Les Russes en Mandchourie, par B. Zenzinoff. — etc.
Revue internationale de sociologie 9° année, 1901, N° 3, Mars: Programmes de
sociologie générale, par Aless. Groppali et Tongo Takébé (prof.-adjoint à l’Université de
Tokio.) — Du déterminisme et de la responsabilité sociologiques, par Raoul de la
Grasserie (suite et fin). — Société de sociologie de Paris: Séance du 13 février 1901:
La Roumanie A PExposition universelle, par N. Mihaesco. — Mouvement social: Belgique,
par O. Pyfferoen. — ete.
B. England.
Economie Review, the. Published for the Oxford University branch of the
Christian Social Union. Vol. XI, N° 2, April 15, 1901: The Indian currency „experi-
ment“, by W. Warrand Charlile. — Temperance reform: What blocks the way? by
(Rev) T. C. Fry. — Life in manufacturing towns of Lancashire and Yorkshire, by
J. Garrett Leigh. — John Woolman: a social reformer of the XVIII century, by
(Miss) E. C. Wilson. — The demands of the French miners in the Pas-de-Calais, by
Yan’ Keravie. — Recent progress of labour co-partnership, by A. Williams and H. Vivian.
— The prospects of a stock exchange boom, by Walter F. Ford. — Legislation, parlia-
mentary inquiries, & offic. returns, by E. Cannan. — etc.
Nineteenth Century the, and after, N° 291, May 1901: The costs of the war,
by (the Earl of) Camperdown. The national theatre, by Frank R. Benson. — The
housing problem, by (Canon) Barnett. — The native Indian Press, by J. D. Rees. —
„Australia for the white man“ again, by G. Parker. — Korea from the Japanese stand-
point, by H. N. G. Bushby. — The blunder of modern education, by Har. E. Gorst. —
Is law for the people or for the lawyers?, by (Judge) Emden. — Co-operative profit-
sharing canteens, by J. W. Fortescue. — ete.
Westminster Review, 1901, May: The worlds’ true heirs; or, true and false
imperialism, by F. A. White. — Why not Irish volunteers? by Th. E. Naughter. —
The working classes and conscription, by Anti-Jingo. — Land ownership; or, the right
to land, by Franklin Thomasson. — Civil service inequalities and abuses, by Ashley de
Burgh. — An ethical birth-rate, by Frances Swiney. — Hooliganism and working-boys’
clubs, by E. Morley. — ete.
C. Oesterreich.
Handelsmuseum, das. Herausgeg. vom k. k. österreichischen Handelsmuseum.
Band XVI, N°16 u. 17 vom 18. und 25. April 1901: Die Neugestaltung der deutschen
Die periodische Presse des Auslandes. 733
Handelspolitik. -— Die Errichtung eines italienischen Musterlagers in Janina. — Argen-
tiniens Saladeroindustrie im Jahre 1899/1900. — Transportverhältnisse auf russischen
Eisenbahnen und binnenländischen WasserstraBen. — Die Handelspolitik Englands
(Forts. aus Nr. 15). — Die wirtschaftliche Lage der Capkolonie. — Ein internationales
Zinkkartell. — Winke für den Export von Glas- und Porzellanwaren. — Werte der
deutschen Ein- und Ausfuhr 1900. — Kommerzielle Verhältnisse in den spanischen Be-
sitzungen an der nordmarokkanischen Küste. — ete.
Monatsschrift, statistische. Herausgeg. von der k. k. statistischen Central-
kommission. N. Folge VI. Jahrg., 1901, Heft 2 u. 3, Februar-März: Vorläufige Er-
gebnisse der Volkszählung vom 31. XII. 1900 in den im Reichsrate vertretenen König-
reichen und Ländern. — Aus den Sitzungen der k. k. statistischen Centralkommission.
— Schweden, sein Volk und seine Industrie, von R. v. Pflügl. — Die Sterblichkeit in
den größeren Städten und Gemeinden Oesterreichs im Jahre 1900, von v. Bratassevič.
— ete.
Soziale Rundschau. Herausgeg. vom Arbeitsstatistischen Amte im k. k. Handels-
ministerium. Jahrg. II, 1901, Februarheft: Lohnhöhe und Arbeitszeit. — Arbeiter-
schutz; Das neue schwedische Gesetz über die Verwendung von Jugendlichen und
Frauen im Fabrikbetriebe. Gesetzgebung zum Schutze der landwirtschaftlichen Arbeiter
in Ungarn. — Gewerbeinspektion. — Unternehmerorganisationen. — Arbeiterorganisationen .
Die Gewerkschaftskommission Oesterreichs im Jahre 1900. — Die französischen Syndikate
im Jahre 1899. — Kongresse und Versammlungen: V. Verbandstag der Metallarbeiter
Oesterreichs. — Arbeitsbeirat: VIII. Sitzung des Arbeitsbeirates im Sitzungssaale des
k. k. arbeitsstatistischen Amtes. — Kommunale Wohlfahrtspflege: Die Verwaltung der
Stadt Winterthur im Jahre 1899. — Soziale Versicherung: Bruderlade des k. k. Haupt-
münzamtes im Jahre 1899. — Gewerbegerichte. — Soziale Hygiene. — Wohnungs-
wesen: Arbeiterwohnhäuser in Floridsdorf bei Wien. Wohnungsverhältnisse in Frank-
furt a./M. — Arbeitseinstellungen und Aussperrungen: Die Streikbewegung in Oester-
reich im Monate Jänner 1901. Die Arbeitseinstellungen in England 1900. Die
Streikklausel bei staatlichen Arbeitern in Preußen. — Arbeitsmarkt: Mitteilungen der
Handels- und Gewerbekammer in Reichenberg über die Lage des Arbeitsmarktes im
Jahre 1900. — Auswanderung: Einwanderung in die Ver. Staaten von Amerika und
in Canada in dem Fiskaljahre 1899—1900. — Arbeitsvermittelung: Ergebnisse der
Arbeitsvermittelung in Oesterreich im Monate Jänner 1901. — Verschiedenes: Sozial-
statistisches aus Dänemark. Betriebsunfälle in England im Jahre 1900. — ete.
Soziale Rundschau. Herausgeg. im Arbeitsstatistischen Amte im k. k. Handels-
ministerium. Jahrg. II, Märzheft 1901: Lohnhöhe und Arbeitszeit: Sonntagsruhe bei
der Binnenschiffahrt im Deutschen Reiche. Veränderungen in den Arbeitslühnen und
in der Arbeitszeit in England im Jahre 1900. — Arbeiterschutz: Wohlfahrtseinriehtungen
für Waldarbeiter in Sachsen. Ungarischer Gesetzentwurf über das Dienstverhältnis der
Handelsangestellten. — Gewerbeinspektion und Gewerbegerichte in Sachsen-Meiningen.
— Handels- und Gewerbekammern: Die Handels- und Gewerbekammer in Prag 1850
— 1900. Die Handels- und Gewerbekammer für (Oesterreichisch-)Schlesien 1850—1900.
— Arbeiterorganisationen: Die Metallarbeiter Oesterreichs 1869—1900. Allgemeiner
österreichischer Werkmeisterverband in Reichenberg 1899/1900. — Kongresse: Jahres-
versammlung des amerikanischen Bundes der Arbeit. — Sozialpolitik: Die Arbeitsräte
in Frankreich. — Autonome Wohlfahrtspflege: Sanitäre und soziale Fürsorge in Salz-
burg, Mähren und Schlesien im Jahre 1899. Aus dem Verwaltungsberichte der Landes-
hauptstadt Brünn für 1899. — Soziale Versicherung: Unfallstatistik und Gebarung der
berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen
im Jahre 1899. Ergebnisse der Krankheitsstatistik und die Gebarung der Wiener Be-
zirkskrankenkassen im Jahre 1899. — Wohnungswesen: Die Wohnungs- und Gesund-
heitsverhältnisse der Heimarbeiter in der Kleider- und Wäschekonfektion in Oesterreich.
Begünstigungen für Neubauten mit Arheiterwohnungen in Oesterreich. Kleine Wohnungen
für Arbeiter und Beamte in Deutschland. Arbeiterhäuser und Arbeiterinnenheime in
Schweden und Norwegen. — Landeskinderheime in Nieder-Oesterreich. — Arbeitsein-
stellungen und Aussperrungen: Die Streikbewegung in Oesterreich im Monate Februar 1901.
— Arbeitsvermittelung: Ergebnisse der Arbeitsvermittelung in Oesterreich im Monate
Februar 1901. Arbeitsvermittelungsamt der Stadt Wien im Jahre 1900. Arbeitsnach-
weis der Landwirtschaftskammer für die Rheinprovinz. Die unentgeltlichen öffentlichen
734 Die periodische Presse des Auslandes.
Arbeitsnachweise in den Ver. Staaten von Amerika. — Verschiedenes: Die Kohlen-
produktion in England im Jahre 1900. — etc.
Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung. Organ der Ge-
sellschaft österreich. Volkswirte. X. Bd., 2. Heft, 1901: Die Lohnfondstheorie, von
O. Jaeger. — Der Spieleinwand bei Börsenspekulationsgeschäften. — Verhandlungen der
Gesellschaft österreichischer Volkswirte. — Der Bauernstand in Rumänien, seine ge-
schichtliche Entwickelung und gegenwärtige Lage. — etc.
G. Holland.
de Economist opgericht door J. L. de Bruyn Kops. Liigste jaarg., 1901, April-
Mei: Mijnontginning in Zuidelijk Limburg, door J. L. Cluisenaer. — Wie moet het
Limburgsche steenkolenbekken ontginnen? door N. M. H. Doppler. — De werking van
syndicaten (trusts), door (Prof.) J. d’Aulnis de Bourouill. — Economische kroniek:
Annahme des holländischen Arbeiterwohnungsgesetzentwurfs in der II. Kammer der
Generalstaaten. Gesetzentwarf betr. die Arbeits- und Ruhezeit in dem Bäckereigewerbe
in Holland. Monopolisierungsbeginn (1. VII. 1902) der Fabrikation der Phosphor-
streichhölzer in Holland. — ete. — Handelskroniek. — Economische nalezingen en
berichten. — etc.
H. Schweiz.
Monatsschrift für christliche Sozialreform. Begründet von weiland Frh. K.
v. Vogelsang (Redaktion: M. v. Vogelsang, Freiburg, Schweiz). Jahrg. XXIII, 1901,
Heft 4, April: Die Vereinigten Staaten von Amerika zu Beginn des XX. Jahrhunderts,
von Ch. Ritter. — Wirtschaftliche Tagesfragen, von Sempronius: Die Ablenkung des
Weltverkehrs durch Kanäle und Schiffseisenbahnen. Oesterreich-Ungarns Holzexport
und der Kampf zwischen Waldbesitzern und zwischen Holzindustriellen. Rückwirkung
des Krieges in Südafrika auf die Volkswirtschaft Englands. Londons Besorgnis vor der
fremden Finanzkonkurrenz. — Sozialer Rückblick, von Walther v. Quarten (Forts.) —
Sozialpolitisches und Wirtschaftliches aus der Schweiz, von A. Hüttenschwiller (Forts.)
— etc.
Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Jahrg. IX, 1901,
Heft 5 u. 6: Zur fünften schweizerischen Viehzählung, von (Prof.) F. Anderegg (Bern).
— Krankenversicherung in der Hausindustrie. — Ueber die Frage eines eidgenössischen
Anwaltsexamens, von (Prof.) M. Gmür (Bern). — Zur Frage der Arbeitslosenversicherung,
von H. Hall (Direktor der Lebensvers.Gesellsch. „Globus“, Wien). — Soziale Chronik.
— Statistische Notizen: Die Kapitalkraft der englischen und deutschen Konsumgenossen-
schaften. — Der Geldvorrat der Welt. — ete.
M. Amerika.
Political Science Quarterly. Edited by the faculty of political science of Columbia
University. Volume XVI, N° 1, March 1901: Police administration, by J. A. Fairlie.
— Colonial agencies in England, by E. P. Tanner. — A study of presidential votes,
by W. C. Hamm. — How govern the Philippine islands? by V. W. Cook. — The
study of economie geography, by L. M. Keasbey. — The stock of gold in the United
States, by M. L. Muhleman. — The Chicago building trades dispute, by E. L. Bogart.
— etc.
Quarterly Journal of Economies. February 1901: Trusts literature: a survey
and a criticism, by C. J. Bullock. — The fundamental economie principle, by C. A. Tuttle.
— Compétition and capitalization, as controlled by the Massachusetts Gas Commission,
by J. H. Gray. — The effeet of the new currency law on banking in the West, by
T. Cooke. — Taxes on department stores, by J. A. Hill.
The International Monthly. A Magazine of Contemporary Thought. Published
at Burlington, Vermont, by the Macmillian Company, New York.
Volume I. March, 1900: John Ruskin, as economist, by Patrick Geldes. —
April, 1900: The Institution of society, by L. M. Keasbey. — May, 1900: Social con-
ditions in Kentucky, by Wm. Lindsay.
Volume Il. August, 1900: The trend of modern agriculture in the United
Die periodische Presse Deutschlands. 735
States, by George William Hill. September, 1900: The expansion of Russia: Problems
of the East and problems of the Far East, by Alfred Rambaud. The tendency in Trade
Unionism, by Adna F. Weber. October, 1900: The expansion of Russia etc., concluded.
November, 1900: Modern sociology, by Franklin H. Giddings. — December, 1900: The
international position of Spain and the close of the XIX“ century, by Arthur E. Hough-
ton. The American negro and his economic value, by Booker T. Washington.
Die periodische Presse Deutschlands.
Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik. Herausgeg. von Heinrich Braun.
XVI. Band, 1901, Heft 3 u. 4: Die französische Unfallversicherungsgesetzgebung, von
Raoul Jay (Prof., Univ. Paris). — Entwickelungstendenzen der deutschen Volkswirtschaft,
von (Prof.) H. Rauchberg (Prag). — Zur Litteratur der Gewerkschaftsbewegung in
Deutschland, von Ed, Bernstein (Berlin). — Ein Wort über die deutschen Arbeiter-
sekretariate, von P. Kampffmeyer (Cronberg) — Das Fabrikinspektorat von New York
und seine Stellung zur Arbeiterschutzgesetzgebung, von Florence Kelley (New York). —
Das Arbeiterunfallentschädigungsgesetz in England, von Ed. Bernstein. — Wortlaut des
französischen Gesetzes vom 9. IV. 1898 über die Haftung für Unfälle, von denen die
Arbeiter in ihrer Thätigkeit betroffen werden. — Das Mikroskop, das Brillenglas, der
Feldstecher und das Fernrohr in der deutschen Volkswirtschaftslehre, von H. Losch
(k. FinzR.) Stuttgart. — Die kommunalen Arbeitsämter der Schweiz, von O. Lang
(ORichter, Zürich). — ete.
Finanzarchiv. Herausgeg. von Georg Schanz. Jahrg. XVIII, I. Band: Die
Steuerreform im Großherzogtum Baden, von (Finanzminist.) Buchenberger. — Statistische
Untersuchungen zur Frage der Steuerüberwälzung, geführt an der Geschichte der
preußischen Mahl- und Schlachtsteuer, von E. Laspeyres (Prof., in Gießen). — Gesetze
wegen Verwendung überschüssiger Reichseinnahmen zur Schuldentilgung, vom 25. III. 1599
und vom 30. III. 1900. — Preußisches Gesetz, betr. die Vermeidung von Doppel-
besteuerungen vom 18. IV. 1900. — Preußisches Gesetz, betr. die Warenhaussteuer,
vom 18. VII. 1900, nebst Begründung zum Gesetzentwurf vom 8. II. 1900. — Württem-
bergisches Gesetz, betr. die Besteuerung der staatlichen Salinen und Hüttenwerke durch
die Gemeinden und Amtskürperschaften, vom 22. VI. 1900. — Württembergisches
Wirtschaftsabgabengesetz, vom 4. VII. 1900. — Württembergisches Gesetz, betr. die
Biersteuer vom 4. VII. 1900 etc., sowie Begründung zum Biersteuergesetzentwurf vom
22. II. 1899. — Buadisches Veranlagungsgesetz vom 6. VIII. 1900. — Badische Ge-
setze, die Einschätzung der Grundstücke und Gebäude und die Abänderung des Ein-
kommen-, Gewerbe- und Kapitalrentensteuergesetzes ete. betr. vom 9. VII. 1900.
— etc.
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Jahrg. VI, N’ 3, März 1901:
Die Bedeutung des gewerblichen Rechtsschutzes für das moderne Industrieleben (Pariser
Kongreß für gewerblichen Rechtsschutz). Vortrag von (Patentanw.) Mintz. — Die Ueber-
gangsbestimmungen des Gesetzes, betreffend die Patentanwälte, von (Rechtsanw.) M. Selig-
sohn. — Das Wesen des Patentschutzes und sein Verhältnis zum Urheberrecht, von
(JustizR.) Reuling (II. Art.) — ete.
Masius’ Rundschau. Blätter für Versicherungswissenschaft. N. Folge. Jahrg. XIII,
1901, Heft 4: Reichsversicherungsgesetz. — Die soziale Bedeutung der Haftpflichtver-
sicherung. — Zur Geschäftspraxis der amerikanischen Anstalten. — Versicherung gegen
Unwetterschäden. — Die letzte Volkszählung. — Gemeinsame skandinavische Gesetz-
gebung für Lebensversicherung. — ete.
Neue Zeit, die. Jahrg. XIX. Bd. UU, 1900—1901, N" 23—28, 9. März—13. April
1901: Die Industriezölle und der Weltmarkt, von Parvus. — Jugendlitteratur, von
Skonkje Troelstra — Die polnischen Wanderarbeiter, von J. Karski. — Stumm und
736 Die periodische Presse Deutschlands.
sein Samen. — Trusts, sogenannte und echte, und Schutzzoll in den Ver. Staaten, von
J. L. Franz. — Ein Beitrag zur ultramontanen Arbeiterpolitik, von Aug. Erdmann. —
Landarbeiterverhältnisse im preußischen Osten, von Ebhardt. — Zwei Schriften über
die Wohnungsfrage, von Henriette Fürth. — Der Hunger in Apulien, von Aless.
Schiari. — Marx über den Schutzzoll. — Sozialdemokratie und Baugenossenschaften,
von Louis Cohn (München). — Brotwucherische Scharfmacherei. — Betrachtungen über
den Niedergang Englands, von M. Beer (New York). — Ein sozialdemokratischer Theater-
dichter, von J. F. Ankersmit. — Weiträumiger Städtebau und Wohnungsfrage, von
C. Hugo. — Das Weib und der Stier, von H. B. Adams-Lehmann. — Die badische Budget-
abstimmung, von Rosa Luxemburg. — Tolstoi und Brentano, von K. Kautsky. — Karl
Lueger, von Fritz Austerlitz (Wien). — Mutterschaft und geistige Arbeit, von August
Bebel. — Einige Argumente für die Verstaatlichung des Bergbaues, von H. Möller. —
Die sozialistischen Gewerkschaften in Spanien, von H. Cunow. — Technische Fortschritte
im Bauwesen, von P. M. Grempe. — etc.
Preußische Jahrbücher. Herausgeg. von Hans Delbrück. 104. Band, Heft 2,
Mai 1901: Die Rolle der Anschauung in dem Kulturleben der Gegenwart, von (Geh.
RegR., Prof.) W. Münch. — Die Weltanschauung des alten Orients, von (PrivDoz.)
H. Winckler (Univ. Berlin). — Babylon, von P. Rohrbach. — Wirtschafts- und finanz-
politische Betrachtungen zu der wasserwirtschaftlichen Vorlage, von O. (Frh. v.) Zedlitz
und Neukirch. Das Recht der Eisenbahnbetriebs- und Verkehrsordnungen. — Politische
Korrespondenz, — etc.
Vereinsblatt für deutsches Versicherungswesen. Redig. von J. Neumann. Jahr-
gang XXIX, Berlin 1901, N° 6—10: Reichsversicherungsgesetz. Bericht der VII. Kom-
mission des Reichstages. (SS. 205—354.)
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Jahrg. IV, 1901, Heft 4/5: Genossenschaft-
liche und herrschaftliche Verbände in der Organisation der Volkswirtschaft, von Emil
Steinbach. — Ein neuer Gegner das Malthus: (Franz Oppenheimer), von Julius Wolf.
— Zur Bevülkerungsfrage auf Grund russischen Materials. — Die Witwen- und Waisen-
pensionen in einer Anzahl deutscher Verwaltungen und Fabriken, von Fr. Prinzing. —
Sozialpolitik: Fabrik und Werkstatt, ihre Merkmale und ihre gesetzlichen Beschränkungen
in der Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern, von W. Heffter
(k. GewerbeinspektsAssist., Charlottenburg). — Der Munizipalsozialismus in London, von
K. Mareiner (Wien). — Miszellen. — ete.
Berichtigung.
S. 424 Z. 2 v. oben lies Regest anstatt Register.
Frommaunsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena.
Albert Hesse, Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 737
Nachdruck verboten.
X.
Der Begriff der Gesellschaft in Herbert
Spencer’s Soziologie.
Von
Dr. jur. Albert Hesse.
Inhalt. Einleitung, S. 737. Erster Teil: Spencer’s Darstellung, S. 740. Erster
Abschnitt: Die Gesellschaft als eigenes Wesen, S. 740. Zweiter Abschnitt: Die Gesell-
schaft als Organismus, S. 741. Erstes Kapitel: Gleichheiten und Aehnlichkeiten, S. 741.
A. Wachstum, S. 741. B. Organisation, S. 743. I. Allgemeine Grundzüge, S. 743.
II. Organsysteme, S. 746. C. Das Verhältnis zwischen den Einheiten und dem Ganzen,
S. 750. Zweites Kapitel: Verschiedenheiten, S. 751. Zweiter Teil: Kritik, S. 752.
Erster Abschnitt: Spencer’s Beweis, S. 754. Erstes Kapitel: Gesellschaft und Mehrheit
von Menschen, S. 754, Zweites Kapitel: Die Gesellschaft als Ding, S. 755. A. Stellung
des Problems, S. 755. B. Die Realität der Gesellschaft, S. 756. C. Die Gesellschaft
als Gegenstand unseres Denkens, S. 757. Drittes Kapitel; Gesellschaft und Organismus,
S. 757. A. Spencer’s Fragestellung, S. 758. B. Spencer’s Beweisgründe, S. 763. I. Der
Gang des Beweises, S. 763. II. Der Analogieschluß, S. 765. Zweiter Abschnitt: Un-
richtigkeit des Gesellschaftsbegriffs Spencer’s, S. 775. Erstes Kapitel: Der Widerspruch
in Spencer’ Gesellschaftsbegriff, S. 775. Zweites Kapitel: Die Beziehungen zwischen
den Einheiten der Gesellschaft, S. 776. Schluß S. 780.
Einleitung.
Der Fortschritt in der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, den
das vergangene Jahrhundert gezeitigt hat, ist auf fast alle Zweige
wissenschaftlichen Denkens von Einfluß und so auch für die sozial-
wissenschaftliche Forschung bedeutsam gewesen !). Auf diesem Ge-
biet hat der durch die Untersuchungen von J. Schleiden, Th. Schwann,
A. Kölliker und Milne Edwards?) hervorgerufene Aufschwung der
3iologie dem englischen Denker Herbert Spencer die Anregung zu
einer biologischen Auffassung der Gesellschaft gegeben, die er in
seiner Schrift „Social States" im Jahre 1851 zuerst niedergelegt, in
der Abhandlung „The social organism* 1866 und in dem Werk „The
study of Sociology 21 1873 weiter ausgeführt und in dem ersten Band
der „Principles of Sociology“ 1877 eingehend dargestellt und be-
gründet hat: die Gesellschaft ist ein Naturwesen, analog dem phy-
sischen Organismus, und untersteht dem einen Entwickelungsgesetz,
1) Verl. hierüber Adolf Exner, Ueber politische Bildung. Rede gehalten bei Ueber-
nahme der Rektorswürde an der Wiener Universität, 6. Ausg. 1592, S. 19 ff.
2) Näheres hierüber siche bei Barth, Die Philosophie der Geschichte als Soziologie,
Erster Teil 1897, S. 89 ff.
3) Vgl. hier besonders Chapter XIV: Préparation in Biology.
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 47
738 Albert Hesse,
das die ganze Natur beherrscht. Diese biologische Auffassung der
Gesellschaft hat an Bedeutung gewonnen und einen stützenden Rück-
halt bekommen durch das 1859 erschienene Werk Ch. Darwin’s „On
the origin of species by means of natural selection“, das die Descen-
denztheorie umfassender entwickelt und eingehender durchgeführt
und die Lehre von der natürlichen Züchtung, das Prinzip der Selektion
aufgestellt und begründet hat.
Bald steht dann Spencer nicht mehr allein. P. v. Lilienfeld !)
stellt eine naturwissenschaftliche Theorie der Gesellschaft auf, die von
Spencer behauptete Analogie zwischen Natur nnd Gesellschaftsleben
zur Kongruenz übertreibend. A. Schäffle?) hat die Ausführungen
Spencer’s in wichtigen Punkten ergänzt und berichtigt, ohne grund-
sätzlich über diese hinauszugehen. A. Fouillée 8) sucht eine Ueber-
einstimmung der biologischen und soziologischen Thatsachen in
weiterem Umfang als Spencer nachzuweisen, in bedeutsamen Fragen
von dessen Ansichten abweichend, jedoch im Prinzip den gleichen
Weg gehend. R. Worms!) entnimmt gleichfalls aus der Biologie
die Gesetze der sozialen Entwickelung, er sucht die organische Natur
der Gesellschaft noch schärfer als Spencer hervorzuheben und einige
Punkte der Analogie in ein neues Licht zu setzen). O. Ammon)
endlich will die soziale Entwickelung unter die Sätze der Lehre
Darwin’s fassen. Und gerade die Descendenz- und Selektionstheorie
sind im einzelnen noch von weitgehendem Einfluß auf das sozial-
wissenschaftliche Denken gewesen, besonders hat durch ihre Sätze
den Sozialismus zu stützen oder zu bekämpfen man vielfach versucht’).
Ein Urteil über diese Richtung sozialwissenschaftlicher Forschung.
welche die Gesetzmäfigkeit des Gesellschaftslebens durch Zurückgehen
auf die Erkenntnisse der Naturwissenschaft feststellen will, kann ge-
wonnen werden einmal durch Prüfung ihres gesamten gedanklichen
Inhalts, aller Gesichtspunkte, welche von den einzelnen Ansichten
für diese grundlegende Auffassung geltend gemacht sind®). Es kann
jedoch eine kritische Würdigung auch, zumal wenn eine zusammen-
fassende Darstellung und Beurteilung das Material gesichtet und be-
wertet hat, auch den Weg einschlagen, daß sie die alles bedingende
Voraussetzung aufweist und prüft und nach ihrer Richtigkeit die
Meinungen, die auf dieser sich aufbauen, ohne weiteres aburteilt.
Jene erste Methode verbindet mit dem Vorteil genauer Berücksichtigung
der Einzelheiten, mit der Möglichkeit, auf die Abweichungen in den
jeweiligen Ansichten hinzuweisen, den Nachteil, daß durch die Fülle
1) Gedanken über die Soziulwissenschaft der Zukunft, 5 Bde., 1873—1881. —
La pathologie sociale, 1896.
2) Bau und Leben des sozialen Körpers, 2 Bde., 2. Aufl. 1896.
3) La Science sociale contemporaine, 3. éd. 1896.
4) Organisme et société, 1896.
5) Näheres hierüber vgl. Barth a. a. O., S. 89 ff.
6) Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen, 3. Aufl. 1900,
7) Eine zusammenfassende Darstellung und kritische Würdigung dieser Ansichten
zu geben unternimmt Woltmann, Die Darwin’sche Theorie und der Sozialismus (1599)
8) So das oben angeführte Werk von Barth.
Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 139
des Stoffes eine eingehende Untersuchung jedes nnd somit auch des
grundlegenden Gesichtspunktes erschwert wird. Der zweite Weg er-
öffnet die Aussicht, diejenige Frage, welche die Berechtigung der
ganzen Richtung bedingt, in eindringlicher Erörterung prüfen und
daher das Urteil mit größerer Sicherheit abgeben zu können; er macht
es aber unmöglich, auf die Einzelheiten einzugehen und den trotz
der vielleicht unrichtigen Grundauffassung zutreffenden Ansichten
gerecht zu werden.
Schlagen wir den zweiten Weg ein!
Die biologische Richtung in der Soziologie ist von Herbert
Spencer eingeleitet worden. Die Nachfolger, die er gefunden hat,
haben sein System im einzelnen ergänzt, seine Ausführungen be-
richtigt, sind in mancher Beziehung über seine Anschauungen hinaus-
gegangen; sie haben jedoch prinzipiell seine Theorie in nichts ver-
ändert, stehen grundsätzlich auf dem gleichen Standpunkt wie er
und kommen ihm an Bedeutung nicht gleich.
Der grundlegende Gesichtspunkt, auf dem die Soziologie Spencer’s
sich aufbaut, ist die Auffassung der Gesellschaft als Organismus).
Die Gesellschaft ist ein Naturwesen, sie ist geworden und nicht ge-
macht. Die soziale Entwickelung vollzieht sich nach dem gleichen
Gesetz, wie die der übrigen Natur, sie ist nur ein Teil der Ent-
wickelung im allgemeinen ?), sie ist nur eine Form der überorganischen
Entwickelung, bestehend in allen jenen Prozessen und Produkten,
welche die koordinierten Thätigkeiten zahlreicher Individuen zur Vor-
aussetzung haben), und für diese gilt das gleiche Gesetz wie für
die Entwickelung der organischen und anorganischen Welt.
Somit finden wir als maßgebende und führende Lehre in der
Soziologie diejenige Herbert Spencer's und als deren Grundlage die
Auffassung der Gesellschaft als Organismus. Ein Urteil über die ge-
samte Richtung können wir gewinnen durch eine Prüfung des Be-
griffs der Gesellschaft in Spencer’s Soziologie.
Und dieser wollen wir uns zuwenden).
1) The study of sociology, deutsch von H. Marquardsen, 2 Bde., 2. Aufl. 1596,
unter dem Titel „Einleitung in das Studium der Soziologie, S. 59 ff. Principles of
Sociology, übersetzt von Vetter unter dem Titel „Die Prinzipien der Soziologie", 4 Bde.,
1877—1897, 88 212—255. `
2) Prinzipien — unter dieser Bezeichnung seien in den folgenden Ausführungen
Spencer’s Prinzipien der Soziologie angeführt — SS 207, 209, 271, 336, 427, 576, 652,
722, 853. Vergl. dazu Barth, a. a. O., N. 115 ff, und H. Hôffding, Geschichte der
neueren Philosophie, 2. Bd. 1506, S. 538 ff.
3) Prinzipien, §§ 2, 5, 50.
4) Die Bearbeitung dieser so eng gefaßten Aufgabe hat sich mit wenigen Aus-
nahmen auf die sehon vorhandene Litteratur über Spencer’s Philosophie im allgemeinen
und seine Soziologie im besonderen nieht stützen können, da es dieser in erster Linie
auf einen umfassenden Ueberblick ohne näheres Eingehen auf die Einzelheiten ange-
kommen ist; sie findet sich — nicht immer richtig -— nachgewiesen bei Gaupp, Her-
bert Spencer, 2. Aufl. 1900. Es sind noeh nachzutragen außer den oben angeführten
Werken von Barth und Höffding: Tönnies, Herbert Speneer’s soziologisches Werk.
Philosophische Monatshefte, XXV, N. 50 ff; derselbe, Werke zur Philosophie des sozialen
Lebens und der Geschichte. Erster Artikel: H. Spencer, Soziologie, Bd. 3. Philo-
sophische Monatshefte, XXVII, S. 37 ffa; Vorländer, Herbert Spencers Soziologie.
475
740 Albert Hesse,
Erster Teil. Spencer’s Darstellung.
Erster Abschnitt. Die Gesellschaft als eigenes Wesen.
„Was ist eine Gesellschaft?“ Mit dieser Frage beginnt Spencer
die Induktionen der Soziologie!), den Teil seines Systems, in dem
er durch Vergleichung von Gesellschaften verschiedener Arten und
auf verschiedenen Stufen die allgemeinen Wahrheiten festzustellen
sucht 2). Ist eine Gesellschaft als ein Wesen für sich zu betrachten
oder nicht, und wenn sie als ein eigenes Ding erscheint, ist sie allen
übrigen Wesen absolut ungleich oder einigen derselben ähnlich ?
Es sind zwei Arten eines Zusammenfassens von Individuen zu
unterscheiden: die eine ergiebt eine Gesellschaft als eigenes Wesen,
z. B. eine Nation; die zweite stellt nichts anderes dar als einen
Sammelnamen für eine Anzahl von Einzelwesen; nur die Einheiten
leben, die Existenz der Zusammenfassung liegt allein im Worte; so
die Zuhörerschaft eines Professors. Die Grenze zwischen beiden
Arten der Zusammenfassung liegt darin, daß die Anordnung in dem
einen Fall dauernd ist, in dem anderen vorübergehend; und gerade
die Dauer der Beziehungen zwischen den einzelnen Bestandteilen ist
das Moment. welches die Individualität des Ganzen gegenüber den
Individualitäten seiner Teile begründet. Die Quader, die Ziegelsteine
und das Holz, bis dahin getrennte Dinge, werden zu dem Einzelding,
das wir Haus nennen, wenn sie in bleibender Weise zusammenge-
fügt sind. So kann auch ganz rechtmäßigerweise eine Gesellschaft
als ein eigenes Wesen betrachtet werden. Sie ist ein Aggregat —
eine Anhäufung von Einheiten —, das zwar aus diskreten Einheiten
sich aufbaut, dem jedoch eine gewisse Konkretheit gegeben ist durch
die allgemeine Fortdauer der Lagebeziehungen zwischen den Ein-
heiten auf dem ganzen von ihnen eingenommenen räumlichen Gebiet).
Wenn nun wegen der konstanten Beziehungen zwischen den
Teilen die Gesellschaft als ein besonderes Ding, das eigenes Dasein
hat, aufgefaßt werden kann, zu welcher Art von Dingen müssen wir
sie rechnen? Unsere Sinne zeigen uns kein der Gesellschaft ähn-
liches Objekt. Wir können daher etwaige Beziehungen zu anderen
Dingen nicht durch unmittelbare Wahrnehmung, sondern nur durch
Schlüsse feststellen. Für diese ist eine bestimmte Richtung schon
vorgezeichnet. Da die Fortdauer der Beziehungen zwischen den
Teilen die Gesellschaft als ein eigenes Wesen begründet, kann die
Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 108, S. 73 ff.; L. Stein, Die
soziale Frage im Lichte der Philosophie, 1897, S. 490 ; Gothein, Artikel „Gesellschaft“
im Handwörterbuch der Staatswissenschaften.
1) Prinzipien $ 212. Diese geben die eingehendste Entwickelung und Begründung
der Anffassung Spencers. Sie enthalten alle in den früheren Schriften hervorgehobenen
wesentlichen Gesichtspunkte, diese weiter ausführend. Sie sind, soweit sie von den
früheren Ansichten im einzelnen abweichen, zumal sie später entstanden sind, maß-
gebend. Sie kommen daher in erster Linie in Betracht,
2) Prinzipien, § 211.
3) Prinzipien, § 212.
Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 741
einzige denkbare Aehnlichkeit zwischen einer Gesellschaft und einem
beliebigen anderen Ding nur bestehen in einem Parallelismus des
Prinzips der Anordnung der Bestandteile, in einer gewissen Ueberein-
stimmung der Organisation, darin, daß die konstanten Beziehungen
zwischen den Teilen der Gesellschaft in irgendwelchem Grade ver-
wandt sind den konstanten Beziehungen zwischen den Teilen anderer
Wesen. Es kann also die Gesellschaft nur mit dem Aggregat ver-
glichen werden.
Es giebt nun zwei große Klassen von Aggregaten, denen das
soziale Aggregat gegenübergestellt werden kann: unorganische und
organische. Von diesen beiden Möglichkeiten ist die erste außer
Betracht zu lassen, denn ein Ganzes, dessen einzelne Teile lebendig
sind, kann unmöglich in seinen allgemeinen Eigentümlichkeiten einem
leblosen Ganzen gleichen. Es kann daher die Gesellschaft nur zu
dem organischen Aggregat in Beziehung gebracht werden, jedoch
nicht zu irgend einem bestimmten Typus tierischer oder pflanzlicher
Organismen, sondern zu dem Organismus überhaupt !).
Zweiter Abschnitt. Die Gesellschaft als Organismus.
Von den soeben wiedergegebenen Erörterungen ausgehend sucht
Spencer zu zeigen, daß die Gesellschaft in der That als ein Organis-
mus aufzufassen, dem natürlichen Organismus analog ist. Die Gesell-
schaft hat mit dem organischen Aggregat die Erscheinungen des
Wachstums gemein ?), das Verhältnis zwischen dem Ganzen und den
Einheiten ist in beiden Fällen ein entsprechendes®) und vor allem:
die Grundprinzipien der Organisation der Gesellschaft wie des leben-
den Körpers sind die gleichen). Um dies zu zeigen, sucht Spencer
darzulegen, daß die Organisation beider Aggregate die gleiche ist,
und glaubt dies darthun zu können durch den Nachweis, daß beide
Aggregate die Thatsachen der Ausbildung von Struktur und Funk-
tionen gemein haben, und diese Erscheinungen im einzelnen ähnlich
sind. Zuletzt sucht er zu zeigen, daß die Verschiedenheiten, welche
beide Aggregate aufweisen, an der Auffassung der Gesellschaft als
Organismus grundsätzlich nichts zu ändern vermögen, sondern die
Gesellschaft zu einem Organismus besonderer Art machen >).
Erstes Kapitel. Gleichheiten und Aehnlichkeiten.
A. Wachstum.
Das soziale und das organische Aggregat haben beide die Er-
scheinungen des Wachstums miteinander gemein, und diese stimmen
wiederum rücksichtlich der Art, in der sie sich vollziehen, der Dauer,
des Grades und des Umfanges überein.
1) Prinzipien, $ 260.
2) Ebenda, SS 214, 224—227.
3) Ebenda, SS 218, 219.
4) Ebenda, Së 215—217, 223, 223—255, 269.
D) Prinzipien, Së 220—223.
742 Albert Hesse,
— Art. — In beiden Fällen nimmt die Größe vermöge zweier Vor-
gänge zu, einmal durch einfache Vermehrung der Einheiten, wodurch
der Umfang der Gruppe sich erweitert, vor allem aber durch Ver-
einigung einzelner Gruppen von Einheiten und durch abermalige
Verschmelzung mehrerer solcher Gruppen. Wie nur die kleinsten
Tiere im wesentlichen eine einfache Anhäufung lebender Moleküle
darstellen, so zeigt auch die ursprüngliche soziale Gruppe, die durch
eine einfache Zusammenfassung einer Anzahl von Einzelindividuen
gebildet wird, keine ansehnliche Größe. Wenn ein einfacher Stamm
sich in dem Maße ausbreitet, in dem seine Zahl wächst, so zerstreut
er sich bald in solcher Ausdehnung, daß die Teile ihren Zusammen-
hang nicht mehr behalten können, und der Stamm ganz allmählich
in einzelne Stämme zerfällt. Die zweite Form organischer Aggregate
zeigt eine Anhäufung solcher kleinster Tierchen ; entsprechend er-
folgt die Ausbildung einer größeren Gesellschaft durch Vereinigung
mehrerer kleiner Gesellschaften der ersten Art. Wie endlich in der
organischen Welt tertiäre Gebilde durch Anhäufung von sekundären
entstehen, so erzeugt auch bei dem sozialen Aggregat die Wieder-
holung des Vorganges der Zusammensetzung doppelt zusammen-
gesetzte Gesellschaften !). Mit diesem Wachstum durch Vereinigung
mehrerer Gruppen geht jene erste Art der Zunahme, durch Vermeh-
rung der Individuen innerhalb einer Gruppe, gleichzeitig vor sich.
Wie die niedrigsten Geschöpfe einen im Verhältnis zu der ihnen
zukommenden Masse tierischer Substanz großen Raum einnehmen.
so verbreiten sich auch die auf niedriger Stufe stehenden Gesell-
schaften über Gebiete, die im Verhältnis zur Anzahl der sie zusam-
mensetzenden Individuen außerordentlich umfangreich sind. Allein
ebenso wie bei den Tieren mit der Größenzunahme eine Konzen-
tration Hand in Hand geht, so ist auch die Vereinigung primitiver
Ansammlungen verbunden mit einer Vermehrung der in jeder Gruppe
enthaltenen Individuenzahl, mit einer Zunahme der Dichtigkeit der
Bevölkerung. Das soziale Wachstum zeigt mithin eine Ueberein-
stimmung mit dem des lebenden Körpers sowohl in der Bildung
einer größeren Masse, als auch in der dichteren Aneinanderlagerung
der einzelnen Teile ?).
— Dauer. — Wie ferner die Organismen ihr ganzes Leben über
oder wenigstens einen erheblichen Teil desselben wachsen, so dauert
auch das soziale Wachstum gewöhnlich bis zur Teilung oder Ueber-
wältigung der Gesellschaft fort).
— Grad. — Wie (dann die lebenden Körper eine Massenzu-
nahme in hohem Grade zeigen, der Keim bedeutend kleiner ist als
der entwickelte Organismus, der aus ihm hervorgegangen ist, so sind
auch die ursprünglichen Gesellschaften außerordentlich klein, ver-
glichen mit der Masse, welche sie später erreichen. Die Werkzeuge
1) Prinzipien, § 226.
2) Ebenda, $ 227,
3) Ebenda, $ 214.
Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 743
der vorhistorischen Völker weisen auf einen Mangel aller jener Künste
hin, durch welche allein das Bestehen größerer Ansammlungen von
Menschen möglich gemacht wird 11.
- Umfang. — Weiterhin ist das Wachstum bei den verschiedenen
Klassen der sozialen und organischen Aggregate außerordentlich
wechselnd hinsichtlich seines Umfangs. Wie bei einem Ueberblick
der tierischen Formen sich innerhalb der Glieder einer ganzen großen
Klasse zwischen den höchsten und niedrigsten Vertretern des Typus
bedeutende Unterschiede der Größe zeigen, so sind entsprechende
Gegensätze zu beobachten innerhalb der Gesamtheit der menschlichen
Gesellschaften : kleine Horden, größere soziale Aggregate von einigen
Hunderten, Tausenden und große Gesellschaften vereinigter Millio-
nen ?).
B. Organisation.
Wie die unorganischen Aggregate gegenüber den organischen
und sozialen eine außerordentlich geringe Zunahme aufweisen, so
sind auch die Differenzierungen des inneren Baues, die das Wachs-
tum begleiten, so langsam und einfach, daß sie nicht in Betracht
kommen. Dagegen zeigen die sozialen sowohl wie die lebenden
Körper überhaupt während der Zunahme der Größe auch eine be-
deutende Zunahme in ihrem inneren Bau, eine außerordentliche Un-
gleichheit ihrer Organe und Funktionen gegenüber der ursprünglichen
Gleichartigkeit der Teile. Es werden verwickeltere Einrichtungen
nötig, um das kombinierte Leben einer ausgedehnten Masse möglich
zu machen.
Diese Zunahme der Verschiedenheit der Struktur und Funktionen,
die beiden Aggregaten gemeinsam ist, zeigt im einzelnen in beiden
Fällen bedeutende Uebereinstimmungen und große Aehnlichkeiten,
sowohl rücksichtlich der Grundzüge der Differenzierung, als auch im
besonderen hinsichtlich der Ausbildung der Organsysteme.
I. Allgemeine Grundzüge.
1) Struktur. Die Ausbildung des inneren Baues entspricht
bei den einzelnen Organismen wie bei dem sozialen Aggregat dem-
selben allgemeinen Gesetz: die Differenzierungen schreiten vom All-
gemeineren zum Specielleren fort. Der Entwickelungsprozeß des Em-
bryos scheidet zunächst die größeren Organe voneinander, differenziert
dann die einzelnen Organe und bildet innerhalb dieser Teile weitere,
kleinere Verschiedenheiten aus. Entsprechend finden sich in der
Gesellschaft zuerst nur grobe und einfache Gegensätze zwischen den
Teilen, dann innerhalb dieser primär verschiedenen Teile weitere
Veränderungen, sodann in jeder dieser letzteren wieder eine Aus-
prägung ungleicher Teile, und so fort bis ins Unendliche *). Ein weiterer
1) Prinzipien, $ 224.
2) Ebenda, § 225.
3) Ebenda, § 230.
744 Albert Hesse,
auffallender Parallelismus ist dieser: der innere Aufbau und die Ein-
richtung der Organe unterliegen bei Tieren und Gesellschaften dem
allgemeinen Grundsatz, daß die zahlreichen ausgeprägten Unterschiede
der Struktur begleitet sind von ebenso ausgeprägten Uebereinstim-
mungen derselben. Wie die einzelnen Verdauungsorgane in ihrem
allgemeinen Aussehen, ihrem feineren Bau und den Zwecken, denen
sie zu dienen haben, sich unterscheiden, andererseits aber Ueberein-
stimmungen zeigen rücksichtlich des Systems von Adern, Lymph-
gefäßen, Ausscheidungskanälen und Nerven, so umfaßt auch jede
Gruppe von Bürgern, die ein Organ zur Hervorbringung bestimmter
Lebensbedürfnisse für den Verbrauch des ganzen Volkes darstellt.
in sich mancherlei dienende Teile, die im wesentlichen denjenigen
jedes anderen Organs, das andere Funktionen ausübt, gleich sind:
Mittelspersonen zur Heranschaffung des Rohmaterials, zur Sammlung
und Versendung der Erzeugnisse, Zuleitung und Verteilung der
Lebensmittel, postalische, staatliche, kirchliche Einrichtungen !).
Auch die Entwickelungstufen in der Ausbildung der Organe
stimmen überein. So entspricht der primären Stufe in der Ausbildung
eines Ernährungsorgans, auf der es nur eine Anzahl noch nicht ver-
einigter selbständiger Einheiten darstellt, der Anfangszustand jedes
industriellen Gebildes in einer Gesellschaft, in dem jeder Arbeiter
seine Beschäftigung und den Verkauf seiner Erzeugnisse an den
Konsumenten für sich allein besorgt. Dem höher entwickelten Ab-
sonderungsorgan, einer enggeschlossenen Gruppe von langgestreckten
Taschen, deren jede eine Familie von Zellen umschließt, ihre aus-
sondernden Einheiten und besonderen Ausführungsöffnungen besitzt.
entspricht in allen halbeivilisierten Gesellschaften ein bestimmter
Typus sozialer Organe: Handwerkerviertel aus zahlreichen ver-
bündeten Familien bestehend, deren jede sich aus den unter der
Oberleitung des Vaters arbeitenden Söhnen zusammensetzt, ihre Er-
zeugnisse selbst verkauft. Auch auf der dritten Stufe der Ent-
wickelung läßt sich die Analogie nachweisen. Wie sich schließlich
ein großes Eingeweide mit vielen der Struktur und Funktion nach
differenzierten Teilen herausbildet, das nur einen einzigen Ausführgang
hat, so stellt die letzte Stufe einer allmählich vorgegangenen indu-
striellen Entwicklung die Fabrik dar, eine Vereinigung vieler, nicht
verwandter Personen zu verschiedenartiger Arbeit unter Verwendung
von Maschinenkräften; der frühere Meister giebt die Arbeit ganz auf,
widmet sich ausschließlich dem Verkauf und wird so zu dem Kanal,
durch den die Erzeugnisse abfließen ?).
Die Uebereinstimmung zwischen den Differenzierungsvorgängen
des tierischen und sozialen Aggregats zeigt sich am deutlichsten in dem
Gegensatz zwischen der ursprünglichen und späteren Entwickelungs-
weise. Wie im allgemeinen Gang der organischen Entwickelung von
niederen zu höheren Formen vermöge unmerklicher Aenderungen
1) Prinzipien. § 231.
2) Prinzipien, $ 232.
Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie) 745
die einzelnen Stufen durchlaufen werden, dagegen in der individuellen
Entwickelung des einzelnen hôheren Organismus diese Stadien be-
deutend abgekürzt erscheinen, und die meisten Organe auf verhältnis-
mäßig direktem Wege entstehen, so nehmen in unserer Zeit des
Fabriksystems alle möglichen Industrien dieses unmittelbar an, ohne
die früheren Stufen zu durchlaufen. Und wie endlich ganze Organe,
welche in der allmählichen Entwickelung des Typus verhältnismäßig
spät sich ausgebildet haben, nun bei dem heranwachsendem Indi-
viduum relativ früh auftreten, so finden wir als analoge Veränderung
der natürlichen Reihenfolge in der sozialen Entwickelung die Fälle,
in denen neu entstehende Gesellschaften die fest ausgeprägten Sitten
und Gebräuche älterer sofort übernehmen !).
2) Funktionen. Die fortschreitende Differenzierung der
Struktur in der Entwickelung des lebenden Körpers und der Gesell-
schaft ist von einem Moment begleitet, das sich bei den unorganischen
Aggregaten nicht findet, von fortschreitender Differenzierung der
Funktionen. Die Abweichungen in der Gestalt und Znsammensetzung
der Teile, wie sie bei einem sich entwickelnden Tiere auftreten, be-
dingen als Folgeerscheinung Abweichungen in den von ihnen aus-
geübten Thätigkeiten. Die ungleichen Organe haben stets ungleiche
Aufgaben. Entsprechend hat jeder Teil einer Gesellschaft wegen
seiner besonderen Beschaffenheit bestimmte Obliegenheiten ?).
Diese den Umwandlungen des inneren Baues entsprechende
Differenzierung der Funktionen macht die den organischen und so-
zialen Aggregaten eigentümlichen Veränderungen des inneren Baues
erst möglich. Die zunehmende Verschiedenheit des inneren Baues
im lebenden Körper und der Gesellschaft ist dadurch auszeichnend
charakterisiert, daß nicht einfache, sondern bestimmt zusammen-
hängende Unterschiede sich herausbilden, die einander gegenseitig
erst möglich machen. Die Veränderungen in den Teilen sind gegen-
seitig bestimmt. und die veränderten Thätigkeiten der Teile hängen
ebenso wechselweise voneinander ab. Im tierischen Körper können
sich mit Fortschreiten der Entwickelung besondere Fortbewegungs-,
Respirations-, Sinnesorgane nur herausbilden, wenn der dadurch be-
dingte Verlust der Fähigkeit, sich mit dem nötigen Material zum
Wiederersatz und Wachstum zu versehen, ausgeglichen wird durch
die Entwickelung eines besonderen Organs, welches jenen dieses
Material zuführt. Entsprechend hat in einer Gesellschaft die Aus-
bildung eines stehenden Heeres, die Speeialisierung der Arbeit in
Ackerbau, Bergbau, industrielle Thätigkeit und Handel zur bedingenden
Voraussetzung, daß als Entgelt für die besondere Art von Diensten,
welche jeder dieser Teile den übrigen leistet, diese übrigen Teile
ihrerseits ein entsprechendes Maß ihrer eigenen Dienste darbieten.
Die Differenzierung des tierischen wie des sozialen Aggregats ist
mithin durch die gleiche Folgeerscheinung gekennzeichnet: eine gegen-
1) Prinzipien, $ 233.
2) Prinzipien, § 2
746 Albert Hesse,
seitige Abhängigkeit der Teile, ermöglicht durch Teilung der Arbeit.
Dieses Zusammenwirken der Teile zum Wohl des Ganzen ist das
fundamentale Merkmal des lebenden Ganzen, des Organismus. Ge-
sellschaft und Einzelorganismus stimmen hinsichtlich dieser grund-
legenden Thatsache vollkommen überein !).
Je weiter nun die Differenzierung fortschreitet, desto größer wird
die Abhängigkeit jedes einzelnen Teiles von den übrigen, sodaß die
Trennung für ihn selbst und die übrigen verderblich sein würde.
Wie bei den niedrigsten tierischen Aggregaten durch eine Trennung
das Leben der einzelnen getrennten Stücke kaum irgendwie beein-
trächtigt wird, da jedes einzelne Stück derselben nach Struktur und
Funktionen dem anderen gleich ist, so zerstreut sich auch die führer-
lose wandernde Herde primitiver Menschen ohne jeden Nachteil, da
jeder einzelne Mensch die gleichen Funktionen ausübt und des Ein-
verständnisses mit seinen Genossen nicht bedarf. Anders bei hoch-
organisierten Aggregaten der einen wie der anderen Art: hier zieht
eine Verstümmelung den Untergang des Ganzen nach sich ?).
Dieser Gegensatz zwischen unentwickelten und entwickelten
Aggregaten wird dadurch bedingt, daß zugleich mit zunehmender
Specialisierung der Funktionen auch in jedem Teil das Unvermögen
sich steigert, die Funktionen anderer Teile zu übernehmen. In
gleichem Maße wie die einen Teil des Einzelorganismus bildenden
Einheiten sich auf eine bestimmte Art der Thätigkeit beschränkt haben,
verlieren sie die Fähigkeit der Anpassung an andere Thätigkeiten.
Im sozialen Aggregat bedingt die Schulung, welche zur wirksamen
Erfüllung einer besonderen Aufgabe notwendig ist, zugleich eine ge-
wisse Ungeschicklichkeit im Erfüllen anderer besonderer Aufgaben,
(die jener im wesentlichen unähnlich sind®). Andererseits führt aber
diese Beschränkung der einzelnen Teile hinsichtlich ihrer Obliegen-
heiten in beiden Fällen dazu, daß sie diese immer besser ausführen +).
IL Organsysteme.
hn besonderen stimmen die Erscheinungen der Differenzierung
im sozialen und organischen Körper überein hinsichtlich ihrer Er-
gebnisse, der Organsysteme.
1) Beziehungen der Organsysteme untereinander.
Auf (der ersten Stufe tierischer Entwickelung finden wir einen
fundamentalen Gegensatz ausgeprägt zwischen den äußeren Teilen,
welche mit den Dingen in der Umgebung — Erde, Wasser, Beute,
Feinden — in Wechselwirkung treten, und den inneren Teilen, welche
zum Nutzen des gesamten Körpers die nährenden Substanzen ver-
werten, die ihnen durch die äußeren Teile zugeführt worden sind.
Bei den höheren Gebilden dieser Stufe ist der Gegensatz dahin
kompliziert, daß statt der einfachen Schicht von Zellen sich außen wie
1) Prinzipien, $ 2
2) Prinzipien, § 235.
3) Prinzipien, $ 2!
/
Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 747
innen eine doppelte Schicht und zwischen diesen ein Hohlraum be-
findet. Im wesentlichen ähnliche Entwickelungsstufen zeigen die so-
zialen Aggregate. Dort findet sich der zunächst noch unbestimmt,
später immer deutlicher ausgeprägte Gegensatz zwischen Herren und
Sklaven, Herren, die als Krieger die Angriffs- oder Abwehrthätigkeit
ausführen und so vorzugsweise zu den Einwirkungen der Umgebung
in Beziehung treten, und Sklaven, welche die inneren Thätigkeiten
ausführen zum Zweck des allgemeinen Unterhalts. Mit Fortschreiten
der Entwickelung beginnen die höheren und niederen Schichten je-
weils in sich selbst Differenzierungen zu erleiden. Die obere Klasse
erzeugt eine sie ergänzende Klasse von persönlichen Anhängern, die
zumeist ebenfalls Krieger sind, und die untere Klasse beginnt, sich
in Hörige und Freie zu sondern !).
Diese zu einander im Gegensatz stehenden Teile sind anderer-
seits voneinander abhängig. Ihre Abhängigkeit verlangt irgendwelche
Vermittelung zwischen ihnen, und je mehr sie sich entwickeln, desto
mehr muß sich auch die Einrichtung zum wechselseitigen Austausch
der Erzeugnisse ausbilden. So beginnt denn bei individuellen Or-
ganismen, nachdem sich das äußere und innere System voneinander
geschieden haben, ein drittes System sich auszubilden, das zwischen
den beiden ersteren liegt, ihr Zusammenwirken erleichtert und sich
in gleichem Maße verzweigt, wie die Teile, denen es die Stoffe zu-
leitet, weiter auseinanderrücken, zahlreicher und komplizierter werden.
Das Gleiche geschieht bei den Gesellschaften. Bei der niedrigsten
Form berühren die ursprünglichen Klassen sich unmittelbar, es giebt
noch kein verteilendes System. Sobald aber die festere Organisation
die örtliche Ansiedelung bestimmter Industrien ermöglicht, beginnt
sich zugleich eine Einrichtung für den Austausch der Lebensbedürf-
nisse zu entwickeln ?).
Diese drei großen Organsysteme entstehen im sozialen Aggregat
in derselben Reihenfolge und aus denselben Gründen wie im Or-
ganismus. Bei kleinen und wenig thätigen Geschöpfen genügt es,
wenn die Nahrung von der inneren Schicht unmittelbar durch Ab-
sorption in die äußere Schicht hinaus gelangt. Je lebhafter jedoch
die Thätigkeit der äußeren Gebilde wird, desto größer werden die
Ausgaben, und die einfache Absorption aus den benachbarten Ge-
werben vermag «den Verbrauch nicht zu decken; ein Mittel der Ueber-
tragung wird nötig. Dasselbe zeigt die Entwickelung der Gesell-
schaften. Wo nur erst eine Klasse von Herren und Sklaven existiert,
die in unmittelbarer Berührung miteinander stehen, da ist kein Raum
für die Einrichtung zur Uebertragung der Erzeugnisse. Eine größere
Gesellschaft dagegen kann heranwachsen und einen verwickelteren
Zustand erreichen nur unter der Bedingung, daß ein Verteilungs-
system sich herausbildet und entsprechend fortschreitet *).
1) Prinzipien, § 238.
2) Prinzipien, § 239.
3) Prinzipien, § 240.
148 Albert Hesse,
2) Entwickelung der einzelnen Organsysteme. Nicht
nur in den Beziehungen zwischen diesen drei großen Systemen bei-
der Aggregate, auch hinsichtlich der Entwickelung eines jeden der-
selben zeigen sich bedeutende Uebereinstimmungen. Um diese nach-
zuweisen, führt Spencer die Parallele zwischen den sozialen und dem
organischen Aggregat bis in die kleinsten Einzelheiten durch. Es seien
jedoch hier nur die Grundzüge kurz hervorgehoben.
Die der Ernährung dienenden Teile in einem lebenden Körper
und die der produktiven Erwerbsthätigkeit gewidmeten Teile im sozialen
Aggregat bilden zusammen ein Ernährungs- oder Erhaltungssystem,
denn beiden fällt die gemeinsame Aufgabe der Ernährung oder Er-
haltung zu. Diese Teile sind denn auch differenziert in Ueberein-
stimmung mit bestimmten Gesetzen, welche sowohl für den sozialen
wie für den Einzelorganismus Geltung haben !). Wie im Verlauf der
Entwickelung des Ernährungssystems eines Tieres die Natur und die
Verteilung der der Erhaltung dienenden fremden Stoffe, auf welche
das Innere des Nahrungskanals einwirkt, den allgemeinen Charakter
und die besonderen Merkmale des Inneren bestimmen, so wird auch
der Gang der Entwickelung des industriellen Systems einer Gesell-
schaft bedingt durch die mineralischen Stoffe, die Tiere und Pflanzen.
mit denen ihre Arbeitskräfte in Berührung kommen; die industriellen
Specialisierungen in den verschiedenen Teilen der Bevölkerung werden
bestimmt durch die organischen und unorganischen Verschiedenheiten
in den örtlichen Erzeugnissen, mit denen die Teile sich beschäftigen
müssen ?).
Die gesamte Klasse von Menschen, welche dem Ankauf und
Verkauf von Gütern zur Befriedigung von Bedürfnissen aller Art in
kleinerem und größerem Maßstabe sich widmet und dieselben längs
allmählich sich ausbildender Kanäle nach allen möglichen Gegenden.
Städten und Individuen versendet, um ihnen zu ermöglichen, auf diese
Weise den durch ihre Thätigkeit verursachten Verbrauch zu ersetzen,
diese ganze Klasse zugleich mit den Kanälen bildet das Verteilungs-
system, erfüllt im wesentlichen eine ähnliche Aufgabe, wie sie im
lebenden Körper dem Gefäßsystem anheim fällt, welches jedem ein-
zelnen Gebilde und jeder kleinsten Einheit desselben einen Strom
von Nährstoffen zuführt, der stets seiner Thätigkeit entsprechend
bemessen ist”). So stimmen denn auch die Eigentümlichkeiten in
der Entwickelung dieses Verteilungssystems im lebenden Körper und
in der Gesellschaft überein. In beiden Fällen wird die Höhe der
Ausbildung bestimmt durch die vorwaltenden Bedürfnisse des Aus-
tausches zwischen den wechselseitig voneinander abhängigen Teilen ®).
Wir beobachten neben anderen merkwürdigen Vergleichspunkten die
gleichen Stadien der Aufeinanderfolge 5), eine Analogie rücksichtlich
1) Prinzipien, SS 241, 242—243.
2) Ebenda, $ 2
3) Ehenda, § 2
4) Ebenda, $ 2
5) Ebenda, § 2
Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 749
der Bewegungen, welche längs der Kanäle stattfinden !), der Ströme,
welche in den Kanälen kreisen, ihrer Natur und Beziehung zu den
verschiedenen Teilen des Organismus ?).
Die gegenseitige Abhängigkeit, das Zusammenwirken der Teile,
welche das organische und soziale Aggregat übereinstimmend charakte-
risieren, sind unmöglich ohne geeignete Vorrichtungen, durch welche die
Thätigkeiten der zusammenwirkenden Teile jeweils abgemessen werden.
So ist die unvermeidliche Folge, daß im Staatskörper, sowie im
lebenden Einzelkörper ein regulierendes System entsteht). Die zu
Anfang am dringlichsten erforderliche Art des Zusammenwirkens,
diejenige, welche nötig ist, um mit den Feinden, mit der Beute in
der Außenwelt fertig zu werden, ruft in beiden Fällen das erste
regulierende Centrum zur Kontrolle der die äußeren Thätigkeiten
besorgenden Organe ins Leben? Wie im Einzelorganismus der
Nervenmuskelapparat, der den Kampf mit den Organismen der
Außenwelt zu führen hat, eben durch diesen Kampf erzeugt und
fortentwickelt wird, so wird auch die regierende und militärische
Organisation einer Gesellschaft durch den Kriegszustand zwischen
Gesellschaften hervorgerufen und weiter ausgebildet’). Dieses regu-
lierende System, in kleinen und wenig differenzierten Aggregaten
beider Art von einfachem Bau, entwickelt sich während der Bildung
eines zusammengesetzten Aggregats zu einem komplizierten System
über- und untergeordneter Centren ê); daneben nimmt das herrschende
Centrum an Größe und Kompliziertheit des Aufbaues zu’), und bilden
sich Verbindungsmittel aus, durch welche das Centrum die Teile des
Ganzen beeinflussen kann *). Im Lauf der Entwickelung bildet sich
später ein weiteres regulierendes System von wesentlich anderem
Bau für die inneren, der Ernährung dienenden Organe heraus, das
allmählich sich immer selbständiger macht: auf der einen Seite das
symphatische Nervensystem, auf der anderen das industrielle regu-
lierende System der Börsen und Märkte”). Bei beiden Aggregaten
kommt dann noch ein drittes regulierendes System hinzu mit dem
Zweck, den normalen Kreislauf der Nahrungsstoffe zu Gunsten der
besonders thätigen Organe zu verändern: die vasomotorischen Nerven
einerseits, die, neben den Arterien laufend, durch Zusammenziehen
bezw. Erweiterung derselben den Blutumlauf vermindern bezw. er-
höhen, und andererseits das System der Banken und der damit ver-
knüpften Finanzeinrichtungen, welche Kapitalien ausleihen !°).
