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Full text of "Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 76.1901"

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Princeton Universitn. 


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The (Gan Éight Fibrarn 
of 
Économics. 


JAHRBÜCHER 


FÜR 


NATIONALÖKONOMIE UND STATISTIK. 


GEGRÜNDET VON 


BRUNO HILDEBRAND. 
HERAUSGEGEBEN VON 


DR. J} CONRAD, 


PROF. IN HALLE A, B., 
IN VERBINDUNG MIT 


Dr. EDG. LOENING, uno DR. W. LEXIS, 


PROF. IN HALLE A. 8., PROF. IN GÖTTINGEN. 


IL FOLGE. 21 BAND, 


ERSTE FOLGE, BAND I—XXXIV; ZWEITE FOLGE, BAND XXXV—LV 
ODER NEUE FOLGE, BAND I— XXI]; DRITTE FOLGE, BAND LXXVI, (III. FOLGE, 
AND XXI 


JE NA, 
VERLAG VON GUSTAV FISCHER. 
1901. 


ee 


D 


Uebersetzungsrecht vorbehalten. 


Inhalt d. XXI. Bd. Dritte Folge (LXXVI). 


I. Abhandlungen. 


Below, G. v, Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft (über den Begriff 
der Territorialwirtschaft). S. 449, 593. 

Caro, G., Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz und angrenzenden ala- 
mannischen Stammesgebieten zur Karolingerzeit. S. 474. 

Hesse, Albert, Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. S. 737. 

Nuglisch, Adolf, Das Finanzwesen des Deutschen Reiches unter Kaiser Sigmund. 
S. 145, 

Rosendorff, R., Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen 
Lobredner. S. 632. 

V. Schullern-Schrattenhofen, Hermann, Ergebnisse der über den börsen- 
mäßigen Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich abgehaltenen 
Enquete (1900). S. 289. 

Wolff, Henry W., Die sozialistische Bewegung in England. S. 352. 

Zahn, Friedrich, Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 
S. 1. 

Zimmermann, F. W. R., Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum in 
ihrem Einfluß auf die Grundbesitzverhältnisse im Herzogtum Braunschweig. 8. 168. 


II. Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Freund, Günther Siegfried, Zur Reform des Börsengesetzes. S. 800. 

Gesetz für das Königreich Preußen über die Fürsorgeerziehung Minderjähriger. Vom 
‚2. Juli 1900. S. 207. 

Gesetz für das Königreich Preußen, vom 18. Juli, betr. die Warenhaussteuer. 8. 210. 

Hesse, Albe rt, Die wirtschaftliche Gesetzgebung der deutschen Bundesstaaten im 
Jahre 1899. S. 664, 782. 

Wissowa, Felix, Die wirtschaftliche Gesetzgebung der deutschen Bundesstaaten im 
Jahre 1899. 8. 54. 


Derselbe, Die wirtschaftliche Gesetzgebung der Länder der ungarischen Krone im 
Jahre 1899. S. 496. 


III. Miszellen. 


SCH W., Ausstände und Aussperrungen in Dänemark 1897—1899. S. 827. 
Bus, Bernhard, Handwerkersöhne an höheren Lehranstalten. S. 215. 
esse, P., Zur Revision des Krankenversicherungsgesetzes — ein Vorschlag. 8. 831. 


IV Inhalt. 


Hofmann, E., Arbeitslosigkeit und Arbeitslosenversicherung in der Schweiz. S. 519. 

König, F. Ph., Die englische Agrarkrisis nach der Enquete der Royal Commission 
on Agriculture. $S. 100. 

Rosendorff, R., Die Bedeutung des Erfordernisses der dritten Unterschrift für bank- 
fähige Wechsel in Frankreich. S. 514. 

Sehiff, Walter, Geschichte der österreichischen Land- und Forstwirtschaft und ihrer 
Industrien 1848—1898. S. 375. 

Schmidt, Alb., Die Glas- und Perlenfabrikation im Fichtelgebirge. S. 83. 

Stellmacher, A., Von der ersten russischen Volkszählung. S. 227. 

Strikes und Aussperrungen im Jahre 1899 in Deutschland und Oesterreich. S. 682. 

Thiess, K., Die Entwickelung der Hamburg-Amerika Linie von 1847 bis 1901. 
S. 816. 

Wolff, Henry W., Staatlicher Hypothekenkredit in Australien. S. 96. 

Zahn, Friedrich, Hauptergebnis der deutschen Volkszählung 1900. S. 541. 


IV. Litteratur. 


Adler, A., Leitfaden für den Unterricht in der Handelswissenschaft mit besonderer 
Berücksichtigung der deutschen Gesetzgebung. 5. verbesserte Aufl. (W. Kähler.) 
S. 700. 

Adler, Paul, Die Lage der Handlungsgehilfen. (A. u. d. T.: Münchener Volkswirt- 
schaftliche Studien, herausg. von Lujo Brentano und Walther Lotz, 39. Stück.) 
(Wilhelm Stieda.) S. 435. 

Ammon, Otto, Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen. Entwurf 
einer Sozial-Anthropologie zum Gebrauch für alle Gebildeten, die sich mit sozialen 
Fragen befassen. Dritte umgearbeitete Auflage. (A. Hesse.) S. 558. 

Antipa, Gr., Industria conservelor din punctul de vedere al aprivisionarii armatei 
si al exportului productelor alimentare (Die Konservenindustrie unter dem Gesichts- 
punkte der Heeresversorgung und der Nahrungsmittelausfubr). (Carl Grünberg.) 
S. 567. 

Beiträge zur neuesten Handelspolitik Deutschlands. (R. van der Borght.) S. 112. 

Böhm-Bawerk, Eugen von, Kapital und Kapitalzins. (Karl Diehl.) S. 833. 

Derselbe, Einige strittige Fragen der Kapitalstheorie. (Karl Diehl.) S. 833. 

Borgius, Walther, 1903. Ein handelspolitisches Vademeeum. (Burschenschaftliche 
Bücherei, Bd. I, Heft 4) (Wermert.) S. 126. 

Curran, J. H., Franeis A. Walker und seine hauptsächlichsten Theorien. (Sammlung 
nationalök. und statist. Abhandlungen, Bd. 28.) (von Schullern.) S. 262. 

Demuth, Fritz, F. Th. v. Bernhardi. Ein Beitrag zur Geschichte der National- 
ökonomie im 19. Jahrhundert. (von Schullern.) S. 699. 

1) Die deutsche Volkswirtschaft am Schlusse des 19. Jahrhunderts. (Wilhelm Stieda.) 
S. 264. 

2) Jahrbuch des deutschen Wirtschaftslebens.. (Wilhelm Stieda.) S. 264. 

Eckert, Christian, Das Mainzer Schiffergewerbe in den letzten 3 Jahrhunderten 
des Kurstaates. (Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen, herausgegeben von 
Gustav Schmoller, Bd. 16, 3. Heft.) (Theo Sommerlad.) -S. 707. 

Hager, Die öffentlich-rechtliche Regelung des Privatversicherungswesens in Deutsch- 
land. (Brüders.) S. 723. 

Hainisch, Michael, Der Kampf ums Dasein und die Sozialpolitik. (K. Diehl.) 
S. 561. 

Hamon, Franz, L'avenir de la politique française en matière de chemins de fer. 
Complement a l'ouvrage de M. R. de Kaufmann. (H. v. Scheel.) S. 574. 

Hiestand, Paul, Grundzüge der privaten Unfallversicherung mit Berücksichtigung 
der Haftpflichtversicherung. (J. Hochstätter.) S. 129. 

Holländer, Ludwig, Die Lage der deutschen Mühlenindustrie unter dem Einflusse 
der Handelspolitik 1879—1897. (Münchener volkswirtschaftliche Studien, heraus- 
gegeben von Lujo Brentano und Walther Lotz. 29. Stück.) (Wermert.) S. 430, 

Huber, C. F., Zur Frage der Errichtung eines GroBschiffahrtsweges auf dem Neckar 
(Mannheim-Eßlingen). (Victor Kurs.) S. 569. 


Inhalt. y 


Hülsemann, Die Viehversicherung, ihr Wesen, ihre Aufgabe, ihre Organisation. 
(Brüders.) S. 722. 

Human, Arthur, Der deutsch-russische Handels- und Schiffahrtsvertrag vom 20. März 
1594, (Fritz Schneider.) S. 573. 

Jenks, J. W., The Trust Problem. (Robert Liefmann.) S. 719. 

Les industries à domicile en Belgique. Bd. 2. (R. van der Borght.) S. 717. 

Keutgen, F., Urkunden zur Städtischen Verfassungsgeschichte. 1. Hälfte. (A. u. 
d. T.: Ausgewählte Urkunden zur Deutschen Verfassungsgeschichte, von G. v. Below 
u. F. Keutgen. Bd. 1.) (K. Heldmann.) S. 422. 

May, R. E., Die Wirtschaft in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit 130 Tabellen 
und vergleichenden Uebersichten. Zur Jahrhundertwende 1901. (Troeltsch.) S. 849. 

Michaelis, H., Grundzüge des deutschen Gewerberechts. Die Gewerbeordnung für 
das Deutsche Reich als Leitfaden für den Unterricht an höheren gewerblichen Lehr- 
anstalten zusammengestellt. (W. Kähler.) S. 568. 

Mitteilungen über den 41. Allgemeinen Genossenschaftstag der auf Selbsthilfe be- 
ruhenden deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften zu Hannover vom 
5.—8. September 1900. Herausgegeben im Auftrage des Allgemeinen Verbandes von 
Dr. Hans Crüger. (W. Kähler.) S. 714. 

Mourre, Charles, D'ou vient la Décadence économique de la France. (J. Gold- 
stein.) S. 562. 

Neuere agrarpolitische Werke. (J. Conrad.) 8. 248. 

Neuere finanzwissenschaftliche Schriften, (Max von Heckel.) 8S. 543. 

Neuere Litteratur über den Handel. (A. Wirminghaus.) S. 691. 

Oppenheimer, Franz, Die Siedelungsgenossenschaft, Versuch einer Lösung der 
sozialen Frage durch positive Ueberwindung des Kommunismus. (Arthur Dix.) 
S. 413. 

Derselbe, Großgrundeigentum und soziale Frage. (Arthur Dix.) S. 413. 

Owen, Robert, Eine neue Auffassung von der Gesellschaft. Vier Aufsätze über die 
Bildung des menschlichen Charakters, als Einleitung zur Entwickelung eines Planes, 
die Lage der Menschheit allmählich zu verbessern. Nach der 3. im Jahre 1817 in 
London erschienenen Ausgabe übersetzt und erklärt von (Prof.) Oswald Collmann. 
(W. Kähler.) S. 847. 

Pierstorff, Julius, Frauenarbeit und Frauenfrage. (v. Erdberg.) S. 862. 

Rossmann, M., Kustermann, R., Pernaczynski, St, Weryho, P., und 
Heubach, E., Eisenbahntarife und Wasserfrachten. Studien zur Frage der Ge- 
bührenerhebung auf Wasserstraßen. Im Auftrage des Vereins für Sozialpolitik heraus- 
gegeben von Walter Lotz. (Victor Kurs.) S. 259. 

Röhl, Hugo, Beiträge zur preußischen Handwerkerpolitik vom Allgemeinen Land- 
recht bis zur allgemeinen Gewerbeordnung von 1845. (Staats- und sozialwissen- 
schaftliche Forschungen. Herausgegeben von Gustav Schmoller. Bd. 17, Heft 4.) 
(W. Kähler.) S. 857. 

Sacher, Ed., Die Massenarmut, ihre Ursache und Beseitigung. (Franz Dochow.) 
S. 724. 

Sächsische Volkskunde. Unter Mitarbeit von ...... herausgegeben von Dr. Robert 
Wuttke, 2. umgearbeitete und vermehrte Auflage. (W. Kähler.) S. 846. 

Schindler, Karl, Finanzwesen und Bevölkerung der Stadt Bern im 15. Jahrhundert. 
(F. Eulenburg.) S. 122. 

Re Richard, Die Wirtschaftspolitik der historischen Schule. (K. Diehl.) 
3. 119, 

Schultze, Ernst, Freie öffentliche Bibliotheken, Volksbibliotheken und Lesehallen, 
(E. Roth.) S. 869. 

Statistik der Evangelisch-protestantischen Landeskirche im Großherzogtum Baden. 
Herausgegeben vom Ev. Pfarrverein im Großherzogtum Baden. (W. Kühler.) 8.728. 

Steinbrück, Carl, Die Entwickelung der Preise des städtischen und ländlichen 
Immobiliarbesitzes zu Halle (Saale) und im Saalkreise. (M. C.) 8. 853. 

Stieda, Wilhelm und Mettig, Constantin, Schragen der Gilden und Aemter 
der Stadt Riga bis 1621. Herausgegeben von der Gesellschaft für Geschichte und 
Altertumskunde der Ostseeprovinzen RuBlands. (Theo Sommerlad.) S. 701. 

Supino, Camillo, Il capitali salari. (von Schullern.) $S. 261. 


VI Inhalt. 


Süßheim, Max, Das moderne Auktionsgewerbe. (Wilh. Stieda.) S. 572. 

Tokuzo Fukuda, Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwickelung in Jap 
42. Stück der Münchener volkswirtschaftlichen Studien, herausg. von Lujo Bre 
tano und Walther Lotz. (Wernicke.) 8. 711. 

Trap, Cordt, und Schmidth, Olaf, Les habitations ouvrières en Danemark 
principalement de Copenhague. (H. Albrecht.) S. 426. 

Zum mittelalterlichen Zollwesen. (Karl Heldmann.) S. 553. 

Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und dt 
Auslandes. a 119. 261. 422. 558. 699. 846. 

Die periodische Presse des Auslandes. oa 139. 282. 442. 586. 731. 871 

Die periodische Presse Deutschlands. S. 143, 287. 447. 590. 735. 873. 


Volkswirtschaftliche Chronik. S. 453. 1. 43. 79. 123. 171. 


Friedrich Zahn, Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrh. `" 


Nachdruck verboten. 


I. 
Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt 
ins 20. Jahrhundert. 


Von 
Friedrich Zahn (Berlin). 


Inhalt: Vorbemerkung. — I. Land und Leute. — II. Landwirtschaft. — III. Ge- 
werbe, Handel, Verkehr. — IV. Geld- und Kreditwesen. — V. Nationalwohlstand. — 
VI. Ausblick. 3 

Säkularbetrachtungen pflegen Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft 
in großem Stile zu behandeln: man hält Rückblicke, die auf das 
ganze verflossene Säkulum zurückgreifen, zieht ein umfassendes 
Facit für die Gegenwart und entwirft weitausschauende Ziele für die 
Zukunft. Eine solche Darstellung wäre in Bezug auf die deutsche 
Volkswirtschaft sehr erwünscht, ihre Inangriffnahme hat für einen 
Wirtschaftspolitiker viel Verlockendes. Doch läßt sie sich im engen 
Rahmen einer einfachen Abhandlung überhaupt nicht geben und würde 
zudem unter dem Mangel von verlässigem Material über die ersten 
Jahrzehnte des abgelaufenen Jahrhunderts zu leiden haben. Dieser- 
halb bescheiden wir uns bei dem im folgenden beabsichtigten Rechen- 
schaftsbericht über das deutsche Wirtschaftsleben mit der Untersuchung 
der Frage: In welchem Zustande undin welcher Ent- 
wickelungstendenz tritt die deutsche Volkswirtschaft 
ins neue Jahrhundert hinüber? und gründen, um eine 
möglichst unbefangene Antwort zu geben, unsere Ausführungen auf 
das, wirtschaftliche Gewissen des Staates“, auf die amtliche Statistik. 

Es trifft sich nämlich günstig, daß kurz vor Jahrhundertschluß 
eine große Erhebung zum Abschluß gebracht ist, die von der Reichs- 
regierung vorgenommen wurde mit dem Zweck, neue Grundlagen 
für die Beurteilung der volkswirtschaftlichen Verhältnisse im Reiche 
zu gewinnen. Wir meinen dieBerufs- und Gewerbezählung 
vom 14. Juni 1895. In 18 Bänden der Reichsstatistik sind deren 
Ergebnisse seit November 1899 vom Kaiserlichen Statistischen Amt 
mitgeteilt. Keineswegs handelt es sich dabei lediglich um Zahlen- 
werk. Das Kaiserliche Statistische Amt ist ja nicht eine bloße 
Rechnungs- und Redaktionsstelle, sondern ein mit wissenschaftlichen 
Kräften ausgestattetes Reichsamt, das bestimmungsgemäß die Statistik 
den Zwecken der Verwaltung und der Wissenschaft nutzbar zu machen 
hat. Da nun selbst die besten Erhebungen ohne entsprechende Be- 
arbeitung seitens des mit der Sache einmal befaßten Statistikers totes 
Material bleiben, so hat das Kaiserliche Statistische Amt auch eine 
textliche Würdigung des Zahlenwerks unter Berücksichtigung und 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 1 


2 Friedrich Zahn, 


Verwertung von Anschauungen der Theorie und Praxis besorgt 
außerdem diesen Beschreibungen und Begutachtungen des gewonne 
Materials noch graphische Darstellungen beigegeben, die gewisse 
deutsame Ergebnisse durch Karten und Diagramme weiter ver 


schaulichen. 
Die betreffenden Textbände sind erschienen unter dem Ti 


„Die berufliche und soziale Gliederung des Deutsche 
Volkes nach der Berufszählung vom 14. Juni 1895“ (Bd. 111 d 
Statistik des Deutschen Reichs), „Die Landwirtschaft i 
Deutschen Reich nach der landwirtschaftlichen Betriebszählur 
vom 14. Juni 1895* (Bd. 112 d. St. d. D. R.), „Gewerbe un 
Handel im Deutschen Reich nach der gewerblichen Betriebs 
zählung vom 14. Juni 1895“ (Bd. 119 d. St. d. D. R.) 

In diesen drei (von mir verfaßten) Werken !) ist das Gesamtergebni. 


1) Da eine nähere Besprechung des Detailinhaltes dieser Werke hier nicht müg- 
ich ist, mag in Hinblick auf ihre Bedeutung als amtliches Quellenmaterial wenigstens 
eine kurze Skizze darüber Platz finden: 

a) Die berufliche und soziale Gliederung des Deutschen Volkes. 
Einleitungsweise wird die äußere Einrichtung der Berufszählung (ihr Anlaß, ihre Vorbe- 
reitung und Aufnahme sowie die Methode ihrer Verarbeitung nebst Kostenaufwand) ge- 
schildert. Alsdann gelangt in 14 Abschnitten das materielle Ergebnis der Zählung zur 
Darlegung. Alle wichtigeren Fragen, über welche die Erhebung Aufschluß giebt, sind 
dabei eingehend beleuchtet. Es wird dargethan, welche Ausdehnung die Erwerbsthätig- 
keit im allgemeinen und welche speziell der Frauenerwerb, die Kinder- und die Greisen- 
arbeit hat. Zur Klarlegung der Erwerbsthätigkeit in den einzelnen Berufen sind die 
Berufe in 207 Arten gegliedert und für jeden dieser Berufszweige die Stärke, seine Ent- 
wickelung, seine geographische Verbreitung untersucht. Die soziale Schichtung wird 
nicht bloß in Bezug auf die beiden Hauptklassen der Selbständigen und Abhängigen 
erörtert, sondern es werden bei den Selbständigen noch die unbemittelte, die Mittel- und 
die wohlhabende Klasse, bei den Abhängigen das technische und Aufsichtspersonal, die 
gelernten und ungelernten Arbeiter sowie die Arbeiter, die Familienangehörige ihres 
Arbeitgebers sind, näher behandelt. Andere Abschnitte sind der Frage des Nebenerwerbs, 
dem Alter, Familienstand, der Religion der Erwerbsthätigen, den Dienstboten, nichter- 
werbsthätigen Familienangehörigen, Hausindustriellen, Hausierern, Arbeitslosen ge- 
widmet. Die meisten der behandelten Fragen sind außer nach dem Stande von 1895 
auch hinsichtlich der seit 1882 eingetretenen Entwickelung der einschlägigen Verhältnisse 
dargestellt, und ebenso nicht allein für das Reich im Ganzen, sondern auch für die ein- 
zelnen Bundesstaaten und unter Berücksichtigung der Verhältnisse von Stadt und Land. 
Endlich ist zur genaueren Kennzeichnung der beruflichen und sozialen Gliederung des 
Inlandes dieselbe noch im Lichte fremder Verhältnisse betrachtet und zu dem Ende ein 
Vergleich mit anderen Kulturstaaten (Oesterreich-Ungarn, Schweiz, Frankreich, Belgien, 
Niederlande, Dänemark, Schweden, Norwegen, Großbritannien und Irland, Vereinigte 
Staaten von Amerika) angestellt. 

Naturgemäß konnten in der textlichen Darstellung (280 Seiten) nicht alle Einzel- 
fragen mit zur Erledigung gebracht werden. Um jedoch deren Beantwortung thunlichst 
zu erleichtern, ist im Anhang (auf weiteren 427 Seiten) ein umfangreiches Material 
von Verhältniszahlen und von sonstigen Zusammenstellungen geboten, das weitere For- 
schungen ermöglichen und vorbereiten soll. Außerdem sind zur Illustration wichtigerer 
Ergebnisse 28 karto- und diagraphische Beilagen dem Bande angefügt. 

b) Die Landwirtschaft im Deutschen Reich. Das Werk, bereits in 
Bd. XVI, S. 495 fg. dieser Jahrbücher von J. Conrad besprochen, schildert zunächst Ein- 
richtung und Umfang der Erhebung, bringt einen Auszug aus der Berufsstatistik über die 
landwirtschaftliche Bevölkerung und verbreitet sich sodann in vier besonderen Abschnitten 
über 1. die landwirtschaftlichen Betriebe, 2. die Kunst- und Handelsgärtnereibetriebe und 
die Weinbaubetriebe, 3. die forstwirtschaftlichen Betriebe, 4. die landwirtschaftliche Be- 
triebsstatistik Deutschlands im Vergleich mit verwandten Erhebungen des Auslandes (ins- 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 3 


der Berufs- und Gewerbezählung einer allgemeinen, inzwischen reichlich 
erfolgten Benutzung erschlossen, dergestalt, daß die 1895er Aufnahme 
in allen ihren Teilen thunlichst ausführlich besprochen wird, zugleich 


besondere von Frankreich, Belgien, Niederlande, Großbritannien und Irland, Dänemark, 
Schweden, Norwegen, Vereinigte Staaten von Amerika). Den breitesten Raum nimmt 
der erste von diesen vier Abschnitten ein. Hier werden die landwirtschaftlichen Betriebe 
nach Parzellenbetrieben, kleinen, mittleren, größeren bäuerlichen Betrieben und Groß- 
betrieben unterschieden, und es wird für diese Größenklassen näher dargethan, in wel- 
cher Zahl, mit welcher Fläche, in welcher Betriebsform (Eigen-, Pacht-, Deputat ete, 
Wirtschaft) sie vorkommen und wie das Areal im speciellen benutzt wird (als Acker, 
Wiese, bessere Weide, Garten, Wald etc.) Auch die Nutzvichhaltung der landwirtschaft- 
lichen Betriebe, die Verwendung von landwirtschaftlichen Maschinen, und die technischen 
Nebengewerbe sind eigens behandelt. Eine besondere Erörterung und Klarstellung hat 
endlich die Frage gefunden, welchen Berufszweigen die Inhaber von landwirtschaftlichen 
Betrieben im Hinblick auf ihre hauptsächliche Beschäftigung angehören, und welche 
Besonderheiten in dieser Beziehung bei den Parzellen, Bauern- und Großgütern obwalten. 
Bei alledem ist nicht bloß das Reich als solches berücksichtigt, sondern auch die ein- 
zelnen Bundesstaaten und Provinzen, und ist, soweit möglich, durchweg Aufschluß dar- 
über erteilt, welche Entwickelung in den besprochenen Verhältnissen seit der 1882er 
Zählung stattgefunden hat. 

Der zweite Teil der Veröffentlichung enthält ein Tabellenwerk von 500 Seiten; 
ihm sind auch zusammenfassende Uebersichten, insbesondere Verhältniszahlen, nebst 
Vergleichen mit der Zählung vom 5. Juni 1882 beigegeben. 

Schließlich sind in 8 Karten die Ergebnisse auch graphisch veranschaulicht. Die 
Karten stellen dar, wie die landwirtschaftliche Bevölkerung (im Vergleich zum landwirt- 
schaftlichen Areal) und wie die verschiedenen Größenklassen der Betriebe in den klei- 
neren Verwaltungsbezirken des Reichs (Kreisen, Bezirksämtern, Kreishauptmannschaften 
etc.) vertreten sind. 

ec) Gewerbe und Handel im Deutschen Reich. Die Darstellung zerfällt 
in elf Abschnitte. Zunächst wird die Ausdehnung von Gewerbe und Handel in ihren 
einzelnen Zweigen, deren die Statistik 320 unterscheidet, im allgemeinen betrachtet, 
zugleich unter Hervorhebung ihrer Entwickelung seit der Gewerbezählung vom 
Jahre 1882. Hieran reihen sich Untersuchungen über Umfang und Entwickelung von 
Allein- und Gehilfen-, von Klein-, Mittel- und Großbetrieben. Das Gewerbepersonal 
wird nach den drei sozialen Klassen der Unternehmer, Angestellten und Arbeiter ge- 
schildert, ebenfalls unter Berücksichtigung der Verschiebungen, die seit 1882 hier er- 
folgt sind; besondere Kapitel sind dabei den Lehrlingen, den jugendlichen Arbeitern 
sowie dem weiblichen Geschlechte unter dem Gewerbepersonal, namentlich den ver- 
heirateten Arbeiterinnen gewidmet. Neu gegenüber der 1882er Gewerbestatistik ist ferner 
eine Untersuchung darüber, welche verschiedenen Beschäftigungen in dem gleichen Be- 
triebe, andererseits wie häufig gleiche Beschäftigungen in verschiedenartigen Betrieben 
vorkommen; die betreffenden Ergebnisse sind wichtig für die Beurteilung der Struktur 
der Betriebe und speciell für die Kenntnis von der mannigfaltigen Verwertung von 
Handwerkerarbeiten in Fabriken. Ein weiterer Abschnitt beschäftigt sich mit der ge- 
werblichen Motoren- und Maschinenbenutzung und zeigt die Technik im Dienst des 
Kleingewerbes und der Großindustrie. 

Besonders bemerkenswert ist der Abschnitt über Gesamtumfang und Leistungs- 
fähigkeit der gewerblichen Unternehmungen. Die kombinierten Betriebe desselben In- 
habers, die vorher, um die Entwickelung der einzelnen Gewerbearten zu zeigen, nach 
ihren Specialzweigen aufgelöst und als eine Mehrheit von Betrieben behandelt waren, 
erscheinen jetzt als Gesamtheiten; die Großunternehmungen treten so in ihrer vollen 
Wucht, mit den in ihnen konzentrierten menschlichen und mechanischen Kräften hervor. 
Um deutlich zu machen, wie deutsche Riesenunternehmungen an der Jahrhundertwende 
aussehen, sind zehn davon nach ihrem neuesten Stande einzeln geschildert. Die Lei- 
stungsfähigkeit des Gewerbes wird an der Hand der bis jetzt bekannten, freilich dürftigen 

Produktionsstatistik sowie an der Hand der Ausfuhrstatistik dargethan. 

Die darauf folgenden Abschnitte haben zum Gegenstand die Rechtsform der 
Unternehmungen (Einzelgeschäfte, Kompagniegeschäfte, Aktien-, Gemeinde-, Staats-, 


1* 


4 Friedrich Zahn, 


aber die Resultate der 1882er Berufs- und Gewerbezählung und 
anderweitige statistische Ergebnisse zur Berücksichtigung ge- 
langen. Um deswillen darf die neue Berufs- und Gewerbezählung 
den Anspruch erheben, nicht etwa bloß nach den Bänden von Zahlen, 
die über sie veröffentlicht sind, sondern nach dem Umfang und Gehalt 
der Thatsachen und Kausalverknüpfungen beurteilt zu werden, welche 
an der Hand ihrer Zahlen in sicherer und berechtigter Schlußfolgerung 
ans Licht gestellt wurden. Und diese Feststellungen von Thatsachen 
erstrecken sich auf die meisten und hauptsächlichsten — 
wenn auch nicht auf alle — Zweige der deutschen Volkswirt- 
schaft. Für siewird dergegenwärtigeStandundihrejüngste 
Entwickelung dargethan. Da, soweit möglich, auch die Erschei- 
nungen der allerletzten Jahre in Bezug genommen sind, ist somit 
ein Bild über unsere volkswirtschaftlichen Verhältnisse an der Jahr- 
hundertwende geschaffen. 

Um die wichtigsten Resultate dieser Arbeit im weiteren Um- 
fange, als dies bei der vorerwähnten umfangreichen Publikation mög- 
lich, für die Allgemeinheit nutzbar zu machen, veröffentlichte das 
Kaiserliche Statistische Amt im Mai 1900 unter dem Titel „Die 
Deutsche Volkswirtschaft am Schlusse des 19. Jahr- 
hunderts“ noch eine weitere vom Direktor des Kais. Statist. Amts 
v. Scheel selbst bearbeitete Schrift, in welcher in Verfolg einer An- 
regung des Kaisers und des Reichstags die Hauptergebnisse der 
Berufs- und Gewerbezählung kurz und gemeinverständlich zusammen- 
gefaßt sind und ebenfalls durch Herbeiziehung weiteren Materials 
(insbesondere über den deutschen Binnen- und Seeverkehr, über 
Außenhandel, über Produktion und Verbrauch) die statistische Dar- 
stellung zu einer solchen der deutschen Volkswirtschaft am Schlusse 
des 19. Jahrhundert abgerundet ist. 

Eıne Ergänzung zu diesen Veröffentlichungen, die sich vor allem 
mit den drei großen Gebieten der wirtschaftlichen Thätigkeit des 
Volkes, Landwirtschaft, Industrie, Handel und Verkehr, befassen, 
dagegen die zur Volkswirtschaft im weiteren Sinne zählenden Ge- 
biete, insbesondere die Sozialpolitik und das Finanzwesen, außer 
Betracht lassen, bilden die im Auftrag des Reichsversicherungsamts 
von Dr. Laß und mir für die Pariser Weltausstellung verfaßte Denk- 


Reichs- ete. Betriebe), die Kampagne- und Saisongewerbe, die Hausindustrie, das Hausier- 
gewerbe sowie die gewerbliche Gefängnisarbeit. 

Während alle diese Ausführungen auf das Reich im ganzen sich beziehen, wird 
im zehnten Abschnitte das Wichtigste über die Betriebsverhältnisse und die Arheits- 
stellung des Personals noch für die einzelnen Bundesstaaten mitgeteilt. Den Schluß 
bildet „Deutschlands Gewerbe und Handel im Vergleich zum Auslande“, es werden die 
gewerblichen Verhältnisse von Oesterreich, Ungarn, Schweiz, Belgien, Dänemark, 
Schweden, Norwegen, Großbritannien und Irland, den Vereinigten Staaten von Amerika 
geschildert, zuletzt wird gezeigt, welche Stellung Deutschland gegenüber allen anderen 
wichtigeren Kulturstaaten jetzt auf dem Weltmarkte einnimmt. 

Dem Text (von 245 Seiten gr. 4°) ist als Anhang eine Reihe von Tabellen, die 
weitere Forschungen durch Verhältniszahlen und Vergleiche von 1895er und 1882er 
Zahlen erleichtern sollen, sowie eine Anzahl von Karten beigegeben ; letztere bringen 
ausgewählte Gew erbezweige, auch die industriellen Großbetriebe in ihrer geographischen 
Verbreitung zur Veranschaulichung. 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 5 


schrift über „Einrichtung und Wirkung der deutschen 
Arbeiterversicherung“, ferner die vom Fabrikinspektor Pöllath 
im bayerischen Ministerium des Innern verfaßte Schrift „Der Ar- 
beiterschutz, soweit er Aufgabe der Gewerbeinspektoren ist“ 
(Stuttgart 1901) und die Denkschrift, welche die Reichsbank 
anläßlich ihres 25-jährigen Jubiläums nächstens veröffentlicht. 

Auf diese Weise ist für das Deutsche Reich ein so umfassender 
und gründlicher Einblick in dessen wirtschaftlichen Verhältnisse er- 
möglicht, wie er für kein anderes Land zu Gebote steht. Am nächsten 
werden den deutschen Veröffentlichungen wenigstens an Vielseitigkeit 
die Arbeiten kommen, welche auf Grund des neuen Census vom 
Juni 1900 das Census Office über die Vereinigten Staaten von 
Amerika zu veröffentlichen beabsichtigt. Im übrigen ist hinsichtlich 
des Auslands, abgesehen von einigen statistischen Publikationen der 
letzten Jahre, auf die Werke zu verweisen, die einzelne Staaten an- 
läßlich der Pariser Weltausstellung veröffentlichten, so Oesterreich 
„Soziale Verwaltung am Ende des 19. Jahrhunderts“, 2 Bände (unter 
Leitung von E. von Philippovich und M. Gruber), Ungarn „Das 
Königreich Ungarn“, volkswirtschaftlich und statistisch dargestellt 
von Alexander von Matlekowits (2 Bände), Schweiz „Inventaire 
des Institutions économiques et sociales de la Suisse à la fin du 
XIX. siècle“ von A. Le Cointe, Schweden „La Suède, son peuple 
et son industrie“ (unter Leitung von Gustav Sundbärg), Norwegen 
„Norway“ (amtliche Veröffentlichung für die Pariser Ausstellung 1900), 
Rußland „La Russie à la fin du XIX. siècle“ (unter Leitung von 
M. W. de Kovalevsky, Rat im russischen Finanzministerium), Ver- 
einigte Staaten von Amerika „Monographs on American 
Social Economics“, herausgegeben vom Department of Social Eco- 
nomy unter Leitung von Herbert B. Adams, sowie „Monographs on 
Education in the United States“, herausgegeben vom Department of 
Education (unter Leitung von Nicholas Murray Butler). 

Nun aber zur Sache selbst: Wie ist die deutsche Volkswirtschaft 
eben beschaffen, in welcher Richtung steuert sie ? 


I. 

Betrachten wir zunächst Land und Leute des Deutschen 
Reichs !). 

Das Gebiet des Deutschen Reichs umfaßt einen Flächenraum von 
540 657,6 qkm. Seine Kolonieen sind fünfmal so groß, nämlich 
2665 316 qkm, und zwar in Afrika: Togo 82300 qkm, Kamerun 
495 000 qkm, Deutsch - Südwestafrika 835 100 qkm, Deutsch - Ost- 
afrika 995000 qkm; in der Südsee: Deutsch-Neuguinea oder Kaiser 
Wilhelms-Land 179000 qkm, Bismarck-Archipel, ein Teil der Salo- 
monsinseln, Samoa, die Marschallinseln, die Karolinen, Marianen- und 


1) Bei den folgenden Ausführungen unter Ziffer I, II und III sind meine die Er- 
gebnisse der 1895er Berufs- und Gewerbezählung kurz zusammenfassende Aufsätze in 
der Beilage der Münch. Allgemeinen Zeitung vom 26. Juni 1899 und 9. Januar 1900 
im Einverständnis der Redaktion der Letzteren mit verwendet, hier aber wesentlich er- 
weitert. 


6 Friedrich Zahn, 
Palau-Inseln, insgesamt 16 nennenswerte Inseln und Inselgruppen 
mit 78376 qkm; auf dem asiatischen Kontinent die deutsche Pach- 
tung Kiautschou mit 540 qkm und einem Einflußgebiet insgesamt von 
50 km im Durchmesser. 

Während dieser koloniale Gebietszuwachs in der Hauptsache 
erst im Laufe des letzten Jahrzehnts erreicht wurde, hat sich die 
Bevölkerung seit Jahrzehnten stetig vermehrt. Sie betrug: 


im Jahre Millionen 
1816 24,8 
1855 36,1 
1870 40,8 
1882 (Juni) 45,2 
1895  „ 51,8 


und ist jetzt bei Beginn des neuen Jahrhunderts auf über 56 Millionen, 
die sich auf über 11 Millionen Haushaltungen verteilen, zu veran- 
schlagen. 

Diese rasche Bevölkerungszunahme beziffert sich im Durchschnitt 
der Jahre 1890—99 auf rund 700000 und erreichte in den Jahren 
1898 und 1899 rund 800000 (d. i. über 1 Proz. jährlich), während 
beispielsweise Frankreich in den nämlichen Jahren nur einige 30 000 
Seelen Geburtenüberschuß (d. i. 0,09 Proz.) aufzuweisen hat. 

Im Vergleich zur Volkszahl anderer Nationen stellt sich die 
deutsche folgendermaßen: 


Die Bevölkerung Deutschlands und der 


ai Gesamtbevölkerung 
Land Zählungs- J 
termin 
männlich | weiblich | überhaupt | 
> 1 zZ l 

Deutschland 2. XII. 1895|25 661 250 26 618 651| 52 279 901 
Oesterreich 31. XII. 1890|11 689 129,12 206 284| 23 895 413 
Ungarn 31. XII. 1890| 8 668 175| 8 795 616| 17 463 791 
Italien 31. XII. 1881/14 265 383,14 194 245| 28 459 628 
Schweiz 1. XII. 1888| 1 417 574| 1500180 2917754 
Frankreich 29. III. 1896,18 922 651/19 436 360 38 269011 
Belgien 31. XII. 1890 3 026 954| 3 042 367| 6 069 321 
Niederlande 31. XII. 1889) 2 228 487| 2282928) 4511415 
Dänemark 1.11. 1890 1059 157| 1 113 223| 2172 380 
Schweden 1. XII. 1890, 2 317 180| 2467 791) 4784971 
Norwegen 1.1. 1891| 951 290| 1 037 384| 1988 674 
England und Wales 5. IV. 1891/14 052 901/14 949 624 29 002 525 
Schottland 5. IV. 1891 1942717) 2082930 4025 647; 
Irland 5. IV. 1891) 2318 953| 2385797 4704750 
Großbritannien und Irland 5. IV. 1891118 314 571119 418 351| 37 732 922 
Ver. Staaten von Amerika !) 1. VI. 1890 32 067 88030 554 370, 62 622 250 

Ruß- | europ. mit Polen u. Finnland | 28. I 152 437 941153 721 200 106 159 141 
lanq | “Site a 1897 12 178 339 10 873 633| 23 051 972 

| | 9.1. ‚64 616 280,64 594 833,129 211 113 


im ganzen 


1) Nach den vorläufigen Ergebnissen des Census vom 1. Juni 1900 betrug die 
Gesamtbevölkerung 76 304 799, die Fläche 8 502 966 qkm; es kamen demnach auf 1 qkm 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 7 


Von der Gesamtbevölkerung sind etwas über zwei 
Fünftel (42,7 Proz. oder 22,1 Millionen) am Erwerb beteiligt. 
Für das männliche Geschlecht beträgt die Erwerbsziffer 61,11 Proz., 
für das weibliche Geschlecht, von dem die zahlreichen nur in der 
Haushaltung thätigen Ehefrauen und Töchter hier nicht in Betracht 
kommen, 25 Proz. Zum Verständnis dieses Prozentsatzes muß daran 
erinnert werden, daß der Teil der Bevölkerung, welcher sich in einem 
Alter befindet, in dem ein regelmäßiger Erwerb noch nicht oder nicht 
mehr ausgeübt wird, d. h. die unter 14- und über 60-jährige Be- 
völkerung allein über 40 Proz. ausmacht. Für die erwerbsfähige Be- 
völkerung verbleiben demnach drei Fünftel, und unter diesen hat 
wiederum ein Teil, weil eigenes Einkommen besitzend, nicht nötig, 
durch Erwerb seinen Unterhalt zu beschaffen. 

Vergleicht man hierzu die Verhältnisse im Ausland, was durch 
folgende Zahlen wenigstens annähernd sich bewerkstelligen läßt, so 
(Siehe Tabelle auf S. 8.) 


erscheint die Beteiligung der Bevölkerung am Erwerb wesentlich 
höher nur in Oesterreich und Italien, wesentlich geringer in den 
Niederlanden, den skandinavischen Staaten und den Vereinigten 
Staaten von Amerika. Diese Verschiedenheit besteht aber weniger 
für das männliche als das weibliche Geschlecht und beruht in der 
Hauptsache auf der ungleichen statistischen Behandlung der im Beruf 


anderen wichtigeren Kulturstaaten. 


Auf 1 qkm 4 Geburtenüberschuß 
Re S kommen hie? Ne EIN in Proz. der mittleren 
TECH Einwohner HRC SE"? Bevölkerung 
540 658 96,7 11 256 150 4,64 im Jahre 1898 1,6 
300 026 79,6 5 029 919 4,75 i ops Ji 
322303 54,2 3 790 741 4,58 PET QT 
296 323 96,0 6 251 268 4,55 1,1 
40.003 73,3 630 213 4,66 1,0 
536 494 71,8 10812151 3,54 im Jahre 1898 0,1 
29 456 206,0 1 332 796 4,56 1,1 
32 538 138,7 977 915 4,61 1,5 
39 = 55,1 475 675 4,59 . f 
442 12 10,8 1 265 665 3,76 e 97 1,1 
322 594 6,2 443 317 4,50 er 
151017 192,0 5 633 192 4,61 1,2 
77 142 52,2 876 089 4,59 e 1,2 
81 738 57,6 932 113 5,05 au Jahre DEE "Cas 
309 897 121,8 7 441 394 5,07 1,1 
7 611 839 8,2 12 690 152 4,93 
5 280 758 20,1 . F 17% 
16 331 078 1,4 P ` im Jahre 1897 1,6 
21 611 836 6,0 £ è 1,5 


9,0 Einwohner. — 2) Diese Zahl bezieht sich auf das europäische Rußland ohne Polen 
und Finnland. 


8 Friedrich Zahn, 


männ-| weib- |. 
liche | liche | Yberhaupt 
Land Erwerbsthätige Erwerbsthätige in 0/ der 
männ- | weib- Gssänit: 
lichen | lichen ~ 
männlich | weiblich | überhaupt Bevölkerung 
Deutschland 15 531 841| 6578 350122 110 191| 61,1 25,0 42,7 
Oesterreich 7 391 834| 5 771734113 163 568| 63,2 | 47,3 55,1 
Ungarn 5 446 844| 2 189 978| 7 636 822| 62,8 | 24,9 43,7 
Italien 9450633, 5 701 27515 151 908| 66,3 | 40,2 53,2 
Schweiz 870 460| 435 190| 1305 650| 61,4 | 29,0 44,8 
Frankreich 11 137 065| 5 191 084/16 328 149| 58,8 27,0 42,8 
Belgien 1811273| 797 143| 2608 416| 59,8 | 26,2 43,0 
Niederlande 1299670! 353059] 16527209) 58,3 | 15,5 36,6 
Dänemark 608 625| 233453| 842078] 57,5 | 21,0 38,8 
Schweden I 263 532| 486872] 1750 404] 54,5 19,7 36,6 
Norwegen 530725) 244747| 775472] 55,8 | 23,6 39,0 
England und Wales 8 883 254| 4 016 23011 899 484| 63,2 | 20,8 44,5 
Schottland 1220 388| 556564! 2776952] 62,8 | 26,7 44,1 
Irland 1504319) 634948) 2139 267| 64,9 | 26,6 45,5 
Großbritannien und Irland [11 607 961| 5 207 742116 815 703| 63,4 | 26,8 44,5 
Ver. Staaten von Amerika |18 821 090! 3 914 571122 735 661! 58,7 | 12,8 36,3 


des Haushaltungsvorstands mithelfenden Familienangehörigen. Keines- 
falls läßt sich daraus die bisweilen aufgestellte Behauptung ableiten, 
daß der Erwerb, insbesondere der Frauenerwerb, von Süd nach Nord 
oder von Ost nach West an Intensität abnehme. Hingegen wird es 
den Thatsachen entsprechen, wenn die Erwerbsziffer in Großbritannien 
die in Deutschland — und zwar für das männliche wie für das weib- 
liche Geschlecht — übertrifft, zumal in der britischen Statistik mit- 
helfende Familienangehörige überhaupt nicht den Erwerbsthätigen zu- 
gerechnet werden. 

Seit dem Jahre 1882 haben die Erwerbsthätigen um 3,1 Millionen 
oder 16,6 Proz. zugenommen — mithin noch stärker als die Gesamt- 
bevölkerung, deren Wachstum innerhalb der letzten 13 Jahre immer- 
hin 14,7 Proz. erreicht —, davon entfallen 2,1 Millionen auf das 
männliche, 1,0 Millionen auf das weibliche Geschlecht. 

Diese Mehrung vollzog sich vornehmlich in industriellen und 
kommerziellen Berufen, in der Armee und im öffentlichen Dienst. 
So sind beispielsweise 

an der seit 1882 eingetretenen Zunahme 


die Berufsarten der Erwerbsthätigkeit beteiligt 

absolut KEE 
Waren- und Produktenhandel 322 416 102,8 
Gast- und Schankwirtschaft 213 212 67,6 
Armee- und Kriegsflotte 179 153 56,8 
Bauunternehmung 175 742 55,7 
Schlosserei 167 301 53,1 
Schneiderei 129 931 41,2 
Maurer 112 109 35,6 
Kohlengewinnung 100 177 317 
Eisenbahnbetrieb 90 971 28,9 
Tischler 80 787 25,9 
Staats- und Gemeindedienst 80 216 25,4 
Aufwartefrauen, Zugehedienste 69 496 22,0 
Bäckerei, Konditorei 64 258 20,4 


Post- und Telegraphenbetrieb 60 763 19,3 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 9 


Fragt man, wie sich das deutsche Volk überhaupt auf die 
einzelnen Berufszweige verteilt, so bekommt man aus der 
1895er Erhebung folgendes Bild: 


Erwerbsthätige m. Dienst- 


x e S Erwerbsthätige im boten und nicht erwerbs- 
Berutsabteilüngen Hauptberuf thätigen Angehörigen 
(Berufsbevölkerung) 
absolut Proz. absolut Proz. 
Landwirtschaft 8 292692 36,19 18 501 307 35,74 
Industrie 8 281220 36,14 20 253 241 39,12 
Handel und Verkehr 2 338 511 10,21 5 966 846 11,52 
Häusliche Dienste, Lohn- 
arbeit wechselnder Art 432 491 1,89 886 807 1,71 
Armee-, Hof-, Staatsdienst, 
freie Berufe 1 425 961 6,22 2835014 5,48 
Ohne Beruf u. Berufsangabe 2 142 808 9,35 3 327 069 6,43 
Summe 22913 683 100 51770284 100 


Die Hauptgebiete wirtschaftlicher Thätigkeit, Landwirtschaft, 
Industrie und Handel, umfassen sonach 86 Proz. der Reichsbevölkerung, 
in ihnen finden 44,7 Millionen als grosse und kleine Unternehmer, 
als Verwaltungsbeamte, Arbeiter Beschäftigung und mit ihren An- 
gehörigen und Dienstboten die Nahrungsquelle. Und zwar ist es 
die Industrie, welche die meisten Menschen — 20,3 Mill. 
oder 39 Proz. — versorgt, nächst ihr steht die Landwirtschaft mit 
18,5 Mill. Personen oder 35,7 Proz. der Reichsbevölkerung und dann in 
weiterem Abstande Handel und Verkehr mit rund 6 Mill. oder 11,5 Proz. 
Gegenüber diesen drei materiellen Berufszweigen treten die anderen 
Berufsabteilungen sehr in den Hintergrund, doch ist zu beachten, 
dass in der Abteilung des öffentlichen Dienstes und der freien Be- 
rufsarten politisch und kulturell recht bedeutungsvolle Elemente des 
Gesellschaftslebens zusammengefaßt sind, der Wehr-, Lehr-, Gelehrten-, 
Künstlerstand, die Beamtenschaft. 

Löst man die genannten großen Berufszweige in die Special- 
berufe auf, deren die Statistik 207 unterscheidet, so erweisen sich als 
am dichtesten besetzt die Berufe Landwirtschaft, Waren- und Produkten- 
handel, Maurer, Kohlengewinnung, Bauunternehmung, Schuhmacher 
— mit je über 1 Million Berufszugehörigen —, Eisenbahnbetrieb, 
Gast- und Schankwirtschaft, Tischler, Schneider, Staats- und Gemeinde- 
dienst — mit über 900000 —, Weberei, Armee und Kriegsflotte, 
Schlosser, Erziehung und Unterricht, Zimmerer, Schmiede, Lohnarbeiter 
wechselnder Art mit über 500000. 

Bei vorstehender Berufsgliederung ist nur der sog. Hauptberuf 
berücksichtigt, d. h. diejenige Thätigkeit, auf welcher hauptsächlich 
die Lebensstellung beruht und von welcher der Erwerb oder dessen 
größter Teil herrührt. Thatsächlich spielt sich heutzutage die 
Erwerbsthätigkeit keineswegs in scharf abgegrenzten Berufszweigen 
ab. Dank unserer Gewerbefreiheit kann jeder treiben, was er versteht 
und was ihm lohnend erscheint. Daher erscheint es geboten, um 
die thatsächliche Ausdehnung der einzelnen Berufe kennen zu lernen, 
daß man sich auch die Nachweise über Nebenerwerb vergegen- 


10 Friedrich Zahn, 


wärtigt. Die deutsche Statistik hat solche in weitgehendem Maße 
erhoben und im Gegensatze zu fast allen anderen Staaten auch aus- 
führlich zur Darstellung gebracht. Hier sollen sie wenigstens insoweit 
Platz finden, als sie die Art des Nebenerwerbs veranschaulichen ; 
da Personen, die mehreren Nebenberufen oder dem nämlichen Berufe 
in verschiedenen Berufsstellungen obliegen, mehrfach gezählt sind, 

handelt es sich bei den folgenden Zahlen nicht um die Zahl von 

nebenerwerbsthätigen Personen, sondern um die Zahl der Fälle, in 

welchen Personen einen Nebenerwerb ausüben: 


Nebenberufe Haupt- u. Nebenberufe 
absolut Proz. absolut Proz. 
Land- und Forstwirtschaft 3 648 237 73,71 II 940 929 42,86 
Industrie 619386 12,51 8900606 31,94 
Handel und Verkehr 569877 11,51 2 908 388 10,44 
Häusliche Dienste etc. 16 765 0,34 449 256 1,61 
Oeffentlicher Dienst 95 430 1,93 1521 397 5,46 
Ohne Beruf u. Berufsangabe — — 2 142 808 7,69 


Summe 4949701 100 27 863 384 100 


Diese Zahlen ergeben zur Genüge, wie häufig in unserem Be- 
rufsleben der Nebenerwerb sich findet, und wie notwendig für die 
Feststellung der Bedeutung der einzelnen Berufszweige es darum 
ist, auch den Nebenerwerb zu registrieren. Und dabei bleibt die 
durch die Berufsstatistik ermittelte Ausdehnung des Nebenerwerbs 
infolge der Schwierigkeiten, die einer erschöpfenden Erfassung ent- 
gegenstehen, immer noch hinter der Wirklichkeit zurück. Nament- 
lich gilt dies von den nicht landwirtschaftlichen Nebenberufen, 
welche äußerlich nicht so hervortreten, wie der landwirtschaftliche 
Nebenberuf mit dem besonderen Stück Land. Deswegen erscheint 
die Stärke des landwirtschaftlichen Interessenkreises, wie sie in der 
letzten Zahlenreihe zum Ausdruck gelangt, gegenüber den anderen 
Berufszweigen verhältnismäßig zu bedeutend. Uebrigens ist gerade 
hinsichtlich der Abmessung des Gesamtgewichts eines Berufszweiges 
daran zu erinnern, daß die bloße Nebenbeschäftigung das Interesse 
des Einzelnen am Schicksal des betreffenden Berufszweiges selten 
in dem Maße in Anspruch nimmt, wie ein zum Haupterwerb ge- 
machter Beruf. 

Will man die Gesamtsumme der Erwerbsfälle wissen, 
so muß man aus obiger Tabelle die Zahl der Berufslosen ausscheiden, 
dagegen die der häuslichen Dienstboten mit einrechnen. Alsdann 
erhält man 27059892 (18,7 männl., 8,3 Mill. weibl.). Erwerbsfälle. 
Selbstredend besagen diese nicht etwa, daß über die Hälfte der Ge- 
samtbevölkerung einem Erwerb nachgeht, vielmehr stellt sich dieser 
Anteil der Bevölkerung wegen der erwähnten Doppelzählungen von 
Personen mit mehreren Berufen erheblich niedriger, immerhin höher 
als 42,7 Proz., mit welchem Prozentsatz ja schon allein die haupt- 
beruflichen Erwerbsthätigen einschließlich der häuslichen Diensthoten 
unter der Gesamtbevölkerung vertreten sind. 

Wie verhält sich die geschilderte deutsche Berufs- 
gliederung zu der der anderen Kulturstaaten? 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 11 


Ein Aufschluß darüber ist angesichts des Charakters des inter- 
nationalen berufsstatistischen Materials, welches nach sehr verschie- 
denen Grundsätzen aufgenommen und verarbeitet wird, mit völliger 
Genauigkeit nicht möglich. Das Kaiserliche Statistische Amt war aber 
bemüht, die vorhandenen Daten wenigstens annähernd vergleichbar 
zu machen, es hat zu dem Zweck folgende Uebersicht zusammenge- 
stellt (den Erwerbsthätigen sind auch die häuslichen Diensthoten 


EE EE TEE 


zugerechnet): 
Die Erwerbsthätigen!) nach Berufsabteilungen. 
Land- und Handel m, Sonstiger 
F S Industrie Verkehr Armee . Gel Häusliche Sonstige 
orstwirt- öffentlicher Dr 
Land schaft und (Gast- und und Dienst und (persönliche) Erwerbs- 
Fis Ki Bergbau Schank- Marine S Dienstboten  thätige 
ischerei Set freie Berufe 
wirtschaft) 
iatschland 8292692 8281220 2338511 630978 794983 1339310 432491 
Oesterreich 8 469 223°) 2880897?) 845073‘) 187507 324591 456277 — 
agam 44746535) 9614223) 249051 114393) 165089 376270 1295 944°) 
tien 8580978 4185 461 592784 160155 498923 596 172 537 435 
Schweiz 488 530 531 005 140 289 816 49 837 80 304 14 869 
Frankreich 6535599 4548098 2185818 5618755) 768245 1609432 119 082°) 
Leien 1) 649252 1081503 327 091 48 282 724 040 
Ninlerlande 541 274 532 181 268 730 20 880 98 005 166 495 25 164 
Yınemark 228 316 200 700 69 300 8429 44723 217 232 73 378 
Süveden 944 562 263 317 102381 39455 460137 237 918 116 634 
Norwegen 384 426 177 511 91 257 3 962 22 989 81 380 13 947 
England und Wales 1336945 7336344°\ 1399735 126473 799659 1 900 328 — 
Schottland 249124 1032404?) 180952 7588 103 731 203 153 - 
Irland 940 621 657 1543) 95446 31293 176538 238215 — 
Großbritannien und 
Irland 2526690 9025 902%) 1676133 165354 1079928 2341696 — 
Vereinigte Staaten 
von Amerika!) 8626088 5478541 3326122 30 845 913488 4360577") — 
Von 100 Erwerbsthätigen gehören zu jeder Berufsabteilung 
Ixutschland 37,5 37,4 10,6 2,8 3,6 6,1 2,0 
Osterreich 64,37) 21,95) 6,44) 1,4 2,5 3,5 _ 
rom 58,6°) 12,6%) 3,8 1,5°) 2,1 4,9 17,0") 
"ien 56,7 27,6 3,9 1,0 3,3 3,9 3,6 
Schweiz 37,4 40,7 10,7 0,1 3,8 6,2 1,1 
Frankreich 40,0 27,9 13,4 34°) 47 9,9 SN 
Belgien 1°) 22,9 38,2 11,6 1,7 25,6 
Sirderlande 32,7 32,2 16,3 1,8 5,9 10,1 1,5 
l'anematk 27,1 23,9 8,2 1,0 5,3 25,8 8,7 
Yhweden 54,0 15,0 5,8 2,3 2,6 13,6 6,7 
\erwegen 49,6 22,9 11,7 0,5 3,0 10,5 1,8 
England und Wales 10,4 56,93) 10,8 1,0 6,2 14,7 > 
| Shattland 14,0 58,1?) 10,2 0,4 5,9 11,4 TE 
` irland 44,0 30,73) 4,5 1,5 8,2 11,1 Ce 
vmöbritannien und 
Irland 15,1 53,73) 10,0 1,0 6,4 13,8 — 
\reinigte Staaten LS 
von Amerika 38,0 24,1 14,6 0,1 4,0 19,21!) = 


1) Hierunter sind Personen verstanden, welche bei der Aufnahme sich als in einem 
Hauptberuf thätig bezeichnet haben, einschließlich der Dienstboten für per- 
sönliche (häusliche) Dienste. Nicht zu den Erwerbsthätigen sind also, außer den noch 


| 


12 Friedrich Zahn, 


Der Anteil am landwirtschaftlichen Erwerb ist demgemäß in 
Deutschland gegenüber allen anderen größeren Staaten des euro- 
päischen Kontinents, auch gegenüber Nordamerika, namhaft geringer, 
hingegen viel größer als in Großbritannien. Andererseits ist der in- 
dustrielle Erwerb bei uns so mächtig entfaltet, daß nur Großbritannien 
uns darin übertrifft, und zwar ist auch die absolute Zahl der indu- 
striellen Erwerbsthätigen Deutschlands wesentlich größer als die in 
den genannten anderen Staaten und kommt der von Großbritannien 
nahezu gleich, so daß unter den Kulturstaaten neben dem britischen 
das Deutsche Reich die meisten Menschen von der Industrie ernährt. 
Das industriereiche Belgien und die Schweiz können zum Vergleich 
mit dem Deutschen Reich als solchem nicht herangezogen werden, 
da deren territoriale Ausdehnung und ihre Stellung in der Weltwirt- 
schaft zu ungleich ist. Handel und Verkehr ist, was ihre Vertretung 
unter der Gesamterwerbsthätigkeit anlangt, außer in Frankreich, 
Belgien, den Niederlanden, Norwegen, namentlich in England und 
besonders den Vereinigten Staaten von Amerika höher entfaltet; an 
absoluter Stärke der im Handel und Verkehr Erwerbsthätigen steht 
Deutschland nur hinter den Vereinigten Staaten zurück. 

Anlangend die Entwickelungstendenz, welcher der be- 
rufliche Aufbau gegenüber dem Stande von 1882 bekundet, so 
erfolgte in Deutschland, wie auch anderwärts selbst in Staaten 
mit noch ausgesprochen agrarischem Charakter (Oesterreich, Ungarn), 
eine Verschiebung zu Ungunsten der Landwirtschaft, zu Gunsten der 
Industrie. Deutschland hat sich aus einem überwiegenden Agrikultur- 
staate zu einem gemischt landwirtschaftlich-industriellen, (noch ge- 
nauer) zu einem überwiegend industriellen Staate entwickelt. Es ent- 


fallen nämlich 
(Siehe Tabelle auf S. 13.) 


Diese Verschiebung besteht nicht allein anteilweise, d. h. in Bezug 
auf den Anteil an der Gesamtheit der Erwerbsthätigen bezw. an der 
Gesamtbevölkerung, sondern auch absolut. Der Rückgang der Land- 
wirtschaftsbevölkerung beträgt rund 70000 Personen, hieran sind 
die männlichen Erwerbsthätigen, die Familienangehörigen und die 
häuslichen Dienstboten in der Landwirtschaft beteiligt, nicht aber die 


nicht oder nicht mehr am Erwerbsleben Beteiligten, den wegen Gebrechlichkeit Arbeitsun- 
fähigen, auch gerechnet die Hausfrauen, welche keinen eigenen Beruf ausüben, sowie die 
von Vermögen, Renten, Pensionen Lebenden. — 2) Einschließlich der Torfgräberei und der 
Gewinnung forstwirtschaftlicher Nebenprodukte. — 3) Darunter Gast- und Schankwirt- 
schaft. — 4) einschließlich der Lohnarbeiter wechselnder Art. — 5) Auch die Kohlen- 
brennerei, soweit sie nicht in Verbindung mit einem gewerblichen Betrieb steht. — 
6) Einschließlich Gendarmerie. — 7) Hauptsächlich Tagelöhner ohne nähere Angabe, un- 
bekannte Berufe ete. — 8) Einschließlich Gendarmerie und Polizei. — 9) Im Dienste von 
Rentnern thätige Angestellte und Arbeiter. — 10) Die Zahlen beziehen sich auf Berufsfälle, 
nicht auf erwerbsthätige Personen. — 11) Außer den häuslichen Dienstboten sind hier 
Erwerbsthätige der Gast- und Schankwirtschaft, der Wäscherei ete. nachgewiesen ; außer- 
dem Barbiere, Friseure und Arbeiter ohne nähere Angabe. — 12) Für Rußland sind 
nur einige Daten über die Ständegliederung vorhanden: 81,5 Proz. paysans, 9 Proz. 
marchands et les bourgeois, 6,5 militaires, über 1 Proz. les nobles héréditaires et person- 


nels, fast 1 Proz. les ecclésiastiques. 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 13 


Berufsbevölkerung 


auf die Erwerbsthätige im (Erwerbsthätige, Erwerbs- Berufs- 
Berufsabteilungen Hauptberuf Dienende u. An- thätige im  bevôlkerung 
gehörige) Hauptberuf 
1882 1895 1882 1895 1882 1895 1882 1895 
Absolute Zahlen Verhältniszahlen 
A. Land- u. Forst- 
wirtschaft * 8236496 8292692 19225455 18501307 43,38 36,19 42,51 35,74 
darunter Landwirt- 
schaft 8063966 8045441 18704038 17815187 4247 35,11 41,36 34,41 
B. Industrie 6 396 465 8281 220 16058080 20253 241 33,69 36,14 35,51 39,12 


C. Handel u. Verkehr 1570318 2338511 4531080 5966846 8,27 10,21 10,02 11,52 
D. Häusliche Dienste 397 582 432 491 938 294 886 807 2,10 1,89 2,07 1,71 
E. Oeffentl. Dienst, 


freie Berufe 1031147 1425961 2222982 2835014 5,43 6,22 4,92 5,48 

darunter Armee u. 

Marine 451825 630 978 542 282 736 692 2,38 2,75 1,20 1,42 
F. Ohne Beruf und 

Berufsangabe 1354486 2142808 2246222 3327069 7,18 9,35 4,97 6,43 


Summe 18 986 494 22913683 45222113 51770284 100 100 100 100 


weiblichen Erwerbsthätigen, deren Zahl ein wenig gestiegen ist, doch 
mag diese Steigerung nur auf einer genaueren Erfassung der in der 
Wirtschaft mithelfenden Familienangehôrigen beruhen. Die Verlust- 
liste in der Landwirtschaft ist dadurch entstanden, daß Personen, die 
sonst der Landwirtschaft zugehörten, in andere Berufe abgewandert 
sind. Wie schon bemerkt, haben namentlich die industriellen und 
kommerziellen Berufe gewonnen, ja man kann sagen, daß fast der 


ganze seit 1882 eingetretene Bevölkerungszuwachs — er beträgt 
6,5 Mill. oder 14,48 Proz. — sich in die eben genannten Berufe er- 


gossen hat, beläuft sich doch die Mehrung der industriellen Berufs- 
bevölkerung auf 4,2 und die der kommerziellen auf 1,4 Millionen 
Personen. 

An dieser Zunahme der Erwerbsthätigen nehmen die drei 
sozialen Klassen, die Selbständigen, die Angestellten 
und die Arbeiter teil, freilich in verschiedenem Grade. 

Die Zahl der Selbständigen ist, was die Abteilungen Landwirt- 
schaft, Industrie und Handel angeht, von 5190687 auf 5474046, 
d. i. um 283359 oder 5 Proz. gestiegen, die der Arbeiter aber von 
10,7 auf 12,8 Millionen, also um 2 Millionen oder 20 Proz., die An- 
gestellten haben sich verdoppelt (307 268 im Jahre 1882, jetzt 621 825). 
Von der Gesamtmehrung der Erwerbsthätigen in den genannten 
Berufszweigen treffen auf die Arbeiter über drei Viertel, auf die An- 
gestellten 12 Proz., die Selbständigen 10 Proz. Die Folge hiervon 
ist, daß der Anteil der Selbständigen zu Gunsten der 
Abhängigen zurückging. 

Diese Art Entwickelung vollzog sich aber nicht in der Land- 
wirtschaft. Hier haben im Gegenteil die Selbständigen etwas ge- 
wonnen, unter gleichzeitigem Rückgang des Anteils der Arbeiter- 
schaft, indem frühere Tagelöhner durch Zupacht und Zukauf von Land 
zu selbständigen Landwirten sich emporschwangen und auch durch die 
Rentengüter die Zahl der landwirtschaftlichen Selbständigen vergrößert 


e e 


14 Friedrich Zahn, 


wurde; andererseits machte die ausgiebigere Verwendung der 
Maschinen die Einstellung von Hilfskräften stellenweise entbehrlich, 
und veranlaßte die bessere Entlohnung und freiere Lebensstellung in 
gewerblichen Berufen zur Abwanderung vom landwirtschaftlichen in 
den gewerblichen Dienst. Wenn gleichwohl die Gesamtheit der Selb- 
ständigen relativ zurückging, so waren dafür die Verhältnisse in 
Industrie, Handel und Verkehr ausschlaggebend, der Großbetrieb 
und die fortschreitende Konzentration der Betriebe erschwert hier 
immer mehr die Selbständigmachung. 

So kommt es, daß jetzt (d. h. nach der 1895er Statistik) fast 
drei Viertel aller Erwerbsthätigen oder 16,2 Mill. zur abhängigen, 
nur etwas über ein Viertel (26,84 Proz.) oder 5,9 Mill. zur selb- 
ständigen Klasse gehören. 

Speciell in den drei großen Berufszweigen Landwirtschaft, In- 
dustrie und Handel und Verkehr ist die soziale Schichtung folgende: 


Selb- ege Von 100 Erwerbsthätigen sind 


Eer g Arbeiter Selb- An- E 
ständige gestellte ständige gestellte Arbeiter 
Landwirtschaft 2568 725 96 173 5 627 794 30,98 1,16 67,86 
Industrie 2 061 764 263 745 5955711 24,90 3,18 71,92 
Handel u. Verkehr 843 557 261 907 1 233 047 36,07 11,20 52,73 
Summa: 5474046 621825 12816552 28,94 3,29 67,77 
Sonstige Berufe 460 074 196 065 2541629 14,39 6,13 79,48 
Ueberhaupt 5 934 120 817 890 15358 181 26,84 3,70 69,46 


Zerlegt man die abhängige Klasse in Landwirtschaft, Industrie 
und Handel nach ihren einzelnen Bestandteilen, so erhält man 
Proz. aller Erwerbsthätigen 


na der genannten Berufszweige 
Angestellte 621 825 3,29 
Gelernte Arbeiter 6 021 641 31,84 
Ungelernte Arbeiter 4 725 326 24,99 
Mithelfende Familienangehörige 2 069 585 10,94 
Dazu mithelf. Familienangeh. im 
Nebenberuf 1311790 


Die Angestellten, unter welchen das technische, Aufsichts- und 
Rechnungspersonal zu verstehen ist, werden in ausgedehntem Maße 
beschäftigt in der chemischen Industrie, der ihr verwandten Industrie 
der Leuchtstoffe, Fette, Oele, dann im Maschinen-, im Berg- und 
Hüttenwesen, es entspricht dies dem fabrikmäßigen und Großbetriebs- 
charakter der erwähnten Berufe. Relativ am geringsten ist ihre Ver- 
wendung im Bekleidungs- und Reinigungsgewerbe, in der Holz- und 
Schnitz- sowie in der Metallindustrie, Gruppen, in denen das Klein- 
gewerbe und Handwerk eine Rolle spielt und daher die Dienste 
eines höher qualifizierten Hilfspersonals, sei es technischen oder 
Bureaupersonals, weniger von nöten sind. 

Die gelernten Arbeiter, d. h. die Gesellen, Lehrlinge und Arbeiter 
für Dienstleistungen, zu denen in der Regel eine Vorbildung er- 
forderlich ist, vereinigen die Hauptmasse der Erwerbsthätigen auf 
sich. Fast ein Drittel sind gelernte Arbeiter, von der Klasse der 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 15 


Arbeiter allein entfällt auf sie fast die Hälfte. Den Ausschlag für 
diese hohen Anteile geben die Verhältnisse im eigentlichen Handwerk, 
das für seine Leistungen bestimmte erlernte oder durch andauernde 
Uebung erworbene Befähigungen oder Geschicklichkeiten voraussetzt. 
So kommen fast ausschließlich gelernte (männliche) Arbeiter vor bei 
den Berufen der Schneider, Barbiere, Friseure, Schornsteinfeger, 
dann in den — handwerksmäßig betriebenen — Berufen der Glaser, 
Klempner, Schmiede, Stellmacher, Tischler, Schuhmacher, Schlosser, 
Bäcker, Fleischer etc. Umgekehrt arbeiten mehr ungelernte Personen 
in Bauunternehmung (Erd-, Wege, Eisenbahnarbeiter), Torfgräberei, 
Gasanstalten, Ziegeleien etc. 

Die Mitarbeit von Familienangehörigen findet sich am ausgedehn- 
testen in der Landwirtschaft, wo ihre Zahl sogar die der Knechte 
und Mägde übersteigt, und zwar zumeist auf Betrieben mittlerer 
Größe, auf Bauerngütern. Schon weniger häufig ist sie bei Handel 
und Verkehr, am eingeschränktesten in der Industrie; es hängt da 
die Häufigkeit von mithelfenden Familienangehörigen von der Größe 
der Betriebe ab, je kleiner der Betrieb, um so mehr hat er familien- 
haften Charakter. Uebrigens treffen von allen mithelfenden Familien- 
angehörigen der Industrie und des Handels nicht weniger als 84 Proz. 
auf die fünf Berufsarten Gast- und Schankwirtschaft, Waren- und 
Produktenhandel, Bäckerei, Fleischerei, Weberei, vielfach besteht die 
besagte Mithilfe in der Besorgung des Verkaufsgeschäfts und wird 
zumeist von Ehefrauen geleistet. 

Um die einzelnen sozialen Schichten in ihrer ganzen Ausdehnung 
zu erkennen, empfiehlt es sich, die Erwerbsthätigen zusammen mit ihren 
Familienangehörigen zu klassifizieren. Alsdann ergiebt sich über den 
sozialen Aufbau des Deutschen Volkes nachstehendes Bild: 

Erwerbsthätige nebst 
Familienangehörigen 
Schicht der Selbständigen 23 013 226 44,45 


Vermögende Klasse 646 242 1,25 2,81 

Mittelklasse 15 874 600 30,66 p 68,98 

Unbemittelte Klasse 6492384 12,54 | 28,21 
Schicht der Abhängigen 28 757058 55,55 


51770284 100,00 


Ueber die Hälfte der Bevölkerung gehört der abhängigen Klasse 
an, 44,45 Proz. derjenigen der Selbständigen. Auf die sozial so hoch- 
bedeutsame selbständige Mittelklasse!) trifft fast ein 
Drittel der Bevölkerung — zweifellos eine verhältnismäßig 
ausgedehnte Schicht. Hierbei ist nur hinsichtlich der Selbständigen- 
Schicht das Moment des Besitzes (auf Grund der Angaben über Aus- 

1) Näheres über diese Mittelstandsstatistik im 10. Abschnitt von Bd. 111 
der Statistik des Deutschen Reichs. Hier sei, um die Darstellung mit formalen Aus- 
führungen nicht zu sehr zu belasten, nur erwähnt, daß bei obiger Unterscheidung von 
Wohlhabenheits-Schiehten der Selbständigen zur Mittelklasse namentlich die Inhaber 
von bäuerlichen Betrieben von 2—100 ha, sowie von gewerblichen und Handelsbetrieben 
mit 2 bis 20 Personen gerechnet sind; zur unbemittelten Klasse sind die Inhaber von 
kleineren, zur vermögenden diejenigen von größeren Betrieben gezählt. 


16 Friedrich Zahn, 


dehnung der landwirtschaftlichen und gewerblichen Betriebe) berü 
sichtigt. Wäre dies auch für die Schicht der Abhängigen môgl 
so würde ohne Zweifel die unbemittelte Klasse, aber auch die Mitt 
klasse eine namhafte Verstärkung erfahren. Die Mittelklasse erhie 
insonderheit einen wesentlichen Zuwachs durch die nicht unbeträcl 
liche Kategorie von höheren in Landwirtschaft, Industrie, Hana 
und Verkehr thätigen Beamten und von sonstigen qualifizierter: 
Arbeitern, deren Gehalt oder Lohn den Verdienst des selbständige 
Handwerkers nicht selten übersteigt. 

Während die Mittelklasse von den Selbständigen (nebst Familie 
68,98 Proz. auf sich vereinigt, steigt dieser Anteil speciell bei de 
Landwirtschaft auf 83,02 Proz., bei Handel und Verkehr beziffert e 
50,84 Proz., bei der Industrie nur 46,36 Proz. Um so stärker sind di 
beiden äußeren Klassen — die unbemittelte und die vermögende — 
in der Industrie besetzt. Im Gegensatz zu den Vorgängen, die 
sich zwischen Großindustrie und Handwerk, zwischen Großhandel 
(Großmagazine, Warenhäuser etc.) und Kleinhandel abspielen, ist eben 
der landwirtschaftliche Mittelstand der Gefahr der Aufsaugung durch 
den Großgrundbesitz in geringerem Grade unterworfen, und darum 
gerade hier die Erhaltung und Kräftigung der breiten Mittelschicht 
am ehesten durchführbar. 

Die unbemittelte Klasse bildet bei dem pyramidenähnlichen Auf- 
bau der Bevölkerung nach dem Wohlstand allerdings die breiteste 
Schicht. Aber in der untersten Klasse finden sich keineswegs etwa 
die schlechtesten Elemente der Gesellschaft, sondern insbesondere 
die verjüngenden und belebenden Kräfte des Volkstums, und der 
Austausch zwischen den Ständen vollzieht sich bekanntlich derart, 
daß, während die verlebten Elemente von oben nach unten herab- 
sinken, die jungen und verjüngenden Elemente von unten emporsteigen. 


IL. 


Was nun die drei großen Produktionsgebiete Landwirtschaft, 
Gewerbe und Handel im einzelnen anlangt, so haben, wie schon er- 
wähnt, speciell in der Landwirtschaft 8,3 Mill. Personen ihren 
ausschießlichen oder wenigstens hauptsächlichen Erwerb; mittelbar 
nähren sich von derselben weitere 10,3 Mill, welche im Haus- 
halte der ersteren als Familienangehörige oder als Dienstboten sich 
aufhalten. 

Die genannten 8,3 Mill. Erwerbsthätigen, zu denen noch über 
3 Mill. Personen kommen, die nebenher in der Landwirtschaft 
thätig sind, arbeiten in 5!/, Mill. landwirtschaftlichen Be- 
trieben mit 43 Mill. Hektar Gesamtfläche, wovon allein 74 Proz. 
nämlich 32 Mill. ha auf rein landwirtschaftliche Nutzung (Acker, 
Wiese, Weide etc.) entfallen; die übrige Fläche jener Betriebe dient 
als Ziergärten, Weinland, Oed-, Unland ete., 17 Proz. (7,5 Mill. ha) 
sind Forstland. Es steht also der landwirtschaftliche Betrieb noch 
heute in enger Verbindung mit Forstwirtschaft und Waldbau. Reine 
Forstbetriebe sind es 22000 mit 6 Mill. ha Fläche. 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 17 


Nur von der ersten Art der Betriebe, von den eigentlichen land- 
wirtschaftlichen Betrieben, sei kurz im weiteren die Rede. Wie ge- 
staltet sich die Verteilung dieses Grundbesitzes ? 


Auf die einzelnen 


Landwirtschaftlich Größenklassen entfallen 

Zahl der Betriebe benutzte Fläche ash 

Sig SBS? 4 andwirt- 
GrüBenklassen D. schaftlich be- 
ha | ha 5 nutzter Fläche 
| 1852 | 1895 1882 | 1895 1882 | 1895 | 1882 | 1895 


unter 2 ha |3 061 83113 236 367| 1 825 938| 1 808 444| 58,03| 58,23] 5,73] 5,56 
2ha bis 5 „| 9814071016 318| 3 190 203| 3 285 984| 18,60| (Baal 10,01) 10,11 
5, » 20 „| 926605! 998 804| 9 158 398| 9 721 875| 17,56| 17,97! 28,74| 29,90 

20 ,, „100 ,, | 281510! 281 767| 9908 170| 9869837. 5,34| So? 31,09| 30,35 
100 „u.darüber| 24 991| 25 061| 7 786 263 | 


7 831 801] 0,47| 0,45| 24,43] 24,08 
Zusammen l; 558 317|5 276 344132 517 941/31 868 972| 100 100 100 100 


Wohl sind von den genannten Betrieben über die Hälfte Par- 
zellen unter 2 ha; sieht man aber auf das Areal, so ist nur ein 
Zwanzigstel des landwirtschaftlichen Bodens in solche Parzellen zer- 
splittert, sie repräsentieren einen sozial keineswegs unwichtigen 
Faktor, indem deren Inhaber, die ihren Haupterwerb vielfach in 
einem anderen Beruf haben, durch diese landwirtschaftliche Be- 
schäftigung noch einen engen Zusammenhang mit dem Lande und 
der Landwirtschaft unterhalten. Das andere Extrem, die Groß- 
betriebe mit 100 und mehr Hektar, umfassen 24 Proz. des länd- 
lichen Areals, aber nur 0,45 Proz. der Betriebszahl; unter ihnen 
walten die Betriebe über 200 ha — namentlich Rittergüter der preußi- 
schen Ostprovinzen — vor. Zumeist haben aber die landwirtschaft- 
lichen Betriebe die Größe von Bauerngütern von 2 bis 100 ha. 

Mit nahezu drei Vierteln (70,36 Proz.) ist nämlich der bäuerliche 
Besitz an der landwirtschaftlichen Fläche beteiligt, wobei der Zahl 
nach etwas über zwei Fünftel aller Betriebe auf ihn entfallen. In 
Wirklichkeit ist das Bauerngut noch etwas stärker vertreten, indem 
auch von den Betrieben mit über 100 ha etliche, namentlich im nörd- 
lichen Deutschland, einen ausgesprochen bäuerlichen Charakter tragen, 
andererseits die Betriebe mit unter 2 ha zu einem Teil in den frucht- 
baren Gegenden des Obst-, Wein-, Tabak- und Hopfenbaues noch 
eine selbständige bäuerliche Existenz ermöglichen. 

Von besonderer Wichtigkeit ist, daß die Anteile der kleineren 
und mittleren Bauerngüter an der gesamten landwirtschaft- 
lichen Fläche seit 1882 nicht unerheblich gewachsen sind, 
während die Parzellenbetriebe sowohl wie auch die großen Bauern- 
güter und die Großgüter einen Rückgang ihres Anteils erkennen 
lassen. 

Vergleicht man diese Verhältnisse mit dem Auslande, so 
findet man, daß die Zwergwirtschaften in Deutschland ziemlich ebenso 

Dritte Folge Hd. XXI (LXXVI). 2 


18 Friedrich Zahn, 


entwickelt sind wie in anderen Ländern; nur in Großbritannien 
hier gefördert durch die neuere Allotmentsgesetzgebung —, in Belgi 
und in den Niederlanden sind sie zahlreicher. Der Großbetrieb i 
abgesehen von den Vereinigten Staaten, nirgends stärker als bei un 
Dessenungeachtet erfreut sich gerade Deutschland gegenüber de 
Auslande einer besonders kräftig vertretenen Bauernwirtschaft, wob« 
einen besonderen Vorzug bildet, daß als Bauerngüter kleine, mittler 
und große zahlreich nebeneinander bestehen. 

In Bezug auf die Besitzverhältnisse in der Landwirtschaft bilde 
die Eigenbewirtschaftung in Deutschland die weit über- 
wiegende Wirtschaftsform. 40,68 Proz. aller Betriebe be- 
wirtschaften ausschließlich eigenes Land, dazu treten noch jene an 
Zahl ebenfalls erheblichen Betriebe, welche hinzugepachtetes oder 
sonst zur Nutznießung überlassenes Areal bebauen. So kommt es. 
daß nicht weniger als 86 Proz. der landwirtschaftlichen Fläche über- 
haupt im Eigentum der Betriebsleiter stehen. Die Betriebe mit 
Pachtland sind zwar der Zahl nach sehr bedeutend — 47 Proz. aller 
Betriebe —, doch beträgt die gepachtete Fläche nur 12 Proz. des 
Gesamtareals. In Wirklichkeit sind auch unter den 47 Proz. Pacht- 
betrieben nur 16,43 Proz. lediglich auf Pachtland angewiesen, alle 
anderen haben daneben noch Eigenland oder unter einem anderen 
Rechtstitel ihnen zur Nutznießung überlassenes Land. 

Mit diesen Verhältnissen, die nur in Skandinavien ähnlich ge- 
lagert sind, unterscheidet sich Deutschland vorteilhaft von anderen 
Staaten, namentlich von Großbritannien und Belgien mit ihrem aus- 
geprägten Pachtsystem. Besonders erfreulich ist, daß bei uns gerade 
das Bauerngut vom Eigentümer selbst, nur selten von einem Pächter 
bewirtschaftet wird, während in Großbritannien und auch in Frank- 
reich das Gegenteil stattfindet. 

Somit ist die anderwärts auftretende Gefahr eines ausgebreiteten, 
weniger für die Bewirtschaftung der Ländereien als für die sozialen 
Verhältnisse des Landes nachteiligen Pachtwesens bei uns nicht vor- 
handen, andererseits verfügen wir immerhin in der geringen Zahl der 
meist staatlichen Pachtwirtschaften großen Umfangs über einen Be- 
stand von landwirtschaftlichen Betrieben, die durch mustergiltige und 
den technischen Fortschritten folgende Bewirtschaftung weiten Kreisen 
der bäuerlichen Landwirte Beispiel und Anregung zu geben vermögen. 

Das eigentliche Gepräge empfängt, wie gesagt, die 
deutsche Landwirtschaft vom Bauerngut. Welch be- 
deutende Stellung es innerhalb der landwirtschaftlichen Betriebe bei 
uns einnimmt, ist in der amtlichen Betriebsstatistik, wie folgt, zum 
Ausdruck gebracht: Mit fast drei Vierteln an der gesamten land- 
wirtschaftlich benützten Fläche beteiligt, wird sein Areal zu neun 
Zehnteln vom Eigentümer selbst, und zwar im gleichen Verhältnis 
von — ihrem Hauptberuf nach — eigentlichen Landwirten bewirt- 
schaftet. Zu über drei Vierteln dient es als Acker, Wiese, bessere 
Weide rein landwirtschaftlichen Zwecken. Die Nutzviehhaltung, die 
auf demselben stattfindet, ist so ausgedehnt, daß bei fast sämtlichen 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 19 


hierher gehörigen Betrieben Großvieh ermittelt wurde, wobei auf 
100 ha landwirtschaftlicher Fläche an Pferden 9—13, an Rindvieh 
47—85 Stück sich berechneten. Auch die Benutzung von landwirt- 
schaftlichen Maschinen ist bei diesen Bauerngütern schon ziemlich 
eingebürgert, indem je nach der Größenklasse 14 bis zu 79 Proz. 
dieser Wirtschaften sich der — in die Erhebung einbezogenen 
Maschinen im Laufe des Jahres Juni 1894/95 bedienten. Zugleich 
konnte gegenüber dem Jahre 1882 beim mittleren und größeren 
Bauerngut eine Verstärkung des Anteils an der gesamten wirtschaft- 
lichen Fläche festgestellt werden. Außerdem hat sich in den letzten 
Decennien die Nutzviehaltung erheblich vergrößert und die Ver- 
wendung von landwirtschaftlichen Maschinen namhaft gesteigert. 

Angesichts dieser seiner hervorragenden Stellung in der deutschen 
Landwirtschaft, seiner günstigen Entwickelung und in Anbetracht der 
ihm eigenen Widerstandsfähigkeit ist das Bauerngut nach wie vor 
für das Gedeihen unseres Staatslebens in politischer wie wirtschaft- 
licher Hinsicht von höchster Bedeutung. Der auf ihnen wirtschaftende 
Bauernstand ist und bleibt ein Bollwerk gegen umstürzlerische Pläne 
und insofern eine der festesten Säulen unseres Staatswesens, er bildet 
nach wie vor die wesentliche Grundlage unserer Wehrhaftigkeit und 
den Jungbrunnen, der den anderen Berufen und den Städten immer 
wieder neue Kräfte, frisches Blut zuzuführen vermag. 

Um welche Zahl von Personen es sich aber handelt, wird man 
inne, wenn man sich vergegenwärtigt, daß von 2,5 Mill. Personen, 
die die Landwirtschaft im Hauptberuf selbständig betreiben, fast 
2 Mill. (1,965,212) einen Betrieb in der Größe von 2—100 ha haben 
und diese mit ihrer Familie (den mithelfenden und den lediglich von 
ihnen zu ernährenden Familienangehörigen) eine Stärke von 8,9 Mill. 
Personen, d. i. 84 Proz. aller zur Landwirtschaft zu rechnenden 
Selbständigen und Familienangehörigen, repräsentieren. 

Wenn im übrigen, wie unter I erwähnt, die landwirtschaftliche 
Bevölkerung in Folge Abwanderung von Arbeitern in andere Berufe 
zurückgegangen ist, so braucht daraus nichtauf eineMinderung 
der Leistungsfähigkeit derLandwirtschaft geschlossen zu 
werden. Vielmehr beweisen Anbau- und Erntestatistik, daß dank der 
intensiveren und die Errungenschaften der modernen Technik aus- 
nützenden Bewirtschaftung der Getreide- und Hackfruchtbau auf 
Kosten der Brache und Ackerweide zunimmt, und absolut wie relativ 
ein immer größerer Ertrag an landwirtschaftlichen Produkten, ins- 
besondere an Getreide, dem Boden abgerungen wird: 


Erntemengen in Tonnen (zu 1000 kg) 


Anbaufläche in ha | absolut vom Hektar 
1880/98 1830 1898 1330/98 1830 1898 1880/98 1880 1895 
durchsehn. + in %, in 0% | durchschn. +in % in % |durchschn. 
Tam 5865434 +12 +14 6181737 —19,6 + 21,9 1,05 0,84 1,12 
Wezen 1924220 —5, + 2,3 2694347 —12,7 +22, 1,40 1,29 1,45 
tente 1690 107 —3,7 —1,8 2260610 — 4,9 +IiIl,2 1,34 1,32 1,43 
Haer 3884753 Au +29 4586788 — 7,5 +26,0 1,18 1,18 1,30 
Kartuffeln 2936765 —5,8 +4,9 25950373 —24,8 +22,5 8,34 7,05 10,42 


2* 


1898 


1,27 
1,67 
1,51 
1,45 

10,32 


20 Friedrich Zahn, 


So bedeutend die Inlandsproduktion !) ist, so reicht sie angesic. 
der Vermehrung der Bevölkerung doch nicht hin, um den heimisch 
Bedarf voll zu decken. Der letztere betrug für die Erntejah 
1880,98 

für den Verbrauch 
(abzüglich des Aussaatquantu ms) 


überhaupt a 
pro Kopf der Be- 


bei Tonnen Tonnen vülkerung kg 
Roggen 7 905 279 6 878 904 141,3 
Weizen 3 746 595 3 423 324 70,3 
Gerste 3 396 447 3 142947 64,5 
Hafer 5 795 402 5 173 862 106,2 
Speciell an Brotgetreide — also an Roggen, Weizen, Spelz 


für den menschlichen Konsum stellte sich der Bedarf?) für den 
Durchschnitt der Jahre 1850,98 auf rund 180 kg pro Kopf, und be- 
zifferte sich 
1894 197 kg 1597 181 kg 
1595 190 ,„ 1898 201 „ 
| 1596 199 ,, 

Zur Befriedigung des durch die heimische Produktion nicht ge- 
deckten Bedarfs mußten darum weitere und größere Mengen vom 
Auslande bezogen werden. So wurde der Bedarf zu nachstehendem 
Prozentanteil durch Zufuhr vom Ausland (namentlich von Rußland 
und Amerika) ergänzt: 


bei 1894 ‚1895 1596 1897 1898 
Roggen 7,9 11,0 9,2 7,6 5,1 
Weizen 28,1 34,0 30,0 25,8 30,3 
Gerste 30,1 25,9 2,5 33,2 32,7 
Hafer 4,6 3,4 9,9 9,0 4,2 


Und ähnlich verhält es sich mit dem anderen Haupterzeugnis 
der Landwirtschaft, mit der Fleischproduktion. Wohl ist trotz Zu- 
nahme der Bevölkerung die auf den Kopf entfallende Quantität 
(d. i. Stückzahl) des Viehes im ganzen gleichgeblieben, und hat sich 
die Qualität, also das Durchschnittsgewicht eines Stücks der nämlichen 
Gattung und desselben Alters gehoben, und ist der Umsatz schneller 


1) Ihren (Roh-)Wert berechnet Traugott Müller (in der Denkschrift „Die deutsche 
Landwirtschaft auf der Weltausstellung in Paris 1900 S. 76) auf Grund der mittleren 
Durchschnittspreise der letzten 3 Jahre auf 5480 Mill. M. jährlich: 

Getreide (Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Spelz, Einkorn und 

Menggetreide 14268000 ha) 2951 Mill. M. 
Hülsenfrüchte und andere Getreidearten (Erbsen, Bohnen, Linsen, 

Wicken, Lupinen, Buchweizen, Hirse, Mais, Mischfrucht und 

andere 1723000 ha) 201, ze 
Hackfrüchte (Kartoffeln, Topinambur, Futterrüben, Zuckerrüben, 

Zuckerrübensamen, Mühren, Kohlrüben, Steckrüben u. s. w. 


4238000 ha) 1320 nn» 
Handelsgewächse (Raps, Leindotter, Mohn, Flachs, Hanf, Tabak, 

Hopfen, Cichorien u. a. m. 261000 ha) 6 oe o 
Futterpflanzen und Wiesenheu (inkl. Erträge aus Weiden und 

Hütungen 2519000 ha) 396 um 
Weinbau (132000 ha) 10 y » 
Garten- und Obstbau (473000 ha) 380 u» 


2) Näheres darüber in der amtlichen Schrift: „Die deutsche Volkswirtschaft am 
Schlusse des 19. Jahrhunderts“, S. 44 u. 198. 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 21 


geworden, so daß die Versorgung der Bevölkerung mit inländischem 
Schlachtvieh an sich jetzt keineswegs ungünstiger, ja eher reichlicher 
ist als vor 10 oder 20 Jahren. Aber der Bedarf an Fleisch pro Kopf 
der Bevölkerung ist mit dem mehr städtichen und industriellen 
Charakter des Volkes und der verbesserten Lebenshaltung der großen 
Masse größer geworden (er wird auf 40 kg gegenwärtig veranschlagt). 
Dieserhalb erfährt auch der inländische Fleischbedarf eine nicht un- 
wesentliche (!/,,) Ergänzung von seiten des Auslands: die Ueberschuß- 
Einfuhr von Fleisch macht pro Kopf 


1891 2,6 kg 1896 1,4kg 
1892 3, ,„ 18977 10 3, 
1893 2,8 „ 1898 2,2 „ 
1894 3,1 „ 1899 2,0 „ 
1895 2,1 ,„ 


Indessen wird diese Abhängigkeit, in die wir so gegenüber dem 
Auslande gekommen sind, wett gemacht und überwogen durch die 
Entfaltung, welche Gewerbe und Handel des Reichs im Laufe der 
letzten Jahrzehnte genommen haben, und wodurch sie es vermochten, 
ihrerseits das Ausland zu einem ansehnlichen Abnehmer ihrer Waren 
zu gewinnen. 


III. 


Welches ist nun die Entwickelung von Gewerbe und Handel? 

In der Industrie arbeiten mit ihrem Hauptberuf 8,3 Mill. Per- 
sonen, im Handel und Verkehr 2,3 Mill. Mittelbar nähren sich von 
diesen Berufszweigen noch 12 Mill., bezw. 3,6 Mill. als Familien- 
angehörige oder Dienstboten der ebengenannten Erwerbsthätigen. 
Läßt man von diesen 10,6 Mill. in Industrie und Handel thätigen 
Personen, die wir kurzweg als gewerbliche Personen bezeichnen, für 
die weitere Betrachtung diejenigen weg, welche im Eisenbahn-, 
Post-, Telegraphenbetrieb und einigen anderen Gewerbszweigen 
(Theater, Schaustellungen etc.) thätig sind, weil diese Zweige in den 
Rahmen der 1895er Gewerbestatistik nicht mit einbezogen waren, so 
verbleiben 10,3 Mill. Personen. Sie waren in 3,1 Mill. Betrieben 
beschäftigt. 164483 dieser Betriebe bedienten sich außerdem m otori- 
scher Kraft. Als Kraftleistung dieser im Gewerbe verwendeten 
Elementarkräfte wurden 3,4 Mill. Pferdestärken ermittelt, sie re- 
präsentieren die Arbeit von über 80 Mill. Personen (eine Pferdestärke 
gleich der von 3 lebendigen Pferden und die Muskelkraft eines 
Pferdes gleich der von 8 Männern gesetzt). 

Wie sehr diese Gewerbekraft Deutschlands gegen früher sich 
entfaltet hat, erhellt aus dem Vergleich mit den Resultaten der 
1882er und 1875er Gewerbeaufnahmen. Es beträgt die Zunahme 

gegen das Jahr 


1832 1875 
der gewerblichen Betriebe 1,3 Proz. 13,2 Proz. 
der gewerblichen Hauptbetriebe 4,6 D Th i 
der gewerblichen Personen 39,9 e Sn 
der Pferdestärken der Elementarkräfte 1) „1788 


1) Bezügliche Angaben aus dem Jahre 1882 fehlen. 


weg go u RC EWR Tg 


29 Friedrich Zahn, 


und, während die Gesamtbevölkerung seit 1875 um 21,2, seit 1882 
um 14,5 Proz. gewachsen ist, erweiterte sich der Anteil der gewerb- 
lichen Personen an der Bevölkerung von 15,1 Proz. im Jahre 1875 
auf 16,2 (1882) und 19,8 Proz. (1895). 

Die stärkst besetzten Gewerbezweige, d. h. solche, deren Per- 


sonen mindestens 1 Proz. der Gesamtzahl ausmachen, sind: 


Gewerbthät. Pers. t Bewerbihät, 


auf .. Eine, 
Schneiderei 445 347 116 
Schuhmacherei 388 443 133 
Bauunternehmung 364 746 142 
Gasthöfe 322 625 160 
Tischler 299 195 173 
Handel mit Kolonial-, Eß-, Trinkwaren 290 584 178 
Maurer - 284 265 182 
Steinkohlenbergwerke 258 380 200 
Gast- und Schankwirtschaft 257 333 201 
Bäckerei 231 OQI 224 
Gemischter Warenhandel 221 343 234 
Ziegelei 219 860 235 
Näherei 211 501 245 
Handel mit Manufakturwaren 183 024 282 
Fleischerei 178 873 289 


Bei 1,7 Mill. Betrieben, also der Mehrzahl der Betriebe, arbeitet 
der Inhaber allein; 1,1 Mill. sind Gehilfenbetriebe, eine ab- 
gekürzte Bezeichnung für Mitinhaber-, Gehilfen- und Motorenbetriebe. 

Von diesen Gehilfenbetrieben wissen wir, daß 95 Proz. (1 280 830) 
in Händen von Einzelinhabern, 5 Proz. (70050) in Händen von 
Kollektivunternehmungen sich befinden. Die Mehrheit der 
Kollektivbetriebe sind sogenannte Kompagniegeschäfte, nächstdem 
folgen — aber in weitem Abstand — die Aktienbetriebe; es werden 
nämlich an Kollektivbetrieben !) gezählt: 


Betriebe Personen 
Kompagniegeschäfte 55 239 1 475 081 
Aktienbetriebe 4749 801 143 
Betriebe von eingetr. Genossenschaften 2 212 17 952 
Betriebe von Gemeinden 1 642 20 992 
Betriebe von Vereinen 1311 11 208 
Betriebe von Kommanditgesellschaften 1117 90 155 
Betriebe von Gesellschaften mit beschr. Haftung 1028 66 055 
Staatsbetriebe 782 135 157 
Betriebe von anderen kommunalen Korporationen 542 4 406 
Betriebe von Gewerkschaften 440 132 104 
Betriebe von anderen wirtschaftl. Korporationen 336 5 609 
Betriebe von Kommanditgesellschaften auf Aktien 334 42 945 
Reichsbetriebe 277 28 057 
Innungsbetriebe 41 833 


Was die Größe der Betriebe anlangt, so sind die Kleinbetriebe 
nur der Betriebszahl nach in der Mehrheit; das thatsächliche 
Schwergewicht von Gewerbe und Handel ruht in den 
Mittel- und den Großbetrieben, in ihnen sind 54,6 Proz. des 
(resamtpersonals, 88,5 Proz. der motorischen Kräfte thätig. Es 
treffen nämlich 


1) Ueber die Kartellierung von Betrieben vergl. Band 119 d. St. d. D. R. S. 184. 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 23 


Betriebe Personen Pferdestärken 


a. in Industrie und Handel zusammen 


auf die absolut Proz. absolut Proz. absolut Proz. 
Alleinbetriebe 1714 351 55,9 1714351 16,7 — — 
Gehilfenbetriebe 
mit bis 5 Pers. 1141451 37,3 2947430 28,7 391924 11,5 
„6—20 „ 161888 5,3 1513446 14,7 355558 10,5 
.21u.mehr,, 47 541 1,5 4094042 39,9 2649706 78,0 
und zwar 
mit 21 — 100 Pers. 38997 1,2 1621702 15,8 655 231 19,8 
„ 101 — 1000 ,„ 8248 0,8 1909712 18,6 1329210 39,1 
„ über 1000 „, 296 0,0 562628 5,5 665 265 19,6 


überhaupt 3065 231 100,0 10 269 269 100,0 3 397 188 100,0 


b. in der Industrie 1), 


Alleinbetriebe 1237 349 58,7 1237 349 15,4 = — 
Gehilfenbetriebe 
mit bis 5 Pers. 717 274 34,0 1905 216 23,8 370549 11,2 
„6—20 ` 112212 5,3 1067 785 13,3 335045 10,1 
„2lu.mehr , 42039 2,0 3808551 47,5 2615 526 78,7 
und zwar 
mit 21— 100 Pers. 33895 1,6 1441113 18,0 632624 19,0 
„101—1000 ,, 7856 0,4 1825884 22,8 1318702 39,7 
„ über1000 ,, 288 0,0 541554 6,7 664 200 20,0 
Summe 2108874 100,0 8018901 100,0 3 321 120 100,0 


e. im Handel ?). 


Alleinbetriebe 454 540 49,7 454 540 21,2 — — 
Gehilfenbetriebe 
mit bis 5 Pers. 407 255 44,5 995 149 46,3 21170 28,8 
n 6—20 „ 47237 5,2 424750 19,8 19997 26,8 
„21u.mehr ,, 5273 08 272648 12,1 33 536 44,9 
und zwar 
mit 21— 100 Pers. 4892 05 172646 8,0 22301 29,9 
» 101—1000 „ 374 091 80356 3,8 10376 13,9 
„über 1000 , 7 0,0 19646 0,9 859 11 
Summe 914 305 100,0 2 147 093 100,0 74 703 100,0 


In dieser Zusammenstellung tritt die hohe Ueberlegenheit der 
Großbetriebe gegenüber den anderen drastisch zu Tage. In den 
Riesenunternehmungen (mit über 1000 Personen), die der 
Zahl nach nicht ein Zehntausendstel der Gesamtheit der Betriebe 
ausmachen, sind beispielsweise 5 Proz. des Personals, 20 Proz. der 
motorischen Kräfte vereinigt, auf einen dieser Riesenbetriebe ent- 
fallen durchschnittlich 1900 Personen und 2250 Pferdestärken ; 100 Per- 
sonen der Riesenbetriebe werden bereits durch 118,2 Pferdestärken 
in ihrer Leistung unterstützt, während dies im Kleinbetrieb nur 
durch 8,4 Pferdestärken der Fall ist. Von der Riesenhaftigkeit 
solcher Betriebe bekommt man übrigens erst eine richtige Vorstellung, 
wenn man einen konkreten herausgreift und ihn näher ansieht. Das 
Kais. Statist. Amt ermöglicht dies dadurch, daß es zehn individuell 


1) Die gewerbemäßige Kunst- und Handelsgärtnerei, Tierzucht und Fischerei 
ist nur unter a. berücksichtigt. 

2) Eisenbahn-, Post- und Telegraphenbetrieb fallen nicht in den Rahmen 
der Gewerbestatistik. 


24 Friedrich Zahn, 


vorführt, und zwar unter Berücksichtigung des allerneuesten Standı 
(September und Oktober 1899). Natürlich konnten bei dieser b 
schränkten Auswahl nicht alle Typen von Riesenunternehmunge 
auch nicht einmal für eine einzige Stadt wie Berlin, in Betracl 
kommen. 

Geschildert sind im einzelnen: 1) Die Werke von Fried. Krupp 
2) die Stettiner Werft Vulkan, 3) die Badische Anilin- und Soda- 
fabrik in Ludwigshafen, 4) die sächsische Weberei von Hermann 
Wünsches Erben, 5) die Schultheiß’sche Brauerei in Berlin, 6) das 
Warenhaus Wertheim daselbst, 7) die Berliner Elektricitätswerke, 
8) die große Berliner Straßenbahn, 9) die Hamburg-Amerika-Linie. 
10) die Deutsche Bank. Wir sehen da, mit welch ungeheurem 
Personal gewisse Geschäfte arbeiten — Krupp beschäftigt 44 000 
Personen —, aus welch mannigfaltigen Betriebszweigen sich ein 
solches Riesenunternehmen heutzutage zusammensetzt, welche Kolosse 
in dergleichen Betrieben hergestellt werden); man erkennt, in wie 
ausdehntem Maß Motoren und Maschinen zur Verwendung gelangen, 
wie namentlich auch Elektromotoren in der mannigfachsten Weise 
gewerblich benutzt werden, man erhält eine Vorstellung davon, wie 
unsere großen Verkehrsinstitute organisiert sein müssen, um, wie | 
die Große Berliner Straßenbahn, im Monat durchschnittlich 15 Mill. 
Personen zu befördern, oder um, wie die Hamburg-Amerika-Linie, 
auf dem Ozean im Lauf eines Jahres 3,5 Mill. Seemeilen zurück- 
zulegen und 74000 Personen, 2,4 Mill. Kubikmeter Güter zu be- 
fördern, man erstaunt nicht weiter über die 150 Mill. Aktienkapital, 
mit denen die Deutsche Bank arbeitet, wenn man erfährt, daß sie 
1625 Angestellte beschäftigt, 53 800 Konten hält und einen Gesamt- 
umsatz von 44 Milliarden aufweist. Man sieht deutlich, daß diese 
Riesenunternehmungen keineswegs bereits an der äußersten Grenze 
angekommen sind, indem z. B. die Badische Anilin- pp. -Fabrik im 
Jahre 1890 3500, 1895 4400, 1896 4800, 1897 4900 Personen be- 
schäftigte und jetzt dies Personal auf 5400 erhöht hat. 

Ueberhaupt steht unsere jüngste gewerbliche Ent- 
wickelungim Zeichen der Ausbildungzum Großbetrieb. 
Nur die allerkleinsten Betriebe, nämlich die Alleinbetriebe, sind 
zurückgegangen, die anderen haben nach Zahl der Betriebe wie nach 
Personal zugenommen, und zwar dergestalt, daß die größten Betriebe 
die bedeutendste Entwickelung aufweisen. Zahlenmäßig läßt sich 
dies darthun, wenn man die 1895er und 1882er Zahlen miteinander 
vergleicht, nur muß man bei der 1895er Statistik dann ebenso ver- 
fahren, wie dies 1882 geschehen ist, und Unternehmungen mit ver- 
schiedenartigen Betriebszweigen in mehrere Betriebe auflösen, 
also mehrfach in Ansatz bringen. Hiernach ergiebt sich folgendes 
Bild: 


1) Der von der Schiffswerft Vulkan erbaute Doppelschraubendampfer „Deutsch- 
land“ hat eine Länge von 202 m, eine Raumverdrängung von 23.000 t, 16000 Reg.-Tons 
Bruttoraumgehalt, 33 000 indizierte Pferdestärken, eine Besatzung von 550 Mann und 
vermag 1320 Passagiere (darunter rund 1000 Kajütenpassagiere) aufzunehmen, 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 25 


Zu-, Abnahme (—) 


Betriebe Personen in ®,, der 
1882 1505 1882 1895 Betriebe Pers. 
a) Industrie und Handel. 
Alleinbetriebe 1877872 1714351 1877872 1714351 — 8,17 — 8,7 
Sonstige Kleinbetriebe 1004 896 1220 372 2457 950 3 056 318 21,4 24,3 
{mit bis 5 Personen) 
Mittelbetriebe 112715 191301 1391720 2454333 69,7 76,3 
(6—50 Personen) 
Großbetriebe 9974 18953 1613247 3044 267 90,0 88,7 
(über 50 Personen) 
darunter mit | 
51— 200 Personen 8 095 15622 742688 1439 700 93,0 93,9 
201—1000 x 1752 3076 657399 1155 836 75,6 75,8 
über 1000 d 127 255 213100 449731 100,8 110,5 
b) Industrie. 
Alleinbetriebe 1430465 1237 349 1430465 1237 349 — 135 — 13,5 
Sonstige Kleinbetriebe 745392 752223 1839939 1953776 0,9 6,2 
Mitrelbetriebe 85 001 139459 1109 128 1902049 64,1 71,5 
Großbetriebe 9 481 17 941 1554131 2907 329 89,3 87,2 
Summe 2270339 2140972 5933663 8000503 — 5,4 + 348 
el Handel. 
Alleinbetriebe 429 825 454 540 429 825 454 540 5,8 5,8 
Sonstige Kleinbetriebe 246 413 450 913 584 156 1054 913 83,0 80,6 
Mittelbetriebe 26 531 49 271 271170 526 431 85,7 94,1 
Grobbetriebe 463 960 54 557 129754 107,3 137,8 


Summe 703232 9550684 1339708 2165638 35,9 61,7 


Von einem förmlichen Verschwinden der Kleinbetriebe ist frei- 
lich keine Rede, noch immer treffen von den 10 Mill. gewerbthätigen 
Personen 4,7 Mill. auf die Kleinbetriebe; ihre Zunahme hält nur nicht 
gleichen Schritt mit derjenigen der größeren Betriebe. Und wenn 
die Alleinbetriebe von 1,9 auf 1,7 Mill. zurückgingen, so ist auch 
hier der Grund nur zum Teil in einer Verdrängung des Kleinbetriebs 
durch den Großbetrieb zu suchen; ein Teil der Alleinbetriebe ver- 
schwindet aus rein natürlichen Ursachen ohne Nachfolger (der In- 
haber stirbt oder zieht sich wegen Alters ete. von der Erwerbsthätig- 
keit zurück, Erben oder Käufer des Geschäfts finden sich nicht), 
auch an Fälle der eigenen Erweiterung des Betriebs, also des Ueber- 
fangs zum Gehilfenbetrieb, ist zu denken. 

Am mächtigsten sind die Großbetriebe entwickelt in der Textil-, 
chemischen, Maschinenindustrie, namentlich aber im Bergbau. Fast 
Wei Drittel, im Bergbau sogar 95 Proz. aller Gewerbthätigen ar- 
beiten da in Unternehmungen mit über 50 Personen. Faßt man nur 
die Unternehmungen mit über 200 Personen ins Auge, so treffen auf 
diese immerhin fast zwei Fünftel, im Bergbau über vier Fünftel des 
gesamten in den genannten Gewerben thätigen Personals. Ja selbst 
in den Riesenbetrieben, deren jeder mindestens über 1000 Personen 
beschäftigt, ist der Anteil des Personals am gesamten Betriebsper- 
sonal verhältnismäßig noch sehr stark; er beträgt bei Textilindustrie 
43 Proz., chemische Industrie 12,6 Proz., Maschinenindustrie 13,9 
Proz., Bergbau 45,3 Proz. Uebrigens sind es von den 320 in der 
Statistik unterschiedenen Gewerbearten nicht weniger als 65 — mit 


26 Friedrich Zahn, 

fast 500000 Personen —, in denen sich der Kolossalbetrieb nach dem 
1895er Stand durch sein Dasein als möglich und entwickelungsfähig 
erweist; diese Gewerbe (unter denen sich auch eine Tabakfabrik, die 
Reichsdruckerei, zwei Straßenbahngesellschaften, vier Rhedereien be- 
finden) bekunden also den höchsten technischen und organisatorischen 
Fortschritt, in ihnen sind die Grenzen der Weiterbildung des Groß- 
betriebs am weitesten gezogen. 

Teils Ursache, teils Folge dieser Ausbildung unseres Gewerbes 
zur Großindustrie ist die bereits erwähnte erhöhte Verwendung von 
motorischer Kraft zu gewerblichen Zwecken. 164290 Betriebe, 
das sind 11,1 Proz. aller Gehilfenbetriebe, arbeiten jetzt mit einer 
Elementarkraft von 3,4 Mill. Pferdestärken. Nahezu ein Drittel dieser 
Betriebe bedient sich der Dampfkraft, fast ebensoviele der Wasser- 
kraft, aber der Kraftleistung nach stellt Dampf nicht weniger 
als 2,7 Mill. Pferdestärken oder 79,4 Proz., Wasser 629065 oder 
18,4 Proz., sohin Dampf und Wasser nicht weniger als 97,8 Proz. 
aller Betriebskräfte unserer Fabriken. Wie überwiegend die Be- 
nutzung von Motoren gerade in den Großbetrieben erfolgt, beweist 
der Umstand, daß, während die Betriebe mit über 20 Personen — 
für die Betriebe mit über 50 Personen fehlen entsprechende Daten 
— von der Gesamtzahl der Betriebe nur 1,6 Proz. ausmachen, sie 
17,7 Proz. von den Motorenbetrieben und nicht weniger als 75,9 Proz. 
aller verwendeten Pferdestärken auf sich vereinigen. Unter der Ge- 
samtzahl dieser größeren Betriebe benutzen über die Hälfte Motoren, 
wobei durchschnittlich auf jeden Motoren benutzenden Großbetrieb 
87 Pferdestärken treffen. Zu statten kommt hierbei dem Großbetrieb, 
daß er Kraftquellen mit großer Leistungsfähigkeit — teils zur Er- 
zeugung starker Kraftäußerungen, teils zur gleichzeitigen Bedienung 
mehrfacher Arbeitsmaschinen —- zu verwenden vermag und daß ge- 

rade mit wachsender Leistungsfähigkeit der Motoren ihre Anschaffung 
und Unterhaltung sich relativ verbilligt. 
Gerade um deswillen — über andere Gründe vergleiche Bd. 119 
d St. d. D. R. S. 134 ff. — erscheint die Verwertung von Motoren 
im Kleingewerbe verhältnismäßig gering, und auch der weiteren Ver- 
breitung des Elektromotors, der im übrigen den für das Kleingewerbe 
geeigneten Motoren in hohem Maß entspricht, ist einstweilen die 
Kostspieligkeit des Betriebes etwas hinderlich. Immerhin macht die 
Benutzung von Elektromotoren rasche Fortschritte. So waren Ende 
des Jahres 1895 an das Leitungsnetz der Berliner Elektricitätswerke 
in ca. 300 Betrieben 930 Elektromotoren angeschlossen; diese Zahl 
ist bis Ende 1897 auf 1250 Betriebe mit 2460 Motoren, Ende Sep- 
tember 1899 auf rund 2400 Betriebe mit 3858 Elektromotoren an- 
gewachsen. Sicherlich wird sich mit der steigenden Verbesserung 
der Elektrieitätswerke!) und der damit verbundenen Verbilligung 
1) Am 1. März 1900 bestanden im Deutschen Reich 652 Elektricitäts- 
werke, die entweder ganze Ortschaften oder größere Teile solcher mit Licht und Kraft 
versehen oder anderen gemeinnützigen Zwecken dienen. (Nicht mitgerechnet sind die 
zahlreichen Anlagen, die nur im eigenen Interesse des Besitzers zur Erzeugung von 
Licht und Kraft für einzelne Fabriken, Werke, Landhäuser ete. errichtet sind, sowie 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 27 


von elektrischer Energie deren Verwendung im Kleingewerbe weiter 
einbürgern. Auch die Ausnützung von Wasserkraft durch das Klein- 
gewerbe wird in nächster Zeit an Umfang gewinnen, da sie mittels 
der Kraftübertragungswerke und der Thalsperren wesentlich billiger 
und bequemer gemacht wird. 

Aber der Großbetrieb ist außerdem im Vorteil durch die von 
ihm verwendeten, technisch vollkommenen Arbeitsmaschinen. 
Sie erlauben, größere Kräfte auszuüben, lassen größere Geschwindig- 
keiten erzielen, vermehren die Arbeitsquantität und gestalten die 
Produktion gegenüber der Handarbeit häufig besser und billiger. So 
setzt der mechanische Webstuhl den Textilarbeiter in den Stand, 
durchschnittlich mindestens das Dreifache von dem zu produzieren, 
was er ehedem auf dem Handstuhl fertig brachte; die Nähmaschine 
liefert bei Motorenantrieb 1200—1500 Stiche (bei Handbetrieb höch- 
stens 700—800) die Minute, bei Schnellpressen kommen bis 20 000 Ab- 
drücke in der Stunde vor, auf gewissen Spinnmaschinen laufen mehr 
als 1000 Spindeln. Wie sehr diese Vorzüge ausgenützt werden, be- 
weist die Thatsache, daß von den 41 000 Jacquardstühlen mit Kraft- 
betrieb 40 253 auf Betriebe mit über 20 Personen entfallen (nur 
96 auf Kleinbetriebe mit bis 5 Personen); von den 10 Mill. Fein- 
spindeln laufen 9,6 Mill. in Großbetrieben, Schnellpressen, deren ins- 
gesamt 15460 in 5740 Druckereien benutzt werden, gelangen nur 
2396 in (1915) Kleinbetrieben, dagegen 7922 in (1257) Großbetrieben 
zur Verwendung. 

Begreiflicherweise bedeutet die Benutzung von dergleichen 
technisch sehr vervollkommneten Arbeitsmaschinen eine namhafte 
Steigerung der Produktivkraft der Großbetriebe, und erscheinen 
daher die Fortschritte, die neuerdings hinsichtlich der Arbeits- 
maschinen erzielt worden, für die Entfaltung des Großgewerbes viel- 
leicht noch wichtiger als die hinsichtlich der Motoren. Ohne Zweifel 
steht aber der Maschinenwirtschaft noch Größeres bevor. Gewisse 
Ansätze lassen darauf schließen. Man sucht Arbeitsprozesse, die bis- 
her auf besonderen Maschinen ausgeführt wurden, mittels sinnreicher 
Vorkehrungen auf einer einzigen zu erledigen. Man denke beispiels- 
weise an die Rotationspressen in gewissen Druckereien, durch sie 
werden die Bogen nicht nur fertig gedruckt, sondern geschnitten, ge- 
faltet und regelrecht übereinandergelegt, ferner an die Briefumschlag- 
maschinen, denen die fertig zugeschnittenen Papierblätter zugeführt 
werden, sie besorgen das Abheben des einzelnen Blattes vom Vor- 
ratshaufen, das Falten, Leimen, Kleben, das Trocknen der geleimten 
offenen Seite und das Auswerfen der fertigen Umschläge. Der 
Maschinenbetrieb gelangt so mehr und mehr zu innerer Geschlossen- 
heit, er wird zum selbstthätigen Organismus, der der menschlichen 


die lediglich für den elektrischen Straßenbahnbetrieb dienenden Anlagen.) Abgesehen 
von 27 Werken, die vor Ende des Jahres 1889 bestanden, sind alle Elektrieitätswerke 
im letzten Jahrzehnt erbaut. 166 der genannten Werke sind im Besitz von städtischen 
oder ländlichen Gemeinden oder staatliches Eigentum, 463 Werke befinden sich in 
Privatbesitz oder im Besitz von Aktien- und anderen Gesellschaften. Angeschlossen 
sind an sie 2623 893 Glühlampen, 50 070 Bogenlampen, 106368 Elektromotoren und 
58557 Elektrieitätsmesser. Vergl. Archiv für Post und Telegraphie. Jahrgang 1900. 


28 Friedrich Zahn, 


Unterstützung immer weniger bedarf, er arbeitet mit fortgesetzt 
höherer Wirtschaftlichkeit; an Zeit und Kosten, insbesondere Arbeits- 
löhnen, wird zunehmend gespart. 

Hiermit steht im engen Zusammenhang die rationell ausgebildete 
Arbeitsteilung und Arbeitsvereinigung in den Groß- 
betrieben. An den eigentlichen Stammbetrieb sind Teilbetriebe mannig- 
faltigster Art angegliedert. Man denke an die großen Werftbetriebe, 
welche eigene Eisengießereien, Schlossereien, Schiffsschmieden, Tisch- 
lereien, Sägemühlen, Modellzeichnereien, Malereien etc. aufweisen, an die 
Großbrauereien, wo mit dem eigentlichen Brauereibetrieb nicht selten 
eine Mälzerei, Faßböttcherei, Schlosserei, Schmiede, Tischlerei etc. 
und ein Ausschank verbunden ist!). Zweck dieser Betriebsvereinigung 
ist, dem Hauptbetrieb die Teilfabrikate anderer Gewerbe, die in 
ersterem viel und regelmäßig gebraucht werden (z. B. die Arbeiten 
von Tischlern, Böttehern, Buchbindern, Schlossern), möglichst billig 
und einfach zuzuführen, oder man will die eigenen Produkte weiter 
verarbeiten (daher neben Hütten- und Bergwerken Eisengießereien, 
Maschinenfabriken), oder man erzielt eine rationelle Verwertung der 
Nebenprodukte, oder man sucht sich vom Markt überhaupt unab- 
hängiger zu machen (weshalb zum Beispiel Eisenhüttenwerke in ihrer 
Nähe belegene Kohlengruben erwerben). 

Naturgemäß hatte diese Entwickelung unserer gewerblichen Be- 
triebsorganisation eine hervorragende Steigerung der gewerb- 
lichen Produktion zur Folge. Dies tritt vor allem bei Kohle 
und Eisen hervor, diesen Muskeln und Knochen des gewerblichen 
Organismus. Für sie betrug die inländische Erzeugung 


in den Kohlen Eisen 

Jahren 1000 t 1000 t 
1552 65 378 3004 
1895 103 958 4770 
1599 135 844 7160 


Für andere Industriezweige sollen produktionsstatistische Nach- 
weise wenigstens in Bezug auf das Jahr 1897 Platz finden, zumal 
für eine Reihe derselben keine weiteren Daten existieren, sie ergeben 
folgende Werte ?): 


Mill. M. 

I. Textilindustrie 2749,9 
II. Montan- und Eisenindustrie 3876,4 
III. Chemische Industrie D 947,9 
IV. Kautschuek-, Guttapercha- und Celluloidindustrie 79,1 
V. Steinbruchindustrie und Cementindustrie 160,6 
VI. Keramische Industrie 113,8 
VII. Glasindustrie 115,2 
VIII. Papierindustrie 279,5 
IX. Papierverarbeitungsindustrie 271,7 
X. Lederindustrie 330,3 
XI. Tabakindustrie 325,0 
XII. Stärkeindustrie (mit Ausschluß der Reisstärkefabrikation) 45,5 


1) Ausführliches Material über diese sogenannte Morphologie der GroBbetriebe ent- 
hält der vierte Abschnitt von Bd. 119 d. St. d. D. R. (S. 89 ff.); hier wird nachgewiesen, 
welch verschiedene Beschäftigungen in einem Großbetrieb vorkommen, andererseits, in welch 
verschiedenerlei Gewerbezweigen Arbeiter der gleichen Beschäftigung Verwendung finden. 

2) Zu den genannten müssen u. a. noch hinzugerechnet werden die Werte der in- 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 29 


Die Entfaltung unseres gewerblichen, insonderheit großindu- 
striellen Gewerbefleißes wurde wesentlich unterstützt durch die Aus- 
bildung des modernen Verkehrs. Der Bezug von aus- 
wirtigen, auch ausländischen Rohstoffen, die Uebernahme von Auf- 
trigeen durch und die Ablieferung an außerhalb des Betriebssitzes 
wohnende Auftraggeber wurde erleichtert, der Markt für gewerb- 
liche Einkäufe oder Verkäufe erfuhr erhebliche Erweiterung, und 
es wurde auf diese Weise vielen Gewerbezweigen ermöglicht, ihre 
frühere mehr lokale Bedeutung mit einer nationalen, teilweise inter- 
nationalen zu vertauschen. Namentlich ist in diesem Zusammenhang 
an die im Laufe der letzten Jahrzehnte verbesserten, vermehrten und 
verbilligten Einrichtungen bei Post, Telegraph, Telephon, 
Eisenbahn, Binnen- und Seeschiffahrt zu denken, die sie 
ihrerseits hinwiederum zu erhöhten Leistungen befähigten. Einige 
wenige Zahlen mögen das Gesagte veranschaulichen: 


1889 1898 

Postanstalten 23 396 35 407 
Telegraphenanstalten 16 408 22 883 
Telegraphennetz !) 98 391?) 126 154 
Post- und Telegraphengebühren in 1000 M.®) 217 508 365 380 
Telegraphen- (und Telephon-) Gebühren besonders 31618 61870 
Telephonstellen 115 007 212 121 
Telephonnetz !) 17 740°) 51403 
Unterseeisches Reichskabelnetz (km) 8 230 
Zahl der Telephongespräche in Tausenden 446 941?) 563 128 
Eisenbahnnetz (km) 40 007 1 48 228 
Zurückgelegte Personenkilometer (Mill.) 10 172 22013 

D Tonnenkilometer (Mill.) 17 554 32 579 
Binnenwasserstraßen Di 14 168 
Fluß-, Kanal-, Haff-, Küstenschiffe®) (Zahl) 19 989 21 945 
Tragfähigkeit (Tonnen) 2 100 705 3 370 447 
Tonnenkilometer (Mill.) 2 900 ?) 10 700 
Seeschiffe (Zahl) 3 653°) 3713 
Tragfähigkeit (Reg.-T., brutto) 1 969 238 °?) 2317 563 
Secreisen beladener Seeschiffe 65 817 10) 79 205 
Nettoraumgehalt derselben (Reg.-T.) 32 221 1801°) 39 601 338 


Unsere deutschen Verkehrsverhältnisse ?) sind jetzt derart, daß im 
Postverkehr Deutschland allen übrigen Ländern Europas — aus- 
genommen die Schweiz, wo der starke Fremdenverkehr besondere 
Verhältnisse bedingt und bewirkt — voransteht, sein Eisenbahnnetz 
das viertdichteste in Europa ist, der absoluten Ausdehnung nach 
nur hinter dem der Vereinigten Staaten zurückbleibt, sein Binnen- 
schiffahrtsverkehr, der doppelt so stark wie der Frankreichs, nur von 


ländischen Produktion von Bier (66 378 000 hl im Jahre 1897), Branntwein (3 288 000 hl), 
Salz (1108 419 t), Zucker (531 178 t). 

1) Länge der Linien in km. — 2) Bezieht sich auf das Jahr 1894. — 3) Ohne 
die Einnahmen aus dem Absatze von Zeitungen, und ohne Personenfahrgeld. — 4) Ende 
1588. — 5) Schiffbare Strecken in km. — 6) Die Nachweise beziehen sich auf 1887 
und 15897. — 7) Im Jahre 1882; 1895: 7,5 Milliarden To-Kilometer. — 8) Im Jahre 
1891. — 9) Im Jahre 1896. — 10) Im Jahre 1894. 

2) Vergl. auch Walther Lotz, Verkehrsentwiekelung in Deutsehland 1800 bis 
1900. Leipzig 1900. 


30 Friedrich Zahn, 


dem weit ausgedehnten russischen übertroffen wird, seine Handels- 
flotte, wenn sie auch die britische bei weitem nicht erreicht, doch der 
zweitgrößten der Welt, der der Vereinigten Staaten, fast gleich 
kommt und in Bezug auf die leistungsfähigeren Dampfschiffe wesent- 
lich über ist; die zwei größten und schnellsten Doppelschrauben- 
dampfer der Welt sind deutsches Fabrikat und deutscher Besitz. 

Der geschilderten großartigen Entwickelung von Gewerbe, Handel 
und Verkehr im Innern des Reiches entspricht auch ein bedeutender 
Aufschwung, der auf dem Gebiete unseres auswärtigen Handels 
zu verzeichnen ist. 10152 Mill. Mark Waren passierten im Jahre 
1899 die deutsche Zollgrenze. 5783,6 Mill. kamen von, 4368,4 Mill. 
gingen nach dem Auslande. Und zwar besteht die Einfuhr fast zur 
Hälfte aus Rohstoffen, die namentlich unsere Industrie benutzt, zu 
mehr als einem Drittel aus Nahrungsmitteln; die Ausfuhr erstreckt 
sich in der Hauptsache auf Fabrikate verschiedenster Art: 


Einfuhr Ausfuhr 

Mill. Mark 
Rohstoffe für Industriezwecke 2607,1 1016,1 
Fabrikate 1147,6 2712,1 
Nahrungs- und Genußmittel, Vieh 1728,4 478,8 
Edelmetalle 300,5 161,4 


71 Proz. unseres Gesamtaußenhandels treffen auf den Verkehr 
mit europäischen, 29 Proz. auf den Verkehr mit außereuropäischen 
Ländern. Ueber 70 Proz. des Gesamtaußenhandels ist Seehandel. 

In welchem Maße die einzelnen Staaten des Auslandes an ihm 
beteiligt sind, und wie überhaupt sich der deutsche Außenhandel in 
dem letzten Jahrzehnt entwickelt hat, ergiebt folgende Zusammen- 
stellung: 


Ein- und Ausfuhr des deutschen Zollgebietes 
(einschl. Edelmetallverkehr). 


A. Einfuhr im Specialhandel in Mill. Mark 


davon kamen aus 


im 


Jahr 5 Oester- | RuBland | Frankreich den Verein, da 
Sat Sir? reich- (einschl. |(einschl. Algier) Staaten von 3 E ER 
Ungarn |Finnland)| und Tunis) | Amerika EEN 
= o | ET 4 e 

1891 | 4403,4 77,1 598,9 580,4 261,8 456,5 1828,7 
1892 | 4227,0 | 621,1 575,4 383,4 262,3 612,0 1772,8 
1393 | 4134,1 | 656,6 580,2 353,4 241,4 458,1 1844,4 
1894 | 4285,5 | 608,9 581,7 543,9 214,0 532,9 1804,1 
1895 | 4246,1 | 578,7 525,4 568,8 229,9 511,7 1831,6 
1896 | 4558,0 | 647,8 578,0 | 634,7 233,6 584,4 1879,5 
1897 | 4864,6 | 661,5 600,3 708,3 248,8 658,0 1987,7 
1398 | 5439,7 825,7 661,2 736,5 209,3 877,2 2069,8 
1809 | 5783,6 | 777,1 730,4 | 715,9 308,2 907,2 2344,8 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 31 


B. Ausfuhr im Specialhandel in Mill. Mark 
——_.—…— nn 
| davon gingen nach 


IP Be = Oester- | Rußland | Frankreich | den Verein. |, 
as es reich- | (einschl. ((einschl. Algier! Staaten von re 
Kai Ungarn |Finnland)| und Tunis) | Amerika 
1591| 3339,8 | 696,8 347,8 262,6 238,0 | 357,8 1436,8 
1592 | 3150,1 640,6 376,6 239,5 202,9 346,7 1343,8 
1893 | 3244,6 674,0 420,5 184,6 203,1 354,3 1408,1 
1594| 3051,5 | 635,1 401,7 194,8 188,1 271,1 1360,7 
1895 | 3424,2 678,9 435,8 220,9 202,8 368,7 1517,0 
1896| 3753,8 | 715,9 477,3 364,1 201,6 383,7 1611,2 
1897 | 3786,2 701,7 435,1 372,1 210,4 397,5 1669,4 
1598| 4010,6 | 803,8 453,7 440,5 205,9 334,6 1772,1 
1599| 4368,4 | 851,6 466,0 | 437,3 | 217,4 377,6 | 2018,5 


Deutlich fällt hier in die Augen, daß Deutschland fortge- 
setztmehr Waren sowohl ausführt wie einführt. Aller- 
dings ist im letzten Jahrzehnt der Bezug von ausländischen Waren 
größer als der Versand von inländischen Waren nach dem Auslande. 
Indessen rührt diese passive Bilanz in der Hauptsache lediglich daher, 
daß Deutschland zu anderen Ländern vielfach in einem Gläubiger- 
verhältnis steht und wir einen Teil der Gewinne und Zinsen, die uns 
das Ausland zu zahlen hat, in Form von Waren bei uns einführen. 
Will man eine genaue Bilanz unseres Handels ziehen, so darf man 
sich nicht mit einer Abgleichung der Ein- und Ausfuhr der Waren 
begnügen, ganz abgesehen davon, daß in der offiziellen Statistik der 
Wert der Ausfuhr gegenüber dem thatsächlichen zu gering erscheint 
(weil ihrer Festsetzung die inländischen Werte im allgemeinen zu 
Grunde liegen, diese aber weit niedriger sind, als die im Auslande 
zu erwartenden. Man muß auch die Zahlungs- und Effekten- 
bilanz, überhaupt alle Uebertragungen von Land zu Land, unter 
welcher Form sie sich immer vollziehen, berücksichtigen. Insbe- 
sondere sind unseren Aktiven mitzuzurechnen: die gegen 300 
Mill. M. anzusetzenden Einnahmen aus der Rhederei (Frachtgelder ete.), 
die Erträge aus (See-)Versicherungsunternehmungen, die viele Hundert 
Mill. M. betragenden Zinsen aus Kapitalien, die über See — nach 
einer durch die deutschen Konsuln veranstalteten Enquete im Jahre 
1898 auf 7 1/, Milliarden zu veranschlagen — und in europäischen 
Unternehmungen angelegt sind, die Verdienste deutscher Kapita- 
listen an fremden, in Deutschland gehandelten Wertpapieren und 
Anleihen und durch Operationen an fremden Börsen, endlich die 
Einnahmen aus dem stetig steigenden Reiseverkehr von Ausländern 
in Deutschland. Durch all diese Erträgnisse wird obenerwähntes 
Minus in der Handelsbilanz, welches übrigens zugleich auf eine 
erhöhte Konsumfähigkeit des inländischen Marktes hinweist, genügend 
aufgewogen und wettgemacht. 

Die Entwickelung des deutschen Außenhandels hat dahin geführt, 
daß nicht nur die deutsche Volkswirtschaft jetzt innig mit der Welt- 


32 Friedrich Zahn, 


wirtschaft verflochten, sondern Deutschland zugleich zu einem 
mächtigen Faktor auf dem Weltmarkt geworden ist. Es steht unter 
den handelstreibenden Nationen jetzt an zweiter Stelle. An dem Ge- 
samtwaarenumsatz im internationalen Handelsverkehr, der sich für 
das Jahr 1899 auf 83,7 Milliarden M. (1882: 61 Milliarden) bewerten 
läßt, ist es mit 9,8 Milliarden beteiligt und geht ihm lediglich Groß- 
britannien mit allerdings 14 Milliarden voraus, während in den Hier 
Jahren Deutschland noch an dritter und vierter Stelle stand: 


Ein- und Ausfuhr (ohne Edelmetallverkehr) 
in Mill. M. 
1882 1885 1890 1895 | 1899 

Deutschland 6 323,1 5 789,1 7 472,1 7 438,6 | 9690,1 
Frankreich 6 800,9 5 813,0 6 634,1 5745,9 | 6 574,2 
GroBbritannien und Irland 12039,3 | 10 740,5 | 12 656,4 | 11 913,0 | 13 988,7 

(einschl. der wicht. Kolonien) 19 420,2 | 18 053,3 | 21 645,5 | 20 928,6 5 
Vereinigte Staaten von Amerika 6 050,4 5 412,6 6 812,7 6347,1 | 7 855,5 
Gesamter Warenverkehr der | 

wichtigeren !) Kulturstaaten 61 268,4 | 57 081,8 | 68 794,2 | 68 677,0 , 83 700,7 

Prozentanteil am Gesamt-Warenverkehr der 
betrachteten Staaten 

e Se 24 H 
Deutschland 10,3 10,1 10,9 10,8 11,8 
Frankreich 11,1 10,2 9,7 8,4 8,0 
Großbritannien und Irland 19,7 18,8 18,4 17,4 17,0 

(einschl. der wicht. Kolonien) 31,7 31,6 31,5 30,5 . 
Vereinigte Staaten von Amerika 9,9 9,5 9,9 9,2 | 9,6 
Gesamter Warenverkehr der 

wichtigeren !) Kulturstaaten | 100 100 100 100 | 100 

IV. 


Begreiflicherweise war dieser Gang unserer wirtschaftlichen Ent- 
wickelung nur möglich bei einer entsprechenden Entwickelung unseres 
Geld- und Kreditwesens. Die Erweiterung bestehender und die 
Begründung neuer Unternehmungen, die Vermehrung der Umsätze, 
die große Ausdehnung der Finanzoperationen (dazu die kriegerischen 
Wirren in Südafrika und China) hatten eine solche Zunahme den 
Geldbedarfs zur Folge, daß der Zinsfuß sich merklich erhöhte, der 
Diskont einen seit vielen Jahren nicht dagewesenen Stand — vom 
19. bis 51. Dez. 1899 betrug er 7 Proz. — erreichte und das Privat- 
kapital mit Vorliebe sich den gut rentierlichen Industriewerten zu- 
wandte, während die geringer zinsenden Staatsanleihen in ihrem 
Kurse etwas zurückgingen : 

Reichsbankzinsfuß Proz. für den Jahresdurchschnitt 


für für für für 
Wechsel Lombarddarlehen Wechsel Lombarddarlehen 
1889 3,676 4,676 1895 3,139 4,139 
1890 4,517 5,517 1896 3,656 4,656 
1591 3,776 4,776 1897 3,806 4,806 
1892 3,203 4,208 1898 4,267 5,267 
1893 4,069 5,069 1899 5,036 6,036 
1594 3,117 4,117 


1) Vergl. Bd. 119 d. St. d. D. R., S. 242 fg. 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20, Jahrhundert. 33 


Durchschnittliche Jahreskurse der deutschen Reichsanleihen an der Berliner Börse. 
4 Proz. 31/, Proz. 3 Proz. 


1889 108,16 103,69 

1890 106,74 100,42 3 
1891 105,99 98,38 85,10 
1892 106,89 99,97 86,27 
1893 107,24 100,38 86,27 
1594 106,57 102,39 90,73 
1895 105,68 104,44 98,91 
1896 105,48 104,57 93,22 
1697) 103,58 97,65 
1895} 1) 102,64 95,51 
1899) 99,77 90,71 


Um den Umfang unseres Geldbedarfs kurz zu zeichnen, sei er- 
wähnt, daß an Münzen seit 1871 folgende Beträge im Umlauf waren : 


Seit 1871 bis Ende Hiervon sind bis 
Dez. 1900 ausgeprägte Ende Dez. 1900 Mithin bleiben 
Münzsorten Reichsmünzen wieder eingezogen 


Beträge in 1000 Mark 


Goldmünzen 3 701 171,4 39 198,8 3 661 972,6 
Silbermünzen 565 176,9 28 747,1 536 429,8 
Nickelmünzen 69 602,1 1052,5 68 549,6 
Kupfermünzen 15 404,6 1,0 15 403,6 

Im ganzen 4351355,0 | 68 999,4 | 4282 355,6 


Der thatsächliche Bestand an Reichsmünzen ist etwas niedrige, 
als die genannten Beträge, da ein Teil davon im In- und Auslande 
bereits wieder eingeschmolzen worden ist. Wie groß dieser Teil ist 
läßt sich nicht genau angeben. Was die Reichsgoldmünzen anlangt, 
so darf man — in Hinblick auf die Resultate der 1898er Erhebungen 
über den Verbrauch von Gold zu gewerblichen Zwecken in Deutsch- 
land — annehmen, daß solche noch für etwa drei Milliarden Mark 
vorhanden sind. An Reichssilbermünzen gelten außer den oben an- 
geführten noch als gesetzliches Zahlungsmittel die Einthalerstücke 
deutschen Gepräges und bis 1. Januar 1901 die in Oesterreich bis 
Ende 1867 geprägten Vereinsthaler; ihr Bestand wurde für Ende 
August 1899 auf 3591/, Mill. geschätzt, wovon 11!/, Mill. öster- 
reichischen Gepräges ?). | 

Neben den Barvorräten an Geld kommt dem Papiergelde inner- 
halb unseres Geldwesens eine zunehmende Bedeutung zu. An solchen 
Geldsurrogaten zirkulierten im Jahre 1899: 6,9 Mill. Reichskassen- 
scheine im Gesamtbetrage von 120 Mill. M. (4 Mill. Abschnitte 
zu 5 M., 1,5 Mill. zu 20 M. und 1,4 Mill. zu 50 M.) und 1322 
Mill. M. Noten-Werte, von welch letzteren 86 Proz. (1141,7 Mill.) 
auf die Reichsbank, gewissermaßen die Central-Notenbank Deutsch- 


1) Die Schuldverschreibungen der 4-prozentigen Reichsanleihe sind seit 1. Oktober 
1897 in 31/,-prozentige umgewandelt. Sie sind bei den Kursen der 3!/, -prozentigen 
Anleihe nicht berücksichtigt. 

2) Vergl. Reichstagsdrucksache 1898/1900, No. 403, S. 8. 


Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 3 


å 


34 Friedrich Zahn, 


lands, der Rest auf die anderen 7 berechtigten Notenbanken entfielen. 
Außerdem fallen die Geldsurrogate in Form von Wechseln, Cheks, 
sowie namentlich der Giroverkehr für unseren Geldverkehr immer 
mehr in die Wagschale. So betrug der Wechselverkehr bei der 


Reichsbank: 


im Jahre 1895 im Jahre 1899 
Betrag in Betrag in 
Stück Millionen M. Stück Millionen M. 

Platzwechsel 845 854 2022,2 1 208 132 3228,7 
Versandwechsel auf 

das Inland 2 355 246 3144,1 2 994 012 4946,7 
Wechsel auf das Ausland 13 793 54,0 16 221 131,0 
Wechseleinziehung für 

fremde Rechnung 385 231 1013,2 456 206 1002,4 


1899 die Einnahmen 78010,0 Mill. M. gegenüber 46 862,7 im Jahre 
1895, die Ausgaben 77976,8 bezw. 46835,6 Mill. M. Die bei den 
10 Abrechnungsstellen der Reichsbank abgerechneten Gesamtbeträge 
beliefen sich 1899 auf 30,2 Milliarden M. Solche gewaltige Umsätze | 
werden anderwärts nur seitens der Clearing-Houses in London und 
New York in noch höherem Maße vermittelt. 

Ueberhaupt hat die Reichsbank für das Wirtschaftsleben des 
Reichs eine hervorragende Bedeutung erreicht. Nicht nur daß sie 
die Währung des Reichs schützt, seine Umlaufsmittel (Reichsmünzen 
und Reichskassenscheine) durch das elastische Verkehrswerkzeug der ` 
Banknoten ergänzt; sie bildet vermöge ihrer reichen Mittel und 
ihres weitverzweigten Netzes von Zweiganstalten — 330 (nämlich 
17 Hauptstellen, 57 Bankstellen, 256 Nebenstellen und Warendepots) 
wovon 303 in den Giroverkehr einbezogen sind — einen starken 
Rückhalt für den Kredit des Landes und erleichtert durch Ankauf von 
kurzfälligen Wechseln und anderen Papieren, durch ihr Einziehungs- 
geschäft und ihren Ein- und Auszahlungsverkehr, namentlich aber 
durch den eben geschilderten großartig entwickelten Giroverkehr den 
gesamten Zahlungsverkehr !). Um deswillen sind die Geschäftsergeb- 
nisse der Reichsbank als Central-Geldbehälter gewissermaßen das 
Spiegelbild unseres gesamten Geldverkehrs: 

(Siehe Tabelle auf S. 35.) 

Der Rückgang der Barbestände der Reichsbank in den letzten 
5 Jahren erklärt sich aus den gesteigerten Ansprüchen, welche in- 
folge des wirtschaftlichen Aufschwungs das Publikum an die Reichs- 
bank stellte. Im Zusammenhang damit steht das Anwachsen des 
durch den Barvorrat nicht gedeckten Notenumlaufs (Differenz zwischen 
den Zahlen der vorstehenden 3. und 4. Spalte), derselbe hat sich 
seit 1876 weit mehr als verdoppelt. Auch diese Entwickelung be- 
deutet eine gewaltige Steigerung der Leistungen der Bank, denn die 
Bank vermag gerade durch den ungedeckten Notenumlauf die Elasti- 


Im Girogeschäft der Deutschen Reichsbank betrugen im Jahre | 


1) Vergl. Koch (Präsident des Reichsbankdirektoriums), Münz- und Notenbank- 
wesen. 4. Auflage. Berlin. 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 35 


Geschäftsergebnisse der Reichsbank seit 1876. 


Durch- 


Giro-Umsätze | Durch- | Durch- | Durch- | schnitt- Durch Durch- ras 
G | (ausschl. der | schnitt- | schnitt- | schnitt- liche h itte schnitt- lich 
DRE ‚Zahlungen für| licher liche liche | Deckung P he licher Bank ei 

Jahr umatze) Reichs- und | Noten- Bar- | Metall- |der Noten We. hecl Lom- of Sen 
Staatskassen) | umlauf |vorräte !)| deckung |u.sonstigen aile bard- Wechsel 

derNoten| Verbind- * bestand $ $ 

in Proz. | lichkeiten | ML M. "ua m. | Verkehr 
Millionen Mark in Proz. > 
1876| 36685 16 711 | 684,9 | 564,9 | 74,55 56,50 402,9 51,0 4,16 
1850] 52194 35 234 755,8 | 628,8 | 76,47 | 61,06 345,7 51,3 4,24 
1855| 73 199 53 847 727,4 622,2 | 80,57 60,86 372,7 52,5 4,12 
1590| 108 595 79750 983,9 | 831,8 | 81,41 59,54 5341 89,4 4,52 
1805 | 121 313 93 698 1095,6 | 1045,4 | 92,35 | 63,43 573,9 83,2 3,14 
1896 | 131 499 | 98 249 1083,5 925,3 | 82,32 56,90 646,3 106,0 3,66 
1397 [142111] 103 903 1085,7 | 905,3 | 80,27 55,97 644,8 108,3 3,81 
1898] 163 396 | 120 828 1124,6 ! 885,9 | 75,67 53,21 713,9 96,4 4,27 
1804 179633 | 131 501 1141,8 | 860,6 | 72,30 49,53 817,1 80,7 5,04 


citit unserer Zahlungsmittel wesentlich zu erhöhen. Um diese Be- 
wegungsfreiheit der Bank weiterhin zu fördern, wurde durch die 
Banknovelle vom 7. Juni 1899 mit Wirkung vom 1. Januar 1901 die 
Grenze des ungedeckten steuerfreien Notenumlaufs von 293,4 auf 
450,0 Mill. M. hinausgeschoben. 

Daß die Reichsbank dem deutschen Geldumlauf auch einen an- 
gemessenen Anteil an der wachsenden Goldproduktion der Erde zu 
beschaffen verstand, ergiebt die Thatsache, daß sie seit ihrem Be- 
stehen über 2,5 Milliarden M. Gold angekauft hat, die fast ganz 
(ca. 2,2 Milliarden) dem deutschen Wirtschaftsverkehr zu gute kamen. 

Auch die 7 Privat- Notenbanken sind innerhalb des ihnen ein- 
geräumten Geschäftsbereichs für den Geldverkehr nicht zu unter- 
schätzen. Beweis davon, daß sie 1898 182,2 Mill. M. (davon 91,5 Mill. 
ungedeckt) im Umlauf hatten, 47,4 Mill. M. sonstige täglich fällige 
Verbindlichkeiten aufwiesen und mit einem Grundkapital von 100 Mill. 
und 6,7 Proz. Dividende arbeiteten. 

Die anderen Privatbanken, die häufig Depositen-, Effekten- 
und Mobiliarkreditanstalten zugleich darstellen, haben namentlich das 
Verdienst, daß sie durch Unterhaltung zahlreicher Filialen, zum Teil 
auch im Auslande, den Geldverkehr außerordentlich erleichtern 
halfen und durch Beleihung tüchtiger, aussichtsreicher Unterneh- 
mungen, selbst wo diese nicht völlige Sicherheit zu bieten vermochten, 
den Unternehmungsgeist und die Produktionsfähigkeit sehr zu be- 
leben verstanden. Welche umfassenden Geschäfte dieselben entfalten, 
besagen nachstehende, dem amtlichen deutschen Katalog der Pariser 
Weltausstellung entnommene Angaben: Danach besitzen die 108 
größten und bedeutendsten deutschen Depositen- und Emissions- 


1) d. h. Metall, Reichskassenscheine und Noten anderer Banken ($ 9 des Bank- 
gesetzes), 


Ek 


36 Friedrich Zahn, 

banken über 5?/, Milliarden eigenen und fremden Kapitals. Ihre 
Portefeuilles enthielten 984 Mill. M. in Accepten, die gesamten Ver- 
bindlichkeiten der Banken einschließlich des Reingewinnes beliefen 
sich auf rund 3°/, Milliarden, denen an unmittelbar und leicht ver- 
fügbaren Mitteln — Kasse, Wechsel, Lombards, Effekten etc. — 
nahezu 23|, Milliarden M. (97 Proz. aller Passiva) gegenüberstanden. 
Der Bruttogewinn der Banken bezifferte sich 1898 auf 218,38 Mill. 
M. Der Reingewinn stellte sich auf 162,8 Mill. M. Auf das Aktien- 
kapital wurde eine durchschnittliche Dividende von 7,86 Proz. 
gezahlt. 

Dem gesteigerten Bedürfnis von Kredit seitens Besitzer von 

unbeweglichem Kapital tragen Hypothekenbanken, Boden- 

kreditanstalten und Landschaften Rechnung. So arbeiteten im Jahre 

1898 bei uns 40 Hypothekenbanken mit einem Aktienkapital von 

544 Mill. M., die für 6 Milliarden M. Pfandbriefe in Umlauf gesetzt 

hatten. Dazu kommen noch 3 Milliarden M. Pfandbriefe, die durch 

andere Real- Kredit- Institute (Landesbanken oder Landes- Kredit- 

Anstalten etc.) beschafft worden sind. 

Außerdem bestehen zahlreiche Genossenschaften, die die Kredit- 
beschaffung für ihre Mitglieder zum ausgesprochenen Zweck haben, 
so waren von den 16912 Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften 
des Jahres 1899 allein 10850 sogenannte Kreditgenossenschaften, 
ihre Zahl ist im Laufe der letzten Jahre fortgesetzt gestiegen. 

Während bisher von Einrichtungen zur Deckung des Geldbedarfs 
die Rede war, ist nun noch der Gelegenheiten Erwähnung zu thun, 
die den Geldbedarf hauptsächlich verursachen und also das Haupt- 
aufnahmegebiet für das Kapital darstellen. 

In Betracht kommen die Staats- und Kommunalanleihen, die 
für den Eisenbahnbau aufgenommenen Anleihen, die Industrie- und 
Bankaktien, das vornehmlich für Hypothekendarlehen derLandwirtschaft 
bestimmte Pfandbriefgeschäft, endlich auch ausländische Anleihen. 

Um welche Beträge es sich dabei handelt, ergiebt eine Schätzung 
des deutschen Oekonomist, demzufolge in den Jahren 1882 bis 1900 
Werte von über 20 Milliarden M. emittiert wurden. Speciell in 
den letzten 12 Jahren hatten die deutschen Emissionen folgenden 


Kurswert: 


Mill, Mark Mill. Mark 
1889 1745 S 1895 1375 
1590 1520 1896 1896 
1891 1217 1897 1944 
1892 1016 1598 2407 
1893 1266 1899 2611 
1594 1420 1900 1851 


Zwei Drittel der deutschen Kapitalanlagen kamen dabei dem 
heimischen Geldmarkte und deutschen Binnenunternehmungen zu gute, 
das andere Drittel widmete sich ausländischen Zwecken. So waren 
an den Emissionswerten der Jahre 1399 und 1900 beteiligt!) 


A 


1) Vergl. Der Deutsche Oekonomist vom 5. Januar 1901. 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 37 
1599 
Deutsche | Ausländische Deutsche | Ausländische 
Papiere Papiere 
Mill. Mark 
Staatsanleihen 399,13 102,24 200,40 168,86 
Kommwnalanleihen 261,05 — 220,35 2,85 
Pfandbriefe 447,12 30,86 200,00 5,50 
Eisenbahnobligationen 49,58 70,40 85,02 9,00 
Industrieobligationen 74,02 — 178,77 — 

Eisenbahnaktien 8,78 — 55,68 65,06 
Bankaktien 276,50 10,00 174,51 20,90 
+ Industrieaktien 861,39 20,32 461,06 3,60 
Summe 2377,57 233,82 1575,74 275,27 


Wie aus dieser Zusammenstellung hervorgeht, spielt für unsere 
Kapitalanlagen der Geldbedarf der Industrie eine ganz besondere 
Rolle. Zu dessen Befriedigung bedient man sich mit Vorliebe der 
Form der Aktiengesellschaften ; sie erleichtert das Zusammentreten 
von Kapitalien sehr erheblich. Die Begebbarkeit der auf den In- 
haber lautenden an der Börse verkäuflichen Aktien ermöglicht es, 
wie jüngst G. v. Siemens ausführte, daß dem einzelnen Besitzer die 
für ihn wünschenswerte flüssige Form seines Einschusses erhalten 
und dem Unternehmer die Sicherheit geboten wird, daß ihm das 
Kapital verbleibt. So kommt es, daß gerade in den letzten Jahren, 
wo die Industrie anhaltend neuer Kredite bedurfte, eine große 
Zahl von Neugründungen von Aktiengesellschaften erfolgte; im 
Jahre 1898 wurden allein 329 Aktiengesellschaften, 1899 rund 500 
gegründet, im ganzen schätzte man Mitte 1899 die Zahl der Aktien- 
gesellschaften auf über 5000 mit mehr als 7 Milliarden Mark. 


Zur Unterbringung der so benötigten und andererseits verfüg- 
baren Kapitalien erweist sich immer unentbehrlicher die Börse, 
jener konzentrierte Markt der Geldgeber und Geldsucher, der mit 
dem gesamten zahlungsfähigen Publikum in Beziehung steht, wo 
jeder die Möglichkeit hat, das daselbst gehandelte Geldobjekt am 
leichtesten und angemessensten los zu werden und ebenso es zu 
erlangen. 

Mit der wachsenden Bedeutung unseres Geld- und Kredit- 
wesens hat auch die der Börse rasch zugenommen. Beim Erlaß des 
Börsengesetzes 1896 bestanden in Deutschland 29 Börsenplätze. 
Einen über die örtlichen Grenzen hinausgehenden Einfluß auf den 
Finanzmarkt entfalten die Börsen von Berlin, Hamburg und Frankfurt 
a. M Namentlich die Berliner Börse, die 1374 Effekten notiert, 
erreichte für ihre Umsätze — nach Saling’s Börsenhandbuch 1897 — 
zeitweise eine Höhe, welche selbst die der großen Weltbörsen Paris 
und London übertrifft. 

Diese Börsenplätze konzentrieren aber nicht bloß den Handel 
mit Wertpapieren bei sich, sondern auch den einer Reihe von Waren. 
Für sie ermöglicht die Börse als Produktenmarkt namentlich im 
Wege des Termingeschäfts eine örtliche und zeitliche Ausgleichung 
der Preise und Kurse. Die Hauptstellung auf dem Produktenmarkt 


38 Friedrich Zahn, 
nimmt die Hamburger Börse ein, sie ist wichtig für das Kaffee- 
geschäft und den allgemeinen großen Warenhandel, außerdem ist die 
Bremer Börse für Tabak- und Baumwollhandel, Leipzig für Textil- 
und Pelzwaren, Berlin für Getreide von Bedeutung. 

Welch kolossale Werte auf den deutschen Börsen zum Handel 
gelangen, lassen schon die Nennwerte der zum Börsenhandel neu 
zugelassenen Wertpapiere sowie die erzielten Beträge der Umsatz- 


steuer erkennen: 
Nennwerte in Mill. M. 


Wertpapiere 1897 1808 1899 
deutsche 3787,9 2093,0 2297,5 
ausländische 889,6 2534,3 1505,4 

Umsatzsteuer 
Mill. M. 
1896/97 13,2 
1897/98 13,7 
1898/99 13,5 
1899/1900 15,0 
V. 


Die im Bisherigen geschilderte ökonomische und technische 
Entwickelung Deutschlands, das Wachstum der Bevölkerung, die 
erhöhte Erwerbsthätigkeit, der Uebergang vom Agrar- zum Industrie- 
staat, die Ausbildung des modernen Handels und Verkehrs blieb 
nicht ohne namhafte Rückwirkung auf unsere allgemeinen 
sozialen und kulturellen Verhältnisse. Eine Betrachtung 
derselben erscheint um so wichtiger, als ja die wirtschaftliche Pro- 
duktion nicht um ihrer selbst willen, sondern um der Produzierenden, 
um des Volkes willen geschieht. 

Als eine soziale Erscheinung zeigt sich da, daß der Anteil der 
Abhängigen am Gesamtgewerbepersonal sich im Lauf der letzten 
Jahrzehnte erheblich verstärkt hat; die Zahl der Unternehmer nahm 
zwar keineswegs ab, deren Zunahme wurde aber weit übertroffen 
von dem der — unselbständigen — Angestellten und Gehilfen. 
Allein von einer Proletarisierung der Gesellschaft, von einer Ver- 
elendung derselben ist keine Rede. Insoweit aus dem bisherigen 
Mittelstand selbständige Handwerker etc. auszuscheiden ge- 
zwungen sind, werden die Lücken ersetzt durch jenen neuen Mittel- 
stand, der trotz seiner Abhängigkeit sich weit über das Niveau des 
bloßen Arbeiters erhebt. Es sind das die schon erwähnten technisch 
und kaufmännisch ausgebildeten Beamten und Angestellten der 
größeren Betriebe, ferner die in der öffentlichen Verwaltung thätigen 
kleineren Beamten sowie die zu Hunderttausenden vorhandenen 
Arbeiter, die sich überdurchschnittliche, den Verdienst des selb- 
ständigen Handwerkers häufig übersteigende Bezahlung und eine 
ebenso sichere Stellung errungen haben, wie wenn sie unabhängig 

geblieben wären. Der Mittelstandist also nichtim Schwin- 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 39 


den, sondern lediglich in der Umbildung begriffen. Auch 
erfährt der selbständige Mittelstand zu seiner Erhaltung und 
Kräftigung nachhaltige Unterstützung durch das von der neueren 
Gesetzgebung besonders geförderte Genossenschaftswesen. 16 912 
Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften bestanden im Jahre 1899 
im Deutschen Reiche. Sie tragen viel dazu bei, dem Kleingewerbe, 
Handwerk und der bäuerlichen Landwirtschaft die Vorteile des Groß- 
kapitals, Großbetriebs und Großhandels zugänglich zu machen und 
sie auf diese Weise dem Großbetrieb gegenüber zu stärken. 

Und was die eigentliche Arbeiterschaft angeht, so ist ihre 
Lagein vieler Hinsicht gegen früher wesentlich gebessert. 

In den verschiedensten Gegenden und Industriezweigen ist eine 
namhafte Lohnsteigerung zu beobachten. Sie kommt beispielsweise 
zum Ausdruck in der Zunahme der anrechnungsfähigen Jahreslöhne 
bei den Berufsgenossenschaften sowie in der Thatsache, daß jetzt 
immer mehr Invalidenversicherungsbeiträge in höhere Lohnklassen 
entrichtet werden: 


Durchschnittlicher Jahresbetrag (M.) der Arbeitslöhne im preußischen Bergbau: 


a) Steinkohlenbergbau 1888 1890 1895 1898 1899 
in Oberschlesien 516 671 675 771 Sort 
in Niederschlesien 630 735 737 812 846 
in Dortmund 863 1067 968 1175 1255 
in Saarbrücken 842 1114 929 1015 1019 
in Aachen — 878 868 1007 1069 

b) Braunkohlenbergbau in Halle 653 730 749 832 871 

c) Salzbergbau in Halle 920 1012 988 1090 1100 


d) Erzbergbau 


in Mansfeld 757 853 785 926 967 
im Oberharz 552 613 603 637 645 
in Siegen-Nassau — 676 620 827 944 
sonstiger rechtsrheinischer — 639 643 772 923 
linksrheinischer —— 634 616 688 712 
im auf 1 Versicherten im auf 1 Versicherten 
Zei entfallen anrechnungs- Jahre entfallen anrechnungs- 
fühige Löhne z fähige Löhne 
M. M. 

1886 624,18 1393 651,31 
1837 618,75 1394 654,41 
1338 612,43 1895 661,35 
1339 621,43 1396 684,08 
1890 638,40 1897 703,94 
1891 650,14 1898 735,09 
1592 648,42 

Im Von 100 M. Gesamterlös aus I.-V.- 

Jahre Beiträgen entfallen auf die Lohnklasse 

I I III IV 

1891 17,06 36,87 24,98 21,09 

1892 15,78 38,69 25,72 19,81 

1893 15,31 37,79 26,57 20,33 

1394 15,32 37,57 26,65 20,46 

1895 15,12 37,21 26,86 20,81 

1896 14,59 36,40 27,29 21,72 

1397 14,06 35,49 27,35 23,10 


1898 13,34 34,35 27,21 25,10 


40 Friedrich Zahn, 


Auch die Einkommensteuerstatistik bietet hierfür einen Beweis, 
insbesondere die von Sachsen. Dort traf: 


auf den Kopf auf den Kopf der 
der Bevölkerung erwerbsfähigen Bevölkerung 
Jahr an Einkommen!) Jahr an Einkommen 
M. M. 

1878 323,0 1881 517,5 

1883 357,8 1856 602,7 

1888 399,6 1891 692,3 

1893 444,2 1896 724,3 

1598 507,2 


Und zwar erfolgte diese Einkommensvermehrung der letzten 
zwei Jahrzehnte nicht etwa bloß bei den oberen, sondern auch bei 
den unteren Schichten der Bevölkerung, diese letzteren partizipieren 
jetzt in höherem Maße als früher an den mittleren Steuerklassen. 
Es entfielen nämlich von der Gesamtsumme der steuerpflichtigen 
Einkommen 


: 1879 1894 1898 
auf die Steuerklassen Prozent Prozent Prozent 
bis 800 M. 39,7 29,6 23,4 
» 3300 „ (1898:3400) M. 33,5 37,7 42,0 
» 9600 ,, (1898 : 10000) ,, 13,0 13,0 13,3 

über 9600 , (10000) M. 13,8 19,7 21,3 


Dieselbe gesunde Entwickelung ergiebt sich auch aus der 
preußischen Einkommensteuerstatistik: danach besaßen von Tausend 
der Gesamtbevölkerung durchschnittlich ein Einkommen 


von 1892/93 1895/96 1898/99 1899/1900 
über 900 M, 81,5 84,5 89,9 94,0 
und zwar: 
900 — 3000 M. 70,9 74,0 78,5 82,1 
über 3000 „, 10,6 10,5 11,4 11,9 


Das höhere Einkommen befähigt die breite Masse immer mehr 
zu einer besseren Lebenshaltung. Thatsächlich nimmt sie denn auch 
an dem Verbrauch von besseren Lebensmitteln fortgesetzt größeren 
Anteil: 


Verbrauch von Verbrauch von 
Bier (Liter) Zucker (kg) 
auf den Kopf auf den Kopf 
1880 84,6 1879/80 6,3 
1585 88,8 1884/85 9,9 
1890 105,8 1559/90 9,5 
1895 115,7 1894/95 10,7 
1897 123,1 1897/98 11,8 
1898 124,2 1598/99 12,4 
Kaffee Kakao Reis Thee 
(roher) in Bohnen auf den auf den 
auf den Kopf auf den Kopf Kopf Kopf 
kg kg kg kg 
1881/85 2,44 0,06 1,81 0,03 
1856/90 2,38 0,10 1,76 0,04 
1890 2,39 0,13 1,92 0,04 
1895 2,34 0,19 2,33 0,05 
1897 2,53 0,27 2,35 0,05 
1898 2,80 0,27 2,51 0,05 


1) d. i. das geschätzte Gesamteinkommen nach Abzug der Schuldzinsen. 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 41 


Fleischverbrauch im Königreich Sachsen 
pro Kopf der Bevölkerung 


Rindfleisch Schweinefleisch 

kg kg 
1880 11,1 18,1 
1885 12,9 20,4 
1890 14,0 20,6 
1895 13,7 23,5 
1897 15,3 25,9 
1898 15,2 26,2 


Gleichzeitig hat aber auch die Sparfähigkeit und Sparlust der 
unteren Klassen ansehnlich zugenommen : 


in Preußen in Bayern 
der Einlagen- die Zahl der der Einlagen- 
bestand Einlagen bestand 

Millionen M. bis 60 M. Millionen M. 
1880 1 593 725 477 89 
1885 2261 1214 147 130 
1890 3 281 1 609 881 184 
1895 4 345 1 972 134 254 
1896 4656 2 067 980 270 
1897 4 968 2 164 621 284 


Daß bei diesen Spareinlagen in erheblichem Maße Ersparnisse 
der ärmeren und minderbemittelten Volksklassen in Frage kommen, 
geht schon aus der großen Zahl der kleinen Einlagen in Preußen 
hervor. Noch deutlicher beweist dies die bayerische Statistik über 
den Beruf der Sparkasseneinleger für das Jahr 1896 und 1897; 
danach gehören fast zwei Drittel (63 Proz.) aller — Kinder ab- 
gerechnet — Neueinleger der Klasse der Angestellten und Arbeiter 
an, auf sie treffen über zwei Fünftel aller Neueinlagen (44 Proz.). 

Die geschilderte Besserung der materiellen Lage der Arbeiter- 
schaft tritt um so wirksamer hervor, weil dank der durch die Bot- 
schaft Kaiser Wilhelms I. vom 17. November 1881 inaugurierten 
staatlichen Arbeiterversicherung jetzt auch in Zeiten 
vorübergehender oder dauernder Erwerbsunfähigkeit, wie sie Krank- 
heit, Unfall, Invalidität und hohes Alter mit sich bringen, für den 
Arbeiter Sorge getragen ist. 

Während früher in solchen Fällen Noth und Elend eintrat, und 
das dürftige Almosen nur selten den wirthschaftlichen Zusammen- 
bruch zu verhindern vermochte, wird der Arbeiter durch das ihm 
gesetzlich zustehende Krankengeld bezw. durch Renten, werden die 
Angehörigen des Erkrankten vielfach durch besondere Leistungen 
der Kassen, seine Hinterbliebenen durch Sterbegeld, Witwen- und 
Waisenrenten unterstützt. 

‚Ein soziales Riesenwerk hat zu dem Zweck das Deutsche 
Reich geschaffen. Beredter als Worte besagen dies einige Zahlen: 
Von den 56 Millionen Einwohnern des Reichs mit 16 Mill. Arbeitern 
sind 9 Mill. gegen Krankheit, 17 Mill. gegen Unfall, 13 Mill. gegen 
Invalidität und die. Not des Alters versichert. Ueber 2 Milliarden 
sind seit 1885 (bis 1. Januar 1900) an Entschädigungen der ge- 
nannten Art den Arbeitern — in 40 Mill. Fällen — zu Teil geworden. 


geng em 


42 Friedrich Zahn, 


Nahezu 1 Mill. Mark gelangt jeden Arbeitstag als Entschädigung 
zur Auszahlung an jährlich rund 4 Mill. Personen aus der arbeitenden 
Bevölkerung, An der Aufbringung der 2 Milliarden M. Ent- 
schädigungssumme sind die Arbeiter mit 1164 Mill. M., die Unter- 
nehmer mit 1099, das Reich mit 150 Mill. M. beteiligt, so daß die 
Arbeiter über 1 Milliarde mehr empfangen haben, als sie ihrerseits 
zu den Entschädigungen beisteuerten. Alles in allem wurden für 
Zwecke der Arbeiterversicherung bis Ende 1898 über 3 Milliarden M. 
aufgebracht. Kein anderes Volk übt eine so umfassende Arbeiter- 
fürsorge, die Höhe der gemachten Aufwendungen wird nirgends 
auch nur annähernd erreicht. 

Um Umfang und Gesamtleistung der Arbeiterversicherung weiter 
zu veranschaulichen, mag noch folgende Tabelle Platz finden: 


Umfang und Leistung der EE E 


Arbeiter-  Unfall- 
v Kranken- Invaliden- 
ortrag versicherung ver- k 
co 2 À versicherung 
insgesamt ` 4 sicherung | à 
a) Nash dem neuesten Stande. 
| 1898 1898 1899 1899 

7 männlich | S 7 328 909 

en N er | weiblich i 1 996 813 
en zusammen à 9325722 | 17 104000| 12836 000 
Zahl der Entschädigungsfälle 4 000 933 3 262 194 543 890 279 000 
Beiträge f der Unternehmer M. | 183 007 784 48 959 168 | 82 882 329| 63 631 507 
iträge | der Arbeiter „ | 169 166 730 | 110 190.644 = 63631 507 
ZuschuB des Reichs e 24 401 014 — — 27 108 444 
Zinsen u. sonstige Einnahmen ,, 41 103 901 7585 358 | 12987 238| 24 001453 
Einnahmen überhaupt „ | 417679429 | 166 735 170 | 95 869 567| 178 372911 
Betrag der Entschädigungen „ | 281 413612 | 140740 159 | 79 284 261| 78 656 626 
Verwaltungskosten ü 28 452 237 8542 186 | 12791 830| 8877 666 
Ausgaben überhaupt „ | 309 865 849 | 149 282 345 | 92076091| 87 534 292 
Vermôgensbestände : | 995 029 495 | 161 618473 |165 292 714, 762 750 402 

b) Seit Bestehen der Versicherung., 

1885—1898 | 1885—1898 |1885—1899] 1891—1899 
Zahl der Entschädigungsfälle 37 782 448 35 988 182 820 159 1359 143 
Beiträ der Unternehmer M. | 1 486938 754| 450 101 6381705 129089 478 221 863 
citräge | der Arbeiter » | 1477 269 502| 1 062 679 146 — 478 221 863 
Zuschuß des Reichs à 122 754 460 — — | 149 862 904 
Zinsen u. sontige Einnahmen ,, 238 867 071 69 435 459| 91935 II1I| 114485 192 
Einnahmen überhaupt » |3325 829 787! 1 582 216 243|797 064 200 I 220 791 822 
Betrag der Entschädigungen „ |2111 148 809 1 349 330 8841517 732800 402 026 012 
Verwaltungskosten Se 233 635 877, 85 251 279] 114038686, 56015 408 
Ausgaben überhaupt » 12344 784 686| 1 434 582 163/631 771 486! 458 041 420 


Nicht minder segensreich sind die mittelbaren Wirkungen der 
Arbeiterversicherung, welche zugleich die hygienischen, sittlichen 
und geistigen Interessen des Arbeiters förderten. So hat die 
Krankenversicherung durch Sorge für bestmögliche Behandlung der 
Krankheit die gesundheitlichen Verhältnisse der Arbeiter erheb- 
lich verbessert. Die Unfallversicherung hat durch Einführung eines 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 43 


möglichst vollkommenen Heilverfahrens, durch Unfallstationen und 
sonstige Unfallverhütungsthätigkeit viel zur Erhaltung der Arbeits- 
kraft des Arbeiters und dazu beigetragen, die durch den Unfall- 
herbeigeführte Erwerbsunfähigkeit auf das geringstmögliche Maß 
zu beschränken. Die Invalidenversicherung leistet Hervorragen- 
des auf dem Gebiet der Bekämpfung der Lungenschwindsucht, der 
Hauptursache der Invalidität, und unterstützt mit ihren großen 
Mitteln den Bau von Arbeiterwohnungen und anderen gemeinnützigen 
Bestrebungen. 

Ueberhaupt erlangt durch die Versicherungsleistungen auf dem 
Gebiete der Hygiene die erwachsene Arbeiterschaft größere Wider- 
standskraft gegen Gefahren der Krankheit und Invalidität, das neue 
Arbeitergeschlecht wächst von vorne herein gesünder und kräftiger 
heran, und diese Entwickelung gestaltet sich unter der Herrschaft 
der Sozialgesetzgebung fortgesetzt günstiger, zugleich zum Vorteil 
unserer nationalen Wehrkraft. Die Teilnahme an Verwaltung und 
Rechtsprechung in Versicherungssachen bietet den Arbeitern Ge- 
legenheit, die Rechte und Interessen ihres Standes zur Geltung zu 
bringen, sie erlangen dabei eine größere Rechtssicherheit und Rechts- 
zufriedenheit, ferner lernen sie in dieser Schule der Selbstverwaltung 
die Grenzen des Ausführbaren kennen, mit Sachlichkeit und praktischem 
Verständnis an die Behandlung der sie angehenden Fragen heran- 
zutreten. Durch die gemeinsamen Beratungen, die sie mit den 
Arbeitgebern in Versicherungssachen zu führen haben, wird außerdem 
die gegensätzliche Gesinnung der Arbeiter gegenüber dem Unter- 
nehmertum gemildert, das gegenseitige Einvernehmen erleichtert. 
Politisch wird die Arbeiterschaft vermöge des bei ihr sich einstellenden 
Gefühls des Besitzes mit den bestehenden Verhältnissen mehr und 
mehr befreundet und namentlich durch den vom Reich geleisteten 
Zuschuß immer enger in ihren Interessen mit der Existenz des 
Reichs verknüpft. 

Auf der anderen Seite sorgte die unter unserem jetzigen Kaiser 
Wilhelm II., insbesondere auf Grund seines Erlasses vom 4. Februar 
1890 wesentlich ausgebildete Arbeiterschutzgesetzgebung 
für Verbesserung sonstiger für die Arbeiter wichtiger Arbeits- 
bedingungen. Zeit, Dauer und Art der Arbeit suchte sie so zu 
regeln, daß die Erhaltung der Gesundheit, die Gebote der Sittlich- 
keit, die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Arbeiter und ihr Anspruch 
auf gesetzliche Gleichberechtigung gewahrt bleiben. Zu diesem 
Zwecke erging eine Reihe von Gesetzen (insbesondere das Ar- 
beiterschutzgesetz vom Jahre 1891, das ein Jahr zuvor erlassene 
Gesetz über die Gewerbegerichte, die sog. Handwerkernovelle vom 
Jahre 1897, die Verordnung über die Werkstätten der Kleider- und 
Wäschekonfektion von demselben Jahre, das Gesetz vom Jahre 1900 
über Führung von Lohnbüchern, über Pausen der jugendlichen 
Fabrikarbeiter und Ueberarbeit weiblicher Fabrikarbeiter), welche 
den Arbeitern Schutz in fünferlei Richtung gewährleisten: einen 
Aufnahmeschutz, wonach zu schützende Personen (insbesondere 


44 Friedrich Zahn, 

jugendliche und weibliche Personen) entweder überhaupt oder zu 
gewissen Arbeiten oder Betrieben nicht oder nur bedingt zugelassen 
werden dürfen, einen Vertragsschutz, der sich auf Abschluß, Er- 


füllung und Auflösung des Arbeitsvertrages erstreckt, einen Ver- 
wendungsschutz, demzufolge Beschäftigungsart und Beschäf- 
tigungsdauer gewisser Arbeiterkategorien geregelt werden, einen 
Betriebseinrichtungsschutz, der die Betriebsführung ge- 
wissen Anforderungen an Gesundheit, Sicherheit und Sittlichkeit 
unterwirft, endlich einen Entlohnungsschutz, welcher die Ar- 
beiter hinsichtlich der Berechnung und des Empfanges des Lohnes, 
der freien Verfügung über denselben sowie hinsichtlich der Waren- 
kreditierung zu sichern bezweckt. Ohne im einzelnen auf den In- 
halt der genannten Gesetze einzugehen, sei nur hervorgehoben, daß 
die Sonntagsarbeit als regelmäßige verboten und nur in gesetzlich 
bestimmten Ausnahmefällen gestattet ist. Den jugendlichen Ar- 
beitern und Kindern ist der dringend nötige Schutz gewährt (Maxi- 
malarbeitszeit, Mittagspause etc... Zum Schutz von Leben und Ge- 
sundheit der Arbeiter haben Anlagen und Einrichtungen der Betriebe 
bestimmten staatlichen Anforderungen zu entsprechen, und haben 
die Fabriken und ihnen gleichgestellte Betriebe eine obrigkeitlich 
genehmigte und kontrollierte Arbeitsordnung einzuführen. Die Ge- 
werbeinspektion, welche über den Vollzug der Arbeiterschutz- 
maßnahmen zu wachen hat, wurde verbessert und erweitert. 

Dieser sozialen Gesetzgebung des Deutschen Reiches, der Ar- 
beiterversicherungs- und Arbeiterschutzgesetzgebung ist es vor- | 
nehmlich — bei aller Anerkennung dessen, was die Arbeiter im 
Wege der Selbsthilfe, namentlich durch ihre gewerkschaftlichen 
Organisationen errungen haben — zu danken, daß trotz der 
fortschreitenden Industrialisierung des Deutschen Volkes seine Ar- 
beitskraft keine Schwächung erleidet, das körperliche und das 
intellektuelle Leistungsvermögen der Arbeiterschaft sich vielmehr 
in befriedigender Weise fortentwickelt. 

Je kräftiger und leistungsfähiger aber die unteren Klassen sind, 
je besser sie ihre materiellen und kulturellen Bedürfnisse zu be- 
friedigen vermögen, um so höher steht selbstredend die Gesamt- 
leistung, das Gesamtniveau des Volkes, um so mehr kommt dies 
dem allgemeinen Wohlstande zu gute. Demgemäß sind die voraus- 

gehend erwähnten Daten zugleich ein Beleg für die Zunahme des 
Volkswohlstandes überhaupt. 

Noch besonders erhellt diese aus der Mehrung des Gesamt- 
einkommens der physischen Personen in Preußen; dasselbe stieg im 
Zeitraum 1892/03 bis 1897/98 von 9,9 auf 10,7 Milliarden M., diese 
Mehrung von 0,8 Milliarden M. oder 7,89 Proz. war größer als die 
auf 6,13 Proz. sich belaufende Zunahme der preußischen Gesamt- 
bevölkerung. In ähnlichem Maße wird das gesamte deutsche 
Volksvermögen, das im Jahre 1887 auf 187 Milliarden M. 

(3720 M. pro Kopf an Grund und Boden, Kapital und abschätz- 
barem Verbrauchsvorrat) von dem früheren Direktor des Kaiser) 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 45 


Stat. Amtes Karl Becker!) geschätzt wurde, sich vergrößert haben 
und jetzt wohl gegen 220 Milliarden M.?) betragen. 

Auf das mobile Kapital, d. h. denjenigen Teil des Kapitals, 
der in der Form von Aktien, Couponschuldverschreibungen, Hypo- 
theken etc. Gegenstand des Handels und Geldverkehres ist, treffen 
— nach den Schätzungen von Christians?) für die Mitte des Jahr- 
zehnts 1890 bis 1900 — 73,6 Milliarden M., davon sind: 


Milliarden Mark 


Einheimische Werte, die an der Berliner Börse gehandelt werden 27,2 
Einheimische Werte, die an anderen Plätzen gehandelt werden 2,8 
Ausländische Werte in Deutschland 10,0 
Kuxe 0,4 
Hypotheken 17,2 
Sparkassen 7,2 
Wechsel 1,5 
Kapitalwert der Lebensversicherungen 0,8 
Arbeiterversicherung 0,6 
Genossenschaften 0,5 
Privates Kapital 2,0 
Gold und edle Metalle 3,5 


Das Anwachsen des Volkseinkommens erhöhte natürlich zu- 
gleich die Finanzkraft der Bundesstaaten und des 
Reiches. Wie aber der wirtschaftliche Aufschwung in erster Linie 
durch Industrie und Handel hervorgerufen wurde, so ist Haupt- 
trägerin der Steuerkraft jetzt nicht mehr die Landwirtschaft, sondern 
Industrie und Handel; letztere sind die leistungsfähigeren Produk- 
tionszweige auch für unseren Staatshaushalt, während die Land- 
wirtschaft teilweise entlastet wurde bezw. werden mußte. 

Beispielsweise *) brachte in Baden die staatliche Grundsteuer 
im Jahre 1882 4,1 Mill. M. oder rund 39 Proz. des gesamten Er- 
trages an direkten Steuern, im Jahre 1896 war der Ertrag der Grund- 
steuer nur noch 2.9 Mill. M. oder rund 22 Proz. des gesamten Er- 
trages an direkten Steuern. In Württemberg gehen von Industrie 
und Handel, die 42,9 Proz. der Einwohner des Landes ernähren, 
14 Mill. M. Staats- und Kommunalsteuern ein, von der Landwirt- 
schaft dagegen, der 45 Proz. der Bevölkerung angehören, nur 13 Mill. 
Auch in Bayern‘) weicht der Anteil, den die Grundsteuer zum 
Gesamterträgnis der direkten Steuern beibringt, mehr und mehr 
zurück gegenüber den fortgesetzt steigenden Erträgnissen der anderen 
Steuerarten: 


1) Vergl. Schmoller’s Jahrbuch für Gesetzgebung ete., 11. Jahrg., S. 777. 

2) A. de Foville schätzt in seinem Aufsatz L’annuité successorale et la richesse 
en France das französische Nationalvermögen an der Jahrhundertwende auf 230 bis 240 
Milliarden Franes. Vergl. L’&conomiste français, Paris 1899, No. 23, 25 u. 28. 

3) Vergl. Deutscher Reichsanzeiger vom 19. Sept. 1900. 

4) Vergl. Bd. 111 d. St. d. D. R., S. 29. 

5) In Preußen hat der Staat durch die Steuerreformgesetze vom 14. Juli 1893 
dem ländlichen Grundbesitz mehr als 28'/, Mill. M. Steuern abgenommen. Vergl. die 
offizielle Denkschrift über die zur Förderung der Landwirtschaft in den letzten Jahren 
ergriffenen Maßnahmen. Berlin 1896, S. 14. 


46 Friedrich Zahn, 


(Brutto-)Erträgnisse 


absolut (Mark) in Prozent 
1882 1895 1882 1895 
Grundsteuer 11490905 11490 208 45,66 36,96 
Haussteuer 3 799 641 5 858 236 15,10 18,84 
Gewerbesteuer 5 006 003 6 775 088 19,89 21,79 
Kapitalrentensteuer 3 186 468 4 490 544 12,67 14,45 
Einkommensteuer 1 680 344 2474 318 6,68 7,96 


direkte Steuern 25 163 361 31088 394 100,00 100,00 
Dank der steuerlichen Leistungsfähigkeit der gewerblichen und 
auch der städtischen Bevölkerung, die auch in den steigenden Erträg- 
nissen der indirekten Steuern sich zeigt: 


Reichseinnahmen Beträge in Millionen Mark 
1872 1850 1890 1895 1900 
aus Zöllen und Verbrauchssteuern 164,0 286,5 625,2 661,6 789,7 
» Reichsstempelabgaben 5,1 7,8 35,4 64,7 66,5 
„ Post- und Telegraphenverwaltung 100,0 136,6 224,7 287,0 393,2 
„ Eisenbahnverwaltung 25,2 40,1 54,7 68,5 80,2 


konnten ohne Beeinträchtigung der Lebenshaltung der Censiten fort- 
gesetzt höhere Mittel zur Durchführung der immer zahl- 
reicher hervortretenden kulturellen Aufgaben bereit 
gestellt werden. 

So betrug der Netto-Ausgabebedarf der Reichsverwaltung: 


Kee, ; Mark pro Kopf der jewei- 
Millionen Mark ligen Reichsbevölkerung 


1875 1890 1898 1900 1875 1890 1898 1900 


Heerwesen 383,9 490,9 639,4 693,8 9,03 9,96 11,77 10,61 
Marine 49,2 46,2 97,3 115,1 1,16 0,94 1,79 2,05 
Ausw. Vertretung und Kolonien 6,6 12,1 27,2 42,6 0,15 0,25 050 0,6 
Reichsschuld 0,7 48,8 72,3 77,7 0,02 0,98 1,38 1,39 
Innere Verwaltung 5,4 16,5 46,6 56,9 0,13 0,34 0,88 1,02 


Zusammen 445,8 614,0 882,8 987,1 9,43 12,47 16,27 17,63 


Wie diese Zahlen ohne weiteres ergeben, sind die größten 
Summen unseres Reichshaushaltsetats der Erhaltung und Vermehrung 
der Wehrkraft, dem Heere und der Marine gewidmet. Diese Ausgaben 
bilden, um mit Adolf Wagner!) zu reden, die notwendigen Spesen 
unserer Volkswirtschaft, sie schaffen die Bedingungen für eine ge- 
sicherte, gedeihliche wirtschaftliche Thätigkeit überhaupt und für 
den Erfolg dieser Thätigkeit im Inlande wie im weltwirtschaftlichen 
Getriebe, sie sind darum die Voraussetzungen für alles andere und 
gehen deshalb auch den Ausgaben für andere Zwecke vor. 

Was die Pflege sonstiger Kulturaufgaben seitens des Staates 
anlangt, so weist schon der oben bei innerer Verwaltung vorge- 
tragene Posten darauf hin, daß sie keineswegs vernachlässigt wird, 
obschon das Reich hier in seiner Zuständigkeit ziemlich beschränkt 
ist und jene Beträge sich zu einem guten Teile nur auf die Arbeiter- 
versicherung beziehen. Die Hauptleistungen des Staates für die 
kulturellen Aufgaben im engeren Sinn, für Zwecke von Landwirt- 

1) Vergl. Adolf Wagner, Die Flottenverstärkung und unsere Finanzen, 
Handels- und Machtpolitik. Stuttgart 1900, Bd. 2, S. 49. 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 47 


schaft, Gewerbe und Handel, für Bildung, Wissenschaft, Kunst etc. 
erscheinen in den Haushaltungsetats der einzelnen Bundesstaaten. 
So beträgt der staatliche Aufwand Preußens!). 


für Gesamtausgaben in Mill. M 


1880 1890 1895 1898 1900 
Bauverwaltung einschließlich des Ministeriums der 


öffentlichen Arbeiten 29,7 33,7 40,6 495 58,2 
Handels- und Gewerbeverwaltung 1,5 4,9 6,8 9,7 13,2 
Justizrerwaltung 95,7 92,9 99,2 109,4 114,8 
Verwaltung des Innern 41,8 47,1 56,2 616 716 
Landwirtschaftliche Verwaltung 12,6 17,8 21,0 25,3 33,9 
Verwaltung der geistlichen, Unterrichts- und Medi- 

zinalangelegenheiten 57,3 102,4 113,5 146,2 153,5 


Auf das Unterrichts- und Bildungswesen wird im gesamten 
Reiche alljährlich eine halbe Milliarde M. verwendet; mittels dieser 
Summe werden gegenwärtig rund 9!/, Mill. Personen — 17!/, Proz. 
der Bevölkerung — in Schulen (aller Art) unterrichtet?). Nimmt man 
hinzu, daß auch infolge der allgemeinen Wehrpflicht alljährlich Hun- 
derttausende junger Männer — abgesehen von ihrer Ausbildung zu 
militärischen Zwecken — auch sonst in bildende und erzieherische 
Schulung genommen werden, so ergiebt sich eine so intensive 
Pflege der Erziehung und Bildung des jungen Volksnachwuchses im 
Deutschen Reiche, wie sie kaum in einem anderen Kulturstaat statt- 
findet. Der hierfür gemachte Aufwand liegt ganz besonders in 
unserem wirtschaftlichen und sozialen Interesse. Denn zwischen 
Volksbildung und Volkswirtschaft bestehen enge Bande. Zweifellos 
ist der Aufschwung von Gewerbe und Handel in Deutschland 
zu einem guten Teil auf Rechnung unserer Schulen und Hoch- 
schulen, unserer geistigen und technischen Bildung zu setzen. Ebenso 
bewährte sich die verbesserte Bildung zur Arbeit als wirksames 
Mittel zur Bekämpfung der Armut und war überhaupt die Hebung 


der Volkserziehung dem Ausgleich der sozialen Gegensätze wesent- 
lich förderlich. 


VI. 


Nach all dem Vorgetragenen erscheint die deutsche Volkswirt- 
schaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert in voller Blüte. Starke 
Zunahme der Bevölkerung, Erhöhung der Erwerbsthätigkeit, Ueber- 
gang aus einem vorwiegend landwirtschaftlichen in einen vorwiegend 
industriellen Staat, Aufschwung von Gewerbe und Handel, Verflech- 
tung der Volkswirtschaft in die Weltwirtschaft, Entwickelung des 
Binnenstaats zur Weltmacht, Hebung der Lebenslage der breiten 
Masse, Zunahme des Nationalwohlstandes und Fortschritt der 
geistigen und sittlichen Kultur des Volkes überhaupt — ist das 


1) Vergl. auch das unter Benutzung amtlicher Quellen bearbeitete Werk von 
0. Schwarz und G. Strutz, Der Staatshaushalt und die Finanzen Preußens. 
Berlin 1900, 


2) Vergl. Statist. Korrespondenz des Kgl. preuB. Statist. Bureaus vom 13. und 20. 
‚Januar 1900, 


Friedrich Zahn, 


48 
Resultat, welches die Entwickelung des deutschen Wirtschaftslebens 
an der Jahrhundertwende aufweist. 

Wehrpflicht, 


Intelligenz, Disciplin und Ausdauer, Volksschule, 

Oekonomik und Technik, endlich Einigung der Bundesstaaten zu 
einem starken Reiche, dessen Macht die innere Entwickelung vor 
auswärtigen Störungen sicherte und die Wahrnehmung unserer ge- 
samten nationalen Wirtschaftsinteressen ermöglichte — war vornehm- 
lich das Rüstzeug, mit dem wir die gegenwärtige Stellung uns 
erkämpften. 

Mit Stolz und Genugthuung dürfen wir dies Ergebnis feststellen. 
Kein anderes Volk außer den Nordamerikanern erfreut sich eines 
gleich günstigen Abschlusses des verflossenen Säkulums. 

Nun gilt es das Erreichte zu erhalten und weiter auszu- 


gestalten. 

Mit Besonnenheit und Kühnheit wird deutschem Fleiß und 
deutschem Geist auch dies gelingen. 

Wohl hält der Aufschwung, den wir in.den letzten Jahren er- 
lebten, seit ein paar Monaten etwas inne, gottlob ohne daß diese 
Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse die Allgemeinheit 
stark in Mitleidenschaft zieht. Die Depression ist hoffentlich nur 
eine vorübergehende Erscheinung, sie wird uns nicht hindern, auf 
dem Weg der wirtschaftlichen Expansion und der Förderung der allge- 
meinen Wohlfahrt weiter fortzuschreiten, wofern wir den Pflichten 
gerecht werden, welche die errungene neue Position uns auferlegt. 

Deutschland muß seine Industrie ausdehnen, um seine Bewohner 
vollauf zu ernähren. Es muß seinen Handel erweitern, um die Er- 
zeugnisse seiner Industrie an den Mann zu bringen. Dazu bedarf 
es des vergrößerten Absatzes im Auslande, zugleich um die fortge- 
setzt vermehrte Zufuhr zu bezahlen, die wir vom Auslande in Be- 
zug auf Lebensmittel sowie industrielle Rohstoffe und Halbfabrikate 
benötigen. Und ebenso ist zur Aufrechthaltung einer günstigen 
Zahlungsbilanz, insbesondere damit uns das für Befriedigung des 
wachsenden Geldbedarfs notwendige Gold von außerhalb nicht fehle, 
Ausdehnung unserer ausländischen Kapitalanlagen und Unter- 

nehmungen erforderlich. 

Die so sich aufdrängende Notwendigkeit, am Welthandel und 
auf dem Weltmarkte einen erhöhten Anteil uns zu beschaffen, bedingt 
eine kraftvolle Uebersee- und Weltmachtpolitik !). 

Zu dem Ende müssen wir vor allem zu Lande stark sein und 
bleiben. Daneben ist eine ansehnliche Kriegs- und Handelsflotte 
unerläßlich. Damit sie ungehindert ihren Weg nehmen, den Ueber- 
seeverkehr rasch vermitteln, unseren Handel und Besitz im Aus- 
lande wirksam schützen kann, sind weitere Flotten-, Kohlen-, 
Verpflegungsstationen, die in angemessener Entfernung voneinander 


1) Vergl. Handels- und Machtpolitik. Reden und Aufsätze, herausgegeben von 
Gustav Schmoller, Max Sering, Adolf Wagner. Stuttgart 1900. 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 49 


liegen und wo unsere Schiffe ausreichenden Rückhalt finden, unent- 
behrlich. 

Erhöhte Fürsorge beanspruchen ferner unsere Kolonieen. Denn 
wir brauchen geeignete Wanderziele für die überschüssigen Kräfte 
der Nation, die es gilt, auch in der Ferne dem Heimatlande zu er- 
halten, andererseits Produktionsgebiete, die, organisch an die hei- 
mische Volkswirtschaft sich angliedernd, uns der bisherigen Notwendig- 
keit mehr und mehr entheben, die im Inland selbst nicht beschaff- 
baren, aber für uns unentbehrlichen Rohstoffe und Lebensmittel in 
fremden Kolonien aufzukaufen. 

Weiterhin ist Bedacht zu nehmen auf eigene Kabelverbindungen !) 
nach den wichtigsten überseeischen Ländern. Erst dann kommen 
wir in die Lage, den Vorsprung einzuholen, den die Engländer 
haben, in deren fast ausschließlichem Besitze die derzeitigen großen 
Wege des internationalen Telegraphenverkehrs sich befinden und 
deren Interessen darum in erster Linie bei den Kabelnachrichten 
befriedigt werden. Erst dann erhält über wichtige internationale 
Vorgänge die deutsche Geschäftswelt ebenso rasch und verlässig 
Bescheid wie die englische Konkurrenz. Erst dann sind wir zu 
einer freien Verfügung über unsere naturgemäß weit zerstreuten 
Streitkräfte und zu deren Einsetzen am rechten Ort und zur rechten 
Zeit befähigt. 

Im Auslande selbst läßt sich der bereits in Form des Konsulats- 
wesens bestehende Aufklärungsdienst unter Heranziehung von natio- 
nalökonomisch, kaufmännisch und technisch gebildeten Kräften noch 
nutzbringender gestalten. Gründliche und ausgedehnte Sprach- 
kenntnisse werden sowohl diesen offiziellen Vertretern wie den 
eigenen Emissären unserer Großindustrie und unseres Großhandels 
ihre Aufgabe wesentlich erleichtern. Vielleicht verdient auch die 
National Association of Manufacturers of the United States of 
America (Sitz Philadelphia) bessere Nachahmung, jene praktische, 
ihre Beziehungen über den ganzen Erdball ausdehnende Geschäfts- 
einrichtung, welche ihren Mitgliedern über internationale Verhältnisse, 
die ihnen geschäftlich von Interesse sind, Mitteilungen macht, an- 
dererseits für die nordamerikanische Industrie Propagandaschriften 
in die ganze Welt versendet; ein damit verbundenes Informations- 
bureau beantwortet alle Fragen der Mitglieder über Waren, Bezugs- 
quellen, Gewerbe, Zölle, Frachten, Statistik etc. 

Die Handelsbeziehungen zum Auslande erheischen Stetigkeit, 
mit der die heimische Gütererzeugung rechnen kann. Darum sind 
auch fernerhin langfristige Handelsverträge erwünscht. Die einzelnen 
Zollpositionen dürfen die Rohstoffe und Halbfabrikate, deren unsere 
Industrie bedarf, nicht zu sehr belasten, müssen zugleich der Land- 
wirtschaft den gebührenden Schutz gewähren, jedoch unter Wahrung 
des Gesamtinteresses, namentlich unter Förderung der Absatzfähig- 


1) Vergl. Thomas Lenschau, Das deutsch-atlantische Kabel und die Bedeutung 
eigener Kabellinien. Beilage zur Allgemeinen Zeitung vom 6. September 1900. 
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 4 


50 Friedrich Zahn, 


keit unserer industriellen Erzeugnisse im Auslande, und unter Er- 
haltung der Konsumfähigkeit und Konsumkraft der breiten Masse. 

Der Abschluß solcher Verträge fällt möglicherweise mit der 
Zeit schwer gegenüber der imperialistischen Tendenz gewisser 
Staaten, die sich zu Weltreichen mit in sich geschlossenen Wirt- 
schaftsgebieten ausbilden. Das von der Ostsee bis zum Stillen 
Ozean reichende, von einem Willen gelenkte Russische Reich, das 
seine Einflußsphäre immer weiter ausdehnende, seine Glieder immer 
fester aneinander kettende Greater Britain und vor allem das mit 
Geschick und Rücksichtslosigkeit um die wirtschaftliche Vormacht 
ringende Panamerika drohen, uns von ihrem Mutter- und Kolonial- 
lande auszuschließen, ihre Konkurrenz läßt uns selbst auf neutralen 
Märkten und im Inlande Schwierigkeiten gewärtigen. (Auch Frank- 
reich mit seinem ausgedehnten Kolonialreich und Japan mit seiner 
rasch, unter billigen Arbeitsverhältnissen aufblühenden Industrie 
sind in ihrer den deutschen Absatz hemmenden Bedeutung nicht 
zu unterschätzen.) 

Um die Handelspolitik jener Weltreiche in maßvollen Grenzen 

zu halten, dieselben in der einseitig überspannten Schutzzollpolitik, 
im Kolonialerwerb, in der Eroberung, in der Ausbeutung und Miß- | 
handlung aller Schwächeren zur Mäfigung zu bestimmen, werden | 
die Bestrebungen allmählich praktische Gestalt gewinnen müssen, | 
welche auf Herbeiführung einer mitteleuropäischen Zollunion ab- | 
zielen !). Unter der wirtschaftlich und politisch mächtigen Führung 
von Deutschland ist ein Zollbund der wirtschaftlich ziemlich gleich- 
artigen Staaten Mitteleuropas (Deutschland, Oesterreich - Ungarn, 
Italien, die nördlichen Balkanstaaten, Schweiz, Holland, Belgien, die 
skandinavischen Staaten) im Wege des gewöhnlichen Handelsvertrages 
möglich. Dieser Genossenschaftsverband vermag bei Wahrung der 
politischen Selbständigkeit des Einzelgenossen die schwächeren 
Glieder zu kräftigen und zu schützen und die stärkeren Genossen 
noch mehr zu stärken. Er ermöglicht den verbündeten Staaten 
eine Vergrößerung des Wirtschaftsgebietes im Interesse des gegen- 
seitigen Austausches von landwirtschaftlichen und gewerblichen 
Produkten und erleichtert ihre Stellung gegenüber den anderen 
Staaten auf dem Weltmarkt. 

Aber nicht bloß als Krystallisationskern eines solchen mittel-, 
eventuell auch westeuropäischen Zusammenschlusses der Völker und 
Staaten zum Gegengewicht gegen die übergroßen Weltreiche er- 
scheint das Deutsche Reich berufen. Seine geographische Lage 


1) Vergl. Lujo Brentano, Ueber eine zukünftige Handelspolitik des Deutschen 
Reichs. Schmoller’s Jahrb., Jahrg. 1885, S. 21 fg. — Ernst Francke, Zollpolitische 
Einigungsbestrebungen in Mitteleuropa während des letzten Jahrzehnts. Schriften des 
Vereins für Sozialpolitik, Bd. 90. — W. Lexis, Die Zukunft Hollands und seiner 
Kolonien. Allgemeine Zeitung vom 21. Februar 1900. — Gustav Schmoller, Die 
Wandlungen in der europäischen Handelspolitik des 19, Jahrhunderts. Sehmoller’s 
Jahrb., Jahrg. 1900, S. 352. — Adolf Wagner, Vom Tersitorialstuat zur Weltmacht. 
Berlin 1900. 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 51 


weist ihm eine weitere große Aufgabe zu. Deutschland liegt vorteil- 
haft zum Meer- und Seeverkehr, gemäß seiner centralen Lage und 
der vielen von ihm ausgehenden Verkehrsadern ist es andererseits 
das Herz Europas. Die Mündungen der deutschen Ströme Rhein, 
Weser, Elbe, Oder, Weichsel sind von den großen Weltverkehrs- 
wegen nur wenig Meilen weiter entfernt als die englischen Häfen, 
was bei der heutigen Technik der Schiffahrt nicht ins Gewicht fällt. 
Die Ströme selbst beherrschen ein ausgedehntes, konsumkräftiges 
Hinterland wie keine anderen in Europa, sie durchlaufen, zumal die 
drei größten, ein blühendes, industriereiches Land, das in wirtschaft- 
lichem Aufschwung begriffen. Das Hinterland umfaßt außer Deutsch- 
land die Schweiz, Oesterreich-Ungarn und einen Teil Rußlands. Die 
Stapelung erfolgt nun bekanntlich für den Seehandel da am zweck- 
mäßigsten, wo eine Umladung der Waren thatsächlich stattfinden 
muß, also wo letztere aus dem Seeschiff auf das Flußschiff oder den 
Güterwagen umgeladen werden müssen. Darum erweisen sich als 
die rationellsten Umschlagplätze für das europäische Festland nicht 
die englischen Häfen, welche im Gegenteil, soweit sie den Handel 
des Kontinents vermitteln, nur überflüssige Umladeplätze sind, den 
Warenverkehr unnötig aufhalten und verteuern, sondern vielmehr 
die deutschen Häfen. Das Herz Europas muß also in den deutschen 
Mündungen auch der Mund Europas, wenigstens bedeutender Teile 
Mitteleuropas, werden und muß auf diese Weise England in seiner 
Rolle als Weltspediteur für einen ansehnlichen Teil des kontinen- 
talen, namentlich des deutschen Handels ablösen !). 

Dies wird um so besser gelingen, wenn das Reich für ent- 
sprechenden Schutz seiner Häfen durch eine starke Seemacht Sorge 
trägt und andererseits auf gleichmäßigen Ausbau des Eisenbahn- 
und Wasserstraßennetzes bedacht ist. In letzterer Beziehung ist 
der eben dem preußischen Abgeordnetenhause vorgelegte Gesetz- 
entwurf, betreffend die Herstellung und den Ausbau, von Kanälen 
und Flußläufen im Interesse des Schiffahrtsverkehrs und der 
Landeskultur, besonders zu begrüßen. Neben dem Rhein-Weser- 
Elb-Kanal bezweckt er den Bau eines Großschiffahrtsweges von 
Berlin nach Stettin, die Schaffung einer leistungsfähigeren Wasser- 
straße zwischen der Oder und der Weichsel, die weitere Re- 
gulierung der Warthe von der Mündung der Netze bis Posen, 
die Verbesserung der Vorflut in der unteren Oder sowie in der 
unteren Havel, und den Ausbau der Spree. Außerdem stehen zur 
Erwägung das Projekt des masurischen Schiffahrtskanals, eine Ver- 
besserung der Wasserstraße zwischen Oberschlesien und Berlin durch 
Anlegung von Staubecken und teilweise Kanalisierung oder Nach- 
regulierung des Oderstroms, Kanalisierung der Mosel, Fortführung 
der Schiffbarmachung des Oberrheins, Einrichtung eines Groß- 


1) Vergl. Arthur Dix, Die Zukunft des deutschen Seehandels. Beilage zur 
Allgem, Zeitung vom 13. Januar 1900. — (E. v. Drygalski) Deutschlands geographische 
Lage zur See, Beiträge zur Flottennovelle von Nautieus, Berlin 1900, S. 76 fg. 


52 Friedrich Zahn, 


schiffahrtswegs auf dem Neckar (Mannheim-Eßlingen). die Main- 
kanalisierung, die Ausgestaltung des Donau-Mainkanals zu einem 
Großschiffahrtskanal, Verbesserung der Donaustraße, dazu noch in 
Oesterreich der Donau-Elbe- und der Donau-Oder-Kanal. Die Durch- 
führung dieser Projekte wird ein zusammenhängendes, leistungs- 
fähiges Wasserstraßennetz schaffen, ein Verkehrssystem, das im 
Zusammenwirken mit den bereits vorhandenen oder noch zu 
erbauenden Schienengeleisen Binnen- und Seeverkehr in lebendige, 
fruchtbringende Wechselbeziehung zu setzen imstande ist, zugleich 
der Landeskultur, allen Erwerbszweigen und allen Gebietsteilen des 
Reiches in hervorragender Weise zu dienen geeignet ist. 

Ueberhaupt muß mit der Weltmachtpolitik die Pflege der Wohl- 
fahrt im Innern gleichen Schritt halten. Der Regierung fällt dabei 
die Aufgabe zu — um die Worte des gegenwärtigen Reichskanzlers 
und preußischen Ministerpräsidenten Graf von Bülow (preußisches 
Abgeordnetenhaus 9. Januar 1901) zu gebrauchen —-, in dem Kampf 
der wirtschaftlichen Interessen die vorhandenen Gegensätze nach | 
Möglichkeit zu versöhnen, zwischen den verschiedenen Interessen 
einen möglichst gerechten Ausgleich herbeizuführen und diejenigen 
zu stützen, die sich aus eigener Kraft nicht helfen können. 

Namentlich wird die Steuerreform, die unter Berücksichtigung 
der Leistungsfähigkeit des Einzelnen eine Entlastung der kleineren 
Einkommen, eine stärkere Heranziehung der größeren Einkommen 
bezielt, in gewissen Bundesstaaten des Reichs fortzusetzen sein. 
Im Interesse des Ausgleichs der gesellschaftlichen Gegensätze, 
im Interesse der Förderung des sozialen Friedens empfiehlt sich, 
die so erfolgreich eingeleitete Sozialreform weiter auszugestalten. 
Die Arbeiterversicherung bedarf noch der Ergänzung durch eine 
Witwen- und Waisen- sowie eine Arbeitslosenversicherung. Die 
unparteiisch geleiteten Arbeitsnachweise, deren Thätigkeit überaus 
ersprießlich wirkt, wie beispielsweise das bedeutendste städtische 
Arbeitsamt Deutschlands, dasjenige zu München, beweist, sind 
zu vermehren und enger noch als bisher in organische Ver- 
bindung zu einander zu bringen. Ferner ist an Beschaffung 
billiger, gesunder und behaglicher Arbeiterwohnungen zu denken. 
Der Arbeiterschutz ist im Sinn des Erlasses des Kaisers Wilhelm II. 
vom 4. Februar 1890 weiter auszudehnen. Die Volkshygiene ver- 
langt eine der fortschreitenden Kultur entsprechende Fürsorge. Auch 
der Pflege des Sports wird weiteres Augenmerk zuzuwenden sein. 
Dieser beugt einer Entnervung des Volkes vor, er fördert ähnlich 
wie die Ableistung des Militärdienstes Kraft, Gesundheit, körperliche 
und geistige Gewandtheit und Wagemut, was für die wirtschaftliche 
Leistungsfähigkeit und Unternehmungslust des Volkes von hohem 
Werte ist. Die Volksbildung hat fortgesetzt auf die sittliche und 
ethische Erziehung abzuzielen, den Nachwuchs mit dem nötigen 
Wissen und Können und der entsprechenden Arbeitsbegeisterung 
auszustatten und ihn so für den Kampf ums Dasein genügend zu 
befähigen. 


Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 20. Jahrhundert. 53 


Auf diese Weise wird eine weitere Weckung und Hebung der 
nationalen Kräfte, eine Steigerung der nationalen Leistungsfähigkeit, 
die das Reich zur Bewältigung der immer wachsenden Aufgaben 
der Weltpolitik braucht, ein weiteres Fortschreiten der geistigen 
und sittlichen Kultur des Volkes und seiner allgemeinen Wohlfahrt 
nicht ausbleiben. Zugleich wird hoffentlich das Bewußtsein der Zu- 
sammengehörigkeit der Interessen der großen Erwerbsklassen, der 
Mitverantwortlichkeit des Einzelnen für des Vaterlandes Wohlfahrt 
im Volke sich immer mehr vertiefen, und ein geschlossenes Zusammen- 
wirken aller seiner Volksschichten im Dienste des Gesamtwohles, 
namentlich nach außen hin, immer mehr zur Regel werden. 

Diese Entwickelung, erleichtert durch die Einheit des Reiches 
und Einheit des Rechts, gefördert im edlen Wettbewerb von der 
eifrigen Mitarbeit der Landesherrn und Landesregierungen, geführt. 
von dem thatkräftigen Hohenzollerngeschlecht — möge sie sich so 
gestalten, daß jener Bau, der auf dem Grundstein der Krönung des 
ersten preußischen Königs in einer 200-jährigen ruhmvollen Ge- 
schichte entstand und jetzt als ein einiges, wirtschaftlich und politisch 
mächtiges Deutsches Reich emporragt, im neuen Jahrhundert fest- 
gefügt bleibe und weiter erstarke zu einem Weltreich, mächtig zu 
Land und zur See, groß im Rate der Völker, dem ersten Handels- 
staate wenn nicht ebenbürtig, nur wenig nachstehend, allezeit an 
der Spitze der Kultur und Gesittung der Menschheit! 


18. Januar 1901. 


54 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Nachdruck verboten. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 


I. 


Die wirtschaftliche Gesetzgebung der deutschen Bundes- 
staaten im Jahre 1899. 


Von Dr. phil. Felix Wissowa (Leipzig). 


I. Preufsen. 


Verordnung vom 23. Januar wegen Abänderung des $ 4 der 
Verordnung vom 25. Mai 1887, betr. die Einrichtung einer 


ärztlichen Standesvertretung. (Ges.-S. No. 3 S. 17 f.) 


Art. I. An Stelle des $ 4 der Verordnung vom 25. Mai 1887 ... 
gende Vorschrift: 

$4. Die Mitglieder der Aerztekammern werden gewählt. Die Wahl erfolgt 
innerhalb des Bezirks der Kammer getrennt nach Regierungsbezirken (Wahlbe- 
zirken). Der Stadtkreis Berlin bildet einen eigenen Wahlbezir di 

Nicht wahlberechtigt und nicht wählbar sind . .. die Militär- und Marine- 


tritt fol- 


ärzte. 

Wablberechtigt und wählbar sind dagegen alle übrigen Aerzte, welche inner- 
halb des Wahlbezirks ihren Wohnsitz haben, Angehörige des Deutschen Reiches 
sind und sich im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte befinden... 

Verordnung vom 15. März, betr. die Errichtung von Land- 
wirtschaftskammern für die Provinz Hannover und für die 
Rheinprovinz (Ges.-S. No. 7. S. 31, die Satzungen für die Provinz 
Hannover ebendas. S. 32—36, für die Rheinprovinz S. 36—41.) 

Gesetz vom 21. März, betr. die Synagogengemeindenver- 
hältnisse in Frankfurt a. M. (Ges.-S. No. 11 S. 73 f.) 


Die nachweislich der Synagogengemeinde ,,Israelitische Religionsgesellschaft“ zu 
Frankfurt a. M. angehörenden Juden werden von der Verpflichtung zu öffentlich-recht- 
lichen Leistungen an die allgemeine Synagogengemeinde „Israelitische Gemeinde“ befreit, 


Gesetz vom 25. März, betr. die Erweiterung der Stadt- 
gemeinde und des Stadtkreises Cassel. (Ges.-S. No. 10 S. 67 f.) 


Vereinigung der Landgemeinde Wehlheiden mit der Stadtgemeinde Cussel auf 
Grund des zwischen beiden abgeschlossenen Vertrages (ebendas. 8. 68—72) vom 22,/25. Ok- 


tober 1898. 
Gesetz vom 1. Mai, wegen Ankauf der Bernsteinwerke der 


Firma Stantien und Becker zu Königsberg i.Pr. (Ges.-$. No. 17 
S. 105 f.) 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 5D 


Ermächtigung der Staatsregierung, zum Ankauf des der Firma Stantien und Becker 
oder dem Geheimen Kommerzienrat Becker in Königsberg i. Pr. gehörigen Grundbe- 
eitzer, sowie des gesamten, unter der genannten Firma betriebenen Geschäfts- und 
Gewerbeunternehmens eine Numme bis 9°/, Mill. M. zu verwenden. 


Gesetz vom 7. Juni, betr. die Verpflichtung der Gemeinden 
in der Provinz Sachsen zur Bullenhaltung. (Ges.-S. No. 20 
$. 115 £) 


Auf jedes volle oder angefangene Hundert von Kühen oder deckfähigen Rindern 
mufs mindestens ein Bulle vorhanden sein; die Unterhaltung der Gemeindebullen darf 
nicht an den Mindestfordernden vergeben werden; mehrere Gemeinden dürfen sich zu 
einem Bullenhallungsverbande vereinigen. 


Gesetz vom 30. Juli, betr. die Anstellung und Versorgung 
der Kommunalbeamten. (Ges.-S. No. 24 S. 141—148.) 


$1. Als Kommunalbeamter im Sinne dieses Gesetzes gilt, wer als Beamter 
für den Dienst eines Kommunalverbandes ($$ 8—22) gegen Besoldung angestellt 
ist, Die Anstellung erfolgt durch Aushändigung einer Anstellungsurkunde. 

$2. Die Rechtsverhältnisse der auf Probe, zu vorübergehenden Dienst- 
leistungen oder zur Vorbereitung angestellten Kommunalbeamten unterliegen den 

Bestimmungen dieses Gesetzes nur insoweit, als dies ausdrücklich vorgesehen ist. 

Auf Personen, welche ein Kommunalamt nur als Nebenamt oder als Neben- 
thätigkeit ausüben oder ein Kommunalamt führen, das seiner Art oder seinem Um- 
fange nach nur als eine Nebenthätigkeit anzusehen ist, findet dieses Gesetz keine 
Anwendung. 

$3 Die Zahlung des Gehaltes an Kommunalbeamte erfolgt in Ermangelung 
besonderer Festsetzungen vierteljährlich im voraus. 

$4. Die Hinterbliebenen eines Kommunalbeamten erhalten für das auf den 

Sterbemonat folgende Vierteljahr noch die volle Besoldung des Verstorbenen 
(Gnadenquartal); war der Verstorbene pensioniert, so gebührt ihm die Pension 
noch für den auf den Sterbemonat folgenden Monat (Gnadenmonat) Dabei finden 
die für die unmittelbaren Staatsbeamten geltenden Bestimmungen mit der Maß- 
ge Anwendung, daß an Stelle der Genehmigung des Verwaltungschefs und der 

ovinzialbehörde, auf deren Etat die Pension übernommen war, dıe Genehmigung 
der Kommunalverwaltungsbehörde tritt. 

$ 7. Der Bezirksausschuß beschließt über streitige vermögensrechtliche An- 
sprüche der Kommunalbeamten, einschließlich der in $ 2 Abs. 1 erwähnten Be- 
amten aus ihrem Dienstverhältnisse, insbesondere über Ansprüche auf Besoldung, 
Reisekostenentschädigung, Pension, sowie über streitige Ansprüche der Hinter- 
bliebenen der Beamten auf Gnadenbezüge oder Witwen- und Waisengeld. Die 
Beschlußfassung erfolgt, soweit sie sich auf die Frage erstreckt, welcher Teil des 
Diensteinkommens bei Feststellung der Pensionsansprüche als Gehalt anzusehen 
it, vorbehaltlich der Beteiligten innerhalb 2 Wochen bei dem Bezirksausschuß 
gegen einander zustehenden Klage im Verwaltungsstreitverfahren. Im übrigen 
findet gegen den in erster oder auf Beschwerde in zweiter Instanz ergangenen Be- 
schluß binnen einer Ausschlußfrist von 6 Monaten nach Zustellung desselben die 

age im ordentlichen Rechtswege statt. Beschlüsse sind vorläufig vollstreck- 
$ 8. Die Anstellung der städtischen Beamten erfolgt, unbeschadet der Vor- 
schriften in $ 9 und 10, auf Lebenszeit. 
` Für die Beamten der städtischen Betriebsverwaltungen findet Absatz 1 nur 
insoweit Anwendung, als die Stadtgemeinden dies beschließen; welche Verwaltungs- 
zweige zu den städtischen Betriebsverwaltungen zu rechnen sind, kann durch Orts- 
statut festgesetzt werden. 

BU Abweichungen von dem Grundsatze der Anstellung auf Lebenszeit 
können durch Ortsstatut oder in einzelnen Fällen mit Genehmigung der Aufsichts- 
behörde festgesetzt werden. 

. Soweit hiernach eine Anstellung auf Kündigung zulässig ist, darf die 
ündigung nur auf Grund eines Beschlusses des kollegialischen Gemeinde- 


7 


56 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


vorstandes (Magistrats) oder, wo ein solcher nicht besteht. eines aus dem Bürger- 
meister und den Beigeordneten (Schöffen, Ratmänner) gebildeten Kollegiums er- 
folgen. 

i $ 10. Der Anstellung kann eine Beschäftigung auf Probe vorangehen. Die- 
sclbe darf in der Regel die Dauer von 2 Jahren nicht übersteigen. Fine Aus- 
dehnung der probeweisen Beschäftigung ist nur mit Genehmigung der Aufsichts- 
behörde zulässig. 

Im übrigen hat bei Beamten, welche probeweise oder zu vorübergehenden 
Dienstleistungen oder zum Zwecke der Vorbereitung beschäftigt werden, die 
Regelung der Annahmebedingungen vor dem Eintritt der Beschäftigung zu er- 
folgen ... 

e $ 11. Die Aufsichtsbehörde kann in Fällen eines auffälligen Mißverhältnisses 
zwischen der Besoldung und den amtlichen Aufgaben der Beamtenstelle verlangen, 
daß den städtischen Beamten die zu einer zweckmäßigen Verwaltung angemessenen 
und der Leistungsfähigkeit der Stadtgemeinde entsprechenden Besoldungsbeträge 
bewilligt werden, insoweit nicht die Besoldung der betr. Stelle durch Orts- 
statut festgesetzt ist. Im Falle des Widerspruchs der Stadtgemeinde erfolgt die 
Feststellung der Besoldungsbeträge durch Beschluß des Besirksausschusses . . . 

$ 12. Die städtischen Beamten erhalten bei eintretender Dienstunfähigkeit — 
sofern nicht mit Genehmigung des Bezirksausschusses ein anderes festgesetzt ist — 
Pension nach den für die Pensionierung der unmittelbaren Staatsbeamten geltenden 
Grundsätzen, wobei Artikel III des Gesetzes vom 31. März 1882, betr. die Ab- 
änderung des Pensionsgesetzes vom 27. März 1872 (Ges.-S. 1882 S. 133), insoweit 
er nicht durch das Gesetz vom 1. März 1801 (Ges.-S. S. 19) abgeändert ist, unbe- 
rührt bleibt. Als pensionsfähige Dienstzeit wird, unbeschadet der über die An- f 
rechnung der Militärdienstzeit bei Militäranwärtern und forstversorgungsberechtigten 
Personen des Jägerkorps geltenden Bestimmungen und in Ermangelung anderweiter J 
Festsetzungen nur die Zeit gerechnet, welche der Beamte in dem Dienste der betr. 
Gemeinde zugebracht hat. | 

Die Bestimmungen des Gesetzes vom 31. März 1882, betr. die Ab- Za 
änderung des Pensionsgesetzes vom 27. März 1872 (Ges.-S. 1652 S. 133) in Betreff 
der Beamten, welche das 65. Lebensjahr vollendet haben, können durch Ortsstatut 
auch für Kommunalbeamte in Kraft gesetzt werden. 

$ 15. Die Witwen und Waisen der pensionsberechtigten Beamten der Stadt- 


gemeinden . . erhalten — sofern nicht mit Genehmigung des Bezirksausschusses 
ein anderes festgesetzt ist — Witwen- und Waisengeld nach den für die Witwen 


und Waisen der unmittelbaren Staatsbeamten geltenden Vorschriften unter Zu- 
grundelegung des von dem Beamten im Augenblick des Todes erdienten Pensions- 
betrages; dabei tritt an die Stelle der für das Witwengeld bei unmittelbaren Staats- 
beamten vorgeschriebenen Höchstsätze der Höchstsatz von 2000 M. 

Auf das Witwen- und Waisengeld kommen die Bezüge, welche von öffent- 
lichen Witwen- und Waisenanstalten oder von Privatgesellschaften gezahlt werden, 
in demselben Verhältnisse in Anrechnung, in welchem die Stadtgemeinde sich an 
den vertraglichen Gegenleistungen beteiligt hat. Als Beteiligung der Stadtgemeinde 
wird es auch, soweit die Zeit vor dem Inkrafttreten des Gesetzes in Betracht 
kommt, angeschen, wenn die Gegenleistung seitens des Beamten auf Grund aus- 
drücklicher, bei der Anstellung übernommener Verpflichtung oder anderweiter 
Festsetzungen erfolgt ist. 

Die übrigen Paragraphen (18—28) enthalten analoge Bestimmungen über die Be- 
amten der Landgemeinden, der Landbürgermeistereien, Aemter, Zweckverbände und 
Amtsbezirke, der Kreis- und Provinzialverbünde und die Gemeindeforstbeamten. 


Verordnung vom 2. August, über die Rechtsverhältnisse der 
Beamten der Preußischen Central-Genossenschaftskasse. 
(Ges.-S. No. 33 S. 397 f.) 

Gesetz vom 7. August, betr. Ergänzung der gesetzlichen Vor- 
schriften über die Ausübung der Jagd auf eigenem Grund- 
besitz. (Ges.-S. No. 25 S. 151.) 


| 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 57 


Einziger Artikel. Die Bildung eines eigenen Jagdbezirkes ist auch dann zu- 
lässig, wenn die dafür in Betracht kommenden Grundstücke in mehreren Landes- 
teilen liegen, in denen die gesetzlichen Vorschriften über die Bildung eines eigenen 
Jagdbezirkes voneinander abweichen. In diesem Falle kommen die für den 
größeren Teil der Grundstücke geltenden gesetzlichen Vorschriften zur Anwendung. 
Bei gleicher Größe ist dasjenige Gesetz maßgebend, welches den größeren Flächen- 
inhalt für die Bildung eines eigenen Jagdbezirkes betrifft. 


Verordnung vom 10. August, betr. die Verleihung des Zwangs- 
vollstreckungsrechts an die Landeskreditkasse zu Cassel. 
\Ges-S. No. 28 S. 162f.) 

Gesetz vom 23. August, betr. die Bewilligung weiterer Staats- 
mittel zur Verbesserung der Wohnungsverhältnisse von 
Arbeitern, die in staatlichen Betrieben beschäftigt sind, und von 
gering besoldeten Staatsbeamten. (Ges.-S. No. 29 S. 165f.) 


$ 1. Der Staatsregierung wird ein weiterer Betrag von 5 Mill. M. zur Ver- 
wendung nach Maßgabe des Gesetzes vom 13. August 1895 (Ges.-S. S. 521)... 
zur Verfügung gestellt'). 


Verordnung vom 23. August, betr. die Zuständigkeit der 
Verwaltungsgerichte und den Instanzenzug für Streitig- 
keiten, welche nach reichsgesetzlicher Vorschrift im Verwaltungs- 
streitverfahren zu entscheiden sind. (Ges.-S. No. 29 S. 166.) 


$1. Die nach $ 23 Abs. 2 und $ 50 Abs. 3 des Invalidengesetzes in der 
Fassung der Bekanntmachung vom 19. Juli 1899 (Reichs-Gesetzbl. S. 463) im Ver- 
waltungsstreitverfahren zu entscheidenden Streitigkeiten unterliegen der Ent- 
scheidung des Bezirksausschusses. Gegen die Entscheidung des Bezirksausschusses 
ist nur das Rechtsmittel der Revision zulässig. 


Gesetz vom 2. September, betr. den Charfreitag. (Ges.-S. 
No. 28 S. 161.) 


Einziger Paragraph. Der Charfreitag hat die Geltung eines bürgerlichen 
allgemeinen Feiertages. 

In Gemeinden mit überwiegend katholischer Bevölkerung soll die bestehende 
herkömmliche Werktagsthätigkeit (auch die gewerbliche Thätigkeit — $ 105a ff. 
der Reichsgewerbeordnung —) am Charfreitage nicht verboten werden; es sei denn, 
daß es sich um Öffentlich bemerkbare oder geräuschvolle Arbeiten in der Nähe 
von dem Gottesdienst gewidmeten Gebäuden handelt. 


Gesetz vom 16. September, betr. Schutzmaßregeln im Quell- 
gebiete der linksseitigen Zuflüsse der Oder in der Provinz 
Schlesien. (Ges.-S. No. 30 S. 169—172.) 


$1. Die land- und forstwirtschaftliche Nutzung von Grundstücken der dem 
Gebirgs- und Hügelland angehörenden Quellgebiete der linksseitigen Zuflüsse der 
SE in der Provinz Schlesien unterliegt den besonderen Bestimmungen dieses 

esetzes. 

$ 2. Eine forstwidrige Nutzung von Holzungen ist unzulässig. Eine forst- 
widrige Nutzung ... liegt vor, wenn durch forstlich unwirtschaftliche Maßnahmen 
oder durch Unterlassung wirtschaftlich gebotener Handlungen die Zurückhaltung 
des Niederschlagwassers vereitelt oder erheblich erschwert, oder die Gefahr der 
Entstehung von Wasserrissen, Bodenabschwemmungen, Hangrutschungen, Geröll- 
oder Geschiebebildungen herbeigeführt wird. 

Wird eine forstwidrige Nutzung durch den Regierungspräsidenten festgestellt, 
so hat dieser dem Eigentümer oder dem Nutsungsbätechilktn die künftige Be- 
wirtschaftung vorzuschreiben. 


1) Ebenso im Vorjahre ; vgl. Jahrb. f. Nationalükon. 8. F. Bd. 17 (72) 8. 787. 


nn 


58 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


$ 3. Die Rodung von Holzungen darf nur mit Genehmigung des Regierungs 
präsidenten erfolgen. É à 

Die Genehmigung darf nicht erteilt werden, wenn die Erhaltung des Grund: 
stücks als Holzung für die Zurückhaltung des Niederschlagwassers oder die Ver- 
hütung von Wasserrissen, Bodenabschwemmungen, Hangrutschungen, Geröll- oder 
Geschiebebildungen erforderlich ist. 

$ 5. Die Neuanlage offener Gräben an Gebirgshängen in der Hauptgefäll- 
richtung ist unzulässig . . . 

$ 6. Das auf zu Thal führenden Wegen abfließende Wasser ist, soweit es 
nach den örtlichen Verhältnissen ohne wirtschaftliche Nachteile geschehen kann, 
von den Besitzern der angrenzenden Grundstücke in Stichgräben abzuleiten und, 
wo dazu Gelegenheit geboten ist, in Gruben (Schlammfängen) aufzufangen. 

Ebenso hat auch die Anlage von Stichgräben zur seitlichen Ableitung des in 
Einfaltungen der Gebirgshänge abfließenden Wassers zu erfolgen. 
Ko Die Stichgräben und Gruben sind von dem Grundbesitzer jederzeit offen zu 
alten. 

$ 7. Soweit die Zurückhaltung des Niederschlagwassers oder die Verhütung 
der Entstehung von Wasserrissen, Bodenabschwemmungen, Hangrutschungen, Ge- 
röll- oder Geschiebebildungen es erfordert, kann der Regierungspräsident 

1) die Entwässeruug von Moorflächen, 

2) die Beackerung und die Beweidung von Grundstücken auf Hochlagen 
oder an (rebirgshängen untersuchen und einschränken, 

3) die Verlegung oder Beseitigung vorhandener Gräben anordnen. 

Für die den Grundbesitzern oder Nutzungsberechtigten hiermit entstehenden 
Nachteile und Kosten haben zu !/, die Gemeinde (Gutsbezirk), zu !/, die Provinz, 
zu !/, der Staat Entschädigung zu leisten. 


Soweit eine Gemeinde (Gutsbezirk) leistungsunfähig ist, treten an ihre Stelle j 
der Staat und die Provinz zu gleichen Teilen. Ueber das Maß der Leistungs- 
fähigkeit entscheidet mangels Verständigung zwischen Provinz und Staat endgiltig | 


der Bezirksausschuß. 

§ 9. Die zu den Quellgebieten zu rechnenden Gemarkungen und Gemarkungs- 
teile, die darin vorhandenen Holzungen und diejenigen Grundstücke, auf welche 
die Vorschriften der $$ 5—8 Anwendung finden, werden durch eine von dem 
Regierungspräsidenten zu berufende Kommission ermittelt. Die Kommission be- 
steht aus einem Vertreter des Regierungspräsidenten als Vorsitzendem, einem 
Forstsachverständigen , einem Landwirte, dem Meliorationsbaubeamten und 
einem vom Provinzialausschusse zu wählenden Vertreter der Provinz. Außerdem 
tritt für jeden beteiligten Kreis je ein vom Kreisausschusse zu wählender Ver- 
treter der beteiligten Gemeinden und Gutsbezirke hinzu. 

Das Ergebnis der Ermittelung wird in den beteiligten Gemeinden und Guts- 
bezirken mindestens 4 Wochen lang ausgelegt. 

Der Ort und die Dauer der Auslegung sind in ortsüblicher Weise in den be- 
teiligten Gemeinden und Gutsbezirken, sowie durch das Kreisblatt bekannt zu 
machen. In der Bekanntmachung ist eine mindestens auf 4 Wochen zu be- 
messende Frist anzugeben, in der etwaige Einwendungen bei dem Regierungs- 
präsidenten geltend zu machen sind. S 

Ucber das Ergebnis der Ermittelung und die erhobenen Einwendungen ent- 
scheidet der Oberpräsident endgiltig. Die Entscheidung wird im Regierungs-Amts- 
blatte veröffentlicht. 


Gesetz vom 16. September, betr. die Dienststellung des 
Kreisarztes und die Bildung von Gesundheitskommissionen. 
(Ges.-S. No. 33 S. 172—176.) 

Gesetz vom 16. September, betr. die Gerichtsorganisation 
für Berlin und Umgegend. (Ges.-S. No. 33 S. 391—396.) 


Errichtung eines Landgerichtes in Berlin - Charlottenburg mit der Bezeichnung: 
Landgericht III in Berlin, sowie von 6 Amtsgerichten: in Berlin-Reinickendorf (mit 
der Bezeichnung Berlin- Wedding), in Berlin-Schöneberg, in Grois-Lichterfelde, in Lichten- 
berg, in Neu-Weifsensee und in Pankow. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 59 
Gesetz vom 16. September, über die Ergänzung des Gesetzes, 
betr. die Verteilung der öffentlichen Lasten bei Grund- 
stücksteilungen und die Gründung neuer Ansiedelungen 
in den Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien, 
Sachsen und Westfalen, vom 25. August 1876, des Gesetzes, betr. die 
Verteilung der öffentlichen Lasten bei Grundstücksteilungen und die 
Gründung neuer Ansiedelungen in der Provinz Hannover, vom 4. Juli 
1887,... in der Provinz Schleswig-Holstein, vom 13. Juni und... 
in der Provinz Hessen-Nassau vom 11. Juni 1890. (Ges.-S. No. 36 
S. 497—499). 
Der wesentliche Inhalt der Zusätze ist, dafs die Ansiedelungsgenehmigung ver- 
sagt werden kann, wenn gegen die Ansiedelung von dem Besitzer eines unter dem zu 


besiedelnden Grundstückes oder in dessen Nähe belegenen Bergwerkes Einspruch mit der 
Begründung erhoben wird. 


„a) daß durch den Betrieb des Bergwerkes in absehbarer Zeit Beschädigungen 
der Oberfläche des zu besiedelnden Grundstückes eintreten können, denen im Inter- 
esse der persönlichen Sicherheit und des öffentlichen Verkehrs durch bergpolizei- 
lich anzuordnendes Stehenlassen von Sicherheitspfeilern vorzubeugen sein würde, 

1) daß die wirtschaftliche Bedeutung des uneingeschränkten Abbaues der 
Mineralien die der Ansiedelung überwiegt.“ 


Für den dem Grundeigentum durch die Versagung der Ansiedelungsgenehmigung 
zugefügten Schaden wird nach den Bestimmungen der Z2 148—151 des Allgemeinen 
Berggesetzes vom 24. Juni 1865 Schadenersatz geleistet. 

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche 
Vom 20. September. (Ges.-S. No. 31 S. 177—249.) 

Gesetz vom 21. September, über die freiwillige Gerichts- 
barkeit. (Ges.-S. No. 31 S. 249 — 284.) 

Ausführungsgesetz zum Reichsgesetze vom 17. Mai 1898, 
betr. Aenderungen der Civilprozeßordnung. Vom 22. Sep- 
tember. (Ges.-S. No. 31 S. 284—290.) 

Ausführungsgesetz zum Reichsgesetz über die Zwangs- 
versteigerung und die Zwangsverwaltung. Vom 23. Sep- 
tember. (Ges.-S. No. 31. S. 291—303.) 

Ausführungsgesetz zum Handelsgesetzbuche. Vom 
24. September. (Ges.-S. No. 31 S. 307—306.) 

Gesetz vom 27. September, enthaltend die landesgesetzlichen 
Vorschriften über die Gebühren der Rechtsanwälte und der 
Gerichtsvollzieher. (Ges.-S. No. 31 S. 317—323.) 

Gesetz vom 28. September, betr. die Kirchenverfassung der 
evangelischen Kirche im Konsistorialbezirke Frankfurt a. M. 
(Ges.-S. No. 35 S. 457—464; ebendas. S. 465—495; Kirchengemeinde- 
und Synodal-Ordnung für die evangelischen Kirchengemeinschaften des 
Konsistorialbezirkes Frankfurt a. M.) 

Gesetz vom 3. Oktober, zur Abänderung des Gesetzes, betr. 
die Landesbank in Wiesbaden, vom 20. August 1883. (Ges.-S. 
No. 37 S. 507 f.) 

Einziger Artikel. Art. I Abs. 2 des Gesetzes vom 20. August 1883 wird 

urch folgende Bestimmung ersetzt. 


.,.$7 Abs. 2. Aus den Ueberschüssen sowie aus den etwaigen außerordent- 
lichen Einnahmen ist ein Reservefonds zu bilden, welcher mindestens bis zur 


60 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Höhe von 2 Proz. der Verbindlichkeiten zu bringen ist, und welcher dazu dieni 
etwa rückständige Amortisationsbeiträge, Zinsen und Kosten vorzuschießen un« 
etwaige Ausfälle zu decken. Auch der Betrag, um welchen dieser Fonds gegen- 
wärtig 2 Proz. der Verbindlichkeiten der Bank übersteigt, darf demselben nur 
zu den vorstehend angegebenen Zwecken entnommen werden. Der Reservefonds, 
welchem, bis er die angegebene Höhe erreicht hat, seine eigenen Zinsen zuwachsen, 
darf nur in Schuldverschreibungen, welche von dem Deutschen Reiche oder von 
einem deutschen Bundesstaate mit gesetzlicher Ermächtigung ausgestellt sind, oder 
in re ar deren Verzinsung von dem Deutschen Reiche oder von 
einem deutschen Bundesstaate gesetzlich garantiert ist, oder in Rentenbriefen der 
zur Vermittelung der Ablösung von Renten in Preußen bestehenden Rentenbanken, 
oder in Schuldverschreibungen, welche von deutschen kommunalen Korporationen 
(Provinzen, Kreisen, Gemeinden u. s. w.) oder von deren Kreditanstalten ausgestellt 

und entweder seitens der Inhaber kündbar sind oder einer regelmäßigen Amorti- 
sation unterliegen, belegt werden. 

Bekanntmachung der Texte 

des Preußischen Reichskostengesetzes (Ges.-S. No. 32 
S. 326—373), 

der Gebührenordnung für Notare (ebendas. S. 374—480), 

des Gesetzes, enthaltend die landesgesetzlichen Vor- 
schriften über die Gebühren der Rechtsanwälte und der 
Gerichtsvollzieher (ebendas. S. 381—387) und 

des Ausführungsgesetzes zur Civilprozeßordnung 
(ebendas. S. 388—390) in der vom 1. Januar 1900 an geltenden Fassung, 
Vom 6. Oktober. (Ges.-S. No. 32 S. 225.) 

Bekanntmachung des Textes des Gesetzes, betr. das Verfahreu 
inAuseinandersetzungsangelegenheiten, in der vom 1. Januar 
1900 ab geltenden Fassung. Vom 10. Oktober. (Ges.-S. No. 34 S. 403; 
der Text des Gesetzes ebendas. S. 404—422.) 

Verordnung vom 13. November, betr. das Grundbuchwesen. 
(Ges.-S. No. 38 S. 519—543.) 

Verordnung vom 15. November, betr. das V erwaltungszwangs- 
verfahren wegen Beitreibung von Geldbeträgen. (Ges.-8. 
No. 39 S. 545—561.) 

Verordnung vom 16. November, zur Ausführung des Bürger- 
lichen Gesetzbuches. (Ges.-S. No. 39 S. 562—564.) 

Gesetz vom 25. November, betr. die ärztlichən Ehrenge- 
richte, das Umlagerecht und die Kassen der Aerztekammern, 
(Ges.-S. No. 40 S. 565—578.) 

Gesetz vom 4. Dezember, betr. die Fürsorge für die Witwen 
und Waisen der Lehrer an öffentlichen Volksschulen. (Ges.-S. 

No. 42 S. 587—593.) 

Verordnung vom 20. Dezember, betr. den G üterstand bestehender 

Ehen. (Ges.-S. No. 44 S. 607—610.) 


II. Herzogtum Anhalt. 


Gesetz vom 6. März, betr. die Stellung der Mitglieder der 
Herzoglich Anhaltischen Jägerbrigade und die Ausübung der Dis- | 
ciplinarstrafgewalt über dieselben. (Ges.-S. 16. Bd. No. 1027 S, 3—5.) 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 61 


Die Wachtmeister und Jäger gehören fortan nicht mehr zu den Personen des Sol- 
datenstandes, sondern sind als Staatsbeamte anzusehen, welche der Disciplinarstrafge- 
walt der Civildienstbehörden unterstehen; doch behält der Kommandeur eine beschränkte 
Disaplınarstrafbefugnis. 


Gesetz vom 17. März, betr. das Pfandleihgewerbe (Ges.-S. 16. 
Bd. No. 1030 S. 15—21.) 


$1. Der Pfandleiher . .. darf sich an Zinsen nicht mehr ausbedingen oder 
zahlen lassen als 
a) 2 Proz. für jeden Monat von Darlehnsbeträgen bis zu 30 M. 
b) 1 Proz. für jeden Monat, soweit das Darlehen den Betrag von 30 M. 
übersteigt. 

3. Das Ausbedingen oder Annehmen jeder weiteren Vergütung für das 
Darlehen oder für die dem Pfandleiher aus der Pfandbestellung erwachsenden 
Leistungen, insbesondere für die Ausstellung des Pfandscheins, für die Eintragung 
in das Pfandbuch und für die Aufbewahrung und Erhaltung des Pfandes, sowie 
das Vorausnehmen der Zinsen ist verboten. 

Die übrigen 22 enthalten die üblichen Bestimmungen über die Rechte und Pflichten 
des Pfundleihers, über den Verkauf des Pfandes durch Versteigerung, u. 8. w. 

Gesetz vom 21. März, betr. die Befreiung der Civilstaats- 
diener von den Witwenkassen-Leistungen. (Ges.-S. 16. Bd. 
No. 1032 S. 27— 29.) 

Die Leistungen der Civilstaatsdiener, welche auf Grund früherer Verordnungen 
und Gesetze betr. die Witwen- und Waisenkasse der Herzoglichen Civilstaatsbeamten zu 
entrichten waren, werden vom 1. Juli 1899 unbeschadet des an diese Leistungen ge- 
knüpften Anspruchs auf Witwen- und Waisengeld nicht mehr erhoben. 

Gesetz vom 21. März, betr. die Abänderung des mit dem Ge- 
setz No. 916 vom 15. März 1894 erlassenen Normal-Besoldungs- 
tarifs der etatsmälig angestellten Verwaltungs- und Justiz- 
beamten mit Ausschluß der Richter. (Ges.-S. 16. Bd. No. 1033 S. 31 
—33; dazu Bekanntmachung vom 16. April, betr. die Redaktion des 
Gesetzes vom 16. April 1887, betr. die Feststellung des Dienstein- 
kommens der Verwaltungsbeamten und der Justizbeamten mit Ausschluß 
der Richter, ebendas. No. 1037 S. 47—56.) 

Festsetzung veränderter Gehaltssätze; für die vortragenden Räte im Staatsmini- 
terium, die Vorsitzenden der oberen Verwaltungsbehörden und den obersten Landesforst- 
beamten je 7000—10400 M., für andere höhere Verwaltungsbeamte je 3000—7500 M., 
für Kreisdirektoren 4000—6500 M. 

Gesetz vom 21. März, betr. die Abänderung des mit dem Ge- 
setz No. 917 vom 15. März 1894 erlassenen Normal-Besoldungs- 
tarifs der etatsmäligen richterlichen Beamten bei dem Land- 
APA und den Amtsgerichten. (Ges.-S. 16. Bd. No. 1034 

. 35 f.) 


Das Gehalt des Landgerichtsprüsidenten und des Landgerichtsdirektors steigt vom 
1. Juli 1899 ab von Klasse zu Klasse nach 3 (früher 4) Jahren. 


‚. Gesetz vom 21. März, betr. die Zwangserziehung Minder- 
jähriger. (Ges.-S. 16. Bd. No. 1035 S. 37—41.) 


$ 1. Minderjährige können auf Anordnung des Vormundschaftsgerichts zum 
Zwecke der Erziehung in einer geeigneten Familie oder in einer Erziehungs- oder 
Besserungsanstalt untergebracht werden : 
l. wenn die Voraussetzungen des $ 1666 oder des $ 1838 des Bürger- 
lichen Gesetzbuches vorliegen, 
2. wenn der Minderjährige vor Vollendung des 12. Lebensjahres eine 


62 Nationalükonomische Gesetzgebung. 


strafbare Handlung begangen hat und die Zwangserziehung zur V 
hütung weiterer sittlicher Verwahrlosung erforderlich ist, 

3. wenn beim Belassen des Minderjährigen in den bisherigen Erziehun; 
verhältnissen sein völliges sittliches Verderben zu befürchten ist ur 
zur Verhütung desselben die Zwangserziehung notwendig erscheint. 

$ 13. Wer Minderjährige, welche zur Zwangserzichung in einer Erziehung- 
oder Besserungsanstalt oder in einer Familie untergebracht sind, der Zwangser 
ziehung vorsätzlich entzieht oder zur Selbstbefreiung anstiftet oder denselben zur 
Selbstbefreiung durch Rat oder That wissentlich Hilfe leistet, wird mit Geldstrafe 
bis zu 150 M. oder mit Haft bestraft. 


Gesetz vom 16. April, betr. den Vertragsbruchinlandwirt- 
schaftlichen Arbeitsverhältnissen. (Ges.-S. 16. Bd. No. 1036 
S. 43—45.) 


$ 1. Landwirtschaftliche Arbeiter, welche widerrechtlich den Antritt der Ar- 
beit verweigern oder die Arbeit verlassen, werden mit Geldstrafe bis zu 30 M. oder 
mit Haft bis zu 10 Tagen bestraft. 

Die Bestrafung tritt nur auf Antrag des Arbeitgebers ein. Der Antrag ist 
nur zulässig, wenn er innerhalb einer Woche nach Begehung der strafbaren Hand- 
lung gestellt wird. Die Zurücknahme des Antrags ist zulässig. 

S 2. Wenn landwirtschaftliche Arbeiter widerrechtlich den Antritt der Arbeit 
verweigern oder die Arbeit verlassen, so ist die zwangsweise Zuführung derselben 
durch die Polizeibehörde des Arbeitsortes auf den Antrag des Arbeitgebers zulässig. 

Der Antrag muß innerhalb einer Woche nach dem vertragsmäßigen Antrittstage 
oder nach dem Verlassen der Arbeit gestellt werden. 

Die Kosten der zwangsweisen Zuführung fallen dem vertragsbrüchigen Ar- 
beiter zur Last. Auf Verlangen der Polizeibehörde hat jedoch der Antragsteller 
einen angemessenen Kostenvorschuß zu leisten. Die Polizeibehörde kann die Aus- 
neue der Zwangsmaßregel von der Zahlung des Kostenvorschusses abhängig i 
machen. 

$ 3. Wer landwirtschaftliche Arbeiter zur widerrechtlichen Verweigerung des 
Antritts der Arbeit oder zum widerrechtlichen Verlassen der Arbeit verleitet, wird 
mit Geldstrafe bis zu 150 M. oder mit Haft bis zu 6 Wochen bestraft. Derselbe 
ist dem Arbeitgeber für den daraus entstehenden Schaden verantwortlich; er haftet 
neben dem Arbeiter als Gesamtschuldner. 

S 4 Wer landwirtschaftliche Arbeiter, von denen er weiß, daß sie bei einem 
anderen Arbeitgeber widerrechtlich den Antritt der Arbeit verweigert oder die Ar- 
beit verlassen haben, für einen Zeitraum in Arbeit nimmt, wo die vertragsbrüchigen 
Arbeiter dem anderen Arbeitgeber zur Arbeit verpflichtet sind, wird mit Geldstrafe 
bis zu 150 M. oder mit Haft bis zu 6 Wochen bestraft. 

$ 5. Arbeitgeber, welche widerrechtlich die Annahme landwirtschaftlicher Ar- 
beiter beim Antritt des Arbeitsverhältnisses verweigern oder solche Arbeiter aus 
der Arbeit entlassen, ohne denselben die vertragsmäßige Vergütung zu gewähren, 
wird mit Geldstrafe bis zu 60 M. oder mit Haft bis zu 14 Tagen bestraft. 

Die Bestrafung tritt nur auf Antrag des Arbeiters ein. Der Antrag ist nur 
zulässig, wenn er innerhalb einer Woche nach Begehung der strafbaren Handlung 
gestellt wird. Die Zurücknahme des Antrags ist zulässig. 

$ 6. Landwirtschaftliche Arbeiter, welche ihre Arbeitgeber zu gewissen Hand- 
lungen oder Zugeständnissen in Bezug auf den bestehenden Arbeitsvertrag dadurch 
zu bestimmen suchen, daß sie die Einstellung der Arbeit oder die Verhinderung 
derselben bei einzelnen oder mehreren Arbeitgebern unter einander verabreden, 
werden mit Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft. Die Anstifter unterliegen der 
gleichen Strafe, auch wenn sie keine landwirtschaftlichen Arbeiter sind. 


Gesetz vom 20. April, betr. die Abänderung des Gesetzes 
über das Kostenwesen in Verwaltungssachen vom 15. April 
1880. (Ges.-S. 16. Bd. No. 1043 S. 137 f) 


Abänderung der Gebührentaxren für Ehelichkeits- und Volljührigkeitserklärungen, 
Verleihung der Rechtsfähigkelt an Vereine, Genehmigung von Stiftungen. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 63 


Ausführungsgesetz zur Grundbuchordnung vom 20. April. 
Ges.-S. 16. Bd. No. 1044 S. 139 — 144.) 

Gesetz vom 20. April, betr. die Abänderung der Gebühren- 
ordnung für Notare vom 22. Mai 1897. (Ges.-S. 16. Bd. No. 1045 
S. 145 f.), dazu Bekanntmachung vom 25. September, betr. die Re- 
daktion der Gebührenordnung für Notare (ebendas. No. 1060 S. 325 
— 334). 

Gesetz vom 20. April, betr. die Abänderung des Gesetzes 
über die Urkunden-Stempelsteuer vom 22. Mai 1897. (Ges 8. 
16. Bd. No. 1046 S. 147—152; dazu Bekanntmachung vom 19. Juni, 
betr. die Redaktion des Urkunden-Stempelsteuertarifs; ebendas. No, 1053 
S. 221—256). 

Gesindeordnung. Vom 21. April. (Ges.-S. 16. Bd. No. 1047 
8. 153—170.) 

Gesetz vom 21. April, betr. den Ersatz von Wildschaden. 
Ges.-S. 16. Bd. No. 1048 S. 171—176.) 

Gesetz vom 20. April, betr. die Abänderung des Anhaltischen 
Gerichtskostengesetzes No. 985 vom 22. Mai 1897. (Ges.-S. 
16. Bd. No. 1050 S. 189—2183); dazu Bekanntmachung vom 25. Juli, 
betr. die Redaktion des Gerichtskostengesetzes. (Ges.-S. 16. Bd. No. 1055 
S. 261—312.) i 

Bergpolizei-Verordnung vom 1. Dezember, für die Braun- 
kohlen-Briketfabriken im Herzogtum Anhalt. (Ges.-S. 16. Bd. 
No. 1065 S. 351—363.) 

Bestimmungen über die Bauart der Fabriken, die Verhinderung von Kohlenstaub- 
ansammlungen und Kohlenstaubentzündungen, Beleuchtungsanlagen, Verwendung von 
elektrischen Starkstromen, Arbeiterstuben und Badeeinrichtungen, u. s. w. 

Verordnung vom 18. Dezember, betr. das Grundbuchwesen. 
'Ges.-S. 16. Bd. No. 1068 S. 369—373.) 


III. Grossherzogtum Baden. 


Gesetz vom 12. April, die Zwangsvollstreckung wegen 
öffentlich-rechtlicher Geldforderungen betr. (Ges.- u. Ver- 
ordn.-Bl. No. 11 S. 111—113; dazu Verordnung vom 30. Oktober, eben- 
as. No. 35 S. 510—515.) 


$ 1. Wegen öffentlich-rechtlicher Geldforderungen findet die Zwangsvoll- 
streckung auf Grund von Verordnungen der zuständigen Verwaltungsbehörden 
statt: 

a) gegen den Schuldner, 

b) gegen dessen allgemeine und besondere Rechtsnachfolger, 

c) gegen denjenigen, der sich gegenüber der mit der Festsetzung oder der Ein- 
ziehung der Forderung betrauten Behörde zur Entrichtung des Forderungsbetrags 
achriftlich verpflichtet hat. 

Die 22 2—5 enthalten Bestimmungen über die Ausführung der Zwangsvollstreckung 
nach Mafsqabe der betreffenden Vorschriften der Civilprozefsordnung. 

$ 6. Dieses Gesetz tritt gleichzeitig mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch, soweit 
es sich jedoch auf die Zwangsvollstreckung in Grundstücke und diesen gleichstehende 
Berechtigungen (Civilprozeßordnung $ 864) durch Zwangsversteigerung und Zwangs- 
verwaltung bezieht, für jeden Grundbuchbezirk mit dem Zeitpunkt in Kraft, in dem 
das Grundbuch als angelegt anzusehen ist. 


-= 


64 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Gesetz vom 6. Mai, die Besteuerung des Grundstücks- 
verkehrs (Verkehrssteuer) betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 15 S. 133 


— 147.) 

$ 1. Der Verkehrssteuer unterliegt der Erwerb des Eigentums an im Groß- 
herzogtum gelegenen Grundstücken durch entgeltliches Rechtsgeschäft oder durch 
Zuschlag in einer Zwangsversteigerung. 

$ 4. Die Verkehrssteuer beträgt 2'/, Proz. des allgemeinen Werts (Verkaufs- 
wert) des Gegenstandes des Erwerbs. 

Beim Erwerb durch entgeltliches Rechtsgeschäft werden die von dem Er- 
werber zum Zweck des Erwerbs übernommenen Leistungen, beim Erwerb in einer 
Zwangsversteigerung wird der Betrag des Meistgebots unter Hinzurechnung des 
Wertes der vom Ersteher übernommenen Leistungen regelmäßig als dem gemeinen 
Wert des Gegenstandes entsprechend angesehen. Der Steuerbehürde bleibt es vor- 
behalten, wenn Grund zur Annahme vorliegt, daß der gemeine Wert höher ist, 
die Steuer nach dem wirklichen gemeinen Wert festzusetzen . . . 

$ 5. Beim Erwerb durch Tausch wird die Verkehrssteuer nach dem Wert der- 
jenigen von einem der Tauschenden hingegebenen Gegenstände bezw. . . . über- 
nommenen Leistungen berechnet, die den höheren Wert haben. 

Beim Tausch ım Großherzogtum gelegener gegen außerhalb desselben gelegene 
Grundstücke ist für die Steuerberechnung nur der Wert der ersteren . . . maß- 
gebend. 
Persönlich befreit bleiben nach 2 33 von der Verkehrssteuer die Erwerbungen des 
badischen Fiskus, der Gemeinden und Kreise, juristischer Personen, die Zwecke der Wohl- 
thätigkeit, oder des Unterrichts, oder religiöse Zwecke verfolgen, der Kranken-, Unjall-, 
Invaliditäts- und Altersversicherungsanstalten, Erwerbungen von Aktiengesellschaften u. 
dgl., welche bezwecken, unbemittelten Familien gesunde, billige Wohnungen zu verschaffen, 
Erwerbungen der Kinder von den Eltern, eines Ehegatten von dem andern, des Konkurs- 
schuldners aus der Konkursmasse u. 8. w. 

Gesetz vom 8. Mai, die Besteuerung des Wandergewerbe- 
betriebes betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 13 S. 117—125; dazu 
Verordnung vom 18. Mai, ebendas. No. 16 S. 150 und zwei Verordnungen 
vom 12. Juni, ebendas. No. 20 S. 186—199.) 

$ 1. Personen, welche im Großherzogtum ein Gewerbe im Umherziehen be- 
treiben, wozu nach der Gewerbeordnung und den bundesrätlichen Ausführungs- 
bestimmungen ein Wandergewerbeschein erforderlich ist, haben für die Ausübung 
dieses Gewerbebetriebs die Wandergewerbesteuer nach Vorschrift dieses Gesetzes 
zu entrichten. 

Die nach diesem Gesetze Steuerpflichtigen sind, insoweit sie der Wander- 
gewerbesteuer unterliegen, von der Veranlagung zur Gewerbe- und Einkommen- 
steuer befreit. 

$ 2. Wer ein der Wandergewerbesteuer unterliegendes Gewerbe ausüben will, 
ist verpflichtet, dasselbe alljährlich vor Eröffnung des Betriebs behufs Entrichtung 
der Steuer bei der zuständigen Steuerbehörde anzumelden . . . 

$ 3. Die Wandergewerbesteuer ist nach dem anliegenden Tarif zu bemessen. 
Die Festsetzung derselben erfolgt für das Kalenderjahr, bei Wanderlagern jedoch 
für je 7 Tage. 

Betreibt der Steuerpflichtige mehrere unter verschiedene Tarifnummern fallende 
Wandergewerbe, so ist er mit jedem derselben besonders zur Steuer heranzuziehen. 

“ällt jedoch der Betrieb unter verschiedene Abteilungen der nämlichen Tarif- 
nummer, so kommt nur der Steuersatz der höheren Abteilung zur Anwendung. 
Der Betrag der Steuer wird innerhalb des im Tarif gegebenen Rahmens nach der 
Art, dem Umfang und der mutmaßlichen Einträglichkeit des Gewerbebetriebs be- 
messen. 

Sofern ein Steuerpflichtiger nachgewiesenermaßen das Wandergewerbe auf 
Rechnung eines Dritten ausübt, welcher der inländischen Gewerbe- und Ein- 
kommenbesteuerung hiefür unterliegt, so ist hierauf bei Bemessung der Höhe der 
Wandergewerbesteuer Rücksicht zu nehmen. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 65 


$ 4. Die Wandergewerbesteuer ist in dem ganzen angesetzten Betrage vor Be- 
ginn des Betriebs zu entrichten. 

Steuerpflichtigen, welche im Großherzogtum ihre Hauptniederlassung haben, 
kann auf Ansuchen die Entrichtung der Steuer in der Weise gewährt werden, daß 
ein Viertel derselben vor Beginn des Betriebs und, falls sie den Betrieb über diese 
Termine fortsetzen wollen, je ein Viertel auf 1. April, 1. Juli und 1. Oktober des 
betr. Jahres zu zahlen ist. Wird in diesem Falle eine Rate nicht rechtzeitig ein- 
bezahlt, so ist bis zu deren nachträglicher Entrichtung die Ausübung des Ge- 
werbebetriebs nicht zulässig. 

§ 8. Wanderlager (Tarif No. 3) sind solche Unternehmungen, in welchen 
außerhalb des Gemeindebezirks des Wohnorts des Unternehmers ohne Begründung 

einer gewerblichen Niederlassung und außerhalb des Meß- und Marktverkehrs von 
einer festen Verkaufsstelle aus vorübergehend Waren — gleichviel ob zum Ver- 
kauf aus freier Hand oder im Wege der Versteigerung — feilgeboten werden. 

Durch die Verlegung des Wohnsitzes an den Betriebsort oder durch die 
polizeiliche Anmeldung des Betriebs als stehenden Gewerbes ($ 14 Gewerbeordnung) 
wird der Inhaber eines Wanderlagers von der Entrichtung der Wandergewerbe- 
steuer nicht befreit, wenn die obwaltenden Umstände erkennen lassen, daß die 
Verlegung des Wohnsitzes oder die polizeiliche Anmeldung zur Verdeckung des 
Wanderlagerbetriebs erfolgt ist. 

Handelsgewerbe für den Kleinverkauf in stehenden Lagern, bei welchen die 
ewerbliche Niederlassung und die Wiedereinstellung des Betriebs innerhalb eines 

itraums von 6 Monaten erfolgt, sind nachträglich wie Wanderlager zu besteuern, 
e sei denn, daß die Einstellung des Betriebs ra? von dem Willen des Steuer- 
pflichtigen unabhängige Verhältnisse veranlaßt worden wäre . .. 

$ 9. Als Wanderlager gelten nicht: 

a) Der Verkauf von Ausstellungsgegenständen auf öffentlichen, von der zu- 
ständigen Behörde genehmigten Ausstellungen; 

b) der Verkauf von gepfändeten Waren durch Pfändungsbeamte (Gerichts- 
vollzieher), sofern nicht die ee der Zwangsvollstreckung lediglich zur Umgehung 
der Besteuerung nach diesem Gesetze gewählt worden ist. In dem letzteren Falle 
ist sowohl der Gläubiger als der Schuldner zur Anmeldung und richtigen Ver- 
steuerung des Betriebes verpflichtet. 

$ 10. Wanderlager sind für jede Verkaufsstelle, auch wenn mehrere derselben 
innerhalb des gleichen Orts gelegen sind, gesondert zur Versteuerung heranzuziehen. 

Die Anmeldung zur Steuer hat für jede Verkaufsstelle nicht nur vor Beginn 
des Geschäftsbetriebs, sondern, wenn derselbe über die angemeldete Dauer fort- 
gesetzt wird, auch vor Ablauf des Zeitabschnitts, für welchen die Steuer entrichtet 
war, zu erfolgen. Die angesetzte Steuer ist in allen Fällen vor dem Beginne, be- 
EAT AA der Fortsetzung des Betriebs in ihrem ganzen Betrage zu ent- 
richten . .. 

Ergänzungen des Warenvorrats während des Zeitraumes, für welchen die Steuer 
entrichtet ist, sind gleichfalls umgehend anzumelden. Ein hierauf etwa festgesetzter 
Mehrbetrag der Steuer ist sofort nach der Anforderung zu bezahlen. 

Der Bteuervetwaltüng steht es zu, den Verkaufswert der Warenvorräte durch 
Sachverständige schätzen zu lassen und die Abgabe nach dem abgeschätzten Wert 
anzusetzen. Die Kosten der Schätzung fallen dem Inhaber des Wanderlagers zur 
Last, wenn der geschätzte Wert den angemeldeten nur 10 Proz. oder mehr übersteigt. 

$ 12, 13. Strafbestimmungen. 

$ 17. Von dem Erträgnisse der im Laufe des Kalenderjahres erhobenen 
Wandergewerbesteuer und der wegen Zuwiderhandlungen gegen dieses Gesetz voll- 
zogenen Geldstrafen sind 30 Proz. der Kasse desjenigen Kreisverbandes, innerhalb 
dessen die Steuern erhoben, bezw. die Geldstrafen erkannt worden sind, zu über- 
weisen und von den nach $ 43 des Verwaltungsgesetzes auf die Gemeinden des 
Kreises auszuschlagenden Umlagen in Abzug zu bringen. 

Der Tarif besteuert: 1) Hausiergewerbe und Handlungsreisende: Abteilung A. 
Handel mit Pferden, Rindvieh und Schweinen mit einem jährlichen Steuersatze von 30 
bis 600 M., Abteilung B. Handel mit Kurz- und Galanteriewaren, Tuchwaren, Tabak, 
Cigarren, Papier- und Schreibmaterialien, Gemälden u. 8. w., mit 12—180 M., Abteilung 
C. Alle sonstigen Hausiergewerbe mit 3—86 M. 2) Musikaufführungen und Schaustel- 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 5 


66 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


lungen mit 12—120, beziehungsweise 8—36 M. 3) Wanderlager in Städten von mehr 
als 20000 Einwohner mit 60 M. für je 7 Tage des Betriebs und je 10000 M. Gesamt- 
wert der Waren, in Städten von 4000—20 000 Einwohnern mit 45 M., in allen übrigen 


Orten mit 80 M. 

Gesetz vom 18. Mai, die Aufbesserung gering besoldeter 
Pfarrer aus Staatsmitteln betr. (Ges.- und Verordn.-Bl. No. 14 
s. 128—132; dazu Verordnung vom A. Juni, ebendas. No. 17 S. 157 f.) 

Gesetz vom 19. Mai, die Rechtsverhältnisse der Richter 


betr. (Ges.- und Verordn.-Bl. No. 16 S. 149 f.) 

SL Richterliche Beamte, welche das 65. Lebensjahr zurückgelegt haben, 
oder vor dem 1. Januar 1900 zurücklegen, und welche vor dem 1. September 1899 
um ihre Zuruhesetzung spätestens au 1. Januar 1900 nachsuchen, erhalten von 
der Zuruhesetzung bis zum 31, Dezember 1902 das volle bisherige Diensteinkommen 
als Ruhegehalt . . - 

§ 2. Vom 1. Januar 1903 an wird der Ruhegehalt auf den höchsten, nach 
§ 35, Abs. 3 des Beamtengesetzes zulässigen Betrag festgesetzt. 

Gesetz vom 30. Mai, die Aenderung des Verwaltungs- 
rechtspflegegesetzes betr. (Ges.- und Verordn.-Bl. No. 17 S. 151 
—155; dazu Bekanntmachung vom 16. November, enthaltend die vom 
1. Januar 1900 an in Kraft befindliche Fassung des Gesetzes die Ver- 


waltungsrechtspflege betr., ebendas. No. 39 S. 543—562.) 
eils durch die Reichsgesetze vom 17. Mai 1898; 


Die Aenderungen sind gröfstent 
sordnung und betr. 


betr. Aenderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafproze] 


Aenderungen der Civilprozejsordnung hervorgerufen. 
Gesetz vom 3. Juni, das Abdeckereiwesen betr. (Ges.- und 


Verordn.-Bl. No. 17 s. 155—157.) 

Die Gemeinden eines Amtsbezirks sind verpflichtet, eine dem Bedürfnis entsprechende 
Anzahl von Abdeckereien, welchen gefallene Tiere oder unschädlich zu machende Tier- 
kadaver von den Besitzern zu überweisen sind, zu errichten und sich zu diesem Zwecke 
je nach Bestimmung des Bezirksrats zu Verbünden zu vereinigen; die jährlich er- 
wachsenen Kosten werden von dem Bezirksrate nach Mafsgabe des bei der letzten Tier- 
zühlung festgestellten Viehbestandes auf die einzelnen Gemeinden verteilt. Die Verbände 
werden durch Kommissionen von 8—5 Gemeindemitgliedern vertreten, deren Beschlüsse 
bei Erwerb und Veräufserung vor Liegenschaften und dinglichen Rechten, bei der Auf- 
nahme von Anlehen und bei der Uebernahme von Verpflichtungen im Werte von über 
200 M. der Genehmigung des Bezirksrats bedürfen. 

Gesetz vom 5. Juni, die Aenderung des Gehaltstarifs betr. 


(Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 18 S. 161 £) 

Vom 1. Januar 1900 an beziehen die Notare ihr Diensteinkommen wesentlich in 
der Form von Gehalt, daneben einen zunächst durch Verordnung, nach Ablauf von 
10 Jahren aber durch Gesetz festzusetzenden Anteil an den Gebühren für diejenigen 


Geschäfte, bei welchen den Beteiligten die Wahl des Notars überlassen ist. 


Gesetz vom 14. Juni, die Erbschafts- und S chenkungssteuer 
betr. (Ges. u. Verordn.-Bl. No. 19 5. 165—182; dazu Verordnung vom 


8. Dezember, ebendas. No. 50 S. 829— 863.) j 


§ 1. Der Erbschaftssteuer unterliegt : 
1. Der Anfall von Vermögen von Todeswegen; als solc 
yon Vermächtnissen zur Vergeltung geleisteter Dienste (remunera 
mächtnisse) ; 
9, der Anfall von Familien- oder Stammgut; | 
3. der Anfall von Bezügen aus einer Familienstiftung infolge Todesfalls an den 
stiftungsgemäß oder gesetzlich Berufenen. 
$ 3. Die Erbschaftssteuer beträgt vom Wert des Anfalls: 


> 


her gilt auch der Anfall 
torische Ver- 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 67 


1. bei Anfällen an Eltern des Erblassers 1 Proz.; 

2. bei Anfällen an Voreltern des Erblassers von Beträgen bis 5000 M. 1 Proz. 
über 5000 M. 2 Proz.; 

3. bei Anfällen an Geschwister und Abkömmlinge von Geschwistern des 
Erblassers bis 3000 M. 3 Proz., über 3000 M. 4 Proz.; 

4. bei Anfällen: 

a) an andere Seitenverwandte des Erblassers bis zum vierten Grad (ein- 
schließlich), 

? b) an Stiefkinder und deren Abkömmlinge, sowie an Stiefkinder des Erb- 
e an Schwiegerkinder und Schwiegereltern des Erblassers, 

d) bei Anfällen, die ausschließlich zu milden (wohlthätigen), gemeinnützigen 
oder sonstigen Öffentlichen Zwecken bestimmt sind, insofern solche nicht einzelne 
Familien oder bestimmte Personen betreffen und die wirkliche Verwendung zu dem 
bestimmten Zweck gesichert ist, 6 Proz.; 

5. bei Anfällen an sonstige Personen 10 Proz. ... 

Durch 3 4 werden von der Erbschaftssteuer befreit: die 100 M. nicht übersteigenden, 
sowie die zur sofortigen Verteilung unter Arme bestimmten Anfälle, ferner Abkömmlinge 
und Ehegatten des Erblassers, sowie dessen Eitern, falls kein Elternteil mehr als 
10000 M. erhält; der badische Fiskus, Gemeinden, Kreisen u. dgl., juristische Per- 
sonen für Anfälle zu Zwecken der Wohlthätigkeit, des Unterrichts oder der Religion oder 
zur Durchführung der Kranken-, Unfall-, Invaliditäts- und Altersversicherung, endlich 
Personen aus dem Hausstand und Dienstverhältnis des Erblassers für Anfälle nicht über 
1000 M. 

Analoge Bestimmungen über die Höhe des Steuersatzes und die Befreiungen gelten 
auch für die Schenkungssteuer (8 47, 48). 

Gesetz vom 15. Juni, die Gerichts- und Notarskosten in 
Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit betr. (Ges.- 
u. Verordn.-Bl. No. 21 S. 201—228.) 

Gesetz vom 17. Juni, die Ausführung des Bürgerlichen 
Gesetzbuchs betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 22 S. 229—248, 1022 A 
dazu Verordnung vom 11. November, ebendas. No. 38 S. 521—542.) 

Gesetz vom 17. Juni, die freiwillige Gerichtsbarkeit und 
das Notariat betr. (Ges. u. Verordn.-Bl. No. 23 S. 249-966; dazu 
Verordnung vom 23. November, ebendas. No. 14 S. 665—743.) 

Gesetz vom 18. Juni, die Ausführung des Reichsgesetzes 
über die Zwangsversteigerung und die Zw angsverwaltung 
und der Civilprozeßordnung betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 24 
S. 267—272.) 

Ausführungsgesetz zur Grundbuchordnung vom 19. Juni 
(Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 24 S. 273—282.) 

Wassergesetz vom 26. Juni. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 26 
S. 309—358); dazu Verordnungen vom 8. Dezember, ebendas. No. 52 
S. 897—947.) 

Enteignungsgesetz vom 26. Juni. (Ges.- u. Verordn.- Bl. 
No. 27 S. 359—378); dazu Verordnung vom 29. Dezember, ebendas. 
No. 57 S. 1021. 

Bekanntmachung vom 30. Juli, enthaltend das Gesetz betr. das 
Hinterlegungswesen, in der vom 1. Januar 1900 an geltenden 
Fassung. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 29 S. 393—405; Verordnung dazu 
vom gleichen Datum, ebendas. S. 405—-429.) 

Bekanntmachung vom 14. August, enthaltend das Gesetz, die 


pt 


68 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Rechtsverhältnisse der Dienstboten betr., in der vom 1. Januar 
1900 an geltenden Fassung. (Ges.- u. Verordn.-Bl. S. 432—437.) 

Verordnung vom 14. September, die Führung akademischer 
Würden betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 33 S. 485 f.) 

$ 1. Badische Staatsangehörige, denen von einer Hochschule außerhalb des 
Deutschen Reiches (nach dem 1. September 1899) akademische Würden verliehen 
werden, bedürfen zur Wee dieser Würden der Genehmigung des Ministeriums 
der Justiz, des Kultus und Unterrichts. 

Bekanntmachung vom 26. September, enthaltend das Gesetz vom 
21. Juli 1839 über die Verjährung öffentlicher Abgaben in 
der vom 1. Januar 1900 an geltenden Fassung. (Ges.- u. Verordn.-Bl. 
No. 33 S. 493 f.) 

Gerichtsvollzieherordnung vom 16. November. (Ges.- u. 
Verordn.-Bl. No. 40 S. 563—580.) 


IV. Königreich Bayern. 


Verordnung vom 12. Januar, die Ausführung des Art. 1 des 
Gesetzes vom 12. Mai 1898 — Gesetz- und Verordnungsblatt 
S. 225 — betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 3 S. 21—23; dazu Be- 
kanntmachung vom 15. Januar, ebendas. S. 23—25, ferner: Satzungen 
des Unterstützungsvereins für die Hinterbliebenen der Offiziere, Sanitäts- 
offiziere und oberen Beamten des Kgl. Bayerischen Heeres, ebendas. 
S. 25—36; und Bekanntmachung vom 1. März, ebendas. No. 11 S. 79.) 

Verordnung vom 4. Juni, die gewerblichen Verhältnisse 
der Hebammen betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 34 S. 413—416 mit 
Beilage: Gebührenordnung, dazu Bekanntmachung vom 9. Juli, mit 
„Dienstanweisung für die Hebammen“, ebendas. No. 34 S. 416—428.) 

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche 
vom 9. Juni. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 28 Beilage S. 1—82.) 

Gesetz vom 9. Juni, Uebergangsvorschriften zum Bürger- 
lichen Gesetzbuche betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 28 Beilage 
S. 88—124.) 

Ausführungsgesetz zu der Grundbuchordnung und zu 
dem Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangs- 
verwaltung. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 28 Beilage S. 125—136.) 

Notariatsgesetz vom 9. Juni. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 28 
Beilage S. 187—166; dazu Verordnung vom 22. Dezember, ebendas. 
No. 63 S. 1205—1218.) 

Gesetz vom 9. Juni, Aenderungen des Gesetzes über das 
Gebührenwesen betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 28 Beilage S. 167 
—216; dazu Verordnung vom 28. Dezember, die Notariatsgebühren- 
ordnung betr., ebendas. No. 63 S. 1183—1205.) 

Gesetz vom 9. Juni, die Kosten der durch die Einführung 
des Bürgerlichen Gesetzbuches und seiner Nebengesetze ver- 
anlaßten Justizbauten und ihrer inneren Einrichtung betr. (Ges.- 
u. Verordn.-Bl. No. 28 Beilage S. 217—222.) 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 69 


Für die durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches und seiner Neben- 
gesetze veranlafsten Justizbauten wird ein Kredit von 12726810 M. eröffnet, der nur 
bie zum Betrage von 310800 M. durch die Erlöse alter Gerichtsgebäude gedeckt wird, 
mit dem Restbetrage von 12416510 M. durch ein Anlehn aufzubringen ist. 


Gesetz vom 9. Juni, die Versetzung von Richtern in den 
Ruhestand betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 28 Beilage S. 223 f.). 


Art. 1. Richter, welche das 65. Lebensjahr vollendet haben oder vor dem 
1. Januar 1900 vollenden werden, bleiben bis zum Ablaufe von 3 Jahren nach ihrer 
Versetzung in den Ruhestand im Bezuge der nichtpragmatischen Gehaltszulage, 
wenn sie auf ein vor dem 16. September 1599 eingereichtes Gesuch in den dauernden 
Ruhestand versetzt werden. 

Art. 2. Dem nach Maßgabe des Art. 1 in den Ruhestand versetzten 
Richter, der, wenn er im Dienst geblieben wäre, innerhalb des Zeitraumes von 
3 Jahren nach der Versetzung in den Ruhestand... in den Gehalt einer höheren 
Dienstaltersklasse vorrücken würde, kann auf seinen Antrag statt des Bezugs der 
nichtpragmatischen Gehaltszulage vom Zeitpunkte des Eintritts in den Ruhestand 
an die der höheren Dienstaltersklasse entsprechende Alterszulage als Bestandteil 
des Ruhegehalts bewilligt werden. 


Gesetz vom 9. Juni, die Ablösung der Steuer-, Umlagen- 
und Zollfreiheit der Standesherren betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. 
No. 28 Beilage S. 225 £.). 


Art. 1. Die den Standesherren auf Grund der Bestimmungen in den §§ 53, 
55 u. 56 der IV. Verfassungsbeilage für sich und ihre Familien zustehende Freiheit 
von Steuern, Gemeindeumlagen, Zoll- und Weggeld wird mit Wirkung vom 
1. Januar 1900 an aufgehoben. 

Art. 2. Für die Aufhebung genannter Vorrechte wird den Standesherren 
auf Anmeldung eine Entschädigung aus der Staatskasse in einmaliger Kapitals- 
abfindung nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen gewährt. 

Art. 3. Bei der Berechnung der Entschädigung für die einzelnen Standes- 
herren wird der Jahreswert der nach Art. 1 aufgehobenen Steuer-, Gemeindeum- 
lagen- und Zollfreiheit zu Grunde gelegt. 

Dieser Jahreswert wird ermittelt, wie folgt: 

1) In Bezug auf die Haussteuerfreiheit ist die auf das Steuerjahr 1900 für 
die bisher steuerfreien Schloßgebäude der Standesherren rechtskräftig angelegte 
Haussteuer maßgebend, 

2) In Bezug auf die Personalsteuerfreiheit die auf das Steuerjahr 1900 rechts- 
kräftig angelegte Einkommensteuer für die bisher steuerfreien Einkommensbezüge 
des Standesherrn und der Familienmitglieder desselben, 

3) Für die mit der Haussteuer der von dem Standesherrn bewohnten Schloß- 
gebäude in Zusammenhang stehenden Gemeindeumlagen die auf das Jahr 1900 
treffende Gemeindeumlage, dagegen für die im $ 55 der IV. Verfassungsbeilage 
bezeichneten Gemeindeumlagen der Durchschnittsbetrag der Jahre 1890—1899 ein- 
schließlich, wobei die etwaigen Vorteile der Standesherren aus dem Gemeindever- 
bande, wie andererseits die nach Art. 50 Abs. 4 der Gemeindeordnung für die 
Landesteile diesseits des Rheins den Landesherren etwa zustehende Befreiung von 
Gemeindediensten außer Betracht bleiben. 

4) Für die Zollfreiheit der Durchschnittsbetrag der in den Jahren 1890—1899 
einschließlich auf Grund der Bestimmung in $ 29 lit. c des Zollgesetzes vom 
17. November 1837 den Standesherren aus der bayerischen Staatskasse zurückver- 
güteten Zollgebühren. 

Der 18fache Betrag des in solcher Weise ermittelten Jahreswertes bildet die 
den Standesherren zu gewährende Entschädigung. 


Gesetz vom 9. Juni, die Einkommensteuer betr. (Ges.- u. 
Verordn.-Bl. No. 28 Beilage S. 227—258; dazu: Bekanntmachung vom 
10. August, ebendas. No. 41 S. 525—590.) 


Das nicht bereits der Grund-, Haus-, Gewerb- oder Kapitalrentensteuer unter- 
liegende Einkommen in Geld, Geldeswert oder geldeswertem Nutzgenusse a) aus Lohn- 


70 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


arbeit, b) aus wissenschaftlicher oder künstlerischer Beschäftigung, der Verdienst der 
Bezirksgeometer, Gerichtsvollzieher, Steuer- und Gemeindeeinnehmer, Aichmeister u. dergl., 
c) das Einkommen aus gepachteten Oekonomiegütern mit selbständigen Wirtschafts- 
gebüuden, sowie aus der Verpachtung von Gewerben, d) das Einkommen aus Be- 
soldungen, Dienstemolumenten, Pensionen u. 8. w. der öffentlichen Beamten, sowie der 

Privatbediensteten, e) das Einkommen aus Widdumen, Präbenden, Austrägen, Leibrenten 

u. dergl., ist der Einkommensteuer unterworfen. 


Art. 5. Die jährliche Einkommensteuer wird nach folgenden Klassen angelegt : 


Klasse Einkommen Steuer 
1 bis zu 500 M. 50 Pf. 
2 über soo bis zu 750 M. 1 M. 
3 » 750 » » 900 ,;, Zon 
4 LE] 900 » 31 1050 HI H ” 
5 » 1050 HI HI 1200 ”„ 4 LE 
6 ” 1200 HI MI 1400 LE] 5 > 
7 »”1 1400 „ HI 1600 » 6 LL] 
8 LA 1600 HI » 1800 HI 8 LI) 
9 HI 1800 HI HI 2000 19 10 LA] 
10 y (2000! a -ÿ: 2200... CM 
11 LL 2200 LE HI 2400 HI 15 LI 
12 » 2400 on », 2700 ,„ 18 y 
13 29 2700 LE UI 3000 HI 22 DI 
14 LA 3000 ” ” 3400 HI 26 HI 
15 HI 3400 DI » 3800 n 30 UI 
16 n 3800 „ » 4200 „ 35 » 
17 ” 4200 UI DI 4600 UI 40 HI 
18 „ 4600 „ »„ 5000 „ 45 » 
19 » 5000 „ on 5500 an 50 » 

20 LE] 5500 HI n 6000 DI 57 DI 
21 UI 6000 39 n 6500 LL 64 UU 
22 HI 6500 39 LE 7000 D) 72 31 
23 » 7000 wn 7500 „ 80 „ 
24 LU) 7500 HI ” 8000 UI 90 Ui 
25 HI 8000 HI HI 8500 39 100 21 
26 HI 8500 LE HI 9000 39 112 HI 
27 HI 9000 UI "E 9500 UI) 124 LE 
28 LE 9500 HI ” 10 000 n 136 LE 
29 HI 10 000 HI UI T I 000 DI 150 UI 
30 » 11000 ay ,, 12000 „ 165 „ 
31 an 12000 wn a 13-000 — 180 „ 
32 » 13000 „ ;, 14000 , 200 ,„ 


Die Steuer steigt bei einem höheren Einkommen von mehr als 14000 bis 
einschließlich 22000 M. in Klassen von 1000 M. um je 20 M., von mehr als 
22000 M. bis 34000 M. in Klassen von 1000 M. um je 30 M., von mehr als 
34000 M. bis 41000 M. in Klassen von 1000 M. um je 40 M., von mehr als 
41000 M. bis 50000 M. in Klassen von 1000 M. um je 50 M. Bei einem Ein- 
kommen von mehr als 50000 M. bis einschließlich 51000 M. beträgt die Steuer 
1500 M., bei höherem Einkommen steigen die Klassen um je 1000 M. und es be- 
trägt die Steuer jeweils 3 Proz. desjenigen Einkommens, mit welchem die voraus- 
gehende Klasse endet. 

Nach Art. 18 sind von der Einkommensteuer befreit: Die Gemeinden, die An- 
stalten und Stiftungen für Kultus, Wohlthätigkeit und Unterricht, die Stifts- und Spar- 
kassen unter behördlicher Aufsicht, die Unterstützungs-, Pensions-, Kranken-, Sterbe- und 
Leichenkassen, die in Bayern beglaubigten Missionen, die Konsuln auswärtiger Slaaten, 
die Angehörigen des aktiven Heeres, Personen unter 18 Jahren hinsichtlich ihres Arbeits- 
verdienstes, weibliche Personen mit einem Gesamteinkommen von unter 700 M., Witwen, 
geschiedene oder verlassene Ehefrauen, vaterlose Minderjährige, sowie erwerbsbeschränkte 
Personen hinsichtlich ihrer Pensionen und Alimentationen oder sonstiger Bezüge aus 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 71 


irgendwelchen Unterstützungs- und Versicherungskassen, welche zusammen den Jahres- 
betrag von 1200 M. nicht übersteigen; Stipendien für Unterricht, Bildung, wissenschaft- 
liche oder künstlerische Zwecke; Personen, welche aus öffentlichen Fonds oder seitens 
der Armenpflege Unterstützungen empfangen. 

Die übrigen Paragraphen betreffen u. a. das Verfahren bei Anlage der Ein- 
kommensteuer, die Rechtsmittel gegen die Einsteuerung, die Steuerperioden — von 4 zu 
4 Jahren findet eine neue Steueranlage statt — Strafbestimmungen, Kosten des Ver- 
fahrens u. 8. w. 


Gesetz vom 9. Juni, die Kapitalrentensteuer betr. (Ges.- u. 
Verordn.-Bl. No. 28 Beilage S. 259—274; dazu Bekanntmachung vom 
10. August, ebendas. No. 42 S. 591—617). 


Art. 1. Die Kapitalrentensteuer ist zu entrichten: 

a) von Zinsen oder Renten aus Reichs- und Staatsanlehen, dann aus Anlehen 
der Gemeinden und anderer öffentlicher Verbände; ferner von Zinsen oder Renten 
aus Prioritäten und Pfandbriefen, Hypothekenforderungen, Grundschulden, Renten- 
schulden und Bodenzinskapitalien, sodann von Zinsen aus Abrechnungs- und 
Kontokorrentguthaben, Sparkasseguthaben, Dienst- und anderen Kautionen, Hinter- 
legungsgeldern, Vorschüssen, Kaufschillings- und Handscheinforderungen oder 
sonstigen verzinslichen Kapitalanlagen ; 

bı von den Zinsen, Renten und Dividenden aus Aktien oder Geschäftsanteilen 
von Unternehmungen jeder Art, welche für Rechnung von Aktiengesellschaften 
oder für Rechnung von Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften betrieben 
werden, ohne Rücksicht darauf, ob das betreffende Unternehmen in Bayern 
oder anderswo einer anderweitigen Steuer unterliegt ; 

c) von den Zinsen, welche in unverzinslichen Zielforderungen, Wechseln, 
Schatzscheinen und anderen unverzinslichen Kapitalforderungen thatsächlich in- 
begriffen sind. 

Art. 2. Die Anlage der Kapitalrentensteuer erfolgt in nachstehenden Sätzen: 


mit IL Proz. bei einer Jahresrente von mehr als 70 bis 100 M. 
LA 2 MI HI Hi HI n LA UI 100 LL 400 H 
D 21}, LE) 39 LA 39 HU 31 HI 400 LA 700 LL 
Du 3 LA EAJ DI » 19 HI » 700 H 1000 LA 
LL 3, MI 39 H LL n LA DI 1000 UI 30 000 LL 
m 3%, UI LO LL MI 39 » HI 30 000 LU 100 000 HI 
LL 4 Hi Le DI DI n” II LE über 100 000 ” 


Für die Steuerberechnung werden nur durch 10 M. teilbare Rentenbeträge 
in Ansatz gebracht. 

Teilbeträge der Kapitalrente von 5 M. und darüber werden auf den nächst 
höheren, mit 10 ohne Rest teilbaren Betrag aufgerundet, bis zu 5 M. bleiben die- 
selben außer Ansatz. 

Art. 3... Als Zinsen von Kapitalanlagen der unter Art. 1 lit. c angegebenen 
Art sind, insoweit nicht ein anderer Zinsertrag nachweisbar gemacht werden kann, 
3 Proz. des Nennwertes der Kapitalforderung zu berechnen. 


Nach Art. 4 sind von der Kapitalrentensteuer befreit: Der Staat, die in Bayern 
beglaubigten Missionen, die Konsuln auswärtiger Staaten, die Anstalten für Wohlthätig- 
keit oder Unterricht, die Hilfs- und Sparkassen unter behördlicher Aufsicht; die Unter- 
stützungs-, Pensions-, Kranken-, Sterbe- und Leichenkassen, genossenschaftliche Darlehens- 
kassen, deren Kapitalrenten für gemeinnützige Zwecke bestimmt sind; die Zinsen der 
gemäss Z 21 des Finanzgesetzes vom 26. Mai 1892 an die unmittelbaren Städte und 
Distriktsgemeinden des Königreichs überwiesenen Kapitalien; Anstalten und Gesell- 
schaften, welche fremdes Kapital in Erwerbsgeschäften verwalten, deren Rente an die 
Teilnehmer verabfolgt und von diesen versteuert wird; der Rentenertrag des Gewerbe- 
Inhabers aus den in seinem Gewerbe angelegten Betriebskapitalien; Witwen, geschiedene 
oder verlassene Ehefrauen, vaterlose Minderjährige, erwerbsbeschränkte Personen bei 
einem Gesamteinkommen von nicht mehr als 700 M. und einer Kapitalrentensteuer von 
nicht mehr als 400 M. 

Die übrigen 23 betreffen das Verfahren bei Anlage der Kapitalrentensteuer, die 


72 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Rechtsmittel gegen die Veranlagung, die Steuerperioden — von 2 zu 2 Jahren unter- 
liegt die Kapitalrentensteuer einer allgemeinen neuen Feststellung — Strafbestimmungen, 
Kosten des Verfahrens u. 8. w. 

Gesetz vom 9. Juni, die Gewerbesteuer betr. (Ges.- u. Verordn.- 
Bl. No. 28 Beilage S. 275—364; dazu Bekanntmachung vom 27. August, 
ebendas. No. 44 5. 623—817.) 

Bekanntmachung des Textes des ersten Abschnittes des Ge- 
setzes zur Ausführung der Reichs-Civilprozeßordnung 
und Konkursordnung. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 33 S. 401— 412.) 

Auf Grund des Art. 179 des Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche 
vom 9. Juni 1899 wird der durch dieses und frühere Gesetze veränderte Tert bekannt 
gemacht. 

Bekanntmachung vom 30. Juli, die Redaktion der Gesetze 
über Heimat, Verehelichung und Aufenthalt, über die öffent- 
liche Armen- und Krankenpflege und über die Flurbereinigung 
betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 40 S. 469—524.) 

Wie bei dem vorhergehenden Gesetze. 

Bekanntmachung vom 11. November, die Redaktion der Ge- 
setze über die Erbschaftssteuer und das Gebührenwesen betr. 
(Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 55 S. 889— 972.) | 

Wie bei dem vorhergehenden Gesetze. 

Gesetz vom 12. Dezember, die Fortsetzung der Grundent- 
lastung betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 58 S. 1003 f.) 

Art. 1. Der durch Art. 11 Abs. 1 des Gesetzes vom 2. Februar 1898, die 


Fortsetzung der Grundentlastung betr.'!), gegründete Amorstisationsfond wird um 
den weiteren Betrag von 9 Mill. M. verstärkt... 

Art. 2. I. Die Abs. 1 und 4 des Art. 25 des Gesetzes vom 2. Februar 1898 

. erhalten folgende Fassung: 

Abs. 1. Das k. Staatsministerium der Finanzen wird ermächtigt, an den jähr- 
lichen Leistungen zur Staats- und Ablösungskasse bedürftigen Pflichtigen auf An- 
suchen in unverschuldeten Unglücksfällen oder bei unverhältnismäßi hoher Be- 
lastung des Grundbesitzes mit Bodenzinsen einen angemessenen Nachlaß zu 


gewähren. 
Abs. 4. Die Summe der Nachlässe soll zur Staats- und Ablösungskasse den 


Betrag von jährlich 500000 M. nicht übersteigen. Der in einem Jahre unverwen- 
dete Rest dieser Summe ist übertragbar und kann in späteren Jahren verwendet 


werden. 
II. Dem Art. 25 des Gesetzes vom 2. Februar 1898 . . . sei folgender Abs. 5 


beizufügen: 

Das k. Staatsministerium der Finanzen wird ermächtigt, auch in anderen als 
in den in Art. 25 Abs. 2 des Gesetzes vom 2. Februar 1808... bezeichneten 
Fällen mit den Grundgefällspflichtigen eine Ablösung auf einen geringeren Kapi- 
talsbetrag zu vereinbaren und zu diesem Zwecke insoferne die gemäß Abs. 4 zur 
Verfügung gestellten Mittel durch die auf Grund des Abs. 1 und 2 gewährten 
Nachlässe an Bodenzins- und Kapitalsbeträgen erschöpft sind, einen weiteren jähr- 
lichen Betrag bis zu 500000 M. zu verwenden. 


Gesetz vom 15. Dezember, Staatsbeihilfe für die durch die 
jüngsten Hochwasser Geschädigten betr. (Ges.- u. Verordn.- 
Bl. No. 58 S. 1005 f.) 


Aus Anlass der durch die Ueberschwemmungen im September 1899 verursachten 
grofsen Verheerungen wird eine aujserordentliche staatliche Beihilfe im Betrage von 


1) Vergl. Jahrb. f. Nationalökon. 3. F. Bd. 17 (72) 8. 798 f. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 73 


5650000 M. zur Verfügung gestellt, aus welchem Beiträge von 3 Mill. M. ohne Verpflich- 
tung zur Rückzahlung (in Oberbayern bis 1955000 M., in Niederbayern bis 1025000 M., 
in der Oberpfalz bis 11000 M. und in Schwaben bis 9000 M.) und von 2650000 M. 


gegen Rückzahlung als unverzinsliche oder gering verzinsliche Darlehen gewährt 
werden können. 


Gesetz vom 15. Dezember, die Ausführung des Invaliden- 
versicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899 betr. (Ges.- u. Ver- 
ordn.-Bl. No. 58 S. 1006 f.; dazu Verordnung vom 14. Dezember, eben- 
das. No. 58 S. 1008—1013.) 


Verordnung vom 16. Dezember, die Gerichtsvollzieherord- 
nung betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 59 S. 1015—1027; dazu Ver- 
ordnung vom gleichen Datum, die Vorschriften über die Gebühren der 
Gerichtsvollzieher betr., ebendas. S. 1028—1031.) 


Verordnung vom 18. Dezember, das gerichtliche Hinter- 
legungswesen betr. (Ges.- u. Verordn.-Bl. No. 60 S. 1033—1046.) 


VII. Reichsland Elsass-Lothringen. 


Gesetz vom 13. Februar, betr. die Disziplin der Richter. 
(Gesetzbl. No. 2 S. 3—14.) 


Die Bestimmungen des Gesetzes, betr. die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten, 
vom 31. März 1878, finden sinngemäfse Anwendung auf die dienstlichen Verhältnisse 
der Richter in Elsafs-Lothringen. 


Gesetz vom 17. April, betr. die Ausführung des Bürgerlichen 
Gesetzbuchs in Elsaß-Lothringen. (Gesetzbl. No. 6 S. 43—78.) 

Gesetz vom 26. September, betr. Pensionsbestimmungen für 
Richter. (Gesetzbl. No. 13 S. 113 f.) 

Gesetz vom 1. November, betr. das Hinterlegungswesen und 
den Geschäftskreis der Staatsdepositenverwaltung. (Gesetzbl. 
No. 15 S. 143—147.) 


$ 1. Hinterlegungsstelle für die gesetzlich angeordnete oder gestattete Hinter- 
legung von Geld, Wertpaniären, sonstigen Urkunden und Kostbarkeiten ist die 
Kasse der Staatsdepositenverwaltung. 

Das Ministerrum bezeichnet an sämtlichen Amtsgerichtssitzen außerhalb 
Straßburg Landeskassen, welche für Rechnung der Staatsdepositenverwaltung 
Hinterlegungen entgegenzunehmen haben. Die Verpflichtung zur Annahme von 
Hinterlegungen kann bezüglich gewisser Gegenstände beschränkt werden. Die 
Ueberga er zu hinterlegenden Gegenstände an die Kassen hat die gesetzliche 
Wirkung der Hinterlegung. 

ei Die Hinterlegung von Geld hat in Zahlungsmitteln zu erfolgen, welche 
bei den Staatskassen in Zahlung anzunehmen sind. Nicht kassenmäßiges Geld 
ist anzunehmen, wenn der Hinterlegende erklärt, daß er durch die angebotenen 
Geldsorten die Verbindlichkeit, von welcher er sich befreien will, erfüllen kann. 
In diesem Falle ist, sofern der Hinterlegende nicht anders bestimmt, das nicht 
kassenmäßige Geld in kassenmäßiges umzusetzen; der Staatsdepositenverwaltung 
gegenüber gilt nur der Reinertrag als hinterlegt. Soll die Aufbewahrung der Geld- 
sorten in Natur erfolgen, so finden die Bestimmungen über Hinterlegung von 
Kostbarkeiten Anwendung. 

$ 4. Das hinterlegte Geld geht in das Eigentum der Staatsdepositenver- 
waltung über. Die näheren Bestimmungen über die Verzinsung, die Sätze des 
ZinsfuBes, den Beginn, die Unterbrechung des Zinsenlaufs, ferner die Fälle, in 
denen nicht erhobene Zinsen bezüglich der Verzinsung als neue Einlagen zu gelten 
haben, werden durch kaiserliche Verordnung erlassen. 


74 Nationalökonomische Gesetzgebung. 

Die Staatsde sitenverwaltung haftet dem zum Empfan des Geldes ] 
rechtigten für das apital zu dem interlegten Betrage und für die Zinsen. 

$ 5. Hinterlegte Wertpapiere, Urkunden und ostbarkeiten werden unv 
ändert aufbewahrt . » - 

§ 6. Bei Hinterlegung von Wertpapie 2, 1525, 16 
1814, 1818 des Bürgerlichen Gesetzbuches hat die Staatsdepositenverwaltung £ 
die Einlösung der gekündigten oder ten Wertpapiere insoweit Sorge z 
tragen, als die Kündigung oder Auslosung während der Dauer der Hinterlegun 
im Deutschen Reichsanzeiger veröffent 

8 7. Allgemeine Bestimmungen über die Gebühren. 

8. Die Herausgabe hinterlegter Gegenstände erfolgt auf Antrag. Der An- 
bei der Staatsdepositenverwaltung ZU 


$ 
Wei ist schriftlich oder zu Protokoll 
stelle: 
erhalb 10 Tagen 


m. 
Sofern keine Hindernisse bestehen, hat die Herausgabe inn 
vom Eingang des Antrages an zu erfolgen; anderenfalls sind die Hinderungsgründe 


innerhalb dieser Frist mitzuteilen. 
g 9. Die Herausgabe darf, sofern nicht Pfändungen oder einstweilige Ver- 
fügungen zu Gunsten ritter entgegenstehen, nicht verweigert werden, 

1. wenn durch vollstreckbare gerichtliche Entscheidung unter den Beteiligten die 
Berechtigung zur Empfangnahme festgestellt oder durch Beschluß des zu- 
ständigen Gerichts die Rückgabe angeordnet und Beschwerde nicht mehr zu- 
lässig oder erfolglos geblieben ist; 

2, wenn der Antrag sich auf Anordnung einer zuständigen Behörde oder auf 
eine von dieser ausgestellte Anweisung gründet ; À 

i ung als beteiligt be- 
die Einwilligun dieser Personen 


t 
3, wenn der Antrag von sämtlichen bei der Hinterle 
t ist oder 
nachgewiesen 


zeichneten . . . Personen gestell 

gurdi öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden 

wird... 

Hat die Herausgabe nach Maßgabe der vorstehenden Bestimmungen statt- 
efunden, so kann die Staatsdepositenverwaltung auf Grund angeblichen besseren 
Rechtes zum Empfang nicht in Anspruch genommen werden. 

12. Ist über Kostbarkeiten innerhalb 10 Jahren vom Tage der Hinter- 
legung ab eine Verfügung nicht getroffen worden, so kann die Efaatsdepositen- 
verwaltung den freihändigen Verkauf derselben veranlassen. Der Erlös, von 
welchem die Verkaufs- un Aufbewahrungskosten ZU kürzen sind, wird wie hinter- 


legtes Geld weiter verwaltet. 

Der Hinterleger und die bei der Hinterlegung als beteiligt bezeichneten . + 

Personen sind von dem beabsichtigten Verkauf mindestens 3 Monate vorher IAE 
e sind, Ein- 


eingeschriebenen Briefes zu benachrichtigen, damit sie in der 
wendungen gegen d bringen. Ueber Einwendungen ent- 


7 enselben zur Gatunr zu r 
scheidet das Ministerium. Die Benachrichtigung arf unterbleiben, wenn sie un- 
thunlich ist. 


Auf die gemäß SS 1818, 1667 des Bürgerlichen Gesetzbu 


Hinterlegungen finden die vorstehenden Bestimmungen nur mit der Maßgabe An- 
ß der Verkau 5 Jahren seit Beendigung der 


wendung, da f nicht vor Ablauf von 9 
Vormundschaft oder der elterlichen Gew 

g 13. Hat innerhalb 30 Jahren eine Her 
funden und sind seit der letztmaligen Erhebung 
Hinterlegungsgebühren 90 Jahre verflossen, SO könn 


ches erfolgenden 


der Zinsen oder Entrichtung der 
en die Beteiligten, soweit sie 
nicht kraft des Gesetzes mit ihren Ansprüchen gegenüber der Staatsdepositenver- 
waltung ausgeschlossen sind, im Wege des gerichtlichen Aufgebotsverfahrens aus- 
rar, werden. Die 30-jährige Frist BEST mit dem Tage der Hinterlegung. 
ür das Verfahren ist das Amtsgericht Straßburg zuständig. 
In den Fällen des $ 382, des $ 1171 Abs. 3 und de g 1269 Satz 3 des 
Bürgerlichen Gesetzbuches sowie der $$ 117 Abs. 2, 120, 121, 124, 126, 142 des 
Reichsgesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung kann dem 
Schuldner oder Hinterleger gegenüber das Ausschlußurteil frühestens ein 
nach dem Zeitpunkte, mit welchem das Recht des Gläubigers auf den hinterlegten | 
Betrag erloschen ist, erlassen werden. Mit dem Erlaß des AusschluBurteils gelten ` 
die Ansprüche der Beteiligten aus der Hinterlegung gegenüber der Staatsdepositen- | 


verwaltung als erloschen. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 75 


Für Urkunden, welche nicht Wertpapiere sind, findet ein Aufgebot nicht statt. 
Sind die Voraussetzungen des Abs. 1 gegeben, so können die Urkunden nach An- 
ordnung des Amtsgerichts Straßburg vernichtet werden. Vor der die Vernichtung 
anordnenden Verfügung sind die Beteiligten, wenn thunlich, zn hören. 

Verordnung vom 1. November, betr. die Regelung der Zu- 
ständigkeit in den Fällen der $$ 1723, 1745, 1322 des Bürger- 
lichen Gesetzbuches. (Gesetzbl. No. 16 S. 172 f.) 

$1. Die Erteilung der Ehelichkeitserklärung an ein uneheliches Kind nach 
$ 1723 des Bürgerlichen Gesetzbuches ei durch Ee des Statthalters. 

Desgleichen steht dem Statthalter die Bewilligung der Befreiung von den für 
die Annahme an Kindesstatt in $ 1744 enthaltenen Erfordernissen zu. 

$2. Die Bewilligung der nach den $$ 1303, 1312, 1313 zulässigen Befreiung 
von dem Erfordernisse der Ehemündigkeit der Frau, von dem Ehehindernisse des 
Ehebruches und von der Wartezeit wird durch das Ministerium erteilt. 

$3. Die Bewilligung der nach $ 1316 zulässigen Befreiung von dem Auf- 

bote geschieht durch den Ersten Staatsanwalt bei dem Landgerichte, in dessen 
Bezirke die Ehe geschlossen werden soll. 

Gesetz vom 6. November, betr. die Ausführung des Reichs- 
gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichts- 
barkeit. (Gesetzbl. No. 15 S. 117—136.) 

Gesetz vom 6. November, betr. die Ausführung der Grund- 
buchordnung vom 24. März 1897. (Gesetzbl. No. 15 S. 137—142.) 

Gesetz vom 13. November, betr. die Ausführung der Civil- 
prozeßordnung und der Konkursordnung sowie das Rechts- 
mittel der Kassation. (Gesetzbl. No. 16 S. 157—161.) 

Gesetz vom 13. November, betr. die Ausführung des Reichs- 
gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangs- 
verwaltung. (Gesetzbl. No. 16 S. 162—172.) 

Gesetz vom 29. November, betr. den Güterstand der zur Zeit 
des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuches bestehenden 
Ehen. (Gesetzbl. No. 17 S. 233 f.) 

Gesetz vom 29. November, betr. die Aufhebung von Landes- 
gesetzen. (Gesetzbl. No. 17 S. 235—244.) 

Aufzählung von 138 Ordonnanzen, Verordnungen, Gesetzen u. s. w., welche nun- 
mehr aujser Kraft treten. 

Gesetz vom 4. Dezember, betr. die Notariatsgebühren. 
(Gesetzbl. No. 17 S. 222 f.; der Text der Gebührenordnung ebendas. 
S. 223—233.) 

Gerichtskostengesetz für Elsaß-Lothringen. Vom 6. De- 
zember. (Gesetzbl. No. 17 S. 175—222.) 

Verordnung vom 6. Dezember, betr. die Vereine und Stiftungen. 
(Gesetzbl. No. 17 S. 245 f.) 

Verordnung vom 17. Dezember, betr. die Uebertragung der 
Rechte und Pflichten von Landesbeamten an die Beamten 
der Landesversicherungsanstalt. (Gesetzbl. No. 18 S. 287.) 

Auf Grund des § 98 des Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899 
wird hierdurch bestimmt : 

$ 1. Auf die bei der Landesversicherungsanstalt Elsaß-Lothringen und ihren 
Organen im Hauptamt beschäftigten Bureau-, Kanzlei- und Unterbeamten finden 
die Bestimmungen über die Rechtsverhältnisse der Landesbeamten sinngemäße An- 
wendung mit folgenden Maßgaben: 


76 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


1) die Anstellung erfolgt durch den Vorsitzenden des Vorstandes der Landes- 


versicherungsanstalt, welche die vorgesetzte Behörde bildet; 
2) hinsichtlich der vermögensrechtlichen Ansprüche der Beamten aus ihrem 


Dienstverhältnis tritt an Stelle der Landeskasse die Landesversicherungsanstalt. 
Verordnung vom 19. Dezember, betr. die Verzinsung der bei 
der Staatsdepositenverwaltung eingezahlten Gelder. (Gesetzbl. 
No. 19 S. 251 — 253.) 
& 1. Gelder, welche kraft gesetzlicher Anordnung oder Ermächtigung hinter- 
legt sind ($ 1 des Gesetzes, betr. das Hinterlegungswesen ... vom 1. November 
1899) werden unbeschadet der Bestimmung des nachfolgenden $ 3 mit 2 Proz. 


verzinst. 
Der Zinsenlauf beginnt vom 60. Tage nach der Einzahlung ab. 


Die Verzinsung endigt mit dem der Bereitstellung zur Rückzahlung vorher- 
en Tage. at die Auszahlung des bereitgestellten Betrages innerhalb 
Ionatsfrist nicht stattgefunden, so tritt vom Ablauf dieser Frist ab die Wieder- 


verzinsung ein. 
Eine Verzinsung der gutgeschriebenen Zinsen findet nicht statt. 
$2. Die gemäß der Vorschriften über die Disciplin des Notariats von den 


Notaren eingezahlten Gelder werden mit 3 Proz. verzinst ... 
$ 3. Die als Amts- und Zeitungskautionen hinterlegten Gelder werden mit 


3 Proz. verzinst ... 
$5. Alle sonstigen bei der Staatsdepositenverwaltung eingezahlten Gelder 


mit Ausnahme der Gelder der Hilfsgenossenschaften, deren Zinsfuß sich nach 
dem Gesetz vom 12. Mai 1897 richtet, werden mit 3 Proz. verzinst. 

Verordnung vom 27. Dezember, betr. das Verfahren und die 
Kosten in einzelnen auf den Personenstand Bezug habenden An- 


gelegenheiten. (Gesetzbl. No. 19 S. 253—255.) 


IX. Grossherzogtum Hessen. 


Gesetz vom 15. März, das Notariat betr. (Regierungsbl. No. 8 
S. 47—65; dazu Bekanntmachung vom 30. August, ebendas. No. 42 
S. 595f. und Gebührenordnung für die Notare, vom 29. November, 


ebendas. No. 60 S. 963—980.) 
Gesetz vom 16. März, die Anlegung des Grundbuchs betr. 


(Regierungsbl. No. 8 S. 65—83.) 

Gesetz vom 1. Juli, die Aufbringung der zur Gewährung 
von Darlehen aus der Landeskreditkasse erforderlichen Mittel 
betr. (Regierungsbl. No. 22 S. 123 f.) 

Ermächtigung der Staatsregierung, aufser den in den Gesetzen vom 30. Mai 1894 
und 31. März 1897, die Aufbringung der zur Gewährung von Darlehen aus der Landes- 


kreditkasse erforderlichen Mittel betr., aufgeführten Staatsanlehen von zusammen 
11350000 M. ein weiteres Staatsanlehen im Nennwerte bis zu 10 Mill. M., verzinslich 


zu 3'/, Proz. in geeigneten Abschnitten aufzunehmen. 

Gesetz vom 12. Juli, die Haftverbindlichkeit der Ge- 
meinden in Bezug auf nicht bezahlte Arzneirechnungen 
betr. (Regierungsbl. No. 26 S. 279 f.) 

Gesetz vom 17. Juli, die Ausführung des Bürgerlichen 
Gesetzbuchs betr. (Regierungsbl. No. 24 S. 133—267; dazu Ver- 
ordnung vom 14. Oktober, ebendas. No. 51 S. 673—675.) 

Gesetz vom 22. Juli, die Ausführung der Grundbuch- 
ordnung betr. (Regierungsbl. No. 29 S. 363—378.) 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 717 


Gesetz vom 24. Juli, die Umwandlung und Ablösung von 
Reallasten und Dienstbarkeiten betr. (Regierungsbl. No. 30 
$. 879—388.) 


Art. 1. Die nachstehend bezeichneten Berechtigungen sind abzulösen, wenn 
der Pflichtige oder der Berechtigte die Ablösung verlangt: 

1) die Zehntberechtigungen, die Teilabgaben von Weinbergen sowie alle Geld- 
und Naturalgrundrenten ; 

2) die Weideberechtigungen ; 

3) die Fronden, einschließlich der Gemeinde- und Amtsfronden; 

4) die auf Grundstücken haftenden Reallasten und die Lasten, welche auf 
Grundrenten haften oder wegen Ablösung der mit ihnen belastet gewesenen Grund- 
renten auf andere Gegenstände übertragen worden sind, sofern die Reallasten oder 
Lasten zum Gegenstande haben: 

N die Besoldung von Kirchen- und Schuldienern, einschließlich der Natural- 
abgaben, 

SZ b) die Anschaffung und Unterhaltung von Bedürfnissen für den Kirchen- 
und Schuldienst, 

c) die Unterhaltung von Kirchen, Kapellen, Pfarr-, Glöckner- und Schul- 
häusern, 

d) die Anlegung und Unterhaltung von Friedhöfen, 

e) die Anschaffung und Unterhaltung von Faselvieh ; 

5) alle Abgaben, die auf Grund eines Erbpachtverhältnisses, einer Erbleihe, 
Landsiedelleihe oder einer anderen erblichen Leihe geschuldet werden, sofern nicht 

a) außer dem Besitzer oder zusammen beliehenen Eheleuten weniger als zwei 
Nachfolgeberechtigte vorhanden sind oder 

b) das Leihverhältnis auf eine fest bestimmte Anzahl von Generationen be- 
schränkt ist. 

Art. 2. Der Berechtigte braucht sich die Ablösung eines Rechtes auf Ver- 
langen des Pilichtigen nur gefallen zu lassen, wenn die Ablösung aller ihm in 
derselben Gemarkung oder gegenüber demselben Verbande zustehenden, im Artikel 1 
unter gleicher Nummer genannten Rechte verlangt wird . .. 

Art. 4. Der Berechtigte kann die Ablösung nur verlangen, wenn dem Pflich- 
tigen das Ablösungskapital zu dem in Art. 16 bestimmten Zinsfuße von der 
Staatsschuldenverwaltung dargeliehen werden kann. 

Art. 6. Die Ablösungssumme besteht, sofern der Berechtigte sein Recht zu 
versteuern hat, in dem 18-fachen, sofern dies nicht der Fall ist, in dem 25-fachen 
Betrage des einjährigen Brutto-Geldertrages des abzulösenden Rechtes. 

KS der Fiskus der Pflichtige, so tritt an die Stelle des 18-fachen der 21-fache 
und an die Stelle des 25-fachen der 29-fache Betrag. 

Art. 15. Die Staatsschuldenverwaltung hat, soweit ihr die erforderlichen 
Beträge aus Staatsmitteln zu diesem Zwecke zur Verfügung gestellt werden, den 
Pflichtigen die für eine von ihnen Den oder ihnen angesonnene Ablösung 
erforderliche Ablösungssumme unter den in den Artikeln 16, 17 aufgeführten Be- 
dingungen darzuleihen. 

Art. 16. Zum Zwecke der Verzinsung und Tilgung der Ablösungssumme haben 
die Schuldner eine jährliche Rente (Tilgungsrente) zu entrichten. Die Höhe des 
Zinsfußes und des zur Tilgung bestimmten Betrags bestimmt sich nach den für 
die Darlehen aus der Tandek AN tas geltenden Vorschriften . .. 

Art. 17. Die Grundstücke, welche mit dem abgelösten Rechte belastet waren, 
werden mit der Tilgungsrente als Reallast belastet. Zur Begründung und zur 
Wirksamkeit der Reallast bedarf es, auch wenn das Grundbuch für die betr. 
Gemarkung als angelegt anzusehen ist, nicht der Eintragung. 

Insoweit mit dem abgelösten Rechte Grundstücke nicht belastet werden, sind 
anderweitige zur Sicherung ausreichende Grundstücke mit der Tilgungsrente zu 

asten. 

. Der Eigentümer eines mit einer Tilgungsrente belasteten Grundstückes kann 
die Rente dadurch ablösen, daß er den rückständigen Teil der Ablösungssumme 
auf einmal an die Staatsschuldenverwaltung bezahlt . . . 


RS 


78 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Bekanntmachung des Textes des Gesetzes, den Ersatz de: 
Wildschadens betr., in der vom 1. Januar 1900 an geltender 
Fassung. Vom 28. Juli. (Regierungsbl. No. 32 S. 405—408; dazu 
Verordnung vom 2. August, ebendas. S. 409—417.) 

Gesetz vom 2. August, die Dienstverhältnisse, Ruhegehalte 
und Hinterbliebenenversorgung der Staatsbeamten betr. 
(Regierungsbl. No. 31 S. 397—400.) 

Gesetz vom 2. August, den Gebührenbezug der Steuer- 
kommissäre betr. (Regierungsbl. No. 31 S. 401f.) 

Bekanntmachung des Textes des Gesetzes, die Gesindeord- 
nung betr., in der vom 1. Januar 1900 an geltenden Fassung. Vom 
3. August. (Regierungsbl. No. 34 S. 427—436.) 

Gesetz vom 12. August, die Abänderung des Einkommen- 
steuergesetzes vom 25. Juni 1895 betr. (Regierungsbl. No. 37 
S. 461—471; dazu Bekanntmachung vom gleichen Datum, den neu fest- 
gestellten Text des Gesetzes, die allgemeine Einkommensteuer betr., 
enthaltend, ebendas. S. 471—497.) 


Die drei wichtigsten abgeänderten Artikel lauten : 

Art. 2. Der Einkommensteuer unterliegen ferner: 

1) Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften 
mit beschränkter Haftung und Berggewerkschaften ; 

2) eingetragene Genossenschaften, deren Geschäftsbetrieb über den Kreis ihrer 
Mitglieder hinausgeht und unter der gleichen Voraussetzung Konsumvereine, die 

tsfähigkeit besitzen, und zwar: 

a) wenn sie im Großherzogtum ihren Sitz haben; 

b) in allen anderen Fällen mit demjenigen Einkommen, welches aus im Groß- 
herzogtum belegenem Grundbesitz oder einem im Großherzogtum betriebenen Ge- 
werbe herrührt, sofern dieses Einkommen mindestens 500 M. beträgt. 

Als steuerbares Einkommen der hiernach steuerpflichtigen Gesellschaften 
u. s. w. gelten die Ueberschüsse der Einnahmen über die Ausgaben, soweit die- 
selben als Aktienzinsen, Dividenden, Gewinnanteile, oder unter irgend einer sonstigen 
Bezeichnung unter die Mitglieder verteilt oder aus dem Jahresgewinn zur Bildung 
von Reservefonds, zur Schuldentilgung, zur Amortisation des Grundkapitals oder 
zu Verbesserungen und Geschäftserweiterungen verwendet werden ... 

Art. 13. Jeder in der ersten Abteilung (mit einem jährlichen Einkommen 


von wenigstens 2600 M.) Steuerpflichtige wird .. . zu einer der nachfolgend ver- 
zeichneten Einkommens- und Steuerklassen veranlagt... 
Klasse Einkommen Steuerbetrag 
1 2600 bis ausschließlich 2900 M. 50 M. 
2 2900 HI LE 3200 UI 57 HI 
3 3200 LEA n 3000 HI 66 LE 
4 3600 LL] HI 4000 n 78 DI 
5 4000 ” LA 4500 LE 90 ” 
6 4500 » II 5000 Hi 106 LL 
7 5000 ,, D 5500 ,, 126 , 
8 5500 „ D 6000 - 144 » 
9 6000 „, P 6500 „, 160 - 
10 6500 HI n 7000 »” 175 DI 
11 7000 » n 7500 LL 192 y 
12 7500 . y 8000 ,, 210 „ 
13 8000 LE n 8500 LL 230 H 
14 8500 „ D 9000 ,, 250 „ | 
15 9000 , SE 9500 „, 270 „ 
16 9500 LE 39 10000 Di 290 n 
17 10000 , Sp 11000 ,, AE 


18 11000 ,, = 12000 ,, 350 „ 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 79 


und so weiter in der Art, daß je 1000 M. mehr Einkommen je eine weitere Klasse 
bedingen, und daß der jährliche Steuerbetrag für je 1000 M. mehr Einkommen 
bis ausschließlieh 34000 M. um je 35 M., von da ab bis ausschließlich 41000 M. 
um je 40 M., von da ab bis ausschließlich 80000 M. um je 45 M., und von da ab 
um je 50 M. wächst. 

Art. 48. Jeder in der zweiten Abteilung (mit einem jährlichen Einkommen 
von nnter 2000 M.) a A wiid in einer der nachfolgend verzeichneten 
Einkommens- und Steuerklassen eingeschätzt: 


Klasse Einkommen Steuerbetrag 
1 500 bis ausschließlich 600 M. 3 M. — Pf. 
2 600 nm DI 750 6 ur ez, 
3 750 ;, DI 900 In 
4 900 , D 1100 IT or ; 
5 1100 ;, » 1300 14 „ 50 , 
6 1300 LE HI 1500 18 LL 50 Di 
7 1500 ,„ » 1700 23 » — » 
8 1700 ,„ DI 2000 28 gp SE L' 
9 2000 ,„ n 2300 33 » 50 ;, 

10 2300 ,„ » 2600 39 » — ;, 


Gesetz vom 12. August, die Vermögenssteuer betr. (Reg.-Bl. 
No. 38 S. 499—520; dazu Verordnung vom 4. November, ebendas. 
No, 55 S. 883— 887.) 


Art.. 1. Als Ergänzungsteuer zur allgemeinen Einkommensteuer wird nach 
Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes eine Vermögenssteuer erhoben. Mit 
Einführung der letzteren werden die Grund-, die Gewerbe- und die Kapitalrenten- 
steuer als Staatssteuern aufgehoben. 

_ Art. 2. Die Vermögenssteuer wird vom gesamten steuerbaren Vermögen des 
Steuerpflichtigen, wie es im Veranlagungsverfahren nach Abzug der Schulden fest- 
gestellt wird, erhoben. 

Art. 5. Als steuerbares Vermögen im Sinne dieses Gesetzes gelten: 

1) Grundstücke und Gebäude nebst deren Zubehör, Bergwerkseigentum, sowie 
selbständige Rechte, mit denen ein Grundstück oder Gebäude belastet ist, soweit 
sie einen in Geld schätzbaren Wert haben; 

2) das dem Betriebe der Land- und Forstwirtschaft einschließlich der Vieh- 
zucht, des Wein-, Obst- und Gartenbaues, dem Betriebe des Bergbaues oder eines 
stehenden Gewerbes dienende Anlage und Betriebskapital ; 

3) alles sonstige Vermögen’). 

Art. 13. Die Vermögenssteuer beträgt: 

bei einem Vermögen von 3000 M. bis ausschließlich 4000 M. jährlich 1 M. 
#5 Pf. und steigt bei höherem Vermögen bis ausschließlich 30000 M. für jede an- 
gefangenen 1 M. um je 55 Pf. jährlich; 

i einem Vermögen von 30000 M. bis ausschließlich 32000 M. jährlich 16 M. 
5) Pf. und steigt bei höherem Vermögen bis ausschließlich 60 000 M. für jede an- 
gefangenen 2000 M. um je 1 M. 10 Pf. jährlich; 

i einem Vermögen von 60000 M. bis ausschließlich 63000 M. jährlich 
3 M. und Kon ... bis ausschließlich 90000 M. für jede angefangenen 3000 M. 
um je 1 M. 65 Pf. jährlich; 

bei einem Vermögen von 90000 M. bis ausschließlich 94000 M. jährlich 
49 M. 50 Pf. und steigt . .. bis ausschließlich 150000 M. für jede angefangenen 
4000 M. um je 2 M. 20 Pf. jährlich ; 


1) Zu diesem gehören nach Art. 8: Kapitalforderungen jeder Art, Aktien- und 
Geschäjtsanteile, Kuze und Gesellschaftsanlagen jeder Art, in- und ausländisches bares 
Geld, Banknoten und Kassenscheine, mit Ausnahme der aus dem laufenden Jahresein- 
kommen des Steuerpflichtigen vorhandenen Beträge, Urheber-, Verlags-, Patent- und 
sonstige in Geldwert schätzbare Rechte, Rechte auf Apanagen-, Leib- und andere Renten- 
beträge, Leibgedinge u. dgl., mit Ausschlufs der Ansprüche auf Witwen-, Waisen- und 
Pensionskassen, aus Kranken-, Unfall-, Invaliditäts- und Altersversicherungen und auf 
Pensionen aus früheren Dienstverhältnissen. 


— ————mu rin .. 


80 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


bei einem Vermögen von 150000 M. bis ausschließlich 156000 M. jährlich 
82 M. 50 Pf. und steigt... .. bis ausschließlich 300000 M. für jede angefangenen 
6000 M. um je 3 M. 30 Pf. jährlich; 

bei einem Vermögen von 300000 M. bis ausschließlich 310000 M. jährlich 
165 M. und steigt . . . für jede angefangenen 10000 M. um je 5 M. 50 Pf. jährlich. 


Die übrigen 22 betreffen u. a. das Veranlagungsverfahren, die Rechtsmittel gegen 
die Veranlagung und Strafbestimmungen. 


Gesetz vom 12. August, die Einführung einer staatlichen 
Klassenlotterie betr. (Regierungsbl. No. 39 S. 521 f.; dazu Ver- 
ordnung vom gleichen Datum, ebendas. S. 522 f.) 


Unter der Bezeichnung ,,Grofsherzoglich Hessische Landeslotterie‘““ wird eine staat- 
liche Klassenlotterie, von welcher alljährlich zwei Lotterien veranstaltet werden, ein- 
geführt; auch im Falle der Verpachtung des Lotteriebetriebes haftet der Staat für die 
Auszahlung der Gewinne; das Spielen in aufserheimischen, nicht mit staatlıcher Ge- 
nehmigung im Grofsherzogtume zugelassenen Lotterien wird mit Geldstrafe bis zu 600 M. 
bestraft. 


Gesetz vom 12. August, die Hundesteuer betr. (Regierungsbl. 
No. 39 S. 523 f., dazu: Verordnung vom 4. November, ebendas. No. 55 
S. 888—891.) 


Die Besitzer von Hunden haben jährlich an den Staat 10 M. Steuer zu entrichten ; 
auch den Gemeinden ist gestattet, eine Abgabe bis zu höchstens 10 M. zu erheben ; 
steuerfrei sind die Personen, welche gewerbemäfsig Herden hiiten und die Besitzer von 
Bauernhüfen und Mühlen, welche mindestens 500 m vom letzten Hause des Ortes ent- 
Jernt gelegen sind. 


Gesetz vom 12. August, betr. die Abänderung des Gesetzes 
vom 30. August 1884, die Erbschafts- und Schenkungssteuer 
betr. (Regierungsbl. No. 39 S. 525 f.) 


Art. 1. An die Stelle des Art. 7 des Gesetzes vom 30. August 1884... 
tritt die folgende Bestimmung: 
Die Steuer beträgt, vorbehaltlich der nach Art. 6 stattfindenden Befreiungen 
1. Fünf Pfennige von je einer Mark, wenn der Anfall gelangt an: 
a) Verwandte der aufsteigenden Linie; 
b) Geschwister und Kinder von Geschwistern; 
c) Kinder und deren Abkömmlinge, sofern das Verhältnis auf Annahme an 
Kindesstatt beruht; 
d) uneheliche Kinder aus dem Vermögen des Vaters, sofern die Vater- 
schaft erweislich anerkannt ist. 
2. Acht Pfennige von je einer Mark, wenn der Anfall gelangt an: 
a) Stiefkinder und deren Abkömnlinge; 
b) Schwiegerkinder; 
c) Stiefeltern, Adoptiveltern, Schwiegereltern ; 
d) Oheim, Tanten, Großneffen und Großnichten. 
3. Zehn Pfennige von je einer Mark in allen übrigen Fällen. 


Gesetz vom 12. August über den Urkundenstempel. (Re- 
gierungsbl. No. 40 S. 529 —580.) 

Verordnung vom 19. August, die gerichtlichen Hinter- 
legungen betr. (Regierungsbl. No. 41 S. 581—590.) 

Gesetz vom 19. August, die Feuerbestattung betr. (Re 
gierungsbl. No. 41 S. 580—592.) 

Art. 1. Die Feuerbestattung ist unter Beobachtung der nachstehenden Vor- 
schriften, und, soweit sie nicht außerhalb des Großherzogtums stattfindet, nur in 


solchen Anstalten zugelassen, welche auf Grund ortstatutarischer Bestimmungen 
errichtet und geleitet werden. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 81 


Art. 2. Die Feucrbestattung darf nur erfolgen, wenn sie von dem Ver- 
storbenen angeordnet und von der Ortspolizeibehörde des Bestattungsortes schrift- 
lich genehmigt worden ist. 

Daß der Verstorbene die Feuerbestattung angeordnet hat, muß durch eine 
Verfügung desselben von Todeswegen oder durch eine hinsichtlich der Unterschrift 
üffentlich beglaubigte Erklärung derselben oder durch das von einer Öffentlichen 
behörde beurkundete Zeugnis zweier glaubwürdiger Personen, welche dem Ver- 
storbenen im Leben nahe gestanden haben, dargethan werden . . . 

Hatte ein Verstorbener zur Zeit seines Todes das 16. Lebensjahr nicht voll- 
endet, so kann die Feuerbestattung von dem Inhaber der elterlichen Gewalt durch 
Erklärung gegenüber der Ortspolizeibehörde des Sterbeortes angeordnet werden. 

Art. 3. Ist den Voraussetzungen des Art. 2 genügt, so kann die daselbst 
vorgeschriebene ortspolizeiliche Genehmigung nur erklärt werden, wenn 

l) durch übereinstimmende Zeugnisse des behandelnden Arztes und des Amts- 
arztes des Amtsgerichts des Sterbeortes die Todesursache festgestellt, und 

2) durch diese Zeugnisse und außerdem durch ein Zeugnis der Ortspolizei- 
hehörde des Sterbeortes dargethan ist, daß der Verdacht, es sei der Tod durch 
eine strafbare Handlung herbeigeführt worden, ausgeschlossen ist. 

Art. 5. Wer eine Leiche zum Zwecke der Feuerbestattung außerhalb des 
Großherzogtums verbringen will, hat dem Kreisamt des Sterbeortes den Nachweis 
der Anordnung des Verstorbenen nach Art. 2 und die im Art. 3 und 4 vorge- 
schriebenen Nachweise zu erbringen. 


Gesetz vom 30. August, die Städte-Ordnung und die Land- 
gemeinde-Ordnung betr. (Regierungsbl. No. 42 S. 593 f.) 

Einziger Artikel: Der 3. Abs. des Art. 88 der Städte-Ordnung vom 13. Juni 
1674 und des Art. 76 der Landgemeinde-Ordnung vom 15. Juni 1874 werden durch 
folgende Bestimmungen ersetzt: 
~ Die Prüfung der Rechnung und des Rechenschaftsberichts erfolgt in öffent- 
licher Sitzung unter Leitung eines von der Versammlung zu diesem Zwecke aus 
Ihrer Mitte erwählten Vorsitzenden. Gleichzeitig mit der Wahl des Vorsitzenden 
ist ein Stellvertreter desselben für den Fall seiner Verhinderung zu wählen. 

Bürgermeister und Beigeordnete haben, dringende Verhinderungsfälle ausge- 
nommen, behufs Erteilung von Auskunft und Aufklärung der Rechnungsprüfung 
beizuwohnen, doch ruht hierbei ihr Stimmrecht. 

Bekanntmachung des Textes des Gesetzes, die Ausführung der 
Deutschen Civilprozeßordnung und Konkursordnung betr, 
in der vom 1. Januar 1900 an geltenden Fassung. Vom 22. Sep- 
tember. (Regierungsbl. No. 50 S. 638—672.) 

Gesetz vom 27. September, die Anstellung und Disziplinar- 
verhältnisse der Kreisbeamten betr. (Regierungsbl. No. 47 
S. 620—622.) 

. Art. 1. Die Beamten des Kreises können unwiderruflich angestellt werden ; 
sie sind der Disziplinargewalt des Kreisausschusses unterworfen. 

Die übrigen Artikel enthalten die üblichen Bestimmungen über Strafversetzung, 
Dienstentlassung u. 8. w. 

Bekanntmachung der Texte verschiedener Landesgesetze in der 
vom 1. Januar 1900 an geltenden Fassung. Vom 30. September. 

Folgende Gesetze werden veröffentlicht: 


Gesetz vom 28. September 1887, die Landeskulturgenossen- 
schaft betr. (Regierungsbl. No. 52 S. 678—699.) 
Gesetz vom 28. September 1890, die Brandversicherungs- 
anstalt für Gebäude betr. (ebendas. S. 699—726.) 
Gesetz vom 3. März 1859, die Verantwortlichkeit der Ge- 
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI: 6 


82 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


meinden für Verletzungen und Beschädigungen infolge von Zu- 
sammenrottungen betr. (ebendas. S. 726—729.) 

Gesetz vom 13. September 1858, die Familienfideikommisse 
betr. (ebendas. S. 729—735.) 

Gesetz vom 26. Juli 1884, die Enteignung von Grund- 
eigentum betr. (ebendas. S. 735—754.) 

Gesetz vom 7. Mai 1849, den Umfang, die Aufhebung, Ver- 
wandlung und Ablösung der Weideberechtigungen auf land- 
wirtschaftlichem Boden in den Provinzen Starkenburg und Ober- 
hessen betr. (ebendas. S. 754—758.) 

Gesetz vom 30. Juli 1887, die Bäche und die nicht ständig 
fließenden Gewässer betr. (ebendas. S. 758—801.) 

Berggesetz vom 28. Januar 1876. (ebendas. S. 801—854.) 

Gesetz vom 11. Juni 1887, die Unterbringung jugend- 
licher Uebelthäter und verwahrloster Kinder betr. (ebendas. 
S. 855—859.) 

Gesetz vom 4. Oktober, die Abänderung des Gesetzes vom 
15. Oktober 1890 über die Errichtung einer Landeskreditkasse 
betr. (Regierungsbl. No. 48 S. 623 f.) 

Art. 1. Die Leistung der Darlehen aus der Landeskreditkasse erfolgt nach 
Wahl der letzteren entweder in barem Gelde oder durch Auslieferung von Schuld- 
verschreibungen nach Art. 16 des Gesetzes vom 15. Oktober 1890 .. . im Nenn- 
wert des Darlehens oder auf Wunsch des Anleihers durch Barzahlung des Wertes 
dieser Schuldverschreibungen nach dem jeweiligen Kurswert . . . 

Verordnung vom 10. Oktober, die Fahrräder und Automobile 
betr. (Regierungsbl. No. 49 S. 625—632.) 

Die jährliche Abgabe fiir ein Fahrrad beträgt 5, für ein Automobile je nach dessen 
Gröfse, Ankaufspreis und Leistungsfähigkeit 5—50 M. Personen, welche sich zum 
Kurgebrauche oder weniger als 30 Tage im Grofsherzogtume aufhalten, ferner solche, 
welche Dienstrüder zur Verfügung haben, Kinder, welche Fahrräder nur als Spielzeug, 
Lohnarbeiter, welche das Fahrrad als Transportmittel zur Arbeitsstelle und Gewerbe- 
treibende, welche das Fahrrad bei Ausübung ihres Gewerbes benutzen, sofern ihr Ein- 
kommen jährlich 1500 M. nicht erreicht, sind von der Abgabe befreit. 

Bekanntmachung der Texte des Gesetzes vom 6. Juni 1879, die 
Uebertragung von Grundeigentum und die Fortführung der 
Grundbücher in der Provinz Rheinhessen betr., und des Gesetzes 
vom 10. Mai 1893, Grundeigentum und Hypotheken in der 
Provinz Rheinhessen betr. (Regierungsbl. No. 74 S. 1435—1456.) 


Miszellen. KR 


Nachdruck verboten. 


Miszellen. 


I. 


Die Glas- und Perlenfabrikation im Fichtelgebirge. 
Von Dr. Alb. Schmidt in Wunsiedel. 


Die Geschichte der Glas- und Perlenfabrikation, wie sie in den 
Wäldern des Fichtelgebirges getrieben wird, verliert sich soweit zurück 
in vergangene Jahrhunderte, daß sich mit ihren Anfängen die Sage 
beschäftigt, welche sie auf längst vergangene Völkerschaften zurück- 
führt und die ersten Perlen- und Glashütten mit ihren merkwürdigen 
Gestalten bevölkert. Der Umstand, daß die oft mißhandelte und falsch 
gedeutete Venedigersage auch mit der Glas- und Perlenfabrikation 
im Fichtelgebirge in Verbindung gebracht wird, spricht für deren hohes 
Alter. Glas herzustellen ist ja bekanntlich lange schon bekannt. Plinius 
berichtet, daß die Entdeckung der Herstellung phönieischen Kaufleuten 
gelungen sei, die, mit Salpeter handelnd, ihren Feuerkessel auf einen 
Salpeterbrocken stellten, der durch die Gewalt des Feuers mit dem 
Kiessande des Bodens zu Glas verschmolz. Die alten Kulturvölker 
waren im Besitze des Geheimnisses der Glasdarstellung, und ich möchte 
hier ausdrücklich darauf aufmerksam machen, daß die Römer Glas- 
hütten hatten, hübsch faconierte Gläser herstellten, daß es höchst 
wahrscheinlich ist, daß die moderne Glasindustrie auf die antike und 
zwar auf eine römisch-italienische zurückzuführen ist und daß, wie wir 
sehen werden, ein Zusammenhang der Fichtelgebirger Glasgewinnung 
auch mit letzterer bis zu einem gewissen Grade nachgewiesen werden kann. 

Wenn man im Fichtelgebirge von den Anfängen dieser Industrie 
spricht, pflegt man als die ersten Glasmacher stets die Venediger 
Männlein zu nennen und eine der alten Glashütten in dem beim Berge 
Ochsenkopf gelegenen Dorfe Bischofsgrün, deren Existenz sich auch 
thatsächlich bis in graue Jahrhunderte zurückverfolgen läßt, direkt mit 
dem Namen Venetianerhütte zu bezeichnen. Es sind die Venediger, 
Venter, Wahlen ja bekanntlich in der Sage jene Halbwesen, welche 
nach Gold und überhaupt nach Metallen suchend die Gebirge durch- 
ziehen, in den Wäldern geheimnisvoll scharren und schirfen, wohl auch 
kleine industrielle Anlagen anlegen, aber rasch, wie sie gekommen, 

Cp 


R4 Miszellen. 
mit ihren Schätzen verschwinden. Es war zu verlockend , jeden Berg 
werksunternehmer, jeden Glasmacher, dessen Gebahren und Sprache dei 
waldgeborenen Eingeborenen auffallen mußte, und der bei der Kleinheit deı 
Betriebe in früherer Zeit rasch auftauchte und ebenso rasch verschwand, 
mit den Gestalten zu indentifizieren, welche die Sage schildert, die den 
Fichtelgebirgern zu jeder Zeit geläufig war. Nun ist Folgendes zu be- 
richten: Im südöstlichen Bayern bis über die Donau herüber können 
bis in das Mittelalter herein Reste romanischer Völkerschaften nach- 
gewiesen werden, welche entweder als Trümmer romanischer Stämme 
oder direkt als Ueberbleisel römischer Kolonisten anzusehen sind. Sie 
thaten sich durch besondere Leistungen im Kunstgewerbe hervor. Sind 
doch z. B. die mittelalterlichen Arbeiter der Passauer und Regens- 
burger Goldschmiede heute noch berühmt. Diese wohnten in besonderen 
Straßen und unterschieden sich von ihrer germanischen oder germani- 
sierten Umgebung durch Tracht und wohl auch durch Aussehen. Heute 
noch dehnt sich in Regensburg die Wahlenstraße (valisk = fremd, welsch), 
die bezeichnenderweise bis in das 18. Jahrhundert herein meistens von 
Goldschmieden und Zinngießern, also von Vertretern des Kunstgewerbes 
bewohnt war. Die Frage, woher diese romanischen Goldschmiede ihr 
Gold und vor allem, woher die Zinnarbeiter ihr Zinn hatten, ist noch 
zu wenig behandelt, als daß sie hätte entschieden werden können. Ich 
möchte aber hier ausdrücklich darauf aufmerksam machen, daß die Völker 
des mitteleuropäischen Kontinents mit verschwindender Ausnahme dar- 
auf angewiesen waren, sich das Rohmaterial zur Herstellung ihrer Zinn- 
bronce von jener Zeit an, welche man die vorhistorische nennen muß, 
bis hinein in das 18. Jahrhundert aus dem Erz- und dem diesem be- 
nachbarten und genetisch verwandten Fichtelgebirge zu holen), da der 
Zinnstein anderwärts selten und überhaupt nur in den Gebirgen, die 
krystallinische Silikatgesteine aufweisen, zu finden ist. Sehr wahr- 
scheinlich ist, daß die romanischen Zinngießer, aber auch die Gold- 
schmiede und die Glas- und Perlenmacher in das überschwänglich ge- 
priesene Fichtelgebirge zogen, um dort zu suchen und zu finden, was 
sie brauchten, nicht nur Metallen: Zinn in der Schneeberggruppe, bei 
Wunsiedel, Weißenstadt, bei Kirchenlamitz und an anderen Orten, Gold 
bei Gold-Kronach und an der Acherwiese bei Schönbrun, sondern auch 
die Materialien zu der auch ihnen bekannten und von ihnen ausgeübten 
Glastabrikation: Alkalihaltige Holzasche, Kalk, eisenfreien Quarz und 
passenden Thon zu Ziegeln. So wurde es ihnen möglich, nicht nur 
bergmännische Unternehmungen auszuführen, sondern in kleinen An- 
lagen die Perle darzustellen, die ja zu allen Zeiten und bei allen Völkern 
ein beliebter Schmuck war und geblieben ist, die man neben den Waffen 
als das Beste, was der Lebende besaß, den Toten mit in das Grab 
legte. Die Gestalten dieser „Ausländer“, die ja wegen Wald und Fels 
hier nur in spärlicher Besiedelung sitzen konnten, glichen den Gestalten 


1) S. Arch. f. Geschichte und Altertumskunde f. Oberfranken, Bd. 12, Heft 6, 


1854, Bd. 18, Heft 2, 1857 und Bd. 18, Heft 1, 1890. — Dr. M. Schurz, Der Seifen- 


bergbau im Erzgebirge und die Wahlensage. Stuttgart 1890. 


Miszellen. 85 


der Sage, ihre Arbeiten standen im engen Zusammenhange mit denen 
italienischer, überhaupt südländischer Kunst (die Venedigersage weißt 
nicht nur im Fichtelgebirge, sondern überhaupt nach Süden), und so 
wurden diese uralten Gestalten indentitiziert mit den Romanen, den 
den ungleich jüngeren Venetianern, und eine Reihe der einschlägigen 
Erzählungen spielt sich in der Folge direkt in Venedig ab. Wer Glas 
schmolz, wer Bergwerk trieb, wer Metalle gewann, anders aussah und 
anders sprach, wie die eingeborenen Hinterwäldler, der war nicht eine 
Art von Halbwesen mehr, wie früher, sondern ein Venetianer, ein Wälscher, 
ein Fremder = ein Wahle und der Begriff erweiterte sich so, daß z. B. 
im 17. Jahrhundert das Suchen und Schürfen nach Metallen in offi- 
ziellen Berichten geradezu , Wahlereitreiben“ genannt wurde. Wir 
werden sehen, daß ein loser Zusammenhang, der Hohlglasindustrie im 
Fichtelgebirge mit der in Venedig im Mittelalter wahrscheinlich ist. 
Am Osthange des durch ein interessantes Felsengewirre sehenswerten, 
in der Schneeberggruppe gelegenen Berges „Platte“, bei dem Dorfe 
Tröstau bei Wunsiedel und zwar in der Nähe der ausgedehnten, 
lange verlassenen Zinngrubenfelder (Waldabteilung Zinngräben), ge- 
lang es, einen solchen alten Venetianerofen auszugraben. ®/, Meter 
hoch mit Waldhumus bedeckt, von Baumwurzeln umschlungen, in 
unmittelbarer Nähe vom Granitfelsen, an einem sanft ansteigenden 
Hang lagen die Reste zweier Glasöfen. Von dem einen fand man nur 
die Ueberbleisel einer Backsteinumhüllung und das Bruchstück eines 
Thontiegels. Um so besser sah der zweite aus, der ungefähr folgende 
Konstruktion hatte: Auf einem Feuerherde stand der Kessel, der zur 
Hälfte noch wohl erhalten war. Derselbe ist 15 cm tief, hat 25 cm 
im Durchmesser und seine Wände sind 4 cm dick. Er ist mit der 
Hand aus feuerfestem Thon geformt, welcher der Hitze vortrefflich wider- 
stand. Weniger war dies bei den Wänden der Feuerungsanlagen der 
Fall, welche aus Quarz und Granit bestanden, stark gefrittet, ja durch 
ermöglichte starke Feuerwirkung zum Teile geschmolzen und von über- 
getretener Glasmasse bedeckt waren. Um das Ganze lag ursprünglich 
ein Backsteinmantel, dessen letzte Spuren als ganz zersetzte pulverige 
Ziegelsteinmasse angetroffen wurden, dessen Höhe einen Meter kaum 
überschritten haben dürfte. Bedeutend scheint nach den geschmolzenen 
Gesteinsmassen die Hitze gewesen zu sein. Aschereste fanden sich 
nicht, sie werden abgeschwämmt gewesen sein und nur sonst sehr wenig 
Kohlenreste, die sich sonst bei der Widerstandstähigkeit der Kohle gegen 
jedwede Einflüsse lange zu erhalten pflegen. Dagegen fanden sich in 
dem vorüberfließenden Bächlein eine Menge zerbrochener Tiegeltrümmer 
mit verschieden dicken Wänden, die zum Teil mit verwitterter Glas- 
masse gefüllt waren, die auch manchmal, übergelaufen, an den Wänden 
hing. Neben Scherben unglasierter Töpfe traf man noch Glasschlacken, 
aus denen sich die Art des Glases erkennen ließ, daß grünlich und 
ohne Zusatz von färbenden Mitteln hergestellt war. In einem Kessel- 
fragmente liegt noch eine mehrere Pfund schwere Glasmasse. 

Aehnliche Anlagen wurden in der Nähe der Luisenburg bei Wun- 
siedel und bei Waldsassen angetroffen. 


"e 


RG Miszellen. 
Wir sehen hier die allerersten Anfänge der Glasperlenfabrikat 
im Fichtelgebirge, welche bis in unsere Tage nicht zum Aufhäöı 
kam. Aus diesen primitiven Anlagen entwickelten sich die Glashütt 
in Bischofsgrün, denen man nachsagte, daß sie schon im 10. Jal 
hundert gegangen sein sollen und in denen man anfänglich wahrschei 
lich nur Perlen, viel später erst Hohlglas dargestellt hat und aus dene 
in der Folge jene schönen Gläser und Pokale hervorgingen, welch 
unter dem Namen Fichtelgebirger, Fichtelberger oder Bischofsgrüne 
Gläser begehrt waren. Um deren Besitz bemühte sich mancher hohe 
Herr und sie sind heute noch von den Museen stark begehrte Artikel 
Zur Perlendarstellung hatte man in Bischofsgrün ungemein billiges 
Rohmaterial schon sehr frühzeitig aufgefunden. Die neuere Forschung 
hat erkannt, daß man es im Fichtelgebirge mit einem Gebirgsknoten in 
des Wortes Bedeutung zu thun hat, d. h. die ältere Richtungslinie des 
Erzgebirges wird hier von der Längsachse des Thüringerwaldes durch- 
schnitten und die Einwirkung der beiderseitigen Gebirgsmassen veran- 
laßte u. a. eine Zersplitterung und Zerspaltung des Gebietes in seinen 
Grundmassen, ein Bilden von Rissen und tiefgehenden Spalten, welche 
ein Aufsteigen eruptiver Massen ermöglichten. So weist auch das große 
Granitmassiv des Ochsenkopfes eine Spalte auf, in dem ein jüngeres 
Gestein, der sogenannte Proterobas, eindrang, der Culmitzer der Um- 
wohner, das in großen und kleinen, grünen und schwärzlichen Kugeln 
zu Tage tritt, das, nebenbei erwähnt, auch in Blöcken in tieferen Lagen 
vorkommt, die zu Platten gesägt und poliert das Vestibul des Reichs- 
tagsgebäudes zu Berlin mit schmücken helfen. Dieser Proterobas be- 
steht aus tiefgrüner Hornblende, Chlorapit, Augit und Plagioklas und 
enthält accessorisch Magnet- und Titaneisen, Schuppen von Magnesia- 
glimmer und beträchtliche Mengen von Schwefelkies. Analysen ergaben 


Kieselsäure 47 —54 Pros 


Thonerde 15 —23,4 i 
Eisenoxyd 7,09— 3,84 , 
Bittererde 6,18— 0,85 „ 
Kalkerde 8,41— 6,25 „ 


nebst kleinen Mengen von Kali, Natron, Phosphorsäure, nebst Spuren von 
Schwefel und Chrom !). Dieses Gestein, mit dem wir uns, um das Nach- 
stehende verständlich zu machen, kurz beschäftigen müssen, schmilzt 
leicht zu einem tiefdunklen Glase, was man in Bischofsgrün sehr bald 
erkannt zu haben scheint. Man schichtete es in Haufen auf, zündete Holz 
darum an, worauf es sich leicht zerschlagen ließ. Die Trümmer brachte 
man in den Schmelzofen der Glashütte, an den der Calcinierofen angabaut 
war, dem der Holzdörrofen und dann der Kühlofen folgte. In dem Schmelz- 
ofen pflegten sechs Tiegel zu stehen, welche man schon sehr frühe aus 
einem sehr feuerbeständigen Thone darstellte, den man bei Niederlamitz 
am Fuße des Kornberges fand. In einem dieser Tiegel schmolz man die 
Masse und verteilte sie mittels eiserner Löffel unter die übrigen, welche 
so angebracht waren, daß die Arbeiter durch Oeffnungen zur Masse 


1) Gumbel, Geognostische Beschreibung des Fichtelgebirges, S, 200. Gotha 1884, 


Miszellen. 87 


konnten. Eiserne Stäbe mit dünnen Spitzen wurden rasch gedreht und 
dann die so entstandene Perle, welche man mit einem messerartigen 
Instrumente hübsch zurundete und zuputzte, in einem mäßig erwärmten 
mit Thonschlamm gefüllten Topfe langsam abgekühlt, ein Verfahren, 
das man in den modernen Perlenhütten heute noch anwendet. So wurden 
in ältester Zeit aus dem Proterobas ohne Zusatz die Perlen hergestellt, 
die allerdings nur schwarz waren und wegen des Hornblendegehalts des 
Rohmateriales auch nur schwarz sein konnten. Erst als die Glasher- 
stellung sich im Laufe der Zeit von dem Herstellen der Perlen zu solcher 
von Hohlgläsern erweiterte, als überhaupt die Technik fortgeschritten 
war und man sich auch anscheinend mit der dunklen Perle nicht mehr 
begnügte, mußte man sich aus von Holzasche stammenden Alkalisalzen 
und Quarz die Masse darstellen, die man auch recht hübsch färben 
lente. Zunächst geschah dies bezeichnenderweise mittels einfacher 
Hitsmittel und zwar färbte man gelb durch hineingeworfene Birken- 
rind, blau durch Smalte, rubinrot durch Braunstein, opalartig 
oder milchweiß durch caleinierte Knochen. So wurde es vor langer 
Zeit möglich, die begehrte Perle zu färben. 

Alle Stürme der Jahrhunderte und allen Wechsel der Zeiten über- 
dauerte diese Perlenfabrikation im Fichtelgebirge bis auf den heutigen 
Tag, wo sie wieder bestens blüht: zu Ende der 1850er Jahre kam sie 
einmal zu hohem Aufschwung. Damals wurde es mode, Damenkleider, 
Jacken u. dergl. damit zu zieren, man trug Armbänder, Ketten aus 
Fichtelgebirger Glasperlen, auch stellte man damit Tischdecken, Glocken- 
züge, Etagerenquasten u. dergl. mit bunten Mustern her. Die Blüte war 
kurz, aber für die Unternehmer einträglich, im ganzen Gebiete ent- 
standen neue Perlenhütten, luftige einfache Anlagen, in denen nichts, als 
ein großer Schmelzofen stand. Die fortgeschrittene Chemie ermöglichte 
die Darstellung von allen möglichen Farben und Schattierungen. An 
den Oefen arbeiteten in der Regel 28 Arbeiter, 14 und 14 in je zwölf- 
stündiger Schicht, und man arbeitete, kühlte, wie vor einem Jahr- 
tausend, nur das Produkt war schöner und farbenreicher. 

Aehnlich wie die runden Perlen stellte man abgeplattete, die 
„Paterle“ her (Abkürzung für Paternosterle, weil man sie zu Rosen- 
kränzen verwandte). Sie gingen durch alle Lande wie die Perlen und 
wurden zu Tauschobjekten in fernen Erdteilen und man beglückte ebenso 
die Wilden, wie man sich zu Hause selbst mit ihnen schmückte. 

Jüngeren Datums, aber doch alt genug, ist die Darstellung von 
Knöpfen in den Fichtelgebirger Glashütten, die ebenfalls aus dem oben 
geschilderten Proterobas hergestellt wurden, der deshalb in unseren 
Tagen noch zuweilen Knopfstein genannt wird. Ein aus diesem Ge- 
steine bestehender Hügel, in der Waldabteilung Lützellohe bei Bischofs- 
grün am Ochsenkopf, führt heute noch den Namen Knopfsteinhügel. 
Ursprünglich fügte man eine Drahtöse in die noch weiche Perle und 
der Knopf war fertig. Im 17. Jahrhundert erfand man ein Kluppwerk, 
das wie eine Lichtscheere konstruiert war und durch einen Druck mit 
dem Fuße zusammengepreßt wurde. Durch Einfügen verschiedener 
Formen, wie Sterne, Muscheln u. s. w. in die Scheere erzielte man 


Ss Miszellen, 


Fr hübsche Produkte. Im Jahre 1817 kostete die Schnur schwarzer 
i Knöpfe (= 20 Dtz.!) nur 10—12 Kreuzer (30—36 Pfg.), die farbigen 

waren etwas teuerer und kosteten 18—20 Kr. (50—60 Pfg.), die 
7 teuersten waren die opalartigen, für deren Erzeugung man an den 


$ Ofen eine eigene Abteilung so angebracht hatte, daß sie von der aus 
diesem überschlagenden Flamme mäßig erwärmt wurden. War dies 
j geschehen, so wurden die Knüpfe mit der Oese auf eine Tafel von 


frischem Thon gesteckt, wodurch deren Oberfläche wieder zum Flug 
kam und dadurch ihr schönes Aussehen erhielt. 

Diese Knopffabrikation hat seit ungefähr 50 Jahren aufgehört. 

Neben dieser Perlen- und Knopffabrikation, die, wie wiederholt 
erwähnt, hauptsächlich im Dorfe Bischofsgrüin am Öchsenkopf ihren 
Sitz hat seit unerdenklicher Zeit, die aber auch in Warmensteinach, 
Mehlmeisel, Unter- und Mittellind ausgeübt wurde und noch wird, blüht 
seit alter Zeit eine Hausindustrie im Fichtelgebirge, welche sich mit 
der Herstellung verzinnter Glaskugeln beschäftigt, die zum Christbaum- 
schmuck Verwendung finden. Mit Hilfe eines Lötrohres stellte man aus 
weißen oder farbigen Glasröhren runde Kugeln her und taucht sie 
rasch in geschmolzenes Zinn. Die Kugel überzieht sich mit dünner 


vi Zinnfolie mitunter mit schünem Farbenspiel. Hier ist zu erwähnen, | 
daß neben anderen Orten in der Bischofsgrün benachbarten Einsatte- } 


lung zwischen Ochsenkopf und Schneeberg schon in vorhistorischer 

Zeit Zinn gewonnen wurde, die Rohmaterialien also leichter, wie auderswo 

zu erhalten waren. Noch in heutigen Tagen werden diese Glaskugeln 

von Frauen im Hausierhandel abgesetzt. ] 
' Daß sich die uralten Perlenfabriken bald schon zu solchen auf- 

schwangen, in denen man Gläser, zunächst einfachster Art, herstellte, 

liegt in der Natur der Sache. Im Laufe der Zeit lernte man dann | 

jene Kelche und Pokale fabrizieren, die wir schon erwähnten, lernte 

sie mit Figuren zu schmücken, mit Ornamenten zu bemalen und mit Versen 

und Sinnsprüchen zu versehen und sandte sie unter dem Namen der 


Fichtelgebirger Gläser in die Welt. Diese stammen samt und sonders | 
aus den Bischofsgrüner Glashütten, und es liegt ihr Wert weniger in | 
ihren Formen oder in der Qualität des Glases, als in der Originalität | 
der Malerei und der an ihnen angebrachten Sprüchen und Bildern. Es N 
ist undenkbar, daß in dem einsamen und zu allen Zeiten abgeschlossenen | 
Gebirgswinkel, in dem Bischofsgrün liegt, ein Kunstgewerbe sich ent- | 


wickeln konnte, wie es geschah, ohne daß es von außen her eine Be- 
einflussung erfuhr. Ein Zusammenhang mit den Glasmalereien ander- 
wärts mußte vorhanden sein, obgleich man sich unverkennbar die Motive 

zu den Bildern in allernächster Nähe, meist aus dem benachbarten 
Walde holte. Wahrscheinlich standen die Unternehmer mit Nürnberg 

in Beziehung, zu Nürnberger Schulen und Glasmalern uud über Nürn- 

berg hinaus in lockeren Beziehungen zu Venedig. Es existieren Formen, | 
welche stark an Venetianer Gläser erinnern. Als Ende des 13. Jahr- 
hunderts die Nürnberger Burggralen anfingen, ohne größere kriegerische 
Unternehmungen, aber sehr zielbewußt durch Erwerben und Brechen 

von Edelsitzen das Gebiet in und um dem Fichtelgebirge sich anzu- | 


Miszellen. sy) 


eignen, wurde der Einfluß von Nürnberg nach jeder Richtung von Be- 
deutung. Ich erinnere nur an die von den Burggrafen vorgenommene 
Kolonisierung und an die Rechte, welche sie den Einwohnern boten 
(Gerechthülzer, Bergrechte, Zeitelrecht u. s. w). Ursprünglich gehörte 
das ganze Waldgebiet der freien deutschen Reichsstadt der nun 
böhmischen Stadt Eger zu. Nachdem seit uralter Zeit die Bischofs- 
grüner Glashütte im Betriebe war, werden sich die Unternehmer ent- 
weder in Nürnberg oder in frühester Zeit umgekehrt die Nürnberger 
Glasmaler sich nach den Glashütten in Bischofsgrün umgesehen haben. 
Der bekannte Nürnberger Glasmaler Veit Hirschvogel (1461—-1525), 
dessen Kunstfertigkeit man an vier Fenstern der Sebalduskirche zu Nürn- 
berg bewundern kann, war ein Bischofsgrüner Kind. 

Es ist unendlich wenig über diese Art von Glasproduktion in 
Bischofsgrün selbst zu erfahren, trotzdem noch Familien existieren, 
welche sie betrieben. Wohlstand und Vermögen brachte sie nicht, es 
waren die Glasmacher und auch die Unternehmer im Gegensatz zu 
denen, welche die Eisengewinnung betrieben, niemals das, was man 
wohlhabende Leute nannte. Die ersten Glashüttenmeister führten den 
leicht erklärlichen Namen Glaser, was ein Beweis dafür mit sein möchte, 
dal die Sache doch recht weit zurückgeht und zwar in eine Zeit, in 
der Familiennamen fehlten (analoge Entstehung wie die der Namen 
Schmidt, Müller, Schuster, im Fichtelgebirge auch Zeitler. Da das 
älteste Kirchenbuch, das mit dem Jahre 1558 begann, bei einem am 
19. Mai 1612 stattgefundenen Brande zu Grunde ging, die späteren Kirchen- 
bücher meist auch mangelhaft geführt wurden, so läßt sich nichts 
Sicheres darüber bestimmen, wann man zuerst malte und wer den An- 
fang dazu machte. Das Erscheinen von Veit Hirschvogel im 15. Jahr- 
hundert in Nürnberg, der höchst wahrscheinlich seine Kunst schon mit- 
brachte, giebt zu denken. Außer Zweifel ist, daß die Bischofsgrüner 
Glasmalerei nach der Art der Behandlung in den dortigen Wäldern 
ihre ursprüngliche Heimat hatte. Ihre Blüte fällt nach dem Wenigen, 
was vorhanden ist, in das 17. Jahrhundert, im 18. kommt ein jüher 
Verfall, da wird, wohl gedrückt von den Zeitverhältnissen, die Kunst 
rasch zum Handwerk. 

Im Jahre 1897 feierte die Glashütte zu Lauscha in Thüringen ihr 
300-jähriges Jubiläum. Zwei vertriebene Protestanten, Christoph Müller 
aus Böhmen und Hans Greiner aus Schwaben, Glasbläser von Beruf, 
kamen 1595 nach Thüringen und erlangten vom Herzog Johann Casimir 
von Coburg am 10. Januar 1597 durch einen „Erbbrief“ das Recht zum 
Herstellen von Gläsern aller Art. Diese Müller und Greiner fabrizierten 
nicht nur Glaskugeln, gläserne Menschenaugen u. dergl., sondern auch 
faconierte Gläser und bemalten sie nicht ohne Geschmack in satten 
then), Ihre Erzeugnisse sind sehr schön in den Sammlungen der 
Veste Coburg vertreten. Nun ist folgendes zu konstatieren: Auch die 
Hüttenbesitzer in Bischofsgrün führen jahrhundertelang die Namen, 
die in Thüringen gang und gebe waren und noch sind: Müller, Greiner, 


———.. 


i 1) Kommerzienrat A. Fleischmann: Gewerbe, Industrie und Handel des Meininger 
Iberlandes, Hildburghausen 1578. 


90 Miszellen. 


Wanderer, von der Lausch d. h. aus der Lauscha in Thüringen u. s. w. 
Die Leute scheinen, gelockt von den alten Bischofsgrüner Anlagen, dorthin 
verzogen zu sein. 1616 hat Stephan Greiner die Brandstätte und einen 
Teil des Hüttengutes des Mich. Glaser gekauft. Als die Thüringer 
eingezogen waren, begann auch die Herstellung von Figuren, von 
Hirschen, Vögeln, Häusern, Kindern in Wiegen u. dergl., die meistens 
verhausiert wurden, aber immer blieb eine gewisse Armut der Glas- 
macher im Fichtelgebirge Begleiter, eine nicht zu überwindende All- 
tagsnot, welche wohl auch in dem allzugroßen Einfluß des Waldes und 
in dem steinigen Boden ihre Ursache mit hat. 

Die Bischofsgrüner Gläser waren teils mit Goldornamenten nach 
Venetianer Art, meist aber mit so satten Farben bemalt, daß die Zeich- 
nungen reliefartig absteht. Wappen, Familienbilder, letztere meist in 
Tracht des 17. Jahrhunderts oder in spanischer Tracht, Scenen, welche 
naiv Ereignisse schildern, welche sich bezeichnenderweise in unmittel- 
barer Nähe des Dorfes abspielten und die meist heiterer Natur sind, 
werden festgehalten. So z. B. der berühmte Auszug der Münchberger 
auf die Bärenjagd. wobei sich der Bär als ein durchgebrannter schwarzer 
Pudel entpuppte. Eine Fensterscheibe in der 1731 ausgebrannten 
Cantoratswohnung zu Wunsiedel bewahrte die Erinnerung an eine Berg- 
partie auf den Ochsenkopf, bei welcher ein als Zigeuner verkleideter 
Lehrer die Touristen schrecken wollte, aber in dem Augenblick seines 
Herantretens von einem aus einer der zahlreichen Höhlen hervor- 
brechenden Bären überrannt wurde. Darunter stand geschrieben: 

Der Pastor Laumann fürchtet zwar 
Der Zigeuner schwarze Schaar, 

Der Cantor Jahe, der gerne neckt 
Wird von dem Bär dafür erschreckt, 

Auch mit Anbringen von Sinnsprüchen war man freigebig. 

besang man das Fichtelgebirge folgermaßen : 
Von Gold und Silber durchflochten 
Ist mein edles Eingeweid, 
Adam’s graues Alter reichet 
Nicht zu meiner Frühlingszeit. 
Dabei stellte man das Gebirge als einen bewaldeten Berg dar, 
den eine goldene, umschlossene Kette absperrte, aus dem, den Wild- 
reichtum anzudeuten, Tierköpfe hervorlugten und aus dem die vier dem 
Fichtelgebirge entquellenden Flüsse Main, Eger, Naab und Saale hervor- 
brechen. So schrieb man: 
Der Fichtelberg bin ich benannt, 
Jin oberen Franken wohlbekannt, 
Vier schiffreiche Flüsse aus mir kommen frei, 
Ich hab fein Gold, Silber, Erz und Blei. 
Den Main laß ich in Franken ein, 
Hingegen bekomm ich dann den Wein; 
Die Saal, die läuft in Sachsen, 
Als da ist mir die Frucht gewachsen, 
Die Eger, die läuft in Böhmerland 
Da konnt das Vieh wieder zur Hand! 
Die Naab, läuft durch die Pfalz, 
Hingegen bekomm ich da das Salz! 


So 


1717 


Miszellen. 91 


Besser sind die Verse, die zu Ehren Karls XII. von Schweden 
auf cylindrische, 23,5 cm hohen Gläser angebracht und gegen die Türken 
gerichtet sind. Ein Spruch lobt, was sonst selten geschah, das heilige 
rimische Reich: 

Das heilige Römische Reich mit 
sampt seinen Glidrn 
Ein anderes trägt den Reichsadler und die Inschrift: 
Gott behüte und bewahre daß 
vantze heilige Römische Reich, mit 
seinen Gliedern all zu gleich 
Anno Domini MDCC 
Darunter steht: 
Vivant Alle Glieder des r. Reich—<$. 


Andere Gläser tragen das Bild eines jungen Mannes mit hell- 
grünem Koller, gleichem Beinkleid, Federhut und Handschuhen und 
die Inschrift: 

Zucht und Tugend 
Ziehret voll die Jugend 


Komisch wirkt des Bild von Kühe kaufenden Metzgern und die 
Inschrift: 
Ob wir müßen schon viel lauffen 
Dieses doch unß schadet nicht 
Wann wir nur braf in verkauffen 
führen die Bauern um das Licht 
Anno Dom. 1718. 


Die poetische Ader der Glasmacher war, wie aus dem wenigen 
Mitgeteilten, das sich ja leicht verdoppeln ließe, nicht bedeutend, es ist 
der alltägliche Sing-Sang und die Verse sind entschieden besser ge- 
meint, als sie ausfielen. Im allgemeinen ist anzunehmen, daß die 
älteren Gläser die besseren sind. Die Ornamentik ist gut, flotter, die 
Figuren zwar steif, aber richtig gezeichnet. Gläser mit dem Stamm- 
baum der Bischofsgrüner Hammerherren, der Schreyer, mit deren Bildern 
in spanischer Tracht, die Frauen mit großen weißen Schürzen und weit- 
maschigen Hauben, sind nicht übel, auch ein Schneiderbrautpaar kann 
sich sehen lassen. Im 18. Jahrhundert verschlechtert sich im Gegen- 
satze zu den Thüringer Gläsern die Malerei mehr und die Verse 
werden nicht besser. Die Malerei wird immer handwerksmäliger, die 
Bäume werden durch grüne Flecken, die Ornamente nur durch Punkte 
und Striche angedeutet, unqualifizierbare Tiere und Tierköpfe treten 
auf. Springende Tiere sind z. B. so oberflächlich gezeichnet, daß man 
sie ebensogut als Hirsche, wie als Esel oder Hasen ansehen kann; 
dabei wird die Farbenzusammenstellung immer bäuerlicher und ge- 
schmackloser, Rot, Gelb und Blau wechselt in den Ornamenten. Es 
fehlte an Meistern, was wohl hauptsächlich Ursache war, daß die Sache 
einschlie und nach 1760 wurden in Bischofsgrün überhaupt keine Gläser 
mehr gemalt. 


92 Miszellen. 

Ueber die Technik ist nichts mehr zu erfahren; trotzdem anzu- 
nehmen wäre, daß sich die Erinnerung an dies Gewerbe, das sich, wenn 
auch nicht viel, doch etwas rentiert hat, in den Familien erhalten 
hätte. Viel Glücksgüter scheint wie schon mitgeteilt die Glaserzeugung 
und Malerei nicht eingebracht zu haben, ungleich rentabler war, die 
bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts blühende Herstellung von Eisen, 
welche, wenn auch nicht die Arbeiter, so doch die Hammerherren zu 
wohlhabenden Leuten gemacht hat. 

Die Bischofsgrüner Gläser, welche von der Größe eines Schnaps- 
glases bis zu der eines Malkruges hergestellt wurden, namentlich die 
älteren schönen Pokale, waren früher häufiger in den Fichtelgebirger 
Familien. Sie waren, trotzdem sie eine Zeit lang sehr begehrt waren, 
nicht teuer, sind aber oft mißachtet und zerschlagen worden. Erst seit 
die Entwickelung des Kunstgewerbes in neuester Zeit veranlaßte, daß 
man sich nach alten Formen und Kunstprodukten umsieht, sind sie ge- 
suchte, aber auch seltene Artikel geworden. Das germanische Museum 
besitzt kein, das bayerische Nationalmuseum nur ein solches Glas. 
Man muß sich hüten, die besseren nicht mit Thüringer Gläsern zu ver- 
wechseln. 

Als die schöne Kunst der Glasmalerei nicht mehr betrieben wurde, 
warf man sich in Bischofsgrün auf die Herstellung von Wein-, Feld- 
und Wasserflaschen und von Medizingläsern. Letztere verkaufte man 
in Bündeln, welche man mit dem merkwürdigen Worte Schaab benannte, 
26 Schock gaben ein Hüttenhundert, aber die Hüttenhunderte hatten 
wieder höchst sonderbare Zusammensetzung: Gläser von 


1 Lth. Inhalt ging auf ein Schaab 6 Stek., auf ein Hüttenhundert 156 Stck. 


2— 3 HI HI HI nm nm » 5 HI MI HI DI 130 nm 
4—10 H nm mm ” HI nm 4 Hi n HI EL 104 n 
12—14 HI HI ” nm nm » 3 ” DI Di ” 73 D 
16—24 , Mn nn v 2 on » » D 50 y 


Eine merkwürdige Einteilung, welche sich vielleicht auf die Menge 
der verbrauchten Glasmasse zurückführen läßt. 

Aber auch diese Art von Glasproduktion konnte bei der primitiven 
Einrichtung der Hütten mit ihrer auf den nahen Wald angewiesenen 
Holzfeuerung den Einflüssen der auswärtigen Konkurrenz nicht wider- 
stehen. Die Produkte von auswärts wurden schöner, exakter und vor 
allem billiger. So löschte man 1884 das Feuer in der alten ehrwürdigen 
Glashütte zu Bischofsgrün aus und als der Ort zwei Jahre darauf in 
Flammen aufging, brannte auch sie mit nieder und ist als Glashütte nicht 
mehr erstanden, als Perlenhütte hatte sie nie aufgehört. Damit hatte 
die Hohlglasfabrikation im Fichtelgebirge ein Ende. Was die alten 
romanischen Leute brauchten für ihre Gläser, sie fanden es hier reich- 
lich, es waren Produkte des Mineralreiches, Produkte des Waldes. Als 
sich die Gläser zu Erzeugnissen des Kunstgewerbes aufschwangen, als 
man sie mit Bildern, Ornamenten und poetischen Ergüssen schmückte, 
fehlte sehr bald die Anregung, die Nahrung von außen; denn der 
immerhin starre Wald, der graue, wenn auch mächtige Granitfels, die 


Miszellen. 93 


Steingewirre des Fichtelgebirges bieten manches Schöne, aber wenig 
Abwechslung. 

Bis in die 1850er Jahre verkehrte man auf miserablen Wegen 
mit der Außenwelt über den Schneeberg hinweg nach Wunsiedel und 
jenseits noch schlechteren mit Berneck und Bayreuth. Die Bischofs- 
grüner trugen ihre Gläser, ihre Wein- und Arzneiflaschen, teilweise 
ihre Perlen in hohen Körben über die Berge zu einer Zeit, in 
der man anderwärts den Schienenweg benützte, Kohlen herbeischaffte 
und neue Systeme beim Glasofenbau anwandte So mußte das un- 
schöne Produkt dem schöneren und zudem billigeren weichen. — 
Eine erhielt sich und blüht weiter, es ist die Glasperlenfabrikation, 
welche zur Zeit entschieden sehr im Aufschwunge begriffen ist. Die 
Handelsverträge mit Rußland haben ihr zwar ein ausgedehntes Absatz- 
gebiet nach Rußland selbst und seine asiatischen Gebiete, auch nach 
Persien entzogen, aber dafür haben die Handelsbeziehungen des Deutschen 
Reiches besonders nach Ostasien und in den Orient, auch nach Indien, 
dann die Ausbreitung unserer Kolonien, vor allem die Erschließung 
Afrikas neue weıte Gebiete erschlossen. Die haltbare Glasperle bleibt 
Schmuckgegenstand und als solcher beliebtes Tauschobjekt, was die In- 
dustrie z. B. als Besatz von Tüchern, zu Quasten u. dgl. konsumiert, 
ist sehr wenig. So gingen von den 30 000 Ctr. Glasperlen, welche man 
im Jahre 1899 aus dem Fichtelgebirge versandte, die meisten über 
Hamburg nach Indien, dann nach Afrika, vor allem aber in den Kongo- 
staat. Augenblicklich sind 10 Perlenhütten im Betriebe, und zwar 


5 im Warmensteinachthal mit 300 Arbeitern 


1 in Hütten » 50 ei 
1 in Bischofsgrün „ 100 A 
1 in Oberwarmensteinach ,, 100 on 
1 in Mittellind » 100 Se 


sämtliche Ortschaften in der Umgebung des Berges Ochsenkopf gelegen. 
Die in den 1850er Jahren in der Umgebung von Wunsiedel flott be- 
triebenen Perlenfabriken gingen samt und sonders nach kurzem Auf- 
schwung ein. Neben den Perlen werden, jetzt und zwar ungefähr ?/, so- 
viel, aus derselben Masse Ringe hergestellt, welche dieselbe Verwendung 
haben wie die Perlen, die Verwendung zu Schmuck. Diese Art von 
Industrie ist von einschneidender Wichtigkeit für die genannten Ort- 
schaften. In dem lieblichen Thale von Warmensteinach ist kein Haus 
von den vielen an den Bergwänden hängenden, in denen nicht ein 
Perlen- oder, wie der gebräuchliche Ausdruck lautet, ein Patterle- 
arbeiter mit seiner Familie wohnt. Meist ist die Familie, wenn auch 
nicht bei der Herstellung, der Perle, aber beim Herrichten zum Versand 
beteiligt. Kinder und Frauen reihen Ringe und Perlen an Fäden zu 
100 Stück (Maschen), wofür für 100 X 500 Stück 30 Pfg. bezahlt werden. 
Die Männer werden nach der Zahl der angereihten Perlen bezahlt, d bh 
nach der Zahl der abgelieferten Maschen. Ein gewandter Arbeiter kann 
augenblicklich im Tage 4 M. verdienen, mindere 2—3 M. Die Ver- 
hältnisse der Arbeiter sind im Gegensatz zu früher durch die höheren 


94 Miszellen. 


Lohnsätze viel besser geworden. Während ihnen sonst ein kurzes Leben 
prophezeit wurde und man dem Einatmen der heißen Luft die Schuld 
gab, daß sie viel an Lungenkrankheiten litten, kann in der Neuzeit von 
einer Kurzlebigkeit nicht die Rede sein. Anscheinend macht die bessere 
Nahrung ihren Einfluß geltend. In den Hüttenanlagen, die wohl den 
vorhistorischen sehr ähnlich sind, sind Marketendereien eingerichtet, in 
denen man sich neben Wurst- und Fleischwaren Bier und Schnaps 
verschaffen kann, was nicht gerade für die Arbeiter von Vorteil sein 
kann. Manchmal wird während der Arbeit mehr gekneipt, als gut ist. 

Den Perlenmacherfamilien sagt man nach, daß sie sehr kinderreich 
sind, was die Mutter nicht hindert, dem Feldbau nachzugehen, der mit 
jeder Wohnung verbunden zu sein pflegt; denn die Kartoffel bleibt 
im Fichtelgebirge das beliebteste und gesuchteste Nahrungsmittel. Nicht 
selten vermehrt die notwendig gewordene Heimkehr der Töchter, die 
auswärts im Dienst standen und nicht immer allein eintreffen, die an 
sich schon hohe Kopfzahl der Familie. 

Was die Glasperlen selbst anlangt, so sind sie nicht mehr so gleich- 
mäßig und schön gearbeitet, wie vor ungefähr 20 Jahren; aber 
sie sind viel farbenreicher. Der größere Absatz verlangt ein rascheres 
Herstellen und so wird manche Perle und mancher Ring in die Welt 
gesandt, den man früher zum Ausschuß geworfen hätte. Experimente 
ließen Farben erzeugen, die gegen früher ganz prächtig sind. Während 
man sich vor einem ‚Jahrzehnte noch mit der Herstellung von weißen, 
blauen, gelblichen, vor allem schwarzen Perlen und Patterlen begnügen 
mußte, kommen jetzt alle möglichen Farben, hellrote, grüne, grüngelb- 
liche und verschiedene Mischfarben in den Handel: die schillernden Perlen 
lernte man überhaupt erst in der Neuzeit herstellen. Die in Fässern 
verpackte Ware macht einen Eindruck, der nicht bloß Kinder freut, 
und man begreift, daß im dunklen Erdteile manches Häuptlingsherz oder 
gar des seiner Frauen mild gestimmt wird, wenn die gleißenden Stränge 
überreicht werden. So ist der Fichtelgebirger Perle auch ein gewisser 
praktischer Wert nicht abzusprechen. Neben den Ringen und Perlen 
stellt eine Hütte in Oberwarmensteinach aus Milchglas, dem sogenannten 
Beinglas, auch Salbentöpfe für die Apotheken und jene Gläser her, in 
denen das bekannte Zalınwasser Odol verkauft wird, die sich durch 
ihre geschmacklose Facon auszeichnen. In dieser Hütte erhalten die 
Lehrlinge vom ersten Tage an 1 M. Tageslohn. Sämtliche Oefen werden 
nur mittells Holz erwärmt, die Versuche, mit Kohlen oder Gas zu 
feuern, mißlangen ; wegen der geringen Größe der einzelnen Kammern 
in den Oefen muß die Wärme gleichmäßig und darf nicht scharf sein. 
Vielleicht bringt die moderne Zeit in dieser Hinsicht Verbesserung. 

Die Gegenden, in.denen diese Glasperlen, Patterle, Ringe u. s. w. 
erzeugt werden, gehören zu den schönsten Walddistrikten des Granit- 
stockes vom Ochsenkopf. 

Noch vor wenigen Jahren ernährte diese Fabrikation kümmer- 
lich genug die Menschen, namentlich im Steinachthale, wo die weiten 
Wälder, die große Steilheit der Hänge, der quarzitische Boden, die 


Miszellen. 95 


wenig tiefe Ackerkrume dem Boden nur spärliche Frucht abgewinnen 
ließ. In Mittellind und Bischofsgrün wo die Thäler weiter und etwas 
sonniger sind, war es besser. Die höheren Lohnsätze, der Fremden- 
verkehr haben überhaupt bessere Verhältnisse allenthalben geschaffen. 

So hat sich die Perle aus dem Fichtelgebirge ihren kulturhisto- 
rischen Wert zu erhalten verstanden. Er war in grauester Vorzeit nicht 
geringer, wie in unseren Tagen, und auch die Freude an ihr ist geblieben. 
Nieht bloß die Wilden am Kongo, die braunen Brüder in Indien, die 
Malayen u. s. w. erfreuen sich an ihr, auch wir, die wir glauben, höher 
zu stehen, können den blitzenden, gereihten Kugeln Geschmack ab- 
gewinnen, die ja auch unseren Vorfahren nicht gleichgiltig waren, sonst 
hätten sie dieselben nicht ihren Toten mit in die Gräber gelegt. 


96 Miszellen. 


Nachdruck verboten. 


Il. 


Staatlicher Hypothekenkredit in Australien. 
Von Henry W. Wolff in London. 


Die australischen Kolonien, mit wie großem Stolze sie auch sonst 
gerechterweise das englische Herz erfüllen mögen, sind in zwei Hin- 
sichten für britische Volkswirte das Schmerzenskind der großen bri- 
tischen Staatenfamilie Fürs erste sind ihre Neigungen durchaus schutz- 
zöllnerisch, und zweitens hat das Vorwiegen des Arbeiterelementes in 
der Bevölkerung ihr ganzes Wirtschaftssystem sehr stark sozialistisch 
gefärbt. Für die Arbeiter, welche ja an der Wahlurne die Herrschaft 
führen, wird so ziemlich alles gethan, was sie verlangen. Aber neben 
den Arbeitern giebt es auch noch ein anderes Bevölkerungselement, 
welches im Lande derartig bedeutende Gewalt ausübt, daß seinen 
Forderungen die altenglisch-individualistischen Grundsätze bedingungslos 
weichen müssen, derart, daß der Staat sich für es sogar als Geldspender 
hinstellt. Dieses Element ist das der Grundeigentümer. Obwohl sich 
von Jahr zu Jahr mehr industriell und kommerziell entwickelnd, ist ja 
Australien — im Verein mit Neuseeland, welches doch als ein Teil 
der australischen Koloniengruppen gelten muß — doch immer noch in 
Wahrheit ein landwirtschafttreibendes Land. So ist es gekommen, daß 
in einer Kolonie nach der anderen das Ortsparlament den Staatssäckel 
geöffnet hat, um den Grundeigentümern, und zwar allein den land- 
wirtschaftlichen, mit Einschluß der Handelsgärtner, einen Hypotheken- 
kredit zu eröffnen, der dem deutschen Landschafts- und Ritterschafts- 
kredit entsprechen soll und der, das darf trotz prinzipieller Bedenken 
gleich gesagt werden, sich im allgemeinen nicht schlecht bewährt hat. 

In betreff der australischen Kolonien läßt sich nun allerdings für 
dieses Eingreifen des Staates etwas sagen, was auf ältere, geldreichere 
Kulturstaaten, wie diejenigen Europas, keinerlei Anwendung findet. 
Das zu erborgende Geld kommt zur Zeit noch in der Hauptsache aus 
England, wo der Zinsfuß niedrig ist und Anlagemittel gesucht sind. 
Und es fragt sich dann nur, wer am besten als Zwischenhändler, als 
vermittelndes Glied, dienen kann. Der Bankier? Der läßt sich natür- 
lich für seine Vermittelung und sein Risiko bezahlen, und zwar nicht 
schlecht, und treibt dadurch den Zinsfuß dermaßen in die Höhe, daß 
sich daraus in Zeiten der Krisis, die Australien mit seinen Witterungs- 


Miszellen. 97 


extremen, ganz abgesehen von der Konjunktur, ja doch auch hat, sehr 
böse Zustände ergeben haben. Bis vor kurzem war Australien noch 
ein Land hohen Zinsfußes. Vor etwa 40 Jahren zahlte man gern 10 
bis 15 Proz. Bis 1870 noch immer gern 7—9 Proz. Eine amtliche 
Erhebung über im Grundbuche eingetragene Hypotheken ergab 1895 
in Neuseeland, daß nur wenig Geld zu 51/,—6 Proz. erliehen war, der 
größte Betrag zu 6—8, aber auch sehr viel zu 9 und 10 Proz. Das 
hält heutzutage selbst die australische Landwirtschaft nicht aus. 

So ist es gekommen, daß sich der Staat ins Mittel gelegt hat. 
Seine verschiedenen Prozedurmittel dürften hier vielleicht von Interesse 
erscheinen. 

Nehmen wir zuerst das Neuseeländer System. Das ist, zum min- 
desten als Vorlage, das älteste und hat bisher auch überdies die meisten 
Ergebnisse geliefert. Das Neuseeländer Parlament begründete im Jahre 
1894 ein Hypothekenleihamt, welches bereits im Februar 1895 zu- 
sammentrat und seine Thätigkeit begann. Dieses Amt leiht auf die 
Bürgschaft des Staates erborgte Gelder gegen Verpfändung ländlichen 
Besitzes aus in Beträgen von wenigstens 500 bis höchstens 60 000 M. für 
jeden einzelnen Kreditsuchenden. Gleich den preulischen Rentenämtern 
bietet es als bestes Anzugsmittel eine für Australien bisher unerhörte 
Herabsetzung der Erhebungsspesen. Wer bis 2000 M. leiht, zahlt 
1050 M., darüber hinaus bis zu 10000 M. 21 M. und weiter bis zu 
60000 M. 42 M. Sollte sich das Pfandobjekt gleich auf den ersten 
Anblick als zur Verpfändung ungeeignet erweisen, so wird von dem 
Geschäft Abstand genommen und es werden dem Nachsuchenden die 
Spesen gänzlich erlassen. Zu diesen Spesen kommen dann allerdings 
noch Gerichtskosten in Höhe von 25,50 bis 77 M. und weiter 5 M. 
bei Löschung der Hypothek. Damit ist aber alles gesagt. Und das 
gilt in Australien für mäßig. Wo die Eintragung im Grundbuche fehlt, 
d. h. bei den älteren Grundstücken, für die der Besitztitel auf andere 
Weise festzustellen ist, muß die Uebertragung durch Anwälte besorgt 
werden, deren Spesen indessen auf das Doppelte der amtlichen Spesen 
als Maximum beschränkt sind. Mit Bezug auf die Werteinschätzung 
sind besondere Vorsichtsmaßregeln getroffen, die sich gut bewährt 
haben. Nur das Amt als Ganzes bewilligt den Kredit, niemals ohne 
die Grundsteuereinschätzung zu Rate zu ziehen, über welche zwischen 
Behörde und Steuerpflichtigem gewiß viel debattiert worden ist und die 
daher als mäßig gelten muß. Das Amt kann den verlangten Kredit 
ganz oder auch nur teilweise gewähren oder aber ganz abschlagen. 

Die gewährten Kredite sind zweierlei Art. Entweder erfolgen sie 
ohne die Bedingung regelmäßiger Amortisation auf eine Zeitfrist von 
höchstens 10 Jahren, jedoch ohne eine frühere Abzahlung nach Wunsch 
der Borgenden auszuschließen, bis höchstens die Hälfte des Taxwertes, 
zu 5 Proz. Zinsen. In dieser Weise sind seit 1895 nur etwa 2 000 000 
ausgeliehen worden. Viel beliebter ist die zweite Art, mit vorge- 
schriebener Amortisation, zu 6 Proz. (einschließlich Verzinsung) auf 361/, 
Jahre. In dieser Art darf das Amt das Pfandgut bis zu 3/, seines 
Wertes beleihen. Und auf diese Weise sind in 5 Jahren 42 740000 M. 

Dritte Folge Bd, XXI (LXXVI). 7 


98 Miszellen. 


ausgeliehen worden, wovon bereits 6 800 000 M. amortisiert sind. Be- 
schlagnehmungen des Pfandobjektes scheinen bisher noch nicht statt- 
gefunden zu haben. Zum mindesten hat das Amt augenblicklich keinerlei 
verpfändete Liegenheiten in seinem Besitz. Banken haben früher durch 
Sequestration viel Geld eingebüßt. Ein Uebelstand bei diesem System 
ist dieser, daß das Parlament dem Hypothekenleihamt nicht genügende 
Freiheit zur Anpassung der erhobenen Kreditmittel an seinen Bedarf 
gegeben hat. Das hat zu Anfang zur Anhäufung müligen Kapitals 
geführt. Dieser Mißstand ist indessen nunmehr beseitigt. Bis März 
1900 wurde von diesem Leihamt für 74220000 M. Kredit nachgesucht 
und 43580000 M. gewährt. Die Bevölkerungsziffer für Neuseeland ist 
beiläufig 805 000 Einwohner. 

In Südaustralien (Bevölkerungszahl: 373000) heißt die leihende 
Behörde Staatsbank. Sie besteht erst seit 1896. Der von ihr ge- 
währte Kredit ist vorderhand auf Ackerbau und Viehzucht beschränkt. 
Doch kann die Regierung in dieser Hinsicht weitere Befugnisse ge- 
währen, vorausgesetzt, daß die Pfandobjekte nur landwirtschaftliche 
Besitzungen bleiben. Andererseits ist die Staatsbank ermächtigt, an 
Munizipalitäten ebensowohl wie an einzelne Personen zu leihen. Be- 
leihungen dürfen bis zu 3/, des Taxwertes des Pfandobjektes erfolgen. 
Der Zinsfuß ist auf 41/, Proz. festgesetzt. Die erhobenen Spesen sind 
noch niedriger als die in Neuseeland. Die Abzahlung geschieht stets 
durch halbjährliche Amortisation, sofern der Borgende seine Schuld 
nicht aus eigener Initiative schneller abzutragen vorzieht. In betreff 
der Amortisationsperiode wird dem Kreditsuchenden, wenn man so sagen 
darf, innerhalb engerer Grenzen weit mehr Freiheit gelassen als in 
Neuseeland. Er darf auf 31/, Jahre oder bis zu 21 Jahren Hypotheken 
aufnehmen und nach Belieben wie in einer Sparkasse die Schuld un- 
regelmäßig durch Einzahlungen tilgen. Recht vorteilhaft zeichnet sich 
das südaustralische System von dem Neuseeländer dadurch aus, daß 
das benötigte Geld nach Bedarf durch Ausgabe 3 1/,-proz. Pfandbriefe 
erworben wird. Bis vergangenen März waren in Südaustralien auf die 
erklärte Weise, in 4 Jahren, 10 600000 M. ausgeliehen worden, wovon 
etwa 1500000 M. amortisiert worden waren. Zinsenrückstände be- 
liefen sich damals auf 4900 M. Die jährlichen Verwaltungskosten 
stellten sich auf nur 65360 M. im Gegensatz zu 88900 M. in Neu- 
seeland. 

Das in Westaustralien (Bevölkerungszahl: 178000) herrschende 
System gleicht in manchen Stücken dem oben beschriebenen südaustra- 
lischen. Doch hat es einige Züge den ja in Deutschland sehr be- 
kannten Grundsätzen der Darlehnskassen entnommen, derart, daß es eine 
Erkundigung über den Zweck des Anlehens vorschreibt und die Be- 
leihung, in Beträgen bis zu höchstens 8000 M. für den Einzelnen, nur 
zu Meliorationszwecken gestattet. Es ist also wesentlich für kleinere 
Grundbesitzer berechnet. Dieses Leihsystem besteht in der Kolonie 
bereits seit 1894, hat somit 51/, Jahre Erfahrungen hinter sich. Im 
ganzen sind 2 200 000 M. Kredit gewährt worden, wovon nur 1 705 600 M. 
wirklich gezahlt sind. Mit Hilfe solchen Kredites sollen für 8 640 000 M. 


Miszellen. 99 


Meliorationen zuwege gebracht worden sein. Die jährlichen Verwal- 
tungskosten belaufen sich auf 19000 M. Die Bank schloB in diesem 
Jahre mit einem Ueberschuß von 8060 M. und Zinsrückständen in Höhe 
von 680 M. ab. 

Das für die Kolonie Victoria (Bevölkerungszahl: 1165000) seit 
1896 bestehende System nimmt die Gelder der öffentlichen Sparkassen 
zu Hilfe. Die Sparkassen werden darin ermächtigt, zu Hypotheken- 
beleihungszwecken Gelder an das Schatzamt zu leihen, wofür sie nach 
Bedarf durch 3-proz. Pfandbriefe sichergestellt werden. In der That 
fließen 4/; des erhobenen Geldes aus dieser Quelle. Eine Beschränkung 
des Zweckes findet nur insoweit statt, als das Anlehen allein für land- 
wirtschaftliche Verwendung, aber für jede solche, statthaft ist, also 
namentlich auch zur Tilgung anderer Hypothekenschulden. Neben 
4!/, Proz. Zinsen ist als Minimum ein Amortisationssatz von 1!/, Proz. 
pro Jahr vorgeschrieben. Bis 30. Juni 1900 wurden im ganzen 
19460000 M. ausgeliehen, davon 2140000 M. zum Ersatz teurerer 
Hypotheken, und nur 1180000 M. zu eigentlichen Meliorationszwecken. 
Etwa 1550000 M. waren bereits amortisiert, die jährlichen Verwal- 
tungskosten beliefen sich auf 89300 M. Kapitalrückstände beliefen sich 
auf 1085,50 M., Zinsrückstände auf 2016 M. Es hatten 5 kleine Be- 
sitzungen von der Bank übernommen werden müssen. 

Seit Feststellung der hier herangezogenen Rechnungsabschlüsse sind 
in den vier erwähnten Kolonien vermutlich noch etwa 8000000 M. aus- 
geliehen worden, so daß sich die Gesamtsumine auf etwa 80000 000 M. 
stell. Als Ergebnis läßt sich anführen, daß, während im Jahre 1894 
in Neuseeland nur etwa 40000 M. zu 4 Proz. erhoben worden waren, 
1480000 M. zu 4—43/, Proz., 7060000 M. zu 5—53/, Proz., dagegen 
33080000 M. zu 6—6?/, Proz, 203000000 M. zu 7—78/, Proz., 
10860000 M. zu 8—8?/, Proz. und 4400000 M. zu 9 Proz. und 
darüber, die entsprechenden Ziffern für das Jahr 1898 folgendermaßen 
lauten: 200000 M., 31540000 M. 83360000 M., 19600000 M. 
5600000 M., 3500000 M. und 1660000 M. Der Kreditsatz hatte 
sich somit sehr erheblich gemindert, und die Landwirte zum wenigsten 
sind zufrieden. 


7* 


100 Miszellen. 


Nachdruck verboten. 


II. 


Die englische Agrarkrisis nach der Enquete der Royal 
Commission on Agriculture, 
Besprochen von Dr. F. Ph. König. 


Unter obigem Titel ist von Dr. Oskar Stillich 1899 bei G. Fischer 
in Jena eine Schrift erschienen, in der in außerordentlich interessanter 
Weise die landwirtschaftliche Krisis in Großbritannien geschildert wird, 
wie sie durch die 1893 ernannte Kommission (Royal Commission on 
Agriculture) dem englischen Parlamente vorgeführt wurde und welche 
gleichzeitig Vorschläge zur Verminderung der Krisis in Betracht ge- 
zogen hat, wodurch der Krisis durch Gesetzgebung oder andere Mittel 
Abhilfe geschaffen werden soll. 

Der „Final Report“ erschien 1897 und faßt die ganzen Ergebnisse 
der Untersuchung zusammen. Es handelt sich also lediglich um eine 
Schilderung der englischen Agrarverhältnisse bis zum Jahre 1897. 

Stillich hat nun das ganze Material bearbeitet und bespricht in 
einzelnen Kapiteln die Verbreitung und Wirkung der landwirtschaftlichen 
Krisis, die Ursachen der Krisis und die Heilmittel der Krisis. Nament- 
lich interessant ist das Kapitel über die Wirkung der Krisis auf die 
einzelnen agrarischen Klassen, also die Grundbarone, Pächter, Bauern, 
große und kleine Farmer und schließlich noch auch die Arbeiter. 

Als Ursachen der Krisis finden wir erstens den Fall der Preise in 
den Produkten des Ackerbaues und der Viehzucht und zweitens den aus- 
ländischen Wettbewerb in Getreide, Vieh, Fleischh Wolle, Molkerei- 
produkten, Gemüse, Früchten und Geflügel. — Ganz besonderes Interesse 
für deutsche Verhältnisse dürfte das 3. Kapitel haben; es behandelt 
die Heilmittel der Krisis, worunter besonders hervorgehoben wäre die 
Pachtzinsfrage, die Hypothekenverschuldung, die Verbesserung der 
Milchwirtschaft, der Meliorationskredit, Schaffung kleiner Güter, Differenz- 
geschäfte im Getreidehandel, die Eisenbahnfrachten, der Verkauf ver- 
fälschter Produkte als unverfälschte einheimische, der Viehverkauf nach 
Lebendgewicht und schließlich das landwirtschaftliche Bildungswesen 
und der Bimetallismus. 

Zu bedauern ist, daß Stillich nicht mehr Vergleiche zwischen den 
englischen und deutschen Verhältnissen gezogen und besonders die 


Miszellen. 101 


Punkte hervorgehoben hat, die für Deutschland von besonderem Interesse 
und Bedeutung gewesen wären. Es ist eine Lücke, die ich fasit durch- 
weg empfunden habe, und werde ich es versuchen, in meiner Kritik die 
bedauernswerte Lücke auszufüllen. Stiller’s Schlußfolgerungen sind sehr 
interessant, doch kann ich mich auch diesen nicht ganz anschließen und 
kann nicht umhin, sogar einigen zu widersprechen. 

Durchstreifen wir das erste Kapitel: 

I. Verbreitung und Wirkung der landwirtschaftlichen Krisis, so ist 
das Land in 3 Gruppen einzuteilen: 

1) die ackerbautreibenden Grafschaften, 

2) Grafschaften mit Weidewirtschaft, 

3) Betriebe in besonders günstiger lokaler Position. 

Stillich bespricht unter den ackerbautreibenden Grafschaften in 
erster Linie Essex, die außerordentlich durch die Krisis gelitten hat. 
Wenn auch zugegeben werden mul, daß Essex von 1875 bis 1895 
schwer gelitten hat, so muß ich doch betonen, daß ich genug Landwirte 
auch in Essex kenne, denen es heute nicht mehr schlecht geht. Sie 
haben es verstanden, durch Energie und Fleiß und Aenderungen des 
Betriebes einen früher unrentablen Betrieb rentabler zu gestalten. 
Stillich giebt ja selbst Beispiele von Fällen auf S. 4 von Gütern in 
Essex, die noch Verzinsung von 6 Proz. erzielen! Ferner erwähnt 
Stillich auch die Lage der nach Essex eingewanderten Schotten, die 
ihr gutes Auskommen haben; sie wirtschaften, wie Stillich auch sagt, 
„Dicht so intensiv“ wie die dort ansässigen Engländer, wodurch aber 
die Rente und der Reinertrag ein höherer ist. 

Sie wirtschaften nicht so intensiv, also rationeller und 
mit größerem Erfolg. In Deutschland herrscht ja die Ansicht, die 
auch von von der Goltz und Brentano vertreten ist, daß die Krisis 
und der Preisrückfall durch intensivere Bewirtschaftung zu kompensieren 
ist. Essex liefert nun den entschiedenen Beweis, daß Howard recht hat, 
wenn er sagt, daß viele Betriebe Deutschlands an einem Uebermaß an 
Intensität leiden. Die intensive Wirtschaftsweise würde in Deutschland 
als das Ideal und den jungen Landwirten als Ziel hingestellt wonach 
sie streben, sollten, um die Erträge des Gutes zu erhöhen; letzteres ist 
mit genügenden Mitteln absolut kein Kunststück, allein zu oft beweist 
die Reinertragsberechnung, daß der Nettoreingewinn statt zugenommen 
abgenommen hat und daß die extensivere Wirtschaftsweise doch 
die rationellere ist. Diese Thatsache ist auch der Grund, warum es 
den Schottländern in Essex heute besser geht als den eingeborenen 
Landwirten, eben weil sie zur Einsicht gekommen sind, daß eine ex- 
tensivere Wirtschaftsweise am Platze ist und der Reinertrag dadurch 
erhöht wird. Aehnlich wie in Essex ging es den Landwirten in Suffolk 
und Norfolk. Die Krisis ist sehr fühlbar gewesen und hat den Grund- 
eigentümern enorme Verluste in Form von Pachtzinsrückgängen ge- 
bracht. Stillich schildert nun die Verhältnisse sehr genau. „Geld- 
zusetzen“, „vom Kapital zehrend“ sind häufig wiederkehrende Ausdrücke, 
„Leute, die Geld haben, verbrauchen es, solche, die keins haben, machen 
Bankrott“. 


102 Miszellen. 


Diese Schilderungen der ackerbautreibenden Grafschaften stimmen 
vielfach nur zu sehr überein mit den ackerbautreibenden Landstrichen 
Deutschlands! Wie viele deutsche Gutsbesitzer mußten nicht leider 
konstatieren, daß sie Geld zusetzten oder vom Kapital lebten. Wie 
viele würden nicht lieber das Geschäft des Landwirts aufgeben, wenn 
sie es nur könnten. Wie viele beneiden aus diesem Grunde den Kauf- 
mann, der, wenn er nicht mehr weiter arbeiten mag, einfach das Geschätt 
schließt und sich einem anderen Geschäftszweig widmet. Leider kann 
dies der deutsche Landwirt so wenig wie der englische. Er ist not- 
gezwungen, weiter zu arbeiten und zuzusehen, wie er sich am besten 
durchschlägt; denn heutzutage ist das Landgut eine kaum noch zu ver- 
äußernde Ware, außer zu Schleuderpreisen, die ganz unannehmbar sind. 
Wie viele Gutsbesitzer Deutschlands würden nur zu gern verkaufen, 
wenn sie könnten! Alles, was ihnen zu thun übrig bleibt, ist zuzusehen, 
wie sie am besten durchkommen und wie es ihre Nachbarn machen, um 
sich durchzuschlagen. In dieser Beziehung können sie heute noch viel 
von ihren englischen Leidensgenossen lernen, namentlich wo diese jetzt 
Mittel und Wege gefunden haben, wieder auf einen grünen Zweig zu 
kommen! 

Traurig sind die Schilderungen der Kommission der landwirtschaft- 
lichen Krisis in den ackerbautreibenden Grafschaften. Dort begann 
die Krisis schon 1875 sich geltend zu machen. Die bäuerlichen Besitzer 
(„yeomen farmers“), deren Grundstücke hypothekarisch belastet waren, 
unterlagen zuerst im Kampfe um ihre Existenz; erst in zweiter Linie 
litten die Pächter; im letzteren Falle wälzten die Pächter einen Teil des 
Verlustes auf die Schultern der Großgrundbesitzer, die notgezwungen ihre 
Pachtnachlässe bewilligen mußten. — In Deutschland ist man vielfach 
der Ansicht, daß ein Bauernstand ein Segen für ein Land ist; unter 
den heutigen Verhältnissen ist diese Behauptung nicht aufrecht zu er- 
halten, denn gewissermaßen hat es sich in England gezeigt, daß die 
Bauern oder bäuerlichen Besitzer nicht imstande gewesen sind, der 
Krisis zu widerstehen. Die meisten bäuerlichen Besitzer haben Bankrott 
gemacht; sie waren eben nicht mehr imstande, ihre Hypothekenzinsen 
zu zahlen; die verringerte Rente des Grund- und Bodens stand in keinem 
Verhältnis mehr zu den Hypothekenzinsen; — ihr Los war in vielen 
Fällen, entweder auf die Straße gesetzt zu werden oder aus Gnade als 
Verwalter des Gutes für die Rechnung des Hypothekengläubigers weiter 
zu wirtschaften. — Ganz anders ist die Lage des Pächters; der Groß- 
grundbesitzer ist meist immer imstande, die Pacht zu stunden oder 
nachzulassen. Wie viele bäuerliche Besitzer in England würden nicht 
gerne ihr Los mit dem der Pächter vertauschen! Glücklicherweise ist 
die Krisis in Deutschland bis jetzt nicht so akut aufgetreten wie in 
England, sonst hätte sich der ganze deutsche Bauernstand ruiniert ge- 
sehen; unter den heutigen landwirtschaftlichen Verhältnissen Deutschlands 
hat der Bauer einen schweren Kampf ums Dasein, und es ist nur durch 
seine kolossale Genügsamkeit, Sparsamkeit und Fleiß ihm 
möglich sich noch so lange über Wasser zu halten; — er kann vom 
Hypothekengläubiger keinen Zinsnachlaß verlangen und schwebt 


Miszellen. 103 


stets in der Gefahr, auf die Straße gesetzt zu werden. — Kommen 
dann schlechte Jahre, so ist das Unglück da, und der Bauer kann sich 
vor der Subhastation und Pfändung nicht mehr schützen. — Ganz anders 


ist die Lage des englischen Pächters; der Großgrundbesitzer weiß, daß 
es im gemeinsamen Interesse sowohl des Pächters und des Verpächters 
ist, sich einen guten Pächterstand zu erhalten, und kommt einmal 
ein schlechtes Jahr, so wird dem Pächter durch Pachterlaß geholfen. 
Ein guter Pächter in England kann stets auf seinen Pachtherrn Ver- 
trauen haben, denn er weiß, daß die Interessen Hand in Hand gehen 
und daß er nicht an die Luft gesetzt wird. 

Stillich berichtet uns über den starken Rückgang des Boden- 
vertes, Rückgang der Einnahmen und namentlich auch das, daß die 
bäuerlichen Besitzer viel schlechter daran sind als die Pächter, weil sie 
mehr Hypothekenzinsen zahlen müssen als diese im Verhältnisan Pacht. — 
In den ackerbautreibenden Grafschaften haben Pachtermäligungen bis 
zu 50 Proz. stattgefunden; für die englische Landwirtschaft war es ein 
wahrer Segen, daß die Großgrundbesitzer eine solche Verringerung ihrer 
Einnahmen ertragen konnten. Deutschland hätte niemals den Druck 
einer englischen Agrarkrisis aushalten können, ohne sich einem wirt- 
schaftlichen Bankrott gegenüber zu sehen; und wie leicht könnte die 
deutsche Landwirtschaft sich in derselben Lage finden wie die englische, 
wenn die Zollschranken aufgehoben würden und die deutsche Land- 
wirtschaft gleich der englischen dem Freihandel preisgegeben würde! 
Sollte es jemals dazu kommen, daß die freie Einfuhr landwirt- 
schaftlicher Produkte in Deutschland gestattet würde, so ging es den 
deutschen Landwirten noch viel schlechter als den englischen, denn letztere 
sind durch ihre günstige klimatische Lage im stande gewesen, ihre 
Betriebsreisen zum großen Teil umzuändern, was den Deutschen un- 
möglich wäre, denn Deutschland ist zum großen Teil auf Getreidebau 
angewiesen. — Trotz der traurigen Schilderung der Landwirtschaft durch 
die Kommission giebt auch Stillich auf S. 8 auf Grund der Aussagen 
des M. Pringle zu, daß es auch in Ackerbaudistrikten Farmer giebt, 
die dem Sturme erfolgreich die Spitze geboten haben: 

1.) „solche, die Privatmittel besitzen; 

2.) solche, die noch ein anderes Gewerbe mit der Landwirtschaft 

verbinden; 

3.) solche, welche Land in der Nähe von Städten besitzen und diesen 
Vorteil durch Verkauf von Milch, Kartoffeln, Gemüse, Heu und 
Stroh zu benutzen verstehen; 

4.) diejenigen, die nicht zu viel Kapital und Arbeit auf den Korn- 
bau verwendet haben d. h. (those who hare not pot their eggs 
toro much into one basket orinto the wrong basketi. e. corn-groring). 

Die Landwirte, die Grasbau, Moorkultur, Gartenbau, Milchwirtschaft 
treiben, stehen sich am besten.“ 

Ich bin ferner in der Lage, durch gewöhnliche Beobachtung in 
England zu konstatieren, daß seit 1897 auch in den ackerbautreibenden 
Grafschaften ein Aufschwung zum Besseren stattgefunden hat. Die 


104 Miszellen. 


Behauptung, die ich schon 1896 in meinem Werke!) über die Lage der 
englischen Landwirtschaft aufstellte, daß die weidebetreibenden Graf- 
schaften, „grazing counties“, damals schon die Krisis überstanden hatten, 
und daß die Landwirtschaft wieder im Aufblühen begriffen sei, hat sich 
bewahrheitet und wird wohl niemand, der die heutigen englischen land- 
wirtschaftlichen Verhältnisse genau kennt und mit ihnen in direkter Be- 
rührung steht, widerlegen können. 

Damals schon auf Grund meiner eingehenden Erhebungen an Ort 
und Stelle war ich in der Lage, das Auf blühen der Landwirtschaft auch in 
ackerbautreibenden Grafschaften teilweise zu konstatieren und eine 
Zunahme dieses Aufblühens; zu prophezeien. Auch diese Behauptung 
hat sich heute bewahrheitet, und kann ich Stillich durchaus nur wieder- 
sprechen, wenn er S. 145 sagt, „daß er sich meiner Ansicht nicht an- 
schließen könne, indem ich behauptete, daß die englische Landwirtschaft 
die Agrarkrieis zum großen Teil überstanden habe“. Schon 1896 habe 
ich in meinem Werke 8 395—401 statistisch die Richtung des eng- 
lischen landwirtschaftlichen Betriebes nachgewiesen d h. de Abnahme 
des Weizenbaues und der Schafhaltung und gleichzeitig eine 
Zunahme der Viehweidewirtschaft in Verbindung mit Mol- 
kereiwesen. Dieser Umänderungsprozeß im landwirtschaftlichen Be- 
triebe hat seit 1896 stetig zugenommen und zwar zur Genesung und zum 
Wohl der gesamten Landwirtschaft. Allerdings muß man zugeben, daß 
die natürlichen Vorbedingungen zu einemsolchen Umwandlungsprozeß in 
England außerordentlich günstige sind. 

In allererster Linie gestatten die klimatischen und Bodenverhält- 
nisse die Umwandlung des Ackerlandes in Weideland, was in Deutsch- 
land mit Ausnahme einiger Küstenstriche ausgeschlossen wäre. Die 
natürlichen Vorbedingungen, Klima und Boden, sind die denkbar günstig- 
sten. Es giebt ja in anderen Weltteilen bessere Klimate und bessere Böden, 
allein faßt man Klima- und Bodenverhältnisse zusammen, so ist wahrlich 
England das Eldorado des Landwirtes; in keinem anderen Lande sieht 
man, heute noch, so gute Pferde, Rindvieh, Schafe, Schweine in solcher 
Vollkommenheit und Frühreife und durchweg in gleich hoher Durch- 
schnittsqualität wie gerade in England — also ein sicherer Beweis für 
den günstigen natürlichen Vorbedingungen von Klima und Boden aller- 
dings in Verbindung mit Verständnis für die Hochzucht seitens der 
Farmer. (Hier möchte ich verweisen auf das Kapitel XI meines 
Werkes über die englische Agrarkrisis über die natürlichen und künst- 
lichen Vorteile in der landwirtschaftlichen Produktion). An dieser Stelle 
habe ich eingehender die natürlichen Vorteile des vereinigten Königreichs 
besprochen und zu zeigen versucht, wie sehr England von gutem Klima 
und Boden begünstigt ist.) 

Die englischen Farmer haben es aber auch verstanden, die günstigen 
natürlichen Vorbedingungen des Klimas und Bodens auszunützen. Zum 


1) Die Lage der englischen Landwirtschaft unter dem Drucke der internationalen 
Konkurrenz der Gegenwart und Mittel und Wege zur Besserung derselben. Jena, 
Gustav Fischer. 


Miszellen. 105 


großen Teil, und wo es nur irgend möglich war, haben sie den Getreide- 
bau aufgegeben oder bedeutend eingeschränkt. Sie haben bald einge- 
sehen, daß sie auf dem Weltmarkt im Getreidebau nicht mehr konkurrieren 
können, und folglich sich nach anderen Betriebszweigen umgesehen. 
Die natürliche Graswüchsigkeit des Bodens bot ihnen die Möglichkeit, 
zur Umwandlung ihres Ackers in Weideland und hierdurch die Mög- 
lichkeit zur Ausdehnung ihrer Viehwirtschaft in allen ihren Zweigen 
der Pferde-, Rindvieh-, Schweine- und Schafzucht in Verbindung mit 
ausgedehntem Molkereibetrieb. 

Durch ihre Ausdauer, Arbeit, Energie und Fleiß, verbunden mit 
Sparsamkeit in schlechten Jahren, haben die Farmer mit Zuhilfenahme 
des Weidebetriebes ihre schwere Lage verändert; sie haben die schweren 
Zeiten überstanden und sehen einer besseren Zeit entgegen. Nicht nur 
sind sie heute imstande, zu bestehen, sondern sie sind schon imstande, 
das Geld, das sie in früheren Jahren zugesetzt haben, wieder zu ver- 
dienen. Durch Ausdauer haben sie ihre Weidewirtschaften eingerichtet, 
und gönnt man ihnen von ganzem Herzen ihren Erfolg seitens der 
Großgrundbesitzer. 

Stillich bespricht die Lage der Landwirtschaft in den Weide- 
distrikten und deutet auf die Folgen der landwirtschaftlichen Krisis in 
den westlich gelegenen Grafschaften und Schottland. In Schottland 
wird darauf hingedeutet, daß die Weidebetriebe nur wenig unter dem 
Drucke der Krisis gelitten haben; es wird auch schon hier zugegeben, 
daß die Nachfrage nach Gütern zugenommen hat; auch in Wales trifft 
letzteres zu, wo nach kleinen Gütern die Nachfrage nicht gedeckt werden 
kann. In Bezug auf die Weidewirtschaften Englands muß man zugeben, 
daß auch bei ihnen die Krisis fühlbar gewesen ist, allein schon 1897 
trat eine erhebliche Besserung ein. Aus meiner Heimat Cheshire kann 
ich aus persönlicher Erfahrung berichten, daß keine Güter pächterlos 
stehen; im Gegenteil, so wie ein Gut pachtfrei wird, sind gleich Lieb- 
haber genug zur Hand. Die Nachfrage ist eine große. Aehnlich ist 
auch die Lage in Lancashire, wo ich auch Belege dafür habe. Nament- 
lich gesucht sind die Pachtgüter mit Milchwirtschaft nach den Städten 
und Güter in der Nähe der Industriebezirke, wo der Absatz ein be- 
quemer und zunehmender ist. Weiter weg gelegene Pachtgüter mit 
Weidebetrieb, „pastureland“,sind auch gesucht und sind die Pachtsummen in 
vielen Fällen indie Höhe gestiegen ; seit 1897 kann man von einemallgemeinen 
Rückgange der Pachtpreise nicht mehr sprechen. Es ist eher eine Gegen- 
strömung eingetreten, und muß man eher zugeben, daß die Pachtpreise 
im allgemeinen im Anzug begriffen sind. Namentlich ist dieses der 
Fall bei den Pachtgütern mit Milchwirtschaft, Obst und Weideland. 
Unverpachtetes Land giebt es heute nirgends mehr; die Pachtgüter 
lassen sich leicht verpachten; Pachterlasse werden nirgends mehr ge- 
macht, folglich kann man nicht mehr von einer allgemeinen Agrarkrisis 
in den Weidedistrikten Englands, Wales, noch Schottlands sprechen! 
Wohl giebt man allerdings zu, daß eine Agrarkrisis stattgefunden hat 
und daß in den 80er Jahren Pachtreduktionen allgemein notwendig 
waren, um die Existenz der Farmer nicht zu gefährden, allein heute, 


106 Miszellen. 


wo die Pachtpreise das zeit- und preisgemäße richtige Niveau ge- 
funden haben und die Farmer heute nicht mehr Pacht bezahlen, als die 
Güter imstande sind zu leisten, muß man zugeben, daß die Land- 
wirtschaft in ein gesunderes Fahrwasser gelangt ist und schon aufblüht. 
Den Pächtern geht es heute im allgemeinen gut, d. h. sie verdienen 
sich ein gutes Auskommen und in vielen Fällen sind sie imstande, 
die aus früheren Jahren stammenden Verluste wieder gut zu machen! 

Interessant sind die Ausführungen Stillich’s über die Wirkung der 
Krisis auf die einzelnen agrarischen Klassen: Betrachten wir kurz in 
erster Linie den Grundherrn und Großgrundbesitzer. Die Pacht- 
reduktionen bilden ein klares Bild für die Intensität der Krisis. Ab- 
gesehen von dem thatsächlichen Rückgang des Wertes des Grund und 
Bodens in den Jahren 1880—96 hat der Verkaufswert auch stark ge- 
litten während dieser Periode. Das Publikum hatte die Lust und das 
Vertrauen zum Ankauf von Gütern verloren. Seit 1897 aber sind An- 
zeichen dafür da, daß das Publikum mehr Vertrauen zum Erwerb von 
Gütern gezeigt hat, wenn auch zugegeben werden mul, daß die in 
letzter Zeit abgeschlossenen Verkäufe nur 50—60 Proz, der Güterwerte 
vor 25 Jahren repräsentieren. 

Allein die Verkaufspreise stehen heute im Verhältnisse zu den 
Pachtpreisen und den Getreide- und Viehpreisen. In Deutschland hat 
man leider heute noch vielfach bei dem Taxieren eines Gutes und bei 
Verkaufsforderungen noch imaginäre veraltete Werte zu Grunde gelegt, 
wo möglich eine 20 Jahre alte Taxation und bildet sich heute ein, daß 
diese alte Taxe zur Zeit auch maßgebend sei. Die Verkaufsforderungen 
in Deutschland stehen heute in keinem Verhältnis mehr zum Reinertrag 
des Gutes. Diese Fehlberechnungen existieren in England nicht mehr, 
und sind Güter jetzt zu den kapitalisierten Pachterträgen eine markt- 
fähige Ware und nicht so schwer zu verkaufen wie vor 10 Jahren, als 
die Landwirtschaft noch im Sinken begriffen war. Mit der zunehmen- 
den Nachfrage nach Pachtgütern seitens der Pächter ist auch die Zahl der 
Käufer auf dem Markte größer geworden; allerdings sind heute die Ver- 
kaufspreise viel niedriger als vor 10 und 20 Jahren. Stillich spricht 
auf S. 18 über den eingetretenen Fall in dem jährlichen Verkehrswert 
des Bodens als um einen Teil des unverdienten Wertzuwachses („un- 
earned increment“); zum Teil nnd namentlich bei den Großgrundbesitzern, 
die in der Nähe der Städte und Industriebezirke Besitz hatten, ist die 
Behauptung wohl wahr, allein im großen und ganzen in rein ländlichen 
Bezirken kann man von „unearned increment“ nicht sprechen, obwohl 
die allgemeine Wohlhabenheit Englands in den Dier Jahren und der 
allgemeine Aufschwung auch den Großgrundbesitzern zu gute kam. — 
Die Zustände unter den Grundherren, wie sie Stillich S. 20 schildert, 
treffen zu; ihre Einnahmen haben sich verringert; die Zehnten, 
Steuern, Reparaturen und Baukosten haben sich vermehrt; namentlich 
trifft dies zu bei den Anforderungen der Pächter an Drainage, Ge- 
bäude und Meliorationen. Obgleich ich zugeben muß, daß das Rein- 
einkommen der Grundherren im stärkeren Maße gefallen ist als das in 
Gestalt des Pachtzinses bezogene Reineinkommen, so kann ich der An- 


Miszellen. 107 


schauung, daß „eine wahre Rente (true rent) heute nicht mehr existiert“, 
absolut nicht gelten lassen. Die Ausgaben haben zum Teil die ver- 
minderten Einnahmen unterdrückt, allein man darf zu diesen Ausgaben 
nicht Gebäude, Drainage und andere Meliorationen permanenter Art 
rechnen. Andererseits gebe ich zu, daß das Reineinkommen der „Land- 
lords“ viel stärkere Abschwächungen erlitten hat als das Roheinkommen. 
Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Grundbesitzer große Verluste 
durch die Krisis erleiden mußten. Sie haben zum großen Teil die 
Hälfte ihrer früheren Einkommen aus Grund und Boden einbüfen 
mü ssen. Sie mußten zusehen, wie die Pachtrückstände sich vermehrten, 
und schließlich mußten sie nolens volens die Rückstände streichen und 
ihren Pächtern so lange ihre Pacht stunden und schließlich reduzieren, 
bis sie einsahen, daß die Pächter ihr Auskommen hatten. Zum großen 
Gläöck für die englische Landwirtschaft befindet sich auch der Grund 
und Boden in den Händen des Großgrundbesitzers, der meist neben 
seinen Gütern andere Hilfsquellen als die Landwirtschaft besitzt, aus 
denen er genügende Mittel schöpft, um seinen Gütern die nötigen Me- 
liorationen zukommen zu lassen. Allerdings hatten viele Großgrund- 
besitzer Hypotheken- und Familienlasten auf ihren Gütern, was ihre 
finanzielle Lage und Abhängigkeit der Rente ihrer Güter verschlimmerte. 
Diese haben leider ihre Besitztümer an Kapitalkräftigere. zum großen 
Teil Industrielle verkauft, die ihrerseits dann die Krisis eher auszu- 
halten imstande waren. Die meisten Grofigrundbesitzer haben neben 
der Landwirtschaft andere Nebeneinkünfte, sei es aus der Industrie, an 
der sie viel beteiligt sind, sei es in den Kolonien und im Welthandel. 
Viele haben in den Industriebezirken Landbesitz und verdienen durch 
Bauplatzverkauf einen Ersatz für die reduzierten Pachteinnahmen. 
Glücklicherweise, sage ich, ist der Grundadel in der finanziellen Lage 
gewesen, der schweren Agrarkrisis standzuhalten und ihrem vorzüg- 
lichen Pächterstamme über die Krisis zu helfen. 

Die Lage der Pächter schildert Stillich als durchaus kritisch; 
er sagt: „Den meisten Pächtern ist es außerordentlich schwer gefallen, 
ihre Ausgaben in Einklang zu setzen mit den reduzierten Einnahmen, 
und sie sind es, die die schweren Zeiten und den größeren Teil des 
Verlustes für eine Zeit wenigstens wohl am meisten empfunden haben.“ 
Dies kann nur von der Anfangsperiode der Agrarkrisis gelten, aus der 
Zeit, wo die Gutsherren die außerordentliche Schärfe der Krisis noch 
nicht erkannt hatten. Sowie die Pachtnachlässe zugestanden wurden, 
haben die Gutsbesitzer ihren Teil der Verluste auf ihre Schulter ge- 
laden, und ging es den Pächtern wieder leidlich. Nur sehr vorüber- 
gehend haben die Pächter ihre Pachten aus Kapital zahlen müssen. 
Uebrigens fing bereits Anfang der 90er Jahre für die Pächter ein Um- 
schwung an Platz zu greifen. Allerdings hat die Dürre im Jahre 1893 
große Verluste verursacht, allein 1894 fing eine Reaktion an. S. 25 
wird sogar zugegeben, daß seit 1894/95 sich die Chancen für die 

Pächter nicht unerheblich gebessert hatten. Die Nachfrage, die damals 
schon nach Pachtgütern mit Milchwirtschaft und Weidebetrieb zunahm, 
hat von Jahr zu Jahr zugenommen, so daß ich schon seitens der 


I 


108 Miszellen. 


Pächter Klagen gehört habe, daß bei einer Neuverpachtung die neuen 
Pächter sich gegenseitig zu sehr in die Höhe steigerten. Immerhin 
sind Stillich’s Tabellen auf S. 26, die uns die Profite und Verluste einer 
Wirtschaft von 1875 bis 1894 zeigen, sehr belehrend. 

Für Deutschland ist die Lage der englischen Bauern außerordent- 
lich interessant, und möchte ich auf dieses Kapitel hinweisen; es giebt 
uns ein trauriges Bild des Zustandes, in welchem die Bauern ohne 
eigenes Verschulden sich befinden. Der bäuerliche Besitz ist von früher 
her mit Hypotheken belastet, und das ist der Krebsschaden des ganzen 
Standes, denn die Gläubiger (d. h. die Hypothekenbesitzer) gewähren 
keine Zinserlasse. Die Last der Zinsen schnürt den Bauern den Hals 
zu, bis sie schließlich ruiniert abziehen müssen. Sie beneiden alle ihre 
Fachgenossen, die Pächter, die ihre regelmäßigen Pachterlasse erhielten 
und heute viel weniger Pacht zu zahlen brauchen als die Bauern an 
Hypothekenzinsen. Die Zinslast führt sie zum Bankrott. Die Bauern 
in England sind eine Klasse, die zwar stets klein gewesen ist, aber die 
durch die Macht der Verhältnisse von der Bildfläche verschwindet. 
Mr. Pringle und Mr. Fox schildern S. 28 und 29 in treffender Weise 
ihre Lage, die für Deutschland sehr belehrend ist und uns zeigt, wie 
durch Verschuldung und unter dem Druck der Krisis ein einst wohl- 
habender Bauernstand verschwinden kann und das in relativ kurzer 
Zeit, ohne daß weder der Staat noch eine sonstige Macht zur Abhilfe 
einzugreifen vermag. 

In Deutschland ist meist die Ansicht vertreten, daß eine Agrar- 
krisis auf die Bauern am wenigsten nachteilig zu wirken vermag und 
daß die Bauern einer Agrarkrisis viel eher widerstehen können als die 
größeren Gutsbesitzer. Diese Ansicht hat sich während der landwirt- 
schaftlichen Krisis in England durchaus nicht bewahrheitet. Im Gegen- 
teil, die Erfahrung hat gelehrt, daß die großen Farmer viel eher schwere 
Zeiten auszuhalten vermögen, weilihr Kapital kräftiger ist und sie sich 
über eine schlechte Ernte und geringe Jahrgänge eher zu helfen wissen. 
Die größeren Farmer konnten schon durch Anschaffung von Maschinen 
Arbeitslohn ersparen, was den ärmeren Bauern selten möglich war. 
Ferner kann der größere Farmer seine größeren Quantitäten von Produkten 
leichter und besser verwerten als der kleine Bauer. In England hat es 
sich als ein wahrer Segen erwiesen, daß die Mehrzahl der Landwirte 
kapitalkräftigere, größere Pächter waren und nur eine verhältnismäßig 
geringe Zahl Bauern waren; wäre das Verhältnis umgekehrt gewesen, 
so wären die unausbleiblichen Folgen unermeßlich schlimmer gewesen! 
Stillich führt uns die ländlichen Arbeiterverhältnisse vor und deutet auf 
die große Abnahme der ländlichen Bevölkerung hin. S. 32 ferner deutet 
Stillich auf die Verschlechterung der Lage des landwirtschaftlichen 
Arbeiters hin, namentlich seit 1892 in den ackerbautreibenden Grafschaften. 
Ich gebe zu, daß in diesen Grafschaften, wo die Agrarkrisis am schärfsten 
gewirkt hat die allgemeine Lage des Arbeiters nicht gut ist; der Pächter 
sah sich eben gezwungen, durch den Rückgang der Preise an Arbeit 
zu sparen und wo irgendmöglich Maschinen anzuwenden. In einem 
Punkte muß ich Stillich entschieden widersprechen, und das ist die 


Miszellen. 109 


Beschaffenheit der Arbeiterwohnungen. Wer die englischen Güter kennt, 
muß mir recht geben, daß im großen und ganzen die landwirtschaftlichen 
Arbeiterwohnungen Englands unvergleichlich besser sind als die Deutsch- 
lands. Die Arbeiterwohnungen auf dem Lande in England sind ehe 
zu vergleichen mit den Verwalterwohnungen Süddeutschlands oder gar 
Inspektorwohnungen Norddeutschlands. Mancher englische landwirtschaft- 
liche Arbeiter wohnt erheblich besser als ein süddeutscher Bauer, und 
im Vergleich zu den norddeutschen Arbeiterwohnungen, namentlich im 
Norden und Osten Deutschlands, sind die englischen Arbeiterwohnungen 
Villen. Es hat meist jede Arbeiterfamilie in England ihr eigenes, allein 
zu bewohnendes Haus mit allen neuesten hygienischen Einrichtungen. 
Oft auf meinen Wanderungen in England staunte ich über die Vor- 
züglichkeit der englisehen Arbeiterwohnungen. Sie haben mehr Aehn- 
lichkeit mit den neuesten deutschen Fabrikarbeiterkolonien oder den 
neuesten deutschen Zeichenkolonien, die in den letzten 5—10 Jahren auf- 
gebaut worden sind. Im großen und ganzen hat die Agrarkrisis die 
Lage des Arbeiters nicht verschlimmert. Wenn auch die Löhne zum Teil 
zurückgegangen sind, so hat während derselben Zeit eine riesige Ver- 
billigung aller Lebensmittel stattgefunden, so daß sozusagen der Arbeiter 
eine Kompensation erhielt für den Lohnrückgang. In den Gegenden, 
wo kein Lohnrückgang stattfand, hat sich die Lage des Arbeiters ver- 
bessert, und ist der „standard of life“ ehe gestiegen als gefallen. 
Der englische Arbeiter lebt besser als alle anderen Nationalitäten und 
kann auch infolgedessen weit mehr leisten als z. B. der Pole, der 
von Speck und Kartoffeln lebt. Den englischen Arbeitern geht es erheblich 
besser als den Bauern. Erstere haben keine Sorgen und am Ende der 
Woche die klingende Münze in der Hand. Letztere plagen sich jahr- 
ans jahrein, und am Ende des Jahres haben sie kaum ihr jährliches 
Auskommen. 

Sehr belehrend ist das Kapitel Stillich’s über die Ursachen der 
Krisis, erstens durch den Fall der Preise und zweitens durch 
den ausländischen Wettbewerb, worauf wir hier nicht näher eingehen, 
da darüber schon oft berichtet ist. 

Der erste Abschnitt, „The Agricultural Holdings Act“, zeigt uns die 
Bedeutung des Gesetzes für das in England so ausgedehnte Verpachtungs- 
wesen und die große Bedeutung dieses Gesetzes für Verpächter und 
Pächter. Der Act schützt die Interessen des Verpächters als auch die 
des Pächters. Der Pächter kann z. B. nach Beendigung seiner Pacht 
Entschädigung für Errichtung von Gebäuden, Verwandlung von Acker- 
land in permanente Weide, Anlage einer Drainage, Verwendung von 
künstlichen Düngmitteln verlangen; das Gesetz bestimmt die Dauer der 
Ausnützung einer jeden Melioration, und kann der Pächter für die nach 
Ablauf seiner Pacht unausgenützte Zeitperiode, die dem Verpächter zu 
Gunsten fällt, Entschädigung erhalten. 

Es läßt sich nicht leugnen, daß das Gesetz für die Verpächter als 
auch für die Pächter segensreich gewirkt hat. Der Pächter scheut es 
heute nicht, Verbesserungen an dem Gute auszuführen, denn er weiß, 
daß er hierfür eventuell nach Beendigung seiner Pachtperiode Ent- 


| gg, * 


110 Miszellen. 


schädigung verlangen kann, wenn er dieselben nicht voll ausnutzen 
konnte. Das Gesetz fördert also die rationelle und gute Bewirtschaftung 
der Güter zu Gunsten sowohl des Verpächters als auch des Pächters. 
Der Pächter kann ohne Risiko seinen Feldern künstliche Düngemittel 
zuführen, denn er weiß, daß er die Zinsen und Nutznießung seiner 
seiner Geldanlage genießen wird. Mit Rücksicht auf die Ausdehnung 
des Pachtsystems Englands ist eine solche Gesetzgebung wie die der 
„Agriculture Holdings Act“ notwendiges Bedürfnis geworden; es giebt 
natürlich, wie überall, Leute, Verpächter und Pächter, die mit einzelnen 
Paragraphen des Gesetzes unzufrieden sind, und andere wieder, die 
Verbesserungen und Aenderungen wünschen, allein die Majorität stimmt 
darin überein, daß die „Agricultural Holdings Act“ eine „Ben“ für alle 
Interessenten geworden ist. — Im zweiten Abschnitt betrachtet Stillich 
die „Land Tenure Bill“; seine Ausführungen sind sehr klar dar- 
gelegt; ich möchte hinzufügen, daß sie die Interessen des Pächters fast 
aussch ließlich vertritt und zwar zu Ungunsten des Verpächters. Es ist 
also kein Wunder, wenn die Pächter die „Land Tenure Bill“ unter- 
stützen und wenn sich die Großgrundbesitzer und Landaristokratie da- 
gegen sträuben. Wir haben in England deutlich genug die Wirkungen 
der „Land Tenure Bill“ in Irland beobachten können, wo die Bill 1881 
Gesetz geworden ist, die Grundbesitzer Irlands wurden fast vollständig 
ihren Pächtern freigegeben. Wie mir vor einigen Jahren noch ein 
irländischer Großgrundbesitzer sagte: „Wenn Sie viel Geld verdienen 
wollen, gehen Sie nur nach Irland; werden Sie dort Pächter und nutzen 
Sie die Gladstone’schen Land acts aus“. Der Pächter braucht nur an die 
„Land Courts“ (Gütergerichtshöfe) um Reduktion seiner Pacht zu 
appellieren, und er kann ziemlich sicher sein, daß der Gerichtshof ohne 
weiteres, und ohne den Gruudherrn zu berücksichtigen, die Pacht- 
nachlasse bewilligen wird und zwar meist auf 4 Jahre. Angeblich soll 
ja der Gerichtshof als unabhängige Behörde unparteiisch sein, aber die 
Erfahrung hat gelehrt, daß der Gerichtshof eher auf Seiten der Pächter 
als auf Seiten der Verpächter steht. Theoretisch ist der Gedanke einer 
zeitgemäßen Pacht, „Free Sale“ (d. h. das Recht, die Pacht an 
Dritte zu veräußern), “Fair Rent“ (d. h. einen billigen Pachtzins) und 
„Fixity of Tenure“ d. h. Sicherheit des Pachtvertrags ganz 
gerecht, allein die Ausführung des Gesetzes durch eine dritte, nicht 
immer unparteiische Behörde ist sehr schwer und führt meist zu noch 
größeren Komplikationen. 

Der Grundbesitzer in England wehrt sich natürlich gegen die Er- 
hebung der „Land Tenure Bill“ zum Gesetz, und ich möchte selbst be- 
zweifeln, ob sie den Pächtern so sehr in England zu Nutzen kommen 
würde. Die Pächter wollen erstens keine 5-jährige Pachtperiode und 
ziehen eine 1-jährige Pachtrate vor; bei der kürzeren Pacht können 
sie eher die Höhe der Pacht den Zeiten gemäß regulieren und der 
sinkenden oder steigenden Konjunktur anpassen. Die „Agricultural 
Holdings Act“ in England sichert je schon dem Pächter die Sicherheit 
des Pachtvertrages und Entschädigung für die von ihm ausgeführten 
Meliorationen; mehr braucht er nicht zu verlangen. Das freie Vertrags- 


Miszellen. 111 


recht zwischen Verpächter und Pächter besteht ja so wie so in England 
und ist nur eine Einmischung durch einen Gerichtshof vom Uebel. Ich 
bin in der Lage, zu behaupten, daß im allgemeinen Verpächter und 
Pächter in England auf ganz gutem freundschaftlichem Fuße leben sie 
haben zusammen die schweren Zeiten der Agrarkrisis durchgemacht und 
haben beiderseits zusehen müssen, wie ihr Einkommen durch die Macht 
der Verhältnisse schwand; sie haben beiderseits in den sauren Apfel 
beißen müssen; sie haben sich schließlich gegenseitig, sich über Wasser 
zu halten und die schwere Krisis zu überstehen, geholfen. Es wäre 
also nicht angezeigt, das gute Verhältnis zwischen Verpächter und 
Pächter durch einen Gerichtshof in Frage zu stellen und zu gefährden. 
Bezüglich der Pachtzinsfrage stehe ich auf dem Standpunkte, 
daß sich im Laufe der letzten 30 Jahre die Pachtzinsen voll- 
ständig den veränderten Zeiten und Konjunkturen angepaßt haben. 
Durch den natürlichen Weg des Angebots und der Nachfrage ist dieser 
Anpassungsprozeß vor sich gegangen, und ich bin der festen Ueber- 
zeugung, daß heute der englische Farmer über die Höhe seiner Pacht 
nicht mehr klagt. Vor 10 Jahren gab es noch eine Zeit, wo Verpächter 
um die Erhaltung ihrer früheren Pachtzinsen kämpften. Der Kampf 
war ein ungleicher, und sahen sich die Grundherren gezwungen, der ge- 
ringen Nachfrage wegen ihre hohen Pachtforderungen aufzugeben. Die 
Zeiten des Antagonismus zwischen Verpächter und Pächter waren 
hauptsächlich zu Anfang der Agrarkrisis, als die Verpächter noch nicht 
zur Einsicht gekommen waren, daß sie Pachtnachlasse machen mußten, 
um ihren alten Pachterstamm zu erhalten. Heutzutage ist dieser 
Antagonismus verschwunden; der Gutsbesitzer besteht nicht mehr auf den 
früheren hohen Pachtzinsen, sondern begnügt sich mit dem natürlichen 
Resultat von Nachfrage und Angebot. Wie die Kommission auch richtig 
bemerkt: „Die Hauptlast der landwirtschaftlichen Krisis hat sich 
immer mehr und mehr von den Pächtern auf die Eigentümer des Landes 
abgewälzt. Es ist das ein Resultat, welches früher oder später, vom 
ökonomischen Standpunkte aus betrachtet, unvermeidlich war.“ 


112 Litteratur. 


Nachdruck verboten. 


Litteratur. 


I. 


Beiträge zur neuesten Handelspolitik Deutschlands. 
Bd. 1, hrsg. vom Verein für Sozialpolitik. 80. IX. und 336 SS. 


Besprochen von R. van der Borght. 


Der großen, 4 Bände umfassenden Veröffentlichung „Die Handels- 
politik der wichtigeren Kulturstaaten in den letzten Jahrzehnten“ vom 
Anfang der 90er Jahre, einer Veröffentlichung von hohem Wert, be- 
ginnt jetzt der Verein für Sozialpolitik eine Ergänzung folgen zu lassen, 
die zwar geringer an Umfang, aber nicht geringer an Bedeutung zu 
werden verspricht. Es handelt sich darum, die „wichtigsten großen 
konkreten Einzelfragen der zukünftigen deutschen Handelspolitik“ in 
einer Reihe von Specialarbeiten zu behandeln. Von den Antragstellern, 
die auf der Generalversammlung des Vereins von 1899 den Anstoß zu 
der neuen Veröffentlichung gegeben haben, war eigentlich die „Frage 
der sozialpolitischen Bedeutung des Ueberganges Deutschlands zum 
Exportindustriestaat“ als Gegenstand der Bearbeitung ins Auge gefaßt 
worden. Dieses Thema ist meines Erachtens mit vollem Recht in den 
Hintergrund geschoben worden; es wird nach dem für die Gesamt- 
veröffentlichung vorliegenden Plan jetzt nur noch bei der Darlegung 
der Ergebnisse der Berulsstatistik für die Handelspolitik berücksichtigt 
werden. Dagegen sollen die handelspolitischen Beziehungen Deutsch- 
lands zu den Vereinigten Staaten, zu England, zu Oesterreich, zum ost- 
asiatischen Markt, zu Rußland und die neueste Entwickelung und die 
demnächstigen Hauptaufgaben der deutschen Handelspolitik in einer 
größeren Zahl von Arbeiten eingehend behandelt werden. Für die 
wichtigsten dieser Untersuchungen sind mehrere Referenten derart aus- 
gewählt, daß eine Berücksichtigung der verschiedenen miteinander 
ringenden Strömungen gesichert ist. So sollen z. B. die Beziehungen 
zu den Vereinigten Staaten von einem amerikanischen und einem deutschen 
Gelehrten, die zu England von einem englischen und einem deutschen 
Schriftsteller, die landwirtschaftlichen Zölle von Dr. Conrad und Dr. Dade 
in selbständigen Arbeiten besprochen werden. Man kann dieses Vor- 


Litteratur. 113 


gehen nur billigen. Aber man wird auch nicht umhin können, schon 
in diesem Plan einen neuen Beweis dafür zu finden, wie wenig eigent- 
lich in handelspolitischen Dingen wirklich als wissenschaftlich all- 
gemein anerkannt und unanfechtbar gilt und gelten kann. Auch der 
Inhalt des vorliegenden Bandes bestätigt das. Als Gedanken, die von 
allen im 1. Bande erscheinenden Verfassern grundsätzlich gebilligt 
werden, kann man etwa feststellen, daß von einer grundsätzlichen Ver- 
werfung der Schutzzölle einschiießlich der landwirtschaftlichen Zölle 
nicht die Rede sein kann, aber ebensowenig von einer kritiklosen An- 
wendung der Zölle ohne Prüfung der Frage, ob die Voraussetzungen 
für eine gedeiliche Wirkung des Zolles im einzelnen Fall gegeben sind. 
Auch das darf man als von allen Verfassern ausdrücklich oder still- 
schweigend anerkannt betrachten, daß der Export an sich heut für 
Deutschland unentbehrlich ist. Aber viel weiter geht die Ueberein- 
stimmung nicht, und von den angeführten Grundsätzen aus werden sehr 
verschiedene Schlußfolgerungen gezogen. In dem Gesagten liegt keines- 
wegs ein Tadel für die beteiligten Verfasser oder für die Wissenschaft 
der Nationalökonomie. Im Gegenteil! Gerade in der erwähnten That- 
sache spricht sich aus, daß die heutige Nationalökonomie sich der 
Relativität ihrer Ergebnisse bewußt ist und daß ihre Vertreter nicht 
durch einfachen Autoritätsglauben, sondern durch ehrliches und ge- 
wissenhaftes Ringen und Kämpfen die Wahrheit zu erfassen und zu 
begreifen suchen. Von diesem höheren Gesichtspunkt aus wird man 
einen Nachteil nicht darin erblicken können, daß die Autoren des vor- 
liegenden 1. Bandes zu verschiedenen Auffassungen gelangt sind. In dem 
noch ausstehenden Teil der Veröffentlichung wird es nicht anders sein. 

Der vorliegende erste Band enthält 4 Aufsätze, die anscheinend 
zufällig nebeneinander gestellt sind und nicht in innerem Zusammen- 
hang miteinander stehen. In der That sind, wie Schmoller als 
Leiter der Publikation in der Vorrede mitteilt, diese Arbeiten einfach 
so, wie sie eingingen, zum Druck befördert worden. Es spricht für 
die Logik des Gesamtplanes der Veröffentlichung, daß trotzdem auch 
die vorliegenden 4 Arbeiten sich in der glücklichsten Weise gegen- 
seitig ergänzen. Um das zu empfinden, muß man von Conrad’s Aufsatz 
über die Stellung der landwirtschaftlichen Zölle in den 1903 zu 
schließenden Handelsverträgen Deutschlands ausgehen. Conrad wird 
am Schluß seiner Untersuchung erklärlicherweise dazu gedrängt, die 
bis dahin von ihm behandelten landwirtschaftlichen Interessen in Be- 
ziehung zu den industriellen Bedürfnissen zu setzen, und das führt ihn 
von selbst dazu, auch unser Verhältnis zu unseren wichtigsten Getreide- 
lieferanten, zu den Vereinigten Staaten und Rußland, zu erörtern, die 
beide von uns vorzugsweise industrielle Erzeugnisse beziehen, aber auch 
beide offen dahin streben, sich in industrieller Beziehung unabhängig 
vom Auslande zu machen. Conrad gelangt dabei zu dem Ergebnis, 
daß der Interessengegensatz zwischen den Vereinigten Staaten und den 
europäischen Industrieländern sich verschärfen mul, daß der Zollkampf 
mit den Vereinigten Staaten in der Zukunft unvermeidlich ist und daß 

Dritte Folge Ed. XXI (LXXVI). 8 


114 Litteratur. 


zur erfolgreichen Abwehr der amerikanischen Konkurrenz ein Zoll- 
bündnis des europäischen Kontinents angestrebt werden muß, 

Die zuletzt von Conrad berührten, naturgemäß nur in den Um- 
rissen behandelten drei Themata sind es nun, die den Gegenstand der 
übrigen 3 Arbeiten des 1. Bandes bilden. Die Beziehungen zu den 
Vereinigten Staaten behandelt Dr. Fisk, der frühere Sekretär der 
amerikanischen Botschaft in Berlin, die zu Rußland bespricht Dr. Ballod, 
und die Frage der mitteleuropäischen Zolleinigungen hat Dr. Francke 
bearbeitet. Die Conrad'schen Ausführungen werden dadurch ergänzt, 
erweitert und illustriert, zum Teil auch unbeabsichtigterweise kon- 
trolliert. Liest man den Band in der oben angedeuteten Reihenfolge, 
so wird man sich des lebhaftesten Interesses für seinen Inhalt nicht 
erwehren können und ihn als ein zusammengehöriges Ganzes in sich 
aufnehmen. Man wird dann aber auch sofort seine große praktische 
Bedeutung erkennen; denn die Lektüre führt uns mitten hinein in die 
großen und schwierigen Probleme, die von der deutschen Handels- 
politik demnächst zu lösen sein werden. 

Wie berechtigt es ist, wenn Conrad auf die zunehmende Ver- 
schärfung der wirtschaftlichen Gegensätze zu den Vereinigten Staaten 
nachdrücklich hinweist, kann nicht schlagender bewiesen werden, als 
durch die Arbeit von Dr. Fisk. Er kennt offenbar die amerikanischen 
Verhältnisse und handelspolitischen Grundsätze und Ideen sehr genau, 
und was er an thatsächlichen Mitteilungen und Schilderungen bringt, 
ist äußerst lehrreich und dauernd wertvoll. Aber was im Augenblick 
ganz besonders fesselt, ist das scharfe Hervorleuchten der völligen Un- 
bekümmertheit der amerikanischen Handelspolitik um alle nichtamerika- 
nischen Interessen. Die amerikanische Auffassung über die Reci- 
procität, über Meistbegünstigung, über Zollzuschläge zum Ausgleich 
ausländischer Ausfuhrprämien u. dergl. mehr, die kaum noch höfliche 
Ablehnung der deutschen Berufung auf die unentgeltliche Anwendung 
der niedrigen Zollsätze der Caprivischen Handelsverträge gegenüber 
den amerikanischen Erzeugnissen (S. 41), die Darlegungen über die 
„Expansion“, die von der naiven Bemerkung ausgehen, daß sich die 
Vereinigten Staaten nach dem Kriege mit Spanien „unerwarteter- und 
unbeabsichtigterweise im Besitz neuer Gebiete“ sahen: das alles zu 
lesen, und zwar recht aufmerksam zu lesen, kann man nicht dringend 
genug allen denen raten, die bei der bevorstehenden handelspolitischen 
Aktion mit zu handeln haben und mitreden wollen. 

Was Rußland anlangt, so hatte Conrad betont, daß von hier aus 
eine Konkurrenzierung unserer Industrie in absehbarer Zeit nicht zu 
befürchten ist, aber vor einer Zollerhöhung auf Getreide diesem Lande 
gegenüber gewarnt. Das erstere bestätigt Dr. Ballod in seinen aus- 
führlichen Darlegungen über die Konkurrenzfähigkeit der russischen 
Eisenindustrie, auf die es ja in diesem Zusammenhange besonders an- 
kommt. . Bezüglich des Getreides kommt dagegen Ballod zu dem Schluß, 
daß eine mäßige Erhöhung auf 5, eventuell auf 6 M. ohne Gefährdung 
eines Handelsvertrages durchzusetzen sein würde, während er gleich- 


Litteratur.’ 115 


zeitig eine Herabsetzung der russischen Zölle auf Eisen und fertige 
Gewebe nicht für unwahrscheinlich hält, da das starke Exportinteresse 
der russischen Landwirtschaft diese Forderung unterstütze. Das russische 
Exportinteresse richtet sich nach Ballod in erster Linie auf Weizen, 
bei dem zwar eine bedeutende Mehrproduktion im europäischen Rußland 
nicht zu erwarten ist, der aber im südlichen Sibirien in erhöhter Menge 
gewonnen und ohne Schädigung der russischen Volksernährung in erheb- 
lichem Umfange abgegeben werden kann. Auch Holz, Faserstoffe (Hanf 
und Lein) und ölhaltige Samen sind wichtige Exportatikel Ruflands. 
Sind diese Darlegungen Ballod’s richtig, so ergeben sich daraus be- 
achtenswerte Richtpunkte für die deutsche und die russische Handels- 
politik. Ballod untersucht auch die Bedeutung und die Wirkung des 
deutsch-russischen Handelsvertrages von 1894. Er kommt dabei zu einer 
verhältnismäßig geringen Einschätzung der Vorteile, die aus diesem Ver- 
trage für Deutschland erwachsen sind. Für wichtige deutsche Ausfuhr- 
artikel sind die russischen Zölle trotz der im Handelsvertrage zuge- 
standenen Ermäßigung noch „enorm hoch, für viele Artikel direkt prohibitiv 
geblieben“. Zölle von 50, 60, 100, 150, 200 Proz. des Wertes sind 
noch zu verzeichnen. Nur für Maschinen und Eisenwaren ist ein 
mäligerer Satz — 30—40 Proz. — in Geltung. Gerade in diesen Artikeln ist 
der deutsche Export nach Rußland seit 1894 erheblich gestiegen. Indes 
führt Ballod das weniger auf die mäfigeren Zölle, als auf den Umstand 
zurück, daß Rußland bei der umfangreichen Gründung neuer Unter- 
nehmungen dieser Waren nicht entraten konnte. Die ausgedehnte 
Gründungsthätigkeit ihrerseits aber ist, wie auch Ballod hervorhebt, 
durch den russischen Hochschutztarif hervorgerufen; ihr letztes Ziel ist, 
die Einfuhr industrieller Erzeugnisse entbehrlich zu machen. Gestiegen 
ist auch die Ausfuhr Deutschlands nach Rußland in Büchern, Karten, 
Musikalien, Luxusartikeln, feiner Leibwäsche, Handschuhleder, Gold-, 
Silber-, Nickelwaren, dagegen fast unverändert geblieben bei chemischen 
Erzeugnissen und erheblich zurückgegangen bei Textilwaren. Das alles 
sind Erwägungen, die jedenfalls eine ernste Prüfung verdienen, und die, 
wenn sie sich als zutreffend erweisen sollten, das übliche Urteil über 
die Wirkungen des deutsch-russischen Handelsvertrages beeinflussen 
müßten. 

Die von Conrad als Endziel bezeichnete engere zollpolitische Ver- 
bindung der mitteleuropäischen Staaten mit der Spitze gegen die Ver. 
Staaten darf nach den geschichtlichen Darlegungen und nach den Schluß- 
folgerungen, die Francke in seinem Aufsatz über die Frage giebt, nicht 
gerade als aussichtsvoll bezeichnet werden. Brennend ist meines Erachtens 
die Frage zur Zeit nicht, und wenn sie jemals anders als durch bloße 
Handelsverträge gelöst werden sollte, dann müßte die wirtschaftliche Ge- 
fahr, die von den Ver. Staaten her droht, sich erst noch viel schärfer den 
mitteleuropäischen Ländern aufgedrängt haben. Denn manches Sonder- 
interesse der einzelnen beteiligten Länder müßte der Erreichung dieses 
Zieles geopfert werden, und das geschieht nicht, so lange nicht die 
Gefahr dringend ist. Gleichwohl ist es dankenswert, daß Francke die 


EK 


116 Litteratur. 


Entwickelung der einschlägigen Bestrebungen eingehend schildert!) und 
die verschiedenen Formen des engeren zollpolitischen Zusammenschlusses 
auf ihre praktische Brauchbarkeit und Wirkung hin prüft. Von un- 
mittelbarer praktischer Bedeutung ist der Hinweis Francke’s auf die 
Notwendigkeit einer Revision der Meistbegünstigungsklausel. Von dieser 
Revision hängt nach ihm die Möglichkeit eines engeren Zusammen- 
schlusses der mitteleuropäischen Staaten in der Zollpolitik ab. Aber 
auch aus anderen und näher liegenden Rücksichten wird die deutsche 
Handelspolitik M. E. die Frage sehr ernsthaft prüfen müssen, ob und wie 
weit die unbeschränkte, unbedingte und unentgeltliche Meistbegünstigung 
überhaupt noch aufrecht erhalten werden kann. Sie ist sicher eine be- 
queme, einfache, durchsichtige Formel, aber ihre praktischen Wirkungen 
sind sehr verschieden und waren und sind den deutschen Interessen 
nicht immer günstig. 

Noch einige Worte seien mir über die Conrad’sche Abhandlung 
gestattet. Sie hat mit Recht in der Oeffentlichkeit die größte Be- 
achtung gefunden. Um die Frage der landwirtschaftlichen Zölle dreht 
sich der Kampf der Meinungen, und ein sehr lebhafter Streit ist ge- 
legentlich der Beratung des neuen Zolltarifs und der künftigen Handels- 
verträge unvermeidlich. Von Conrad konnte man eine ruhige und sach- 
liche, aber auch durchaus sachverständige Behandlung der Frage er- 
warten. Wer nicht aus den oft recht einseitig gehaltenen Auszügen in 
der Tagespresse, sondern durch eigene Lektüre den Aufsatz kennen 
lernt, wird sich in dieser Erwartung nicht getäuscht finden. 

Conrad ist weit entfernt davon, landwirtschaftliche Schutzzölle 
schlechthin abzulehnen. Er hält sie unter bestimmten Voraussetzungen 
für unvermeidlich, macht aber mit vollem Rechte nachdrücklich darauf 
aufmerksam, daß die Wirkung landwirtschaftlicher Schutzzölle von an- 
deren Faktoren bedingt ist, und daß man deshalb mit ihrer Anwendung 
noch viel vorsichtiger sein muß, als bei Industrieschutzzüllen, Conrad 
gelangt zu dem Ergebnis, daß für die Hauptvieharten, ferner für Käse, 
Butter, frisches Fleisch und Konserven tierischer Produkte auch erhöhte 
Zölle nicht bedenklich sind. Was das Getreide anbelangt — und auch 
nach Conrad ist die deutsche Landwirtschaft in der Hauptsache auf 
Getreidebau angewiesen — so empfiehlt er Herabsetzung des Hafer- 
zolles im Interesse der Viehzucht, hält eine Erhöhung des Gerstenzolles 
für zulässig, lehnt aber eine Erhöhung des Roggen- und Weizenzolles 
ab. Mit Rücksicht auf die gedrückte Lage der Landwirtschaft warnt 
er gleichzeitig wiederholt vor der Beseitigung der jetzigen Zölle auf 
Weizen und Roggen. 

Ich will nicht darauf eingehen, ob man bei Hafer und Gerste nicht 
von dem Gesichtspunkt aus zu einer anderen Schlußfolgerung kommen 


1) Da Francke (S. 190) von vornherein für die Lücken in dem seiner Arbeit 
beigegebenen Litteraturnachweis „um mildernde Umstände“ bittet, so wird er es mir 
nicht verargen, wenn ich ihn darauf hinweise, daß er unter anderen die in deutscher und fran- 
zösischer Sprache in den 80er Jahren erschienenen und damals nicht unbeachtet ge- 
bliebenen Aufsätze von R. v. Kaufmann über die Frage des mitteleuropäischen Zoll- 


vereins übersehen hat. 


Litteratur. 117 


konnte, daf Hafer als Futtermittel zwar für die Pferdezucht, aber nicht 
für die Fleisch- und Milchproduktion in Betracht kommt und als die 
Frucht armer Gegenden erscheint, und daf andererseits Gerste in ihren 
geringeren Sorten als Futtermittel, z. B. bei der Schweinezucht dient 
und daß ihre besseren Sorten nur in besonders gut kultivierten Gegenden 
erzeugt werden können und im allgemeinen günstige Preise erzielen. 
Der Schwerpunkt dieser Endergebnisse Conrad’s liegt ja unzweifelhaft 
darin, daß eine Beseitigung des jetzigen Zolles für Weizen und Roggen 
noch nicht in Frage kommen kann. Diese Schlußfolgerung dürfte 
praktisch insofern eine große Bedeutung gewinnen, als sie dem Ansturm 
gegen den Roggen- und Weizenzoll überhaupt entgegenarbeitet. Es 
fehlt nicht an Anzeichen dafür, daß selbst in Kreisen, die mehr frei- 
händlerischen Anschauungen zuneigen, das Eintreten Conrad’s für die 
Beibehaltung des jetzigen Weizen- und Roggenzolles einen starken Ein- 
druck gemacht hat. Praktischen Politikern drängt sich vielleicht fol- 
gende Erwägung auf: Langjährige Handelsverträge im Interesse unserer 
Exportindustrie, die auch von Conrad befürwortet werden, lassen sich 
gerade wichtigen Ländern gegenüber nicht erreichen, wenn nicht für 
Roggen und Weizen Zugeständnisse gemacht werden. Wird es nun 
als hinreichend großes Zugeständnis gelten, wenn wir in dem zu er- 
wartenden Zolltarif die jetzigen Vertragszölle einsetzen, von denen aber 
dann nach Conrad’s Darstellungen nichts mehr abgelassen werden kann ? 
Oder ist es taktisch richtiger, den Roggen- und Weizenzoll mit etwas 
höherem Betrage in den Zolltarif einzustellen, um durch die vertrags- 
mäßige Herabsetzung auf den jetzigen Satz günstigere Vereinbarungen 
für unsere Exportindustrie zu erzielen, ohne der Landwirtschaft das 
von Conrad als zur Zeit noch nötig bezeichnete Maß des Zollschutzes 
für Roggen und Weizen zu entziehen? Das ist eine Frage, die nicht 
von der Wissenschaft, sondern von der praktischen Politik zu lösen ist. 
Ich führe sie hier nicht an, um sie zu beantworten, sondern um an 
diesem Beispiel zu zeigen, daß, so groß auch die Bedeutung der vor- 
liegenden wissenschaftlichen Untersuchungen ist, doch unter Umständen 
die praktische Politik genötigt sein könnte, anscheinend von der Wissen- 
schaft abzuweichen, um gerade das von dieser bezeichnete Ziel zu er- 
reichen. 

Unter den Gründen, aus denen Conrad zur Ablehnung einer Zoll- 
erhöhung für Weizen und Roggen gelangt, findet sich (S. 117) auch die 
Erwägung, daß sich der Zoll in eine Steigerung des Grundwertes 
umsetzt und deshalb für den Besitzer, der zur Zeit der Zollauflegung 
den Boden in der Hand hat, eine Kapitalschenkung in sich schließt, 
während der neue Besitzer wegen des höheren Bodenpreises, den er hat 
zahlen müssen, doch wieder unter bedrängten Verhältnissen wirtschaftet. 
Darin steckt unzweifelhaft viel Richtiges. Der bezeichnete Vorgang wird 
aber nur in den Fällen zur vollen Wirkung kommen, in denen der Be- 
sitzer, der seinerseits den Boden in Anbetracht der jetzigen Leistungs- 
und Ertragsfähigkeit desselben nicht zu hoch bezahlt hat, kurz vor 
oder bald nach der Zollerhöhung das Grundstück verkauft, ohne durch 
besondere Umstände dabei in eine Zwangslage gebracht zu sein. Liegt 


118 Litteratur. 


die letztere vor, so wird er nicht immer stark genug sein, die Boden- 
wertsteigerung im Kaufpreise zur Geltung zu bringen. Hat er selbst 
den Boden zu hoch bezahlt, so erreicht er in dem jetzigen Bodenwert 
zuzüglich der durch den Zoll bewirkten Wertsteigerung vielleicht nicht 
einmal seinen eigenen Kaufpreis, Verkauft er erst längere Zeit nach 
der Zollerhöhung, so haben sich vielleicht inzwischen die Verhältnisse 
auf dem Getreideweltmarkt wieder so verschoben, daß die Rentabilität 
des Getreidebaues nur gering und deshalb der Bodenwert wieder ge- 
sunken ist. Man kann also nicht von vornherein übersehen, ob und 
wie weit die durch den Zoll zunächst bewirkte Bodenwertsteigerung 
zu praktischer Bedeutung gelangt. Auf der anderen Seite könnte die 
Frage entstehen, ob nicht in einem gegebenen Zeitpunkt eine Zollerhöhung 
dazu beitragen kann, daß der jetzige Besitzer wegen der Aussicht auf 
bessere Rentabilität seinen Grund und Boden festhält, und ob nicht die 
Gesamtheit gerade an dem Verbleiben des Bodens in der bisherigen 
Hand ein wesentliches Interesse hat. Das sind meines Erachtens 
Fragen, die sich bei dem in Rede stehenden Grunde vom praktischen 
Standpunkte aus aufdrängen. Sie hier zu lösen, ist nicht der Ort. Ich 
erwähne sie nur, um zu zeigen, wie die durchdachten Ausführungen 
Conrad’s zum Nachdenken und zur weiteren Verarbeitung der autge- 
rollten schwierigen Zeitfragen anregen. Gerade darin liegt der große 
Wert wirklich wissenschaftlicher Arbeiten, daß sie den aufmerksamen 
Leser zu weiterer Geistesarbeit veranlassen. 

Nach allem haben wir es in dem vorliegenden Bande mit einer 
Veröffentlichung zu thun, die für die Männer der Wissenschaft und der 
Praxis eine besondere Bedeutung beanspruchen kann und die wesentlich 
dazu beitragen wird, eine der Gesamtheit zuträgliche Lösung der 
schwebenden schwierigen Fragen herbeizuführen. 


I 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 119 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands 
und des Auslandes. 


1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle 
theoretische Untersuchungen. 

Schüller, Richard, Dr., Die Wirtschaftspolitik der historischen 
Schule. Berlin 1899. VI und 131 SS. 

Als ich vor vier Jabren in diesen Jahrbüchern das Erstlingswerk 
des Verfassers anzeigte: „Die klassische Nationalökonomie und ihre 
Gegner“ (III. F., Bd. 11, S. 757—759), hob ich als Hauptverdienst 
dieser Arbeit hervor, daß der Verf. mit Recht vielen übertrieben 
geringschätzigen Beurteilungen der klassischen Nationalökonomie ent- 
gegentreten sei und daß er mit guter Auswahl die Stellen der Klas- 
siker erwähnt habe, die jene oft maßlosen Vorwürfe unbegründet er- 
scheinen lassen. Ich hatte aber dort schon auf einen Irrtum hinge- 
wiesen, in den der Verf. geraten ist, indem ich schrieb: „Auch darin 
scheint uns der Verf. zu irren, wenn er einen gewissen Einfluß an- 
nimmt, den die irrtümliche Beurteilung der klassischen Nationalökonomie 
seitens der historischen Schule auf die sozialpolitische Stellung der 
letzteren gehabt habe (S. 3): „„Die Auffassung der historischen Schule 
über die Smith’sche Wirtschaftspolitik bildet eine wichtige Stütze der 
jetzt herrschenden prinziplosen Opportunitätspolitik, welche zu der 
Einengung des Koalitionsrechts, zu einer rückläufigen Agrar- und Ge- 
werbepolitik, zur Ausdehnung der indirekten Steuern und zu unzuläng- 
lichen Sozialreformen führt.““ Thatsächlich sind jedoch die Anhänger 
der verschiedensten nationalökonomischen Methoden gemeinsam bei den- 
selben sozialpolitischen Bestrebungen beteiligt.“ 

Dieses Urteil muß ich in noch verstärktem Maße gegenüber der 
Grundtendenz der neuen Schrift des Verfassers aufrecht erhalten, in 
welcher Schüller speciell die Stellung der historischen Schule zur Wirt- 
schaftspolitik beleuchtet und zu dem Resultate gelangt (S. 131): „Seit 
der Mitte des 19. Jahrhunderts ist die Methode, welcher die historische 
Richtung in praktischen Fragen folgt, vorherrschend geworden, weil 
den wirtschaftlichen und sozialen Fragen der Gegenwart entsprechende 
prinzipielle Richtungen nicht in der Entwickelung begriffen sind. Die 
historische Schule vermag den sozialen Problemen unserer Zeit ebenso- 
wenig gerecht zu werden, wie ihre Vorgänger den liberalen Problemen. 
Die Volkswirte aber, die auf eine prinzipielle Behandlung dieser Pro- 
bleme hinarbeiten, müssen dieselben Methoden anwenden, die von der 


120 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


klassischen Nationalökonomie auf die Fragen der liberalen Periode 
angewendet worden sind“. 

Ich vermag diesem Urteile nicht zuzustimmen: die Frage der wissen- 
schaftlichen Methode nationalökonomischer Forschung hat nichts zu thun 
mit der Stellungnahme zu den praktischen volkswirtschaftspolitischen 
Fragen oder mit anderen Worten: ob man deduktive oder induktive, theore- 
tische oder historische Forschungsweise bevorzugt, ist nicht maßgebend für 
die gänzlich andere Frage, ob man liberale oder staatssozialistische, ob man 
zünftlerische oder gewerbefreiheitliche Politik bevorzugt. Der Verf. scheint 
geradezu von dem Standpunkte auszugehen, als ob die Methode der 
klassischen Nationalökonomie nicht nur unfehlbar gewesen sei, sondern 
auch, als ob nur eben die „liberale“ Wirtschaftspolitik auf Wissenschaft- 
lichkeit Anspruch machen könne, als ob alles andere prinziploser 
Eklekticismus, oder Rückfall in veraltete, reaktionäre und merkantilisti- 
sche Irrtümer darstelle. Verf. scheint nicht genügend die Bedeutung 
der Methodenfrage für die theoretische und für die praktische National- 
ökonomie zu unterscheiden. Der Anhänger der klassischen National- 
ökonomie in der Methodenfrage wird immer noch versuchen, das ganze 
gewaltige Gebiet der Volkswirtschaft theoretisch aus gewissen „Prin- 
zipien“ zu erforschen, die er isoliert betrachtet; der Historiker ver- 
zichtet auf dieses Hilfsmittel und sucht das Wirtschaftsleben als Teil 
des gesamten Kulturlebens und im Zusammenhang mit allen wichtigen 
anderen Erscheinungen des Volkslebens zu behandeln; der Theoretiker 
sucht nach „Gesetzen“ des Arbeitslohnes, der Grundrente, des Zinses, 
nach den Zusammenhängen dieser Einkommenszweige etc.; der Historiker 
steht dem Suchen nach solchen „Gesetzen“ skeptisch gegenüber — aber in 
der Volkswirtschaftspolitik ist der Unterschied längst nicht ein so tiefgrei- 
fender. Wer in der „Theorie“, z. B. aus dem Egoismus der einzelnen 
Wirtschaftssubjekte die wichtigsten wirtschaftlichen Kategorien, wie z.B. 
Lohn, Zins, Rente etc. abzuleiten versucht, braucht keineswegs für 
die praktische Volkswirtschaft die Bethätigung des „Egoismus“ als 
die Hauptmaxime der Staatspolitik zu empfehlen. In der Frage, wie 
weit die staatliche Fürsorge in volkswirtschaftlichen Dingen zu gehen 
hat, sind die Vertreter der sogenannten klassischen Nationalökonomie 
sehr uneinig und es ist gerade ein Verdienst des Verf., dies des näheren 
erwiesen zu haben — Malthus, J. St. Mill, Ricardo, Smith, wie 
verschieden sind sie als Wirtschaftspolitiker! Dasselbe trifft aber auch 
heute zu, und nichts wäre so falsch, als etwa die Theoretiker unserer 
Faches als „Liberale“, die Historiker als „Reaktionäre“ charakterisieren 
zu wollen. Die Abneigung der Historiker gegen „Dogmen“ bewirkt 
eine gewisse Vernachlässigung prinzipieller Grundfragen in der theore- 
tischen Nationalökonomie, hat aber andererseits mit Recht die Oppo- 
sition gegen einen „Absolutismus der Lösungen“, dem einzelne Ver- 
treter der klassischen Nationalökonomie auch in Fragen der Volkswirt- 
schaftspolitik huldigten, wachgerufen. Daß in der Handwerker-, 
Agrar-, und Handelspolitik die Lösungen nicht aus einem Prinzip, son- 
dern örtlich und zeitlich relativ erfolgen müssen, ist heute die überein- 
stimmende Anschauung der „Theoretiker“ wie der „Historiker“. Daß 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 1921 


aber die methodologische Richtung nicht maßgebend ist für die wirt- 
schaftspolitische Auffassung, mag noch kurz durch ein Beispiel kon- 
statiert werden. Unter den Nationalökonomen in Deutschland, die der 
Methode der klassischen Nationalökonomie noch am nächsten stehen, 
ist in erster Linie Dietzel zu erwähnen; kein anderer hat diese Methode 
so heftig bekämpft, wie Brentano. Und doch sehen wir, wie die jüng- 
sten handelspolitischen Schriften Dietzel’s beweisen, Brentano und 
Dietzel in gleichem Male als eifrige Verfechter der liberalen Handels- 
politik auftreten. — Solche Beispiele ließen sich noch zu Dutzenden an- 
führen. — Trotz meiner abweichenden Auffassung gegenüber der Grund- 
meinung des Verf. soll der Schrift deshalb nicht aller Wert abge- 
sprochen werden: die Kapitel über das Verhältnis der klassischen 
Nationalökonomie zur Manchester-Doktrin, sowie die Charakteristik 
einiger älterer deutscher Volkswirte, wie z. B. Kraus, Lotz, Jacob, 
Nebenius, Sartorius, Garve, Luden, enthalten eine Fülle 
litterarhistorischen Materials, so daß Schüller’s Schrift, wie seine 
frühere, eine wertvolle Bereicherung der Litteratur zur Geschichte 
der Nationalökonomie darstellt. 


Königsberg i/Pr. K. Diehl. 


Bücher, K. (Prof.), Die Entstehung der Volkswirtschaft. Vorträge und Versuche. 
3. Aufl. Tübingen, Laupp, 1900. gr. 8 XI—466 SS. M. 6,60. 

Geschichtskalender, deutscher, für 1900. Sachlich geordnete Zusammen- 
stellung der politisch wichtigsten Vorgänge im In- und Ausland, von Karl Wippermann. 
I. Band: (Deutsches Reich und Preußen. — Oesterreich-Ungarn. — Rußland. — Frank- 
reich. — Großbritannien und Irland. — Italien.) Leipzig, F. W. Grunow, 1900. gr. 8. 
353 SS. geb. M. 6.—. 

Sozialistenkongreß, internationaler, zu Paris, 23.—27. September 1900. 
Berlin, Vorwärts, 1900. 8. 32 SS. M. 0,20. 

„Vaterlandslose Gesellen“. Kurze Biographien der verstorbenen hervorragenden 
Sozialisten des 19. Jahrhunderts. Stuttgart, Dietz Nachf., 1901. 12. 105 SS. mit zahl- 
reichen Porträts. M. 0,50. 

Verhandlungen des Parteitages der deutschen Sozialdemokratie Oesterreichs, 
abgehalten zu Graz vom 2. bis 6. September 1900. (Nach dem stenographischen Proto- 
kolle.) Wien, Wiener Volksbuchhdlg. Ign. Brand, 1900. 8.175 SS. Kr. 0,50. (Von 
besonderem Interesse ist die Debatte über die Agrarfrage.) 


Appia, H., Le christianisme social. Trois conférences. Paris, Fischbacher, 1900. 
pet. in-8. XI—191 pag. (Publié sous les auspices de la Société chrétienne suisse 
d'économie sociale. (Table: Coup d’oeil sur ce mouvement et ses causes. — Ses carac- 
Dies et ses tendances. — Ses applications pratiques.) 

Bibliothèque socialiste, serie I, n° 1—4. Paris, Société nouvelle de librairie 
et d'édition, 1% novembre et 1° décembre 1900. petit in-8. Prix du numéro fr. 0,50. 
(Sommaire. N° 1: Maur. Lauzel, Manuel du coopérateur socialiste, 100 pag. — N°24 
(en un seul volume): E. Vandervelde, Le collectivisme et l’évolution industrielle.) 

Chabin (P., de la compagnie de Jésus), Les vrais principes du droit naturel, 
politique et social. (Chätillon-sur-Seine, impr. Pichat, 1901. 8. X—343 pag. 

Dubreuilh, H., L'organisation socialiste. I.: le Comité. Troyes, impr. Arbouin, 
1000. 8. (Bibliothèque du journal „le Petit Sou“.) 

Guesde, J., La loi des salaires et ses conséquences, suivie d’une réponse à la 
réponse de M. Clémenceau. Paris, Jacques & C', 1901. 8. 36 pag. 

Halévy, E. (prof. à l'Ecole libre des sciences politiques), La formation du radi- 
ealisme philosophique: La Révolution et la doctrine de l'utilité (1789—1815). Paris, 
F. Alcan, 1900. 8. XXVII—413 pag. 

Lechartier, G., David Hume moraliste et sociologue. Paris, F. Alcan, 1900. 
8. 283 pag. fr. 5.—. 


122 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Lonchampt, J., Notice sur la vie et Poeuvre d’Auguste Comte. Paris, impr. 
Dubuisson, 1900, petit in-8. 219 pag. fr. 1.—. 

Question de morale, Lecons professes au Collège libre des sciences sociales par 
MM. G. Belot, M. Bernès, F. Buisson, A. Croiset, Delbos, Darlu, Fournière, Malapert, 
G. Moch, D. Parodi et G. Sorel. Paris, F. Alcan, 1900. 8. 331 pag. (Bibliothèque 
générale des sciences sociales.) 

Socialisme, le. Paris, impr. P. Dupont, 1900. 8. 184 pag. à 2 vol. avec 
portraits. fr. 1,10. (Encyclopédie populaire illustrée du XX” siècle.) 

Ashley, W. J. (Prof. of Economic History in Harvard University), Surveys, 
historic and economic. London, Longmans, Green, & C°, 1900, 8. XXVIII—476 pp. 
9/.—. (Contents: The economie relations between England and her American colonies 


during the century from 1660 to 1760, — The true nature of the import trade of 
America. — Essay on tory free trade in the age of Dudley North and Bolingbroke. — 
Mediaeval agrarian and mediaeval urban, — Industrial organisation in our own time. 
— etc.) 


Corporations and publie welfare. Addresses at the IVth annual meeting of 
the American Academy of polit. and social science, April 19—20, 1900. Philadelphia, 
American Academy of political and social science, 1900. gr. in-8. IV—208 pp. (Con- 


tents: Part 1. The control of public-service corporations. — Part 2. Influence of 
corporations on political life. — Part 3. Combination of capital as a factor in indus- 
trial progress. — Part 4. The future of protection.) 


Nieboer, H. J., Slavery as an industrial system. Ethnological researches. La 
Haye, Mart. Nijhoff, 1900. 8. 478 pag. 

Socialist campaign book of 1900. Chicago, H. Kerr & C°, 1900. 8. 154 pp. 
8 0,25. (Contents: Evolution of the American proletarian. — Growth of trade-unio- 
nism. — Trusts: industrial progress. — Trusts: despotism in industry. — The farmers 
and his future. — Labors demands and capitalism’s answers, — Wages and living 
expenses. — How the working class live. — Towards plutoeraey. — Capitalist political 
platforms. — The growth of socialism.) 

Whitaker, Jos., An almanack for the year of our Lord 1901. London, Office: 
12, Warwick Lane, 1900. 8. 781 pp., cloth. 2/.6. (Contents: A large amount of 
information respecting the government, finance, population, commerce, and general 
statistics of the British Empire throughout the world with some notices of other coun- 
tries, etc.) 

Willoughby, Westel Woodbury (Associate Prof. of polit. seienee in the John 
Hopkins University), Social justice. A critical essay. London, the Macmillan Comp., 
1900. gr. in-8. IX—385 pp., cloth. 15/.—. (Contents: Nature and value of the 


proposed inquiry. — Justice. — Equality. — Property. — Canons of distributive justice. 
The labor theory. — The labor theory as applied to property in land. — Other canons 
of distributive justice. — The right of coercion. — The ethics of the competitive process. 


— Punitive justice.) 

Raddi, A. (ingegn.), La redenzione dei lavoratori : riforma giuridica sotto il regime 
monarchico-costituzionale in Italia. Torino, tip. A. Baglione, 1900. 8. 95 pp. l. 1.—. 
(Contiene: Pazzia criminosa del socialismo. — Libertà e diritto nell’ individualismo. — 
L'ideale di un nuovo partito in Italia. — Abolizione dello incivile contratto di locazione 
d'opera. — Il lavoro, primo modo d'acquisto della proprietà.) 

Velardita, Ant., La proprietà secondo la sociologia. Napoli, tip. Pansini, 1900. 
8. 59 pp. 

Abundio da Silva, J., Uma classificação dos phenomenos e das sciencias sociaes. 
Coimbra 1899. 8. 


2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur. 


Schindler, Karl, Finanzwesen und Bevülkerung der Stadt Bern 
im 15. Jahrhundert. Bern 1900. 

Die vorliegende Arbeit giebt eine Darstellung der bernischen. 
Finanzen auf Grund der Säckelmeisterrechnungen und der Tellbücher 
Wir erhalten einen ziemlich deutlichen Einblick in die Art der 
städtischen Einkünfte sowie den Zweck ihrer Verwendung. Der städtische 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 193 


Haushalt zeigte keine gesunden Verhältnisse: die Verzinsung der Renten- 
schuld verschlang fast ein Drittel aller Ausgaben. Außerordentliche 
Steuern blieben daher fast eine stehende Einrichtung, ohne daß damit 
eine dauernde Besserung erreicht wurde. — Das Material gestattete dann 
auch eine Darstellung der Vermögensverhältnisse für drei Jahre des 
15. Jahrhunderts. So erwünscht uns diese Mitteilungen sind und so 
sehr sie zur Ergänzung unserer sonstigen Kenntnisse beitragen, so hat 
der Verf. seine Quelle doch nur sehr unvollkommen ausgenutzt: er hat 
nur die Zahl der Censiten für jede Steuerklasse mitgeteilt, aber es ist 
auch der Anteil des Vermögens selbst nötig, um die Verteilung über- 
sehen zu können. Ferner sind für die beiden späteren Zählungen 
nicht einmal die Relativzahlen der einzelnen Klassen berechnet. Auch 
wird kaum ein Versuch gemacht, den außerordentlichen Umschwung der 
Einkommensverhältnisse zwischen den Jahren 1448 und 1458 zu er- 
klären, der uns so gänzlich unverständlich bleibt. Eine Zusammen- 
fassung der 19 Klassen in größere Gruppen fehlt; ebenso jede An- 
deutung über die Herkunft der Vermögen, über die sich doch wohl 
an der Hand von anderen Quellen einiger Aufschluß hätte gewinnen 
lassen. Gegen die ganze Art der Umrechnung in heutiges Geld (S. 10, 
32, 37) habe ich die erheblichsten Bedenken. Ein Vergleich der Er- 
gebnisse mit denen von O. Richter oder von mir hätte den Verf. doch 
stutzig machen müssen. — Interessant endlich ist zu erfahren, wie gering 
die Anzahl der Dienstboten und Gesellen war: Bei einer Bevölkerung 
von 6000 Seelen im Jahre 1448 nur 9°. Auch die Bevölkerungsver- 
hältnisse hätten übrigens eine weitere Ausarbeitung sehr wohl er- 
möglicht, namentlich nach Seite des Familienstandes und des Geschlechtes. 
Gegenüber der neulich angezeigten Schrift Buomberger’s macht die vor- 
liegende Abhandlung einen durchaus unfertigen Eindruck. 
Leipzig. F. Eulenburg. 


Zehnter, J. A., Geschichte des Ortes Messelhausen. Ein Beitrag zur Staats-, 
Rechts-, Wirtschafts-, und Sittengeschichte von Östfranken. Heidelberg, O. Winter, 
1901. gr. 8 XII—355 SS. M. 6.—. 


Brunet, L. et L. Giethlen, Dahomey et döpendances. Paris, Challamel, 1900. 
8, XI—545 pag. avec grav. (Sommaire: Historique général. — Organisation, — Ad- 
ministration. — Productions. — Agriculture. — Commerce.) 

Kovalevsky, W., La Russie à la fin du XIX" siècle, publié sous la direction 
de W. Kovalevsky (adjoint au Ministre des finances de Russie). Paris, Guillaumin & C", 
1900, 8. 194 pag. fr. 10.—. 

de Semenov, P. (membre du Conseil de l’Empire de Russie), La Russie extra- 
européenne et polaire, Sibérie, Caucase, Asie centrale, Extrême Nord. Paris, imprim. 
P. Dupont, 1900. 8. 242 pag. 

Voyage du général Gallieni, par X *** (attaché à l'état-major du gouverneur 
général). Paris, Hachette & C", 1900. in-4. Avec 147 gravures, 1 carte en 3 couleurs 
et 13 cartes en noir. fr. 7,50. (Sommaire: Cinq mois autour de Madagascar. — Progrès 
de l’agriculture, — Développement commercial, — Ressources industrielles, — Moyens 
de transport.) 

Hunter, Will. Wilson (Vice-president of the Royal Asiatie Society), A history 
of British India. Volume II: To the union of the Old and New Companies under 
the Earl of Godolphin’s Award, 1708. London, Longmans, Green, & C°, 1900. 8. 
VI—420 pp. 16/.—. (Contents: The Company and the King, 1623—1649. — Our 
first settlements on the Bombay coast, 1607—1658. — Our first settlements on the 


124 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Madras coast, 1611—1658. — Our first settlements on the Bengal coast, 1633—1655. — 
The Company and the commonwealth, 1649—1660. — The Company’s servants and trade 
to 1660. — Strife and union of the Companies, 1698—1708. — etc.) 


Nash, Vaughan, The great famine and its causes. London, Longmans, Green, & C°, 
December 3, 1900. 8. X—262 pp. with 8 illustrations. 6/.—. (Contents: A description 


of the condition of the famine-striken districts in India. — The Government relief orgi- 
nisation and the different principles and methods which were found in operation in the 
various provinces, — The food supply in famine time. — etc.) 


3. Bevölkerungswesen. Auswanderung und Kolonisation. 


Hermann, E. (Ansiedler in Nomtsas, früher in Kubub), Viehzucht und Boden- 
kultur in Südwestafrika. Zugleich Ratgeber für Auswanderer. Berlin, Deutscher Kolonial- 
verlag, 1900. gr. 8. 94 SS. M. 2.—. 

Leutz, H., Die Kolonien Deutschlands. Karlsruhe, K. Scherer, 1900. gr. 8. 
151 SS. mit 31 Illustrationen. M. 2,60. i 

Meinecke, G., Der deutsche Export nach den Tropen und die Ausrüstung für 
die Kolonien. Unter Mitwirkung hervorr. Fachleute hgg. I. Berlin, Deutscher Kolonial- 
verlag, 1900. gr. 8. 282 SS. mit Abbildgn. M. 3.—. — Wirtschaftliche Kolonial- 
politik. Heft 1 u. 2. Berlin, Deutscher Kolonialverlag, 1900. gr. 8. (Inhalt: I. Be- 
trachtungen und Anregungen. 76 SS. M. 1.—. II. Die Undurchführbarkeit des Pro- 
gramms des Herrn v. Liebert und ein neues Kolonialprogramm, 30 SS. M. 0,50.) 

Rohrbach, P., Russische Kolonisation in Asien, Vortrag geh. in der Abteilung 
Berlin-Charlottenburg der Deutschen Kolonialgesellschaft. Berlin, D. Reimer 1900. 5. 

Schanz, Moritz, Australien und die Südsee an der Jahrhundertwende. Kolonial- 
studien. Berlin, W. Süsserott, 1901. gr. 8. 325 SS. mit zahlreichen Vollbildern. M. 8. —. 

Wagner, Hans, Falsche Propheten. Gouverneur v. Liebert und seine Presse. 
Eine Kulturbetrachtung aus Deutschlands erster kolonialer Epoche. Charlottenburg, 
Selbstverlag des Verfassers, 1900. gr. 8. 44 SS. 


Bernard-Dutreil, Maur., Djibouti. Création d’une colonie française, Laval, 
impr. Barnéoud & C", 1900. 8. 112 pag. 

Garsault, A. G. (directeur à la manufacture coloniale de tabac de Saint-Paul), 
La culture du tabac à la Réunion. Paris, André, 1900. 8. 44 pag. et 1 pl. 

Censimento generale (IV) della popolazione del Regno. Istruzioni per il —. 
38 pp.; Legge e regolamento per l’esecuzione del —. 23 pp. Roma, tip. di G. Bertero, 
1900. gr. in-8. 


4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen. 


Bewertung, die, von Weizen und Roggen auf den Weltmärkten im Erntejahre 
1899/1900. Paritätisch zusammengestellt von der Centralstelle der preußischen Land- 
wirtschaftskammern (Notierungsstelle). Berlin, Selbstverlag des Verfassers: W. Mancke, 
Vorsteher der Centralnotierungsstelle, 1900. (2 graphische Tafeln in größtem Imp.- 
Folio, gefalzt in kl. 4 mit einem Vorwort von 12 SS. Text.) 

Carl, Alfr., Die Organisation der landwirtschaftlichen Tierproduktion unter Be- 
rücksichtigung der Arbeitsteilung und Spezialisierung. Halle a/S., C. A. Kaemmerer 
& C°, 1900. gr. 8 243 SS. M. 3,50. 

Forst- und Jagdkalender. XXIX. Jahrg., 1901. Hgg. von M. Neumeister und 
E. Behm. I. Teil. Berlin, J. Springer, 1900. 12. XII—780 SS. M. 2.—. (A.d. 
Inhalt: Statistische Uebersicht der Forsten des Deutschen Reichs. — Statistik der öster- 
reichischen Staats- und Fondsforste. — Waldfläche der Schweiz.) 

Getreide, das, im Weltverkehr. 3 Teile: I. Statistische Tabellen über Produk- 
tion, Handel, Konsum, Preise, Frachtsätze und Kündigungen. II. Graphische Darstel- 
lungen der Preisbewegung. III. Erläuternde Bemerkungen. Wien, W. Friek, 1900. 
Lex.-8. XXIII—S59 SS.; 188 SS. u. 2 Diagramme in Imp.-quer-Folio. (Vom k. k. 
Ackerbauministerium vorbereitete Materialien für die Enquête über börsenmäßigen Termin- 
handel mit landwirtschaftlichen Produkten.) 

Lotz, Walther (Prof.), Der Schutz der deutschen Landwirtschaft und die Auf- 
gaben der künftigen deutschen Handelspolitik. Vortrag, gehalten am 26. II. 1900 in 
der Volkswirtsch. Gesellschaft zu Berlin. Berlin, L. Simion, 1900. gr. 8. 67 SS. 
M. 2.—. (A. u. d. T.: Volkswirtschaftliche Zeitfragen, Heft 170 u. 171.) 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 195 


Mentzel und v. Lengerkes landwirtschaftlicher Hilfs- und Schreibkalender, 
Jahrg. LIV, 1901. Herausgeg. von H. Thiel (Wirkl. Geh. ORegR.). 2 Teile. Berlin, 
P. Parey. 1901. 12. (Teil I geb., Teil II br.) M. 2,50. (Aus dem Inhalt von Teil II: 
Anerbenrecht, Verschuldung und Entschuldung, von (Ministerial-Direkt.) H. Thiel. — 
Die neueste Gesetzgebung auf dem Gebiete der Landwirtschaft, von (Ministerial-Direkt.) 
Hermes.) 

Moritz, E., Die Familienfideikommisse Preußens. Ein Beitrag zur Frage des 
Großbetriebes. Berlin, Siemenroth & Troschel, 1900. gr. 8. XVI—»3 SS. M. 2,50. 

Ruhland, G. (ord. Prof. für politische Oekonomie, Univ. Freiburg (Schweiz), 
Die internationale landwirtschaftliche Konkurrenz ein kapitalistisches Problem. Berlin, 
E. Hofmann & C°, 1901. 8. 61 SS. M. 1,25. 

Vererbung, die, des ländlichen Grundbesitzes im Königreich Preußen. Bd. VIII. 
Provinz Sachsen, bearbeitet von M. Grabein (Berlin). Berlin, P. Parey, 1900. gr. 8. 
VII—151 SS. mit 1 Karte. (Im Auftrage des k. Ministeriums für Landwirtschaft, 
Domänen und Forsten herausgeg. von (Prof.) M. Sering.) 

Chemin, O. (ingénieur en chef des ponts et chaussées), De Paris aux mines d’or 
de l’Australie occidentale. Paris, Gauthier-Villars, 1900. petit in-8. 370 pag. av. 
111 photogravures, 7 cartes ete. fr. 9.—. 

Congrès, Vlième, international d’agrieulture, tenu à Paris du 1” au 8 juillet 
1000. 2 vols. Paris, Masson & Ci, 1900. gr. in-8. fr. 20. (Sommaire: Organi- 
sation. — Règlement et programme. — Rapport et travaux préliminaires. — Compte 
rendu des travaux du Congrès.) 

Congrès international pour l'étude des fruits de pressoir et de l’industrie du 
cidre. Organisation, règlement, programme, rapports et travaux préliminaires. Rennes, 
impr. Simon, 1900. 8. 407 pag. 

Couquaux, Maur. (directeur-propriétaire du journal ‚le Miel), L’apieulture en 
France au commencement du 20° siècle, Paris, Chamuel, 1900, 8. 235 pag. fr. 3.—. 

Descotes, A. (avocat A la cour d’appel de Chambéry), Les warrants et l’agri- 
culture française. Etude économique et juridique sur la loi du 18 juillet 1898 dans 
ses rapports avec le crédit agricole. Paris, Chevalier-Maresq & C", 1900. 8. 477 pag. 

Church, Seymour R., Analyses of pig iron. San Francisco, Church, 1900. 
Folio. 173 pp., cloth. $ 2,50. (Enthält auch ausführliche statistische Nachweise der 
Kohlenproduktion der Vereinigten Staaten, Englands und der bedeutendsten anderen 
Kohlen produzierenden Länder.) 

Senior, Will., Pike and perch. London, Longmans, Green, & C°, October 5, 
1960. 8. VIIT—280 pp. with 12 illustrations. 5/.—. (Contents: Pike fishing in lakes, 
— Pike fishing in rivers. — Pike in trout waters. — Perch and perch fishing. — 
Artificial perch culture. — The perch of the river. — The perch of still waters. — etc. 

Shaw, T., Soiling crops and the silo: how to cultivate and harvest the crops: 
how to build and fill a silo, and how to use ensilage. New York, Orange Judd C’, 
1800. 12. 378 pp., cloth. $ 1,50. 


5. Gewerbe und Industrie. 


Bericht der k. k. Gewerbeinspektoren über die Heimarbeit in Oesterreich. Bd. I. 
Wien, A. Hölder, 1900. Lex.-8. XVI—471 SS. M. 3.—. (Herausgeg. vom k. k. 
Handelsministerium.) 

Bericht über den Betrieb der Seidentrocknungsanstalt zu Krefeld für das Ge- 
schäftsjahr 1899—1900. Krefeld, Druck von Kramer & Baum, 1900. gr. 4 21 SS. 
nebst 2 statistischen Tafeln in qu.-Folio. [Berichterstatter: Direktor E. Königs.] 

Jahresbericht, XX., des k. k. technischen Gewerbemuseums in Wien, 1899. 
Wien, Verlag des Museums, 1900. gr. 8. 65 SS. 

Reichsadreßbuch, deutsches, für Industrie, Gewerbe und Handel. Unter Be- 
nutzung amtlicher Quellen. II. Ausgabe. 2 Bände. (Bd. I: Adressenverzeichnis 1. Teil; 
Bd. II: Adressenverzeichnis 2. Teil. Branchenverzeichnis nebst Register. Schutzmarken- 
register. Industrie- und Handelsanzeiger. Volkswirtschaftlicher Teil mit besonderer 
Berücksichtigung des Exportverkehrs. Ortsregister.) Berlin, Verlag des Deutschen Reichs- 
adreßbuchs G. m. b. H., 1900/1901. 4. 3894; 592; 32; 240; 544; 104 SS. geh. 
M. 30.—. (Enthält in einem nach Staaten geordneten Adressenverzeichnis mehr als 
1%, Millionen Adressen der Industriellen, Gewerbetreibenden, Kaufleute, Aerzte, Rechts- 


126 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


anwälte ete. aus ca. 35 000 Orten des Deutschen Reichs und der deutschen Kolonien ; 
Speziallandkarten, etc.) 

Wender, N. (Prof.), Die Kohlensäureindustrie. Eine Darstellung der Entwicke- 
lung und des gegenwärtigen Standes derselben. Berlin, Max Brandt, 1900. gr. 8. 
176 SS. mit zahlreichen in den Text gedr. Abbildgn. u. einer Uebersichtskarte. M. 2.—. 


Annuaire des syndicats professionnels, industriels, commerciaux et agricoles con- 
stitués conformément A la loi du 21 mars 1884 en France et aux colonies. XI* année: 
1900. Paris, impr. nationale, 1900 8. LVII—639 pag. (Publication du Ministère du 
commerce, Dircetion du travail.) 

Catalogue général de la section russe à l'Exposition universelle de 1900. Paris, 
imprim. P. Dupont, 1900. 8. 492 pag. 

Fleury, V., Les industries indigènes de la Tunisie, Nancy, Berger-Levrault & C', 
1900. 8. 103 pag. 

Follin, H. L., Questions du travail (à propos des grèves du Havre). Paris, 
Guillaumin & Ci, 1900. 8. 51 pag. fr. 1.—. 

Byrn, E. W., The progress of invention in the XIXth century. New York, 
Munn & C°, 1900. 8. 482 pp., cloth. $ 3.—. 

Report by the Chief Labour Correspondent on the strikes and lock-outs of 1899. 
London, printed by Darling & Son, 1900. gr. 8. XCIV—124 pp. 

Report of the Chief Labour Correspondent of the Board of Trade on Trade Unions 
in 1899, with comparative statisties for 1892—1898. London, printed by Darling & Son, 
1900. gr. 8. LXXVI—316 pp. (Parliam. paper by command of Her Majesty.) 

Report, XIVth annual, of the Factory Inspector of the State of New York for 
year ending November 30, 1899. Albany, J. B. Lyon printed, 1900. gr. 8. 883 pp. 

Report of changes in rates of wages and hours of labour in the Un. Kingdom in 
1899. With statistical tables. London, printed by Darling & Son, 1900, gr. in-8. 
LXXVII--293 pp. 1.10. (Publication of the Board of Trade.) 


6. Handel und Verkehr. 

Borgius, Dr, Walther, 1903. Ein handelspolitisches Vademecum. 
(Burschenschattliche Bücherei, Bd. I, Heft 4.) Berlin W. 1900. 61 SS. 

Die kleine Schrift des genannten Decernenten in der Centralstelle 
für Vorbereitung von Handelsverträgen erhebt keinen Anspruch auf 
wissenschaftliche Gründlichkeit, sondern sie ist lediglich zu dem Zwecke 
geschrieben, denjenigen, der für die handelspolitischen Kämpfe der 
Gegenwart Interesse gewonnen hat, in möglichster Kürze und gedrängter 
Form in das Gebiet der Handelspolitik einzuführen und ihn anzuregen, 
sich mit den einschlägigen Fragen eingehender zu beschäftigen. Zu 
diesem Zwecke werden die wichtigsten Punkte über den Welthandel, 
die Handelspolitik und Handelsverträge, über Weltmarktspolitik oder 
Abschließungspolitik und den deutschen Außenhandel, wie er sich unter 
der Herrschaft der Caprivischen Handelsverträge gestaltet hat, in 
kurzen Zügen erörtert. Ferner hat der Verf. einige Streiflichter über 
die Zukunft unserer Handelspolitik angefügt und hierbei namentlich den 
mitteleuropäischen "Zollverein und die Meistbegünstigung einer Be- 
trachtung unterzogen. 

Die vorliegende Arbeit erfüllt ihren Zweck in reichlichem Maße, 
indem sie in populärer Sprache ohne Umschweife die bezeichneten 
Hauptpunkte der Handelspolitik erörtert und dem Leser einen klaren 
Ueberblick über diese Materie verschafft, soweit es innerhalb des 
Rahmens der Schrift überhaupt möglich ist. Getragen wird die Arbeit 
von der Absicht, die Fortführung der Handelsvertragspolitik und das 
Zustandekommen neuer Handelsverträge nicht zu erschweren, sondern 
nach Kräften zu fördern, weshalb Stimmung für eine gesunde Weiter- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 127 


entwickelung unserer Handelspolitik gemacht wird. — Wenn man nun 
auch mit der Tendenz des Büchleins sich einverstanden erklären kann, 
weil eine derartige Handelspolitik, wie sie B. im allgemeinen wünscht, 
für das wirtschaftliche Gedeihen des Deutschen Reiches eine unab- 
lässige Bedingung ist, so weicht unsere Auffassung in manchen Punkten 
wesentlich von derjenigen des Verf. ab, wobei solche unrichtige Anschau- 
ungen, wie z. B. auf Seite 5, daß Buchweizen, Hirse und andere Ge- 
treidearten vom Weizen verdrängt worden seien und solches in ab- 
sehbarer Zeit dem Roggen auch widerfahren wird, beiseite gelassen 
werden mögen. Wir vermögen indessen B. nicht beizupflichten, wenn 
er die Auffassung der internationalen Handelsbilanz gleich einer kauf- 
männischen Kontokorrentrechnung als eine grundsätzlich irrige be- 
zeichnet und dieses dadurch zu beweisen sich bemüht, daß die Zahlen- 
angaben über Ausfuhr und Einfuhr keineswegs richtig seien und die 
Nachweise der einzelnen Staaten erheblich von einander abweichen. 
Auch soll der internationale Marktwert eines Welthandelsgutes in natio- 
naler Währung nicht richtig ausgedrückt werden können. Vor der 
Hand, bis eine internationale Währung einheitlich in allen Staaten 
herrscht, wird man sich in dieser Richtung aber mit der nationalen 
Währung behelfen müssen, und Zahlen, welche Jahr für Jahr nach den 
gleichen Grundsätzen gewonnen werden, lassen immerhin eine Ver- 
gleiehung zu, auch wenn sie nicht absolut richtig sein können. In der 
„verblüftenden Thatsache“, daß bei Addierung der Handelsbilanzen sämt- 
licher Staaten der Welt die Einfuhrwerte „mehrere Milliarden“ größer 
sind als die Ausfuhrwerte, während sie sich doch decken müßten, liegt 
beinäherer Betrachtung nichts Verblüffendes an sich; denn Waren werden 
unter normalen Verhältnissen nur dort eingeführt, woselbst für 
sie ein höherer Preis als im Ursprungslande entrichtet wird. Daher kann 
es nicht ausbleiben, daß sie im Eintuhrlande in der Statistik meistens höher 
bewertet zum Vorscheine kommen als im Ausfuhrlande, woselbst sie 
nach den dort geltenden Durchschnittspreisen zur Verrechnung gelangen. 
Unter diesen Umständen muß gerade die Summe der Einfuhrwerte 
höher sein als die der Ausfuhrwerte. Verblüffend würde es sein, 
wenn beide Reihen sich decken würden, was nicht der Fall sein kann, 
selbst wenn die Berechnung in den einzelnen Staaten auch eine über- 
einstimmende sein sollte. 

In ähnlicher Weise wäre noch an manchen Stellen Widerspruch 
zu erheben, so namentlich in betreff der Auffassung der Meistbegün- 
stigungsklausel. Doch mag dieses eine Beispiel genügen. Was Verf. 
über den mitteleuropäischen Zollverein in kurzen Zügen ausführt, deckt 
sich im wesentlichen mit den von uns bereits im Jahre 1888 in den 
Annalen des Deutschen Reiches gegebenen Anregungen, die später von 
Lotz, Sartorius Freiherr v. Waltershausen u.a. weiter ausgeführt worden 
sind. Der Gedanke einer derartigen Zollvereinigung erscheint in der Gegen- 
wart keineswegs mehr als eine Zukunftsmusik, als welche sie früher 
vielfach betrachtet worden ist. Die zukünftige Entwickelung dürfte 
unseres Erachtens einem solchen, wenn auch gegenwärtig noch sehr 
entfernten Ziele mit Notwendigkeit zustreben. 

Halle a/S. Wermert. 


128 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 


Beiträge zur neuesten Handelspolitik Deutschlands. Herausgeg. vom Verein für 
Sozialpolitik. Leipzig, Duncker & Humblot, 1900, gr. 8. IX—336 SS. M. 7,60. 
(A. u. d. T.: Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Band 90. Inhalt: Die Handels- 
politik der Ver. Staaten 1890—1900, von G. M. Fisk (Prof. in der handelspolitischen 
Abteilung des Tome Institute), übs. von L Katzenstein. — Die Stellung der landwirt- 
schaftlichen Zölle in den 1903 zu schließenden Handelsverträgen Deutschlands, mit 
2 Tafeln graphischer Darstellungen, von (GehRegR. Prof.) J. Conrad (Halle a/S.). — 
Zollpolitische Einigungsbestrebungen in Mitteleuropa während des letzten Jahrzehnts, 
von (Prof.) E. Francke (Berlin). — Die deutsch-russischen Handelsbeziehungen, von 
(Privatdoz.) Carl Ballod (Berlin). 

Berichte über Handel und Industrie. Zusammengestellt im Reichsamt des Innern. 
I. Band. Berlin, C. Heymann, 1900. gr. 8 818 SS. M. 10.—. 

Brentano, Lujo (GehHofR.), Das Freihandelsargument. Erweiterter Vortrag. 
Berlin-Schöneberg, Buchverlag der „Hilfe“, 1901. gr. 8. 24 SS. (Herausgeg. vom Verein 
zur Förderung der Handelsfreiheit.) 

Eckert, Ch., Rheinschiffahrt im XIX. Jahrhundert. Leipzig, Duncker & Humblot, 
1900. gr. 8. XIX—450 SS. M. 10,60. (A. u. d. T.: Staats- und sozialwissenschaftliche 
Forschungen, Band XVII, Heft 5; bildet zugleich das Schlußheft des XVIII. Bandes.) 

Handelskammer in Kassel. IV. öffentliche Sitzung der Handelskammer in Kassel 
am 24. X. 1900. Kassel 1900. Folio. 14 SS. (Aus dem Inhalt: Revision des Börsen- 
gesetzes. — Einrichtungen zur Förderung des auswärtigen Handels.) 

Jahresbericht der Handelskammer für Ostfriesland und Papenburg für das 
Jahr 1899. II. Teil. Leer, Druck von W. J. Leendertz, 1900. Folio. 59 SS. 

Jahresberieht über die Betriebsverwaltung der Oldenburgischen Eisenbahnen 
für das Jahr 1899. Oldenburg, Druck von G. Stalling, 1900. gr. 4. 160 SS. mit 
19 tabellarischen ete. Anlagen. 

Jahresbericht des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller im Zusammen- 
hang mit dem Bericht über die Thätigkeit des Centralausschusses hiesiger kaufmännischer, 
gewerblicher und industrieller Vereine über das Jahr 1900. Berlin, 1. Januar 1901. 
gr. 8. XIII—627 SS. 

Naumann, Fr., Handelsverträge oder Brotwucher? Vortrag mit Debatte (ge- 
halten in Berlin). Berlin-Schöneberg, 1900. gr. 8. 27 SS. M. 0,30. 

Oesterreichisch-ungar. (privileg.) Staatscisenbahngesellschaft. XLV. ordent- 
liche Generalversammlung zu Wien am 28. Mai 1900. Wien, Druck von R. v. Wald- 
heim, 1900. gr. 4 97 SS. (Inhalt: Bericht, Beschlüsse, Rechnungsabschluß. Beilagen 
betr. das Betriebsjahr '1899.) 

Regenhardt, C., Geschäftskalender für den Weltverkehr. Adreßbuch der be- 
währtesten Bankfirmen, Spediteure, Advokaten, ete. ete. XXVI. Jahrg. (1901). Ge- 
schlossen am 1. IX. 1900. Berlin u. Wien, Verlag von Regenhardt, 1900. 12. 439 SS., 
geb. M. 2,80. 

Schlachthof und Viehmarkt zu Breslau. Breslau, J. U. Kerns Verlag, 1900. 
gr. Folio. 80 SS. mit 52 Taf. urd 28 in den Text gedr. Abbildgn. M. 25.—. 

Tischert, G., Unterwegs zu den neuen Handelsverträgen. Eine kritische Darstel- 
lung der Vorbereitung der neuen Handelsverträge 1897—1900. Berlin, Siemenroth & 
Troschel, 1901. gr. 8. XVI—101 SS. 


Congrès, huitième, international de navigation tenu A Paris du 28 juillet au 
3 août 1900, Compte rendu sommaire, Paris, imprim. nationale, 1900. 8. 60 pag. 
(Publication du Ministère du commerce.) 

Annual report of the Superintendent of Publie Works on the Canals of the 
State of New York for the year of the ended September 30, 1899. Albany, Lyon 
printed, 1900. gr. 8. 483 pp. 

Board of Railroad Commissioners of the State of New York. XVth Annual 
report for the year 1597. 2 vols New York & Albany 1898. gr. in-8. 


7. Finanzwesen. 


Entwurf eines Gesetzes betreffend die Feststellung des Haushaltsetats für die 
Schutzgebiete auf das Rechnungsjahr 1901 mit VIII Anlagen. Berlin, gedruckt in der 
Reichsdruckerei, 20, XI. 1900. Folio. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 129 


Budget général de l’exercice 1899. Situation des dépenses engagées au 31 dé- 
cembre 1599. Paris, imprim. nationale, 1900. in-folio. 67 pag. (Publication du Ministère 
des finances.) 

Compte en matières et en deniers de l’exploitation du monopole des allumettes 
chimiques pour l’année 1899 (achat, fabrication et vente). Paris, imprim. nationale, 
1000. in-4. IX—112 pag. (Publication de la Direction générale des manufactures de 
l'Etat.) 

L’Impöt de demain ou le travail dégrevé. Etude raisonnée sur la refonte de 
notre système fiscal. Lettre ouverte d’un contribuable A nos mandataires, par J. P, 
Angoul&me, imprim. de „La Charente“ 1900. 8. 68 pag. 


8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen. 


Hiestand, Paul, Dr. jur. in Zürich, Grundzüge der privaten 
Unfallversicherung mit Berücksichtigung der Haftpflichtversicherung. 
Stuttgart (Ferdinand Enke) 1900. 

Das vorliegende Buch sollte einen Artikel des „Handwörterbuchs 
des gesamten Versicherungswesens“ bilden. Da dieses Werk leider 
nicht fortgeführt wird, übergab der Verf. die Arbeit in Buchform der 
Oeffentlichkeit. Wir können dem Verf. nur dankbar sein, denn wir 
haben an dem Buche eine gedrängte Schilderung der geschäftlichen 
und rechtlichen Verhältnisse des besprochenen Versicherungszweiges, 
welche eine Orientierung für den Laien, eine Einführung für den An- 
fänger und eine systematische Uebersicht für den Fachmann und 
Juristen bietet. Wir glauben, daß der Verf. seine Aufgabe in glück- 
licher Weise gelöst hat, und wenn wir etwas bedauern, so ist es einzig 
und allein der Umstand, daß das Buch in einzelnen Punkten schon 
nicht mehr auf der Höhe der Thatsachen der Gegenwart steht, z. B. 
bezüglich der Kinderversicherung u. s. w., was freilich nicht vermieden 
werden kann. Vielleicht entschließt sich der verdienstvolle Verf., ab 
und zu eine Ergänzung bez. Richtigstellung in einer Versicherungszeit- 
schrift erscheinen zu lassen. 

Der Inhalt des Buches ist folgender: 

Erster Teil. Das Unfallversicherungsgeschäft. $ 1. Begriff und 
Wesen. $ 2. Zur Geschichte. $ 3. Prämien (Versicherungsbeiträge). 
$ 4. Ergebnisse. $ 5. Volkswirtschaftliche Bedeutung. (Hier konnte 
der Verf. noch etwas weiter gehen.) 

Zweiter Teil. Der Unfallversicherungsvertrag. $ 6. Begriff des 
Unfalls. $ 7. Deklarationen. $ 8. Entschädigung. $ 9. Beginn, Dauer, 
Ende. $ 10. Geltendmachung des Anspruchs. $ 11. Specialitäten. 

Dritter Teil. Die Haftpflichtversicherung. $ 12. Begriff, Gegen- 
stand. $ 13. Geschichte und Bedeutung. $ 14. Arten und rechtliche 
Grundlagen. $ 15. Allgemeine Bedingungen. 

Das Buch umfaßt 162 Seiten. 

Dankenswert ist auch das Sachregister S. 159—162, welches wir 
aber weiter ausgedehnt wissen möchten. Es sollten verschiedene Register 
vorhanden sein. 1) Sachregister im engeren Sinn. 2) Personen- bezw. 
Gesellschaftsregister. 3) Litteraturregister. 

Bei einem im großen ganzen höchst gelungenen Werke wird man 
nicht an vielen Einzelheiten Kleinigkeiten aussetzen. 

Indessen möge folgendes noch angefügt werden. Der Begriff der 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 9 


130 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Haftpflicht S. 3 scheint zu eng gefaßt. Was S. 5 über Bereicherung 
gesagt wird, ist an und für sich richtig, eine Bereicherung kommt aber 
dennoch in manchen Fällen vor, ohne daß man von einem thatsäch- 
lichen Unrecht sprechen könnte. Zu S. 6. In Kollektiv werden viel- 
fach auch Beamte und Angestellte versichert, keineswegs „meist“ nur 
Arbeiter. Auch sind bei Kollektivversicherung zum Teil die Namen 
anzugeben. Bei $ 2. 1) war insbesondere die „Victoria“ zu nennen. 
Die Fuhrwerksbetriebsunfälle zusammengezählt haben große Zahlen er- 
geben, aber sie wurden mehr nur in der nächsten Umgebung bekannt. 
S. 7 zur Gründung von Gesellschaften gab auch das Erwerbsbedürfnis 
Anlaß. 

Von Fremdwörtern darf etwas weniger Gebrauch gemacht werden. 
Da der Stil und die Sprache im allgemeinen glatt und rein ist und 
ebenso verläuft, bedauern wir die Wendung S. 9 „und macht es 
deren Zulassung — abhängig.“ Auch einzelne Druckfehler und kleinere 
Mängel waren natürlich nicht zu vermeiden; im ganzen aber ist die 
Korrektheit zu loben. 

Unter den angeführten Gesellschaften finden wir namentlich auch 
den „Allgemeinen Deutschen Versicherungsverein in Stuttgart.“ S. 11. 
(Arbeiterunfallversicherung), S. 13 f. („einzige größere“ Anstalt gegen- 
seitiger Versicherung), S. 30 („die hervorragendste (deutsche) Gegen- 
seitigkeitsanstalt“) u. s. w. 

Zu S. 17. Mit der Klassifikation sind wir nicht ganz einverstanden. 
Die Bäcker gehören zu den relativ gefährlicheren Risiken, sie haben 
Neigung zum Dickwerden, sind infolge vieler Nachtarbeit u. s. w. unbe- 
holfen u. s. w. 

Einzelne Fabrikanten aufzuführen, hat wenig Zweck, da zu beachten 
ist, ob sie im Betriebe mitarbeiten, bezw. in demselben verkehren oder 
nicht. Ebenso ist es mit den Handwerkern. Bei „Architekten“ giebt 
es viele Unterschiede. 


Stuttgart. J. Hochstätter, Präc. a. D. 


Geschäftsbericht der Leinenberufsgenossenschaft für das Jahr 1899, Schwelm, 
Druck von M. Scherz, 1900. gr. 4. 

Geschäftsbericht des Vorstandes der Landesversicherungsanstalt der Hanse- 
städte für die Zeit vom 1. I. bis 31. XII. 1899. Hamburg, gedruckt bei Lütcke & 
Wulff, 1900. kl. 4. 72 SS. 

Geschäftsbericht des Vorstandes der Invalidenversicherungsanstalt Gr. Hessen 
für das Jahr 1899. Darmstadt, Buchdruckerei Papierhaus Elbert, 1900. Lex.-8. 30 SS. 
und VIII Anlagen. 

Kalkmann, Ph., Untersuchungen über das Geldwesen der Schweiz und die Ur- 
sachen des hohen Standes der auswärtigen Wechselkurse. St. Gallen, Fehr’sche Buch- 
handlung, 1900. kl. 4. 187 SS. mit 4 Tafeln graphischer Darstellungen. M. 3,60. 

Versicherungskalender, deutscher, für das Jahr 1901. XXXI. Jahrgang. 
Herausgeg. von Wallmann’s Verlag & Buchdruckerei. Lankwitz-Gr. Lichterfelde (Berlin) 
1900. 12. 712 SS. M. 10.—. (Der Inhalt erstreckt sich bis auf die niederländischen, 
dänischen, norwegischen, schwedischen, russischen und finnischen Versicherungsgesell- 
schaften.) 

Verwaltungsbericht der land- und forstwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft 
für das Großherzogtum Hessen in Darmstadt für das Jahr 1899. Darmstadt, Buch- 
druckerei von H. Uhde, 1900. gr. 4. 13 SS. 

Verwaltungsbericht der Landesversicherungsanstalt Berlin für das Rechnungs- 
jahr 1899. Berlin, Druck von W. & S. Loewenthal, 1900. Imp.-4. 137 SS. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 131 


Verwaltungsbericht des Vorstandes der Landesversicherungsanstalt Branden- 
burg für das Geschäftsjahr 1899. Berlin, Druck: Deutscher Verlag, 1900. Roy.-8. 35 SS. 

Verwaltungsbericht des Vorstandes der Versicherungsanstalt für Mittelfranken 
für das Jahr 1899. Ansbach, Druck von C. Brügel & Sohn, 1900. gr. 8. 31 SS. 

Verwaltungsbericht der Landesversicherungsanstalt Posen für das Geschäfts- 
jahr vom 1. I. 1899 bis 31. XII. 1899. 4. 43 SS. 


Administration des monnaies et médailles. Rapport au Ministère des finances. 
5* année, 1900. Paris, impr. nationale, 1900. 8. 392 pag. 

Almanach des coopérateurs belges pour 1900. Bruxelles, L. Bertrand, 1900. 8. 
64 pag. fr. 0,15. 

Badon-Pascal, E. (membre de la Société d’économie polit.), Répertoire (3ième) 
du journal des assurances contre l'incendie, sur la vie, les accidents, la grêle ete. (1883 
à 1599, inclus.) Paris, administration du journal des assur.) 1900. 8. 580 pag. 

Lamotte, A., Les institutions nationales de prévoyance en faveur des marins et 
pécheurs. Bar-le-Duc, impr. barrisienne, 1900. 8. 190 pag. 

Martin, G., Les associations ouvrières au XVIII® siècle (1770—1792). Par is 
A. Rousseau, 1900. 8. 285 pag. fr. 7.—. 

Soulier, P., Les institutions de retraites des compagnies de chemins de fer. Paris, 
Guillaumin & C*, 1900. 8. 194 pag. fr. 10.—. 

Annual report of the Superintendent of Banks (of the State of New York) relative 
to savings banks, trust companies, safe deposit companies, and miscellaneous corpo- 
rations for the year 1899. Albany, J. B. Lyon printed, 1900. gr. in-8. 642 pp. 

Towne, E. C., The story of money: a science handbook of money questions. 
New York, G. W. Dillingham C°, 1900. 8. 264 pp., cloth. $ 1,25. (Contents: Earliest 
origin and idea of money. — Growth of money; origin of stamped coin. — Precious 
metals as the material of money. — Making of money. — Uses of money. — Minting 
and issue of money. — Fiatism and currency. — Bimetallism. — Bimetallism in Eng- 
land, France, United States and Germany. — India and the gold standard, — Money 
and prices. — International bimetallism.) 

Woodruff, Edw. H., Selection of cases on the law of insurance. New York, 
Baker, Voorhis & C°, 1900. 8. 13; 592 pp., cloth. 8 4.—. 

Cassa (la) di risparmio in Bologna al 31 dicembre 1899: bilancio con note per 
l'Esposizione universale di Parigi 1900. Bologna, tip. fratelli Merlani, 1900. 4. 120 pp. 

Fenicia, Salvatore, La cooperazione in Piemonte. Torino, fratelli Bocca, 1901. 8. 


9. Soziale Frage. 


Benz, G. (Pfarrer, Basel), Der freie Samstagnachmittag. Basel, Fr. Reinhardt, 
1901. 8. 32 SS. M. 0,50 

Lieber, Arnulf (S. v. S.) [Bielefeld], Gänge durch Jammer und Not und einiges 
Andere. Heilbronn, E. Salzer, 1901. gr. 8. VIII—311 SS. M. 3.—. (Inhalt: Gänge 
durch Jammer und Not [Danzig; Breslau ; StraBburg; Düsseldorf; Kassel; Magdeburg ; 
Posen ; Leipzig; Dresden ; Braunschweig; Berlin; Nürnberg; München; Stettin ; Stuttgart ; 
Unna; Chemnitz; Lübeck `! ete.) 

v. Oppenheimer, F. (Frh.), Die Wohnungsnot und Wohnungsreform in Eng- 
land mit besonderer Berücksichtigung der neueren Wohnungsgesetzgebung. Leipzig, 
Duncker & Humblot, 1900. gr. 8. VI-—167 SS. M. 4.—. 


Courtin, G. (mineur à Lens), La mine aux mineurs. Vals-les-Bains, Aberlen 
& C*, 1900. 8. V—47 pag. (Etudes sociales et psychologiques.) 

Manuel des oeuvres. Institutions religieuses et charitables de Paris et principaux 
établissements des départements pouvant recevoir des orphelins, des indigents et des 
malades de Paris. Paris, Ch. Poussielgue, 1900. 8. 695 pag. 

Marro, A., Le rôle social de la puberté. Paris, F. Alcan, 1899. 8. 

Crawford, J. H., The autobiography of a tramp. With a photogravure fron- 
tispiece „the vagrant“, by Fr. Walker. London, Longmans, Green & C°, 1900. 8. IV— 
328 pp. 5/.—. 

Fly nt, Josiah (Pseud. für Josiah Flynt Willard) & Francis Walton, The powers 
that prey, New York, Me Clure, Phillips & C°, 1900. 8. 10; 260 pp., cloth. $ 1,25. 
(Sociological problems on tramp and criminal life.) 

Oh 


132 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


10. Gesetzgebung. 

Gesetzsammlung, ungarische, vom Jahre 1900. Herausgeg. vom k. ung. Mi- 
nisterium des Innern. II. Heft (Gesetze VII— XXII). Budapest, Ludw. Toldi, 1900. 
gr. 8. Kr. 1,90. 

v. Kayser, Bruno, Die Gewerbsmäßigkeit im Glückspiel. Eine Rechtsstudie zu 
& 284 Reichsstrafgesetzbuchs. Berlin, R. Hoffmann, rechtswissensch. Verlag, 1900. 8. 
44 SS. M. 1.—. 

Pick, B. (k. k. Prokuratursekr.), Die Lohnbeschlagnahme nach österreichischem 
und deutschem Rechte. Zugleich als Beitrag zur Kritik juristischer Begriffsbildung. 
Wien, Hölder, 1900. 8. VI—160 SS. M. 3,20. 

Richter, O. (AGerR.), Das Reichsgesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschafts- 
genossenschaften in seiner jetzigen Fassung, unter Berücksichtigung der neueren Gesetz- 
gebung, insbesondere des Bürgerlichen Gesetzbuches, des Handelsgesetzbuches, der Kon- 
kursordnung u. a. samt den dazu erlassenen Ausführungen systematiseh dargestellt, ete. 
3. Aufl. Leipzig, G. Weigel, 1900. 8. XVI—644 SS. M. 7,50. 

Schmidt, E. (AGerR., Görlitz), Die Zwangsvollstreckung in Grundstücke in 
Preußen nach dem 1. I. 1900, auf Grund des preußischen Gesetzes vom 13. VII. 1555, 
des Reichsgesetzes vom 24. III. 1897 nebst Einführungsgesetz, und des preußischen Aus- 
führungsgesetzes vom 23. IX. 1899. Leipzig, Hirschfeld, 1599. 12. kart. M. 3,20. 

Ullmann (Rechtsanw. in Magdeburg), Das gesetzliche eheliche Güterrecht in 
Deutschland. Berlin, Siemenroth & Troschel, 1901. gr. 8. XI—195 SS. M. 4.—. 

Wiener (GehRegR.), Das badische Wassergesetz vom 26. VI. 1899 nebst Voll- 
zugsverordnnngen und Ausführungsbestimmungen mit Zusätzen und Verweisen. Karls- 
rube, G. Braunsche Hofbuchdruckerei, 1900, 8. VI—337 SS., geb. M. 4.—. 

Wolff, M. (PrivDoz., Univ. Berlin, u. GerAss.), Der Bau auf fremdem Boden, 
insbesondere der Grenzüberbau nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche für das Deutsche 
Reich auf geschichtlicher Grundlage. Jena, G. Fischer, 1900. gr. 8. XII—207 SS. 
M. 5.—. (A. u. d. T.: Abhandlungen zum Privatrecht und Civilprozeß des Deutschen 
Reiches. In zwanglosen Heften hgg. von (Prof.) ©. Fischer (Breslau), Bd. VI, Heft 2.) 

Zimmermann, E. (FinanzR.), Das Reichsstempelgesetz in der Fassung vom 14. VI. 
1900 nebst den Ausführungsbestimmungen des Bundesrats und den badischen Vollzugs- 
vorschriften. Karlsruhe, Braun, 1900, 8. 272 SS., geb. M. 3,60. 


Annuaire de la législation du travail, publié par l’Office du travail de Belgique. 
3° année, 1599. Bruxelles, Société belge de librairie, 1900. 8. 

Duboin (avocat général à la Cour de cassation), La législation sociale A la fin 
du XIX" siècle, discours à l'audience de rentrée de la Cour de cassation du 16 octobre 
1900. Paris, Marchal & Billard, 1000, 8. 195 pag. 

Marchand (avocat general), Le vol en cas d’extröme misère et l’état de nécessité. 
Naney, impr. Vagner, 1900. 8. 62 pag. 

de Medio, A., Il contractus: (ricerche). Messina, tip. Nicotra, 1900. 8. 119 pp. 

Roccarino, Maur., Il divorzio e la legislazione italiana: stato odierno della 
questione. Torino, fratelli Bocca, 1901. 8. 127 pp. 1. 3.—. 


(11. Staats- und Verwaltungsrecht. 

Brandenburg a. d. H. Verwaltungshericht der Stadt Brandenburg pro 1. IV. 
1899 bis dahin 1900. Brandenburg a. H., J. Wiesike, 1900. gr. 4. 60 SS. mit ver- 
schiedenen Anlagen. 

Erfurt. Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten der 
Stadt Erfurt für das Rechnungsjahr 1509. Erfurt, Druck von Fr. Kirchner, 1900. gr. 4. 
188—LXXII SS. 

Görlitz. Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten der 
Stadt Görlitz im Etatsjahre 1899. Görlitz, Druck von Hoffmann & Reiber, 1900. gr. 4. 
168 SS. — Jahresabschluß der Stadthauptkasse zu Görlitz für das Rechnungsjabr 1599. 
Ebd. 1900. Folio. 135 SS. 

Iserlohn. Haushaltspläne der Stadt Iserlohn für das Rechnungsjahr 1900. Iser- 
lohn, 1900. gr. Folio. 157 SS. 

Jahrbuch für die evangelisch-Jutherische Landeskirche Bayerns. Herausg. von 
S. Kadner (Pfarrer). Erlangen, Fr. Junge, 1900. gr. 8 XNXII—152 S8. geb. M. 1,20. 
(Aus dem Inhalt: Statistische Uebersicht, von \KirchenR.) Stark. — Die innere Mission 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 133 


che 


in Bayern, von Scholler (Vereinsgeistlicher, Nürnberg). — Innere Mission und inneres 
Leben, von (Pfarrer) Rupprecht. — Unsere Landeskirche im 19. Jahrhundert, von 
Pfarrer) Sperl (Vohenstrauß). 

Liegnitz. Bericht über Stand und Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten der 
Stadt Liegnitz für das Etatsjahr 1899, Liegnitz, Druck von O. Heinze, 1900. gr. 4. 
124 SS. 

Merseburg. Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten 
der Stadt Merseburg für das Jahr 1899/1900. Merseburg, Druck von Th. Rößner, 1900. 
4, 39 SS. 

Nöll (Wirkl. GehORegR.), Zur Geschichte des Oberverwaltungsgerichts. Eine 
Skizze, enthalten in der Festnummer zum 25jähr. Bestehen des OVerwaltungsgerichts 
der Zeitschrift Preußisches Verwaltungsblatt, Jahrg. XXII, Nr. 7, Berlin, den 17. XI. 
1900, 

Osnabrück. Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegen- 
heiten der Stadt Osnabrück für das Rechnungsjahr vom 1. IV. 1899 bis 31. III. 1900. 
Osnabrück, Buchdruckerei von A. Liesecke, 1900. gr. 4. 126 SS. 

Quedlinburg. Verwaltungsbericht der Stadt Quedlinburg für das Jahr 1899/1900. 
Quedlinburg, Druck von GeBler & Strauß, 1900. gr. 4. 135 SS. mit 5 Taf. u. 1 Ab- 
bildung. 

Schönebeck. Bericht über Stand und Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten 
der Stadt Schönebeck für das Jahr 1899. Schönebeck a. E., Druck von C. Hirschfelder, 
1900, 4. 44 SS. 

Trier. Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten der 
Stadt Trier für das Rechnungsjahr 1899 nebst Haushaltsetat für 1900. Trier, J. Lintz- 
sche Buchdruckerei, 1900, gr. 4. 82 SS, 

Uebersicht über die Thätigkeit der freiwilligen Feuerwehren, des Feuerwehr- 
verbandes für die Provinz Hannover bei Bekämpfung von Schadenfeuer im Jahre 1898 
nebst Uebersicht der im Jahre 1898 vorgekommenen Unfälle bei Bränden und Uebungen, 
bearbeitet von H. Schaefer in Lüneburg. Lüneburg, v. Sternsche Buchdruckerei, 1900. 
größt. Imp.-Folio. 

Witten. Haushaltsetats der Stadtgemeinde Witten für das Etatsjahr 1899. Nebst 
Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten für die Zeit vom 
1. IV. 1898 bis 31. III. 1899. Witten, Märkische Druckerei und Verlagsanstalt, 1900. 
gr. 4. 171 SS. 


Compte général de l’administration de la justice civile et commerciale en France 
et en Algérie pendant l’année 1896. Paris, impr. nationale, 1899. gr. in-4. XIV— 
176 pag. — Compte général de l’administration de la justice criminelle en France et 
en Algérie pendant l’année 1896. Ebd. 1899. gr. in-4. XVI—172 pag. 

Duthoit, E. (prof. à la faculté libre de droit de Lille), Le suffrage de demain. 
Régime électoral d’une démocratie organisée. Paris, Perrin & C", 1900. 8. fr. 3,50. 

de Siebold, A. (le baron), L’accession du Japon au droit des gens européen. 
Traduction française, Edition contenant le texte du traité de commerce et de navigation 
franco-japonais. Paris, Pichon, 1900. 8. VII—71 pag. 

Annual report of the Comptroller of the State of New York. Albany, J. B. 
Lyon printed, 1900. LXXVII—736 pp. 

Clark, Ch. C. P., The machine abolished and the people restored to power in 
the organization of all the people on the lines of party organization. New York and 
London, G. P. Putnam’s Sons, 1900. gr. in-8. 196 pp., eloth. $ 1.—. (Contents: The 
true root of our political difficulties exposed. — A true organization of the people, or 
the natural method of popular elections. — The peculiar features of this plan. — Cor- 
rective effects of this system. — This system the true science of political society. — 
Creative forces of this system. — etc.) 


12. Statistik. 
Allgemeines. 


Gothaischer genealogischer Hofkalender nebst diplomatisch-statistischem Jahr- 
buche, 1901. 133. Jahrgang. Gotha, Justus Perthes, 1900. 12. XXIV—1093 SS. mit 
4 Porträts. geb. M. 8.—. 


134 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Deutsches Reich. 


Auszug, statistischer, und verschiedene Nachweise in Bezug auf Hamburgs Handels- 
zustände im Jahre 1899. Hamburg, Druck von Ackermann & Wulff Nachf., 1900 
kl. 4. 53 SS. 

Beiträge zur Statistik des Herzogtums Braunschweig. Heft 15: Die hypothe- 
karische Belastung des Grundbesitzes im Herzogtum Braunschweig am 1. Januar 1897. 
I. Abteilung. Bearbeitet vom (FinR.) F. W. R. Zimmermann (Vorstand des statistischen 
Bureaus des herzogl. Staatsministeriums). Braunschweig, Druck von Joh. H. Meyer, 
1900. gr. 4. 215 SS. (Herausgeg. vom statistischen Bureau des herzogl. Staatsmini- 
steriums.) 

Beiträge zur Statistik des Großherzogtums Hessen. Band 44, Heft 2. Darmstadt, 
Jonghaussche Hofbuchhdl., 1900. 4. 26 SS. (Inhalt: Uebersicht der Geschäfte der ordent- 
lichen streitigen Gerichtsbarkeit bei dem großherz. OLandesgerichte zu Darmstadt und 
bei den Gerichten und Staatsınwaltschaften im Bezirke desselben während des Geschüfts- 
jahres 1899.) [Herausgeg. von der großh. Centralstelle für die Landesstatistik.] 

Charlottenburger Statistik. Heft 9. Herausgeg. vom statistischen Amt der 
Stadt Charlottenburg, C. Ulrich & C°, 1900. gr. 8. 50 SS. (A. u. d. T.: Beiträge zur 
Schulstatistik von Charlottenburg.) 

Ergebnisse der Civil- und Strafrechtspflege und Bevölkerungsstand der Gerichts- 
gefängnisse und Strafanstalten des Königreichs Bayern im Jahre 1898. München, Chr. 
Kaiser, 1900. gr. Folio. XXXVII—89 SS. M. 3.—. 

Geissenberger, N. (Direktor des statist. Amtes der Stadt Straßburg), Die Ver- 
teilung des Gebäudebesitzes in Straßburg mit wohnungs- und steuerpolitischen Betrach- 
tungen. Straßburg, Fr. Bull, 1900. kl. 4. 48 SS. (A. u. d. T.: Beiträge zur Statistik 
der Stadt Straßburg i. E. Herausgeg. vom statistischen Amt der Stadt.) 

Jahresbericht des statistischen Bureaus der Steuerdeputation (in Hamburg) für 
das Jahr 1899. Hamburg, gedruckt bei Lütcke & Wulif, 1900. gr. 4. 16 SS. 

Mitteilungen des herzoglich anhaltischen statistischen Bureaus. Hgg. von E. 
Diederichs (RegR.) Nr. 38. Dessau, Hofbuchdruckerei C. Dünnhaupt, 1900. gr. 4. 17 SS. 
(Inhalt: Einige Ergebnisse der staatlichen Einschätzung zur Einkommen-, Gewerbe- und 
Kapitalrentensteuer in Anhalt, insbesondere im Steuerjahre vom 1. Juli 1901/1.) 

Münchener Jahresübersichten für 1899. (A. u. d. T.: Mitteilungen des statisti- 
schen Amtes der Stadt München, Bd. XVII, Heft 4.) München, Lindauersche Buch- 
handlung, 1900. gr. 4. 112 SS. 

Statistik des Deutschen Reichs, N. Folge Band 128 (umfassend 24 einzelne 
Staatenhefte). A. u. d. T.: Auswärtiger Handel des deutschen Zollgebiets im Jahre 
1899, I. Teil. Der Verkehr mit den einzelnen Ländern in den Jahren 1899, 1898 und 
1597. Berlin, Puttkammer & Mühlbrecht, 1900. Imp.-4. M. 8.—. 

Statistik des Deutschen Reichs, N. F., Bd.129. (A. u.d. T.: Auswärtiger Handel 
des deutschen Zollgebiets im Jahre 1899. II. Teil: Darstellung nach Warengattungen. 
Ebd. 392 SS. M. 6. 

Statistik des Hamburgischen Staates. Heft XIX, 2. Hälfte. Hamburg, O. Meißner, 
1900. gr. 4. (SS. 85—176.) [Inhalt: 3. Teil. Die Zählung der Gelasse. — 4. Teil. 
Die Zählung der Haushaltungen.] 

Statistik der evangelisch-protestantischen Landeskirche im Großherzogtum Baden. 
Karlsruhe, Verlag des evangel. Pfarrvereins, 1900. gr. 8. 218 SS. M.9,50. (Herausgeg. 
vom evang. Pfarrverein im Großherzogtum Baden.) 


Frankreich. 

Album de statistique graphique de 1897—1899. Paris, imprim. nationale, 1900. 
Imp.-4. (23 planches graphiques relat. aux chemins de fer; navigation intérieure, navi- 
gation maritime; routes nationales, importations et exportations; 10 pag. texte.) 

Bertillon, J., Nomenclatures des maladies (statistique de morbidité; statistique 
des causes de décès) arrêtées par la Commission internationale, chargée de reviser les 
nomenclatures nosologiques, Paris, 18--21 août 1900, Paris, impr. municipale, 1900. 
Lex. in-8. 58 pug. 

Commission internationale chargée de reviser la nomenclature des causes de décès 
(classification Bertillon) 18 août—21 août 1900. Procès verbaux, Paris, impr. Chaix, 
1900. Folio. 203 pag. (Publication de la préfecture du département de la Scine.) 

Natalité, la, en France 1900, par G. M. Paris, Bernard & C", 1900. 8. 167 pag. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 135 


England. 


Abstract, statistical, for the several colonial and other possessions of the United 
Kingdom in each year from 1885 to 15899. XXXVIIM N°. London, printed by Wyman 
& Sons, 1900. gr. in-8. 324 pp. 


Oesterreich. 


Arbeiterschutz, der, bei Vergebung öffentlicher Arbeiten und Lieferungen. 
Bericht des k. k. arbeitsstatistischen Amtes über die auf diesem Gebiete in den euro- 
paischen und überseeischen Industriestaaten unternommenen Versuche und bestehenden 
Vorschriften. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1900. Lex.-8. X—163 SS. 

Oesterreichische Statistik. Band LVI, Heft 2. Wien, k. k. Hof- und Staats- 
druckerei, 1900. Imp.-4. XLVI—21 SS. Kr. 2.—. (Inhalt: Ergebnisse der Grund- 
besitzstatistik (in Cisleithanien) nach dem Stande vom 31. XII. 1896. Heft 2: Ober- 
österreich und Salzburg.) [Bearbeitet von dem Bureau der k. k. statistischen Central- 
kommission. | 

Sanitätsbericht, statistischer, der k. u. k. Kriegsmarine für die Jahre 1898 
und 1899. Wien, W. v. Braumüller, 1900. gr. Lex.-8. 180 SS. mit graphischen Dar- 
stellungen. M. 6.—. (Im Auftrage des k. u. k. Reichskriegsministeriums (Marinesektion) 
zusammengestellt vom k. u. k. Marinesanitätsamte in Pola.) 


Rußland. 


Falbork, H. und W. Tscharnolusski, Ulroamnunp cratTucruka pt Poceiu 
(Prospekt eines geplanten 8-bändigen Werkes über Systematik des Volksschulunterrichts 
und der Volksschulstatistik in Rußland.) Cr.-Ilerepöyprg 1900. 8. 43 pp. (Veröffent- 
lichung der kaiserl. Freien Oekonomischen Gesellschaft.) 


— (Finland). 

Bidrag till Finlands offieiela Statistik. I. Handel och Sjöfart, N° 19: Finlands 
handel och sjöfart pa Ryssland och utrikes ortes samt uppbörden tillverket àr 1899. 
16—138; 108; 35; 6 pp. (Inhalt: Einfuhr und Ausfuhr; Durchfuhr nach Rußland. — 
Finlands Handelsschiffahrt. Bewegung von Schiffen des In- und Auslandes in den 
Häfen Finlands. — Zolleinnahmen.) — VIIa. Sparbanks-Statistik N° 9: Sparkassen- 
statistik für das Jahr 1899. XXXVI—120 pp. — VIIb. Postsparbanken N° 13. Be- 
rättelse för är 1899. 34 pp. — IX. Statistisk öfversigt af elementarläroverkens i Fin- 
land (Oeffentliche Schulstatistik im Schuljahre 1898/99). 51 pp. — X. Statistik öfver 
‘olkundervisningen N° 27: Volksschulstatistik in Finland im Schuljahre 1897/98. XII— 
25 pp. — XII. Post-Statistik, ny följd N° 15: Berättelse för ar 1899. XLIV—79 pp. — 
XVII. Industri-Statistik N° 14: àr 1897, II. Teil: Fabriker och handtverkerier. XXIX 
— 232 pp. — XXIV. Pantläne-Statistik N° 2: Statistik des Betriebes der Leihhäuser in 
Finland im Jahre 1899. — Zusammen 9 Hefte. Helsingfors 1900. Lex.-8. 


Dänemark, 


Danemarks Statistik. Statistisk Aarbog, Ditz Aargang 1900. København, Gylden- 
dal, 1900. gr. in-8. XIV—192 pp. (Udgivet af Statens Statistiske Bureau.) 


Holland. 


Bijdragen tot de Statistiek van Nederland, N. F. n° 1: Eenige hoffstukken uit 
het „aperçu sur la Hollande, présenté par M. d’Alphonse“ (intendant de l’intérieur en 
Hollande“). ` "e Gravenhage, Gebr. Belinfante, 1900. 4. XXXV—568 blz. (Inhalt: Ge- 
schichte und Topographie von Holland. — Bevölkerung, einschl. Gesetzgebung, öffent- 
licher Unterrieht und Wohlthätigkeitsanstalten. — Landwirtschaft. — Industrie. — Handel. 
— Steuern. — etc.) 

Bijdragen tot de statistiek van Nederland. Nieuwe volgreeks (Neue Folge). 
Vol. II. Statistiek der gemeentefinantiën in 1896. ’s Gravenhage, Gebr. Belinfante, 
1900. gr. in-8. IV—129 blz. 

Jaareijfers voor het Koninkrijk der Nederlanden. Kolonien 1898, bewerkt door 
bet Centraal Bureau voor de statistiek. ’s Gravenhage, Gebr. Belinfante, 1900. XIX— 


147 pp. 


136 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Schweiz. 


Mitteilungen, statistische, betreffend den Kanton Zürich. Jahr 1898, Heft 2: 
Gemeindefinanzstatistik. Nebst Anhang: Staatsbeiträge ‚an die“ Armenausgaben der 
Gemeinden vom Jahre 1898. Winterthur, Buchdruckerei Geschwister Ziegler, 1900. 8. 
X—248 u. 11 SS. 

Rechenschaftsbericht, 69., des Obergerichtes und Kassationsgerichtes über 
das Jahr 1899. Erstattet an den h. Kantonsrat des Kantons Zürich. Winterthur, Buch- 
druckerei Geschwister Ziegler, 1900. 8. 178 u. 69 SS. (Mit zahlreichen statistischen 
Tabellen.) 


Schweden. 

Bidrag till Sveriges officiela statistik. C. Bergshandteringen (Montanstatistik). 
Berättelse för Ar 1899. 22 & 24 pp. — D. Fabriker och handtverk. Kommerskollegii 
berättelse för år 1898. XXIV—100 pp. — E. Sjöfart. Kommerskollegii berättelse för 
Ar 1898. XVI—142 pp. (Schwedische Handelsflotte und Schiffahrtsbewegung im In- 
und Auslande, etc.) — K. Helso- och sjukvärden, 11. Ofverstyrelsens för hospitalen be- 
rättelse för är 1898 (Irrenverpflegungsstatistik für 1898). 47 pp. — L. Statens jern- 
vägstrafik N’ 37b. 31 och 35 pp. (Allgemeine schwedische Eisenbahnstatistik für das 
Jahr 1898. Mit Karte.) — M. Postverket N°36. Berättelse om postverkets förvaltning 
under Ar 1899. XXVI & 26 pp. — N. Jordbruk och boskapsskötsel. XXXIV. (Schwe- 
dische Agrarstatistik für 1898, nach den einzelnen läns (Provinzen) gesondert und im 
allgemeinen.) — O. Landtmäteriet. XXXII. (Schwedischer Landvermessungsbericht für 
1598.) 20 pp. — P. Undervisningsväsendet N° 29 & N° 30. (Berichte über die Ver- 
waltung der schwedischen Volksschulen in den Jahren 1891 u. 1892.) 21 & 15; 20 & 
15 pp. N° 39. (Bericht über die Verwaltung der schwedischen Volksschulen 1897.) 
24 & 27 pp. N° 40. (Bericht über den öffentlichen Unterricht in Schweden im Studien- 
jahr 1897/98.) 19 & 32 pp. — R. Valstatistik. XIII. (Schwedische Reichstagswahlstatistik, 
I. u. II. Kammer, in den Jahren 1897—99.) 38 pp. — T. Lots-och fyrinrättningen samt 
lifräddningsanstalterna À rikets kuster. XXVII. Berättelse för 1899. XV—39 pp. u. 
Karte. — U. Kommunernas fattigvärd och finanser. XXV. (Gemeindearmen- und Fi- 
nanzwesen.) Berättelse för ar 1898. XXIV—112 pp. — V. Bränvins tillverkning 
och försäljning samt hvitbetssocker-tillverkningen. XV. (Branntweinbrennereistatistik und 
Branntweinhandel u. -Konsum 1890—99.) — (Rübenzuckerfabrikation 1898/99.) XVII 
u. 15 SS. — (Zusammen 16 Hefte.) Stockholm, K. L. Beckmans boktryckeri, 1900. 
gr. in-4. 


Norwegen. 

Norges officielle Statistik. III. Række (Serie) N° 329. De offentlige Jernbaner 
(Staatsbahnen). Bericht über den Betrieb vom 1. VII. 1898—30. VI. 1899. LXIII—342 pp. 
— N° 330. Statistik over Norges kommunale Finantseri Aaret 1895. 42; 79 pp. — 
N’ 331. Oversigt over Sindssygeasylernes (Irrenpflegeanstalten) Virksomhed i Aaret 
1898. IV—90 pp. ~- N° 332. Beretning om Rigets Distriktsfiengsler (städtische und 
ländliche Bezirksgefüngnisse) for Aaret 1898. 39 pp. — N° 333. Tabeller vedkom- 
mende Norges Skibsfart i Aaret 1808. 12; 67 pp. — N° 334. Beretning om Skole- 
væsenets Tilstand (Oeffentliche Unterrichtsstatistik) for Aaret 1896. 139 pp. — N° 335. 
Rekruteringsstatistik for den norske Arme for Aaret 1899. 52 pp. — N° 336. Tabeller 
vedkommende Norges Handel i Aaret 1899. XXII—172 pp. — N° 337. Beretning 
om Skolėvæsenets Tilstand i Kongeriget Norge for Aaret 1897. 109 pp. — N° 333. 
Tabeller vedkommende Norges Postvæsen for Aaret 1899. VI—66 pp. — N° 339. 
Tabeller vedkommende den kriminelle Retspleie (Kriminalgerichtsstatistik) i Aarene 
1894/1596. 147 pp. — N°340. Tabeller vedkommende Norges Bergværksdrift i Aarene 
1896, 1897 og 1898. 7; 19; 139 pp. — 12 Hefte. Kristiania, H. Aschehoug & C°, 1900. 
gr. in-8. 


Rumänien. 

Buletin statistic al Rominiei. Publicat de serviciul statisticei generale. Seria 2*, 
anul V, 1900/1901, N° 2 (Bukarest). Inhalt: Landwirtschaftsstatistik für das Jahr 1900. 
— Bewegung der Bevölkerung Rumäniens 1899, — Auswärtiger Handel Rumäniens in 
den Jahren 1390/99. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 137 


Mişcarea populatiunef Romäniei in 1895. Bucuresei 1900. gr. in-4. XLII— 
55 pp. [Statistik der Bewegung der Bevölkerung des Königreichs Rumänien im Jahre 
1595. Mit einer Einleitung von L. Colescu (Chef der rumänischen Landesstatistik).] 


Bulgarien. 

Jnnsenue ua Hacerenmero Dptat 1898 ron, Haer, II. Paxaamıa, yamıpanıra 
u KeHNIÖH Do OKOAUM M OM0pEb;kum. Sophia, imprimerie de l'Etat, 1900. 4. V—367 pp. 
(Bewegung der Bevölkerung des Fürstentums Bulgarien während des Jahres 1395. 
I. Teil: Geburten, Todesfälle und Trauungen, gesondert nach Arrondissements und 
Departements.) 

Dear ITaTH OTS nockBurt u peKoAITATA BB Kunkecteo Biarapgg npb3B 3emae- 
ıbrueckara 1897-—98 roruna Coona (Sofia). 1900. 4. 4; 599 pp. (Die Ergebnisse der Aussaat 
und der Ernte im Fürstentum Bulgarien während des Agrarjahres 1397/95 mit 4 Karto- 
grammen.) [Veröffentlicht von der Direktion der amtlichen bulgarischen Statistik.] 


Afrika (Aegypten). 

Engel (Bey, médecin-chef de la statistique), Statistique sanitaire des villes de 
l'Egypte. Résumé de la période quinquennale de 1886—1890. III'me partie (fin): Mor- 
talite des villes de la Basse-Egypte. Le Caire, impr. nationale, 1900. gr. in-Folio. 
pp. 60—87 av. 5 planches graphiques (Publication du Ministère de l'intérieur, admi- 
nistration des services sanitaires et d’hygiene publique, Bureau de statistique.) 


Amerika (Ver. Staaten). 


Monthly summary on commerce and finance of the United States, October 1900. 
Prepared in the Bureau of Statistics, Treasury Department. Washington, Government 


Printing Office, 1900. gr. in-4. pp. 657—1054. (Contents: Commercial notes. — Im- 
ports and consumption. — Drawbacks paid on imports. — Financial tables, — Prices 
of leading articles. — Commerce of the great lakes. — Foreign commerce of the United 
States.) 


Report, annual, of the Secretary of State on statistics of crime in the State of 
New York. Albany, J. B. Lyon printed, 1900. gr. in-5. 498 pp. 


! — (Cuba). 


Report on the Census of Cuba, 1899. Washington, Government Printing Office, 
1900, gr. in-8. 786 pp. with 43 population tables, 12 maps, 14 diagrams, 60 photo- 
graphic reproductions. (Contents: Causes affecting progress of the population. — History 


of the population aboriginal, black, coolie, — Discussion of the population tables. — 
Families. — Marital condition. — Literacy, and literary among persons over 10 years 
ol age, — Occupations. — Sanitary condition of dwellings and unoccupied houses.) 


[Publication of War Department, Office of the Director of Census of Cuba.] 


Australien (Allgemeines). 


Statistics of the seven colonies of Australasia, 1861 to 1899. Compiled from 
official sources by T. A. Coghlan. Sydney, W. A. Gullick printed, 1900, 8. VI—72 pp. 


— (Kolonie Queensland). 


Queensland. Vital statistics, 1899. XL annual report of the Registrar-General. 
Brisbane, E. Gregory printed, 1900. gr. in-folio. XXXVII—66 pp. 


— (Kolonie Westaustralien). 
Register, statistical, of the colony of Western Australia for 1898 and previous 
years, Compiled in the Registrar General’s Office, Perth, from official returns. 12 parts 
with maps, diagrams, ete. Perth, R. Pether printed, 1900. Folio. 


13. Verschiedenes. 

Arbeiten aus dem kaiserlichen Gesundheitsamte, Bd. XVII, 2. (Schluß-)Heft. 
Berlin, J. Springer, 1900. Lex.-8. SS. 215—572 mit 2 Tafeln. (Inhalt: Sammlung 
von Gutachten über Flußverunreinigung (Forts): XI. Gutachten über die Verunrei- 
nigung der Haase durch die Piesberger Grubenwässer und deren Folgen, von (Prof.) 
Beyschlag, (GehRegR.) Ohlmüller, (GehRegR., Prof.) Orth. — Ueber die Veränderungen 


138 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


des Fettes beim Reifen der Käse, von K. Windisch (Dirigent der k. oenochemischen 
Versuchsstation zu Geisenheim a. Rh.). — Die im Zinkhüttenbetriebe beobachteten Ge- 
sundheitsschädigungen und die zu ihrer Verhütung erforderlichen Maßnahmen, von 
(RegR.) Wutzdorff. — Ueber die Hämoglobinurie der Rinder in Finland, von (RegR., 
Prof.) Kossel und (OArzt) Weber. — Ergebnisse der Weinstatistik für 1898, von G. 
Sonntag (Hülfsarbeiter im kais. Gesundheitsamte). — Bericht über die gesundheitlichen 
Verhältnisse der Provinz Shantung, von (k. preuß. Stabsarzt) Velde. — Bericht über 
die Verbreitung der Lepra in China, von (Stabsarzt) Velde. — Mitteilungen über Klima 
und Gesundheitsverhältnisse in den deutschen Schutzgebieten. — etc. 

Bilfinger, G., Untersuchungen über die Zeitrechnung der alten Germanen. 
I. Das altnordische Jahr. Stuttgart, W. Kohlhammer, 1899. kl. 4. 100 SS. M. 2,50. 

Blaschko, A., Hygiene der Prostitution und der venerischen Krankheiten. Jena, 
G. Fischer, 1900. gr. 8. 128 SS. mit 1 Kartenskizze und 2 Kurven im Text. M.3.—. 
(A. u. d. T.: Handbuch der Hygiene, herausgeg. von Th. Weyl, Lieferung 40.) 

Büchner, L. (Prof.), Kaleidoskop. Skizzen und Aufsätze aus Natur und Menschen- 
leben. Mit Vorwort: Zur Geschichte der volkstümlichen Naturforschung, von W. Bölsche. 
Gießen, E. Roth, 1901. gr. 8. XXXII—407 SS. M. 6.—. 

Charité-Annalen. Herausgeg. von der Direktion des kgl. Charité-Krankenhauses 
zu Berlin. Redigiert von dem ärztlichen Direktor Generalarzt Schaper. Jahrg. XXV. 
Berlin, Hirschwald 1900. gr. 8. IV—555 SS. 

Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte. In Verbin- 
dung mit Fr. Holtze, G. Schmoller und A. Stölzel herausgeg. von Otto Hintze. Band XIII. 
"Leipzig, Duncker & Humblot, 1900. gr. 8. M. 12.—. 

Gruber, H. (S. J.), Mazzini, Freimaurerei und Weltrevolution. Eine Studie zum 
Königsmorde vom 29. VII. 1900, zum 30. Jahrestage der Einnahme Roms und zur 
Jahrhundertwende. Regensburg, Manz, 1901. 8. 288 SS. M. 4.—. 

Heigl, Ferd., Die Religion und Kultur Chinas. Berlin, H. Bermühler, 1900. 
8. 678 SS. M. 5.—. 

Heckethorn, Ch. W., Geheime Gesellschaften, Geheimbünde und Geheimlehren. 
Autoris. deutsche Ausgabe bearbeitet von Leop. Katscher. Leipzig, Rengersche Buchhdl., 
1900. gr. 8. VIII—542 SS. M. 16.—. 

v. Holzinger, C. (Prof.), Das Verhältnis der deutschen Universitäten zu den 
Bildungsbestrebungen der Gegenwart. Rectoratsrede geh. in der Aula der k. k. deut- 
schen Carl-Ferdinands-Universität in Prag am 4. XI. 1899. Prag, J. G. Calve, 1900. 
gr. 8. 32 SS. 

Kleinschmidt, A. (Prof. d. Geschichte, Univ. Heidelberg), Bayern und Hessen 
1799—1816. Berlin, Joh. Räde, 1900. gr. 8. 344 SS. M. 6.—. 

Korrespondenz, politische, Friedrichs des Großen. XXVI. Band. Berlin, Fr. 
Duncker, 1900. gr. 8. 405 SS. M. 10.—. 

Medizinalbericht von Württemberg für das Jahr 1898. Im Auftrage des k. 
Ministeriums des Innern herausgeg. von dem k. Medizinalkollegium. Stuttgart, W. Kohl- 
hammer, 1900, gr. 8. VIII—148 SS. mit 3 Uebersichtskärtchen im Text. 

Moltkes Taktisch-strategische Aufsätze aus den Jahren 1857 bis 1871. Zur 100jähr. 
Gedenkfeier der Geburt des General-Feldmarschalls Grafen v. Moltke hrsg. vom Großen 
Gencrulstabe, Abteil. f. Kriegsgeschichte. I. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1900. gr. 8. 
XXX—376 SS. Text nebst 20 Uebersichtsskizzen, Skizzen und 4 Karten. M. 12.—. 
(A. u. d. T.: Moltkes militärische Werke. II. Thätigkeit als Chef des Generalstabes der 
Armee im Frieden, Teil 2.) 

Reichsmedizinalkalender für Deutschland auf das Jahr 1901. Begründet 
von P. Börner, herausgeg. v. Jul. Schwalbe. Leipzig, G. Thieme, 1901. 12. XX—180; 
624 u. 92 SS. 


Bechmann (ingénieur en chef des ponts et chaussées), Notice sur le service des 
eaux et de l’assainissement de Paris. Paris, C. Béranger, 1900. 8. 528 pag. avec fig. 
et grav. (Exposition universelle de 1900.) 

Soubeiran, M., Etudes sur les écoles pratiques de commerce et d'industrie en 
France. Paris, Nony & C", 1900. 8. 265 pag. 

Triboulet, H. et F. Mathieu, L'alcool et l’alcoolisme, Paris, Carré & Naud, 
1900. 8. 257 pag. (Sommaire: Notions générales, — Toxicologie et physiologie. — 
Pathologie. — Thérapeutique. — Prophylaxie.) 


Die periodische Presse des Auslandes. 139 


China. Imperial Maritime Customs. II. Special series, n° 2: Medical reports for 
the half-year ended 31st March 1900. 59th issue. Shanghai, Kelly & Walsh, and Lon- 
don, King & Son, 1900. 4. 17 pp. with 3fig. 8 1.—. 

Index-Catalogue of the library of the Surgeon-General’s Office. United States 
army, Authors and subjects, Il"d series. Volume V: Enamel-Fyuner. Washington, 
Government Printing Office, 1900. Imp.-8. 14—1127 pp. 

Ingram, T. Dunbar, A critical examination of Irish history: being a replace- 
ment of the false by the true. From the Elizabethan conquest to the legislative union 
of 1500. 2 vols. (VI—354 & VI—350 pp.) London, Longmans, Green, & C°, No- 
sember 19, 1900. 8. 9/.—. 

Mitchell, Chalmers, Thomas Henry Huxley, a sketch of his life and work. 
New York, Putnam’s Sons, 1900. 8. XVII—297 pp. with 6 portr. 5/.—. 

Report of the Commissioner of Education for the year 1898—99. Volume I. 
Washington, Government Printing Office, 1900. gr. in-8. XCII—1248 pp. (Contents: 
The Commissioner’s introduction: Education in foreign countries. The Philippines. Cuba, 
Porto Rico, ete. — Statistics of State common-school systems. — Education in Great 
Britain and Ireland. — Education in Australasia. — Education in Belgium. — Edu- 
cation in Central Europa. — Education in Sweden, — State education in Japan. — The 
development of the common school in the Western States (of the Un. States) from 
1530 to 1865. — Miscellaneous educational topics. — The study of art and literature 
in schools. — Publie education in Italy and its reform. — Educational training for 
rülway service. — University extension in Great Britain. — School gardens. — Edu- 
cation in France. — The future of the colored race, — etc.) 


Die periodische Presse des Auslandes. 


A. Frankreich. 


Bulletin du Ministère de l’agriculture, XIXiöme année 1900, No. 3: Rapport sur 
les travaux de la Commission d’études des emplois de l’alcool denature. — Rapport sur 
l'exposition des volailles mortes et le commerce des volailles à Londres. — Rapport sur 
les moyens de combattre la cochylis de la vigne. — Le sucrage des vins et des cidres 
avant la fermentation. — Rapport sur le régime des alcools en Allemagne. — L’agri- 
culture danoise en 1898. — No. 4, Novembre 1900: Statistique agricole annuelle de 
la France: 1. Tableaux des récoltes pour l’année 1899; 2. Divers (poids et prix); 
3. Animaux de ferme (existences au 31 12 1809, principaux produits en 1899: lait, 
laine, miel et cire; 4. Importations et exportations des matières et produits intéressant 
l'agriculture en 1897, 1898 et 1899. Admissions temporaires des blés en 1899; 5. Appro- 
visionnement de Paris: Opérations du marché aux bestiaux de la Villette en 1897, 
1598 et 1899; Consommation de la viande a Paris, 1899. — Statistique agricole de 
l'Algérie, — Statistique agricole des pays étrangers. 

Journal des Economistes. 59e année, 1900, Décembre: Le problème du gouverne- 
ment individuel, par G. de Molinari. — Concert méditerranéen, par (contre-amiral) 
Reveillère, — Les banques primitives de l’Italie, par Pierre des Essars. — Mouvement 
scientifique et industriel, par Daniel Bellet. — Revue de l’Académie des sciences 
morales et politiques (du Jet août au 23 novembre 1900), par J. Lefort. — Une théorie 
de la population, par G. Cauderlier. — La question de l'Union douanière Austro- 
Allemande en Autriche, par E. Castelot. — Histoire des classes ouvrières et de l’industrie 
en France avant 1789, par E. Levasseur. — Tolstoi, La guerre et la paix, par Fred. 
Passy. — M. Jaurès et les faits économiques, par E. d’Eichtal. — Société d'économie 
politique, réunion du 5 décembre 1900: Nécrologie. Discussion: Le sucre. — Chro- 
nique, — etc. 

Journal de la société de statistique de Paris. XLI“me année, 1900, No. 11, 
Novembre: Procès-verbal de la séance du 17 octobre 1900. — De l’infécondité chez 
certaines populations industrielles, par M. Arsène (suite et fin.) — La dette hypothécaire 
et les résultats des institutions de crédit foncier en France et à l'étranger, par E. Besson, 


140 Die periodische Presse des Auslandes, 


art. 1: Le crédit foncier et l'agriculture; Etat de la dette hypothécaire dans les diffé- 
rents pays, § 1. France, $ 2. Espagne, $ 3. Italie. — Le rapport des naissances A la 
population donne-t-il la véritable impression de leur mouvement? par Cl. Juglar. — 
Note au sujet du prochain recensement de la population en 1901. — Chronique 
trimestrielle des banques, changes et métaux précieux, par Pierre des Essars. — ete, — 
No. 12. Décembre: Procès-verbal de la séance du 21 novembre 1900, av annexe: 
Note relative au procès-verbal: Note relative au mouvement de la population française 
en 1899, par L. March. — Les publications statistiques à l'Exposition universelle, par 
E. Levasseur. — La dette hypothécaire et les résultats des institutions de crédit foncier 
en France et à l'étranger, par E. Besson (suite et fin). — Chronique des questions 
ouvrières et des assurances sur la vie, par Maur. Bellom. — etc. 

Réforme sociale, la. XXitme année, 1900, No. 1er et 16 Décembre: Coopération 
et mutualité, par E. Cheysson. — Mouvement social et action catholique en Allemagne, 
vus de l'assemblée de Bonn, par V. Brants. — La population française en 1800 et en 
1900, par Alfred des Cilleuls. — Les œuvres sociales au Chili, par Concha-Suberca- 
seaux. — Les revendications de la petite bourgeoisie, par G. Blondel. — Une méthode 
d'éducation populaire. L'expérience du Sillon, par Etienne Isabelle, — L'organisation 
du travail, d’après le prof. Thury, de Genève, par Fred. Necker. — Chronique du 
mouvement social: France et Suisse, par A. Böchaux. — Chronique du mouvement 
social: Allemagne et Autriche-Hongrie, par G. Blondel, — etc. 

Revue d'économie politique XIV? année, 1900, nos. 10/11, Octobre à Novembre: 
Un précurseur de List: Daniel Raymond, par F. Lepelletier. — La législation sociale 
en 1898, par Hector Lambrechts (suite). — La législation du travail en Espagne, par 
Ad. Buylla. — Evaluation de la fortune privée en France, par V. Turquan (suite), — 
Chronique législative, par E. Villey. — etc. 

Revue politique et parlementaire. Année VI, 1900: Mois Avril-Décembre 1900: 
Notre œuvre de cinq années (1594—1899), par Marcel Fournier, — Les élections muni- 
cipales du 6 mai 1900, par M. Fournier. — Le bureau de bienfaisance central de 
Paris, par R. Bompart. — Loi sur les congrégations et politique religieuse, par A. Frétel. 
— Le problème de l’enseignement secondaire devant les chambres de commerce, par 
E. Bourgeois (prof) — Le marchandage, par P. Roué. — La conquête pacifique du 
Tonkin, par d’Amfreville. — Le Parlement de Paris sous Louis XVI, par E. Glasson. — 
Camille Pelletan, par E. Charles. — L'Université et la République, par Torau-Bayle. 
— La conférence internat. de la paix de 1899, par A. Merignhae (prof.) — La phar- 
macie est-elle une profession libérale ou une profession commerciale? — La philosophie 
et l’université, par Alf. Fouillée. — Le capital a-t-il droit à une rétribution pour les 
services qu'il rend? par Maur. Block. — Les dissensions de la socialdémocratie en 
Allemagne: A propos des écrits de M. Bernstein, par G. Sorel. — Le mécanisme de la 
représentation proportionnelle dans le nouveau système électoral Belge, par Maur. 
Vanlaer. — La répression des délits causes par la misère, par Rob. Doucet. — Les 
délégations financières Algériennes, par F. Grivaz. — La fédération, ses avantages et 
ses bienfaits: A propos de la question d'une fédération européenne, par J. Novieow. — 
La réforme des bourses de commerce et la spéculation sur les blés et farines, par 
A. E. Sayous. — Les elections en Belgique, par H. Dumont. — L'armée et la démo- 
cratie, par J. Charmont (prof. de droit). — Les universités populaires, par A. Rivaud. 
— De l'influence de la monnaie sur les prix, par R. Laburthe. — L’augmentation de 
la flotte allemande, par L. Jadot. — La rente extérieure espagnole et le projet de 
convenio, par G. Manchez. — La course, son rétablissement dans les guerres maritimes, 
par G. Gelle, — Le contrôle de l'exécution du budget de l'Etat en Angleterre, par 
V. Marcé. — Un projet de crédit agricole au siècle dernier, par C. Bloch. — L’in- 
dustrie sucrière en Espagne, par G. Routier. — La defense des porteurs des valeurs 
étrangeres, par E. Lacombe — Une enquête sur les marchés de marchandises en France. 
I. Les blés et farines A la bourse de commerce de Paris et la spéculation sur les grains, 
par A. Charliat (prof.) II. La question et le marché des sucres, à propos de la pro- 
position Rajon, par H. Loiseau. — La réforme foncière en France, par G. Chartenot. 
— Les warrants agricoles, par E. Rochetin. — L'Université et la République: lettre 
à M. Fournier, par A. Darlu. — L’Impöt communal sur le revenu: Application à la 
suppression des octrois et à la suppression des centimes additionnels, par Malzac. — 
L'Unité socialiste, par E. d'Eichtal. — Une élection en 1848 et le gouvernement pro- 
visoire, par Ch, Roussel, — L'Assistance maternelle A domicile et la döpopulation, par 
P. Pecker. — etc. 


Die periodische Presse des Auslandes. 141 


Revue internationale de sociologie, publiée sous la direction de René Worms. 
še année, 1900, No. 11, Novembre: A la mémoire d’Auguste Comte, par Hector Denis 
— La morale et la science, par L. L. Vauthier, — Constantin Dmitrievitch Kavelin, 
par A. Koni. — Demande d'un programme de sociologie, par Alejandro Dorado. — ete. 


B. England. 


Nineteenth Century (the). N°. 286, December 1900: „Balfourian amelioration“ 
in Ireland, by H. Plunkett (Vice-president of the Department of agriculture and tech- 
uical instruction for Ireland.) — Thomas Henry Huxley, by Leslie Stephen. — Recent 
science, by (Prince) Krapotkin. — The rôle of women in society. I. in XVIIIth cen- 
tury France; II. in XIX century England, by (Lady) Ponsonby. — The defective 
addition to our company law, by (judge) Emden. — Present-day progress in India, by 
Chunder Mozoomdar. — The newspapers, by (Sir) Wemyss Reid. — Are we realy 
a nation of amateurs? by (Sir) Herbert Maxwell. — Lord Rosebery on the dangers to 
British trade, by L. Birchenough. — etc. 


C. Oesterreich. 


Deutsche Worte. Monatshefte herausgeg. von Engelbert Pernerstorfer. Jahrg. XX, 
1900, Heft 11, November: Ueber einige Ziele und Aufgaben der Studenten in Oester- 
reich, von Aurelianus (Wien). — Benoit Malon. Eine biographische Skizze, von Leo 
Kestenberg (Nürnberg). — etc. 

Handelsmuseum, das. Band XV, Nr. 49—52, Wien, 6. Dezember — 27. De- 
zember 1900: Der Doppeltarif, von Walther Borgius (Berlin). — Der Rückgang des 
Zunzibarer Handels. — Die Zolltarifreform im Deutschen Reiche. — Die Südostafrika- 
Linie des Oesterreichischen Lloyd und der Hafen von Triest. — Die Reform der Wiener 
Getreidebörse, von Victor Heller. — Die (österreichische) Volkszählung am 31. XII. 
1900, — Die Lage der österreichischen Montanindustrie. — Winke für den Export von 
Baumwollwaren. — ete. 

Statistische Monatsschrift. Herausgeg. von der k. k. statistischen Central- 
kommission. N. Folge, Jahrg. V (der ganzen Reihe XXI. Jahrg.) Heft 7, Juli: 
Statistik der Börsenschiedsgerichte, von Camillo Roncali. — Ein System der objektiven 
Soziologie, von Fr. Hawelka (Il. Art.). — Das Stipendienwesen an österreichischen Hoch- 
schulen. — Die Bewegung der Bevölkerung. — etc. 

Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung. Band IX, 1900, 
Heft 5: Das Administrationsverfahren und seine Reform, von (Prof.) F. Tezner. — Die 
Besteuerung der städtischen Liegenschaften Rußlands zu kommunalen Zwecken, von 
G. Sodoffsky (II. Artikel). — Das arbeitsstatistische Amt, von M. Hainisch. — etc. 
Band IX, 1900, Heft 6: Altersversorgung und Armenrecht im Lichte englischer 
Reformprojekte von (Freiherr) F. v. Oppenheimer. — Litteratur und Organisation der 
Handelswissenschaften, von A. Richter. — Das Aktienregulativ vom 20. IX. 1899, von 
F. v. Sprung. — etc. 


E. Italien, 


Giornale degli Eeonomisti. Dicembre 1900: Le basi fondamentali di una scienza 
finanziaria pura, per G. Montemartini. — La missione speciale del Veltro Dantesco, 
per A. Morena. — Ancora del decimo sciopero di Molinella, per G. E. Sturani. — 
Una storia dell’ anarchismo e del comunismo: (Adler, Geschichte des Sozialismus und 
Kommunismus von Plato bis zur Gegenwart, Bd. I), per V. Giuffrida (pp. 615—6241, 
— Previdenza: Gli impiegati, il credito e l’insequestrabilità degli stipendi, per C. Bot- 
toni, — Cronaca, per F. Papafava. — etc. 

Rivista della beneficenza pubblica delle istituzioni di previdenza e di igiene 
sociale. Anno XXVIII, 1900. N°. 11, Novembre: A proposito delle erogazioni di bene- 
ficenza della cassa di risparmio delle provincie Lombarde in Milano, per P. Donati. — 
La cassa di previdenza e le casse di risparmio italiane, per P. Manassei. — Forme 
e patrimonio della beneficenza, per G. Biancoli. — Cronaca. — ete. — N°. 12, Di- 
cembre: Forme e patrimonio della beneficenza in Italia, per C. Biancoli. — I V Con- 
gresso delle opere pie, per Rod. Läscht, — Istituti di educazione per Pinfanzia, per 
P. Donati. — Lo Stato e la beneficenza pubblica. — Disegno di legge sulle esposti. — 
Cronaca, — Fra le riviste. — Massime die” giurisprudenza. — ete, 


142 Die periodische Presse des Auslandes. 


L Holland. 


de Economist, opgericht door J. L. de Bruyn Kops. XLIXte Jaargang, 1900, 
November: De opleiding van onze werklieden, door E. Fokker. — De werking van den 
geslachtaccijns sedert 1860, door C. A. Verrijn Stuart — Besprechungen der Schriften : 
„Dietzel, Weltwirtschaft und Volkswirtschaft‘‘ und „Steinmetz, Wat is sociologie?“ von 
C. A. Verrijn Stuart. — Economische Kroniek: 1. Niederlande: Unfallversicherung ; 
Arbeiterpensionsversicherungsfonds; Landwirtschaftliche Genossenschaften ; Zuckerprämien. 
2. Deutschland: Zollgesetzgebung. 3. Dänemark: Altersversicherung. — Handelskroniek : 
Drohende Wetterwolken über Handel und Industrie. — ete. — 1900, December: 
Europa’s en Amerika’s handelspolitiek, door C. Rozenraad. — De bloei (befriedigende 
Stand) der staatsmiddelen in 1900, door J. d’A. D. B. — Het frije ruilverkeer (freie 
Tauschverkehr). Verslag van het verhandelde ter algemeene vergadering op zaterdag 
17 November 1900 in het gebouw „Eensgezindheid“ te Amsterdam. — Economische 
kroniek. 


H. Schweiz. 
Monatsschrift für christliche Sozialreform. Redaktion: M. v. Vogelsang, Frei- 
burg (Schweiz). Jahrg. XXII, 1900, Heft 12: Zur Frage der Dispositionsfähigkeit, von 
Or med.) K. Beck. — Zur Wende des Jahrhunderts, von M. v. Vogelsang. — Kapital- 


herrschaft und ihr Ende, von Walther Giger. — Wirtschaftliche Tagesfragen, von Sem- 
pronius: Hochschutzzoll und Trustwesen in den Ver. Staaten; deren Rückwirkung auf 
Europa. — ete. — Sozialpolitisches und Wirtschaftliches aus der Schweiz. — ete. 


Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Jahrg. VIII, 1900, 
Heft 19 bis 23: Genossenschaften und andere wirtschaftliche Vereinigungen im Deutschen 
Reiche, von Max May (Heidelberg). — Zur Frage der Schaffung von Fähigkeitsaus- 
weisen für die Ausübung der Advokatur in der ganzen Eidgenossenschaft, von Fr. Volmar 
(Fürsprecher in Ostermundigen bei Bern). — Der Verband ostschweizerischer landwirt- 
schaftlicher Genossenschaften, von C. Schenkel (Präsident des ostschw. landw. Genossen- 
schaftsverbandes). — Die Frauenfrage in politischer, kommerzieller und gewerblicher 
Hinsicht, von Bruno Vogler. — Die Erziehung des Referendumbürgers, von Hans Schmid 
(OLehrer, LyB). — Exporthandel und Handelsmuseum, von M. Richter (Dozent, Handels- 
akademie, Leipzig). — Ein neues Versicherungsgesetz für Ungarn, von L. Katscher 
(Budapest). — Der Verein „Reichswohnungsgesetz“, seine Geschichte, seine Ziele, von 
Henriette Fürth (Frankf. a. M.). — Der Artikel 33 der Bundesverfassung und die Frei- 
zügigkeit der Advokatur, von C. A. Schmid (Zürich). — ete. — Soziale Chronik. — 
Sozialpolitisches Archiv, Nr.5 u. 6: Gewerbegerichte und Einigungsämnter in der Schweiz. 
VIII. Luzern ; IX Neuchätel. 


M. Amerika. 


Annals of the American Academy of political and social science (issued bi-monthly). 
Vol. XVI, n° 1 & 2, July and September 1900: The doctrines and practico of inter- 


vention in Europa, by W. E. Lingelbach., — The Currency law of 1900, by Roland 
P. Falkner. — The American newspaper: a study in social psychology, by Delos F. 
Wileox. — Representation in State legislatures, III. The Southern Slates; IV. The Western 
States, by G. H. Haynes. — Polities and administration, by H. J. Ford. — The law 
of the value of money, by Ch. A. Conant. — Natural rights, ra vu Inglis Clark. 

The ethical and politieal principles of „expansion“, by Talcott Williams. — Personal al 
notes. Book department. Notes on municipal government. Sociological notes. — Supple- 


ment to the „Annals“, July, 1900: Selected official documents of the Southern African 
Republie and Great Britain. A documentary perspective of the causes of the war in 
South Africa. Edited by Hugh Williams and Fred. Ch. aer 

Bulletin of the Department of Labor (Washington). N° 30, September, 1900: 
Trend of wages from 1891 to 1900. — Statistics of cities. — Foreign labor laws, by 
W. F. Willoughby (of the Department of Labor). — Digest of recents reports of State 
bureaus of labor statistics: Missouri. — State reports on building and loan associations : 
California; Connecticut; Jowa; Michigan, New York. — Digest of recent foreign stati- 
stical publications. — Decisions of courts affecting labor. — Laws of various States 
relating to labor enacted since January 1, 1896. —- ete. N° 31, November, 1900: 
The betterment of industrial conditions, by V. H. Olmsted (of the Department of Labor). 
— Present status of employers’ liability in the United States, by Stephen D. Fessenden 


Die periodische Presse Deutschlands. 143 
{of the Department of Labor). — Condition of railway labor in Italy, by Luigi Einaudi 
{of the University of Turin). — Digest of recent reports of State bureaus of labor 


statistics: Maine; Massachusetts; New York; Rhode-Island. — ete, 

Yale Review, the. Vol. IX, N° 3, November 1900: Comment: The Curreney Act 
and the gold standard; the anthracite coal strike. — The alleged failure of democracy, 
by J. Bascom. — American international indebtedness, by Nathan. T. Bacon. — Obser- 
vations concerning the theory of railway charges, by H. T. Newcomb. — The machi- 
nists strike, 1900, by E. L. Bogart. — Notes Book notices. — etc. 


Die periodische Presse Deutschlands. 


Alkoholismus, der. Vierteljahrschrift zur wissenschaftlichen Erörterung der 
Alkoholfrage. Jahrg. I, 1900, Heft 4: Alkoholismus und Zwangserziehung, von (OArzt) 
0. Mönkemöller. — Noch einmal Alkoholismus und Lebensversicherung, von A. Em- 
minghaus. — Soziale Gesetzgebung und Alkoholfrage, von E. Flade. — Die Trunk- 
sucht unter den deutschen Landarbeitern, von A. Grotjahn (Schluß). — etc. 

Archiv für Post und Telegraphie. Jahrg. 1900, Nr. 23 u. 24, Dezember, nebst 
Ergänzungsheft zu Nr. 24: Beiträge zur Geschichte des Altenburgischen Postwesens, — 
Die deutschen Kapitalanlagen in überseeischen Ländern. — Zur Geschichte des Post: 
wesens am Niederrhein (Schluß). — Die Schwebebahn Barmen-Vohwinkel. — Die drei 
Südstaaten Brasiliens. — Das Postwesen in den Ver. Staaten von Amerika im Jahre 
1595/99. — Die große Sibirische Eisenbahn. — Zur Entwickelungsgeschichte der Eisen- 
bahnen zwischen Westeuropa und Konstantinopel sowie Soloniki. — Das Briefgeheimnis, 
von Heim (k. ung. MinisterialR. a. D., Budapest). [SS. 965—996.] — ete. 

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Zeitschrift des Deutschen Vereins 
zum Schutz des gewerblichen Eigentums. Herausgeg. von A. Osterrieth. Jahrg. V, 
1900, Nr. 11, November: Entwurf eines österreichischen Gesetzes, betreffend den Schutz 
gewerblicher Muster (Musterschutzgesetz), von (Prof.) J. Kohler. (Mit einer Begutach- 
tung.) — Der Entwurf eines österreichischen Musterschutzgesetzes, von Jul. Ephraim. — 
Internationaler Rechtsschutz. — ete. 

Masius’ Rundschau. Blätter für Versicherungswissenschaft. N. Folge. Jahrg. XII, 
1900, Heft 11: Ueber das Risiko der Auslandreisen in der Lebensversicherung. — Die 


Heilbehandlung im Dienste der Invaliditätsversicherung. — Die Prämienreserve bei der 
Lebensversicherung. — Die Lebensversicherung in Japan. — Die taxierte Police und 
die Feuerversicherung. — Rechtsprechung des Reichsgerichts. — ete. 


Neue Zeit, die. Jahrg. 1900—1901, Nr. 3—11, 20. X.—15. XII 1900: Das 
persönliche Regiment. — Das landwirtschaftliche Elend Rußlands, von Parvus. — Bruder 
Bauer, von A. Hofer (Skaisgirren). — Sozialismus und Erziehung. Eine sozialpädagogi- 
sche Skizze, von Ludw. Woltmann. — Stellung der Konsumvereine und allgemeiner 
Genossenschaftsverband, von H. Fleißner (Dresden). — Arbeitsteilung und Frauenrecht. 
Zugleich ein Beitrag zur materialistischen Geschichtsauffassung, von H. Cunow. — 
Woher die Kohlenot und der Kohlenwucher? von O. Hué. — Die 72. Naturforscher- 
versammlung in Aachen, von Br. Borchardt. — Die englischen Wahlen, von Jakob 
Brockle (IL. Art... — Kommunale Wohnungspolitik, von Paul Hirsch. — Der Kohlen- 
wucher und die Verstaatlichung des Kohlenbergbaus, von K. Kautsky. — Die dreijährige 
Dienstzeit der berittenen Truppen, von Ernst Däumig. — Die Volksgesetzgebung in der 
Schweiz, von J. Hertz (Herisau). — Die Abnahme der Tuberkulose in England, von 
Peter Stassow. — Der Kohlenwucher, von A. Bebel. — Klassenkampf und Ethik, von 
K. Kautsky. — Der Streik der Kohlengräber in den Ver. Staaten, von J. L. Franz. — 
Ein weitverbreiteter Fehlschluß (bei Beurteilung des Imperialismus und der neuen 
Kohlenpolitik), von E. Belfort-Bax. — Christentum und Sozialdemokratie. — Kohlen- 
versorgung und Grubenverstaatlichung, von O. Hué. — Die ökonomischen Ursachen der 
Gährung in Makedonien, von Ziroin Balugdgitsch. — Die Verstaatlichung der Kohlen- 
bergwerke, von K. Kautsky. — Vom Wiener Volksstück, von D. Bach. — Probleme 
der jüdisch-proletarischen Bewegung, von Max Zetterbaum (Lemberg). — Zwangser- 
ziehung gegen minderjährige Arbeiter, von Gust. Hoch. — etc. 


144 Die periodische Presse Deutschlands. 


Preußische Jahrbücher, herausgeg. von Hans Delbrück. Band 103, 1901, Heft 1, 
Januar: Der Ursprung der preußischen Einkommensteuer, von Max Lehmann (Prof., 
Göttingen). — Landwirtschaft und Fachbildung. — Ultramontane Kritik, von (Graf) 
Paul Hoensbroech (Steglitz). — Wissenschaftlicher Chauvinismus in Italien, von Justus 
Multanovi. — König Jeröme, von A. Wolfstieg (Bibliothekar des Abgeordnetenhauses, 
Berlin). — Die Verstaatlichung des Getränkehandels, von W. Bode (Weimar). — etc. 

Vereinsblatt für Deutsches Versicherungswesen. Jahrg. XXIX, 1901, No. 1: 


Zum Entwurf eines Gesetzes über die privaten Versicherungsunternehmungen. — Kon- 
zessionsentziehung der gegenseitigen Lebens-, Invaliditäts- und Unfallversicherungsge- 
sellschaft Prometheus in Berlin. — Die Rückversicherungsabteilung des Verbandes 


öffentlicher Feuerversicherungsanstalten in Deutschland. 

Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. Herausgeg. vom kais. 
statistischen Amt. Jahrg. IX, 1900, Heft 4: Konkursstatistik für das Jahr 1899. — 
Zur deutschen Justizstatistik für das Jahr 1899. — Zur Kriminalstatistik: Verbrechen 
und Vergehen gegen Reichsgesetze 1894—1898. (Vorläufige Mitteilung.) — Die Berg- 
werke, Salinen und Hütten im Jahre 1899. — Die jugendlichen Fabrikarbeiter und die 
Fabrikarbeiterinnen im Jahre 1899. — Zur Statistik der Preise: 1. Roggen- und Weizen- 
preise an deutschen und fremden Börsenplätzen im dritten Vierteljahr 1900; 2. Viehpreise 
in zehn deutschen Städten im dritten Vierteljahr 1900 ; 3. Fleischpreise in Berlin in den 
Jahren 1895—1899; 4. Lebensmittelpreise in Straßburg i. E. in den Jahren 1895—1899 ; 
5. Großhandelspreise von Getreide an 6 österreichischen Plätzen 1897—1899. — Hopfen- 
anbau und Hopfenernte im Jahre 1900. — Zur Statistik der deutschen Lebensver- 
sicherungsgesellschaften im Jahre 1899 (Forts. u. Schluß). — Salzgewinnung und -Be- 
steuerung im Rechnungsjahre 1899. — Bierbrauerei und Bierbesteuerung im Rechnungs- 
jahre 1899. — Tabakbau nnd Tabakernte im Erntejahr 1899. — Tabakbau im Ernte- 
jahr 1900. (Vorläufige Nachweise.) — Stärkezuckergewinnung und -Handel im Betriebs- 


jahre 1899/1900. — Zuckergewinnung und -Besteuerung im Betriebsjahre 1899/1900. 
— Nachtrag zur Statistik der Reichstagswahlen 1898: Die Ersatzwahlen. — Konkurs- 


statistik für das 3. Vierteljahr 1900. — Streiks und Aussperrungen im dritten Viertel- 
jahr 1900. 

Zeitschrift für Bergrecht. Hısg. von H. Brassert (Wirkl. GehR., Bonn). 
Jahrg. XLII, 1901, Heft 1: Abhandlungen: Reform des Bergwesens in China, von 
(BergAss.) Vogelsang (Shanghai). — Ein deutsches Berggesetz, von G. H. Wahle (Geh. 
FinR., Dresden). — Gesetzgebung. Bergpolizeivorschriften. — Praxis der Verwaltungs- 
behörden ete. 

Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Hrsg. von (Prof.) Julius Wolf. Jahrg. III, 
1900, Heft 12: Besitzen die Naturvölker ein persönliches Ehrgefühl? von Rich. Lasch 
(Horn, N.-Oe.) — Sozialpolitische Streifzüge in das deutsche Civilprozeßrecht, von 
(GerAss.) Max Fleischmann (Halle a./S.) — Zur Geschichte des ländlichen Gesinde- 
wesens in den preußischen Östprovinzen, von P. Frauenstädt (Breslau.) — Sozialpolitik: 
Zu dem Entwurfe eines Reichsgesetzes über die privaten Versicherungsunternehmungen, 
von A. Emminghaus (Gotha). — Vorschreiben eines Minimallohnes bei Vergebung 
öffentlicher Arbeiten und Lieferungen. — Miszellen. — ete. 

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Herausgeg. von Fr. v. Liszt 
und K. v. Lilienthal (Proff. d. Rechte, Berlin), XXI. Band, 1900, Heft 1: Ein Beitrag 
zur Kenntnis des großstäditschen Bettel- und Vagabondentums. Eine psychiatrische 
Untersuchung, von (PrivDoz.) K. Bonhoeffer (Breslau). — Ueber Hexenprozesse. Straf- 
rechtliche Studie, von (AGerR.) Bartolomäus (Krotoschin.) — Die Stellung des „un- 
lauteren Wettbewerbes“ im System des Strafrechts, von A. Schlecht (Regensburg). — 
Strafrechtliche Behandlung jugendlicher Personen, von O. Levis (Pforzheim). — Das 
gewerbsmäßige Verbrechen. Vortrag, von (Prof.) Fr. v. Liszt. — Unfallfürsorge für 
Gefangene, von (KreisgerR.) Hilse. — Professor Dr. Bennecke. Eine Entgegnung, von 
(PrivDoz.) Freudenthal. 


Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena, 


Adolf Nuglisch, Das Finanzwesen des Deutschen Reiches unter Kaiser Sigmund. 145 


Nachdruck verboten. 


IL 


Das Finanzwesen des Deutschen Reiches 
unter Kaiser Sigmund. 


Von 
Dr. Adolf Nuglisch, Straßburg i. E. 


Eine ungeheuere Entwickelung ist es, die das deutsche Finanz- 
wesen von den Zeiten des Mittelalters her zu durchschreiten hatte, 
bis es den modernen Zustand erreichte. Neben der römischen Steuer- 
verfassung beruhte es zunächst auf einer Natural- und Domänen- 
wirtschaft. Des Königs und des Reiches Gut ward nicht unter- 
schieden. Im 13. Jahrhundert, als das Besitztum der Könige fast 
ganz in die Hände der Großen gekommen war, sah man sich nach 
neuen Erwerbsquellen um und fand sie vornehmlich in den Steuern 
der Juden und Reichsstädte. Es war dies ein kleiner Ersatz für 
den Mangel einer allgemeinen Reichssteuer. Große Summen wurden 
von jenen erhoben, doch die planlose Verwaltung hinderte die gründ- 
liche Ausnutzung und Erhaltung der Einnahmen. Es fehlte die Auf- 
stellung eines Etats, eines Voranschlags; wo gerade eine Ausgabe 
zu machen war, wurde sie gemacht, ohne Rücksicht darauf, ob ge- 
nügend Einnahmen vorhanden waren. So mußten viele Einkünfte 
im voraus einem Gläubiger auf ein oder mehrere Jahre, oft für 
inmer angewiesen werden und das Finanzwesen artete mehr und 
mehr in eine regellose Pfand- und Borgwirtschaft aus. In den 
Städten erkennen wir seit dem 14. Jahrhundert die Anfänge moderner 
Finanzverwaltung, modernen Steuerwesens, etwas später folgen hierin 
die Territorien der Landesherren, während das Reich keine Kraft 
mehr besaß, aus sich selbst Neues zu schaffen. Alle Versuche einer 
Reichsfinanzreform, die im ausgehenden Mittelalter gemacht wurden, 
scheiterten. So erscheint das Finanzwesen geradezu als Spiegelbild 
der politischen Geschichte. Wir spüren zuerst die Einheit des Staates, 
die Stärke des Königtums, dann seinen Niedergang, die Auflösung 
in unzählige kleine Gemeinwesen; schließlich deren Erstarkung und 
Befestigung, den völligen Verfall des Reiches. Für den Herrscher 

Dritte Folge Bd, XXI (LXXVI), 10 


146 Adolf Nugliseh, 


des 14. oder 15. Jahrhunderts mußte es schwer sein, das für die 
mannigfachen Ausgaben nötige Geld zusammenzubringen, denn für 
das Reich etwas zu opfern, der Gedanke lag den Städten und 
Herren fern; sie waren nur auf ihre eigenen partikularen Interessen 
bedacht. Gerade indem sie die Geldnot des Kaisers benutzten, durch 
kluge Finanzgeschäfte, die sie mit ihm machten, vergrößerten sie 
ihr Gebiet, erwarben sie ein Hoheitsrecht nach dem anderen. Aller- 
dings stand dem Kaiser eine Anzahl fester, in bestimmten Terminen 
zu zahlender Abgaben zu Gebote, aber sie genügten bei weitem 
nicht, den Bedarf zu decken, und es wird die Aufgabe des Königs, 
sich außerordentliche Einnahmen zu verschaffen. An anderer Stelle 
ist gezeigt worden, wie Karl IV. dies gelang !). 

Aber schon im Beginn des 16. Jahrhunderts sind die regel- 
mäßigen Einnahmequellen versiegt und die Macht des Königs reicht 
nicht mehr aus, außerordentliche zu erheben. Wie und wann ist 
dies vor sich gegangen? Fassen wir den Zeitraum der Regierung 
Kaiser Sigmunds, also die Jahre 1410—37, näher ins Auge. Wir 
werden sehen, daß unter ihm noch kein wesentlicher Rückgang 
im Finanzwesen zu spüren ist; er war im stande, alte Einnahmen 
zu erhalten, neue zu erwerben. Einen großen Teil seiner Thätigkeit 
füllte er mit finanziellen Beschäftigungen aus und ein starker 
Prozentsatz seiner Urkunden ist finanzieller Natur. Sein Ausspruch, 
er habe vom Reiche jährlich nicht über 13 000 fl. Einnahmen °), er- 
scheint auch für die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts als unrichtig. 


Kap. I. Die Finanzverwaltung des Reiches. 


Die Verwaltung zeigt eher einen Fortschritt gegen die frühere 
Zeit; das Verpfändungs- und Anweisungssystem tritt weniger in den 
Vordergrund. Die regelmäßigen Einnahmen werden meist an Ort 
und Stelle vom Gläubiger, dem sie angewiesen sind, in Empfang 
genommen, die außerordentlichen von Sigmunds Beamten oder dazu 
ernannten Personen auf seine Vollmacht hin eingezogen à). 

Von dem so bei ihnen sich ansammelnden Gelde zahlten sie 
entweder einem Gläubiger des Reiches oder sie lieferten den Ertrag 
direkt dem Könige ab. Das erste Verfahren vereinfachte die Sache, 
da es den Transport des Geldes an den Kaiser und von diesem an 
seinen Gläubiger überflüssig machte. Daher behielten die Beamten 
wohl auch das vereinnahmte Geld in Verwahrung, um es gelegent- 
lich auf Befehl des Königs zu verausgaben *). 


1) Nuglisch, Das Finanzwesen des Deutschen Reiches unter Kaiser Karl IV: 
Vorliegende Arbeit ist die Fortsetzung dieser Schrift. 

2) Deutsche Reichstagsakten, VII, S. 181. 

3) Es sind dies oft Leute, denen Sigmund Geld schuldet und die daher an dem 
Einkommen desselben Interesse haben. Regesta Imperii XI. Die Urkunden Kaiser 
Sigmunds, herausg. v. W. Altmann, No. 4973, 5053, 10343, 7042, 7259, 8658, 5646, 
5069, 5225, 5314. 

4) Regesten Sigm. fortan bezeichnet R, S. 3105, 3931, 4690. 


Das Finanzwesen des Deutschen Reiches unter Kaiser Sigmund. 147 


Kleinere Summen scheinen in eine Centralkasse, die königliche 
Kammer gekommen zu sein. Wenigstens weist Sigmund mehrmals 
Jahrgelder auf sie an, Handwerkern, die er in seinen Dienst ge- 
nommen, giebt er Vorschüsse!); er befiehlt einem Herren, von Juden 
Strafgeld einzuziehen, davon 300 fl. zu behalten und den Rest der 
königlichen Kammer abzuliefern. Der etwaige Ueberschuß, der beim 
Verkauf von Kleinodien erzielt wird, sollan Sigmund gezahlt werden. 
In der Schweiz werden Zinsen und Gefälle, die dem Herzog Fried- 
rich von Oesterreich gehört hatten, für die königliche Kammer ein- 
gezogen. Neben ihr spielt auch Nürnberg wieder eine gewisse Rolle 
als Centralstelle. Nicht nur, daß die Insignien des Reiches jetzt 
für lange Zeit hier ihren Aufbewahrungsort finden ?), daß auch das 
Geld für den Hussitenkrieg hier zusammenkommt, noch andere Gründe 
sprechen dafür. Sigmund läßt z. B. den Schlagschatz der Baseler 
Münze jährlich nach Nürnberg abliefern®). Hierhin soll auch die 
Familie von Egmont die 14000 fl. einsenden, welche der König von 
ihr für die Belehnung mit Geldern verlangte 4). 

Was für das 14. Jahrhundert von der Trennung der Kammer 
des Reiches von der Böhmens gesagt ist, bleibt auch für das 15. be- 
stehen ©). 

Rechnungsbücher und Aufzeichnungen der Einnahmen und Aus- 
gaben waren zweifellos vorhanden. So giebt Sigmund der Stadt 
Straßburg den Befehl, einem Getreuen 200 fl. zu zahlen, die von 
den 50000 noch ausstehen, wie sich in unserem Rechenbuch und 
von unserem Kammermeister befunden hat‘. Ein anderes Mal 
stellt er dem Markgrafen von Baden einen Schuldschein über 
13467 '/, fl. aus, die er ihm nach erfolgter Abrechnung der Schuld 
des Herzogs Friedrich von Oesterreich und des Zehnten in den 
oberrheinischen Bistümern noch zu zahlen hat’). Er rechnet mit 
seinem Protonotar Johannes Kirchen ab, der in seinem Auftrage eine 
Anzahl städtischer Reichssteuern, Sporteln u. s. w. eingezogen hat). 
Er teilt Conrad von Weinsberg mit, daß er den Markgrafen von 
Brandenburg angewiesen hat, ihm (Weinsberg) über die von seinem 
verstorbenen Bruder Johann vereinnahmten Judensteuern Rechen- 


1) R. S. 2419, 6751, 3621—24, 35. 

.. 2) Hierfür mußte Nürnberg dem Könige 1000 fl. zahlen. Aschbach, Gesch. 
Kaiser Sigmunds IV, S. 478. 

3) R. S. 7431, 2. 

4) Windeckes Denkwürdigkeiten hrg. v. Altmann, S. 196. 

5) Vgl. Nuglisch S. 6 f. Einer der hier angeführten Gründe, welcher für die 
Trennung beider Kassen spricht, findet sich bestätigt. Es war gesagt worden, bei ver- 
tinigter Kasse hätte es der Kaiser in der Hand gehabt, fortwährend mit Hilfe des 
Reichsgeldes Reichsgut für sich und sein Haus in Pfandbesitz zu nehmen. In einer 
Urkunde an den Statthalter des Königs heißt es nun ausdrücklich, was er mit des 
Reiches Gelde löse, verbleibe dem Reiche, was mit seinem Gelde, komme ın seinen 
Plandbesitz. R.T.A. VIII, S. 189 f. Als weiterer Beweis gilt auch R. S. 5356. 

6) R. S. 2719. 

7) R. S. 3853, 5164. 

8) Mitt. d. Inst. f. öst. Gesch. 18, 593, vgl. auch 9843. 


10* 


148 Adolf Nuglisch, 


schaft abzulegen und bittet ihn, sich dieser Mühe zu unterziehen 1. 
Oft war eine umständliche Abrechnung nötig, da, wie wir sahen, die 
Bevollmächtigten des Königs bestimmte Einkünfte einsammelten, 
hiervon an Dritte Geld abführten oder es aufbewahrten oder aber es an 
die königliche Kammer sandten. Hierzu kam, daß sie für ihre 
Thätigkeit einen Teil der Einkünfte für sich behielten und die Kosten 
für ihre Reisen abzogen?). Die Forderungen seiner Gläubiger zahlt 
der König auch nicht aus, wenn er nicht seibst oder durch seine 
Beamten abgerechnet hat). Scheint ihm nicht alles in Ordnung zu 
sein, so läßt er durch sie eine Untersuchung anstellen. 

Auch mußten Verzeichnisse vorhanden sein, aus denen der König 
ersehen konnte, welche Güter ausgeliehen, angewiesen oder ver- 
pfändet waren und welche ihm noch zur Verfügung standen *). Macht 
der König eine Anleihe oder hatte er irgendwo Schulden gemacht, 
so ließ er sich dies auch aufschreiben 5). 

Die ständige für die Einziehung der Einkünfte angestellte 
Beamtenschaft ist dieselbe wie unter Karl; es giebt Kammermeister 
und oberste Kammermeister, die an der kaiserlichen Kammer, Land- 
vôgte‘), die an der Spitze einer der Reichsvogteien, Vikare, die in 
einigen Teilen Italiens thätig waren’), sodann eine Reihe Unter- 
beamter, wie Schultheißen, Vögte und endlich Münz- und Zoll- 
beamte 5). 

Doch haben sie ihre frühere Bedeutung fast ganz verloren. An 
ihre Stelle sind einige Personen getreten, die keine angestellte Finanz- 
beamte sind, sondern von Fall zu Fall ernannt werden. Eine Aus- 
nahme hiervon macht nur der Kammermeister Konrad von Weins- 
berg, der die treibende Kraft bei den Geldgeschäften des Königs 
ist. Neben ihm treten hervor die Markgrafen Friedrich von Branden- 
burg, Bernhard von Baden und Johann von Neumarkt, der Burg- 
graf Johann von Nürnberg, der Bischof Georg von Passau, der Proto- 
notar Johannes Kirchheim und andere Herren des hohen und niederen 
Adels; auch die Hilfe von Juden, unter ihnen besonders des Lewen 
Colner, nimmt Sigmund in Anspruch*). Alle werden, um ihr Amt 
mit Erfolg führen zu können, mit exekutiven Machtmitteln aus- 
gestattet, sie dürfen Gewaltmaßregeln gegen widerstrebende Steuer- 


1) R. S. 4636, auch 3009. 

2) R. S. 2101, 2353, M. I. ö. G. 18, 593. 

3) R. S. 8721, 5164. 

4) Aus der ersten Zeit Sigmunds stammt auch ein von einem Kanzleibeamten 
herrührendes Verzeichnis über verpfändete, städtische Reichs- und Judensteuern und 
verschiedene dem Reiche entfremdete Städte und Landschaften. R.T.A. VII, 8.182, N.1. 

5) Ulrich v. Richental, Chronik des Constanzer Coneils S. 147 f. 

6) Als dem Herzog von Oesterreich entrissene Gebiete reichsunmittelbar ge- 
macht werden, kommen sie auch unter die Verwaltung von Landvögten. R. S. 1719, 
20, 2342, 2483, 

7) R. S. 980, 1270, 3412., 4979, 5447, 7245, 7 
Dauphinee, Vienne, Avignon und die Provence ernennt 
4557, 9. 

8) R. S. 3009 wird ein Triselier, Mathis Semmel, erwähnt. 

9) R. S. 1379, 3609, 4278, 4420, 4635. 


335. Auch für Burgund, die 
Sigmund Reichsvikare. R. S. 


Das Finanzwesen des Deutschen Reiches unter Kaiser Sigmund. 149 


zahler anwenden und diese sogar in die Acht erklären. Zu ihrer 
Unterstützung werden Fürsten und Städte aufgefordert. 


Kap. II. Die Einnahmen des Reiches. 
1. Die Einnahmen aus dem Reichsgut. 