Fassen wir die Ergebnisse dieses Abschnitts zusammen. Das
1) Prinzipien, § 246.
2) Ebenda, § 2
3) Ebenda, $ 25°
4) Ebenda,
5) Ebenda,
6) Ebenda, § 27
7) Ebenda, 8
8) Ebenda, § À
9) Ebenda, § 252
10) Ebenda, & :
750 Albert Hesse,
Wachstum des organischen und sozialen Aggregats wird begleitet
von einer Zunahme der Verschiedenheit des inneren Baues. Die un-
gleichen Teile übernehmen zugleich abweichende Thätigkeiten, deren
Verschiedenheiten in der Beziehung zu einander stehen, daß die eine
erst die andere möglich macht. „Die wechselseitige Unterstützung,
welche sie sich auf diese Weise gewähren, verursacht dann wieder
eine wechselseitige Abhängigkeit der Teile, und indem die wechsel-
seitig abhängigen Teile — des sozialen Körpers — so durch und
für einander leben, bilden sie ein Aggregat, das nach demselben all-
gemeinen Grundsatz aufgebaut ist, wie ein einzelner Organismus“ !).
C. Das Verhältnis zwischen den Einheiten
und dem Ganzen.
Nach Hervorhebung der Uebereinstimmungen hinsichtlich des
Wachstums und der Organisation führt Spencer noch aus, daß das
Verhältnis zwischen den Einheiten und dem Ganzen in beiden Aggre-
gaten einander entspricht. Er legt jedoch auf dieses Moment nicht
so viel Gewicht wie auf die früheren, viel eingehender erörterten
Vergleichspunkte, es ist untergeordneter Natur und dient mehr zur
Erläuterung.
I. Der natürliche Organismus als Gesellschaft.
Die Auffassung der Gesellschaft als Organismus erscheint noch
klarer und gewinnt an Berechtigung, wenn wir erwägen, daß jeder
Organismus von wahrnehmbarer Größe auch eine Gesellschaft ist.
Bei gewissen Tieren niedriger Ordnung?) zeigt sich, wie zahl-
reiche, winzig kleine, lebende Individuen sich vereinigen, um ein relativ
großes Aggregat zu bilden, in dem diese einzelnen Individuen scheinbar
aufgehen, dessen Gesamtleben aber doch nur auf der Kombination
ihrer Einzelleben beruht). In anderen Fällen treten uns statt Ein-
heiten, welche ursprünglich diskret sind und ihre Individualität erst
durch Aneinanderlagerung verlieren, solche Formen entgegen, bei
denen die Einheiten durch Vermehrung aus demselben Keime her-
vorgehen und «dann niemals ihren Zusammenhang aufgeben, gleich-
wohl aber ihre Sonderexistenz noch recht deutlich erkennen lassen $).
Selbst bei den höchsten Tieren bleiben diese Beziehungen zwischen
dem Gesamtleben und dem der einzelnen Bestandteile noch nach-
weisbar. Im Blut kreisen unzählige lebende Einheiten, die Blut-
körperchen, und auch hinsichtlich anderer Zellen 5) läßt sich nach-
weisen, daß ihnen selbständiges Leben zukommt ê).
1) Prinzipien, & 223.
2) Den Myxomyceten,
3) Prinzipien, $ 218.
4) So z. B. die lebenden Schwämme, Prinzipien, § 218.
5) Z. B. hinsichtlich der Epithelzellen, welehe die Oberflächen der Schleimhäute
bedeeken.
6) Prinzipien, $ 218.
Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. e
yı
IL Das Leben der Einheiten und des Ganzen.
Das Verhältnis zwischen dem Leben der Einheiten und dem des
Ganzen zeigt als weitere, beiden Aggregaten gemeinsame Eigentüm-
lichkeit die Thatsache, daß durch irgend eine Katastrophe das Leben
des Aggregats zerstört werden kann, ohne daß damit auch unmittel-
bar das Leben aller Einheiten vernichtet wäre. Wie bestimmte Zellen
eines kaltblütigen Tieres und einzelne Teile ganzer Organe ihre Be-
wegung noch lange Zeit von selbst oder infolge künstlicher Anreize
fortsetzen, nachdem das Geschöpf, von dem sie einen Teil bilden,
leblos und bewegungslos geworden ist, so kann ein Stillstand jener
zusammenwirkenden Thätigkeiten, welche das Gesamtleben der Nation
ausmachen, herbeigeführt werden, ohne daß deshalb auch die Thätig-
keiten, aller ihrer Einheiten, z. B. derjenigen, die sich der Erzeugung
von Nahrungsmitteln widmen, aufzuhören brauchen 1).
Auf der anderen Seite wiederum überdauert das Leben des
Aggregats, sofern keine Katastrophe es vor der Zeit unterbricht, bei
weitem das Leben der Einheiten. Wie jedes der winzigen Lebens-
elemente, die ein ausgebildetes Tier zusammensetzen, sich entwickelt,
seine besondere Aufgabe erfüllt, wieder zerfällt und endlich völlig
ersetzt wird, während das Tier als Ganzes ruhig fortlebt, so besteht
das Leben einer Gesellschaft und ihrer größeren Abteilungen fort,
ungeachtet des Absterbens einer Zahl der ihnen angehörigen Bürger.
Ja noch mehr: einzelne Teile der Gesellschaft, z. B. Privatvereini-
gungen, ganze Städte können zerfallen, während doch die Nation
ihre Integrität behauptet und an Umfang und innerem Bau zunimmt ?).
Zweites Kapitel. Verschiedenheiten.
A. Die wichtigsten Unterschiede.
Die Gesellschaft weist, abgesehen von einigen weniger wichtigen
Punkten, in einer Beziehung eine bedeutende Verschiedenheit vom
Organismus auf: die einzelnen Teile eines Tieres stellen ein konkretes
Ganzes dar, die Teile einer Gesellschaft dagegen bilden ein Ganzes,
welches diskret ist. Während im lebenden Körper die Einheiten in
innigster Berührung miteinander verbunden sind, treten uns die
eine Gesellschaft zusammensetzenden Individuen als freie Wesen
entgegen, die nicht in Berührung miteinander stehen, nicht fest an
ihre jeweilige Lage gebunden sind, sondern sich von Ort zu Ort bewegen.
sich mehr oder weniger weit zerstreuen können 21. Diese Verschieden-
heit hat einen weiteren wichtigen Gegensatz zur Folge. Im tierischen
Körper geht die Differenzierung so weit, daß einige Teile zu Organen
des Fühlens und Denkens, andere dagegen ganz empfindungslos werden.
Im sozialen Aggregat ist dies nicht möglich: hier können nicht gänz-
1) Prinzipien, § 219.
2) Ebenda, § 219.
3) Ebenda, § 220.
152 Albert Hesse,
lich empfindungslose Einheiten entstehen und andererseits solche,
welche das Gefühl monopolisieren. Hier ist das Bewußtsein nicht
wie im organischen Aggregat auf einen kleinen Teil konzentriert,
sondern über das gesamte Aggregat verbreitet !); das heißt: während
der physische Organismus einem seiner Teile, dem Centralnerven-
system unterworfen ist, haben die Teile des sozialen Aggregats die
Möglichkeit, unabhängig von einem regierenden Teil selbst zu wählen
und ihre Bestimmungen zu treffen ?).
B. Bedeutung für die Auffassung der Gesellschaft
als Organismus.
Diese Verschiedenheiten vermögen jedoch die Auffassung der
Gesellschaft als Organismus grundsätzlich nicht zu ändern.
Die wechselseitige Abhängigkeit der Teile, welche die Grundlage
der Organisation bildet, erfordert ein Zusammenwirken, und die Aus-
führung solcher wechselseitig abhängigen Thätigkeiten setzt wiederum
voraus, daß die Teile sich gegenseitig beeinflussen, daß Impulse, der
Art, dem Grade, der Zeit nach abgemessen, sich von einem Teil zum
anderen fortpflanzen. Dies geschieht im organischen Körper, dessen
Teile ja in Zusammenhang stehen, durch unmittelbar von einem Teil
zum anderen sich fortpflanzende Reize. Im sozialen Aggregat werden
die erforderlichen gegenseitigen Einflüsse, wo sie nicht auf direktem
Wege übertragbar sind, auf indirektem Wege übertragen. Ohne in
Berührung miteinander zu stehen, beeinflussen sich die Teile gegen-
seitig durch den Raum hindurch vermittels der Sprache der Gemüts-
bewegungen und vermittels der mündlichen und schriftlichen Sprache
des Verstandes. Auf diese Weise wird die Voraussetzung jener
wechselseitigen Abhängigkeit der Teile und damit auch diese Grund-
lage der Organisation selbst sehr wirksam hergestellt, sodaß, ob-
gleich nicht konkret, sondern diskret, das soziale Aggregat sich als
lebendes Ganzes darstellt 5).
Ergebnis. Somit wird durch diese Verschiedenheiten nach
Spencer's Meinung die Auffassung der Gesellschaft als Organismus
in nichts verändert. Und es ergiebt sich als Begriff der Gesellschaft
in Spencer's Soziologie. wenn auch von ihm nicht ausdrücklich for-
muliert, so doch als Resultat seiner Ausführungen mit Sicherheit
feststehend: Die Gesellschaft ist ein diskreter Organismus, aufgebaut
von Einheiten, die mit Bewußtsein begabt sind.
Zweiter Teil. Kritik.
Vorbemerkungen.
Der Sprachgebrauch verwertet das Wort „Gesellschaft“ in der ver-
schiedensten Bedeutung. Er kennt Gesellschaften, welche die gute Ge-
1) Ebenda, § 222,
2) Vergl. Barth a. a. O., S. 107.
3) Prinzipien, §§ 222, 223,
D
Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 753
sellschaft, auch die Gesellschaft genannt, giebt und besucht. Er faßt
die Gesamtheit der Glieder eines Staatswesens zu der bürgerlichen
Gesellschaft zusammen, diese auch bewußt dem Staat gegenüberstellend
und wiederum in großstädtische und kleinbürgerliche Gesellschaft
teilend. Er redet von der civilisierten, europäischen Gesellschaft und
weiter von der menschlichen Gesellschaft überhaupt. Der Jurist endlich
trennt die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts von den handelsrechtlichen
Gesellschaften und stellt den privatrechtlichen Gesellschaften wiederum
die des öffentlichen Rechts, z. B. die Religionsgesellschaften gegen-
über !).
In welcher Bedeutung gebraucht Spencer das Wort „Gesell-
schaft“? Eine Gesellschaft ist nach seiner Ansicht vorhanden, wenn
sämtliche Individuen, die ein bestimmtes räumliches Gebiet einneh-
men, in dauernden Beziehungen stehen ?). Welches die Grenzen sind,
die das räumliche Gebiet einschließen, sagt er an dieser Stelle aus-
drücklich nicht. Aus seinen späteren Ausführungen ergiebt sich je-
doch, daß er politische Grenzen im Sinne hat, denn als einzelne
Gesellschaften giebt er an den Stamm), den Staat‘) mit seinen
Gauen 5), Grafschaften ©) und Provinzen °), die Nation ê). Es bezeichnet
also Spencer mit dem Wort „Gesellschaft“ die Gesamtheit der Glieder
eines Staatswesens.
Ob diese Auffassung berechtigt ist, diese Frage kann hier nicht
behandelt werden, da dies den folgenden Untersuchungen vorgreifen
würde.
Es ist auch auf die Streitfrage nach dem Begriff der Gesellschaft
hier nicht einzugehen, nicht ein bestimmter Begriff der Gesellschaft
aufzustellen, als Maßstab, um Spencer’s Ansicht ohne näheres Ein-
gehen nach ihm zu beurteilen. Man kann Spencer wohl widerlegen,
wenn man, von vornherein auf einen anderen Standpunkt sich stel-
lend, mit den Begriffen gegen ihn streitet, die er selbst bekämpft;
man wird ihm aber nicht gerecht werden. Man muß seinen Wegen
folgen, auf seinem eigenen Felde ihn zu überwinden suchen, den
1) Vergl. hinsichtlich dieser Verschiedenheiten des Sprachgebrauchs den ange-
führten Artikel von Gothein im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, sowie Rüme-
lin, Reden und Aufsätze, 3. Folge, 1894, S. 248 ff. Vergl. über den Begriff der
Gesellschaft außerdem: Stammler, Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Ge-
schichtsauffassung, 1896, S. 83 ff.; Simmel, Ueber soziale Differenzierung, 1890, S. 10 H:
Jhering, Der Zweck im Recht, 1877/83, Bd. 2, S. 174 ff.; Tönnies, Gemeinschaft und
Gesellschaft, 1887, S. 46 ff.; Weisengrün, Der Marxismus und das Wesen der sozialen
Frage, 1900, S. 370 ff.; Gumplowiez, Grundriß der Soziologie, 1885, S. 139 ff.; Kistia-
kowski, Gesellschaft und Einzelwesen, 1899, S. 56 ff.
2) Prinzipien, $ 212.
3) Ebenda, z. B. Së 225, 226, 229, 230, 236, 238, 239, 245.
4) Ebenda, z. B. 88 228, 229, 226, 243, 245, 248, 250.
5) Ebenda, z. B. $ 227.
6) Ebenda, z. B. $ 243.
7) Ebenda, § 241, 243.
8) Ebenda, § 212, 226.
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 48
754 Albert Hesse,
Maßstab zu seiner Beurteilung aus seinen eigenen Werken ent-
nehmen.
Und dies soll hier versucht werden.
Erster Abschnitt. Spencer’s Beweis.
Erstes Kapitel. Gesellschaft und Mehrheit von Menschen.
Die Gesellschaft ist nach Spencer ein Organismus besonderer
Art. Diese Meinung setzt voraus, daß die Gesellschaft die charakte-
ristischen Merkmale des Organismus zeigt. Diese Ansicht hat wieder
zur bedingenden Voraussetzung, daß die Gesellschaft als besonderes
Wesen, als Ding gefaßt, ihr eigenes Dasein zugeschrieben werden
kann. Dies letztere endlich erfordert die scharfe und bestimmte
Feststellung des Kriteriums, durch welches die Gesellschaft anderen
Zusammenfassungen von Individuen gegenübergestellt wird.
Und so stelle ich die erste Frage: Kann das quantitative Moment
längerer oder kürzerer Dauer das Kriterium sein, welches die Ge-
sellschaft anderen Zusammenfassungen von Individuen als selbständiges
Objekt gegenüberstellt?
Die Meinung, daß die Dauer des Zusammenseins das Wesen der
Gesellschaft ausmache, kann nur dann Sinn und praktischen Wert
haben, wenn bestimmt und sicher angegeben wird, bei welcher Zeit-
dauer das Zusammensein in den Zustand gesellschaftlichen Zusammen-
lebens übergeht. Spencer stellt nicht dem zeitweiligen Beisammen-
sein das Gesellschaftsleben als ein Zusammenleben von unbegrenzter
Dauer gegenüber. Er verkennt nicht die Thatsache der Geschichte,
daß große Nationen im Laufe der Jahrhunderte wieder zu Grunde
gingen; auch die Gesellschaft ist eine Zusammenfassung von nur
begrenzter Dauer, ebenso wie das Zusammenleben, das nicht eine Ge-
sellschaft darstellt. Wo läuft aber dann die Grenze? Wie lange
muß ein Zusammenleben währen, um zu einem gesellschaftlichen
werden zu können? Spencer sagt es nicht.
Eine maßgebliche Angabe des Zeitpunktes, in dem das einfache
Zusammenleben zum gesellschaftlichen werden soll, ist jedoch auch
gar nicht möglich. Soll eine Zusammenfassung von Menschen
Monate, Jahre oder Jahrhunderte renoncieren, ehe sie in den engeren
Verband der Gesellschaften recipiert werden kann, und wie lange
soll im einzelnen wieder der Zeitraum bemessen werden? Die Fest-
setzung einer bestimmten Frist würde stets einen Akt der Willkür
darstellen und giltig nicht begründet werden können 11.
Es kann daher das Kriterium, durch das gesellschaftliches Zu-
sammenleben von anderem Zusammensein abgegrenzt wird, nicht in
der Dauer der Verbindung gesucht werden. Spencer hat der ersten
1) Der Einwand von Tönnies (Philosophische Monatshefte, XXV, S. 70), daß
bleibende Relationen nicht allein zwischen den Bestandteilen eines Ganzen, sondern
auch sonst, z. B. in der Gruppe, die wir Art nennen, sich finden, trifft die Frage
nicht, da Spencer hier von den Beziehungen auf Grund einer dauernden Anordnung,
Verbindung redet.
Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 755
Anforderung, der sicheren Angabe eines Gesichtspunktes zur Trennung
von Gesellschaft und anderen Zusammenfassungen von Individuen,
nicht genügt.
Zweites Kapitel. Die Gesellschaft als Ding.
A. Stellung des Problems.
Das Moment der Dauer der Verbindung kann, weil es überhaupt
unbrauchbar ist, das soziale Leben von anderem Zusammensein ab-
zugrenzen, auch die Gesellschaft nicht als besonderes Ding anderen
Zusammenfassungen von Individuen gegenüberstellen. Der Grund,
den Spencer für die Ansicht anführt. daß die Gesellschaft ein be-
sonderes Wesen darstellt, ist unzutreffend, daher diese Meinung nicht
bewiesen. Hiermit ist jedoch die Frage, ob sie ein eigenes Ding ist,
noch nicht beantwortet. Die Auffassung der Gesellschaft als Ding
setzt voraus, daß sie überhaupt von anderem Zusammenleben von
Individuen geschieden werden kann, und. diese Voraussetzung ist
durch den Nachweis, daß ein bestimmtes Kriterium hierzu unge-
eignet ist, noch nicht hinfällig geworden. Es bleibt daher das Pro-
blem, ob die Gesellschaft als Ding gefaßt werden kann, bestehen.
Die Behandlung dieses Problems erfordert eine Erörterung der
Frage nach der Realität der Gesellschaft und eine Prüfung, zu welchen
Gegenständen unseres Denkens sie gehört.
In vorliegender Untersuchung ist dieses Problem nicht in all-
gemeinen metaphysischen und logischen Spekulationen zu erörtern,
sondern enger zu fassen dahin: kann die Gesellschaft als Ding ge-
faßt werden in dem Umfang, in dem Spencer sie als solches be-
trachtet? Spencer selbst nimmt zu diesem Problem nicht Stellung,
er geht auf jene allgemeinen Fragen überhaupt nicht ein!), sondern
beantwortet sie mit der Darlegung, daß die Gesellschaft ein Organis-
mus ist. Dies ist ein Fehler. Spencer mußte zuerst untersuchen,
ob der Gesellschaft Realität zukomme, ferner, zu welchen Gegen-
ständen des Denkens sie gehöre, und durfte erst dann in die Er-
örterung eintreten, ob sie ein Naturding darstelle und weiter, ob sie
bestimmten Naturwesen gleich oder ähnlich sei. Die vorliegende
Untersuchung, die allein eine kritische Würdigung der Ansichten
Spencer’s zur Aufgabe sich gestellt hat, muß sich mit der Fest-
stellung dieses methodologischen Fehlers begnügen; sie hat den Ge-
dankengängen Spencer's zu folgen, und in deren Beurteilung zu jenen
allgemeinen Problemen Stellung zu nehmen.
Auf die Frage: zu welcher Art von Dingen ist die Gesellschaft
zu rechnen? antwortet Spencer: zu den organischen Aggregaten.
Er faßt also das Aggregat als Ding. Dies ist unrichtig: das Aggre-
gat ist eine Mehrheit von Dingen. Doch sehen wir von diesem an
1) Er beschränkt sich auf eine ganz oberflächliche Hervorhebung des Gegensatzes
zwischen Nominalismus und Realismus, den er zu Gunsten des letzteren mit dem oben
S. 754 f. angeführten unbrauchbaren Gesichtspunkt der Dauer der Beziehungen zu er-
ledigen meint.
48*
756 Albert Hesse,
sich bedeutsamen, jedoch für die vorliegende Erörterung nicht so
wichtigen Gesichtspunkt ab, und fragen wir: Kann die Gesellschaft
als Ding gefaßt werden in dem Umfang, in dem das organische
Aggregat ein solches darstellt, d. h. kommt der Gesellschaft die Re-
alität der natürlichen Organismen zu, und ist sie als Gegenstand
des Denkens gleicher Art wie das organische Aggregat?
B. Die Realität der Gesellschaft.
Das organische Aggregat, z. B. ein Tier, eine Pflanze ist ein
Körper. Als wesentliche Merkmale eines solchen erscheinen uns von
vornherein Raumerfüllung und Trägheit, und diese Vorstellungen
gehen auf Wahrnehmungen des Tast- und Gesichtssinnes in der
Hauptsache zurück. Die Gesellschaft jedoch können wir weder sehen,
noch tasten, daher die Vorstellung der Trägheit, sowie die des Räum-
lichen und der Undurchdringlichkeit, in denen sich uns die Raum-
erfüllung darstellt, nicht gewinnen. Wir nehmen auf diesem Wege
nicht die Gesellschaft wahr, sondern allein die Einzelindividuen.
Den Körpern schreiben wir eine von den Sinnen unabhängige
Wirklichkeit zu, weil sie fähig sind, auf unsere Sinne zu wirken.
In der Frage nach der Existenz der Dinge sehen wir uns auf die
sinnliche Erfahrung zurückgewiesen !), und das entscheidende Kriterium
für die Beantwortung der Frage nach der Realität ist uns die Wahr-
nehmbarkeit, der Gesichtspunkt, ob der Gegenstand unabhängig von
unserem Willen uns gegeben wird ?).
Die organischen Körper giebt uns die sinnliche Erfahrung; ohne
sie wissen wir von ihnen nichts; wir reden von ihnen nur, wenn
und weil wir sie wahrgenommen haben. Dies trifft aber, wie schon
hervorgehoben, für die Gesellschaft nicht zu; wir nehmen nur die
Einzelindividuen wahr und fügen diese zu der Gesellschaft zusammen.
Die Gesellschaft erscheint uns mithin nicht als Körper; wir schreiben
ihr nicht die Wirklichkeit, Existenz derselben zu.
Dieser bedeutsame Unterschied zwischen Gesellschaft und natür-
lichem Organismus spricht gewichtig gegen die Auffassung der Ge-
sellschaft als Ding in dem Umfang, in dem Spencer dies annimmt.
Er stellt mit Sicherheit fest, daß die Gesellschaft nicht als Körper
aufgefaßt, ihr nicht die Realität des natürlichen Organismus zuge-
sprochen werden kann. Er vermag jedoch die Auffassung Spencer’s
nicht endgiltig zu widerlegen, denn Spencer behauptet nicht eine voll-
kommene Uebereinstimmung zwischen Gesellschaft und physischem
Organismus, sondern nur eine Analogie. Er stellt die Gesellschaft
dem Organismus gegenüber, trotzdem ihm klar ist, daß sie keine
äußere Gestalt besitzt, nicht als ein zusammenhängendes Etwas im
Raume uns entgegentritt). Hierdurch wird nach seiner Meinung die
Gesellschaft zu einem Organismus besonderer Art.
1) A. Riehl, Der philosophische Kritieismus und seine Bedeutung für die posi-
tive Wissenschaft, Bd. 2, 1887, 8. 130, 143.
2) Benno Erdmann, Logik, Bd. 1. Logische Elementarlehre, 1892, S. 83.
3) Siehe oben S. 751 f.
Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 757
C. Die Gesellschaft als Gegenstand des Denkens.
Die Aufgabe, zu prüfen, ob die Gesellschaft in dem Umfang des
natürlichen Organismus als Ding gefaßt werden kann, macht außer
der Untersuchung der Wirklichkeit, Existenz es erforderlich, Ge-
sellschaft und Organismus als Gegenstände des Denkens zu behandeln,
zu erörtern, zu welchen Arten des Vorgestellten beide gehören, nach
dieser Richtung hin Gesichtspunkte für die Beurteilung der Meinung
Spencer’s zu suchen.
Wir stellen die Einzelindividuen uns als bestimmt in Beziehung
stehend vor und fügen sie auf Grund dieser Beziehung zu einer Ein-
heit, der Gesellschaft, zusammen. Die Gesellschaft ist ein Inbegriff.
Die Beziehungen zwischen den Einzelwesen setzen die Gesellschaft
als Ganzes einer bloßen Mehrheit gegenüber, machen sie zu einem
Gegenstand unseres Denkens, unterstellen sie damit der Kategorie
der Beziehung!). Der fortgeschrittenen Erfahrung erscheinen auch
die organischen Körper als Inbegriffe, somit der Kategorie der Be-
ziehung unterstehend. Sie löst sie auf in Zellen, Molekel, Atome.
Diese ursprünglichen Elemente werden zwar nicht unmittelbar wahr-
genommen, sondern erschlossen; unmittelbar gegeben ist allein die
unabsehbare Menge ihrer Zusammensetzungen, während bei der Ge-
sellschaft umgekehrt wir nur die Einzelelemente unmittelbar wahr-
nehmen und diese dann zu der Einheit der Gesellschaft zusammen-
fügen. Diese Verschiedenheit betrifft jedoch allein die Frage, wie
wir den Inbegriff gewinnen, ändert nichts an der Thatsache, daß in
beiden Fällen ein Inbegriff vorliegt.
Es sind also als Gegenstände des Denkens Gesellschaft und natür-
licher Organismus gleicher Art, mithin ist, unter diesem allgemeinen
Gesichtspunkte betrachtet, die Auffassung Spencer’s berechtigt.
Drittes Kapitel. Gesellschaft und Organismus.
Die Behandlung der Gesellschaft als Gegenstand unseres Denkens
ist nicht nur notwendig für die Untersuchung, ob die Gesellschaft
ein Ding ist, sie giebt auch den Weg an, auf dem die Erörterung, ob die
Gesellschaft als ein bestimmtes Ding, als Organismus gefaßt werden kann,
vorzugehen hat. Wenn Gesellschaft und natürlicher Organismus durch
die Beziehungen zwischen den Teilen eigene Gegenstände unseres
Denkens werden, so wendet sich die Frage, ob die Gesellschaft analog
dem natürlichen Organismus ist, dahin, ob die Beziehungen zwischen
den Einheiten der Gesellschaft denjenigen zwischen den Bestandteilen
des organischen Körpers analog sind. Es sind deshalb die Aus-
führungen Spencer’s, welche darlegen sollen, daß die Gesellschaft
analog dem natürlichen Organismus ist, einen Organismus besonderer
Art darstellt, unter diesem Gesichtspunkt eingehend zu prüfen. Da-
bei seien im Anschluß an Spencer’s Sprachgebrauch die Erscheinungen,
Vorgänge, Thatsachen des Gesellschaftslebens als Merkmale, Eigen-
1) Erdmann, a. a. O., S. 99 ff.
758 Albert Hesse,
tümlichkeiten, Eigenschaften des sozialen Aggregats gefaßt. Ob dies
richtig ist, bleibe dahingestellt. Eine Erörterung dieser Frage wird
nur dann als notwendig sich herausstellen, wenn sie für die Richtig-
keit oder Unrichtigkeit der Meinung Spencer’s maßgebend ist; sie
erübrigt sich jedenfalls dann, wenn die Unrichtigkeit der Ansicht
Spencer’s schon aus anderen Gründen sich ergiebt.
Eine Kritik dieser Ausführungen Spencer’s kann sich nun nicht
vornehmen die Beantwortung der Fragen: Was ist ein Organismus?
Sind die Merkmale, welche Spencer hervorhebt, charakteristisch und
erschöpfen sie diesen Begriff? Derartige Erörterungen liegen außer-
halb der Grenzen sozialphilosophischer Untersuchung und außerhalb
des Zieles dieser Arbeit, deren Aufgabe in diesem Teil ist, eine
kritische Verfolgung der Gedankengänge, die Spencer zu der Auf-
fassung der Gesellschaft als Organismus geführt haben.
Diese Untersuchung erfordert in erster Linie eine Prüfung der
Fragestellung Spencer's.
A. Spencer’s Fragestellung.
I. Fehler der Fragestellung.
Spencer stellt die Frage: Zu welcher Art von Dingen müssen
wir die Gesellschaft rechnen, zu den unorganischen oder organischen
Aggregaten? Diese Fragestellung ist verfehlt. Sie setzt das voraus,
was den wichtigsten Punkt der Aufgabe bildete, den Satz, daß die
Gesellschaft entweder ein unorganisches oder organisches Aggregat
ist, daß sie ein Naturding ist, grundsätzlich mit diesen überein-
stimmend. Spencer mußte fragen: Was für ein Ding ist die Ge-
sellschaft? ist sie von Menschenhänden künstlich gefertigt oder
natürlich geworden? Diese Hauptfrage stellt er jedoch nicht; er
stellt eine spätere Frage, welche die Beantwortung dieser ersten
zur Bedingung hat.
Die Fragestellung setzt einmal den wichtigsten Teil der Aufgabe
ganz unbewiesen als in bestimmtem Sinn entschieden voraus, über-
sieht die Grundfrage, die zu stellen war. Sie ist jedoch noch in
anderer Beziehung zu tadeln. Spencer fragt nicht: Was ist die Ge-
sellschaft für ein Ding? sondern: Ist die Gesellschaft ein bestimmtes
Ding? Er lehnt die Möglichkeit, daß die Gesellschaft ein unorganisches
Aggregat darstellen könne, kurz ab!) und fragt: Ist sie ein Organis-
mus? Er faßt nicht die Eigentümlichkeiten des sozialen Aggregats
sämtlich ins Auge, prüft sie hinsichtlich ihrer Bedeutnng und reiht
dann die Gesellschaft einer bestimmten Klasse von Objekten ein, er
behauptet von vornherein die Zugehörigkeit zu einer bestimmten
Klasse und sucht dies nachzuweisen.
Ein solches Suchen enthält stets eine aprioristische Anticipation
1) Ob, wie Tönnies — Philosophische Monatshefte, XXV, S. 70 — annimmt, ohne
zureichenden Grund, diese Frage tritt gegenüber der hier behandelten zurück, da sie
deren Beantwortung voraussetzt.
Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 759
des Gesuchten und trägt so in die Auffassung und Behandlung der
Thatsachen schwere Fehler hinein. Einmal werden die Thatsachen nicht
gleichmäßig in Betracht gezogen, sondern diejenigen Thatsachen gesucht,
welche für die Behauptung sprechen, und infolgedessen viele, aus
denen keine Gründe entnommen werden können, trotz großer Wichtig-
keit übersehen oder zu wenig berücksichtigt, während andere von
geringerer Bedeutung, sofern sie Beweisgründe darbieten, viel ein-
gehender erörtert werden. Weiterhin werden die Thatsachen von
vornherein unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, vom Standpunkt
dieser vorgefaßten Meinung aus angesehen, einseitig aufgefaßt.
Diese Fehler, aus einer unrichtigen Fragestellung hervorgehend,
finden wir in der That auch bei Spencer vor.
IL Folgen der fehlerhaften Fragestellung.
1. Einseitige Berücksichtigung der Thatsachen.
— Hervorhebung nebensächlicher Momente. — Die Einseitigkeit
Spencer’s in der Berücksichtigung der Thatsachen des Gesellschafts-
lebens zeigt sich einmal darin, daß er Erscheinungen, die ganz neben-
sächlich, von nur geringer Bedeutung sind, heranzieht, sofern sie die
behauptete Uebereinstimmung zu beweisen oder auch nur im ein-
zelnen zu erläutern geeignet scheinen.
So setzt er z. B. die Thatsache, daß mit wachsender Lebhaftig-
keit des Verkehrs in entwickelten Gesellschaften die Eisenbahnen
statt eines einzigen Schienenstranges für die Bewegung in beiden
Richtungen einen doppelten besitzen, eine Linie zur Hin- und eine
zur Rückfahrt, in Parallele zu der doppelten Gruppe von Röhren,
durch welche in allen höheren Tieren das Blut vom Centrum nach
der Peripherie und von dort nach dem Centrum strömt!). Aehnlich
vergleicht er den Telegraphendraht, der das Eisenbahnsystem bis in
die kleinsten Verzweigungen hinaus begleitet, den Verkehr auf diesen
Linien anregt und hemmt, mit dem vasomotorischen Nerven, der,
längs der Arterien einherlaufend, diese zusammenzieht bezw. aus-
dehnt und so den Kreislauf regelt ?). Wie in den Verteilungskanälen
des Organismus Blutkörperchen und Blutflüssigkeit kreisen, so nehmen
entsprechend die Verteilungskanäle in der Gesellschaft Menschen
und Waren auf, Und weiter stellt er die Isolierung der unter-
irdischen Kabel der Trennung der Nervenfasern gegenüber: wie dort
zahlreiche zu einem Bündel vereinigte Drähte jeweils durch eine
Scheide nicht leitender Substanz getrennt sind, so sind die Nerven-
fasern, welche in dem Nervenstamm nebeneinanderlaufen, durch ihre
jeweiligen Markscheiden voneinander gesondert 4).
Die Reihe dieser Beispiele ließe sich leicht noch um ein Be-
trächtliches vermehren.
1) Prinzipien, § 245.
2) Ebenda, § 254.
3) Ebenda, § 246.
4) Ebenda, $ 254,
760 Albert Hesse,
— Unzureichende Berücksichtigung wichtiger Thatsachen. — An-
dererseits werden von Spencer überaus wichtige Thatsachen des
Gesellschaftslebens, aus denen Gründe für seine Ansicht sich nicht
herleiten lassen, übersehen oder zu wenig in Betracht gezogen.
Man kann Spencer nicht den Vorwurf machen, daß er die Ver-
schiedenheiten, die zwischen dem lebenden Körper und der Gesell-
schaft, bestehen vollständig übersehen habe. Er hebt selbst mehrere
Unterschiede hervor. So betont er vor allem, daß im sozialen Aggregat
jede Einheit mit Bewußtsein begabt ist, während dieses im lebenden
Körper auf einen kleinen Teil sich konzentriert. Er würdigt jedoch
gerade diesen wichtigen Gegensatz nicht in seiner vollen Tragweite,
zieht nicht die Konsequenzen, die sich aus ihm ergeben. Er erwähnt
nur gelegentlich bei Darlegung der Uebereinstimmungen, welche beide
Aggregate hinsichtlich des Wachstums und der Ausbildung des Ver-
teilungssystems aufweisen, einige Unterschiede, die infolge dieses
Gegensatzes und des Umstandes, daß die Gesellschaft ein diskretes
Ganzes ist, sich zeigen, betont die Vergrößerung durch Wanderung !),
die Thatsache, daß nicht, wie im physischen Organismus, jeder Ein-
heit der nötige Anteil an Nahrungsstoffen stets direkt zugeführt wird,
sondern die eigene Thätigkeit der Einheiten die Verteilung teilweise
anders regelt, und hebt weiterhin hervor einen Unterschied hinsicht-
lich der Art und Weise, wie die Kreislaufsströmungen in beiden
Fällen in Bewegung gesetzt werden: im Organismus durch ein kon-
traktiles Organ, im sozialen Körper durch die Kräfte, die in den
Strömen selbst liegen ?). Weiter berücksichtigt Spencer die aus diesem
Gegensatz sich ergebenden Verschiedenheiten jedoch nicht.
Es seien hier nicht Einzelheiten angeführt, allein der wichtigste
Punkt sei hervorgehoben: Spencer übersieht vollkommen, in welchem
Umfang die Einheiten der Gesellschaft selbst deren Wachstum und
Organisation beeinflussen.
Die Individuen der Gesellschaft selbst bestimmen den Umfang
des sozialen Wachstums beider Arten, der Zunahme durch Zusam-
menschluß mehrerer Gruppen und durch Vermehrung der Individuen
innerhalb derselben. Einfache und mehrfache Vereinigung von Gruppen
ist das Ergebnis menschlichen Handelns, und dieses ist auch auf die
zweite Art des Wachstums von bestimmendem Einfluß, insofern die Ge-
sellschaft selbst Bevölkerungspolitik treibt, die Eheschließungen regelt,
diese erleichternd oder erschwerend, die Aussetzung der Kinder er-
laubt oder unterdrückt, Kolonien aussendet oder die Auswanderung
überhaupt verbietet. Aber auch die Organisation der Gesellschaft,
die Bestimmung des Verhältnisses der Individuen zu einander, ist
von Menschen geschaffen. Rechtssatzung und Konventionalregal,
welche die Beziehungen der Individuen zu einander normieren, rühren
von Menschen her, sind von Menschen gesetzt, ob ausdrücklich oder
durch stillschweigende Uebung, kommt nicht in Betracht. Die Ver-
1) Prinzipien, $ 227.
2) Ebenda, $ 248.
Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 761
schiedenheiten der Struktur und Funktionen der Teile der Gesell-
schaft sind durch die Thätigkeit der Individuen entstanden, die ihre
Kräfte auf einen bestimmten Arbeitszweig beschränkten. Die Ein-
richtungen des Verteilungssystems in der Gesellschaft, die Eisen-
bahnen, Land- und Wasserstraßen, die Verbindungsmittel des regu-
lierenden Systems, Post und Telegraph, und dessen Centren, die
Regierungsgebilde, Börsen, Märkte und Banken, sind Ergebnisse
menschlichen Handelns. Und so läßt sich leicht weiter zeigen, daß
alle diese Einrichtungen, die im natürlichen Organismus geworden
sind, in der Gesellschaft von den Einheiten selbst geschaffen sind.
2. Einseitige Auffassung der Thatsachen.
Die durchaus unzureichende Berücksichtigung des wichtigen Gegen-
satzeszwischen dem tierischen Organismus, in dem das Bewußtsein auf
einen Teil konzentriert ist, und der Gesellschaft, die sich aus bewußt den-
kenden Individuen zusammensetzt, führt Spencer zu einer einseitigen
Auffassung der Thatsachen des Gesellschaftslebens. Der Gedanke, daß
die Konsequenzen aus dieser Verschiedenheit eine andere Betrach-
tungsweise der gesellschaftlichen Erscheinungen zum mindesten mög-
lich machen, dieser Gedanke ist ihm nicht gekommen.
Spencer betrachtet jene Ergebnisse menschlichen Handelns und
mithin dieses selbst ausschließlich in gleicher Weise, wie alle übrigen
Geschehnisse in der Natur. Es ist richtig, daß menschliche Hand-
lungen, sobald sie als Geschehnisse Gegenstand der Wahrnehmung
geworden sind, unter dem gleichen Gesichtspunkt zusammenfassend
zu begreifen sind, wie alle übrigen Wahrnehmungen, mithin auch
unter dem Gesichtspunkt von Ursache und Wirkung aufgefaßt werden
müssen. Sie sind nur insofern qualifiziert, als der Beweis einer
zwingenden Kausalität nicht mit naturwissenschaftlicher Exaktheit
geliefert werden kann, da die Einzelursachen sich in unkontrollier-
baren Komplikationen verlieren, nicht mit Sicherheit festgestellt werden
können.
Diese kausale Betrachtungsweise ist jedoch nicht die allein mög-
liche, wie Spencer dies annimmt, insofern er ausschließlich unter
diesem Gesichtspunkt die soziale Organisation betrachtet.
Gesetze sind Gesichtspunkte der Auffassung und Ordnung, sie
werden durch unser Bewußtsein geschaffen: „Die Einheit der Ob-
jekte wird lediglich durch den Verstand bestimmt und zwar nach
Bedingungen, die in seiner eigenen Natur liegen, und so ist der
Verstand der Ursprung der allgemeinen Ordnung der Natur“ 1). So
ist auch Kausalität nicht eine reale Kraft, die außer uns in der Natur
wirkend zu Tage tritt, den Erfolg erzeugt, sie ist ein grundlegender
Gesichtspunkt, unter dem wir Erscheinungen, die uns in der An-
schauung gegeben werden, zu einheitlicher Auffassung ordnen ?).
1) Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft
wird auftreten können, $ 38.
2) Stammler a. a. O., S. 349 ff.
762 Albert Hesse,
Das Kausalitätsgesetz ist aber maßgebendes Prinzip der Auffassung
und Ordnung nur hinsichtlich der in bunter Mannigfaltigkeit ge-
gebenen Erscheinungen, eine Verknüpfung von Wahrnehmungen. Es
ist daher die Möglichkeit, eine menschliche Handlung, die noch nicht
als äußeres Geschehnis Gegenstand unserer Wahrnehmung geworden
ist, nicht unter diesem Gesichtspunkt vorzustellen, a priori nicht aus-
geschlossen.
Und in der That stellen wir uns eine künftige menschliche Hand-
lung nicht ausschließlich und nicht einmal in der Regel als mit kau-
saler Naturnotwendigkeit eintretend vor, sondern als zu bewirkend.
Wir haben die Vorstellung, daß wir einen Erfolg herbeiführen können,
der ohnehin, von selbst nicht eingetreten wäre. Dieser Gedanke tritt
in den ungezählten Fällen zu Tage, in denen wir die Vorstellung
einer möglichen Wahl haben, da doch der Gesichtspunkt des Wäh-
lens denjenigen einer zwingenden Kausalität mit Notwendigkeit aus-
schließt. Wir finden also in unserem Bewußtsein die Vorstellung
eines zu bewirkenden Erfolges unleugbar vor. Es ist mithin auch
eine unbestreitbare Thatsache der Erfahrung, daß wir uns künftige
Erscheinungen des Gesellschaftslebens, die Ergebnisse menschlichen
Handelns sind, nicht ausschließlich als kausal unvermeidliche Natur-
vorgänge vorstellen, sondern als zu bewirkende Objekte. Ein solches
nennen wir Zweck. Sofern eine vorzunehmende Handlung als eine
von dem Handelnden zu bewirkende vorgestellt wird, liegt eine Zweck-
setzung vor.
Dieser Gesichtspunkt der Zwecksetzung, der, wie gezeigt, durch
die Begriffe von Ursache und Wirkung durchaus nicht ausgeschlossen
wird, wird von Spencer gar nicht berücksichtigt, vielmehr mensch-
liches Handeln von vornherein und ausschließlich unter dem Gesichts-
punkt von Ursache und Wirkung betrachtet, somit einseitig aufgefaßt,
und zwar einseitig im Sinne der Behauptung, die er beweisen will,
denn für die Betrachtung natürlicher Geschehnisse kann allein der
Gesichtspunkt zwingender Kausalität und nicht das Moment der Zweck-
setzung in Frage kommen.
Somit finden wir, daß in der That jene unrichtige Fragestellung
die Mängel mit sich gebracht hat, die von vornherein erwartet werden
konnten. Spencer faßt nicht die Eigentümlichkeiten der Gesellschaft
sämtlich ins Auge und bestimmt nach eingehender Prüfung, zu welcher
Gruppe der Gegenstände unseres Denkens die Gesellschaft gerechnet
werden muß. Er reiht sie von vornherein einer bestimmten Gruppe,
den Naturwesen, sogar einer bestimmten Klasse von ihnen, den orga-
nischen Aggregaten, ein und sucht diese Ansicht als richtig darzu-
thun durch den Nachweis, daß die Gesellschaft diejenigen Merkmale
zeigt, welche die Dinge dieser Klasse haben. Er hebt infolgedessen
einseitig die Eigentümlichkeiten hervor, welche für seine Ansicht
sprechen, berücksichtigt selbst die nebensächlichsten Thatsachen dieser
Art eingehend, während er andere Thatsachen, von grundlegender
Bedeutung, aus denen Beweisgründe nicht entnommen werden können,
nicht in Betracht zieht. Er betrachtet die Thatsachen von vornherein
Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 763
unter dem Gesichtspunkt dieser vorgefaßten Meinung und kommt so
zu einer einseitigen Auffassung.
B. Spencer’s Beweisgründe.
Nach einer Kritik der Fragestellung bleibt als Hauptaufgabe der
Untersuchung eine Prüfung der Beweisgründe, die Behandlung der
Frage: Hat Spencer nachzuweisen vermocht, daß die Gesellschaft als
Organismus aufzufassen ist, daß die Beziehungen zwischen den In-
dividuen der Gesellschaft denjenigen zwischen den Bestandteilen des
organischen Aggregats analog sind?
Von den drei zum Beweis angeführten Momenten, daß Gesell-
schaft und natürlicher Organismus beide die Erscheinungen des Wachs-
tums aufweisen, daß die Prinzipien der Organisation in beiden Aggre-
gaten die gleichen sind, und das Verhältnis zwischen den Einheiten
und dem Ganzen in beiden Fällen einander entspreche, von diesen
drei Punkten berücksichtigt Spencer nur die beiden ersten eingehend
in näherer Ausführung, während er auf den letzten nicht das gleiche
Gewicht legt, ihn mehr zur Illustration heranzieht. Es kann daher
eine kritische Verfolgung des Beweisganges, den Spencer einschlägt,
sich auf eine Prüfung der beiden ersten Vergleichspunkte beschränken.
I. Der Gang des Beweises.
Eine Uebereinstimmung des Wachstums und der Gesetze der
Organisation des lebenden und des sozialen Körpers glaubt Spencer
darlegen zu können durch den Nachweis, daß beide Aggregate die
Thatsachen des Wachstums und der Ausbildung des inneren Baues
gemein haben, und diese Erscheinungen im einzelnen einander gleich
bezw. ähnlich sind.
Er nimmt also — schon in diesem Punkt muß die Kritik ein-
setzen — von vorn herein an, daß es ein soziales Wachstum giebt,
daß diejenigen Thatsachen, welche den Vorgängen des organischen
Wachstums entprechen, Erscheinungen des Wachstums der Gesell-
schaft sind. Er setzt weiter voraus, daß diejenigen Eigentümlich-
keiten des sozialen Körpers, welche den charakteristischen Merkmalen
der Organisation des lebenden Körpers entsprechen, auch die soziale
Organisation kennzeichnen, und schließt dann daraus, daß beide
Aggregate die gleichen Thatsachen, und zwar im einzelnen einander
ähnlich, aufweisen, auf die gleichen Gesetze der Organisation.
Spencer sucht die Eigentümlichkeiten des sozialen Körpers auf
an der Hand der Merkmale des organischen Aggregats; er giebt eine
Analogie. Gegen ein solches Verfahren ist von vornherein nichts
einzuwenden, wenn es sich allein darum handeln soll, die gleichen
Verhältnisse aufzuweisen, wenn die Analogie als Leitfaden, als heu-
ristisches Prinzip dienen soll!). Dies ist auch Spencer’s Absicht.
Die Induktionen der Soziologie, die empirischen Verallgemeinerungen,
1) Barth a. a. O., S. 94.
164 Albert Hesse,
gewonnen durch Vergleichung von Gesellschaften verschiedener Arten
auf verschiedenen Stufen !) sollen auf eigenen Füßen stehen und von
den Vergleichen mit den Erscheinungen des organischen Lebens un-
abhängig sein?). Die Bedeutung der Analogie geht jedoch in der
That über die Absicht Spencer’s hinaus. Spencer bleibt nicht beim
bloßen Aufweisen der Verhältnisse stehen. Er wählt bestimmte
soziale Thatsachen aus, die er den organischen gegenüberstellt, um
an ihnen die Uebereinstimmung beider Aggregate zu zeigen, und
dabei nimmt er den Gesichtspunkt, nach dem er die Auswahl trifft,
aus dem Gebiet des organischen Lebens in das soziale hinüber. Er
betrachtet diese Eigentümlichkeiten des sozialen Aggregats, welche
den Merkmalen des natürlichen Organismus entsprechen, als wesent-
lich, ihnen gegenüber erscheinen ihm andere als unwichtig. Und
vor allem — und auf dieses Moment ist, wie schon hervorgehoben,
besonderes Gewicht zu legen — er nimmt ohne weiteres an, daß
diese sozialen Thatsachen, welche im organischen Leben ihre Parallele
finden, für die Gesellschaft die gleiche Bedeutung haben, wie für den
Organismus, insofern sie in gleicher Weise wie dort das Wachstum
und die Organisation kennzeichnen, aus ihnen also die Gesetze der
Organisation entnommen werden können. Spencer geht mithin, ohne
sich dessen bewußt zu werden, über die analoge Betrachtungsweise
hinaus zum Analogieschluß über, einem Schluß vom Besonderen aufs
Besondere ungefähr in folgender Form:
Obersatz: Bestimmte Eigentümlichkeiten des organischen Körpers
kennzeichnen dessen Wachstum und Organisation.
Untersatz: Bestimmte Eigentümlichkeiten des sozialen Körpers ent-
sprechen ihnen.
Schlußsatz: Diese Eigentümlichkeiten des sozialen Körpers kenn-
zeichnen dessen Wachstum und Organisation.
Von der Richtigkeit dieses Schlusses hängt der weitere Beweisgang
ab. Stellt sich heraus, daß er falsch ist, daß mithin die fraglichen
sozialen Thatsachen nicht als Kennzeichen sozialen Wachstums und
gesellschaftlicher Organisation dargethan sind, so kann offenbar auf
Grund dieser Thatsachen über Wachstum und Organisation des so-
zialen Körpers nichts ausgesagt werden. Andererseits ist im Fall
der Richtigkeit dieses Schlusses der weitere Beweisgang des näheren
zu prüfen, ob es berechtigt ist, dann zu schließen, daß Wachstum
und Organisation beider Aggregate überhaupt übereinstimmen, mit-
hin auch die Prinzipien der Organisation die gleichen sind, und ob
endlich die Gesellschaft als Organismus besonderer Art, analog dem
natürlichen Organismus, dargethan ist.
Eine Prüfung dieses Schlusses erfordert in erster Linie eine
Untersuchung der Richtigkeit der Prämissen, dann ist der Schlußsatz
zu behandeln.
1) Prinzipien, § 211.
2) Ebenda, $ 270.
Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 765
II. Der Analogieschluß.
1. Die Prämissen.
— Der Obersatz. — Der Obersatz des Schlusses: „Bestimmte
Eigentümlichkeiten des organischen Körpers kennzeichnen dessen
Wachstum und Organisation“ mag ohne weiteres als richtig ange-
nommen werden. Eine kritische Nachprüfung dieses Satzes würde
Aufgabe des Biologen sein, gehört nicht in das Gebiet sozialphilo-
sophischer Erwägung.
— Der Untersatz. -— Wohl aber ist die Richtigkeit des Untersatzes
zu prüfen, zu untersuchen, ob thatsächlich in dem von Spencer an-
genommenen Umfang die fraglichen sozialen Thatsachen den orga-
nischen entsprechen.
Beide Aggregate zeigen fortwährendes Wachstum und Zunahme
der Verschiedenheit des inneren Baues, stimmen hinsichtlich dieser
allgemeinen Thatsachen überein. Hieraus läßt sich jedoch nur
dann etwas entnehmen, wenn im einzelnen das Wachstum und die
Ausbildung des inneren Baues sich in gleicher oder sehr ähn-
licher Weise vollziehen. Aus der Thatsache, daß beide Aggregate
wachsen und an Verschiedenheit des inneren Baues zunehmen, ist
gar nichts zu schließen. Das Wachstum beider Aggregate kann nach
Art, Grad und Umfang verschieden sein, und die Struktur des sozialen
und des organischen Körpers trotz jener gemeinsamen Erscheinung
zunehmender Verschiedenheit in jeweils ganz anderer Weise sich
ausbilden. Es muß daher hinzukommen, daß das Wachstum und die
Ausbildung des inneren Baues in beiden Aggregaten in gleicher oder
zum mindesten sehr ähnlicher Weise vor sich gehen. Dies ist auch
Spencer’s Meinung. Gerade die Thatsache einer weitgehenden Aehn-
lichkeit im einzelnen dient ihm zur Rechtfertigung der Ansicht,
welche der Schlußsatz wiedergiebt, daß diese Einzelerscheinungen
das gesellschaftliche Wachstum und die soziale Organisation kenn-
zeichnen.
Eine vollständige Uebereinstimmung aller Thatsachen im ein-
zelnen behauptet Spencer nicht. Er hebt zwar hervor, daß gewisse
Einzelheiten in gleicher Weise bei beiden Aggregaten sich finden !),
diese in bestimmter Hinsicht einander gleich sind, übereinstimmen ?).
In der Mehrzahl der Fälle jedoch beschränkt er sich darauf, einen
Parallelismus®) zu behaupten, eine Verwandtschaft) hervorzuheben,
auf die Aehnlichkeiten) hinzuweisen, zu zeigen, daß die sozialen
Thatsachen den organischen analog sind), ihnen entsprechen ’)®).
1) Prinzipien, z. B. $$ 219, 228, 235.
2) Ebenda, z. B. §§ 217, 241,
3) Ebenda, z. B. §§ 218, 231, 227,
4) Ebenda, z. B. §§ 226.
5) Ebenda, z. B. §§ 220, 219, 225, 232, 237.
6) Ebenda, z. B. §§ 214, 223, 232, 233.
7) Ebenda, z. B. §§ 226, 230, 236.
8) Der Wortfassung ist in Spencer’s Ausführungen kein Wert für die Auslegung
beizumessen. Spencer gebraucht weder jedes Wort stets streng in derselben Bedeutung,
766 Albert Hesse,
a) Methode der Untersuchung.
Es kann bei einer Beurteilung der behaupteten Aehnlichkeiten
nicht die Aufgabe sein, hervorzuheben, ob die Analogie vollständig
ist, ob Spencer alle Aehnlichkeiten hervorgehoben hat. Eine der-
artige Erörterung kann erst in Frage kommen, wenn die Berechtigung
der Analogie dargethan ist. Es kann auch nicht untersucht werden,
inwieweit im einzelnen es Spencer gelungen ist, die behaupteten Ueber-
einstimmungen, Aehnlichkeiten, Parallelen nachzuweisen: eine derartige
Prüfung würde zu sehr in Einzelheiten biologischer und soziologischer
Natur führen und doch wiederum nur in der Gesamtheit ihrer Ergebnisse
für die Beurteilung in Betracht kommen können. Es sei vielmehr einer
kritischen Erörterung unterzogen ganz allgemein die Gegenüber-
stellung sozialer und organischer Erscheinungen, die durch die Be-
hauptung von Aehnlichkeiten oder Uebereinstimmungen vorgenommen
wird, da sie deren Voraussetzung bildet. Ergiebt sich, daß sie nicht
richtig durchgeführt, überhaupt nicht berechtigt ist und der Beweis-
kraft entbehrt, so werden damit alle die behaupteten einzelnen Aehn-
lichkeiten und Uebereinstimmungen ohne weiteres hinfällig.
Um die Durchführung dieser Gegenüberstellung, ohne Eingehen
auf die Einzelheiten, kritisch würdigen zu können, sei die Frage
gestellt, ob Spencer einigen grundlegenden Bedingungen, deren Er-
füllung Voraussetzung einer richtigen Durchführung ist, Genüge
gethan hat, ob er die Elemente, an denen die entsprechenden Vor-
gänge des Wachstums und zunehmender Verschiedenheit sich voll-
ziehen sollen, aufgewiesen hat, und diese einander entsprechen, und
ob er die Einheit des einen Aggregats wie das Aggregat selbst zu
den entsprechenden Verhältnissen des anderen Aggregats und stets
denselben in Beziehung gesetzt hat. Vor allem aber ist zu unter-
suchen, ob Spencer die Erscheinungen des Gesellschaftslebens denen
der organischen Natur so ohne weiteres gegenüberstellen durfte, und
ob eine Begründung des Untersatzes in obigem Analogieschluß durch
einen Nachweis von Aehnlichkeiten, wie Spencer ihn versucht, über-
haupt möglich ist.
Es ist also zu untersuchen die Durchführung der Gegenüber-
stellung, deren Berechtigung, und endlich deren Beweiskraft.
OI Die Gegenüberstellung sozialer und organischer
Erscheinungen.
aa. Durchführung.
— Die Elemente des Wachstums und der Differenzierung. — Das
Element, an dem die Vorgänge des Wachstums und der Differenzierung
noch verwendet er für dieselbe Beziehung zwischen Gesellschaft und organischem Aggre-
gat stets den gleichen Ausdruck. So hebt er z. B. in § 241 zuerst hervor, daß das
Gesetz der Lokalisation der Teile sowohl für den Einzelorganismus wie für das soziale
Aggregat Geltung habe, die materielle Außenwelt in beiden Fällen die Anordnung der
Teile bestimme ($ 243); führt aber dann in demselben § 241 aus, daß die Lokalisierung
in der Gesellschaft auf ganz ähnliche Weise bestimmt werde, wie im natürlichen Or-
ganismus, und sagt im $ 243 wieder, daß hinsichtlich dieser Eigentümlichkeit beide
Aggregate übereinstimmen.
Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 767
entsprechend den organischen sich vollziehen sollen, weist Spencer
bei Durchführung der Analogie nicht auf; doch ergiebt sich seine
Auffassung aus anderen Ausführungen.
Die Einheit im organischen Leben, an der alle Vorgänge sich
vollziehen, ist die Zelle, zusammengesetzt aus Komplexen mehrerer
Eiweißmoleküle, die selbst wiederum aus Atomen bestehen 11. Dieser
stellt Spencer als soziale Einheit den Menschen gegenüber ?). Anderer-
seits setzt er allerdings wieder die kleine wandernde Herde zum
Keim ë), die ursprüngliche soziale Gruppe zur einfachen Anhäufung
lebender Moleküle, mit der die organische Entwickelung beginnt +),
in Parallele, erklärt weiterhin seine Zustimmung zu dem Satz von
Maine): „Die Einheit einer Gesellschaft des Altertums war die
Familie, die einer modernen Gesellschaft ist das Individuum ®).*
Gegenüber diesen vereinzelten Aeußerungen spricht jedoch neben
einer großen Reihe ausdrücklicher Bestimmungen ‘) vor allem die
Thatsache für die Auffassung des einzelnen Menschen als Einheit der
Gesellschaft, daß Spencer in dem ersten Teil des ersten Bandes seiner
Soziologie, den „Thatsachen der Soziologie“, als soziale Einheit, von
der die Wissenschaft der Soziologie ausgehen muß, den primitiven
Menschen behandelt in physischer, emotioneller, intellektueller Be-
ziehung, hinsichtlich seiner primitiven Vorstellungen und Gefühle.
Der Mensch ist also nach Spencer’s Meinung als die Einheit zu fassen,
aus der das soziale Aggregat sich aufbaut, entsprechend der Zelle,
die das organische Aggregat bildet 5).
Dies ist jedoch nicht möglich.
Der einzelne Mensch kann nicht in jeder Hinsicht Element der
Gesellschaft sein wie die Zelle Element des Organismus. Er kann
sich nicht durch sich selbst vermehren und zu einer Vielheit aus-
wachsen °). Die Zelle dagegen teilt sich, wenn sie infolge der Auf-
nahme und Verarbeitung von Nährstoffen bis zu einer gewissen
Größe herangewachsen ist, nach vorausgegangener Kernteilung in
zwei nahezu gleiche Teile, von denen jeder einen Kern umschließt.
Die soziale Einheit hinsichtlich der Erscheinungen des Wachstums,
der Vermehrung kann nur die Familie sein, niemals das Individuum.
Das Element, an dem sich die Zunahme der Verschiedenheit
des inneren Baues vollzieht, ist im organischen Aggregat wieder die
Zelle, in der Gesellschaft kann es nicht die Familie, sondern nur der
einzelne Mensch sein !%). Der Mensch tritt als einzelne Person in das
1) Spencer, Prineiples of Biology, übersetzt von Vetter unter dem Titel: „Die
Prinzipien der Biologie. 2 Bde., 1876/77, 8 66.
2) Prinzipien, z. B. §§ 7, 49, 210, 337.
3) Ebenda, § 224.
4) Ebenda, $ 226.
5) H. S. Maine, Early history of institutions — 1875 — S. 311, 99—100 (nach
Spencer).
6) Prinzipien, $ 320.
7) Ebenda, § 7, 42, 49, 210, 212, 215, 219, 220, 222, 337.
8) Anders Barth, a. a. O., S. 100.
9) Ebenda, 8. 103.
10) Ebenda, S. 103.
768 Albert Hesse,
Wirtschaftsleben ein, seine besonderen Aufgaben übernehmend. Für
die Erscheinungen dieser Art trifft mithin die Meinung Spencer’s
zu, daß der Mensch die soziale Einheit darstelle, dagegen hat er das
Element des von ihm behaupteten sozialen Wachstums nicht richtig
nachgewiesen.
— Inkonsequenzen Spencer’s in der Durchführung der Gegenüber-
stellung. — Wenn Spencer den Menschen als soziale Einheit auffaßt,
mithin der Zelle gegenüberstellt, dann muß er diese Parallele auch in
Konsequenz durchführen. Dies thut er jedoch nicht, denn, wenn er
die Horde dem einzelligen Keim oder Tier gegenüberstellt, dann setzt
er den Menschen nicht der Zelle, sondern einem der lebenden Mole-
küle gleich, aus denen sich die Zelle zusammensetzt.
Des weiteren erfordert die richtige Durchführung der Gegenüber-
stellung, daß das Aggregat selbst zu den entsprechenden Verhält-
nissen des anderen und zwar stets denselben in Parallele gesetzt,
sowie, daß entweder die Gesellschaft schlechthin mit dem Organismus
als solchem oder eine bestimmte einzelne Gesellschaft mit einem be-
stimmten Organismus verglichen werden.
Auch dies versäumt Spencer. Wie schon gezeigt, setzt er die
Horde in Parallele einmal zu dem Keim !), dann zu dem kleinsten
Tier?), die aus einer Zelle bestehen, während er sonst die Gesellschaft
dem Organismus, dem gesamten organischen Aggregat gegenüber-
stellt. Weiterhin ist seine Absicht, die Gesellschaft mit dem Or-
ganismus schlechthin, nicht mit irgend einem besonderen Typus von
tierischen oder pflanzlichen Einzelorganismen zu vergleichen 8). Auch
dies führt er nicht in Konsequenz durch. Einmal stellt er das soziale
Aggregat schlechthin den kaltblütigen Tieren gegenüber hinsichtlich
der Eigentümlichkeit, daß durch eine Katastrophe das Leben des
Aggregats zerstört werden kann, ohne daß damit auch unmittelbar
das Leben aller seiner Einheiten vernichtet werde{). Umgekehrt
setzt er Erscheinungen, die eine bestimmte Gesellschaft aufweist, in
Parallele zu Vorgängen im tierischen Organismus überhaupt. Er
stellt z. B. die nur für England zutreffende Thatsache, daß die Macht
vom König allmählich thatsächlich auf seine Mittelspersonen, die
Minister, überging, und diese wieder zu Werkzeugen der Parlaments-
majoritäten wurden, einer Erscheinung in der Ausbildung des re-
gulierenden Systems im Organismus überhaupt entgegen, daß mit
Ausbildung neuer regulierender Centren die älteren Teile vergleichs-
weise auf den Zustand automatischer Einrichtungen herabsinken, die
zuletzt gebildeten Centren die Oberherrschaft erlangen, und die ihnen
vorausgehenden ihre Diener werden).
Spencer stellt auch nicht denselben Einrichtungen des sozialen
Aggregats in Konsequenz die gleichen Objekte aus dem Gebiet der
1) Prinzipien, $ 224.
2) Ebenda, § 226.