Die bei weitem wichtigste Einnahme aus dem Reichsgut bildeten 
die regelmäßigen und die außerordentlichen Abgaben der Städte. dr 
Der Hauptzahlungstermin für die Jahressteuern derselben bleibt der 17 
11. November; nur ganz verschwindende Ausnahmen kamen vor. 4 
Einige Städte hatten das Privileg, die Steuer direkt in die kaiser- i 
liche Kammer abführen zu dürfen!). Hagenau zahlte sie erst am y 
12. Tage nach Weihnachten und nach Empfang der besiegelten 
Quittung des Königs ?). 
Nicht verändert haben sich seit dem vorigen Jahrhundert die 
Steuerbeträge von Nürnberg 2000 fl. #), Lübeck 600 Pfd. lüb. Pfennige +), 
Frankfurt 1114 Pfd. Heller), Augsburg und Eßlingen®) je 8007, 
Ulm 750°), Hall 600 °). Donauwörth !°) und Reutlingen !!) je 400, Gmünd 
270%), Aalen 191. Pfullendorf $), Leutkirch 5), Wangen !‘) je 100, 
Bopfingen 80, Weinsberg !7) 50 Pfd. Heller 18). Mehrere Städte zahlten 
die Steuer nicht mehr in der Hellermünze, sondern in Gulden, weil 
durch die Münzverschlechterung die Silbermünze immer wertloser 
geworden war. Bereits Karl IV. hatte sich aus diesem Grunde die Steuer 
Nürnbergs in Gulden entrichten lassen. So gaben Konstanz !) und 
Friedberg 291 je 600, Reutlingen 400 ?!), Münster i. Els. 240 ??), Winds- 
| heim 100 fl. ?3). Kolmar zahlte statt 300 Mark jetzt 500 fl. ?!). Die 
| Städte des Elsaß gaben insgesamt 2000 fl. an das Reich?). Ab- 
| weichend gegen früher sind die Beträge von Rottweil 500 H ?%) (früher 
400 Pfd. Heller), Rotenburg 400 8. 271 (800 Pfd. Heller), Ueberlingen 
| Ju Pfd. Heller 2°) (300 Pfd. Heller), Kempten 225 (166 Pfd. Heller) ?°), 
| Nördlingen 3%) (300 Pfd. Heller), Lindau (400 Pfd. Heller)*!) und 
| Weil 221 (300 Pfd. Heller) je 200 Pfd. Heller, Kaufbeuren (200 Pfd. 
| Heller) 291 und Dinkelsbühl je 150 Pfd. Heller) (200 Pfd. Heller), 
| Giengen 35) (120 Pfd. Heller) und Isny ê) (50 Pfd. Heller) je 100 Pfd. i 
| Heller, Schweinfurt 100 tl.*7). Ueber die Höhe der noch fehlenden 
Reichssteuern haben wir für Sigmunds Zeit keine näheren Angaben. 


1) Janssen, Frankfurts Reichskorrespondenz I S. 420. 

2) R. S. 10025. 3) R. S. 1992, 3663. 

4) Lüb. Urkundenbueh VII, S. 612, die Stadt zahlt nicht immer nach demselben 
Münzfuß. U.B. VII S. 214, wo sie 750 Mark lüb. Pfennige und NS 699, VI 
8. 96, wo sie über 800 fl. zahlt. 

5) R. S. 5682, 7338. 6) Mitth. des Inst. für österr. Geschichte 18, 593. 7) R. 
S. 874. 8) R. S. 2322, 4129. 9) R. S. 1387. 10) R. S. 5086. 11) Mitt. des Inst. 
für österr, Geschichte 18, 593. 12) R. S. 2406. 13) R. S. 4901. 14) R. S. 2406. 
15) Mitt. des Inst. für österr. Geschichte 18, 593. 16) R. S. 2402, 17) R. S. 2406. 
18) Mitt. des Inst. für öst. Gesch. 18, 593. 19) R. S. 186, 1359. 20) R. S. 734, 1523. 
21) R. S. 1529. 22) R. S. 7909. 23) R. S. 6701. 24) R. S. 2391. 25) R.S. 10029. 
26) R. S. 2091. 27) R. S. 3642, 6553. 28) R. S. 1731. 29) Mitt. des Inst. für 
öst. Gesch, 18, 593. 30) R. S. 2698, 3790. 31) R. S. 1732, 3036, 3675. 32) R. S. 
1731, 33) Mitt. des Inst. für österr. Geschichte 18, 593. 34) R. S. 1731. 35) R. S. 
2259, 36) R. S. 2839. 37) R. 8. 2406, 6701. — Der rheinische Gulden, nach dem 


150 Adolf Nuglisch, 


Eine große Rolle spielten im Finanzwesen die Abgaben, welche 
die Bürger der Reichsstädte bei besonderen Gelegenheiten, vor allem 
bei einem Aufenthalt des Königs in ihrer Stadt diesem überreichten'); 
ja man kann sagen, daß hierdurch erst die deutschen Herrscher des 
ausgehenden Mittelalters in den Stand gesetzt wurden, im Reiche 
anwesend zu sein, also für dasselbe zu sorgen. Für die geringen 
regelmäßigen Einkünfte fanden sie hier einen "Ersatz, da sie für den 
Unter halt “auf ihren Reisen fast niemals etwas auszugeben hatten und 
ihnen überdies oft große Geldgeschenke verabreicht wurden ?). 

Diese Unkosten spielen denn auch im Etat der Städte eine be- 
deutende Rolle. Einige Beispiele mögen genügen: Als Sigmund 
1430 in Nürnberg war, erhielt er einen vergoldeten Becher, in dem 
900 fl. waren; der Becher selbst war 126 fl. wert. Dazu wurden 
ihm auf seine dringende Bitte noch 9000 fl. geliehen 3). 1414 ver- 
ehrte die Stadt ihm 2 Becher mit 1000 fl. Inhalt, 1422 : 800, der 
Königin 400 fl.t). 

Seine Anwesenheit in Augsburg 1431 brachte ihm 1000 fl. ein, 
die in einem Becher lagen, der 168 fl. 9 sh. kostete; weitere 3000 fl. 
borgten ihm die Bürger, die dazu mehrere Tausend fl. für den König 
und seine Gefolge verausgabt hatten. Schon 1418 hatte Sigmund 
hier 1000 fl. erhalten). 1417 gab ihm Zürich einen silbernen mit 
Gold angefüllten Pokal, dazu viele Lebensmittel®). 1418 war er in 
Regensburg; die Stadt bewirtete und beschenkte ihn mit Wein und 
Fleisch und gab ihm einen silbernen Becher mit 400 Al. 7). 

Als er zum ersten Male eine größere Reise durch Deutschland 
machte, wurde er von einer ganzen Reihe von Städten, von Basel, 
Straßburg, Speyer, Worms u. a. beschenkt). Die Kosten bei einem 
Aufenthalt in Aarberg trug Bern; für eine Bewirtung in Bern selbst 


in der Regel gerechnet wird, gilt etwas mehr als das Pfund Heller und etwas weniger 
als der ungarische Gulden, der wiederum den Wert eines Dukaten hat. (M. I. Ö. G. 
18, 593, R.T.A. IX, 474, R. S. 4410, 6360, 9107). Der rheinische Gulden hat den 
Wert von 7'/, Mark heutigen Geldes und die Kaufkraft von etwa 40 Mark. 

1) Finke, Sigmunds reichsstädtische Politik, S. 7. 

2) Manchmal zeigten sich die Städte nicht geneigt, für alle Ausgaben des Königs, 
die er während seines Aufenthaltes gemacht hatte, aufzukommen. So erzählt Ulrich 
v. Richental in seiner Chronik des Konstanzer Konzils 8. 152: Och hieß unßer herr 
der küng mit den von Ulm rechnen umb alles das, so sine diener verzert hattend und 
batt die von Ulm, das sy der schuld uff inn kemind, so wölt er si erlichen zalen in 
kurtzer zit und wöll inn gewissenhait gnug darumb tun. do antwortend sy glich, sy 
köntend und wöltend das nit tun, welher hinweg wölt riten, der solt zalen vorhin oder 
pfand da laßen. da mußt unßer herr der küng gut uffbringen, wie er mocht. Do 
beliben vil die da nit dannen mochtend kommen, wann das sy iro pfärd, harnasch 
klaider mußtend verkofen. Sigmund mußte unter anderem das Silbergeschirr des Mark- 
grafen von Baden für 1000 fl. verpfänden. R. S. 3566. 

3) R.T.A. IX, S. 474, 611 f. Chroniken der deutschen Städte I. S. 289. 

4) Stehr. III. S. 347, II, S. 10. R.T.A. VII. S. 218, VIII. 8. 232. 

5) Stehr. V. Beilage IV. 8. 382 ff., IV. S. 320. 

6) Aschbach II, S. 290. Die Kosten einer Bewirtung Sigmunds durch Luzern, 
s. ebenda S. 291. 

7) Gemeiner, Regensburger Chronik, II. S. 429. 

8) Finke, S. 21. Zorn, Wormser Chronik, S. 180 f. 


Das Finanzwesen des Deutschen Reiches unter Kaiser Sigmund. 151 


gab es 2000 Pfd. Pfennige aust). Auf der Rückkehr von England 
wurde Sigmund in Dortrecht von einem Rate Herzog Wilhelms von 
Holland empfangen, der die Kosten von Sigmunds Aufenthalt trug?). 
Aber nicht nur in Deutschland, auch in Italien und Frankreich konnte 
der Kaiser reisen, ohne tief in seine Kasse greifen zu müssen. So 
schenkten ihm die Bürger in Avignon, wo er sich drei Wochen auf- 
hielt, alles, was er verzehrt hatte und noch 3000 fl. dazu. Die Räte 
des französischen Königs kamen mit ihm überein, daß sie ihm täg- 
lich 300 Kronen für seinen Unterhalt gaben). Ebenso lebte er auf 
seinem Romzuge meist auf Kosten der Bewohner des Landes ®). 
Erklärlich war es, daß die Städte dem Könige Geschenke über- 
sandten, wenn sie dafür eine Gefälligkeit, ein Privileg oder eine 
Gnade begehrten. Solche Mittel waren für Sigmund oft maßgebend, 
wie wir später aus seinem Verfahren bei Prozessen und Gerichts- 
verhandlungen erkennen werden. Interessant sind hierfür einige 
Schreiben eines Frankfurter Gesandten 5): die Stadt solle viel Geld 
schicken, schangek iz danck und grosze schangck is groszer danck. 
Ouch by unserem allergenedigisten herren dem kunige, alz ich wol 
erfarn han zu zwien malen. Want ir im fylte gebit, zo sagit unser 
allergenedigister herre: dy von Franckfurt sint mir lybe und sere ge- 
truwe, und die stad iz mir lieb, und iz zo frolich und enedielich. 
Und an einer anderen Stelle heißt es: Non debemus visetare reges 
vacuis manibus. Juxta dictum sacrae scripturae syt ... Non appa- 
reat manus tua vacua in conspectu principum. Wir wollen fille 
heiszen und winnig gegeyben, daz ist mer vor aughen gestoszen. 
hernach weszet uch zu ryechten. Der Rat verfehlt denn auch nicht, 
dies zu thun. Er sendet dem Gesandten 2228 fl., die er mit Mühe 
aufgebracht habe. Er soll davon die Steuer der Stadt mit 928 fl. 
bezahlen, dem Kaiser 1200 fl. schenken und 100 für die Kanzlei- 
beamten verwenden. Die beiden letzten Posten dürfe er nach Gut- 
dünken vermindern. Bei Uebergabe der Geschenke solle er um Be- 
stätigung der Privilegien bitten, “für deren Erlangung ihm nötigenfalls 
weitere 100 — 300 fl. zur Verfügung stehen. Inzwischen war ein 
neuer Brief von dem Gesandten eingetroffen, in dem er schreibt, 
der Rat möchte die Steuer umgehend absenden; am besten wäre es, 
wenn er ein Geschenk für den König dazufügte. Sein Kanzler, 
Caspar Schlick, sei gegen Nürnberg so freundlich, es habe ihm wahr- 
scheinlich etwas gegeben. Sechs Tage später bestätigt der Gesandte 
den Empfang des Geldes; er hätte übrigens gemeint, es sei genug, 
dem Kaiser 1000 fl. zu geben. Der hätte sich auch sehr darüber 
gefreut; denn sie seien zu rechter Zeit gekommen, da er soeben 


1) Justinger, Berner Chronik, S. 228, 236; vgl. auch Müller, Gesch. schweizer. 
Eidgenoss. III. S. 185. 

2) Lenz, Sigmund und Heinrich V. von England, S. 132. So ließen sich noch 
viele ähnliche Nachrichten anführen; vgl. Finke, S. 21f. R.T.A. VII, S 

3) Windecke, S. 62, 64. 

4) Vgl. das Nähere unten bei den Einnahmen aus Italien. 

5) Janssen I, S. 318 f. 


152 Adolf Nuglisch, 


seine Kleinodien hätte versetzen wollen. Solche Gesandtschaften 
schickten die Städte oft an den König, um bei ihm für Geld etwas 
durchzusetzen )). 

Weitere außerordentliche Zahlungen der Städte werden uns be- 
richtet von Köln, das 10000, Speyer, das 4000, Lindau, das 2000, 
Konstanz und Ueberlingen, die 28000 fl. zahlten. Schweinfurt gab 
30000 fl., wofür es Juden aufnehmen durfte?). Weil Sigmund an 
Bern einige eroberte Städte überlassen hatte, erhielt er 5000 Al. 5. 
Villingen gab ihm 20004), Donauwörth 13000 f.5), weil sie durch 
ihn zu Reichsstädten geworden waren. Entsprechende Summen wird 
er von anderen zu Reichsstädten. gehobenen Orten bezogen haben. 

Auch bei großen Staatsaktionen, bei den Konzilen von Konstanz 
und Basel, bei der Romfahrt und den Kriegen gegen die Hussiten 
steuerten die Städte Abgaben bei®). So gab Nürnberg beim Kon- 
stanzer Konzil 800 fl. und einen kostbaren Becher, beim Baseler 
1000 fl. Zu Sigmunds Kaiserkrönung gaben unter anderem Speyer 600, 
Basel 700, Münster i. E. 326 fl.”). Energisch besteuert sollten die 
Reichsstädte werden, als auf verschiedenen Tagen über eine allge- 
meine Reichssteuer zum Zuge gegen die Hussiten beraten wurde. 
Doch kam sie nur langsam und ziemlich spärlich ein 8). 

Schon 1422 hatten sie gegen denselben Feind Heeresfolge leisten 
sollen; damals kauften sich Nürnberg, Augsburg u. a. davon los; 
Nürnberg zahlte 3000 fl. °). 

Aehnlich befreiten sich viele Städte von der Teilnahme an der 
Romfahrt, an der auch die Freistädte sich zu beteiligen hatten. Basel 
zahlte damals 1700, Mainz 1000, Straßburg und Köln je 3600, Worms 
und Speyer 900 fl. Augsburg gab 206 ungarische fl. und Heilbronn 
790 Pfd. Heller 1°). 

Von den immerhin nicht ganz unbedeutenden Gütern und Rechten, 
die dem Reiche zur Zeit Karls IV. gehörten, erfahren wir wenig. 
Dagegen läßt sich eine Anzahl früher nicht erwähnter und neu er- 
worbener Güter nachweisen. Die Freien auf der Leutkircher Haide 


1) R.T.A. VII, S. 170f. Als der Nürnberger Rat einmal eine Botschaft an 
Sigmund nach Konstanz sandte, wurde er mit einem Becher im Werte von 112 fl. und 
800 fl. baren Geldes beschenkt. 

2) R. S. 1741, 3933, 4314, 8024, 46, 54, 57, 60. 

3) Justinger, S. 240. 

4) R. S. 2528. 

5) In der Form, daß die Stadt das in Basel versetzte Silbergeschirr des Kaisers 
mit 5140 fl. einlöste und seine während des Aufenthaltes in Ulm angelaufenen Zehrungs- 
kosten bezahlte. R. S. 10745, 10832, Stehr. V. S. 1551. 

6) Stchr. I, S. 289. 

7) R. S. 10046, Aschbach IV, 8. 81. 

8) R.T.A. IX, S. 255 ff. Bezold, König Sigmund und die Keichskriege gegen 
die Hussiten II, S. 126 ff. 

9) R.T.A. VIII, S. 233, 38, 45. Die Ausgaben Nürnbergs 1421 finden sich 
aufgezeichnet Stchr. II, 8. 34, 36. Auch Fürsten kauften sich von der Heeresfolge los. 
Der Herzog Friedrich von Oesterreich gab zur Hilfe gegen Venedig 12000 Dukaten, 
der Deutschmeister 4000 fl., wofür sie den Zug nicht mitzumachen hatten. R. S. 1412, 
8935. 

10) R. S. 9033, 9201a, 9843, 10086, Jäger, Gesch. v. Heilbronn, S. 192. 


Das Finanzwesen des Deutschen Reiches unter Kaiser Sigmund. 153 


und die Ganerben des Buseckerthales gehören dem Reiche. Die 
Bürger von Valence und die Leute des Reichshofes zu Lustenau 
stehen in seinem Schutz !). Eine Anzahl Dörfer ist reichsunmittel- 
bar?); Sufflenhein hat dem Reiche Dienste zu thun, die Dörfer 
in der Landvogtei Hagenau dürfen zu Reichsdiensten herangezogen 
werden *). Der heilige Forst zu Hagenau, der Büdinger Wald, das 
freie Gericht zu Kaichen und die Leute und Dörfer der Grafschaft 
zum Bornheimerberg stehen noch mit dem Reiche in direkter Ver- 
bindung +). 

Die Burgen Zähringen und Rheineck sind vom Reiche abhängig. 
Auch auf die Schlösser, welche dem Könige nicht mehr unterstehen, 
hat er Einfluß, indem er deren Instandsetzung anbefehlen kann. So 
muß Nürnberg als Besitzer der dortigen Burg sie von neuem be- 
festigen). Sie ist dem Kaiser als Wohnsitz einzuräumen, so oft 
er in Nürnberg ist*). Durch den Markgrafen von Baden läßt Sig- 
mund das Schloß Ach einlösen und es für das Reich verwalten °). 
Auch sonst befand es sich noch hier und dort im Besitze einiger 
Burgen $). 

Wie seine Vorgänger machte auch Sigmund den Versuch, ver- 
loren gegangenes Reichsgut zurückzuerwerben *). Am bekanntesten 
ist sein Bestreben, auf Friesland die Hoheitsrechte des Reiches aus- 
zudehnen. Er erklärte es für reichsunmittelbar und, weil er es in seinen 
Schutz gegen benachbarte Fürsten genommen hatte, für abgabe- 
pflichtig. Von dieser Steuerpflicht hören wir zu verschiedenen Malen. 
1412 forderte Sigmund die friesischen Gemeinden auf, seinen Boten 
die Himmelfahrt fällig gewesene Reichssteuer zu entrichten. Ferner 
verlangte er die Erhebung des hundertsten Pfennigs von allen fremden 
Kaufmannswaren in den friesischen Häfen. Dieser Zoll dürfe nie 
vom Reiche veräußert werden !®). Auch zu außerordentlichen Ab- 
gaben werden die Friesen herangezogen, indem sie dem Könige ein 
subsidium charitativum zu den Konstanzer Konzilskosten be- 
willigen und es seinen Bevollmächtigten einhändigen sollen ''). Als 
Sigmund einem Häuptling erlaubt, bestimmte Gebiete Ostfrieslands 
in seinem Namen zu regieren, legt er ihm und seinen Erben eine 
jährliche Abgabe von 100 fl. auf!?), 

Indem der König sich in innere Streitigkeiten der Friesen mischte, 


) R. S. 1508, 22, 2082, 4574. 
) R. S. 7820, 7943, 54. 
R. S. 3385, 5177. 
R. S. 954, 7068, 11880, Lünig, Reichsarchiv, Spic. sec. II, S. 1603 ff. Janssen 
50, R. S. 4065, 4224. 
) R. S. 3931. 
) R. S. 5000. R.T.A. IX, S. 474. 
) R. S. 3931. 
8) R. S. 8840. 
9) Einmal beauftragt er den Herzog von Mailand mit der Revindikation des 
Reichsgutes in Italien, R. S. 6694. 
10) R. 8. 2585, 6, 94. 
11) R. S. 2595. 
12) R. S. 4103. Ostfries. U.B. II, S. 723 f. 


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12 


154 Adolf Nuglisch, 


zog er daraus auch hier wieder einen Gewinn für seine Kasse. Er 
erklärte die eine Partei in die Acht und löste sie erst gegen Zah- 
lung von 10000 fl. 1). 

1426 und 31 haben wir wieder Nachrichten von Versuchen Sig- 
munds, den rückständigen Jahresbeitrag für das Reich einzuziehen *). 

Ebenso erklärt er die Güter des geächteten Herzogs Friedrich 
von Oesterreich für reichsunmittelbar. Freiburg, Schaffhausen, Diessen- 
hofen und viele andere Städte und Ortschaften werden ihm abge- 
nommen. So tritt eine Anzahl neuer Reichsstädte auf’), die aber 
zum Teil bald für Geld anderen überlassen werden *). Bei seiner 
Unterwerfung wird ihm gestattet, fast alle seine Besitzungen für 
sich wieder einzulösen, nachdem er dem König 36000 fl. gezahlt 
hatte ê). 

Wie Friesland, so sucht Sigmund auch sonst den Norden zu den 
Unkosten des Reiches heranzuziehen. Er sendet nach Sachsen und 
Westfalen Boten, um Gefälle von Christen und Juden einzusammeln. 
Er scheint hier auf große Einnahmen gerechnet zu haben, da er 
darauf zahlreiche Anweisungen giebt und für seine Bevollmächtigten 
hohen Lohn bestimmt °). 

Von Schultheißen- und Ammanämtern, die dem Reiche etwas 
einbringen, gehören ihm noch die zu Oberehnheim, Mülhausen, Zürich, 
Aalen, Gmünd, Ulm, Giengen, Schwäbischhall, Kaufbeuren, Schwein- 
furt?). Das Ammanamt zu Nördlingen lieferte dem Reiche jährlich 
200 fl. Durch den Abfall Friedrichs von Oesterreich kam es in den 
Besitz des Landgerichtes zu Winterthur, des Wildbannes im Thurgau, 
der Vogtei zu Frauenfeld und des Schultheißenamtes zu Freiburg à). 

Rechte und Einnahmen hatte das Reich in einzelnen Teilen Italiens. 
Nach wie vor sind Belluno und Feltre abgabepflichtig. Serravalle, 
Cordignano und die Grafschaft Zimella sind von ihm abhängig °). 
Als Belluno einen Befehl des Königs nicht ausführen will, droht er 
mit hohen Geldstrafen '°). Lucca hat ihm eine jährliche Steuer 
zu zahlen, von der er an jemanden 600 Dukaten anweist; falls die 
Stadt die Zahlung verweigere, solle jener sich an den Gütern ihrer 
Bürger schadlos halten 311. Von Reichsbesitz in Friaul, Padua, 
Vicenza ist die Rede, Udine, das dem Könige für seinen Krieg gegen 
Venedig 12000 Dukaten gezahlt haben soll!?), und anderes in der 


1) O. Klopp, Gesch. Ostfrieslands I, S. 186 f. Wiarda, Ostfries. Gesch. I, S. 397 f. 

2) R. S. 6794 U.B. II, S. 728 f., 735. 

3) R. S. 1783, 98, 1868, 2050, 2451, 2528 b, 3125. 

4) R. S. 6158, 6236—41. 

5) R. S. 6202 ff. Windecke, 8. 78, Fester, Regesten der Markgr. v. Baden 
No. 3064, 3451. 

6) R. S. 3366, 8721, 33, 58. 

7) R. S. 376, 639, 759, 822, 36, 73, 2205, 59, 3452, 5465—7, 5998—6000, 
7003—5, 8042—4, 11328, 30. 

8) R. S. 2640, 5815. 

9) R. S. 511, 20, 2368, 3666, 7. 

10) R. S. 751, 86, 955. 

11) R. S. 3092, 

12) Aschbach I, S. 348. 


Das Finanzwesen des Deutschen Reiches unter Kaiser Sigmund. 155 


Gegend liegendes Gebiet, war Reichsgut!). Allenthalben lassen sich 
hier Reichsvikare nachweisen, ein Zeichen, daß Sigmund an seinen 
Rechten in Italien festhielt?). In Stadt und Grafschaft Siena be- 
handelt er die Juden wie in Deutschland als seine Kammerknechte ; 
er nimmt sie in seinen Schutz, wofür sie ihm 6000 Dukaten zu zahlen 
haben). Für Bestätigung seiner Privilegien gab Lucca 2000 fl. 
aus. Viele Nachrichten haben wir über heimgefallenes oder durch 
Mord und Aufstand verwirktes Gut in der Lombardei*). Er ver- 
pfändet es an Getreue und zieht so einen Geldgewinn daraus. Einigen, 
die sich unterwarfen, giebt er für 20000 Dukaten ihr Gut zurück °). 
Auf seinem Romzuge lebte er großenteils auf Kosten der Italiener; 
die Ausgaben für die Kaiserkrönung trug der Papst, der ihn auch 
sonst mit Geld unterstützte ®). Venedig, das schon früher dem Reiche 
Geld gegeben hatte”), zahlte auf Sigmund’s Heimkehr von Rom 
20000 Dukaten und „alle zerung für in zu Rome und uf dem wege 
biß zu dutschen landen“ 8). 


2. Die Einnahmen aus den Klöstern. 


Für die Zeit Kaiser Karls IV. ließ sich nachweisen, daß ein im 
Schutze des Reiches befindliches Kloster auch Abgaben an dieses 
zu zahlen hatte. Danach sind auch unter Sigmund eine große 
Zahl steuer- und dienstpflichtig. Hierhin gehören, um nur einige 
zu nennen: Kaisersheim, Langheim, Einsiedeln, Disentis, Erstein *). 
Das Kloster Ebrach befreit Sigmund auf 3 Jahre ab omni hospita- 
litate et alio onere, Gutenzell von allen Steuern und Diensten, Salem 
von allen nicht durch Reichsgesetz vorgeschriebenen Dienstleistungen, 
Steuern und Einquartierungen. 

Wir haben eine Nachricht, nach der der Abt von Kempten 175, 
der von Murbach 340 fl. an das Reich zahlte. 

Klöster haben auch Heeresfolge zu leisten, von der sie sich 
mit Geld loskaufen dürfen 191. 


S. 147, 192, 3307. 

S. 154, 76, 91, 260, 617, 1212, 1884. 
S. 9248, 9. 

S. 537. 

5) R. S. 480. 

6) Sigmund erwartete auch, in Italien Geld zu erhalten. Denn einem seiner 
Gläubiger stellt er in Aussicht, er werde sein Geld wieder erhalten entweder aus Ein- 
nahmen in Friesland oder von Italien aus. R. S. 8721. Aschbach IV, S. 81, 106, 
R. S$. 9462, R.T.A. XI S. 286 ff. 

7) Vergl. Justinger S. 212. Die Stadt Venedig war dem Reiche alle Jahr 7000 fl. 
schuldig und hatte dazu noch eine jährliche Rente zu zahlen; beides hatte sie unter- 
lassen, da sie Streit mit dem Könige hatte. Do nu der krieg gewerte etwe lang, do 
taten venedier dem künig ein gros schenke, daz etwe menig jar ein fried gemacht wart. 
Hee Abgaben Venedigs weiß auch ein Gesandter Frankfurts zu berichten. Janssen 

8. 388. 

8) Lindner, Deutsche Geschichte II, S. 371, Windecke, 8. 347. 

9) Fester No. 3126. 

10) R. S. 923, 1909, 10, 3117, 3454, 7190, 8924, 8187b, 10171. In R.T.A. 


156 Adolf Nuglisch, 


3. Die Einnahmen aus den Regalien. 


a) Das Bergwerksregal scheint dem Reiche auch im 15. Jahr- 
hundert Erträge geliefert zu haben. Dem Kloster Langheim wird 
jetzt erst das Bergwerksregal verliehen; dem Grafen von Thierstein 
wird gestattet, in seiner Grafschaft nach Erzen zu graben, aber das 
dabei gefundene Gold muß er der königlichen Kammer abliefern !). 

b) Der Schlagschatz stand dem Kaiser in Nürnberg, Aachen, 
Köln, Dortmund, im Lande Berg, in Mülheim a. Rh., Frankfurt, 
Basel und Nördlingen ganz oder zur Hälfte zur Verfügung?) Er 
betrug !/, fl. von der Mark Gold und ebensoviel von 5 M. Silber. 
Für die Höhe der Einnahmen aus den einzelnen Münzstätten haben 
wir zuverlässige Nachrichten. Die zu Basel ergab vom Martins- bis 
zum Michelstag 1433: 389 fl., die zu Frankfurt und Nördlingen 
1431/32: 921 */, fl. ë), die zu Nürnberg 1430: 432 fl. 3 sh. vom Herbst 
bis Mai 1431: 120 fl., am 14. 8. 1431: 45 fl. 1434 läßt Sigmund 
von einem Schlagschatz von 70 fl. 24 einem Goldschmiede auszahlen; 
wenige Monate später verfügt er über weitere 330 fl. Am 12. 2. 
1435 quittiert er über 882 fl., wobei aber Einnahmen aus Juden- 
steuern mit eingerechnet waren. Ein halbes Jahr später erhielt der 
König wieder 241 fl.*). Ueber die Einkünfte aus der Münze wurde 
genaue Rechnung geführt. Dies war um so nötiger, als meist be- 
stimmte Summen auf begrenzte Zeit an diesen oder jenen überwiesen 
wurden 5). 

c) Die Einkünfte aus dem Judenregal sind bedeutender als sie 
unter Karl waren; der konnte die Juden nicht so hoch beschatzen, 
wie er es wohl gewünscht hätte, da die großen Verfolgungen in den 
vierziger Jahren ihre Steuerkraft geschwächt hatten ®). Sigmund da- 
gegen war in der Lage und verstand es, die Juden in hohem Maße 
zu den Ausgaben des Reiches heranzuziehen. Ueberall hat er 
regelmäßige Einkünfte von ihnen und häufig erzwingt er die Er- 
hebung außerordentlicher Abgaben, die er in großem Style durch- 
führt. Die beiden vornehmsten Steuern sind der goldene Opfer- 
pfennig und die halbe Judensteuer, die zweimal im Jahre, zu 
Weihnachten und zu Martini, entrichtet wurde. Die letztgenannte 
geht auf ein Abkommen zurück, das König Wenzel mit dem 
schwäbischen Bunde schloß, wonach in Zukunft die Hälfte aller Ein- 
künfte von den Juden ihm zugestanden wurde”). 


VIII. S. 162, IX, S. 530 f. werden die Klöster aufgezählt, welche Glieder des Reiches 
sein sollen. RS 1147. M. I. O. G. 18, 593. 

1) R. S. 7187. 

2) R. S. 730, 1241, 3400, 3817—9, 3862, 4565, 6, 8, 5245, 6310, 8564. R. S. 
4568, 7295, Stehr. I, S. 247. 

3) Albrecht, Mitt. zur Gesch. der Reichs-Münzstätten zu Frankfurt a. M., Nörd- 
lingen u. Basel. S. 10, 71, 76. R. S. 7453. 

4) R. S. 10030. C. F. Gebert, Geschichte der Reichsstadt Nürnberg, S. 38 f. 

5) R. S. 8951, 9899. 

6) Vgl. Nuglisch S. 69 ff. 

7) Stehr. I, S. 115, Zeitschr. für die Gesch. der Juden in Deutschl. III, S. 305. 


Das Finanzwesen des Deutschen Reiches unter Kaiser Sigmund. 157 


In Schwaben, Franken, Bayern, im Elsaß, am Rhein und in der 
Wetterau, aber auch im Norden!) hatte das Reich Nutzen von den 
Juden. Im Gegensatz zu anderen Einnahmequellen, die versiegten, 
wenn sie vergeben waren, war das Reich imstande, aus dem Juden- 
regal sich oft frische Erträge zu beschaffen. Denn jederzeit konnten 
in eine Stadt neue Juden aufgenommen werden ?), was auch im Ge- 
biete des Landesherren nach eingeholter Erlaubnis des Königs ge- 
schehen durfte. Solche Aufnahmen lagen im Interesse des Reiches 
wie des Landesherren, da beide sich dadurch steuerkräftige Unter- 
thanen verschafften. 

Den goldenen Opferpfennig entrichteten die Juden in Augsburg, 
Rothenburg 3), Hall, Ulm, Heilbronn, Kempten, Lindau, Ravensburg, 
Ueberlingen, in den Städten und Bistümern Konstanz, Würzburg, 
Bamberg, Eichstädt, Mainz, in der Eidgenossenschaft, in Straßburg, 
Speyer, Oppenheim, Frankfurt, Trier, Köln, Erfurt; auch in den 
Grafschaften Leiningen, Veldenz, Hanau, Isenburg u. a. wird er für 
das Reich eingesammelt 31. 

Die halbe Judensteuer zahlten die Juden in Stadt und Bistum 
Bamberg, Würzburg, Constanz, in den Erzbistümern Hamburg und 
Bremen, den Städten Lindau, Ravensburg, Ueberlingen, Heilbronn, 
Kempten, Nürnberg u. a.°). 

Die Gesamteinnahme des Reiches aus den regelmäßig ein- 
kommenden Judensteuern muß 20 000 ungarische Gulden überschritten 
haben. Es kamen auch Befreiungen von der Steuer durch den Kaiser 
vor. So verleiht er einigen Juden in Lindau, Ravensburg, Ueber- 
lingen und Constanz das Recht, keinen goldenen Opferpfennig und 
keine halbe Judensteuer mehr zu zahlen ê). Den Grund hierfür haben 
wir in einmaligen Geldleistungen der so Bevorzugten zu suchen. 
Zwar standen alle Juden von vornherein im Schutze des Kaisers 
und hatten dafür jene oben angeführten Abgaben zu zahlen; doch 
ließ er sich für besonders gewährte Vorteile und Privilegien noch 
obendrein Geld geben ?). 

Viel brachten die Strafgelder ein, die Sigmund von den Juden 


1) Dem Burggrafen von Nürnberg erlaubt Sigmund, an seiner Stelle den goldenen 
Pfennig und alle seine Rechte, Steuern, Zinsen und Gefälle von allen Juden ein- 
zunehmen, die in den Erzbistümern Magdeburg und Bremen, den Bistümern Hildes- 
heim, Halberstadt, Schwerin, den Herzogtümern Braunschweig und Lauenburg, Stettin 
und Mecklenburg, den Landgrafschaften Thüringen und Hessen, den Markgrafschaften 
Brandenburg und Meißen, der Grafschaft Holstein ete. wohnen. R. S. 1872. 

2) R. S, 5227. 

3) In Rothenburg betrug er im Jahre 1412: 75 fl. Mon. Zoll. VII, S. 89. 

à H RS 403—21, 717, 1144, 1849, 5646, 5818, 6798, 7035, 12055. Ennen III, 
S. 320 f. 

5) Die Steuer Nürnbergs betrug mehr als 200 fl. R. S. 139, 1430, 1845, 5240. 
Weitere Angaben über Steuern, die die Juden regelmäßig ans Reich zahlten, haben 
wir von Rothenburg, Regensburg, Nördlingen, Hall, Nürnberg und Augsburg. Stchr. V, 
8. 372 ff, 378, R. S. 1418, 2886—8, 3145, 3607. Von den Juden zu Mainz er 
hielt das Reich 130, von denen zu Gelnhausen 270 fl. Steuer, M. I. ö. G. 18, 593. 

6) R. S. 721, 36. ` 

7) R. 8. 721, 6990, Ennen S. 320. 


158 Adolf Nuglisch, 


erhob. Dies Recht ließ er sich nicht nehmen. Als einmal die Städte 
die bei ihnen wohnenden Juden wegen eines Mordes zur Rechen- 
schaft ziehen wollten, erhob er dagegen Einspruch, da dies seine 
Sache wäre; sein Landvogt solle sie untersuchen. Er ließ denn auch 
hier wie in anderen Fällen den Juden eine Geldbuße auferlegen !). 
Von einem Juden, der in den jüdischen Bann gethan war, ließ er 
mehr als 300 fl. erheben. Juden, die einen Meineid geschworen 
hatten, werden an ihrem Vermögen bestraft. Im Jahre 1417 werden 
im Auftrage des Königs größere Summen an Strafgeldern ein- 
genommen ?). 

1414 beginnt die erste allgemeine Erhebung einer außerordent- 
lichen Judensteuer. Sigmund verlangt den dritten Pfennig ihres 
Vermögens, weil er ihn zur Förderung der Reichsinteressen brauche 
und er großen Aufwand habe machen müssen, um in wälschen 
Landen, in Frankreich, England, Aragonien und besonders zu Constanz 
Frieden zu stiften). Frankfurt wird zuerst aufgefordert. Am 
13. August schreibt der König an die Stadt, sie möge den bei ihnen 
wohnenden Juden nicht gestatten, vor Ankunft seiner Botschaft sich 
oder ihr Eigentum zu entfernen *). Die Judenschaft in den Reichs- 
städten wie in den landesherrlichen Territorien, unter den Komturen 
des Deutschordens und unter Grafen, Rittern und Knechten wurde 
besteuert’). Diesen mußte der König wiederholt versprechen, die Ab- 
gaben sollten ihren Rechten an den Juden keinen Abbruch thun °). 
Merkwürdigerweise werden Fürsten und Grafen dazu angehalten, die 
königlichen Beamten bei der Einziehung der Steuer zu unterstützen, 
obgleich sie doch schädlich für jene war, da die Finanzkraft ihrer Juden 
geschwächt wurde. Die Erhebung ihrer Steuer zog sich mehrere Jahre 
hin "1. Gewöhnlich wurden die außerordentlichen Steuern landschafts- 
weise erhoben, die süd- und norddeutschen Städte wurden getrennt 
benachrichtigt. „Der Hergang bei diesem finanziellen Geschäft war 
meist der, daß der König oder seine Abgesandten nicht mit den Juden 
direkt, sondern mit den Städten, in denen sie wohnten, über die zu 
zahlende Summe verhandelten; da sie selbst ihre Juden besteuerten, 
waren ihnen solche Angriffe auf diese unerwünscht®).“ Bald nach 
der Mitteilung an Frankfurt erging der Zahlungsbefehl an die Städte 
und Stifter Augsburg, Eichstädt, Ulm und die mit diesem Orte ver- 
bündeten Gemeinwesen: Eßlingen, Reutlingen, Nördlingen, Weil, 
Memmingen, Kaufbeuren, Heilbronn und Wimpfen °). Es entrichteten 
sodann Nürnberg 12000 fl., Erfurt 6000, Augsburg 2800, Rothen- 
burg 2000, Windsheim 1500, Heilbronn und Friedberg je 1000, 


1) R. S. 7605—7, 7728, 7812, 7904, 8239. 
2) R. S. 2353, 3404, 3743, 3810, 5633. 

3) R. S. 1163, 4, 2867. 

4) Zeitschr. f. Gesch. d. Juden III, S. 3. 
5) R. S. 3257. 

6) R. S. 2315, 6, 2072. 

7) Stehr. XIII, S. 100 f. 

8) Zeitschr. f. Gesch. d. Juden III, S. 4. 
9) R. S. 1163. 


Das Finanzwesen des Deutschen Reiches unter Kaiser Sigmund. 159 


Weißenburg 822, Ulm 933, Schweinfurt 500, Nördlingen 466, der 
Propst zu Münster-Mayfeld 400, Eßlingen und Memmingen je 300, 
Kempten 280 fl.!). In Regensburg ist Geld im Werte von über 
1000 französischen Kronen, im Gebiete der Herzoge Ludwig und 
Heinrich von Bayern sind 2620 fl. eingekommen. Nach dem Be- 
richte zweier Frankfurter Gesandten hätten die Juden zu Nürnberg 
und Köln je 12000, zu Heilbronn 1200, ein Jude zu Windsheim 
»400 und einer zu Hall 2000 fl. gezahlt. Bei dem Herzoge von 
Oesterreich, in Meißen und Thüringen wird ebenfalls gesammelt; 
doch kam das Geld erst 1421 ein?). Einige Judengemeinden, so die 
zu Mainz und Worms, wollten nicht den dritten Pfennig, sondern 
Pauschalsummen von 1500 und 2000 fl. zahlen, um zu vermeiden, 
daß die Boten des Königs Einblick in ihr Vermögen erhielten. 1415 
wurden Gesandte an die im Norden wohnenden Juden bezw. ihre 
Obrigkeiten geschickt, so an den Erzbischof von Magdeburg, die 
Bischöfe von Halberstadt, Naumburg, Hildesheim, Minden, Merse- 
burg. die Herren von Anhalt, die Grafen von Mansfeld, den Abt 
von Corvey, die Aebtissin zu Quedlinburg, die Städte Goslar, Magde- 
burg, Merseburg, Halle u. a. Die Judenschaft in Bayern, Franken, 
Schwaben und am Rhein habe ihm die Steuer bereits gezahlt, so 
läßt Sigmund ihnen melden 3). Gleichzeitig ließ er auch den 
10. Pfennig erheben. Er bestätigte als Einnahme daraus binnen 
zwei Jahren 9612 /, fl. erhalten zu haben‘). Von diesen Summen, 
welche die Beamten einsammelten, rechneten sie ihre Unkosten für 
Reise und Unterhalt ab, so daß die angeführten Zahlen oft nur 
einen Teil des den Juden abgenommenen Geldes darstellen. 

Im Januar 1418 beginnt die Erhebung einer zweiten allgemeinen 
Steuer. Als Grund dafür giebt Sigmund wieder seine großen Aus- 
gaben in Italien, Frankreich, England und Aragonien an; aber auch 
der Krieg mit dem Herzog von Oesterreich habe große Kosten ver- 
ursacht. Der Hauptanlaß jedoch ist, daß der König vom Papst die 
Bestätigung der Judenprivilegien erlangt habe. Der 30. Pfennig soll 
von allen Juden im Reiche erhoben werden, also eine viel geringere 
Steuer, als die vorhergehende es war. Wie sonst war auch hier 
wieder Conrad von Weinsberg die Seele des Unternehmens. Kraft 
königlichen Auftrags sei den Juden zur Bestreitung der aus der 
Anfertigung der Bullen und Briefe erwachsenen Kosten der 30. Pfennig 
auferlegt worden. Weinsberg schickte die Steueragenten in die 
einzelnen Bezirke, in die zu diesem Zwecke das Reich eingeteilt war. 
Die Juden von Ulm, Augsburg, Biberach, Nördlingen, Villingen etc. 
hatten 600 fl. nach Constanz zu zahlen. Auch nach Meißen, Thüringen 
und Sachsen ging er, während andere das Geschäft in der Schweiz, 


1) R. S. 1228—37, 42, 49—51, 1352, 1337, 1435, 46, 1986. Stchr. V, S. 373, No. 1. 
2) R. S. 2026, 2101, 2313, 4, 3733, 4422, R.T.A. VII, S. 231. 

3) R. 8. 1579. 

4) R. 8. 2353. 


160 Adolf Nuglisch, 


dem Elsaß, in Nord- und Mitteldeutschland besorgten. Doch blieb 
der Ertrag weit hinter den Erwartungen zurück !). 

Wie der Voranschlag eines Agenten ergiebt, hatte man gehofft, 
von den Juden zu Mainz, Oppenheim und den vier Städten in der 
Wetterau 1200 fl. einzunehmen. Sie wollten aber nur 536 fl. zahlen. 
Die Constanzer versprachen 600 fl. Bis April 1418 muß das Geld 
in der Hauptsache abgeliefert sein. Die Nürnberger Juden zahlten 
8000 fl., wofür sie für drei Jahre von allen außerordentlichen Ab- 
gaben befreit wurden ?). 

Am 14. August 1422 hören wir von einer weiteren Steuer, die 
anläßlich des Hussitenkrieges erhoben wurde). Sigmund beauf- 
tragt den Pfalzgrafen Johann von Neumarkt, mit den Juden von 
Nürnberg, Regensburg, Rothenburg, Nördlingen, Weißenburg u. a. 
zu verhandeln *). Die Augsburger Juden, deren Stadt eine Be- 
steuerung nicht zulassen wollte, schickten eine mit Geld versehene 
Botschaft an den König, der auf diese Weise also seinen Wunsch 
erfüllt sah. Bald ergingen auch an andere Judengemeinden Zahlungs- 
befehle. Selbst verpfändete Städte werden wenn nötig mit Gewalt 
herangezogen). Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger 
Jahre müssen die Juden wieder zum Hussitenkriege beisteuern. Nürn- 
berg quittiert der König 1429 über 2532 fl.6). Bei seiner Krönung 
zum Kaiser wurde ihm die letzte große Abgabe, die sogenannte 
Krönungssteuer, gezahlt, eine seit langem übliche Einrichtung 7). 

Hierbei lernen wir eine weniger gebräuchliche Art der Ver- 
waltung kennen, indem nicht der König Boten an die Juden sendet, 
sondern er sie auffordert, umgekehrt an ihre Unterhändler zu 
schicken®). Es zahlen die Juden in Sachsen, Bayern, in Ulm, Nürn- 
berg, Schweinfurt, Erfurt, Augsburg, Bamberg, Heilbronn, Salzburg, 
Zürich, Konstanz, Winterthur, Lausanne, Speyer, Worms, Braun- 
schweig, in Oesterreich, vielen Grafschaften und Herrschaften. Will 
ein Landesherr seine Juden nicht besteuern lassen, so sollen gegen 
ihn geeignete Gewaltmittel angewandt werden °). Auch die Juden in 
Gallien und Arelat werden aufgefordert. Sigmund sendet Bevoll- 
mächtigte an sie, die Gelder einzunehmen und teilt dies — doch 


1) Die Juden in Jülich und Geldern, welche auf 2400 fl. eingeschätzt waren, ver- 
weigern die Zahlung und werden deshalb von einem Agenten in die Acht erklärt. 
Zeitschr. f. Gesch. d. Juden IIl, S. 7 ff. 

2) R. S. 3986. 

3) R.T.A. VIII, S. 107 f. 

4) R. S. 6048. 

5) R. S. 5225, 5411, 43, 5942. 

6) R. S. 7367, 7791. 

7) Die Krönungssteuer zahlen auch die Juden, welche aus irgend einem Grunde 
von allen anderen Abgaben befreit waren. Hieraus läßt sich schon die Bedeutung der 
Steuer entnehmen. R. S. 2008, 2533. Stehr. XIV, S. CLXXVII. 

8) R. S. 9818, 9. 

9) R. S. 10 064—81, 10 493, 10 137, 67, 12331. 

Mainz zahlte 2000, fünf schweizer Orte 1000 fl. — So verbietet Sigmund den 
Städten im Elsaß, dem Erzbischof von Köln die ihnen verpfändete Steuer zu zahlen, 
bis er seine Juden die Krönungssteuer habe entrichten lassen. R. S. 12334. 


Das Finanzwesen des Deutschen Reiches unter Kaiser Sigmund. 161 


ohne sichtbaren Erfolg — den dortigen Landesherren mit. Die im 
Kirchenstaat sitzenden solle der Papst zur Zahlung veranlassen 1). 

Die merkwürdigste Einnahme ist folgende: Es war das Recht 
des Königs, die Schulden der Juden zu anullieren, zu erklären, alles, 
was man ihnen schulde, brauche nicht gezahlt zu werden. Sigmund 
verspricht ihnen nun, von diesem seinem Recht keinen Gebrauch 
machen zu wollen, wenn sie ihm hierfür eine einmalige Summe 
geben wollten. Die Nürnberger zahlten daraufhin 6000 fi. Aber 
auch sonst sah der mit der Einnahme betraute Agent des Königs 
seine Thätigkeit von Erfolg gekrönt ?). 

d. Auffallend wenig Nachrichten haben wir von Zollstätten und 
Zolleinkünften des Reiches. Die Hoheitsrechte am Zoll wahrt auch 
Sigmund sich noch und oft greift er mit Bestimmungen und Ver- 
boten ein. Er bestätigt die Zollverpfändungen seiner Vorgänger, 
beim Verkauf eines Zolles und bei Verlegung einer Zollstätte an 
einen anderen Ort erteilt er die Genehmigung, unrecht erhobene 
Zölle läßt er entfernen; überhaupt giebt er gelegentlich Verfügungen 
für landesherrliche Zölle, so, wenn er Zollbefreiungen an allen Zoll- 
stätten oder auf einem Flusse erteilt). Doch genügen die wenigen 
Nachrichten nicht, uns ein Bild von Sigmunds Zollpolitik zu machen. 
Der Erzbischof von Köln schoß 1416 dem Könige 18000 fl. vor, 
welche durch eine Erhöhung der Zölle zu Linz und Bonn gedeckt 
werden sollten 31. Hierdurch konnte sich Sigmund also eine Ein- 
nahme verschaffen. Auf der Elbe scheinen noch Reichszölle gewesen 
zu sein. Einen Turnos weist Sigmund auf den Zoll zu Cunenengers 
für eine Schuld von 6000 fl. an, einen anderen auf den zu Lahn- 
stein). Neue Reichszölle hat er in den friesischen Häfen 9 und in 
Würzburg errichtet. Dieser war sehr ergiebig. 10000 fl. zieht aus 
ihm jährlich der Erbischof von Mainz, 1000 Graf Adolf von Nassau, 
100 Schenk von Geiern und andere mehr. Bald wurden die Zoll- 
einnhmen erhöht’). Ueber die Einkünfte aus den Zöllen war dem 
Könige jährlich Bericht zu erstatten; natürlich, denn er mußte wissen, 
wann die auf einen Zoll angewiesene Summe eingenommen war, 
wann er eine neue Anweisung geben konnte und was über die An- 
weisungen hinaus übrig geblieben war). 


4 Die Einnahmen aus den Kanzlei- und Hofgerichts- 
gebühren. 


Die Einnahmen der Kanzlei sind unter Sigmund ganz besonders 
hohe. Bei Belehnungen, bei Erteilung und Bestätigung von Privi- 


1) 11 295—302, 11 509, 11 776", 12 317. 
2) R. S. 8572, 3, 8615, 51, 8776. 
3) R. S. 1348, 2307, 10—2, 516, 1968, 3981, 4848, 6064, 
4) Ennen III, S. 203. 
5) R. S. 1422, 3315, 4952. 
6) R. S. 2597. 
7) R. S. 5084, 5105, 16, 18, 20, 43, 56, 12 085 
8) R.T.A. VU, S. 199. 
Dritte Folge Bd, XXI (LXXVI). 11 


162 Adolf Nuglisch, 


legien, bei Standeserhöhungen u. s. w. flossen große Summen in die 
königliche Kasse. Die Einnahmen waren um so größer, als nach 
der Kaiserkrönung alle Stände sich ihre Privilegien erneuern ließen !), 
wofür sie auch wieder zahlen mußten. Dazu verlangte Sigmund das 
Zehn- und Mehrfache von dem, was frühere Könige genommen hatten: 
nicht mehr 60, 80, 100 fl., sondern Tausende müssen die Städte 
geben ?). 

Bedenklicher war es, daß Sigmund sich auch in Prozessen und 
bei Streitigkeiten, die er zu entscheiden hatte, käuflich zeigte. Ueber- 
haupt gab ihm seine Eigenschaft als oberster Richter oft Gelegen- 
heit, seine Kasse zu füllen 3). Als um Geldern ein Erbfolgestreit 
ausbrach, gab er der Partei recht, welche ihm eine gewünschte 
Summe Geldes zur Verfügung stellte‘). Augsburg, welches sich mit 
den Bayernherzogen entzweit hatte, wollte in seiner Stadt gerichtet 
werden; die Herzoge dagegen zogen Regensburg vor. Da erklärte 
Sigmund, wollten die Bürger ihm Geld geben, so wolle er die Sache 
in Augsburg verhandeln. Hierauf liehen sie ihm 4000 fl.5). Der 
Urteilsspruch, den Sigmund zwischen dem Herzog von Berg auf der 
einen und dem Erzbischof und der Stadt Köln auf der anderen 
Seite zu fällen hatte, brachte ihm auch etwas ein, indem die Ver- 
treter Kölns im Interesse ihrer Sache zu handeln glaubten, wenn 
sie dem Ansuchen des Königs willfahrten, ihm 9000 fl. zusagten und 
Wertgeschenke gaben ®). Ein andermal stellte er zwischen dem Erz- 
bischof und der Stadt Köln ein gutes Verhältnis her, wofür er 
40000 fl. verlangte, später sich aber mit 30000 begnügte”). Der 
große Prozeß zwischen Straßburg und seinem Bischof verschaffte 
dem Könige eine Einnahme von 50000 fl.®). 

In Lübeck hatte ein neuer Rat den alten vertrieben. Sigmund 
wurde Schiedsrichter in dieser Angelegenheit, indem sich die Stadt 
an ihn wandte. Durch das Versprechen einer Zahlung von 24000 H. 
erlangte der neue Rat seine Gunst und einige vorteilhafte Urkunden. 
Da er aber das Geld nicht gab, so erklärte Sigmund die Urkunden 
für kraftlos und verlangte sie von dem alten Rat zurück, als dieser 
wieder zur Herrschaft gekommen war. Er erhielt sie zwar nicht, 
ließ sich aber mit 13000 fl. dafür entschädigen °). 

Gegen eine Geldzahlung wurde auch der Herzog Ludwig von 


1) RS 8. 235 ff. 

2) Finke, S. 21 ff., Stehr. I, S. 289; vgl. Aschbach I, S. 404. R. S. 5901. Als 
der Graf von Savoyen Herzog wurde, schenkte er an Sigmund 15000 Dukaten. R. S. 
5161. Justinger, S. 236. 

3) Vgl. Franklin, Das Reichshofgerieht im Mittelalter I, S. 266 ff., s. auch S. 279 
und Windecke, S. 127. 

4) Windecke, S. 196. 

5) Stehr. V, S. 79. 

6) Ennen, S. 203 f. Stehr. XIIT, S. 61 f. 

7) Ennen, S. 188 ff. Stehr. SN S S ORA ALY, 

8) Finke, S. 103 ff. Justinger, S 235. R. S. 2407, 2719, 2431 f., 34, 57, 63, 
71,.70,-76; 

9) Hoffmann, Geschichte der freien und Hansestadt Lübeck, S. 148 ff. 


Das Finanzwesen im Deutschen Reiche unter Kaiser Sigmund. 163 


Bayern wieder zu Gnaden angenommen. Er mußte auf die Rück- 
zahlung von 23000 Dukaten verzichten, welche Sigmund ihm 
schuldete +). 

Wiederholt hôren wir auch von der Einnahme des Reiches 
aus dem Achtschatz, der Buße, welche dem Geächteten auferlegt 
wurde. Allerdings hatte die Acht gegen früher an Bedeutung ver- 
loren, oft konnte sie nicht vollstreckt, konnte ein Urteil nicht aus- 
geführt werden. Achtung vor dem Recht und Furcht vor der Strafe 
war abhanden gekommen). Einigemale läßt sich aber die Zahlung 
des Achtschatzes nachweisen. Rothenburg wurde aus der Acht ent- 
lassen, nachdem es den Achtschatz erlegt hatte). 

Eine Frau von Westernach, deren Mann einen Ritter erschlagen 
und dafür sein Gut verwirkt hatte, wurde erst begnadigt, als sie 
1800 fl. gezahlt hatte‘). Rostock wurde geächtet und in eine Strafe 
von 1400 Mark genommen 5). Conrad von Stein erhält von Sigmund 
den Auftrag, die von Hallenser Bürgern zu zahlende Buße einzu- 
ziehen; ein anderer Bote wird nach Besancon und Toul geschickt, 
um dort Strafgeld für die königliche Kammer einzunehmen ®). 

Die Einkünfte aus dem Reichshofgericht waren in dieser Zeit 
jedenfalls höher als 10000 fl. jährlich. Denn als 1425 Heinrich 
von Plauen zum Hofrichter ernannt wird, überließ ihm Sigmund 
bis zu 10000 fl. Gefälle jährlich aus diesem Amte. Was aus dem 
Achtschatz und anderem mehr einkäme, solle der königlichen Kammer 
zufallen ?). 


5. Die Einnahmen aus Verpfändungen. 


Ueber das Wesen der Verpfändung und die Art der Einnahmen 
daraus ist für die Zeit Sigmunds nichts Neues zu sagen; es sei 
daher auf das für die Regierung Karls IV. ausgeführte verwiesen ®). 
Stellen wir nun zusammen, welche Güter Sigmund verpfändete und 
welche Summen er dafür erhielt, beziehungsweise welche Beträge 
ihm zur Deckung von Ausgaben dadurch erwuchsen. 

(Siehe Tabelle auf S. 164.) 


Daneben verpfändete Sigmund in sehr vielen Fällen Kleinodien 
und Kostbarkeiten. Wir sahen, wie er fast regelmäßig derartige 
Geschenke auf seinen Reisen von den Stadtgemeinden erhielt; sie 
waren aber so gut wie bares Geld, denn Sigmund hatte nichts Eiligeres 
zu thun, als sie in klingende Münze zu verwandeln. So machte er 
es auch mit den Ehrengaben fremder Herrscher. Vom Könige von 


1) Aschbach IV, S. 230. 
2) Franklin I, S. 220. 
3) R. 8. 5001; vgl. auch R. S. 2968—3004, 5190, 5215, 5540, 44. 
4) R. S. 2854. 
5) R. S. 8384. 
6) R. S. 5971, 80, 81. 
7) Thüring. Geschichtsqu. 5,, S. 598. 
8) Vgl. Nuglisch, 8. 95 f. 
11* 


164 


Adolf Nuglisch, 


Erhöhung der 
Lage des Gutes Pfandsumme | Pfandsumme Belegstelle 
um 
Landvogtei i. Elsaß 50000 fl. | R. S. 5447; vgl. Oberrh. 
| Ztschr. 12, N. F., S. 111f. 
Schultheißenamt zu Mülhausen | 2000 2205 
Grafenstaden u. a. 9000 2600, 6000 fl.| 3273, 4051, 6400 
Schulzenamt zu Ehnheim 1300 9749 
Steuer von Schlettstadt u. a. | 1000 986 
Landvogtei Schwaben 19 800 6700 1658, 2508, 5399, 7259 
Mühlen bei Leutkirch 300 6548 
Steuer von Weinsheim und | 1967 '/, 6701 ' 
Schweinfurt 
Steuer von Ulm u, a. 7000 8411 
Judensteuer zu Augsburg 2000 | 8866 
Steuer von Memmingen, Bibe- | 6000 | 10 348, 635 
rach u. a. 
Ammanamt von Bopfingen 200 10 644 
Ammanamt von Memmingen 600 12 021 
Judensteuer im Bistum Kon- | 800 12 055 
stanz | 
Steuer von Eßlingen 6000 ung. fl. 919, 40 
Steuer von Hall 6000 | 1387 
Steuern von Kempten, Ulm, | 27 400 1523, 9, 1623, 30, 2322, 
Konstanz, Reutlingen, Ueber- 2638 
lingen, Giengen 
Kellenhöfe von Lindau 400 | 628, 5005 
Steuern v. Weil u. Dinkelsbühl | 800 Mark 1731 
Ammanamt von Ulm u. a. 3000 2406 
Reichsmühlen bei Ueberlingen | 1000 2119 
u. a. 
Steuer von Reutlingen 3000 600 Dukaten | 3397, 4130 
Steuern von Isny und Wangen | 1650 2812, 35 
Steuer von Donauwörth 4500 | 5086 
Nürnberger Zoll u. a. 20000 ung, fl.| 6986 
Opferpfennig der Nürnberger | 500 7244 
Juden i 
Nürnberger Judensteuer 10 000 8840 
Feldkirch u. a. 5000 10 800 1721, 2083, 2518, 2663, 
5480, 99 
Rheinfelden 8400 3132, 7222, 10415 
Landgericht zu Winterthur u.a, | 3100 2640 
Gesandtschaften der Stadt 3000 3489 
Schaffhausen 
Waldsee, Saulgau u. a. 10 400 3129 
Aarau u. a. 5000 3125 
Zoll zu Basel 1300 4833, 4918 
Baden, Mellingen u. a. 4500 1877 
Steuer von St. Gallen 2000 1878 
Steuer von Wetzlar 7000 1367, 5335 
Schlagschatz zu Frankfurt u. | 3000 1900 | 3400, 13, 11002 
Nördlingen 
Opferpfennig d. Kölner Juden | 1000 400 2670, 3398 
Steuer der Erfurter Juden 1000 11 468 
Sonstige Güter und Rechte des | 56 800 + 34500 + 500, 37, 1798, 1827, 66, 
Reiches 18000 Du- | 600 ung. fl. | 1266, 2127, 2265,91, 2403, 
katen 83, 2925, 4224, 27, 22, 
5135, 5519, 5797, 7571, 
8243, 8571, 8683, 8837, 
8900, 9093, 10463, 848, 981 


in Summa etwa 390 000 fl. 


Das Finanzwesen im Deutschen Reich unter Kaiser Sigmund. 165 


England hatte er zwei goldene Kannen, 5000 nobeln und andere 
goldene Gegenstände erhalten; diese mußte Eberhard Windeck sofort 
in Brügge für 18 000 fl. versetzen !). 

Sigmund muß einen großen Vorrat an diesen Gegenständen 
gehabt haben, da er davon im Laufe seiner Regierung für viele 
Zehntausende von Gulden versetzte ?). 


6) Die Einnahme aus dem päpstlichen Zehnten. 


Im Jahre 1418 hat Papst Martin V. dem Könige für seine Be- 
mühungen um die Einigkeit der Kirche, wie er in einem Briefe an 
Straßburg schreibt, den ganzen Zehnten eines Jahres von allen geist- 
lichen Renten und Nutzen in Deutschland gegeben und zu Ein- 
sammlern den Erzbischof von Riga und die Bischöfe von Branden- 
burg und Passau ernannt. Diese haben eine Anzahl Untereinnehmer 
bestellt, so der Bischof von Passau den Markgrafen von Baden in 
den Diöcesen Konstanz, Basel, Straßburg, Speyer, Worms, Toul, 
Verdun und Metz, der Erzbischof von Riga den Marschall von 
Pappenheim, Hans v. Blumberg und Konrad Münchweiler für Augs- 
burg, Regensburg, Eichstädt, Salzburg, Freising ete. Der Bischof 
von Brandenburg und neben ihm Markgraf Friedrich nehmen den 
Zehnten ein in den brandenburgischen, sächsischen und nordischen 
Bistümern. 

An Stelle des Bischofs von Brandenburg treten für Breslau 
der dortige Bischof und Herzog Ludwig von Brieg und für das Bis- 
tum Lübeck die Stadt. Untereinnehmer sind weiter der Graf v. Lupfen 
und Heinrich Beyer für Lüttich, Utrecht, Münster, Osnabrück, Pader- 
born, Minden, Michel v. Priest, Andreas v. Potenstein und Niklas 
Sifrieds für Passau, Hans v. Bodmann für Chur und Brixen, Fried- 
rich von Brandenburg für Bamberg und Würzburg. In Aquileja 
läßt der Patriarch einsammeln #). 

Die Untereinnehmer liefern das Geld entweder an Boten Sig- 
munds oder an die Haupteinnehmer ab, welche es von Ort und 
Stelle aus auf Anweisung des Königs einem Gläubiger geben. Dazu 
reichen sie schriftliche Aufzeichnungen über Einnahmen und Aus- 
gaben ein und erhalten darüber eine Quittung, wenn jene richtig 
befunden sind {). 

Aus den sächsich-brandenburgischen Bistümern sollen mehr als 
23000 ungar. fl. und 1933 Schock Groschen einkommen 5), In den 


1) Windecke, S. 80, No. 1. Von auswärtigen Herrschern erhielt Sigmund öfter 
Geschenke. Nach der Kaiserkrönung sandte ihm der englische König goldene und 
silberne Halsbänder u. a., die Königin Isabella von Frankreich ließ ihm ein goldenes 
Kreuz mit Edelsteinen überreichen. Aschbach IV, S. 183, Lang, Ludwig der Bärtige 
S. 122. Siehe auch Justinger, S. 237. 

2) R. S. 2287, 2590, 4197, 8238, 86, 90, 8546, 10859. 

3) R. S. 2851a, 3079, 3103, 41, 3241, 3309, 71, 3424, 73, 3567, 96, 7, 3615 
3874, 4628a, 5445. 

4) R. S. 3749, 78, 3853, 6815, 8666. 

5) R. S. 3072, 4058, 4235, 4690, 4730, 2. 


166 Adolf Nuglisch, 


bayerischen Stiftern werden 53033, in Metz, Toul, Verdun 13 500 tl., 

in Lüttich, Münster, Osnabrück, Paderborn, Minden mehr als 13 000 
franz. Kronen, 13 300 fl., 400 ungar. fl., in Bamberg und Würzburg 
4232 fl., in Breslau 500 ungar. fl., in Passau 1100 ungar. fl., 666 Pfd. 
Heller ?), i in Basel, Konstanz, Straßburg, Speyer und Worms 43707 fl. 2} 
eingenommen. Zu diesen Summen, die uns aus Anweisungen und 
Quittungen bekannt sind, werden w ohl noch andere uns unbekannte 
hinzugekommen sein, so daß die Gesamteinnahme eine höhere ge- 
wesen ist. Sie beträgt etwa 170 000 fl. 3), also mehr, als ein Frank- 
furter Gesandter annimmt, der damals an seinen Rat schreibt, der 
Papst habe dem Könige erlaubt, den Zehnten von aller Pfaffheit zu 
erheben, worauf dieser 100 000 #. entlehnt haben soll +). Während 
also Kaiser und Fürsten oft mit Geldschwierigkeiten zu kämpfen 
hatten, die Städte aber behaupteten, sie könnten für das Reich nicht 
viel aufbringen, flossen alljährlich so bedeutende Summen nach Rom 
in die päpstliche Kasse. 


Kap. III. Die Ausgaben des Reiches. 


Die wichtigsten Ausgaben waren die für den Hof und die Be- 
amten und für das Heer. Die sehr große Zahl derer aufzu- 
zählen, die als Beamte und Hofgesinde mit einem Jahresgehalt aus- 
gestattet waren, würde zu weit führen. Es befanden sich unter ihnen 
Vertreter fast ‘aller Gesellschaftsklassen, Geistliche und Weltliche, 
Fürsten, Grafen und Herren, Gelehrte und Ungelehrte. Sie em- 
pfingen zum Teil nur 3—500 fl., oft aber auch viele Tausende). 

Dazu erhielten sie freie Verpflegung auf Kosten des Königs. 
Auf Reisen, zumal beim Aufenthalt in Reichsstädten kamen diese 
oft für den Unterhalt des königlichen Gefolges auf®). Dagegen hatte 
der Kaiser Ausgaben, wenn er einen Bevollmächtigten ausschickte, 
um einen Auftrag zu vollführen. Diese waren manchmal recht be- 
deutend, Weinsberg z. B., welcher in Sachsen und Westfalen in 
Begleitung eines anderen Beamten für den König thätig war, rechnet 
diesem für Zehrung 10 fl. den Tag an?). 

Die zweite Ausgabe des Reiches bestand in der Besoldung der 
Truppen, für die allerdings auch die Stände aufzukommen hatten ë), 
der Instandhaltung der Burgen, Bestellung von Büchsenmeistern, 
Beschaffung von Waffen und Munition °). Mehrmals hatte der Kaiser 


1) R. S. 3074, 80, 3133, 41, 3258, 78, 3309, 2 22, 23, 49, 81, 3581, 91, 92, 67— 
79, 3656, 61, 68, 76, 77, 79, 80, 3712, "4, 3853. 5 Kronen waren = 4 fl. (3456). 

2) R. S. 5164, Fester No. 3451. 

3) Es ist somit unrichtig, was Lindner II, S. 304 sagt, daß von päpstlichen Zehnten 
nicht viel eingekommen wäre. 

4) Janssen I, 8. 319. 

5) Dem Infanten von Portugal verspricht Sigmund 20 000 Dukaten Gehalt, falls 
er an seinen Hof kommt. R. S. 3017. 

6) R. S. 2478, 2508, 3239, 3950. 

7) R. S. 8758 auch 2553. 
S. 8932, 3. 
S. 3621, 2, 5486, 99. 


Das Finanzwesen des Deutschen Reiches unter Kaiser Sigmund. 167 


Geschenke zu machen. Seine Unterthanen fand er dabei mit Ertei- 
lung von Privilegien und Uebertragung von Hoheitsrechten ab, 
auswärtigen Fürsten aber, so dem Könige von England, dem Kaiser 
von Konstantinopel verehrte er Wertgegenstände !). 

Dazu kommen kleine Ausgaben mannigfacher Art, für die Kanzlei, 
für seine eigene Person u. a. m.?). 

Immerhin hat Sigmund noch einen wesentlichen Teil der Bedürf- 
nisse des Reiches durch Einkünfte aus diesem zu decken vermocht 3), 
wenn sie auch nicht mehr genügten. Oft genug zeigen uns die 
Urkunden und lassen uns die Berichte der Zeitgenossen erkennen, daß 
der Kaiser sich in Geldverlegenheit befand. Kredit aber wurde ihm 
dennoch fast stets gewährt und sehr zahlreiche Anleihen konnte er 
bei seinen Unterthanen machen. Bei der Beurteilung seines Ver- 
fahrens im Finanzwesen dürfen wir nicht den modernen Maßstab 
anlegen; die Bestechlichkeit Sigmunds im Gerichtswesen, die Ver- 
pfändung seiner Wertsachen und selbst seiner Krone, überhaupt die 
Art und Weise, wie er sich Geld verschaffte, wurde nicht in dem 
Maße wie heute als unköniglich empfunden. Auch Fürsten und 
Städte haben oft zu bedenklichen Mitteln greifen müssen. 


1) Der König von England erhielt einen großen, kupfernen Leuchter im Werte 
von 1100 Mark (Richental, S. 101), der Kaiser von Konstantinopel 8 vergoldete Becher, 
1000 ungar. fl., Tücher und Pferde. (Windecke, S. 186.) 

2) Anz. für Kunde deutscher Vorzeit N. F. 1872, S. 14. R. S. 2071, 2190, 2223, 
2347. 

3) Seine Gesamteinkünfte zu berechnen, erscheint unmöglich, da die uns bekannten 
Summen kein erschöpfendes Bild geben. 


168 F. W. R. Zimmermann, 


Nachdruck verboten. 


III. 


Die Verfügungsfreiheit über ländliches 
Grundeigentum in ihrem Finfluss auf die 
Grundbesitzverhältnisse im Herzogtum 
Braunschweig. 


Von 


Dr. F. W. R. Zimmermann, Finanzrat (Braunschweig). 


Für die Ausgestaltung der ländlichen Grundeigentumsverhält- 
nisse ist durchweg im Herzogtume Braunschweig nach Maßgabe seiner 
sächsischen Stammesangehörigkeit, die noch jetzt in dem weißen 
Roß des Landeswappens ihren Ausdruck findet, das alte Sachsen- 
recht bestimmend gewesen, dessen Grundsätze über Meierrecht, 
Erbenzinsrecht, Höfegeschlossenheit, Anerbenrecht etc. sich bis in 
die neuere Zeit hinein in unbeschränkter Geltung erhalten hatten. 
Unter dieser den örtlichen und den zeitlichen Verhältnissen ent- 
sprechenden Regelung konnte sich aber ein kräftiger und nach jeder 
Richtung hin leistungsfähiger Bauernstand um so mehr entwickeln, 
als sich die Herzöge des Landes in der richtigen Erkenntnis der 
hohen Bedeutung des Bauernstandes von vornherein desselben energisch 
annahmen und die Bauern gegen die zu willkürlicher Bedrückung 
und Erweiterung ihrer Machtbefugnisse geneigten Gutsherrn schützten. 
So wird man schon als Grundlage der späteren Bauernverfassung die 
allgemeinere Regelung im Vertrage des Herzogs Heinrich mit der 
Landschaft vom 17. Mai 1433 ansehen können; des weiteren folgten 
die Landtagsabschiede vom 3. Juni 1597, vom 27. Januar 1619, vom 
22. November 1643, die allgemeine Landesordnung vom 7. März 1647 
und endlich noch eine größere Anzahl von Landesherrlichen Verord- 
nungen und Reskripten, die sämtlich den einen Hauptzweck hatten, 
den Bauernstand als solchen zu fördern und lebenskräftig unter ge- 
sunden Verhältnissen hinzustellen, dabei aber doch dem Geist und 
dem Bedürfnis ihrer Zeit entsprechend alle die eigenartigen, oben 
schon berührten Beschränkungen des sächsischen Rechts bezüglich der 


Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 169 


bäuerlichen Grundbesitzungen voll zur Durchführung brachten. Die 
auf dieser Grundlage zunächst aufgebaute, normale und durchaus 
günstige Entwickelung des Bauernstandes setzte sich dann aber bis 
in die neue Zeit hinein fort, weil einerseits die allgemeinen örtlichen 
Verhältnisse des Herzogtums und die ganzen Bedingungen des Grund 
und Bodens selbst sich als ungemein vorteilhaft dafür erwiesen und 
weil andererseits die wohlwollende Einsicht der Landesregierung sich 
auch weiter bewährte und stets zeitig die dem älteren Wirtschafts- 
stande entsprechenden, mit dem neueren aber nicht mehr Stand zu 
halten vermögenden Beschränkungen, wenn auch zunächst unter thun- 
lichster Schonung der berechtigten historischen Eigenheiten beseitigte. 
Sogleich nach der Abwerfung der französischen Fremdherrschaft 
wurde unter ausdrücklicher Anerkennung, „wie nachteilig den Fort- 
schritten einer verbesserten Landwirtschaft das Fortbestehen der in 
früheren Zeiten und unter ganz verschiedenen Verhältnissen einge- 
führten Gemeinheiten und solcher Berechtigungen ist, welche der 
freien Benutzung und Beartung des Grund und Bodens beeinträch- 
tigende Schranken setzen“, durch eine Verordnung vom 26. März 
1823, wenn auch in einer beschränkteren Weise eine Teilung der 
Gemeinheiten und Ablösung der Dienstbarkeiten zugelassen und bald 
folgte mit der Neuen Gemeinheitsteilungsordnung und der Ablösungs- 
ordnung, beide vom 20. Dezember 1834, die allgemeine und durch- 
greifende Regelung, auf Grund deren sich die thatsächliche Ausfüh- 
rung schnell und segensreich vollzog. War so der Bauer zum unab- 
hängigen und unbelasteten Eigentümer des in sachgemäßer Weise aus- 
geschiedenen und thunlichst zusammengelegten Grund und Bodens 
geworden, so konnte man sich doch verhältnismäßig länger nicht 
entschließen, den letzten Schritt zu thun und dem Bauer die voll- 
kommen freie Verfügung über seinen entlasteten Grundbesitz zuzu- 
gestehen. Man hielt die seit Jahrhunderten bestehende Geschlossenheit 
der Bauernhöfe und das damit in Zusammenhang gebrachte Verbot 
der Vereinigung mehrerer Bauerhöfe in einer Hand für eine unum- 
gängliche Vorbedingung des bäuerlichen Erbrechts und der sonstigen 
Institute des Bauernrechts; auf die uneingeschränkte Erhaltung dieser 
altbewährten Institute glaubte man aber im Interesse des Bauern- 
standes selbst und des Gemeinwohls überhaupt einen besonders hohen 
Wert legen zu müssen, so daß man jeder denselben irgendwie Gefahr 
bringender Maßnahme von vornherein ablehnend gegenüberstand. Das 
stetige und starke Fortschreiten der Landwirtschaft, das sich im 
Herzogtum Braunschweig vermöge der in der Hauptsache sehr gün- 
stigen Bodenverhältnisse und des früh und schnell zu hoher Ent- 
wickelung gelangten Zuckerrübenbaues mit seinen einschneidenderen 
Nebenwirkungen in einem ganz besonders hohen Grade geltend machte, 
ließ aber das freie Verfügungsrecht über den bäuerlichen Grundbesitz 
als ein notwendiges Bedürfnis immer dringender erscheinen, die An- 
regungen und Anträge auf Einführung einer solchen freien Verfügung 
wurden aus den beteiligten Kreisen immer zahlreicher und konnten 
immer sachgemäßer auf thatsächlich bestehende und zur Geltung 


170 F. W. R. Zimmermann, 


gekommene Beschwerden und Uebelstände hinweisen. Nachdem auch 
die Landesversammlung, in welcher das bäuerliche Element eine ver- 
hältnismäßig sehr große Vertretung hat, sich den letzteren Bestrebungen 
in einem mit ansehnlicher Majorität zur Annahme gelangten Antrage 
angeschlossen hatte und man sich der Unhaltbarkeit des bisherigen 
Zustandes allgemein nicht mehr verschließen konnte, trat nun die 
Landesregierung mit positiven Maßnahmen der Sache näher. Man 
konnte sich aber doch regierungsseitig nicht sofort zu einer direkten 
Aufhebung der bisherigen Geschlossenheit des bäuerlichen Grund- 
besitzes entschließen. Alle die Erwägungen, welche von einem Ein- 
greifen überhaupt zunächst abgehalten hatten, machten sich verstärkt 
gegen diesen sofortigen vollen Bruch mit dem Bestehenden geltend; 
bei dem engen Zusammenhang der Unteilbarkeit der Güter mit den 
sämtlichen sonstigen bäuerlichen Institutionen, dem Anerbenrecht, 
der Interimswirtschaft, der Leibzucht, ja auch dem Schuldenwesen fürch- 
tete man bei sofortiger voller Aufhebung für die Erhaltung eines 
gesunden lebenskräftigen Bauernstandes, und wenn man die hohe 
Bedeutung des letzteren für die Gemeinheit und das Gemeinwohl 
überhaupt berücksichtigt, so wird man ein vorsichtiges und zögerndes 
Vorgehen gewiß nur begreiflich finden. Erst nach fast 10-jährigen 
Verhandlungen mit der Landesversammlung, bei welchen die Landes- 
regierung zunächst nur weitergehende Dispensationserleichterungen 
von den prinzipiell aufrecht zu erhaltenden fraglichen Eigentums- 
beschränkungen zur Einführung bringen wollte, sodann aber auch 
unter dem verstärkten Druck der thatsächlichen Verhältnisse nach 
und nach immer weiter zu der einschneidenden Maßregel hingedrängt 
wurde, kam endlich als Abschluß das Gesetz vom 28. März 1874, 
den bäuerlichen Grundbesitz betreffend, zustande. 

In diesem Gesetz vom 28. März 1874 ist ausdrücklich ausge- 
sprochen: „Die landesgesetzliche Geschlossenheit des bäuerlichen 
Grundbesitzes im bisherigen Sinne und die Rechtsnormen, auf 
denen diese Geschlossenheit beruht, insbesondere die Landtagsabschiede 
etc., welche die Zerschlagung oder Teilung eines Bauernguts oder die 
Veräußerung einzelner Teile desselben verbieten, oder von einer 
Genehmigung der Herzoglichen Landesregierung abhängig machen, 
treten unbeschadet jedoch der dem Bauernrechte eigen- 
tümlichen Institute des Anerbenrechts, der Interims- 
wirtschaft und der Leibzucht, außer Kraft — dergestalt, 
daß dem Eigentümer eines Bauerngutes fortan die Befugnis einge- 
räumt werden soll, über dasselbe und dessen Zubehörungen unter 
Lebenden und von Todeswegen in den gesetzlichen Formen frei zu 
verfügen.“ Damit ist mit der bisherigen, gesetzlich unbedingt gegebe- 
nen Geschlossenheit der bäuerlichen Besitzungen prinzipiell gebrochen. 
Gleichzeitig sind die zur Verhinderung der Vereinigung mehrerer 
Bauerhöfe in einer Hand erlassenen gesetzlichen Anordnungen etc. 
außer Kraft gesetzt. Im Interesse der für die Erhaltung eines 
leistungsfähigen Bauernstandes als so wesentlich erachteten bauern- 
rechtlichen Institute traf man dann aber daneben noch eine Reihe 


Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 171 


wichtiger Anordnungen, welche eine sachgemäße Ergänzung der nun- 
mehr zugelassenen freien Verfügung bilden sollten, um die Einheit 
der Höfe auch unter den veränderten Verhältnissen "soweit thunlich 
und nutzbringend zu wahren. Die vorhandenen Bauergüter sollen 
als solche fortbestehen und auch ferner in Beziehung auf Anerben- 
recht, Interimswirtschaft und Leibzucht nach dem geltenden Bauern- 
rechte beurteilt werden; dasselbe gilt auch für künftig entstehende, 
nicht zu wesentlich anderen als landwirtschaftlichen Zwecken die- 
nenden, bebaueten Wirtschaftsstellen auf dem Lande. Die Grund- 
stücke und Berechtigungen, welche bei einem Bauerhofe bewirt- 
schaftet bezw. benutzt werden, gelten für dessen Zubehörungen und 
bilden mit Einschluß des bebaueten Gehöftes dessen einheitlichen wirt- 
schaftlichen Bestand. Auch nach Abtrennung von Zubehörungen 
bleibt die Eigenschaft eines Bauergutes für das übrig gebliebene be- 
bauete Gehöft und den etwaigen Restbestand der Zubehörungen des- 
selben in Kraft. Die Realrechte Dritter sollen durch die neue gesetz- 
liche Regelung keine Aenderung erleiden; werden einzelne Zube- 
hörungen eines mit privatrechtlichen Reallasten oder mit gegen dritte 
‚Besitzer wirksamen Hypotheken beschwerten Bauergutes veräußert, 
so bleiben dieselben für die Gesamtleistung bezw. für die gesamte 
Hypothekschuld verhaftet. In Ermangelung anderer rechtsbeständiger 
Verfügungen des Erblassers gelangt kraft des für die Bauergüter mit 
Einschluß der Anbauerwesen in Geltung bleibenden Anerbenrechts 
von den vorhandenen mehreren Erben nur Einer (der Anerbe) zum 
Naturalbesitze des Hofes samt Zubehör und Inventar; die übrigen 
erhalten Abfindungen. Das Anerbenrecht, welches übrigens gesetz- 
lich nur für die Nachkommen des Erblassers bestehen und in einigen 
besonders bestimmten Fällen nicht eintreten soll, wird sodann nach 
Eintritt, Gegenstand etc. näher geregelt; wir heben daraus nur her- 
vor, daß der Anerbe mangels giltiger Bestimmung des Erblassers 
und gütlicher Einigung der Beteiligten von dem nach Vorschrift zu 
ermittelnden Werte des Hofes, der Zubehörungen und des Inventars 
seinen Erbteil mit einem so hohen Voraus erhalten soll, als erforder- 
lich ist, damit der Hof bei Kräften bleibe, doch soll das Voraus ein 
Dritteil des ermittelten Hofwertes nicht übersteigen. Des ferneren 
sind über Erbschaftsschulden, Berechnung des Pflichtteils, Leibzucht, 
Abfindungen, anticipierte Erbfolge etc. Sondervorschriften getroffen, 
auf welche hier nicht näher einzugehen steht. Nur soweit nicht in- 
folge rechtsgiltiger Anordnungen des Erblassers oder nach den gesetz- 
lichen Bestimmungen das Anerbenrecht Platz greift, wird bäuerlicher 
Grundbesitz nach den Bestimmungen des gemeinen Rechts vererbt. 

Diese nunmehr seit über ein Vierteljahrhundert in Kraft be- 
findliche gesetzliche Regelung muß als eine glückliche, den Verhält- 
nissen nach jeder Richtung thunlichst Rechnung tragende Lösung 
angesehen werden; von vornherein hat sie, soweit uns bekannt, voll- 
auf befriedigt und auch im Laufe der Jahre zu keinerlei Beschwerde 
Veranlassung gegeben. Der Eigentümer des ländlichen Grund und 
Bodens hat nach dem Gesetz die volle und unbeschränkte Verfügung 


172 F. W. R. Zimmermann, 


über seinen Besitz nach jeder Richtung hin erhalten; er kann ihn 
unter Lebenden beliebig veräußern, er kann Teile davon abtrennen 
oder ihn auch ganz zerstückeln, er kann neue Landerwerbungen 
machen und dieselben mit seinem bisherigen Landbesitz zu einem 
Ganzen vereinigen, er ist in der Lage, sein Eigentum ohne weitere 
Beschränkung hypothekarisch zu belasten und sich dadurch die 
nötıgen Kapitalien für Meliorationen, Einrichtung eines landwirtschaft- 
lichen Industriebetriebes etc. zu verschaffen, er hat schließlich auch 
die weitgehendste Freiheit, von Todeswegen über das Grundeigentum 
zu verfügen, er ist berechtigt, den Hof in Eins zu vererben, kann 
aber ebensogut testamentarisch eine Aufteilung desselben unter die 
Erben festsetzen, desgleichen kann er Teile desselben besonders 
legieren. Damit ist aber die Bewegungsfreiheit bezüglich des länd- 
lichen Grundbesitzes, wie sie im Interesse der vollen wirtschaftlichen 
Entfaltung und der sach- und zeitgemäßesten Ausnutzung desselben 
zu erstreben stand, im vollsten Maße gegeben. Andererseits ist aber 
durch die weiteren Vorschriften des Gesetzes Vorsorge getroften, daß 
die altbewährten bäuerlichen Sondereinrichtungen, und so vor allem 
das die Hauptbasis bildende Anerbenrecht, trotz der eingeführten 
Verfügungsfreiheit sich weiter erhalten konnten; für die thatsächliche 
Erhaltung selbst bürgte aber der durchweg streng konservative Sinn 
der Landbevölkerung und der Umstand, daß jene Einrichtungen tief 
in den Sitten und Gewohnheiten des Bauernstandes wurzelten und 
vollständig in das Rechtsbewußtsein desselben übergegangen waren. 
So war man nach beiden Seiten thunlichst gerecht geworden, die 
Freiheit des Eigentums war gegeben, daneben war aber auch der 
Fortbestand der bewährten bäuerlichen Einrichtungen durch ent- 
sprechende Neuordnung nach Möglichkeit gewahrt. 

Das wesentlichste prinzipielle Bedenken, welches gegen die all- 
gemeine Gestattung einer unbeschränkten Verfügung über das Eigen- 
tum am ländlichen Grundbesitz geltend zu machen ist, besteht darin, 
daß das freie Verfügungsrecht über das Landeigentum zu einer un- 
gesunden Verteilung des Grundbesitzes, zu einer volkswirtschaftlich 
nachteiligen Ausgestaltung der ganzen Besitzverhältnisse führen 
würde. Wie nicht zu leugnen, kann ja allerdings bei einer freien 
Eigentumsverfügung sowohl eine übermäßige Zersplitterung des länd- 
lichen Grundbesitzes wie auch eine übermäßige Anhäufung desselben 
in wenigen Händen stattfinden, die Geschichte giebt uns hierfür zur 
Genüge Beispiele an die Hand. Damit aber, daß die Möglichkeit 
des Eintritts dieser beiden wirtschaftlichen Uebel mit ihren weiteren 
Nebenerscheinungen zugegeben wird, ist noch keineswegs ein Schluß 
auf die Notwendigkeit des früheren oder späteren Eintritts eines 
derselben bei der freien Figentumsverfügung zu ziehen; diese kann 
nicht behauptet werden, denn die Geschichte zeigt uns gleichfalls zahl- 
reiche Beispiele von gesunder Grundeigentumsverteilung auch bei 
Zulassung der freien Verfügung. Jene Uebel der Ausbildung zu 
kleiner oder zu großer Grundbesitzungen sind sonach keineswegs 
als die an sich gegebene Folge der freien Eigentumsverfügung an- 


Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 173 


zusehen; sie werden zwar durch letztere rechtlich ermöglicht, aber 
ihre eigentliche Ursache haben sie doch in der ganzen inneren wirt- 
schaftlichen Entwickelung des abgeschlossenen Gebietes. Diese Ur- 
sachen, welche an sich wieder der verschiedensten Art sein können, 
werden sich stets als mehr oder weniger ungesunde Momente in 
dem wirtschaftlichen Leben darstellen und ebenso wie sie an sich 
schon krankhafte Erscheinungen sind, müssen sie auch weitere krank- 
hafte Zustände wie jene beiden erwähnten in der Grundbesitzverteilung 
zeitigen. Jene auf der mangelhaften wirtschaftlichen Entwickelung 
überhaupt beruhenden Ursachen, mögen sie sein, welcher Art sie 
wollen, müssen aber stets auch einen zwingenden Einfluß auf das 
Hervortreten weiterer Mißstände des wirtschaftlichen Lebens haben. 
Wo eben die freie Verfügung über das Grundeigentum zugelassen 
ist, da äußert sich jener zwingende Einfluß nach einer der beiden 
erwähnten Richtungen hin, es tritt einerseits eine übermäßige Zer- 
splitterung der Grundbesitzungen, ein unverhältnismäßig starkes Vor- 
herrschen der Zwergwirtschaften, andererseits die Ausbildung zu 
großer Grundkomplexe, die Anhäufung des Grund und Bodens in 
wenigen Händen, ein. Besteht aber ein unbeschränktes Verfügungs- 
recht über den Grundbesitz nicht, so kann damit noch keineswegs 
der Einfluß jener ebenso hervortretenden Ursachen überhaupt be- 
seitigt sein; dieser Einfluß wird sich, da er in der einen Richtung 
auf Schranken stößt, in einer anderen Richtung geltend machen, denn 
irgendwie zum Durchbruch kommen muß er auf alle Fälle; ob nun 
aber nicht die Wirkung in dieser anderen Richtung eventuell eine 
wirtschaftlich noch nachteiligere ist, ob dadurch nicht schon von vorn- 
herein eine thunlichst fördersame Ausnutzung des Grund und Bodens 
unterbunden wird, wollen wir dahingestellt sein lassen. Jedenfalls 
wird man aber wohl mit Recht behaupten können, daß größere Miß- 
stände in der wirtschaftlichen Ausgestaltung, wie sie zur Herbei- 
führung einer schädlichen Zwerg- oder Latifundienwirtschaft notwendig 
vorhanden sein müssen, durch eine einzelne Rechtsbestimmung, wie 
die Eigentumsbeschränkung nur in sehr beschränkter Weise und nach 
einer Richtung hin überhaupt berührt, keineswegs aber gehoben und 
in ihrer Gesamtwirkung außer Kraft gesetzt werden können. Wie 
aber danach das Vorhandensein oder das Nichtvorhandensein der 
fraglichen Eigentumsbeschränkung gegenüber der Wirkung größerer 
Mißstände des wirtschaftlichen Lebens für dieses im ganzen nur ver- 
hältnismäßig wenig ausschlaggebend sein dürfte, so kann auch bei 
sonst vollkommen normalen und gesunden Entwickelungsverhältnissen 
der Volkswirtschaft das Bestehen der Eigentumsbeschränkung nicht 
als ein besonderes oder gar notwendiges Schutzmittel gegen wirt- 
schaftliche Anormalitäten, speciell gegen Zwerg- oder Latifundien- 
wirtschaft angesehen werden. Die Gesundheit der wirtschaftlichen 
Verhältnisse ist hier stets dasjenige, auf das das Hauptgewicht ent- 
fallen muß. Ist diese vorhanden, so wird die Beseitigung der Eigen- 
tumsbeschränkung, welche als Rechtsbestimmung für die frühere Zeit 
sich als durchaus zweckmäßig erwiesen hat, aber bei der stärker 


174 F. W. R. Zimmermann, 


fortschreitenden Entwickelung nunmehr ein Hemmnis bildet, kaum 
einen besonderen Einfluß auf eine nachteilige Ausgestaltung der wirt- 
schaftlichen Gesamtlage haben können, und speciell wird sie nicht 
eine solche Wirkung haben können, daß allein durch sie Zwerg- oder 
Latifundienwirtschaft zum Durchbruch gebracht werden würde. In 
der Theorie nimmt man jetzt die Beseitigung der geschichtlich über- 
kommenen, durch die Entwickelung aber überholten Beschränkung 
als etwas der Sachlage vollauf Entsprechendes und auch jetzt mehr 
oder weniger Selbstv erständliches an, zumal da die Frage über das 
Grundeigentumsrecht und die Grundeigentumspolitik überhaupt heute 
sich wesentlich in anderer zum Teil extremer Richtung bewegt und 
so nach Für und Wider behandelt wird. Das Gebiet der Grund- 
eigentumspolitik mit all seinen Einzelheiten erscheint aber für die 
gedeihliche wirtschaftliche Entwickelung eines Staates doch von einer 
so hervorragenden Bedeutung, daß jeder neue praktische Beleg für 
eine einzelne Frage, auch wenn sie nicht mehr wie früher im Vorder- 
grunde der theoretischen Erwägungen steht, noch als erwünscht und 
durchaus beachtenswert zu betrachten ist. Ganz besonders muß 
dieses aber bezüglich der von uns berührten Verfügungsbeschränkungen 
über das ländliche Grundeigentum der Fall sein; man hatte wohl 
praktische Erfahrungen darüber, wie sich die Verhältnisse im einzel- 
nen mit denselben und ohne dieselben gestaltet hatten, wenig aber 
darüber, welche Wirkung speciell auf die Ausgestaltung der einzelnen 
Grundbesitzgrößenklassen die Beseitigung der Beschränkung dort, 
wo sie durch lange Zeit hindurch bestanden, gezeitigt hatte. Dieses 
giebt uns die Veranlassung, die praktischen Ergebnisse, welche mit 
jenem braunschweigischen Gesetz vom 28. März 1874 bezüglich der 
Beseitigung der Geschlossenheit des bäuerlichen Grundbesitzes etc. 
und der Gewährung der vollen Verfügungsfreiheit an den Eigentümer 
erzielt worden, soweit sie speciell nachweisbar hier näher zur Dar- 
stellung zu bringen; das Inkraftsein des Gesetzes, welches ein Viertel- 
jahrhundert schon etwas überschreitet, dürfte gewiß jetzt genügend 
lange sein, um den Einfluß desselben greifbar in Erscheinung treten 
zu lassen. 

Das praktische Ergebnis des Gesetzes läßt sich nun aber nur in 
gewisser Richtung durch sichere, auch zahlenmäßig zu belegende 
Nachweise klarstellen. Unmöglich erscheint dieses zunächst schon 
bezüglich des eigentlichen Zweckes des Gesetzes, ob die durch den 
früheren Rechtszustand für die wirtschaftliche Entfaltung gegebenen 
Hemmnisse durch das die Verfügungsfreiheit unter thunlichster Auf- 
rechterhaltung der speciellen bauerrechtlichen Einrichtungen ge- 
währende Gesetz auch voll und zur Genüge beseitigt worden sind. 
In dieser Beziehung ist man lediglich auf den oben "schon kurz ge- 
machten Rückschluß angewiesen: die früheren Beschwerden bezüglich 
der Beschränkung des Verfügungsrechts über ländliches Grundeigen- 
tum haben sich, "seitdem das Gesetz zu Kraft besteht, nicht wieder- 
holt, gegen das Gesetz selbst — in einem für unsere Betrachtung 
untergeordnetem Punkte hat dasselbe später noch eine Abänderung 


Dic Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 175 


erfahren, was wir hier nur kurz anführen, sonst aber außer acht 
lassen wollen — sind Einwendungen in der nunmehr längeren Zeit 
seiner Geltung nicht vorgebracht, daraus dürfte wohl mit Recht zu 
folgern sein, daß das Gesetz dem vorhandenen Bedürfnisse voll nach- 
gekommen ist, und daß es sich in seiner Durchführung als sachgemäß 
und praktisch erwiesen hat. Da andererseits auch Forderungen auf 
eine weitergehende rechtliche Sicherung für die Erhaltung der alt- 
bewährten bäuerlichen Institutionen nicht gestellt worden sind, so 
wird man um so mehr anzunehmen haben, daß das Gesetz nicht nur 
seinen Zweck erfüllt, sondern sich auch als durchaus zeitgemäß er- 
wiesen hat. Ein weiterer Nachweis für das praktische Ergebnis in 
dieser Beziehung steht uns nicht zur Verfügung. Anders verhält es 
sich nun aber mit der Ergebnisfeststellung in einer anderen allge- 
mein N nn) Beziehung, welche uns hier mehr als der eigent- 
liche Zweck des Gesetzes interessieren dürfte, nämlich der Wirkung, 
welche das Gesetz auf die Verteilung des Grundbesitzes nach der 
Größe der Einzelbesitzungen ausgeübt hat. Es ist dieses eben der 
Kernpunkt für die allgemeine wirtschaftliche Bedeutung des Gesetzes 
und umfaßt jene oben schon berührte Frage, ob die freie Verfügung 
über ländliches Grundeigentum schon an und für sich auf wirt- 
schaftliche Mißstände, wie sie die Zwergwirtschaft einerseits und 
die Latifundienwirtschaft andererseits bedeutet, hinwirkt. In dieser 
Beziehung erweist sich auch ein zahlenmäßiger Nachweis als thunlich. 

Als Ausgangspunkt für die zahlenmäßige Feststellung des Ergeb- 
nisses müssen uns bezüglich des früheren Zeitpunktes die Daten 
dienen, welche in Heft 3 der Beiträge zur Statistik des Herzogtums 
Braunschweig, herausgegeben vom Statistischen Büreau des Herzog- 
lichen Staatsministeriums (1876), S. 77 ft. in der Uebersicht D über 
die Verteilung des landwirtschaftlichen Privatgrundbesitzes nach 
Größe und Zahl der Besitzungen, den Städten (mit Ausnahme der 
Stadt Braunschweig), den Amtsgerichtsbezirken und nach geogra- 
phischen Gruppen zur Veröffentlichung gebracht sind. Es sind hier 
neben anderen für die uns hier lediglich interessierenden Land- 
gemeinden der einzelnen Amtsgerichtsbezirke des Herzogtums sowohl 
bezüglich ihrer Zahl wie bezüglich ihrer Gesamtfläche die Besitz- 
komplexe nach den Größenklassen von unter 0,25 ha, von 0,25—1 ha, 
von 1—5 ha, von 5—10 ha, von 10—15 ha, von 15—20 ha, von 
20—25 ha, von 25—50 ha, von 50—75 ha, von 75—250 ha, von 
50—5 750 ha und von über 750 ha angegeben worden; 
diese Daten sind die einzigen, welche für den früheren Stand zur Ver- 
gleichung heranzuziehen sind. Für die Kennzeichnung des jetzigen 
Standes sind nun die Daten der mit der Berufszählung vom 14. Juni 1895 
verbundenen landwirtschaftlichen Aufnahme nicht verwendbar, weil 
ihnen aus besonderen, hier nicht näher zu erörternden Gründen eine 
Vergleichbarkeit mit den früheren Daten fehlt; dahingegen ließen sich 
bei einer eingehenden Erhebung über die hypothekarische Belastung des 
Grundbesitzes im Herzogtum Braunschweig, deren allgemeine zahlen- 
mäßige Resultate unlängst in Heft 15 der Beiträge zur Statistik des 


176 F. W. R. Zimmermann, 


Herzogtums Braunschweig veröffentlicht worden sind, die bezüglichen 
Daten für die einzelnen früher angenommenen Größenklassen wenig- 
stens mit allgemeiner Vergleichbarkeit feststellen; da die hypothe- 
karische Erhebung auf den Stand vom 1. Januar 1897 gestellt ist, 
so erscheint der Zeitpunkt, weil dem Schlusse des Jahrhunderts 
näher, sogar noch günstiger. Leider ist nun aber die Vergleichbar- 
keit doch keine absolute und in vollem Maße zutreffende, was nament- 
lich in einigen nicht zu hebenden Sonderheiten der älteren Daten 
seine Veranlassung hat. Die früheren Feststellungen sind allerdings 
durch die Bewegung, welche schließlich zu unserem Gesetz vom 
28. März 1874 führten, veranlaßt worden, und gehören deshalb zu 
den materiellen Unterlagen dieses Gesetzes, als welche sie auch be- 
zeichnet worden sind; da aber die fragliche Bewegung schon 10 Jahre 
vor dem Zustandekommen des Gesetzes ihren Anfang nahm und 
man sofort bestrebt war, jene materielle Unterlage zu schaffen, welche 
dann später nicht weiter ergänzt wurde, so sind die Daten auf den 
Stand am Schlusse des Jahres 1861 gestellt und geben also diesen 
unverändert wieder. Wir haben also nicht die Daten unmittelbar vor 
dem Gesetz, sondern weiter zurückliegende. An und für sich würde 
dem nun aber kein so großes Gewicht beizumessen sein, denn in dem 
fraglichen Zeitraum bestanden die Verfügungsbeschränkungen ja noch 
und übten für die Eigentumsveränderung ihren hemmenden Einfluß 
aus; auch war ja unter allen Umständen auf eine gesetzliche Er- 
leichterung der Veräußerung ländlichen Grund und Bodens zu 
rechnen und werden deshalb in Rücksicht genommene Veränderungen 
vielfach bis nach der neuen gesetzlichen Regelung hinausgeschoben 
und eventuell vorläufig nur faktisch zur Durchführung gebracht sein, 
so daß also die älteren Daten noch sehr wohl zur Bezeichnung des 
Standes vor dem Gesetz zu verwerten sein dürften. Beachtenswerter 
muß sich schon das Folgende erweisen. Die Quelle für die älteren 
Daten bildeten die Grundsteuerkataster, aus denen die Zahlen speciell 
feldmarksweise ausgezogen waren; die Einführung der Grundsteuer 
erfolgte für das Herzogtum Braunschweig durch ein Gesetz vom 
24. August 1849; die Festlegung und Erhebung der Steuer geschieht 
nach dem zu schätzenden Reinertrag der Grundstücke, und waren 
diese Schätzungen bis zum Jahre 1858 durchgeführt, so daß also 
die Aufstellung der Kataster etc. erst kurz vor der Extrahierung 
vollendet war; naturgemäß konnte aber eine derartige umfangreiche 
Arbeit, wie die Grundsteuerkatastrierung für das ganze Gebiet 
des Herzogtums sich nicht auf einmal in vollkommen bis in 
das Einzelne genauer Weise vollziehen, und war es deshalb er- 
klärlich, daß in den ersten Jahren nach der Fertigstellung sich noch 
manche Einbesserungen, Nachträge etc. als notwendig erwiesen. 
Diese Veränderungen, welche in den Mängeln der ersten Feststellung 
begründet waren, sind nun aber in unseren Vergleichsdaten eben- 
mäßig nicht berücksichtigt worden, weil diese auf dem Stand vom 
Schlusse des Jahres 1861 basieren. Wenn diese Veränderungen der 
Zahl nach auch vielleicht umfassendere gewesen sein werden, so haben 


Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 177 


sie sich aber sicher weitaus in der Hauptsache nur auf an sich geringe 
Flächengrößen bezogen; einen sichtbaren Einfluß werden sie nur 
auf die Gesamtflächengröße, nicht aber auf die Zahl der Besitz- 
komplexe in den einzelnen Größenklassen gehabt haben oder wenig- 
stens nur auf die Zahl in den untersten Klassen mit dem geringsten 
Besitz. Die Brauchbarkeit unserer Daten wird jedenfalls durch 
diesen Umstand nicht ausgeschlossen, nur ist er natürlich bei An- 
wendung des Ergebnisses entsprechend zu berücksichtigen. 

Daneben sind endlich aber noch zwei Verschiedenheiten in der 
Erhebung hervorzuheben, welche die Vergleichbarkeit beeinträchtigen 
mußten. Bei der ersten Feststellung nach den Grundsteuerkatastern 
sind die Privatgrundbesitzkomplexe ohne Rücksicht auf die Feld- 
marks- und Landesgrenzen berücksichtigt worden; einerseits sind 
daher die außerhalb des Herzogtums belegenen Zubehörungen der 
im Herzogtum belegenen Grundbesitzstellen mit umfaßt, während 
andererseits die bei 'nichtbraunschweigischen Stellen bewirtschafteten 
Flächen des diesseitigen Territoriums außer Rechnung geblieben 
sind. Die jetzige Bearbeitung über die hypothekarische Belastung 
des Grundbesitzes gründet sich auf von den Grundbuchämtern auf- 
gestellte Nachweisungen, welche sodann durch Vergleichung mit den 
Grundsteuerkatastern etc. noch nachgeprüft und vervollständigt sind; 
dabeı sind die einzelnen Komplexe nach ihrer wirtschaftlichen Größe 
aber nur soweit ermittelt, als die Grundstücke im Herzogtum be- 
legen sind, so daß also die Zubehörungen diesseitiger Stellen außerhalb 
der Grenzen des Herzogtums abweichend von der früheren Fest- 
stellung nicht mit erfaßt worden sind; diejenigen Grundstücke aber, 
welche nach den fraglichen Nachweisungen Hofbesitzern in benach- 
barten nichtbraunschweigischen Gemeinden gehörten und von denen 
daher anzunehmen war, daß sie auch von dort aus bewirtschaftet 
werden, sind auch jetzt fortgelassen; ob diese letztere Auslassung 
beide Male ganz übereinstimmend vorgenommen ist, war nicht näher 
nachzuprüfen und muß dahingestellt bleiben. Da bei der zerstückelten 
Lage des Herzogtums und der unverhältnismäßig großen Länge 
seiner nur wenig durch Natur gesteckten Grenzen das Ueber- 
greifen der Höfe über die Landesgrenze eine ziemlich häufige Er- 
scheinung ist, so muß sich die verschiedenartige Feststellungsweise 
allerdings stärker bemerkbar machen und das Resultat einer Ver- 
gleichung beeinflussen; es muß dadurch ein stärkeres Hervortreten 
der unteren Größenklassen mit den geringerem Grundbesitz bewirkt 
werden, da eine Anzahl von Höfen jetzt nur mit einem Teil ihres 
Wirtschaftsareals, also als kleinere erscheinen. Außerdem hatte sich 
die frühere Feststellung ganz ausschließlich auf den landwirtschaft- 
lichen Privatgrundbesitz bezogen und deshalb die Forstgrundflächen 
im Privatbesitz gänzlich außer Betracht gelassen. In die Nach- 
weisungen der Grundbuchämter, die Grundlage der jetzigen Erhebung, 
waren aber naturgemäß sämtliche in die Grundbücher eingetragenen 
Bodenflächen aufgenommen, also auch die Privatforstflächen und zwar 
ungesondert von dem übrigen landwirtschaftlich genutzten Grund 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 12 


178 F. W. R. Zimmermann, 


und Boden; eine allgemeine nachträgliche Ausscheidung der Privat- 
forstflächen ließ sich aber nur mit größeren Weiterungen und um- 
fangreicherer Arbeit ins Werk setzen, man mußte sich deshalb be- 
gnügen, diese Ausscheidung lediglich für die Rittergüter, welche 
meist mit bedeutenderem Forstbesitz in Frage kommen, vorzunehmen. 
Da aber, abgesehen von denen der Rittergüter, die als Sonderbesitz 
ausgeschiedenen Privatforsten der ländlichen Grundbesitzer meist 
nur von untergeordneter Bedeutung sind, so wird diese Erhebungs- 
verschiedenheit, obgleich sie sich natürlich immerhin bemerkbar 
machen kann, doch keinen so hervorragenden Einfluß haben, daß 
man deshalb von einer Vergleichung der beiden Resultate überhaupt 
Abstand nehmen müßte; der Einfluß wird zudem teilweise den ent- 
gegengesetzten des erstberührten Erhebungsunterschiedes ausgleichen, 
so daß sich in den Enddaten beide weniger bemerkbar machen. 

Alle die vorbezeichneten Unstimmigkeiten zwischen beiden zur 
Vergleichung zu bringenden Erhebungsresultaten, wenngleich sie im 
einzelnen und für sich nicht als erheblich ausschlaggebende zu be- 
zeichnen waren, dürften aber doch in ihrer Gesamtheit bis zu einem 
gewissen Grade einen die Vergleichung störenden Einfluß ausüben 
können. Dieses muß namentlich bei den Daten über die Gesamt- 
flächen in den einzelnen Größenklassen hervortreten, weil hier die 
einzelnen Ungleichheiten summiert erscheinen und eine Ausgleichung 
im wesentlichen nicht stattfinden kann. Thatsächlich zeigte sich 
dieses auch bei den in Vergleich gestellten Flächendaten in höherem 
Maße, bei der jüngsten Erhebung war ein nicht unbeträchtlicher 
Flächenüberschuß vorhanden, der zu einem immerhin nennenswerteren 
Teil sich ursächlich im einzelnen nicht bestimmen ließ. Unter diesen 
Umständen glaubten wir davon Abstand nehmen zu sollen bezüglich 
der Gesamtflächengrößen der einzelnen Klassen unsere Vergleichung 
durchzuführen und hier zur Darstellung zu bringen. Anders ver- 
hält es sich aber mit den Daten über die Zahl der in den ein- 
zelnen Größenklassen vorhandenen Besitzkomplexe. Hier kann der 
Einfluß weniger in Erscheinung treten, und ist auch weniger in Er- 
scheinung getreten, auch kann die im ganzen bekannte Richtung 
dieses Einflusses bei der Würdigung der Ergebnisse entsprechend 
berücksichtigt werden; er tritt auch am hauptsächlichsten gerade in 
den untersten Größenklassen hervor, in denen die meisten Besitz- 
komplexe vertreten sind und bei welchen es sich immer schon um 
verhältnismäßig größere Zahlenmassen handelt. In den Daten über 
die Zahl der Komplexe müssen wir deshalb trotz jener Unstimmig- 
keiten noch immer ein brauchbares statistisches Material erkennen, 
das wir unbedenklich unter den entsprechenden Vorbehalten ver- 
werten können; wir glauben dieses aber um so mehr zu sollen, als 
das Material für die Beurteilung der von uns berührten Frage an 
und für sich ein sehr spärliches ist. 

Um die Zahlenangaben hier nach Thunlichkeit zu beschränken, 
unterlassen wir es, die früheren und die jetzigen Daten über die 
Zahl der Besitzkomplexe in den einzelnen Größenklassen einander 


Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum ete. 179 


gegenüberzustellen, wir geben vielmehr lediglich das Resultat aus 
der Vergleichung der beiden Daten für die einzelnen Klassen. Dabei 
ist die frühere Einteilung ‚in die oben schon angeführten 13 
Größenklassen beibehalten, weil dieselbe sich für die neueren Daten 
unschwer durchführen ließ und für äußere Zwecke auch die Heraus- 
hebung einer größeren Anzahl von Klassen sich nur als förderlich 
erweisen konnte; zudem ließ sich die in neuerer Zeit allgemeiner 
übliche und auch von der Reichsstatistik für die Bearbeitung der 
landwirtschaftlichen Betriebsaufnahme angenommene Einteilung in 
Parzellenbetriebe (bis zu 2 ha), kleine, mittlere und große Bauern- 
wirtschaften (2—5 ha, 5—20 ha, 20—100 ha) und Großbetriebe 
(über 100 ha) wegen des Fehlens der Abstufung von 2 ha und 100 ha 
in den älteren Daten für eine Vergleichung nicht verwenden. Als 
Bezirke sind die Amtsgerichtsbezirke gewählt, weil es zweckent- 
sprechend erschien, hier auf die kleinsten Abgrenzungen über den 


Ortsgemeinden — diese selbst zu berücksichtigen hätte zu weit ge- 
führt — zurückzugreifen; eine Zusammenziehung für die Kreise, 


die größeren Verwaltungsbezirke des Herzogtums, dürfte kein all- 
gemeineres, sondern lediglich ein lokales Interesse bieten und ist 
deshalb unterlassen, nur für das Herzogtum insgesamt ist das Schluß- 
ergebnis gezogen. Da die angegebenen Veränderungen immer 
doch nach Maßgabe der Gesamtzahl der überhaupt vorhandenen Be- 
sitzkomplexe zu bewerten sein müssen, so ist in der ersten Daten- 
kolumne diese Gesamtzahl der in den einzelnen Amtsgerichtsbe- 
zirken jetzt, also für 1897, festgestellten Besitzkomplexe angegeben. 
Die Daten umfassen ausschließlich die ländlichen Grundbesitzungen, 
nur die Landgemeinden sind in Rücksicht gezogen, die Städte da- 
gegen anßer Betracht gelassen; eine Ausnahme ist nur bezüglich 
der jetzigen Stadt Bad Harzburg gemacht, weil dieselbe zur Zeit 
der früheren Feststellung noch zu den Landgemeinden gehörte. Be- 
rücksichtigt ist ferner nur der Privatgrundbesitz, das Grundeigentum 
des Staats, der Gemeinden, Kirchen etc., welches sich im Herzogtum 
Braunschweig auf etwa 40 Proz. der Gesamtfläche (vorwiegend durch 
den Forstbesitz) beläuft, ist nicht mit in Rechnung gebracht. Die 
ländlichen Privatgrundbesitzungen haben aber sämtlich Beachtung 
gefunden, auch dann, wenn sie lediglich aus bewohnten Gebäuden 
ohne landwirtschaftlich bebaute Fläche bestanden. Gleichzeitig wollen 
wir hier aber noch hervorheben, daß sich unter der Gesamtzahl der 
landwirtschaftlichen Privatbesitzungen nur 72 nicht bäuerliche be- 
finden, darunter 59 Rittergüter; von der Grundfläche im Privatbesitz 
entfällt auf die nicht bäuerlichen Besitzungen etwa der 12. Teil, so 
daß also das bäuerliche Besitztum stark vorwiegend ist. Wir lassen 
nunmehr die Tabelle folgen: 
(Siehe Tabelle auf S. 180.) 

Wenn wir nun zunächst die Veränderungen in den Größenklassen 
an sich, bei der Klasse mit dem größten Grundbesitz beginnend, ein- 
zeln ins Auge fassen, so zeigt uns die oberste Klasse mit einem Be- 
sitz von mehr als 750 ha keinerlei Veränderung, sie ist übrigens nur 

12* 


F. W. R. Zimmermann, 


180 


5 45 Absolute Zahl der Zunahme (+) bezw. Abnahme (—) der ländlichen Besitzkomplexe 
A _ #82 0,25 | 1 5 10 | 15 | 20 | 25 | 50 | 75 | 250 | 500 |750 ha 
z | Amtsgerichtsbezirk |3 S o| unter | bis | bis | bis | bis | bis | bis | bis | bis | bis | bis | bis | und |Insge- 
E & © 0,25 ha! unter | unter | unter | unter | unter | unter | unter | unter | unter | unter | unter | dar- | samt 
Eis m 1 ha | 5 ha |10 ha |15 ha|20 ha | 25 ha|50 ha |75 ha [250 ha 500 ha|/750 ba über 
D DH SES Ee 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 18 | 14 | 15 | 16 | 17 
1 | Riddagshausen lus + 694|+ 178+ 178] — 23| + 28|— 7|+ ge 5|+ 12|+ 2|t+o|-+o|-+ 0 |+ıo61 
2 | Vechelde 2156|+ 444/+ 68+ 138) — 30|— 131 — 6|)+ 2|+3ıl+ 3|1+ 3|—: S + 639 
3 | Thedinghausen 588|+ 28+ 49+ 38 — 23|+ 4|+ o|[—10|+ "lt zt o S d é + 89 
4 | Wolfenbüttel 2093|+ 678 + alt  1|— 55|— 13| E 0o|— 3|+ 6/+ 3/+ Alto . . + 742 
5 | Schöppenstedt 1501 |+ 367)+ 157)— 31|— 13|+ Läit 6|— 9|— ıı + ı)+ 2|+ı š è + 482 
6 | Salder 2112|+ 492+ 40— 16] — 75|— 12| + 151 + 11|[+ 2|+ 4|+ 2] +o à š + 463 
7 | Harzburg (inkl. Bad 
Harzburg 1230|+ 557+ mt 60 + o|+ 15|+ Alt 5|+11|+ it? a S + 667 
8 | Helmstedt 420 + 61+ 22+ 26[— 1|— 1|— 8j— ı0|)+ 2|+ 2|+ 3|+o . + 96 
9 | Schöningen GIE 327)+ 67— 21 —66\— 4|+ 5|— 2|— 18|+ 4|+ 6 S S + Jk 317 
10 | Königslutter 1386|+ 272+ 99— 4+ 6|+ 13)— 7|— 5|+13|+ 2|+ o : e + 389 
11 | Vorsfelde 1717 + Got 97|+ 305| + Bolt 161 + 6|— 1|— 8|+ 7|+ 7|-ı + 637 
12 | Calvörde 592|+ 31+ 25+ 91 + 41|+ 32 + 7|+ 3|— 25|+ 19 + 3| +1: + 228 
13 | Gandersheim 1229 + 125 + 66— 57 — 26| + 40|+ 27|— 1|+ 37|+ 6|+ o| +1 + 218 
14 | Seesen 1207 |+ 108+ 86+ 5ı— 8|+ 11|[+ 7|+ 10|[+ 16|+ 2|= 2|+o . + 281 
15 | Lutter a. Barenberge | 1739 |+ 241|+ 233) + 69 — 24|+ 10[— 3/+ Alt 24|+ 1|+ 2| To! . . [+ 557 
16 | Greene 996 + Soit 1383 + 86 — ı9| + 14|— 10|[+ o|+ mit 8|— ı 5 ë + 290 
17 | Holzminden (exkl. 
Altendorf 994 |+ 105|+ 113]+ 56[+ 9|+ 4|— 4|— 1[— 2 + 1|+ o S j + 281 
18 | Stadtoldendorf 1237|+ S1l+ 94|+ 141| + 32|— 13|— 6|+ 2|+ 8|+ 2|— 2| +2 à + 311 
19 | Eschershausen 1388 + 190 + 421+ 46, — ıı + 5|— Alt ı|+ 9|+ 3)— ı) +0 à + 281 
20 | Ottenstein 636 + "Dt 52+ 4+ 7|+ 4|— 3,— 5|+ o 4 a +1 + 135 
21 | Blankenburg 1577 |+ 302|+ 143]+ 60 + 4|— 4|+1ı2|+ 4|— 2|+ oļ— 3 +2 . + 518 
22 | Hasselfelde 880|+ melt ot 44 — 2|+ 7|— 4|— 3|+ o A S | e , |+ 267 
23 | Walkenried 23 | Walkenried | 773|+ lr 76+ si Bless Sick 0]— x e e À + 183 
Herzogtum insgesamt "Herzogtum insgesamt |30 159 |+5523|+ 2087| + 1329| —202 | + 15: —202 | +154 | + 26 | — 4| +103 | + 83 | + 28 | ka | + 1| £ 0 |+9132 


Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 181 


in einem Amtsgerichtsbezirk vertreten. In die zweite Klasse — 
Besitz von 500—750 ha — ist eine Besitzung (Ottenstein) wie deut- 
lich ersichtlich aus der vorhergehenden Klasse (mit weniger Grund- 
besitz) hineingerückt, die Klasse ist auf diese Weise jetzt bei 2 Amts- 
gerichtsbezirken vorhanden. Besitzungen der dritten Klasse mit 250 
bis 500 ha kommen schon in den meisten Amtsgerichtsbezirken vor, 
nämlich in 15 und nur in 8 nicht; bei 7 von diesen 15 hat eine Ver- 
änderung in der Zahl der Besitzkomplexe überhaupt nicht statt- 
gefunden ; bei 3 derselben hat sich die Zahl der Besitzungen je um 
eine vermindert, der eine Fall (Ottenstein) entspricht dem bei der 
vorigen Klasse berührten Zuwachs, bei den beiden anderen (Vechelde, 
Vorsfelde) ist je ein Komplex in die untere Klasse zurückgegangen ; 
bei 3 Amtsgerichtsbezirken hat die Klasse um je eine, bei 2 um je 
2 Besitzungen zugenommen, in den beiden letzteren Fällen (Stadt- 
oldendorf, Blankenburg) hebt sich wiederum deutlich der Uebertritt 
aus der nächst unteren Klasse ab. Die nächste Klasse von 75 bis 
250 ha kommt nur in 3 Amtsgerichtsbezirken nicht vor, bei 4 der 
20 vertretenen Bezirke ist sie unverändert geblieben; eine Abnahme 
der Besitzungen tritt bei 5 Bezirken in Erscheinung und zwar be- 
trägt dieselbe in 2 Fällen je eins, in 2 Fällen je 2, und in einem 
Falle 3; bei 2 Bezirken (Stadtoldendorf, Blankenburg) hatten wir die 
ganz oder im wesentlichen entsprechende Verschiebung nach oben 
schon hervorzuheben, bei einem (Seesen) hebt sich wieder die Ver- 
schiebung nach unten in der Zahl der niedrigeren Klasse scharf ab, 
während diese Verschiebung nach unten bei den übrigen in dem 
stärkeren Zuwachs der niedrigeren Klasse verschwindet; von den 
11 Bezirken mit einer Zunahme in dieser Klasse weisen 4 je 2 Be- 
sitzungen, 4 je 3 Besitzungen, einer 4, einer 6 und einer 7 Be- 
sitzungen mehr auf, ein ständiger oder auch nur annähernder Ausgleich 
mit einer der beiden unmittelbar anschließenden Größenklassen findet 
bei diesen nicht statt, meist zieht sich eine Bewegung nach oben schon 
durch die anschließenden unteren Klassen hindurch. Die vor- 
behandelten 4 Klassen müssen wir als den Großbesitz umfassend an- 
sehen, wenn auch die niedrigste derselben etwas tiefer als die sonst an- 
genommene Großbesitzgrenze hinabgreift, auf 75 ha statt auf 100 ha. 
Wenn wir die Veränderungen dieser Klassen insgesamt zusammenfassen, 
so können wir dieselben nur als verhältnismäßig unbedeutendere be- 
zeichnen. In der größeren Zahl der Bezirke heben sich die Ver- 
änderungen ganz oder doch zum wesentlichen in sich oder mit der 
unmittelbaren Vorklasse auf, sehen wir von den Veränderungen um 
einen Besitzkomplex ab, so haben wir ein Zunehmen der Groß- 
grundbesitzungen nur in 10 Amtsgerichtsbezirken (Riddagshausen 
um 2, Vechelde um 2, Wolfenbüttel um 4, Schöppenstedt um 3, 
Salder um 2, Helmstedt um 3, Schöningen um 6, Vorsfelde um 6, 
Calvörde um 4 und Lutter am Barenberge um 2) und eine Abnahme 
in einem Bezirk (Seesen um 2) zu verzeichnen. Von einer zu starken 
Abnahme des Großgrundbesitzes wird bei der Sachlage unter keinen 
Umständen geredet werden können, in dem einen Fall findet die 


182 F. W. R. Zimmermann, 


Ausgleichung schon in der nächst niedrigeren Klasse statt. Aber ebenso- 
wenig ist die Zunahme als eine unverhältnismäßige oder besonders 
große anzusehen. Die absolute Zunahmezahl kommt 2mal auf 
6, 2mal auf AA 2mal auf 3 und 4mal auf 2, das sind doch an 
sich keine bedeutenden Zunahmen. Dabei ist aber noch zu be- 
achten, daß bei diesen Zunahmen zum mindesten jene eine der be- 
rührten Erhebungsverschiedenheiten sich stärker geltend gemacht 
haben wird, nämlich die verschiedenartige Behandlung der Forsten ; 
Forsten haben gerade vorwiegend die größeren Besitzungen und 
werden deshalb hier durch die bei der neuen Erhebung vorgenommene 
Einziehung des Forstbesitzes verschiedentlich Besitzkomplexe in die 
höhere Klasse gerückt sein, so daß sich die thatsächliche Verände- 
rung noch wesentlich geringer gestalten wird. Nicht zu übersehen 
ist auch, daß die Zunahme fast allein auf die niedrigste der 4 Klassen 
kommt, über 250 ha hinaus hat sich also die Vergrößerung der 
Grundbesitzkomplexe kaum ausgedehnt. Auch die relative Zunahme 
kann unter diesen Umständen nicht als eine besonders hervorragende 
bezeichnet werden. Vor der gesetzlichen Aufhebung der Verfügungs- 
beschränkungen über das ländliche Grundeigentum wurde befürchtet, 
daß die unbeschränkte Verfügungsfreiheit zu einer Anhäufung des 
Grundbesitzes in wenigen Händen, zu einem zu starken Vorherrschen 
des Großgrundbesitzes führen werde; für diese Befürchtung giebt 
das in unseren Daten enthaltene Ergebnis des ersten Vierteljahr- 
hunderts mit Verfügungsfreiheit jedenfalls keinerlei Anhalt; die an 
sich wenig bedeutenden Verschiebungen bezüglich des Großgrund- 
besitzes können als eine Vorstufe oder als ein erster Schritt zu einem 
sich in ungesunder Weise fortgesetzt verstärkenden Umsichgreifen 
des Großgrundbesitzes oder gar als ein Anfang zu einer Latifundien- 
wirtschaft hin unter keinen Umständen aufgefaßt werden, dazu bleiben 
sie nach jeder Richtung hin in zu geringen Grenzen; durch die 
nachgewiesene Entwickelung dürfte daher jener Befürchtung wohl 
der Boden entzogen sein. Bemerkt sei übrigens noch, daß die Be- 
zirke, in welchen eine Zunahme der Zahl der Großbesitzkomplexe 
hervorgetreten ist, gerade wiederum auch zu «denjenigen gehören, 
welche sich durch besonders günstige Bodenverhältnisse und starke 
landwirtschaftliche Entwickelung (Weizenboden, Rübenkultur) aus- 
zeichnen; eine Ausnahme bilden nur die beiden Amtsgerichtsbezirke 
Vorsfelde und Calvörde, bezüglich derer aber ein ganz besonderer 
Grund für diese und noch weitere Sondererscheinungen bei den- 
selben (Gemeinheitsteilungen) vorliegt, worauf wir demnächst noch 
kommen werden; auch für die Verschiebung gerade in den Bezirken 
mit hoch entwickelter Landwirtschaft werden wir demnächst noch die 
Ursache zu erklären haben. 

In den folgenden Klassen, von denen die nächsten drei die 
eroßen Bauernwirtschaften umfassen, treten trotz des geringen Ab- 
stufungsmaßes ungleich größere Zahlen für die Veränderungen in 
Erscheinung. Die nächste Klasse mit den Besitzkomplexen von 
D vo ha ist in den 3 gleichen Amtsgerichtsbezirken wie die vor- 


Die Verfügungsfreiheit über ländliches Gründeigentum etc. 183 


behandelte nicht vertreten, in einem Amtsgerichtsbezirke ist sie ohne 
jede Veränderung und in den übrigen 19 Bezirken hat sie überall 
eine Vermehrung der Besitzkomplexe aufzuweisen, abgesehen von 
der niedrigsten Klasse das einzige Mal, daß eine Abnahme für einen 
Bezirk gänzlich fehlt. Die Zunahme selbst zeigt eine stärkere Diffe- 
renz; in der großen Mehrzahl der Bezirke, nämlich in 12, kommt sie 
allerdings nur auf 3 in maximo, in 5 Bezirken überschreitet sie 3, 
bleibt aber unter 10, und endlich in den beiden übrigen geht sie 
über 10 hinaus bis zu dem Maximum von 19 (Calvörde); es findet 
sich also immerhin eine Anzahl beachtenswerterer Zunahmezahlen. 
Eine unmittelbare, in den Zahlen übereinstimmende Ausgleichung 
mit einer der anschließenden Klassen zeigt sich nur bei einem Be- 
zirk, Seesen, wie wir schon bei der vorigen Klasse hervorzuheben 
hatten. Für diese Klasse ist also eine unverkennbare und ziemlich 
durchgängige Erhöhung der Besitzungenzahl eingetreten, die sich 
für das ganze Herzogtum auf 83 beläuft und gegenüber der früheren 
Gesamtzahl von 237 auch als erheblich anzusehen ist. Kein so 
gleichmäßig nach einer Richtung hin sich bewegendes Bild hat die 
folgende Klasse mit den Besitzungen von 25—50 ha aufzuweisen, 
in welcher nunmehr aber ebenso wie in sämtlichen weiteren Klassen 
alle Amtsgerichtsbezirke vertreten sind. Es sind hier zunächst 2 
Amtsgerichtsbezirke, in denen sich die etwaigen Veränderungen nach 
beiden Seiten hin ausgleichen. Sodann kommen hier 8 Bezirke 
mit einer Abnahme der Besitzkomplexe vor, welche stellenweise schon 
auf an sich höhere Zahlen kommt, denn in einem Fall beläuft sie 
sich auf 25, in 2 weiteren überschreitet sie 10, je in einem kommt 
sie noch auf 4 und 5, während sie in den übrigen auf 3 und 
darunter bleibt. Bei der Hälfte dieser Amtsgerichtsbezirke tritt eine 
Ausgleichung dieser Abnahme durch eine Zunahme anderer Klassen 
ganz oder doch im wesentlichen nach oben hin ein, bei der anderen 
Hälfte ist dieses aber nicht der Fall. Bei 13 Amtsgerichtsbezirken, 
also bei mehr als der Hälfte, zeigt sich endlich eine Zunahme der 
Komplexzahl, welche sich auch zum Teil in höheren Zahlen be- 
wegt; 2 Bezirke überschreiten die Zahl 30 mit dem Maximum 37, 
einer steht zwischen 20 und 30, 4 zwischen 10 und 20, 3 zwischen 
5 und 10 und die übrigen 3 bleiben unter 5; eine auch nur an- 
nähernd unmittelbare Ausgleichung mit den nächst anschließenden 
Klassen findet bei den Zunahmefällen hier niemals statt. Insgesamt 
bei der Zusammenziehung für das Herzogtum überwiegen die Zu- 
nahmefälle um 103: ist dieses an und für sich auch eine nicht un- 
erhebliche Gesamtvermehrung, so ist sie im Verhältnis doch bei 
weitem nicht so stark, wie die der vorbehandeiten Klasse, weil die 
Summe der fraglichen Besitzungen sich hier früher auf 1412 belief; 
für einzelne Amtsgerichtsbezirke ist allerdings die verhältnismäßige 
Zunahme reichlich ebenso stark oder auch stärker, wie die der vorigen 
Klasse. Zu den großen Bauernwirtschaften gehören schließlich noch 
die Besitzungen von 20—25 ha, deren Klasse aber der vorigen 
gegenüber ein ziemlich abweichendes Bild aufzuweisen hat. Die Zahl 


184 F. W. R. Zimmermann, 


der Bezirke ohne Veränderung ist hier allerdings die gleiche wie 
vorher, nämlich 2. Die Bezirke mit einer Abnahme der Besitz- 
komplexe bilden dann aber die Mehrheit, wir haben 11 derselben; die 
Abnahme selbst kommt aber nicht so hoch, denn das Maximum der- 
selben beträgt 10, es zeigt sich in 2 Fällen, 1mal finden wir daneben 
noch 9, 2mal 5 und 6mal 3 und weniger; nur vereinzelt tritt eine 
unmittelbare Ausgleichung mit einer der beiden anschließenden Klassen 
hervor. Auch die Zunahme, welche für 10 Fälle zu konstatieren ist, 
erweist sich durchweg niedriger wie vorhin; 11 haben wir einmal 
als Maximum, daneben 1mal 10 und 1mal 5, sämtliche übrigen Bezirke 
bleiben unter 5; auch hier verwischt sich wie für die Folge über- 
haupt durchweg die Ausgleichung mit den nächstliegenden Klassen. 
Insgesamt stellt sich hier für das Herzogtum eine Abnahme der frag- 
lichen Besitzkomplexe um 4 heraus, eine Abnahme, die im Verhältnis 
zu der früheren Zahl der Komplexe von 701 allerdings nur als sehr 
gering zu erachten ist. 

Wenn wir nun aber wiederum die vorbehandelten 3 Größen- 
klassen zusammenfassen und damit ein Resultat für die großen 
Bauernwirtschaften ziehen, so läßt sich nicht verkennen, daß die großen 
Bauernwirtschaften während unseres Zeitraumes sich im Herzogtum 
vermehrt haben, daß in der Verteilung des Grundbesitzes eine Ver- 
schiebung zu ihren Gunsten stattgefunden hat. Insgesamt für das 
Herzogtum hat sich die Zahl der großen Bauernwirtschaften um 182 
gehoben und wenn man hiervon auch einen Teil wegen der Mängel 
der Vergleichbarkeit — von diesen werden hier neben der noch 
größeren Einfluß habenden verschiedenen Behandlung der Forsten 
auch schon die teilweise Lückenhaftigkeit der früheren Erhebung 
und die ungleiche Berücksichtigung der auswärtigen Hofzubehörungen 
wesentlich in Frage kommen — in Absatz bringt, so wird doch immer 
noch eine an sich beachtenswerte Zahl übrig bleiben, welche die all- 
gemeine Fortentwicklung nach der vorbezeichneten Richtung hin 
außer Frage läßt. Innerhalb der einzelnen Amtsgerichtsbezirke hebt 
sich aber doch eine Verschiedenheit in der Entwickelung ab; bei 
der größeren Mehrzahl derselben macht sich allerdings die Ver- 
schiebung zu Gunsten der großen Bauernwirtschaften geltend; bei 
7 derselben zeigt sich eine Zunahme in allen 3 Klassen, bei 6 
weiteren überwiegt die Zunahme die vereinzelt und fast durch- 
weg nur in der niedrigsten Klasse auftretende Abnahme und zwar 
zum Teil nicht unerheblich, bei einem findet nahezu ein Ausgleich 
statt und bei 9 macht sich eine Abnahme bemerkbar, welche aber 
bei den meisten verhältnismäßig gering ist und eigentlich nur bei 
2 Bezirken, die wiederum gerade zu den am meisten entwickelten 
gehören, eine größere Bedeutung hat. Uebrigens tritt die Verschiebung 
nach oben hin auch innerhalb der Kategorie der großen Bauernwirt- 
schaften selbst noch in Erscheinung, denn die niedrigste Klasse der- 
selben zeigte ja überwiegend eine Abnahme und sonst nur meist 
eine geringe Zunahme, während wir in der höchsten Klasse aus- 
schließlich Zunahmen hatten und in der mittleren die Zunahmen 


Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 185 


ganz wesentlich überwogen und vielfach auch eine ansehnlichere Hühe 
erreichten. Ist es aber auch unverkennbar, daß seit der Zulassung 
der freien Verfügung über den ländlichen Grundbesitz die Verteilung 
desselben sich in etwas zu Gunsten der großen Bauernwirtschaften 
verschoben hat, so kann in dieser Entwickelung keineswegs etwas 
an und für sich Ungesundes gefunden werden, und namentlich wird 
man sie ebensowenig wie die geringe Zunahme des Großgrund- 
besitzes als eine Hinneigung zur Latifundienbildung ansehen können, 
man wird dieses auch nicht in Verbindung mit jener Zunahme des 
Großgrundbesitzes. 

Die 3 nächsten Größenklassen bilden die mittleren Bauern- 
wirtschaften. Für die sich unmittelbar anschließende Klasse mit den 
Besitzkomplexen von 15—20 ha tritt uns ein von der vorher- 
gehenden letzten Klasse der großen Bauernwirtschaften nicht sehr 
abweichendes Bild entgegen, obwohl das schließliche Gesamtresultat 
für das Herzogtum hier mit einem Plus von 26 Komplexen ab- 
schneidet; gegenüber den früher gezählten 1004 Besitzungen dieser 
Klasse bedeutet das aber ebensowenig eine nennenswerte Verschiebung, 
wie die geringe Abnahme der vorhergehenden Klasse. Unter den 
einzelnen Amtsgerichtsbezirken haben auch hier die mit einer Ab- 
nahme der Komplexzahl das Uebergewicht, wir haben deren 12; 
das Maximum der Abnahme kommt hier gleichfalls, wenn auch nur 
in einem Falle, bis auf 10, zwischen 5 und 10 stehen 5 und unter 5 
6 Bezirke. In 2 Amtsgerichtsbezirken tritt eine Ausgleichung ein, 
so daß sie eine unveränderte Besitzungenzahl zeigen. Eine Zu- 
nahme weisen demnach 9 Bezirke auf, doch ist diese in einzelnen 
derselben besonders hoch, wodurch eben bewirkt wird, daß das Ge- 
samtresultat für das Herzogtum mit einer Zunahme abschließt; wir 
haben eine Zunahme von 27, 2 zwischen 10 und 20, 5 zwischen 
5 und 10 und nur eine unter 5. In der nächsten Klasse der Be- 
sitzungen von 10—15 ha macht sich dagegen wiederum ein starkes 
Vorherrschen der Zunahme bemerkbar, letzteres kommt in 15 Amts- 
gerichtsbezirken in Erscheinung, und zwar fast durchweg in einem 
besonders starken Maße, denn das Maximum zeigt die Zahl von 40, 
.je ein Bezirk befindet sich sodann zwischen 30 und 40 und zwischen 
20 und 30, 7 zwischen 10 und 20, 2 zwischen 5 und 10 und 
3 unter 5. Die übrigen 8 Bezirke haben eine Abnahme, welche 
sich in 3 Fällen auf 13 erhebt, dann kommt einmal 12, die übrigen 
4 Bezirke bleiben unter 5. Insgesamt haben wir die erheblichere 
Vermehrung um 154 Besitzungen gegenüber einer Gesamtzahl von 
1804 nach der früheren ‚Erhebung, Ganz entgegengesetzt gestaltet 
sich aber das Verhältnis in der letzten der 3 Klassen mit den 
Besitzkomplexen von 5—10 ha, denn diese Klasse weist die vor- 
wiegendste und stärkste Abnahme der Besitzungen auf. Wir sehen 
dieses schon in dem Gesamtresultat für das Herzogtum, welches auf 
eine Abnahme von 202 Besitzungen kommt; da bei der früheren 
Erhebung die Gesamtzahl der Besitzungen dieser Klasse aber auf 
3280 festgestellt war, so ist im Verhältnis die Abnahme doch noch 


186 F. W. R. Zimmermann, 


nicht so stark, wie die in der absoluten zurückbleibende Zunahme 
der vorhergehenden Klasse. Besonders groß ist die Abnahme ein- 
zelner Amtsgerichtsbezirke; 15 derselben haben hier überhaupt 
eine Abnahme, die 3 ersten derselben bringen es auf eine Ab- 
nahme von 75, bezw. 66, bezw. 55, dann folgt eine solche von 30, 
4 zwischen 20 und 30, 3 zwischen 10 und 20, 4 unter 10. Ueber- 
haupt keine Veränderung haben wir bei einem Amtsgerichtsbzirk; 
es bleiben sodann 7 mit einer Zunahme, die allerdings auch wieder 
bei einzelnen zu absolut hohen Zahlen ansteigt, denn das Maxi- 
mum ist 81. daneben kommt noch 41 und 32 vor, der Rest bleibt 
jedoch unter 10. Betrachten wir nun die mittleren Bauernwirt- 
schaften als solche, so stellt sich als Ergebnis einer Zusammen- 
ziehung der 3 Klassen immer noch eine Abnahme heraus, welche 
sich für das Herzogtum insgesamt allerdings bis auf 22 ausgleicht 
und in dieser Zahl nicht hervorragend erscheint, namentlich auch 
gegenüber der früheren Gesamtheit von 6088 Besitzkomplexen. Hierbei 
ist aber der Einfluß der Vergleichbarkeitsmängel beider Feststellungen 
besonders in Rücksicht zu ziehen; alle diese Mängel wirken, je kleiner 
die Besitzungen in den einzelnen Klassen werden, um so schärfer, 
so daß man hier schon mit einer wesentlicheren Beeinflussung unserer 
Daten rechnen muß; auszunehmen wäre in dieser Beziehung viel- 
leicht nur die verschiedenartige Behandlung der Forsten, welche 
oben schärfer sich geltend macht; der Einfluß jener Mängel äußert 
sich aber im wesentlichen dahin, daß die früheren Daten als zu 
niedrig anzusehen sind, dadurch würde hier aber einerseits die ab- 
solute Zunahme sich verringern, andererseits die absolute Abnahme 
sich aber erhöhen, insgesamt müßte sich also die Gesamtabnahme 
als eine wesentlich höhere erweisen. Dementsprechend dürfen wir 
es auch als eine nach den Ergebnissen feststehende Thatsache an- 
sehen, daß die mittleren Bauernwirtschaften seit dem Bestehen der 
Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum zurückgegangen 
sind und daß die Vermehrung der Besitzungen, welche wir für den 
Großgrundbesitz und für die großen Bauernwirtschaften bereits kon- 
statiert haben und welche wir auch für die kleineren Besitzungen 
noch zu konstatieren haben werden, in der Hauptsache auf Kosten: 
der mittleren Bauernwirtschaften erfolgt ist. Für die einzelnen Amts- 
gerichtsbezirke ist auch hier die Gestaltung eine sehr verschiedene; 
in 3 Bezirken tritt die Abnahme in sämtlichen 3 Klassen in Er- 
scheinung, einer weist zwei Abnahmen und eine Ausgleichung auf, 
8 zwei Abnahmen und eine Zunahme, einer wieder eine Abnahme, 
eine Ausgleichung und eine Zunahme, 7.eine Abnahme und zwei 
Zunahmen, einer eine Ausgleichung und zwei Zunahmen und endlich 
2 drei Zunahmen. Ziehen wir ein Endergebnis nach den 3 Klassen 
für jeden Amtsgerichtsbezirk, so haben wir 11 Bezirke mit einer 
Abnahme und 12 mit einer Zunahme. 

Als kleine Bauernwirtschaften sieht man regelmäßig die Be- 
sitzungen von 2—5 ha an; diese ließen sich hier nun nicht be- 
sonders ausscheiden, weil bei der früheren Feststellung nur die Be- 


Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum ete. 187 


sitzungen von 1—5 ha zusammengefaßt waren; wir konnten deshalb 
hier auch nur diese Größenklasse annehmen. Das Verhältnis der- 
selben wird aber doch im wesentlichen als dem für die kleinen 
Bauernwirtschaften entsprechend angesehen werden können, wenn 
auch der Umstand, daß die niedrigeren Klassen im Verhältnis noch 
stärker zugenommen haben, dafür sprechen könnte, daß auch gerade 
die Besitzungen von 1—2 ha mehr als die von 2—5 ha sich vermehrt 
haben. Die Besitzungen von 1—5 ha weisen nämlich wieder eine 
nicht unerhebliche Zunahme auf; für das Herzogtum insgesamt haben 
wir jetzt 1329 Besitzungen mehr in dieser Größenklasse, im Vergleich 
mit der früheren Gesamtzahl von 6426 gewiß eine beachtenswerte 
Zunahme; dieselbe ist ja allerdings durch die Vergleichbarkeitsmängel 
um etwas verstärkt worden, muß aber doch auch bei entsprechender 
Berücksichtigung dieser noch als ansehnlich bleibend betrachtet 
werden. Die Zunahme geht fast durch sämtliche Amtsgerichtsbezirke 
hindurch, nur 5 derselben zeigen eine Abnahme, die bei einem bis 
auf 57 ansteigt; die Zunahme in dem einzelnen Bezirk beläuft sich 
in maximo auf 305 und überschreitet daneben noch in 3 Fällen das 
erste Hundert, bleibt dann in 7 Fällen zwischen 50 und 100 und in 
5 zwischen 25 und 50, während sie in den beiden übrigen der Aus- 
gleichung nahe kommt. Für die kleinen Bauernwirtschaften ist da- 
nach also auch eine stärkere Zunahme als vorhanden anzunehmen. 

Die Parzellenbesitzungen, soweit sie nicht schon in der vorigen 
Klasse mitenthalten sind, haben nochmals eine Teilung in zwei 
Klassen erfahren, um diejenigen, bei denen noch von einem ge- 
wissen landwirtschaftlichen Betrieb gesprochen werden kann, Be- 
sitzungen von 0,25—1 ha, von denen, bei denen dieses nicht der 
Fall ist, Besitzungen unter 0,25 ha, zu trennen. Von den kleinen 
Bauernwirtschaften ab verstärkt sich die Zunahme der Besitzungen 
fortgesetzt nach den geringsten Größenklassen zu, und so ist die 
Zunahme der ersten der beiden jetzt noch zu betrachtenden Klassen 
größer als die der vorhergehenden, die kleinen Bauernwirtschaften 
mit einschließenden, und die Zunahme der zweiten Klasse ist wieder 
absolut und im Verhältnis größer wie die der ersten. Für das 
Herzogtum insgesamt beläuft sich die Zahl der ersten Klasse, 0,25 
—1 ha, um 2087 Besitzungen mehr, die Zahl der niedrigsten Klasse 
um 5523 Besitzungen mehr; bezüglich beider Daten kommen aber 
wieder die Mängel für die Vergleichbarkeit der beiden Feststellungen 
in einem höheren Maße in Betracht und wird man mit Rücksicht 
darauf die thatsächliche Zunahme geringer zu bemessen haben. Die 
einzelnen Amtsgerichtsbezirke weisen in beiden Klassen sämtlich 
eine Zunahme auf, die allerdings wiederum ziemlich verschieden 
hoch ist; in der Klasse von 0,25—1 ha ist das Maximum eine Zu- 
nahme um 233 Besitzungen, sodann sind 7 Bezirke mit einer Zu- 
nahme von 100—200 Besitzungen vorhanden, 9 mit einer solchen 
von 50—100, 4 mit einer solchen von 25-50 und endlich 2 mit 
einer solchen unter 25, von denen 11 das Minimum bildet; in der 
letzten Klasse haben sich 2 Bezirke um mehr als 600 Besitzungen 


188 F. W. R. Zimmermann, 


(694 bezw. 678) vermehrt, einer um 500—600, 6 um 250—500, 
7 um 100—250, 5 um 50—100 und 2 um weniger als 50, unter 
denen 28 als Minimum erscheint. Die Parzellenbesitzungen haben 
danach an sich die größte Zunahme aufzuweisen. In dieser kann 
aber keineswegs der Anfang zu einer überhandnehmenden und 
deshalb nachteiligen Ausbildung der Parzellenwirtschaft überhaupt 
erblickt werden, der Grad der Zunahme muß vielmehr als durchaus 
der allgemeinen und besonderen wirtschaftlichen Entwickelung ent- 
sprechend anerkannt werden, wie wir später noch näher nachzu- 
weisen haben werden. Jedes Bedenken in dieser Richtung wird aber 
wohl schon durch den Umstand entkräftet, daß die Grundfläche, die 
jetzt insgesamt im Herzogtum auf die Parzellenwirtschaften ent- 
fällt, noch nicht 2 Proz. des gesamten ländlichen Privatbesitzes 
ausmacht. 

Das allgemeine Endergebnis der nachgewiesenen Verschiebung 
besteht danach in einer geringen Zunahme des Großgrundbesitzes, 
in einer vortretenderen Zunahme der großen Bauernwirtschaften, in 
einer Abnahme der mittleren Bauernwirtschaften, in einer nennens- 
werten Zunahme der kleinen Bauernwirtschaften und in einer stärkeren 
Zunahme der Parzellenwirtschaften. Betrachtet man nun aber nicht, 
wie wir bisher gethan, die einzelnen Größenklassen als solche unter 
Berücksichtigung der Amtsgerichtsbezirke innerhalb derselben, sondern 
berücksichtigt man in erster Linie die Amtsgerichtsbezirke und inner- 
halb dieser wieder die Entwickelung der einzelnen Größenklassen, 
so zeigt sich doch eine Reihe beachtenswerter Abweichungen von 
jenem eben bezeichneten Endergebnis, was sich am einfachsten daraus, 
wie die Abnahme in Erscheinung tritt, zeigen läßt. So ist bei einem 
Bezirk, Harzburg, eine Abnahme der Besitzungen überhaupt in keiner 
einzigen Klasse vorhanden, eine Erscheinung, welche darin ihre Er- 
klärung findet, daß bei den noch vollzogenen Gemeinheitsteilungen 
und Separationen größere, bislang der Gemeinheit zugehörige Grund- 
flächen den einzelnen Besitzungen zugeschlagen sind, durch welches 
Zuwachsen der Uebergang von Besitzungen aus einer niederen Klasse 
in eine höhere wesentlich verstärkt und damit wieder ein sonstiger 
Ausfall in mittleren und höheren Klassen verdeckt werden mußte. 
Lediglich eine an sich nicht sehr erhebliche Abnahme der großen 
Bauernwirtschaften bezw. des Großgrundbesitzes (nur Vorsfelde) 
weisen Vorsfelde und Calvörde auf, bei denen gleicherzeit eine 
stäkere Zunahme der mittleren und kleinen Bauernwirtschaften her- 
vortritt; auch dieses an und für sich etwas anormal scheinende Ver- 
hältnis ist ebenmäßig auf die Durchführung von Gemeinheitsteilungen 
zurückzuführen; bei diesen wurden namentlich größere Flächen von 
geringerem Wert den einzelnen Besitzungen zugeschlagen, welche 
für eine rationelle Kultivierung die nötigen Mittel nicht besaßen und 
sich derselben daher teilweise wieder durch Verkauf an kleinere Be- 
sitzer und Anbauer entäußerten. Dem allgemeinen Verhältnis ent- 
sprechend allein eine Abnahme der mittleren Bauernwirtschaften 
haben lediglich die beiden Bezirke Vechfelde und Lutter am Baren- 


Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 189 


berge, Salder hat daneben auch noch eine Abnahme der kleinen 
Bauernwirtschaften. Eine Abnahme in 2 oder 3 Klassen der mittleren 
Bauernwirtschaften und in einer Klasse der großen Bauernwirtschaften 
ist die am häufigsten auftretende Erscheinung, wir finden sie bei 
Riddagshausen, Wolfenbüttel, Helmstedt, Greene, Stadtoldendorf, 
Eschershausen, Hasselfelde und Walkenried ; bei Schöningen verstärkt 
sich der Ausfall der großen Bauernwirtschaften daneben noch um 
eine Klasse, und auch bei den kleinen Bauernwirtschaften zeigt sich 
eine Abnahme. Nur für eine Klasse der mittleren Bauernwirtschaften, 
aber für 2 Klassen der großen Bauernwirtschaften bezw. des 
Großgrundbesitzes macht sich eine Abnahme bei Holzminden und 
Blankenburg bemerklich, ebenso auch bei Schöppenstedt, bei dem 
aber auch noch eine Abnahme in den kleineren Bauernwirtschaften 
zu verzeichnen ist. Je in einer Klasse der mittleren und der großen 
Bauernwirtschaften bezw. des Großgrundbesitzes haben Thedinghausen, 
Seesen und Ottenstein abgenommen und endlich je in einer Klasse 
der kleinen, der mittleren und der großen Bauernwirtschaften Königs- 
lutter und Gandersheim. 

Eine weitere Verschiedenheit zwischen den einzelnen Amts- 
gerichtsbezirken besteht dann ferner noch bezüglich der Stärke und 
des Ausgleichs der Verschiebungen für die einzelnen Größenklassen ; 
unter Ausgleich verstehen wir dabei, wenn für eine Anzahl von 
Größenklassen von oben herab gerechnet Zunahme und Abnahme 
sich insgesamt mit gleichen oder annähernd gleichen Zahlen gegen- 
überstehen. So haben wir zunächst bei einer Anzahl von Amtsge- 
richtsbezirken einen derartigen Ausgleich bis zu der Klasse von 
5—10 ha hin, also zwischen Großgrundbesitz, großen Bauernwirt- 
schaften und mittleren Bauernwirtschaften, woneben dann durchweg 
noch eine mehr oder weniger erhebliche Zunahme der kleinen Bauern- 
wirtschaften und der Parzellenbesitzungen Platz greift; es gehören 
hierher Riddagshausen, Vechelde, Lutter am Barenberge, Greene, 
Holzminden, Eschershausen, Ottenstein, Blankenburg und Hassel- 
felde; diese Bezirke, deren Abnahme und Zunahme insgesamt meist 
nur als eine mittelstarke, zum Teil auch als eine geringe zu be- 
zeichnen ist, bieten aber unter sich wieder noch Verschiedenheiten, 
indem teils die Ausgleichung wesentlich auch schon innerhalb der 
mittleren Bauernwirtschaften, der großen Bauernwirtschaften, des 
Großgrundbesitzes stattfindet, teils erst durch die Zusammenziehung 
der drei Kategorien, und zwar wiederum durch Ueberwiegen bald 
hier bald da erfolgt; nach ihrer wirtschaftlichen Qualifikation sind 
diese Bezirke nur zu den zweit- oder drittklassigen des Herzogtums 
zu zählen. Ein Ausgleich bis zu der Größenklasse von 1—5 ha 
hinab, also bis zu den kleinen Bauernwirtschaften, zeigt sich bei 
Thedinghausen, Helmstedt und Gandersheim, und zwar bei Theding- 
hausen und Helmstedt unter Zunahme, bei Gandersheim, das sich 
zudem durch eine besondere Stärke der Verschiebungen auszeichnet, 
unter Abnahme der kleinen Bauernwirtschaften; Thedinghausen steht 
als Marschland unter den Bezirken vereinzelt da, die beiden anderen 


190 F. W. R. Zimmermann, 


sind im wesentlichen den zweitklassigen zuzurechnen. Lediglich be- 
züglich der großen Bauernwirtschaften und des Großgrundbesitzes 
greift bei Vorsfelde und Calvörde der Ausgleich Platz, während bei 
den anderen Kategorien durchweg nur Zunahme hervortritt; die Er- 
klärung für diese Erscheinung ist schon oben gegeben, sie liegt 
eben in der der Ausführung der Gemeinheitsteilungen. Nach einem 
Ausgleich nach oben hin zwischen dem Großgrundbesitz und den 
großen Bauernwirtschaften mit den mittleren Bauernwirtschaften 
verbleibt doch noch ein nicht unwesentlicher Ausfall bei den letzteren 
in den Bezirken Wolfenbüttel und Salder, wozu dann bei letzterem 
auch noch eine Abnahme der kleineren Bauernwirtschaften hinzutritt; 
andererseits zeigt Schöppenstedt einen Ausfall bei den großen 
Bauernwirtschaften, dagegen eine Ausgleichung bei den mittleren, 
während die kleinen Bauernwirtschaften sich doch wieder vermindert 
haben; eine überwiegende Abnahme sowohl bei den großen, wie 
bei den mittleren, wie auch bei den kleinen Bauernwirtschaften 
gegenüber nur einer Zunahme bei dem Großgrundbesitz weist 
Schöningen auf, so daß dort erst eine Ausgleichung in den Parzellen- 
wirtschaften stattfindet; bei allen diesen 4 Bezirken treten die Ver- 
schiebungen und speciell die Abnahmen einzelner Klassen in ver- 
hältnismäßig höheren Zahlen zu Tage; dieselben gehören übrigens 
zu den am durchgehendsten erstklassigen Bezirken des Herzogtums. 
Trotz vorhandener Abnahme in Klassen sowohl der großen wie der 
mittleren Bauernwirtschaften verbleibt bei Königslutter doch auch 
für beide Kategorien eine Zunahme, der dann allerdings eine geringe 
Abnahme der kleinen Bauernwirtschaften gegenübersteht, während 
der Großgrundbesitz überhaupt keine Veränderung erlitten hat; an 
wirtschaftlicher Güte reiht sich Königslutter zum Teil an die vor- 
behandelten Bezirke an. Abweichend ist wieder das Verhältnis von 
Seesen und Stadtoldendorf, welches einen Ausgleich bei dem Groß- 
grundbesitz, eine ausschließliche Zunahme bei den großen Bauern- 
wirtschaften, eine die vorhandene Abnahme einzelner Klassen doch 
überwiegende Zunahme bei den mittleren und endlich auch eine 
starke Zunahme bei den kleinen Bauernwirtschaften in Erscheinung 
treten läßt; nach der Bodenbeschaffenheit ist Stadtoldendorf zu den 
weniger bevorzugten Bezirken des Herzogtums zu rechnen, Seesen 
ist in der Beziehung etwas günstiger; bei Seesen erweist sich 
übrigens die Zunahme in den oberen, bei Stadtoldendorf die in den 
unteren Klassen als besonders stark. In sämtlichen Klassen eine 
Zunahme macht sich sodann bei Harzburg bemerkbar, wobei wieder 
besondere Verhältnisse (Gemeinheitsteilung und Ablösung, Ent- 
wickelung des Hauptortes als Badeort) maßgebend gewesen sind. 
Endlich bleibt noch Walkenried übrig, welches in keiner der vor- 
handenen Klassen der großen und mittleren Bauernwirtschaften eine 
Zunahme, aber allerdings auch nur eine sehr geringfügige Abnahme 
hervortreten läßt; die kleinen Bauernwirtschaften haben stärker zu- 
genommen; Walkenried zeichnet sich nicht durch eine landwirtschaft- 
lich vorteilhafte Bodenbeschaffenheit aus. 


Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 191 


Gerade diese an und für sich ziemlich bunte Verschiedenheit, 
welche bei den einzelnen Amtsgerichtsbezirken nach den einzelnen 
Richtungen hin in den Verschiebungen zwischen den Größenklassen 
des ländlichen Grundbesitzes hervortritt, dürfte für unsere Frage 
über die Wirkung der Aufhebung der früheren Verfügungs- 
beschränkungen über ländliches Eigentum von ganz besonderer Be- 
deutung sein. Sie zeigt uns eben, daß jene Aufhebung an und für 
sich noch keineswegs eine bestimmte Wirkung nach der einen oder 
anderen Richtung hin hat oder haben muß. Die Entwickelung nach 
Aufhebung der Verfügungsbeschränkungen hat sich in den einzelnen 
Bezirken durchaus verschieden gestaltet, sie ist also in erster Linie 
durch andere in den allgemeinen und wirtschaftlichen Sonder- 
verhältnissen der Bezirke liegende Einflüsse bedingt worden und 
nicht etwa wesentlich durch jene Aufhebung. Hätte die letztere 
eine derartig starke selbständige Wirkung, wie früher vor Auf- 
hebung namentlich von deren prinzipiellen Gegern behauptet worden, 
so mußte dieselbe in einer einheitlichen Weise irgendwie bei der 
Fortentwickelung durch eine ‚doch längere Spanne Zeit zu Tage 
treten; daß dieses geschehen, wird aber unter bewandten Umständen 
nicht behauptet werden konnen. Die allgemeinen und wirtschaft- 
lichen Einflüsse sind für die Ausgestaltung der ländlichen Grund- 
besitzverhältnisse das Ausschlaggebende geblieben und sie müssen 
als solches auch prinzipiell anerkannt werden. Nicht zu leugnen wird 
dabei allerdings sein, daß die Wirkungs-Fähigkeit und -Möglichkeit 
für diese allgemeinen und wirtschaftlichen Einflüsse durch die Auf- 
hebung der Verfügungsbeschränkungen über ländliches Grundeigentum 
eine freiere und größere geworden ist. Durch die gegebene Freiheit 
in der Veräußerung des ländlichen Grundbesitzes konnten die all- 
gemeinen und wirtschaftlichen Einflüsse sich unbehindert geltend 
machen und so ihrer sozusagen natürlichen Richtung folgen. 
Da man die besagten Einflüsse an und für sich von vorn- 
herein nicht als nachteilige oder ungesunde erachten kann, so muß 
auch ihre Entwickelung nach ihrer natürlichen Richtung hin als 
vorteilhaft und nutzbringend erachtet werden. Auf eine Wirkung 
würden jene Einflüsse unter allen Umständen hingedrängt haben; 
zeigt sich in der ersten natürlichen Richtung derselben ein Hemm- 
nis, so wird die Wirkung lediglich nach anderen Seiten hin ver- 
schoben und diese Verschiebung wird, vorausgesetzt daß der Ein- 
fluß selbst nicht schon auf einer krankhaften Entwickelung beruht, 
sich regelmäßig als das wirtschaftlich weniger Vorteilhafte, wenn 
nicht direkt Nachteilige erweisen; das praktische Ergebnis in dieser 
Beziehung werden wir demnächst noch zu berühren haben. Daß 
aber die allgemeinen und wirtschaftlichen Einflüsse es waren, welche 
jene Verschiedenheit in der Entwickelung in den einzelnen Amts- 
gerichtsbezirken bedingten, geht wesentlich daraus hervor, daß sich 
in dieser Verschiedenheit der Amtsgerichtsbezirke die wirtschaft- 
liche Qualifikation derselben im allgemeinen mit einer gewissen 
Gleichmäßigkeit abhebt; um dieses sichtbar zu machen, haben wir 


192 F. W. R. Zimmermann, 


die Qualifikation oben durchweg mit hervorgehoben. So tritt in den 
Bezirken mit den günstigsten Bodenverhältnissen und der größten 
Entfaltung des landwirtschaftlichen Betriebes regelmäßig oder vor- 
wiegend die Abnahme der mittleren Bauernwirtschaften in einem 
schärferen Maße hervor; diese Abnahme setzt sich sogar mehr oder 
weniger stark zum Teil noch in die kleinen Bauernwirtschaften und 
die geringeren Klassen der großen hinein fort, während anderer- 
seits die großen Bauernwirtschaften oder auch nur die oberen Klassen 
derselben, zum Teil auch der Großgrundbesitz und in der anderen 
Richtung die Parzellenwirtschaften in entsprechender Weise sich 
vermehrt haben. Die mittleren und weniger guten Bezirke lassen 
das vorerwähnte Verhältnis, welches allerdings ja auch die all- 
gemeine Verschiebung für das gesamte Herzogtum kennzeichnet, 
weit weniger ausgeprägt hervortreten; die Parzellenwirtschaften und 
meist auch die kleinen Bauernwirtschaften zeigen in der Regel auch 
hier eine stärkere Zunahme, die an Bedeutung hinter der der 
besseren Bezirke nur wenig oder auch gar nicht zurücksteht, die 
Verschiebung nach oben hin ist durchweg nicht so stark, die Aus- 
gleichung schon innerhalb der einzelnen Kategorien ist eine größere, 
und wenn auch die Verschiebung im ganzen wesentlich auf Kosten 
der mittleren Bauernwirtschaften erfolgt, so ist doch deren Gesamt- 
rückgang kein so erheblicher, ebenso wie die Zunahme der großen 
Bauernwirtschaften — der Großgrundbesitz kommt bei den Ver- 
änderungen nur selten in Frage — sich als gerinfügiger im all- 
gemeinen erweist. In einem gewissen Grade macht es sich auch 
bemerkbar, daß die vorbezeichnete Verflachung der Gegensätze in 
den Veränderungen um so stärker wird, je weniger günstig die 
Bodenverhältnisse und je weniger entwickelt dementsprechend der 
landwirtschaftliche Betrieb in den einzelnen Bezirken sind. Eine 
Uebereinstimmung in der Entwickelung findet sich endlich auch in 
Bergdistrikten mit der geringsten landwirtschaftlichen Entwickelung; 
hier haben wir nach oben hin bei den großen Bauernwirtschaften 
eine Abnahme entgegen dem sonstigen Verhältnis, auch bei den 
mittleren Bauernwirtschaften zeigt sich zum Teil diese Abnahme, 
zum Teil allerdings auch eine Ausgleichung, dagegen haben die 
kleinen Bauernwirtschaften und die Parzellenbesitzungen verhält- 
nismäßig stark zugenommen. In alledem tritt aber das Vor- 
wiegen der Wirkung der allgemeinen und wirtschaftlichen Ein- 
flüsse deutlich in Erscheinung; die Aufhebung der Verfügungs- 
beschränkungen am ländlichen Grundbesitz konnte an und für 
sich die thatsächlich erfolgte und nachgewiesene Verschiebung 
in den Größenverhältnissen der ländlichen Besitzungen nicht hervor- 
rufen, sie konnte eben den vorbezeichneten Einflüssen nur freien 
Raum für eine Wirkung in ihrer natürlichen Richtung schaffen und 
hat dieses auch thatsächlich gethan, wie die Verschiedenheit der 
Wirkung in den einzelnen Bezirken bei doch vorhandener Gleich- 
mäßigkeit nach den wirtschaftlichen Vorbedinguugen erweist. Daß 
aber die Wirkung, welche uns unsere Daten anzeigen, gleichfalls 


Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 193 


eine durchaus günstige und nach Lage der Sache vorteilhafte ge- 
wesen ist, daß sie zu irgendwelchen Befürchtungen, wie sie bei 
Erlaß des Gesetzes vom 28. März 1874 geltend gemacht wurden, 
keinen Anhalt bietet, das wird erhellen, wenn wir jetzt noch die 
treibenden Ursachen für die einzelnen nachgewiesenen Erscheinungen 
so weit möglich klarzulegen suchen und sie mit der allgemeinen 
wirtschaftlichen Entwickelung in Verbindung bringen. 

Es sind hier zwei Erscheinungen, deren Ursachen wir nachzugehen 
haben, einmal die an sich stärkere Zunahme der Parzellenbesitzungen 
und zweitens die Verschiebung innerhalb der Bauernwirtschaften, 
welche sich im wesentlichen in einer Abnahme der mittleren und 
einer Zunahme der kleinen und der großen Bauernwirtschaften 
äußert; den Großgrundbesitz können wir hier außer Betracht lassen, 
da seine Zunahme nur eine an sich ganz unbedeutende und außer- 
dem nur wenige Bezirke berührende ist und dieselbe von der der 
Bauernwirtschaften zahlenmäßig nicht einmal genau abzutrennen 
war; wo sich der Großgrundbesitz thatsächlich vermehrt hat, ist 
diese Vermehrung genau der der großen Bauernwirtschaften gleich- 
zustellen und das, was für diese gesagt wird, kann dort als für 
beide Anwendung findend gelten. Beginnen wir mit der Verschiebung 
innerhalb der Bauernbesitzungen. Die mittleren Bauernwirtschaften, 
zu deren Ungunsten die Entwickelung in dem betrachteten Zeit- 
raum erfolgt ist, sind mit ihrem Flächengehalt von 5—20 ha nach 
ihrer Bewirtschaftung und Viehhaltung bei einfacherer Landwirt- 
schaft und unter normalen Verhältnissen als durchaus lebensfähig 
zu erachten und haben sich auch als solche erwiesen; die Bewirt- 
schaftung kann hier allerdings nicht mehr durch die engere Familie 
des Besitzers erfolgen, sondern bedarf weiterer Arbeitskraft; das 
Ganze trifft auch für die im Herzogtum Braunschweig gegebenen 
örtlichen Verhältnisse vollauf zu. Nach dem etwa gegen Mitte des 
vorigen Jahrhunderts einsetzenden ungemeinen und vielseitigen Auf- 
schwung der Landwirtschaft, von dem das Herzogtum Braunschweig 
sofort und nachhaltig berührt wurde, dessen Wirkungen sich aber 
in weiterem Maße und namentlich in der Richtung auf eine Ver- 
schiebung im Besitz wesentlich erst in dem von uns betrachteten 
Zeitraum geltend machen konnten, traten aber doch für die mittleren 
Bauernwirtschaften manche Schwierigkeiten hervor, die gerade auf 
die Größe ihres Areals zurückzuführen waren. Die frühere Spann- 
und Arbeitskraft und namentlich die erstere reichte bei der inten- 
siven Bewirtschaftung des Grund und Boden, welche wieder vorzugs- 
weise durch den im Herzogtum Braunschweig schnell und weit 
Verbreitung findenden Zuckerrübenbau bedingt wurde, nicht mehr 
voll aus, während andererseits doch bei einer Vermehrung eine 
vollständige Ausnutzung vielfach nicht möglich erschien. Dem- 
entsprechend lag es in der Natur der Sache, wenn der besser ge- 
stellte, kapitalkräftige Besitzer seinen Grund und Boden zu ver- 
größern suchte, um die vermehrte Spann- und Arbeitskraft ganz 
zur Verwertung zu bringen, wenn dagegen der weniger Begüterte 

Dnite Folge Bd. XXI (LVI, 13 


194 F. W. R. Zimmermann, 


eines Teiles seines Grundbesitzes sich entäußerte, um seiner sonstigen 
Bemittelung entsprechend mit der geringeren Spann- und Arbeits- 
kraft den Rest nicht nur relativ, sondern vielleicht auch absolut 
vorteilhafter zu bewirtschaften wie früher das Gesamte. 

In der weiteren Entwickelung wurde dies dann noch durch 
drei Umstände verschärft, nämlich durch den zunehmenden Gebrauch 
landwirtschaftlicher Maschinen, durch die Verteuerung der Spann- 
kraft und endlich durch die Verteuerung und überhaupt schwere 
Beschaffung der Arbeitskraft. Mit dem wissenschaftlichen Fort- 
schritt in der Landwirtschaft ging der technische bald Hand in Hand, 
der Gebrauch der in großer Zahl und zu den verschiedensten Ver- 
richtungen neu erfundenen oder wesentlich verbesserten landwirt- 
schaftlichen Maschinen wurde immer ausgedehnter und für den 
Einzelnen, auch den kleineren Landwirt, immer notwendigerer, denn 
der Nutzen der Maschinenverwendung war so wesentlich und so- 
fort fühlbar, daß mit dem sie richtig Verwendenden nur schwer in 
Konkurrenz zu treten war; die leistungsfähigeren Maschinen (Be- 
trieb durch Spannkraft) waren nun aber regelmäßig für größeres 
Areal berechnet, die geringeren (Handbetrieb) dagegen nur für 
kleine und ganz kleine Wirtschaften; für die mittleren Bauern- 
besitzungen konnten aber wiederum deren Flächengröße entsprechend 
nur die ersteren in Frage kommen, aber die an und für sich höheren 
Beschaffungskosten machten sich nicht in der Weise wie bei einem 
größeren Areal bezahlt, für welches dieselbe Maschine noch aus- 
reichend gewesen wäre. Bezüglich der Beschaffung der Spannkraft 
war man jetzt fast gänzlich auf den Ankauf angewiesen, denn die 
eigene Aufzucht, die bei den einfacheren Wirtschaftsverhältnissen, 
den großen Gemeinheitsflächen, dem gemeinschaftlichen Weide- 
gang etc. ohne wesentlichere Unkosten und Weiterungen erfolgte, 
ließ sich bei der intensiven Wirtschaft, welche sich an Gemeinheits- 
teilung und Ablösung anschloß, nicht mehr in der früheren Weise 
durchführen; dabei steigerten sich aber die Preise für das Spann- 
vieh, für die Pferde sowohl wie für die Ochsen, in einem nicht un- 
erheblichen Grade, so daß um so mehr eine Veranlassung gegeben, 
bei der Beschaffung nicht über das Notwendigste hinauszugehen, 
bezw. über das, was man auch wirklich voll auszunutzen imstande 
war. Das Wesentlichste bildete jedoch die Beschaffung der Arbeits- 
kraft, welche ja schon an sich zu den Hauptschwierigkeiten der 
Landwirtschaft in der Neuzeit gehört, sich aber bei den mittleren 
Bauernbesitzungen in besonders scharfer Weise geltend machte; 
denn die Besitzer mittlerer Bauernhöfe waren, wie schon gesagt, 
für ihren Betrieb fremder Hilfe benötigt, die Schwierigkeit, diese 
Hilfe überhaupt zu beschaffen, und der steigende Lohn, der dafür 
zu zahlen, kommt daher für sie ebenso wie für die großen Wirt- 
schaften in Frage und muß an sich schon auf eine Beschränkung und 
auf Vermeidung einer nicht vollen Verwertung hinwirken; dazu 
kommt dann aber noch der für die mittleren Bauernhöfe so be- 
sonders empfindliche Verlust der früheren billigen Arbeitskraft; 


Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum ete. 195 


bevor der große die Neuzeit beherrschende Zug vom Land in die 
Stadt einsetzte, verblieben die nicht heiratenden jüngeren Ge- 
schwister des Hofannehmers fast durchweg im Hofe, sie erhielten 
aus den Einkünften desselben alle ihre Lebensbedürfnisse und setzten 
dafür auch ihre Arbeitskraft für den Hof ein, der eine bare Auszahlung 
der Abfindungen an sie nur selten zu leisten hatte; in der neueren 
Zeit wenden sich aber die jüngeren Kinder gleicherweise der Stadt 
zu, woselbst sie sich mit ihren Abfindungen, die nunmehr aus- 
bezahlt werden müssen, eine angenehmere und selbständige Stellung 
verschaffen können, Militärzeit und Gesindedienst bilden dabei viel- 
fach den Uebergang; gerade diese Veränderung stellt sich aber als 
eine sehr empfindliche und die Leistungsfähigkeit stark beein- 
trächtigende Belastung der mittleren Bauernwirtschaften dar; wenn 
sie in gewisser Weise auch bei den anderen Bauernhöfen Platz 
greift, so ist sie doch bei diesen keineswegs von derselben Trag- 
weite, wie wohl nicht näher erörtert zu werden braucht. 

Alle diese Einwirkungen, die vorzugsweise in dem von uns be- 
trachteten Zeitraum zur vollen Entfaltung kamen, wurden dann aber 
wiederum noch verstärkt, als die ganze Lage der Landwirtschaft 
sich zu einer weniger günstigen gestaltete, was ja wiederum unser 
Zeitraum umfaßt. Brauchte in den guten Zeiten, welche für den 
Haupteil des Herzogtums Braunschweig, vorzüglich vermöge der 
reichen Erträgnisse aus dem Zuckerrübenbau, unbedenklich auch als 
sehr gute bezeichnet werden können, nicht so ängstlich mit den Auf- 
wendungen gerechnet zu werden, so mußte dieses naturgemäß aber 
immer mehr und mehr geschehen, als die Einkünfte aus dem Grund 
und Boden sich mehr und mehr verringerten. Jetzt geboten die 
Verhältnisse an sich schon ein sparsames Wirtschaften in jeder Be- 
ziehung und so mußte auch eifrigst darauf gesehen werden, daß 
alles, was der Grund und Boden bot, und alles, was zu dessen Be- 
wirtschaftung beschafft und gehalten werden mußte, voll zur Aus- 
nutzung kam. Während früher, und namentlich als noch die auf 
dem Lande nie hoch in Anschlag gebrachten Naturalleistungen aus 
dem Hofe die weitaus wesentlichste Aufwendung dafür bildeten, das 
Halten einer nicht voll zur Ausnutzung kommenden Spann- oder 
Arbeitskraft nicht besonders beachtet wurde, mußte es jetzt als eine 
an sich zu vermeidende Luxusausgabe angesehen werden, und man 
bestrebte sich immer mehr Spann- und Arbeitskraft lediglich mit 
dem äußersten Bedürfnis der Wirtschaft in Einklang zu bringen. 
Da man aus demselben Bestreben auch die Anschaffung von Maschinen, 
welche ihrer Leistungsfähigkeit nach für einen größeren Grundbesitz 
bestimmt waren, vermeiden mußte, so war für die sämtlichen drei 
Einwirkungen durch die ungünstigen Verhältnisse der Landwirtschaft 
eine Verschärfung bedingt. Dazu kamen dann auch wohl noch 
einzelne durch die Zeitverhältnisse gegebene Veränderungen, welche 
gerade die mittleren Hofbesitzer vielleicht am wesentlichsten betrafen 
und zu Schwierigkeiten, wenn auch geringeren Grades, für dieselben 
Veranlassung geben konnten, so beispielsweise die Umgestaltung in 

13* 


196 F. W. R. Zimmermann, 


der Viehhaltung durch Aufhebung der gemeinschaftlichen Weiden etc. 
und die größere Geldwirtschaft, welche wir schon bei Erwähnung 
der Gespannbeschaffung und der Auslohnung der Arbeitskraft zu 
berühren hatten. Alle diese Verhältnisse übten einen größeren Druck 
auf die mittleren Bauernwirtschaften aus, und dem ist es wiederum 
zuzuschreiben, daß die Besitzer ihren Besitz in der Weise aufgaben, 
daß sie denselben je nach ihrer sonstigen materiellen Lage zu ver- 
kleinern oder zu vergrößern suchten, wodurch dann jene von uns 
konstatierte Abnahme der Kategorie der mittleren Bauernwirtschaften 
in Erscheinung treten mußte. 

Um aber Mißverständnissen vorzubeugen, müssen wir uns hier 
ausdrücklich noch dagegen verwahren, daß den vorbehandelten Ein- 
wirkungen eine allzu große Tragweite beigemessen werde. Wir haben 
im Vorstehenden absichtlich nur von „Schwierigkeiten“ gesprochen 
mit dem Nebengedanken, daß Schwierigkeiten als solche sich regel- 
mäßig in der einen oder der anderen Weise überwinden lassen. Wir 
mußten diese Schwierigkeiten besonders betonen, weil wir sie als 
Ursache für die von uns beobachtete Verschiebung in den Größen- 
verhältnissen des ländlichen Grundbesitzes anzusehen haben. Es 
darf daraus aber keineswegs gefolgert werden, daß diese Schwierig- 
keiten von so wesentlicher Bedeutung seien, um eine Gefährdung 
des Bestandes der mittleren Bauernwirtschaften überhaupt als mög- 
lich erscheinen zu lassen. So liegt die Sache keineswegs. Jene 
Verschiebungen insgesamt sind ja, wenn wir sie mit der Gesamtzahl 
der mittleren Bauernwirtschaften in Vergleich bringen, keineswegs 
so hervorragende, selbst bei Berücksichtigung des Umstandes, daß 
eine Umgestaltung in den ländlichen Besitzverhältnissen sich regel- 
mäßig nur in längeren Zeiträumen zu vollziehen pflegt. Wäre die 
Lebensfähigkeit der mittleren Bauernwirtschaften als solche ge- 
fährdet, so würde eine weit größere durchgängigere Abnahme der- 
selben in dem mehr als Vierteljahrhundert sich gezeigt haben. Die 
berührten Schwierigkeiten ließen sich bei einiger Energie auch ander- 
weitig überwinden, ohne daß eine Veränderung in dem Landbestande 
des Hofes einzutreten brauchte, letzteres bildete ein Auskunftsmittel 
wesentlich nur da, wo einerseits eine günstige Gelegenheit für jene 
Veränderung sich bot, andererseits der Besitzer selbst finanziell oder 
in sonstiger Weise zerrüttet war. Es gab ja auch eine Reihe ander- 
weiter Mittel, um jenen Schwierigkeiten zu begegnen, wir heben 
nur die Nutzung der Spann- und Arbeitskraft außerhalb der Land- 
wirtschaft durch Fuhren, wofür die auch auf dem Lande sich ent- 
wickelnde Industrie und ebenso auch der stets wachsende Verkehr 
in mannigfacher Weise Gelegenheit bot, und den Anbau von be- 
sonderer Arbeitskraft bedürfender Gewächse, wie Spargel, Konserven- 
gemüse, Tabak etc., hervor. Die Möglichkeit jener anderweiten Mittel 
war natürlich in den einzelnen Bezirken wiederum in einem ver- 
schiedenen Maße gegeben, und daraus erklärt sich zum Teil auch 
wieder die Verschiedenheit der einzelnen Bezirke, welche wir zu be- 
rühren hatten; dieses im einzelnen näher nachzuweisen würde uns 


Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum ete. 197 


hier aber zu weit führen. Die einzelnen Ursachen, welche wir als 
auf die Abnahme der mittleren Bauernwirtschaften hinwirkend an- 
zugeben hatten, machten sich bezüglich der kleinen und großen 
Bauernwirtschaften nicht geltend und dadurch rechtfertigt sich schon 
so wie so die konstatierte Zunahme beider. Die Spann- und Arbeits- 
kraft konnte bei beiden vollständig ausgenutzt werden, und ebenso 
stand es mit den zu beschaffenden landwirtschaftlichen Maschinen; 
bei den kleinen Höfen kam ja alles dies nur in beschränktem Maße 
in Frage, eine volle Ausnutzung der gegebenen Mittel mußte aber 
doch einen günstigen Einfluß ausüben; bei den großen Bauernwirt- 
schaften ist dann die in weiterem Umfange vorhandene Anwendbar- 
keit landwirtschaftlicher Maschinen noch von besonderer Bedeutung, 
andererseits ist der Wegfall der Mitarbeit der Hofangehörigen hier 
von geringem Einfluß, denn diese Mitarbeit war stets nur eine 
weniger erhebliche und konnte der größeren Gesamtarbeitskraft 
gegenüber nicht so zu Buche schlagen. Daneben kommt dann für 
die kleinen Bauernwirtschaften der gesteigerte Anbau der gerade 
für diese Wirtschaftskategorie besonders geeigneten Gewächse hinzu, 
so der Spargelbau, der feldmäßige Anbau von Gemüsen für die 
Konservenfabriken etc.; die besonders hohen Zunahmezahlen einzelner 
Bezirke, wie Riddagshausen, Vechelde sind hierauf zurückzuführen. 
Die großen Bauernwirtschaften andererseits erwiesen sich nament- 
lich als für den Zuckerrübenbau besonders ausgestaltet, und daher 
haben wir auch für diejenigen Bezirke, in welchen dieser Anbau vor- 
zugsweise blüht, wie Schöningen, Salder, Schöppenstedt etc. vor- 
zugsweise eine Verschiebung nach oben zu verzeichnen gehabt. 
Unter diesen Umständen muß aber die zunehmende Entwickelung 
der beiden Grundbesitzkategorien durch die wirtschaftlichen Ver- 
hältnisse vollauf begründet erscheinen. 

Als zweite Erscheinung kommt dann die stärkere Zunahme der 
Parzellenbesitzungen in Betracht. Hierzu müssen wir zunächst noch 
einen thatsächlichen Umstand von einschneidender Wichtigkeit näher 
nachweisen, nämlich den, daß es sich bei dieser Zunahme der Par- 
zellenbesitzungen um eine Vermehrung lebensfähiger und in sich 
selbst abgeschlossener Besitzungen handelt, um Besitzungen, die auch 
mit Gebäuden ausgestattet sind und so als selbständige, abgerundete 
Größen für den Unterhalt und die Unterkunft einer Familie in der 
Volkswirtschaft in Erscheinung treten, und nicht etwa um Zer- 
stückelungen von Grund und Boden in kleine Teile, welche von 
Mietsleuten mehr oder weniger unselbständig zur Bewirtschaftung 
kommen. Es zeigt sich dieses aus der Zahl der Neuanbauten 
(Neubegründung einer selbständigen Besitzung), welche in den Land- 
gemeinden des Herzogtums vorgekommen und schon seit längerer 
Zeit für jedes Jahr speciell behördlich nachgewiesen sind; diese 
Zahl stellte sich für die in Frage kommende Zeit von 1861—1896 
einschließlich bei den einzelnen Amtsgerichtsbezirken folgender- 
maßen: 


198 F. W. R. Zimmermann, 


Riddagshausen 1075 Gandersheim 226 
Vechelde 530 Seesen 192 
Thedinghausen 96 Lutter am Barenberge 403 
Wolfenbüttel 714 Greene 237 
Schüppenstedt 599 Holzminden 213 
Salder 461 Stadtoldendorf 219 
Harzburg 502 Eschershausen 186 
Helmstedt 110 Ottenstein 110 
Schüningen 332 Blankenburg 347 - 
Königslutter 324 Hasselfelde 203 
Vorsfelde 503 Walkenried 129 
Calvörde 125 Herzogtum insgesamt 7836 


Diese Zahlen entsprechen fast genau der Zunahme der Parzellen- 
besitzungen in den einzelnen Amtsgerichtsbezirken, wobei die Größen- 
klasse von 1—5 ha entsprechend noch mit zu berücksichtigen ist. 
Die Gesamtzahl der Neuanbauten im Herzogtum beläuft sich auf 
7836, oben haben wir als Zunahme der Besitzungen mit weniger 
als 0,25 ha 5523 und der mit 0,25—1 ha 2087 festgestellt, das 
macht zusammen 7610, es muß also noch etwas von der nächsten 
Klasse mit einer Zunahme von 1324 zum Ausgleich hinzugenommen 
werden, wie solches aber auch der Natur der Sache entsprechen 
dürfte. Berücksichtigt man einerseits, daß von den Neuanbauten 
immerhin ein Teil als Ersatzbau für vorhandene Stellen oder als 
Zubehörbau zu anderen Höfen errichtet ist und andererseits, daß 
die Zahlen über Zunahme der Besitzungen wegen der Vergleich- 
barkeitsmängel als zu hohe anzusehen, so wird man doch daran 
festhalten müssen, daß zwischen den Neuanbauten und der Zunahme 
der Parzellenbesitzungen im wesentlichen ein übereinstimmendes 
Verhältnis vorhanden ist. Es ist dadurch aber der Nachweis für 
unsere obige Behauptung erbracht, daß es sich bei der Zunahme der 
Parzellenbesitzungen ziemlich ausschließlich um Besitzungen mit 
Wohngebäuden handelt, welche in sich ein selbständiges wirtschaft- 
liches Ganzes bilden und für die Familie nicht nur Unterkunft, sondern 
vielfach auch Unterhalt oder wenigstens einen Teil des Unterhalts 
bieten. Es zeigt sich daraus aber auch noch ein Ferneres, nämlich 
das, daß die stärkere Zunahme der Parzellenbesitzungen gleichfalls 
ziemlich ausschließlich auf vollkommenen Neubegründungen von 
ländlichen Besitzungen beruht und daß sie nur in einem ganz unter- 
geordneten Maße durch eine Hofzerschlagung und Verbleib der Hof- 
stätte mit keinem oder nur ganz geringem Landzubehör entstanden 
sein kann. Beide Umstände als solche müssen aber schon darauf 
hindeuten, daß die Parzellenbesitzungenzunahme wirtschaftlich als 
eine gesunde und damit auch vorteilhafte aufzufassen ist. 

Die treibende Ursache für die starke Zunahme der Parzellen- 
besitzungen ergiebt sich sodann leicht, es ist die gewaltige Ent- 
wickelung der Industrie im allgemeinen und daneben das immer 
stärker werdende Vordringen derselben auch auf dem Lande. Daß 
dadurch eine bedeutende und in die Augen springende Wirkung ge- 
geben sein muß, liegt wohl auf der Hand und ebenso auch, daß die 
Wirkung gerade in einem Distrikt, in welchem wie im Herzogtum 


Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 199 


Braunschweig im wesentlichen günstige Verhältnisse für diese Ent- 
wickelung vorhanden sind, von besonderer Stärke sich gezeigt 
haben muß. Zunächst mag es vielleicht sonderbar und befremdlich 
erscheinen, wenn wir die Industrie als Förderin der kleinen Be- 
sitzungen auf dem Lande hinstellen, denn sonst hören wir ja stets, 
daß gerade die Industrie es ist, welche die Bevölkerung dem Lande 
entzieht und in den Städten in stets steigender Weise zusammen- 
drängt. Ebenso wie letzteres unbestreitbar richtig ist, ebenso steht 
es aber auch mit unserer Angabe. Vom Lande weg hat die In- 
dustrie wesentlich die eigentliche Arbeiterbevölkerung geführt, 
andererseits hat sie sich aber selbst gleichzeitig auch auf dem Lande 
immer mehr ausgebreitet und entwickelt; in den Bevölkerungszahlen 
tritt der erstere Umstand, weil es sich bei ihm um größere Massen 
handelt, viel schlagender hervor und muß mit seiner Wirkung die 
Wirkung des anderen Umstandes nicht nur ausgleichen, sondern 
noch ganz wesentlich überragen, weshalb er auch in der Regel nur 
bei der Bevölkerungsentwickelung hervorgehoben wird. Das Vor- 
dringen der Industrie auf dem Lande hat sich daneben aber eben- 
mäßig stetig vollzogen und zwar in der Hauptsache gerade in dem 
von uns betrachteten Zeitraum; es geschah in einer zweifachen 
Weise. Mit Einführung der Gewerbefreiheit waren die Schranken 
gefallen, welche früher für Industrie und Gewerbe sowie auch für 
den Handel, welcher hier ebenmäßig mit in Betracht kommt, auf dem 
Lande bestanden hatten; nach der Natur der Sache mußte sich bei 
Wegfall der alten Beschränkungen schon an sich eine freiere und 
kräftigere Entwickelung geltend machen. Diese Entwickelung wurde 
dann wesentlich noch durch den gleichzeitigen mächtigen Empor- 
schwung der Landwirtschaft vornehmlich in Folge des Zuckerrüben- 
baues gefördert, es wurde dadurch teils die Kaufkraft, teils das Be- 
dürfnis und der Anspruch wesentlich gesteigert, so daß dem Hand- 
werker und Händler auf dem Lande der Boden für eine lebens- 
fähige Existenz vollauf gegeben war; die Annehmlichkeit und der 
Nutzen, seine Bedürfnisse für Haus und Wirtschaft im eigenen 
Orte sich verschaffen zu können, wurde auf dem Lande immer mehr 
erkannt und sicherte den sich auf dem Lande Niederlassenden sofort 
eine feste ausreichende Kundschaft. Und so kam es denn, daß 
wesentlich zur Befriedigung der örtlichen Bedürfnisse sich Industrie, 
Gewerbe und Handel in immer ausgedehnterem Maße in den Land- 
gemeinden festsetzten. Es handelt sich dabei fast ausschließlich 
um selbständige und materiell besser gestellte Elemente, welche 
teils schon aus diesem Grunde, theils aber auch weil ihr Berufszweig 
dieses so wie so erforderte, für sich, ihre Familie und ihren Betrieb 
sich eine eigene Unterkunft begründen mußten, die auf dem Lande 
in der Regel nur durch Neuanbau zu erreichen stand. Wie erheblich 
der Einfluß dieses Vordringens der Industrie etc. auf dem Lande 
im Herzogtum Braunschweig gewesen, muß jedem sofort in die 
Augen fallen, der den früheren Zustand gekannt und jetzt die Ort- 
schaften durchwandert, er wird staunen über die Fülle von Gewerbe- 


200 F. W. R. Zimmermann, 


betrieben und Läden — in der Regel verbindet ein Handwerks- 
meister mit seinem Handwerk einen Handel mit den bezüglichen 
fabrikmäßigen Erzeugnissen —, welche man früher auf dem Lande 
vergebens gesucht haben würde. Natürlich äußert sich dieses in den 
verschiedenen Bezirken wieder verschieden, in den reicheren tritt 
es schärfer zu Tage als in den weniger begünstigten, bei den letzteren 
kommt die zweite Art des Fortschreitens der Industrie auf dem 
Lande zum Teil mehr in Frage. Bei dieser Art handelt es sich 
wesentlich um die Großindustrie. Nachdem die Großindustrie zu- 
vörderst weitaus vorwiegend in den Städten sich zu hoher Entfaltung 
emporgeschwungen hatte, ging sie zum Teil doch auch auf das Land 
über, weil hier die ganze Anlage eines größeren Etablissements 
speciell die Beschaffung des nötigen Areals mit geringeren Kosten 
verknüpft war; der gesteigerte Verkehr mit seinem über das ganze 
Land verzweigten Netze und die günstige Verkehrslage mancher 
kleinen Ortschaften erleichterte solches ganz wesentlich. Die so auf 
dem Lande entstandenen größeren gewerblichen Etablissements 
mußten dann aber auch in irgend einer Weise für die Unterkunft 
ihres Beamtenpersonals und ihrer Arbeiter Sorge tragen; wurden 
letztere auch vielfach in Kasernements untergebracht, so zeigte sich 
doch auch schon früh das Bestreben, durch gute Wohngelegenheit, 
durch Verschaffung von Hauseigentum die Arbeiter dauernd an das 
Etablissement zu fesseln; für das höhere Personal war letzteres noch 
mehr geboten, auch war dasselbe vielfach in der Lage, sich selber 
den nötigen Besitz zu schaffen. So lag es wiederum nur in der 
Natur der Sache, daß in den von der Großindustrie berührten länd- 
lichen Gemeinden sich Neuanbauten und kleine ländliche Besitzungen 
bildeten. Die stärkere Zunahme der Parzellenbesitzungen wie die 
der Neuanbauten wird aus dieser Ursache völlig erklärt. 

In erster Linie werden allerdings für die auf dem Lande fort- 
schreitende Industrie Besitzungen mit einem ganz geringen Areal — 
etwas Grund und Boden muß wohl stets neben den Gebäuden vor- 
handen sein, da das Haushaltsbedürfnis an Gemüsen, Früchten etc. 
meist selbst zu beschaffen ist — in Betracht kommen, und dem ent- 
spricht es auch, daß die Besitzungen mit weniger als 0.25 ha sich 
weitaus am meisten vermehrt haben. Namentlich bei dem erst be- 
rührten Eindringen von kleiner Industrie, Handwerk und Handel 
wird aber vielfach auch ein landwirtschaftlicher Nebenerwerb sich 
finden, weil der Industrie- etc.-Betrieb Zeit dafür übrig läßt und 
eventuell im Anfang auch noch nicht ein volles Erträgnis für den 
Familienunterhalt abwirft; auch sonst ist für die in der Industrie 
auf dem Lande Thätigen die Gelegenheit zur nebenberuflichen Aus- 
übung der Landwirtschaft leicht gegeben und wird häufig von den- 
selben ergriffen werden. Es zeigt uns dieses auch das Ergebnis 
der deutschen Berufszählung vom 14. Juni 1895, nach welchem die 
Landwirtschaft weitaus am meisten (zu 75 Proz. der Nebenberufe 
überhaupt) als Nebenberuf ausgeübt wird und zwar vorwiegend 
wiederum von selbständigen Erwerbsthätigen; andererseits gehören 


Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 201 


aber von den in der Landwirtschaft nebenberuflich Thätigen im 
Herzogtum Braunschweig ihrem Hauptberuf nach gleichfalls bei 
weitem die meisten der Industrie an, denn von den die Landwirtschaft 
als Nebenberuf Ausübenden im Herzogtum entfallen nach ihrem 
Hauptberuf 14565 auf die Industrie, 3000 auf Handel und Verkehr 
und 4761 auf Landwirtschaft etc. Mit diesen Daten steht aber die 
Vermehrung der oberen Klassen der Parzellenbesitzungen in vollem 
Einklang, denn selbstredend wird eine nebenberufliche Ausübung 
der Landwirtschaft auf eigenem Grund und Boden nur einen kleineren 
Teil der vorbezeichneten Fälle umfassen können. Für die Beur- 
teilung im ganzen dürfte es noch von Wert sein, das Verhältnis 
des Herzogtums dem Reich gegenüber bezüglch des landwirtschaft- 
lichen Nebenberufs hervorzuheben; es ist dieses als ein durchaus 
normales und keineswegs extremes zu betrachten, von 100 Erwerbs- 
thätigen und berufslosen Selbständigen des Herzogtums haben 12,89 
einen Nebenerwerb in der Landwirtschaft; mit diesem Satze (das 
Maximum beträgt 26,06, das Minimum 0,26, der Reichsdurchschnitt 
10,57) steht das Herzogtum unter den 41 ausgeschiedenen Bezirken 
(preußische Provinzen, bayerische Regierungsbezirke, sonstige Staaten) 
an 15. Stelle, also zu Beginn des zweiten Drittels, es bleibt dabei 
hinter den benachbarten preußischen Provinzen Hannover (16,58; 
11. Stelle) und Sachsen (17,57; 6. Stelle), sowie hinter dem sonst 
vergleichbaren Anhalt (17,08; 8. Stelle) sogar noch zurück; nach 
diesen Daten ist eine dem allgemeinen Verhältnis entsprechende 
und daher gesunde Ausgestaltung in fraglicher Beziehung anzu- 
nehmen. 

Auf die Vermehrung der Parzellenbesitzungen sind neben 
der allerdings ganz vorherrschenden Einwirkung des Vordringens 
der Industrie auf dem Lande vielleicht auch einzelne besondere 
Nutzungsarten des Grund und Bodens, die sich in unseren Zeitraum 
mehr entwickelt haben, von einem wenn auch nur geringerem Ein- 
fluß gewesen. Verschiedentlich hat sich ein erweiterter, aber immer 
noch mehr gartenmäßiger Anbau von Gemüsen und Früchten her- 
ausgebildet, der seine Erzeugnisse vermöge der Ausdehnung und 
Erleichterung des Verkehrs vorteilhaft nach außen absetzen kann; 
auch Blumen-, Samen, und Baumzucht hat sich in ähnlicher Weise 
entwickelt. Durch die zahlreich entstandenen Konservenfabriken ist 
wiederum in einer Anzahl von Bezirken auf einen feldmäßigen An- 
bau von Gemüsen hingewirkt worden, der sich aber schon mit Rück- 
sicht auf die erforderliche intensivere Arbeit besonders vorteilhaft 
für kleinere Flächen durchführen läßt und daher den Parzellenwirt- 
schaften günstig ist, die hier die eigene Arbeit und die der Familie 
einsetzen können. Ganz ähnlich verhält es sich auch mit dem 
Spargelanbau, der trotz seiner schon vorhandenen großen Aus- 
dehnung im Herzogtum noch fortgesetzt wächst und in immer 
weitere Bezirke übergreift. Der Tabakanbau, welcher aber in einiger 
Ausdehnung nur für den Bezirk Calvörde in Frage kommt, ist 
zwar der Gesamtfläche nach schon vor und auch während unseres 


202 F. W. R. Zimmermann, 


Zeitraumes erheblich zurückgegangen, die Zahl der Pflanzer hat sich 
aber in der fraglichen Zeit trotz mannigfachem Schwanken im all- 
gemeinen gehoben, da jetzt lediglich Parzellenbetriebe den Tabak- 
bau betreiben. Alle diese einzelnen Umstände haben insgesamt 
doch einen gewissen Einfluß auf die Vermehrung der Parzellen- 
betriebe, für welche sie günstige Unterlagen schafften, ausgeübt; 
sie machen sich aber nur in bestimmten Bezirken geltend und recht- 
fertigen hier bis zu einem gewissen Grade die stärkere Zunahme 
speciell der beiden oberen Klassen der Parzellenbetriebe. Bezüglich 
der niedrigsten Klasse der Parzellenbesitzungen haben wir schließlich 
noch einen Umstand anzuführen, der auch mit zu ihrer Vermehrung 
beigetragen haben muß, aber nur in beschränkterer Weise Als 
Naturalunterstützungen aus dem Kammergute wurden seit langer 
Zeit Brennholzunterstützungen vom Herzogl. Staatsministerium ver- 
teilt, die aber seit Mitte des 19. Jahrhunderts lediglich in Geld 
gewährt wurden und damit ihre eigentliche Bedeutung verloren ; 
im Jahre 1876 wurde die Unterstützungverteilung eingestellt und 
die dadurch zur Verfügung kommende Summe (5400 M.) zur Be- 
willigung von Bauprämien ausgesetzt; eine Prämie sollen die dem 
Arbeiterstande angehörenden Bauenden in den Landgemeinden er- 
halten, welche für sich bezw. für Mieter ihres Standes zweck- 
entsprechende gute Wohnungen bauen; in erster Linie soll dabei 
die gute Leistung prämiiert werden, bei gleicher Leistung ent- 
scheidet Bedürftigkeit; die Höhe der Prämien ist auf 300 M., 200 M. 
und 150 M. festgesetzt. Seit 1877 hat die Bauprämienverwilligung 
jährlich stattgefunden und war die Zahl der Bewerber stets eine 
größere. Durch diese Einrichtung ist nicht nur die Zahl der Neu- 
bauten gefördert, sondern auch die zweckentsprechende und gute 
Ausführung derselben. 

So haben wir denn für die durch unsere Daten konstatierten 
Veränderungen in dem ländlichen Grundbesitz des Herzogtums 
Braunschweig und zwar sowohl für die Verschiebung innerhalb des 
speciell bäuerlichen Besitzes zu Ungunsten der mittleren Bauern- 
wirtschaften wie für die stärkere Zunahme der Parzellenbesitzungen 
vollwirkende Ursachen nachweisen können, welche als solche mit der 
Aufhebung der Verfügungsbeschränkungen über ländliches Grund- 
eigentum durch das Gesetz vom 28. März 1874 in absolut keiner 
Beziehung stehen. Die hier in Wirksamkeit getretenen Umstände 
würden ihren Einfluß stets ausgeübt haben auch ohne jenes Gesetz; 
vermöge des letzteren konnten sie diesen Einfluß nur freier und 
ungehemmter und damit in naturgemäßer Richtung geltend machen; 
hätten die durch das Gesetz von 1874 beseitigten Schranken noch 
bestanden, so würden jene Umstände doch in Wirksamkeit getreten 
sein, diese Wirksamkeit hätte sich aber neben den Schranken in 
unnatürlicher und wahrscheinlich ungünstiger Weise bethätigt. Die 
beiden hauptsächlich in Frage kommenden Umstände, die Fortschritte 
innerhalb des Landwirtschaftsbetriebes und die steigende Entwicke- 
lung der Industrie sind zudem von einer so eminent wirtschaftlichen 


Die Verfügungsfreiaeit über ländliches Grundeigentum etc. 203 


Bedeutung, daß eine freie Wirkung derselben gewiß nur als ein 
Segen für die ganze Volkswirtschaft angesehen werden kann, und 
muß deshalb um so mehr der Erlaß des Gesetzes von 1874 als ein 
zeitgemäßer und durch die Lage der Verhältnisse gebotener be- 
zeichnet werden. Der Zustand, wie er sich unter dem Gesetz im 
Herzogtum bislang herausgebildet hat, zeigt sich als ein durchaus 
normaler, von schädlichen Extremen freier. Nach dem Stande von 
1897 verteilen sich die ländlichen Besitzungen auf die einzelnen ge- 
bildeten Größenklassen prozentual in folgender Weise: unter 0,25 ha 
31,13 Proz., 0,25 bis unter 1 ha 18,73 Proz., 1 bis unter 5 ha 
22,49 Proz., 5 bis unter 10 ha 9,55 Proz., 10 bis unter 15 ha 6,23 Proz., 
15 bis unter 20 ha 3,25 Proz., 20 bis unter 25 ha 2,20 Proz., 25 bis 
unter 50 ha 4,91 Proz., 50 bis unter 75 ha 1,06 Proz., 75 bis unter 
250 ha 0,38 Proz., 250 bis unter 500 ha 0,06 Proz., 500 bis unter 
750 ha 0,01 Proz., 750 ha und darüber 0,003 Proz. Diese ganze 
Besitzverteilung wird man als eine nachteilige oder zu Bedenken 
Anlaß bietende nicht bezeichnen können; die einzelnen Besitzklassen 
sind in einer für das ganze wirtschaftliche Leben vorteilhaften Weise 
vertreten und zeigt sich dabei namentlich auch der mittlere Besitz 
von einer durchaus angemessenen Stärke. Das ganze Verhältnis, 
wie es uns hier entgegentritt, stimmt auch im wesentlichen mit dem 
anderer auf ähnlicher Grundlage stehender Landesteile des deutschen 
Reiches überein. Es läßt sich dieses aus den Daten der mit der 
Berufszählung vom 14. Juni 1895 verbundenen landwirtschaftlichen 
Betriebsaufnahme nachweisen, welche aber auf einer anderen Grund- 
lage wie unsere hier behandelten Erhebungen, nämlich auf den Be- 
trieben und nicht auf den Besitzungen beruht, dadurch jedoch, daß 
sie mit der gleichartigen Reichserhebung von 1882 in Vergleich zu 
bringen ist, auch die Fortentwickelung ersehen läßt; da hier die 
landwirtschaftliche Fläche für die einzelnen Kategorien der Betriebe 
auch vergleichbar ist, so wollen wir diese für das Herzogtum auch 
mit als besonderes Interesse bietend anführen. Die durch die Reichs- 
erhebung für Braunschweig festgestellten Daten sind folgende: 
Parzellenbetriebe kleine mittlere große Großbetriebe 


Bauernwirtschaften 
Zahl der Betriebe: 


absolut 1882 39 609 5427 6 137 2 273 165 
1895 44 174 5358 6 122 2 256 181 
prozentual 1882 73,88 10,12 11,45 4,24 0,31 
1895 76,94 9,22 10,54 3,89 0,31 
Landwirtschaftliche Fläche der Betriebe in Hektar: 
absolut 1882 19 070 17 333 63 840 80 588 39 444 
1895 20 134 17 348 62 859 81 590 42 294 
prozentual 1882 8,66 7,87 28,98 36,58 17,91 
1895 8,98 7,74 28,03 36,39 18,86 


Bezüglich der zum Vergleich heranzuziehenden Staaten und 
Landesteile können wir aber des beschränkten Raumes wegen nicht 
die sämtlichen vorbezeichneten Daten angeben, wir beschränken uns 


204 F. W. R. Zimmermann, 


deshalb auf die Prozentzahlen der Betriebe und werden diese in 
obiger Reihenfolge für 1882 und 1895 in Klammer einschalten. Ein 
stärker abweichendes Verhältnis zeigt zunächst das Deutsche Reich 
als Ganzes (1882: 58,03 Proz., 18,60 Proz., 17,56 Proz., 5,34 Proz., 
0,47 Proz.; 1895: 58,23 Proz., 18,28 Proz., 17,97 Proz., 5,07 Proz., 
0,45 Proz.), doch ist dieses wohl nicht zu verwundern, da in den 
Daten des Reiches die schärfer ausgeprägten Gegensätze der einzelnen 
Gebietsteile zum Ausgleich gekommen sind, Braunschweig aber ver- 
möge der entwickelten Landwirtschaft und der gleichzeitig vorge- 
schrittenen Industrie mehr zu den nach der einen Richtung hin be- 
sonders markierten Gebieten gehört. Von den oben vergleichsweise 
angezogenen Gebieten steht die Provinz Hannover (1882: 59,33 Proz., 
18,37 Proz., 15,41 Proz., 6,70 Proz., 0,19 Proz.; 1895: 58,20 Proz., 
19,19 Proz., 16,18 Proz., 6,24 Proz., 0,19 Proz.) dem Reichsdurch- 
schnitt vermöge besonderer Verhältnisse ziemlich nahe, wogegen die 
Provinz Sachsen (1882 : 66,50 Proz, 12,97 Proz., 14,14 Proz., 9,81 Proz., 
0,55 Proz.; 1895: 68,39 Proz., 11,98 Proz., 13,76 Proz., 5,35 Proz., 


10,55 Proz., 4,16 Proz. 0,58 Proz. ; 1895: 77,04 Proz., 8,20 Proz., 
10,68 Proz., 3,57 Proz. 0,51 Proz.) dem Stande von Braunschweig 
annähernd gleichkommen ; als näher übereinstimmend können wir 
dann noch die Provinz Westfalen (1882: 69,89 Proz., 14,71 Proz., 
11,55 Proz., 3,76 Proz., 0,09 Proz.; 1895: 71,64 Proz., 13,81 Proz., 
11,01 Proz., 3,45 Proz., 0,09 Proz.), Schaumburg-Lippe (1882: 
70,76 Proz., 13,94 Proz., 12,86 Proz., 2,35 Proz., 0,09 Proz.; 1895: 
72,40 Proz., 13,58 Proz., 11,67 Proz., 2,24 Proz., 0,11 Proz.) und 
Lippe (1882: 76,52 Proz., 12,75 Proz., 7,25 Proz., 3,36 Proz., 0,12 Proz.; 
1895: 77,12 Proz., 12,32 Proz., 6,83 Proz., 3,58 Proz., 0,15 Proz.) 
hervorheben. Bei allen diesen in ihren fraglichen Verhältnissen mehr 
oder weniger nahestehenden Gebieten zeigen UNS aber die ange- 
gebenen Daten im wesentlichen das gleiche Ergebnis, die Ver- 
schiebungen stimmen fast durchweg als solche und auch in ihrer 
Stärke ziemlich überein, als eine besondere Abweichung macht sich 
vielleicht nur die Abnahme der Parzellenbetriebe in der Provinz 
Hannover bemerkbar. Wenn aber die Entwickelung, die wir für 
das Herzogtum Braunschweig Zu konstatieren hatten, sich in gleicher 


oder ganz ähnlicher Weise auch in anderen 1m allgemeinen mit 
Braunschweig übereinstimmenden Gebieten geltend gemacht hat, 
so ist dadurch schon eine Gewähr für das Normale dieser Entwicke- 
lung gegeben und insbesondere kann dieselbe nicht als nachteilig 
durch das Gesetz von 1874 beeinflußt angesehen werden. Um auf 
die soeben bezüglich der Betriebe für Braunschweig gegebenen Daten 
noch einmal zurückzukommen, SO können wir konstatieren, da 
diese Daten fast vollständig mit den von uns behandelten bezüglich 
der Besitzungen korrespondieren ; vorzugsweise entsprechen die Zu- 
letzt bezüglich der landwirtschaftlichen Flächen der Betriebe einge- 
tretenen Veränderungen den von uns hervorgehobenen Verschiebungen 
der Besitzungen; da wir wegen der Unvollkommenheit des Materials 


Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum etc. 205 


auf die Flächen oben keine Rücksicht nehmen konnten, so scheint 
es doppelt wesentlich, auf das Uebereinstimmende hinzuweisen und 
zu konstatieren, daß die Flächenveränderung gegenüber der Ver- 
änderung in der Betriebszahl nur geringfügig erscheint und um so 
weniger zu wirtschaftlichen Bedenken Veranlassung bietet. 

Zum Schluß müssen wir neben den inneren Ursachen für die 
Verschiebungen im ländlichen Grundbesitz auch der äußeren Voll- 
ziehungsform für dieselben kurz gedenken. Vielfach oder meist 
wird sich eben die Verschiebung in der Weise vollziehen, daß von 
der einen Besitzung eine bestimmte Fläche abgetrennt und einer 
anderen Besitzung zugelegt oder zu einer besonderen Besitzung be- 
stimmt wird; wesentlich wird dieses auch bei der Entstehung der 
Parzellenwirtschaften Platz greifen ; nähere Daten lassen sich hierüber 
nicht geben. Eine besondere und weittragende Vollziehungsform 
bilden die sogen. Gutszertrümmerungen, die unter Umständen wirt- 
schaftlich höchst bedenklich werden können. Veranlaßt durch das 
Vorkommen mehrfacher gewerbsmäßiger Gutszertrümmerungen ver- 
folgt man jetzt seit 1896 dieselben statistisch auch im einzelnen; 
für die Vorzeit war durch oberflächliche Ermittelung das Vorkommen 
von etwa 10 Zertrümmerungen im Jahre festgestellt. Für die 
statistische Ermittelung ist als Gutszertrümmerung jedes Geschäft 
anzusehen, welches dazu geführt hat, daß ein bäuerliches Anwesen 
als solches nicht mehr fortbesteht oder durch Abtrennung von Grund- 
stücken so wesentlich verkleinert worden ist, daß sich hieraus nach- 
teilige Folgen für den Fortbestand und die gedeihliche Fortführung 
der betreffenden Wirtschaft ergeben haben. An Gutszertrümmerungen 
wurden in den Jahren von 1896—1899 für die einzelnen Kategorien 
der Besitzungen folgende festgestellt: 


Parzellenbesitzungen kleine mittlere große Großgrundbesitzungen 
Bauernwirtschaften 
1896 5 7 23 9 o 
1897 8 4 17 4 o 
1598 2 5 23 7 o 
1599 2 3 20 13 o 


Ist der Begriff der Gutszertrümmerung schon ziemlich weit ge- 
faßt, so ist bei der praktischen Durchführung der Erhebung doch 
noch darüber hinausgegriffen, worauf wir hier aber nicht näher ein- 
gehen können; die Zahlen charakterisieren sich dadurch als etwas 
zu hohe. Die Daten selbst stimmen aber mit unseren obigen Er- 
gebnissen wieder vollkommen überein; die mittleren Bauernwirt- 
schaften werden von den Zertrümmerungen weitaus am erheblichsten 
betroffen und daraus erklärt sich ihr Rückgang. Bei der Erhebung 
ist nun aber auch ferner konstatiert, daß die einzelnen Parzellen, 
in welche der zertrümmerte Hof zerlegt worden, wiederum allen 
Arten von Höfen, großen, mittleren, kleinen, angegliedert worden 
sind, so daß auf diese Weise sich doch immer wieder auch eine ge- 
wisse Ausgleichung vollzogen hat und eine ungünstige Allgemein- 
wirkung der Gutszertrümınerungen weniger hervorgetreten ist. 
Größere Grundflächen sind allerdings vorwiegender gerade mit 


206 F.W.R. Zimmermann, Die Verfügungsfreiheit über ländliches Grundeigentum ete. 


größeren Besitzungen vereinigt worden, wodurch die an sich nicht 
so wesentliche Zunahme der großen Bauernwirtschaften mit be- 
gründet wird. 

Ziehen wir nun kurz das Endergebnis aus unseren Betrachtungen, 
so muß als festgestellt gelten, daß die Aufhebung der Verfügungs- 
beschränkungen über ländliches Grundeigentum im Herzogtum Braun- 
schweig nach den beigebrachten Daten die befürchteten schädlichen 
Wirkungen nicht gehabt hat; es hat sich weder eine Neigung zu 
einer vorherrschenden Bildung von Parzellenbesitzungen, noch eine 
solche zur Bildung von Latifundien gezeigt; die Aufhebung hat eine 
selbständige Wirkung nach einer diesen beiden Seiten hin überhaupt 
nicht gehabt, sondern die einzelnen Verschiebungen sind lediglich 
durch die besonderen wirtschaftlichen Verhältnisse, speciell den 
größeren Aufschwung des Landwirtschaftsbetriebes und die stärkere 
Entwickelung der Industrie auf dem Lande, bedingt gewesen und 
mit Rücksicht hierauf auch als vollkommen normale und wirtschaft- 
lich gesunde zu bezeichnen. Aus diesem Ergebnis für das Herzog- 
tum Braunschweig erhellt aber weiter, daß mit einer Aufhebung der 
aus der früheren Zeit übernommenen Verfügungsbeschränkungen 
über ländliches Eigentum prineipiell die besagten schädlichen Ein- 
wirkungen nicht verbunden zu sein brauchen, ja daß sie principiell 
nicht damit zusammenhängen, daß jene schädlichen Bildungen einer 
vorwiegenden Parzellenwirtschaft wie von Latifundien, wo sich solche 
bei freiem Verfügungsrecht über ländliches Grundeigentum gezeigt 
haben, auf andere allgemeine oder besondere ungesunde Verhältnisse 
in der Volkswirtschaft zurückzuführen sind. Hierfür glauben wir 
einen zahlenmäßigen und begründeten Nachweis erbracht zu haben. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 207 


Nachdruck verboten. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 


IL. 


Gesetz für das Kônigreich Preussen über die Fürsorge- 
erziehung Minderjähriger. Vom 2. Juli 1900. 


$ 1. Ein Minderjähriger, welcher das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet 
hat, kann der Fürsorgeerziehung überwiesen werden: 

1) wenn die Voraussetzungen des $ 1666 oder des $ 1838 des Bürgerlichen 
Gesetzbuchs vorliegen und die Fürsorgeerziehung erforderlich ist, um die Verwahr- 
losung des Minderjährigen zu verhüten ; 

2) wenn der Minderjährige eine strafbare Handlung begangen hat, wegen der er 
in Anbetracht seines jugendlichen Alters strafrechtlich nicht verfolgt werden kann, 
und die Fürsorgeerziehung mit Rücksicht auf die Beschaffenheit der Handlung, 
die Persönlichkeit der Eltern oder sonstigen Erzieher und die übrigen Lebens- 
verhältnisse zur Verhütung weiterer sittlicher Verwahrlosung des Minderjährigen 
erforderlich ist; 

3) wenn die Fürsorgeerziehung außer diesen Fällen wegen Unzulänglichkeit 
der erziehlichen Einwirkung der Eltern oder sonstigen Erzieher oder der Schule 
zur Verhütung des völligen sittlichen Verderbens des Minderjährigen notwendig ist. 

$ 2. Die Fürsorgeerziehung erfolgt unter öffentlicher Aufsicht und auf 
öffentliche Kosten in einer geeigneten Familie oder in einer Erziehungs- oder 
Besserungsanstalt. 

$ 3. Die Unterbringung zur Fürsorgeerziehung erfolgt, nachdem das Vor- 
mundschaftsgericht durch Beschluß das Vorhandensein der Voraussetzungen des 
$ 1 unter Bezeichnung der für erwiesen erachteten Thatsachen festgestellt und die 
Unterbringung angeordnet hat. 

$ 4. Das Vormundschaftsgericht beschließt von Amtswegen oder auf Antrag. 
Zur Stellung des Antrags sind berechtigt und verpflichtet: 

der Landrath, in den Hohenzollernschen Landen der Ober-Amtmann, in Städten 
mit mehr als 10000 Einwohnern sowie in den nach $ 28 der Kreisordnung für 
die Prowinz Hannover vom 6. Mai 1884 (Ges.-S. S. 181) denselben gleichgestellten 
Städten auch der Gemeindevorstand, 

in Stadtkreisen der Gemeindevorstand und der Vorsteher der Königlichen 
Polizeibehörde. 

Vor der Beschlußfassung soll das Vormundschaftsgericht, soweit dies ohne 
erhebliche Schwierigkeit geschehen kann, die Eltern, den gesetzlichen Vertreter des 
Minderjährigen und in allen Fällen den Gemeindevorstand, den zuständigen Geist- 
lichen und den Leiter oder Lehrer der Schule, welche der Minderjährige besucht, 
hören, auch hat, wenn die Beschlußfassung nicht auf Antrag erfolgt, das Vormund- 
schaftsgericht zuvor dem Landrath (Ober-Amtmanne, Gemeindevorstande, Vor- 
steher der Königlichen Polizeibehörde) unter Mitteilung der Akten Gelegenheit zu 
einer Aeußerung zu geben. 

Der Beschluß ist dem gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen, diesem 
selbst, wenn er das 14. Lebensjahr vollendet hat, dem Landrath (Ober-Amtmanne, 


208 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Gemeindevorstande, Vorsteher der Königlichen Polizeibehörde) und dem ver- 
pflichteten Kommunalverbande ($ 14) zuzustellen. 

Gegen den Beschluß steht den im Abs. 3 Genannten die sofortige Beschwerde 
zu, dem gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen oder diesem selbst jedoch nur 
dann, wenn der Beschluß auf Unterbringung zur Fürsorgeerziehung lautet. Die 
Beschwerde hat aufschiebende Wirkung. 

§ 5. Bei Gefahr im Verzuge kann das Vormundschaftsgericht eine vor- 
läufige Unterbringung des Minderjährigen anordnen. Die Polizeibehörde des 
Aufenthaltsorts hat in diesem Falle für die Unterbringung des Minderjährigen in 
einer Anstalt oder in einer geeigneten Familie zu sorgen. 

Die durch die vorläufige Unterbringung erwachsenden Kosten fallen, sofern 
die Ueberweisung zur Fürsorgeerziehun Femaächst endgiltig angeordnet wird, dem 
verpflichteten Kommunalverbande (§ 14), anderenfalls demjenigen zur Last, welcher 
die Kosten der örtlichen Polizeiverwaltung zu tragen hat. Die Polizeibehörde hat 
nallen Fällen die durch die vorläufige Unterbringung entstehenden Kosten vorzu- 
schießen. 

Streitigkeiten über die Angemessenheit der dem Erstattungspflichtigen in 
Rechnung gestellten Vorschüsse der Polizeibehörde entscheidet der BezirksausschuB 
im Beschlußverfahren. Der Beschluß des Bezirksausschusses ist endgiltig. 

§ 6. Hat die im $ 4 angeordnete Anhörung der Eltern oder des gesetzlichen 
Vertreters nicht stattfinden können, so sind dieselben berechtigt, die Wieder- 
aufnahme des Verfahrens zu verlangen. 

$ 7. Soweit nıcht in diesem Gesetz ein anderes bestimmt ist, finden auf das 

erichtliche Verfahren die allgemeinen Vorschriften über die durch Landesgesetz 
en ordentlichen Gerichten übertragenen Angelegenheiten der freiwilligen Gerichts- 
barkeit Anwendung. 

$ 8. Die gerichtlichen Verhandlungen sind gebühren- und stempelfrei; die 
baren Auslagen fallen der Staatskasse zur Last. Ist nach dem Ermessen des 
Vormundschaftsgerichts die Vernehmung der nach $ 4 Abs. 2 zu hörenden Personen 
erforderlich gewesen, so haben sie Anspruch auf Erstattung der notwendigen baren 
Zulagen aus der Staatskasse; dies gilt jedoch nicht für die Eltern des Minder- 
jährigen. 

Verträge über die Unterbringung von Zöglingen sind stempelfrei. 

$ 9. Die Ausführung der Fürsorgeerziehung liegt dem verpflichteten Kom- 
munalverband ob ($ 14); er entscheidet darüber, in welcher Weise der Zögling 
untergebracht werden soll. Im Falle der Anstaltserziehung ist der Zögling, soweit 
möglich, in einer Anstalt seines Bekenntnisses unlersnbringen: Im Falle der 
Familienerziehung muß der Zögling mindestens bis zum Aufhören der Schulpflicht 
in einer Familie seines Bekenntnisses untergebracht werden. 

Der Kommunalverband hat dem Vormundschaftsgericht von der Unter- 
bringung und von der Entlassung des Ge Mitteilung zu machen. 

Die Ueberführung des Zöglings liegt der Polizeibehörde des Aufenthaltsorts ob. 

$ 10. Die Zöglinge dürfen nicht in Arbeitshäusern und nicht in Landarmen- 
häusern, in Anstalten, welche für Kranke, Gebrechliche, Idioten, Taubstumme oder 
Blinde bestimmt sind, nur so lange untergebracht werden, als es ihr körperlicher 
oder geistiger Zustand erfordert. 

n Ausführung einer eingeleiteten Fürsorgeerziehung kann die Erziehung in 
der eigenen Familie des Zöglings unter Aufsicht des Kommunalverbandes wider- 
ruflich angeordnet werden. 

$ 11. Für jeden in einer Familie untergebrachten Zögling ist zur Ueber- 
wachung seiner Erziehung und Pflege von dem Kommunalverband ein Fürsorger 
zu bestellen. Hierzu können auch Frauen bestellt werden. 

ÿ 12. Auf Antrag des verpflichteten Kommunalverbandes kann, unbeschadet 
der Vorschriften des Artikel 78 $ 1 des Ausführungesetzes zum Bürgerlichen 
Gesetzbuche, der Vorstand einer unter staatlicher Aufsicht stehenden Erziehungs- 
anstalt vor den nach § 1776 des Bürgerlichen Gesetzbuchs als Vormünder berufenen 
Personen zum Vormunde der auf Grund der $$ 3ff. in der Anstalt untergebrachten 
Zöglinge bestellt werden. 

Das Gleiche gilt für Zöglinge, die unter der Aufsicht des Vorstands der 
Anstalt in einer von ihm ausgewählten Familie erzogen werden; liegt die Be- 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 209 


aufsichtigung der Ee einem von dem verpflichteten Kommunalverbande be- 
stellten mten ob, so kann dieser auf Antrag des Kommunalverbandes statt des 
Vorstands der Anstalt zum Vormund bestellt werden. 

Neben dem nach den Vorschriften der Abs. 1, 2 bestellten Vormund ist ein 
Gegenvormund nicht zu bestellen. Dem Vormunde stehen die nach $ 1852 des 
Bürgerlichen Gesetzbuchs zulässigen Befreiungen zu. 

$ 13. Die Fürsorgeerziehung endigt mit der Minderjährigkeit. 

Die frühere Aufhebung der Fürsorgeerziehung Se urch BeschluB des 
Kommunalverbandes von Amtswegen oder auf Antrag der Eltern oder des gesetz- 
lichen Vertreters des Minderjährigen, wenn der Zweck der Fürsorgeerziehung er- 
reicht oder die Erreichung des Zwecks anderweit sichergestellt ist. Die Aufhebung 
kann unter Vorbehalt des Widerrufs beschlossen werden. 

Gegen den ablehnenden Beschluß des Kommunalverbandes kann der Antrag- 
steller binnen einer Frist von 2 Wochen vom Tage der Zustellung ab die Ent- 
scheidung des Vormundschaftsgerichts anrufen. Gegen den Beschluß des Vor- 
mundschaftsgerichts findet die Beschwerde statt. Die Beschwerde des Kommunal- 
verbands hat aufschiebende Wirkung. 

p Ein abgewiesener Antrag darf vor dem Ablaufe von 6 Monaten nicht erneuert 
werden. 

$ 14. Die Provinzialverbände, in der Provinz Hessen-Nassau die Bezirks- 
verbände der Regierungsbezirke Wiesbaden und Cassel, der Lauenburgische 
Landes-Kommunalverband, der Landes-Kommunalverband der Hohenzollernschen 
Lande sowie der Stadtkreis Berlin sind verpflichtet, die Unterbringung der durch 
Beschluß des Vormundschaftsgerichts zur Fürsorgeerziehung überwiesenen Minder- 
jährigen in einer den Vorschriften dieses Gesetzes entsprechenden Weise zu be- 
wirken. Sie haben für die Errichtung von Erziehungs- und Besserungsanstalten 
zu sorgen, soweit es an Gelegenheit fehlt, die Zöglinge in geeigneten Familien 
sowie in öffentlichen, kirchlichen oder privaten Anstalten unterzubringen, auch, 
soweit nötig, für ein angemessenes Unterkommen bei der Beendigung der Für- 
sorgeerziehung zu sorgen. 

Zur Unterbringung verpflichtet ist derjenige Kommunalverband, in dessen 
BER der Ort liegt, als dessen Vormundschaftsgericht das Gericht Beschluß ge- 

pt hat. 

$ 15. Die Kosten, welche durch die Ueberführung des Zöglings in eine 
Familie oder Anstalt, durch die dabei nötige reglementsmäßige erste Ausstattung, 
durch die Beerdigung des während der Fürsorgeerziehung verstorbenen und dure 
die Rückreise des aus der Fürsorgeerziehung entlassenen Zöglings entstehen, fallen 
dem Ortsarmenverband, in welchem er seinen Unterstützungswohnsitz hat, zur 
Last. Ist ein solcher Ortsarmenverband nicht vorhanden, so fallen diese Kosten 
dem verpflichteten Kommunalverbande ($ 14 Abs. 2) zur Last. Die übrigen Kosten 
des Unterhalts und der Erziehung sowie der Fürsorge für entlassene Zöglinge 
tragen in allen Fällen die Kommunalverbände. 

Die Kommunalverbände erhalten zu den nach Abs. 1 von ihnen zu tragenden 
Kosten aus der Staatskasse einen Zuschuß in Höhe von zwei Dritteln der Kosten. 
Der Betrag des Zuschusses wird jährlich auf Liquidation der im Vorjahr aufge- 
endeten Kosten oder im Einverständnisse mit den einzelnen Kommunalverbänden 
periodisch als Bauschsumme von dem Minister des Innern festgesetzt. 

$ 16. Die Kommunalverbände sind berechtigt, die Erstattung der während 
der Fürsorgeerziehung entstandenen Kosten des Unterhalts eines Zöglings von 
diesem selbst oder von dem auf Grund des Bürgerlichen Rechts zu seinem Unter- 
halte Verpflichteten zu fordern. Dieselbe Berechtigung steht den Ortsarmen- 
verbänden hinsichtlich der ihnen nach $ 15 Abs. 1 zur Last fallenden Kosten zu. 

Für die Erstattungsforderung der Kommunalverbände sind Tarife zu Grunde 
zu legen, welche von dem Minister des Innern nach Anhörung der Kommunal- 
verbände festgesetzt werden. Die Kosten der allgemeinen Verwaltung der Für- 
sorgeerziehung, des Baues und der Unterhaltung der von den Kommunalverbänden 
errichteten Anstalten bleiben hierbei außer Ansatz. 

Wird gegen den Erstattungsanspruch Widerspruch erhoben, so beschließt 
darüber auf Antrag des Kommunalverbandes oder Ortsarmenverbandes der Bezirks- ' 
ausschuß. 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 14 


910 Nationalükonomische Gesetzgebung. 


Der Beschluß ist vorbehaltlich des ordentlichen Rechtsweges endgiltig. 

Zwei Drittel der durch die Kommunalverbände von den Erstattungs- 
pflichtigen eingezogenen Beträge sind aaf den Beitrag des Staates ($ 15 Abs. 2) 
anzurechnen. 

$ 17. Die Kommunalverbände haben für die Ausführung der Fürsorge- 
erziehung und für die Verwaltung der von ihnen errichteten Erziehungs- und 
Besserungsanstalten Reglements zu erlassen. 

Die Reglements bedürfen der Genehmigung der Minister des Innern und der 
geistlichen, Ünterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten in Betreff derjenigen Be- 
stimmungen, welche sich auf die Aufnahme, die Behandlung, den Unterricht und 
die Entlassung der Zöglinge beziehen. 

Hinsichtlich der Privatanstalten behält es bei den bestehenden Vorschriften 
sein Bewenden. 

§ 18. Die gesetzlichen Bestimmungen über die religiöse Erziehung der Kinder 
finden auch auf die Fürsorgeerziehun menton 

$ 19. Wenn schulpflichtige Zöglinge der öffentlichen Volksschule ohne sitt- 
liche Gefährdung der übrigen die Schule besuchenden Kinder nicht zugewiesen 
werden können, so hat der Kommunalverband dafür zu sorgen, daß diesen Zög- 
lingen während des schulpflichtigen Alters der erforderliche Schulunterricht ander- 
weitig zu teil wird. Im Streitfalle entscheidet der Oberpräsident. 

§ 20. Die zuständigen staatlichen Aufsichtsbehörden der Kommunalverbände 
und in höherer Instanz der Minister des Innern haben die Oberaufsicht über die 
zur Unterbringung von Zöglingen getroffenen Veranstaltungen zu führen; sie sind 
befugt, zu diesem Zwecke Revisionen vorzunehmen. 

$ 21. Wer, abgesehen von den Fällen der $$ 120, 235 des Strafgesetzbuchs, 
einen Minderjährigen, bezüglich dessen das gerichtliche Verfahren auf Unter- 
bringung zur Fürsorgeerziehung eingeleitet oder die Unterbringung zur Fürsorge- 
erziehung angeordnet ist, dem Verfahren oder der angeordneten Fürsorgeerziehung 
entzieht, oder ihn verleitet, sich dem Verfahren oder der Fürsorgeerziehung zu 
entziehen, oder wer ihm hierzu vorsätzlich behilflich ist, wird mit Gefängniß bis 
au 2 Jahren und mit Geldstrafe bis zu Eintausend M. oder mit einer dieser Strafen 

estraft. 

Der Versuch ist strafbar. 

$ 22. Der Minister des Innern ist mit der Ausführung dieses Gesetzes be- 
auftragt. 

§ 23. Dieses Gesetz tritt mit dem 1. April 1901 in Kraft. 

it dem gleichen Zeitpunkte wird das Gesetz vom 13. März 1878, betr. die 
Unterbringung verwahrloster Kinder, aufgehoben. 

Kommunalverbände, welche zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes über 
geeignete Anstalten nicht in ausreichendem Maße verfügen, sollen bis zum 1. April 
1903 bei der Unterbringung der Zöglinge den im $ 10 Abs. 1 dieses Gesetzes aus- 
gesprochenen Beschränkungen nicht unterliegen. 


III. 


Gesetz für das Kônigreich Preussen vom 18. Juli, betr. 
die Warenhaussteuer. 


$ 1. Wer das stehende Gewerbe des Klein- (Detail-) Handels mit mehr als 
einer der im $ 6 dieses Gesetzes unterschiedenen Ba ne n betreibt, unterliegt, 
i 


wenn der Jahresumsatz in diesen Gruppen — einschließlich desjenigen der in 
Preußen belegenen Zweigniederlassungen, Filialen, Verkaufsstätten — 400000 M. 


übersteigt, der nach Vorschrift dieses Gesetzes zu entrichtenden, den Gemeinden 
zufließenden Warenhaussteuer. 
Ob der Kleinhandel im offenen Laden, Warenhaus, Lager u. dergl. oder als 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 211 


Versandgeschäft, auf oder ohne vorgängige Bestellung betrieben wird, macht für 
die Besteueruug keinen Unterschied. 

Erstreckt sich der Kleinhandelsbetrieb über mehrere Orte, so tritt die Steuer- 
pflicht nur insoweit ein, als seine Verkaufsstätten in einem und demselben Ort 
oder unmittelbar benachbarten Orten mehr als eine der im $ 6 unterschiedenen 
Warengruppen führen. 

Vereine, eingetragene Genossenschaften und Korporationen, welche nach $ 5 
des Gewerbesteuergesetzes vom 24. Juni 1891 der Gewerbesteuer nicht unterworfen 
sind, unterliegen auch der Warenhaussteuer nicht. Dasselbe gilt von den auf 
Grund des $ 3 des gedachten Gesetzes bezw. $ 28 des Kommunalabgabengesetzes 
vom 14. Juli 1803 von der Gewerbesteuer befreiten Betrieben. 

$ 2. Die Warenhaussteuer beträgt vorbehaltlich der Bestimmung im $ 5 
bei einem Jahresumsatze von 


mehr als bis Steuersatz mehr als bis Steuersatz 
400000 M. 450000 M. 4000 M. 750000 M. 800000 M. 12500 M. 
450000 ,, 500 000 ,„ 5500 m 800 000 ,, 850000 „ 13500 „ 
500000 a 550000 ,„ 7 500 ;, 850000 „ 900 000 ;, 15000 „ 
550000 „ 600 000 ;, 8500 ,, 900 000 ,, 950000 „ 16500 ,, 
600000 y 650000 „ 9500 ,, 950000 „ 1000000 „ 18000 ,„ 
650000 „ 700 000 „ 10500 ,„ 1 000 000 „ 1100000 „ 20000 ,„ 
700000 ,, 750000 „ 11500 ,„ 1000000 ;, 1200000 „ 22000 ,„ 


u. s. f. für jede 100000 M. mehr 2000 M. Steuer mehr. 

$ 3. Unterhält ein Unternehmen der im $ 1 bezeichneten Art, welches 
seinen Sitz außerhalb Preußens hat, in Preußen eine oder mehrere Verkaufsstätten 
(Zweigniederlassungen, Filialen u. s. w.), so unterliegt jede dieser Verkaufsstätten 
ohne Rücksicht auf die Höhe des Umsatzes einer Warenhaussteuer von zwei vom 
Hundert ihres Jahresumsatzes. 

Der geringste Steuersatz beträgt 200 M. bei einem jährlichen Umsatz von 
10000 M. oder weniger. Die Steuersätze steigen um je 200 M. für je 10000 M. 
des Jahresumsatzes. 

Die Heranziehung nach Abs. 1 und 2 unterbleibt, wenn der Unternehmer 
vor eingetretener Rechtskraft der Veranlagung nachweist, daß der Gesamtumsatz 
des ganzen Unternehmens 400000 M. nicht übersteigt. Ingleichen sind, wenn der 
Gesamtumsatz mehr als 400000 M., aber nachgewiesenermaßen nicht mehr als 
1000000 M. beträgt, die inländischen Verkaufsstätten nur mit dem ihrem Anteil 
an dem Gesamtumsatz entsprechenden, auf die nächste durch 10 teilbare Zahl von 
Mark abzurundenden Teilbetrage desjenigen Stenersatzes zu veranlagen, welcher 
nach $ 2 auf das Gesamtunternehmen zu veranlagen sein würde, wenn sich seine 
sämtlichen Betriebsstätten in Preußen befänden. 

$4. Für die Steuerveranlagung maßgebend ist der Umsatz des bei der Vor- 
nahme derselben abgelaufenen Jahres. Besteht der Gewerbebetrieb noch nicht 
ein Jahr lang, so ist der Umsatz nach dem zur Zeit der Veranlagung vorliegenden 
Anhalte zu schätzen. Während des Steuerjahres eintretende Kenderanden sind 
erst bei der Besteuerung für das folgende Jahr zu berücksichtigen. 

$ 5. Würde die nach $ 2 berechnete Warenhaussteuer eines Steuerpflichtigen 
nachweislich 20 Proz. des nach dem Gesetze vom 24. Juni 1891 für das betreffende 
Steuerjahr gewerbesteuerpflichtigen Ertrages seines der Warenhaussteuer unter- 
liegenden Unternehmens übersteigen, so ist sie auf seinen Antrag auf diesen Be- 
trag, keinesfalls aber weiter als bis auf die Hälfte des nach $ 2 sich ergebenden 
Steuersatzes, herabzusetzen. Der Antrag ist entweder bei Abgabe der Steuerer- 
klärung ($ 9) oder im Wege der gesetzlichen Rechtsmittel ($ 13) anzubringen. 

Auf Konsumvereine und Konsumanstalten, welche nach § 1 Abs. 4 steuer- 
panog sind, ingleichen auf die im § 3 bezeichneten Unternehmen findet diese 

timmung. keine Anwendung. 

$ 6. Die nach $ 1 zu unterscheidenden Warengruppen sind: 

A. Material- und Kolonialwaren, Eß- und Tnk arén und Genußmittel, 
Tabak und Tabakfabrikate (auch Rauchutensilien), Apothekerwaren, Farbwaren, 
Droguen und Parfümerien ; 

B. Garne und Zwirne, Posamentierwaren, Schnitt-, Manufaktur- und Mode- 


14* 


212 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


waren, gewebte, gestrickte, gewalkte und gestickte Waren, Bekleidungsgegenstände 
(Konfektion, Pelzwaren), Wäsche jeder Art, "Betten und Möbel jeder Art, Vor- 
hänge, Teppiche, Möbelstoffe und die zu deren Verarbeitung dienende Anfertigung 
von Zimmerdekorationen ; 

C. Haus-, Küchen- und Gartengerätschaften, Oefen, Glas-, Porzellan-, Stein- 
rut- und Thonwaren, Möbel jeder Art und die dazu dienenden Möbelstoffe, Vor- 
änge und Teppiche; 

D. Gold-, Silber- und sonstige Juwelierwaren, Kunst-, Luxus-, Galanterie- 
waren, Papp- und Papierwaren, Bücher und Musikalien, Waffen, Fahrräder, Fahr-, 
Reit- und J agdutensilien, sonstige Sportartikel, Nähmaschinen, Spielwaren, optische, 
physikalische, medizinische und musikalische Instrumente und Apparate. 

Waren, welche zu keiner der im ersten Absatz unterschiedenen Gruppen ge- 
hören, werden als besondere Warengruppe nicht gezählt. 

Solche Waren, die vermöge ihrer Beschaffenheit oder Bestimmung sowohl 
der einen wie der anderen jener Gruppen zugerechnet werden können, werden nur 
einmal gezählt, und zwar, wenn auch andere zu denselben Gruppen gehörige Waren 
geführt werden, bei derjenigen, der diese Waren angehören. 

Ingleichen wird, wenn sich der Handel mit Waren der einen Gruppe nach 
Herkommen und Gebrauch auch auf Waren anderer Gruppen erstreckt, welche 
mit ersteren zugleich feilgeboten zu werden pflegen — wie bei Handlungen mit 
Eisen- und Stahlwaren, Gummiwaren u. dergl. —, nur Handel mit einer Waren- 
gruppe angenommen. 

Wie eine Ware nach Maßgabe der in den vorstehenden vier Absätzen nieder- 
gelegten Grundsätze zu klassifizieren ist, wird im Zweifelsfalle von dem Minister 
für Handel und Gewerbe oder der von im bestimmten Behörde mit bindender 
Kraft festgestellt. 

Maßgebend ist die zur Zeit der Veranlagung geführte Zahl von Waren- 
gruppen. 

$ 7. Durch die Zerlegung eines Warenhausbetriebes in mehrere gesonderte, 
selbständige Betriebe werden diese Betriebe von der Entrichtung der Steuer nach 
Maßgabe des Gesamtumsatzes nicht befreit, wenn die begleitenden Umstände er- 
kennen lassen, daß die Zerlegung in mehrere Betriebe behufs Verdeckung des 
Warenhausbetriebes stattfindet. 

Der hiernach auf die Gesamtheit der Betriebe einheitlich veranlagte Steuer- 
satz ist unter sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen im $ 38 des Gewerbe- 
steuergesetzes vom 24. Juni 1891 bezw. im $ 32 des Kommunalabgabengesetzes 
vom 14. Juli 1803 in die auf die einzelnen Betriebe entfallenden Teilbetrige zu 
zerlegen. 

$ 8. Die Veranlagung der Warenhaussteuer erfolgt für jedes Steuerjahr im 
Anschluß an diejenige der allgemeinen Gewerbesteuer nach dem Gesetze vom 
24. Juni 1891 (Gesetz-Samml. No. 203) für alle Gewerbesteuerklassen durch den 
örtlich zuständigen Steuerausschuß der Gewerbesteuerklasse I. Der Finanz- 
minister kann anordnen, daß demselben zu diesem Zwecke zwei weitere Mitglieder 
hinzutreten, von denen das eine von dem Finanzminister zu ernennen, das andere 
nach Maßgabe des $ 10 des Gewerbesteuergesetzes zu wählen ist. 

$ 9. Jeder bereits zur Warenhaussteuer veranlagte Gewerbetreibende ist auf 
die jährlich durch öffentliche Bekanntmachung ergehende Aufforderung des Vor- 
sitzenden des nach $ 8 zuständigen Steuerausschusses verpflichtet, die Höhe seines 
steuerpllichtigen Jahresumsatzes anzugeben. Diese Erklärungen sind innerhalb 
der auf mindestens 14 Tage zu bemessenden Frist nach den vom Finanzminister 
vorgeschriebenen, kostenlos zu verabfolgenden Formularen bei dem im ersten Satz 
bezeichneten Vorsitzenden des Steuerausschusses schriftlich oder zu Protokoll 
unter der Versicherung abzugeben, daß die Angaben nach bestem Wissen und Ge- 
wissen gemacht sind. 

Andere Gewerbetreibende sind zur Abgabe einer solchen Erklärung ver- 
pflichtet, sobald eine besondere Aufforderung des im Abs. 1 bezeichneten Vor- 
sitzenden des Steuerausschnsses an sie ergeht. 

Die Erklärungen (Abs. 1 und 2) sind geheim aufzubewahren. 

Der $ 56 des Gewerbesteuergesetzes vom 24, Juni 1591 findet auf diese Er- 
klärungen sinngemäße Anwendung. 


Nationalükonomische Gesetzgebung. 213 


§ 10. Bei der Veranlagung darf von den Angaben in der Erklärung ($ 9) 
nur abgewichen werden, nachdem dem betreffenden Steuerpflichtigen Gelegenheit 
mit mindestens l4tägiger Frist zur Aeußerung über die obwaltenden Bedenken ge- 
geben worden ist. 

Zum Zwecke der Prüfung der Erklärung ist der Steuerpflichtige auf Beschluß 
des Steuerausschusses auch verpflichtet, seine Geschäftsbücher vorzulegen. 

$ 11. Wer die ihm nach $ 9 obliegende Erklärung nicht innerhalb der vor- 
geschriebenen Frist abgiebt oder den auf Grund der Vorschrift $ 10 an ihn ge- 
richteten Aufforderungen nicht Folge leistet, verliert die gesetzlichen Rechtsmittel 
gegen seine Veranlagung zur Warenhaussteuer für das betreffende Steuerjahr, in- 
sofern nicht Umstände dargethan werden, welche die Versäumnis entschuldbar 
machen. 

$ 12. Gewerbetreibende, welche im Laufe des Steuerjahres den Kleinhandel 

mit mehr als einer der im $ 6 unterschiedenen Warengruppen anfangen oder 
auf mehr als eine dieser Warengruppen ausdehnen, oder eine nach $ 3 der Waren- 
haussteuer unterliegende Verkaufsstelle in Preußen errichten, haben hiervon, wenn 
nicht nach den Verhältnissen des Betriebes von vornherein ausgeschlossen ist, daß 
der Gesamtumsatz die warenhaussteuerpflichtige Höhe erreicht, der von dem 
Finanzminister zu bestimmenden Behörde vorher oder gleichzeitig Anzeige zu 
machen. 
Die im Laufe eines Steucrjahres erfolgende Beschränkung des Kleinhandels 
eines zur Warenhaussteuer veranlagten Betriebes auf nur eine der im $ 6 unter- 
schiedenen Warengruppen oder auf Waren, welche keiner derselben angehören, 
ändert an der veranlagten Warenhaussteuer nichts. 

$ 13. Soweit in dem Vorstehenden nicht ein anderes bestimmt ist, finden 
auf die Warenhaussteuer hinsichtlich der Veranlagung, der Rechtsmittel, der Zer- 
legung der Steuersätze, der Zu- und Abgänge, der Abmeldungen, der Befugnisse 
der Steuerausschüsse und ihrer Vorsitzenden, der den Gewerbetreibenden und 
ihren Vertretern obliegenden Verpflichtung zur Auskunftserteilung, der Nachbe- 
steuerung, der Ausfälle, des Erlasses und der en se S Steuerbe- 
träge sowie der Oberaufsicht die für die Gewerbesteuerklasse I geltenden Vor- 
schriften $$ 17—21, 25, 26, 27 Abs. 2, 3, §§ 30—38, 42—53, 58, 76—78 des Ge- 
werbesteuergesetzes vom 24. Juni 1891 (Gesetz-Samml. S. 203), sowie $$ 9, 10 
Abs. 2. $ 11 Abs. 1, 2, $ 14 Abs. 1, 2, $ 15 Abs. 1 des Gesetzes wegen Aufhebung 
direkter Staatssteuern vom 14. Juli 1893 (Gesetz-Samml. S. 119) sinngemäße An- 
wendung. 

Die in den $$ 54 und 56 des Gewerbesteuergesetzes den Gewerbetreibenden 
und ihren Vertretern auferlegte Verpflichtung zur Auskunftserteilung erstreckt 
sich fortan für alle Gewerbetreibenden, welche den Kleinhandel betreiben, auch 
auf die Angabe, mit welchen Warengattungen dies geschieht. 

Die Strafbestimmungen in den $$ 70 und 71 No. 1 des Gewerbesteuergesetzes 
sind auch auf die durch das gegenwärtige Gesetz den Gewerbetreibenden und 
ihren Vertretern auferlegte Verpflichtung zur Anmeldung und zur Abgabe von 
Erklärungen entsprechend anzuwenden. Tigleichen finden die $$ 71 No. 2, 72 und 
73 a. a. O. bei der Warenhaussteuer sinngemäße Anwendung. 

$ 14. Die Veranlagung zur allgemeinen Gewerbesteuer nach dem Gesetze 
vom 24. Juni 1891 und zu besonderen auf Grund des $ 28 des Kommunalabgaben- 
esetzes vom 14. Juli 1893 eingeführten Gewerbesteuern wird durch die Waren- 
aussteuer nicht berührt. Die empfangsberechtigte Gemeinde hat aber die Waren- 
haussteuer nur so weit zu erheben, als sie die von ihr nach $ 29 oder § 30 des 
Kommunalabgabengesetzes von dem der Warenhaussteuer unterliegenden Betrieb 
erhobene Gewerbesteuer übersteigt. Erstreckt sich die Gewerbesteuerveranlagung 
auf mehrere Betriebe, die nicht sämtlich der Warenhaussteuer unterliegen, so ist 
der auf die warenhaussteuerpflichtigen Betriebe entfallende Teilbetrag der Gewerbe- 
steuer unter sinngemäßer Anwendung der Vorschriften im $ 38 des Gewerbesteuer- 
gesetzes vom 24. Juni 1891 und $ 32 des Kommunalabgabengesetzes festzustellen. 

Die Warenhaussteuer ist von den Gemeinden (Gutsbezirken) in vierteljähr- 
lichen Beträgen zu erheben. Die Bestimmung des $ 40 und $ 41 des Gewerbe- 
steuergesetzes findet auch auf die Warenhaussteuer Anwendung. 

as Aufkommen an Warenhaussteuer ist von den Gemeinden, soweit dieselben 


214 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


zur Deckung ihrer Ausgaben von den nach den Vorschriften des Gewerbesteuer- 
esetzes in den Steuerklassen III und IV veranlagten Gewerbetreibenden Prozente 
er vom Staate veranlagten Gewerbesteuer oder eine besondere Gewerbesteuer er- 
heben, zur Erleichterung der von diesen Steuerklassen zu erhebende Prozente 
bezw. Steuer, andernfalls zur Bestreitung von Gemeindebedürfnissen vorzugsweise 
im Interesse der kleineren Gewerbetreibenden zu verwenden. Eine Anrechnung 
der Warenhaussteuer auf den nach den $$ 54—57 des Kommunalabgabengesetzes 
durch besondere Gemeindegewerbesteuern oder Prozente der vom Staate veran- 
lagten Gewerbesteuer aufzubringenden Teil des Steuerbedarfs findet nicht statt. 

Die Gutsbezirke haben die erhobenen Beträge an Warenhaussteuer am 
Schlusse eines jeden Vierteljahres an die Kreiskommunalkasse abzuführen. Die 
Kreise haben diese Beträge vorzugsweise im Interesse der kleineren Gewerbe- 
treibenden zu verwenden. f 

$ 15. Die Warenhaussteuer wird zum ersten Male für das Rechnungsjahr 
1901 erhoben. 

Die bei Veröffentlichung dieses Gesetzes bereits bestehenden Warenhäuser 
haben die Steuer für das Rechnungsjahr 1901 nur zur Hälfte zu entrichten. 

$ 16. Der Finanzminister, der Minister des Innern und der Minister für 
Handel und Gewerbe sind mit der Ausführung dieses Gesetzes beauftragt. 


Miszellen. 215 


Nachdruck verboten. 


Miszellen. 


IV. 
Handwerkersöhne an höheren Lehranstalten. 


Von Bernhard Harms, Tübingen. 


Die Handwerkerfrage ist nach allen Seiten des langen und breiten 
debattiert. Wissenschaftlicher Erörterungen wird es zur Klarstellung 
der Gesamtlage des Handwerks kaum mehr bedürfen. Die vor- 
aussichtlichen Entwickelungstendenzen liegen deutlich vor Augen, die 
Berufs- und Gewerbezählung von 1895 redet instruktiver denn alle 
Hypothesen und Enqueten. Die Lehre von der unaufhörlich fort- 
schreitenden Konzentration wird allgemach selbst von ihren eifrigsten 
Vertretern als nur noch in gewissen Tendenzen konstatierbar hinge- 
stellt. Mag die moderne Kultur umwälzen und reformieren — der 
ganze Handwerkerstand wird niemals ihr Opfer werden. Auch im zu- 
künftigen Wirtschaftsleben wird der Handwerker seinen Platz finden. Die 
nationalökonomische Wissenschaft steht in dieser Beziehung prinzipiell auf 
einem und demselben Standpunkt, verschieden sind nur die Auffassungen 
über die Bedeutung jenes Platzes. Welchen Anteil der Handwerker 
im Laufe der Zeit an der Gesamtproduktion haben wird, ob er bei 
der Neuherstellung unserer Sachgüter eine größere oder kleinere Rolle 
zu spielen hat — darüber läßt sich streiten. Die Gesamtforschung 
giebt hier keinen Aufschluß, wohl aber die Specialstudie. Nach dieser 
Richtung hin bietet auch die Handwerkerfrage noch eine Fülle interessanter 
Probleme. 

In nachfolgendem wird eine Seite der Handwerkerfrage zur Sprache 
kommen, die meines Wissens bisher noch nicht untersucht wurde. Es 
handelt sich um die Frage, welches Kontingent die Handwerker- 
söhne für unsere höheren Lehranstalten stellen. An und 
für sich mag eine solche Untersuchung weniger den Nationalökonomen 
als vielmehr den Pädagogen interessieren. Indes ist der Frage die volks- 
wirtschaftliche Bedeutung nicht abzusprechen. Denn ohne Zweifel 
kann auf diese Weise ein neuer Maßstab gewonnen 
werden für die Beurteilung der materiellen Lage des 
Handwerks. Hat die Zahl der Höhere Lehranstalten besuchenden 
Handwerkersöhne wesentlich abgenommen, so bedeutet das zweifellos 
eine Verringerung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Handwerker. In 
den Schriften des „Vereins für Sozialpolitik“ weist bereits Paul Voigt 


216 Miszellen. 


in seiner Arbeit über das Handwerk in Eisleben (Bd. 70, S. 351) auf 
den Besuch des dortigen Gymnasiums seitens der Handwerkersöhne hin. 
Er findet in den stetig kleiner werdenden Zahlen die Bestätigung seiner 
Ergebnisse: den Niedergang des Eislebener Handwerks. 

Dieser Hinweis interessierte mich in hohem Maße, ich versuchte, 
der bezüglichen Entwickelung an möglichst vielen Schulen nachzugehen, 
und kam schließlich auf den Gedanken, hierüber eine Enquete zu ver- 
anstalten. 

Unter Anleitung des Herrn Prof. Dr. von Schönberg arbeitete 
ich einen zweckentsprechenden Fragebogen aus!) und versandte den- 
selben an ca. 600 Höhere Schulen ?) Preußens und Württembergs. 

Ich war mir von vornherein bewußt, damit eine hohe Anforderung 
an die ohnehin mit amtlichen statistischen Aufnahmen viel geplagten 
Direktoren zu stellen 2. Indes blieb zur Erreichung des gesteckten 
Zieles kein anderer Weg. 

Von den ca. 600 Empfängern des Fragebogens haben etwa 330 
geantwortet. Leider ließen sich in vielen Fällen die Unterlagen für die 
Erhebungen nicht auftreiben, handelte es sich doch darum, für den Zeit- 
raum von 25 Jahren sämtliche Handwerkersöhne der betreffenden 
Schule einzeln, nach dem speciellen Beruf des Vaters aufzuzeichnen. 
Die Schülerverzeichnisse früherer Jahre aber sind vielfach nicht mit 


1) Nachstehend eine verkleinerte Kopie des Fragebogens: 
Fragebogen betreffend den Besuch deutscher Handwerkersöhne 
an Höheren Lehranstalten Preußens. 


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So | > - - das Zeugnis gung zum 
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2) Der Begriff „Höhere Schulen‘ ist derartig gefaßt, daß alle diejenigen Anstalten 
in Frage kommen, welche das Recht der Verleihung des Berechtigungsscheines zum Einj.- 
Freiw. Militärdienst besitzen. 

3) Nach Mitteilungen einer großen Zahl von Direktoren erforderte die Beantwortung 
jedes Bogens einen Zeitaufwand von 8—12 Stunden. 


Miszellen. 217 


derart eingehenden Angaben versehen, oder aber sie sind verloren ge- 
gangen. 

Wirklich brauchbares Material lief von 126 Schulen ein; darunter 
65 Gymnasien, 27 Progymnasien und Realgymnasien, 34 Realschulen 
und Realanstalten !). 

Im ganzen sind auf diese Weise für den Zeitraum 1876—1900 
152800 Schüler, darunter 17129 Handwerkersöhne zur Erhebung ge- 
kommen. Es konnte den Schulvorständen nicht zugemutet werden, 
für jedes Handwerk eine gesonderte Aufstellung zu machen, aber doch 
waren die Resultate der wichtigsten unter ihnen von besonderem 
Interesse, so daß 10 Handwerke?) auf dem Fragebogen namhaft ge- 
macht worden sind. 

Gewiß ist eine derartige Erhebung nicht einwandfrei; konnte ich 
mich dieser Erkenntnis schon vor der Bearbeitung nicht verschließen, 
so ist sie mir jetzt zur Gewißheit geworden. Eine Reihe von Bedenken 
muß auch hier zur Sprache gebracht werden. 

Der größte Fehler ist jedenfalls der, daß die Statistik sich nur auf 
einen Teil — etwa 29 Proz. — aller in Frage kommenden Schulen 
erstreckt. Indes sind sämtliche Provinzen Preußens an ihr beteiligt, 
so daß gewisse Tendenzen sich trotzdem ergeben. Ferner ist es möglich, 
daß einzelne Schüler doppelt gezählt sind, da sämtliche Neuauf- 
genommenen verzeichnet wurden, also auch diejenigen, welche von 
anderen Schulen kamen. Endlich aber, und das ist für die Beurteilung 
der Ergebnisse besonders wichtig, konnten nähere Anhaltspunkte für 
den Begriff „Handwerk“ nach Lage der Sache nicht gegeben werden. 
Der Beruf mußte so zur Erhebung kommen, wie ihn die Väter resp. 
Söhne selbst angegeben hatten. Auf diese Weise sind entschieden 
manche Handwerker als Kaufmann, Händler, Fabrikant, Stadtrat u. s. w. 
eingetragen. Ein bezüglicher Vermerk seitens der Direktoren ist 
vielen Fragebogen beigegeben. Man wird also nicht fehlgehen in der 
Annahme, daß die Enquete die Mindestzahl der Höhere Lehr- 
anstalten besuchenden Handwerkersöhne angiebt. 

Auch die Bearbeitung des Materials bot einige Schwierigkeiten. 
Bei dem verschiedenen Charakter der einzelnen Schulen, und vor allem 
infolge der stark voneinander abweichenden Gründungsjahre, war eine 
summarische Behandlung von vornherein ausgeschlossen ?). Sollte das 
ganze Material zweckentsprechend verwertet werden, so mußte die Be- 
arbeitung eine individualistische sein. Es war daher notwendig, für 
jede Schule den prozentualen Anteil der Handwerkersöhne für je 
5 Jahre auszurechnen. Nur auf diese Weise war es möglich, die Einzel- 
resultate zu einem Gesamtbilde zu vereinigen. 

In nachfolgendem sind die Ergebnisse systematisch zusammengestellt. 


1) Württembergische Bezeichnung für „Realschule“. 

2) Buchbinder, Buchdrucker, Uhrmacher, Bäcker, Metzger, Schuhmacher, Schneider, 
Schlosser, Maler, Tischler. 

3) Daher ist auch in nachfolgender Aufstellung die Schlußsumme nicht gezogen, 
denn manche der aufgeführten Schulen mußten wegen Fehlens irgendwelcher Zahlen 
ausgeschieden werden, so z. B. Berlin IV und Herford u. a. 


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Miszellen. i 293 


Schon ein flüchtiger Blick auf diese Tabelle zeigt, daß die Ver- 
hältnisse in Preußen und Württemberg grundverschieden liegen, der 
Anteil der Handwerkersöhne an der Gesamtzahl der Schüler ist in 
Württemberg weitaus größer. Es ergiebt sich daraus die Notwendigkeit 
getrennter Darstellung. In Preußen sind in Summa 143 135 Schüler 
zur Erhebung gekommen, unter ihnen 15668 Handwerkersöhne 
(10,5 Proz). Letztere verteilen sich auf die einzelnen Handwerksarten, 
wie folgt: 


Zahl der neu aufgenommenen Handwerkersöhne in den Jahren 


Beruf des Vaters | 76—80 | 81—85 | 86—90 | 91—95 |96—1900| Summa 
Buchbinder 56 33 46 65 | 71 271 
Buchdrucker 48 56 | 79 105 120 408 
Uhrmacher 71 62 o 74 91 389 
Bäcker 304 311 312 338 380 1645 
Metzger 212 193 231 266 354 1256 
Schuhmacher 208 141 178 157 214 898 
Schneider 193 189 199 207 287 1075 
Schlosser 117 129 143 199 270 858 
Maler 104 81 105 120 171 581 
Tischler l 164 130 174 241 257 966 
Sonstige Handwerker | 1592 1289 1389 | 1477 | 1574 7321 

Summa | 3069 | 2614 2947 3249 | 3789 15 668 


Auf je 5 Jahre verteilt, ist die Gesamtzahl der Handwerkersöhne 
von 3069 (in den Jahren 1876—80) auf 3789 (in den Jahren 1896/1900) 
gestiegen, das bedeutet eine Zunahme von 23,4 Proz. In derselben 
Zeit ist die Zahl der Nichthandwerkersöhne von 22085 (in den Jahren 
16—80) auf 31 269 (in den Jahren 1896—1900) gestiegen, so daß die 
Vermehrung sich hier auf 41,5 Proz. beläuft. Während aber die Zu- 
nahme der Nichthandwerkersöhne stetig fortschritt — 22 085, 22 979, 
26438, 26 934, 31269 — weist die Quote der Handwerkersöhne in 
den Jahren 81—85 eine starke Verminderung auf, die erst in 
den 90er Jahren wieder wett gemacht wurde. Auffällig ist dabei, daß 
die Abnahme in erster Linie die Rubrik „Sonstige Handwerker“ be- 
trifft, ihre ursprüngliche Zahl 1592 ist auch im letzten Zeitabschnitt 
(96—1900) nicht wieder erreicht. Der Verlust an Handwerkersöhnen 
ist also im wesentlichen den nicht besonders namhaft gemachten Hand- 
werken zuzuschreiben, wenngleich auch bei den übrigen, zwischen den 
ersten beiden Lustren eine kleine Differenz zu konstatieren ist. Ein 
Vergleich der Jahre 76—80 und 96—1900 aber zeigt bei allen nam- 
haft gemachten Handwerken eine wesentliche Steigerung !); dieselbe be- 
trägt bei den Buchbindern 26,8 Proz, Buchdruckern 150 Proz., Uhr- 
machern 25,3 Proz., Bäckern 25 Proz., Metzgern 62,2 Proz., Schneidern 
48,6 Proz., Schlossern 130,7 Proz., Malern 66,3 Proz., Tischlern 64 Proz. 
Die Zahl der „sonstigen“ Handwerkersöhne hat sich um 1,2 Proz. 


1) Mit Ausnahme der Schuhmacher, bei denen die Zunahme nur 2,9 Proz. 
beträgt. 


224 Miszellen. 

vermindert. Bei den meisten Handwerken tendieren die Zahlen 
in den 80er Jahren nach unten, dann aber steigen sie, und zwar am 
stärksten im letzten Jahrzehnt. Da die Zahl der Nichthandwerker- 
söhne nur 41,5 Proz. zunahm, zeigen die Buchdrucker, Metzger, 
Schneider, Schlosser, Maler und Tischler eine erheblich 
stärkere Vermehrung. 

Vergleichen wir mit diesen Ergebnissen die Resultate wissenschaft- 
licher Forschung hinsichtlich der Lebensfähigkeit des Handwerks, 
so finden wir dort als konkurrenzfähig in erster Linie die hier be- 
sonders genannten Handwerksarten verzeichnet, es ist 
also kein Zufall, wenn sich aus ihren Kreisen auch die meisten 
höhere Lehranstalten besuchenden Handwerkersöhne rekrutieren. 

Wenn nun trotzdem bei einer großen Reihe von Schulen die Zahl 
der auf je 100 Schüler kommenden Handwerkersöhne kleiner geworden 
ist, so liegt das an der starken Vermehrung der Nichthandwerkersöhne 
gegenüber den „sonstigen“ Handwerkersöhnen. Die Pro- 
hundertquote der namhaft gemachten Handwerke ist durchweg ge- 
stiegen. (Siehe Anmerkung 1 auf S. 223.) 

Ein wesentlich anderes Bild zeigen die Zahlen, wenn sie nach 
dem Charakter der Schulen gruppiert werden.. Stellen wir zu diesem 
Zwecke 3 Kategorien auf — Gymnasien, Real- und Progymnasien, 
Realschulen — so spiegelt sich die Entwickelung in folgender Auf- 
stellung wider. 


Gymnasien Realgymnasien ete. Realschulen 
| | 

Beruf des Vaters |1876 sei eg 1891/96—[1876 1881 1886] 189196—[1876|1881|1886 1891106— 
—801—85 —90|—95|1900]— 80 re 90 —95|1900)—80/—85|— 90 — 95/1900 
Buchbinder 24 11] 22) ı7| 18] 18| 8| 6| 16) 181 14 | 14, 18| 32| 35 
Buchdrucker 24 -22| 30| 32| 37| 10| 11 6| 20| ı3| al 23| 43| 53| 70 
Uhrmacher 41, 31) 40| 20| 38] 22| 13| 19| 19| 18 8| 18| 32! 35 35 
Bäcker 151 147| ı5ıl ıı7 | 123| 108| 93| 72| 71| 82| 45' 71) 97 150| 175 
Metzger 78. 79| 79 88| ro4| 73| 62| 64| 58| Gol 61, 53| 88| rioj 190 
Schuhmacher 116, 72| 87| 55| Di 49| 36| 38| 33| 36] 43| 33| 53) 69| 117 
Schneider 103, 99' 77| 54| 64] 56| 50| 49| 30| 41] 34| 40| 73 123| 182 
Schlosser 34 55 38 46| 31] 53 71 40| 40| 49| 30| 39 65, 103, 170 
Maler 48| 42 29| 30| ao 34 | ı8| 22| 23| 23| 22| 21 D 67| 128 
Tischler 7 58 44| 50| 58| 54 | 33| 40| 35| 31] 32| 39| oo 156| 168 

Sonstige Hand- | | 
werker 776| 622, 525| 443 | 455| 440 | 369 | 317 | 253 | 255 [376 |318 | 516) 781| 864 
Summa |1473|1230|1153 952 1020 917 730 |673 598 | 626 | 679 | 669 1129/1699 2134 


Nehmen wir zunächst die Gymnasien, so zeigt sich hier eine 
Abnahme der Handwerkersöhne von 30,2 Proz.; mit Ausnahme der 
Buchdrucker und Metzger sind daran sämtliche Handwerke beteiligt, 
die nicht namhaft gemachten sogar mit 41,3 Proz. 

Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse bei den Realgymnasien und 
Realprogymnasien. Die Gesamtzahl ist von 917 auf 626 (31,7 Proz.) 
gesunken, auch hieran sind mit Ausnahme der Buchdrucker sämtliche 
Handwerke beteiligt. 


Miszellen. 225 


Der Verlust beider Kategorien findet sich in den Realschulen 
wieder, die Zunahme der Handwerkersöhne ist hier enorm, sie beträgt 
im Durchschnitt 214,3 Proz. die einzelnen Handwerke sind daran, wie 
folgt, beteiligt: Buchbinder 150 Proz, Buchdrucker 400 Proz., Uhr- 
macher 337,5 Proz., Bäcker 288,8 Proz. Metzger 211,4 Proz., Schuh- 
macher 170,4 Proz., Schneider 435,3 Proz., Schlosser 466,6 Proz., 
Maler 481,8 Proz., Tischler 425 Proz., „sonstige Handwerker“ 129,8 Proz. 
Die Realschulen scheinen demnach von den Handwerkern bevorzugt zu 
werden. Die Gründe hierfür dürften nur zum kleinsten Teile in dem 
billigeren Schulgeld zu suchen sein, die Handwerker betrachten vielmehr in 
den weitaus meisten Fällen als das Ziel der Schulbildung ihrer Söhne die 
Erlangung des Berechtigungsscheines zum Einjährigen Militärdienst. Zur 
Erreichung dieses Zieles wird naturgemäß der einfachste Weg be- 
schritten, es ist daher erklärlich, daß mit der Zunahme der Realschulen 
die Handwerkersöhne sich den Gymnasien in immer stärkerem Male 
abwenden. Die sinkende Tendenz an diesen Schulen beruht demnach 
in der Regel nicht auf der geringeren finanziellen Leistungsfäbigkeit 
der Handwerker, sondern vielmehr auf der Vermehrung solcher An- 
stalten, deren Abgangszeugnis zum Einjährigen Militärdienst berechtigt. 
Es kann daher nicht Wunder nehmen, wenn die Zahl der Handwerker- 
söhne mit dem „Berechtigungsscheine“ die Zahl der Besitzer des „Reife- 
zeugnisses“ weit überholt. 

Die Tabelle bietet ferner interessante Anhaltspunkte für die be- 
züglichen Verhältnisse in den verschiedenen Landesteilen, indes reden 
hier die Zahlen an sich, so daß eine Krystallisierung überflüssig er- 
scheint. 

Wiederholen wir das Gegebene, so läßt es sich kurz dahin präzi- 
sieren, daß 1) die Zahl der Handwerkersöhne an den Höheren Schulen 
Preußens in den letzten 25 Jahren im allgemeinen abgenommen 
hat, daß aber die Söhne der namhaft gemachten, besser situierten Hand- 
werker (mit Ausnahme der Schuhmacher) sich unverhältnismäßig stark 
vermehrten, und daß 2) die Realschulen in immer stärkerem Male die 
Handwerkersöhne auf Kosten der Gymnasien und Progymnasien an 
sich ziehen. 

In Württemberg ist die Entwickelung ähnlich gegangen, nur 
daß hier der Anteil der Handwerkersöhne an der Gesamtzahl ein größerer 
ist. Detaillierte Angaben über die einzelnen Handwerksarten würden 
zu einem unklaren Bilde führen, da an der Aufnahme fast ausschließ- 
lich Realanstalten beteiligt sind. Ueberdies ist hier der Unterschied 
zwischen den besonders genannten und „sonstigen“ Handwerkern nicht 
annähernd so groß, als in Preußen. 

Einige allgemeine zusammenfassende Zahlen dürften deshalb zur 
Klarlegung der thatsächlichen Verhältnisse genügen. Im ganzen haben 
sich nur 10 Württemberger Schulen an der Enquete beteiligt. Die 
Zahl ihrer Schüler beläutt sich in den letzten 25 Jahren auf 9665, 
darunter 1991 Handwerkersöhne!). Während letztere in Preußen nur 
mit 10,5 Proz. an der Gesamtzahl beteiligt sind, partizipieren sie in 
Württemberg mit 20,6 Proz. Die beiden verzeichneten Gymnasien 

Dritte Folge Id. XXI (LXXVI). 15 


296 Miszellen. 


weisen aber ebenfalls eine verschwindend kleine Ziffer auf. Die Nicht- 
handwerkersöhne sind von 1080 in den Jahren 76—80 auf 1748 in 
den Jahren 96—1900 gestiegen, in derselben Zeit steigerte sich die 
Zahl der Handwerkersöhne von 295 auf 399. Mithin vermehrten sich 
letztere um 35,3 erstere sogar um 62,5 Proz. Für je 5 Jahre ging 
die Entwickelung, wie folgt: 
76—80 81-85 86—90 91—95 96—00 
Handwerkersöhne 295 453 452 402 399 
Nichthandwerkersöhne ; 1080 1549 1448 1729 1748 

Gerade diese Zahlen schließen ein langes und breites in sich, zum 
mindesten führen sie zu interessanten Vermutungen. 

Wir haben gesehen, daß in Preußen die Zahl der Handwerker- 
söhne in den 80er Jahren zu sinken tendiert, in Württemberg macht 
sich dieselbe Entwickelung 5—10 Jahre später bemerkbar. Liest da 
nicht die Annahme nahe, daß die Wirkungen der modernen Produktions- 
form in dem industriereichen Norddeutschland früher fühlbar wurden, 
als in Württemberg? Darf aber andererseits aus den Zahlen nicht 
auch konstatiert werden, daß sich im Handwerk selbst eine Klärung 
vollzog derart, daß das Sterbende vollends abfiel, die konkurrenzfähigen 
Handwerke aber nach der ersten Ueberraschung durch die unvermittelt 
hereinbrechende neue Zeit schnell wieder erstarkten ? Gerade die später 
einsetzende Entwickelung in Württemberg spricht für diese Annahme, 
denn hier, wie überhaupt in Süddeutschland, hat sich die alte hand- 
werksmäßige Produktionsform weit besser konserviert, als in Nord- 
deutschland. Allmählich aber geht auch hier derselbe Prozeß seinen 
Weg, das Unhaltbare muß stürzen, der konkurrenzfähige Teil des Hand- 
werks dagegen wird sich auch in Süddeutschland den veränderten Ver- 
hältnissen anzupassen wissen. Die Enquete bestätigt, was die objektive 
Wissenschaft längst erkannte: Fühlbar wurdedem ganzen Hand- 
werk die Entwickelung zur Großindustrie, zum Opfer 
aber fielen ihr nur gewisse Handwerksarten. 


1) Bei dieser Zusammenstellung ist die Tübinger Realschule nicht mit ver- 
rechnet, da ihre Resultate erst einliefen, als die Bearbeitung bereits erfolgt war, In die 
Tabelle aber ist diese Schule noch aufgenommen, sie zeigt einen sehr hohen Prozent- 
satz von Handwerkersöhnen; man wird nicht fehlgehen, wenn man den hierdurch 
dokumentierten wohlsituierten Handwerkerstand auf die Universität zurückführt. 
Göttingen z. B. zeigt ähnlich günstige Zahlen. In letzter Stunde lief noch der 
Fragebogen von der Realanstalt zu Eßlingen ein, auch hier war die Verrechnung 
nicht mehr möglich, wenngleich die Aufnahme in die Tabelle noch erfolgte. 


Miszellen. 297 


Nachdruck verboten, 


V. 


Von der ersten russischen Volkszählung. 


Am 28. Januar (9. Februar n. St.) 1897 wurde in Rußland die erste, 
das ganze Reich umfassende Volkszählung ausgeführt. Das gesamte 
Zählungsmaterial wurde in duplo angefertigt, und das Urmaterial ging 
an das Statistische Centralkomitee in St. Petersburg ab, während die 
Kopien den Lokalorganen, den statistischen Lokalkomitees der Regie- 
rung, verblieben. Obschon G. v. Mayr, einer der begeistertsten An- 
hänger einer centralistisch organisierten Verarbeitung von Volkszählungs- 
materialien, die Centralisation in einem Lande für undurchführbar hält, 
wo die einzelnen territorialen und politischen Einheiten sich in Kultur- 
und Sprachenverhältnissen sehr wesentlich voneinander unterscheiden, 
und obschon diese, an dem Prinzip der Centralisation geübte Ein- 
schrünkung den Eindruck hervorruft, als sei sie eigens auf die Ver- 
hältnisse des Zarenreiches, des „Landes aller Zonen“, gemünzt, hatte 
es sich die russische Regierung doch nicht nehmen lassen, durch das 
Gesetz vom 5. Juni 1895 eine völlig centralistisch organisierte Ver- 
arbeitung des Volkszählungsmaterials festzusetzen und Verarbeitungen 
durch die lokalen statistischen Aemter grundsätzlich zu verbieten. Die 
am 28, Januar 1897 angefertigten Kopien des Urmaterials liegen noch 
heute, wit amtlichem Siegel verschlossen, unberührt unter dem Tisch 
der Chefs der lokalen statistischen Büreaus und werden nur in einzelnen 
Fällen, wo ergänzende Auskünfte aus Petersburg eingeholt werden, 
ausgebeutet, um dann wieder mit aller büreaukratischer Förmlichkeit 
unter das Gewahrsam des Amtssiegels gebracht zu werden — ob- 
schon die Duplikate der Zähllisten dazu bestimmt waren, den 
Zwecken der lokalen Behörden zu dienen. Nach Art. 40 
und 41 des Gesetzes vom 5. Juni 1895 über die Ausführung einer 
allgemeinen Volkszählung sind nämlich auch lokale Verarbeitungen des 
Volkszählungsmaterials vorgesehen und nur von einer speciellen Ge- 
nehmigung des Ministers des Innern abhängig gemacht worden, aber 
bisher ist diese Genehmigung allen Selbstverwaltungskörpern, die auf 
eigene Kosten ein lokales Dépouillement veranstalten wollten, regel- 
mäßig versagt worden. 

Obschon somit die lokalen Verwaltungszweige auf die Ergebnisse 
der Ausbeute durch das Statistische Centralkomitee des Ministeriums 


15* 


298 Miszellen. 


des Innern angewiesen blieben, und obschon man sich bewußt war, daß 
bei dem, seit zwei Jahrzehnten im Zarenreich vorherrschenden, 
nivellierend-centralistischen System in Verwaltung und Regierung, 
daß bei all den Versuchen, die vielfachen, heterogenen Bestandteile des 
Reiches wenigstens auf dem Papier einander zu assimilieren, sich auch 
das Statistische Centralkomitee dem Zuge der Zeit kaum entziehen und 
ein feineres Detail zur Charakterisierung der lokalen Eigenheiten 
schwerlich liefern werde, obschon man also in eingeweihten Kreisen 
seine Erwartungen nicht allzu hoch spannte, richtete man die ganze 
Hoffnung noch auf die elektrische Zählmaschine, die sich nach dem 
Zeugnis von Rauchberg !) bei derVerarbeitung des Materials der öster- 
reichischen Volkszählung vom 31. Dezember 1890 so gut bewährt 
hatte. Da die Regierung sich nun einmal für Centralisation in der 
Verarbeitung des Zählmaterials entschieden hatte, war es wohl auch 
ganz folgerichtig, zu einer modernen Errungenschaft, der Zählmaschine, 
zu greifen. Und das um so mehr, als auch wieder Rauchberg der 
Maschinenarbeit gerade dort den Vorzug erteilt, wo die statistische 
Technik am wenigsten entwickelt ist — eine Voraussetzung, die, wie 
wir weiter unten sehen werden, eigens auf die bekannten Verhältnisse 
im Statistischen Centralkomitee in Petersburg paßt. 

Eine der wesentlichsten Erwartungen, die die Gesellschaft, wie 
auch die Fachkreise Rußlands auf die Zählmaschine setzten, bestand 
darin, daß man vor allem eine möglichst schnelle Erledigung der Ver- 
arbeitung des umfangreichen Zählmaterials erhoffte Hatten doch die 
österreichischen Volkszählungsarbeiten vom Tage der Zählung, dem 
31. Dezember 1890, bloß 21/, Jahre, bis zum 15. Juli 1893, gewährt, 
und in diesem Zeitraum, von dem die Zeit vom Zählungstage bis zum 
15. Juni 1891 der decentralisierten, summarischen Bearbeitung ge- 
widmet war, ein überaus reichhaltiges Tabellenmaterial mit den mannig- 
faltigsten Kombinationen und einer feinen Detaillierung zu Tage ge- 
fördert. DBeiläufig bemerkt, war in dieser Zeit nach Rauchberg die 
gesamte Bevölkerung Oesterreichs 4mal durch die Maschine geführt 
und außerdem der Nebenerwerb für 587 778 Personen ausgezählt, d h. 
rund 96,2 Mill. Karten waren erledigt worden. Jetzt sind seit dem 
Zählungstage in Rußland mehr als 3 Jahre verflossen; was aber bisher 
auantitativ geleistet worden ist, ist so verschwindend gering, daß man 
an der Richtigkeit der Thatsache schier zweifeln möchte, wenn nicht 
authentisches, offizielles Material allen Zweifel niederschlüge. Das 
Statistische Centralkomitee hat bisher 10 Lieferungen erscheinen lassen, 
die sich mit 51/, Mill. Bewohnern aus den verschiedensten Teilen des 
europäischen und des asiatischen Rußland befassen. Und auch das 
alles ist bloß Bruchstück und bringt keineswegs abschließende Arbeiten, 
d. h. wenigstens Gruppierungen sämtlicher Erhebungsmomente für 


1) Dr. Heinr. Rauchberg, Die elektrische Zählmaschine u. s. w., in Mayr’s Allg. 
Stat. Arch., 2. Jahrg., 1. Halbband, und Derselbe, Erfahrnngen mit der elektrischen 
Zählmaschine, in Mayr’s Allg. Stat. Arch., 4. Jahrg., 1. Halbband. 


Miszellen. 299 


die 5'/, Mill. und Detaillierung der Bevölkerungsverhältnisse in den 
Gouvernements, deren Bearbeitung zuerst in Angriff genommen worden ist. 

Wie bei der Anwendung der Zählmaschine eine, sich in lauter 
Fragmenten bewegende Verarbeitung des Zählungsmaterials möglich 
ist, bliebe ein Rätsel, wüßte man nicht, daß die Maschine gerade ganz 
besondere Umstände voraussetzt, Umstände, die wohl nur meist dort 
anzutreffen sein werden, wo die statistische Technik gerade einen 
hohen Stand der Entwickelung einnimmt. 

Es berührte etwas eigen, als auf die Anfrage v. Mayr’s „über die 
Ausgestaltung des Volkszählungsplanes“ (s. darüber Allg. Stat. Archiv, 
4. Jahrg, 1. Halbband, S. 396) Herr v. Troinitzky, Präsident des 
Statistischen Centralkomitees, mitteilte, „daß das Projekt der Volks- 
zäblung erst nach definitiver Entscheidung durch den Reichsrat mit- 
geteilt werden könne“. Man konnte sich nicht des Eindrucks erwehren, 
daß ein gewisses Quidproquo gewaltet habe, als Herr v. Troinitzky in 
der Folge dem Herausgeber des Allg. Stat. Archives in einer fran- 
zôsischen Broschüre das Gesetz vom 5. Juni 1895 mit den Bestimmungen 
über den äußeren Gang der Volkszählung, die Organisation der Zäh- 
lungsämter, u. s. w. übersandte. Man fragte sich, ob v. Mayr mit der 
„Ausgestaltung des Volkszählungsplanes“ nicht am Ende den Ausbeute- 
plan ins Auge gefaßt hatte, der nach Art. 40 des Gesetzes von der 
Hauptzählungskommission zu konzipieren und darauf von dem Statisti- 
schen Centralkomitee auszuführen war. Jedenfalls waren die Fach- 
kreise, denen die Bedeutung eines Ausbeuteplanes gerade für die Ver- 
wendung einer elektrischen Zählmaschine bekannt war, auf die 
Veröffentlichung dieses Planes sehr gespannt. Ist es doch von Rauch- 
berg mit größter Eindringlichkeit betont worden, daß gerade in dem 
Arbeitsplan der Schwerpunkt gelegen ist, um die Leistungsfähigkeit 
der Maschine voll zu entfalten, daß der Leiter des Amtes sich während 
der Dauer der Maschinenarbeiten freilich in einen Fabrikdirektor um- 
wandeln müsse, der nur darauf zu achten hat, daß sich alles dem im 
voraus entworfenen Programm entsprechend abwickele, daß er dafür 
aber „vorher und nachher doppelt Statistiker“ sein muß, „Denn 
der ganze Plan muß bis in die kleinsten Details konzipiert sein, bevor 
nur der erste Schritt zu seiner Verwirklichung gemacht ist“1) Wie 
weit man darin vorarbeiten kann, ja muß, hat man an der österreichischen 
Volkszählung gesehen. Rauchberg teilt, wie der Plan für die elektrische 
Aufbereitung des österreichischen Volkszählungsmaterials verwirklicht 
werde, bereits zu einer Zeit mit, wo der Plan nur erst aufgestellt war. 
Er schrieb, wie er in seinem zweiten Aufsatz erläuterte, „ein Präsens, 
eigentlich war es das Futurum“. 

Wie ganz anders in Rußland. Anfragen über den Arbeitsplan, die 
von Berufsstatistikern an das Statistische Centralkomitee gerichtet 
worden sind, hat man nicht recht verstanden und späterhin mit einem 
konfidentiellen, aber dafür entschiedenen: „Das ist Amtsgeheimnis!“ 
beantwortet. Bis heute besteht jedenfalls ein solcher Plan 


en 


1) Rauchberg, a. a. O. 


230 Miszellen. 


für die Ausbeutung der Zählungsmaterialiennicht. Doch 
wir wollen nicht vorgreifen, sondern nur bemerken, daß bald die 
seltsamsten Nachrichten über die Arbeiten des Statistischen Central- 
komitees in die weiteren Kreise der Gesellschaft drangen und von der 
Presse bald schärfer, bald weniger scharf kommentiert und glossiert 
wurden. 

Aus all den Kritiken, die bisher auf die vom Statistischen Central- 
komitee veröffentlichten Zählungsresultate erfolgten, sei eine Abhand- 
lung herausgenommen, die in der „Russkoje Ekonomitscheskoje Obos- 
renje“ (Jahrg. 1900, Heft 5, S. 51—67) vor einiger Zeit erschienen 
ist und offenbar aus fachmännischer Hand stammt. Die Sache entbehrt 
zudem nicht eines gewissen pikanten Beigeschmackes. Denn die „Russ- 
koje Ekonomitscheskoje Obosrenje“ (Russische ökonomische Rundschau) 
ist ein hoch-offiziöses, vom Finanzministerium heraus- 
gegebenes Journal, das unter der Redaktion M. M. Fedorow's erscheint, 
des Redakteurs zweier offizieller Organe des Finanzministeriums: des 
„Westnik Finanssow“ (Finanzbote) und der Torgowo-Promyschlennaja 
Gaseta“ (Handels- und Industriezeitung). 

Die Abhandlung ist „Die allgemeine Volkszählung und 
die Bearbeitung ihrer Resultate“ betitelt und gewährt ein 
deutliches Bild vom augenblicklichen Stande der Aufbereitungsarbeiten. 
Wir lassen sie hiermit in extenso folgen: 

„Es ist eine der unvermeidlichen Befugnisse eines wohleingerichteten 
Staatswesens unserer Zeit, möglichst genaue und vollständige Daten zu 
sammeln über die Zahl und Gliederung der Bevölkerung, sowie über 
die verschiedensten Seiten ihrer Lebensbethätigung. Unsere Regierung 
hatte schon längst erkannt, wie wichtig die Organisation von statisti- 
schen Institutionen ist und deshalb bekanntlich bereits im Jahre 1811 
beim Ministerium der Polizei eine besondere statistische Abteilung ein- 
gerichtet. Aber auch außerdem wurde noch in anderen Ministerien die 
‚Sammlung statistischen Materials, das für dieses oder jenes Ressort ein 
größeres Interesse hatte, organisiert. Obschon wir uns nun heute nicht 
gerade über einen Mangel an staatlichen und kommunalen Organen für 
Statistik beklagen können, so darf dennoch der Reichtum an Institutionen 
nicht entfernt als Beweis für einen richtigen Zuschnitt unserer Statistik 
angesehen werden. Im Gegenteil, der Mangel an genauen statistischen 
Daten für eine ganze Reihe von Grundproblemen unserer Volkswirt- 
schaft, begonnen mit den Ernteresultaten, veranschaulicht überzeugend 
die Insolvenz der Statistik unseres Landes, so daß eine Reform dieser 
Angelegenheit zu den aktuellsten Aufgaben unseres Staatslebens gehört. 

Unter den staatlichen Organen für Statistik nimmt die weitaus 
größte Bedeutung das Statistische Centralkomitee des Ministeriums des 
Innern in Anspruch, nebst allen seinen lokalen Organen, den Gouverne- 
ments- und Gebiets-statistischen Komitees: in diesen Institutionen ist, 
wie bekannt, unter anderem auch die Bevölkerungsstatistik, der wichtigste 
Zweig staatlicher Statistik, konzentriert. 

Da bei uns bis zum Jahre 1897 eine regelrechte Auszählung der 
Bevölkerung nicht vorkam und da als Hauptquelle für die Bestimmung 


Miszellen. 231 


der Volkszahl die Angaben der Polizei dienten, darf es nicht Wunder 
nehmen, daß das Centralkomitee von allen statistischen Operationen, die 
dringend auf ihre Verwirklichung harrten, eine eintägige Volkszählung 
des Reiches an die erste Stelle setzte. Als besonders beharrlicher und 
kompetenter Vorkämpfer für den Gedanken der Notwendigkeit einer 
methodischen Volkszählung trat der bekannte Geograph und Statistiker 
P. P. Semenow auf, der längere Zeit an der Spitze der Statistik des 
Ministeriums des Innern gestanden hatte. In seiner Stellung als an- 
gesehener Gelehrter und offizieller Vertreter der Verwaltungsstatistik be- 
nutzte P. P. Semenow jede Gelegenheit, um für die Idee einer eintägigen 
Volkszählung und die dringende Notwendigkeit ihrer Verwirklichung 
Propaganda zu machen. Leider blieben alle Bemühungen Semenow’s 
lange ohne Resultat. Erst im Jahre 1895, in seinem fast erreichten 
70. Lebensjahr, gelang es ihm, dank eines mit seiner Idee sympathi- 
sierenden Antrages des Finanzministeriums, an der Spitze der Arbeiten 
zu stehen, die seine lang gehegte Idee verwirklichen sollten. 

Im Jahre 1895 erschien das Gesetz über die allgemeine Volks- 
zählung des russischen Reiches, und am 28. Januar 1897 wurde dieses 
statistische Werk in der That überall ausgeführt. Indem die erste 
allgemeine Volkszählung Rußlands sich als eine grandiose statistische 
Arbeit präsentiert, die ein weites Territorium und eine Bevölkerung 
von vielen Millionen umfaßt, ist sie zugleich der erste Versuch, die 
ganze Bevölkerung Rußlands mit einem Mal auszuzählen, da die bis 
dahin ausgeführten „Revisionen“ sich hauptsächlich auf die steuer- 
pflichtigen Stände erstreckten. Die bei den „Revisionen“ ermittelten 
Daten waren zudem nicht an einen einzigen Zeitpunkt gebunden, 
sondern setzten sich über mehrere Jahre fort, so daß sie sich nicht 
durch eine notwendige Vollständigkeit auszeichneten. Und selbst die 
Kunstgriffe dieser Erhebungen entsprachen nicht den Anforderungen 
wissenschaftlicher Forschung. Die bei uns bis zum Jahre 1897 aus- 
geführten, eintägigen Zählungen aber haben nur in gewissen, einzelnen 
Landesteilen stattgefunden und das ganze Reich nicht umfaßt. Unter- 
dessen verlangten aber zahlreiche und verschiedenartige Aufgaben des 
Staates einmal dringend genaues statistisches Material für die Gesamt- 
bevölkerung Rußlands. Daher erschien die Durchführung einer ein- 
tägigen Volkszählung als das Resultat einer vollständig klaren Erkennt- 
nis dessen, daß eine systematische Entwickelung des Staatslebens ohne 
genaue Ziffern über Zahl und Status der Bevölkerung undenkbar ist. 

Als erster Volkszählungsversuch — der dazu noch in einem, für 
alle statistischen Operationen so undankbaren Lande, wie Rußland, 
unternommen wurde — ist die erste Volkszählung freilich nicht frei 
von etlichen Mängeln und Fehlern, die übrigens bei einem so kom- 
plizierten, neuen und äußerst schwierigen Werk durchaus natürlich sind. 
Nichtsdestoweniger ist der erfolgreiche Ausgang der Zählung selbst als 
ein überzeugender Beweis für die Richtigkeit der ganzen Organisation 
des Werkes anzusehen. 

Nach Schluß der ersten Volkszählung veröffentlichte die mit der 
ganzen Leitung betraute Hauptzählungskommission auf Grund der Daten, 


232 Miszellen. 


die ihr von den unterstellten Aemtern aus allen Ecken und Enden Rub- 
lands zugegangen waren — aus den entlegensten Gebieten waren die 
Daten telegraphisch übermittelt worden — die Gesamtresultate der 
eintägigen Zählung. Sie bezweckte mit diesem Schritt die nach einem 
einheitlichen Erhebungsformular ermittelten und an einen Aufnahme- 
moment gebundenen Gesamtergebnisse möglichst schnell zum Gemeingut 
zu machen. Darauf wurden noch im Jahre 1897 von dem Statistischen 
Centralkomitee, in dem sich die Aufbereitung des Zählungsmaterials 
konzentrierte, 3 Lieferungen herausgegeben, die gleichfalls die vor- 
läufigen Ermittelungen des 28. Januar 1897 enthielten. Die von dem 
Statistischen Centralkomitee veröffentlichten Daten waren ebenfalls von 
den lokalen statistischen Komitees übernommen worden. Da aber 
mittlerweile das Urmaterial in St. Petersburg angelangt war, besaß das 
Komitee die Möglichkeit, mit den Resultaten der lokalen Unterämter 
kritisch vorzugehen, sie zu revidieren und zu verbessern. Gewiß er- 
klärt sich die Veröffentlichung der vorläufigen Daten gleichfalls durch 
den Wunsch des Komitees, die von allen Seiten eintreffenden Anfragen 
über die Bevölkerungszahl dieser oder jener territorialen Einheit zu 
beantworten. Hierauf hat das Statistische Centralkomitee noch 10 
Hefte erscheinen lassen, die bereits die Resultate eines endgiltigen 
Depouillements des Zählungsmaterials enthalten. 

Während die „vorläufigen Mitteilungen“, die von der Haupt- 
zählungskommission und dem Statistischen Centralkomitee veröffentlicht 
wurden, die wichtigsten Daten für das gesamte Reich zusammenfaßten, 
ist bei der Veröffentlichung der Originalresultate bereits ein anderer 
Kunstgriff zur Anwendung gelangt: das Komitee giebt nicht eine Zu- 
sammenstellung für das Gesamtreich nach einem bestimmten Gesichts- 
punkt — (z. B. Bevölkerungszahl in Rußland oder Zahl der Männer, 
der Junggesellen, der Personen, die des Lesens und Schreibens kundig 
sind, u. s. w.) — ebensowenig die summarische Zusammenfassung von 
Erhebungen über die Bewohner eines bestimmten Bezirkes nach allen 
Erhebungsmomenten, sondern bloß einen Teil von Daten für einige 
Gouvernements. Dabei fehlt es sowohl bei der Auswahl der ver- 
arbeiteten Erhebungen, als auch bei der Auswahl der Gouvernements 
an einem leitenden Prinzip. In der That, es ist kaum durch irgend 
etwas zu erklären, weshalb das Centralkomitee mit dem Gouvernement 
Archangel begonnen hat, um dann zur Insel Sachalin, zu dem Gouverne- 
ment Astrachan, dem Amurgebiet, dem Gouvernement Witebsk, dem 
Küsten-Gouvernement (Ost-Sibiriens), dem Schwarzmeer-Gouvernement, 
den Gouvernements Olonetz und Wilna überzugehen. Noch weniger 
verständlich ist die Auswahl der veröffentlichten Tabellen: Kinder 
unter einem Jahr nach dem Stande der Eltern und nach den Monaten 
des Lebensalters, Kinder unter einem Jahr nach der Konfession und 
nach Monaten des Lebensalters — das sind z. B. die Daten für das 
Gouvernement Archangel, obschon wir bis heute noch keinerlei Mit- 
teilungen über die Beschäftigung der Bevölkerung jenes Gouvernements, 
ihren Civilstand, physische Gebrechen, u. s. w. besitzen. Wenn das 
Statistische Centralkomitee wirklich im Auge gehabt haben sollte, 


Miszellen. 233 


wissenschaftliche oder praktische Interessen zu verfolgen, hätte es sich 
kaum für eine solche Systemlosigkeit in der Verôffentlichung von Volks- 
zählungsmaterialien entschieden. Denn es leuchtet jedem ein, daß weder 
die Wissenschaft, noch das praktische Leben aus einem Teil von mit- 
unter völlig unwesentlichen Daten über einige Landesteile, die zudem 
vollständig willkürlich !) ausgesucht worden sind, irgendwelche Schlüsse 
ziehen kann. Das vom Komitee erwählte System oder richtiger gesagt, 
die Systemlosigkeit in der Veröffentlichung der Zählungsresultate ist 
unzweckmälig, da die publizierten Daten erst nach Herausgabe des ge- 
samten Materials eine wirklich nützliche Anwendung erfahren werden. 
Ganz anders wäre es, wenn sich das Komitee bei der Wahl der 
Gouvernements z. B. an die natürlichen Rayons gehalten und eine Zu- 
sammenstellung für die Gouvernements gegeben hätte, die zu einem 
Rayon gehören, wenn schon aus irgendwelchem Grunde eine Zusammen- 
stellung für das Gesamtreich nicht geliefert werden konnte. 

Leider hat das Statistische Centralkomitee auch auf eine ausführ- 
liche Erläuterung jener Erhebungen, mit deren Hilfe die von ihm ver- 
öffentlichten Daten erlangt worden sind, verzichtet. So ist z. B. aus 
dem umfangreichen Vorwort, mit dem das Heft 1 über das Gouverne- 
ment Archangel ausstaffiert ist, in keiner Weise zu ersehen, welche 
Prinzipien der Verarbeitung zu Grunde liegen. In der Statistik gilt 
aber als Elementarwahrheit der Satz, daß sich der Grad von Vertrauen 
zu Zahlen (d. h. ihre Glaubwürdigkeit) nach dem Grade von Zutrauen 
richtet, das von der Technik der Ermittelung eingeflößt wird. Dem 
gebildeten Teil der russischen Gesellschaft ist es bekannt, daß die Volks- 
zählungsdaten durch Befragen nach Formularen, die jeder in Händen 
hatte gewonnen wurden. Wie benahm sich nun die Bevölkerung in 
den verschiedenen Teilen unseres Landes bei diesem Befragen, welche 
Schwierigkeiten, Mißverständnisse, gab es an den einzelnen Orten, wie 
erwies sich im allgemeinen das Zählungsmaterial in den Gouvernements, 
für die die verarbeiteten Ermittelungen gegeben werden, auf welche 
Weise sind die publizierten Daten aus dem Urmaterial gewonnen 
worden — alle diese Fragen sind durchaus wesentlich, um den Grad 
von Zutrauen abzuschätzen, das die Zählungsdaten beanspruchen dürfen. 
Denn ohne eine solche Abschätzung entschließt sich der Statistiker 
nicht zu einer Benutzung des Ziffernmaterials und ist die Anwendung 
dieses Materials für den Verwaltungsbeamten bei seinen praktischen 
Erwägungen und Maßnahmen nicht zulässig, Dann hat sowohl die 
Hauptzählungskommission, als auch das Statistische Centralkomitee durch 
die Veröffentlichung von vorläufigen Zählungsresultaten die ganze Wichtig- 
keit einer möglichst schnellen Publikation des Zählungsmaterials an- 
erkannt; wenn man aber verfolgt, wie die Hefte mit dem verarbeiteten 
Urmaterial erschienen sind, muß man annehmen, daß die Frage von 
einer Beschleunigung in der Veröffentlichung der Zählungsdaten heute 


1) Anmerkung des Uebersetzers. Nach privaten Ermittelungen ist die Auswahl 
nicht ganz prinzipienlos getroffen worden. Man hat vielmehr die politischen Bezirke 
mit der kleinsten Bevölkerungsziffer ausgesucht. 