3) Prinzipien, $ 269.
4) Ebenda, § 219.
5) Ebenda, $ 252.
Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 769
organischen Natur entgegen. Er setzt z. B. die Telegraphendrähte
einmal zu den vasomotorischen Nerven +), dann zu dem Nerven-
system überhaupt?) in Parallele, und bringt endlich die Straßen so-
wohl zu den Kanälen des Blutumlaufs 2, wie auch den Nerven-
fasern *) in Beziehung.
Diese Beispiele, die sich leicht vermehren ließen, mögen genügen,
um zu zeigen, daß die Objekte, die Spencer in Parallele stellt, nicht
immer einander entsprechen, und diese Gegenüberstellung auch nicht
konsequent durchgeführt ist, den einzelnen Objekten wechselnd andere
entgegengesetzt werden.
bb. Berechtigung der Gegenüberstellung.
Spencer durfte überhaupt nicht ohne weiteres Thatsachen des
Wirtschaftslebens denen in der organischen Natur gegenüberstellen.
— Verschiedenartigkeit der gesellschaftlichen Phänomene. — Die
Phänomene des Gesellschaftslebens sind viel zu verschiedenartig, als daß
eine Parallele zu den gleichmäßig und fest sich ausbildenden orga-
nischen Erscheinungen gestattet wäre. Selbst unter den sozialen
Erscheinungen der gleichen Art finden sich bei weitem nicht die
Uebereinstimmungen wie in der organischen Welt. Von Gleichmäkig-
keit und Stetigkeit in der Entwickelung nach festen Naturgesetzen
kann nicht die Rede sein, nur eine gewisse Regelmäßigkeit der Wieder-
kehr angenommen werden.
Diese Vielgestaltickeit der sozialen Erscheinungen übersieht
Spencer vollkommen. Er begeht daher die Fehler, einmal die That-
sachen des Gesellschaftslebens ohne weiteres zu generalisieren, und
weiterhin, wenn in einem auch nur nebensächlichen Punkte soziale
und organische Erscheinungen einander ähnlich sind, beide in Parallele
zu setzen, sogleich anzunehmen, daß auch in den anderen Punkten
eine Aehnlichkeit sich finde. Hier kann einmal an das oben) ange-
führte Beispiel der englischen Verfassung erinnert werden. Weiter-
hin vergleicht er die Ausbildung des Industriesystems aus dem Hand-
werksbetrieb mit der Entwickelung eines höheren Verdauungsorgans
aus einer niederen Form®). Es ist richtig, daß die Industrie eine
höher entwickelte Form sozialer Produktion darstellt, daß sie auch
das Arbeitsgebiet bestimmter Handwerke, z. B. der Weberei, zum
erößten Teil übernommen hat. Aber es ist doch nicht die Industrie
vollkommen an die Stelle des Handwerks getreten, wie ein höheres
Ernährungsorgan eine niedere Form ersetzt. In einer und derselben
Gesellschaft bestehen Handwerk und Industrie nebeneinander, und
dies wird auch für absehbare Zeit so bleiben, während ein Tier doch
nur ein Ernährungsorgan besitzen kann, und auch nur ein solches,
1) Prinzipien, $ !
2) Ebenda, § 253.
3) Ebenda, $
4) Ebenda, § 253.
5) Siche S. 767.
6) Prinzipien, $ 232.
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI), 49
770 Albert Hesse,
das vielleicht einen Uebergang von einer niederen zu höherer Form
darstellt, aber nicht beide Formen vollkommen ausgeprägt nebenein-
ander aufweist. Ferner meint Spencer, daß die Lokalisierung der
Erwerbszweige in einer Gesellschaft geschieht wie im Organismus,
daß die materielle Außenwelt die industriellen Differenzierungen be-
stimmt'). Dies trifft wohl für viele Zweige der Industrie zu, jedoch
nicht für alle, z. B. die Uhrenindustrie in der Schweiz, die Weberei
in Schlesien und Thüringen, die Spitzenfabrikation in Belgien.
Diese Beispiele, die sich leicht vermehren ließen, mögen genügen,
die oben hervorgehobenen Fehler zu kennzeichnen. Es erübrigt sich,
in den Einzelheiten nachzuweisen, wie das Suchen nach Parallelen
zwischen sozialen und organischen Thatsachen Spencer die Vielge-
staltigkeit der sozialen Erscheinungen übersehen läßt, daß z. B. der
Unternehmer nicht allein der Kanal ist, durch den die Erzeugnisse
der Fabrik abfließen ?), sondern der Leiter des Ganzen, daß die Tele-
graphendrähte nicht bloß die Aufgaben der vasomotorischen Nerven
zu erfüllen haben ë), daß daher die Parallele als willkürliche, künst-
liche Konstruktion erscheint.
— Die Ursachen der sozialen Erscheinungen. — Spencer übersieht
weiterhin auch die Ursachen für diese Verschiedenartigkeit der sozialen
Erscheinungen gegenüber der Gleichmäßigkeit der organischen. Er
geht nicht ein auf die Frage, welche Faktoren hinsichtlich jener That-
sachen, die er als Vorgänge des Wachstums und der Differenzierung
aufgefaßt wissen will, von maßgebender Bedeutung sind, während
doch eine berechtigte Gegenüberstellung sozialer und organischer
Erscheinungen gerade die Darlegung einer Uebereinstimmung oder
Aehnlichkeit der Faktoren verlangte.
Und diese Faktoren sind durchaus verschieden.
Es ist hier auf das zurückzugehen, was oben) gelegentlich der
Kritik der Fragestellung als Mangel der Darlegung Spencer’s her-
vorgehoben wurde. Die Erscheinungen des Gesellschaftslebens, welche
nach Spencer’s Meinung das soziale Wachstum und die gesellschaft-
liche Organisation kennzeichnen, sind dadurch gegenüber den ent-
sprechenden organischen Thatsachen qualifiziert, daß sie sich als
Ergebnisse menschlichen Handelns darstellen. Eine zukünftige mensch-
liche Handlung wird weitaus in der Mehrzahl der Fälle nicht als
ein kausal notwendiges Naturereignis, sondern als ein zu bewirkendes
Objekt, als Zweck vorgestellt; wir haben die Vorstellung einer mög-
lichen Wahl. Und auf den Ausfall dieser Wahl ist die Vorstellung
des zu bewirkenden Erfolges, die Zwecksetzung, von bestimmendem
Einfluß; und bezüglich der Zwecksetzung im einzelnen Fall wieder
sind die allgemeinen Gesichtspunkte von ausschlaggebender Be-
deutung, ob das subjektive Begehren das allein oder in erster Linie
1) Prinzipien, $$ 241, 245. Siehe oben 8. 748.
2) Ebenda, $ 233.
3) Ebenda, § 254.
4) Siehe S. 760 ff.
Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 771
Maßgebliche sein soll oder nicht). So enthält die Kausalitätskette
menschlicher Handlungen Glieder, die in jenen organischen Vorgängen
sich nicht finden können. Und der Einfluß dieser Einzelzwecke und
allgemeinen Gesichtspunkte zeigt sich auch hinsichtlich der Erschei-
nungen, die Spencer als Thatsachen gesellschaftlichen Wachstums
und sozialer Organisation auffaßt. Die Gesellschaft verfolgt bestimmte
Zwecke bei ihrer Bevölkerungspolitik, sie sucht hemmend oder för-
dernd auf die Vermehrung einzuwirken, die Rasse zu verbessern.
Und diese Einzelziele sind wiederum abhängig von allgemeinen Ge-
sichtspunkten: wirtschaftlichen Anschauungen, naturwissenschaftlichen
Erfahrungen, sittlichen Grundsätzen. Weiterhin sind hinsichtlich der
Normierung des Verhältnisses der Individuen zu einander bestimmte
Ziele für die Gesellschaft maßgebend, z. B. Sicherung der Gesamt-
heit und des einzelnen nach außen und nach innen, Schutz des
körperlich, geistig, wirtschaftlich Schwächeren, Gesichtspunkte, wie-
derum in einer reichen Fülle von Einzelzwecken uns entgegentretend,
wie Sicherung des Eigentums gegen" Diebstahl, Schutz des Minderjäh-
rigen gegen Uebervorteilung, des Mieters gegen Rechtsnachteile durch
Veräußerung des Grundstücks; und über ihnen allen als oberste
Richterin die Idee der Gerechtigkeit. Kann von alledem im orga-
nischen Leben die Rede sein? Es ist ein Geschehnis, das sich als
Erfolg menschlichen Handelns darstellt, kausal bedingt, wie jeder
Naturvorgang, den wir wahrnehmen, aber die Ursachen sind wesent-
lich andere.
Die Vielgestaltigkeit der sozialen Phänomene, die einen Zusam-
menhang naturgesetzlicher Art uns nicht erkennen läßt, der Gesichts-
punkt, daß im Gesellschaftsleben ganz andere Faktoren als in der
organischen Natur von maßgebender Bedeutung sind, diese Momente
machen es unmöglich, Erscheinungen aus beiden Gebieten ohne weiteres
gegenüberzustellen ?).
cc. Beweiskraft der Gegenüberstellung.
Auch wenn eine Parallele zwischen Vorgängen des organischen
Lebens und sozialen Phänomenen gezogen werden könnte, so würden
doch in dem vorliegenden Fall die Aehnlichkeiten, die Spencer in
seinen Ausführungen hervorhebt, den Untersatz des Schlusses nicht
begründen.
Spencer will in den Induktionen der Soziologie die allgemeinen
Wahrheiten finden 8), die Sätze, die er aus der Analogie zwischen
Gesellschaft und natürlichem Organismus herleitet, sollen für jede
1) Stammler a. a. O., S. 356 ff.
2) Eine weitere Erörterung der Frage nach der Berechtigung dieser Gegenüber-
stellung unterlasse ich mit Absicht. Diese würde ein näheres Eingehen auf die Streit-
frage, ob es wirtschaftliche Gesetze gebe, erfordern. Derartige Untersuchungen führen
aber mit Rücksicht auf die Fassung der Aufgabe zu weit und sind andererseits zur
Beantwortung der vorliegenden Frage nicht nötig, da hierzu die angeführten wichtigsten
Gesichtspunkte ausreichen.
3) Prinzipien, $ 211, 217.
49*
772 Albert Hesse,
Gesellschaft gelten. Dies ist nur möglich, wenn die Gesellschaft
überhaupt, nicht eine bestimmte Gesellschaft dem Organismus gegen-
übergestellt wird, wenn Thatsachen, die jede Gesellschaft aufweist,
zur Begründung angeführt werden. Dies ist auch Spencer’s Absicht:
er redet nur von der Gesellschaft schlechthin, die sozialen Erschei-
nungen, die nach der Behauptung des Untersatzes in obigem Ana-
logieschluß den Vorgängen in der organischen Natur entsprechen,
finden sich, wie er meint, in jeder Gesellschaft vor.
Dies ist jedoch nicht der Fall.
Die Erscheinungen, welche Spencer den organischen Vorgängen
gegenüberstellt, sind nicht jeder Gesellschaft eigen, sondern diese
Phänomene, durch deren Aehnlichkeit mit den organischen That-
sachen der Untersatz begründet werden soll, ergeben sich nur in
konkreter Ausführung einer besonderen sozialen Ordnung. So setzt
Spencer eine inhaltlich fest bestimmte Rechtsordnung voraus, welche
einmal das Privateigentum als Norm enthält. Sonst kann von Kauf
und Tausch !), Aneignung von Teilen des allgemeinen Nahrungstroms?),
Kredit, Banken und Börsen ë) nicht die Rede sein. Spencer nimmt
weiter an, daß Vertrags- und Verkehrsfreiheit in seiner Gesellschaft
als Recht gelten, sonst ist ein Arbeitsvertrag mit dem Fabrikherrn!),
ein freier Wettbewerb’), sind die sozialen Erscheinungen der Messen
und Märkte‘), des Handels überhaupt”) nicht möglich, sonst kann
sich ein verteilendes System, wie Spencer es darstellt®), und ein in-
dustrielles regulierendes System”) gar nicht herausbilden. Ohne ein
Erbrecht ist endlich ein Eintritt der Kinder in den Handwerksbetrieb
des Vaters 1°) nicht möglich. Und so läßt sich noch weiter auch für
die Einzelheiten nachweisen, daß die sozialen Thatsachen, welche
Spencer als Erscheinungen jedes Gesellschaftslebens auffaßt, nur
möglich sind unter Voraussetzung einer inhaltlich bestimmten sozialen
Ordnung. Fällt diese fort, so verschwinden die sozialen Phänomene.
Mit Aufheben dieser Ordnung wird aber einer Zusammenfassung von
Menschen nicht der Charakter als Gesellschaft genommen, denn sie
ist nur eine der möglichen Ordnungen. Unter dem sozialdemo-
kratischen Zukunftsstaat haben wir auch eine Gesellschaft. Eine
Kollektivierung der Produktionsmittel würde die Mehrzahl der That-
sachen, die Spencer als Erscheinungen gesellschaftlichen Lebens über-
haupt anführt, unmöglich machen, aber doch andere soziale Phäno-
mene hervorrufen.
Wenn somit die sozialen Erscheinungen, welche Spencer mit
1) Z. B. Prinzipien, $ 441.
2) Ebenda, § 247 ff.
3) Ebenda, §§ 254 ff.
4) Ebenda,
5) Ebenda,
6) Ebenda,
7) Ebenda,
8) Ebenda, SS
9) Ebenda, Së
10) Ebenda, $ £
RAR AN SF:
H
Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 773
denen der organischen Natur vergleicht, nicht, wie er sie auffaßt,
Phänomene des Gesellschaftslebens schlechthin, jeder Gesellschaft,
sondern einer bestimmten Gesellschaft sind, so vermögen sie auch
für den Satz, daß bestimmte Eigentümlichkeiten des sozialen Körpers
überhaupt gewissen Merkmalen des natürlichen Organismus ent-
sprechen, Beweisgründe in keiner Hinsicht zu bieten. Es kann der
Satz, daß jede Gesellschaft bestimmte Merkmale aufweist, offenbar
nicht bewiesen werden durch Thatsachen aus einem bestimmten Ge-
sellschaftsleben.
— Ergebnis der Prüfung des Untersatzes. — Aus diesen Aus-
führungen geht, zumal wenn wir die oben !) gerügte Einseitigkeit in der
Auffassung der sozialen Erscheinungen berücksichtigen, als Ergebnis
hervor, daß die Gegenüberstellung von Erscheinungen des sozialen
und des organischen Lebens von Spencer unrichtig durchgeführt ist,
der Berechtigung entbehrt und Beweisgründe für die Richtigkeit der
zweiten Prämisse des Analogieschlusses auch deshalb nicht zu bieten
vermag, weil die gegenübergestellten Thatsachen das Gebiet, für
welches die Behauptung gelten soll, nicht umfassen. Noch mehr:
alle einzelnen Gesichtspunkte vereinigen ihre Beweiskraft dahin, daß
von einer weitgehenden Aehnlichkeit oder gar Uebereinstimmung
zwischen den Erscheinungen des sozialen und des organischen Lebens
nicht die Rede sein kann.
Eine Aehnlichkeit, wenn auch nur äußerlich und in geringem
Umfang weisen die betreffenden organischen und sozialen Phäno-
mene allerdings auf. Es treten uns unleugbar im sozialen Leben
Thatsachen entgegen, die, zusammengefaßt, in großen Zügen den Er-
scheinungen organischen Wachstums und Zunahme der Verschieden-
heit des inneren Baues ähnlich sind. Wir finden in beiden Fällen
eine gegenseitige Abhängigkeit der Teile, ein Zusammenwirken der
Teile zum Wohle des Ganzen.
2. Der Schlußsatz.
Somit erhebt sich die Frage: Kann unter Bestimmung des Unter-
satzes dahin, daß die betreffenden Eigentümlichkeiten des sozialen
Körpers den fraglichen Merkmalen des sozialen Aggregats nur in
geringem Grade ähnlich sind, geschlossen werden, daß sie in gleicher
Weise, wie jene, Kennzeichen des Wachstums und der Organisation
sind ?
— Voraussetzung des Analogieschlusses. — Wir sagen vom Subjekt
der zweiten Prämisse — den Eigentümlichkeiten des sozialen Aggre-
gats — aus, daß es dem der ersten — den Eigentümlichkeiten des
organischen Körpers — ähnlich sei, mithin Gleichheiten und Ver-
schiedenheiten mit diesem aufzuweisen habe. Im Schlußsatz fügen
wir dem Subjekt des Untersatzes das Prädikat des Obersatzes bei,
sagen aus, daß diese Eigentümlichkeiten des sozialen Körpers dessen
Wachstum und Organisation kennzeichnen. Wir schließen also auf
1) S. 761 ff.
714 Albert Hesse,
das, was in dem ähnlichen Besonderen des Untersatzes dem ge-
gebenen Besonderen des Obersatzes gleich ist. Indem wir dies
thun, setzen wir in dem ähnlichen Besonderen die gleichen Be-
dingungen voraus, die in dem gegebenen Besonderen zu dem Prä-
dikat führen, das wir von ihm aussagen t). Wir fassen das, was wir
von beiden ähnlichen Subjekten gemeinsam aussagen, als Wirkung
auf und nehmen an, daß in dem zweiten, dem ersten ähnlichen Be-
sonderen die gleichen Ursachen gegeben sein, und diesen die gleichen
Wirkungen entsprechen werden. Unser Schluß ist mithin insoweit
berechtigt, als wir voraussetzen dürfen, daß die gleichen Ursachen
in dem ähnlichen Besonderen gegeben sein und diesen die gleichen
Wirkungen entsprechen werden.
Dies dürfen wir jedoch nicht.
— Unrichtigkeit des Analogieschlusses Spencer's. — Wie oben?
des näheren dargelegt, sind im sozialen Leben überhaupt und gerade
hinsichtlich der hier in Betracht kommenden Phänomene Faktoren von
maßgebender Bedeutung, die in der organischen Welt nicht in Betracht
kommen können. Wir dürfen daher in keinem Umfang annehmen,
daß in dem ähnlichen Besonderen die gleichen Ursachen gegeben
sein und diesen die gleichen Wirkungen entsprechen werden °).
Es ist daher dem Analogieschluß die Berechtigung zu versagen.
Spencer kann nicht annehmen, daß die Eigentümlichkeiten des so-
zialen Körpers, welche den Merkmalen des Wachstums und der
Ausbildung des inneren Baues des organischen Aggregats in etwas
ähnlich sind, wie diese, Wachstum und Organisation im sozialen
Körper kennzeichnen; es ist ebenso unbegründet, diese Thatsachen
als wesentlich hervorzuheben und ihnen gegenüber andere Erschei-
nungen des Gesellschaftslebens als unwichtig außer Betracht zu
lassen.
— Ergebnis. — Mit der Unrichtigkeit dieses Schlusses verliert der
weitere Gedankengang Spencer’s seinen Boden. Da die fraglichen
sozialen Erscheinungen nicht als Kennzeichen gesellschaftlichen
Wachstums und sozialer Organisation nachgewiesen sind, kann offen-
bar auf Grund dieser Thatsachen über Wachstum und Organisation
des sozialen Körpers nichts ausgesagt werden. Somit werden auch
hinfällig der Schluß, daß Wachstum und Organisation beider Aggre-
1) Erdmann, a. a. O., S. 615 ff.
2) Siehe S. 771 f.
3) Ein näheres Eingehen auf die Natur des Analogieschlusses und die über diese
entstandene Streitfrage würde meines Erachtens über das Ziel dieser Arbeit hinausgehen
und für das Ergebnis ohne Bedeutung sein. Auch wenn man z. B. mit Barth — a. a.
O., S. 95 ff. — im Anschluß an Wundt als Voraussetzung des Analogieschlusses ein
hinreichend ähnliches Verhalten fordert, muß man die Berechtigung des von Spencer
ausgeführten Schlusses verneinen, da ein solches hinreichend ähnliches Verhalten nicht
vorliegt — s. oben 8. 766 ff. —, nur äuberliche Aehnlichkeiten in geringem Umfang
sich zeigen. Barth hält ein hinreichend ähnliches Verhalten für gegeben. Er berück-
sichtigt jedoch nicht genügend die oben 8. 766 8. hervorgehobenen Gesichteptinkte, über.
sieht vor allem den auf S. 771 ff. ausgcführten Gegensatz zwischen Gesellschaft und
natürlichem Organismus, der für die Beurteilung des von Spencer behaupteten Ver-
hältnisses beider Aggregate zu einander den Ausschlag giebt.
Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 775
gate überhaupt einander entsprechen, ebenso wie der Schluß, daß
dann die gleichen Gesetze der Organisation für beide Aggregate
gelten, mithin die Gesellschaft ein Organismus sei, ein Gedanken-
gang, der schon unter den von Spencer angenommenen Voraus-
setzungen äußerst bedenklich ist und näherer Begründung unbedingt
bedurft hätte.
Es hat somit Spencer die Auffassung der Gesellschaft als Orga-
nismus, die Ansicht, daß die Beziehungen zwischen den Einzel-
individuen der Gesellschaft denjenigen zwischen den Bestandteilen
eines Organismus entsprechen, nicht als richtig erwiesen. Ob die
Gesellschaft als Organismus besonderer Art dargethan ist, diese
Frage kann nicht mehr erörtert werden. Diese Ansicht hat zur
Voraussetzung, daß die Auffassung der Gesellschaft als Organismus
feststeht; auf dieser baut sie sich auf und ohne sie ist sie näherer
Behandlung gar nicht fähig.
Somit fällt der ganze Beweis in sich zusammen. Sein Wert
erscheint noch geringer, wenn wir bedenken, daß nicht allein die
Gründe unzutreffend sind, sondern auch die Fragestellung von vorn-
herein verfehlt und daher die Auffassung und Berücksichtigung der
Thatsachen einseitig ist.
Zweiter Abschnitt. Unrichtigkeit des Gesellschaftsbegriffes Spencer’s.
Spencer hat die Richtigkeit seines Gesellschaftsbegriffes nicht
zu erweisen vermocht; noch mehr: der Gesellschaftsbegriff Spencer’s
ist unrichtig.
Gesellschaft und natürlicher Organismus sind Inbegriffe. Durch
die Beziehungen zwischen den Teilen werden beide zu eigenen
Gegenständen unseres Denkens!). Für die Untersuchung, ob der
von Spencer aufgestellte Begriff der Gesellschaft richtig ist, die
Gesellschaft als Organismus aufgefaßt werden darf, ergiebt sich
daher als leitendes Prinzip die Rücksicht auf die Beziehungen zwi-
schen den Einheiten der Gesellschaft gegenüber denjenigen zwischen
den Bestandteilen des natürlichen Organismus.
Erstes Kapitel. Der Widerspruch in Spencer’s Gesellschaftsbegriff.
Die Auffassung der Gesellschaft als Organismus diskreter Natur,
aufgebaut von Einheiten, die mit Bewußtsein begabt sind, enthält
einen Widerspruch in sich.
— Organismus und Zweckgedanke. — Den Begriff des Organismus
hat Spencer aus dem Gebiet der Naturwissenschaft in das der so-
zialen Forschung unverändert herübergenommen. Es muß daher
ein soziales Gebilde, das er Organismus nennen will, in den Grund-
zügen mit dem natürlichen Organismus übereinstimmen. Und auch
wenn die Bezeichnung „Organismus“ nur ein Bild sein soll, hat sie
1) Siehe oben 8. 757 ff.
7176 Albert Hesse,
doch ohne eine Uebereinstimmung in den charakteristischen Merk-
malen weder Wert noch Sinn.
Wie nun auch immer das Wesen des natürlichen Organismus
bestimmt werden mag, sicher ist, daß zwischen den Bestandteilen
desselben ausschließlich kausale Beziehungen stattfinden können.
Von Zwecksetzung, von der Vorstellung eines zu bewirkenden Er-
folges kann nicht die Rede sein; denn die Bestandteile des Orga-
nismus sind nicht mit Bewußtsein begabt, und der Zweckgedanke
setzt Individuen, welche Bewußtsein besitzen, voraus. Die Auffas-
sung der Gesellschaft als Organismus führt daher die vollständige
Eliminierung des Zweckgedankens unbedingt mit sich.
Dies ist jedoch gar nicht möglich und auch Spencer nicht
gelungen.
— Bewußtsein und Zweckgedanke. — Gesellschaft ist Vereinigung
von Individuen zur Verfolgung bestimmter Zwecke. Wie oben!)
gezeigt, sind die Beziehungen zwischen den Individuen von diesen
selbst normiert, die sozialen Phänomene in weitem Umfang die Er-
gebnisse menschlichen Handelns. Und für dieses Handeln ist das
Kausalitätsgesetz nicht allein und nicht einmal in der Regel maß-
gebendes Prinzip der Auffassung, sondern der Gesichtspunkt von
Mittel und Zweck ?). Die Vorstellung eines künftigen Ereignisses als
eines zu bewirkenden Erfolges schließt aber den Gedanken, daß
dieses nach natürlicher Kausalität von selbst eintreten wird, not-
wendig aus; mithin kann von den beiden Prinzipien jeweils immer
nur eins in Anwendung kommen. Zwischen Individuen, die mit
Bewußtsein begabt sind, können nicht ausschließlich kausale Be-
ziehungen stattfinden, es müßte denn der Zweckgedanke überhaupt
geleugnet werden. Dieser macht jedoch einen bedeutenden Teil
des Inhalts unseres Bewußtseins aus und kann aus diesem nicht
entfernt werden, ist mit ihm untrennbar verbunden.
Es ist daher ein Organismus, aufgebaut von Einheiten, die mit
Bewußtsein begabt sind, ein Widerspruch.
Auch Spencer kann mit dieser Auffassung, die eine vollständige
Negierung des Zweckgedankens in sich schließt, nicht auskommen.
In seinen späteren Ausführungen faßt er selbst die Gesellschaft auf
als eine Vereinigung von Kräften, um gemeinsame Zwecke zu ver-
folgen, und die eigenen Bedürfnisse besser befriedigen zu können °).
Somit führt er selbst den Gesichtspunkt von Mittel und Zweck ein,
giebt aber damit auch den von ihm aufgestellten Begriff der Gesell-
schaft in der Praxis auf.
Zweites Kapitel. Die Beziehungen zwischen den Einheiten der
Gesellschaft.
Es ist bislang immer hervorgehoben, daß der Gesichtspunkt von
Mittel und Zweck für die Auffassung derjenigen Beziehungen zwischen
1) S. oben S. 760 f.
2) S. oben $S. 761 f.
3) Prinzipien, SS 440, 441, 442, 447,
Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 717
den Individuen, durch welche diese zu einer Gesellschaft verbunden
werden, in Betracht kommt, somit gezeigt, daß diese Beziehungen
nicht ausschließlich kausale sind, wie im Organismus. Eine Er-
örterung der Beziehungen zwischen den Individuen der Gesellschaft
gegenüber denjenigen zwischen den Bestandteilen des Organismus
verlangt jedoch weiter eine Untersuchung, in welchem Umfang die
beiden Gesichtspunkte für die Auffassung in Rücksicht zu ziehen
sind, oder ob allein das Prinzip von Mittel und Zweck in Anwendung
gebracht werden kann.
— Aeußere Regeln als Voraussetzung gesellschaftlichen Zusammen-
wirkens. — Das Zusammenwirken der Individuen, welches eine gegen-
seitige Abhängigkeit derselben herbeiführt und sie dadurch zu einer
Gesellschaft im wahren Sinn des Wortes vereinigt !), ist nur möglich,
wenn nicht bloß einseitige Verpflichtungen, sondern Wechselbe-
ziehungen vorliegen, das Verhalten der Individuen sich gegenseitig
ergänzt, dem Recht auf der einen, eine Pflicht auf der anderen
Seite entspricht?) Dies kann nur geschehen durch Regeln und
zwar durch äußere Regeln, durch Normen, die von den Trieb-
federn des einzelnen, sie zu befolgen, ihrem Sinne nach unabhängig
sind °) 4), äußere Legalität fordern ohne Rücksicht auf die inneren
Beweggründe des Einzelsubjekts. Solche äußeren Regeln sind die
Rechtssatzungen und die Normen der Konvention 5): sie sind zufrieden
mit äußerer Korrektheit, aus welchen Gründen der ihnen Unter-
gebene sie befolgt, ist ihnen gleichgiltig. Zu diesen äußeren ver-
bindenden Regeln gehören nicht die Lehren der Moral. Ihre Be-
folgung verlangt innere Uebereinstimmung, Ueberzeugung von der
Richtigkeit; sie legen dem einzelnen weiterhin nur einseitig Pflichten
auf, ohne ihm ein Recht auf entsprechendes Verhalten des anderen
zu geben. Aeußere Regel ist auch nicht zu fassen als Norm, die
von staatlicher Autorität gesetzt ist. Der Staat setzt das Recht be-
grifflich voraus; die Ordnung durch staatlich gesetzte Norm ist daber
eine Unterart der äußeren Regelung, die staatliche Organisation ein
Teil der sozialen °) ?).
Jedes Zusammenwirken setzt eine derartige Regelung voraus.
Eine Person kann nur dann eine bestimmte Art von Gütern in einer
den eigenen Bedarf an derartigen Erzeugnissen weit übersteigenden
Quantität ausschließlich produzieren und die Produktion der übrigen
1) Prinzipien, $ 440.
2) Ein Zusammenwirken ist ohne Organisation, ohne Einrichtungen, „welche die
zu kombinierenden Handlungen nach Zahl, Größe und Art richtig abmessen“, nicht
möglich. Prinzipien, §§ 440, 441.
3) Stammler a. a. O., S. 105 ff.
4) Im Gegensatz zu Spencer, der nur für einen Teil der sozialen, für die staat-
liche Organisation dies annimmt. Prinzipien, $ 441.
5) Stammler a. a. O., S. 111 ff. Entsprechend, doch ohne diese Begründung,
Prinzipien, $ 271.
6) Entsprechend, jedoch mit anderer, von mir nicht anerkannter Begründung,
Prinzipien, $ 441.
7) Es ist deshalb auch im Sprachgebrauch staatliche und soziale Organisation
schärfer auseinanderzuhalten, als Spencer dies thut, Vergl. z. B. Prinzipien, §§ 441
und 442.
718 Albert Hesse,
zur Befriedigung der Lebensbedürfnisse erforderlichen Mittel unter-
lassen, wenn die Möglichkeit eines Austausches gegeben ist!). Und
diese ist nur vorhanden, es können Sachen und Arbeitsleistungen
gegeneinander und die eine gegen die andere nur umgetauscht
werden unter Voraussetzung bestimmter verbindender Regeln, welche
das Verhalten beider Teile zu den getauschten Objekten für die Zu-
kunft fest normieren ohne Rücksicht auf spätere subjektive Be-
weggründe. Und auch der erste Fall eines Tausches, der nach iso-
liertem Dasein den Anfang gesellschaftlichen Zusammenwirkens ein-
leitend gedacht wird, ist nur möglich unter Voraussetzung bestimmter
verbindender Regeln. Die Hingabe eines Objekts und die Entgegen-
nahme eines anderen dafür besagt, daß ein jeder die Herrschaft
über den von ihm gebrachten Gegenstand verlieren und über den
des anderen begründen will, daß wechselseitig Recht und Pflicht
einander gegenüberstehen sollen. Diese Beredung gründet sich
nicht auf bestehende Regeln, setzt aber eine solche als für die beiden
Handelnden verbindlich ein. Es sollen für die Folgezeit das Ver-
hältnis und das Verhalten eines jeden zu den getauschten Objekten
festgesetzt, allein gemäß der getroffenen Bestimmung und unab-
hängig von den augenblicklichen Einfällen des natürlichen Trieb-
lebens gestaltet werden ?) °).
Wie das Zusammenwirken selbst, so ist auch dessen zunehmende
Ausdehnung und Kompliziertheit, wie sie Spencer bei Durchführung
seiner Analogie näher darstellt‘), wiederum nur möglich unter Vor-
aussetzung entsprechender äußerer Regeln, unter denen in unserer
Zeit die Rechtssätze, die Normen des Gesetzes- und des Gewohn-
heitsrechtes, die erste Stelle einnehmen. Großindustrie und Lohn-
arbeit, Geld und Kapital, Bank und Börse, alle die einzelnen Arten
und Formen der Produktion und des Handels setzen bestimmte recht-
liche Satzungen voraus, die ohne Rücksicht auf subjektive Beweg-
gründe ein fest normiertes wechselseitiges Verhalten der Unter-
worfenen vorschreiben.
Diese äußeren Regeln verbinden die Individuen zu einer Ge-
sellschaft, bestimmen die Beziehungen, in welche die Individuen
treten 5). Diese Beziehungen stellen die Gesellschaft als selbständigen
1) Ueber die Bedeutung des Tausches in der Volkswirtschaft vergl. Conrad,
Grundriß zum Studium der politischen Oekonomie. I. 3. Aufl. 1900 S. 45 ff.
2) Stammler, a. a. ©. S. 113.
3) Achnlich Prinzipien, $ 441: „Wo immer in einer Gruppe jenes Zusammen-
wirken beginnt, das im Austausch von Dienstleistungen besteht, wo immer der ein-
zelne seine Bedürfnisse besser befriedigt sieht, wenn er gewisse Dinge, die er am besten
hervorzubringen vérmag, im Tausch gegen andere hingiebt, für deren Erzeugung er
weniger geschiekt oder in minder günstiger Lage ist, da zeigen sich auch die Anfänge
einer Organisation.‘
4) Daß auch Spencer in seinen Ausführungen die Geltung bestimmter rechtlicher
Normen voraussetzt, ist gezeigt oben 8. 771 ff.
5) Die äußere Regel ist das logische Prius gegenüber dem normierten Verhalten.
Stammler, a. a, ©. 8. 112. Daß sie letzteren vorangcht, ist nicht nötig; beide können
gleichzeitig entstehen. — Die Auffassung von Spencer: jedes Zusammenwirken und
mithin auch dessen notwendige Bedingung, die soziale Organisation (8 441) wird durch
die Gesellschaft möglich gemacht, es ermöglicht aber selbst erst die Gesellschaft (Prin-
Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 779
Gegenstand unseres Denkens der bloßen Mehrheit von Individuen
gegenüber. Es sind deshalb die Gesellschaft selbst, sowie die Be-
ziehungen zwischen den Individuen unter dem gleichen Gesichts-
punkt aufzufassen wie jene Regeln, welche die konstituierende Be-
dingung bilden.
— Der Zweckgedanke in den äußeren Regeln. — Jene äußeren
Regeln sind von Menschen geschaffen !), teils als allgemein giltige Norm
in ausdrücklicher Satzung gegeben, teils in allmählicher Uebung still-
schweigend angenommen. Diese Frage, wie im einzelnen die äußeren
Regeln entstanden sind, ist jedoch hier zurückzustellen; für die vor-
liegende Untersuchung kommt in erster Linie in Betracht nicht ihre
Herkunft, sondern der in ihnen liegende Sinn 7. Und dieser ist in
allen Fällen der, daß durch diese Regeln ein gewisser Zustand
menschlichen Zusammenlebens erreicht, ein bestimmtes Verhältnis
der Individuen herbeigeführt, eine bestimmte soziale Wirtschaft be-
wirkt werden sollen. Sie wollen das wirtschaftliche Handeln in be-
stimmte Bahnen lenken und von anderen Wegen wieder abhalten,
sie verfolgen Ziele, die ohne sie in dieser Weise nicht erreicht
werden würden, sie sind Mittel im Dienst menschlicher Zwecke. Es
ist daher der Gesichtspunkt von Mittel und Zweck der maßgebende;
er kann nicht außer Betracht gelassen oder geleugnet werden, wenn
nicht Recht und Konvention vollkommen ihre Existenz verlieren
sollen. Sie tragen in jedem Fall den Zweckgedanken in sich und
haben nur als Mittel zu bestimmten Zwecken ihrem Inhalt nach
Sinn und Bedeutung’). Da nun diejenigen Beziehungen zwischen
den Individuen, welche die Gesellschaft als eigenen Gegenstand der
bloßen Mehrheit von Menschen gegenüberstellen, durch Recht und
Konvention geschaffen werden, in diesen Regeln sich darstellen,
kommt mithin bei Betrachtung dieser Beziehungen stets der Ge-
sichtspunkt von Mittel und Zweck in Anwendung.
Damit ist aber zugleich das Kausalitätsgesetz als Prinzip der
Auffassung der Beziehungen zwischen den Individuen abgelehnt.
Der Gedanke, daß durch bestimmte Regeln ein gewisses Verhältnis
der Individuen zu einander herbeigeführt werden soll, ist nur mög-
lich, wenn dieses betreffende Verhältnis als ohne diese Regeln, von
selbst mit Naturnotwendigkeit eintretend nicht eingesehen wird;
denn der Gedanke, daß etwas bewirkt werden soll, schließt den, daß
dieses von selbst sicher eintreten wird, mit Notwendigkeit aus. Für
die Auffassung derjenigen Beziehungen zwischen Individuen, durch
die sie zu einer Gesellschaft verbunden werden, kann allein der
zipien, § 447) ist vollkommen unklar und hat den gleichen Wert wie die Frage nach
der zeitlichen Priorität von Huhn oder Ei.
1) Siehe oben 8. 760 f.
2) Es ist daher wieder einseitig von Spencer, wenn er, ohne den Sinn dieser
Regeln zu prüfen, bei Untersuchung der sozialen Organisation allein davon handelt,
inwieweit diese aus absichtlicher Vereinbarung hervorgegangen oder ohne bestimmte Ab-
sicht bei Verfolgung privater Zwecke entstanden ist. Prinzipien, $ 440 ff.
3) Stammler a. a. O., S. 401 ff.
780 Albert Hesse.
Gesichtspunkt von Mittel und Zweck in Betracht kommen, nicht der
von Ursache und Wirkung.
Da für die Betrachtung des Verhältnisses zwischen den Be-
standteilen eines Organismus der letztere der allein mögliche ist,
können die Beziehungen zwischen den Individuen einer Gesellschaft
nicht unter dem gleichen Prinzip aufgefaßt werden, wie die zwischen
den Bestandteilen eines Organismus.
Somit ist die Auffassung der Gesellschaft als Organismus ab-
zulehnen, der Begriff der Gesellschaft, wie Spencer ihn aufstellt,
unrichtig.
Schluß.
Es hat Spencer die Gesellschaft als Organismus besonderer Art,
als Naturwesen, analog dem physischen Organismus, nicht dargethan.
Er geht von vornherein methodisch falsch vor; er unterläßt
eine Erörterung jener allgemeinen Probleme, deren Entscheidung
die Voraussetzung einer Behandlung der Einzelfragen bildet !). Seine
Beweisführung ist auch nach der materiellen Seite hin unhaltbar.
Die Ansicht, daß die Gesellschaft ein Naturwesen, analog dem
physischen Organismus ist, einen Organismus besonderer Art dar-
stellt, setzt voraus, daß die Gesellschaft die charakteristischen Merk-
male des Organismus zeigt. Dies wiederum kann nur dargelegt
werden, wenn die Gesellschaft als besonderes Wesen, als Ding ge-
faßt, ihr eigenes Dasein zugeschrieben werden kann. Dies letztere
wieder erfordert die scharfe Bestimmung eines Kriteriums zur Ab-
grenzung des gesellschaftlichen Zusammenlebens von anderem Zu-
sammensein von Individuen.
Der Gesichtspunkt, den Spencer zur Trennung von Gesellschaft
und anderen Zusammenfassungen von Individuen anführt, ist hierzu
unbrauchbar?) und infolgedessen auch nicht fähig, die Gesellschaft
als ein besonderes Wesen, das eigenes Dasein hat, zu konstituieren.
Mithin hat Spencer nicht dargethan, daß die Gesellschaft ein Ding
ist). Er beantwortet weder die Frage, ob der Gesellschaft Realität
zukomme), noch untersucht er, zu welchen Gegenständen des
Denkens sie gehört); er faßt sie ohne weiteres als ein Ding, analog
dem physischen Organismus. Dies ist bedenklich, denn die Gesell-
schaft ist nicht real, existent wie das organische Aggregat‘); es ist
unberechtigt, denn die Gesellschaft steht grundsätzlich diesem nicht
gleich. Spencer hat den Nachweis prinzipieller Uebereinstimmung
zwischen Gesellschaft und physischem Organismus nicht erbringen
können, einmal weil er das Problem unrichtig gestellt, die Grund-
frage, ob die Gesellschaft ein Naturwesen ist, übersehen ^), infolge-
1) Siehe oben S. 755, S. 758 ff.
2) Siehe oben S. 754 f.
3) Siehe oben 8. 755 f.
4) Siehe oben S. 755 f.
5) Siche oben 8. 755 f.
6) Siehe oben S. 756 f.
7) Siche oben 8. 758 f.
Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 781
dessen die Thatsachen des sozialen Lebens einseitig aufgefaßt hat 1).
Er hat die Berechtigung der Analogie zwischen den Erscheinungen
des Wachstums und der Ausbildung von Struktur und Funktionen
in der Gesellschaft und in der organischen Welt weiterhin deshalb
nicht dargethan, weil er die fraglichen Thatsachen des sozialen
Lebens als Kennzeichen des Wachstums und der Ausbildung des
inneren Baues nicht zu erweisen vermocht hat?). Die hinsichtlich
dieser Erscheinungen maßgebenden Faktoren sind in der organischen
Natur wesentlich andere als in der Gesellschaft’); die Gegenüber-
stellung sozialer und organischer Phänomene, welche die Voraus-
setzung der behaupteten Analogie bildet‘), ist von Spencer nicht
richtig durchgeführt), an sich unberechtigt‘) und gar nicht fähig,
Beweisgründe zu liefern”). Daher ist Spencer der Nachweis, daß
die Gesellschaft ein Naturwesen, analog dem physischen Organismus
sei, nicht gelungen. Mithin hat er auch die Gesellschaft als Organis-
mus besonderer Art nicht dargethan 5).
Noch mehr: Der Begriff der Gesellschaft in Spencer’s Soziologie
ist unrichtig. Er birgt einen Widerspruch in sich; der Gesichts-
punkt, welcher nach Spencer’s Meinung die Eigenart des sozialen
Organismus begründet, macht eine Auffassung der Gesellschaft als
Organismus überhaupt unmöglich’). Und diese ist auch deshalb
zu verwerfen, weil die Beziehungen zwischen den Individuen der
Gesellschaft ganz andere sind als die zwischen den Bestandteilen
des organischen Körpers !°).
So ist der Begriff der Gesellschaft in Spencer’s Soziologie un-
haltbar. Damit wird dieser der feste Boden entzogen, der Grund,
auf dem sie sich aufbaut. Und wenn sie auch im einzelnen viele
richtige Ansichten bietet, die Fragen des Gesellschaftslebens unter
neuen Gesichtspunkten treffend in Erwägung zieht, grundsätzlich
ist sie verfehlt. Die Gesellschaft ist nicht ein Naturwesen, ein
Organismus besonderer Art; die Geltung eines inhaltlich bestimmten
Naturgesetzes für die soziale Entwickelung in gleichem Umfang wie
für die Entwickelung sonst ist zu verneinen, da die Gesellschaft
prinzipiell gleichartig den Dingen der organischen und unorganischen
Welt uns nicht entgegentritt.
Und dieses gilt auch für die biologische Soziologie überhaupt.
1) Siehe oben
2) Siehe oben
3) Siehe oben
4) Siehe oben
5) Siehe oben
6) Siehe oben
7) Siehe oben
8) Siehe oben
9) Siehe oben
10) Siehe oben
KEEEEEEEEE
= 1
bi
782 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Nachdruck verboten.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
VI.
Die wirtschaftliche Gesetzgebung der deutschen
Bundesstaaten im Jahre 1899,
Von Dr. jur. Albert Hesse.
(Fortsetzung.)
Oldenburg.
Gesetzblatt für das Herzogtum Oldenburg vonden Jahren
1898 und 1899,
Bekanntmachung des Staatsministeriums, betr. die Ausführungsbe-
stimmungen zu dem Gesetze vom 14. Februar 1883 wegen Errichtung
einer Bodenkreditanstalt für das Herzogtum Oldenburg. Vom 31. Januar
1899, S. 299.
Bekanntmachung des Staatsministeriums, betr. Aenderung der Be-
stimmungen wegen der Befreiung des zu landwirtschaftlichen und ge-
werblichen Zwecken bestimmten Salzes von der Salzabgabe. Vom
28. März 1899, S. 310.
Enthält allein die Bestimmung, dafs unter Viehfütterung im Sinne dieses Ge-
setzes Fütterung von Tieren jeder Art zu verstehen ist.
Bekanntmachung des Staatsministeriums über die Ausführung des
Gesetzes vom 9. April 1897, betr. die Förderung der Pferdezucht. Vom
14. April 1899, S. 366. Dazu Bekanntmachung vom 5. Mai 1899, S. 404.
Gesetz für das Herzogtum Oldenburg, betr. das Grunderbrecht.
Vom 19. April 1899, S. 391.
Jede bewirtschaftete Besitzung im Flächeninhalt von mindestens 1 ha oder mit
einem Grundsteuerreinertrag von mindestens jührlich 15 M. kann durch Verfügung des
Eigentümers die Eigenschaft einer Grunderbstelle erhalten (2 1). Zur Verfügung be-
rechtigt ist der Eigentümer, welcher über die Besitzung letztwillig verfügen kann (2 2).
Die aus unkultivierten Staatsländereien eingewiesenen und einem einstweiligen Zer-
stückelungsverbot unterliegenden Anbaustellen erhalten durch die Einweisung die Eigen-
schaft einer Grunderbstelle, auch wenn sie noch nicht bewirtschaftet werden und nicht
den vorgeschriebenen Flächeninhalt oder Grundsteuerreinertrag haben (2 7). An den
Grunderbstellen findet, falls für sie die gesetzliche Erbfolge eintritt, ein bevorzugtes
Erbrecht eines Miterben — das Grunderbrecht — statt: a) unter den gesetzlichen Erben
Nationalökonomische Gesetzgebung. 783
der ersten Ordnung, b) unter den gesetzlichen Erben der zweiten Ordnung dann, wenn
der Erblasser ohne Hinterlassung eines Ehegatten verstorben ist, Zu den Abkömm-
lingen werden Adoptivkinder nicht gerechnet (2 8). Der Grunderbe wird bestimmt durch
den Vorzug des männlichen Geschlechts vor dem weiblichen und, je nachdem, in welchem
Amt oder welcher Gemeinde die Grunderbstelle liegt, durch den Vorzug der älteren oder
der jüngeren Geburt (2 9). Das Vorrecht, welches für einen vor dem Erblasser
verstorbenen Abkömmling begründet gewesen sein würde, wenn derselbe den Erbfall
erlebt hätte, geht auf dessen Nachkommen dergestalt über, dafs aus diesen der Grund-
erbe nach den Vorschriften des 3 9 bestimmt wird (2 10). Vollgeschwister und deren
Abkömmlinge gehen den Halbgeschwistern und deren Descendenz, beide mit ihrer De-
scendenz den Eltern im Grunderbrecht vor (2 11). Das Grunderbrecht besteht darin,
dafs der Grunderbe: a) das Alleineigentum der Grunderbstelle erhält gegen die Ver-
pflichtung, den Wert derselben in die Erbteilungsmasse einzuschiefsen, b) aus der Erb-
teilung als Voraus 15 bezw. 40 Proz. — je nachdem, in welchem Amt oder welcher Ge-
meinde die Grunderbstelle liegt — des schuldenfreien Wertes der Grunderbstelle erhält
(2 12). Feststellung des einzuschiefsenden Wertes, Ermittlung des schuldenfreien Wertes
#2 18, 14. Der Grunderbe ist berechtigt den Beschlag der Stelle — die zur Bewirt-
schaftung der Stelle erforderlichen Gegenstände, die vorhandenen Früchte und den vor-
handenen Dünger — gegen den abzuschätzenden Verkaufswert zu übernehmen (Z 15).
Die übrigen Paragraphen (22 16—30) enthalten Einzelbestimmungen und Uebergangs-
vorschrijten.
Gesetz für das Herzogtum Oldenburg, betr. das nutzbare Eigentum
an Grundstücken. Vom 25. April 1899, S. 400.
Gesetz für das Herzogtum Oldenburg zur Ausführung des Bürger-
lichen Gesetzbuchs und des Handelsgesetzbuchs. Vom 15. Mai 1899,
S. 405. Dazu Verordnung vom 1. Dezember 1899, S. 651.
Gesetz für das Herzogtum Oldenburg zur Ausführung der Civil-
prozeßordnung und des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die
Zwangsverwaltung. Vom 15. Mai 1899, S. 427.
Gesetz für das Herzogtum Oldenburg zur Ausführung des Gesetzes
über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Vom 15. Mai
1899, S. 437.
Gesetz für das Herzogtum Oldenburg zur Ausführung der Grund-
buchordnung vom 24. März 1897. Vom 15. Mai 1899, S. 453. Dazu
Ausführungsverordnung vom 15. Mai 1899, S. 456.
Gesetz, betr. eine Gesindeordnung für das Herzogtum Oldenburg.
Vom 15. Mai 1899, S. 4851).
I. Allgemeine Bestimmungen. II. Vorschriften über die Ein-
gehung des Vertrages. 1. Berechtigung zur Annahme von Gesinde. 2. Berech-
tigung sich zu vermieten. 3. Führung eines Dienstbuches. 4. Abschlufs des Dienstver-
trages. 5. Vermieten bei mehreren Herrschaften. III. Vorschriften über den
Dienstantritt. 1. Zeit des Dienstantritts. 2. Verzögerung des Dienstantritts.
3. Weigerung der Herrschaft, den Dienstboten aufzunehmen. 4. Unterlassung des
Dienstantritts seitens des Dienstboten. 5. Eintreten besonderer Umstände vor dem
Dienstantritt, IV. Vorschriften über die Verhältnisse während der
Dienstzeit. 1. Pflichten des Dienstboten. 2. Pflichten der Herrschaft. V. Vor-
schriften über die Beendigung des angetretenen Dienstverhältnisses.
1. Allgemeine Bestimmungen. 2. Eintreten besonderer Umstände während der Dienst-
zeit. 8. Entlassung des Dienstboten vor Ablauf der Dienstzeit. 4. Verlassen des Dienstes
1) Die wichtigsten Bestimmungen sind als Anmerkungen zu der Gesindeordnung
‘für Württemberg gegeben.
784 Nationalökonomische Gesetzgebung.
vor Ablauf der Dienstzeit. VI. Vom Dienstzeugnis. VII. Schlufs- und Straf-
bestimmungen.
Bekanntmachung des Staatsministeriums, betr. Regelung des Schiffs-
verkehrs auf der unteren Hunte. Vom 17. April 1899, S. 375.
Bekanntmachung der Ablösungkommission, betr. die Preise der
Naturalien nnd Dienste, welche bei den nach dem 31. Dezember 1899
bis zum Ablauf des Jahres 1904 beantragten Ablösungen maßgebend sind.
Vom 22. September 1899, S. 557.
Verordnung für das Herzogtum Oldenburg, betr. die Ausführung
des Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899. Vom 14. November
1899, S. 585.
Verordnung, betr. Abänderung der zur Ausführung der Gewerbe-
ordnung für das Deutsche Reich erlassenen Verordnung vom 14. Januar
1884. Vom 16. November 1899, S. 588.
Bekanntmachung des Staatsministeriums, Departement für Justiz,
betr. die Hinterlegungsordnung für das Großherzogtum Oldenburg. Vom
1. Dezember 1899, S. 656.
Gesetz für das Großherzogtum Oldenburg, betr. die Berechtigung
der Gemeinden zur Erhebung von Gebühren in baupolizeilichen Ange-
legenheiten. Vom 7. Dezember 1899, S. 683.
Die Gemeinden sind berechtigt, im Wege des Gemeindestatuts die Erhebung von
Gebühren für die Genehmigung und Beaufsichtigung von Neubauten, Umbauten und
anderen baulichen Herstellungen einzuführen. Die Gebühren müssen so bemessen werden,
das deren Aufkommen die besonderen Kosten des in Frage stehenden Verwaltungs-
zweiges nicht übersteigt.
Verordnung für das Herzogtum Oldenburg zur Ausführung des
Reichsgesetzes, betr. die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschiff-
fahrt. Vom 7. Dezember 1899, S. 687.
Bekanntmachung des Staatsministeriums, Departement des Innern
und der Justiz, betr. Vorschriften über die Führung der Schiffsregister.
Vom 7. Dezember 1899, S. 689.
Bekanntmachung des Staatsministeriums, Departement der Justiz,
betr. Vorschriften über die Führung des Vereinsregisters und des Güter-
rechtsregisters. Vom 7. Dezember 1899, S. 737.
Bekanntmachung des Staatsministeriums, Departement der Justiz,
betr. Vorschriften über die Führung des Handelsregister. Vom 7. De-
zember 1899, S. 759.
Bekanntmachung des Staatsministeriums, Departement der Justiz,
betr. Vorschriften über die Führung des Genossenschaftsregisters. Vom
7. Dezember 1899, S. 792.
Bekanntmachung des Staatsministeriums, betr. die Ausführung des
Reichsgesetzes vom 1. Mai 1889, betr. die Erwerbs- und Wirtschafts-
genossenschaften, in der Fassung des Reichskanzlers vom 20. Mai 1898.
Vom 7. Dezember 1899, S. 791 der Bekanntmachung.
Gesetz für das Herzogtum Oldenburg, betr. Abänderung des
Art. 11 $ 1 der revidierten Gemeindeordnung. Vom 8. Dezember 1899,
S. 684.
Betrifft die Zusammensetzung der Gemeindevertretung.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 785
Sachsen-Weimar-Eisenach,
Regierungsblatt für das Großherzogtum Sachsen-Wei-
mar-Eisenach auf das Jahr 1899.
Landesherrliche Verordnung, betr. die Erhöhung des Beitrages zur
Landes-Brandversicherungsanstalt. Vom 18. Januar 1899, S. 79.
Nachtragsgesetz zum Steuergesetz für die Jahre 1899, 1900 und
1901 vom 25. Mai 1898. Vom 22. März 1899, S. 95.
Betrifft Aenderungen der Steuersätze.
Nachtragsgesetz zum Einkommensteuergesetz vom 2. Juni 1897.
Vom 22. März 1899, S. 97.
Betrifft einen Zusatz zu den Strafbestimmungen.
Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Vom 5. April 1899,
S. 123.
Ausführungsgesetz zur Civilprozeßordnung und Konkursordnung.
Vom 8. April 1899, S. 198.
Ausführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch. Vom 10. April 1899,
H 204.
Gesetz, betr. die Ausführung des Reichsgesetzes über die Ange-
legenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Mai 1898. Vom
12. April 1899, S. 207.
Gesetz über die Gebäude-Brandversicherungsanstalt des Großherzog-
tums. Vom 10. Mai 1899, S. 245. Dazu Ausführungsverordnung vom
24. Mai 1899, S. 291; Ministerialverordnung, betr. das Verfahren bei
Abschluß von Versicherungsverträgen. Vom 16. Dezember 1899, S. 791.
I. Allgemeine Bestimmungen. Die Gebäude-Brandversicherungsanstalt ist
eine auf dem Grundsatz der Gegenseitigkeit 1) beruhende Staatsanstalt mit gesondertem
Vermögen. Sie steht unter der Oberleitung des Staatsministeriums?) (2 1). Versiche-
rungsumfang: Die Anstalt versichert gegen Schäden, welche durch Feuer und die zur
Bewältigung eines Brandes amtlich getroffenen oder nachträglich gebilligten Mafsregeln
an Gebäuden und deren Zubehör herbeigeführt sind (£ 2)®%). Schäden, welche durch
Blitz oder Erplosion von Gas entstanden sind, werden den Brandschäden gleichgeachtet ;
Schäden infolge anderer Explosionen nur insoweit, als durch die Erplosion ein Schaden-
feuer entstanden ist (Z 8). Versicherungspflicht: alle mit Grundmanerwerk versehenen
Gebäude mindestens zu fünf Zehnteilen ihres Jetztiwertes (2 4)*). Nichtrersicherungs-
pflichtige aber zur Versicherung geriqnete Bauwerke: Z 5, namentlich unvollendete
Gebäude und Fabriken, Ausschlufs von der Versicherung: 2 6°). Versicherungssätze :
Die Anstalt versichert jedes Gebände nur nach Verhältnis seines durch Würderung
Sachverständiger festgestellten Jetztwertes, und zwar nur zum vollen Werte oder zu
fünf, sechs, sieben, acht oder neun Zehntrilen des Wertes (2 9). Antragsrecht der Ge-
bäudeeigentümer, Erhöhung und Verminderung des Versicherungssatzes: 2 10—12. An-
meldungspflicht hinsichtlich baulicher Veränderungen, welche den Ausschlufs des Gebäudes
1) Ebenso Gotha,
2) Entsprechend Gotha.
3) Gotha: Gebäude und alle beweglichen Sachen gegen jeden durch Feuer, Blitz-
schlag, Explosion entstandenen Schaden.
4) Gotha: Keine Versicherungspflicht.
5) Gotha: Die Anstalt ist verpflichtet, sämtliche im Herzogtum Gotha belegenen
Gebäude unter den in der Verwaltungsordnung näher bezeichneten Maßgaben in Ver-
sicherung zu nehmen und auch im Fall des Besitzwechsels und der Nichtabführung der
Beiträge zu behalten.
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 50
786 Nationalökonomische Gesetzgebung.
von der Versicherung oder eine erhöhte Feuergefährlichkeit bedingen: 2 18. Ausschlufs-
verfahren und Austritt: Z2 14, 15. Bei anderen Versicherungsanstalten dürfen gegen
Brandschäden versichert werden: a) die von der Versicherung bei der Landesanstalt
ausgeschlossenen Gebäude; b) die aufnahmefähigen, aber nicht versicherungspflichtigen
Gebäude, solange sie nicht bei der Landesanstalt versichert sind; c) die bei der Landes-
anstalt aufgenommenen Gebäude bis zur Höhe desjenigen Teils ihres katastrierten Wertes,
mit welchem sie bei der Landesanstalt nicht versichert sind (2 16). Verwaltungsstellen der An-
stalt: 22 18—22. Kosten; Verpflichtung zur Kostenzahlung : Z2 23—26. II. Würderung
und Klasseneinteilung. Allgemeine Neuwürderung und Klasseneinteilung regelmässig
nach Ablauf von 20 Jahren (2 27); sonst auf Antrag des Versicherten und auf Grund
der von den Gemeindevorständen eingereichten Verzeichnisse der Gebäudeveränderungen
im Gemeindebezirk (24 28, 29). Als Gebäude wird angesehen jeder Bau, der unter
einem Dach steht; wenn ein Gebäude durch eine oder mehrere vorschriftsmäfsige Brand-
manern bis über das Dach in mehrere Abschnitte eingeteilt ist, ist jedoch jeder Ab-
schnitt gesondert zu behandeln; eine Trennung braucht nicht stattzufinden, wenn ein
Gebäude, welches ein im Imnern durch Thüren verbundenes Ganzes bildet, mehrere
Dachabteilungen von gleicher oder verschiedener Höhe enthält (4 82). Feuergefährlich-
keitsklassen: Klasse I: Gebäude mit harter Dachung, welche vom Grunde bis an das
Dach auf allen Seiten, einschliefslich der Giebel, massive Umfassungen haben. Klasse II:
a) Gebäude, welche ihrer übrigen Bauart nach der Klasse I entsprechen, deren Be-
dachung aber aus Ziegeln mit Moos- oder Strohfiederunterlage besteht; b) Gebände mit
durchaus harter Dachung, deren Umfassungswände entweder teihreise massiv und im
übrigen aus Stein- oder Lehmsteinfachwerk oder ausschliejslich aus Stein- oder Lehm-
steinfachwerk gebaut sind. Klasse III: a) Gebäude der Bauart IIb mit Bedachung
wie Ila; b) Gebüude mit durchaus harter Dachung, deren Umfassungswände durch-
güngig oder in einzelnen Abteilungen aus Holz oder aus Lehmsteckenwerk gebaut sind.
Klasse IV: a) Gebäude der Bauart IIIb mit Bedachung wie IIa. b) Gebäude, welche
ganz oder in einzelnen Teilen mit weicher Dachung versehen sind. Klasse V: ohne
Rücksicht auf die Bauart die nicht versicherungspflichtigen, aber zur Versicherung ge-
eigneten Bauwerke (Z 38). Würderungsverfahren: 22 40 ff. Die Versicherung tritt
sofort in Kraft, nachdem das Ergebnis der Würderung und Klasseneinteilung aner-
kannt oder für anerkannt zu achten oder durch anderweite Würderung festgestellt und
bei Neuversicherungen eine Erklärung über den Versicherungssatz abgegeben oder für
abgegeben zu achten ist (4 55). III. Feststellung und Vergütung der Brand-
schäden. IV. Versicherungsbeiträge und Rücklage. Beitragseinheiten:
8 Pfg. für Klasse I, 14 Pfg. für Klasse II, 18 Pfg. für Klasse III, 20 Pfg. für die
Klasse IV von je 100 M. Versicherungssumme. Für die Klasse V wird die Beitrags-
einheit von dem Staatsministerium bestimmt in der Weise, dafs die Beitragseinheit,
welche der Bauart des Gebäudes entspricht, erhöht wird (& 99). V. Rückversiche-
rung: Das Gesamtrersicherungskapital der bei der Landesanstalt versicherten Gebäude
in Orten von mehr als 10000 Einwohnern kann ebenso wie die Versicherungssumme
einzelner besonders gefährdeter Gebäude anderer Orte bis zur Hälfte des Betrages bei
anderen Versicherungsanstalten für Rechnung der Landesanstalt rückversichert werden?)
(2 114). VI. Beseitigung feuergefährlicher Bauwerke. VII. Uebergangs-
und Schlu/sbestimmungen.
Höchste Verordnung, betr. die Organisation des Staatsministeriums.
Vom 24. Mai 1899, S. 287.
Ministerial-Verordnung zur Ausführung der Bekanntmachung des
Bundesrats, betr. die Einrichtung und den Betrieb der Roßhaarspinnereien,
Haar- und Borstenzurichtereien, sowie der Bürsten- und Pinselmachereien.
Vom 30. Juni 1899, S. 343.
Gesindeordnung für das Großherzogtum Sachsen. Vom 11. Oktober
1899, S. 403°). Dazu Ministerial-Verorduung zur Ausführung. Vom
13. Oktober 1899, S. 438.
1) Gotha: Ohne Einschränkung.
2) Vergl. Anmerkungen zu der Gesindeordnung von Württemberg.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 7187
I. Allgemeine Bestimmungen. II. Vereinbarung und Beginn des Gesindedienst-
verhältnisses. III. Gegenseitige Rechte und Pflichten der Dienstherrschaft und des Ge-
sindes während der Dienstzeit. IV. Beendigung des Dienstverhältnisses. V. Vorschriften
über Gesindedienstbücher und Dienstzeugnisse. VI. Strajbestimmungen. VII. Zuständig-
keit der Behörden und Verfahren. VIII. Schlufs- und Uebergangsbestimmungen.
Ministerial-Bekanntmachung, betr. die Ausführung des Invaliden-
versicherungsgesetzes in.der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Juli
1899. Vom 12. Oktober 1899, S. 449. Dazu Ministerial-Bekanntmachung
vom 6. Dezember 1899, S. 620.