234 Miszellen. 


bereits jegliche Bedeutung verloren hat. Denn in der That, seit der 
Zählung sind mehr als 3 Jahre verflossen und unterdessen sind Er- 
mittelungen publiziert, die sich — (d. h. nicht entfernt alle von ihnen!) — 
auf 5!/, Mill. Einwohner bei einer Gesamtbevölkerung von fast 130 Mill. 
beziehen. 

Ferner wird in der Vorrede zu Heft 1, Gouv. Archangel, davon 
gesprochen, daß das Dépouillement des Zählungsmaterials nach einem 
Plane ausgeführt werde, der von der Hauptzählungskommission auf- 
gestellt sei. Die Frage eines Arbeitsplanes ist ebenfalls sehr wesent- 
lich, aber leider hat das Komitee bisher diesen Plan nirgends veröffent- 
licht, während gerade seine Kenntnis die Möglichkeit geboten hätte, 
die Zweckmäligkeit des ganzen Werkes abzuschätzen. Außerdem sind 
wir aber geneigt, in der Behauptung der Vorrede, der Arbeitsplan sei 
von der Hauptzählungskommission konfirmiert worden, eine gewisse Un- 
genauigkeit zu erblicken, da, soweit uns bekannt, nach dem Gesetz 
vom 5. Juni 1895 obige Verpflichtung allerdings auch der Haupt- 
zählungskommission auferlegt war, diese aber noch vor Ausarbeitung 
eines Planes für das Dépouillement aufgehoben wurde. Die Ausarbeitung 
von Summationstabellen wird man aber kaum als Plan für das Dé- 
pouillement ansehen dürfen. Freilich hatten auch die Grundtabellen, 
die von der Hauptzählungskommission ausgearbeitet worden waren, die 
Bedeutung eines Projekts von Tabellen, aber keineswegs eines definitiv 
bestätigten. Dann zeichnen sich die publizierten Daten auch durch 
Unvollständigkeit aus und haben gewissermaßen einen fragmentarischen 
Charakter. So bringen die Tabellen keine Mitteilungen über die ganze 
ständige Bevölkerung, sondern nur über einen Teil der ständigen Be- 
völkerung im Moment der Zählung; ferner giebt es keine Klassifikation 
der Ausländer nach den verschiedenen Merkmalen, sondern nur eine der 
Russen, obschon die Mehrzahl der Ausländer zu den ständigen Be- 
wohnern des Gebietes gehört. 

Dank einer solchen Unvollständigkeit erweist es sich als unmöglich, 
ein vollständiges Bild über Verteilung der ständigen Bevölkerung 
nach Alter, Geschlecht, Civilstand, Beruf u. s. w. zu entwerfen. Ferner 
werden die Haushaltungen der Einzelpersonen eingeteilt: a) in solche 
ohne Gesinde und Mietkräfte, und b) in solche mit angemieteten 
Arbeitern, wobei in den veröffentlichten Zählungsresultaten die erste 
Gruppe der Einzelpersonen in Männer und Weiber geteilt worden ist, 
die zweite aber nicht, so daß eine Bestimmung der ganzen Zahl von 
Männern und Weibern, die eine Einzelwirtschaft führen, unmöglich 
wird. Anstatt endlich das Zählungsmaterial nach den, von der Haupt- 
zählungskommission bestimmten Grundtabellen zusammenzufassen, bietet 
das Centralkomitee Tabellen, die, wie wir oben gesehen haben, eine sehr 
bedingte Brauchbarkeit und Bedeutung besitzen. 

Das sind die allgemeinen Bemerkungen, die wir machen wollten 
ohne Ansehung des Wesens des veröffentlichten Materials. In Kürze 
lassen sich diese Bemerkungen so zusammenfassen: In der Gesamt- 
lage des Depouillements des Zählungsmaterials läßt 
sich der Mangel an einem Systemin der Veröffentlichung 


Miszellen. 235 


der Zählungsresultate beobachten, ferner ein lang- 
samer Fortschritt der Arbeit selbst, eine Unerklärbar- 
keit des ganzen Planes und der Technik des Dépouille- 
ments, Abgebrochenheit und Unvollständigkeit der 
zusammenfassenden Tabellen, Mangel an einer voll- 
ständigen Beschreibung oder auch bloß an einer all- 
gemeinen Charakterisierung des vom Komitee bereits 
verarbeiteten Materials!) 

Wenden wir uns jetzt einem kurzen Ueberblick über die Bedenken 
zu, die in uns bei einer Durchsicht der zehn Hefte des Statistischen 
Centralkomitees auftauchten. Allem zuvor beansprucht der Umstand Auf- 
merksamkeit, daß das Statistische Centralkomitee als Grundlage für die 
Berechnung der Bewohnerzahl die anwesende Bevölkerung genommen 
hat. Diese wird in den Editionen des Komitees in ständige und zeit- 
weilig anwesende Bevölkerung geteilt. Somit ergiebt das Depouillement 
der Zählung nicht die Zahl der ganzen ständigen Bevölkerung, da sich 
außer den, im Moment der Zählung gerade anwesenden, beständigen 
Bewohnern in jeder Ortschaft auch noch eine größere oder kleinere 
Anzahl zeitweilig abwesender, beständiger Einwohner vorfinden muß. 
Man könnte sich ja freilich daran genügen lassen, bloß die ortsan- 
wesende Bevölkerung zu bestimmen; aber wenn das Komitee es schon 
für möglich und notwendig befunden hat, das Verhältnis der anwesen- 
den Bevölkerung zum Ort festzusetzen, mußte es auch nicht nur die 
Zahl der zeitweilig anwesenden, sondern auch die der zeitweilig ab- 
wesenden Bewohner angeben, da nur auf diese Weise die Auszählung 
der vorübergehend anwesenden Personen den bekannten Sinn erhält. 
Im Bestande der Bewohnerschaft bloß die zeitweilig anwesenden Bewohner 
ohne die zeitweilig abwesenden nachzuweisen, ist ebenso gleichgiltig, 
als wenn man für ein handels-industrielles Unternehmen den Barbestand 
und die Passiva bestimmen wollte, ohne zugleich die Aktiva anzugeben. 
Wenn sich daher in den Zählungsämtern mehr oder weniger genügende 
Grundlagen finden sollten, um aus der anwesenden Bevölkerung die 
zeitweilig anwesenden und folglich auch die zeitweilig abwesenden 
Personen auszuscheiden, müßten unbedingt jene und diese Ziffer an- 
gegeben werden. Denn nur dann kann die ganze, ständige Bewohner- 
zahl, die für sehr viele Verwaltungszwecke notwendig ist, bestimmt 
werden. Oder deutlicher: „für administrative Aufgaben hat — nach 
dem autoritativen Zeugnis J. E. Janson’s — die ortsanwesende Be- 
völkerung bisweilen sogar weniger Bedeutung, als zwei andere Momente, 
das Ansässigkeits- und das Rechtsverhältnis, da mit der Ansässigkeit 
gewöhnlich bekannte Rechte, Pflichten, die Verteilung von Abgaben 
und Steuern u. s. w. verbunden sind“ (Theorie der Statistik, S. 192). 
Aber bei diesem Satz hat unser bekannter Statistiker allerdings an 
die ganze ständige, ansässige Bevölkerung gedacht, und nicht bloß an 
jenen Teil, der gerade im Moment der Zählung ortsanwesend war. 
Noch weniger zweckmälig erscheint es, die ortsanwesende Bevölkerung 


1) Aller Sperrdruck in dieser Abhandlung rührt vom Uebersetzer her. 


236 Miszellen. 
nicht nur in ständige und zeitweilig anwesende Bewohner zu teilen, 
sondern auch noch die so geteilte nach besonderen Kennzeichen zu 
gruppieren. Denn sogar für die Bedürfnisse der Administration wäre 
es vüllig ausreichend, wenn sich das Komitee auf eine Reduktion der 
gesamten ortsanwesenden, der zeitweilig anwesenden und der beständigen 
Bevölkerung beschränkt und diese Gruppen bloß nach dem Geschlecht 
gegliedert, einer detaillierten Bearbeitung des Zühlungsmaterials aber 
bloß die ortsanwesende Bevölkerung zu Grunde gelegt hätte. Die Ver- 
öffentlichung von Daten über die zeitweilig anwesenden Personen mit 
einer Gruppierung nach Alter, Kenntnis im Lesen und Schreiben, Stand, 
Nationalität ist wahrlich nicht nur ein müßiger, sondern auch ein 
schädlicher Luxus: diese Arbeit hemmt den ganzen Gang des Werkes, 
nimmt in der Edition des Komitees Raum weg und verteuert die Gesamt- 
kosten des Dépouillements. 

Gehen wir weiter. Unter den vielen Anfragen, mit denen sich 
Wissenschaft, Gesetzgebung und Verwaltung an die eintägigen Volks- 
zählungen wenden, beansprucht die Frage nach der genauen Zahl von 
städtischen und ländlichen Bewohnern eine ernste Bedeutung. Denn 
durch den Vergleich der Daten, die durch einige aufeinander folgende 
Zählungen erlangt werden, wird es möglich, das Wachstum der städti- 
schen und der ländlichen Bewohnerschaft zu bestimmen. Dieses Wachs- 
tum kann aber u. a. wieder als Anzeichen für eine, sich im Lande 
vollziehende wirtschaftliche Evolution gelten. Für die Bestimmung 
von städtischer und ländlicher Bewohnerzahl ist aber eines notwendig: 
man muß über ein Prinzip schlüssig geworden sein, wann eine ge- 
gebene Ortschaft zu den Städten oder zu den Dörfern gerechnet werden 
soll, und man muß dieses Prinzip streng einhalten. Denn nur bei 
einer solchen Einheitlichkeit wird der Vergleich zwischen den Zahlen 
für Stadt- und Landbevölkerung, wie sie durch etliche wiederkehrende 
Zählungen ermittelt werden, korrekt ausfallen. Leider läßt sich aber 
auch bei diesem Problem eine gewisse Haltlosigkeit beobachten. 
Wahrlich, von den zwei Prinzipien, die alleinig zur Unterbringung 
eines besiedelten Ortes unter die Städte oder die Dörfer als Richt- 
schnur dienen könnten — einem wirtschaftlichen und einem administrativ- 
rechtlichen Prinzip — benutzt das Komitee in gleicher Weise alle 
beide. Auf der einen Seite schließt das Komitee — wie das im Vor- 
wort zur zweiten Lieferung der Ausgabe von vorläufigen Zählungs- 
resultaten gesagt ist — in die Zahl der städtischen Bevölkerung die 
Bewohner der bei einer Stadt belegenen Ssloboden (Dorfschaften) und 
Dörfer ein, auf der anderen Seite aber werden hierzu die größten 
Possade (Ansiedelungen mit stüdtischem Charakter), wie z. B. Asow 
(mit 27000 Einw.), Ssergiewski (25000 Einw.), Dubowka (16000 Einw.), 
Klinzy u. s. w., sowie die Flecken in den westlichen Gouvernements 
des Königreichs Polen nicht gerechnet. Man kann ja freilich darüber 
streiten, welches Prinzip eine bessere Grundlage abgeben würde, um 
die Zahl der Stadt- und der Landbevölkerung zu bestimmen; es ist 
aber unbestreitbar, daß, welches Prinzip auch acceptiert worden sein 
möge, dieses unbedingt bis zu Ende beibehalten werden muß. Außer- 


Miszellen. 237 


dem: wenn man sich auf die Definition des Medizinal-Departements !) hat 
stützen wollen, so muß gesagt werden, daß das Komitee bei der Aus- 
zählung der Städte die Einwohner der an Städte grenzenden Possade 
und Ssloboden nicht immer zu den Stadtbewohnern gerechnet hat. So 
berührt das Medizinal-Departement in seiner Edition „Ssanitarnoje 
ssostojanje gorodow Rossiiskoi Imperii“ (Der sanitäre Zustand der 
Städte des Russischen Reichs“) als Bestätigung des eben ausgeführten 
Gedankens die Stadt Kerensk und nimmt ihre Bewohnerzahl auf Grund 
von Mitteilungen der Stadtärzte mit 11 941 Personen an. Nach der Volks- 
zählung weist sie aber bloß 4006 Einwohner ant ` Endlich hat noch 
D. J. Richter in seinem Bericht an die statistische Kommission der 
Kaiserlichen freien ökonomischen Societät darauf hingewiesen, daß die 
„bezirkslosen“ ?) (saschtatnyje und besujesdnyje) Städte laut Städtever- 
zeichnis in der Beilage zur zweiten Lieferung der vorläufigen Zählungs- 
daten ausgelassen sind. Daher kann man nicht behaupten, daß die 
Auszählung der städtischen und der ländlichen Bevölkerung in be- 
friedigender Weise ausgeführt worden sei. So hat das Komitee die 
Zahl der Städte Rußlands mit 865 angegeben, es aber nicht für not- 
wendig gehalten, den Unterschied zwischen dieser Zahl und der, von 
demselben Komitee und in demselben Jahre 1897 in seiner Edition 
„Ssbornik statistitscheskich sswedeni po Rossii sa 1896 g“ („Sammlung 
statistischer Mitteilungen über Rußland für das Jahr 1896“) publizierten, 
wo die Gesamtzahl der Städte mit 919 angegeben wird, zu erklären. Die 
Erklärung der Ursache dieser Verschiedenheit oder wenigstens bloß die 
Konstatierung des Faktums erscheint aber sehr wichtig, da das Fehlen 
jeglichen Vorbehaltes den Eindruck macht, als ob es dem Komitee selbst 
unbekannt wäre, daß sich zwei Mitteilungen über ein und denselben 
Gegenstand und in Publikationen ein und desselben Jahres nicht 
decken. Es erklärt sich freilich alles dadurch, daß das Komitee sich 
zuerst bemüht hatte, die Zahl der städtischen Ansiedelungen überhaupt 
festzustellen — (und daß es folglich hierin auch die großen Possade, 
Flecken u. s. w. einschloß) — daß es aber bei der Veröffentlichung 
der vorläufigen Resultate bloß auf die Zahl der Städte im engeren 
Sinne seine Aufmerksamkeit verwandte. Das bedeutet mit anderen 
Worten, daß im letzten Falle, bei Bestimmung der Zahl der städtischen 
Bevölkerung, dem rechtlich-administrativen Merkmal der Vorzug erteilt 
wurde, während durch den Einschluß der bei den Städten gelegenen 
Ssloboden und Dörfer in die städtische Bevölkerung gleichzeitig auch 
mit dem wirtschaftlichen Merkmal operiert wurde. Ebenso notwendig 
wäre es auch gewesen, zu erklären, woher ein so großer Unterschied 


1) Anmerkung des Uebersetzers. Das Medizinal- Departement gehört ebenfalls, 
gleich dem Statistischen Centralkomitee, zum Ressort des Ministeriums des Innern. 

2) Anmerkung des Uebersetzers. Man teilt die Städte in: Gouvernements- 
städte, d. h. solche, die den Sitz für die Centralverwaltung eines Gouvernements 
abgeben, Kreisstädte, d. h. Städte mit dem Sitz der Verwaltungsorgane eines 
Kreises innerhalb eines Gouvernements, also des Polizei-Kreischefs, der Kreis-Wehr- 
pflichtsbehörde, des Kreisarztes, der Kreis-Schulbehörde u. s. w. und in saschtatnyje 
und besujesdnyje oder, wie ich diese Bezeichnung übersetzt habe, „bezirkslose“, 
d. h. Städte, die weder Gouvernements- noch Kreisstäde sind. 


238 Miszellen. 


zwischen den vorläufigen und den endgiltigen Zahlangaben über die 
Stadtbevölkerung gekommen ist, da dieser Unterschied doch nicht bloß 
durch die allgemeine Bemerkung des Komitees, in manchen Orten habe 
eine allgemeine Leitung bei der Aufrechnung gefehlt und deshalb seien 
dort verschiedene technische Griffe angewandt worden, erklärt werden 
kann. Eine Erklärung ist aber um so notwendiger, als durch diese 
Mängel der lokalen Auszählung — nach den eigenen Worten des 
Komitees — „die Bevölkerungsziffern unvermeidlich um einiges von jenen 
Ziffern abweichen müssen, die zuerst publiziert wurden und sich auf 
lokale Auszählungen stützten“. Wenn nun schon „um einiges“, so, sollte 
man meinen, bedeutet das doch nicht, daß die ersten Zahlen zweimal 
oder anderthalbmal größer oder kleiner sein dürfen, als die letzten. 
Wenn man die Daten über die Bevölkerung einiger Ortschaften nach 
den vorläufigen und den endgiltigen Mitteilungen einander gegenüber- 
stellt, so erhält man z. B. folgendes: 


endgiltige Daten vorläufige Daten 
Kem 2261 1673 
Schenkursk 1377 1273 
Kargopol 2607 2421 
Ochotsk 298 197 
Ljuzin 4990 3972 
Krassnojarsk 5451 4037 


Aus dieser Tabelle ist ersichtlich, daß die endgiltigen Daten weit 
höher als die vorläufigen sind; aber der Unterschied zwischen ihnen 
muß noch größer werden, da die obengenannten Ziffern, obschon sie alle 
sich auf die beständige Bevölkerung der Ortschaften beziehen, als Daten 
des Dépouillements bloß die ständige Bevölkerung aus dem gerade an- 
wesenden Bestande ins Auge fassen -— (das heißt also, daß die eben 
abwesenden Personen noch nicht eingeschlossen sind) — während die 
Daten der vorläufigen Aufrechnung die ständige Bevölkerung überhaupt, 
d. h. zusammen mit den im Augenblick abwesenden Personen, berück- 
sichtigten. Angesichts so bedeutender Unterschiede haben wir ein 
Recht, vom Komitee irgend welche bestimmte Erklärungen zu erwarten, 
und genügt es nicht, sich in diesen Fällen bloß auf den ungenügenden 
Stand der lokalen Aufrechnung zu berufen. Der Verzicht auf das Be- 
streben, das Zählungsmaterial durch die zuerst erhaltenen Daten zu kon- 
trollieren, beweist in Wirklichkeit einen Verzicht auf kritisches Ver- 
halten zu dem empfangenen Material überhaupt. So fällt bei der 
Durchsicht der Altersgruppe der bisher erschienenen Gouvernements 
folgendes in die Augen: in einigen Gouvernements läßt sich z. B. beob- 
achten, daß die Zahl der Kinder von 1—2 Jahren kleiner ist, als die 
Zahl der Kinder von 2--3 Jahren. So sind gezählt im Küstengebiet 
(Ost-Sibiriens) Kinder unter einem Jahre 4886, von einem Jahr 3381 und 
von 2 Jahren 4848; im Gouvernement Witebsk bis zu einem Jahr 47 625, 
von einem Jahr 39653 und von 2 Jahren 44427; im Gouvernement 
Wilna bis zu einem Jahr 49 079, von einem Jahr 40 761 und von 2 Jahren 
47048; im Amurgebiet unter einem Jahr 4322, von einem Jahr 3417 
und von 2 Jahren 3723, u. s. f£ Wie sich eine solche Abnahme der 
Zahl der Kinder von einem Jahr erklärt, ist unbekannt, und in den 


Miszellen. 239 


Editionen des Komitees giebt es keinerlei Hinweise darauf. Ebenso läßt 
sich überall eine Neigung der Bevölkerung für runde Ziffern bei der 
Altersangabe konstatieren, so daß fast in sämtlichen Gouvernements 
der Bestand der mit einer O oder mit einer 5 schließenden Alters- 
gruppen viel höher ist, als der in den angrenzenden Gruppen. Aber 
außer dieser allgemeinen und verständlichen Erscheinung begegnet 
man mancherorts unverständlichen Schwankungen der Bevölkerungs- 
ziffern, Schwankungen, die die beobachtete Folgerichtigkeit zerstören. 
So weist im Gouvernement Wilna der ausgerechnete Bestand der Alters- 
gruppen der Weiber merkwürdige Schwankungen auf, die den Schwan- 
kungen im ausgerechneten Bestande der Altersgruppen der Männer 
nicht entsprechen. Noch größere Schwankungen kann man im Gouverne- 
ment Witebsk bemerken, aber irgendwelche Aufmerksamkeit ist ihnen 
nicht zugewandt worden und die Zuverlässigkeit der Ziffern wird nicht 
verdächtigt. 

Noch größere Mißverständnisse ergeben sich bei der Durchsicht des 
gezählten Bestandes der Haushaltungen. Man muß vorausschicken, daß 
das Komitee die Haushaltungen einteilt in: Einzelhaushaltungen, Einzel- 
haushaltungen mit Gesinde und Arbeitern, Haushaltungen von 
Personen, die durch Verwandtschaft verbunden sind, Haushaltungen von 
Personen, die nicht durch Verwandtschaft verbunden sind, und Haushal- 
tungen der Anstalten. Da ist es vor allem unverständlich, wodurch sich 
eine Haushaltung von Personen, die nicht verwandt sind, von einem 
Haushalt der Anstalten unterscheidet. Das wird weder in der Edition der 
Zählungsresultate, noch in den Unterlagen zum Zählungsmaterial er- 
läutert und kann auch eine gesteigerte Buntfarbigkeit und Verschieden- 
heit in der Deutung dieser Rubriken nicht abwehren. Dann werden 
auch in den Summationstabellen die „Haushaltungen von Einzelpersonen“ 
sozusagen in „Proletarierwirtschaften“!) und in Wirtschaften von 
Einzelpersonen mit Gesinde oder Arbeitern eingeteilt. Die Haus- 
haltungen von Einzelpersonen mit Gesinde oder Arbeitern werden in 
5 Gruppen zerlegt: mit 1, 2—3, 4—5, 6—10 und 11 und mehr Dienst- 
boten oder Arbeitern. Dann wird weiter „die Summe der Einzelhaus- 
haltungen“ gegeben und nebenbei „ihr ausgezählter Bestand“ angeführt, 
mit einer Gruppierung in Männer und Weiber. Wenn man sich nun 
danach richtet, was in den Ueberschriften der angeführten Tabellen 
steht, kann man in eine nicht geringe Bestürzung geraten. Denn in 
der That, wenn man in einigen Gegenden (im Gouvernement Archangel, 
Wilna, Ssebesh u. a.) die Maximalzahl der Arbeiter und Dienstboten 
nimmt, den Haushaltungsvorstand, d. h. je 1 zu jeder Kategorie der 
Haushaltungen hinzuschlägt — denn es wird ja von Einzelhaushaltungen 
gesprochen — und wenn man dann diese Zahl mit der Zahl der Haus- 
haltungen multipliziert, so bleibt, selbst bei der angenommenen Maximal- 
zahl für Dienstboten und Arbeiter, der ausgerechnete Personenbestand 


1) Anmerkung des Uebersetzers. Das russische Wort heißt ,,bobylnoje und läßt 
sich schwer im Deutschen wiedergeben. Bobyl ist ein Bauer ohne Land, wörtlich über- 
setzt würde sich also bobylnoje etwa durch „landlose Bauernwirtschuft“ ausdrücken 
lassen. 


240 Miszellen. 


sämtlicher Haushaltungen hinter dem in der Ausgabe des Komitees an- 
gegebenen zurück, obschon in Wirklichkeit die Maximalzahl von Ar- 
beitern in allen Haushaltungen nicht entfernt vorhanden sein konnte. 
Beim ersten Blick erscheint dies als eine derartige unzweifelhafte Ab- 
surdität, daß man alle diese Ziffern als gar kein Vertrauen einflößend 
ansehen möchte. Indes, dann erklärt sich die Sache doch anders. Das 
Komitee hat, wo es von chosaistwo (Wirtschaft, Haushaltung) spricht, 
thatsächlich nicht die Haushaltung, sondern die Familie, im Auge ge- 
habt, oder richtiger, Personen, die durch Verwandtschaft verbunden 
sind. Die Größe der eigentlichen Haushaltung aber kann bei dem vom 
Komitee adaptierten System überhaupt nicht festgestellt werden, da aus 
dem Personenbestande der Haushaltung nur die Personen in Rechnung 
kommen, die mit dem Haushaltungsvorstand verwandt sind oder zu 
seinen Dienstboten oder Arbeitern gehören. Die Zahl aller übrigen 
Personen kann aber nur als Gesamtsumme und nicht nach Haus- 
haltungen geordnet angegeben werden. So sieht man, auf welche 
Weise auch diese anderweitigen Personen — (d. i. die „Nicht-Haus- 
haltungsvorstände“ und die „Nicht-Dienstboten“ oder „Nicht-Arbeiter“) 
— in den ausgerechneten Bestand der Haushaltungen aufgenommen 
sind. Allem zuvor stellt sich da doch die Frage ein, wie weit ein 
solches Verfahren jenen Formularen entspricht, die von der Haupt- 
zählungskommission ausgearbeitet worden sind. Aus diesen Formularen 
ersehen wir, daß dort für die Einzelhaushaltung eine völlig andere Tabelle 
ausgearbeitet war: dort war nämlich als Einzelhaushaltung nur eine „Pro- 
letarierwirtschaft“ angenommen worden, und das Vorhandensein von 
bloß einem Dienstboten oder einer fremden Person im Haushalt ent- 
kleidete diesen bereits des Charakters der Einzelwirtschaft. Das ist 
daraus ersichtlich, daß die Tabelle der Hauptzählungskommission fol- 
gendes Aussehen hat: 1) Zahl der Einzelhaushaltungen (männliche und 
weibliche); 2) Zahl der Haushaltungen mit 2, 3, 4, 5—7, 6—10, 11 
und mehr Personen. Das heißt, den Ausgangspunkt der Hauptzählungs- 
kommission bildete die Wirtschaft (die Haushaltung), die aus einer 
Person oder 2, 3 und mehr Gliedern bestehen konnte. Das Statistische 
Centralkomitee geht aber vom Begriff der Familie aus und erkennt 
eine Wirtschaft auch dann als Einzelhaushaltung an, wenn zu ihr 
außer dem Haushaltungsvorstande, nehmen wir an, noch Pensionäre 
oder Pfleglinge, Handlungsdiener u. s. w. gehören. Dank diesem eigen- 
artigen Blick für die Einzelhaushaltung konnte es passieren, daß, wie 
die veröffentlichten Ziffern beweisen, die Einzelhaushaltung des Komitees 
in einigen Gegenden im Durchschnitt aus 10 und mehr Personen be- 
steht. Somit ist die Gruppierung der Bevölkerung nach Haushaltungen 
in der Form, wie sie vom Komitee angeordnet ist, sehr dubios, da sie 
thatsächlich weder die Zahl der Familienglieder, noch die Zahl der 
Haushaltungsglieder angiebt, Denn in der That, das Komitee hat 
zwei Zeichen, yx und 6, festgesetzt, um die Stellung einer gegebenen 
Person zum Haushaltungsvorstand zu bestimmen, wobei mit dem ersten 
Zeichen, wie es in dem Leitfaden No. 2, S. 5 heißt, „diejenigen Haus- 
haltungsglieder bezeichnet werden, die mit dem Haushaltungsvorstande 


Miszellen. 241 


L 
verwandt sind, aber anderweitige Personen, die sich bei dem Familien- 
haushalt befinden, wie auch die zeitweilig anwesenden Verwandten, mit 
dem Zeichen © abgemerkt werden“. Dann lesen wir auf derselben 
Seite: „die Familienwirtschaften werden nach der Zahl der verwandten 
Glieder unterschieden und dementsprechend wird das Haupt der 
Familienhaushaltung in der Rubrik 3 mit dem Zeichen a vermerkt, 
wenn sich in der Haushaltung 2 verwandte Glieder, mit dem Zeichen 
6 (b), wenn sich 3, mit dem Zeichen » (w), wenn sich 4 verwandte 
Glieder vorfinden, u. s. w. Zu den Zeichen a, 6, a werden noch hinzu- 
gerechnet die Zeichen op (br), Ip (Ir), 2p (2r), u. s. w., indem darauf 
geachtet wird, wie viel angemietete Dienstboten oder Arbeiter (rabo- 
tschije) sich in der Haushaltung befinden.“ Hieraus geht es völlig 
klar hervor, daß, um die Größe einer Haushaltung zu bestimmen, nur 
die verwandten Haushaltungsglieder und die Dienerschaft nebst Ar- 
beitern in Betracht gezogen werden, daß die übrigen Haushaltungs- 
glieder aber nicht mit in Rechnung gebracht werden, sondern nur, wie 
von uns oben gesagt, in der Gesamtziffer für den ganzen be- 
wohnten Punkt, nicht aber in den einzelnen Haushaltungen, in die 
Erscheinung treten. Daher kann mit der komiteelichen Abmerkung die 
Größe einer Haushaltung nicht bestimmt werden, aber dieselbe Ab- 
merkung kann auch, wie wir uns zu beweisen bemühen werden, nicht 
dazu führen, die Größe der Familie zu bestimmen. Allem zuvor muß 
darauf aufmerksam gemacht werden, daß die „Leitfäden“ und die zu- 
sammenfassenden Tabellen nicht Familien von verwandtschaftlichem 
Bande scheiden, sondern diese Ausdrücke gebrauchen, als ob sie identisch 
wären. So ist doch ein Haushalt, den Onkel und Neffe zusammen 
führen, zwar ein verwandtschaftlicher, aber noch lange keine Familie. 
Dann ist es auch nicht bekannt, welchen Grad von Verwandtschaft die 
„Leitfäden“ im Auge haben. Ferner ist aus dem oben angeführten 
Citat zu ersehen, daß selbst Familienglieder, die im Moment der Zählung 
anwesend waren, gewöhnlich aber außerhalb der Familie leben, nicht 
mit Yx, sondern mit 6 abgemerkt, folglich in die Berechnung der Haus- 
haltungsglieder nicht aufgenommen werden. Aber auch das ist noch 
zu wenig: am 17. März 1900 wurde in Ergänzung der „Leitfäden“, 
die als Anweisung für die Abmerkung dienten, folgende ergänzende 
Erläuterung zu der uns hier interessierenden Frage herausgegeben: 
„Pfleglinge, Pflegekinder und Personen, die sich zur Erziehung und 
Beköstigung in Familien und bei Privatpersonen befinden, werden, 
wenn sie sich in der Rubrik 14, „beim Haushaltungsvorstand“, zeigen, 
unabhängig von ihrem Alter in der Rubrik 3 mit dem Zeichen Yx ver- 
merkt.“ Auf diese Weise wurde durch eine neue Verfügung — die 
unter anderem erst erschienen ist, nachdem die Daten über den Haus- 
haltungsbestand in 9 Gouvernements nicht nur abgemerkt, sondern auch 
schon publiziert waren — der Kreis von Personen, die in den Haus- 
haltungsbestand einzuschließen sind, erweitert. Da aber außer den Pfleg- 
lingen und Zöglingen auch noch etliche andere Personen vorhanden sein 
können, so kann auf der einen Seite auch bei dieser Erweiterung dennoch 
nicht die Zahl sämtlicher Haushaltungsglieder festgestellt werden. Und in- 
Dritte Folge Bd, XXI (LXXVI), 16 


22 Miszellen. 


dem das Zeichen Yx auch für die Abmerkung von Pensionären und Zieh- 
kindern, Zöglingen u. s. w. bestimmt wird, entkleidet auf der anderen 
Seite die neue Verfügung das Zeichen Yx jeglicher Bestimmtheit: Denn 
während es sich zuerst, im Grunde genommen, durch ge (Yzenz cen !) 
ersetzen ließ, hat es jetzt teilweise die Bedeutung von de, teilweise von 
Yx (Yress xosalicrsa)?.. Und nun wurden, um den Umfang der Haus- 
haltung festzusetzen, alle Yx zusammengezählt und in das Formular des 
Haushaltungsvorstandes eingetragen. Was, fragt man nun, stellt jetzt 
die Gesamtsumme Ur vor, da dieses Zeichen weder alle Familienglieder, 
noch alle Haushaltungsglieder in sich begreift? Was für ein Resultat 
hat man erhalten? Bei einem derartigen System kann auf Grund der 
Resultate der ersten Volkszählung Rußlands die Größe der „Zellen des 
sozialen Körpers“ durchaus nicht festgestellt werden. 

Bei dieser Auszeichnungsart, wie sie im Komitee vorherrscht, kann 
man nicht anders, als mit Mißtrauen an die Daten über die zeitweilig 
anwesenden Personen herantreten. Dort lenkt nun vor allem die Total- 
summe der zeitweilig anwesenden Personen für solche territoriale Ein- 
heiten, wie Kreis und sogar Gouvernement, die Aufmerksamkeit auf 
sich. Die Sache ist die: bei der Erhebung bezog sich die Frage nach 
der derzeitigen Anwesenheit oder Abwesenheit nicht nur auf die An- 
wesenheit in und Abwesenheit von der gegebenen Ortschaft, sondern 
auch auf die Anwesenheit in oder Abwesenheit von der gegebenen 
Haushaltung, d. h. als Abwesende oder derzeitig Anwesende stellten sich 
die Personen dar, die sowohl aus der gegebenen Ortschaft, als auch 
aus der gegebenen Haushaltung abwesend oder dort eben anwesend 
waren. Da sich nun die Wanderbewegung innerhalb eines gegebenen 
Ansiedelungspunktes oder auch eines Kreises oder selbst eines Grouverne- 
ments bedeutend häufiger und intensiver vollzieht, als die Wanderbe- 
wegung über die Grenzen eines Gouvernements hinaus, so besagt die 
Summe der derzeitig in einem Kreise oder einem Gouvernement an- 
wesenden Personen an und für sich gar nichts: sie repräsentiert nicht 
die Zahl der in einem gegebenen, besiedelten Ort oder Kreise zeitweilig 
anwesenden, da in die Auszählung dieser Gruppe nicht bloß diejenigen 
aufgenommen wurden, die thatsächlich aus einem anderen Kreise oder 
Gouvernement im gegebenen Kreise oder Gouvernement angekommen 
waren, sondern auch diejenigen, die eben aus ihren Haushaltungen 
abwesend waren, ohne die Grenzen ihres gewöhnlichen Wohnsitzes zu 
verlassen oder die Grenzen des Kreises, indem sie bloß eine benach- 
barte Ortschaft aufgesucht hatten, oder endlich die Grenzen ihres 
Gouvernements, indem sie bloß in einen benachbarten Kreis gefahren 
waren. Nach dem Gesagten leuchtet ein, daß Personen, die sich als 
zeitweilig anwesende bezeichneten, dies im verschiedentlichsten Sinn 
waren. Wie ist es nun möglich, alle diese Ziffern zusammenzulegen 
und sie zu einer Summe der zeitweilig in einem Gouvernement an- 
wesenden zu vereinigen? — Somit ist es auf keine Weise möglich, 


1) tschlen ssemji d. i. Glied der Familie. D. Uebers. 
2) tschlen chosaistwa d. i. Glied der Haushaltung. D. Uebers. 


Miszellen. 243 


seine Zuflucht zu dem jetzt angewendeten Berechnungsmodus zu nehmen, 
wenn man die Zahl der in einem Kreise oder einem Gouvernement 
zeitweilig anwesenden Personen bestimmen will Wir könnten nun noch 
unter der Summe der Personen, die in den zusammenfassenden Tabellen 
als zeitweilig anwesend angeführt sind, die Ziffer für jenen Bevölkerungs- 
teil verstehen, der sich im Augenblick der Erhebung nicht an seinem 
beständigen Aufenthaltsort befand, wobei wir hierunter die Lokalität 
der Haushaltung begreifen. Aber auch da zeigen sich bereits neue 
Schwierigkeiten. Das Komitee rechnet z. B. alle Personen, die sich im 
Augenblick der Erhebung in Krankenhäusern befanden, zu den dort 
zeitweilig anwesenden Personen; und obschon Geisteskranke sehr oft 
den ganzen Rest ihres Lebens in Irrenhäusern verbringen, werden auch 
diese Kranken zu den zeitweilig in der Anstalt anwesenden gerechnet. 
Dann wird in den Krankenhäusern aber auch eine sehr große Menge 
zugewanderter Arbeiter angetroffen, die bei der Aufnahme ins Kranken- 
haus aus den Haushaltungen, in denen sie bis zum Eintritt in das 
Krankenhaus lebten, ausscheiden; — wenn sie nun als zeitweilig im 
Krankenhause anwesende gezählt werden, wo sind sie dann als ständig 
lebend vermerkt? — Auf der anderen Seite werden aber die im Moment 
der Erhebung in Gefängnissen befindlichen Personen als hier beständig 
lebende gezählt, ausgenommen die bei der Polizei und den Bauergemeinde- 
verwaltungen inhaftierten; indes, viele der internierten Personen sind bloß 
auf sehr kurze Zeit ins Gefängnis gekommen und können daher nicht 
recht als beständig im Gefängnis lebende anerkannt werden. Endlich 
noch werden die Offiziersburschen als zeitweilig in den Offiziers- 
wohnungen anwesend und als beständig bei den Truppenteilen lebend 
aufgeführt. Statt dessen leben sie aber beständig gerade in den Offiziers- 
wohnungen. Man kann daher nur sagen, daß eine derartige Beant- 
wortung der Frage nach der zeitweiligen Anwesenheit ein ernstliches 
Hindernis abgiebt, um sich davon ein Bild machen zu können, wie sich 
die Bevölkerung faktisch über das Territorium verteilt: dieses Bild 
wird durch eine so sehr willkürliche und nicht entfernt gleichmäßige 
Auffassung davon, was zeitweilige Anwesenheit ist, völlig entstellt. 

In der Presse ist bereits, und das nicht einmal allein, auf die 
Insolvenz der Klassifikation der Berufe und auf die Unhaltbarkeit der 
Abmerkung hingewiesen worden. So hält der Gebrauch der Zeichen 
Cx, He und Pn der Kritik nicht Stich. Nach den Regeln der „Leit- 
fäden“ werden nun mit dem Zeichen Cx die höheren Personen in Ge- 
werbe, Handwerk, Handel u. s. w. bezeichnet, mit He die niederen 
Dienenden und mit Pe die Dienstboten und Arbeiter !). Für den Berg- 
bau und die Montanindustrie haben aber diese Zeichen aus irgend 
einem Grunde eine höhere Bestimmung erhalten: mit dem Zeichen Cx, 


1) Anmerkung des Uebersetzers. Hier ist der russische Text wortgetreu, wenn 
auch nicht ganz in gutem Deutsch wiedergegeben worden. Gemeint hat das Komitee 
offenbar mit „höheren Personen‘ — oder ganz wörtlich „älteren Personen‘ (starschija 
liza) — die ‚‚Selbständigen“ und mit „niederen Dienenden“ (nisschije sslushaschtschije) 
die „Gehilfen“. In der dritten Gruppe sind wieder „Dienstboten“ und „Arbeiter“ ver- 
einigt. 

16* 


244 Miszellen. 


heißt es in den „Leitfäden“, werden abgemerkt Bergingenieure und 
höhere Verwaltungsbeamte, mit He Administration, Meister, Steiger, mit 
Pı Arbeiter. Wenn die erste Erläuterung zum Gebrauch von Cx, He und 
Pn an Ungenauigkeit laboriert, so kann die zweite, trotz einiger Ge- 
nauigkeit, nicht als korrekt anerkannt werden. Denn in der That, wie 
ist es möglich, mit dem einen Zeichen Hc Steiger und Administration 
zu specifizieren, da Steiger bloß höhere Arbeiter sind und als solche 
unter Pn untergebracht werden müßten. Auf der anderen Seite müßten 
aber sowohl Administration, wie auch die Leiter der technischen Ar- 
beiten, scheint uns, ein und dieselbe Bezeichnung erhalten, da sie weder 
selbständige Chefs, noch Arbeiter sind: sie nehmen an der Produktion 
nicht unmittelbar teil, sondern treten bloß als Leiter auf. Unterdes er- 
halten aber die Bergingenieure zusammen mit den höheren Verwaltungs- 
beamten nach den Regeln der „Leitfäden“ die Abmerkung Cx, d. h. 
die Formel der Selbständigen. Daher kann man mit Ueberzeugung be- 
haupten, daß eine solche Abmerkung, die weder mit der Wirklichkeit 
noch mit der Abmerkungsweise der auswärtigen Staaten übereinstimmt, 
niemals eine Darstellung von der sozialen Gliederung in den Gewerben 
liefern wird. Es ist auch unmöglich nicht anzuführen, daß das genaue 
Detail in der Gruppierung des Handels in keiner Weise dem ver- 
wickelten Charakter des russischen Handels entspricht. 

Auch sei noch, und das mit vollem Grunde, auf die Vereinigung 
von Dienstboten und Arbeitern zu einer Gruppe hingewiesen. Man 
muß es bedauern, daß die erste Volkszählung uns keine Gruppierung 
der Haushaltungen nach der Zahl der Dienstboten liefern wird. Außer- 
dem wird das Hausgesinde nicht nach dem Beruf seiner Herrschaft 
abgemerkt, so daß die Zählung die ganze Zahl der Personen, die ihren 
Unterhalt von einem gegebenen Beruf finden, nicht angeben kann. 

Aufmerksamkeit muß auch noch auf den Abschnitt „Dienst bei 
Privatpersonen“ verwandt werden. Dieser Abschnitt beginnt mit „In 
privaten Anstalten dienenden Personen“, was für Anstalten das aber 
sind, ist unbekannt. Dann folgen „bei Privatpersonen dienende“: Ver- 
mögens- und Hausverwalter, Sekretäre, Aufseher, Gehilfen auf den 
Gütern, Abschreiber von Papieren, Zeichner, Translateure, u. s. w. Die 
Mehrzahl dieser Berufe findet sich schon im Abschnitt B—08, ist 
aber hier nur aus irgendwelchem Grunde wiederholt. Dann sind aber 
doch Translateur, Zeichner, Schreiber u. s. w. Vertreter ihres Berufs, 
gleichviel, ob sie bei Privatpersonen dienen oder sonstwie private Auf- 
träge ausführen. Der Abschnitt „Dienst bei Privatpersonen“ von dem 
gleich die Rede sein wird, bildet das Ueberbleibsel von Einrichtungen 
jener Zeit, wo sich das Komitee noch nicht für den Beruf der Per- 
sonen, sondern für den Ort der Dienstleistung interessierte, d. h. auf 
die allgemeine Volkszählung wurden die Prinzipien übertragen, die für 
eine Berufszählung ausgearbeitet worden waren. So sind nach dem 
Abmerkungsmodus des Komitees die Zimmerleute auf einer Baum- 
wollenfabrik nicht als Zimmerleute bezeichnet, sondern im Fabrikformular, 
und diese Zimmerleute erhielten ihre Berufsbezeichnung auch bloß in 


Miszellen. 245 


der Rubrik Nebengewerbe. Dasselbe passierte auch den Aerzten 
des Militärressorts, die in der Hauptsache das Zeichen für Militärs 
B—01 erhielten und nur als Nebenberuf das Zeichen für Aerzte E—02. 

Nicht im geringsten genügend ist auch die Einteilung der Berufe 
in gewerbliche und nichtgewerbliche durchgeführt: in dieser zweiten 
Gruppe finden sich Tagesarbeiter, Schwarzarbeiter, Fabrikanten, Ver- 
walter von Fabriken und gewerblichen Anstalten, während allerdings 
alle diese einen Platz im Abschnitt industrielle Beschäftigung (Ab- 
schnitt B) hätten finden müssen. 

In der Presse — und das nicht nur einmal — ist von Personen, 
die zweifellos an der Aufbereitung des Zählungsmaterials Anteil nehmen, 
auf die durchaus unhaltbare Technik des Depouillements hingewiesen 
worden. Auch wir haben oben darauf hingewiesen, daß man bei der 
Auszeichnung des Materials über die Berufe anfangs nicht vom Beruf, 
sondern von dem Arbeitsraum ausgegangen ist, während man sich jetzt 
an die Profession hält. Dann stoßen wir bei der Durchsicht der Haus- 
haltungsgruppen auf eine große Ungleichförmigkeit: in einigen Aus- 
zeichnungsabteilungen rechnet man gewisse Haushaltungen zu den 
Artellen, während in anderen Abteilungen dieselben Wirtschaftseinheiten 
zu den Haushaltungen der Anstalten hinzugezogen werden. Ferner 
wird in einigen Abschnitten den Gutsbesitzern, die auch ein kapita- 
listisches Unternehmen besitzen, eine Formel gesetzt, die dem Ein- 
kommen aus unbeweglichem Vermögen entspricht, in anderen Abschnitten 
erhalten dieselben Gutsbesitzer eine Formel, die dem Einkommen aus 
der Landwirtschaft entspricht. Es ist wirklich schwer, alle die Fälle 
aufzuzählen, wo nicht einheitlich vorgegangen worden ist; das bestätigt 
auch der Erlaß der neuen Auszeichnungsregeln vom 17. März 1900, 
über die wir bereits oben gesprochen haben. So werden in den neuen 
Regeln die Bezeichnungen „Landarbeiter“ 1) und „Landmann unter den 
Arbeitern“ identifiziert, obschon diese Bezeichnungen in der Mehrzahl 
der Fälle etwas voneinander wesentlich Verschiedenes vorstellen. Ferner 
empfehlen die neuen Regeln, wie oben bereits gezeigt, mit dem Zeichen 
Yx Verpflegte, Ziehkinder, Zöglinge u. s. w. abzumerken. Diese Ver- 
fügung bedeutet aber eine Abänderung des während dreier Jahre ge- 
handhabten Systems, nach dem mit dem Zeichen yx nur die beständig 
anwesenden, verwandten Glieder der Haushaltung bezeichnet werden 
sollten. Wenn nach Ablauf einer mehr als 2-jährigen Thätigkeit ge- 
wisse technische Handgriffe aufgegeben werden müssen, so beweist das 
kaum eine normale Lage der Dinge. 

Wie wir oben sahen, hat die Hauptzählungskommission ein Ge- 
samtprogramm für das Dépouillement nicht ausgearbeitet. Zum Unglück 
ist auch heute noch ein solcher Plan nicht vorhanden: das Zählungs- 
material wird im Hin- und Hertappen bearbeitet. Eine solche Sachlage 
führt natürlich eine starke Verzögerung im Gang der Dinge herbei. 
Wenn wir uns den auswärtigen Staaten zuwenden, so sehen wir, daß 


1) Anmerkung des Uebersetzers. Wörtlich: „Landmann = Arbeiter“. 


944 Miszellen. 


heißt es in den „Leitfäden“, werden abgemerkt Bergingenieure und 
höhere Verwaltungsbeamte, mit Hc Administration, Meister, Steiger, mit 
Pn Arbeiter. Wenn die erste Erläuterung zum Gebrauch von Cx, He und 
Pn an Ungenauigkeit laboriert, so kann die zweite, trotz einiger Ge- 
nauigkeit, nicht als korrekt anerkannt werden. Denn in der That, wie 
ist es möglich, mit dem einen Zeichen Hc Steiger und Administration 
zu specifizieren, da Steiger bloß höhere Arbeiter sind und als solche 
unter Pn untergebracht werden müßten. Auf der anderen Seite müßten 
aber sowohl Administration, wie auch die Leiter der technischen Ar- 
beiten, scheint uns, ein und dieselbe Bezeichnung erhalten, da sie weder 
selbständige Chefs, noch Arbeiter sind: sie nehmen an der Produktion 
nicht unmittelbar teil, sondern treten bloß als Leiter auf. Unterdes er- 
halten aber die Bergingenieure zusammen mit den höheren Verwaltungs- 
beamten nach den Regeln der „Leitfäden“ die Abmerkung Cx, d. h. 
die Formel der Selbständigen. Daher kann man mit Ueberzeugung be- 
haupten, daß eine solche Abmerkung, die weder mit der Wirklichkeit 
noch mit der Abmerkungsweise der auswärtigen Staaten übereinstimmt, 
niemals eine Darstellung von der sozialen Gliederung in den Gewerben 
liefern wird. Es ist auch unmöglich nicht anzuführen, daß das genaue 
Detail in der Gruppierung des Handels in keiner Weise dem ver- 
wickelten Charakter des russischen Handels entspricht. 

Auch sei noch, und das mit vollem Grunde, auf die Vereinigung 
von Dienstboten und Arbeitern zu einer Gruppe hingewiesen. Man 
muß es bedauern, daß die erste Volkszählung uns keine Gruppierung 
der Haushaltungen nach der Zahl der Dienstboten liefern wird. Außer- 
dem wird das Hausgesinde nicht nach dem Beruf seiner Herrschaft 
abgemerkt, so daß die Zählung die ganze Zahl der Personen, die ihren 
Unterhalt von einem gegebenen Beruf finden, nicht angeben kann. 

Aufmerksamkeit muß auch noch auf den Abschnitt „Dienst bei 
Privatpersonen“ verwandt werden. Dieser Abschnitt beginnt mit „In 
privaten Anstalten dienenden Personen“, was für Anstalten das aber 
sind, ist unbekannt. Dann folgen „bei Privatpersonen dienende“: Ver- 
mögens- und Hausverwalter, Sekretäre, Aufseher, Gehilfen auf den 
Gütern, Abschreiber von Papieren, Zeichner, Translateure, u. s. w. Die 
Mehrzahl dieser Berufe findet sich schon im Abschnitt B—08, ist 
aber hier nur aus irgendwelchem Grunde wiederholt. Dann sind aber 
doch Translateur, Zeichner, Schreiber u. s. w. Vertreter ihres Berufs, 
gleichviel, ob sie bei Privatpersonen dienen oder sonstwie private Auf- 
träge ausführen. Der Abschnitt „Dienst bei Privatpersonen“ von dem 
gleich die Rede sein wird, bildet das Ueberbleibsel von Einrichtungen 
jener Zeit, wo sich das Komitee noch nicht für den Beruf der Per- 
sonen, sondern für den Ort der Dienstleistung interessierte, d. h. auf 
die allgemeine Volkszählung wurden die Prinzipien übertragen, die für 
eine Berufszählung ausgearbeitet worden waren. So sind nach dem 
Abmerkungsmodus des Komitees die Zimmerleute auf einer Baum- 
wollenfabrik nicht als Zimmerleute bezeichnet, sondern im Fabrikformular, 
und diese Zimmerleute erhielten ihre Berufsbezeichnung auch bloß in 


Miszellen. 245 


der Rubrik Nebengewerbe. Dasselbe passierte auch den Aerzten 
des Militärressorts, die in der Hauptsache das Zeichen für Militärs 
B—01 erhielten und nur als Nebenberuf das Zeichen für Aerzte E—02. 

Nicht im geringsten genügend ist auch die Einteilung der Berufe 
in gewerbliche und nichtgewerbliche durchgeführt: in dieser zweiten 
Gruppe finden sich Tagesarbeiter, Schwarzarbeiter, Fabrikanten, Ver- 
walter von Fabriken und gewerblichen Anstalten, während allerdings 
alle diese einen Platz im Abschnitt industrielle Beschäftigung (Ab- 
schnitt B) hätten finden müssen. 

In der Presse — und das nicht nur einmal — ist von Personen, 
die zweifellos an der Aufbereitung des Zählungsmaterials Anteil nehmen, 
auf die durchaus unhaltbare Technik des Depouillements hingewiesen 
worden. Auch wir haben oben darauf hingewiesen, daß man bei der 
Auszeichnung des Materials über die Berufe anfangs nicht vom Beruf, 
sondern von dem Arbeitsraum ausgegangen ist, während man sich jetzt 
an die Profession hält. Dann stoßen wir bei der Durchsicht der Haus- 
haltungsgruppen auf eine große Ungleichförmigkeit: in einigen Aus- 
zeichnungsabteilungen rechnet man gewisse Haushaltungen zu den 
Artellen, während in anderen Abteilungen dieselben Wirtschaftseinheiten 
zu den Haushaltungen der Anstalten hinzugezogen werden. Ferner 
wird in einigen Abschnitten den Gutsbesitzern, die auch ein kapita- 
listisches Unternehmen besitzen, eine Formel gesetzt, die dem Ein- 
kommen aus unbeweglichem Vermögen entspricht, in anderen Abschnitten 
erhalten dieselben Gutsbesitzer eine Formel, die dem Einkommen aus 
der Landwirtschaft entspricht. Es ist wirklich schwer, alle die Fälle 
aufzuzählen, wo nicht einheitlich vorgegangen worden ist; das bestätigt 
auch der Erlaß der nenen Auszeichnungsregeln vom 17. März 1900, 
über die wir bereits oben gesprochen haben. So werden in den neuen 
Regeln die Bezeichnungen „Landarbeiter“!) und „Landmann unter den 
Arbeitern‘ identifiziert, obschon diese Bezeichnungen in der Mehrzahl 
der Fälle etwas voneinander wesentlich Verschiedenes vorstellen. Ferner 
empfehlen die neuen Regeln, wie oben bereits gezeigt, mit dem Zeichen 
de Verpflegte, Ziehkinder, Zöglinge u, a w. abzumerken. Diese Ver- 
fügung bedeutet aber eine Abänderung des während dreier Jahre ge- 
handhabten Systems, nach dem mit dem Zeichen yx nur die beständig 
anwesenden, verwandten Glieder der Haushaltung bezeichnet werden 
sollten. Wenn nach Ablauf einer mehr als 2-jährigen Thätigkeit ge- 
wisse technische Handgriffe aufgegeben werden müssen, so beweist das 
kaum eine normale Lage der Dinge. 

Wie wir oben sahen, hat die Hauptzählungskommission ein Ge- 
samtprogramm für das Dépouillement nicht ausgearbeitet. Zum Unglück 
ist auch heute noch ein solcher Plan nicht vorhanden: das Zählungs- 
material wird im Hin- und Hertappen bearbeitet. Eine solche Sachlage 
führt natürlich eine starke Verzögerung im Gang der Dinge herbei. 
Wenn wir uns den auswärtigen Staaten zuwenden, so sehen wir, daß 


1) Anmerkung des Ucbersetzers. Wörtlich: „Landmann = Arbeiter“. 


246 Miszellen. 


z. B. in Oesterreich, wo gleichfalls elektrische Zählmaschinen bei der 
Summation verwandt wurden, die Verarbeitung des Zählungsmaterials 
mit dem Juni 1891 begann und im Juli 1893 vollständig beendet war. 
Nach den Worten Inama-Sternegg’s wurden „am 16. Juli 1893 die 
Thüren des Gebäudes, wo das Depouillement des österreichischen Volks- 
zählungsmaterials ausgeführt wurde, geschlossen“. Wann, fragt man, 
werden die Thüren des Hauses geschlossen werden, in dem die Resul- 
tate der ersten Volkszählung in Rußland aufbereitet werden? — Es 
ist wahrlich schwer, diese Frage zu entscheiden, — sie zu beantworten 
vermögen nur die Leiter der Sache. 

Als eine ganz eigenartige Besonderheit der Ausbeute der russischen 
Zählung muß jene Anordnung angesehen werden, nach der das Ur- 
material zuerst den unerfahrensten Händen überliefert wird, von denen 
es verbessert, ergänzt und überhaupt revidiert wird (s. darüber „Leit- 
faden“ No. 2), um dann eine ganze Reihe mehr erfahrener Kräfte zu 
passieren und schließlich an die Kontrolle zu gelangen, die dann über 
das definitive Schicksal des abgemerkten Materials entscheidet. Bei 
einem solchen System ist das Urmaterial in hohem Grade dem Ver- 
derben und seine Aufbereitung selbstverständlich ununterbrochenen Ab- 
änderungen ausgesetzt, so daß die unteren Organe absolut nichts mehr 
sehen und wissen, was als richtige und was als unrichtige Auszeichnung 
zu gelten hat. Die Versuche anderer Länder reden hingegen eine ganz 
andere Sprache. Denn überall geht der Aufbereitung des Zählungs- 
materials eine einleitende redaktionelle Revision vorher — (diese Arbeit 
ist bisher nirgends einfachen Arbeitsleuten übertragen worden!) — und 
die Entscheidung über alle Schwierigkeiten der Auszeichnung konzen- 
triert sich auf dieses erste Stadium. Dadurch wird einer Menge von 
Fehlern vorgebeugt und die Willkür der Subalternen ferngehalten. 
Außerdem ist es aber kaum notwendig, das Zählungsmaterial auch nach 
den Rubriken, die nichts Schwieriges enthalten, besonders auszuzeichnen. 
Braucht man denn z. B. 34 an Stelle von sdorow (gesund) zu setzen, 
Kp an Stelle von krestjanin (Bauer), M statt meschtschanin (Bürger), 
K statt kupez (Kaufmann)? — Denn die Auszeichnung aller dieser 
Rubriken erfordert viel Zeit und Aufwand von Kanzleibedürfnissen — 
gerade hier entstammt die unproduktive Verschleuderung von Kräften 
und von Mitteln. Man kann dreist behaupten, daß bei dem System, 
das sich das Komitee zu eigen gemacht hat, die Aufarbeitung des 
Materials wenigstens mal teuerer wird, als wenn der Ersatz durch 
die Formeln 3x, K, M, Ilp, P, MP, J, Px u. s. w. vermieden worden wäre. 

Als einer der Hauptmängel der derzeitigen Lage der Zählungs- 
arbeiten erscheint der große Mangel an Leitungspersonal: der Personal- 
bestand an Redakteuren des Statistischen Centralkomitees muß vielleicht 
10mal vermehrt werden, damit die Sache mit wünschenswerter 
Schnelligkeit und Korrektheit weiterschreite. 

Endlich muß aber auch ein Plan für das Dépouillement ausgearbeitet 
und von Vertretern der wissenschaftlichen Statistik, der Praxis und 
aller unserer Ministerien beprüft werden: dieses verantwortungsvolle 


ee ne 


Miszellen. 247 


Werk soll als das Arbeitsresultat der vereinigten Kräfte des ganzen 
Reichs auftreten.“ 


Mit diesem Postulat schließt der Verfasser, der Cr—xs (St—k) 
unterzeichnet, seine interessante Abhandlung. Ob aber die Erfüllung 
seines Wunsches und die sich daran knüpfende, endgiltige Ausbeute- 
arbeit wirklich noch zweckdienlich wäre und nicht bereits zu spät 
käme, erscheint diskutabel. Denn mittlerweile hat Petersburg eine lokale 
Volkszählung veranstaltet, und seinem Beispiel werden Moskau und 
andere Gebiete von wirtschaftlicher Bedeutung wahrscheinlich folgen. 
Vor allem aber: wenn die vorstehende Arbeit im Druck erscheint, 
werden rund 4 Jahre seit dem Tage der Volkszählung verflossen sein, 
und die Ausbeutearbeiten befinden sich bis heute noch auf dem Stande, 
wie er in der vorliegenden Arbeit gekennzeichnet ist. 


Dr. A. Stellmacher. 


948 Litteratur. 


Nachdruck verboten. 


Litteratur. 


IL. 
Neuere agrarpolitische Werke. 


Besprochen von J. Conrad. 


Die Agrarkrisis in Mitteleuropa, welche jetzt bereits über ein 
Decennium währt, hat naturgemäß das Interesse für die Agrarfragen 
besonders angeregt und eine reiche Litteratur darüber zu Tage ge- 
fördert. Selbstverständlich hat dieselbe einen sehr verschiedenen 
Charakter, aber neben vielem Wertlosen und Einseitigen haben wir 
darin mehrere bedeutsame wissenschaftliche Werke von nachhaltigem 
Werte gewonnen; und nur mit diesen letzteren werden wir uns hier 
näher zu beschäftigen haben, so interessant es auch ist, sich die gewaltigen 
Gegensätze in den Auffassungen zu vergegenwärtigen, welche in dieser 
Litteratur zu Tage getreten sind. 

Nur beiläufig erwähnen wir das Werk von K. Kautsky, Die 
Agrarfrage, eine Uebersicht über die Tendenzen der modernen Land- 
wirtschaft und die Agrarpolitik der Sozialdemokratie. Stuttgart 1899. 
Wir brachten ihm ein lebhaftes Interesse entgegen und erhofften von 
dem unbedingt sehr begabten Verfasser mindestens reiche Anregung und 
aus seiner großen Belesenheit mannigfache Belehrung. Wir fanden uns 
aber sehr enttäuscht und wurden durch das ganze unwissenschaftliche 
Vorgehen des Verfassers abgestoßen, denn das Buch erwies sich als eine 
Tendenzschrift schlimmster Art und als reines Produkt der Parteileiden- 
schaft. Die Litteratur, das historische und statistische Material benutzt 
er völlig einseitig, um seine vorher aprioristisch aufgestellten Be- 
hauptungen zu begründen. Sie gehen in der Hauptsache dahin, daß 
auch in der Landwirtschaft, wie in der Industrie die Tendenz zum 
Großbetriebe und die Verelendung des Bauernstandes vorliege, während 
innerhalb seiner Partei selbst bekanntlich, besonders durch v. Vollmar, 
dem auf das entschiedenste entgegengetreten ist. Um zu seinem Zweck 
zu gelangen, faßt er den Bauer bald als Großbauer auf, wenn es ihm 
darauf ankommt, den Einfluß der Arbeiternot zu schildern, bald als 
Parzellenbesitzer mit ungenügendem Lande, um die traurige Lage des 


Litteratur. 249 


Bauern zu schildern. Er greift aus der Litteratur einzelne ihm passende 
Beispiele von Ueberanstrengung der Kinder, ungenügende Ernährung 
auf dem Lande heraus, um dies zu generalisieren und das Elend des 
Bauernstandes als erwiesen hinzustellen. Er erwähnt wohl, daß der 
Bauer eine stärkere Viehhaltung hat, verwertet dieses aber nur dahin, 
daß er durch die größere Zahl der Zugtiere gegen den Grundbesitz 
im Nachteile sei; daß gerade die Viehzucht für den Bauer die Haupt- 
finanzquelle ist, und in ihr die Ueberlegenheit des Kleinbetriebes gegen- 
über dem Großbetriebe liegt, das ignoriert er. Die Schattenseiten des 
Großbetriebes, die größere Entfernung der Felder vom Hofe und die 
Verteuerung der Wirtschaft dadurch ist ihm wohl bekannt, doch wird 
sie erst später angeführt, nachdem er die Inferiorität des Kleinbetriebes 
bereits als erwiesen hingestellt hat. Die Bedeutung des Gemüse-, Obst-, 
Weinbaues, der Kultur des Tabaks und anderer Handelsgewächse für 
den kleinen Mann läßt er in einem gänzlich falschen Lichte erscheinen, 
indem er die gesamte Ausdehnung der Handelsgewächse in Deutschland 
dem Getreidebau gegenüberstellt, während jeder weil, daß auch nur 
ein kleiner Prozentsatz des Ackers in dieser Kultur für den Bauern 
eine außerordentliche Bedeutung hat, und die ergänzende Heranziehung 
dieser Kulturzweige ihm eine Aushilfe schafft, die dem Gutsbesitzer 
im allgemeinen fehlt, und zur Zeit niedriger Getreidepreise dagegen 
hoher Preise der tierischen Produkte, des Obstes, der Gemüse etc. dem 
ersteren eine wachsende Ueberlegenheit über jenen verschaffen müssen. 
Ueber die Bedeutung der Landwirtschaft im Kleinbetriebe als Neben- 
gewerbe hilft er sich fort, indem er behauptet, daß bei dieser Ver- 
bindung beide Gewerbe verkümmern, was wiederum im Widerspruch 
mit den Thatsachen steht. So giebt Kautsky ein Zerrbild, welches der 
Wirklichkeit nicht entspricht und auf Grund dessen er gänzlich fehl- 
gehende Schlüsse auf die Zukunft unserer Landwirtschaft zieht. 

Auf ganz gleicher Stufe, in der ganzen Methode der Kautsky’schen 
Schrift außerordentlich ähnlich, ist das „agrarische Wörterbuch“, 
Berlin 1898, Verlag des Bundes der Landwirte, von dem man nur sagen 
kann, es wäre überaus spaßhaft, wenn es nicht so furchtbar ernst in der 
Wirkung zu nehmen wäre; es muß noch mehr verwirrend und schäd- 
licher wirken, als die ersterwähnte Schrift. Es wird darin der krasseste 
Klassenegoismus gepredigt. Wir verweisen nur auf die Artikel: Handels- 
verträge, Antrag Kanitz, Wollzoll, Währung, Produktive Stände, Brot- 
preise, Wohlstand. 

Wir greifen ferner noch einzelne für das nationalökonomische 
Verständnis der Verfasser bezeichnende Stellen heraus. S. 840: „Durch 
die Thatsache, daß das Deutsche Reich im Handelsverkehr mit dem 
Auslande dauernd eine Unterbilanz aufweist, wird zweifelsohne der 
Bestand unseres Nationalreichtums in Frage gestellt.“ „Wir bezahlen 
also die eingeführten Rohstoffe und Werte nicht mehr mit Fabrikaten, 
sondern mit barem Gelde“. S. 806: „Ohne Zweifel ist die gegenwärtige 
Goldwährungsperiode die schwerste wirtschaftliche Verirrung, welche 
die Welt je gesehen hat.“ 

S. 546 wird von dem Antrag Kanitz gesagt: „Aus der ganzen sozial- 


250 Litteratur. 


politischen Gesetzgebung des letzten Jahrzehnts ist kein Gesetz zu 
nennen, das eine auch nur annähernd so bedeutsame Wohlthat für 
die Arbeiterbevölkerung involviert.“ Ueberhaupt gehört dieser Artikel 
zu den unglaublichsten Zumutungen an den gesunden Menschenverstand 
selbst in diesem Buche. Indem die 40-jährigen Durchschnittspreise 
für Roggen in Berlin von 1836—1875 aufgeführt und diesen die 20 Jahre 
von 1875—94, also von dem Moment der Preiserniedrigung an, gegen- 
übergestellt werden, wird durch dies Taschenspielerstückchen als be- 
wiesen hingestellt, daß der Preisrückgang ganz anormal wäre und die 
Landwirtschaft ein gutes, vom Staate zu garantierendes Recht auf die 
Preise habe, welche bei gleichmäßiger Fortsetzung der, vorher bekannt- 
lich anormal hohen, Preise zu erwarten gewesen wären. Als ob in dem 
3. und 4. Decennium des letzten und im 18. Jahrhundert nicht zweimal 
Durchschnitte von 20 Jahren zu finden wären, welche gegen die vor- 
hergegangenen 40 ebensolche Rückschläge ergeben; und stellt man von 
1899 zurück Durchschnitte von 50 Jahren gegenüber, so zeigt das letzte 
halbe Jahrhundert sogar noch eine Preissteigerung. Höchst belustigend 
sind auf S. 532 u. s. w. die Nachweise, daß in der Landwirtschaft der 
Arbeitslohn unter den Herstellungskosten eine größere Rolle spiele als 
in der Industrie und niedrige Getreidepreise der Ruin der Kultur und 
namentlich des Mittelstandes ist. 

Doch schade um die dem Buche gewidmete Zeit und Raum. 

Wir haben ferner zwei Schriften zu erwähnen, die aber noch von 
anderer Seite hier eine besondere Besprechung erfahren sollen. Dr. Franz 
Oppenheimer, „Großgrundeigentum und soziale Frage“. Berlin W., 
Deutsches Verlagshaus, und Derselbe „Die Siedlungsgenossenschaft“, 
ebenda. 

Beide Schriften haben viel Beachtung und Anerkennung gefunden, 
die wir nicht zu teilen vermögen. Die breite historische Grundlage er- 
scheint uns durchaus willkürlich aufgebaut; doch wollen wir die Be- 
urteilung derselben einer anderen Feder überlassen, und uns nur an die 
Behandlung der Gegenwart und die praktischen Vorschläge des Ver- 
fassers halten. Der Verf. kommt darauf hinaus, daß die Hauptübelstände 
unserer agrarischen Verhältnisse auf den Großgrundbesitz zurückzuführen 
sind, dem er doch in ganz Deutschland damit eine zu große Bedeutung 
beimißt. Er sieht denselben aber bereits als dem Untergange geweiht 
an, was sicher wiederum über das Ziel hinaus schießt, weil durch die 
Agrarindustrie, sowie durch Verwertung höherer Intelligenz und größerer 
Mittel, z. B. bei der Zucht edlerer Tiere, feinerer Produkte etc., nicht 
nur dem Großbetriebe, sondern auch dem Großgrundbesitz eine Ueber- 
legenheit inne wohnt, die seine völlige Verdrängung verhindern wird. 
Sonst nehmen auch wir eine allmähliche, erhebliche Verminderung des 
Großgrundbesitzes gleichfalls an. Der Verf. meint nun aber, daß nicht 
der selbständige Bauer der Erbe desselben sein darf, sondern Produktiv- 
associationen, berührt sich also darin mit Kautsky, und der Hauptzweck 
seiner Schriften ist, nachzuweisen, daß in der Landwirtschaft weit leichter, 
als in der Industrie Produktivassociationen mit Erfolg in Wirksamkeit 
treten können. Er hält sie in der Industrie für undurchführbar, in der 


Litteratur. 251 


Landwirtschaft dagegen als die natürliche Entwickelung mit so außer- 
ordentlichen Vorteilen, daß er ebenso wie seiner Zeit Robert Owen 
meint, es bedürfe nur der Aufklärung der öffentlichen Meinung über ihre 
Panacee, um sie in kurzer Zeit allgemein entstehen und die kleinen 
und großen Privatwirtschaften aufsaugen zu lassen. Den Gegensatz der 
landwirtschaftlichen Produktivassociationen zu den großen Industriellen 
räumen wir ohne weiteres ein, dagegen nicht gegenüber den Hand- 
werkerassociationen, wo auch theoretisch alle Grundbedingungen für ein 
gutes Gedeihen gegeben zu sein scheinen. Auch für diese ist nicht 
besonders großer Personalkredit erforderlich, kann durch das Hinzu- 
treten neuer Mitarbeiter das Ganze im allgemeinen nur gewinnen, ist 
eine Gleichartigkeit in der Leistungsfähigkeit und der gesellschaftlichen 
Stellung der sich Vereinigenden vorhanden und bietet der Betrieb im 
großen ungleich mehr Chancen, als der im kleinen. Und doch haben 
diese Produktivassociationen für Handwerker nirgends eine nachhaltige 
Bedeutung zu erlangen vermocht, und genau ebenso ist es bei den 
landwirtschaftlichen Produktivassociationen trotz aller Ausführungen des 
Vert ie bisher der Fall gewesen und wird es sich in der Zukunft er- 
weisen. Der Verf. unterschätzt, und darin sehen wir einen prinzipiellen 
Fehler, die überlegene Produktivkraft gerade des kleinen selbständigen 
Bauern, der mit seiner Familie den Boden bearbeitet, Gemüse baut, 
Vieh züchtet, Geflügel hält, Obst baut etc. Allerdings sind seine 
Leistungen in Frankreich, in Belgien, dann in Amerika mustergiltiger 
als bei uns in Deutschland, wo namentlich der Nordosten, aber auch 
große Teile Mittel- und Süddeutschlands, in dieser Hinsicht ent- 
schieden hinter der Zeit bedeutend zurückgeblieben sind. Aber der 
Bauer hat auch in Deutschland in neuerer Zeit erhebliche Fortschritte 
gemacht, und gewinnt an Leistungsfähigkeit und damit an Ueberlegen- 
heit über den Großbetrieb. Der Verf. ignoriert ferner, wie die Sozialisten, 
das psychologische Moment, und schwebt infolgedessen mit seinem 
ganzen Projekt wie jene in der Luft. Er übersieht, daß jeder tüchtige 
Mann, der sich bewußt ist, mehr zu leisten als andere, das Streben hat, 
seine Kraft auch in erster Linie in seinem eigenen Interesse zu ver- 
werten, also privatwirtschaftlich. Und daß er im Bewußtsein seiner 
Kraft seinen eigenen Betrieb haben und ihn nach seiner individuellen 
Anschauung durchführen will, nicht aber so, wie es die Mehrzahl seiner 
Genossen, die er für nicht ebenbürtig hält, verlangt. Daher werden die 
Produktivassociationen niemals die tüchtigsten Leute unter sich ver- 
einigen, sondern in der Regel nur mittelmäßige und untergeordnete. 
Ferner: Auch bei dem landwirtschaftlichen Betrieb ist natürlich feste 
Unterordnung der einzelnen Mitglieder unter die Leitung unbedingtes 
Erfordernis, wie bei einem jeden größeren Betriebe Bei dem demo- 
kratischen Charakter der Produktivassociationen wird aber dieses nur 
zu erreichen sein, wenn eine wirkliche Autorität an der Spitze steht, 
deren Ueberlegenheit willig anerkannt wird. Solche Persönlichkeiten 
sind aber nur vereinzelt zu finden. Wo man eine solche an die Spitze 
zu stellen vermochte, sind die Produktivassociationen gediehen, auch die 
Handwerker- und landwirtschaftlichen Produktivassociationen. Sobald 


252 Litteratur. 


diese Persönlichkeit zurücktrat oder starb, pflegten die Schwierigkeiten 
um Ersatz Zwistigkeiten zu veranlassen und den Lebensfaden des 
Unternehmens abzuschneiden. Erst wenn es der Sozialdemokratie, nach- 
dem sie zur Herrschaft gelangt, gelungen wäre, die Nivellierung der 
Kräfte allgemeiner herbeizuführen, strebsame hervorragende Leute mit 
Selbstbewußtsein und Streben nach Selbständigkeit überhaupt nicht mehr 
emporwachsen zu lassen, oder nachdem jede Gelegenheit zur selbständigen 
Verwertung der eigenen Kraft genommen ist, d. h. erst nach Beseitigung 
aller individuellen Freiheit, werden sich Produktivassociationen auch auf 
dem Lande allgemeiner und nachhaltiger erhalten können. Der Verf. 
unterschätzt auch den kaufmännischen Charakter, den heutigen Tages 
größere landwirtschaftliche Betriebe, haben müssen und stellt sich die 
Durchführung unendlich einfacher vor, als sie in Wirklichkeit ist. 

Wenn wir hiernach dem ganzen Projekt irgend eine größere Be- 
deutung absolut nicht beizulegen vermögen, so werden wir es doch nur 
mit Freude begrüßen, wenn praktische Versuche mit seinen Siedlungs- 
genossenschaften gemacht werden, und daß unter sonst günstigen Be- 
dingungen einzelne gedeihen können, hat die Geschichte bewiesen und 
wird von uns keineswegs geleugnet. Sie werden unzweifelhaft außer- 
ordentlich lehrreich sein. Ebenso können wir die Lektüre der Werke 
denjenigen, die sich für diese Fragen interessieren und etwas reichlich 
freie Zeit haben, durchaus empfehlen. Die Schriften sind nicht ohne 
Geist verfaßt und enthalten manche interessante Einzelheiten. 

Ganz anders stehen die folgenden Werke da, die wir jetzt anzu- 
führen haben. Die sich als rein wissenschaftliche agrarpolitische Lehr- 
bücher charakterisieren lassen: 

A. Buchenberger, Agrarwesen und Agrarpolitik. 2 Bände. 
Leipzig 1892 — 1894. 

Derselbe, Grundzüge der deutschen Agrarpolitik. 2. Auflage. 
Berlin 1899. 

Th. Freiherr von der Goltz, Vorlesungen über Agrarwesen 
und Agrarpolitik. Jena 1899. 

L. Brentano, Agrarpolitik. Leipzig 1899. 1. Teil. 

In den früheren Decennien fehlte es im Auslande völlig an selb- 
ständigen, systematischen Lehrbüchern der Agrarpolitik. In Deutsch- 
land lag nur das bekannte, hervorragende Werk von Roscher vor: Die 
Natjonalökonomik des Ackerbaues, von dem die 1. Auflage 1859 
erschien und seitdem 12 Auflagen ausgegeben sind. So hervorragend 
dasselbe ist, es war unzweifelhaft die beste Arbeit des berühmten 
Nationalökonomen, so reicnte es doch nicht völlig aus, weil es zu über- 
wiegend historisch gehalten war. Gerade die gegenwärtigen Verhält- 
nisse und die sich daraus ergebenden Staatsaufgaben waren nur flüchtig 
behandelt. Es ist deshalb außerordentlich erfreulich, daß in den letzten 
Jahren die obigen Werke erschienen sind, die hierfür eine vorzügliche 
Ergänzung bieten und dem Bedürfnisse sowohl des Studenten, wie des 
Staatsmannes und des praktischen Landwirtes entgegenkommen. Dazu 
kommt, daß die Schriften von Persönlichkeiten herrühren, die einen sehr 


Litteratur. 253 


verschiedenen Studiengang durchgemacht haben und verschiedene Lebens- 
stellungen einnehmen. 

Zuerst erschien das große zweibändige Werk von Buchenberger, 
als zweiter Teil der dritten Hauptabteilung des großen Adolf Wagner- 
schen Lehr- und Handbuches der politischen Oekonomie. Es war sicher 
eine außerordentlich glückliche Wahl, diese Aufgabe einem Manne zu- 
zuteilen, der sich als praktischer Staatsmann, jetziger Chef des Finanz- 
ministeriums in Baden, einen hervorragenden Namen verschafft und längst 
durch seine schriftstellerische Thätigkeit als eine streng wissenschaft- 
liche Persönlichkeit bekundet hat. In einer Zeit, wo die Wogen der 
Diskussion gerade auf diesem Gebiete außerordentlich hochgehen, sich 
ein intensiver Interessenkampf ausgebildet hat, in dem die Wissenschaft 
als graue Theorie auf das schärfste herabgezogen wird, sobald ihr 
Votum gewisse praktische Interessen verletzt, ist es wichtig, daß ein 
solcher Mann, ausgehend von umfassender historischer Untersuchung, 
die schwebenden Tagesfragen eingehend beleuchtet. Es ist auch wichtig, 
daß es ein Süddeutscher ist, der den nordischen Verhältnissen sehr ob- 
jektiv gegenübersteht und die süddeutsche Landwirtschaft auf das 
genaueste kennt, da er sie in einem besonderen großen Werke behandelt 
hat. Hat er hier sich hauptsächlich an das studierende Publikum ge- 
wendet, dem er nur durch ein sehr umfangreiches Material gerecht 
werden konnte, so hat er in der zweiten Schrift die Aufgabe über- 
nommen, die hauptsächlichsten Ergebnisse in lesbarer Form dem größeren 
Publikum zu übermitteln. 

In richtiger Erkenntnis, daß mit diesen beiden Werken, so vor- 
trefflich sie sind, die bisherige Lücke in der Litteratur noch nicht voll- 
ständig ausgefüllt ist, hat Freiherr von der Goltz in seinen heraus- 
gegebenen Vorlesungen ein Buch geliefert, das, vielleicht noch in einem 
höheren Male als das zuletzt genannte, berufen ist, gerade in die Kreise 
der landwirtschaftlichen Praxis einzudringen und zur Gesundung der 
dort so vielfach mißleiteten Anschauungen beizutragen. Der Verf. 
hat den großen Vorteil, selbst lange Zeit praktischer Landwirt gewesen 
zu sein und noch jetzt als Direktor des landwirtschaftlichen Instituts in 
Poppelsdorf mit der Praxis in ebenso naher Berührung zu stehen wie 
mit der Wissenschaft. Die Form der Vorlesungen erleichtert es ihm, 
in gefälligerer Weise mit unmittelbarer Lebendigkeit und Eindringlich- 
keit seine Anschauungen zu vertreten, so daß das Buch sich außerordent- 
lich angenehm liest. 

In allen drei erwähnten Schriften ist die ruhige, streng objektive 
Art der Behandlung in hohem Male erfreulich. Beide Männer treten 
nicht einseitig dogmatisch auf, suchen das Für und Wider dem Leser 
objektiv vorzulegen und ihm damit die Möglichkeit zu bieten, sich selbst 
ein Urteil zu bilden, ohne darum mit der eigenen Auffassung hinter 
dem Berge zu halten. Die politische Stellung des Verf’s ist bei 
einer derartigen Aufgabe von großer Bedeutung. Buchenberger 
scheint uns mehr auf liberalem Standpunkt zu stehen. Von der Goltz 
ist ausgesprochener Konservativer; und doch gehen beide Männer in 


254 Litteratur. 


allen Hauptfragen völlig Hand in Hand, und nirgends tritt eine schroffe 
Parteinahme oder Zurückweisung anders Denkender hervor. 

Eine wesentlich andere Stellung nehmen der dritte hier in Betracht 
kommende Autor und seine Schrift ein. Es ist sehr erfreulich, daß in 
Brentano ein hervorragender Nationalökonom in dieser Frage das Wort 
ergriffen hat. Er tritt als extremer Freihändler auf und damit in einen 
Gegensatz zu den Vorgenannten. Der Verf. zeigt auch hier die hervor- 
ragenden Eigenschaften, wie in seinen sonstigen Schriften ; die außerordent- 
liche Klarheit und Präzision der Darstellung, das Anziehende der Sprache, 
die interessante scharfsinnige Begründung aus breitem Material der 
Geschichte, so daß die Lektüre zu einem Genuß wird, was um so höher 
zu veranschlagen ist, da wir in Deutschland einen so großen Mangel 
an interessant geschriebenen wissenschaftlichen Werken haben. Aber 
es kann dabei an dem natürlichen Korrelat nicht fehlen. Sein überaus 
lebhaftes Temperament zwingt ihn überall zu einer energischen Partei- 
nahme. Im Gegensatze zu den eben betrachteten Autoren tritt er 
überall rein dogmatisch auf und ist allein bestrebt seine Auffassung zu 
begründen. Er zieht fast nur Material heran, was ihm zu diesem Zwecke 
dienlich erscheint, sei es als positive Stütze, sei es, um durch Bekämpfung 
und Widerlegung die eigene Ansicht in ein um so besseres Licht zu 
stellen. Es ist bekannt, daß dies das beste Mittel ist, eine große 
Wirkung auf den Leser oder Hörer auszuüben, dem die genügende 
Kenntnis und sonstige kritische Fähigkeit fehlt. Der Verf. nennt 
das Ganze ein Lehrbuch, den ersten vorliegenden Teil: „Theoretische 
Einleitung“. Gleichwohl gelangt er in den letzten Paragraphen zur leb- 
haften Erörterung verschiedener Tagesfragen, und die vorhergehenden 
erscheinen allein zu dem Zwecke geschrieben, für diese die Grundlage 
zu bieten. 

Wenn wir auf einzelne Fragen des näheren eingehen wollen, so 
liegt es nahe, die Stellung des Großgrundbesitzes und die Frage der 
Erhaltung des Bauernstandes hierzu herauszugreifen. Buchenberger 
ist Süddeutscher und zeigt doch volles Verständnis für die wirtschaft- 
liche Bedeutnng des Großgrundbesitzes, wenn er auch die bedeutsame 
soziale und politische Rolle und Aufgabe desselben im Nordosten leider 
nicht berührt. Daß dieses von der Goltz nach allen Richtungen hin 
würdigt, bedarf keiner besonderen Hervorhebung, Brentano dagegen 
scheint in ihm nur Unbheilvolles zu sehen und beurteilt demgemäß auch 
die politischen Aufgaben des Staates ihm gegenüber. 

Buchenberger erkennt die Gefahr einer Bodenzersplitterung 
ausdrücklich an und betont die Aufgabe, den Bauernstand zu schützen. 
Es ist ein wahres Vergnügen, bei ihm zu verfolgen, mit welcher 
Objektivität er das Für und Wider des Anerbenrechtes erörtert und an- 
erkennt, daß die gleiche Gesetzgebung unter verschiedenen Verhält- 
hältnissen eine ganz verschiedene Wirkung haben könne, und dai man 
sich wohl hüten müsse, auf Grund der Beobachtung in einem gegebenen 
Lande voreilig allgemeine Schlußfolgerungen zu ziehen. Auch wer sich 
eingehend mit der Frage beschäftigt hat, wird bei der Lektüre lernen 
und neue Anregung empfangen, auch wenn er nicht immer mit dem 


Litteratur. 255 


Verfasser übereinstimmt. Auch bei von der Goltz wird die Frage 
sehr eingehend und vorurteilsfrei erörtert. Beide Autoren gehen von 
einer ausführlichen Darlegung der historischen Entwickelung aus und 
bieten dadurch der Erörterung eine feste Grundlage. Beide gelangen 
zu dem Ergebnis, daß die freie Teilbarkeit und die freie Vererbung die 
notwendige Vorbedingung für die gewaltige Entwickelung der deutschen 
Volkswirtschaft gewesen und als Regel in Zukunft beigehalten werden 
muß. Beide wollen die Kleinbetriebe unbedingt dem freien Verkehre 
überlassen. Von der Goltz hält aber die Ansetzung einer Minimal- 
parzelle für zulässig (In der Nähe der Städte würden wir dieses be- 
klagen, aber auch auf dem Lande, namentlich in Fabrikorten für sehr 
bedenklich halten. In Wein- und Gemüsebaugegenden dürfte ohnehin 
kaum eine schädliche Grenze der Parzellengröße zu finden sein.) Dies 
nimmt um so mehr wunder, da er es an anderer Stelle ausspricht, daß 
die Gefahr der übermäßigen Bodenzersplitterung in unserer Zeit geringer 
sei, als die Latifundienbildung (S. 116). Voll und ganz tritt er für 
ein Anerbenrecht bei Bauerngütern ein, und er legt ein Gewicht darauf, 
daß die Regierung durch ein solches Gesetz zeigt, daß sie die geschlossene 
Erbfolge für das Normale hält. Besonders gefreut hat es uns, daß er 
(S. 114) den Miterben auch nur den Anspruch auf eine Rente zuer- 
kennen will. Für den großen Grundbesitz verwirft er aber das An- 
erbenrecht als überflüssige und bedenkliche Unterstützung der Latifundien- 
bildung, was wir nicht ganz zu unterschreiben vermögen; denn wenn 
das Prinzip für die Vererbung an Grund und Boden richtig ist, so 
wird es auch für den großen Grundbesitz der Fall sein. Die Unter- 
stützung aber der Zusammenlegung von Grundstücken scheint uns da- 
durch nur sehr gering zu sein. Ganz auffallend ist es bei diesen An- 
schauungen, daß v. d. Goltz für Fideikommisse eintritt, die in einem viel 
höheren Maße die Ladifundienbildung zu fördern vermögen und that- 
sächlich gefördert haben. Freilich warnt er ausdrücklich (S. 118) vor 
einer zu großen Ausdehnung derselben. 6 Proz. der Gesamtfläche er- 
scheint ihm in Preußen indessen nicht zu viel, da er „eine wohlhabende, 
gebildete unabhängige Grundaristokratie“ für einen jeden Staat für von 
höchster Bedeutung hält. Wir halten auch unabhängige, wohlhabende 
gebildete Leute für jeden Staat von höchster Bedeutung, warum sie in 
unserer Zeit noch gerade Grundbesitzer sein müssen, begründet er nicht 
näher. Daß ein Stamm von Gutsbesitzern in dem östlichen Preußen 
noch für die Selbstverwaltung von großer Wichtigkeit ist, wird niemand 
bestreiten, der die dortigen Verhältnisse kennt; der Westen und Süden 
Deutschlands behilft sich im ganzen bekanntlich ohne ihn und steht 
sich gut dabei. Im Gegensatz zu v. d. Goltz vermögen wir in der 
Gegenwart durchaus nicht „eine Gefahr einer Latifundienbildung für 
alle dicht bevölkerten und hochkultivierten Länder“ anzuerkennen, wo 
sich der Grund und Boden schlecht verzinst und es an Gelegenheit zu 
anderer günstigerer Kapitalanlage nicht fehlt. Nur durch eine künst- 
liche Förderung der Konzentrierung in einer Hand und der künstlichen 
Verhinderung der Zerteilung würde solche Gefahr erst großgezogen 
werden. 


254 Litteratur. 


allen Hauptfragen völlig Hand in Hand, und nirgends tritt eine schroffe 
Parteinahme oder Zurückweisung anders Denkender hervor. 

Eine wesentlich andere Stellung nehmen der dritte hier in Betracht 
kommende Autor und seine Schrift ein. Es ist sehr erfreulich, daß in 
Brentano ein hervorragender Nationalökonom in dieser Frage das Wort 
ergriffen hat. Er tritt als extremer Freihändler auf und damit in einen 
Gegensatz zu den Vorgenannten. Der Verf. zeigt auch hier die hervor- 
ragenden Eigenschaften, wie in seinen sonstigen Schriften ; die außerordent- 
liche Klarheit und Präzision der Darstellung, das Anziehende der Sprache, 
die interessante scharfsinnige Begründung aus breitem Material der 
Geschichte, so daß die Lektüre zu einem Genuß wird, was um so höher 
zu veranschlagen ist, da wir in Deutschland einen so großen Mangel 
an interessant geschriebenen wissenschaftlichen Werken haben. Aber 
es kann dabei an dem natürlichen Korrelat nicht fehlen. Sein überaus 
lebhaftes Temperament zwingt ihn überall zu einer energischen Partei- 
nahme. Im Gegensatze zu den eben betrachteten Autoren tritt er 
überall rein dogmatisch auf und ist allein bestrebt seine Auffassung zu 
begründen. Er zieht fast nur Material heran, was ihm zu diesem Zwecke 
dienlich erscheint, sei es als positive Stütze, sei es, um durch Bekämpfung 
und Widerlegung die eigene Ansicht in ein um so besseres Licht zu 
stellen. Es ist bekannt, daß dies das beste Mittel ist, eine große 
Wirkung auf den Leser oder Hörer auszuüben, dem die genügende 
Kenntnis und sonstige kritische Fähigkeit fehlt. Der Verf. nennt 
das Ganze ein Lehrbuch, den ersten vorliegenden Teil: „Theoretische 
Einleitung“. Gleichwohl gelangt er in den letzten Paragraphen zur leb- 
haften Erörterung verschiedener Tagesfragen, und die vorhergehenden 
erscheinen allein zu dem Zwecke geschrieben, für diese die Grundlage 
zu bieten. 

Wenn wir auf einzelne Fragen des näheren eingehen wollen, so 
liegt es nahe, die Stellung des Großgrundbesitzes und die Frage der 
Erhaltung des Bauernstandes hierzu herauszugreifen. Buchenberger 
ist Süddeutscher und zeigt doch volles Verständnis für die wirtschaft- 
liche Bedeutnng des Großgrundbesitzes, wenn er auch die bedeutsame 
soziale und politische Rolle und Aufgabe desselben im Nordosten leider 
nicht berührt. Daß dieses von der Goltz nach allen Richtungen hin 
würdigt, bedarf keiner besonderen Hervorhebung. Brentano dagegen 
scheint in ihm nur Unheilvolles zu sehen und beurteilt demgemäß auch 
die politischen Aufgaben des Staates ihm gegenüber. 

Buchenberger erkennt die Gefahr einer Bodenzersplitterung 
ausdrücklich an und betont die Aufgabe, den Bauernstand zu schützen. 
Es ist ein wahres Vergnügen, bei ihm zu verfolgen, mit welcher 
Objektivität er das Für und Wider des Anerbenrechtes erörtert und an- 
erkennt, daß die gleiche Gesetzgebung unter verschiedenen Verhält- 
hältnissen eine ganz verschiedene Wirkung haben könne, und dał man 
sich wohl hüten müsse, auf Grund der Beobachtung in einem gegebenen 
Lande voreilig allgemeine Schlußfolgerungen zu ziehen. Auch wer sich 
eingehend mit der Frage beschäftigt hat, wird bei der Lektüre lernen 
und neue Anregung empfangen, auch wenn er nicht immer mit dem 


Litteratur. 255 


Verfasser übereinstimmt. Auch bei von der Goltz wird die Frage 
sehr eingehend und vorurteilsfrei erörtert. Beide Autoren gehen von 
einer ausführlichen Darlegung der historischen Entwickelung aus und 
bieten dadurch der Erörterung eine feste Grundlage. Beide gelangen 
zu dem Ergebnis, daß die freie Teilbarkeit und die freie Vererbung die 
notwendige Vorbedingung für die gewaltige Entwickelung der deutschen 
Volkswirtschaft gewesen und als Regel in Zukunft beigehalten werden 
muß. Beide wollen die Kleinbetriebe unbedingt dem freien Verkehre 
überlassen. Von der Goltz hält aber die Ansetzung einer Minimal- 
parzelle für zulässig (In der Nähe der Städte würden wir dieses be- 
klagen, aber auch auf dem Lande, namentlich in Fabrikorten für sehr 
bedenklich halten. In Wein- und Gemüsebaugegenden dürfte ohnehin 
kaum eine schädliche Grenze der Parzellengröße zu finden sein.) Dies 
nimmt um so mehr wunder, da er es an anderer Stelle ausspricht, daß 
die Gefahr der übermäßigen Bodenzersplitterung in unserer Zeit geringer 
sei, als die Latifundienbildung (S. 116). Voll und ganz tritt er für 
ein Anerbenrecht bei Bauerngütern ein, und er legt ein Gewicht darauf, 
daß die Regierung durch ein solches Gesetz zeigt, daß sie die geschlossene 
Erbfolge für das Normale hält. Besonders gefreut hat es uns, daß er 
(S. 114) den Miterben auch nur den Anspruch auf eine Rente zuer- 
kennen will Für den großen Grundbesitz verwirft er aber das An- 
erbenrecht als überflüssige und bedenkliche Unterstützung der Latifundien- 
bildung, was wir nicht ganz zu unterschreiben vermögen; denn wenn 
das Prinzip für die Vererbung an Grund und Boden richtig ist, so 
wird es auch für den großen Grundbesitz der Fall sein. Die Unter- 
stützung aber der Zusammenlegung von Grundstücken scheint uns da- 
durch nur sehr gering zu sein. Ganz auffallend ist es bei diesen An- 
schauungen, daß v. d. Goltz für Fideikommisse eintritt, die in einem viel 
höheren Maße die Ladifundienbildung zu fördern vermögen und that- 
sächlich gefördert haben. Freilich warnt er ausdrücklich (S. 118) vor 
einer zu großen Ausdehnung derselben. 6 Proz. der Gesamtfläche er- 
scheint ihm in Preußen indessen nicht zu viel, da er „eine wohlhabende, 
gebildete unabhängige Grundaristokratie“ für einen jeden Staat für von 
höchster Bedeutung hält. Wir halten auch unabhängige, wohlhabende 
gebildete Leute für jeden Staat von höchster Bedeutung, warum sie in 
unserer Zeit noch gerade Grundbesitzer sein müssen, begründet er nicht 
näher. Daß ein Stamm von Gutsbesitzern in dem östlichen Preußen 
noch für die Selbstverwaltung von großer Wichtigkeit ist, wird niemand 
bestreiten, der die dortigen Verhältnisse kennt; der Westen und Süden 
Deutschlands behilft sich im ganzen bekanntlich ohne ihn und steht 
sich gut dabei. Im Gegensatz zu v. d. Goltz vermögen wir in der 
Gegenwart durchaus nicht „eine Gefahr einer Latifundienbildung für 
alle dicht bevölkerten und hochkultivierten Länder“ anzuerkennen, wo 
sich der Grund und Boden schlecht verzinst und es an Gelegenheit zu 
anderer günstigerer Kapitalanlage nicht fehlt. Nur durch eine künst- 
liche Förderung der Konzentrierung in einer Hand und der künstlichen 
Verhinderung der Zerteilung würde solche Gefahr erst großgezogen 
werden. 


256 Litteratur. 


Buchenberger ist prinzipieller Gegner der Fideikommisse, spricht 
sich aber überaus vorsichtig darüber aus, und hebt mit Recht hervor, 
daß die Schädlichkeit eine minimale ist, wenn die Zahl derselben un- 
bedeutend bleibt. Wir möchten hinzufügen, daß es ebenso bedeutsam 
ist, daß sie sich nur auf ein einzelnes Gut erstrecken, also nicht bei Lati- 
fundien Anwendung finden. 

Brentano tritt natürlich mit der größten Schärfe und ohne Ein- 
schränkung gegen jede Bindung des Grundbesitzes auf und geht in der 
Beweisführung unserer Ansicht nach dadurch fehl, daß er keinen Unter- 
schied zwischen Fideikommiß und Anerbenrecht macht, vielmehr beide 
bei der Bekämpfung zusammenwirft. Es erleichtert ihm dieses natürlich 
die Bekämpfung des letzteren, macht sie aber allerdings nicht richtiger. 
Seite 67 sagt er, „daß die großen Landwirtschaftsschriftsteller aller 
Nationen des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts die heftigsten Gegner 
jener Reste der alten kommunistischen Agrarverfassung gewesen sind“. 
Das war vollständig berechtigt. Aber er fährt fort: „Die große 
Kapitalsverwendung in dem Grund und Boden, welche die Steigerung 
der Intensität in seiner Bestellung erheischt, verträgt sich nicht mit 
den noch bestehenden Beschränkungen und in der freien Verfügung 
über den Grundbesitz, sowohl unter Lebenden als auch von Todes wegen, 
durch Fideikommisse, grundherrliche Verfassung und Anerbenrecht. Jene 
Kapitalsverwendung unterbleibt entweder, wo diese Beschränkungen 
fortbestehen, oder führt zu unerträglichen Verschuldungsverhältnissen.“ 
Es ist klar, daß die Zusammenwerfung dieser verschiedenen Formen der 
Besitzbeschränkung völlig unthunlich ist. Unerträgliche Verschuldungs- 
verhältnisse können sich bei Fideikommissen kaum nachhaltig ausbilden, 
während ein Anerbenrecht eine so tief greifende Wirkung überhaupt 
nicht hat und die Verschuldung hintanzuhalten angethan ist. So sehr 
wir Gegner der Fideikommisse sind, können wir nicht einmal diese Be- 
hauptung des Verf. in betreff derselben unterschreiben. Brentano 
ist in England gewesen und zwar noch vor 1889, wo man anfıng, die 
alten Beschränkungen zu mildern. Hat er dort nicht wahrgenommen, 
daß damals außerordentlich intensiv gewirtschaftet und große Auf- 
wendungen auf den Grnnd und Boden gemacht wurden? Wir heben 
ausdrücklich hervor, daß diese Aufwendungen sogar vielfach von Pächtern 
gemacht wurden, wie ebenso auf preulischen Domänen in der Zeit des 
Aufschwungs von den Pächtern Drainageanlagen etc. durchgeführt sind, 
für welche die Regierung nicht rechtzeitig die nötigen Mittel flüssig 
machen konnte. Die Brentano’schen Ausführungen, darauf wollen wir 
nur hinweisen, enthalten hier wie auch sonst sehr häufig gewaltige 
Uebertreibungen, die irreführend sind. Auf der folgenden Seite schreibt 
er, „daß das intensivste Wirtschaftssystem erst möglich werde mit Ein- 
führung der Freiteilbarkeit des Bodens. Der Verf. ist ja auch in 
Italien gewesen; ist ihm nicht aufgefallen, daß sich die freie, intensive 
Wirtschaft z. B. sowohl in der Lombardei wie zwischen Pisa nnd Florenz 
auch auf den Besitzungen der großen Grundherren vorfindet, wo die 
kleinen Grundstücke in Halbpacht abgegeben sind und nicht vereinzelt 
als Ausnahme, sondern in großer Ausdehnung, während allerdings in 


© ——— 


Litteratur. 257 


anderen Gegenden Italiens der Besitz der toten Hand arg vernachlässigt 
erscheint. Unsere Kulturstufe bietet eben die mannigfachsten Hilfs- 
mittel, um auch die Wirkung schädlicher Einrichtungen abzuschwächen, 
und es ist wohl notwendig, für die richtige Beurteilung unserer Zustände 
dieses nicht unberücksichtigt zu lassen, auch wenn die Wirkung des 
Angriffs dadurch etwas abgeschwächt wird. Wir stimmen dem Verf. 
durchaus zu, wenn er H 69 sagt: Daß das Grundeigentum im 
allgemeinen die beste Förderung intensiver Kultur in sich schließt. 
Aber ohne Einschränkung zu sagen, es sei die Voraussetzung von Meliora- 
tionen etc., ist unzweifelhaft zu weit gegangen. Schon die oben ange- 
führten Beispiele der Leistungen der Pächter zeigen, daß nicht nur durch 
Grundrente Meliorationen veranlaßt werden, wie S. 75 von ihm ausgeführt 
ist, und es mutet den Leser doch wie Moderduft an, wenn man die von 
ihm herangezogenen Ausführungen Anderson’s liest. Auch S. 104 
kommt er wieder auf die Geschlossenheit des Grundbesitzes zurück und 
wirft Fideikommisse und Anerbenrecht zusammen, und ohne irgend eine 
Bemerkung, daß beide dadurch volkswirtschaftlich ganz verschieden 
wirken, daß das erstere den Großgrundbesitz betrifft, das letztere den 
bäuerlichen; daß erstere ihn unverschuldbar, unveräußerlich und un- 
teilbar macht, das letztere dem Besitzer nach allen diesen Richtungen 
hin die Verfügung frei läßt; das erstere die Familie stützen will, das 
letztere das Bauerngut. Auf diese Weise muß die gemeinsame Be- 
kämpfung beider nach beiden Richtungen eine schiefe werden. 

Die eigentümliche Methode Brentano’s kommt natürlich besonders 
verhängnisvoll zum Vorschein im $ 7, wo in dieser „theoretischen Ein- 
leitung“ die Ueberschrift lautet: „Die Agrarprogramme und der Boden- 
preis“, wo also die praktischen Tagesfragen behandelt werden. 

Wenn der Verf. S. 61 sagt: eine Steigerung des Rohertrages 
sei, „so lange man beim Anbau derselben Frucht bleibt, ohne Steigen 
der Produktenpreise nur bei einem außerordentlichen Sinken der 
Meliorationskosten, außerdem nur auf dem fruchtbareren Boden und be- 
sonders günstig gelegenen Grundstücken der Fall“, so unterschätzt er 
erheblich die Wirkung einer Besserung der Wirtschaftsmethode. Eine 
geeignetere Fruchtfolge, sorgsamere Sammlung des Düngers, Grün- 
düngung gerade auf leichtem Boden, Auswahl vorzüglichen Saatgutes, 
Heranziehung geeigneterer Zuchttiere, rationellere Ernährung des Vieh- 
standes können allein eine enorme Erhöhung des Roh- und Reinertrages 
herbeiführen. Dies ist aber für die weitere Beurteilung der Ent- 
wickelung der Landwirtschaft von durchgreifender Bedeutung. 

Wir teilen den Standpunkt des Vert a vollständig, daß die An- 
setzung einer Verschuldungsgrenze in hohem Maße schädlich für die 
Landwirtschaft wäre. Wenn er aber S. 131 sagt: „Der Besitz reizt sie 

(kleine ländliche Besitzer in Süddeutschland) zum weiteren Sparen und 
zum Abtragen der Schuld, aber auch zu gelegentlichem weiteren Zukauf, 
und so ist trotz der großen Belastung dieser kleinen Besitzer beim 
Bodenerwerb ihre Lage wegen stärkerer Tilgung ihrer Schulden heute 
weit günstiger, als in den großen. Dabei zeigen die von ihm bebauten 
Grundstücke eine Steigerung der Intensität im Anbau und eine Ver- 
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 17 


9258 Litteratur. 


besserung der Bodeneigenschaften, womit nichts rivalisieren kann“, so 
sind doch diese Thatsachen in erster Linie auf ganz andere Umstände 
zurückzuführen, als gerade auf den Parzellenerwerb und die dabei 
vorgenommene reiehliche Verschuldung. Wenn der Vert sich im 
Thüringischen umsehen will, z. B. im Meiningenschen und dann an der 
Eifel, so wird er finden, daß Parzellenbesitz und Ueberschuldung gerade 
die entgegengesetzte Folgen erzielt haben, die er ihnen hier nachrühmt, 
und eine gewisse Beschränkung in dem Parzellenschacher würde gerade 
nach dem Buchenberger’schen Werke über Baden auch in Süddeutsch- 
land eher ein Segen als ein Nachteil sein. S. 137 heißt es: „Jede 
Verwendung von Arbeit und Kapital, sei es zur Abtragung der Erwerbs- 
schuld, sei es zur Verbesserung der Bodeneigenschaften und Steigerung 
der Bodenergiebigkeit, bedeutet nunmehr nur eine Beraubung der 
weichenden Erben zu Gunsten des Uebernehmers.“ Dies ist gegen das 
preußische Rentengesetz von 1896 gesagt, wonach das Gut nicht nach 
dem Verkaufs-, sondern nach dem Ertragswerte veranschlagt wird, der 
Uebernehmer ein Drittel voraus erhält und die Miterben nur Renten- 
anspruch haben, so weit es sich um mehr als 30 M. handelt, und die 
auf dem Gute ruhenden Schulden sind, so weit möglich, aus dem mobilen 
Kapital zu decken. 

Kommt nun trotz des Vorzugsrechtes des Anerben den Miterben 
gar nichts mehr zu gute, wie Brentano behauptet, oder nur ein etwas 
verringerter Anteil? 

So ist kaum eine Seite der Schrift zu lesen, ohne daß man zu 
Widerspruch genötigt wird, weil man fortdauernd auf Uebertreibungen 
und einseitige Verschiebungen stößt. Auch wenn man in erheblichen 
Punkten mit dem Verf. sympathisiert und in höherem Maße als mit 
den ersterwähnten Autoren, so kann man sich mit der angewandten 
Methode nicht einverstanden erklären, die in erheblichem Maße ver- 
wirrend zu wirken imstande ist. 

Auch auf Stellen der v. d. Goltz’schen Schrift können wir nicht 
unterlassen noch besonders einzugehen. Der Verf. sagt im Vorwort 
noch ausdrücklich, daß seine Darlegungen zunächst auf die Verhältnisse 
des Deutschen Reiches berechnet sind, und er auf andere Länder nur 
zu dem Zwecke eingegangen sei, den Charakter der heimischen Zustände 
um so deutlicher hervortreten zu lassen. Aber auch nach dieser Reserve 
scheinen uns die ausländischen Verhältnisse nicht genügend berück- 
sichtigt zu sein, denn in der ganzen Diskussion in Deutschland über die 
Agrarfrage zeigt sich die Unkenntnis der Zustände in den Konkurrenz- 
ländern in überaus beklagenswerter Weise. Wir wären daher dem 
Verf. außerordentlich dankbar gewesen, wenn er diesem Uebelstande 
in einer allgemein wissenschaftlichen Schrift mehr abzuhelfen gesucht 
hätte. Aber auch, wo er das Ausland berücksichtigt, können wir nicht 
überall mit ihm übereinstimmen. Die Arbeiternot in Deutschland würde 
er vermutlich weniger pessimistisch auffassen, wenn er zur Vergleichung 
andere Länder wie England und die Ver. Staaten, oder selbst Schweden 
und Frankreich herangezogen hätte. Der Nachweis wäre ihm leicht 
geworden, daß im Vergleich zu denen in Deutschland noch eine un- 


Litteratur. 259 


glaubliche Vergeudung menschlicher Arbeitskraft stattfindet, und wenn 
der Verf. auch die zu geringe Anwendung von Maschinen hervor- 
hebt, so geschieht dies doch mit großer Reserve und nur, weil hier die 
Arbeitskräfte immer noch sehr viel billiger sind als im Auslande, 
während es gewiß sehr bedeutsam gewesen wäre, auf die große Hilfs- 
quelle der Maschinen, die bei uns viel zu wenig zur Anwendung kommen, 
hinzuweisen, so wie, daß in den anderen Ländern bei noch niedrigeren 
Preisen der Produkte thatsächlich weit höhere Löhne gezahlt werden. 

Der Verf. würde S. 184 sicher nicht das deutsche land- 
wirtschaftliche Genossenschaftswesen so hoch über das des Auslandes 
gestellt haben, wenn ihm die Molkereigenossenschaften in den skandi- 
navischen Ländern und die neuere Entwickelung der französischen 
landwirtschaftlichen Syndikate genauer bekannt gewesen wären. 
Wenn aber die Kreditgenossenschaften bei uns in ganz besonderer Blüte 
stehen, so ist dieses doch nur darauf zurückzuführen, daß das Ausland, 
z. B. England und die Ver. Staaten, bis zu gewissem Grade auch 
Frankreich, eine solche Ergänzung nicht brauchten, weil ihr Banksystem 
viel besser entwickelt ist und sich längst bis zum Bauern herunter der- 
artig eingebürgert hatte, daß es allen Anforderungen genügte. 

Wenn der Verf. die englische Landwirtschaft als eine „unge- 
sunde“ hinstellt, so möchten wir doch der Auffassung entschieden ent- 
gegentreten. War hierzu früher vielleicht ein gewisser Anhalt geboten, 
so ist er in der neueren Zeit längst in Fortfall gekommen. 

In der gleichen Weise müssen wir die Ausführung Buchenberger’s 
in der kleineren Schrift S. 2 als nicht zutreffend bezeichnen, wenn er 
den Großgrundbesitz in Großbritannien dafür verantwortlich macht, daß 
das Land auf die Zufuhr von Nahrungsmitteln angewiesen ist. Das 
Land ist bekanntlich hauptsächlich in kleinere und größere Farmen ver- 
teilt, die vorzüglich bewirtschaftet werden, und die jetzige Bevölkerung, 
besonders die industrielle, wäre auch bei Parzellenwirtschaft nicht vom 
Inlande zu ernähren. 

Schließlich können wir als Nationalökonom nicht umhin, darauf auf- 
merksam zu machen, daß auf S. 202 der v. d. Goltz’schen Schrift zwei 
verschiedene Begriffe nicht ganz genügend auseinander gehalten sind, 
indem unter Geldpreis bald der Preis für ein Darlehen, bald der Wert 
des Geldes verstanden wird, wodurch die weiteren Ausführungen leicht 
falsch verstanden werden können. 

Die Frage, ob Deutschland den Bedarf an Brotgetreide selbst 
decken kann, beurteilt der Verf. ebenso, wie wir es in den Jahr- 
büchern vertreten haben. Doch möchten wir noch auf einen Punkt 
aufmerksam machen, den der Verf. nicht berührt, und der doch für 
die Beurteilung der Sachlage sehr wichtig ist. Bei der Untersuchung, 
ob das geerntete Getreide für den Bedarf des Landes ausreicht, ist die 
Verwendung für menschliche Nahrung oder andere Zwecke natürlich 
zu scheiden. v. d. Goltz zeigt nun mit Recht, daß erhebliche Quanti- 
täten des Brotgetreides thatsächlich zum Viehfutter verbraucht werden. 
Wir vermissen aber den Hinweis, daß ein nicht unbedeutender Teil 
des Brotgetreides in jedem Jahre zur menschlichen Nahrung wenig oder 


17* 


260 Litteratur. 


gar nicht geeignet ist, und darum anders verwendet werden muß. Wir 
erinnern an das leichte sogenannte Hintergetreide, das fast nur zum 
Geflügelfutter zu gebrauchen ist, an das ausgewachsene Getreide nach 
ungünstigem Erntewetter, welches stets in einem oder dem anderen 
Landesteile vorkommt; an die Weizensorten mit zu geringem Kleber- 
gehalt u. dgl. Es kann also gar nicht alles Brotgetreide dem mensch- 
lichen Nahungsbedarf gegenübergestellt werden, wie das so vielfach 
geschieht, und wodurch ein falsches Ergebnis der Berechnung erzielt wird. 

Schwerlich wird es dem Verf. trotz seiner Beharrlichkeit, mit 
der er es anempfiehlt, gelingen, dem Gutstagelöhner den Dreschflegel 
wieder in die Hand zu drücken, so wenig wie unseren jungen Mädchen 
den Strickstrumpf, so nützlich das im Einzelfalle, zur Gewöhnung an 
permanente Arbeit und zur Beruhigung der Nerven auch wäre. Der 
Mensch arbeitet eben nicht, wenn er sieht, daß das Ergebnis auf andere 
Weise auch mit geringerer Mühe zu erreichen ist. 

Doch es liegt uns sehr ferne, durch diese Konstatierung ab- 
weichender Auffassung den Wert des Werkes irgend herabsetzen zu 
wollen. Wir betonen vielmehr noch einmal nachdrücklichst, daß wir es 
für ein in jeder Hinsicht empfehlenswertes halten, welches in hohem 
Maße dazu angethan wäre, die Verwirrung in den Köpfen unserer 
Agrarier, die durch Machwerke, wie das erwähnte Handbuch des Bundes 
der Landwirte, und durch deren Bearbeiter in der Tagespresse seit Jahren 
angerichtet ist, allmählich wieder etwas zu klären und gesunde Auf- 
fassungen zu verbreiten. Der geringe Umfang und die leichte Lesbar- 
keit machen es dazu besonders geeignet. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 261 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands 
und des Auslandes. 


L Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle 
theoretische Untersuchungen. 

Supino, Camillo, Il capitale salari. Torino (Fratelli Bocca) 
1900. 102 pag. 

Der Verfasser erörtert im ersten Kapitel die hauptsächlichsten unter 
den bisher aufgestellten Theorien über die Quelle, aus der die Löhne 
geschöpft werden, und teilt sie in zwei Gruppen, deren eine die Löhne 
direkt aus dem Kapitale, die andere dagegen aus dem Ergebnisse des 
Produktionsprozesses entspringen läßt (S. 1—7, 7—10). Die Kritik der 
letzten Auffassung (S. 11 f.), bei der sich Supino besonders mit Walker 
auseinandersetzt, führt ihn zum Schlusse, daß in der heutigen Wirt- 
schaftsordnung der Lohn vom Kapitale und nicht aus dem Produkte 
stammt. Trotzdem acceptiert er nicht ohne weiteres die Lohnfonds- 
theorie; die Kritik dieser Lehre füllt die S. 13—15 und fordert die 
dynamische Betrachtung des Problems. Der Lohn stammt aus dem für 
Löhne bestimmten Teile des Kapitals (dem capitale-salari), dieser aber 
ist wieder seinerseits das Produkt der Arbeit und ändert sich mit den 
Veränderungen in deren Produktivität, mit denjenigen in der Menge der 
Kapitalansammlung überhaupt und in der Höhe der Profitsätze; nach 
Abschluß des Produktionsprozesses reintegriert er sich und nach Maß- 
gabe des Erfolges dieses letztern wird er wirksam. 

Was der Lohnfonds sei, unter welchen Bedingungen er entstehe und 
sich bilde, wie er sich verändere aus verschiedenen Ursachen insbesondere 
unter dem Drucke der Arbeiter und der staatlichen Intervention, wie 
er auf das Ausmaß der Nachfrage nach Arbeit wirke, das sind die 
Untersuchungsobjekte der weiteren Kapitel. Das 2. behandelt die Arbeit 
als „Ware“. Supino scheidet aus seiner Betrachtung hierbei jene Arbeit 
aus, deren Entlohnung nicht aus dem Lohnfonde stammt (Lohn inpro- 
duktiver und unabhängiger Arbeiter S. 16, 17); er schildert dann in 
kurzen Zügen die Geschichte der Arbeit und kommt auf S. 23 zur 
Auffassung der Arbeit als Ware und zur Erörterung der Erzeugungs- 
kosten dieser Ware; diese letzteren müssen im Lohne ihre Deckung 
finden; der Arbeitsvertrag basiert in diesem Stadium nach S. auf der 
sogenannten Freiheit des Arbeiters und der unbeschränkten Konkurrenz 


262 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


unter den Unternehmern und beruht auf einer Reihe juristischer Be- 
dingungen, die S. auf S. 28 aufstellt und die den Zustand fast absoluter 
Herrschaft des rücksichtslosesten Individualismus bedeuten. 

Im Kapitel 3 wird der Begriff des Lohnfonds gewonnen (S. 41), 
das Kapitel 4 beschreibt die Wandlungen, denen er unterworfen ist 
und die stammen: aus den Veränderungen in den Konsumtionsverhält- 
nissen, in der Menge des technischen Kapitals, der des unproduktiven 
Kapitals und aus den Wandlungen in der Schnelligkeit des Kapital- 
umlaufes. 

Im 5. Kapitel werden die Einwirkungen untersucht, welche Arbeiter- 
associationen und Staat auf den Lohnfonds üben und üben können; damit 
wird die sozialpolitische Seite des Problems in Betracht gezogen. Das 
Verhältnis zwischen dem Lohnfonde und der wirksamen Nachfrage nach 
Arbeit ist Gegenstand des Schlußkapitels und giebt dem Verfasser An- 
laß zu einer Besprechung des Problems der Arbeitslosigkeit. Der pessi- 
mistische Schluß, zu dem Supino gelangt, bedeutet eine Verurteiluug 
des heutigen ökonomischen Systems, das sich den Produktions- und 
den Konsumtionsprozeß voneinander unabhängig abwickeln läßt und die 
Arbeit zu einer Ware macht, die der Arbeiter verkaufen muß, der 
Unternehmer aber nur kauft, wenn es ihm beliebt. — Wenn ich auch 
gegen gar vieles in Supino’s Buch und insbesondere gegen dieses Schluß- 
urteil Einwendungen hätte, so halte ich es doch für sehr wertvoll, schon 
deswegen, weil es dazu anregt, manche Frage unter einem neuen Ge- 
sichtswinkel nochmals durchzudenken. Schullern. 


Curran, Dr. J.H., Francis A. Walker und seine hauptsächlichsten 
Theorien. Jena (Fischer) 1900. Sammlung nationalök. und statist. Ab- 
handlungen, Bd. 28. 95 SS. 

Die Persönlichkeit Walkers ist in den Fachkreisen Europas vor 
allem durch seine großartigen Leistungen auf dem Gebiete der Statistik, 
insbesondere durch die Publikationen über den 9. und 10. Census be- 
kannt geworden. Seine Bedeutung als Historiker und Schulmann ist 
wohl nur für seine Heimat hervorragend; als Nationalôkonom aber wird 
er in Europa gewiß noch zu wenig berücksichtigt, wenngleich, wie ich 
glaube, es auch bei uns nur wenige Theoretiker giebt, die nicht ge- 
nügend über Walker’s Ideen informiert wären. Besonders auf dem 
Gebiete der Einkommensverteilung wird er wohl kaum mehr von irgend 
jemandem unbeachtet gelassen. f 

Nichtsdestoweniger ist es sehr dankenswert, daß Curran sich der 
Aufgabe unterzogen hat, in gedrängter, kritischer Darstellung Walkers 
theoretische Lehren zusammenzufassen. Er thut dies in drei Kapiteln. 
„Allgemeine Lohnlehre“, „Theorie der Ertragsverteilung“, „Das Geld- 
wesen“. Da es hier nicht meine Aufgabe ist, Walker's Lehren zu 
kritisieren, so beschränke ich mich darauf, zu erwähnen, daß Curran 
sich großer Sachlichkeit in der Darstellung und Objektivität in der 
Beurteilung befleißigt, sich durchaus nicht in Verhimmelungen Walker’s 
ergeht, sondern seine wohl erwogene Auffassung und Beurteilung der 


‘Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 263 


Lehren desselben mitteilt und uns dadurch einen klaren und im wesent- 
lichen erschöpfenden Ueberblick über seine Gedankengänge bietet. 

Von Einzelheiten seien die Erörterungen über Walkers Stellung zu 
Böhm-Bawerk (S. 45) hervorgehoben; angesichts des Erscheinens der 
2. Auflage von Böhm-Bawerk’s großem Hauptwerke sind sie aktuell. 
Daß der Verfasser Mangoldt’s Verdienste (S. 65 ff.) in Betreff der Durch- 
forschung des Unternehmergewinnes besonders hervorhebt, scheint mir 
um so erfreulicher, als dieser hervorragende Gelehrte jetzt schon ernst- 
lich der Gefahr des — unverdienten — Vergessenwerdens ausgesetzt ist. 

Das Gesamturteil Curran’s über Walker resumiert sich im Schluß- 
satze seines Buches: 

„Obgleich unseres Erachtens von Walker’s Theorien keine einzige 
sich als genügend erwiesen hat, so kann man doch in Bezug auf 
ihn... . (sagen), daß das Unternehmen ein dankenswertes sei, auch 
wenn die Aufstellung seiner Theorien weiter kein Verdienst gehabt 
hätte, als daß sie zur Widerlegung aufforderte.“ Schullern. 


Ammon, O., Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen. Ent- 
wurf einer Sozialanthropologie zum Gebrauch für alle Gebildeten, die sich mit sozialen 
Fragen befassen. 3. Aufl. Jena, G. Fischer, 1900. gr. 8. VI—303 SS. mit 6 Fig. 
im Text. M. 2.—. 

Conrad, J.(Prof.), Leitfaden zum Studium der Nationalökonomie. Jena, G. Fischer, 
1901. gr. 8. VIII—92 SS. M. 1,80. 

Eleutheropulos, A. (Privatdoz., Univ. Zürich), Die Philosophie und die Lebens- 
auffassung des Griechentums auf Grund der gesellschaftlichen Zustände. 2. Aufl. Berlin, 
Hofmann & Ci, 1900. gr. 8. XIV—382 SS. M. 10.—. (A. d. T.: Wirtschaft und 
Philosophie ete., I. Abteilung.) 

Quaritsch, Kompendium der Nationalökonomie. 6. Aufl. Berlin, W. Weber, 
1901. gr. 8. 148 SS. M. 3.—. 


Bry, G. (prof. à l’Université d’Aix-Marseille), Histoire industrielle et économique de 
l'Angleterre depuis les origines jusqu’à nos jours. Paris, L. Larose, 1900. gr.in-8. V—771 pag. 
fr. 15.—. (Table des matières : Livre I. L’Angleterre avant la conquête normande. — Livre Il. 
De la conquête normande jusqu’à la Grande-Charte sous Jean-sans-Terre(1066—1215 :) Chap.3. 
Formation et condition économique. Chap. 4. Les corporations ou guildes. Chap. 5. Le 
commerce et l’industrie pendant cette période. — Livre III. De la Grande-Charte 
au règne de Henri VHI (1215—1509:) Chap. 2. Condition des terres et des tenanciers. 
Etat de l’agriculture. Les travailleurs agricoles. Chap. 3. L'industrie de la laine et les 
manufactures. Les villages industriels. Chap. 4. Les centres commerçants, villes d’&tape. 
Marchés et foires. Le commerce maritime, etc. Chap. 5. Les revenus de la couronne. 
Le système des impôts. Le crédit public. Les douanes. Chap. 6. Les grands fléaux du 
XIV* siècle: famines et peste leurs effets économiques. Corporations et associations 
ouvrières. Le prix des denrées et marchandises, Chap. 7. Les nouvelles doctrines sociales 
et la révolte des paysans en 1381. — Livre IV. Du règne de Henri VIII à celui de 
George III. Du XVI* siècle à l’époque de la Révolution industrielle (1509—1760:) 
Chap. 1. Les résultats économiques sous Elisabeth. Le rôle social des Puritains. La 
politique économique de Cromwell. La lutte pour la prépondérance. Chap. 2. Les spo- 
liations et leurs conséquences économiques. Le paupérisme. La loi des pauvres. Chap. 3. 
Les conditions de l’agriculture et de la propriété. Chap. 4. Les progrès de la puis- 
sance commerciale et maritime. Les grandes compagnies de commerce et la colonisation, 
Chap. 5. Les progrès de l’industrie. Les manufactures et les mines. Condition des 
ouvriers. Réglementation du travail. Chap. 6. Les monnaies et le crédit public. Les 
revenus de l'Etat et les dettes publiques. — Livre V. La Révolution industrielle et 
l'Angleterre contemporaine (de 1760 jusqu’à nos jours:) Chap. 1. La prépondérance de 
l'Angleterre. Les relations de l’ordre politique et de l'ordre économique. Chap. 2. 
Transformation de l’état industriel. Les grandes inventions et leurs conséquences immé- 


264 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 


diates. Chap. 3. Le développement de l’industrie. Les grandes cités industrielles et 
commerçantes. Chap. 4. La Révolution industrielle et la classe ouvrière. Chap. 5. La 
puissance commerciale et maritime. Chap. 6. L'état de l’agriculture depuis la fin du 
18° siècle. Chap. 7. La puissance financière. — etc.) 

Turman, Max, Le catholicisme social depuis l’encyclique „Rerum Novarum“. 
Paris, F. Alcan, 1900. 8. 334 pag. 

Blackman, Frank Wilson, Economics. Topeka (Kansas), Crane & C°, 1900. 
12. 526 pp., cloth. $ 1.—. (Contents: Discussions on production, distribution, con- 
sumption, exchange, trusts, labor organizations, socialism, etc.) 

Gierke, O., Political theories of the middle age; trad. with an introduction by 
F. W. Maitland. New York, Macmillan, 1900. 8. 80; 197 pp., cloth. $ 2,50. (Cambridge 
University Press series.) 

Morman, J. Babe, Principles of social progress: a study of civilization. Rochester 
(State of New York), E. Darrow & C°, 1901. 12. 240 pp., cloth. $ 0,50. 

Phipson, C. Balfour, The science of civilisation, or the principles of agri- 
cultural, industrial, and commercial prosperity. London, Swan Sonnenschein & C°, 1900. 
gr. in-8. XVI—512 pp., cloth. 10/.6. 

Price, L. L. (fellow of Oriel College, Oxford), A short history of English com- 
merce and industry. London, Edw. Arnold, 1900. 8. XI—252 pp., cloth. 3/.6. (Con- 


tents: Introduction. Economie history, its objects and its difficulties. — Before the 
Norman conquest: The Romans and the Anglo-Saxons. — The Norman conquest, and 


after. (From William I. to Edward I.): Agriculture, and the country. The Manorial 
system. Commerce and industry and the towns. The influence of the kings. The rise 
of the gilds. — From the mediaeval to the modern world. (From Edward I. to the 
Tudors): Commerce and industry, and the towns. The woollen industry. Agriculture, 
and the country. The black death, the peasant revolt, and inclosures. — The mer- 
cantile system and the old economics. (From the Tudors to the Georges): Trade and 
industry in England. Foreign and colonial commerce. — The industrial revolution and 
the new economics. (From the Georges to Victoria): The new agriculture, the factory 
system, and free trade. Conclusion: The rise of progress of economie science.) 

Sardy, A. L., Practical economics. Chicago, Donohue brothers, 1900. 8. 81 pp. 
$ 0,10. (Contents: Who gets the benefit of the increased productions of human labor 
due to modern inventions? — What determines value? — Money panics, labor and 
capital, trusts.) 

Masé-Dari, E., M. T. Cicerone e le sue idee sociali ed economiche. Torino, 
fratelli Bocca edit., 1900. 8. 390 pp. l. 4.—. (Contiene: I principi d’eguaglianza, la 
divisione per classi, la plutocrazia e l’equilibrio sociale nel eriterio di Marco Tullio. — 
Idee di Cicerone sul diritto e sulla legislazione. — Demagogia e comunismo secondo 
Cicerone. — Lo stato e l’economia privata secondo Cicerone. — I lavori pubblici e la 
relativa funzione dello stato. — La finanza e lo stato mell! opinione di Marco Tullio. — 
La politica doganale e tributaria in Cicerone. — I publicani e la loro funzione econo- 
mica. — Le leggi agrarie e la politica agraria per Cicerone. — Concetti di Cicerone sul- 
l’economia in generale, sull’ utile, sulla ricchezza, sul credito, ete. — Lavoro ed operai 
liberi e schiavi nell’ opinione di Marco Tullio; Pagricoltura. — Credito, usura ed argen- 
tari. — etc.) 

Socialisti e contadini: osservazioni di un campagnuolo. Faenza, tip. Novelli, 
1900. 12. 112 pp. 

Vrijdenkersalmanak voor 1901 uitgegeven door de zorgen van den sociali- 
stischen vrijdenkersbond van Gent, onder redactie van De Rede. Gand, Samenwerkende 
volksdrukkerij, 1900. 12. 48 blz. 


2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur. 


1) Die deutsche Volkswirtschaft am Schlusse des 
19. Jahrhunderts. Berlin 1900. 80. VII und 209 SS. 

2) Jahrbuch des deutschen Wirtschaftslebens. Frank- 
furt a. M. 1900. 89. IV und 308 SS. 

Den Wert der Statistik anzuerkennen sind nicht alle geneigt. 
Insbesondere diejenigen, die den Gegenstand der Massenbeobachtung 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 965 


bilden und Auskunft geben sollen, ohne recht begreifen zu können, 
zu welchem Zwecke die verlangten Daten gesammelt werden, sind 
gerne bereit, auf die Unruhe zu schelten, die man ihnen .macht. 
Sie beschweren sich bitter über die Herren amtlichen Statistiker, deren 
Wißbegierde fast bis in den Kochtopf reicht und die gar zu gerne 
wüßten, wieviel Kilogramm Brot und Fleisch, Zucker und Eier, Brannt- 
wein und Tabak u. a. in einem Arbeiterhaushalt in einer Woche ver- 
braucht werden. Und wenn dann erst das Ergebnis aller der hundert 
oder tausend Befragungen oder der Zählung der Millionen von Menschen 
in einigen auffallend starken Bänden vor ihrem erstaunten Auge sich 
zeigt, erschallt womöglich das Gezeter noch lauter als vorher. Ratlos 
stehen die Meisten vor den vielen Tabellen, in denen schön geordnet 
die vielen Zahlen aufmarschieren. Hilfeflehend irrt ihr Blick von einer 
Reihe zur anderen, es fehlt das Verständnis für die große Mühe und 
Arbeit, die, um diese Zusammenstellung zu ermöglichen, aufgewendet 
wurden, für den Zweck, den man mit der Veröffentlichung aller dieser 
Zahlenmassen beabsichtigt. 

Mitunter aber erscheint die Statistik in einschmeichelnder, fast 
verführerischer Gestalt. Statt des unförmlichen Folianten, in dem 
das Auge sich müde gesehen, ehe es die Angaben gefunden, die es 
sucht, wird uns ein schmuckes handliches Büchlein gegeben. Immer 
weist dasselbe zwar noch viele Zahlen auf, aber zugleich giebt es noch 
einen erläuternden Text. Wie ein Ariadnefaden führt uns der letztere 
von einem Punkte zum anderen und wir kommen zur Erkenntnis, wie 
lehrreich, wie anziehend, wie beruhigend diese Zifferberge auf uns 
wirken, wenn eine kundige Hand uns ihre Höhe richtig beurteilen lehrt. 

Derart sind die beiden obengenannten statistischen Werke. Das 
erstere, vom Kaiserlichen statistischen Amt herausgegeben, rührt von 
dem in der Gelehrten- wie in Beamtenwelt gleich hoch angesehenen 
Direktor Dr. Hans v. Scheel her; das andere hat, vom Institut für 
Gemeinwohl ediert, Dr. Andreas Voigt zum Verfasser, den bewährten 
Leiter einer sozialpolitischen Anstalt, die immer mehr die Aufmerksamkeit 
auf sich lenkt. Ist das erstere dazu bestimmt, in thunlichst weite Kreise 
der Bevölkerung zu dringen, in gediegenster Ausstattung für den billigen 
Ladenpreis von 1 Mark zu haben, so wendet sich das letztere, in einer 
beschränkten Anzahl von Exemplaren gedruckt, mehr an die sach- 
verständigen Wirtschaftspolitiker, Theoretiker und Praktiker. Behandelt 
das erstere ausschließlich Deutschland, so geht das letztere teilweise 
auch auf die entsprechenden Verhältnisse anderer Staaten ein. Beide 
aber treffen darin überein, daß sie auf engem Raum eine Fülle wissens- 
werter Details übersichtlich gruppiert und in geschmackvoller Form 
auftischen. 

Das Werk des Herrn v. Scheel ist veranlaßt durch die 
Vollendung der Bearbeitung der Berufs- und Gewerbezählung im 
Jahre 1895, die seit Schluß des Jahres 1899 in 18 Bänden vorlag. 
Aus diesem Quellenwerke den wesentlichen Inhalt im Auszuge wieder- 
gegeben zu sehen, war ein Wunsch, der gelegentlich im Reichstage 
verlautete. Der deutsche Kaiser aber, der dem statistischen Amte seine 


262 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


unter den Unternehmern und beruht auf einer Reihe juristischer Be- 
dingungen, die S. auf S. 28 aufstellt und die den Zustand fast absoluter 
Herrschaft des rücksichtslosesten Individualismus bedeuten. 

Im Kapitel 3 wird der Begriff des Lohnfonds gewonnen (S. 41), 
das Kapitel 4 beschreibt die Wandlungen, denen er unterworfen ist 
und die stammen: aus den Veränderungen in den Konsumtionsverhält- 
nissen, in der Menge des technischen Kapitals, der des unproduktiven 
Kapitals und aus den Wandlungen in der Schnelligkeit des Kapital- 


Im 5. Kapitel werden die Einwirkungen untersucht, welche Arbeiter- 
associationen und Staat auf den Lohnfonds üben und üben können; damit 
wird die sozialpolitische Seite des Problems in Betracht gezogen. Das 
Verhältnis zwischen dem Lohnfonde und der wirksamen Nachfrage nach 
Arbeit ist Gegenstand des Schlußkapitels und giebt dem Verfasser An- 
laß zu einer Besprechung des Problems der Arbeitslosigkeit. Der pessi- 
mistische Schluß, zu dem Supino gelangt, bedeutet eine Verurteiluug 
des heutigen ökonomischen Systems, das sich den Produktions- und 
den Konsumtionsprozeß voneinander unabhängig abwickeln läßt und die 
Arbeit zu einer Ware macht, die der Arbeiter verkaufen muß, der 
Unternehmer aber nur kauft, wenn es ihm beliebt. — Wenn ich auch 
gegen gar vieles in Supino’s Buch und insbesondere gegen dieses Schluß- 
urteil Einwendungen hätte, so halte ich es doch für sehr wertvoll, schon 
deswegen, weil es dazu anregt, manche Frage unter einem neuen Ge- 
sichtswinkel nochmals durchzudenken. Schullern. 


Curran, Dr. J. H., Francis A. Walker und seine hauptsächlichsten 
Theorien. Jena (Fischer) 1900. Sammlung nationalök. und statist. Ab- 
handlungen, Bd. 28. 95 SS. 

Die Persönlichkeit Walker’s ist in den Fachkreisen Europas vor 
allem durch seine großartigen Leistungen auf dem Gebiete der Statistik, 
insbesondere durch die Publikationen über den 9. und 10. Census be- 
kannt geworden. Seine Bedeutung als Historiker und Schulmann ist 
wohl nur für seine Heimat hervorragend; als Nationalökonom aber wird 
er in Europa gewiß noch zu wenig berücksichtigt, wenngleich, wie ich 
glaube, es auch bei uns nur wenige Theoretiker giebt, die nicht ge- 
nügend über Walker’s Ideen informiert wären. Besonders auf dem 
Gebiete der Einkommensverteilung wird er wohl kaum mehr von irgend 
jemandem unbeachtet gelassen. | 

Nichtsdestoweniger ist es sehr dankenswert, daß Curran sich der 
Aufgabe unterzogen hat, in gedrängter, kritischer Darstellung Walkers 
theoretische Lehren zusammenzufassen. Er thut dies in drei Kapiteln. 
„Allgemeine Lobnlehre“, „Theorie der Ertragsverteilung“, „Das Geld- 
wesen“. Da es hier nicht meine Aufgabe ist, Walkers Lehren zu 
kritisieren, 80 beschränke ich mich darauf, zu erwähnen, daß Curran 
sich großer Sachlichkeit in der Darstellung und Objektivität in der 
Beurteilung befleißigt, sich durchaus nicht in Verhimmelungen Walker 
ergeht, sondern seine wohl erwogen® Auffassung und Beurteilung der 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 963 


Lehren desselben mitteilt und uns dadurch einen klaren und im wesent- 
lichen erschöpfenden Ueberblick über seine Gedankengänge bietet. 

Von Einzelheiten seien die Erörterungen über Walkers Stellung zu 
Böhm-Bawerk (S. 45) hervorgehoben; angesichts des Erscheinens der 
2. Auflage von Böhm-Bawerk’s großem Hauptwerke sind sie aktuell. 
Daß der Verfasser Mangoldt’s Verdienste (S. 65 ff.) in Betreff der Durch- 
forschung des Unternehmergewinnes besonders hervorhebt, scheint mir 
um so erfreulicher, als dieser hervorragende Gelehrte jetzt schon ernst- 
lich der Gefahr des — unverdienten — Vergessenwerdens ausgesetzt ist. 

Das Gesamturteil Curran’s über Walker resumiert sich im Schluß- 
satze seines Buches: 

„Obgleich unseres Erachtens von Walkers Theorien keine einzige 
sich als genügend erwiesen hat, so kann man doch in Bezug auf 
ihn... . (sagen), daß das Unternehmen ein dankenswertes sei, auch 
wenn die Aufstellung seiner Theorien weiter kein Verdienst gehabt 
hätte, als daß sie zur Widerlegung aufforderte.“ Schullern. 


Ammon, O., Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen. Ent- 
wurf einer Sozialanthropologie zum Gebrauch für alle Gebildeten, die sich mit sozialen 
Fragen befassen. 3. Aufl. Jena, G. Fischer, 1900. gr. 8. VI—303 SS. mit 6 Fig. 
im Text. M. 2.—. 

Conrad, J.(Prof.), Leitfaden zum Studium der Nationalökonomie. Jena, G. Fischer, 
1901. gr. 8. VIII—92 SS. M. 1,80. 

Eleutheropulos, A. (Privatdoz., Univ. Zürich), Die Philosophie und die Lebens- 
auffassung des Griechentums auf Grund der gesellschaftlichen Zustände. 2. Aufl. Berlin, 
Hofmann & C', 1900. gr. 8 XIV—382 SS. M. 10.—. (A. d. T.: Wirtschaft und 
Philosophie ete., I. Abteilung.) 

Quaritsch, Kompendium der Nationalökonomie. 6. Aufl. Berlin, W. Weber, 
1901. gr. 8. 148 SS. M. 3.—. 


Bry, G. (prof. à l’Université d’Aix-Marseille), Histoire industrielle et économique de 
l'Angleterre depuis les origines jusqu’à nos jours. Paris, L. Larose, 1900. gr.in-8. V—771 pag. 
fr. 15.—. (Table des matières : Livre I. L’Angleterre avant la conquête normande, — Livre Il. 
De la conquête normande jusqu’à la Grande-Charte sous Jean-sans-Terre(1066—1215 :) Chap.3. 
Formation et condition économique. Chap. 4. Les corporations ou guildes. Chap. 5. Le 
commerce et l’industrie pendant cette période. — Livre III. De la Grande-Charte 
au règne de Henri VIII (1215-—1509:) Chap. 2. Condition des terres et des tenanciers. 
Etat de l’agriculture. Les travailleurs agricoles. Chap. 3. L'industrie de la laine et les 
manufactures. Les villages industriels. Chap. 4. Les centres commerçants, villes d'étape. 
Marchés et foires. Le commerce maritime, ete. Chap. 5. Les revenus de la couronne. 
Le système des impôts. Le crédit public. Les douanes. Chap. 6. Les grands fléaux du 
XIV" siècle: famines et peste leurs effets économiques, Corporations et associations 
ouvrières. Le prix des denrées et marchandises, Chap. 7. Les nouvelles doctrines sociales 
et la révolte des paysans en 1381. — Livre IV. Du règne de Henri VIII à celui de 
George III. Du XVI? siècle à l’époque de la Révolution industrielle (1509—1760:) 
Chap. 1. Les résultats économiques sous Elisabeth. Le rôle social des Puritains. La 
politique économique de Cromwell. La lutte pour la prépondérance. Chap. 2. Les spo- 
liations et leurs conséquences économiques. Le paupérisme. La loi des pauvres. Chap. 3. 
Les conditions de l’agriculture et de la propriété. Chap. 4. Les progrès de la puis- 
sance commerciale et maritime. Les grandes compagnies de commerce et la colonisation. 
Chap. 5. Les progrès de l’industrie. Les manufactures et les mines. Condition des 
ouvriers. Réglementation du travail. Chap. 6. Les monnaies et le crédit public. Les 
revenus de l'Etat et les dettes publiques. — Livre V. La Révolution industrielle et 
l'Angleterre contemporaine (de 1760 jusqu’à nos jours:) Chap. 1. La prépondérance de 
l'Angleterre. Les relations de l’ordre politique et de l’ordre économique. Chap. 2. 
Transformation de l’état industriel. Les grandes inventions et leurs conséquences immé- 


264 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


diates. Chap. 3. Le développement de l’industrie. Les grandes cités industrielles et 
commercantes. Chap. 4. La Révolution industrielle et la classe ouvrière. Chap. 5. La 
puissance commerciale et maritime. Chap. 6. L'état de l’agriculture depuis la fin du 
18° siècle. Chap. 7. La puissance financière. — etc.) 

Turman, Max, Le catholicisme social depuis l’encyclique „Rerum Novarum“, 
Paris, F. Alcan, 1900. 8. 334 pag. 

Blackman, Frank Wilson, Economies. Topeka (Kansas), Crane & C°, 1900. 
12. 526 pp., cloth. $ 1.—. (Contents; Discussions on production, distribution, con- 
sumption, exchange, trusts, labor organizations, socialism, ete.) 

Gierke, O., Political theories of the middle age; trad, with an introduction by 
F. W. Maitland. New York, Macmillan, 1900. 8. 80; 197 pp., cloth. $ 2,50. (Cambridge 
University Press series.) 

Morman, J. Babe, Principles of social progress: a study of civilization. Rochester 
(State of New York), E. Darrow & C°, 1901. 12. 240 pp., cloth. $ 0,50. 

Phipson, C. Balfour, The science of civilisation, or the principles of agri- 
cultural, industrial, and commercial prosperity. London, Swan Sonnenschein & C°, 1900. 
gr. in-8. XVI—512 pp., cloth. 10/.6. 

Price, L. L. (fellow of Oriel College, Oxford), A short history of English com- 
merce and industry. London, Edw. Arnold, 1900. 8. XI—252 pp., cloth. 3/.6. (Con- 
tents: Introduction. Economie history, its objects and its difficulties. — Before the 
Norman conquest: The Romans and the Anglo-Saxons. — The Norman conquest, and 
after. (From William I. to Edward Li: Agriculture, and the country. The Manorial 
system. Commerce and industry and the towns. The influence of the kings. The rise 
of the gilds. — From the mediaeval to the modern world. (From Edward I. to the 
Tudors): Commerce and industry, and the towns. The woollen industry. Agriculture, 
and the country. The black death, the peasant revolt, and inelosures. — The mer- 
cantile system and the old economics. (From the Tudors to the Georges): Trade and 
industry in England. Foreign and colonial commerce. — The industrial revolution and 
the new economics. (From the Georges to Vietoria): The new agrieulture, the factory 
system, and free trade. Conclusion: The rise of progress of economic science.) 

Sardy, A. L., Practical economies. Chicago, Donohue brothers, 1900. 8. 81 pp. 
$ 0,10. (Contents: Who gets the benefit of the increased productions of human labor 
due to modern inventions? — What determines value? — Money panies, labor and 
capital, trusts.) 

Mas&-Dari, E., M. T. Cicerone e le sue idee sociali ed economiche. Torino, 
fratelli Bocca edit., 1900. 8. 390 pp. 1. 4.—. (Contiene: I principî d’eguaglianza, la 
divisione per classi, la plutocrazia e l’equilibrio sociale nel criterio di Marco Tullio. — 


Idee di Cicerone sul diritto e sulla legislazione. — Demagogia e comunismo secondo 
Cicerone. — Lo stato e l’economia privata secondo Cicerone. — I lavori pubblici e la 
relativa funzione dello stato. — La finanza e lo stato nell’ opinione di Marco Tullio. — 
La politica doganale e tributaria in Cicerone. — I publicani e la loro funzione econo- 
mica, — Le leggi agrarie e la politica agraria per Cicerone. — Concetti di Cicerone sul- 
Peconomia in generale, sull’ utile, sulla ricchezza, sul credito, ete. — Lavoro ed operai 


liberi e schiavi nell’ opinione di Marco Tullio; l’ugricoltura. — Credito, usura ed argen- 
tari. — ete.) 

Socialisti e contadini: osservazioni di un campagnuolo. Faenza, tip. Novelli, 
1900. 12. 112 pp. 

Vrijdenkersalmanak voor 1901 uitgegeven door de zorgen van den sociali- 


volksdrukkerij, 1900. 12. 48 blz. 


2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur. 


1) Die deutsche Volkswirtschaft am Schlusse des 
19. Jahrhunderts. Berlin 1900. 89. VII und 209 SS. 

2) Jahrbuch des deutschen Wirtschaftslebens. Frank- 
furt a. M. 1900. 8° IV und 308 SS. 

Den Wert der Statistik anzuerkennen sind nicht alle geneigt. 
Insbesondere diejenigen, die den Gegenstand der Massenbeobachtung 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 965 


bilden und Auskunft geben sollen, ohne recht begreifen zu können, 
zu welchem Zwecke die verlangten Daten gesammelt werden, sind 
gerne bereit, auf die Unruhe zu schelten, die man ihnen .macht. 
Sie beschweren sich bitter über die Herren amtlichen Statistiker, deren 
Wißbegierde fast bis in den Kochtopf reicht und die gar zu gerne 
wüßten, wieviel Kilogramm Brot und Fleisch, Zucker und Eier, Brannt- 
wein und Tabak u. a. in einem Arbeiterhaushalt in einer Woche ver- 
braucht werden. Und wenn dann erst das Ergebnis aller der hundert 
oder tausend Befragungen oder der Zählung der Millionen von Menschen 
in einigen auffallend starken Bänden vor ihrem erstaunten Auge sich 
zeigt, erschallt womöglich das Gezeter noch lauter als vorher. Ratlos 
stehen die Meisten vor den vielen Tabellen, in denen schön geordnet 
die vielen Zahlen aufmarschieren. Hilfeflehend irrt ihr Blick von einer 
Reihe zur anderen, es fehlt das Verständnis für die große Mühe und 
Arbeit, die, um diese Zusammenstellung zu ermöglichen, aufgewendet 
wurden, für den Zweck, den man mit der Veröffentlichung aller dieser 
Zahlenmassen beabsichtigt. 

Mitunter aber erscheint die Statistik in einschmeichelnder, fast 
verführerischer Gestalt. Statt des unförmlichen Folianten, in dem 
das Auge sich müde gesehen, ehe es die Angaben gefunden, die es 
sucht, wird uns ein schmuckes handliches Büchlein gegeben. Immer 
weist dasselbe zwar noch viele Zahlen auf, aber zugleich giebt es noch 
einen erläuternden Text. Wie ein Ariadnefaden führt uns der letztere 
von einem Punkte zum anderen und wir kommen zur Erkenntnis, wie 
lehrreich, wie anziehend, wie beruhigend diese Zifferberge auf uns 
wirken, wenn eine kundige Hand uns ihre Höhe richtig beurteilen lehrt. 

Derart sind die beiden obengenannten statistischen Werke. Das 
erstere, vom Kaiserlichen statistischen Amt herausgegeben, rührt von 
dem in der Gelehrten- wie in Beamtenwelt gleich hoch angesehenen 
Direktor Dr. Hans v. Scheel her; das andere hat, vom Institut für 
Gemeinwohl ediert, Dr. Andreas Voigt zum Verfasser, den bewährten 
Leiter einer sozialpolitischen Anstalt, die immer mehr die Aufmerksamkeit 
auf sich lenkt. Ist das erstere dazu bestimmt, in thunlichst weite Kreise 
der Bevölkerung zu dringen, in gediegenster Ausstattung für den billigen 
Ladenpreis von 1 Mark zu haben, so wendet sich das letztere, in einer 
beschränkten Anzahl von Exemplaren gedruckt, mehr an die sach- 
verständigen Wirtschaftspolitiker, Theoretiker und Praktiker. Behandelt 
das erstere ausschließlich Deutschland, so geht das letztere teilweise 
auch auf die entsprechenden Verhältnisse anderer Staaten ein. Beide 
aber treffen darin überein, daß sie auf engem Raum eine Fülle wissens- 
werter Details übersichtlich gruppiert und in geschmackvoller Form 
auftischen. 

Das Werk des Herrn v. Scheel ist veranlaßt durch die 
Vollendung der Bearbeitung der Berufs- und Gewerbezählung im 
Jahre 1895, die seit Schluß des Jahres 1899 in 18 Bänden vorlag. 
Aus diesem Quellenwerke den wesentlichen Inhalt im Auszuge wieder- 
gegeben zu sehen, war ein Wunsch, der gelegentlich im Reichstage 
verlautete. Der deutsche Kaiser aber, der dem statistischen Amte seine 


266 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Anerkennung für die hervorragende Leistung, die die statistische Arbeit 
anderer Länder auf diesem Gebiete an Vollständigkeit und Genauigkeit 
überträfe, ausdrücken ließ, fügte hinzu, daß es sich empfehlen möchte, 
„die wichtigsten Resultate der Arbeit in einer kürzeren gemeinverständ- 
lichen Form zu veröffentlichen, um sie so der Allgemeinheit in weiterem 
Umfange nutzbar zu machen, als dies bei der jetzt vorliegenden umfang- 
reichen Publikation möglich sei“. Dieser hohen Anregung verdankt das 
Buch seine Entstehung. In mustergiltiger Form hat der Verfasser die 
ihm zugedachte Aufgabe gelöst. Klarer und überzeugender konnte die 
soziale und berufliche Gliederung des deutschen Volkes, seine wachsende 
und gewachsene Bedeutung im Handel und Verkehr, schwerlich zum 
Ausdruck gebracht werden. 

Das Material, mit dem Dr. Andreas Voigt in seinem Jahrbuch 
arbeitete, hat er sich aus gedruckten Quellen zusammensuchen müssen. 
Ihm stand nicht amtliches, infolge einer offiziellen Befragung massen- 
haft eingegangenes Schriftwerk zur Verfügung, wie e8 im statistischen 
Amte des Deutschen Reichs sich anhäuft. Er geht auch auf andere 
Fragen und Verhältnisse ein als Herr v. Scheel. Nur in der Schilderung 
der deutschen Landwirtschaft treffen sich beide Bücher. So lernen wir 
an seiner Hand uns über andere Punkte Klarheit verschaffen. 

Auf das Thatsachenmaterial selbst einzugehen, hätte an dieser 
Stelle keinen Sinn. 

Das Werk des statistischen Amtes könnte erst dann wiederholt 
werden, wenn nach einem Jahrzehnt vielleicht, eine neue Aufnahme der 
Berufsgliederung des deutschen Volkes anderen Stoff böte. Das Jahr- 
buch des Instituts für Gemeinwohl eignet sich dagegen durchaus wirklich 
zu dem zu werden, was sein Titel andeutet. Dr. Andreas Voigt wird 
sich ein großes Verdienst erwerben, wenn er in derselben vortrefflichen 
Form, wie vorliegend, auch in Zukunft die Ergebnisse seiner Be- 
obachtungen des deutschen Wirtschaftslebens zusammenstellen läßt 
und kritisch beleuchtet. 

Leipzig. Wilhelm Stieda. 


Dorfkirche und Bauernhaus im Königreich Sachsen. Dresden, G. Schönfeld, 
1900. gr. 8. 155 SS. mit 135 Abbildungen, kart. M. 2,50. (Sonderabdruck aus der 
2. Aufl. der „Sächsischen Volkskunde“ herausgeg. von R. Wuttke. Inhalt: Die Dorf- 
kirche, von (HofR., Prof.) C. Gurlitt. — Haus und Hof, von (OBaukommissar) O. Gruner. 
— Die bäuerliche Wohnung, von (Landbaumeister) F. L. K. Schmidt. — Die büuer- 
liche Kleinkunst, von A. Kurzwelly.) 

Fukuda, Tokuzo, Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwickelung in 
Japan. Stuttgart, Cotta, 1900. gr. 8. X—190 SS. M. 4.—. (A. u. d. T.: Münchener 
yolkswirtschaftliche Studien, herausgeg. von L. Brentano und W. Lotz. Stück 42.) 

Meyer, Elard Hugo, Badisches Volksleben im 19. Jahrhundert. Straßburg, 
K. J. Trübner, 1900. gr. 8. X11—628 SS. M. 12.—. (Aus dem Inhalt: Das häus- 
liche Leben. (Kleingüter und Hofgüter; Anerbenrecht und Leibgeding ; Gesinde; Tage- 
Jöhner ; Handwerker und Hausierer; Bauart, ete.) — Bei der Arbeit (Pferdezucht ; 
Rinderzucht; Ackerbau; Flurumgänge ; Hanf und Flachs; Weinbau; Waldarbeiten; 
Flößerei; Fischerei ; Schwarzwaldindustrie ; Hausierhandel). — Das Verhältnis der Bauern 
zu Kirche und Staat. — ete.) d 

Sander, Max, Anklam. Beiträge zur Stadtgeschichte. I. Heft (1763—1816). 
Anklam, E. Süssermann, 1900. gr. 8. 156 SS. M. 2.—. (Aus dem Inhalt: Beschrei- 
bung der Stadt. Statistische Nachrichten über Einwohner, Handel, Preise etc. — Die 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 267 


Aufhebung der Unterthänigkeit im Stadteigentum. — Die Erhebung 1812—1813. — 
Milde Stiftungen.) 

v. Tugan-Baranowsky, Mich. (ehemals Privatdoz., Univers. St. Petersburg), 
Studien zur Theorie und Geschichte der Handelskrisen in England. Jena, G. Fischer, 
1901. Lex.-8. VIII—425 SS. mit 2 Fig. im Text u. 12 Diagrammen. M. 8.—. 

Volkswirtschaft, die deutsche, am Schlusse des 19. Jahrhunderts. Auf Grund 
der Ergebnisse der Berufs- und Gewerbezählung von 1895 und nach anderen Quellen 
bearbeitet im kais. statistischen Amt. Berlin, Puttkammer & M., 1900. gr. 8. VI— 
209 SS. M. 1.—. 


Bloch, Cam. (archiviste du Loiret), Etudes sur l’histoire économique de la France 
(1760—1789). Paris, 1900. 8. IX- 271 pag. fr. 5.—. (Sommaire: Le commerce des 
grains dans la généralité d’Orl&ans (1768). — La répartition de la propriété foncière à 
la veille de la Révolution dans quelques paroisses de la généralité d'Orléans. — Les 
assemblées municipales de 1787: leur caractère économique; leur fonctionnement. — 
Les cahiers du bailliage d'Orléans au point de vue économique. — Un projet de crédit 
agricole au siècle dernier. — Le traité de commerce de 1786, entre la France et l’Angle- 
terre, d’après la correspondance du plénipotentiaire anglais.) 

Michel, Ch., Vers Fachoda (Mission de Bonchamps), A la rencontre de la 
mission marchand à travers l’Ethiopie. Paris, Plon, Nourrit & C", 1901. 8. 560 pag. 
avec une carte et des gravures. 

Odobesco, A. (prof. d'archéologie à l’Université de Bucarest), Le trésor de 
Pétrossa. Historique; Description. Etude sur l’orfèvrerie antique. Paris, J. Rothschild, 
1900. gr. in-Folio. 695 pag. avec 16 chromolithographies et héliogravures hors texte et 
356 illustrations dans le texte. fr. 200.—. 

Oliphant, F. H., The production of petroleum in 1899. Washington, Govern- 
ment Printing Office, 1900. Lex.-8. 298 pp. (Extract from the XXIst annual report of 
the survey, 1899—1900. Part VI: Mineral resources of the Un. States, calendar year 
1899. Contents: Production and value. — Exports. — Production by fields, States, and 
districts. — Foreign countries of the Western Continent in which petroleum is found. 
— Production of petroleum in countries of the Eastern Continent.) 

Teso, Ant., L’Italia e l’Oriente. Studi di politica commerciale. Torino, tipogr. 
editr. Union, 1900. 8. 513 pag. 

Vandervelde, E., La propriété foncière en Belgique. Paris, Schleicher frères, 
1900. 8. 327 pag. 

Benger, G., Rumania in 1900. Authorised translation by A. H. Keane. London, 
Asher, 1901. imp.-8. 10/.—. 

Dutt, Romesh C., Famines and land assessments in India. London, Paul 
Trübner & C°, 1901. 8. 341 pp. 7/.6. 

In Tibet and Chinese Turkestan. Being the record of three years’ exploration. 
London, Fisher Unwin, 1901. 8. With 80 illustrations and maps, ete., cloth gilt. 21/.—. 

New Zealand official year-book 1900 (IXth year of issue). Prepared under the 
instructions from R. J. Seddon (Premier) by E. J. von Dadelszen (Registrar-General). 
Wellington, J. Mackay printed, 1900. gr. in-8. VI—648 pp., with chart, 8 diagrams 
and other tables. 

Seruggs, W. L., The Colombian and Venezuelan Republics with notes on other 
parts of Central and South America. London, $. Low, 1900. gr. in-8. XII—350 pp. 
with 3 maps, cloth. 12/.6. 

Zwemer, 8. M. (Rev.), Arabia: The cradle of Islam. Studies in the geography, 
people and politics of the peninsula with an account of Islam and mission-work. Intro- 
duction by (Rev.) James S. Dennis. Edinburgh, O. Anderson & Ferrier, 1900. 8. 
434 pp. with 45 illustrations, and 8 maps and diagrams, cloth. 7/.6. 


3. Bevölkerungswesen. Auswanderung und Kolonisation. 
Denkschrift betreffend die Entwickelung des Kiautschougebiets in der Zeit vom 
Oktober 1899 bis Oktober 1900. Berlin, D. Reimer, 1901. Folio. 53 SS. mit 10 kartogr. 
und figürlichen (Lichtbilder-)Anlagen. M. 5.—. 
Eiboeck, J., Die Deutschen von Jowa und deren Errungenschaften. Eine Ge- 
schichte des Staates, dessen deutscher Pioniere und ihrer Nachkommen. Des Moines, 
1900. gr. 8. 786 SS., geb. M. 10.—. 


268 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


v. Frangois (Major a. D., ehem. Landeshauptmann von Deutsch-Südwest-Afrika), 
Staat oder Gesellschaft in unseren Kolonien. Berlin, J. Harrwitz Nachf., 1900. gr. 8. 
16 88. M. 0,50. (Soziale Streitfragen, hrsg. von Ad. Damaschke, Heft 10.) 

v. Grünbühel. H. Mayrhofer (k. k. Bezirkshauptmann), Die Volkszählung in 
Oesterreich vom Standpunkte des geltenden Gesetzes ete. 3. ergänzte Aufl. Graz, Ver- 
lagsbhdl. „Styria“, 1900. gr. 8. XII—218 SS. M. 2,50. 

Kolonialhandelsadreßb uch 1901. 5. Jahrgang. Herausgeg. von dem kolo- 
nial-wirtschaftlichen Komitee. Berlin (U. d. Linden 40). gr. 8. 220 88. Mit der 
Karte der Kolonien in Buntdruck. M. 1,50. (Beilage zum „Deutschen Kolonialblatt, 
XII. Jahrg.) 

Rychna, Jos., Die Nativitäts- und Mortalitätsausweise der k. k. statistischen 
Centralkommission in Wien und des kaiserl. Gesundheitsamtes in Berlin. Eine kritische 
Studie über die Revisionsbedürftigkeit der periodischen Geburten- und Sterbefülleaus- 
weise derselben, als weiterer Beitrag zum Prager Mortalitätsstreite. Prag, Bursik & 
Kohout, 1900. gr. 8. 54 SS. M. 1.—. 

Schlechter, R., Westafrikanische Kautschukexpedition 1899/1900. Berlin, Verlag 
des kolonial-wirtschaftlichen Komitees, 1900. gr. 8. VI—326 SS. mit 13 Tafeln und 
14 Abbildungen im Text. M. 12.—. (Beilage zum Deutschen Kolonialblatt, Jahrg. XII.) 


L’Annte coloniale. Publiée sous la direction de MM. Ch. Mourey et L. Brunel. 
Jr année (1809). Paris, Ch. Tallandier, 1900. gr. in-8. VII—413 pag. fr. 6.—. 
Arnaud, À. & H. Méray (inspecteurs de colonies), Organisation administrative, 
judiciaire, politique et financière. Paris, Challamel, 1900. gr. in-8. 212 pag. fr. 5.— 
(Les colonies françaises, vol. 1I, Exposition universelle de 1900.) 

Chemins de fer, les, aux colonies et dans les pays neufs. Bruxelles, Institut 
colonial international, impr. Ad. Mertens. 3 vols. in-8. fr. 60.—. 

De la Tour, Imbart (auditeur au Conseil d'Etat), Dorvault (ancient chef adjoint 
du cabinet du ministre des colonies), Lecomte (prof. au lycée Saint-Louis), Régime de 
la propriété. Régime de la main-d'oeuvre. L'agriculture aux colonies. Paris, À. Chal- 
lamel, 1900. gr. in-8. 604 pag. fr. 7,50. (Les colonies françaises , vol. V, Exposition 
universelle de 1900.) 

Gatelet (lieutenant du 14° régiment de chasseurs à cheval), Histoire de la con- 
quête du Soudan Français (1878—1899). Paris, Berger-Levrault & Ci, 1901. gr. 8. 
VII—520 pag. avec 29 croquis hors texte et dans le texte. fr. 10.—. 

Guillemin, J. (substitut du procureur de la République A Clamecy), De la 
protection des enfants du premier âge. Dépopulation de la France. Etudes sur la loi 
du 23 décembre 1874 et le déeret du 27 févriers 1877 (lacunes; modifications). Bu- 
zançais, impr. Deverdun, 1901. 8. 206 pag. fr. 2,50. 

Guy, C. (chef du service géogr. et des missions au Ministère des colonies), La 
mise en valeur de notre domaine colonial. Paris, A. Challamel, 1900. gr. in-8. 648 pag. 
fr. 7,50. (Les colonies françaises, vol. UL: Exposition universelle de 1900.) 

Strauss, P., Dépopulation et puériculture. Paris, E. Fasquelle, 1901. 8. 308 pag. 
fr. 3,50. (Table: Dépopulation et puériculture. — Les mères en détresse. — L'abandon 
secret. — Les secours d'allaitement. — Les futures mères. — Maternités secrètes. — 
Assistance maternelle à domicile. — Le travail des mères. — Le repos obligatoire. — 
T’allaitement maternel. — La eonsultation de nourrissons. — La mortalité infantile. — 
Les nourrissons pauvres. — Les enfants débiles. — Pouponnats et pouponnières. — Les 
dispensuires d’enfants secourus, — Enfants assistés. — L'oeuvre philanthropique du 
lait, — La maison de l'enfance. — Le certificat médical. — Le patronage des enfants 
en bas âge. — La crèche. — L'élevage mercenaire. — Devoir national. — ete.) 

Coen, G., La questione coloniale e i popoli di razza latina. Livorno, R. Giusti 
edit., 1900. 12. XIV—367 pp. l 3.—. (Contiene: La preparazione alla politica colo- 
niale in Italia e in Germania. — La colonizzazione interna. — Fautori ed avversarÌ 
dell’ Eritrea. — L’Eritrea giudicata degli stranieri. — Proposte di sistemazione del- 
PEritrea. — L'esperimento agricolo. — L'emigrazione et le colonie. — Le colonie francesi 
giudicate dagli scrittori francesi. — La tradizionale antipatia dei Francesi alla politica 
coloniale. — L'espansione coloniale tedesca. — Le compagnie coloniali. — A chi giovano 
commercialmente le colonie?) 

Studi e proposte per Pesecuzione del IV Censimento generale della popolazione 
del Regno. Discussioni del consiglio superiore di statistica nei giorni 7, 8 e 9 luglio 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 269 


1900. Legge 15 luglio 1900, n° 261. Regolamento 17 ottobre 1900, n° 350, Istruzioni 
minerali 10 novembre 1900. Roma, tip. naz. di Bertero, 1900. Lex. in-8. 220 pp. 
(Pubblicazione del Ministero di agricoltura, industria e commercio, Direzione generale 
della statistica.) 


4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen. 


Bericht über die Verwaltung der ostpreuBischen landwirtschaftlichen Berufs- 
genossenschaft im Jahre 1899. (Königsberg) 1900. Folio. 31 SS. 

Boysen, C. (OekonomieR., Hamburg), Die landwirtschaftliche Ausstellung in 
Odense und die Entwickelung der dänischen Landwirtschaft. Leipzig, Heinsius Nachf., 
1900. 8. 31 SS. (Sonderabdr. aus Milchzeitung 1900, Nr. 30—32.) 

Denkschrift betreffend die Verhandlungen des Deutschen Reichstages über die 
Kohlenfrage am 3., 6. und 7. XII. 1900. Druck von Thaden & Schmemann, 1901. 
gr. 4. 25 SS. (Bearbeitet vom Verein für die bergbaulichen Interessen im Oberberg- 
amtsbezirk Dortmund.) 

Eichholtz, Th. (k. Landmesser, Lippstadt), Die Bodeneinschätzung unter beson- 
derer Berücksichtigung der bei preußischen Generalkommissionen hierüber erlassenen 
Bestimmungen. Für die Beamten der Generalkommissionen, Landmesser, Kreiseinschätzer 
und Landwirte bearbeitet. Berlin, Parey, 1900. gr. 8. VII—166 SS. mit 11 Textab- 
bildgn. u. 3 Tafeln, geb. M. 7,50. 

Fürer, F. A. (BergR. u. Salinendirektor zu Dürrenberg), Uebersichtskarte der 
Salzbergwerke und Salinen. Nebst Erläuterungen. Braunschweig, Vieweg & Sohn, 1900. 
8. 13 SS. mit 1 Karte in Imp.-qu.-Folio. M. 1.—. 

v. Hattingberg, Jos. (Ritter), Die gemeinschaftlichen Kredite der österreichi- 
schen Landwirte. Wien, Fr. Deuticke, 1900. gr. 8. VII—166 SS. M. 5.—. 

Jahresbericht der Pommerschen land- und forstwissenschaftlichen Berufsgenossen- 
schaft. Berichtsjahr 1899. Stettin, 1900. 4. 18 SS. 

Jahresbericht des niederschlesischen Knappschaftsvereins für 1899. Waldenburg 
(Schl.), P. Schmidt’s Druckerei, 1900. gr. 4. 34 SS. 

Mitteilungen über die Verhandlungen der Sektion für Land- und Forstwirt- 
schaft und Montanwesen des Industrie- und Landwirtschaftsrates bei der ersten und 
zweiten Tagung in den Jahren 1898 und 1899. Wien, W. Frick, 1900. Lex.-8. 216 SS. 
M. 2.—. + 

Polen, die, im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbezirke. Mit einem statistischen 
Anhange und einer Sammlung polnischer Lieder. München, J. F. Lehmanns Verlag, 
1901. gr. 8. XI—163 SS. mit 2 graphischen Karten in Imp.-qu.-Folio. M. 3,60. 

Protokoll der 45. Sitzung der Central-Moorkommission, 11.—13. VI. 1900. 
Berlin, Parey, 1900. Lex.-8. IH—36 SS. mit 3 Karten. M. 3.—. 

Rabe, O., 40 Jahre Brotgetreidebau. Ein Beitrag aus der Praxis zur Frage der 
Kornzölle. Berlin, Parey, 1901. gr. 8. 52 SS. mit graphischen Darstellungen. M. 1,20. 

Seefischereialmanach, deutscher, für 1901. Leipzig, J. J. Weber, 1900. 12. 
X—472 u. 7 SS. mit Flaggen und Karten, geb. M. 4,50. 

Stoetzer (GehOForstR.), Die Eisenacher Forste (Eisenach, Ruhla und Wilhelms- 
thal). Ein Wirtschaftsbild. Eisenach, Hofbuchdruckerei H. Kahle, 1900. gr. 8. 49 SS. 
M. 1.—. 

Zehn Jahre Revisionsarbeit im Molkereirevisionsverbande für die Provinzen Bran- 
denburg, Pommern, Sachsen und die Großherzogtümer Mecklenburg in Prenzlau. Eine 
Uebersicht über das genossenschaftliche und milchwirtschaftliche Leben im Verbande 
während der ersten 10 Jahre seines Bestehens. Prenzlau, A. Mieck, 1900. gr. 8. 40 SS. 
mit 3 tabellarischen Anlagen in Imp.-quer-Folio. M. 2.—. 


Hauser, H., L'or. L'or dans le laboratoire. L’or dans la nature. Extraction de 
l'or, ete. Paris, Nony & Or, 1901. 4. 593 pag. 

Monographie agricole de la région du Condroz. Bruxelles, 1900. Imp. in-8. 
VIII—120 pag. (Publication de l’agriculture, service des agronomes de l'Etat.) 

Schon, Rud., L'agriculture en Danemark. London, Simpkin, 1900. Imp.-8. 
402 pp. with plates. 16/.—. 

Travaux et comptes-rendus des séances du Congrès international de pêches maritimes 
et fluviales de Bayonne-Biarritz du 25 au 31 juillet 1899. Paris, A. Challamel, 1900. 
8. fre 10.—: 


270 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Garibotti, G., Pane: la produzione anarchica, cooperativa, municipale. Cremona, 
tip. sociale, 1900. 8. Cremona, tip. sociale, 1900. 8. 127 pp- l. 1. 


5. Gewerbe und Industrie. 


Calwer, R., Die Berufsgefahren der Steinarbeiter. Im Auftrage des X. Kon- 
gresses der Steinarbeiter Deutschlands als Denkschrift an den Bundesrat, herausgeg. von 
der Centralleitung der Organisation der Steinarbeiter Deutschlands. Rixdorf, P. Mitschke, 
1901. gr. 8. 196 ss. M. 5.—- 

Erriehtung, die, von Lehrlingshorten. Ein Hilfsmittel bei der Heranbildung des 
gewerblichen Nachwuchses. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1900. gr. 8. II 
48 SS. M. 0,50. 

Heucke, K. (Assist. d. k. Gewerbeinspektion , Frankfurt a/M.), Die Gefahr der 
Quecksilbervergiftung in den Hutstoff- und Hutfabriken. Ein Beitrag zur Gewerbe- 
hygiene. Frankfurt a/M., Gebrüder Knauer, 1900. gr. 8. 43 SS. mit 9 Abbildgn. 
M. 2.—. 

Jahresbericht über die Thätigkeit der Gewerbeaufsichtsbeamten für den Auf- 
sichtsbezirk Lübeck im Jahre 1899. Von (Gewerbeinspektor) Johannsen, Lübeck, Lübcke 
& Nöhring, 1900. gr. 8. 27 SS. M. 0,70. 

Lang, O., Das schweizerische Fabrikgesetz. Erläutert unter besonderer Bezug- 
nahme auf die Notwendigkeit seiner Revision. Zürich, Verlag der Buchhandlung des 
Schweiz. Grütlivereins, 1899. 48 SS. M. 0,40. 

Menghius, C. M., Tirols Wasserkräfte und deren Verwertung. Eine Studie. 
Innsbruck, Verlag der Handels- und Gewerbekammer, 1900. 8. 36 SS. mit 1 Karte. 
(Herausgeg. von den Handels- und Gewerbekammern in Tirol.) 

Pape, Rich. (Handwerksk.-Sekr.), Hans v. Sagan. Eine monographische Studie 
zur Geschichte des deutschen Handwerks. Königsberg, Schubert & Seidel, 1900. gr. 8. 
VILI—57 SS. mit Abbildgn. M. 1.—. 

Pollitzer, Joh., Die Lage der Lehrlinge im Kleingewerbe in Wien. Tübingen 
und Leipzig, J. C. B. Mohr, 1900. gr. 8. 132 SS. Subskr.-Pr. M. 3,40. (Wiener staats- 
wissenschaftliche Studien, Bd. II, Heft 3.) 

Rausch, E., Die Sonneberger Spielwarenindustrie und die verwandten Industrien 
der Griffel- und Glasfabrikation unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse 
in der Hausindustrie. Sonneberg, Gräbe & Hetzer, 1900. gr. 8. V—170 SS. 

Schmidt, Val., Braubetrieb und Braustätten in Südböhmen. Prag, Calve, 1900. 
gr. 8. 134 88. K. 1,60. 

y. Tayenthal, M., Die Gablonzer Industrie und die Produktivgenossenschaft der 
Hohlperlenerzeuger im politischen Bezirke Gablonz. Tübingen , J. C. B. Mohr, 1900. 
gr. 8. 90 ss. M. 2,40. (A. u d. T.: Wiener staatswissenschaftl. Studien, Bd. II, 
Heft 2.) 


Gaston-Routier, L'industrie et le commerce de l'Espagne. gième édition. Paris, 
H. L. Soudier, 1901. gr- in-8. 168 pag. avec 8 tableaux statistiques hors texte. fr. D.—. 
(Table des matières ` Une définition du commerce. TT La population de l'Espagne. 
Division des habitants par professions. La fraude dans les recensements. — Terres 
cultivées et terres incultes. Le morcellement des grandes propriétés. — La prospérité 
industrielle de jadis. Les causes de la décadence de l'industrie en Espagne. Nombre 
des fabriques. — Le commerce de l'Espagne au dix-huitième siècle. — Les échanges 
entre la France et l'Espagne. Prépondérance commerciale de la France en Espagne. — 
Les principaux produits de l'Espagne. Les vins. Les blés et les céréales. L'élevage 


et l'exportation du bétail. Les produits d'exportation A Cuba. — Les chemins de fer 
espagnols. — La marine marchande de lPEspagne. Commerce de cabotage- — L’in- 
dustrie minière et sidérurgique en Espagne 1898/99. — L'industrie sucrière en Espagne. 
— etc. 


Jackson, Alice F. (Mrs. F. Nevill), A history of handmade lace. Dealing with 
the origin of lace, the growth of the great lace centres, the mode of manufacture, etc. 
London, L. U. Gill, 1900, Roy.-8. 258 pp. 18/—. 

Rocheleau, W. F., Great American industries. 3d book : Manufactures. Chicago, À. 
Flanagan C°, 1900. 12. 239 pp. (Contents description of the industries: Motors; Glass; 
SR Boots and shoes ; Pins and needles; Pincels and pens; Paper, newspapers, 

00ks.) 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 271 


Sardy, A. L., Practical economics; who gets the benefit of increased productions 
of human labor due to modern inventions. Chicago, Donohue brothers, 1900. 81 pp. 


6. Handel und Verkehr. 

Rossmann, M, Kustermann, R, Pernaczynski, St., 
Weryho, P. und Heubach, E. Eisenbahntarife und Wasserfrachten, 
Studien zur Frage der Gebührenerhebung auf Wasserstraßen. Im Auf- 
trage des Vereins für Sozialpolitik herausgegeben von Walter Lotz. 
Leipzig bei Duncker & Humblot, 1900. 

Der Band 89 der Schriften des Vereins für Sozialpolitik enthält 
eine Anzahl von Aufsätzen, die Material zur Beantwortung der Frage 
liefern sollen, ob sich nicht empfehle, die Bestimmungen der Reichs- 
verfassung sowie der Stromschiffahrtsverträge abzuändern, welche gegen- 
wärtig verhindern, daß Abgaben auf den offenen Strömen für das bloße 
Befahren derselben erhoben werden. Da diese Frage ihre gegenwärtige 
Bedeutung hauptsächlich dem Umstande verdankt, daß die Landwirte 
des deutschen Ostens in der abgabenfreien Beförderung von auswärtigem 
Getreide auf den großen deutschen Strömen, namentlich aber auf dem 
Rhein, eine Durchbrechung der Absichten der deutschen Zollgesetzgebung 
und Eisenbahntarifierungen erblicken, beschränken sich die Aufsätze der 
Hauptsache nach auf diejenigen Wasserfracht- und Eisenbahntarifsätze, 
die sich auf Getreide, Mehl und Mühlenfabrikate beziehen. 

Die erste der Schriften „Die Getreide- und Mehltarife 
der bayerischen Staatsbahnen“ rührt von M. Rossmann her 
und sucht festzustellen, wie sich die bayerischen Staatsbahnen im baye- 
rischen Gebiet rechts vom Rhein (also mit Ausschluß der bayerischen 
Pfalz) in den verschiedenen Verkehren, an denen sie beteiligt sind, bei 
der Tarifirung von Mehl und Getreide verhalten. 

Der Verfasser hat diese Untersuchungen mit dem Jahre 1898 ab- 
geschlossen und ist an der beabsichtigten Weiterführung behindert 
worden. Eine ergänzende Studie „Die Beförderung von Brot- 
getreide und Mehl auf den bayerischen Staatsbahnen“ 
von Dr. Robert Kustermann legt nun die seit 1898 erfolgten Ab- 
änderungen in den betreffenden bayerischen Bahntarifen dar und macht 
durch Anfügung einer tabellarischen Uebersicht über das Verhältnis 
des Verkehrs bayerischer Bahnen mit denen der benachbarten Länder 
zum inneren Verkehr Bayerns die Entwickelung dieses Verhältnisses 
in Bezug auf Getreide und Mehl innerhalb der Jahre 1893—98 an- 
schaulich. 

Die folgende Schrift von St. Pernaczinski behandelt „Die 
Eisenbahntarife und Wasserfrachten für Getreide und 
Mehl in der Provinz Posen, ihre Geschichte und Wir- 
kungen“. Die Schrift giebt zunächst einen allgemeinen Ueberblick 
über die Verhältnisse der relativ sehr viel Getreide ausführenden Provinz 
Posen; sodann werden abschnittweise die Eisenbahnen und die Wasser- 
straßen der Provinz behandelt und die Güterbeförderung auf beiden 
Arten der Verkehrswege betrachtet. Am Schluß werden die Gründe 
erörtert, die einen gewissen Stillstand in der allgemeinen deutschen 
„Getreide- und Mehlpolitik“ veranlaßt hätten. 


272 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Der nächste Aufsatz „Die Eisenbahntarife Rußlands für 
Getreide und Mehl im letzten Decennium (1889—1 899)“ 
von P. Weryho behandelt im Eingang die geographischen und wirtschaft- 
lichen Verhältnisse des europäischen Rußlands, soweit sie auf die Ent- 
wickelung des Verkehrs und seiner Mittel von grundlegendem Einfluß 
sein mußten und auch geworden sind. Die eigentümlichen Wasserstraßen- 
verhältnisse Rußlands — einerseits große und teilweis recht leistungs- 
fähige Strom- und Kanalsysteme gegenüber einem anfangs sehr wenig 
entwickelten Eisenbahnnetz und andererseits lang anhaltender Frost und 
dadurch längere Unbenutzbarkeit großer Strecken jener Wasserwege — 
werden eingehend geschildert und dann speziell die Getreidetarife be- 
sprochen, und zwar sowohl die allgemeinen, für den russischen inneren 
Verkehr geltenden und sich als Staffeltarife darstellenden, als auch die 
besonderen, im deutsch-russischen Handelsvertrag festgelegten Tarife. 

Die letzte Schrift „Skizzen über Verkehrsentwickelung, 
Frachtpreise und Verkehrspolitik am Oberrhein und in 
Südwest deutschland“ von Ernst Heubach giebt einen Ueber- 
blick über die im Titel bezeichneten Verhältnisse während der letzten 
20 Jahre, wobei besonders die Verkehrsbeziehungen zwischen den 
deutschen Nord- und Ostseehäfen einerseits und den von holländischen und 
belgischen Seehäfen aus bedienten Rheinhafenorten andererseits, ebenso 
diejenigen zwischen den deutschen Eisenbahnen und der Rheinschiffahrt, 
besprochen werden. 

An die Wiedergabe der einzelnen vorbezeichneten und durchweg 
sehr lesenswerten Schriften knüpft der Herausgeber, Prof. Lotz, die 
Darlegung seiner eigenen Ansichten über die Frage der Einführung von 
Befahrungsabgaben. 

Er hält die Einführung von Abgaben zur nachträglichen Auf- 
bringung von Zinsen und Tilgungsquoten für bisher gemachte Auf- 
wendung zur Verbesserung der Schiffbarkeit natürlicher Wasserstralen 
für unrichtig. Hierin kann man ihm ohne weiteres zustimmen, und 
zwar schon allein aus dem mehr technischen Grunde, daß es auerordent- 
lich schwierig sein würde, für die Vergangenheit festzustellen, welche 
Kosten für Verbesserung der Schiffbarkeit der Ströme und welche im 
Interesse ihrer geregelten Hochwasserabführung, also im Interesse der 
Anwohner, aufgewendet worden sind. 

Des zweiten will er die Abgabenpflichtigkeit beibehalten wissen 
in der im Art. 54 der Reichsverfassung festgesetzten Form, wonach für 
Benutzung besonderer zu Gunsten der Schiffahrt bestimmter Anstalten, 
wie Hafeneinrichtungen U. ®. w., auch auf natürlichen Flüssen Abgaben 
in der Höhe der jeweiligen Unterhaltungskosten erhoben werden dürfen. 
Für Neubauten von Kanälen empfiehlt Lotz außerdem die Heranziehung 
der meist interessierten Gebiete Zur Garantieleistung ; wodurch das 
staatliche Risiko gemindert würde. 

Unter Hervorhebung Dessen, daß die erfolgte Verstaatlichung des 
größten Teils des deutsch Bahnnetzes die Gefahr mit sich gebracht 
habe, daß das Verkehrsinteresse, dem die Eisenbahnen in erster Linie 
dienen sollen, unter einer gewissen Fiskalität leide, hält Lotz es für 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 273 


wünschenswert, daß der bestehende Zustand, wobei die niedrigen 
Wasserfrachtsätze einer zu weit getriebenen Rücksichtnahme auf fis- 
kalische Interessen und auf die lokale Getreideproduktion entgegen- 
wirken, erhalten bleibe. Er weist auch darauf hin, daß die hohen Ge- 
treidetarife der Bahnen die für den deutschen Westen und Südwesten 
unbedingt notwendige Einführung von ostdeutschem sowohl wie auch 
fremdländischem Getreide fast verhindern würden, und daß gerade in 
dieser Beziehung die abgabenfreie Rheinschiffahrt ausgleichend wirke 
und eine übergroße Teuerung des Brotgetreides im deutschen Westen 
und Südwesten ausschließe. 

Den trefflichen und sehr interessanten Ausführungen des Prof. Lotz 
möchte der Verfasser der gegenwärtigen Besprechung einiges zusetzen. 
Es ist, wie im Jahrgang 1895 dieser Blätter!) nachgewiesen, völlig 
richtig, daß internationale Verträge sowie die Rhein- und die Elbschiff- 
fahrtsakte die Erhebung von Befahrungsabgaben auf den wichtigsten 
deutschen Strömen zur Zeit nicht zulassen, und daß die Reichsverfassung 
auch das verhindert, daß die bei offenen Flüssen zur Verbesserung 
von deren Schiffbarkeit jährlich aufgewendeten Kosten und die Ver- 
zinsungs- und Tilgungskosten der zum Bau künstlicher Wasser- 
straßen verwendeten Mittel durch Befahrungsabgaben wieder auf- 
gebracht werden. Es ist ferner, worauf ebenfalls damals aufmerksam 
gemacht worden ist, richtig, daß der dadurch für die Einnahmen der 
einzelnen Staaten entstehende Ausfall nicht sehr bedeutend ist, weil an- 
dererseits die Wasserstraßen neue Verkehre, namentlich in Rohprodukten, 
schaften, die nach „Veredelung“ auch auf die Bahnen übergehen und 
diesen Frachten zuführen, die sie sonst ohne Zweifel gar nicht erhalten 
würden. 

Aber es ist andererseits nicht zu verkennen, daß bei der gegen- 
wärtigen Entwickelung der deutschen Binnenschiffahrt die entstandenen 
Verhältnisse auch Nachteile mit sich bringen. Wenn auch die auf die 
einheimischen Getreidepreise drückende abgabenfreie Einführung fremden 
Getreides auf den großen Strömen dadurch in ihren Nachteilen aus- 
geglichen wird, daß wenigstens die östlichen deutschen Ströme weit 
mehr für die einheimische Landwirtschaft leisten als dagegen ?), so ist 
doch nicht zu leugnen, daß die Aufwendung großer staatlicher Mittel 
für die Binnenwasserstraßen ohne entsprechendes Aequivalent durch 
Befahrungsabgaben in anderen Hinsichten nachteilig wirkt. Zunächst 
sind die deutschen Strecken, namentlich von Elbe und Rhein, weit 
länger als die ausländischen. Das macht sich namentlich auf der Elbe 
im Verkehr zwischen Hamburg und Oesterreich zum Nachteil der 
deutschen Produktion und der deutschen Eisenbahnen geltend. Sodann 
ist wenigstens bei der preußischen Finanzverwaltung das Bestreben 
nicht zu verkennen, die Befahrungsabgaben da, wo ihre Erhebung zu- 
lässig ist, und namentlich, wo sie erhebliche Einnahmen für die Staats- 


1) Dritte Folge, Band 10. 
2) Vergl. diese Zeitschrift, Jahrgang 1899, Februarheft, „Die Abgabenfreiheit 
der deutschen Ströme u. s. w.“ 
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 18 


274 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


kasse liefern, in die Höhe zu schrauben. Das gilt namentlich von den 
märkischen Wasserstraßen, die nicht allein ihre Verwaltungs-, Unter- 
haltungs- und Schleusenbetriebskosten seit Jahren vollständig decken, 
sondern auch einen Ueberschuß ergeben, der ohne Zweifel größer ist, 
als die Summe der zur Verbesserung ihrer Schiffbarkeit seit längeren 
Jahren aufgewendeten Mittel an Verzinsung und Tilgung erfordert. Es 
ist aber auf eine Wiederermäßigung dieser Abgaben trotz allem, was 
die Verfassung festsetzt, bei den gegenwärtigen Strömungen in Re- 
gierung und Volksvertretung nicht zu rechnen. Nun ist es zweifellos 
ein kaum erträglicher Zustand, daß diese Wasserstraßen — und ähn- 
liches gilt auch von dem kanalisierten oberen Oderlauf — mit so starken 
Abgaben belastet sind, während auf jenen beiden großen Strömen keine 
Befahrungsabgaben gezahlt werden. Eine gleichmäßige, etwa nach 
Tonnenkilometern, mit Bruchteilen eines Pfennigs, zu bemessende Ab- 
gabe auf allen deutschen Binnenwasserstraßen würde ausreichen, um sowohl 
deren jährliche Bau-, Verwaltungs-, Unterhaltungs- und Schleusen- 
betriebskosten, als auch die Kosten der Verzinsung und Tilgung der 
auf den Bau künstlicher Wasserstraßen verwendeten Kapitalien zu 
decken. 

Hinzu kommt, daß die gesetzgebenden Faktoren von der Bewilligung 
von Summen für den Bau künstlicher Wasserstraßen abgeschreckt werden 
würden, wenn für diese keine ausreichenden Befahrungsabgaben fest- 
gesetzt würden. Victor Kurs. 


Bericht der Handelskammer in Bremen über das Jahr 1900 erstattet an den 
Kaufmannskonvent. Bremen, Druck von H. M. Hausehild, 1901. gr. 8. 66 SS. 

Bericht, vorläufiger, der Handelskammer zu Kiel über ihre Thätigkeit sowie 
über Lage und Gang des Verkehrs im Jahre 1900. Jahrgang XXIX. Erstattet in 
der öffentlichen Sitzung der Handelskammer am 31. XII. 1900. Kiel, Januar 1901. 
kl. 8. 77 SS. 

Bericht, vorläufiger, der Handelskammer zu Lübeck über das Jahr 1900, er- 
stattet am 31. XII. 1900. Lübeck, Druck von Gebr. Borchers, 1900. gr. 8. 26 SS. 

Bericht über die Ergebnisse des Betriebes der vereinigten preußischen und hessi- 
schen Staatseisenbahnen im Rechnungsjahre 1899. Berlin, W. Moeser, 1900. Folio. 
VI—248 SS. 

Golwig, Fritz (Ingenieur, Wien), Die finanzielle Zukunft der Bau- und Betriebs- 
gesellschaft für städtische Straßenbahnen in Wien. Unter Zugrundelegung der Betriebs- 
resultate verschiedener Straßenbahnen nach ihrer Umwandlung auf elektrischen Betrieb. 
Wien, F. Deuticke, 1900. gr. 8. 117 SS. M. 4,20. 

Jahresberieht der Handelskammer zu Altona für das Jahr 1900. I. Teil: 
Thätigkeit der Handelskammer im Berichtsjahre. Altona, H. W. Köbner & C°, 1901. 
gr. 8. 36 SS. 

Jahresberieht der Handelskammer zu Hamburg über das Jahr 1900. Ham- 
burg, Ackermann & Wulff Nachf., 1900. kl. 4. 54 SS. 

Jahresbericht der Handelskammer zu Hamburg über das Jahr 1900, erstattet 
der Versammlung „Eines Ehrbaren Kaufmanns“ vom 31. XII. 1900. Hamburg, Druck 
von Ackermann & Wulff Nachf., 1900, 31. XII. Folio. 35 SS. 

Jahresbericht der Handelskammer für den Kreis Essen 1900. Teil I. Essen 
(Ruhr), Druck von W. Girardet, 1901. gr. Folio. 71 SS. 

Jahresbericht der Handelskammer zu Leipzig, 1899. Leipzig 1900. gr. 8. 
XII—253 SS. 

Jahresbericht über (1900er) Kolonialwolle von Gustav Ebell & C°. Berlin, Ja- 
nuar 1901. 4. 4 SS. (Nicht im Handel.) 

Jahresbericht über die Staatseisenbahnen und die Bodenseedampfschiffahrt im 
Großherzogtum Baden für das Jahr 1899 (zugleich als Fortsetzung der vorangegangenen 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 275 


Jahrgänge 59. Nachweisung üher den Betrieb der großh. badischen Staatseisenbahnen 
und der unter Staatsverwaltung stehenden badischen Privateisenbahnen.) Karlsruhe, Ch. 
Fr. Müller, 1900. kl. 4. 104 SS. mit 34 Tabellen und zahlreichen graphischen und 
anderen Anlagen. (Herausgeg. von der Generaldirektion der badischen Staatseisenbahnen.) 

Pohle, L. (PrivDoz., Univ. Leipzig), Die neuere Entwiekelung des Kleinhandels. 
Dresden, v. Zahn & Jaensch, 1900. gr. 8. 62 SS. M. 1.—. (Vortrag, gehalten in der 
Gehe-Stiftung zu Dresden am 3. XI. 1900.) 

Schneider, Siegm., Die deutsche Baghdäd-Bahn und die projektierte Ueber- 
brückung des Bosporus in ihrer Bedeutung für Weltwirtschaft und Weltverkehr. Wien, 
Leop. Weiß, 1900. Roy.-8. 146 SS. mit Illustr. und Karten. M. 2,50. 

Zimmermann, Alfr., Die Handelspolitik des Deutschen Reichs vom Frankfurter 
Frieden bis zur Gegenwart. 2. Aufl. Berlin, Mittler & Sohn, 1900. gr. 8. VIII— 
320 SS. M. 6.—. 


Tableau général du commerce et de la navigation. Année 1899, I" volume: 
Commerce de la France avec ses colonies et les puissances étrangères. Paris, impri- 
merie nationale, 1900. Imp.-in-Folio, 108; 794 pag. pro vol. I. et II. fr. 25.—. 
(Publication de la Direction générale des douanes.) 

Accounts relating to trade and navigation of the United Kingdom for each month 
during the year 1900. London, printed by Wyman & Sons, 1900. gr. 8. (Parl. paper. 
The monthly accounts contains preliminary information for the year 1900.) 

Bryce, G. (Prof. in Manitoba College, Winnipeg), The remarkable history of the 
Hudson’s Bay Company including that of the French traders of North-Western Canada 
and of the North-West, XY, and Astor fur companies. London, S. Low, 1900. gr. in-8. 
XX—501 pp. with numerous full-page illustrations and maps, cloth. 16/.6. 

Swift, H. G., A history of postal agitation from fifty years ago till the present 
day, ete. London, C. A. Pearson, 1900. gr. in-8. 310 pp. 3/.6. 

Commissione centrale dei valori per le dogane. Atti per la sessione 1899—1900. 
Roma, tip. di G. Bertero, 1900. gr. in-8. 394 pp. l. 4—. (Annali dell’ industria et 
del commereio, 1900. Pubblicazione del Ministero di agricoltura, industria e commereio. 
Divisione industria e commercio.) 

Trasporti marittimi: tariffe e condizioni pei trasporti comuni, militari e per 
eonto dello Stato: itinerari ed orari dei servizi postali e commereiali marittimi, luglio 
1900. Roma, tip. della Camera dei Deputati, 1900. 8. 86 pp. con tavola. 


7. Finanzwesen. 

Mitteilungen aus der Verwaltung der direkten Steuern im Königreich Sachsen. 
Band VI, Heft 1 u. 2. Dresden, C. Heinrich, 1900. Lex.-8. 180 SS. à M. 1.—. 
(Herausgeg. vom k. sächs, Finanzministerium.) 

Rechnung, allgemeine, über den Staatshaushalt des Jahres vom 1. IV. 1597/98 
nebst Anlagen. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei, 1900. Folio. 452; 111; 6 
u. 3 SS. 

Uebersicht von den Staatseinnahmen und -Ausgaben mit dem Nachweise von 
den Etatsüberschreitungen und den der nachträglichen Genehmigung bedürfenden außer- 
etatsmäßigen Ausgaben für das Etatsjahr 1899 nebst Uebersicht von den Verwaltungs- 
einnahmen und -Ausgaben der preußischen Centralgenossenschaftskasse für das Etats- 
jahr 1899. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei, 1900. Folio. XXIV—593 SS. 

Root, J. W., Studies in British national finance. Liverpool, J. W. Root, Com- 
merce Chambers, 1901. 8. IX—116 pp., cloth. 3/.—. (Contents: The growth of revenue 
and expenditure. — The incidence of taxation. — National distribution. — The liquor 
duties. — Import duties. — Direct taxation. — Income tax and death duties.) 


8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen. 


Assekuranzjahrbuch. Begründet von A. Ehrenzweig (f am 18. I. 1900), 
fortgesetzt von Max Wittner (Chefredakteur der „Oesterr. Versicherungszeitung“). Jahr- 
gang XXII, 3 Teile. Wien, Manz, 1901. gr. 8. 208; 224; 455 SS., geb. M. 12.—. 
(Inhalt: I. Versicherungsrecht : Das Interesse bei der Seeversicherung, von V. Ehrenberg. 
— Das öff. Versicherungsrecht in Deutschland und der modifizierte Entwurf eines deut- 
schen Reichsversicherungsgesetzes, von A. Wiedemann. — Die Rechtsprechung des deutschen 


18* 


276 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Reichsgerichtes in Versicherungssachen, von A. Wiedemann. — Ueber die guten Sitten 
im Versicherungsrecht, von P. Herrmann. — Der Lebensversicherungsvertrag nach öster- 
reichischem Rechte, von Jos. Zalud. — Die Entscheidungen des k. k. Obersten Gerichts- 
hofes in Versicherungsrechtssachen , von G. Roztočil. — Der ungarische Entwurf eines 
Gesetzes, die Privatversicherungsunternehmungen betreffend, von A. Neumann. — Der 
Begriff der culpa nach dem italienischen Unfallversicherungsgesetze, von A. Bruschettini. 
— Gesetzgebung und Rechtswissenschaft auf dem Gebiete des Versicherungswesens in 
Frankreich, von Raymond Maignin. — Die Versicherungsgesetzgebung in Rußland. 
Ueber zwei Fragen der Unfallversicherung, von P. Hiestand. — II. Versicherunpsteohuik: 
Die Ausbildung der Versicherungstechniker und das Seminar für Versicherungswissen- 
schaft in Göttingen, von W. Lexis. — Einige Bemerkungen über Kindersterblichkeit, 
von Harald Westergaard. — Ueber Provisionsnachlässe und deren Folgen, von J. van 
Schevichaven. — Ausgleichung mittels der Theorie des Minimums, von Corn. L. Landre. 
— Zu welchem Werte sollen die Effekten in die Bilanzen der Lebensversicherungs- 
gesellschaften aufgenommen werden? von H. Adan. — Ueber den Einfluß des Sinkens 
des Zinsfußes auf die Zweckmäßigkeit der Lebensversicherung, von Ulisse Gobbi. — 
Das Kriegsrisico, von C. Girtaner. — Lokale und berufsgenossenschaftliche Versiche- 
rungsvereine auf Gegenseitigkeit im KReich Sachsen im Lichte des Entwurfes zu einem 
deutschen Reichsversicherungsgesetze, von O. Prange. — Die Stellenlosenversicherung 
für Kaufleute, von F. Möller. — Das Projekt einer Effektenversicherungsanstalt, von 
Bruno Mayer. — Eine Studie über Sturmschädenversicherung, von A. Human. — 
III. Geschichte. Statistik.) 

Basch, J. (Redakteur), Wirtschaftliche Weltlage. Börse und Geldmarkt im Jahre 
1899. 4. Aufl. Berlin, R. L. Prager, 1900. gr. 8. 64 SS. M. 1.—, (10. Folge.) 

Geschäftsübersicht der Landesversicherungsanstalt Königreich Sachsen für 
das Jahr 1899. Dresden, Druck von W. Baensch, 1900. 4. 34 SS. u. 2 tabellarische 
Anlagen. 

Geschäftsbericht des Vorstandes der Landesversicherungsanstalt Westpreußen 
für die Zeit vom 1. I. bis Ende Dezember 1899. (Danzig) 1900. Folio. 19 SS. mit 
XIV Anlagen. 

Glackemeyer (Senator), Bericht über die IV. Versammlung der deutschen Kredit- 
genossenschaften am 26., 27., 28. und 29. V. 1899 in Dresden. (Erstattet im Auftrage 
der freien Vereinigung der deutschen Kreditgenossenschaften.) Hannover, Manz & Lange, 
1900. 8. 129 SS. M. 1,50. 

Reuter, M. (k. Bezirkstierarzt, Karlstadt), Die staatliche Pferdeversicherung in 
Bayern. (Kommentar des bayer. Gesetzes vom 15. IV. 1000, die Pferdeversicherungs- 
anstalt betreffend. München, J. Schweitzer, 1900, 8. VIII—136 SS. M. 1,60. 

Zadig, G. (Breslau), Der Terminhandel und seine Behandlung durch Recht- 
sprechung und Gesetzgebung. Breslau, W. Koebner, 1901. gr. 8. 64 SS. M. 1,30. 


Carlioz, J. (ingénieur des arts et manufactures), Etude sur les associations in- 
dustrielles et commerciales. Paris, Chaix, 1900. 8. 116 pag. 

Gautron, P., Sixième rapport de la compagnie universelle du canal interocéanique 
de Panama (en liquidation) présenté au tribunal civil de la Seine. Paris, imprim. P. 
Monillot, 1900, in-4. 128 pag. 

Martin, Germain, Les associations ouvrières au XVIII. siècle (1700—1792). 
Paris, A. Rousseau, 1901. gr. in-8. 277 pag. fr. 7.—. 

Vidal, Emman., 4 brochures: 1. L'organisation du marché libre à la Bourse de 
Paris (en collaboration avee Oudin. — 2. La cote et le marché en Banque A Paris. — 
3. Des valeurs à lots et de leurs négociations. — 4. Le stellage. Paris, impr. P. Dupont, 
1900, gr. in-8. 

Gore-Browne, F. and W. Jordan, A handy book on the formation, manage- 
ment, and winding up of joint stock companies. London, Jordan, 1901. erown.-8. 5/.—. 

Phillips, Mabely, The token money of the Bank of England, 1797 to 1816. 
London, E. Wilson, 1901. Roy.-8. 44 pp. 2.6. 

Price, L. L., Money and its relations to prices. Being an inquiry into the causes, 
measurement, and effects of changes in general prices. London, Sonnenschein, 1900. 
crown-8. 214 pp. 2/.6. e 

Skinner, Th., The stock exchange year-book for 1901. A careful digest of in- 
formation relating to the origin, history and present position of each of the publie 
securities and joint stock companies known to the markets of the United Kingdom. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 277 


XXVIIth year of publication. London: 1, Royal Exchange buildings, E. C. LXIV— 
1782 pp., cloth. 28/.—. 

Verslag aan den Koningin betrekkelijk den dienst der Rijkpostspaarbank in 
Nederland over 1899. ’s Gravenhage 1900. 4. 117 blz. en 7 gr. — Extrait du rapport etc. 
Franeker, Koksma, 1900. Lex. in-8. 16 pag. 

Matteotti, Matteo, L’assicurazione contro la disoccupazione. Torino, Bocca, 
1901. 8. 


9. Soziale Frage. 

Adler, G. (Prof., Berlin), Die Zukunft der sozialen Frage. Jena, G. Fischer, 1901. 
gr. 8. 75 SS. M. 0,60. 

Bode, W., Das Gothenburgische System in Schweden. Weimar, W. Bodes Verlag, 
1901. gr. 8. 32 SS. mit 5 Illustrationen. M. 0,80. 

Dix, A., Die Wohnungsfrage. Berlin, Heymann, 1900. 8. VIO—50 SS. M. 0,60. 
(Burschenschaftliche Bücherei. Herausgeg. von H. Böttger. Band I, Heft 6.) 

Wagner, E., Wirtschaftliche Fürsorge für Angehörige Detinierter. 2. Aufl. 
Breslau, W. G. Korn, 1900. gr. 8. 89 SS. M. 1.—. 

Wichern. Briefe und Tagebuchblätter (D.) Joh. Hinrich Wicherns. Herausgeg. 
von J. Wichern. I. Band: 1826—1848. Hamburg, Agentur des Rauhen Hauses, 1900. 
gr. 8. 459 SS. (Mit dem Jugendbildnis Wicherns von E. Speckter.) M. 6.—. 


Housing of the working classes. The housing question in London, 1855—1900; 
being an account of the housing work done by the Metropolitan Board of works, and 
the London County Council, between the years 1855 and 1900, with summary of acts 
which they have worked. London, 1900. Folio. 9/.—. (Publication of the London 
County Council.) 

Simmons, Mary, A short account of the origin and development of our guar- 
dianship of the poor. London, National Home Reading Union, 1901. 12. /.0,6. 

Strong, Josiah, Religious movements for social betterment. New York, Baker 
& Taylor C°, 1900. 12. 139 pp., eloth. $ 0,50. (An essay prepared as a special con- 
tribution to the United States exhibit of social economy at the Paris Exposition.) 

Beneficenza, la, veneziana: note e memorie pubblicate a cura del comitato 
ordinatore del V congresso nazionale delle opere pie. Venezia, tip. all’ Orfanotrofio, 
1900. 8. VIII—299 pp. (Contiene: La beneficenza elemosiniera. — La beneficenza 
educativa. — La beneficenza di ricovero. — La beneficenza ospitaliera. — La benefi- 
cenza dotalizia. — La beneficenza di credito e anticipazione. — La beneficenza di 
culto. — La beneficenza presso gli Israeliti, i Greci e Dalmati. — ete.) 


10. Gesetzgebung. 


Dernburg, H. (Geh., JustizR., Prof., Berlin), Das bürgerliche Recht des Deutschen 
Reichs und Preußens. Bd. II: Die Schuldverhältnisse nach dem Rechte des Deutschen 
Reichs und Preußens. II. Abteilung. Einzelne Obligationen. Halle, Verlag der Buchhdl. 
d. Waisenhauses, 1900. gr. 8. XII—720 SS. M. 12.—. 

Entscheidungen des königlich preußischen Oberverwaltungsgerichts. Bd. XXXVII. 
Berlin, C. Heymanns Verlag, 1901. gr. 8. XIX—499 SS. M. 7.—. 

Genzmer, St. (OVerwaltGerR.), Die Landgemeindeordnung für die sieben öst- 
lichen Provinzen der Monarchie vom 3. VII. 1891. Erläutert. 2. Aufl. Berlin, H. W. 
Müller, 1900. 8. VI—207 SS. kart. M. 2,40. 

Nürck, St. (ARichter, Rombach), Systematische Darstellung des in Elsaß- Lothringen 
geltenden Bürgerlichen Rechts. Metz, G. Scriba, 1901. Lex.—8. XII—1122 SS. und 
Register. M. 18.—. 

Turnau, W. u. K. Förster (ReichsgerRäte), Das Liegenschaftsrecht nach den 
deutschen Reichsgesetzen und den preußischen Ausführungsbestimmungen. Für die Praxis 
bearbeitet. I. Band: Das Sachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Paderborn, F. 
Schöningh, 1900. gr. 8. XLVI—854 SS. M. 14.—. 


Jouet, R., De la réhabilitation. Châteauroux, impr. Mellottée, 1900. 8. 156 pag. 
(Thèse.) 

Waël, F., Droits des enfants naturels reconnus dans la succession de leurs père 
et mère (étude de la loi du 15 mars 1596). Paris, A. Rousseau, 1901. 8. 216 pag. 

Elliott, A., The Workmen’s Compensation Acts: being an annotated study of the 


278 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Workmen’s Compensation Act, 1897, and the workmen’s compensation, 1900. With an 
introduction by (Judge) Parry. London, Stevens & Haynes, 1901. 8. 338 pp. 6/.— 

Simonson, P. Fr., The Companies Act, 1900. With oommentaries. London, 
E. Wilson, 1900. Roy.-8. 176 pp. 5/.—. 

Fadda, Car., Concetti fondamentali del diritto ereditario romano: lezioni dettate 
nella università di Napoli, 1899—1900. Napoli, L. Pierro tip. edit., 1900. 8. XIV— 
368 pp. 1. 12.—. (Contiene: Concetto della hereditas. — Hereditas e bonorum possessio. 
— Eredità e legato. — I requisiti della successione ereditaria.) 


11. Staats- und Verwaltungsrecht. 


Bericht des Instituts für Gemeinwohl zu Frankfurt a/M. über das 4. Geschäfts- 
jahr 1899/1900. Frankfurt a/M., Juli 1900. gr. 8. 18 SS. nebst Bericht der Auskunfts- 
stelle für Arbeiterangelegenheiten über das Geschäftsjahr 1899/1900. 4 SS. 

Beyendorff, R., Der Polizeibeamte, seine Rechte und Pflichten in populär- 
staatsrechtlicher Darstellung. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1900. gr. 8. 

Bezirkstag des Unter-Elsaß. Sitzung von 1900. Verhandlungen. Straßburg, 
Elsässische Druckerei, vormals G. Fischbach, 1900. 4. XVI u. SS. 265—420. 

Glogau. Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegen- 
heiten in der Stadt Glogau für die Zeit vom 1. IV. 1899 bis 31. III. 1900. Glogau, 
Druck von C. Flemming, 1900. gr. 4. 36 SS. 

Krefeld. Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegen- 
heiten für das Etatsjahr 1899. Krefeld, Druck von Kramer & Baum, 1900. 4. 176 SS. 
mit 2 Tafeln graph. Darstellungen in Imp.-qu.-Folio. 

Landtagssession, die preußische. 19. Legislaturperiode , II. Session. Berlin, 
Puttkammer & Mühlbrecht, 1900. 8. 200 SS. M. 1.—. 

v. Simson, B., Eduard von Simson. Erinnerungen aus seinem Leben. Leipzig, 
S. Hirzel, 1900. gr. 8. 440 SS. mit 1 Portr. in Heliogr. und 4 Facsimiles. M. 8.—. 

Stettin. Bericht über die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten der Stadt 
Stettin für die Zeit vom 1. IV. 1899 bis dahin 1900. I. Darlegung der finanziellen 
Ergebnisse. Stettin, Druck von F. Hessenland, 1900. 4. 115 SS. 

Thronfolge, die, als Willensakt. Betrachtungen aus dem bayerischen Staats- 
rechte von einem Sozialmonarchisten. München, J. Schweitzer, 1900. gr. 8. 14 SS. 
M. 0,50, 

Wiesbaden. Bericht über die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten im Rech- 
nungsjahre 1899 (1. IV. 1899 bis 1. IV. 1900). Wiesbaden, Druck von C. Schnegel- 
berger & C', 1900. gr. 4. 228 SS. 


Cohen, J. (avocat à la Cour d’appel de Paris), Les israélites de l’Algerie et le 
décret Crémieux. Paris, A. Rousseau, 1900. 8. VIII—384 pp. fr. 8.—. 

Sveriges Statskalender för är 1901. Stockholm, kungl. bostryckeriet Norstedt & 
Söner, 1900. gr. in-8. 991 pp. och bihang: Utdrag ur Norges statskalender, XVI pp. 


12. Statistik. 
Allgemeines, 


Krose, H. A., Der Einfluß der Konfession auf die Sittlichkeit. Nach den Ergeb- 
nissen der Statistik. Freiburg i. B., Herder, 1900. 8. 101 SS. 1.—. 

Taschenkalender für den katholischen Klerus 1901. Redaktion: (P.) Conrad 
Eubel. Jahrg. XXIII. München u. Wien, Rud. Abt, 1900. 176 SS., geb. M. 1.—. 
(Aus dem Inhalt: Kalender der alten Römer. — Uebersicht der Abweichungen, welche 
die einzelnen Diöcesankalendarien gegenüber dem Kalendarium univ. ecel. aufweisen. — 
Spezielle Statistik der Diöcesen Deutschlands, der Schweiz und von Luxemburg nebst 
den österreichischen Kirchenprovinzen Wien, Salzburg, Prag und Olmütz.) 


Deutsches Reich. 


Beiträge zur Statistik der Stadt Karlsruhe. Im Auftrage des Stadtrates herausgeg. 
vom statistischen Amt. Nr. 10: Krankenkassenstatistik für 1899. Karlsruhe, Druck 
und Verlag der G. Braunschen Hofbuchdruckerei, 1900. 4. 13 SS. 

Bericht, statistischer, über den Betrieb der unter k. sächsischen Staatsverwaltung 
stehenden Staats- und Privateisenbahnen mit Nachrichten über Eisenbahnneubau im 
Jahre 1399. Nebst einer Uebersichtskarte vom Balınnetz, Dresden, Druck von 
C. Heinrich, 1900. gr. 4 V—288 SS. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 279 


Handbuch der Kirchenstatistik für das Königreich Sachsen. Nach dem Stande 
vom 1. I. 1900. N. Folge. 18. Ausgabe. Nach handschriftlichen Angaben und amt- 
lichen Quellen bearbeitet von A. Kolbe. Dresden, Ramingsche Buchdruckerei, 1900. 
gr. 8. 1V—401 SS. M. 7,50. 

Handbuch, statistisches, für das Königreich Württemberg. Jahrg. 1899. Be- 
arbeitet im k. statistischen Landesamt. Stuttgart, Kohlhammer, Juli 1900. gr. 8. 
XXII—255 SS. 

Jahrbuch, statistisches, der höheren Schulen und heilpädagogischen Anstalten 
Deutschlands, Luxemburgs und der Schweiz. Jahrg. XXI. 1. Abteilung: Das KReich 
Preußen enthaltend mit einem Anhang: Verzeichnis der Mittelschulen; 2. Abteilung: 
Die deutschen Staaten (außer Preußen), Luxemburg, die Schweiz und statistische Ueber- 
sicht über die höheren Schulen Deutschlands enthaltend. Leipzig, B. G. Teubner, 
1900. 12. XXVI—248 und 395 SS. geb. M. 4,40. 

Jahresbericht, medizinisch-statistischer, über die Stadt Stuttgart im Jahre 1899. 
XXVII. Jahrgang. Stuttgart, Metzlersche Buchdruckerei, 1900. kl. 8. 80 SS. 
(Herausgeg. vom Stuttgarter ärztlichen Verein.) 

Mecklenburg-Schwerinscher Staatskalender. Herausgeg. vom großh. statistischen 
Amt. 126. Jahrgang (1901). 2 Teile. Schwerin, Bärensprungsche Hofbuchdruckerei, 
1900. gr. 8. XLIV—543; 158 SS. und (II. Teil): Statistisch-topographisches Jahr- 
buch 451 SS. 

Mitteilungen aus der Verwaltung der direkten Steuern im preußischen Staate. 
Statistik der preußischen Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1900. Berlin, Verlig 
des k. statistischen Bureaus, 1900. Folio. XIV—279 SS. 

Mitteilungen, statistische , über das höhere Unterrichtswesen im Königreich 
Preußen. Berlin, Hertz, 1900. gr. 8. 103 SS. M. 1,80. (A. u. d. T.: Centralblatt 
für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen. Ergänzungsheft 17.) 

Nachrichten, amtliche, des Reichsversicherungsamtes 1900. I. Beiheft: Statistik 
der Unfallversicherung. Tabellen: Umfang, Ausgaben und Einnahmen 1885 bis 1898. Berlin, 
A. Asher & C°, 1900. kl. 4 331 S8. — II. Beiheft: Statistik der Unfallversicherung, 
Unfallversicherung der bei gewerblichen Betrieben beschäftigten Personen. Unfall- 
statistik für das Jahr 1897. II. Teil, 2. Abteilung. Ebd. 1900. kl. 4 VI—479 SS. 
(Das II. Beiheft, welches die 1. Abteilung des II. Teils der Unfallstatistik für 1897 
enthalten wird, ist noch nicht erschienen.) [Bearbeitet im Reichsversicherungsamt.] 

Schematismus des Bistums Breslau und seines Delegaturbezirks für das Jahr 
1901. Breslau, fürstbischöfl. Geh. Kanzlei, 1900. kl. 8. 163 SS. (Nicht im Handel.) 

Statistik des Hamburgischen Staates. Bearbeitet und hrsg. von dem statistischen 
Bureau der Steuerdeputation. Heft 18. Inhalt: Die Ergebnisse der Berufs- und Ge- 
werbezählung vom 14. VI. 1895. Hamburg, O. Meissner, 1900. gr. 4. 126 SS. 


Frankreich, 


Compte général de l’administration de la justice criminelle en France et en 
Algérie pendant l’année 1897. Paris, impr. nationale, 1900. gr. in-4. X VIII—172 pag. 
— Compte général de l’administration de la justice civile et commerciale en France 
et en Algérie pendant l’année 1897. Ebd. 1900. gr. in-4. XXV—176 pag. (Publications 
présentés au Président de la République par le Garde des sceaux, Ministre de la justice.) 

Documents statistiques réunis par l’administration des douanes sur le commerce 
de la France. Onze premiers mois des années 1898, 1899 et 1900. Paris, impr. 
nationale, 1900. 8. 204 pag. (Publication du Ministère des finances.) 

Statistique des grèves et des recours A la conciliation et à l'arbitrage survenus 
pendant l’année 1899. Paris, imprim. nationale, 1900. gr. in-8. XVIII—632 pag. 
Fr. 7.—. (Publication du Ministère du commerce, de l’industrie, des postes et des télé- 
graphes, Direction du travail.) 

Statistique annuelle du mouvement de la population et des institutions d’assistance. 
Tome XXVIII, année 1898. Paris, impr. nationale, 1900. gr. in-8. X—197 pag. 

Statistique des naufrages et autres accidents de mer pour l’année 1897. Paris, 
imprim. nationale, 1900. 8. 112 pag. (Publication du Ministère de la marine.) 


Oesterreich-Ungarn. 
Arbeitseinstellungen und Aussperrungen in Oesterreich während des Jahres 
1809. Wien, Alfr. Hölder, 1900. gr. 8. 125; 264 SS. (Herausgeg. vom arbeits- 
statistischen Amte im k. k. Handelsministerium.) 


280 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Gebarung, die, und die Ergebnisse der Krankheitsstatistik der nach dem Gesetze 
vom 30. III. 1858, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter, eingerichteten 
Krankenkasse im Jahre 1898. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1900. 4. 173 SS. 

Gebarung, die, und die Ergebnisse der Unfallstatistik der im Grunde des 
Gesetzes vom 28. XII. 1887 betreffend die Unfallversicherung der Arbeiter errichteten 
Arbeiterunfallversicherungsanstalten im Jahre 1898. Wien, k. k. Hof- und Staats- 
druckerei, 1900. 4. 281 SS. 

Jahrbuch, statistisches, des k. k. Ackerbauministeriums für 1897. Heft 2: Der 
Bergwerksbetrieb Oesterreichs im Jahre 1897, Lieferung 3: Die Gebarung und die Er- 
gebnisse der Krankheits-, Mortalitäts- und Invaliditätsstatistik der Bergwerksbruderladen 
im Jahre 1896. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1900. Imp.-8. 191 SS. 

Jahrbuch, statistisches, der Stadt Wien für das Jahr 1898. Jahrg. XVI. Be- 
arbeitet von Stephan Sedlaczek (MagistratsR.), W. Löwy, (Magistratssekr.) und W. Hecke 
(Magistratskommissär). Wien, Verlag des Wiener Magistrats, in Kommission bei 
W. Braumüller, 1900. gr. 8. XII—936 SS. geb. (Mitteilungen des statistischen 
Departements des Wiener Magistrats.) 

Statystyka miasta Krakowa, zestawiona przez biuro statystyezne miejskie pod 
kierunkiem i redakeya (Prof.) Józefa Kleczyńskiego. Zeszynt VII. Kraków 1900. 
gr. 8. VII—253 pp. (Statistik der Stadt Krakau bearbeitet von dem + Direktor des 
städtischen statistischen Bureaus, des am 22. IX. 1900 zu Zakopane verstorbenen Prof. 
der Statistik, Dr. Jos. Kleczyński. Jahrg. VII. Inhalt: Nekrolog des Prof. Jos. Kleczyński. 
— Bewegung der öff. Arbeiten (städtische Bauten Krakaus) in den Jahren 1891—1897. 
— Bewegung der Bevölkerung Krakaus 1897/1898. Volksschulstatistik der Stadt- 
gemeinde Krakau für die Jahre 1890/1—1897/98. — Oeffentliche Wohlthätigkeitsstatistik 
1898. — Eingang und Konsum der wichtigsten Lebensmittel (einschließlich Schlacht- 
vieh, Geflügel etc.) und Gebrauchsartikel in Warschau 1897 und 1598, sowie die bezügl. 
monatlichen Marktpreise.) 


Italien. 


Relazione medico-statistica sulle condizioni sanitarie del R. esercito nell’ anno 
1898 compilata dall’ ispettorato di sanità militare, ufficio statistica. Roma, tip. ditta 
Lud. Cecchini, 1900. gr. 8. IV—169; 149 pp. 

Statistica della emigrazione italiana avvenuta negli anni 1898 e 1899 e con- 
fronti coll’ emigrazione da altri Stati d'Europa, Con appendice: Leggi e regolamenti 
di alcuni Stati d’Europa e d’America e delle colonie inglesi d’Australasia sul? emi- 
grazione e sulle immigrazione. Roma, tip. di G. Bertero, 1900. Lex.-8. XXII—188 pp. 
l. 2-—. 


Dänemark. 


Danmarks Statistik. Statistiske Meddelelser. IV. Raekke, 7de Bind (6 Heften). 
København, B. Lunos Bogtrykkeri, 1900. 8. Udgivet af Statens Statistiske Bureau. 
(Inhalt: Ein- und Ausfuhr Däncmarks, Januar—Juni 1900. — Alkohol-, Bier-, Zucker- 
und Kunstbutterproduktion 1899. — Unfallstatistik von Seeland, Sept.-Dezember 1898. 
— Verhandlungen der skandinavischen statistischen Gesellschaft zu Kopenhagen am 
27.—30. August 1900. — Beschaffenheit der Ernte von 1900 in Dänemark.) 

Statistisk Tabelværk. V. Række, Littra D n° 6: Danmarks Vareindforsel 
och-Udforsel i Aaaret 1809. København, Gyldendal, 1900. gr. 4. 51; 166 pp. 
(Dänemarks Warenein- und Ausfuhrstatistik im Jahre 1899. Herausgeg. von dem 
Bureau für dänische Landesstatistik.) 


Holland. 


Statistiek van het Koninkrijk der Nederlanden. Bescheiden betreffende de 
geldmiddelen. XXIVste stuk, 1. gedeelte: Mededeeling van de opbrengst der belastingen 
en andere middelen en van verschillende bijzonderheden met de heffing der belastingen 
in verband staande, 120 blz: (Inhalt Direkte Steuern; Indirekte Steuern; Einnahmen 
aus Accisen 1599; Einnahmen aus Domänen, 1886—1599. — XXIV*te stuk, tweede 
gedeelte; Statistiek der domeinen over 1899. 181 blz. (Inhalt: Domänen, Oeffentliche 
Bauten ` Staatseisenbahnen ete. und ihre Erträge.) ’s Gravenhage, M. Nijhoff, 1900. 
4. (Uitgegeven door het Department van Financiën.) 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 981 


Schweiz. 


Ergebnisse der eidgenössischen Volkszählung vom 1. XII. 1900 im Kanton 
Zürich festgestellt vom kantonalen statistischen Bureau. Zürich, Buchdruckerei Kirsten 
& Zeisberg, 1901. 8. 24 SS. 

Jahrbuch, statistisches, der Schweiz. IX. Jahrgang. Bern, Buchdruckerei 
Stämpli & C°, 1900. gr. 8. 313 SS. (Herausgeg. vom statistischen Bureau des 
eidgen. Departements des Innern. (A. u. d. T.: Schweizerische Statistik, Lieferung 126.) 

Saladin, V. F., Liegenschaftsverkehr und Hypothekarkredit im Wirtschafts- und 
Hötelgewerbe der Stadt Basel 1875—98. Ein statistische Untersuchung. Basel, J. Kron, 
1900. gr. 4. VI—86 SS. M. 5,50. 

Schweizerische Statistik. Lieferung 125: Die Ergebnisse der schweizerischen 
Kriminalstatistik während der Jahre 1892—1896. Bern, Buchdruckerei, Neukomm & 
Zimmermann, 1900. gr. 4. 56 SS. (Herausgeg. im Auftrage des eidgen. Justiz- und 
Polizeidepartements vom statistischen Bureau des eidgen. Departements des Innern.) 


Schweden. 


Bidrag till Sveriges offieiela Statistik. A. Befolkningsstatistik. Ny följd XL. 
Berättelse för 1898. XVI-55 pp. (Stand und Bewegung der schwedischen Bevölke- 
rung im Jahr 1898.) — F. Handel. Kommerskollegii berättelse för är 1899. XVII— 
238 pp. — J. Telegrafväsendet. Ny följd 39. Berättelse för Ar 1899. XXVII— 
23 pp- — L. Statens Järnvägstrafik 38°. Berättelse för är 1899. 115 pp. mit Dia- 
gramm. (Schwedische Staatsbahnstatistik für 1899.) — N. Jordbruk och Boskaps- 
skötsel. Berättelse för Ar 1900. 19 pp. (Schwedische Cercalienernte im Jahre 1900.) 
— Undervisningsväsendet 41. Berättelse för är 1598: 24 u. 27 pp. (Statistik des 
schwedischen Primärunterrichts für das Jahr 1898.) — Y. Sparbanksstatistik I. Be- 
rättelse för är 1898. X—46 pp. (Statistik der schwedischen Sparkassen und Volks- 
banken für das Jahr 1898.) Zusammen 7 Hefte. Stockholm, P. A. Norstedt & Söner, 
1900. Roy.-4. 


Norwegen. 
Norges officielle Statistik. IlI. Række, n° 341: Beretning om Veterinærvæsenet 
og Kjedkontrollen i Norge for äret 1898 udgiven af Direktoren for den civile Vetenær- 
væsen. Kristiania, H. Aschehoug & C°, 1900. gr. in-8. VIII—260 pp. 


Griechenland. 
"Eurnöprov týs EXiôos perd tav Beuin éntxoateuds ar tò Eros 1898. "Aynvars 
1809. 4. 328 pp. (Der auswärtige Handel Griechenlands während des Jahres 1898. 
Veröffentlichung des statistischen Bureaus im Finanzministerium.) 


Portugal (Angola). 
Annuario estatistico da provincia de Angola 1898 (IId° anno). Loanda, imprensa 


nacional, 1900. Folio. 473 pp. (Publicação da governo geral da provincia de Angola. 
Secretario geral.) 
Amerika (Argentinien). 

Anuario de la Direcciôn general de estadística correspondiente al ano 1899. 
Tomo I. Buenos Aires, Compañia Sud-Americana de billetes de banco, 1900. Lex.-8, 
XV1II—533 pp. (Inhalt: Der Handel Argentiniens im allgemeinen. — Ein- und Aus- 
fuhrhandel nach Herkunfts- und Bestimmungsländern, 1899. — Ausfuhr der argentinischen 
Hafenplätze 1899. — Ein- und Ausfuhr nach und von den argentinischen Hafenplätzen 
in den Jahren 1875—1899. — Durchfuhr 1899. — Eingang und Ausgang von Schiffen 
im argentinischen Außen- und Binnenhandel 1898 u. 1899. — etc.) 


13. Verschiedenes. 


Böhm, Joh., Beiträge zur Geschichte der bayerischen Volksschule insbesondere 
im XIX. Jahrhundert. Nürnberg, Fr. Korn, 1900. gr. 8. VI—128 SS. mit 24 Por- 
träts. M. 1,50. 

Büsing, F. W. (Prof., Berlin-Friedenau), Die Städtereinigung. Heft 2: Technische 
Einrichtungen der Städtereinigung. Stuttgart, A. Bergsträsser, 1901. Lex.8. IV— SS. 
345—865. M. 24. (A. u. d. T.: Der städtische Tiefbau. Hrgg. von (GehBauR.) 
Prof. Ed. Schmitt [Darmstadt] Bd. III.) 

Derichsweiler, H., Geschichte Lothringens. (Der tausendjährige Kampf um 


282 Die periodische Presse des Auslandes. 


die Westmark.) 2 Bände. Wiesbaden, C. G. Kunzes Nachfolger, 1901. gr. 8 XIV— 
538 u. 649 SS. M. 15.—. 

Hansen, Jos., Zauberwahn, Inquisition und HexenprozeB im Mittelalter und 
die Entstehung der großen Hexenverfolgungen. München, R. Oldenbourg, 1900. gr. 8. 
XV—537 SS., geb. M. 10.—. (A. u.d. T.: Historische Bibliothek, hrsg. von der 
Redaktion der Historischen Zeitschrift, Bd. XII.) 

Jahresbericht über die Verbreitung der Tierseuchen im Deutschen Reiche. 
Bearbeitet im kais. Gesundheitsamte zu Berlin. Jahrg. XIV: das Jahr 1899. Berlin 
Springer, 1900. Lex.-8. VI—172; 96 SS. mit 5 graphischen Tafeln in quer-folio. 

Kraepelin, E. (Prof., Univ. Heidelberg), Einführung in die psychiatrische Klinik. 
30 Vorlesungen. Leipzig, J. A. Barth, 1901. gr. 8. VIII—328 SS. M. 8,40. 

Levy, Alph., Geschichte der Juden in Sachsen. Berlin, Calvary & C°, 1901. 
gr. 8. 114 SS. M. 2,40. 

Meyer, G., Die soziale Bedeutung der Medizin. Rückblicke und Ausblicke. 
Berlin, Hirschwald, 1900. gr. 8. IV—40 SS. M. 1.—. 

Müller, J. P. (Direktor der allgem. deutschen Schule in Antwerpen), Deutsche 
Schulen und deutscher Unterricht im Auslande. Leipzig, Selbstverlag, in Kommission 
bei Th. Thomas, 1901. Lex.-8. XVIII—412 SS. mit 9 Vollbildern und zahlreichen 
Abbildungen im Text. Eleg. geb. M. 12.—. 

Müller, S. (Architekt), Der Bauherr und Hauswirt. Ein praktischer Ratgeber 
für Jedermann in Bau- und Hausangelegenheiten. Berlin, O. Salle, 1900. gr. 8. 
414 SS. mit 8 Separatbildern und 255 Textabbildgn. M. 5.—. 

Pache, O., Handbuch des deutschen Fortbildungschulwesens. 5. Teil. Witten- 
berg, R. Herrosé’s Verlag, 1900. gr. 8. 243 SS. M. 4.—. 

Quanter, Rud., Die Schand- und Ehrenstrafen in der deutschen Rechtspflege. 
Eine kriminalistische Studie. Dresden-Altst., H. R. Dohrn, 1901. gr. 8. X—211 SS. 
mit 11 Illustrationstafeln. M. 5.—. 

Sanitätsbericht über die kaiserlich deutsche Marine für den Zeitraum vom 
1. IV. 1897 bis 31. III. 1899. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1900. gr. 8. 317 SS. 

Schultze, E., Freie öffentliche Bibliotheken, Volksbibliotheken und Lesehallen. 
Stettin, Dannenberg & C, 1900. gr. 8 XX—362 SS. M. 6.—. 

Stägemann. Briefe und Aktenstücke zur Geschichte Preußens unter Friedrich 
Wilhelm III. vorzugsweise aus dem Nachlasse von F. A. von Stägemann. Herausgeg. 
von Franz Rühl. Band II. Leipzig, Duncker & Humblot, 1900. gr.8. LVI—426 SS. 
M. 10.—. (Publikation des Vereins für die Geschichte von Ost- und Westpreußen.) 

Sternberg, Adalb. (Graf), Aus dem Boerenkriege. Berlin, G. Reimer, 1901. 
8 165 SS. M. 3.-—. 

Veeh, L., Die Pädagogik des Pessimismus. Leipzig, H. Haacke, 1900. gr. 8. 
V—46 SS. M. 1,50. 

v. Zernicki-Szeliga, Emilian, Der polnische Adel und die demselben hinzu- 
getretenen andersländischen Adelsfamilien. Generalverzeichnis. 2 Bünde. Hamburg, 
H. Grand, 1900. gr. 8 IV—502 u. 597 SS. M. 20.—. 


Annual report (XXXISt), of the State Board of Health of Massachusetts. Boston, 
Wright & Potter printing C°, 1900. gr. in-8. LVII—812 pp. 

Righini, E., Antisemitismo e semitismo nell’ Italia politica moderna. Milano, 
R. Sandron, 1901. 8. 365 pp. (Biblioteca di scienze sociali e politiche n° 38.) 

Carlsen, J. (Ur med.), Dodsaarsagerne i Kongeriget Danmarks Byer i Aaret 
1899. Udgivet af det Kgl. Sundhedskollegium. Kjøbenhavn, H. Hagerup, 1900. 4. 
35 pp. (Todesursachen der Sterblichkeitsfälle in den Städten Dänemarks im Jahr 1899. 
Veröffentlicht vom kgl. dänischen Gesundheitsamt.) 


Die periodische Presse des Auslandes. 


A. Frankreich. 

Annales des sciences politiques. Année 1900. Septembre: La représentation 
proportionnelle en Belgique et les élections générales de mai 1900 (art. II), par E. van 
der Smissen. — Tribunaux et magistrats militaires en Russie, par A. Scheikewitch. — 
La conférence de la Haye (art. Il), par C. Dupuis. — Novembre: L'état anglais et sa 


Die periodische Presse des Auslandes. 283 


fonction à l'extérieur, par A. Boutmy. — La question des Nouvelles-Hébrides, par P. 
Lavagne. — L'assurance obligatoire en Suisse et le plébiscite du 20 mai 1900, par 
H. Micheli. — Les élections anglaises, par P. Hamelle. 

Bulletin de statistique et de législation comparée. XXIV” année, 1900, No- 
vembre: A. France et colonies: Les produits de l’enregistrement, des domaines et du 
timbre constatés et recouvrés en France, pendant l'exercice 1899. — Droits sur les 
boissons et consommation moyenne par habitant, dans les principales villes. — Les con- 
tributions directes et les taxes assimilées, situation au 1° novembre 1900. — Les revenus 
de l'Etat (France et Algérie). Recouvrements d’octobre 1900; Recouvrements depuis 
le 1” janvier 1900, ete. — Le commerce extérieur, mois d'Octobre 1900. — Exposition 
universelle de 1900. Entrées payantes et gratuites. — Les opérations de la chambre de 
compensation des banquiers de Paris depuis 1872. — B. Pays étrangers: Belgique: 
Les pensions de vieillesse (loi du 10 mai 1900). — Espagne: Le commerce extérieur 
pendant les 3 premiers trimestres de 1900. — Italie: Le commerce extérieur pendant 
les 3 premiers trimestres de 1900. — Russie: Les résultats définitifs de l'exercice 1899. 
— Belgique: Le tarif officiel des douanes. — Japon: Le commerce extérieur de 1888 
à 1898. —- etc. 

Bulletin de statistique, 1900, Décembre: A. France, colonies: Loi relative A la 
réforme du régime des boissons. — Loi portant création d’un budget spécial pour 
l'Algérie. — Loi fixant le budget spécial de l’Algérie pour 1901. — Loi et décret 


relatifs au douzième provisoire applicable à l’exercice 1901. — Les revenus de l’Etat 
(France et Algérie): Recouvrements de novembre 1900; recouvrements depuis le pre- 
mier janvier 1900. — Le commerce extérieur, mois d'Octobre 1900. — Production des 


vins et des cidres en 1900 (France et Algérie). — Les produits de l’enregistrement des 
domaines et du timbre constatés et recouvrés en France, pendant l’exercice 1899 (suite 
et fin). — La cote du métal-argent. — B. Pays divers: Angleterre: Le Royaume-Uni 
et ses colonies en 1898—1899. La loi sur les sociétés (Companies Act 1900) [suite 
et fin]. — Autriche-Hongrie: La prolongation du compromis austro-hongrois. — Belgique: 
Le tarif officiel des douanes (suite et fin). — Espagne: Le projet de budget pour 1901. 
— Italie: L'exposé financier du Ministre du Trésor. — Inde anglaise: Les droits com- 
pensateurs sur le sucre. Le régime monétaire. — etc. 

Journal des Economistes. 60° année, 1901. Janvier: Le XIX” siècle, par G. de 
Molinari. — Le marché financier en 1900, par A. Raffalovich. — La charité, par 
Ladisl. Domanski. — Revue des principales publications économiques de l’&tranger, par 
Maur. Block. — La politique coloniale américaine, par Rouxel. — Un hôtel ouvrier à 
New York, par D. B. — Un mémoire inconnu de Vincent de Gournay retrouvé en 
Suède, par Schelle. — La vulgarisation des connaissances scientifiques. Un nouveau 
dictionnaire des sciences, par Dan. Bellet. — Bulletin: Loi concernant le régime des 
boissons. Bilan de l'Exposition universelle de 1900. — Société d'économie politique 
(réunion du 5 janvier 1901). Discussion: La loi sur les accidents du travail; ses pre- 
mières conséquences. — Nécrologie: Maurice Block. — etc. 

Journal de la Société de statistique de Paris. 42° année, 1901, n° 1, Janvier: 
Procès-verbal de la séance du 19 décembre 1900. — Les lois de la population d’après 
M. Gustave Cauderlier (rectification de la méthode de Malthus, par Ad. Coste): § 1. 
La théorie de Malthus et la correction proposée par Cauderlier. $ 2. Première analyse 
démographique: la nuptialité, la natalité, la mortalité. $ 3. Deuxième analyse démo- 
graphique : la matrimonialité, la fécondité légitime et la mortalité par âge. $ 4. Con- 
clusions de Cauderlier; critique de sa théorie“, — La fécondité par âges, par V. Tur- 
quan (art. 1). — Mouvement de la population de la France en 1899. — Chronique des 
transports, par Hertel. —- etc. 

Revue générale d’administration. Publication du Ministère de l’intérieur. XXIII® 
année, 1900, Octobre, Novembre et Décembre: Assistance publique en France de 1889 
à 1900 par H. Monod. — De la représentation de PEtat en justice, par Ferd.Sanla- 
ville. — Des infractions postales, par G. Hayes (suite 2 à 3 et fin). — Le régime admini- 
stratif du département de la Seine et de la ville de Paris, par Alb. Lavallée (con- 
seiller de préfecture de la Seine). — Chronique de l’administration française. — etc. 

Revue d'économie politique. XIV° année, 1900, n° 12, Décembre: Le système des 
impôts directs d'Etat en France, par H. Truchy. — L'assistance médicale, par Pinon. — 
La notion de l'Etat, par Maur. Heins. — Evaluation de la fortune privée en France, 
par V. Turquan (suite et fin). — Chronique législative. — etc. 

Revue politique et parlementaire. 8° année, 1901, Janvier: Les classes dirigeantes 


284 Die periodische Presse des Auslandes. 


et le pouvoir politique, par G. Villain. — Le droit d'association et les congrégations 
religieuses, par E. Des Granges. — L'accord Anglo-Allemand. Hypothese diplo- 
matique, par R. Henry. — Une enquête sur les marchés de marchandises en France. 
III: Le terme sur laine peignée et la crise de Roubaix, par Maur. Colrat. — L'Europe 
et le canal interocéanique, Un conflit possible entre les Etats-Unis et P’ Angleterre, par 
G. Bailleu. — La dépopulation en France et la réforme du régime successorial, par 
Rob. Doucet. — L'influence de Ruskin sur l’Angleterre contemporaine, par Jacq. Bardoux. 
— Revue des questions agricoles, par D. Zolla. — etc. 

Revue internationale de sociologie. 8° année, N°12, Décembre 1900: A la mémoire 
d’Auguste Comte, par E. Corra. — La langue bleue: langage international pratique, 
par Léon Bollack. — Les chartes de charité de Henri et Marguerite de Navarre, par 
Léon Boutry. — Sur la sociologie pure, par A. Groppali et L. Winiarsky. — Société 
de sociologie de Paris, séance du 14 novembre 1900: Rapport du secrétaire général, 
René Worms, sur les travaux de la société de 1898 à 1900. Impressions de l'Exposition 
universelle, par Ad. Coste. — etc. 


B. England. 


Board of Trade Journal. Vol. XXXI, N” November 29, 1900—to January 17, 
1901 (whole N” 209—216): The German subsidised mail service to African ports. — 
The future of the coal industry in China. — Trade of Trinidad and Tabago in 1899. — 


Trade of the Seychelles islands in 1899. — The industries of Queensland. — Trade 
of Mauritius and Rodrigues. — Trade of Russia in 1897—1900. — British trade with 
Switzerland. — The American shipping industry. — Trade and industry of Vera Cruz. 
— Foreign trade of the United Kingdom in November, 1900. — Cotton eultivation in 
Russia. — United States tin plate industry. — Spanish sheep and goat skins. — 
Competition with British trade in the Netherlands. Machinery and labour-saving 
devices in the United States. — American cottonseed industry. — Trade of Roumania 


with, and through, Holland. Foreign capital in Russia. — Swedish iron industry. — 
Industries of Huelva. — Coal export trade of Nagasaki. — Sugar industry of Japan. — 
Shipbuilding industry of Nagasaki. — Trade and shipping of the Persian Gulf ports 
and Maskat. — Trade and industry of Greenland. — The preservation of food in Chicago 
by cold storage and refrigeration. — French Congo and the Congo free State. — Foreign 
trade of the United Kingdom for the month and twelve months ended 31st December 


1900. — Regulations concerning commercial travellers in India and the colonies (art. 1 
& 2). — Italian shipping bounties. — Trade of Cape colony (January-November 1900). 
— The German cotton industry. — British and Westphalian coal in Hamburg. — Trade 
and industry in Liberia. — Rates of import duties leviable on electrical machinery 
and apparatus in certain British colonies. — Openings for British trade. — Tariff 
changes and customs regulations. — Agriculture. — Miscellaneous. — Statistical tables. 
Government publications. — ete. 


Economic Journal. Journal of the British Economie Association, ed. by Edge- 
worth & H. Higgs. Vol. IX, 1900, December: The monetary condition of India. — 
Some policies of the cotton spinner’s trade unions, by S. J. Chapman. — An investi- 
gation of the cause of trade fluctuations, by J. B. C. Kershaw. — The incidence of 
urban rates (art. III), by E. Y. Edgeworth. — The Canadian preferential tariff, by 
J. Davidson. — Municipal telephones, by F. Brocklehurst. — Women in the cigar 
trade, by Grace Oakeshott. — etc. 

Edinburgh Review, the. N° 395, January 1901: The causes of the American 
civil war. — Landscape: Symbolie, imaginative, and actual. — Recent appreciations 
of Oliver Cromwell. — The correspondence of Cicero, — The situation in Ireland. — etc. 

Journal of the Royal Statistical Society. Vol. LXIII, part 4, 31*t December 
1900: On the distribution of population in England and Wales, and its progress in the 
period of ninety years from 1801 to 1891, by T. A. Welton (with diseussion). — Popu- 
lation and birth rate, by Marcus Rubin. — On life tables, by T. E. Hayward. — On 
the use of auxiliary curves in statisties of continuous variation, by W., F. Sheppard. — 
Farm prices of wheat and maize in America, 1870—99, by R. H. Hooker. — Progress 
of the Australasian eolonies. — ete. 

Nineteenth Century, the, and after. N° 287, January 1901: A new century 
and an old riddle, by (Mrs.) Chapman. — England’s peasantry, then and now, by (the 
Rev.) Jessopp. — Scientifie use of hospitals, by (Sir) Mich. Foster. — The rôle of 
women in society (art. II), by (Lady) Ponsonby. — The Nicaragua canal question, by 


Die periodische Presse des Auslandes. 285 


á 


Roh. Bromley. — The catholic doctrine of indulgences, by the Bishop of Newport. — 
Note on the Papal indulgence at Oberammergau. — ete. 

Statistical and Social Inquiry Society of Ireland Journal, August 1900: The 
application of co-operation in the congested districts, by G. W. Russell. — The reva- 
luation of Ireland, by N. J. Synnott. — The sanitary condition of our national schools, 
by A. Roche. — Economic development in Ireland, by C. H. Oldham. — The new 
local bodies and the New Department of Agricultural and Technical Education and the 
development of the resources of Ireland, by C. Dawson. 


C. Oesterreich. 


Deutsche Worte. Monatshefte herausgeg. von Engelbert Pernerstorfer. Jahr- 
gang XX, 1900, Dezember: Das Problem der Volksvertretung, von Rudolf Springer 
(Wien). — ete. 

Handelsmuseum, das. Band XVI, Nr. 1—5, Wien 3.—31. Januar 1900: 
Enquete über das kleingewerbliche Kreditwesen, von Ferdinand Schmid. — Der marok- 
kanische Hafenplatz Casa-Blanca. — Die Zolltarifreform im Deutschen Reiche. — Bei- 
träge zur deutschen Handelspolitik (in 4 Artikeln) von L. — Das österreichische Export- 
geschäft nach Sao Paulo. — Die preußische Kanalvorlage. — Der kommerzielle Unter- 
richt in den Ver. Staaten. — Der internationale Kongreß für Wirtschafts- und Handels- 
geographie in Paris (27.—31. August 1900), von (Prof.) R. Sieger (I. Artik.). — Der 
Handel von Siam. (Aus dem Jahresberichte pro 1899 des k. u. k. Konsulates in 
Bangkok.) — ete. 


E. Italien. 


Bulletin de l’Institut international de statistique. Tome XII, 1ire livraison. 
Kristiania, 1900. XXIV—377 pag. (Table des matières. Iċre partie: Compte-rendu de 
la Vue session de PInstitut international de statistique tenue à Kristiania du 4 au 
9 septembre 1899. — IIde partie. Rapports, communications et mémoires presentés à 
la session de Kristiania: La noblesse de Suède, étude démographique, par P. E. Fahl- 
beck. — New publications of the Board of Trade, including those connected with inter- 
national statisties, by A. E. Bateman. — Document pour servir au rapport sur la 
statistique de l’enseignement primaire en France, par E. Levasseur., — La réorgani- 
sation de la statistique dans les Pays-Bas, par C. A. Verrijn Stuart. — Statistique de 
l'évolution de la Bibliothèque nationale de Paris depuis 1847, par Victor de Swarte. — 
La statistique internationale des valeurs mobilières, rapport presenté au nom du Comité 


des finances élu par l’Institut international de statistique, par Alfr. Neymarck. — Sur 
une nomenclature uniforme des causes de décès, par Jaqu. Bertillon. — Projet d’explo- 
rations demograghiques à exécuter dans des pays peu connus, par A. N. Kiaer. — Bei- 


trag zu einer einheitlichen Aufbereitung der Geburtsstatistik, von Jos. v. Körösy. — 
Notes sur quelques cartes et diagrammes de statistique judiciaire, par J. G. de T Tarde. 
— Comparability of trade statistics of various countries, by A. E. Bateman. — Memo- 
randum on the methods employed in collection of the annual agricultural statistics of 
Great Britain, by P. G. Craigie. — International comparisons of cattle and sheep on 
the surface areas and with reference to the population of certain countries thirty years 
ago and at the present time, by P. G. Craigie. — Wheat and maize production in the 
United States. A statistical abstract, by John Hyde. — La statistique internationale des 
monnaies et des métaux précieux, par A. de Foville. — Communication sur le projet 
des règlements pour l'enregistrement du mouvement des marchandises et des passagers 
sur les voies d’eau intérieures de la Russie, par J. Barkovsky. — On the progress of 
statistics in Japan, by Yasutoshi Yanagisawa, — Essai historique et statistique sur le 
Trésor royal en France au commencement du XVIII siècle, par V. de Swarte. — Rapport 
sur la méthode du bulletin individuel appliqué à la st: ıtistique judiciaire pénale en 
Italie depuis l’année 1890, par L. Bodio. 

Giornale degli Economisti. Gennaio 1901: La situazione del mercato monetario. 
— Sulla ragione dell’ imposta, per A. Puviani. — La rinnovazione dei trattati di com- 
mercio e gli interessi della provincia di Bari, per A. Bertolini e A. Graziadei. — Il 
bonificamento idraulico dell’ agro Romano, per C. Carassai. — Zeeche e metalli preziosi 
nel 1899, per G. B. Salvioni. — Previdenza (la „tassetta“ sui titoli al portatore e le 
casse di risparmio) per C. Bottoni. — Cronaca (i lavori della Camera), per F. Papafava. 
— Rassegna delle riviste. — ete. 


286 Die periodische Presse des Auslandes. 


G. Belgien und Holland. 
Revue de droit international et de législation comparée (Bruxelles). Ilième série, 
tome 2, 1900: Le ministère public et la théorie pénale, par K. Ignatius. — Notes sur 
la neutralité, par E. Nys (me article), — La constitution de la république fédérative 


des colonies anglaises en Océanie, par A. Nerinex. — De l'unité de la faillite en droit 
international. — A la mémoire d’Alphonse Rivier. — Quelques réflexions sur l’enseigment 
du droit romain, par G. Cornil. — ete. 


de Economist, opgericht door J. L. de Bruyn Kops. XL. Jaargang, 1901, 
Januari: De ontworpen comptabiliteitsregelen van Minister Pierson, door P. H. van der 
Kemp. — De Pruisische wet van 7 Maart en den Duitsche Rijkswet van 20 Febr. 1898, 
betrekkelijk de opheffing der ambtelijke borgstellingen, door P. H. van der Kemp. — 
Koloniale kroniek, door Quarles van Ufford. — Economische kroniek: Holländische 
Reichsfinanzen: Direkte Steuererträge; Einnahmen aus Telegraphie und Telephonie; 
Erträgnis der Zuckeraccise; Melasse- und Alkoholproduktion, ete. — Handelskroniek : 
Hollands Fin- und Ausfuhrhandel 1895—1899. Klagen in Deutschland über das Kohlen- 
syndikat. Französische Getreideausfuhrprämie. Einfluß der Getreidezölle auf die Vieh- 
zucht in Deutschland. — Japanische Zuckerindustrie. — ete. 


H. Schweiz. 
Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Jahrg. VIII, 1900, 


Heft 24: Der Sozialismus der Kirchenväter, von P. Pflüger (Zürich). — Nochmals zur 
Wohnungsfrage, von A. Drexler (Luzern). — Soziale Chronik. — ete. 


Zeitschrift für schweizerische Statistik. XXXVI. Jahrgang, 1900, Band II, 
Lieferung 7: Der st. gallische Staatshaushalt in seiner Entwickelung von Jahrzehnt zu 
Jahrzehnt, von Othmar Müller (Staatsschreiber in St. Gallen). — Die Frequenz und 
Verteilung des Krebses in der Schweiz an Hand der Krebstodesfälle in den Jahren 
1889-—1898, von L. Nencki (Arzt aus Bremgarten). — Volkszählung in Schweden. — 
Der Gebäudewert im Kanton Zürich, 1809—1898, von Fr. Locher (Zürich). — Ucber 
Morbidität und Mortalität bei Abortus, von Fr. Moser (AssistArzt am Zieglerspital, 
Bern). — ete. 


M. Amerika. 


Annals of the Amcrican Academy of political and social science. Vol. XVI, 
n° 3, November 1900: Financial aspects of the trust problem, by E. S. Meade. — Law 
and practice of the United States in the acquisition and government of dependent terri- 
tory, by C. Becker. — Drunkenness and the weather, by E. G. Dexter. — Cultural 
factors in the Chinese crisis, by P. S. Reinsch. — Personal notes. Notes on municipal 
government. Sociological notes. — ete. 

Journal of Political Economy. Vol. VIIT, N° 3, September 1900: The income 
tax and the national revenues, by M. West. — The foreign trade of the United States 
from 1820 to 1840, by W. P. Sterns. — The modern condition of agricultural labor in 
Bohemia, by Katharine B. Davis. — Water rights in the Arid West, by R. P. Teele. 
— The unrevealed profits of promoters, by W. Z. Ripley. 

Political Science Quarterly. Edited by the faculty of political science of Columbia 
University. Vol. XV, n° 4, December 1900: War and economics, by E. V. Robinson. 


— Recent discussion of tax reform, by (Prof.) E. R. A. Seligman. — Bismarck as a 
maker of empire, by (Prof.) W. M. Sloane. — Neglect of the church in history, by 
(Prof.) J. H. Robinson. — Council versus mayor, by (Prof.) E. D. Durand (art. II). — 
Record of political events, by W. R. Shepherd. — ete. 

Quarterly Journal of Economics. November 1900: Recent discussion of the capital 
concept, by F. A. Fetter. — The trusts: Facts established and problems unsolved, by 
J. W. Jenks. — Enterprise and profit, by F. B. Hawley. — The capitalization of 


public service corporations, by W. Z. Ripley. 

Quarterly Publications of the American Statistical Association. New series, 
n° 51 (vol. VII) September 1900: The registration laws in the colonies of Massachusetts 
Bay and New Plymouth, by Rob. R. Kuczynski. — Tramps and wayfarers. — Mis- 
cellany and notices: Race problems in Cuba, by W. Z. Ripley. Education of women, 
by Alice Upton Pearmain. Statistics of institutions, by C. E. A. Winslow. — etc. 


Die periodische Presse Deutschlands. 287 


Die periodische Presse Deutschlands. 


Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirt- 
schaft. Begründet von G. Hirth und Max v. Seydel. Herausgeg. von Karl Th. Ehe- 
berg und Anton Dyroff. Jahrg. XXXIV, 1901, Nr. 1: Die Unzulässigkeit eines Kohlen- 
ausfuhrverbots, von Fuld (Mainz). — Die Entwickelung des Etats für die Verwaltung 
der kais. deutschen Marine, von W. Thrän (Potsdam) I: Der Etat der preußischen 
Marine bis zur Gründung des norddeutschen Bundes. — Die Todeserklärung Verschollener 
nach dem B.G.B., von B. Lehmann (Eberswalde). 1. Abschnitt. Die Entstehung und Aus- 
bildung der Lehre im geltenden Recht; 2. Abschn. Das Recht der Todeserklärung nach 
dem B.G.B. — etc. 

Archiv für Eisenbahnwesen. Herausgeg. im kgl. preuß. Ministerium der öffent- 
lichen Arbeiten. Jahrg. 1901, Heft 1, Januar und Februar: Die Pensionskasse, die 
Krankenkasse und die Unfallversicherung der Arbeiter bei der preußisch-hessischen 
Eisenbahngemeinschaft im Jahre 1899, von Niehaus (GehRegR.). — Der Getreideverkehr 
und die Eisenbahnen in den Ver. Staaten von Amerika, von K. Wiedenfeld (GerAss.). 
— Die Fahrgeschwindigkeit der Schnellzüge auf den Haupteisenbahnen in Europa, von 
W. Schulze. — Die ungarischen Staatsbahnen im Jahre 1899, von (Olngen.) Nagel 
(Budapest). — Die Eisenbahnen der Ver. Staaten von Amerika in den Jahren 1896/97 
und 1897/98. — ete. 

Archiv für Post und Telegraphie. Herausgeg. im Auftrage des Reichspostamts. Jahr- 
gang 1901, Nr. 1 u. 2, Januar: Die Haftung der nichtrichterlichen Beamten wegen 
Verletzung der Amtspflicht (unter besonderer Berücksichtigung des preußischen Rechtes). 
— Künstlerische Sachverständigenkommission für die Reichsdruckerei. — Chinas älteste 
Seebeziehungen zum Westen. — Post und Telegraphie im südafrikanischen Kriege. — etc. 

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Jahrg. V, Nr. 12, Dezember 
1900: Das Erfordernis der Musterneuheit im schweizerischen Gesetze vom 30. II. 1900 
und im österreichischen Entwurfe, von Schanze (Dresden). — Winke für die sachgemäße 
Ausarbeitung schweizerischer Patentgesuche. — Die Regierungsvorlagen der Entwürfe 
eines Gesetzes über das Urheberrecht an Werken der Litteratur und Tonkunst, sowie 
eines Gesetzes über das Verlagsrecht, von A. Osterrieth. 

Masius’ Rundschau. Blätter für Versicherungswissenschaft, Versicherungsrecht und 
bemerkenswerte Vorgänge im Versicherungswesen. N. Folge, Jahrg. XIII, 1901, Nr. 1: 
Reichsversicherungsgesetz. — Polizeiaufsicht über Feuerversicherungsverträge. — Un- 
annehmbare Vorschläge zum Entwurfe eines Reichsversicherungsgesetzes. — Der Rück- 
gang der Sterblichkeit. — Prometheus. (Ueber die ungünstige, die Zurücknahme der Kon- 
zession begründende Lage dieser Gesellschaft (S. 15/26). — Ein neuer Beitrag zur Lösung 
der Syphilisfrage. — Amerikanische Selbstmordstatistik. — etc. 

Neue Zeit, Jahrg. 1900/1901 (XIX). Bd. I, Nr. 12—13, 22. XII.—29. XII. 
1900: Geist in der Kunst, Unmaßgebliche Betrachtungen über die Kunstsammlungen 
der Pariser Weltausstellung, von Joachim Moll. — Probleme der jüdisch-proletarischen 
Bewegung, von Max Zetterbaum (II. Art). — Konsumvereinliches, von Fritz Herbert 
(Stettin). — Weihnachtsskandale. — Das Wachstum des internationalen Sozialismus, von 
E. Vandervelde-Brüssel. — Landwirtschaft und Militarismus in Schweden, von Erik 
Brunte. — Bevölkerung und industrielle Entwickelung in Frankreich, von K. Kautsky. — 

Vereinsblatt für Deutsches Versicherungswesen. Jahrg. XXIX, 1901, Nr. 2 
Der Entwurf eines Gesetzes über die privaten Versicherungsunternehmungen. — Abriß 
einer Geschichte der Lebensversicherungstechnik in Deutschland, von Große. 

Zeitschrift des königl. preußischen statistischen Bureaus. Herausgeg. von dessen 
Direktor E. Blenck. XL. Jahrgang, 1900, 3. Vierteljahrsheft: Die preußischen Landtags- 
wahlen. Nebst 2 kartographischen Darstellungen, von (ORegR.) G. Evert. — Die Ge- 
burten, Eheschließungen und Sterbefälle im preußischen Staate während des Jahres 
1899. — Statistische Korrespondenz. — ete. 

Zeitschrift des k. sächsischen Bureaus. Jahrg. XLVI, 1900, Heft 3 u. 4: Die 
Berufs- und Gewerbezählung am 14. VI. 1895. II. Abschnitt. Die Gewerbezählung. 
2. Die Gewerbebetriebe, b. Die einzelnen Betriebe. 19. Das Beherbergungs- und Er- 
quiekungsgewerbe, von Konrad Ganzenmüller. 20. Kunst- und Handelsgärtnerei, von 
(RegAss.) G. Wächter. 21. Tierzucht und Fischerei, von (RegAss.) G. Wächter. — Ver- 
gleich zwischen den wichtigsten Ergebnissen der Gewerbezählung im Deutschen Reiche 
und im Königreiche Sachsen, vom Herausgeber (GehRegR.) A. Geißler. — Die Be- 


288 Die periodische Presse Deutschlands. 


wegung der Bevölkerung im KReich Sachsen während des Jahres 1899, von (Assess.) 
G. Lommatzsch. — Die Sparkassen im KReiche Sachsen von 1894 bis 1898, von (RegAss.) 
Georg Wächter. — etc. 

Zeitschrift für Kleinbahnen. Herausgeg. vom Ministerium für öffentliche Ar- 
beiten. Jahrg. VIII, Heft 1, Januar 1901: Die Kleinbahnen in Preußen. — Kleinbahn- 
und Straßenbahnmotoren auf der Pariser Weltausstellung 1900, von (Reg.- u. BauR.) 
Rimeott. — Gesetzgebung. — Kleine Mitteilungen. — etc. 

Zeitschrift für Sozidwissenschaft. Herausgeg. von (Prof.) Jul. Wolf. Jahrg. IV, 
1901, Heft 1: Der Ursprung der sozialen Triebe, von ©. Ammon (Karlsr.) [I. Art.]. — 
Die Verbreitung der Sklaverei und ihre Ursachen (mit besonderer Bezugnahme auf das 
Werk von H. J. Nieboer: Slavery as an industrial system. Ethnological researches, 
Hague 1900), von A. Vierkandt (Privtdoz., Berlin). — Die gelbe Gefahr, von M. v. Brandt 
(Wirkl. GehR., ete.). — Die eheliche Fruchtbarkeit in Deutschland, von Fr. Prinzing. 
IL Art.] — Sozialpolitik: Unfall- und Invaliditätsversicherung der landwirtschaftlichen 
Arbeiter in Ungarn, von Melch. Szántó (MinistSekr. im k. ung. Ackerbauministerium ı. 
Eine Maßregel zur Erhaltung des Bauernstandes in Pendschab: Beschränkung der Ver- 
äußerungsfreiheit für ländlichen Grund und Boden als Maßnahme gegen den Wucher, 
von K. Mareiner (Wien). — etc, 

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Band XXI, 1901, Heft 2: 
Ein Beitrag zur Revision des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich, von (Strafanstalts- 
direktor) Siehart (Ludwigsburg). — Gutachten über $ 300 R.St.G.B., erstattet von (Prof.) 
W. Mittermaier (Bern). — Ueber den Rechtsgrund der Strafen. Eine staatsrechtliche 
Studie, von Ad. Arndt. — Die Rechtsprechung des k. k. obersten Kassationshofes in 
Wien, von (LandGerR.) A. Brunner (in Wels, O-Oesterreich). — ete. 

Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft. Herausgeg. vom deutschen 
Verein für Versicherungswissenschaft. Schriftleitung: (Reehtanwalt) A. Rüdiger. Bd. I, 
1901, Heft 2: Studien zur Entwickelungsgeschichte der Versicherung, von (Prof.) R. 
Ehrenberg. — Schiffsexperten und Institute zur Klassifizierung von Sceschiffen in ihrer 
Bedeutung für die Seeversicherung, von (JustR.) E. Boyens. — Aus den Grenzgebieten 
der Versicherungsmedizin, von G. Florschütz. — Lungenschwindsucht und Lebensver- 
sicherung, von (StabsA. a. D.) Gollıner. — Oeffentliche und Privatversicherung, von 
L. Fuld. — Die laufende Versicherung, von P. Moldenhauer (Schluß). — Aphorismen 
über den deutschen Versicherungsgesetzentwurf, von A. Rüdiger. — Zur Reform im 
Sterbekassenwesen, von J. Eggenberger. — Einiges aus der Brandschadenregulierungs- 
praxis, von O. Prange. — Die Bewertung von Wertpapieren in den Bilanzen der Lebens- 
versicherungsgesellschaften, von (Prof.) A. Emminghaus. — ete. 


Notiz zu: Deutschlands Volkswirtschaft beim Eintritt ins 
20. Jahrhundert. 

S. 12, Zeile 3 von unten: lies 700 000 statt 70 000, 

S. 17. Die Summen der Zahl der Betriebe für 1882 und 1805 sind umzustellen, 
also 1882: 5276 344, 1505: 5555317. Ebenso bei der landwirtschaftlich benutzten 
Fläche, also 1882: 31 868 972, 1895: 32 517 941. 

kS. 20 oben. Den Zahlen über den heimischen Bedarf an landwirtschaftlichen 
Produkten liegen größere Erntemengen des Inlands zu Grunde, als S. 19 unten an- 
gegehen. Letztere beruhen auf den unvollkommenen Ernteschätzungen durch die Ge- 
meinden und sind nach Maßgabe der seit 1893 eingeführten, verbesserten Ernteschätzung 
durch die landwirtschaftlichen Sachverständigen für Zwecke der Feststellung des heimischen 
Bedarfs, wie folgt, erhöht (vergl. die amtliche Schrift von H. v. Scheel, Die deutsche 
Volkswirtschaft am Schluß des 19. Jahrhunderts, S. 43): 


Erntemengen Erntemengen 
in Tonnen in Tonnen 
troggen 7 294 760 Hafer 5 550 270 
Weizen 3 017 280 Kartoffeln 30 301 500 
Gerste 2 690 590 


Frommaunsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena, 


Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, Börsenmäßiger Terminhandel etc. 289 


Nachdruck verboten. 


IV. 


Ergebnisse der über den börsenmässigen 
Terminhandel in landwirtschaftlichen 
Produkten in Oesterreich abgehaltenen 
Enquête (1900). 


Von 


Prof. Dr. Hermann v. Schullern-Schrattenhofen (Brünn). 


I. 


Obwohl die führenden landwirtschaftlichen Kreise in Oesterreich 
schon seit langem als einen ihrer größten Feinde den börsenmäßigen 
Terminhandel in Bodenprodukten erklärt und bekämpft hatten, war 
die Diskussion darüber doch bis zum Zusammentreten der deutschen 
Börsen-Enquête-Kommission nicht zu so großer Lebhaftigkeit empor- 
gestiegen, daß die große Oeffentlichkeit davon Notiz genommen 
hätte. Wenn sich ab und zu eine Stimme etwas lauter vernehmen 
ließ, so verhallte sie, denn sie wurde übertönt von zahlreichen 
anderen Stimmen, die eine Verteuerung des Brotes und eine Unter- 
bindung des unbedingter Freiheit bedürftigen Handels als Folge 
jeder Einmischung in das Funktionieren der Börse und insbesondere 
jeder Einschränkung des, wie man annahm, so segensreichen Termin- 
handels hinstellten und die Forderungen der Landwirte als der 
großen Masse der Bevölkerung feindselig, als Ausflüsse des brutal- 
sten Egoismus erklärten und als Früchte des Giftbaumes der 
Reaktion. 

Mehr als die ja verhältnismäßig wenig bekannt gewordenen Er- 
gebnisse der genannten Enquête hat nun aber die Publikation des 
deutschen Börsengesetzes die Oeffentlichkeit an der unbedingten 
Richtigkeit der letztbezeichneten Ansichten zweifeln gelehrt und die 
sogenannten Agrarier ermutigt. Schon im Jahre 1897 ist es daher 
zur Veranstaltung einer von parlamentarischen Persönlichkeiten 
einberufenen Enquête über den Terminhandel gekommen, die aber 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 19 


200 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


ohne praktisches Ergebnis blieb, wohl zum großen Teile infolge der 
allgemeinen Stockung des verfassungsmäßigen Gesetzgebungsapparates 
und, wie es scheint, auch gegen die Absichten und Pläne des Acker- 
bauministers Grafen Ledebur. 

Erst das Jahr 1900 hat die ganze Angelegenheit in Fluß ge- 
bracht, nachdem die Agitation immer heftiger geworden war und 
der Widerstand gegen die Veranstaltung einer Enquête in großem 
Umfange sich wesentlich abgeschwächt hatte; auch in den Kreisen, 
welche den agrarischen Forderungen am meisten abgeneigt waren und 
sind, mochte man allmählich erkannt haben, daß ein weiterer Kampf 
gegen eine Enquête das Mißtrauen gegen die Börse nur erhöhen 
und den gegen diese gerichteten Angriffen nur immer größere 
Energie, den gegen sie erhobenen Vorwürfen immer mehr Schein 
der Berechtigung geben müsse. Dieses kluge Entgegenkommen 
ging so weit, daß das Vorkommen von Mißbräuchen und Ausschrei- 
tungen an der Börse für frühere Zeiten wenigstens zugegeben 
wurde; die neue Civilprozeßordnung mit ihren Bestimmungen über 
die Kompetenz der Börsenschiedsgerichte habe aber unberufene Ele- 
mente von der Börse entfernt und damit solche Mißbräuche so gut 
wie ausgeschlossen ; da dies die Enquête unwiderlegbar beweisen 
werde, entspreche ihre Einberufung auch den Wünschen der Börsen- 
kreise, die sich ja nicht in mysteriöses Dunkel hüllen, sondern im 
vollen Tageslichte arbeiten wollen. Das Ministerium hat, nachdem 
einmal die Einberufung der Enquête beschlossen war, sich wohl zu- 
nächst die Frage vorlegen müssen, wie dieselbe einzurichten und 
insbesondere, ob sie ganz öffentlich abzuhalten sei. 

Diese letztere Form wäre theoretisch wohl die beste gewesen !); 
unter den gegebenen Verhältnissen aber war es vollkommen be- 
greiflich, daß die Regierung diese Form nicht gewählt hat; da sie 
die Enquete auf der denkbar breitesten Basis — kamen doch an 
80 Experten zur Vernehmung — durchführte und die weitestgehende 
Redefreiheit gewährte, da sie endlich der Presse sorgfältig vor- 
bereitete Berichte Tag für Tag zukommen ließ, von denen freilich 
vielfach ein sehr einseitiger oder auch ein ganz sachunkundiger 
Gebrauch gemacht wurde, und da sie endlich ihre stenographischen 
Protokolle nicht als Staatsgeheimnisse behandelt, muß ihr zugestanden 
werden, daß sie alles gethan hat, was unter den einmal gegebenen 
Umständen nur überhaupt geschehen konnte. Diese Anerkennung 
hat die Regierung auch von allen Seiten gefunden; ebenso berührte 
die absolute Objektivität und die Beherrschung des Gegenstandes 
von seiten des Vorsitzenden nicht nur wohlthuend, sondern sie er- 
regte geradezu freudiges Erstaunen. 

Die Experten waren den verschiedensten Berufskreisen ent- 
nommen, insoweit diese überhaupt mit Börsen und Börsengeschäften 


1) Der Referent ist seiner Zeit in der „Münchner Allgemeinen Zeitung‘ für eine 
öffentliche Börsenenquöte eingetreten; es ist wohl überflüssig, diese Ansicht hier näher 
zu begründen ; obwohl Referent noch immer glaubt, daß derartige Erhebungen, wenn 
hierfür die äußeren Verhältnisse günstig liegen, stets öffentlich zu veranstalten wären. 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 291 


direkt oder indirekt in Berührung kommen. Wenn es getadelt 
wurde, daß verhältnismäßig zu wenige Landwirte einberufen worden 
seien, so mag dieser Vorwurf vielleicht eine gewisse Berechtigung 
haben; die Ursache für den gerügten Umstand mag darin gelegen 
sein, daß man die Berufe eher gezählt, als gewogen haben mag. 
Aber auch darüber kann man sich unschwer trösten, da ja auch hier 
weniger die Zahl, als die Bedeutung der Persönlichkeiten und das 
Maß ihrer Hingabe an die gute Sache entscheidend ist. — Die von 
beiden Parteien anfangs mit Mißtrauen, wenn nicht geradezu mit einer 
gewissen Geringschätzung aufgenommenen Theoretiker haben im 
Laufe der Beratungen um so mehr steigende Aufmerksamkeit erregt, 
als sie sich der großen Mehrzahl nach dem agrarischen Standpunkte 
wenigstens näherten und dabei — wie ich glaube — den Beweis 
erbrachten, daß für denselben auch in der Studierstube des Bücher- 
menschen sich manche scharfe Waffe vorfinde, und daß überdies 
nicht jeder Theoretiker des praktischen Lebens und seiner Anforde- 
rungen vollkommen unkundig ist; auch auf seiten der Börsenver- 
treter haben die Theoretiker sich eine gewisse Anerkennung er- 
worben, weil den meisten eine genaue Kenntnis des Börsenwesens 
und der Börsengeschäfte und volle Objektivität auch den berech- 
tigten Anforderungen des Handels gegenüber nachgerühmt werden 
mußte. 

Die Vertretung der Börse ihrerseits war quantitativ reichlich 
genug bemessen und qualitativ die denkbar beste und energischste. 

Gegen die Zusammensetzung der Regierungskommission endlich 
konnte auch keine ernste Klage geführt werden. Namen zu nennen, 
möchte ich an dieser Stelle ganz vermeiden. 

Nachdem die Art und Zusammensetzung der Enquête gegeben 
war, mußten die an die Experten zu richtenden Fragen festgestellt 
werden. Ich glaube, nicht irre zu gehen, wenn ich vermute, daß der 
zur Umwendung gekommene Fragebogen das Ergebnis langer Debatten 
und die Resultante zahlreicher Meinungsverschiedenheiten war. Er 
ist zweifellos sehr umfassend ausgefallen; daß er aber im einzelnen 
überall geglückt wäre, läßt sich wohl schwer behaupten; der 
Verlauf der Enquête selbst hat gezeigt, daß man sich sehr schwer, 
ja daß man sich eigentlich fast gar nicht an die einzelnen 
Fragen halten konnte, sondern vielfach mehrere zusammenfassen 
mußte, mehrfach auch solche, die nicht unmittelbar aufeinander 
folgten. Ich bemerke dies nur im Interesse der Berichterstattung 
und ohne daraus jemandem einen Vorwurf machen zu wollen, waren 
ja doch auch die Schwierigkeiten der Abfassung des Fragebogens, sowohl 
formell als materiell die allergrößten. Uebrigens haben die Mängel 
des Fragebogens nichts geschadet, da ja der Gegenstand doch nach 
allen Seiten ziemlich intensiv durchleuchtet worden ist und werden 
konnte, weil jene Mängel nicht in einer zu engen Abgrenzung des 
Gegenstandes gelegen waren. 

Die Regierung hat den Experten aber nicht nur Fragen vor- 
gelegt, sondern ihnen auch ein reiches und sorgfältig beschafftes 

19* 


292 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


Material zur Verfügung gestellt, das ihnen die thatsächlichen Ver- 
hältnisse in einem lebhaften und figurenreichen Bilde stets vor 
Augen halten sollte. Dieses Werk trägt die Ueberschrift „Das Ge- 
treide im Weltverkehr“ und giebt im I. Bande auf 859 S. ein enormes, 
von der statistischen Centralkommission zusammengestelltes, sta- 
tistisches Material, dasim II. Bande („Erläuternde Bemerkungen“ — so- 
viel mir bekannt von Hofrat Prof.Dr. v. Juraschek und Sektionrat 
Dr. Karl Scheimpflug verfaßt —) eine sachkundige Besprechung 
findet. Die Schlußkapitel über die Geschichte und den Begriff des 
börsenmäßigen Getreideterminhandels stellen wohl den Hauptinhalt 
der ganzen Litteratur über diesen Gegenstand, insoweit sie nicht 
bloß agitatorischer Natur ist, zusammen. Ein Heft mit graphischen 
Darstellungen ist dem Werke beigegeben. Ich gehe auf diese Ma- 
terialien als solche nicht weiter ein und bemerke nur, daß die an- 
gegebenen Berliner Notierungen seit Rechtskraft des Terminhandels- 
verbotes mehrfach als irrig bezeichnet wurden und damit den 
Gegenstand lebhafter Debatten gebildet haben, denen — freilich nur 
zum Teil — ein böser Druckfehler zu Grunde lag. 

Nach diesen einleitenden Bemerkungen sei es mir nun ge- 
stattet, einige Thatsachen hervorzuheben, welche zum Teil in der 
Enquête festgestellt worden sind und die Tragweite der ganzen 
Frage speciell für Oesterreich charakterisieren sollen. 


IT. 


In Oesterreich existieren Fruchtbörsen in Wien, Linz, Graz, 
Prag und Czernowitz; jene in Triest kommt für den Getreidehandel 
kaum mehr in Betracht. Ein Terminhandel im technischen Sinne 
des Wortes kommt aber nur in Wien vor, seit er in Triest mit dem 
fast gänzlichen Verschwinden des Getreidegeschäftes weggefallen ist. 
Der Geschäftsverkehr an der Wiener „Börse für landwirtschaftliche 
Produkte“ (II. Bez. Jaborstraße) ist derzeit ein verhältnismäßig ge- 
geringer, der Terminhandel insbesondere scheint die Tendenz auf- 
zuweisen zu einer quantitativ immer geringeren Bedeutung herabzu- 
sinken; jedenfalls trıtt er stark zurück gegenüber demjenigen an der 
Börse zu Ofenpest. Trotzdem teilen die Tagesblätter die Börsen- 
notierungen vielfach ohne Andeutung über die gehandelten Mengen, 
und eine Reihe kleinerer Zeitungen an den Wochentagen, mit Aus- 
nahme des Samstags, sogar nur die Wiener Termin notierungen 
mit; es dringen also nur diese so recht „ins Volk“, nur sie werden 
damit und aus anderen Gründen für die Preisbildung bei Einzel- 
geschäften und auf kleineren Lokalmärkten wirksam. 

Der Terminhandel wird, durch die „Bestimmungen für den Ge- 
schäftsverkehr an der Börse für landwirtschaftliche Produkte in Wien“ 
(1898) geregelt, nach denen der Lieferungsort ausschließlich Wien 
ist, die Lieferungszeiten Frühjahr (15. März bis 15. Mai) und Herbst 
(September und Oktober oder vertragsmäßig bezeichnete Monate, ins- 
besondere Mai—Juni) sind, die Lieferungseinheit für Getreide 500 q 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 293 


beträgt ($ 57) und die Qualität gesundes, zeitgemäß trockenes, ent- 
sprechend gereinigtes Getreide letzter Fechsung jeder Provenienz 
($ 78) mit bestimmtem Hektoliter-Minimalgewichte (für Weizen 76, 
für Roggen 70!/,, Hafer 40, Hirse 72 kg ($ 84) darstellen muß; 
Beimengungen sind zulässig bis zu 4 Zählprozenten (durch Körner- 
auszählung zu berechnen § 85 und 91.) Die Art und Weise der 
Liquidation ist in den Së 61 ff. geregelt und erfolgt durch 
das Sekretariat der Börse; die Uebernahme und Uebergabe der 
Ware muß am 5. Tage nach der Kündigung (Andienung) be- 
gonnen werden. Verträge pro Herbst werden meist erst Anfang 
April, aber mitunter auch schon im Februar und Januar, solche 
pro Frühjahr meist erst vom August an geschlossen. Ein Angeld 
wird seit 1886 nicht mehr geleistet. Die Bestimmung des $ 59, wo- 
nach jede im Terminhandel verkaufte Ware im Laufe des Termins 
effektiv geliefert und übernommen werden mul, ist ein bloßer Auf- 
putz; Beweis dessen ist die Thatsache, daß an der Wiener Börse 
in den Jahren 1894—98 durchschnittlich in jedem Jahre nur 139700 q 
Weizen, 58600 q Roggen, 106700 q Hafer, 339300 q Mais und 
21700 q Raps, also lächerlich geringe Mengen thatsächlich gekündigt 
worden sind. Gerste ist kein Objekt des Wiener Terminhandels und 
hat auch keine Aussicht es zu werden; der hauptsächliche Grund 
dafür ist die außerordentliche Verschiedenheit der Qualität, die bei 
der Gerste vorkommt, so daß die Fungibilität der Ware eine für den 
Terminhandel viel zu geringe wäre. Die große Masse des an der 
Wiener Börse gehandelten Effektivgetreides ist ungarischer Pro- 
venienz (Theißweizen, Pesterboden-Roggen u. s. w.), angeblich circa 
% Proz., wie denn Oesterreich überhaupt leider immer mehr von 
der landwirtschaftlichen Produktion Ungarns abhängig wird. Ge- 
naue Ziffern über den ungarischen Getreideimport nach Oesterreich 
giebt es freilich heute noch nicht, es werden aber bald solche vor- 
liegen, da ja die neu eingerichtete österreichisch-ungarische Zwischen- 
verkehrsstatistik uns bald Material hierüber liefern wird, das zu- 
verlässiger sein dürfte, als die Ergebnisse der bisher vom ungarischen, 
statistischen Centralamte gemachten Erhebungsversuche. Bei dieser 
Sachlage ist es klar, daß die Vorgänge in Ungarn und vor allem 
die Preisbildung an der Ofen-Pester Börse für Oesterreich im all- 
gemeinen und für die Wiener Börse im besonderen nicht bedeutungs- 
los sind; es ist daher auch begreiflich, wenn eine mehrfach zum 
Ausdrucke gelangte Auffassung dahin ging, daß ein einseitiges Vor- 
gehen Oesterreichs in betreff des Terminhandels wirkungslos wäre; 
ob diese begreifliche Anschauung auch richtig ist, haben wir hier 
nicht zu untersuchen. Zum mindesten ebenso begreiflich ist bei 
dieser Sachlage aber auch die Forderung, welche wiederholt außer- 
halb der Enquête ausgesprochen worden ist, es sei durch Schaffung 
einer Zwischenzolllinie der österreichische Ackerbau vor dem un- 
garischen, der österreichische Landwirt vor der ungarischen Kon- 
kurrenz und vor der ungarischen Preisbeeinflussung zu schützen. 


294 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


Welche Berechtigung diesem Begehren zukommt, haben wir hier 
gleichfalls nicht zu prüfen. 


III. (Begriff des börsenmäßigen Terminhandels.) 


Wir gelangen nun zu den Ergebnissen der Enquete und wollen 
dieselben nach der Reihenfolge der Fragegruppen im Fragebogen 
darstellen. Zunächst ist es die Bestimmung des Begriffes des Termin- 
handels, was uns zu beschäftigen hat. In dieser Richtung haben 
sich speciell in den ersten Gruppen der Enquête die erstaunlichsten 
Verschiedenheiten der Auffassungen ergeben; es ist auf der einen Seite 
geradezu bestritten worden, daß das Termingeschäft eine selbständige 
Geschäftsform darstelle; es wurde weiter behauptet, daß sich der 
Unterschied zwischen einem Termin- und einem effektiven Lieferungs- 
geschäft nicht erfassen lasse (Börsenrat Schwitzer, Gruppe IV, S. 57); 
auf der anderen Seite sind ganz strikte Definitionen gegeben worden, 
und zwar so strenge, daß jedes Geschäft, welches ihnen nicht aufs 
Härchen entspricht, nicht mehr als Termingeschäft anerkannt werden 
dürfte. Mit Ausnahme der Vertreter der ersteren Richtung haben 
aber fast alle anderen Experten Begriffsbestimmungen des specifischen 
Termingeschäftes beigebracht, die sehr bedeutende Abweichungen 
prinzipieller Natur nicht aufweisen. Ich möchte mir gestatten, einige 
der hervorragendsten zu verzeichnen. Professor Dr. Stanislaus 
Glabinski versteht unter börsenmäßigen Termingeschäften solche 
Zeitgeschäfte, welche in gleichartiger Form abgeschlossen und ab- 
gewickelt werden; damit sei auch ein gleichartiger Inhalt (Schluß- 
einheiten, Qualitäten, Lieferungstermine) gegeben ; die Fungibilität 
der Ware sei kein das Termingeschäft speciell charakterisierendes 
Merkmal, sie sei vielmehr dem ganzen modernen Großhandel eigen. 
Dieser erste Definitionsversuch, den die Enquête zu Tage gefördert 
hat, krankt meines Erachtens an Unvollständigkeit und daran, daß 
der Begriff Fungibilität in einem zu wenig konkreten Sinne aufge- 
faßt wurde. Der hervorragendste Vertreter der „Agrarier“, Robert 
Sand, sagte: „Das äußere, aber nur scheinbare Merkmal des börsen- 
mäßigen Terminhandels mit landwirtschaftlichen Produkten besteht 
in dem Umstande, daß sich Verkauf, Kauf, Qualität der Ware, 
Lieferungstermin und Erfüllungsmodalitäten genau nach den Be- 
stimmungen der bestehenden Börsenusancen richten. In Wirklichkeit 
bestehen die kennzeichnenden Merkmale des börsenmäßigen Termin- 
handels jedoch darin, daß die Abschlüsse auf Verkauf oder Kauf 
nur scheinbar und ausnahmsweise auf eine Bewegung von Ware 
abzielen, sondern in der Regel mit dem Ausgleich der Preisdifferenz 
zwischen dem Abschluß- und Stichtage enden, und daß zum Ab- 
schluß eines derartigen Geschäftes weder der Besitz, noch die An- 
wartschaft auf die verkaufte Ware, auch nicht der Besitz des 
Kaufpreises, sondern nur die Uebernahme des Risikos für die etwaige 
Preisdifferenz erforderlich ist.“ Ich glaube, daß diese Definition, 
wenn sie auch nicht nur Begriffsbestimmung ist, sondern schon 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 295 


Polemik in sich enthält, vom polemischen Beiwerke freigedacht, 
viel Richtiges enthält, sowenig sie auch — wenigstens den Theo- 
retiker — vollständig befriedigen kann. Freilich stark verklausuliert 
nur, treten die Usancen in die Begriffsbestimmung ein, deren Auf- 
treten, Gestaltung und Vorherrschaft eine der Voraussetzungen für 
die wirtschaftspolitische Bedeutung des Terminhandels bilden; alles 
was Sand als eigentlich charakteristisch auffaßt, würde ohne Usancen 
und ohne solche Usancen, wie sie die Börsen anfzustellen pflegen, 
entweder gar nicht oder doch so selten vorkommen, daß daraus 
keinerlei allgemeine Folgen entstehen könnten. — Der Umstand, 
daß einmal in der Enquete ausgesprochene Gedanken nicht mehr 
fallen gelassen wurden, ja daß die späteren Experten meist auf den 
Ausführungen der früheren weiterbauten, erlaubt es mir, auch die 
weiteren Definitionen chronologisch mitzuteilen; teilte ich alle mit, so 
würde am Schluse zu erkennen sein, wie sich schließlich die Stand- 
punkte in dieser Richtung fast versöhnten und man der allgemeinen 
Anerkennung einer bestimmten Charakterisierung nahe kam. 

Der Generalsekretär der Börse, Dr. Alex. Horovitz, be- 
zeichnet das börsenmäßige Termingeschäft als „Zeit- und Gattungs- 
geschäft (mit landwirtschaftlichen Produkten), bei welchem Menge 
und Beschaffenheit typisch umschrieben ist, und für welches ein 
Markt den Abschluß, die Uebertragung und Abwickelung nach im 
voraus durch festgesetzte Usancen oder thatsächliche Geschäftsge- 
bräuche geregelten Normen ermöglicht.“ Damit ist ein wichtiger 
Schritt nach vorwärts gethan; den Usancen ist ihre maßgebende 
Stellung zuerkannt. 

Hofrat Pilat sieht den Abschluß nach Börsenusancen (Typen- 
qualität und Schlußeinheit) schon als das kennzeichnende Merkmal 
an (ähnlich Dr. Kienböck, der aber auch die Unterwerfung unter 
das Schiedsgericht heranzieht); das normierte Arrangement betrachtet 
er als nicht wesentlich und setzt sich damit zu Horovitz in Wider- 
spruch, meines Erachtens insoweit nicht mit Unrecht, als dieses 
Moment wirklich nicht charakteristisch ist; wohl aber halte ich es 
für qualifizierend in dem Sinne, daß wenn die Skontration organisiert 
und nicht in ihrer Durchführung den Parteien überlassen ist, die 
Fungibilität des Geschäftes eine ganz besonders intensive wird. Prof. 
Dr. Karl Adler (Universität Czernowitz) stimmt nicht mit dieser 
meiner Ansicht, noch weniger aber mit derjenigen Pia’s überein, da 
er gerade in der irgendwie geregelten Waren- und Geldskontration 
das maßgebende Merkmal suchen zu sollen glaubt; alle anderen 
Merkmale, insbesondere die Usancen, erachtet er für davon abhängig 
und nur dazu bestimmt, die einzelnen Schlüsse fungibel zu machen 
und so „das Geschäft für Skontrationen herzurichten“. — Diese Auf- 
fassung Adler’s durfte hier nicht übergangen werden, weil sie 
wohl als entscheidend betrachtet werden kann für seine weitere 
Stellungnahme, die ihn in eine der umstrittensten und bestrittensten 
Positionen brachte, die in der Enquete überhaupt eingenommen 
worden sind, deren scharfe, juristische Verteidigung aber gerade 


296 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


diesem Experten besondere Bedeutung verleiht. Universitätsdocent 
Dr. Landesberger-Wien steht in seiner Charakterisierung des 
Termingeschäftes jener Auffassung, die ich vertreten habe und die 
ich am Schlusse dieses Abschnittes mitteilen werde, ganz nahe; auch 
er stellt die Fungibilität von Ware und Geschäft, welche durch die 
Usancen gegeben ist, in den Vordergrund (ebenso Prof. Kleinwächter 
und wohl auch Ritter von Hohenblum, VIII Gr. S. 285 und Dr. 
Weishut, VIII, S. 299, Prof. Dr. Pilat). Skontration (ob von Bureau 
zu Bureau oder auf der Börse durchgeführt) und Preisnotierung 
(ob amtlich oder nicht) sind wichtige Momente, stehen aber in 
zweiter Reihe. 

Hofrat Grünhut, der ähnlich wie Prof. Adler und Prof. von 
Gorski vorwiegend die juristische Seite des Problems beleuchtete, 
erachtet es, ähnlich wie Dr. Landesberger und andere als be- 
denklich, eine Legaldefinition des Terminhandels ein für allemal 
aufzustellen. „Was dem deutschen Gesetzgeber nicht gelungen ist, 
wird auch einem anderen nicht besser gelingen.“ Grünhut er- 
klärt das Termingeschäft seinem inneren Wesen nach als juristisch 
von dem sonstigen Zeitgeschäfte durchaus nicht verschieden; weder 
die Rolle der Usancen, noch die der Skontration, welche das Termin- 
geschäft charakterisieren, sei juristisch erheblich; erst die deutsche 
Börsengesetzgebung habe dahin geführt, daß man nach jenen charak- 
teristischen Merkmalen gesucht habe; im übrigen sei das Termin- 
geschäft ein präsumtives Differenzgeschäft. Mit dem Gesagten ist 
für die ökonomische Seite der Frage meines Erachtens anerkannt, 
daß die Usancen als stereotype Geschäftsbedingungen (und die Skon- 
tration) für den Begriff des Terminhandels entscheiden. 

Natürlich ist die Legaldefinition des deutschen Börsengesetzes 
mehrfach kritisiert worden, in der ausführlichsten Weise von Dr. 
Horovitz (II. Gr., S. 204), ihre Mängel wurden bloßgelegt und aus 
eben diesen Mängeln ist die thatsächliche Entwickelung der ein- 
schlägigen Verhältnisse erklärt worden. Eine strikte Definition 
hätte man überhaupt nicht versuchen sollen, weil dieselbe allen 
Mißbräuchen und Umgehungen des Gesetzes den Weg bahnen müsse 
und im Deutschen Reiche auch schon thatsächlich gebahnt habe; 
man müsse sich darauf beschränken, eine möglichst allgemeine 
Charakterisierung des Geschäftes zu bieten, um damit auch — 
wenigstens bis zu einer gewissen Grenze — Umgehungsversuche 
zu erschweren und zu treffen. Vor allem wurde aber die „amtliche“ 
Feststellung von Terminpreisen als nicht maßgebend, die Aufnahme 
dieses Requisites in die Begriffsbestimmung also als verfehlt und für 
den Erfolg des Gesetzes verhängnisvoll bezeichnet. 

Ich schließe mich diesen Ansichten an, ohne die Meinung von 
vornherein als richtig anzuerkennen, die deutsche Legaldefinition sei 
so gemacht worden, weil man es mit dem Gesetze nicht ernst ge- 
meint habe. Auch ich glaube, daß es hauptsächlich Schuld der 
Definition ist, wenn der praktische Erfolg hinter der „Absicht“ der 
Gesetzgebung zurückblieb. Wie ist also das Termingeschäft — nicht 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 297 


zu definieren, sondern — zu umschreiben? Ich habe in dieser 
Richtung bei meiner Einvernehmung als Experte einen Versuch ge- 
macht, der, wie ich glaube, nicht ganz unglücklich war und mit dem 
ich mich in wichtigen Punkten in der Gesellschaft Landesberger’s 
und Pilat’s befinde. In gedrängter Kürze will ich das von mir 
Gesagte resumieren, ohne meine Ansicht damit als irgend gewichtiger 
hinzustellen, als die anderer Experten. Ich stellte mich auf den 
volkswirtschaftlichen Standpunkt und suchte den Begriff so zu um- 
schreiben, daß alle jene Geschäftszweige in ihn hineinfallen, denen 
man mit Recht oder Unrecht die Wirkung zuschreibt, die Getreide- 
preise eventuell sogar unter das Niveau der Produktionskosten zu 
drücken; ich that letzteres deswegen, weil ich den entscheidenden 
Fragepunkt im Gesamtrahmen des Problems darin erkennen zu 
sollen glaubte, ob der Terminhandel jene preisdrückende Tendenz 
thatsächlich hat oder nicht. Damit trat mir die von der regel- 
mäßigen Anwendung der Börsenusancen bedingte Fungibilität nicht 
nur der Waren, sondern auch des Geschäftes vor Augen, wobei es 
mir dann allerdings nebensächlich schien, ob man diese Usancen als 
solche oder anders bezeichnet, ob im Geschäfte nur auf sie als all- 
gemein bekannt und für ein Termingeschäft charakteristisch verwiesen 
zu werden braucht, oder ob bei einer ganzen Kategorie von Geschäften 
angeblich frei vereinbarte Geschäftsbedingungen, von ganz be- 
stimmtem Inhalte immer so und genau so im Schlußbriefe aufge- 
nommen werden, weil dieselben stillschweigend von der Geschäfts- 
welt als Usancen anerkannt sind. Sind solche Geschäftsbedingungen 
als Usancen ausdrücklich und statutarisch erklärt, so mag die Fungi- 
bilität von Ware und Geschäft allerdings in der Regel eine größere 
und auf breiterer Basis wirksame sein, sie fehlt aber auch sonst 
nicht. Während ich weder das Zeitmoment, noch die Skontration 
in geregelter Form für entscheidend halte, scheint es mir vom 
volkswirtschaftlichen Standpunkte ein Begriffsmoment des Termin- 
handels, daß die Preise notiert und publiziert werden; wenn dies 
amtlich geschieht, so steigert sich die Wirkung, für den Begriff 
aber genügt jede Form der Notierung und Veröffentlichung. Damit 
gelangte ich zu folgender Begriffsabgrenzung: Der Terminhandel 
ist jenes Lieferungsgeschäft, das kraft seiner Natur und auf Grund 
der Usancen fungible Ware durch ein fungibles Geschäft wirksam 
macht für den allgemeinen Markt auf dem Umwege über die Preis- 
notierung. Innerhalb dieser ganz allgemeinen Charakterisierung 
habe ich nun Kategorien (s. Prof. Pilat, IX, 745) von Terminge- 
schäften aufstellen zu sollen geglaubt und dieselben so abgegrenzt: 
„Ich kann mir ganz gut denken, daß ein Geschäft abgeschlossen 
wird — die Frage, ob das wirklich geschieht, lasse ich vollständig 
offen — bei dem beide Teile von vornherein nicht die Absicht 
haben, Ware zu liefern oder zu übernehmen“; hierin sehe ich 
Differenzgeschäfte im eigentlichen Wortsinne, meines Erachtens eine 
durchaus verwerfliche Geschäftsform, verwerflich sowohl vom mora- 
lischen, als auch vom wirtschaftlichen Gesichtspunkte aus. „Die 


298 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


zweite Kategorie sind meines Erachtens jene Termingeschäfte, die 
auf Lieferung abzielen und mit Lieferung auch enden", Geschäfte, 
die sich vom „Lieferungsgeschäfte nur dadurch unterscheiden, daß 
ihnen die Usancen zu Grunde liegen“; ich nenne sie, um ihnen 
einen Namen zu geben, effektive Termingeschäfte. „Die dritte 
Kategorie von Geschäften ergiebt sich aus der nach meiner Auf- 
fassung wichtigsten, wirtschaftlichen Funktion des Terminhandels, 
nämlich aus seiner Versicherungs-* — richtiger und unzweideutiger: 
Sicherungsfunktion; dabei ist die Möglichkeit, daß schließlich wirk- 
lich geliefert und übernommen werde, immerhin gegeben, wenn 
auch die eigentliche Absicht der Vertragschließenden nicht dahin 
zielt. — Ich gebe ohne weiteres zu, daß wenigstens vereinzelt auch 
noch andere Geschäfte vorkommen können, die in den Rahmen des 
Termingeschäftes passen und daß es insbesondere sehr wichtige 
Geschäfte, — die Report- im Sinne von Prolongationsgeschäften — 
giebt, welche sich an das Termingeschäft anlehnen. Für meine 
Zwecke genügen aber die 3 Kategorien, von denen zwei, das Diffe- 
renz- und das Sicherungsgeschäft für sich meines Erachtens den 
landläufig, nicht wissenschaftlich abgegrenzten Begriff des Termin- 
geschäftes ausmachen. — Diese Kategorisierung halte ich trotz 
ihrer Mängel und Lücken für notwendig, um zu einer volkswirt- 
schaftlichen Beurteilung des Termingeschäftes, um die es sich ja 
handelt, gelangen zu können; solange man den Begriff „Termin- 
handel“ streng definiert und ihn als ganz einheitlich und jedes ein- 
schlägige Geschäft vollkommen charakterisierend auffaßt, wird man 
nie zu einer objektiven Betrachtung gelangen, man wird immer an- 
einander vorüberreden, weil der eine diese, der andere jene 
von den genannten Kategorien bei seiner Beurteilung im Auge hat. 