Ministerial-Bekanntmachung, betr. Bestimmung der „Aufsichtsbe-
hörde“ zur Ausführung des Reichs-Hypothekenbankgesetzes vom 13. Juli
1899. Vom 31. Oktober 1899, S. 508.
Bestimmung des Grofsherzoglichen Staatsministeriums als Aufsichtsbehörde.
Ministerial-Bekanntmachung, betr. die Wahlordnung für die Wahl
der Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten bei den unteren
Verwaltungsbehörden auf Grund der $$ 63, 59, 61—62 des Invaliden-
versicherungsgesetzes in der Fassung vom 13. Juli 1899. Vom 28. No-
vember 1899, S. 607. Dazu Ministerial-Verordnung vom 1. Dezember
1899, S. 619.
Hinterlegungsordnung. Vom 29. November 1899, S. 543. Dazu
Ausführungsverordnung. Vom 12. Dezember 1899, S. 655.
Ministerial-Verordnung über die Führung des Vereinsregisters und
Güterrechtsregisters. Vom 2. Dezember 1899, S. 737.
Ministerial-Verordnung über die Führung des Handelsregisters.
Vom 4. Dezember 1899, S. 755.
Ministerial-Verordnuug über die Führung des Genossenschaftsre-
gisters. Vom 5. Dezember 1899, S. 781.
Gesetz über die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Ver-
mögen. Vom 6. Dezember 1899, S. 553.
Gesetz, betr. die kirchlichen Umlagen in den katholischen Kirchen-
gemeinden des Großherzogtums Sachsen. Vom 6. Dezember 1899, S. 729.
Die Kirchengemeinde ist verpflichtet, für Erhaltung, bezüglich Beschaffung der
Mittel zur Befriedigung ihrer kirchlichen Bedürfnisse zu sorgen, soweit sie nicht durch
Leistungen, welche auf anderen Rechtsgründen beruhen, zu decken sind oder nicht Ver-
mögensbestände der Kirchenstiftungen herangezogen werden können. Unter diesen Mitteln
ist alles zu verstehen, was zur Erhaltung und Förderung des kirchlichen Lebens in ihr
gehört mit Einschlufs derjenigen Aufwendungen, welche die Erhaltung der Kirchen-
und Pfarreigebäude erfordert, Die Kirchengemeinden sind jedoch nicht verpflichtet zur
Aufbringung der Besoldung der Geistlichen Umlagen zu erheben. Die bisherigen Normen
über die Banpflicht der Parochianen als solcher treten aufser Kraft (2 1). Werden
kirchliche Umlagen nötig, so sind dieselben auf sämtliche Mitglieder der betreffenden
Gemeinde nach Verhältnis der Heranziehung derselben zu den Gemeindesteuern zu ver-
teilen. Befreiungen in geringem Umfang, besonders der Pfarrer (2 2). Werden Ge-
meindeumlagen nicht erhoben, so erfolgt die Verteilung der zu kirchlichen Zwecken
nötigen Umlagen nach Verhältnis der behufs Berechnung der Stimmberechtigung in der
Gemeinde festgestellten Einkommenbeträge der Beitragspflichtigen oder nach Beschlufs
des Kirchenvorsteheramts in anderer geeigneter Weise (Z 5). Aufbringung der Lasten
in einer zusammengesetzten Parochie: Z 4. Verfahren: 2 9.
Gerichtskostengesetz für das Großherzogtum Sachsen. Vom 9. De-
zember 1899, S. 661.
Ministeral-Verordnung, betr. Anweisung für das Verfahren vor
50*
788 Nationalökonomische Gesetzgebung.
den unteren Verwaltungsbehörden ($$ 57—64 des Invalidenversicherungs-
gesetzes). Vom 22. Dezember 1899, S. 801.
Ministerial-Bekanntmachung, betr. das Reichstelegraphen wegegesetz
vom 18. Dezember 1899. Vom 26. Dezember 1899, S. 822.
Mecklenburg-Strelitz.
Großherzoglich Mecklenburg-Strelitz’scher Offizieller
Anzeiger für Gesetzgebung und Staatsverwaltung. 1899.
Verordnung zur Ergänzung der Verordnung vom 28. August 1855,
betr. die bessere Heilighaltung der Sonn- und Festtage. Vom 3. Februar
1899, S. 171).
Verordnung zur Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Vom
9. April 1899, S. 85. Dazu Verordnung vom 6. Dezember 1899, S. 806.
Verordnung zu Ausführung der Grundbuchordnung. Vom 9. April
1899, S. 181.
Anordnungen zur Ausführung der Grundbuchordnung. Vom 9. April
1899, S. 199.
Verordnung, betr. das Verfahren in Vereinssachen. Vom 9. April 1899,
S. 219.
Verordnung, betr. die Zwangserziehung Minderjähriger. Vom
D April 1899, S. 231.
Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über die Angelegenheiten
der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Vom 9. April 1899, S. 237.
Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über die Zwangsver-
steigerung und Zwangsverwaltung. Vom 9. April 1899, S. 265.
Verordnung zur Ausführung der Civilprozeßordnung. Vom 9. April
1899, S. 271.
Verordnung zur Ausführung der Konkursordnung. Vom 9. April 1899,
S. 287.
Verordnung zur Ausführung des Handelsgesetzbuchs. Vom 9. April
1899, S. 291.
Verordnung, betr. das Hinterlegungswesen (Hinterlegungsordnung).
Vom 9. April 1899, S. 297.
Gesindeordnung. Vom 9. April 1899, S. 3131).
Bekanntmachung, betr. die Einrichtung und Führung des Handels-
registers. Vom 4. Juli 1899, S. 439.
Bekanntmachung, betr. Bestimmungen über die Einrichtung und
Führung des Schiffsregisters für Binnenschiffe. Vom 11. November 1899,
S. 787.
Gerichtsvollzieherordnung. Vom 4. Oktober 1899, S. 655.
Gerichtskostenordnung nebst Einführungsverordnung. Vom 18. De-
zember 1899, S. 839.
Gebührenordnung für Notare. Vom 18. Dezember 1899, S. 919.
Dazu Ausführungsverordnung. Vom 18. Dezember 1899, S. 907.
Verordnung, betr. die Versetzung richterlicher Beamten in den
Ruhestand. Vom 28. November 1899, S. 805.
1) Siehe die gleiche Verordnung von Mecklenburg-Schwerin.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 789
Verordnung, betr. den Ersatz von Wildschaden. Vom 18. Dezember
1899, S. 927.
Edikt, betr. die Ausschreibung einer Bienenseuchenabgabe. Vom
24. Januar 1899, S. 91). Dazu Bekanntmachung, betr. die Erhebung.
Vom 25. Januar 1899, S. 10.
Bekanntmachung, betr. die Normalpreise des Korns im Steuerjahre
1899—1900. Vom 1. Juli 1899, S. 898.
Verordnung, betr. das Steueredikt für das Jahr 1900—1901. Vom
18. Dezember 1899, S. 939.
1. Erhebung der Hufensteuer von den ritterschaftlichen auch städtischen Kümmerei-
und Oekonomiegütern und Dörfern für das Jahr von Johannis 1900 bis Johannis 1901
mit 31 M. 50 Pfg. 2. Erhebung der Steuer von Häusern und Ländereien in den Land-
städten. 3. Erhebung der Landessteuer nach dem Modus des unterm 2. Juni 1898 publi-
zierten Kontributionsedikts im Betrag von neun Zehnteln der ediktmäjsigen Sütze.
Bekanntmachung, betr. die Beschäftigung von Arbeiterinnen und
jugendlichen Arbeitern in Ziegeleien. Vom 5. April 1900, S. 452).
Verordnung, betr. die Erhebung des landwirtschaftlichen Anbaues,
sowie der landwirtschaftlichen Bodenbenutzung. Vom 17. Mai 1899,
H 772).
EE betr. die Ausführung der Bestimmungen des
Bundesrats über die Einrichtung und den Betrieb der Roßhaarspinnereien,
Haar- und Borstenzurichtereien, sowie der Bürsten- und Pinselmachereien.
Vom 6. Oktober 1899, S. 473.
Bekanntmachung, betr. Maßregeln gegen die Maul- und Klauenseuche.
Vom 20. Juni 1899, S. 361.
Verordnung zur Aenderung und Ergänzung der Verordnung vom
9. März 1897, betr. das Wegerecht. Vom 9. Juni 1899, S. 394.
Verordnung zur Herausgabe der Chausseepolizeiordnung. Vom
23. Februar 1899, S. 21.
Bekanntmachung, betr. die Wahlordnung für die Wahl von Ver-
tretern der Arbeitgeber und der Versicherten nach dem Invalidenver-
sicherungsgesetz. Vom 25. Oktober 1899, S. 487.
Bekanntmachung, betr. die Wahlordnung für die für den Ausschuß
bei der Versicherungsanstalt Mecklenburg zu wählenden Mitglieder.
Vom 20. November 1899, S. 635.
Braunschweig.
Gesetz-und Verordnungsblatt fürdie Herzoglich Braun-
schweigischen Lande. 86. Jahrgang 1899.
Gesetz, betr. Ergänzung der Städteordnung. Vom 6. Januar 1899,
No. 1.
Gesetz, betr. Ergänzung des $ 19 der neuen Wegeordnung für das
Herzogtum Braunschweig vom 5. Juni 1871. Vom 20. Februar 1899,
No. 8.
Gesetz, die Abänderung des Gesetzes vom 22. März 1876 über die
1) Siehe das gleiche Edikt für Mecklenburg-Schwerin.
2) Siehe die gleiche Bekanntmachung bezw. Verordnung für Mecklenburg-Schwerin.
790 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Verhältnisse der Beamten-, Witwen- und Waisenversorgungsanstalt betr.
Vom 20. Februar 1899, No. 9. Dazu Bekanntmachung, die Ausführung
dieses Gesetzes betr. Vom 18. April 1899, No 28.
Gesetz, betr. die Abänderung des die Aufsuchung und Gewinnung
des Steinsalzes, der Kali- und Magnesiasalze und der Solquellen betr.
Gesetzes vom 19. Mai 1894. Vom 25. Februar 1899, No. 10.
Fügt dem Art. II dieses Gesetzes einen Absatz 3 hinzu, nach dem zur Begründung
eines Bergwerkseigentums hinsichtlich der im Absatz I genannten Mineralien Beschlufs
der Bergbehüörde erforderlich und genügend ist.
Gesetz, betr. die Entschädigung für an Milzbrand oder Rauschbrand
gefallene Schafe. Vom 27. Februar 1899, No. 11.
Gemeindeabgabengesetz. Vom 11. März 1899, No. 12.
Erster Titel. Allgemeine Bestimmungen. Die Gemeinden sind be-
rechtigt, zur Deckung ihrer Ausgaben und Bedürfnisse nach Mafsgabe der Bestimmungen
dieses Gesetzes Gebühren und Beiträge, indirekte und direkte Steuern zu erheben (4 1).
Die Gemeinden dürfen von der Befugnis, Steuern zu erheben, nur insoweit Gebrauch
machen, als die sonstigen Einnahmen, insbesondere aus dem Gemeindevermögen, aus
Gebühren, Beiträgen und vom Staate oder von den Kreiskommunalverbänden den Ge-
meinden überwiesenen Mitteln, zur Deckung ihrer Ausgaben nicht ausreichen. Durch
direkte Steuern darf nur der Bedarf aufgebracht werden, welcher nach Abzug des Auf-
kommens der indirekten Steuern von dem gesamten Steuerbedarf verbleibt (Z 2). Ge
werbliche Unternehmungen der Gemeinden sind grundsätzlich so zu verwalten, dafs
durch die Einnahmen mindestens die gesamten durch das Unternehmen der Gemeinde
erwachsenden Ausgaben, einschliefslich der Verzinsung und der Tilgung des Anlage-
kapitals aufgebracht werden (Z 3). Zweiter Titel. Gebühren und Beiträge
Die Erhebung von Gebühren hat zu erfolgen, wenn die Veranstaltung einzelnen Ge-
meindeangehörigen oder einzelnen Klassen von solchen vorzugsweise zum Vorteile ge-
reicht, und soweit die Ausgleichung nicht durch Beiträge oder eine Mehr- oder Minder-
belastung erfolgt. Die Gebührensütze sind in der Regel so zu bemessen, dafs die Ver-
waltungs- und Unterhaltungskosten der Veranstaltung, einschliefslich der Ausgaben für
Verzinsung und Tilgung des aufgewendeten Kapitals, gedeckt werden (2 4, ID. Die
Gemeinden können behufs Deckung der Kosten für Herstellung und Unterhaltung
von Veranstaltungen, welche durch das öffentliche Interesse gefordert werden, von den-
jenigen Grundeigentümern und Gewerbetreibenden, denen hierdurch besondere wirt-
schaftliche Vorteile erwachsen, Beiträge zu den Kosten der Veranstaltungen erheben. Die
Beiträge sind nach den Vorteilen zu bemessen. Beiträge müssen in der Regel erhoben
werden, wenn anderenfalls die Kosten, einschliefslich der Ausgaben für die Verzinsung und
Tilgung des aufgewendeten Kapitals, durch Steuern aufzubringen sein würden (4 9, I, I).
Dritter Titel. Gemeindesteuern. Erster Abschnitt. Indirekte Ge-
meindesteuern. Die Gemeinden sind zur Erhebung indirekter Steuern innerhalb
der durch die Reichsgesetze gezogenen Grenzen befugt (2 12). Steuern auf den Ver-
brauch von Fleisch — ausgenommen Wildpret und Geflügel —, Getreide, Mehl,
Backwaren, Kartoffeln und Brennstoffe aller Art dürfen nicht eingeführt werden (2 13).
Lustbarkeits- und Hundesteuer ausdrücklich gestattet (52 14, 15). Einführung neuer und
Veränderung alter Steuern nur durch Statut möglich ( 16). Zweiter Abschnitt,
Direkte Gemeindesteuern. I. Allgemeine Bestimmungen. Die direkten Steuern sind
nach festen und gleichmäjsigen Grundsätzen zu verteilen. Nur wenn es sich um Veran-
staltungen handelt, welche in besonders hervorragendem oder geringem Mafse einem
Teile des Gemeindebezirks oder einer Klasse von Gemeindeangehörigen zu statten kommen,
und wenn Beiträge nicht erhoben werden, kann die Gemeinde eine entsprechende Mehr-
oder Minderbelastung beschlie/sen (2 17). Die direkten Gemeindesteuern können nur
vom Grundbesitz und Gewerbebetrieb (Realsteuern), sowie vom Einkommen des Steuer-
pflichtigen (Einkommensteuer) erhoben werden. Miets- und Wohnungssteuern dürfen
nicht eingeführt werden. Einführung neuer und Veränderung bestehender direkter Ge-
meindesteuern nur durch Statut möglich (Z 18). II. Besondere Bestimmungen. 1. Real-
steuern. a) Vom Grundbesitz. b) Vom Gewerbebetrieb. 2. Gemeindeeinkommensteuer.
a) Steuerpflicht. b) Feststellung des steuerpflichtigen Einkommens aus Bergbau oder
Nationalökonomische Gesetzgebung. 791
sonstigen gewerblichen Unternehmungen des Fiskus u. s. w., sowie aus Domänen, Kloster-
gütern und Forsten. c) Vermeidung von Doppelbesteuerung. 3) Verpflichtung der Be-
triebsgemeinden zur Leistung von Zuschüssen. 4. Verteilung des Steuerbedarfs auf die
verschiedenen Steuerarten. Die Gemeinden haben zur Deckung des Bedarfs direkter
Steuern, 80 oft sie einen der Einheit der Staatseinkommensteuer entsprechenden
Zuschlag zu dieser erheben, 8,5 vom Hundert des gemeindesteuerpflichtigen Grundsteuer-
kapitals und 35 vom Hundert des vollen Betrages der auf die gemeindestenerpflichtigen
Gewerbebetriebe entfallenden Staatsgewerbesteuer zu erheben. Bei Erhebung eines
Teils der Staatseinkommensteuereinheit ist der entsprechende Teil der vorstehend
bestimmten Beträge der Grund- und Gewerbesteuer zu erheben. Zuschläge über
den doppelten Satz der Einheit der Staatseinkommensteuer und mehr als 7,5 vom
Hundert des gemeindesteuerpflichtigen Grundsteuerkapitals und 75 vom Hundert des
vollen Betrages der auf die gemeindesteuerpflichtigen Gewerbebetriebe entjullenden
Staatsgewerbesteuer dürfen nicht erhoben werden Lë 46). Mit Genehmigung der Auf-
sichtsbehörde sind die Gemeinden berechtigt, statt der 3,5 bez. 35 vom Hundert der
Realsteuern von beiden Realsteuern oder einer derselben bis zu 4 bezw. 40 vom Hundert
steigende höhere oder bis zu 3 bezw. 30 vom Hundert fallende Beträge zu erheben LG 47).
Die in 2 46 enthaltene Feststellung des Verhältnisses, welches bei der Erhebung direkter
Steuern zur Deckung des Gemeindebedarfs inne zu halten ist, bleibt so lange majsgebend,
als für den Bedarf des Staates 2,5 vom Hundert des Grundsteuerkapitals und 25 vom
Hundert des vollen gesetzlichen Betrages der Staatsgewerbesteuer zur Hebung kommen
(mit Ausnahme der Steuer vom Gewerbebetriebe im Umbherziehen, welche im vollen Be-
trage für den Staat erhoben wird). Bei etwaiger künftiger Erhöhung oder Herabsetzung
des für den Staat zur Hebung kommenden Prozentsatzes jener Steuern sind die Prozent-
sätze, welche nach Z2 46, 47 die Höhe der neben der (Gemeindeeinkommensteuer zu er-
hebenden Realsteuern regeln, entsprechend herabzusetzen oder zu erhöhen. Diese Her-
absetzung oder Erhöhung erfolgt durch Verordnung (2 48). Weitere Abweichungen
können nur im Wege des Statuts angeordnet oder im Einzelfall durch das Staats-
ministerium gestattet werden (2 49). 5. Zeitliche Begrenzung der Steuerpflicht. 6. Ver-
anlagung und Erhebung. Vierter Titel. Rechtsmittel. Fünfter Titel. Auf-
sicht. Sechster Titel. Strafen. Siebenter Titel. Nachforderungen
und Verjährungen. Achter Titel. Kosten und Zwangsvollstreckung.
Schlufs-, Ausführungs- und Uebergangsbestimmungen.
Gesetz, betr. Abänderung des Einkommensteuergesetzes vom 16. April
1896. Vom 11. März 1899, No. 13.
I. und VI. Ausdehnung mehrerer Bestimmungen auf die Gesellschaften mit be-
schränkter Haftung. II. Einheitssätze: von 900—1000 M. einschliefslich 3 M.; steigend
— in grofsen Zügen — um 1 M. für je 100 M. des Einkommens von 1000—2500 M., um 2 M.
für je 100 M. des Eink. von 2500—3000 M., um 8 M. für je 200 M. des Eink. von
3000—5200 M., um A M. für je 200 M. des Eink. von 5200—6000 M., um 5 M. für je
800 M. des Eink. von 6000—12 000 M., um 5 M. für je 500 M. des Eink. von 12 000—
12500 M., um 8 M. für je 500 M. des Eink. von 12 500—30 000 M., um 10 M. für je
500 M. des Eink. von 30000—50000 M., um 20 M. für je 1000 M. des Eink. von
50 000—80 000 M., um 25 M. für je 1000 M. des Eink. von 80000—100 000 M., um
40 M. für je 20000 M. des Eink. über 100000 M. III. Betrifft Aenderungen hinsicht-
lich der anderweiten Veranlagung bei Vermehrung des Einkommens infolge eines Erb-
anfalls und. die Steuerermäfsiqung. IV. Betrifft die Festsetzung der Nachsteuer. V.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Gesetz, betr. die Erhebung der Einkommensteuer auf Grund des
Einkommensteuergesetzes vom 16. April 1896 und des zu demselben
erlassenen Abänderungsgesetzes vom 11. März 1899. Vom 11. März 1899,
No. 14.
Ergänzungssteuergesetz für das Herzogtum Braunschweig. Vom
11. März 1899, No. 15.
I. Steuerpflicht. Der Ergänzungssteuer unterliegen 1. die im 2 2 des Ein-
kommensteuergesetzes vom 16. April 1896 zu No. 1—8 bezeichneten physischen Personen
792 Nationalökonomische Gesetzgebung.
nach dem gesamten Wert ihres steuerbaren Vermügens; 2. ohne Rücksicht auf Staats-
angehörigkeit, Wohnsitz oder Aufenthalt alle physischen Personen nach dem Werte
a) ihres im Herzogtum belegenen Grundbesitzes, b) ihres dem Betrieb der Land- und
Forstwirtschaft, einschliefslich der Viehzucht, des Wein-, Obst- und Gartenbaues, dem
Betriebe des Bergbaues oder eines stehenden Gewerbes im Herzogtum dienenden. An-
lage- und Betriebskapitals ; 8. die ruhende Erbschaft, insoweit dieselbe der Einkommen-
steuer unterliegt (4 2). Von der Ergänzungssteuer befreit sind die gemäfs 3 4 des
Einkommensteuergesetzes zu No. 1 und 2 von der Einkommenstener befreiten Personen
(2 3). II. Mafsstab der Besteuerung. 1. Steuerbares Vermögen. Der Be-
steuerung unterliegt das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen nach Abzug
der Schulden, I. Als stenerbares Vermögen gelten insbesondere 1. Grundstücke nebst
allem Zubehör, Bergwerkseigentum, dingliche Rechte, welche einen in Geld schätzbaren
Wert haben. 2. Anlage- und Betriebskapital cf. oben I, 2, b; 3. das sonstige Kapital-
vermögen. II. Von der Besteuerung sind ausgeschlossen: 1. Die aufserhalb des Herzog-
tums belegenen Grundstücke, 2. Anlage- und Betriebskapital aufserhalb des Herzogtums.
III. Als steuerbares Vermögen gelten nicht bewegliche körperliche Sachen, insofern die-
selben nicht als Zubehör oder Bestandteile anzusehen sind (5 4). Vom Kapitalwert sind
in Abzug zu bringen die dinglichen und persönlichen Kapitalschulden aufser den Haus-
haltungsschulden und der Kapitalwert bestimmter periodischer geldiwerter Leistungen,
2. B. der Renten und Altenteile (2 8). 2. Wertbestimmung. 3. Besteuerungs-
grenze. Zur Ergünzungssteuer werden nicht herangezogen: 1. diejenigen Personen,
deren steuerbares Vermögen den Gesamtwert von 6000 M. nicht übersteigt; 2. diejenigen
Personen, deren nach Mafsqube des Einkommensteuergesetzes zu berechnendes Jahres-
einkommen den Betrag von 900 M. nicht übersteigt, insofern der Gesamtwert ihres
steuerbaren Vermögens nicht mehr als 12000 M. beträgt; 8. weibliche Personen, welche
minderjährige Familienangehörige zu unterhalten haben, vaterlose minderjährige Waisen
und Erwerbsunjähige, insofern das steuerbare Vermögen der bezeichneten Personen den
Betrag von 20000 M. und das nach Mafsgabe des Einkommenstenergesetzes zu berech-
mende Jahreseinkommen derselben den Betrag von 1200 M. nicht übersteigt (2 17). II.
Steuersätze. 1. Steuertarif. Für ein Vermögen von 6000—8000 M.: 1,50 M., stei-
gend um 50 Pfg. für je 2000 M. des Vermögens von 8000 —24 000 M., um 1 M. für je
4000 M. des Vermögens von 24000—60000 M., um 2,50 M. für je 10000 M. des Ver-
mögens von 60000 — 200000 M., um 5 M. für je 20000 M. des Vermögens über 200 000 M.
B 18). 2. Berücksichtigung besonderer Verhältnisse. Steuerpjlichtigen,
welchen auf Grund des 2 19 des Einkommenstenergesetzes eine Ermäjsigung der Ein-
kommensteuer gewährt wird, kann bei der Veranlagung auch eine Ermäfsigung der Er-
gänzungssteuer um höchstens 2 Stufen gewährt werden, sofern das steuerprlichtige Ver-
mögen nicht mehr als 32000 M. beträgt (2 19). IV. Veranlagung. 1. Ort und
Vorbereitung der Veranlagung. 2. Veranlagungsverfahren. Die Ver-
anlaqung erfolgt gleichzeitig mit der Veranlagung der Einkommensteuer durch die Veran-
lagungskommission. Eine Voreinschätzung durch eine Voreinschätzungskommission findet
nicht statt (£ 22). Für jeden Veranlagungsbezirk wird ein Schätzungsausschufs gebildet,
der die behufs Veranlagung erforderlichen Wertermittelungen vorzunehmen und
den Wert des steuerbaren Vermögens zu begutachten hat (22 23, 24). Die Steuer-
pflichtigen sind berechtigt, ihr steuerbares Vermögen anzugeben oder diejenigen thatsich-
lichen Mitteilungen zu machen, deren die Veranlagungskommission zur Schätzung des
Vermögens bedarf — Vermögensanzeige — unter der Versicherung, dafs die Angaben
nach bestem Wissen und Gewissen gemacht sind (2 26). Der Vorsitzende der Veran-
lagungskommission hat nach Einholung des Gutachtens des Schätzungsausschusses das
nach seinem Ermessen für jeden Steuerpflichtigen zutreffende Vermögen in die Steuer-
liste einzutragen, den nach Vorschrift des Gesetzes zu entrichtenden Steuersatz vorzu-
schlagen und die Verhandlungen der Veranlagungskommission zur Beschlufsfassung vor-
zulegen (2 27). Die Veranlagungskommission prüft das Gutachten des Schätzungsaus-
schusses, die Steuerliste und die eingegangene Vermögensanzeige und setzt den nach
ihrem Ermessen zutreffenden Steuersatz fest (23 28—80). 3. Rechtsmittel. V. Ver-
anlaqungsperiode und Veränderungen der veranlagten Steuer inner-
halb derselben. Die Veranlagung zur Ergänzungssteuer erfolgt für eine Periode
von 4 Steuerjahren (2 83), VI. Steuererhebung. VII. Strafbestimmungen.
VIII, Schlufsbestimmungen.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 793
Gesetz, betr. die Erhebung der Ergänzungssteuer auf Grund des
Ergänzungssteuergesetzes vom 11. März 1899. Vom 11. März 1899,
No. 16.
Bekanntmachung, betr. die Ausführungsvorschriften zum Ergän-
zungssteuergesetz vom 11. März 1899 und Aenderungen der Ausführungs-
vorschriften zum Staatseinkommensteuergesetz vom 16. April 1896. Vom
11. März 1899, No. 18.
Bekanntmachung, betr. die Fristen, innerhalb welcher das Veran-
lagungsverfahren zur Staatseinkommensteuer und Ergänzungssteuer zu
erledigen ist. Vom 22. August 1899, No. 70.
Gesetz, das Halten von Zuchthengsten betr. Vom 13. März 1899,
No. 20.
Gesetz, betr. die Bauordnung für das Herzogtum Braunschweig.
Vom 13. März 1899, No. 25. Anweisung zur Ausführung desselben in
der Bekanntmachung vom 7. September 1899, No. 77.
Gesetz, betr. Abänderung und Ergänzung der Bauordnung für das
Herzogtum Braunschweig vom 13. März 1899. Vom 27. Oktober 1899,
No. 96.
Gesetz, betr. die Zusammensetzung der Landesversammlung. Vom
6. Mai 1899, No. 31.
Die Landesversammlung besteht aus 48 Abgeordneten, von welchen 30 durch all-
gemeine Wahlen — und zwar 15 in den Stadtgemeinden, 15 in den Landgemeinden —
die übrigen 18 in besonderen Wahlen von den angestellten Geistlichen der evangelischen
Landeskirche, den Grofsgrundbesitzern, den Gewerbetreibenden, den wissenschaftlichen
Berufsständen und den höchstbesteuerten Einkommensteuerpflichtigen gewählt werden
(22 1, 4). Wählbar ist jeder männliche Braunschweigische Staatsangehörige, der das
80. Lebensjahr zurückgelegt und mindestens ein Jahr lang vor seiner Wahl in Braun-
schweig seinen Wohnsitz gehabt hat. Nicht wählbar ist, wer rechtskräftig zu Freiheits-
strafen wegen einer Strafthat verurteilt ist, für welche auf Verlust der bürgerlichen
Ehrenrechte erkannt werden kann, wer sich im Konkurse befindet oder für seine Person
oder sein Vermögen unter Vormundschaft oder Pflegschaft steht, endlich wer auf Grund
der Geschäftsordnung auf immer von der Landesversammlung ausgeschlossen ist. Aktive
Militärpersonen sind wählbar, aber nicht wahlberechtigt (4 7). Die Wahlen der Ab-
geordneten der Stadt- und Landgemeinden sind mittelbare. Die Wahlberechtigten wählen,
eingeteilt nach dem Mafse der von ihnen aufgebrachten direkten Gemeindesteuern, in
drei Klassen, auf deren jede ein Dritteil der Steuern fällt, als Urwähler die Wahl-
männer und zwar jede Klasse für sich die gleiche Zahl. Die Wahlmiänner aller drei
Klassen wählen vereint die Abgeordneten (2 8). Die Wahl kann abgelehnt werden
(2 9. Civilbeamte, Geistliche und Schullehrer bedürfen keines Urlaubs (3 10). Die
Wahlperiode der Landesversammlung dauert 4 Jahre, auch im Falle einer Neuwahl
nach Auflösung der Landesversammlung (2 11). Wiederwahl ist zulässig (2 12). Der
Auftrag der Abgeordneten erlischt mit Zeitablauf und Auflösung der Versammlung, 80-
bald die neue Wahl des betrefienden Wahlkörpers beendigt ist; durch Wegfall einer
der Voraussetzungen der Wählbarkeit; Annahme eines neuen Staats- oder Hofamts ;
Niederlegung; geistige oder körperliche Unfähigkeit; zur Strafe (ë 13). Die folgenden
Bestimmungen betreffen den Ausschufs der Landesversammlung, der, aus 7 Personen
bestehend, bei Vertagung, Verabschiedung oder Auflösung des Landtages vor dessen
Auseinandergehen gewählt wird (23 14—18). Auf die so gebildete Landesversammlung
und deren Ausschufs gehen alle Rechte und Pflichten über, welche nach dem Landes-
grundgesetz vom 12. Oktober 1832 der Ständeversammlung und deren Ausschufs zustehen
und obliegen (2 19). Dieses Gesetz bildet einen Teil des Landesgrundgesetzes und kann
nur, wie dieses Landesgrundgesetz selbst, authentisch interpretiert, abgeändert oder auf-
gehoben werden. Es tritt am 1. Januar 1900 in Kraft.
794 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Wahlgesetz. Vom 6. Mai 1899, No. 32. Dazu Bekanntmachung
des Herzoglichen Staatsministeriums, betr. Ausführungsbestimmungen zum
Wahlgesetz. Vom 6. September 1899, No. 75. Ergänzung desselben
durch Bekanntmachung vom 1. Oktober 1899, No. 80 und Bekannt-
machung vom 9. Dezember 1899, No. 103.
Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche Vom 12. Juni
1899, No. 36.
Verordnung, betr. die Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
Vom 1. August 1899, No. 64.
Bekanntmachung des herzoglichen Staatsministeriums, betr. Aus-
führungsbestimmungen zu den $$ 980, 981, 983 des Bürgerlichen Ge-
setzbuches. Vom 9. Oktober 1899, No. 90.
Ausführungsgesetz zur Reichsgrundbuchordnung vom 24. März 1897.
Vom 12. Juni 1899, No. 37.
Bekanntmachung des Herzoglichen Staatsministeriums, Abteilung der
Justiz, betr. eine allgemeine Verfügung zur Ausführung der Reichsgrund-
buchordnung. Vom 7. Juli 1899, No. 61. Eine Abänderung derselben
in der Bekanntmachung vom 15. September 1899, No. 76.
Verordnung, betr. die Ausführung der Reichsgrundbuchordnung,
sowie die Anlegung der Grundbücher. Vom 12. Juni 1899, No. 50.
Gesetz, den Gebührentarif für Grundbuchsachen betr. Vom 12. Juni
1899, No. 48.
Ausführungsgesetz zum Gesetz über die Angelegenheiten der frei-
willigen Gerichtsbarkeit. Vom 12. Juni 1899, No. 38.
Bekanntmachung des Herzoglichen Staatsministeriums, Abteilung der
Justiz, Ausführungsbestimmurgen zu den Angelegenheiten der freiwilligen
Gerichtsbarkeit und anderen Angelegenheiten betr. Vom 13. Oktober
1899, No. 88.
Ausfübrungsgesetz zu dem Reichsgesetz über die Zwangsver-
steigerung und Zwangsverwaltung vom 24. März 1897. Vom 12. Juni
1899, No. 39. Anweisung zur Ausführung dieses Gesetzes. Vom 10. No-
vember 1899, No. 98.
Kostengesetz zu dem Reichsgesetz über die Zwangsversteigerung
und die Zwangsverwaltung vom 24. März 1899 und zu dem zu diesem
Gesetze erlassenen Ausführungsgesetze vom 12. Juni 1899. Vom
12. Juni 1899, No. 49.
Gesetz über das Hinterlegungwesen. Vom 12. Juni 1899, No. 40.
Dazu Bekanntmachung vom 19. Dezember 1899, No. 108.
Ausführungsgesetz zum Handelsgesetzbuche. Vom 12. Juni 1899,
No. 41.
Gesetz, betr. die Abänderung des Gesetzes über das Verwaltungs-
zwangsverfahren wegen Beitreibung von Geldbeträgen vom 9. April 1888.
Vom 12. Juni 1899, No. 43.
Gesetz, betr. die Abänderung und Ergänzung des Ausführungsge-
setzes zum deutschen Gerichtskostengesetze u. s. w. vom 11. Juli 1897.
Vom 12. Juni 1899, No. 47. Dazu Bekanntmachung vom 13. September
1899, No. 89.
Bekanntmachung des herzoglichen Staatsministeriums, Abteilung der
Nationalökonomische Gesetzgebung. 795
Justiz, betr. die Anweisung über Führung des Handelsregisters. Vom
7. Juli 1899, No. 58.
Bekanntmachung des herzoglichen Staatsministeriums, Abteilung
der Justiz, betr. eine Abänderung der Bekanntmachung vom 18. Dezember
1895 über die Führung der Schiffsregister. Vom 13. Oktober 1899,
No. 86.
Bekanntmachung des herzoglichen Staatsministeriums, Abteilung der
Justiz, betr. die Anweisung über die Führung des Vereinsregisters und
des Güterrechtsregisters. Vom 9. Oktober 1899, No. 91.
Gesetz wegen Abänderung der Gesindeordnung. Vom 12. Juni 1899,
No. 45.
Bekanntmachung, enthaltend die „abgeänderte Gesindeordnung für
das Herzogtum Braunschweig“ in der vom 1. Januar 1900 an geltenden
Fassung. Vom 16. August 1899, No. 691).
1. Von dem Begriffe des Dienstvertrags und den dabei vorkommenden Personen.
2. Von der Eingehung des Dienstvertrags. 8. Von der Aufhebung des Dienstvertrags
vor Antretung des Dienstes. 4. Von den Pflichten des Gesindes. 5. Pflichten der Herr-
schaft. 6. Von der Aufhebung des Dienstverhältnisses nach Antretung des Dienstes.
?. Allgemeine Bestimmungen. 8. Verfahren in Gesindesachen.
Gesetz, betr. die Zwangserziehung Minderjähriger. Vom 12. Juni
1899, No. 46. Anweisung zur Ausführung dieses Gesetzes. Vom 10. No-
vember 1899, No. 98.
Gesetz, betr. Abänderung des Berggesetzes vom 15. April 1867.
Vom 12. Juni 1899, No. 44.
II. An Stelle des Z 52: Das Bergwerkseigentum wird durch die von der Berg-
behörde erteilte Verleihung bezw. durch den von der Bergbehörde gefafsten Beschlufe
(cf. oben Gesetz vom 25. Februar 1899 durch die von der Bergbehörde bestätigte
Konsolidation, Teilung oder Vertauschung von Grubenfeldern und Feldesteilen er-
worben. Für das auf diese Weise begründete Bergwerkseigentum finden, vorbehaltlich
besonderer Bestimmungen, die sich auf Grundstücke beziehenden Vorschriften des B.G.B.
entprechende Anwendung. IV. An Stelle des Z 54. Die für den Erwerb des Eigen-
tums und die Ansprüche aus dem Eigentum an Grundstücken geltenden Vorschriften
des B.G.B. finden auf das Bergwerkseigentum entsprechende Anwendung, soweit nicht
ein anderes bestimmt ist. V. XV. Aufhebung von ZZ 55, 144. VI. Der Hilfsbau gilt
als Bestandteil. Die übrigen Bestimmungen betreffen hauptsächlich durch das B.G.B.
nötig gewordene Ergänzungen und Veränderungen von geringerer Wichtigkeit.
Gesetz, die Abänderung des Gesetzes vom 15. April 1867 wegen
der Veranlagung und Erhebung der Bergwerksabgaben betr. Vom
20. Juni 1899, No. 52.
Die nach dem Gesetz vom 15. April 1867 mit Un des Wertes der abgesetzten
Produkte zu entrichtende Bergwerksabgabe wird auf 11/, Proz. des Wertes der abge-
setzten Produkte ermüfsigt.
Wegeordnung. Vom 29. Juni 1899, No. 56.
I. Allgemeine Bestimmungen. II. Von der Verbindlichkeit zur Herstellung und
Unterhaltung der Strafsen und Wege. 1. Von den Interessenten, welchen die Ver-
pflichtung obliegt. 2. Von der Verteilung der Wegebaulast. a) unter die Gemeinden
und Gemarkungen. b) Unterverteiluug in den Gemeinden und Gemarkungen. III. Von
der Herstellung und Einrichtung der Strafsen und Wege. IV. Von den Abtretungen
der Grundstücke, welche zu den Wegen verwendet werden, und der Entschädigung dafür.
V. Von den Wegebesserungsabgaben und Wegegeldern.
1) Vergl. die Anmerkungen zur Gesindeordnung Württembergs.
796 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Bekanntmachung, die Bestallung des herzoglichen Finanzkollegiums
hierselbst als Aufsichtsbehörde über die im Herzogtum bestehenden
bezw. noch sich bildenden Hypothekenbanken betr. Vom 4. Oktober
1899, No. 81.
Landtagsabschied des 24. ordentlichen Landtages. Vom 14. September
1899, No. 83. Anlage A. Staatshaushaltsetat für das Etatsjahr 1899/1900
der Finanzperiode 1. April 1898/1900.
Die Einnahmen betragen 14 286700 M., darunter direkte Steuern in Höhe von
2 056 500 M. und indirekte im Betrage von 4 894 580 M. Die Ausgaben betragen 14 430 000
M., so dafs ein Fehlbetrag von 193 300 M. sich ergiebt.
Verordnung zur Ausführung des Reichsgesetzes, betr. die Erwerbs-
und Wirtschaftsgenossenschaften. Vom 20. Oktober 1899, No. 93.
Aufhebung der Verordnungen vom 15. Januar 1869, vom 29. August 1889 und
vom 26. November 1896.
Bekanntmachung des herzoglichen Staatsministeriums zur Aus-
führung des Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899. Vom
8. Dezember 1899, No. 102.
Sachsen-Meiningen.
Sammlung der landesherrlichen Verordnungen im Her-
zogtum Sachsen-Meiningen. Bd. XXIII.
Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Vom 9. August
1899, S. 333.
Gesetz über das Ehegüterrecht. Vom 10. August 1899, S. 368.
Nachtragsgesetz zum Berggesetz vom 17. April 1868. Vom
11. August 1899, S. 392.
An Stelle des Art. 50: Das Bergwerkseigentum wird durch Verleihung begründet,
sowie durch Konsolidation, Teilung von Grubenfeldern oder Austausch von Feldesteilen
erworben. Für das Bergwerkseigentum gelten, vorbehaltlich besonderer Bestimmungen
des Beruygesetzes, die sich auf Grundstücke beziehenden Normen des B.G.B. Entsprechende
Anwendung finden die für den Erwerb des Eigentums und die Ansprüche aus dem
Eigentum an Grundstücken geltenden Vorschriften. Aufhebung von Art. 52 und 58.
Der Hilfsbau gilt als Bestandteil. Das Bergwerk wird auf den Namen der Gewerk-
schaft in das Berggrundbuch eingetragen. Die Kure sind unteilbar und gehören zum
beweglichen Vermögen. Die durch die Bestellung eines Repräsentanten entstehenden
Rechtsverhältnisse sind nach den allgemeinen Vorschriften über die Vollmacht und den
Auftrag zu beurteilen. — Die übrigen neuen Bestimmungen sind weniger wichtig.
Gesetz, betr. die öffentlichen Lasten. Vom 12. August 1899, S. 395.
Art. 1. Als öffentliche Abgaben und Leistungen haften auf dem Grundstück:
1. Die Grund- und Gebäudesteuer; 2. die nach der Grund- und Gebäudesteuer umge-
legten Abgaben an Gemeinden, Gemarkungen und Kreise und an die Kirchengemeinden;
3. die Kosten der Hutablösung und der Grundstückszusammenlegung' und die Teilbeträge
an den zu deren Bestreitung von der Landeskreditanstalt oder von der Gemeinde ge-
anährten Darlehen und die Zins- und Tilgungsrenten dafür; 4. die im Gesetz vom
6. Mai 1872 begründete Verpflichtung zur Tragung der Kosten der Feststellung der
einem Triebwerk zustehenden Wasserbenutzung, der Kosten der Wasser- und Uferbauten
und einer auf Grund des Art. 67 dieses Gesetzes ausgeführten Anlage und deren Unter-
haltung, sowie die Teilbeträge an den zur Errichtung dieser Anlage von der Landes-
kreditanstalt gewährten Darlehen und die Zins- und Tilqungsrenten dafür; 5. die durch
Ortsgesetz den Grundbesitzern auferlegten Beiträge an die Gemeinden zur Herstellung
und Unterhaltung Öfentlicher Einrichtungen, besonders diejenigen, die nach den auf
Nationalökonomische Gesetzgebung. 797
Grund des Gesetzes vom 26. März 1888, betr. die Heranziehung der Anlieger zu den
Kosten der Anlegung und Veränderung von Strafsen, errichteten Ortsstatuten zu zahlen
sind. Art. 2: Die Verpflichtung zu der Leistung trifft den jeweiligen Eigentümer des
Grundstücks; dieser hat die laufenden Leistungen, sowie die Rückstände zu entrichten,
unbeschadet der Verpflichtung der Vorbesitzer zur Abtragung der Rückstände. Art. 8:
Die öffentlichen Abgaben und Leistungen sind nicht im Grundbuch einzutragen,
Gesetz zur Ausführung des Handelsgesetzbuches. Vom 13. August
1899, S. 397.
Gesetz zur Ausführung der Reichsgrundbuchordnung vom 24. März
1897. Vom 14. August 1899, S. 399.
Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit. Vom 15. August 1899,
S. 405.
Gesetz zur Ausführung des Reichsgesetzes vom 17. Mai 1898, betr.
Aenderungen der Civilprozeßordnung. Vom 16. August 1899, S. 435.
Gesetz zur Ausführung des Reichsgesetzes über die Zwangsver-
steigerung und die Zwangsverwaltung. Vom 17. August 1899, S. 441.
Ministerial-Bekanntmachung zur Ausführung des Invalidenversiche-
rungsgesetzes. Vom 9. Dezember 1899, S. 477.
Verordnung über das Handelsregister. Vom 11. Dezember 1899,
S. 479.
Verordnung, betr. das Grundbuch. Vom 16. Dezember 1899, S. 484.
Gesetz über die Gerichtskosten. Vom 22. Dezember 1899, S. 487.
Gesetz über die Gebühren der Rechtsanwälte. Vom 23. Dezember
1899, S. 547.
Gesetz, betr. das Hinterlegungswesen. Vom 27. Dezember 1899,
S. 553. Dazu Ministerial-Bekanntmachung vom 27. Dezember 1899,
S. 560.
Ministerial-Bekanntmachung zur Ausführung des Telegraphenwege-
gesetzes vom 18. Dezember 1899. Vom 27. Dezember 1899, S. 582.
Sachsen-Altenburg.
Gesetzsammlung für das Herzogtum Sachsen-Altenburg
auf das Jahr 1899.
Gesetz, die anderweitige Regelung der Besoldungsverhältnisse der
Geistlichen betr. Vom 7. Januar 1899, S. 1.
Gesetz, die anderweite Regelung der Besoldungsverhältnisse der
Volksschullehrer betr. Vom 7. Jannar 1899, S. 3.
Gesetz, betr. die Aufhebung von Befreiungen hinsichtlich der
Kirchen- und Schullastenpflicht. Vom 7. Januar 1899, S. 7.
Aufhebung der Befreiungen der Geistlichen, Schullehrer und Kirchendiener des
betr. Verbandes, sowie der Gensdarmen von der Beitragspflicht zu den Kirchen- und
Schullasten hinsichtlich ihres Diensteinkommens.
Bekanntmachung des Herzoglichen Ministeriums, Abteilung des
Innern, die Arzneitaxe für das Jahr 1899 betr. Vom 2. Januar 1899, S. 9.
Bekanntmachung des Herzoglichen Ministeriums, Abteilung des
Innern, betr. die Erteilung von abgekürzten Standesregisterauszügen in
Angelegenheiten der Kranken-, Unfall-, Invaliditäts- oder Altersver-
sicherung und der Hinterbliebenen-Fürsorge. Vom 22. März 1899, S. 21.
798 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Bekanntmachung des Herzoglichen Ministeriums, Abteilung des
Innern, betr. die Saatenstands- und Erntenachrichten. Vom 29. März
1899, S. 241).
Bekanntmachung des Herzoglichen Ministeriums, Abteilung des
Innern, die Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern
in Ziegeleien betr. Vom 7. April 1899, S. 25.
Feststellung der auszuhängenden Auszüge für diejenigen Ziegeleien, welche von
den Bestimmungen unter Ziffer II der Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 18. Ok-
tober 1898 Grbrauch machen.
Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Vom 4. Mai 1899,
S. 31.
Ausführungsgesetz zur Civilprozelordnung. Vom 4. Mai 1899,
H 64.
Ausführungsgesetz zur Konkursordnung. Vom 4. Mai 1899, S. 68.
Ausführungsgesetz zur Grundbuchordnung. Vom 4. Mai 1899,
S. 69. Dazu: Höchste Verordnnng vom 5. September 1899, S. 141.
Ausführungsgesetz zum Reichsgesetz über die Zwangsversteigerung
und Zwangsverwaltung. Vom 4. Mai 1899, S. 74.
Ausführungsgesetz zum Reichsgesetz über die Angelegenheiten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit. Vom 4. Mai 1899, S. 80.
Höchste Verordnung zur Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuches
und seiner Nebengesetze. Vom 24. Juni 1899, S. 103.
Bekanntmachung des Herzoglichen Ministeriums, Abteilung des
Innern, die Hauptmängel und Gewährfristen beim Viehhandel betr. Vom
12. Dezember 1899, S. 469.
Hinterlegungsordnung. Vom 8. September 1899, S. 209.
Verordnung des Herzoglichen Ministeriums, Abteilung für Justiz-
angelegenheiten, die Führung des Vereinsregisters und des Güterrechts-
registers betr. Vom 20. November 1899, S. 315.
Verordnung des Herzoglichen Ministeriums, Abteilung für Justiz-
angelegenheiten, die Führung des Handelsregisters betr. Vom 21. No-
vember 1899, H 331.
Verordnung des Herzoglichen Ministeriums, Abteilung für Justiz-
angelegenheiten, die Führung des Genossenschaftsregisters betr. Vom
23. November 1899, S. 350.
Bekanntmachung des Herzoglichen Ministeriums, Abteilung für
Justizangelegenheiten, Berichtigungen zu einigen behufs Ausführung des
Bürgerlichen Gesetzbuches ergangenen Verordnungen betr. Vom 30. De-
zember 1899, S. 480.
Gesetz, den Ersatz von Wildschaden betr. Vom 20. De-
zember 1899, S. 359.
Sachsen - Altenburgische Kostenordnung für die Gerichte. Vom
24. Dezember 1899, S. 361.
Sachsen - Altenburgische Kostenordnung für Notare und Rechts-
anwälte. Vom 24. Dezember 1899, S. 407.
Verordnung des herzoglichen Ministeriums, Abteilung des Innern,
1) Vergl. die Anmerkungen zu der württembergischen Verfügung vom 15. März 1899.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 799
betr. die Einführung von Gänsen zu Handelszwecken. Vom 25. August
1899, S, 139.
Anweisung zur Ausführung der Bekanntmachung des Bundesrates,
betr. die Einrichtung und den Betrieb der Roßhaarspinnereien, Haar-
und Borstenzurichtereien, sowie der Bürsten- und Pinselmachereien.
Vom 13. September 1899, S. 227.
Gesamtministerial-Bekanntmachung, betr. die Errichtung einer ge-
meinsamen Handwerkskammer für das Herzogtum Sachsen-Altenburg
und das Fürstentum Reuß jüngerer Linie. Vom 25. Oktober 1899,
S. 233.
Betrifft Errichtung einer gemeinsamen Handwerkskammer in Gera.
Verordnung des Herzoglichen Gesamtministeriums, die Ausführung
des Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899 betr. Vom
24. November 1899, S. 357.
Gesamtministerial-Bekanntmachung, die Wahl der Vertreter der
Arbeitgeber und der Versicherten nach $ 63 des Invalidenversicherungs-
gesetzes vom 13. Juli 1899 betr. Vom 4. November 1899, S. 235.
Gesetz, betr. die Abänderung des Einkommensteuergesetzes vom
24. April 1896. Vom 23. Dezember 1899, S. 468.
Aenderung der Strafbestimmungen.
Gesetz, betr. die Stempelsteuer. Vom 24. Dezember 1899, S. 419.
Der Stempelsteuer sind die in einem angefügten Tarif angeführten Urkunden der-
gestalt unterworfen, dafs stempelpflichtig sind Versichungsverträge und Versteigerungs-
protokolle unbedingt, die übrigen Urkunden dann, wenn sie von einer Öffentlichen Be-
hörde oder von einem Notar aufgenommen oder ausgefertigt sind oder bei einer öffent-
lichen Behörde oder bei einem Notar vorgelegt oder eingereicht werden (3 II). Befreit
von der Steuer sind unter anderen alle Urkunden über Rechtsgeschäfte, deren Wert aus-
schliefslich Zinsen und Kosten 150 M. nicht beträgt?), sowie beglaubigte Abschriften für die
den Zustellungsurkunden beizufügenden Schrijtstücke (2 2). Die Verpflichtung zur Ent-
richtung des Stempels trifft, soweit der Tarif nichts Abiweichendes bestimmt, bei behörd-
lichen oder notariellen Ausfertigungen oder Beurkundungen denjenigen, durch den die
Ausfertigung oder Beurkundung veranlafst wird); bei Verträgen, die nur für einen
Teil Verpflichtungen begründen, diesen Teil, sonst beide Teile anteilig; bei einseitigen
Willenserklärungen denjenigen, der die Erklärung abgiebt*); bei Versicherungsverträgen
den Agenten, welcher die Versicherung abgeschlossen oder vermittelt hat, sowie den
Versicherten; bei Versteigerungsprotokollen, vorbehaltlich des Rückgriffs gegen den
Auftraggeber, denjenigen, unter dessen Leitung die Versteigerung ansgeführt wird
(2 7)5). Es folgen eingehende Bestimmungen über die Folgen der Nichterfüllung der
Stempelpflicht, über das Verfahren bei Feststellung von Stempelbeträgen, Erstattung
bereits verwendeter Stempelmarken und die Rechtsmittel gegen die Abforderung von
Stempelbeträgen.
1) Schaumburg-Lippe: Alle in einem anliegenden Tarif aufgeführten Urkunden,
welche mit dem Namen oder der Firma des Ausstellers unterzeichnet sind, insoweit
nicht entgegenstehende Bestimmungen vorliegen. Mecklenburg-Schwerin: Alle in dem
Tarif aufgeführten Urkunden.
2) Entsprechend: Schaumburg-Lippe. Nicht: Mecklenburg-Schwerin ; jedoch hier
eine Reihe anderer Befreiungen.
3) Entsprechend: Schaumburg-Lippe. Mecklenburg-Schwerin: Für den zu einem
Vertraue zu entrichtenden Stempel haften alle Vertragschließenden als Gesmntschuldner.
4) Entsprechend: Schaumburg-Lippe.
5) Entsprechend: Schaumburg-Lippe.
(Fortsetzung folgt.)
800 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Nachdruck verboten.
VII
Zur Reform des Bôrsengesetzes.
Von Dr. Günther Siegfried Freund, Regierungsrat in Berlin.
Wohl selten hat ein neueres Gesetz so viele Anfeindungen er-
fahren als das Reichsbörsengesetz vom 22. Juni 1896. Bekannt ist das
scharfe Urteil, das bereits ein Jahr nach seinem Erlaß Max Weber im
Handwörterbuch der Staatswissenschaften (II. Supplementband Art. Börsen-
gesetz) über die Gesamttendenz des Gesetzes und seine einzelnen Be-
stimmungen gefällt hat. Mit Recht ist aber in allerjüngster Zeit von
Schmoller betont worden !), daß die Bundesregierungen, die preußische
Regierung und die Reichstagsmajorität gegenüber den vorhandenen
Börsenmißbräuchen wohl Ursache hatten, eine Reform der Börse zu ver-
suchen. In solchen Materien wesentlich sozialpolitischen Inhaltes könne
keine Wissenschaft und keine praktische Sachkenntnis a priori den
richtigen Weg vorschreiben, er müsse experimentierend gefunden werden.
Sehe man ein, daß man mit dem Gesetz fehlgegriffen habe, zu weit
gegangen sei, so müsse man dies ehrlich zugestehen und das Gesetz
korrigieren. Die meisten Angriffe haben von allen Bestimmungen seit
Beginn die gesetzlichen Vorschriften über den Terminhandel erfahren,
d. h. der IV. Abschnitt des Börsengesetzes, was sich leicht daraus er-
klären läßt, daß sie am allerstärksten in den bisherigen Börsenverkehr
regelnd und normierend eingegriffen haben. Eine kräftige jahrelange
Agitation, sowie das Hervortreten wirklich vorhandener Mängel hat
eine Reform dieses Abschnittes des Gesetzes in erster Linie vorbereitet.
Nach den Erklärungen, die in der Sitzung des preußischen Ab-
geordnetenhauses vom 20. Februar d. J. seitens des Handelsministers
Brefeld und der Vertreter der maßgebenden Parteien abgegeben worden
sind, ist nicht mehr daran zu zweifeln, daß sie nunmehr in Angriff ge-
nommen werden wird. Aus diesen Erklärungen war aber gleichzeitig
zu entnehmen, in welchen Richtungen diese Reform gedacht ist, welche
Grenzen sie einhalten soll. Als Leitsatz wurde von den in Betracht
kommenden Mehrheitsparteien und von dem Minister an die Spitze ge-
1) Im Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung cete., 1901, S. 289, Redaktions-
anmerkung zu dem Aufsatz von Goldenbaum „Auflösung und Wiederherstellung der
Berliner Produktenbörse.“
Nationalökonomische Gesetzgebung. 801
stellt, daß eine Aenderung sich nur in dem Rahmen der dem bestehenden
Gesetze zu Grunde liegenden Grundgedanken vollziehen dürfe und könne.
Es ergab sich ferner deutlich, daß die Reform sich nicht auf alle Teile
des Börsengesetzes, vielmehr nur auf die Bestimmungen über den Termin-
handel, d. h. den Abschnitt IV des Börsengesetzes, erstrecken solle,
aber auch hier nur, soweit es sich um Mißstände handele, die aus der
zur Zeit herrschenden Rechtsunsicherheit auf dem Gebiet der Börsen-
geschäfte erwachsen. Bekanntlich hat der Minister es als seinen Wunsch
bezeichnet, daß eine freie Kommission berufen werde, die aus Vertrauens-
männern der Parlamente, der beteiligten Berufskreise und aus Autoritäten
des Handelsrechtes besteht, und mit diesen erörtert werde, in welcher
Begrenzung eine Remedur erreichbar und möglich sei, ohne den Grund-
gedanken und die Tendenz des Gesetzes zu berühren, und mit einem
entsprechenden Antrag ist er auch an die Reichsregierung herangetreten.
Da es unzweifelhaft erscheint, daß die Reichsregierung diesem Antrag
stattgeben wird, und daher die Einberufung einer Kommission in ab-
sehbarer Zeit zu erwarten steht, so ist es jedenfalls angemessen, zu
erörtern, auf welche Gebiete sich diese Reform erstrecken darf, wenn
sie in den ihr durch die Wünsche der maßgebenden Parteien gesteckten
Grenzen bleiben soll, und gleichzeitig die hervorgetretenen Reform-
vorschläge einer Besprechung zu unterziehen.
Zunächst mag hervorgehoben werden, daß für eine Beseitigung des
Terminhandelsverbotes in Getreide und Mühlenfabrikaten ($ 50, Abs. 3)
des Börsengesetzes Stimmung bisher nicht vorhanden ist und sich wohl
auch kaum sobald finden wird. Freilich ist dies ein hohem Male zu be-
dauern. Die Erfahrung hat gezeigt, daß man ohne einen Börsen-
terminhandel in Getreide in Deutschland, als einem auf den Getreide-
import notwendig angewiesenen Lande, nicht auskommen kann. Bekanntlich
sind an der wichtigsten deutschen Getreidebörse, in Berlin, unter Mit-
wirkung der Regierung, durch Aufstellung eines Formulares zu einer
Schlußnote für Zeitgeschäfte im effektiven Getreide, Ersatzformen ge-
schaffen worden, die sich lediglich infolge der mangelhaften Fassung
der gesetzlichen Bestimmungen rechtlich ermöglichen ließen. Aber einer-
seits ist es vom politischen Standpunkt bedenklich und führt keineswegs
zur Stärkung der gesetzlichen Autorität, wenn man ein vom Gesetz ver-
botenes Geschäft durch eine Hinterthür wieder hereinschlüpfen läßt,
wenn auch tacito consensu aller Beteiligten. Andererseits ist nicht zu
verkennen, daß jene Ersatzformen, trotz aller milden und lässigen Hand-
habung des Gesetzes, nur unvollkommen funktionieren können und den
Getreidehandel in der Erfüllung seiner Aufgabe dauernd beunruhigen
und beeinträchtigen müssen. Mit Recht ist daher die Aufhebung des
Terminhandelsverbotes in Getreide von sachverständigster Seite gefordert
worden, so in letzter Zeit von Wiedenfeld!), Goldenbaum?) und auch
1) Vergl. dessen Abhandlung „Organisation des deutschen Getreidehandels“ bei
Schmoller, Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung ete., 1900, S. 185.
2) Vergl. dessen Abhandlung „Auflösung und Wiederherstellung der Berliner
Produktenbörse, eod., 1901, S. 288/299.“
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 51
802 Nationalökonomische Gesetzgebung.
vi
von Schmoller!). Da indessen, wie erwähnt, diese Frage für die bevor-
stehende Reform zweifellos ausscheidet, so soll auch an dieser Stelle
darauf nicht weiter eingegangen werden.
Auch gegenüber der aus Börsenkreisen und von einer Reihe von
Handelskammern erhobenen Forderung, das Verbot des Börsenterminhandels
in Anteilen von Bergwerks- und Industriepapieren aufzuheben ($ 50,
Abs. 2 des Ges.) wird man sich — hier aber mit vollem Recht — ab-
lehnend verhalten, da nach den maßgebenden Erklärungen die Grund-
gedanken des Gesetzes nicht berührt werden sollen. Zu einem dieser
Grundgedanken gehört die Einschränkung der Börsenspekulation, und
daß diese durch die Beschränkung des Terminhandels herbeigeführt
worden ist, kann ernsthaft nicht in Zweifel gezogen werden. Gewiß ist
auch auf dem Effektenmarkte die Spekulation und daher diejenige
Geschäftsart, die ihren Zwecken ihrer eigentlichen Technik nach am
meisten dient, nämlich der Terminhandel, eine Notwendigkeit, weniger
wegen der für gewöhnlich angeführten Gründe, nämlich daß die ge-
handelten Papiere internationale Zahlungsmittel sind und dem inter-
nationalen Zahlungsausgleich dienen, als deshalb, weil in den Kursen der
auf Termin gehandelten Papiere die von dem Einzelgeschäft unabhängige
Konjunktur am reinsten zum Ausdrucke kommt, und weil sonach die
Terminpreise das Barometer abgeben für die internationale Konjunktur
auf dem Geldmarkte, was namentlich für die Eingehung großer Finanz-
geschäfte von erheblicher Wichtigkeit ist. Aber diesen Zwecken dienen
hinlänglich die internationalen Papiere, die in verschiedenen Ländern
gleichzeitig zu Spekulationszwecken verwendet werden, insbesondere
Staatsrenten, wichtige Eisenbahnpapiere, ferner die Aktien der Banken.
Die Hereinbeziehung von Aktien der Bergwerks- und Industrieunter-
nehmungen, für die meist nur ein Interesse in ihrem eigenen Lande be-
steht, in diesen Kreis erscheint von dem angeführten Gesichtspunkt nicht
erforderlich, bedeutet vielmehr lediglich die Schaffung weiterer „Spiel-
marken“, also eine volkswirtschaftlich zwecklose, sonach verwerfliche
Spekulation, die nur. für die weitere Heranziehung des Privatpublikums
zur Beteiligung an dem Termingeschäfte den Nährboden abgiebt. Gerade
wenn man, wie dies im vorhergehenden geschehen ist, den Terminhandel
auch auf dem Effektenmarkte bis zu einem gewissen Grade als einen
volkswirtschaftlich notwendigen Faktor, in seiner Eigenschaft als
Barometer der internationalen Geldkonjunktur, anerkennt, so muß man
andererseits verlangen, daß an diesem Faktor nur solche Elemente sich
beteiligen, deren Thätigkeit überhaupt in erster Linie der Preisbildung
gewidmet ist, und daß das Privatpublikum von dieser Geschäftsart, die
wie keine andere ihrer eigentlichen Technik nach infolge der erleichterten
Kreditgewährung zu einem bloßen Spiel auf das Steigen und Fallen
des Preises mißbraucht wird, nach Möglichkeit ferngehalten wird. Ein
Schritt auf diesem Wege ist die Beschränkung des Terminhandels auf
diejenigen Papierarten, in denen er eine wirtschaftliche Notwendigkeit
1) Vergl. dessen Schlußnotiz zu der in Anm. 2 citierten Goldenbaum’schen Ab-
handlung, S. 289.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 803
bildet, und diesen Weg ist das Börsengesetz seiner Zeit mit Recht
gegangen.
Als hauptsächlichster Grund für eine Aufhebung des Verbotes wird
von den Befürwortern geltend gemacht, daß durch das Börsengesetz die
Kontremine in der Spekulation ausgeschaltet werde, was bei Krisen
eine von verhängnisvollen Folgen begleitete Verschärfung zur Folge
haben müsse, und so auch bei der letzten Krise gehabt habe, daß ferner
die Spekulation auch thatsächlich nicht vermindert werde, da der
Umfang der an die Stelle der Terminspekulation tretenden Kassa-
spekulation, namentlich in Zeiten der Aufwärtsbewegung, ebenso groß
sei wie die Terminspekulation.