IV. (Ueber die Entwickelung des Terminbandels.) 


Zu der Frage: Seit wann, aus welchen Anlässen und auf welchen 
Börsenplätzen besteht thatsächlich mit oder ohne kodifizierte Usancen 
in Oesterreich ein börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaft- 
lichen Erzeugnissen ? hat sich Stimmeneinhelligkeit in der Richtung 
ergeben, daß Wien derzeit der einzige österreichische Börseplatz 
mit Terminhandel in den genannten Waren ist; da Galizien keine 
Börse hat, haben wir hier auf die dort üblichen, natürlich außer- 
börslichen Geschäftsformen nicht einzugehen, so interessant und 
charakteristisch sie auch an sich sind. Weiter wurde so ziemlich 
allgemein anerkannt, daß Termingeschäfte im eigentlichen Sinne 
und in größerer Zahl sich erst seit der Mitte der 70er Jahre nach- 
weisen lassen. Als denjenigen, der zur Einführung derselben die 
erste Anregung gegeben hat, als Vater des Wiener Getreidetermin- 
handels, hat sich Herr Börsenrat Berthold Schwitzer bekannt (IV. 
Gr. S. 54), der seine auf den Terminhandel bezüglichen Erinnerungen 
bis zum Jahre 1867 zurückverfolgen konnte, aber nicht für den Wiener 
Platz; für Wien bezeichnete er das Jahr 1875 oder das Jahr 1876 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 299 


als dasjenige, in dem zuerst solche Geschäfte, und zwar über Hafer, 
abgeschlossen wurden. Schwitzer ist in dieser Sache zweifellos 
klassischer Zeuge, es verdienen daher auch seine genauen Darlegungen 
über die Entwickelung des Wiener Termingeschäftes und seiner 
Formen für jeden, der die Wiener Verhältnisse oder die Geschichte 
des Terminhandels im allgemeinen studieren will, volle Beachtung. 
Hier aber kann ich mich darauf nicht näher einlassen. — Die Be- 
urteilung der sachlichen Gründe für die Einbürgerung dieser Ge- 
schäftsform zeigt nichts weniger als eine Uebereinstimmung der 
Meinungen. Die eine Partei erklärte den Terminhandel als die 
selbstverständliche Folge der modernen Verkehrsverhältnisse, ge- 
bieterisch und unabweislich von diesen gefordert; die andere 
sah in ihm dagegen ein künstliches Produkt der Spekulation, 
geschaffen, um dieser immer breitere Gebiete zu erobern und immer 
reichere Gewinne dem rücksichtslos die Interessen der Produktion 
und des Konsums zertretenden Spekulantentume zuzuführen. Es 
fehlte aber auch nicht an Stimmen, welche zwar die naturgemäße 
Entstehung dieser Handelsform zugaben, aus dieser Anerkennung aber 
nicht den Schluß zogen, daß sie deswegen auch sakrosankt sei; auch 
sie könne einmal notwendig und nützlich gewesen sein, diese Eigen- 
schaft aber nachträglich verloren haben und zwar sowohl in Folge 
von Aenderungen in den äußeren Verhältnissen, als auch in Folge 
von inneren Wandlungen der Geschäftsform selbst und von Aus- 
wüchsen, die sich aus ihr entwickelt haben. Diese Anschauung habe 
auch ich vertreten; ich konnte das um so leichter und um so eher 
mit Erfolg thun, als mir meine Klassifizierung von vornherein die 
Möglichkeit bot, auch in diesem Punkte ein einheitliches Urteil zu 
vermeiden. Es schien mir hier am Platze, darauf aufmerksam zu 
machen, daß die wirtschaftliche Entwickelung ständige Wandlungen 
in den von ihr geschaffenen Einrichtungen bedinge, die aber nicht 
immer nur durch rein wirtschaftliche Prozesse veranlaßt werden 
müssen, sondern auch durch politische Erwägungen und sittliche 
Forderungen, also durch Wechsel in den sittlichen Anschauungen 
und in dem Einflusse, den man diesen letzteren auf die Wirtschaft 
zugesteht, verursacht werden können. 

Nach diesen allgemeinen Bemerkungen möchte ich die Aus- 
führungen einiger Experten zu diesem wichtigen Punkte gedrängt 
wiedergeben, um damit einen Einblick in die Atmosphäre zu ge- 
währen, in welcher die Enquete stattfand, und welche für ihren Ver- 
lauf bedeutungsvoll war. Bei keinem Fragepunkte konnte der „Geist 
der Zeiten“ so entschieden zu Tage treten, wie bei diesem. Ich 
wähle absichtlich ein paar recht weit voneinander abweichende 
Darlegungen. Auf der einen Seite steht Dr. Horovitz, der die 
Art der Entstehung des börsenmäßigen Termingeschäftes aus dem 
rein handelsrechtlichen Lieferungsgeschäfte unter Berücksichtigung 
der Veränderungen, welche diese letztere Geschäftsform durchge- 
macht hat, als eine ganz naturgemäße und unverfängliche schilderte 
(Gr. II, S. 207) und dabei den roten Faden in dieser Entwickelung, 


300 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


die immer wirksamere Gestaltung der Fungibilität sich deutlich 
sichtbar abwickeln ließ. Als letzten Entstehungsgrund erklärte er 
für die Wiener, wie für jede andere Börse „die unabweisliche Not- 
wendigkeit, sich mit Getreide für einen längeren als den gegen- 
wärtigen Zeitpunkt zu versorgen“, und das Bedürfnis einer großen 
Anzahl von Händlern, Produzenten und Konsumenten, Preis- 
erschütterungen möglichst vermieden zu sehen. Daß freilich, wie 
Horovitz zu meinen scheint, irgend ein europäischer Getreide- 
produzent wirtschaftlicherweise sein Getreide nach „Welthandels- 
preisen“ zu verwerten wünschen sollte, statt nach lokalen oder doch 
nationalen Preisen, ist meines Erachtens höchst unwahrscheinlich ; 
daher ist es auch unrichtig, daß für die Produzenten eine Organi- 
sation erwünscht sei, „welche jederzeit die Ausgleichung und Nivel- 
lierung der Preise sowohl örtlich an verschiedenen Centren, als 
zeitlich zwischen Gegenwart und Zukunft in einer jedermann klar 
ersichtlichen und allen leicht zugänglichen Weise zum Ausdruck 
bringt“, also der börsenmäßige Terminhandel, dem Horovitz diese 
Eigenschaften zuerkennt. Darin liegt meines Erachtens ein großer 
Irrtum, denn die Forderung nach Sicherung einer nationalen 
Preisbildung auf Grundlage der nationalen Produktionskosten, also 
so ziemlich das Gegenteil des von H. Gesagten, muß unter den 
heutigen Verhältnissen ein dringender Wunsch der am Getreide- 
absatze interessierten landwirtschaftlichen Produzentenkreise sein; 
ihnen muß aber ebenso das Recht zustehen, ihre privatwirtschaft- 
lichen Forderungen aufzustellen und zu vertreten, um so mehr als sie 
ja die einer großen, im Wesen in dieser Richtung solidarischen Be- 
rufsgruppe sind, wie man dieses Recht bereitwilligst den industriellen 
und Handelskreisen eingeräumt wissen will. Wäre nicht diese Ver- 
schiedenheit in der Auffassung und in den Interessen gegeben, so 
würde ja überhaupt kaum ein Kampf gegen den Terminhandel als 
solchen geführt werden. Die von Horovitz geschilderte Entwickelung 
ist auch meiner Ansicht nach eine naturgemäße, aber sie ist un- 
streitig bald eine der Landwirtschaft feindliche geworden; letztere 
hat die Sachlage rasch erkannt und daher begonnen, den Termin- 
handel zu bekämpfen und zu fordern, es sei dafür zu sorgen, daß 
die Kosten der modernen Verkehrsentwickelung nicht ganz auf ihre 
Schultern gewälzt werden. Bei diesem Kampfe mag man ja manch- 
mal zu weit gegangen, vielleicht auch ab und zu nicht haltbare 
Stellungen eingenommen haben. Daß aber der Kampf an sich ent- 
brannte, ist um so begreitlicher und entschuldbarer, als man ja in 
unserer Zeit sich die Gesellschaft immer mehr als eine Summe von 
im Streite stehenden Berufsgruppen vorstellt und damit den or- 
ganischen Zusammenhang der ganzen Volkswirtschaft negiert. In 
Oesterreich speciell, einem Staate mit noch immer vorwiegend land- 
wirtschaftlicher Bevölkerung müssen, selbst wenn man diesen übrigens 
ganz gewiß irrigen Standpunkt als berechtigt ansieht, die wohler- 
wogenen Interessen eben der landwirtschaftlichen Berufsgruppe in 
den Vordergrund gerückt, in erster Reihe berücksichtigt werden; 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 301 


hierdurch entspricht man nicht nur der Gerechtigkeit, sondern man 
fördert auch alle anderen Berufsklassen, die ja eben infolge jenes, 
heute so oft übersehenen organischen Zusammenhanges aus dem 
Wohlstande der hauptsächlichsten Abnehmer ihrer Produkte auch 
ihren Vorteil haben werden; es muß gewiß ein allseitiges Nachgeben 
Platz greifen, auch jene zahlreiche Bevölkerungsklasse darf nicht 
einseitige Förderung erfahren, aber sie muß in erster Linie berück- 
sichtigt werden. — Wird also nachgewiesen, daß eine Institution des 
heutigen Verkehrslebens diese zahlreichste Bevölkerungsklasse schwer 
schädigt, für sie verderblich geworden ist, ohne den anderen einen 
volkswirtschaftlich wenigstens gleichwertigen Vorteil 
zu bieten, so muß sie entweder beseitigt oder so reformiert werden, 
daß sie nicht nur berufs-, sondern auch volkswirtschaftlich wieder 
nützlich werde. So lange dies nicht erzielt ist, ist sie nicht existenz- 
berechtigt, mag sie noch so naturgemäß entstanden sein. Damit ist 
aber das Beweisthema für beide Parteien gegeben. — Ich habe in 
meinen Ausführungen in der Enquête nachzuweisen versucht, daß 
alle Bevölkerungsschichten ein Interesse daran haben, daß die 
agrarischen Produkte in ihren Preisen nicht unter den Produktions- 
kostensatz fallen, auch die Konsumenten, die ja fast ausnahmslos 
in irgend einer Richtung auch Produzenten sind, daß aber ebenso 
niemand ein Steigen der Preise über ein gewisses Maß hinaus be- 
anspruchen dürfe. Ich will diese meine Ausführungen hier nicht 
wiederholen, weil ich ja meine persönlichen Meinungen nur in der 
Kritik fremder Auffassung, nicht aber in Form einer selbständigen 
Darstellung zur Geltung bringen will. Drückt also der Termin- 
handel in seiner heutigen Form die Preise unter den Satz der Pro- 
duktionskosten, liegt eine solche Tendenz in seinem Wesen oder 
haftet sie ihm doch unter bestimmten, häufig vorkommenden Ver- 
hältnissen an? In dieses Beweisthema wandelt sich im konkreten 
Falle das oben aufgestellte um; mit seiner Beantwortung ist das 
Los des Terminhandels, so wie er jetzt ist, entschieden. 

Robert Sand ging in seinen Darlegungen über unseren Frage- 
punkt auf zwei Edikte der holländischen Generalstaaten aus dem 
Jahre 1610 zurück, durch welche bereits eine damals neue Art des 
Aktienkaufes, eine Art Termingeschäft in Aktien der ostindischen 
Kompagnie stigmatisiert wird. Er betrachtet die Wiener Produkten- 
börse als einen Sprößling der Effektenbörse, entstanden unter dem 
Einflusse einer damals in der Regierung herrschenden, sogenannten 
liberalen Strömung und unter kräftiger Förderung des durch die 
Banken und die Effektenbörse repräsentierten, beweglichen Kapitals; 
hierdurch sei die Börse zu einem Wettrennplatze um leichten und 
großen Gewinn und so sei in Wien der Terminhandel in land- 
wirtschaftliche Produkte eingeführt worden. Es erfasse mit seinen 
Fangarmen alle jene Produkte, deren Produzenten wirtschaftlich 
schwach und schlecht oder gar nicht organisiert seien. — Für 
Sand ist also schon der letzte Entstehungsgrund des Terminhandels 
ein sittlich und volkswirtschaftlich verwerflicher, das Kind war 


302 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


schon in Sünden gezeugt. Obwohl ich nicht glaube, daß Sand ganz 
recht habe, und obwohl ich glaube, daß der Terminhandel sich 
früher oder später auch ohne jene Faktoren eingebürgert haben 
würde, ja sich vermutlich wirklich ohne sie eingebürgert hat, 
höchstens unter nebensächlicher Mitwirkung derselben, so kann ich 
doch nicht leugnen, daß wenigstens an der Weiterentwickelung der 
Institution und an den Mißbräuchen, die sich aus ihr im Laufe der 
Zeit ausgestaltet haben, eine all zu sehr fessellos gelassene Ver- 
folgung der einseitigen Gewinnsucht des mobilen Kapitales mit- 
schuldig ist. 

Reichsritter Simitsch v. Hohenblum, der vielleicht tem- 
peramentvollste Verfechter der agrarischen Interessen, ging noch 
schärfer vor, als der ruhig nnd streng sachlich abwägende Sand 
und sagte wörtlich: „Was.... den Anlaß betrifft, warum der 
börsenmäßige Terminhandel auch an die Produktenbörse verpflanzt 
wurde, so liegt derselbe vor allem darin, daß die internationale, 
großkapitalistische Getreidespekulation dadurch unabhängig von der 
Erzeugung und dem Konsum, unabhängig vom reellen Angebote und 
der effektiven Nachfrage wurde, und im Interesse der jeweiligen 
Spekulationsrichtung dem Weltmarkte von ihren grünen Spieltischen 
aus beliebige Getreidepreise diktieren kann. Damit ist auch die 
Möglichkeit gegeben, das mit jeder Getreidespekulation verbundene 
Risiko auf fremde Schultern zu übertragen. Ein weiterer Grund 
für die Einführung des börsenmäßigen Terminhandels an den 
Börsen für landwirtschaftliche Erzeugnisse liegt darin, daß land- 
wirtschaftliche Erzeugnisse sich schon aus dem Grunde vorzüglich 
als Unterlage für eine Börsenspekulation eignen, weil eine gänzliche 
Entwertung derselben niemals eintreten kann, ..... ” Dr. Weis- 
hut’s Gutachten klingt wie eine Polemik direkt gegen v. Hohen- 
blum, wenn er sagt, man jage einer falschen Richtung nach, wenn 
man den Terminhandel so, wie er sich bis jetzt ausgebildet habe, als 
ein künstliches Gebilde bezeichne und wenn man sage, daß er zu 
- Spielzwecken geschaffen worden sei; nicht das Spiel habe den 
Terminhandel, sondern der Terminhandel habe das Spiel erzeugt 
oder wenigstens gefördert, er sei nichts anderes, als eine Etape in 
der Entwickelung des Nahrungsmittelverkehrs, ein Geschäft, das 
sich aus den Eigentümlichkeiten der Ware herausgebildet habe 
und das allerdings zum Spiele geradezu herausfordere, wenn den 
Mißbräuchen nicht gesteuert werde. — Ich hätte hierzu nur zu 
bemerken, daß die Eigentümlichkeiten der Waren wohl nur insofern 
und so weit für die heutige Form des Terminhandels verantwortlich 
gemacht werden können, als manche Getreidesorten ihrer Natur 
nach einen gewissen Grad von Fungibilität besitzen; diese Fungi- 
bilität ist aber im Interesse des Terminhandels und den Eigen- 
tümlichkeiten der Ware zuwider künstlich ins Ungemessene er- 
weitert worden, indem man für jede Getreidesorte eine einzige 
Type von, wie wir sehen werden, ganz ungenügend bestimmten 
Eigenschaften usancenmäßig als Objekt des Terminhandels erklärte. 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 303 


Aus der Fülle der Meinungsäußerungen, welche die Enquête 
zu diesem Punkte geliefert hat, möchte ich der Kürze wegen nur 
noch wenige Bemerkungen hervorheben, die meines Erachtens von 
allgemeiner Bedeutung sind und daher hier Platz finden dürfen 
und müssen. 

Während Dr. Landesberger den Entstehungsgrund des 
Terminhandels in dem Bestreben der Kaufleute, sich vor den 
Gefahren der Konjunktur zu sichern, fand, erklärte ihn Prof. 
Karl Adler als aus dem Zeitgeschäfte und seinem Mißbrauche in 
der Spekulation entstanden, und suchte Dr. Kienböck eine ähnliche 
Ansicht durch den Hinweis auf die abstrakte Usancenware zu stützen. 
Sollten sich solche Meinungsverschiedenheiten nicht einfach daraus 
erklären, daß in dem landläufigen Begriffe des Terminhandels 
verschiedenartige Geschäfte stecken, die weder in ihrem Wesen, 
noch in ihrer Entstehung einheitlich sind? Daß Dr. Weiss 
v. Wellenstein, einer der namhaftesten Vertreter der Börse, 
sich vollständig den Ausführungen Schwitzer's angeschlossen hat, 
sei nur nebenbei erwähnt. Der bekannte Politiker, Handelskammer- 
sekretär Dr. Otto Lecher, erkennt die Handelsform des börsen- 
mäßigen Termingeschäftes nicht als einen Ausdruck des realen, 
effektiven Verkehres an, weil technisch und juridisch in Oesterreich 
die Vorbedingungen für jenes Geschäft fehlen; es sei weder in den 
Anbauverhältnissen der Landwirtschaft, noch in den Verkehrs- und 
Absatzverhältnissen begründet; diese Handelsform des Weltmarktes 
sei uns höchst wahrscheinlich durch das Auftreten der amerikanischen 
Konkurrenz aufgezwungen worden, der gegenüber der österreichische 
Getreidehandel, damals noch ein Exporthandel, konkurrenzfähig zu 
bleiben trachtete. Damals wurde der Terminhandel, eine welt- 
kapitalistische Handelsform künstlich importiert; eben deshalb hat 
er sich nie zu einem organischen Verkehrsgliede herausgebildet, und 
ist er jetzt, da wir in den ihm anheimgefallenen Produkten keinen 
nennenswerten Export mehr haben, zu einem Anachronismus 
geworden. — Diese Anschauungen kann ich zwar, wie sich aus dem 
oben Gesagten ergiebt, nicht als entscheidend anerkennen, ich ge- 
stehe aber, daß sie sehr der Erwägung wert und daß sie um so 
bedeutungsvoller sind, weil sich damit und in seinen weiteren Aus- 
führungen ein sonst „liberaler“ Politiker auf einen Standpunkt 
gestellt hat, der sonst von doktrinären Verfechtern liberaler Partei- 
maximen nicht eingenommen wird. 

Zum Schlusse muß ich noch einen Experten, Vertreter der 
Mühlenindustrie, Amand Fuhrich nennen, der in seinen Dar- 
legungen einerseits eine geradezu erdrückende Fülle von Material 
beibrachte, und sich andererseits durch ungewöhnliche Schlagfertig- 
keit hervorthat. Nach seiner Anschauung ist der Terminhandel (er 
verstand darunter immer das Terminspiel) nicht aus der Notwendig- 
keit oder den Bedürfnissen der Landwirtschaft, des Effektivgetieide- 
handels und der landwirtschaftlichen Industrie herausgewachsen, 
sondern ausschließlich für die Zwecke einer Anzahl von Personen 


304 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


eingeführt worden, welche diese Art von Geschäft meisterhaft zu hand- 
haben und auszunützen verstanden, um sich ohne Arbeit einen mühe- 
losen und reichen Erwerb zu sichern. 


V. (Wirkungen des Terminhandels.) 


Zu dieser Frage muß ich mir einige Vorbemerkungen erlauben, 
um so mehr als gerade sie naturgemäß die stärksten Meinungs- 
verschiedenheiten zu Tage förderte. Nicht nur das große Problem, 
ob die heutigen Verkehrsverhältnisse lokale oder doch nationale 
Preise für Welthandelsartikel noch als möglich erscheinen lassen, 
ob also die Forderung von Maßregeln, welche die Bildung solcher 
nationaler Preise sicherstellen sollen, erfüllbar und dann ob sie be- 
rechtigt ist, nicht nur die Frage, welche Maßregeln in diesem Sinne 
wirksam und volkswirtschaftlich heilsam sein können, kam 
hier zur Sprache, sondern auch die engere Frage, ob der Termin- 
handel als eine weltwirtschaftliche Geschäftsform die Tendenz 
habe, die Preise zu drücken, und zwar unter jenen Satz, den sie 
ohne Terminhandel erreichen würden, jedenfalls aber unter denjenigen, 
den ein rein nationaler Markt ergeben müßte, und zwar ohne daß 
die nationalen Produktionskosten als unüberschreitbare Untergrenze 
hierbei wirksam werden müßten. Diese letztere Frage wird gewöhn- 
lich äußerst unklar und vieldeutig gestellt. Wenn man einfach frägt, 
ob der Terminhandel eine „baissierende Tendenz“ habe, so setzt 
man sich der Gefahr aus, die abweichendsten Antworten zu erhalten, 
die aber ganz gut alle richtig sein können. Es ist selbstverständ- 
lich nicht wahr, daß der Terminhandel so auf die Preise wirke, daß 
dieselben graphisch dargestellt, eine im großen und ganzen nach 
abwärts tendierende Kurve, die schließlich auf dem Preisnullpunkte 
anlangen würde, bilden; eine solche Auffassung ist der großen 
Oeffentlichkeit aber gar nicht fremd und die obige Art der Frage- 
stellung ist sehr geeignet, zu ihr zu verführen. 

Ebenso halte ich es für durchaus nicht richtig, daß unter der 
baissierenden Tendenz des Terminhandels eine solche Einwirkung 
auf die Preise verstanden werde müsse, welche vielfältiges, ja sogar 
endgiltiges Gelingen von Haussespekulationen, eine der Hauptsache 
nach nach oben tendierende Preiskurve ausschließen würde. 

Ich halte die Fragestellung nur dann für richtig, wenn sie dahin 
geht, ob der Terminhandel die Tendenz habe, immer oder unter 
gewissen häufig zutreffenden Voraussetzungen die Preise des Ge- 
treides niedriger zu stellen, als sie wären, wenn ausschließlich 
Effektivhandel bestünde, also so wie ich die Frage weiter oben 
formuliert habe. Unter diesen Voraussetzungen ist entscheidend die 
allgemeine Tendenz des Marktes; heute wirkt nun die letztere im 
Sinne der Preisabnahme; die wichtigsten Ursachen dafür sind die 
enorme Erweiterung der Bezugsgebiete und die Beschleunigung und 
Verbilligung des Transportes. Nun ist die Frage, ob diese Ur- 
sachen durch das Hinzutreten des Terminhandels in ihrem Einflusse 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 305 


gefördert werden oder nicht und diese Frage habe ich bejaht. Viel- 
leicht anders läge die Frage, wenn jene allgemeine Tendenz eine 
andere wäre; ob dann die Preissteigerung durch den Terminhandel 
gehemmt oder gefördert würde, das müßte besonders untersucht 
werden; hierzu liegt aber leider bis auf weiteres gar keine Ver- 
anlassung vor, weil gar keine Aussicht besteht, daß die aktuelle 
Tendenz sich ändere. Unsere Fragebeantwortung ist bei dieser Sach- 
lage wesentlich vereinfacht; freilich reiht sich aber noch eine weitere 
Aufgabe an, die nämlich, zu untersuchen, ob die zum Teil durch 
den Terminhandel verursachte Nivellierung der Preise von Markt 
zu Markt, also die räumliche Abgleichung derselben, auch eine ver- 
größerte, zeitliche Stabilität, ein Seltenerwerden und eine Mäßigung 
der Schwankungen an einem und demselben Markte mit sich bringt. 

Es ist nicht möglich, daß ich alle die wertvollen Beiträge, welche 
zur Lösung dieser — von mir verneinten — und der obigen Frage 
die Enquête geliefert hat, wiedergebe; ich würde in diesem Falle 
viel zu viel Raum benötigen; daher beschränke ich mich darauf, 
die meines Erachtens wissenschaftlich wichtigsten Ausführungen — 
und das waren wohl vorwiegend die der Theoretiker — zu be- 
sprechen, ohne aber die Praktiker deswegen ganz unberücksichtigt 
zu lassen; es wird sich ja wiederholt Gelegenheit geben, auf Ein- 
wendungen derselben gegen die theoretischen Erörterungen zurück- 
zukommen. 

Zuerst muß ich mich mit Hofrat Prof. Dr. v. Juraschek 
auseinandersetzen, der insbesondere das statistische Material als für 
die Entscheidung der Frage maßgebend heranzog und in seiner 
Eigenschaft als Kommissionsmitglied wiederholt Gelegenheit hatte, 
dasselbe eingehend und sachgemäß zu erläutern und die Richtig- 
keit der Daten zu vertreten. Hier handelt es sich um eine methodo- 
logische Frage von größter Tragweite, die auf das innigste zusammen- 
hängt mit dem Sinne, den man dem ganzen Probleme giebt. Ich 
fasse es so, wie oben dargelegt, auf und finde mich dabei im Ein- 
klange mit Prof. Adler (III. Gr. S. 529). Ist diese Auffassung richtig, 
so kann leider die verfügbare Statistik so gut wie nichts zur Lösung 
beitragen, weil sie uns keinerlei Vergleich ermöglicht zwischen 
gleichzeitigen Preisen einer und derselben Warenqualität, wie 
sie sich auf dem Terminmarkte und auf von dem Terminhandel un- 
beeinflußten Märkten bilden. Die Schuld hieran trägt nicht die 
Statistik, sondern der Hauptsache nach einerseits die Thatsache, 
daß der Terminhandel durch die Notierung und Veröffentlichung 
seiner Preise alle, selbst die entlegensten Märkte, wenn sie irgend 
direkt oder indirekt in Verbindung mit dem Weltverkehre stehen, 
beeinflußt, und andererseits der Umstand, daß die Usanceware mit 
ihrer für die Bedürfnisse des Müllers und Getreidekonsumenten 
viel zu unbestimmten Qualitätsbezeichnung nicht verglichen werden 
kann mit den auf dem Effektivmarkte an den Börsen und auf den 
sonstigen Märkten gehandelten Sorten. Daß natürlich auch andere 
- Umstände die Vergleichbarkeit noch weiter erschweren, so z. B. der 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 20 


306 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


ja nicht immer gleich hohe Reportsatz, liegt auf der Hand. Be- 
sonders störend ist aber der Umstand, daß, während die Termin- 
preise stets nur ganz unbedeutende Spannungen aufweisen, diese 
bei den Effektivpreisen oft sehr groß sind und selbst für die Be- 
rechnung eines Durchschnittes — ein übrigens unter allen Umständen 
bedenkliches Auskunftsmittel — die notwendigen Anhaltspunkte 
fehlen. — Damit wäre eigentlich die Statistik für unser Problem 
als ganz unverwendbar erklärt; vor allem sind es natürlich alle 
Durchschnitte aus zeitlich aufeinandergefolgten Preisnotierungen, die 
ja die Tagespreise verwischen und über den wirklichen Gang der 
Preisbewegung ein irreführendes Bild ergeben. Sie zeigen gewiß 
allgemeine Tendenzen, aber für unsere tief ins praktische Leben 
einschneidende Frage kommen nicht diese, sondern wenigstens weitaus 
vorwiegend nur Tagesnotierungen in Betracht; nur nach solchen 
wird effektiv gehandelt. 

Nichtsdestoweniger kann aber auch aus den vorliegenden Daten 
die Richtigkeit meiner These wahrscheinlich gemacht werden, selbst 
wenn man die ersteren ohne Vorbehalt hinnimmt. Es zeigt sich, daß 
die in den „Materialien“ zum Abdruck gebrachten Tagesnotierungen 
der Wiener Börse fast durchaus die Maxima der Terminpreise nied- 
riger ausweisen, als die Minima der Fffektivpreise desselben Tages. 
Wenn wir auf den Report, der die Terminpreise belastet, Rücksicht 
nehmen, so tritt dieses Verhältnis noch schroffer hervor. Es frägt 
sich nun, wie sich das erklärt. Daß der Terminhandel auf die Preise 
einwirkt, ist an sich insoweit selbstverständlich, als die Preise der 
Terminware in Frage stehen; aber auch die Preise im effektiven 
Lieferungsgeschäfte und im Promptgeschäfte der Börse werden 
wohl in der Regel durch die Terminnotierung des Vortages beein- 
flußt werden, schon wegen der zuverlässigen Fingerzeige über die 
bevorstehende Preisentwickelung, die man in ihr sehen will; Ange- 
bot an und Nachfrage nach effektiver Ware werden ja mehr oder 
weniger davon beherrscht. Dasselbe gilt aber auch vom Lieferungs- 
und Promptgeschäfte außerhalb der Börse. Wie in der Enquete 
vielfach festgestellt und, soviel ich weiß, auch ziemlich allseitig an- 
erkannt worden ist, weist der Händler dem Getreideproduzenten 
stets die Termin- und nicht die Promptnotierungen vor; das er- 
leichtert ihm der Umstand, daß viele kleinere, insbesondere Provinz- 
blätter außer am Samstag nur die ersteren mitteilen; es ist aber in 
gewissem Sinne auch sein gutes Recht, weil er ja die gekaufte 
Ware auch nicht immer gleich wieder absetzen kann, in der Regel 
doch vorerst auf einen Markt bringen, also mit den Preisen einer 
mehr oder weniger fernen Zukunft rechnen muß. Daß der Händler 
dem Produzenten nicht den ganzen Terminpreis zahlt, ist teilweise 
auch berechtigt, es scheint aber, daß er bei dieser Kürzung nicht 
selten seine stärkere Position mißbraucht und den Abzug über Ge- 
bühr groß macht. 

Unter welchen Einflüssen bildet sich nun aber der Terminpreis 
und wie sieht es mit seiner signalisierenden Funktion aus? 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 307 


Das Differenzspiel löst das Angebot vollständig von den 
realen Versorgungsvorräten und die Nachfrage vom wirklichen Be- 
darfe los; ganz willkürlich große Produktenmassen, die jeden 
Augenblick sich nach Belieben der Spekulanten ändern können und 
für die keinerlei kaufmännische Verantwortung den Spekulanten 
trifft, können nominell auf den Markt geworfen und dort gesucht 
werden. Die Preise bilden sich nicht nach realem Angebote und 
realer Nachfrage, sondern nach rein fiktiven Verhältnissen. Diese 
in so ganz unwirtschaftlicher Weise gebildeten Preise üben auf die 
amtliche Notierung Einfluß; sie können um so schwerer bei derselben 
außer Betracht bleiben, als man ja — wie von den Herren der Börse 
in der Enquête mehrfach behauptet worden ist — dem Geschäfte nicht 
immer auf den ersten Blick ankennt, daß es ein Spiel sei. Man 
kann vielleicht sagen, daß im Differenzgeschäfte die wilde Preisbil- 
dung weder eine ständige Tendenz nach oben, noch eine solche nach 
unten zu zeigen brauche, da sie fast ganz von thatsächlichen Um- 
ständen absähe; das ist aber nicht ganz richtig, denn wenn in den 
allgemeinen Verhältnissen die Neigung zur Preisabnahme vorwiegt, 
so wird sich auch das Differenzspiel diesem realen Faktor nicht ganz 
verschließen und wenigstens im großen die Preissenkung noch ver- 
stärkt zum Ausdrucke bringen. Besonders wichtig ist aber der Um- 
stand, daß es die zweite Form des Termingeschäftes, das Siche- 
rungsgeschäft ist, welches einen enormen — zum Teil allerdings 
nur, ich möchte sagen potentiellen — Import ausländischer Ware 
auch auf die Gefahr hin, dafür keinen Absatz oder doch keinen 
gewinnbringenden Absatz zu finden, ermöglicht; es ermöglicht eine 
kolossale Hebung des Angebotes an sich und dann auch dadurch, 
daß eine und dieselbe Warenmenge nun wieder holt als Verkaufspost 
im Angebote figurieren kann, während sie stets zum mindesten um 
einmal seltener — der ursprüngliche und erste Ankauf ist ja im 
Auslande erfolgt — in der Nachfrage wirksam wird. Diese meines 
Erachtens an sich gesundeste Funktion des Terminhandels — gesund, 
solange unsere eigene Produktion den nationalen Bedarf nicht selbst 
zu decken vermag und wir auf fremdes Getreide angewiesen sind — 
muß also naturgemäß und nach den allgemeinen Preisgesetzen dahin 
wirken, daß der Preis der Terminwaren sich niedriger stelle, als er 
sich stellen würde, wenn die Sicherungsfunktion nicht bestände. — 
Das ist der neue Grund, warum ich und mit mir mehrere andere 
Experten eine baissierende Tendenz des Terminhandels als gegeben 
erachten, und zwar um so mehr, als ja, je größer die Gefahr einer 
zukünftigen Preisabnahme ist, je mehr also die allgemeine Tendenz 
sich zur Preissenkung neigt, um so mehr von der Sicherung Gebrauch 
gemacht werden dürfte — die berufsmäßigen Importeure können ja 
ihr Geschäft in solchen Fällen nicht aufgeben — und andererseits, 
weil, wenn sie da ist, trotz der ungünstigen Aussichten Importe 
stattfinden können, die sonst unterbleiben müßten. Also auch in 
solchen Fällen, in denen der nationale Produzent eines besonderen 
Schutzes bedürfte und hierauf einen besonders großen Anspruch 

20* f 


308 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


hätte, findet er ihn nicht und zwar deswegen nicht, weil sich der 
Importeur sichern kann. Leute, die ihm dabei entgegenkommen 
und ihm die Verkäufe ermöglichen, findet er ja immer, denn die 
Hoffnung stirbt nie aus und es giebt immer Preisoptimisten, die 
sich ja übrigens auch immer wieder sichern können. — Und da 
liegt noch obendrein nicht einmal etwas unkorrektes, kaufmännisch, 
d. h. hier individualwirtschaftlich Verwerfliches vor; ein volkswirt- 
schaftlich, soziales Gewissen muß sich ja erst bilden. 

Es ist wohl überflüssig, zu bemerken, daß beim effektiven 
Lieferungsgeschäfte die oben angedeuteten Umstände nicht zutreffen 
können. 

In zweiter Reihe ist es die Unbestimmtheit der einen und ein- 
zigen Warentype, was naturgemäß den Preis drücken muß (s. auch 
Prof. Pilat IX, 747). Die Type ist notwendig, damit das Geschäft 
fungibel sei; existiert nur eine, so ist es um so fungibler, und ist 
diese eine noch der Qualität und Verwendbarkeit nach unbestimmt, 
so ist die Fungibilität zum höchsten Maße gesteigert. Um so 
leichter ist es aber auch, die Ware im Notfalle wirklich zu beschaffen, 
um so geringere Gefahr läuft der Spekulant sowohl, als auch der sich 
sichernde Kaufmann, im äußersten Fall seiner Verpflichtung zu 
wirklicher Lieferung nicht nachkommen zu können; um so leichter 
kann also spekuliert, um so leichter kann von der Sicherungsfunktion 
Gebrauch gemacht, um so massenhafter kann die Ware auch ohne 
Bedarf auf den Markt geworfen werden. — Wenn überdies die Type 
sich mit in der Regel geringwertigem Produkte deckt, so giebt 
dieses die Basis auch für die Preise im effektiven, nach Börse- 
usancen gehandelten Lieferungsgeschäft und drückt es den Preis 
auch für bessere Ware. Ich möchte sehr daran zweifeln, daß der 
Händler dem Bauern oder mittleren Grundbesitzer die Möglichkeit 
einräumt, sein Getreide, der höheren Qualität desselben entsprechend, 
auch demgemäß teurer loszuschlagen; um so weniger wird der 
erstere dies thun, wenn er es versteht, von dem Umstande Ge- 
brauch zu machen, daß die Qualität des Usancegetreides eben eine 
unbestimmte ist. Ich kann nicht daran glauben, daß, wie aus Börsen- 
kreisen behauptet worden ist, der Bauer gescheidter oder doch ziel- 
bewußter vorgehe, als der Händler und vor allem glaube ich das 
nicht für den nur zu häufigen Fall, daß der Bauer oder der mitt- 
lere Grundbesitzer in einer Zwangslage verkauft. In einer solchen 
wird er sich aber nur zu oft befinden, so lange diese Klassen der 
Grundbesitzer nicht organisiert sind und so lange nicht das Lager- 
hauswesen eine entsprechende Ausgestaltung erfahren hat. Der 
Zeitpunkt des Verkaufes, ob dieser gleich nach der Ernte erfolgt 
oder erfolgen muß, oder später, ist hier gar nicht entscheidend; die 
Zwangslage kann an jedem Tage des Jahres eintreten und unter 
Umständen wohl auch geradezu dadurch verschärft werden, daß der 
Bauer, solange es eben noch anging, hoffnungserweckenden Signalen 
des Terminhandels vertraut und daher sein Produkt zurückgehalten 
hat. Ueber die Qualität der Type werde ich übrigens noch später 


I 
Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 309 


sprechen. Ein dritter Umstand, der meines Erachtens die baissie- 
rende Tendenz des Terminhandels noch weiter verstärkt, ist der, 
daß der präsumtive Verkäufer am Terminmarkte wohl in der Regel, 
weil er sich ja decken muß, oder aus anderen Gründen viel inten- 
siver mit seinem Angebote auftreten dürfte, als der Käufer mit 
seiner Nachfrage, die er ja in den meisten Fällen, wenn die Ware 
ihm heute nicht billig genug ist, auch morgen oder übermorgen 
geltend machen kann. Braucht er die Ware wirklich und effektiv, 
so braucht er sie doch erst in späterer Zeit und da verschlägt es 
wenig, ob das Geschäft ein paar Tage früher oder später abge- 
schlossen wird. 

Das sind meines Erachtens die allgemeinen ökonomischen 
Gründe, welche unter der Voraussetzung einer in der Natur der 
äußeren Verhältnisse gelegenen Tendenz zur Baisse die oben an- 
gedeutete, preisdrückende Wirkung hervorrufen können und in der 
Regel mit sich bringen müssen. Ich werde bei Besprechung der 
Ansichten Prof. Adler’s noch andere schwerwiegende Umstände 
hervorheben können, die in derselben Richtung wirken. Nach seiner 
Auffassung sind die Börsenusancen nur auf die Baisse zugeschnitten. 
Vorher aber noch einige Worte über die sogenannte signa- 
lisierende Funktion des Terminhandels. Es wurde behauptet, 
daß der Terminmarkt vermöge seiner Einrichtung einem Barometer 
zu vergleichen sei; er fühle die zukünftige Preisbewegung und 
die sie beeinflussenden Zukunftsthatsachen voraus, und zwar von 
Jahr zu Jahr mit größerer Sicherheit. Er bringe dieselben in 
seinen Notierungen zum Ausdrucke und gebe damit den Produzenten, 
Händlern, Müllern und sonstigen Konsumenten einen meist untrüg- 
lichen und immer zuverlässigeren Wink darüber, ob sie ihre Ware 
zurückhalten oder verkaufen, ob sie kaufen oder mit dem Kaufe 
warten sollen. Von den Notierungen, der heutigen Art ihrer Ent- 
stehung und darüber, ob sie so der genaue Ausdruck der Marktlage 
an dem betreffenden Börsentage sind, werde ich später sprechen; 
ich will jetzt annehmen, sie seien es wirklich und von diesem 
Standpunkt aus die obige Behauptung untersuchen. Die Marktlage 
an einem bestimmten Tage ist gewiß leichter zu übersehen und zu 
beurteilen, als diejenige irgend eines zukünftigen Zeitpunktes, und 
doch, wie wenige selbst gewiegte Börsenmänner erkennen sie immer 
genau und richtig! Wie viele „Imponderabilien“ wirken da im 
Verborgenen, lösen sich oder lösen sich auch nicht und lassen ihren 
Ausdruck — zum Teil wenigstens dürften sie die Ursache davon 
sein — in den großen Preisspannungen bei derselben Warensorte (im 
Effektivgeschäfte) zurück. Wie oft verändern, momentan in den 
Börsensaal geschleuderte, wahre oder auch falsche Nachrichten, die 
Mitteilung der Börsenkurse anderer Plätze u. s. w. das ganze Bild. 
Und nun: Signale für die Zukunft, vom Januar oder Februar, ja auch 
vom April auf den Herbst, vom September auf den Frühling, wobei 
dann noch obendrein Herbst und Frühling je 2 Monate dauernde 
Kündigungsperioden bedeuten? Welche Sicherheit kann solchen 


310 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


innewohnen, wie wenig nur kann bei ihnen wirkliches Wissen zur 
Geltung kommen, wie stark spielen da vage Vermutungen, sub- 
jektive Empfindungen und mehr oder weniger unreelle Pläne 
zukünftiger Spekulationen mit! Bei näherer Betrachtung sinkt 
diese signalisierende Funktion meines Erachtens in das Nichts 
zurück, wenn man nämlich an ein vertrauenswürdiges Signalisieren 
durch den Terminhandel denkt. Betrachten wir die Sache etwas 
näher. Jeder Tag des Jahres, kann man sagen, ist irgendwo auf 
der Erde Erntetag, und je mehr sich die Kommunikationen aus- 
gestalten, um so weniger Produktionsorte giebt es, die nicht für jeden 
Konsumtionsplatz auf der Erde preisbeeinflussend wären oder sein 
könnten. Die Ernte an all diesen zahllosen Plätzen hängt von 
unendlich vielen Faktoren ab, die für den Menschen meist nur 
ganz undeutlich erkennbar sind und die sich abwechselnd günstig 
oder ungünstig gestalten. Die fertige Ernte eines Platzes gelangt 
mit einer von vornherein nicht genau zu bestimmenden Quote zum 
Export, oder es bleibt die ganze Ernte im Lande; viele Plätze 
müssen noch Produkte anderer an sich saugen. Tritt Export ein, 
so geht derselbe zunächst vielleicht in eine bestimmte Richtung, 
an einen bestimmten Platz, vielleicht aber auch schon gleich von 
allem Anfange an nach einem absolut unbekannten Teilungsschlüssel 
an mehrere Plätze, dort zerteilt er sich wieder, nachdem er sich 
möglicherweise mit Ernteteilen anderer Länder, mit Ernteresten 
früherer Monate gemischt hat; ein Teil dieser Teile kommt z. B. 
nach Wien, findet dort ältere Lagerbestände vor und hat zu er- 
warten, daß binnen kurzem neue Vorräte nachströmen. Die 
Nachrichten über all diese komplexen Prozesse werden selbst- 
verständlich immer schwerer zu übersehen, daher immer unklarer, 
sie werden immer mehr irrtümlicher Auffassung und betrügerischen 
Einflüssen zugänglich, sie werden also immer minderwertiger. Auf 
dem Wiener Platze z. B. läßt sich doch im Herbste noch absolut 
nicht voraussehen, welche Vorräte die verschiedenen Bezugsgebiete 
pro März, April und Mai zu den noch an Ort und Stelle vorhan- 
denen hinzufügen werden, wie viel für jeden Tag dieses zwei- 
monatlichen Termins der effektive und der Terminhandel loko Wien 
verfügbar machen werden. Genau dasselbe gilt vom Bedarf. Wie 
soll also der Terminpreis des Herbstes die Wiener Marktkonjunktur 
des Frühjahrtermins auch nur annähernd genau zum Ausdruck 
bringen? Oder sollte auch in diesem Sinne schon eine lokale Preis- 
bildung ausgeschlossen sein, sollte der Terminhandel wirklich darin 
seine Hauptbedeutung finden, daß er von den lokalen Verhältnissen 
ganz abstrahieren und einheitliche Weltpreise bilden läßt? Ich 
glaube, daß wir von einem solchen Zustande doch glücklicherweise 
noch weit entfernt sind, denn dieser würde die schreiendste Un- 
billigkeit hier für die Produzenten, dort für die Konsumenten 
bedeuten. Ich will hierauf nicht näher eingehen und konstatiere 
nur, daß ich auch in diesem Sinne eine zuverlässige Signalisierung 
durch den Terminhandel für ausgeschlossen halte, solange wenig- 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 311 


stens er so weit aussehende Termine, so breite Kündigungsfristen 
kennt und solange die Berichterstattung eine so vage und will- 
kürliche ist, wie heute. 

Aber auch aus den statistischen Daten läßt sich die Unzu- 
verlässigkeit der Signale erkennen. Von Tag zu Tag schwanken 
die Notierungen eines und desselben Platzes für denselben Termin, 
und so gut wie nie trifft die Voraussicht bei Eintritt des Termines 
zu. Wenn wir Notierungen pro Herbsttermin z. B. 1897 aus dem 
Frühlinge 1897 und dem Herbste 1897, oder gar solche für den 
Frühlingstermin 1897 im Herbste 1896 und im Frühling 1897 ver- 
gleichen und dabei den Report berücksichtigen, finden wir diese Be- 
hauptung erwiesen ; aber auch innerhalb der schon eingetretenen Ter- 
mine schwanken die Preise der Usancenware wild durcheinander. 
Schwitzer hat es versucht (VII und VIII Gr.), meine einschlägigen 
Behauptungen zu widerlegen; meines Erachtens hat er sie nur bestätigt, 
da es ein methodischer Fehler von ihm ist, wenn er die Ab- 
weichungen der Preise nach oben und unten Durchschnitte, also 
gewissermaßen Irrungsdurchschnitte berechnet und daraus Schlüsse 
zieht. Auch darauf kommt es nicht an, ob die signalisierten Preise 
von den nachmals wirklich eintretenden überholt werden oder nicht; 
geschieht das, so ist nur nachgewiesen, daß im allgemeinen die 
Neigung zur Hausse bestanden hat, nicht aber, daß hieran dem 
Terminhandel irgend ein Verdienst zukomme. Soweit bekannt, 
haben ja die Getreidepreise das ganze Jahr hindurch gewisse nor- 
male Bewegungstendenzen, wenigstens wenn eine normale Ernte 
innerhalb des Staatsgebietes erwartet werden kann und auch ein- 
tritt; das zeigt sich auf allen den Hunderten von Detail- 
märkten, von denen die statistische Centralkommission monatlich 
Ausweise veröffentlicht; diesen allgemeinen Tendenzen muß sich 
natürlich auf die Dauer auch der Terminhandel einigermaßen an- 
passen; ebenso wissen wir, daß Mitte April die Schätzungen der 
zukünftigen heimischen Ernte schon ziemlich zuverlässig sein können, 
ebenso wie die der nordamerikanischen; es ist also nicht zu ver- 
wundern, daß die Terminpreise gewisse Hausseperioden und ge- 
wisse Perioden leidlicher Zuverlässigkeit wenigstens im Verhältnisse 
zu anderen aufweisen, die Perioden reellerer Spekulation (Frühling 
auf Herbst); das beweist aber alles nichts für die Zuverlässigkeit 
der Signale im allgemeinen, die natürlich im Herbst pro Frühling 
oder im Januar pro Herbst noch bedeutend geringer ist, als im 
April oder Mai pro August. Ja wenn es einen Terminhandel nur 
in dieser letzteren Zeit gäbe! Aber auch in diesem Falle dürfte 
nicht übersehen werden, daß Irrungen auch nur um wenige Heller 
per Metercentner für den praktischen Landwirt schwer in die Wag- 
schale fallen können, und daß der Landwirt durchaus nicht immer 
in der Lage ist, einen Verlust beim heutigen oder beim diesjährigen 
Verkaufe durch einen Gewinn beim morgigen oder nächstjährigen 
auszugleichen; er befindet sich da nicht in der Lage des Händlers. 

Wenn die Signale des Terminhandels nun also ganz unzu- 


312 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


verlässig sind, so darf man .ihm seine signalisierende Funktion 
auch nicht zu Gute halten und man darf es nicht dulden, daß durch 
die öffentliche Bekanntmachung amtlicher Terminnotierungen Tau- 
senden und Tausenden unsichere oder von vornherein falsche Wege 
gewiesen werden. Es wären also die Terminpreise entweder 
gar nicht zu publizieren oder doch so, daß das Publikum über das 
Maß ihrer Glaubwürdigkeit, über ihren Wert — etwa durch eine An- 
merkung aufgeklärt wird. — Wir kommen nun zur Frage, ob die 
Terminpreise größere oder häufigere Schwankungen aufweisen, 
als die Effektivpreise. Theoretisch müssen wir diese Frage unbe- 
dingt bejahen, weil ja der Terminhandel, so als Differenzspiel, wie 
als Sicherungsgeschäft einen so fortwährenden und rapiden Wechsel 
in dem Warenangebote und der Nachfrage ermöglicht, wie er bei 
keinem Effektivhandel denkbar wäre; ja die räumliche Nivellierung 
der Preise, die ihm zugeschrieben wird, ist meines Erachtens 
überhaupt nur denkbar um den Preis verstärkter zeitlicher Schwan- 
kungen, die immer wieder durch äußere Thatsachen neue An- 
regungen erhalten. Statistisch ist es freilich sehr schwer, diese 
Behauptung nachzuweisen, einfach deswegen, weil vergleichbares 
Material fehlt. Die Angabe, daß sich in Berlin die Preisschwankungen 
nach Verbot des Terminhandels verschärft hätten, oder daß sie 
abgenommen haben — beides wird ja behauptet — beweist nichts, 
weil wir ja nicht wissen, wie die Preisbewegung in der betreffenden 
Zeit und unter den gerade damals gegebenen konkreten Thatsachen 
verlaufen wäre, wenn der Terminhandel in seiner alten Form fort- 
floriert hätte. Ebensowenig ist ein Vergleich der Preisbewegungen 
bei Terminware mit denen bei Promptware zulässig wegen der 
verschiedenen Qualitäten; er ist überdies kaum möglich wegen der 
großen Spannungen zwischen Maximum und Minimum der Prompt- 
preise und wegen der Verschiedenheit in der Art der Notierung 
beider Preiskategorien. Ich muß also auf einen ziffermäßigen 
Nachweis, so sehr mich auch das vorliegende Material verlocken 
mag, ihn dafür erbracht zu erklären, verzichten und mich mit der 
obigen theoretischen Begründung meiner Ansicht begnügen, die es 
immerhin wahrscheinlich macht, daß die Praxis der letzteren Recht 
giebt. — Ich habe damit meine Ansichten dargelegt und komme 
nun zu denen anderer Experten!). (Görski VIII 417.) 

In erster Reihe habe ich unter den Vertretern der von mir 
verfochtenen Ansicht Prof. Adler zu nennen (Gr. III, S. 528 ff.). 
Mit dem „Papier“weizen läßt sich nach seiner Auffassung der Preis 
der effektiven Waren drücken, weil er sich im Lieferungstermine 
in effektiven Weizen verwandeln kann und weil die Papierware 
deswegen billiger ausgeboten werden kann, als die effektive, weil 
sie im allgemeinen von den Kosten wirklicher Lieferung befreit ist; 


1) Der Kürze halber und weil ja in diesem Artikel nicht das Thema erschöpft, 
sondern nur die Ergebnisse der Enquête besprochen werden sollen, gehe ich auf die 
wissenschaftliche Litteratur über diesen Gegenstand hier nicht ein. 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 313 


(Görski VIII, S. 416); als Motiv für das billige Ausgebot ist die all- 
gemeine Tendenz des Zwischenhandels, den Produzenten zu unter- 
bieten, zu verzeichnen; diese macht es ihm möglich, den Konsum 
an sich zu fesseln. Vor allem ist es die Sicherungsfunktion des 
Terminhandels, wodurch der Preis herabgedrückt wird; wer eine 
Ware effektiv anschafft, sichert sich den Preis durch eine Kontremine- 
spekulation auf dem Terminmarkte, wodurch die preissteigernde 
Wirkung des Effektivgeschäftes paralysiert wird und wodurch der 
Versicherte zum Feinde der effektiven Ware gemacht und zu weiteren 
Baissespekulationen veranlaßt wird. Aehnlich liegt die Sache bei 
Deckung am Terminmarkte für effektiv verkaufte Ware, weil hier- 
durch der Verkäufer dem Landwirte gegenüber in eine wesentlich 
verstärkte Stellung gebracht wird ; dazu kommt, daß eine Kontreminen- 
spekulation auf dem Terminmarkte viel leichter mit Erfolg durch- 
geführt wird, als eine Haussespekulation (S. 531). Weiter erwähnte 
Adler die warenersparende, daher baissierende Tendenz der Skontration, 
wodurch große Umsätze, die sonst unmöglich wären, möglich ge- 
macht werden. Vor allem aber glaubte Adler darauf hinweisen zu 
sollen, daß die Usancen nur auf die Baisse zugeschnitten sind (III, 
S. 613). . Die Usancen nehmen konsequent für den Verkäufer Partei, 
wodurch die Baisse begünstigt wird; hier kommen in Betracht: die 
Bestimmungen über die Warenmenge (Schlüsse mehr weniger, wobei 
der Verkäufer um 5 Proz. auf oder ab, also in einer Spannung von 
10 Proz. liefern kann), die 2-monatlichen Kündigungsfristen, die 
Usancen über die Lieferung nicht kontraktlicher Ware (spätere Liefe- 
rung besseren Getreides), über die Beanstandung der Ware durch 
den Käufer, die Zulässigkeit der abstrakten Schadensberechnung, die 
Minderwertsklausel!). Ich glaube, daß diese Ausführungen durchaus 
erwägenswert sind, es verknüpft sich damit aber eine wichtige 
juristische Frage, zu der auch Prof. v. Görski in sehr hervor- 
ragender Weise Stellung genommen hat, und die auch von Hofrat 
Grünhut und Dr. Landesberger beleuchtet worden ist. Wir 
werden an einer späteren Stelle darauf zu sprechen kommen. 

Prof. Adler vertrat auch die Auffassung, daß der Terminhandel 
zwar vorhersehbare und berechenbare Schwankungen und räumliche 
Preisunterschiede ausgleiche, daß er aber kleinere Schwankungen 
erzeuge und unvorhersehbare verschärfe (III, S.531). — Dr. Landes- 
berger wies in seiner eingehenden Rede nach, daß der Termin- 
handel die seit vielen Jahren der Landwirtschaft ungünstige Kon- 
junktur allerdings nicht geschaffen hat; in der großen Länge der 
Kündigungstermine, in der Möglichkeit, auf viele Monate hinaus Ge- 
schäfte abzuschließen, in den eigentümlichen Bestimmungen, welche 
die „Kontraktlichkeit“ der Ware betreffen, und in der Möglichkeit, 
daß ein und dieselbe Warenmenge mehrmals gekündigt werde, end- 


1) Im Gegensatze zu dieser allgemeinen Tendenz der Usancen, die zu Gunsten 
des Verkäufers sprechen, normiert $ 22 im wesentlichen die Belastung des Verkäufers 
mit der Transportgefahr (Adler III, S. 616). 


314 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


lich in dem Mangel einer Verbindung zwischen Kündigungs- und 
Lagerscheinen liegen aber Momente, die einen Druck auf den Preis 
verursachen und damit die Konjunktur fälschen; daß durch die 
Möglichkeit der Beteiligung großer Kapitalisten am Terminhandel, 
„vor allem aber durch die Hinzuziehung unberufener Kreise die 
Schwankungen verschärft worden sind“, steht für den Experten 
historisch und theoretisch außer Zweifel. Außerordentlich beachtens- 
wert sind in Landesberger’s Ausführungen seine Hinweise auf das 
psychologische Moment, das im Marktverkehre steckt, den Anschluß 
der Effektivpreise an eine gegebene Baissebewegung der Termin- 
preise bedingt, und eine um so größere Rolle spielt, als die Land- 
wirtschaft auf der Börse nicht vertreten, und als die signalisierende 
Wirkung der Terminpreise ungeheuer eben von der „Phantasie“ 
abhängig ist (IV, S. 75). — Diese hier aphoristisch mitgeteilten 
Thesen Landesberger’s stützen sich auf eingehende Darlegungen 
über die gegenseitige Einwirkung der Termin- auf die Effektivpreise, 
und umgekehrt, sowie über andere einschlägige Fragen, die leider 
hier aus Rücksicht auf den Raum nicht näher verfolgt werden können. 

Auf die Ausführungen Kleinwächter’szum Thema der Preis- 
beeinflussung (VI, S. 473 f.) sei nur verwiesen und der eine Satz 
hervorgehoben, daß die Tendenz der heutigen Spekulation dahin- 
gehe, den Preis zu drücken. Von weiteren Vertretern der Ansicht, 
daß der Terminhandel eine preisdrückende Wirkung ausübe, nenne 
ich Dr. Kienböck (V, 262 f.), den Grafen Kolowrat (V, 280), 
Sand (I, 87), den Grafen Kuefstein (VI, 539), Fuhrich (VII, 
36), Dr. Lecher (VII, 60 f.) und v. Hohenblum (VIII, S. 287), 
welche alle es verstanden haben, sowohl auf dem Gebiete der 
Deduktion, als auch auf dem der Induktion die einleitend gebrachte 
Beweisführung wesentlich zu unterstützen. 

Unter den Gegnern der bisher besprochenen Meinung finde ich 
einige, welchen es gelungen ist, die Diskussion lebhaft anzuregen, 
denen daher das Verdienst zukommt, die Gegner des Terminhandels 
zu einer strikten und, wie ich wohl glaube sagen zu dürfen, sieg- 
reichen Beweisführung gezwungen zu haben; insbesondere sind es 
Dr. v. Weiß-Wellenstein (VI, 460), Dr. Horovitz (II, 346) und 
Dr. Weishut (VIII, 304), die hier genannt werden müssen. Mit 
B. Schwitzer habe ich mich bereits oben auseinander gesetzt. 
Dr. v. Weiß hat sich hauptsächlich gegen die Ausführungen Adler’s 
gewendet, und zwar vorwiegend in der Weise, daß er die von diesem 
gebrachten Beispiele zu entkräften suchte. Es ist daher ganz un- 
möglich, seinen Gedankengang hier wiederzugeben, und ich muß mich 
damit begnügen, hervorzuheben, daß Dr. Weiß unter den heilsamen 
Funktionen des Terminhandels besonders die durch ihn, resp. seine 
Sicherungsfunktion ermöglichte Herabsetzung der Zwischenspesen 
besprochen hat!), und daß er zugab, daß der Terminhandel die 
Spekulation erleichtere (S. 466). Dr. Horovitz sagte: „Der 


1) S. auch Horovitz II, 348. 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 315 


Terminhandel hat allerdings den inländischen Markt von der Welt- 
konjunktur abhängig gemacht“ und so den Weltmarktpreis heraus- 
gebildet: „nur wer den Bestand eines Weltmarktes bestreitet, kann 
auch den Bestand der Weltmarktpreise verurteilen“. Nach ihm 
bietet der Terminhandel dem Oekonomen den Vorteil, jederzeit 
seine Produkte zu einem der Weltmarktlage angepaßten Preise ver- 
kaufen zu können; außerdem habe er den Umsatz und Absatz der 
Produkte gefördert, indem er vorratausgleichend und markterweiternd 
wirke. — Ich glaube, zu dieser Auffassung nicht erst Stellung nehmen 
zu müssen, da es ja klar ist, daß Dr. Horovitz unter den Gegnern 
des Terminhandels vor allem Männer vorfindet, welche — allerdings 
vielleicht aus verschiedenen Ursachen — die vollständige Verdrängung 
des nationalen durch den Weltmarkt, der nationalen Preisbildung 
durch den Weltmarktpreis, die gänzliche Ausschaltung der nationalen 
Produktionskosten aus dem Kreise der den Preis beeinflussenden, 
seine Untergrenze auf die Dauer wenigstens feststellenden Elemente 
nicht für volkswirtschaftlich wünschenswert ansehen; diese Männer 
haben aber im gegebenen Falle meines Erachtens recht, weil es sich 
um das Arbeitsprodukt einer zahlreichen und politisch überaus 
wichtigen Bevölkerungs- und Berufsschicht handelt, deren Stellung 
im Organismus der Gesellschaft, wenigstens in einem Staate wie 
Oesterreich, gebieterisch Berücksichtigung heischt; doch darüber 
später. 

Dr. Weishut hat meines Erachtens das Problem mißverstanden, 
wenn er glaubt, die Annahme von einer baissierenden Wirkung des 
Terminhandels dadurch zu widerlegen, daß er den ersten Baissier 
als Feind des zweiten und diesen als Feind des dritten bezeichnet, 
und hierin eine immer eintretende Remedur der „theoretisch wohl 
existierenden Baissespekulation“ sieht; auch seine anderen Versuche, 
den Gegenbeweis zu erbringen, scheinen mir nicht stichhaltig; die 
von ihm anerkannten, baissierenden Einwirkungen des mit dem 
Arbitragegeschäfte verknüpften Terminhandels sind meines Erachtens 
richtig nachgewiesen; eine praktische Bedeutung von größerem Um- 
fange und insbesondere eine specifische Funktion derselben möchte 
ich aber gerade solchen Geschäften nicht zuschreiben; sie wirken 
gewiß baissierend, aber aus denselben Gründen, unter denselben 
Voraussetzungen und auch quantitativ in ähnlicher Weise, wie alle 
anderen Termingeschäfte, die ja stets Waren unbestimmten Ur- 
sprungs, also möglicherweise aus aller Herren Ländern stammend 
in Betracht ziehen, also in einem gewissen Sinne durchaus Arbitrage- 
geschäfte sind; Weishut selbst erkennt dies an und führt daher nur 
Wasser auf die Mühle der ,Agrarier“. Damit habe ich meines Er- 
achtens das Allerwichtigste aus den in der Enquête zu unserer 
Frage gebrachten Ausführungen wiedergegeben; auch manche andere 
Experten haben in dem einen oder anderen Sinne Beweismittel bei- 
gebracht, die aber, soweit ich beurteilen kann, sich so ziemlich 
‚durchaus in den gleichen Bahnen bewegen, wie das bisher Mit- 
geteilte; rein thatsächliche Angaben lassen sich leider im Rahmen 


316 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


eines kurzen Aufsatzes nicht zusammenfassen, so verdienstlich und 
wertvoll sie auch sein mögen. Als Schlußergebnis kann ich nur die 
Ueberzeugung aussprechen, daß zum mindesten der theoretische Be- 
weis für eine unter den heute allgemein herrschenden Verhältnissen 
gegebene, preisdrückende Tendenz des Terminhandels in dem oben 
genau umschriebenen Sinne erbracht worden ist. 

Nun kann man dagegen einwenden, daß für die Konsumenten, 
also für die Gesamtheit der Bevölkerung, es um so besser sei, je 
billiger das Getreide werde; um so billiger erhielten sie ihren not- 
wendigsten Bedarfsartikel: das Brot; wenn also der Terminhandel 
auch wirklich baissierend wirke und die Preise möglicherweise sogar 
ab und zu bis unter die nationalen Erzeugungskosten drücke — 
daß diese eine Untergrenze bilden, konnte von niemand behauptet 
werden, weil ja der internationale Verkehr das Getreide von überall 
her und insbesondere aus den billigsten Produktionsgebieten herbei- 
schafft und mit solchem billigst erzeugten Getreide unter Um- 
ständen den Markt überfluten kann — so wirke er damit nur volks- 
wirtschaftlich nützlich. — Gegen diese Auffassung ist mehrfach 
Stellung genommen worden; auch Dr. Weishut hat sich gezwungen 
gesehen, sich darüber kurz zu äußern (VIII, 306). Ich meinerseits 
habe geglaubt, dieser Frage eine eingehende Betrachtung widmen 
zu sollen, denn sie ist es, wodurch das Thema: Terminhandel auf 
das im engsten Sinne volkswirtschaftliche Gebiet verlegt, daher 
auf seinen richtigen Platz gestellt wird. Ich glaube, daß in erster 
Reihe der allgemeine, wirtschaftspolitische Zustand des Staates hierbei 
berücksichtigt werden muß, insbesondere aber die Berufsgruppierung 
der Bevölkerung. Ich glaube aber nicht, daß diese Umstände allein 
und absolut entscheiden, weil ich überzeugt bin, daß das gänzliche 
oder fast vollständige Verschwinden der landwirtschaftlichen Pro- 
duktion aus einem Staate unter allen Umständen ein Krankheits- 
symptom ist. Wenn also auch der Staat ein Industrie- oder Handels- 
staat im typischen Sinne wäre und wenn auch nur ein geringer 
Prozentsatz der Bevölkerung sich der Landwirtschaft widmen würde, 
dürften die Interessen und zwar auch die besonderen Berufsin- 
teressen dieser Gruppe nicht unberücksichtigt bleiben ; die Staats- 
verwaltung müßte vielmehr trachten, das Interesse an der Land- 
wirtschaft zu heben, die landwirtschaftliche Berufsgruppe zu ver- 
stärken. Ausgenommen sind natürlich Fälle, wo dies aus äußeren 
Gründen unmöglich wäre, z. B. in Stadtstaaten und dergleichen. 
Wenn nun aber die Bevölkerung eines Staates, wie Oesterreichs, 
noch mit einem großen Prozentsatz und zwar mit ca. 60 Proz. der 
landwirtschaftlichen Berufsklasse zugehört, dann liegt die Sache so, 
daß deren Interessen auch die entscheidenderen sind (v. Görski 
VIII, 413); sie sind es deswegen, weil diese Berufsklasse die 
numerisch stärkste ist, also ihr Wohlergehen mehr als das irgend 
einer anderen Berufsklasse, rein mechanisch betrachtet, caeteris 
paribus für den Grad des Gesamtwohlstandes Ausschlag giebt; dann 
aber auch deswegen, weil sie als die Hauptabnehmerin der indu- 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 317 


striellen Produktion und der Dienstleistungen der sonstigen Be- 
rufe, also organisch betrachtet, ihrerseits nur dann deren Wohler- 
gehen fördern kann, wenn sie selbst zahlungsfähig ist. Von dem 
Gedeihen der landwirtschaftlichen Berufsklasse ist das der anderen 
um so mehr abhängig, einen je größeren Prozentsatz der Gesamt- 
bevölkerung sie darstellt. Ich will dabei ganz absehen von der 
unermeßlichen Wichtigkeit der landwirtschaftlichen Berufsklasse und 
der landwirtschaftlichen Produktion vom politischen Standpunkte 
aus und davon, daß ich der heterodoxen Meinung huldige, jeder 
Staat solle sich mit seinen notwendigsten Bedarfsartikeln möglichst 
von anderen unabhängig zu stellen suchen. 

Selbstverständlich werden einseitige Berufsinteressen nicht aus- 
schließliche und rücksichtslose Beachtung finden dürfen, es wird eine 
Resultante zu suchen sein zwischen den widerstreitenden Forderungen 
der Berufe; diejenigen des am zahlreichsten vertretenen aber werden 
dabei am meisten ins Gewicht fallen müssen. Worin liegen nun 
die Wünsche der landwirtschaftlichen Klasse in Betreff der Getreide- 
preise? Es ist kein Zweifel, daß in dieser Richtung innerhalb der 
landwirtschaftlichen Bevölkerung nicht volle Interessensolidarität 
besteht; während die einen Kreise eine möglichst hohe Verwertung, 
also möglichst hohe Preise ihres Getreides anstreben, können andere 
niedrige Preise wünschen, diejenigen nämlich im allgemeinen und mit 
Ausnahmen, welche gezwungen sind, Getreide zu kaufen. Das gilt 
von den Grundbesitzern; ihre Familienangehörigen und Bediensteten, 
speciell solange das patriarchalische Verhältnis fortbesteht, schließen 
sich, wie ich glaube, mit ihren Interessen denen der Grundbesitzer 
an. Soweit ich nun die Verhältnisse übersehen kann, gehört — 
wenigstens in Oesterreich — die große Mehrheit der landwirtschaft- 
lichen Bevölkerung jener Kategorie an, die entweder Getreide ver- 
kauft und aus diesem Grunde unmittelbar, oder aber aus anderen 
Gründen mittelbar hohe Getreidepreise wünschen muß. Es ist über- 
flüssig, hierauf näher einzugehen, da zum mindesten das außer 
Zweifel steht, daß die an hohen Getreidepreisen interessierte Be- 
völkerungsgruppe weit zahlreicher ist, als jede andere, gewiß aber 
als die der Händler. 

Aus dem Gesagten ergiebt sich nun, daß die Forderung hoher 
Preise auf Widerstand stoßen muß und auf berechtigten Widerstand; 
wenn aber die Berufsgruppen, von denen dieser ausgeht, sich die 
Sache genau überlegen, so müssen sie erkennen, daß ihr Interesse 
nicht niedrigste Preise postuliert, sondern Preise auf einer Höhe, 
die die landwirtschaftliche Bevölkerung noch zahlungsfähig, also wohl- 
ständig läßt, ohne daß dieses Maß erheblich nach oben überschritten 
würde (Görski VIII, 411); damit aber dieser Stand eingehalten 
werde, muß vor allem dafür gesorgt sein, daß die Preise nicht unter 
die nationalen Produktionskosten sinken, aber auch nicht wesentlich 
darüber steigen. Daß das letztere nicht geschehe, dafür sorgt die 
auswärtige Konkurrenz, daß aber das erstere vermieden werde, da- 
für kann, abgesehen von einer vernünftigen Zollgesetzgebung, nur 


318 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


dadurch gesorgt werden, daß alles vermieden wird, wodurch die 
Preise unter jenes Maß herabgedrückt werden können. Hieraus er- 
giebt sich mir die Notwendigkeit, den Terminhandel aller jener 
Eigenschaften zu entkleiden, die ihn mit der bereits charakterisierten, 
baissierenden Tendenz ausstatten. Nur nebenbei will ich bemerken, 
daß die so oft — manchmal mit agitatorischen Zielen — hinge- 
worfene Phrase von der Verteuerung des Brotes gegen die obigen 
Ausführungen nicht ins Treffen geführt werden kann, weil eine Ver- 
billigung des Getreides noch lange nicht notwendig, auch eine Ver- 
billigung des Mehles und des Brotes mit sich bringen muß und 
weil diejenige Getreidesorte, welche im höchsten Maße Welthandels- 
artikel ist, der Weizen, überhaupt kaum als Volks nahrungsmittel 
aufgefaßt werden kann 11. 

Andere Bedenken gegen diese Phrase will ich hier der Kürze 
wegen nicht erörtern, um so weniger als sie sich zum Teil aus dem 
oben Ausgeführten und aus dem organischen Zusammenhange der 
Berufsgruppen von selbst ergeben. 

Es erübrigt nun nur noch die Frage, welche Produktionskosten 
für den normalen Preis maßgebend sein, für die Preisbildung als 
Untergrenze dienen sollen. Diese Frage gehört aber nicht streng 
in unser Thema; ich will daher auch nicht darauf eingehen und nur 
bemerken, daß ich mir natürlich die Sache so denke, daß der Ge- 
treidebau nur auf hierzu technisch geeignetem Boden, und zwar der 
Anbau jeder Sorte auch immer nur auf entsprechendem Grunde, 
also z. B. der Weizenbau nicht in zu großen Höhen stattfinden soll, 
daß also ungewöhnlich ungünstige Produktionsbedingungen für jene 
Preisuntergrenze nicht mitbestimmend sein können. 

Damit habe ich, wie mir scheint, das Wesentlichste zu der 
im Beginn dieses Kapitels angeregten Frage mitgeteilt. Ich kann 
daher nun auf einen anderen Gegenstand übergehen ?), und wieder- 
hole nur noch, daß meines Erachtens die für das Schicksal des 
Terminhandels entscheidende Frage jene nach seiner Bedeutung 
für die Preisbildung ist. Was zunächst nun von Interesse wäre, ist 
die Stellungnahme der Experten zur Frage über die Lebensfähigkeit 
und Berechtigung eines lokalen (nationalen) neben oder im Gegen- 
satze zum Weltmarkte und nach den volkswirtschaftlich zulässigen 
Mitteln, um einen solchen nationalen Markt zu erhalten oder neu 
zu schaffen. Da aber die erstere Frage durch die Ausführungen 
zum Problem der Preisbeeinflussung wohl schon wenigstens im 
wesentlichen beantwortet ist, die letztere aber von den Experten 
zwar wohl gestreift, aber nicht ex professo und vor allem nicht mit 
neuen Argumenten beleuchtet worden ist, will ich diesen Gegenstand 
hier nicht weiter erörtern. 


1) An der Wiener Börse wurden 1898 73500 q Weizen und nur 32000 q Roggen 
gekündigt, im Durchschnitte der Jahre 1894—98 139700 und 58600 q. 

2) Näheres zu all dem Gesagten s. in meiner Aussage als Experte. Gr. VII, 
123—133. 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 319 


Die Kursnotierung!) ist es, wodurch die Terminpreise 
jedes einzelnen Börsentages festgestellt und die Veröffentlichung 
dieser Notierung ist es, wodurch sie auch für börsenmäßige und 
für das außerbörsliche Effektivgeschäft wirksam werden. Gäbe es 
keine Publikation dieser Preise, so wäre meines Erachtens die 
volkswirtschaftliche Bedeutung des Termingeschäftes eine ganz ge- 
ringe; sie würde schon wesentlich abgeschwächt, wenn die Veröffent- 
lichung so stattfände, daß nicht die Meinung erweckt würde, daß 
die Terminpreise zuverlässig signalisieren und allein oder doch vor- 
wiegend maßgebend seien. Es war daher die hier schon einmal 
angedeutete Anregung eines Experten ganz zutreffend, wonach mit 
den offiziellen Verlautbarungen der Terminpreise stets eine ihre 
wirkliche Bedeutung charakterisierende Anmerkung verbunden 
werden sollte, eine Anmerkung, welche auch überall dort aufge- 
nommen werden müßte, wo diese Notierungen unoffiziell weiterver- 
breitet werden. 

Uebrigens ist auch das Verbot der Veröffentlichung von Termin- 
notierungen angeregt worden. Das ist die eine Seite der Frage; 
das andere Problem betrifft die Notierung selbst, also den Vorgang 
bei Feststellung der Terminpreise; ist dieser Vorgang mangelhaft, 
stellt er nicht die korrekte Ermittelung der Preise sicher, so kann 
das Uebel, welches durch die Veröffentlichung angerichtet werden 
kann, noch wesentlich verschärft werden. Die Modalitäten der 
Preisermittelung sind nun bekanntlich an verschiedenen Börsen ver- 
schieden normiert; uns interessieren hier nur die für die Wiener 
Börse für landwirtschaftliche Produkte geltenden Regeln. Nach 
ihnen werden die Preise nach Schlußkursen und bei der Effektiv- 
ware nach Maximum und Minimum notiert. Beides ist meines Er- 
achtens weder nationalökonomisch noch statistisch richtig; in beiden 
Fällen ergiebt sich kein korrektes Bild. Die Maxima und Minima 
können möglicherweise sehr weit auseinander liegen; es kann sein, 
daß zum Maximalpreise ein einziger Schluß gemacht worden ist, 
zum Minimum ein einziger und zu Zwischenpreisen eine ganze 
Menge von Schlüssen. Ganz außergewöhnliche Schlüsse werden 
allerdings nach dem subjektiven Ermessen der Kommission bei der 
Notierung nicht berücksichtigt; daß aber trotzdem so große Preis- 
spannungen in den Kursen täglich publiziert werden, beweist, daß 
man sehr weit voneinander abliegende Preisvereinbarungen für 
nichts Ueberraschendes hält. Um also ein richtiges Bild von diesen 
thatsächlich an der Börse zustande gekommenen Preisen zu erlangen, 
müßte man wissen: wie viel Getreide ist zum Maximal-, wie viel 
zum Minimal-, wie viel zu jedem vorgekommenen Zwischenpreise 
gekauft worden. Von Börsensensalen vermittelte Geschäfte unter- 
liegen bereits dem Deklarationszwange; warum soll er nicht auch 


1) Erwähnenswert wären auch die sachkundigen Vorschläge Dr. Lecher’s, über 
die Wege, welche beschritten werden sollten, um das schädliche und unökonomische 
Monopol der Börse in betreff der Preisnotierung zu durchbrechen (VII, 65). 


320 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


auf sonstige an der Börse geschlossene Geschäfte ausgedehnt werden 
können!). In diesem Falle würde man in der Lage sein, einen 
mathematisch richtigen, die Mengen berücksichtigenden Durchschnitt 
zu bilden, der die allgemeine Tendenz auf dem Effektivmarkte, die 
allgemeine Anschauung über die Versorgungsverhältnisse richtig 
ausdrücken könnte. 

Daß die Notierung nach Schlußkursen eine sehr unglückliche 
Einrichtung ist, scheint mir klar zu liegen, da ja am Schlusse der 
Börse nicht gerade notwendig nur die geläutertste und durch den 
Verlauf der Börse abgeklärteste Einsicht in die Zukunftsverhältnisse 
(für die letzten Geschäfte) maßgebend gewesen sein muß, sondern 
gerade mit Zuhilfenahme dieser Einsicht auch andere Faktoren preis- 
beeinflussend herangezogen worden sein können und zwar um so 
häufiger und für den Preis entscheidender, je intensiver die Speku- 
lation im engeren Sinne des Wortes arbeitet, je mehr sie, der Be- 
deutung gerade der letzten Geschäfte bewußt, den Moment ausnützt. 
(Weishut VIII, 446). Auch für die Termingeschäfte wäre ein ähn- 
licher Modus der Preisermittelung zu wählen, wie für Effektiv- 
geschäfte. 

Dr. Landesberger hat die Art der Kursnotierung, wie sie in 
Wien üblich ist, gleichfalls als reformbedürftig erkannt und sich als 
Nationalökonom für die in Berlin üblichen Normen ausgesprochen ; 
er hat aber im Anschlusse an meine Vorschläge auch die Frage 
nach einer Remedur gegen solche auf dem Terminmarkte vor- 
kommende Geschäfte aufgeworfen, „welche zu dem Zwecke gemacht 
werden, um die Kurse zu beeinflussen, die Konjunkturen zu ver- 
schärfen“ (VII, 153). Ich kann leider auf seine wichtigen Aus- 
führungen hier nur verweisen (s. auch Weiß v. Wellenstein VI, 469). 
Prof. Adler fordert definitive Feststellung der Kurse durch Staats- 
beamte bei mündlichem, börsenmäßig -öffentlichen Verfahren; die 
Staatsbeamten hätten inquisitorisch vorzugehen und nach den vor- 
gekommenen Schlüssen zu fragen. Ueberdies wäre eine einheitliche 
Notierung zu empfehlen (III, 533); Adler fügte dem hinzu: „es 
wäre möglich, ein ganz verläßliche Kursnotierung zu sichern, wenn 
der Terminhandel beibehalten und Liquidationskassen eingeführt 
würden; man könnte nämlich dann an die Anwendung des soge- 
nannten Berliner Einheitskurses auf die Terminspekulation denken“ ?). 

Börsenrath Kindler (Czernowitz), der sonst energisch für den 
Terminhandels eingetreten ist, scheint die Kursnotierung auch für 
mangelhaft zu halten, denn er erklärte, daß nicht nur jeder an der 
Börse gemachte Schluß notiert und veröffentlicht, sondern auch 
Stunde und Minute jedes Geschäftes und das von ihm betroffene 


1) S. hierzu die Ausführungen Dr. Fischl’s (IV, 16), Dr. Kienböck’s (V, 269), 
und Dr. Landsberger’s (IV, 174). 

2) Auf die sehr erwägenswerten Ausführungen Dr. Lecher’s über die Notwendig- 
keit einer genauen Ermittelung der Getreidepreise auf allen Märkten kann ich hier nur 
verweisen (VII, 63 ff.). 


BürsenmäBiger Terminbandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 321 


Quantum bekannt gemacht werden sollte (s. hierzu auch Adler und 
Grünhut IX, 629, dann Weishut VIII, 445). 

Es hat natürlich auch Herren gegeben, die für die Beibehaltung 
der heutigen Art der Kursermittelung eingetreten sind; allerdings 
sind sie dabei wohl meist von der Meinung ausgegangen, daß die 
Loyalität der die Kurse feststellenden Personen in Zweifel gezogen 
werde, während thatsächlich die statutenmäßig vorgeschriebenen 
Modalitäten angegriffen worden sind. Unter die Anhänger der heu- 
tigen Normen ist der Generalsekretär der Wiener Warenbörse 
Vidéky zu rechnen (II, 378), ebenso Dr. Horovitz (III, 467), 
der sich besonders scharf in diesem Sinne äußerte, und Börsenrat 
Gibian (V, 227). 

Ich habe nun in diesem Abschnitte nur noch eine Frage kurz 
zu berühren, eine Frage, welche in der Enquête verhältnismäßig 
wenig besprochen worden ist, die nämlich nach den Wirkungen der 
Prolongationsgeschäfte. Ich streife dieselbe nur, weil ich 
mich vor Mißverständnissen scheue, in die ich geraten könnte, da 
ja das Wort Report doppelsinnig ist und nicht immer sich auf ein 
Reportgeschäft zu beziehen braucht; nicht alle Experten, die vom 
Report sprachen, geben mir volle Klarheit darüber, was sie darunter 
verstanden wissen wollen. Ich habe geglaubt, diesen Punkt in 
folgender Weise besprechen zu sollen: „Ich möchte glauben, daß 
die Reportgeschäfte im Sinne von Prolongationsgeschäften eine Ver- 
schärfung der Tendenz, die ich als potenziell vorhanden erklärt 
habe, der Tendenz nämlich, den Preis zu drücken, in sich schließt; 
wenn ich das Prolongationsgeschäft richtig auffasse, so schiebt es die 
Abwickelung des Geschäftes — in der Regel wenigstens — auf eine 
längere Zeit hinaus, wenn und weil die Erwartung des betreffenden 
Verkäufers oder Käufers in Bezug auf die Preisbewegung nicht ein- 
getreten ist. Dadurch wird die Zeitspannung zwischen Abschluß 
und Abwickelung eine wesentlich längere und all jenes Risiko, das 
da hineinspielt, wird dadurch meines Erachtens wesentlich verstärkt. 
Andererseits glaube ich, daß, wenn das Prolongationsgeschäft eine 
große Rolle spielen sollte, dann auch Momente in die Preisbildung 
für das Getreide hineingetragen würden, die sonst — wenigstens in 
dieser Intensität — nicht wirksam wären, z. B. die Bewegung des 
Kapitalzinsfußes, die Versorgung des Marktes mit barem Gelde u. s. w. 
Das wären also der Ware Getreide fremde oder doch nur sehr fern 
mit ihr in Berührung stehende Momente, und ich würde bedauern, 
wenn ich behaupten müßte, daß dadurch, selbstverständlich unbeab- 
sichtigt, eine von den Verhältnissen des Angebotes und der Nach- 
frage in meinem Sinne vollständig abirrende Einwirkung auf die 
Preisbildung hervorgerufen würde.“ Ich möchte jetzt diesen Aus- 
führungen nur noch hinzufügen, daß das Prolongationsgeschäft 
potenziell geradezu eine Beherrschung des Getreidemarktes und 
seiner Preisbildung durch die großen Geldinstitute veranlassen 
könnte, wenn es im großen Umfange geübt würde und wenn aus 
irgend einem Anlasse die Banken gewillt wären, erhebliche Summen 

Dritte Folge Bd, XXI (LXXVI). 21 


329 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


á 


in den Dienst dieses Geschäftes zu stellen. Ich stimme hier nicht 
ganz mit Dr. Landesberger überein, der sagt, daß in der Insti- 
tution des Reports an und für sich nicht ein Moment liege, 
welches Baisse oder Hausse in irgend einer Richtung begünstigte, 
— er sagt: an und für sich! — in der praktischen Anwendung 
dürfte wohl auch er eine Verstärkung der Neigung zu Baisse durch 
dieses Geschäft anerkennen unter der Voraussetzung, daß schon die 
allgemeine Tendenz dahin zielt. 

Eine weitere Reihe von Fragen, die mit angeblichen oder that- 
sächlichen Wirkungen des Termingeschäftes zusammenhängen, mögen 
an anderer Stelle incidenter besprochen werden. 


VI. (Verbot oder Beschränkung des Terminhandels.) 


Die Frage, ob der börsenmäßige Terminhandel in landwirtschaft- 
lichen Produkten zu verbieten sei, hat nicht nur deshalb eine ver- 
schiedene Beantwortung erfahren, weil die wissenschaftlichen An- 
schauungen über Wesen und volks wirtschaftliche Wirkungen des 
Terminhandels, wie wir gesehen haben, weit auseinander lagen, 
sondern auch deswegen, weil dabei vermeintliche oder wirkliche, 
berufswirtschaftliche Interessengegensätze zur Geltung kommen 
mußten und auch politische Doktrinen nicht ganz abseits gehalten 
werden konnten. Obwohl man aus Händlerkreisen wiederholt die 
Aeußerung hörte, der Handel bedürfe des Terminhandels nicht, 
seinetwegen könne man ihn ruhig abschaffen, trat diese Berufs- 
schichte doch für seine angeblich v olks wirtschaftliche Nützlichkeit 
ein und damit auch für seine Beibehaltung. Die sogenannten agra- 
rischen Kreise mit Einschluß der meisten Müller sprachen sich vor- 
wiegend entschieden für ein unbedingtes Verbot aus. Meines Er- 
achtens war es ein taktischer Fehler, wenn viele Experten aus dem 
Grunde, weil sie das Verbot forderten, auf die Reformfragen über- 
haupt nicht mehr eingingen und sich auf den Standpunkt stellten, 
das Verbot müsse durchgesetzt, nur durch ein solches könne ge- 
holfen werden, jede Reform sei ganz und gar wertlos. Während 
die Börsenkreise mehr ein ,,Todtreformieren“, als ein Verbot zu 
fürchten schienen, versprachen sich die agrarischen von keinerlei 
Reform irgend etwas. Die Vertreter des unbedingten Verbotes des 
Terminhandels — hierbei wurde dieser Ausdruck meist ohne Ein- 
schränkung gebraucht — erhielten in gewissem Sinne Succurs auch 
von Seite einiger Theoretiker, insbesondere von Professor Dr. Adler. 
Von den übrigen Theoretikern wurde ein umfassendes Verbot ent- 
weder als nicht wünschenswert oder als nicht wirksam bezeichnet, 
dagegen aber der Gedanke einer mehr oder weniger weitgehenden 
Reformierung vertreten. Dabei kam mehrfach die Ansicht zum 
Durchbruch, die Reform müsse eine solche sein, welche das Differenz- 
geschäft unmöglich machen würde. Die Behauptung, ein Verbot 
würde sich bald als unwirksam erweisen, stützte sich meist auf die 
mit dem deutschen Verbote gemachten Erfahrungen, also auf ein 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 323 


auf den ersten Blick gewiß blendendes, thatsächlich aber, wie ich 
jetzt zugeben muß, nicht ganz überzeugendes Argument; andere 
Gründe wären genug vorhanden gewesen, um das absolute und um- 
fassende Verbot abzulehnen; es wäre nicht notwendig gewesen, den 
mangelhaften Erfolg eines meines Erachtens in seiner ganzen Fassung 
mißglückten Gesetzes, das überdies unter von den unseren ganz ab- 
weichenden Verhältnissen in Kraft trat, ins Treffen zu führen, 
Gegen einen technisch so mißglückten Gesetzentwurf, wie er vor 
wenigen Wochen im österreichischen Abgeordnetenhause eingebracht 
worden ist, allerdings könnte auch diese Einwendung mit einer ge- 
wissen Berechtiguug erhoben werden. — Ich bin von der Ansicht 
ausgegangen, daß es nicht zulässig sei, ein allgemeines Verbot zu 
erlassen, weil damit auch das börsenmäßige Lieferungsgeschäft ge- 
troffen würde, gegen das ja nichts einzuwenden sei — wenn sich 
der Käufer mit der usancenmäßigen Warenbestimmung begnügt, so 
ist das ausschließlich seine Sache — und weil die Sicherungsfunktion 
des Terminhandels, entsprechend eingedämmt und mit den erforder- 
lichen Garantien umgeben, so lange als nützlich, das Sicherungs- 
geschäft so lange vielleicht sogar als unentbehrlich zu betrachten 
sei, als Oesterreich auf ausländisches Getreide, sei es ungarisches 
oder transoceanisches, angewiesen ist; ja diese Sicherungsfunktion 
ermögliche erst die Heranziehung von Getreide aus fernen Gebieten 
und befreie uns einigermaßen von der Gefahr, uns bedingungslos den 
Forderungen — nicht der ungarischen Landwirte, wohl aber der un- 
garischen Händler und den Diktaten der Ofen-Pester Börse unter- 
werfen zu müssen. Das Differenzgeschäft könne man auch aus- 
schalten ohne ein allgemeines Verbot des Terminhandels. — Ein 
solches allgemeines Verbot wäre aber meines Erachtens auch un- 
wirksam, weil es entweder einfach den „Terminhandel“ als solchen oder 
aber einen bestimmt und strikte definierten Terminhandel verbieten 
müßte; im ersten Falle würde es nur zu oft in concreto streitig sein, 
ob ein Termingeschäft wirklich vorliege oder ein anderes, nicht ver- 
botenes Geschäft, im letzteren Falle würde die leiseste Nuancierung 
des konkreten Vertrages genügen, um ihn der Verbotssanktion zu 
entziehen; man könnte zwar das Gesetz weit besser machen, als 
das deutsche, aber nie so gut, daß es nicht sofort wieder umgangen 
werden würde, ohne daß das Gesetz selbst einen Anhaltspunkt böte, 
solche Umgehungen zu annullieren und zu ahnden. Das haben uns 
ja die Herren von der Börse ganz unumwunden gesagt, als sie 
meinten, wenn die Gesetzgeber gescheit seien, so wären die Händler 
eben auch nicht auf den Kopf gefallen. Daß die Herren damit voll- 
kommen recht hatten, daran zweifle ich wahrlich keinen Augenblick. 
Daß derartige Umgehungen des Gesetzes nicht nur für die Auk- 
torität der Gesetzgebung selbst, sondern auch wohl in ihren Wirkungen 
auf die Preisbildung noch schädlicher sein würden, als selbst der 
heutige Zustand, scheint mir zum mindesten wahrscheinlich. Auf 
eine weitere Erörterung darüber braucht hier nicht eingegangen zu 
werden. 
21* 


324 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


Von interessanteren Ausführungen einzelner Experten zu diesem 
Punkte scheint mir eine besonders charakteristisch. Der Vorstand 
des ersten Wiener Konsumvereins A. Maresch hat sich vom Stand- 
punkte der „Konsumenten“ für die Beibehaltung des Terminhandels 
ausgesprochen, weil er thatsächlichen Bedürfnissen entsprungen, da- 
her nie und nimmer aus der Welt zu schaffen sei, weil es durchaus 
nicht sicher sei, daß sein Verschwinden den Produzenten günstigere 
Preise vermitteln werde, es aber ziemlich außer Zweifel stehe, daß 
dadurch die Konsumenten die Basis verlören, auf welcher sie ihren 
Bedarf decken können, und daß sie „unbedingt in ihrer Einkaufs- 
möglichkeit geschädigt“ würden. — Ich glaube, daß die Richtigkeit 
dieser Argumentation schon in dem oben von mir Ausgeführten 
widerlegt ist, so daß es genügt, von ihr überhaupt Erwähnung ge- 
than zu haben. — Im gegenteiligen Sinne äußerte sich z. B. Güter- 
direktor L. Benesch, der geradewegs erklärte, der Landwirtschaft 
sei nur mit einem Verbote des börsenmäßigen Terminhandels ge- 
dient, nicht aber mit halben Maßregeln; wegen vereinzelter Fälle 
wenn auch vielleicht irgend einmal das Termingeschäft keine un- 
mittelbar schädliche Wirkung gehabt hätte, oder wenn auch dieser 
oder jener Landwirt oder Müller nicht geradezu sein Verbot fordere, 
könne man dieses Postulat nicht zurückstellen; wegen dreier Ge- 
rechten hätte er Sodoma nicht verschont. A. Fuhrich erklärte 
es für notwendig, daß der börsenmäßige Terminhandel mit land- 
wirtschaftlichen Erzeugnissen gänzlich verboten werde; R. v. Hohen- 
blum äußerte sich genau in demselben Sinn. 

Prof. Adler erklärte, daß vom Standpunkte der Landwirtschaft 
ein Verbot des Terminhandels nicht bedauert werden könnte, 
theoretisch wäre die Vernichtung des Terminhandels sehr leicht, 
politisch aber sehr schwer, „weil die politische Macht zum größeren 
Teile heute auf seiten der Börsenkreise sei“. Aus diesem Grunde 
brachte Adler folgenden Vermittelungsvorschlag: „Kein Terminhandel 
per Erntezeit, die Erntezeit im weiten Sinne genommen als jene 
Zeit, in welcher der Landwirt seine Ernte zu Markte bringt“, also 
Einführung eines tempus clausum für Kündigungen (III, 532f.) 
Adler meinte auch, daß man für gewisse Getreidearten, solche 
nämlich, an denen die österreichische Landwirtschaft weniger 
interessiert ist (z. B. Mais), den Terminhandel könnte fortbestehen 
lassen. — Dr. Lecher forderte, daß der börsenmäßige Termin- 
handel, ob er nun Effektiv- oder Blankogeschäft sei, unter allen 
Umständen allen berufsfremden Personen direkt und indirekt ver- 
boten werde; der Blankoterminhandel, das reine Differenzgeschäft, 
wäre aber ohne Rücksicht auf die Person, also auch den Börsen- 
besuchern zu verbieten und als ungiltig zu erklären. Dr. Lecher, 
der bekannte Abgeordnete der deutschen Fortschrittspartei, erklärte 
im Anschlusse hieran, daß eine ähnlich lautende Regierungsvorlage 
im Abgeordnetenhause zweifellos mit ungeheuerer Majorität würde 
angenommen werden; ob aber ein solches Gesetz sich in der 
Praxis durchführen ließe? 


Börsenmäßiger Terminhandel in lundwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 325 


Nach diesen Beispielen komme ich nun noch auf einen der 
decidiertesten Vertreter des Verbotes und damit auch auf einen 
zu sprechen, den ich bisher noch nicht berührt habe. Unter den 
wichtigsten Einwendungen gegen den Terminhandel erscheint der, 
daß die Ware nach einer Type und zwar nach einer der Qualität 
nach sehr minderwertigen Type, nicht aber nach Bemusterung 
gehandelt werde und zwar Ware, welche der Verkäufer meist nicht 
besitze, auf die er häufig nicht einmal irgend einen Anspruch habe, 
ja die er unter Umständen sich möglicherweise nicht einmal in 
dieser Qualität und Menge werde beschaffen können. Ich habe von 
diesen Momenten das erstere allerdings als ein Begriffsmoment 
des Terminhandels, als einen jener Faktoren erkannt, durch die die 
Fungibilität der Ware begründet wird; dem letzteren konnte ich 
aber keine charakterisierende Bedeutung zuerkennen, obwohl es 
zweifellos qualifizierend ist. Da Termingeschäfte auch mit vor- 
handener Ware, handelsrechtliche Lieferungsgeschäfte aber meines 
Erachtens auch über im Moment des Geschäftsabschlusses noch 
nicht verfügbare Ware abgeschlossen werden können und werden, 
schien mir diese meine Auffassung berechtigt; ich habe übrigens 
nicht unterlassen, hervorzuheben, daß nach meiner Auffassung so 
qualifizierte Geschäfte, speciell wenn sogar die Beschaftungs- 
möglichkeit in Frage steht, für bürgerliche Moralbegriffe bedenklich 
erscheinen können, daß aber durch die Einführung der ganz 
unbestimmten Usancequalität und durch die Verwendung der 
Sicherungsfunktion des Terminhandels Mittel geboten seien, um 
fast unter allen Umständen für den desperaten Fall, daß die 
Lieferung effektiv sollte durchgeführt werden müssen, die Be- 
schaffungsmöglichkeit der Ware sicherzustellen. Nichtsdestoweniger 
liegt gerade darin, daß solche Geschäfte überhaupt geschlossen 
werden können, ein die Beeinflussung der Preise durch den 
Terminhandel verschärfender Umstand. Robert Sand fordert 
nun das Verbot. des Terminhandels aber in der Weise, daß der 
effektive Zeithandel nach Bemusterung und eventuellem Lieferungs- 
nachweise dadurch nicht behindert wird. Damit fordert er zweifellos 
das Verbot des Terminhandels in seinem ganzen Umfange, er 
fordert aber noch mehr, nämlich auch einen Eingriff in die effek- 
tiven Lieferungsgeschäfte, wenn er unter dem Lieferungsnachweis 
das versteht, daß der Verkäufer beim Geschäftsabschlusse nach- 
weisen müsse, daß er im vereinbarten Termine die Ware auch 
werde liefern können. Vielleicht verstehe ich Sand in diesem 
Punkte falsch, ich will daher hier gegen seine Forderungen nichts 
einwenden und mich damit begnügen, sie erwähnt zu haben; sie 
schien mir eben viel zu wichtig, um übergangen werden zu dürfen 
(I, 53, IX, 619) und hat in viel zu weit gehendem Maße wenigstens 
den Schein innerer Berechtigung, um unerwogen bleiben zu dürfen. 
— Die Haltung der Börsenkreise und jene der Theoretiker 
habe ich schon charakterisiert; in betreff der ersteren Experten- 
kategorie möchte ich nur noch bemerken, daß auch in ihrem Kreise 


326 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


einzelne Stimmen laut wurden, die ein gewisses Reformbedürfnis 
anerkannten, in betreff der letzteren, daß wir deren Haltung zu 
dieser Frage implicite bei Besprechung der Reformvorschläge 
erörtern werden. 

Mehrfach ist als Moment, welches für die Zuverlässigkeit und 
Möglichkeit des Verbotes spreche, hervorgehoben worden — auch 
ich habe das gethan -— daß an einer großen Zahl von Getreide- 
börsen ein Terminhandel nicht betrieben werde, ja daß ganze 
Staaten von dieser Einrichtung frei seien, ohne das deshalb irgend 
welche Uebelstände sich eingestellt hätten; so wurde darauf ver- 
wiesen, daß Mannheim, München und andere wichtige Getreide- 
plätze den Terminhandel nie gekannt haben, daß er in Rußland 
verboten sei und daß England seinen Getreideimport zum größten 
Teil ohne diese Geschäftsform besorge. Daß diese Thatsachen 
Eindruck machen, den Eindruck erwecken müssen, daß starker 
Import und starker Export und daß ein blühendes Getreidegeschäft 
auch ohne Terminhandel möglich sei, liegt wohl auf der Hand. 
Ob dieser Eindruck dadurch entkräftet wird, daß Schwitzer im 
Sinne der „erläuternden Bemerkungen“ erklärte, in Mannheim und 
München finde deswegen kein Termingeschäft statt, weil die Händler 
nicht wollen, und in Rußland sei man daran, den Terminhandel 
einzuführen, scheint mir sehr zweifelhaft; wenn die Händler 
wirklich nur deswegen den Terminhandel nicht wollen, um sich 
den Zwischennutzen nicht zu verkümmern, so ergiebt sich daraus 
nur, daß sie von dem Terminhandel nicht eine solche Steigerung 
des Geschäftes erwarten, daß dadurch der Ausfall an Zwischen- 
gewinn bei dem einzelnen Geschäfte, wenn ein solcher überhaupt 
eintritt, ausgeglichen würde. Wenn man in Rußland wirklich daran 
gehen sollte, den Terminhandel einzuführen, so wäre das auch noch 
lange kein Beweis für dessen Notwendigkeit und Vortreftlichkeit, 
sondern vielleicht eher dafür, daß auch in Rußland die Macht 
des mobilen Vermögens die des unbeweglichen zu überwuchern 
beginnt; von einer naturgemäßen Entstehung dieser Geschäftsform 
könnte man da gewiß nicht sprechen. 

Mit Lebhaftigkeit wurden die Fragen erörtert, ob für den 
Terminhandel Beschränkungen gesetzlich zu fixieren wären; 
weniger eingehend allerdings jene in betreff der Anwendung 
börsenmäßiger Liquidationseinrichtungen, als diejenige 
über die Kompetenz der Schiedsgerichte. Es scheint mir, daß 
die Ausführungen über diese Punkte, besonders aber jene über 
den letzteren, ein großes, allerdings mehr juristisches, als volks- 
wirtschaftliches Interesse erwecken müssen; trotzdem will ich mich, 
weil das nationalökonomische Interesse hier etwas zurücktritt, sehr 
kurz fassen und zwar um so mehr, als ich mir in diesen Richtungen 
keinerlei Recht zuschreibe, mein eigenes Urteil für erwähnenswert 
anzusehen; ich muß mich hier ausschließlich referierend verhalten. 
Der Klarheit wegen möchte ich vorerst die an der Wiener Börse 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 397 


für landwirtschaftliche Produkte geltenden gesetzlichen und statuten- 
mäßigen Bestimmungen zu diesen Punkten kurz skizzieren. Jeder, 
der ein Termingeschäft kündigen will, muß im Börsensekretariat 
„das amtliche Blanket erheben, ausfüllen, eigenhändig fertigen und 
dann bis längstens 10 Uhr vormittags behufs Protokollierung“ (Sonn- 
dorfer: Warenbörse, S. 21) dort selbst produzieren. Jeder, der ein 
Terminengagement besitzt, muß während der Dauer des Termines 
bis zur erfolgten Abwickelung des Schlusses während der Börsen- 
zeit an der Börse anwesend oder vertreten sein. Wer einen 
Kündigungsschein zugestellt erhält, muß, wenn er die Ware nicht 
selbst beziehen will, ihn giriert seinem Giratar weitergeben; die 
Cirkulation des Scheines kann nötigenfalls auch noch am nächsten 
Tage, aber immer nur an der Börse fortgesetzt werden. „Wer am 
Schlusse der Kündigungszeit“ „im Besitze des Kündigungsscheines 
ist, gilt als Uebernehmer der gekündigten Ware. Eine Prolongation 
des Kündigungsscheines darf nicht stattfinden. Das Sekretariat 
besorgt die Berechnung der Preisunterschiede, welche sämtlichen 
Kontrahenten mit der Aufforderung bekannt gegeben werden, zu 
einer ihnen bestimmten Zeit mit den Schlüssen behufs Austausches 
derselben und behufs Regelung der Guthaben im Liquidationsbureau 
der Börse zu erscheinen.“ „Nach Regelung der Guthaben, bezw. 
nach Begleichung der Differenzen erhält der letzte Uebernehmer des 
Kündigungsscheines einen Legitimationsschein ausgefolgt“, der ihn 
ermächtigt und verpflichtet, die gekündigte Ware gegen Erlag des 
in der Kündigung geforderten Preises zu besichtigen und am 
bestimmten Tage zu übernehmen. 

Für die Schiedsgerichte sind in Oesterreich maßgebend: das 
Börsengesetz vom 1. April 1875 und die Artikel XIII—XXVI des 
Gesetzes vom 1. August 1895, betreffend die Einführung der neuen 
Civilprozeßordnung, sowie die $$ 34—86 des Börsenstatuts. Streitig- 
keiten aus Börsengeschäften müssen, wenn keine gegenteilige, 
schriftliche Vereinbarung der Parteien vorliegt, durch das Schieds- 
gericht ausgetragen werden. Nur bestimmte Personen können sich 
dem Schiedsgerichte für außerhalb der Börse geschlossene Geschäfte 
und zwar durch schriftlichen Vertrag freiwillig unterwerfen und 
zwar Organe der öffentlichen Verwaltung, Handelsgesellschaften, 
Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, Mitglieder oder Besucher 
einer Börse, dann Personen, die sich berufsmäßig mit der Produktion, 
dem Handel oder der Verarbeitung jener beweglichen Sachen be- 
schäftigen, die den Gegenstand des Geschäftes bilden, wobei diese 
Gegenstände Verkehrsartikel der Börse sein müssen. Wenn Land- 
wirte auf Grund einer solchen Vereinbarung beim Börsenschieds- 
gerichte als Kläger auftreten oder belangt werden, hat das letztere 
zu prüfen, ob das verschlossene Quantum nicht in offenbarem Miß- 
verhältnisse zu deren landwirtschaftlicher Produktion steht; wäre 
dies der Fall, so müßte die Klage ohne weiteres abgewiesen werden. 
Bei Börsengeschäften ist es nach $ 13 des Börsengesetzes nicht zu- 


328 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


lässig, daß der Beklagte vor dem Schiedsgerichte die Einwendung 
von Spiel und Wette erhebe, bei außerbörslichen Geschäften wird 
aber diese Einwendung berücksichtigt. 

Schiedsrichter sind die 30 Mitglieder des jeweiligen Börsen- 
vorstandes; überdies müssen 12 Personen, welche nicht Mitglieder 
oder Besucher der Börse sind, als Richter bestellt werden, und zwar 
zu gleichen Teilen von der Handels- und Gewerbekammer und 
von der Landwirtschaftsgesellschaft in Wien damit sich nicht 
der Börse angehörende Parteien, wenn sie dies wollen, aus ihnen 
ihre Richter wählen. Die Sekretäre des Schiedsgerichtes müssen 
für das Richteramt befähigt sein und werden staatlich er- 
nannt. Die Verhandlungen sind mündlich und öffentlich, die Par- 
teien sind berechtigt, sich bei denselben vertreten zu lassen; die 
Urteile werden nach freier Ueberzeugung gefällt; eine Berufung da- 
gegen ist unzulässig; dagegen ist es möglich, sie durch eine Nichtig- 
keitsbeschwerde anzufechten; unter den Nichtigkeitsgründen ist be- 
sonders derjenige für uns interessant, welcher in Kraft tritt, wenn 
und weil das Schiedsgericht die Klage nicht abgewiesen hat, obwohl 
eine der Parteien den landwirtschaftlichen Berufskreisen angehörte 
und das Warengeschäft, welches den Gegenstand des Streites bildete, 
im offenbaren Mißverhältnisse zum landwirtschaftlichen Betriebe der 
betreffenden Partei stand. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist binnen 
14 Tagen beim Handelsgerichte einzubringen; unter Umständen und 
so auch dann, wenn bei außerbörslichen Geschäften über die Ein- 
wendung von Spiel und Wette nicht oder unrichtig entschieden 
worden ist, kann der Schiedsspruch und zwar binnen 30 Tagen beim 
ordentlichen Richter als unwirksam angefochten, und es kann dabei 
auch das kraft des Erkenntnisses Geleistete zurückgefordert werden. 
Die Exekution erfolgt stets durch das zuständige, ordentliche Ge- 
richt. Das Justizministerium ist berechtigt, jederzeit von der Recht- 
sprechung der Schiedsgerichte Kenntnis zu nehmen und ihre Akten 
zu prüfen. 

Wie hat sich nun die Enquête zu unseren Liquidationseinrich- 
tungen und zur Organisation der Schiedsgerichte verhalten? Das 
Recht, die Liquidationseinrichtungen festzustellen, wurde 
mehrfach als Ausfluß der Börsenautonomie bezeichnet; jede Ein- 
mischung des Staates demnach als eine Negierung dieser Autonomie 
(Videky II, 378); von sehr vielen Experten wurde auf die Frage 
überhaupt nicht eingegangen, sei es weil sie sich nicht für kom- 
petent erachteten, über eine rein börsentechnische Frage sich zu 
äußern, sei es, weil sie durch ihre Stellungnahme für die absolute 
Abschaffung des Terminhandels sich der Pflicht, dieses Thema zü 
besprechen, entbunden hielten. Andere Experten, z. B. Börsenrat 
E. Kauders, erklärten, daß sich diese Einrichtungen stets vorzüg- 
lich bewährt hätten, da sie ja nur den Zweck verfolgten, die Ab- 
wickelung der Geschäfte zu erleichtern, diesen Zweck aber auch 
vollständig erreichen, weil also, um meine eigene Terminologie zu 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 329 


gebrauchen, durch sie die angestrebte Fungibilität des Geschäftes 
in reichem Maße erzielt werde. In ähnlicher Weise sprach sich 
Dr. Horovitz aus, indem er auch noch jede staatliche Einmischung 
in diese Angelegenheit als gänzlich überflüssig erklärte (III, 467), ganz 
im selben Sinne Handelskammerrat Dr. Fischl, B. Schwitzer, 
Landesberger (IV, 170), Gibian (V, 227), Weiß von Wellen- 
stein, Dr. Leipen u. s. w Der Experte Economo (Triest) 
hielt zwar die bestehenden Institutionen für genügend, würde aber 
es für zweckmäßig und nützlich halten, daß Liquidationskassen und 
zwar auf Grund staatlicher Bewilligung eingeführt würden. 

Im Gegensatz zu diesen Meinungen steht vor allem A. Fuh- 
rich, der die staatliche Genehmigung der Liquidationseinrichtungen 
für notwendig hält und verlangt, daß nur jenen Effektivgeschäften 
auf Zeit Giltigkeit zuerkannt werden solle, deren Abschluß von der 
Börse amtlich bestätigt sei (VII, 53). 

Die Kompetenz der Schiedsgerichte ist erst durch das 
Einführungsgesetz zur neuen Civilprozeßordnung auf das heutige 
Maß eingeschränkt worden; es ergiebt sich aus dem ganzen Ver- 
laufe der Enquete, daß an der Nützlichkeit dieser Einschränkung 
ein ernster Zweifel auch in Börsenkreisen kaum besteht; in der 
Richtung aber wurden Bedenken geäußert, daß die Kompetenz noch 
zu weit abgesteckt sei. 

Eine unter den Persönlichkeiten, deren Urteil über diesen Punkt 
als besonders bedeutungsvoll betrachtet werden muß, ist der Präsi- 
dent des Landesgerichts in Linz, Hofrat Dr. Julius Pia, dessen 
genaue Kenntnis der Verhältnisse daher stammt, daß er durch Jahre 
mit der Aufgabe betraut war, die Agenden des Wiener Börsen- 
schiedsgerichtes zu revidieren. Genaue Sachkenntnis und absolute 
Objektivität standen diesem Experten zur Seite (II, 384). Er kon- 
statierte, daß die Geschäftsführung der Wiener Börsenschiedsgerichte 
stets gesetzlich gewesen sei und den statutarischen Bestimmungen 
entsprochen habe; ebenso konnte er erklären, daß die Schiedsrichter 
mit Gewissenhaftigkeit und Unparteilichkeit judiziert hätten. Nach 
seiner Ansicht wäre es wünschenswert, daß in die Usancen ein 
Passus aufgenommen werde, wonach die Bestimmungen der ein- 
schlägigen Paragraphen der allgemeinen Usancen (Protesterhebungen, 
Anzeigen u. s. w.) bei außerhalb der Börse abgeschlossenen Ge- 
schäften zum Nachteile eines Kontrahenten nur insofern angewandt 
werden dürften, als anzunehmen sei, daß er sie rechtzeitig habe 
kennen müssen. Damit würde vermieden, daß Leuten, die sich 
schlußbriefmäßig den Börsenusancen unterworfen haben, ohne sie 
genau zu kennen, daraus Nachteil erwachse; zu einer solchen Unter- 
werfung könne ja der schwächere durch den stärkeren Teil sehr 
leicht veranlaßt werden. Weiter warf der Experte die Frage auf, 
ob nicht Klagen auf Zahlung eines Geldbetrages, bei denen ja eine 
sehr schnelle Entscheidung, wie sie nur das Schiedsgericht bieten 
könne, nicht unbedingt notwendig sei, wenn die Forderung aus einem 


330 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


außerhalb der Börse geschlossenen, börsentechnischen Termin- 
geschäfte stammt, überhaupt und insbesondere dann, wenn die Ein- 
wendung von Spiel und Wette erhoben werde, der Kompetenz der 
Schiedsgerichte zu entziehen sei. Dieser Gedanke dränge sich des- 
wegen auf, weil erfahrungsgemäß die Schiedsgerichte jene Einwen- 
dung fast immer zurückweisen und weil in diesem Punkte nicht immer 
die Entscheidung der Schiedsgerichte ausfalle, wie die ordentlichen 
Gerichte, falls dieselben sofort angerufen worden wären, entschieden 
hätten. — Wir werden sehen, wie lebhaft die Frage in der Enquête 
erörtert worden ist, ob die Zulässigkeit der Einwendung von Spiel 
und Wette nicht auch für auf der Börse geschlossene Geschäfte 
statuiert werden solle und nicht nur für börsenmäßige, aber außer- 
halb der Börse abgeschlossene Verträge. Bekanntlich war die Zu- 
lässigkeit dieser Einwendung selbst für die letztere Gruppe von 
Geschäften lange Zeit streitig; ja wir sehen aus dem vorliegenden 
Gutachten, daß die Schiedsgerichte ihr noch immer mit großer Zurück- 
haltung gegenüberstehen. Daß ein Jurist, wie Pia, sich zu dieser 
Frage geäußert hat, ist daher doppelt dankenswert, weil anzunehmen 
ist, daß seine Auffassung in der Praxis Beachtung finden werde. 
Das allgemeinere Thema der uneingeschränkten Zulässigkeit jener 
Einwendung werde ich an einer späteren Stelle noch besprechen 
müssen. Noch einschneidendere Reformvorschläge machte Prof. 
Adler (III, 534); er hob hervor, daß es absolut notwendig sei, die 
Einrichtung der Schiedsgerichte auf deren natürlichen Wirkungs- 
kreis zu beschränken; ihre Bedeutung sei eine sehr große, sie seien 
ja zeitweilig die wesentlichen Träger der Handelsrechtsentwickelung 
gewesen und in ihnen würden Personen, „die auf ein ganzes Heer 
von geschriebenen und ungeschriebenen Usancen eingeschworen seien, 
zu Herren weiter Rechtsgebiete gemacht“. Thatsache sei, daß sich 
besonders Landwirte einfach dem Schiedsgerichte unterwerfen 
müssen, wenn sie überhaupt ihre Produkte verkaufen wollen, und 
damit auch den anderen Usancen, die sie oft nicht genau kennen, 
— in der letzteren Richtung allerdings liege eine Ungesetzlichkeit 
und ein Mißbrauch. Ueber Personen, welche nicht Börsenmitglieder 
oder registrierte Kaufleute sind, sollten überhaupt die Börsen- 
schiedsgerichte mit Ausnahme derjenigen in Wien keine Kompetenz 
haben; die Schiedsgerichte wären mit technologischen Hilfskräften 
auszustatten, auch wären ihnen ständige Anwälte zur Vertretung 
der Parteien beizugeben; die Institution des Armenrechtes müßte 
eingeführt und es müßten überdies noch eine Reihe anderer Reformen 
in nebensächlicheren Punkten vorgenommen werden. — Auch Dr. 
Landesberger (IV, 81) ist für eine weitere Einschränkung des 
Kreises der heute zum Börsenschiedsgerichte zugelassenen Personen, 
und nur diesen zugelassenen Personen will er gestatten, technische 
Börsengeschäfte abzuschließen; sie müssen sich dann aber auch 
dem Ausschlusse des Differenzeinwandes unterwerfen; insoweit diese 
Personen aber Landwirte seien, soll die Einwendung Geltung und 
die Annullierung des Geschäftes zur Folge haben, wenn sie also 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 331 


richtig erwiesen wird, daß das Warengeschäft im offenbaren Miß- 
verhältnisse zum landwirtschaftlichen Betriebe derselben stehe. 
Dr. Weishut (VIII, 307) meint zwar, daß sich jeder protokollierte 
Kaufmann dem Schiedsgerichte solle unterwerfen dürfen, ist aber 
dafür, daß der Ausdruck „Börsenbesucher* im Gesetze nur auf 
„ständige“ Börsenbesucher anzuwenden sei, nicht aber auf jeden, der 
etwa mit einer Gastkarte kommt. Ueberdies fordert Weishut, 
daß, wenn ein außerhalb der Börse Stehender sich dem Börsen- 
schiedsgerichte unterwerfen soll, hierüber stets eine besondere Ur- 
kunde aufgestellt werden müsse, welche jeden Irrtum und jede 
Täuschung auf seiner Seite ausschließe. 

Ferner müsse parallel mit der vorgeschlagenen Ausdehnung der 
Kompetenz dafür gesorgt werden, daß der rechtskundige Sekretär 
nicht ein Beamter der Börsenkammer, sondern Staatsbeamter und 
verpflichtet sei, bei Auftauchen von Rechtsfragen Rechtsbelehrungen 
zu geben; dies würde weit nützlicher sein, als die Bestellung eines 
rechtsgelehrten Vorsitzenden. Auch das Rechtsmittelverfahren hält 
Dr. Weishut für mangelhaft und reformbedürftig. 

Sand (IX, 623) will, daß außerhalb der Börse stehende Per- 
sonen unter keinen Umständen sich der Kompetenz der Schieds- 
gerichte unterwerfen können; im gegenteiligen Falle aber wäre für 
sie ein Instanzenzug zu eröffnen ; unter gewissen Bedingungen wäre 
ein solcher bei allen Schiedssprüchen zuzulassen. Der Vorsitzende 
des Gerichtes soll stets ein gelehrter Richter sein, wodurch das üb- 
liche Drängen zum Ausgleiche eingedämmt würde. — Dr. Kienböck 
(V, 269) erklärte sich geradezu als Gegner der Schiedsgerichte über- 
haupt; R. v. Hohenblum (VIII, 288) hält sie für reformbedürftig, 
Fuhrich (VII, 53) fordert, daß die Kompetenz der Börsenschieds- 
gerichte und die Zulässigkeit eines Kompromisses auf dieselben 
bei Streitigkeiten aus Termingeschäften zwischen Streitteilen, von 
welchen mindestens einer der Börse nicht angehört, noch weiter 
eingeschränkt werde. 

Diesen zahlreichen Reformwünschen gegenüber trat eine Reihe 
von Experten für die im Wesen unveränderte Beibehaltung der 
Schiedsgerichte in ihrer heutigen Kompetenz und Verfassung ein, 
oder forderte geradezu eine Erweiterung der ersteren. Ich nenne 
hier vor allem Dr. Weiß v. Wellensein und Dr. Horovitz, dem 
sich der Experte Kauders ohne Einschränkung anschloß und der 
ganz entschieden nicht nur die Berechtigung des Schiedsgerichtes 
überhaupt, sondern auch jene der durch die neue Gesetzgebung 
festgestellten persönlichen Voraussetzung für die Unterwerfung unter 
dasselbe verfocht; die einzig richtige Schranke für die Kompromiß- 
fähigkeit sei der Beruf der Vertragsteile. Die heute geltenden 
Kompetenzbestimmungen seien sogar zu eng; „eine den thatsäch- 
lichen Verhältnissen und praktischen Bedürfnissen entsprechende 
Regelung des Börsegesetzes hätte zur Schaffung der Norm führen 
müssen, daß jeder Vertrag und jedes Geschäft dem Börseschieds- 
gerichte unterbreitet werden kann, sofern dieser Vertrag und dieses 


332 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


Geschäft einen Börsenverkehrsgegenstand umfaßt und sofern die Par- 
teien protokollierte Kaufleute oder Personen sind, die sich vermöge 
ihres Berufes mit dem Ein- oder Verkaufe dieses Börsenverkehrs- 
gegenstandes befassen. Horovitz bemerkte auch im Widerspruche 
zu anderen Experten, daß Vorkehrungen beständen, um jeden durch 
die Mitglieder eines kartellierten Unternehmerverbandes ausgeübten 
Druck zur Unterwerfung unter die schiedsgerichtliche Kompetenz aus- 
zuschließen. — In ähnlichem Sinne äußerte sich Gibian (V, 227), 
Dr. Fischl (IV, 16) und Schwitzer (IV, 66). 

Wie ich schon bemerkt habe, verhalte ich mich diesen Fragen 
gegenüber ausschließlich als Referent; nur die folgenden wenigen 
Bemerkungen möchte ich mir gestatten: jeder Druck auf einen 
Kontrahenten, wodurch er gegen seinen Willen moralisch gezwungen 
wird, sich einem Schiedsgerichte zu unterwerfen und damit noch 
überdies usancemäßigen Vertragsbestimmungen, die er vielleicht 
nicht genügend kennt, oder doch auf ihre Tragweite nicht abzu- 
schätzen vermag, muß irgendwie ausgeschlossen werden; kommt ein 
solcher Druck vor, so wird damit der ganzen Idee des Schieds- 
gerichtes Hohn gesprochen und gegen die Institution Mißtrauen 
erweckt. — Der dem Schiedsgerichte beigegebene Jurist muß von 
der Börsenleitung vollständig unabhängig gestellt sein; nur unter 
dieser Voraussetzung kann er ganz unbefangen wirken, und dies ist um 
so notwendiger, als ja die Richter, insoweit sie dem Börsenvorstande 
angehören, weil sie gleichzeitig die Gesetzgeber der Börse sind und 
weil sie ja ebensogut morgen oder übermorgen ihrerseits als Parteien 
vor dem Schiedsgerichte stehen können, von einer gewissen Be- 
fangenheit, mögen sie noch so integer sein, sich nie ganz werden 
frei machen können. Auch ich halte weiters die Zulassung eines 
Instanzenzuges für absolut notwendig. 


VII. (Reform des Terminhandels.) 


Zu diesem Punkte möchte ich mir erlauben, zunächst darzulegen, 
wie ich selbst mich über die einschlägigen Fragen geäußert habe; 
ich thue dies deswegen an dieser Stelle, weil ich damit der Aufgabe 
überhoben werde, immer wieder kritische Bemerkungen in größerem 
Umfange in das Referat einzuflechten, weil ich also hierdurch 
wesentlich an Raum zu sparen hoffe. Freilich muß ich voraus- 
schicken, daß ich nicht zu allen Fragen das Wort ergriffen habe; 
nur dort habe ich mich geäußert, wo ich mir ein selbständiges Ur- 
teil zumuten konnte. Ich hatte mich in dem ersten Teile meines 
Gutachtens gegen das Verbot des Terminhandels ausgesprochen, 
aber jene Einschränkung desselben gefordert, welche mir notwendig 
erschien, um eine allzu große Vermehrung der Geschäfte, ein allzu 
massenhaftes Heranziehen ausländischer Waren auf den inländischen 
Markt zu verhindern ; aus diesem Grunde trat ich nun in meinen 
weiteren Ausführungen für eine Restriktion der Fungibilität von 
Ware und Geschäft ein und zwar ohne dabei die mir fernliegende 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 333 


Frage nach der börsentechnischen Durchführbarkeit meiner Vor- 
schläge in Erwägung zu ziehen, freilich in der Annahme, ja in der 
persönlichen Ueberzeugung, daß sie ohne weiteres durchführbar 
seien. Die Fungibilität des Getreides — sagte ich — ist selbstver- 
ständlich dann am größten, wenn nur eine Type anerkannt wird; 
führte man mehrere Typen ein, so würde sie verringert werden. 
Nun haben alle Typen überdies leider gewöhnlich die Eigenschaft, 
daß sie fast immer etwas Unbestimmtes bedeuten, daß sie nie ge- 
nügend präcis sind, um z. B. sagen zn können, dieser oder jener 
Sack Weizen entspreche genau dem Typus oder er entspreche ihm 
absolut nicht. Diese Thatsache vermehrt die Fungibilität der Ware 
ins maßlose, wenn nur ein Typus gilt; es muß also um so mehr 
eine Mehrheit der Typen gefordert werden und zwar etwa drei. 
Davon würde der niedrigste aber doch noch immer eine an sich und 
ohne Beimengungen brauchbare Ware bezeichnen müssen. Von 
einer solchen Reform erwartete ich mir aber nicht nur eine Ver- 
ringerung der Fungibilität der Ware, sondern auch direkt eine Ein- 
schränkung der die Baisse fördernden Tendenz des Terminhandels, 
weil dann jeder, der die Terminnotierung liest, von vornherein 
sehen würde, daß verschiedene Preise für verschiedene Qualitäten 
vorliegen; es würde dann dem Händler nicht mehr allzu leicht 
werden, den Produzenten mit dem Preise auf die niedrigste Type 
herabzudrücken. 

In zweiter Linie hielt ich dafür, daß die Fungibilität des Ge- 
schäftes dadurch verringert werden könnte, daß man die Kündigungs- 
fristen abkürzte; es wäre dann weniger Anlaß geboten, Geschäfte 
zwischen den ursprünglichen Abschluß und die Abwickelung einzu- 
schieben; auch würde in diesem Falle das Risiko des Geschäftes 
verringert und die sogenannte signalisierende Funktion der Termin- 
preise, wenigstens unter Umständen verbessert werden. Ob dabei 
nicht auch ein heilsamer Einfluß auf den Reportsatz abfiele, will 
ich dahingestellt sein lassen. Besonders wichtig schien es mir, daß 
die Lieferungsfristen kürzer bemessen werden (Görski VIII, 410), 
weil dadurch eine die Baisse fördernde Ursache in ihrer Bedeutung 
herabgesetzt würde. — Ich ging aber mit meinen Vorschlägen noch 
weiter und trat damit in den Kreis der radikalsten Reformer des 
Terminhandels ein, indem ich die Aufhebung des $ 13 des Börsen- 
gesetzes forderte. Durch diesen Paragraphen wird nämlich die Ein- 
wendung von Spiel und Wette gegen auf der Börse geschlossene, 
börsentechnische Geschäfte als rechtsunwirksam erklärt. Nur durch 
jene Maßregel kann meines Erachtens das Differenzgeschäft, wie 
ich es charakterisiert habe, beseitigt werden, soweit eben durch 
gesetzliche Bestimmungen Mißbräuche und volkswirtschaftliche Ver- 
brechen überhaupt unmöglich gemacht werden können. Ich ver- 
schloß mich dabei keineswegs den ernsten moralischen Bedenken 
gegen eine derartige Aenderung des geltenden Gesetzes, nahm 
aber an, daß es gegebenen Falles Sache des Schiedsgerichtes sein 
würde, in seiner Judikatur das erforderliche Korrektiv zu finden. 


334 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


Damit gehe ich auf die Ausführungen über, welche von anderen 
Experten über diese Fragengruppe gebracht worden sind; ich bin 
hier in der Lage, ganz außergewöhnlich wichtige Gutachten von all- 
gemeinstem Interesse mitzuteilen, und zwar insbesondere zu einigen 
Punkten, nämlich in betreff der Usancen im allgemeinen, der Usancen- 
qualität und der Einwendung von Spiel und Wette; auch über das 
Selbeintrittsrecht und über die Besteuerung der Termingeschäfte 
wurde von maßgebender Seite Erwähnenswertes gesprochen; weniger 
Bedeutendes werde ich, um nicht all zu sehr die Geduld des Lesers 
in Anspruch zu nehmen, ganz übergehen. Nachdem schon Professor 
Adler (III 613) sich über das juristische Wesen der Usancen ge- 
äußert und damit Bedenken nicht nur an der Berechtigung einzelner 
Bestimmungen, sondern an der Anwendbarkeit der Usancen über- 
haupt in dem heutigen Umfange wachgerufen hatte, trat Prof. 
Dr. v. Görski mit einer ebenso glänzenden, als, wie ich glaube, 
entscheidenden Rede gegen die heute übliche Anwendung dieser 
Institution auf. Für ihn sind die Börsenusancen eine Erscheinung 
der sogenannten Verkehrssitte, der faktischen Gebräuche, sie sind 
keine objektive Rechtsnorm, sondern kommen nur auf Grund des 
erklärten oder vermutlichen Parteiwillens zur Geltung, obwohl sie 
praktisch manchmal die Funktion einer Rechtsnorm erfüllen. Diese 
Verkehrssitte ist nun durchaus nicht eine Errungenschaft etwa nur 
des Handels oder der Börse, sie spielt vielmehr auch im allge- 
meinen Privatrechte eine große Rolle. Es ist daher notwendig, sie 
von einem allgemeinen Gesichtspunkte aus zu beleuchten. Ueberall 
haben sich aus der Verkehrssitte Mißstände ergeben, dieselben können 
aber im Börsenverkehr nicht durch eine verständnisvolle Judikatur, 
die sonst genügt, ausgemerzt werden; hier ist ein „energisches Ein- 
greifen der Gesetzgebung unumgänglich“ notwendig. Das oberste 
Prinzip, von dem Görski bei seiner Untersuchung ausging, ist die 
These, „daß die faktischen Handelsgebräuche nur dann zur An- 
wendung kommen können, wenn sich die Parteien denselben unter- 
worfen haben, was auch stillschweigend geschehen kann“. Damit von 
einer Verkehrssitte die Rede sein könne, muß aber der Geschäfts- 
brauch nicht nur thatsächlich eingehalten, sondern auch allge- 
mein üblich sein, was eine um so wichtigere Voraussetzung ist, 
als ja die Usancen meistens den „Ausfluß eines Kampfes von zwei 
divergierenden Interessen darstellen; dort, wo der eine Interessent 
sich nur vor die Wahl gestellt sieht“, entweder die gestellten Be- 
dingungen anzunehmen, oder das Geschäft nicht abzuschließen, dürfte 
von einer Verkehrssitte im technischen Sinne nicht die Rede sein“; 
dies ist um so wichtiger, als vielfach der eine Kontrahent sich Ge- 
schäftsgebräuchen unterwirft, die er gar nicht kennt. In ähnlichen 
Fällen hat auf anderen Gebieten die Judikatur die erforderliche 
Hilfe geleistet und so den wirtschaftlich und geistig Schwächeren 
gegen Uebergriffe des formellen Rechtes geschützt. In der Börsen- 
praxis ist nun aber ein solcher Schutz ganz besonders notwendig. 
Die Börse selbst hat dies einigermaßen in dem Satze anerkannt, 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 335 


daß die Unterwerfung unter das Schiedsgericht nur insoweit die An- 
wendung der Usancen auf den Rechtsfall nach sich ziehe, als diese 
Anwendung in der Natur des jeweiligen Geschäftes begründet er- 
scheine. Darüber zu entscheiden, ob dieser Fall zutreffe oder nicht, 
ist aber Sache des Schiedsgerichtes, und dieses irrt da nur zu häufig 
mit seiner Auffassung; es bringt dann nicht die Normen des bürger- 
lichen oder des Handelsrechtes, sondern die Usancen zur Anwendung, 
in denen „rechtliche Anschauungen codifiziert sind, die dem geltenden 
Privatrechte schnurstracks zuwiderlaufen‘“. — Dieser Wider- 
spruch zwischen Usancen einerseits, bürgerlichem und Handelsrecht 
andererseits bildete den weiteren Gegenstand der ebenso scharfen 
als konzisen Darlegungen Görski’s, welcher die unbedingte For- 
derung aussprach, daß die Usancen niemals mit dem Privatrechte 
in Widerspruch stehen dürfen, ebensowenig wie ein Gegensatz 
zwischen bürgerlichem und Handelsrecht bestehen sollte; das aber 
könne nur erreicht werden, wenn sie revidiert und wenn die Aus- 
gestaltung der Usancen nur auf gesetzlichem oder auf dem Ver- 
ordnungswege, also unter staatlicher Genehmigung, erfolgen dürfe. 
Die Frage der freiwilligen Unterwerfung der Parteien unter die 
Usancen müßte gleichfalls neu geregelt und für deren Giltigkeit 
die Ausfertigung eines Notariatsaktes als notwendig erklärt werden. 
Ich bedauere, nicht auf Einzelheiten eingehen zu können und mich 
mit dieser allgemeinen Andeutung begnügen zu müssen ; da aber 
Prof. v. Görski natürlich vorwiegend das österreichische Privatrecht 
und die Wiener Usancen besprach, so scheint es mir angemessen, 
über seine Anschauungen nur im allgemeinen zu berichten, da mich 
das Eingehen auf Details ja wieder zu Vergleichungen mit den im 
Deutschen Reiche geltenden Normen zwingen würde. 

Prof. v. Görski stellte im weiteren fest, daß „das Privilegium 
der Börse, in ihrem und außer ihrem Bereiche Normen zu schaffen, 
die als gesetzliche gelten sollen“, einzig dastehe. Dadurch habe 
das Subjekt bis auf den Insolvenzfall seine Individualität vollständig 
verloren, noch mehr aber sei dies bei der Ware der Fall. „Das 
Andienen ist kein Erfüllungsversuch, da es zurückgezogen und durch 
eine andere Ware ersetzt werden kann; der börsenmäßige Verzug 
ist kein Verzug im Rechtssinne, da er ohne jeglichen Nachteil 
saniert werden kann, die Abwickelung ist keine Erfüllung, da keine 
Warenbewegung und keine Preiszahlung zu erfolgen braucht. Kurz, 
dieses vermeintliche Börsenrecht hat die rechtlichen Begriffe ent- 
stellt... .*“ Ueber Prof. v. Görski’s Ausführungen, deren Be- 
deutung für das ganze Problem sofort als vom juristischen Standpunkte 
entscheidend erkannt worden ist, wurde an einem besonderen Tage 
eine eingehende Diskussion geführt, auf die ich aber nur verwiesen 
haben will (VIII, Gr.); es genügt das, weil sie nicht imstande war, 
Görski’s Stellung irgend zu erschüttern. Ich bemerke hier nur noch, 
daß Görski in einer späteren Rede seine Ausführungen vom volks- 
wirtschaftlichen Standpunkte aus insoferne ergänzt hat, als er auf 
das allgemeine Gebiet überging, die Stellung der verschiedenen Be- 


336 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


rufsklassen zum Terminhandel, insbesondere auch die der Groß- 
und Kleinmüllerei, des großen und des kleinen Effektivhandels und 
des Konsums charakterisierte, den baissierenden Einfluß des Termin- 
handels auf die Preise, dann die gänzliche Unbedenklichkeit seiner 
Aufhebung oder Beschränkung nachwies und auf die Frage der Be- 
steuerung der Termingeschäfte einging. Er gelangte zum Schlusse, 
daß die Lahmlegung des Terminspiels eine soziale Notwendigkeit sei 
(VIII, 407—418). Die wichtigsten Stellen aus dieser Darstellung 
habe ich bereits an den mir geeignet erscheinenden Orten ange- 
deutet, was um so mehr genügen dürfte, als Görski in sehr vielen 
Punkten mit den von mir vertretenen Anschauungen übereinstimmt; 
auf die Besteuerungsfrage habe ich noch später einzugehen. 

Ich komme damit zum zweiten aus den Gegenständen, von denen 
ich im Eingange dieses Kapitels gesagt habe, sie seien in der En- 
quete einer besonders eingehenden Erörterung unterzogen und in 
besonders autoritativer Weise beleuchtet worden. Ich meine 
hier die Usancequalität des Termingetreides. Die Meinungen 
standen sich auch in diesem Punkte anfangs schroff gegenüber; von 
der einen Seite wurde behauptet, Getreide von der Usancequalität 
sei durchaus bestimmt qualifiziert, es sei vollkommen brauchbar, ja 
sogar besser als gar vieles von dem in Oesterreich abreifenden; auf 
der anderen Seite dagegen wurde gesagt, Getreide, das der Usance- 
qualität entspräche, wachse überhaupt nicht, es müsse im Bedarfs- 
falle erst künstlich durch Beimengungen erzeugt werden und sei 
für den Müller unverwendbar. Eine Klärung der Ansichten, resp. 
die Möglichkeit, sich ein objektives Urteil beiden Anschauungen 
gegenüber zu bilden, wurde erst durch die Ausführungen des Kom- 
missionsmitgliedes Dr. R. v. Weinzierl, Direktors der k. k. Samen- 
kontrollstation und zum Teil durch eine besondere Einvernehmung 
von Experten über die Beschaffenheit von Getreideproben herbei- 
geführt. Diese letztere Expertise kann naturgemäß höchstens in 
ihrem Gesamtergebnisse allgemeineres Interesse beanspruchen; ich 
gehe daher darauf nicht näher ein und beschränke mich im wesent- 
lichen auf eine kurze Darlegung der Ausführungen Weinzierl’s. 
Dieser Fachmann erklärte, daß nicht nur das Qualitäts- (sogenannte 
Hektoliter-) Gewicht, sondern auch das absolute Körnergewicht als 
wertbestimmender Faktor bei der Beurteilung von Getreide in Be- 
tracht gezogen werden müsse, denn dieses gebe „die Menge, die das 
Rohmaterial, das Stärkemehl, liefert, an“; das bloße Qualitätsgewicht 
sei wohl orientierend, aber nicht für die Qualität bestimmend, um so 
weniger als z. B. mehliger Weizen im Litergewichte außerordentlich 
leicht sei. Besonders bei Weizen komme aber noch ein weiteres 
wertbestimmendes Moment in Frage, nämlich seine Glasigkeit, die 
wieder auf den Klebergehalt schließen lasse; bei Hafer sei der 
Schalengehalt von Wichtigkeit. In Betreff des Maßes der Bei- 
mengungen, welches die Usancen als zulässig erklären, mußte Dr. 
Weinzier) darauf hinweisen, daß die Bestimmung desselben nach 
der Körnerzahl falsch sei und durch die Feststellung nach dem Ge- 


BürsenmäBiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 337 


wichte zu ersetzen wäre; in jedem Falle sei die als zulässig er- 
klärte Verunreinigung viel zu stark, da ja selbst bäuerliche Markt- 
ware im Maximum nur ein Gewichtsprozent aufweise. Außerdem 
komme nicht nur die Menge, sondern auch die Art der Beimengungen 
in Frage. Uebrigens habe er unter all den zahllosen Getreideproben, 
die er geprüft, nie als solches bezeichnetes Usancegetreide gesehen. 
Die Provenienz der Ware sei allerdings ein wichtiger Faktor, man 
könne mit demselben aber nicht rechnen, da sie in der Regel dem 
Getreide nicht anzusehen sei. — Wenn jedoch bloß auf das Qualitäts- 
gewicht Rücksicht genommen werde, dann müsse man allerdings zu- 
geben, daß die Gewichtsziffern der Usancen Mittelware betreffen ; 
damit aber sei, wie schon ausgeführt, die Güte der Ware nicht ge- 
nügend charakterisiert. Wenn man bei diesem einen Merkmale 
allein bleibe, würde es auch gar nichts nützen, eine Typenskala an 
Stelle der einen Type aufzustellen. Weinzierl plädierte schließlich 
für die Ersetzung der bisher stets angewendeten subjektiven Kriterien 
für die Qualität des Getreides durch objektiv-wissenschaftliche. 

Die bei der oben bezeichneten Expertise geprüften Weizen- 
proben erklärte Dr. von Weinzierl dem Hektoliter- und Körnerge- 
wichte nach als Mittel-, die Roggenproben als gute Sorten ; bezüglich 
der Glasigkeit, des Klebergehaltes, fand er dagegen, daß nur zwei 
Proben den für die Samenkontrollstation geltenden Normen ent- 
sprechen, die anderen aber weit hinter dem Grenzwerte zurückblieben 
und in ihren Preisen sehr bedeutende Differenzen aufweisen würden. 
Es ist begreiflich, daß speciell dies letztere Urteil von seiten der Ver- 
treter der Börse energisch bestritten worden ist, waren doch alle 
der Expertise vorgelegten Sorten ausdrücklich als Usanceware er- 
klärt und anerkannt worden. Ich halte übrigens dafür, daß für 
unser Problem nur zwei Momente von Wichtigkeit sind und von 
diesen wieder das eine mehr als das andere. Das Wichtigste ist 
wohl die, wie mir scheint, unwiderleglich nachgewiesene Thatsache, 
daß das bloße Hektolitergewicht zusammen mit den sonstigen, usance- 
mäßigen Qualifikationen die Mahl- und Backfähigkeit des Getreides, 
also den Grad seiner Brauchbarkeit durchaus nicht genügend be- 
stimmt (s. auch Pilat IX, 747). Der nächst wichtige Umstand ist 
der -— daß er zutreffe, wurde allerdings energisch bestritten — daß 
usancemäßiges Getreide auch von sehr geringer Brauchbarkeit sein 
kann. — Aus diesen Umständen ergiebt sich die Notwendigkeit, daß 
in die Usancen ein sicheres Kriterium für die Qualität aufgenommen 
werde, als es das Hektolitergewicht ist. Daß ich der Meinung bin, 
es müsse auch eine Typenscala eingeführt werden, habe ich schon 
oben angedeutet und ich glaube, daß selbst von Seite der Börse 
(s. die Ausführungen von Dr. Horovitz III, 582) hiergegen keine 
erusten Einwendungen erhoben würden (s. auch Prof. Adler IV, 
140, der als technisches Ideal die Organisation nach Typen in Ver- 
bindung mit Lagerscheinen bezeichnete). Für eine periodisch 
wiederkehrende Feststellung der Typen haben sich nur ganz wenige 
Stimmen eingesetzt; auch Dr. v. Weinzierl hat sich nicht dafür 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI), 22 


338 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


ausgesprochen. Dr. Horovitz (III, 582) hat Anlaß genommen, 
die praktischen Schwierigkeiten und die Nutzlosigkeit einer solchen 
Maßregel nachzuweisen, wobei er üble Erfahrungen, welche in Wien 
und Ofen-Pest damit gemacht worden seien, und die bereits in der 
deutschen Börsenenquete dagegen erhobenen Bedenken anführen 
konnte. Auch dem Hinweise auf Nordamerika konnte er die Berech- 
tigung absprechen, da in jenen Gebieten die Verhältnisse ganz 
anders liegen, als in Europa. In Oesterreich im besonderen differiere 
der Weizen der Qualität nach oft um 20--30 Proz., überdies 
mischen die Müller die verschiedensten Sorten, um dem Getreide 
einen größeren Mahlwert zu verleihen: endlich führe man der Qua- 
lität nach weit voneinander abstehende Sorten aus aller Herren 
Ländern ein, so daß es ganz unmöglich sei, für alles in Oesterreich 
zur Vermahlung gelangende Getreide eine einheitliche Type festzu- 
setzen; man habe sich daher darauf beschränken müssen, ein für 
allemal das Hektolitergewicht als allein maßgebend zu betrachten 
und alle individuellen Merkmale wegzulassen; so habe man die 
Mindestqualität generell umschrieben und eine „allgemein ver- 
wendbare“ Getreidetype erhalten. — Ich bemerke nur, daß diese 
Aeußerung abgegeben wurde, nachdem Dr. v. Weinzierl bereits die 
Unbestimmtheit der nur durch das Hektolitergewicht bezeichneten 
Type konstatiert hatte (II, 409). — In diesem Punkte traten natür- 
lich weniger ablehnende Anschauungen zu Tage; so meinte Frhr. v. 
Offermann, der übrigens auch entschieden für eine Typenskala 
eintrat, weil dadurch der Terminhandel erst in einen organischen 
Zusammenhang mit dem Effektivhandel gebracht würde (III, 600), 
man könnte die Typen allerdings wechseln, aber nur in längeren, 
etwa 10-jährigen Perioden, wenn nämlich sich die Weizensorten 
thatsächlich in ihrer Natur geändert hätten; die Aufstellung kürzerer 
Perioden würde nur Unsieherheit in das Geschäft bringen (s. auch 
die Aeußerung des Getreidehändlers Pollak IX, 715). 

Die Feststellung der Lieferungs- und Kündigungs- 
fristen ist in der Enquête vorwiegend nur incidenter behandelt 
worden; eine größere Bedeutung hat der Frage nur ein kleiner 
Kreis von Experten zuerkannt. unter diesen insbesondere Prof. 
Adler, Dr. Landesberger (IV, 170) und Kienböck (V, 415); 
meine eigenen Anschauungen, die mit denen Adler’s im Wesen über- 
einstimmen, habe ich schon oben verzeichnet. Der Generalsekretär 
der Wiener Warenbörse Vidéky war anderer Ansicht; er sagte, 
daß jede staatliche Intervention in betreff der Lieferungsfristen 
nutzlos wäre; da diese nicht willkürlich in den Usancen festgestellt 
worden seien, sondern sich von selbst, „einerseits nach dem Zeit- 
punkte der Ernten, andererseits nach dem Zeitpunkte des Er- 
schöpfens der Vorräte und der Notwendigkeit, andere Vorräte an 
deren Stelle herbeizuschaffen“, entwickelt hätten. Eine Abkürzung 
in dem Sinne, daß Zeitgeschäfte nicht auf zu lange Termine hinaus 
abgeschlossen werden sollten, würde nur bewirken, daß das Zeit- 
dem Effektivgeschäfte auf ein Haar nahe gerückt würde. Die Frage 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 339 


nach der zulässigen Dauer der Kündigungsfristen hat Videky ganz 
anders verstanden, als ich (s. auch Horovitz III, 584); ich übergehe 
daher seine bezüglichen Ausführungen und bemerke nur, daß seine 
Aeußerungen in betreff der Lieferungsfristen meines Erachtens nichts 
weniger als ein Gegenargument gegen ihre Kürzung beibringen ; sie 
zeigen nur, wie schwer es manchen Praktikern wird, sich von der 
Vorstellung freizumachen, daß, was ist, schon durch seinen that- 
sächlichen Bestand seine Berechtigung erweise, und daß die Inter- 
essen des Handels für die Volkswirtschaftspolitik bestimmend 
seien; auch andere Experten, so Börsenrat Kauders, haben die 
bestehenden Usancen für vollständig berechtigt, jede Aenderung 
also als überflüssig erklärt. Im Gegensatze zu diesen Experten hat 
B. Schwitzer, einer der energischsten und vielleicht objektivste 
Vertreter des Status quo, eine Aenderung der bisher üblichen 
Lieferungsfristen als denkbar erklärt, wenn er auch in den 
schlechten Kommunikationsverhältnissen zwischen Wien und Ofen- 
Pest ernstliche Schwierigkeiten sah; das Recht aber, in diese 
Sache hineinzureden, vindicierte er ausschließlich den Händlern, 
während er allen anderen Berufsklassen die erforderliche Sach- 
kenntnis absprach ; dabei konnte er darauf hinweisen, daß diese 
Frage bereits wiederholt den Gegenstand ernster Beratungen inner- 
halb des Börsenvorstandes gebildet habe (IV, 156). Auch Dr. Weiß 
v. Wellenstein stand auf dem Standpunkte Schwitzer’s. Ich will 
diese meines Erachtens irrigerweise in der Enquöte als nebensächlich 
betrachtete Frage nunmehr verlassen und auf eine andere übergehen, 
die, wie mir scheint, das Interesse stärker auf sich gezogen und in 
die Verhandlung ab und zu sogar einen Ton der Gereiztheit hinein- 
getragen hat, die Frage nämlich über die Zulassung der Einwen- 
dung von Wette und Spiel. 

Das österreichische Börsengesetz sagt in den $$ 12 und 13: 
„Als Börsengeschäfte sind jene Geschäfte anzusehen, die im ôffent- 
lichen Börsenlokale, in der festgesetzten Börsenzeit über solche 
Verkehrsgegenstände geschlossen worden sind, welche an der be- 
treffenden Börse gehandelt und notiert werden dürfen. — Bei der Ent- 
scheidung von Rechtsstreitigkeiten aus Börsengeschäften ist die Ein- 
wendung, daß dem Anspruche ein als Wette oder Spiel zu beurteilendes 
Differenzgeschäft zu Grunde liege, unstatthaft.“ Ich brauche hier 
wohl nicht darauf hinzuweisen, daß der $ 13 parallel mit den 
Wandlungen in den allgemeinen, wirtschaftspolitischen Anschauungen, 
seit er in Kraft getreten ist, auch sein Anwendungsgebiet in der 
Praxis verändert hat; heute wird er im allgemeinen von den Ju- 
risten strikte aufgefaßt, also nur für auf der Börse abgeschlossene 
Börsengeschäfte als geltend betrachtet; diese Anschauung ist aber 
noch nicht so abgeklärt und noch nicht so weit verbreitet, daß sie 
zu voller Rechtssicherheit führen würde. Die Meinungsverschieden- 
heitin der Enquête bezog sich im Wesen darauf, ob der Paragraph ganz 
abzuschaffen, also auch für auf der Börse abgeschlossene Differenz- 
geschäfte außer Kraft zu setzen sei, oder nicht. Dr. Landesberger 


22* 


340 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


sprach sich zwar für eine Einschränkung des Kreises derjenigen 
Personen aus, die sich dem Schiedsgerichte unterwerfen können, 
verlangte aber, daß eben diesen Personen die Differenzeinwendung 
nicht zugänglich gemacht werden solle (IV, 81, 176). In ähnlichem 
Sinn und ausführlicher Begründung äußerte sich Prof. Grünhut 
(IX. 626), indem er erklärte, alle auf dem Terrain der Börse selbst 
abgeschlossenen Zeitgeschäfte müßten unter allen Umständen legitim 
und klagbar sein, wobei die inneren Motive der Kontrahenten ganz 
gleichgiltig seien; jedes derartige Börsengeschäft müsse vom Gesetz- 
geber als Effektivgeschäft fingiert und als solches unwiderlegbar 
präsumiert werden. Nur diese den Differenzeinwand ausschließende 
Auffassung „entspreche dem Geiste des Handelsrechtes und der 
Sicherheit des Geschäftsabschlusses“. Außerhalb der Börse abge- 
schlossene Differenzgeschäfte (mit der gleich zu erwähnenden Aus- 
nahme) sollen aber keinen Schutz finden, ihnen gegenüber sei jene 
Einwendung durchaus zulässig. „Der Gesetzgeber brauche keinen 
Anstand zu nehmen, aus höheren volkswirtschaftlichen Rücksichten 
sogar den wortbrüchigen Spieler zu schützen“; alle außerbörs- 
lichen Termingeschäfte seien als präsumtive Differenzgeschäfte auf- 
zufassen; eine Ausnahme bilden nur diejenigen, welche von berufs- 
mäßigen Börsenbesuchern oder von registrierten Kaufleuten abge- 
schlossen werden; bei diesen müsse vor allem der Grundsatz von 
Treu und Glauben gelten, ihnen gegenüber sei also der Differenz- 
einwand nicht zulässig. — Um das Differenzspiel des großen Publi- 
kums, das Grünhut als ,parasitarisch und am Volkswohlstande 
nagend“ bezeichnete, einzudämmen, würde aber die Zulassung des 
Differenzeinwandes nach seiner Auffassung nicht genügen; er schlägt 
daher eine gesetzliche Bestimmung etwa folgenden Inhaltes vor: 
„Wer gewerbemäßig innerhalb oder außerhalb der Börse Geschäfte 
über Wertpapiere oder Waren, die an einer Börse gehandelt und 
notiert werden, für Personen, die nicht berufsmäßige Besucher einer 
Börse oder registrierte Kaufleute sind, vermittelt oder für deren 
Rechnung abschließt, obwohl er weiß oder wissen muß, daß diese 
Geschäfte ihrer wahren Beschaffenheit nach bloß Wetten auf das 
Steigen und das Fallen der Preise sind, macht sich eines Vergehens 
schuldig, wenn er eine zur effektiven Erfüllung des Geschäftes ge- 
nügende Deckung nicht empfangen hat, oder nicht mit voller 
Beruhigung erwarten kann, und soll mit Arrest von 1 Monat 
bis zu 1 Jahre und mit Geldstrafe bis zu 10000 Kr. bestraft 
werden.“ Der Spieler selbst müßte allerdings straflos bleiben. 
Prof. Grünhut ging noch weiter und forderte, daß auch gemeinge- 
fährliche Spekulanten auf der Börse selbst verfolgt und wie leicht- 
sinnige Kreditare behandelt werden, in folgender Weise: „Wer in 
Wertpapieren oder Waren, die an der Börse gehandelt und notiert 
werden, in- oder außerhalb der Börse Geschäfte abschließt, die wegen 
der Höhe des Betrages mit seinem Vermögen und Kredit in so 
auffallendem Mißverhältnisse stehen, daß eine effektive Erfüllung 
dieses Geschäftes von vornherein unmöglich ist, macht sich eines 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 341 


Vergehens schuldig und soll mit Arrest von 1 Monate bis zu 1 Jahre 
bestraft werden.“ 

Die große Autorität, welche Prof. Grünhut zukommt, mußte 
sein Plaidoyer gegen den Einwand von Spiel und Wette bei an 
der Börse oder von gewissen Personen außerhalb der Börse ab- 
geschlossenen Geschäften als besonders bedeutungsvoll erscheinen 
lassen ; trotzdem und trotz der Zugeständnisse, die Grünhut der 
öffentlichen Meinung der Gegenwart machte, fand er doch Wider- 
spruch, die sich freilich weniger von streng juristischen Gesichts- 
punkten, als von dem Gedanken leiten ließ, es solle das Differenz- 
geschäft, wo immer es vorkommen möge, ob auf der Börse oder 
außerhalb derselben, als volkswirtschaftlich schädlich bekämpft und 
soviel wie möglich ganz ausgeschaltet werden. Aber nicht nur von 
seiten der Vertreter der Landwirtschaft und derjenigen Experten, 
die sich ihnen in diesem Punkte angeschlossen hatten, wurden die 
Vorschläge Grünhut’s nicht mit voller Zufriedenheit aufgenommen, 
auch einige Vertreter der Börse stießen sich freilich aus anderen 
Gründen an denselben oder doch an Einzelheiten seiner straf- 
rechtlichen Pläne (Schwitzer IX, 673, 732, Weiß-Wellenstein 
IX, 730, Börsenpräsident Jonas Weil IX, 734. Horovitz be- 
mängelte zwar auch die nach seiner Ansicht zu enge Abgrenzung 
des vom Differenzeinwande auszuschließenden Personenkreises, indem 
er in denselben auch jene aufgenommen wissen wollte, „die vermöge 
ihres Berufs- und Geschäftsbetriebes sich mit dem Ein- und 
Verkaufe von Verkehrsgegenständen der Produktenbörse beschäftigen “; 
er war aber in anderer Richtung wesentlich entgegenkommender, 
als die eben genannten Experten, indem er zugab, daß bei den, den 
inländischen, landwirtschaftlichen Berufskreisen angehörenden Per- 
sonen der Differenzeinwand unter der Voraussetzung zu gestatten 
sei, daß der Geschäftsumfang zu dem landwirtschaftlichen Betriebe 
in auffallendem, den anderen bekannten Mißverhältnisse stehe. 
„Allen anderen Personen gegenüber aber soll, ohne Rücksicht auf ihren 
Beruf und ihren Geschäftsbetrieb, ihren Bildungsgrad und ihre Kapitals- 
kraft von Gesetzeswegen die Unklagbarkeit der börsenmäßigen Termin- 
geschäfte (an der Produktenbörse) ausgesprochen werden.“ Die Not- 
wendigkeit der von Grünhut geforderten Strafbestimmungen würde 
damit entfallen; sie sei übrigens auch heute schon nicht vorhanden, 
da seit Einführung der neuen Civilprozeßordnung die Heranziehung 
und Ausbeutung wirtschaftlich schwacher, berufsfremder Elemente 
an der Wiener Produktenbörse gänzlich aufgehört habe“ (IX, 752). 
Mit diesen Vorschlägen ist Dr. Horovitz in wichtigen Punkten 
über Grünhut hinausgegangen, in der entscheidenden Frage der 
Abschaffung des $ 13 des Börsengesetzes als Ganzem hat aber auch 
er nicht transigiert. Mit einem Vorschlage in diesem Sinne ist vor 
allem Prof. Dr. Adler hervorgetreten (z. B. IV, 145, VII, 250); er 
hat seinen Standpunkt sehr mühsam verteidigen müssen, da er 
überaus heftig bekämpft worden ist, hat aber meines Erachtens 
schließlich das richtige Wort gefunden, indem er sagte, man müsse 


349 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


unter allen Umständen davon absehen, das Unmoralische selbst mit 
Moral durchtränken zu wollen. Ich selbst habe mich zu dieser 
Frage in dem oben angedeuteten Sinne geäußert und meine Position 
ebenfalls zu halten versuchen müssen und zwar insbesondere gegen 
Dr. Horovitz und seine wohldurchdachten Einwendungen, über- 
dies aber auch gegen Bedenken, die in ganz objektiver Weise und 
zum Zwecke der Klärung des Problems von seiten des Präsidiums 
ausgesprochen worden sind. Bei der Wichtigkeit der Frage und 
im Interesse voller Objektivität kann ich hier diese Diskussion 
nicht ganz übergehen; ich möchte aber vorerst bemerken, daß 
über den gegenwärtigen Umfang des Differenz- im Rahmen 
des Termingeschäftes von seiten der Vertreter der Börse die ver- 
schiedenartigsten Urteile ausgesprochen worden sind. Während von 
der einen Seite behauptet wurde, das reine Differenzspiel sei an 
der Börse ganz unbedeutend und komme nur selten vor, trat aus 
den Ausführungen anderer zu Tage, daß es denn doch keine 
geringe Rolle spiele; nicht der Börse angehörende Experten stellten 
seinen quantitativen Umfang noch erheblich höher, wobei freilich 
vielleicht eine etwas extensivere Auffassung über den Begriff des 
Differenzgeschäftes nicht geringen Einfluß auf dieses Urteil gehabt 
haben mag. Ich möchte hier nur auf die von mir aufgestellten 
Kategorien verweisen, die, soviel ich das Material übersehe, eigent- 
lich nur von Prof. Adler und auch von diesem meines Erachtens 
mehr aus formellen Gründen in ihrer Berechtigung angegriffen 
worden sind. Es ist wohl gewiß, daß, wenn das Differenzspiel 
heute nur geringe Bedeutung hat, auch das ganze Problem eben 
für heute mehr in den Hintergrund treten kann; es ist aber ebenso 
wahr, daß die quantitative Bedeutung dieser Geschäftsart sich sehr 
heben und damit der Differenzeinwand resp. das Verbot desselben 
an Wichtigkeit sehr gewinnen könnte. Da aber die in Frage 
stehende Reform unmöglich für jede mögliche Situation an der 
Börse besondere Bestimmungen treffen kann, und da es wenigstens 
in der Absicht gewiß gelegen ist, die Reform nicht nur mit Giltigkeit 
für kurze Zeit durchzuführen, so muß auch von jenen das Problem als 
wichtig betrachtet werden, welche das Differenzgeschäft an der 
Wiener Börse im jetzigen Zeitpunkte für unbedeutend halten; in 
dieser Erkenntnis ist gewiß auch der Grund dafür zu suchen, 
daß von Seite der Börse die Aufhebung des $ 13 so entschieden 
bekämpft wurde. — Je seltener übrigens heute die Differenzspiele 
vorkommen, um so geringer wäre naturgemäß auch die Erschütterung, 
welche für die Börse als Folge der Aufhebung des $ 13 befürchtet 
wird; um so leichter wäre aber auch das Ziel der Aufhebung, die 
Beseitigung des Differenzspieles auch für die Zukunft zu erreichen. 
Von Seite des Präsidiums wurde nun darauf hingewiesen, daß durch 
die Zulassung des Einwandes von Spiel und Wette auch bei Börsen- 
geschäften die diesem Einwande zu Grunde liegende Bestimmung 
des Bürgerlichen Gesetzbuches vollständig geändert würde, daß 
dadurch der ganze Börsenverkehr den Stempel größter Unsicherheit 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 343 


erhielte; weiter würden dadurch nur die unsolidesten Elemente 
Schutz finden, weil sich diese, und nur diese, wenn sie ein Spiel- 
geschäft gemacht haben, hinter diesem Einwande verschanzen 
würden, auch könnte durch die Börse selbst eine solche Reform 
illusorisch gemacht werden, wenn sie sich einfach entschlösse, 
Elemente, die sich hinter den Spieleinwand verschanzen, zu boy- 
kottieren, endlich wäre zu bedenken, daß damit auch die moralische 
Auffassung über den Geschäftsverkehr erschüttert würde. Dr. Horo- 
vitz verwies auf die unmittelbare Entstehungsgeschichte des Börsen- 
gesetzes und damit auch des $ 13, die auf die Krise des Jahres 1873 
zurückführt. Der § 13 sei geschaffen worden, um der kauf- 
männischen Unehrlichkeit und dem Vertragsbruche einen Schild zu 
entziehen, dessen sie sich hätten bedienen können; es sollte dadurch 
jene Strenge und Sicherheit begründet werden, deren die Volks- 
wirtschaft zu einer gesunden Entwickelung bedarf. Die Aufhebung 
des Paragraphen wäre geradezu „eine Freiprämie für kaufmännische 
Wegelagerer“. Ich bin weit entfernt, das Gewicht dieser Ein- 
wendungen zu unterschätzen und nicht ohne weiteres zuzugestehen, 
daß der Paragraph viel für sich hat und das die Frage nur nach 
sehr ernster Erwägung aller Umstände gelöst werden kann. Ich 
erkenne die moralischen Bedenken gegen die Zulassung des 
Differenzeinwandes an der Börse als durchaus begreiflich an und 
sehe auch ein, daß seine Aufhebung vorübergehende Erschütterungen 
der kaufmännischen Sicherheit verursachen würde; warum ich aber 
doch von Dr. Horovitz abweiche, das hat seinen letzten Grund 
darin, daß ich nicht nur Spieler, die, wenn sie verlieren, diese Ein- 
wendungen erheben, für kaufmännische Wegelagerer halte, sondern 
— im volkswirtschaftlichen Sinne — überhaupt alle diejenigen, 
welche sich mit dem Differenzspiele im strengen Wortsinne abgeben. 
Man soll nicht nur die ersteren, sondern alle Spieler von der Börse, 
von dem Markte, an dem die Preise für das Hauptprodukt unserer 
Landwirtschaft festgestellt werden, fernhalten. Das aber ist meines 
Erachtens nur dadurch zu erreichen, daß man die Gewinnchancen 
des Spieles auf ein Minimum herabsetzt, dies aber wieder am besten 
dadurch — jeder Spieler kann ja heute Verlierer und morgen Ge- 
winner sein — daß man über den jeweiligen Gewinner das 
Damoklesschwert des Differenzeinwandes aufhängt. Dr. Horovitz 
hat ganz recht, wenn er sagt, daß das nur um den Preis mancher 
wirtschaftlicher Existenz zu erreichen sein würde; das wäre gewiß 
bedauerlich; es ist aber bei keiner großen Reform, bei keinem 
Fortschritte zu vermeiden, daß dem volkswirtschaftlichen Interesse 
diese oder jene Privatwirtschaft geopfert werde. — Da ich übrigens 
von der Meinung ausgehe, daß das Schiedsgericht, welches ja immer 
. darüber zu entscheiden hätte, ob der Einwand zutreffe oder nicht, 
durch seine Sachkenntnis nicht nur, sondern auch durch seine 
genaue Personenkenntnis in die Lage versetzt ist, objektiv richtige 
Entscheidungen zu fällen, eventuell auch ein gewisses Uebergangs- 
stadium zu beobachten, kann ich mir diese Gefahren für reelle 


344 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


Börsenbesucher wenigstens nicht als gar so groß vorstellen. Ich 
gebe auch zu, daß das Schiedsgericht, wenn der $ 13 aufgehoben 
würde, eine noch verantwortungsvollere Aufgabe hätte, als bisher, 
glaube aber, daß es diese neue Pflicht einfach nicht ablehnen darf, 
und daß sie es auch nicht ablehnen wird, weil ja die Börse gewiß 
nicht wünschen kann, daß an Stelle der in weitgehendem Maße auch 
die Billigkeit und die Börsenanschauungen in Betracht ziehenden 
Judikatur des Schiedsgerichtes die viel strengere der ordentlichen 
Gerichte trete. Schon heute hat übrigens das Schiedsgericht, aller- 
dings nur im Falle sogenannter freiwilliger Unterwerfung, über 
Differenzeinwendungen zu entscheiden und zwar gewiß ohne die 
Unterstützung jener Personenkenntnis, die ihm zur Seite stehen 
wird, wenn regelmäßige Börsenbesucher als Parteien erscheinen. 
Jedenfalls hat das Schiedsgericht durch die Unbestimmtheit des 
Ausdrucks \Spiel und Wette“ für seine subjektive Ueberzeugung 
ein weites Feld der Wirksamkeit; daß es sich schon heute dieses 
Umstandes bewußt ist und den Differenzeinwand nur sehr selten 
als berechtigt anerkannt, haben wir schon gehört. Ich begreife, 
daß der $ 13, wie Dr. Horovitz sagte, auch auswärts als muster- 
giltig und nachahmenswert bezeichnet worden ist, ich gebe auch zu, 
daß er unter den konkreten Verhältnissen seiner Entstehungszeit 
nützlich gewesen sein mag; der seither wesentlich veränderten 
Auffassung über die Aufgabe der Gesetzgebung auf dem Gebiete 
der Volkswirtschaft gegenüber glaube ich aber, daß er nicht mehr 
ernstlich verfochten werden kann. Gegen die Rechtsunsicherheit wird 
das Schiedsgericht, durch seine Urteilssprechung binnen kurzem die 
erforderliche Remedur zu schaffen wissen; gegenüber dem mora- 
lichen Bedenken verweise ich aber auf die bereits citierte Aeußerung 
Prof. Adler’s. — Es scheint mir klar, daß die Beseitigung des 
$ 13 um so notwendiger wäre, wenn das Differenzspiel häufig vor- 
käme, oder, wie auch behauptet worden ist, geradezu das vorwiegende 
Geschäft der Produktenbörse wäre, was ich — nebenbei bemerkt — 
für eine Uebertreibung halte. 

Entscheidend für die praktische Bedeutung der vorgeschlagenen 
Maßregel ist — die volle Loyalität des Schiedsgerichtes als selbst- 
verständlich vorausgesetzt — die Frage, ob es möglich ist, ein 
Differenzgeschäft aus den dasselbe begleitenden Umständen als 
solches zu erkennen. Meines Erachtens sind in diesem Punkte 
auch von den Vertretern der Börse sich widersprechende An- 
schauungen geäußert worden. Wenn es aber wahr ist, daß der 
Terminverkehr an der Börse derzeit ein ganz unbedeutender sei, 
so muß es auch angesichts der ganzen Art und Weise der Ab- 
wickelung der Termingeschäfte mit Bezug auf die ja bekannten 
Persönlichkeiten der Terminhändler, auf die Zahl der Schlüsse, also ` 
auf die Menge der gehandelten Ware und auf andere objektive 
Thatsachen leicht sein, wenigstens heute sich darüber ein Urteil 
zu bilden; das Heute aber kann dann die Schule für das Morgen 
werden. (S. Landesberger VII, 153: „Die Herren von der Börse 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 345 


haben erklärt, sie wären nach Verlauf eines größeren oder geringeren 
Zeitraumes zu erkennen imstande, zu welchem Zwecke und in welcher 
Absicht solche Geschäfte abgeschlossen worden seien“.) Ich verlasse 
nun diesen Gegenstand und gehe auf weitere Fragen ein, für die ich 
aber wieder nur als Berichterstatter fungieren kann, da ich mangels 
genügender Erfahrungen mir ein selbständiges Urteil nicht habe 
bilden können. 

Ueber die Frage des Verbotes aller Geschäfte mit Zuschuß- 
(Nachschuß-) Vereinbarung haben sich Vidéky, Pia und 
Landesberger geäußert, freilich auch noch viele andere Experten, 
ich glaube aber, daß es genügt, über die Ausführungen der Ge- 
nannten kurz zu berichten. Vidéky sprach sich entschieden gegen 
die gesetzliche Sanktionierung dieses Verbots aus, das durch eine 
Verordnung der Wiener Frucht- und Mehlbörse No. 7 ex 1889 be- 
reits thatsächlich eingeführt, aber heute ganz zwecklos sei; es be- 
deute nur eine „Warnungstafel gegen diejenigen, welche nicht berufs- 
mäßige Kreise zum Terminhandel heranziehen möchten“; solche 
Leute gebe es aber heute nicht mehr und berufsmäßigen Kontra- 
henten, insbesondere finanziell schwächeren gegenüber könne der 
Kaufmann auf die Sicherung nicht verzichten, die ihm die Zuschuß- 
vereinbarung biete. Hofrat Pia sprach sich in ganz entgegen- 
gesetztem Sinne aus, indem er ein Verbot aller Geschäfte mit Zu- 
schuß- und Nachschußvereinbarung unter gesetzlicher Sanktion und 
ohne Beschränkung forderte; Geschäfte mit Zuschußvereinbarung 
tragen nach seiner Anschauung den Stempel der Irrellität an sich; 
dieser Vertragspunkt sei vielleicht ein kennzeichnendes Moment 
zur Unterscheidung des Börsenspiels zum legitimen Geschäfte. 
Dr. Landesberger, derin seinen Ausführungen auch auf Dr. W eis- 
hut (Einschlußpflicht) Bezug nahm, sprach sich mit eingehender 
Begründung in demselben Sinne aus. Das Verlangen einer Deckung 
sei gewiß unter Umständen eine kaufmännische Notwendigkeit, es 
sei aber ein Unterschied, ob dieselbe anfänglich als Einschuß oder 
nachträglich als Zuschuß gefordert werde; das Verlangen nach Zu- 
schuß habe schon außerordentlich viel Unglück über die Börsen- 
kreise selber gebracht und gebe den Kommittenten in außerordent- 
licher Weise dem Kommissionär preis. Die Zuschußforderung habe 
mitunter die Börse einen Tag lang demoralisiert; am nächsten Tage 
habe sie sich als unnotwendig erwiesen, indessen sei aber eine An- 
zahl von Existenzen bereits zu Grunde gerichtet gewesen. 

Unter den am eingehendsten erörterten Problemen war das der 
Reform des Kommissionshandels. Ich muß mich auch hier 
auf kurze Andeutungen über die Ansichten nur weniger Experten 
beschränken, um nicht allzu breit zu werden; es sind dies Pia, 
Offermann, Grünhut, Adler, Landesberger, Schwitzer, 
Pilat und Weishut. Hofrat Pia, den ich in solchen Fragen für 
besonders maßgebend ansehe, sprach sich zwar nicht für eine be- 
sondere Regelung der Kommissionsgeschäfte gerade im börsen- 
mäßigen Getreidehandel, wohl aber für eine allgemeine Reform dieser 
Institution durch Aenderung, resp. Ergänzung der bezüglichen Be- 


346 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


stimmungen des Handelsgesetzbuches aus; da von dem Selbst- 
eintrittsrechte des Kommissionärs mitunter Mißbrauch getrieben 
werde, müsse ein Schutzmittel für den Kommittenten gefunden 
werden; das würde am besten dadurch geschehen, daß Bestimmungen 
ähnlich denen der BS 70--74 des deutschen Börsengesetzes ein- 
geführt würden; der Kommissionär sei insbesondere zu verpflichten, 
„den Kommittenten sofort nach Abschluß des Geschäftes zu ver- 
ständigen und hierbei anzugeben, ob er das Geschäft mit einem 
Dritten gemacht habe, oder ob er selbst in dasselbe eintrete; unter 
Umständen habe er den dem Kommittenten günstigeren Preis in 
Rechnung zu stellen, wenn er aus Anlaß der Kommission besser 
gekauft oder verkauft habe; darin liege übrigens nichts Neues, 
sondern nur eine Präcisierung der bisherigen Normen. In manchen 
Punkten im gleichen Sinne, aber vielfach weit schärfer äußerte sich 
Prof. Dr. Adler (IV, 141—144), der hierbei auf die Frage der 
„abstrakten Schadenberechnung“ (s. hierzu auch v. Görski VI, 526) 
zur Sprache brachte. Ich bedauere, daß mir die Rücksicht auf den 
Raum es unmöglich macht, auf Prof. Adler’s Ausführungen in 
diesen Punkten, wie leider auch in vielen anderen einzugehen; ein 
kurzes Excerpt ohne Beigabe der Begründung wäre aber ganz wert- 
los. Aehnlich steht es mit den Darlegungen Dr. Landesberger’s 
(IV, 172), die sich zum Teile in die Form einer leichten Polemik 
gegen Adler kleideten; auch er glaubte übrigens, daß in der Auf- 
stellung von Bestimmungen, ähnlich denen des deutschen Börsen- 
gesetzes, soweit das Selbsteintrittsrecht in Frage kommt, den größten 
Uebeln gesteuert würde; überdies könnten Klauseln, durch welche 
der Kommittent auf das Recht, den Selbsteintritt des Kommissionärs 
auszuschließen, verzichten würde, als nichtig erklärt werden. 
Hofrat Grünhut, dem sich Prof. Pilat anschloß, stellte das 
deutsche Handelsgesetzbuch und das Bankdepotgesetz als Muster 
für jede Reform des Kommissionsgeschäftes hin; der Kommissionär 
sei zu verpflichten, wenn er selbst eintrete, den Beweis zu er- 
bringen, daß er seine Pflicht getreu erfüllt habe, daß es ihm nicht mög- 
lich gewesen sei, in der Zwischenzeit zwischen dem Einlangen des 
Auftrages und der Absendung der Ausführungsanzeige über den 
Selbsteintritt für den Kommittenten durch Abschluß mit einem 
Dritten günstigere Bedingungen zu erzielen. Auch Strafbestim- 
mungen gegen Untreue des Kommissionärs wären von Nöten. Auch 
Frhr. v. Offermann sprach sich sehr entschieden für eine Reform 
aus; besonders eindringend begründete Dr. Weishut seine An- 
sichten (VIII, 443), der den Hauptgrund des Uebels darin sah, daß 
die Provisionen der Kommissionäre zu niedrig seien und noch oben- 
-drein fortwährend unterboten würden. Die Regelung aller ein- 
schlägigen Verhältnisse, insbesondere die Verhinderung des so- 
genannten Schnittes, sei schon auf verschiedene Weise versucht 
worden, gewisse Vorbedingungen aber habe man nicht erfüllt; es 
spiele da auch die Reformbedürftigkeit der Kursnotierungen herein 
(Feststellung mehrerer Kurse im Verlaufe der Bürsenzeit); jedenfalls 
solle der Kommissionär verpflichtet sein, in allen Fällen sofort nach 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 347 


Ausführung des Geschäfts die Anzeige zu erstatten, nicht aber erst 
nach Schluß der Börse; die Aufhebung des Selbsteintrittsrechtes 
an und für sich sei nicht zu befürworten. Während Weishut 
eine Reform des Kommissionshandels im allgemeinen für bevor- 
stehend erklärte und eingehend die wunden Punkte in den gegen- 
wärtigen Verhältnissen aufdeckte, begnügte sich Schwitzer damit, 
einer besonderen Regelung des Kommissionsgeschäftes im Getreide- 
handel zu widerraten. Dasselbe haben übrigens die meisten der 
oben genannten Experten auch gethan. — Daß der „Schnitt“ der 
Kommissionäre Gegenstand lebhafter Kontroversen war, sei nur 
noch mit besonderer Bezugnahme auf Adler und Weishut kurz 
angedeutet. 

Eine eigene Gruppe von Reformvorschlägen betraf die Bekämpfung 
von mit dem Terminhandel zusammenhängenden Uebelständen durch 
eine besondere Steuerart. Zuerst hat Dr. Kienböck (V, 267) 
eine progressive Besteuerung der Giri bei den Kündigungen vor- 
geschlagen in der Weise, „daß derjenige, welcher kündigt, bezüglich 
seines Umsatzes, seiner Lieferung an die erste Hand einem anderen 
Satz unterläge, als bei der Lieferung von der zweiten an die dritte 
Hand u. s. w.“, so daß der Händler suchen müsse, möglichst sofort 
an die allerletzte Hand zu verkaufen. Nicht ein Verbot der 
Skontration, wie es Prof. Adler vorgeschlagen hatte, soll durch 
diese Besteuerung erreicht werden, wohl aber im letzten Effekte 
soll dadurch die Notwendigkeit der Skontration wegfallen. — Ich 
selbst habe einmal einen ähnlichen Gedanken erwogen, bin aber aus 
verschiedenen Gründen davon abgekommen, geradezu einen solchen 
Vorschlag zu machen; auf der einen Seite versprach ich mir nicht 
sehr viel von einer solchen Maßregel schon der technischen Schwierig- 
keiten wegen, und auf der anderen war ich der Meinung, daß ein 
Vorschlag, der auf eine neue Steuer abzielen würde, nur dann be- 
rechtigt erscheinen könne, wenn davon für den Staat ein erhebliches 
Erträgnis und in betreff des eigentlichen Zweckes ein wirklich ent- 
scheidender Erfolg zu erwarten ist. Ich beurteile den Vorschlag 
nicht so strenge, wie Dr. Tollinger (VIII, 490), der eine Be- 
steuerung des Termingeschäftes als ein sehr kleines Mittel be- 
zeichnete, erwarte aber, wie gesagt, nur geringen Erfolg. Der 
Verwaltungsrat der Länderbank, S. Kann (VII, 149), forderte als 
einzig mögliches Mittel, „um den Terminhandel wirksam zu er- 
schweren“, die Besteuerung der Zwischenhände, nicht des Zwischen- 
handels; dabei bliebe das Geschäft zwischen dem Produzenten und 
dem Konsumenten von jeder Steuer frei, ebenso das Geschäft 
zwischen dem Produzenten und dem Händler einerseits, dem Händler 
und dem Konsumenten andererseits, ebenso endlich Umsätze über 
kleinere Qualitäten von Händler zu Händler. Steuerpflichtig wären 
1) Geschäfte zwischen Händlern in größeren Quantitäten und 2) Ge- 
schäfte zwischen Händlern und Outsiders. Dieser von Kann noch 
näher ausgeführte und an praktischen Beispielen erläuterte Plan 
ging darauf hinaus, „daß Händler, Produzent und Konsument für 
ihre Geschäfte, denen keine wirkliche Warenbewegung folgt, die 


348 Hermann v, Schullern-Schrattenhofen, 


Steuer einmal, der Outsider eine solche für jedes Geschäft — Ein- 
und Verkauf — zweimal zu entrichten haben wird“. — Diesem Vor- 
schlag würde ich noch etwas skeptischer gegenüberstehen, als dem 
Kienböck’s und zwar unter anderem auch aus steuertechnischen 
Gründen. — Einen Besteuerungsvorschlag hat auch Dr. Weishut ge- 
macht (VIII, 305) und zwar zunächst in betreff der mit dem 
Börsenterminhandel kombinierten Arbitragegeschäfte und für jene 
Blankogeschäfte in Usancegetreide ausländischer Provenienz, bei 
welchen der Händler nicht nachweisen kann, daß er die Ware aus 
dem Auslande wirklich bezogen und versteuert hat; den Grund hier- 
für sieht Weishut in der preisdrückenden Wirkung, welche er 
solchen Geschäften zu Lasten schreibt. Nebenbei sei bemerkt, daß 
Weishut in einem Blankogeschäfte nicht ein reines Papiergeschäft 
erkennt, sondern daß er dahinter immer eine reale Erfüllungsver- 
pflichtung sieht. Weishut ging noch weiter und forderte für alle 
Zeitgeschäfte in landwirtschaftlichen Produkten eine entsprechende 
Besteuerung, da kein Grund bestehe, sie gegenüber dem Effekten- 
umsatze günstiger zu behandeln; das soll aber nur gelten, wenn 
nicht der eine Kontrahent Produzent ist und wenn die Geschäfte 
auf Grund von Usancen geschlossen werden, oder wenn für die 
Streitigkeiten aus demselben das Börsenschiedsgericht kompetent ist. 
Die Erfassung des Steuerobjektes wäre durch Einführung der Register- 
pflicht oder durch das Gebot von Juxtenbüchern zu ermöglichen. — 
Diese Vorschläge scheinen mir technisch leichter durchführbar, als 
die früher besprochenen, voraussichtlich wirkungsvoller und einen 
größeren finanziellen Ertrag versprechend, wenn auch noch immer 
nicht genügend präzisiert. Prof. v. Görski forderte die Besteuerung 
aller Verträge, die nicht durch effektive Lieferung zwischen dem 
ursprünglichen Kontrahenten abgewickelt werden und zwar ohne 
Progression (Kienböck) und ohne Steuerfreiheit zu Gunsten der 
Produzenten und Konsumenten (Kann). Die ungeheuere Ueberlegen- 
heit des Termin- gegenüber dem Effektivhändler — der Terminhändler 
kann das Getreide effektiv zu einem Preise liefern, der dem anderen 


Händler Verlust brächte; der Terminhändler kann — überdies — 
Blankogeschäfte ohne die Kosten der Lagerung, der effektiven Liefe- 
rung u. s. w. machen, der andere kann das nicht — rechtfertigt 


nach seiner Ansicht durchaus eine solche Besteuerung, die nicht den 
Charakter einer Strafe haben, wohl aber nicht nur die Land- 
wirtschaft und die Industrie, sondern auch den effektiven Handel in 
seiner Konkurrenzfähigkeit gegen den Terminhandel schützen soll. 
Damit hinge die Auferlegung des Schlußnoten- und Deklarations- 
zwanges zusammen. Als Erfolg einer solchen Besteuerung erhofft 
Görski auch eine Abnahme der so gefährlichen Preisschwankungen. 
Dieser Vorschlag Görski's ist der radikalste, damit aber auch 
einfachste und wohl wahrscheinlich wirkungsvollste; ich möchte ihm 
daher meinerseits in allem wesentlichen zustimmen. — Von den 
vielen sonstigen Fragen, die in der Enquête noch besprochen worden 
sind, möchte ich nun nur noch ganz kurz Erwähnung thun. Ins- 
besondere Dr. Adler (III, 615) und Prof. Görski (VI, 526) haben 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 349 


sich, wie schon angedeutet, über die abstrakte Schadenbe- 
rechnung und ihre Verwerflichkeit geäußert; die sogenannte 
Minderwertsklausel (s. $ 56 der Usancen) bildete den Gegen- 
stand eingehender Ausführungen vor allem Prof. Adler’s (III, 615) 
und des Hofrates Pia (II, 385), der die Ansicht vertrat, es solle 
diese Klausel im inländischen Verkehre ganz beseitigt werden; im 
übrigen sollte man bei der angeblich in neuester Zeit herrschenden 
Praxis des Schiedsgerichtes bleiben, nur bei einem sehr geringen 
Prozentsatze des Minderwertes die Lieferung zuzulassen, die Ware 
aber immer zurückzuweisen, wenn der Minderwert so groß ist, daß 
sie im Geschäfte des Käufers zu dem beabsichtigten Zwecke nicht 
mehr verwendbar erscheint. 

Eine äußerst dornige Frage war die, ob mit einem Verbote oder 
einer Reform des Terminhandels vorgegangen werden könne und solle, 
auch ohne daß ein Uebereinkommen mit Ungarn in dieser Richtung 
vorher erzielt wäre. Man dachte dabei nicht nur daran, daß die große 
Masse unseres Getreideimportes aus Ungarn stammt, das ja im 
Jahre 1896 auch eine Enquete über den Terminhandel abgehalten 
hat, ohne aber vorerst Neigung zu einer Reform desselben zu zeigen, 
sondern hat dabei auch mehrfache andere Erwägungen im Auge 
gehabt. Diese Frage ist nur von einigen Experten ernstlich dis- 
kutiert worden, die meisten antworteten nur mit ja oder nein; am 
entschiedensten sprach sich wohl Dr. Lecher mit ja aus, die Ver- 
treter der Börse so ziemlich ausnahmslos mit nein. Da nun aber 
diese Angelegenheit, wenn man sie nicht auf ihre letzten Voraus- 
setzungen verfolgen kann, eigentlich so gut wie gar kein theoretisches 
Interesse hat und ihre praktische Lösung gewiß fast ausschließlich 
von der Opportunität diktiert werden wird, gehe ich ganz darüber 
hinweg, ebenso über alle anderen Fragen, die sich nur auf die 
Mittel beziehen, welche anzuwenden wären, um den Erfolg einer 
eventuellen Reform oder des Verbotes zu sichern. Nur über die 
Frage des Terminregisters möchte ich mir wenige Worte er- 
lauben. In meinen Ausführungen habe ich erklärt, daß ich auf eine 
solche Einrichtung wenig Gewicht legen würde, obwohl es mir ganz 
unverständlich sei, warum man sich so leidenschaftlich auf seiten 
der Händler dagegen sträube; Dr. Landesberger glaubte dagegen, 
daß die Idee des Terminregisters eine sehr gesunde und nützliche 
sei, die einen Fortschritt bedeuten und vielen Uebelständen abhelfen 
würde; daß im Deutschen Reiche auf dem dort in Betracht kommenden 
Gebiete dieser Erfolg nicht erzielt worden sei, müsse man auf die 
unglückliche Ausführung schieben. Wir haben schon Gelegenheit 
gehabt, darauf hinzuweisen, daß auch andere Experten für eine 
ähnliche Einrichtung eingetreten sind, z. B. Dr. Weishut, Pilat, 
Dr. Kienböck u. s. w., und ich erwähne nur noch, daß auch in 
diesem Punkte sich die Vertreter der Börseninteressen ablehnend 
verhielten, so z. B. Weiß v. Wellenstein (IV. 597); Kann sprach 
sich mit Rücksicht auf die in Deutschland gemachten Erfahrungen 
zwar auch nicht für ein Börsenregister aus, obwohl diese Einrichtung 
im Prinzipe nicht so schlecht wäre; mit Rücksicht auf seine Vor- 


390 Hermann v. Schullern-Schrattenhofen, 


schläge wünschte er aber die Schaffung eines Umsatzregisters. Die 
letzte Fragengruppe betrifft die Börsenautonomie. Auch bei 
den Antworten hierauf traten die Gegensätze der Interessentenkreise 
hervor; die einen Experten hielten die bestehenden Einrichtungen 
für vollständig genügend und zweckentsprechend, die anderen for- 
derten eine besondere Vertretung der landwirtschaftlichen Berufsklasse 
ebenso wie der Konsumenten im Börsenrate, resp. eine kuriale Ver- 
tretung sämtlicher Interessentengruppen in demselben. Dr. Landes- 
berger (IV, 178) sprach sich entschieden dahin aus, daß die 
Landwirtschaft im Börsenrate mit beschließender Stimme und zwar 
kurialmäßig repräsentiert sein müsse als wirklicher Geschäftskon- 
trahent. Da man ihm einwendete, daß ja gar keine Schwierigkeit 
dagegen bestehe, daß Landwirte, welche Mitglieder der Börse werden, 
auch in den Rat gelangen, verwies er auf $ 13 des Statutes, welches, 
wenigstens seinem Wortlaute nach, den Landwirten das passive 
Wahlrecht abspricht. Eine kuriale Vertretung der Landwirtschaft 
sei auch im Interesse der anderen Berufszweige gelegen, da nur 
dann die volle Garantie für die absolute Sachlichkeit der Beschlüsse 
und für die Vermeidung weitgehender Spaltungen geschaffen wäre. 
Ich glaube, daß eine Vertretung der Landwirtschaft im Börsenrate 
— am besten kurial!) — unter allen Umständen notwendig ist, da 
ja die Börse thatsächlich zur Herrin über Wohl und Wehe, über 
Sein und Nichtsein dieser Berufsklasse geworden ist oder doch 
werden kann; ich glaube, daß die Forderung der Börsenvertreter, 
die landwirtschaftlichen Mitglieder des Börsenrates müßten, bevor sie 
gewählt werden können, Mitglieder der Börse sein, viele Berechtigung 
für sich hat, denn „wer nicht die Börsentaxe bezahlt, hat auch bei 
der Verwaltung des Börsenvermögens nicht mitzureden“ ; andererseits 
sind mir aber die Schwierigkeiten ganz verständlich, welche aus 
einer solchen Bestimmung erwachsen würden; ich meine daher, daß 
ein Ausweg in der Weise gesucht und gefunden werden sollte, daß 
laut der zu schaffenden neuen Statuten eine bestimmte Anzahl von 
Börsenratsmandaten praktischen Landwirten zu reservieren wären, 
und daß die hierfür Gewählten, wenn sie nicht schon Mitglieder der 
Börse sind, durch die Annahme der Wahl es werden müssen (s. z. T. 
in anderem Sinne Sand IX, 705), oder aber von einer Aufgabe des 
Börsenrates, nämlich von der Verwaltung des Börsenvermögens aus- 
geschlossen bleiben. Auf die zweifellos reformbedürftigen derzeitigen 
Wahlmodalitäten gehe ich nicht ein (Fuhrich VII, 238). 

Unter allen Umständen muß bei all diesen Fragen festgehalten 
werden, daß die Börse vermöge der enormen Rolle, die sie im 
Wirtschaftsleben spielt, nicht mehr als ein isoliertes Werkzeug des 
Handels betrachtet werden darf, sondern als ein mitten im Orga- 
nismus der Volkswirtschaft im weitesten Sinne stehendes Organ 
derselben, das sich daher auch in den Dienst dieses Organismus 
einpassen und seinen Zielen und leitenden Ideen, wie man sie jeweils 
versteht, dienstbar sein muß; innerhalb dieser Grenzen soll und 


1) Fuhrich (VII 238). 


Börsenmäßiger Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich. 351 


muß sie autonom sein; daß aber die Grenzen eingehalten werden, 
darüber zu wachen, kann nicht dem Kreise der Händler allein über- 
lassen werden. 


Schluß. 


Ich bin damit am Ende meiner Ausführungen angelangt; ich 
habe mich in denselben, so gut es ging, befleißigt, alles zusammen- 
zustellen, was an dauernd Wertvollem von der Enquête zu Tage ge- 
fördert worden ist. Um Wiederholungen möglichst zu vermeiden, 
habe ich mich darauf beschränkt, zu den einzelnen Fragepunkten 
immer nur einzelne, und zwar jene Experten zu nennen, deren 
Gedanken mir am charakteristischsten schienen; wenn dabei vielleicht 
die Praktiker etwas zu kurz gekommen sind, so möge das damit 
entschuldigt werden, daß ich selbst Theoretiker bin und als solcher 
mehr den allgemeineren Gesichtspunkten Verständnis entgegenbrachte 
und mein Interesse zuwendete. Daß eine Reihe von Experten, so 
R. v. Proskowetz, Walzmühlendirektor Laimer u. s. w. keine 
besondere Erwähnung gefunden haben, hat nur hierin, nicht aber 
etwa in einer Geringschätzung ihrer Ansführungen seinen Grund. 
Daß ich überhaupt nicht die ganze Fülle des Materiales auch nur in 
den wichtigsten Punkten ausgeschöpft haben mag, gebe ich zu; die 
Unübersichtlichkeit desselben — vorläufig fehlt noch ein Index — 
trägt zum Teil die Schuld daran, zum Teil aber wohl auch die Not- 
wendigkeit, den Raum nicht allzu sehr in Anspruch zu nehmen. Was 
Hofrat Grünhut sagte, ist jedenfalls wahr, daß nämlich die Enquête 
eine wahre Fundgrube sowohl für den theoretischen Juristen, als 
auch für den praktischen Staatsmann bilde; was ich in ihr gefunden 
habe, ist oben kurz zusammengestellt. Ich habe, leider, vielleicht 
nur zu viel Raum meinen eigenen Anschauungen überwiesen, weil 
ich so eine koncisere und übersichtlichere Darstellung zu erreichen 
hoffte, als wenn ich den Excerpten aus den Ausführungen der ein- 
zelnen Sachverständigen immer meine Kritik angereiht hätte. In 
diesem Sinne möchte ich zum Schlusse auch noch für einen Augen- 
blick mich selbst zum Worte kommen lassen. Ich glaube, daß die 
Reform des Terminhandels zwar eine wichtige, aber doch immer nur 
eine unter den zahlreichen Maßregeln ist, die für die Hebung der 
landwirtschaftlichen Bevölkerung in Oesterreich ergriffen werden 
müssen. Als die wirksamsten derselben betrachte ich die Einführung 
von Zwangsgenossenschaften der Landwirte und die Ausgestaltung 
des Lagerhauswesens auf nicht kapitalistisch-spekulativer Grundlage 
— ich meine also — unter der Aegide des Staates, der Länder und 
der Gemeinden. 

Nochmals verweise ich auf die außerordentlich wertvolle Publi- 
kation: „Das Getreide im Weltverkehr“, durch welche sich das 
Ackerbauministerium v. Juraschek und Scheimpflug ein dauerndes 
Verdienst um die Wissenschaft erworben haben. 


Brünn im Februar 1901. 


352 Henry W. Wolff, 


Nachdruck verboten. 


V. 
Die sozialistische Bewegung in England. 


Henry W. Wolff in London. 


England, das Land des freien Wortes und des freien Vereini- 
gungsrechtes, gilt schon lange als bevorzugte Brutstätte des Sozialis- 
mus. In trüber Zeit haben die Leiter der sozialistischen Bewegung 
hier ein willkommenes Asyl gefunden. Hier haben sie ihre Gedanken 
zur Reife gebracht, von hier aus haben sie sie in die Welt hin- 
aus verbreitet. Neueren Forschungen zufolge darf England sogar, 
wie noch nachgewiesen werden wird, auch als der eigentliche Ge- 
burtsort des neueren, specifisch revolutionären und ,wissenschaft- 
lichen“ Sozialismus gelten. Unter solchen Umständen scheint die 
Frage am Platze: Wie steht es nach so langer Keim- und Treibzeit 
heute mit dem Sozialismus, der den Staatsmännern und Volkswirten 
anderwärts so viel zu schaffen macht, in diesem seinem Urlande? 

Auf diese Frage bekommt man verschiedene Antworten zu hören. 
Während der praktische Staatsmann in gemeiniglich sich um den Sozia- 
lismus gar wenig kümmern will, haben Sir William Harcourt und, 
seinem Beispiel folgend, der heutige König als Prinz von Wales 
öffentlich erklärt: „Wir sind heute alle Sozialisten“. Der „Sozialis- 
mus“ regt sich, wie es heißt, in Kirche und Gesellschaft; in den 
Universitäten treibt er kräftige Triebe — man sagt heute beinahe 
jedem Professor der Nationalökonomie sozialistische Anschauungen 
nach; die städtischen Verwaltungen sollen von ihm besessen sein, 
und in seinem kleinen Buche „Socialism in England“ stimmt Sidney 
Webb, der im Ausland oft, aber mit Unrecht, als der erkorene Wort- 
führer des englischen Sozialismus angesehen wird, ein wahres Triumph- 
lied über die vermeintlichen Erfolge des Sozialismus an, der, ihm 
zufolge, heutzutage in England geradezu zum herrschenden Faktor 
geworden ist. Auf der anderen Seite klagen die anerkanntesten Sozia- 
listen, darunter selbst Hyndman, der wahre englische Marx, über 
den lahmen, zögernden Gang der Bewegung, die allerdings eine im- 
posante Reihe von 94 Vertretern zu dem internationalen Kongreß in Paris 


Die sozialistische Bewegung in England. 353 


sandte, es daheim indessen bis jetzt noch nicht zur Bildung irgend einer 
erkennbaren Partei gebracht hat, kein effektiv den Sozialismus ver- 
tretendes Mitglied in das Parlament entsandt hat. „Es muß zugestanden 
werden“, so spricht sich das amtliche Organ der „Social Democratic 
Federation“, das Blatt „Justice“, in einer seiner neuesten Nummern 
aus, „daß im Hinblick auf das langsame Wachstum sozialistischer 
Organisationen eine gewisse Entmutigung eingetreten ist. Zweifellos 
breiten sich sozialistische Ideen schnell aus, vor allem unter den 
mehr denkenden Mitgliedern der oberen und mittleren Stände. Doch 
die Krystallisierung derartiger Bestrebungen in disciplinierten Orga- 
nisationen, welche zu praktischem und einmütigem Handeln befähigt 
sein würden, schreitet nur langsam vorwärts“. Hyndman, der schon 
seit 1882 vergeblich „die nahende Revolution“ voraussagt, drückt 
sich nicht viel anders aus. William Morris beklagte im Jahre 1896, 
kurz vor seinem Tode, noch in dem „Forum“, daß sich in England 
absolut keine sozialistische Partei bilden will, wie sie zu gedeihlichem 
Werke doch nötig ist. Bernard Shaw erklärt: „Der Sozialismus würde 
schon vorwärts gehen, wenn nur die Sozialisten nicht wären!“ Und 
Herbert Burrows benutzt den Tod Liebknecht’s als Text zu einer Er- 
mahnung an die englischen Sozialisten, es den deutschen nachzu- 
machen, ihre inneren Zwistigkeiten beizulegen, Disciplin zu erlernen 
und sich zu einmütigem Handeln zusammenzuraffen, wozu das Witz- 
wort des Amerikaners Winchevsky, in der nämlichen Nummer des- 
selben Blattes, beinahe als spöttischer Kommentar paßt: „Es wird 
eine sozialistische Partei gesucht, welche nicht in Stücke zerfällt“. 

Im Auslande scheinen Sozialisten zuzugeben, daß es in England 
mit dem Sozialismus als thätiger Faktor nicht recht vorwärts gehen 
will. Sie vertrösten sich indessen mit einem hoffnungsvollen: Das 
kommt noch. 

Wie reimen sich die angeführten widersprechenden Urteile über 
die Lage des Sozialismus in England zusammen ? 

Ganz vortrefflich. Es kommt nur darauf an, was man unter 
„Sozialismus“ verstehen will. Harcourt hat recht, Sidney Webb hat 
recht. Ebenso aber auch Hyndman, Burrows, Morris und „Justice“. 

Ehe ich auf diese Frage weiter eingehe, sei es mir gestattet, in 
aller Kürze die geschichtliche Entwickelung der sozialistischen Be- 
wegung in England wiederzugeben. 

Von den ersten Lehrern des Sozialismus im Abendlande — auf 
den vermeintlichen Sozialisten Aristoteles, brauchen wir nicht zurück- 
zugehen — also Fourier, Saint-Simon u. s. w., ist keine Veranlas- 
sung hier weiter zu sprechen. Der träumerische, utopistische Sozialis- 
mus dieser ersten Schule ist als treibende Kraft schon längst ver- 
dorrt. Selbst Owen — dessen Anschauungen sich von denen heutiger 
Sozialisten wesentlich unterscheiden — kann nicht mehr in Betracht 
kommen. Das Gebäude, wozu er das Fundament legte, ist nicht in 
dem heutigen Sozialismus, es ist in den heute blühenden Genossen- 
schaften zu suchen, von denen sich viele Sozialisten, als entschieden 
individualistisch, mit Abscheu abwenden. Der englische Sozialismus 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 23 


354 Henry W. Wolff, 


fing, in der ersten Hälfte des verstrichenen Jahrhunderts, mit Godwin, 
Hall, Thompson, Gray, Hodgskin und Bray an, zu denen sich noch 
andere, weniger bekannte, Leute gesellten, und welche in ihren Werken 
schon vor Marx die hervorstechendsten Punkte des sogenannten Marxi- 
stischen Sozialismus — Arbeit als alleiniger Ursprung aller Werte, 
das Recht des Arbeiters auf den vollen Arbeitsertrag u. s. w. — 
entwickelten. Angesichts dieser Urquelle war der Streit zwischen 
Rodbertus und Marx über die Urheberschaft dieser Ideen gänzlich 
überflüssig. In der 1847er Ausgabe seiner „Misere de la Philosophie‘ 
nennt Marx noch ehrlich seine englische Quelle und citiert zur Recht- 
fertigung der verfochtenen Ansichten neun Seiten aus dem damals 
8 Jahre alten Werke von Bray, in welchem der englische Schriftsteller 
unter anderem die sogenannte Marxistische Auslegung des „Gewinnes“ 
kräftigst vertritt. Im Jahre 1859 („Zur Kritik“) nennt Marx seinen 
englischen Vorgänger schon nur nebenbei in einer Anmerkung. In 
seinem Buche „Das Kapital“ (1847) hat er ihn dann ganz vergessen. 
Dort liest man kein Sterbenswörtchen mehr von Bray oder sonst 
einem englischen Vorläufer. 

Für England hat indessen alles dieses sozialistische Wirken der 
zwanziger und dreißiger Jahre nur noch geschichtliche Bedeutung. 
Die Saat wurde damals hier ausgestreut, ging aber nur anderwärts auf 
und trug nur anderwärts Frucht. In England ging sie ein. 

Die revolutionäre Bewegung des Jahres 1548, welche im Aus- 
lande den Sozialismus so sehr begünstigte, fand auch in England 
ihren Widerhall, der ja für den Sozialismus momentan treibend 
wirkte. Man denke nur an die Chartistenbewegung! Unbedingt 
gewannen damals hier sozialistische und kommunistische Ideen 
Boden. Allein man bemerkte bald, daß die Revolution ander- 
'ärts keine der erhofften wirtschaftlichen Erfolge thatsächlich mit 
sich brachte, daß man in der That in England auf friedlichem Wege 
und ohne Sozialismus weit mehr erlangte. Die staatlichen Werk- 
stätten in Frankreich gingen ein. Andererseits übten verschiedene 
Anlässe, vor allem die Entdeckung der kalifornischen Goldlager, in 
England ihre kräftige Wirkung als Anreger zur Geschäftsentwickelung 
aus. Dazu kamen die Eisenbahnen, die freie Getreideeinfuhr. Weiter 
die Entwickelung der Arbeiterhilfskassen, bald danach der Ge- 
nossenschaften, später auch der Gewerkvereine. Es war Arbeit voll- 
auf, und den Umständen nach fühlte sich der englische Arbeiter- 
stand trotz später zu erkennender, fortdauernder Mißstände wohl, 
oder glaubte doch sich wohl zu fühlen. Und für die Zwecke einer 
Agitation ist die „operaria gens“, gleich der „rustica gens“ bekannt- 
lich „optima flens, pessima ridens.“ Während solchen wirtschaft- 
lichen Wohlbefindens hatten die englischen Arbeiter für sozialistische 
Lockungen keine Ohren. Auch heute sucht man sie ja schon seit 
längerer Zeit mit Prophezeiungen, nicht eines sozialistischen Millen- 
niums, sondern einer kommenden Geschäftskrisis und dadurch be- 
dingter Arbeitslosigkeit zu kirren. Weder die eine noch die andere 
Prophezeihung will sich indessen bewahrheiten. Effektiv der einzige 


Die sozialistische Bewegung in England. 355 


„Sozialismus“ aus jener Zeit, welcher sich länger erhielt, war der 
Sozialismus der englischen „Christlich Sozialen“, erster Auflage, welcher 
von dem heutigen zu unterscheiden ist, und der weiter weder mit dem 
deutschen „Muckersozialismus“ noch mit dem Ketteler-Moufang’schen 
katholischen Sozialismus irgend etwas gemein hat. Dieser „christ- 
liche“ Sozialismus ist, wie heute nicht erst nachgewiesen zu werden 
braucht, überhaupt kein Sozialismus. Sein ganzes Streben — unter 
Maurice, Kingsley, Hughes, Vansittart Neal und dem allein noch 
aus dieser Wirkerschar “überlebenden Ludlow — lief einzig auf die 
Bildung von Genossenschaften, zumal der von den Sozialisten be- 
sonders perhorrescierten Produktivgenossenschaften , auf Grund 
christlicher Prinzipien, zumal der Nächstenliebe wohlhabender aber 
freiwilliger Gönner, hinaus. 

Mit dieser einzigen Ausnahme verfiel der Sozialismus in England 
nach Ablauf der Periode akuter Aufregung in einen langen Winter- 
schlaf, aus welchem ihn auch selbst nicht die hier einigermaßen be- 
triebene „Internationale“ herauszurütteln vermochte — vielleicht 
diese noch weniger als irgendwelche andere, mehr unmittelbare und 
thatsächliche Erfolge versprechende, Form des neuen Evange- 
liums. Sollte dieses Evangelium den Engländern mundgerecht 
gemacht werden, so mußte es offenbar in ein neues Gewand gekleidet 
werden. 

Solches neue Gewand ist nun in der That gefunden worden. 
Es stellt zugestandenermaßen den Sozialismus in wesentlich ver- 
änderter Gestalt dar. Auf seine einzelnen Züge wird später einzu- 
gehen sein. 

Ein plötzliches Erwachen aus dem Winterschlaf erfolgte zu Be- 
ginn der achtziger Jahre, und zwar auf Grund eines eigentümlichen 
Anlasses. Gerade wie vor vielen Jahrhunderten ein Teil der halb- 
friesischen Sachsen, welche das britische England unterjocht hatten, 
nach Deutschland zurückkehrten und dort auf von den Thüringern 
erobertem Boden ein großes Sachsenvolk heranbildeten, so kehrten 
die ursprünglich von Thompson, Gray und Bray ausgegangenen eng- 
lischen Lehren, welche mittlerweile in Deutschland und Frankreich 
revolutionäre Sozialistenparteien entwickelt hatten, so gekräftigt nach 
ihrer Ursprungsstätte zurück. Man wird gut thun, festzuhalten, 
daß die gesamte heutige sozialistische Bewegung in England, so weit 
sie überhaupt wirklich sozialistisch ist, keine indigene genannt werden 
kann, sondern ihre Herkunft ganz und gar festländischer Eingebung 
verdankt. Es ist im wesentlichen die Marxistische Lehre ins Eng- 
lische übersetzt, doch nicht ohne Fallenlassen verschiedener Sätze, 
die sich hier ganz klar als unhaltbar erwiesen haben. 

Zu einem neuen Aufleben der jedenfalls in das Sozialistische über- 
spielenden demokratischen Bewegung lagen die Umstände allerdings 
damals günstig. Nur durfte man vor der Hand zugestandenermaßen 
noch nicht offen von „Sozialismus“ sprechen, denn bei dem Worte 
„sozialistisch“, so hat Hyndman erklärt, wären die Arbeiter scheu 
geworden. Das 6-jährige Regiment des Tories mit ihrem Säbel- 

23* 


396 Henry W. Wolff, 


gerassel war ZU Ende und man war ihrer Jingo-Gedanken herzlich 
müde. Hätte noch eine weitere Anregung gefehlt, so hatte sie Glad- 
stone durch seine zündende Beredsamkeit, die sich ja niemals durch 
Maß auszeichnete, in den beiden berühmten „Midlothiancampagnen ` 
geliefert. So fortschrittlich dachte man damals allerorts, daß sich die 
Liberalen am liebsten „Radikale“ und viele Konservative bereits 
„Tory-demokraten“ nannten. Man liebt hier die starken Ausdrücke. 
Das ganze Land schien mehr oder weniger in Gärung. SO daß man 
in den großen Städten ernstlich über die Bewahrung der Ruhe be- 
sorgt wurde und der Sozialist Hyndman nicht ohne mindestens 
einen Schein von Begründung Zu sprechen schien, wenn er 1882 die 
„Revolution“ in England als nahe bevorstehend bezeichnete. Auf 
dem Lande hatten eine Reihe ausnahmsweise schlechter Ernten, die 
Arbeiterbewegung unter Joseph Arch und die aufwiegelnde Thätig- 
keit des Pächterbundes allgemeine Mißstimmung erweckt. Dazu kam 
die äußerst wirkungsvolle Agitation auf Grund des Werkes von 
Henry George in der Richtung nach Verstaatlichung des Grundes und 
Bodens. Und auch das neue Wahlgesetz, welches trotz Widerstand 
des Oberhauses 1884 zur Thatsache wurde, und für die ländliche 
Bevölkerung eine bedeutende Ausdehnung des Wahlrechts bewirkte, 
spielte schon vor. Der Grundbesitz ist ja in dem latifundienreichen 
England immer der Punkt des bestehenden Systems, welchen die 
fortschrittliche Politik am besten und am liebsten angreift, weil es 
daran so gar viel zu makeln giebt. Wie sich der Sozialist in Deutsch- 
land auf das „Kapital“ wirft, so läutet jeder Freund der Reform in 
England instinktiv gegen die Gesetze, welche den Besitz und die 
Verteilung des Grundes und Bodens regeln, Sturm. Deshalb auch 
paßte der Gedanke der Verstaatlichung des Grundes und Bodens 
hier, als Rückschlag vom extremen Standpunkt der individuellen Be- 
sitzes, der in England noch dazu durch starke Vorrechte stark ge- 
schützt war, schnell Boden, und erhält sich noch. In den Städten 
war arger 'Arbeitsmangel und die Zahl der Unbeschäftigten wuchs 
bedenklich. Die Gewerkvereine waren gerade im Uebergang zu neuerer 
Entwickelung. Die alten Führer zogen sich zurück und machten 
den neuen Platz, welche den mehr streitbaren „neuen Unionismus“ 
einleiteten, der mehr darauf bedacht ist, den Verein als Kampfmittel 
denn als Hilfskasse auszubilden. Von Irland her übten die dortigen 
Unruhen einen sympathisch elektrisierenden Einfluß aus. Selbst 
nachdem Gladstone mit seinem vielversprechenden Ministerium ans 
Ruder gekommen War, ließ die Gärung nieht nach. Denn, einmal, 
werden die extremen Demokraten stets am rührigsten, wenn die ihnen 
gewogenste Partei im Amte ist, von der sich ein Nachgeben erwarten 
läßt, und weiter kann doch keine Partei wirtschaftliche Verhältnisse 
unmittelbar beeinflussen. Ueberdies fuhr Gladstone in Irland mit 
Zwangsmaßregeln fort und leitete eine aggressive ägyptische Politik 
ein, was beides den äußersten Flügel stark mißfiel. 

Mit der Bildung demokratischer Körperschaften, die bald mehr 
oder weniger sozialistisch wurden, ließ sich unter diesen Umständen 


Die sozialistische Bewegung in England. 351 


schnell vorgehen. Im Jahre 1881 bildete sich als erster Organi- 
sierungspunkt die „Democratic Federation“, welche sich dann 1883 
zur „Social Democratic Federation“ umtaufte, und die sich selbst da- 
mals, trotz jämmerlicher numerischer Schwäche, doch recht rührig 
zeigte und seitdem zum anerkannten Mittelpunkt der sozialistischen 
Bewegung geworden ist. Wie unklar damals noch die Ansichten auf 
sozialistischer Seite waren, geht aus dem kurzen Lebenslauf der 
1883 gebildeten ,Socialist League“ hervor. Ihre Gründer waren der 
erst kurz vorher bekehrte Dichter William Morris, Eleanor Marx, (später 
Aveling), und Belfort Bax, also lauter hochorthodoxe, hochzielende 
und unnachgiebige Sozialisten. Um Mitglieder zu bekommen, ver- 
bündeten sie sich vertrauensvoll mit einer Anzahl erklärter Anarchisten, 
mit welchen es bald zum Bruche kommen mußte, und auch kam. 
Die Liga hörte auf. 

Die „Social Democratic Federation“ kann auch heute noch als 
eigentlicher Kernpunkt der englischen sozialistischen Bewegung gelten. 
Sie will wirklich sozialistische Ansichten vertreten. Sie hat eine un- 
verkennbar Marxistische Grundlage. Will man sich bei ihrem an- 
erkannten Führer, H. M. Hyndman, über ihre Zwecke Rat holen, so 
findet man, daß der Sozialismus dort in starrster, schroffster, un- 
nachgiebigster Form gepredigt wird. Hyndman hält mit eherner 
Konsequenz an dem alten bekannten Marxistischen Ideal fest und 
will von Halbmitteln, wie sie zur Beschwichtigung der herrschenden 
Meinung heute oft vorgeschlagen werden, durchaus nichts wissen. Nur 
das hat er nachgegeben, daß er manchmal (nicht immer) eine allmähliche 
Umbildung des weiterlebenden Staates als Aequivalent für die früher 
unbarmherzig verlangte Staatsumwälzung, und als statthafte Form 
der unausbleiblichen „Revolution“ annimmt. Mit dem Kapital will er 
nun und nimmermehr paktieren. Das muß schonungslos zerstört 
werden, wenn eine gründliche Reorganisierung des wirtschaftlichen 
Lebens statthaben soll. Die Munizipalisierung von Gasleitung, Straßen- 
bahnen u. s. w., deren Erlangung viele Sozialisten ihrer Sache so 
gar hoch anrechnen, bezeichnet er als eine der sozialistischen Ent- 
wickelung geradezu schädliche „Krystallisierung bestehender Verhält- 
nisse, eine Befestigung der Schranken, an deren Niederbrechen ge- 
rade umgekehrt den Sozialisten liegen muß“. In der verstaatlichten 
Post sieht man, ihm zufolge, wohin dergleichen Mittel führen. 
Die Einrichtung wird Staatseigentum, aber ohne jedweden sozia- 
listischen Geist. „Wir besitzen schließlich alles, und haben nichts.“ 
Solcher Besitz giebt dem Arbeiter nicht zu essen. Ein Zusammen- 
gehen mit einer Kirche oder Anerkennung einer Religion erklärt er 
für gänzlich unstatthaft. Die Religion ist ihm eine Fabel. Ebenso 
verurteilt er ein politisches Zusammenwirken an der Wahlurne 
mit ähnlich denkenden Parteien. „Wenn es nach mir ginge, sollte 
jeder Sozialist hochkonservativ wählen.“ Damit sollen die bösen 
Liberalen bestraft werden, welche den Sozialisten nicht ihren Willen 
thun wollen. (Noch vor 3 Jahren indessen forderte mich derselbe 
Hyndman auf, auf eine Verständigung zwischen den sozialistischen Ar- 


358 , Henry W. Wolff. 


beitern und der liberalen Partei vermittelst einer Besprechung aus- 
gewählter Vertreter hinzuwirken, derart, daß die Liberalen den 
Sozialisten, oder richtiger den sozialistischen Arbeitern, gewisse Man- 
date zur Verfügung stellen sollten. Ich hatte früher in der liberalen 
Parteiorganisation ein Ehrenamt bekleidet, welches mir solche Ver- 
mittelung wohl ermöglicht hätte. Die sozialistische Arbeiterpartei 
war damals gerade darüber besonders gereizt, daß die Liberalen 
Tom Mann nicht als liberal-arbeiterparteilichen Kandidaten für Ha- 
lifax gut geheißen hatten, was allerdings taktisch ein Fehler war.) 
Kurz und gut, Hyndman hält an dem starren alten Grundsatz fest, will 
sich den sozialistischen Sieg durchaus erkämpfen, und stellt sich 
als Ziel die Umbildung des Staates zu einem neuen, vollkommen 
sozialistischen, Gefüge hin. 

Derartige schroffe Ansichten vermag er nun trotz seines An- 
sehens selbstverständlich in ihrer vollen Stärke in seinem Ver- 
bande nicht durchzusetzen, zumal dieser Verband mit den Hinder- 
nissen seiner englischen Wohnstätte, ohne genügende Ausrüstung 
zur Ueberwindung derselben, schon so wie so arg Zu kämpfen hat. 
Seine Mitglieder — es sollen heute gegen 9000 sein, zur Zeit des 1896er 
Kongresses zählte man indessen nur etwa 3000 — bestehen , dem 
bereits herangezogenen Spruche Shaw’s entgegen, fast ausschließ- 
lich aus Männern vom Arbeiterstande, was seine eigenen Leiter 
als einen Anlaß zur Schwäche bezeichnen. Diese Arbeitermitglieder 
sind allerdings vollkommen loyal. Sie suchen nicht etwa unter dem 
Mantel eines allgemeinen Sozialismus specifische Arbeiterpolitik zu 
betreiben, sie streben nach dem vollen Sozialismus. Sie besitzen 
indessen nicht die Kenntnis, um entweder innerhalb der vorgezeich- 
neten Grenzen streng konsequent zu bleiben, oder aber andererseits 
genügend mit den Zeit- und Ortsumständen zu rechnen und ihre 
Forderungen diesen anzupassen. Sie verlangen halsstarrig hier zu 
viel, dort etwas, was sich mit dem Sozialismus nicht zusammenreimt. 
So kommt es, daß man selbst in diesem Elitekorps eine völlige 
Musterkarte von Ansichten zur Schau getragen sieht. Der eine be- 
zeichnet das Kapital als absoluten Feind, der andere hat „nichts gegen 
das Kapital“; der eine erklärt den Haß der Reichen für Pflicht jedes 
guten Sozialisten, der andere lehnt diese Vorschrift entschieden ab; 
der eine verlangt, daß der sozialistische Arbeiter möglichst wenig 
arbeite, damit dem Arbeitgeber, der ihn im Lohne „betrügt“, Gleiches 
mit Gleichem vergolten werde, der andere erhebt hiergegen Ein- 
spruch, weil auf diese Weise die Sozialisten schließlich alle Arbeit 
einbüßen müßten; der eine hält die Religion für mit dem Sozialis- 
mus gut vereinbar, der andere spottet offen über heilige Dinge, 
erklärt die Religion mit ihrem Versprechen eines zukünftigen Lebens, 
mit Hyndman, für ein seitens der „konfiscierenden Klassen „geflissent- 
lich in Anwendung gebrachtes chloroformartiges Betäubungsmittel, 
und behauptet mit Morris und Bax, daß der Sozialismus eine eigene 
Religion für sich bilde, daher auch seine eigenen „Kirchen“ aufsetzen 
muß; der eine hält an Ehe und Familie fest, der andere verlacht 


Die sozialistische Bewegung in England. 359 


sie; der eine verlangt Entschädigung für den zu enteignenden Privat- 
besitz, der andere weist eine derartige Zumutung entschieden zurück. 
Und so geht das fort. Man sieht, Bernard Shaw hat nicht ganz 
unrecht, wenn er, wie bereits angeführt, die Sozialisten selbst als 
das größte Hindernis zur Ausbreitung des Sozialismus bezeichnet. 

Das ist alles um so hinderlicher, als ja die Social Democratie 
Federation sich auf Grund ihrer numerischen und finanziellen Schwäche 
ganz allein damit begnügen muß, propagandistisch zu wirken. Eine 
organisatorische Thätigkeit kann sie selber nicht in die Hand nehmen. 
Vor allen Dingen fehlt ihr dazu das Geld. Wie soll aber weiter der 
wirkungsvoll lehren, der selber mit einem vollen Dutzend verschiedener 
Stimmen spricht. Auch mangelt der Social Democratic Federation, 
wie Sidney Webb nachweist — wohl wesentlich aus diesem Anlaß — 
alle Beständigkeit. Nicht allein schwankt die Mitgliederzahl be- 
deutend; auch in den Personen der Mitglieder vollzieht sich ein auf- 
fälliger Wechsel. Während alte austreten, treten andere, neu bekehrt, 
ein, um vielleicht später ebenfalls wieder auszutreten. Auf diese 
Weise bildet sich kein fester Kern, kein leistungsfähiges Heer. 

Es bleiben zwei andere specifisch sozialistische Körperschaften 
zu erwähnen. Sei hier, um bei der Arbeiterbewegung zu bleiben, 
zunächst das Wesen zur Norm nehmend, mit Hintansetzung strenger 
chronologischer Ordnung, zuerst der Independent Labour Party ge- 
dacht, welche allein unter den drei Verbänden neben ihrer Propa- 
ganda bisher auch organisatorisch hat auftreten, und in der Person 
ihres Führers Keir Hardie für ihre Stimme im Parlamente Schall hat 
gewinnen können. Andere Sozialisten oder angebliche Sozialisten, 
die ins Parlament gekommen sind, sind nicht als Sozialisten gewählt 
worden. Der heute einflußreiche John Burns unterlag ja jämmerlich 
als erklärt sozialistischer Kandidat. 

Die unabhängige Arbeiterpartei, obwohl ausgesprochen soziali- 
stisch, ist der gleichgesinnten Social Democratic Federation ein Dorn 
im Auge, weil sie sich durchaus nicht mit ihr, natürlich unter Leitung 
der älteren aber heute schwächeren Körperschaft, vereinigen will. 
Dazu ist, wie Keir Hardie kürzlich erklärt hat, vorderhand auch 
gar keine Aussicht vorhanden. Und da die Independent Labour 
Party mittlerweile numerisch stärker geworden ist als die Federation, 
nämlich etwa 13000 stark, so wird das voraussichtlich um so weniger 
werden, je mehr man in der Zeit vorwärts schreitet. Man nähert sich 
von Zeit zu Zeit, kokettiert miteinander, schließt ein Bündnis, und 
wird dann wieder kalt und fremd. Den Gewerkvereinen will die 
Social Democratic Federation ihre gesonderte Stellung auf Grund 
eigener specifischer Zwecke nicht verargen, vermutlich weil mit einem 
derartig kräftigen Nachbar nicht zu rechten ist. Die Independent 
Labour Party, der man dies nicht verzeihen will, verfolgt indessen 
doch offenbar ebenfalls gesonderte, specifisch arbeiterliche und poli- 
tische Zwecke, die dahin gehen, der Arbeiterschaft in völliger Unab- 
hängigkeit von den übrigen politischen Parteien, selbst, wenn es sein 
muß, im Kampf mit denselben, parlamentarische Vertretung zu er- 


360 Henry W. Wolff, 


ringen. Das ist ihr nun auch, wie gesagt, in einigen Fällen gelungen. 
Offenbar sagt die Verengung und die mehr praktische Gestaltung 
des verfolgten Zweckes der englischen Arbeiterschaft mehr zu als die 
Festhaltung eines nebelhaften allgemein-sozialistischen Zieles. Sie be- 
schäftigt sich nicht gern mit Dingen, die in jahrhunderteweiter Ent- 
fernung liegen, und befaßt sich nur ungern mit zweifelhaften „Pro- 
grammen“. Andererseits erwärmt sie sich gern für die Kandidatur 
ihr zusagender Männer in jedem einzelnen Fall. 

Es ist wohl möglich, daß es ihr beschieden ist, in der Entwicke- 
lung der Partei in der Folge eine mehr oder weniger bedeutende 
Rolle zu spielen. Indessen ist sie bisher zu wirklich kraftvollem 
Wirken jedenfalls noch viel zu wenig erstarkt. Und ihre Ziele decken 
sich schon so sehr mit denen des mächtigeren Gewerkvereinsverbandes, 
daß sie leicht in demselben aufgehen könnte. In erster Linie ist sie 
ja zugestandenermaßen Arbeiterverband, bei welchem die soziali- 
stischen Anschauungen nur mehr oder weniger Nebensache sind. 

Ganz anders steht es mit der zum Schluß noch zu besprechen- 
den dritten propagandistisch sozialdemokratischen Körperschaft, der 
sogenannten Fabian Society, welche trotz ihrer numerischen Schwäche 
— sie zählt nur etwa 860 Mitglieder — bisher am. meisten hat von 
sich reden machen — offenbar infolge ihrer zahlreichen Beziehungen 
zu der Tagespresse. Sie giebt sich für den Vertreter des „littera- 
rischen Proletariats“ aus, und bedient sich ihrer Beziehungen zu der 
Journalistik gern und ohne Schüchternheit, was um so leichter an- 
geht, als mehr oder weniger sozialistisch gefärbte Ansichten, und im 
allgemeinen Besprechungen sozialer Fragen, heute ganz und gar an 
der Tagesordnung sind. Dazu kommt noch, daß einzelne ihrer Schrift- 
stellermitglieder — wie vor allem ihre hauptsächlichsten Führer, Sidney 
Webb und seine Frau — sich durch hervorragende Fähigkeit aus- 
zeichnen, wenngleich in Bezug auf das Gros dieser Körperschaft 
die Zuschreibung dieser intellektuellen Eigenschaften oft übertrieben 
wird. Anregend, oder doch zum mindesten anziehend, wirkt auch 
die sehr rührige Journalistik der Fabier — nach dem ,,Cunctator“ 
sogenannt — durch die, schon bei der Social Democratic Federation 
erwähnte, überraschende Verschiedenartigkeit, um nicht zu sagen 
Buntscheckigkeit, der aufgestellten Meinungen, deren Vertreter sich 
trotzdem alle „Sozialisten“ nennen, obwohl sie sich durch keine gemein- 
samen Grenzen des sozialistischen Programms oder der Konsequenz 
gebunden erachten. Was momentan auffallen und die Aufmerksamkeit 
anziehen kann, wird von ihnen „pro hoc vice“ als „sozialistisch‘“ hin- 
gestellt. So kommt es, daß heute selbst der Schriftführer des Cobden- 
Klubs, also der Verfechter des strengsten, dem Sozialismus verpönten, 
Manchestertums, nebenbei auch Fabier ist, daß ein junger fabischer 
Brausekopf, der sich gern in verschrobenen Vorschlägen ergeht, nach- 
dem er die neue Lehre von der Strafbarkeit des „Zuwenigverzehrens“ 
der besitzenden Klassen entdeckt hat, dem sozialistischen Grundsatz 
zuwider — wonach die Produktion nur zum Verbrauche, niemals zum 
Gewinne statthaben soll — mit großem Beifall seiner Kommilitonen die 


Die sozialistische Bewegung in England. 361 


Forderung aufstellt, daß das staatliche Konsularwesen zu einem Netze 
von Handelsagenturen umzubilden ist, ausgerüstet mit Warennieder- 
lagen und Musterhallen, und ermächtigt zur Abstempelung von nach 
sozialistischen Grundsätzen hergestellten Waren mit einem amtlichen 
vendatur! Das ist, beiläufig, der einzige neue Beitrag, welchen 
die Fabian Society in ihrem letzten Wahlmanifest zu der politischen 
Kontroverse geliefert hat. Im allgemeinen geht es mit ihrem Einfluß 
heute abwärts. 

Von seiten der mehr orthodoxen sozialistischen Körperschaft wird 
den Fabiern ein sozialistischer Charakter geradezu abgesprochen. Die 
Sozialisten der Social Democratic Federation z. B. sticheln in Rede 
und Schrift gern, und häufig mit Bitterkeit, gegen ihre vermeintlichen 
Verbündeten. „Die Fabian Society — nun ja, dem Namen nach ist sie 
sozialistisch, aber in der That schließt sie jede Nüance von Meinungen 
ein und sie ist gänzlich frei von jedem Schimmer einer klaren Politik 
oder eines klaren Prinzipes.“ So urteilt „The New Age“. „Die Fabier 
haben der Bewegung in der Vergangenheit unendlichen Schaden 
zugefügt. Ihre Fähigkeit zum Unfugleisten ist jetzt verschwunden, 
nachdem Leute entdeckt haben, daß es ihnen nur um einen Scherz 
zu thun war. Allein das angerichtete Unheil bleibt“. So erklärt 
„Justice“. Dasselbe Blatt nennt das letzterschienene Fabiermanifest, 
welches auf die Wahlen einen Einfluß ausüben sollte, es aber nicht 
that, „einen von Shaws schlechten Witzen.“ Und so fort. Zwischen 
den beiden Flügeln hat sich in der That eine Art Kluft gebildet. 

Die Fabier haben indessen trotz alledem der sozialistischen Sache 
einige wesentliche Dienste geleistet. Mehr als irgend etwas hat ihre 
publizistische Thätigkeit im Lande zur Verbreitung sozialistischer An- 
sichten — allerdings im weitesten Sinne des Wortes — beigetragen. 
Die veröffentlichten Flugschriften mögen oberflächlich, sich unter- 
einander widersprechend, inkonsequent sein. Für das Publikum, 
auf welches sie berechnet waren, die nicht übermäßig wissenschaft- 
lich gebildete Arbeiterwelt, stellten sie in ihrer populären Fassung 
gerade das dar, was gebraucht wurde. Und sie kamen in Zehn- und 
Hunderttausenden von Exemplaren zur Verteilung und wurden gierig 
verschlungen. Mit der Zeit mußte allerdings solche Wirkung nach- 
lassen. Der Köcher wird eben mit der Zeit leer, und man wird kriti- 
scher in der Beurteilung der Geschosse. 

Dementgegen läßt sich indessen eine andere nützliche Leistung 
der Fabier anführen. Die Orthodoxen mögen über den „schlaffen 
Gas- und Wasserleitungssozialismus“ spotten, der die Verwirklichung 
des sozialistischen Ideals in dem Ankauf und der Betreibung von 
Gas- und Wasserleitungen, Straßenbahnen, weiter in dem Aufbau 
von Arbeiterwohnungen suchen soll. Das ist indessen gerade das 
Feld, auf welchem die öffentliche Meinung heute Raum und Anlaß 
für, wie man es nennt, „sozialistische“ Thätigkeit erblickt. Und dieses 
Feld haben die Fabier ziemlich gut bearbeitet. Durch ihre bessere 
Vorbildung mehr zur Verwaltungsthätigkeit geeignet als die Arbeiter 
der Social Democratic Federation, haben sie in Schulräte, Stadträte, 


362 Henry W. Wolff, 


Grafschaftsräte u. s. w. Einlaß gesucht und gefunden. Da wirken 
sie nun zu Gunsten der unteren Klassen, dringen auf Verminderung 
der Arbeitsstunden, Vergebung öffentlicher Arbeiten womöglich un- 
mittelbar an die Arbeiter, oder doch nur an Geschäftshäuser, welche 
Gewerksvereinslöhne zahlen, räumen in ungesunden oder überfüllten 
Stadtteilen mit pestbrütenden Baracken auf und sorgen für den 
Aufbau zweckdienlieher neuer Wohnungen. 

Bei allem diesem stimmt die öffentliche Meinung den Fabiern 
gern bei und ist ihr sympathisch. Denn das liegt in dem herrschen- 
den Geiste der Gegenwart. Und da die Welt das Thun der Fabier 
auf diesem Felde gut heißt, so bilden sich die letzteren mitunter ein 
— oder geben doch vor, es zu thun — daß sie die Welt in dieser 
Weise bekehrt und ihr das sozialistische Denken durch ihr Wirken 
beigebracht haben. Das heißt indessen den Karren vor den Gaul 
spannen. Die erwähnte „sozialistische“, richtiger nur humanistische, 
den Aermeren freundliche Strömung begann lange ehe irgend jemand 
an die Begründung des Fabierbundes dachte, und hat diese vielleicht erst 
möglich gemacht. Jedenfalls besitzt sie eine weit breitere Unterlage 
als die fabische Bewegung, und wenn die Thätigkeit dieser Leute 
auf solchem Felde heute Anklang findet, so ist das nur, weil sie sich, 
mit Aufgabe ursprünglicher, sozialistischer Ideale, so ganz und gar 
dem humanistischen Streben des Zeitgeistes angepaßt haben. 

Man denke doch an die mächtige Bewegung im Volke, zuerst 
namentlich in den oberen Ständen, welche der öffentlichen Aufdeckung 
der Greuel und Mißstände des älteren Industrieregimentes folgte, die 
auf der sozialistischen Tribüne heute noch zur Anfachung einer 
Entrüstung herhalten müssen, nachdem sie in der Hauptsache längst 
ein Ding der Vergangenheit geworden sind! Lord Shaftesbury be- 
gann seine ergiebige Reihe menschenfreundlicher Reformen. Carlyle 
warnte mit mürrischer Prophetenstimme. Ruskin predigte das Evan- 
gelium der „Arbeit für Alle* und der Preisgabe des Selbst für 
andere. Maurice mahnte seine Mitchristen an ihre Pflicht, es dem 
Meister nachzumachen und Geld, Arbeit, Zeit dem Wohle der Mit- 
menschen zu opfern. Zu gleicher Zeit erfolgte ein gewaltiger Um- 
schwung im religiösen Leben in Kirche und Kapelle, welche die 
religiösen Gemeinschaften heute gar nicht als dieselben erkennen 
läßt. Man wetteiferte förmlich miteinander. Man nahm die Pflicht 
der Volksbelehrung mit Eifer auf. Genossenschaften predigten: 
Bildung, Bildung, Bildung! Toynbee gründete sein Toynbee Hall, 
Besant regte die Gründung des „Volkspalastes* an. Die beiden 
großen Universitäten richtete ihre „Ausdehnungskurse“ ein, sandten 
allerwärts ihre Lehrer hin, füllten ihre Auditorien während der Ferien 
mit Schülerschaaren aus dem Volke, stifteten im östlichen London 
Oxford House. Man befaßte sich vor allen Dingen mit der sozialen 
Frage, besprach das Für und Wider des Achtstundentages, drang 
auf Verbesserung von Arbeiterwohnungen, auf die Herstellung von 
Volksparks u. s. w. Vornehme Damen gingen gewohnheitsmäßig 
„a-Slumming“, d. h. sie besuchten Arbeiterwohnungen in den elen- 


Die sozialistische Bewegung in England. 363 


desten, ungesündesten Pesthöhlen, um auf diese, nicht besonders 
nutzbringende Art ihre Teilnahme an dem Wohle der arbeitenden 
Klassen zu bekunden. Kurzum man kam dazu, daß man den be- 
kannten Pope’schen Vers in folgender Parodie annahm: 

The noblest study of mankind is (the working) man. 

Man ging weiter. Da die Gesellschaft über diese Dinge 
spöttelte, von einer „Anbetung“ des Arbeiters sprach, und die Be- 
wegung „sozialistisch“ nannte, so nahmen die Kämpfer für die neue 
Sache, wie einstmals die „Geusen“, in ihrem Eifer den Spottnamen 
auf und behaupteten dreist (in diesem Sinne) Sozialist zu sein. Es 
bildeten sich christlich-sozialistische Vereine, „Gilden“ des Heiligen 
Matthäus und anderer Heroen aus der Kirchengeschichte. In diesem 
Sinne wurden Harcourt, der König und die ganze Welt „sozialistisch“. 
Allein die Vorbilder für diesen, heute mächtigen Sozialismus sind nicht 
Marx und Lassalle, sondern Carlyle und Ruskin. 

Auf diesem kräftigen Strome wurde die schwache Barke des 
Fabiertums flott gemacht; unter der Sonne dieser Bewegung wurde 
ihr Ei ausgebrütet. Und nun bildet sich die Fliege auf dem Rade 
ein, daß sie mit ihrem Summen und Flügelschwirren den Karren erst 
in Bewegung gesetzt hat! 

Aus eigener Kraft vermag, wie gesagt, keine der drei bestehen- 
den sozialistischen Körperschaften — selbst nicht die Independent 
Labour Party — bedeutendere organisatorische Erfolge zu erringen, 
in der Gesellschaft oder im Parlament Boden zu gewinnen. Notge- 
drungen mußten sie sich daher an eine stärkere Organisation jan- 
lehnen. Und daher schreiben sich ihre Versuche, den mächtigen und 
wohlorganisierten Verband der Gewerkvereine zu beeinflussen und 
sich durch ihn einen Erfolg zu sichern. Dem Gelingen dieser Ver- 
suche standen nun allerdings von Hause aus zwei bedeutende Hinder- 
nisse im Wege: erstens das prinzipielle, daß der Sozialismus nicht, 
wie in Deutschland, eine bloße Klassenbewegung, zu Gunsten der 
Arbeiter allein, sein will; zweitens das praktische, daß die Gewerkvereine 
den Sozialismus nun einmal nicht annehmen wollen. Darüber kann 
keinerlei Zweifel sein. Die Gewerkvereinler nehmen Sozialisten gern 
zu Verbündeten, zu Führern, zu Anregern. Allein wenn es zur An- 
nahme ihrer Grundsätze, ihres Programms kommt, sind sie, wie 
„Justice“ klagt, „zu zaghaft“, das „Vorurteil“ macht sich zu stark 
geltend. 

Trotzdem hat man es redlich versucht, und diese Versuche 
stellen das bei weitem interessanteste und, vom praktischen Stand- 
punkt aus betrachtet, das wichtigste Kapitel in der Geschichte der 
sozialistischen Bewegung in England dar. 

Es gebührt ihm um so mehr eine kurze Besprechung, als 
offenbar über das Maß seines Erfolges im Auslande, und vielleicht 
gerade in Deutschland, hier und da irrige Ansichten vorzuherrschen 
scheinen. 

Im Jahre 1894 setzte der jährliche Gewerksvereinskongreß die 


364 Henry W. Wolff, 


Welt durch einen mit besonderem Nachdruck angenommenen, unbe- 
stritten kollektivistischen Beschluß in das größte Erstaunen. 

Bis dahin hatten die Gewerkvereine mit kollektivistischen An- 
sichten keinerlei Koketterie getrieben. Selbst die Verstaatlichung 
des Grundes und Bodens, welche in England durchaus nicht als 
specifisch sozialistisches Programmstück gelten darf, war kaum ver- 
langt worden. „Wir wollen dem Grund und Boden seine Fesseln ab- 
streifen.“ So erklärte der Vorsitzende, Harford, im Jahre 1891. 
„Es giebt keine Ueberproduktion.“ „Absolute gesellschaftliche Gleich- 
heit ist undenkbar.“ „Der einzige Ursprung jedweden Rechtes ist 
die Erfüllung einer Pflicht.“ Selbst im Jahre 1893 noch wurde nur 
„ein in sehr allgemeiner Weise gehaltener Beschluß“ angenommen, und 
der Vorsitzende erklärte, die erhaltene Einladung zum Züricher So- 
zialistenkongreß ginge ihn nichts an. 

Da, auf einmal, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, hieß es, 
daß sämtliche Produktionsmittel zu Gunsten der Allgemeinheit vom 
Staate zu erwerben seien. Die Erklärung überraschte allgemein. 
Aber mit diesem einen Knalleffekt, der durch besondere Umstände 
bedingt war, hatte es auch sein Bewenden. Eine gleich kräftige Er- 
klärung ist seitdem an Vereinstagen nicht erfolgt, das Gebrüll des 
Löwen ist immer schwächer geworden und heute wäre, wie alle Welt 
zugesteht, ein ähnlicher Beschluß nicht denkbar. Man stimmt wohl 
stark für gesetzmäßige Verminderung der Arbeitsstunden. Man will 
auch den Beginn des Arbeitstages verspäten. Aber selbst von Ver- 
staatlichung des Grund und Bodens spricht man heute nur unter 
Verdunkelung des Sinnes, indem man „groundvalue“ (Bodenwert) 
an die Stelle von „land“ (Grund und Boden) gesetzt hat. „Ground 
value“ kann allerdings auch Grund und Boden bedeuten. Wahr- 
scheinlich denken sich indessen gar viele dabei etwas anderes. 

Es frägt sich nun: Wie kam man im Jahre 1894 zu dieser 
demonstrativen Erklärung für den Kollektivismus? Die Erklärung 
ist einfach. Mit dem Jahr 1886 hatte ein ganz neues, auf den Kol- 
lektivismus hinzielendes, Treiben in dem Lande begonnen. Etwa in 
dem genannten Jahre hatte die bereits erwähnte politisch-soziale 
Gärung einen Höhepunkt erreicht, an welchem der Schaum über- 
laufen mußte. Man stand unter dem Einfluß des neuen Wahlrechtes, 
welches große Wohlthaten in Aussicht stellte. Durch sein „unautori- 
siertes“ radikales Programm hatte Chamberlain den niederen Klassen 
einen völlig neuen treibenden Kampfgeist eingeflößt. Die „homerule“ 
Bewegung mit den sie begleitenden Unruhen — „Remember Mitchell- 
stown“ u. 8. w. — hatte die Gemüter erregt. Und unter solchen 
Einflüssen entwickelten die Fabier und die Social Democratic Fede- 
ration ihre rührigste Thätigkeit. Das englische Publikum liebt seine 
Speisen in Küche und Politik stark gepfeffert Wie man heute 
übertrieben imperialistisch ist, so ließ man sich damals gern demo- 
kratische Lehren recht scharf gewürzt vorsetzen. Stimmte man dem 
Gesagten auch nicht unbedingt bei, so hörte es sich doch gut an. 
Man wollte nun einmal demokratische Lehren predigen hören. Und 


Die sozialistische Bewegung in England. 365 


diesem Wunsche willfahrteten die Sozialisten gern. An wer weiß 
wie vielen Straßenecken wurden tagtäglich offene sozialistische Ver- 
sammlungen gehalten. Man suchte öffentliche Vereinigungen im Tra- 
falgar Square und in Hyde Park zu erzwingen. Dabei kam es zu 
heftigen Aufläufen und Kämpfen mit der Polizei und zur Plünderung 
einer Reihe von Kaufläden. Zugleich wurden Flugschriften in Masse 
verteilt. Das ging im ganzen Königreich so. Die jüngeren, be- 
geisterteren Mitglieder der Gewerkvereine schnappten in ihrem 
schwachen Wissen die neuen Lehren mit Eifer auf, verschlangen 
den Inhalt der Flugschriften mit Gier und gaben ihn dann in ihren 
örtlichen Versammlungen getreulich wieder. Nach einiger Zeit 
wurden diese Leute ganz natürlich als die regsten, gewandtesten, 
anscheinend fähigsten und redegewandtesten ihres Vereins als Dele- 
gierte in den Verbandstag geschickt. Und so kam es, daß im Jahre 
1894 ein nichtsozialistischer Verband wesentlich durch Sozialisten 
vertreten war, was den ausgesprochen kollektivistischen Beschluß 
möglich machte. 

Im nächsten Jahre wurden selbstverständlich diese Heißsporne nur 
in verminderter Anzahl wieder gewählt. Und 1896, bei dem inter- 
nationalen Sozialisten- und Arbeiterkongreß, auf welchem durch die 
wahrhaft kuriosen Abstimmungsbestimmungen den Sozialisten ein 
über alles Verhältnis hinausgehendes Stimmrecht eingeräumt wurde, 
stellte sich, infolge des Mißbrauches dieses Stimmrechtes auf sozia- 
listischer Seite, unter den Gewerkvereinlern eine offenbare Ver- 
stimmung ein, die auch heute noch mehr oder weniger fortwährt. 
Man will wenigstens nicht wieder einen gemeinsamen Kongreß 
abhalten. Wie lächerlich die Abstimmungsbestimmungen damals 
waren, geht unter anderem daraus hervor, daß ein kleiner sozia- 
listischer Verein mit nur 4 Mitgliedern das nämliche Stimmrecht 
ausübte, wie der Gewerkverein der Eisenbahnarbeiter mit 12000 Mit- 
gliedern. 

Auch auf sozialistischer Seite ist man nicht mehr in Flitter- 
wochenstimmung. Hyndman und seine Freunde geben den Gewerk- 
vereinlern mitunter recht unschmackhafte Wahrheiten zu hören — 
geht man ja doch an anderer Stelle oft so weit, die beiden Or- 
ganisationen geradezu als Gegensätze zu bezeichnen. „Ihr solltet 
eine Arbeiterdemokratie bilden,“ sagt Hyndman; „statt dessen 
seid ihr nun geradezu Arbeiteraristokraten geworden, und rühmt 
euch sogar dessen! Was thut ihr für den Arbeiterstand als Ganzes? 
Ihr denkt nur an euch selbst. Einen ansehnlichen Teil der Arbeiter- 
bevölkerung, gerade denjenigen, der der Hebung zumeist bedarf, 
könnt ihr überhaupt nicht in euren Verband hineinziehen.“ 

Trotzdem behauptet man, daß die Zahl der erklärten Sozialisten 
in den Gewerkvereinen zugenommen hat und noch weiter zunimmt. 
Von anderer, schwerlich weniger gut unterrichteter Seite wird dies 
entschieden bestritten. Es läßt sich nicht absolut feststellen. Wäre 
dem indessen so, wie man angiebt, so würde es jedenfalls an und 
für sich nicht viel zu bedeuten haben. Denn einmal muß man, wie 


366 Henry W. Wolff, 


die Sozialisten William Morris und Belfort Bax selbst erklärend 
bemerken, „stets im Auge behalten, daß die große Menge derer, welche 
auf diesem Pfade vordringen, sich nur in sehr beschränktem 
Maße darüber bewußt sind, wohin der Pfad führt, und 
keineswegs die Geburt einer, auf allgemeiner Gleichheit der Stellung 
begründeten, neuen Gesellschaftsordnung, sondern vielmehr nur bessere 
und gesichertere Lohnverhältnisse und eine vollere Anerkennung 
ihrer Stellung von seiten ihrer Vorgesetzten anstreben; kurzum, ihr 
Ideal ist nicht das eines Sozialisten, sondern eines Menschen, 
der durch einen zunehmenden Instinkt nach dem Sozialismus hinge- 
lenkt wird“. So urteilen Morris und Bax. Andererseits sind die 
erwähnten Sozialisten durchaus nicht als Sozialisten in den Ge- 
werkvereinstag gewählt, sondern nur als Vertreter der Berufs- 
arbeiter, mit einem bestimmten Mandat. Der Gewerkvereinstag hat 
sich mit ganz anderen Dingen zu befassen, als mit dem Sozialismus. 
Durch die Anwesenheit von Sozialisten wird er noch lange nicht zu 
einem sozialistischen Kongreß. Wir haben hierzulande nirgends 
dieselbe Scheu vor Sozialisten, welche die letzteren in Deutschland 
von Hirsch-Duncker’schen Gewerkvereinen und von Genossenschaften 
fern hält. In Gewerkvereinen und Genossenschaften sind sie gleich 
gern gesehen und leisten dort auch häufig gute Dienste Der 
englische Arbeiter denkt, drittens, durchaus nicht programmmälig, 
mit der Absicht, eine strenge Konsequenz zu üben. Er urteilt 
von Fall zu Fall, und nimmt Anträge an oder lehnt sie ab, je 
nachdem sie ihm zur Zeit seinen Interessen förderlich oder anders- 
wie erscheinen, mögen sie noch so sehr oder noch so wenig so- 
zialistisch sein. Durch gewandte Fassung kann man ihn schon dazu 
vermögen, einen sozialistischen Antrag nach dem anderen gutzu- 
heißen. Damit wird er indessen noch lange nicht zum Sozialisten. 
Und dann kommt wieder ein Fall, in dem das ganze Kartenhaus dieses 
schönen Scheines über den Haufen fällt, da er dem Sozialismus ent- 
schieden entgegenstimmt. 

Es bleibt nun die Frage zu erörtern: Wie hat sich der Sozialis- 
mus in England unter den erklärten Einwirkungen gestaltet, was 
ist seine gegenwärtige Stellung und was sind seine Aussichten für 
die Zukunft? 

Zur Beantwortung dieser Fragen wird man sich vor allem darüber 
klar werden müssen, was man unter Sozialismus verstehen will. Die 
schon erwähnte Carlyle-Ruskin’sche Humanitätsbewegung, welche die 
Klassengleichheit und das Wohlbefinden des Himmels zu Gunsten 
der Aermeren möglichst schon auf Erden verwirklichen soll? Er- 
klärte Sozialisten wollen dies manchmal, um bei drohender Leere 
des Küchenschrankes aus jedem Mehl Brot zu backen. Indessen 
steht dem ihre eigene Behauptung entgegen, daß der Sozialist nicht 
allein, wie die bloß Humanen, die Lage, sondern die Stellung 
des Arbeiters verbessern will. Er strebt nicht nach besserem Be- 
finden, sondern nach Herrschaft. Da muß man also offenbar den 
einfachen humanen Sozialismus ausscheiden, der gerade in England 


Die sozialistische Bewegung in England. 367 


das Hauptmaß des angenommenen Sozialismus ausmacht, und auch 
die Sozialistenfreundlichkeit, welche, wie der Professor Ely richtig be- 
merkt, den Sozialismus begünstigt, nicht, weil sie seine Grundsätze gut- 
heißt, sondern weil sie ihn, trotz seiner irrigen Grundsätze, momen- 
tan, in Anbetracht der Sachlage, für eine in gesunder Weise wir- 
kende nütztliche Kraft ansieht. Auch diese Richtung ist in Eng- 
land stark vertreten. 

Was bleibt dann aber? 

Jedenfalls nicht sehr viel; und nur gar sehr wenig was dem 
schulgerechten Marxistischen Sozialismus, wie man ihn in Deutsch- 
land kennt, ähnelt. Die sozialistischen Ideen haben sich, wie schon 
dargelegt worden ist, stark zersplittert, und im ganzen hat man dem 
Marxismus die Kanten scharf abfeilen müssen, um ihn für England 
überhaupt annehmbar zu machen. 

Fürs erste hat man die Marxistische, materialistische Anschau- 
ung fallen lassen. Die Bewegung ist hier rein ethisch. Den 
Marxistischen Materialismus — die Evolutionstheorie u. s. w. — 
könnten, so erklärt Professor Ely in seinem ausgezeichneten Werke, 
weder der englische noch der amerikanische Arbeiter jemals an- 
nehmen. 

Weiter hat man sich, wie Sidney Webb ausdrücklich und mit 
Wahrheit nachweist, in dem wichtigen Stücke der Lehre vom Wert 
ganz und gar von Marx abgewendet und dafür die Auffassung von 
Jevons angenommen. Ueberhaupt folgt man in Bezug auf wirt- 
schaftliche Anschauungen, wie Webb klarlegt, weit weniger Marx als 
Mill, den Webb auf Grund einer schwerlich ernstlich gemeinten 
Aeußerung in seinem letzten Werke zu den Sozialisten zählt. Mill 
erklärte sich wohl in der nämlichen Weise „zum Sozialismus be- 
kehrt“, wie neuerdings Harcourt. 

Ferner ist die Bewegung in England nicht, wie in Deutschland, 
eine Bewegung wesentlich zu Gunsten einer einzigen Berufsklasse. 
Die große Mehrzahl ihrer Anhänger sind allerdings erklärlicherweise 
Arbeiter. Aber es bildet nicht specifisch eine Arbeiterbewegung. 

Zur Verfechtung der Arbeiterinteressen hat man, neben ihr, 
die Gewerkvereine und die unabhängige Arbeiterpartei. Damit 
ist schon dem Sozialismus ein mächtiger Zahn ausgezogen. Er 
nährt nicht notwendig den Klassenhaß. Er wird zur spekulativen 
Theorie. 

Vor allem aber hat man jedweden Gedanken von „Umsturz“ 
und „Kladderadatsch“ aufgeben müssen. Der englische Sozialismus 
ist keine Umsturzbewegung. Der Gedanke eines Umsturzes würde 
ihn nur einer sehr geringen Anzahl von Leuten annehmbar machen. 
Und er hat solchen Gedanken auch nicht nötig. Denn, um den 
Professor Ely noch einmal zu citieren, das Sattelpferd in dem Ge- 
spann der deutschen sozialistischen Bewegung, die Demokratie, 
welche vermutlich mehr Anhänger anzieht als der Sozialismus, hätte 
in England und Amerika nichts zu arbeiten. Die Staatsorganisation ist 
bereits demokratisch. Denselben Gedanken benutzt Webb zur 


368 Henry W. Wolff, 


Herausputzung vermeintlicher sozialistischer Erfolge in England, 
wenn er erklärt, daß sich in England viele nur Liberale nennen, 
welche in Deutschland als Sozialisten zählen würden, was bei Um- 
kehrung der Gleichung bedeutet, daß in Deutschland viele dem 
sozialistischen Banner folgen, nicht des Sozialismus, sondern der 
Demokratie wegen. An den Umsturz des Staates denkt hier in 
England kein Sozialist, selbst Hyndman nicht, wenngleich er fließend 
von Revolution, Zusammenbruch und Kataklysmus spricht. „Man muß 
die alte Schale zerbrechen; allein die neuen Formen müssen aus 
dem alten Kern herauswachsen.“ So schreibt er selber. Also der 
auswärts gefürchtete Unhold ist in England zu einem harmlosen 
Sozialpolitiker geworden, der sich kein höheres Ziel steckt, als ein- 
fach auf friedlichem, verfassungstreuem Wege die Staatsorganisation 
umzuformen. Von „Revolution“ spricht man allerdings noch viel, 
weil die Revolution von Hause aus als unerläßlich bezeichnet wor- 
den ist. Allein unter „Revolution“, so erklärt das Parteiblatt 
„Justice“, soll man sich ja nicht eine bewaffnete Volkserhebung 
denken. Die angekündigte „Revolution“ vollzieht sich im Gegenteil 
schon thatsächlich in der Gegenwart, stückweise, in aller Stille, 
nicht „vertikal“, durch einen plötzlichen, gewaltsamen Emporstoß, 
der die Welt erschüttert, sondern „horizontal“, durch allmähliches 
Schwängern des Volksteiges mit sozialistischer Hefe. Sozialistische 
Anschauungen finden zunehmend Verbreitung, sozialistische Reform- 
vorschläge finden Annahme, und kaum merkbar und allmählich bildet 
sich das Land so zum Sozialistenstaate um. So legt man die Sache 
heute aus. Fertig will man allerdings damit noch nicht sein. Im 
Gegenteil sagt man sich offen, daß man bis zu endgültiger Er- 
reichung des Zieles noch lange wird warten müssen, es kann sein 
50, es kann auch sein 500 Jahre. 

Vor solch einem Sozialismus, der noch dazu, wie schon erwähnt, 
durch Annahme allen und jeden Vorschlages, der gerade der 
öffentlichen Meinung zusagt und deswegen, zu dem Zweck der Be- 
hauptung eines Parteitriumphes, auf der Stelle „sozialistisch“ ge- 
stempelt wird, braucht sich der allerschüchternste Konservative 
nicht zu fürchten. Was erst in Hunderten von Jahren geschehen 
soll, kann heute nicht schrecken. 

Wir haben es also hier mit einem neuen, rein spekulativen 
Vorschlage zu thun, der niemandem ernstlich Besorgnis einflößen, 
aber auch andererseits niemanden erwärmen kann. Das Ergebnis 
sehen wir in dem völligen Fehlen einer sozialistischen Partei. Der 
Sozialismus unterstützt, regt an, leitet mitunter. Aber er arbeitet 
für andere, die sich seiner gern bedienen, sogar sich seiner Leitung 
unterwerfen. Er thut dies in der Hoffnung, daß, wo er jetzt hand- 
langt, er späterhin Meister werden und sich selber handlangen 
lassen wird. 

Ist dazu Aussicht vorhanden? Schwerlich. 

Man betrachte nur das englische Volk, zumal das Arbeitervolk, 


Die sozialistische Bewegung in England. 369 


in der Nähe, wie es seine Entwickelung geschaffen hat! Man irrt 
sich so gar häufg in dieser Beziehung — selbst der Engländer Hynd- 
man, als er vor 19 Jahren eine nahe bevorstehende Volkserhebung 
voraussagte; noch weit mehr Leute in der Fremde. Man sieht den 
Stoff zur Unzufriedenheit, das rohe Material zur Erhebung. Man 
hört die Menschen mit allem Nachdruck des freien Wortes klagen. 
Leute aus den höheren Ständen erwärmen sich darüber und halten 
Brandreden. Das „Proletariat“ erhebt sich indessen nicht, und ohne 
Erhebung des Proletariates ist der Sozialismus, wie Marx sich selbst 
ausgedrückt hat, nichts als ein Sturm im Glase Wasser. Die ganze 
Anschauungsweise, das instinktive Denken, die angeborenen Gewohn- 
heiten des Engländers widerstreiten sozialistischen Grundsätzen. Man 
weiß recht wohl, trotz aller. augenblicklicher Erhitzung, daß es 
für bestehende Mißstände auch andere Hilfsmittel giebt, die sich in 
der Praxis bereits bewährt haben, und mit dem dem Engländer an- 
geborenen Selbstvertrauen verläßt man sich lieber auf sie, als daß 
man es mit einem unbekannten System versuchte, welches, in den 
Worten Gladstone’s, sich ganz gut für die Planeten Uranus und 
Saturn eignen mag, aber nicht notwendig für das kleine Stück bri- 
tischer Erde. Sir G. C. Lewis stellte das englische Wesen ganz 
wahrheitsgetreu dar, als er bemerkte, daß man in England an dem 
Bestehenden, in das man sich hineingelebt hat, in der Regel nur 
die Vollkommenheit sieht, an dem Neuvorgeschlagenen nur die 
möglichen Mängel. 

Und nun kommt noch dazu, daß der Sozialismus gerade das 
verlangt, was der englische Arbeiter hoch und wert hält, und das 
abschaffen will, an was er sich gewöhnt hat. Das bischen „sein 
eigen‘‘ — kein anderes Volk hat einen Ausdruck, der dem in Eng- 
land beliebten „My very own“ mein ganz eigen, gleichkommt — die 
regelrecht vollzogene Ehe, die alte kirchliche und staatliche Ordnung, 
die Familie mit ihrem geheiligten Heim, das idividuelle „Mehr“, was 
durch Arbeitsamkeit und Geduld noch zu erringen ist, das Empor- 
wachsen in eine höhere Stellung als Lohn für Fleiß und Intelligenz — 
alles das läßt er nicht fahren, wenigstens nicht, bis man ihm mit Sicher- 
heit die Erreichbarkeit eines Besseren nachgewiesen hat. Er schüttet 
sein schmutziges Wasser, wie man hier sagt, nicht aus, bevor er 
reines hat. Aber alles dieses will ihm der Sozialismus leid machen. 
Zum Herdenleben ist er nicht geschaffen. Eine Welt, in welcher 
ein Oberer ihm ohne seine eigene Wahl eine Arbeit zuweist — wo, 
wie man gesagt hat, „ein Mann, der mich möglicherweise nicht leiden 
mag, mir eine Arbeit zuweist welche mir möglicherweise nicht an- 
steht“ — begreifternicht. Er denktallerdings, wie der Sozialist Herbert 
Burrows sich in , Justice“ beschwert, vornehmlich „mit seinem Magen“. 
Das bedeutet indessen nicht, daß er mit genügendem Essen und 
Trinken, mit Kleidung und Wohnung zufrieden ist, daß er keine 
höheren Ideale hat. Ganz im Gegenteil. „Passabel essen, und nur von 
anderen versorgen lassen, mäßig arbeiten müssen, wo man uns an- 

Dritte Folge Bd, XXI (LXXVI). 24 


370 Henry W. Wolff, 


stellt, mit der Aussicht auf Versorgung in unseren alten Tagen, das 
haben wir unter günstigen Umständen schon alles gehabt‘, so sagen 
Amerikaner, wenn man ihnen vom Sozialismus spricht, „aber wir 
nannten es Sklaverei, und die wollen wir nicht aufs neue schaffen“. 

Der englische Arbeiter hat wohl höhere Ideale. Man soll ihn 
nur nicht nach dem Zerrbild beurteilen, welches er mitunter selbst von 
sich entwirft, als sorglos in den Tag hineinlebend, dem Trunk er- 
geben u. s. w. Das ist die Ausartung, welche er selber verurteilt, 
brandmarkt und vermeiden will. Deswegen hält er so sehr auf 
Erziehung und Sparsinn. Aber gerade das, worin er sein Heil 
gesucht hat, das wird ihm von dem Sozialismus verboten. Er soll 
nicht sparen. „Thrift“ heißt für Sozialisten ausgesprochenermaßen 
nicht, wie für andere Engländer, Vorsorge durch Ersparnis zu 
einem späteren Wohlbefinden, sondern es sich jetzt gut gehen lassen, 
in den Tag hineinleben mit der Zuversicht, daß die Allgemeinheit 
schon für die Zukunft sorgen wird. Damit würden die den Arbeitern 
so lieb gewordenen Hilfskassen überflüssig. Die Gewerkvereine werden 
ihnen ja jetzt schon verleidet! Es wird ihnen vorgeworfen, daß sie eine 
Arbeiteraristokratie, einen Staat im Staate, ein individualistisches 
Sonderinteresse bilden. Das ist allerdings ganz richtig, hat auch 
seine Schattenseiten. Es entspricht indessen gerade den englischen 
Arbeiterideen. „Ich kümmere mich um mein eigenes Interesse. 
Mögen sich andere um dasihre bekümmern! Was ich kann, das können 
sie auch.“ Die Genossenschaften, welche ja gerade in England und 
Schottland so glänzenden Erfolg erzielt und den Arbeiter ohne 
viel Anstrengung auf dem Wege der Selbsthilfe so viel Segen 
gebracht haben, werden mit scheelen Augen angesehen. Allerdings 
giebt es auch Sozialisten, die ihnen günstig denken. Das geschieht 
indessen entweder aus Inkonsequenzen, oder mit absichtlicher zeit- 
weiser Beiseitesetzung eines sozialistischen Grundsatzes in der Ab- 
sicht, aus dieser Preisgabe doch für den Sozialismus Gewinn zu 
ziehen. Richtig ist schon, daß die Genossenschaften ein mehr oder 
weniger individualistisches Interesse anregen. Und deshalb sind 
sie dem strengen Sozialisten anstößig. Sie helfen dem einzelnen seine 
Lage ohne Anrufung des Staates oder der Allgemeinheit zu bessern. 
Die Produktivgenossenschaften sind den Sozialisten besonders ver- 
pönt, weil sie eine neue Art individualistischer Produktion begründen. 
Doch hat man nun auch schon erkennen gelernt, daß gerade die 
Genossenschaften eine außerordentliche erzieherische Wirkung auf 
den Arbeiter ausüben, welche dem Sozialismus möglicherweise zu 
gute kommen kann. Und Erziehung, Heranbildung, gerade in der 
Handhabung von Warenlagern, Werkstätten und Fabriken ist das, 
was anerkanntermaßen für die Herstellung eines sozialistischen 
Staates zumeist not thut. Die französischen Nationalwerkstätten des 
Jahres 1848 gingen, so urteilt man, zu Grunde, weil den beschäftigten 
Arbeitern die geschäftliche Vorbildung mangelte. In Italien gestehen 
die Sozialistenführer offen ein, daß sie die Genossenschaft geflissent- 


Die sozialistische Bewegung in England. 371 


lich als erziehende Vorschule für den Sozialismus betreiben. In 
England nimmt man nun auch schon diesen Grundsatz an. Und 
seit dem letzten Sozialistenkongreß in Paris, bei welchem den Sozia- 
listen aller Länder deutlich vor Augen gebracht wurde, einen wie 
bedeutenden pekuniären Gewinn die belgischen Sozialisten aus 
ihrer Genossenschaft schöpfen, geht man auch hier, wie in Frankreich, 
sozialistischerseits mit dem Gedanken um, es Anseele und Serwy 
nachzumachen, und eigene geldbringende Warenlager anzulegen. 
Wo sich indessen, wie in England, bereits ein kräftiges nicht-sozia- 
listisches Genossenschaftswesen ausgebildet hat, da dürfte es, zumal in 
Anbetracht der numerischen Schwäche der Sozialisten, mit der Aus- 
führung dieses Gedankens schwer halten. Selbst der britische Löwe, 
der dem Arbeiter beinahe wie ein Stück göttlicher Weltordnung vor- 
kommt, wird von den Sozialisten heruntergerissen. „Ob es für die 
Sozialdemokraten Pflicht sein würde, einem feindlichen Einfall ins 
Land Widerstand zu leisten, würde ganz und gar von den Um- 
ständen abhängen. Wir sind nicht dazu berufen, die Klasseninter- 
essen der herrschenden Klassen zu schützen.“ „Nicht ein einziges 
Arbeiterleben dürfte in der Verteidigung kapitalistischen Eigentums 
geopfert werden. Mögen die Spitzbuben sich unter sich wegen Ver- 
teilung der Beute streiten, während wir den Moment abpassen, wo 
der ehrliche Mann wieder zu dem Seinen kommen kann! Für Sozia- 
listen gilt der Wahlspruch: Mag das Reich untergehen!“ Das ver- 
steht der englische Arbeiter nicht. Er sieht auch das Närrische 
solcher Argumentation ein. Wenn der „kapitalistische“ Feind den 
„kapitalistischen“ Engländer unterwirft, wird für den Arbeiter als 
„ehrlichen Mann“ schwerlich viel übrig bleiben. Mag man sich als 
zur „Revolution entschlossen“, als „es stets mit den Unversöhnlichen 
haltend“ hinstellen, die Aristokratie, die Regierung, auch das Landes- 
haupt selbst schlecht machen! Das gehört alles zu der Herrschaft 
der freien Rede, und thut keinem ernstlich Schaden. Aber wenn 
man öffentlich über das Aufheben lacht, welches wegen Sipido’s 
Attentat — seines „dummen Streiches“, wie die Sozialisten es nen- 
nen — gemacht worden ist, und von Preisgeben des Landes an den 
Fremden spricht, so wird der englische Arbeiter, so sehr er sich 
sagen mag, daß das nicht ernstlich gemeint ist, doch kopfscheu 
und mißtraut dem sich anbietenden Führer. 

Das Recht der Initiative und des Referendum, womit man ihn 
ködern will, versteht er einfach nicht. Und die „Arbeiterkirchen“, 
welche für den sozialistisch Denkenden die altgewohnten Kirchen 
oder Kapellen ersetzen sollen, ziehen nicht die richtige Art von 
Arbeitern an. In derartigen Kirchen wird der landesübliche Gottes- 
dienst in sehr freier Art nachgeahmt oder parodiert. Häufig werden 
Kapitel aus der Bibel gelesen und es werden von Laien Predigten 
gehalten, doch nur, in beiden Fällen, in solcher Art, als es in den Sozialis- 
mus hineinpaßt, also das sonst verlachte Wort Gottes wird gerade so 
weit herangezogen, als es ausspricht, daß der Arbeiter und der 

24* 


372 Henry W. Wolff, 


Arme bedrückt werden, und daß die Reichen den Armen etwas 
schuldig sind. Dann folgt in der Regel eine Debatte. Daß dieses 
die richtige Weise ist, um die Arbeiterinteressen zu verfechten, glauben 
offenbar nur wenige unter den Arbeitern selbst, mögen auch einige 
gern ihrer Beredsamkeit bei solchen Gelegenheiten Luft machen. 

Man sieht es, der Sozialismus, so sehr man ihn für englischen 
Verbrauch abgestumpft hat, stößt noch immer an allen Ecken und 
Enden gegen ziemlich feste Punkte in dem Wesen des britischen 
Arbeiters an. Das deutsche Tuch hat gewaltig zugeschnitzt, ge- 
dehnt und zurecht gestutzt werden müssen, um auch nur einen halb- 
wegs englischen Rock abzugeben. Dieser Rock will nun immer noch 
nicht recht passen. Er kneift den einen, wo er dem andern zu 
weit ist. Man hat gar manches fallen lassen müssen, gar manches 
angeflickt. Allein immer noch nicht will der Sozialismus anziehen. 
Will man seine Reihen füllen, neue Wirkung hervorrufen, so muß 
man fremde oder wenigstens nicht streng sozialistische Fragen 
heranziehen, an die man sich dann gern anklammert und die mit- 
unter auch ihre Zwecke erfüllen und für den Moment Rekruten ein- 
bringen. Heute ist es die Altersversicherung, morgen sind es die 
Vergehen des Oberhauses, dann kommen die armenischen Greuel, 
wegen welcher die Regierung Krieg machen sollte, oder der Buren- 
krieg, bei welchem sie nachgeben soll. Das sind alles keine sozia- 
listischen Trumpfkarten, das heißt „auf die Dörfer gehen“. Es hilft 
mitunter, es zieht Leute an, aber nur, um sie vom wahren Sozialis- 
mus wegzulenken, ihnen zu lehren, daß die Sozialisten gute Ver- 
bündete, aber schlechte Führer abgeben. 

Dazu kommt noch das Unpraktische des Sozialismus. Der eng- 
lische Arbeiter hat doch jetzt genügend politisch und wirtschaftlich 
denken gelernt, um zu wissen, daß er sich in keiner Weise hilft, 
wenn er nach dem Monde verlangt, und die Erde vernachlässigt, 
daß er Erreichbares, Positives verlangen muß. An dem 1896er 
Kongreß befürworteten die englischen Gewerkvereinler einen Antrag, 
welcher angesichts der nicht wegzuleugnenden ländlichen Notlage 
auf Beschäftigung unbeschäftigter ländlicher Arbeiter und Ausdeh- 
nung des landwirtschaftlichen Unterrichts drang. Mit gewaltiger 
Stimmenmehrheit wurde dieser Antrag, welcher den Reformfreunden 
die Hände hätte kräftigen können, von den anwesenden Sozialisten 
(bei der damals herrschenden absonderlichen Abstimmungsweise) 
abgelehnt und durch einen pomphaften, nichtssagenden, ganz und 
gar unnützen allgemeinen Beschluß ersetzt, welcher Nationalisierung 
des Grundes und Bodens verlangt. 

Unter solchen Umständen kann es nicht wunder nehmen, wenn 
der Sozialismus thatsächlich in England zurückgeht. Für den prak- 
tischen Sinn des Engländer bietet er nichts. 

Dazu kommt noch, daß, je weiter der Sozialismus, wie man vor- 
giebt, fortschreitet, je mehr demokratische Erfolge errungen werden, 
welche seine Anhänger ihm gutschreiben wollen, desto mehr er sich 


Die sozialistische Bewegung in England. 373 


selber den Boden zu weiterem Vordringen abschneidet. Der Sack 
der verlangten Zugeständnisse, in dem man seit etwa 70 Jahren 
beständig hineinschüttet, muß doch endlich wenigstens so weit voll 
werden, daß er allein aufrecht stehen kann. Wie die Sozialisten 
selber zugeben, blüht ihr Weizen nur dann, wenn anderer verdorrt. 
Wo, wie in England, das demokratische Prinzip ohnedies gewahrt 
ist, drückt der Sozialismus schließlich doch nur einen Schmerzens- 
schrei der ärmeren Bevölkerung in schlechter Zeit aus, deshalb 
auch droht man immer wieder, auch heute, mit einer kommenden 
Krisis. Deshalb kramt man die alten Schauderbilder von vor 50 und 60 
Jahren wieder aus und beteuert, daß unter dem gegenwärtig be- 
stehenden Systeme die Reichen immer reicher, die Armen immer 
ärmer werden. Das ist indessen nicht wahr, wie der Arbeiter wohl 
weiß. Die Reichen mögen reicher werden, die Armen werden es 
indessen auch. Lage und Stellung der arbeitenden Klassen haben 
sich im allgemeinen ganz ungemein gebessert und bessern sich 
Doch zusehends und schnell Raum zu weiterer Verbesserung ist 
allerdings noch reichlich da, sowohl in der Stadt wie auf dem 
Lande. Aber die Arbeiter wissen, sie haben es alle Tage vor Augen, 
daß ihnen heute Waffen leicht zugänglich sind, die ihnen ohne 
Sozialismus, den sie nicht verstehen, das sichern können, was sie 
suchen, und zwar mit größerer Sicherheit. Was der Sozialismus ihnen 
schließlich bieten wird, das wissen sie noch nicht. Jedenfalls haben 
ie mehr Vertrauen zur jetzigen Sachlage als zu seinen Nebelbildern. 
Sie suchen sich vollere Vertretung, sie verlangen mit zunehmendem 
Nachdruck eine Verkürzung der Arbeitszeit, sie streben danach, 
daß Waren und Arbeiten nur von Geschäftshäusern genommen 
werden, die Gewerkvereinslöhne zahlen. (Mit dem Gedanken obli- 
ga torischer Schiedsgerichte wollen sie sich noch nicht befreunden). 
Fiz r die Verstaatlichung der Produktionsmittel ist ihre Liebe höch- 
steus mitunter vorübergehend platonisch. So lange der andere diese 
“isftel hat, so mag sich das schon hören lassen. Was jeder in- 
àes sen selbst besitzt, das will er sich nicht entreißen lassen. Und 
was den politischen Umsturz anbelangt, so wünschen sich die Ar- 
beitær heute momentan vielleicht gar dazu Glück, daß ein Oberhaus 
da ist, welches als oberste Gerichtsinstanz die den Arbeitern un- 
güns tigen auf Grund des Unfallgesetzes gefällten Urteile umstößt, und 
ihnewa in Zeiten kritischer Arbeitseinstellungen die beliebtesten und 
Aas, weiste Vertrauen genießenden Schiedsrichter stellt. 

Der Sozialismus wird sich somit in England wohl mit der be- 
scheidenen Rolle begnügen müssen, für andere mächtigere Kräfte 
neue willkommene und wertvolle Verbündete zu liefern. In solcher 
Rolle kann er allerdings noch sehr viel Gutes leisten, wie er ja auch 
in der Vergangenheit Gutes geleistet hat. Es ist das nicht zu ver- 
kennen. Manch Einem hat er die Augen geöffnet, hat ihm die Kenntnis 
seiner eigenen Lage oder ein warmes, humanes Interesse für 
Aermer& eingeflößt. Man spottet in England gern darüber, daß im 


Henry W. Wolff, Die sozialistische Bewegung in England. 
3 g g 


Parteiwesen der Schweif so häufig den Hund wedelt, der äußerste 
Flügel die Partei zum Handeln bestimmt. Zu solcher Arbeit ist 
der Sozialismus in seiner englischen Gestalt geradezu wie geschaffen. 
Daß er noch häufigen Zuwachs erhalten wird, ist nicht nur leicht 
möglich, sondern sehr wahrscheinlich. Es kommt das auf die Tages- 
fragen an, die er gerade aufnehmen mag, wenn sie die öffentliche 
Meinung erwärmen. Daß er bleibend einen maßgebenden Einfluß 
ausüben, eine mächtige Parlamentspartei zusammenbringen, als be- 
stimmende Kraft ebenbürtig neben anderen Parteien eine Stelle im 
Nationalleben behaupten werde, ist nicht anzunehmen. Dazu wird 
auch schwerlich die Wiederherstellung der Internationale helfen, die 
ja gerade, dem englischen Verlangen entgegen, seiner Doktrin 
wieder einen mehr festländischen, weniger den Engländern ansprechen- 
den Stempel aufzudrücken droht. 


Miszellen. 375 


Nachdruck verboten. 


Miszellen, 


VI. 


Geschichte der österreichischen Land- und Forstwirtschaft 
und ihrer Industrien 1848—1898. 
Von Dr. Walter Schiff. 


Später und plötzlicher als in Deutschland vollzog sich in Oester- 
reich der Uebergang von der feudalen zur liberalen Agrarverfassung. 
Der Sprung aus dem Mittelalter in die Neuzeit, aus der Gebundenheit 
in die Freiheit geschah fast unvermittelt nach einer agrarpolitischen 
Stagnation von mehreren Decennien. Ein halbes Jahrhundert ist seither 
verflossen. Haben sich die goldenen Hoffnungen erfüllt, die man all- 

gemein an die Beseitigung der veralteten Schranken geknüpft hatte? 
Für diese Frage, die neuerdings in den meisten europäischen Staaten 
aufgeworfen worden ist, bietet gerade Oesterreich ein besonders in- 
teressantes Untersuchungsobjekt ; einmal wegen der Vielgestaltigkeit, 
w~ elche die wirtschaftlichen Verhältnisse in den einzelnen Kronländern 
az ıfweisen — man denke an solche Kulturgegensätze, wie Böhmen und 
G alizien, wie Niederösterreich, Tirol und Dalmatien —, dann auch des- 
wegen, weil hier die Beseitigung der feudalen Wirtschaftsverfassung 
radikaler und bauernfreundlicher durchgeführt worden ist, als in den 
meisten deutschen Staaten. Dazu kommt, daß gerade aus Oesterreich 
Klagen über den Niedergang des Bauernstandes besonders häufig und 
laut erhoben werden, und daß dabei die Schuld vielfach weder der 
Rüc=kständigkeit des bäuerlichen Wirtschaftsbetriebes, noch der un- 
günsstigen Preiskonjunktur gegeben wird, sondern daß ausschließlich das 
\iberale Agrarrecht für die beklagten Mißstände verantwortlich ge- 
macht wird. 

Leider fehlt es aber fast durchaus an objektiv festgestellten That- 
sachen, welche geeignet wären, die Richtigkeit solcher Behauptungen 
zu prüfen. Es verdient deshalb alles, was unsere Kenntnisse über 
die landwirtschaftlichen Verhältnisse Oesterreichs, sowie insbesondere 
über deren Entwickelung seit dem Jahre 1848, zu vermehren vermag, 
die sorgföltigste Beachtung der Volkswirte. Vor kurzem ist nun, an- 
läßlich des 60-jäbrigen Regierungsjubiläums des Kaisers Franz Josef, 


376 Miszellen. 


ein 4-bändiges Werk erschienen !), worin die Entwickelung dargestellt 
ist, welche die Land- und Forstwirtschaft Oesterreichs und ihre In- 
dustrien seit dem Jahre 1848 — dem Jahre der Thronbesteigung des 
Kaisers und dem Geburtsjahre der liberalen Agrarverfassung — ge- 
nommen haben. Dieses Werk, an dem mehr als 80 Fachmänner — 
Gelehrte, Verwaltungsbeamte, Praktiker — mitgearbeitet haben, leidet 
zwar an den konstitutiven Mängeln jeder derartigen Sammlung von 
Einzelarbeiten: Ungleichheit des Standpunktes der einzelnen Autoren, 
Ungleichmäßigkeit der Behandlungsweise, Widersprüche, Wiederholungen 
u. s. w.; es bringt aber doch ein so reichhaltiges und großenteils neues 
Thatsachenmaterial, es enthält eine Reihe so interessanter Arbeiten, daß 
es wünschenswert erscheint, das Ergebnis dieser umfangreichen Detail- 
forschungen einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Im 
folgenden ist deshalb der Versuch gemacht, auf Grund und an der 
Hand jenes Jubiläumswerkes ein gedrängtes, einheitliches Bild von der 
Entwickelung der organischen Urproduktion in Oesterreich während der 
letzten 50 Jahre zu entwerfen. Dabei wird sich Gelegenheit ergeben, 
auf manche Lücken in dem Werke hinzuweisen und manchen Ab- 
weichungen von den Ansichten der Mitarbeiter Ausdruck zu geben. 
Die früher erwähnten Mängel des Sammelwerkes werden sich bei dieser 
zusammenfassenden Darstellung naturgemäß weit weniger fühlbar machen, 
Eine gewisse Ergänzung des in dem Werke Gebotenen wird jedoch 
durch den Umstand notwendig, daß der Charakter der Publikation als 
einer Jubiläumsgabe für den Kaiser die Kritik der Verhältnisse und 
Mafregeln vielfach ganz zurückgedrängt hat. Ja, einzelne Mitarbeiter 
scheinen ihre Aufgahe darin erblickt zu haben, nur die Lichtseiten 
übermäßig zu preisen, die Schattenseiten dagegen gänzlich zu ver- 
schweigen. Solchenfalls ist im folgenden der Versuch gemacht, das 
Gleichgewicht wieder herzustellen. Hingegen konnte eine Verbesserung 
der zum Teile recht verfehlten Systematik des Werkes in dieser Skizze 
nicht unternommen werden. Die Darstellung behält vielmehr die in 
dem Werke selbst enthaltene Reihenfolge bei. 

Der erste Halbband umfaßt die Geschichte der Agrar- 
verfassung und der Agrarverwaltung in Oesterreich. 

An die Spitze des ganzen Werkes ist mit Recht die Grund- 
entlastung (Grünberg) gestellt. Diese großartigste Reformaktion, 
die je in Oesterreich stattgefunden hat, leitet in ruhmvoller Weise die 
Regierung des Kaisers Franz Josef ein. Kaum je sonst ist ein solches 
Riesenwerk, eine so fundamentale wirtschaftliche Umwälzung, in so 
kurzer Zeit, mit so geringen Kosten und so zur Zufriedenheit aller 
Beteiligten durchgeführt worden, wie es die Grundentlastung in Oester- 


1) Geschichte der österreichischen Land- und Forstwirtschaft und ihrer Industrien 
1848—1898. Festschrift zur Feier der am 2. Dezember 1898 erfolgten 50-jährigen 
Wiederkehr der Thronbesteigung Sr. Majestät des Kaisers Franz Josef I., herausgegeben 
von dem hierzu gebildeten, unter dem Protektorate Sr. Excellenz des k. k. Ackerbau- 
ministers Michael Freiherrn von Kast stehenden Komitee. Wien 1899—1901. Ein 
5. Band soll Nachträge und einzelne Specialdarstellungen enthalten. 


Miszellen. 377 


reich gewesen ist!) Ein echtes Kind der Revolution des Jahres 1848, 
ist sie durchaus antihistorisch, rationalistisch. Nicht die Fortbildung 
oder Verbesserung des seit Jahrhunderten überkommenen Zustandes 
ist ihr Ziel, sondern die Neuschaffung, die grundlegende Aenderung 
der gesamten Agrarverfassuug. Trotz dieses ihres revolutionären 
Charakters ist sie aber doch keineswegs so unvermittelt gekommen, 
als es äußerlich den Anschein haben mag. Sie hat schließlich doch nur 
dasjenige allgemeiner und konsequenter verwirklicht, was schon die 
großen Herrscher des 18. Jahrhunderts angestrebt hatten. Schon Kaiser 
Joseph hatte die Aufhebung des Unterthänigkeitsverhältnisses durch- 
führen wollen, die Verwandlung der verschieden abgestuften Besitzrechte 
der Bauern an ihren Gütern in freies, unbeschränktes Eigentum, die Be- 
seitigung der Frondienste, der Zehnten, der Natural- und Geldabgaben 
der Bauern an ihre Herrschaften und die Ersetzung dieser Reallasten 
durch amortisable Geldrenten; er war aber mit diesem Plane, wie mit 
so vielen anderen, nicht durchgedrungen. Die ersten Keime für den 
Schutz der leibeigenen Bauern gegen Bedrückung und Aussaugung 
durch die Gutsherrn finden sich schon im 17. Jahrhunderte; die da- 
maligen Herrscher setzten sich zu Gunsten der „k. k. Kontribuenten“ 
ein und gaben damit das erste Beispiel eines ländlichen Arbeiterschutzes, 
Maria Theresia ging in ihren Robotpatenten weiter; sie suchte nicht 
nur die Urbarialschuldigkeiten zu begrenzen, sondern sicherte auch das 
Bauernland gegen die Aufsaugung durch die Gutsherrschaft; ja, in den 
kaiserlichen Domänen hob sie sogar die Erbunterthänigkeiten auf und 
führt die Ablösung der Fronden durch (Raabisches System). Diese 
letzteren, grundlegenden Neuerungen, welche die Kaiserin nur als Gutsfrau 
anzuordnen wagt, will der Kaiser Josef allgemein einführen. Es gelingt 
ihm, durch das Leibeigenschaftspatent die persönliche Rechtsstellung 
der Bauern bedeutend zu heben, und er stärkt auch die bäuerlichen 
Besitzrechte. Dagegen mußte aber sein größtes Reformwerk, die Steuer- 
und Urbarialregulierung, durch welche die gutsherrliche Arbeitsverfassung 
allgemein beseitigt und Geldzahlungen an die Stelle der unterthänigen 
Arbeitsleistungen gesetzt werden sollten, gleich nach dem Tode des 


1) Das Gegenteil behauptet allerdings Jordan-Rozwadowski in seinem Artikel 
„Die Bauern des 18. Jahrhunderts und ihre Herren‘ (s. diese Zeitschrift Bd. 20, S. 339 ff.). 
Er ist der Ansicht, daß wir in Oesterreich „in wirtschaftlicher Hinsicht noch mitten in 
der Durchführung der Grundentlastung stehen“, und er wirft mir vor, mein Buch 
„Oesterreichs Agrarpolitik seit der Grundentlastung‘“ enthalte einen krassen inneren 
Widerspruch: während ich in der Einleitung sage, daß, wo gegenwärtig agrarische 
Uebelstände vorlägen, sie gewiß nicht mehr auf die Grundentlastung zurückzuführen 
seien, beweise der ganze Inhalt meines Buches das strikte Gegenteil hiervon. Daß 
Jordan-Rozwadowski mir ein so seltsames Mißverstehen meiner eigenen Unter- 
suchungen zumuten konnte, rührt ebenso seine die erst citierte Ansicht lediglich daher, 
daß er selbst dem Worte „Grundentlastung‘ eine ganz andere Bedeutung beilegt als ich. 
Allgemein versteht man darunter nämlich nichts anderes, als die Ablösung der bäuer- 
lichen Grundlasten, die Aufhebung des grundherrlichen Obereigentumes und des Patri- 
monialverhältnisses, nicht aber die Beseitigung sonstiger kulturfeindlicher Ueberreste 
der alten Agrarverfassung, woran Jordan-Rozwadowski denkt. Daß in letzterer 
Hinsicht Oesterreich wichtige und dringende Aufgaben erst noch zu lösen hat, das 
klar zu machen war doch geradezu der Zweck meiner Untersuchungen. 


378 Miszellen. 


Kaisers sistiert werden. Es folgt nun ein halbes Jahrhundert völliger 
Stagnation in agrarpolitischer Hinsicht, ein Zustand, dem erst durch 
den Ausbruch der Revolution des Jahres 1848 ein Ende bereitet wird. 
Jetzt muß mit größter Eile und in radikaler Weise nachgeholt werden, 
was während zweier Menschenalter versäumt worden war. Später, aber 
in unvergleichlich besserer Weise, als in vielen anderen Kulturstaaten, 
ist bei uns die Auflösung der feudalen Agrarverfassung erfolgt. Im 
Laufe ganz weniger Jahre wurden die Grundlasten von 2,6 Mill. Ver- 
pflichteten zu Gunsten von 54267 Berechtigten in Geld abgeschätzt. 
Diese Grundlasten bestanden aus jährlich 381/, Mill. Tagewerken (Fuß- 
oder Handrobot), aus 291/, Mill. Tagen Zugrobot, ferner aus Zehnten 
im Jahreswerte von 4 Mill. fl. C. M. aus 2 Mill. Metzen Getreide und 
aus 5,8 Mill. fl. C. M. jährlicher Geldleistungen. Die ermittelten Grund- 
entlastungsrenten machten 141/, Mill. fl. C. M. aus, das gesamte Grund- 
entlastungskapital fast 290 Mill. f. C. M., wovon ungefähr 112,6 Mill. 
durch die Verpflichteten, 144 Mill. durch die Kronländer aufzubringen 
waren. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser Reform waren 
durchaus günstig, und zwar sowohl für die Bauern als auch für die 
früheren Gutsherren. 

Ein Gegenstück zu dieser „Grundentlastung“ bildet die „Grund- 
lastenablösung und -regulierung“ (Schiff), eine Operation, 
die am Ende der 50er Jahre in Angriff genommen worden, heute 
aber noch nicht vollständig beendigt ist. Obgleich auch diese hoch- 
wichtige Reformaktion vielfach nicht minder tief in die wirtschaft- 
lichen Verhältnisse der bäuerlichen Bevölkerung eingegriffen hat, als 
die Grundentlastung, war sie doch bis vor kurzem in der Litteratur 
ganz unbeachtet geblieben. Und doch hat sie die schwerwiegendsten 
und zumeist sehr nachteilige Folgen für die davon betroffenen Bauern- 
wirtschaften gehabt. 

Waren durch die Grundentlastung diejenigen Reallasten abgelöst 
worden, welche auf bäuerlichem Boden zu Gunsten der Großgrund- 
besitzer geruht hatten, so sollten durch diese zweite Aktion diejenigen 
Realrechte beseitigt oder doch unschädlich gemacht werden, welche 
auf herrschaftlichen Gütern, insbesondere auf Wäldern, Weiden und 
Alpen zu Gunsten der Bauernwirtschaften lasteten. Die „Wald- und 
Weideservituten“, um die es sich dabei handelt, bilden auch heute 
noch vielfach, namentlich in den Alpengegenden, einen integrierenden, 
ja unentbehrlichen Bestandteil der bäuerlichen Wirtschaften, und früher 
war dies in noch höherem Male der Fall. Ohne die Wald- und Weide- 
nutzungen könnte die Viehwirtschaft, auf welche die Natur die Alpen- 
bauern verweist, vielfach gar nicht betrieben werden. Die genannten 
Nutzungsrechte haben denn auch eine ungeheure Verbreitung in Oester- 
reich. Allein in den Alpenländern waren um die Mitte des Jahr- 
hunderts mehr als 2 Mill. Hektar Forste mit solchen Servituten be- 
lastet. Es berührte somit die in Rede stehende Operation geradezu 
ein Lebensinteresse eines Teiles des Bauernstandes. Dennoch ist sie 
in einer Weise vorgenommen worden, welche den verpflichteten Groß- 
grundbesitzern auf Kosten der servitutsberechtigten Bauern bedeutende 


Miszellen. 379 


Vorteile zugewendet hat. Bei der Ablösung der Servituten wurden 
die aufzuhebenden Nutzungen weit unter ihrem wahren Werte in An- 
schlag gebracht, so daß die servitutsberechtigten Bauern ein Ablösungs- 
kapital erhielten, das nur einen geringen Teil des Wertes besaß, den 
das bisherige Nutzungsrecht für sie gehabt hatte. Diese Operation be- 
deutete also die Konfiskation eines sehr erheblichen Teiles der bäuer- 
lichen Nutzungsrechte. Sie mußte aber überall dort, wo die bäuer- 
liche Wirtschaft auf die Servitutsnutzungen basiert war und diese ein 
unentbehrliches Hilfsmittel für die Viehzucht darstellten, von geradezu 
verderblicher Wirkung für den Bauernstand sein. Der Niedergang der 
Bauernwirtschaften ist in vielen Alpengegenden sicherlich zum Teil 
gerade durch diese Servitutenablösungen verursacht worden. Nicht 
minder ungünstig für die Bauern waren aber großenteils die Servituten- 
regulierungen. Oft wurden die servitutsberechtigten Bauern da- 
durch verkürzt, daß das Nutzungsrecht nicht auf dem ganzen bisher 
belasteten Grundstücke belassen, sondern auf einen Teil des letzteren 
eingeschränkt wurde, der sich jedoch in der Folge als unzulänglich er- 
wies; die ,regulierten“ Nutzungen mußten dann nachträglich zum 
Schaden der Berechtigten gekürzt werden. Auch sonst erlangten die 
verpflichteten Grundbesitzer durch die Regulierungen eine Reihe von 
Handhaben, die Berechtigten im Genusse ihrer Servitut zu verkürzen, 
sie mit oder ohne Rechtsverletzung bei der Ausübung des Nutzungs- 
rechtes zu stören. Diese Handhaben wurden und werden von den 
verpflichteten Wald- und Weidebesitzern in weitgehendem Maße benützt, 
um die Bauern zum Verzicht auf ihre Nutzungen zu zwingen. Damit 
verliert aber die bäuerliche Viehwirtschaft zumeist ihr Fundament und 
bricht zusammen. Der Aufkauf von Bauerngütern und die Bildung 
ausgedehnter Jagdterritorien in den letzten Jahrzehnten wurde in den 
Alpenländern gerade durch das Bestehen solcher „regulierter“ Servituten 
befördert. Die Letzteren sind denn auch heute noch Gegenstand des 
heftigsten Streites zwischen den Bauern und den Gutsherren ; ja in 
manchen alpinen Landesteilen (Salzburg, Steiermark) wird zwischen 
den Forstverwaltungen und den Servitutsberechtigten geradezu ein Krieg 
geführt, der nur durch eine neuerliche und wirksamere Ablösungs- und 
Regulierungsaktion beendigt werden könnte. 

Die agrarischen Gemeinschaften (Schiff) bilden einen 
anderen heute noch bestehenden Ueberrest der mittelalterlichen Agrar- 
verfassung. In solcher Gemeinschaft stehen landwirtschaftliche Grund- 
stücke, die von einer größeren Anzahl von Personen gemeinsam genutzt 
werden, wobei das Anteilsrecht jedoch nicht ein gewöhnliches civilrecht- 
liches Miteigentum darstellt, sondern in irgend einer Weise an die Gemeinde- 
mitgliedschaft und an den Besitz eines bestimmten Bauernhofes oder an die 
Mitgliedschaft in einer bestimmten Familie geknüpft ist. Inhalt und Um- 
fang der Nutzungsrechte sind lokal sehr verschieden, desgleichen die Be- 
dingungen für dessen Erlangung und Ausübung, sowie die Art der 
Verwaltung. Die gemeinsam genutzte Realität steht bald im Eigentum 
der Gemeinde oder Ortschaft, bald in dem einer Genossenschaft oder 
einer juristisch schwer faßbaren Gesamtheit der nutzungsberechtigten 


380 Miszellen. 


Bauern. Der wirtschaftliche Zustand der in agrarischer Gemeinschatt 
stehenden Grundstücke ist in Oesterreich zumeist ein jämmerlicher; 
Uebergriffe, Rechtsverletzungen, Verwüstungen sind durchaus an der 
Tagesordnung. Das ist um so bedauerlicher, als gegenwärtig in Oester- 
reich noch ungeheure Flächen — mehr als 3 Mill. ha — gemeinsam 
genutzt werden. Wie schonungslos der Boden durch diese regellose 
gemeinsame Nutzung ausgeraubt wird, dafür bietet der Karst das 
traurigste Beispiel. Ueber 1 Mill. ha, die nach Lage, Klima, Boden- 
beschaffenheit der Garten Oesterreichs sein könnte, bilden dort gegen- 
wärtig eine öde Steinwüste, auf der höchstens die Ziege ihr kärgliches 
Futter findet. Die Ursache davon ist, daß dort mehr als ?/, des Bodens 
in agrarischer Gemeinschaft stehen und von den Gemeindemitgliedern 
um die Wette ausgesaugt werden. 

Die Gesetzgebung hat sich seit dem Jahre 1848 mehrfach mit den 
agrarischen Gemeinschaften beschäftigt, vermochte jedoch nicht, die 
furchtbaren Uebelstände dieser Nutzungsform zu beseitigen; ja sie hat 
zum Teil die Verwirrung hinsichtlich der Rechtsverhältnisse noch ge- 
steigert oder gar erst hervorgerufen. So die provisorische Gemeinde- 
ordnung vom Jahre 1849 und die Gemeindeordnungen der 60er Jahre. 
Früher waren die am Gemeindegut nutzungsberechtigten Personen in 
der Regel verpflichtet gewesen, für alle Gemeindelasten aufzukommen. 
Diese innere Beziehung zwischen Gemeindenutzen und Gemeindelasten 
wurde durch die erwähnten Gesetze vernichtet: es wurde zwar die 
Beitragspflicht sämtlicher Gemeindemitglieder zu den Gemeindebedürf- 
nissen statuiert, dagegen blieben die privilegierten Nutzungen der 
Bauern nach der hergebrachten Uebung aufrecht. Dadurch wurde 
der schon früher heftig entbrannte Kampf zwischen den altansässigen 
Bauern und den anderen Grundbesitzern um die Nutzungen am Ge- 
meindegute erst recht angefacht, ein Kampf, der immer noch fortdauert. 

Die Teilung der agrarischen Gemeinschaften und die Regulierung 
der gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte faßt ein 
Reichsgesetz vom Jahre 1885 ins Auge. Doch ist dies nur ein so- 
genanntes Rahmengesetz, das zu seiner Wirksamkeit ergänzender Landes- 
gesetze bedarf. Solche wurden aber bisher nur in 7 (von 17) Ländern 
erlassen. Indessen ist zur Zeit lediglich in Kärnten ein, wenn auch 
geringer Erfolg zu verzeichnen. Nur in diesem Lande hatte nämlich das 
Gesetz vorgeschrieben, daß alle Nachbarschaften, deren Teilung nicht 
beantragt wird, reguliert werden müssen!), während in den 5 anderen 
Ländern sowohl Teilung als Regulierung an eine Provokation durch 
eine Mehrheit von Beteiligten gebunden ist. Von den mehr als 3 Mill. ha 
gemeinschaftlich genutzten Landes sind bis Ende 1896 nur 19 190 ha 
geteilt oder reguliert worden. So ist den Verwüstungen und Rechts- 
verletzungen an dem einstigen Allmendgute immer noch kein Ziel ge- 
setzt. 

Erfolgreicher waren die Bestrebungen nach Wiederbewaldung des 
Karstes, doch ist auch hier erst ein kleiner Bruchteil der Aufgabe gelöst. 


1) Dieser Vorzug wurde durch eine spätere Novelle leider wieder beseitigt. 


Miszellen. 381 


Ein weiterer aus der mittelalterlichen Agrarverfassung stammen- 
der Uebelstand ist die irrationelle Flureinteilung, die nur durch Arron- 
dierung und Zusammenlegung der Grundstücke (Schiff) 
beseitigt werden kann. Die einzelnen zu einer Wirtschaft vereinigten 
Parzellen liegen zumeist weit verstreut, haben vielfach eine ungünstige 
Form, entbehren großenteils des eigenen Zuganges. Erhöhung der Be- 
stellungskosten, Vermehrung der Arbeit, Verlust an produktivem Boden, 
Erleichterung fremder Eingriffe, gegenseitige wirtschaftliche Abhängig- 
keit (Flurzwang), Verhinderung einer rationellen Bodenkultur, Er- 
schwerung der Bodenverbesserungen sind die bekannten Folgen der 
Gemenglage. Diese besitzt, was nicht genug bekannt ist, in Oesterreich 
eine ungeheure Verbreitung. Unrichtigerweise pflegt man anzunehmen, 
in den Alpenländern herrsche ganz allgemein das Hofsystem, es seien 
deshalb dort die Güter stets arrondiert um den Wirtschaftshof gelegen. 
Thatsächlich sind jedoch in den eigentlichen Alpenländern über 3700 
Katastralgemeinden (von im ganzen 4826 — 77 Proz.) kommassations- 
bedürftig. In ganz Oesterreich ohne Galizien weisen nur 13,4 Proz. 
aller Katastralgemeinden durchaus arrondierten Besitz aus, in 80 Proz. 
wäre die Kommassation dringendes Bedürfnis. 