Zunächst erscheint vom volkswirtschaftlichen Standpunkt an und
für sich eine Maßregel, die in ihrer Wirkung eine Fernhaltung des
Privatpublikums vom Börsenspiel zur Folge hat, aus den angeführten
Gründen wichtiger als die Milderung etwaiger Krisen, da diese, wenn
das Publikum vom Börsenspiel ferngehalten ist, in erster Linie doch
mehr auf die eigentlichen Börsenkreise beschränkt bleiben. Sodann aber,
sollte auch wirklich bei Krisen durch die Kontremine der Zusammen-
bruch einigermaßen gemildert werden, so hat andererseits die durch die
Terminspekulation ermöglichte Kreditgewährung in der Hausseperiode
eine Kurstreiberei zur Folge, die den Zusammenbruch schließlich beim
Ausbruch der Krise noch verhängnisvoller gestaltet und die durch das
Bestehen der Kontremine gewährten Vorteile mehr als paralysiert. In
Wahrheit kann auch die Kassaspekulation infolge der Erschwerung der
Kreditgewährung nie der Terminspekulation an Umfang gleichkommen!}),
und so hat die Beseitigung des Terminhandels thatsächlich die erwünschte
Folge, daß die Beteiligung des Privatpublikums an der Spekulation ein-
geschränkt wird. Schließlich wird ja diese Folge selbst von den Börsen-
interessenten damit zugegeben, daß sie den durch die Bestimmungen des
Börsengesetzes herbeigeführten Rückgang des Geschäftsverkehres der
deutschen Börsen beklagen, und es mutet einigermaßen sonderbar an,
wenn sie gleichzeitig mit dieser Klage in Abrede stellen, daß durch
das Verbot des Terminhandels eine Beschränkung der Spekulation herbei-
geführt worden sei.
Wenn sich im übrigen in der verflossenen Periode eine Einschränkung
der Spekulation nicht besonders bemerkbar gemacht hat, so mag dies
— abgesehen von der durch den wirtschaftlichen Aufschwung herbei-
geführten besonderen Begünstigung der Spekulation — auch daran ge-
legen haben, daß thatsächlich auch in Bergwerks- und Industriepapieren
ein lebhafter Terminhandel bisher weiter bestanden hat, der sich in
der bekannten Form des sogenannten Großkassaverkehres abwickelte.
Für den Rückgang der Terminspekulation giebt übrigens einigermaßen
einen Anhalt der in den Jahresbilanzen der Banken enthaltene Ausweis
über die Anlagen in Reports und Lombarddarlehn bei diesen Banken.
1) Dies behauptet Sontag, Zur Reform des Börsengesetzes, in der Monatsschrift für
Handelsrecht und Bankwesen, 1901, 8. 30, ferner Berliner Börsenzeitung vom 17. De-
zember 1900 (Abendzeitung) in einer Kritik meines Aufsatzes zur Reform des Börsen-
gesetzes in der deutschen Juristenzeitung vom 1. Dezember 1900.
51*
804 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Nach einer in der Frankfurter Zeitung vom 6. März 1901 (No. 65) ent-
haltenen Zusammenstellung, die die 9 großen Berliner Banken be-
trifft, haben sich die Anlagen darin bei diesen Banken im Jahre 1900
um 108,46 Mill. M. vermindert, eine Thatsache, die auch von der Frank-
furter Zeitung zum Teil darauf zurückgeführt wird, daß insbesondere der
Terminhandel infolge des Börsengesetzes zusammengeschrumpft ist. Wie-
weit das Kassageschäft an Stelle des Terminhandels getreten ist, läßt
sich aus den Bilanzen der Banken nicht ermitteln. Es würde aber sicher
im allgemeinen Interesse liegen, wenn sich die Banken zu näheren,
zahlenmäßigen Angaben hierüber entschlössen, statt sich in ihren Jahres-
berichten auf allgemeine Bemerkungen über die Zunahme dieser Geschäfts-
art zu beschränken. Solange nähere Aufschlüsse in dieser Richtung
nicht vorliegen, kann übrigens auch nicht zugegeben werden, daß die
großen Banken lediglich wegen des Börsengesetzes, ınsbesondere wegen
der durch das Kassageschäft in Anspruch genommenen großen Kapitalien ihr
Aktienkapital in den letzten Jahren so ungeheuer haben vermehren müssen!).
Näher liegt es, die Hauptursache hierfür, in den durch den wirtschatt-
lichen Aufschwung hervorgerufenen verstärkten Ansprüchen der Industrie
an den Geldmarkt und in der erheblichen Vermehrung der Gründungs-
thätigkeit und der Konsortialgeschäfte der Banken zu finden. Erscheint
ein angeblicher erheblicher Mehrbedarf der Börse an Kapital infolge des
Börsengesetzes bisher thatsächlich noch nicht erwiesen, so entfallen
hiernach auch alle von eifrigen Gegnern des Gesetzes, so von Zadig,
daran geknüpften Schlußfolgerungen über die nachteilige Beeinflussung
des Kapitalmarktes durch die bisherigen von dem Börsengesetz hervor-
gerufenen Verhältnisse.
Sonach bleiben aus dem IV. Abschnitt des Börsengesetzes für eine
Reform die Bestimmungen des (Gesetzes über das Börsenterminregister
und den sogenannten Differenzeinwand, gegen die sich bisher auch haupt-
sächlich die Angriffe gerichtet haben.
Zum richtigen Verständnis der Reformbestrebungen hinsichtlich
des Terminregisters, sowie zur Beurteilung, ob sie berechtigt sind, ist
ein kurzes Eingehen auf die gesetzlichen Bestimmungen und die Zwecke,
die der Gesetzgeber mit dem Terminregister erstrebt hat, auf die Folgen
des Gesetzes sowie die Gründe für das Scheitern der gesetzgeberischen
Absichten erforderlich.
In civilrechtlicher Hinsicht ergeben sich aus der durch das Bürsen-
gesetz geschaffenen Institution des Bürsenregisters zwei Rechtsfolgen.
1) Ein Börsentermingeschäft in Wertpapieren soll nur dann rechts-
wirksam sein, wenn beide Parteien zur Zeit des Geschäftsabschlusses
im Börsenregister für Wertpapiere eingetragen sind, vorbehaltlich der
in $ 68 Abs. 2 hinsichtlich der Personen, die im Inlande weder einen
Wohnsitz noch eine gewerbliche Niederlassung haben, festgesetzten Aus-
nahmen.
2) Für die hiernach mit rechtlicher Wirksamkeit ausgestatteten
1) Zadig, Der Terminhandel und seine Behandlung durch Rechtsprechung und
Gesetzgebung, S. 53 ff.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 805
Börsentermingeschäfte ist der bisherige sogenannte Differenzeinwand
wie er in $ 764 des Bürgerlichen Gesetzbuches eine gesetzliche Sanktion
erfahren hat, beseitigt ($ 69 d. G.).
Zwei Zwecke verfolgte der Gesetzgeber mit der Registereinrichtung.
Auf der einen Seite sollte dadurch, daß die Rechtsgiltigkeit der Termin-
geschäfte von der Eintragung in das Register abhängig gemacht wurde,
eine Schranke zwischen berufsmäßigen Spekulanten und spekulierendem
Publikum errichtet werden, indem man von der Annahme ausging, daß
die Börsenkaufleute fernerhin Bedenken tragen werden, Termingeschäfte
mit solchen Personen abzuschließen, die nicht in das Terminregister ein-
getragen sind, daß aber zahlreiche bisher lediglich zum Zwecke der Er-
langung eines Spielgewinnes an der Terminspekulation beteiligte Personen,
ja ganze soziale Kategorien, durch die Notwendigkeit der Kundmachung
der in das Börsenregister eingetragenen Namen aus verschiedenen Rück-
sichten (auf Beruf, Stellung, Geschäftskredit u. dergl.) von der Ein-
tragung sich abhalten lassen würden. Auf der anderen Seite sollte für
den so beschränkten Kreis der an dem Terminhandel beteiligten Personen
eine Sicherung gegen den bisherigen Differenzeinwand geschaffen werden.
Der Schaffung des Terminregisters lag also eine gesunde juristische und
volkswirtschaftliche Idee zu Grunde. Vor Erlaß des Börsengesetzes
hatte bekanntlich eine erhebliche und lebhaft beklagte Rechtsunsicherheit
infolge der verschiedenen Handhabung des Differenzeinwandes in der
Praxis der Gerichte geherrscht, eine Rechtsunsicherheit, die aber um so
erklärlicher war, als es außerordentlich schwierig war, mit dem Differenz-
einwand in der Praxis zu operieren. Handelte es sich dabei doch um
die Interpretation des oft zweifelhaften und schwer erkennbaren
Willens der Parteien, um die Subsumierung eines Rechtsgeschäftes,
des Kaufes, unter die Kategorie eines anderen, nämlich eines Spiel-
geschäftes. Nunmehr sollte das Kriterium für die Giltigkeit und Un-
giltigkeit des Geschäftes nicht mehr in der Natur der Geschäfte selbst,
sondern in der Person des Abschließenden und in einem äußerlich hervor-
tretenden Merkmale dieser Person, nämlich in der Eintragung in das
Register, gefunden werden. Der Zweck des Börsenregisters war also,
öffentlich festzustellen, wer mit Börsentermingeschäften zu thun haben
will, durch den Registerzwang sollte die Beteiligung der outsiders am
Termingeschäft soweit wie möglich ausgeschlossen werden. Gerade dies
war der Zweck des Registers, den es um so besser erfüllte, je weniger
darin standen !). Denn durch die Beseitigung der Beteiligung der outsiders
sollte dem Termingeschäfte seine volkswirtschaftlich gefährliche Seite
genommen werden. Bekanntlich ist diese gesetzgeberische Schöpfung
und die ihr zu Grunde liegende Idee durch die Haltung der Börse
ruiniert worden. Von Anfang an unternahmen es die beteiligten Börsen-
kreise, die von einer Beschränkung des Kreises der an der Spekulation
Beteiligten nichts wissen wollten, das Gesetz illusorisch zu machen.
Man gab die Parole aus, das Terminregister sei ein Spielregister. Die-
1) Vergl. Wiedenfeld, Die Organisation des deutschen Getreidehandels bei Schmoller,
Jahrbuch für Gesetzgebung ete., 24. Jahrgang, 1900, S. 156/187.
806 Nationalökonomische Gesetzgebung.
jenigen Kreise, die eine offene Gesetzesverletzung scheuten, verschanzten
sich dabei hinter den dialektischen und spiegelfechterischen Einwand,
das Gesetz habe die Eintragung ja nicht vorgeschrieben, vielmehr nur
an die Nichteintragung Nachteile geknüpft, während doch zweifellos der
Wille des Gesetzes dahin ging, daß die börsenmäligen Termingeschäfte
nur unter Eingetragenen stattfinden sollten. Zur Begründung ihrer ab-
lehnenden Haltung gegenüber dem Register wurde von den Börsenkreisen
in erster Linie auf die Abneigung der Provinzialbankiers und des Privat-
publikums gegen die Eintragung hingewiesen, deren Fernbleiben vom
Terminregister die eigene Eintragung wirkungslos und wertlos mache.
Ganz abgesehen davon, daß die Haltung dieser Elemente eine natürliche
Konsequenz der ablehnenden Stellung der hauptstädtischen Börsenkreise
war, verkannte man geflissentlich, daß es ja eben der Zweck des Ge-
setzes war, gewisse Kreise des Privatpublikums, die ihrer sozialen und
wirtschaftlichen Stellung nach sich nicht an der Terminspekulation be-
teiligen sollen, fernzuhalten. Mit der ablehnenden Haltung dieser Kreise
durfte man also in keinem Falle die eigene Stellungnahme rechtfertigen.
Mit einer durch die Parteileidenschaft genährten Agitation brachte man
es denn zustande, auch diejenigen Kreise des Privatpublikums von der
Eintragung abzuschrecken, die ihrer wirtschaftlichen Stellung und Einsicht
nach sehr wohl in der Lage sind, Termingeschäfte abzuschließen. Unter
diesen Umständen, und da die berufsmäligen Börsenkreise für die
unter sich geschlossenen Börsentermingeschäfte der durch die Ein-
tragung erlangten Rechtsgarantie deshalb entbehren zu dürfen glaubten,
weil die Sorge für den eigenen Kredit als stark genug angesehen wurde,
um die Rechtsgenossen auch ohne Eintragung zu zwingen, ihre ein-
gegangenen Verpflichtungen zu erfüllen, wurde fast allgemein seitens
der Börsenkreise von der Eintragung Abstand genommen. Es hatte
daher auch nur geringe Bedeutung, daß die in der sogenannten Stempel-
vereinigung vereinigten Großbanken, von wenigen Ausnahmen abgesehen,
sich alsbald eintragen ließen. Denn gerade diese einflußreichen Kreise haben
es bis auf die allerneueste Zeit an einem Druck auf ihre Rechtsgenossen
im Sinne der Eintragung fehlen lassen. Die geringe Zahl von Ein-
tragungen in das Börsenregister lähmte aber das Termingeschäft, ins-
besondere mit auswärtigen Kunden. Infolgedessen wurden für den
Terminverkehr mit den Privatkunden, teilweise auch für den Termin-
verkehr an der Börse, andere Geschäftsformen gleicher Art an Stelle des
in $ 48 definierten Börsentermingeschäftes eingeführt, unter denen das
sogenannte handelsrechtliche Lieferungsgeschäft die erste Stelle einnahm.
Die Möglichkeit hierzu entnehmen die Beteiligten aus der mangelhaften
Fassung der Bestimmungen des Gesetzes. Der $ 66 des Börsengesetzes
spricht nämlich die Unwirksamkeit von Börsentermingeschäften, für die
nicht beide Teile in das Terminregister eingetragen sind, seinem
Wortlaut nach lediglich für Börsentermingeschäfte aus, und
diese letzteren sind in dem diesem Abschnitt des Börsengesetzes voran-
gestellten $ 48 in einer allgemeinen Formulierung definiert, Diese
Legaldefinition, welche als Merkmale des Börsentermingeschäftes 1) eine
festbestimmte Lieferungszeit, 2) das Vorhandensein amtlich festgestellter
Nationalükonomische Gesetzgebung. 807
Geschäftsbedingungen, 3) das Vorhandensein einer amtlichen Termin-
notiz aufstellt, ist eine viel zu enge und wird den Zwecken des Gesetz-
gebers nicht gerecht. Ohne auf diese Frage an dieser Stelle näher ein-
zugehen, soll hier nur folgendes hervorgehoben werden. Vertehlt ist
jedenfalls das in dieser Definition aufgestellte Merkmal der amtlichen
Festsetzung des Börsenpreises und der amtlichen Feststellung der
Geschäftsbedingungen. Wesentlich ist vielmehr lediglich der Abschluß
nach typischen Geschäftsbedingungen hinsichtlich der wesentlichsten
Teile des Geschäftes, die also keineswegs nur durch amtliche Festsetzung,
vielmehr auch durch private Vereinbarung, ja sogar durch faktische
Uebung festgestellt sein können; wesentlich ist ferner das Vorhandensein
eines breiten und stetigen Marktes für diese Geschäfte, und als dessen
Ausdruck die öffentliche Bekanntgabe der Preise; aber die Konjunktur
wird ebenso wie durch ein offizielles Kursblatt, auch durch Bekannt-
gabe der Preise vermittelst eines angesehenen privaten Kursblattes zum
Ausdruck gebracht!). Diese Mängel der gesesetzlichen Detinition machte
sich nun die Börse zu nutze, indem sie statt der der gesetzlichen
Definition entsprechenden Börsentermingeschäfte Geschäfte setzte, die
ihrer äußeren Rechtsform sich mit der Begriffsbestimmung der Legal-
definition nicht deckten, aber ihrem materiellen Inhalt und ihrer wirt-
schaftlichen Natur und Zweckbestimmung nach unter diejenigen Geschäfte
fielen, die der Gesetzgeber nur den in das Register eingetragenen
Personen mit Rechtswirksamkeit hat gestatten wollen. Man führte zu
diesem Zwecke Geschäftsbedingungen ein, die sich mit den für Börsen-
termingeschäfte bisher amtlich festgesetzten Bedingungen nicht deckten,
versuchte auch teilweise den auf Grund dieser Geschäfte abgeschlossenen
Geschäften den Fixcharakter zu nehmen, dadurch, daß man den Kunden
eine auf Verlangen zu gewährende Nachfrist einräumte. Das einzelne
auf Grund dieser Bedingungen abgeschlossene Geschäft wurde so seines
Charakters als Börsentermingeschäft im Sinne der angeführten Legal-
definition bis zu einem gewissen Grade entkleidet, aber für die Gesamt-
heit der auf Grund dieser Bedingungen abgeschlossenen Geschäfte blieben
die für das Vorhandensein des Börsenterminhandels charakteristischen
obengenannten Merkmale, der Abschluß nach typischen Geschäfts-
bedingungen und der breite und stetige Markt infolge der Massen-
haftigkeit des Abschlusses gleichartiger Geschäfte. Unter diesen
Umständen konnte das Reichsgericht in der Entscheidung vom 25. bezw.
28. Oktober 1899 mit Recht das handelsrechtliche Lieferungsgeschäft
als unter $ 66 des Börsengesetzes fallend erklären, womit der dadurch
beabsichtigte Zweck für die Beteiligten hinfällig wurde ?).
Im Anschluß an diese Entscheidung des Reichsgerichts, unter dem
Einfluß der hereingebrochenen Börsenkrisis des Jahres 1900, erfolgten
alsdann zahlreiche Zahlungsweigerungen und Prozesse, unter denen die-
1) Vergl. Weber in, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, II. Supplementhand,
1. Aufl. S. 242, Ehrenberg eod. I. Band, 2. Aufl. S. 1035, Experte Dr. Landesberger
in der österreichischen Enquete betr. Reform des börsenm. Terminhandels mit landwirt-
schaftlichen Produkten. Stenograph. Protokoll, IV. Gruppe der Experten, S. T2ff.
2) Vergl. Entscheidung des Reichsgerichtes in Civilsachen, Bd. 44, S. 105 ff,
808 Nationalükonomische Gesetzgebung.
jenigen besonderes Aufsehen erregten, in denen der Einwand des
Mangels der Eintragnng von Börsenhändlern erhoben wurde. Unter dem
Drucke dieser Verhältnisse unternahm die haute finance nunmehr
einen offenen Akt zu Gunsten der Registereintragung, indem die so-
genannte Stempelvereinigung den Beschluß kund gab, vom 15. Oktober
1900 ab nur noch mit eingetragenen Firmen Termingeschäfte abzuschließen.
Diese Malregel hatte zwar eine größere Zahl von hauptstädtischen Ein-
tragungen zur Folge, da aber die Provinzialbankiers und das Privat-
publikum ihren ablehnenden Standpunkt nicht mehr aufgaben, auch die
Mitglieder der Stempelvereinigung durch Abfall von Kunden Einbule
zu erleiden drohten, so wurde der Beschluß der Stempelvereinigung nach
17-tägiger Geltung wieder aufgehoben, und die bisherige Rechtslage
blieb seitdem unverändert.
Bereits vorher hatte aber seitens der Börsen und ihrer Sachwalter,
in Börsenblättern und in den mobil gemachten Handelskammern und
sonstigen kaufmännischen Vertretungen eine lebhafte Agitation zu
Gunsten einer Reform des Börsengesetzes Platz gegriffen, die ihren
hauptsächlichsten Ausdruck in Eingaben und Petitionen an den Reichs-
kanzler sowie an den Reichstag fand. Man verlangte die Aufhebung
oder Aenderung von gesetzlichen Bestimmungen, die derartige Rechts-
unsicherheiten hervorgerufen hätten, und die zu einer Untergrabung von
Treue und Glauben im Verkehr führen müßten, da sie es dem gewissen-
losen Spekulanten ermöglichten, unter Berufung auf das Gesetz sich
seinen Verpflichtungen zu entziehen, nachdem er auf der anderen
Seite Gewinne eingestrichen habe. Die Reformbestrebungen gingen ent-
weder ganz allgemein auf die Beseitigung des Terminregisters und
die Schaffung einer gesicherten Rechtsbasis für den Wertpapier-
handel, ohne daß man sich in dieser letzteren Richtung zu bestimmten
Vorschlägen entschloß. Dies war z. B. der Standpunkt der Eingabe der
Handelskammer zu Frankfurt a. M. und der Aeltesten der Kaufmann-
schaft von Berlin an den Reichskanzler. Oder aber — und dies war
die größere Mehrheit der Petenten — da man bei der gegenwärtigen
Parteikonstellation im Reichstag die Aussichtslosigkeit der Bestrebungen
auf die völlige Beseitigung des Registers zu erkennen glaubte, verlangte
man wenigstens die Außerkraftsetzung des Terminregisters für die im
Handelsregister Eingetragenen, so daß die Wirkungen, die das Börsen-
gesetz an die Eintragung in das Börsenregister knüpft, für die, welche
in das Handelsregister eingetragen sind, ohne weiteres eintreten sollten.
Damit wollte man den am allerschwersten empfundenen Uebelstand, die
Verweigerung der Erfüllung der Termingeschäfte wegen Nichteintragung
durch die Bürsenkreise selbst, aus der Welt schaffen. Im übrigen
wurden zur höheren Sicherung gegen den Differenzeinwand seitens des
Privatpublikums verschiedene Forderungen aufgestellt, wie Rechtswirk-
samkeit der für rechtsunwirksame Börsentermingeschäfte bestellten
Sicherheiten und abgegebenen Schuldanerkenntnisse (also Gleichstellung
dieser beiden Rechtsakte hinsichtlich der Rechtsgiltigkeit mit der auf
Grund des geltenden Gesetzes nach völliger Abwickelung des Geschäftes
geleisteten Zahlung), worauf später noch einzugehen sein wird.
Nationalükonomische Gesetzgebung. 809
Legen wir uns nun die Frage nach der Notwendigkeit von Re-
formen des Gesetzen auf diesem Gebiete vor, so ist allerdings nicht zu
verkennen, daß die gegenwärtigen Zustände in hohem Maße unerwünscht
und bedenklich sind. Ein wichtiger Zweig des Börsenhandels ist des
Rechtsschutzes völlig entkleidet, das öffentliche Rechtsgefühl und die
Moral werden durch das Verhalten gewissenloser Spekulanten, die sich
durch Berufung auf das Gesetz ihren Verpflichtungen entziehen, gekränkt.
Freilich, wie schon ausgeführt, ist für diese Zustände nicht sowohl das
Gesetz verantwortlich zu machen, wie dies seitens der Reformfreunde
allgemein geschieht; dieses trifft vielmehr nur soweit eine Schuld, als
es in der Fassung einzelner Bestimmungen unklar und unbestimmt war
und durch das Zurückweichen vor den äußersten Konsequenzen die
Umgehnng seiner Verbote zu leicht gemacht hat — Mängel aber, die
um so verzeihlicher waren, als es sich um den ersten Versuch einer
gesetzlichen Regelung der schwierigen Materie handelte Vielmehr
trifft, wie dies oben näher dargelegt, die schwerste Schuld die Börsen-
händler, die sich über die gesetzlichen Bestimmungen leicht hinweg-
gesetzt und sich die Schwächen des Gesetzes zu nutze gemacht haben,
dann aber, als sie die Folgen davon tragen sollten, daß sie sich außer-
halb des Gesetzes gestellt haben, das Gesetz selbst verantwortlich
machen.
Man könnte sich nun hinsichtlich der Reformfrage in Sachen des
Börsenregisters auf den strikten Standpunkt stellen 1): Solange die
Börsenkreise ihren Widerstand gegen das Terminregister nicht auf-
gegeben haben, ist man garnicht in der Lage, die notwendigen Er-
fahrungen über die Wirksamkeit des Gesetzes zu machen, und solange
diese nicht vorliegen, ist es verfrüht, an eine gesetzliche Beseitigung
des Registers oder sonstige Abänderung der bisherigen gesetzlichen
Bestimmungen zu denken. Es ist indessen nicht zu verkennen, daß,
wie die Dinge sich leider einmal gestaltet haben, es schwer halten wird,
den Widerstand gegen das Register in der Oeffentlichkeit zu brechen.
Eine Erzwingung der Eintragung, dadurch, daß man die Bestimmungen
des Gesetzes in anderer Weise verschärft und z. B. auch die Zurück-
forderung der geleisteten Zahlungen aus Termingeschäften im Falle der
Nichteintragung zuläßt, könnte vielleicht in Erwägung gezogen werden.
So notwendig aber, wie sich aus dem Verhalten der Bürse heraus-
gestellt hat, solche Bestimmungen zur Durchführung des Gesetzes von
vornherein gewesen wären?), so können sie doch zur Zeit nicht mehr
empfohlen werden. Nach der herrschenden Meinung der in Betracht
kommenden Kreise ist nun einmal eine levis nota mit der Eintragung
verbunden, und man würde auch im Falle der Verschärfung des Ge-
setzes alle Hebel daran setzen, um der Eintragung zu entgehen. Eventuell
würde, wozu der Anfang schon gemacht worden ist, der ganze Termin-
handel in das Ausland abgelenkt werden,
1) Verl. Freund, Zur Reform des Börsengesetzes. „Deutsche Juristenzeitung“, 1900,
S. 457 ff.
2) Vgl. in dieser Richtung auch die Aeußerung des Experten Prof. Karl Adler
in der Oesterr. Börsenenquete (Protok., IHI. Gruppe, S. 539).
810 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Sonach muß an eine andere Art der Reform gedacht werden. Jede
Reform muß aber die von dem Börsengesetzgeber mit dem Register
verfolgten, sogar von den wärmsten Freunden der Börse als berechtigt
und nützlich anerkannten Zwecke im Auge haben: auf der einen Seite
Scheidung des berechtigten und unberechtigten Terminhandels, Ver-
schließung der Pforte, durch die das Privatpublikum den Einfluß zu
dem sozial verhängnisvollen Börsenspiel gewinnen kann, auf der anderen
Seite Sicherung des berechtigten Terminhandels, insbesondere vor der
Antechtung durch den Spieleinwand, wie er durch die frühere Gerichts-
praxis und im Anschluß daran durch $ 764 des Bürgerlichen Gesetz-
buches herausgebildet worden ist.
Beurteilt man die bisherigen Reformvorschläge unter diesem Gesichts-
punkte, so stellen sie sich als ungeeignet und unzureichend heraus, um
dieses gesetzgeberische Ziel zu erreichen, wie im einzelnen jetzt be-
sprochen werden soll.
In erster Linie ist vorgeschlagen worden, wie bereits erwähnt,
„die im Handelsregister eingetragenen Kaufleute und Gesellschaften von
der Eintragung in das Terminregister auszunehmen und das Termin-
register nur noch für die nicht im Handelsregister eingetragenen Per-
sonen bestehen zu lassen“. Danach würden allerdings die Termin-
geschäfte zwischen den im Handelsregister eingetragenen Kaufleuten
auf eine sichere Rechtsgrundlage gestellt werden, insofern der Differenz-
einwand hier ebenso wie bei den ins Terminregister eingetragenen Kauf-
leuten ausgeschlossen sein würde. Indessen würde die Durchführung
dieses gesetzlichen Vorschlags zur Folge haben, daß dte Namen der
großen und ausgezeichneten Firmen aus dem Terminregister verschwinden,
und das letztere würde thatsächlich zu einer Spieler- und Spekulanten-
liste heruntersinken, in die ein anständiger Mann sich nicht eintragen
lassen könnte. Einer derartigen weiteren Diskreditierung des Registers
kann nun unmöglich das Wort geredet werden, da damit jede Möglich-
keit beseitigt würde, daß in der Zukunft der Widerstand gegen das
Register vielleicht doch noch einmal aufgegeben würde. Ueberdies
würde an den nachteiligen Zuständen, die das bisherige Scheitern der
Bestimmungen über das Register zur Folge hatte, im Verhältnis zwischen
Börsenhändlern und Privatpublikum, soweit das letztere nicht im Handels-
register eingetragen ist, nicht das mindeste geändert. Die Börsen-
händler würden auch ferner, wie bisher, mit nicht eingetragenen Privat-
kunden gegen den Willen des Gesetzes Börsentermingeschäfte ab-
schließen, und die Privatkunden würden auch ferner, namentlich in
Zeiten wirtschaftlicher Krisen, die Zahlung unter Berufung auf die
Nichteintragung verweigern, was neue Klagen über den Niedergang von
Treue und Glauben im Börsenverkehr zur Folge haben würde.
Noch ein ferneres gewichtiges Bedenken spricht aber auch gegen
den Vorschlag, die Termingeschätte der im Handelsregister eingetragenen
Kaufleute ohne jede Kautel mit unbeschränkter Klagbarkeit auszu-
statten. Zweitellos sind im Handelsregister eine große Anzahl kleinerer
Gewerbetreibender eingetragen, auf welche die von dem Gesetz bei
Einführung des Registers verfolgte Tendenz, gewisse Kategorien von
Nationalökonomische Gesetzgebung. 811
Rechtsgenossen vom Terminhandel fernzuhalten, ebenso zutrifft, wie auf
das nicht im Handelsregister eingetragene Publikum. Diese Personen
würden mit der gesetzlichen Aenderung der gesetzlichen Fürsorge ver-
lustig gehen.
Nicht mindere Bedenken bestehen aber auch gegen diejenigen
Reformpläne, die, nach einer von dem Kommissar des preußischen
Handelsministers in der Sitzung der Petitionskommission des Reichstags
vom 27. Februar 1901 abgegebenen Erklärung, im preußischen Handels-
ministerium gehegt wurden !). Danach will allerdings die preußische
Regierung der Forderung, daß die Eintragung im Handelsregister der
im Börsenregister gleichgestellt werden solle, nicht zustimmen, weil dies,
wie oben ausgeführt, zu einer mehr oder minder vollständigen Be-
seitigung des Bôrsenregisters und damit zur Durchbrechung einer der
grundlegenden Bestimmungen des Börsengesetzes führen würde. Dafür
soll ein Auskunftsmittel getroffen werden, welches das Register lebens-
fähig machen soll, indem es die Börsenhändler veranlaßt, sich eintragen
zu lassen, andererseits aber auch den Wünschen der Börsenhändler auf
größere Rechtssicherheit entgegenkommen soll. Es soll nämlich den
im Handelsregister Eingetragenen, und ferner denjenigen, welche berufs-
oder gewerbsmälig Börsen- oder Bankiergeschäfte betreiben, auch wenn
sie nicht ins Börsenregister eingetragen sind, gegenüber den Klagen
der ins Börsenregister Eingetragenen bei Ansprüchen aus Börsentermin-
geschäften die Berufung darauf versagt sein, daß sie selber nicht ins
Börsenregister eingetragen sind.
Diese Neuerung würde, wenn sie zum Gesetz erhoben würde, aller-
dings eine vermehrte Zahl von Eintragungen im Terminregister zur
Folge haben. Denn es würde nunmehr für den Bankier die eigene Ein-
tragung im Terminregister von Nutzen sein, nämlich gegenüber den-
jenigen Kunden, die im Handelsregister eingetragen sind oder gewerbs-
bezw. berufsmäßig Börsen- oder Bankiergeschäfte betreiben, während
sie unter den gegenwärtigen Verhältnissen für ihn zwecklos ist, weil
keine Aussicht besteht, daß die Privatkunden sich eintragen lassen.
Andererseits stehen dieser Neuerung Bedenken gleicher Art, wie sie bei
dem früheren Vorschlag auseinandergesetzt sind, entgegen. Es ist oben
bereits ausgeführt worden, warum es sich nicht empfiehlt, ohne weiteres
mit denjenigen Schranken aufzuräumen, durch welche die im Handels-
register eingetragenen Personen vom Terminhandel ferngehalten werden.
Das gleiche trifft für den vorliegenden Vorschlag zu.
Auf Grund des letzteren soll aber darüber hinaus noch hinsichtlich
einer weiteren Kategorie von Personen das in der Klanglosigkeit der
mit ihnen geschlossenen Geschäfte liegende Hindernis für ihre Beteili-
gung am Terminhandel beseitigt werden, wogegen die früher erhobenen
Bedenken in verstärkten Maße geltend zu machen sind. Es sind dies
die gewerb- oder berufsmäßig Bank- oder Börsengeschäfte betreibende
1) Vgl. 16. Bericht der Kommission für die Petitionen No. 223 (10. Legislatur-
periode, II. Session, 1900/1901), Berichterstatter Abgeordneter Toennies; vgl. auch
„Vossische Zeitung“ No. 165 vom 10. IV. 1901.
812 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Personen, welche den ins Handelsregister Eingetragenen gleichgestellt
werden sollen. Die Bedeutung dieser Bestimmung wird allerdings in
erster Linie von der Auslegung abhängen, die die Gerichte, speciell das
Reichsgericht, dem Begriffe „gewerbemäßiger Betrieb von Börsenge-
schäften“ geben würden. Wird für den Begriff der Gewerbemäligkeit
erfordert, daß die betr. Person dem Publikum gegenüber als Ge-
schäftsmann hervortritt, wird also als ein dem Begriffe der Gewerbe-
mäßigkeit immanentes Merkmal die Offenkundigkeit des Geschäfts-
betriebs erachtet, so gehören zu denjenigen, die gewerbemäßig Börsen-
geschäfte betreiben, nicht die Spekulationskunden der Bankiers, wie
Aerzte, Richter, Landwirte, Anwälte u. s. w., auch wenn sie ständig
in Wertpapieren spekulieren, da nur ihr Bankier darum weiß. Anders
aber, wenn von diesem Merkmal in der Praxis abgesehen und die Ge-
werbemäligkeit bereits in der Absicht der dauernden Thätigkeit zum
Zweck der Gewinnerzielung erblickt wird. Alsdann würde allerdings
die gesamte Spekulationskundschaft von jenem Begriff umfaßt werden,
und die Lage des Bankiers würde rechtlich um so gesicherter sein, je
mehr der Kunde bei ihm spekuliert und damit die Absicht an dem Tag
gelegt hat, aus der Spekulation einen dauernden Gewinn zu erzielen !).
Aus der neuen Bestimmung würde also dem Börsenhändler zwar
der Vorteil größerer Rechtssicherheit erwachsen, sie würde aber zweifel-
los den Nährboden für eine vermehrte Verleitung des Privatpublikums
zur Spekulation abgeben, ohne daß hiergegen eine Schranke anderer
Art bestehen würde, wie sie vor der Zeit des Börsengesetzes wenigstens
in dem stets drohenden Differenzeinwand existierte. Damit würde aber
an der wichtigsten Tendenz des Börsengesetzes, die nach den Erklä-
rungen der maßgebenden Faktoren intakt erhalten werden soll, gerüttelt
werden.
Im übrigen erhellt freilich aus den Aeußerungen des Regierungs-
vertreters noch nicht, ob gegenüber den Ansprüchen der im Termin-
register Eingetragenen den im Handelsregister Eingetragenen und den
ihnen gleichgestellten Personen lediglich der Einwand der mangelnden
Eintragung oder auch der Einwand des Spiels gemäß $ 764 B.G.B.
genommen werden soll, wie dies letztere durch $ 69 des Börsengesetzes
hinsichtlich derjenigen Ansprüche aus Börsentermingeschäften geschehen
ist, bei denen beide Kontrahenten in das Terminregister eingetragen
sind. Von unserem Standpunkte aus bleibt es jedenfalls dringend zu
erwünschen, daß mindestens das Sicherheitsventil des Spieleinwands
$ 764 B.G.B. den genannten Personen erhalten bliebe, also der $ 69
des Bürsengesetzes auf sie nicht ausgedehnt würde.
Noch fernere Bedenken rechtlicher Art ergeben sich aus der ge-
planten Bestimmung. Zunächst würde sie eine höchst unerwünschte
Bresche in das Rechtssystem der börsengesetzlichen Bestimmungen legen
1) Vergl. zu dieser Rechtsfrage Staub, Kommentar zum H.G.B. 6./7. Aufl. § 1
Anm. 19 und 29, Cosack, Lehrb. des Handelsrechts (5. Aufl.) § 7, S. 25. — Die An-
sicht des Reichsgerichts neigt jetzt anscheinend mehr dazu, von dem Merkmal der Offen-
kundigkeit abzusehen (vergl. Staub a. a. O. Anm, 29). Vergl. auch Vossische Zeitung
vom 10. IV. d. J. No. 165.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 813
und damit sicher zu neuen Zweifeln und Unklarheiten Anlaß geben
würde. Nach $ 66 des Börsengesetzes wird durch ein Börsentermin-
geschäft, bei welchem nicht beide Parteien zur Zeit des Geschäfts-
schlusses in dem Börsenregister eingetragen sind, ein Schuldverhältnis
überhaupt nicht begründet. Theorie und Praxis stimmen darin über-
ein, daß die Ungiltigkeit von Amtswegen berücksichtigt werden muß,
keine der Parteien daher auf diese Berücksichtigung verzichten kann!).
Zu dem Inhalt des $ 66 und zu jener Auslegung würde die geplante
Abänderungsbestimmung in direkten Gegensatz treten, denn sie unter-
stellt ihrer Fassung nach, daß das Termingeschäft, bei dem nicht beide
Parteien eingetragen sind, nicht ohne weiteres ungiltig ist, und sie be-
handelt die Berufung auf die Nichteintragung lediglich als einen Ein-
wand, der im speciellen Fall durch gesetzliche Bestimmung ausgeschlossen
wird. Sodann würde die geplante Neuerung aber auch sonstige schwere
Nachteile für die im Handelsregister eingetragenen und die ihnen gleich-
gestellten Personen zur Folge haben, denn bei einer Klage eines im
Terminregister eingetragenen Börsenhändlers gegen sie würde ihnen
selbst die Berufung auf ihre Nichteintragung versagt sein, während
bei Erhebung eines Gegenanspruchs oder einer Widerklage von ihrer
Seite der klagende Börsenhändler sich mit Erfolg darauf berufen könnte, daß
der den Gegenanspruch oder die Widerklage Erhebende nicht im Termin-
register eingetragen ist, der Gegenanspruch also rechtsungiltig ist. Dies
sind schon Konsequenzen, die zu einer Verwerfung des handelsministe-
riellen Vorschlages führen müssen. Hinsichtlich der Börsentermingeschäfte
mit dem sonstigen Privatpublikum, würde übrigens, ebensowenig wie
bei Durchführung des früher besprochenen Vorschlages, auch bei An-
nahme der vorliegenden Vorschläge etwas an dem bestehenden Zustande
geändert werden.
Ein fernerer Reformvorschlag will, wie bereits hervorgehoben, den
für rechtsunwirksame Börsentermingeschäfte bestellten Sicherheiten und
abgegebenen Schuldanerkenntnissen Rechtswirksamkeit verschaffen. Dieser
Vorschlag stellt sich auf den Boden der gegenwärtigen Verhältnisse
und rechnet damit, daß auch ferner zwischen Personen, die nicht im
Terminregister eingetragen sind, rechtsungiltige Termingeschäfte abge-
schlossen werden. Der $ 66 Abs. 4 des Börsengesetzes bestimmt, daß
auch bei dem mangels Eintragung eines oder beider Kontrahenten un-
wirksamen Börsentermingeschäft eine Rückforderung dessen, was nach
völliger Abwickelung des Geschäftes zu seiner Erfüllung geleistet ist,
nicht stattfindet. Der erwähnte Vorschlag will also die beiden er-
wähnten Rechtsakte hinsichtlich ihrer Giltigkeit der Zahlung nach Ab-
wickelung gleichstellen, dergestalt, daß durch das Schuldanerkenntnis
die an sich ungiltige Schuld zu einer giltigen und klagbaren werden,
durch die Pfandsicherung Befriedigung in Höhe des Wertes des Pfand-
objektes aus der an sich ungiltigen Schuld erlangt werden könnte,
1) Vergl. Staub, Kommentar zum H.G.B. 6. und 7. Aufl. Exkurs zu § 376
Anim. 22 und R.G. vom 8. Juli 1509 bei Holdheim, Bd. 8, S. 247,
814 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Wie bereits früher ausgeführt !), kann diesem Vorschlage höchstens,
soweit er sich auf die Schuldanerkenntnisse bezieht, beigestimmt werden.
Denn hier handelt es sich um einen Rechtsakt, der nach Entstehung
der Schuld aus freien Stücken vorgenommen wird. Dagegen würde es
zu weit gehen, wenn Sicherheitsleistungen von vornherein rechtswirksam
sein sollten; denn diejenigen Personen, welche mangels der erforder-
lichen Voraussetzungen Börsentermingeschäfte auch in Zukunft rechts-
wirksam nicht abschließen können, befinden sich bei Bestellung der
Sicherheit über die Tragweite des eingegangenen Risikos oft im Un-
klaren, die Unerfahrenen sollen aber gerade geschützt werden?) Aus
diesem Grunde verhält sich dann auch die preußische Regierung diesem
Vorschlage gegenüber nach beiden Richtungen hin ablebnend und er-
achtet lediglich die Einführung kürzerer Präklusivfristen für die An-
fechtung von Anerkenntnissen und die Rückforderung bestellter Sicher-
heiten für erwägungswert, womit man sich gleichfalls einverstanden
erklären könnte.
Aus dieser Uebersicht ergiebt sich Folgendes.
Die dargelegten bisherigen Vorschläge für die Abänderung der
börsengesetzlichen Bestimmungen sind teils direkt abzulehnen, wie die
Gleichstellung des Handelsregisters mit dem Terminregister oder die
Versagung der Berufung auf die Nichteintragung in das Terminregister
für die in das Handelsregister eingetragenen oder die ihnen gleich-
gestellten Personen, teils sind sie zwar diskutabel, und können nach
gewissen Richtungen eine Besserung der bisherigen Zustände herbei-
führen, sind aber jedenfalls ungeeignet zur Erreichung der oben ange-
führten Ziele, die der Gesetzgeber, wenn er das soziale Uebel an der
Wurzel treffen will, erstreben muß. Diese sind Schutz der Unerfahrenen
und Fernhaltung aller derjenigen, denen eine wirtschaftliche Berechti-
gung zum Abschluß von Termingeschäften nicht zuerkannt werden kann,
auf der einen Seite — Sicherung der wirtschaftlich berechtigten Termin-
geschäfte gegen jede Anfechtung auf der anderen Seite. Mit dem Ter-
miuregister kann aus den oben dargelegten Gründen bei der heutigen
Lage der Verhältnisse dieses Ziel nicht erreicht werden. Man wird
sich also über kurz oder lang zu einer Opferung dieser Institution ent-
schließen müssen. Dafür wird das zu erstrebende Ziel für den Termin-
handel in Effekten nach folgenden Gesichtspunkten vielleicht zu erreichen
sein. Berechtigt ist der Terminhandel im allgemeinen zwischen den be-
rufsmäßigen Börsenhändlern, wobei man notwendig in den Kauf nehmen
muß, daß auch hier wirtschaftlich unberechtigte Geschäfte vorkommen.
Man entschließe sich also, alle an der Börse oder auch sonst von be-
rufsmäßigen Börsenhändlern geschlossenen Geschäfte ohne weiteres für
klagbar zu erklären. Dies erfordert die Sicherheit des Börsenverkehrs,
es muß, wie Grünhut es bezeichnet hat3), für diese Geschäfte, analog
dem früheren „Messezwang“, der „Börsenzwang“ bestehen, ohne daß der
1) Freund in der Deutschen Juristenztg. 1900, S. 489/490,
2) So der preuß. Regierungsvertreter in der Reichstagskommission a. a. O.
3) Vergl. Protokoll der österr, Enquetekommission IX. Gruppe, S. 626.
Nationalükonomische Gesetzgebung. 815
Differenzeinwand zulässig ist, ohne Unterschied, ob die Parteien einen
Kauf, Verkauf oder ein Spiel beabsichtigt haben!), Die Bürsentermin-
geschäfte und die ihnen wirtschaftlichen gleichstehenden Geschäfte mit
allen übrigen Personen behandele man ausnahmslos präsumtiv als un-
wirtschaftlich und darum als absolut wirkungslos. Die Widerlegung
dieser Präsumtion wird lediglich darin gefunden werden dürfen, daß
der Nichtbörsenhändler zur Zeit der Eingehung des Termingeschäftes
seiner ökonomischen Lage nach als wirtschaftlich berechtigt gelten
konute, Börsentermingeschäfte zu schließen. Hierfür giebt es aber nur
ein schlagendes und in allen Fällen klar erkennbares Kriterium, näm-
lich, daß von dem Auftraggeber bei Eingehung jedes Geschäfts eine
für die effektive Erfüllung des Geschäftes genügende
Deckung (etwa 20—25 Proz. des betr. Wertobjekts) bei dem Gegen-
kontrahenten bar eingezahlt worden ist. Es ist zuzugeben, daß eine
solche Bestimmung eines gewissen Formalismus, insbesondere, wenn der
Auftraggeber eine notorisch reiche Persönlichkeit ist, nicht entbehrt.
Im Interesse klarer Rechtsverhältnisse wird aber dieser Formalismus in
Kauf zu nehmen sein ?). Ist eine derartige Einzahlung nicht erfolgt,
so muß das Geschäft naeh jeder Richtung als wirkungslos behandelt
werden. Erfahrungen, die man mit dem Börsenregister gemacht hat,
haben nun gezeigt, daß, wenn man vor den äußersten gesetzgeberischen
Konsequenzen zurückscheut, Umgehungen des Gesetzes seitens der
Börsenhändler Thor und Thür geöffnet ist. Soll das Gesetz also nicht
wiederum „ein Blatt Papier“ bleiben, so wird man nicht davor zurück-
schrecken dürfen, den Abschluß von Börsentermingeschäften mit solchen
Personen, die die angegebene Einzahlung nicht leisten, mit kriminellen
Strafen zu bedrohen und die Rückforderung des zur Erfüllung solcher
Geschäfte Geleisteten unbeschränkt zuzulassen. Dafür soll aber jedes
den gesetzlichen Bestimmungen entsprechende Geschäft rechtswirksam
und jeder Anfechtung durch den Spieleinwand entzogen sein.
1) Auf nähere Einzelheiten, sowie auf sonstige Fragen, die sich hierbei erheben
könnten, soll zur Zeit nicht weiter eingegangen werden. Sie bleiben einer späteren
Zeit vorbehalten.
2) Ein ähnlicher Vorschlag ist bereits von dem Abgeordneten Tönnies in dem
Bericht der Petitionskommission des Reichstags und von mir noch früher in der Sitzung
der Juristischen Gesellschaft vom 6. Februar d. J. vorgebracht worden.
916 Miszellen.
Nachdruck verboten.
Miszellen.
XI.
Die Entwickelung der Hamburg-Amerika Linie
von 1847 bis 1901’).
Von Dr. K. Thiess in Page
$ 1. Unter der Firma „Hamburg- Amerikanische Packetfahrt-
Aktiengesellschaft“ ist eine Aktiengesellschaft errichtet, welche ihren
Sitz in Hamburg hat. Die Gesellschatt ist befugt, Zweigniederlassungen
und Agenturen an allen ihr geeignet erscheinenden Plätzen zu errichten.
Die Gesellschaft zeichnet alle diejenigen Schriftstücke und Ankün-
digungen, bei denen es nicht des Gebrauchs der vollen Firma der Ge-
sellschaft bedarf, unter der abgekürzten Bezeichnung „Hamburg-
Amerika Linie.
$ 2. Der Zweck der Gesellschaft: ist der Betrieb einer Rhederei
und solcher Handelsgeschäfte, welche dem Rhedereibetrieb oder dem
Reiseverkehr dienlich erscheinen.
So besagt das Statut der am 27. Mai 1847 begründeten großen
Hamburger Schiffahrtsgesellschaft, deren Flotte an Tonnengehalt gegen-
wärtig jede andere Rhederei der Welt überragt und deren Aufsteigen
für die gesamte Entwickelung der deutschen Schiffahrt und des deutschen
Außenhandels von bahnbrechender Bedeutung geworden ist,
Seit der Befreiung der Vereinigten Staaten von Amerika hatte der
transatlantische Verkehr einen großen Aufschwung genommen; die Aus-
wanderung wuchs besonders in den 20er und 30er Jahren des 19. Jahr-
hunderts, und der zunehmende Personenverkehr stellte an Schnelligkeit und
Komfort der Schiffe größere Ansprüche. Gleichwie auf dem Lande mit
Einführung der Eisenbahnen wurde auch auf dem Wasser das Bedürfnis
nach Einrichtung regelmäßiger Schiffahrtslinien empfunden. Zunächst
standen die Amerikaner und Engländer in dem transatlantischen Ver-
kehr weit voran. Deutschlands Handelsflotte gehörte bis um die Mitte
1) Litteratur: R. Landerer, Geschichte der Hamburg-Amerikanischen Packet-
fahrt-Aktien-Gesellschaft (Jubiläumsschrift), Leipzig 1897. — Jahresberichte der
H:amburg-Amerika Linie.
Miszellen. 817
des 19. Jahrhunderts überwiegend der Ostsee an. Die deutsche Hoch-
seeschiffahrt konnte sich von der schweren während der Kontinental-
sperre erlittenen Einbule erst langsam wieder erholen. 1840 erfolgte
in England durch Stephan Cunard die Einrichtung einer staatlich sub-
ventionierten großen Dampferlinie. Die Amerikaner unterhielten seit
1828 einige Jahre hindurch nach Hamburg eine Seglerlinie, später nach
Bremen und Havre regelmäßige Dampferlinien. In Deutschland ging
der Seeverkehr nach Nordamerika in den 40er Jahren überwiegend-
über Bremen, während Hamburg nach Westindien und Südamerika seine
hauptsächlichsten Beziehungen hatte. Doch waren diese Beziehungen
sehr viel weniger entwickelungsfähig als die nach Nordamerika, und es
wurde für Hamburg eine Lebensfrage, sich an dem riesig anschwellenden
Güter- und Personenverkehr nach den Vereinigten Staaten einen ent-
sprechenden Anteil zu sichern.
Dazu gehörte die Einrichtung regelmäßiger Fahrten zwischen Ham-
burg und New York, die Einstellung schnellfahrender und gut einge-
riehteter Schiffe, die zur Beförderung der Auswanderer besonders
passend waren und den schlechten Ruf, den gelegentliche Auswanderer-
transporte über Hamburg mit ungeeigneten Schiffen erlangt hatten, be-
seitigen konnten. Das wurde von einigen Hamburger Kaufleuten, den
Gründern der „Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Aktiengesellschaft“
richtig erkannt. Unter den Begründern werden der Schiffsmakler
August Bolten, der erste Direktor Ad. Godeffroy, der Kaufmann Ernst
Merck, die Rheder Ferd. Laeisz und Carl Woermann als besonders
verdienstvoll genannt. Sie begründeten am 27. Mai 1847 die Gesell-
schaft zu dem Zweck, eine regelmäßige Verbindung Hamburgs mit
Nordamerika (zunächst mit New York) mittels Segelschiffen unter Ham-
burger Flagge herzustellen. Die nötigen Schiffe sollten, soweit das
Kapital dazu reichte, gebaut und gekauft, anderenfalls auch gechartert
werden. Durch Ausgabe von 62 Aktien kam ein Kapital von 310 000 M.
Bco. (465000 Reichsmark) zusammen. In den ersten Jahren wurden
die Aktien ausschließlich an Hamburger Staatsbürger abgegeben, weil
man durch diese Beschränkung die Befreiung vom Stader Zoll erreichte.
Unter „Packetfahrt“ verstand man zur Zeit der Namengebung der
Gesellschaft allgemein den regelmäßigen Schiffsverkehr zwischen zwei
Häfen zur Beförderung von Stückgütern, Packeten und Postsachen. Als.
das Wort außer Uebung kam, legte sich die Gesellschaft die kürzere
und weniger mißverständliche Bezeichnung „Hamburg-Amerika Linie“
bei, die jetzt immer allgemeiner gebraucht wird.
Alsbald nach der Gründung wurden drei tüchtige, solide und schnell
segelnde Schiffe bei Hamburger Werften in Auftrag gegeben. Zwar
fuhren zu jener Zeit schon Dampfer, aber noch Jahre lang war man in
Hamburg der Meinung, daß ein Dampferdienst ohne Regierungsunter-
stützung nicht aufrecht zu erhalten sein würde. Im Oktober 1848
wurden die beiden ersten Segler „Deutschland“ und „Nordamerika“ in
Dienst gestellt, Segler von 717 Registertonnen, mit Räumen für 200
Auswanderer und 20 Kajütspassagiere zu einem Preise von je 132000 M.
für die damalige Zeit große, komfortable und gern benutzte Schiffe, die
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI), 52
818 Miszellen.
durchschnittlich in 42 Tagen die Ausreise und in 30 Tagen die Rück-
reise machten und besonders musterhafte Auswandererräume hatten.
Die Jubiläumsschrift der Hamburg-Amerika Linie bemerkt aber von
ihnen mit Recht, daß sie noch den Carawellen des Kolumbus an Größe
und Art der Erscheinung viel näher standen als unseren heutigen
Schnelldampfern, daß also die größten Fortschritte in Schiffbau und
Schiffahrt erst in die wenigen Jahrzehnte des Bestehens der Gesellschaft
fallen. Im nächsten Jahre kamen zwei weitere Segler hinzu. Zunächst
war die Gesellschaft durch die mit dem dänischen Kriege verbundene
Blockade verhindert, die nach 1848 einsetzende starke Auswanderung
für sich auszunützen und hatte empfindliche Verluste zu erleiden. Die
nächsten Jahre waren günstiger, so daß schon 1851 und 1853 ein fünfter
und sechster größerer Segler beschafft werden konnten und vorüber-
gehend mehrere Schiffe zur Bewältigung des Auswandererverkehrs ge-
chartert werden mußten. Die 6 Segler maßen im ganzen 4000 Register-
tonnen und machten durchschnittlich im Jahr 3 Reisen nach New York und
zurück. Nun stieg in den folgenden Jahren außer dem Personen- auch
der Güterverkehr über den Ozean, die amerikanische Ausfuhr und der
Reiseverkehr nahmen erhebliche Dimensionen an und dadurch traten
die Vorzüge der 4 bereits bestehenden englischen und amerikanischen
transatlantischen Dampferlinien immer mehr hervor. Nachdem die
Leitung der Hamburger Rhederei eine Zeit lang gezweifelt hatte, ob
sie mit den sämtlich staatlich subventionierten Dampferlinien in Wett-
streit treten könne, entschloß sie sich doch schon Ende 1853 zum Bau
von 2 Dampfern.
Die Dampfer Borussia und Hammonia wurden 1854 in England
bestellt in Größe von je 2026 Registertonnen und für 12—121/, See-
meilen Geschwindigkeit. Die Mittel wurden durch Erhöhung des
Aktienkapitals auf 2 Mill. M. Bco. (Umwandlung der Namens- in In-
haberaktien, Ausgabe auch außerhalb Hamburgs) aufgebracht. Die
Schiffe wurden im Sommer 1855 geliefert und zunächst an die eng-
lische bezw. französische Regierung für Truppentransporte nach der
Krim vorteilhaft verchartert. 1856 wurden dann die Schiffe, die sich
durchaus bewährten, in die New Yorker Fahrt eingestellt, und seit Juni
1856 führte die Linie regelmäßige monatliche Fahrten ein. Auf der
New Yorker Fahrt wurde seither meistens je ein Hafen in England
(Southampton oder Plymouth) und in Frankreich (Havre, Boulogne oder
Cherbourg) angelaufen. Um die Verbindung zu einer l4-tägigen zu
machen, wurden noch im gleichen Jahre zwei weitere Dampfer bestellt.
In den nun folgenden Jahren wurde das Geschäft mit abnehmendem Er-
folge betrieben. Das Jahr 1858 brachte durch einen Frachtenkrieg mit dem
das Jahr zuvor begründeten Bremer Lloyd und durch Verbrennen eines
Dampfers empfindliche Verluste. Im Winter 1859/60 wurde der Betrieb
zum ersten Male den ganzen Winter hindurch aufrecht erhalten. Das
Jahr 1860 und die ihm folgenden brachten wieder günstigere Verhält-
nisse und steigende Dividenden. Einige neue Dampfer wurden beschafft,
daneben wurden auch die Segler, soweit sie nicht gelegentlich gechartert
wurden, in der New Yorker Fahrt verwandt. Ein Versuch, sie nach
Miszellen. 819
Quebec zu leiten, wurde bald wieder aufgegeben. Nach und nach wurden
aber die Segler verkauft, der letzte 1867,
Im Jahre 1865, als nach Beendigung des amerikanischen Bürger-
kriegs die Auswanderung und der Handel eine große Zunahme ver-
sprachen, wurde das Kapital erhöht, die Flotte auf 8 Dampfer ge-
bracht und der Bau eines eigenen Trockendocks in Hamburg beschlossen,
das 1870 in Betrieb genommen wurde Es folgten Jahre großer
Prosperität; 1866 wurden für den Sommer wöchentliche Expeditionen
nach New York eingeführt. Im Jahre 1867 wurden günstige Post-
verträge mit dem Norddeutschen Bund, den Vereinigten Staaten und
England abgeschlossen, und im gleichen Jahre wurde mit den älteren
Dampfern eine Linie nach New-Orleans und Havana ins Leben gerufen,
während in die Linie nach New York, wo die internationale Konkurrenz
immer schärfer wurde, wiederholt neue und schnellere Dampfer ein-
gestellt wurden.
Der Krieg von 1870 brachte nur für einige Monate eine voll-
ständige Unterbrechung des Betriebs. 1871 wurde eine Linie nach
Westindien mit zunächst monatlichen Abfahrten eingerichtet. Bei den
günstigen Aussichten wurde das Aktienkapital wieder erhöht und eine
ganze Anzahl von neuen Schiffen bestellt, darunter erstmalig einige
Dampfer in Deutschland. Nun aber entstand in der Gründerzeit auch
der Hamburg-Amerika Linie eine scharfe Konkurrenz. Die Hamburger
Adler-Linie wurde 1872 mit einem großen Kapital gegründet und trat
Ende 1873 in den Wettbewerb der New Yorker Fahrt ein. Im Jahre
1874 brachte ein scharfer Frachtenkampf beide Gesellschaften an den
Rand des Ruins und der Hamburg-Amerika Linie einen direkten Be-
triebsverlust von 11/, Mill. M. Die einsetzende Wirtschaftskrise ver-
schärfte den Kampf. Die Linie nach Westindien ergab gleichzeitig
ebenfalls Verluste, die nach New-Orleans mußte aufgegeben werden.
Jedoch war inzwischen die Adler-Linie vollständig zu Ende mit ihren
Kräften. Schon im April 1875 übernahm die Hamburg-Amerika Linie
deren gesamtes Inventar (darunter 6 Dampfer) gegen eine Vergütigung
von 5!/, Mill. 5-proz. Schuldverschreibungen und 7!/, Mill. neuer Stamm-
aktien. Durch die Uebernahme war aber das Kapital und die Flotte
der Linie zu groß geworden für eine zweckmälige Verwendung. Ver-
lustreiche Schiffsverkäufe, ungünstige Ergebnisse in Westindien und
wiederholte schwere Havarien brachten im Jahre 1876 ein Defizit von
31/, Mill zu Stande. Infolgedessen erfolgte eine Reduktion des
Aktienkapitals von 221/, auf 15 Mill. M., und dadurch wurde eine
Gesundung des Unternehmens bewirkt.
Im Jahre 1878 wurde nach 4 dividendelosen Jahren wieder ein
Gewinn erzielt. Die westindische Linie entwickelte sich günstig, und
es kam eine Anschlußlinie nach Mexiko hinzu. Als zu Anfang der
80er Jahre der Lloyd und die ausländischen Linien den Schnelldampfer-
dienst einführten, hielt man in Hamburg zunächst damit zurück, jedoch
wurden die Schiffe mit mehr Aufbauten für Passagiere versehen, neue
große Dampfer zugekauft, und seit 1881 zweimal in der Woche Ab-
fahrten nach New York eingeführt, im gleichen Jahr auch ein großer
52*
LL
820 Miszellen.
eigener Landungsplatz in New York beschafft. Nach einigen glück-
lichen Jahren brachte das Jahr 1883 den Untergang mehrerer Schiffe
und eine neue scharfe Konkurrenz im Auswanderer- und Frachtgeschäft
nach New York durch die Hamburger Carr-Linie. Die Zwischendeck-
und Frachtpreise wurden allmählich auf einen nie dagewesenen Tief-
stand gedrückt, und die Hamburg-Amerika Linie arbeitete wieder ohne
Gewinn, bis im Jahre 1886 eine Verständigung herbeigeführt wurde.
Zwei Direktoren der Carr-Linie traten zur Hamburg-Amerika Linie
über, darunter ihr jetziger Generaldirektor Alb. Ballin, der von nun an
in der Entwickelung der Gesellschaft die Führung übernahm und nach
allgemeinem Urteil an ihrer jetzigen Größe den hervorragendsten Anteil
hat. Mit der Carr-Linie und der Rhederei von Sloman in Hamburg
und auch mit den englischen u. a. Linien wurden in der Folge Abkommen
getroffen, welche dem unbegrenzten Preiskampf im Passagegeschäft und,
soweit die kontinentalen Linien in Fragekommen, auch im Frachtgeschäft
ein Ende machten.
Noch 1886 übernahm die Hamburg-Amerika Linie eine Linie
zwischen Stettin und New York. Mit Energie wurde an der Erneue-
rung der Flotte gearbeitet, alte Schiffe verkauft und neuere, trag-
fähigere gebaut. Im Jahre 1887 wurden auch die ersten Schnell-
dampfer, einer bei einer englischen Werft und der zweite bei dem
Stettiner Vulkan in Auftrag gegeben, in Größe von 7500 Register-
tonnen, 140 m lang, die ersten deutschen Dampfer mit Doppelschrauben,
mit Maschinen von 13 300 Pferdekräften. 1888 wurde eine Linie nach
Baltimore neu eingerichtet, die Abfahrten nach Westindien wurden
auf sechs im Monat erhöht. Die Carr-Linie ging ein und ihre Dampfer
wurden übernommen. Für den Ankauf der Schnelldampfer wurde das
Kapital auf 30 Mill. erhöht. In Hamburg wurde ein großes Verwaltungs-
gebäude errichtet, im Hafen wurden Werkstätten gebaut und im neuen
Freihafen der Linie ein eigener Quai vom Hamburger Staat eingeräumt.
Im Jahre 1889 traten die ersten Schnelldampfer Auguste Victoria
und Columbia in Dienst, die durch Schnelligkeit, gute Bauart und
Eleganz der Einrichtung bald zu den beliebtesten Dampfern der trans-
atlantischen Fahrt zählten. Zwei weitere, ähnliche Schnelldampfer:
Fürst Bismarck und Normannia wurden in Stettin und England gebaut
und 1890 bezw. 1891 in Dienst gestellt. Der Fürst Bismarck war bei
seiner Indienststellung das schnellste Schiff in der ganzen trans-
atlantischen Fahrt und kürzte die Ueberfahrtszeit auf 6 Tage, 11 Stunden
und 44 Minuten. Die Schnelldampfer sind nach Vereinbarung mit dem
Reiche so eingerichtet, daß sie im Kriegsfall als Hilfskreuzer benutzt
werden können. 1891 wurde die Linie nach Philadelphia neu ein-
gerichtet und die Hamburger Hansa-Linie, die seit 1881 Fahrten nach
Montreal und Boston unterhalten hatte, für 5 Mill. übernommen. Auch
die Fahrten nach New-Orleans wurden wieder aufgenommen.
Im Jahre 1892 brachte die Choleraepidemie in Hamburg der Linie
schwere Verluste. Die Auswandererbeförderung wurde eingestellt, der
Schnelldampferbetrieb nach England verlegt. Im Winter wurden von
diesem Jahre an die Schnelldampfer von New York nach Genua ge-
Miszellen. 821
leitet. Auch im nächsten Jahre wirkte die Furcht vor der Cholera in
Verbindung mit dem Darniederliegen des amerikanischen Frachten-
marktes ungünstig. 1894 trat eine kleine Besserung ein, die 1895
intensiver wurde. Für den New Yorker Dienst wurden nun große
Doppelschraubendampfer gebaut, die zugleich Raum für zahlreiche
Passagiere, besonders Auswanderer und eine bis dahin noch nirgends
erreichte sehr erhebliche Ladungsfähigkeit hatten (P-Klasse, die 4
großen P-Dampfer mit 140 000, die „kleinen“ mit 80 000 bis 90 000 dz
Tragfähigkeit), und diese haben sich als außerordentlich praktisch
und rentabel bewährt. Auch im übrigen wurden nach bewährten
Typen ganze Gruppen gleichartiger Schiffe für einzelne Linien er-
baut (B-Klasse, A-Klasse, S-Klasse nach den Anfangsbuchstaben der
Schiffsnamen genannt). Seither sind in jedem Jahre gute Ergebnisse
erzielt worden, und namentlich hat im Jahre 1900 der Verkehr nach
Nordamerika große Gewinne gebracht. Im Jahre 1896 kam eine Linie
zwischen Genua und dem La Plata hinzu. Das Aktienkapital wurde
nun binnen wenigen Jahren von 30 auf 80 Mill. M. erhöht, die Flotte
durch Einstellung neuer Schiffe entsprechend leistungsfähiger gemacht.
Das Jahr 1898 brachte die wichtige Ausdehnung der Linie durch die
Fahrten nach Ostasien. In den Reichspostvertrag des Norddeutschen
Lloyd trat die Hamburg-Amerika Linie mit gleichzeitiger Verdoppelung
der Fahrten zu gleichen Teilen ein und gab vier große Reichspost-
dampfer in Bau. Ebenfalls gemeinsam mit dem Lloyd betreibt sie eine
im Januar 1898 eingerichtete Frachtdampferlinie nach Ostasien. Die
konkurrierende Hamburger Kingsin-Linie wurde aufgekauft. Bald darauf
wurde auch eine Frachtdampferlinie zwischen New York und Ostasien
durch den Suezkanal eingerichtet. Im Juni 1900 wurde eine Linie
nach Nordbrasilien neu eröffnet und einige Monate später die Linien
der Hamburger Rhederei de Freitas nach Südamerika aufgekauft. Die
gesamten Hamburger Linien nach dem östlichen Südamerika werden nun-
mehr von der Hamburg-Amerika Linie in Betriebsgemeinschaft mit der
Hamburg-Südamerikanischen Dampfschiffahrtsgesellschaft befahren. An
der Westküste von Amerika beteiligt sich die Hamburg-Amerika Linie
durch Vertrag seit Anfang 1901 an den Fahrten der Hamburger Kosmos-
Linie. Im Frühjahr 1901 wurde die englische Atlaslinie aufgekauft, die
mit 7 Schiffen regelmäßige Linie von New York nach Westindien und
Centralamerika betrieb, und diese Linien sollen durch Einstellung neuer
Dampfer ausgestaltet werden.
Im Sommer 1900 fiel der Linie gemeinsam mit dem Norddeutschen
Lloyd die Aufgabe zu, das deutsche Expeditionskorps für China nach
dem Kriegsschauplatz zu befördern, die Pferde dafür von San Franzisko
zu bringen und die Materialien wie Ablösungstransporte zu fahren. Die
Hamburger Linie stellte dafür 13 Dampter, die zum Teil noch im Jahre
1901 für die Zwecke des Reiches zur Verfügung stehen. Sie hat
außerdem ihren Dampfer Savoia als Hospitalschiff eingerichtet und dem
Kaiser frei zur Verfügung gestellt. Nach dem Urteil der Behörden und
der beförderten Offiziere und Mannschaften hat die Linie diese Aufgaben
829 Miszellen.
durchaus zur Zufriedenheit gelôst. Sie wurde im Sommer 1901 gleicher-
weise auch mit dem Rücktransport der deutschen Truppen beauftragt.
In Ostasien wurde im Jahre 1901 die Postdampferlinie zwischen
Shanghai, Kiautschou, Cheefou und Tientsin von der Firma Diederichsen,
Jebsen & Co. erworben und eine Linie zwischen Canton, Hongkong und
Shanghai neu eingerichtet. — Für den schon während des spanisch-
amerikanischen Krieges günstig verkauften Schnelldampfer Normannia
hat die Linie im Jahre 1900 den Schnelldampfer Deutschland einge-
stellt, mit 35600 Pferdekräften, 23,36 Seemeilen Geschwindigkeit,
16 500 Registertonnen und 202 m Länge, mit seiner prächtigen Einrichtung,
seinen zahlreichen schönen Sälen und Kajüten der schnellste, stärkste
und schönste Handelsdampfer, der gegenwärtig (1901) überhaupt in
Fahrt ist. Die Deutschland hat den Weg über den Ozean auf ihrer
schnellsten Reise in 5 Tagen, 7 Stunden, 38 Minuten zurückgelegt.
Weder ein deutsches noch ein ausländisches Schiff kann ihr gegen-
wärtig den Vorrang auf dem Meere streitig machen. Durch die In-
fahrtstellung der Deutschland und die gleichzeitige, unter Führung des
Generaldirektors der Hamburg-Amerika Linie bethätigte erfolgreiche
Beteiligung der deutschen Rhederei an der Weltausstellung zu Paris
wurde das Ansehen der deutschen Schiffahrt in den weitesten Kreisen
aller schiffahrenden Nationen wesentlich erhöht.
In gleichem Maße wie die Vermehrung der Flotte wurde eine Er-
weiterung der Hafen- und Landbauten für die Linie erforderlich. Gegen-
wärtig wird in Hamburg speciell für sie ein großer Hafen von 254000 qm
mit drei Quais vom Staate erbaut, den die Linie für eine Jahresmiete von
1°/, Mill. M. in Benutzung nehmen wird. In Cuxhaven ist für die
Schnelldampfer der Linie ein neuer, tiefer Hafen ausgehoben worden
und es werden jetzt die Bauten für den Passagierverkehr und eine große
Kolonie von Beamten- und Arbeiterhäusern der Hamburg-Amerika Linie
dort errichtet. Desgleichen werden in Emden für den Bedarf der Linie
gegenwärtig Hafenanlagen und Arbeiterhäuser erbaut, nach deren Fertig-
stellung die Linie vom Juli 1901 ab Emden anlaufen und besondere
Dampfer für den Transport schwedischer Erze nach Emden einstellen
will. Zu gleicher Zeit werden die großen Quaianlagen der Linie in
New York erweitert, wird in Hamburg an der Alster ein größeres neues
Verwaltungsgebäude errichtet, von den kleineren Bauten zu schweigen.
Für das laufende Jahr (1901) betreibt die Hamburg-Amerika Linie
nunmehr 28 Linien, zum Teil mit anderen Rhedereien gemeinsam.
Zwischen Hamburg und New York wird ein wöchentlicher Schnell-
dampferdienst („Donnerstagslinie“, nach dem Hamburger Abfahrtstag)
mit den 4 Doppelschrauben-Schnelldampfern der Linie unterhalten. Außer-
dem wird mit den 4 großen und 2 kleineren Post- und Passagierdampfern
der P-Klasse eine zweite wöchentliche Linie zwischen Hamburg und
New York fortgeführt („Sonntagslinie“). Dazu tritt als dritte die in
Zukunft ebenfalls wöchentliche Mittwochslinie, auf der abwechselnd
Schiffe der Hamburg-Amerika Linie und der Hamburger Rhederei
Sloman (Union-Dampfer) gehen. Die 14-tägige Scandia-Linie der
Gesellschaft besteht zwischen Stettin und New York. Wöchentlich
Miszellen. 823
verkehren eine Anzahl Schiffe der B- und A-Klasse zwischen Ham-
burg und Baltimore, etwa 12-tägig A-Dampfer zwischen Hamburg
und Philadelphia. Je nach Bedarf gehen monatlich 2—3mal oder auch
öfter Schiffe von Hamburg nach Boston. Die Verbindung von Ham-
burg nach Kanada, Halifax und stromaufwärts nach Montreal (im
Winter statt dessen nach Portland) soll etwa 14—18-tägig unterhalten
werden.
Nach Westindien und Mexiko fahren 7—8 Dampfer im Monat, die
7 verschiedene Linien befahren. Dazu kommt nunmehr die angekaufte
Verbindung New York-Westindien. In Zukunft wird zu diesen noch
eine direkte 14-tägige Linie Hamburg-Mexiko treten. 29 Dampfer
sind im laufenden Jahre speciell für den westindischen Dienst be-
stimmt worden. Nach New Orleans und Galveston verkehrt 1mal
im Monat ein Dampfer. — Die Linie Genua-La Plata wird nicht
mehr von der Hamburg-Amerika Linie betrieben; an ihre Stelle ist
die mit ihr in enger Beziehung stehende Gesellschaft Italia getreten.
Auf der Strecke Genua-New York verkehren etwa 2mal monatlich
Passagier- und Frachtdampfer; im Winter tritt der Schnelldampfer-
dienst Genua-New York hinzu, den Hamburg-Amerika Linie und Nord-
deutscher Lloyd gemeinsam besorgen.
Gleichfalls gemeinsam werden von den beiden genannten Linien
die Fahrten nach Ostasien betrieben, sowohl die 14-tägige Reichspost-
dampferlinie nach Ostasien, auf der seitens der Hamburg-Amerika Linie
außer den in Fahrt befindlichen großen Reichspostdampfern Hamburg
und Kiautschou (je 11000 Tonnen) später zwei noch etwas größere Schiffe,
die jetzt im Bau sind, eingestellt werden sollen. Zu der Frachtdampfer-
linie von Hamburg nach Ostasien (3—4mal monatlich) stellt die Ham-
burg-Amerika Linie 13 Schiffe der A- und S-Klasse. Mit zwei anderen
Gesellschaften zusammen unterhält die Hamburg-Amerika Linie die
Linie New York-Ostasien durch den Suezkanal, auf der sie viertel-
jährlich 2 Dampfer stellt; dafür sind 4 Dampfer bestimmt worden.
Hierzu kommen jetzt die beiden Linien Shanghai-Tientsin und Canton-
Shanghai.
Nach Südamerika ist von diesem Jahre ab ein gemeinsamer Dienst
mit der Hamburg-Südamerikanischen Dampfschiffahrts-Gesellschaft ein-
gerichtet worden, mit erheblicher Vermehrung der Abfahrten (wöchent-
lich jetzt 3—4). An den 4 Linien nach Nord-, Mittel-, Südbrasilien
und La Plata ist die Hamburg-Amerika Linie zu einem Drittel beteiligt
und stellt hierfür 14 Dampfer. Ebenso ist die Gesellschaft in Zukunft
an den Fahrten der Kosmoslinie nach der Westküste von Amerika (von
der Südspitze bis San Franzisko) beteiligt und wird dorthin vorerst alle
2 Monate, später öfter einen Dampfer expedieren.
Eine Sonderstellung im Fahrplan nimmt endlich die neue speciell
für Touristenfahrten 1900 erbaute Dampfyacht Prinzessin Viktoria Luise
ein, die das ganze Jahr hindurch für Vergnügungsreisen zur Verfügung
steht und die nach Westindien, ins Mittel- und Schwarze Meer, um
England, nach dem Nordkap, in die Ostsee etc. geht. Zeitweise steht
auch der Schnelldampfer Auguste Viktoria wieder für seine alljährlichen
824 Miszellen.
Orient- bezw. Nordlandfahrten zur Verfügung, die seit 1892 bezw.
1894 mit großem Erfolg regelmäßig unternommen werden.
Die Hamburg-Amerika Linie hat außerdem noch für andere Ge-
sellschaften den Passagierdienst zu besorgen, so besonders für die
Deutsche Ostafrika-Linie, deren Dampfer jetzt in beiden Richtungen
ganz Afrika umkreisen, desgleichen für die Südamerika-Linie und für die
Union-Dampfer.
Ueber die Entwickelung der Linie von 1847—1900 teilen wir
nachstehend die Hauptzahlen, betreffend das Kapital, die Schiffe, Reisen
und Beförderungsleistungen in Tab. A mit; für die Zeit von 1885 bis
1900, in welche die größte und entscheidende Entwickelung der Linie
fällt, können wir in Tab. B noch einige weitere Angaben über die er-
zielten Geschäftsgewinne und ihre Verwendung, sowie über den Raum-
gehalt und den Wert der Ozeandampfer anfügen.
(Siehe Tabelle A und B auf S. 825 u. 826.)
Beide Tabellen zeigen auf den ersten Blick, daß das letztverflossene
Jahr den Höhepunkt der gesamten Entwickelung darstellt. Für Ende
März 1901 giebt der letzte Jahresbericht die Flotte der Gesellschaft
auf 98 Seeschiffe mit 486528 Registertonnen in Betrieb, 15 See-
schiffe mit 98600 ‚t im Bau, ferner auf 121 Flußdampfer, Schlepper
und Leichter mit 25 277 t in Betrieb und 15 mit 4773 t im Bau an,
im ganzen auf 249 Fahrzeuge mit 615178 Registertonnen. (Schon
6 Wochen später war die Flotte durch Ankäufe auf 639000 t an-
gewachsen.) Damit ist die Hamburg-Amerika-Linie, ebenso wie der
Norddeutsche Lloyd in Bremen, der für die gleiche Zeit insgesamt
540 119 t angiebt, allen ausländischen Rhedereien weit überlegen, als
deren größte die British India Steam Nav. Co. mit 378 770 t in das
Jahr 1901 eingetreten ist. Ebenso stehen die beiden großen deutschen
Gesellschaften hinsichtlich der Beförderungsleistungen, für Güter be-
sonders die Hamburger, für Personen am meisten die Bremer Linie,
allen ausländischen Gesellschaften weit voran.
Hinsichtlich des Kapitals ist zu bemerken, daß die Hamburg-
Amerika-Linie Ende 1900 außer den 80 Mill. M. Aktienkapital, der
Kapitalreserve und der Prioritätsanleihe noch über eine in den letzten
Jahren gebildete Versicherungsreserve von 10 Mill. und ein Erneuerungs-
konto von 2 Mill. M. verfügt. Im März 1901 wurde von der Linie
die Ausgabe von 271/, Mill. M. neuer Obligationen beschlossen, die
jetzt nach und nach begeben werden.
Der Bruttogewinn erscheint auf den ersten Blick hoch, doch gehen
von ihm außer den Steuern und Verwaltungskosten besonders die hohen
Abschreibungen vorweg ab, welche die großen Schwankungen des inter-
nationalen Handelsverkehrs, die Gefahren der Schiffahrt und die rasche
Abnutzung und Entwertung der modernen kostspieligen Dampfer zur
Pflicht machen. Der letzten Abschreibung von etwa 151/, Mill. steht
ein Inventarwert der Schiffe und Immobilien von 118,9 Mill. M. gegenüber.
Gegenwärtig erscheint das Unternehmen, mit seinen mehr als
15 000 Angestellten, Agenten und Arbeitern eines der größten des Landes,
nach dem Wechsel der guten und schlechten Zeiten, von Erfolgen und Ge-
Miszellen. 825
Tab. A. Kapital und Leistungen der Hamburg-Amerika
Linie 1847—1900.
Aktien- | Kapital- | Prioritäts- | Zahl der | Zahl |Beförderte| pps jorte
Jahre | kapital reserve anleihe |Seeschiffe |der Rund-| Güter in Passion
/ . 1 ise)
in 1000 M. am Jabresschlug ` An Fahrt )| reisen |1000 cbm
1847 465 = re = = =
1848 510 — — 2 2 S 168
1549 532,5 7,9 77 4 3 1424
1850 532,5 39,4 — 4 11 1420
1851 582,5 95,3 = 5 II ` 3 448
1852 582,5 168,1 -— 5 14 4 666
1853 582,5 168,1 — 6 13 4950
1854 1 782,6 6,4 — 6 16 9 063
1855 3 000 156,5 — 8 14 3 999
1856 3 000 242,9 — 9 28 8 977
1857 3 000 167,5 3 000 II 22 12 362
1858 3 000 42,1 2 850 II 26 A 9597
1859 2 887,5 36,6 2 700 II 33 17 6353
1860 2 887,5 65,5 2550 II 36 19 12 870
1861 2 887,5 152,1 2 400 II 34 22 11275
1862 2 887,5 296,5 2250 II 39 29 13 259
1863 2 941,5 333,9 2 100 10 35 21 15 160
1864 3 562.5 58,8 1950 9 38 13 16 373
1865 3 562,5 508,8 1 800 9 38 23 | 30002
1866 | 4 283,2 958,8 3150 9 45 30 33 283
1867 5 287,5 575,5 3 000 10 43 25 30 293
1868 5 250 365,8 4 260 10 57 21 38 599
1869 6 000 945,4 4 200 10 64 44 -43071
1870 | 7500 394,5 3 780 11 44 36 29 441
1871 9 600 384,5 6 540 13 63 155 39151
1872 | 10500 1176,0 6 300 13 75 163 58 367
1873 | 12750 774,8 8 970 17 76 172 50 908
1874 | 16 500 1,7 8 640 23 78 188 34 666
1875 | 22500 19,6 15 120 28 67 194 29 924
1876 | 22 500 42,1 12 100 24 79 205 30 200
1877 re 000 310,0 9850 19 71 211 23 688
1878 | 15 000 462,2 5 900 17 69 210 26 219
1879 | 15 000 554,0 4275 18 79 257 25 748
1880 | 15.000 945,7 4050 20 94 273 57 873
1881 | 15 000 1054,0 3 825 22 114 329 81 873
1882 | 15 000 802,4 7000 | 22 124 385 81459
1883 | 15 000 164,1 6650 22 112 386 67 295
1884 | 15 000 164,1 6 300 23 122 435 78659
1885 | 15 000 164,1 5 950 23 123 423 57 383
1886 | 15 000 195,7 5 600 26 128 486 48 131
1887 | 16250 248,9 6 250 26 | 125 525 41 620
1888 | 22 500 3287,9 6397,»| 29 175 657 57 425
1889 | 25 000 3291,7 9 500 37 213 807 59 420
1890 | 30 000 3291,7 9 250 41 288 1039 86 156
1891 | 30 000 3291,7 9000 | 45 | 273 989 125 997
1892 | 30 000 3291,7 8750 | 48 | 293 1150 104 135
1893 | 30 000 3291,7 15000 | SI CG 315 1226 103 114
1894 | 30 000 3291,7 14625 | 55 327 1175 99 060
1895 | 30 000 3291,7 14250 | ER 295 1363 91 638
1896 | 30 000 3291,7 13 875 62 344 1808 84 250
1897 | 45 000 4781,6 13 500 58 456 2305 73 089
1898 | 50 000 5414,6 13 125 60 365 2389 74 661
1899 | 65 000 6500,0 12 750 70 395 3034 101 975
1900 | 80 000 8234,8 12 375 98 419 3196 166 539
1) Jeweils am Jahresschluß bezw, zur Zeit der folgenden Generalversammlung
(2 bis 3 Monate später).
826 Miszellen.
Tab. B. Jahresgewinne und Tonnage der Hamburg-
Amerika Linie 1886—1900.
Gesamter Ab- j © Der Oceandampfer
Geschäfts- à Kapital- Schiffsraum :
Jahr gewinn schrelbungeni dividende in in Brutto- We dee
f Proz. registertonnen S
in 1000 M. am Jahresschluß
4 | 67237 16510
6 | 65 021 16 044
DNA 69 878 16 052
II 104 225 30 125
8 122 883 37 090
5 | 138479 42 125
o | 145 682 39 720
o 153 629 38 725
o 181 838 46 900
5 173 985 44 890
8 192 878 44 118
6 227 082 53 079
8 262 948 56 459
8 335 238 73 695
| 10 423 932 102 000
fahren als fest fundiert, wenngleich der im Vergleich mit der zu er-
wartenden Dividende niedrige Kursstand seiner Aktien (unter 130 im
März 1901) zeigt, daß man sich der schwereren Zeiten noch wohl er-
innert, und daß man auch daran denkt, wie im Rhedereigewerbe nur
eine Minderzahl von Gesellschaften sich zu gesichertem Bestande durch-
gerungen hat, während weit mehr ohne dauernden Erfolg vom Schau-
platz wieder abtreten mußten. Das ist für die Beurteilung auch der
ersten Schiffahrtswerte von Einfluß.
Gegenwärtig schützt der Umfang und die Kapitalmacht der Linie
diese vor einem verderblichen Wettbewerb neuer Konkurrenten. Die
Vielseitigkeit ihres Betriebes macht sie von Wirtschaftskrisen und
anderen Störungen des Handels mit einzelnen Ländern minder abhängig;
nur wirtschaftspolitische Maßnahmen, welche das gesamte deutsche Wirt-
schaftsleben erschüttern und den deutschen Export unterbinden, müßten
auch die Linie empfindlich treffen, die in der vermehrten Auswanderung
kaum einen ausreichenden Ersatz finden würde. Ihre starken Reserven
und die energisch gehandhabten Abschreibungen bilden eine weitere
wesentliche Sicherung gegen mögliche Unfälle und Wirtschaftskrisen.
Diese sichere Lage der Gesellschaft ist bei ihrem jetzigen Betriebs-
umfang aber auch für das deutsche Wirtschaftsleben fast eine Not-
wendigkeit geworden. Denn weit über ihre vielfachen Beziehungen zu den
staatlichen Betrieben der Post, der Eisenbahnen, des Heeres und der
Marine hinaus geht das öffentliche Interesse an ihrem Betrieb, an dem
Hunderttausende von Kunden und Interessenten Anteil nehmen und
über den schließlich die Wirtschaftsgeschichte unseres Volkes das Ur-
teil spricht.
Miszellen. 827
Nachdruck verboten,
XII.
Ausstände und Aussperrungen in Dänemark 1897—1899.
Von W. Finn, Berlin.
In den kürzlich vom königlich dänischen Statistischen Bureau
herausgegebenen Publikationen sind die seit den letzten Jahren ge-
sammelten Daten über die stattgefundenen Arbeitskonflikte zusammen-
getragen und zum Gegenstande eingehender Untersuchungen gemacht
worden. Einleitend giebt das Bureau eine Darstellung der Art und
Weise, wie das Material zu der betreffenden Statistik in Dänemark be-
schafft worden ist und welche Fragen man aufzuklären versucht; an-
geschlossen ist eine Darstellung der Prinzipien, die in den anderen
Kulturstaaten zur Anwendung kommen, welche ähnliche Aufklärungen
einsammeln. Auf offiziellem Wege geschehe das in Deutschland, Frank-
reich, England, Oesterreich, Italien, Belgien und den Vereinigten Staaten,
aber auch seitens der Fachorganisationen würden solche Uebersichten
ausgearbeitet. In Norwegen und Schweden sei die Sache noch nicht
in die Hand genommen worden. In der Einleitung wird ferner auf die
großen Schwierigkeiten hingewiesen, welche der Beschaffung einer zu-
verlässigen Statistik in Dänemark sowohl wie anderwärts entgegenstehen
und wie vorsichtig man bei seinen Schlußfolgerungen sein müsse. Schon
die Beschaffung des Materials sei schwierig und stoße oft auf Unwillen
bei den betreffenden Parteien. In den meisten Ländern würden die
Lokalbehörden zur Beschaffung der nötigen Aufklärungen benutzt, in
Dänemark und England dagegen wende man sich direkt an die Arbeit-
geber und Arbeiter, um durch deren Organisationen die Fragebogen
ausfüllen zu lassen. Die wesentliche Stütze, die England an den Labour-
Correspondents habe, die das Arbeitsdepartement mit allen wichtigeren
Begebenheiten à jour halten, habe Dänemark ja nicht, aber die Kleinheit
des Landes mache es leichter, die Verhältnisse zu übersehen und er-
heische auch keine besondere Kontrolle seitens der Arbeitsinspektoren
bezüglich der Ausfüllung der Schemas wie in Oesterreich.
Aber nicht nur die Einsammlung des Materials selbst biete Zweifel
dar, diese machen sich noch mehr geltend, wenn man zu den gestellten
Fragen komme; das Bureau will aber nicht darauf eingehen, was in
den verschiedenen Ländern in dieser Hinsicht gefordert wird, sondern
828 Miszellen.
es will durch die nachfolgenden Thatsachen zeigen, was man in
Dänemark aufzuklären versucht hat. Das Material sei im Laufe der
letzten Jahre vollständiger und besser geworden, je nachdem die Or-
ganisationen zu der Arbeit gewöhnt worden seien; dagegen seien die
Aufklärungen der Arbeitgeber außerhalb der Industrie und des Hand-
werks von geringerem Werte, da noch die Ansicht herrsche, daß solche
ganz privaten Verhältnisse zwischen den Arbeitsherrn und ihren Arbeitern
eine Staatsinstitution nichts angehe, eine Ansicht, die das Bureau im
öffentlichen Interesse tief beklagen muß.
Während der 3 Berichtsjahre 1897—1899 fanden in Dänemark
356 Arbeitseinstellungen statt, nämlich 111 in 1897, 147 in 1898 und
98 in 1899. Diese Zahlen lassen ersehen, daß man aus der Anzahl der
Konflikte keine ruhigen Arbeitsverhältnisse folgern kann, denn sowohl
1897 und 1899 waren entschiedene Kampfjahre, während 1898 ruhig
war und doch so viele Konflikte stattfanden. Die meisten Konflikte
waren lokaler Natur: von allen entfallen ?/, auf die Hauptstadt, ?/,
auf die Provinzstädte und !/, auf das platte Land. Nach Fächern ver-
teilt, fanden die meisten Konflikte im Schneiderfache statt (34), dann
folgen die verschiedenen Fabrikarbeiter (32), die nicht fachgelernten
Arbeiter in der Industrie (30), die Schmiede- und Maschinenarbeiter (23);
aus diesen Ziffern sei jedoch nicht zu schließen, wo die Verhältnisse
wirklich am wenigsten ruhige gewesen, denn je mehr Arbeitsstellen,
desto größere Aussichten für Konflikte. Meistens fanden die Konflikte
in den ersten Monaten statt, namentlich im April.
Von den Arbeitseinstellungen werden 294 als Ausstände, 19 als
Aussperrungen, 43 dagegen als von gemischtem Charakter angeführt;
aus diesen Ziffern erhellt, daß die wenigsten Arbeitseinstellungen durch
die direkte Initiative der Arbeitgeber verschuldet wurden. Die Ur-
sache zu den Konflikten war in wenigstens ?/, der Fälle (241) die
Lohnfrage — wesentlich veranlaft durch die höheren Lohnforderungen
der Arbeiter — alsdann folgen Fragen betreffend die Arbeitsordnung
(34), z. B. Uneinigkeit über die Werkstattreglements, Verlangen wegen
Einführung von Werkstätten, Streit wegen der Verwendung von fach-
gelernten oder nicht fachgelernten Arbeitern, die Einführung neuer
Maschinen u. s. w. Auf „persönliche Verhältnisse“, wie Unzufriedenheit
mit einem Werkstattvorsteher, Verlangen wegen Entlassung von „Strike-
brechern“ entfallen 21 Konflikte, während sich im übrigen oft mehrere
Ursachen in ein und demselben Konflikt geltend gemacht haben. Ueber
die Dauer der Konflikte liegen in 8/, der Fälle Aufklärungen vor;
von diesen wurden %/, innerhalb eines Monats beendet. 1/, dauerte
1—3 Monate und nur !/,, über 1/, Jahr. Die meisten unbekannten
Konflikte waren kurz. Bezüglich der Frage des Umfanges der Kon-
flikte muß man wünschen, die betreffenden Arbeitgeber, die Arbeiter
und die verlorenen Arbeitstage kennen zu lernen; über keinen Fall sind
die Aufklärungen vollständig, Man ersieht jedoch, daß die allermeisten
Konflikte nur eine Arbeitsstelle berührten; in den beiden ersten Jahren
war die durchschnittliche Anzahl der Arbeitsstellen per Konflikt 10, in
Miszellen. 829
1899 ca. 60, was durch die grofe Arbeiteraussperrung von 4500 Arbeits-
stellen verursacht wurde. Die Anzahl der Arbeiter ist meistens von
6—25; der Durchschnitt ist 100 in 1897, 50 in 1898 und über 400 in
1899. Benutzt man die dänische Industriezählung vom Jahre 1897 zum
Vergleich, so ersieht man, daß von je 100 Arbeitgebern während der
3 Jahre: 2,6, 4,0 und 14,0 von einem Konflikt berührt wurden, be-
züglich der Arbeiter sind die Zahlen 4,0 3,8 und 20,0. Diese Zahlen
sind jedoch nur Minima, da einige der Arbeiter in der 1. Woche,
andere in der 2. Woche u. s. w. arbeitslos sind. In der großen
Aussperrung im Jahre 1899 war die höchste Anzahl der Arbeitslosen
in einer Woche 30009, aber während der ganzen Periode war die
Summe der Arbeitslosen 34352. In Folge eines Konfliktes werden
dann auch indirekt andere Erwerbszweige in Mitleidenschaft gezogen.
Die verlorenen Arbeitstage während der 3 Jahre sind berechnet zu
0,4, 0,2 und 0,1 Proz. von der möglichen Anzahl der Arbeitstage. In
einem normalen Jahre wird der Verlust der Arbeitstage wahrscheinlich
die letzte Ziffer erreichen, wie die der Arbeiterstärke der dänischen In-
dustrie (ca. 183000), so daß also die Ausstände und Aussperrungen be-
wirken werden, daß die Industrie des Landes während des Jahres einen
Tag ruht.
Ueber den Geldverlust der Arbeiter infolge von Konflikten
liegen in 200 Fällen Mitteilungen vor, wonach 3 Millionen Arbeitstage
verloren gingen, die über 13 Mill. Kronen repräsentieren, wovon 12 Mill.
Kronen auf die Aussperrungen in 1899 entfallen. Der durchschnittliche
Lohnverlust während aller 3 Jahre war per Tag in der Hauptstadt
3,68 Kronen, in den Provinzstädten 2,52 Kronen und auf dem Lande
2 Kronen. In dieser Berechnung sind aber die beiden großen, das
ganze Land umfassenden Konflikte während der Jahre 1897 und 1898
nicht einbegriften, wo der Lohnverlust nicht weniger als 4,35 Kronen
betrug, da diese Konflikte die am besten bezahlten Gewerbe während
der besten Zeit des Jahres betraf. Rechnet man, daß der Verlust an
Arbeitstagen in den unbekannten Konflikten 115000 betrug, so beläuft
sich der ganze Verlust auf 13,4 Mill. Kronen. Einen Teil dieses Ver-
lustes erhielten die Arbeiter durch Unterstützungen aus den Strike-
kassen u. s. w. gedeckt; in 147 Konflikten wurde ein Unterstützungs-
betrag von 3385646 Kronen ausgezahlt, in 63 Konflikten wurde nichts
gezahlt, für 146 Konflikte fehlen die Aufklärungen, letztere spielen aber
keine bedeutende Rolle, da es nur kurze Arbeitseinstellungen waren.
Die erwähnten 3,4 Mill. Kronen sind denn wohl als das Maximum zu
betrachten und betrug danach die durchschnittliche Unterstützung per
verlorenen Arbeitstag in 1897—1899: 1,52, 1,68 und 1,02 Kronen. Auf
welche Weise die übrigen 10 Mill. Kronen beschafft worden sind oder
derjenige Teil davon, womit die Arbeiter sich genügen lassen mußten,
läßt sich statistisch nicht nachweisen, ebensowenig wie die ökonomische
Balance der Arbeitgeber, geschweige denn, was die beiden Parteien
durch die Konflikte erreichten.
Es ist sehr schwierig, den Ausfall der Konflikte mit Genauigkeit
anzugeben; es dürfte jedoch anzunehmen sein, daß die Arbeiter doppelt
red
830 Miszellen.
so viel Male siegten, wie die Arbeitgeber. Der vierte Teil der Kon-
flikte endigte mit einem Kompromiß und oft blieben die Konflikte un-
entschieden. Letzteres bezieht sich meistens auf kurze Konflikte,
während der verhältnismäßig größere Teil der lang andauernden Kon-
flikte mit einem Kompromiß endigte.
Durch Schiedsspruch wurden während der 3 Jahre resp.
5, 5 und 4 Konflikte und durch Vermittelung im Jahre 1899
20 Konflikte entschieden.
Die dem Werke beigefügten Tabellen geben Mitteilungen über
jeden einzelnen Konflikt während der 3 Jahre und bezüglich der be-
deutenderen Arbeitseinstellungen sind erklärende Noten beigefügt.
Miszellen. 831
Nachdruck verboten.
XIII.
Zur Revision des Krankenversicherungsgesetzes —
ein Vorschlag.
Von Dr. P. Hesse, Greifswald; fr. Kassenarzt.
Nach bisheriger Handhabung werden den wegen Krankheit Er-
werbsunfähigen der Ortskrankenkassen allwöchentlich ärztlicherseits Be-
scheinigungen ausgestellt, auf Grund deren das wöchentliche Krankengeld
von der Kassenverwaltung gezahlt wird. Das erfordert Mühewaltungen
der Aerzte und Kosten für die Kassen. Der Aufwand wird durch-
geführt, um eine Sicherung zu haben, daß nicht ungerechte Ansprüche
an die Krankenkasse befriedigt werden. Neben dieser ärztlicherseits
geleisteten Gewähr wird noch eine weitere Kontrolle der als erwerbs-
unfähig Geführten ausgeübt durch Kontrolleure, die als solche von dem
Kassenvorstand bestellt werden, seien es Mitglieder dieses Vorstandes
oder anderweitige Personen. Während nun die letztgenannte Beauf-
sichtigung der erwerbsunfähig Gemeldeten durch solche Betraute des
Vorstandes zweckmäßig und notwendig ist, trifft dies auf die ärztlichen
Beglaubigungen nur in bedingtem Maße zu. Für viele Krankheits-
zustände bedarf es der ärztlichen Bescheinigungen keineswegs, am
wenigsten der allwöchentlichen. Eine Lungenentzündung bietet meist
ein so augenfälliges Krankheitsbild, daß es dem besuchenden Kontrolleur
unzweifelhaft feststeht, der krank Daniederliegende sei — worauf es
für die Kasse ankommt — erwerbsunfähig; oft wird er sogar die
Art der Erkrankung, daß es sich also um eine Lungenentzündung
handele, richtig erkennen. Die Herbeiführung einer ärztlichen Be-
scheinigung der Erwerbsunfähigkeit ist dann gänzlich überflüssig, noch
dazu eine allwöchentliche Wiederholung. Für die Aerzte sind diese
mechanischen Arbeiten keine besonders erfreulichen, den Kassen er-
wachsen durch sie unnötige, nicht unbeträchtliche Kosten. Man darf
sich daher gemeinhin von Kassenwegen für Auszahlung des Kranken-
geldes getrost in solchem Falle mit den Beobachtungen der Kontrolleure
begnügen. Ebenso sollte ein vorübergehendes Unwohlsein, eine un-
bedeutende Verletzung mit dem Gefolge einer Erwerbsunfähigkeit von
einigen Tagen für gewöhnlich nicht den kostspieligen ärztlichen Apparat
mit Erwerbsunfähigkeits- und Wiedererwerbsfähigkeitsbescheinigung in
Bewegung setzen.
Wo es sich also um Krankheitszustände handelt, bei denen die
von den Patienten angemeldete Erwerbsunfähigkeit ohne weiteres für
jedermann klar auf der Hand liegt, z. B. bei heftigen innerlichen oder
äußerlichen Entzündungen mit starkem Fieber, bei Knochenbrüchen,
vielen Wunden u. s. w., oder zweitens bei kurz dauernden Arbeits-
unterbrechungen verlasse man sich in der Regel lediglich auf die
Kontrolleure; sie werden meisthin das Rechte treffen.
832 Miszellen.
Auch bei den außerhalb des Arztwohnsitzes wohnenden Kranken
der Gemeindeversicherung entstehen durch die Inanspruchnahme des
Arztes nicht selten Kosten, die in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen:
Ein Mitglied meldet sich krank — nicht um ärztliche Hilfe zu haben,
denn er und die Angehörigen wissen, daß sein Krankenlager nicht von
langer Dauer sein wird; in wenigen Tagen hofft er, ohne weiteres
wieder zur Arbeit brauchbar zu sein. Aber das ihm zustehende Kranken-
geld will er sich nicht für die Tage entgehen lassen. Beispielsweise
handele es sich um einen Anfall von Influenza. Da muß nun der Orts-
vorstand zunächst bescheinigen, daß der Kranke nicht reisefähig sei;
den Arzt citieren; dieser reist nach dem 12 km entfernt gelegenen
Orte (Kostenpunkt: 8—12 M. plus Fuhrwerk 6—8 M.), bescheinigt Er-
werbsunfähigkeit, verschreibt womöglich noch eine Mixtur zu 1 M;
ein Bote muß in die Stadt, die Medizin zu holen; der Wiederhergestellte
endlich muß alsbald zum Arzt reisen, um sich die wiedererlangte Er-
werbsfähigkeit bescheinigen zu lassen. Alles das nur, damit der Mann
für seine 4-tägige unfreiwillige Arbeitsunterbrechung 3 M. Krankengeld
gezahlt erhalten könne! Solche Sachen lassen sich in der Regel von den
Kassenverwaltungen allein ohne Zuhilfenahme der Aerzte erledigen.
Für fragliche, nicht auf der Hand liegende Fälle, in denen den
Kontrolleuren oder den Verwaltungen ärztliche Begutachtungen wirk-
lich von Wert sind, und wo auch deren Kosten in einem vernünftigen
Verhältnis zu dem durch sie erreichten Nutzen stehen, da verlange die
Verwaltung resp. führe herbei ein ärztliches Gutachten, mit dessen Ab-
fassung für den Arzt dann doch auch ein gewisses Maß geistiger, ihn
befriedigender Thätigkeit verbunden ist, und lohne solche Arbeit der
Würde entsprechend.
So spart die Kasse, und die Aerzte haben weniger Ursache zu
klagen.
Die gleichen Rücksichten, auf die Kasse oder vielmehr ihre Mit-
glieder in erster Linie — durch Herabsetzung der Ausgaben, daher
Erniedrigung der Beiträge und Erhöhung der Krankengelder — und
auf die Aerzte in zweiter Linie — durch Beseitigung ihrer Haupt-
klagen, nämlich der unwürdigen Abhängigkeit der Kassenärzte von den
Kassenvorständen sowie der Monopolisierung der umfangreichen Kassen-
krankenpraxis in den Händen verhältnismäßig weniger Aerzte — wozu
als dritter Grund hinzukommt die Vorbeugung gegen einen Zukunfts-
fall, daß durch plötzlichen Aerztestrike hier oder da die Durchführbar-
keit des Krankenversicherungsgesetzes erheblich erschwert oder gar
vereitelt werden könnte — solche Gesichtspunkte veranlassen mich,
dem Dr. Silbermann'’schen Vorschlage (September 1900 dieser Jahr-
bücher) beizutreten, welcher dahingeht, daß die ärztliche Hilfe und
Arznei nicht mehr aus den Krankenversicherungen bezahlt werde.
Die Kombinierung der beiden Maßnahmen, Beschränkung des ärzt-
lichen Krankenkassenattestwesens auf besondere Fälle und Loslösung
der ärztlichen Behandlung von den Aufgaben des Krankenversicherungs-
gesetzes, scheint mir eine wesentliche Vereinfachung und Verbesserung
des Gesetzes zu bewirken.
Litteratur. 833
Nachdruck verboten.
Litteratur.
VII.
Böhm-Bawerk, Eugen von, Kapital und Kapitalzins.
2. vielfach vermehrte und verbesserte Auflage. I. Abteilung: Ge-
schichte und Kritik der Kapitalzinstheorien. Innsbruck 1900. XXXV
und 702 SS,
Derselbe, Einige strittige Fragen der Kapitalstheorie.
Drei Abhandlungen. Wien und Leipzig 1900. 127 SS.
Besprochen von Karl Diehl (Königsberg).
Wenige Werke weist die nationalökonomische Litteratur auf, die sich
eines so ungeteilten Beifalls erfreuen, wie Böhm’s Geschichte und
Kritik der Kapitalzinstheorien. Die sorgfältige, klare und objektive
Darstellung aller wichtigsten Zinstheorien, die gründliche und schart-
sinnige Kritik und der stets vornehme Ton der Polemik den gegnerischen
Ansichten gegenüber haben es zu einem Standard work der Fachlitteratur
gemacht, das weit über die Grenzen Deutschlands und Oesterreichs
hinaus für alle nationalökomisch Interessierten eine Quelle reichster
Belehrung und Anregung geworden ist. Ueber den Rahmen einer Dogmen-
geschichte einer einzelnen Theorie hinausgehend, bietet es durch die
eingehende Art, wie Böhm die einzelnen Autoren darstellt und kritisiert,
gleichzeitig in gewissem Sinne eine Geschichte des nationalökonomischen
Denkens überhaupt. — Es ist mit größter Freude zu begrüßen, daß
der Verfasser neben seiner amtlichen Thätigkeit die Muße gefunden
hat, sein Werk einer gründlichen Durchsicht zu unterziehen und in
einer 2. Auflage eine große Reihe neuer Zusätze hinzuzufügen; zwar ist
die Darstellung und Kritik der einzelnen Zinstheorien eine wesentlich
unveränderte geblieben, aber die ganze in den 16 Jahren seit dem Er-
scheinen der 1. Auflage hinzugekommene Zinslitteratur und zwar des
In- und Auslandes ist in sorgfältigster Weise gesichtet und in einem be-
sonderen Kapitel zusammengefaßt worden. Der Umfang des Werkes ist
hierdurch bedeutend vergrößert worden; aus 498 Seiten sind 702 ge-
worden.
In der Vorrede verwahrt sich Böhm energisch gegen die Vorwürfe
Dritte Folge Bd. XXIJLXXVI). 53
834 Litteratur.
Walker’s und Marshall’s, daß er seine Vorgänger in der Kapitals-
theorie zu wenig anerkennend kritisiert hätte — das ist allerdings ein Vor-
wurf, der Böhm schlechterdings nicht gemacht werden kann: eher könnte
man umgekehrt sagen, daß er oft zu pietätvoll und in zu großer Aus-
führlichkeit die Gedankenzüge mancher Autoren geschildert, für die das
sachliche Interesse nicht allzu groß sein kann. Ich glaube aber, daß
bei den Vorwürfen der beiden genannten Autoren ein anderer Faktor mit-
spielt: die Einwände sind offenbar nicht so sehr gegen den Dogmen-
historiker und Dogmenkritiker gerichtet — denn dessen strengste
Objektivität in der Kritik steht zu klar vor aller Augen —, als vielmehr
gegen den Dogmatiker Böhm. — Es scheint mir in den Angriffen von jener
Seite der Gedanke zu liegen, daß im Grunde genommen die Böhm’ sche
Agiotheorie gar nicht so sehr weit entfernt ist von mancher früheren
Theorie, z. B. der Produktivitätstheorie und daß darum die schroffe Ab-
lehnung dieser Theorien seitens Böhm’s zuweilen über das Ziel hinaus-
ginge; ich werde auf diesen Punkt im Laufe meiner Besprechung noch
zurückkommen, wollte hier nur der Meinung Ausdruck geben, daß die
Angriffe sich nur so erklären lassen.
Im einzelnen sei aus der neuen Auflage hervorgehoben, daß die Dar-
stellung von Marx ganz bedeutend vergrößert und verbessert wurde auf
Grund der inzwischen neu erschienenen Marx-Litteratur, und daß dem
Canadier John Rae ein besonderes Kapitel gewidmet ist, der eine Zins-
theorie aufgestellt hat, die in manchen Punkten mit der Böh m’schen Agio-
theorie verwandte Züge aufweist. Eine Anzahl von Autoren, die Böhm
am Schlusse seines Werkes ausführlich kritisch bedenkt, wie z. B.
Marshall, Dietzel u. a., hatte er bereits in seiner früher erschienenen
Schrift „Einige strittige Fragen der Kapitalstheorie“ besprochen — ich
will daher meine Bemerkung über den letzten Abschnitt des Böhm’schen
Werkes mit meiner Anzeige seiner kleineren Schrift verknüpfen. Letztere
ist eine Zusammenfassung von drei Abhandlungen, die im Laufe des Jahres
1899 in der „Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung“
erschienen waren und sich mit einzelnen Problemen der Zinstheorie
beschäftigten —.
Die Lorbeeren, die der Dogmenhistoriker und Dogmenkritiker Böhm
in überreichem Maße eingeheimst hat, sind bisher dem Dogmatiker
Böhm nur in sehr spärlichem Maße zu teil geworden; seine neue Agio-
theorie hat nur sehr wenig Zustimmung gefunden. In Deutschland ist
kaum ein namhafter Autor zu nennen, der sich rückhaltlos als Anhänger
der Böhm’schen Theorie bekannt hätte und auch in der Heimat
des Verfassers haben selbst viele seiner Fachgenossen, die in der Frage
der Wertlehre mit ihm einig sind, für diese Lehre ihm die Gefolgschaft
verweigert; verhältnismäßig am meisten Anklang hat die Büh m’sche
Theorie in der englisch-amerikanischen und in der skandinavischen
Litteratur gefunden — doch überwiegt auch dort der Widerspruch —.
Dieser kühlen Stellungnahme der Wissenschaft gegenüber der Böhm "schen
Theorie entspricht auch der Standpunkt der Kritik seiner Lehre; eine
systematische, alle Einzelheiten gründlich beleuchtende Kritik ist der
Böhm’ schen Theorie nur vereinzelt zu teil geworden; es handelt sich
Litteratur. 835
— wenigstens in Deutschland — überwiegend um einzelne theoretisch
interessante Punkte, die herausgegriffen und zum Gegenstand der Kritik
gemacht wurden. Im einzelnen sei besonders auf folgendes hingewiesen.
Den Satz, deu Böhm bei der Begründung seiner Kapitalstheorie
wiederholt aufgestellt, daß nämlich „mittels längerer, zeitraubenderer
Produktionsumwege in der Regel ein größeres Produkt zu erzielen ist“,
wurde von verschiedener Seite, z. B. von Lexis, White, Taussigin
Zweifel gezogen. Es wurde diesem Satze die Erfahrungsthatsache der
Technik entgegengehalten, daß im Gegenteil der menschliche Erfindungs-
geist immer mehr dahin strebe, die Produktivitätssteigerung nicht durch
Verlängerung der Produktionsperiode, sondern umgekehrt durch Ver-
kürzung der Produktionsperiode herbeizuführen. Die Gegner wiesen
besonders auf die glücklichen und ingeniösen Erfindungen hin, die es
gestatten, ein größeres Produkt unter gleichzeitiger Abkürzung der
Produktionszeit zu erlangen. Mir scheint, daß in dem vorliegenden
Streitfalle sehr viel Mißverständnis und Wortklauberei mit unterläuft.
Wie einerseits Böhm nicht von dem Vorwurf freizusprechen ist, nicht
genügend klar hervorgehoben zu haben, daß er mit seiner These nur
einen sehr wichtigen Hauptfall aus der kapitalistischen Technik heran-
gezogen hat, ohne alle empirischen Möglichkeiten erschöpfen zu wollen,
so haben seine Gegner den Fehler gemacht, aus gewissen Abweichungen
von der Böhm’schen Regel, die sie koustatierten, eine ungenügende Fun-
damentierung seiner Zinstheorie zu folgern. Jetzt, nachdem Böhm
ausführlich seinen Satz nach allen Richtungen hin erläutert hat,
werden wohl die Mißverständnisse beseitigt sein. Der Grundgedanke
der Böhm’schen Zinstheorie, daß die Nachfrage nach Gegenwarts-
gütern, welche die Möglichkeit gewähren, durch Verlängerung der Pro-
duktionsumwege das Produktionserträgnis zu steigern, auch bei der
reichsten Nation das Angebot an solchen Gütern übersteigt und dadurch
ein Agio auf Gegenwartsgüter, d. h. den Zins begründet, ist durch
obiges Gegenargument nicht zu widerlegen. Die Sache läge anders,
wenn Böhm behauptet hätte, die kapitalistische Produktion beruhe aus-
nahmslos auf dem Einschlagen zeitraubender Produktionsumwege; dies
hat er aber nicht behauptet, sondern nur eine wichtige, aber keineswegs
allgemein geltende Erscheinung der kapitalistischen Produktion hervor-
heben wollen. — Wollte man den Kern der oben genannten Böhm-
schen These leugnen, so müßte man alles leugnen, was über das Wesen
des Kapitals längst feststeht; denn, wenn alles Nebensächliche fort-
gelassen wird, soll dieser Böhm’sche Satz nur den einfachen Vorgang
der kapitalistischen im Gegensatz zur kapitallosen Produktion erläutern;
die von Böhm in seinem Werke gegebenen Beispiele sind sehr gut
gewählt, um diesen Vorgang deutlich zu machen. Kapitallose Produktion
beruht darauf, daß menschliche Arbeit und Naturkraft direkt auf Er-
zeugung eines Genufgutes gerichtet werden; kapitalistische Produktion
besteht darin, daß menschliche Arbeit und Naturkraft zuerst auf Her-
stellung eines Zwischengutes, d. h. eines Produktionsmittels gerichtet
werden, mit Hilfe dessen erst die fertigen Genußgüter gewonnen werden.
Daß dieser Vorgang in der Regel auch, wie Böhm hervorhebt, ein
53*
836 Litteratur.
zeitraubender Produktionsumweg ist — man denke an das Schulbeispiel
des Fischens mit und ohne Boot und Netz —, ist ebenso richtig, wie
es andererseits unbestreitbar ist, daß in zahllosen Fällen, namentlich
bei entwickelter Produktionstechnik, weitere Produktionsverbesserungen
gerade auf dem Wege der Abkürzung des Produktionsweges gemacht
werden. Böhm’s Grundsatz, daß es jederzeit Gelegenheit giebt, durch
eine Verlängerung des Produktionsweges — man denke an Meliorationen,
an neue Kapitalinvestitionen in alten Betrieben — ein größeres Produkt
zu erzielen, wird also thatsächlich nicht durch den allerdings ebenso
richtigen Satz erschüttert, daß häufig Erfindungen gemacht werden, in-
folge deren ein bestimmter, neu gefundener, kürzerer Produktionsweg
ergiebiger ist, als ein bestimmter, vorher üblicher, längerer Produk-
tionsweg.
Wenn ich bisher der Antikritik Böhm’s zustimmen konnte,
so muß ich fortan fast allen seinen weiteren Einwänden gegen Lexis
und andere seiner Kritiker widersprechen. Hier ist zunächst der Ein-
wände Lexis’ zu gedenken, die sich gegen das Theoretisieren mit un-
gekannten Größen richten. Gewiß ist es richtig, den volkswirt-
schaftlichen Produktionsprozeß als ein Ganzes aufzufassen und dem-
entsprechend die Kapitalgüter als aufgespeicherte Arbeit, die dem Zweck
dient, gewisse Endprodukte zu liefern; richtig ist auch, daß in den
fertigen Genußgütern sowohl die unmittelbare Arbeit der im letzten
Produktionsstadium beschäftigten Arbeiter, als die mittelbare Arbeit der
zur Produktion nötigen Produktivmittel enthalten ist: aber von hier ist
es noch ein weiter Weg bis zu der meines Erachtens verfehlten Be-
trachtungsweise, die Kapitalgüter in direkte rechnerische Beziehung
zu setzen zu dem schließlichen Produkte, also etwa alle Arbeitsauf-
wendungen, die zur Baumwollproduktion nötig sind, in ein bestimmtes
rechnerisches Wertverhältnis zu setzen zu den fertigen Baumwoll-
waren, wobei für alle diese „Werte“ exakte Ziffern von Böhm an-
genommen werden und auf Grund solcher rein willkürlich angenommener
Ziffern die weitgehendsten Schlüsse in Bezug auf die Zinsentstehung
und Zinshöhe gezogen werden. — Lexis hat ganz recht mit seinem
Einwande, daß es nicht ersichtlich sei, wie man erfahrungsgemäß die
Funktion p (die Größe des Arbeitsertrags bei bestimmter Länge der Pro-
duktionsperiode) für die verschiedenen Produktionszweige ermitteln
könnte, zumal man bei jeder Produktion mit der Produktion der Pro-
duktionsmittel beginnen müsse. — Böhm meint zwar (S. 50): „Auch
wenn wir gar keine Vorstellung davon haben, oder uns zu bilden
bemüht sind, eine wie lange Produktionsperiode die ineinandergreifenden
Thätigkeiten der Landwirte, die die rohe Wolle erzeugen, der Spinner,
die das Garn, der Weber, die das Tuch daraus fertigen, der Maschinen-
bauer, welche die Spinn- und Webstühle, der Bauarbeiter, welche die
Fabrikgebäude, der zahllosen anderen Arbeiter, welche die sonst nötigen
Werkzeuge und Hilfsstoffe erzeugen, endlich der Schneider, welche die
fertigen Kleider herstellen, zusammengenommen ausfüllen mögen, so ist
es axiomatisch klar, daß der Ersatz solcher Arbeiter, welche unmittel-
bar vor der Herstellung des genußreifen Endproduktes, also mit einer
Litteratur. 837
kurzen Wartezeit thätig waren, durch solche andere Arbeiter, welche
in früheren technischen Stadien, also mit einer längeren Wartezeit thätig
zu sein haben, die durchschnittliche Wartezeit im ganzen erhöhen muß.“
— Wenn dies nur heißen soll, daß durch eine Verlängerung der Gesamt-
periode auch eine Vergrößerung des Produktes zu erzielen ist, so kann
das wieder zugegeben werden; dann läge wieder nur eine allgemeine
Beschreibung des kapitalistischen Produktionprozesses vor; aber
thatsächlich will Böhm noch viel mehr behaupten; er will den Zins
erklären durch eine Wertdifferenz zwischen den im Produktions-
prozesse aufgebrauchten Gütern und den erzielten Produkten und hierzu
muß er für alle in Betracht kommenden Faktoren bestimmte Zittern
aufstellen, und dieses Verfahren erscheint mir wegen der Unbestimmt-
heit aller dieser Zahlen irreführend, Lexis bemängelte auch mit
Recht die Zusammenfassung des arbeitsteiligen Produktionsprozesses in
einen Gesamtprozeß in der Art, wie Böhm dies versteht: Böhm läßt
nämlich die Höhe des Zinsfußes abhängen von der Ergiebigkeit der
letzten noch gestatteten Produktionsverlängerung, und zwar genauer
beschrieben, in der Art, daß die Kapitaleinheit, die nötig ist, um eine
solche Verlängerung für je eine Arbeitskraft durchzusetzen, so viel an
Zins tragen müsse, als das Mehrerträgnis ausmache, welches im Durch-
schnitt des betreffenden produktiven Gesamtprozesses für je eine in
demselben verwendete Arbeitskraft aus jener Verlängerung resultiere.
— Sonach wird der ganze Produktions- und Umlaufsprozeß von Beginn
der vorbereitenden Arbeiten bis zum Absatz des fertigen Produktes
als einem einzigen Geschäftsbetriebe angehörend gedacht; Lexis hält es
aber mit Recht für unbewiesen, daß der Zinsfuß durch die Gesamtheit
der für jedes Gut verschiedenen Produktionsperioden bestimmt sei. Es
ist Böhm nicht gelungen, die treffenden Einwendungen Lexis’ zurück-
zuweisen, der einen funktionalen Zusammenhang der Länge der Pro-
duktionsperiode und der Produktivität der Arbeit leugnet, d. h. es für un-
möglich ansieht, daß der jährliche Arbeitsertrag p eine Funktion von
t sei (der in Jahren ausgedrückten Zeit) und zwar in der Art, daß p
bei gleicher Kapitalanlage immer größer werde, je melır die Produktions-
periode zunehme, wobei jedoch die Größe der sich folgenden Mehr-
erträgnisse abnehmen müsse. — Ich stimme durchaus der Ansicht
Lexis’ zu, daß die Rentabilitätsverhältnisse der einzelnen Teilbetriebe,
für welche lediglich die Geschäftsperiode des betreffenden Teilbetriebes
und in keiner Weise die Länge der gesamten Produktionsperiode in
Betracht komme, selbständig und unmittelbar den Zinsfuß beeinflussen,
ohne jeglichen „übergreifenden“ Einfluß eines Teilbetriebes auf den
anderen. — Ich gehe noch weiter als Lexis und leugne überhaupt die
Existenz eines sogenannten „normalen“ Kapitalgewinnes und ebenso die
„Tendenz zur Grewinnausgleichung“. Lexis spricht selbst wiederholt
von einem „normalen“ Gewinne, erklärt ihn aber anders als Böhm;
für ihn ist der Kapitalgewinn bedingt durch die wirtschaftlichen Macht-
verhältnisse zwischen dem Kapitalbesitz einerseits und den besitzlosen
Arbeitern andererseits. Lexis’ Gegnerschaft gegen die Böhm’sche
Zinstheorie hängt jedoch aufs engste mit seiner ablehnenden Haltung
838 Litteratur.
gegenüber der Grenznutzentheorie zusammen; ohne daß dies speciell
in der Kritik der Böhm’schen Zinstheorie hervortritt, ist es deutlich
zwischen den Zeilen zu lesen. In demselben Hefte des Schmoller-
schen Jahrbuchs, worin Lexis Wicksell’s Arbeit anzeigt, bespricht er
auch Irving Fisher’s Mathematical Investigations in the theory of
values and prices und sagt dort (S. 328): „daß die Grenznutzentheorie
zwar die Erkenntnis der subjektiven psychologischen Bedingungen des
wirtschaftlichen Verhaltens der Einzelnen gefördert, aber die Verfolgung
des volkswirtschaftlichen Prozesses als eine nicht mechanische, sondern
wesentlich gesellschaftliche Massenerscheinung keineswegs erleichtert
hat“. —
Auch hiermit sind die Einwendungen Lexis’ keineswegs erschöpft;
um aber zu zeigen, inwieweit mir die Lexis’sche Kritik zutreffend zu
sein scheint und worin ich von ihr abweiche, möchte ich an dieser
Stelle kurz meine eigene kritische Stellungnahme zur Dohm schen Zins-
theorie darlegen; es wird sich dann auch mit Leichtigkeit ergeben, in-
wieweit ich mit den kritischen Einwendungen Dietzel’s und Phi-
lippovich's übereinstimme.
Meine Haupteinwände gegen die Böhm’sche Zinstheorie sind
folgende:
1) Böhm faßt das Zinsproblem als ein „natürlich-ökonomisches“
auf; der Zins entspringt nach ihm aus der Wertdifferenz gegenwärtiger
und zukünftiger Güter; diese Wertdifferenz beruhe aber auf ganz natür-
lichen Eigenschaften der Menschen, die sich auf jeder Wirtschaftsstufe
und innerhalb jedes, wie immer geordneten Wirtschaftssystems vorfänden.
— Der Zins im Sozialistenstaat, der Zins in der Robinsonwirtschaft,
der Zins in der entfalteten kapitalistischen Verkehrswirtschaft — im
Grunde seien alle diese Erscheinungen derselben ökonomischen Ursache
entsprungen. Dies scheint mir eine methodische Verirrung zu sein. Der
Zins kann nur aus einer bestimmten wirtschaftlichen Rechtsordnung
heraus erklärt werden — er ist und bleibt eine ,historisch-rechtliche“
und keine sogenannte „natürlich-ökonomische“ Kategorie. Denn wenn
auch zugegeben werden muß, daß die technisch größere Ergiebigkeit
eines mit Kapital ausgestatteten Betriebes gegenüber dem kapitallosen
Betrieb auch im sozialistischen Staate vorhanden ist, daß daher in der
Buchführung des Sozialistenstaates dem Kapitalfaktor ein gewisser Teil
des Ertrages zugerechnet werden muß, so ist dies doch etwas toto
coelo Verschiedenes von den auf Grund des privaten Kapitaleigentums ent-
stehenden Verhältnissen, ohne deren Mitberücksichtigung der Zins, wie
er sich in der kapitalistischen Wirtschaft entwickelt, gar nicht zu er-
klären ist. Ob man das, was im Sozialistenstaat der Mitwirkung des
Kapitals zugerechnet werden muß, noch Zins nennen will, ist eine
untergeordnete terminologische Frage; sachlich bietet sich uns
etwas ganz Neues dar, was niemals mit dem Zins innerhalb der herr-
schenden Wirtschaftsordnung einheitlich zu erklären ist.
2) Da Böhm den Zins erklärt aus der Wertdifferenz zwischen
Gegenwarts-und Zukunftsgütern, so muß auch der ganze Ballast
der Grenznutzentheorie in die Zinstheorie herübergezogen werden, was
Litteratur. 839
dieses Problem unnôtig erschwert und zu einem unendlich verschlungenen
und komplizierten gestaltet. Der Zins kann auch ohne den ungeheueren
Aufwand der Grenznutzentheorie erklärt werden. Zudem scheint mir
die Grenznutzentheorie auch sachlich unrichtig zu sein. So sehr diese
Theorie das unbestreitbare Verdienst hat, gegenüber der objektivisti-
schen Werttheorie der klassischen Nationalökonomie auf die Wichtigkeit
der subjektiven Momente bei der Wertbildung hingewiesen zu haben,
ist ihr grundlegender Gedanke, daß die Intensität der menschlichen
Lust- und Unlustgefühle einen passenden Wertmaßstab liefern könnte,
verfehlt; doch ist hier nicht der Ort, dies des näheren nachzuweisen.
3) Die drei Gründe, die Böhm für die Höherschätzung der
Gegenwartsgüter gegenüber den Zukunftsgütern anführt, nämlich erstens
den geringen Bedacht des Menschen für die Zukunft, zweitens die
Unterschätzung künftiger Lust- und Leidempfindungen und drittens die
technische Superiorität gegenwärtiger Produktivmittel sind der Art
und dem Grade nach so grundverschieden, daß sie nicht koordiniert
zur Erklärung des Kapitalzinses herangezogen werden können. Der
Art nach, denn die beiden ersten Gründe beruhen auf psychologischen
Eigentümlichkeiten der Menschen, der dritte ist eine Thatsache der
Technik, dem Grade nach, denn der dritte Grund ist so überwiegend
ausschlaggebend für die Bildung des Zinses, daß die beiden anderen
völlig dagegen zurücktreten müssen. Die Thatsache, daß der bei der
Produktion mit einem Gütervorrate Ausgestattete im Vorzuge ist gegen-
über dem nur auf seine Arbeitskraft Angewiesenen, wirkt so mächtig,
daß diese Ursache allein zur Erklärung des Zinses ausreicht. Die an-
geführten psychologischen Momente können wohl für die Höhe des
Zinses von Einfluß sein; für das Wesen und die Entstehung des
Zinses können sie außer Betracht bleiben. — Sehen wir nun die dritte
Ursache etwas näher an, nämlich die technische Superiorität der Pro-
duktivmittel, so erkennen wir einen alten Bekannten, nämlich die von
Böhm so heftig angegriffene Produktivitätstheorie in nuce wieder;
denn diese hatte ebenfalls — wenn auch in anderer und angreifbarer
Form — die Quelle des Zinses in bestimmten produktiven Quali-
täten des Kapitals erkannt: wenn wir diese Teilursache Böhm’s als den
eigentlichen Kern der Zinstheorie ansehen, so ergiebt sich, daß die
Böhm’sche Agiotheorie nicht so fundamental von der alten wichtigsten
und verbreitetsten Zinstheorie entfernt ist, wie der Verf. annimmt. Ja,
mir scheint, daß gerade durch die Böhm’sche Theorie die alte Pro-
duktivitätstheorie eine neue Bekräftigung erfahren hat. Freilich kommt
alles darauf an, daß sie in richtiger Weise verstanden und erklärt wird.