Die Gesetzgebung hat sich jedoch in Oesterreich bisher als ganz 
unfähig erwiesen, diese Uebelstände zu beseitigen. Sie versuchte es 
zunächst derart, daß sie individuelle Parzellentäusche zwischen Grund- 
besitzern zu begünstigen trachtete (Arrondierungsgesetze). Die gänz- 
liche Erfolglosigkeit dieses Versuches führte zur Erlassung des Reichs- 
gesetzes vom Jahre 1883 über die Zusammenlegung der Grundstücke, 
Mittels eines einheitlichen Verwaltungsaktes soll die ganze irrationelle 
Feldeinteilung einer Gemeinde durch eine zweckmäligere ersetzt werden. 
Die ausgezeichneten Gesetzentwürfe Peyrer’s hatten jedoch im Parla- 
mente einschneidende Veränderungen erfahren, die ihre Wirksamkeit 
lähmen mußten. Verhängnisvoll war es insbesondere, daß nicht nur die 
Einleitung der Kommassationsarbeiten an die Provokation durch eine 
Mehrheit von Grundbesitzern gebunden ist, sondern daß auch noch nach 
Beendigung des Verfahrens eine abermalige Abstimmung über den aus- 
gearbeiteten Zusammenlegungsplan selbst vorgeschrieben ist. Nur in 
4 Ländern sind bisher zu diesem Rahmengesetze die ausführenden 
Landesgesetze erlassen worden, und nur in ganz vereinzelten Fällen 
haben Zusammenlegungen thatsächlich stattgefunden. Während in mehr 
als 17 000 Gemeinden ein dringendes Bedürfnis nach Zusammenlegungen 
besteht, sind solche bis zum Ende des Jahres 1896 nur in 16 Gemeinden 
vorgenommen, in 42 begonnen worden. Die österreichische Gesetzgebung 
hat es somit bisher leider nicht verstanden, die Hindernisse zu be- 
heben, die sich diesen für alle Beteiligten so ungeheuer vorteilhaften 
Maßregeln entgegenstellen. 

Die Beseitigung des Bestiftungszwanges und der 
Erbteilungsvorschriften für Bauerngüter (Ritter von 
Schullern zu Schrattenhofen) hat die letzte Schranke hinweg- 
geräumt, welche die Grundentlastung für den Verkehr mit Grund 
und Boden hatte bestehen lassen. Das Verbot der Teilung von Bauern- 


382 Miszellen. 
gütern war teils im Interesse der Grund- und Gutsherren, teils zur 
Beförderung der Landeskultur erlassen worden. Ausnahmen konnte 
früher durch die Obrigkeit, seit 1848 durch die politische Behörde 
bewilligt werden. Das Reichsgesetz vom Jahre 1868 hebt die be- 
sonderen, in den politischen Gesetzen enthaltenen Anordnungen über 
die Vererbung von Bauerngütern dort auf, wo durch die Landesgesetz- 
gebung die Freiteilbarkeit eingeführt wird. Mit Recht ist damit ein 
Kausalzusammenhang zwischen Erbteilungsvorschriften und Bestiftungs- 
zwang deklariert. Nur in Tirol galt (und gilt) ein wirkliches An- 
erbenrecht, d. h. eine Begünstigung des Gutsübernehmers gegenüber 
den Miterben. Der Bauernhof geht hier nämlich ungeteilt auf einen 
Erben über, und zwar zu einem Wertanschlage, „daß der Uebernehmer 
wohl bestehen kann“. Im Gegensatz zu der in dieser Norm gelegenen 
Bevorzugung des Gutsübernehmers in Tirol hatten in sämtlichen übrigen 
Ländern alle Miterben gleich große Erbteile zu beanspruchen, und nur 
die Aufteilung der Nachlaßgegenstände mußte dort, wo der Be- 
stiftungszwang galt, modifiziert werden, wenn sich im Nachlasse ein 
rechtlich unteilbares Bauerngut befand. Das Letztere konnte wegen 
des Bestiftungszwanges nur an einen unter den Erben übergehen, 
wurde aber dabei nach seinem wahren Werte abgeschätzt. Zwar hatte 
Kaiser Josef den Versuch gemacht, eine Begünstigung des Ueber- 
nehmers allgemein zu statuieren; er erließ ein Gesetz, wonach das 
Erbgut nach den — sehr niedrigen — Kastralpreisen zu bewerten 
sei. Aber der Kaiser selbst war durch den heftigen Widerstand der 
Bevölkerung gezwungen worden, dieses Gesetz wieder aufzuheben. So 
blieben nur jene ersterwähnten Erbteilungsvorschriften bestehen, die 
aber logischerweise beseitigt werden mußten, sobald deren Ursache, 
die Unteilbarkeit, weggefallen war. Seit längerer Zeit bestand übrigens 
schon die Freiteilbarkeit in Dalmatien, Krain und dem Küstenlande; 
in 11 Ländern wurde sie 1868 und 1869 eingeführt; nur in Tirol ist 
auch heute noch der Bestiftungszwang (und mit ihm das bäuerliche 
Anerberecht) in Geltung. 

Da vor dem Jahre 1868 in den einzelnen Gebieten die verschieden- 
artigsten Rechtsverhältnisse bestanden hatten, könnte die Würdigung 
dieser Reform nur länderweise erfolgen. Das würde jedoch hier zu 
weit führen, weshalb auf die sehr vorsichtige Darstellung in dem 
Jubiläumswerke verwiesen sei. Ein sicheres Urteil über die Wir- 
kungen der Einführung der Freiteilbarkeit läßt sich übrigens derzeit 
nicht abgeben, weil es dafür an dem erforderlichen Thatsachen- 
material fehlt. Ueberdies darf man nicht übersehen — und dieses 
Moment wird zumeist viel zu wenig gewürdigt —, daß auch vor dem 
Jahre 1868 der Bestiftungszwang nur sehr lax gehandhabt worden war, 
indem die wirtschaftlichen Kräfte sich hier als viel stärker erwiesen, als 
die gesetzlichen Vorschriften; eine Thatsache, die auch in dem Jubi- 
läumswerke nicht genügend betont ist. Ein eklatantes Beispiel für das 
Gesagte bietet gerade Tirol. In Wälschtirol und auch in Deutsch-Süd- 
tirol haben Bestiftungszwang und Anerbenrecht trotz der gesetzlichen 
Vorschrift niemals verwirklicht werden können. Aber selbst in manchen 


Miszellen. 383 


Gegenden Nordtirols (Oberinnthal und Bezirk Reutte) ist die Boden- 
zersplitterung trotz jener heute noch bestehenden Beschränkungen sehr 
weit vorgeschritten. 

Gleichzeitig mit der Freiteilbarkeit wurde auch ein anderes liberales 
Postulat erfüllt: Die Beseitigung des Wucherverbotes 
(Ritter von Schullern zu Schrattenhofen). Welche entsetz- 
lichen wirtschaftlichen Verwüstungen der Wucher während der 70er 
und 80er Jahre in Galizien verschuldet hat, ist durch eine statistische 
Erhebung festgestellt. Man geht kaum fehl, wenn man diese traurigen 
Erscheinungen mit der im Jahre 1868 eingeführten völligen Wucher- 
freiheit in ursächlichen Zusammenhang bringt. Seither ist zunächst 
(1877) in Galizien, später (1881) in ganz Oesterreich der Wucher für 
strafbar erklärt worden, was wohl einen günstigen Einfluß auf die 
ländlichen Kreditverhältnisse ausgeübt haben dürfte. Die Daten jedoch 
über die Anklagen und Verurteilungen wegen Uebertretung dieser Vor- 
schriften können zweifellos keinen auch nur annähernden Anhaltspunkt 
für das wirkliche Vorkommen wucherischer Geschäfte abgeben. Die 
neuere Bewegung, den Wucherbegriff vom Kreditgeschäfte auch auf 
andere Formen der Ausbeutung auszudehnen, wird in dem Jubiläums- 
werke ebensowenig erwähnt, als die moderne Gesetzgebung über 
Ratengeschäfte, die doch mit dem Wucher in engstem Zusammenhange 
stehen. 

Von besonderer Bedeutung für den rechtlichen Verkehr mit Grund- 
sticken und für den ländlichen Realkredit ist auch die formelle 
Ordnung des Grundbuchsrechtes (von Nemethy). Im Jahre 
1848 bestanden diesbezüglich in Oesterreich noch große provinzielle 
Verschiedenheiten. Zwar bildete das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch 
die gemeinsame Grundlage; doch herrschte eine große Mannigfaltigkeit 
der öffentlichen Bücher: Landtafeln, Stadtbücher, Grundbücher, Verfach- 
bücher (Tirol), Hypothekenbücher (Dalmatien), Notifikbücher (Istrien). 
Nach dem Jahre 1848 wurde die Führung der öffentlichen Bücher den 
Patrimonialgerichten (Grundherren) abgenommen und den bürgerlichen 
Gerichten übergeben. Die einheitliche Gestaltung des Grundbuchs- 
wesens erfolgte aber erst durch das Grundbuchsgesetz von 1871 und 
durch die Landesgesetze, welche die Neuanlegung der Grundbücher 
und die Art ihrer Einrichtung vorschrieben; Tirol gab jedoch das Ver- 
fachbuchsystem erst im Jahre 1897, Vorarlberg im Jahre 1900 auf. 
Das für soliden Realkredit so nnerläßliche Prinzip der publica fides des 
Grundbuchs wurde durch diese Reform in weitestem Umfange verwirk- 
licht, und es wurde der Inhalt des öffentlichen Buches mit den that- 
sächlichen Verhältnissen möglichst in Uebereinstimmung gebracht. 

Der im Jubiläumswerke ausführlich behandelte juristische Inhalt 
der Grundbuchsgesetze darf hier vernachlässigt werden. Dagegen wären 
ergänzend einige wirtschaftlich und agrarpolitisch sehr bedeutsame Mo- 
mente hervorzuheben, die dort entweder ganz übergangen oder nur 
gelegentlich gestreift sind. Hierher gehören namentlich die höchst 
interessanten Besonderheiten des Tiroler Grundbuchsgesetzes, das mit 
Rücksicht auf das in Tirol geltende Höferecht ganz eigentümliche Be- 


384 Miszellen. 


stimmungen enthält. Auch ist sowohl in Tirol als auch in Vorarlberg 
den specifisch wirtschaftlichen Bedürfnissen der agrarischen Gemein- 
schaften in gewissem Umfange Rechnung getragen, während dies in 
den anderen Ländern bedauerlicherweise unterlassen wurde, was viel- 
fach große Unklarheit und Verwirrung der Rechtsverhältnisse zur Folge 
gehabt hat. Ferner ist in einer Reihe von Fällen durch spätere 
Reichsgesetze die publica fides des Grundbuches gemindert und das 
Prinzip der zeitlichen Rangordnung der Hypotheken durchbrochen 
worden. Die Steuern und Zuschläge, die Umlagen der Wassergenossen- 
schaften, die Kommassationskosten genießen auch ohne Eintragung 
ein gesetzliches, privilegiertes Pfandrecht. Ferner wurde durch das 
Meliorationskreditgesetz vom Jahre 1896 eine Priorität für Meliorations- 
renten geschaffen. Endlich hätte an dieser Stelle auch die sehr wichtige 
Frage der Hypothekenkonvertierung untersucht und das einschlägige 
Gesetz vom Jahre 1888 besprochen werden sollen. 

Betrifft das Grundbuchsrecht nur die Form des Realitätenverkehrs, so 
muß das Exekutionsrecht (v. Nemethy) materielle Rechtssätze 
für einen wichtigen Fall des Realitätenverkehrs selbst aufstellen, näm- 
lich für die zwangsweise Veräußerung des Eigentums oder der Nutzungen 
eines Gutes durch den Richter zur Befriedigung eines Gläubigers. Ge- 
rade auf diesem Gebiete hat im Laufe der letzten 50 Jahre eine agrar- 
politisch sehr bedeutsame Entwickelung stattgefunden. Bis zum Jahre 
1887 galt im großen und ganzen die höchst unvollkommene allgemeine 
Gerichtsordnung von 1781. Die Exekutionsnovelle führte dann in das 
österreichische Recht zwei neue Institute ein: das Ueberbot und die Un- 
wirksamerklärung einer Feilbietung: im Falle eines Meistbotes von 
weniger als ?/, des Schätzungswertes kann innerhalb einer bestimmten 
Frist derjenige das Gut erstehen, der das Meistbot um 20 Proz. über- 
bietet; bei einem Meistbot von nicht einmal 1/, des Schätzungswertes 
kann der Exekut, dessen wirtschaftlicher Ruin durch diesen Verkauf 
bewirkt werden würde, verlangen, daß die Versteigerung für unwirksam 
erklärt würde. 

Noch viel einschneidender sind die Neuerungen der Executions- 
ordnung vom Jahre 1896. Vor allem ist es von der größten praktischen 
Tragweite, daß nunmehr jede bewilligte Execution durchaus von Amts- 
wegen vollzogen werden muß. Ferner sind jetzt erst eingehende Normen 
über die Zwangsverwaltung von Liegenschaften vorhanden. Der dritte 
Feilbietungstermin ist beseitigt. Dagegen ist die exekutive Schätzung 
trotz des heftigen Widersprucbes zahlreicher Männer der Theorie und 
der Praxis auch im neuen Verfahren beibehalten worden. Im Gegen- 
satze zum Jubiläumswerke kann der Verfasser dies nicht gutheißen. In 
der überwiegenden Mehrzahl der Fälle werden ganz kleine, gering- 
wertige Objekte subhastiert, bei denen die Schätzung eine ungeheuere 
und ganz zwecklose Verzögerung und Verteuerung des Verfahrens be- 
deutet. 

Neu ist das Institut des geringsten Gebotes: landwirtschaftliche Grund- 
stücke dürfen nicht unter ?/,, Häuser nicht unter 1/, des Schätzungswertes 
zugeschlagen werden. Bei der Unsicherheit der landwirtschaftlichen 


Miszellen. 385 


Schätzungen ist das eine, wie mir scheint, sehr gefährliche Bestimmung, 
da sie einerseits die Hypothekengläubiger sehr schädigen, andererseits 
aber auch den bäuerlichen Realkredit arg erschüttern kann. Ferner 
ist nunmehr das bisher geltende Verkaufsprinzip durch das Deckungs- 
prinzip ersetzt worden, d. h. ein Zuschlag kann nur dann erzwungen 
werden, wenn das Meistbot alle dem betreibenden Gläubiger im 
Range vorgehenden Satzposten deckt. Einer Unzahl von unsauberen 
Praktiken, von Uebervorteilungen ist damit ein Riegel vorgeschoben 
worden. Leider ist dieser Erfolg dadurch etwas abgeschwächt, daß der 
Richter auf die Deckung nicht, wie in den meisten deutschen Staaten, 
von Amtswegen Rücksicht zu nehmen hat, sondern nur dann, wenn der 
geschädigte Gläubiger bei der Feilbietung selbst einen Antrag in dieser 
Richtung stellt. In der Streitfrage zwischen dem Uebernahms- und 
dem Barzahlungsprinzipe hat der Gesetzgeber einen Mittelweg einge- 
schlagen. 

Als eine Ergänzung zur Geschichte der österreichischen Agrar- 
verfassung können die seit den 80er Jahren unternommenen Ver- 
suche einer Agrarreform (Ertl) betrachtet werden. Ihnen 
muß hier ein etwas breiterer Raum gewidmet werden, einerseits, weil 
sie auf das engste mit den eingangs aufgeworfenen Fragen zusammen- 
hängen, andererseits deshalb, weil diese Materie zu den aktuellsten und 
strittigsten der modernen Volkswirtschaftspolitik gehört. Auch tritt 
gerade in diesem Abschnitte des Jubiläumswerkes der subjektive Stand- 
punkt des betreffenden Autors stärker als sonst in den Vordergrund, 
und es haben damit in das Werk ganz einseitige Urteile Eingang ge- 
funden, welche richtigzustellen Pflicht der wissenschaftlichen Bericht- 
erstattung ist. 

Schon die Einleitung des in Rede stehenden Beitrages, das agrar- 
politische Glaubensbekenntnis seines Verfassers enthaltend, trägt eine 
stark subjektive Färbung. Daß die Bauern vielfach überschuldet seien 
und durch den Wucher von ihrer Scholle fortgetrieben werden; daß sie 
einerseits von Großkapitalisten und Latifundienbesitzern ausgekauft, 
andererseits durch ein „armseliges, überschuldetes Proletariat von Zwerg- 
gütlern ersetzt werden“; daß dies alles weder durch die technische 
Uebermacht des Großbetriebes, noch auch durch die gesteigerte aus- 
wärtige Konkurrenz, noch endlich durch das eigene unwirtschaftliche 
Verhalten der Bauern, sondern ausschließlich durch das liberale, in- 
dividualistische Agrarrecht verursacht werde, — diese gänzlich un- 
bewiesenen Behauptungen werden nicht etwa bloß als persönliche An- 
sichten des Autors oder als Motiv des Gesetzgebers hingestellt, sondern 
wie unumstößliche Wahrheiten, wie notorische Thatsachen vorgetragen, 
die weiter keines Beweises bedürfen, und über die nicht gestritten 
werden könne. Mit der gleichen erstaunlichen Sicherheit wird be- 
hauptet, daß „überall auf Erden, wo Freiheit des Grundeigentums be- 
steht, die landwirtschaftliehen Existenzen in einer ganz bestimmten, 
charakteristischen Weise ökonomisch erkranken“. Wissenschaftlich ist 
aber bekanntlich all das noch durchaus nicht festgestellt, und insbe- 
sondere fehlt es bisher zumeist an objektiv konstatierten Thatsachen, 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 25 


386 Miszellen. 


welche zeigen würden, in welcher Ausdehnung und mit welcher Stärke 
sich jene behaupteten Uebelstände geltend gemacht haben. Speciell 
bietet die auch hier wieder ins Feld geführte österreichische Hypo- 
thekar- nnd Exekutionsstatistik lediglich Scheinbeweise in dieser Richtung; 
für weitgehende agrarpolitische Schlußfolgerungen ist sie in Wahrheit 
gänzlich unbrauchbar. Sehr geteilt sind denn auch noch die Ansichten 
darüber, ob die Einführung eines bäuerlichen Anerbenrechtes, die 
Statuierung von Verschuldungs- und Teilungsbeschränkungen, die Er- 
richtung von Rentengütern u. dgl. zweckmäßige oder gar notwendige 
Maßregeln seien. In dem Jubiläumswerke werden diese Reformen rück- 
haltslos befürwortet, ohne daß die dagegen erhobenen Einwände auch 
nur erwähnt werden. 

Die ersten Versuche in der genannten Richtung betrafen in Oester- 
reich die Vererbung der Bauerngüter und die Freiteilbar- 
keit. Man liebt es, diese Bestrebungen historisch zu motivieren. 
Merkwürdigerweise wird auch wieder in dem Juübiläumswerke die 
längst als unrichtig nachgewiesene Ansicht wiederholt, als ob in der 
Hälfte dieses Jahrhunderts in ganz Oesterreich ein Anerbenrecht 
bestanden hätte. Jedermann kann sich in der Justizgesetzsammlung 
davon überzeugen, und Grünberg hat es überdies aktenmälig fest- 
gestellt, daß einzig und allein in Tirol eine Begünstigung des Gutüber- 
nehmers gesetzlich festgelegt worden war, daß aber, wie oben bereits 
erwähnt wurde, der Versuch Kaiser Josefs, auch in den übrigen Pro- 
vinzen eine ähnliche Begünstigung einzuführen, gescheitert ist, und daß 
der Kaiser selbst gezwungen war, diese Maßregeln zurückzunehmen. 
Außerhalb Tirols bestand vielmehr nur das Verbot, Bauerngüter zu 
teilen; ein Verbot, das sich naturgemäß auch auf den Gutsübergang 
von Todes wegen erstreckte und hier bewirkte, daß ein im Nachlaß 
befindliche Bauerngut ungeteilt einem Erben übertragen werden mußte. 
Ist also das ins Treffen geführte historische Argument fehlgegriffen, so 
hätte schr wohl, um die Einführung eines Anerbenrechtes auch ge- 
schichtlich zu begründen, geltend gemacht werden können, daß die 
thatsächliche Uebung mit den gesetzlichen Vorschriften nicht überall 
übereinstimmte. In der Praxis wurde vielfach bei der Bemessung der 
Erbportionen durch eine niedrige Schätzung des Gutswertes darauf 
Bedacht genommen, daß der Uebernehmer des Gutes nicht über- 
lastet werde — ein Moment, das trotz seiner großen Wichtigkeit im 
Jubiläumswerke nicht hervorgehoben ist. Und wie in der Frage der Ver- 
erbung, so wird hier auch in der Frage der Freiteilbarkeit die thatsäch- 
liche Uebung des praktischen Lebens zu wenig berücksichtigt. Es hätte 
sonst betont werden müssen, daß schon lange vor der Aufhebung 
des Bestiftungszwanges die Beschränkungen der Freiteilbarkeit in den 
meisten österreichischen Ländern nur noch auf dem Papier standen, 
daß die Behörden den Konsens zur Zerstückelung fast niemals ver- 
weigerten, und daß, selbst wo dies geschah, die Grundbesitzer sich 
durch das behördliche Verbot von Teilungen faktisch nicht abhalten ließen, 
während andererseits dort, wo vor der Einführung der Freiteilbarkeit 
die Bauerngüter ungeteilt geblieben waren, sich daran auch später zu- 
meist nicht viel geändert hat. 


Miszellen. 387 


Das Reichsgesetz vom Jahre 1889, ,betreffend die Einführung be- 
sonderer Erbteilungsvorschriften für landwirtschaftliche Besitzungen 
mittlerer Größe“ ermächtigt die Landesgesetzgebungen, zu bestimmen, 
daß für die von ihr näher zu bezeichnenden Höfe ein besonderes In- 
testaterbrecht gelte, wonach das Gut nur ungeteilt auf einen Erben 
übergeht und dieser den Hof zu einem unter dem wahren Werte 
bleibenden Anschlag übernimmt; dem Anerben kann außerdem ein Vor- 
aus in der Höhe von SET des unbelasteten Hofwertes zugesprochen 
werden. Ueberdies erteilt das Reichsgesetz den Landesgesetzgebungen 
die Ermächtigung, Beschränkungen in der Freiteilbarkeit der Höfe und 
das Verbot der Vereinigung mehrerer Höfe in einer Hand zu statuieren. 
Man erkennt leicht, daß in dem Jubiläumswerke ganz mit Unrecht be- 
hauptet wird, daß dieses Gesetz „bekannlich überhaupt nur die Erb- 
teilung reguliert“. Während, wie wir zeigten, das ältere Recht, das in 
Wahrheit nur die Erbteilung ordnete, unrichtigerweise als Anerben- 
recht bezeichnet wird, ist hier das wirkliche, den Gutsunternehmer sehr 
begünstigende Anerbenrecht als eine harmlose Erbteilungsvorschrift hin- 
gestellt ! 

Der Versuch, das Anerbenrecht in Oesterreich einzuführen, ist voll- 
kommen fehlgeschlagen. Wührend eines Zeitraumes von 12 Jahren 
hat sich kein einziger der 17 Landtage dazu verstanden, das aus- 
führende Landesgesetz zu votieren. Ja, selbst die Regierung scheint 
in ihrem Eifer für das Anerbenrecht etwas abgekühlt zu sein. Hat 
se doch in mehreren Ländern, die dafür sehr in Betracht kämen, 
wie Steiermark, Kärnten, Böhmen, nicht einmal eine Gesetzvorlage 
eingebracht! Ob da wirklich die Ansicht des Verfassers gerecht- 
fertigt ist, daß es „mehr äußerliche und formale als sachliche Um- 
stinde“ gewesen seien, die bisher das Zustandekommen der in Rede 
stehenden Gesetze gehindert haben? 

Mit weit mehr Aussicht auf Erfolg ist die Organisation des 
land wirtschaftlichen Berufsstandes in Oesterreich in Angriff 
genommen worden. Die Landwirtschaftsgesellschaften, die schon zu 
Begiun der Berichtsperiode bestanden hatten, können als eine solche, 
die ganze Landwirtschaft umfassende Berufsorganisation allerdings nicht 
angesehen werden. Ein erster durch die Regierung unternommener 
Reformversuch war die Schaffung von Landeskulturräten und Bezirks- 
genossenschaften der Landwirte in einzelnen Kronländern. Aber wenn 
auch auf diese Weise Stellen ins Leben gerufen worden waren, welche 
die staatliche Verwaltung auf landwirtschaftlichem Gebiete unterstützten, 
und wenn auch der berufsgenossenschaftliche Gedanke darin zum Aus- 
druck kommt, daß diese Centralstellen aus Wahlen der Bezirksgenossen- 
schaften, in Böhmen und Mähren aus Wahlen der landwirtschaftlichen 
Vereine hervorgehen, so zeigte sich doch, daß dieser Organisationsform 
eine große Anzahl von Mängeln anhaftete. Im Jahre 1898 wurde der 
Landwirtschaftsrat errichtet, eine lediglich aus ernannten Mitgliedern 
bestehende Korporation, welche eine autonome Interessenvertretung der 
Landwirte nicht zu ersetzen vermag. Mit welchem Rechte im Jubi- 
läumswerk auch die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (Raiff- 


25* 


388 Miszellen. 


eisenkassen) als Versuche einer solchen Interessenvertretung angeführt 
werden, ist ganz unverständlich. 

Zufolge des Gesetzentwurfes betreffend die Errichtung von Be- 
rufsgenossenschaften — seit dem Jahre 1893 mehrmals in verschiedener 
Form eingebracht — sollen sämtliche landwirtschaftlichen Grundbesitzer 
obligatorisch zu Bezirksgenossenschaften vereinigt werden, die sich 
wieder zu Landesgenossenschaften zusammenschließen. Diesen Berufs- 
genossenschaften wäre die Interessenvertretung sowie eine große Zahl 
wirtschaftlicher und sozialer Aufgaben zugewiesen, zu deren Erfüllung 
sie das Recht, die Kosten auf ihre Mitglieder umzulegen, erhalten sollten. 
Der Gesetzentwurf fand nach Loslösung von der Gesetzesvorlage über 
die Rentengüter (s. u.) zumeist eine recht günstige Aufnahme. Nicht 
gegen die Idee, sondern gegen die Art ihrer Verwirklichung wurden 
die meisten Bedenken erhoben, die in den späteren Redaktionen großen- 
teils berücksichtigt worden sind. In weiteren Kreisen knüpft man an 
die Schaffung von obligatorischen Berufsgenossenschaften sehr große 
Erwartungen, und auch das Jubiläumswerk preist mit überschwenglichen 
Worten die segensreichen Folgen, die diese Institution haben müßte. 
Von anderer Seite steht man jedoch dem Zwangscharakter der Organi- 
sation etwas skeptisch gegenüber und befürchtet von ihm Schädigungen 
für die freien Organisationen, die sich gerade in der Landwirtschaft so 
reich ausgebildet haben. Ob die Verfechter der Berufsgenossenschaften 
deren Erfolge nicht stark überschätzen, kann wohl nur die Erfahrung 
lehren. 

In dem Gesetzentwurf betreffend die Errichtung von 
Rentengütern hat die Regierung den umfassendsten Plan einer 
bäuerlichen Agrarreform niedergelegt: bei Zwangsversteigerungen von 
Bauerngütern sollen die Landesgenossenschaften der Landwirte (s. o.) 
mitbieten und, falls sie das Gut erstehen, es als „Rentengut“ in Erb- 
pacht geben; der Rentengutsbauer hat eine ewige, unablösbare Rente 
zu zahlen, darf ohne Bewilligung der Landesgenossenschaft das Gut 
weder veräußern noch teilen noch verschulden und kann bei unwirt- 
schaftlichem Gebahren sowie aus einer Reihe anderer Gründe „abge- 
stiftet“ werden. Ein derartiges Gesetz müßte notwendiger Weise die 
Rentengutsbauern in eine absolute rechtliche und wirtschaftliche Ab- 
hängigkeit von den die Landesgenossenschaften dominierenden Groß- 
grundbesitzern bringen, in eine Abhängigkeit, die weit größer wäre, 
als jene war, die vor dem Jahre 1848 geherrscht hatte. Näher auf 
diesen Plan einzugehen, dürfte hier deshalb überflüssig sein, weil er 
keineswegs, wie es in dem Jubiläumswerke heißt, „bloß vorläufig zurück- 
gestellt“, sondern doch wohl dauernd abgethan ist. Hat doch der 
der Entwurf in der wirtschaftlichen Literatur fast einstimmige Verur- 
teilung gefunden; eine Thatsache, von der man in jenem Werke nichts 
erfährt. 

Nebst der Agrarverfassung hat auch die Agrarverwaltung 
(Ritter von Herz) in den Jahren 1848—98 bedeutende Umwandlungen 
erfahren. Es hätte indessen einer sehr umfangreichen Arbeit bedurft, 
um diese Entwickelung auch nur annähernd zu skizzieren. Der Kreis 


Miszellen. 389 


der Verwaltungsaufgaben hat sich in dieser Zeit auch auf landwirt- 
schaftlichem Gebiete außerordentlich erweitert; ganze Verwaltungszweige 
sind neu dazu gekommen, die alten an Umfang gewachsen; auch hat 
sich inzwischen die Art der Erfüllung der Verwaltungsaufgaben viel- 
fach wesentlich geändert. Und nebst dem reichen Gebiete der staat- 
lichen Administration wäre auch noch die für die Landwirtschaft hoch- 
bedeutsame Thätigkeit der autonomen Körperschaften — Land, Bezirk, 
Gemeinde — darzustellen gewesen. Diese schwierige Aufgabe hat sich 
indessen der in Rede stehende Artikel des Jubiläumswerkes nicht ge- 
stellt; er behandelt vielmehr lediglich die Verwaltungsorganisation, 
und auch dabei beschränkt er sich auf die staatlichen Behörden. 
Daß die wichtigste Seite der landwirtschaftlichen Verwaltung, die auto- 
nome, unbeachtet geblieben ist, daß die Geschichte der in innigster 
Beziehung zur Agrarverfassung und Agrarverwaltung stehenden Land- 
gemeinde in dem Jubiläumswerke fehlt, bildet eine empfindliche Lücke 
des letzteren. 

Eine Serie von Artikeln des 2. Halbbandes behandelt das land- 
wirtschaftliche Kredit- und Verkehrswesen. 

Sehr bedeutsam und erfreulich ist in Oesterreich dieEntwickelung 
derHypothekarkreditorganisation(Bräf)gewesen. Auf diesem 
Gebiete sind die östereichischen Kronländer schöpferisch gewesen; sie 
haben in den Landeshypothekenanstalten ganz eigenartige, den speci- 
fischen Bedürfnissen des Landes angepaßte Institute geschaffen, die 
sich ausgezeichnet bewähren. Leider schreitet die Konvertierung der 
hoch verzinslichen, kündbaren Privatschulden in wohlfeile Amortisations- 
kredite nur sehr langsam vorwärts. Die rein formalen Hindernisse, die 
sich solchen Konvertierungen entgegenstellen, sollte ein Gesetz vom 
Jahre 1888 beseitigen; doch hat es diesen Zweck in Folge seiner ganz 
verfehlten Fassung nicht erreicht. Im übrigen sei auf die Besprechung 
dieses Teiles des Jubiläumswerkes im Jahrgange 1899 dieser Zeitschrift 
verwiesen. 

Sehr interessant ist auch die Geschichte des land- 
wirtschaftlichen Personalkredites (Schmid). Die Bedeu- 
tung der unorganisierten Form dieses Kredites dürfte in dem Jubiläums- 
werke wohl unterschätzt sein. Sie ist keineswegs mit Wucher identisch 
und spielt auch heute noch in vielen Gegenden Oesterreichs eine sehr 
große Rolle. In Galizien hat sie allerdings zu den ärgsten wucherischen 
Auswüchsen geführt. 

Die ältesten Personalkreditinstitute Oesterreichs sind die Kontri- 
butionsfonde in den Sudetenländern. Sie wurden im vorigen Jahr- 
hundert errichtet, um die Unterthanen in Notfällen, insbesondere mit 
Saatgetreide, unterstützen und ihnen die Steuerlast erleichtern. Seit 
den 60er Jahren suchte man diese Fonde zeitgemäß zu reformieren. 
Relativ am besten gelang dies in Böhmen. Im Jahre 1863 wurden hier 
die Getreidefonde in Geldfonde umgewandelt und als Vorschußkassen 
für Hypothekar- und Personalkredit konstituiert, der vorzugsweise den 
Teilhabern gewährt werden soll; dagegen gingen die alten Steuergeld- 
fonde allmählich in dem Gemeindevermögen auf. In den 80er Jahren 


390 Miszellen. 


wurden die lokalen Kontributionsvorschußkassen zu größeren Bezirks- 
vorschußkassen zusammengelegt, welche billigen Personalkredit erteilen 
sollten und ihr Betriebskapital durch verzinsliche Einlagen erhöhen 
durften. Das Recht, Hypothekardarlehen zu erteilen, erhielten sie im 
Jahre 1885. Später wurde die Errichtung solcher Kassen auch dort 
angeordnet, wo sie noch nicht bestanden. Die Reformbedürftigkeit 
dieser Institution ist jedoch allseits anerkannt; am meisten würde 
sich wohl die Umwandlung der Kontributionsvorschußkassen in reine 
Personalkreditanstalten ohne jede Bevorzugung der Teilhaber empfehlen. 
In Mähren ist man bei der Konstituierung lokaler Vorschußkassen mit 
Bevorzugung der Teilhaber stehen geblieben; nur einige größere Kassen 
dürfen Geldeinlagen annehmen. Sie dienen hier vorwiegend dem 
Hypothekarkredit. Noch rückständiger ist die Organisation in Schlesien. 

Auch die wenig bekannten Gemeinde- und Bezirksdarlehenkassen 
in Galizien sind aus den Gemeindespeichern des vorigen Jahrhunderts 
hervorgegangen. Seit dem Jahre 1868 wurden viele solcher Personal- 
kreditanstalten neu gegründet. Sie funktionieren schlecht, ihre Re- 
organisation wird von allen Seiten gefordert. Das Gesetz vom 
Jahre 1887 war nur eine halbe Maßregel ohne Erfolg. 

Am meisten haben sich auch in Oesterreich die Raiffeisenkassen 
bewährt, deren seit dem Jahre 1886 mehr als 1000 entstanden sind. 
Die Entwickelung dieser Institution ist in neuerer Zeit vielfach littera- 
risch behandelt worden; ebenso ist es bekannt, welch große Ver- 
dienste sich auf diesem Gebiete die Landesvertretungen erworben haben. 
Dagegen fehlt uns noch genauere Kenntnis mancher wichtiger Details 
der Organisation und Wirksamkeit der Raiffeisenkassen ; leider laßt 
uns hier auch der vorliegende Aufsatz im Stich. 

Der landwirtschaftliche Mobiliarkredit (Adler) ist in 
Oesterreich bisher noch ganz unentwickelt; der durch das Gesetz 
vom Jahre 1890 geschaffene Lagerschein (warrant) hat sich bei uns 
wenig eingebürgert. 

Wichtiger wäre die eingehende Darstellung des landwirt- 
schaftlichen Meliorationskredites gewesen, der durch eine 
eigene, sehr interessante, wenn auch nicht sehr glückliche Gesetzgebung 
geregelt ist, und für den auch einige specielle Kreditinstitute errichtet 
worden sind. Leider ist diese Darstellung unterblieben. 

Auch das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen 
entbehrt, trotz seiner hervorragenden Bedeutung, einer speciellen 
Berücksichtigung in dem Jubiläumswerke. Am zahlreichsten sind 
allerdings die oben erwähnten Kreditgenossenschaften nach den Systemen 
Schulze—Delitzsch und Raiffeisen. Aber auch die für die Landwirtschaft 
wichtigen Rohstoff-, Einkaufs-, Verkaufs-, Lagerhausgenossenschaften 
hätten einer eingehenden Betrachtung gewürdigt werden sollen. Diese 
Lücke kann hier natürlich nicht ausgefüllt werden; nur soviel sei hier 
erwähnt, daß der Zusammenschluß der Landwirte zu gemeinsamem 
Bezuge insbesondere von künstlichen Dungmitteln in neuester Zeit auch 
in Oesterreich erfreuliche Fortschritte aufzuweisen hat, während die 
Organisation des gemeinsamen Absatzes landwirtschaftlicher Produkte, 
namentlich des Getreides, über die ersten Anfänge noch nicht hinaus ist. 


Miszellen. 391 


Ueber das reich entwickelte landwirtschaftliche Vereins- 
wesen soll der Supplementband einen Artikel bringen. 

Das land- und forstwirtschaftliche Verkehrswesen 
hat in dem uns beschäftigenden Zeitraume nur geringe Fortschritte 
aufzuweisen. 

Zwar hat das Straßen- und Eisenbahnwesen (Birk) seit 
50 Jahren einen bedeutenden Aufschwung genommen, und dies ist, wie 
den anderen Produzenten, so auch den Landwirten zu gute gekommen. 

Dagegen ist Oesterreich in der Entwickelung der Wasser- 
straßen (Ölwein) hinter den anderen Kulturstaaten weit zurück- 
geblieben, zum unberechenbaren Schaden für unsere Landwirtschaft. 
Bedeutet doch die Wasserfracht eine enorme Verbilligung gegenüber 
der Bahnfracht. Es kostet weniger, eine Tonne Getreide von Chicago 
oder Calcutta per Schiff, als von Pest per Bahn nach Berlin zu trans- 
portieren. Die Herstellung von Wasserstraßen ist daher geradezu eine 
Lebensfrage für die Konkurrenzfähigkeit der österreichischen Land- 
wirtschaft auf dem Weltmarkte. Da wirkt es fast beschämend, wenn 
gezeigt wird, daß bei uns so gut wie nichts in dieser Beziehung 
geschehen ist, daß der Verkehr auf der Spree größer ist, als der auf 
sämtlichen Wasserstralen Oesterreichs, daß der Wasserverkehr in 
Deutschland im Laufe von 10 Jahren sich mehr als verdoppelt hat, 
bei uns dagegen zurückgegangen ist. Die Projekte eines Donau-Oder- 
und eines Donau-Elbe-Kanals sind leider immer noch — Projekte geblieben. 

Weder das Marktwesen im Allgemeinen, noch auch speziell 
die Approvisionierung Wiens haben eine zufriedenstellende 
Entwickelung aufzuweisen. Die krassen Mängel des Wiener Lebens- 
mittelmarktes werden jedoch in dem Jubiläumswerke ganz verschwiegen. 

Die Entwickelung des Getreidehandels ist in dem Jubiläums- 
werke nicht dargestellt, was bei der außerordentlichen Wichtigkeit 
dieses Faktors sehr zu bedauern ist. Das Gesamtbild hat dadurch eine 
um so empfindlichere Lücke, als diese bei dem Mangel an Arbeiten 
über fraglichen Gegenstand auch anderwärts schwer auszufüllen ist. 

Ueber die Kornhäuser, dieses modernste Glied in der Organi- 
sation des Getreidehandels, hätte dagegen leicht Einiges gesagt werden 
können. Allerdings ist für Oesterreich auf diesem Gebiete noch nicht 
viel Positives zu berichten. Nur langsam und zögernd folgt man hier 
dem von Nachbarstaaten gegebenen Beispiele. Bisher sind nur einige 
genossenschaftliche Kornhäuser, insbesondere in Niederösterreich und 
Böhmen, errichtet worden; ihre Thätigkeit bewegt sich noch in sehr 
bescheidenen Grenzen. 

Die landwirtschaftlichen Börsen (Horaëek) sind infolge 
der Erweiterung des lokalen Getreidehandels zum Welthandel entstanden 
und haben in neuester Zeit einen stetig wachsenden Einfluß auf den 
gesamten Getreidehandel gewonnen. Die Wiener Börse für landwirt- 
schaftliche Produkte wurde im Jahre 1854 anerkannt, drei weitere 
Börsen in Graz, Czernowitz und Linz wurden in den 70er Jahren, die 
Prager Börse im Jahre 1896 errichtet. Ob die landwirtschaftlichen 
Börsen überwiegend einen günstigen oder schädlichen wirtschaftlichen 


392 Miszellen. 


Einfluß ausüben, ist bekanntlich gerade in neuester Zeit außerordentlich 
bestritten. Zwingende Argumente oder Beweise bringt das Jubiläums+ 
werk weder in der einen noch in der anderen Richtung bei. 

Auch in Oesterreich gewinnt indessen die gegen die landwirtschaft- 
lichen Börsen und speciell gegen das Blankotermingeschäft gerichtete 
Bewegung an Verbreitung. Der Glaube, richtiger Aberglaube, das 
Sinken der Getreidepreise sei ausschließlich oder doch vorwiegend auf 
die Terminspekulation in Papierweizen und Papierroggen zurückzuführen, 
dringt auch bei uns in immer weitere Kreise. Praktische legislatorische 
Folgen hat diese Agitation bisher noch nicht gehabt. Doch tagte 
kürzlich in Wien durch viele Wochen eine Enquête, welche viel zur 
Klärung der Ansichten beitragen und wohl auch zu legislatorischen 
Versuchen führen dürfte. Die Meinung, die Produktenbörsen seien die 
Ursache des Preisfalles, dürfte zwar durch die Verhandlungen schwerlich 
an Anhängern gewonnen haben; wohl aber scheint sich zu ergeben, 
daß durch die gegenwärtige Organisation der landwirtschaftlichen Börsen 
ein gewisser Preisdruck erleichtert wird, der durch Einführung von 
Reformen beseitigt werden könnte. 

Das Zollwesen im Getreideverkehre (Fort) hat in der 
zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts starke Veränderungen erfahren. 
Das Getreide konnte seit 1853 aus Deutschland und Rußland, seit 1878 
auch sonst zollfrei eingeführt werden ; 1882 wurden Zölle von 25—50 kr., 
1887 von 75—150 kr. statuiert. Ueberdies besitzt Tirol noch seinen 
Getreideaufschlag, eine seit altersher bestehende Zwischenzolllinie. Die 
Zollfreiheit im sogenannten Mahlverkehr war für die Landwirtschaft 
und Mühlenindustrie Oesterreichs besonders schädlich, da sie von den 
ungarischen Getreidemühlen dazu benutzt wurde, Oesterreich mit 
billigerem unverzollten Mehl aus Balkanweizen zu überschwemmen. 
Eine lebhafte Agitation hat die Beseitigung dieser Zollbegünstigung 
kürzlich durchgesetzt. 

Die Besteuerung der Land- und Forstwirtschaft (Rit- 
ter vonSchullern zu Schrattenhofen) hat in dem abgelaufenen 
halben Jahrhundert starke Veränderungen erfahren. Bis zum Jahre 1882 
galten in den einzelnen Ländern Oesterreichs 7 verschiedene Grund- 
steuersysteme nebeneinander, die zum Teil noch auf die Katastrierung 
unter Kaiser Josef, ja auf die theresianische Rektifikation zurück- 
gingen. Das Jubiläumswerk bringt eine sehr ausführliche Dar- 
stellung dieser Grundsteuersysteme. In den Jahren 1851—1860 wurde 
zunächst der durch ein Gesetz vom Jahre 1817 angeordnete, in den 
Alpenländern bereits verwirklichte „stabile Kataster“ in Böhmen, 
Mähren, Schlesien, Dalmatien und im Gebiete von Krakau eingeführt. 
Erst ein Gesetz vom Jahre 1869 erließ einheitliche Vorschriften für 
die Grundbesteuerung. Diese ist eine Repartitionssteuer auf Grund 
des mittleren Reinertrages der einzelnen Parzelle. Es wurde zwar keine 
neue Vermessung, aber eine neue Bonitierung und Einschätzung an- 
geordnet; nach je 15 Jahren soll eine Revision des Grundsteuerkatasters 
stattfinden. Der Abschluß dieser Aktion erfolgte nach Beendigung der 
Katastrierung erst in den 80er Jahren. Im Jahre 1881 wurde die 


Miszellen. 393 


Grundsteuerhauptsumme für 15 Jahre auf 371/, Mill. fl. festgesetzt, 
im Jahre 1883 die Evidenzhaltung des Katasters geregelt, die 
indessen die eintretenden Kulturänderungen nicht ergreift. Die erste 
periodische Revision des Grundsteuerkatasters wurde in den letzten 
Jahren vorgenommen; bei ihr sind auch die Kulturänderungen berück- 
sichtigt worden. Gleichzeitig wurde die Grundsteuerhauptsumme um 
2!/, Mill. fl. herabgesetzt, und die fortlaufende Berücksichtigung 
der dauernden Kulturänderungen im Kataster vorgeschrieben. Eine 
weitere Verminderung um 10—15 Proz. hat die Neueinführung der Per- 
sonaleinkommensteuer im Jahre 1898 zur Folge gehabt. Es hat also 
in Oesterreich die staatliche Grundsteuer in den letzten Jahren eine 
sehr wesentliche Verminderung erfahren, die durch Steuerabschreibungen 
wegen Elementarschäden und wegen der Reblausverwüstungen noch 
vergrößert worden ist. Allerdings sind die Zuschläge zur Staatssteuer 
(Umlagen) für Landes-, Bezirks- und Gemeindebedürfnisse in stetigem 
Wachsen begriffen. 

Wenden wir uns nunmehr der Entwickelung des landwirt- 
.schaftlichen Betriebes in Oesterreich zu, welchem Gegenstand 
der 2. und der 3. Band des Jubiläumswerkes gewidmet sind. In 
Bezug auf die Organisation des landwirtschaftlichen Be- 
triebes (Hecke und Fruhwirth) ist namentlich in den nordwest- 
lichen Kronländern die Ausdehnung des Zuckerrübenbaues, der auch 
auf die sonstige Bodenbestellung revolutionierend gewirkt hat, sowie 
die Verbreitung des Kleebaues von Wichtigkeit. Die Einführung 
rationeller Betriebssysteme hat sich jedoch zumeist auf einzelne Groß- 
grundbesitzer beschränkt; nur in den Sudetenländern beginnen -auch 
die Bauern allmählich sich die Vorteile des Fruchtwechsels anzueignen. 
In den anderen Ländern verharren dagegen die Bauern zumeist noch 
bei den überkommenen extensiven Feldsystemen, der Dreifelderwirtschaft 
mit angebauter oder sogar mit schwarzer Brache und der Eggarten- 
wirtschaft. Diese Wirtschaftssysteme sind ja an vielen Orten durch 
die natürlichen Verhältnisse vorgeschrieben; sie finden sich aber auch 
in zahlreichen Gegenden, wo eine intensivere Bodenbestellung am 
Platze wäre. 

Auch sonst läßt die Weiterverbreitung und Weiterentwickelung der 
Kulturmaßregeln sehr viel zu wünschen übrig. Die Ausbildung 
des Düngewesens weist selbst in den hochkultivierten Nordwestländern 
— geschweige denn in den Alpen- oder in den Karstländern — große 
Uebelstände auf. Die Verwertung der Fäkalien der Städte ist in 
Oesterreich noch nirgends verwirklicht, die Gründüngung nur sporadisch 
in Uebung. Seit den 60er Jahren beginnt die Anwendnng von Kunst- 
dünger vorzudringen; seither hat sie sich zum Teil auch schon in den 
Alpen-, kaum aber noch in den Karstländern festgesetzt. Die neueren 
rationellen Maschinen und Geräte finden in bäuerlichen Kreisen nur 
langsam Eingang. Nur selten wird die Bekämpfung des Unkrautes, 
der tierischen und pflanzlichen Schädlinge mit der nötigen Aufmerk- 
samkeit und Energie betrieben. Es sind zwar in allen Kronländern 
Gesetze erlassen worden, welche den Landwirten die Vertilgung des 


394 Miszellen. 


Unkrautes, die Vernichtung der schädlichen Insekten und Pilze zur 
Pflicht machen. Doch ist die Durchführung dieser Vorschriften den 
Gemeindebehörden übertragen, welche nur lax vorgehen. Ueberhaupt 
beschränkt sich der technische Fortschritt meist auf die Großgüter, 
deren Beispiel nur sehr langsam auf die bäuerlichen Wirtschaften von 
Wirkung ist. Nebst zahlreichen anderen Momenten sind es namentlich 
die geringe allgemeine und ökonomisch-technische Bildung, dann die 
Gemenglage und die durch sie hervorgerufene wirtschaftliche Beengt- 
heit des einzelnen Landwirtes, die dazu beiträgt, daß ein großer Teil 
des österreichischen Bauernstandes jeder Neuerung einen so starren 
passiven Widerstand entgegensetzt. 

Der Getreidebau (Fruwirth) hat bis vor wenigen Jahren 
einen Aufschwung in Oesterreich zu verzeichnen, seither befindet er 
sich in einem langsamen Rückgange. Am stärksten ist der Anbau der 
Brotfrüchte zurückgegangen. Ersetzt werden die Halmfrüchte zum Teil 
durch gesteigerten Futterbau und durch die Vermehrung der Vieh- 
haltung, namentlich in den Alpenländern. Die Hülsenfrüchte haben an 
Verbreitung nicht gewonnen, Lupine und Serradella, zwei für die Grün- 
düngung hochwichtige Pflanzen, finden nur langsam Eingang in der 
österreichischen Landwirtschaft. Mächtig war die Entwickelung des 
Hackfruchtbaues, speciell der Kartoffel- und der Rübenkultur. Unter 
den Handelspflanzen haben in den letzten Jahrzehnten mannigfache 
Veränderungen Platz gegriffen. Die große Bedeutung der Rapskultur 
um die Mitte des Jahrhunderts ist infolge der Mineralölerzeugung fast 
ganz geschwunden; der Flachs- und Hanfbau, der noch vor wenigen 
Jahrzehnten zu den wichtigsten Zweigen intensiverer Kultur in Oester- 
reich gezählt hatte, befindet sich jetzt in einem starken, durch die 
Konkurrenz der Baumwolle verursachten Rückgange. 

Dagegen weist der Hopfenbau sowohl hinsichtlich der Größe der 
Anbaufläche, als auch in der Verbesserung des Kultur- und Ernteverfahrens 
mächtige Fortschritte auf. Der Bau von Farbpflanzen (Krapp) ist durch 
die Erzeugung von Mineralfarben fast ganz verdrängt. Der Futterbau 
(Ritter von Weinzierl) ist auf Kosten der schwarzen Brache und 
der Getreidekultur vielfach ausgedehnt worden. Insbesondere hat der 
Rotklee stark an Verbreitung gewonnen, und auch mit der Einführung 
von Gründüngungspflanzen wurde begonnen. Manche Fortschritte sind 
auch in der Wiesen- und Alpenkultur zu verzeichnen. Zumeist aber 
fehlt es hier noch an jeder rationellen Behandlung. Bewässerung und 
Düngung der Wiesen werden nur selten vorgenommen, die Hutweiden 
sind zwar hie und da aus dem Zustande völliger Verwahrlosigkeit 
einer besseren Kultur zugeführt worden, die Pflege ist aber zumeist 
noch eine sehr schlechte. Ebenso ist die äußerst mangelhafte Bewirt- 
schaftung des Alpbodens nur wenig verbessert worden. 

Sehr wechselvoll ist die Geschichte des Weinbaues (Mach) in 
der uns beschäftigenden Zeitperiode. In den 50er Jahren richtete die 
Traubenkrankheit in Oesterreich, deren man erst in den 60er Jahren mit 
Schwefel Herr wurde, große Verheerungen an. In den 80er Jahren be- 
ginnt die Verseuchung der österreichischen Weingärten mit der Reblaus; 


Miszellen. 395 


über '/, der Weinbaufläche war im Jahre 1897 bereits von diesem 
Insekt befallen, nur Tirol ist davon noch verschont geblieben. Nach- 
dem einige andere Gegenmaßregeln sich als fruchtlos erwiesen haben, 
wird seit einigen Jahren die Anpflanzung amerikanischer Reben durch 
gesetzliche und administrative Maßregeln zu befördern gesucht, und 
zwar mit soviel Erfolg, daß die Fortführung des Weinbaues in Oester- 
reich auf neuer Grundlage nunmehr wohl als gesichert angesehen 
werden darf. Auch gegen die Peronospora, die namentlich in den 
Jahren 1883—1887 im Süden furchtbar verheerend auftrat, gelang es 
schließlich, chemische Gegenmittel zu finden. Im übrigen haben die 
Weinbauverhältnisse sich in den einzelnen Kronländern sehr ver- 
schieden entwickelt, worauf indessen hier nicht näher eingegangen 
werden kann. 

Dies gilt auch von der Obstkultur, vom Garten- und vom 
Gemüsebau (Graf von Attems, Lauche, Beck Ritter von 
Managatta, von der Planitz und von Janczewski). Die 
Obstkultur hat in den letzten 50 Jahren in Oesterreich einen außer- 
ordentlichen Aufschwung aufzuweisen; in dieser Zeit ist aus der Klein- 
wirtschaft der Obstbauer und aus dem Dilettantismus der herrschaft- 
lichen und geistlichen Obstgärten ein tief in die Volkswirtschaft ein- 
schneidender Kulturfaktor geworden. 

Von besonderer volkswirtschaftlicher Wichtigkeit für die öster- 
reichische Landwirtschaft ist die Entwickelung der Tierzucht (Ma- 
calik) während der letzten 50 Jahre. In diese Zeit fällt vor allem 
der Uebergang von der bloßen Viehhaltung zur eigentlichen Vieh- 
zucht. Die Grundentlastung wirkte auch auf diesem Gebiete um- 
wälzend. Während früher die Bauern zumeist nur die für die Spann- 
dienste notwendigen Pferde zu halten vermochten, gingen sie nach Be- 
seitigung der Fronden zumeist zur Rindviehhaltung über. Aehnliches 
gilt für die Großgrundbesitzer. Nebst der Quantität steigert sich aber 
gleichzeitig auch die Qualität und die Leistungsfähigkeit des Viehes. 
Es beginnt die Einfuhr auswärtiger Zuchttiere zur Herstellung teils 
reiner Schläge, teils zahlreicher Kreuzungen. Später bestrebte man sich 
mehr, die einheimischen Viehschläge zu verbessern, was auch vielfach 
sehr gut gelungen ist. Von großem Einflusse waren hier die wissen- 
schaftlichen Forschungen über die Körpereigenschaften der Tiere, über 
deren physiologische Bedeutung für die Leistungsfähigkeit und über die 
Lebensbedingungen der Tiere. Erst dadurch wurden die Veredelungs- 
bestrebungen in rationelle, wissenschaftlich fundierte Viehzuchtsmethoden 
umgewandelt. Gleichzeitig hat auch die Fütterungslehre, namentlich in 
Folge chemischer Forschungen, bedeutende Fortschritte gemacht, die 
zur Gewinnung neuer Futtermittel geführt haben. Die erwähnten Mo- 
mente, sowie die relativ günstige Preiskonjunktur für die tierischen 
Produkte haben es bewirkt, daß die Viehzucht heute nicht mehr als ein 
notwendiges Uebel der Landwirtschaft, das der letzteren den erforderlichen 
Dünger liefern muß, angesehen wird, daß sie vielmehr in immer steigen- 
dem Maße als der wichtigste, häufig als der einzig lukrative Teil des 
landwirtschaftlichen Betriebes gilt. Das ist namentlich in Gebirgs- 


396 Miszellen. 


gegenden der Fall, während in den Ebenen die Intensifikation der 
Bodenbestellung, die Ausbreitung der Industrien vielfach einen entgegen- 
gesetzten Einfluß ausgeübt haben. Im ganzen hat denn auch die Ver- 
mehrung des Viehstandes 1880—1899 mit der Bevölkerungszunahme in 
Oesterreich nicht gleichen Schritt gehalten. 

Der Staat und die Kronländer haben auf verschiedene Weise ver- 
sucht, die Entwickelung der Viehzucht zu befördern: durch Körord- 
nungen, durch gesetzliche Regelung der Rindviehzucht, durch veterinär- 
polizeiliche Gesetze, durch Viehversicherung, durch Prämien, Subventionen, 
Ausstellungen u. s. w. Gleichwohl befindet sich gegenwärtig die Vieh- 
zucht noch keineswegs auf jener Höhe, die angestrebt werden muß, und 
die in den Nachbarländern auch vielfach schon erreicht ist. 

Besonders groß scheint der Fortschritt in der Pferdezucht 
(Gassebner) zu sein. Thatsächlich hat auch der Pferdeexport seit 
1848 sich von 12741 auf 59182 Stück gehoben. Die staatliche Ein- 
flußnahme ist auf diesem Gebiete besonders intensiv. Sie erfolgt durch 
Errichtung und Erhaltung von staatlichen Zuchtanstalten — Staats- 
gestüten, Hengstendepots and Staatsfohlenhöfen — mit militärischer 
Organisation, durch Erlassen von Körungsordnungen, welche das 
Privatbeschälwesen gesetzlich regeln, durch Subventionierung und Prämi- 
ierung von Privathengsten, durch Ueberlassung von Staatshengsten in 
Privatpflege, durch Organisierung des Veterinärwesens, durch Be- 
willigung von staatlichen Wettrennpreisen, u. s. w. Ueber die Zweck- 
mäßigkeit des letzteren Mittels wird bekanntlich heftig gestritten. Sicher 
ist, daß es nicht nur den Rennsport, sondern auch den Wettunfug 
befördert. Die neuen Landeskörungsgesetze, die aus den 80er Jahren 
stammen, dehnen den Licenzierungszwang auf alle Hengste aus, die zur 
Deckung von fremden Stuten verwendet werden. Von den einheimischen 
Pferderassen steht das norische Pferd an erster Stelle, dessen Reinzucht 
gegenwärtig in den Alpen eifrig betrieben wird. 

Die Rindviehzucht (Kaltenegger, Macalik, Freiherr 
von der Malsburg, Baier, Torre, Povše) hat sich in den 
einzelnen Landesteilen sehr verschieden entwickelt. Um die Mitte des 
Jahrhunderts fehlte es überhaupt an einer rationellen Viehzucht. Die 
Grundentlastung wirkte gerade auf diesem Gebiete sehr fruchtbringend. 
In den Alpenländern nahm die Rindviehzucht erst einen bedeutenden 
Aufschwung, als in den anderen Ländern die Bevorzugung des aus- 
ländischen (Schweizer, Holländer) Hornviehes einer Würdigung der 
alpinen einheimischen Schläge Platz gemacht hatte. Wesentlich ge- 
fördert wurde die Entwickelung in den Alpenländern durch die vom 
Ackerbauministerium veranstaltete Erhebung über die Rinderrassen 
Oesterreichs. Auch sonst hat man es an Versuchen zur Hebung der 
Rindviehzucht nicht fehlen lassen, und es sind auch manche gute Er- 
folge dabei erzielt worden. Wie das norische Pferd (Pinzgauer), so 
erringen sich auch die alpinen Hornviehschläge (Montavoner, Lech- 
thaler, Duxer u. s. w.) immer mehr die Anerkennung des In- und Aus- 
landes. 

Schweinezucht (Baier) wurde vor dem Jahre 1848 fast gar 


Miszellen. 397 


nicht betrieben. Seit den 70er Jahren werden englische Schweine- 
schläge zur Zucht eingeführt. Besonderen Aufschwung nahm die 
Schweinezucht in den 90er Jahren; Niederösterreich steht hierbei an der 
Spitze, indem hier seit 1887 Schweinezuchtanstalten und Zuchtstationen 
mit, wie es scheint, gutem Erfolge, gegründet und subventioniert 
wurden. Aber auch in den anderen Ländern sind Fortschritte zu be- 
merken. Das von Niederösterreich gegebene Beispiel ist nicht ohne 
Wirkung geblieben. 

Hingegen hat sich in der Schafzucht (Baier) ein starker 
Niedergang vollzogen. Noch um die Mitte des Jahrhunderts stand die 
Wollschafzucht, insbesondere in den Nordwestländern, in hoher Blüte 
nnd bildete den wichtigsten Teil der damaligen Viehzucht. Seither 
wurde sie immer weniger rentabel; seit den 70er Jahren ist sie durch 
die überseeische Konkurrenz und von der Baumwollenindustrie immer 
mehr verdrängt worden. Nebst dem dadurch hervorgerufenen Preisfall 
der Wolle trug auch die steigende Intensität der Wirtschaft und die 
Ausbreitung der Rübenkultur dazu bei, daß die Wollschafzucht zumeist 
aufgegeben wurde. Während aber so die Zucht edler Feinwollschafe nur 
mehr vereinzelt dasteht, hat die Zucht von Fleischschafen in Oesterreich 
noch nicht festen Fuß zu fassen vermocht. Im Laufe von 40 Jahren 
(1850— 1890) hat sich der Schafstand Oesterreichs um 50 Proz. ver- 
ringert. 

Auch die Seidenraupenzucht (Bolle), früher ein wichtiger 
Zweig der landwirtschaftlichen Produktion in den südlichen Ländern, 
hat zuerst durch das Auftreten der Raupenkrankheit, dann durch die 
Handelskrise in Seide sehr gelitten und einen bedeutenden Rückgang 
zu verzeichnen. 

Das mit der Tierzucht in engster Beziehung stehende Veterinär- 
wesen (Ritter von Wiedersperg) hat erst im Laufe der letzten 
Decennien seine Ausbildung erfahren. Die Wissenschaft, insbesondere 
die Bakteriologie, weist in neuerer Zeit ungeahnte Fortschritte auf. 
Seit den 60er Jahren gehen aus dem Tierarzenei-Institute in größerer 
Zahl Tierärzte hervor, die in steigendem Maße öffentliche Anstellungen 
finden und als Ausführungsorgane bei der Bekämpfung der Epizootien 
dienen. Diese Bekämpfung selbst war um die Mitte des Jahrhunderts 
noch sehr mangelhaft. Das bereits auf moderner Grundlage aufgebaute 
Rinderpestgesetz vom Jahre 1868 blieb wegen des Mangels an Durch- 
führungsorganen wirkungslos, während das Tierseuchen- und das Rinder- 
pestgesetz vom Jahre 1880 infolge der energischen Handhabung durch- 
schlagenden Erfolg hatten; ebenso das Lungenseuchengesetz von 1892. 
Die Rinderpest und die Lungenseuche sind seither in Oesterreich er- 
loschen. Andere Tierkrankheiten — seit einigen Jahren namentlich die 
Schweinepest und die Maul- und Klauenseuche — haben dagegen noch 
sehr weite Verbreitung. 

Nebst der Veterinärpolizei ist die Viehversicherung (Sperk) 
ein Mittel zur Bekämpfung der Seuchen; aber sie muß sich nebst diesen 
Todesursachen auch auf sonstige Unglücks- und Todesfälle erstrecken. 
Die beschränkten Tierseuchenfonde in Tirol, Vorarlberg und Nieder- 


398 Miszellen. 


österreich haben sich zwar bewährt, nicht aber die 1883—1892 in 
Mähren bestandene Rindviehversicherung. Die Einführung einer obli- 
gatorischen, staatlichen Viehversicherung steht in Diskussion. Die einer 
solchen Einrichtung entgegenstehenden Schwierigkeiten dürften wohl 
nicht unüberwindlich sein. 

Gehen wir nunmehr zur Betrachtung der Hilfsmittel der land- 
wirtschaftlichen Produktion über. 

Eine ausführliche Darstellung des landwirtschaftlichen Ge- 
rätewesens fehlt leider in dem Jubiläumswerke. Es wäre sehr in- 
teressant gewesen, die geographische Verbreitung der verschiedenen land- 
wirtschaftlichen Gerätetypen in Oesterreich kennen zu lernen. Auf 
diesem Gebiete namentlich sind die Bauernwirtschaften zumeist sehr 
rückständig. 

Dagegen ersieht man aus dem Jubiläumswerke die großen, im 
Laufe von 50 Jahren gemachten technischen Fortschritte hinsichtlich 
der landwirtschaftlichen Maschinen (Rezek). Die Betonung 
lediglich der technischen Seite kann indessen leicht zu einer Ueber- 
schätzung der wirtschaftlichen Bedeutung dieser Fortschritte ver- 
leiten. Da ist es nicht überflüssig, daran zu erinnern, daß von den 
mehr als 2 Millionen landwirtschaftlichen Betrieben Oesterreichs nur 
etwa 138000, also noch nicht 7 Proz., einen mechanischen oder tierischen 
Motor verwenden und daher der Unfallversicherungspflicht unterliegen. 
Ob es richtig ist, daß die Verwendung der Maschinen in der Land- 
wirtschaft bereits allgemein geworden sei, und daß nur einzelne Gebirgs- 
gegenden auch heute noch ihre primitiven, unvollkommenen Geräte aus 
längst verflossener Zeit beibehalten haben, ob nicht vielmehr die alten, 
primitiven Feldgeräte auch heute noch bei den Bauern zumeist vor- 
herrschen und Maschinen sich bei ihnen nur sehr langsam Eingang zu 
verschaffen vermögen, wird hoffentlich binnen kurzem die landwirt- 
schaftliche Betriebsstatistik entscheiden. 

Die gesetzlichen Grundlagen des Wasserbau- und 
Meliorationswesens (Freiherr von Starkenfels) haben seit 
1848 manche einschneidenden Aenderungen erfahren. Die Wasserrechts- 
gesetze der Jahre 1869—1875 haben insbesondere die Bildung von 
Wassergenossenschaften durch Majoritätsbeschluß, die Leitung des 
Wassers über fremde Grundstücke und die Expropriation zu Gunsten 
von Wasserbauten ermöglicht; die Interessenkonflikte zwischen Melio- 
rationsunternehmungeu und älteren Stauanlagen wurden, wenn auch nicht 
durchaus klar und zweckmäßig, so doch irgendwie entschieden. Einen 
größeren Fortschritt in letzterer Beziehung bedeutet das Meliorations- 
gesetz vom Jahre 1884, das auch die Kreditfähigkeit der Wasserge- 
nossenschaften durch Sicherung ihrer Gläubiger erhöht. Auch das Ge- 
setz über die unschädliche Ableitung von Gebirgswässern vom Jahre 1884, 
das die Zwangsenteignung zu Gunsten von Meliorationsunternehmungen 
noch bedeutend erweitert, wäre hier zu nennen gewesen. 

Die Wichtigkeit der Hydrographie (Lauda) für den Wasser- 
bau ist zwar schon seit langem erkannt; aber erst in den letzten Jahren 
wurde in Oesterreich mit der Organisation des hydrographischen Dienstes 


Miszellen. 399 


begonnen, der sich in 3 Instanzen: Beobachter, hydrographische Landes- 
abteilungen und hydographisches Centralbureau gliedert. Die Beob- 
achtungen haben im Jahre 1895 begonnen und werden periodisch publi- 
ziert; im Jahre 1898 gab es bereits 4572 Beobachtungsstationen für 
Wasserstands-, Schneestands- und Regenmessungen. 

Dem Wasserbau im engeren Sinne ist in dem Jubiläums- 
werke ein breiter Raum gewidmet. Im Interesse der Schiffahrt und 
zur Verhütung von Ueberschwemmungen sind nach einer sehr inter- 
essanten, tabellarischen Zusammenstellung (Schrey) während der letzten 
50 Jabre rund 150 Mill. fl. verwendet worden; davon kommen auf 
Niederösterreich 57,6, auf Böhmen 25,3, auf Tirol 24,4, auf Galizien 
11,7 Mill. f. u. s. w. Die größten Regulierungsarbeiten betreffen die 
Donau (57,6 Mill. Di, Etsch (12 Ma), Moldau und Elbe (14,6 Mill.) 
Narenta (7,3 Mill.), Weichsel (4,4 Mill.) u. s. w. Wer sich für diese 
Arbeiten interessiert, findet reichlichen Aufschluß in einer Reihe von 
Monographien der wichtigsten österreichischen Flüsse 
(Weber Ritter von Ebenhof, Franz, Herbst, Florian, 
Pesta, Blum); doch müssen hier einige Vorbehalte gemacht werden. 
Zunächst sind leider nicht alle wichtigen Flüsse behandelt; es fehlen 
insbesondere gerade solche, deren Regulierung speciell für die Land- 
wirtschaft die allergrößte Bedeutung besitzt, wie z. B. der Rhein, die 
March u. a w. Ferner darf man bei der Lektüre dieser Artikel nicht 
vergessen, daß in Oesterreich von den zahlreichen wichtigen Aufgaben 
auf dem Gebiete der Flußregulierung bisher erst der kleinste Teil er- 
füllt ist. Noch entbehrt Oesterreich der so dringend notwendigen 
Wasserstraßen (s. o.), noch fordern Ueberschwemmungen fast alljährlich 
zahlreiche Opfer an Menschenleben, noch verheeren Wasserkatastrophen 
weite Landstrecken, noch könnten ganze weite Gegenden durch Fluß- 
regulierungen entwässert, entsumpft und dadurch für die Kultur ge- 
wonnen werden. 

Mit den vorstehenden Bemerkungen haben wir uns schon den Fragen 
des landwirtschaftlichen Meliorationswesens (Friedrich) 
zugewendet. Hier sind im Laufe der letzten Decennien manche Fort- 
schritte, wenn auch nicht in allen Kronländern, zu verzeichnen. Be- 
sonders fördernd auf die Meliorationsthätigkeit hat in manchen Ländern 
die Organisierung eines kulturtechnischeu Dienstes gewirkt, der die 
Landwirte zu Bodenverbesserungen anregt und die Durchführung 
derselben übernimmt. Doch stehen wir hier erst am Anfange einer 
Entwickelung, die übrigens länderweise sehr verschieden weit ge- 
diehen ist. 

Eine Reihe zum Teil ganz neuer in dem Werke enthaltener Zu- 
sammenstellungen über die bisherige Meliorationsthätigkeit in den ein- 
zelnen Kronländern enthält viel des Belehrenden. Aus ihnen ersieht 
man auch, wie verschwindend gering dasjenige ist, was bisher geleistet 
worden ist, gegenüber dem, was noch zu leisten wäre. So sind in 
Niederösterreich von 250000 ha drainagebedürftiger Fläche nur etwa 
10000 ha oder 4 Proz. entwässert worden. In Böhmen bedürfen etwa 
830000 ha einer Bodenmelioration; seit 1884 werden aber im jährlichen 


400 Miszellen. 


Durchschnitte nur etwa 2300 ha, etwa !/, Proz., thatsächlich melioriert. 
Aehnlich ist es in den anderen Kronländern. Die Gemenglage des 
Grundbesitzes, die Schwierigkeit, sich — namentlich bei Verschuldung 
— das notwendige Baukapital zu verschaffen, die mangelhafte Organi- 
sation des kulturtechnischen Dienstes, Unbildung und Indolenz der 
Grundbesitzer sind die Ursachen für diese traurige Erscheinung. 

In einem speciellen Zweige der Bodenverbesserungen, nämlich in 
der Moorkultur (Koppens), hat in den letzten Jahren ein gewisser 
Fortschritt stattgefunden, der teils auf private Initiative zurückzuführen 
ist, teils auf die Subventionierung von Moorkulturstationen durch Staat 
und Land. 

In engem Zusammenhange mit der eigentlichen Landwirtschaft 
stehen die landwirtschaftlichen Industrien; teils deshalb, 
weil sie zumeist von den Landwirten selbst oder doch von landwirt- 
schaftlichen Genossenschaften betrieben werden, teils deshalb, weil sie 
die wichtigsten Abnehmer der landwirtschaftlichen Produkte sind. Hier- 
her werden insbesondere die Milchverarbeitung, Weinbereitung, Bier- 
brauerei, Spiritusbrennerei, Zuckererzeugung und Müllerei gerechnet. 

In der Milchwirtschaft (Winkler) folgt Oesterreich nur 
langsam und zögernd den technischen und ökonomischen Fortschritten, 
die in anderen Staaten rasch und allgemein Eingang finden. Das ist 
doppelt bedauerlich, weil weite Gegenden unseres Vaterlandes vor- 
wiegend auf die Gewinnung von Viehprodukten angewiesen sind. Am 
weitesten ist das Molkereiwesen seit jeher in Vorarlberg entwickelt, 
wo sich der nachbarliche Einfluß der Schweiz wohlthätig fühlbar macht. 
Dort erfolgt die Milchverarbeitung zumeist genossenschaftlich im großen 
unter Anwendung von rationellen Methoden und Maschinen, und die 
Molkereiprodukte werden hier auch auf gemeinsame Rechnung ver- 
wertet. Dagegen steht die Milchbearbeitung in den übrigen Alpen- 
ländern heute großenteils noch auf einer sehr niedrigen technischen 
Stufe, und zwar selbst dort, wo Molkereigenossenschaften bestehen, da 
diese nur selten für einen zweckmäligen Vertrieb sorgen. Milchcentri- 
fugen sind bei uns wenig verbreitet; und während Deutschland über 
2000, das kleine Dänemark über 1000 Molkereigenossenschaften besitzt, 
zählte man deren bei uns erst 350! 

Daß bei diesem niedrigen Stande der Technik die Errungenschaften 
der bakteriologischen Forschungen, insbesondere hinsichtlich der Be- 
freiung der Milch von schädlichen Mikroorganismen, nur wenig ver- 
wertet werden, versteht sich fast von selbst. 

Auch in der Weinbereitung und Weinverarbeitung 
(Mach) spielen die Bakteriologie und Chemie eine große Rolle. Sie 
haben die Erkenntnis von der richtigen Behandlung des Weines und 
der zweckmäligen Ausnützung der Weinrückstände ungemein gefördert. 
Auf sie ist auch der Aufschwung in der Erzeugung von Halb- und 
Kunstweinen zurückzuführen, die an chemischer Zusammensetzung, Ge- 
schmack und Aussehen den guten Naturweinen immer näher kommen, 
ihnen eine immer gefährlichere Konkurrenz machen, ja sie ganz zu ver- 
drängen drohen. Daß die so sehr ausgedehnten Verheerungen der 


Miszellen. 401 


Phylloxera von den Weinkonsumenten kaum gespürt werden, erklärt 
sich im wesentlichen daraus, daß jene neue Weinindustrie die Lücken 
in der Produktion ausgefüllt hat. In Oesterreich, wie anderwärts, 
erstreben die Weinbauer einen gesetzlichen Schutz gegen jene ihnen 
höchst unangenehme Konkurrenz, und sie schieben dabei zumeist das 
Interesse des Publikums in den Vordergrund. Dieses soll sicherlich 
gegen Fälschungen und Irreführungen geschützt werden; nicht aber ist 
es im allgemeinen Interesse gelegen, daß den Konsumenten der Bezug 
von Kunst- und Halbweinen erschwert oder gar unmöglich gemacht 
werde. 

In Oesterreich ist bis jetzt nicht viel zum Schutz der Kon- 
sumenten geschehen. Das Kunstweingesetz von 1880 ist fast ganz auf 
dem Papier geblieben; ob das Gesetz vom Jahre 1896 über den Ver- 
kehr mit Lebensmitteln mehr Erfolg haben wird, muß sich erst noch 
zeigen. Einiges darf man sich wohl von dem genossenschaftlichen Zu- 
sammenschluß der Weinproduzenten zum Zwecke der einheitlichen und 
rationellen Weinbehandlung und des gemeinsamen Absatzes versprechen. 
Nach deutschem Muster sind in Tirol während der 90er Jahre Ge- 
nossenschaften entstanden, die sich bei guter Leitung bewähren dürften. 
Eine ähnliche Bewegung macht sich auch in anderen Weinländern be- 
merkbar. 

Sehr bedeutend ist die technische Umwälzung in der Brau- 
industrie(Urban,Sonndorfer, Schreiner, Brauner) gewesen. 
Kurz vor dem Jahre 1848 stellte ein Oesterreicher zuerst einen verläß- 
lichen Saccharometer her. Seither wurde in immer steigendem Maße die 
menschliche Arbeitskraft durch mechanische Motoren und Maschinen 
ersetzt, die Produktion rationeller eingerichtet, peinliche Sauberkeit in 
den Betrieben durchgeführt. Gleichen Schritt mit den technischen 
hielten die wirtschaftlichen Verbesserungen. Mit der Sprengung der 
alten Zunftverfassung begann die Verdrängung der kleinen durch Groß- 
betriebe, ein Entwickelungsprozeß, der immer größere Dimensionen und 
ein immer rascheres Tempo annimmt. In den Jahren 1858—1895 hat 
sich die Anzahl der Braustätten um 46 Proz. vermindert. Während aber 
die Kleinbetriebe in der Zeit von 1880—1894 eine Abnahme um 32 Proz. 
aufweisen, haben sich die mittleren und großen Brauereien um 61 Proz. 
vermehrt. Im Jahre 1895 waren die Großbetriebe mit 63,8 Proz, die 
Mittelbetriebe mit 14 Proz., die Kleinbetriebe mit 22,2 Proz. an der 
Gesamtbierproduktion beteiligt. Die letztere ist vom Jahre 1850—1897 
von rund 5 Millionen auf rund 19 Millionen oder um 342 Proz. ge- 
stiegen. Die Bierausfuhr ist aber immer noch gering. Speciell die 
Entwickelung der Wiener Brauindustrie seit 50 Jahren ist eine un- 
geheuere gewesen. Im Jahre 1848 erzeugten in Wien 39 Brauereien 
672718 hl, im Jahre 1897 17 Brauereien 3,6 Mill. hl. 

Ebenso fällt die Entwickelung der für die ganze Volkswirtschaft 
Oesterreichs so wichtigen zwei Industriezweige, derSpiritusbrennerei 
(Kruis) und der Rübenzuckerfabrikation (Ritter von 
Proskowetz) fast ganz in die Zeit seit dem Jahre 1848. Ungeheure 
technische Vervollkommnungen sind in diesen Fabrikationszweigen 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). . 26 


402 Miszellen. 


eingeführt worden. Doch hat die üsterreichische Steuergesetzgebung in 
mehrfacher Hinsicht sehr nachteilig auf diese Produktionszweige gewirkt. 
Sie hat einerseits den technischen Fortschritt sehr verlangsamt, anderer- 
seits den Umfang der Produktion und den Gewinn der Produzenten 
auf Kosten der Konsumenten gesteigert. Im Jahre 1847 bestanden 
erst 70, im Jahre 1897 bereits 217 Zuckerfabriken. In der gleichen 
Zeit hat sich die Anbaufläche der Zuckerrüben von 4000 auf 350000 ha, 
die verarbeitete Rübenmenge von 1 auf 79 Millionen oder pro Fabrik 
von 14286 auf 362511 Metercentner gehoben. 

Neben der eigentlichen Landwirtschaft spielt in Oesterreich die 
Forstwirtschaft eine sehr große Rolle Sind doch im Staats- 
durchschnitte nicht weniger als 32,6 Proz. des Areales bewaldet! In 
den Alpenländern steigt das Bewaldungsprozent sogar auf 41,8 speciell 
in Steiermark auf 47,9 Proz. 

Die Entwickelung des forstlichen Betriebes und 
seiner Einrichtung (Ritter von Guttenberg) ist daher für 
Oesterreich von besonders großer Bedeutung. Gerade in dieser Be- 
ziehung aber ist die zweite Hälfte des 19. Jahrhundertes in Oesterreich 
eine Zeit großer Fortschritte. Um die Mitte des Jahrhunderts fehlten 
namentlich drei wichtige Bedingungen für eine günstige Fortentwickelung 
der Forstwirtschaft: die Schaffung einheitlicher forstrechtlicher Be- 
stimmungen, die Beseitigung der kulturhinderlichen Einforstungsrechte 
und die Förderung der Forstkultur durch Pflege des forstlichen Unter- 
richtes. Das Forstgesetz vom 3. Dezember 1852 wollte dem erst- 
genannten Bedürfnisse Rechnung tragen, dem zweiten die bereits oben 
besprochene Servitutenablösung und -regulierung. Daß das Forstgesetz 
sich sehr bald in mannigfacher Hinsicht als ungenügend, den Wald- 
devastationen zu steuern, erwiesen hat, sei hier ergänzend bemerkt. Die 
Servitutengesetzgebung hingegen war zwar, wie gezeigt worden ist, 
ungemein schädlich für die berechtigten Bauern (s. o. S. 379), hat aber 
sicherlich viel zur Erhaltung des Waldstandes beigetragen. 

Die Forstbenutzung (Hampel) hat in den letzten Jahr- 
zehnten mehrfache Veränderungen aufzuweisen. Hier ist insbesondere 
die steigende Verwertung der Baumrinde zu Gerbzwecken zu erwähnen, 
ferner die Zurückdrängung der Waldweide und der Waldstreuentnahme. 

Die Hebung des Forstkulturwesens (Hempel) und der 
Waldpflege (Reuss), die schon gegen Ende des 18. Jahrhunderts 
in Norddeutschland begonnen hatte, griff seit den Dier Jahren auch 
auf Oesterreich über. Hier boten die durch unpflegliche Bewirt- 
schaftung hervorgerufenen Waldverwüstungen reichliche Gelegenheit zur 
Einführung vou Kulturverbesserungen. In dieser Richtung wirkten 
namentlich: die Durchführung der staatlichen Forstaufsicht, die Aus- 
setzung von Preisen für erfolgreiche Aufforstung öder Hochgebirgs- 
flächen, die Thätigkeit der Forstvereine, das gute Beispiel vieler privater 
großer Forstwirtschaften sowie der Staatsforstverwaltung u. s. w. Daß 
gleichwohl die Verhältnisse der Forstkultur in vielen Ländern noch 
außerordentlich ungünstige sind — wie besonders in den Karstländern 
trotz der in Angriff genommenen Aufforstungen —, läßt sich leider nicht 


Miszellen. 403 


bezweifeln. Muß doch der Entwickelungsgang der Waldpflege selbst in dem 

Jubiläumswerke als „in seinen Grundzügen vielleicht etwas konservativ 
angehaucht“ bezeichnet werden. Gewiß hat die Waldpflege in den 
letzten Jahrzehnten vielfach große Fortschritte aufzuweisen, wie die 
Ersetzung des Plänter- durch den Femelschlagbetrieb, die Verstärkung 
der Durchforstungen, das rationellere Vorgehen in der Frage der Ent- 
wässerung des Waldbodens, die Beförderung des Lichtwuchsbetriebes, 
der Aufforstung u. s. w.; doch ist die Verbreitung dieser Verbesserungen 
noch bei weitem keine allgemeine. Leider sind darüber keinerlei 
statistische Angaben beigebracht; sie erst hätten ein exaktes Urteil 
über die Bedeutung der in Rede stehenden Entwickelung ermöglicht. 

Wesentliche Umgestaltungen erfuhr in der fraglichen Zeit das forst- 
lich e Transportwesen (J. Marchet). Der Ausbau des Eisenbahn- 
netzes, die Preissteigerung des Holzes, die Verbesserung seiner Qualität, 
die Vermehrung der Hochwasserkatastrophen und der Wildbachverhee- 
rungen haben nebst einer Reihe anderer Momente bewirkt, daß die Trift 
inmer mehr zurückgedrängt und durch den Landtransport ersetzt 
worden ist; ein Umwälzungsprozeß, der indessen zum Schaden der 
Landeskultur noch nicht überall erfolgt ist. Die höchste Ausbildung 
hat das Bringungswesen wohl in Galizien erfahren, wo infolge des 
Baues großer Eisenbahnlinien mit einem Schlage weite, bisher fast 
wberübrte Forstgebiete dem Weltverkehre erschlossen worden sind, 
welche die Anlage eines eigenen rationellen Waldeisenbahnnetzes er- 
möglichten. Vielfach aber, namentlich in den Alpen, findet die 
Brin æung der Waldprodukte auch gegenwärtig noch nach primitiven, 
mm Teil höchst kulturschädlichen Methoden statt. Wer sich für die 
Frage des Holztransportes interessiert, wird aus den 130 Seiten um- 
fssenden Detailschilderungen reiche Belehrung schöpfen. 

In engster Beziehung zur Entwickelung der Forstwirtschaft steht 
die Eöntwickelung der forstlichen Industrien. 

Speciell die Imprägnierung des Holzes (Schmook) hat 
erst im der Neuzeit größeren Umfang genommen, namentlich infolge 
des Eisenbahnbaues (Imprägnierung der Schwellen), aber auch zur 
Konservierung der Brücken-, Bau- und Grubenhölzer, der Telegraphen- 
stangen u. S. w. 

Dagegen ist die Holzverkohlung (Micklitz) ein uralter 
Erwerbszweig in vielen Waldrevieren, der gerade in den letzten Jahr- 
zehnten außerordentlich zurückgegangen ist. Die Holzkohle, früher bei 
der EBisenverhüttung unentbehrlich, ist gegenwärtig fast ganz durch 
Koaks ersetzt worden. Gleichzeitig hat aber die Verwertung auch 
minderwertiger Hölzer für Nutzzwecke rapid zugenommen; der größte 
Teil des Holzes, das früher verkohlt wurde, dient jetzt der Papier- 
fabrikation. 

Auch die Harzgewinnung (Stöger), früher vielfach die Haupt- 
nutzung der Forste, wird immer mehr zurückgedrängt, je mehr die 
Erkenntnis von den Gefahren der Harzgewinnung für die Holzzucht 

allgemeinere Verbreitung gewinnt. 

Die mechanische Bearbeitung des Holzes (Exner), die 

26* 


404 Miszellen. 


bekanntlich in Oesterreich auf einer hohen Stufe steht, hat gerade in 
den letzten Jahrzehnten eine bedeutsame Entwickelung durchgemacht. 
In diese Zeit fallen die Errichtungen der großen Dampfsägen, die Ver- 
wertung des Holzbiegens zur Möbelerzeugung, die Zündhölzchen- 
fabrikation, endlich die Verwendung des Holzes in der Papierindustrie, 
insbesondere als Cellulose. 

Die genannten Momente mußten naturgemäß einen bedeutsamen 
Einfluß auch auf den Handel und Verkehr mit Forstprodukten 
(Eissler) ausüben. Daß auch die Darstellung eines so nüchternen 
Erwerbszweiges, wie dieses, den Verfasser zu bombastischen Phrasen, 
ja zu Ausbrüchen der Leidenschaft Veranlassung geben könne, dürfte 
die meisten Leser etwas überraschen. 

Die Forstgesetzgebung (G. Marchet) ist in dem uns be- 
schäftigenden Zeitraume recht stationär geblieben. Im Jahre 1852 
wurde nämlich ein allgemeines Forstgesetz erlassen, das mit einem 
Dutzend älterer Waldordnungen aufgeräumt hat — schon deswegen 
stellt es einen formellen Fortschritt dar —, das aber auch heute 
noch, trotz wiederholter Reformversuche, im großen und ganzen unver- 
ändert in Kraft steht. Die Kritik des Forstgesetzes hat sich allerdings 
weniger gegen die ihm zu Grunde liegenden Prinzipien — Streben 
nach Walderhaltung, staatliche Beaufsichtigung, Beförsterung auch der 
Privatforste — gewendet als vielmehr gegen die mangelhafte Durch- 
führung der gesetzlichen Vorschriften, hervorgerufen teils durch die 
Geringfügigkeit der in dem Gesetze enthaltenen Strafsanktionen, teils 
durch die ungenügende Organisation des staatlichen Aufsichtsdienstes. 
Außerdem gab eine Anzahl von Lücken im Forstgesetze zu Klagen 
Anlaß. 

Diese Lücken wurden zum Teil durch das Wildbachverbauungs- 
gesetz, sowie durch einzelne Landesgesetze ausgefüllt. Unter den 
letzteren sind die Karstaufforstungsgesetze der 80er und 90er Jahre 
weitaus am wichtigsten, über deren qualitativen und quantitativen Erfolg 
das Jubiläumswerk leider keine eingehende Darstellung enthält. In 
Dalmatien, Kärnten, Salzburg, Schlesien und Tirol suchen ferner Landes- 
gesetze aus den 80er und 90er Jahren die allgemeine Forstkultur zu 
sichern, in Tirol, Istrien, Böhmen und der Bukowina bestehen Special- 
normen für die Bewirtschaftung der Gemeindewälder. Endlich hat ein 
Gesetz vom Jahre 1883 die Bereinigung des Waldlandes von fremden 
Enklaven und die Arrondierung der Waldgrenzen zu fördern gesucht. 

Die Organisation des Forstdienstes (Rossipal) hat in 
dem verflossenen halben Jahrhunderte sehr gewechselt. Man hat nach- 
einander und nebeneinander sehr verschiedene Systeme in Anwendung 
gebracht. Daß die Forstaufsicht gegenwärtig in einer wirklich wirk- 
samen, die Walderhaltung sichernden Weise organisiert sei, wird man 
ohne arge Uebertreibung nicht behaupten können. Besonders zahlreiche 
und verschiedenartige Experimente wurden in Tirol gemacht, ohne daß 
doch von einem befriedigenden Stande der Waldkultur Tirols oder auch 
nur von einer durchgreifenden Besserung gesprochen werden könnte. 

Relativ große Erfolge hat das staatliche Eingreifen auf dem Ge- 


Miszellen. 405 


biete der Wildbachverbauungen (Wang) aufzuweisen. Die 

verheerenden Hochwasserkatastrophen des Jahres 1882 waren die Ver- 
anlassung zu den beiden Gesetzen des Jahres 1884 betreffend die 
Förderung der Landeskultur auf dem Gebiete des Wasserbaues und 
betreffend die Vorkehrungen zur unschädlichen Ableitung der Gebirgs- 
wässer. Das erste schuf durch die Errichtung des seither ständig 
vergrößerten Meliorationsfonds die finanzielle Grundlage für bedeutendere 
Wasserbauten und damit auch für die Wildbachverbauungen, das zweite 
bildet für die letzteren Maßregeln die rechtliche Basis. Zugleich ward 
in der forsttechnischen Abteilung für Wildbachverbauung ein Organ zur 
Durchführung dieser Arbeiten ins Leben gerufen. Ueberdies haben 
sowohl die im Jahre 1883 inaugurierte Gewässerregulierung in Tirol 
als auch die Drauregulierung in Kärnten, sowie einige andere grüßere 
FluußkKorrektionen eine Reihe von Wildbachverbauungen mit sich ge- 
bracht. Die meisten Wildbachverbauungen wurden durch Konkurrenz- 
beiträge des Staates, des Kronlandes, zum Teil auch der Interessenten 
fnan ziert. Der Gesamtaufwand bis 1898 betrug 51/, Mill. #., mit 
deren Hilfe (in runden Zahlen)-30 000 Querbauten, 150 km Längsbauten, 
90 km Cunetten, 100 km Entwässerungsanlagen, 1085 km Verpflach- 
tungen, 114 km Bachumlegungen und Korrektionen, 1800 km Auf- 
frrstungen und 400 ha Berasungen ausgeführt worden sind. Diese 
Arbeiten werden in qualitativer Beziehung von fachmännischer Seite 
shr günstig beurteilt. 

Dagegen fehlt dem in Rede stehenden Artikel jeder Maßstab zur 
Beurteilung des quantitativen Erfolges. Dazu müßte man die Gesamt- 
zahl der zu bändigenden Wildbäche kennen, was leider nicht der Fall 
ist. Doch mag als ein Anhaltspunkt hierfür mitgeteilt werden, daß bis 
mm Jahre 1894 technische Vorerhebungen für mehr als 800 gefähr- 
liche Wildbäche gemacht worden sind, während nur bei 197 von ihnen 
Verbauungen in Angriff genommen worden waren. 

Auch dem forstlichen Vereinswesen (Dimitz) kann eine ge- 
wisse Einflußnahme auf die Forstgesetzgebung in die Forstkultur nicht 
abgesprochen werden, weshalb ihm ein eigener Abschnitt des Werkes 
gewid met ist. 

Viel ist im Laufe der letzten Jahrzehnte auf dem Gebiete des 
land - und forstwirtschaftlicben Unterrichts (v. Zimmer- 
auer ) geschehen. Bestanden doch um die Mitte des vorigen Jahr- 
hunderts in Oesterreich nur zwei Institute mit höheren Lehrzielen: die 
land wirtschaftliche Lehranstalt in Ungarisch-Altenburg und die Forst- 
lehranstalt in Mariabrunn. Gegenwärtig besitzen wir ein fachliches 
Unterrichtssystem mit drei Stufen. Die oberste Spitze dieser Organi- 
sation wird durch die im Jahre 1872 errichtete Hochschule für Boden- 
kultur gebildet, die allmählich weiter ausgestaltet worden ist. Außer- 
dem wurden an den technischen Hochschulen Lehrkanzeln und Dozen- 
turen für Landwirtschaftslehre und — in Prag — für kulturtechnische 

Kurse aktiviert. Seit den 70er Jahren sind ferner 3 höhere landwirt- 
schaftliche Lehranstalten, 9 landwirtschaftliche Mittelschulen, 3 höhere 
Forstlehranstalten, 1 önologische und pomologische Mittelschule, 1 höhere 


406 Miszellen. 


Gartenbauschule und 141 niedere landwirtschaftliche Schulen — 40 Acker- 
bauschulen, 57 landwirtschaftliche Winterschulen, 13 Molkerei- und Haus- 
haltungsschulen u. s. w. — errichtet worden. Man darf dem Autor 
beipflichten, wenn er sagt, daß dieses Resultat im Vergleich mit dem 
Stande anno 1848 ein mächtiger Fortschritt ist. Vergleicht man in- 
dessen das Ergebnis der 5O-jährigen Bestrebungen mit dem Ziele, das 
erreicht worden sollte, und das darin bestehen muß, den Landwirten 
das zu einem rationellen Betrieb erforderliche Minimum an Kenntnissen 
und an Bildung zu vermitteln, dann erkennt man, daß das bisher Ge- 
leistete gegenüber dem zu Leistenden verschwindend wenig ist. Beträgt 
doch die Zahl der in den niederen landwirtschaftlichen Schulen einge- 
schriebenen Schüler noch nicht 3000, also einen gar nicht nennens- 
werten Bruchteil der bäuerlichen Jugend Oesterreichs! Man bedenke, 
daß Oesterreich etwa 2 Mill. selbständiger Landwirte besitzt! Von dem 
Nachwuchs an Landwirten genießt nur ein gar nicht in Betracht 
kommender Teil auch nur den Unterricht in einem 5—6 Monate 
dauernden Unterrichtskurse (Winterschule). So ist thatsächlich die ganze 
Bildung, die dem Gros unseren künftigen Landwirte zugeführt wird, auf 
die spärlichen allgemeinen Kenntnisse beschränkt, welche den Kindern 
während ihres 6—8-jährigen Besuches der Volksschulen, die überdies 
zumeist nur aus einigen wenigen Klassen bestehen, beigebracht werden. 
Wabrlich, eine durchaus ungenügende Ausrüstung für den wirtschaft- 
lichen Kampf, der sich auch in der Landwirtschaft fortwährend er- 
neuert und gerade in unseren Tagen besonders schwer und heftig ge- 
worden ist. 

Daß auch durch den in neuerer Zeit in Angriff genommenen land- 
wirtschaftlichen Wanderunterricht, sowie durch fachliche Specialkurse 
dem in Rede stehenden Mangel auch nicht einigermaßen abgeholfen 
werden kann, ist selbstverständlich. 

Aehnliches, wie vom landwirtschaftlichen Unterrichtswesen, wäre 
auch vom land- und forstwirtschaftlichen Versuchswesen 
(Meissl und J. Friedrich) zu sagen. Auch diesbezüglich ist alles, 
was bisher erreicht worden ist, in den letzten 50 Jahren geleistet 
worden. Wie wenig das aber ist, mag man es mit der Größe des 
Bedürfnisse, mag man es mit den Leistungen anderer Länder ver- 
gleichen, ersieht man auch hier aus der im Jubiläumswerke enthaltenen 
Schilderung nicht. 

Nach Ueberblicken über die Statistik der Bodenkultur 
(J.R. Lorenz Ritter von Liburnau) und über die land- und forst- 
wirtschaftliche Litteratur (Krafft, Macalik, Jentys, 
Bolle, Povše, von Zotti und Dimitz) werden die Verhältnisse 
der land- und forstwirtschaftlichen Beamten (Pohl) und 
die öffentliche Fürsorge für Dienstboten, Gesinde und 
ländliche Arbeiter (Lukä$) besprochen. 

Die Stellung der Güterbeamten mußte sich naturgemäß in Folge 
der Beseitigung des Patrimonialverhältnisses wesentlich verändern, ohne 
daß doch die Civilrechtsgesetzgebung dieser Entwickelung entsprechend 
Rechnung getragen hat. 


Miszellen. 407 


Noch bedeutender ist die Umwälzung hinsichtlich der Stellung der 

landwirtschaftlichen Arbeiter gewesen. Plötzlich ist an die Stelle des 
ehemaligen Herrschafts- und Dienstverhältnisses der rechtlich freie 
Arbeitsvertrag zwischen zwei formell gleichberechtigten Faktoren ge- 
treten; die Zwangsdienste sind weggefallen, gleichzeitig aber auch der 
ökonomische Rückhalt, den der Unterthan an seiner Obrigkeit besessen 
hatte. Erst damit entsteht der moderne Landarbeiter, und mit ihm 
entwickelt sich seit dem Jahre 1848 die heutige Landarbeiterfrage. 
Gleichwohl fehlt aber dem Jubiläumswerke eine auch nur halbwegs 
entsprechende Behandlung dieser sowohl vom allgemeinen sozialen 
als auch speciell vom agrarpolitischen Standpunkt aus hochwich- 
tigen Frage. Ist doch nicht einmal der Versuch unternommen, die 
mannigfaltigen Formen, welche das ländliche Arbeitsverhältnis ‚in Oester- 
reich aufweist, zu charakterisieren, geschweige denn, die lokalen Ver- 
schiedenheiten und die zeitliche Entwickelung dieser Formen aufzu- 
Kären. Ueber die gerade in Oesterreich so schwerwiegende Frage der 
Wanderarbeiter, über das Problem der Seßhaftmachung der Landarbeiter, 
über die Thatsache des Zuges der Landbevölkerung nach der Stadt und 
über deren Ursachen, über den Grad, die Verbreitung, die Folgen der 
„Leutenot“ findet man in diesem Abschnitte auch nicht ein Wort. Die 
Darstellung der Dienstbotenordnungen ist nicht nur mangelhaft, sondern 
geradezu irreführend ; die neueren, wahrhaft drakonischen Landesgesetze 
über das Gesindeverhältnis (z. B. in Steiermark), durch welche die 
land wirtschaftlichen Dienstboten fast der schrankenlosen Willkür ihrer 
„Herrschaft“ preisgegeben werden, sind nicht einmal erwähnt! Während 
thtsächlich die landwirtschaftlichen Dienstboten bei Eintritt von Krank- 
heit oder Invalidität in 99 Fällen von 100 jedes Versorgungsanspruches 
etbehren und der immer noch mit einem sozialen Makel behafteten 
Armenpflege anheimfallen, versteigt sich der Autor auf Grund ganz ver- 
enzelter humanitärer Einrichtungen zu der Behauptung, „daß in dieser 
Richtung von einem Bedürfnisse, das nicht befriedigt wäre, in vielen 
Fällen nicht gesprochen werden kann.“ Die Unfall- und Kranken- 
versicherung der landwirtschaftlichen Arbeiter erklärt er, wenn auch 
mit vielen Umschweifen, für undurchführbar, die Frage eines länd- 
lichen Arbeiterschutzes scheint ihm offenbar nicht einmal erwähnenswert 
n sein. 

Thatsächlich ist eben auf dem Gebiete der Landarbeiterfrage seit 
der Gr-undentlastung nicht nur kein Fortschritt, sondern geradezu ein 
Rückschritt zu verzeichnen. Denn ein solcher ist — auch wenn wir von 
den bereits gestreiften Verschlechterungen des Gesinderechtes in einzelnen 
Kronländern absehen — schon dadurch gegeben, daß die alten Gesinde- 
ordnungen aus der vormärzlichen Zeit zumeist auch heute noch in 
Geltung stehen, daß ferner der Staat, der sowohl zu Gunsten der Land- 
wirte als auch zu Gunsten der industriellen Arbeiter zu einschneidenden 
wirtschaftspolitischen Maßregeln geschritten ist, die Landarbeiter bisher 
konsequent ignoriert, sie gänzlich ihrem Schicksale überlassen hat, das 
sich um so trauriger gestalten mußte, als von Selbsthilfe, von der Aus- 

nutzung der Koalitionsfreiheit, von einer Organisierung bei ihnen nicht 


408 Miszellen. 


die Rede sein konnte. Ebensowenig ist man bisher in Oesterreich dem 
Problem der inneren Kolonisation, der Arbeitsvermittelung, der Alters- 
und Invaliditätsversicherung für Landarbeiter auch nur näher getreten. 

In engem Zusammenhange mit der eigentlichen Land- und Forst- 
wirtschaft stehen Jagd, Vogelschutz und Fischerei. 

Speciell die Jagd (Dimitz) besitzt einen zwieschlächtigen Cha- 
rakter. Sie muß einerseits als ein der Landwirtschaft und der Viehzucht 
koordinierter Produktionszweig angesehen werden, der vom Standpunkte 
der Produktionspolitik staatliche Förderung verdient. Andererseits kann 
die Vorbedingung des Jagdbetriebes, nämlich die Hegung eines starken 
Wildstandes, vielfach nur auf Kosten und zum Schaden der land- und 
forstwirtschaftlichen Kulturen verwirklicht werden. Aufgabe der Ge- 
setzgebung ist es da offenbar, zwischen den widerstreitenden Interessen 
der Jagd und des Landbaues zu vermitteln. Dabei wird man aber 
fordern müssen, daß auf den letzteren Produktionszweig als den öko- 
nomisch weitaus wichtigeren in erster Linie Rücksicht genommen werde. 

Da die vorliegende Darstellung ganz ausschließlich vom Stand- 
punkte bloß der Jagd aus geschrieben ist, gelangt der Verfasser natur- 
gemäß zu einem äußerst günstigen Urteil über die Entwickelung seit 
dem Jahre 1848. Sicherlich ist es richtig, daß der Uebergang von der 
patrimonialen zur liberalen Gesellschaftsordnung „sich in einer Weise 
vollzog, welche der Jagd im allgemeinen keinen nennenswerten Abbruch 
thun, sie vielmehr in mancherlei Beziehung nur fördern konnte“, daß 
das Recht der politischen Behörden, im Interesse der Bodenkultur den 
Abschuß des überhegten Wildes anzuordnen „wohl nur von unter- 
geordneter Bedeutung“ ist, daß die Wildschongesetze „eine entschieden 
günstige Wirkung auf die Entwickelung des Wildstandes geübt“ haben. 
In der That haben die großen Eigenjagdgebiete, was hier ergänzend 
mitgeteilt sei, in den letzten Jahrzehnten sowohl an Zahl als auch an 
Umfang außerordentlich zugenommen, zugleich zeigt sich ein enormes 
Anwachsen des Wildstandes, das in der rapiden Vermehrung des all- 
jährlich erlegten Wildes seinen Ausdruck findet; nach den im Jubiläums- 
werke angeführten Ziffern betrug der jährliche Durchschnitt der Wild- 
fällungen in den Jahren 1892—1896 gegen die Jahre 1874—1882: 
beim nützlichen Harwild (insbesondere Rotwild, Rehwild und Hasen) 
1586477 gegen 986 553 Stück (+ 59 Proz.) beim nützlichen Federwild 
(insbesondere Rebhühner, Wachteln und Fasanen) 1439361 gegen 
1017471 (+ 41 Proz.) 

Unter diesen Umständen kann in der That „heute der österrei- 
chische Waidmann mit Befriedigung auf die letzten 50 Jahre zurück- 
blicken“, und haben wir in Oesterreich keine Veranlassung, „in die 
Klage über den Verfall des edlen Waidwerkes einzustimmen“. 

Ebenso sicher ist es aber auch, daß die Landwirtschaft jene 
Befriedigung durchaus nicht teilt, daß zahlreiche Klagen über den 
Verfall der Landwirtschaft erhoben werden, und daß dabei vielfach, 
insbesondere in den Alpenländern, gerade die Wildhegung und der 
zunehmende Jagdsport als eine der Ursachen des Verfalles angegeben 
werden. Und dies nicht ohne eine gewisse Berechtigung. Die Gesetz- 


Miszellen. 409 


gebung bat seit dem Jahre 1849 auf dem uns beschäftigenden Gebiete 
konsequent die Interessen der Landeskultur ignoriert, die Jagd und 
die Wildhegung auf Kosten der Landwirtschaft übermäßig begünstigt 
und beinahe planmäßig darauf hingearbeitet, die Ausübung des Waid- 
werkes der ländlichen Bevölkerung zu entziehen, um sie dem hohen 
Adel und dem reichen Bürgertume zu reservieren. Es ist jetzt nicht 
nur die Ausübung des Jagdrechtes, das doch rechtlich als ein Ausfluß 
des Grundeigentumes gilt, den Kleingrundbesitzern verwehrt und der Ge- 
meinde zugesprochen, sondern es haben die Grundbesitzer resp. die 
Gemeinde nach und nach auch jeden Einfluß auf den Jagdbetrieb und 
auf die Höhe des Wildstandes in ihrem Territorium verloren. Zu- 
nächst büßten die Gemeinden das Recht ein, den Wildabschuß in 
eigener Regie durch angestellte Jäger vorzunehmen, sie wurden ge- 
zwungen, nicht nur die Jagd zu verpachten, sondern auch, dies im 
Licitationswege an den Meistbietenden zu thun. Dann wurden die 
Jagdpachtgebiete vergrößert, die Pachtdauer verlängert, die Ver- 
pachtung den Gemeinden abgenommen und den politischen Behörden 
übertragen, überdies wurden einseitige Vorpachtrechte zu Gunsten von 
angrenzenden Eigenjagdberechtigten statuiert. Durch diese Maßregeln 
sowie durch die Einführung von Jagdkarten, für die alljährlich eine 
Taxe zu zahlen ist, ist die bäuerliche Bevölkerung immer mehr von 
der Ausübung der Jagd ausgeschlossen; die Verpachtung der Gemeinde- 
jagden erfolgt in steigendem Maße an große Jagdherren, denen natur- 
gemäß die möglichste Vermehrung des Wildstandes am Herzen liegt. 
Auf diese Vermehrung wurde aber auch durch direkte gesetzliche 
Vorschriften zum Schutze des Wildes, insbesondere durch die Einführung 
von Schonzeiten, hingewirkt. Da gleichzeitig sich aber auch diejenige 
Bodenfläche vermindert hat, auf der das Wild, ohne den Kulturen 
Schaden zufügen zu müssen, die erforderliche Nahrung finden kann, so 
geschieht die Wildhegung immer mehr auf Kosten der landwirt- 
schaftlichen und forstwirtschaftlichen Kulturen, ein volkswirtschaftlicher 
Uebelstand, der dadurch auch ein privatwirtschaftlicher Schaden für 
die Grundbesitzer wird, daß die Gesetzgebung mit Erfolg bestrebt war, 
die Ersatzansprüche der Landwirte wegen Wildschäden an immer 
schwerere Bedingungen zu knüpfen, ja sie in immer zahlreicheren Fällen 
ganz auszuschließen. 

Auf diese Weise wurde im Laufe des letzten halben Jahrhunderts 
das Verhältnis zwischen Jagd und Landwirtschaft konstant zum 
Nachteile der letzteren verschoben. Ueber die Wirkungen dieser über- 
mäßigen Begünstigung der Jagd und Wildhege sind die Meinungen 
allerdings geteilt. Die Bildung riesiger Jagdreviere in vielen Teilen 
der Alpen- und Sudetenländer, die starke Ueberhegung des Wildes, 
die Verdrängung des Viehes aus den Wäldern und Alpen, die Auf- 
forstung ausgedehnter Waidegebiete für Jagdzwecke, der Rückgang der 
Viehzucht, das Verschwinden des Bauernstandes, die Verarmung und 
Auswanderung der Bevölkerung infolge dieser Entwickelung — das 
sind die Momente, welche als Folgen der rechtlichen Begünstigung 
und des faktischen Ueberhandnehmens der Jagd von den Bauern- 


410 Miszellen. 


freunden behauptet, von den Jagdfreunden bestritten. Leider ist es 
nicht möglich, diese Kontroverse mit Hilfe von exakten Zahlen zu 
entscheiden. Thatsachen, welche von der einen Seite als Symptome für 
die behauptete Entwickelungstendenz angeführt werden, werden von der 
anderen Seite für vereinzelte Ausnahmen erklärt. Das Jubiläumswerk 
vermeidet es nicht nur, zu dieser hochwichtigen Frage Stellung zu 
nehmen, sondern sogar, ihrer auch nur Erwähnung zu thun! 

Gereicht der Wildschutz der Landwirtschaft überwiegend zum 
Nachteile, so wird der Vogelschutz(L. Lorenz Ritter von Libur- 
nau) gerade im Interesse der Landwirtschaft gefordert. Die dies- 
bezüglichen Landesgesetze, zumeist aus dem Jahre 1870 stammend, 
haben indessen leider keinen großen Erfolg gehabt. Es ist insbesondere 
bisher nicht gelungen, durch interuationale Abmachungen ein gleich- 
mäßiges Vorgehen aller Kulturstaaten zu erzielen und namentlich auch 
den Zugvögeln im Süden den erforderlichen Schutz zu verschaffen. 

Eine gewisse Analogie zur Jagd bietet die Fischerei (Ritter 
von Gerl) Doch nähren sich die Fische im Gegensatze zum Wild, 
durchaus von Stoffen, welche auf andere, rationellere Art nicht ver- 
wertet werden können. 

Dennoch kollidiert auch die Fischzucht mit anderen Erwerbszweigen, 
indem die Verwendung der Wasserläufe für Zwecke der Industrie und 
des Handels die Lebens- und Fortpflanzungsbedingungen der Fische 
großenteils aufhebt. Der so rege Schiffsverkehr stört die Ruhe des Wassers 
und seiner Bewohner; Flußregulierungen und Wildbachverbauungen, 
Stauwerke und sonstige Querbauten berauben die Fische ihres bis- 
herigen Aufenthaltes, machen es ihnen, wenn nicht besondere Vor- 
kehrungen getroffen sind, unmöglich, ihre gewohnten, im Oberlaufe der 
Gewässer gelegenen Laichstätten aufzusuchen; Fabriken und andere 
Wasserbetriebe verunreinigen das Wasser und töten dadurch teils die 
Fische selbst, teils diejenigen Tiere, welche deren natürliche Nahrung 
bilden. Außerdem kann, wie die Wildpflege, so auch die Fischzucht auf 
kleinen Strecken rationell nicht durchgeführt werden, so daß hier wie 
dort die Zusammenlegung kleiner Reviere zu größeren erforderlich wird. 
Während also, wie wir gesehen haben, in der österreichischen Gesetz- 
gebung die Interessen der Jagd über die der Landwirtschaft durchaus 
den Sieg davongetragen haben, hat die Fischerei gegenüber dem Handel 
und der Industrie auf allen Punkten den Kürzeren gezogen; eine Er- 
scheinung, die nicht auf Gründe volkswirtschaftlicher Zweckmäligkeit 
zurückzuführen, sondern lediglich daraus zu erklären ist, daß die sozial 
stärkeren Klassen in dem einen Falle auf der Seite der Jagd stehen, 
im anderen Falle dagegen die Fischerei als ein Hindernis empfinden. 

So ist denn im Laufe des 19. Jahrhunderts in Oesterreich so gut 
wie nichts zur Beförderung der Fischzucht geschehen; nur in einzelnen 
Kronländern hat man die Bildung größerer Fischereivereine angeordnet; 
nirgends besteht die Verpflichtung, die Abfallwässer zu reinigen, Durch- 
lässe durch die Regulierungsdämme, Fischpässe neben die Einbauten und 
Wehren, Fischgruben bei den Wehrkanälen anzubringen. Es befindet 
sich daher auch die Fischzucht in Osterreich in einem geradezu kläg- 


Miszellen. 41 


lichen Zustande, die reichsten Fischwässer verarmen immer mehr, von 
einer rationellen Wasserwirtschaft ist keine Rede. 

Blicken wir zurück auf die Ergebnisse der Untersuchung. Auch 
in Oesterreich ist, wie wir gesehen haben, seit dem Jahre 1848 teils 
von der Gesetzgebung und der Verwaltung, teils von der Wissenschaft 
und der Praxis viel geschehen, um die Landwirtschaft und ihren 
Betrieb zu fördern, sie rationeller und lukrativer zu gestalten. Zu- 
gleich haben wir aber auch erkannt, daß fast in jeder Hinsicht die 
Entwickelung sehr viel zu wünschen übrig läßt, daß das bisher Ge- 
leistete hinter den zu erfüllenden Aufgaben weit zurückbleibt, daß es 
großenteils wie an zweckmäligen Gesetzen, wie an planvoll eingreifender 
Verwaltung, so auch an genügender allgemeiner und technisch-öko- 
nomischer Bildung fehlt, um die Landwirtschaft Oesterreichs auf die- 
jenige Stufe zu bringen, die ihr dank der natürlichen Bodenverhältnisse 
erreichbar wäre. 

Daraus ergiebt sich aber auch für die eingangs aufgeworfenen 
Fragen zum mindesten das eine Resultat, daß man die liberale Agrar- 
verfassung gewiß nicht als „die“ Ursache der auf landwirtschaftlichem 
Gebiete vorhandenen Uebelstände bezeichnen darf. Wäre gleichzeitig 
für eine bauernfreundliche Ordnung der Servitutsverhältnisse gesorgt 
worden, für eine rationelle legislatorische Behandlung der agrarischen 
Gemeinschaften, für allgemeine Zusammenlegung der Grundstücke, für 
möglichste Erleichterung der Meliorationsthätigkeit, für wirksame Be- 
kämpfung der Tier- und Pflanzenschädlinge, für Zurückdrängung des 
schädlichen Wildstandes, für Hebung des allgemeinen und des speciell 
beruflichen, technisch-ökonomischen Bildungsniveaus der Bevölkerung; 
wären ferner die Ergebnisse der Landwirtschaftswissenschaft, die Fort- 
schritte der landwirtschaftlichen Betriebslehre, der Agrikulturchemie, 
der Züchtigungslehre u. s. w., wären die Verbesserungen der Hilfsmittel 
des Landwirtschaftsbetriebes, der Geräte, Maschinen, Düngemittel 
u. s. w. der landwirtschaftlichen Bevölkerung allgemein zugänglich 
gemacht worden, und hätten sie bei ihr auch allgemeinen Eingang ge- 
funden ; wäre weiter durch Arbeitsvermittelung, Arbeiterschutz, Unfall-, 
Kranken-, Alters- und Invaliditätsversicherung der Landarbeiter, durch 
innere Kolonisation, durch Annäherung der Kultur des flachen Landes 
an die Kultur der Städte u. s. w., die ländliche Arbeiterfrage einer 
Lösung näher gebracht worden; wäre endlich durch den Ausbau von 
Wasserstraßen, durch Regelung der Marktverhältnisse, durch Beseitigung 
der schlechten Wirkungen des börsenmäßigen Blankoterminspieles, durch 
Organisation des Getreidehandels, durch Schaffung eines Systemes von 
Lagerhäusern der Absatz der Bodenprodukte rationeller gestaltet worden 
und ließe sieh trotz der Erfüllung all dieser Bedingungen eine Notlage der 
Landwirte konstatieren, dann blieben wohl nur die liberale Agrarver- 
fassung und die auswärtige Konkurrenz als mögliche Ursachen für diese 
Notlage übrig. Da aber, wie sich ergeben hat, all die genannten Bedin- 
gungen nicht erfüllt sind, da zum Teile geradezu ihr Gegenteil verwirk- 
licht wurde, so ist, wenigstens für Oesterreich, der Beweis dafür nicht 


412 Miszellen. 


erbracht, daß die Einführung des liberalen Agrarrechtes der Landwirt 
wirtschaft von Schaden gewesen sei, geschweige denn, daß sie die vor- 
handenen Uebelstände hauptsächlich oder gar ausschließlich verschuldet 
habe. Freilich lehrt andererseits auch gerade die Geschichte der öster- 
reichischen Landwirtschaft, daß — sei es wegen, sei es trotz des Sieges 
des Prinzipes der rechtlichen Freiheit — das erhoffte goldene Zeitalter 
nicht eingetreten ist, daß die Agrarfrage, die man für immer gelöst zu 
haben glaubte, wenige Jahrzehnte später in anderer Gestalt wieder auf- 
getaucht ist. Da liegt doch wohl der Gedanke nahe, daß die Be- 
deutung des Agrarrechtes von Freund und Feind überschätzt wurde 
und auch heute noch vielfach überschätzt wird, daß dagegen auf die 
anderen oben genannten, von der Agrarverfassung nicht direkt abhän- 
gigen Faktoren ein größeres Gewicht zu legen wäre, als jetzt zumeist 
geschieht. 


Litteratur. 413 


Nachdruck verboten. 


Litteratur. 


III. 


Dr. Franz Oppenheimer, Die Siedelungsgenossenschaft, 
Versuch einer Lösung der sozialen Frage durch positive 
Ueberwindung des Kommunismus, 


Derselbe, Grossgrundeigentum und soziale Frage. 
Leizig 1896. Berlin 1898. 


Besprochen von Arthur Dix. 


Es gehört zum Wesen der sozialistischen Utopie, daß sie bei der 
Untersuchung der „sozialen Frage“ einen einzelnen Stein aus dem Fun- 
dament des Gesellschaftsbaues ins Auge falt, diesen einen Stein des 
Anstoßes voll und ganz dafür verantwortlich macht, daß der ganze Bau 
ihr nicht gefällt, und mit natürlicher Konsequenz diesen Stein aus dem 
Fundament herausbrechen will, in dem Wahn, das ganze Gebäude 
werde mit der gewaltsamen Entfernung dieses einen Steines in einheit- 
licher Form und strahlender, makelloser Schönheit dastehen. 

Nun dürfte es sich aber eher ereignen, daß der ganze Bau ob dieses 
Eingriffes in das Fundament zusammenstürzt, und daß sich statt des 
erträumten Palastes ein jämmerlicher Trümmerhaufen findet. Diese Er- 
wägung stört indessen die Utopisten nicht; sie sehen ein Ziel, sie sehen 
auch einen Weg, und nun wandern sie munter los, ohne zu merken, 
daß der Weg nach einer ganz anderen Richtung als nach dem ersehnten 
Ziele führt. 

Während die einen den Feind einer gesunden Wirtschaft und 
sozialen Organisation lediglich im mobilen Kapital sehen, richten die 
anderen ihre Aufmerksamkeit nur auf das immobile Kapital und er- 
klären alle Nachtseiten der modernen Wirtschaft aus dem Großgrund- 
eigentum, aus dessen Beseitigung alles Heil kommen müsse. 

Einen interessanten Beleg für die Entstehung derartiger Utopien 
liefern zwei Bücher von Dr. Franz Oppenheimer: „Die Siedelungs- 
genossenschaft, — Versuch einer Lösung der sozialen Frage, durch 
positive Ueberwindung des Kommunismus“ (Leipzig, Duncker und 


414 Litteratur. 


Humblot) — und „Großgrundeigentum und soziale Frage — Versuch 
einer neuen Grundlegung der Gesellschaftswissenschaft“ (Berlin, Vita). 
Wenn man aus dem ersten Werke den ursprünglichsten, realen Kern 
herausschält, so bleibt im wesentlichen nichts übrig, als eine Betrachtung 
der Vorzüge des landwirtschaftlichen Kleinbetriebes gegenüber den Nach- 
teilen des Großgrundbesitzes und eine entschiedene Stellungnahme für 
ausgedehnte innere Kolonisation. Bis zu diesem Punkte können wir 
ganz getrost mitgehen und dem sehr anregend geschriebenen Werke 
alle Anerkennung zollen. Was darüber ist, das ist vom Uebel — und 
es ist sehr viel „darüber“, nämlich der Versuch, diese nicht gerade 
neuen Betrachtungen ins Grenzenlose zu verallgemeinern, eine ganze 
Reihe grundlegender wirtschaftlicher Gesetze daraus zu folgern, die 
ganze soziale Frage lediglich durch die Beseitigung des Großgrund- 
besitzes zu lösen, diese Beseitigung eventuell durch gewaltsamen Um- 
sturz zu vollziehen und dergleichen zweifelhafte Dinge mehr. 

Trotz alledem stehe ich nicht an, zuzugeben, daß ich das flott 
geschriebene Buch mit großem Interesse gelesen und manche Anregung 
daraus geschöpft habe. Nun aber kommt der Verfasser soeben mit 
einem zweiten Buche von erweiterten Umfange, und hier verschwindet 
jener reale Kern vollkommen und die Utopie allein tritt die Herr- 
schaft an. Erde, Höll’ und Himmel werden beschworen, behilflich 
zu sein bei dem Beweise, daß das Großgrundeigentum und nichts als 
das Großgrundeigentum die Schuld trägt an der Existenz der „sozialen 
Frage“, daß das Großgrundeigentum ein „Fremdkörper“ in der modernen 
Wirtschaft ist, ein auszurottendes Ueberbleibsel aus barbarischen 
Zeiten, daß mit der Ausrottung des Grofgrundeigentums die ganze 
soziale Frage restlos gelöst sein wird, daß endlich aber auch im Notfalle 
eine Revolution zur Vollziehung dieses Aktes nur berechtigt und will- 
kommen wäre. 

Hier haben wir also ein deutliches Bild von Werden und Ent- 
stehen der Utopie: Ausgehend von ganz realen Erwägungen und von 
Maßnahmen der praktischen Politik eine maßlose Ueberschätzung der 
einen einmal ins Auge gefaßten Thatsache, und eine Erklärung aller 
wirtschaftlichen Erscheinungen aus dieser einen; ein eisern konsequentes 
Fortschreiten auf diesem Wege, das nicht nur zu den radikalsten 
Forderungen für die Zukunft führt, sondern: auch zu einer angeblich 
vollständigen Erklärung der ganzen Vergangenheit auf einem völlig 
neuen Boden, von diesem einen Gesichtspunkte aus. Die Konsequenz für 
die Zukunft hatte Oppenheimer schon in dem ersten Buche gezogen, 
der neuen Erklärung der Geschichte und Grundlegung der Gesellschafts- 
wissenschaft überhaupt ist das zweite gewidmet. 

Ehe ich auf diese Theorien näher eingehe, muß ich bemerken, daß 
eine Diskussion mit Herrn Dr. Oppenheimer leider zweck- und aus- 
sichtslos scheint, da er sich redlich bemüht, dem Kritiker — obwohl 
er ihn zur Kritik aufruft — überall das Wort abzuschneiden — ein 
wenig loyales Verfahren. Schon im Vorwort wirft er gegen alle bevor- 
stehenden Kritiken ein, daß selbst „grobe Mißverständnisse“, die man 
ihm in seiner Beurteilung der Wirtschaftsgeschichte im einzelnen vor- 


Litteratur. 415 


werfen könne, „nur die Bedeutung von Druckfehlern haben“. Das ist 
denn doch eine gar zu milde Selbstkritik; denn wenn eine neue Er- 
klärung der Wirtschaftsgeschichte sich vielleicht auf eine Reihe grober 
Mißverständnisse in den Einzelheiten stützt, so dürfte leicht der Schluß 
gezogen werden, daß bei Richtigstellung dieser Mißverständnisse jene 
gesuchte Erklärung unhaltbar wird. 

Sodann verschanzt sich Herr Dr. Oppenheimer hinter der That- 
sache, daß eine völlig exakte Kleinarbeit bei einem Werke, das „ein 
ganzes Hauptgebiet menschlichen Wissens“ zusammenfaßt, unmöglich 
ist; man dürfe ihm „also auch keinen Vorwurf daraus machen“, daß 
seine Litteraturkenntnis „keine sehr breite ist“. Nun wird man gewiß 
nicht eine genaue Kenntnis aller für die Kleinarbeit in Betracht 
kommenden Werke verlangen, wohl aber die Beachtung der für die 
Hauptarbeit wesentlichen Werke — und da dürften wir auf 
manche schwer ins Gewicht fallende Unterlassungsünde stoßen. 

Nicht unerwähnt möchte ich es ferner lassen, daß Oppenheimer den 
Kritikern häufig dadurch das Wort abzuschneiden sucht, daß er ver- 
sichert, nichts als Binsenweisheiten auszusprechen oder streng mathe- 
matische Beweise zu geben, an denen überhaupt kein auf Vernunft 
Anspruch machender Mensch zweifeln dürfe. Ich erlaube mir indessen, 
jene Binsenweisheiten und mathematischen Beweise prinzipiell anzu- 
zweifeln, ja, in einem wirtschaftlichen Buche sogar — so paradox es 
klingt — die absolute und überall anwendbare Wahrheit des Satzes 
2X2 = 4 entschieden — cum grano salis — in Abrede zu stellen. 
Oder wollte Herr Oppenheimer die Ansicht verteidigen, daß die von 
einem Arbeiter bei 20-stündiger Arbeitszeit an einem Tage geleistete 
Arbeit qualitativ und quantitativ gleich der in 2 je 10-stündigen Arbeits- 
tagen gelieferten wäre ? 

Um gleich die grundsätzlichen Einwände zu erledigen, sei noch 
darauf hingewiesen, daß der Verfasser fortgesetzt mit allem Nachdruck 
und wahrer Eifersucht konstatiert, daß er dieses und jenes Gesetz neu 
entdeckt, daß er diesen oder jenen Beweis zum ersten Male geführt habe, 
während ihm dieser Ruhm in der That, so weit es sich um den wirklich 
brauchbaren Kern der Gesetze und nicht um ihre einseitige Uebertreibung 
handelt, häufig streitig gemacht werden muß. Sehr störend ist ferner der 
ganz übermäßig ausgedehnte Vergleich der wirtschaftlichen und sozialen 
Organisation mit dem menschlichen Organismus, und so entschieden 
Oppenheimer den früher von anderer Seite erhobenen Vorwurf der über- 
mäßigen Häufung medizinischer Vergleiche zurückweist, können wir 
diesem Vorwurf doch nur völlig beistimmen, zumal Oppenheimer sich oft 
verleiten läßt, aus diesen oft stark hinkenden Vergleichen Schlüsse zu 
ziehen, mit denen er dann operiert, wie mit mathematischen Beweisen. 
Und endlich muß es gemißbilligt werden, daß Oppenheimer besonders 
im zweiten Kapitel gar zu häufig seine Beweise mit Hilfe von allerlei 
Sätzen führt, die ihren Beweis selbst erst an ganz anderer Stelle finden 
sollen, so daß die Richtigkeit der früheren Beweise erst sehr viel später- 
zu prüfen ist; so bleibt ein großes Fragezeichen nach dem anderen 
stehen, und der geduldige Leser muß sich ein langes Taschenspiel mit 
paradoxen, unbewiesenen Behauptungen gefallen lassen. 


416 Litteratur. 


Das alles sind Dinge, die dem Autor den „Beweis“ seiner großen 
Konstruktion wesentlich erleichtern und dem Kritiker den Gegenbeweis 
ebenso erschweren, im übrigen aber diese ganze Kette künstlicher Kon- 
struktionen zu keinem wirklichen Beweis zu machen, die Schwächen und 
Fehler des ganzen Aufbaues nur zu umhüllen, aber nicht zu beseitigen 
vermögen — Potemkinsche Dörfer, die dem Leser aus der Ferne ge- 
zeigt werden. — 

Nach diesen Einwänden gegen die Art der Beweisführung, durch 
die Dr. Oppenheimer seine große Konstruktion in dem Werke: ,Grof- 
grundeigentum und soziale Frage“ zu stützen sucht, können wir das 
Gebäude selbst etwas näher betrachten. 

Die erste Grundlage der Lehre Oppenheimer’s bildet das „Gesetz 
der Strömungen“: Die Menschen strömen vom Orte höheren 
wirtschaftlichen Druckes zum Orte geringeren Druckes 
auf der Linie des geringsten Widerstandes. Dieses Gesetz ist im 
Grunde zweifellos richtig, im übrigen aber keineswegs eine Ent- 
deckung Oppenheimer’s, den ich nur auf die entsprechenden Darlegungen 
Ratzel’s aufmerksam machen möchte. Nun muß das Gesetz immerhin 
mit einiger Vorsicht angewandt werden und nicht in jener maßlosen 
Ausdehnung, die Oppenheimer für erlaubt hält. Diese unbeschränkte 
Anwendung des Gesetzes setzt nicht nur eine rechtliche, sondern auch 
wirtschaftlich absolut unbegrenzte Freizügigkeit voraus; sie setzt voraus, 
daß ein schlesischer Grubenarbeiter von heute morgen, wenn die Löhne 
auch nur um ein geringes sinken, ohne weiteres eine Farm in Süd- 
amerika bewirtschaften kann. Aber selbst wenn wir alle praktisch- 
wirtschaftlichen und die wahrlich nicht unberücksichtigt zu lassenden 
psychologischen Bedenken beiseite setzen — was folgt dann fur unsere 
Wirtschaft? Oppenheimer erblickt in den Gebieten des Großgrundbesitzes 
einen Ort höchsten wirtschaftlichen Druckes; folglich findet aus jenen 
Gebieten eine starke Abwanderung statt; da wir nun die Freizügigkeit 
haben, ist nach Oppenheimer’s Strömungsgesetz kein Grund ein- 
zusehen, warum nicht schlechtweg alle Arbeiter aus diesem Hochdruck- 
gebiete abstrômen; die abströmenden werden faktisch im Gegenteil ersetzt 
durch einen Zustrom aus dem Nachbarlande; also ist in den Gebieten 
des ostelbischen Großgrundbesitzes der höchste Druck noch nicht 
erreicht — dieser muß vielmehr jenseits der Grenze liegen — also 
kann keine Revolution in Deutschland ihn abschaffen und das volle 
Gleichgewicht herstellen. Gerade wenn in Deutschland der wirt- 
schaftliche Druck durchweg stark vermindert würde, müßte nach dem 
von Oppenheimer völlig verallgemeinerten Gesetze aus den ausländischen 
Hochdruckgebieten eine wahre Völkerwanderung nach Deutschland 
stattfinden. 

Anderseits steht es mit den Thatsachen keineswegs in Ueberein- 
stimmung, wenn Oppenheimer schlechthin das Großgrundeigentum als 
Urheber des Abströmens darstellen will; seine Behauptung, daß die 
Abwanderung proportional der Ausdehnung des Großgrundeigentums 
wäre, ist zwar für „Ostelbien“ vielfach zutreffend, deshalb aber nicht 
einfach als gemeingiltiges Gesetz zu formulieren. Ich erinnere beispiels- 


Litteratur. 417 


weise nur an die kolossale Landflucht, die um 1848 in den kleinbäuer- 
lichen Gebieten Württembergs herrschte und dort ganze Dörfer ergriff, 
mit dem Großgrundeigentum aber gar nichts zu thun hatte. 

Kurz, die beiden Strömungsgesetze Oppenheimer’s sind nicht in der 
von ihm benutzten Weise zu verallgemeinern, und mit ihrer Ein- 
schränkung fällt eine der wichtigsten Stützen seines ganzen Gebäudes. 

Nun zu der historischen Konstruktion. Bei dem geschichtlichen 
Aufbau folgt Oppenheimer dem alten Schema: Jäger, Nomaden, Acker- 
bauer, und erklärt das Großgrundeigentum als „letzte und überlebende 
Schöpfung eines der Tauschwirtschaft fremden, von ihr überall sonst 
überwundenen Rechtes, des Nomadenrechtes“, als Fremdkörper 
im Reiche der reinen Tauschwirtschaft und des Tauschrechtes. Als 
Zeugen für seine Auffassung der älteren wirtschaftsgeschichtlichen 
Entwickelung führt er unter anderen besonders die Professoren Bücher 
und Meitzen ins Treffen; da muß ich denn allerdings bemerken, 
daß gerade diese beiden Gelehrten durchaus nicht mehr für die 
Formulierungen Oppenheimer’s zu haben sind, daß sie vielmehr mit 
vollen Segeln in das Fahrwasser der neuen und offenbar höchst 
beachtenswerten Theorie E. Hahn’s gesteuert, und die alte Stufen- 
folge „Jäger, Nomaden, Ackerbauer“ fallen gelassen haben. Die Kon- 
struktion Oppenheimer’s läßt sich aber höchstens bei ganz strengem 
Festhalten an dem alten Schema aufrecht erhalten, während Hahn und 
die große Zahl der Gelehrten, die seine Theorie angenommen haben, 
voran gerade Bücher und Meitzen, die Entstehung des Pflanzenbaues in 
die frühesten Zeiten zurückverlegen und der Jagd- und Nomaden- 
wirtschaft keine selbständige Bedeutung als notwendige Entwickelungs- 
Stadien mehr zuerkennen. Auch das „Nomadenrecht“ rückt damit in 
eine ganz andere Beleuchtung. 

Wir können aber auch von dieser neueren Theorie völlig absehen, 
und behalten gleichwohl die schwersten Bedenken gegen die Kon- 
struktion Oppenheimer’s, die im wesentlichen folgenden Inhalt hat: Mit 
der Nomadenwirtschaft beginnt die Sklavenwirtschaft und die Vermögens- 
verschiedenheit. Zunächst erhält der Kriegshäuptling für seine hervor- 
ragenden Leistungen einen Anteil an der Beute, sowohl an Vieh wie 
an Sklaven. Bei der Ausbildung des Ackerbaues müssen die Besitzer 
zahlreicher Sklaven bei der Ackerteilung genug Land erhalten, um die 
Sklaven zu ernähren — so folgt aus der Verschiedenheit der Besitzer 
an Vieh und Sklaven die Entstehung des Großgrundeigentums. Während 
in der freien Tauschwirtschaft nach dem Gesetze der Strömungen 
überall wirtschaftliches Gleichgewicht herrschen müßte, ist dieses 
Gleichgewicht durch das Großgrundeigentum gestört. Das Großgrund- 
eigentum läßt dem, der den Boden bebaut, nicht den vollen Ertrag 
zukommen, sondern gewährt ihm nur eine bestimmte „Komfortbreite“. 
Der wirtschaftliche Druck treibt die Landarbeiter in die Städte. Dort 
vermehrt das Ueberangebot an Arbeitskräften den Druck, so daß auch 
hier das Einkommen nicht über die vom Großgrundeigentümer „kon- 
zessionierte Komfortbreite“ steigen kann. Das Großgrundeigentum 
verschuldet also das niedrige Einkommen in Stadt und Land, läßt 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). € 27 


418 Litteratur. 


eine Steigerung nicht zu und hat die ganze soziale Frage allein auf 
dem Gewissen. 

Nun ist mit der allgemeinen Redensart vom Großgrundeigentum 
als Fremdkörper im modernen Tauschrecht wenig anzufangen — man 
könnte den Satz nach Belieben umdrehen. Wer die wirtschaftliche 
Entwickelung als eine natürliche Einheit betrachtet, wird überhaupt 
kaum von einem „Fremdkörper“ sprechen dürfen. Im übrigen scheint 
mir auch die Darstellung der Entstehung des Großgrundeigentums 
schief; die Ableitung aus der Nomaden- und Sklavenwirtschaft halte 
ich nicht für zwingend; es genügt zur Erklärung meines Erachtens 
vollständig, wenn man sich vergegenwärtigt, daß ein Stamm, dem der 
eigene Boden nicht mehr genügende Früchte liefert, zu Beginn des 
Frühjahres auszieht, Neuland zu gewinnen. Wenn es ihm gelingt, in 
den Besitz eines anderen Stammes einzufallen nnd diesen zu unterwerfen, 
so ist es jedenfalls das Nächstliegende, daß er jene Bauern getrost auf 
ihrer Scholle sitzen und den Boden bearbeiten läßt und sich von ihren 
Abgaben nährt. Weder ist es „Nomadenrecht“, daß das Stammeshaupt 
für seine Leistungen den größten Anteil an dem unterworfenen Lande 
erhält, noch ist es notwendig, daß es sich bei dem ganzen Prozeß um 
eine eigentliche Sklavenwirtschaft handelt — in der That ist es durch 
nichts gerechtfertigt, daß Oppenheimer die hörigen Bauern in Deutsch- 
land durchweg in allen beiden Werken mit den römischen Sklaven 
identifiziert, wie er auch diesen ganz anders gearteten deutschen land- 
wirtschaftlichen Kleinbetrieb im Rahmen des Großgrundeigentums mit 
Unrecht auf genau dieselbe Stufe stellt, wie den Großbetrieb der 
römischen Latifundienwirtschaft. Um Oppenheimer wieder auf eine nicht 
zu übersehende Quelle zu verweisen, nenne ich nur Sohm. 

Allen Einwänden gegenüber aber wird Oppenheimer auf dem Stand- 
punkte verharren, daß der Entstehung des Grundbesitzes die Sklaven- 
wirtschaft vorausgehen müsse, da nach seiner Ansicht der Boden nur 
für die Sklavenbesitzer Wert hat, der eben eine Reihe von Sklaven 
ernähren muß. Sonst gilt der Boden ihm in der alten Wirtschaft — 
und wie es scheint, auch heute noch — als etwas durchaus Wertloses, 
da bei jeder Steigerung der Nachfrage nach Nahrungsmitteln neuer 
Boden in die Wirtschaft hineingezogen werden kann. Er operiert viel 
mit einer Erweiterung von Thünen’s isoliertem Staat, die aus der Ab- 
straktion gewonnenen Schlüsse immer unbedenklich auf die konkreten 
Wirtschaftsverhältnisse übertragend. Hier liegt überhaupt der Grund- 
fehler der ganzen Konstruktion; Oppenheimer meint: Wäre das ver- 
derbliche Großgrundeigentum nicht als Folge des barbarischen Nomaden- 
rechtes entstanden, so hätte nicht nur der Boden keinen Wert — es 
wäre überhaupt keine wesentliche Vermögensverschiedenheit möglich, 
da nach dem Gesetz der Strömungen der wirtschaftliche Druck sich 
immer und überall ausgleichen müßte. Man sieht, bis zu welcher 
Konsequenz Oppenheimer das Gesetz durchführen zu können meint. 
Im Glase Wasser tritt freilich nach jeder Strömung alsbald volles 
Gleichgewicht ein — die Menschheit ist aber denn doch von anderem, 
spröderem Stoff, und die Menschen gleichen sich wirklich nicht wie 


Litteratur. 419 


Wassertropfen — zum mindesten dürfte die Verschiedenheiten der Rassen 
nicht aus der Rechnung gestrichen werden. Der Fehler Oppen- 
heimer’s, mit dem sein ganzes Gebäude rettungslos zu- 
sammenstürzt, ist, daß er seine Gesetze und Konstruk- 
tionen, die, soweit überhaupt, nur Giltigkeit haben, 
entweder für den absolut ,isolierten Staat“ der Theorie, 
oder aber für die ganze Oekumene in ihrer Gesamtheit, 
für die erträumte einheitliche, gleiche Menschheit — 
daß er diese Gesetze auf einen einzelnen, aber durchaus 
nicht isolierten Staat, auf Deutschland anwenden will. 

Die „konzessionierte Komfortbreite“ diktiert nicht der Großgrund- 
eigentümer, sondern der Weltmarkt. Das Großgrundeigentum, von dem 
die Lage des deutschen Landarbeiters und Bauern abhängig ist, 
erstreckt sich nicht nur über Deutschland, sondern über Rußland, 
Argentinien etc, und der eigentliche Großgrundeigentümer ist 
weniger der deutsche Grundbesitzer, als der Großkapitalist. Was 
hat beipielsweise das ausgedehnte Großgrundeigentum, das in den 
bäuerlichen Gebieten des Westens in den Händen der Großindnstriellen 
und Großkapitalisten — unter Beibehaltung des Kleinbetriebes — im 
Entstehen begriffen ist, mit dem Nomadenrecht zu thun? 

Wenn es überhaupt noch notwendig ist, die Theorie von der Wert- 
losigkeit des Bodens besonders zurückzuweisen, so genügt es wohl, 
darauf hinzuweisen, welche Summe von Arbeit in einem urbar gemachten 
Stück Bodens steckt, welche Summe von Arbeit die Urbarmachung eines 
neuen Stückes erfordert. Und der Eroberer, der Vornehme, Adlige, ist 
auf den Erwerb eines über das ursprüngiiche Maß hinausgehenden 
Stückes nicht deshalb angewiesen, weil er darauf viele Sklaven ernähren 
will, sondern weil viele auf dem betreffenden Boden sitzenden Bauern 
ihn ernähren müssen; er bedarf eines so weiten Gebietes, daß die be- 
treffenden Bauern zusammen von ihrem Ertrage das zu einem Unter- 
halt Nötige abgeben können, während er nicht den Boden bebaut, 
sondern an der Beherrschung und Sicherung des Landes teilnimmt, 
Gericht hält, Krieg führt etc. Einem berufmäßigen Politiker braucht 
man es doch wirklich nicht erst zu sagen, daß es eben von Anbeginn 
der Kultur zu allen Zeiten Menschen geben mußte, die nicht auf ihrer 
Hände Arbeit angewiesen waren! — 

Es ist kaum nötig, auf weitere Einzelheiten des Werkes einzu- 
gehen. Nur ein wesentlicher Punkt muß noch berührt werden. Dr. 
Oppenheimer glaubt nämlich seine theoretischen Darlegungen durch eine 
vollständig mit denselben übereinstimmenden Beleg aus der Geschichte 
stützen zu können. Er weist darauf hin, daß vom 10.—14. Jahrhundert 
ein ganz außerordentlicher wirtschaftlicher Aufschwung stattgefunden 
habe, und sucht darzuthun, daß dieser seine Ursache lediglich darin 
habe, daß das Großgrundeigentum praktisch „latent“ geworden, die Zu- 
wachsrente verschwunden wäre. 

Nichts erklärt sich einfacher und natürlicher, als jene Zeit des 
Aufschwunges durch die ungemein ausgedehnte Kolonisation, und 


27* 


420 Litteratur. 


nichts ist für diese Erklärung gleichgiltiger als die Existenz oder Nicht- 
existenz des Großgrundeigentums. 

Daß die Völker Raum gewannen für neue, ausgedehnteste Koloni- 
sation, das ist die Ursache des damaligen allgemeinen Aufschwunges, 
der übrigens doch auch wieder den Keim der späteren ungünstigeren 
Entwickelung in sich trug. Am kürzesten können wir jene Periode mit 
den Worten Lamprecht’s charakterisieren, um einen Mann zu nennen, 
dessen Werke Oppenheimer selbst oft genug für sich in Anspruch 
nehmen zu dürfen glaubt. Die „Wandlungen in Deutschland vom 14. 
zum 16. Jahrhundert“ sind von Lamprecht in Kürze im ersten Heft 
der Zeitschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte dargestellt; dort 
finden wir auch die beiden Gründe des großen Aufschwunges: 

„Bis etwa zur Mitte des 14. Jahrhunderts verbrauchten die ge- 
schichtlichen Nationen Europas den größten Teil ihrer wirtschaftlichen 
Arbeitskraft in der Kolonisation ihrer Länder“, und „vor allem 
tritt Deutschland jetzt zum ersten Male in wahrhafte Welthandels- 


beziehungen.“ 
Dieser Großhandel aber führt notwendig zur Bildung des Groß- 
kapitals — das mit all seinen schädlichen Einflüssen, also gerade in 


einer Zeit entsteht, in welcher der Einfluß des Großgrundeigentums 
„latent“ war. Lamprecht zeigt dann, „in wie vollkommener Weise 
sich der kapitalistische Großhandel des 15. und 16. Jahrhunderts in 
Gegensatz gestellt hatte zu den sozialistischen Idealen der städtischen 
Wirtschaft des 13. und 14. Jahrhunderts. Wo war hier die Rede von 
dem Gedanken, jeder Bürger solle womöglich gleiche Nahrung mit seinen 
Mitbürgern haben? Das individualistische Wesen des Kapitals als 
Unternehmerfonds hatte völlig gesiegt über die ältere Auffassung 
städtischen Wirtschaftslebens“. Und während auf der einen Seite das 
Großkapital die Herrschaft antrat, mußte auf der anderen Seite die 
Kolonisation ihre natürliche Grenze finden. „Vier Generationen waren 
verflossen, seitdem der deutsche Osten kolonisiert worden war im Aus- 
zug aller jener überschüssigen Kräfte des Mutterlandes, die daheim eine 
sichere Stätte nicht mehr gefunden hatten. Jetzt gab es für solche 
Kräfte keinerlei Aussicht mehr, Sie blieben im Lande, sie drückten es.“ 

Die äußere nnd innere Kolonisation, die Raum schafft für die über- 
schüssigen Kräfte, führt naturgemäß stets einen Aufschwung herbei. 
Diese Kolonisation kann aber nicht zu jeder Zeit und nicht ins Grenzen- 
lose beliebig fortgehen, sie kann nicht immer Schritt halten mit dem 
Anwachsen der Bevölkerung. Diese großen Stockungen dürften auch 
durch die von Oppenheimer in seinem ersten Werke vorgeschlagenen 
Siedelungsgenossenschaften kaum beseitigt werden; Oppenheimer plant 
auf genossenschaftlichem Wege eine Besiedelung des ganzen deutschen 
Bodens mit Millionen von Parzellenbesitzern und übersieht völlig, daß 
einerseits die dazu erforderlichen Millionen tüchtiger Ackerwirte nicht 
von heute auf morgen zu beschaffen sind, und daß anderseits nach 
der Aufteilung des gesamten Bodens in die größtmögliche Zahl kleiner 
Parzellen (mit genossenschaftlich zusammengefaßtem Betriebe) die Stockung 
in noch viel ärgerem Male eintreten müßte, da eine weitere Teilung 


Litteratur. 421 


unter die überzähligen Kinder dann nicht mehr angängig wäre. — 
Wenn wir die praktische Folgerung aus den Betrachtungen ziehen, so 
so kommen wir zwar beide zu einem ähnlichen Schluße, aber doch 
auf sehr verschiedener Grundlage. Dr. Oppenheimer fordert die Be- 
seitigung des Großgrundeigentums als eines aus dem Normadenrecht 
überkommenen Fremdkörpers; notwendig verbunden ist damit eine 
rapide innere Kolonisation. Wir fordern eine ausgedehnte innere 
Kolonisation — notwendig verbunden mit einer Beschränkung 
des Großgrundbesitzes. Aber während wir anerkennen, daß die innere 
Kolonisation plan- und maßvoll betrieben werden muß und daß eine 
derartig tiefgreifende wirtschaftliche Umformung geraume Zeit bean- 
spucht, möchte Dr. Oppenheimer von heute auf morgen den gehaßten 
„Fremdkörper“ beseitigt sehen. Da eine so schnelle und völlige Um- 
wälzung aber weder durch die bisherige Methode noch auch durch die 
von Oppenheimer erfundene Siedelungsgenossenschaft zu bewerkstelligen 
sein dürfte, bleibt nichts übrig als die letzte Konsequenz, die Oppen- 
heimer ja auch unbedenklich zieht: Eine Revolution gegen den Groß- 
grundbesitz. Nur daß die einınal entfesselte Revolution nicht bei dem 
Großgrundbesitz stehen bleiben dürfte, daß sie auch dem eigentlichen 
Großgrundeigentümer, dem Großkapital, und ebenso der Großindustrie 
zu Leibe gehen — — — und daß nachher das Großgrundeigentum eine 
fröhliche Auferstehung feiern dürfte! Vergleiche die kapitalistischen 
Folgen der französischen Revolution. 

Auch das neueste Werk Dr. Oppenheimer’s darf man demnach 
füglich zu der großen Zahl jener — übrigens oft sehr anregenden und 
bis zu einer gewisssen Grenze recht wertvollen — Werke legen, die 
die „soziale Frage“ als eine, mit einem Schlage zu beseitigenden 
Einheit durch irgend ein Universalmittel lösen wollen; auch die ge- 
waltsame Beseitigung des Großgrundeigentums wird diese soziale Frage 
nicht lösen, während wir wohl annehmen dürfen, daß eine ausge- 
dehnte innere Kolonisation wesentlich zur Hebung der sozialen Ver- 
hältnisse beitragen wird. 


499 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands 
und des Auslandes. 


1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle 
theoretische Untersuchungen. 

Keutgen, F., Urkunden zur Städtischen Verfassungsgeschichte. 
Berlin (E. Felber) 1899. 80. (1. Hälfte: XXXVII u. 224 SS.) M. 3,60. 
Auch unter dem Titel: Ausgewählte Urkunden zur Deutschen Verfas- 
sungsgeschichte, von G. v. Below u. F. Keutgen. Bd. 1. 

Seitdem Gengler’s groß angelegter Codex iuris municipalis in seinen 
Anfängen stecken geblieben war, hat sich das Bedürfnis nach einer 
ähnlichen, wenn auch bescheideneren und handlicheren Publikation von 
Urkunden, die den Entwickelungsgang der städtischen Verfassungs- 
geschichte nach ihren verschiedenen wesentlichen Seiten zu beleuchten 
imstande wäre, in einem, entsprechend der intensiven Beschäftigung mit 
der Erforschung des städtischen Wesens, immer steigenderen Maße 
geltend gemacht. Wir bedürften eines konzentrierten Extraktes aus 
den zerstreuten Lokalpublikationen zu praktischen Zwecken eben so 
sehr wie zu wissenschaftlichen. Die inzwischen bereits in 2 Auflagen 
erschienene Sammlung „ausgewählter Urkunden zur Erläuterung der 
Verfassungsgeschichte Deutschlands im Mittelalter“ von Altmann und 
Bernheim hat, so verdienstvoll sie an sich war, selbst die nächstliegen- 
den praktischen Bedürfnisse für historische Uebungen und als Bei- 
spielsammlung für verfassungsgeschichtliche Vorlesungen nur teilweise 
befriedigt. Wissenschaftlichen Ansprüchen genügt sie gar nicht. Um- 
gekehrt bietet eine territorial begrenzte Sammlung wie die von E. v. Schwind 
und A. Dopsch zur Verfassungsgeschichte der deutsch-österreichischen 
Erblande den Ansprüchen des Geschichtsunterrichts zu viel, und für 
wissenschaftliche Untersuchungen macht sie dennoch die Benutzung 
anderer Quellenwerke nötig. 

Da ist es denn mit Freuden zu begrüßen, daß zwei unserer tüchtigsten 
Verfassungshistoriker es unternommen haben, eine Sammlung von 
historischen Zeugnissen (mit Ausschluß der erzählenden Quellen) über die 
Verfassung der Städte, der Territorien und des Reiches zu schaffen, die 
imstande ist, eben so sehr speciell pädagogischen wie allgemein wissen- 
schaftlichen Wünschen zu genügen: zunächst allerdings pädagogisch- 
praktischen. 

Von dieser geplanten Sammlung liegt nun bis jetzt ein halber Band 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 493 


Städteurkunden vor, die F. Keutgen bearbeitet hat. Leider nur ein 
halber Band, der mitten in einem Botze abbricht. Welche Gründe für 
eine solche Publikationsweise bestimmend waren, entzieht sich unserer 
Kenntnis. Es will uns aber dünken, daß mit einem Bruchstück praktisch 
zunächst noch nichts anzufangen ist und daß die wissenschaftliche Be- 
urteilung und Verwendung eines solchen Werkes namentlich durch das 
Fehlen eines Registers sehr erschwert wird. Die Vorreden sind bereits 
vor fast 2 Jahren, im April 1899, geschrieben ; hoffentlich bleibt das Buch, 
und damit die Sammlung kein Torso: es wäre sehr schade darum. 

Was Keutgen bisher in 166 Nummern bietet, sind zunächst. 124 
Urkunden über den Ursprung der Stadtverfassung, sodann 42 Stadt- 
rechte nach geographisch und damit zum Teil genetisch zusammen- 
gehörigen Gruppen, beides bedauerlicherweise mit Ausschluß sowohl des 
niederländischen Städtewesens, wie des nordöstlichen Kolonisations- 
gebietes. Dem Ursprung der Stadtverfassung gehen nach die Ab- 
teilungen Stadtgericht (Uebertragung der Gerichtsbarkeit auf einen 
geistlichen Stadtherrn, Stadtgericht und Immunitäten, Gerichtsstand der 
Bürger, Gerichtsordnungen); Befreiung von hofrechtlichen und ver- 
wandten Abgaben; die Stadt als Burg; Markt und Kaufleute (Aus- 
bildung des Marktrechts, Kaufleute und Handel); Niederlassungsver- 
hältnisse (Leihe nach Stadtrecht, Gründungen); der Kampf um das 
Selbstbestimmungsrecht (Bündnisse mit einem Thronbewerber, der Rat, 
das Ungeld, andere Maßregeln des Reiches gegen die Städte, der 
Rheinische Bund). 

Es ist, wie man schon diesem Ueberblick entnehmen wird, eine 
außerordentlich' reichhaltige Sammlung mit im ganzön einwandfreier 
und durchsichtiger Gruppierung; und auch die Auswahl der Stücke 
im einzelnen dürfte zweckmäßig sein: darüber wird sich erst aus 
der praktischen Erfahrung ein sicheres Urteil fällen lassen. Die Schwierig- 
keit bei einer solchen sachlichen Anordnung liegt ja immer darin, daß 
eine und dieselbe Urkunde bald hier bald dort Material bieten wird, 
und daß es doch unmöglich ist, sie in ihre kleinsten Atome nach inhalt- 
lich scharf gesonderten Kategorien aufzulösen. Gerade darum aber 
müssen wir ein peinlich genaues Register und ein noch etwas genaueres 
Inhaltsverzeichnis als das vorliegende haben. Wer sich z. B. über das 
Weichbild orientieren will, findet unter der Rubrik „Befreiung von 
hofrechtlichen und verwandten Abgaben“ als letzte No. 25 a. b.: 
„Bremen: Weichbildrecht. 1186. 1206“ und dann wieder unter der 
Rubrik „Gründungen“ als vorletzte No. 106: „Reichsurteil über die An- 
lage von Weichbilden 1242“. Weiß er nicht schon vorher, daß das 
"Wort „wicbilede* zum ersten Mal in der Leipziger Stadtgründungs- 
urkunde (1156—70) No. 102 vorkommt, so wird er aus dem Inhalts- 
verzeichnis nicht erfahren, daß diese Urkunde und der ganze Abschnitt 
„Niederlassungsverhältnisse“ überhaupt nur das Wort enthält. Ebenso 
steht es mit dem Terminus ,Burgrecht“. Uebrigens mag die abusive 
Verbindung „Weichbildrecht“, die neuerdings wieder R. Schroeder in 
seinem bedeutsamen Aufsatz „Weichbild“ (Festgabe der Heidelberger 
Juristenfakultät für E. J. Bekker. Berlin 1899 S. 97—107) als pleo- 


424 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


nastisch kennzeichnet, in einem darstellenden Werke gestattet sein: 


im Register (No. 25, 94, 97, 105) sollte sie keine Stätte haben, wenn 
nicht auch die Urkunde das Wort enthält. 

Den Urkunden liegen die besten bisher erschienenen Drucke zu 
Grunde, doch hat Keutgen eigenartige und in der Konsonantenbehand- 
lung über Weizsäcker hinausgehende Editionsgrundsätze zur Anwendung 
gebracht, über die er sich in sehr beachtenswerten Vorbemerkungen 
ausspricht. Für die Zwecke seines Buches hat er zweifellos das Richtige 
damit getroffen, doch betont er mit sorgsam abwägender Unbefangen- 
heit, daß im übrigen stets Art und Zweck der einzelnen Ausgabe bei 
diesen Fragen entscheidend mitzureden haben. Vom Ulmer Stadtrecht 
(No. 156) besitzen wir jetzt in dem inzwischen erschienenen 7. Bande 
des Wirtembergischen Urkundenbuchs (No. 2415, cf. 2414) einen 
besseren Abdruck als den von K. zu Grunde gelegten bei Pressel. 

Allesin allem begrüßen wir in dem vorliegenden Halbband einen viel- 
versprechenden Anfang, dem die Fortsetzung sowohl des Bandes als 
der ganzen Sammlung recht bald nachfolgen möge. 


Halle a/S. K. Heldmann. 


Flesch, K., Zur Kritik des Arbeitsvertrag. Seine volkswirtschaftlichen Funk- 
tionen und sein positives Recht. Sozialrechtliche Erörterungen. Jena, G. Fischer, 1901. 
gr. 8. VIII- 36 SS. M. 1.—. 

Hansemann, G., Die doppelte Buchführung in der Weltwirtschaft. Ein Versuch 
zur Einführung des Prinzips von der Erhaltung der Kraft in der Sozialwissenschaft. 
Leipzig, Teubner, 1901. gr. 8. VIII—108 SS. M. 2,60. 

Jahresbericht des Bundes der Industriellen für das Geschäftsjahr 1899/1900. 
Im Auftrage des Vorstandes herausgeg. von Wilhelm Wendlandt (Generalsekretär). Berlin, 
Druck von H. Klokow, 1900. 8. III—94 SS. 

Simmel, Georg, Philosophie des Geldes. Leipzig, Duncker & Humblot, 1900. 
gr. 8. XVI—554 SS. M. 13.—. (Inhalt: Analytischer Teil: Wert und Geld. — Der 
Substanzwert des Geldes, — Das Geld in den Zweckreihen. — Synthetischer Teil: Die 
individuelle Freiheit. — Das Geldäquivalent personaler Werte. — Der Stil des Lebens.) 

Thätigkeit, die 25jährige, der Vereinigung der Steuer- und Wirtschaftsreformer 
(1876—1900). Zusammengestellt und dargestellt von F. Stephan (Sekr. der Vereinigung). 
Berlin, Verlag des Bureaus der Vereinigung, 1900. gr. 8. 159 SS. M. 2.—. 

Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hochschulen herausgeg. 
C. Joh. Fuchs, G. v. Schulze-Gävernitz, Max Weber. Bd. IV, Heft 5. Tübingen, 
J. C. B. Mohr, 1900. gr. 8. 102 SS. Einzelverkaufspreis M. 4.—, Abonnementspreis 
M. 2,80. (Inhalt: Konfession und soziale Schichtung. Eine Studie über die wirtschaft- 
liche Lage der Katholiken und Protestanten in Baden, von Martin Offenbacher. Mit 4 
in den Text eingedr. Karten.) 

Walter, Fr. (Privatdoz., Univ. München), Die Propheten in ihrem sozialen Beruf 
und das Wirtschaftsleben ihrer Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte der Sozialethik. 
Freiburg i/B. 1900. 8. IX—280 SS. 

Wasserrab, Sozialwissenschaft und soziale Frage. Eine Untersuchung des Begriffs 
sozial und seiner Hauptanwendungen. Leipzig, Duncker & Humblot, 1900. gr. 8. 
35 SS. M. 0,80. 

Worms, St., Das Gesetz der Güterkonzentration in der individualistischen Rechts- 
und Wirtschaftsordnung. I. Halbband: Das Gesetz der Güterkonzentration und seine 


Bedeutung für die Wirtschaftspolitik. Jena, G. Fischer, 1901. gr. 8 XVI—238 SS. 
M. 5.—. 


Blum, Léon, Les congrès ouvriers et socialistes français 1876—1900. Tiere partie: 
1876—1885. Paris, G. Bellais, 1901. 12. 100 pag. fr. 0,50. 

Croce, Benedetto, Matérialisme historique et économie marxiste. Essais cri- 
tiques. Traduit par A. Bonnet. Paris, Giard & Brière, 1900. 8. V—331 pag. fr. 3,50. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 495 


American and English encyclopaedia of law, ed. by D. S. Garland and L. P. 
Me-Gehee, under the supervision of J. Cockeroft. 2nd ed. Volume XVII. Northport 
(New York) E. Thompson C°, 1900. 8. 1378 pp. $ 7,50. 

Cunningham, W. (fellow of Trinity College, Cambridge), An essay on western 
civilisation in its economic aspects (mediæval and modern times). London, C. J. Clay 
& Sons, 1901. 8. 312 pp. With 3 maps. 4/.6. 

George, H. J. E., The life of Henry George. London, W. Reeves, 1901. 8. 
650 pp. 7/.6. 

Gooch, G. P. (author of English democratic ideas in the XVIIth Century), Annals 
of polities and culture (1492—1899). London, C. J. Clay & Sons, 1901. 8. 7.6. 

Agnelli, Arnoldo, L’economia politica nel secolo XIX. Milano, tip. Martinelli 
& C., 1900. 12. 30 pp. 

Fornari, P., Società e socialismo: considerazioni pel popolo e per le scuole, 
Milano, G. Agnelli, 1901. 12. 198 pp. 1. 1,25. 

Loria, A., La sociologia. Il suo compito. Le sue scuole e i suoi recenti pro- 
gressi. Verona, fratelli Drucker, 1901. 8. 1. 2.—. 

Slotemaker, L. Hzn., A., Beknopte handleiding voor de beoefening van de 
beginselen der staathuishoudkunde. Alkmaar, P. Kluitman, 1900. 8. 4, 115 en 4 blz. 
fl. 1,50. 

Verslag van de algemeene vergadering der Vereeniging voor de staathuishoud- 
kunde en de statistiek, gehouden te Utrecht den 29en Sept. 1900. Amsterdam, Joh. 
Müller, 1900. Roy.-8. 24 en 70 blz. fl. 2.—. 


2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur. 

Beyerle, K. (Privdoz., Univ. Freiburg i. B.), Grundeigentumsverhältnisse und 
Bürgerrecht im mittelalterlichen Konstanz. Eine rechts- und verfassungsgeschichtliche 
Studie mit einem Urkundenbuche und einer topographischen Karte. I. Band, 1. Teil: 
Das Salmannenrecht. Heidelberg, C. Winters Universitätsbuchhdl., 1900. gr. 8. 169 SS. 
M. 5.—. 

Dietzel, H. (Prov., Univ. Bonn), Weltwirtschaft und Volkswirtschaft. Dresden, 
v. Zahn & Jaensch, 1900. gr. 8. VIII—120 u. XLII SS. M. 4.—. (A. u. d. T.: 
Jahrbuch der Gehe-Stiftung zu Dresden, Bd. V. Inhalt: Die nationalwirtschaftlich 
günstigen Wirkungen des Anschlusses an die Weltwirtschaft. — Maß und Maßstab des 
der wirtschaftlichen Entwickelung zu dankenden nationalwirtschaftlichen Fortschritts. — 
Kritik der gegen den Anschluß an die Weltwirtschaft erhobenen Bedenken und der 
auf Grund dieser Bedenken geforderten Politik der Nationalisierung.) 

Eisenmänger, Th. (weiland Lehrer an der evang. Stadtschule), Geschichte der 
Stadt Schmiedeberg im Riesengebirge. Breslau, Max Waywod, 1900. gr. 8. V—256 SS. 
M. 3,50. 

Fischer, Th., Wissenschaftliche Ergebnisse einer Reise im Atlas-Vorlande von 
Marokko. Gotha, Justus Perthes, 1900. Lex.-8. 165 SS. mit 4 Tafeln (Titelbild und 
3 Karten). M. 9.—. IA. u. d. T.: Petermanns Mitteilungen aus Justus Perthes’ Geogr, 
Anstalt. Ergänzungsheft Nr. 133.] 

Kampffmeyer, P., Wohin steuert die ökonomische und staatliche Entwickelung? 
Berlin, Verlag der sozialistischen Monatshefte, 1901. gr. 8. 54 SS. M. 1.—. 

Kowalewsky, Maxime, Die ökonomische Entwickelung Europas bis zum Beginn 
der kapitalistischen Wirtschaftsform. Bd. I. Römische und germanische Elemente in 
der Entwickelung der mittelalterlichen Gutsherrschaft und der Dorfgemeinde. Berlin, 
R. L. Prager, 1901. 8. 536 SS. M. 7,50. (A. u. d. T.: Bibliothek der Volkswirt- 
schaftslehre und Gesellschaftswissenschaft, begründet von F. Stöpel, fortgeführt von Robert 
Prager. Bd. XI.) 

v. Lendenfeld, R. (Prof.), Neuseeland. Berlin, A. Schall, o. J. (1900). gr. 8. 
VIII—186 SS. mit 25 Bildern und Karten. M. 7.—. (A. u. d. T.: Bibliothek der 
Länderkunde, Bd. IX). [Aus dem Inhalt: Bevölkerung. — Produktion des Landes: 
(Landwirtschaft. Forstwirtschaft. Bergbau. Industrie) — Handel und Verkehr.] 

Naendrup, H. (Privdoz., Univ. Breslau), Zur Geschichte deutscher Grunddienst- 
barkeiten. Paderborn, Junfermann, 1900. gr. 8. 85 SS. M. 2,40. 

Nübling, Eug., Ulms Handel und Gewerbe im Mittelalter. Eine Sammlung von 
Einzeldarstellungen. Heft 5: Ulms Kaufhaus im Mittelalter. Ein Beitrag zur deutschen 
Städte- und Wirtschaftsgeschichte. Ulm, Gebr. Nübling, 1900. 4. XXIV—320 zweispalt. SS. 


426 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


M. 18.—. (Inhalt: Die Entstehung der Ulmer Gret. — Die Verwaltungseinrichtungen 
der Gret. — Die einzelnen Handelsgegenstände: 1. Der Salzhandel ; 2. Der Eisenhandel ; 
3. Der Gewandhandel ; 4. Der Leinwand- und der Barchenthandel ; 5. Der Kramwarenhandel; 
— Der Großhandel: 1. Die Ulmer Handelsherren ; 2. Der Verkehr der Ulmer Handels- 
gesellschaften mit Venedig im 15. Jahrhundert ; 3. Die Familie Rot; 4. Die Familie 
Vöhlin; 5. Die Familie Welser.) 

Schulze, G. (Reg.- u. SchulR., Minden), Heimatskunde der Provinz Westfalen. 
Minden i. W., Max Volkening, 1900. gr. 8 VIII—559 SS. M. 5.—. (Aus dem In- 
halt: Die Leineweberei im Ravensberger Lande. — Der Gewerbefleiß der Grafschaft 
Mark.) 

Totomjanz, V. und E. Toptschjan, Die sozial-ökonomische Türkei. Berlin, 
R. L. Prager, 1901. 8. 124 SS. M. 2.—. 

Wichmann, A., Dirck Gerritsz. Ein Beitrag zur Entdeckungsgeschichte des 16. 
und 17. Jahrhunderts. Groningen, J. B. Wolters, 1900. 8. fl. 1,50. 


Benger, G. (Rumanian Consul-General in Stuttgart), Rumania in 1900. Authorized 
translation by A. H. Keane. London, Asher & C°, 1901. Imp.-8. with 14 plates, a 
‚map and 26 illustrations in text, eloth. 10/.6. (Contents: Agriculture, — Fisheries. — 
Mines, Petroleum. — Mineral waters. Health resorts. — Forestry. — Industries. — 
Communications: Railways; Navigation. — Foreign trade. — Tariff policy. — Inland 
‚trade. Currency; Retail, and hawking business. — Finance: Revenue; Debt; Taxation; 
Monopolies; Public domains. — Banking and credit institutes. — etc.) 

Hecquard, Ch., La Turquie sous Abdul Hamid II. Compte rendu de la gérance 
d’un empire pendant un quart de siècle (31 août 1876—1* septembre 1900). Paris, 
H. Lamertin, 1900. 8. 500 pag. fr. 6.—. 

Solvay, E. (industriel et sénateur), Etudes sociales. Notes sur le productivisme 
et le comptabilisme. Bruxelles, H. Lamertin, 1900. 8. 172 pag. fr. 2.—. 

Solvay et Ed. Anseele (administrateur du „Vooruit“, membre de la Chambre 
des représentants), Lettres sur le productivisme et le collectivisme. Bruxelles, H. La- 
mertin, 1900. 8. 52 pag. fr. 1.—. 

Suisse, la, au XIX" siècle. Ouvrage publié par un groupe d’&erivains suisses 
sous la direction de Paul Seippel (prof. à l’Ecole polytechnique fédérale). 3 vols. Paris, 
Fischbacher, 1901. gr. in-8, avec de nombreux portraits et illustrations. fr. 66.—. 
(Table des matières: La Suisse à la fin du XVIII: siècle, par Th. de Liebenau. 
Histoire politique de la Suisse au XIX"! siècle, par Numa Droz. — L’Ecole, par P. Hunziker 
et F. Guex. — L'agriculture, par E. Chuard. — Industrie et commerce, par H. Wart- 
mann. — Classes ouvrières. Le socialisme, par Th. Curti. — Le mouvement coopératif, 
par H. Muller. — Voies de communication, par H. Georg. — Hygiène, par E. Jordy. 
— Le bon vieux temps et la vie moderne, par R. Gunther et A. Godet. — Finances. 
— Population, par G. Vogt. — La Suisse en 1900, par P. Seippel. — ete.) 

Bourinot (Sir) John, G., Canada under British rule, 1760—1909. Cambridge, 
University Press, 1900. crown-8. 358 pp. with 8 maps. 6/.—. 

Turquan, V. (ex-chef de la statistique generale de la France), Evaluation de la 
fortune privée en France et à l’étranger dans ses rapports avec la fécondité des familles. 
Etude économique et géographique de la répartition de la richesse, ornée de nombreux 
diagrammes et cartes. Paris, L. Larose, 1901. gr. in-8. fr. 8.—. (Extrait de la Revue 
d'économie politique.) 

Brogi, Tom., La Marsica antica, medioevale e fino all’ abolizione dei feudi. 
Roma, tip. Salesiana, 1900. 12. 435 pp. 1. 2,50. 


3. Bevölkerungswesen. Auswanderung und Kolonisation. 

Trap, Cordt, und Schmidth, Olaf, Les habitations ouvrières 
en Danemark et principalement de Copenhague. Paris, Secrétariat de la 
Société française des habitations à bon marché, 1900. 51 pp. 

In ihrer dem internationalen Kongreß für Arbeiterwohnungen in 
Paris gewidmeten Schrift liefern C. Trap, Direktor des städtischen 
statistischen Bureaus in Kopenhagen, und O. Schmidth, Architekt 
und Bauinspektor der dänischen Marine, eine Uebersicht über die Ent- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 497 


wickelung der Arbeiterwohnungsfrage in Dänemark, insbesondere in 
Kopenhagen, die auch für weitere Kreise hinreichendes Interesse bietet, 
um eine Besprechung an dieser Stelle zu rechtfertigen. Es entrollt sich 
beim Einblick in die kurze Schilderung ein höchst erfreuliches Bild 
gemeinnützigen Wirkens auf dem Gebiete des Wohnungsbaues, das von 
einem um so unmittelbareren Interesse für unsere deutschen Leser ist, als 
gerade von Dänemark aus — wir kommen darauf noch zurück — frucht- 
bare Anregungen in dieser Frage nach Deutschland ausgegangen sind. 

Der Schilderung der mannigfaltigen Veranstaltungen, die den Bau 
von Wohnungen für die unbemittelten Klassen zum Ziele haben, geht 
ein statistischer Ueberblick voraus, der darin gipfelt, daß auch in 
Kopenhagen ein namentlich in den letzten Jahren immer fühlbarer 
werdender Mangel an kleinen Wohnungen in die Erscheinung tritt, 
wenngleich im allgemeinen die Wohnungsverhältnisse sich hier relativ 
günstiger darstellen, als in anderen größeren Städten des Nordens sowohl 
wie in Deutschland. Es ist unschwer zu erkennen, daß darin im wesent- 
lichen eine Folgeerscheinung der überaus regen gemeinnützigen Bau- 
thätigkeit zu erblicken ist, von der die kleine Schrift Kunde giebt und 
die neuerdings unter der Einwirkung gesetzlicher Maßnahmen einen er- 
höhten Aufschwung genommen hat. 

Die ersten Anfänge einer planmäligen Wohnungsfürsorge reichen 
in Dänemark in ältere Zeiten als in irgend einem anderen Lande zurück. 
Bereits in der Mitte des 16. Jahrhunderts baute der Staat in der 
Umgebung des Königlichen Arsenals Wohnungen für die Angestellten 
der Kriegsmarine. 1630 legte dann Christian IV. den Grund zu einer 
neuen Ansiedelung, die demselben Zweck gewidmet war: der noch 
heute existierenden Ansiedelung „Nyboder“, die, zu verschiedenen Zeiten 
erweitert und umgebaut, heute 378 Wohnungen von allerdings, je nach 
der Zeit, in der sie entstanden sind, sehr verschiedener Beschaffenheit, 
umfaßt. Die erste gemeinnützige Baugesellschaft, die Aktienbaugesell- 
schaft für Arbeiterwohnungen in Christianshaven, einem der dichtbe- 
wohntesten Industrieviertel Kopenhagens, entstand im Jahre 1851. 
Das Cholerajahr 1853 führte zur Begründung einer „Gesellschaft der 
Aerzte“, die neben anderen Wohlfahrtszwecken auch den Bau von 
Wohnungen für die ärmeren Klassen in die Hand nahm und hierbei 
namentlich durch die kommunalen Behörden durch Ueberlassung eines 
vor den Thoren der Stadt gelegenen weiträumigen Terrains unterstützt 
wurde. Baugelder gewährten die Kopenhagener Sparkasse und die 
staatliche Lebensversicherungsgesellschaft. In den Jahren von 1860 
bis 1774 entstanden dann noch sechs weitere gemeinnützige Gesell- 
schaften, bezw. Stiftungen, die zusammen mit den beiden genannten 
bis zum 1. Januar 1900 etwa 2000 meist ein- und zweiräumige 
Wohnungen in größeren Gebäuden im Innern der Stadt und in 
kleineren Häusern auf Vorortsterrain erstellten. 

Neben diesen mehr oder weniger das Wohlthätigkeitsprinzip ver- 
körpernden Einrichtungen nimmt in hervorragendem Maße eine Organi- 
sation unser Interesse in Anspruch, die das Problem auf der Grundlage 

der Selbsthilfe in Angriff nahm und hierfür Formen schuf, die nament- 


428 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 


lich für die gleichgerichteten Bestrebungen in Deutschland vorbildlich 
geworden sind: der Kopenhagener Arbeiterbauverein, der im Jahre 1865 
auf Anregung eines Mannes aus den gebildeten Klassen, eines Arztes, 
von einer Anzahl von Arbeitern der Schiffswerft von Burmeister & Wain 
begründet wurde und der heute die stattliche Zahl von nahezu 
14000 Mitgliedern erreicht hat. Der Arbeiterbauverein hat den Bau 
kleiner Häuser zum Ziel, die durch Ratenzahlungen in das Eigentum 
der Mitglieder übergehen. Er hat jenes System der allmählichen An- 
sammlung eines Mitgliederguthabens durch kleinste wöchentliche Ein- 
zahlungen inauguriert, das genau entsprechend dem hier gegebenen 
Vorbilde Ende der 70er Jahre von dem Flensburger Arbeiterbau- 
verein übernommen wurde und in der Folge die Grundlage für die 
Geschäftsgebahrung der Hunderte von Baugenossenschaften geworden ist, 
die heute in Deutschland in Blüte stehen. Auch bezüglich der Formen 
der allmählichen Eigentumserwerbung der erstellten kleinen Anwesen sind 
die Einrichtungen des Kopenhagener Arbeiterbauvereins für die deutschen 
Baugenossenschaften dieses Systems vorbildlich gewesen. Der Kopenhagener 
Verein ist, dank der uneigennützigen Beteiligung von Männern aus 
Nichtarbeiterkreisen, insbesondere des bereits erwähnten Dr. Ulrich, 
zu hoher Blüte gelangt. Er ist nicht auf Arbeiterkreise im engeren 
Sinne beschränkt geblieben, sondern hat die gesamten weniger be- 
mittelten Klassen bis in die Kreise der niederen und mittleren Beamten 
in sein Wirkungsgebiet einbezogen und ist auf diese Weise ein aus- 
schlaggebender Faktor für die Lage des Wohnungsmarktes in der 
dänischen Hauptstadt geworden. Die Mitgliederguthaben hatten am 
1. Januar 1900 die Höhe von 61/, Mill. M., der Reservefonds von über 
300 000 M. erreicht. Zu derselben Zeit waren 1170 Häuser fertiggestellt 
und 50 weitere im Bau begriffen, die einen Wert von 11 Mill. M. 
repräsentierten, von denen nahezu 6 Mill. bereits abgezahlt sind. Die 
Ansiedelungen des Vereins verteilen sich auf 7 verschiedene Gegenden 
der Stadt und der Umgebung; sie setzen sich zumeist aus zwei- 
stöckigen Reihenbäusern mit Vorgärten und Hof zusammen, deren jedes 
2 Wohnungen enthält. 

Von der Mitte der 70er Jahre an gerechnet, macht sich ein 
gewisser Stillstand in der Entwickelung der gemeinnützigen Bauthätig- 
keit insofern bemerkbar, als neue Gesellschaften zunächst nicht mehr 
entstanden. Die Folge war, daß in derselben Epoche der Bedarf an 
kleinen Wohnungen nicht mehr ganz gedeckt und namentlich in 
den letzten Jahren geradezu ein Mangel an solchen fühlbar wurde. 
Darin trat erst Ende der 90er Jahre wieder eine Wandlung ein, 
als die Gesetzgebung dem Arbeiterwohnungsbau durch Mobilmachung 
des Staatskredits neue Anregung zur Bethätigung gab. Durch ein Gesetz 
vom 26. Februar 1898 wurde der Finanzminister ermächtigt, Darlehn 
bis zum Gesamtbetrage von 2 Mill. Kronen (1 Krone = 11/, M.) an Ge- 
meinden und gemeinnützige Baugesellschaften gegen hypothekarische 
Sicherstellung zu gewähren. Die Folge war, daß Darlehnsgesuche in so 
großer Zahl einliefen, daß über den ausgesetzten Betrag in kurzer Zeit 
verfügt war und Forderungen im Betrage von weiteren 2!/, Mill. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 499 


zunächst zurückgestellt werden mußten. Einen Teil der verfügbaren 
Mittel haben die oben aufgezählten älteren Gesellschaften erhalten; 
außerdem sind aber seit Erlaß des Gesetzes eine ganze Anzahl neuer 
entstanden, unter denen namentlich die nach dem Vorbilde des Arbeiter- 
bauvereins eingerichteten, das Prinzip der Selbsthilfe vertretenden 
Arbeiterbauvereine vorwiegen. Die Folge dieser Bewegung, die sich 
nicht mehr auf Kopenhagen beschränkt, sondern auf eine ganze Reihe 
Provinzialstädte übergegriffen hat, ist gewesen, daß in der Volksver- 
tretung bereits Anträge gestellt sind, den Wirkungskreis des Gesetzes 
vom 26. Februar 1898 durch Bereitstellung größerer Mittel zu erweitern. 
Die kleine Schrift liefert somit den Beweis, daß die Arbeiterwohnungs- 
frage in dem kleinen nordischen Nachbarstaat, der uns in dieser Be- 
ziehung schon früher wertvolle Anregungen geliefert hat, auch neuer- 
dings eine Entwickelung nimmt, die dem in Deutschland bis jetzt 
Erreichten in mancher Beziehung voraneilt. Dr. H. Albrecht. 


R auber, A. (Prof., Univ. Jurjeff [Dorpat], Weibliche Auswanderung und ihr Ver- 
hiltnis zu einer biologisch begründeten Bevölkerungspolitik. IV. Beitrag zu einer natur- 
gmäßen Lösung der Frauenfrage. Leipzig, A. Georgi, 1901. gr. 8. 167 SS. M.5.—. 


Compte rendu de la session de l’Institut colonial international, tenue à Paris les 
1", 2, 3 et 4 août 1900. Paris, A. Challamel, 1900. 8. fr. 15.—. (Publication de 
l'Institut colonial international de Bruxelles.) 

Guillemin, J. (substitut du procureur de la République), De la protection 
des enfants du premier Age. Dépopulation de la France. Etudes sur la loi du 23 XII 
1874 et le décret du 27 II 1877. Lacunes. Modifications. Paris, Giard & Brière, 1901. 
8 200 pag. fr. 2,50. 

R epiquet, J., Le sultanat d’Anjouan (îles Camores). Paris, A. Challamel, 1901. 
8. fr. 3,50. 

Ferrari, A., Quarto censimento generale della popolazione. Como, tip. editrice 
Ostineli di Bertolini, 1901. 12. 171 pp. 1. 1,25. 


&. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen. 

Dünkelberg, Fr. W. (GehRegR.), Nordamerikanische Pferde. Stuttgart, Schick- 
hardt & Ebner, 1901. gr. 8. 48 SS. M. 1.—. 

Hofmann, H. L., Die Rittergüter des Königreichs Sachsen. Ein Abriß ihrer 
Geschichte und rechtlichen Stellung nebst topographischen und statistischen Nachrichten 
über sämtliche Rittergüter ete. Dresden-Blaswitz, Hofverlag R. v. Grumbkow, 1901. 
gr.8. 333 SS. M. 9.—. 

e Holstein-Ledreborg, Jos. (Graf), Aus den landwirtschaftlichen Zuständen 
in Dänemark. Mit einem Schlußwort von G. Ruhland (ord. Prof., Freiburg, Schweiz). 
Berlin, W. Issleib, 1900. gr. 8. VIII—93 88. M. 2.—. 

S Jahrbuch der deutschen Landwirtschaftsgesellschaft. Herausgegeben vom Direk- 
torium. Band XV: 1900. Berlin, Parey, 1900. Lex.-8. XVIII—658 SS. M. 6.—. (Aus 
dem Inhalt: Die Winterversammlung 1900 zu Berlin. — Die XV. Wanderversammlung 
zu Posen. — Die XIV. Wanderausstellung zu Posen.) 

. Njemetzki, Die Industrialisierung der Landwirtschaft. Nebst einer Antwort auf 
die Frage: Brotzoll oder Handelsverträge? Berlin, E. Hofmann & C°, 1901. gr. 8. 
50 SS. M. 1,25. 

Rabe, O., Vierzig Jahre Brotgetreidebau. Fin Beitrag aus der Praxis zur Frage 
der Kornzölle. Berlin, Parey, 1901. gr. 8. 52 SS. M. 1,20. 

Schlefer, Ad. (Hof- und Gerichtsadvokat), Das Volkseigentum an den Berg- 
werken. Ein Beitrag zur Frage der Verstaatlichung der Kohlenbergwerke. Wien, M. 
Perles, 1900. 8. 58 SS. M. 1,20. E 

Sympher (Reg.- u. BauR. im Minister. der öff. Arbeiten), Die wasserwirtschaft- 


430 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


liche Vorlage. Mit Benutzung amtlicher Unterlagen. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 
1901. gr. 8. 148 SS. mit 3 kartogr. Anlagen. M. 1,50. 

Tomalski, Jak., Die Rindviehzucht in Bayern und ihre wirtschaftlichen Ziele. 
München, J. Schweitzer Verlag, 1900. gr. 8. 68 SS. M. 1,80. 

Westermeier (Prof. Tetschen), Auswahl und Züchtung ertragreicher Getreide- 
sorten mit besonderer Berücksichtigung der Braugerste und deren Kultur. Vortrag. 
Dresden, G. Schönfeld, 1900. gr. 8. 35 SS. M. 0,60. 


Carville, F., Agriculture. Guide pratique pour fonder et mettre en marche les 
principales institutions économiques agricoles françaises. Paris, Guillaumin & C", 1901. 
8. 393 pag. fr. 3,50. (Sommaire: Syndicats professionnels. — Crédit agricole mutuel. — 
Caisses d’assurances mutuelles.) 

Laurent, L. (chargé d’un cours de produits coloniaux à la chambre de commerce 
de Marscille), Le tabac. Sa culture et sa préparation. Production et consommation dans 
les divers pays. Paris, Challamel, 1900. 8. IX—338 pag. 

Church, Seymour R., Analyses of pig iron. Collected and published by S. R. 
Church, San Francisco, California. Vol. I. San Francisco, press of the Hicks-Judd Cy, 
1900, July, 173 pp. with 2 plates and numerous engravings. 12/.6. 

South Australia. Agricultural and live stock statistics for the year ending March 318t, 
1900. Adelaide, C. E. Bristow printed, 1900. Folio. XX—73 pp. 

Techapleevski, K. B., Taïñra u sozxoro etc. Cr.-IIerepöypr» (St. Petersburg) 
1899. 4. (Die sibirischen Waldungen und ihre Goldminen.) 

Gatti, G., Agricoltura e socialismo, le nuove correnti dell’ economia agricola. 
Milano, R. Sandron, 1900. 12. 1. 4.—. 


5. Gewerbe und Industrie. 

Holländer, Ludwig, Die Lage der deutschen Mühlenindustrie 
unter dem Einflusse der Handelspolitik 1879—1897. 98 SS. Stuttgart 1898. 
(Münchener volkswirtschaftliche Studien, herausgegeben von Lujo Brentano 
und Walther Lotz. 29. Stück.) 

Der Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt, einen Einblick in die 
wirtschaftliche Entwickelung der deutschen Mühlenindustrie zu geben, 
wobei insbesondere gezeigt werden soll, von welcher Bedeutung die 
Handelspolitik der letzten 20 Jahre für die Müllerei gewesen ist. Um 
dieser seiner Absicht gerecht zu werden, wirft der Verfasser einleitend 
einen Blick auf die Entwickelung der Technik in der Mühlenindustrie, 
worauf die Schutzollpolitik des Deutschen Reiches der letzten 20 Jahre 
und die Umgestaltungen innerhalb der Eisenbahntarife für Mühlen- 
produkte und Getreide vorgeführt werden. Sodann werden die Wirkungen 
der deutschen Wirtschaftspolitik auf die jeweilige Lage der Mühlen- 
industrie besprochen, um zuletzt mit einem Ausblick auf die 3 Gewerbe- 
zählungen von 1875, 1882 und 1895 zu schließen. Die inneren Verhält- 
nisse der Mühlenindustrie, so z. B. der Kampf der Kleinmüller mit 
den Handelsmühlen, sind nur so weit berücksichtigt worden, als sie 
durch handelspolitische Maßnahmen Beeinflussung erfahren haben. 

Der Verfasser hat einen kräftigen Anlauf genommen, um diese seine 
Aufgabe zu lösen. Wenn er auch einen nicht üblen Ueberblick über 
die Lage der Mühlenindustrie geliefert hat, so vermag uns doch seine 
Lösung nicht ganz zu befriedigen, sondern wir können sie nur als eine 
Vorarbeit zu einer umfassenden und gründlichen Studie ansehen. Falls 
eine solche unternommen werden sollte, empfehlen wir die vorhandene 
Litteratur etwas eingehender, als es geschehen ist, zu würdigen, wie es 
auch für eine wissenschaftliche Arbeit nicht ausreichend erscheinen kann, 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 431 


sich in Betreff der Berichte solcher Körperschaften, wie Landeseisen- 
bahnrat, Bezirkseisenbahnräte, ständige Tarifkommission u. s. w. auf 
die Nachrichten von Tageszeitungen zu stützen, zumal über die je- 
weiligen Verhandlungen fast immer eingehende Sitzungsprotokolle heraus- 
gegeben werden, welche auch außerhalb der Archive dem wirtschaft- 
lichen Forscher zur Verfügung stehen. Ferner wird in den Berichten 
der Handelskammern, Aeltesten-Korporationen, Vereinigungen der Mühlen- 
interessenten etc. manches Material enthalten sein, welches eine Be- 
leuchtung der einschlägigen Fragen, wie z. B. die der Staffeltarife, 
der gemischten Privattransitläger ohne oder mit amtlichem Mitver- 
schluß etc. von dieser Seite ermöglicht hätte, wie wir auch zum Schlusse 
nicht allein eine einfache Aufzählung der Ergebnisse der Berufszählung, 
sondern eine geeignete Gegenüberstellung und kritische Würdigung 
derselben gewünscht hätten. 

Trotz dieser angedeuteten Mängel ist die Arbeit nicht ohne Wert, 
und wenn sie auch nur die Hauptpunkte der Entwickelung der 
Mühlenindustrie in kurzgefaßter Weise berührt, so vermag sie doch den 
Leser möglichst rasch in dieses Gebiet einzuführen. Obgleich sie daher 
für den Nationalökonomen nicht ausreichend erscheinen kann, so dürfte 
sie doch für ein weiteres Publikum nicht unwillkommen sein. 

Die knappe, kurze Sprache, die ohne Umschweife und unnötigen 
Wortschwall auf die Sache lossteuert, berührt angenehm, wenn sie auch 


noch etwas den litterarischen Anfänger vermuten läßt. 
Halle a. S. Wermert. 


Achtstundenarbeitstag, der, und die kommende Arbeitergeneration. Von 
einem in der deutschen Privatindustrie ergrauten Fabrikbeamten. Wiesbaden, Ch. Lim- 
barth, 1901. 8. 31 SS. M. 0,50. (Aus dem Inhalt: Die Nachteile höherer Schulen für 
die Industrie.) 

Bericht der Centralanstalt für unentgeltlichen Arbeitsnachweis in Mannheim 
S 1, 17 über das Geschäftsjahr 1900. Mannheim, Druck von Hahn & C°, 1901. gr. 4. 
18 SS. mit 1 graphischen Tafel. 

Geitel, M. (RegR., Mitglied des kais. Patentamts), Die Praxis des Gesetzes zum 
Schutz der Warenbezeichnungen vom 12. V. 1894. Systematische Zusammenstellung der. 
grundlegenden patentamtlichen und gerichtlichen Entscheidungen und Mitteilungen, ein- 
ulm der veröffentlichten Freizeichen. Berlin, G. Siemens, 1900. gr.8. VI—335 SS., 
geb. M. 7.—. 

Katzenstein, L., Die Trusts der Vereinigten Staaten. Vortrag, gehalten in der 
Volkswirtschaftlichen Gesellschaft in Berlin am 9. I. 1901. Berlin, L. Simion, 1900. 
er. 8. 32 SS. M. 1.—. (Volkswirtschaftliche Zeitfragen, Heft 176.) 

v. Liszt, F. (o. Prof., Berlin), Die Gefängnisarbeit. Vortrag gehalten am 26. VII. 
1900. Berlin, Guttentag, 1900. gr. 8. 20 SS. M. 0,60. (Sammlung gemeinverständ- 
licher Vorträge herausgeg. von der Berliner Finkenschaft.) 

Rezegh, Fritz (Ingenieur), Praktische Erläuterungen über Bau, Betrieb und 
Verwaltung der Kohlengasanstalten mit besonderer Berücksichtigung für den Gebrauch 
von Gemeindeausschüssen kleinerer Städte, ete. Wien, Spielhagen & Schurich, 1900. 
gr. 8. 146— XXIV SS. M. 6.—. 


Grandgeorge G. et A. Mortier, L’industrie textile en France en 1899, rapport 
présenté au nom de la 4° section. Paris, imprim. nationale, 1900. 8. XIV—265 pag. 
(Publication du Ministère du commerce.) 

Justice, Jean (prof. à l’athénée royal de Gand), Dictionnaire des marques et 
we ege de la faïence de Delft. Gand, Vuylsteke, 1901. 12. 131 pag. av. fig. 

r. 3,50. 


432 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 


Mines, les, et usines aux ZX: siècle. Les mines et la métallurgie à l'Exposition 
universelle de 1900, par un groupe d'ingénieurs, sous la direction de Francis Laur. 
5 vols. Paris, impr. Laur, 1900—1901. 8. fr. 50.—. 

Tapisserie, la, les tissus, les papiers peints à l’exposition universelle de 1900: 
Manufactures nationales de tapisseries des Gobelins et des Beauvais, ete. (100 phototypies 
avec texte). Paris, A. Guérinet, 1901. fr. 30.—. 

Barber, E. A., American glassware, old and new: a sketch of the glass industry 
in the United States and manual for collectors of historical bottles. Philadelphia, 
Patterson & White C°, 1900. 12. 112 pp. with plates, cloth. $ 1.—. 

Buell, C. E., Industrial liberty ; our duty to rescue the people of Cuba, Porto 
Rico and the Philippine islands from the greatest of all evils: poverty. Plainfield (New 
Jersey), Buell, 1900. 12. 116 pp. 

Report, Is, of the Bureau of Labor of the province of Ontario for the year 
ending December 31st 1900. Toronto, printed by L. K. Cameron, 1901. gr. in-8. 101 pp. 
(Contents: Returns of organizations in detail. — Suggestions and remarks from orga- 
nizations. — Particulars of strikes and lockouts from organizations. — Particulars of 
strikes given by manufacturers. — Origin, object and growth of Bureaus of labor statistics. 
— Labor legislation and its enforcement. — Synopsis of the labor laws of Ontario. — 
Wages in the United States and Europe, 1870 to 1898. — etc.) 

Koulakov, P E., Xosañcrso u Gr, Bypars Exaunwucxarow KyryAasckaro 
BEromcTB Bepxozcucraro okpyra Mpkyrekoï ry6epsis. (Cr.-Ilerepôyprs 1899. 8. 
VIII—245 pp. (Industrie und Gewohnheiten der Buriaten in den Kantonen Elantsin 
und Kutul, Kreis Werkholen im Gouvernement Irkutsk. Mit Karte.) 

Ipomsıwazeuusia vunamma ©. B. Yyxosa pt Kocrpouckoï ry6epsis. Moskau, 
Druck von J. N. Kouchnerev, 1900. 8. 142 pp. (Die Industrieschulen von F. V. 
Tchijov im Gouvernement Kostroma.) 

Cossa, Em. (Prof.), I sindacati industriali (trusts). Milano, U. Hoepli, 1901. gr. in-8. 
VI—179 pp. 1. 3,50. (Contiene: Concetto e carattere dei sindacati industriali. — Cause 
dei sindacati industriali. — Cause che tendono a mutare i sindacati industriali in mono- 
polii. — Vantaggi dei sindacati industriali. — Inconvenienti attribuiti ai sindacati in- 
dustriali. — Della formazione dei sindacati industriali in Europa e in America. — 
Costituzione economica dei sindacati industriali. — La costituzione giuridica dei sinda- 
cati industriali. — Criterii per la ricerca degli effetti economici dei sindacati industriali. 
— Legalità dei sindacati industriali, — I sindacati industriali e la legislazione. — I 
sindacati industriali e la giurisprudenza. — Le leggi contro i sindacati industriali negli 
Stati Uniti d’America. — I sindacati industriali e la pubblica amministrazione.) 

L’Esposizione universale del 1900 a Parigi. 2 voll. Milano, fratelli Treves, 
1900. in-folio. 620 pp. e 50 tavole. 1. 25.—. 

Tombesi, Ugo, L’industria cotoniera italiana alla fine del secolo XIX. Pesaro, 
Federici, 1901. 8. 

Bofill, Incas, J. M., Industrias universales prácticas. Barcelona, Tobella y 
Costa, 1900. 4. pes. 10.—. 


6. Handel und Verkehr. 


Bericht über Handel und Industrie von Berlin nebst einer Uebersicht über die 
Wirksamkeit des Aeltestenkollegiums im Jahre 1900, erstattet von den Aeltesten der 
Kaufmannschaft von Berlin. I. Teil. Berlin, gedruckt bei R. Boll, 1901. Folio. IV— 
98 SS. 

Bürner, R., Der Handlungsreisende im Auslande. Die gesetzlichen Bestimmungen 
über die Thätigkeit des Handlungsreisenden in den verschiedenen Ländern. Dresden, 
Steinkopff & Springer, 1901. gr. 8. 74 SS. M. 1.—. 

Crole, B. E., Illustrierte Geschichte der deutschen Post von ihren Anfängen bis 
zum Ableben Kaiser Wilhelms I., bezw. bis zum Tode Stephans (hrsg.) von Bruno 
Emil König. 3. Aufl. I. Band. Berlin, Fr. Luckhardt, 1900. gr. 8. XII—372 SS. mit 
vielen in den Text gedr. Abbildungen, sowie Notenbeilagen, Bilder- und Briefmarken- 
tafeln. M. 6.—. 

Danziger Handelsgebräuche. Gutachten des Vorsteheramts der Kaufmannschaft 
zu Danzig über Gebräuche im Handelsverkehr. Herausgeg. von Zander (Rechtsanw., 
Danzig) und Fehrmann (Sekret. der Kaufmannschaft, Danzig). Danzig, A. W. Kafemann, 
1901. 8. VIII—158 SS. M. 3.—. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 433 


Deutscher Handelstag. XXVII. Vollversammlung in Berlin am 8. u. 9. I. 1901. 
(Stenogr. Bericht.) Berlin, Liebheit & Thiesen, 1901. 4. XV—102 SS. 

Dietzel, H. (Prof, Bonn), Kornzoll und Sozialreform. Vortrag gehalten am 
15. XIL 1900 in der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft zu Berlin. Berlin, L. Simion, 
1901. gr. S 56 SS. (Mitteilungen des Vereins zur Förderung der Handelsfreiheit, 
1901, Nr. 1. 

Jahresbericht der Handelskammer für den Kreis Mannheim für das Jahr 1900. 
I. Teil. Mannheim, Verlag der Kammer, 1901. gr. 8. 33; 372 SS. mit 3 Taf. graphi- 
scher Darstellungen. 

Jahresbericht, XXIX., der Handelskammer für die östliche Niederlausitz in 
Sorau N.-L. für das Jahr 1900. Sorau, Druck von Rauert & Pittius, 1901. gr. 8. 


90; X SS. 
Kurs, V., Die neue Kanalvorlage und die preußischen Staatseisenbahnen. Hannover, 


Gebr. Jänecke, 1900. 8. 27 SS. 

Schimmelpfeng, Bericht der Auskunftei W. Schimmelpfeng, Januar 1901. 
Berlin (Selbstverlag), 1901. 48 SS. 

Stromgebiete, die, des Deutschen Reichs hydrographisch und orographisch dar- 
gestellt mit beschreibendem Verzeichnis der deutschen Wasserstraßen. Teil II, b: Gebiet 
der Weser. Bearbeitet im kais. statistischen Amt. Berlin, Puttkammer & Mühlbrecht, 
1901. Imp.-4. 105 SS. mit 6 Kartenbeilagen. M. 2.—. (Statistik des Deutschen Reichs, 
N. Folge Bd. XXXIX, Teil II, Abteil. b.) 

Südbahn, die, und ihr Verkehrsgebiet in Oesterreich-Ungarn. Herausgeg. von 
der k. k. priv. Südbahngesellschaft unter Mitwirkung (genannter) Autoren und Künstler. 
Wien und Brünn, R. M. Rohrer, o. J. (1900). 8. XVIII —506 SS. mit 197 Illustrationen, 
4 Karten ete., geb. M. 1,30. 

Volkswirtschaft, die deutsche, und der Weltmarkt. 2. Aufl. Berlin, J. Springer, 
1901. gr. 8. 28 SS. mit 1 graphischen Tafel. (A. u. d. T.: Handelspolitische Flug- 
schriften. Hrsg. vom Handelsvertragsverein, Heft 1.) 

Wiedenfeld, K. (Gerichtsass.', Die sibirische Bahn in ihrer wirtschaftlichen Be- 
deutung. Berlin, J. Springer, 1900. gr. 8. 202 SS. mit Uebersichtskarte. M. 3.—. (Sonder- 
abdruck aus dem Archiv für Eisenbahnwesen, Jahrg. 1900.) 


Chemins de fer, postes, télégraphes, téléphones et marine. Compte rendu des 
opérations pendant l’année 1899. Bruxelles, J. Goemaere, imprim., 1900. Folio. 161; 
24; 28; 13—X pag. (Rapport présenté aux chambres législatives par le Ministre des 
chemins de fer, postes et télégraphes.) 

de Cordemoy, C. (ingénieur des arts et manufactures), Les ports modernes. 
2 vols. Paris, Bernard & Ce, 1900. gr. in-8. 587 et 656 pag. avec fig. et 1 atlas. fr. 120. 

Dardart (conducteur principal des ponts et chaussées), Exécution des travaux 
publics. Etude législative et administrative. Paris, Vve Ch. Dunod, 1901. 8. 632 pag. 
fr. 12.—. (Bibliothèque du conducteur des travaux publics, 41° volume.) 

Monographies industrielles et commerciales, n° 3: Commerce des machines 
agricoles. Paris, impr. P. Dupont, 1900. 8. 172 pag. fr. 2.—. (Office national du 
commerce extérieur. Publication du Ministère du commerce.) 

Sea-borne trade and navigation of the Madras Presidency and of its chief port, 
and each of the subordinate ports for 1899—1900. Madras, Governm. Press, 1900. 22/.6. 

White, T. Raeburn, Business law: a book for schools and colleges; introduc. 
by Rol. P. Falkner; with index and glossary of definitions of technical legal terms. 
New York, Silver, Burdett & C°, 1901. 8. 367 pp., cloth. $ 1,50. 

O ruers 0 xon& Toprosau BB Huxeroponcko ApMapkb 1899 roma. Moskau, Druck 
von A. J. Momontov, 1900. Roy.-4. (Bericht über die geschäftlichen Operationen auf 
der Messe von Nishnij Nowgorod 1899, herausgeg. von S. V. Speranski.) 

Wanjon, D., Geschiedenis van den Nederlandschen handel sedert 1795. Haarlem, 
de erven F. Bohn, 1900. 8. fl. 1,75. 

Dahlgren, E. W., De franska sjöfärderna i Söderhafet (Söderhamn) i början af 
adertonde seklet. Stockholm, Samson & Wallin, 1900. 8. kr. 10.—. 


7. Finanzwesen. 
Glück, das, in der Lotterie. Kritische Betrachtungen. Leipzig, Max Sängerwald, 
1901. gr. 8. 16 SS. M. 0,30. 
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 28 


434 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Lipsius, H. F., Die Schaumweinsteuer, eine verhängsnisvolle Thorheit! Berlin, 
Max Pasch, 1901. gr. 8 18; 2 u. X SS. M. 0,50. 


Compte definitiv des recettes de l’exercice 1899, rendu par le ministre des 
finances. Paris, impr. nationale, 1901. in-4. 688 pag. 

Digeaux, P., L'impôt sur les titres de rente. Laval, impr. Barnéoud & C**, 
1900. 8. XV—304 pag. (thèse.) 

Lévy, Raph. G., Le budget de 1901. Paris, Guillaumin & C", 1901. 8. fr. 1.—. 

Projet de loi adopté par la Chambre des députés, le 29 décembre 1900, portant 
fixation du budget général des dépenses et des recettes de l’exercice 1901. Paris, impr. 
nationale, 1900. in-4. 310 pag. 

Financial reform almanack, 1901. London, Simpkin, 1901. 8. 1/.—. 

à Annuario dei ministeri delle finanze e del tesoro del regno d’Italia. Anno XXXIX 
(1900/1901). Roma, tip. Elzeviriana di Pateras, 1900. 8. XLIII—836 pp. 

Azienda dei tabacchi. Relazione e bilancio industriale per l’esercizio dal 1° luglio 
1899 al 30 giugno 1900. Roma, tipogr. Elzeviriana, 1901. Roy. in-4. LII —135 pp. 
(Pubblicazione del Ministero delle finanze, Direzione generale delle privative.) 

Cosssa, A., Primi elementi di scienza delle finanze. 8* edizione. Milano, U. Hoepli, 
1901. 8. XII—208 pp. 1. 2.—. 

Relazione del Direttore generale alla Commissione di vigilanza sul rendiconto 
dell? amministrazione del debito pubblico per l’esercizio dal 1° luglio 1899 al 30 giugno 
1900. Roma, tip. G. Bertero, 1900. gr. 4. 294 pp. (Pubblicazione del Ministero del 
Tesoro, Direzione generale del debito pubblico.) 

Servizio del lotto, esercizio 1899/1900. Relazione a S. E. il Ministro delle 
finanze. Roma, tip. Elzeviriana, 1901. Roy. in-4. 53 pp. (Pubblicazione della Direzione 
generale delle privative.) 

Gil y Pablos, F., Estudios sobre el crédito público y de la deuda pública 
española. Madrid, M. Murillo, 1900. 8. pes. 3.—. 


8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen. 


Basch, Jul., Wirtschaftliche Weltlage. Börse und Geldmarkt im Jahre 1900. 
XI. Folge. 3. Aufl. Berlin, Prager, 1901. gr. 8. 64 SS. M. 1.—. 

Börsenkalender, deutscher, und Effektenhandbuch 1901. Frankfurt a/M., 
Selbstverlag der Frankfurter Societätsdruckerei, 1900. Jahrg. XVIII. gr. 8. 178 SS. 
M. 2.—. (Beilage zur Frankfurter Zeitung.) 

Hönig, Fr., Die österr.-ungar. Lebensversicherungsgesellschaften im Jahre 1899. 
Wien, Gerold & C°, 1900. 12. 46 SS. u. Tabelle. M. 1.—. 

Landmann, Jul., System der Diskontopolitik. Kiel, Lipsius & Tischer, 1900. 
Roy.-8. XII—185 SS. M. 3,50. 

Land- und forstwirtschaftliche Berufsgenossenschaft für das Königreich Sachsen. 
Geschäftsbericht für das Jahr 1899.. Dresden, Druck von A. Schönfeld, 1900. Folio. 
34 SS. 

Schlachtviehversieherung. Stenographischer Bericht über die Verhand- 
lungen einer von der Centralstelle für Viehverwertung der preußischen Landwirtschafts- 
kammern veranstalteten Konferenz zur Vorbereitung eines obligatorischen Schlachtvieh- 
versicherungsgesetzes in Preußen am 29. u. 30. X. 1900 im Abgeordnetenhause zu Berlin. 
Berlin, P. Parey, 1901. gr. 8. 160 SS. M. 2,50. 

Wittenberg, Max, Staatshypothekenbanken. Ein Vorschlag zur Reform des 
Hypothekenbankwesens. Berlin, Verlag der Berliner Montagszeitung, 1901. 8 9 SS. 
M. 0,25. 


Bigo, A., Des stipulations pour autrui et des assurances sur la vie en tant 
qu’elles s’y rattachent. Tourcoing, impr. Debisschop, 1901. 8. 185 pag. 

Clavel, P., Des valeurs mobilières et de leur négociation au comptant et à 
terme. Paris, Guillaumin & C", 1900. 8. fr. 2,50. 

Congrès international des sociétés par actions, tenu A Paris du 8 au 12 juin 
1900. Compte rendu sténographique. Paris, A. Rousseau, 1900. 8. XXXII—594 pag. 
(Exposition universelle internationale de 1900. Publication du Ministère du commerce.) 

Jarrin, A., Les caisses d'épargne italiennes et le crédit agricole, conférence faite 
le 4 mars 1900, au cercle savoisien de la Ligue de l’enseignement, Chambéry, impr. 
V° Ménard, 1900. 8. 40 pag. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 435 


Morand de la Perrelle, J. (lieutenant-colonel, Membre de l’Institut des actuaires 
français), Assurances sur la, vie. Calcul des primes des principales combinaisons aux 


compagnies françaises et étrangères, mis à la portée de tous. Paris, L. Larose, 1900. 
gr. in-8. fr. 3,50. 


Bigelow, Melville Madison, Bills, notes and cheques. Boston, Little, Brown 
& C=, 1900. 8. 349 pp. cloth. $ 3.—. 

Willis, H. Parker, History of the Latin monetary union: a study of inter- 
national monetary action. Chicago, University of Chicago press, 1901. 8. 339 pp. 
dos, $ 2.—. (Economic studies of the Univ. of Chicago, n° 5.) 

Hammond, J. H., Taxation of business corporations in New York State. New 
York, Baker, Voorhis & C°, 1901. 8. 37; 275 pp., cloth. $ 2,75. 

Cesura, Melsh., Del cambio estero in economia pura. Pavia, tip. cooperativa, 
1900. 8. 44 pp. e 2 tavole. 


9. Soziale Frage. 

Paul Adler, Die Lage der Handlungsgehilfen. Stuttgart 1900. 
8% Bd. XVI, 197 SS. A. u. d. T.: Münchener Volkswirtschaftliche 
Studien, herausg. von Lujo Brentano und Walther Lotz, 39. Stück. 

An der Hand des von der Reichskommission für Arbeiterstatistik 
in den Jahren 1892—1894 gesammelten Materials erörtert die vor- 
liegende Schrift sachlich und leidenschaftslos die Mißstände in den 
Verhältnissen der Ladengehilfen. Wenn der Verf. auch nur mit einigem 
Vorbehalt der Behauptung der Kommission, daß das gewonnene Material 
volkommen zuverlässig sei, zuzustimmen vermag, so gelingt es ihm 
doch, dasselbe so zu benutzen, daß in dem Leser die Ueberzeugung 
von der Notwendigkeit einer Reform entsteht. Mit offenkundiger und 
berechtigter Sympathie für das „Leidensstationen“ ausgesetzte Laden- 
personal, das übrigens nicht nur in Deutschland, sondern in England, 
Frankreich, Oesterreich in gleich ungünstiger Lage erscheint, befür- 
wortet er vom Staate zu unternehmende Verbesserungen. Um so leichter 
sind solche durchzuführen als die heutigen Mißstände nicht durch die 
Beschaffenheit der Branche oder des Betriebes gebotene Notwendigkeiten 
sind, sondern der Gewohnheit, der Lässigkeit, dem Vorurteil ihre Ent- 
sthung verdanken. Bei der Frage nach der Beschäftigungsdauer spiele 
die Rücksicht auf die Konkurrenten die hauptsächlichste Rolle. Die 
Schrift ist flüssig geschrieben und läßt in Darstellung wie Beurteilung 
anerkennenswerte Gewandtheit und Ueberlegung zu Tage treten. 


Wilh. Stieda. 


Bonhoeffer (Privdoz.), Ein Beitrag zur Kenntnis des großstädtischen Bettel- und 
Vagabondentums. Eine psychiatrische Untersuchung. Berlin, Guttentag, 1900. gr. 8. 
SA M. 1,50. (Sonderabdruck aus Ztschr. f. d. ges. Strafrechtswissensch., Bd. XXI, 

et 1.) 

Gruber, Max (Prof), Die Prostitution vom Standpunkte der Sozialhygiene aus 
betrachtet. Vortrag gehalten im sozialwissenschaftlichen Bildungsvereine an der Wiener 
Universität am 9. V. 1900. 38 SS. (Zuerst veröffentlicht in der Zeitschrift: „Deutsche 
Worte“, 1900, Juniheft.) 

Jahresbericht des Berliner Asylvereins für Obdachlose. Jahrg. XXXII (1900). 
Berlin, Verlag des Vereins, 1901. gr. 8. 16 SS. 

Kampffmeyer, P. (ehemals Arbeitersekr. in Frankfurt a/M.), Die Baugenossen- 
schaften im Rahmen eines nationalen Wohnungsreformplanes. Göttingen, Vandenhoeck 
& Ruprecht, 19 00. gr. 8. 53 SS. M. 1.—. (Hgg. vom Verein Reichswohnungsgesetz.) 

Liebrecht (LandesR., Vorsitzender des Vorstandes der Landesversicherungsanstalt 


28* 


436 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Hannover), Reichshilfe für Errichtung kleiner Wohnungen. Göttingen, Vandenhoeck & 
Ruprecht, 1900. gr. 8. 16 SS. M. 0,40. 

Schriften des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit. Heft 51: 
Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der XX. Jahresversammlung des 
deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit am 20. und 21. IX. 1900 in 
Mainz. Leipzig, Duncker & Humblot, 1901. gr. 8. 137—XVII SS. M. 3.—. (Inhalt : 
Die Stellung der ehrenamtlichen Organe der Armenpflege. — Einheitliche Gestaltung 
der Armenfinanzstatistik. — Fürsorge für Genesende, — Organisation der Gemeinde- 
waisenpflege. — Armenärztliche Thätigkeit.) 


Martel, H., L’aleoolisme au Congrès pénitentiaire international de Bruxelles en 
1900. Bruxelles, veuve Monnom, 1900. 8. 47 pag 

Peabody, Francis Greenwood, Jesus Christ and the social question: Exami- 
nation of teaching of Jesus in its relation to problems of modern social life. London, 
Macmillan, 1901. 8. 380 pp. 6/.—. 

Bonardi, J., La cassa di previdenza per gli operai vecchi ed invalidi. Brescia, 
tip. della Provincia, 1900. 8. 40 pp. 

Cutrera, A., La mafia e i mafiosi: origini e manifestazioni. Studio di sociologia 
criminale. Palermo, A. Reber, 1900. 8. VII—197 pp. e 1 tav. 1. 2,50. 


10. Gesetzgebung. 


Bundesgesetz, das, betreffend die Arbeit in den Fabriken, vom 23. III. 1877 
Kommentiert durch seine Ausführung in den Jahren 1878—1899. Bern, Schmid & 
Francke, 1900. 8. 308 SS. mit 4 Beilagen (Formulare). M. 2,40. [Herausgeg. vom 
schweizerischen Industriedepartement.] 

Gerson (ARichter), Die Arbeitsleistung und ihr Lohn nach neuem deutschen 
Reichsrecht. Mülheim a. R., Jul. Bagel, o. J. (1900). 12. 111 SS. M. 1.—. (Mit 
Anhang 1—3: Die Rechte des Handlungspersonals. Klageentwürfe, etc.) 

Handtmann, O., Das russische Handels- und Verkehrsrecht in seinen wesent- 
lichen Bestimmungen nach dem gegenwärtigen Stande der Reichsgesetzgebung und mit 
Berücksichtigung der internationalen Vereinbarungen und Verträge. I. Teil. Riga, Jonk & 
Poliewsky, 1900. gr. 8. 97 SS. M. 3,20. 

Kotze, O., Die Fischereigesetzgebung im preußischen Staate. (Enthaltend das 
Fischereigesetz vom 30. Mai 1874, in der Fassung des Gesetzes vom 30. März 1880, etc.) 
Leipzig, Roßberg’sche Hofbhdl., 1900. gr. 8. 175 SS. kart. M. 2,40. 

Lehmann, G. (k. preuß. OKontroleur, Neidenburg), Die Reichsbranntweinsteuer- 
gesetze mit den vom 1. X. 1900 ab giltigen Ausführungsbestimmungen. Herausgeg, 
von G. L. Breslau, J. U. Kerns Verlag, 1900. gr. 8. IX—209 SS., kart. M. 2,50. 

Marchand, H. (Staatsanwaltschaftssekretär), Das Strafregister in Deutschland 
unter besonderer Berücksichtigung Preußens nebst einer Zusammenstellung der im Aus- 
lande bestehenden Einrichtungen. Berlin, Guttentag, 1900. 8. X—123 SS. M. 3.—. 

Otto, F., Das älteste Gerichtsbuch der Stadt Wiesbaden. Wiesbaden, J. F. Berg- 
mann, 1900. gr.8. VIII—116 SS. (A. u. d. T. Quellenschriften zur Nassauischen 
Rechts- und Verfassungsgeschichte I.) 

Schüllermann, W. (k. ForstamtsAss.), Das Jagdrecht in Bayern diesseits des 
Rheines nach dem bayerischen Jagdausübungsgesetze, etc. Bamberg, Verlag der Handels- 
druckerei, 1900. 12. XII—308 SS. mit EES und 4 Farbentafeln, geb. M. 2,50. 


Cailleux, E., La législation belge sur les règlements d'atelier, avec un exposé 
de létat de la question en France et des pièces annexes, Paris, À. Rousseau, 1900. 8. 
XV—297 pag. 

Lescure, P. (sous-chef à la direction générale des finances tunisiennes), Du double 
régime foncier de la Tunisie. Droit musulman et loi foncière. Paris, L. Larose, 1901. 
gr. in-8. fr. 7,50. 

Barassi, L., Il contratto di lavoro nel diritto positivo italiano. Milano, Società 
editrice libraria, 1901. 8. XX—914 pp. 1. 20.—. 

Contento, Aldo, La legislazione operaia: origini, sviluppo, stato attuale. Torino, 
Roux & Viarengo, 1901. 8. 237 pp. 1. 2,50. 

Conrotte, Manuel, Questiones juridicas relacionadas con la ley sobre accidentes 
del trabajo. Madrid, Romo y Füssel, 1900. 8. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 437 


11. Staats- und Verwaltungsrecht. 


Charlottenburg. Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegen- 
heiten der Stadt Charlottenburg für das Etatsjahr 1899. Charlottenburg, C. Ulrich EC, 
1901. Imp.-8. 230 SS. 

Duisburg. Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegen- 
heiten der Stadt Duisburg für das Etatsjahr 1899 (1. IV. 1899 bis 31. III. 1900). 
Duisburg, Druck der Duisburger Verlagsanstalt, 1900. 4. 224 SS. — Haushaltsetat für 
das Etatsjahr 1900. Ebd., Druck von F. H. Nieten, 1900. 28 SS. mit XIII Anlagen. 

Freudentheil, G. W. (Kanzleiprokurator, Stade), Geschichte des Advokaten- 
standes des vormaligen Königreichs Hannover bis zum Jahre 1831. Stade, A. Pockwitz, 
1900. 8. 24 SS. 

Jahrbuch, politisches, der schweizerischen Eidgenossenschaft. Herausgeg. von 
C. Hilty (Prof. d. Bundesstaatsrechts, Univ. Bern). Jahrg. XIV, 1900. VIII—589 SS. 
M. 9.—. (Inhalt: Die eidgenössische Schulsubvention, vom Herausgeber. — Ueber die 
Handelsmoral, vom Herausgeber. — Das Alkoholpostulat, von C. Hilty. — L’Etat et 
les eglises aux Etats Unis, von J. B. Pioda (schweiz. Gesandter, Washington). — (Poli- 
tisch-staatswissenschaftlicher) Jahresbericht für das Jahr 1900. — Rede des (BundesR.) 
Zemp bei der Eröffnung des internationalen Postkongresses. — Vortrag über die Doppel- 
initiative an der Konferenz der freisinnig demokratischen Bundesversammlungsmitglieder 
in Münchenbuchsee.) 

Jahresbericht, XXXI., des Landesmedizinalkollegiums über das Medizinal- 
wesen im Königreiche Sachsen auf das Jahr 1899. Leipzig. F. C. W. Vogel, 1900. gr. 8. 
383 SS. 

Königsberg i. Pr. Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeinde- 
angelegenheiten der k. Haupt- und Residenzstadt Königsberg i. Pr. während des Rech- 
nungsjahres 1. IV. 1899 bis dahin 1900. Königsberg, K—ger Allgem. Zeitungsdruckerei, 
1900. 4. 307 SS. — Hauptübersicht über die der Stadthauptkasse zu Königsberg i. Pr. 
zugewiesenen Verwaltungszweige pro 1. IV. 1899/1900. Ebd. 1900. 4. 103 SS. 

Mühlhausen. Bericht des Magistrats der Stadt Mühlhausen i. Th. über den 
Stand und die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten der Stadt Mühlhausen im Ver- 
waltungsjahre 1899/1900. Mühlhausen i. Th., Druck von Röth & Köhler, 1901. gr. 4. 
42 SS. 

Paderborn. Bericht über den Stand der Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten 
der Stadt Paderborn für das Geschäftsjahr 1899. Paderborn, Junfermannsche Buch- 
druckerei, 1900. 4. 20 SS. 

Sinzheimer, L., Der Londoner Grafschaftsrat. Ein Beitrag zur städtischen Sozial- 
reform. I. Band: Die SchluBperiode der Herrschaft der Mittelklassen in der Londoner 
Stadtverwaltung. Stuttgart, J. G. Cotta, Nachfolger, 1900. gr. 8. VIII—512 SS. 

Stettin. Verwaltungsbericht der Stadt Stettin vom 1. IV. 1899 bis dahin 1900. 
I. Spezialberichte. Stettin, Druck von F. Hessenland, 1900. gr. 4. 139 SS. 

Wien. Die Gemeindeverwaltung der k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien 
im Jahre 1898. Bericht des Bürgermeisters K. Lueger. Wien, W. Braumüller, 1901. 
gr.8. 429 SS. mit Tafeln und Abbildungen (darunter 1 Chromolith.), geb. 

Wiener Kommunalkalender und städtisches Jahrbuch, 1901. Jahrg. XXXIX. 
Wien, P. Gerin, IL, Circusgasse 13. kl. 8. 677 SS., kart. M. 3,20. (Aus dem Inhalt: 
Städtische Unterrichtsanstalten. — Gewerbeschulen. — Armeninstitute. — Gewerbe- 
genossenschaften. — Beiträge zur Geschichte der Stadt Wien: Wien im Jahre 1830, 
von E. Guglia (S. 532—558). — Chronik der Stadt Wien. — etc.) 

Wittenberg. Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten 
der Stadt Wittenberg in dem Rechnungsjahre 1899. Wittenberg, Druck von Lübcke & 
Brewing, 1900. gr. 4. 56 SS. 

Wittwer, J. C. (kais. Kantonalpolizeikommissar), Die politische Polizei und das 
französische Polizeikommissariat. Straßburg, St—ger Druckerei u. Verlagsanstalt, 1900. 
gr. 8. 86 SS. M. 2.—. 


Despagnet, Fr. (prof. de droit internat. à l’Université de Bordeaux), La question 
finlandaise au point de vue juridique. Paris, L. Larose, 1901. gr. in-8. fr. 3.—. 

Duthoit, E. (prof. à la faculté libre de droit de Lille), Le suffrage de demain. 
Régime électoral d’une démocratie organisée. Paris, Perrin & Ci, 1901. 8. 270 pag. 

Lévy, G., De la condition internationale des îles Ioniennes, depuis le congrès de 
Vienne jusqu’à nos jours. Paris, A. Rousseau, 1901. 8. 159 pag. 


438 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Rapport sur l’organisation et la situation de l’enseignement primaire public en 
France, présenté à M. le Ministre de l'instruction publique par l'inspection générale 
de l’enseignement primaire. Paris, imprimerie nationale, 1900. gr. in-8. XVI—628 pag. 
(Publication de l’instruction publique et des beaux arts.) 

Situation financière, la, des communes de France et d'Algérie en 1899, présenté 
par M. Bruman (conseiller d'Etat, directeur de l’administration départementale et com- 
munale) à M. Waldeck-Rousseau (président du conseil, Ministre de l’intérieur et des 
cultes). XXITième publication. Melun, imprim. administrative, 1900. gr. in-4. XIX— 
649 pag. fr. 10.—. (Publication du Ministère de l’intérieur et des cultes.) 

Nyholm, C. V., Finlands stilling i det russike kejserrige. Kobenhavn, Salmonsen, 
1900. 8. kr. 2,25. 


12. Statistik. 
Allgemeines. 

Bliss, H. L., Plutocracys’ statistics : statistical lies and liars, official and unofficial, 
exposed. Chicago, H. Kerr & C°, 1901. 8. 32 pp. $ 10. 

Minguez y Vicente, Tratado de estadística. Madrid 1891. 8. (Table des matières : 
Partie mathématique. — Histoire de la statistique en Europe et en Espagne. — Les 
machines à calculer employées par les statisticiens. — L'organisation de la statistique 
dans divers pays. — etc.) 


Deutsches Reich. 


Beiträge zur Statistik der Stadt Frankfurt a. M. Neue Folge. Im Auftrage des 
Magistrats herausgegeben durch das statistische Amt. Heft 4: Frankfurter Krankheits- 
tafeln. Untersuchungen über Erkrankungsgefahr und Erkrankungshäufigkeit nach Alter, 
Geschlecht, Civilstand und Beruf, auf Grund des Materials der Ortskrankenkassen zu 
Frankfurt a. M. Bearbeitet von H. Bleicher (Direktor des statistischen Amtes). Frank- 
furt a. M., J. D. Sauerländer, 1900. Lex.-8. 56—LXXXI SS. Mit 5 graphischen 
Tafeln. 

Beiträge zur Statistik des GroBherzogtums Hessen. Herausgeg. von der großherz. 
Centralstelle für die Landesstatistik. Band XLIV, Heft 3. Darmstadt, G. Jonghaus, 
1900. 4. XXVII—141 SS. (Inhalt: Die Volkszählung im Großhzgt. Hessen vom 2. XII. 
1895, von G. Fertsch (großh. RegR.). Band XLV, Heft 1. Ebd. 1901. 4. 32 SS. In- 
halt: Statistik der Straf- und Gefangenanstalten im Großhzgt. Hessen für das Jahr vom 
1. IV. 1898 bis 31. III. 1899.) 

Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle, die, im preußischen Staate während 
des Jahres 1899 nebst einer Uebersicht der im preußischen Staate in den einzelnen 
Jahren von 1816 bis 1899 vorgekommenen Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle, 
sowie der entsprechenden Geburts-, Heirats- und Sterbeziffern. Berlin, Verlag des kgl. 
statistischen Bureaus, 1901. Roy.-4. XXII—310 SS. M. 8,40. 

Jahrbuch, statistisches, der Stadt Berlin. Jahrg. XXV. Statistik des Jahres 1898 
nebst Ergänzungen für frühere Jahre. Im Auftrage des Magistrates herausgeg. von 
R. Böckh (Direktor des statistischen Amtes der Stadt Berlin). Berlin, Druck u. Verlag 
von P. Stankiewicz’? Buchdruckerei, 1900. gr. 8. XXVIII—609 SS. 

Protokolle über die Verhandlungen der Kommission für Arbeiterstatistik vom 
28. XI. 1900 und Bericht über die Erhebungen betreffend Sonntagsruhe bei der Binnen- 
schiffahrt. Berlin, C. Heymanns Verlag, 1901. Folio. 18 SS. (Drucksachen der Kom- 
mission für Arbeiterstatistik, Verhandlungen Nr. 19.) 

Seeschiffahrt, die, im Jahre 1899. Bearbeitet im kais. statistischen Amt. 
I. Abteilung: Bestand der deutschen Seeschiffe (Kauffahrteischiffe) ` Schiffsunfälle an der 
deutschen Küste; Verunglückungen deutscher Sceschiffe. Berlin, Verlag von Puttkammer 
& Mühlbrecht, 1901. Imp.-4. 175 SS. M. 4.—. (A. u. d. T.: Statistik des Deutschen 
Reichs, N. Folge, Bd. 130, Abt. 1.) 

Statistik der im Betriebe befindlichen Eisenbahnen Deutschlands nach den An- 
gaben der Eisenbahnverwaltungen bearbeitet im Reichs-Eisenbahnamt. Band XX, Rech- 
nungsjahr 1899. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1901. gr. Folio. 31 Tabellen mit Text 
und einer Karte in größt. Imp.-Folio. 

Statistik der Knappschaftsvereine des preußischen Staates im Jahre 1899. Nach 
amtlichen Quellen bearbeitet. Berlin, Ernst & Sohn, 1900. 4. 56 SS. (Sonderabdruck 
aus der Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen im preußischen Staate, 
Band XLVIII.) 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 439 


Frankreich. 


Documents statistiques réunis par l'administration des douanes sur le commerce 
de la France. Mois de janvier à décembre des années 1898, 1899 et 1900. 12livraisons. 
Paris, imprim. nationale, 1900. Roy. in-8. fr. 17.—. 

Statistique agricole annuelle, 1899. Paris, imprim. nationale, 1900. 8. 285 pag. 
(Publication du Ministère de l’agriculture.) 

Statistique de l’enseignement primaire. Tome VIime (1896—1897). Paris, 
imprim. nationale, 1900. gr. in-4, CCXIX—556 pag. avec 10 planches graphiques. 
(Publication du Ministère de l'instruction publique et des beaux-arts.) 

Statistique du service de la protection des enfants du premier âge, année 1898; 
Enfants admis en 1897. Melun, impr. administrative, 1900. in-4. 368 pag. (Publication 
du Ministère de l’intérieur.) 

Statistique sanitaire des villes de France. Tableaux récapitulatifs et résumés 
généraux des principaux documents contenus dans les relevés annuels de 1886 à 1898 
(treize ans). Melun, imprim. administr., 1900. in-4. 144 pag. (Publication de Ministère 
de l’antérieur.) 


Oesterreich-Ungarn. 


Ergebnisse der Grundbesitzstatistik in den im Reichsrate vertretenen König- 
reichen und Ländern nach dem Stande vom 31. XII. 1896. Heft 2: Ober-Oesterreich 
und Salzburg. Wien, C. Gerolds Sohn, 1900. Imp.-4. XLVI—21 SS. (Oesterreichische 
Statistik. Bd. LVI, Heft 2.) 

Jahrbuch, statistische, des k. k. Ackerbauministeriums für das Jahr 1899. 
Heft 2. Der Bergwerksbetrieb Oesterreichs im Jahre 1899, I. Lieferung: Die Bergwerks- 
produktion. Wien, Druck und Verlag der k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1900. gr. 8. 
197 SS. 

Rychna, Jos., Die Nativitäts- und Mortalitätsausweise der k. k. statistischen 
Centralkommission in Wien und des kais. Gesundheitsamtes in Berlin. Eine kritische 
Studie über die Revisionsbedürftigkeit der periodischen Geburten- und Sterbefälleaus- 
weise derselben, als weiterer Beitrag zum Prager Mortalitätsstreite. Prag, Buchdruckerei 
der „Politik“, 1900. gr. 8. 56 SS. M. 1,20. 

Statistik der Sanitätsverhältnisse der Mannschaft des k. u. k. Heeres im Jahre 
1899. Ueber Anordnung des k. u. k. Reichskriegsministeriums, bearbeitet und herausgeg. 
von der III. Sektion des k. u. k. technischen Militärkomitee. Wien, Druck der k. u. k. 
Hof- und Staatsdruckerei, 1900. gr. 4. IV—278 u. LII SS. 


Rußland. 


Bidrag till Finlands officiela Statistik. XIV* Landtmäteriet (Landvermessungs- 
wesen). N° 15. Berättelse för Ar 1899. 19 pp. — XIV’ Justeringsverket. N° 9. (Be- 
richt über die Thätigkeit des Eichungsamts 1899.) 19 pp. — XIX. Väg- och vatten- 
byggnaderna, Berättelse för år 1898. (Bericht über die öffentlichen Weg- und Wasser- 
bauten im Jahre 1898.) 153 pp. — XX. Jernvägs-Statistik. N° 29. (Bericht über 
Länge, Rollmaterial, Fahrgeschwindigkeit, Zahl der Reisenden und Betriebsbeamten, 
Gewicht und Wert der beförderten Güter etc. ete. auf den finländischen Staatsbahnen 
im Betriebsjahr 1899.) 107 pp.u.596 pp. Beilagen nebst Karten in gr.-4. — XXI. Fattig- 
värdsstatistik. N° 7. (Bericht über die Armenpflege in Finland für das Jahr 1899.) 
38 pp. mit 1 graphischen Darstellung. — XXII. Försäkringsväsendet. N° 8. (Bericht 
der Versicherungsinspektoren über das Versicherungswesen in Finland im Jahre 1899.) 
48 ; 12 pp. nebst 26 statistischen Tabellen. 6 Hefte. Helsingfors, Kejserliga Senatens 
Tryckeri, 1900. gr. 8. 


Italien. 


Relazione sui lavori preparatori pel IV Censimento generale della popolazione 
italiana dal 1° luglio 1900 al 10 febbraio 1901. Roma, tip. Bertero & C., 1901. Lex. 
in-8. 25 pp. (Pubblicazione del Ministero di agricoltura, industria e commercio.) 

Statistica del commercio speciale di importazione e di esportazione dal 1° gennaio 
al 31 dicembre 1900. Roma, tip. Elzeviriana, 1900. Lex. in-8. 157 pp. (Pubblicazione 
del Ministero dell finanze, Direzione generale delle gabelle. Ufficio centrale di revi- 
sione e di statistica.) 


440 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Belgien. 
Annuaire de l’université catholique de Louvain 1901. LXVième année, Louvain 
(Löwen) tip. de Jos. van Linthout, 1900. 12. XXXVII—564 et LXIV pag. ' 
Statistique judiciaire de la Belgique. I° année: Statistique penale 1898; stati- 
stique civile et commerciale 1897—1898. Bruxelles, Vve Ferd. Lancier, 1900. 4. XLII — 
109 et XI—52 pag. (Publication du Ministère de la justice.) 


Dänemark. 


Indkomstforholdene i København i 1898 ved Cordt Trap (Chef for Staden 
Københavns statistike Kontor). København, J. Cohens Bogtrykkerier, 1901. gr. 8. 
79 pp. (Einkommensstatistik der Bevölkerung Kopenhagens im Jahr 1901, herausgeg. 
von dem Gemeindevorstande der Stadt Kopenhagen.) 


Schweiz. 


Resultate, vorläufige, der eidgenössischen Volkszählung vom 1. XII. 1900 zum 
Teile verglichen mit denjenigen früherer eidg. Volkszählungen. Bern, 7. II. 1901. 4. 
16 SS. mit deutschem und französ. Text. 

Schweizerische Handelsstatistik. Provisorische Zusammenstellung des Spezial- 
handels der Schweiz im Jahre 1900. Bern, Druck von A. Benteli, 18. II. 1901. gr. 
Imp.-Folio. 16 SS. (Herausgegeben vom schweizerischen Zolldepartement.) 


Schweden. 


Bidrag till Sveriges officiele Statistik. B. Rättsväsendet. Ny följd. XLII, 1, 
2. Justitie-Departementet underdäniga embetsberättelse, är 1899. 50 och 44 pp. (Schwe- 
dische Civil- u. Kriminalstatistik für 1899.) — G. Fangvärden. Ny följd XLI. Be- 
rättelse för Ar 1899. XXXIV—40 pp. (Schwedische Gefängnisstatistik für das Jahr 
1899.) — K. Helso- och sjukvården I. Ny följd 38. 75—LXXVI pp. (Öffentliches 
Gesundheitswesen (einschließlich Civilhospital- und Militärsanitätsstatistik, Hebammen-, 
Impf-, Veterinärwesen, ete. für 1898). — S. Allmänna arbeten. 28. Väg- och vatten- 
byggnadsstyrelsens berättelse für äret 1899. (Bericht über öffentliche Weg- und Wasser- 
bauten im Jahr 1899.) Y. Sparbanksstatistik II. Postsparbanken. Berättelse för år 1899. 
XXVII—32 pp. Zusammen 5 Hefte. Stockholm, K. L. Beckmans boktryckeri, 1900. 4. 


Norwegen. 

Resultater, foreløbige, of Folketællingen i Norge, 3 XII 1900. Kristiania, 
H. Aschehoug & C°, 1901. gr. in-8. IV—21 pp. (Vorläufige Ergebnisse der norwegi- 
schen Volkszählung vom 3. XII. 1900. Herausgeg. vom norweg. statistischen Central- 
bureau.) 

Statistisk årbog for Kristiania by. Udgivet af kommunens statistiske kontor. 
Fjortende årgang. (Statistisches Jahrbuch der Stadt Kristiania. Herausgeg. vom städti- 
schen statistischen Bureau. Jahrg. XIV: 1899. Kristiania, Gundersens bog- & nodetrykkeri, 
1901. gr. in-8. XII—172 pp.) 


Serbien. 

Crarucruka Kparesuue Cpôuie. XIV. Band. Beorpara (Belgrad) 1900. gr. in-4. 
CHX—787 pp. mit 3 Kartogrammen und 17 Diagrammen. (Statistik der Kriminal- 
gerichtspflege im Königreich Serbien für das Jahrfünft 1891—95.) 

CraTucTuka Kparcpuue Cpôuie. XVI. Band. Beorpax (Belgrad) 1900. LXXV— 
387 pp. Mit 15 Karto- und 3 Diagrammen. (Inhalt: Agrarstatistik des Königreichs 
Serbien für das Jahr 1897, umfassend a, Statistik der Grundbesitzer bezw. der Bebauer 
des Kulturlandes; b, Statistik des Viehbestandes; e, Anbau- und Ertragsstatistik der 
unter Kultur stehenden Ländereien.) 


Bulgarien. 

Crarucrura sa OCHOBHHTĚ yuurnma BB KHSIKecTBo BrArapun npésB yuebuara 
1898—99 romua, (Statistik des Primärunterrichts im Fürstentum Bulgarien im Schul- 
jahre 1898/99. Sophia, Staatsdruckerei, 1900. 4. IV—193 SS. Veröffentlichung der 
Direktion der bulgarischen Statistik.) 

Pesyararu orb nmochuurb H peko.maTa BE KHAXCCTBO BrArapua upE3L 36M- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 441 


aexb.rueckara 1898—99 roruna. Coua 1900. 4. 645 pp. (Agrarstatistik des Fürsten- 
tums Bulgarien: Aussaat und Ernte 1898,99. Sophia, Staatsdruckerei, 645 SS. nebst 
4 Kartogrammen. Veröffentlichung der Direktion der amtlichen bulgarischen Statistik.) 


Amerika (Argentinien). 

Anuario de la Dirección general de estadística correspondiente al año 1899. 
Tomo II. Buenos Aires, Compañia Sud-Americana de billetes de banco, 1900. gr. in-8. 
481 pp. (Indice: Proyecto de una nomenclatura internacional de las causas de muerte. 
— Estadística policial de la capital, en 1899. — Laimmigraeiön y emigración de los últimos 
43 anos.— El censo de la población de la República de México. — Las rentes nacionales 
en el quinquenio 1895 à 1899. — Los impuestos internos. — Estadistica escolar. — 
Estadistica de ferrocarriles. — Estadistica postal y telegräfica. — etc.) 


Australien (Kolonie Süd-Australien). 


Statistical register, 1899. Compiled from official records. 7 parts. Adelaide, 
C. E. Bristow printed, 1900. Folio. (Contents: I. Population. — II. Vital statistics. — 
HI. Production. — IV. Interchange. — V. Law, crime, ete. — VI. Revenue and ex- 
penditure. — VII. Religious, educational, and charitable institutions.) 


13. Verschiedenes. 


Danziger, Fr. (Beuthen O/S.), Die Entstehung und Ursache der Taubstummheit. 
Frankfurt a. M., Joh. Alt, 1900. gr. 8. 95 SS. mit 3 Tafeln. M. 4.—. 

Dunker, C., Sollen wir in Berlin obligatorische kaufmännische Fortbildungs- 
schulen einrichten? Berlin, Mittler & Sohn, 1901. gr. 8 61 SS. M. 1.—. 

Ebstein, W. (GehMedR. u. o. ö. Prof. d. Mediz.), Die Medizin im Alten Testa- 
ment. Stuttgart, F. Enke, 1901. gr. 8. 184 SS. M. 5.—. 

Fischer, Hans R., Adalbert Falk, Preußens einstiger Kultusminister. Blätter 
aus der Einsamkeit. Hamm i. W., E. Griebisch, 1901. gr. 8. 87 SS. mit Portr. 
M. 1,25. 

Hanschmann, A. Br., Friedrich Fröbel. Die Entwickelung seiner Erziehungs- 
idee in seinem Leben. 3. bis auf die Neuzeit ergänzte Aufl. Dresden, Bleyl & Kaem- 
merer, 1900. gr. 8 XX--535 SS. M. 4.—. 

Juden, die, in Rußland. Urkunden und Zeugnisse russischer Behörden und 
Autoritäten. Aus dem Russischen übersetzt von August Scholz. Berlin, Concordia, 
deutsche Verlagsanstalt, 1900. gr. 8 XII—248 SS. M. 3.—. 

Kaemmel, O. (Rektor des Nikolaigymnas., Leipzig), Der Kampf um das huma- 
nistische Gymnasium. Aufsätze zur Reform des höheren Schulwesens. Leipzig, F. W. 
Grunow, 1901. 8. 

Keller, L. (GehStaatsarchivar, Berlin), Die deutschen Gesellschaften des 19. Jahr- 
hunderts und die moralischen Wochenschriften. Ein Beitrag zur Geschichte des deut- 
sehen Bildungswesens. Berlin, R. Gaertner, 1900. Lex.-8. 21 SS. M. 0,75. 

Mirabeau in Berlin, als geheimer Agent der französischen Regierung 1786— 
1787. Nach Originalberichten in den Staatsarchiven von Berlin und Paris. Herausgeg. 
von H. Welschinger. Uebertragen und bearbeitet von O. Marschall v. Bieberstein. 
Leipzig, H. Schmidt & C. Günther, 1900. gr. 8. VIII—487 SS. M. 7,50. (Inhalt: 
Anmerkungen zu den verschiedenen bisherigen Ausgaben der „Geheimen Geschichte des 
Berliner Hofes“ und zu diesen allein authentischen und mit dem Original übereinstim- 
menden Ausgaben, — etc. 

Möbius, P. J., Stachyologie. Weitere vermischte Aufsätze. Leipzig, Joh. A. 
Barth, 1901. gr. 8 VI—219 SS. M. 4,80. (Aus dem Inhalt: Drei Gespräche über 
Metaphysik. — Drei Gespräche über Religion. — Psychiatrie und Litteraturgeschichte. 
— Ueber J. J. Rousseau’s Jugend. — Ueber das Studium der Talente. — Ueber die 
Vererbung künstlerischer Talente. — Ueber einige Unterschiede der Geschlechter. — 
Ueber den physiologischen Schwachsinn des Weibes. — Ueber Entartung. — Ueber 
Mäßigkeit und Enthaltsamkeit. — ete.) 

Möckel, R., Die Entwickelung des Volksschulwesens in der ehemaligen Diöcese 
Zwickau während der Zeit von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Jahre 1835. 
Leipzig, Fr. Brandstetter, 1900. gr. 8. 172 SS. M. 2.—. 

Neureuther, K. (Generalmajor), Das erste Jahrhundert des topographischen 
Bureaus des kgl. bayerischen Generalstabes. Kurzer Auszug aus dessen Entwickelungs- 


449 Die periodische Presse des Auslandes. 


geschichte als Festschrift zur Jubiläumsfeier. München, Th. Riedel, 1900. gr. 8. 50 88. 
M. 2.—. 

Philippson, Martin, Das Leben Kaiser Friedrichs III. Wiesbaden, J. F. Berg- 
mann, 1900. gr. 8. VIII—431 SS. Mit dem Bildnis des Kaisers in Heliogravüre. 
M. 7.—. 

Seyler, E., Die Frau des XX. Jahrhunderts und ihre Krankheiten. Mit beson- 
derer Berücksichtigung der Frage der „Frauenemanzipation‘ und der Berechtigung einer 
„Frauenbewegung.“ Leipzig, O. Borggold, 1900. gr. 8. 234 SS. M. 4.—. 

Steinmeyer, H. (Oberlehrer, Braunschw.), Der Oberlehrerstand und seine Lage. 
Zusammenfassung und Ergänzung der bezüglichen Untersuchungen. Wolfenbüttel, Jul. 
Zwissler, 1900. 8. IV—56 SS. M. 0,75. 

Zieger, Br. (OLehrer a. der Oeff. Handelslehranst. zu Dresden), Litteratur über 
das gesamte kaufmännische Unterrichtswesen sowie über die seit 1895 erschienenen Lehr- 
bücher und Lehrmittel für kaufmännische Unterrichtsanstalten. Braunschweig, Verlag für 
kaufmännisches Unterrichtswesen, 1900. gr. 8. VIII—58 SS. M. 1,80. 

Zollitsch (Generalarzt im k. b. III. Armeekorps), Die geistigen Störungen in 
ihren Beziehungen zu Militärdienstunbrauchbarkeit (bezw. Invalidität) und Zurechnungs- 
fähigkeit. Würzburg, A. Stuber, 1901. 8. 28 SS. M. 0,60. 


Muret, Maur., L’esprit juif, Essai de psychologie ethnique. Paris, Perrin & C", 
1901. 8. fr. 3,50. 

Spencer, S. H., Death and the future state. Germantown (Philadelphia), Sweden- 
borg Publ. Association, 1900. 139 pp. 12., cloth. $ 0,30. (Teachings of Swedenborg 
respecting death, resurrection, and the future state.) 

Baccioni, G. B., La vigilanza igienica degli alimenti: note d’igiene e pratica 
di bromatologia. Torino, fratelli Bocca, 1901. 12. 426 pp. 1. 4.—. 

de Unamuno, M., De la enseñanza superior (öffentlicher Unterricht) en España. 
Madrid, A. Marzo, 1900. 8. pes. 1,50. 


Die periodische Presse des Auslandes. 


A. Frankreich. 


Bulletin du Ministère de l’agriculture. XIX” année, N° 5, Décembre 1900: 
Rapport sur les résultats obtenus par l’organisation des tirs contre la grêle en Italie 
pendant les années 1899 et 1900. — Etude sur la valeur agricole des terres de Mada- 
gascar, par MM. A. Müntz et Eug. Rousseaux. — Production des alcools en 1899 et 
1898. — Compte rendu de la foire aux jambons en 1900. — ete. 

Bulletin de statistique et de législation comparée. XV: année, 1901, Janvier. — 
A. France, colonies: Les ministres des finances depuis 1789.— Loi relative aux crédits 
provisoires applicables à l'exercice 1901. — Les fabriques de sucre et leurs procédés de 
fabrication, pendant les campagnes 1884/85 à 1899/1900. — L’impöt sur les opérations 
de bourse (avec diagrammes). — Les revenus de l'Etat. — Le commerce extérieur, mois 
de décembre 1900. — Le commerce extérieur en 1900 (résultats provisoires). — Les 
achats et ventes de rentes effectués par l'intermédiaire des comptables du Trésor. — 
Monnaies fabriquées en 1900 à la monnaie de Paris. — Produit de l'octroi de Paris. — 
Les opérations de la caisse nationale d'épargne en 1899. — B. Pays étrangers: Angle- 
terre: Le commerce extérieur du Royaume-Uni. Le cours de consolidés de 1875 à 1900. 
— Autriche-Hongrie: Le budget autrichien pour 1901. — Belgique: Le commerce 
extérieur. — Le budget des voies et moyens pour 1901. — Italie: Le budget de l’exer- 
cice 1900—01. L’impöt sur les revenus de la richesse mobilière. Les chemins de fer 
en 1898. — Russie: Le budget de l’Empire, pour 1901. — Etats Unis: Le commerce 


extérieur. — République Argentine: Le projet de budget pour 1901. — etc. 
Journal des Economistes. LX° année, 1901, Février: Sociétés secrètes et assu- 
rances fraternelles aux Etats-Unis, par G. Nestler Trieoche. — Coup d'oeil sur la litté- 


rature économique de l'Espagne, par F. Custelot. — Le mouvement agricole, par L. 


Die periodische Presse des Auslandes. 443 


Grandeau. — Revue des publications économiques en langue française, par Rouxel. — 
William Petty et son oeuvre économique, par H. Bouët. — Giuseppe Verdi, par P. Ghio. 
— Loi autorisant la ville de Paris à établir des taxes directes et indirectes en rempla- 
cement des droits d'entrée sur les boissons hygièniques. — Société d'économie politique 
(réunion du 5 février 1901): Nécrologie: M. Maur. Block. Discussion: Considérations 
sur l'évaluation de la richesse publique en France. — Chronique. — etc. 

Journal de la Société de statistique de Paris. XLIIiċme année, N° 2, Février 
1901: Procès-verbal de la séance du 16 janvier 1901. — Note sur le crédit foncier 
hypothécaire. — Etude sur les lois de la population et la loi de Malthus, par G. Cauderlier. 
— Chronique trimestrielle des banques, changes et métaux précieux, par Pierre des 
Essars. — etc. 

Revue générale d'administration, XXIVième année, 1901, Janvier: Traité élé- 
mentaire de droit administratif, par Berthélemy (prof. de droit administratif à Univers. 
de Paris): Compte rendu par Maur. Le Gouix. — Le régime administratif du départe- 
ment de la Seine et de la ville de Paris, par A. Lavallée (suite 1). — Jurisprudence. 
— Chronique de l’administration française. — etc. 

Revue d’économie politique. Année XV, 1901. N° 1, Janvier: Révolution moné- 
taire du XVI: siècle, par E. Levasseur. — Les insectes sociaux et la société humaine, 
par Ch. Emery. — La conciliation et l’arbitrage obligatoires en Nouvelle-Zélande, par 
A. Métin. — L’essor économique du Japon d’après quelques publications récentes, par 
G. Blondel. — Les prêts et les avances dans les banques modernes, par André E. Sayous. 
— Chronique législative. — etc. 

Revue politique et parlementaire, 8° année (tome XXVII) 1901, Février: Le 
rapprochement des races latine et slave et l’Autriche-Hongrie. — La réforme de l’en- 
seignement classique et moderne, par A. Fouillée. — Le congrès sacerdotal de Bourges 
et l’église de France, par (l’abbé) Lemire. — Une enquête sur les marchés de marchan- 
dise en France IV. Le commerce du café et les opérations de terme qu’il nécessite, 
par E. Delivet. — Régime parlementaire et principe représentatif, par F. Moreau (prof. 
à la faculté de droit d’Aix). [I" art.) — Ouvrages et brochures publiées à l’occasion 
de l'Exposition de 1900. — etc. 

Revue internationale de sociologie. 9° année, N° 1, Janvier 1901: La psycho- 
logie inter-mentale. Discours lu, le 21 août 1900, à l’ouverture de la section de psycho- 
logie sociale et criminelle, au Congrès international de psychologie, par G. Tarde. — 
Du déterminisme et de la responsabilité sociologiques, par Raoul de la Grasserie. — 
Société de sociologie de Paris, séance du 12 XII 1900: Paroles prononcées à la mémoire 
de Louis Beaurin-Gressier, par Ad. Coste, E. Worms et G. Tarde. L’&thnographie dans 
les sections russes de l'Exposition universelle de 1900, par Th. Volkov. — Mouvement 
social: Italie: Les conditions sociales de l’Italie en rapport avec le developpement de 
la sociologie, par Dante Veroni. — etc. 


B. England. 


Contemporary Review, the. January 1901: The chinese wolf and the european 
lamb, by E. J. Dillon. — England and Russia, by J. Novicow. — Farmers villages. 
— Dublin University and the Irish catholics, by John Pigot. — Cycles and motors in 
1900, by Jos. Pennell. — Women on education authorities, by (Lady) Laura Ridding. 
— The Scottish church and the Scottish people, by A. M. Fairbairn. — ete. — Fe- 
bruary 1901: The influence of Europe on Asia, by Meredith Townsend. — Science 
in agriculture, by (Sir) Edm. Verney. — Russia and the „open door, by a Russian 
publicist. — Christianity and public life, by D. S. Cairns. — Co-operators, the State, 
and the housing question, by G. Slater. — The savings bank deposits, by H. W. 
Wolff. — etc. 

Economie Review, the. Published quarterly for the Oxford University branch 
of the Christian Social Union. Vol. X1, N°1, January 15, 1901: Progress, by the Lord 
Bishop of Durham. — American currency difficulties in the XVIIIth century, by (Rev.) 
W. Cunningham. — Some economic aspects of the sugar problem, by G. Mathieson. — 
The inspection of women’s workshops in London: a study in factory legislation, by 
(Miss) Amy Harrison. — Prosperity-sharing versus profit-sharing in relation to workshop 
management, by W. H. Lever. — Trusts in America, by Th. Marburg. — An essay in 
statistics, by E. T. Campagnac & C. E. B. Russell. — etc. 

Journal of the Institute of Actuaries, N° 200, January 1901: Events and wants: 


444 Die periodische Presse des Auslandes. 


a presidential address, by Ch. Dan. Higham, — (Prof.) J. D. Everett on a new inter- 
polation formula. — (Miss) M. Beeton and (Messrs) G. U. Yule and K. Pearson on 
data for the problem of evolution in man V.: On the correlation between duration of 
life and the number of offspring. — etc. 

Nineteenth Century, the, and after. N° 288, February 1901: My ways and days 
in Europe and in India, by (his Highness) the Maharajah Gaekwar of Barado. — The 
economie outlook in the Transvaal, by A. B. Markham. — Sham versus real home 
defence, by (colonel) L. Hale, — Our absurd system of punishing crime, by Rob. 
Anderson (Assistant Commissioner of police of the metropolis). — A plea for the soul 
of the Irish people, by G. Moore. — The higher grade board schools, by (Sir) Jos. 
Fitch. — Official obstruction of electric progress, by (Prof.) J. A. Fleming. — The 
question of the native races in South Africa, by John Macdonell. — etc. 

Quarterly Review, the. N° 385, January 1901: British agrieulture during the 
XIXth century (part I). — The first century of the East India Company. — Afghanistan 
and the Amir. — The later years of Napoleon. — The settlement of South Africa: 
1. Finance. 2. Agriculture, immigration, and irrigation. — The Nicaraguan Canal. — etc. 


C. Oesterreich-Ungarn. 


Deutsche Worte. Monatshefte hrgg. von Engelbert Pernerstorfer. Jahrg. XXI, 1901, 
Heft 1, Januar: Die Entwickelung der französischen Gewerkschaften und der Entwurf 
Millerand. Nach einem Vortrag, gehalten im sozialwissenschaftlichen Bildungsverein zu 
Wien, von Rud. Herbst (Wien). — Die Fürsorge für Geisteskranke, von Max May 
(Heidelberg). — ete. 

Handelsmuseum, das. Herausgeg. vom k. k. Oesterreichischen Handelsmuseum. 
Band XVI, N° 6 bis 9, Wien, 7.—28. II. 1901: Der internationale Kongreß für Wirt- 
schafts- und Handelsgeographie in Paris (27.—31. VII. 1900), von (Prof.) R. Sieger 
(Schluß). — Der Bergbau in der Türkei. — Das kommerzielle Unterrichtswesen auf dem 
internationalen Kongreß für den technischen Unterricht in Paris 1900. — Die wirtschaft- 
liche Lage der Capkolonie. — Die Zolltarifreform im Deutschen Reiche. — Die industrielle 
Lage in Deutschland. — Der Handelsverkehr zwischen Oesterreich und Ungarn. — 
Winke für den Export von Eisenwaren und Maschinen. — Der Handel mit Central- 
afrika (I. Artikel). — etc. 

Mitteilungen des k. k. Finanzministeriums. Jahrg. VII, Heft 1 (ausgegeben 
Januar 1901): Hauptsächliche Ergebnisse der allgemeinen Erwerbsteuer in der Veran- 
lagungsperiode 1898/99. Verfaßt von Jos. v. Friedenfels (k. k. Finanzrat) [538 SS.]. 
(Inhalt: A. Kontingentierte allgemeine Erwerbsteuer. B. Nicht kontingentierte allgemeine 
Erwerbsteuer. C. Erwerbsteuer von Hausier- und Wandergewerben.) 

Mitteilungen der k. k. Geographischen Gesellschaft in Wien. Bd. XLIII (Wien, 
R. Lechner, 1900). [Inhalt: Die Industrie Britisch-Indiens. — Der Verkehr auf dem 
Nyassa. — Die Landwirtschaft in Bosnien und der Hercegovina, von F. Heiderich. — 
Goldreserven und Notenzirkulation. — Neue Vertragshäfen in China. — Sanitäre Zu- 
stände in Havanna. — Ansiedelungen von Kolonisten in Tonkin. — Viehstand und 
Fleischhandel der Ver. Staaten von Amerika 1898.99. — Tunis unter französischer Ver- 
waltung, von E. Jung. — Der heutige Stand der Industrie in China. — etc.] 

Soziale Rundschau. Herausgeg. vom arbeitsstatistischen Amte im k. k. Handels- 
ministerium. Jahrg. II, 1901, Jännerheft: Lohnhöhe und Arbeitszeit: Gewinnbeteiligung 
der Arbeiter in Gaswerken in England. Lohnschwankungen in Nordamerika in den 
Jahren 1891—1900. Regelung der Arbeitszeit für Arbeiterinnen im Staate Nebraska. 
— Arbeiterschutz: Französischer Gesetzentwurf über den Arbeitsvertrag der zu Waffen- 
übungen einberufenen Reservisten. — Arbeiterorganisationen: Die englischen Gewerk- 
vereine im Jahre 1899. — Das österreichische Tabakmonopol im Jahre 1899. — Sozial- 
politik: Die Arbeitskammern in den Niederlanden und ihre Thätigkeit im Jahre 1899. 
— Soziale Versicherung: Die hauptsächlichsten Ergebnisse der Krankenversicherung in 


Oesterreich 1898. — Soziale Hygiene: Sanitäre und Sicherheitsmaßnahmen in gewerb- 
lichen Betrieben Belgiens. Kommission für Industriehygiene in Frankreich. — Woh- 
nungswesen. — Arbeitseinstellungen und Aussperrungen: Die Streikbewegung in Oester- 


reich im Dezember 1900. Die Arbeitskonflikte im Bergbau Oesterreichs im IV. Quartal 
1900. Die Streikbewegung in Oesterreich im Jahre 1900 u. im Jahre 1899. Die Streik- 
bewegung in Belgien, England und Frankreich. Streits, Aussperrungen und Einigungs- 
ämter in England 1899. — Arbeitsmarkt. — Arbeitsvermittelung: Ergebnisse der Ar- 


Die periodische Presse des Auslandes. 445 


beitsvermittelung in Oesterreich im Dezember 1900. Das neue Arbeitsvermittelungs- 
institut in Budapest. — Verschiedenes: Zur Dienstbotenfrage in der österreichischen 
Landwirtschaft. — Wirtschaftliche und soziale Verhältnisse in Linz. Sozialstatistisches 
aus Italien. — etc. 

Statistische Monatschrift. Herausgeg. von der k. k. statistischen Centralkom- 
mission N. Folge, V. Jahrg., Heft 8 bis 12, August bis Dezember 1900: Die nächste 
Volkszählung, von K. Th. v. Inama-Sternegg. — Die Zwangsversteigerungen von Liegen- 
schaften im Jahre 1898, von J. Vinckler, — Ueber die Reform der Budgetierung und 


Rechnungslegung für das Herzogtum Krain, von v. Cardona. — Der X. internationale 
Kongreß für Hygiene und Demographie in Paris, 10.—17. VIII. 1900, von K. Th. 
v. Inama-Sternegg. — Die internationale Kommission zur Revision der Nomenklatur 
der Todesursachen in Paris 1900, von K. Th. v. Inama-Sternegg. — Die Ergebnisse des 
Konkursverfahrens in Oesterreich im Jahre 1899. — Die Anwendbarkeit der Wahr- 
scheinlichkeitslehre im Versicherungswesen. Eine Studie aus der mathematischen Statistik, 
von Ernst Blaschke. — Bericht über die Thätigkeit des statistischen Seminars in den 


anschließenden statistischen Uebungen an der Universität Wien im Wintersemester 1899 — 
1900. — Oesterreichs Sparkassen im Jahre 1898, von H. Ehrenberger (III. Art.). — 
Oesterreichs Bank- und Kreditinstitute im Jahre 1898, von H. Ehrenberger. — ete. — 
Beilage zur Statistischen Monatschrift, N. F. Jahrg. V. (1900): Arbeitseinstellungen und 
Aussperrungen, die, in Oesterreich während des Jahres 1899. Herausgeg. vom arbeits- 
statistischen Amt im k. k. Handelsministerium, 125 SS. 


E. Italien. 


Giornale degli Economisti. Febbraio 1901: La situazione del mercato mone- 
tario. — Sul prineipio economico, replica all’ articolo del (Prof.) Pareto, per B. Croce. 
— Sul prineipio economico, per V. Pareto. — La riforma monetaria in Austria Ungheria, 
per G. Crivellari. — La rinnovazione dei trattati di commercio e gli interessi della pro- 
vineia di Bari, per A. Bertolini e A. Graciadei. — La teorica economica della munici- 
palizzazione dei pubbliei serviei, per G. Montemartini. — Previdenza (i guadagni delle 
casse di risparmio) per C. Bottoni. — Cronaca (premi alla marina e dazio sul grano, 
per F. Papafava. — Rassegna delle riviste (francesi, inglesi, americane). — ete. 

Rivista della beneficenza pubblica ete. Anno XXIX, N° 1, Gennaio 1901: I 
grandi istituti di beneficenza in Torino. (Le opere pie di San Paolo e l’Educatorio 
femminile duchessa Isabella.) — La refezione scolastica, per P. Donati. — La protezione 
dell’ infanzia e i riformatori, per A. Bianchi. — Il Congresso di Bologna. (Gl’ impiegati 


delle opere pie e l'imposta di ricchezza mobile.) — Cronaca. — ete. 

Rivista italiana di sociologia. Anno IV, fasc. 6, Novembre-Dicembre 1900: 
L’elemento morale nelle consuetudini a nelle leggi, per E. Westermarck. — Pace e 
guerra nei premi omerici ed esiodèi, per E. Ciccotti. — Nuove ricerche sulla condizione 
del marito nella famiglia primitiva, per G. Mazzarella. — Intorno alla concezione 
realistica della psicologia sociale, per Resta de Robertis. — Rassegne analitiche: Storia 
e sociologia, per G. Mondaini. — Rassegna delle pubblicazioni. — ete. 


G. Holland. 

de Economist. Lste jaargang, 1901. (’s Gravenhage) Februari: Een sociale 
voordracht, door (Prof.) J. d’Aulnis de Bourouill. — Stoomvaart onder Nederlandsche 
vlag, door J. B. R. — Rusland’s finantieele toestand, door G. M. Boissevain. — Econo- 
mische kroniek: Holländische Finanzen; Holländisches Münzwesen ` Spiritusfabrikation 
aus Melasse in Holland; Holländische Volks-, bezw. Arbeiterwohnungsprojekte, ete. — 
Handelskroniek: Gesetzentwurf betreffend die Verstaatlichung der Ausbeute der Stein- 
kohlengruben in Limburg. — ete. — Economische nalezingen en berichten: Kaffee- 
produktion in Britisch-Indien. — ete, 


H. Schweiz. 


Monatsschrift für christliche Sozialreform. Begründet von weiland (Frh.) Karl 
v. Vogelsang (Basel, Buchdruckerei des „Basler Volksblatt“). Jahrg. XXIII, 1901. 
Heft 1 u. 2: Zur Beurteilung des persönlichen Eherechtes im Vorentwurf eines schweize- 


rischen Civilgesetzbuches, von (Prof.) U. Lampert (Art. 1 u. 2). — Zur Frage der 
Dispositionsfähigkeit, von (Up med.) K. Beck. — Wirtschaftliche Tagesfragen, von 


Sempronius: Die Ethik in der Volkswirtschaft; das Manchestertum in der Sackgasse. 


446 Die periodische Presse des Auslandes. 


Die kumulativen Waisenkassen Oesterreichs ; ihre Geschichte und der neueste Kampf 
gegen dieselben. Die Pfandbriefkrise in Deutschland. Wasserstraßen in Oesterreich. 
Die Leistungsfähigkeit der amerikanischen Industrie. Die Wiener Terminhandelenquete. 
— Sozialer Rückblick, von Walther v. Quarten. — Sozialpolitisches und Wirtschaftliches 
aus der Schweiz, von A. Hüttenschwiller. — etc. 

Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Halbmonatsschrift. 
Jahrg. IX, 1901, Heft 1 und 2: Die Organisation der Schweizer Hötelangestellten, von 
H. Bieder (Luzern). — Die Erwerbsfähigkeit schulpflichtiger Kinder in Deutschland. 
Nach der Reichsaufnahme und anderen Quellen dargestellt von Henriette Fürth (Frankf.a. M.). 
— Zur Frage der Arbeitslosenversicherung, von (Prof.) N. Reichesberg (Bern). — Die Sozial- 
politik in der Schweiz im Jahre 1900, von (NationalR.) E. Hofmann (Frauenfeld). — 
Soziale Chronik. — Miszellen: Sozialistische landwirtschaftliche Genossenschaften in 
Belgien. — Aus dem Bericht der eidgenössischen Banknotenkontrolle. — etc. 


M. Amerika. 


Annals of the American Academy of political and social science. Vol. XVII, 
n° 1, January 1901: Causes of the unpopularity of the foreigner in China, by (His 
Excelleney) Wu Ting-fang. — The anthracite coal strike, by Frank Julian Warne. — 
The election of 1900, by W. H. Allen. — State boards of control, with special refe- 
rence to the experience of Wisconsin, by Sam. E. Sparling. — Communications: The 
function of saving, by L. G. Bostedo. Local vs. State constabulary, by W. H. Allen. 
— Personal notes. — etc. — Supplement to the Annals, January 1901: Massachusetts labor 
legislation, an historical and critical study, by Sarah Scovill Whittelsey. With an intro- 
duction by A. Twining Hadley (President of Yale University). [157 pp.] 

Bulletin of the Department of Labor (Washington). N° 32, January, 1901: 
Accidents to labor as regulated by law in the United States, by W. F. Willoughby. — 
Prices of commodities and rates of wages in Manila. — The negroes of Sandy Spring, 
Md. (a social study), by W. Taylor Thom. — The British Workmen’s Compensation 
Act and its operation, by A. Maurice Low. — Digest of recent reports of State bureaus 
of labor statistics: Kansas, Maryland, Michigan, Ohio, Tennessee. — Decisions of courts 
affecting labor. — etc. 

Journal, the, of Political Economy (Chicago). Vol. VIII, n° 4, December 1900: 
The anthracite miners’ strike of 1900, by G. O. Virtue. — Shipping subsidies, by 
Frank L. Mevey. — The distribution of money, by Ch. A. Conant. — The real oppor- 
tunity of the so-called Anglo-Saxon race, by C. C. Closson. — Slavery in Germanie 
Society during the middle ages, by Agnes M. Wergeland. — ete. 

Journal of Social Science, containing the proceedings of the American Association. 
N° XXXVIII, Decbr. 1900. (Washington papers of 1900.) Contents: A years progress 
in education, by W. T. Harris. — False and true teaching in our schools concerning 
alcohol, by (Prof.) W. O. Atwater. — Social changes in the United States in the half- 
century, by F. B. Sanborn. — Social changes in New England in the past fifty years, 
by Edw. W. Sanborn. — The Boers of South Africa in their social relations, by (Miss) 
Flora J. White. — An ideal eurreney, by J. L. Greene, — The stability of the gold 
standard, by E. Sherwood Meade. — Progress toward and ideal eurreney, by Marriott 
Brosius. — etc, 

Yale Review, the. A quarterly journal, ete. Vol. IX, n° 4, February 1901: 
Comment: The Ship Subsidy Bill. Reactionary democracy. Fraternity among the socia- 
lists. — Crises and their management, by Ch. A. Conant. — The entry of the United 
States into world politics as one of the great powers, by Sim. E. Baldwin. — The 
attitude of the United States toward an interoceanie canal, by Ira D. Travis. — Direct 
taxes and the federal constitution, by Ch. J. Bullock (I. art... — Notes: The Minnesota 
Primary Election Law. The census of Cuba. Industrial centralization in Sweden. The 
Ibero-American Conference. — ete. 


Die periodische Presse Deutschlands. 447 


Die periodische Presse Deutschlands, 


Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft. 
Jahrg. XXXIV, 1901, N° 2: Wahlzwang durch Geldstrafe für unentschuldigte Wahl- 
enthaltung, von Zimmermann (Braunschw.). — Verleger und Autor nach dem Verlags- 
rechtsentwurf, von Mayer (Würzburg). — Zur Entwickelung des Etats für die Verwal- 
tung der kais. deutschen Marine, von W. Thrün (Potsdam) [Forts.: Etat der preußi- 
schen Marine bis zur Gründung des Norddeutschen Bundes.) — Die Todeserklärung Ver- 
schollener nach dem B.G.B. von B. Lehmann (Eberswalde). [Forts.: 2. Abschnitt: Das 
Recht der Todeserklärung nach dem B.G.B.] — Miszellen. 

Archiv für Post und Telegraphie. Beiheft zum Amtsblatte des Reichspostamts. 
Jahrg. 1901, N’ 3 bis 5, Februar—März: Das Hellesenpatenttrockenelement. — Das inter- 


nationale Signalwesen der Schiffe. — Das Post- und Telegraphenwesen in Tunis. — 
Afrikas handelspolitische Bedeutung. — Telegraphen- und Fernsprechwesen sowie Personal- 
verhältnisse in Rußland. — Zur Geschichte des Postwesens in Braunschweig. — Gleich- 


zeitiges Fernsprechen und Telegraphieren auf Fernsprechdoppelleitungen. — Die Kanal- 
vorlage. — Dienstverhältnisse der Vorsteher der nichtärarischen Postämter in Oester- 
reich. — Postsparkasse in Niederländisch-Indien. — Die Kautschukindustrie Boliviens. 
— ete. 

Beiträge zur Kolonialpolitik und Kolonialwirtschaft. Herausgeg. von der deut- 
schen Kolonialgesellschaft (Berlin). Jahrg. II. 1900/1901, Heft 2—8: Die Beamten in 
den Schutzgebieten, von B. v. König (Geh. LegationsR.). — Volk und Inseln der öst- 
lichen Karolinengruppe, von (Kapitän) M. Prager. — Land- und Forstwirtschaftliches 
aus Kiautschou, von E. Ewerlien. — Litteraturverzeichnis über die Philippinen, von 
Maximil. Brose (Hauptmann a. DÄ [Art. I—III.] — Die Domanialpolitik des unab- 
hängigen Kongostaates, von Ren& Vauthier. — Militär und Marine in den deutschen 
Schutzgebieten, von B. v. König. — Statistik der fremden Bevölkerung in den deut- 
schen Schutzgebieten, von R. Hermann (Art. I u. II). — Koloniale Studien, von A. A. 
Brandt-Soerabaja. — Die Bagdadbahn und die deutschen Interessen in Kleinasien, von 
Max Schlagintweit (Major a. D.). — Die Ackerböden Deutsch-Südwestafrikas, von (Prof.) 
Th. Rehbock. — Die Finanzen der deutschen Schutzgebiete, von B. v. König (Art. I— 
III). — Treibende Kräfte amerikanischer Kolonialpolitik, von K. Stroever (Chicago). — 
Bizerta und die Phosphatlager von Thala, von (OLeutn.) Hübner). — Im Golf von 
Guinea, von (Hauptm. a. D.) Hutter (Art. 1 u. 2). — Der Wollhandel des Jahres 1899, 
von E. Hermann (Nantsas). — Neuseeland, von Mor. Schanz. — Ernste Betrachtungen 
über die „Perle unserer Kolonien“, Kamerun, nach langjähriger eigener Erfahrung, von 
E. v. Carnap-Quernheimb. — Gold in Erythrea, von (Hauptm.) K. v. Bruchhausen. — 
Bericht über die französischen Kolonien auf der Weltausstellung 1900, von (Graf) 
v. Zech. — Droht der deutschen Landwirtschaft aus einer zunehmenden Besiedelung 
Südbrasiliens Gefahr, von Rob. Gernhard. — Handel und Verkehr in den deutschen 
Schutzgebieten, von B. v. König. 

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Jahrg. VI, N° 1, Januar 1901: 
Die Ausschließung der nicht in die Patentanwaltsliste eingetragenen Personen von der 
Vertretung vor dem Patentamte, von D. Damme. — Das Wesen des Patentschutzes und 
sein Verhältnis zum Urheberrecht, von (JustizR.) Reuling (Berlin). — Die Denkschrift 
der deutschen Komponisten über den Urheberrechtsentwurf, von Prof. H. Schuster. — 
Erwiderung auf vorstehende Denkschrift von Fr. Rösch (Generalsekret. der Genossen- 
schaft deutscher Komponisten). — etc. 

Masius’ Rundschau. Blätter für Versicherungswissenschaft ete. N. Folge, Jahr- 
gang XIII, 1901, Heft 2: Reichsversicherungsgesetz. — Das Privatversicherungsrecht. 


— Amortisationsschuld und Lebensversicherung. — Selbstversicherung. — Die neuen 
englischen Sterblichkeitstafeln. — Die amerikanischen Lebensversicherungsgesellschaften. 
— Die Blitzgefahr. — ete. 

Neue Zeit, die. Jahrg. XIX, I. Band (1900—1901). N" 14—20, 5. I.—16. II. 
1901: Briefe von Fr. Engels über die französische Arbeiterpartei. — Klassenkampf und 
Ethik. Eine Entgegnung von F. W. Foerster (Zürich). — Die Genossenschaftsbewegung 
und der Sozialismus, von E. Anseele. — Die Ausstände in Frankreich, von H. Lagar- 


delle. — Nochmals Klassenkampf und Ethik, von K. Kautsky. — Die sozialistische 


448 Die periodische Presse Deutschlands. 


Krise in Frankreich, von Rosa Luxemburg (Art. 1—IV). — Das Kommunalprogramm 
für Schleswig-Holstein, Lübeck und Lauenburg, von Fanny Imle. — Die deutschen 
Herbergen zur Heimat, von Hans Ostwald. — Die Aerztepraxis bei Rentenbegutach- 
tungen, von Joh. Timm. — Gewerbliche Kinderarbeit in Deutschland. Nach den Er- 
hebungen des Reichsamts des Innern besprochen von Henriette Fürth. — Die Reichs- 
tagswahlen in Oesterreich, von Fr. Winter. — Die gegenwärtige Finanzlage Rußlands, 
von Parvus. — Die Elektrizität in der Landwirtschaft, von K. Kautsky. — Die Handels- 
politik und die Doktrin, von Parvus. — Das Millerandsche Streikgesetz. — Rückblick 
auf die Landsagswahlen in Württemberg, von Klara Zetkin. — Probleme der jüdisch- 
proletarischen Bewegung. — Die landwirtschaftlichen Einfuhrzölle, von Parvus. — Der 
Konflikt in Leipzig, von Fritz Herbert (Stettin). — etc. 

Preußische Jahrbücher. Band 103, Heft 2, Februar 1901: Alkohol oder Sport? 
von Rob. Hessen (Mannheim). — Die juristische Natur des deutschen Kaisertums, von 
W. Rosenberg (Staatsanw. in Straßburg i. E.). — Die Neustädter Sprachschule, von 
Sebald Schwarz (Blankenese). — Politische Korrespondenz: Grundsätze deutscher Han- 
delspolitik, von Hjalmar Schacht. — ete. 

Zeitschrift für Kleinbahnen. Jahrg. VIII, Heft 2 u. 3, Februar u. März 1901: 
Die Entwickelung der Kleinbahnen in Preußen. — Statistik der schmalspurigen Eisen- 
bahnen für das Betriebsjahr 1898/99. Nach amtlichen Angaben bearbeitet von (OIngen.) 
F. Zezula. — Die Kreiskleinbahnen im Kreise Jüterbog-Luckenwalde, von (BauR.) Techow 
(mit Karte). — Ueber den internationalen Straßenbahnkongreß in Berlin 1900, von 
(Civiling.) E. A. Ziffer. — Gesetzgebung. — Kleine Mitteilungen, ete. 

Zeitschrift für Kulturgeschichte. Hrsgeg. von G. Steinhausen. Bd. VIII, Heft 2 
u. 3 (1901): Kulturbilder aus der Zeit des untergehenden Roms, von (Pastor) H. Mauers- 
berg (Rothenfelde). — Ein Jenaer Schützenfest im Jahre 1490, von Ernst Devrient 
(Jena). — Kleine archivalische Beiträge zur Kenntnis der deutschen Agrarverhältnisse 
im 16. u. 17. Jahrhundert. Artik. II, von Ed. Otto (Direktor in Offenbach a. M.) — 
Apologetische Versuche in der Geschichtsschreibung der Hexenprozesse, von (GehR. 
Prof.) Karl Binz (Bonn). — Ein bürgerlicher Haushalt im Jahre 1612, von C. Reichardt 
(Wildungen). — ete. 

Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Herausgeg. von (Prof.) Julius Wolf (Breslau). 
Jahrg. IV, 1901, Heft 2: Die Anfänge des Gewerbestandes, von Rich. Lasch (Horn). — 
Die eheliche Fruchtbarkeit in Deutschland, von Fr. Prinzing (Ulm) (II. Artik.). — Der 
Ursprung der sozialen Triebe, von O. Ammon (Karlsruhe). [Artik. II, Schluß.]— Anglo- 


indische Produktionspolitik, von K. Mareiner (Wien). — Sozialpolitik: Stimmen zur 
Reform der Krankenversicherung in Deutschland, von (StadtR.) H. v. Frankenberg 
(Braunschweig). — Die österreichische Enquete über den börsenmäßigen Terminhandel 


mit landwirtschaftlichen Produkten, von (HandelskammerR.) G. v. Weiß-Wellenstein 
(Wien). — etc. 

Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft. Herausgeg. von A. Schäffle. 
Jahrg. LVIl, 1901, Heft 1: Bodenentschuldung und Verschuldungsgrenze, von Buchen- 
berger. — „Der Kampf ums Dasein“ in der belebten Natur, insonderheit auch für den 
Menschen, von H. Kolb. — Individuum und Gesellschaft am Ende des XIX. Jahr- 
hunderts, in der Beleuchtung ungarischer Zustände, von Mich. Kisch. — Die Produktions- 
theorie Ricardos und die ersten Aufgaben der theoretischen Volkswirtschaftslehre, von 
G. Cassel. — Titelscheine nach dem Torrens’schen Systeme betr. das unbewegliche 
Eigentum, von C. D. Carusso, — Zur Lehre vom steuerfreien Existenzminimum, von 
J. Nothhardt. — Session, Prorogation, Adjournment und Dissolution des Parlaments. 
Ihre Entstehungsgeschichte und Bedeutung im englischen Parlamentsrechte, von Jul. 
Hatschek. 


Frommaunsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena, 


G. v. Below, Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 449 


Nachdruck verboten. 


VI 
Der Untergang der mittelalterlichen 
Stadtwirtschaft (über den Begriff der 
Territorialwirtsehaft). 


Von 


G. v. Below. 


Erster Teil. 


Inhalt. Einleitung, S. 449. I. Die Beseitigung der Autonomie der Städte und der 
Zünfte, S. 451. Il. Das Gästerecht, S. 457. III. Das Stapelrecht, S. 460. IV. Die Be- 
herrschung des Landes durch die Stadt, S. 462. a) die Herrschaft des städtischen Hand- 
werks, S. 465. b) die städtische Getreidehandelspolitik, S. 468. 


Vor kurzem habe ich in der Historischen Zeitschrift !) mehrere 
Theorien über die wirtschaftliche Entwickelung der Völker einer 
Prüfung unterzogen und im Anschluß daran das Wesen der mittel- 
alterlichen Stadtwirtschaft zu bestimmen gesucht. In beiden Be- 
iiehungen bedürfen meine Ausführungen, wie ich am Schluß der- 
selben schon bemerkt habe, der Ergänzung durch die Darstellung 
derjenigen wirtschaftlichen Verhältnisse, welche die Stadtwirtschaft 
abzelöst haben. 

Die Forschung hat sich mit ‘diesem Problem bekanntlich schon 
mehrfach beschäftigt. 

Perthes spricht in den Erörterungen, die er ihm in seinem Buche 
„Das deutsche Staatsleben vor der Revolution“ widmet 21. hauptsäch- 
lich den Gedanken aus, daß die Landesherren, den einseitigen Stand- 
punkt, den sie im Mittelalter eingenommen hatten, verlassend, seit 
lessen Ende sich der Pflege von Handel und Handwerk zuwandten, 
und daß damit die selbständige Stellung der Städte ihre Berechtigung 
verlor. Nur nebenbei macht er eine übrigens nicht näher erläuterte 


1) In der Abhandlung: „Ueber Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung der 
Völker, mit besonderer Rücksicht auf die Stadtwirtschaft des deutschen Mittelalters.“ 
Histor. Ztschr., Bd. 86, S. 1 ff. 

2) Vgl. meine Citate a. a. O. S. 2 ff. aus Perthes’ Schrift „Das deutsche Staats- 
leben vor der Revolution“ (1845). 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 29 


450 G. v. Below, 


Bemerkung über eine Veränderung in den Strömungen des Handels 
und des Handwerks. 

In Schmollers 5) Darstellung steht gleichfalls der Wechsel in der 
politischen Gewalt, welche die wirtschaftlichen Verhältnisse regelt, 
durchaus im Vordergrund. Er läßt auf die Stadtwirtschaft des 
Mittelalters die Territorialwirtschaft folgen, und zwar deshalb, weil 
seit dem Beginn der Neuzeit die Landesherren die führende Rolle 
in der Wirtschaftspolitik einnehmen. Allerdings setzt er als selbst- 
verständlich voraus, daß mit dem Wechsel in der politischen Instanz 
sich zugleich eine so große Umwandlung der allgemeinen wirtschaft- 
lichen und sozialen Verhältnisse vollzogen hat, daß man im vollen 
Sinne von einem Zeitalter der Territorialwirtschaft sprechen darf). 

Nach Bücher) folgt auf die Stadtwirtschaft die Volkswirtschaft. 
Ihre Ausbildung „ist im wesentlichen eine Frucht der politischen 
Centralisation, welche an der Wende des Mittelalters mit der Ent- 
stehung territorialer Staatsgebilde beginnt und in der Gegenwart mit 
der Schöpfung des nationalen Einheitsstaates ihren Abschluß findet“. 
In Deutschland wiegen freilich in den ersten Jahrhunderten „die 
landschaftlichen Interessen“ vor, während die westeuropäischen 
Staaten seit dem 16. Jahrhundert schon als einheitliche Wirtschafts- 
gebiete hervortreten. Es bildet sich jetzt „ein überaus kompliziertes 
und kunstvolles System nationaler Bedürfnisbefriedigung*. „Die 
Durchführung dieses Systems ist vom 16. bis 18. Jahrhundert das 
Ziel der Wirtschaftspolitik aller vorgeschrittenen Staaten. Die Maß- 
regeln, welche zur Erreichung des Zieles angewendet wurden, sind 
fast in allen Einzelheiten der städtischen Wirtschaftspolitik des 
Mittelalters nachgebildet.“ 

Die nächste Folge der neuen Bestrebungen war ein bedeutender 
Aufschwung des Handels; weiterhin wurde das Handelskapital zum 
Verlagskapital für die Industrie. „Es entsteht die arbeitsteilige 
Massenproduktion in Manufakturen und Fabriken und mit ihnen der 
Lohnarbeiterstand.* Indessen blieb „bis gegen Ende des vorigen 
[18.] Jahrhunderts die alte stadtwirtschaftliche Organisation mit ihren 
Zunft- und Bannrechten, mit der scharfen Trennung von Stadt und 
Land erhalten, wenn auch vielfach’ durch die Landesgesetzgebung be- 
schränkt — unbekümmert um das neue volkswirtschaftliche Leben, 
das ringsum aufsproßte, und um die Fülle neuer Verkehrser- 
scheinungen, die es gezeitigt hatte.“ 


3) Schmoller, Das Merkantilsystem in seiner historischen Bedeutung. Jahrbuch für 
Gesetzgebung, 1884, wiederabgedruckt: Umrisse und Untersuchungen S. 1 ff. Vgl. dazu 
meine angeführte Abhandlung S, 4 ff. — Ueber die wichtigen Arbeiten der Vorläufer 
Schmoller’s s. a. a. O., S. 8, Anm. 2 und meinen Aufsatz „Die städtische Ver- 
waltung des Mittelalters als Vorbild der späteren Territorialverwaltung“. H. Z. 75, S. 
396 ff. 

3a) Schmoller giebt selbst zu, daß viel Altes erhalten bleibt. Er hat aber offenbar 
die Meinung, daß so viel Neues eintritt, daß er von einer neuen Wirtschaftsstufe sprechen 
zu dürfen glaubt. 

4) Entstehung der Volkswirtschaft (2. Aufl.), S. 108 f., 110, 112 f., 151. Vgl. 
meine angeführte Abhandlung S. 7 ff. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 451 


Schmoller läßt also auf die Stadtwirtschaft die Territorialwirt- 
schaft, Bücher die Volkswirtschaft folgen. Dieser gesteht aber ein, 
daß in Deutschland nach Schluß des Mittelalters „noch Jahrhunderte 
lang die landschaftlichen Interessen vorwiegen“, ein einheitliches 
Wirtschaftsgebiet einstweilen nicht vorhanden ist. Mit diesem Urteil 
kommt er Schmoller wieder sehr nahe: nur daß er sich mit größerer 
Vorsicht äußert und es namentlich vermeidet, eine besondere wirt- 
schaftliche Periode für die Zeit jener „landschaftlichen Interessen“ 
anzunehmen. 


I. Die Beseitigung der Autonomie der Städte 
und der Zünfte. 


Es ist nun ganz unbestreitbar, daß die selbständige Stellung, die 
die einzelnen Gemeinden im Mittelalter in höherem oder geringerem 
Grade eingenommen hatten, seit seinem Ausgang mehr und mehr zu 
Gunsten der territorialen (sewalten beseitigt wird. Uns interessieren 
hier nur die Städte. Aber auch in die Verhältnisse der Landge- 
meinden griffen die Territorialherren in steigendem Maße ein. In 
allen Beziehungen suchen sie die Leitung zu gewinnen. Insbesondere 
auch in der Wirtschaftspolitik werden, wie im Mittelalter die Städte, 
so in der Zeit vom 16. bis in das 19. Jahrhundert mehr und mehr 
die Landesherren die thätigste und erfolgreichste Macht. 

Diese Thätigkeit der Landesherren tritt nicht unvermittelt hervor. 
Im «deutschen Mittelalter war die städtische Autonomie ja kaum 
irgendwo eine vollständige: in den meisten Städten hielt man eine 
Mitwirkung des Stadtherrn für notwendig; sie variierte in unendlich 
vielen Abstufungen: oft nur formeller Natur, hatte sie andererseits 
oft auch materielle Bedeutung. In der Regel freilich handelt der 
Stadtherr des Mittelalters, wenn er die Verhältnisse einer Stadt 
ordnet, eben nur als Herr dieser einen Gemeinde). Sehr wenig 
Beispiele finden sich, daß er die Absicht hat, die sämtlichen Städte 
seines Territoriums nach übereinstimmenden Grundsätzen und vor- 
bedachtem Plane zu regieren 5). Wohl kommt es häufig vor, daß er 
bei der Gründung einer neuen Stadt das Recht einer älteren Ge- 
meinde seines Landes kopiert oder mit erkennbarer Absicht ver- 
mindert. Indessen wir haben es dabei im allgemeinen doch bloß 
mit Entscheidungen von Fall zu Fall zu thun. Namentlich auch die 
Entschließungen der Stadtherren bezüglich der wirtschaftlichen Ver- 
hältnisse sind Handlungen, die einzeln für sich stehen. Ueberdies 


4a) Vgl. Histor. Ztschr., Bd. 75, S. 445. 

5) Unter den Fürsten, die über das mittelalterliche System hinausgehen, sind 
namentlich Kaiser Karl IV. (für seine Erblande) und Herzog Rudolf IV. von Oesterreich 
zu nennen. Ich will übrigens nicht unterlassen hervorzuheben, daß die Kürze, in der 
die im Text gegebenen Sätze formuliert werden mußten, der Vielgestaltigkeit des histo- 
rischen Lebens nicht ganz Rechnung tragen kann. Wir werden in unserer Abhandlung 
Gelegenheit haben, darauf hinzuweisen, daß vereinzelt eine territoriale Wirtschaftspolitik 
schon im Mittelalter vorhanden ist. Vgl. auch die S. 449 Anm. 1 erwähnte Abhand- 
lung S. 52, Anm. 2. z 


29* 


452 G. v. Below, 


folgt ihre Politik gerade auf diesem Gebiete regelmäßig den An- 
regungen, die die Bürgerschaft giebt: ihre Urkunden sind gemeinhin 
Bestätigungen städtischer Wünsche oder der Wünsche einer städtischen 
Partei. Immerhin sind jene mittelalterlichen Aeußerungen einer 
städtischen Politik der Landesherren bemerkenswert als Vorstufe ihrer 
späteren weitergreifenden Thätigkeit. 

Aus dem Mittelalter verdienen ferner in derselben Richtung Be- 
mühungen von Städtegruppen, sich zu einem größeren Ganzen zu- 
sammenzuschließen, Beachtung. Bei ihnen finden wir schon mehr 
Tendenz auf innere Verbindung der verschiedenen Städte, als bei der 
mittelalterlichen Politik der Landesherren, obwohl man ihre Einheits- 
bestrebungen nicht überschätzen darf. Wir werden ihren Charakter 
im einzelnen noch kennen lernen. (Gemeinsam ist der Politik dieser 
Städtegruppen — die größte ist die der Hanse — mit der (der 
Landesherren, daß sie sich nur über landschaftlich begrenzte Gebiete 
erstreckt, nie über den ganzen Umfang des Deutschen Reiches. 

Die Thätigkeit der Landesherren der Neuzeit tritt also nicht 
unvermittelt hervor, sondern hat im Mittelalter schon einige Analo- 
gien. Es wird nun unsere Aufgabe sein, die neue landesherrliche 
Politik in ihren Bestandteilen genauer zu beschreiben. 

Vor allem fällt ins Auge, daß die Landesherren danach streben, 
die allgemeine politische Gewalt über die Städte zu erhalten. Aller- 
dings müssen wir bereits hier die Einschränkung machen, daß die 
Zeit der Städtefreiheit noch bis ins 16. Jahrhundert hineinreicht, daß 
die Städte jetzt teilweise sogar neue Rechte erwerben, daß den vollen 
Verlust der Selbständigkeit erst das 17. Jahrhundert gebracht hat). 
Wir dürfen mithin nur von einem allmählich sich vollziehenden 
Wechsel in der herrschenden Gewalt sprechen. 

Es ist hiernach klar, daß auch für die inneren Verhältnisse der 
Städte nicht sofort eine Zeit durchgreifender Regelung durch die 
landesherrliche Gewalt begonnen haben kann. Die Verfassung einer 
mittelalterlichen Stadt hat, abgesehen von ihrem Verhältnis zum Landes- 
herrn, ihr vornehmstes Kennzeichen in der größeren oder geringeren 
Bedeutung, welche den Zünften zukommt. Ein Teil der Gemeinden 
hält sie dauernd nieder oder drängt sie nach vorübergehenden Er- 
folgen in die alte bescheidene Stellung wieder zurück’). In einem 


6) Auf diese Thatsachen habe ich schon in der Historischen Zeitschrift 75, S. 407 
und 411 und in meinem „Aelteren deutschen Städtewesen und Bürgertum“ S. 9, 17 f. 
und 20 hingewiesen. 

7) Gegenüber der verbreiteten Anschauung, daß es im alten Nürnberg keine 
Zünfte gegeben habe, mag an dieser Stelle auf den überzeugenden Nachweis von Eulen- 
burg hingewiesen werden, daß nur politische Zünfte gefehlt haben, während die Hand- 
werker, unter starker obrigkeitlicher Beaufsichtigung, eine durchaus zünftlerische Ge- 
werbeverfassung — mit Monopolisierung des Marktes und sogar mit „Sperrung“ der 
Handwerke — im wirtschaftlichen Sinne hatten. S. Eulenburg’s Kritik von Schönlank’s 
„Soziale Kämpfe vor dreihundert Jahren“, Ztschr. f. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 
Bd. 4, S. 136 ff. Es ist hier daran zu erinnern, daß, wie z. B. auch Schäfer, Die 
Hansestädte und König Waldemar S. 240 hervorhebt, das Wort Zunft oft (nicht immer!) 
mehr von politischer als gewerblicher Bedeutung ist. Die von Eulenburg festgestellte 
Thatsache ist wichtig für die Bestimmung des allgemeinen Wesens der Zunft (vergl. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 453 


anderen Teil üben die Zünfte die Herrschaft oder wenigstens nam- 
haften Einfluß aus "ai, Diese ihre selbständige Stellung ist beim 
Beginn der Neuzeit in manchen Orten zugleich mit der allgemeinen 
Autonomie der Stadt beseitigt, in anderen dem Stadtmagistrat ge- 
opfert worden: in manchen hat andererseits der Rückgang jener 
Autonomie vorerst keine erhebliche Wirkung auf die Freiheit der 
Zünfte gehabt. Jedenfalls sah das 16. Jahrhundert, welches auch 
die Lage des Stadtmagistrats im einzelnen war, noch recht viel von 
der alten Macht der Handwerke. 

Es liegt auf der Hand, daß, solange und soweit die äußere Hand- 
werksverfassung lebendig blieb, an eine Aenderung der Grundlagen 
der mittelalterlichen Gewerbeverfassung durch die Landesherren von 
vornherein nicht gedacht werden kann. Da aber die Autonomie der 
Städte und der Zünfte an sehr vielen Orten, oft über ganze Terri- 
torien hin mehr oder weniger beseitigt war und weiter beseitigt 
wurde, so bot sich immerhin für eine landesherrliche Gewerbepolizei 
ein großes freies Feld. 

Die Landesherren haben denn auch in das Gewerbewesen ihrer 
Territorien ordnend eingegriffen. Es geschieht in verschiedener Weise °). 
Entweder erlassen die Landesherren besondere Gewerbeordnungen, 
teils für sämtliche, teils für einzelne Gewerbe des Landes, teils unter 
Beibehaltung (so in der Regel), teils unter Aufhebung der lokalen 
Zünfte. Oder sie regeln das Gewerbewesen in ihren großen Polizei- 
ordnungen. Oder sie verzichten wohl darauf, allgemeine Ordnungen 
zu erlassen, richten sich aber doch in den den einzelnen Städten 
oder Zünften erteilten Urkunden nach mehr oder weniger überein- 
stimmenden Grundsätzen oder verstärken wenigstens den staatlichen 
Einfluß in der einzelnen Stadt. Allerdings muß man sich die vorhin 
konstatierte Thatsache gegenwärtig halten, daß für manche Städte 
im 16. Jahrhundert eine solche Thätiekeit der Landesherren noch 
nicht in Betracht kommt. Es ist ferner zu berücksichtigen, daß die 
von den territorialen Regierungen erlassenen gewerbepolizeilichen 
Bestimmungen vorerst keineswegs den ganzen gewerberechtlichen 
Stoff erschöpfen. Vieles lassen sie unerledigt, so daß für dieses das 
alte Recht, d. h. das lokale Zunftrecht, und demgemäß auch die 
alten Statuten in Geltung bleiben. Schmoller selbst räumt für Branden- 
burg enn: „Die Mehrzahl der Innungsstatuten bleibt in dieser Zeit 
(dem 16. Jahrhundert) noch unberührt von außerstädtischem Einfluß, 


Histor. Ztschr., Bd. 58, S. 225 ff.) und der Verbreitung des Zunftzwanges, ferner für 
die Erkenntnis der Ursachen, bez. der Zwecke der im Mittelalter vorkommenden Zunft- 
auflösungen. 

7a) Es ist nicht möglich, die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen hier in einem 
allgemeinen Satz zusammenzufassen. Gelegentlich fällt die Etablierung der Zunftherr- 
schaft in der Stadtverfassung und -verwaltung mit einer Einschränkung der Autonomie 
ger einzelnen Zünfte zusammen. Vergl. Geering, Handel und Industrie der Stadt Basel, 

8) Vergl. meine Ausführungen in der Histor. Ztschr., Bd. 75, S. 443. 

9) In seiner Abhandlung: Das brandenburgisch-preußische Innungswesen von 1640 
bis 1800, Umrisse und Untersuchungen, S. 346. 


454 G. v. Below, 


wird vom Fürsten nicht regelmäßig bestätigt.‘ Und er hebt für das- 
selbe Land hervor 1), daß bis zum Jahre 1713 die zunehmende Zahl 
der Innungsprivilegien von den Zünften entworfen, von den städti- 
schen Räten nicht entsprechend geprüft und geändert, von der Lehns- 
kanzlei bis in die späteren Jahre des großen Kurfürsten kritiklos 
gegen ihre Gebühren genehmigt worden seien, daß auch bis zu den 
Anfängen der Regierung Friedrich Wilhelms I. in der Regel das 
Hergebrachte und der Wunsch der einzelnen Zünfte gesiegt habe. 
Es sind dies Sätze, die, wie wir sogleich hier bemerken wollen, die 
Wahl des Ausdrucks Territorialwirtschaft für dieses Zeitalter nicht 
gerade empfehlen. Brandenburg kann freilich kaum als Typus gelten; 
in anderen Territorien war die landesherrliche Gewerbepolitik leben- 
digerer Natur. Unter den erwähnten Einschränkungen darf man von 
einer Tendenz der Landesherren sprechen, ihr Territorium als eine 
Einheit in gewerblicher Beziehung anzusehen. 