Daß die alte Produktivitätstheorie sich schwerer Fehler nach dieser Richtung
hin schuldig gemacht hat, muß Böhm unbedingt zugegeben werden. —
Vor allem kann es sich bei der sogenannten Produktivität des Kapitals
nur um physische oder technische, nie um Wertproduktivität handeln. —
Damit komme ich zu einer weiteren Abweichung von Böhm.
4) Es ist richtig, daß die ältere (gegenwärtige) Produktivmittel-
menge der gleich großen jüngeren (künftigen) technisch überlegen ist;
aber ist sie auch in der Höhe des Wertes überlegen? Diese Frage
838 Litteratur.
gegenüber der Grenznutzentheorie zusammen; ohne daß dies speciell
in der Kritik der Böhm’schen Zinstheorie hervortritt, ist es deutlich
zwischen den Zeilen zu lesen. In demselben Hefte des Schmoller-
schen Jahrbuchs, worin Lexis Wieksell’s Arbeit anzeigt, bespricht er
auch Irving Fisher’s Mathematical Investigations in the theory of
values and prices und sagt dort (S. 328): „daß die Grenznutzentheorie
zwar die Erkenntnis der subjektiven psychologischen Bedingungen des
wirtschaftlichen Verhaltens der Einzelnen gefördert, aber die Verfolgung
des volkswirtschaftlichen Prozesses als eine nicht mechanische, sondern
wesentlich gesellschaftliche Massenerscheinung keineswegs erleichtert
hat“. —
Auch hiermit sind die Einwendungen Lexis’ keineswegs erschöpft;
um aber zu zeigen, inwieweit mir die Lexis’sche Kritik zutreffend zu
sein scheint und worin ich von ihr abweiche, möchte ich an dieser
Stelle kurz meine eigene kritische Stellungnahme zur Böhm schen Zins-
theorie darlegen; es wird sich dann auch mit Leichtigkeit ergeben, in-
wieweit ich mit den kritischen Einwendungen Dietzel’s und Phi-
lippovich’s übereinstimme.
Meine Haupteinwände gegen die Böhm’sche Zinstheorie sind
folgende:
1) Böhm faßt das Zinsproblem als ein „natürlich-ökonomisches“
auf; der Zins entspringt nach ihm aus der Wertdifferenz gegenwärtiger
und zukünftiger Güter; diese Wertdifferenz beruhe aber auf ganz natür-
lichen Eigenschaften der Menschen, die sich auf jeder Wirtschaftsstufe
und innerhalb jedes, wie immer geordneten Wirtschaftssystems vorfänden.
— Der Zins im Sozialistenstaat, der Zins in der Robinsonwirtschaft,
der Zins in der entfalteten kapitalistischen Verkehrswirtschaft — im
Grunde seien alle diese Erscheinungen derselben ökonomischen Ursache
entsprungen. Dies scheint mir eine methodische Verirrung zu sein. Der
Zins kann nur aus einer bestimmten wirtschaftlichen Rechtsordnung
heraus erklärt werden — er ist und bleibt eine „historisch-rechtliche“
und keine sogenannte „natürlich-ökonomische“ Kategorie. Denn wenn
auch zugegeben werden muß, daß die technisch größere Ergiebigkeit
eines mit Kapital ausgestatteten Betriebes gegenüber dem kapitallosen
Betrieb auch im sozialistischen Staate vorhanden ist, daß daher in der
Buchführung des Sozialistenstaates dem Kapitalfaktor ein gewisser Teil
des Ertrages zugerechnet werden muß, so ist dies doch etwas toto
coelo Verschiedenes von den auf Grund des privaten Kapitaleigentums ent-
stehenden Verhältnissen, ohne deren Mitberücksichtigung der Zins, wie
er sich in der kapitalistischen Wirtschaft entwickelt, gar nicht zu er-
klären ist. Ob man das, was im Sozialistenstaat der Mitwirkung des
Kapitals zugerechnet werden muß, noch Zins nennen will, ist eine
untergeordnete terminologische Frage; sachlich bietet sich uns
etwas ganz Neues dar, was niemals mit dem Zins innerhalb der herr-
schenden Wirtschaftsordnung einheitlich zu erklären ist.
2) Da Böhm den Zins erklärt aus der Wertdifferenz zwischen
Gegenwarts-und Zukunftsgütern, so muß auch der ganze Ballast
der Grenznutzentheorie in die Zinstheorie herübergezogen werden, was
Litteratur. 839
dieses Problem unnötig erschwert und zu einem unendlich verschlungenen
und komplizierten gestaltet. Der Zins kann auch ohne den ungeheueren
Aufwand der Grenznutzentheorie erklärt werden. Zudem scheint mir
die Grenznutzentheorie auch sachlich unrichtig zu sein. So sehr diese
Theorie das unbestreitbare Verdienst hat, gegenüber der objektivisti-
schen Werttheorie der klassischen Nationalökonomie auf die Wichtigkeit
der subjektiven Momente bei der Wertbildung hingewiesen zu haben,
ist ihr grundlegender Gedanke, daß die Intensität der menschlichen
Lust- und Unlustgefühle einen passenden Wertmaßstab liefern könnte,
verfehlt; doch ist hier nicht der Ort, dies des näheren nachzuweisen.
3) Die drei Gründe, die Böhm für die Höherschätzung der
Gegenwartsgüter gegenüber den Zukunftsgütern anführt, nämlich erstens
den geringen Bedacht des Menschen für die Zukunft, zweitens die
Unterschätzung künftiger Lust- und Leidempfindungen und drittens die
technische Superiorität gegenwärtiger Produktivmittel sind der Art
und dem Grade nach so grundverschieden, daß sie nicht koordiniert
zur Erklärung des Kapitalzinses herangezogen werden können. Der
Art nach, denn die beiden ersten Gründe beruhen auf psychologischen
Eigentümlichkeiten der Menschen, der dritte ist eine Thatsache der
Technik, dem Grade nach, denn der dritte Grund ist so überwiegend
ausschlaggebend für die Bildung des Zinses, daß die beiden anderen
völlig dagegen zurücktreten müssen. Die Thatsache, daß der bei der
Produktion mit einem Gütervorrate Ausgestattete im Vorzuge ist gegen-
über dem nur auf seine Arbeitskraft Angewiesenen, wirkt so mächtig,
daß diese Ursache allein zur Erklärung des Zinses ausreicht. Die an-
geführten psychologischen Momente können wohl für die Höhe des
Zinses von Einfluß sein; für das Wesen und die Entstehung des:
Zinses können sie außer Betracht bleiben. — Sehen wir nun die dritte
Ursache etwas näher an, nämlich die technische Superiorität der Pro-
duktivmittel, so erkennen wir einen alten Bekannten, nämlich die von
Böhm so heftig angegriffene Produktivitätstheorie in nuce wieder;
denn diese hatte ebenfalls — wenn auch in anderer und angreifbarer
Form — die Quelle des Zinses in bestimmten produktiven Quali-
täten des Kapitals erkannt: wenn wir diese Teilursache Böhm’s als den
eigentlichen Kern der Zinstheorie ansehen, so ergiebt sich, daß die
Böhm’sche Agiotheorie nicht so fundamental von der alten wichtigsten
und verbreitetsten Zinstheorie entfernt ist, wie der Verf. annimmt. Ja,
mir scheint, daß gerade durch die Böhm’sche Theorie die alte Pro-
duktivitätstheorie eine neue Bekräftigung erfahren hat. Freilich kommt
alles darauf an, daß sie in richtiger Weise verstanden und erklärt wird.
Daß die alte Produktivitätstheorie sich schwerer Fehler nach dieser Richtung
hin schuldig gemacht hat, muß Böhm unbedingt zugegeben werden. —
Vor allem kann es sich bei der sogenannten Produktivität des Kapitals
nur um physische oder technische, nie um Wertproduktivität handeln. —
Damit komme ich zu einer weiteren Abweichung von Böhm.
4) Es ist richtig, daß die ältere (gegenwärtige) Produktivmittel-
ınenge der gleich großen jüngeren (künftigen) technisch überlegen ist;
aber ist sie auch in der Höhe des Wertes überlegen? Diese Frage
840 Litteratur.
wirft Böhm auf und beantwortet sie bejahend, indem er seine Unter-
suchung auch auf den Grenznutzen und Wert der Produktivmittel aus-
dehnt. Nach Böhm hängt aber der Grenznutzen und Wert von Pro-
duktivmitteln vom voraussichtlichen Werte ihrer Produkte ab. „Nun kann
man aber“, so führt Böhm fort (Kapital und Kapitalzins II, S. 279),
„je nachdem man unser Produktivmittel „„Arbeitsmonat‘““ in eine Augen-
blicksproduktion oder in eine solche mit 1-, 2-, 3- oder 10-jähriger Pro-
duktionsperiode investiert, ein sehr verschiedenes Produkt, 100, 200,
280, 350 Einheiten u. s. f. erlangen: welches dieser Produkte soll das
maßgebende sein?“ Böhm antwortet darauf: „dasjenige Produkt, das
die höchste Wertsumme darstellt“ — Dieses müsse aber nicht
mit demjenigen Produkte zusammenfallen, welches die größte Stückzahl
enthielte; denn die größte Stückzahl würden wir durch einen langen,
vielleicht 100 oder 200 Jahre dauernden Produktionsprozeß erlangen;
Güter aber, die erst zu Lebzeiten unserer Urenkel und Ururenkel zur
Verfügung gelangten, hätten in unserer Schätzung so gut wie gar keinen
Wert. — Es käme vielmehr an auf den mutmaßlichen Stand unserer
Versorgung in den verschiedenen Zeiträumen; zweitens komme in
Betracht, daß es für unsere gegenwärtige Wertschätzung eines künftigen
Gutes nicht auf den wahren Grenznutzen, sondern auf unseren sub-
jektiven Anschlag davon ankomme. Bei diesem fände aber aus
dem oben angeführten Grund eine perspektivische Verkleinerung statt. Die
malgebende größte Wertsumme werde daher offenbar demjenigen unter
den verschiedenen möglichen Produkten zukomme, dessen Stückzahl
multipliziert mit dem Werte der Produkteinheit, wie er sich mit Rück-
sicht auf das Verhältnis von Bedarf und Deckung in der betreffenden
-Wirtschaftsperiode und mit Rücksicht auf die bei künftigen Gütern eintre-
tende perspektivische Reduktion ergäbe, die größte Wertziffer gäbe.
Böhm giebt folgendes Zahlenbeispiel. Er nimmt an, für irgend
ein Individuum betrüge nach seinen besonderen im ganzen sich zuneh-
mend verbessernden Versorgungsverhältnissen der wahre Grenznutzen und
Wert der Produkteinheit im Jahre 1888: 5, im Jahre 1889: 4, 1890:
3,3, 1891: 2,5 1892: 2,2, 1893: 2,1 1894: 2, 1895: 1,5 Werteinheiten;
dieser wahre Grenznutzen erfahre sodann für die späteren Jahrgänge
eine unregelmäßig zunehmende perspektivische Reduktion in der Art,
daß er für 1888 subjektiv veranschlagt werde auf 5 (ohne Reduktion),
für 1889 auf 3,8, für 1890 auf 3, für 1891 auf 2,2, für 1892 auf 2,
für 1893 auf 1,8, für 1894 auf 1,5 und für 1895 anf 1. Böhm be-
rechnet auf Grund dieser Ziffern die Wertsumme des ganzen Pro-
dukts eines im Jahre 1888 verfügbaren Arbeitsmonats und er rechnet
heraus, daß für die Wirtschaftsperiode 1888 die 100 Produkte des Ar-
beitsmonats 500 wert seien, für das Jahr 1889 die 200 Produkte des-
selben Arbeitsmonats 760, für das Jahr 1890 die 260 Produkte 840
Werteinheiten und daß dieses die höchste Wertsumme darstelle, da zwar
für 1891 350 Produkte zu erzielen seien, aber nur mit Grenznutzen 2,2:
also insgesamt 770 Werteinheiten u.s. w. in absteigender Linie —
Gegen diese ganze Rechnung habe ich mannigfache Bedenken geltend
zu machen: Vor allem ist zu bemerken, daß die ganze Aufstellung unter
Litteratur. 841
einer sehr wichtigen Voraussetzung gemacht ist: daß nämlich die fer-
tigen Produkte auch Käufer finden, daß sie in entsprechender Zahl
gewünscht und begehrt werden und zwar von zahlungskräftigen Käufern;
mit anderen Worten, Böhm setzt eine glücklich geleitete Produk-
tion voraus. Erst die künftige Marktlage wird aber ergeben, ob die künftige
Produktenmenge auch wirklich einen größeren Wert repräsentiert als
die aufgebrauchte Kapitalsubstanz. Auch darin kann ich Böhm nicht
zustimmen, daß er den Wert der Produktivmittel bemessen will am
Werte der mit ihrer Hilfe zu erlangenden fertigen Konsumtionsgüter;
wenn Böhm meint (II, 316), daß die Produktivmittelgruppe, aus der
wir 100 Ctr. Getreide erlangen, für unsere Bedürfnisbefriedigung genau
dieselbe Bedeutung habe wie die 100 Ctr. Getreide, in die sie sich
verwandle, und daß daraus folge, daß auch die Produktivmittel, wenn
man sie gegen gegenwärtige Güter abschätze, einer geringeren als der-
jenigen Stückzahl genufreifer Schlußprodukte gleichwertig befunden
würde, welche man aus ihnen erzeugen könne — so frage ich: Warum
sollen nicht Produktivmittel ebenso wie Genußgüter bewertet werden, näm-
lich auf Grund ihrer Brauchbarkeit? — Daß in diesem Falle die
Brauchbarkeit, z. B. einer Maschine darin besteht, daß ich andere Güter
mit ihrer Hilfe verfertige, ist eine Sache für sich; deswegen bewerte
ich aber doch nicht die Maschine auf Grund einer bestimmten Anzahl fertiger
Güter, die ich möglicherweise mit ihrer Hilfe herstellen kann. — Böhm
führt dies alles aber konsequent und zwar in Ziffern fixiert durch. —
Aus dem ausführlichen Citat geht hervor, daß er die aus einem Arbeits-
monate zu erzielenden Produkte nicht nur zahlenmäßig feststellt, sondern
sogar ihrem Werte nach — wobei noch die rein subjektive mensch-
liche Ueberschätzung der Gegenwart in Rechnung gestellt wird. Alle
diese Berechnungen beruhen aber auf ganz unsicherer Grundlage und geben
daher kein zutrettendes Bild von der wirklichen wirtschaftlichen Sachlage.
Ich habe überhaupt beim Durcharbeiten der Böhm’schen Gedanken-
gänge, so lehrreich und anregend sie sein mögen, doch stets den Ein-
druck, als ob die ungeheuere Menge von Geisteskraft, die hier zur
Erklärung des Zinsphänomens aufgewendet wird, nicht im richtigen
Verhältnis zur Schwierigkeit des Problems stände, je daß das ganze
Problem durch die Masse theoretischen Details, durch das man sich
erst durcharbeiten muß, erschwert wird.
Trotz aller scharfsinnigen Kritik, die Böhm speciell an der so-
genannten Produktivitätstheorie übt, halte ich letztere im Kerne für un-
umstößlich richtig. In den Mittelpunkt der Zinstheorie ist demnach der
Böhm’sche Satz zu stellen, daß ein bestimmter Vorrat an Gegenwarts-
gütern die Vorbedingung kapitalistischer Produktion ist und daß ein mit
Kapital ausgestatteter Produzent mehr Güter herzustellen imstande ist,
als der kapitallose Produzent. Damit soll keine „Produktivität“ des
Kapitales im strengen Wortsinne statuiert sein, sondern nur im Sinne einer
Unterstützung der allein produktiven Menschenkraft ; natürlich kann es sich
auch nur um „physische“ Produktivität handeln. Um die Gegenwarts-
güter kapitalistisch benutzen zu können, muß ich sie aber eine gewisse Zeit
hindurch im Produktionsprozesse binden — auf die Natur dieser Güter
842 Litteratur.
kommt es nicht an, es können fertige Genußgüter sein, die den Arbeitern
als Lohn gegeben werden, es können Produktionsmittel sein, es können Geld-
summen sein etc. — das wesentliche ist, daß die betreffenden Güter
eine Zeit lang irgendwie gebunden sind. Dies macht sich in folgender
Weise bei der Tauschwertbildung geltend. Z. B. ein Gut A im Werte
von 100 M. wird von mir Zug um Zug erworben durch die Hingabe
von 100 M. — für dieses selbe Gut A muß ich jedoch eine größere
Summe hingeben, wenn ich erst nach einem Jahre den Gegenwert hin-
gebe. Warum? Beim Tausch Zug um Zug räume ich dem Kontra-
henten alle Verwertungsmöglichkeiten seines Gutes ein, beim Tausch der
zweiten Art jedoch ist ihm die kapitalistische Verwertungsmöglichkeit
für ein Jahr lang entzogen — zur Entschädigung dafür muß ich ihm nach
Jahresfrist einen höheren Wert hingeben. Die Sache liegt natürlich
ganz ebenso, wenn ein Unternehmer Kapital im eigenen Unternehmen
verwendet; wenn er einen Gütervorrat bucht, dessen Gegenwert ihm erst
ein Jahr später zu teil werden kann, so muß er nach Jahresfrist aus
demselben Grunde, wie oben, einen höheren Wert ansetzen. Ich glaube,
daß auf diese Weise ohne Zuhilfenahme eines besonderen Gutes „Nutzung“
einfach aus der physischen Produktivität des Kapitals und des damit
zusammenhängenden Mehrwertes der Gegenwartsgüter der Zins und
zwar für alle Abarten desselben erklärt werden kann.
5) Wenn uns die Böhm’sche Grunderklärung der Zinserscheinung
nicht annehmbar erscheint, so haben wir noch besondere Bedenken gegen
den Spezialfall des Kapitalgewinnes der Unternehmer geltend zu machen;
hier hat Böhm offenbar nicht scharf genug Zins vom Unternehmer-
gewinn geschieden. Böhm nimmt nämlich einen „mittleren“ oder
„normalen“ Kapitalgewinn an, den der Unternehmer erzielen müsse, und
zwar bestehe in der Volkswirtschaft die Tendenz, den Gewinn immer wieder
auf die „normale“ Höhe zu bringen, wenn er auch temporär nach
oben und unten von dieser Höhe abweichen könne. Diesen „normalen“
Kapitalgewinn der Unternehmer erklärt Böhm auch nach seinem all-
gemeinen Schema und zwar so, daß die Unternehmer als Käufer von
Gütern entfernterer Ordnungen erscheinen, von Produktivmitteln, wie
Rohstoffen, Werkzeugen, Maschinen, Bodennutzungen und hauptsächlich
Arbeitsleistungen, die sie durch den Produktionsprozeß in Güter erster
Ordnung, in genußreife Produkte umsetzen; dabei fällt für sie ein im
Verhältnis zur Größe ihres Geschäftskapitals stehender Wertgewinn ab;
dieser Kapitalgewinn soll in der Hand des Kapitalisten so entstehen,
daß seine Zukunttsware während des Fortschreitens der Produktion allmäh-
lich zur Gegenwartsware ausreife und damit in den Vollwert der Gegen-
wartsware hineinwachse (II, 318). Daneben existiert noch ein besonderer
Unternehmergewinn; dieser ist für Böhm eine über das „normale“ Maß
hinausgehende Prämie für die Auffindung und Ausnutzung der in der
gegenwärtigen Konjunktur günstigsten Verwendungsgelegenheiten; diese
Prämie werde aber gewöhnlich nicht lange dauern; sie locke in be-
kannter Weise die Mitbewerbung und diese drücke den Preis herab
(II, 326). Böhm spricht auch von „Konjunkturgewinnen“, die temporär
möglich seien (II, 328).
Litteratur. 843
Die hier vorgetragene Kapitalgewinntheorie scheint mir mit dem
Wesen und der Bedeutung der Unternehmerthätigkeit nicht vereinbar
zn sein; vielmehr ist die Bildung dieses Kapitalgewinnes viel zu eng
verknüpft mit der persönlichen Leistung des Unternehmers, als daß hier
von einem Wertwachstum der Produktivmittel auf Grund ihrer einfachen
technischen Ueberlegenheit gesprochen werden könnte. „Von selbst“
wächst den Produktivmitteln kein Mehrwert zu, sondern nur ver-
mittelst der geschickten Leitung des Produktionsprozesses seitens des
Unternehmers; daher auch der Kapitalgewinn der Unternehmer niemals
mit dem für die Zinstheorie üblichen Schema erklärt werden kann. Wenn
Böhm die Frage aufwirft (II, 331) „Warum muß der Marktpreis der
Arbeit immer niedriger stehen, als der seinerzeitige Wert und Preis des
fertigen Arbeitsproduktes ?“, so werden hier ganz incommensurable Größen
einander gegenübergestellt: nämlich die Arbeitskraft einerseits und das
mit Hilfe dieser Arbeit hergestellte Produkt anderseits. Ganz abgesehen
von der Schwierigkeit, festzustellen, wieviel auf Rechnung der Arbeitskraft
kommt, ist auch hier wieder die Frage aufzuwerfen, ob das fertige
Arbeitsprodukt wirklich Wert- bezw. Mehrwert gegenüber den
Produktivmitteln aufweist. Ist dieser „W ert“ vorhanden, so ist die Mög-
lichkeit eines Kapitalgewinnes gegeben, aber doch nur vermittelt durch
die persönliche Thätigkeit des Unternehmers; die technische Ueberlegen-
heit der Gegenwartsgüter allein, die Böhm (II, 334) als das Entscheidende
für die Kapitalgewinne der Unternehmer betrachtet, ist doch nur die
Voraussetzung dafür, daß überhaupt kapitalistisch produziert wird; aber
erst die erfolgreiche Produktion führt zu Kapitalgewinn. Bei jedem
Ausfall der Produktion -— ob glücklich oder unglücklich — muß sich
allerdings der Unternehmer einen „Zins“ für das investierte Kapital
berechnen, dessen Höhe zu bemessen ist nach dem landesüblichen Zins
für völlig sichere Anlagen — alles, was darüber hinausgeht, ist Unter-
nehmergewinn, was dahinter zurückbleibt, Unternehmerverlust.
Somit bestreite ich überhaupt die Existenz eines „normalen“ Kapital-
gewinnes, der in der Praxis nicht vorkommt und theoretisch nicht kon-
struiert werden kann. Da die Kapitalgewinne nicht von der
technischen Ueberlegenheit der Produktionsmittel, sondern von der Per-
sönlichkeit des Unternehmers und den tausenderlei Zufälligkeiten der
Marktlage abhängen, sind sie auch unendlich verschieden in ihrer
Höhe — eine Ausgleichung findet nur statt für den Darlehnszins, dessen
durchschnittliche Höhe abhängt vom Stand der Nachfrage namentlich
seitens der Unternehmer, die Kapitalien für ihre Unternehmungen
brauchen und des Angebots seitens derer, die Kapitalien nutzbringend
anlegen wollen. — Die Frage, die Böhm aufwirft (Strittige Fragen 61),
„ob die Kapitaltheorie das Recht hat, das Walten der Gewinnaus-
gleichung bei der Entwickelung ihrer Gesetze vorauszusetzen“, ist
unbedingt zu verneinen. Böhm gelangt zu seiner Annahme eines
„normalen Kapitalgewinnes“ durch die Voraussetzung, daß die freie
Konkurrenz eine „quasi organisatorische“ Kraft äußere (Ebendort S. 61):
„Hat das Kapital wirklich die ungehemmte Freiheit, sich den jeweils
lohnendsten Verwendungsgelegenheiten zuzuwenden, dann kann eine über-
844 Litteratur.
mälige Gewinnanhäufung, die in einem einzelnen Gliede des arbeits-
teiligen Gesamtprozesses etwa auf Kosten der übrigen Glieder stattfände,
nicht andauernd sich erhalten, sie wird durch die sich zudrängende
Konkurrenz hinweg nivelliert, und der Gewinnsatz aller aufeinander-
folgenden arbeitsteiligen Stadien auf das gleiche Nieveau gebracht. Ist
dies aber der Fall, dann findet der Grad des Vorteils des produktiven
Gesammtprozesses sein ganz getreues Spiegelbild in der individuellen
Gewinnrate jedes Teilunternehmers, und vice versa. — Das Kapital hat
aber thatsächlich diese Freiheit nicht; hunderterlei Hemmnisse stehen
dem freien Ein- und Ausströmen der Kapitalien von einem Betriebs-
zweige zum anderen entgegen und aufs mannigfaltigste verschieden sind
die persönlichen Qualitäten des Unternehmers. Es ist die bekannte
Methode der klassischen Nationalökonomie und des modernen wissen-
schaftlichen Sozialismus, von allen derartigen Reibungen des that-
sächlichen wirtschaftlichen Lebens zu abstrahieren, um zu möglichst
glatten Formeln und höchst einfachen wissenschaftlichen „Gesetzen“ zu
gelangen. Man meint ein Werk aus der klassischen Nationalökonomie
vor sich zu haben, wenn man z. B. folgende Stelle bei Böhm liest
(S. 73): „Wer bei gesunkenen Preisen die nicht mehr lohnende Pro-
duktion einschränkt oder aufgiebt, wer bei hohen Preisen die Produktion
des abnorm lohnenden Artikels ausdehnt, vollzieht, indem er bewußt nur
dem eigenen Vorteil nachgeht, unbewußt die organisatorische Funktion,
daß er eine drohende oder begonnene Störung im Ebenmaß der
sozialen Versorgung auszugleichen, ein einseitiges Uebermaß der Pro-
duktion zu verringern, eine zu schwache Versorgung zu verstärken
hilft. So wenig er dabei ausdrücklich zu bedenken oder zu wissen
braucht, daß die Produktion zu schwach ist, und noch weniger, wie
stark sie und der ihr gegenüberstehende Bedarf ziffernmälig ist, gerade
so hilft in unserem Falle der Unternehmer, ohne irgend etwas von
langer oder kurzer Gesamtperiode, großen oder kleinen durchschnitt-
lichen Mehrerträgnissen u. s. f. zu wissen, dadurch allein, daß er die
jeweils für seinen Teilbetrieb vorteilhafteste Produktionsweise auswählt,
mittelbar denjenigen Produktionsmethoden die Bahn brechen, welche im
ganzen die von meiner Theorie vorausgesetzte symmetrische Beziehung
von Periodenlänge, Mehrerträgnis und Zinshöhe verwirklichen“. —
Böhm meint zwar, ein Einwand könnte nicht gegen die von ihm an-
genommene Gewinnausgleichung erhoben werden, sonst dürfte man auch
das Produktionskostengesetz nicht gelten lassen (S. 74): „Und
dennoch trägt die Theorie — mit Recht — kein Bedenken, die Ueberein-
stimmung der Preise mit jener im einzelnen Falle von niemanden je
wirklich gemessenen Größe zum Gegenstand eines Gesetzes zu machen,
an dem niemand zweifelt, daß es eine der wichtigsten und fruchtbarsten
Bereicherungen unserer Erkenntnis der wirtschaftlichen Zusammen-
hänge darstellt“. — Ich behaupte aber, daß auch das Produktionskosten-
gesetz eine unzulässige Abstraktion ist und die thatsächliche Preis-
bildung in keiner Weise zu erklären imstande ist. —
Wenn ich jetzt zu Böhm’s Polemik gegen seine Gegner zurück-
kehre, möchte ich kurz zusammenfassend mitteilen, daß Philippovich
Litteratur. 845
mir in der Hauptsache im Recht zu sein scheint, wenn er die Frage
des Dahrlehnszinses trennt von dem Kapitalgewiun der Unternehmer,
den er auf andere, mit persönlichen Elementen gemischte Entstehungs-
und Bestimmgründe zurückführt —; dagegen stimme ich Böhm zu in
seiner Antikritik der Dietzel’schen Anschauung, daß für die Erklärung
der Zinserscheinung mehrere Theorien gemeinsam herangezogen werden
müßten, für manche Zinsbezüge die Nutzungstheorie, für andere die Pro-
duktivitätstheorie, für wieder andere die Ausbeutungstheorie — dies
muß zu bedenklichem Eklektizismus und zu theoretischer Verschwommen-
heit führen. Ich stimme Böhm durchaus zu, daß die Zinserklärung
aus einem Gusse erfolgen muß. Besonders beherzigenswert sind aber
die vortrefflichen Ausführungen, die Böhm am Schlusse gegen die
Varianten der Ausbeutungstheorie erhebt, die sich bei Dietzel und
Lexis finden — sie zeigen von neuem den Meister glänzender, durch-
dringender Kritik.
Böhm hat versprochen, den zweiten Band seines Werkes eben-
falls in 2. Auflage in nicht ferner Zeit nachfolgen zu lassen — möchte
es ihm gelingen, dieses Versprechen möglichst bald zu erfüllen. Bei
jedem „echten Freund der Theorie“, möge er nun Anhänger oder
Gegner der Böhm’schen Agiotheorie sein, darf er auf das weit-
gehendste Interesse rechnen, das mit Recht allem, was wir seiner Feder
verdanken, entgegengebracht wird. —
846 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Sächsische Volkskunde. Unter Mitarbeit von ......
herausgegeben von Dr. Robert Wuttke. 2., umgearbeitete und
wesentlich vermehrte Auflage. Dresden 1901 (Schönfeld), 578 SS.
Auf Anregung des Herausgebers hat die um die Verbreitung ge-
diegener „politischer“ Bildung verdiente Gehe-Stiftung in Dresden Vor-
träge über sächsische Volkskunde veranstaltet. Dieselben bilden den
Grundstock des vorliegenden Sammelwerkes; wenngleich auch die Vor-
tragsform in der Regel abgestreift ist, so hat doch der Ton und die
Sprache des Buches die Allgemeinverständlichkeit im wesentlichen bei-
behalten. Um selbständige wissenschaftliche Arbeiten handelt es sich
daher nicht; aber die Namen der Bearbeiter geben doch die Bürgschaft
und die Vorträge im einzelnen bieten auch den Beweis, daß es sich um
die Wiedergabe gediegener Forschung handelt. Was in zahlreichen
Publikationen allgemeiner Art oder in speciell mit den sächsischen Ver-
hältnissen sich beschäftigenden Arbeiten zerstreut war, ist auf diese
Weise in schöner Form, mit zahlreichen Abbildungen, Karten und
Diagrammen erläutert, zusammengefaßt worden. Den Inhalt und die
einzelnen Bearbeiter zeigt folgende Uebersicht. I. Die Grundlagen des
Volkslebens: 1. Das sächsische Land. Von Prof. Dr. S. Ruge. —
2. Sachsens vorgeschichtliche Zeit. Von Prof. Dr. Deichmüller (mit
121 Abb. und 3 Karten). — 3. Die germanischen Bewohner Sachsens
vor der Slawenzeit. Von Dr. Ludwig Schmidt (mit 1 Karte). —
4. Verlauf und Formen der Besiedelung. Von Prof. Dr. E. O. Schulze
(mit 13 Abb.). — 5. Die Anfänge des sächsischen Städtewesens. Von
Reg.-Rat Dr. Ermisch (mit 6 Abb.). — II. Die Bevölkerung: 6. Stand
und Wachstum. — 7. Bevölkerungsgliederung. — 8. Verbrechen und
Selbstmord. Von Dr. Robert Wuttke (mit 7 Diagr.). — HL Aus
dem geistigen Leben des Volkes. 9. Volksdichtung in Sachsen. Von
Prof. Dr. Dunger. — 10. Die obersächsiche Hauptmundart. Von
Dr. Karl Franke. — 11. Sitten und Gebräuche im Kreislauf des
Jahres. — 12. Aberglaube und Volksmythen. Von Prof. Dr. E. Mogk.
— 13. Sprache und Dichtung der Wenden. Von Pfarrer K. J. Walther.
14. Volkssitte, Brauch und Aberglaube bei den Wenden. Von Pfarrer
Dr. Rentsch. — IV. Das künstlerische Wollen des Volkes. 15. Die
Dorfkirche. Von Hofrat Prof. Dr. C. Gurlitt (mit 17 Abb.) —
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 847
16. Haus und Hof. Von Oberbaukommissar Gruner (mit 54 Abb.). —
17. Die bäuerliche Wohnung. Von Landbaumeister K. Schmidt (mit
17 Abb.) — 18. Die bäuerliche Kleinkunst. Von Dr. A. Kurzwelly
(mit 47 Abb.). — 19. Die sächsischen Volkstrachten. Von Maler Prof.
O. Seyffert (mit 3 Abb. und 4 Farbendrucktafeln). — 20. Die Zukunft
der Volkstrachten. Von Hofrat Prof. Dr. C. Gurlitt. — Daraus er-
giebt sich, daß nicht alle Materien, die man zur Volkskunde zu rechnen
hat, berücksichtigt worden sind. Das ist die notwendige Folge der Ent-
stehung des Werkes aus Vorträgen bei gegebener Gelegenheit. Aber
selbst wenn eine systematische Verarbeitung seitens eines Verfassers
in dieser Hinsicht vielleicht mehr gegeben hätte, bedeutet das Buch
trotzdem eine ganz außerordentlich wichtige Erscheinung auf dem Ge-
biete der Volkskunde, die sich ja sowohl mit der Statistik, wie mit der
Wirtschaftsgeschichte und der Nationalökonomie in breiter Fläche be-
rührt. Denn die Heranziehung von Specialistenarbeit wird gerade auf
dem Gebiet der Sammlung von zerstreutem Material, der Zusammen-
arbeitung der Ergebnisse verschiedener Forschungsmethoden aus ver-
schiedenen speciellen Arbeitsgebieten, wie sie bei einer Volkskunde not-
wendig sind, immer ihre Bedeutung behalten, wenn sie unter einheit-
licher Leitung erfolgt, wie sie in diesem Fall durch Dr. Wuttke in
erfolgreichster Weise bethätigt worden ist. Daß dabei die Gefahr eines
unberechtigten Partikularismus völlig vermieden worden ist, mag gerade
bei einer Volkskunde des Königreichs Sachsen als ein Beweis wissen-
schaftlicher Grundlegung und Durchführung des ganzen Unternehmens
gelten.
Aachen. W. Kähler.
Owen, Robert, Eine neue Auffassung von der Gesellschaft.
Vier Aufsätze über die Bildung des menschlichen Charakters, als Ein-
leitung zu der Entwickelung eines Planes, die Lage der Menschheit
allmählich zu verbessern. Nach der 3. im Jahre 1817 in London er-
schienenen Ausgabe übersetzt und erklärt von (Prof.) Oswald Collmann.
Leipzig (Hirschfeld), 1900. 111 SS.
Es sind dies die Aufsätze, durch welche der Grund für Owen’s
Berühmtheit gelegt ward. Nachdem er in jahrelanger Arbeit seine
Reformpläne in der Stille von New Lanark praktisch erprobt und durch-
geführt hatte, veröffentlichte er seine Beobachtungen und Erfahrungen,
seine Grundsätze und Erwartungen 1812—13 in diesen vier Aufsätzen.
Die für Owen charakteristischen Momente treten in ihnen bereits deut-
lich zu Tage; aber es ist doch für das Verständnis dieses Sozialisten
von Wert, diese seine ersten Publikationen neben seinen späteren
Schriften zu beachten; denn gerade in diesen Erstlingsarbeiten sind die
phantastischen Pläne der späteren noch nicht so ausgeprägt, sein Denken
ist noch inniger mit der Praxis verknüpft; er erscheint hier noch mehr
als der Sozialreformer. Zur Kenntnis dieser seiner Entwickelungsstufe
vermögen die Aufsätze grundlegendes Material zu liefern. Es ist daher
mit Freude zu begrüßen, wenn sie in dieser guten Uebertragung einem
weiteren Leserkreis zugänglich gemacht worden sind.
Aachen. W. Kähler.
848 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Abhandlungen des staatswissenschaftlichen Seminars zu Jena, herausgeg. von
(Prof.) J. Pierstorff. Bd. I, Heft 1. Jena, G. Fischer, 1901. gr. 8. X—130 SS.
M. 2,50. (Inhalt: Stubmann, P., Holland und sein deutsches Hinterland in ihrem gegen-
seitigen Warenverkehr, mit besonderer Berücksichtigung der holländischen Haupthäfen,
seit der Mitte des 19. Jahrh. Eine handelsstatistische Studie.)
Forschungen, staats- und sozialwissenschaftliche, herausgeg. von Gustav Schmoller.
Band XIX, Heft 2 (der ganzen Reihe Heft 83). Leipzig, Duncker & Humblot, 1901.
gr. 8. V—92 SS. M. 2,20. (Inhalt: Die Entwickelung der Arbeitsteilung im Leipziger
Gewerbe von 1751 bis 1900.)
Friedlaender, Bened., Die vier Hauptriehtungen der modernen sozialen Be-
wegung. Marxistische Sozialdemokratie, Anarchismus, Eugen Dührings sozialitäres
System und Henry Georges Neophysiokratie, kritisch und vergleichend dargestellt. I. Teil :
Marxismus und Anarchismus. Berlin, S. Calvary & C°, 1901. gr. 8 XX--220 SS.
M. 3.—.
Guglia, Eug., Friedrich Gentz. Eine biographische Studie. Wien, Wiener
Verlag, 1901. X11—307 SS. M. 10.—.
Jöhr, Ad., Jean Herrenschwand. Ein schweizerischer Nationalökonom des 18. Jahr-
hunderts. Bern, K. J. Wyss, 1901. 8. 78 SS. M. 1.—. (A. u. d. T.: Beiträge zur
Geschichte der Nationalökonomie, hrsg. v. A. Onken, N" 13.)
Aupetit, A., Essai sur la théorie générale de la monnaie. Paris, Guillaumin &
Ce, 1901. gr. in-8. fr. 10.—.
Congrès, deuxième, général des organisations socialistes francaises, tenu à Paris
du 28 au 30 septembre 1900. Compte rendu sténogr. officiel. Lille, impr. Le Bigot
frères, 1901. 8. IX—392 pag. fr. 3.—.
Congrès international de la participation aux bénéfices, tenu à Paris du 15 au
18 juillet 1900. Compte rendu in extenso des séances. Paris, Chaix, 1901. 8. 287 pag.
(Exposition universelle de 1900.)
Congrès (Nic) socialiste international, tenu à Paris du 23 au 27 septembre
1900. Compte rendu analytique officiel. Paris, Bellais, 1901. 8. 123 pag. fr. 1,25.
Guesde, J., Etat, politique et morale de classe. Avant-propos par Ed. Fortin.
Paris, Giard & Brière, 1901. 8. VIII—472 pag. fr. 3,50.
Halévy (prof. à l'Ecole libre des sciences politiques), La formation du radicalisme
philosophique. Vol. I et II. Paris, F. Alcan, 1901. 8. à vol. fr. 7,50. (Vol. I:
La jeunesse de Bentham; vol. II: L'évolution de la doctrine utilitaire de 1789 à 1815.)
Livre d’or des oeuvres ouvrières du Marais. Mesnil (Eure), impr. Firmin-Didot
(1901). 42 pag. av. grav.
Louis, Paul, Histoire du socialisme francais. Paris, édition de la „Revue
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Piché, Em. (R. P., de la congrégation des frères de St.-Vincent-de-Paul), Con-
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Morgari, Oddino, [arte della propaganda socialista. Parte I. Firenze, tip.
elzeviriana, 1901. 12, 131 pp.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 849
Tortoriei, Michele, Il socialismo concentrato nel vuoto. Vol. I. Caltanis-
setta, tip. dell’ ospizio di beneficenza Umberto I, 1901. 12. 265 pp. 1. 2,50.
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
May, R. E. Die Wirtschaft in Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft mit 130 Tabellen und vergleichenden Uebersichten. Zur Jahr-
hundertwende 1901. Akademischer Vortrag für soziale Wissenschaften
Dr. John Edelheim, Berlin, Bern. XVI, 727 SS.
Seitdem es eine Statistik giebt, hat sie sich mißbrauchen lassen
müssen, sei es, um einem Augenblickzweck der Politik oder um ten-
denziösen oder schnellfertigen „wissenschaftlichen“ Forschungen Magd-
dienste zu thun.
Das zeigt auch das vorliegende Buch. In ihm versucht ein mitten
im Geschäftsleben stehender Hamburger, der mit der Naivität des Auto-
didakten und mit der fröhlichen Zuversicht des Optimisten die wirt-
schaftlichen Dinge um sich herum betrachtet, sich selbst und seinen
Lesern von dem Betrachteten Rechenschaft zu geben.
Der Verfasser hat sich vorher schon bekannt gemacht durch Ueber-
blicke über einzelne Seiten der neueren Wirtschaftsentwickelung unter
dem Titel von Jahresberichten (1895, 1897), denen eine gewisse
Originalität mindestens in der Form nicht abzusprechen ist, ferner durch
eine Studie in Schmoller’s Jahrbuch (1899, 1. Heft) über das Verhältnis
des Verbrauches der Massen zu demjenigen der kleinen Leute, der Wohl-
habenden und der Reichen, bei der schon deutlicher die Neigung zu
schematischen Zahlenbeweisen hervortrat.
Das vorliegende große Werk zeigt nun mit vielfach unangenehmer
Schärfe die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Verfassers. Denn mit
dem hohen Ton, in dem er schreibt, und mit dem Lob des Autors, das
der Verleger den Recensenten „zur gefl. Benutzung“ in einem der
jetzt leider so üblich gewordenen Waschzettel zu suggerieren für an-
gemessen hält, steht in starkem Widerspruch die durchaus unwissen-
schaftliche Methode des Buches.
Dasselbe ist ein Seitenstück zu Mulhall’s Industries and wealth of
nations; ihm hat der Verfasser mindestens ein Viertel seiner Tabellen
mit oder ohne Veränderung entnommen; mit ihm teilt er aber vor allem
die Lust am Fabulieren in Zahlen, die Unlust, dem Leser regelmäßig
genauere Rechenschaft darüber u. reben, wie er zu seinen Zahlen
gelangt ist, und die Kritiklosigkc der er alles, was ihm in Zahlen-
form entgegentritt, aufnimmt. |
Sein Steckenpferd ist gleich Muluall, für eine möglichst lange Periode
Zahlenübersichten zu geben; er bekennt das selbst ganz naiv an
mehreren Stellen (S. 17, S. 67). Auf seine Tabellen thut er sich darum
auch besonders viel zu gut. Er ist so sehr Fanatiker der Zahl, daß
er fast nie danach fragt, wie sie entstanden, ob sie mehrdeutig, ob
sie typisch sei. Aus solch unsicherem Material baut er die weittragend-
sten Schlüsse auf. Und gerade da, wo er Neues zu bieten glaubt, ist
die größte Zurückhaltung am Platze Daß sich einzelne interessante
Notizen und Gedankenassociationen in seinem Buch finden, soll dabei
nicht geleugnet werden.
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI), 54
850 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Eine breitere litterarische Bildung fehlt dem Verfasser; er holt sich
seinen Stoff, soweit er ihm paßt, aus einzelnen Zeitungsartikeln, Inter-
essentenberichten, Blaubüchern, Nachschlagewerken, nur teilweise aus
guten Monographien. In der lockersten Form sind diese Lesefrüchte
aneinander gereiht. Wo sie versagen, da klaffen einfach Lücken. Darum
sind seine historischen Exkurse, auch wenn man sie nur als Skizzen
betrachtet, meist unvollständig, nicht einmal alle statistischen Daten
bis zur neuesten Zeit ergänzt; um in letzterer Beziehung nur zwei Bei-
spiele anzuführen, die sich beliebig vermehren ließen, die deutsche
Gründungsstatistik (S. 485) ist ihm nur bis 1897 bekannt, die Dichtig-
keit der Telegraphenanstalten bis 1890 (S. 422).
Diese Lücken auszufüllen, dazu fehlte dem Verfasser aber nicht
nur die Vorbildung, sondern auch einfach die Zeit. Das „Nonum prematur
in annum“ ist nicht nach dem Geschmack unseres Praktikers. Die
46 Bogen müssen in 7—8 Monaten zusammengeschrieben sein. Im
Dezember 1899 hat er nach seiner eignen Angabe das Buch begonnen,
vom Oktober 1900 datiert der Verleger seinen Waschzettel.
Unter diesen Umständen würde es ein neues Buch kosten, alle
Irrtümer, Flüchtigkeiten und Schiefheiten des Vertassers richtig zu
stellen.
Der Wissenschaft gegenüber, die da und dort einmal vom Verfasser
einen freundschattlichen Tritt erhält, wäre es nicht zu rechtfertigen, näher
auf das Buch einzugehen; aber bei der Gefahr, die solche halbpopuläre
und in siegesbewußtem Ton gehaltene Litteratur für die Nichtfachmänner,
besonders für die Tagesschriftstellerei in sich trägt, ist es notwendig,
doch noch bei einigen Punkten zu verweilen, Wir greifen dabei solche
Teile des Buches auf, auf die der Verfasser laut seinem Vorwort besonders
stolz ist, weil er hier Gebiete der Wirtschaft „erleuchtet“ zu haben
glaubt, die „bisher mehr oder weniger Terra incognita gewesen“ seien.
Die Gesamt (?)konsumzunahme (die Wortbildung stammt vom Ver-
fasser) pro Kopf der Bevölkerung, die er im ersten Abschnitt bietet,
ist keine originielle Leistung, denn soweit England in Betracht kommt,
ist sie, wie überhaupt das Beste in diesem Abschnitt, den Studien von
Wood in den Schriften der K. statistischen Gesellschaft in London vom
Jahre 1899 entnommen. Aber es fehlen die zum Verständnis nötigen
Erläuterungen. Soweit es sich um Deutschland handelt, ist die übliche
Zollvereinsstatistik benutzt und zwar in ganz laienhafter Weise, und
derselbe Vorwurf trifft die Vergleichung der englischen und deutschen
Zahlen.
Um das Verhältnis zwischen „Volksproduktion“ und Außenhandel
zu bestimmen, stützt sich der Verfasser statt auf die neueren, zweifel-
los der Wirklichkeit näher kommenden amtlichen Detailzahlen nur auf
die bekanntlich durchaus unsicheren Gesamtschätzungen Mulhalls. Er-
wägungen darüber, daß überhaupt der Wert der Produktion (und ebenso
die Gesamtsumme der Einkommen) innerhalb einer Volkswirtschaft ganz
verschieden aufgefaßt werden kann und aus diesen Verschiedenheiten
die stärksten Abweichungen sich ergeben müssen, kommen dem Ver-
fasser gar nicht in den Sinn.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 851
Mit dem Nachweis, daß das Wachstum der Produktivität der Arbeit
auch eine Steigerung der Löhne bewirkt habe, stößt der Verfasser offene
Thüren ein. Nicht das steht in Rede, sondern die Frage, wo die
Grenzen dieser Erscheinung liegen. Ueberhaupt führt der Verfasser
viel zu allgemein die Lohnsteigerungen auf ein Wachstum der Pro-
duktivität der Arbeit zurück. Daß der Verfasser sich in der Frage,
ob die Gegensätze zwischen Reich und Arm infolge der modernen wirt-
schaftlichen Entwickelung zugenommen haben, auf die Seite der Optimisten
schlägt, war zu erwarten und ist sein gutes Recht. Aber der An-
schauung muß widersprochen werden, daß in dieser übrigens sehr ver-
schiedene Probleme in sich schließenden Frage überhaupt so leichthin
entscheidende statistische Thatsachen beigebracht werden könnten. So
gestatten auch seine und anderer Beispiele (S. 486) über die Zer-
splitterung des Aktienbesitzes keineswegs den Schluß, daß die Ver-
mehrung des beweglichen Besitzes keine Agglomeration desselben in
wenigen einflußreichen Händen bedeute.
Und ebenso muß die Meinung zurückgewiesen werden, als ob es
erst des Verfassers bedurft oder ihm erst gelungen sei, der bisher
blinden Mitwelt durch seine jetzigen oder früheren Ausführungen die
Augen zu öffnen. Aehnliches gilt von seinem selbstbewußten und ganz
mißglückten Feldzug gegen Malthus (S. 104).
Um noch ein paar weitere Beispiele willkürlicher Berechnung zu
geben, verweisen wir auf die Schätzung des Zahlenverhältnisses, das
zwischen der Jahresproduktion und dem Kapital von industriellen Unter-
nehmungen bestehen soll (S. 580 ff.), ferner auf die Tabelle (S. 591), wo
die Ueberschüsse der Konsumvereine mit denen der Aktiengesellschaften,
Berggewerkschaften und anderen Genossenschaften in Preußen neben-
einander gestellt und addiert werden, um die durchschnittlichen
Unternehmergewinne zu veranschaulichen. Die vergleichenden Daten
über die Verkehrsdichtigkeit auf den Eisenbahnen (S. 352 und 353)
sind, da sie ohne einschränkende Erläuterungen abgedruckt worden,
für Laien geradezu irreführend. Der Verfasser kennt die Unvergleich-
barkeit der Einzeldaten wohl selbst nicht. Jedenfalls hält sie ihn nicht
ab, einen allgemeinen Durchschnitt zu ziehen.
Auch die Berechnung des Verhältnisses, in dem das Aktienkapital
wichtigerer Länder zum Volksvermögen steht, schwebt völlig in der
Luft (S. 481 ff.) Der Verfasser denkt gar nicht an die Unterschiede,
die das Bestehen großer Privatbahnen bewirkt, an die Unsicherheit der
Schätzung des Volksvermögens, an den Besitz inländischer Aktien durch
Ausländer; seine Schätzungen des Kurswertes der Aktien und der aus-
gegebenen Obligationen sind roh und letztere z. B. für Deutschland
viel zu niedrig.
Alles in allem kann das Buch somit nicht nur nicht als wissenschaft-
liches, sondern selbst bei niedriger gespannten Ansprüchen nicht als
gelungen bezeichnet werden. Wenn die „Theoretiker“ die Statistik so
skrupellos verwendeten, wie unser und viele andere Praktiker, wie würde
sich über die Theoretiker dann die Welt entsetzen!
Nur das mag dem Verfasser nachgerühmt werden, daß er für einen
54*
852 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Hamburger Kaufmann mit erfreulicher Vorurteilslosigkeit Entwicke-
lungen, die in sozialer Beziehung von größter Wichtigkeit sind, wie
das Genossenschaftswesen und die Gewerkschaftsbewegung dem Ver-
ständnis seiner Leser näher zu bringen versucht. Auffallend wenig
Material bringt der Verfasser dagegen über die neueste Trust- und
Kartellbewegung.
Karlsruhe. Troeltsch.
Dix, A., Deutschland auf den Hochstraßen des Weltwirtschaftsverkehrs. Jena,
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Amsterdam, J. A. Fortuyn, 1901. gr. 8. 28 blz.
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Steinbrück, Dr. Carl, Die Entwickelung der Preise des
städtischen und ländlichen Immobiliarbesitzes zu Halle (Saale) und im
Saalkreise. Jena 1900.
Es ist sehr anerkennenswert, daf der Vert sich der Mühe unter-
zogen hat, die Arbeit von Paasche: ,Die Entwickelung der Preise und
der Renten des Immobiliarbesitzes zu Halle a. d. Saale“, 1876, bis zum
Jahre 1895 fortzusetzen. Man ersieht daraus, daß die in den Jahren
1890—95 gezahlten Preise um das 10-fache und darüber hinaus höher
waren, als in den 3 ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts. Vergleicht
man die Abschnitte 1830—39 und 1890—95, so findet man eine Steige-
rung des Preises bei allen Arten von Gebäuden um das 8-fache.
Weiter untersucht dann der Verf. die Entwickelung der Preise der
Rittergüter und der über 30 ha großen Landgüter im Saalekreise,
Merseburger Kreise, einiger Besitzungen im Mansfelder Seekreise und
im Kreise Delitzsch, die zum Amtsgericht Halle gehören. Der Verf.
hat zu diesem Zwecke die in den Hypothekenbüchern bis 1872 ver-
merkten Kaufpreise zusammengestellt und, da seitdem keine Preise mehr
notiert sind, aus den Kaufverträgen die für Immobilien festgestellten
Preise ausgezogen. Da nämlich der Staat bei jedem Gutsverkauf
eine Stempelsteuer von 1 Proz. von den Immobilien und !/, Proz. von
den Mobilien erhebt, so muß in jedem Kaufvertrage ein Pauschquantum
für Aecker und Gebäude und eines für Inventarvorräte u. s. w. ange-
geben werden. In den Hypothekenbüchern sind bis 1872 die in den
Kaufverträgen angegebenen Kaufbeträge für Aecker und Gebäude allein
aufgeführt, und daher mußte der Verf. aus den Kaufverträgen auch
die Preise für Aecker und Gebäude zusammenstellen. Da nun aber
die Festsetzung der Preise für Immobilien nur nach Gutdünken,
einzig zu dem Zwecke geschieht, um die Höhe der Stempelsteuer zu
bemessen, so ist es klar, daß diese Summe im allgemeinen zu niedrig
angegeben wird, und dies um so mehr, als die Kontrolle vom Fiskus
schwer ausgeführt werden kann. Nur bei ganz exorbitanten Fällen
tritt Remedur ein. Hierauf soll sich wohl die Notiz des Verf. auf
S. 26 beziehen, wo er sagt: „Auch ist die Fehlerquelle, welche sich
durch zu niedrige Angabe des Kaufpreises behufs Stempelsteuerhinter-
ziehung eröffnet, erfahrungsgemäß auf dem Lande viel bedeutender als
in der Stadt“. Andererseits aber kam es vor 1872 auch vor, daß der
854 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Käufer ein größeres Gewicht darauf legte, im Hypothekenbuch einen
zu hohen Preis zu vermerken, als die niedrige Stempelsteuer zu er-
sparen, um diese Notiz bei etwaigem Wiederverkauf oder Beleihung des
Gutes zu seinen Gunsten auszunutzen.
Aus dem Gesagten dürfte hervorgehen, daß es sehr zweifelhaft ist,
ob und inwieweit die angegebenen Preise den wirklich gezahlten Preisen
entsprechen, daher eine Vergleichung der einzelnen aufgeführten Preise
kaum statthaft ist. Hierzu kommt noch, daß in Erbschaftsfällen diese
Fehlerquelle viel geringer wirkt. Unzweifelhaft aber ist es, daß die
Durchschnittszahlen ein richtiges Bild der Entwickelung der Preise
geben, und es ist dankbar aufzunehmen, daß der Verf. uns dieses Bild
vorführt.
Diese Entwickelung zeigen die nachstehenden Tabellen:
Kaufpreise der Rittergüter.
| . | Verhältnis des
Zeit- Ko a Areal | dur sis verschiedenen
abschnitt Rittergüter P Kaufpreises
ha | M. M. 1801—20 = 100
1740—1760 5 963 450 800 468,12 63,6
1761—1780 5 1360 771 600 567,35 77,0
1781—1800 6 755 461 400 611,13 83,0
1801—1820 25 j 4927 3 628 800 736,51 100,0
1821 — 1840 16 | 2845 2 389 200 839,79 114,0
1841—1860 20 , 3553 4 320 000 1216,55 165,2
1861—1880 16 2537 5415 750 2134,71 289,8
1881—1895 5 1322 3 893 000 2944,18 399,8
Kaufpreise der Landgüter.
| Grund- |Kaufpreis,
Anahi | Grund- Preise |steuerrein-|wenn Peri-
è Kaufpreis| Areal steuer- h ertra. ode 1801
ee r der reinertrag pro si —1820 —
Verkäufe | 100 gesetzt
| M. ha M. M. M. wird
bis 1800 14 88 800| 400,13 — 201,93 — 41
1801—20 26 451000 | 924,05 _ 488,07 = 100
1821—40 28 683 700 | 1135,55 — 602,09 em 123
1841—60 26 1 436 000! 1247,13 = | 1151,44 — 236
1861—80 35 4128 700 | 1876,91 89 631,19 | 2199,73 | 47,76 | 451
1881—98 35 7 422 600 | 2140,73 | 104 096,48 | 3467,32 | 48,63 710
Man sieht aus diesen Tabellen, daß die Preise für Grund und
Boden stetig gestiegen sind und bei den Landgütern noch stärker als
bei den Rittergütern. Bei letzteren betrug der Preis pro ha in der
letzten Periode 4mal so viel als in der ersten in diesem Jahrhundert,
bei ersterer sogar 7mal soviel.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
855
Sehr interessant sind auch die Tabellen, welche die Entwickelung
der Verschuldung der Rittergüter und der Landgüter darstellen.
Verschuldung der Rittergüter.
|
Zahl Hypo- | Verschul- | Prozent. | Prozent. ‚Verhältnis
Zeit der Areal theken- dung |Steigen d. ele GEN der Ver-
Ritter- | schulden proha | Verschul- k fprei |schuldung
güter dung aupreise in Proz.
ha M. M. pro ha
1781—1800 42 2307 373 000 | 161,68 64,7 83,0 37,8
1801—1820 42 7702 1925 300 | 249,98 100,0 100,0 29,5
1821—1840 42 7761 2673100 344,42 137,8 114,0 24,3
1841—1860 42 7804 |4136100| 530,00 212,2 165,2 23,0
1861—1880 39 8187 5 801 700| 708,53 283,4 289,8 30,1
1881—1895 39 8525 7 809 300 | 976,06 | 390,5 399,8 31,1
Verschuldung der Landgüter.
| e a Verhältnis
Zahl der | Hypo- | Yerschul. Steigen d.| Steigen | Aer Ver-
Zeit | Land- | Areal ı theken | dung |Vemchul-] der [| huldun
8 schulden g a eer g
güter | | pro ha | zum Kauf-
ha M. Les ,
|
1801—20 53 2053,7 161 600 78,68 | 100 100 16,12 Din
1821 — 40 53 2090,7 446 500 | 213,56 271 123 35,58 si
1841—60 53 2409,5 743 800 | 308,69 392 236 26,81 „
1861—80 52 2633,0 2314600 | 879,07 1117 451 39,96 „
1881—98 50 2871,1 2657 100 | 925,46 1176 | 709 26,75 „
Danach ist bei den Rittergütern die Schuldenlast bedeutend ge-
stiegen, aber nach einigen Schwankungen hat sie heute dasselbe Ver-
hältnis zum Kaufpreis als im Anfang des Jahrhunderts. Bei den Land-
gütern ist die Schuldenlast noch stärker gewachsen als bei den Ritter-
gütern und auch bedeutend stärker als der Kaufpreis des Grund und
Bodens. Das Verhältnis der Schulden zum Kaufpreis ist aber bei den
Landgütern günstiger als bei den Rittergütern: 26,75 gegen 31,1 Proz.
Vergleicht man die Entwickelung der Preise des Grund und Bodens,
wie sie hier dargestellt ist, mit derjenigen in der Provinz Posen, wie
sie Hermann Sarrazin in seiner Schrift: „Die Entwickelung der Preise
des Grund und Bodens in der Provinz Posen“, Halle a. S. 1897 und
in den „Landwirtschaftl. Jahrbüchern“ von Thiel desselben Jahres dar-
stellt, so findet man, wieviel stärker die Krisis der 20er und 30er Jahre
und die jetzige auf die Preise in Posen eingewirkt hat. Hierbei ist zu
bemerken, daß Sarrazin bei seiner Zusammenstellung anders verfahren
ist als Steinbrück. Er hat die wirklich gezahlten Kaufpreise zusammen-
gestellt, nicht die in den Kaufverträgen angegebenen Preise für Im-
mobilien; ferner hat er die Cen eech lediglich nach ihrer Größe in
1) Kleinbesitz bis zu 50 ha, 2) Mittelbesitz 50—300 ha und 3) Groß-
besitz, solche Güter mit mehr als 300 ha, geteilt, während Steinbrück
die Einteilung in Rittergüter und Landgüter über 30 ha gewählt hat.
856 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Allerdings gehören die Rittergüter größtenteils zum Großgrundbesitz, der
in Sachsen wohl schon von 100 ha an zu rechnen wäre, aber es giebt
darunter auch vereinzelte Besitzungen von 50, 77, 84 ha u. s. w. Ebenso
kommen unter den Landgütern vereinzelt solche von über 100 ha, auch
über 200 ha vor. Immerhin wird man den Großbesitz bei Sarrazin den
Rittergütern bei Steinbrück und den Mittelbesitz bei Sarrazin den
Landgütern bei Steinbrück gegenüberstellen können. Endlich war Sar-
razin, da ihm ein sehr viel reichhaltigeres Material zur Verfügung stand,
in der Lage, kürzere Zeitabschnitte, von 10 zu 10 Jahren, zu berechnen,
seit 1870 sogar von 5 zu 5 Jahren, während Steinbrück sich gezwungen
sah, 20 Jahre zusammenzufassen.
Sarrazin Steinbrück
e e Preis von 1811—| Kaufpreis pro ha
Zeit an u 1820 = 100 |v.1801--20. 100
Klein: | Mittel- | Groß- | Mittel- | Groß- | Land- | Ritter-
| besitz | besitz | besitz | besitz |_besitz güter | güter
bis 1800 — 207 159
1801—10 en — | 269
1811—20 — 232 266 100 100 } CH 199
1821—30 113 210 133 90 50 )
1831 — 40 149 132 Ga | Ss LS M RSR
. 1841—50 195 243 274 | 105 103
1851—60 301 363 340 | 156 128 236 165,2
1861—70 412 516 459 222 169 |
1871—75 493 630 586 | 272 220 451 | 289,8
1876—80 546 631 570 | 272 214 | |
1881—85 603 | 707 644 305 242 | | |
1886—90 660 | 699 597 | 301 225 | 710 ı 3998
1891—94 732 654 537 282 202 |
So verschieden die beiden nun auch in ihren Arbeiten vorgegangen
sind, so liefern schließlich beide ein Bild der Entwickelung der Preise
für den Grund und Boden in den betreffenden Landesteilen im Laufe
des verflossenen Jahrhunderts, und dürfte es nicht ohne Interesse sein,
diese Bilder näher zu vergleichen.