In gewissem Sinne haben die territorialen Ordnungen Vorläufer 
gehabt, die nichts mit einer Thätigkeit gerade der Landesherren zu 
thun haben. Wir haben hier Verbände zu erwähnen, deren Grenzen 
nicht oder nur zufällig mit denen von Territorien zusammenfallen. 
Am Ende des Mittelalters finden wir, daß vorhandene Städtebünde 
die Ordnung gewerblicher Verhältnisse für den Umfang ihres Vereins 
in die Hand nehmen, oder auch, daß mehrere Städte für diesen 
speciellen Zweck zusammentreten. Der umfassendste dieser Bünde 
ist die Hanse !!). Häufiger als sie als Ganzes beschäftigen sich Gruppen 
hansischer Städte, wie die wendischen !?), mit der Regelung gewerb- 
licher Verhältnisse. Auch dem übrigen Deutschland sind solche 
Vereinbarungen nicht fremd 191. Neben den Städten setzen sich vielfach 
die Handwerker selbst das gleiche Ziel. Es vereinigen sich z. B. die 
Armbruster verschiedener rheinischer Städte im Jahre 144814), die 
Weber von Straßburg, Hagenau und Zabern schon am Ende des 
14. Jahrhunderts ©): in den wendischen Städten wechseln Beschlüsse 
der Magistrate und der Zünfte miteinander ab ig, Solche Verein- 
barungen, der Städte wie der Handwerker, sind auch noch nach Schluß 

10) Ebenda, S. 347. 

11) Ueber Beschlüsse der Hanse, die in dieser Hinsicht in Betracht kommen, vgl. 
z. B. W. Stein, Beiträge zur Geschichte der deutschen Hanse bis um die Mitte des 
15. Jahrhunderts, S. 113 ff. 

12) Litteratur hierüber neuerdings bei Dragendorff, Hansische Geschichtsblätter, 1899, 
S. 190. Vergl. auch Techen, ebenda, 1897, S. 38, 40, 76. 

13) Vergl. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1, S.500 ff. über 
das Gebiet der Rappenmünze. An dieser Vereinigung waren übrigens auch Landes- 
herren beteiligt. Ihre Ziele sind aber die städtischen (Verbot des Vorkaufs u. s. w.). 

14) Histor. Ztschr. 68, S. 346. 

15) Schmoller, Die Straßburger Tucher- und Weberzunft S. 13, No. 15; Urkunden- 
buch der Stadt Straßburg, Bd. 6, S. 308, No. 588 (vom Jahre 1390): Vertrag der Weber 
von Straßburg, Hagenau, Zabern und Oberehenheim. 

16) S. Anm. 12. Ueber Vereinbarungen der Handwerker (Bäcker, Messerer) öster- 
reichischer Städte im 15. Jahrh. s. Eulenburg, Ztschr. für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 
Bd. 2, S. 64. Stadtrecht von Baden, hrsg. von Welti, S. 83 (1421) und S. 111 (1466). 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc, 455 


des Mittelalters getroffen worden +"). — Die Verbindungen der Hand- 
werker sind übrigens sehr verschiedener Art. Wir haben hier zu- 
nächst Vereinbarungen der Zünfte desselben Gewerbes aus mehreren 
Städten im Auge. Indem sie zusammentreten, begründen sie keines- 
wegs immer sogleich einen neuen formellen Verband; sie fassen oft 
nur Beschlüsse über einzelne Fragen aus ihrem Gewerbe. Eine 
andere Art besteht in dem Zusammenschluß von Handwerkern, die 
an ihrem Wohnort keine Zunft bilden, zu einem landschaftlichen 
Verband, bezw. in dem Anschluß von solchen an eine in einer Stadt 
vorhandene Zunft. Auch damit ist die Mannigfaltigkeit der Fälle 
noch nicht erschöpft. Wir haben ferner zu berücksichtigen, daß, was 
teilweise aus dem (resagten schon hervorgeht, die Entstehung land- 
schaftlicher Verbände sich nicht immer durch das Aufsteigen von 
lokaler zu landschaftlicher Organisation erklärt; mitunter ist eine 
lokale gar nicht vorhergegangen: es hing etwa mit der Natur des 
betreffenden Gewerbes zusammen, daß diejenigen, die es betrieben, 
nicht an einen einzelnen Ort gebunden waren !®). Ich hebe diese 
Unterschiede hervor, um zu betonen, daß man nicht alle diese ge- 
werblichen Vereinigungen !?) mit den durch die landesherrliche Politik 
geschaffenen Gemeinschaften in Parallele setzen darf. Andererseits 


17) Vergl. z. B. Baasch, Beiträge zur Geschichte des deutschen Seeschiffsbaues, 
S. 198: 1589 sucht die Stadt Danzig sich mit Königsberg und Elbing ins Einvernehmen 
zu setzen hinsichtlich der Arbeitsverhältnisse der Schiffszimmerleute. Schmoller, Um- 
risse und Untersuchungen, S. 333. 

18) Hierher gehören die Bruderschaften der Pfeiffer und Spielleute, ferner der 
Keßler. Vergl. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1, S. 408 f.; 
Schmoller, S. 330 und 334; Stadtrecht von Baden, S. 120 ff. Ganz fehlte hier freilich 
eine lokale Organisation nicht. S. das Stadtrecht von Brugg, hrsg. von W. Merz, 
S. 38 und 70. 

19) Ueber „Hauptladen“ und „Landinnungen‘“ neuerdings reichhaltige Nachrichten 
bei Max Flemming, Die Dresdner Innungen von ihrer Entstehung bis zum Ausgang des 
17. Jahrhunderts, Mitteilungen des Vereins für Geschichte Dresdens, 12.—14. Heft 
(Dresden 1896). S. ferner Gothein a. a. O., S. 445 und 447; Schmoller, Umrisse und 
Untersuchungen, S. 330 ff. und 409. Ueber die Steinmetzenverbände s. Histor. Ztschr. 75, 
S. 442; Schmoller, S. 332; Eulenburg a. a. O., S. 64. Krumbholtz, Die Gewerbe der 
Stadt Münster bis zum Jahre 1661 (Publikationen aus d. kgl. preußischen Staats- 
archiven, Bd. 70), Einl. S. 211 ff. zählt als „interlokale“ genossenschaftliche Organi- 
sationen außer der der Kupferschmiede auch die der hausierenden Krämer (mit dem 
Hansgrafenamt) auf. — Höhlbaum, Histor. Ztschr. 83, S. 491 ff. hat Krumbholtz’ 
Publikation einer sehr abfälligen Kritik unterworfen. Es liegt hier keine Veranlassung 
vor, im einzelnen zu seinen Aeußerungen Stellung zu nehmen (vgl. dazu R. Koser, 
Mitteilungen der kgl. preuß. Archivverwaltung 1, S.10 Anm. 1 und Meinecke, Histor. 
Ztschr. 84, S. 528). Aber entschiedenen Widerspruch müssen wir gerade im Zusammen- 
hang mit den an dieser Stelle gegebenen Erörterungen gegen die Grundanschauung, 
von der Höhlbaum’s Kritik ausgeht, einlegen. Er behauptet nämlich (S. 492), daß die 
Zeit des „16. und 17. Jahrhunderts (soweit es sich um die städtische Gewerbegeschichte 
handelt) die wissenschaftliche Forschung nur in geringem Maße beschäftigen kann, weil 
sie nur von Stillstand und Absterben, nicht mehr von lebendiger Entwickelung redet‘. 
Erstens ist der Ausdruck „nur Stillstand und Absterben‘“ eine sehr starke Uebertrei- 
bung. Namentlich das 16. Jahrhundert zeigt noch viel Blüte und Leben, wie ich es 
oben schon angedeutet habe. Zweitens sind die Dokumente des 16. und 17. Jahr- 
hunderts, von jener Frage abgesehen, für den Forscher unentbehrlich für die Rekon- 
struktion der mittelalterlichen Verhältnisse, für die uns nicht ganz ausreichende Quellen- 
zeugnisse zur Verfügung stehen (vergl. zu dieser methodischen Frage meinen Ursprung 
der deutschen Stadtverfassung, S. 4 ff.). Drittens haben wir in den Dokumenten über 


456 G. v. Below, 


ist es freilich mitunter auch schwer, eine scharfe Linie zwischen den 
Produkten der landesherrlichen Politik und dem, was aus mehr oder 
weniger freiem Belieben der Städte und der gewerblichen Kreise 
hervorging, zu ziehen. Doch hiermit gelangen wir von den Formen 
zu dem Inhalt der landesherrlichen Politik. 

Schon der Ueberblick über die Formen der landesherrlichen 
Gewerbepolitik hat erkennen lassen, daß ihr Inhalt in den einzelnen 
Territorien verschieden war. Als Pole einer langen Reihe mannig- 
faltiger Systeme — wenn der Ausdruck System nicht zu viel besagt — 
können im 16. Jahrhundert die brandenburgische und die österreichi- 
sche Gewerbepolitik gelten. Die brandenburgische 291 ist von sehr 
bescheidener Art. Die österreichische, repräsentiert durch die Hand- 
werkerordnung König Ferdinands vom Jahre 1527 ?!), nimmt einen 
kühneren Anlauf. Doch beschränkt sie sich im wesentlichen auf die 
Beseitigung aller Autonomie der Zünfte und zwar nicht sowohl zu 
Gunsten der landesherrlichen Regierung als vielmehr der Stadt- 
magistrate: die mittelalterliche Handwerksverfassung in wirtschaft- 
lichem Sinne wird in ihrem Kern von ihr kaum getroffen. Ueberdies 
haben die Neuerungen von 1527, soweit sie überhaupt praktisch 
geworden sind, keinen langen Bestand gehabt: noch im 16. Jahr- 
hundert kehrt man in der Hauptsache zu den alten Einrichtungen 
zurück 291. Bemerkenswert sind aus dieser Zeit ferner die Maßnahmen 
der württembergischen Regierung, namentlich durch die Begründung 
von Landeszünften 291. Hier und da konnten die Landesherren bei 
einer solchen Maßregel die Verbindungen benutzen, welche die Städte 
oder Handwerker von sich aus geschlossen hatten, falls nämlich deren 
Grenzen mit «denen des Territoriums zusammenfielen. Meistens je- 
doch waren dieselben für jene unverwertbar. Oft setzt sich die 
Regierung in direkten Gegensatz gegen sie. Gelegentlich bewilligt 
sie Landeszünfte mit aus dem Gesichtspunkt, damit das Land, welches 
ein Handwerk ans Ausland knüpfte, zerschnitten werden sollte ?{). 
Jedoch nicht überall konnten oder wollten die Landesherren die alten 
Verbindungen der Städte und Handwerker sogleich beseitigen *). 


das alte Handwerk, mag es nun im „Absterben‘ begriffen sein oder nicht, nach etwaigen 
neuen Erscheinungen zu suchen. 

20) Schmoller, Umrisse, S. 345 f. 

21) Eulenburg, Zischr. für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 2, S 91 Anm. 269 
erklärt sich mit Recht gegen Schmoller, welcher in den Forschungen zur branden- 
burgischen und preußischen Geschichte 1, S. 81 die Handwerkerordnung Ferdinands 
zu gering taxiert und sie mit der Breslauer Maßregel von 1420 unmittelbar zusammen- 
gestellt hatte. Eulenburg selbst fällt jedoch nach der anderen Seite hin, hinsichtlich 
der Befreiung des Handwerks, manche Urteile, die meines Erachtens zu weit gehen. 
Scholler, Umrisse, S. 345 Anm. 3 antwortet auf Eulenburg’s Ausführungen. Vergl. 
Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 42. 

22) Summarisch (nach Eulenburg) hierüber Wäntig, Gewerbliche Mittelstandspolitik, 
8.9. 

23) Schmoller, Umrisse S. 15 und 335. 

24) Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes 1, S. 445. 

25) Die Thätigkeit der Landesherren mußte sich noch bis ins 18. Jahrhundert in 
der ungedeuteten Richtung bewegen. Vgl. Gothein S$. 447 über den Reichsschluß 
von 1741. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 457 


In diesen Beziehungen haben wir es mit der äußeren Gestaltung 
der Dinge zu thun. Indem wir uns dazu wenden festzustellen, wie- 
viel sich von dem Wesen der Stadtwirtschaft über das Mittelalter 
hinaus erhielt, richten wir unser Augenmerk zunächst auf die Mittel, 
durch die die Städte das stadtwirtschaftliche System durchgesetzt 
und verteidigt hatten *). 


II. Das Gästerecht. 


Betretfs des Gästerechts begegnen wir am Ausgang des Mittel- 
alters hier und da Neuerungen. Im Jahre 1426 sagt Herzog Albrecht 
von Oesterreich in einer Urkunde 2: „Etliche Zeit her haben die 
Gäste den Gewandschnitt (gwant mit der ellen zu verkaufen‘) auf 
den Jahrmärkten in Städten und anderswo in unserm Land geübt, 
wodurch unsern Kaufleuten und Einwohnern unseres Landes Oester- 
reich großer Schaden erwachsen ist, ‘wan damit die gest den gewin, 
der davon kömbt, aus dem lant zu irem nutz füren, des die unsern, 
die mit uns und dem land leiden müssen, entberen. Fortan soll 
kein Gast im Lande Oesterreich Gewand mit der Elle verschneiden 
und verkaufen.“ In diesen Worten wird das Territorium ebenso als 
eine Einheit den Fremden (Gästen) gegenübergestellt, wie bisher die 
Stadt. Der Grundsatz der Abschließung wird von der Stadt auf das 
Territorium übertragen. Jene Urkunde ist sehr lehrreich, insofern 
sie die Nachahmung der städtischen Verwaltung des Mittelalters durch 
die spätere territoriale Verwaltung erläutert’). Dieses territoriale 
(rästerecht ıst mit der klaren Absicht begründet worden, den Terri- 
torialeinsassen ebenso Nahrung und Verdienst zu sichern ni, wie 
die mittelalterliche Stadt sie ihren Bürgern gesichert hatte. Man 
würde freilich irren, wenn man jene Urkunde so auslegen wollte, 
als ob durch sie alle Unterschiede innerhalb des Territoriums be- 
seitigt worden wären. Es ist vielmehr mit ihrem Inhalt vereinbar, 
daß nach wie vor der Bürger einer österreichischen Stadt in einer 


26) S. die Schilderung dieser Mittel in meiner oben Anm. 1 erwähnten Abhandlung 
S. 63 ff. Im folgenden eitiere ich diese Abhandlung als „meine Theorien der wirt- 
schaftlichen Entwickelung“. 

27) Kurz, Oesterreichs Handel in älteren Zeiten, S. 391. Ueber den Ausschluß 
der Fremden von dem Recht des Gewandschnitts s. meine Abhandlung „Großhändler und 
Kleinhändler im deutschen Mittelalter“ (im folgenden citiert als „meine Großhändler“) 
in diesen Jahrbüchern Bd. 75, S. 5. — Dopsch, Mitteilungen des Instituts für öster- 
reichische Geschichtsforschung, 1895, S. 365 f., will schon in der Urkunde Herzog Albrechts 
von 1389 (E. von Schwind und Dopsch, Urkunden zur Verfassungsgeschichte der deutsch- 
österreichischen Erblande im Mittelalter, S. 280) eine vom Landesherrn bewirkte Hebung 
des Inlandverkehrs mittels Durchbrechung der Verkehrsschranken innerhalb des Terri- 
toriums sehen. Allein mit dem Inhalt der Urkunde ist es meines Erachtens vereinbar, 
daß die Laibacher, denen sie erteilt wird, in Wien nach wie vor als Gäste gelten und 
von dem Recht des Kleinhandels ausgeschlossen sind. 

2») Vgl. hierzu im allgemeinen meine Abhandlung „Die städtische Verwaltung 
des Mittelalters als Vorbild der späteren territorialen Verwaltung“. Histor. Zeitschr. 75, 
S. 396 ff. 

28a) Vgl. die charakteristische Aeußerung aus dem Jahre 1486 bei Geering, Handel 
und Industrie der Stadt Basel, S. 357. 


456 G. v. Below, 


ist es freilich mitunter auch schwer, eine scharfe Linie zwischen den 
Produkten der landesherrlichen Politik und dem, was aus mehr oder 
weniger freiem Belieben der Städte und der gewerblichen Kreise 
hervorging, zu ziehen. Doch hiermit gelangen wir von den Formen 
zu dem Inhalt der landesherrlichen Politik. 

Schon der Ueberblick über die Formen der landesherrlichen 
Gewerbepolitik hat erkennen lassen, daß ihr Inhalt in den einzelnen 
Territorien verschieden war. Als Pole einer langen Reihe mannig- 
faltiger Systeme — wenn der Ausdruck System nicht zu viel besagt — 
können im 16. Jahrhundert die brandenburgische und die österreichi- 
sche Gewerbepolitik gelten. Die brandenburgische ?°) ist von sehr 
bescheidener Art. Die österreichische, repräsentiert durch die Hand- 
werkerordnung König Ferdinands vom Jahre 1527 211. nimmt einen 
kühneren Anlauf. Doch beschränkt sie sich im wesentlichen auf die 
Beseitigung aller Autonomie der Zünfte und zwar nicht sowohl zu 
Gunsten der landesherrlichen Regierung als vielmehr der Stadt- 
magistrate: die mittelalterliche Handwerksverfassung in wirtschaft- 
lichem Sinne wird in ihrem Kern von ihr kaum getroffen. Ueberdies 
haben die Neuerungen von 1527, soweit sie überhaupt praktisch 
geworden sind, keinen langen Bestand gehabt; noch im 16. Jahr- 
hundert kehrt man in der Hauptsache zu den alten Einrichtungen 
zurück ??). Bemerkenswert sind aus dieser Zeit ferner die Maßnahmen 
der württembergischen Regierung, namentlich durch die Begründung 
von Landeszünften ?). Hier und da konnten die Landesherren bei 
einer solchen Maßregel die Verbindungen benutzen, welche die Städte 
oder Handwerker von sich aus geschlossen hatten, falls nämlich deren 
Grenzen mit denen des Territoriums zusammenfielen. Meistens je- 
doch waren dieselben für jene unverwertbar. Oft setzt sich die 
Regierung in direkten Gegensatz gegen sie. Gelegentlich bewilligt 
sie Landeszünfte mit aus dem Gesichtspunkt, damit das Land, welches 
ein Handwerk ans Ausland knüpfte, zerschnitten werden sollte 21. 
Jedoch nicht überall konnten oder wollten die Landesherren die alten 
Verbindungen der Städte und Handwerker sogleich beseitigen >). 


das alte Handwerk, mag es nun im „Absterben‘‘ begriffen sein oder nicht, nach etwaigen 
neuen Erscheinungen zu suchen. 

20) Schmoller, Umrisse, S. 345 f. 

21) Eulenburg, Ztschr. für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 2, S. 91 Anm. 269 
erklärt sich mit Recht gegen Schmoller, welcher in den Forschungen zur branden- 
burgischen und preußischen Geschichte 1, S. 81 die Handwerkerordnung Ferdinands 
zu gering taxiert und sie mit der Breslauer Maßregel von 1420 unmittelbar zusammen- 
gestellt hatte. Eulenburg selbst fällt jedoch nach der anderen Seite hin, hinsichtlich 
der Befreiung des Handwerks, manche Urteile, die meines Erachtens zu weit gehen. 
Schmoller, Umrisse, S. 345 Anm. 3 antwortet auf Eulenburg’s Ausführungen. Vergl. 
Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 42, 

22) Summarisch (nach Eulenburg) hierüber Wäntig, Gewerbliche Mittelstandspolitik, 


23) Schmoller, Umrisse S. 15 und 335. 

24) Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes 1, S. 445. 

25) Die Thätigkeit der Landesherren mußte sich noch bis ins 18. Jahrhundert in 
der angedeuteten Richtung bewegen. Vgl. Gothein S. 447 über den Reichsschluß 
von 1741. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 457 


In diesen Beziehungen haben wir es mit der äußeren Gestaltung 
der Dinge zu thun. Indem wir uns dazu wenden festzustellen, wie- 
viel sich von dem Wesen der Stadtwirtschaft über das Mittelalter 
hinaus erhielt, richten wir unser Augenmerk zunächst auf die Mittel, 
durch die die Städte das stadtwirtschaftliche System durchgesetzt 
und verteidigt hatten 201. 


II. Das Gästerecht. 


Betreffs des Gästerechts begegnen wir am Ausgang des Mittel- 
alters hier und da Neuerungen. Im Jahre 1426 sagt Herzog Albrecht 
von Oesterreich in einer Urkunde ?): „Etliche Zeit her haben die 
Gäste den Gewandschnitt (gwant mit der ellen zu verkaufen‘) auf 
den Jahrmärkten in Städten und anderswo in unserm Land geübt, 
wodurch unsern Kaufleuten und Einwohnern unseres Landes Oester- 
reich großer Schaden erwachsen ist, "wan damit die gest den gewin, 
der davon kömbt, aus dem lant zu irem nutz füren, des die unsern, 
die mit uns und dem land leiden müssen, entberen‘. Fortan soll 
kein Gast im Lande Oesterreich Gewand mit der Elle verschneiden 
und verkaufen.“ In diesen Worten wird das Territorium ebenso als 
eine Einheit den Fremden (Gästen) gegenübergestellt, wie bisher die 
Stadt. Der Grundsatz der Abschließung wird von der Stadt auf das 
Territorium übertragen. Jene Urkunde ist sehr lehrreich, insofern 
sie die Nachahmung der städtischen Verwaltung des Mittelalters durch 
die spätere territoriale Verwaltung erläutert’). Dieses territoriale 
Gästerecht ıst mit der klaren Absicht begründet worden, den Terri- 
torialeinsassen ebenso Nahrung und Verdienst zu sichern foi, wie 
die mittelalterliche Stadt sie ihren Bürgern gesichert hatte. Man 
würde freilich irren, wenn man jene Urkunde so auslegen wollte, 
als ob durch sie alle Unterschiede innerhalb des Territoriums be- 
seitigt worden wären. Es ist vielmehr mit ihrem Inhalt vereinbar, 
daß nach wie vor der Bürger einer österreichischen Stadt in einer 


26) S. die Schilderung dieser Mittel in meiner oben Anm. 1 erwähnten Abhandlung 
S. 63 ff. Im folgenden citiere ich diese Abhandlung als „meine Theorien der wirt- 
schaftlichen Entwickelung“. 

27) Kurz, Oesterreichs Handel in älteren Zeiten, S. 391. Ueber den Ausschluß 
der Fremden von dem Recht des Gewandschnitts s. meine Abhandlung „Großhändler und 
Kleinhändler im deutschen Mittelalter‘ (im folgenden eitiert als „meine Großhändler“) 
in diesen Jahrbüchern Bd. 75, S. 5. — Dopsch, Mitteilungen des Instituts für öster- 
reichische Geschichtsforschung, 1895, S. 365 f., will schon in der Urkunde Herzog Albrechts 
von 1389 (E. von Schwind und Dopsch, Urkunden zur Verfassungsgeschichte der deutsch- 
österreichischen Erblande im Mittelalter, S. 280) eine vom Landesherrn bewirkte Hebung 
des Inlandverkehrs mittels Durchbrechung der Verkehrsschranken innerhalb des Terri- 
toriums sehen. Allein mit dem Inhalt der Urkunde ist es meines Erachtens vereinbar, 
daß die Laibacher, denen sie erteilt wird, in Wien nach wie vor als Gäste gelten und 
von dem Recht des Kleinhandels ausgeschlossen sind. 

28) Vgl. hierzu im allgemeinen meine Abhandlung „Die städtische Verwaltung 
des Mittelalters als Vorbild der späteren territorialen Verwaltung“. Histor. Zeitschr. 75, 
S. 396 ff. 

28a) Vgl. die charakteristische AcuBerung aus dem Jahre 1486 bei Geering, Handel 
und Industrie der Stadt Basel, S. 357. 


458 G. v. Below, 


anderen desselben Territoriums als Gast galt. Ebenfalls aus Oester- 
reich sei noch eine andere Urkunde angeführt, von Kaiser Friedrich III. 
für die Stadt Wien aus dem Jahre 14812): sie verfügt, daß “durch 
die messrer von beden stetten Waidhoven und Sant Pölten, desgeleichs 
durch die gest, so her in das land faren, die nit in unsern aigenen 
stetten, herscheften und gebieten wonhaft ‘und gesessen sein, kainerlai 
derselben Pültner und Waidhover messer ausserhalb der zwaier 
jarmerkt hieher gen Wien gefürt noch daselbs verkauft werden 
sullen. Hier ist "wiederum von Gästen als solchen, die nicht zum 
Territorium gehören, die Rede. Aber zugleich bestätigt diese Ur- 
kunde die vorhin ausgesprochene Ansicht, daß der Landesherr Unter- 
schiede innerhalb des Territoriums noch gelten läßt: die Messerer 
aus den Städten W. und St. P. dürfen in Wien nur an den zwei 
Jahrmärkten ihre Waren absetzen. Insofern herrscht also noch durch- 
aus das mittelalterliche Gästerecht. Es wird auch durch die Hand- 
werkerordnung Ferdinands I. von 1527 nicht beseitigt ?™%). Die gleichen 
Verhältnisse wie in Oesterreich finden wir in W ürttemberg nach der 
eingehenden Schilderung, die Schüz%) im Jahre 1850 von der „alt- 
württembergischen Gewerbeverfassung in den letzten drei Jahr- 
hunderten“ entworfen hat. Es besteht daselbst gewissermaßen ein 
doppeltes Gästerecht: einerseits eines, welches die Nicht-Württem- 
berger fernzuhalten sucht 211. andererseits eines, welches die Gewerbe- 
treibenden eines württembergischen Ortes gegen die eines anderen 
württembergischen Ortes schützt??). Aus Bayern sei als Beispiel er- 
wähnt, daß in Straubing im Mittelalter der Grundsatz galt (wie in 
den mittelalterlichen Städten überhaupt), daß kein Bürger sich mit 
einem Fremden zu einer Gewerbsgesellschaft vereinigen dürfe; im 
Jahre 1513 wird dies Verbot durch “den Landesherrn auf den Handel 
mit Wein, Bier, Salz und Getreide beschränkt 221. Als Motiv wird 
angegeben, daß, je mehr Kaufleute, Gewerbe und Hantierungen in 
den Städten entstünden, um so mehr geschickte und statthafte Bürger 
darin erzogen und dazu auch der Bürger Nahrung gefördert und 
die herzoglichen Zölle und Mauten gemehrt würden. Diese Milderung 
des mittelalterlichen Rechtes ist bemerkenswert. Allein wie es in 
dem hier berührten Falle nicht ganz verschwindet, so behauptet es 
sich in anderen Fällen in kaum verminderter Stärke. Aus allen 
Gegenden Deutschlands liegen in Menge Nachrichten vor, daß nicht 
bloR der Territorialfremde, sondern auch der Stadtfremde bis weit 


29) Uhlirz, Urkunden und Regesten aus dem Archive der K. K. Reichshaupt- und 
Residenzstadt Wien, Teil II, S.-A. aus dem 17. Bande des Jahrbuches der kunsthistorischen 
Sammlungen des allerhöchsten Kuiserhauses, S. 89, No. 15456. Vgl. zu dieser Urkunde 
meine Theorien der en Entwiekelung, S. 50 Anm. 2. 

29a) Vgl. Eulenburg a. a. O. S. 89 Anm. 261. 

30) Zeitschrift für die site Staatswissenschaft, Bd. 6, S. 259 ff. 

31) S. 273 ff. Die Privilegien der Leineweberzunft von 1600 enthalten z. B. die 
Bestimmung, daß kein Unterthan das Geringste (auch nicht eine Elle) außerhalb des 
Herzogtums weben lassen darf. 

32) Vgl. z. B. 276, 279, 281. 

33) Rosenthal, Beiträge zur deutschen Stadtrechtsgeschichte, Heft 1 und 2, S. 239. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 459 


über das Mittelalter hinaus in Handel und Verkehr zurückgesetzt 
wird). Im 18. Jahrhundert finden wir eine erheblichere Ein- 
schränkung, aber noch keine Aufhebung des lokalen Gästerechts. 

Vor einer Ueberschätzung der Thätigkeit der Landesherren werden 
wir bewahrt bleiben, wenn wir berücksichtigen, daß ebenso wie sie 
auch die Städte Milderungen des Gästerechts vornehmen. Bis ins 
16. Jahrhundert dürften diese sogar mehr als die Landesherren das 
(rästerecht eingeschränkt haben; vom 17., namentlich aber vom 18. 
ab haben allerdings die letzteren entschieden die Führung. Es sind 
insbesondere die vorhin geschilderten Städtebündnisse °), welche einen 
freieren Verkehr anbahnen. So gilt in den hansischen Städten in 
manchen Beziehungen der Satz, daß der Bürger einer Hansestadt in 
einer anderen nicht als Fremder angesehen wird). Es wird z. B. 
den Bürgern einer hansischen Stadt der Verkauf von Schiffen an 
Nichthansen verboten, an Bürger anderer hansischer Städte dagegen 
gestattet 857). Jedoch auch die städtischen Bemühungen um Ein- 
schränkung des Gästerechts dürfen wir nicht überschätzen. Denn 
erstens bewegen sie sich nicht in konsequent aufsteigender Linie *). 


34) Es mögen hier einige Beispiele, die sich beliebig vermehren ließen, für die 
Konservierung des mittelalterlichen Gästerechtes angeführt werden. Schmoller, Um- 
risse, S. 16 (über Brandenburg): „Wie das lokale Sonderzunftrecht, so erhielt sich noch 
unumschränkt das lokale Stadtrecht; höchstens daß die Bürger aus anderen branden- 
burgischen Städten etwas milderem Gastrecht unterworfen wurden, als die Stettiner oder 
Breslauer.“ Ebenda $S. 326 (aus dem Jahre 1637): Fremde Fischhändler sollen in Berlin 
gar nicht mehr, fremde Fischer nur an bestimmten Tagen und Märkten zugelassen werden. 
Gothein S. 444. Bergius, Neues Polizei- und Kameralmagazin II, S. 406 $ 5 (nach 
Urkunden von 1555 und 1747). Techen, Hansische Geschichtsblätter, 1897, S. 48, 55, 
Anm. 5 und 60, Anm. 5. Hasse, Leipziger Messen, S. 181: Die Fischhändler klagen 1613 
über Personen, welche zwischen den Märkten unbefugt handeln. Bei Breysig-Spahn, 
Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Branden- 
burg, Ständische Verhandlungen III, Preußen, 2. Band, 2. Teil, S. 1120 sind unter dem 
Wort Fremdenhandel viele Stellen über die Konservierung des Gästerechts notiert. Vgl. 
z. B. S. 416: „Wegen des handels und dass niemand als welcher bürger mit denen 
frembden handeln möge, lassen I. Ch. D. bei dem recht, welches die städte Königs- 
berg haben. Dieselben Akten zeigen freilich auch, daß der Landesherr oft einen etwas 
anderen Standpunkt einnahm als die Städte. — Zur Geschichte der Konflikte zwischen 
der Landesherrschaft und den Gewerbetreibenden im 18. Jahrhundert hinsichtlich der 
Behandlung der Fremden vgl. Chr. Eckert, Das Mainzer Schiffergewerbe in den letzten 
drei Jahrhunderten des Kurstaates (Schmoller’s Forschungen XVI, 3), S. 84. — Daß im 
18. Jahrhundert das lokale städtische Güsterecht prinzipiell noch in Geltung war, zeigen 
gerade die damals der Großindustrie und dem Großhandel gewährten Privilegien, die 
jenes als den normalen Zustand voraussetzen. Ueber Preußen vgl. z. B. Schmoller, 
Umrisse und Untersuchungen, S. 524 (oben). 

35) Ueber Milderungen des Gästerechts, die eine einzelne Stadt für sich vornimmt, 
s. Gothein, S. 532 und 542. 

36) Ueber das hansische Fremdenrecht s. neuerdings die zusammenhängende Dar- 
stellung von W. Stein, Beiträge zur Geschichte der deutschen Hanse bis um die Mitte 
des 15. Jahrhunderts, S. 112 ff. Vgl. ferner Boos, Geschichte der rheinischen Städte- 
kultur, Bd. 3, S. 125 und Höhlbaum, Gött. Gel. Anzeigen, 1899, S. 794 f. Höhlbaum 
und Stein S. 145 weisen übereinstimmend darauf hin, daß die Städtebündnisse (wie 
insbesondere auch die Hanse) die Thätigkeit der älteren Landfriedensbünde fortsetzen. 

37) Stein, S. 136 f.; meine Großhändler S. 47. 
38) Eine konsequent aufsteigende Linie in der Milderung des Gästerechts müßte 
man nach den Aeußerungen von Boos a. a. O. und Bd. 2, S. 75 und Höhlbaum a. a. O. 


460 G. v. Below, 


Zweitens wird das Gästerecht nirgends vollständig beseitigt: die Be- 
schränkung der Fremden wird vielmehr für die Mehrzahl der dem 
Gästerecht unterworfenen Handelsobjekte festgehalten 3°). Drittens 
ist das Motiv des milderen hansischen Gästerechts nicht so sehr der 
Wunsch, Handelserleichterungen für den gesamten Verkehr der 
hansischen Städte zu schaffen, als vielmehr die Absicht, einen ge- 
meinsamen Gegner fernzuhalten; man trifft die Bestimmungen über 
Fernhaltung Fremder namentlich auch deshalb, um Unklarheiten über 
die Teilnahme an den Vorteilen der hansischen Privilegien zu be- 
seitigen $°). Die Einheit kommt nur den verbündeten Städten zu gute: 
die Absonderung gegen Nichthansen (auch gegen Landsleute) ist jetzt 
um so schärfer *%). Endlich ist zur allgemeinen Würdigung der 
städtischen Vereinigungen hinzuzunehmen, daß ihr Zweck oft die Er- 
haltung des alten stadtwirtschaftlichen Systems — es sei an die 
Beschlüsse der wendischen Städte zu Gunsten der zunftmäßigen 
Böttcherei +!) erinnert — ist. 


III. Das Stapelrecht. 


Ueber die Geschichte des Stapelrechts hat Stieda eine in- 
haltreiche Skizze gegeben *?). Es kann, wie aus seinen Darlegungen 
hervorgeht, gar kein Zweifel darüber bestehen, daß die städtischen 
Stapelreehte im 16. und 17. Jahrhundert noch ein Zeitalter ihrer 
Blüte hatten, daß die Städte vielfach ihre Befugnisse jetzt sogar er- 
weiterten und befestigten +°). Die Landesherren nehmen sich im 
16. Jahrhundert 19 regelmäßig, im 17. wenigstens noch meistens 


annehmen. Dieser spricht von der Absicht, „die ältere, allgemein herrschende Grund- 
anschauung zu revidieren, die wirtschaftspolitischen Richtungen zu erweitern” u. s. w. 
„Die städtischen Obrigkeiten . . . versuchten mit Bewußtsein und Absicht ‘die alten 
Schranken, die den Rechts- und Handelsverkehr zwischen den Bürgerschaften der ein- 
zelnen Städte lange behindert hatten, niederzulegen.“ Hierzu ist vor allem zu be- 
merken, daß mindestens mit dem gleichen Eifer, mit dem die Städte Schranken be- 
seitigten, sie auch Schranken aufgerichtet haben. Ausführlicher habe ich mich darüber 
in meinen Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, S. 72 ff. geäußert. S. auch 
Stein a. a. O. 

39) Vgl. Techen (s. Anm. 34) a. a. O. Selbst Hamburg giebt das lokale Gästerecht 
nicht ganz auf (der Kleinverkauf bleibt den Bürgern vorbehalten); die anderen Hanse- 
städte (z. B. Lübeck) noch weniger. Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 2, S. 469 f. 

40) Stein, S. 112 ff. 

40a) Stein, S. 147 ff. 

41) Vgl. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, S. 51. 

42) Handwörterbuch der Staatswissenschaften (1. Aufl.), Bd. 5. S. 863 ff.: Art. Stapel- 
recht. Vgl. auch Rathgen, Art. Stapelrecht, Wörterbuch der Volkswirtschaft 2, S. 618 f. 
Ueber die Entstehung der Stapelrechte s. meine Theorien der wirtschaftlichen Ent- 
wickelung, S. 64 ff. und neuerdings W. Stein, Beiträge zur Geschichte der deutschen 
Hanse, S. 33 ff. Ich werde auf dessen Ausführungen in meiner Besprechung seines 
Buches in der Historischen Zeitschrift zurückkommen. Stein giebt zum ersten Male 
eine befriedigende Darstellung des Kölner Stapels im Mittelalter. Danach sind alle 
bisherigen Darstellungen (auch die von Stieda) zu berichtigen, 

43) Dies hebt auch Schmoller, Umrisse, S. 77, hervor. Zu seinen Ausführungen 
über das Stapelrecht vgl. übrigens Höhlbaum, Hansisches Urkundenbuch 3, S. 168 
Anm. 1. 

43a) Vgl. z. B. Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 44. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 461 


der städtischen Ansprüche an. Das Neue dieser Zeit besteht im 
wesentlichen nur darin, daß zu der Thätigkeit der Städte die Wahr- 
nehmung ihrer Interessen durch die Landesherren in steigendem 
Maße hinzutritt; jene wird aber noch nicht durch diese absorbiert *). 
Eine tiefer greifende Umwandlung der Verhältnisse beobachten wir 
erst im 18. Jahrhundert. Erst jetzt wird auch in der Litteratur +5) 
ein energischerer Tadel der alten Einrichtung laut. In diesem Jahr- 
hundert werden manche Stapelrechte ganz beseitigt, andere so sehr 
durchlöchert, daß man ihm eine erfolgreiche Vorbereitung der defini- 
tiven Aufhebung, die im 19. Jahrhundert stattfand, zuschreiben darf; 
und die Schritte gegen die Stapelrechte gehen namentlich auch von 
den Landesherren aus. — Schmoller +°) sieht es als ein charakteristisches 
Merkmal schon des 16. Jahrhunderts an, daß die Landesherren die 
kleinen Stapelrechte eingehen lassen, die großen fördern. In der 
That begegnet man dieser Erscheinung mehrfach. Allein sie kann, 
abgesehen davon, daß vorerst die kleinen Stapelrechte noch nicht 
ganz verschwinden, daß die Territorien, die eine Unifizierung vor- 
nehmen, damit nicht sofort Erfolg haben, als eine allgemeine deshalb 
nicht gelten, weil die meisten deutschen Territorien von zu geringem 
Umfang waren, als daß sie vor die Möglichkeit, sich zwischen mehreren 
Orten zu entscheiden, hätten gestellt werden können. Das 18., ja 
das 19. Jahrhundert hat in vielen Teilen Deutschlands, z. B. am 
Rhein 47), noch eine stattliche Zahl von Stapelplätzen gesehen. Das 
17. aber weist wohl fast das gleiche bunte Bild auf, wie das spätere 
Mittelalter. 

Dieselbe Geschichte wie das Stapelrecht selbst haben andere 
Einrichtungen, die mit ihm zusammenhängen, gehabt. So die Rang- 
oder Reihe- oder Börtfahrt*°). Wie jenes oder vielmehr in noch 
stärkerem Maße erlebte sie nach Schluß des Mittelalters einen neuen 
Aufschwung +°) und ist im 18. Jahrhundert stark zurückgegangen, 
im 19. verschwunden. 


44) Bemerkenswert ist es, daß noch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts 
Städte verschiedener Landesherren über die Ausübung ihrer Stapelrechte Verträge 
schließen. So Breslau, Frankfurt a. d. O., Stettin. Stieda, S. 875. 

45) Stieda, S. 850.— Ueber die Beseitigung von Stapeln durch die preußische Re- 
gierung im 18. Jahrhundert s. Koser, Friedrich d. Gr. Bd. 1, S. 442. 

46) Umrisse, S. 77 (in der Abhandlung: Die Handelssperre in Brandenburg und 
Pommern im Jahre 1562). 

47) Gothein, Westdeutsche Zeitschrift, Bd. 14 (1895), S. 255. Eckert, Rheinschiff- 
fahrt im 19. Jahrhundert, S. 4 f. 

48) Stieda, S. 865. Baasch, Forschungen zur hamburgischen Handelsgeschichte, 
Teil II: die Börtfahrt zwischen Hamburg, Bremen und Holland (Hamburg 1888). 
Zwischen Hamburg und Holland (Amsterdam) ist eine Reihefahrt im Jahre 1613 ein- 
geführt worden. Die Einführung hing damit zusammen, daß der Verkehr zwischen 
den Niederlanden und der Elbe sich im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts ganz be- 
sonders entwickelte. Die Hamburger Reihefahrten haben bis ins 19. Jahrhundert bestanden, 
zuletzt allerdings unter starken Aeußerungen der Kritik. 

49) Vergl. außer der vorigen Anm. Gothein, Westdeutsche Ztschr., Bd. 14, S. 245 
‘über die Errichtung von Rangfahrten am Rhein nach dem S0jährigen Kriege). Aus 
der Darstellung von Eckert a. a. O., S. 244 ff. erfährt man die interessante Thatsache, 
daß die Rangfahrten am Rhein sogar noch im 19. Jahrhundert erneuert werden, frei- 


462 G. v. Below, 


IV. Die Beherrschung des Landes durch die Stadt. 


Von allen Fragen der Handels- und Gewerbeverfassung hat die 
landesherrliche Regierung am meisten wohl das Bannmeilenrecht, 
die Beherrschung des platten Landes durch die Städte 
beschäftigt. 

Man begegnet öfters der Vorstellung, als ob der Kampf zwischen 
Landesherren und Städten im Mittelalter darin seine Bedeutung habe, 
daß jene die Vertreter specifisch ländlicher Interessen seien 5°). In 
Wahrheit wandte der mittelalterliche Staat den ländlichen Verhält- 
nissen seine Aufmerksamkeit kaum zu. Die Landgemeinde und die 
Markgenossenschaft waren nicht Glied seiner Verfassung. Für sie 
erließ er nicht Gesetze 5). Ob eine Landgemeinde von einem Grund- 
herrn unterworfen wurde, das registrierte er nicht in seinen Akten. 
Die Staatsverfassung jener Zeit war der Hauptsache nach nur Ge- 
richts-, Militär- und Finanzverfassung. Soweit sich der Stâat der 
wirtschaftlichen Verhältnisse annahm, stand er mehr auf der Seite 
der Städter als der Landbewohner. Allerdings wissen wir ja von 
vielen und heftigen Kämpfen zwischen Fürsten und Städten. Indessen 
es kommt darauf an, diesen Gegensatz in seinem wahren Charakter 
zu erfassen. In erster Linie handelt es sich um einen bloßen Kampf 
um die Macht. Wir kennen keinen Fürsten (wohl manchen Ritter), 
der die Absicht gehabt hätte, das Städtewesen an sich, städtischen 
Handel und städtisches Gewerbe zu vernichten; keinen, der der 
Meinung gewesen wäre, im Interesse der Landwirtschaft müsse der 
Macht des Handels und Handwerks entgegengetreten werden. Die 
Landesherren sehen zunächst eine gar zu große Selbständigkeit der 


städtischen Gemeinden — die sie freilich zu einem sehr erheblichen 
Teile durch Privilegien selbst geschaffen hatten — nicht gern. Sie 


wollten sich ferner nicht ihre staatliche Gerichts- und ihre staatliche 
Steuerverfassung 52) durch das städtische Pfahlbürgertum durchlöchern 
lassen. Sie waren weiter wohl auch oft in finanziellen Anforderungen 
an die Städte ungestüm. Sie hatten nicht genügendes Verständnis 
für die feineren Bedürfnisse einer höheren wirtschaftlichen Kultur 
und schädigten deshalb oft durch plumpes Zugreifen das städtische 
Verkehrsleben, wie es sich namentlich im Zoll- und Münzwesen 
zeigt. Aber trotz aller Feindschaften und aller Brutalität. mit der 
die Landesherren oft den Städten begegneten, haben sie doch anderer- 
lich mit einem bemerkenswerten Unterschied (nach holländischem Muster): die Bört- 
fahrer haben kein Monopol der Güterbeförderung mehr. 

50) Vergl. hierzu meine Bemerkungen in der Histor. Ztschr., Bd. 75, S. 406. Von 
unrichtigen Vorstellungen geht z. B. Nitzsch, Geschichte des deutschen Volkes 3, S. 445 
aus, wenn er jenen Kampf einfach aus einem Gegensatz von ländlicher („Faktoren der 
ländlichen Kultur“) und städtischer Kultur erklärt. Perthes a. a. O., S. 124 läßt in 
den Territorien „gutsherrlich-ritterliche Interessen“ vertreten sein. (S. auch Perthes’ 
Worte in meinen Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, S. 2 f.) So einfach ist 
das Problem nicht. 

51) Vergl. meinen Ursprung der deutschen Stadtverfassung, S. 69 ff. 

52) Vergl. meine Bemerkungen in der Histor. Zeitschr., Bd. 75, 8. 408. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 463 


seits gerade diese im Gegensatz zum platten Lande unterstützt. Sie 
gewährten ihnen teils für unmittelbare Gegenleistungen, teils weil 
sie aus allgemeinen Gründen eine Förderung des Städtewesens für 
nützlich hielten, die Zwangs- und Bannrechte, deren Bedeutung nicht 
zum mindesten darin liegt, daß sie eine Herrschaft über das um- 
liegende platte Land begründeten. Die Territorialherren zeigten sich 
freigebig auf Kosten des Landmanns. Insofern müssen wir ihre Politik 
städtefreundlich nennen, wenn wir sie auch in ihrem allgemeinen 
Werte nicht zu hoch anschlagen dürfen, da die Anregungen zu ihren 
Maßnahmen wohl regelmäßig von den Bürgerschaften ausgingen. 

So übt denn die Stadt «des Mittelalters, durch die Verkehrsver- 
hältnisse der Zeit unterstützt, innerhalb gewisser Grenzen?) eine 
Herrschaft über das umliegende Land aus. Wenn wir das Mittelalter 
(etwa seit dem 12. Jahrhundert) die Periode .der Stadtwirtschaft 
nennen, so liegt zwar nicht die einzige, aber eine sehr wichtige Vor- 
aussetzung für diese Bezeichnung eben in der Beherrschung des Landes 
durch die Städte. Freilich wird der wirtschaftliche Charakter des Mittel- 
alters noch nicht in allen Beziehungen durch den Ausdruck „Periode 
der Stadtwirtschaft‘‘ geschildert. Die historischen Erscheinungen sind 
stets so kompliziert, daß sich in einem Namen nie die ganze Art 
eines Zeitalters offenbart. Immerhin bildet die auf die Beherrschung 
des Landes begründete Stadtwirtschaft einen sehr wesentlichen Zug in 
dem Bilde, das uns die mittelalterlichen Zustände gewähren zm). Die 
— allerdings, wie schon bemerkt, nur innerhalb gewisser Grenzen 
entwickelte — Herrschaft der Stadt äußert sich dahin, daß sie den 
Handel auf dem Lande für sich in Anspruch nimmt, ein erhebliches 
ländliches Gewerbe nicht aufkommen läßt, den Landmann nötigt, im 
Körnerbau und in der Viehwirtschaft in erster Linie für den Bürger 
zu produzieren $). 


53) Ueber diese Grenzen s. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, 
7 und 64 ff. 

53a) Schmoller, Die Epochen der Getreidehandelsverfassung und Getreidepolitik, 
Jahrbuch für Gesetzgebung, 1896, S. 707, Umrisse und Untersuchungen, S. 642 meint, 
daß die städtische Getreidehandelspolitik, d. h. eine den städtischen Interessen aus- 
schließlich folgende, „nur in Stadtstaaten von geringem Umfang oder in Ländern und 
Staaten, wo eine Großstadt die beherrschende Rolle spielte, oder in Gebieten, wo die 
großen Städten politisch und administrativ relativ selbständig waren, ganz vorherrschen 
und sich behaupten konnte.“ Gewiß kam es den Städten im deutschen Mittelalter für 
ihre Getreidehandelspolitik zu statten, daß sie politisch und administrativ relativ selb- 
ständig waren (übrigens handelt es sich hier nicht bloß um „große“ Städte). Aber eine 
befriedigende Erklärung giebt erst die Thatsache, daß die mittelalterlichen Landesherren 
als solche den specifisch agrarischen Angelegenheiten gar kein Interesse entgegen brachten. 
Vergl. übrigens unten Anm. 63. 

54) Boos, Geschichte der rheinischen Städtekultur, Bd. 3, S. 108 meint, daß na- 
mentlich iu Zunftstädten der Handel stark gemaßregelt worden sei. Aber in einer 
Patrizierstadt wie Nürnberg ist er doch auch sehr stark reglementiert. — Zu den Ar- 
beiten von Naudé über die Geschichte des Getreidehandels s. die Korrekturen bei 
W. Stein, Beiträge, S. 44 Anm. 2 und 8.47 Anm. 5. S. auch oben Anm. 43 und 
meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, S. 48 Anm. 2. — Hinsichtlich der 
Frage, wie weit die Beherrschung des Landes durch die Städte ausgedehnt worden ist, 
bezw. werden konnte, sei hier darauf hingewiesen, daß, wenn in einer Gegend dus 


S. 5 


464 G. v. Below, 


Am Schluß des Mittelalters wurden mancherlei Angriffe gegen 
die Vorherrschaft der Städte unternommen ®). Es treten Tendenzen 
von verschiedenen Ausgangspunkten hervor. Einmal wachsen ge- 
wissermaßen von sich aus die ländlichen Gewerbetreibenden an Zahl 
und Art *) und lehnen die Vormundschaft der Städte ab. Auch der 
Grundherr oder Gutsherr wünscht auf seinem Besitz einen gewerb- 
lichen Betrieb einzurichten. Sodann nehmen reiche Bürger von den 
billigeren Produktionsbedingungen des Landes Anlaß, Landleute für 
ihre großen Unternehmungen arbeiten zu lassen, wodurch dem zünftigen 
Handwerksmeister noch stärkere Konkurrenz gemacht wird als durch 
die für eigene Rechnung arbeitenden einfachen ländlichen Hand- 
werker 5’). Endlich sucht der Landwirt sich von der drückenden 
Forderung der Städte, daß er seine Produkte nur in ihnen und an 
Städter absetzen solle, zu befreien; der große Landmann beansprucht, 
bei dem kleinen kaufen zu dürfen. 

Ueber diese Fragen kommt es überall in Deutschland zu einem 
lebhaften Kampfe zwischen Stadt und Land, der in einem Terri- 
torium mehr durch Beschwerden, die man vor den fürstlichen Hof 


bäuerliche Element besonders kräftig und einflußreich war, es zur Ausbildung einer 
Zunftverfassung, d. h. eines das Land beherrschenden Bannrechtes nicht gekommen ist. 
Vgl. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1, S. 439 u. 450. Andererseits 
kann bei bestimmten Voraussetzungen von einem ländlichen Bezirk dieselbe Nahrungs- 
mittelpolitik getrieben werden, wie von einer Stadt: z. B., wenn der betreffende länd- 
liche Bezirk entweder Getreide nicht erzeugt oder in einem anderen landwirtschaftlichen 
Produkt unergiebig ist. Schmoller, Umrisse, S. 23 verwendet im Rahmen seiner Dar- 
stellung das Beispiel von Bern, welches „seinem Oberland mit einer Korn- und Salz- 
sperre droht, wenn es nicht alle seine Butter nach Bern bringe“. Allein hier handelt 
es sich nicht um den Gegensatz von Stadt und Land, sondern um den zweier länd- 
licher Bezirke, die — namentlich weil das Oberland kaum Getreide hervorzubringen 
vermag — auf gegenseitigen Austausch angewiesen sind. Dies Beispiel ist von besonderem 
Interesse, weil es zeigt, wie die Entwickelungstendenzen, die man sonst wohl beobachten 
zu können glaubt, gegebenen Falls durch Wirkungen entgegenstehender Instanzen, hier 
der Bodenverhältnisse, durchkreuzt werden. 

55) Schmoller, Umrisse, S. 17 meint, daß die Kämpfe zwischen Stadt und Land 
„gerade im Nordosten‘ besonders schroff gewesen seien. Waren sie wirklich anderswo 
weniger heftig? Eher könnte man einen Unterschied zwischen Osten und Westen in- 
sofern annehmen, als im Osten das Land gegenüber der Stadt etwas mehr Selbständirkeit 
erringt oder bewahrt als im Westen. Gothein wenigstens glaubt behaupten zu dürfen, 
daß die Beherrschung des Landes durch die Städte im Südwesten wesentlich schärfer 
als im Nordosten gewesen sei. Vergl. mein Territorium und Stadt, S. 41 f. Indessen 
ist mindestens ein wesentlicher Unterschied nicht zu erkennen. 

56) Ganz haben auch im Mittelalter die Handwerker auf dem Lande nicht ge- 
fehlt. Vergl. Mor. Heyne, Deutsche Hausaltertümer, Bd. 1: Das deutsche Wohnungs- 
wesen, S. 203 Anm. 7; meine landständische Verfassung in Jülich und Berg II, 2, 
S. 152 Anm. 6 und S 219. Es ist nieht notwendig mit Heyne anzunehmen, daß das 
Handwerk nur unter dem Einfluß der Stadt zum Kaufgewerbe wird. Ueber Herstellung 
von Büttcherwaren auf dem Lande im Mittelalter s. meine Theorien der wirtschaftlichen 
Entwickelung, S. 51 Anm. 2. Ueber die Zunahme der ländlichen Handwerker 
am Ende des Mittelalters s. Kaser, Politische und soziale Bewegungen im deut- 
schen Bürgertum zu Beginn des 16. Jahrhunderts, S. 206 f.; Ritter, Deutsche Geschichte 
im Zeitalter der Gegenreformation und des 30jährigen Krieges, Bd. 1, S. 29; Terri- 
torium und Stadt, S. 271 ff.; Historische Zeitschrift 75, S. 446 f. 

57) Ueber das klassische Beispiel der Güuweberfrage in Ulm s. Nübling, Ulms 
Baumwollweberei im Mittelalter, S. 147 ff. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 465 


bringt, in einem anderen mehr auf den Landtagen ausgefochten wird 58). 
Ueberall ruft man die Landesherrschaft als Friedensstifterin an. Es 
trägt zur Steigerung ihres Einflusses bei, daß diese Streitigkeiten 
vor ihr Forum kommen. Wie aber stellt sie sich nun zu den ent- 
gegengesetzten Ansprüchen ? 

Zunächst haben wir hier an das zu erinnern, was wir vorhin 
über die Schaffung eines territorialen Gästerechts gesagt haben. So- 
weit dieses Platz greift, wird die Herrschaft der Städte über das 
ganze Territorium ausgedehnt. In Hessen wird z. B. im Jahre 1534 
den Fremden verboten, die Wolle direkt von den Schäfern zu kaufen 
(was den inländischen Wollwebern frei steht a, In Württemberg 
wird die Ausfuhr von Eichenrinde im Interesse der heimischen Gerber 
verboten %). Im Mittelalter hatte, wenn überhaupt, nur die einzelne 
Stadt über das betreffende umliegende Gebiet geherrscht, während 
manches frei blieb êt). Jetzt wird durch die Ausbildung des terri- 
torialen Fremdenrechts die Herrschaft der Städte noch verschärft. 
So verhält es sich wenigstens, wenn neben dem neuen territorialen 
das alte städtische Gästerecht bestehen bleibt. Daß aber dieses, zum 
mindesten in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit, konserviert 
wurde, haben soeben unsere Erörterungen über das Gäste- und das 
Stapelrecht gezeigt‘). Im folgenden sehen wir von dem lokalen 
Gästerecht, von dem Gegensatz der einzelnen Städte zu einander ab 
und betrachten nur das Verhältnis der Städte schlechthin zum platten 
Lande. Es sei aber hier ganz im allgemeinen bemerkt, daß die 
landesherrlichen Gesetze, welche die Herrschaft der Städte über das 
umliegende Land aussprechen, sehr oft zugleich im Dienst der gegen- 
seitigen Eifersucht der einzelnen Bürgerschaften stehen. Das für 
den Landmann erlassene Verbot z. B., sein Getreide frei zu ver- 
kaufen, betrifft ganz gewöhnlich nicht bloß ihn, sondern auch den 
Bürger einer Stadt, zu deren Herrschaftsgebiet der betreffende länd- 
liche Bezirk nicht gerechnet wird. 


a) Die Herrschaft des städtischen Handwerks. 


Fast scheint es, daß in Bezug auf das Handwerk die Herrschaft 
der Städte in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit noch schärfer 


58) Ueber die Form der Erledigung dieser Streitigkeiten s. Territorium und Stadt, 
8. 271 ff. — Schmoller, Umrisse, S. 12 behauptet: „Je kräftiger ein ständisches Ver- 
fassungsleben Städte und Adel zunächst unter sich und dann die ständischen Korpo- 
rationen untereinander zu gemeinsamer Arbeit vereinigte, ... desto leichter gelang der 
volkswirtschaftliche Assimilierungsprozeß.‘“ Gegen diese Behauptung erheben sich doch 
große Bedenken. 

59) Jahrbücher für Nationalökonomie, Bd. 7, S. 90. 

60) Schüz, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 6, S. 274. 

61) S. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung S. 57. 

61a) Die im folgenden citierten Werke enthalten weitere Belege. Vgl. ferner z. B. 
unten S. 470 und Schmoller, Umrisse S. 659 f. Wenn die unten Anm. 68 erwähnte 
AeuBerung aus dem 18. Jahrhundert von dem städtischen ius prohibendi spricht, so 
schließt dieses nicht bloß die Landleute, sondern auch die Händler und Gewerbetreibenden 


Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 30 


466 G. v. Below, 


ausgebildet wird, als sie es im Mittelalter gewesen war" In 
Württemberg setzen die Metzgerordnungen von 1554 und 1567 fest, 
daß nur in denjenigen Flecken, welche von alters her Metzger gehabt, 
das Metzgen gestattet, im übrigen aber allmählich abgeschafft werden 
soll, und auch die Ordnung von 1651 bestimmt, daß künftig ohne 
besondere herzogliche Erlaubnis in Flecken und Dörfern kein Metzig 
aufgerichtet werden soll #2), Allerdings ist Württemberg das klassische 
Land der Bürgerherrschaft%). Auf seinem Landtag waren die städtischen 
Kreise die ausschlaggebende Macht‘) und konnten ihren Wünschen 
sehr wirksamen Nachdruck verleihen. Das Territorium ist hier fast 
nur ein Mittel für die Zwecke der Städte. In anderen Territorien, 
auf deren Landtag die ritterschaftliche Kurie energisch mitsprach, 
ist die Idee der Beherrschung des Landes nicht in ganz so schroffer 
Form verwirklicht worden. Aber ein sehr starkes Maß der Ab- 
hängigkeit von den Städten finden wir auch in ihnen, und überall 
in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit erheblich mehr gesetzliche 
Bestimmungen über die Beherrschung des Landes als im Mittelalter. 
Dieser Unterschied könnte sich freilich so erklären, daß das, was im 
Mittelalter überwiegend Produkt der Verhältnisse war, jetzt mehr 
durch die Gesetzgebung erstrebt wurde. Jedenfalls indessen be- 
haupten sich die Städte nach Schluß des Mittelalters mehr oder 
weniger überall in der Beherrschung des Landes. Die lebhaften 
Streitigkeiten über diesen Punkt spielen sich in der Weise ab, daß 
die Städte die annähernd vollständige Beseitigung der ländlichen 
Handwerker verlangen, während das Land — meistens vertreten durch 
die Ritterschaft — kaum je alle Arten des Handwerks, in der Regel 
nur eine gewisse Zahl für sich mit beansprucht. In solcher Weise 
wird bis ins 18. Jahrhundert disputiert. Die zur Entscheidung an- 
gerufene Landesherrschaft erfüllt meistens die Wünsche der Städte 
nicht ganz, aber in der Hauptsache stellt sie sich auf ihre Seite. 
Der Grund, weshalb sie sich so entscheidet, ist vornehmlich ein 
steuerpolitischer: das System der in den Städten erhobenen indirekten 
Steuern hing eng mit den städtischen Zwangs- und Bannrechten zu- 
sammen. Die Klagen der sonst so mächtigen Ritterschaft finden in 
diesem Punkte wenig Gehör, weil die Regierung gerade auf die in- 
direkte Steuer das höchste Gewicht legt. Die Ritterschaft wird dafür 
in anderer Weise entschädigt. So ist denn die Herrschaft des 
städtischen Handwerks in ihren wesentlichen Zügen bis in den Be- 


anderer Städte aus. S. auch unten den Text zu Anm. 75: der Verkauf auf dem Markt 
der nächsten Stadt wird vorgeschrieben. 

61b) Es mag hier an Schäffle’s nicht ganz unberechtigtes Wort erinnert werden: 
„Die kastenhafte Absehließung der Stände beginnt erst mit dem Zerfall des Mittelalters 
oder vielmehr dieser durch jene.“ Gesammelte Aufsätze 1, S. 63. 

62) Schüz a. a. O. S. 277. Vgl. ebenda S. 273 und 295. 

63) Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1, S. 517. Die Städte, 
die diese Herrschaft ausüben, sind dabei nur mittlere und kleine Orte. 

64) Diese Thatsache steht außerhalb aller Diskussion, wenn auch darüber gestritten 
werden kann, ob der Bauernstand eine gewisse Vertretung auf dem Landtag gehabt hat. 
Vgl. m. Territorium und Stadt, S. 213. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 467 


ginn des 19. Jahrhunderts bestehen geblieben %). Der Merkantilis- 
mus mit seiner staatlichen Begünstigung der Fabriken hat wohl das 
Handwerk beeinträchtigt; er bedeutet "aber keine Abweichung von 
dem System der Beherrschung des Landes durch die städtischen 
Interessen. Er ist vielmehr bloß eine Fortbildung des mittelalter- 
lichen Systems, hat diesem nur eine andere, jedoch kaum eine mildere 
Form gegeben. — Um über ein einzelnes Gewerbe noch ein Wort 
zu sagen, so wird auf den Landtagen mit besonderer Heftigkeit über 
das Recht der Brauerei und Brennerei gestritten, „Kaufmannschaft 
und Brauwerk* — erklären die Städte des Herzogtums Preußen im 
Jahre 1641 — „ist eine Stadtnahrung; die Landleute sollen von ihren 
Zinsern, Acker und Vieh sich nähren“ %) Und es ist amüsant zu 
sehen, wie sie sich bemühen, darzulegen, daß dem Adel, wie andere 
bürgerliche, so die Braunahrung bei Verlust des adligen Standes 
„vermöge der kaiserlichen Turnierartikel“ verboten sei 67). "Die Landes- 
herrschaft widerspricht den Städten nur wenig. Am meisten schränkt 
sie die städtischen Ansprüche zu Gunsten ihrer eigenen Brauereien 
und Brennereien ein. Dem Adel und den Bauern gegenüber erkennt 
sie dagegen mit Entschiedenheit die Brauerei als städtische Nahrung 
an und läßt von der gesetzlichen Regel bloß geringe Ausnahmen zu, 
indem sie dem Adel "das Brauen meistens für den eigenen Bedarf, 
den Bauern, wenn ihnen überhaupt, etwa zur Erntezeit gestattet 6$), 


65) Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 40 f. Schmoller, Umrisse, S. 314 ff. 
giebt in seiner Schilderung des brandenburgisch- -preußischen Innungswesens bis zum 
Jahre 1800 eine Menge von Belegen für die Festh: itung der städtischen Vorherrschaft. 
In seiner Abhandlung über das Merkantilsystem in seiner historischen Bedeutung, ebenda 
S. 1 ff., formuliert er mehrmals Urteile, in denen der Erfolg der territorialen Politik 
zu günstig dargestellt wird. Wenn er z. B. S. 19 von „Grundsätzen, die das ganze 
Territorium gleichmäßig binden, öffnen oder verschließen“, spricht, so ist dabei die Ein- 
schränkung zu machen, daß die Zahl solcher Grundsätze im 16. Jahrhundert (das hat er 
hier im Auge) noch nicht groß war. Wenn er ebenda sagt, daB „jeder Sieg der Ritter- 
schaft . . . freieren Verkehr im Lande, billigere Zulassung der Fremden bedeutete‘, so 
ist dazu zu bemerken, daß die Ritterschaft in der Frage der Stadtherrschaft kaum je- 
mals einen großen, nur selten überhaupt einen Sieg erfochten hat. „Ein Landesrecht, 
das ziemlich einheitlich das Territorium umspannte‘ (ebenda), darf man für das Jahr 
1600 gewiß noch nicht annehmen. Vgl. dagegen S. 325: „Die bunteste Mannigfaltigkeit 
in der Anordnung und in den materiellen Bestimmungen“. S. 24 läßt Schmoller „die 
Vorstellung, daß der territoriale Handel, die territoriale Industrie, der territoriale Markt 
ein einheitliches Ganze seien“, im 16. Jahrhundert existieren. Die Landesherren werden 
sich doch in jedem Augenblick darüber klar gewesen sein, daß von einem „territorialen 
Markt“ als einem einheitlichen Ganzen z. B. deshalb keine Rede sein könne, weil die 
ländlichen Weber vor den städtischen zurückstehen müssen. 

66) Breysig-Spahn a. a. O., Bd. 1, S. 317. 

67) Ebenda S. 318. 

68) Vgl. z. B. Eichhorn, Einleitung in das deutsche Privatrecht $ 184 und 393. 
Schmoller, Umrisse, S. 17. Breysig-Spahn a. a. O., Bd. 2, S. 1114 unter d. W. Brau- 
gewerbe (vgl. namentlich Bd. 1, S. 277 und Bd. 2, S. 636 § 21) und S. 1120. — 
Eine lehrreiche Geschichte des „Brauwesens in Jena und Umgegend“ giebt Horst Hoff- 
mann in der Jenaer Doktordissertation von 1896, S. 109 ff. 1537 wurde auf einem 
Landtage „zum ersten Mal die Brau- und Schenkbefugnis einer Anzahl über den Vor- 
stadtring Jenas hinaus liegender Dörfer eingehend erörtert und die aus dem Bannrechte 
fließenden Verkehrsbeschränkungen staatlicherseits von neuen festgesetzt und verschärft. 
Die Bauern sollten sich des Schenkens sowohl eigenen als fremden Bieres gänzlich ent- 


30* 


468 G. v. Below, 


Auch die Brennerei gilt, wiewohl nicht ganz in gleichem Maße, als 
städtisches Vorrecht. Es ist erst das 19. Jahrhundert, welches hier 
Land und Stadt dasselbe Recht verliehen hat °°). Nettelbeck schildert 
in seiner Lebensbeschreibung "7. wie die allgemeinere Verbreitung 
der „Gewerbscheine zum freien Betrieb aller Handtierungen im Staat“ 
und die dadurch bewirkte Einführung von Branntwein vom platten 
Lande es ihm unmöglich gemacht haben, sich länger in seinem 
städtischen Brennereigewerbe zu behaupten. Wir sind leicht geneigt, 
einem Gemeinwesen, das seine Existenz großenteils auf Privilegien 
stützt, ohne weiteres Gesundheit und innere Kraft abzusprechen. 
Das Beispiel Nettelbeck’s erinnert uns aber daran, wieviel Tüchtigkeit 
doch auch die Stadt der alten Art in sich barg. 


b) Die städtische Getreidehandelspolitik. 


Auch in Bezug auf den Getreidehandel haben die drei ersten 
Jahrhunderte der Neuzeit im wesentlichen an dem alten System fest- 


halten und sollten nur noch für ihren Hausbedarf und ihre Familienfeste ein genau 
vorgeschriebenes Maß eigener Gerste verbrauen dürfen.“ Es ist, wie vorhin angedeutet, 
eine außerordentlich häufige Erscheinung, daß die Beherrschung des Landes im Beginn 
der Neuzeit gesetzlich fixiert und vielfach verschärft wird. Insofern bietet also Jena 
nichts Besonderes. Später aber, schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts, tritt hier 
eine von der allgemeinen Entwickelung abweichende ein, indem Jena den Dörfern die 
Brauerei und auch die Einfuhr von Bier in die Stadt gestattet. Es löst sich also damit 
die alte Stadtwirtschaft auf. Hoffmann, S. 120 und 126. Indessen steht in dieser Be- 
ziehung die Stadt Jena innerhalb des Territoriums isoliert. Die Landesherrschaft hat 
die betreffende Entwiekelung nicht befördert, sondern eher rückgüngig zu machen ge- 
sucht. Der Landesherr ließ es, im 18. Jahrhundert, „nieht an Vorwürfen fehlen, daß 
die Bürger von Jena, obgleich in allen Landen und sonderlich in Sachsen und Thüringen 
einzig und allein den Städten die Braunahrung und zwar cum iure prohibendi zustände, 
... diesen Erwerbszweig mißachtet hätten, und machte selbst Vorschläge zur Hebung 
desselben“. „Die Dorfschaften, die bisher gebraut, dürften dem nicht widersprechen, daß 
die Stadt sich ihres Braurechts selbst bediente, da sie kein ius cogendi wider die Stadt 
besäßen“. Das Motiv, das den Landesherrn hierbei leitete, war ein steuerpolitisches, 
Hoffmann S. 133. Jene Worte zeigen zugleich recht deutlich, daß die Braunahrung 
eum iure prohibendi noch im 18. Jahrhundert ganz allgemein städtisches Vorrecht ist. 

69) Schmoller, Umrisse, S. 18 sagt, es habe aus den Wirrnissen der lokalen Wirt- 
schaftspolitik nur einen Ausweg gegeben: „Uebertragung der wichtigsten... Befugnisse 
von den Städten auf die Landesregierung und Herstellung einer inneren vermittelnden 
Ordnung, welche den entgegengesetzten Interessen Reehnung trug, im Anschluß an das 
Bestehende auszugleichen suchte, aber notwendig und naturgemäß wie auf einen gewissen 
Abschluß des Landes nach außen, so auf eine größere Freiheit der wirtschaftlichen Be- 
wegung nach innen hindrängte“, und glaubt, daß dies Ziel schon im 16. Jahrhundert 
erreicht worden sei. Wir wollen hier davon absehen, daß damals die Herrschaft der 
Städte dem Mittelalter gegenüber vielleicht sogar verschärft worden ist. Jedenfalls 
lassen sich die landesherrlichen Maßregeln bis zum 18. Jahrhundert nicht dahin defi- 
nieren, daß sie „eine vermittelnde Ordnung“ begründen. Der Hauptsache nach stellt 
sich der Landesherr zweifellos auf die Seite der Städte. Auf das Beispiel des deutschen 
Ordenslandes darf sich Schmoller (a. a. ©.) nicht berufen. Denn in dem betreffenden 
Falle handelt es sich nicht um ein Produkt der neueren Territorialpolitik, sondern um 
die mittelalterlichen Zustände des Ordenslandes, welehes eine kräftigere Regierung kannte 
als die deutschen Territorien gemeinhin. An anderen Stellen hebt übrigens Schmoller 
selbst (S. 26 und 658) hervor, daß das Ordensland im Mittelalter eine Sonderstellung 
einnahm, 

70) Joachim Nettelbeck, Lebensbeschreibung, hrg. von Haken, Bd. 3, S. 213. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 469 


gehalten. Man kann hier sogar wiederum die Beobachtung machen, 
daß nach Schluß des Mittelalters detailliertere und zwar strengere 
gesetzliche Bestimmungen erlassen worden sind, als sie die voraus- 
gehende Zeit gekannt hat. Uebrigens bestehen viele Abweichungen 
in dem Recht, das diese Verhältnisse ordnet. Schmoller ?!) unter- 
scheidet mit Recht mehrere Typen. Freilich handelt es sich dabei 
weniger um „historische‘‘ Typen, wie er meint, als um lokale Unter- 
schiede, die in derselben Zeit aufgetreten sind und auftreten. Na- 
mentlich läßt sich seine Gegenüberstellung einer „älteren“ und einer 
„späteren städtischen Getreidehandelspolitik kaum aufrecht erhal- 
ten "71. Die Abweichungen in der geographischen Lage der Städte 
und das verschiedene Maß, in dem die eine oder andere städtische 
Interessengruppe ihren Wünschen Nachdruck zu geben vermag, geben 
der städtischen Getreidehandelspolitik eine verhältnismäßig bunte Ge- 
stalt. Wir bemerken zwei große Interessengegensätze in den Bürger- 
schaften. Auf der einen Seite wünscht man unbedingt billiges Brot 
und sucht von diesem Gesichtspunkt aus jeden Handel auch der 
städtischen Kaufleute, der es etwa verteuern könnte, nach Möglichkeit 
zu verhindern. Andererseits beanspruchen die städtischen Kaufleute 
für die gewinnreiche Getreideausfuhr freie Bewegung. Der Konflikt 
wird durch mancherlei Kompromisse geschlichtet. In Gent wird 
z. B. zwischen „freiem“ und „unfreiem“ Korn unterschieden: alles 
in Flandern gewachsene Korn und ein Viertel des aus der Fremde 
bezogenen muß als „unfreies“ in der Regel in der Stadt bleiben, 
während das übrige dem freien Handel überlassen wird. In der 
nächsten Umgegend Stettins darf kein Händler kaufen; der Bauer 
soll zu Markt kommen; aber jenseits der Randow darf der Stettiner 
Getreidekaufmann selbst das Getreide holen. Meistens hält man es 
in den deutschen Städten so, daß die Ausfuhr des neuen Korns für 
einen Teil des Jahres, etwa von Bartholomäi bis Lichtmeß, verboten 
ist 3). Wie aber auch die einzelne Gemeinde sich in diesem Punkt 
zu den heimischen Händlern stellt, alle stimmen darin überein, daß 
derjenige, der überhaupt auf dem Lande Getreide kauft, ein Städter 
sein soll. Der Getreidehandel wird ebenso als städtischer Nahrungs- 
zweig beansprucht wie das Gewerbe einer Handwerkerzunft. So kommt 
es, daß die Städte eine doppelte Vormundschaft über das Land aus- 
üben: erstens soll der Landmann dem Bürger möglichst billiges Ge- 
treide liefern; zweitens darf er nicht selbst Händler werden. In 
beiderlei Hinsicht kommen nun die territorialen Regierungen den 
städtischen Wünschen sehr weit entgegen. In Brandenburg erneuert 


71) Umrisse und Untersuchungen, S. 643 ff. 

72) Aus derselben Zeit, aus der Schmoller, S. 644 f. Urkundenstellen aus Nieder- 
sachsen zur Charakterisierung seiner ersten Epoche anführt, lassen sich auch Nach- 
richten, durch die seine zweite Epoche belegt wird, anführen. Vergl. W. Stein, Bei- 
träge, S. 41 und meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, S. 48 Anm. 2. 

73) 8. die Beispiele bei Schmoller, S. 650 und Naudé, die Getreidehandelspolitik 
der Europäischen Staaten vom 13. bis zum 18. Jahrhundert, als Einleitung in die 
preußische Getreidehandelspolitik, 8. 247 ff. 


470 G. v. Below, 


z. B. eine Verordnung von 1535 die schon früher erlassene Vorschrift, 
daß die adligen Grundbesitzer zwar berechtigt sein sollen, Getreide 
ihres eigenen Wachstums außer Landes zu führen 4), daß sie aber von 
den Bauern kein Korn zu diesem Zwecke kaufen und diese letzteren 
das Getreide nur auf dem Markte der nächsten Stadt verkaufen 
dürfen 791. Wenn man hiernach annehmen könnte, daß der Adel das 
von ihm produzierte Korn uneingeschränkt ausgeführt habe, SO wider- 
sprechen dem andere Nachrichten, nach denen insbesondere das Verbot 
der Ausfuhr vor Lichtmeß auch in betreff des ihm gehörenden Ge- 
treides gilt "71. Die Zölle, die in jener Zeit erhoben werden, sind 
reine Finanzzülle; sie sind auch nicht (oder wenigstens nur zufällig) 
Grenzzölle; sie kommen dem Inländer in keiner Weise zu statten. 
Dieses System wird in der Hauptsache bis ins 18. Jahrhundert fest- 
gehalten 1"), In Brandenburg-Preußen bemerken wir erst unter Friedrich 
Wilhelm I. und Friedrich dem Großen eine erheblichere Abweichung 
von dem mittelalterlichen System zu Gunsten der Landwirtschaft; 
unter ihnen kommen auch schon Anfänge von Schutzzöllen „zum Nutzen 
des Landmannes vor“ 75). Allein von ihnen wird doch höchstens der 
Versuch der Herstellung eines Gleichgewichts zwischen Stadt und 
Land gemacht. Und jedenfalls „ging das Verbot des Auf- und Vor- 
kaufens des Getreides auch noch in das preußische Landrecht über 
und wurde erst durch die Verordnung vom 20. November 1810 auf- 
gehoben“ "TL — Der Verlust der Autonomie seitens der Städte hat 


allerdings in einem Punkte schon seit etwa dem 16. 8°) Jahrhundert 
eine bedeutsame Wandlung in der Getreidehandelsverfassung hervor- 


Se 


74) Das war ihnen zweifellos auch schon im Mittelalter gestattet gewesen. Man 
darf daber diese Bestimmung nicht als ein „vermittelndes Zugeständnis“ seitens des 
Landesherrn auffassen. 

75) Lexis, Art. Getreidehandel, Handwörterbuch der Staatswissenschaften , 2, Aufl., 
Bd. 4, S. 277. 

76) Lexis a. a. O. 

77) Vergl. außer Lexis z. B. Breysig-Spahn, Bd. 2, S. 416. 

78) Lexis a. a. O. Vergl. ferner Naudé, Die Getreidehandelspolitik Friedrichs des 
Großen, Deutsche landwirtschaftliche Presse, Jahrgang 1895, No. 14 und 20; Deutsches 
Wochenblatt, Jahrgang 1895, No. 20 und 21. An letzterem Orte, S. 245 bemerkt er: 
„Neben Holland und England war Preußen im 18. Jahrhundert der Staat, welcher 
seinen Angehörigen am ausgiebigsten den Export von Getreide gewährt hat. Frankreich, 
Spanien und Italien litten unter einem andauernden Sperrsystem, das die Landwirtschaft 
der romanischen Völker im vorigen Jahrhundert von Grund aus ruiniert hat.“ Anderer- 
seits hebt er S. 246 hervor, daß Friedrich der Große „jedem übermäßigen Steigen der 
Preise im Interesse seiner Lieblingsschöpfung, der Industrie, und im Interesse seiner 
Fabrikarbeiter durch eine umsichtige Magazinverwaltung entgegengetreten ist, . . dal 
Friedrich mit allen Mitteln des absoluten Fürsten den Zwischenhandel und die private 
Getreidespekulation unterdrückt hat“. Weiter auf Naudé’s Ausführungen einzugehen 
ist hier nieht der Ort. Vergl. noch O. Hartwig, Aus Sieilien, Bd. 1, S. 100. 

79) Lexis, 8. 278. Schmoller, S. 658 faßt „die deutschen größeren Territorien des 
16.18. Jahrhunderts“ als eine Einheit zusammen. Diese Ansetzung ist nach obigem 
zu berichtigen. 

80) Eine scharfe Zeitgrenze läßt sich nicht ziehen. Schon im Mittelalter erlassen 
die Landesherren Ausfuhrverbote. Vergl. meine landständische Verfassung in Jülich 
und Berg, Teil 2, S. 59 Anm. 218. Freilich sind diese Jandesherrlichen Ausfuhrverbote 
der älteren Zeit in der Regel nur Mittel im politischen Kampf mit politischen Gegnern. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 471 


gebracht: während im Mittelalter meistens die einzelne Stadt für sich 
Ausfuhrverbote erlieR, beansprucht jetzt der Landesherr das Recht, 
für sein ganzes Territorium solche Verfügungen zu treffen Si), Damit 
ist der „Gedanke einer territorialen Zusammenfassung der Produk- 
tion und Konsumtion des Landes‘ gegeben st, Indessen greift doch 
diese Umwandlung nicht sonderlich tief. Denn erstens werden die 
lokalen Wünsche der einzelnen Städte keineswegs sogleich über- 
wunden; lange kämpfen noch Städte und Landesherr um das Recht 
der Getreidesperre; und auch nach seinem formellen Siege rechnet 
er noch oft mit den lokalen Wünschen. Zweitens werden, von den 
Bedürfnissen der einzelnen Städte abgesehen, seine Entschließungen 
doch überwiegend durch die Rücksicht auf die allgemein-städtischen 
Interessen, nicht auf die des platten Landes bestimmt ?). 

Die preußischen Könige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich der 
Große, die einige Ausnahmen zu Gunsten der Landwirtschaft zulassen, 
sind im übrigen entschiedene Anhänger des merkantilistischen Systems, 
und dieses ist, wie schon bemerkt, nur eine Fortbildung der alten 
Stadtwirtschaft. Eine grundsätzlich neue Bestimmung desjenigen, 
was in der Volkswirtschaft erstrebenswert sei, haben erst die Phy- 
siokraten gegeben. Wenn irgendwo, so trifft es bei ihren Ideen zu, daß 
eine Theorie ihre Kraft und ihren Wert weniger durch ihren positiven In- 
halt, als durch den Gegensatz erhält, in den sie sich zu vorhandenen Ein- 
richtungen stellt. Undein sehr wesentlicher Zugin dem physiokratischen 
System ist eben der Gegensatz gegen die stadtwirtschaftlich-merkan- 
tilistische Beherrschung des platten Landes. Ihre größte Wirksamkeit 
entfalten die Physiokraten in Frankreich. Aber auch in einen Teil 
Deutschlands reicht ihr Einfluß hinüber ®). Einen vollständigen Er- 
folg haben sie übrigens noch nicht erreicht. 

Wenn wir vorhin (S. 459) bemerkten, daß die Städte hinsicht- 
lich der Erleichterung des Handelsverkehrs im Verhältnis zu einander 
im 16. Jahrhundert vielleicht mehr als die Landesherren geleistet 
haben, und jetzt die geringe Produktivität der letzteren in Bezug 
auf die Befreiung des Landes von der städtischen Herrschaft kon- 
statieren müssen, so dürfen wir doch andererseits hervorheben, daß 


81) Schmoller, S. 21 ff., S. 651 und S. 661. 

82) Schmoller, S. 22. 

83) Das über den Getreidehandel Gesagte gilt mehr oder weniger auch von dem 
Handel mit anderen Gegenständen der Urproduktion. Ueber die Beschränkung des 
Fleischhandels s. z. B. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1, S. 500 ff. ; 
über die Beschränkung des Adels durch die Städte im Fischhandel Breysig-Spahn, 
Bd. 2, S. 995; über das Verbot der Holzausfuhr ins Ausland v. Bassewitz, die Kurmark 
Brandenburg vor dem Ausbruch des französischen Krieges im Oktober 1806, 8. 441. 
Auf die als Verderb des Landmanns bezeichneten städtischen Taxen sei hier summarisch 
hingewiesen (vergl. Schmoller, Umrisse, S. 378). Bemerkenswert für den Gegensatz 
zwischen Stadt und Land ist auch eine Klage der ostpreußischen Städte bei Breysig- 
Spahn a. a. O., S. 1014 Anm.: „In den Dörfern werden zum Nachteil der Stadt- 
gerichte Bauerngerichte angestellt, Geburtsbriefe und andere gerichtliche Sachen aus- 
gefertigt.“ 

84) Vergl. meine Anzeige von Th. Ludwig, Der badische Bauer im 18. Jahrhundert 
(Straßburg 1896), in der Historischen Zeitschrift, Bd. 84, S. 506. 


472 G. v. Below, 


den Landesherren mindestens das Verdienst zukommt, den städtischen 
Wünschen etwas gesteuert zu haben, und daß jedenfalls ihre Ziele 
höher waren, als die der Städte. Die Grenzen, die deren Thätigkeit 
hatte, werden uns hier klar. Auch die früher geschilderten Städte- 
bünde sind gar nicht gesonnen, etwas von der Herrschaft über das 
Land aufzugeben; in der Festhaltung derselben liegt sogar teilweise 
der Zweck ihrer Vereinigungen ®). Die Territorien konnten und 
mußten mehr und Besseres vollbringen. 

An meine Ausführungen über die Stellung der Landesherren zu 
der Beherrschung des Landes durch die Städte möchte ich hier einige 
weitere Bemerkungen über das wachsende Interesse, das der Staat 
an den landwirtschaftlichen Angelegenheiten nimmt, knüpfen. In dem 
Verhältnis zu der städtischen Vorherrschaft fanden wir, daß er dem 
Landmann als solchem im Mittelalter gar keine, in den ersten Jahr- 
hunderten der Neuzeit eine sehr geringe Fürsorge zuwendet, und 
daß eine erheblichere Wandlung erst im Laufe des 18. Jahrhunderts 
eintritt. Größerer Energie begegnen wir, wenn wir auf die inneren 
Verhältnisse der landwirtschaftlichen Bevölkerung blicken. Der Staat 
nimmt sich früh der Bauern gegen andere Mächte des platten Landes 
an, zunächst aus einem steuerpolitischen, dann aus einem mili- 
tärischen Gesichtspunkt zm. Er verbietet schon im Mittelalter, wenig- 
stens in dessen letzten beiden Jahrhunderten, den Erwerb von 
Bauerngütern durch die Kirche. Diese Verbote werden freilich nicht 
aus besonderer Rücksicht auf den Bauernstand erlassen, sondern 
bilden Teile der allgemeinen Amortisationsgesetze, welche der Un- 
wille über den steuerfreien Klerus hervorruft zën), Seit dem letzten 
Jahrhundert folgen, zuerst sparsam auftretend, Verbote des Erwerbs 
von Bauerngütern durch Ritter 5%) und Bürger°®). Mit dem 16. 
etwa tauchen landesherrliche Unteilbarkeitsordnungen auf°‘). Auch für 


85) Vergl. z. B. Naudé, Die Geteidehandelspolitik der europäischen Staaten, 
S. 248; Stein, Beiträge zur Geschichte der deutschen Hanse, S. 129; Hansische Geschichts- 
blätter, 1897, S. 55 Anm. 5 (S. 56). Die hansische Getreidehandelspolitik richtete sich 
übrigens wohl mehr noch gegen die nichthansischen Händler (namentlich die Holländer) 
als gegen den Landmann. Stein, 8. 130. — Ueber die schroffe Herrschaft, die Basel in 
den neueren Jahrhunderten über das Land ausgeübt hat, s. Geering, Handel und In- 
dustrie der Stadt Basel, S. 594 ft. 

86) Eines der ältesten Beispiele für das Eintreten der Landesherren zu Gunsten 
der Bauern aus einem militärischen Gesichtspunkt ist wohl die in meinem Buch „Terri- 
torium und Stadt“, S. 61, Anm, 1 angeführte Altenburger Landesordnung v. 1568. 

86a) Die ältesten Amortisationsgesetze stammen aus den Städten, aus dem 13. 
Jahrhundert. Die Landesherren folgen ihnen erst im 14. nach. S. meinen oben 8. 450, 
Anm. 3 erwähnten Aufsatz über die städtische Verwaltung des Mittelalters S. 4ö4f. 
Zu S. 454, Anm. 8 vergl. Frensdorff, Göttinger Festschrift für den Hansischen Ge- 
schichtsverein (Göttingen 1900), S. 36 unten. 

86b) S. z. B. meine Landtagsakten von Jülich-Berg, Bd. 1, S. 144. 

86c) Vgl. freilich unten Anm. 232. 

86d) Zur neuesten Litteratur über die Entstehungsursachen der ungeteilten Ver- 
erbung der Bauerngüter s. Geffeken, Ztschr. der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, 
Germ. Abteilung, Bd. 21 (1900), S. 280 ff. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 473 


die technischen Fragen der Land- und der Forstwirtschaft beginnen 
jetzt die territorialen Regierungen zu sorgen pp), Diese verschie- 
denen Zweige der landesherrlichen Thätigkeit haben jedoch im 16. 
und 17. Jahrhundert nur in Westdeutschland einige Bedeutung, im 
Osten so gut wie gar keine. Größere Erfolge haben sie hier wie 
dort erst im 18. zu verzeichnen ng, Das 19. Jahrhundert hat eine 
weitere Steigerung der staatlichen Fürsorge für die Landwirtschaft 
gebracht. Je später die Zeit, desto mehr Aufmerksamkeit widmet man 
dem platten Lande; man lernt es jetzt erst schätzen. 


86e) S. z. B. Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 1. S. 41f.; meine Landtagsakten, 
a. a. O., S. 146. 
86f) Vgl. Knapp, Grundherrschaft und Rittergut, S. 47 ff. 


(Fortsetzung folgt.) 


474 G. Caro, 


Nachdruck verboten. 


VII. 


Die Grundbesitzverteilung in der Nordost- 
schweiz und angrenzenden alamannischen 
Stammesgebieten zur Karolingerzeit. 


(Ein Beitrag zur Verwertung der karolingischen Privat- 
urkunden für wirtschafts- und landesgeschichtliche 
Forschungen.) 


Von 


Dr. G. Caro, Privatdocent in Zürich. 


Nachfolgende Ausführungen bilden die wenig veränderte Wieder- 
gabe eines Vortrags, den ich im vergangenen Winter in der anti- 
quarischen Gesellschaft hierselbst gehalten habe. Es kam mir wesent- 
lich darauf an zu zeigen, wie aus dem vorhandenen Quellenmaterial 
— den S. Galler Traditionsurkunden — Schlüsse gezogen werden 
können auf die wirtschaftlichen Zustände des süd-alamannischen 
Stammesgebiets im 8. und 9. Jahrhundert. Dazu gehörte denn eine 
Orientierung über den Stand der berührten Fragen und eine Dar- 
legung des Weges, den ich bei der Untersuchung einzuschlagen 
für angemessen fand. Die specielle Bearbeitung des Gegenstandes 
wird anderweitig zur Publikation gelangen. Gleichwohl halte ich es 
nicht für unangebracht, auch den Vortrag, der teilweise einen Auszug 
daraus bildet, einer weiteren Oeffentlichkeit zu übergeben. 

Nur durch engstes Zusammenwirken der allgemeinen und der 
lokal begrenzten Forschung können auf den Gebieten der Wirt- 
schafts-, Verfassungs- und Sozialgeschichte die schwebenden Fragen 
gelöst werden. Gerade für die Karolingerzeit fehlt es noch sehr an 
einem solchen Zusammengehen. Inama Sternegg’s Deutsche Wirt- 
schaftsgeschichte (Bd. 1) nimmt auf landschaftliche Unterschiede 
wenig Rücksicht. Lamprecht's Deutsches Wirtschaftsleben steht 
allerdings auf dem festen Boden einer genauen Lokalkenntnis; aber 
die später für das Moselland so reichlich fließenden Quellen sind 
in der Karolingerzeit noch recht dürftig; jedenfalls ist für gar 


Die Grundbesitzverteiluug in der Nordosischweiz etc. 475 


manche andere Gegend weitaus mehr Material vorhanden. Ich habe 
es nun versucht, eine der Gruppen von Privaturkunden, deren aus 
der Karolingerzeit noch mehrere erhalten sind, möglichst intensiv zu 
verwerten. Den Weg, auf dem ich vorgehe, und die Resultate, zu denen 
ich gelange, kann ich hier nur skizzieren. So unvollkommen noch 
vieles sein mag an Methode und Ergebnissen, ich glaube annehmen 
zu dürfen, daß das hier eingeschlagene Verfahren auch bei sonstiger 
Anwendung sich fruchtbar erweisen wird. Noch ist zur Lösung von 
Fragen wie derjenigen nach der Grundbesitzverteilung in der Karo- 
lingerzeit nur wenig geschehen. Selbst die fundamentalen Unter- 
schiede zwischen den gallo-römischen und rein germanischen Ver- 
hältnissen werden nicht immer genügend beachtet; geschweige denn 
daß die Differenzen, die damals schon zwischen den einzelnen 
deutschen Landschaften bestanden haben müssen, eine ausreichende 
Würdigung gefunden hätten. Vielleicht können die folgenden Er- 
örterungen dazu beitragen, daß den in so überwältigender Menge 
vorliegenden Zeugnissen für altdeutsche Zustände nicht mehr bloß 
von dem einseitigen Gesichtspunkt der Ortsnamenserklärung aus, 
oder höchstens der Entstehung des kirchlichen Großgrundbesitzes 
specielle Aufmerksamkeit zu teil wird. Für Rheinfranken, die 
Mainlande und Bayern bieten die Lorscher, Fuldenser, Freisinger 
und andere Traditionen ein kaum minder wertvolles Material als 
die S. Galler für Alamannien. 


Vom 13. Jahrhundert bis zur französischen Revolution ist die 
Agrarverfassung in ganz Westeuropa wesentlich stabil geblieben. 
Es war der Zustand, den man als den feudalen zu bezeichnen pflegt. 
Der Boden steht im Eigentum eines Grundherrn und wird 
bestellt von Bauern. Der Grundherr gehört dem Adelsstande an, 
häufig ist aber auch eine Korporation Grundherr, eine Stadt, eine 
kirchliche Genossenschaft oder der Staat. Ob der Adlige wirk- 
licher Eigentümer ist oder Lehensträger eines höheren, darauf kommt 
vom wirtschaftlichen Gesichtspunkte aus nicht viel an. Weitaus 
wichtiger ist, daß der Grundherr selbst die Bodenbestellung gar 
nicht oder nur in geringem Umfange betreibt; bloß im Osten 
ist, etwa seit dem 16. Jahrhundert, eigener Landwirtschaftsbetrieb 
der Grundherren in größerem Maßstabe die Regel geworden. Die 
Elbe bildet ungefähr die Grenzscheide zwischen den beiden ver- 
schiedenen Formen der Grundherrschaft. Westlich der Elbe be- 
schränkt sich die Nutznießung des Grundherrn von seinem Gut fast 
ausschließlich auf die Zinse und Abgaben, welche ihm die Bauern 
leisten, also auf eine Grundrente. Die Besitzrechte der Bauern auf 
das Grundstück, das sie bewirtschaften, sind sehr mannigfaltige, 
vom festen erblichen Anrecht bis zur bloßen Zeitpacht abgestuft. 
Hörigkeit oder Leibeigenschaft der Bauern hat in manchen Gegenden 
bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts bestanden. Freie bäuerliche 
Eigentümer, die keinem Grundherrn unterstanden, gab es außer in 
den Hochalpen nur ganz vereinzelt. 


476 G. Caro, 


Durchaus verschieden ist das Bild, welches man von den Agrar- 
zuständen der germanischen Urzeit zu entwerfen pflegt. Man stellt 
sich die alten Germanen als ein Volk von Bauern vor. Der freie 
Mann saß auf eigener Scholle, die er selbst bearbeitete. Erhebliche 
Unterschiede in der Größe des Grundbesitzes waren nicht vor- 
handen. Was der einzelne besaß, seine Hufe, reichte gerade hin, 
ihn, seine Familie, vielleicht auch einige unfreie Knechte zu er- 
nähren. Nur der wenig zahlreiche Uradel hatte größeren Grund- 
besitz. 

Wie der spätere Zustand aus dem früheren entstanden ist, 
darauf giebt die herrschende Ansicht etwa folgende Antwort. Nach- 
dem die deutschen Stämme in der Völkerwanderung vielfach neue 
Sitze eingenommen hatten, wurden sie von den Franken unterworfen. 
Alamannen, Bayern, Thüringer, Sachsen sind in das Frankenreich 
eingegliedert worden. Dabei fiel das herrenlose Land an den König, 
der es an seine Getreuen vergabte, zu Eigentum, später zu Lehen. 
Die Kirche erhielt reichlichen Anteil an solchen Vergabungen, viele 
Schenkungen flossen ihr zu, von den Gläubigen, die um ihr Seelen- 
heil besorgt waren. So entstand ein Großgrundbesitz, der in 
raschem Wachstum den kleinen aufgesogen hat. Das Zurückgehen 
des letzteren wurde beschleunigt durch den Druck, den die In- 
stitutionen der fränkischen Reichsverfassung ausübten. Der freie 
Hufenbesitzer war verpflichtet, dem Heerbann Folge zu leisten, er 
mußte zu den häufigen Gerichtstagen sich einfinden, er unterlag den 
hohen Bußen, die das Volksrecht verlangte. So verarmten die 
kleinen Freien, sie suchten Schutz bei den Großen, bei den welt- 
lichen Grundherren, die als Grafen es in der Hand hatten, sie ihre 
Macht fühlen zu lassen, und vor allem bei den Kirchen, deren Be- 
sitzungen die Immunität gegen das Eingreifen der staatlichen Be- 
amten verteidigte. In der Karolingerzeit ist dieser Umwandlungs- 
prozeß vor sich gegangen. Am Anfang des 8. Jahrhunderts bestand 
noch die Hauptmasse des Volks aus freien Grundeigentümern, am 
Ende des 9. Jahrhunderts sind diese ganz oder großenteils ver- 
schwunden durch Aufgehen in die Grundherrschaften, wo sie mit 
den angesiedelten Unfreien und den Halbfreien zu dem Bauernstande 
verschmolzen. 

Das ist die Auffassungsweise, die besonders auch von den 
deutschen Rechtshistorikern vertreten wird (Waitz, Brunner, Dahn, 
Schröder). Neuerdings hat sich dagegen Widerspruch erhoben, von 
verschiedenen Seiten aus. Der französische Gelehrte Fustel de 
Coulange, der Engländer Seebohm, betrachten den grundherrlichen 
Zustand als den ursprünglichen; zunächst allerdings für das gallo- 
römische Frankreich und für England seit der angelsächsischen Er- 
oberung; aber sie übertragen ihre dort gewonnenen Ergebnisse auch 
auf deutsche Verhältnisse, deren grundsätzliche Verschiedenheit sie 
nicht anerkennen. Noch weiter geht neuerdings Wittich, gestützt 
auf eine Untersuchung der späteren Agrarzustände in Nordwest- 
deutschland oder Niedersachsen; er erblickt sogar in den Germanen 


Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz etc. 477 


des Tacitus Grundherren, die von den Zinsen ihrer Hörigen lebten, 
und stellt schlechthin in Abrede, daß es kleine freie Grundbesitzer 
von der Art, wie sie die herrschende Ansicht annimmt, jemals ge- 
geben habe. 

Mit der Frage nach der Grundbesitzverteilung berührt sich 
eng eine andere, welche mehr auf die technische Seite des 
Landwirtschaftsbetriebes Bezug hat. Die Dreifelderwirtschaft hat 
wohl mehr als ein Jahrtausend lang die Bodenkultur in ihren Fesseln 
gehalten. Die Grundzüge sind bekannt. Das Ackerland einer Dorf- 
gemarkung zerfällt in drei Zelgen, bestimmt für den Wechsel zwischen 
Wintersaat, Sommersaat und Brache. Jede Zelge zerfällt in eine 
Anzahl Gewanne, die wieder durch parallele Streifen in Ackerbeete 
von etwa einem Morgen Größe geteilt sind. Zum Bauernhof im 
Dorfe gehören nicht etwa zusammenhängende Felder oder ganze 
Gewanne, sondern durchschnittlich je ein Acker in jedem Gewann. 
Die Pertinenz des Bauernhofes an Ackerland ist über die ganze 
Gewannflur ausgebreitet, sie unterliegt bei der Bestellung dem 
Flurzwang und nach der Ernte dem Anrecht der Nachbarn auf 
Stoppelweide. Außerhalb der Gemenglage befinden sich der ein- 
gezäunte Garten beim Gehöft, Specialkulturen wie Weinberge, und 
vor allem das unbebaute Land, die gemeine Mark oder Almend, 
das ist Wald und Weide; daran hat jeder Hofbesitzer Nutzungs- 
rechte. In den Flurkarten, die meist aus dem Ende des vorigen 
und dem Anfang unseres Jahrhunderts stammen, läßt sich die ent- 
sprechende Ausgestaltung der Dorfgemarkung erkennen, die ja seit- 
dem durch Zusammenlegung der Aecker, auch Aufteilung der ge- 
meinen Mark, vielfach geändert worden ist. 

Eine weitverbreitete Anschauungsweise will nun die Flurkarten 
benutzen zu Rückschlüssen auf die Urzeit, auf die ursprüngliche 
Anlage der Dörfer bei der germanischen Ansiedelung, von der Vor- 
aussetzung ausgehend, daß in solchen grundlegenden Verhältnissen 
sich nichts wesentliches geändert haben könne bis eben zu den 
modernen Neuerungen. Diese Methode ist eingeführt worden von 
Hanssen. Neuerdings hat sie Meitzen in großem Maßstabe zur 
Anwendung gebracht in dem Werke: „Wandrungen, Anbau und 
Agrarrecht der Völker Europas nördlich der Alpen.“ Die so ge- 
wonnenen Ergebnisse sind, abgesehen von mancherlei Modifikationen: 
Die Germanen der Urzeit kannten noch kein Privateigentum am 
Grund und Boden. Das zum Anbau bestimmte Land wurde alljähr- 
lich neu verteilt nach Geschlechtern und Sippschaften. Erst all- 
mählich, im Laufe der Zeit, bildeten sich private Eigentumsrechte 
heraus, zunächst an Haus und Hof, sodann an den Aeckern; im 
Gemeinbesitz blieb nur die ungeteilte Mark oder Almend. Ueber- 
reste des alten Agrarkommunismus sind der Flurzwang, Stoppel- 
weide, Ueberfahrtsrechte, vor allem aber die eigentümliche Ver- 
teilung der Aecker in den Gewannen, die auf eine ursprüngliche 
Gleichheit des Besitzes aller Hofinhaber des Dorfes hindeute. Früher 
seien unter denselben die Anteile jährlich neu verlost worden, eine 


478 G. Caro, 


Sitte, deren Ueberreste man sogar noch in der Gegenwart auffinden 
wollte, in den rheinischen Gehöferschaften, doch hat sich das aller- 
dings als Irrtum erwiesen. Jedenfalls wird die Hufe als das Normal- 
maß für den Besitz des freien Mannes angesehen. In der Größe 
von etwa 40 Morgen besteht sie aus Haus und Hof, Aeckern in 
der Gewannflur und Anteil an der gemeinen Mark. Auch gegen 
diese ganze Auffassungsweise ist Widerspruch erhoben worden. 
Der schon erwähnte französische Gelehrte Fustel de Coulange 
leugnet. daß es Gemeinbesitz an der ungeteilten Mark schon im 
8. Jahrhundert gegeben habe, er betrachtet die Entstehung der 
Nutzungsrechte an derselben als eine Folge der grundherrlichen 
Entwickelung späteren Datums. Zu ähnlichen Schlüssen kommt 
neuerdings Hildebrand, in „Recht und Sitte auf den verschiedenen wirt- 
schaftlichen Kulturstufen‘“, einem Werke, das freilich vielfach auf 
soziologischen Erwägungen beruht. 

Zur Lösung historischer Fragen, wie der vorliegenden, giebt es 
meines Erachtens nur ein Mittel, das ist Prüfung der Quellen. Es 
mag verlockend scheinen, auf systematischem Wege vorzugehen, 
eine Entwickelungsreihe aufzustellen, der entsprechend die Dinge 
haben verlaufen müssen, und dann, mit vorgefaßter Meinung, 
an die Quellen herantretend in ihnen wiederzufinden, was man vorher 
als notwendig erwiesen Zu haben glaubt. Eine derartige Methode 
führt niemals zu zuverlässigen Ergebnissen. Die Wirtschaftsgeschichte 
wie die politische kann historische Erkenntnis nur erschlieRen, wenn 
sie unter Verzicht auf spekulative Theorien sich begnügt 
zu erkunden, wie die Dinge gewesen sind. Um dies zu erreichen, 
muß man aber mit der vorurteilsfreien Interpretation der Quellen 
anfangen, höchstens, daß zur Erläuterung vorsichtige Rückschlüsse 
aus späteren, wohlbekannten Zuständen gestattet sind. 

Nun steht es mit den Quellen folgendermaßen. Vom 13. Jahr- 
hundert an sind Urkunden, Urbare, Weistümer, Akten in immer 
steigender Menge vorhanden. Die germanische Urzeit hingegen wird 
nur durch die Berichte des Cäsar und Taeitus einigermaßen aufgehellt, 
die folgenden Jahrhunderte sind völlig dunkel. Was sich für die Mero- 
vingerzeit aus den Volksrechten entnehmen läßt, ist mancherlei 
Interpretation fähig. Erst um die Wende des 7. und 8. Jahrhunderts 
beginnen die Urkunden, deren für die karolingische Epoche mehrere 
Tausend vorhanden sind. Das 10. 11. und auch noch 12. Jahr- 
hundert sind wiederum verhältnismäßig arm an Urkunden, wenig- 
stens an Privaturkunden, die für wirtschaftsgeschichtliche Unter- 
suchungen vielfach wertvoller sind als die öffentlichen, die Kaiser- 
und Papsturkunden. Es trifft sich also recht günstig. In der Karo- 
lingerzeit soll die durchgreifende Umwälzung vor sich gegangen 
sein, die an die Stätte des kleinen den Großgrundbesitz setzte; 
gerade für diese Epoche mangelt es keineswegs an Quellen. 

Die karolingischen Privaturkunden tragen ein durchaus ein- 
seitiges Gepräge. Die überwiegende Mehrzahl enthält Schenkungen 
an die Kirche. Aussteller ist der Geschenkgeber, Empfänger «in 


Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz ete. 479 


Kloster oder ein Bistum. Begreiflicherweise erscheinen die Urkunden 
deswegen besonders geeignet, über das Wachstum des kirchlichen 
Großgrundbesitzes Aufschluß zu geben, das dann allerdings ganz auf- 
fällig hervortritt. Indessen, mit der bloßen Addierung der Schenkungen 
ist wenig gethan. Einmal schon, weil die Geschenkgeber oder Traden- 
ten keineswegs immer sich ihres Rechts auf den geschenkten Grund- 
besitz völlig entäußern, vielmehr recht häufig die Nutznießung des- 
selben unter verschiedenen Bedingungen sich vorbehalten. Es macht 
doch einen großen Unterschied aus, ob dem Empfänger der Schenkung 
der Ertrag des geschenkten Objekts ganz zufällt oder nicht. Die 
eigentümliche Organisation und Verwaltung des kirchlichen Groß- 
grundbesitzes findet eine Erklärung in der Art seiner Entstehung. 
Noch wichtiger aber dürfte es sein, die Urkunden überhaupt von 
einem anderen Gesichtspunkte aus zu betrachten. Ich stelle die 
Frage nicht, wieviel hat die Kirche geschenkt erhalten, sondern was 
ist geschenkt worden und von wem. Sehe ich mir die Urkunden 
daraufhin an, so muß ich ja sofort in den Tradenten größere oder 
kleinere Gutsbesitzer, Grundherren oder Bauern wiederfinden. Ich 
kann mich darüber vergewissern, wie der Grund und Boden ver- 
teilt war, vor Entstehung wenigstens des kirchlichen Großgrund- 
besitzes, und so die Frage lösen, die bisher doch noch immer zu 
Zweifeln Anlaß giebt. 

Die Benutzung der Urkunden ist nicht so einfach, als es dem 
Prinzip nach scheinen mag. Das Material ist ein sehr lückenhaftes. 
Wir erfahren nur von den frommen Leuten, die ihr irdisches Gut 
dahingaben; von den weltlich gesinnten, die nicht an die Kirche 
schenkten, wissen wir wenig, Dazu kommt das Ungeschick der 
Urkundenschreiber, die sich an feststehende Formulare hielten und 
dem Rechtsinhalt der Urkunde nicht stets den passenden Ausdruck 
verliehen haben. Vorbereitende Untersuchungen sind nötig, um die 
Urkunden verwendbar zu machen. Indessen eben der Gesichts- 
punkt, den ich in den Vordergrund stellen möchte, der Schluß aus 
der Größe des tradierten Objekts auf den Besitz des Tradenten ist 
bisher nur vereinzelt zur Anwendung gebracht worden. Es ver- 
lohnt sich wohl, denselben systematisch zu verwerten. Erst mit 
Hilfe der Urkunden lassen sich auch die Angaben in den Gesetzen 
und Schriftstellern richtig würdigen. 

Die S. Galler Urkunden, die ich im folgenden behandle, liegen 
vor in der vortrefflichen Edition von Wartmann. Die wertvollsten 
Erläuterungen dazu hat Meyer von Knonau gegeben, besonders in 
den S. Galler Mitteilungen zur vaterländischen Geschichte, Heft 13. 
Die dort beigefügten Karten erläutern die geographische Verteilung 
des S. Galler Grundbesitzes. 

S. Gallen schreibt seinen Ursprung her vom h. Gallus (Anfang 
des 7. Jahrh.), dessen Einsiedlerzelle in der Waldwildnis am Ufer 
der Steinach auch nach seinem Tode der Sitz einer kleinen Kon- 
gregation von Geistlichen blieb. Klösterliches Leben scheint sich 
dort erst wenig vor der Mitte des 8. Jahrhunderts entfaltet zu haben, 


480 G. Caro, 


unter dem ersten Abt Otmar, der wegen seines frommen Lebens- 
wandels und traurigen Endes später ebenfalls zu den Heiligen 
gerechnet wurde. Das Kloster stand unter dem Bistum Constanz, 
ein Verhältnis, welches die Mönche als sehr drückend ansahen. Der 
entscheidende Schritt zur Befreiung geschah durch Ludwig den 
Frommen, 818, mit Verleihung der Immunität und wohl auch des 
Rechts der freien Abtwahl. Völlig gelöst wurde die Verbindung 
mit Constanz erst später. S. Gallen war fortan ein königliches — 
reichsunmittelbares — Kloster. 

Das Privileg der freien Abtwahl ist von den karolingischen 
Königen mehrfach verletzt worden; aber gerade die dem Kloster 
aufgedrungenen Aebte trugen mit am meisten bei zu seiner Blüte, 
so Grimold, der Kanzler Ludwigs des Deutschen, unter dem es die 
erste Schenkung von Königsgut erhielt, und Salomon III., der Bischof 
von Constanz, dessen lange Regierung den Nachlebenden im ver- 
klärenden Schimmer der Erinnerung als das goldene Zeitalter S. 
Gallens erschien. Von den Herrschern hat sich keiner dem Kloster 
gnädiger erwiesen als Karl III., der gutmütige Schwabenkönig, dem 
ein verhängnisvolles Schicksal die Krone des wieder vereinigten 
Frankenreichs aufbürdete, die für ihn zu schwer war; aber auch 
der Zorn Arnulfs verrauchte schnell, den Besuch, den Konrad I. 
dem Kloster abstattete, hat Ekkehard in lebhaften Farben geschildert. 

Die Entwickelung S. Gallens unterscheidet sich nicht unwesent- 
lich von derjenigen anderer großer Klöster. Nur allmählich ist es 
emporgekommen, die Gunst der Könige hat ihm spät gelächelt, den 
Höhepunkt erreichte es erst, als anderwärts in den Stürmen der 
Bürgerkriege und Normanneneinfälle Klosterzucht und Pflege der 
Wissenschaften dahinsanken. Bereits in. der Verteilung der er- 
haltenen Urkunden auf die Epochen der Klostergeschichte kommt 
die wachsende Bedeutung S. Gallens zum Ausdruck. Es entfallen 
auf die Zeit 

bis zum Tode Otmars, ca. 700—759 22 Urkunden 

bis zur Erteilung der Immunität 818 193 A 


bis Abt Grimold 842 124 S 
unter Abt Grimold 842—872 173 r 
bis Abt Salomon 872—890 94 
unter Abt Salomon 890—920 95 


n 
Im Jahresdurchschnitt zeigt sich das Verhältnis ganz deutlich, 
zunächst das Steigen von ungefähr */,, pro Jahr auf 34/,,, 54/10, 
der Höhepunkt unter Grimold mit 6, dann das Herabsinken auf 
51/, und 3?/,,. Etwa das gleiche ergiebt die Verteilung der Ur- 
kunden auf die Regierungszeit der Könige. Der sehr geringen 
Ziffer des Jahresdurchschnitts vor Pippin (noch nicht !/,) stehen bis 
Ludwig den Deutschen stets wachsende Zahlen gegenüber, unter 
Pippin circa 2 #/,,, Karl dem Großen 3 !/,,, Ludwig dem Frommen 
5+/io, Ludwig dem Deutschen 57/,,. Das Sinken beginnt mit 
Karl III. 5 ®/,,, dann Arnulf 3°/,,, Ludwig das Kind 37/10» 
Konrad I. 2. Die Abweichungen bei Berechnung nach einem 20- 


Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz ete. 481 


jährigen Durchschnitt sind nicht erheblich. Das Sinken gegen Ende 
der Karolingerzeit tritt hier ebenfalls hervor und wird noch deut- 
licher, wenn man die Königsurkunden außer Betracht läßt, die, je 
tiefer herab, um so häufiger werden. 

Das Verhältnis ist bei anderen Klöstern nicht das gleiche. Die 
überwiegende Mehrzahl der Lorscher Urkunden stammt aus den 
letzten Jahren Pippins, unter dem Lorsch erst gegründet wurde, und 
aus der Zeit Karls des Großen. Zur Zeit des ersten fränkischen 
Kaisers erfuhr auch der Urkundenvorrat des Klosters Weißenburg 
im Elsaß das erheblichste Wachstum. Man könnte einwenden, ein 
Zufall verursache diese Erscheinung, die übrigen Urkunden sind 
eben verloren. Indessen bei Lorsch ist ein solcher Zufall fast 
ganz ausgeschlossen. Wenn auch die Zusammensteller des Kopial- 
buchs, das die Urkunden enthält, eine bestimmte Gattung ganz weg- 
gelassen haben, in Bezug auf die übrigen haben sie nach Voll- 
ständigkeit gestrebt, und viel mehr als 3600 Urkunden, — so viel 
beträgt etwa die Zahl der überlieferten, — sind wohl überhaupt für 
Lorsch nicht ausgestellt worden. 

Was S. Gallen betrifft, so fehlt jede Gewähr dafür, daß alle 
Urkunden des Klosters uns noch vorliegen. Es ist sogar recht 
wahrscheinlich, daß viele verloren gegangen sind. 

Betreffs der schon angestellten und der noch folgenden Be- 
rechnungen ist stets der Vorbehalt zu machen, daß bei vollständiger 
Erhaltung des Materials das Ergebnis ein anderes sein könnte; ich 
glaube aber nicht, daß die Abweichungen bedeutend genug wären, 
um mit Vorsicht gezogene Schlüsse Lügen zu strafen. Dafür ist 
denn doch die Anzahl der noch vorhandenen Urkunden zu be- 
trächtlich, und die Uebereinstimmung der Resultate mit anderen 
Zeugnissen giebt die Gewähr, daß nicht schlechthin Zufälligkeiten 
eine Täuschung hervorrufen. 

Für die Einteilung der S. Galler Urkunden nach sachlichen 
Gesichtspunkten bieten den besten Anhalt die aus dem Kloster 
selbst stammenden Formelsammlungen, welche die Muster 
enthalten, nach denen die Urkunden geschrieben worden sind. 
Danach lassen sich unterscheiden: freie Schenkungen, bedingte 
Schenkungen, bedingte Schenkungen mit Rückkaufsvorbehalt, Tausch- 
urkunden, Kaufurkunden und einige wenige andere, die sich in diesen 
Rubriken nicht unterbringen lassen. 

Als freie Schenkungen sind diejenigen zu betrachten, kraft 
deren das geschenkte Objekt vom Tage der Rechtshandlung an in 
Eigentum und Besitz des Klosters übergeht. Von 647 Privatur- 
kunden, die für S. Gallen ausgestellt sind, enthalten nur 72 freie 
Schenkungen. Weit höher ist die Zahl der bedingten Schenkungen, 
bei denen der Tradent sich vorbehält, daß das geschenkte Gut an 
ihn oder auch an seine Erben wieder verliehen wird, fast immer 
gegen die Verpflichtung zur Entrichtung eines Zinses an das Kloster. 
Unter Einberechnung der Urkunden, die nur über die Wieder- 
verleihung aussagen, und derjenigen, die dem Kloster Verpflichtungen 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 31 


478 G. Caro, 


Sitte, deren Ueberreste man sogar noch in der Gegenwart auffinden 
wollte, in den rheinischen Gehôferschaften, doch hat sich das aller- 
dings als Irrtum erwiesen. Jedenfalls wird die Hufe als das Normal- 
maß für den Besitz des freien Mannes angesehen. In der Größe 
von etwa 40 Morgen besteht sie aus Haus und Hof, Aeckern in 
der Gewannflur und Anteil an der gemeinen Mark. Auch gegen 
diese ganze Auffassungsweise ist Widerspruch erhoben worden. 
Der schon erwähnte französische Gelehrte Fustel de Coulange 
leugnet. daß es Gemeinbesitz an der ungeteilten Mark schon im 
8. Jahrhundert gegeben habe, er betrachtet die Entstehung der 
Nutzungsrechte an derselben als eine Folge der grundherrlichen 
Entwickelung späteren Datums. Zu ähnlichen Schlüssen kommt 
neuerdings Hildebrand, in „Recht und Sitte auf den verschiedenen wirt- 
schaftlichen Kulturstufen“, einem Werke, das freilich vielfach auf 
soziologischen Erwägungen beruht. 

Zur Lösung historischer Fragen, wie der vorliegenden, giebt es 
meines Erachtens nur ein Mittel, das ist Prüfung der Quellen. Es 
mag verlockend scheinen, auf systematischem Wege vorzugehen, 
eine Entwickelungsreihe aufzustellen, der entsprechend die Dinge 
haben verlaufen müssen, und dann, mit vorgefaßter Meinung, 
an die Quellen herantretend in ihnen wiederzufinden, was man vorher 
als notwendig erwiesen zu haben glaubt. Eine derartige Methode 
führt niemals zu zuverlässigen Ergebnissen. Die Wirtschaftsgeschichte 
wie die politische kann historische Erkenntnis nur erschließen, wenn 
sie unter Verzicht auf spekulative Theorien sich begnügt 
zu erkunden, wie die Dinge gewesen sind. Um dies zu erreichen, 
muß man aber mit der vorurteilsfreien Interpretation der Quellen 
anfangen, höchstens, daß zur Erläuterung vorsichtige Rückschlüsse 
aus späteren, wohlbekannten Zuständen gestattet sind. 

Nun steht es mit den Quellen folgendermaßen. Vom 13. Jahr- 
hundert an sind Urkunden, Urbare, Weistümer, Akten in immer 
steigender Menge vorhanden. Die germanische Urzeit hingegen wird 
nur durch die Berichte des Cäsar und Tacitus einigermaßen aufgehellt, 
die folgenden Jahrhunderte sind völlig dunkel. Was sich für die Mero- 
vingerzeit aus den Volksrechten entnehmen läßt, ist mancherlei 
Interpretation fähig. Erst um die Wende des 7. und 8. Jahrhunderts 
beginnen die Urkunden, deren für die karolingische Epoche mehrere 
Tausend vorhanden sind. Das 10., 11. und auch noch 12. Jahr- 
hundert sind wiederum verhältnismäßig arm an Urkunden, wenig- 
stens an Privaturkunden, die für wirtschaftsgeschichtliche Unter- 
suchungen vielfach wertvoller sind als die öffentlichen, die Kaiser- 
und Papsturkunden. Es trifft sich also recht günstig. In der Karo- 
lingerzeit soll die durchgreifende Umwälzung vor sich gegangen 
sein, die an die Stätte des kleinen den Großgrundbesitz setzte; 
gerade für diese Epoche mangelt es keineswegs an Quellen. 

Die karolingischen Privaturkunden tragen ein durchaus ein- 
seitiges Gepräge. Die überwiegende Mehrzahl enthält Schenkungen 
an die Kirche. Aussteller ist der Geschenkgeber, Empfänger cin 


Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz ete. 479 


Kloster oder ein Bistum. Begreiflicherweise erscheinen die Urkunden 
deswegen besonders geeignet, über das Wachstum des kirchlichen 
Großgrundbesitzes Aufschluß zu geben, das dann allerdings ganz auf- 
fällig hervortritt. Indessen, mit der bloßen Addierung der Schenkungen 
ist wenig gethan. Einmal schon, weil die Geschenkgeber oder Traden- 
ten keineswegs immer sich ihres Rechts auf den geschenkten Grund- 
besitz völlig entäußern, vielmehr recht häufig die Nutznießung des- 
selben unter verschiedenen Bedingungen sich vorbehalten. Es macht 
doch einen großen Unterschied aus, ob dem Empfänger der Schenkung 
der Ertrag des geschenkten Objekts ganz zufällt oder nicht. Die 
eigentümliche Organisation und Verwaltung des kirchlichen Groß- 
grundbesitzes findet eine Erklärung in der Art seiner Entstehung. 
Noch wichtiger aber dürfte es sein, die Urkunden überhaupt von 
einem anderen Gesichtspunkte aus zu betrachten. Ich stelle die 
Frage nicht, wieviel hat die Kirche geschenkt erhalten, sondern was 
ist geschenkt worden und von wem. Sehe ich mir die Urkunden 
daraufhin an, so muß ich ja sofort in den Tradenten größere oder 
kleinere Gutsbesitzer, Grundherren oder Bauern wiederfinden. Ich 
kann mich darüber vergewissern, wie der Grund und Boden ver- 
teilt war, vor Entstehung wenigstens des kirchlichen Großgrund- 
besitzes, und so die Frage lösen, die bisher doch noch immer zu 
Zweifeln Anlaß giebt. 

Die Benutzung der Urkunden ist nicht so einfach, als es dem 
Prinzip nach scheinen mag. Das Material ist ein sehr lückenhaftes. 
Wir erfahren nur von den frommen Leuten, die ihr irdisches Gut 
dahingaben; von den weltlich gesinnten, die nicht an die Kirche 
schenkten, wissen wir wenig. Dazu kommt das Ungeschick der 
Urkundenschreiber, die sich an feststehende Formulare hielten und 
dem Rechtsinhalt der Urkunde nicht stets den passenden Ausdruck 
verliehen haben. Vorbereitende Untersuchungen sind nötig, um die 
Urkunden verwendbar zu machen. Indessen eben der Gesichts- 
punkt, den ich in den Vordergrund stellen möchte, der Schluß aus 
der Größe des tradierten Objekts auf den Besitz des Tradenten ist 
bisher nur vereinzelt zur Anwendung gebracht worden. Es ver- 
lohnt sich wohl, denselben systematisch zu verwerten. Erst mit 
Hilfe der Urkunden lassen sich auch die Angaben in den Gesetzen 
und Schriftstellern richtig würdigen. 

Die S. Galler Urkunden, die ich im folgenden behandle, liegen 
vor in der vortrefflichen Edition von Wartmann. Die wertvollsten 
Erläuterungen dazu hat Meyer von Knonau gegeben, besonders in 
den S. Galler Mitteilungen zur vaterländischen Geschichte, Heft 13. 
Die dort beigefügten Karten erläutern die geographische Verteilung 
des S. Galler Grundbesitzes. 

S. Gallen schreibt seinen Ursprung her vom h. Gallus (Anfang 
des 7. Jahrh.), dessen Einsiedlerzelle in der Waldwildnis am Ufer 
der Steinach auch nach seinem Tode der Sitz einer kleinen Kon- 
gregation von Geistlichen blieb. Klösterliches Leben scheint sich 
dort erst wenig vor der Mitte des 8. Jahrhunderts entfaltet zu haben, 


480 G. Caro, 


unter dem ersten Abt Otmar, der wegen seines frommen Lebens- 
wandels und traurigen Endes später ebenfalls zu den Heiligen 
gerechnet wurde. Das Kloster stand unter dem Bistum Constanz, 
ein Verhältnis, welches die Mönche als sehr drückend ansahen. Der 
entscheidende Schritt zur Befreiung geschah durch Ludwig den 
Frommen, 818, mit Verleihung der Immunität und wohl auch des 
Rechts der freien Abtwahl. Völlig gelöst wurde die Verbindung 
mit Constanz erst später. S. Gallen war fortan ein königliches — 
reichsunmittelbares — Kloster. 

Das Privileg der freien Abtwahl ist von den karolingischen 
Königen mehrfach verletzt worden; aber gerade die dem Kloster 
aufgedrungenen Aebte trugen mit am meisten bei zu seiner Blüte, 
so Grimold, der Kanzler Ludwigs des Deutschen, unter dem es die 
erste Schenkung von Königsgut erhielt, und Salomon III., der Bischof 
von Constanz, dessen lange Regierung den Nachlebenden im ver- 
klärenden Schimmer der Erinnerung als das goldene Zeitalter S. 
Gallens erschien. Von den Herrschern hat sich keiner dem Kloster 
gnädiger erwiesen als Karl III., der gutmütige Schwabenkönig, dem 
ein verhängnisvolles Schicksal die Krone des wieder vereinigten 
Frankenreichs aufbürdete, die für ihn zu schwer war; aber auch 
der Zorn Arnulfs verrauchte schnell, den Besuch, den Konrad I. 
dem Kloster abstattete, hat Ekkehard in lebhaften Farben geschildert. 

Die Entwickelung S. Gallens unterscheidet sich nicht unwesent- 
lich von derjenigen anderer großer Klöster. Nur allmählich ist es 
emporgekommen, die Gunst der Könige hat ihm spät gelächelt, den 
Höhepunkt erreichte es erst, als anderwärts in den Stürmen der 
Bürgerkriege und Normanneneinfälle Klosterzucht und Pflege der 
Wissenschaften dahinsanken. Bereits in. der Verteilung der er- 
haltenen Urkunden auf die Epochen der Klostergeschichte kommt 
die wachsende Bedeutung S. Gallens zum Ausdruck. Es entfallen 
auf die Zeit 

bis zum Tode Otmars, ca. 700—759 22 Urkunden 

bis zur Erteilung der Immunität 818 19 


bis Abt Grimold 842 124 Š 
unter Abt Grimold 842—872 173 5 
bis Abt Salomon 872—890 94 A 
unter Abt Salomon 890—920 95 


Im Jahresdurchschnitt zeigt sich das Verhältnis ganz deutlich, 
zunächst das Steigen von ungefähr */,, pro Jahr auf 3 4/10, 54/16, 
der Höhepunkt unter Grimold mit 6, dann das Herabsinken auf 
51/, und 3?/,,. Etwa das gleiche ergiebt die Verteilung der Ur- 
kunden auf die Regierungszeit der Könige. Der sehr geringen 
Ziffer des Jahresdurchschnitts vor Pippin (noch nicht '/,) stehen bis 
Ludwig den Deutschen stets wachsende Zahlen gegenüber, unter 
Pippin circa 2®/,., Karl dem Großen 3 /,,, Ludwig dem Frommen 
5*/,o, Ludwig dem Deutschen 57/,,. Das Sinken beginnt mit 
Karl III. 5 ®/,,, dann Arnulf 3°/,,, Ludwig das Kind 37/0» 
Konrad I. 2. Die Abweichungen bei Berechnung nach einem 20- 


Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz ete. 481 


jährigen Durchschnitt sind nicht erheblich. Das Sinken gegen Ende 
der Karolingerzeit tritt hier ebenfalls hervor und wird noch deut- 
licher, wenn man die Königsurkunden außer Betracht läßt, die, je 
tiefer herab, um so häufiger werden. 

Das Verhältnis ist bei anderen Klöstern nicht das gleiche. Die 
überwiegende Mehrzahl der Lorscher Urkunden stammt aus den 
letzten Jahren Pippins, unter dem Lorsch erst gegründet wurde, und 
aus der Zeit Karls des Großen. Zur Zeit des ersten fränkischen 
Kaisers erfuhr auch der Urkundenvorrat des Klosters Weißenburg 
im Elsaß das erheblichste Wachstum. Man könnte einwenden, ein 
Zufall verursache diese Erscheinung, die übrigen Urkunden sind 
eben verloren. Indessen bei Lorsch ist ein solcher Zufall fast 
ganz ausgeschlossen. Wenn auch die Zusammensteller des Kopial- 
buchs, das die Urkunden enthält, eine bestimmte Gattung ganz weg- 
gelassen haben, in Bezug auf die übrigen haben sie nach Voll- 
ständigkeit gestrebt, und viel mehr als 3600 Urkunden, — so viel 
beträgt etwa die Zahl der überlieferten, — sind wohl überhaupt für 
Lorsch nicht ausgestellt worden. 

Was S. Gallen betrifft, so fehlt jede Gewähr dafür, daß alle 
Urkunden des Klosters uns noch vorliegen. Es ist sogar recht 
wahrscheinlich, daß viele verloren gegangen sind. 

Betreffs der schon angestellten und der noch folgenden Be- 
rechnungen ist stets der Vorbehalt zu machen, daß bei vollständiger 
Erhaltung des Materials das Ergebnis ein anderes sein könnte; ich 
glaube aber nicht, daß die Abweichungen bedeutend genug wären, 
um mit Vorsicht gezogene Schlüsse Lügen zu strafen. Dafür ist 
denn doch die Anzahl der noch vorhandenen Urkunden zu be- 
trächtlich, und die Uebereinstimmung der Resultate mit anderen 
Zeugnissen giebt die Gewähr, daß nicht schlechthin Zufälligkeiten 
eine Täuschung hervorrufen. 

Für die Einteilung der S. Galler Urkunden nach sachlichen 
Gesichtspunkten bieten den besten Anhalt die aus dem Kloster 
selbst stammenden Formelsammlungen, welche die Muster 
enthalten, nach denen die Urkunden geschrieben worden sind. 
Danach lassen sich unterscheiden: freie Schenkungen, bedingte 
Schenkungen, bedingte Schenkungen mit Rückkaufsvorbehalt, Tausch- 
urkunden, Kaufurkunden und einige wenige andere, die sich in diesen 
Rubriken nicht unterbringen lassen. 

Als freie Schenkungen sind diejenigen zu betrachten, kraft 
deren das geschenkte Objekt vom Tage der Rechtshandlung an in 
Eigentum und Besitz des Klosters übergeht. Von 647 Privatur- 
kunden, die für S. Gallen ausgestellt sind, enthalten nur 72 freie 
Schenkungen. Weit höher ist die Zahl der bedingten Schenkungen, 
bei denen der Tradent sich vorbehält, daß das geschenkte Gut an 
ihn oder auch an seine Erben wieder verliehen wird, fast immer 
gegen die Verpflichtung zur Entrichtung eines Zinses an das Kloster. 
Unter Einberechnung der Urkunden, die nur über die Wieder- 
verleihung aussagen, und derjenigen, die dem Kloster Verpflichtungen 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 31 


482 G. Caro, 


gegen den Tradenten auferlegen, sind 320 bedingte Schenkungen 
vorhanden. Die Erlaubnis zur Auflösung des auf diese Weise 
eingegangenen Zinsverhältnisses wird in 126 Urkunden ausdrücklich 
vorbehalten. Die Zahl der Tauschurkunden beträgt 91, die der Kauf- 
urkunden nur 5, sonstige 33. Nicht unmittelbar auf S. Gallen be- 
zügliche Privaturkunden finden sich im Wartmann’schen Urkunden- 
buch 32, davon nur 6, die mit Kirchen und deren Besitzungen 
überhaupt nichts zu thun haben; außerdem 39 Urkunden aus 
Kurrätien. Die Zahl der Königs- und Kaiserurkunden, deren 
Empfänger S. Gallen ist, beläuft sich auf 50. Von den anderen 
24 Königs- und Kaiserurkunden S. Galler Herkunft sind je 12 für 
weltliche und für geistliche Empfänger ausgestellt. Vorhanden sind 
noch 1 Fragment einer Herzogsurkunde und 2 Papsturkunden 
zweifelhafter Echtheit. Die Gesamtzahl der in Betracht kommenden 
Urkunden bei Wartmann B. 1, 2 und im Anhang zu B. 3 beläuft 
sich auf 812. 

Faßt man die für S. Gallen ausgestellten Privaturkunden aus 
je 2 Jahrzehnten zusammen, so zeigt sich ein fast ununter- 
brochenes Abnehmen der freien Schenkungen, dem Prozentsatz 
nach und selbst numerisch. Die bedingten Schenkungen erreichen 
im ersten Drittel des 9. Jahrhunderts einen gewissen Höhepunkt, 
von dem sie weiterhin herabsinken; etwas später kulminieren die 
Schenkungen mit Rückkaufsvorbehalt, zuletzt die Tauschurkunden. 
Je weniger der unmittelbare Besitz des Klosters durch die Art der 
Schenkung vergrößert wird, um so später erreicht die betreffende 
Urkundengattung ihren numerischen Höhepunkt. Daraus ist zu 
schließen, daß im 9. Jahrhundert der fromme Eifer erheblich ab- 
nahm, der die Grundbesitzer antrieb, ihr irdisches Gut dahinzugeben, 
um das Seelenheil zu gewinnen. Ein wenig mag auch die Konkurrenz 
anderer, jüngerer Klöster in Betracht kommen. Abweichungen 
gegen Ende der Periode dürften auf die Wirksamkeit des Abt- 
bischofs Salomon zurückzuführen sein, von dessen Bemühungen um 
Vermehrung des Klostergutes Ekkehard berichtet. Auf allgemeine 
Verarmung als Ursache für die Verminderung der Schenkungen, 
läßt sich nicht ohne weiteres schließen. Sonst könnten ja nicht, 
gerade am Ende der Epoche, die Schenkungen noch eine verhältnis- 
mäßig hohe Ziffer erreichen. Anderwärts, so in Freising und Regens- 
burg, zeigt sich, daß nach der Mitte des 9. Jahrh. die Schenkungen 
an die Kirchen beinahe ganz aufhörten, und diese nur noch durch 
Vertauschungen ihren Besitz arrondierten. In S. Gallen übertrifft die 
Zahl der Tauschurkunden zu keiner Zeit diejenige der Schenkungen, 
ein Zeichen, daß das Kloster seinen Einfluß auf die Gemüter besser 
zu bewahren wußte. 

Das Gebiet, aus dem die Traditionen nach S. Gallen zusammen- 
flossen, ist ein weit ausgedehntes. Allerdings erstreckte sich die 
Einflußsphäre des Klosters fast nur über Alamannische Landstriche. 
Wenn dem h. Bonifacius zu Fulda alle deutschen Stämme ihre 
Verehrung bezeugten, den h. Gallus haben nur die Bewohner der 


Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz etc. 483 


benachbarten Gaue mit Gaben bedacht, aber diese auch reichlich. 
Am dichtesten gesät sind die Ortschaften, aus denen Grundbesitz 
nach S. Gallen tradiert wurde, im Hügelland der Nordostschweiz, 
vom Zürichsee an, in den Thälern der Thur und ihrer Nebenflüsse 
sowie am Bodensee. Nach dem oberen Laufe des Rheins und der 
Schweizer Hochebene erstrecken sich nur Ausläufer. Ebenfalls 
schwächer vertreten ist die Gegend am Rhein zwischen Constanz 
und Basel nebst dem Südabhang des Schwarzwaldes. Dagegen 
drängen sich die Orte wieder dicht zusammen am Nordufer des 
Bodensees und landeinwärts bis ins Allgäu. Weiter auseinander- 
gezogen, jedoch auffällig zahlreich, erscheinen S. Galler Besitzungen 
im Quellgebiet der Donau und am oberen Neckar, ferner im Breis- 
gau. Die ungleichmäßige Verteilung ist offenbar hervorgerufen 
durch die Kreuzung der S. Gallischen Einflußsphäre mit derjenigen 
anderer Klöster, Kempten im Osten, Reichenau und auch Rheinau im 
Westen. Von den 647 unmittelbar auf S. Gallen bezüglichen Privat- 
urkunden betreffen Oertlichkeiten des Thur-, Arbon- und Zürichgaus 
347, solche des Linz-, Argen-, Nibel- und Alpgaus (nordöstlich vom 
Bodensee) 106, der Baar (obere Donau und Neckar) 62, des Breis- 
gaus 40, des Hegau, Klettgau, Albgau und Eitrahuntal 34, Aar- und 
Augstgau 9, Rheingau und Rhätien 17, Folcholtsbaar etc. 19, un- 
bestimmt 13. 

Bemerkenswert ist die Veränderung, welche im Laufe der Zeit 
das Zahlenverhältnis der aus den verschiedenen Gauen herrühren- 
den Urkunden erfährt. Der Thurgau, der mehr als die Hälfte der 
Urkunden aufzuweisen hat, bleibt zu Anfang erheblich hinter dem 
Durchschnitt zurück, später übersteigt er denselben nicht unwesent- 
lich; ähnlich steht es dem Prozentsatz nach mit den Gauen nördlich 
vom Bodensee, umgekehrt verhalten sich Baar und Breisgau. Man 
darf daraus wohl auf eine Verkleinerung der Einflußsphäre des Klosters 
schließen, die Anziehungskraft S. Gallens auf die Bewohner der Baar 
muß im 9. Jahrhundert erheblich nachgelassen haben; Abtbischof 
Salomon fand für seine Erwerbspolitik nur noch im Thurgau geeig- 
neten Boden. 

Betrachtet man die Verteilung der Urkundengattungen 
auf die Gaue, so ergiebt sich in der Hauptsache eine Bestätigung 
der schon früher gewonnenen Ergebnisse. Die an Zahl niemals 
beträchtlichen freien Schenkungen nehmen überall gleichmäßig ab, 
bedingte Schenkungen, Schenkungen mit Rückkaufsvorbehalt und 
Tauschurkunden erreichen nacheinander ihren Höhepunkt. 

Ueber die soziale Gliederung der Bevölkerung auf alamanni- 
schem Stammesgebiet ergeben die S. Galler Urkunden etwa folgendes: 
Rechtlich sind zwei Klassen zu unterscheiden, die Freien und 
die Unfreien. Halbfreie, fränkisch Liten, sächsisch Lazen, bayerisch 
und langobardisch Aldionen, werden in den S. Galler Urkunden 
nicht genannt. Ebensowenig tritt ein von den Gemeinfreien scharf 
gesonderter Adelsstand auf. Immerhin werden Unterschiede unter den 
Freien gemacht; es finden sich Erwähnungen der ersten, mittleren 

31* 


484 G. Caro, 


und übrigen. Als Freie sind all die zahlreichen Persönlichkeiten 
anzusehen, die von ihrem Eigengut an das Kloster tradieren, und die 
in den Urkunden als Zeugen genannt werden. Die Unfreien, servi 
oder mancipia, sind noch gutenteils als Sache behandelt, wie Sklaven. 
Sie werden verschenkt, vertauscht und selbst verkauft. Die Unter- 
schiede unter den Unfreien folgen aus ihrer Verwendung durch den 
Herrn, der sie als servi domestici in seinem Haushalt beschäftigt 
oder ihnen als servi casati ein Stück Land zu selbständiger Bebau- 
ung überläßt. Zins und Dienste, welche die servi casati der Kirche 
jährlich leisteten, sind durch die lex Alamannorum titel 21 gesetz- 
lich fixiert auf 15 sicle Bier, 1 Ferkel im Wert von !/ solidus, 
2 Scheffel Brot, 5 Hühner, 20 Eier, außerdem 3 Tage in jeder Woche 
Frohndienst. 

Im Betriebe der Landwirtschaft hat also der Freie und der 
Unfreie seine bestimmte Stellung. Der Freie ist der Betriebs- 
leiter, der nach eigenem Ermessen sein Gut bewirtschaftet, soweit 
er nicht etwa durch die üblichen Normen der Dreifelderwirtschaft 
gebunden ist. Die Unfreien sind die Arbeitskräfte, denen eine 
passive Rolle zukommt. Das gilt natürlich in erster Linie von den 
servi domestici, die unbegrenzte Dienste leisten; aber auch die 
servi casati sind in einen fremden Wirtschaftsorganismus einge- 
gliedert, der Herr verfügt über ihre Arbeitsleistungen an den 
Frohntagen. Gleich den servi casati gehört eine Gattung von Freien 
zur grundherrlichen Gutsverwaltung, die accolae, das sind freie Leute, 
die gegen Zins und Dienst Land zur Bebauung übernommen haben. 

Ich kann nun gleich hier sagen, weswegen ich die Ansicht, 
welche schon in den alten Germanen Grundherren erblickt, für ver- 
fehlt betrachten muß. Ganz einfach deswegen, weil sie von der Vor- 
aussetzung ausgeht, jeder freie Mann habe so großen Besitz gehabt, 
daß er damit servi casati oder auch accolae ausstatten konnte. Die 
S. Galler Urkunden zeigen allerdings, daß es Grundherren gegeben 
hat, die über servi casati oder accolae und das an solche ausgethane 
Gut verfügten. Meist werden aber mancipia (Unfreie) als Pertinenz 
des tradierten Grundbesitzes nicht erwähnt, accolae kommen über- 
haupt nur selten vor. Wenn die mancipien von der Tradition aus- 
geschlossen sind, so wird das ausdrücklich gesagt. In dem Gebiet, 
auf das die S. Galler Urkunden sich beziehen, ist bei weitem nicht 
jeder freie Mann in der glücklichen Lage gewesen, als Grundherr 
von den Abgaben seiner Hintersassen zu leben. 

Andererseits kann ich aber nicht der Ansicht mich anschließen, 
welche in der Hufe das Normalmaß für den Grundbesitz des freien 
Mannes erblickt. Würde das der Fall sein, so hätten die Urkunden- 
schreiber sehr leichte Arbeit gehabt, sie brauchten den Tradenten 
dann immer nur sagen zu lassen: ich tradiere meine Hufe an dem 
und dem Ort in dem und dem Gau. Diese Ausdrucksweise wird 
aber nicht angewandt, es heißt vielmehr, z. B. nro. 77 von 775: 
Ich Cundhoh und meine Gattin Boazilana schenke alles, was ich habe, 
das ist im Zürichgau im Dorfe Eschenbach (nördlich vom oberen 


Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz ete. 485 


Zürichsee), Haus und geschlossenes Gehôft mit Nebengebäuden und 
Viehbestand, Felder, Wald, Wiesen, Weiden, Wege, Wasser und 
Wasserläufe, alles, was gesagt oder genannt werden kann. Hätte 
Cundhoh eine Hufe besessen, oder mehrere, oder auch nur einen 
Teil einer Hufe, so hätte doch nichts näher gelegen, als diesen That- 
bestand anzugeben. Die Hufe als feststehende Maßeinheit ist den 
S. Galler Urkundenschreibern wohl bekannt, so z. B. nro. 18 von 
754. Rothpald tradiert unter anderem „servum meum nomine Nandeng 
et oxorem eius Bruna et cum oba sua et cum omnia, quo vestiti 
sunt, et alium servum meum nomine Wolfarium cum uxore sua Atane 
cum oba sua et cum omnia, quo vestitus est“. Hier finden sich 
also zwei unfreie Ehepaare, deren jedem von ihrem Herrn, Rothpald, 
eine Hufe verliehen worden ist. 

Ich will die Belegstellen nicht häufen. So viel ich aus den 
S. Galler und auch anderen Urkunden entnehmen kann, ist die An- 
sicht, die einst Waitz in der Abhandlung über die altdeutsche Hufe 
ausgesprochen hat, gerade umzukehren. Waitz meinte, ursprünglich 
habe jeder freie Mann eine Hufe besessen, erst im Laufe der Zeit 
seien bei Vereinigung mehrerer Hufen in einer Hand solche mit 
servi casati oder accolae besetzt worden. Ich finde im Gegenteil: 
Unfreier oder abhängiger Bebauer und Hufe gehören zusammen, das 
Eigengut, das der freie Mann selbst oder mit Hilfe von servi 
domestici bestellt, wird nicht Hufe genannt. Die Hufe ist ein 
Bestandteil der grundherrlichen Wirtschaftsorganisation; freie Leute, 
die nicht Grundherren sind, haben keine Hufen. Was sie besitzen, 
wird in den Urkunden meist ohne Maßbestimmung angegeben. In 
dem oben angeführten Beispiel tradiert Cundhoh nicht etwa 30 Morgen 
Acker, 10 Morgen Wiesen u. dgl., sondern alles, was er in Eschen- 
bach hat, Haus und Hof, Acker, Wiesen, Weiden, Wald u. s. w. Die 
Pertinenzformel der Urkunden giebt nur an, welcherlei Objekte das 
Zubehör des Gutes bilden, sie sagt nicht, wie groß dasselbe ist. Daß 
alle Güter, die nicht näher beschrieben werden, gleich groß waren, 
ist höchst unwahrscheinlich, schon weil die Pertinenzformeln in der 
Aufzählung der Objekte von einander abweichen. So nro. 76, vom 
gleichen Tage wie die mehrfach erwähnte nro. 77, Emthrud und 
ihr Sohn Gaerwin schenken all ihren Besitz, nämlich in Hroadgisinchova 
(jedenfalls in der Nähe von Uster gelegen) Haus und Hof, Vieh- 
bestand, Feld, Wald, Wiesen, Weiden, also wie in nro. 77, aber auch 
mancipia, sowie Garten und mit Obstbäumen bestandenes Land 
(pumiferis, ortiferis). 

Betreffs der Erklärung der Pertinenzformel schließe ich mich 
der herrschenden Ansicht an, auch wenn dieselbe von dem mißver- 
standenen Begriff der Hufe ausgeht. Es sind drei Teile zu unter- 
scheiden: Einmal die Ausdrücke, die sich auf das Gehöft im Dorf 
beziehen „casa, curte clausa, cum domibus, edificiis“, das ist das 
Herrenhaus mit Nebenräumlichkeiten, Wohnungen für Unfreie, Ställe, 
Scheuern u. dgl. Zweitens kommt in Betracht das Ackerland in 
der Gewannflur, agris, campis, die Wiesen und Specialkulturen, 


486 G. Caro, 


Weinberge, Obstgärten, falls solche vorhanden waren. Drittens wird 
in der Pertinenzformel erwähnt das Anrecht an der ungeteilten Mark, 
an dem Wald, den Weiden, den stehenden und fließenden Gewässern. 

Gegen diese Erklärung der Pertinenzformel ließe sich nun der 
Einwand erheben, daß es doch auffällig wäre, wenn die verschiedene 
rechtliche Qualität der Objekte in der fortlaufenden Aufzählung gar 
nicht erwähnt würde. Haus und Hof befinden sich im Sondereigen- 
tum des Besitzers, das Ackerland ist dem Flurzwang und der Stoppel- 
weide unterworfen, Wald und Weide stehen im Gemeinbesitz der Nach- 
barn. Gleichwohlkanndielnterpretationnichtunrichtig 
sein. Setzt man voraus, die rechtliche Qualität der Objekte sei 
durchgehends die gleiche, so sind nur zwei Möglichkeiten vorhanden: 
entweder sind alle aufgezählten Gegenstände von verschiedener wirt- 
schaftlicher Nutzbarkeit volles Privateigentum, oder sie befinden sich 
in Gemeinbesitz. Letzteres ist ausgeschlossen, weil für Haus und Hof 
ganz undenkbar, aber auch ersteres ist nicht möglich. Wald, Weide, 
Wasserläufe sind in den Pertinenzformeln der Urkunden fast regel- 
mäßig genannt. In wie viel Teile hätten die Gewässer zersplittert 
werden müssen, damit jeder Hof seinen besonderen Anteil an den- 
selben erhielt. Ebenso ist eine so starke Parzellierung von Wald und. 
Weide undenkbar, obgleich natürlich einzelne Stücke Wald gelegent- 
lich auch in Sondereigentum übergegangen sind. Ueberdies ist doch 
auch in der Ausdrucksweise der Urkunden angedeutet, daß das tra- 
dierte Gut einen Komplex verschiedenartiger Bestandteile bildete, es 
heißt nicht „quiequid habeo“, was ich besitze in der und der villa, 
sondern „quicquid habere videor“, was mir zusteht, also das 
Sondereigentum und der Anteil am Gemeinbesitz, an der ungeteilten 
Mark. 

Es sind nun 2 Umstände, die es verhindern, aus den Urkunden 
genaue Angaben über die Größe des Grundbesitzes der Tradenten 
zu gewinnen. Einmal bewegt sich die Beschreibung der Güter viel- 
fach in den geschilderten allgemeinen Ausdrücken und entbehrt der 
bestimmten Maßangaben. Sodann ist nur in sehr wenigen Urkunden 
ausdrücklich gesagt, daß der Aussteller über all seinen Grundbesitz 
verfügt: etwas häufiger wird angegeben, daß er nur etwas von seiner 
Habe tradiert; meist bleibt es unbestimmt, ob es sich um alles oder 
einiges handelt. 

Gerade dieser Umstand ist bisher nicht ausreichend beachtet 
worden. Daß alles geschenkt wird, läßt sich nur aus Ausdrücken 
entnehmen, wie eben in nr. 77. Ich Cundhoh mit meiner Gattin 
Boazilana habe beschlossen, für unser Seelenheil „omnem pos- 
sessiunculam nostram“ an das Kloster S. Gallen zu schenken, 
was wir auch gethan haben, „et hoc est quod donamus“, folgt die 
Angabe über das Gut. Fraglich kann schon sein, ob es sich um 
allen Grundbesitz des Tradenten handelt, z. B. in nr. 284 von 824. 
Ich Freddo tradiere an Kloster S. Gallen, was mir mein Vater Petto 
hinterlassen hat im Dorfe namens Gossau. Die Ausdrucksweise 
schließt hier nicht aus, daß Petto auch anderwärts als in Gossau 


Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz ete. 487 


Besitz hatte, sei es als Erbschaft vom Vater oder anderweitig er- 
worben. Immerhin würde ich diesen Freddo nicht als Großgrund- 
besitzer ansehen. Unter dem Zubehör des Gutes in Gossau, das er 
tradierte, fehlen Mancipien. Es ist aber undenkbar, daß große Güter 
ohne Unfreie bestellt werden konnten. Sollte also auch Freddo in 
der Nachbarschaft von Gossau noch einige Aecker besessen haben, 
ein reicher Mann nach den Begriffen der Zeit war er nicht, wie er 
sich denn auch vom Kloster die Gewährung von Lebensunterhalt als 
Gegenleistung ausbedingt. Am häufigsten ist eine Ausdrucksweise, 
wie etwa in nr. 120, 789. Ich Pratolt tradiere „quicquid de meo 
iure in Lehaim visus sum habere“, oder nr. 686, 892, Wolfrid er- 
hält wiederverliehen, was er tradiert hat, nämlich ,quicquid pro- 
prietatis hodierna die visus est haberes in Turbental“. Ausgeschlossen 
ist es niemals, daß der Tradent auch anderwärts Besitz hatte, so der 
Kleriker Vunolf, nr. 138, 795, der tradiert, alles was er in Deger- 
schen hat, und das nennt der Tradent hier ausdrücklich „aliquit te 
rem mea“, etwas von seinem Grundbesitz. 

Der Schluß aus dem Fehlen der Unfreien auf die relative Klein- 
heit des Besitzes ist nicht unbedingt zuverlässig. Es giebt auch Ur- 
kunden, in denen Besitz an mehreren Orten erwähnt wird, und doch 
Mancipien in der Pertinenzformel fehlen; meist fehlt freilich in solchen 
Fällen die Pertinenzformel, so daß über das Vorhandensein von Un- 
freien nichts Bestimmtes ausgesagt werden kann. 

Um eine Uebersicht zu gewinnen über den Grundbesitzbestand 
der Tradenten, der sich aus den S. Galler Urkunden ergiebt, habe 
ich folgenden Weg eingeschlagen. Ich stelle zusammen, nach Gauen 
geordnet: einmal die Urkunden, in denen alles, etwas oder ein un- 
bestimmter Teil des Besitzes in Frage kommt. In jeder dieser drei 
Rubriken mache ich wieder 5 Unterabteilungen. Ich vereinige je- 
weils die Fälle, in denen verfügt wird über allen Besitz des Tra- 
denten 1. an einem Ort ohne mancipien, 2. an einem Ort mit man- 
eipien, 3. an mehreren Orten ohne ausdrückliche Erwähnung von 
Unfreien, 4. an mehreren Orten mit Unfreien, 5. endlich sondere 
ich die Fälle aus, in denen sich bestimmtere Maßangaben finden, 
worgen, Hufen etc. Die zahlenmäßigen Ergebnisse sind natürlich 
mit größter Vorsicht aufzunehmen; ich glaube aber nicht, daß sie für 
ganz unbrauchbar angesehen werden dürfen. Auffällig ist schon die 
Differenz zwischen den verschiedenen Gauen. Im Thurgau findet 
sich in 192 Fällen Grundbesitz an einem Ort ohne Unfreie, in 37 
Fällen ebenso mit Unfreien, nur in 25 Fällen an mehreren Orten 
mit mancipien; ähnlich im Verhältnis in den Gauen nördlich vom 
Bodensee 52, 12 und 7. Dagegen in der Baar 13, 23 und 12, im 
Breisgau 10, 7 und 9. Der Schluß dürfte nicht allzu gewagt sein, 
daß in der Nordostschweiz die kleinen Grundeigentümer zahlreicher 
und die Unfreien seltener gewesen sind als in der oberrheinischen 
Tiefebene und in den nördlichen Gegenden Schwabens. 

Immerhin ist noch eins zu beobachten: Im 9. Jahrhundert ver- 
mindert sich die Zahl der Traditionen, die Mancipien einschließen, 


488 G. Caro, 


ganz auffällig. Das Verhältnis ist im Thurgau für allen Besitz an 
einem Ort ohne und mit Mancipien 761—80: 6 zu 11, 781—800: 
9 zu 2, 801—20: 8 zu 6, dann aber 821—40: 45 zu 10, 841—60: 
30 zu 1, 861—80: 40 zu 0, 881—900: 25 zu 0, 901—20: 27 zu 4, 
ähnlich in den Gauen nördlich vom Bodensee. Aus Baar und Breis- 
gau sind für die späteren Zeiten des 9. Jahrhunderts wenig Urkunden 
vorhanden. Man könnte annehmen, es habe dort ein ähnlicher Rück- 
gang in der Zahl der Unfreien stattgefunden, wie er für den Thur- 
gau und die Bodenseegegend wahrscheinlich ist, doch müssen in der 
Baar vorher schon mehr Unfreie vorhanden gewesen sein. Das 
Zahlenverhältnis für die gleichen Kategorien ist 761—80: 3 zu 5, 
731-800: 2 zu 8, 801—20: 4 zu 5, dann 2 zu 2, 1 zu 2. Im Breis- 
gau ist die Zahl der Urkunden überhaupt sehr klein, doch beziehen 
sich z. B. alle 4 Urkunden aus den Jahren 741—760 auf Grundbesitz 
an mehreren Orten mit Mancipien. 

Jedenfalls ist die grundherrliche Ansicht in ihrer Allgemeinheit 
mit den gewonnenen Ergebnissen unvereinbar. Es ist völlig ausge- 
schlossen, daß jeder freie Mann ein Grundherr war; aber es be- 
standen in dem numerischen Verhältnis der Grundherren zu den 
Nicht-Grundherren zwischen verschiedenen Gegenden erhebliche 
lokale Differenzen. Gerade die Nordostschweiz ist das Land, 
wo wahrscheinlich sogar die Mehrzahl der Bevölkerung aus kleinen 
freien Grundbesitzern sich zusammensetzte. Anderwärts hat schon 
in der Karolingerzeit der Großgrundbesitz überwogen und damit zu- 
eleich die Zahl der Unfreien, der servi casati, so im Elsaß, wie die 
Weißenburger Urkunden zeigen, und in den fränkischen Mainlanden 
nach den Fuldenser Urkunden. Dagegen war in Rheinfranken, dem 
alten Worms-Lobdengau, der Grund und Boden noch weit stärker 
unter vollfreie unabhängige Besitzer zersplittert, als selbst in der 
Nordostschweiz. 

Zur Ergänzung der bisher gewonnenen Ergebnisse ist es zweck- 
mäßig, auf die speciellen Verhältnisse einzelner Großgrundbesitzer 
und einzelner Ortschaften einzugehen. Ich kann hier nur die Be- 
handlungsweise andeuten. Was die Großgrundbesitzer betrifft, so 
decken sich dieselben natürlich mit den hervorragenden Persönlich- 
keiten des Landes, den Inhabern der Grafenwürde, den Vorfahren 
der späteren Freiherrngeschlechter. Es kommt wesentlich darauf an 
zu erkennen, inwieweit verwandschaftliche Zusammenhänge zwischen 
den Personen nachweisbar sind, sonst bleiben die aus den Urkunden 
entnommenen Daten isoliert. Wie das geschehen kann, will ich an 
einem Falle zeigen. 

Aus der S. Galler Klostergeschichte ist bekannt der Mönch Iso, 
Verfasser der Schrift von der Translation und den Wundern des h. Abts 
Otmar. Bruder des Iso ist Luto, der all sein Erbgut im Thurgau 
ans Kloster übertrug, ausgenommen Besitz zu Krummbach und 
Zihlschlacht, in der Gegend der mittleren Thur gelegen, nro. 539, 568. 
Luto ist der Sohn des Erimbert und der Waltarada, auch sein Vetter 
heißt Erimbert. Dieser ist offenbar identisch mit dem gleichnamigen 


Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz ete. 489 


Tradenten in nro. 509 und 510, 865, von dessen Besitz im Thurgau 
allerdings nur ein nicht sicher nachweisbarer „Buchberg“ genannt ist. 
In nro. 509 erscheinen als erbberechtigte Angehörige des Erimbert 
Thioto, Luto und Bono. Bono hat Besitz in Zihlschlacht, auch in 
Weinfelden und anderwärts im Thurgau nach nro. 540, 568; als sein 
Vetter ist hier Erimbert genannt, als sein Bruder Luto. Dieser 
Luto, Bruder des Bono, kann nicht mit dem Bruder des Mönchs Iso 
identisch sein, denn Bono ist der Sohn des Bono und der Hiltimota; 
aber die Verwandtschaft der beiden Luto ist wohl sicher. Es kehren 
eben in derselben Sippe die gleichen Namen wieder, so Bono, Vater 
und Sohn, Erimbert, Vater und Vetter des einen Luto. Da verlohnt 
es sich, den Namen Iso weiter zu verfolgen. In nro. 86, 779 tradiert 
ein Hiso, Sohn eines Luto, mit seinem Sohn Hatti all seinen Besitz 
an S. Gallen, nämlich an 8 Orten, zu Rickenbach, Matzingen, Deger- 
schen u. s. w. In dieser Gegend ist gleichzeitig ein Iso als Zeuge 
öfters nachweisbar, auch erscheint 791 ein Yso als Klostervogt zu 
Züberwangen. 

In nro. 116, 788 überträgt Petto unter anderem alles, was Hiso 
in Zurkenried von ihm zu beneficium hat. Ich glaube, diese Ur- 
kunde giebt Aufschluß über die soziale Stellung des Geschlechts der 
Isonen. Petto, der Lehnsherr des Iso, dürfte einem gräflichen 
Hause angehören. Er war auch begütert in Glattburg, ein älterer 
Petto hat 731 oder 736, nro. 6, eine Uebertragung zu Glatt gemacht. 
Dieser letztere Petto war Bruder der Grafen Airicus, Bertericus 
und des Thurgaugrafen Pepo. Die Namensgleichheit und Identität 
der Gegend, in der die beiden Petto ansehnlich begütert sind, 
läßt auf ihren verwandtschaftlichen Zusammenhang schließen. Für 
die Isonen würde sich daraus ergeben, daß ihre weit verzweigte 
Sippe es nicht verschmäht hat, das Eigengut durch Empfang von 
Beneficien zu vermehren. Auch bei den Uebertragungen an S. Gallen 
verfolgen sie wohl den Zweck, dafür mit Aemtern und Lehen belohnt 
zu werden, während zugleich ein und das andere Mitglied des Ge- 
schlechts ins Kloster selbst Aufnahme findet. Ein ganz ähnliches 
Verhältnis hat für die Notkers und Otheres von Jonswil Meyer von 
Knonau im Jahrbuch für Schweizer Geschichte, Bd. 2, S. 103 ff. nach- 
gewiesen. 

Die Eigentümlichkeit des größeren Grundbesitzes, die sich mit 
voller Klarheit aus den Urkunden ergiebt, ist seine Streulage. 
Jeder Grundherr hat Besitz an mehreren Orten. Ganze Dörfer, die 
einem Herrn gehört hätten, finden sich dagegen kaum vor. Zu 
nennen wäre etwa „Deozincova“, Diessenhofen am Rhein. Dieser 
Weiler (vilare) wird von Presbyter Lazarus 757, nro. 20, ans Kloster 
geschenkt, offenbar ganz. Es gehören dazu eine Kirche, Haus 
mit Nebengebäuden, Unfreie, Land, Wiesen, Wald etc. Indessen 
dürfte es sich hier um einen Einzelhof handeln, der mit der Kirche 
gegründet worden war, und zwar in der Mark des wenig südlich 
gelegenen Willisdorf. In nro. 619, 882 ist ausdrücklich gesagt, daß 
die Mark von Willisdorf bis in die Mitte des Rheins sich erstreckte. 


490 G. Caro, 


Für die eigentlichen Dörfer ist als Regel anzunehmen, daß an 
der Ackerflur und der gemeinen Mark eine Anzahl freier Grund- 
eigentümer Anteil haben, größeren oder kleineren, den sie eigen- 
händig oder durch Unfreie bewirtschaften. In den Weilern oder 
Einzelhöfen, die gerade in der Nordostschweiz sehr zahlreich sind, 
finden sich naturgemäß weniger Anteilhaber als in den größeren 
Dörfern. Viele Einzelhöfe dürften durch einen Herrn angelegt sein, 
etwa mit Hilfe von unfreien Arbeitskräften. Bei Erbteilungen zer- 
stückelte sich der Besitz, manche Bestandteile wurden veräußert. 
Durch Anlegung neuer Gehöfte konnte sich der Einzelhof zum Dorf 
auswachsen, worauf dann wohl auch eine Markteilung vorgenommen 
wurde. 

Um ein Beispiel für die Behandlung einzelner Ortschaften zu 
geben, will ich auf Uznach eingehen, das schon in sehr früher Zeit 
erwähnt wird. Dort war Beata begütert, eine sehr fromme Dame, 
die ihren reichen Besitz am oberen Zürichsee und im Tößgebiet der 
Kirche schenkte. Nach nro. 7 von 741 gehörten ihr zu Uznach 8 
homines, Land und Wald. In diesen homines sind accolae zu er- 
blicken, also Freie, die auf dem Grund und Boden saßen, der der 
Beata gehörte. Der Ausdruck acolabis findet sich in der Pertinenz- 
formel der Urkunde nro. 10, die von Beata in Bezug auf Uznach und 
andere Orte ausgestellt ist. S. Gallen wurde später des Besitzes in 
Uznach beraubt, der zum Königshof Zürich geschlagen wurde. 
Kaiser Ludwig der Fromme ordnete die Rückgabe an, nro. 263, 821. 
In der Kaiserurkunde ist die Rede davon, daß Beata oder Pieta und 
ihr Sohn die villa Uznach dem Kloster geschenkt hatten. Danach 
könnte es scheinen, ganz Uznach habe einst der |Beata gehört; 
davon war aber in den Schenkungsurkunden nicht die Rede, und 
auch in einer Aufzeichnung, Anhang nro. 19, über Zeugenverneh- 
mungen, die augenscheinlich der Restitution vorangingen, heißt es 
nur „de Uzinacha, quod Lantolt et Pieta habuerunt“, dagegen „Luzi- 
lunavia tota“. Sonach muß die Ausdrucksweise der Kaiserurkunde 
ungenau sein. Uznach war nicht ein grundherrliches Dorf; neben 
dem Besitz der Beata, später S. Gallens, gab es dort noch freie 
Eigentümer, und von solchen gingen andere Traditionen an S. Gallen 
aus, zwei von Frauen, Diothniwi und Aldegund, 826 und 829, eine 
854 von Wolfger und seinem Sohn Engilgar zu Uznach und „Pua- 
binvilare*. 

Reicher begütert müßte Cunzo gewesen sein, zu dessen Besitz 
in Uznach und am Jonafluß Unfreie gehörten, nro. 350, 834. Auf 
die Schwierigkeiten, welche diese Urkunde wegen des darin vor- 
kommenden Vogts bietet, will ich nicht näher eingehen, ich bemerke 
nur, daß ich denselben auf die Frau des Cunzo beziehe, die Fassung 
der Urkunde ist ohnehin mangelhaft. Auch mit diesen Traditionen 
ist noch nicht alles Grundeigentum zu Uznach ans Kloster über- 
gegangen, noch 912 vertauschte Hegere sein Eigengut in der Mark 
Uznach gegen 10 Juchart Land zu ,Hohinwart* und Wald zum 
roden. 


Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz ete. 491 


In der Umgebung von Uznach finden sich nun auch die Weiler 
deren Charakter ich schon schilderte. Da ist „Ruadheres“wilare, 
Rüetiswil. Dort überträgt Ruadheri die Hinterlassenschaft seines 
Vaters und eigenen Erwerb, nro. 297, 826, Unfreie gehören dazu. 
Dieser Ruadheri kann nicht der Gründer von Rüetiswil sein, aber 
wohl ein gleichnamiger Vorfahr; auch gehörte ihm nicht der ganze 
Weiler, nach nro. 582, 874 hatte der Gemahl seiner Tochter, Rating, 
dort noch mindestens 4 Juchart, außer dem Anteil der Frau am 
Gute ihres Vaters. Ruadheri erscheint einmal als Zeuge in Uznach, 
Rating ist der Sohn der dort begüterten Aldegund. 

Ein anderer Weiler ist „Eidwartes“wilare, Ernetswil. Dort 
übertrugen 885, nro. 641, Eidwart und sein Sohn Iltibold ein ge- 
schlossenes Gehöft mit Gebäuden, Land, bebautes und unbebautes, 
Wiesen, Wald u. s. w., natürlich um es gegen Zins zurückzuerhalten. 
Auf die Absicht zu weiteren Rodungen läßt die Wendung schließen 
„vel que postea“ iustis laboribus augmentare potul[er]imus“. Unfreie 
besaßen sie nicht. 

Ein lebendiges Bild ergeben die trockenen Formeln der Ur- 
kunden von den wirtschaftlichen Bestrebungen der Zeit. Noch be- 
deckte Wald einen großen Teil des Bodens. Mühsam mußte der 
fruchtbare Acker dem Sumpf und der Wildnis abgerungen werden; 
aber unermüdlich sind die betriebsamen Landleute thätig, wüst 
liegende Flächen in den Bereich der Kultur zu ziehen. Immer 
wieder ist vom Erwerb die Rede neben dem Erbgut, und wenn auch 
durch Kauf oder Tausch manches Grundstück den Besitzer wechseln 
mochte, die rechte Arbeit, die das Eigentum vermehrt, war die 
Rodung, das Urbarmachen des Oedlands. Dabei herrschte in der 
ganzen Karolingerzeit tiefer Frieden. Kein feindlicher Einfall zertrat 
die Saaten und verheerte die Dörfer. Die Stürme der späteren 
Bürgerkriege haben die Nordostschweiz wenig berührt. Im Heerbann 
des Frankenkaisers trugen die Thur- und Zürichgauer ihre Waffen 
in die Ferne. Gar manches weiß der S. Galler Mönch Notker zu 
berichten von dem starken Eishere, der Avaren und Slaven nieder- 
mähte, wie der Schnitter das Heu, und nach Hause zurückgekehrt 
sich rühmte, ihrer 7, 8, sogar 9 an seiner Lanze aufgespießt umher- 
getragen zu haben. 

Es würde sehr starker Beweise bedürfen, um wahrscheinlich zu 
machen, daß in einer so urkräftigen, schaffensfreudigen Zeit ein 
volkswirtschaftlicher Umschwung eingetreten sei, der die Masse der 
freien Bevölkerung in einen an Hörigkeit grenzenden Zustand er- 
niedrigte. Allerdings sprechen die Kapitularien Karls des Großen 
vom Druck, den die Beamten ausübten, von Mißbräuchen der Amts- 
gewalt, um deren Abstellung sich der Kaiser bemüht. Es frägt 
sich nur, ob solche Verordnungen gleichmäßig auf das ganze, große 
Reich sich beziehen, ob sie auch den rein germanischen Gebieten 
galten, deren wehrfähige Bevölkerung dergleichen Uebergriffe sich 
doch kaum hätte gefallen lassen, oder speciell für Gallien, das Land 
der Großgrundherrschaften und Sklavenwirtschaft, wo ähnliche Miß- 
stände vorher und nachher allerdings sehr häufig gewesen sind. 


488 G. Caro, 


ganz auffällig. Das Verhältnis ist im Thurgau für allen Besitz an 
einem Ort ohne und mit Maneipien 761—80: 6 zu 11, 781—800 : 
9 zu 2, 801—20: 8 zu 6, dann aber 821—40: 45 zu 10, 841—60: 
30 zu 1, 861—80: 40 zu 0, 881—900: 25 zu 0, 901—20: 27 zu 4, 
ähnlich in den Gauen nördlich vom Bodensee. Aus Baar und Breis- 
gau sind für die späteren Zeiten des 9. Jahrhunderts wenig Urkunden 
vorhanden. Man könnte annehmen, es habe dort ein ähnlicher Rück- 
gang in der Zahl der Unfreien stattgefunden, wie er für den Thur- 
gau und die Bodenseegegend wahrscheinlich ist, doch müssen in der 
Baar vorher schon mehr Unfreie vorhanden gewesen sein. Das 
Zahlenverhältnis für die gleichen Kategorien ist 761—80: 3 zu 5, 
781-800: 2 zu 8, 801—20: 4 zu 5, dann 2 zu 2, 1 zu 2. Im Breis- 
gau ist die Zahl der Urkunden überhaupt sehr klein, doch beziehen 
sich z. B. alle 4 Urkunden aus den Jahren 741—760 auf Grundbesitz 
an mehreren Orten mit Mancipien. 

Jedenfalls ist die grundherrliche Ansicht in ihrer Allgemeinheit 
mit den gewonnenen Ergebnissen unvereinbar. Es ist völlig ausge- 
schlossen, daß jeder freie Mann ein Grundherr war; aber es be- 
standen in dem numerischen Verhältnis der Grundherren zu den 
Nicht-Grundherren zwischen verschiedenen Gegenden erhebliche 
lokale Differenzen. Gerade die Nordostschweiz ist das Land, 
wo wahrscheinlich sogar die Mehrzahl der Bevölkerung aus kleinen 
freien Grundbesitzern sich zusammensetzte. Anderwärts hat schon 
in der Karolingerzeit der Großgrundbesitz überwogen und damit zu- 
gleich die Zahl der Unfreien, der servi casati, so im Elsaß, wie die 
Weißenburger Urkunden zeigen, und in den fränkischen Mainlanden 
nach den Fuldenser Urkunden. Dagegen war in Rheinfranken, dem 
alten Worms-Lobdengau, der Grund und Boden noch weit stärker 
unter vollfreie unabhängige Besitzer zersplittert, als selbst in der 
Nordostschweiz. 

Zur Ergänzung der bisher gewonnenen Ergebnisse ist es zweck- 
mäßig, auf die speciellen Verhältnisse einzelner Großgrundbesitzer 
und einzelner Ortschaften einzugehen. Ich kann hier nur die Be- 
handlungsweise andeuten. Was die Großgrundbesitzer betrifft, so 
decken sich dieselben natürlich mit den hervorragenden Persönlich- 
keiten des Landes, den Inhabern der Grafenwürde, den Vorfahren 
der späteren Freiherrngeschlechter. Es kommt wesentlich darauf an 
zu erkennen, inwieweit verwandschaftliche Zusammenhänge zwischen 
den Personen nachweisbar sind, sonst bleiben die aus den Urkunden 
entnommenen Daten isoliert. Wie das geschehen kann, will ich an 
einem Falle zeigen. 

Aus der S. Galler Klostergeschichte ist bekannt der Mönch Iso, 
Verfasser der Schrift von der Translation und den Wundern des h. Abts 
Otmar. Bruder des Iso ist Luto, der all sein Erbgut im Thurgau 
ans Kloster übertrug, ausgenommen Besitz zu Krummbach und 
Zihlschlacht, in der Gegend der mittleren Thur gelegen, nro. 539, 568. 
Luto ist der Sohn des Erimbert und der Waltarada, auch sein Vetter 
heißt Erimbert. Dieser ist offenbar identisch mit dem gleichnamigen 


Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz etc. 489 


Tradenten in nro. 509 und 510, 865, von dessen Besitz im Thurgau 
allerdings nur ein nicht sicher nachweisbarer „Buchberg“ genannt ist. 
In nro. 509 erscheinen als erbberechtigte Angehörige des Erimbert 
Thioto, Luto und Bono. Bono hat Besitz in Zihlschlacht, auch in 
Weinfelden und anderwärts im Thurgau nach nro. 540, 568; als sein 
Vetter ist hier Erimbert genannt, als sein Bruder Luto. Dieser 
Luto, Bruder des Bono, kann nicht mit dem Bruder des Mönchs Iso 
identisch sein, denn Bono ist der Sohn des Bono und der Hiltimota; 
aber die Verwandtschaft der beiden Luto ist wohl sicher. Es kehren 
eben in derselben Sippe die gleichen Namen wieder, so Bono, Vater 
und Sohn, Erimbert, Vater und Vetter des einen Luto. Da verlohnt 
es sich, den Namen Iso weiter zu verfolgen. In nro. 86, 779 tradiert 
ein Hiso, Sohn eines Luto, mit seinem Sohn Hatti all seinen Besitz 
an S. Gallen, nämlich an 8 Orten, zu Rickenbach, Matzingen, Deger- 
schen u. s. w. In dieser Gegend ist gleichzeitig ein Iso als Zeuge 
öfters nachweisbar, auch erscheint 791 ein Yso als Klostervogt zu 
Züberwangen. 

In nro. 116, 788 überträgt Petto unter anderem alles, was Hiso 
in Zurkenried von ihm zu beneficium hat. Ich glaube, diese Ur- 
kunde giebt Aufschluß über die soziale Stellung des Geschlechts der 
Isonen. Petto, der Lehnsherr des Iso, dürfte einem gräflichen 
Hause angehören. Er war auch begütert in Glattburg, ein älterer 
Petto hat 731 oder 736, nro. 6, eine Uebertragung zu Glatt gemacht. 
Dieser letztere Petto war Bruder der Grafen Airicus, Bertericus 
und des Thurgaugrafen Pepo. Die Namensgleichheit und Identität 
der Gegend, in der die beiden Petto ansehnlich begütert sind, 
läßt auf ihren verwandtschaftlichen Zusammenhang schließen. Für 
die Isonen würde sich daraus ergeben, daß ihre weit verzweigte 
Sippe es nicht verschmäht hat, das Eigengut durch Empfang von 
Beneficien zu vermehren. Auch bei den Uebertragungen an S. Gallen 
verfolgen sie wohl den Zweck, dafür mit Aemtern und Lehen belohnt 
zu werden, während zugleich ein und das andere Mitglied des Ge- 
schlechts ins Kloster selbst Aufnahme findet. Ein ganz ähnliches 
Verhältnis hat für die Notkers und Otheres von Jonswil Meyer von 
Knonau im Jahrbuch für Schweizer Geschichte, Bd. 2, S. 103 ff. nach- 
gewiesen. 

Die Eigentümlichkeit des größeren Grundbesitzes, die sich mit 
voller Klarheit aus den Urkunden ergiebt, ist seine Streulage. 
Jeder Grundherr hat Besitz an mehreren Orten. Ganze Dörfer, die 
einem Herrn gehört hätten, finden sich dagegen kaum vor. Zu 
nennen wäre etwa „Deozincova“, Diessenhofen am Rhein. Dieser 
Weiler (vilare) wird von Presbyter Lazarus 757, nro. 20, ans Kloster 
geschenkt, offenbar ganz. Es gehören dazu eine Kirche, Haus 
mit Nebengebäuden, Unfreie, Land, Wiesen, Wald etc. Indessen 
dürfte es sich hier um einen Einzelhof handeln, der mit der Kirche 
gegründet worden war, und zwar in der Mark des wenig südlich 
gelegenen Willisdorf. In nro. 619, 882 ist ausdrücklich gesagt, daß 
die Mark von Willisdorf bis in die Mitte des Rheins sich erstreckte. 


490 G. Caro, 


Für die eigentlichen Dörfer ist als Regel anzunehmen, daß an 
der Ackerflur und der gemeinen Mark eine Anzahl freier Grund- 
eigentümer Anteil haben, größeren oder kleineren, den sie eigen- 
händig oder durch Unfreie bewirtschaften. In den Weilern oder 
Einzelhöfen, die gerade in der Nordostschweiz sehr zahlreich sind, 
finden sich naturgemäß weniger Anteilhaber als in den größeren 
Dörfern. Viele Einzelhöfe dürften durch einen Herrn angelegt sein, 
etwa mit Hilfe von unfreien Arbeitskräften. Bei Erbteilungen zer- 
stückelte sich der Besitz, manche Bestandteile wurden veräußert. 
Durch Anlegung neuer Gehöfte konnte sich der Einzelhof zum Dorf 
auswachsen, worauf dann wohl auch eine Markteilung vorgenommen 
wurde. 

Um ein Beispiel für die Behandlung einzelner Ortschaften zu 
geben, will ich auf Uznach eingehen, das schon in sehr früher Zeit 
erwähnt wird. Dort war Beata begütert, eine sehr fromme Dame, 
die ihren reichen Besitz am oberen Zürichsee und im Tößgebiet der 
Kirche schenkte. Nach nro. 7 von 741 gehörten ihr zu Uznach 8 
homines, Land und Wald. In diesen homines sind accolae zu er- 
blicken, also Freie, die auf dem Grund und Boden saßen, der der 
Beata gehörte. Der Ausdruck acolabis findet sich in der Pertinenz- 
formel der Urkunde nro. 10, die von Beata in Bezug auf Uznach und 
andere Orte ausgestellt ist. S. Gallen wurde später des Besitzes in 
Uznach beraubt, der zum Königshof Zürich geschlagen wurde. 
Kaiser Ludwig der Fromme ordnete die Rückgabe an, nro. 263, 821. 
In der Kaiserurkunde ist die Rede davon, daß Beata oder Pieta und 
ihr Sohn die villa Uznach dem Kloster geschenkt hatten. Danach 
könnte es scheinen, ganz Uznach habe einst der |Beata gehört; 
davon war aber in den Schenkungsurkunden nicht die Rede, und 
auch in einer Aufzeichnung, Anhang nro. 19, über Zeugenverneh- 
mungen, die augenscheinlich der Restitution vorangingen, heißt es 
nur „de Uzinacha, quod Lantolt et Pieta habuerunt“, dagegen „Luzi- 
lunavia tota“. Sonach muß die Ausdrucksweise der Kaiserurkunde 
ungenau sein. Uznach war nicht ein grundherrliches Dorf; neben 
dem Besitz der Beata, später S. Gallens, gab es dort noch freie 
Eigentümer, und von solchen gingen andere Traditionen an S. Gallen 
aus, zwei von Frauen, Diothniwi und Aldegund, 826 und 829, eine 
854 von Wolfger und seinem Sohn Engilgar zu Uznach und „Pua- 
binvilare*. 

Reicher begütert müßte Cunzo gewesen sein, zu dessen Besitz 
in Uznach und am JonafluR Unfreie gehörten, nro. 350, 834. Auf 
die Schwierigkeiten, welche diese Urkunde wegen des darin vor- 
kommenden Vosts bietet, will ich nicht näher eingehen, ich bemerke 
nur, daß ich denselben auf die Frau des Cunzo beziehe, die Fassung 
der Urkunde ist ohnehin mangelhaft. Auch mit diesen Traditionen 
ist noch nicht alles Grundeigentum zu Uznach ans Kloster über- 
gegangen, noch 912 vertauschte Hegere sein Eigengut in der Mark 
Uznach gegen 10 Juchart Land zu „Hohinwart“ und Wald zum 
roden. 


Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz ete. 491 


In der Umgebung von Uznach finden sich nun auch die Weiler 
deren Charakter ich schon schilderte. Da ist „Ruadheres“wilare, 
Rüetiswil. Dort überträgt Ruadheri die Hinterlassenschaft seines 
Vaters und eigenen Erwerb, nro. 297, 826, Unfreie gehören dazu. 
Dieser Ruadheri kann nicht der Gründer von Rüetiswil sein, aber 
wohl ein gleichnamiger Vorfahr; auch gehörte ihm nicht der ganze 
Weiler, nach nro. 582, 874 hatte der Gemahl seiner Tochter, Rating, 
dort noch mindestens 4 Juchart, außer dem Anteil der Frau am 
Gute ihres Vaters. Ruadheri erscheint einmal als Zeuge in Uznach, 
Rating ist der Sohn der dort begüterten Aldegund. 

Ein anderer Weiler ist „Eidwartes“wilare, Ernetswil. Dort 
übertrugen 885, nro. 641, Eidwart und sein Sohn Iltibold ein ge- 
schlossenes Gehöft mit Gebäuden, Land, bebautes und unbebautes, 
Wiesen, Wald u. s. w., natürlich um es gegen Zins zurückzuerhalten. 
Auf die Absicht zu weiteren Rodungen läßt die Wendung schließen 
„vel que postea“ iustis laboribus augmentare potu[er]imus“. Unfreie 
besaßen sie nicht. 

Ein lebendiges Bild ergeben die trockenen Formeln der Ur- 
kunden von den wirtschaftlichen Bestrebungen der Zeit. Noch be- 
deckte Wald einen großen Teil des Bodens. Mühsam mußte der 
fruchtbare Acker dem Sumpf und der Wildnis abgerungen werden; 
aber unermüdlich sind die betriebsamen Landleute thätig, wüst 
liegende Flächen in den Bereich der Kultur zu ziehen. Immer 
wieder ist vom Erwerb die Rede neben dem Erbgut, und wenn auch 
durch Kauf oder Tausch manches Grundstück den Besitzer wechseln 
mochte, die rechte Arbeit, die das Eigentum vermehrt, war die 
Rodung, das Urbarmachen des Oedlands. Dabei herrschte in der 
ganzen Karolingerzeit tiefer Frieden. Kein feindlicher Einfall zertrat 
die Saaten und verheerte die Dörfer. Die Stürme der späteren 
Bürgerkriege haben die Nordostschweiz wenig berührt. Im Heerbann 
des Frankenkaisers trugen die Thur- und Zürichgauer ihre Waffen 
in die Ferne. Gar manches weiß der S. Galler Mönch Notker zu 
berichten von dem starken Eishere, der Avaren und Slaven nieder- 
mähte, wie der Schnitter das Heu, und nach Hause zurückgekehrt 
sich rühmte, ihrer 7, 8, sogar 9 an seiner Lanze aufgespießt umher- 
getragen zu haben. 

Es würde sehr starker Beweise bedürfen, um wahrscheinlich zu 
machen, daß in einer so urkräftigen, schaffensfreudigen Zeit ein 
volkswirtschaftlicher Umschwung eingetreten sei, der die Masse der 
freien Bevölkerung in einen an Hörigkeit grenzenden Zustand er- 
niedrigte. Allerdings sprechen die Kapitularien Karls des Großen 
vom Druck, den die Beamten ausübten, von Mißbräuchen der Amts- 
gewalt, um deren Abstellung sich der Kaiser bemüht. Es frägt 
sich nur, ob solche Verordnungen gleichmäßig auf das ganze, große 
Reich sich beziehen, ob sie auch den rein germanischen (Gebieten 
galten, deren wehrfähige Bevölkerung dergleichen Uebergrifle sich 
doch kaum hätte gefallen lassen, oder speciell für Gallien, das Land 
der Großgrundherrschaften und Sklavenwirtschaft, wo ähnliche Miß- 
stände vorher und nachher allerdings sehr häufig gewesen sind. 


490 G. Caro, 


Für die eigentlichen Dörfer ist als Regel anzunehmen, daß an 
der Ackerflur und der gemeinen Mark eine Anzahl freier Grund- 
eigentümer Anteil haben, größeren oder kleineren, den sie eigen- 
händig oder durch Unfreie bewirtschaften. In den Weilern oder 
Einzelhöfen, die gerade in der Nordostschweiz sehr zahlreich sind, 
finden sich naturgemäß weniger Anteilhaber als in den größeren 
Dörfern. Viele Einzelhöfe dürften durch einen Herrn angelegt sein, 
etwa mit Hilfe von unfreien Arbeitskräften. Bei Erbteilungen zer- 
stückelte sich der Besitz, manche Bestandteile wurden veräußert. 
Durch Anlegung neuer Gehöfte konnte sich der Einzelhof zum Dorf 
auswachsen, worauf dann wohl auch eine Markteilung vorgenommen 
wurde. 

Um ein Beispiel für die Behandlung einzelner Ortschaften zu 
geben, will ich auf Uznach eingehen, das schon in sehr früher Zeit 
erwähnt wird. Dort war Beata begütert, eine sehr fromme Dame, 
die ihren reichen Besitz am oberen Zürichsee und im Tößgebiet der 
Kirche schenkte. Nach nro. 7 von 741 gehörten ihr zu Uznach 8 
homines, Land und Wald. In diesen homines sind accolae zu er- 
blicken, also Freie, die auf dem Grund und Boden saßen, der der 
Beata gehörte. Der Ausdruck acolabis findet sich in der Pertinenz- 
formel der Urkunde nro. 10, die von Beata in Bezug auf Uznach und 
andere Orte ausgestellt ist. S. Gallen wurde später des Besitzes in 
Uznach beraubt, der zum Königshof Zürich geschlagen wurde. 
Kaiser Ludwig der Fromme ordnete die Rückgabe an, nro. 263, 821. 
In der Kaiserurkunde ist die Rede davon, daß Beata oder Pieta und 
ihr Sohn die villa Uznach dem Kloster geschenkt hatten. Danach 
könnte es scheinen, ganz Uznach habe einst der |Beata gehört; 
davon war aber in den Schenkungsurkunden nicht die Rede, und 
auch in einer Aufzeichnung, Anhang nro. 19, über Zeugenverneh- 
mungen, die augenscheinlich der Restitution vorangingen, heißt es 
nur „de Uzinacha, quod Lantolt et Pieta habuerunt“, dagegen „Luzi- 
lunavia tota“. Sonach muß die Ausdrucksweise der Kaiserurkunde 
ungenau sein. Uznach war nicht ein grundherrliches Dorf; neben 
dem Besitz der Beata, später S. Gallens, gab es dort noch freie 
Eigentümer, und von solchen gingen andere Traditionen an S. Gallen 
aus, zwei von Frauen, Diothniwi und Aldegund, 826 und 829, eine 
854 von Wolfger und seinem Sohn Engilgar zu Uznach und „Pua- 
binvilare“. 

Reicher begütert müßte Cunzo gewesen sein, zu dessen Besitz 
in Uznach und am Jonafluß Unfreie gehörten, nro. 350, 834 Auf 
die Schwierigkeiten, welche diese Urkunde wegen des darin vor- 
kommenden Vogts bietet, will ich nicht näher eingehen, ich bemerke 
nur, daß ich denselben auf die Frau des Cunzo beziehe, die Fassung 
der Urkunde ist ohnehin mangelhaft. Auch mit diesen Traditionen 
ist noch nicht alles Grundeigentum zu Uznach ans Kloster über- 
gegangen, noch 912 vertauschte Hegere sein Eigengut in der Mark 
Uznach gegen 10 Juchart Land zu „Hohinwart“ und Wald zum 
roden. 


Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz ete. 491 


In der Umgebung von Uznach finden sich nun auch die Weiler 
deren Charakter ich schon schilderte. Da ist „Ruadheres“wilare, 
Rüetiswil. Dort überträgt Ruadheri die Hinterlassenschaft seines 
Vaters und eigenen Erwerb, nro. 297, 826, Unfreie gehören dazu. 
Dieser Ruadheri kann nicht der Gründer von Rüetiswil sein, aber 
wohl ein gleichnamiger Vorfahr; auch gehörte ihm nicht der ganze 
Weiler, nach nro. 582, 874 hatte der Gremahl seiner Tochter, Rating, 
dort noch mindestens 4 Juchart, außer dem Anteil der Frau am 
Gute ihres Vaters. Ruadheri erscheint einmal als Zeuge in Uznach, 
Rating ist der Sohn der dort begüterten Aldegund. 

Ein anderer Weiler ist „Eidwartes“wilare, Ernetswil. Dort 
übertrugen 885, nro. 641, Eidwart und sein Sohn Iltibold ein ge- 
schlossenes Gehöft mit Gebäuden, Land, bebautes und unbebautes, 
Wiesen, Wald u. s. w., natürlich um es gegen Zins zurückzuerhalten. 
Auf die Absicht zu weiteren Rodungen läßt die Wendung schließen 
„vel que postea“ iustis laboribus augmentare potul[erlimus“. Unfreie 
besaßen sie nicht. 

Ein lebendiges Bild ergeben die trockenen Formeln der Ur- 
kunden von den wirtschaftlichen Bestrebungen der Zeit. Noch be- 
deckte Wald einen großen Teil des Bodens. Mühsam mußte der 
fruchtbare Acker dem Sumpf und der Wildnis abgerungen werden; 
aber unermüdlich sind die betriebsamen Landleute thätig, wüst 
liegende Flächen in den Bereich der Kultur zu ziehen. Immer 
wieder ist vom Erwerb die Rede neben dem Erbgut, und wenn auch 
durch Kauf oder Tausch manches Grundstück den Besitzer wechseln 
mochte, die rechte Arbeit, die das Eigentum vermehrt, war die 
Rodung, das Urbarmachen des Oedlands. Dabei herrschte in der 
ganzen Karolingerzeit tiefer Frieden. Kein feindlicher Einfall zertrat 
die Saaten und verheerte die Dörfer. Die Stürme der späteren 
Bürgerkriege haben die Nordostschweiz wenig berührt. Im Heerbann 
des Frankenkaisers trugen die Thur- und Zürichgauer ihre Waffen 
in die Ferne. Gar manches weiß der S. Galler Mönch Notker zu 
berichten von dem starken Eishere, der Avaren und Slaven nieder- 
mähte, wie der Schnitter das Heu, und nach Hause zurückgekehrt 
sich rühmte, ihrer 7, 8, sogar 9 an seiner Lanze aufgespießt umher- 
getragen zu haben. 

Es würde sehr starker Beweise bedürfen, um wahrscheinlich zu 
machen, daß in einer so urkräftigen, schaffensfreudigen Zeit ein 
volkswirtschaftlicher Umschwung eingetreten sei, der die Masse der 
freien Bevölkerung in einen an Hörigkeit grenzenden Zustand er- 
niedrigte. Allerdings sprechen die Kapitularien Karls des Großen 
vom Druck, den die Beamten ausübten, von Mißbräuchen der Amts- 
gewalt, um deren Abstellung sich der Kaiser bemüht. Es frägt 
sich nur, ob solche Verordnungen gleichmäßig auf das ganze, große 
Reich sich beziehen, ob sie auch den rein germanischen Gebieten 
galten, deren wehrfähige Bevölkerung dergleichen Uebergriffe sich 
doch kaum hätte gefallen lassen, oder speciell für Gallien, das Land 
der Großgrundherrschaften und Sklavenwirtschaft, wo ähnliche Miß- 
stände vorher und nachher allerdings sehr häufig gewesen sind. 


492 G. Caro, 


Was die Veränderungen betrifft, die während der Karolingerzeit 
in der Grundbesitzverteilung und Lage der Bevölkerung vor sich 
gegangen sind, so komme ich zu einem Ergebnis, das die geltenden 
Ansichten wenn nicht umwirft, so doch wesentlich modifiziert und 
beschränkt. Man nimmt an, der kleine Grundbesitz sei von dem 
großen aufgesogen worden, die freien Bauern hätten sich genötigt 
gesehen, ihr Eigentum an Große, vor allem Kirchen, zu übertragen, 
um Schutz zu finden gegen die Uebergriffe der Gewalthaber. Wäre 
dies richtig, so müßten die Urkunden es erkennen lassen. Dort ist 
aber nichts davon gesagt. Nur in einem einzigen Falle übergiebt 
sich der Tradent an das Kloster „in servitium“ (hier vielleicht vom 
Eintritt ins Kloster, also in geistlichem Sinne, zu verstehen), nur in 
zwei Fällen treten die Tradenten in das „mundiburdium“ des Klosters, 
in einem dieser Fälle handelt es sich um Frauen. Sonst ist nur 
vom Seelenheil die Rede, das die Tradenten gewinnen wollen, nicht 
vom weltlichen Schutz des Klosters. Sollen diese Angaben der Ur- 
kunden durchgängig oder auch nur größerenteils erlogen sein ? 

Ferner hat sich das Schutzbedürfnis nach geltender Annahme 
im Laufe des 9. Jahrhunderts gesteigert. Karl der Große hielt noch 
auf Recht und Ordnung, unter seinen Nachfolgern nahm die Ver- 
wirrung überhand. Die logische Schlußfolgerung ist: das Kloster, 
das Schutz erteilen soll, steigerte auch seine Forderungen für die 
Leistung desselben, die ja schwieriger und wertvoller wurde. Die 
Tradenten, die ihr Gut zurückerhalten, müssen immer höheren Zins 
dafür zahlen. In Wirklichkeit ist genau das Gegenteil der Fall, der 
Zins der Precarien zeigt nicht eine steigende Tendenz, sondern eine 
sinkende, er wird zuletzt zur bloßen Rekognition des Obereigentum- 
rechts in minimalem Betrage. Ich hebe aus meinen Zusammen- 
stellungen hervor: 

Nro. 89, von 779. Immo überträgt all seinen Besitz, gelegen zu 
Affeltrangen, derselbe wird an ihn wieder verliehen und soll nach 
seinem Tode an seine Söhne und deren Nachkommen übergehen. 
Der jährliche Zins beträgt 20 sicle Bier, 20 Brode, 1 Ferkel im 
Werte von !/, sol, dazu Frohndienst, ein Juchart pflügen und 
1 Tag mähen. 

Nro. 128, 791. Uebertragung zu Züberwangen unter gleichen 
Bedingungen. Zins 30 siele Bier, 30 Brode, 1 Ferkel; dazu Dienst, 
in jeder Zelge 1 Juchart pflügen, besäen und abernten. 

Nro. 193, 807 in Fägschwil, Zins 1 sol. 

Nro. 323, 329 in Eschenbach, Zins 4 den. 
dann etwa nro. 335, 830 in Gossau, Zins 2 den. Zur Zeit des Abts 
Salomon beträgt der Zins für solche kleinere Traditionen nur noch 
2 oder 1 den., letzteres überwiegt. 

Das Vergleichsmaterial ist ein vorzügliches. Ich habe nur 
einige von den vielen Fällen erwähnt, in denen es sich um allen 
Besitz des Tradenten an einem Ort ohne mancipien handelt und 
das Zinsverhältnis ein dauerndes werden soll, für andere Urkunden- 
gattungen und andere Gaue ist das Ergebnis das gleiche. 


Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz ete. 493 


Die einzig mögliche Erklärung für die so nachgewiesene Er- 
scheinung ist die Abnahme des Schenkungseifers. Es wurde dem 
Kloster schwerer, die Leute zu Uebertragungen zu bewegen, so 
mußte es mit immer geringerem Zins vorlieb nehmen. Ich will nun 
nicht behaupten, daß jede Tradition auf rein ideelle Motive zurück- 
geht. Manchmal mag das Kloster nicht nur durch Drohung mit 
Höllenstrafen, sondern auch durch weltliche Mittel eine Pression aus- 
geübt haben. Die Regel ist das schwerlich, am allerwenigsten in 
den früheren Zeiten, als S. Gallen selbst noch Schutz brauchte 
gegen den Bischof von Konstanz. 

Die vornehmste Stütze sucht die Ansicht von dem Schutz, 
den das Kloster den wirtschaftlich Schwachen verliehen haben 
soll, in den Bestimmungen der Immunitätsurkunden. Kraft der 
Immunität durfte kein Staatsbeamter die Besitzungen der be- 
treffenden Kirche betreten, dort Amtshandlungen vornehmen oder 
die Hintersassen, freie und unfreie, zu Leistungen irgendwelcher 
Art heranziehen. Mit den Traditionen geht das Eigentumsrecht am 
tradierten Grundstück an S. Gallen über. Wenn ein Tradent all 
seinen Grundbesitz ans Kloster übertragen und dann gegen Zins 
zurückempfangen hatte, so gehörte er fortan zu den „ingenui super 
terram (monasterii) commanentes“ im Sinne der Immunitätsurkunden ; 
er wurde der Staatsgewalt gegenüber durch den Klostervogt ver- 
treten. Daran kann kaum ein Zweifel bestehen. Nur darf man 
diese karolingische Immunität nicht allzuweit ausdehnen. Ich habe 
schon gezeigt, daß bei den meisten Traditionen nicht aller Besitz 
des Tradenten ans Kloster übergeht. Behielt aber ein Tradent 
neben dem Zinsgut, das unter die Immunität fällt, noch freies Eigen, 
so konnte er doch nicht schlechthin als „super terram monasterii 
commanens“ bezeichnet werden. Er genießt nicht den Schutz der 
Immunität für all sein Besitztum und seine Person, noch auch wird 
er durch die Tradition zum Hintersassen der Kirche. 

Was ich hier ausführe, ist schon gelegentlich bemerkt worden. 
Nur hat man nicht genügend beachtet, daß damit die Lehre von den 
zersetzenden Wirkungen der Immunität auf das Staatsleben guten- 
teils hinfällig wird. Eben die S. Galler Besitzungen sind weithin 
zerstreut über ausgedehnte Gebiete, geschlossene Immunitätsbezirke 
können nur an ganz wenigen Orten gebildet worden sein, etwa in 
der unmittelbaren Umgebung des Klosters. Sonst befinden sich die 
Besitzungen S. Gallens in Gemenglage mit denen anderer Grund- 
herren oder auch kleinerer freier Eigentümer. Daß das Obereigen- 
tum über ganze Ortschaften dem Kloster zustand, muß noch am 
Anfang des 10. Jahrhunderts selten gewesen sein. 

Ein massenhaftes Flüchten der kleinen Freien in die Immunität 
hat gar nicht stattgefunden. Von einem Versinken der freien Leute 
in Hörigkeit kann ebensowenig die Rede sein. Durch die Tradition 
eines Teils des Eigenguts oder des ganzen wird der Personenstand gar 
nicht berührt. Rechtlich bleibt die Qualität als ingenuus bestehen, 
auch bei Uebernahme einer Zinspflicht. Unterschiede zwischen höheren 


494 G. Caro, 


und niederen Freien, die sich in der Abstufung des Wehrgelds zeigen. 
kannte bereits der Pactus Alamannorum; dabei ist es geblieben. 
Urkundlich nachweisbarer Grund für Verschlechterung des Personen- 
standes sind Mischehen zwischen Freien und Unfreien, bei denen die 
Kinder der ärgeren Hand folgten. Das war nicht ganz selten; da- 
für wurden auch Unfreie freigelassen, allerdings nach den S. Galler 
Urkunden nicht sehr häufig. In der Karolingerzeit hat die alte Schärfe 
der Standesunterschiede wenig abgenommen. Mit der wirtschaftlichen 
Abhängigkeit, die durch die Uebernahme der Zinspflicht begründet 
wird, hat es nicht viel auf sich. Der Zins ist genau fixiert und 
meist sehr geringfügig. 

Der Entwickelungsgang würde sich etwa folgendermaßen auf- 
fassen lassen, und damit gelange ich zum Schluß meiner Erörte- 
rungen. Wesentliches Merkmal der Epoche ist das Aufkommen des 
kirchlichen Großgrundbesitzes, der in Gegenden mit rein germani- 
scher Bevölkerung vorher nicht vorhanden war. Eine neue Wirt- 
schaftsform trat damit nicht ins Leben, wenn auch die Notwendigkeit, 
das ausgedehnte Klostergut für «den Unterhalt der zahlreichen Mönche 
nutzbar zu machen, besondere Organisationen hervorrief. Entstanden 
ist der kirchliche Großgrundbesitz auf Grundlage des weltlichen. 
Dieser blieb bestehen, gleich dem mittleren und kleinen. Es gab 
vor, während und nach der Karolingerzeit freie Leute, denen als 
Grundherren vestierte Hufen gehörten, und auch solche, die ihre Aecker 
mit eigener Hand bestellten. 

Eine Wandlung ging vor sich in den Formen der Besitzrechte 
am Grund und Boden. Das freie Eigen, Allod, wurde vielfach in 
Leihegut, beneficium, Lehen, verwandelt. Durchgreifend war jedoch 
die Umwälzung bei weitem nicht, und sie berührte weder das Standes- 
verhältnis noch den Landwirtschaftsbetrieb. Ob ein Frohnhof Lehen 
oder Allod, ob ein kleineres Besitztum Eigen oder Zinsgut war, die 
Bewirtschaftung erfolgte in der gleichen Weise. Der Vasall, der 
zum Ritter wird, und der freie Zinsmann, aus dem der Bauer her- 
vorgeht, sind gleichen Standes. 

Wahrscheinlich ist allerdings, daß die Gegensätze zwischen groß 
und klein, reich und arm, die schon vorher vorhanden waren, sich 
verschärften. Ich glaube, dazu haben Vorgänge rein sozialer Natur 
viel beigetragen. Es läßt sich nur annehmen, daß die freie Bevölke- 
rung in den friedlichen Zeiten rapid sich vermehrte. Die Zeugen- 
listen der Urkunden werden immer länger. Andererseits scheint die 
Zahl der Unfreien sich vermindert zu haben, wenigstens der 
servi domestiei, die nicht in Ehe lebten. Im 9. Jahrhundert verfügen 
kleinere Tradenten nur noch ausnahmsweise über mancipien, früher 
ist das anders. Schon die lex Alamannorum verbietet, Unfreie außer 
Landes zu verkaufen; Import von solchen dürfte kaum noch statt- 
gefunden haben. Die kleineren Besitzer verloren die unentbehr- 
lichen Arbeitskräfte, während die größeren verheiratete servi casati 
besaßen, deren Zahl durch den Nachwuchs sich eher vermehrt als 
vermindert haben dürfte. So wurden die Reichen reicher, sie konnten 


Die Grundbesitzverteilung in der Nordostschweiz ete. 495 


neue Hufen ansetzen, während der Grundbesitz der Aermeren ohnehin 
durch Erbteilungen sich zerstückelte. Die Lage der geringeren Freien 
wurde derjenigen der angesiedelten Unfreien sehr ähnlich. Eine neue 
Gliederung der Gesellschaft bereitete sich vor, in die arbeitende Klasse 
der Bauern, gleichviel ob frei oder unfrei, und den Adelsstand der 
ritterlichen Grundherren. Es dauerte aber noch sehr lange, bis diese 
neue Gliederung zum vollen Durchbruch kam. 

Noch im 13. Jahrhundert gab es in der Nordostschweiz, wie 
auch anderwärts, eine ganze Anzahl freier Bauern mit echtem Eigen, 
die Zinsleute hatten ihren Ursprung nicht vergessen. Im Gegenzug 
zu der Entwickelung, die sonst fast überall vor sich ging, haben in 
einzelnen Teilen der Schweiz die Landbewohner jene Vermischung 
grundherrlicher und obrigkeitlicher Rechte, auf welche die feudale 
Ordnung von Staat und Gesellschaft sich gründete, abgewehrt oder 
rückgängig gemacht. Wie in den Städten, so ist auch in Schwyz 
und Appenzell an Stelle der alten eine neue Freiheit getreten, als 
im Wandel der Zeiten die alten Rechtsbegriffte und Formen ihren 
Inhalt eingebüßt hatten. Daß dies geschah, hängt aufs engste zu- 
sammen mit den besonderen Umständen, unter denen die spätere 
Entwickelung erfolgte, mit den individuellen Eigenschaften der Männer, 
welche die Schlachten bei Morgarten und Sempach schlugen; aber 
die Eigenart der schweizerischen Verhältnisse wird erst recht erklär- 
lich, wenn man die Besonderheiten in Betracht zieht, die schon vor- 
handen waren in der Epoche, die durch die Urkunden zuerst einiger- 
maßen klar erkenntlich wird. 


496 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Nachdruck verboten. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 


IV. 


Die wirtschaftliche Gesetzgebung der Länder 
der ungarischen Krone im Jahre 1899. 


Von Dr. phil. Felix Wissowa (Leipzig). 


VI. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 9. April, über die 
provisorische Regelung jener Einkünfte der ungarländischen 
Städte und Gemeinden, welche die Natur von Konsumsteuern 
besitzen. (Gesetz-Sammlung S. 10—18.) 


$ 1. An jene Städte und Gemeinden, welche auf Grund des § 69 des Ges.-Art. 
XXXV vom Jahre 1888 an dem Reinerträgnisse des Schankgefälles beseitigt werden, 
ist vom 1. Jänner 1899 an in zwei gleichen Teilen mit Ende der Monate Juni und 
Dezember jeden Jahres vom Staatsärar ein Betrag auszuzahlen, welcher dem ein- 
jährigen Durchschnitte jener Summen entspricht, die der betr. Stadt oder Gemeinde 
als solcher Anteil in den Jahren 1895—97 gebührten. 

$ 2. Die Gemeinden und Städte dürfen vom 1. Juli 1899 angefangen von dem 
Konsum oder von der Einfuhr der den Gegenstand staatlicher Steuern bildender 
Konsumartikel (Wein, Fleisch, Zucker, Bier, Spiritus und Mineralöl) zur Be- 
deckung der Erfordernisse ihres eigenen Haushalts . . . keinerlei Konsumsteuer 
oder Einfuhrgebühr ... einheben, mit einziger Ausnahme der sogen. Pflastermauth 
ün Budapest städtische Mauth), welche von jedem Warenartikel, also auch bei der 
Hereinbeförderung obenerwähnter Artikel eingehoben werden kann, in einem die 
bei der Hereinbeförderung der übrigen Artikel eingehobenen Sätze nicht über- 
steigenden Maße. 

An diesem Tage hört das Einhebungsrecht und die Einzahlungspflicht der vor 
dem 1. Juli 1899 — wenngleich mit regierungsbehördlicher Bewilligung eingehobenen 
Zuschläge, Gebühren ete. konsumsteuerartiger Natur allerart auf, und hören auch 
die bezüglich der Einhebung dieser Steuerzuschläge, Gebühren etc. mit den einzelnen 
Städten und Gemeinden abgeschlossenen Pachtverträge ohne jeden Schadenersatz auf. 


XIV. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 7. Juni, 
über die Bedeckung der mit der entsprechenden Unterstützung 
der Staats-Elementarschulen verbundenen Ausgaben. (Ges.-S. 
S. 170.) 


Für Aufführung erforderlicher Lehrsäle und Lehrerwohnungen wird der Betrag 
von 1 Mill. Gulden bereitgestellt. 


XV. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 7. Juni, über 
die Gerichtsbarkeit in Angelegenheit der Wahlen von Reichs- 
tagsabgeordneten. (Ges.-S. S. 171—249.) 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 497 


XVI. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 17. Juli, 
über die Abänderung des allgemeinen Zolltarifs für das 
österreichisch-ungarische Zollgebiet. (Ges.-S. S. 251—254.) 

1. Die IV. Tarifklasse (Zucker) wird folgendermaßen lauten: 

IV. Zucker. 


No. 17 Rohzucker: pro 100 kg 
a) unter der holländischen Standard No. 19 6 fl. 
b) von der holländischen Standard No. 19 und darüber IL 
No. 18. Raffinierter Zucker 11.4, 
No. 19. Zuckerlösungen, welche Rohzucker oder Invertzucker 
enthalten: 
a) zum menschlichen Genusse geeignete 8, 
b) zum menschlichen Genusse nicht geeignete, Melasse 6 , 


No. 20. Stärkezucker (Traubenzucker, Glykose u. dgl.), Maltose 
und Fruchtzucker (Lävulose) 11, 
2. In Klasse XIII (Getränke) haben die Tarifnummern 75 und 76 zu lauten: 


No. 75. Bier: pro 100 kg 
a) in Fässern 2 fl. 
b) in Flaschen und Krügen Ti 
No. 76. Gebrannte geistige Flüssigkeiten: pro 100 kg 


a) Liqueure, Punschessenzen und andere mit Zucker oder 
anderen Stoffen versetzte gebrannte, geistige Flüssig- 
keiten, Arak, Rum, Franzbranntwein, Cognac 60 fl. 
b) andere gebrannte geistige Flüssigkeiten 44 „ 
3. Klasse XXI (Mineralöle etc.) hat zu lauten: 
XXI. Mineralöle, dann Braunkohlen- und Schieferteer: pro 100 kg 
No. 119, roh, zu Beleuchtungszwecken ohne vorausge- 
angene, mit Destillation verbundene Raffinierung 
Reiiewhen nicht verwendbar 3 fl. 50 kr. netto 
No. 120, roh, zu Beleuchtungszwecken ohne vorausge- 
gegangene mit Destillation verbundene Raffinierung 
verwendbar d An MÉI A 6 
No. 121, raffiniert oder halbraffiniert: 
a) schwere, deren Dichte 880 Grade übersteigt, 
dunkle, auch Rückstände von der Mineralöl- 
destillation oder Reinigung 3 un nn 
b) schwere, deren Dichte 880 Grade übersteigt, 
gelbe und rötlichgelbe, dann Schmieröle, auch 
emengt mit animalischen oder vegetabilischen 
Oclen und Fetten Due pr wë 
c) leichte, von und unter der Dichte von 880 Graden 4 ,, 60 „ 


XVII. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 17. Juli, 
über die Sicherstellung der Bier-, der Mineralöl- und der 
Zuckersteuer für das Konsumgebiet und Modifizierung einiger Be- 
stimmungen des Gesetz-Art. XV: 1894, betr. die Sicherstellung 
der Spiritussteuer für das Konsumgebiet. (Ges.-S. S. 255—269.) 


Art. 1. In dem Verkehre zwischen den Ländern der ungarischen Krone und 
andererseits den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern, sowie 
Bosnien und der Herzegovina wird nach der aus einem der erwähnten drei Kon- 
sumgebiete in eines der anderen zwei Konsumgebiete während je einer Betriebs- 
periode überführten bereits besteuerten Bier-, Mineralöl- und Zuckermenge die ab- 

tattete Steuer zu Gunsten des empfangenden Gebietes vom Aerar desjenigen Ge- 
ietes vergütet, von welchem Gebiete die betr. Artikel gesendet werden. Als je eine 
Betriebsperiode wırd bezüglich des Bieres und des Mineralöls die Zeitdauer vom 
1. September des einen Jahres bis zum letzten Tage des Monates August des 
nächstfolgenden Jahres, bezüglich des Zuckers aber der Zeitraum vom 1. August 
... bis zu dem letzten Tage des Monats Juli... angenommen. Nach Sendungen, 


Dritte Folge Bd. XX (LXXVI). 32 


498 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


welche mehr als 2 1 Bier, 2 kg Mineralöl oder 2 kg Zucker nicht enthalten, findet 
keine Vergütung statt, und werden auch grössere Sendungen nur insoweit in Rech- 
nung gezogen, als der Transport der Sendungen im Einklange mit den Bestimmungen 
der & 3, 4 und 5 im Wege der amtlichen Ueberwachung erfolgt ist, und das Ein- 
langen der Sendung in das Bestimmungs-(Empfangs)gebiet amtlich bestätigt 
worden ist... 

Art. 2. Die Steuer wird vergütet: 

a) von jedem hl Bier in dem Betrage, welcher von je einem hl 12 Saccharo- 
meter grädiger Bierwürze als Biersteuer zu zahlen ist; 

b) von Mineralöl in dem Betrage, welcher von je einem Metercentner Mineral- 
öl als Konsumsteuer zu zahlen ist; 

c) von Zucker in dem Betrage, welcher von je einem Metercentner Zucker als 
Zuckersteuer zu zahlen ist. 

Die Vergütung hat bezüglich eines jeden steuerpflichtigen Artikels abgesondert 
auf Grund der auf je eine Betriebsperiode sich erstreckenden Abrechnung bis zum 
Ende des nach Ablauf der betr. Betriebsperiode folgenden 4. Monats und zwar 
in dem Falle, wenn bis zu dieser Zeit die Abrechnung noch nicht endgiltig abge- 
schlossen werden konnte, unter Vorbehalt der nachträglichen Richtigstellung zu 
erfolgen. 

Die Art. 3—14 enthalten Bestimmungen über die Anmeldung des zu versendenden 
Bieres, Mineralöls oder Zuckers, Strafbestimmungen u. dergl. 

Art 15. Die §§ 4, 7, 10, 11, 12 und 13 des Gesetz-Artikels XV: 1894 über 
die Sicherstellung der Spiritussteuer für das Konsumgebiet werden außer Kraft 

esetzt und finden anstatt derselben auch für die steuerfreien gebrannten geistigen 
lüssigkeiten die in den Artikeln 4, 7, 10, 11, 12 und 13 dieses Gesetzes enthaltenen 
Bestimmungen sinngemäße Anwendung . .. 
Ferner werden $ 2 und 3 ane Gesetzes, wie folgt, modifiziert, als: 


EK) 

Die Steuervergütung ($ 1) von jedem hl Alkohol wird in dem Betrage fest- 
estellt, welcher auf jenem Gebiete, welches die Vergütung zu leisten hat, nach 
er in der Spiritusbetriebsperiode (1. September bis 31. August) besteuerten ge- 

samten Alkoholmenge vorgeschriebenen gesamten Spiritussteuer auf je ein hl 
Alkohol durchschnittlich entfällt. 

3 3 betrifft die Vorschriften über die Anmeldung des in einer 11 übersteigenden 
Menge steuerfrei zu versendenden Alkohols bei den Finanzorganen. 


XVIII. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 17. Juli, 
über die Zuckerbesteuerung und Aufhebung der auf die Zucker- 
verbrauchsabgabe bezüglichen Bestimmungen des Ges.-Art. XVII: 1898. 
(Ges.-S. S. 270—314.) 


§ 1. Zucker jeder Art, welcher aus Rohstoffen oder Rückständen einer 
früheren Zuckererzeugung erzeugt wird, unterliegt nach Maßgabe der folgenden 
Bestimmungen einer Verbrauchsabgabe, und zwar: 

1. Rübenzucker und aller Zucker von gleicher Art (Rohzucker) in jedem 
Zustande der Reinheit mit alleiniger Ausnahme von zum menschlichen Genusse 
nicht geeigneten Syrup für 100 kg netto 38 Kronen. 

2. Zucker anderer Art für 100 kg netto 6 Kronen. 

$ 2. Bei der Ausfuhr von Zucker der in $ 1, Punkt 1 bezeichneten Art 
über die Zolllinie wird eine Ausfuhrbonifikation gewährt, welche 

a) für 100 kg netto ausgeführten Zucker unter 99,3 bis 


mindestens 90 Proz. Polarisation 3 Kron. 20 Heller 
b) für 100 kg netto ausgeführten Zucker von mindestens 
993 Proz. Polarisation 7 eK Bp m 


beträgt. 

Unter den zum Schutze des Staatsschatzes erforderlichen Bedingungen und 
Vorsichten kann die Ausfuhrbonifikation auch für jenen Zucker gewährt werden, 
welcher in zuckerhaltigen Waren, zu deren Herstellung derselbe abgabefrei ver- 
wendet wurde, ausgeführt wird . ... 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 499 


Der Finanzminister ist ferner EEN im Einvernehmen mit dem öster- 
reichischen k. k. Finanzminister die Ausfuhrbonifikationen vorübergehend oder 
dauernd zu ermäßigen oder die Bestimmung über die Gewährung von Ausfuhr- 
bonifikationen vollständig außer Kraft zu setzen, sobald in anderen Rübenzucker 
Ee Ländern, welche gegenwärtig für die Zuckererzeugung oder Zucker- 
ausfuhr eine Prämie gewähren, diese ermäßigt oder beseitigt wird. . . 

& 3. Sollte die Ausfuhrbonifikation für sämtliche, während einer Betriebs- 
periode (1. August bis 31. Juli) aus dem österreichisch-ungarischen Zollgebiete über 
die Zolllinie ausgeführten Zucker den Betrag von 18 Mill. Kronen übersteigen, 
so ist der die 18 Millionen Kronen übersteigende Betrag von sämtlichen Unter- 
nehmern der Zuckererzeugungstätten für Zucker der im $ 1, Punkt 1 bezeichneten 
Art zu ersetzen. 

Um den in einer Betriebsperiode von der Gesamtheit der Unternehmer der 
Zuckererzeugungsstätten 

a) in den andern der ungarischen Krone, 

b) in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern, 

c) in den Ländern Bosnien und Hercegovina 
zu leistenden Bonifikationsrückersatz zu ermitteln, wird in folgender Weise vorge- 
gangen. 

1) Für die aus jeder Zuckererzeugungsstätte innerhalb der betreffenden Be- 
triebsperiode weggebrachten Zuckermengen wird der Betrag ermittelt, welcher nach 
den verschiedenen Ausfuhrbonifikationssätzen auf dieselben bei der Ausfuhr über 
die Zolllinie entfallen wäre. Von diesem Betrage wird jener Betrag in Abzug 
gebracht, welcher nach den Ausfuhrbonifikationssätzen auf die innerhalb derselben 
Betriebsperiode in diese Zuckererzeugungsstätten etwa eingebrachten fremden Zucker- 
erzeugnisse bei der Ausfuhr über die Zolllinie entfallen wäre. 

2) Aus den auf solche Weise für sämtliche Zuckererzeugungsstätten des 
österreichisch-ungarischen Zollgebietes gewonnenen Ergebnissen wird eine Gesamt- 
summe gebildet und dann die Quote berechnet, welche auf jede Krone dieser Ge- 
samtsumme von dem zu leistenden gesanıten Bonifikationsrückersatze entfällt. 

3. Mittels der berechneten Quote wird für die Gesamtheit der Zuckerer- 
zeugungsstätten jedes einzelnen Gebietes der von derselben auf Grund des nach 
Punkt 1 berechneten Ergebnisses zu leistende Ersatz ermittelt. 

Die Regelung der individuellen Aufteilung des von den Unternehmern der 
Zuckererzeugungsstätten zu leistenden Ersatzes wird jeder Staat selbständig im 
Gesetzgebungswege vornehmen. 

Diese individuelle Aufteilung wird in Bezug auf die in den Ländern der un- 
garischen Krone befindlichen Zuckererzeugungsstätten, wie folgt, veranlaßt: 

Unter den Unternehmungen der Zuckererzeugungsstätten erfolgt die indi- 
viduelle Verteilung so wie bisher auf Grund der gemaß Punkt 2 berechneten 
Quote und des bezüglich für jede einzelne Zuckererzeugungsstätte gemäß Punkt 1 
ermittelten Ergebnisses, und wird auf Grund dieser Faktoren die Summe berechnet, 
welche jede Zuckererzeugungsstätte zu vergüten hat . . . Bezüglich der pünktlichen 
Entrichtung dieser Vergütung kann der Finanzminister vor Beginn der Erzeugungs- 
periode eine entsprechende Sicherstellung verlangen. 

§ 63. Die auf die Zuckerkonsumabgabe bezüglichen Bestimmungen des Ges.- 
Art. XVII: 1898 !) werden außer Wirksamkeit gesetzt und erlöschen die auf Grund 
des $ 2 desselben in Bezug auf die von der Zuckerkonsumabgabe befreite Be- 
schaffung und Benützung des Zuckers, sowie auf Grund des $ 10 desselben in Be- 
zug auf die nachträgliche Entrichtung der Zuckerkonsumabgabe erteilten Licenzen 
am 1. August 1899. Bei den die betreffende Licenz besitzenden Parteien ist am 
1. August 1899 vorschriftsmäßige Abrechnung und Vorratsaufnahme zu pflegen, und 
ist die nach dem Ergebnisse dieser Abrechnung und Vorratsaufnahme dieselben 
noch belastende Zuckerkonsumabgabe durch sie bei sonstiger Exekution innerhalb 
dreier Tage zu bezahlen. In Bezug auf die derart zu bezahlende Zuckerkonsum- 
abgabe kann der Finanzminister gegen gehörige Sicherstellung eine entsprechende 
Ratenzahlung bewilligen. , 

Von Zucker, Zuckerln, kandiertem Obst, Chokolade, Chokoladefabrikat und 


1) Vgl. Jahrbücher f. Nationalükon. u. Statistik, 3. F, Bd. 18 (75), S. 801. 
32* 


500 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Liqueur, welcher von solchen Orten, auf welche die Wirksamkeit des Ges.-Art. XVII: 
1898 sich nicht erstreckt, vor dem 1. August 1899 auf das Gebiet der Länder der 
ungarischen Krone gebracht wurde, ferner nach jenen Zuckermengen, welche im 
Gewichte von 50 Metercentner oder in kleineren Mengen ohne Entrichtung der 
Zuckerkonsumabgabe aus irgend einer Zuckererzeugungsstätte, oder aus einem zum 
Halten von Zucker bestimmten Freilager weggeführt worden ist, ist der auf dem 
Gebiete der Länder der ungarischen Krone befindliche Empfänger verpflichtet, die 
Zuckerkonsumabgabe entsprechend den Bestimmungen des Ges.-Art. XVII: 1898 
auch dann zu bezahlen, wenn der Empfang vor oder nach dem 1. August 1899 
erfolgt ist. In zweifelhaften Fällen aber ist der Empfänger nach dem 1. August 
aufzuweisen verpflichtet, daß von den übernommenen Zuckerwaren die Nachtrags- 
steuer oder die erhöhte Konsumabgabe bereits, bevor die Sendung weggeschickt 
wurde, entrichtet worden ist. Die wider die auf die Seet bezüg- 
lichen Bestimmungen des Ges.-Art. XVII: 1898 begangenen und mit rechtskräftigem 
Urteile noch nicht entschiedenen Uebertretungsfälle fallen unter den Bestimmungen 
des Ges.-Art. XVII: 1898. 

Die übrigen Paragraphen enthalten u. a. Bestimmungen über die persön- und sachliche 
Haftungspflicht für die Verbrauchsabgabe, über die Durchführung und Sicherstellung der- 
selben durch pflichtmäj/sige Beschreibung der Erzeugungsstätte und der Einrichtung, 
Sicherung der Erzeugungsstätte, Bestimmungen für die zeitweilige oder günzliche Be- 
triebseinstellung, Bezeichnung der Zuckererzeugnisse mit gewerblichen und der versteuerten 
Zuckererzeugnisse mit amtlichen Marken, das Kontrollrecht der Finanzwache, Buchführung 
und Geschäjtsgang der Zuckererzeugungsslätte, Fälligkeitstermin und Borgung der Ver- 
brauchsabgabe, endlich Strafbestimmungen. 


XIX. Ges.-Art. vom Jahre 1899, sanktioniert am 17. Juli, über die 
Bierbesteuerung. (Ges.-S. S. 315—345.) 


& 1. Die Biersteuer wird von jedem hl und jedem Gradextrakt nach dem 
100teiligen Saccharometer (Hektolitergrade-Extrakt) mit 34 Heller festgesetzt. 

Unter Bierwürze wird (vom Gesichtspunkte der Besteuerung) jene zucker- 
haltige Flüssigkeit verstanden, aus welcher mittels der geistigen Gärung Bier er- 
erzeugt werden kann, der aber ein Gärmittel, das ist Hefe, noch nicht beigemischt 
worden ist. 

Brauereien, welche innerhalb einer Betriebsperiode (1. September bis 31. August) 
nicht mehr als 15000 hl Bierwürze erzeugen, wird für die betreffende Periode ein 
Steuernachlaß gewährt, welcher bei einer Erzeugung von nicht mehr als 2000 hl 
15 Proz., bei einer Erzeugung von nicht mehr als 5000 hl 10 Proz und bei einer 
Erzeugung von nicht mehr als 15000 hl 5 Proz. der entfallenden Verzehrungssteuer 
beträgt. Eine Ueberschreitung dieser Maximalmengen ist nur gegen vorherige 
Rückzahlung des bezogenen Nachlasses, bezw. der Nachlaßdifferenz zulässig. Vor 
der vollständigen Rückzahlung werden Anmeldungen von Biergebräuen nicht an- 
genommen. 

$ 23. Unter den zum Schutze des Staatsschatzes erforderlichen Bedingungen 
und Vorsichten wırd für das über die Zollinie ausgeführte Bier, wenn es genießbar 
und entkohlensäuert mindestens 2'/, Saccharometergrade zeigt, die Verzehrungssteuer 
rückvergütet, und zwar: 

l. An jedermann, der solches Bier exportiert, ohne Berücksichtigung des 
Extraktgehaltes der Stammwürze (das ist der Bierwürze, aus welcher das Bier 
stammt) für jedes hl Bier mit 3 Kronen 40 Heller; 

2. an die Biererzeuger, entweder 

a) nach dem durchschnittlich auf ein hl fallenden Extraktgehalte der in 
den letzten 6 Monaten vor der Ausfuhr erzeugten Bierwürzen, für jedes hl und 
jeden Saccharometergrad des durchschnittlichen Extraktgehaltes mit 34 Heller. 

Die Ermittelung des durchschnittlichen Extraktgehaltes hat in der Weise zu 

eschehen, daß die Gesamtmenge der erzeugten Hektolitergrade Extrakt durch 
die Gesamtmenge der erzeugten Hektoliter Bierwürze dividiert wird, wobei in dem 
Quotienten die Bruchteile, welche weniger als '/,, ° betragen, wegzulassen sind, oder 

b) nach dem vollen versteuerten und durch die amtliche Untersuchung des 
Bieres nachgewiesenen ursprünglichen Extraktgchalte der Stammwürze, für jedes 
hl Bier und jeden Saccharometergrad dieses Extraktgehaltes mit 34 Heller. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 501 


Ergeben sich bei der Ermittelung des ursprünglichen Extraktgehaltes Bruch- 
teile eines Saccharometergrades, so wird die Steuerrückvergütung unter Vernach- 
lässigung der Bruchteile nach der verbleibenden Anzahl ganzer Saccharometer geleistet. 

Für die durch Gärung, Lagerung etc. entstehende Schwendung an der ver- 
steuerten Bierwürze werden 6'/, Proz. der jeweilig entfallenden Steuerrückvergütung 
zurückbezahlt. 

Die übrigen Paragraphen enthalten u. a. Vorschriften über die Sicherstellung der Bier- 
steuer durch Verpflichtung des Unternehmers zur genauen Beschreibung seines Betriebes und 
der in demselben vorhandenen Einrichtungen und durch Befundsaufnahme seitens der 
Finanzdirektion, ferner über die Anmeldung des steuerbaren Verfahrens, Verbot der 
Wegführung oder Aufbewahrung der Bierwürze ausserhalb der Gewerbsräume vor 
überstandener Hauptgärung, Verpflichtung zur Registerführung in Bierbrauereien, 
deren jährliche Erzeugung 20000 hl Bierwürze übersteigt, die amtliche Erhebung der 
erzeugten Bierwürze, Fälligkeitstermin und Stundung der Biersteuer, allgemeine und 
besondere Strafbestimmungen. 


XX. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 17. Juli, über 
die Besteuerung des Branntweines und der mit der Brannt- 
weinerzeugung verbundenen Preßhefe. (Ges.-S. S. 346—433.) 

$ 1. Branntwein, welcher innerhalb der Zolllinie erzeugt wird, unterliegt 
einer Abgabe, die nach Verschiedenheit der Brennereien, in welcher die Erzeugung 
stattfindet, als Produktionsabgabe bei der Erzeugung oder als Konsumabgabe bei 
dem Uebergange des Branntweins aus der amtlichen Kontrolle in den freien Ver- 
kehr zu entrichten ist. 

Die Produktionsabgabe beträgt 70 Heller für jeden hl und Alkoholgrad nach 
dem EES hundertteiligen Alkoholometer (Hektolitergrad Alkohol, Liter 
Alkohol). 

Die Konsumabgabe hat zweierlei Sätze, nämlich: 70 Heller und 90 Heller 
für jeden Hektolitergrad (Liter) Alkohol. 

§ 2. 1. Die Alkoholmenge, welche in den unter die Konsumabgabe fallenden 
Brennereien zu dem niedrigeren Satze dieser Abgabe in der jährlichen Betriebs- 
periode (1. Sept. bis 31. Aug.) erzeugt werden darf, bleibt bis 31. August 1908 mit 
1878000 hl für das gesamte österreichisch -ungarische Zollgebiet festgesetzt. 
Hiervon entfallen auf die Länder der ungarischen Krone 853 000 hl, auf die im 
Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder 1017000 hl, und auf die dem öster- 
reichisch-ungarischen Zollgebiete angehörigen Länder Bosnien und Hercegovina 
8000 


2. Die Regelung der individuellen Verteilung der Alkoholmenge, welche von 
den unter die Konsumabgabe fallenden Brennereien zu dem niedrigeren Satze dieser 
Abgabe in der Betriebsperiode erzeugt werden darf, wird der betr. Staat selbständig 
im Gesetzgebungswege vornehmen. 

$ 3. Wenn mit der Branntweinerzeugung zugleich die Erzeugung der Preß- 
hefe (zum Absatze bestimmte Hefe) verbunden wird, so ist für Jeden erzeugten 
Liter Alkohol eine Abgabe im Betrage von 5 Heller zu entrichten. 

$ 4. Unter den zum Schutze des Staatsschatzes erforderlichen Bedingungen 
und Vorsichten ist von der Konsumabgabe derjenige Branntwein frei, welcher als 
solcher oder in Liqueur und Rum, zu dem er verwendet werde, oder im Weine, 
dem er zur Erhöhung des Alkohols beigemischt wurde, über die Zolllinie ausgeführt 
oder welcher zu gewerblichen Zwecken einschließlich der Essigbereitung, zum 
Kochen, Heızen, Putzen zur Beleuchtung und zu wissenschaftlichen Zwecken ver- 
wendet wird. Bei der Verwendung zur Essigerzeugung kommt die Abgabefreiheit 
nur dem unter den niedrigeren Satz fallenden Branntweine zu. Für den abgabe- 
frei angewiesenen Branntwein, mit Ausschluß desjenigen für wissenschaftliche 
Zwecke, ist eine Kontrollgebühr von 3 Heller per Liter Alkohol nach Maßgabe 
der im Vollzugswege zu erlassenden Bestimmungen von demjenigen zu entrichten, 
auf welchen die abgabefreie Anweisung des Alkohols lautet. 

Branntwein, welcher in einer der Produktionsabgabe unterliegenden Brennerei 
erzeugt und dessen Alkoholmenge auf Grund der Anzeigen eines Kontrollmeß- 
apparates oder unter Anwendung eines Sammelgefüßes ermittelt wird, kann zum 

e der Ausfuhr, bezw. zur abgabefreien Verwendung abgabefrei eingelagert 
werden. 


502 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


§ 5. Jede unter die Konsumabgabe fallende landwirtschaftliche Brennerei 
erhält für jedes hl Alkohol, das aus ihrer Erzeugungsstätte unter Beachtung der 
ee Bestimmungen weggebracht wird, eine Bonifikation aus der Étaatianse, 
und zwar: 

a) Wenn die Einrechnung in diejenige Alkoholmenge stattfindet, welche sie 
zum niedrigeren Satze der Konsumabgabe erzeugen darf ($ 2 Punkt 2): von 
6 Kronen bei einer durchschnittlichen täglichen Erzeugung über 4 bis 7 hl Alkohol, 
von 8 Kronen bei einer durchschnittlichen täglichen Erzeugung bis 2 hl Alkohol. 

b) Wenn aber diese Einrechnung nicht stattfindet: von 2 Kronen bei einer 
durchschnittlichen täglichen Erzeugung über 4 bis 7 hl Alkohol, von 4 Kronen 
bei... 2 bis 4 hl Alkohol und von 6 Kronen bei... bis 2 hl Alkohol. 

2. Als landwirtschaftliche wird eine Brennerei behandelt, bei welcher folgende 
Bestimmungen vereint vorhanden sind: 

a) Sie muß mit einer Landwirtschaft derart verbunden sein, daß sie aus der 
Ernte dieser Landwirtschaft ausschließlich oder doch größtenteils die Stoffe zur 
Branntweinerzeugung erhält, dagegen an dieselbe Landwirtschaft die bei der Brannt- 
weinerzeugung gewonnene Schlempe als Viehfutter oder wenigstens den Dünger 
abgiebt, der von dem mittels dieser Schlempe gefütterten Viehe herrührt. 

b) Ihr Betriebsumfang darf in der monatlichen Anmeldungsperiode eine 
durchschnittliche tägliche Erzeugung von 7 hl Alkohol nicht übersteigen und muß 
zu der Fläche der zu der Landwirtschaft gehörigen Aecker, Wiesen und Weiden 
in einem solchen Verhältnisse stehen, daß auf ein Hektar dieser Grundfläche die 
auf einen Betriebstag der monatlichen Anmeldungsperiode durchschnittlich ent- 
fallende Alkoholerzeugung 3 Liter Alkohol nicht überschreitet. 

ch. Die in einer jährlichen Betriebsperiode erzeugte Gesamtalkoholmenge 
darf 1650 hl Alkohol nicht übersteigen . .. 

Die vorstehenden Bestimmungen finden sinngemäß auch auf jede Brennerei 
Anwendung, welche von einer Genossenschaft betrieben wird, wenn die Mitglieder 
dieser Genossenschaft Eigentümer oder Pächter von Landwirtschaften sind. Hier- 
bei wird die Gesamtfläche der zu den Landwirtschaften aller Mitglieder der Ge- 
nossenschaft gehörigen Aecker, Wiesen und Weiden in Anrechnung gebracht. 

$6. Wird Branntwein, auf welchem die Abgabe haftet, gegen Abschreibung 
derselben in Fässern oder anderen Behältnissen und in Mengen von mindestens 
1 hl über die Zolllinie ausgeführt, so wird für jeden Hektolitergrad Alkohol (Liter 
Alkohol) desselben eine Ausfuhrbonifikation von 10 Heller gewährt. 

Bei der Ausfuhr von Liqueur über die Zolllinie wird, wenn die Versendung 
mindestens 25 Liter in Gebinden oder in Flaschen umfaßt, die Bonifikation mit 
3',, Heller pro Liter geleistet. In einem und demselben Kollo dürfen aber nur 
Flaschen von gleicher Form und Größe sich befinden. 

Der Finanzminister ist ermächtigt, im Einvernehmen mit dem k. k. öster- 
reichischen Finanzminister die Ausfuhrbonifikation vorübergehend oder dauernd 
zu ermäßigen oder die Bestimmung über die Gewährung von Ausfuhrbonifikationen 
vollständig außer Kraft zu setzen, sobald in anderen Ländern, welche gegenwärtig 
für die Branntweinausfuhr cine Prämie gewähren, diese ermäßigt oder beseitigt wird. 

Für Branntwein, auf dem die Abgabe nicht haftet. wenn er in Mengen von 
mindestens 50 Liter über die Zolllinie ausgeführt wird, wird außer der obigen Bonifi- 
kation auch eine Abgaberückvergütung von 35 Heller per Liter Alkohol gewährt . . . 

§7. 1. Die Gesamtsumme der nach dem vorstehenden § 6 entfallenden 
Bonifikation für die während einer Betricbsperiode über die österreichisch-ungarische 
Zolllinie ausgeführten gebrannten geistigen Flüssigkeiten darf den Betrag von 
2 Millionen Kronen nicht überschreiten. 

2. Bei der Ausfuhr gebrannter geistiger Flüssigkeit über die Zolllinie wird 
nur die Hälfte der nach den im $ 6 aufgestellten Sätzen entfallenden Bonifikation 
zur Zahlung angewiesen. 

Wenn die in der betr. Betriebsperiode zur Ausfuhr gelangte Alkoholmenge 
nach diesen Bonifikationssätzen keine Föhore als die obige Maximalsumme (Punkt 1) 
in Anspruch nimmt, so wird die andere Hälfte der Bonifikation mit Schluß der 
Betriebsperiode ausgezahlt. 

Wenn aber die in der betr. Betriebsperiode zur Ausfuhr gelangte Alkohol- 
menge einen größeren Betrag in Anspruch nehmen würde, so wird ermittelt, wie 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 503 


viel von der Maximalsumme der Bonifikation auf jeden hl der exportierten Alkohol- 
menge entfällt. Hierbei wird [der] dem Bonifikationssatze von 3'/, Heller pro 
Liter ale entsprechende Alkoholgehalt mit 35° der hundertteiligen Alkoholo- 
meterskala in Rechnung gezogen. Ist der sich ergebende Betrag größer als die 
Hälfte der Bonifikation, d. i. größer als 5 Heller per Hektolitergrad Alkohol, so 
wird die Differenz zwischen Segen Betrage und der bereits gelcisteten halben 
Bonifikation bis zum vollen Bonifikationssatze mit Schluß der Betriebsperiode an 
die Exporteure nachgezahlt. 

Ist aber der sich ergebende Betrag per Hektolitergrad der exportierten 
Alkoholmenge kleiner als die bereits geleistete Bonifikation von 5 Heller, so hat 
jeder Exporteur die Difterenz zwischen der bereits empfangenen Bonifikation und 
der wirklich entfallenden bei Vermeidung der Exekution binnen 14 Tagen nach 
Erhalt der Verständigung an den Staatsschatz zu ersetzen. 

8 29. Die Alkoholmenge wird je nach Verschiedenheit der Erzeugungsstoffe, 
der Brennvorrichtung und der Größe des Gürraumes ermittelt: 

ù I. Im Wege der Pauschalierung nach der Leistungsfähigkeit der Brennvor- 
richtung. 
IL Auf Grund eines freiwilligen Uebereinkommens mit dem Brennereiunter- 
nehmer (Abfindung) nach der wahrscheinlichen Größe des Erzeugnisses an Alkohol. 

III. AufGrund der Anzeigen eines Kontrollmeßapparates nach dem wirklichen 
Erzeugnisse. 

§ 30. Zu diesem Zwecke ($ 29) werden die Brennereien eingeteilt: 

I. In Brennereien, welche mehlige Stoffe (Kartoffel, Getreidearten, Hülsen- 
früchte und Stärkemehl) verarbeiten. 

II. In Brennereien, welche Cellulose, Topinambur, Rüben oder Melasse, 
welcher auch Abfälle der Zuckerfabrikation: Syrup und andere Flüssigkeiten von 
höherem Zuckergehalte gleichgestellt werden, verarbeiten. 

III. In Brennereien, welche Weinabfälle, Weintrester verarbeiten und zu- 
gleich mit Branntwein weinsauere Salze erzeugen. 

V. In Brennereien, welche andere als die in I. und II. bezeichneten Stoffe, 
wie Obst, Treber, Wein, Weinlager, Beerenfrüchte, Wurzeln, Honigwasser u. s. w. 
verarbeiten und Brennvorrichtungen besitzen, die mit Dampf zu heizen sind oder 
bei welchen die in 24 Stunden zu verarbeitende Maischmenge . . . 16 hl übersteigt. 

V. In andere Brennereien, welche Stoffe der sub IV. bezeichneten Art ver- 
arbeiten. 

$ 31. Unter die Pauschalierung nach der Leistungsfähigkeit der Brenn- 
vorrichtung fallen die im $ 30 unter Punkt V bezeichneten Brennereien. 

$ 32. Die in $ 29 unter Punkt II bezeichnete Abfindung kann eintreten: 

1) Bei Branntweinbrennereien, welche von Bierbrauern betrieben werden, wenn 
diese nur die Abfälle ihrer eigenen Biererzeugung — verdorbenes Bier ausgenommen 
— zur Branntweinerzeugung verwenden. 

2) Bei unter $ 30 Punkt V fallenden anderen Branntweinbrennereien, welche 
höchstens zwei Brennvorrichtungen und zwar solche benützen, welche zur direkten 
Befeuerung eingerichtet sind und andere Bestandteile als einen einzelnen Kessel, 
ein Rührwerk, einen Blasenhelm, eine Kühlflasche, eine Kühlschlange, oder nicht 
mehr als zwei gerade Kühlröhren und ein Verbindungsrohr zwischen Blasenhelm 
und Kühlvorrichtung besitzen und deren Kessel zusammen genommen einen größeren 
Raumgehalt als 4 hl nicht haben und überdies nur durch Abnahme des Blasen- 
helms gefüllt werden können, wenn ein Grundbesitzer der Unternehmer ist und 
selbsterzeugtes Obst oder Weintreber oder Weinhefe aus der eigenen Weinernte 
oder Beerenfrüchte, Wurzeln oder andere wild wachsende Früchte zur Branntwein- 
erzeugung verwendet. 

er Finanzminister wird jedoch ermächtigt mit Rücksicht auf die Eigenart 
ewisser kleinerer landwirtschaftlicher Brennercien bei diesen die Besteuerung im 
ege der Abfindung auch dann eintreten zu lassen, wenn die Brennvorrichtungen 
derselben nebst den im vorhergehenden Alinea aufgeführten Bestandteilen auch 
noch mit einem Lutterkessel und zwei Dephlegmationsvorrichtungen versehen ist 
und der Rauminhalt sämtlicher Blasen 3 hl nicht übersteigt. 

$ 33. Unter die Ermittelung der Alkoholmenge nach dem wirklichen Erzeug- 

nisse auf Grund der Anzeigen eines Kontrollmeßapparates oder mittels Anwendung 


504 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


eines Sammelgefäßes fallen die in $ 30 unter I, II, III und IV bezeichneten 
Brennereien. 

Diese Ermittelungsart kann auch Brennereien, die in $ 30, Punkt V be- 
zeichnet sind, für je eine ganze Betriebsperiode zugestanden werden. 

Aus der gemäß des faktischen Erzeugnisses festgestellten Alkoholmenge werden 
die im § 30 Punkt IV und V erwähnten Branntweinbrennereien eines Nachlasses 
von 15 Proz. teilhaft gemacht. 

Die 28 85—62 enthalten nähere Bestimmungen über das Ermittelungsverfahren 
der Alkoholmenge im Wege der Pauschalierung, sowie auf Grund der Anzeigen eines 
Kontrollme/sapparates nach dem wirklichen Erzeugnisse. Die anderen hier nicht an- 
geführten Paragraphen betr. u. a. die Durchführung der Abgabe, die Sicherstellung 
der Steuer, Beschreibung der Erzeugungsstätte und Werkvorrichtungen, Obliegenheiten 
der Unternehmer in Bezug auf den Gewerbebetrieb, Anlegung des amtlichen Verschlusses 
bei Stillstand des Betriebes, ferner die Wegbringung des Erzeugnisses aus der Er- 
zeugungsstätte, die Rechnungsführung über die Konsumabgabe, die Raffinierung und 
Veredelung von Branntwein, die Fälligkeit und Borgung der Abgabe, endlich allgemeine 
und besondere Strafbestimmungen. 


XXI. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 17. Juli, über 
die Abgabefreiheit des zur Erzeugung von zur Ausfuhr be- 
stimmten zucker- und alkoholhaltigen Fabrikaten ver- 
wendeten Rübenzuckers und Alkohols, ferner über die Ein- 
hebung eines Zollzuschlages im Falle des Importes vom Auslande von 
den zucker- oder alkoholhaltigen Artikeln, zu deren Herstellung Zucker 
oder Alkohol verwendet worden ist. (Ges.-S. S. 434 f.) 


$ 1. Der Finanzminister wird ermächtigt: 

a) gewerbliche Unternehmungen, welche Zucker oder alkoholhaltige Erzeug- 
nisse zum Export erzeugen, den abgabefreien Bezug des zur Erzeugung dieser 
Fabrikate benötigten, im $ 1 Punkt 1 des Zuckersteuergesetzes bezeichneten Zuckers, 
bezw. des benötigten Alkohols unter den zum Schutze des Staatsschatzes erforder- 
lichen Bedingungen und Vorsichtsmaßregeln zu bewilligen. 

b) Im Einverständnis mit dem Handelsminister einen der inländischen Zucker- 
bezw. Branntweinsteuer entsprechenden Zollzuschlag nach in das österreichisch- 
ungarische rn eingeführten solchen Artikeln einheben zu können, welchen 
Zucker oder Alkohol zugesetzt ist, oder zu deren Herstellung Zucker oder Alkohol 
verwendet wird, und für deren Similäre innerhalb des Zollgebietes abgabefreier 
Zucker oder Alkohol beschafft nicht werden kann. 


XXII. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 17. Juli, 
über die Aufteilung jener Alkoholmengen, welche durch die 
der Konsumsteuer unterliegenden Spiritusbrennereien in je einer Pro- 
duktionskampagne zum kleineren Steuersatze produziert werden 
können. (Ges.-S. H 436—448.) 


§ 1. Die nach dem $ 2 des Gesetz-Artikel XX: 1899 über die Branntwein- 
steuer... durch die in den Ländern der ungarischen Krone der Konsumsteuer 
unterliegenden Spiritusbrennereien zum kleineren Steuersatze produzierbare Alkohol- 
menge von jährlichen 853 000 hl wird unter die Spiritusbrennereien in je einer 
Produktionskampagne mit Beobachtung des Grundsatzes verteilt, daß von den 
neu entstehenden Spiritusbrennereien nur die landwirtschaftlichen, sowohl jetzt als 
auch innerhalb der nach den Produktionskampagnen zu geschehenden Aufteilungs- 
frist, an der Aufteilung teilhaben können. 

Diese Aufteilung . . . geschieht in der Weise, daß von der innerhalb einer 
Produktionskampagne bei dem kleineren Steuersatze produzierbaren Alkoholmenge 
von 853000 hl auf die erste Aufteilungsperiode 460 103 hl unter die im Punkt A 
a) des § 3 bezeichneten landwirtschaftlichen Brennereien 338 956 hl, unter die im 
Punkt B des $3 bezeichneten gewerblichen Spiritusbrennereien 67 206 hl aufgeteilt, 
53 941 hl den neu entstehenden landwirtschaftlichen Spiritusbrennereien vorbehalten 
werden. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 505 


Von diesen . .. 53941 hl können in der ersten Aufteilungsperiode 13 941 hl 
in Anspruch genommen werden, während von den übrigen 40000 hl in den 
folgenden 4 Produktionskampagnen je 10000 hl in Anspruch genommen werden 
können. 

Außerdem werden für die neu entstehenden landwirtschaftlichen Brennereien 
in erster Reihe jene zum kleineren Steuersatze produzierbaren Alkoholmengen vor- 
behalten, welche infolge Auflassung einzelner gewerblicher Spiritus- 
brennereien, sowie auch jene Alkoholmengen, welche infolge der Vereinigung 
einzelner gewerblicher oder landwirtschaftlicher Spiritusbrennereien zur Verfügung 
bleiben werden. 

$ 3. Bei der ersten Aufteilung der zum kleineren Steuersatze herstellbaren 
Alkoholmenge werden berücksichtigt: 

A) jene landwirtschaftlichen Brennereien 

a) welche innerhalb der vom 1. September 1897 bis Ende August 1899 reichenden 
2 ENEE in Betrieb waren und diesen nicht endgiltig aufgelassen 

n; 

b) jene, welche während der obigen Zeit nicht in Betrieb waren, bezw. ihren 
Betrieb ganż aufgelassen oder gar nicht bestanden haben, jedoch bis 1. Jänner 
1900 in Betrieb gesetzt werden. 

B) Jene gewerblichen Brennereien, welche innerhalb der vom 1. September 
1897 bis Ende August 1899 in Betrieb waren und ihren Betrieb nicht gänzlich 
aufgegeben haben. 

$ 4. Bei der ersten Aufteilung der Alkoholmenge, welche die landwirtschaft- 
lichen Spiritusbrennereien zum kleineren Steuersatze produzieren können, ist 
folgender Vorgang zu befolgen: 

I. Von denjenigen der in Alinea A a) des $ 3 erwähnten landwirtschaftlichen 
Spiritusbrennereien wird für jene, welche als landwirtschaftliche Spiritusbrennereien 
vor dem 1. September 1898 bereits in Betrieb waren, jene Alkoholmenge festgesetzt, 
welche die betr. landwirtschaftliche Spiritusbrennerei zum kleineren Satze der 
Konsumsteuer innerhalb der vom 1. September 1888 bis Ende August 1898 
währenden Zeit in jener einjährigen Produktionskampagne hergestellt hat, in 
eg die betr. landwirtschaftliche Spiritusbrennerei den größten Geschäftsumfang 
besaß. 

Die der größten Jahresproduktion entsprechende Alkoholmenge bildet jene 
Basis, in deren Verhältnis die betr. Branntweinbrennerei an dem für die landwirt- 
schaftlichen Branntweinbrennereien bestimmten Ausmaße von 460103 hl be- 
teiligt wird. 

II. Für jene in Punkt A a) des $ 3 erwähnten landwirtschaftlichen Spiritus- 
brennereien, welche in der Produktionskampagne 1898/99 als neu entstandene land- 
wirtschaftliche Spiritusbrennereien in Betrieb gesetzt wurden, wird die Basis, im 
Verhältnis zu welcher die betr. Spiritusbrennerei an den für die landwirtschaft- 
lichen Spiritusbrennereien bestimmten 460 103 hl beteiligt wird, nach dem Durch- 
schnitt der Basis jener Partizipation festgesetzt, welche auf die Spiritusbrennereien, 
die in den in die Zeit vom 1. September 1888 bis Ende August 1898 fallenden 
Produktionskampagnen neu entstanden sind, nach dem obigen Alinea 1 entfällt. 
Behufs Feststellung dieses Durchschnittes wird das im Gesetz-Artikel XXV: 1888 
festgesetzte Stäimakontingent der in den in die Zeit vom 1. September 1388 bis 
Ende August 1898 fallenden Produktionskampagnen neu entstandenen landwirt- 
schaftlichen Spiritusbrennereien addiert; dann wird die für dieselben Branntwein- 
brennereien im obigen Punkt festgestellte Partizipationsbasis addiert und berechnet, 
wieviel Prozent der ersterwähnten Summe die letzterwähnte bildet; — jede der 
in der Produktionskampagne 1898/99 neu entstandenen landwirtschaftlichen 
Spiritusbrennereien wird dann im Verhältnis von ebensoviel Prozent ihres im Gesetz- 
Artikel XV: 1888 festgesetzten eigenen Stammkontingents an den für die landwirt- 
schaftlichen Brennereien bestimmten 460 103 hl partizipieren. 

III. Für jede der im Punkt A b) des $ 3 erwähnten landwirtschaftlichen 
Spiritusbrennereien wird die Basis, nach deren Proportion die betr. landwirtschaft- 
liche Spiritusbrennerei an der für die neu zu errichtenden landwirtschaftlichen 
Spiritusbrennereien in den einzelnen Aufteilungsperioden in Anspruch zu nehmen- 
den Quote der laut $ 1 ausgeschiedenen Menge von 53 941 hl beseitigt wird, unter 


506 Nationalükonomische Gesetzgebung. 


Berücksichtigung der Einrichtung der betr. Spiritusbrennerei und der damit zu- 
sammenhängenden landwirtschaftlichen Erfordernisse nach Anhörung von zwei, auf 
Grund einer vom Ackerbauminister erfolgten Designierung herbeizuziehenden Sach- 
verständigen vom Finanzminister festgesetzt. 

Die Partizipation dieser Branntweinbrennerei kann nicht größer sein, als die- 
jenige, welche die in den Punkten I und II dieses Paragraphen erwähnten, gleich 
großen und gleich eingerichteten Spiritusbrennereien im Durchschnitt thatsächlich 
genießen und kann die solcherweise festgestellte Partizipation 960 hl nicht über- 
steigen. Wenn dagegen die (Quote, welche laut $ 1 aus den für diese Branntwein- 
brennereien bestimmten 53941 hl in den einzelnen Aufteilungsperioden in An- 
spruch genommen werden kann, nicht genügt, um ihnen die für sie einzeln 
festgestellte Alkoholmenge auszufolgen, wird bezüglich jeder der Brennereien ein 
verhältnismäßiger Abzug erfolgen .. . 

$ 5. Bei der ersten Aufteilung der für die industriellen Spiritusbrennereien 
auf Grund des $ 1 vorbehaltenen 338 956 hl ist folgender Vorgang zu befolgen: 

Für jede einzelne in Punkt B des $ 3 erwähnte Spiritusbrennerei wird jene 
Alkoholmenge festgestellt, welche die betr. Spiritusbrennerei in jeder der Produk- 
tionskampagnen 1505,96, 1806,97 und 1597/98 zum kleineren Konsumsteuersatze 
erzeugt hat. 

Die solcherweise berechnete gesamte Alkoholmenge bildet, je nachdem die 
betr. Spiritusbrenncrei in einer, in zwei oder in allen 3 Produktionskampagnen in 
Betrieb war, ganz, zur Hälfte oder zum Drittel jene Basis, in deren Verhältnis 
die betr. Spiritusbrennerei an den für industrielle Spiritusbrennereien ausgeschiede- 
nen 338956 hl partizipiert. 

Wenn aber die solcherweise berechnete Partizipationsbasis einer industriellen 
Spiritusbrennerei weniger beträgt als 2000 hl, so ist der betr. Spiritusbrennerei die 
ihrer Partizipationsbasis entsprechende ganze Menge als Kontingent zuzuwenden. 


XXIII. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 17. Juli, 
über den unter Aufhebung der Bierkonsumsteuer einzuführenden Bier- 
steuerzuschlag. (Ges.-Samml. S. 449—462.) 


$ 1. Unter Aufhebung der auf Grund des Ges.-Art. XVII: 1898') derzeit 
eingehobenen Bierkonsumsteuer tritt an die Stelle dieser Steuer der Biersteuerzu- 
schlag, welcher Zuschlag abgesondert von der Biersteuer als besondere staatliche 
Einnahme zu verrechnen ist. 

$ 2. Der Satz des Biersteuerzuschlages ist: 

l) nach jedem Hektoliter und Saccharometergrad des Extraktgehaltes der 
auf dem Gebiete der Länder der ungarischen Krone erzeugten Bierwürze 80 Heller; 

21 nach dem aus den außerhalb des Gebietes der Länder der ungarischen 
Krone befindlichen Orten eingeführten Bier aber nach jedem Hektoliter Bier und 
nach jedem Grade des durch die Partei angemeldeten und auch durch die Unter- 
suchung des Bieres unmittelbaren Extraktgehaltes jener ursprünglichen Bierwürze, 
aus welcher das betr. Bier erzeugt wurde, 80 Heller. 

3) Die Art und Weise der Berechnung des nach dem über die Zolllinie ein- 
geführten Biere entfallenden Biersteuerzuschlages wird im Verordnungswege fest- 
gestellt. 

$ 4 Nach jenem Bier, welches zum Genusse geeignet ist und entkohlensäuert 
mindestens 2!/, Saccharometergrad zeigt, wird der Biorsteueazuachläg in dem Falle 
rückvergütet, wenn derartiges Bier: 

I. aus dem Gebiete der Länder der ungarischen Krone unter Einhaltung der 
Bestimmungen der bestehenden Gesetze mit Vorbehalt der Rückvergütung über die 
Zolllinie ausgeführt, oder 

II. in 2 Liter übersteigender Menge unter Einhaltung der Bestimmungen des 
Ges.-Art. XVII: 1898 auf das Gebiet der im Reichsrate vertretenen Königreiche 
und Länder, oder Bosniens und der Herzegovina überführt wird. 

Der Biersteuerzuschlag wird rück vergütet: 


1) Vgl. Jahrb. f. Nationalök. u. Stat. 8. F. Bd. 18 (78) S. Sit 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 507 


1) Jedem, der solches Bier aus-, bezw. durchführt, nach jedem Liter Bier 
mit 8 Heller, 

2) den Bierbrau-Unternehmungen und zwar, entweder 

a) gemäß dem Extraktgehalte, welcher nach je einem Hektoliter der in den 
der Aus- bezw. Durchfuhr vorhergehenden 6 Monaten erzeugten Bierwürze durch- 
schnittlich entfällt, nach jedem Hektoliter Bier und nach jedem Grade des durch- 
schnittlichen Extraktgehaltes mit 80 Heller. Dieser durchschnittliche Extraktgehalt 
wird in der Weise berechnet, daß die Gesamtmenge der erzeugten Extrakt-Hekto- 
litergrade mit der Gesamtzahl der erzeugten Bierwürze dividiert wird. Die im 
Quotienten sich ergebenden Bruchteile, welche geringer als ° sind, sind außer 
Acht zu lassen, 
oder: 

b) gemäß dem besteuerten und durch die Untersuchung des daraus erzeugten 
Bieres auch festgestellten vollen Extraktgehalte der ursprünglichen Bierwürze: nach 
jedem Hektoliter Bier und nach jedem Grade dieses Extraktgehaltes mit 80 Heller. 

Wenn bei der Feststellung des ursprünglichen Extraktgehaltes sich auch 
Bruchteile des Saccharometergrades ergeben, so sind diese außer Berechnung zu 
lassen und wird der Biersteuerzuschlag nach dem nächsten kleineren ganzen 
Saccharometergrade rückvergütet. 

Die übrigen Paragraphen betreffen die Einhebung des Biersteuerzuschlages, das 
mit dem 1. Jünner 1900 eintretende Erlöschen der durch Ges.-Art. XVII: 1898 be- 
züglich der nachträglichen Zahlung der Bierkonsumsteuer hinausgegebenen Licenzen, 
Strafbestimmungen u. dgl. 


XXIV. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert vom 17. Juli, 
über den nach gebrannten geistigen Flüssigkeiten zu zahlenden Spiritus- 
steuerzuschlag und die Aufhebung der Branntweinverkehrs- 
steuer. (Ges.-Samml. S. 463—479.) 


$ 1. Jede gebrannte geistige Flüssigkeit, nach welcher die im $ 1 des Ges.- 
Art. XVI: 1898 Testgesetzte Zollgebühr, bezw. die im $ 1 des Ges.-Art. XX: 1899 
festgesetzte Spiritussteuer zu entrichten ist, oder welche aus den im Reichsrate 
vertretenen Königreichen und Ländern oder Bosnien und der Herzegovina besteuert 
eingeführt wird, unterliegt einem Spiritussteuerzuschlage, welcher Zuschlag nach 
jedem Hektoliter und nach jedem Alkoholgrade des amtlichen hundertteiligen 
Alkoholmeters (Hektolitergrad Alkohol, Liter Alkohol) mit 30 Hellern festgesetzt wird. 

` Der Spiritussteuerzuschlag ist von der Spiritussteuer abgesondert als besondere 
staatliche Einnahme zu verrechnen. 

Die der Konsumsteuer unterliegenden landwirtschaftlichen Spiritusbrennereien 
werden vom 1. September 1899 angefangen nach jedem Hektoliter Alkohol, welcher 
mit Beobachtung der hierauf bezüglichen Bestimmungen des Gesetzes über die 
Spiritussteuer von ihrer Erzeugungsstätte weggeführt wird, aus der Staatskasse zu 
Lasten der Einnahmen des Spiritussteuerzuschlages einer Prämie von 2 Kronen 
teilbaft, und ist die Anspruchsberechtigung auf diese Prämie gemäß jener Bestim- 
mungen des Gesetzes über die Branntweinsteuer festzustellen, laut welchem die 
Anspruchsberechtigung auf die durch das eben erwähnte Gesetz den landwirtschaft- 
lichen Branntweinbrennereien bewilligte Prämie festgestellt ist. 

$ 2. Unter den vom Finanzminister im Verordnungswege festzustellenden 
Bedingun en wird gestattet, daß jener Alkohol, welcher durch Weingroßhändler 
oder eine Kellermanipulation von größerer Ausdehnung betreibende Weinproduzenten 
ihren Weinen behu? Hebung des Alkoholgehaltes derselben zugesetzt wird, von 
dem Branntweinsteuerzuschlage befreit werde. 

Ebenso wird der Finanzminister ermächtigt, . . . größeren Cognacfabrikanten 
und Obstbranntwein erzeugenden Fabrikanten gestatten zu können, daß sie Alkohol, 
aus welchem Cognac bezw. Obstbranntwein bereitet wird, bedingungsweise steuer- 
frei beziehen und ihre aus diesem Alkohol erzeugten Fabrikate unter Vorbehalt 
der Abschreibung des Spiritussteuerzuschlages über die Zolllinie ins Ausland oder 
unter Einhaltung der Bestimmungen des Ges.-Art. XV: 1594, bezw. des diesen 
Ges.-Art. modifizierenden Ges.-Art. XVII: 1898 unmittelbar auf das Gebiet der 
im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder oder nach Bosnien und der 

erzegovina ausführen können. 


508 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


$ 4. Der Spiritussteuerzuschlag wird durch die königl. ungar. Staatskasse 
rückvergütet: 

1) wenn der bereits besteuerte Spiritus (das ist solcher Spiritus, welchen 
Spiritussteuer und Spiritussteuerzuschlag nicht belastet) 

a) in Fässern oder in anderen geaichten Behältern und in einer Menge von 
50 1 über die Zolllinie ausgeführt wird; 

b) in einer einen Liter übersteigenden Menge unter Beobachtung der Bestim- 
mungen des Ges.-Art. XV: 1894, bezw. XVII: 1898 auf das Gebiet der im Reichs- 
rate vertretenen Königreiche und Länder oder nach Bosnien und der Herzegovina 
überführt wird; 

2) wenn Liqueur, Rum oder Punschessenz in einer einen Liter übersteigenden 
Menge unter Beobachtung der Bestimmungen des Ges.-Art. XV: 1804, bezw. XVII: 
1898 nach dem Gebiete der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder 
oder nach Bosnien und der Herzegovina überführt wird. 

Die Rückvergütung des Spiritussteuerzuschlages und zwar nach jedem Hekto- 
litergrade des in den gebrannten geistigen Flüssigkeiten enthaltenen Alkohols er- 
folgt in den unter 1 erwähnten Fällen mit 15 Heller, in dem unter 2 erwähnten 
Falle mit 30 Heller... 


Die übrigen Paragraphen betreffen u. a. die Einhebung und Fälligkeit des Spiritus- 
steuer zuschlages, das mit dem 1. Jänner 1900 eintretende Erlöschen der durchGes.- 
Art. XVI: 1898 behufs spiritusverkehrssteuerfreier Beschaffung vvn Spiritus, sowie 
behufs nachträglicher Entrichtung der Spiritusverkehrssteuer hinausgegebenen Licenzen, 
Strafbestimmungen u. dgl. 


XXV. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 17. Juli, 
über staatliche Getränkeschankgefälle. (Ges.-Samml. S. 480 
—511.) 


$ 1. Ueber den Ausschank und Kleinverkauf des Weines, Obstweines, Bieres 

und der gebrannten alkoholhaltigen Getränke, ferner über den Großverkauf der 
ebrannten alkoholhaltigen Getränke verfügt ausschließlich der Staat. Unter ge- 
Premten alkoholhaltigen Getränken sind auch die zur Herstellung alkoholhaltiger 
Getränke geeigneten gebrannten alkoholhaltigen Flüssigkeiten zu verstehen. 

Infolge des oben umschriebenen ausschließlichen erfügungsrechtes kann die 
erwähnten alkoholhaltigen Getränke nur derjenige ausschänken und im kleinen nur 
derjenige verkaufen, ferner kann mit dem Großverkaufe von gebrannten geistigen 
Flüssigkeiten nur derjenige sich beschäftigen, welcher hierzu von der Finanzbehörde 
eine Licenz erhält. Der Ausschank ist unbeschränkt oder beschränkt. 

Unter unbeschränktem Ausschank ist die gewerbemäßige Ausfolgung alkohol- 
haltiger Getränke im kleinen an sitzende oder stehende Gäste, zum Verbrauch im 
Geschäftslokale oder außerhalb desselben in offenen oder geschlossenen Gefäßen zu 
verstchen. 

Die beschränkten Arten des Ausschanks sind 

a) der glasweise Ausschank, d. h. die Ausfolgung von Spiritus und daraus 
angefertigtem gewöhnlichen Branntwein, ferner mit Ausnahme des Bieres anderer 
alkoholhaltiger Getränke zum Verbrauch innerhalb des Geschäftslokals in Gläsern 
von höchstens 1 Deciliter ; 

b) der Ausschank über die Gasse, d. h. der Kleinverkauf von Spiritus und 
daraus angefertigtem gewöhnlichen Branntwein und mit Ausnahme des Bieres 
anderer alkoholhaltiger Getränke zum Verbrauch außerhalb des Geschäftslokales 
im kleinen und in offenen Getäßen; 

c) der Ausschank von Flaschenwein und Flaschenbier, d. h. der Verkauf von 
Wein und Bier zum Verkauf im Geschäftslokal in geschlossenen Flaschen. 

Unter Verschleiß im kleinen ist der gewerbemäßige Verschleiß von geistigen 
Flüssigkeiten im kleinen ausschließlich in geschlossenen Gefässen zum Verbrauch 
außerhalb der Geschäftslokale zu verstehen. 

Unter Ausschank und Weinverkauf ist der Verkauf von Wein, Weinmost 
und Obstwein in Quantitäten unter 50, von Bier unter 25, von Spiritus und daraus 
angefertigtem gewöhnlichen Branntwein unter 100 und der Verkauf anderer ge- 
brannter alkoholhaltiger Getränke unter 25 Litern zu verstehen. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 509 


Unter Verkauf gebrannter alkoholhaltiger Getränke im großen ist der ge- 
werbemäßige Verkauf solcher Getränke in größeren Quantitäten als den oben fest- 
gesetzten Maßen zu verstehen. 

$ 2. Jeder Ausschänker und Kleinverkäufer hat nach der Licenz dem Staats- 
ärar eine in fixer Summe festzusetzende jährliche (Schank-)Gebühr zu zahlen. 


Die 52 3—15 behandeln die zur Erlangung der Licenz erforderlichen Vorbe- 
dingungen, die Wirkungen und das Erlöschen der Licenz. 


S 16. Bei der Feststellung der Konzessionsgebühr werden die Geschäfte 
ihrem Umfang entsprechend in Budapest in 7, anderswo aber in 5 Klassen gereiht. 

An Konzessionsgebühren haben alljährlich zu bezahlen: 

I. Alle Jene, welche eine Konzession auf unbeschränkten Ausschank besitzen: 

1) Auf dem Gebiete der Haupt- und Residenzstadt 1400, 1000, 600, 400, 200, 
100 oder 60 Kronen; 

2) in den mit Municipalrecht bekleideten Städten und in Städten mit ge- 
regeltem Magistrat und in solchen Gemeinden, welche Sitz eines Municipiums Ge 
Gerichtshofes sind, in dem Falle, wenn ihre Bevölkerung: 

a) 20000 Seelen übersteigt: 300, 200, 150, 100 oder 50 Kronen; 

b) 10000 bis 20000 Seelen beträgt: 200, 150, 100, 80 oder 40 Kronen; 

c) weniger als 10000 Seelen beträgt: 150, 100, 80, 60 oder 30 Kronen; 
3) in anderen Gemeinden, in dem Falle, wenn ihre Bevölkerung: 

a) 20000 Seelen übersteigt: 150, 100, 80, 60 oder 40 Kronen; 

b) weniger als 20000 Seelen beträgt: 100, 80, 60, 40 oder 20 Kronen. 

II. Jene, welche mit oder ohne Kleinverkauf, auch mit dem glasweisen Aus- 
schank und mit dem Gassenschank von geistigen Getränken sich beschäftigen, 
ferner jene Cafétiers, Zuckerbäcker und Desserthändler, welche mit oder ohne Klein- 
verkauf und mit oder ohne glasweisen Ausschank die Konzession zum Ausschank 
von Flaschenbier und Wein besitzen, */. der unter L festgestellten Sätze. 

III. Alle jene, welche die Konzession zum Kleinverkauf besitzen, sofern sie 
nicht unter die Punkte II, IV oder VI dieses Gesetzesparagraphen fallen, ferner 
alle jene, die mit oder ohne Kleinverkauf, mit oder ohne glasweisen oder Detail- 
verkauf auch mit dem Gassenschank sich beschäftigen, */, der unter I testge- 
stellten Sätze. 

IV. Jene Kaufleute und Greißler, welche außer ihrem regelmäßigen Ge- 
schäfte als Nebengeschäft nur den Kleinverkauf betreiben, die Hälfte der unter I 
festgesetzten Sätze. 

V. Alle jene, die nur zum glasweisen Ausschank geistiger Getränke eine 
Konzession besitzen, ?/, der unter I festgesetzten Sätze, und 

VI. jene Weinproduzenten, welche Konzession zum Kleinverkauf ihrer Eigen- 
bauweine besitzen, in dem Falle, wenn sie den Verkauf ständig oder im größeren 
Teile des Jahres betreiben, !/, der unter I festgesetzten Sätze, in dem Falle 
jedoch, wenn sie den Verkauf nur im kleineren Teile des Jahres betreiben, !/,, dieser 
Sätze... 

§ 18. Nach den Konzessionen für unbeschränkten Ausschank müssen die 
im Sinne des Punkt 1 des $ 16 festzustellenden Gebühren nach je 500 Seelen be- 
tragen: 

1) auf dem Gebiete der Haupt- und Residenzstadt Budapest mindestens 
300 Kronen; 

2) in den mit Municipalrecht bekleideten oder einen geregelten Magistrat be- 
sitzenden Städten und in solchen Gemeinden, welche Sitz des Municipiums oder 
des Gerichtshofes sind, in dem Falle, wenn ihre Bevölkerung 

a) 20000 Seelen übersteigt, mindestens 150 Kronen; 
b) bei 10000 bis 20000 Seelen mindestens 100 Kronen, und 
c) bei weniger als 10000 Seelen mindestens 80 Kronen; 
3) in anderen Gemeinden, in dem Falle, wenn ihre Bevölkerung: 
a) 20000 Seelen übersteigt, mindestens 80 Kronen; 
b) bei 10000 bis 20000 Seelen mindestens 60 Kronen und 
c) bei weniger als 10000 Seelen mindestens 40 Kronen. 

Wenn dieser Minimalbeirag nach der zu Anfang der Bemessungsperioden er- 

folgten rechtskräftigen Klasseneinteilung der Schankgeschäfte nıcht erzielt werden 


510 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


sollte, so sind nach den einzelnen Geschäften die entsprechend dem Punkt I des 
$ 16 bestimmten Sätzen festgestellten Gebühren durch die Finanzdirektion ver- 
hältnismäßig derart zu erhöhen, daß das obige Minimum erreicht werde. In solchen 
Fällen ist auch für die innerhalb der 3-jährigen Bemessungperiode entstandenen 
Geschäfte der entsprechend erhöhte Gebührensatz auszuwerfen. 

Gemeinden, deren Bevölkerung weniger als 500 Seelen beträgt, sind so zu be- 
trachten, als bestände ihre Bevölkerung aus 500 Seelen. 

Wenn die Bevölkerungszahl einer Gemeinde durch 500 ohne Rest nicht teil- 
bar ist, wird der 100 übersteigende Rest für volle 500 genommen; kleinere Reste 
aber kommen nicht in Betracht... 

$ 27. An Orten, wo der Mangel einer die natürliche Preisgestaltung der 
geistigen Getränke regelnden Konkurrenz dies notwendig macht, kann der Finanz- 
minister im Einvernehmen mit dem Minister des Innern, in Kroatien-Slavonien 
mit dem Banus von Kroatien-Slavonien und Dalmatien auf Vorschlag oder nach 
Anhören des Municipal-Verwaltungsausschusses für die Dauer eines Jahres den 
höchsten Preis feststellen, zu welchem die geistigen Getränke oder einzelne Gattungen 
derselben ausgeschänkt oder im Detail verkauft werden können. Bei der Fest- 
stellung des Maximalpreises dienen jedenfalls die Preise der unter ähnlichen wirt- 
schaftlichen Verhältnissen befindlichen benachbarten Gegenden als Richtschnur ... 

Die übrigen Paragraphen betreffen die Erhebung der Konzessionsgebühr, Straf- 
bestimmungen u. dgl. 


XXVI. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 25. Juli, über 
die Abänderung des Gesetz-Artikels XIII vom Jahre 1893, betr. 


den Justizpalast und die Bedeckung der Kosten desselben. (Ges.-S. 
S. 513f) 


Die Gesamtkosten des Budapester Justizpalastes sind auf 4910000 Kronen fest- 
gesetzt, welche nebst den jährlichen Zinsen von 247718 Kronen 23 Heller durch halb- 
jährliche Ratenzahlungen innerhalb 50 Jahren zu tilgen sind. 


XXXII. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 21. Septem- 


ber, betr. die Feststellung der Kronenwährung. (Ges.-S. S. 532 
— 534.) 


$ 1. Außer den im Sinne des $ 11 des Ges.-Art. XVII vom Jahre 1892 zu 
prägenden Münzen werden an Silbermünzen auch Fünf-Kronenstücke ausgeprägt. 

$ 2. Die Fünf-Kronenstücke werden im Mischungsverhältnisse von 900/1000 
Silber und 100/1000 Kupfer ausgeprägt. 

Aus dem Kilogramm Münzsilber werden 41?/, Fünf-Kronenstücke ausge- 
bracht. Es wird demnach das Fünf-Kronenstück das Gewicht von 24 g haben. 

Bei der Ausprägung derselben muß das Normalgewicht und der Normalgehalt 
eingehalten werden. Soweit eine absolute Genauigkeit bei den einzelnen Stücken 
nicht eingehalten werden kann, wird eine Abweichung in Mehr oder Weniger ge- 
stattet, welche im Feingehalte */,,,, und im Gewichte 5/,,,, nicht übersteigen darf. 
§ 5. Die Ausprägung der Fünf-Kronenstücke erfolgt ausschließlich tür Rech- 
nung des Staates. j 

Es sind vorläufig für 19200 000 Kronen Fünf-Kronenstücke auszuprägen. 


XXXVI. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 21. Septem- 
ber, über die Einführung der allgemein-obligatorischen 
Rechnung in der Kronen währung, die Regelung des allgemeinen 
Münzenverkehrs und Anwendung der Kronenwährung auf die Rechts- 
verhältnisse. (Ges.-S. S. 556—563.) 

$2. Vom 1. Jänner 1900 an sind sämtliche Staats-, Municipal- und Ge- 
meinde-Einnahmen und Ausgaben in der Kronenwährung zu führen... 

$ 8. Die Münzen der Kronenwährung sind nach Maßgabe der denselben durch 
das Gesetz eingeräumten Zahlkraft bei allen Zahlungen, welche in der gesetzlichen 
Währung erfolgen, anzunehmen. 

$ 9. An Stelle der Münzen der Kronenwährung sind die Ein-Guldenstücke 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 511 


der österreichischen Währung, insolange dieselben nicht gesetzlich außer Verkehr 
gesetzt werden, bei allen Zahlungen unbeschränkt anzunehmen; hierbei ist das Ein- 
Guldenstück gleich 2 Kronen zu rechnen. 

$ 14. Rechtsgeschäfte, welche vom 1. Jänner 1900 an geschlossen werden, 
sind, wenn keine bestimmte Währung benannt ist, in der Kronenwährung zu ver- 
stehen, sofern nicht die Absicht, sich einer anderen Währung zu bedienen, nach- 
gewiesen wird. 


XXXVII. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 21. Sep- 
tember über die VerlängerungdesPrivilegiumsder Oesterreich- 
isch-Ungarischen Bank. (Ges.-S. S. 564—638) }). 

XXXVIII. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 21. Sep- 
tember, über das abzuschließende neue Uebereinkommen betr. die 
Staatsschuld von ursprünglich 80 Millionen Gulden an die 
Oesterreichisch-Ungarische Bank. (Ges.-S. S. 639—641) 2). 

XLI. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 15. Dezember, 
über die bei Wasserarbeiten, beim Straßen- und Eisenbahn- 
bau verwendeten Tagelöhner und Arbeiter. (Ges.-S. S. 647—662.) 


Die Bestimmungen des Ges.-Art. II: 1898?) finden auf die hier genannten Tage- 
löhner und Arbeiter sinngemässe Anwendung. 


XLII. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 15. Dezember, 
über die landwirtschaftlichen Arbeitsunternehmer und 
Hilfsarbeiter. (Ges.-S. S. 663- 671.) 


$ 1. Auf den Vertrag zwischen dem Besitzer (Pächter) und dem Dresch- 
maschinen-Unternehmer und auf die aus diesem Vertrage entspringenden Schaden- 
ersatzansprüche sind — insofern dieses Gesetz keine entgegenstehenden Bestimmun- 
gen enthält — die allgemeinen privatrechtlichen Normen anzuwenden. 

$ 2. Die Vertragsbedingungen stellen die Parteien in freier Vereinbarung fest. 
Wenn die Parteien bezüglich der Zeit des Beginnes oder der Reihenfolge des 
Drusches keine Vereinbarung getroffen haben, so ist der Unternehmer verpflichtet, 
die Erfüllung des Vertrages in dem durch den Besitzer (Pächter) bezeichneten und 
48 Stunden früher ihm zur Kenntnis gebrachten Zeitpunkte zu beginnen — wenn 
weiter die Parteien im Vertrag hinsichtlich der Anstellung der Arbeiter keine 
Vereinbarung getroffen haben, so ist die Anstellung der zum Drusch notwendigen 
sämtlichen Arbeiter die Pflicht des Unternehmers . . . 

§ 3. Wenn der Besitzer . . . verpflichtet ist, die Maschine des Unternehmers 
auf den Arbeitsplatz zu befördern, er aber aus eigenem Verschulden innerhalb 
48 Stunden von der Meldung des Unternehmers gerechnet für die Beförderung 
nicht sorgt: kann der Dreschmaschinen-Unternehmer bei Aufrechterhaltung seines 
Anspruches auf Schadenersatz vom Vertrage zurücktreten (ebenso bei anderen 
Störungen der Arbeit durch Verschulden des Püchters). 

Wenn die für den Drusch bestimmte Fechsung infolge eines Elementarun- 
falles zur Gänze oder zum Teil wann immer vernichtet wird, so hat der Unter- 
nehmer keinen Schadenersatzanspruch. 

Die Vernichtung eines Teiles der Fechsung giebt, insofern in dem Vertrage 
diesbezüglich eine andere Abmachung nicht enthalten ist, keiner Partei ein Recht 
zur Lösung des Vertrages. 

Die meisten übrigen Paragraphen betreffen die Regelung des Rechtsverhältnisses zwischen 
dem Dreschmaschinen-Unternehmer und den landwirtschafttichen Arbeitern und beruhen 
auf den allgemeinen Grundsätzen des Ges.-Art. II: 1898 über die Regelung der Rechts- 
verhältnisse zwischen den Arbeitgebern und den landwirtschaftlichen Arbeitern. 


1) Vergl. Jahrb. f. Nat. u. Stat., 3. F., Bd. 20 (75), 8. 775f. 
2) Ebenda, 3. F., Bd. 20 (75), S. 776. 
3) Ebenda, 3. F., Bd. 18 (78), 8. 795 f. 


512 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


XLIII. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am 15. Dezember, 
über die Volkszählung im Jahre 1900. (Ges H S. 672—674.) 


Am 31. Dezember 1900 findet unter Aufsicht des ersten Beamten des Municipiums 
und unter Mitwirkung der Gemeinderorstehungen und Zählkommissare eine allgemeine 
Volkszählung, gleichzeitig auch eine Konskription der öffentlichen und Privatgebäude und 
der Wohnungen, sowie eine Inevidenznahme der Ausrüstung und der Produktions- 
verhältnisse der zur Kleinindustrie gehörigen Industriebetriebe statt. Die nötigen Druck- 
sorten stellt der Handelsminister unentgeltlich bei ; für die Entlohnung der Zählkommissare, 
Fahr- und sonstige Kosten haben die Gemeinden zu sorgen. Der staatliche Beitrag zur 
Volkszählung wird auf 740000 Kronen festgesetzt. 

XLIX. Gesetz-Artikel vom Jahre 1899, sanktioniert am28. Dezember, 
über die der heimischen Industrie zu gewährenden staatlichen 
Begünstigungen. (Ges.-S. S. 707—714.) 

$ 1. Staatliche Begünstigungen genießen: 

1. Diejenigen der Entwickelung der Technik entsprechend eingerichteten 
Fabriken, die auf dem Gebiete der Länder der ungarischen Krone solche Industrie- 
artikel erzeugen, die vor dem Inslebentreten des gegenwärtigen Gesetzes fabrik- 
mäßig nicht erzeugt wurden. 

2. Folgende in Hinkunft zu errichtende, der Entwickelung der Technik ent- 
sprechend eingerichtete Fabriken, und zwar: 

a) diejenigen Fabriken, in denen Porzellan, Steingut, feuerfeste Ziegel, Tafel- 
glas, Spiegelglas und Flaschenglas erzeugt wird; sowie jene Industrieetablissements, 
welche sich mit einer den technischen Fortschritten entsprechenden maschinellen 
Einrichtung mit Marmorerzeugung und Marmorbearbeitung befassen ; 

b) Metallblech-Walzwerke (mit Ausnahme der Eisenblech-Walzwerke) und 
solche Fabriken, welche Metallröhren (Gußeisenröhren ausgenommen), Metall- 
drähte, Drahtnägel. Zinkwaren, Nadelwaren, Werkzeuge, Thüren- und Fenster- 
Beschlagartikel, Waffen, Werkzeugmaschinen und Bearbeitungsmaschinen für in- 
dustrielle Materialien erzeugen : ferner Lampenwaren, Metall-Luxusartikel, Schrauben 
und schmiedbare Gußeisenwaren erzeugende Fabriken ; 

c) Instrumenten-, Lehrmittel-, Uhren-, Kinderspielwaren-, Klavier- und Har- 
moniumfabriken; 

d) Papier-, Papiermaterial-, Cellulose- und Tapetenfabriken ; 

e) chemische Fabrikate erzeugende Fabrıken (mit Ausnahme von Bierbrauereien, 
Rübenzuckerfabriken und industriellen Spiritusbrennereien), Kautschukwaren- und 
Kerzenfabriken ; 

f) Seidenerzeugungs-Fabriken, Seidenwalkereien, Seidenspinnereien, Seiden- 
webereien und Seidenfärbereien ; Schafwollwäschereien, Schafwollspinnereien und 
Webereien, Wollspinnereien- und Wollweberei-Fabriken, Flachsappretur-Anlagen, 
Flachsspinnereien und -Webereien; Hanfappretur-Anlagen, Hanfgarn- und Hanf- 
webereifabriken, Garn- und Stoffbleichereien und Färbereien; Stoff-Appretur- 
anlagen (mit Ausnahme des Farbdruckes), Strick- und Wirkwaren, Spitzenwaren, 
Stickerei-, Filz-, Posamentier- und Schnürwarenfabriken ; 

g) diejenigen Montanunternehmungen, die Metalle mit Anwendung von Aus- 
laugen, Amalgamation und Elektricität erzeugen, ferner Briquettefabriken, inso- 
fern dieselben vaterländisches Material aufarbeiten ; 

h) Kunstdünger, Malz, Dextrin, Kartoffelsyrup, Pflanzenöl-, Cichorienbrennerei, 
Surrogat-Kaffee- und Konservenfabriken, zu Industriezwecken Milch verarbeitende 
Etablissements, Reisschälmühlen, insofern dieselben vaterländischen Reis auf- 
arbeiten; ausschließlich Ausfuhr-Betriebszweige von gesalzenes, getrocknetes, ge- 
räuchertes Fleisch, Würste und Wurstsachen erzeugenden Industrieanlagen. 

i) Cognacfabriken, welche Cognac aus Wein oder Weintreber im Wege der 
Destillation herstellen, insofern dieselben sich den im Verordnungswege festzu- 
stellenden Kontrollvorschriften unterwerfen ; 

j) Mineralölfabriken und Mineralöl, ferner Kalisalze schürfende oder erzeugende 
Unternehmungen; 

k) jene Betriebe der Elektricität erzeugenden Industrieanlagen, welche zu 
gewerblichen Zwecken Triebkräfte liefern. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. ; 513 


3) Genossenschaften von Gewerbetreibenden odér Landwirten, insofern sie im 
$ 2 Abs. 2 Punkt a—k dieses Gesetzes angeführte Artikel erzeugen. 

4) Alle Unternehmungen, welche auf die systematische Beschäftigung einer 
größeren Anzahl von Hausindustriellen gegründet sind. 

5) Die in $ 13 des Ges.-Art. XXII vom Jahre 1893 erwähnten Seeschiffbau- 
anlagen, Seeschiffswerften und Rutschen, sowie die den technischen Anforderungen 
entsprechend eingerichteten Schiffausbesserungswerkstätten, Schwimmdocks und 
Trockendocks. 

$ 2. Den in $ 1 erwähnten Fabriken, bezw. Industrieanlagen werden außer 
der in § 2 des Ges.-Art. LI: 1870 schon gewährten Haussteuerfreiheit noch folgende 
staatliche Begünstigungen eingeräumt: 

a) Sie werden befreit von der Erwerbssteuer, bezw. von der Bergwerkssteuer 
und der Steuer der zur öffentlichen Rechnungslegung verpflichteten Unter- 
nehmungen, ferner von den nach diesen Steuern zu entrichtenden Kommunalsteuer- 
zuschlägen, von den Handels- und Gewerbekammergebühren und endlich vom 
allgemeinen Einkommensteuerzuschlag ; 

b) sie werden befreit von den für die Erwerbung und Umschreibung von 
Fabrikanlagen und Gebäuden, sowie deren Zugehör bildenden Fabrikmaschinen 
zu entrichtenden Gebühren und Kommunaltaxen, und wenn solche Unternehmungen 
in der Form von Aktiengesellschaften zustande kommen , bezw. wenn sie sich 
während der Dauer der Begünstigungen zu Aktiengesellschaften umgestalten, außer- 
dem von dem Gebührenäquivalent, ferner von den Stempeln und Gebühren, welche 
bei der Konstituierung der Aktiengesellschaften eventuell bei der Erhöhung des 
Aktienkapitals, ferner nach den Verträgen, welche in Angelegenheit der Emission 
von Aktien oder Prioritätsobligationen sowohl bei der Konstituierung, als auch 
behufs Kapitalerhöhung während der Zeit der Thätigkeit abgeschlossen werden 
und endlich nach den in Verbindung mit diesen Verträgen und nach den Aktien- 
und Prioritätsobligationen ausgestellten sonstigen Urkunden zu entrichten sind; 

c) das von den erwähnten Unternehmungen zu Fabrikzwecken este un- 
gereinigte Salz kann vom Finanzminister auch in einem geringeren als dem in 
$ 13 des Ges.-Art. L: 1875 festgestellten Preis überlassen werden. Der Finanz- 
minister kann ferner die Summe der von der betreffenden Unternehmung bei Aus- 
lieferung des Salzes zu deponierenden Kaution in einem geringeren als dem im 
angeführten Paragraphen angegebenen Maße feststellen ; 

d) die Wirksamkeit des $ 159 des Ges.-Art. I: 1890 erstreckt sich auch auf 
die, auf Grund dieses Gesetzes begünstigten Industrieunternehmungen. 

$ 3. Die Begünstigungen können auf die Dauer von höchstens 15 Jahren 
vom Tage ihrer Geltung gerechnet bewilligt werden. 

Neu entstandene Fabriken haben um die Bewilligung der Begünstigungen 
spätestens innerhalb 3 Jahre nach ihrer Inbetriebsetzung anzusuchen, widrigenfalls 
eine Bewilligung der Begünstigungen zu ihren Gunsten nicht erfolgen kann. 


Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 33 


514 Miszellen. 


Nachdruck verboten. 


Miszellen. 


VII. 


Die Bedeutung des Erfordernisses der dritten Unterschrift 
für bankfähige Wechsel in Frankreich. 


Von Dr. R. Rosendorff, Gerichtsreferendar. 


. Von den Gegnern der deutschen Reichsbank ist in Wort und Schrift 
häufig darauf hingewiesen worden, in welch hohem Maße die niedrige 
französische Bankrate dazu geeignet sei, die Bank von Frankreich dem 
kleinen Kaufmann zugänglicher zu machen, als dies der durchschnittlich 
höhere Diskont der Reichsbank gestatte 1). 

Zum Beweise hierfür berufen sie sich darauf, daß die Zahl der 
Wechsel unter 100 fres. sich bei der Bank von Frankreich beständig 
vermehrt habe. Sie betrug nämlich 

1880 1023 919 

1599 2101830 Stück, 
hat sich also im Laufe von 20 Jahren verdoppelt, während die Reichs- 
bank im Jahre 1899 nur 440 871 von Wechseln im Betrage von 100 M. 
und weniger in ihrem Portefeuille hatte. Wenn zwar diese Ziffern in 
der That auf den ersten Blick als dazu geeignet erscheinen, die er- 
wähnte Ansicht zu unterstützen, so ist es doch im Gegensatz hierzu 
außerordentlich auffallend, daß sich der kleine Kaufmann und In- 
dustrielle in Frankreich gerade darüber beschwert, daß ihm der direkte 
Zugang zur Bank so gut wie verschlossen sei und der Vorteil, den er 
anderenfalls von ihrem niedrigen Diskont hätte, ihm nicht zu statten 
komme. 

Diesen Klagen haben die französischen Abgeordneten bei Gelegen- 
heit der Beratung des Gesetzes vom 17. November 1897, „Portant 
prorogation du privilège de la Banque de France“, den lebhaftesten 
Ausdruck gegeben. So sagte der Abgeordnete Pelletan in der Sitzung 
der chambre des députés vom 25. Mai 1897 2): 


1) Cf. die Reichstagsverhandlungen bei der Beratung der Novelle zum deutschen 
Bankgesetz vom 7. Juni 1899 und die Broschüre: „Warum zahlt der Deutsche 5 Proz., 
der Franzose 2 Proz. Bankdiskont? Berlin 1897. 

2) Stenogr. Ber., S. 1365. 


Miszellen, 515 


„Vous êtes arrivé à tromper une partie du grand public, et un 
certain nombre des commerçants m'ont écrit, pour me demander, comment 
il se fait qu'alors, que le taux officiel est 2 °/,, ils paient 5—7 0}, 
et plus. Oui, le petit commerce se permet de se plaindre“, 

Diese Ausführungen zeigen wohl jedenfalls, daß die Zahl der kleinen 
Wechsel bei der Bank von Frankreich nicht deshalb größer ist wie bei 
der Reichsbank, weil der niedrigere französische Diskont dem kleinen 
Kaufmann den Zutritt zur Bank erleichtert. Die verhältnismäßig größere 
Zahl der kleinen Wechsel in Frankreich erklärt sich vielmehr dadurch, 
daß man sich dort, auch im kleinen Verkehr, in wesentlich höherem 
Maße des Wechsels bedient, als dies in Deutschland üblich ist. 

„In Frankreich werden“, so führte Königs, der frühere Direktor 
des Schaafhausen’schen Bankvereins in der Währungskommission von 
1894 aus!), „alle kommerziellen Transaktionen in 30-tägigen Tras- 
sierungen erledigt. Der Grossist trassiert auf den Detaillisten 30 Tage 
dato, jeder Fabrikant auf den Grossisten 30 Tage dato. Und all dies 
Papier geht an die Bank. Eine derartige Verbreitung hat der Wechsel 
bei uns nicht“. 

Die citierten Ausführungen des Abgeordneten Pelletan zeigen ferner 
aber auch, daß man den Wert der Vorteile, welchen Handel und In- 
dustrie beider Länder von ihren Banken haben, nicht einfach durch 
Vergleich der offiziellen Diskontsätze feststellen kann, daß man viel- 
mehr zu dem Diskont der Bank von Frankreich noch eine gewisse 
Summe hinzurechnen muß, die der ursprüngliche Wechselverpflichtete 
dort noch an den Bankier zahlen mul, durch dessen Vermittelung seine 
Wechsel überhaupt erst bankfähig werden ?). 

Während nämlich die Reichsbank nach $ 13 des Reichsgesetzes 
vom 14. März 1875 befugt ist, jeden Wechsel zu diskontieren, aus 
welchem auch nur zwei als zahlungsfähig bekannte Verpflichtete haften, 
hält die Bank von Frankreich streng daran fest, daß jeder ihr zum 
Diskont präsentierte Wechsel mit mindestens drei Unterschriften von 
notorisch als zahlungsfähig bekannten Personen versehen ist 8). Wechsel 
mit zwei Unterschriften diskontiert sie nur dann, wenn der présenteur 
ihr französische Wertpapiere bestimmter Art als Unterlage giebt), 

Trotz der zahllosen Angriffe, denen sich die Bank von Frankreich 
deshalb ausgesetzt hat, hat sich die Verwaltung jedoch nicht einmal 
dazu entschließen können, das Erfordernis der dritten Unterschrift statt 
wie jetzt obligatorisch auch nur fakultativ zu machen. Der Grund, 
welcher sie dazu veranlaßt. ist in erster Linie die Rücksicht auf ihre 
eigene Sicherheit, denn die Thatsache, daß sich auf den ihr zum Diskont 
vorgelegten Wechseln noch die Unterschrift eines Bankiers befindet, 
vermindert ihr eigenes Risiko. Sie enthebt die Centralbank auch der 
Notwendigkeit, das ihr eingereichte Papier einer sorgfältigen Prüfung 


1) Verhandlungen der Kommission behufs Erörterungen von Maßregeln zur Hebung 
und Befestigung des Silberwertes, S. 254. y 
2) Vergl. die Rede des Abg. v. Siemens im Reichstage, v. 8 Februar 1899, 


3) Deeret du 16. janvier 1808, Art. 11. 
4) Ebenda, Art. 12 u. Loi du 30. juin 1540, Art. 3. 


516 Miszellen. 


zu unterziehen, da der Bankier seine Unterschrift nur dem geben wird, 
den er für zahlungsfähig hält!). Diese Vorschrift setzt sie schließlich 
auch in den Stand, an einem niedrigeren Diskontsatz festzuhalten, als 
wenn sie auch Wechsel mit nur 2 Unterschriftan nehmen müßte. Denn 
bei der infolge der Haftung von nur 2 Personen größeren Unsicherheit des 
Wechsels müßte die Bank sich für dadurch etwa nicht gedeckte Aus- 
fälle durch eine Risikoprämie, d. h. einen höheren Diskont schadlos zu 
halten suchen ?). 

Dies mag auch bis zu einem gewissen Grade seine Richtigkeit 
haben. Wenn aber der französische Finanzminister Cochéry#) nach- 
zuweisen versucht hat, daß durch diese Risikoprämie gerade dem 
kleinen Kaufmann der Diskont verteuert werden würde, da er sie tragen 
müßte, so irrt er. 

Das obligatorische Erfordernis der dritten Unterschrift bewirkt 
vielmehr, daß dem kleinen Kaufmann und Industriellen der direkte 
Zutritt zur Bank vollständig verschlossen ist, und er ihr nur durch 
Vermittelung eines Bankiers seine Wechsel zum Diskont einreichen 
kann 4). 

Während nun zwar die großen französischen Privatbanken den 
größeren Kaufleuten, an deren regelmäßiger Kundschaft ihnen gelegen 
ist, bereitwilligst ihre Wechsel zu einem Satze diskontieren, der nicht 
viel höher, ja manchmal sogar niedriger ist als der Bankdiskont 5), um 
sie so auch für ihre anderen Transaktionen zu gewinnen, diskontieren 
sie die Wechsel der kleinen Kaufleute nicht selbst, sondern geben 
ihnen nur ihre Unterschrift zu einer Provision, die weit höher ist, als 
der Satz der Centralbank jemals sein würde, auch wenn dieselbe sich 
für einen Wechsel mit 2 Unterschriften noch eine Risikoprämie ver- 
, güten lassen würde. 

So kommt es, daß gerade der kleine und mittlere Kaufmann in 
Frankreich für seine Wechsel 4—6 Proz., und nach anderer Berechnung 
sogar 5—7 Proz. bezahlen muß 6). 