Aus obiger Tabelle ersieht man, daß in dem von Sarrazin bear-
beiteten Bezirk, der Provinz Posen, die Preise der Großbesitzungen in
den 20er und 30er Jahren um 50 resp. 38 Proz. zurückgingen. Der
Mittelbesitz verlor dagegen in den 20er Jahren nur 10 Proz., ging aber
in den 30er Jahren um 43 Proz. zurück. Anders in dem von Steinbrück
bearbeiteten Landstrich, dem Kreise Merseburg und dem Saalkreis. Hier
ist trotz der Krisis in den 20er und 30er Jahren eine Steigerung der
Preise von Grund und Boden festgestellt, und zwar bei den Ritter-
gütern um 14, bei den Landgütern um 23 Proz. In den Zeitabschnitten
1841—60 und 1861—80 ist die Entwickelung der Preise in beiden
Bezirken wohl ziemlich die gleiche. Allerdings sieht man bei Sarrazin,
daß in den Jahren 1875—80 beim Mittelbesitz ein Stillstand, beim
Großbesitz ein kleiner Rückgang der Preise eingetreten ist. In dem
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 857
letzten Zeitabschnitte, 1881—95, findet in dem ersten Bezirk in den
Jahren 1881—85 eine Preissteigerung statt, in den folgenden Jahren
ein Rückgang. Immerhin bleibt für den Durchschnitt eine Preissteige-
rung gegen die vorhergehende Periode, welche aber lange nicht so groß
ist als die Steigerung der Preise im zweiten Bezirk. Man sieht also,
daß auch in der neuesten Krisis Posen weit mehr leidet, als die hier
vorgeführten Kreise der Provinz Sachsen.
Ebenso zeigt diese Tabelle, daß der Großgrundbesitz auch in der
neuesten Krisis, ebenso wie in der der 20er Jahre, weit mehr be-
troffen wurde als der Mittelbesitz. Denn während der Großbesitz
in Posen in den 20er und 30er Jahren ca. 44 Proz. am Werte
verlor, ging der bäuerliche Besitz nur um 26 Proz. zurück, und in
derselben Zeit stieg im zweiten Bezirk der Wert der Rittergüter
nur um 11 Proz, der der Landgüter um 23 Proz. Ebenso ist die
Steigerung im Preise eines Bauerngutes von 1861—80 zu 1891—94
doppelt so groß, als die des Großbesitzes im Bezirk 1; in Bezirk 2 ist
die Steigerung der Landgüter sogar 2!/, mal so groß wie die der Ritter-
güter. M. C.
Grünberg, K. (Prof), Studien zur österreichischen Agrargeschichte. Leipzig,
Duncker & Humblot, 1901. gr. 8. VI—281 SS. M. 6.—.
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2° partie: Les résultats. Production et consommation. — 3° partie: Valeur relative de
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1901. 8. 500 pp. $ 3.—.
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1/.-. (Parl. pap.)
Cattaneo, A., Le casse rurali: studio. Padova, tip. Prosperini, 1901. 8. 75 pp.
5. Gewerbe und Industrie.
Röhl, Hugo, Beiträge zur preußischen Handwerkerpolitik vom
Allgemeinen Landrecht bis zur allgemeinen Gewerbeordnung von 1845.
(Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen. Herausgegeben von
858 Uebersicht über die nenesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes
Gustav Schmoller. Bd. 17, Heft 4.) Leipzig (Duncker und Humblot)
1900. 276 SS.
Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt, die allmähliche organi-
sche Entwickelung des Liberalismus in der preußischen Gewerbepolitik
darzustellen. Er stützt sich dabei auf Materialien, die zum Teil schon
bekannt waren, zum Teil aber von ihm aus den Akten der Archive
und Ministerien erstmalig herausgehoben worden sind. Die Arbeiten
über die gleiche Materie von v. Rohrscheidt, die in verschiedenen Zeit-
schriften veröffentlicht und dann in dem Buche: Vom Zunftzwang zur
Gewerbefreiheit !) zusammengefaßt sind, hat der Verf. bei der Abfas-
sung seiner Arbeit nicht oder nur zum kleineren Teil gekannt. Könnte
man ihm daraus vielleicht auch einen Vorwurf machen, so muß man
doch zugestehen, daß diese Thatsache der vorliegenden Arbeit keines-
wegs irgendwie geschadet hat. Denn der Verf. hat im wesentlichen
andere archivalische Materialien benutzt und die Verarbeitung der litte-
rarischen Hilfsmittel ist ihm besser gelungen, als v. Rohrscheidt. Des-
halb bildet die Röhl’sche Darstellung eine sehr wertvolle und auf selb-
ständige Bedeutung Anspruch machende Ergänzung der v. Rohrscheidt-
schen Untersuchungen, um so mehr als sie zeitlich weiter greift als
die letzteren.
Im Wesen solcher auf archivalische Arbeiten gestützten Darstel-
lungen liegt es, daß sie eine Fülle von Details geben, daß sie anderer-
seits aber auch gewissermaßen durch ihr Material eine Marschroute vor-
geschrieben erhalten. Beides führt leicht dazu, daß der große Zusam-
menhang nicht genügend hervortritt. Der Verf. ist sich dieser Gefahren
bewußt gewesen und hat durch eine Reihe eingestreuter allgemeinerer
Betrachtungen oder zusammenfassender Ueberblicke ihnen zu entgehen
versucht. Andererseits aber meint er, daß eine „Beurteilung im großen
Stil“ nicht mehr nötig gewesen sei, weil die Hauptresultate dieser seiner
Untersuchungen bereits bekannt seien und ihre sachverständige Beur-
teilung gefunden hätten. Ich bedauere diese Selbstbeschränkung des
Verf. Denn insbesondere durch den als Einleitung gegebenen Ueber-
blick über die gewerbepolitischen Ideen in der Litteratur zur Zeit des
Eindringens und des Sieges des wirtschaftlichen Liberalismus (von
1770—1825) wie durch andere einschlägige Ausführungen hat er den
Nachweis erbracht, daß er zu solchen Zusammenfassungen und „Beur-
teilungen großen Stils“ sehr wohl befähigt ist. Seine Arbeit würde nur
gewonnen haben, wenn er sich die Aufgabe nicht selbst zu eng begrenzt,
sondern in diesem Sinne erweitert hätte. Die Materialsammlung allein
ist doch noch nicht die volle Höhe wissenschaftlicher Arbeit, sondern
nur eine der zwar nützlichen und notwendigen Vorstufen, welche die
zusammenfassende Darstellung und Beurteilung ermöglichen. — Eine
andere Folge der Art des vom Verf. benutzten Materials ist die Beschrän-
kung der Arbeit auf die Handwerkerpolitik der preußischen Regierung.
Nur die Maßnahmen der Obrigkeit und die zu ihrer Vorbereitung die-
1) Vergl. meine Besprechung derselben in diesen Jahrbüchern, III. F. Bd. 18,
S. 266.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 859
nenden Verhandlungen u. s. w., sowie die ihnen zu Teil werdende Be-
urteilung durch die Interessenten kommen zur Darstellung. Die zu Grunde
liegenden thatsächlichen Verhältnisse werden nur in diesem Zusammen-
hang gestreift. Auch das kann man nach Lage der Sache und nach der
vom Verf. sich selbst gestellten Aufgabe nicht als Vorwurf aussprechen.
Aber seine Arbeit könnte nur gewonnen haben, wenn er auch die Zu-
stände im Handwerk in der von ihm behandelten Zeit ausgiebiger
berücksichtigt hätte. Die Schwierigkeiten einer derartigen Darstellung
sind nicht gering. Aber der Wunsch nach einer ausgiebigeren Erfassung
gerade jener Zeiten in der Entwickelung des Handwerks muß doch immer
wieder ausgesprochen werden. Zudem würde gerade auch die Arbeit
des Verf. manche Bereicherung dadurch erfahren haben. Die auch von
ihm behandelte Frage, an der die ganze Schwierigkeit der Reform der
Handwerkergesetzgebung sich so deutlich offenbart, die Frage nach der
Entschädigung der Realgewerbeberechtigungen kann ohne eine Er-
forschung und Darstellung der thatsächlichen Zustände nicht gewürdigt
werden. Und eine solche Specialuntersuchung über die Bedeutung der
Realgewerbeberechtigungen u. dergl. fehlt zur Zeit noch. Und doch
geht aus allem, auch aus den Erörterungen des Verf. deren außerordent-
liche Bedeutung klar hervor.
Im ersten Kapitel seiner Arbeit behandelt der Verf. das Gewerbe-
wesen im Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten von 1794,
indem er ausgiebig die Materialien über die Entstehung des A.L.R. aus
dem Berliner Justizministerium benutzt. Daran schließt er eine Schilde-
rung der gewerbepolitischen Maßnahmen der Regierung in den letzten
Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts unter dem Gesichtspunkt, wie einer-
seits die freiere, liberale Auffassung derselben allmählich an Boden
gewinnt und wie andererseits die merkantilistische Praxis allmählich
verlassen wird.
Das zweite Kapitel schildert die komplizierten Vorgänge der
Stein-Hardenberg’schen Reform und der auf diese folgenden Jahrzehnte.
Hier finden sich die breitesten Berührungsflächen mit den v. Rohr-
scheidt’schen Arbeiten, ohne daß doch die Darstellung des Verf. durch
diese überflüssig würde. Die Schwierigkeiten gerade dieser Materie
hätten hier mehr zusammenfassende Ueberblicke und Durchblicke wün-
schenswert gemacht.
Im dritten Kapitel wird dann die — von v. Rohrscheidt nicht
berücksichtigte — Entstehung der allgemeinen Gewerbeordnung für die
preußischen Staaten von 1845 geschildert. In diesem Abschnitt des
Buches wird wohl am meisten neues Material geboten. Je wichtiger
diese Gewerbeordnung von 1845 für die spätere Gewerbegesetzgebung
in Deutschland von 1869 an geworden jst, um so wertvoller sind auch
für die Gegenwart alle Arbeiten, die jener großen preußischen Kodifi-
kation des Gewerberechts gewidmet sind.
Bei der Fülle der gebotenen Einzelheiten ließe sich natürlich manch-
mal mit dem Verf. über einzelne Thatsachen und deren Darstellung oder
Beurteilung streiten. Ich will nur einen Punkt hervorheben, wo viel-
leicht ein Uebersehen vorliegt. Unter dem 10. VI. 1732 erging eine
860 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Handwerksordnung für Ostpreußen, unter dem 24. I. 1771 eine solche
für Westpreußen. Ueber beide finden wir bei Röhl nichts, obwohl doch
solche Kodifikationen für ganze Provinzen als Vorläufer des A.L.R. Be-
achtung verdienen. — Wenn außerdem ein rein äußerliches Monitum
erlaubt ist, so möchte ich dieim und unter dem Text häufiger gefundene
Verweisung „cf. weiter unten“ ohne Zusatz der Seite oder irgendwelche:
näheren Bezeichnung von Abschnitt und Paragraph als Mißbrauch kenn-
zeichnen. Dadurch ist dem Leser nicht gedient und die Uebersicht
wird keineswegs erleichtert, was bei der ganzen Art der Arbeit und
der Fülle des Materials doch sehr erwünscht gewesen wäre. Aber das
sind Kleinigkeiten, die nebenbei zu erwähnen waren.
Zusammenfassend läßt sich danach die Arbeit des Verf. als eine
wertvolle Bereicherung der wissenschaftlichen Litteratur über die Ent-
wickelung der gewerblichen Verhältnisse in Preußen hinstellen.
Aachen. W. Kähler.
Bloch, C. (Patentanw.), Wie erlangt und verwertet man einen Patent-, Gebrauchs-
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Stock, the, Exchange official intelligence, 1991. London, 1901. 4. 50/.—.
9. Soziale Frage.
Pierstorff, Julius, Dr, Frauenarbeit und Frauenfrage. Jena
(Gustav Fischer) 1900. Preis M. 1,20.
Dem Pierstorff’schen Buch wird man nur gerecht, wenn man es
als einen Separatabdruck eines Artikels aus dem Handwörterbuch für
Staatswissenschaften beurteilt. Was man von einem solchen erwartet,
‚Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 863
wird in vortrefflicher Weise geleistet. Nach einer wertvollen Statistik
werden wir in der für ein Nachschlagebuch gebotenen gedrängten
Kürze über die geschichtliche Entwickelung der Frauenarbeit, über
die Lage der Arbeiterinnen in der Gegenwart und die Frauenlöhne
orientiert. Daran schließt sich eine Reihe von Paragraphen, welche der
Frauenfrage gewidmet sind. Diese Frage, soweit sie eine Frage der
Berufs- und Erwerbsthätigkeit ist, scheint sich nach der Auffassung des
Verfassers auf „die Frauen des bürgerlichen Mittelstandes, zu denen
sich die immer bedeutsamer hervortretenden Beamten- und Offiziers-
kreise nebst den sonstigen liberalen Professionen“ gesellen, zu be-
schränken. Ausführungen. über die Stellung der Frau im Privat- und
öffentlichen Recht und über die geschichtliche Entwickelung der Eman-
zipationsbewegung bilden die letzten Paragraphen. Schon diese An-
ordnung der einzelnen Abschnitte, deren jeder für sich eigentlich ein
abgeschlossenes Ganzes, ohne direkten Zusammenhang mit den anderen
bildet, zeigt, daß es dem Verfasser nicht daran gelegen hat, die Frauen-
frage in ihren Zusammenhängen, etwa als ökonomisches Phänomen dar-
zustellen, sondern daß er nur für ein Nachschlagewerk in möglichster
Vollständigkeit das Material zusammentragen wollte, dessen Kenntnis
niemand, der sich ein objektives Urteil über die moderne Frauenbe-
wegung bilden will, entbehren kann. Für das Handwörterbuch hat er
damit genug gethan, von einer Monographie — und sobald der Artikel
in Buchform erscheint, erhebt es doch den Anspruch einer solchen
-—— erwartet man mehr. Jeder, der, durch den Titel verleitet, in dem
Buch eine Darstellung der Frauenfrage sucht, d. h. jener Bewegung, die
in den sozialen Kämpfen unserer Zeit der Frau die ihr zukommende
Stellung anweisen will, wird nicht alles finden, was er wünscht.
Ein Urteil z. B. über die Kontroverse, betreffend den Ausschluß der
verheirateten Frauen aus der Fabrik, zu dem die vortreffliche Statistik
der Frauenarbeit geradezu herausfordert, eine über das ganz Allgemeine
hinausgehende prinzipielle Erörterung der Frage des Frauenstudiums
hat der Vertasser vermieden, wenn sich auch seine persönliche Stellung
zu diesen und anderen Fragen nirgends verleugnet. Nur in den Ab-
schnitten über die rechtliche Stellung der Frau finden sich Ansätze, die
aus dem Rahmen bloßer Berichterstattung auf das Gebiet kritischer
Würdigung hinaustreten.
Diese Ausstellungen berühren natürlich nicht die Bedeutung des
Buches für die rein sachliche Orientierung. Daß derselben auch durch
eine reichliche Litteraturangabe gedient wird, braucht bei den Artikeln
des Handwörterbuches nicht besonders hervorgehoben zu werden.
v. Erdberg.
Bingner, H. (RegR.), Wohnungsfrage und Wohnungspolitik in ihren Beziehungen
zur allgemeinen Sozialreform. Berlin, K. Hoffmann, 1901. gr. 8. 32 S5. M. 1.—.
Gibsone, J. (GehKommR., Stadtverordn.), Die Wohnungsnot in Danzig. Vortrag.
Leipzig, F. Leineweber, 1901. 8. 23 SS. M. 0,70, (Aus „Gesundheit'.)
Perkins-Stetson, Charlotte, Mann und Frau. (Women and economies.) Die
wirtschaftliehen Beziehungen der Geschlechter als Hauptfaktor der sozialen Entwickelung.
Uebersetzt von Marie Stritt. Dresden, H. Minden, 1901. gr. 8. VIII—286 SS. M. 3.—.
864 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
Pfingsthorn, C., Die Wohnungsverhältnisse Hamburgischer Unterbeamten im
Jahre 1897. Im Auftrage der Hamburgischen Gesellschaft zur Beförderung der Künste
und nützlichen Gewerbe. Hamburg. L. Gräfe & Sillem, 1900. 8. 41 SS. M. 0,50.
Wohlfahrtseinrichtungen, die, Nürnbergs. Herausgeg. von der Ortsgruppe
Nürnberg des allgemeinen deutschen Frauenvereins. Nürnberg, F. Korn, 1901. gr. 8.
VIll—254 SS, geb. M. 3.—.
Faure, L., La condition civile des ouvriers en France, conférence faite à la Bourse
du travail, le 7 février 1901. Le Puy, impr. Marchessou, 1901. 8. 16 pag. (Extrait
du journal „La Haute-Loire.)
Fleury, A. (avocat à la cour d'appel de Paris), De l’assistance publique à Paris.
Paris, A. Rousseau, 1901. 8. X—260 pag.
Vedie, E, L'église et les œuvres sociales en 1900. Paris, Poussielgue, 1901.
gr. in-8. 212 pag. et 1 grav. (Publication du Comité pour la participation des œuvres
catholiques en France, à l'Exposition universelle de 1900.)
Fitzgerald, Percy, Fifty years of catholic life and social progress under
Cardinals Wiseman, Manning, Vaughan, and Newman. 2 vols. London, Fisher Unwin,
1901. 8. 260 pp. and 234 pp. 21/.—.
Salmon, Lucy Maynard, Domestic service. 2”! ed. with an additional chapter
on domestic service in Europe. New York, Macmillan, 1901. 27 and 338 pp., cloth.
$ 2.—.
Sherard, R. H., Cry of the poor: True account of a 3 months’ tour amongst
pariahs of the Kingdoms of England, Scotland, and Ireland during last half-year of 19%
century. London, Digby & L. 1901. 8. 224 pp. 3/.6.
Sterza, A., La questione sociale. Roma, Desclée, Lefebvre e C., 1901. 12. 811 pp.
L 2,50:
10. Gesetzgebung.
Bericht der VII. Kommission des Reichstags betr. den Entwurf eines Gesetzes
über die privaten Versicherungsunternehmungen (No. 5 der Drucksachen). Berlin,
C. Heymanns Verlag, 1901. Folio. 188 SS.
Entwurf eines Gesetzes betr. die Abänderung des Branntweinsteuergesetzes vom
24, VI. 1887—16. VI. 1895. Berlin, C. Heymanns Verlag, 1901. hoch-4. 23 SS. M. 0,60.
Entwurf eines Süßstoffgesetzes. Berlin, C. Heymanns Verlag, 1901. hoch-4.
51 SS. M. 1,20.
Gebhard, Herm. (Direktor) und (RegR.) A. Düttmunn, Invalidenversicherungs-
gesetz vom 13. VIIL. 1899. Altenburg, Geibel, 1901. gr. 8 XLIV—819 und 358 SS.
M. 20.—.
Jaeger, E. (Prof.), Das Bürgerliche Gesetzbuch mit Nebengesetzen. Für den
akademischen und praktischen Gebrauch herausgeg. (Ausgabe für das Großhzt. Baden.)
München, J. Schweitzer Verlag, 1901. gr. 8 VI—1330 XS., geb. M. 11.—.
Mackenroth, Anna (Rechtsanw.), Ueber die Rechtsstellung der Frau im Vor-
entwurf zum schweizerischen Civilgesetzbuch. 4 Vorträge. Zürich, Th. Schröter, 1901.
gr. 8. 111—76 SS. M. 0,50.
Malo, €. (LandgerR. a. D.), Der Entwurf eines Gesetzes betreffend die Umlegung
von Grundstücken in Frankfurt a. M. (neue lex Adickes) und die Wohnungsfrage.
Köln, P. Neubner, 1901. gr. 8. 42 u. 11 SS. M. 1.—.
Osterrieth, A., Die Urheberrechtsvorlage und die Beschlüsse der XI. Reichstags-
kommission. (I. Lesung.) Vortrag. Berlin, C. Heymanns Verlag, 1901. 8. 59 SS. M. 1.—.
Pappenheim, Max (Prof.), Die Revisionsbedürftigkeit des deutschen Seehandels-
rechts. Rektoratsrede. Kiel, Lipsius & Tischer, 1901. gr. 8 19 SS.
Petersen, J. und G. Kleinfeller, Konkursordnung für das Deutsche Reich
nebst den Einführungsgesetzen, den konkursrechtlichen Bestimmungen des Genossen-
schaftsgesetzes und dem Anfechtungsgesetze. Erläutert von P. und K. 4. Aufl. be-
arbeitet von (Prof.) G. Kleinfeller. I. Halbband. Lahr, Schauenburg, 1901. gr. 8.
M. 14.—.
Petschek, G., Die Zwangsvollstreckung in Forderungen nach österreichischem
echte. I. Teil: Einleitung, Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung, Pfändungsver-
fahren. Wien, Manz, 1901. gr. 8. VIII—348 SS. M. 6,60.
Postelberg, E. und Max Modern (Hof- u. Ger.-Advok.), Das reformierte öster-
H
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 865
reichische Heimatrecht. Eine theoretische und praktische Darstellung unter Berück-
sichtigung der strittigen Fragen ete. Wien, M. Perles, 1901. 8. VII—80 SS. M. 1.—.
Reißmüller, R., Die sächsischen Fleischschaugesetze, mit der Dienstanweisung für
die Fleischbeschauer nebst dem Schlachtviehversicherungsgesetze ete. Chemnitz, Selbst-
verlag, 1901. 8. 74 SS., kart. M. 1.—.
Scherer, M. (Rechtsanw.), Das erste Jahr des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Die
gesamte Praxis und Theorie. Erlangen, Palm & Enke, 1901. gr. 8 XLII—156 SS.
M. 4.—.
Sehmitz, L. (LandgerDir.), Die Fürsorgeerziehung Minderjähriger. Preußisches
Gesetz vom 2. VII. 1900 und die dazu ergangenen Ausführungsbestimmungen sowie
die Fürsorge- bezw. Zwangserziehungsgesetze der übrigen deutschen Bundesstaaten.
2. Aufl. Düsseldorf, L. Schwann, 1901. gr. 8 M. 4.—.
Schwabe, Max, Rechtssubjekt und Nutzbefugnis. Mit kritischen Bemerkungen
zur Entstehungsgeschichte des Begriffes „juristische Person.“ Basel, B. Schwabe, 1901.
gr. 8. 64 SS. M. 1,60.
Theusner, F., Die rechtliche Natur des Kontokorrentvertrages. Halle a. S.,
C. A. Kaemmerer, 1901. gr. 8. 58 SS. M. 1,20.
André, A. (ancien notaire), Traité pratique des droits d’enregistrement. Paris,
Marchal & Billard, 1901. 8. fr. 8.—. (Contenant: Les principes généraux. — L'étude
des tarifs. — Le contentieux. — La loi du 25 février 1901. — Tarif général alpha-
bétique.)
Nourrisson, P. (avocat à la Cour d’appel), L'association contre le crime. Paris,
L. Larose, 1901. 8. fr. 3,50.
Brayshay, D. E., The law of no liability mining companies in Victoria. London,
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Emery, G. F., A treatise on company law under the Acts, 1862—90. London,
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Godden, W. and Stamf. Hutton, The Companies Acts, 1862—1900. With
cross references ete. London, E. Wilson, 1901. crown-8. 312 pp. 5./—.
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London, Bailliere, 1901. 8. 2/.6.
Horner’s Treatise on the liquor laws of Indiania: being a compilation of, and
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and fermented liquors. Indianapolis, J. F. Callen, 1900. 8. 268 pp. $ 2.—.
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Me Neil, Allan, Manual of the law of joint stock companies in Scotland. London,
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Fockema, Andreae, De ongevallenwet. 1. Handleiding tot de wet, gevolgd
door hen tekst. Leiden, J. M. N. Kapteyn, 1901. 8. 118 blz. fl. 0,75,
Fuldauer, Siegfr. R., Verlies en diefstal van effecten. Eene studie over inter-
national privaatrecht. ’s Gravenhage, Gebr. Belinfante, 1901. gr. 8. 4 en 154 blz.
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11. Staats- und Verwaltungsrecht.
Bär, Max, Abriß einer Verwaltungsgeschichte des RegBezirks Osnabrück. Han-
nover, Hahn, 1901. gr. 8. XII—241 SS. M. 4,50. (Quellen und Darstellungen zur
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Dienstanweisung für die Kreisärzte. Nebst einem Anhang, enthaltend Formulare
und eine Auswahl von Gesetzen, Verordnungen und Ministerialerlassen. Berlin,
R. Schoetz, 1901. gr. 8. IX—279 SS. M. 4.—.
Dullinger, J., Die Ministerien des Kaisertums Oesterreich resp. der öster-
reichischen Monarchie vom Beginne des Jahres 1848 bis in die Gegenwart. Eine
Chronologie. Wien, W. Braumüller, 1901. gr. 8 53 SS. M. 1.—.
u Hradec, H., Nationalitäten- und Sprachenstreit in Oesterreich. Randbemerkungen
zur gleichnamigen Broschüre des Grafen Rudolf Czernin. Prag, F. Rivnäc, 1901. gr. 8.
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Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 55
866 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Mayr, M. (Prof.), Die politischen Beziehungen Deutschtirols zum italienischen
Landesteile. Eine geschichtlich-staatsrechtliche Studie. Innsbruck, Vereinsbuchhdl. u.
Buchdruckerei, 1901. 12. 82 SS. M. 0,60.
v. der Mosel, Curt (OVerwGerR.), Handwörterbuch des kgl. sächsischen Ver-
waltungsrechts. 9. Aufl. Leipzig, Rossberg & Berger, 1901. gr. 8. VI—822 SS.
M. 16.—.
Nyholm, C. V., Die Stellung Finlands im russischen Kaiserreich. Aus dem
Dänischen. Leipzig, Duncker & Humblot, 1901. gr. 8. VIII—116 SS. M. 2,80.
Combes de Lestrade, Droit politique contemporain. Paris, Guillaumin & C”,
1901. gr. in-8. fr. 12. (Ouvrage qui a obtenu le prix „Le Dissez de Penanrum‘.)
Courtenay Bodley, La France. Etude historique et critiqne sur les insti-
tutions politiques de la France. Paris, Guillaumin & C", 1901. 8. Fr. 8.—.
Dupriez, L. (prof. à l'Université de Louvain), L’organisation du suffrage universel
en Belgique. Paris, L. Larose, 1901. 8. Fr. 3,50. (Sommaire: Vote plural. — Vote
obligatoire. — Représentation proportionnelle.)
Longemans, Ed. G., Recueil des traités et conventions conclus par le royaume
des Pays-Bas avec les puissances étrangères, depuis 1813 jusqu’à nos jours. Apercu
general, 2° édition, augmentée et mise à jour par J. B. Breukelman. La Haye, Belin-
fante frères, 1901. gr. 8 6 en 152 blz. fl. 5,60.
Massabiau, M. (président honor. à la Cour de Rennes), Manuel du ministère
public près les cours et les tribunaux civils, correctionnels et de police. Dir: édition
par Edm. Mesnard (conseiller à la Cour d'appel d'Amiens). Tome I. Paris, Marchal
& Billard, 1901. 8. fr. 12.—. (Das vollständige Werk wird 3 Bände à fr. 12.—
umfassen.)
Bryant, Edw. E., The constitution of the United States, with notes of the
decisions of the supreme court thereon, from the organization of the court till October
1900. Madison (Wisconsin), Democrat printing comp., 1901. 12. cloth. 428 pp. $ 2,50.
Curry, Jabez Labar Monroe, Civil history of the government of the Con-
federate States. Richmond (Virginia), B. F. Johnson Publ. C°, 1901. 8. 322 pp,
cloth. $ 1,29.
Savill, Stanley, The police service of England and Wales: its organisation,
disposition, finance, powers, and duties, pay, pension, conditions of service, ete. London,
J. Kempster, 1901. 8. XV—301 pp.
Canclini, Marino, Gli effetti benefici del pontificato di Leone XIII in ordine
alla chiesa all’ Italia e alla civil società. Torino, P. Marietti, 1901. 12. 626 pp.
Frilli, A., I partiti popolari: osservazioni critiche e notizie storico-statistiche.
Firenze, tip. elzeviriana, 1900, 8. 189 pp.
12. Statistik.
Allgemeines.
Hartlebens kleines statistisches Taschenbuch über alle Staaten der Erde. Jahr-
gang VIII, 1901. Nach den neuesten Angaben bearbeitet von (Prof.) Frdr. Umlauft.
Wien, A. Hartleben, 1901. 16. IV-—103 SS. geb. M. 1,50.
Deutsches Reich.
Rauchberg, H. (Prof.), Die Berufs- und Gewerbezählung im Deutschen Reich
vom 14. VI. 1895. Berlin, C. Heymanns Verlag, 1901. gr. 8 XVI—422 SS. 8.—.
Frankreich.
Statistique des chemins de fer français, au 31 décembre 1899. Documents
principaux. Paris, librairie polytechn. (Ch. Béranger) 1901. 4. fr. 5.—. (Publié par
le Ministère des travaux publics.)
England.
Agricultural returns for Great Britain. London, Eyre & Spottiswoode, 1901.
8. 1/.6. (Parl. pap.) (Contents: Acreage and produce of erops; prices of corn; number
of live stock; agricultural statistics for the United Kingdom, British possessions and
forcign countries, 1900.)
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 867
Irish agrieultural products and live stock. Return of prices of certain classes
for the year 1900. London, Eyre & Spottiswoode, 1901. 8. 1/.6. (Parl. pap.)
Oesterreich.
Bericht über die Thätigkeit des k. k. arbeitsstatistischen Amtes im Handels-
ministerium seit seiner Errichtung bis Ende 1900. Wien, k. k. Hof- u. Staatsdruckerei,
1901. Lex.-8 53 SS. M. 1.—.
Sparkassen, die, und die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften in Steier-
mark im Jahre 1899. Graz, Leuschner & Lubensky, 1901. Lex.-8. 56 SS. M. 1.—.
(A. u. d. T.: Statistische Mitteilgn. über Steiermark, Heft 7.)
Italien.
Atti della Commissione per la statistica giudiziaria civile e penale: sessione del
luglio 1900. Roma, tip. di Bertero, 1900. 8. XXVI—214 pp. l. 2.—. (Annali di
statistica, serie IV, n° 98.)
13. Verschiedenes.
Schultze, Ernst, Freie öffentliche Bibliotheken, Volksbibliotheken
und Lesehallen. Stettin 1900, H. Dannenberg u. Co. 8°. XX, 862 SS.
Das Eduard Reyer in Wien, dem unermüdlichsten und thatkräftigsten
Vorkämpfer der Volksbibliotheken gewidmete Buch ist auf Veranlassung
des Institutes für Gemeinwohl in Frankfurt a. M. herausgegeben und
verdient in den weitesten Kreisen Beachtung zu finden.
Man mag volkstümliche Vorlesungen, Volksunterhaltungsabende
u. s. w. in noch so großer Zahl und in noch so guter Auswahl ver-
anlassen, sie werden doch immer nicht alle die erreichen können, die
bildungsfähig und — bildungsdurstig sind. Freie öffentliche Bibliotheken
— mag man sie Volksbibliotheken oder Lesehallen oder sonstwie
nennen — aber, die allen Bevölkerungskreisen offen stehen und für sie
alle Lesestoff enthalten von der einfachsten Erzählung bis zum bände-
reichen wissenschaftlichen Werk, gestatten es dem einzelnen, sich die
Zeit, in welcher er lesen will, vollständig frei zu wählen. Zudem
muß ein Vortrag, eine Vorlesung, ein Unterhaltungsabend einen ge-
wissen Bildungsstandpunkt der Hörer voraussetzen, während eine Bücherei
auf eine verschieden hohe Bildung der Leser sehr wohl eingerichtet
werden kann und muß.
Verf. hat es nun in geschickter Weise verstanden, den Stoff zu
einem kulturhistorischen Ueberblick zu verarbeiten, wobei stets als ein
Refrain die Notwendigkeit der Besserung der deutschen Volksbibliothek-
kreise hindurchklingt. Als sehr günstig um Stimmung zu machen, muß
die Beigabe der Abbildungen der Gebäude einiger Bibliotheken ge-
zeichnet werden, wodurch das Verständnis des Volksbibliothekenwesens
erhöht und namentlich das fühlbare Zurückbleiben Deutschlands auf
diesem Gebiete recht drastisch beleuchtet wird.
Schultze versteht unter Volksbibliotheken aber nicht etwa Anstalten,
die nach Art einer großen Zahl der heute in Deutschland bestehenden,
nur kümmerlichen Lesestoff enthalten, sondern freie öffentliche Biblio-
theken, welche genügend dotiert und allen Bevölkerungskreisen zu-
gänglich sind, demgemäß auch wirklich für alle diese Lesestoff ent-
halten.
Statistisch zeigt sich das Anwachsen des Lesebedürfnisses darin,
55*
868 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
daß 1795 die Gesamtzahl der in Deutschland befindlichen und mit
diesen im Verkehr stehenden auswärtigen Buchhandlungen nur 332 be-
trug! 1898 erschienen dagegen beispielsweise in deutscher Sprache
23739 Bücher, ohne Zeitungen, Zeitschriften u. dergl. Auch die Zu-
nahme der schlechten Litteratur, namentlich der Kolportageromane,
weist auf ein Lesebedürfnis des Volkes hin, das sich vielfach mit
Schund begnügen mul, da ihm eine bessere geistige Nahrung nicht zur
Verfügung steht. Sollen doch über den Tod des Kronprinzen Rudolf
von Oesterreich etwa 20 Hintertreppenromane gedruckt sein, von dem
einer eine Auflage von 180000 Exemplaren aufwies!
Volksbibliotheken sind recht geeignet, in ihrer Weise eine Ver-
besserung des Armenwesens, ein Sinken des Verbrechens und das Zurück-
drängen des Alkoholismus herbeizuführen. So manche mangelhafte
Bildung wird durch das Lesen guter Bücher ergänzt und läßt den
Kampf um das Dasein dann leichter aufnehmen, ein Herabgehen der
Kriminalität ist stets die Folge der Verbesserung der Volksbildung,
und der Alkoholmißbrauch ist vielfach nur die Folge von Unthätigkeit
und Langeweile.
Den freien öffentlichen Bibliotheken in den Vereinigten Staaten
ist ein eigenes Kapitel gewidmet, ihm schließen sich die von England,
in Deutschland und den übrigen Ländern an; leider können wir auf
diese Abschnitte hier nicht weiter eingehen.
Wichtig ist es aber, einiges über die Einrichtung und Verwaltung
von freien öffentlichen Bibliotheken zu erwähnen. So erwähnt Schultze,
daß man — die Kosten spielen ja überall mit die Hauptsache — mit
der Beschäftigung von Frauen recht günstige Erfahrungen gemacht hätte,
in Amerika übertreffen die Frauen die männlichen Bibliothekare bereits
der Zahl nach.
Was die Zusammensetzung der Bibliothek aulangt, so seien zwei
Uebersichten mitgeteilt. Die erste ist ein sogenannter Musterkatalog
aus Amerika, die zweite giebt das prozentuale Verhältnis der einzelnen
Fächer im Durchschnitt von 25 derartigen Anstalten in England wieder.
I. Romane und Novellen 15,5 Proz. II. Theologie, Philosophie 5,6 Proz.
Sonstige schöne Litteratur 13,3 „ Geschichte, Geographie,
Geschichte 15,2 e Reisen 15,4 »
Biographien TZT u; Biographien 81 a
Sozialwissenschaften 84 A Politik, Bildungswesen 28
Geographie nud Reisen 78 o Dichtungen und Drama 3,3 +»
Naturwissenschaften GS + Belletristik 375 e
Technik und Gewerbe 50 Ze Verschiedenes 16,5 „
Kunst 48 »
Religion AR
Sprachkunde 2,0 Ae
Philosophie Lë e
Für Deutschland haben wir keinen Musterkatalog anzugeben, wenn
auch verschiedene Ansätze gemacht sind, höchstens ist für ländliche
Volksbibliotheken der von Bube 1897 in zweiter Auflage heraus-
gekommene als solcher zu bezeichnen. Wir finden 100 Werke zum
Ladenpreis 184,85 M. aufgeführt, ab 5 Proz. Rabatt, 100 Einbände
zu 30 Pf. (viel zu gering angesetzt. Ref.) — 205,23 M.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 869
Vor allem ist bei der Auswahl von Büchern und in noch höherem
Grade bei etwa aufzulegenden Zeitungen lediglich der litterarische
Wert zu berücksichtigen, in keinem Falle aber eine religiöse oder
politische Parteirücksicht zu dulden. Vielfach wird gegen das Anschaffen
von Tageslitteratur polemisiert, aber erfahrene Kenner wissen, wie die
Zeitungen gewißermaßen den Appetit zum Lesen erwecken, und deshalb
sollte man sie in erster Linie in den Lesehallen auflegen.
Politisch wie religiös darf die Litteratur in einer Lesehalle nicht
sein; überall tritt das starke Verlangen nach schöner Litteratur zu Tage.
Von Lesern, die anfangen zu lesen, werden hauptsächlich illustrierte
Zeitschriften, wie Gartenlaube, Vom Fels zum Meer und ähnliche bevor-
zugt. Für diese Kategorie kommt man meist auf 70—80 Proz. der Ge-
samtbenutzung, was sich auch daraus erklärt, daß die meisten eben
nicht studieren, sondern lesen, d. h. unterhalten sein wollen.
Was das Offensein der Bibliotheken anlangt, so halte man die Lese-
räume jeden Tag mindestens am Abend offen und suche für den Sonn-
tag eine möglichst große Stundenzahl zu erwirken.
Sehr wichtig ist es, den Zugang zu der Bildungsstätte nicht mit
einem Vorbau von Regeln und Bestimmungen zu umgeben, woran staat-
liche Institute bekanntlich meist im Uebermaß kranken. Da sei denn
hervorgehoben, daß in den gelehrten Bibliotheken verhältnismäßig mehr
Bücher fortkommen, als in den Volksbüchereien!
So ließe sich noch manches Mitteilenswerte hier rekapitulieren. Auf
die Statistik der Volksbibliotheken in den deutschen Städten und der
deutschen Kreis-Volksbibliotheken sei noch besonders aufmerksam ge-
macht. Bibliothekar Dr. E. Roth.
Dobel, E. (RegBaumstr.), Kanalisation. Anlage und Bau städtischer Abzugs-
kanäle und Hausentwässerungen. 3. Aufl. Stuttgart, W. Kohlhammer, 1901. gr. 8.
VIII—159 SS. mit 15 lith. Taf. in gr.-4 M. 4,50.
Frank, Fr. (Pfr.), Der Ritualmord vor den Gerichtshöfen der Wahrheit und der
Gerechtigkeit. 2. Aufl. Regensburg, Verlagsanstalt vormals G. J. Manz, 1901. gr. 8.
VII—327 SS. M. 2.—.
Hermann, G., Die deutsche Karikatur im 19. Jahrhundert. Bielefeld, Velhagen
& Klasing, 1901. Lex.-8. II—132 SS. mit 6 Kunstbeilagen u. 177 Abbildgn. M. 4.—.
(Sammlung illustr. Biographien, Bd. II.)
Nabert, H., Das Deutschtum in Tirol. München, J. F. Lehmann’s Verlag,
1901. gr. 8. XVI—128 SS. M. 2.—. (Der Kampf um das Deutschtum in Tirol,
Heft 7.)
Weiberregiment, das, in den Pfarrhäusern oder Türkisches im Christentum.
2. Aufl. München, O. Th. Scholl, 1901. gr. 8. M. 1,30.
Champier, Victor, et Roger Sandoz, Le Palais-Royal d’après des documents
inédits (1629—1900). 2 vols. Paris, A. Lahure, 1901. gr.in-4. 574 pag., av. 222 vignettes
dans le texte et de 20 hors texte en héliogravure. fr. 50.—. (Vol. I. Du Cardinal de
Richelieu à la Révolution; Vol. II. De la Révolution jusqu’à nos jours.)
Goyau, G., L'Allemagne religieuse. Le protestantisme, 3° édition. Paris, Perrin
& C, 1901. 8. fr. 3,50. (Ouvrage couronné par l’Académie française, prix Bordin.)
Le Poittevin, G., La liberté de la presse depuis la Révolution (1789—1815).
Paris, A. Rousseau, 1900. 8. fr. 3,50.
Monod, H. (conseiller d’Etat, directeur de l’assistance et de l’hygiène publique),
L'alimentation publique en eau potable de 1890 à 1897 devant le comité consultatif
d'hygiène publique de France. Melun, impr. administrative, 1901. 8. 127 pag. et
1 carte.
870 Die periodische Presse des Auslandes.
Romme, R. (préparateur à la faculté de médecine de Paris), L’Aleoolisme et la
lutte contre l’alcool en France. Paris, Masson & Ce, 1901. 8. fr. 2,50. (Encyclopédie
scientifique, publiée sous la direction de H. L£aut&, section de biologiste.)
Bodington, P. E., Solveney or salvation? A handbook for millionaires. London,
Chapman & Hall, 1901. 8. 266 pp. 6/.—.
Munson, E. L., Theory and practice of military hygiene. New York, Wood EC,
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ro F. R., History of medieine in the United States. Philadelphia, 1901.
8. ill. 18/.—.
Taunton, Ethrelred L., The history of the Jesuits in England, 1580—1773.
London, Methuen, 1901. 8. 526 pp. with 12 illustr. 21/.—.
Thompson, H., Modern cremation, history and practice to present time. 4" ed,
London, Smith & E., 1901. 8. 206 pp. 2/.—. $
Turneaure, F. E. and H. L. Russell, Public water-supplies: requirements,
resources, and the construction of works, etc. New York, Wiley & Sons, 1901. 8. ill,
cloth. $ 5.—.
Water supply metropolis. Commission report, 1899—1900. London, 1901. With
maps, plans, and diagrams. 26/.—. (Parl. pap.)
Annuario della R. Università di Parma per l’anno accademico 1900—1901.
Parma, tip. Rossi-Ubaldi, 1901. 8. 274 pp. (Contiene: La lotta per l’esistenza sostenuta
dall’ uomo contro gli animali.)
Calderini, Marco, Il positivismo, l’evoluzione e il materialismo: critica. Roma,
Desclée, Lefebvre e C., 1901. 8. 147 pp. 1. 1,75.
Die periodische Presse des Auslandes.
A. Frankreich.
Bulletin de statistique et de législation comparée. XXV*® année, 1901. Avril:
A. France, colonies: Les bons du Trésor. — Recettes et dépenses comparées des exer-
eices 1888 à 1899. — Les revenus de l’Etat. — Le commerce extérieur, mois de mars
1901. — Le sucrage des vins et des cidres avant la fermentation. -— Les actes enregistrés
et les déclarations reçues en matière d’enregistrement, pendant l’année 1900. — Les
recettes des chemins de fer en 1900 et 1899. Les transmissions en usufruit à titre
gratuit. — La caisse nationale des retraites pour la vieillesse, -— Les caisses d'assurances
en cas de décès et en cas d’accidents. — B. Pays étrangers: Angleterre: L’exposé
budgétaire du Chancelier de l’échiquier. Les opérations du Clearing house de Londres
depuis 1871. — Autriche-Hongrie: Les impôts sur le revenu en Autriche. Le projet
de budget autrichien pour 1901. Le commerce extérieur. — Belgique: Les pensions
de vieillesse. (Arrêté royal du 20 février 1901.) — Pérou: Le régime monétaire. —
Espagne: Le commerce extérieur. — Italie: La dette publique. Le commerce extérieur.
— etc.
Journal des Economistes. Revue mensuelle. 60° année, 1901, Mai: Un professeur
d'économie politique sous la restauration: J. B. Say, au conservatoire des arts et métiers,
par A. Liesse (suite et fin). — Le problème des retraites, par E. Rochetin. — Le mouve-
ment agricole: L'agriculture, la science et l’association, par L. Grandeau. — Revue des
publications économiques en langue française, par M. Rouxel. — La question des sucres
en 1901, par Emile Macquart. Quelques aspects de la question ouvrière en Italie, par
Paul Ghio. — La transformation de la Russie. — Société d'économie politique, réunion
du 4 mai 1901. Discussion: Comment rentre l’impôt. — Comptes rendus. Chronique. — etc.
Journal de la Société de statistique de Paris. 42"" année, n° 4, Avril 1901:
Procès-verbal de la séance du 20 mars 1901. — Etude sur les lois de la population et
la loi de Malthus (2° article), par M. G. Cauderlier. — Nombre d’enfants par familles,
par J. Bertillon. — „Report on the census of Cuba 1899“. Compte rendu par D. Bellet.
— Chronique des transports, par Hertel. — ete.
Moniteur des Assurances, Revue mensuelle. N” 391 et 392 (année XXXIV).
Die periodische Presse des Auslandes. 871
1901 : Assurances contre les accidents: Etudes sur les accidents du travail, par A. Beau-
mont. — Commentaire pratique (relat. aux assurances contre les accidents) de la loi du
9 avril 1898, par E. Pagot. — La mutualité-accidents, le pavillon et la marchandise,
— Résiliation des polices-accidents. Résumé de la jurisprudence, par E. Pagot. — Assu-
rances contre l’incendie: Du danger et de l’&valuation du risque dans l’emploi de Pacé-
tylène, par L. Arraou (suite et fin). — Les sociétés mutuelles. Défaut du systeme. —
Assurances sur la vie: Les retraites ouvrières et l’assistance obligatoire. — Assurances
sur la vie: Droits de succession. Loi du 25 fevrier 1901 et instruction de la direction
générale de l’enregistrement concernant l’application de cette loi, par Lux. — Plaidoyer
d’un Inspecteur de la „New York“ en faveur de sa compagnie et réfutation. — De la
vente des polices d’assurances sur la vie. — L’assurance contre la grêle en 1900. —
La patente des agents généraux d'assurances, par H. Dubourg. — Résumé des opérations
des compagnies d’assurances en 1900. (Branches: Accidents, grêle, incendie, maritime
et vie.) — etc.
Revue d'économie politique. 15° année, 1901, N° 4, Avril: La nouvelle régle-
mentation de la journée de travail et ses premiers effets dans la grande industrie du
Nord de la France, par Maur. Bourguin (suite), — Le système des impôts directs d'Etat
en France, par H. Truchy (suite). — L'agriculture moderne et sa tendance ’s industria-
liser, par Jos. Hitier (suite). — Chronique législative, par Edm. Villey: Débats parle-
mentaires. Sénat: Proposition de loi sur l'exportation et l'importation des blés et la
création de bons d'importation. — Projet de loi relatif à la contribution des patentes.
— etc.
Revue politique et parlementaire. N° du 10 Mai 1901: La loi sur les associations
au point de vue des associations ordinaires laïques, par Eug. Rostand (membre de
l'Institut). — La loi sur les associations. Réponse à M. E. Rostand, par G. Trouillot.
— La réforme de l’enseignement moderne, par A. Fouillée (de l’Institut). — Notes de
jurisprudence parlementaire II. La déchéance des députés et des sénateurs, par A.
Esmein (prof. de droit, Paris). — Les parties ouvriers en Australasie, par A. Métin. —
La valeur dans le système collectiviste (2° article), par Maur. Bourguin. — Un nouvel
Etat: La République fédérale d'Australie (avec la traduction de sa constitution), par
Ed. Picard. — Revue des principales questions politiques et sociales: 1. Revue du
mouvement socialiste, par J. Bourdeau. 2. Revue des questions de transports, par
C. Colson. — La vie politique et parlementaire à l’étranger et en France. — ete.
Revue internationale de sociologie. IX* année, 1901, n° 4, Avril: Le collectivisme
et la propriété rurale, 1™ partie: la doctrine économique, par Rene Worms. — Des
limites à la protection du travail, par Alfr. Lambert. — Société de sociologie de Paris,
séance du 13 mars 1901: La question monétaire, à propos de l'Exposition de 1900.
Communication de Ch. Limousin. Discussion par T. Hayashi, Ad. Coste, A. Firmin,
Lagoudaki, E. Delbet. — ete.
B. England.
Board of Trade Journal. Volume XXXII, nos 224—230, March 14—April 25,
1901: The state of the foreign trade of the United Kingdom in February and in
March 1901. — The trade route from India to Eastern Persia via Nushki. — World’s
supply of tin in 1900. — Trade of Natal in 1900. — Trade routes in Northern Persia.
— Russian grain export trade. — Trade of French colonies in 1899. — Annual meeting
of the association of Chambers of commerce. — Trade of Cape colony in 1900. —
Trade of Iquitos (Peru). — Trade of the greak lakes in 1900. — Regulations
regarding foreign corporations in Porto Rico. — The industries of Natal. — The
cotton industry of the United States. — The cotton piece-goods trade of the French
Congo. — Trade ot Hiogo and Osaka in 1899. — Conditions of trade in Chicago,
— American trade with Switzerland. — The commercial importance of Hankow. —
Trade of Cape colony. — The Hawaiian sugar industry. — The phosphates of
Christmas island. — The foreign trade of Japan in 1900. — The print industry of the
United States. — Trade of German East Africa. — The production of Bessemer steel,
ingots and rails in the United States in 1900. — British trade with France. — British
versus foreign rolling stock on the Egyptian railways. — The trade of Madagascar in
1900. — Railway progress in Japan. — Chilean nitrate in 1900. — Tea trade of the
United States. — Zinc industry in the United States. — Openings for British trade. —
Tariff changes and eustoms regulations. — Shipping and transport. — Mining, metals,
and machinery. — Agriculture. — Reports of British Chambers of commerce. — etc.
872 Die periodische Presse des Auslandes.
Nineteenth Century, the, and after, N° 292, June 1901: British pessimism, by
A. Carnegie. — Impressions of America, by Fred. Harrison. — The standard of strength
for our army: a business estimate, by (Sir) Robert Giffen. — The Education Bill, by
T. J. Macnamara. — The House of Commons, by L. A. Atherley Jones. — The sargent
of the Royal Academy, by H. Hamilton Fyfe. — The pressing need for more uni-
versities, by (Prof.) Ernest H. Starling. — Last month, by (Sir) Wemyss Reid. — etc.
Westminster Review, tbe, June 1901: Pennsylvania and South Africa: a con-
trast, by Howard Hodgkin. — The housing question and the savings banks, by H. W.
Wolff. — The compulsory expropriation of Irish landlords, by Dudley S. A. Cosby. —
The roman catholie University problem. Viewed from the standpoint of a bigot, by
Th. E. Naughten. — Heinrich von Treitschke, von James Creed Meredith.
C. Oesterreich-Ungarn.
Deutsche Worte. Monatshefte herausgeg. von Engelbert Pernerstorfer. Jahrg.
XXI, 1901, März- und Aprilheft: Die Agrarierfrage in Rußland. — Die Arbeiterschaft
und die Alkoholfrage. Ein Vortrag von (Oberrichter) O. Lang (Zürich), gehalten in Wien
am 11. IV. 1901.
Handelsmuseum, das. Herausgeg. vom k. k. österreichischen Handelsmuseum.
Bd. XVI, N° 19—22, Wien 9. V. bis 30. V.: Reformen im Kohlenhandel, Von Alfr.
v. Lindheim. — Oesterreich-Ungarns Handel mit Marokko. — Zur Handelspolitik Spa-
niens, von einem Oesterreicher in Madrid. — Der Außenhandel Serbiens im Jahre 1900.
— Winke für den Export von Lederwaren. — Bericht der Sitzung der österreich. Han-
dels- und Gewerbekammer Reichenberg vom 26. IV. 1901. — Die industrielle Entwicke-
lung Rußlands. (Nach einem Spezialbericht des k. u. k. Generalkonsulates in Odessa.)
— Die Mehleinfuhr Aegyptens. — Die amerikanische Reciprozitätspolitik. — Die
Schmuckwarenindustrie von Pforzheim. — etc.
Soziale Rundschau. Herausgeg. vom arbeitsstatistischen Amte im k. k. Handels-
ministerium. II. Jahrg., 1901, N’ 4, April: Lohnhöhe und Arbeitszeit: Löhne im
mährischen Stein- und Braunkohlenbergbau. Lohnverhältnisse im Bergbau Preußens.
Löhne in Britisch-Indien. ete. — Arbeiterschutz: Gesetzliche Regelung des Arbeits-
verhältnisses bei Bauunternehmungen, sowie bei Regiebauten und Hilfsanstalten der
Eisenbahnen in Oesterreich. Ein neues Fabrikgesetz in Dänemark. ete. — Arbeiter-
organisationen. — Kongresse und Versammlungen: Kongreß der Gewerkschaften Nor-
wegens. ete. — Gewerbegerichte, Schieds- und Einigungswesen. — Arbeits-(statistische)
Aemter. — Soziale Versicherung: Die hauptsächlichsten Gebarungsergebnisse der öster-
reichischen Arbeiterunfallversicherungsanstalten im Jahre 1900. — Soziale Hygiene:
Steiermärkische Landessiechenanstalt in Kindberg. etc. — Wohnungswesen: Die Woh-
nungsfrage in Preußen. Gemeinnützige Baugenossenschaft in Posen. — Schule und Er-
ziehung: Ziehkinderwesen in Dresden. Werkstätten für arme Kinder in Schweden. —
Volksbildungswesen. — Arbeitseinstellungen und Aussperrungen: Die Streikbewegung
in Oesterreich im Monate März 1901. Die Arbeitskonflikte im Bergbau Oesterreichs im
I. Quartale 1901. Streikbewegung im Auslande (Belgien, England, Frankreich). ete. —
Arbeitsvermittelung: Ergebnisse der Arbeitsvermittelung in Oesterreich im Monate März
1901. Städtisches deutsches Arbeitsvermittelungsamt zu Reichenberg im Jahre 1900.
Die kommunalen Arbeitsämter der Schweiz. ete. — Arbeitsmarkt: Berichte einzelner
Handels- und Gewerbekammern über die Lage des Arbeitsmarktes im I. Quartale 1901
(Budweis, Bozen). Die überseeische Auswanderung aus Deutschland im Jahre 1900. —
Verschiedenes: Die österreichischen Strafanstalten und Gerichtsgefängnisse im Jahre 1897.
Sozialstatistisches aus Berlın. Die landwirtschaftliche Statistik Ungarns (von Prof.) Herm.
R. v. Schullern-Schrattenhofen, Brünn). — etc.
E. Italien.
Giornale degli Economisti, Marzo e Aprile 1901: Utilità limite e costo di ri-
produzione, per D. Berardi. — Un capitolo; di storia sociale della Francia, per R. Dalla
Volta. — La teoria del salario nella storia delle dottrine e dei fatti economici, per A.
Graziani. — A proposito del censimento, per R. Benini e L. Bodio. — Commemorazione
di Francesco Ferrara, per T. Martello. — Previdenza, per C. Bottoni: In attessa dei
rendiconti 1900 delle casse di risparmio. La partecipazione alla mostra mondiale di
Parigi. — Cronaca, per F. Papafava: Il nuovo ministero. 11 ministero e il pane. —
Rassegna delle riviste (francesi, tedesche, americane, italiane). — ete.
Die periodische Presse Deutschlands. 873
H. Schweiz.
Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Redaktion: Prof.
N. Reichesberg, Bern. Jahrg. IX, 1901, Heft 6 u. 7: Ueber die Frage eines eid-
genössischen Anwaltsexamens, von (Prof.) M. Gmür (Bern). — Zur Frage der Arbeits-
losenversicherung, von H. Hall (Direktor der Lebensversicherungsgesellschaft „Globus“
(Wien). — Die schweizerischen Arbeiterkolonien, von (Prof.) H. Kesselring. — Die An-
wendung des eidgenössischen Fabrikgesetzes, von (Prof.) Reichesberg. — Soziale Chronik.
— Statistische Notizen. etc.
M. Amerika.
Bulletin of the Department of Labor. N° 34, May 1901. (Washington): Labor
conditions in Porto Rico, by Azel Ames. — Social economics at the Paris Exposition,
by (Prof.) N. P. Gilman. — The Workmen’s Compensation Act of Holland. — Digest
of recent reports of State bureaus of labor statistics: New York. Ohio. — Digest of
recent foreign statistical publications: Strikes and lockouts: Austria; France; Germany;
Great Britain. — Decisions of courts affecting labor. — Laws of various States relating
to labor enacted since January 1, 1896.
Quarterly Publications of the American Statistical Association. New series.
N° 53, March 1901: Industrial consolidations in the United States, by Luther Conant.
— The enumeration of children, by Allyn A. Young. — Functional health of women,
by Mary Roberts Smith. — Monthly bulletin of the statisties Department of Boston. —
Economics statisties. — Statisties of pauperism. — The ratio of physicians to the
population.
Die periodische Presse Deutschlands.
Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft.
Jahrg. 1901. Herausgeg. von Karl Theod. Eheberg und Anton Dyroff. Nr. 4 u. 5:
Die Tarifgrundsätze der neuen Eisenbahnverkehrsordnung vom 26. X. 1899, von G. Eger
(RegR., Berlin). — Gold ersparende Zahlungsmethoden in dem heutigen Bankverkehr
Deutschlands, von R. Dunker (Forts.). — Ueber die rechtliche Stellung der ärztlichen
Standesvertretungen gegenüber den Standesgenossen, den Krankenkassen ete., von O.
Schanze (Schluß). — Zur Entwickelung des Etats für die Verwaltung der kais. deutschen
Marine, von W. Thrän (Schluß). — Max von Seydel + (Nachruf). — Das Koalitions-
recht der Arbeiter. Ein Beitrag zur Geschichte unserer Sozialpolitik, von O. Goldschmidt
(RegAss., Posen) [1. Artikel]. — Der Gesetzentwurf über die Errichtung einer hessischen
Pfandbriefbank, nach der Begründung dargestellt von Seidel (RegR., Wiesbaden). —
Können bayerische Staatsangehörige oder Elsaß-Lothringer, welche den Unterstützungs-
wohnsitz erworben haben, wegen dauernder Hilfsbedürftigkeit aus dem Geltungsbereiche
des Unterstützungswohnsitzgesetzes ausgewiesen werden? von H. Otto (BezAmtsAss.,
Königshofen). — Miszellen: Statistik der Badischen Einkommensteuer. Die Thätigkeit
der Ansiedelungskommission in den Provinzen Westpreußen und Posen von 1886—1900.
Die Thätigkeit der Bauabteilung des preußischen Ministeriums der öffentlichen Arbeiten
im letzten Jahrzehnt.
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Herausgeg. von Albert Oster-
rieth. Jahrg. VI, 1901, N° 4, April: Ist die Vervielfältigung der Beilagen der aus-
gelegten Patentanmeldungen, der Gebrauchsmuster- und der Warenzeichenanmeldungen
nach dem Entwurfe des Urheberrechtsgesetzes gestattet?, von Paul Alexander-Katz
(Rechtsanw. u. Privdoz). — Herstellungsort bei Kognak, von (Rechtsanw.) Fuld (Mainz).
— Die Rechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichts über concurrence déloyale
während der Jahre 1895 bis 1899, von Hans Schuler. — Die rechtliche Natur des
Markenrechts sowie des Rechts an Warenausstattungen, von (Rechtsanw.) Richard
Alexander-Katz. — etc.
Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft. Hrsg. von Gustav
874 Die periodische Presse Deutschlands.
Schmoller. Jahrg. XXV, 1901, Heft 2: Die volkswirtschaftliche Aufgabe der Haus-
industrie. Akademische Antrittsvorlesung, von Alfr. Weber. — Das Naturrechtsproblem
und die Methode seiner Lösung, von L. v. Savigny. — Die freien Interessenverbände
für Handel und Industrie und ihr Einfluß auf die Gesetzgebung und Verwaltung, von
Fr. Schomerus. — Die Wehrfähigkeit der ländlichen und städtischen Bevölkerung, von
G. Bindewald. — Ueber Möglichkeit und Wert einer allgemeinen Statistik der liegen-
schaftlichen Verschuldung im Großherzogtum Baden, von Otto Bielefeld. — Die Ge-
werkschaftsateliers zur Bekämpfung der Heimarbeit, von E. Schwiedland. — Centrali-
sation im Bankwesen in Deutschland, von H. Fleischhammer. — Bericht über die
XX. Jahresversammlung des deutschen Vereins für Armenpflege und Wobhlthätigkeit,
von Emil Münsterberg. — Thirteenth and fourteenth annual report of the Commissioner
of Labor 1898 and 1899, von Clemens Heiß. — Ein Versuch begriffsmäßiger Geschichts-
schreibung. Eine Selbstanzeige von Kurt Breysig. — Das Aufsteigen des Arbeiterstandes
in England, von H. Waentig. — etc.
Masius’ Rundschau. Blätter für Versicherungswissenschaft. Neue Folge Jahr-
gang XIII, 1901, Heft 5: Reichsversicherungsgesetz. — Das Kriegsrisiko der Lebens-
versicherung in überseeischen Ländern. — Die Schiedsrechnung (dispache) bei Brand-
schäden. — Versicherungsgewerbe und Versicherungswissenschaft. — etc.
Mitteilungen vom Verband deutscher Patentanwälte. Jahrg. I, N" 1, April
1901: Zur Einführung. — Das berufsmäßige Vertretungsgeschäft des $ 20 und § 21
des Gesetzes betreffend die Patentanwälte, von (PatAnw.) Th. Stort. — Eingabe des
Verbandes betreffend die Figurenbezeichnungen und Präsidialentgegnung. — ete.
Neue Zeit, die. Revue des geistigen und öffentlichen Lebens. Jahrg. XIX,
Band 2, 1900—1901. N° 29—35, 20. IV.—1. VI. 1901: Sozialistische Motive in der
französischen Lyrik, von H. Thurow. — Moderne Evangelienkritik, von Franz Mehring.
Akademiker und Proletarier, von K. K. — Die Freihandelsbewegung vor der Aera der
Bismarckschen Wirtschaftspolitik, von Heinrich Cunow. — Der Eintritt Millerands ins
Ministerium, von Jean Jaurès. — Die neue Bewegung in Rußland. — Der Eintritt
Millerands ins Ministerium, von Ed. Vaillant. — Der jüngste Parteitag der niederlän-
dischen Sozialdemokratie, von W. H. Vliegen. — Die dänischen Wahlen, von H. Bang.
— Bismarcks „geniale“ Wirtschaftspolitik, von H. Cunow. — Sozialdemokratische Jugend-
litteratur? von Heinr. Schulz. — Städtische Grundrente und Wohnungsfrage, von H.
Cohn (München). — Zur Frage des Landbesitzes in Amerika, von L. Werner. — Fort
mit dem Proportionalwahlsystem bei den Ortskrankenkassen, von Ed. Gräf. — Der rus-
sische Imperialismus und Deutschlands Chinaabenteuer, von M. Walter. — Zum fran-
zösischen Einigungskongreß, von Rosa Luxemburg. — Zur Konzentrationsbewegung in
der amerikanischen Landwirtschaft, von J. L. Franz. — Der Mondsche Nickelgewinnungs-
prozeß, von Heinr. Vogel. Die Krise im englischen Unterrichtswesen, von Jakob
Brockle. — Machiavelli der Jüngere, von K. Kautsky. — Auch ein moderner Dienst-
botenroman („das tägliche Brot, von Klara Viebig“), von Siegfr. Weinberg. — Blanqui
und der Blanquismus, von Paul Louis (I. Artik.). — Die Lage der Textilindustrie und
ihrer Arbeiter, von einem Textilarbeiter, — Bernsteins alte Artikel und neue Schmerzen,
von K. Kautsky. — Die deutsche Städteverwaltung. Eine Selbstanzeige, von C. Hugo.
— Aerzte im Gewerbeaufsichtsdienst, von Helene Simon. — ete.
Zeitschrift für Kleinbahnen. Herausgeg. vom Ministerium der öffentlichen Ar-
beiten. Jahrg. VIII, 1901, Heft 4, April: Die elektrischen Straßenbahnen und das
Telegraphenwegegesetz in Preußen, von (RegR.) v. Rohr. — Staatsbeihilfen für Klein-
bahnen. — Ueber elektrische Lokomotiven auf Klein- und Nebenbahnen, von F. Her-
mann. — Gesetzgebung. — Kleine Mitteilungen. — etc.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena.
32101 067873206
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