Während also das Erfordernis der dritten Unterschrift auf der 
einen Seite eine Verteuerung des Diskonts für den kleinen Kaufmann 
bedeutet, hat es auf der anderen Seite ganz außerordentlich dazu bei- 


1) Cf. Rapports faits au nom de la comınission chargée d’examiner le projet de 
loi portant prorogation du privilège de la Banque de France par Burdeau, Lebon, 
Dubost, Paris 1892 u. 1897, S. 59. 

2) Jourdan in der Chambre des députés am 25. Mai 1897. 

3) Chambre des députés vom 17. Juni 1897. 

4) „Que signifie done cette danse des trois signatures, sinon que la Banque de 
France ne veut pas être la banque du commerce et veut être la banque des banquiers? 
Si vous exigez l'inscription d’une troisième personne, vous imposez un intermédiaire 
au contrat, et quel peut être cet intermédiaire sinon banquier?“ Pelletan, ebenda. — 
Lotz, Handwbch. der Staatsw. Bd. III, S. 180. Berliner Korresp. vom 11. Januar 1897. 

5) Thèry, Économiste Européen, Dezember 1897. 

6) „Je vous demande surtout, pourquoi vous ne vous êtes pas attachés du moins, 
si vous ne voulez pas supprimer la troisième signature, A la rendre facultative comme 
en Belgique, en Allemagne et à faire que le petit commerce, la petite agriculture, la 
moyenne industrie n’achdtent pas A 4—6 °/, le crédit que la banque leur fait“? Cf. 
Viviani u. Pelletan in der Chambre des dep. von 1897, S. 1291 u. 1365. 


Miszellen. 517 


getragen, die Bank von Frankreich aus dem Wechselverkehr zurück- 
zudrängen und die Aktionssphäre der großen Privatbanken zu er- 
weitern, welche unter ihrer Wirkung als die ersten Diskonteure auf- 
treten und die Wechsel erst kurz vor Verfall an die Bank von Frank- 
reich abgeben. 

Diese Behauptung wird durch einen Vergleich des Wechsel- 
portefeuilles der 4 größten französischen Kreditinstitute!) mit dem der 
Bank von Frankreich bestätigt. 

Dasselbe betrug?) am 31. Dezember bei 


den 4 Banken Banque de France Proz. 

in Millionen fres. 
1880 316 926 74,5 
1855 429 616 58,9 
1890 821 868 51,3 
1895 935 625 40,9 
1898 1199 901 42,9 


Wie sehr diese Verhältnisse von den deutschen abweichen, ergiebt 
sich durch einen Vergleich des Wechselportefeuilles der 6 größten 
deutschen Banken 8) mit dem der Reichsbank. Dieselben besaßen am 
31. Dezember der nachfolgenden Jahre 

in Millionen Mark 


18804) oi 1898 502 
1885 223 1899 544°) 
1890 283 


Dagegen betrugen die Wechselbestände der Reichsbank ®) allein am 
Schlusse des Jahres 
in Millionen Mark’) 

1880 434,4 1898 837,5 

1885 434,5 18599 1051,5 

1890 690,9 

Während also in Deutschland das Wechselportefeuille der Reichs- 

bank allein bedeutend größer ist als das der 6 größten deutschen Banken 
zusammengenommen und gleichzeitig parallel mit dem der Banken be- 
ständig wächst, ist der Wechselbestand der Bank von Frankreich, der 
1881, dem Jahre, als die französischen Kreditbanken sich zu entwickeln 
begannen, dreimal so groß war als die Wechselbestände jener, im Laufe 
der Jahre 1880— 1894 bei beständiger Vermehrung des Diskontgeschäftes 
derselben, fortwährend geringer geworden. Seit dem Jahre 1894 zeigt 
sich zwar wieder ein langsames Wachstum ihres Portefeuilles, welches 
aber nur dem Umstande zuzuschreiben ist, daß die französischen Privat- 


1) Crédit Lyonnais, Comptoir d’Eseompte, Société générale, Crédit industriel et 
commercial. 

2) Loubet, La Banque de France et l’escompte, S. 82. 

3) Deutsche Bank, Dresdner Bank, Diskontogesellschaft, Berliner Handelsgesell- 
schaft, Nationalbank, Darmstädter Bank. 

4) Exkl. Nationalbank, die damals noch nicht existierte, 

5) Model-Löb, Die großen Berliner Effektenbanken, S. 170—177; Landmann, 
System d. Diskontpolitik, S. 24. 

6) Exkl. Devisen. 

7) Nach den Verwaltungsberichten. 


518 Miszellen. 


banken seit dieser Zeit weniger Mittel zum Diskontieren von Wechseln 
zur Verfügung hatten, da sie ihre disponiblen Gelder nach Deutschland 
zu senden begannen, um an den dortigen, infolge des industriellen Auf- 
schwunges gestiegenen Geldsätzen auch ihrerseits zu profitieren !). 

Die Thatsache, daß die Bank von Frankreich mehr und mehr den 
Charakter einer Kreditbank verloren und den einer Rediskontbank ange- 
nommen?) hat, zeigt sich auch an der durchschnittlichen Verfallzeit 
ihrer Wechsel, die bei ihr nur 271/, Tage beträgt, im Gegensatz zur 
Reichsbank, deren Wechsel durchschnittlich noch 45 Tage zu laufen 
haben. 

Berücksichtigt man schließlich die zur Verminderung des gesamten 
Wechselbestandes in auffälligem Gegensatz stehende Vermehrung der 
kleinen Wechsel bei der Bank von Frankreich, so kommt man zu 
dem auch von französischen Schriftstellern 3) bereits ausgesprochenen 
Resultate, daß sie zwar die Bank des kleinen Kaufmannes ist, im 
übrigen aber unter dem Einflusse des französischen Bankgesetzes mehr 
und mehr die Bank der Banken geworden ist und die Befriedigung 
der eigentlichen Kreditansprüche den Privatbanken überlassen mul. 

Die weitere Folge hiervon ist notwendigerweise die, daß ihr Ein- 
fluß stark im Abnehmen begriffen, und sie häufig nicht dazu imstande 
ist, eine Diskonterhöhung auf dem Markte durchzusetzen ®). 

Wenn die Bank von Frankreich übrigens durch die dritte Unter- 
schrift ihr Risiko vermindern will, so ist trotzdem die Zahl ihrer not- 
leidenden Wechsel bei weitem größer als bei der Reichsbank, bei welcher 
die Summe der ins Stocken geratenen Wechsel 1899 nur 107533 M. 
betrug, während dort 7835392 frcs. nicht bezahlt waren. 

Da auch die Rente der Bank von Frankreich wegen ihres ver- 
minderten Anteiles am Diskontgeschäft außerordentlich gelitten hat), 
so kann man es nur für wünschenswert halten, daß sie sich, insbesondere 
im Interesse des kleinen Handels, dazu entschließt, die dritte Unterschrift 
nur fakultativ zu fordern. 


1) So erklärt es sich auch, daß zu der Zeit, als der deutsche Bankdiskont 7 Proz. 
betrug, die Wechselanlage bei der Bank von Frankreich bis auf 1200 Mill. fres. stieg, 
um dann allerdings parallel mit der Verminderung der Spannung zwischen der deutschen 
und französischen Zinsrate schnell wieder zu sinken. Am 28. Februar dieses Jahres 
betrug ihr Wechselportefeuille nur noch 815 Mill. fres. 

2) Loubet, S. 74, 77, 88. 

3) Hourtois, Histoire des Banques en France S. 277; Loubet S. 77. 

4) Cf. Kalkmann, Die Entwertung der österreichischen Valuta im Jahre 1893 
S. 22, Heiligenstadt, in Conrad’s Jahrb., 1893, S. 215. — Eine ausführliche Erörterung 
dieser Erscheinung siehe bei Rosendorff, „die Goldprämienpolitik der Bank von Frank 
reich“, Abschnitt VI im nächsten Heft dieser Zeitschrift. 

5) Reichsbankpräsident Koch im Herrenhaus am 16. Dezember 1897. 


Miszellen. 519 


Nachdruck verboten. 


VIII. 


Arbeitslosigkeit und Arbeitslosenversicherung 
in der Schweiz. 
Von Nationalrat Dr. E. Hofmann-Frauenfeld (Thurgau). 


Das Problem der Arbeitslosenversicherung ist in diesem Winter bei 
uns in ein neues Stadium getreten, nachdem es im Laufe des letzten 
Jahrzehnts des vergangenen Jahrhunderts schon eine ganze Reihe ver- 
schiedener Phasen durchgemacht hatte. Der erste Versuch, die Arbeits- 
losigkeit auf dem Wege der fakultativen Versicherung zu bekämpfen, 
hatte sich bald als unwirksam erwiesen. Die freiwillige Arbeitslosen- 
kasse der Stadt Bern fand daher in der Schweiz gar keine und im 
Auslande nur sehr vereinzelte Nachahmungen. Noch schlimmer erging 
es der obligatorischen Arbeitslosenversicherung. Nachdem der Versuch 
mit dieser Lösung der Arbeitslosenfrage in St. Gallen gescheitert war, 
wollte man in der Stadt Zürich und Baselstadt ebenfalls nichts mehr 
davon wissen und wagte man in Bern den Schritt zum Obligatorium 
immer noch nicht. Der Sparzwang!), welcher in verschiedenen Formen 
vorgeschlagen wurde, machte nur geringe Fortschritte. Eine Verbindung 
des Sparzwangs mit Arbeitsnachweis und Einigungsamt nahm gleichfalls 
nirgends praktische Gestalt an. Die Versicherung gegen Arbeitslosigkeit 
auf gewerkschaftlichem Boden nahm nicht den gehofften Aufschwung, 
trotzdem einzelne Versuche damit als wohlgelungen zu betrachten sind. 
Hierher gehört vor allem die Viatikums- und Konditionslosenkasse des 
schweizerischen Typographenbundes, über deren vortreffliches Funktio- 
nieren unter anderem auch beistehende Uebersicht Auskunft giebt: 

(Siehe Tabelle auf S. 520.) 

Wir rechnen aber zu diesen wohlgelungenen Versuchen auch die im 
Jahre 1897 in Kraft getretene obligatorische Arbeitslosenkasse des 
Zeichnerfachvereins der Ostschweiz 2). Dieselbe gewährt gegen eine 
Monatsprämie von 30 bezw. 60 cts. eine tägliche Entschädigung 


1) Sparzwang, Arbeitslosenstatistik und Arbeitsnachweis. Gutachten, erstattet an 
das eidgenössische Handels-, Industrie- und Landwirtschaftsdepartement vom Vorort 
Zürich des schweizerischen Handels- und Industrievereins. Zürich 1899. 

2) Statuten des Zeichnerfachvereins der Ostschweiz. St. Gallen (Zollikofer’sche 
Buchdruckerei) 1397. S. 13 ff. 


520 Miszellen. 


Viatikums- und Konditionslosenkasse 
von 1887—1897. 


Konditions- brei 
KN doser Abreisegeld 
Viatikum und Umzugs- | Jahr 
unter- 
= kosten 
stützung 
fres. ets. ! Ares. | cts. | fres. ets. 
5634 | 40 | 3826 — 731 — 1888 
3858 | 90 | 1956 — 860 | — 1889 
3957 ! 60 : 4337 | 50 | 1365 | — | 1890 
5 632 20 | 5031 16 | 600 — 1891 
7285 | 20 ı 7562 | — 780 | — 1892 
4771 | 20 4610 — | 610 = 1893 
5 784 | 60 4410 =E 645 | — 1894 
5255 70 | 3636 | — | 545 — 1895 
5433 | 40 | 3594 ı — | 550 | — | 1896 
4457 | — | 4832 — | 560 | — 1897 
52070 | 20 43794 | 65 | 7246 | — | Total 


von 1 bezw. 1,8 fres. für höchstens 50 Tage innerhalb eines 
Jahres und höchstens 250 Tage im ganzen. Die Bezugsberechtigung 
beginnt nach einjähriger Mitgliedschaft und nach einer Karenzzeit von 
7 Tagen, sofern nicht durch den Stellenvermittler Arbeit zu den orts- 
und saisonüblichen Löhnen angewiesen werden kann. Arbeitslose gehen 
der Entschädigungsansprüche verlustig: a) wenn sie ausschließlich durch 
grobes Selbstverschulden arbeitslos geworden sind, b) die ihnen zu- 
gewiesene Arbeit ohne zureichenden Grund verschmähen, c) wenn sie 
durch Unfall-, Krankheit oder Militärdienst arbeitsunfähig sind. Die 
Eintragung in die niedere oder höhere Prämien- und Entschädigungs- 
klasse geschieht durch Selbstbestimmung der Mitglieder. Tritt ein 
Mitglied von der niederen Klasse in die höhere, so wird die höhere 
Unterstützung erst nach Verfluß von 6 Monaten ausbezahlt. 

Neben den Prämien der Versicherten stehen der Kasse die Zinsen 
des 10000 fres. betragenden Reservefonds zur Verfügung. Ferner wird 
an allfällige Schenkungen von Privaten und Subvention von Staat und 
Gemeinden als Einnahmequelle gedacht. Sollten diese letzteren die 
Deckung der Defizite nicht gestatten, so hat dies durch entsprechende 
Nachtragsleistungen aller Mitglieder zu geschehen. Auch kann in Zeiten 
großer Krisen und daheriger ausnahmsweise großer Inanspruchnahme 
der Kasse auf Antrag der Arbeitslosenkommission und durch Urabstimmung 
die Entschädigung herabgemindert werden, die Reduktion darf aber 
30 Proz. nicht übersteigen. 

Die Zahl der sogenannten Arbeiterkolonien hat sich ebenfalls nicht 
vermehrt. Trotzdem die beiden bestehenden Arbeiterkolonien, Tannen- 
hof im Kanton Bern und Herdern im Kanton Thurgau, alle Jahre eine 
ganz beträchtliche Zahl von Anmeldungen wegen Platzmangels ab- 
weisen müssen, hat sich weder eine Stadt noch ein Kanton zur Gründung 
einer derartigen Anstalt entschließen können. 

Die Gründe dieses Zögerns sind mannigfaltig. Vor allem mag hieran 


Miszellen. 521 


das finanzielle Resultat dieser Kolonien schuld sein. Trotz des verhältnis- 
mäßig billigen Betriebes und anderer sehr günstiger Umstände muß die 
Leitung des Arbeiterheimes Tannenhof!) folgendes zugestehen: „Die 
kühne Hoffnung, welche anfänglich bestanden, die Anstalt werde sich 
nach Verlauf einiger Jahre, nach Ueberwindung der ersten Schwierig- 
keiten, selbst gänzlich erhalten können, hat sich leider nicht verwirklicht 
und scheint sich auch in Zukunft nicht erfüllen zu können. Es liegt 
dies in der Zweckbestimmung des Vereins, welche zu einer, wenn wir 
so sagen sollen, irrationellen Bewirtschaftung zwingt. Der Tannenhof 
muß, um seiner Aufgabe zu dienen, das ganze Jahr, besonders aber den 
Winter hindurch, einer viel größeren Zahl von Menschen Unterkunft 
und Nahrung bieten, als der Betrieb der Landwirtschaft erfordern 
würde, und so kommt es, daß nicht bloß der größte Teil der Erträgnisse 
auf dem Gute selbst verzehrt, sondern noch für bedeutende Summen 
von auswärts Lebensmittel angeschafft werden müssen; daß daneben 
insbesondere auch die Beschaffung der notwendigen Kleidungsstücke, 
Wäsche etc. für die stattliche Kolonistenschar bedeutende Kosten ver- 
ursacht, kann man denken.“ 

Die jüngere Schwesterkolonie in Herdern hat noch unter schwierigeren 
Verhältnissen nach dieser Seite hin zu leiden. Dort kostet der Ver- 
pflegungstag per Kolonisten einen Zuschuß von 1 fres., wenn der durch- 
schnittliche Geldwert der Tagesarbeit des Einzelnen zu 80 cts. ver- 
anschlagt wird. Daher kann diese Kolonie nur fortbestehen unter der 
Voraussetzung derselben werkthätigen Hilfe von Seite der Behörden, 
gemeinnützigen Gesellschaften und Privaten, durch die sie gegründet 
worden ist. Wie weit aber diese Opferwilligkeit in Anspruch ge- 
nommen wird, mag daraus hervorgehen, daß im 1. Betriebsjahr vom 
15. März 1895 bis 30. April 1896 für nicht weniger als 120310 fres. 
Gründungsbeiträge, Anteilscheine und Jahresbeiträge gezeichnet wurden, 
sowie daß im 4. Jahre 28902,5 fres. Beiträge eingingen, während 
der Bund in zwei Raten seit des Bestehens der Kolonie 30 000 fres. ge- 
spendet hat?) Derartige Resultate lassen die Zurückhaltung auf diesem 
Gebiete begreiflich erscheinen. 

Ferner ist nicht zu verkennen, daß derartige Kolonien bloß für be- 
stimmte und beschränkte Kategorien von Arbeitslosen in Betracht kommen 
können. Selbstverständlich kommen diese in erster Linie den Ledigen 
zu gut. So waren beispielsweise von den Kolonisten in Herdern 


im Jahre ledig verheiratet verwitwet geschieden 
1397/98 87 15 14 13 
1893 104 15 10 9 


Im Tannenhof ist dieses Verhältnis ähnlich. Wenigstens wird von 
dort berichtet, daß auch hie und da Familienväter dorthin gebracht 
werden, die sich wieder an häuslichen Sinn gewöhnen sollen. 


1) 10. Jahresbericht über den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 1898 
mit einleitendem Rückblick. Bern (Buchdruckerei des Berner Tageblatt) 1899, S. 11 f. 
2) Jahresbericht und Rechnung über die Arbeiterkolonie Herdern. Vom 1. Mai 1897 


bis 30. April 1898. Zürich (Buchdruckerei Ed. Leemann) 1898. S. 19. 


522 Miszellen. 


Ein gewichtiges Kontingent der Kolonisten setzt sich aus Arbeitern 
von geringerer Leistungskraft infolge von mangelhafter Begabung und 
Berufsbildung, sowie infolge von Gebrechlichkeit und Alter zusammen. 
„Um von den Alten zu reden, so ist es bekannt, daß es für Arbeiter 
von mehr als 50 Jahren, ja oft schon für solche von mehr als 40 Jahren, 
wenn sie einmal ohne Stelle sind, sehr schwer ist, wieder eine solche 
zu finden.“ So hat Herdern in den ersten 4 Jahren 35,2 Proz. 
Kolonisten im Alter von über 50 Jahren aufgenommen, und waren unter 
den 122 Kolonisten des Tannenhof im Jahre 1898 etwa 30 Proz. über 
50 Jahre alt. 

Dazu kommen Alkoholiker und entlassene Sträflinge. „Ein dank- 
bares Feld für einen Psychologen bietet die winterliche Tannenhof- 
gesellschaft. Die frühere Lebensweise hat den Gesichtszügen den mannig- 
faltigsten Charakter aufgeprägt. Einer ist willig und führt die gegebenen 
Befehle mit Lust und Liebe aus, jenem ist tägliche Arbeit eine Qual, 
das Leben eine Last. Diese kommen aus Strafanstalten und Untersuch- 
ungsgefängnissen, jene aus Spitälern. Alle sind abgemagert, hungrig 
und abgerissen“ 1). 

Schließlich kommen in die Kolonien Berufsleute, deren Beruf über 
den Winter nicht betrieben werden kann oder sonst Saisonschwankungen 
„unterliegt. Für mittellose Leute ohne Verwandte ist die Kolonie eine 
große Wohlthat. Sie können daselbst, vor Not geborgen, sich um eine 
Stelle bewerben. Doch muß hier gleich erwähnt werden, daß die Ver- 
mittellung von Arbeit den Anstaltsleitungen sehr große Schwierigkeiten 
bereitet, wodurch in vielen Fällen die günstige Wirkung des Anstalts- 
aufenthalts sehr bald verwischt werden dürfte. 

Damit ist eine weitere Schwierigkeit angedeutet, wodurch zur Er- 
klärung der nicht gerade günstigen finanziellen Resultate namentlich 
der Arbeiterkolonie Herdern ein neues Moment hinzu kommt. Im 
Tannenhof, welcher seiner Bestimmung gemäß Arbeitslose, welche mit 
landwirtschaftlichen Arbeiten gar nicht vertraut sind, nur ausnahmsweise 
aufnimmt, bilden die Landarbeiter unter den Kolonisten einen weit 
stärkeren Prozentsatz als in Herdern. Waren beispielsweise von den 
im Jahre 1897 dort aufgenommenen 94 Kolonisten nicht weniger als 
44 Landarbeiter, während in Herdern im Jahre 1897 von 129 nur 17 
und im folgenden Jahre von 138 nur 26 Landarbeiter waren. Die 
landwirtschaftlichen Arbeiter, die in die Kolonie kommen, sind fast 
durchweg ältere Leute, welche bei Privaten nicht mehr leicht An- 
stellung finden, oder dann solche, welche sich durch Trunksucht und 
Unbotmäligkeit in ihren bisherigen Stellungen unmöglich gemacht haben.“ 
Diese neben den Angehörigen einer Reihe unter den Kolonisten ver- 
tretenen Berufsarten mögen für die landwirtschaftliche Arbeit tauglich 
sein. Die Beschäftigung einer Anzahl anderer für die Bedarfszwecke 
von Haushalt und Landwirtschaftsbetrieb mag gleichfalls keine große 
Mühe bereiten. Dagegen findet sich jeweils eine Anzahl, bei denen 


1) 8. Jahresbericht über den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 1896. 
Bern 1897. S. 4. 


Miszellen. 523 


dies schwer, ja sehr schwer fallen muß, wie z. B. bei den 16 Ange- 
.hörigen des Handels, dem Tierarzt und Architekten der Fall gewesen 
sein dürfte, die im Jahre 1897/98 in die Arbeiterkolonie Herdern ein- 
traten. 

Mit einem Wort läßt sich auf dem Gebiete der Arbeitslosenfrage 
nach allen Seiten hin eine gewisse Ruhe und Stille konstatieren. Als 
Beweis hiefür notieren wir zu guter Letzt die weitere Thatsache, daß 
das im Juni 1894 von den eidgenössischen Räten beschlossene Postulat 
betreffend Arbeitsnachweis und Maßnahme gegen unverschuldete Arbeits- 
losigkeit immer noch unerledigt ist, sowie daß das eidgenössische In- 
dustriedepartement trotz dreimaliger Mahnung immer noch vergeblich 
auf die Berichterstattung der Kantonsregierungen von Zürich, Bern, 
Luzern, Neuenburg und des schweizerischen Arbeiterbundes wartet. Die 
Hauptschuld an dieser Erscheinung mag neben einer ganzen Reihe 
specieller Ursachen auf den industriellen Aufschwung entfallen, durch 
den die akute Arbeitslosigkeit mehr oder weniger von der Tages- 
ordnung verschwand und die chronische Arbeitslosigkeit sich etwas 
weniger bemerkbar machte. Zum Beweis für die Wirkung dieses 
Faktors führen wir die Ergebnisse der Arbeitslosenunterstützung in der 
Stadt Zürich an. Es betrug 


ia Tahia die Zahl die Zahl die Unterstützungs- 

der Angemeldeten der Unterstützten summe 

1893 1052!) 17505,9 

1894 885 7498,07 

1895 650?) 8065,55 

1896 179°) 51 854,6 

1897 — 4) — — 

1898 400°) 232 2372,1 

1899 — — — 

1900 630°) 353 6598 


Die günstige wirtschaftliche Lage war selbst für das Postulat der 
Arbeiterschaft betreffend Verbindung einer Arbeitslosenzählung mit der 
Volkszählung vom 1. Dezember 1900 ein Hemmnis. Es wurde von einer 
allgemeinen Zählung der Arbeitslosen Umgang genommen, während die 
Kantone auf die Gelegenheit zu Zusatzfragen nach dieser Seite hin 
größtenteils verzichteten. Einzig in den beiden Städten Zürich und 
Basel wurden die Arbeitslosen bei diesem Anlaß gezählt. Das Ergebnis 


1) Aug. Merk, Die Arbeitslosigkeit in Zürich in den Wintern von 1892/93 und 
1893/94 und Versuch einer Arbeitslosenstatistik. Zeitschrift für schweiz. Statistik 
Jahrg. 1894, S. 314. ff. 

2) Geschäftsbericht des Stadtrates und der Centralschulpflege Zürich vom Jahre 
1895, S. 4 f. 

3) Geschäftsbericht des Stadtrates und der Centralschulpflege Zürich vom Jahre 
1896, S. 3 f. 

4) Geschäftsbericht des Stadtrates und der Centralschulpflege Zürich vom Jahre 
1897, S 3. 

5) Geschäftsbericht des Stadtrates und der Centralschulpflege Zürich vom Jahre 
1898, S. 5. 

6) Die Arbeitslosigkeit in Zürich im Winter 1899/1900 und die Unterstützung der 
Arbeitslosen. Bericht des Sekretärs der Arbeitslosenkommission. Zürich (Buchdruckerei 
des schweizerischen Grütlivereins) 1900, 


524 Miszellen. 


dieser beiden Zählungen ließ erwarten, daß die Arbeitslosenfrage in 
der nächsten Zeit wieder in den Vordergrund treten werde. Dies ist 
denn auch geschehen. 

Hierbei treten, wie bereits erwähnt wurde, die Versicherungspro- 
jekte ziemlich in den Hintergrund, worüber sich nach dem Gesagten 
niemand wundern wird. Einzig Arbeitersekretär Dr. med. Wassilieff 
rückt mit einem Statutenentwurf der Arbeitslosenkasse des Arbeiter- 
bundes Basel in die Linie. Die Arbeitslosenkasse des Arbeiterbundes 
Basel steht allen organisierten, wie auch den Fachvereinen noch ferne- 
stehenden Arbeitern und Arbeiterinnen, welche wenigstens 3 Monate 
in Basel wohnen und arbeiten, offen. Arbeiter, welche in Basel ar- 
beitend in der Umgebung der Stadt wohnen, aber einem Fachvereine 
seit wenigstens 6 Monaten angehören, können ebenfalls als Mitglieder 
aufgenommen werden. Die Aufbringung der Mittel geschieht durch 
die Monatsbeiträge der Mitglieder, die Jahresbeiträge der Passivmit- 
glieder, durch Schenkungen, Sammlungen, Subventionen der Fachvereine 
und endlich durch event. Subvention des Staates und umliegender Ge- 
meinden. Die Monatsbeiträge der Mitglieder stufen sich nach der Lohn- 
höhe und dem Familienstand ab. Sie betragen 


bei einem Lohne bis 4 fres. 40 cts. für alleinstehende u. 30 cts. für verheiratete 
Mitglieder Mitglieder 

Di D DI von 4—5 » 50 y D HI u. 40 - n D 

H 23 n Hi über 5 LE 60 LE n HI u. 50 LL Hi Hi 


In außerordentlichen Fällen kann die außerordentliche Generalver- 
sammlung mit einer Mehrheit von Zweidritteln wöchentliche Extrabei- 
träge für die in Arbeit stehenden Mitglieder für die Periode der Ar- 
beitslosigkeit beschließen. Die Passivmitglieder, welche nicht der ar- 
beitenden Klasse angehören, aber den Bestrebungen der Kasse sym- 
pathisch gegenüberstehen, haben per Jahr einen Beitrag von mindestens 
10 frcs. zu bezahlen. Die Entschädigungsberechtigung beginnt nach einer 
Karenzzeit von 3 Wochen und mindesteus 7-monatlicher Zugehörigkeit 
zur Kasse. Die Höhe der Taggelder wird von der Verwaltung der 
Kasse gemeinschaftlich mit der Arbeitslosenkommission nach dem Grund- 
satze festgesetzt, daß für Ledige und Familienväter besondere Minimal- 
sätze gelten sollen, wobei für jedes minderjährige Kind ein Fünftel 
des Ansatzes hinzukommt. Die Taggelder werden wöchentlich oder 
alle 14 Tage ausbezahlt und können diese in außerordentlichen Fällen 
in Form der Naturalverpflegung (gemeinschaftliche Abkochung etc.) 
umgewandelt werden. 

Melden sich während einer Woche mehr als '/, aller Mitglieder 
der Kasse als arbeitslos, so sind die sämtlichen Mitglieder an einem 
Sonntagnachmittag zu einer außerordentlichen Generalversammlung ein- 
zuladen. Am folgenden Montag haben sämtliche arbeitslosen Mitglieder 
eine 15-gliederige Arbeitslosenkommission für die arbeitslose Periode 
zu wählen. 

Die Verwaltung der Kasse wird von einem 11-gliederigen Vor- 
stande besorgt. Präsident und Hauptkassier werden an der Delegierten- 
versammlung auf Vorschlag des Ausschusses des Arbeiterbundes, die 


Miszellen. 525 


übrigen 9 Mitglieder nach Vorschlägen der beteiligten Fachvereine ge- 
wählt. Bei der Subvention der Kasse durch den Staat oder die Nach- 
bargemeinden erhalten die Regierung oder die Gemeinderäte das Recht 
der Vertretung in der Rechnungsprüfungskommission, während die 
Passivmitglieder Zutritt zu den Generalversammlungen und das Recht 
der Revision der Kassarechnungen haben sollen. 

Als Zweck dieser Kasse wird neben der Verabfolgung von ange- 
messenen Tagegeldern an die arbeitslosen Mitglieder der frühzeitige 
Appell an die Behörden für genügende und anständig bezahlte Arbeit 
zu sorgen, namhaft gemacht. Daneben soll die Kasse dazu dienen, die 
arbeitslosen, sowie die in Arbeit stehenden Kameraden für gemein- 
schaftliches Zusammenwirken anzuspornen und alle arbeitsscheuen Ele- 
mente, welche die Arbeitslosenbewegung in Mißkredit bringen, fernzu- 
halten. Ferner soll sie die Löhne der arbeitenden Mitglieder während 
der Perioden der Arbeitslosigkeit gegen das Sinken schützen und 
schließlich die Oeffentlichkeit und die Presse mit den Verhältnissen der 
aufgetretenen Arbeitslosigkeit auf dem Laufenden halten. 

Dieser neueste Entwurf von Dr. Wassilieff unterscheidet sich wesent- 
lich von seinen früheren Projekten 1). Wie weit hieran der Wandel 
seiner Anschauungen auf Grund seiner reichen Erfahrungen mit der 
Arbeitslosenkasse der Stadt Bern und wie weit die Rücksicht auf die 
Taktik sowie auf die speciellen Verhältnisse seines neuen Wirkungs- 
kreises in Baselstadt beteiligt ist, wäre wohl schwer zu sagen. 

Als Hauptunterschied macht sich der vorläufige Verzicht auf die 
Regelung der Arbeitslosenversicherung auf staatlicher oder kommunaler 
Grundlage bemerkbar. Die obligatorische städtische Arbeitslosenver- 
sicherung scheiterte an der Abneigung weiter Kreise gegen den 
Versicherungszwang, während die fakultative Versicherung nur unge- 
nügende Leistungen aufweist. Zeigen ja die Ergebnisse der Kassen in 
Bern und Köln zur Genüge, daß sich bloß die schlechten Risiken ver- 
sichern, während die anderen fernbleiben. Als Beleg hierfür führen wir 
den Mitgliederbestand und die Zahl der unterstützten Arbeitslosen 
innerhalb der verschiedenen Rechnungsjahre an. Es waren 


in Bern in Köln 
im Jahre Mitglieder Arbeitslose Mitglieder Arbeitslose 
1893 354 216 
1894 333 226 
1895 544 325 
1896 494 242 220 96 
1897 431 295 324 108 
1898 543 375 347 112 
1899 585 297 256 142 


Um dieser Zurückhaltung der Arbeiterschaft die Spitze abzubrechen, 
überweist das Projekt von Dr. Wassilieff die Arbeitslosenversicherung 
der organisierten Arbeiterschaft. Die Arbeitslosenkasse soll ein Mittel 

1, Die obligatorische Arbeitslosenkasse als Grundlage für ein kommunales Arbeits- 
amt. Bern (Verlag der Arbeiterunion) 1898, und ein kommunales Arbeitsamt. (Arbeits- 
losenkasse, Arbeitsnachweis, Einigungsamt.) Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und 
Sozialpolitik, Jahrg. 7, Bd. 2, S. 681 ff. 


526 Miszellen. 


sein, der Organisation der Arbeiter neue Mitglieder zu erwerben. 
Diesem Zweck zu lieb, so scheint der Schöpfer dieses Entwurfes an- 
zunehmen, werden sich die organisierten Arbeiter zu einem Opfer von 
3,6—-7,2 fres. per Jahr gerne entschließen. Selbst die, welche unter 
geringerem Risiko der Arbeitslosigkeit leiden, werden hierzu gerne 
bereit sein; denn ihre Beiträge sind in erster Linie nicht eine Steuer, 
welche die Gemeinde den Schwachen auferlegt. sondern eine Bethätigung 
der Solidarität und ein Mittel zur Kräftigung und Ausdehnung der 
Arbeiterorganisation. Ob die Arbeiterschaft ein Opfer in diesem Umfang 
auf sich nehmen will und kann, hängt selbstverständlich nicht zuletzt 
von den Resultaten einer solchen Kasse ab. Sind dieselben günstig, 
so dürfte auch der Zweck der Stärkung der Arbeiterorganisation mehr 
oder weniger erreicht werden. 

Die Mehrzahl der Arbeitslosen gehören nämlich keiner Arbeiter- 
organisation an. So waren z. B. unter den 510 Arbeitslosen der 
städtischen Arbeitslosenversicherungskasse in St Gallen!)- bloß 82 oder 
16 Proz. Mitglieder einer Arbeiterorganisation. In Basel ergab eine 
vom Arbeitersekretär Dr. Wassilieff aus diesem Winter durchgeführte 
Erhebung über die Arbeitslosen, daß von 598 eingeschriebenen Arbeits- 
losen 80 Proz. den unorganisierten Arbeitern angehörten. „Von den 
120 Erdarbeitern waren nur 4 in der Organisation, von den 89 Maurern 
nur 15 im Maurerfachverein, von 57 Schreinern nur 20 organisierte, 
von 53 Metallarbeitern gehörten nur 8 dem Metallarbeiterverbande an, 
von 62 Malern waren wieder nur 13 organisierte“?). Die vom Arbeiter- 
sekretär der Stadt Bern vorgenommene Arbeitslosenzählung zeigte 
ähnliche Resultate. Allerdings waren dort von den 227 angemeldeten 
Arbeitslosen 101 Mann oder 44 Proz. organisiert. Aber hieran ist 
neben der verhältnismäßig großen Ausdehnung der Arbeiterbewegung 
in Bern noch eine ganze Reihe anderer Ursachen mit beteiligt. Der 
organisierte Arbeiter scheut sich meistens weniger, sich als arbeitslos 
anzumelden, als der Nichtorganisierte. Braucht und will dieser letztere 
während der Periode der Arbeitslosigkeit keine Unterstützung, so geht 
es auch niemand etwas an, ob er Arbeit hat oder nicht. Nicht selten 
betrachtet dieser Arbeitslosigkeit als eine Schädigung des Kredits oder 
Ansehens, die man nach Kräften zu vermeiden strebt. An dieser 
Auffassung ist die öffentliche Meinung sowie die nicht vereinzelte Ein- 
reihung der Arbeitslosen unter die Almosengenössigen nicht ganz un- 
schuldig. Daher muß es als ganz natürlich erscheinen, wenn sogar die 
amtlichen Arbeitslosenzählungen zu kleine Ziffern liefern. In Zürich 
begegnen wir ähnlichen Verhältnissen wie in Basel und St. Gallen. 
Dort waren 1897/98 unter den Arbeitslosen nur 3 Personen, welche 
einem Arbeiterverein angehörten. Im Jahre 1899/1900 gehörten dort 
82,6 Proz. aller angemeldeten Arbeitslosen weder einer Krankenkasse 


1) Vergl. hierzu: Die Arbeitslosenversicherung der Stadt St. Gallen. Im Auftrage 
des Volkswirtschaftsdepartements des Kantons St. Gallen bearbeitet von Dr. E. Hofmann. 
St. Gallen 1898. S. 47. 

2) Arbeitslosenbewegung in Basel. Winter 1900/1901. Basler Arbeitersckretariat. 
Bericht 1. Basel 1001. S. 7f. 


Miszellen. 527 


noch einem anderen Vereine an, woraus der Sekretär der Arbeitslosen- 
kommission den gewiß ganz richtigen Schluß zieht, daß man es hier 
größtenteils mit einer indifferenten Arbeiterbevölkerung zu thun hat. 

Angesichts dieser Zahlen scheint es doch etwas gewagt, den 
organisierten Arbeitern eine derartige Last sozusagen ohne jedes Sicher- 
heitsventil aufzubürden. Neben der Verpflichtung der in Basels Um- 
gebung wohnenden Arbeiter zur Zugehörigkeit zu einem Fachverein 
hätte füglich auch noch die Festsetzung einer oberen Altersgrenze und 
der Ausschluß der körperlich oder geistig abnormalen Arbeiter treten 
dürfen. Wie sehr die alten und die körperlich gebrechlichen Mitglieder 
eine Kasse zu belasten vermögen, hat man in St. Gallen und Bern 
reichlich erfahren. Aehnliche zur Vorsicht nach dieser Seite hin 
mahnende Erfahrungen machte man an mehreren Orten mit der Arbeits- 
losenunterstützung. So mußten beispielsweise in Zürich im Jahre 1898 
von der Arbeitslosenkommission wegen Arbeitsunfähigkeit, hohen Alters, 
Krankheit oder Almosengenössigkeit rund 40 Proz. der Angemeldeten 
von der Unterstützung ausgeschlossen werden. Solche Bestimmungen 
wären geeignet, die Kasse vor allzu starker Inanspruchnahme zu schützen, 
ohne daß der genannte Nebenzweck darunter leiden müßte. Ferner 
wird von vornherein auf die Berücksichtigung des Risikos bei der 
Prämienbemessung verzichtet. 

Dies ist für ein in Basel zu realisierendes Projekt etwas auffällig. 
Dort hat man im Laufe der Jahre die Berücksichtigung des Risikos bei 
der Prämienbemessung für die Arbeitslosenversicherung immer ängst- 
licher herauszuarbeiten versucht. Prof. Georg Adler wollte für die große 
Masse der Berufe einen einheitlichen Prämientarif einführen und nur 
die Bauarbeiter gesondert behandeln, wobei er sich durch folgende 
Gründe leiten ließ. „Die Bauarbeiter unterliegen nicht nur, wie alle 
anderen Arbeiter auch, der gewöhnlichen Gefahr der Arbeitslosigkeit 
infolge von ungünstigen Konjunkturen, sondern noch außerdem der 
Saisonarbeitslosigkeit. Für die meisten Arbeiter. der genannten Branche 
erweist es sich als unmöglich, das ganze Jahr hindurch mindestens in 
ihrem Berufe thätig zu sein, und die Auffindung passender Arbeit in 
anderen Berufen ist natürlich nicht leicht. Die Bauarbeiter stellen 
daher auch zu den unfreiwillig Arbeitslosen das relativ größte Kon- 
tingent. Es wäre daher im Prinzipe wünschenswert gewesen, daß die 
Versicherungsanstalt in zwei Abteilungen zerlegt worden wäre, da es 
eine schwere und ungerechtfertigte Belastung der anderen Branchen 
bedeuten würde, wenn man sie alle Kosten gemeinsam mit den Bau- 
arbeitern tragen ließe. Ueberdies sind ja die Bauarbeiter gewöhnt, 
höhere Löhne während der guten Jahreszeit gerade mit Rücksicht auf 
die Verdienstlosigkeit während eines Teiles des Winters in Anspruch 
zu nehmen.“ Die Großratskommissiont), welche den Adler’schen Entwurf 
behandelte, stellte sogar drei Risikogruppen auf. Sie wurde hierzu 
durch die Berechnung geführt, daß für die dem Fabrikgesetz unter- 


.1) Bericht und Gesetzentwurf der Großratskommission, betreffend Versicherung 
gegen Arbeitslosigkeit. Dem Großen Rate zugestellt den 23. April 1896, S. 13 ff. 


528 Miszellen. 


stellten Arbeiter in einem Jahr 10 Proz. Arbeitslose mit einer durch- 
schnittlichen Unterstützungsdauer von 5,6 Tagen auf einen Versicherten 
oder von 56 Tagen auf einen Arbeitslosen und für die Bau- und Erd- 
arbeiter 50 Proz. Arbeitslose mit einer durchschnittlichen Unterstützungs- 
dauer von 33,4 Tagen auf einen Versicherten oder von 66,8 Tagen 
auf einen Arbeitslosen entfallen. Unter dieser Voraussetzung ergiebt 
sich für die erste Risikogruppe ein Ueberschuß der Einnahmen über 
die Ausgaben im Betrage von 44302 fres., während für die zweite und 
dritte Risikogruppe ein jährlicher Fehlbetrag von 24207 fres. berechnet 
wurde, der durch den Staatsbeitrag hätte gedeckt werden sollen. Aus 
der Ersparnis auf den dem Fabrikgesetz unterstellten Arbeitern sollte 
ein Reservefonds gegründet werden, welcher bei den unregelmäßig auf- 
tretenden Geschäftsstockungen zur Verwendung käme Nach der 
Rückweisung dieses Entwurfs ging die Großratskommission !) in der 
Berücksichtigung des Risikos noch weiter, indem sie für die Prämien- 
berechnung 4 Gruppen aufstellte. 

Zur ersten Gruppe gehören die Arbeiter in den der Arbeitslosigkeit 
am wenigsten ausgesetzten, dem Fabrikgesetz unterstellten Betrieben, 
die nicht zum Baugewerbe gehören; zur zweiten Gruppe die Arbeiter 
in allen übrigen, dem Fabrikgesetz unterstellten Betrieben, die nicht 
zum Baugewerbe gehören, zur dritten die Bauarbeiter in den der 
regelmäßigen Arbeitslosigkeit am wenigsten ausgesetzten Betrieben; zur 
vierten alle übrigen Bau- und Erdarbeiter, die vorwiegend auf Arbeit 
im Freien angewiesen sind und deren Arbeitsbetrieb von den Witterungs- 
verhältnissen abhängig ist. 

Ob für .das Fallenlassen der Risiko Berücksichtigung bei der 
Prämienbemessung mehr der Gedanke an die praktische Schwierigkeit 
der Durchführung oder das Vertrauen auf das Solidaritätsgefühl aus- 
schlaggebend war, mag dahingestellt sein. Thatsache ist, daß nach den 
Erfahrungen der Versicherungskasse in St. Gallen und Bern die Ab- 
stufung der Prämien nach dem Berufe eigentlich unmöglich erscheint. 
Unter den Saisonarbeitern finden sich Berufe mit geringerem Risiko 
der Arbeitslosigkeit als unter den anderen Arbeiterkategorien, während 
andererseits Alter, physische, geistige und moralische Eigenschaften 
beim Risiko der Arbeitslosigkeit gleichfalls eine bedeutende Rolle spielen, 
ohne daß sie bei der Prämienbemessung zu fassen wären. 

Das Vertrauen auf das Solidaritätsgefühl der Arbeiterschaft zeigt 
sich ferner in der Abstufung der Prämien nach dem Lohn und dem 
Stand ohne Berücksichtigung des ersteren und mit ‘umgekehrter Wir- 
kung der letzteren bei der Ausrichtung der Entschädigung. Die Be- 
messung der Prämien geht von dem ganz richtigen Grundsatz aus, daß 
höherer Lohn sowie der ledige Stand zu größeren Leistungen an die 
Kasse befähigen, während die Entschädigung für den Familienvater 
größer sein soll als für den ledigen oder alleinstehenden Arbeitslosen. 


1) Bericht und Gesetzentwurf der Großratskommission, betreffend Errichtung einer 
Versicherungsanstalt für Arbeitslose. Vorlage zur zweiten Beratung dem Großen Rate 
zugestellt den 20. April 1899. 


Miszellen. 529 


Mutet man dem Opferwillen der Arbeiter dieses zu, so ist die Bestim- 
mung, daß in außerordentlichen Fällen Extrabeiträge für die in Arbeit 
stehenden Mitglieder festgesetzt werden können, bloß die letzte Konse- 
quenz dieser Anschauung. Selbst vor der Möglichkeit, daß die Mehrheit 
der außerordentlichen Generalversammlung, der in Arbeit stehenden 
Minderheit Extrabeiträge diktieren könnte, schreckt diese so wenig 
zurück, daß sie sogar auf die Festsetzung eines Maximums dieser Beiträge 
verzichtet. Sie denkt wohl an ähnliche Proben der Opferwilligkeit bei 
Strikes etc. und hat wohl insofern recht damit, als gerade bei Lohn- 
bewegungen diese Kasse der Arbeiterschaft unter Umständen wertvolle 
Dienste zu leisten imstande wäre. 

Allerdings wird die Wirksamkeit nach dieser Seite hin durch die 
3-wöchentliche Karenzzeit sehr beschränkt. Man wird kaum fehlgehen 
mit der Behauptung, daß dadurch die Ausgaben der Versicherung 
beinahe auf die Hälfte reduziert werden können. Zum Beweise hier- 
für führen wir einige Thatsachen an. In St. Gallen entfielen im Durch- 
schnitt auf einen Entschädigungsberechtigten 35,24 entschädigte Tage. 
In Straßburg kamen am 2. Dezember 1895 auf einen Arbeitslosen rund 
55 arbeitslose Tage, in Stuttgart 40,9 und in Berlin 38,8. In Zürich 
belief sich die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit auf 

66,5 Tage im Jahre 1893 

ERR e A „ 1894 
Bei der Berner Arbeitslosenkasse betrug die mittlere Bezugszeit eines 
Berechtigten im Jahre 1898 41/, Wochen und das darauffolgende Jahr 
51}, Wochen. 

Und endlich berechnet Prof. Dr. Georg Adler in seinem bekannten 
Gutachten die durchschnittliche Zeit der Arbeitslosigkeit auf 67 Tage 
für Baselstadt 1). 

Diese lange Karenzzeit wird ihre Wirkungen aber nicht bloß nach 
der genannten Seite hin geltend machen, sondern sich auch noch in 
anderer Beziehung wirksam erweisen. Vor allem entlastet sie die unter 
periodischer Arbeitslosigkeit leidenden Mitglieder nicht von jeder Sorge 
für die Zeit der Arbeitslosigkeit und schafft damit eine gewisse Kautele 
gegen voreiliges Auflösen des Arbeitsvertrags sowie gegen Inanspruch- 
nahme der Kasse wegen bloß vorübergehender Beschäftigungslosigkeit. 
Ferner ist diese Karenzzeit ohne weiteres ein Abschreckungsmittel für 
schlechte Risiken verschiedenster Art. Der Arbeiter, der an keiner Arbeits- 
stelle lange zu bleiben vermag, wird sich sagen, daß die Versicherung mit 
einer so langen Karenzzeit ihm nichts nützen würde und daher der Kasse 
fern bleiben. Dasselbe wird der Leichtsinnige thun. Es wird diesem 
nie und nimmer einfallen, für die Aufsicht nach 3-wöchentlicher Ar- 
beitslosigkeit endlich Unterstützung zu erhalten, mindestens 7 Monate 
lang Beiträge zu entrichten. Er wird sich hierzu um so weniger ent- 
schließen, als die Entschädigung nicht in einem genau bestimmten 


1) Die Versicherung der Arbeiter gegen Arbeitslosigkeit im Kanton Baselstadt. 
Gutachten erstattet dem Departement des Innern des Kantons Baselstadt. Basel (Ver- 
lag von Dr. H. Müller) 1895, S. 35. 

Dritte Folge Bà, XXI (LXXVI). 34 


530 Miszellen. 


Betrag in Aussicht gestellt wird, sondern jeweils nach den Verhält- 
nissen fixiert werden soll. Endlich wird auch die Aussicht, in außer- 
ordentlichen Fällen statt Taggelder Naturalverpflegung zu erhalten, 
seine abschreckende Wirkung auf einen Teil der schlechten Risiken 
ausüben. Unter solchen Umständen mag der Verzicht auf Festsetzung 
eines Maximums der Entschädigungsberechtigung weniger verhängnis- 
voll für die Kasse werden. Immerhin darf diese Neuerung nicht zu 
leicht genommen werden. Waren ja z. B. im Jahre 1893 von den 
Arbeitslosen Zürichs fast 20 Proz. über 90 Tage arbeitslos. Im Jahre 
1899/1900 waren die beiden obersten Gruppen mit 3-monatlicher und 
länger als ein Vierteljahr dauernder Arbeitslosigkeit mit 95 und 68 
Personen oder 15,5 und 11,1 Proz. noch sehr stark besetzt. 

In Bern betrug die durchschnittliche Arbeitslosigkeit bei 227 Ar- 
beitslosen, welche sich auf dem dortigen Arbeitersekretariat meldeten, 
schon in der ersten Januarwoche des laufenden Jahres 71/, Wochen 
und wird sich seither noch wesentlich gesteigert haben. 

In St. Gallen bezogen im ersten Jahre der Versicherung 77 und 
im zweiten Jahre sogar 189 Versicherte mit 60 Taggeldern das Maxi- 
mum, und ist wohl die Annahme nicht irrig, daß bei manchem die 
Arbeitslosigkeit noch länger dauerte. Die Erfahrungen, welche man in 
Buselstadt mit der Dauer der Arbeitslosigkeit machte, dürften schließ- 
lich gleichfalls zur Vorsicht mahnen. 

Dort wurde unter Abrechnung der invaliden, alten und gebrech- 
lichen Arbeitslosen von Dr. Wassilieff folgendes konstatiert: „52 Mann 
waren über 3 Monate arbeitslos, 154 Mann 2—3 Monate, 84 waren 
3 Wochen und 70 nur eine Woche arbeitslos.“ Wären bei dieser Ueber- 
sicht der durchschnittlichen Dauer der Arbeitslosigkeit die alten, in- 
validen und gebrechlichen Arbeiter mit einbezogen worden, so würde 
die Dauer der Arbeitslosigkeit wohl noch ein ganz anderes Bild ergeben 
haben. Ebenso hätte ein späteres Datum der Erhebung zweifelsohne 
eine erhebliche Verlängerung der durchschnittlichen Dauer der Arbeits- 
losigkeit ergeben. Diese Erfahrungen dürften dem bereits im Voran- 
gehenden von uns erwähnten Ausschluß der invaliden, alten und ge- 
brechlichen Arbeiter vollends rechtfertigen. Ohne diesen würden die 
Kassen ohne eine Beschränkung der Unterstützungsberechtigung nach 
oben einfach nicht existieren können. 

Es ist wohl ebenfalls als Ausdruck des Solidaritätsgefühls zu be- 
trachten, daß die bei allen übrigen Kassen und Projekten spukende 
Ausländerfrage bei diesem Vorschlag aus Abschied und Traktanden 
fällt. Die Frage der Herkunft der Arbeitslosen kann der Arbeiter- 
schaft völlig gleichgiltig sein, während dies für Staat und Gemeinde 
nicht der Fall ist. Diese letzteren fühlen sich ibren eigenen Ange- 
hörigen gegenüber eher zur Arbeitslosenfürsorge oder zur Unterstützung 
der Versicherungskasse verpflichtet, als den Angehörigen anderer Kan- 
tone oder Länder gegenüber. Dazu spielt bei den Erwägungen und 
Entschließungen derselben die Befürchtung keine geringe Rolle, daß die 
Arbeitslosenfürsorge die ohnehin schon große Einwanderung von Aus- 
ländern in die Schweiz und die Zuwanderung der Landbevölkerung in 


Miszellen. 531 


die Städte noch vermehren werde. Diese Befürchtung, welche schon 
früher ihren Ausdruck in den verschiedenen Gesetzen und Statuten 
betr. Arbeitslosenversicherung fand, dürfte durch die Resultate der 
Volkszählung vom 1. Dezember 1900, der Arbeitslosenstatistik in den 
Städten Zürich und Basel sowie der Erfahrungen der Arbeitslosen- 
kommissionen in Zürich etc. noch wesentlich gestärkt worden sein. 
So waren von den Arbeitslosen Zürichs 


im Jahre Schweizer Ausländer 
1893 68,1 Proz. 31,9 Proz. 
1894 79,4 ep 20,6  ,, 
1597/98 TOD u) 218 j 
1399/1900 64,1 „ 35,9 UI 


Sehr auffallend erscheint da dem Berichterstatter die große Zahl 
der Italiener (16,2 gegen 1,2 Proz. im Jahre 1897/98). Angesichts 
dieser Thatsache kann sich derselbe des Eindruckes nicht erwehren, 
daß die ledigen Italiener extra den Winter hier zubringen wollten, um 
die Arbeitslosenunterstützung mitgenießen zu können. Im ersten Winter 
begaben sich diese Italiener, damals noch nicht wissend, daß in Zürich 
im Winter Arbeitslose unterstützt werden, fast alle nach Hause. Im 
zweiten Winter hatten sich dieselben die Thätigkeit der Arbeitslosen- 
kommission so gut gemerkt, daß ein älterer, lediger Italiener, welcher 
mehrere Tausende Franken Geld auf der Bank liegen hatte, einen glück- 
licherweise mißlungenen Versuch, Arbeitslosenunterstützung zu erhalten, 
unternahm. 

Für eine Arbeitslosenkasse ist die Gefahr nach dieser Seite hin 
schon etwas geringer. Bis die Italiener sich zum freiwilligen Beitritt 
in größerer Zahl entschließen, wird geraume Zeit verfließen. Ihr an- 
geborener Sparsamkeitstrieb wird sie die Beiträge an die Kasse schwer 
verschmerzen lassen. Es wird dies um so weniger geschehen, als die 
Aussicht auf eventuelle Ausrichtung der Unterstützung in Naturalien, 
die 3-wöchentliche Karenzzeit etc, nicht gerade verlockend ist. Handelt 
es sich aber um organisierte Arbeiter, so würde das Solidaritätsgefühl 
sowieso von einer solchen einseitigen Inanspruchnahme der Arbeits- 
losenkasse abhalten. Dem Staate oder der Gemeinde etwas abzuzwacken, 
der von der Gemeinde ausgerichteten Arbeitslosenunterstützung zuliebe 
auf die Rückkehr in die Heimat im Winter zu verzichten, mag allen- 
falls auf den Betreffenden keinen allzu schweren Makel werfen. Einer 
Arbeiterkasse gegenüber würde dies im Durchschnitt anders aufgefaßt. 
Zudem wäre in einer solchen Kasse die Kontrolle über die Arbeits- 
losen und ihre Beweggründe eine ganz andere, viel schärfere und ein- 
dringlichere als bei anderen Instituten. 

Aus diesen Gründen ist das Fallenlassen jeglicher beschränkenden 
Bestimmung hinsichtlich der Ausländer begreitlich und völlig gerecht- 
fertigt. 

Die Ueberweisung der Arbeitslosenversicherung an die organisierte 
Arbeiterschaft bedingt selbstverständlich auch wesentliche Unterschiede 
hinsichtlich der Organisation der Kasse und der Aufbringung der Mittel. 
Wollte man hinsichtlich jener völlig freie Hand haben, so mußte das 

34* 


532 Miszellen. 


Prinzip der Beitragspflicht der Arbeitgeber, des Staats und der Gemeinde 
fallen gelassen werden. Daß dies unter Umständen sehr wichtig sein 
kann, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden. Staat und Gemeinde 
können auf die Statuten und die.Leitung einer solchen Kasse einen 
ungünstigen Einfluß ausüben, ohne dafür die Verantwortung tragen zu 
müssen. Die Verantwortung wird der Arbeiterschaft aufgebürdet, ob- 
wohl sie auf die Wahl der Beamten und Angestellten keinen Einfluß 
hatte und die von den Versicherten bestellten Kommissionen auf sehr 
beschränktem Wirkungskreis mit vorgeschriebener Marschroute funktio- 
nierten. Ebenso sind Reibereien zwischen Arbeitern und Arbeitgebern 
bei der Verwaltung dieser Kasse ausgeschlossen. Die letztere liegt 
gänzlich in der Hand der organisierten Arbeiterschaft. Ihre Organe 
bestellen den Vorstand. Die nichtorganisierten Mitglieder haben nur 
in außerordentlichen Fällen von Arbeitslosigkeit bei der Wahl der 
15-gliedrigen Arbeitslosenkommission mitzuwirken. Auch die Rech- 
nungsrevisoren werden durch die Delegiertenversammlung des Arbeiter- 
bundes gewählt, wobei allerdings unter Umständen Regierung, Ge- 
meinde und Passivmitglieder das Recht der Vertretung in dieser Kom- 
mission haben sollen. Funktioniert diese Kasse nicht recht, so trägt 
die organisierte Arbeiterschaft die Verantwortung. Weder Staat noch 
Gemeinde noch den unorganisierten Arbeitern kann ein Teil derselben 
aufgebürdet werden. Diese Bewegungsfreiheit wiegt den Verzicht auf 
die genannten Beiträge wohl mehr als auf. 

An Stelle dieser Zwangsbeiträge sollen in erster Linie die Beiträge 
der Passivmitglieder, Schenkungen und Sammlungen treten. Die Er- 
giebigkeit dieser Einnahmequellen läßt sich nicht im voraus bestimmen. 
Was zunächst die Passivmitglieder anbetrifft, so wird die Zahl derselben 
kaum eine sehr große werden. Jedenfalls wird sich dieselbe wenigstens 
in den ersten Jahren bloß aus den der Arbeiterschaft nahestehenden 
Kreisen rekrutieren. Wollte man diese Behauptung mit dem Hinweis 
auf die Erfahrungen mit der Stadtkölnischen Versicherungskasse gegen 
Arbeitslosigkeit im Winter entkräften, so müßte dies als unzutreffend 
erklärt werden. Gewiß wurde dort schon im ersten Jahre von den 
Patronen eine Summe von 700001) M. aufgebracht und machen die 
Beiträge der Ehrenmitglieder jährlich ca. 4000 M. aus?). 

Aber Organisation und Zweck dieser Kasse sind eben doch ganz 
andere als bei der geplanten Arbeitslosenkasse des Arbeiterbundes Basel. 
Hier hätten die Passivmitglieder bloß das Recht der Vertretung bei 
der Rechnungsrevision und der Teilnahme an der ordentlichen General- 
versammlung. Dort wählen die Patrone und Ehrenmitglieder die Hälfte 
der Mitglieder des Vorstandes und nehmen an der Generalversammlung 
mit den Rechten der versicherten Mitglieder teil. Der Einfluß der 


1) Geschäftsbericht der Stadtkölnischen Versicherungskasse gegen Arbeitslosigkeit 
im Winter für die erste Betriebszeit vom 9. Mai 1896 bis 31. März 1897, S. 14. 
2) Geschäftsbericht der Stadtkölnischen Versicherungskasse gegen Arbeitslosigkeit 
im Winter für die Betriebszeit vom 1. IV. 1897—31. III. 1898 
PA » „ 1. IV. 1898—31. TII. 1899 
d A 2 „ 1. IV. 1899—31. II. 1900. 


Miszellen. 533 


Patrone und Ehrenmitglieder ist also ein ganz anderer, abgesehen da- 
von, daß die Zahl derselben diejenige der Versicherten bis jetzt über- 
troffen hat. In Baselstadt wird daher die Arbeitslosenkasse nicht auf 
dieselbe Bereitwilligkeit zu Beiträgen rechnen können, während auf der 
anderen Seite die Summe von 10 fres. wiederum für viele, welche den 
Bestrebungen der Kasse sympathisch gegenüberstehen, als jäbrlicher 
Beitrag zu hoch ist. 

Von den Sammlungen und Schenkungen erwarten wir noch weniger. 
Gewiß ist der Wohlthätigkeitssinn, welcher in Baselstadt herrscht, seit 
altersher berühmt und sind die Gaben für die Arbeitslosen schon mehreremal 
reichlich geflossen. Aber damit ist für das Ergebnis allfälliger Samm- 
lungen, welche durch die Arbeitslosenkasse des Arbeiterbundes veran- 
staltet würden, absolut kein Maßstab gewonnen und keine Garantie 
gegeben. Wir fürchten, diese Sammlungen würden aus mehrfachem 
Grunde auf Zurückhaltung beim Publikum stoßen; denn auch in Basel 
ist es nicht gleichgiltig, wer mit dem Klingelbeutel geht und durch 
wen die Verteilung der Gaben geschieht. Einen Vorgeschmack hierfür 
liefert die in diesem Winter vom Arbeitersekretariat veranstaltete Samm- 
lung für diesen Zweck. Diese ergab 1447,85 frcs. in bar und 640 frcs. 
in Gutscheinen, Waren, Kleidungs- und Wäschestücken und wird vom 
Arbeitersekretär folgendermaßen glossiert: „Unsere Versammlungen, 
zwei Demonstrationszüge und unser Aufruf „Friede auf Erden“ haben 
— wie wir vernehmen konnten — in einigen Kreisen böses Blut ver- 
ursacht. „Es wäre viel mehr Geld für die Arbeitslosen zusammen- 
gekommen ohne diese „empörenden“ Züge und Aufrufe!“ Die Leute, 
die so reden, vergessen, daß unter Führung des Arbeitersekretariats die 
Arbeiterschaft nicht das Recht auf Almosen sucht, sondern gegen die 
Ausbeutung und das Elend und die Armut kämpfen will. Wir wollen nicht 
auf den Knieen rutschen und betteln, und haben kein Interesse, zu 
sorgen, daß das Auge und das Ohr der Satten und Besitzenden von der 
Ansicht der Armut und des Elends und vom Geschrei der hungrigen 
Kinder geschont wird. Wer noch Herz hat und nicht ganz rücksichtslos 
gegen das arme Volk ist, wird mit uns gegen die herrschenden Miß- 
stände arbeiten und wird auch immer aufrichtig helfen.“ 

Mit den Schenkungen dürfte es sich ähnlich verhalten. Wie unsicher 
und schwankend diese Einnahmequelle ist, muß die Berner Versiche- 
rungskasse gegen Arbeitslosigkeit deutlich erfahren, wie folgende Zahlen 
lehren. Es betrugen dort 


ia Tire die freiwilligen Beiträge 


der Arbeitgeber anderer 
1894/95 949,6 fres. 1005,90 fres, 
1895/96 1048 „ 901,30 „ 
1896, 97 1642 „ 287 x 
1397,98 1090  ;, 245,70 „ 
1898/99 1248 ,, 2383,40 „ 
1899, 1900 1484 y 628,95 „ 


Die vierte Einnahmequelle, die Subventionen der Fachvereine, wird 
ebenfalls nicht sehr reichlich fließen. Schließen sich die Mitglieder der 
Arbeiterorganisationen zahlreich der Arbeitslosenkasse an, so hat eine 


534 Miszellen. 


große Zahl derselben schon persönlich ein Opfer gebracht und dürfte 
man nicht noch einmal gewissermaßen von denselben Leuten allzuviel 
erwarten. Dies dürfte auch dann zutreffend sein, wenn die Arbeits- 
losenkasse die Arbeiterorganisation verstärken sollte und darf hervor- 
gehoben werden, daß schon in diesem Winter der Beitrag der Arbeiter- 
organisationen an die vom Arbeitersekretär veranstaltete Sammlung 
531,6 fres. ergab. 

Als fünfte und letzte Einnahmequelle wird an eventuelle Sub- 
ventionen des Staats und der umliegenden Gemeinden gedacht. Daß 
von diesen keine sehr hohen und namentlich keine regelmäßigen Beiträge 
erwartet werden, geht aus der Organisation der Kassenverwaltung hervor, 
welche bereits im vorhergehenden Erwähnung fand; denn bei einiger- 
maßen nennenswerten Beiträgen der Genannten würden sich diese schwer- 
lich mit einer Delegation in die Rechnungsprüfungskommission begnügen. 

Die Frage nach der Existenzfähigkeit der geplanten Kasse drängt 
sich in Anbetracht dieser Beschränkung der Beitragspflicht auf die 
genannten Kreise ohne weiteres auf. Der vom Volke des Kantons 
Baselstadt verworfene Gesetzesentwurf sah einen jährlichen Staats- 
beitrag von 30000 frcs. und einen Gesamtbeitrag der Arbeitgeber von 
rund 60000 frcs. per Jahr voraus. Das Budget der Arbeitslosenkasse 
der Stadt St. Gallen balancierte ebenfalls bloß mit einem nennenswerten 
Zuschuß von Stadt und Kanton. Gleicherweise bedarf die Arbeitslosen- 
kasse der Stadt Bern eines regelmäßigen Zuschusses der Stadtgemeinde. 
Wird die Arbeitslosenkasse diese Zuschüsse entbehren können ? 

Die Beantwortung dieser Frage ist nicht leicht. Unserer Ansicht 
nach darf sie unter zwei Voraussetzungen, welche bis jetzt noch nicht 
erwähnt wurden, bejaht werden. Die Kasse wird existieren können in 
Zeiten, welche keine abnormal hohe Arbeitslosigkeit aufweisen und wenn 
der Staat ihre Bestrebungen durch planvolle Arbeitspolitik zu unter- 
stützen bestrebt ist. 

Und das führt uns auf den zweiten besonders scharf ausgeprägten 
Unterschied dieses Projekts von den früheren Entwürfen. Die Arbeits- 
losenkasse des Arbeiterbundes will bei aufgetretener Arbeitslosigkeit sich 
frühzeitig an die Behörden wenden, damit diese für genügende und anstän- 
dig bezahlte Arbeit sorgen. Die Beschaffung von Arbeit wird daher auch 
im Statutenentwurf der Auszahlung des Taggeldes vorausgestellt. Erst 
wenn jene nicht möglich ist, soll das Recht auf die Taggelder beginnen. 
Die Aufgabe, welche damit den Behörden zugewiesen wird, ist unter 
Umständen schwerer als die Ausrichtung eines hohen Beitrags an die 
Arbeitslosenversicherungskasse und sind die Erfahrungen, welche man 
damit in der Schweiz machte, sehr lehrreich. Wir erinnern an die Be- 
schäftigung der Arbeitslosen in der Stadt St. Gallen im Jahre 1888, 
1891/92, 1892/93 und 1893/94. 

Nach der sehr instruktiven Darstellung dieser Arbeitsbeschaffung 
durch Polizeidirektor Zuppinger erlitt die Gemeinde hierbei einen Schaden 
von 3078,3 frcs. im Jahre 1891/92, von 6564 frcs. im Jahre 1892/93 
und von rund 10000 frcs. im folgenden Jahre 1), 


1) Statistik des Kantons St. Gallen. II. Heft. Die Arbeitslosigkeit in St. Gallen. 


Miszellen. 535 


In Zürich !) konnten im Jahre 1892/93 städtische Notarbeiten von 
den Behörden nicht angeordnet werden, weil sie erst mit der Stadt- 
vereinigung am Neujahr in die Geschäfte eingetreten und vorläufig mit 
Organisationsarbeiten vollauf beschäftigt waren. Dagegen konnte der 
Kanton 250 Mann mit Eisbrucharbeiten einige Tage beschäftigen. Aber 
auch im folgenden Jahre konnte außer einigen kleineren Arbeiten von 
der städtischen Bauverwaltung keine Beschäftigung erhältlich gemacht 
werden, ja es waren von dieser Verwaltung selbst gegen Ende 1893 
wegen Einstellung der Tiefbauarbeiten eine Anzahl Arbeiter entlassen 
worden. Aber auch später war für die Arbeitslosenkommission die 
Beschaffung von Arbeitsgelegenheit der schwierigste Teil ihrer Aufgabe. 
Im Winter 1893/94 wird neben vereinzelten Aufträgen Privater der 
Abbruch eines Hauses auf dem Areal der Gewerbeausstellung sowie 
die Erdaushebung für die Fundamente eines städtischen Schulhauses 
erwähnt 2). Im folgenden Jahre scheinen die Bemühungen der Kommission 
für Schaffung von Arbeitsgelegenheit von noch geringerem Erfolge be- 
gleitet gewesen zu sein, während im Jahre 1898 an 56 Arbeitslose 
durch die Kommission Arbeit angewiesen werden konnte. Das zeit- 
weise Einschlummern der Thätigkeit der Arbeitslosenkommission nach 
dieser Richtung erklärt sich teils aus dem wirtschaftlichen Aufschwung 
und teils aus der Schwierigkeit dieser Aufgabe. Die letztere trat aber 
besonders in diesem Winter deutlich hervor. In einer Sitzung des 
Großen Stadtrates interpellierte Arbeitersekretär Greulich den Stadtrat 
über die Vorkehrungen, die dieser getroffen habe, um Arbeitsgelegenheit 
für die Arbeitslosen zu beschaffen sowie über die Schritte, die er ange- 
sichts der bereits vorhandenen und noch stärker zu gewärtigenden 
Arbeitslosigkeit zu thun gedenke. Obwohl sich der Stadtrat) schon 
seit August mit der Arbeitslosigkeit beschäftigte und in einigen Ver- 
sammlungen, zu denen Vertreter des Gewerbeverbandes und der Ar- 
beitskammer eingeladen worden waren, die Lage allseitig geprüft hatte, 
fiels eine Antwort nicht sehr tröstlich und befriedigend aus. Die Anfrage 
bei den eidgenössischen und kantonalen Behörden hatte mit dem Erfolge 
geendigt, daß seitens des Kantons größere Erdarbeiten und Korrektions- 
arbeiten an der Limmat in Aussicht gestellt wurden, bei welchen 50— 
60 Mann beschäftigt werden könnten. Die Nachfrage bei den Organen 
der städtischen Bauverwaltung hatte das Resultat ergeben, daß dieselben 
nicht imstande sein würden, Arbeitsgelegenheit für eine größere Zahl 
von Arbeitslosen zu schaffen; ja manche erklärten, sie müßten sich glück- 
lich schätzen, wenn sie sich nicht gezwungen sehen, zu Entlassungen 


(Geschichte der Arbeitslosigkeit, der Versicherung gegen ihre Folgen und des Arbeits- 
nachweises.) Bern, Buchdruckerei Stäümpfli & Cie, 1895, S. 8 ff. 

1) Aug. Merk, Die Arbeitslosigkeit in Zürich in den Wintern von 1892/93 und 
1893/94 und Versuch einer Arbeitslosenstatistik, Zeitschrift für schweizerische Statistik. 
Jahrgang 1894, S. 316 und 317. 

2) Geschäftsbericht des Stadtrates und der Centralschulpflege der Stadt Zürich 
vom Jahre 1894. Zürich (Buchdruckerei Berichthaus) 1895, S. 6. 

3) Vergl. hierzu: H. Schatzmann, Die städtische Arbeitslosenunterstützung in Zürich. 
Schweizerisches Centralblatt für Staats- und Gemeindeverwaltung, I. Jahrgang, No. 24, 
S. 198, 


536 Miszellen. 


zu schreiten. Dafür erließ der Stadtrat am 1. Dezember einen Aufruf, 
in dem die Einwohnerschaft der Stadt aufgefordert wurde, ihrerseits 
die Beschaffung von Arbeitsgelegenheit ins Auge zu fassen und durch 
rechtzeitige Vornahme von Reparaturen aller Art, Bauarbeiten im Innern 
der Häuser, Ausbessern von Geräten, Möbeln etc. mit dazu beizutragen, 
daß den Arbeitslosen Beschäftigung geboten werden könne. Ende No- 
vember bestellte er die Arbeitslosenkommission, bestehend aus 3 Ver- 
tretern der Verwaltungskommission des städtischen Arbeitsamtes, 3 Ver- 
tretern des stadtzürcherischen Gewerbeverbandes, 3 Vertretern der Ar- 
beitskammer, 2 städtischen Beamten und dem Generalsekretär der frei- 
willigen und Einwohnerarmenpflege, wozu später noch 4 Vertreterinnen 
des Frauenverbandes kamen. Am 7. Dezember erließ dann die Arbeits- 
losenkommission die Anzeige, daß Anmeldungen unterstützungsberech- 
tigter Arbeitsloser von diesem Tage an vom städtischen Arbeitsamte 
entgegengenommen werden. Dabei scheint es sein Verbleiben haben zu 
sollen und änderten mehrere sehr stark besuchte Arbeitslosenversamm- 
lungen vorderhand hieran nichts. Im Gegenteil scheint auch unter den 
Arbeitslosen die Hoffnung auf Beschaffung von Arbeitsgelegenheit für 
diesen Winter bereits sehr stark geschwunden zu sein, wie aus ihren 
Resolutionen sowie aus einem Votum Greulich’s hervorgeht, der sich 
dahin äußerte, daß man in Zukunft vielleicht eher daran denken werde, 
Arbeit für die Zeit der Arbeitslosigkeit zu beschaffen, wenn die Aus- 
gaben für Unterstützung dieses Mal höhere sein werden, als gewöhnlich. 

In Bern ist die Arbeitsbeschaffung für die arbeitslosen Mitglieder 
der Versicherungskasse ebenfalls die schwierigste Aufgabe, obwohl diese 
in mehreren Berichten dankend des Vorgehens der städtischen Bau- 
direktion erwähnt, welche für Straßenbau, Erdaushub, Schneeräumungs- 
arbeiten etc. jeweils für einen Teil der Arbeitslosen Arbeitsgelegenheit 
anwies. Allein diese Maßnahmen erwiesen sich doch als zu schwach, 
um der herrschenden Arbeitslosigkeit mit Erfolg zu begegnen, nament- 
lich auch angesichts des Umstandes, daß neben den arbeitslosen Mit- 
gliedern der Versicherungskasse noch viele andere Arbeiter jeweils 
arbeitslos waren und sich sogar zur Sommerszeit starke Arbeitslosigkeit 
bemerkbar machte. 

Bezeichnend für die dortigen Verhältnisse ist eine im Juli 1900 dem 
Stadtrat eingereichte Motion der sozialdemokratischen Stadtratsfraktion, 
welche folgenden Wortlaut hatten: 

Angesichts des Umstandes, daß die Arbeitslosigkeit einheimischer 
Arbeitskräfte einen für die gegenwärtige Jahreszeit ungewöhnlichen 
Umfang angenommen hat, der sich zu einer förmlichen wirtschaftlichen 
Katastrophe auszugestalten droht, wird der Gemeinderat ersucht, 

1) unverzüglich darüber Bericht und Antrag einzureichen, ob nicht 
sofort größere städtische Arbeiten zur Ausführung zu bringen seien; 

2) bei der Gürbethalbahngesellschaft und bei den Bauunternehmern 
energische Schritte zu thun, um das Mißverhältnis in der Zahl der ein- 
heimischen und der ausländischen Arbeitskräfte zu beseitigen; 

3) in Zukunft die Unternehmer von großen Gemeindebauten und 
die von der Gemeinde subventionierten Gesellschaften zu verpflichten, 


Miszellen. 537 


75 Proz. der Arbeiter aus der einheimischen Bevölkerung zu ent- 
nehmen und über die Beobachtung dieser Verpflichtung Kontrolle zu 
führen, zu welchem Zweck die Unternehmer dem Gemeinderate die 
Lohnlisten und die Verträge mit den Unteraccordanten vorzulegen haben; 

4) die Direktion der Linie Bern-Neuenburg zu bewegen, ein- 
heimische Arbeiter in größerem Umfang zu beschäftigen; bei der kanto- 
nalen Regierung vorstellig zu werden, die Hochschulbauten, und beim 
Bundesrate, das Postgebäude in Angriff nehmen zu lassen, wobei diesen 
Behörden empfohlen werden soll, den Unternehmern die in Ziffer 3 
angeführte Verpflichtung aufzuerlegen. 

Im Winter beschloß dann der Stadtrat infolge einer Motion von 
Stadtrat C. Moor die sofortige Anhandnahme von Erdarbeiten, welche 
aber infolge der inzwischen eingetretenen kalten Witterung nicht aus- 
geführt werden konnten. Am 15. Februar widersetzte sich der Ge- 
meinderat einer von C. Moor eingereichten Motion, welche eine Sammlung 
zu Gunsten der Arbeitslosen verlangte. Dagegen beschloß der Stadtrat, 
den Arbeitslosen Lebensmittel auf Kosten der städtischen Armenpflege 
zu verabreichen, eventuell weitere Straßenbauten ausführen zu lassen. 

Das Facit dieser Bestrebungen ist nichts weniger als vielversprechend. 
Einen Teil der Schuld hieran trägt die mangelhafte Kenntnis über Wesen, 
Umfang und Intensität der Arbeitslosigkeit, welche nur durch einläß- 
liche und regelmäßige Zählungen der Arbeitslosen gewonnen werden 
kann. Diese Ursache des Versagens der Arbeitbeschaffung für Arbeits- 
lose könnte durch Kassen nach dem Muster des Basler Projekts leicht 
gehoben werden. Ebenso würden durch derartige Kassen, falls sie die 
Mehrzahl der Arbeiter einer Stadt umfassen, die Behörden jeweils recht- 
zeitig auf ihre Pflicht der Arbeitsbeschaffung aufmerksam gemacht werden 
können, wodurch sie von Massenarbeitslosigkeit weniger überrascht würden. 

Zu der angedeuteten Schwierigkeit, die sich nie ganz vermeiden 
lassen wird, gesellt sich noch eine andere. Die durch die Behörden 
anzuweisende oder zu beschaffende Arbeitsgelegenheit wird stets nur 
für einen Teil der Arbeitslosen in Betracht fallen können. Der Uhr- 
macher, Spinner oder Weber wird zu Erdarbeiten so wenig taugen, 
wie der Kommis etc. zum Eisbrechen. Auch nach dieser Seite hin 
liefern die Erfahrungen in der Schweiz sprechende Belege, indem sich 
in den meisten Fällen ein Teil der Arbeitslosen zu schwach oder ge- 
radezu unfähig erwies, die auf diese Art zur Verfügung gestellte Arbeit 
zu verrichten. Dadurch wird aber wiederum eine gewisse Ungleichheit 
entstehen. Die Erd- und Bauarbeiter sowie die Angehörigen verwandter 
Berufsarten werden bei Arbeitslosigkeit unter Umständen von der 
Kassenverwaltung jeweils Arbeit angewiesen erhalten können, während 
bei anderen Berufsgruppen die Arbeitsbeschaffung sozusagen gar nicht 
in Betracht käme. Man wird nun allerdings mit Recht dagegen ein- 
wenden, daß die Beschaffung von Arbeit die wertvollere und begehrtere 
Hilfe sei als die karge Arbeitslosenentschädigung. Ebenso mag mit 
gleichem Recht die Thatsache wider dieses Bedenken ins Feld geführt 
werden, daß die Arbeiterkategorien, für welche die Behörden am 
leichtesten Arbeit für Zeiten der Arbeitslosigkeit beschaffen könnten, 


538 Miszellen. 


sowieso das größte Risiko der Arbeitslosigkeit aufweisen. Aber mit 
dem allem ist der Stachel, den jede Ungleichheit der Behandlung an 
sich trägt, eben doch nicht ganz weggenommen. Dies wird umsoweniger 
geschehen, als die Verwaltung in einem Falle sozusagen ausnahmslos 
in der Anweisung von Arbeit ein treffliches Mittel zur Konstatierung 
der sogenannten Unverschuldetheit der Arbeitslosigkeit hat, während 
bei der anderen großen Gruppe der Versicherten ein solches sozusagen 
gänzlich fehlt. Wie wichtig ein solches Kontrollmittel ist, hat man in 
St. Gallen erfahren, erfährt es jeden Winter in Bern bei der Verwal- 
tung der Arbeitslosenkasse und spürt es in Zürich und anderen Orts, 
wo Arbeitslosenkommissionen sich mit der Unterstützung von Arbeits- 
losen abzugeben haben. Diese Erfahrungen haben den Adjunkten des 
schweizerischen Arbeitersekretärs zu dem originellen Vorschlag veran- 
laßt, die Behörden möchten wenigstens Arbeitsgelegenheit bieten, die 
lediglich als Kontrolle zu dienen hätte, wobei er ausschließlich an solche 
Arbeiten denkt, die ohne die Arbeitslosigkeit nicht gemacht würden. 
Als Beispiele solcher Arbeiten, die ganz gut von Arbeitslosen verrichtet 
werden könnten, ohne daß andere Arbeiter darunter zu leiden hätten, 
führt er folgende an: 

1) Man läßt die Arbeitslosen während mehrerer Stunden des Tages 
die Trottoirs reinigen, was niemals, besonders zur Winterszeit, den Ein- 
druck machen wird, als ob es durchaus unnötig wäre. Diese Arbeit 
könnte jeder verrichten, einen Besen und eine Schaufel kann am Ende 
jeder notdürftig handhaben, auch wenn er sonst ein Maler oder ein 
Schuhmacher ist. Das Publikum hätte noch seine Freude daran, wenn 
die Trottoirs und die Perrons vor den Häusern immer schön sauber 
gehalten werden; es würde sich vielleicht gerade dadurch noch zu frei- 
willigen Gaben für die Arbeitslosen hinreißen lassen. 

2) Die große Mehrzahl der Arbeitslosen rekrutiert sich gewöhnlich 
aus Erd- und Bauarbeitern. Diesen könnte eine besondere Arbeit an- 
gewiesen werden. Wie wäre es, wenn die Stadt durch diese Arbeitslosen 
am Uetliberg drüben oder am Zürichberg, wo die Stadt schon eigenes 
Land besitzt, Keller graben oder sogar einen Tunnel zum jenseitigen 
Thal und mittels der ausgehobenen Erde einen Aussichtshügel mit 
botanischem Garten, einen Tiergarten oder dergleichen erstellen ließe. 
So etwas böte für die Arbeitslosen jahrzehntelang Arbeit genug und 
könnte von der zukünftigen Menschheit als Beweis für den Stand der 
heutigen Kultur betrachtet werden, wie von uns die Pyramiden der 
alten Aegypter. 

3) Will man einwenden, nicht jeder eigene sich zu solcher Arbeit, 
oder mancher würde zu sehr herabgewürdigt, wenn er sich zu solcher 
Arbeit hergeben mülte oder würde, sogar geschädigt, weil er später 
zu feinerer Arbeit nicht mehr fähig wäre und auch kaum mehr An- 
stellung finden könnte, z. B. Schreiber und Kanzlisten, so könnte solchen 
auch andere Arbeit angewiesen werden, z. B. das Abschreiben (und 
zwar recht schön) von alten vergilbten Urkunden. Glaubt wohl jemand 
im Ernst, diese Arbeit würde, weil sie nicht eine unbedingte Not- 
wendigkeit ist, widerwärtiger vorkommen, als das Abschreiben irgend 
einer Rechnung oder eines gerichtlichen Urteils ? 


Miszellen. 539 


4) Schneidern könnte das Reinigen, Ausbessern oder Umändern der 
Kapüte der städtischen Angestellten übergeben werden. 

5) Ebenso könnte auch den Wiäscherinnen, Spetterinnen etc. immer 
Arbeit zur Genüge angewiesen werden mit dem Reinigen von Treppen- 
häusern in öffentlichen Gebäuden. Die Abwärte würden sich darüber 
nicht beklagen. 

6) Aber die Goldschmiede mit ihren feinen Händen (solche haben 
sich zwar bei uns noch nie als arbeitslos gemeldet), was sollen die 
denn thun? Mit denen könnte man dem großen Publikum eine Freude 
machen, ohne daß den Kollegen dadurch Schaden erwachsen würde. 
Man würde einfach ausschreiben, daß alle unechten Schmucksachen 
durch die arbeitslosen Gold- und Silberschmiede unentgeltlich geputzt 
würden und sie erhielten Arbeit in Hülle und Fülle. 

Einem Teil der gegen dieses Projekt geäußerten Bedenken kann 
leicht abgeholfen werden, während der andere in seiner Natur begründet 
ist. Doch ist derselbe nicht so schwerwiegend, daß daran das Gelingen 
eines praktischen Versuchs scheitern müßte. Die Hauptstärke des Vor- 
schlags liegt ja gerade darin, daß derselbe ohne lange Vorbereitungen, 
Gutachten, Kommissions- und Parlamentsberatungen etc. praktische Ge- 
stalt annehmen kann. Ist die Mehrzahl der organisierten Arbeiterschaft 
mit dem Projekte einverstanden, so dokumentiert sie damit auch ihr 
Vertrauen auf das Solidaritätsgefühl, die wichtigste Bedingung des Ge- 
lingens. Mit derselben Leichtigkeit gestaltete sich die Einführung. 
Diese brauchte keinen neuen und weitläufigen Beamtenapparat. Die 
Kasse gliederte sich einfach den bestehenden Organisationen an. Im 
Arbeitersekretariat hätte die Kasse einen erfahrenen Sekretär, welcher 
im Vorstand der Arbeitslosenkasse wohl die Hauptarbeit zu besorgen 
hätte. Dadurch würden die Einrichtungs- und Verwaltungskosten auf 
ein Minimum reduziert, was auf Arbeiterschaft und Publikum nicht 
ohne guten Eindruck bliebe Im Vorstand der Kasse säßen die Ver- 
trauensmänner der Arbeiterschaft; den festen Grundstock der Mit- 
glieder bildeten die Angehörigen der Fachvereine und der politischen 
Organisationen. Sollte sich das Bedürfnis nach Abänderungen ergeben, 
so wird demselben ebenfalls auf einfacherem Wege Genüge geleistet 
werden können, als wenn verschiedene Behörden oder gar das Volk 
dazu die Einwilligung zu geben hätten. Namentlich das letztere spricht 
sehr für einen Versuch mit diesem Projekte. Nachdem die bisherigen 
Projekte sich zerschlagen und die Versuche gescheitert sind, mag die 
Arbeiterschaft den Wurf wagen, das Problem der Arbeitslosenversiche- 
rung in erster Linie aus eigener Kraft zu lösen. 

Man darf daher auf die Aufnahme dieses Vorschlags bei der 
Arbeiterschaft von Baselstadt gespannt sein. Der Boden dürfte dem- 
selben dort bereits vorbereitet sein. Sofort nach dem verwerfenden 
Volksentscheid über dir Arbeitslosenversicherung reichte Nationalrat 
Wullschleger dem Präsidenten des Großen Rates eine Motion ein, durch 
die der Regierungsrat eingeladen wurde, die Frage der Errichtung eines 
staatlichen Fonds zur Unterstützung unverschuldeter arbeitsloser Bürger 
und Einwohner des Kantons zu prüfen und die Frage zu erwägen, ob 


540 Miszellen. 


und unter welchen Bedingungen an berufliche Vereine oder Verbände 
von Arbeitern und Angestellten, die sich mit der Arbeitslosenversiche- 
rung befassen wollen oder zugleich an berufliche Arbeiter- und Unter- 
nehmervereine oder Verbände, die gemeinsam die Arbeitslosenversiche- 
rung betreiben wollen, Beiträge verabreicht werden können. In der sich 
an die Begründung dieser Motion anknüpfenden öffentlichen Diskussion 
wurde von sozialdemokratischer Seite darauf hingewiesen, daß staatliche 
und kommunale Versuche die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, nicht zu 
den sozialpolitischen Aufgaben gehören, mit denen sich die Arbeiter- 
schaft befassen sollte Es sei begreiflich, daß die Arbeiterschaft von 
einer staatlichen oder kommunalen Arbeitslosenversicherung nichts 
wissen wollte, weil diese Forderung nichts Sozialistisches enthalte. 
Etwas anderes sei es mit der Arbeitslosenunterstützung durch 
die Gewerkschaften. Diese sei nicht Selbstzweck, sondern Mittel zu 
dem Zweck, die Organisation in die Höhe zu bringen. Denkt die Mehr- 
zahl der organisierten Arbeiterschaft von Baselstadt ähnlich, wird die 
Arbeitslossenkasse des Arbeiterbundes Basel nicht lange auf sich warten 
lassen. 


Miszellen. 541 


Nachdruck verboten. 


IX. 
Hauptergebnis der deutschen Volkszählung 1900. 


Von Friedrich Zahn (Berlin). 


Das Hauptergebnis der am 1. Dezember 1900 erfolgten deutschen 
Volkszählung ist für das gesamte Reich vom Kaiserl. Statistischen Amt 
am 20. Februar 1901 in der „Berliner Korrespondenz“, am 27. Februar 
im „Reichsanzeiger“ und hernach ausführlicher in den „Vierteljahrs- 
heften zur Statistik des Deutschen Reiches‘, 1901, Heft 1 veröffentlicht. 
Die Veröffentlichung giebt die Einwohnerzahl des Reichs, der Bundes- 
staaten und der Großstädte (Städte mit über 100 000 Einwohnern) nebst 
Vergleichen mit früheren Zählungsergebnissen und mit Zählungs- 
ergebnissen anderer Länder. Durch diese Veröffentlichung, die seitens 
einzelner Bundesstaaten durch eigene eingehendere ergänzt ist, ist dem 
vordringlichsten Bedürfnis, das durch die Volkszählung befriedigt werden 
soll, Genüge gethan. Die Reichs- und Landesstatistik, welche diese 
verhältnismäßig rasche Bereitstellung des wesentlichsten Zählungs- 
resultats herbeiführte, hat aufs neue bewiesen, daß das von manchen 
Leuten gerne gebrauchte Schlagwort von der „sprichwörtlichen Lang- 
samkeit, mit der die Statistik arbeitet“, zum mindesten auf die amtliche 
Statistik in Deutschland nicht zutrifft. Wer übrigens das derzeitige 
Verfahren für noch nicht schnell genug erachtet, dem ersten Resultat 
der Volkszählung vielmehr eine solche Wichtigkeit beilegt, daß es nach 
seiner Ansicht noch rascher als diesmal, d. h. noch früher als drei 
Monate nach der Aufnahme, zur Verfügung stehen soll, dem wird der 
Vorschlag des Direktors des Kaiserl. Statistischen Amts H. v. Scheel 
(vergl. dessen Artikel „Volkszählung“ im Handwörterbuch der Staats- 
wissenschaften, 2. Aufl.) sympathisch sein, welcher diese Beschleunigung 
mittels umfassender Benutzung des Telegraphen erreichen will. 

Nachstehend teilen wir die Hauptzahlen der neuesten deutschen 
Volkszählung mit und verweisen im übrigen auf die genannten Ver- 
öffentlichungen des Kaiserl. Statistischen Amts. 


542 


Die Bevölkerung des Deutschen Reiches 1900. 


Miszellen. 


Ortsanwesende Bevölkerung 


Zunahme, 
Abnahme (—) 


| Auf 1 qkm 
kommen Ein- 


Fläche —| in Proz. der: the 
Staaten (1895) !) am 1. Dezemler 1900 sm Bevölkerung | 
Cep 2. Dez. |1895—|1871— 
St dam 1895 2 50 | 1900 | 18 ! 
männlich | weiblich |zusammen| 1895 1900 | 1900 | 
= _ 5 = E L pm EN 
Prov. Ostpreußen 36 989,6 959588 1034829 1994 air! 2006689 —0,61| 9,41) 53,9 N 493 
» Westpreußen 25 521,3 767826 795633: 1563459 1494385 4,652| (Ban 61,8 515 | 
Stadt Berlin 63,4 901 805 982346 1 884151! 1677 304 12,33) 128,01/?) pasi ND 1,3 
Prov. Brandenburg 39 834,9 | 1523 358 1584 593 3 107 951 2821695 10,14] 52,58) 78,0 ai 
» Pommern 30 116,3 799693: 834 966 1634659 1574147 3,8s| 14,18) 543 45 
» Posen 28 966,2 901675: 986380 1888055 1828633! 3,25) 19,23 65,2 54: 
» Schlesien 40 312,8 | 2 226 536| 2441 842 4668378 4415309 5,73| 25,98 115,8, 920 
» Sachsen 25 251,5 | 1 389 204| 1 444020 2833 224| 2 698 549 4,99| 34,11 112,2 $33 
»  Schleswig-Holsteinj 19001,8' 701583) 686004 1387587| 1286416 7,86| 32,78) 73,0 550 
» Hannover 38 500,8 | 1 296 829. 1 293 507: 2590330 2422020 6,95| 32,06 67,3 508 
» Westfalen 20 209,2 | 1646 218) 1541854| 3 188072| 2701420 18,01) 79,59) 157,8, 873 
»  Hessen-Nassau 15 694,2 923 641| 973669 1 897 310, 1756802, Bol 35,419) 120,9) D: 
„ Rheinland 26 993,7 | 2900 142| 2858853 5 758 9095! 5 106002! 12,79) 60,90! 213,8] 132 
Hohenzollern 1 142,3 31 987 34 796! 66 783! 65752 1,57| 1,86 58,5! DÉI 
Königreich Preußen 348 607,0 |16 970 085/17 493 292 34 463 2 377 31 855 123° Bun 39,59) 98,9) 70: 
Bayern r. d. Rh. 69 936,7 | 2614 423| 2729 197| 5 343 620) 5052553, 5,16| 26,12) 76,4 boi | 
Bayern 1. d. Rh. (Pfalz)| 5 928,0 Kä 670| 418863) 831533| 7059911 8,56| 35,20) 140,3 = 
Königreich Bayern 75 864,7 3 027 093| 3 148 060! 6 175 153 5818 544) 6,13| 26,97| 81,4] 641 
Königreich Sachsen 14 992,9 | 2 042 437| 2157 321| 4199758 3787 688) 10,88) 64,29! 280,1 vol 
Württemberg 19517,1| 1051815) 1113 950| 2 165 765 2081151) 4,07| 19,09] 111,0) CHE 
Baden 15 081,0 925 670| 940914! 1866584 1725464 8,18| 27,71) 123,8] 90 
Hessen 7 681,8 558062) 561 404| 1120426 1039020] "aal 31,37] 145,9) 1110 
Mecklenburg-Schwerin 13 126,9 300419) 307 4160| 607835 597 436) 1,74 Hun 40,3] 42: 
Sachsen-Weimar 3 615,3 176 650 185 368| 362018 339217! 6,72| 26,50] 100,41! 7% 
Mecklenburg-Strelitz 2 929,5 50 870! 51758] 102628 ot 540) 1,07| 6,82| 350 351] 
Oldenburg 6425,2| 197954] 200545| 398499 3737391 Gel 25,851 620] 4%] 
Braunschweig 3 072,2 230 351 233 900| 464251 434213!) 6,92| 48,91| 1204 4; 
Sachsen-Mciningen 2 408,1 123 027| 127056] 250683 234005! 7,13) 33,37| 101,6 704 i 
Sachsen-Altenburg 1 323,7 05442) 98831] 194273 180313! 7,74| 30,09] 146,8! 1074 
Sachsen-Coburg-Gotha 1 958,0 110949, 118618] 229507 216603 5,99| 31,68| 117,2 540 
Anhalt 2294,4| 155 162| 160865] 316027 293298 7,75) 55,34| 137,7 part 
Schwarzb.-Sondershaus. 862,0 | 39 401) 41 277 80 678 78074! 3,34] Song Dä ,: a 
Schwarzb.-Rudolstadt 940,8 45 082 47 575 92657 88685) 448| 22,09] 985] Di 
Waldeck 1 121,0 27 936, 29 977 57 913 57766) oan 3,00 517| 5% 
ReuB ält. Linie 3164| 32518) 35769 68 287| 57 468| teil 5u,a3| 2158) 14° 
ReuB jüng. Linie 825,7 66 554 72439, 138993 132130, 5,19, 56,12] 168,8) 10, 
Schaumburg-Lippe 340,2 | 21449 21683) 43132) 41224| Aenl 34,54] 120,8) 93° 
Lippe 1215,2 | 67 113 72125] 1392381 134854| 3,25| 25,29) 114,6 Je 
Lübeck 297,7 47784 48 991, 96775 83324] 16,14] 85,54] 3251) 175 
Bremen 256,7| 111094| 113 603! 224697 196g04| 14,41) 83,57) 875,3 Ah 
Hamburg 415,01 375811] 392538) 708349 681 632| 12,72| 126,67) 1851,4 Géi 
Elsaß-Lothringen 14 507,1 879439| 838 012| 1717451) 1640986) 4,66| 10,82 118, Ai 10b, 
Peutsches Reich | 54° 657,6 |27 731 067/28 613 947156 345 014152 279901) 7,78 Dä 104,8) d 75 


1) Die Flächenzahlen für 1900 sind noch nicht zuss ımmengestellt. 


2) Diese Zahlen beziehen sich auf die Provinz Br: andenburg mit Berlin. 


Litteratur. 543 


Nachdruck verboten. 


Litteratur. 


IV. 
Neuere finanzwissenschaftliche Schriften. 


Besprochen von Max von Heckel. 


1) Schwarz und Strutz, Der Staatshaushalt und die Finanzen 
Preußens. Unter Benutzung amtlicher Quellen. 

Bd. 1: Die Ueberschußverwaltungen von Strutz, 2. Lieferung: III. 
—V. Buch: Berg-, Hütten-, Salinen- und Bernsteinverwaltung. 
Seehandlung. Lotterie- und Münzverwaltung. Berlin (Gutten- 
tag) 1900. VIII und S. 279—564. 

Bd. 2: Die Zuschußverwaltungen von Schwarz, 1. Lieferung; 
I. Buch: Die Verwaltung der geistlichen, Unterrichts- und 
Medizinalangelegenheiten. Berlin (Guttentag) 1900. XXII und 
S. 1—560. 

2) Feitelberg, Dr. D, Die Einkommenbesteuerung nicht phy- 
sischer (juristischer) Personen. Jena (G. Fischer) 1900. gr. 8%. 191 SS. 
(Staatswissenschaftliche Studien von Ludwig Elster, Bd. 6, Heft 7.) 

3) Cohn, Dr. S., Die Finanzen des Deutschen Reiches seit seiner 
Begründung. In den Grundzügen dargestellt. Berlin (Guttentag) 1899. 
gr. 80. VI und 209 SS. 

4) Schmelzle, Dr. Hans, Der Staatshaushalt des Herzogtums 
Bayern im 18. Jahrhundert. Stuttgart (Cotta) 1900. gr. 8. XX und 
425 SS. Münchener Volkswirtschaftliche Studien herausgegeben von 
L. Brentano und Walther Lotz. 41. Stück. 

5) Drenkhoff, Dr. phil. Iwan K., Die Steuerverhältnisse Bul- 
gariens. Jena (G. Fischer) 1900. gr. 8°. X und 146 SS. Sammlung 
nationalökonomischer und statistischer Abhandlungen des Staatswissen- 
schaftlichen Seminars in Halle a. S., herausgegeben von J. Conrad. 
Bd. 29. 

6) Creanga, Dr. George D., Die direkte Besteuerung in Preußen 
und Rumänien. Berlin (Ebering) 1900. gr. 80. 237 SS. Rechts- und 
Staatswissenschaftliche Studien, veröffentlicht von Dr. E. Ebering. Heft 8. 

7) Kaizl, Dr. Josef, Finanzwissenschaft. Erster Teil. Aus dem 
Böhmischen übersetzt von Dr. Alois Körner. Wien (Manz) 1900. 
gr. 8°. XVI und 213 SS. 


544 Litteratur. 


8) Jean de Bloch, Les Finances de la Russie au XIX. siècle. 
Historique et Statistique. T.I. Paris (Guillaumin) 1900. gr. 80. 265 p. 

9) Freiberger, Gustav, Handbuch der österreichischen direkten 
Steuern in systematischer Darstellung. 2. Aufl. Wien (Manz) 1899. 
gr. 8%. XVI und 664 SS. 

10) Raffalovich, Arthur, Le Marché financier en 1899—1900. 
Paris (Guillaumin) 1900. VII, XXX und 824 p. 

11) Gothaischer Genealogischer Hofkalender nebst diplomatisch- 
statistischem Jahrbuche 1901. 138. Jahrg. Gotha (J. Perthes) 1901. 
XXIV und 1093 SS. 


Unsere finanzwissenschaftliche Fachlitteratur ist im Laufe des 
letzten Jahres durch eine stattliche Reihe neuer Darbietungen bereichert 
worden. Wir dürfen hier an erster Stelle die Fortsetzung des groß 
angelegten Werkes von Schwarz und Strutz über den Staatshaus- 
halt und die Finanzen Preußens erwähnen. Von diesem liegt nun auch 
die 2. Lieferung des I. Bandes und das 1. Buch des II. Bandes vor. 
Wir haben uns bereits früher in diesen „Jahrbüchern“ (III. F. Bd. 20 
S. 130—132) über Charakter, Art, Methode und System dieser Publi- 
kation ausgesprochen und ergreifen jetzt gerne die Gelegenheit, die 
Fortführung an dieser Stelle anzukündigen. Strutz bringt in der 
2. Lieferung des I. Bandes die Fortsetzung der „Ueberschußverwaltungen“ 
und zwar das 3. bis 6. Buch. Von weiteren privat- oder erwerbs- 
wirtschaftlichen Einnahmequellen kommen nunmehr die Berg-, Hütten-, 
Salinen- und Bernsteinverwaltung, die Seehandlung, die Lotterie- und 
Münzverwaltung an die Reihe. Die Schilderung knüpft überall an eine 
dreifache Gliederung an. Zuerst wird die Entwickelung der einzelnen 
Einnahmezweige vorgeführt, dann folgen die verwaltungstechnischen 
Organisationen, die Stellung im Staatshaushalt und endlich die Betriebs- 
ergebnisse in Einnahme, Ausgabe und Ueberschuß. Auf diese Weise 
wird der Leser in einer ansprechenden Form in den geschichtlichen 
Entwickelungsprozeß, in die Thatsachen des Rechtsstandes und in die 
statistischen Resultate eingeführt. Das Werk bewährt sich auch in 
diesen Partien als ein vortreffliches Hilfsmittel zum Studium des preu- 
Bischen Staatshaushalts-Etat. Aber es leistet mehr als ein syste- 
matischer Kommentar, da in den dargestellten Materien ein beachtens- 
werter Einblick in des Getriebe der preußischen Staatsverwaltung 
vermittelt wird, der Zusammenhang ihrer Einzelheiten verständlich er- 
scheint, das Zusammenwirken der treibenden Kräfte sich in einer 
realistisch faßbaren Gestalt wiederspiegelt. Ebenso wird man die 
größte Anerkennung der ausführlichen Darstellung gerade der privat- 
wirtschaftlichen Einkünfte zollen, die jetzt schon zwei stattliche Bände 
füllt und wohl noch einen weiteren der Staatseisenbahnverwaltung 
widmen wird. Diese umfassende Behandlung entspricht ganz der wich- 
tigen Rolle, die den Reinerträgen aus dem Finanzvermögen im preuli- 
schen Staatshaushalt zukommt. Und gerade auch der Finanztheoretiker 
wird sich über diese Thatsache nur freuen können: ist sie doch ein 
Beweis für das Obsiegen unserer neueren Lehrmeinungen auch in der 


Litteratur. 545 


Praxis, die den privatwirtschaftlichen Einkünften eine hervorragende 
Stellung im Staatshaushalte einräumen. Die preußische Staats- und 
Finanzverwaltung hat am besten durch Thaten die Unzulänglichkeit 
jener Anschauungen der individualistisch-liberalen Epoche widerlegt, die 
den Staat zur Verwaltung und Ausnutzung von wirtschaftlichen Er- 
werbsquellen für ungeeignet hielten. Wir dürfen somit den weiteren 
Fortsetzungen dieses großen Werkes mit erheblichem Interesse ent- 
gegen sehen, 

Schwarz bietet uns im I. Buche des II. Bandes von den „Zuschuß- 
verwaltungen“ die Verwaltung der geistlichen Unterrichts- und Medi- 
zinalangelegenheiten in einem stattlichen Bande. Das ganze Material 
wird in sechs Hauptstücken, die sich in der Hauptsache mit den 
Etatstiteln decken, dem Leser vorgeführt. Diese sind überschrieben: 
Ministerium (Centralverwaltung), Verwaltung der kirchlichen Angelegen- 
heiten, Unterrichtsangelegenheiten, Kultus und Unterricht gemeinsam, 
Kunst und Wissenschaft, Medizinalwesen. Ein siebentes Hauptstück 
giebt auf 2 Druckseiten eine gedrängte Uebersicht über die Allge- 
meinen Fonds des Kultusministeriums. Wir haben in diesen Aus- 
führungen ein vollständig abgerundetes Bild der Entwickelung des 
preußischen Kultus-, Unterrichts- und Medizinalwesens vor uns, soweit 
sich diese Thatsachen in Budgetziffern ausdrücken. Schon die kurze, 
übersichtliche Einleitung ist von sehr erheblichem Interesse, das zu uns 
aus ein paar vergleichenden Tabellen spricht. Ich erwähne z. B., daß 
die Kultusausgaben vom Etat 1849 bis zum Etat 1899, also in genau 
50 Jahren von 9,225 Mill. M. auf 135,797 Mill. M. gestiegen sind. 
Unter den verschiedenen Gruppen des Staatsaufwands nehmen sie 
die erste Stelle unter den Civilzuschuß-Verwaltungen mit 27,8 Proz. 
(1849: 10,0 Proz.) ein. Die Verhältniszahlen für die übrigen Zweige 
des Netto-Staatsaufwands sind nämlich: für das Finanzministerium 
22,2 Proz. (1849: 23,5 Proz), für die Justizverwaltung 21,7 Proz. 
(21,4 Proz.), für das Innere 13,3 Proz. (11,3 Proz.), für Handel, Ge- 
werbe und öffentliche Bauten 8,4 Proz. (22,00 Proz.), für landwirt- 
schaftliche Zwecke 4,4 Proz. (8,1 Proz.), für das Staatsministerium 
1,7 Proz. (0,7 Proz.), für Medizinalangelegenheiten 0,4 Proz. (0,9 Proz.) 
und für auswärtige Angelegenheiten 0,1 Proz. (2,1 Proz.). Diese stati- 
stischen Streiflichter kennzeichnen schon einigermaßen die erfreuliche 
Thatsache der weitgehenden Fürsorge des preußischen Staates für die 
Zwecke von Kultus und Unterricht. Auch die Schwarz’schen Dar- 
bietung ist weit entfernt, bloße finanzstatistische Daten vorzuführen, 
sondern wir finden hier gleichtalls eine umfassende und grünliche Sub- 
stanziierung der Budgetzwecke und Etatsnachweise durch die Klarlegung 
aller jener Ursachen und Einrichtungen, die zum Verständnis jeder 
einzelnen Entwickelung notwendig sind. Wir haben auch in dieser 
1. Lieferung des IL Bandes eine allseitige Darstellung des gesamten 
Kultus-, Unterrichts- und Medizinalwesens vor uns. 

Beiden Lieferungen ist von den beiden Verfassern wiederum eine 
Mehrzahl von Anlagen beigegeben worden, die in wünschenswerter 
Weise unsere Kenntnisse zu ergänzen vermögen. 

Dritte Folge Bd. XXI (LXX VI). 35 


546 Litteratur. 


Auch für die Entwickelung der Reichsfinanzen liegt uns wenigstens 
ein Versuch einer Darstellung in den Grundzügen vor. In seiner Schrift 
über die Finanzen des Deutschen Reiches seit seiner Begründung will 
Cohn kurz, im wesentlichen nur unter Benutzung der stenographischen 
Berichte und der Drucksachen des Reichs zeigen, wie sich Einnahmen 
und Ausgaben des Reiches von 1872 —1899 gestaltet haben. Es war eine 
staatsrechtlich-statistische Beschreibung vom Verfasser in Aussicht ge- 
nommen, keine Entwickelungsgeschichte der Finanzpolitik des Deutschen 
Reiches. Nach einer kurzen Darlegung der staatsrechtlichen Grund- 
lagen der Reichsfinanzwirtschaft folgt die vierfach gegliederte Behand- 
lung des Stoffes. Zuerst wird der Finanzbedarf des Reiches geschildert 
und nach den verschiedenen Aufwandszwecken vorgeführt. Dann folgt 
die Darstellung der Einnahmequellen des Reichs, der sich dann ein 
Kapitel über die formelle Ordnung des Reichsfinanzwesens anschließt. 
Ein Schlußabschnitt über die Ergebnisse der Reichsfinanzwirtschaft und 
ein Anhang, der die Uebersichten über die Reichseinnahmen bringt, 
beendigen die Schrift. Sie sollen eine abschließende statistische Ver- 
gleichung und Würdigung des Thatsachenmaterials von 1871/72—1899 
darbieten. Die Arbeit trägt den Stempel einer Anfängerarbeit und sie 
ist auch aus einer Hallenser Doktordissertation herausgewachsen. Und 
als specimen eruditionis stellt sie eine befriedigende und erfreuliche 
Leistung dar, die eine hinreichende Sachkenntnis nicht verkennen läßt. 
Allein als grundlegende und systematische Behandlung der Reichs- 
finanzen, deren wissenschaftliche Darstellung, abgesehen von den betr. 
kürzeren Artikeln im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, dem 
Wörterbuch der Volkswirtschaft und im Wörterbuch des deutschen 
Verwaltungsrechts, uns noch fehlt, kann sie nicht gelten. Die Materialien 
sind öfters nicht genügend gesammelt, die Auszüge zu dürftig, die 
einzelnen Partieen zu ungleich ausgearbeitet und außerdem treffen wir 
hin und wieder wirkliche Unrichtigkeiten und Mifverständnisse an. 
Der Wurf ist dem Verfasser daher nur teilweise gelungen, wenn man 
auch seinem Fleiße und redlichen Streben alle Anerkennung zollen muß. 

Einen beachtenswerten Beitrag zum Problem der Einkommen- 
besteuerung hat uns Feitelberg mit seiner Arbeit über die Ein- 
kommenbesteuerung der nichtphysischen Personen geleistet. Seine Ab- 
sicht war es zunächst ein Bild der Mannigfaltigkeit in der konkreten 
Behandlung dieser Frage zu geben und die prinzipielle Verschiedenheit 
und Gleichartigkeit nachzuweisen. Zu diesem Behufe hat er 22 Gesetz- 
gebungen herangezogen. Auf eine allgemeine orientierende Einleitung 
folgt die eigentliche Behandlung seines Vorwurfs. Es werden vier 
Hauptgruppen nichtphysischer Personen unterschieden: die Zwangs- 
gemeinwirtschaften (Staat und öffentliche Körper), Associative Privat- 
wirtschaften (Erwerbsgesellschaften), Freie Gemeinschaften (Genossen- 
schaften) und Karitative Wirtschaftsbetriebe. Das Charakteristische der 
Arbeit darf ich wohl in zwei Punkten erblicken. Einerseits ist der ganze 
Stoff systematisch und prinzipiell durchgearbeitet, der Verfasser verliert 
sich nicht in Einzelheiten, sondern schält mit viel Geschick die typischen 
Erscheinungen und Entwickelungstendenzen heraus und andererseits 


Litteratur. 547 


verdient die ausgiebige Auswertung und kritische Verarbeitung der ein- 
schlägigen staatswissenschaftlichen, wie juristischen Litteratur unsere 
volle Anerkennung. Der Verfasser kann daher wohl den Anspruch er- 
heben, ein Spezialgebiet des großen Einkommensteuerproblems mit Umsicht 
erschöpfend behandelt zu haben und mit seiner Schrift die Fachlitteratur 
mit einer sehr erwünschten Gabe bereichert. Aber es ist auch ein feueriges 
Bot, das der Verfasser tummelt, auch zum Durchgehen geneigt. Er ist 
daher auch vor Entgleisungen nicht bewahrt geblieben. Dies muß ich 
schon geltend machen bei seiner Begriffsbestimmung der Einkommen- 
steuer, die er, wenn ich ihn recht verstanden habe, als eine Ueber- 
schußbesteuerung des „freien“, d. h. den notwendigen Konsumtionsbedarf 
übersteigenden, wirtschaftlichen Gesamterfolgs. Diese Ansicht wider- 
streitet allen recipierten theoretischen Anforderungen, wie den That- 
sachen und Erfahrungen der Praxis. Und ebenso möchte ich mich 
seinen Schlußbemerkungen gegenüber äußerst skeptisch verhalten: die 
Aussicht, eine reichsgesetzliche Regelung und einheitliche, das 
ganze Deutsche Reich umspannende Ordnung der Besteuerung nicht- 
physischer Personen des Privatrechts herzustellen erscheint mir keine gün- 
stige zu sein. Allerdings verkennt der Verfasser selbst die „Schwierig- 
keiten“ keineswegs, die seinem Vorschlage im Wege stehen. Auch 
andere Stellen hätten vielleicht vorsichtiger gefaßt werden können. 

„ Diese Ausstellungen vermögen aber in keiner Weise das Verdienst zu 
verkümmern, das sich Feitelberg durch seine tüchtige Leistung um die 
Entwickelung der Einkommensteuertheorie erworben hat. 

Die Finanzgeschichte der süddeutschen Territorien ist bis jetzt 
noch immer wenig erforscht. Es ist daher erfreulich, daß wir über den 
Staatshaushalt Bayerns im 18. Jahrhundert eine ausführliche Monographie 
erhalten haben. Hans Schmelzle, dessen Schrift aus einer von der 
staatswirtschaftlichen Fakultät der Universität München gestellten Preis- 
aufgabe hervorgegangen ist, versucht uns ein abgerundetes Bild über 
das bayerische Finanzwesen des 18. Jahrhunderts zu geben. Er be- 
schränkt sich dabei aber nicht nur auf die Thatsachen und Zustände 
der Finanzwirtschaft und des Steuerwesens, sondern er greift über diesen 
engen Rahmen hinaus und sucht die Struktur des bayerischen Staats- 
haushalts aus den allgemeinen volks- und staatswirtschaftlichen Zu- 
ständen jener Epoche zu erklären und durch sie aufzuhellen. Auf diese 
Weise erweitert sich seine Darstellung zu einem Stück bayerischer 
Wirtschaftsgeschichte überhaupt. Die Arbeit stützt sich teils auf ältere 
und neuere gedruckte Litteratur, teils ist sie unmittelbar aus archiva- 
lischen Quellen geschöpft. Der Stoff ist in zwölf Abschnitten behandelt, 
von welchen die ersten acht allgemein wirtschaftsgeschichtlichen Gegen- 
ständen gewidmet sind. Sie schildern uns Größe und Umfang des 
bayerischen Territoriums im 18. Jahrhundert, die Größe und den sozialen 
Aufbau der Bevölkerung, die Zustände in Landwirtschaft, Gewerbe und 
Handel und endlich die politischen Verhältnisse jener Zeit. Die folgen- 
den vier Abschnitte beschäftigen sich mit dem Staatshaushalt selbst, 
mit der formalen Ordnung des Staatshaushalts (Behördenorganisation, 
Kassa-, Rechnungs- und Kontrollwesen, landschaftliche Verwaltung), 

35* 


548 Litteratur. 


mit dem Ausgabeetat, den Einkünften und den außerordentlichen Deckungs- 
mitteln. Es ist aber nicht einzusehen, warum hier der Verfasser nach 
dieser Einteilung das Schuldenwesen unter dem Ausgabeetat behandelt, 
wo es doch nur teilweise hingehört. Meines Erachtens wäre es besser 
im letzten Abschnitt untergebracht, zumal seine Darlegungen in Ab- 
schnitt XII nicht nur die Staatsschulden als Aufwandskategorie be- 
trachten, sondern eine hübsche und übersichtliche Darstellung des 
Schuldenwesens überhaupt geben. Eine Mehrzahl von Anlagen erläutern 
und ergänzen die Ausführungen des Textes. Es wäre wünschenswert, 
auch für andere deutsche Territorien solche zusammenhängende Dar- 
stellungen des Finanzhaushalts für einen längeren, abgeschlossenen Zeit- 
raum zu erhalten. Hoffentlich reizt Schmelze’s ansprechende Arbeit 
auch andere zur Nachahmung an. 

Zwei hochwillkommene litterarische Gaben sind zwei Einzelschriften, 
die uns die Steuerverhältnisse Bulgariens und die direkte Besteuerung 
Rumäniens näher bringen. George D. Creanga betitelt seine Schritt: 
Die direkte Besteuerung in Preußen und Rumänien und versucht eine 
vergleichende Darstellung zu geben. Sie zerfällt daher in 3 Teile, von 
denen der erste eine Uebersicht über die Entwickelung der Einkommen- 
besteuerung in Preußen giebt und dann den bestehenden Rechtsstand 
näher auslegt. Der 2. Teil schildert zunächst die rumänischen Steuer- 
verhältnisse, er giebt über das rumänische Steuerwesen bis 1869 Aufschluß, 
beschreibt dann die direkte Besteuerung seit 1860 und geht endlich in 
eine ausführliche Kritik der Steuern im einzelnen ein. Ein 3. Teil beschäf- 
tigt sich mit der Anwendung der gewonnenen Resultate, auf eine Ver- 
gleichung folgt ein Reformvorschlag, dem ein vollständig ausgearbeiteter, 
mit eingehenden Erläuterungen versehener Gesetzentwurf beigegeben 
ist. Den Weg zur Reform erblickt der Verf. in der Einführung einer 
Klassen- und klassifizierten Einkommensteuer nach dem Vorbild der 
preußischen Gesetzgebung von 1851/1873. Er ist dabei der Ansicht, 
daß für die heutige Entwickelung in Rumänien zwar die Grundsätze der 
preußischen Gesetzgebung von 1891 nicht passend seien, daß dagegen mit 
der Rezeption des älteren Rechtsstandes ein wesentlicher Fortschritt erzielt 
werden würde. Dagegen sollen die bestehenden Ertragssteueru in ihren 
Sätzen ermäligt, die Kopfsteuer von der Klassensteuer resorbiert und 
vor allem die Einkommen aus Zinsen und Kapitalrenten schärfer be- 
lastet werden. Für den deutschen Leser sind weniger die Reform- 
{ragen und die Darstellung der preußischen Besteuerung von Interesse 
als die Thatsachen der positiven Gesetzgebung in Rumänien, die uns 
bisher in dieser Vollständigkeit nicht zugänglich waren. Nachdem ich 
wohl annehmen darf, daß der Verf. mit der deutschen Ausgabe eine 
rumänische veranstalten wird, so erscheint die für uns an sich über- 
flüssige ausführliche Darstellung der Einkommensteuer in Preußen ganz 
am Platze und gerechtfertigt. 

Iwan Drenkoff schildert uns die Steuerverhältnisse seiner Hei- 
mat Bulgarien. Seine Problemstellung ist insofern eine weitere, indem 
er uns die Kenntnis des gesamten, bulgarischen Steuerwesens vermittelt, 
sich nicht auf die direkte Besteuerung beschränkt. Er hat seinen Stoff 


Litteratur. 549 


unmittelbar aus den Quellen geschöpft, da er brauchbare Vorarbeiten 
nicht benutzen konnte. Seine Studien beginnt er mit der Entwickelung 
des bulgarischen Steuerwesens, er zeigt uns in einem abgeschlossenen 
Bilde die Steuerverfassung unter der türkischen Herrschaft vor der Be- 
freiung Bulgariens, er wirft einen Blick auf die Zustände der „Ueber- 
gangsperiode“, die vom russisch-türkischen Feldzug bis zu Annahme der 
bulgarischen Verfassung vom 6. April 1879 währt, und teilt uns dann 
die verfassungsmäßigen Vorschriften über die Besteuerung mit. Der 
nächste Abschnitt beschäftigt sich mit Steuerverwaltung, mit den Grund- 
sätzen und Normen der Steuerveranlagung und Steuererhebung, die uns 
mancherlei interessante Einzelheiten liefern. Nun beginnt der Verf. mit 
der Beschreibung und Analyse des bulgarischen Steuersystems, das er 
nach wissenschaftlichen Grundsätzen in drei Gruppen gliedert. Zuerst 
schildert Drenkoff die direkten Steuern, die mehr oder weniger rohen, 
mitunter den Vermögenssteuern sich nähernden Ertragssteuern und die 
verschiedenen Personalsteuern, dann die indirekten Steuern, Zölle und 
Aufwandsteuern und endlich die Stempelsteuern. Ein Schlußkapitel be- 
trachtet dann endlich die Stellung der Steuern im Budget. Von 1887 
—1899 haben die Steuereinnahmen 81-—89 Proz. der Staatseinnahmen 
gedeckt, woran die direkten Steuern mit 49—73 Proz. und die Aufwand- 
steuern mit 51—27 Proz. beteiligt waren. Eine Mehrzahl von statisti- 
schen Tabellen, die im Texte weiter erläutert sind, bilden eine ganz 
wünschenswerte Beigabe. 

Eine Uebersetzung eines böhmischen Werkes ins Deutsche ist ein 
höchst seltener Gast in unserer staatswissenschaftlichen Litteratur. 
Aber diesmal ist doch einer bei uns erschienen. Vor uns liegt der 1. 
Teil der Finanzwissenschaft von Josef Kaizl in deutscher Ueber- 
tragung von Alois Körner. Das böhmische Original ist 1892 in 2. Auf- 
lage erschienen. Der Uebersetzer hat aber noch weiter das Bedürfnis 
gefühlt, sein böhmisches Adoptivkind dem deutschen Leserpublikum 
angelegentlich empfehlen, indem er eine äulerst warm gehaltene Be- 
sprechung des Buches durch Meisel im Finanzarchiv (Bd. I. S. 462— 
465) vordruckt. Es ist in der That ein nicht gewöhnliches Vorgehen, 
daß der Autor eine solche Befürwortung seines Werkes zuläßt. Nach 
unseren reichsdeutschen Begriffen ist eine solche Empfehlung durch 
eine Art Prospekt nur Sache des Verlegers. Der nunmehr vorliegende 
1. Teil behandelt die Probleme der öffentlichen Wirtschaft und der 
Finanzwissenschaft, sowie Arten und Entwickelung der Finanzen. Der 
zweite noch zu erwartende Band soll die Lehren von den Erwerbs- 
einkünften, Gebühren und Steuern darstellen. Die uns vorliegende erste 
Hälfte ist in 2 Bücher eingeteilt, von denen das erste das Wesen der 
öffentlichen Wirtschaft und der Finanzwirtschaft erörtert, während das 
zweite die Arten und Entwickelung der Finanzen, d. h. der Geldein- 
nahmen der öffentlichen Körper behandelt. Die Stellung des Verf.'s zu 
den Fragen, die er in Angriff nimmt, wird vor allem durch seine Vor- 
stellung von den Aufgaben der Finanzwissenschaft gekennzeichnet. 
Kaizl betont die Allgemeinheit jeder Wissenschaft nnd damit auch der 
Finanzwissenschaft und sieht ihren Wirkungskreis in der generalisieren- 


546 Litteratur. 


Auch für die Entwickelung der Reichsfinanzen liegt uns wenigstens 
ein Versuch einer Darstellung in den Grundzügen vor. In seiner Schrift 
über die Finanzen des Deutschen Reiches seit seiner Begründung will 
Cohn kurz, im wesentlichen nur unter Benutzung der stenographischen 
Berichte und der Drucksachen des Reichs zeigen, wie sich Einnahmen 
und Ausgaben des Reiches von 1872 —1899 gestaltet haben. Es war eine 
staatsrechtlich-statistische Beschreibung vom Verfasser in Aussicht ge- 
nommen, keine Entwickelungsgeschichte der Finanzpolitik des Deutschen 
Reiches. Nach einer kurzen Darlegung der staatsrechtlichen Grund- 
lagen der Reichsfinanzwirtschaft folgt die vierfach gegliederte Behand- 
lung des Stoffes. Zuerst wird der Finanzbedarf des Reiches geschildert 
und nach den verschiedenen Aufwandszwecken vorgeführt. Dann folgt 
die Darstellung der Einnahmequellen des Reichs, der sich dann ein 
Kapitel über die formelle Ordnung des Reichsfinanzwesens anschließt. 
Ein Schlußabschnitt über die Ergebnisse der Reichsfinanzwirtschaft und 
ein Anhang, der die Uebersichten über die Reichseinnahmen bringt, 
beendigen die Schrift. Sie sollen eine abschließende statistische Ver- 
gleichung und Würdigung des Thatsachenmaterials von 1871/72—1899 
darbieten. Die Arbeit trägt den Stempel einer Anfängerarbeit und sie 
ist auch aus einer Hallenser Doktordissertation herausgewachsen. Und 
als specimen eruditionis stellt sie eine befriedigende und erfreuliche 
Leistung dar, die eine hinreichende Sachkenntnis nicht verkennen läßt. 
Allein als grundlegende und systematische Behandlung der Reichs- 
finanzen, deren wissenschaftliche Darstellung, abgesehen von den betr. 
kürzeren Artikeln im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, dem 
Wörterbuch der Volkswirtschaft und im Wörterbuch des deutschen 
Verwaltungsrechts, uns noch fehlt, kann sie nicht gelten. Die Materialien 
sind öfters nicht genügend gesammelt, die Auszüge zu dürftig, die 
einzelnen Partieen zu ungleich ausgearbeitet und außerdem treffen wir 
hin und wieder wirkliche Unrichtigkeiten und Mißverständnisse an. 
Der Wurf ist dem Verfasser daher nur teilweise gelungen, wenn man 
auch seinem Fleiße und redlichen Streben alle Anerkennung zollen muß. 

Einen beachtenswerten Beitrag zum Problem der Einkommen- 
besteuerung hat uns Feitelberg mit seiner Arbeit über die Ein- 
kommenbesteuerung der nichtphysischen Personen geleistet. Seine Ab- 
sicht war es zunächst ein Bild der Mannigfaltigkeit in der konkreten 
Behandlung dieser Frage zu geben und die prinzipielle Verschiedenheit 
und Gleichartigkeit nachzuweisen. Zu diesem Behufe hat er 22 Gesetz- 
gebungen herangezogen. Auf eine allgemeine orientierende Einleitung 
folgt die eigentliche Behandlung seines Vorwurfs. Es werden vier 
Hauptgruppen nichtphysischer Personen unterschieden: die Zwangs- 
gemeinwirtschaften (Staat und öffentliche Körper), Associative Privat- 
wirtschaften (Erwerbsgesellschaften), Freie Gemeinschaften (Genossen- 
schaften) und Karitative Wirtschaftsbetriebe. Das Charakteristische der 
Arbeit darf ich wohl in zwei Punkten erblicken. Einerseits ist der ganze 
Stoff systematisch und prinzipiell durchgearbeitet, der Verfasser verliert 
sich nicht in Einzelheiten, sondern schält mit viel Geschick die typischen 
Erscheinungen und Entwickelungstendenzen heraus und andererseits 


Litteratur. 547 


verdient die ausgiebige Auswertung und kritische Verarbeitung der ein- 
schlägigen staatswissenschaftlichen, wie juristischen Litteratur unsere 
volle Anerkennung. Der Verfasser kann daher wohl den Anspruch er- 
heben, ein Spezialgebiet des großen Einkommensteuerproblems mit Umsicht 
erschöpfend behandelt zu haben und mit seiner Schrift die Fachlitteratur 
mit einer sehr erwünschten Gabe bereichert. Aber es ist auch ein feueriges 
Roß, das der Verfasser tummelt, auch zum Durchgehen geneigt. Er ist 
daher auch vor Entgleisungen nicht bewahrt geblieben. Dies muß ich 
schon geltend machen bei seiner Begriffsbestimmung der Einkommen- 
steuer, die er, wenn ich ihn recht verstanden habe, als eine Ueber- 
schußbesteuerung des „freien“, d. h. den notwendigen Konsumtionsbedarf 
übersteigenden, wirtschaftlichen Gesamterfolgs. Diese Ansicht wider- 
streitet allen recipierten theoretischen Anforderungen, wie den That- 
sachen und Erfahrungen der Praxis. Und ebenso möchte ich mich 
seinen Schlußbemerkungen gegenüber äußerst skeptisch verhalten: die 
Aussicht, eine reichsgesetzliche Regelung und einheitliche, das 
ganze Deutsche Reich umspannende Ordnung der Besteuerung nicht- 
physischer Personen des Privatrechts herzustellen erscheint mir keine gün- 
stige zu sein. Allerdings verkennt der Verfasser selbst die „Schwierig- 
keiten“ keineswegs, die seinem Vorschlage im Wege stehen. Auch 
andere Stellen hätten vielleicht vorsichtiger gefaßt werden können. 
Diese Ausstellungen vermögen aber in keiner Weise das Verdienst zu 
verkümmern, das sich Feitelberg durch seine tüchtige Leistung um die 
Entwickelung der Einkommensteuertheorie erworben hat. 

Die Finanzgeschichte der süddeutschen Territorien ist bis jetzt 
noch immer wenig erforscht. Es ist daher erfreulich, daß wir über den 
Staatshaushalt Bayerns im 18. Jahrhundert eine ausführliche Monographie 
erhalten haben. Hans Schmelzle, dessen Schrift aus einer von der 
staatswirtschaftlichen Fakultät der Universität München gestellten Preis- 
aufgabe hervorgegangen ist, versucht uns ein abgerundetes Bild über 
das bayerische Finanzwesen des 18. Jahrhunderts zu geben. Er be- 
schränkt sich dabei aber nicht nur auf die Thatsachen und Zustände 
der Finanzwirtschaft und des Steuerwesens, sondern er greift über diesen 
engen Rahmen hinaus und sucht die Struktur des bayerischen Staats- 
haushalts aus den allgemeinen volks- und staatswirtschaftlichen Zu- 
ständen jener Epoche zu erklären und durch sie aufzuhellen. Auf diese 
Weise erweitert sich seine Darstellung zu einem Stück bayerischer 
Wirtschaftsgeschichte überhaupt. Die Arbeit stützt sich teils auf ältere 
und neuere gedruckte Litteratur, teils ist sie unmittelbar aus archiva- 
lischen Quellen geschöpft. Der Stoff ist in zwölf Abschnitten behandelt, 
von welchen die ersten acht allgemein wirtschaftsgeschichtlichen Gegen- 
ständen gewidmet sind. Sie schildern uns Größe und Umfang des 
bayerischen Territoriums im 18. Jahrhundert, die Größe und den sozialen 
Aufbau der Bevölkerung, die Zustände in Landwirtschaft, Gewerbe und 
Handel und endlich die politischen Verhältnisse jener Zeit. Die folgen- 
den vier Abschnitte beschäftigen sich mit dem Staatshaushalt selbst, 
mit der formalen Ordnung des Staatshaushalts (Behördenorganisation, 
Kassa-, Rechnungs- und Kontrollwesen, landschaftliche Verwaltung), 


35* 


548 Litteratur. 


mit dem Ausgabeetat, den Einkünften und den außerordentlichen Deckungs- 
mitteln. Es ist aber nicht einzusehen, warum hier der Verfasser nach 
dieser Einteilung das Schuldenwesen unter dem Ausgabeetat behandelt, 
wo es doch nur teilweise hingehört. Meines Erachtens wäre es besser 
im letzten Abschnitt untergebracht, zumal seine Darlegungen in Ab- 
schnitt XII nicht nur die Staatsschulden als Aufwandskategorie be- 
trachten, sondern eine hübsche und übersichtliche Darstellung des 
Schuldenwesens überhaupt geben. Eine Mehrzahl von Anlagen erläutern 
und ergänzen die Ausführungen des Textes. Es wäre wünschenswert, 
auch für andere deutsche Territorien solche zusammenhängende Dar- 
stellungen des Finanzhaushalts für einen längeren, abgeschlossenen Zeit- 
raum zu erhalten. Hoffentlich reizt Schmelze’s ansprechende Arbeit 
auch andere zur Nachahmung an. 

Zwei hochwillkommene litterarische Gaben sind zwei Einzelschriften, 
die uns die Steuerverhältnisse Bulgariens und die direkte Besteuerung 
Rumäniens näher bringen. George D. Creanga betitelt seine Schritt: 
Die direkte Besteuerung in Preußen und Rumänien und versucht eine 
vergleichende Darstellung zu geben. Sie zerfällt daher in 3 Teile, von 
denen der erste eine Uebersicht über die Entwickelung der Einkommen- 
besteuerung in Preußen giebt und dann den bestehenden Rechtsstand 
näher auslegt. Der 2. Teil schildert zunächst die rumänischen Steuer- 
verhältnisse, er giebt über das rumänische Steuerwesen bis 1869 Aufschluß, 
beschreibt dann die direkte Besteuerung seit 1860 und geht endlich in 
eine ausführliche Kritik der Steuern im einzelnen ein. Ein 3. Teil beschäf- 
tigt sich mit der Anwendung der gewonnenen Resultate, auf eine Ver- 
gleichung folgt ein Reformvorschlag, dem ein vollständig ausgearbeiteter, 
mit eingehenden Erläuterungen versehener Gesetzentwurf beigegeben 
ist. Den Weg zur Reform erblickt der Verf. in der Einführung einer 
Klassen- und klassifizierten Einkommensteuer nach dem Vorbild der 
preußischen Gesetzgebung von 1851/1873. Er ist dabei der Ansicht, 
daß für die heutige Entwickelung in Rumänien zwar die Grundsätze der 
preußischen Gesetzgebung von 1891 nicht passend seien, daß dagegen mit 
der Rezeption des älteren Rechtsstandes ein wesentlicher Fortschritt erzielt 
werden würde. Dagegen sollen die bestehenden Ertragssteueru in ihren 
Sätzen ermäßigt, die Kopfsteuer von der Klassensteuer resorbiert und 
vor allem die Einkommen aus Zinsen und Kapitalrenten schärfer be- 
lastet werden. Für den deutschen Leser sind weniger die Reform- 
fragen und die Darstellung der preußischen Besteuerung von Interesse 
als die Thatsachen der positiven Gesetzgebung in Rumänien, die uns 
bisher in dieser Vollständigkeit nicht zugänglich waren. Nachdem ich 
wohl annehmen darf, daß der Verf. mit der deutschen Ausgabe eine 
rumänische veranstalten wird, so erscheint die für uns an sich über- 
flüssige ausführliche Darstellung der Einkommensteuer in Preußen ganz 
am Platze und gerechtfertigt. 

Iwan Drenkoff schildert uns die Steuerverhältnisse seiner Hei- 
mat Bulgarien. Seine Problemstellung ist insofern eine weitere, indem 
er uns die Kenntnis des gesamten, bulgarischen Steuerwesens vermittelt, 
sich nicht auf die direkte Besteuerung beschränkt. Er hat seinen Stoff 


Litteratur. 549 


unmittelbar aus den Quellen geschöpft, da er brauchbare Vorarbeiten 
nicht benutzen konnte. Seine Studien beginnt er mit der Entwickelung 
des bulgarischen Steuerwesens, er zeigt uns in einem abgeschlossenen 
Bilde die Steuerverfassung unter der türkischen Herrschaft vor der Be- 
freiung Bulgariens, er wirft einen Blick auf die Zustände der „Ueber- 
gangsperiode“, die vom russisch-türkischen Feldzug bis zu Annahme der 
bulgarischen Verfassung vom 6. April 1879 währt, und teilt uns dann 
die verfassungsmäßigen Vorschriften über die Besteuerung mit. Der 
nächste Abschnitt beschäftigt sich mit Steuerverwaltung, mit den Grund- 
sätzen und Normen der Steuerveranlagung und Steuererhebung, die uns 
mancherlei interessante Einzelheiten liefern. Nun beginnt der Verf. mit 
der Beschreibung und Analyse des bulgarischen Steuersystems, das er 
nach wissenschaftlichen Grundsätzen in drei Gruppen gliedert. Zuerst 
schildert Drenkoff die direkten Steuern, die mehr oder weniger rohen, 
mitunter den Vermögenssteuern sich nähernden Ertragssteuern und die 
verschiedenen Personalsteuern, dann die indirekten Steuern, Zölle und 
Aufwandsteuern und endlich die Stempelsteuern. Ein Schlufkapitel be- 
trachtet dann endlich die Stellung der Steuern im Budget. Von 1887 
—1899 haben die Steuereinnahmen 81-—89 Proz. der Staatseinnahmen 
gedeckt, woran die direkten Steuern mit 49—73 Proz. und die Aufwand- 
steuern mit 51—27 Proz. beteiligt waren. Eine Mehrzahl von statisti- 
schen Tabellen, die im Texte weiter erläutert sind, bilden eine ganz 
wünschenswerte Beigabe. e 

Eine Uebersetzung eines böhmischen Werkes ins Deutsche ist ein 
höchst seltener Gast in unserer staatswissenschaftlichen Litteratur. 
Aber diesmal ist doch einer bei uns erschienen. Vor uns liegt der 1. 
Teil der Finanzwissenschaft von Josef Kaizl in deutscher Ueber- 
tragung von Alois Körner. Das böhmische Original ist 1892 in 2. Auf- 
lage erschienen. Der Uebersetzer hat aber noch weiter das Bedürfnis 
gefühlt, sein böhmisches Adoptivkind dem deutschen Leserpublikum 
angelegentlich empfehlen, indem er eine äußerst warm gehaltene Be- 
sprechung des Buches durch Meisel im Finanzarchiv (Bd. I. S. 462— 
465) vordruckt. Es ist in der That ein nicht gewöhnliches Vorgehen, 
daß der Autor eine solche Befürwortung seines Werkes zuläßt. Nach 
unseren reichsdeutschen Begriffen ist eine solche Empfehlung durch 
eine Art Prospekt nur Sache des Verlegers. Der nunmehr vorliegende 
1. Teil behandelt die Probleme der öffentlichen Wirtschaft und der 
Finanzwissenschaft, sowie Arten und Entwickelung der Finanzen. Der 
zweite noch zu erwartende Band soll die Lehren von den Erwerbs- 
einkünften, Gebühren und Steuern darstellen. Die uns vorliegende erste 
Hälfte ist in 2 Bücher eingeteilt, von denen das erste das Wesen der 
öffentlichen Wirtschaft und der Finanzwirtschaft erörtert, während das 
zweite die Arten und Entwickelung der Finanzen, d. h. der Geldein- 
nahmen der öffentlichen Körper behandelt. Die Stellung des Verte zu 
den Fragen, die er in Angriff nimmt, wird vor allem durch seine Vor- 
stellung von den Aufgaben der Finanzwissenschaft gekennzeichnet. 
Kaizl betont die Allgemeinheit jeder Wissenschaft nnd damit auch der 
Finanzwissenschaft und sieht ihren Wirkungskreis in der generalisieren- 


550 Litteratur. 


den Betrachtung allgemeiner, finanzwirtschaftlicher Erscheinungen in 
Gegenwart und Vergangenheit und in ihrer wissenschaftlichen Erklärung. 
Sie beschäftigt sich nicht mit der Finanzgeschichte oder der gegen- 
wärtigen finanziellen Einrichtung eines bestimmten Staates. Die konkreten 
Erscheinungen bilden für die Finanzwissenschaft ein Hilfsmittel und ein 
Material von Thatsachen, aus denen sie allgemeine Begriffe und Schlüsse 
durch Abstraktion ableitet. Deshalb wird auch die Finanzwissenschaft 
systematisch als besonderer Zweig der soziologischen Wissenschaften 
neben der Volkswirtschaftspolitik und den Wissenschaften vom Staate 
in Anspruch genommen. Die Aufstellung von Zielen und die Festhal- 
tung von Regeln für die angemessenste Einrichtung des Finanzwesens 
wird aus dem Thätigkeitsfelde der Finanzwissenschaft als eine ungesunde 
Vermischung von Theorie und Praxis ausgeschieden. Das Streben des 
Verf’s ist die Darbietung einer theoretischen Finanzwissenschaft auf 
positiver Basis. Der Inhalt derselben wird daher ausschließlich von den 
Geldeinnahmen der Zwangsgemeinschaften!), von den „Finanzen“ ge- 
bildet. An diese allgemeinen, auf die Ziele der Finanzwissenschaft ge- 
richteten Auseinandersetzungen Kaizl’s reihen sich Betrachtungen über 
das Vermögen der Zwangsgemeinwirtschaften und generelle Betrachtungen 
über die Wurzeln der öffentlichen Einnahmen. Ein letztes Kapitel des 
1. Buches ist dann einer Mehrzahl von Erörterungen über das Budget- 
wesen gewidmet, 

Das 2. Buch über die Arten und die Entwickelung der Finanzen 
wird durch einen Abschnitt über die Arten der Finanzeinnahmen ein- 
geleitet. Sie werden geschieden in zwei große Gruppen, in einkommen- 
artige Einkünfte und solche, die diesen Charakter nicht haben. Hier 
haben wir an alle Eingänge zu denken, die ohne Verringerung der 
Vermögenssubstanz nicht verwendet werden können, wie Veräußerungen 
des Kapitalvermögens, Ab- und Rückzahlungen, öffentliche Schulden 
u. s. w. Da das ökonomische Wesen dieser Einkünfte das gleiche ist, 
wie bei den Privatwirtschaften, so scheiden sie aus dem Gesichtsfeld 
der Finanzwissenschaft aus. Die einkommenartigen Einkünfte sind teils 
Produktions-, teils Steuer-, teils abgeleitete Einkünfte. Die Produktions- 
einkünfte sind dreierlei Art: einmal Betriebe auf dem gemeinen Rechts- 
boden mit dem Streben nach dem höchsten Gewinne und auf der Grund- 
lage des Erwerbsstandpunktes, sodann Betriebe auf dem gemeinen 
Rechtsboden, die bei der Produktion die Erwerbsrücksichten mehr 
oder weniger den höheren Verwaltungsrücksichten unterordnen und 
endlich Monopole mit wirtschaftlichen Gewinnabsichten. Eine vierte 
Art, die Finanzmonopole, die nur Formen der Besteuerung sind, werden 
den Steuereinnahmen zugerechnet. Die Steuereinnahmen selbst zer- 
fallen in Gebühren und eigentliche Steuern. Unter den abgeleiteten 
Einkünften versteht Kaizl schließlich, die nicht in das Vermögen der 
Zwangsgemeinwirtschaften fließen, da sie zur Deckung des Aufwandes 


1) Die Uebersetzung und Ersetzung des bisher in der wissenschaftlichen Termino- 
logie gebräuchlichen „Zwangsgemeinwirtschaften oder „öffentliche Körper“ durch Ge- 
meinden kann ich nieht als glüeklieh halten. Der Uebersetzer bietet dem deutschen 
Leser leicht Anlaß zu Mißverständnissen. 


Litteratur. 551 


erforderlich sind. Sie werden nicht zur Deckung des Verwaltungs- 
aufwandes erhoben, sondern entstehen aus einer anderen Ursache. Als 
solche werden erwähnt z. B. Geldstrafen, Kaduzitäten, Kriegskosten- 
entschädigungen u. s. w. Nachdem uns der Verfasser mit großer Aus- 
führlichkeit mit seinem Ideengange bekannt gemacht hat, zeichnet er 
in einem litterarhistorisch-kritischen Kapitel eine Reihe von Autoren 
und bespricht deren Klassifikation der Finanzeinnahmen, wobei er 
namentlich auch die slavische Litteratur weitgehend berücksichtigt. 
Den Schluß des ganzen Bändchens bildet eine historische Entwickelung 
der Finanzen in den europäischen Kulturländern in großen, summarischen 
Zügen. Die letzten 40 SS. sind der Entwickelung der böhmischen 
Lokalfinanzen gewidmet. Für den deutschen Leser bieten sie nur ein 
geringfügiges Interesse und würde man das Fehlen dieser Ausführungen 
kaum bedauern können. 

Ueber den Standpunkt und die Ziele des Verfassers wird man 


sehr verschiedener Meinung sein können. Ich halte die Idee einer . 


„reinen“ Finanzwissenschaft nicht für besonders glücklich und aussichts- 
reich. Die Einengung des Forschungs- und Arbeitsgebietes der Finanz- 
wissenschaft erscheint mir nicht als entscheidender Fortschritt. Aber 
es ist jedenfalls ein interessanter Versuch, unter diesem Gesichtswinkel 
die finanzwirtschaftlichen Probleme beleuchtet zu sehen, und man wird 
dem Verfasser auch da die Anerkennung nicht versagen können, wo 
man ihm auf den steilen und steinigen Pfaden der reinen Theorie 
nicht zu folgen vermag. Es soll dabei aber keineswegs in Abrede 
gestellt werden, daß auch heute noch — trotz Adolf Wagner’s um- 
fassender Darstellung der Thatsachen des Finanzwesens — die Frage 
nach der Stellung des gesetzgeberischen und statistischen Materials 
ein noch wenig behandeltes und ungelöstes Problem ist. Körner’s 
Uebertragung der Kaizl’schen Gedanken ist als durchaus gelungen zu 
bezeichen und ein erfreulicher Beweis für seine Uebersetzungsgabe, 
soweit natürlich ein der Sprache des Originals Unkundiger darüber 
urteilen kann. Dagegen macht sich ein anderer Mißstand störend 
geltend. Die Kürner'sche Uebersetzung giebt die Gedanken der 2. 
Auflage des im Jahre 1892 erschienenen böhmischen Buches wieder, so 
daß zwischen dem Erscheinen beider ein 8-jähriger Zwischenraum 
liegt. Die ganze Litteratur-Bewegung von 1892—1900 ist daher un- 
berücksichtigt geblieben. Und Kaizl selbst ist der Vorwurf nicht zu 
ersparen, daß er seine Citate häufig auf ältere Auflagen stützt. So ist 
z. B. Wagner’s Grundlegung nach der Ausgabe von 1876, seine Finanz- 
wissenschaft nach derjenigen v. J. 1877, Stein wird nach der 3. Auflage 
v. 1876 und auch Leroy-Beaulieu wird nach älteren Ausgaben citiert. 
Dies sind litterarische Fehler, die das Buch als Hilfsmittel zum Studium 
sehr erschweren. Trotz seiner systematischen Anlage ist Kaizl’s Finanz- 
wissenschaft eine Einzeluntersuchung aber kein Lehr- und Handbuch 
unseres Fachs. 

Der als Publizist auch in Deutschland durch eine Anzahl von 
Schriften bekannte Jean de Bloch versucht es in dem vorliegenden 
Buche, eine Darstellung der russischen Finanzen im 19. Jahrhundert 


552 Litteratur. 


zu entrollen. Er will ihr Bild sowohl historisch als auch statistisch 
zeichnen. Bis jetzt liegt der 1. Band vor, der uns die Zustände von 
862—1853 schildert. Ein einleitendes Kapital behandelt das ältere 
Finanzwesen bis auf die Zeiten Peter I. des Großen (862—1696). Die 
beiden folgenden Abschnitte charakterisieren die Finanzreformen Peter I. 
des Großen (1696—1725) und die Finanzverwaltung seiner Nachfolger 
(1725—1762). Dann folgt die Beschreibung der Finanzen unter 
Katharina II, Alexander I. und Nikolaus I, so daß mit dem Jahre 
1853 der 1. Band seinen Abschluß findet. Für die Finanzgeschichte 
Rußlands ist vorliegende Publikation von großer Bedeutung und nament- 
lich eine willkommene Bereicherung unserer Litteratur, nachdem die 
russischen Quellen für dieses Gebiet doch nur schwer zugänglich sind. 
Der 2. Band wird uns dann den interessanteren Abschnitt der neueren 
Entwickelung bringen. 

Freiberger’s Handbuch der österreichischen direkten Steuern 
in systematischer Darstellung liegt in 2. Auflage vorundRaffalovich’s 
Marché financier en 1899—1900 erscheint im 10. Jahrgange. Freiberger’s 
Handbuch hat insbesondere durch die Reform der Personaleinkommen- 
steuer einer Neubearbeitung bedurft. Es hat die alten Vorzüge auch 
im neuen Gewande bewahrt und wird sich wiederum als zuverlässiger 
Ratgeber in allen Materien der direkten Besteuerung in Oesterreich 
bewähren. Sehr wünschenswert ist auch der 1. Teil, der die allgemeinen 
Gesichtspunkte in übersichtlicher, systematischer Form zusammenfaßt. 
Die Bezugnahme und Vergleichung der ausländischen Gesetzgebung, 
der Nachweis der Verschiedenheiten und der Gleichartigkeit der ein- 
zelnen Steuersysteme verdient dankbare Anerkennung. Ebenso er- 
freulich ist die Fortsetzung der Buchausgabe von Raffalovich Marché 
financier, der die volkswirtschaftliche Chronik des Journal des Econo- 
mistes uns konzentriert als brauchbares Nachschlagebuch wiedergiebt. 
Die Anordnung ist nach Ländern getroffen und ein Schlußabschnitt 
erörtert die Bewegung der Edelmetalle und die Münzfragen. Dem Inhalte 
nach sind nicht nur finanzwissenschaftliche, sondern verschiedene all- 
gemeine, volkswirtschaftliche Fragen erörtert. Auch auf die „Anlagen“ 
sei an dieser Stelle verwiesen. 

Endlich erwähnen wir das Erscheinen des 138. Jahrgangs des 
Gothaischen Hofkalenders, der für finanzstatistische Aufklärung zu einem 
der wichtigsten Hilfsmittel geworden ist. Seine Vorzüge sind zu be- 
kannt, als daß sie noch der besonderen Hervorhebung bedürften. 


Münster i. W., 1. März 1901. 


Litteratur. 553 


Nachdruck verboten. 


vV. 


Zum mittelalterlichen Zollwesen. 
Von Karl Heldmann, Hale. 


Köberlin, Alfred, Der Obermain als Handelsstraße im späteren 
Mittelalter. Mit Vorwort von G. Schanz. Erlangen und Leipzig, 
A. Deichert (G. Böhme). 1899. VIII, 70 SS. 8°. (Auch unter dem Titel: 
Wirtschafts- und Verwaltungsstudien mit besonderer Berücksichtigung 
Bayerns. Hrg. von G. Schanz. Heft 4.) 


Dem Interesse weitester Kreise in Bayern an der Kanalisation des 
Maines und dessen seit mehr als einem Jahrtausend bereits geplanter 
Schiffahrtsverbindung mit der Donau sind vor Jahren die Studien von 
G. Schanz über die bayerischen Wasserstraßen, besonders Bd. 3, (Die 
Mainschiffahrt im XIX. Jahrhundert und ihre künftige Entwickelung. 
1894) wissenschaftlich entgegengekommen. Als Ergänzung dazu ist die 
vorliegende Arbeit zu betrachten. Sie fällt zugleich in die Richtung 
jener dem Verf., wie es scheint, leider unbekannt gebliebenen wirt- 
schaftsgeschichtlichen Abhandlungen über den Schiffsverkehr und die 
Zollverhältnisse auf den großen deutschen Strömen überhaupt, die seit 
einer Reihe von Jahren längst fühlbar gewordene Lücken unseres 
Wissens auszufüllen bestimmt sind. 

Die Mainstrecke, die Köberlin behandelt, reicht von etwa Markt 
Zeuln an, wo der Main durch Aufnahme der Rodach schiffbar wird, 
bis Würzburg. Als Handelsstraße steht sie in engstem Zusammenhang 
mit dem Aufkommen des Bistums und der Stadt Bamberg im 11. bezw. 
12. Jahrhundert, und die Arbeit kehrt daher mit Recht im letzten 
Kapitel wieder zu dieser oberfränkischen Metropole als dem Ausgangs- 
und Endpunkt des Obermainverkehrs auch noch um die Wende des 15. 
und 16. Jahrhunderts zurück. Wie zwischen diesen beiden Zeitgrenzen 
in der Vermehrung der Produkte und der Steigerung des sowohl lokalen 
wie in den ferneren Westen gerichteten Obermainverkehrs und der Ex- 
portzölle sich die Fortschritte der Kultur im Bambergischen und speciell 
die Entwickelung der Stadt Bamberg spiegeln, macht einen nicht ge- 
ringen Teil des Reizes unseres Schriftchens aus. 

Sein eigentlicher Inhalt gehört der Geschichte der Volkswirtschaft 
im Obermaingebiet an. Dessen Produktion ist zunächst landwirtschaft- 
licher Art: Getreide, Flachs, Malz und Hopfen, später Wein, sodann 


554 Litteratur. 


Wachs, Fette, Unschlitt, Schmalz, später Wolle. Im Vordergrunde aber 
steht die Wald- und Holzwirtschaft. Schon im 2. Viertel des 14. Jahr- 
hunderts stoßen wir auf Export von Lohe, Kohlen und Pech, von Schiffen 
und Kufen, aus den Wäldern unseres Gebietes. Aber erst seit Beginn 
des 15. Jahrhunderts tritt die Ausfuhr von Holz und Holzwaren aus dem 
Frankenwald bedeutsamer hervor und „Bamberger Holz“ bildet seit Mitte 
des Jahrhunderts den Haupthandelsartikel den Fluß abwärts, aber nicht 
über Mainz hinaus, obwohl damals noch am Untermain und Rhein reiche 
Waldbestände vorhanden waren. Der Mittelpunkt des Bambergischen 
Holzhandels war Hallstadt (S. 44), der eigentliche Markt für denselben 
das Mainthal mit seinen Uferlandschaften. Im Zusammenhang mit dem 
Holzhandel und der Flößerei, die noch am Anfang des 16. Jahrhunderts 
keine kaufmännischen Formen der Vergesellschaftung zeigte, stehen die 
ersten erkennbaren Anfänge einer geordneten Forstwirtschaft schon 
um 1430. 

Weiter bietet K. reichhaltiges Material für die Geschichte der 
Güterbewegung und Preisbildung, der Spedition, der Frachtkosten und 
des Zwischenhandels, besonders aber für die Geschichte des Fluß- 
zollwesens. Zu bedauern ist es, daß der Verf. sich der Tabellen- 
form hierbei weder in genügendem Umfang noch mit genügendem Ge- 
schick bedient. Wahre Muster von Unübersichtlichkeit sind z. B. die 
Tabellen auf S. 31, 39 ff, 48 f. Die Zolltarife (S. 7 ff, 26) hätten 
durchaus in Tabellenform wiedergegeben werden müssen. Auch sind 
die Berechnungen nicht ganz zuverlässig; z. B. muß die Statistik der 
Ausfuhrwerte von 1483/84 (S. 42) lauten: 


Balken (statt 5508) 5610 g Silber 


Blöcher AT A mn 
Pfatten 1462 au 
Dielen 4268, à 
Stubdielen (statt 117) IT, af 
Weinbergspfühle A Tr A A wë 
Tröge (statt 384) 380% 5 


Brennholz (statt 3 388) 406 ;;.. 4 
(statt 33760) 30878 g Silber). 


Ein deutliches Bild von dem Import-, Durchgangs- und Export- 
verkehr auf dem Main giebt schon der Bamberger Zolltarif von 1330 
(bezw. 1348). Verzollt wird nach Maßen (Fässer, Güsse, Scheffel, Säcke) 
und Gewicht (Centnern), Lohe und Kohle nach Schiffsladungen. Auch 
1406/08 werden Rohstoffe, Halbfabrikate und Fabrikate, nach (zwischen 
dem Bischof von Würzburg, dem Abt zu Theres und dem Grafen von 
Henneberg) verabredeten festen Tarifen, “deren Beobachtung freilich 
unsicher blieb’ (S. 7), ganz roh nach dem nämlichen Gewichtssatze 
(Centnern) der gleichen Zollgebühr unterworfen, sonst nach Malen 
(Faß, Tonne), Schiffs- und Wagenlasten. Dagegen wird die Belastung 
bei Holzflößen nirgends besonders verzollt (S. 11). Die Höhe der 


1) Auf die Münzreduktionen der Schrift mache ich besonders aufmerksam. Die 
S. 6 N. 3 versprochenen münzgeschichtlichen und metrologischen Studien des Verf. 
zur fränkischen Geschichte sind etwa gleichzeitig (Fränk, Münzverhältnisse zu Ausgang 
des Mittelalters“) als Bamberger Progr. 1899 erschienen. 


Litteratur. 555 


Zollsätze bei den zu diesen Jahren in Frage kommenden fünf Zoll- 
stätten (Eltmann, Hallburg, Haßfurt, Mainberg, Theres) ist im einzelnen 
durchaus verschieden. Im allgemeinen wird man sagen können, daß 
Zollstätten, die sich in erster Hand (der Landesherren) befinden, wie 
die drei letztgenannten, mäßige und normale Zollsätze haben, ver- 
pfändete dagegen, wie die beiden ersteren, übermäßige Abgaben er- 
heben 1). Die stärkere Betonung der fiskalischen Interessen in der 
zweiten Hälfte des 14. und im Anfang des 15. Jahrhunderts läßt neue 
Wasserzölle erstehen, als bedeutendsten im Bamberger Frankenwald 
den von Kronach. Die Kronacher Kastenamts- und Zollrechnungen von 
1485—1508 mit den Forstknechtsrechnungen von 1490—1505, und die 
Rechnungen des Lichtenfelser Forstmeisters von 1480—1519, die im 
2. Teile ausführlich‘ zu Worte kommen, gewähren reiche Aufschlüsse 
über die Flußzölle?2) um die Wende des 15. zum 16. Jahrhundert. 
Während dieser Zeit ist nur der Handel mit rohem und ge- 
schnittenem Bauholz (Balken, Pfatten, Einzelstämme, Blöcher) und mit 
Weinbergspfählen zollbelastet, dagegen werden, wie schon am Anfang 
des 15. Jahrhunderts (S. 7) die Erzeugnisse der Holzindustrie des 
Frankenwaldes zollfrei ausgeführt (S. 22). Die verhältnismäßig starke 
Belastung des schweren Bauholzes mit Zöllen erklärt K. (S. 27) aus 
den natürlichen Rücksichten auf den Eigenbedarf und die Schonung 
der besseren Waldbestände. Eine solche schutzzöllnerische Wirtschafts- 
politik lag ja auch den Reichszöllen des Mittelalters überhaupt nicht 
fern (cf. A. Niggl, Der Zoll im altdeutschen Rechte und nach mo- 
dernem Reichsrecht, Diss. Erlangen 1897, S. 32). Erst seit 1496 lassen 
sich Zölle auf andere Floßlasten als Holz (Metalle, Steine, Waldneben- 
produkte des Frankenwaldes, landwirtschaftliche Erzeugnisse und Bier) 
nachweisen. Verzollt aber wird weder nach Qualität noch nach Ge- 
wicht, sondern nach „Böden“, d. h. nach der Quantität, die von einer 
Floßabteilung von 6—12 Stämmen getragen werden konnte (S. 26, 31). 
Der Zoll betrug jetzt für Holz in Kronach 16 Pfg. (seit 1488 nach 
dem Härtegrade, also dem Werte des Holzes differenziert, 12, 14 oder 
18 Pfg.), in Lichtenfels 2, später 4 Pfg, für andere Produkte regel- 
mäßig 12 Die, und der gleiche Satz gilt auch für die Verzollung von 
Speditionsgütern (z. B. Heringstonnen). Niggl (a. a. 0.8.30) hat gemeint, 
die ältere Zolltarifierung sei nur auf den Wert des Gesamtwarentrans- 
portes begründet gewesen und der mittelalterliche Zoll also als Wertzoll 
aufzufassen. Das ist doch wohl nicht ganz richtig. In merowingischer 
Zeit wird der Zoll berechnet einmal nach Wagen- und Schiffsladungen, 
sodann nach dem Wert der Ware (Dahn, Zum merowingischen Finanz- 
wesen, Germanist. Abhandlungen für K. v. Maurer, S. 369 u. 371), 
nur im letzteren Falle also handelt es sich um einen Wertzoll, im 
ersteren dagegen um einen echten Warenzoll nach der Zahl der Karren 
und Schiffe. Und entsprechend diesem carrale und navigale will auch 
schon der Cod. Theodos. VIII 5,21 von Straßenzöllen das rotaticum 


1) Die vom Verf. S. 17 N. 1 im Staatsarchiv zu Marburg vermuteten Höchster 
Zollrechnungen finden sich dort nicht. 
2) S. 60 „so mag es an Zollkuriosas so wenig .. . gefehlt haben‘, ist sehr 


häßlich. 


556 Litteratur. 


wegen der ‘rotarum tritura et ministeria erhoben wissen ‘pro rotis 
et angariis, nach der Zahl der Räder und Gespanne (E. Mayer, Zoll, 
Kaufmannschaft und Markt zwischen Rhein und Loire, dieselben Ab- 
handlungen S. 380). Karl d Gr. gewährte 775 den Eigenleuten der 
Straßburger Kirche (Keutgen, Urkk. No. 68) Zollfreiheit „de rebus, 
quas navigio aut terreno, id est cum carris et saumariis ... negotiandi 
gratia duxerint“. Das Raffelstetter Zollweistum von 903/6 (Keutgen 
No. 70) tarifiert ebenfalls nach Schiffen und Karren: Schiffe, die vom 
Westen kommen, geben je 1 semidragmam — 1 scoti, wenn sie zwecks 
Handels anlanden, 3 semimodios = 3 scafilos de sale dagegen, wenn sie 
weiterfahren wollen ($ 1); von der „navis legittima, id est quam 
3 homines navigant (ich verweise hier auf Köberlin, S.7, z. J. 1406/8: 
einfaches Floß, von einem Knecht geführt und das "gehertte stock, daz 
czwen knechte fären"), exsolvant de sale scafil 3“ ($ 7, cf. § 8); „carre 
autem salinarie, que per stratam legittimam Anesim fluvium transeunt, 
ad Urulam tantum 1 scafil plenum exsolvant“ ($ 5). Als Tarifierungs- 
basis auch für den Koblenzer Tarif von 1104 (Keutgen No. 80) ist 
wieder sehr primitiv das Transportmittel, Schiff und Saumtier, zu 
Grunde gelegt; nur Kupfer wird nach Centnern, also nach dem ge- 
nauen Werte, verzollt (cf. Sommerlad, Die Rheinzölle im Mittelalter, 
Halle a. S. 1894, S. 35): an den Zollstätten des Obermaines ` 1406/7 
dagegen Eisen ebenfalls nach Schiffs- und Wagenladungen (Köberlin 
S. 12). In dem Koblenzer Rheinzolltarif von 1209 (Beyer, MR. UB. 
II No. 242) wird unterschieden zwischen Floß, Vollschiff und Nachen: 
ähnlich entrichtet nach dem Eltmanner Tarif von 1406/7 ein kleines 
Floß 371/,, ein großes 75 Pfg., ein Schiff mit Holz oder Weinberg- 
pfählen 1 Goldfl. (Köberlin, S. 10 f.) Ferner darf ich hinweisen 
auf eine ähnlich differenzierende Bestimmung aus dem Osten Deutsch- 
lands und einer genau zwischen dem Koblenzer und dem Eltmanner 
Tarif liegenden Zeit. Im Jahre 1317 hob Herzog Boleslav von Brieg und 
Liegnitz den Zoll auf Holz und andere Waren bei Köln (ö. Brieg) auf 
und bestimmte, daß derselbe fortan bei der Brieger Brücke entrichtet 
werden solle. Die Brieger Bürger als Käufer oder Verkäufer von Holz, 
Salz, Wachs, Ziegeln, Kalk und anderen Waren sind zollfrei; die Fremden 
dagegen „ligna aut alia mercimonia prenarrata ibidem circa pontem 
ementes solvant teloneum constitutum videlicet de magna navi 2 scotos, 
de parva navi !/, scotum, de congerie lignorum edificalium 2 scotos, 
de congerie lignorum combustibilium 1 scotum“ (Wutke, Die schlesische 
Oderschiffahrt in vorpreußischer Zeit, Breslau 1897 — Cod. dipl. Silesiae, 
Bd. 17, S. 7): also wie 1209 in Koblenz Vollschiff, Nachen und Floß, 
letzteres in zwei nach der Qualität des Holzes (wie 1488 in Kronach) 
differenzierten Arten (vergl. auch Wutke, S. 9, 1375: „De navi dan- 
tur 2 scoti . . . de quolibet maldrato annone dantur 4 den. et specia- 
liter de navi recipitur theolonium, sed de aliis mereimoniis ad placitum 
recipitur“). 

In der Koblenzer Dreiteilung der Transportmittel von 1209 hat 
Lamprecht (Deutsches Wirtschaftsleben II, S. 297) eine Verfeinerung 
der Transportmittelveranlagung erblickt. Dagegen will Sommerlad 


Litteratur. 557 


(a. a. O. S. 36) darin „nur eine ganz äußerliche höchst willkürliche Um- 
änderung“ sehen, und vollends die Meinung von Braunholtz (Das 
deutsche Reichszollwesen, Diss. Berlin, 1890, S. 35), daß die Höhe des Fluß- 
zolles abhängig gewesen sei von der Größe der Fahrzeuge, erklärt er für 
„naiv“. Ohne auf die meines Erachtens von S. zutreffend beantwortete 
Frage nach dem früher behaupteten rechtlichen Zusammenhang zwischen 
dem fränkisch - deutschen und dem römischen Zollwesen einzugehen, 
glaube ich doch als wahrscheinlich annehmen zu dürfen, daß nicht 
eine willkürlich gebrochene, sondern die gerade Linie der primi- 
tiven Tarifierungstechnik überhaupt von der Zollveranlagungsweise des 
Cod. Theodos. nach dem Grade der Abnutzung der Straßen durch größere 
oder kleinere Wagen hinüberführt zu den Flußzolltarifen des Mittelalters 
mit ebenfalls der Basierung auf die Größe und Tragkraft (Köberlin, 
S. 53, Note) der Transportmittel; mit anderen Worten: auf die Ver- 
schiedenheit der Ansprüche der einzelnen Schiffstypen an die Wasser- 
stralen mit ihren Bauten und Schutzvorrichtungen im Interesse der 
Schiffahrt (cf. neuerdings B. Weißenborn, Die Elbzölle und EIb- 
stapelplätze im Mittelalter, Diss. Halle 1900, S. 14, N. 2). Köberlin 
hat sich davon ottenbar keine klare Vorstellung gemacht; aber Braun- 
holtz scheint mir in der That hier auf dem richtigen Wege zu sein. 

Neben diesem Transitzoll mit reinem, eine bloße Gegenleistung für 
die Instandhaltung und Abnutzung der Verkehrswege und den Ver- 
kehrsschutz darstellenden Gebührencharakter (cf. Soemmerlad, S. 8, 
10; Köberlin, S. 12) waren allerdings, wie wir sahen, sehr früh 
auch schon wirkliche Wertzölle vorhanden, deren Objekte sich stetig 
erweiterten. So weit wird man Niggl recht geben. 

Wenn mich nicht alles täuscht, haben wir in den komplizierten 
und differenzierten Tarifierungsweisen des späteren Mittelalters mit 
ihrem nicht mehr rein grundherrlichen, sondern zunehmend fiskalischen 
Charakter das Ergebnis der unter dem Einfluß fortgeschrittener Wirt- 
schaftszustände vollzogenen Kombination jener beiden Zollarten zu sehen, 
von denen gelegentlich bald die eine, bald die andere wieder einmal 
stärker hervortritt. 


558 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands 
und des Auslandes. 


1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle 
theoretische Untersuchungen. 

Ammon, Otto, Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen 
Grundlagen. Entwurf einer Sozial-Anthropologie zum Gebrauch für alle 
Gebildeten, die sich mit sozialen Fragen befassen. Dritte umgearbeitete 
Auflage. Jena, Gustav Fischer, 1900. 803 S. 

Die zweite Auflage des Buches von Ammon ist in diesen Jahr- 
büchern III. F. Band. 10 S. 103 ff. sehr eingehend besprochen worden. 
Die vorliegende dritte Auflage unterscheidet sich nicht wesentlich von 
der zweiten: es sind einige Absätze gestrichen bezw. zusammengezogen, 
vor allem die neueren statistischen Ergebnisse verwertet, so die säch- 
sische Einkommenstatistik bis zum Jahre 1898. Es kann daher eine 
Besprechung der neuen Auflage auf das früher Gesagte Bezug nehmen 
und sich auf einige ergänzende Bemerkungen beschränken. 

Der erste Teil des Buches giebt eine naturwissenschaftliche Theorie 
der Gesellschaftsordnung, beginnt mit einer Darlegung der Entwick- 
lungslehre Darwins und der Behauptung, daß diese auch für das 
menschliche Gesellschaftsleben Geltung besitze. Diese Meinung setzt 
voraus, daß die gesellschaftlichen Phänomene als Naturdinge zu fassen 
sind, ihre Entwicklung als eine gesetzliche im Sinne der Naturwissen- 
schaft sich darstellt. Auf diese Grundfrage geht Ammon nicht ein. 
Ihre Beantwortung erfordert des weiteren eine maßgebliche Feststellung 
des Begriffs der Gesellschaft, eine Untersuchung, ob das gesellschaft- 
liche Zusammenleben dem bloß physischen Beisammensein als besonderer 
Gegenstand gegenüber zu stellen ist, und welches Merkmal gegebenen 
Falls das soziale Leben als eigenartiges Objekt unserer Erkenntnis zu 
begründen vermag. Eine grundlegende Behandlung dieser Frage ver- 
mutt man bei Ammon. Er nimmt ohne weiteres nicht eine prin- 
zipielle, sondern nur graduelle Verschiedenheit zwischen dem Gesell- 
schaftsleben der Menschen und dem Genossenschaftsleben bei Tieren 
an, glaubt durch ein Zurückgehen auf die ersten Anfänge eines Zu- 
sammenschlusses von Individuen die besonderen Bedingungen des Ge- 
sellschaftslebens darlegen zu können. Dies ist unrichtig. Einmal setzt 
die Frage nach der Entstehung des Gesellschaftslebens schon voraus, 
daß man weiß, was überhaupt Gesellschaftsleben ist, denn sonst kann 
man jene Anfänge eines Zusammenschlusses nicht als Beginn gesell- 
schaftlichen Lebens fassen. Des weiteren kann das Zusammenleben der 
Menschen zum Tierleben nicht in Parallele gesetzt werden, sofern die 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 559 


normierten Beziehungen der Menschen untereinander in Rücksicht ge- 
zogen werden; Ammon betrachtet jedoch die Regelung des mensch- 
lichen Zusammenlebens, welche den richtigen Mann an den richtigen 
Platz stellen soll. Diese Regelung rührt vom Menschen her, sie tritt 
von außen als selbständiger Bestimmungsgrund an den ihr Unterstellten 
heran, ist von den dem Einzelindividuum als solchen zugehörigen Trieb- 
federn unabhängig, da sie nur äußere Legalität fordert, ohne Rücksicht 
auf die Motive des einzelnen sie zu befolgen. Dies tritt uns im Tier- 
leben nicht entgegen, wir finden hier allein bestimmend die natürlichen 
Triebe, wissen nichts von selbständig neben den Naturtrieben stehenden, 
von den Individuen selbst gesetzten äußeren Regeln. Durch diese 
Regeln wird das soziale Leben als besonderer Gegenstand unserer Er- 
fahrung konstituiert. Es kann daher nur unter Voraussetzung einer in- 
haltlich feststehenden sozialen Ordnung von gesellschaftlicher Ent- 
wickelung, der Notwendigkeit des Auftretens sozialer Phänomene geredet, 
nicht von Gesellschaft schlechthin, sondern immer nur von einer be- 
stimmten Gesellschaft gehandelt werden. Endlich verbreiten die Viel- 
gestaltigkeit der sozialen Erscheinungen und die Thatsache, daß hin- 
sichtlich dieser ganz andere Faktoren von maßgebender Bedeutung sind 
als in der Natur, die prinzipielle Gleichstellung beider Gebiete unserer 
Erfahrung. 

Was die Beweisführung Ammons betrifft, so seien hier nur 
zwei Bedenken hervorgehoben, einmal gegen die statistische Grundlage, 
die er selbst giebt, und dann gegen die Herübernahme der Ergebnisse 
aus dem Buch von Hansen, „Die drei Bevölkerungsstufen.“ 

Ammon stützt seine Theorie hinsichtlich der Verteilung der 
Begabung auf Deduktionen aus der Kombinationslehre und auf das 
Zahlenmaterial, das Galton in seinem Buch, „Hereditary Genius“ an- 
führt, das die Verteilung einer Million Menschen auf 16 Begabungs- 
klassen veranschaulicht. Diese Zahlen vermöger der Antorderung 
objektiver Massenbeobachtung nicht zu genügen. Sie sind weder das 
Ergebnis wirklicher Beobachtung, noch würde, wenn sie es wären, aus 
der Verteilung der Begabung in einer Million von Angehörigen eines 
bestimmten Volkes ein Schluß auf die Verteilung der Begabung über- 
haupt statthaft sein. Dieser letzte Einwand ist in gleicher Weise 
dagegen zu erheben, dal Ammon seine Meinung hinsichtlich der 
Verteitung des Einkommens allein auf die sächsische Einkommenstatistik 
stützt. Und die Vergleichung dieser Zahlen mit denjenigen, welche 
Galton für die Verteilung der Begabung angiebt, ist vollends wissen- 
schaftlich nicht zu rechtfertigen. 

Ammonn nimmt weiterhin die Ergebnisse des Buches von Hansen 
herüber. Nach seiner Meinung genügen die von diesem gebrachten 
Beweise in der Hauptsache, um den Bevölkerungsstrom, die durch den 
Kampf ums Dasein hervorgerufenen Binnenwanderungen zum Zweck 
der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage, zu erklären. Dies ist jedoch 
nicht der Fall Hansen geht davon aus, daß alle Städte einen ver- 
hältnismäßig geringen Geburtenüberschuß, teilweise sogar ein Defizit 
aufweisen. Dies trifft jetzt durchaus nicht zu. So betrug z. B. der 


556 Litteratur. 


wegen der ‘rotarum tritura et ministeria erhoben wissen ‘pro rotis 
et angariis, nach der Zahl der Räder und Gespanne (E. Mayer, Zoll, 
Kaufmannschaft und Markt zwischen Rhein und Loire, dieselben Ab- 
handlungen S. 380). Karl d. Gr. gewährte 775 den Eigenleuten der 
Straßburger Kirche (Keutgen, Urkk. No. 68) Zollfreiheit „de rebus, 
quas navigio aut terreno, id est cum carris et saumariis ... negotiandi 
gratia duxerint“. Das Raffelstetter Zollweistum von 903/6 (Keutgen 
No. 70) tarifiert ebenfalls nach Schiffen und Karren: Schiffe, die vom 
Westen kommen, geben je 1 semidragmam — 1 scoti, wenn sie zwecks 
Handels anlanden, 3 semimodios = 3 scafilos de sale dagegen, wenn sie 
weiterfahren wollen ($ 1); von der „navis legittima, id est quam 
3 homines navigant (ich verweise hier auf Köberlin, S. 7, z. J. 1406/8: 
einfaches Floß, von einem Knecht geführt und das "gehertte stuck, daz 
czwen knechte füren’), exsolvant de sale scafil 3“ ($ 7, cf. § 8); „carre 
autem salinarie, que per stratam legittimam Anesim fluvium transeunt, 
ad Urulam tantum 1 scafil plenum exsolvant“ ($ 5). Als Tarifierungs- 
basis auch für den Koblenzer Tarif von 1104 (Keutgen No. 80) ist 
wieder sehr primitiv das Transportmittel, Schiff und Saumtier, zu 
Grunde gelegt; nur Kupfer wird nach Centnern, also nach dem ge- 
nauen Werte, verzollt (cf. Sommerlad, Die Rheinzölle im Mittelalter, 
Halle a. S. 1894, S. 35): an den Zollstätten des Obermaines ` 1406/7 
dagegen Eisen ebenfalls nach Schiffs- und Wagenladungen (Köberlin 
S. 12). In dem Koblenzer Rheinzolltarif von 1209 (Beyer, MR. UB. 
II No. 242) wird unterschieden zwischen Floß, Vollschiff und Nachen: 
ähnlich entrichtet nach dem Eltmanner Tarif von 1406/7 ein kleines 
Floß 371/,, ein großes 75 Pfg., ein Schiff mit Holz oder Weinberg- 
pfählen 1 Goldfl. (Köberlin, S. 10 f). Ferner darf ich hinweisen 
auf eine ähnlich differenzierende Bestimmung aus dem Osten Deutsch- 
lands und einer genau zwischen dem Koblenzer und dem Eltmanner 
Tarif liegenden Zeit. Im Jahre 1317 hob Herzog Boleslav von Brieg und 
Liegnitz den Zoll auf Holz und andere Waren bei Köln (ö. Brieg) auf 
und bestimmte, daß derselbe tortan bei der Brieger Brücke entrichtet 
werden solle. Die Brieger Bürger als Käufer oder Verkäufer von Holz, 
Salz, Wachs, Ziegeln, Kalk und anderen Waren sind zollfrei; die Fremden 
dagegen „ligna aut alia mercimonia prenarrata ibidem circa pontem 
ementes solvant teloneum constitutum videlicet de magna navi 2 scotos, 
de parva navi !/, scotum, de congerie lignorum edificalium 2 scotos, 
de congerie lignorum combustibilium 1 scotum“ (Wutke, Die schlesische 
Oderschiffabrt in vorpreußischer Zeit, Breslau 1897 — Cod. dipl. Silesiae, 
Bd. 17, S. 7): also wie 1209 in Koblenz Vollschiff, Nachen und Floß, 
letzteres in zwei nach der Qualität des Holzes (wie 1488 in Kronach) 
differenzierten Arten (vergl. auch Wutke, S. 9, 1375: „De navi dan- 
tur 2 scoti .. . de quolibet maldrato annone dantur 4 den. et specia- 
liter de navi recipitur theolonium, sed de aliis mercimoniis ad placitum 
recipitur“). 

In der Koblenzer Dreiteilung der Transportmittel von 1209 hat 
Lamprecht (Deutsches Wirtschaftsleben IT, S. 297) eine Verfeinerung 
der Transportmittelveranlagung erblickt. Dagegen will Sommerlad 


Litteratur. 557 


(a. a. O. S. 36) darin „nur eine ganz äußerliche höchst willkürliche Um- 
änderung“ sehen, und vollends die Meinung von Braunholtz (Das 
deutsche Reichszollwesen, Diss. Berlin, 1890, S. 35), daß die Höhe des Fluß- 
zolles abhängig gewesen sei von der Größe der Fahrzeuge, erklärt er für 
„naiv“. Ohne auf die meines Erachtens von S. zutreffend beantwortete 
Frage nach dem früher behaupteten rechtlichen Zusammenhang zwischen 
dem fränkisch - deutschen und dem römischen Zollwesen einzugehen, 
glaube ich doch als wahrscheinlich annehmen zu dürfen, daß nicht 
eine willkürlich gebrochene, sondern die gerade Linie der primi- 
tiven Tarifierungstechnik überhaupt von der Zollveranlagungsweise des 
Cod. Theodos. nach dem Grade der Abnutzung der Straßen durch größere 
oder kleinere Wagen hinüberführt zu den Flußzolltarifen des Mittelalters 
mit ebenfalls der Basierung auf die Größe und Tragkraft (Köberlin, 
S. 53, Note) der Transportmittel; mit anderen Worten: auf die Ver- 
schiedenheit der Ansprüche der einzelnen Schiffstypen an die Wasser- 
straßen mit ihren Bauten und Schutzvorrichtungen im Interesse der 
Schiffahrt (cf. neuerdings B. Weißenborn, Die Elbzölle und Elb- 
stapelplätze im Mittelalter, Diss. Halle 1900, S. 14, N. 2). Köberlin 
hat sich davon offenbar keine klare Vorstellung gemacht; aber Braun- 
holtz scheint mir in der That hier auf dem richtigen Wege zu sein. 

Neben diesem Transitzoll mit reinem, eine bloße Gegenleistung für 
die Instandhaltung und Abnutzung der Verkehrswege und den Ver- 
kehrsschutz darstellenden Gebührencharakter (cf. Sommerlad, S. 8, 
10; Köberlin, S. 12) waren allerdings, wie wir sahen, sehr früh 
auch schon wirkliche Wertzölle vorhanden, deren Objekte sich stetig 
erweiterten. So weit wird man Niggl recht geben. 

Wenn mich nicht alles täuscht, haben wir in den komplizierten 
und differenzierten Tarifierungsweisen des späteren Mittelalters mit 
ihrem nicht mehr rein grundherrlichen, sondern zunehmend fiskalischen 
Charakter das Ergebnis der unter dem Einfluß fortgeschrittener Wirt- 
schaftszustände vollzogenen Kombination jener beiden Zollarten zu sehen, 
von denen gelegentlich bald die eine, bald die andere wieder einmal 
stärker hervortritt. 


558 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands 
und des Auslandes. 


1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle 
theoretische Untersuchungen. 

Ammon, Otto, Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen 
Grundlagen. Entwurf einer Sozial-Anthropologie zum Gebrauch für alle 
Gebildeten, die sich mit sozialen Fragen befassen. Dritte umgearbeitete 
Auflage. Jena, Gustav Fischer, 1900. 803 S. 

Die zweite Auflage des Buches von Ammon ist in diesen Jahr- 
büchern III. F. Band. 10 S. 103 ff. sehr eingehend besprochen worden. 
Die vorliegende dritte Auflage unterscheidet sich nicht wesentlich von 
der zweiten: es sind einige Absätze gestrichen bezw. zusammengezogen, 
vor allem die neueren statistischen Ergebnisse verwertet, so die säch- 
sische Einkommenstatistik bis zum Jahre 1898. Es kann daher eine 
Besprechung der neuen Auflage auf das früher Gesagte Bezug nehmen 
und sich auf einige ergänzende Bemerkungen beschränken. 

Der erste Teil des Buches giebt eine naturwissenschaftliche Theorie 
der Gesellschaftsordnung, beginnt mit einer Darlegung der Entwick- 
lungslehre Darwins und der Behauptung, daß diese auch für das 
menschliche Gesellschaftsleben Geltung besitze. Diese Meinung setzt 
voraus, daß die gesellschaftlichen Phänomene als Naturdinge zu fassen 
sind, ihre Entwicklung als eine gesetzliche im Sinne der Naturwissen- 
schaft sich darstellt. Auf diese Grundfrage geht Ammon nicht ein. 
Ihre Beantwortung erfordert des weiteren eine maßgebliche Feststellung 
des Begriffs der Gesellschaft, eine Untersuchung, ‘ob das gesellschaft- 
liche Zusammenleben dem bloß physischen Beisammensein als besonderer 
Gegenstand gegenüber zu stellen ist, und welches Merkmal gegebenen 
Falls das soziale Leben als eigenartiges Objekt unserer Erkenntnis zu 
begründen vermag. Eine grundlegende Behandlung dieser Frage ver- 
mißt man bei Ammon. Er nimmt ohne weiteres nicht eine prin- 
zipielle, sondern nur graduelle Verschiedenheit zwischen dem Gesell- 
schaftsleben der Menschen und dem Genossenschaftsleben bei Tieren 
an, glaubt durch ein Zurückgehen auf die ersten Anfänge eines Zu- 
sammenschlusses von Individuen die besonderen Bedingungen des Ge- 
sellschaftslebens darlegen zu können. Dies ist unrichtig. Einmal setzt 
die Frage nach der Entstehung des Gesellschaftslebens schon voraus, 
daß man weiß, was überhaupt Gesellschaftsleben ist, denn sonst kann 
man jene Anfänge eines Zusammenschlusses nicht als Beginn gesell- 
schaftlichen Lebens fassen. Des weiteren kann das Zusammenleben der 
Menschen zum Tierleben nicht in Parallele gesetzt werden, sofern die 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 559 


normierten Beziehungen der Menschen untereinander in Rücksicht ge- 
zogen werden; Ammon betrachtet jedoch die Regelung des mensch- 
lichen Zusammenlebens, welche den richtigen Mann an den richtigen 
Platz stellen soll. Diese Regelung rührt vom Menschen her, sie tritt 
von außen als selbständiger Bestimmungsgrund an den ihr Unterstellten 
heran, ist von den dem Einzelindividuum als solchen zugehörigen Trieb- 
federn unabhängig, da sie nur äußere Legalität fordert, ohne Rücksicht 
auf die Motive des einzelnen sie zu befolgen. Dies tritt uns im Tier- 
leben nicht entgegen, wir finden hier allein bestimmend die natürlichen 
Triebe, wissen nichts von selbständig neben den Naturtrieben stehenden, 
von den Individuen selbst gesetzten äußeren Regeln. Durch diese 
Regeln wird das soziale Leben als besonderer Gegenstand unserer Er- 
fahrung konstituiert. Es kann daher nur unter Voraussetzung einer in- 
haltlich feststehenden sozialen Ordnung von gesellschaftlicher Ent- 
wickelung, der Notwendigkeit des Auftretens sozialer Phänomene geredet, 
nicht von Gesellschaft schlechthin, sondern immer nur von einer be- 
stimmten Gesellschaft gehandelt werden. Endlich verbreiten die Viel- 
gestaltigkeit der sozialen Erscheinungen und die Thatsache, daß hin- 
sichtlich dieser ganz andere Faktoren von maßgebender Bedeutung sind 
als in der Natur, die prinzipielle Gleichstellung beider Gebiete unserer 
Erfahrung. 

Was die Beweisführung Ammons betrifft, so seien hier nur 
zwei Bedenken hervorgehoben, einmal gegen die statistische Grundlage, 
die er selbst giebt, und dann gegen die Herübernahme der Ergebnisse 
aus dem Buch von Hansen, „Die drei Bevölkerungsstufen.“ 

Ammon stützt seine Theorie hinsichtlich der Verteilung der 
Begabung auf Deduktionen aus der Kombinationslehre und auf das 
Zahlenmaterial, das Galton in seinem Buch, „Hereditary Genius“ an- 
führt, das die Verteilung einer Million Menschen auf 16 Begabungs- 
klassen veranschaulicht. Diese Zahlen vermöger der Anforderung 
objektiver Massenbeobachtung nicht zu genügen. Sie sind weder das 
Ergebnis wirklicher Beobachtung, noch würde, wenn sie es wären, aus 
der Verteilung der Begabung in einer Million von Angehörigen eines 
bestimmten Volkes ein Schluß auf die Verteilung der Begabung über- 
haupt statthaft sein. Dieser letzte Einwand ist in gleicher Weise 
dagegen zu erheben, daß Ammon seine Meinung hinsichtlich der 
Verteitung des Einkommens allein auf die sächsische Einkommenstatistik 
stützt. Und die Vergleichung dieser Zahlen mit denjenigen, welche 
Galton für die Verteilung der Begabung angiebt, ist vollends wissen- 
schaftlich nicht zu rechtfertigen. 

Ammonn nimmt weiterhin die Ergebnisse des Buches von Hansen 
herüber. Nach seiner Meinung genügen die von diesem gebrachten 
Beweise in der Hauptsache, um den Bevölkerungsstrom, die durch den 
Kampf ums Dasein hervorgerufenen Binnenwanderungen zum Zweck 
der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage, zu erklären. Dies ist jedoch 
nicht der Fall. Hansen geht davon aus, daß alle Städte einen ver- 
hältnismäßig geringen Geburtenüberschuß, teilweise sogar ein Defizit 
aufweisen. Dies trifft jetzt durchaus nicht zu. So betrug z. B. der 


560 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Geburtenüberschuß in den preußischen Städten in den Jahren 1886— 1890 
31 Proz. in den Jahren 1896—1898 35 Proz. des gesamten Geburten- 
überschusses, während die Stadtbevölkerung in dieser Zeit 37 Proz. 
bezw. 41 Proz. der Gesamtbevölkerung ausmachte. Hansen stützt 
dann seinen Versuch, die Ursachen für das Blühen und Altern der 
Völker nachzuweisen, auf die Bevölkerungsverhältnisse eines einzelnen 
Mittelstaates, teilweise nur auf das Material aus einzelnen Städten, 
auf Zahlen, denen die Ergebnisse der Wanderungsstatistik anderer 
Städte widersprechen. Die Schlüsse, die er aus diesen Zahlen zieht, 
sind nicht zwingend. Wichtige Punkte seiner Theorie beweist er gar 
nicht. So beruht die Ansicht, daß die Landbevölkerung ?/, des Zu- 
zugs in die Städte ausmacht, während !/ der Zuwanderer aus anderen 
Städten kommen, auf bloßer Schätzung. Und diese erscheint unrichtig, 
wenn man z. B. bedenkt, daß unter den Personen, die in den Jahren 
1886—1890 nach Berlin zogen, jährlich allein 8—9 Proz. geborene 
Berliner sich befanden, und daß, wie Wirminghaus in diesen Jahr- 
büchern III. F. Band 9 S. 169 ausführt, in Frankfurt am Main im 
Jahre 1891 allein 40 Proz. der Zugewanderten aus den 19 Städten 
der näheren Umgebung und den 25 deutschen Großstädten kamen. 

Gegenüber diesen wichtigen Punkten können Bedenken im ein- 
zelnen außer Betracht bleiben. 

Der zweite Teil des Buches bietet Nutzanwendungen der natur- 
wissenschaftlichen Gesellschaftstheorie, giebt allgemeine Gesichtspunkte 
zur Beurteilung sozialer Fragen macht Reformvorschläge und zieht 
unter anderem Wahlrecht, Verfassung, Heer, Beamtentum, Großbetrieb 
und Handwerk, Großgrundbesitz und Bauernwirtschaft, Sozialismus und 
Sozialdemokratie in den Kreis seiner Erwägungen hinein. Eine Würdigung 
der Einzelheiten würde zu weit führen; nur ein grundsätzliches Be- 
denken sei hervorgehoben: Die Meinung Ammon’s, daß die gesellschaft- 
liche Entwickelung von festen Naturgesetzen beherrscht werde, besagt, 
daß alle sozialen Erscheinungen als mit Naturnotwendigkeit eintretend 
gedacht werden. In diesem Fall ist aber für menschliche Zwecksetzung 
und zielbewußte Thätigkeit, wie Ammon im zweiten Teil sie fordert, 
kein Raum, denn das, was als Zweck gesetzt, als zu bewirkend vor- 
gestellt wird, wird als ohne hin, von selbst eintretend gerade nicht 
gedacht. 

Es erbringt Ammon den Nachweis, daß die soziale Entwicklung 
in einem natürlichen Prozeß gemäß der Entwicklungslehre Darwins sich 
vollziehe, nicht, weil er von unbewiesenen Voraussetzungen ausgeht und 
sich auf unzureichendes statistisches Material stützt. Er bietet jedoch 
einen der besten Versuche, die gesellschaftliche Entwicklung natur- 
gesetzlich zu begreifen und so der Sozialwissenschaft eine feste Grund- 
lage zu geben. Und wenngleich dieser Versuch in seiner Berechtigung 
nicht dargethan ist, so bietet er doch so viel Anregung, im einzelnen 
richtige und neue Gesichtspunkte für die Auffassung und Würdigung 
der sozialen Bestrebungen unserer Zeit, daß dieses Buch jedem, der 
sich mit den Fragen des Gesellschaftslebens, besonders mit dessen 
Grundlagen befaßt, empfohlen werden kann, und weitere Verbreitung 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 561 


verdient. Verfasser und Verleger haben in dieser Beziehung durch 
Herabsetzung des Preises das Ihrige gethan. 


Halle a. S. A. Hesse. 


Baron Mourre, Charles, D'ou vient la Décadence économique 
de la France. Paris (Librairie Plon) 1900. 8°. 460 pp. 

Die französische Litteratur der letzten 2 Jahrzente weist zahllose 
Werke auf, die sich mit diesem Problem beschäftigen. Es genügt in 
dieser Hinsicht auf die Werke von Georges Blondel, Cheysson, Frary, 
Leroy-Beaulieu, Poinsard, Schwob etc. etc. zu verweisen. Einige darunter 
halten für die Hauptursache der wirtschaftlichen Dekadenz den lang- 
samen Bevölkerungszuwachs Frankreichs, während andere auch den 
langsamen Bevölkerungszuwachs nur als eine der Begleiterscheinungen 
der wirtschaftlichen Dekadenz ansehen. 

Je nach der politischen Parteistellung, dem religiösen Standpunkt, 
den persönlichen Sympathien und Antipathien werden dabei als Haupt- 
ursache der Bevölkerungsstagnation und der wirtschaftlichen Dekadenz 
das Umsichgreifen des Atheismus und Sozialismus oder die mit dem 
Erbrecht in Verbindung stehende eigentümliche Verteilung des Grund- 
besitzes oder die schwache Auswanderung, die wahnsinnig hohen Schutz- 
zölle u. s. w. in den Vordergrund geschoben. 

Das Werk Charles Mourre’s fördert keine neuen Gesichtspunkte 
auf diesem Gebiete, sondern beschränkt sich darauf, in behaglicher 
Breitspurigkeit eines Dilettanten die keineswegs neue Behauptung breit- 
zutreten, daß die Hauptursache der Dekadenz die Geringschätzung der 
französischen Bourgeoisie für den industriellen, kommerziellen und 
landwirtschaftlichen Erwerb bietet, als deren weitere Folge dann der 
übertriebene Funktionarismus erscheint. 

Um diese These zu stützen, erzählt er uns von der Invasion der 
Germanen und ihren Lebensgewohnheiten, von der Anarchie unter den 
Merovingern, von den Sitten des französischen Feudal- und Hofadels, 
von dem vergiftenden Einfluß der Ideen der politischen Gleichheit, von 
dem Einfluß des Klimas, von der Intervention des Staates u. s. w., 
wobei überall durch oberflächliche Vergleiche und voreilige Schluß- 
folgerungen auf die Notwendigkeit des Zurückgehens auf die Geschichte 
Frankreichs im Alterum und Mittelalter hingewiesen wird. 

Dabei wird natürlich die Thatsache zu wenig berücksichtigt, daß 
die Momente, welche das Aufblühen eines Staates im Mittelalter ver- 
ursachen konnten, in der Neuzeit ohne Einfluß bleiben können, 
während im Gegenteil heutzutage Momente auftreten, die im Mittel- 
alter entweder ganz unbekannt waren oder kaum in Betracht kamen. 
Dementsprechend werden auch die Hauptmomente, welche die wirt- 
schaftliche Dekadenz Frankreichs in der Neuzeit verursacht haben, 
nämlich die relativ außerordentlich schwache Entwickelung der Groß- 
industrie, kaum erwähnt oder nur ungenügend hervorgehoben, obwohl 
gerade diese Momente, die ihrerseits auf die Armut Frankreichs an 
Kohle und Eisen und auf die verkehrte Wirtschaftspolitik Frankreichs 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 36 


562 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


in den letzten Jahrzehnten zurückzuführen sind, auf diesem Gebiete die 
wichtigste Rolle spielen. 

Zum Beweise dafür, wie oberflächlich und widerspruchsvoll die 
Vergleiche und Ausführungen Mourre’s sind — gegen eine gründliche 
historische Untersuchung kann man natürlich nichts einwenden — werden 
folgende Beispiele ausreichen. Auf: S. 221 bespricht der Verf. die 
Gefahren einer geringen Natalität bei den „Intelektuellen“. „Die in- 
telektuellen Klassen“, führt er aus, „deren Teil ohnedies durch den Staats- 
dienst und die liberalen Professionen absorbiert wird, werden dann nicht 
in der Lage sein, in genügender Anzahl Direktoren für industrielle und 
kommerzielle Unternehmungen zu liefern; die Produktion wird eine Ab- 
nahme erleiden, und viele Proletarier werden ohne Arbeit bleiben. Das 
trifft gegenwärtig für Italien zu.“ 

Die Beweise dafür, daß in Italien wirklich eine mehr oder weniger 
lang andauernde Abnahme der Produktion stattfand u. dgl. m., werden 
natürlich nicht erbracht. 

Noch seltsamer sind die Ausführungen Mourre’s auf S. 415. „Quelque 
féconds, au point de vue économique, qu’aient été les résultats de la 
découverte du Nouveau-Monde et de la Réforme, le veritable essor 
économique de l’Angleterre nedate toutefois que du XIXe siècle, alors 
quon se mit à employer dans les usines la vapeur comme moteur, et 
le charbou comme combustible.“ Angesichts dessen frägt es sich, ob es 
denn wirklich notwendig war, der Wiedergabe der Familienstreitigkeiten 
des Feudaladels, der Geschichte der Reformation, der Lebensgewohn- 
heiten der Germanen u. dgl. m. 300—400 Seiten zu widmen, um dann 
die wirtschaftliche Entwickelung der letzten Jahrzehnte mit ein Paar 
Dutzend Seiten abzuthun ?! 

Ueber den wissenschaftlichen Wert der Untersuchungen Mourre’s 
geben übrigens einen ausreichenden Ausweis schon folgende Aus- 
führungen: „Les plus grands savants“, schreibt er auf S. 417, „n’ont-ils 
pas été presque tous Francais?“ Dieser Frage folgt dann die Beweis- 
führung. 

Zürich, J. Goldstein. 


Hainisch, Michael, Dr, Der Kampf ums Dasein und die 
Sozialpolitik. Leipzig und Wien (F. Deuticke) 1899. 

Mit Recht stellt Hainisch in seiner Broschüre an die Vertreter 
der naturwissenschaftlichen Richtung in der Sozialpolitik die Anforde- 
rung, daß sie, bevor sie uns Ratschläge erteilen, sich die wesentlichsten 
Voraussetzungen unserer Wissenschaft klar machen sollen. In scharf- 
sinniger Weise erörtert Verf. eine Reihe von wichtigen Unterschieden 
zwischen sozialer und naturwissenschaftlicher Betrachtungsweise. Zwei 
Momente sind es nach Hainisch’s Ansicht namentlich, die dem mensch- 
lichen Ausleseprozeß einen völlig verschiedenen Charakter von dem Aus- 
leseprozeß in der Tier- und Pflanzenwelt verleihen ; einmal die gesellige Natur 
des Menschen und dann seine die Tierwelt turmhoch überragende Be- 
gabung; neben dem Kampfe der Individuen herrsche beim Menschen- 
geschlecht der kollektive Kampf, und damit finde jener seine Schranken 
dort, wo im Interesse der höheren Einheit Zusammenwirken nötig ist. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 563 


Der Verf. hätte noch schärfer betonen müssen, daß das Objekt der 
Sozialwissenschaft von dem der Naturwissenschaft völlig verschieden 
ist; während für letztere auch die einzelnen Individuen Gegenstand 
der Forschung sind, sind diese für die nationalökonomische Betrachtung 
gänzlich irrelevant. Erst die durch Recht und Sitte zusammengefügte 
Personenmehrheit bildet den Gegenstand sozialwissenschaftlicher Be- 
trachtung; diese wird auch nicht nach Gesetzen, die angeblich von Natur 
den Menschen gegeben sind, forschen, sondern nach den Erscheinungen, 
die sich in den durch menschliche Gesetze geschaffenen Organisationen 
zeigen. Im Sinne dieser schärferen Formulierung hätte Verf. auch 
nicht die weitgehende Konzession an die von ihm bekämpfte Rich- 
tung machen dürfen, daß „eine Analogie zwischen der Gesellschaft und 
einem tierischen oder menschlichen Organismus nur besteht, wo die 
erstere durch Zwangsgesetze zusammengehalten wird. Nur im Staate 
oder in anderen Zwangsgemeinschaften ist der Zusammenhang der ein- 
zelnen Teile ein so fester wie im animalischen Körper, nur im Staate 
und in ähnlichen Zwangsgemeinschaften sind Organe vorhanden, die 
dem Centralnervensystem entsprechen, welches für alle Teile des Orga- 
nismus empfindet und denkt“ (S. 51). Uns scheint, daß gerade umge- 
kehrt die Errichtung des Staates und staatlicher Funktionen aufs deut- 
lichste den Unterschied kennzeichnet, der zwischen natürlichen und 
sozialen Erscheinungen besteht. 


Königsberg i/Pr. K. Diehl, 


d’Avis, E. (Wirkl. GehORegR. a. D.), Die natürliche Volkswirtschaftsordnung 
und die staatliche Wirtschaftspolitik. Nach dem Leben dargestellt. Berlin, Puttkammer & 
Mühlbrecht, 1901. gr. 8. 106 SS. M. 1,80. 

Friedlaender, B., Die vier Hauptrichtungen der modernen sozialen Bewegung: 
Marxistische Sozialdemokratie; Anarchismus ; Eugen Dührings sozialitäres System; Henry 
Georges Neophysiokratie. I. Teil: Marxismus und Anarchismus. Berlin, Calvary AC, 
1901. gr. 8 XX—220 SS. M. 3.—. 

Pesch, H. (S. J.), Liberalismus, Sozialismus und christliche Gesellschaftsordnung. 
2 Teile. 2. Aufl. Freiburg i. B., Herder, 1901. 8. XII—772 u. VII—601 SS. M. 14.—. 
(Zum größeren Teile bereits veröffentlicht in den „Stimmen aus Maria-Laach.) 

Staatslexikon. Unter Mitwirkung von Fachmännern herausgegeben im Auf- 
trage der Görresgesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland 
von Jul. Bachem (Rechtsanw., Köln). I. Band: Aargau bis Deutsches Reich. VII 
1439 SS. M. 13,50. 

Vorländer, K., Kant und der Sozialismus unter besonderer Berücksichtigung 
der neuesten theoretischen Bewegung innerhalb des Marxismus. Berlin, Reuther & Reichard, 
1900. gr. 8 69 SS. M. 1,20. 

Wollt, K., Sozialer Geist. Sein Wesen und seine Entfaltung. Mannheim, E. 
Aletter, 1901. gr. 8. 151 SS. M. 2,40. 


L'année scientifique et industrielle (fondée par L. Figuier). XLIVième année 
(1900) par E. Gautier. Paris, Hachette & OC, 1901. 8. XII—410 pag. avec 64 figures. 
fr. 3,50. 

Bonnaud, F., Cabet et son oeuvre. Appel À tous les socialistes. Paris, Société 
libre d’edition des gens de lettres, 1901. 8. IV—202 pag. fr. 3.—. 

Congrès général (eme) des organisations socialistes françaises, tenu A Paris du 
28 au 30 septembre 1900. Compte rendu sténographique officiel. Paris, G. Bellais, 
1901. 8. IX—386 pag. fr. 3.—. 

Conseil supérieur du travail. Lime session, juin 1900. Paris, imprim. nationale, 
1900. in-4. 525 pag. 

36% 


564 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 


Croce, Benedetto, Mat£rialisme historique et &conomie marxiste. Essais eriti- 
ques, traduit par Alfr. Bonnet. Paris, Giard & Brière, 1901. 8. 326 pag. fr. 3,50. 

De la Grasserie, Raoul, Des principes sociologiques de la criminologie. Avec 
une préface par C. Lombroso. Paris, Giard & Brière, 1901. gr. in-8. VII—442 pag, 
toile. fr. 10.—. (Table des matières: Des définitions et des grandes divisions de la 
criminologie. — De l'analyse d’une obligation pénale. — Des anormaux. — Le criminel 
dans le crime. — De la victime. — Des délits publies et des délits privés. — Du rôle 
de la société dans la criminalité et dans le crime. — De la cause, élément de la erimi- 
nalité, du crime et de l’obligation pénale. — Des objets du crime. — Des modes 
d'exécution du crime. — De la transmission et de la communication actives et passives 
de la criminalité et du crime. — De la répercussion du crime, de la criminalité et de 
la peine. — De l’élément du nombre dans le crime ou de la pluralité des crimes ou 
de l’un de leurs éléments. — De la fixation des incriminations. — De la mesure dans 
le crime ou de ses degrés d’accomplissement. — De l'élément du poids dans le crime 
et la criminalité. — De la fonction sociale du crime, de la criminalité et de la peine 
et de leur utilisation.) [Bibliothèque sociologique internationale, publiée sous la direction 
de René Worms, vol. XXIIL.] 

Historique du monument de François Quesnay. Livre d’or (1900). Versailles, 
impr. Aubert, 1900. 8. 118 pag. et grav. 

Picot, G., Léon Say. Notice historique, lue en séance publique (de l’Académie 
des sciences morales et polit.) le 1 XII 1900. Paris, Hachette & C, 1901. 12. 125 pag. 
fr. 0,60. 

Skarzinski, L., Le progrès social à la fin du XIX” siècle. Préface de M. Léon 
Bourgeois. Paris, F. Alcan, 1901. 8. 496 pag. 

Rae, J., Contemporary socialism. New edition. London, Sonnenschein, 1901, 
March, 8. 568 pp. 5/.—. 

Byaraxkos», C., Kansranısup u semaenbaie Tome I u U. C.-Ierepéyprs, 
B. A. TuxauoBa, 1900! gr. in-8. (Bulgakoff, Kapitalismus und Landwirtschaft, 2 Bde. 
St. Petersburg.) IV—338 pp. u. IV—458 pp. 

Drago, L. V., Il socialismo: conferenza popolare. Roma, tip. Sallustiana, 1900. 
8. 41 pp. 


2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur. 
Darmstaedter, P., Das Großherzogtum Frankfurt. Ein Kulturbild aus der 
Rheinbundszeit. Frankfurt a. M., J. Baer & C°, 1901. gr. 8. VI—414 SS. mit Karte. 
M. 7.—. (Aus dem Inhalt: Die Finanzen: Das ältere deutsche Finanzwesen. Finanz- 
verfassung der Territorien. Die reichsstädtische Finanzverfassung in Frankfurt. Auf- 


gaben der großherzoglichen Finanzverwaltung. Das Budget von 1810, ete. — Die 
Gleichheit: Privilegierte und Minderberechtigte. — Die wirtschaftliche Gesetzgebung: 


Die Agrarpolitik. Die Gewerbepolitik. Die Handelspolitik. Die Wirtschaftspolitik. Die 
Verkehrspolitik. — Der Zusammenbruch (1813). 

Delffs, O., Deutschlands Aufgaben als Groß- und Weltmacht. Dresden, E. Pierson, 
1901. gr. 8. VI—54 SS. M. 1.—. (Die wirtschaftliche Tendenz dieser Schrift be- 
zeichnet u. a. die Losung: „Unsere Zukunft liegt auf dem Lande, nicht auf der See!“) 

Demme, L. (weiland Stadtsekr.), Nachrichten und Urkunden zur Chronik von 
Hersfeld. III. Band (betrifft die Zeit von Beginn des 7jährigen Krieges bis einige Jahre 
nach der westfälischen Zeit). Hersfeld, A. Webert, 1901. gr. 8. 380 SS. M. 4,50. 

Leo, Heinrich, Untersuchungen zur Besiedelungs- und Wirtschaftsgeschichte des 
thüringischen Osterlandes in der Zeit des früheren Mittelalters. Leipzig, B. G. Teubner, 
1900. gr. 8. 93 SS. mit 1 Kartenskizze. M. 3,20. (A. u. d. T.: Leipziger Studien 
aus dem Gebiete der Geschichte, Bd. VI, Heft 3.) 

Sommerlad, Theo, Wirtschaftsgeschiehtliche Untersuchungen. Heft 1: Zur 
Würdigung neuester rechtsgeschichtlicher Kritik. Abwehr und Antwort an Ulrich Stutz 
in Freiburg i. B. Leipzig, J. J. Weber, 1900. kl. 4. 83 SS. M. 1.—. 

Wittich, W. (aord. Prof. d. Staatsw. an der Kaiser Wilhelms-Univers. Straßburg), 
Deutsche und französische Kultur im Elsaß. Straßburg, Schlesier & Schweikhardt, 
1901. gr. 4 92 SS. mit 99 Abbildgn. im Text. M. 5.—. (Aus der „Illustrierten 
Elsässischen Rundschan“,) 


d’Avenel, G. (le vicomte), Etude d’histoire sociale. La noblesse française sous 
Richelieu. Paris, Colin, 1901. 12. 365 pag. fr. 4.—. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 565 


Benger, G. (Consul général de Roumanie), La Roumanie en 1900. Traduit de 
PAllemand par J. C. Filitti. Paris, Le Soudier, 1900. Lex. in-8. VI—195 pag. Ouvrage 
orné de 26 gravures dans le texte, 1 carte et 14 planches hors texte. fr. 10.—. (Table 
des matières: Agriculture. — Pêche. — Mines. — Forêts. — Industrie. — Voies de 
communication. — Commerce extérieur. — Commerce intérieur. — Finances. — Eta- 
blissements de crédit. — La Roumanie à l'Exposition universelle de 1900. — etc.) 

Ferniot, P., L'Inde. Lectures de géographie et d'histoire, Tiere partie. Paris, 
édition de la „Maison d'art", 1900. 8. 619 pag. fr. 5.—. (Tables des matières (extrait): 
Gouvernement du Bengale. — Etats tributaires du gouvernement du Bengale. — Gou- 
vernement de l’Assam. — Gouvernement des provinces du Nord-Ouest. — Etat tributaire 
des provinces du Nord-Ouest: Etat de Rampour. — Oude. — Gouvernement du Pandjab. 
— Etats tributaires du Pandjab. — Gouvernement et Etats tributaires des provinces 
centrales. — Présidence de Madras et Etats tributaires de la Présidence de Madras. — 
Présidence de Bombay et Etats tributaires de la Présidence de Bombay. — etc.) 

Hogge, J., La Serbie de nos jours. Etude politique et économique. 2 parties. 
Bruxelles, Falk fils, 1901. 8. 163 et 102 pag. fr. 3,50. (Table des matières: La 
situation financière des Balkans. Les finances serbes. — Les chemins de fer serbes. — 
Coup d'oeil général sur la Serbie économique. — Les richesses minérales. — Le com- 
merce et l’agriculture. — Le bétail, la race chevaline, la faune ete. — Les vins serbes. — 
Les tabacs. — Le commerce extérieur. Les etoffes et tissus. Les nouvelles industries.) 

Dellenhaugh, F. S., North Americans of yesterday. Comparative study of 
North American Indian life. New York & London, Putnam, 1901. 8, 21/.—. 

Parker, E. H., China, her history, diplomacy and commerce from the earliest 
times to the present day. London, J. Murray, 1901. gr. in-8. XX—332 pp. with 
19 maps, eloth. M. 9,60. (Contents: Early trade notions. — Trade routes. — Arrival 
of Europeans. — Siberia, ete. — Modern trade. — Population. — Revenue. — The salt 
gabelle. — ete.) 

Loncao, Enr., Il lavoro e le classi rurali in Sicilia durante e dopo il feudalismo, 
con prefazione di G. Salvioli. Palermo, A. Reber, 1900. 8. VIII—132 pp. 1. 2.—. 

Erichsen, Chr., Siam, som Handelsland og det Østasiatiske Kompagni med et 
tilleg om Malaria o. s. v. Kjøbenhavn, H. Hagerup, 1900. 8. 160 pp. M. 3,50. 
(Indhold: Landet og Hovedstaden. — Mineralrigdom. — Agerdyrkningen. — Skovene. 
— Industri. — Siams Jernbaner. — Siams udenlandske Handel. — Handelsberettelser. 
— Banker ete. i Bangkok. — Meddelelse fro Grosserer-Societetens Komite. — Malaria. 
— ete.) 


3. Bevölkerungswesen. Auswanderung und Kolonisation. 


Gernhard, R. (ehem. Redakteur der „Reform“ in Joinville (Brasilien); Dona 
Francisca, Hansa und Blumenau, drei deutsche Mustersiedelungen im brasilianischen 
Staate Santa Catharina. Breslau, S. Schottlaender, 1901. gr. 8. XXIV—416 SS. mit 
1 Karte, 2 Stadtplanskizzen und zahlreichen Abbildgn. ete. M. 8.—. (Festschrift zur 
Feier des 50jähr. Bestehens von Dona Francisca und Blumenau.) 

Jahresbericht über die Entwickelung der deutschen Schutzgebiete im Jahre 
1899,1900. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1901. kl. Folio. 266 SS. (Beilage zum 
Deutschen Kolonialblatt, Jahrg. 1901. Inhalt: Togo; Kamerun; Ostafrika; Deutsch- 
Südwestafrika; Neu-Guinea; Marshallinseln; Erteilungen von Landkonzessionen im 
Jahre 1599/1900; Afrikafonds.) 

Vohsen, E., Zur Deutsch-ostafrikanischen Seenbahnfrage. Berlin, D. Reimer, 
1901. gr. 8 30 SS. Mit einer Karte von Afrika zur Uebersicht der Eisenbahnen, 
des Freihandelsgebiets und des Erschließungsgebiets der deutschen Seenbahnen nach 
der Deutsch-Ostafrika-Küste. M. 0,60. 


d’Almada Negreiros, A., Colonies portugaises. Angola. Brève notice. Paris, 
impr. Alcan-Lévy, 1901. 8. 48 pag. 

Strauss, P., Dépopulation et puériculture. Paris, Fasquelle, 1901. 8. 308 pag. 
fr. 3,50. 


%. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen. 


Bericht über die I. Hauptversammlung des deutschen Forstvereins (28. Ver- 
sammlung deutscher Forstmänner zu Wiesbaden vom 17. bis 22. IX. 1900). Berlin, 
Jul. Springer, 1901. gr. 8. IV—243 SS. M. 3.—. 


566 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Börnstein, R. (Prof.), Wetterkunde und Landwirtschaft. Festrede, geh. in der 
kgl. landwirtschaftl. Hochschule zu Berlin am 17. I. 1901. Berlin, Parey, 1901. gr. 8. 
18 SS. 

Braungart, Rich. (k. b. Prof. der Landwirtschaft a. D.), Der Hopfen aller 
hopfenbauenden Länder der Erde als Baumaterial. Nach seiner geschichtlichen, bota- 
nischen, chemischen, brautechnischen, physiologisch-medizinischen und landwirtschaftlich- 
technischen Beziehungen, wie nach seiner Konservierung und Packung. München, R. 
Oldenbourg, 1901. Imp.-4. XVI—598 SS. mit zahlreichen in den Text gedr. Ilustra- 
tionen, geb. M. 25.—. 

Jahrbuch für den Oberbergamtsbezirk Dortmund. Nach den Akten des kgl. 
OBergamts zu Dortmund und mit Zugrundelegung zahlreichen sonstigen authentischen Ma- 
terials. Jahrg. V (1900—1901). Essen, G. D. Baedeker, 1901. gr. 8. XII — 648 SS. mit einer 
farbigen Karte des Ruhrkohlenbeckens nebst Bezeichnung seiner verschiedenen Kohlen- 
sorten, geb. M. 10.-—. 

Jahresbericht des Vereins für die bergbaulichen Interessen im Oberbergamts- 
bezirk Dortmund für das Jahr 1900. I. Allgemeiner Teil. Essen, Druck von Thaden 
& Schmemann, 1901. 4. 42 SS. Mit 1 graphischen Darstellung. 

Kaerger, K. (Drot, Landwirtsch. Sachverständiger bei der kais. Gesandschaft in 
Buenos Aires), Landwirtschaft und Kolonisation im spanischen Amerika. 2 Bände. 
Leipzig, Duncker & Humblot, 1901. gr. 8. IX—939 u. VII—743 SS. M. 42,50. (Bd.I: 
Die La Plata-Staaten; Bd. IL: Die südamerikanischen Weststaaten und Mexiko.) 

Neumann, C. (Generalsekr. des Verbandes der hess. landw. Genossenschaften zu 
Darmstadt), Das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen in Deutschland. Stuttgart, 
E. Ulmer, 1901. 12. VIII—222 SS., kart. M. 1,50. 

Pfefferkorn, R. (Badischer Forstpraktikant), Geländeerwerbungen des großh. 
badischen Domänenärars auf dem hohen Schwarzwalde. Veranlassung und Wirkung 
unter besonderer Berücksichtigung der dortigen Waldarbeiterverhältnisse. Karlsruhe, 
W. Jahraus, 1900. gr. 8. IV—147 SS. M. 2,50. 

Rossmüller, G., Die Frachtkostenfrage in der Müllerei. Nebst einem Anhange: 
Erzeugung und Bedarf Deutschlands an Brotgetreide und Mehl. Hannover, Gebr. 
Jünecke, 1901. 8. 18 SS. mit 2 Tafeln tabellarischer Zusammenstellungen. M. 0,50. 

Skarytka, W. (OLehrer, Schletz), Volksbienenzucht. Eingehende Belehrung 
über ertragreiche Behandlung der Klotz-, Bretter-, Lagerbeute und des Strohkorbes nebst 
Berücksichtigung des Ueberganges zum Mobilbau. Wien, A. Hartleben (o. J.) [1900]. 
VIII—-138 SS. M. 2,25. 

Taschenberg, OÖ. und Paul Sorauer (Proff.), Schutz der Obstbäume gegen 
feindliche Tiere und gegen Krankheiten. 2 Teile. Stuttgart, E. Ullmer, 1901. gr. 8. 
X—341 u. XVI—235 SS. mit 155 in den Text gedr. Abbildgn. M. 9.—. 

Voigt, Paul (weiland PrivDoz. an der Berliner Universität), Grundrente und 
Wohnungsfrage in Berlin und seinen Vororten. Eine Untersuchung ihrer Geschichte 
und ihres gegenwärtigen Standes. I. Teil. Jena, G. Fischer, 1901. gr. 8 XIV— 
276 SS. mit einer Karte u. 5 Plänen im Text. M. 6.—. (Herausgeg. vom Institut für 
Gemeinwohl zu Frankfurt a. M.) 


Malpeaux, L., La betterave A sucre. Paris, Masson & C", 1901. 8. 206 pag. 

Inman, A. H., Domesday and feudal statistics. London, Elliot Stock, 1901. 8. 
10/.6. (Contents: The population of counties with illustrative statistical tables. — The 
value of oxen and implements. — The question of the extent of hides. — Ownership 
of land and rotations. — Taxation, fees, and assessments. — The holding of manors. 
— Service and wages and the duties of labourers. — The state of agriculture at various 
periods (with statisties). — The condition of agricultural lands and their values. — The 
differents tenures of land. — Village communities). 

Annali di agricoltura N° 225: Il consiglio dell’ agricoltura: Ordinamento del 
consiglio e indice sistematico per materia dei lavori e dei principali argomenti discussi 
dal 1870 al 1900. Roma, tip. naz. di Bertero, 1901. gr. 8 47 pp. (Pubblicazione 
del Ministero di agricoltura, industria e commercio.) 

Berti, Gius., Della vecchia e nuova coltivazione della canapa anche nei rapporti 
fra il capitale e il lavoro. Bologna, N. Zanichelli, 1901. 8. 63 pp. 

Nazari, V., Esercito e agricoltura. Roma, E. Voghera, 1900. 12. 92 pp. 1. 1.—. 

Selopis, V. e A. Bonacossa, Monografia sulle miniere di Brosso (circondario 
di Ivrea). Torino, G. B. Paravia & C., 1901. 8. 90 pp. e 8 tav. L 6.—. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 567 


5. Gewerbe und Industrie. 

Dr. Antipa, Gr, Industria conservelor din punctul de vedere al 
aprivisionarii armatei si al exportului productelor alimentare (Die Kon- 
servenindustrie unter dem Gesichtspunkte der Heeresversorgung und der 
Nahrungsmittelausfuhr). Bucarest, Carol Göbels Verlag, 1898. gr. 8°. 
VI—122 SS. 

Die vorstehend angezeigte Schrift des namentlich durch seine 
Arbeiten über das rumänische Fischereiwesen und seine Thätigkeit 
als rumänischer Fischereiinspektor hochverdienten Verf. ist nach zwei 
Richtungen hin lebhafter Beachtung wert: nicht nur wegen der Art, 
wie der Verf. seinen Gegenstand behandelt, sondern auch weil sie uns 
einen interessanten Einblick in die Bestrebungen Rumäniens, sich eine 
nationale Industrie zu schaffen, gewährt. Sie ist die Frucht einer Reise, 
die der Verf. im Jahre 1897 im Auftrage des rumänischen Ministeriums 
des Aeußeren unternommen hat, um die verschiedenen Systeme der 
Heeresversorgung mit Konserven, sowie die Erzeugungsstätten für 
letztere zu studieren, da das Problem einer genügenden Versorgung der 
Truppen mit im Inlande erzeugten Konserven für den Kriegsfall 
seit dem Beginne der 90er Jahre die rumänische Regierung beschäftigt. 

Im Jahre 1892 bereits wurde auch der Versuch gemacht, eine in- 
ländische Produktion für diesen Zweck ins Leben zu rufen. Derselbe 
mißlang jedoch. Zwar sicherte ein Specialgesetz dem Gründer einer der- 
artigen Fabrik für den Zeitraum von 10 Jahren Staatsaufträge in der 
Höhe von 1 Million Konservenrationen jährlich; im übrigen aber waren die 
Konzessionsbedingungen so ungünstige, daß sich kein Unternehmer fand, 
der bereit gewesen wäre, auf dieselben einzugehen. Der Staat war nach 
wie vor gezwungen und ist es, nebenbei bemerkt, auch heute noch fast 
ausschließlich, seinen Konservenbedarf im Auslande zu decken. Die 
4 kleinen Fabriken, die allmählich entstanden sind und jährlich Staats- 
aufträge von je 20—30000 Rationen erhalten, sind nämlich vor allem 
pur außerordentlich primitiv eingerichtet. Auf der anderen Seite aber 
verfügen sie über eine sehr beschränkte Leistungsfähigkeit, die pro Jahr 
höchstens 600000 Rationen in Summa erreicht. 

Diese Verhältnisse waren es, die den obenerwähnten Reise- und 
Studienauftrag an den Verf. hervorriefen. 

Was nun dessen Stellungnahme zu dem fraglichen Problem betrifft, 
so untersucht er nach einer klaren und übersichtlichen Darstellung der 
Ergebnisse seiner Studien vornehmlich in Deutschland, dann aber auch 
in Oesterreich-Ungarn, Belgien, Frankreich, Holland, Rußland und Italien 
(S. 13—47) folgende drei Fragen: welche Konserven zur Heeresver- 
sorgung im Kriegsfalle am geeignetsten wären; welches Aprovisionierungs- 
system der Staat zu wählen hätte; endlich wie der Staat sich die 
nötigen Konserven verschaffen könnte (S. 50—76). In letzterer Be- 
ziehung tritt er weder für Privatindustrie, noch für Staatsbetrieb in 
entschiedener Weise, sondern setzt in objektiver Weise dieses und jenes 
System auseinander, um zu dem Schlusse zu gelangen, daß es von der Ge- 
staltung der konkreten Verhältnisse abhängig bleiben müsse, ob der 
Staat die Privatindustrie fördern oder Staatsfabriken für die Kon- 
servenproduktion einrichten solle. 


568 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Uebrigens erhofft der Verf. — und mit Recht — von der Entstehung 
der Konservenindustrie auf dem einen oder anderen Wege auch eine be- 
deutsame Förderung der für Rumänien unentbehrlichen Viehzucht. Eine 
solche Förderung und gerade im Wege einer nationalen Konserven- 
industrie hält er aber für um so notwendiger, als die rumänische Vieh- 
ausfuhr unter den Sperrmaßregeln Oesterreich-Ungarns schwer zu leiden 
hat, die Monarchie weder als Markt, noch als Transitland zu entbehren 
oder zu ersetzen vermag und, wie der Verf. meint, auf Wiedereroberung, 
bezw. Wiedereröffnung des österreich-ungarischen Marktes gar keine 
Aussicht hat. Die Forderungen der landwirtschaftlichen Interessenten 
in Oesterreich-Ungarn angesichts der für 1902 zu erwartenden Ver- 
handlungen wegen Erneuerung des Handelsvertrages mit Rumänien 
scheinen ihm allerdings Recht zu geben. Es muß sich aber erst zeigen, 
ob dieselben durchsetzbar sein werden, oder ob es den an der Aus- 
dehnung der Ausfuhr nach Rumänien höchst interessierten industriellen 
Kreisen gelingen wird, die Vertragsverhandlungen in ihrem Sinne zu 
beeinflussen und Kompensationen zu Gunsten der Cerealien- und Vieh- 
ausfuhr Rumäniens zu erreichen. 

Schließlich sei noch auf die treffenden Bemerkungen Antipa’s 
(S. 107—113) über die Möglichkeit einer selbständigen nationalen In- 
dustrie bei dem gegenwärtigen Stande der rumänischen Volkswirtschaft 
hingewiesen. Im Gegensatz zu so vielen seiner Landsleute beurteilt der 
Verf. die Sachlage richtig, weil kühl-kritisch, und weil er nicht den 
Wunsch, auch schon als Garantie für dessen Realisierbarkeit ansieht. 
Er empfiehlt denn auch, zunächst bloß die Produktion von Halbfabrikaten 
anzustreben und zu fördern, um auf diese Art eine — wegen der 
voluminösen Beschaffenheit der betreffenden Artikel und der hohen 
Transportkosten — sonst unmögliche Ausdehnung der Rohstoffausfuhr 
zu erzielen. 


Wien. Carl Grünberg. 


Michaelis, H. (Dr, Konsulent der Gewerbekammer ` Bremen), 
Grundzüge des deutschen Gewerberechts. Die Gewerbeordnung für das 
Deutsche Reich als Leitfaden für den Unterricht an höheren gewerb- 
lichen Lehranstalten zusammengestellt. Bremen 1900. 36 SS. 

Das Heftchen giebt in knapper Darstellung die wichtigsten Vor- 
schriften der Gewerbeordnung wieder, indem es deren System folgt und 
jeweils die einzelnen Gesetzesstellen anführt, um dem Schüler den Ueber- 
gang von diesem kurzen Schulabriß zu dem Gesetzestext zu erleichtern. 
Dadurch wird dem Lehrer das Diktat erspart und dem Schüler das 
allernotwendigste Material in einwandsfreier Form zur Verfügung ge- 
stellt. Zum Schluß hat der Verf. den Gedankengang des Unterrichts 
noch einmal in Frage und Antwort zusammengefaßt. 

Zwei Ausstellungen möchte ich kurz erwähnen: Was denkt sich 
der Verf. unter dem, was er auf das Titelblatt hat drucken lassen ? 
Er kann doch höchstens die Gewerbeordnung als Leitfaden bearbeiten, 
aber nie „zusammenstellen“. Zusammenstellen kann er aber Grund- 
züge. — Außerdem würde ich es für das Verständnis der ganzen Materie 
für dienlicher halten, wenn auf S. 7 auch die Novellen zur Gewerbe- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 569 


ordnung ausführlicher citiert und in ihrer materiellen Bedeutung er- 


klärt worden wären. 
Aachen. W. Kähler. 


Jahresberichte der königlich bayerischen Fabriken- und Gewerbeinspektoren, 
dann der kgl. bayerischen Bergbehörden für das Jahr 1900. Mit einem Anhange be- 
treffend das Maurergewerbe. München, Th. Ackermann, 1901. gr. 8. 285 u. 78 SS. 
M. 5.—. 

Schäfer, F. (Direktor des statistischen Amts der Stadt Karlsruhe), Die Lohn- 
verhältnisse der städtischen Arbeiterschaft (in Karlsruhe) im Auftrage des Stadtrates 
dargestellt. Karlsruhe, 20. XJI. 1900. kl. 4. 32 SS. 

Siebel, K. A., Die Unfallpflicht im Fabrikbetriebe nach dem 1. I. 1900. Ein 
Beitrag zur Lehre vom Schaden und Schadenersatz. Düsseldorf, A. Bagel, 1899. 8. 
84 SS. M. 1,50. 

Wohnungs- und Gesundheitsverhältnisse der Heimarbeiter in der Kleider- und 
Wäschekonfektion. Wien, A. Hölder, 1901. gr. 8. IV—121 SS. (Herausgeg. vom 
k. k. arbeitsstatistischen Amte im Handelsministerium.) 


Compte rendu des opérations de la condition publique des soies, laines et cotons 
de Lyon pendant l’année 1900. Lyon, impr. Rey, 1901. 8. 29 pag. 

Exposition universelle de Paris en 1900. Catalogue de I’Exposition spéciale de 
la ville de Paris et du département de la Seine. Paris, impr. Chaix, 1900. gr. in-8. 
179 pag. av. frontispice. — Exposition retrospective: (Collection historique de la ville 
de Paris, Musée Carnavalet.) Paris, impr. Chaix, 1900. gr. in-8. 61 pag. 

Razous, P. (inspecteur départemental du travail dans l’industrie), La sécurité du 
travail dans l’industrie. Moyens préventies contre les accidents d’usines et d’ateliers. 
Paris, Ve Ch Dunod, 1901. gr. in-8. 380 pag. fr. 12,50. (Table des matières: Isole- 
ment des moteurs. Passages entre les machines. — Causes d’aceidents des monte- 
charges. — Protection des pièces saillantes mobiles et autres parties dangereuses des 
machines. — Mise en marche et arrêt des machines. — Précautions A prendre contre 
le danger d'incendie. — Appareils électriques, — Vêtements des ouvriers. — Précautions 
à prendre contre les brulures. — Mesures préventives contre les explosions. — Prescrip- 
tions qui seraient de nature A mieux assurer la sécurité du travail industriel. — Premiers 
soins à donner en cas d’accidents. — etc. 

de Seilhac, Léon, La verrerie ouvrière d'Albi. Paris, A. Rousseau, 1901. 8. 
173 pag. (Bibliothèque du Musée social.) 

Ville de Paris. Monographies municipales. L'enseignement professionnel A Paris. 
IVieme volume (de 1896 à 1898); Vime vol. (1899 à 1900). Recueil annoté contenant 
les discussions, délibérations, rapports du Conseil municipal de Paris et les documents 
administratifs se rapportant à la question, publié par L. Lambeau (chef de bureau à la 
préfecture de la Seine). Paris, imprim. municipale, 1900. gr. in-8. XII—1998 et 


XII—1380 pag. (Table des matières: Ecoles d'apprentissage. — Enseignement du 
dessin. — Enseignement commercial, — Encouragements aux associations libres d’enseigne- 
ment professionnel. — Cours pour les adultes et les apprentis. — Subventions aux 


patronages de jeunes apprentis.) 
Cave, Henry W., Golden tips. A description of Ceylon and its great tea 
industry. London, S. Low, 1900. gr. in-8. X1I—474 pp. with numerous illustrations, 


cloth. 19/.—. 

Owen, H., Staffordshire potter. With a chapter on dangerous processes in potting 
industry by the Duchess of Sutherland. London, Richards, 1901. 8. 366 pp. 6/.—. 

Flora, Federico, I sindacati industriali (trusts). Torino, Roux & Viarengo, 
1900. 8. 48 pp. 1. 1. —. 

6. Handel und Verkehr. 

C. F. Huber, Zur Frage der Errichtung eines Großschiffahrts- 

weges auf dem Neckar (Mannheim-Eßlingen). Stuttgart (Karl Hammer) 


1900. 
Obengenannte Schrift legt die hydrotechnischen und die Verkehrs- 


verhältnisse des Neckars (und seines Gebiets) zwischen Mannheim und 


570 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 


Eßlingen dar, und untersucht, wie dieser Wasserweg durch entsprechende 
Verbesserung leistungs- und wettbewerbsfähiger gemacht werden kann. 
Die Darlegungen gründen sich auf die Denkschrift eines Komitees aus 
den nächstbeteiligten Stadtgemeinden und Handelskammern zu einem 
von verschiedenen Fachmännern bearbeiteten Verbesserungs-Entwurf. 
Die hierzu erforderlich gewesenen Vorarbeiten, Aeußerungen und Gut- 
achten hat der Verfasser kritisch gesichtet und zusammengefaßt. 

Die Hauptergebnisse seiner Untersuchung sind kurz folgende: 

1) In technischer Beziehung ist für die Strecke Mannheim-Eßlingen 
die Herstellung eines Großschiffahrtsweges mit 2 m Fahrwassertiefe 
durch eine Kanalisierung des Neckars ausführbar. 

2) Die Baukosten würden sich auf etwa 42,7 Mill. M. belaufen, 
von denen auf die badische Strecke etwa 14,5 Mill. fielen. Die jähr- 
lichen Unterhaltungskosten werden auf 1 Proz. des Anlageaufwandes mit 
427000 M. die jährlichen Betriebsselbstkosten auf etwas über 1 Mill. M. 
geschätzt; ihre Deckung würden diese letzteren voraussichtlich in der 
zu erwartenden Frachteinnahme finden. 

3) Die Flößerei und die vorhandenen Wassertriebwerke werden 
nur auf der Strecke Heilbronn-Mannheim erheblich beeinträchtigt werden. 

4) Die durch die Kanalisierung zu gewinnenden Wasserkräfte würden 
einen Hoffnungswert von 26 Mill. M. darstellen. 

5) Für den Betrieb läßt sich auf eine Frachtmenge von 80,5 Mill. tkm 
rechnen. 

6) Die Schleppreise für die Strecke Mannheim-Cannstatt und zurück 
dürfte 10, für die Strecke Mannheim-Heilbronn und zurück 6 Tage 
dauern. Es sind 280 Zugtage im Jahre zu rechnen. 

7) Die durch die Ausgaben für Verzinsung und Tilgung des Anlage- 
kapitals, sowie für die Verwaltung und Erhaltung der Gesamtanlagen 
entstehenden und durch die Zinseinnahmen aus den gewonnenen Wasser- 
kräften nicht aufzubringenden Mehrkosten müssen eventuell durch Schiff- 
fahrtsabgaben gedeckt werden. Diese Abgaben dürften jedoch den Be- 
trag von 0,42 Pig. für das Tonnenkilometer nicht überschreiten, wenn 
nicht die Wettbewerbsfühigkeit mit der Eisenbahn bedroht werden soll. 

8) Trotz einiger Schwierigkeiten, von denen auf dem mittleren 
Neckar die Ausführung des Entwurfs begleitet sein würde, hat dieser 
doch für die Entwickelung Heilbronns und der kleineren Nachbarorte, 
ferner für Cannstatt, Eßlingen und Stuttgart eine zu große Tragweite, 
als daß man nicht fortgesetzt versuchen sollte, die beteiligten Regierungen 
und die öffentliche Meinung für die Ausführung des Entwurfs zu er- 
wärmen. 

Die Schrift enthält einen geschichtlichen Rückblick auf die Ent- 
wickelung der Neckarschiffahrt und leitet die Besprechung des Entwurfs 
des neuen Schiffahrtsweges mit einer Schilderung der gegenwärtigen 
Schiffahrtsverhältnisse ein, aus der u. A. zu ersehen ist, daß seit 1878 
zwischen Mannheim und Heilbronn Kettenschleppschiffahrt (von einer 
Aktiengesellschaft in Heilbronn) regelrecht betrieben wird. Oberhalb 
Heilbronn ist die Schiffahrt nur noch bis Marbach von einigem Belang, 
weiter oberhalb hört sie ganz auf. 

Aus der Gesamtheit der Vorschläge und verschiedenen Be- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 571 


urteilungen derselben folgert der Vert, daß eine Kanalisierung des 
Neckars und Schaffung eines Großschiffahrtsweges nur Sache der 
Staaten sein könne, da die neue Wasserstraße mehr die allgemeine 
Produktivität und Wohlhabenheit der ganzen Gegend heben, als Erträge 
liefern würde, die das Privatkapital reizen könnten. 

Für das Großherzogtum Baden läge die Frage der Verzinsung und 
Rentabilität des ganzen Unternehmens günstiger, als für Württemberg, 
da dort eine erhebliche Jahreseinnahme aus der Verpachtung neuer 
Wasserkräfte zu erhalten wäre, so daß in Zukunft die Einnahme aus 
denselben zur vollen Verzinsung des Anlagekapitals und zur Deckung 
des Unterhaltungsaufwandes für die badische Strecke ausreichen würde. 
Ferner würde auch der Eisenbahnverkehr hier gewinnen, indem er in 
der Beförderung wertvoller Güter zunehmen, minderwertige Güter, die 
geringeren Frachtgewinn brächten, an die Schiffahrt abgeben würde. 

Der Neckar bilde jetzt großenteils noch ein totes Kapital, dessen 
Erschließung höhere Erträge für die Landwirtschaft, billigere Nahrungs- 
mittel für die Arbeiter, Erleichterungen und Erweiterungen des Handels- 
absatzes, billigere Heiz- und Rohmaterialien für Fabriken und das 
Kleingewerbe, schaffen würde. Besonders wichtig aber sei die direkte 
Verbindung mit dem Ruhrkohlenbecken, die eine Lebensfrage für viele 
Neckarorte geworden sei. Württemberg verbrauche an Kohlen im 
Jahre 11/, Mill. t; bei einer Ersparnis von nur 2—3 M. pro Tonne 
würde das Baukapital mehr als reichlich verzinst und getilgt werden. 
Mit zunehmendem Eisenbahngüterverkehr gehe jetzt der Wasserverkehr 
immer mehr zurück, da die großen Rheinschiffe den Neckar nicht hinauf- 
fahren können und ein Umladen auf die kleineren, bis höchstens 200 t 
ladenden Schiffe, die den Neckar befahren können, zu kostspielig wird, 
diese kleineren Schiffe aber andererseits mit den großen Schiffen auf 
dem Rhein nicht konkurrieren können. Es würden daher jetzt allgemein 
die in Mannheim zu Schiff anlangenden Kohlen nicht auf Neckarschiffe, 
sondern gleich auf die Eisenbahn übergeladen. Doch vor allem sei es 
von Wichtigkeit und von bestimmendem Einfluß auf die württembergische 
Regierung, daß für Stuttgart-Cannstatt der billige Bezug von 
Roh- und Feuerungsmaterialien sichergestellt würde, wichtig nicht nur 
für die Frage, ob die Kanalisierung des Neckars auch oberhalb Heil- 
bronn fortzuführen sei, sondern überhaupt für die Beurteilung des 
ganzen Unternehmens. Denn Stuttgart-Cannstatts Entwickelung und 
Wettbewerbsfähigkeit mit den im Rhein- und Ruhrgebiet gelegenen 
Fabrikstädten leide hauptsächlich an den hohen Frachtkosten jener Roh- 
materialien. Nur niedrigere Frachtkosten und die Schaffung eines In- 
dustriehafens neuerens Stils könnten Stuttgart-Cannstatt den Wettbewerb 
mit anderen günstiger gelegenen Städten noch fernerhin ermöglichen. 

Die der Kanalisierung mißtrauisch gegenüberstehenden Landwirte 
verweist der Verf. auf den 1899er Bericht der Handelskammer zu 
Frankfurt a. M., der nachweist, daß nach den einstimmigen Urteilen der 
Vertreter der betreffenden landwirtschaftlichen Kreise die Kanalisation 
des Mains der Landwirtschaft nur Vorteile, und zwar von erheblicher 
Bedeutung, gebracht habe. Den Gegnern, die Beeinträchtigung der 
Eisenbahneinnahmen besorgen, führt der Verf. vor Augen, daß durch 


572 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


die Mainkanalisierung von 1886 bis 98 sich der Schiffahrtsverkehr um 
das 7-fache, aber daneben der Bahnverkehr um mehr als das 
Doppelte gehoben hat. Eine derartige Einwirkung eines leistungsfähigen 
Wasserweges werde den Eisenbahnverkehr in Württemberg mit seinem 
immer wiederkehrenden Eisenbahndefizit ebenfalls in günstigem Sinne 
beeinflussen. Auch preußische und bayerische Verkehrsbeziehungen 
zwischen Bahnen und Wasserwegen werden zum Vergleich herangezogen. 

Die lehrreiche, einen Gesamtüberblick über die gegenwärtigen 
Schiffahrtsverhältnisse auf dem Neckar und über deren Verbesserung 
gewährende Schrift, die übrigens das eigene Urteil des Verf. zumeist 
nur aus der Art der Besprechung der anderweit abgegebenen Urteile 
erkennen läßt, würde durch die Beifügung einer Uebersichtskarte des 
besprochenen Gebiets an Wert für den Leser noch sehr gewonnen haben. 

Victor Kurs. 


Max Süßheim, Das moderne Auktionsgewerbe. Leipzig 1900. 
8%. IV u. 109 SS. 

Auf einem Gebiete, das nationalökonomisch seither noch wenig ge- 
würdigt ist, wird eine ansprechende und sorgfältige Untersuchung ge- 
boten. Die Erscheinung, um die es sich handelt, ist alt. Ihre Aus- 
wüchse gehören der neueren Zeit an. Es ist lehrreich, den Zusammen- 
stellungen des Verf.s zu entnehmen (S. 9ff.), wie in einer einzelnen 
großen Stadt das Auktionsgewerbe in einer stets zunehmenden Aus- 
dehnung begriffen ist. Daß dadurch den ansässigen Kaufleuten und 
Handwerkern schwere Wunden geschlagen werden müssen, leuchtet ein, 
Die Mißstände erblickt der Verf. vorzugsweise in dem Bezug der 
Auktionsobjekte von auswärts durch den Auktionator selbst auf dessen 
Rechnung und Gefahr, in der unglaublichen Vielseitigkeit der Ver- 
steigerungsobjekte, in der Preisbildung. Des weiteren wird alsdann 
die Bedeutung der Auktionen für die Gewerbetreibenden sowie den 
Konsumenten gegenüber untersucht. Eine Betrachtung über die zu- 
künftige Gestaltung des Auktionswesens schließt die dankenswerten Aus- 
führungen. Der Verf. sieht von radikalen Mafregeln ab. Er hält ein 
Verbot der Versteigerung neuer Waren für ungerechtfertigt. Das hieße 
dem gesamten Auktionsgewerbe den Lebensnerv durchschneiden. Und 
wolle man ein Verbot erlassen, Waren ausschließlich zu Versteigerungs- 
zwecken einzuführen, so müsse doch für Versteigerung von Kunst- 
objekten und von Nachlässen eine Ausnahme vorgesehen werden. Er 
empfiehlt namentlich die Einführung der Konzessionspflicht, die die 
Möglichkeit gewährt, einer zu starken Ueberhandnahme der Auktions- 
hallen zu steuern und unlautere Elemente fernzuhalten, sowie die Be- 
schränkung der Thätigkeit des Auktionators auf den Verkauf fremder 
Waren. Es ist gewiß, daß die Durchführung solcher Reformen das heutige 
Unwesen sehr stark zurückdrängen würde. Verhängnisvoll ist sicherlich 
gerade die neuerdings aufkommende Versteigerung für eigene Rechnung 
von seiten des Auktionators. Was der Verf. in dieser Hinsicht über 
den Vorsprung des Auktionators vor anderen Verkäufern sagt (S. 46 ff.) 
scheint zutreffend und bemerkenswert. Wünschenswert erschiene aber 
auch, wenn im Interesse der steigernden Konsumenten etwas geschehen 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 573 


könnte, so namentlich um das vom Auktionator veranlaßte Mitbieten 
und Unterbieten zu beseitigen. Die hier zu Tage tretenden Uebel- 
stände sind schon früher erkannt worden. Es ist doch auch gegen 
dieses Vorgehen gerichtet, wenn es in der Formula juramenti des 
Auctions-Proclamatoris in Erfurt!) heißt: „Hierbey will ich durchaus 
keine Commissiones zu licitieren übernehmen und auf nichts etwas 
biethen als was ich vor mich selbst haben will“ etc. In Bayern unter- 
sagt neuerdings die Bekanntmachung vom 3. Mai 1898 das Mit- und 
Unterbieten des Auktionators. Nur müßte recht strenge auf die Durch- 
führung geachtet und die weitere Verallgemeinerung auch in anderen 
Staaten angestrebt werden. Wilh. Stieda. 


Dr. Arthur Human, Der deutsch-russische Handels- und Schiff- 
fahrtsvertrag vom 20. März 1894. Leipzig 1900; Bd. 17, Heft 3 der 
staats- und sozialwissenschaftlichen Forschungen von Gustav Schmoller. 

Die Arbeit bildet eine kurzgefaßte, brauchbare Zusammenstellung der 
vom historischen Gesichtspunkte wichtigsten ökonomischen und politischen 
Fragen, welche sich an den deutsch-russischen Vertrag knüpfen. Es 
würde zu besserer Beurteilung des Heftes gedient haben, wenn der 
Verf. seiner Anfängerarbeit einen weniger umfassenden Titel ge- 
geben hätte. Der Inhalt beschränkt sich auf das bekannteste und zu 
Tage liegende Material, sowie in der Hauptsache auf das historische 
Interesse — eine lediglich akademische Erörterung. Derjenige, welcher 
das Büchlein in der Erwartung aufschlägt, einen Beitrag zur weiteren 
Klärung der zahlreichen mit dem Vertrag verbundenen Fragen und 
Fingerzeige für Bedürfnisse und Politik der Gegenwart gegenüber diesem, 
nächst Großbritannien für uns wichtigsten Absatzgebiet zu finden, wird 
getäuscht. Die Litteratur der Handelsverträge ist zwar relativ klein, 
aber der Gegenstand würde eine eingehendere und mühevolle Be- 
arbeitung gelohnt haben, auch wenn die Zeit zur Durchforschung von 
Zeitschriften und Zeitungen hätte geopfert werden müssen. 

Die bedeutsamsten Abschnitte der Arbeit sind die Ausführungen 
über Vertragsdauer und Zollbindung, sowie über die Staffeltarife 
(S. 20 #). Mit Recht wird das Interesse der Landwirtschaft in den 
Vordergrund gerückt. Hier geht Verf. auch auf die politischen Tages- 
fragen ein und fällt ein Urteil. Er meint, daß der Abschluß eines 
Vertrages mit Rußland ohne erneute gleichmäßige Bindung der Getreide- 
zölle kaum durchführbar sein dürfte (S. 27). Die Staffeltarife werden 
empfohlen „als eine volkswirtschaftlich durchaus gerechtfertigte Ein- 
richtung zur Herbeiführung eines inneren Ausgleichs“ zwischen Westen 
und Osten (S. 31). Die Ableitung dieser Folgerung ist leider äußerst 
mangelhaft und sollte in einer wissenschaftlichen Arbeit nicht statt- 
haben. Auf eine Heranziehung konkreter Thatsachen oder Zahlen als 
Grundlage der Erörterung, wie es doch unmittelbar vorher für die 
weniger wichtige Frage des Identitätsnachweises geschieht, wird völlig 
verzichtet, statt dessen eine Aeußerung des Frhr. v. Stumm eitiert! und 
die ganze Erörterung mit einer knappen Seite abgethan. 


1) Curfürstlich Mayntzische gnädigste Ordnungen vor der Stadt Erfurth. 


574 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Der folgende Abschnitt (S. 32 ff.) über russische Valutaschwankungen 
ist wieder ein drastisches Beispiel für die leider noch so vielfach be- 
liebte Methode, die Untersuchung sozialer Erscheinungen (nach dem 
Vorgange der sogenannten klassischen Schule der theoretischen National- 
ökonomie) mit Erwägungen von möglichen Ursachen und wahrschein- 
lichen Wirkungen, mit hypothetisch konstruierten Fällen abzuthun, anstatt 
eine exakte Untersuchung der in möglichst erschöpfender Fülle zu- 
sammengestellten Thatsachen zu unternehmen. Verf, begnügt sich 
schließlich mit Citaten aus Helfferich. — Ein weiterer Abschnitt be- 
handelt Rußlands Zugeständnisse, deren Wirkung und Bedeutung für uns. 
Hier war zur vollen Klarstellung ein Blick auf die Konkurrenz Eng- 
lands, Oesterreichs, der Vereinigten Staaten mit uns in Rußland un- 
erläßlich, wie es in ähnlicher Weise für die umgekehrte Betrachtung 
an Deutschland (S. 53 ff.) geschehen ist. Verf. beschränkt sich aber 
auf eine summarische Bemerkung im Schlußwort. — Die für unsere 
Zukunft wichtigste Frage der deutschen Zugeständnisse wird auf 
11/, Seiten (S. 49/50) abgethan! — Für den Verkehr mit Finland sind 
Berichte und Statistik beispielsweise der Handelskammer Lübeck nicht 
zu Rate gezogen worden. Ueberhaupt haben die wichtigen Aeußerungen 
von Handelsvertretungen Berücksichtigung nur obenhin durch einige 
Citate im Schlußwort gefunden. — Das Kapitel über die Regelung der 
Eisenbahntarife läßt die neueren Bestrebungen und Ereignisse im Ver- 
kehr mit Rußland ganz außer acht. Die aktuelle Frage der Vorschriften 
für Handlungsreisende wird nicht behandelt, die wichtige Trennung von 
See- und Landhandel nicht vorgenommen, die Bestimmungen für die 
Verzollung und die Durchführung derselben nur berührt (S. 55 ff), 
ohne die große Tragweite dieser Sache erkennen zu lassen. 

Schließlich darf, ohne noch auf Einzelheiten eingehen zu wollen, 
nicht unerwähnt bleibt, daß insbesondere die Ausführungen über die 
Wirkung des Vertrages auf den deutsch-russischen Handel (S. 49 ff.) 
außer jedem Verhältnis zu den Abschnitten stehen, welche dem land- 
wirtschaftlichen Interesse und der Erörterung von Rußlands Zugeständ- 
nissen gewidmet sind. Die Abschnitte S. 49 ff. sind viel zu kurz, 
lassen Vertiefung in wichtige Einzelheiten vermissen und entbehren 
jeglicher Berücksichtigung der wirtschaftlichen Entwickelung der Ver- 


tragsstaaten. — Es bleibt zu hoffen, daß uns eine dem Titel entsprechende 
Arbeit noch beschieden wird !). 
Sorau N.-L. Dr. Fritz Schneider. 


Hamon, Frantz, L'avenir de la politique française en matière de 
chemins de fer. Complement à l'ouvrage de M. R. de Kaufmann. Paris 
(Librairie polytechnique.) 1900. 351 SS, 

In diesen Jahrbüchern, Jahrg. 1897, Bd. III, 13, S. 915 ff. hat der 
Ref. R. v. Kaufmann’s Eisenbahnpolitik Frankreichs, die 1896 in 2 Bänden 


1) Eine sehr gute, ergänzende Arbeit ist inzwischen erschienen: Dr. C. Ballod, 
„Die deutsch-russischen Handelsbeziehungen“ in den Beiträgen zur neuesten Handels- 
politik Deutschlands vom Verein für Sozialpolitik. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 575 


erschien, besprochen. Nunmehr ist unter dem Titel „La politique française 
en matiere de chemins de fer“ eine Uebersetzung dieses Werkes er- 
schienen, welcher der Uebersetzer, ein Beamter des französischen Finanz- 
ministeriums, ein besonderes Buch unter obigem Titel angefügt hat. 

„En publiant l’Eisenbahnpolitik Frankreichs, sagt Herr Hamon, nous 
croyous faire oeuvre de bon Français, en montrant que l’Etranger nous 
apprend à apprécier ce que tant de nos compatriotes, mal informés, 
sont disposés à détruire. 

„Quoi qu’il advienne, l'édition française de l’ouvrage qu’a publié, 
il ya quatre ans, M. de Kaufmann, vient à son heure; après avoir reconnu 
la justesse de ses vues, la sagacité de son jugement, la netteté de ses 
conclusions; après avoir apprécié la nouveauté et la valeur de ses 
comparaisons entre les deux grandes nations, autrefois ennemies aujourdhui 
simplement rivales dans la lutte économique, les lecteurs français salue- 
ront l'oeuvre du savant professeur de l’université de Berlin, de cet 
ami de la France aussi impartial que compétent. 

Hamon führt die Eisenbahngeschichte Frankreichs bis auf die 
neueste Zeit fort — nach dem Stande von Anfang 1899 handelt es sich 
um 37423 km d'intérêt general, davon 2683 km Staatsbahnen (in Deutsch- 
land waren zum selben Termin von den 48300 km vollspurigen Bahnen 
3830 Privatbahnen), mit einem Anlagekapital von 13'/, Milliarden und 
einer Schuld von 20 Milliarden Franken — und wendet sich mit be- 
sonderem Nachdruck gegen die immer wieder auftauchenden Pläne, die : 
gesamten Bahnen oder wenigstens einen großen Teil derselben für den 
Staat zu erwerben. Er ist ganz der Ansicht Kaufmann’s. Frankreich 
solle auf dem bisherigen Wege bleiben, der dem Staate die Uebernahme 
des gesamten Bahnnetzes bald nach Mitte des 20. Jahrhunderts, im 
wesentlichen gegen Bezahlung des beweglichen Materials, sichere. Der 
Senator Prövet hat in der Sitzung des Senats am 30. März 1900 die 
Eisenbahnen „La caisse d'épargne de nos budgets“ genannt, und Hamon 
macht sich diesen Ausspruch zu eigen. Seine Argumente gehen aller- 
dings über das gestellte Beweisthema hinaus, indem er sehr lebhaft 
gegen die staatliche Verwaltung von Eisenbahnen überhaupt spricht, 
mit besonderer Rücksicht auf die politischen Verhältnisse in Frankreich. 
Einstweilen scheinen die Beziehungen von Staat und Eisenbahnen, die 
ihm nicht nur Spar-, sondern auch Leihkassen sind, noch immer ver- 
wickelter zu werden, und gerade dadurch wird immer wieder die 
Forderung nach Klarstellung dieses Verhältnisses mittels Verstaatlichung 
der Bahnen hervorgerufen. 

Für R. v. Kaufmann als Verfasser des grundlegenden Werks ist 
es jedenfalls eine hohe Anerkennung, daß dieses nicht nur eine Ueber- 
setzung durch einen höchst kompetenten Fachmann, sondern auch eine 
wissenschaftlich gleichfalls hochstehende Fortsetzung gefunden hat. 

H. v. Scheel. 


Bericht der Handels- und Gewerbekummer Dresden über das Jahr 1900. 
I. Teil: Thätigkeit der Kammer. Dresden, C. Heinrich, 1901. gr. 8. 102 SS. 

Bericht der Handelskammer zu Düsseldorf über das Jahr 1900. I. Teil. Düssel- 
dorf, Druck von Fr. Dietz, 1901. gr. 8. 119 SS. 


576 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 


Bericht der Handels- und Gewerbekammer zu Sonneberg auf das Jahr 1900. 
Sonneberg, Druck von Grübe & Hetzer, 1900. gr. 8. X—108 SS. 

Bericht, LXX., der beiden Verwaltungskörper der Ludwigs-Eisenbahn-Gesell- 
schaft in Nürnberg. Nürnberg, Druck von J. L. Stich, 1901. gr. 4. 37 SS. 

Denkschrift der Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin betreffend die Neu- 
gestaltung der deutschen Handelspolitik. Nachtrag zu dem ersten Teile des Berichtes 
über Handel und Industrie von Berlin im Jahre 1900. Berlin, Druck von R. Boll, 
1901. Folio. 43 SS. (Nicht im Handel.) 

Geschäftsbericht über den Betrieb der Main-Neckar-Eisenbahn im Jahre 1899. 
Darmstadt, J. C. Herbert’sche Hofbuchdruckerei, 1901. Roy.-4. 8 SS. mit XII An- 
lagen (darunter 2 umfangreiche tabellarische). 

Häfen, die wichtigsten, Chinas. Ein Handbuch für Kapitäne und Reedereien. 
Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1901. Lex.-8. XI—282 SS. mit IX Tafeln. M. 2,50. 
(Veröffentlichung der „Deutschen Seewarte.‘“) 

Hamburgs Handel im Jahre 1900. Sachverständigenberichte herausgeg. auf Ver- 
anlassung der Handelskammer. Hamburg, Ackermann & Wulff Nachf., 1901. 124 SS, 

Handel und Wandel. Jahresberichte über den Wirtschafts- und Arbeitsmarkt. 
Jahrg. 1900. Herausgeg. von Richard Calwer (Mitglied des Reichstags). Berlin u. 
Bern, Akad. Verlag f. soziale Wissenschaften (J. Edelheim), 1901. gr. 8. 290 SS. 
M. 10.—. (Inhalt: Vorboten und Beginn der Krise. — Zunahme der Produktivkräfte 
und Aufnahmefähigkeit des Marktes. — Entwickelung der Produktion. Kartellwesen. 
Rentabilität der Großindustrie. — Die Lage des Arbeitsmarktes. — Landwirtschaft. — 
Kohlenbergbau. — Eisengewerbe. Metalle und Maschinen. — Textilgewerbe. — Bau- 
gewerbe. Cement- und Ziegelfabrikation. — Börse und Bankwesen. Die Krise auf dem 
Pfandbriefmarkt. — Auswärtiger Handel. Verkehrswesen. — Einkommen und Konsum. 
Warenpreise. Die Wohnungsnot. — etc.) 

Jahresbericht, vorläufiger, der Handelskammer zu Köln für 1900. Köln, 
Druck von M. Du Mont Schauberg, 1901. gr. 8 XIV—98 SS. 

Jahresbericht der Handelskammer für den Kreis Solingen für das Jahr 1900. 
Solingen, Druck von R. Boll, 1901. gr. 8 VI—104 SS. (Herausgeg. am 11. II. 
1901.) 

Krauss, J., Deutsch-türkische Handelsbeziehungen. Seit dem Berliner Vertrag 
unter besonderer Berücksichtigung der Handelswege. Jena, G. Fischer, 1901. gr. 8. 
IV—114 SS. M. 2,50. 

Moltke, S. (Bibliothekar der Handelskammer zu Leipzig), Die Leipziger Kramer- 
innung im 15. u. 16. Jahrhundert. Zugleich ein Beitrag zur Leipziger Handelsgeschichte, 
Herausgeg. von der Handelskammer zu Leipzig. Leipzig, Verlag der Handelskammer, 
1901. gr. 8. 186 SS. mit einem Stadtbilde und mehreren Tafeln. M. 3.—. 

Riesenfeld, C. E. (Syndikus der Handelskammer, Breslau), Die Anstellung von 
Handels- und Schiffahrtssachverständigen (Handelschemiker, Probenehmer, Messer, Wäger, 
Bücherrevisoren, Dispacheurs, Schiffsfrachtgutbesichtiger u. s. w.) durch die amtlichen 
kaufmännischen Interessenvertretungen in Preußen. Berlin, R. Gaertner, 1901. 8. 
XVI—226 SS. kart. M. 4.—. 

Schuemacher, K. (Revisor bei großh. bad. Zolldirektion), Europäische Zoll- 
beamte in China und ihr Einfluß auf die Förderung unseres Außenhandels. Karlsruhe, 
J. J. Reiff, 1901. 95 SS. M. 1,20. 

Sympher (Reg.-BauR.), Emscherthallinie und Kanalisierung der Lippe. Im amt- 
lichen Auftrage bearbeitet. Berlin, Mittler & Sohn, 1901. gr. 8. 16 SS. mit 1 Karte. 
M. 0,40. 

Verwaltungsbericht der kgl. württembergischen Verkehrsanstalten für das 
Etatsjahr 1899. (1. IV. 1899 bis 31. III. 1900.) Stuttgart, Metzler’sche Buchhandlung, 
1901. Lex.-8. VI—434 SS. mit Karte. (Herausgeg. von dem kgl. Ministerium der 
auswärtigen Angelegenheiten, Abteilung für die Verkehrsanstalten.) 


Artignan, Le commerce des Arméniens au XVIIe siècle. Nancy, impr. Berger- 
Levrault & Or, 1901. 8. 17 pag. 

Foveau de Courmelles, [année électrique, électrothérapique et radigraphique. 
Revue annuelle des progrès électriques en 1900. Paris, Ch. Béranger, 1901. 8. 334 pag. 
fr. 3,50. (Table des matières: L’electrieite A l'Exposition de 1900. — Faits, théories 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 577 


et méthodes. — Signaux et télégraphie. — Télégraphie sans fils. — Traction électrique. — 
L'électricité aérienne. — Accidents électriques. — etc.) 

Lenthéric, Ch., Côtes et ports français de l'Océan. Le travail de l’homme et 
l'oeuvre du temps. Paris, Plon, Nourrit & C'*, 1901. 8. 400 pag. avec 11 cartes et 
plans. 

Davidson, J. (Prof. of polit. economy in the University of New Brunswick), 
Commercial federation and colonial trade policy. London, Swan Sonnenschein & C’, 
1900. 8. 155 pp., cloth. 2/.6. (Contents: England’s commercial poliey towards her 
colonies since the treaty of Paris. — Commercial federation. — Canada and the Empire. 
— Trade and the flag.) 

„Shipping World“ year book: A desk manual in trade, commerce, and navi- 
gation. Edited by E. Rowland Jones, 1901. London, „Shipping World“ Office, 1901. 
8. 1192 pp. with new map specially prepared by J. G. Bartholomew, cloth. 5/.—. 

Bellone, Luigi, La carrozza nella storia della locomozione. Milano fratelli 
Bocca, 1901. 8. VIII—-270 pp. e 41 tavole. 1. 10.—. 


7. Finanzwesen. 


Jahrbuch der St. Petersburger Zeitung. Kalender für 1891. Jahrg. V. 
St. Petersburg, Buchdruckerei der St. Petersburger Zeitung, 1901. gr.8. 245 SS. (Aus 
dem Inhalt: Das Stempelsteuerreglement, bestätigt am 10. VI. 1900, S. 201 ff.) 

Rechnung, allgemeine, über den Reichshaushalt für das Etatsjahr 1897/98 nebst 
den dazu gehörigen Spezialrechnungen, einem Vorbericht und den Bemerkungen des 
Rechnungshofs. Berlin, 4. III. 1901. hoch-4. 543 SS. 

Schubert, G. (OSteuerR.), Das württembergische Umgeld. Die über die Be- 
steuerung des Weines und Obstmostes in Württemberg geltenden Bestimmungen nach 
dem neuesten Stande für die Steuer- und Kontrollpflichtigen dargestellt. Stuttgart, 
Ulmer, 1901. 12. 78 SS. M. 0,80. 


Compte définitif des dépenses de l’exercice 1899 du ministère de l’instruction 
publique et des beaux-arts. Paris, impr. nationale, 1900. in-4. 523 pag. 

Réclamations en matière de contributions directes et taxes assimilées dans le 
département de la Seine. Observations statistiques 1871—1898. Paris, impr. Chaix, 
avril 1900. Impér. in-4. 66 pag. et 3 tableaux graphiques. (Publication de la préfec- 
ture du département de la Seine.) 

Rogelio de Madariaga, La dette publique en Espagne de 1801 à 1850 (congrès 
international des valeurs mobilières). Paris, impr. Dupont, 1900. 8. 7 pag. 

Tabella indicante i valori delle merci nell’ anno 1900 per le statistiche commer- 
ciali. Roma, tip. Elzeviriana, 1901. gr. in-8. 72 pp. (Pubblicazione del Ministero 
delle finanze, Direzione generale delle gabelle.) d 

Obreen, A. L. H., Over verhooging van invoerrechten en andere onderwerpen. 
Amsterdam, van Holkema & Warendorf, 1901. 8. 204 blz. fl. 1,90. 


8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen. 

Bayerische Landesviehversicherungsanstalt. Geschäftsbericht für das Versiche- 
rungsjahr 1899/1900. (1. November 1899—1. November 1900.) München, Druck von 
C. Gerber, 1901. 4. 12 SS. 

Dittrich, P. (k. k. o. ö. Prof. d. gerichtl. Mediz., Prag), Praktische Anleitung 
zur Begutachtung der häufigsten Unfallschäden der Arbeiter. Wien, W. Braumüller, 
1901. 8. XI—224 SS., geb. M. 5.—. 

Eberstadt, Rud., Der deutsche Kapitalmarkt. Leipzig, Duncker & Humblot, 
1901. gr. 8. VI—250 SS. M. 7.—. (Inhalt: Teil I. Der Kapitalmarkt und die 
die Börsenemissionen vornehmlich des Jahres 1899. — Teil II. Der Kapitalmarkt und 
die Kapitalisierung des Bodens.) 

Frankfurter Bank. Geschäftsbericht über das Verwaltungsjahr 1900. Vorgelegt 
der 59sten Generalversammlung der Aktionäre am 26. III. 1901. Frankfurt a. M. 
C. Naumanns Druckerei, 1901. 4. 

Geschäftsbericht der land- und forstwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft des 
Fürstentums Reuß j. L. für das Jahr 1900. Gera 1901. 4. 34 SS. 

Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften. Jahrbuch der deutschen Börsen. 


Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 37 


578 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Ausgabe 1900—1901, I. Band. Nebst einem Anhang: Die deutschen und ausländischen 
Staatspapiere sowie die übrigen an deutschen Börsenplätzen notierten Fonds ete. 5. um- 
gearbeitete u. vermehrte Aufl. Leipzig, Verlag für Börsen- und Finanzlitteratur, A-G., 
1900. gr. 8. geb. M. 20.—. 

Jahresversammlung, XXIII. regelmäßige, der österreichisch-ungarischen Bank 
am 4. II. 1901. Wien, Selbstverlag der Bank, 1901. gr. 4 XX—121 SS. 

Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz. Uebersichten über die Geschäfts- 
und Rechnungsergebnisse für das Rechnungsjahr 1899. Aufgestellt zur Sitzung des 
Ausschusses vom Dezember 1900. (Düsseldorf) 1900. Folio. 49 SS. 

Reichsbank, die, 1876--1900. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei, o. J. 
(1901). gr. 4 XI—485 SS. mit einer Uebersichtskarte der Bankbezirke und Bank- 
plätze nach dem Stand vom 31. XII. 1900. in größt. Imp.-Folio. (Inhalt: Verwaltungs- 
organisation. — Die Notenausgabe. — Der Giro- und Abrechnungsverkehr. — Der An- 
kauf und die Einziehung von Wechseln und Wertpapieren. — Der Lombardverkehr. — 
Die Diskontpolitik. — Die Leistungen für die Finanzverwaltungen des Reichs und der 
Bundesstaaten. — Die Regelung des Geldumlaufs. — Die Banknovelle vom 7. VI. 
1899 als Ergebnis der bisherigen Entwickelung. — Tabellen Nr. 1 bis 85. — Anlagen.) 

Stand, der, des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens in Bayern 1899. München, 
Druck von R. Oldenbourg, 1900. Lex.-8. VI—195 SS. M. 3.—, (Ausgearbeitet im 
k. b. Staatsministerium des Innern, Abteilung für Landwirtschaft, Gewerbe und Handel.) 


L’Annuaire parisien de la banque et de la bourse pour 1901. XVII* année. 
Paris, Cayeaux, 1901. 12. 80 pag. fr. 1.—. 

Maréchal, C., Les marchés à terme (conditions; validité; exception de jeu). 
Paris, Chevalier-Mareseq & Ci*, 1901. 8. 37 pag. 

Mayen, Cl., Les sociétés de secours mutuels, de prévoyance et de retraite (traité 
théorique et pratique). Lyon, Effantin, 1901. 8. 539 pag. fr. 8.—. 

Cannon, James, G. (Vice-President of the IV. National Bank of the city of 
New York), Clearing-Houses, their history, methods and administration. London, Smith, 
Elder & C°, 1901. gr. in-8. XIV—383 pp. with numerous plates, cloth. 10/.6. 
(Contents: Classes of clearing-houses. — Clearing-house terms. — Special functions of 
a clearing-house. — Possible developments of the clearing-house system. — The admini- 
stration of clearing-houses. — The settlement of clearing-house balances. — Clearing- 
house exchanges. — Clearing country checks. — Typical journey of a country check 
remitted for a city account. — Clearing-house loan certificates. — The New York 
clearing-house. — Daily routine of the New York clearing-house. — The clearing- 
house association of the banks of Philadelphia. — The Boston clearing-house. — The 
Chicago clearing-house. — The St. Louis clearing-house. — Canadian celearing-houses. 
— The London clearing-house. — Japanese elearing-houses. — etc.) 

Cohen, H. and G. Howell, Trade unions law and cases. A text book relating 
to trade unions and to labor. London, Sweet & Maxwell, 1901. 8. VIII—250 pp, 
cloth. M. 7,20. 

Life assurance companies. Statements of accounts and of life assurance and annuity 
business during the year 1900. London, Eyre & Spottiswoode, 1901. Folio. 3/.—. 

Fenicia, Salvatore, La cooperazione in Piemonte: contributo alla storia della 
cooperazione. Torino, fratelli Bocca, 1900. 8. X—256 pp. 1. 4.—. (Biblioteca di 
scienze sociali, vol. XXXIII.) 

Istruzioni per gli uffici di ragioneria della amministrazione centrale della Cassa 
di risparmio delle provincie lombarde in Milano. Milano, tip. E. Regiani, 1900. in-4. 
531 pp. 

Marchi, A., Relazione di perizia penale sul fallimento della banca popolare 
cooperativa di Palerma S. Gervasio: saggio di ragioneria legale. Potenza, Garramone & 
Marchesiello, 1900. 8. 105 pp. 

van der Marck, Th., Boerenleenbanken (systeem Raiffeisen). Roermond, Roer- 
mondsche stoomdrukkerij, 1901. 8. 40 blz. fl. 0,30. 


9. Soziale Frage. 
Armenunterstützungsverein in Siegen. Geschäftsbericht pro 1900. Siegen, 
Druck von W. Vorländer, 1901. 8. 23 SS. 


> 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 579 


Bericht über die Thätigkeit der Berliner Rettungsgesellschaft (bestehend in der 
Versorgung der Kranken und Unterbringung der Verunglückten der Reichshauptstadt) 
für das III. Geschäftsjahr vom 1. X. 1899 bis 30. IX. 1900. Berlin, Druck von 
A. Unger, 1900. 4. 14—II SS. 

Centrale für private Fürsorge. (Hochstraße 9 part.) Frankfurt a. M., Druckerei 
Gebr. Fey, 1900. gr. 8. 28 SS. (Inhalt: Neue Erscheinungen auf dem Gebiete der 
praktischen Fürsorge in Frankfurt a. M. — Jahresbericht für das Rechnungsjahr 
1899/1900.) 

Jahresbericht, LXXIII., der Rheinisch-Westfälischen Gefängnisgesellschaft über 
das Vereinsjahr 1899/1900 im Auftrage des Ausschusses zusammengestellt von dem 
Hauptagenten v. Rohden (Gefängnisgeistlicher in Düsseldorf). Düsseldorf, Voß & C", 
1900. 8. 184 SS. M. 0,75. (Aus dem Inhalt: Strafvollzug an den Jugendlichen. — 
Ueber Zwangserziehung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. — Die Kriminalität der 
Jugendlichen.) 

Müller, Jul. (Vorsitzer des Vereins „Berliner Brockenhaus‘“), Das Berliner 
Brockenhaus. Seine Bedeutung für die Gegenwart. Berlin, L. Frobeen, 1901. 8. 64 SS. 
M. 0,50. 

Muensterberg, E., Bibliographie des Armenwesens. Bibliographie charitable. 
Herausgeg. von E. M. Berlin, C. Heymann, 1900. gr. 8. XVI—160 SS. M. 3.—. 
(Schriften der Centralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen, Abteilung für Armen- 
pflege und Wohlthätigkeit.) E 

Wagner, Ad. (GehRegR., Prof.), Wohnungsnot und städtische Bodenfrage. Mit 
einem Anhang: Die soziale Bedeutung des Erbbaurechts, von (Prof.) P. Oertmann, 
(GehR., Prof.) R. Sohm und (Rechtsanw.) A. Eschenbach. Berlin, Harrwitz Nachf., 
1900. gr. 8. 43 SS. M. 0,50. (A. u. d. T.: Soziale Zeitfragen, hrsg. von Ad. Dae 
maschke, Heft 11.) 


Smissaert, H., Overzicht van het Nederlandsch armwezen. Haarlem, H. D. 
Tjeenk Willink & Zoon, 1901. 8. 8 en 184 blz. fl. 1,90. 


DO. Gesetzgebung. 


Plotke, Jul. (Rechtsanw., Frankf. a/M.), Rechtliche Beurteilung und gesetzliche 
Regelung gewerblicher Kartelle. Berlin, C. Heymann, 1901. 12. 15 SS. (Sonder- 
abdruck aus der ,,Monatsschrift für Handelsrecht und Bankwesen“, Jahrg. 1901.) 

Preußische bürgerliche Gesetzsammlung. Sammlung der noch geltenden Landes- 
gesetze privatrechtlichen Inhalts. Herausgeg. von (Gerichtsassessoren) D. Fischer und 
F. Schroeder. I. Band: Das Allgemeine Landrecht mit den Einführungspatenten. Berlin, 
Guttentag, 1901. 8. XVI—565 SS., geb. M. 6.—. 

Raschke, Marie (Ur Der Betrug im Civilrecht. (Gemeines Civilrecht und 
B.G.B.) Berlin, E. Ebering, 1900. gr. 8 114 SS. M. 3.—. (A. u. d. T.: Rechts- 
und staatswissensch. Studien, Heft 6.) 

Schwabe, Max, Die juristische Person und das Mitgliedschaftsrecht. Basel, Be 
Schwabe, 1900. 8. 48 SS. M. 1,20. 

Ullmann (Rechtsanw., Magdeburg), Das gesetzliche eheliche Güterrecht in Deutsch- 
land. Berlin, Siemenroth & Troschel, 1901. gr. 8. XI—195 SS. M. 4.—. 


Brochard, P. (avocat à Laval), Une loi méconnu (en faveur de la petite pro- 
priété). Paris, Larose, 1901. 8. 32 pag. 

Leseure, P. (sous-chef à la direction générale des finances tunisiennes), Du 
double régime foncier de la Tunisie. Droit musulman et loi foncière. Paris, L. Larose, 
1901. gr. in-8. fr. 7,50. 

Banking cases, annotat. A collection of all cases affecting banks decided by the 
courts of last resort in the United States, ed. J. T. Michie. Charlottesville, Michie C°, 
1901. 8. 803 pp. $ 5.—. 

Hedderwick, T. C. H. (barrister-at-law), The sale of foot and drugs. The Acts 
of 1875, 1879, and 1899 (with notes of the reported cases decided since the Acts became 
law). 2nd edition. 7/.6. 

Reports from Her Maj.—’s representatives abroad on trade-marks laws and regu- 
lations. 2 parts. London, printed by Harrison & Sons, 1900. gr. in-8. 307 and 55 pp. 1/.8. 


37* 


580 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Bo, Francesco, La legislazione italiana sui dazi di consumo: commento. Torino, 
Unione tipogr.-editrice, 1901. 8. VIII—959 pp. 1. 12.—. 

Chironi, G. P. (Professore ord. di diritto civile nella R. Universita di Torino), 
Trattato dei privilegi delle ipoteche e del pegno. 2 volumi. Torino, fratelli Bocca, 
1894—1901. 8. 1. 28.—. (Contiene: Vol. I (parte generale): Contenuto del pegno nel 


diritto odierno e nella sua storia. -— Analisi del contenuto della garanzia reale (pegno 
in generale). — Il concetto del pegno studiato comparativamente ad altri istituti ai 
quali è affine. — Teoria del privilegio in generale. — Privilegi speciali sui mobili. — 


Teoria generale del privilegio. — Il diritto di garanzia reale, e gli altri istituti affini. 
— La nascita del diritto di pegno. — La costituzione del rapporto di pegno. — La 
costituzione della sicurtà reale. — Effetti del pegno costituito. — L’estinzione del diritto 
di pegno. — Volume II (parte speciale): La creazione del rapporto reale d’ipoteca. — 
L’ipoteca volontaria tacita (legale impropria). — L’ipoteca legale propriamenta detta. — 
L’ipoteca giudiziale. — Effetti della creazione dell’ ipoteca. — La costituzione del 
diritto reale d’ipoteca. — La sanatoria dell’ invalida creazione dell’ ipoteca, e l’effetto 
che ne deriva all’ iscrizione già eseguita. — Delle modificazioni che possono seguire 
rispetto agli elementi dell’ ipoteca costituita. — Gli effetti dell’ ipoteca costituita. — 
L’estinzione del diritto d’ipoteca. — ete.) 

van Walsem, J. M., De wet op de vermogensbelasting toegelicht. ’s Gravenhage, 
Gebr. Belinfante, 1901. gr. 8. 8 en 391 blz. fl. 6,25. 


11. Staats- und Verwaltungsrecht. 


Bonn. Bericht über den Stand und die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten 
der Stadt Bonn während der Zeit vom 1. IV. 1899 bis 31. III. 1900. Bonn, Druck 
xon J. F. Carthaus, 1901. gr. 4. 171 SS. 

Breslau. Stadthaushaltsetat für Breslau für das Rechnungsjahr 1901. Breslau, 
Druck von Graß, Barth & C°, 1901. hoch-4. 1396 SS. 

Dirschau. Bericht über Stand und Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten der 
Stadt D. für das Rechnungsjahr 1899/1900. Dirschau, Druck der Dirschauer Zeitung, 
1900. kl. 4. 42 SS. 

Dresden. Verwaltungsbericht des Rates der kgl. Haupt- und Residenzstadt 
Dresden für das Jahr 1899. Dresden, v. Zahn & Jaensch, 1901. hoch-4. XIII—348 SS. 
mit 2 graphischen Tafeln in Imp.-Folio. 

Funk, M., Kirche und Staat in Lübeck. Leipzig, A. Deichert’sche Verlagsbhdl., 
1901. kl. 8. 42 SS. M. 0,60. 

Gall (Bureaudirektor des Hauses der Abgeordneten), Gehaltstafel für die Beamten 
der preußischen Staatsverwaltung. Berlin, W. Moeser, 1901. gr. 8. 72 SS. M. 1.—. 

Gemeindewahlrecht, das, in Preußen. Zusammenstellung der gesetzlichen und 
ministeriellen Bestimmungen von Ch. Seuffert. Berlin-Gr. Lichterfelde, 1901. 12. 32 SS. 
M. 0,40. 

Geschäftsbericht des schlesischen Landesausschusses für den Zeitraum vom 
1. X. 1899 bis Ende September 1900. Troppau, Selbstverlag des Ausschusses, 1900. 
Lex.-8. 104 u. 61 SS. 

Handbuch für das preußische Herrenhaus von 1899. Nachtrag zum —, .heraus- 
gegeben von dem Bureaudirektor des Herrenhauses A. Reissig. Berlin, C. Heymanns 
Verlag, 1901. 8. 80 SS., geb. (Abgeschlossen am 26. III. 1901.) 

Handbuch für das Deutsche Reich auf das Jahr 1901. Jahrg. XXVI. Berlin, 
C. Heymanns Verlag, 1901. gr. 8. XXXVI—625 SS., kart. M. 6.—. 

Hof- und Staatshandbuch der österreichisch-ungarischen Monarchie für 1901. Wien, 
Druck und Verlag der k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1900. Roy.-8. XVI—1354 SS. 
geb. M. 11,60. 

Ilwof, Franz, Der provisorische Landtag des Herzogtums Steiermark im Jahre 
1848. Graz, Verlagsbhdl. „Styria“, 1901. gr. 8. IV—153 SS. M. 2,50. (A. u. d. T.: 
Forschungen zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Steiermark, Bd.IV, Heft 2.) 

Jebens, A. W. (WirklGehR.), Die Instruktion für die Stadtmagisträte vom 25. V. 
1835 nach neuestem Recht. Berlin, C. Heymanns Verlag, 1901. 12. 80 SS. geb. 
M. 1.—. (Sonderabdruck aus dem „Prenßischen Verwaltungsblatt.‘) 

Kassel. Bericht über die wichtigsten Zweige der Verwaltung der Residenzstadt 
Kassel im Etatsjahr 1899. Kassel, Druck von Gebr. Gotthelft, 1901. gr. 4. 254 SS. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 581 


Kassel. Haushaltsetat für das Etatsjahr 1901 (1. IV. 1901 bis Ende März 1902) 
der Residenzstadt Kassel. Kassel, Druck von Weber & Weidemeyer, 1901. 4. 211 SS. 

Kiel. Uebersicht der Einnahmen und Ausgaben der Stadthauptkasse Kiel für das 
Rechnungsjahr 1899. Kiel, Sept. 1900. Folio. 181 u. 181 autographierte SS. 

Kiel. Voranschlag für die Einnahmen und Ausgaben der Stadtgemeinde Kiel für 
die Zeit vom 1. IV. 1901 bis 31. III. 1902. Kiel, Druck von L. Handorff, 1901. gr. 8. 
358 SS. 

Lengnich, Gottfr. (Syndikus der Stadt Danzig), Jus publicum eivitatis Gedanensis 
oder der Stadt Danzig Verfassung und Rechte. Nach der Originalhandschrift des Dan- 
ziger Stadtarchives herausgeg. von O. Günther (Stadtbibliothekar, Danzig). Danzig, 
Th. Bertling, 1900. gr. 8. XX—607 SS. Mit dem Porträt Lengnichs in autotypischem 
Druck. M. 8.—. (A. u. d. T.: Quellen und Darstellungen zur Geschichte Westpreußens. 
Herausgeg. vom westpreußischen Geschichtsverein, I.) 

Mecklenburgische Urkunden und Daten. Quellen vornehmlich für Staats- 
geschichte und Staatsrecht Mecklenburgs. Ausgewählt und zum Druck gegeben von 
H. Sachsse (o. Prof. d. Rechte). Rostock, G. B. Leopolds UniversBhdl., 1900. gr. 8. 
812 SS. mit 2 Stammtafeln. M. 12.—. 

München. Haushaltsplan der Stadtgemeinde München für das Jahr 1901. München, 
Druck der G. Franzschen Hofbuchdruckerei, 1901. 4. 523 SS. 

Redlich, Jos., Englische Lokalverwaltung. Darstellung der inneren Verwaltung 
Englands in ihrer geschichtlichen Entwickelung und in ihrer gegenwärtigen Gestalt. 
Leipzig, Duncker & Humblot, 1901. gr. 8. XXII—835 SS. M. 20.—. 

Rückblick, ein, auf die ersten 25 Jahre der schlesischen Provinzialverwaltung 
vom Landessyndikus, GehRegR. Gürich. Breslau, Graß, Barth & C°, 1901. gr. 8. 47 SS. 

Schmidt, Br. (Privdoc., Heidelberg), Der schwedisch-mecklenburgische Pfand- 
vertrag über Stadt und Herrschaft Wismar. Leipzig, Duncker & Humblot, 1901. gr. 8. 
85 SS. M. 1,80. 

Budget des recettes et des dépenses (du département de la Seine) exereice 1900, 
Paris, impr. nouvelle (association ouvrière) 1900. Roy. in-4. 211 pag. 

Chéradame, A., L'Europe et la question d'Autriche au seuil du XX: siècle. 
Paris, Plon-Nourrit & C, 1901. 8. Avec 14 cartes et 5 fac-similés de documents, 
fr. 10.—. 

Conseil général du département de la Seine. 2itme session de 1899. Mémoires 
de M. le Préfet de la Seine et de M. le Préfet de police et procès-verbaux des déli- 
bérations. Paris, imprimerie nationale, 1900. gr. in-8. 1582 pag. 

Conseil général du département de la Seine, 1iċre et 2iʻme session de 1900. Paris, 
impr. nat., 1900. gr. in-8. 292 et 262 pag. 

Daniel, André, L'année politique 1900. Avec une table chronologique, des 
notes, des documents et de pièces justificatives. X XVIIIème année. Paris, E. Fasquelle, 
1901. 8. X—496 pag. fr. 3,50. 

Duguit, L. (prof. de droit à l’Université de Bordeaux), Etudes de droit public. 
I: L'Etat, le droit objectif et la loi positive. Paris, A. Fontemoing, 1901. 8. 625 pag. 

Pétin, H., Les Etats-Unis et la doctrine de Monroe. Paris, A. Rousseau, 1900. 
gr. in-8. 445 pag. fr. 6,40. (Table des matières: Le message de 1823. — La doctrine 
de Monroe et ses applications: 1. Le congrès de Panama; 2. L'affaire du Texas; 
3. L'affaire du Yucatan; 4. L'affaire de l’Orégon; 5. Le canal interocéanique; 6. Le 
Mexique; 7. Saint-Domingue; 8. Le conflit anglo-vénézuélien; 9. Cuba; 10. Le panamé- 
ricanisme. — La nouvelle politique des Etats-Unis: 1. Samoa; 2. Hawaï; 3. Les Phi- 
lippines ` 4. La politique nouvelle de la doctrine de Monroe. — ete.) 

Rapport sur le service d'architecture du département dressé à l’appui du compte 
départemental de 1899. Paris, impr. Chaix, 1900. 4. VIII—203 pag. (Publication de 
la direction des affaires départementales du département de la Seine.) 

Rapport d'inspection sur le service des enfants assistés, présenté par l’Inspecteur 
principal à Monsieur le Prefét de la Seine pour l’année 1898. Paris, impr. Chaix, 1900. 
Roy. in-4. 194— XIV pag. (Publication de la préfecture du département de la Seine.) 

Rapport annuel de l’année 1899 sur les services municipaux de l’approvision- 
pement de Paris. Paris, imprimerie municipale, 1900. 4. (Publication de la préfecture 
du département de la Seine, Bureau de l’approvisionnement. Sommaire: Abattoirs. — 
Entrepôts. — Halles centrales. — Marché aux bestiaux. — Marchés de quartier. — etc.) 


582 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Municipal register, the, for 1900, containing a register of the city government, 
the rules of the Board of aldermen, common council and city council. Boston, Muni- 
eipal Printing Office, 1900. gr. in-8. 296 pp. with map. in Imper.-Folio, 3 plates 
(portraits) ete. 


12. Statistik. 


Deutsches Reich. 


Beiträge zur Forststatistik von Elsaß-Lothringen. Heft 18: Wirtschafts- und 
Rechnungsjahr 1899. Straßburg, Kommissionsverlag der Straßburger Druckerei und 
Verlagsanstalt, 1901. gr. 8. 138 SS. (Herausgeg. vom Ministerium für Elsaß-Lothringen, 
Abteilung für Finanzen, Gewerbe und Domänen.) 

Jahrbuch, statistisches, für das Großherzogtum Baden. Jahrgang XXXI, 1900, 
Karlsruhe, Macklot’sche Druckerei, 1901. Lex.-8. XXII—559 SS. 

Jahresstatistik pro 1900 über die in der Altonaer Fischauktion versteigerten 
frischen Fische u. s. w. durch den beeidigten Fischauktionator Joh. Cohrs. Altona, 
Druck von Köbner & C°, 1901. gr. 8. 7 SS. 

Statistik, die, der Bewegung der Bevölkerung sowie die medizinische und geburts- 
hilfliche Statistik des Großherzogtums Baden für das Jahr 1898. Karlsruhe, 1900. gr. 8. 
76 SS. 

Statistik der zum Ressort des k. preuß. Ministeriums des Innern gehörenden 
Strafanstalten und Gefängnisse, der Zwangszöglinge nach § 56 und 55 des Str.-G.-B. 
und der Korrigenden für das Etatsjahr 1899 (1. IV. 1899 bis 31. III. 1900). Berlin, 
Druckerei der Strafanstaltsverwaltung, 1901. gr. 8 XXXIV—229 SS. 
` Wermbter, H. (OLehrer am k. Herzog-Albrechtsgymnas. Rastenburg), Die höhere 
Schullaufbahn in PreuBen statistisch beleuchtet. Schalke, Verlag von E. KannengieBer, 
1901. gr. 8. III—66. M. 1.—. 


Frankreich. 

Annuaire de la Société de statistique de Paris pour 1901. Nancy, impr. Berger- 
Levrault & Ci, 1901. 16. 63 pag. 

Documents statistiques réunis par l’administration des douanes sur le commerce 
de la France. Mois de janvier des années 1899, 1900 et 1901. Paris, impr. nationale, 
1901. 8. 203 pag. (Publication du Ministère des finances.) 

Résultats statistiques du recensement des industries et professions (dénombrement 
général de la population du 29 mars 1896). Tome III: Région de l'Ouest au Midi 
(45 départements). Paris, impr. nationale, 1900. CIX—633 pag. fr. 11.—. (Publication 
du Ministère du commerce, de l’industrie, des postes et des télégraphes. Direction du 
travail, service du recensement professionnel.) 

Statistique de l'industrie minérale et des appareils à vapeur en France et 
en Algérie pour l'année 1899. Paris, imprim. nationale, 1900. gr. in-4. XXII—132 pag. 
et (tableaux) 266 pag. av. 22 diagrammes (période de 1880 à 1899). fr. 10.—. (Table 
des matières: Rapport de la Commission de statistique de l’industrie minérale et des 
appareils à vapeur au Ministre des travaux publics. — Exposé des principales données. 
de la statistique de l’industrie minérale et des appareils à vapeur en France et en 
Algérie, pour l’année 1899: Chap. 1. Mines et autres exploitations minérales.” Chap. 2. 
Usines métallurgiques. Chap. 3. Appareils à vapeur. — Appendice: A. Tableau com- 
paratif de la production minérale de la France et des principaux pays. B. Tableau 
comparatif de la production métallurgique de la France et des principaux pays. 
C. Tableau comparatif de la production des métaux précieux dans les differents pays.) 

Statistique médicale de l’armée pendant l’année 1898. Paris, impr. nationale, 
1900. in-4. 471 pag. (Publication du Ministère de la guerre.) 


England. 


Annual abstract, VIIth, of labour statisties of the United Kingdom, 1899—1900. 
London, printed by Darling & Son, 1901. gr. in:8. XV—233 pp. 1/.—. (Publication of 


the Board of Trade, Labour Department. Contents: State of employment. — Changes 
in rates of wages. — Changes in hours of labour. — Trade disputes. — Industrial 
accidents. — Prices. — Production, — Workmen’s organisations. — Miscellaneous.) 


Annual report, XLVth, of the Registrar-General on the births, deaths, and mar- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 583 


riages registered in Scotland during the year 1899; and XXXVth annual report on 
vaccination. Glasgow, printed by J. Hedderswick & Sons, 1900. gr. in-8. XXVI—62 pp. 

Navy (Health). Statistical report of the health of the navy for the year 1899. 
London, printed by Eyre & Spottiswoode, 1900. gr. 8. IX—111 pp. and (appendix) 
84 pp. with 3 graphics. (Parliam. paper, presented by Her Mai. is command.) 


Oesterreich-Ungarn. 


Handbuch, statistisches, für die Selbstverwaltung in Schlesien. Herausgeg. vom 
landesstatistischen Amte des schlesischen Landesausschusses. 2. Abteilung des ersten 
Jahrganges 1899 und II. Jahrg. 1900. Troppau, Selbstverlag des Landesausschusses, 
1901. Lex.-8. IX—413 SS. 

Oesterreichische Statistik. Band LIV, Heft 3, II. Abteilung: Statistik des 
Verkehrs in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern für die Jahre 
1896 u. 1897. Abteilung 2: Seeschiffahrt und Seehandel, Eisenbahnen, Posten, Tele- 
graphen und Telephone, Außenhandel und Handel zwischen Oesterreich und Ungarn. 
Wien, k. k. Hof- u. Staatsdruckerei (in Kommission bei C. Gerold’s Sohn, 1900). Imp.-4. 
XLVI—62 SS. Kr. 3,20. 

Oesterreichische Statistik. Band LVI, Heft 3: Ergebnisse der Grundbesitz- 
statistik in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern nach dem Stande 
vom 31. XII. 1896. Heft 3: Steiermark. Wien, C. Gerold’s Sohn, 1901. Imp.-4. 
XXXIX—21 SS. Kr. 2.—. (Herausgeg. von der k. k. statistischen Centralkommission.) 

Magyar statisztikai &vkönyv. VII. Ungarisches statistisches Jahrbuch. Neue 
Folge VII, 1899. Im Auftrage des kgl. ung. Handelsministers verfaßt und herausgeg. 
durch das kgl. ung. statistische Centralamt. Amtliche Uebersetzung aus dem ungarischen 
Originale. Budapest, Buchdruckerei der Aktiengesellschaft Athenaeum, 1901. gr. 8. 
XIX—442 SS., Kr. 10.—. 


Rußland. 


C60PHHKT CTATHCTHyUEcKHx% CRbutui NMO TYÖCPHCKOMy M 3CMCKOMY B3aHMHOMY 
crpaxoBaniro 1866—1895 r. Haer I. Tao.ıımesı. Cr.-Ilerep6ypre 1900. Folio. 139 pp. 
{Assurance mutuelle des provinces en Russie 1866—1895, I° partie: Tableaux statistiques. 
Publié par la section des assurances du Ministère de l’intérieur. Tables des matières: 
Assurance mutuelle des zemstwos contre les incendies. — Assurance des zemstwos en 
1891, 1892, 1893, 1894, 1895: Assurance obligatoire des bâtiments; Assurance facul- 
tative des bâtiments; Assurance facultative du mobilier. — Assurance mutuelle pro- 
vinciale contre les incendies. — Assurance mutuelle obligatoire dans les provinces de 
la Vistule en 1875—1896.) 


Italien. 


Annali statistica. Serie IV, n° 98: Atti della Commissione per la statistica giudi- 
ziaria e notariele, sessione del luglio 1900. Roma, tipogr. di G. Bertero & C., 1901. 
gr. in-8. XXVI—214 pp. (Pubblicazione della Direzione generale della statistica.) 

Statistica giudiziaria civile e commerciale e statistica notariele per Panno 1898. 
Parte I. Statistica giudiziaria civile et commerciale. Roma, tipogr. di Bertero & C., 
1900. Lex. in-8. CXLV—146 pp. 1. 2,50. (Pubblicazione della Direzione generale della 
statistica.) 

Statistica giudiziaria penale per l’anno 1898. Roma, tipogr. di G. Bertero 
& C., 1901. Lex. in-8. CLIX—116 pp. (Pubblicazione della Direzione generale della 
statistica.) 


Dänemark, ‘ 

Danmarks Statistik. Statistiske Meddelelser, IV. Række (Serie) 9. Band, 1stes Heft: 
Foreløbig Opgørelse af Folkemængden 1. II. 1901 i det egentlige Danmark. Køben- 
havn, Bl. Lunos Bogtrykkeri, 1901. 8. 44 pp. (Vorläufige Ergebnisse der Volkszählung 
in dem eigentlichen Dänemark (ohne die Kolonien) vom 1. 1I. 1901.) [Herausgeg. vom 
Dänischen statistischen Landesbureau.] 

Danmarks Statistik. Statistisk Tabelværk. Vme série, lettre C n° 2: Kreatur- 
holdet den 154e Juli 1898. København, Gyldendalske Boghandel, 1901. 4. 52 u. 
144 SS. (Dänisches statistisches Tabellenwerk. 5. Reihe, Abteil. C n° 2: Viehzühlungs- 


584 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


ergebnisse der Zählung vom 15. VII. 1898. Herausgeg. vom städtischen statistischen 
Bureau in Kopenhagen.) 


Holland. 


Statistiek van de zeescheepvaart over het jaar 1899. ’s Gravenhage, Gebr. von 
Cleef, 1901. gr. 4. 151 blz. met 1 krt. fl. 1.—. 


Schweiz. 

Ergebnisse, vorläufige, der eidg. Volkszählung vom 1. XII. 1900. Die Gesamt- 
bevölkerung der einzelnen Gemeinden. (Wohn- und ortsanwesende Bevölkerung.) Bern, 
Buchdruckerei Stämpfli & C, 1901. 4. 31 SS. (Deutscher und französischer Text.) 

Statistique générale du service postal, publiée par le Bureau international. 
Année 1899. Berne, imprim. Suter & Lierow, 1901. Imp. in-Folio. 34 pag. (Publi- 
cation d'Union postale universelle.) 


Portugal. 
Commercio e navegagäo. Estatistica especial, anno de 1899. 4 partes. Lisboa, 
imprensa nacional, 1900. gr. in-8. CXLIII—591 pp. con X graphicos. (Publicação de 
Direcção geral da estatistica e dos proprios nacionaes.) 


Bulgarien. 


CTAaATHCTHKA 3a CpËAHMTĚ, CHENMAAHUTÉ, NPOSCCHOHAIHUTÉ M Bycmero yuısaıuıa 
BE Kuasecrpo Bhirapua npbat, yucbnara 1898—99 Toun, Coua 1901. 4. 149 pp. 
(Statistik der Sekundär-, Spezial- und Gewerbschulen sowie der Hochschule im Fürstentum 
Bulgarien im Schuljahr 1898—99.) 


Amerika (Porto Rico). 

Report on the Census of Porto Rico, 1899, by J. P. Sanger (Inspector-General) 
and H. Gannett & W. F. Willcox (Statistical Experters) Washington, Government 
Printing Office, 1900. gr. in-8. 417 pp. with 9 maps, 6 diagrams and 46 photographie 
reproductions. (Taken under the direction of the War Department.) 


Asien (China). 
China. Imperial Maratime Customs. I. statistical series, n° 2: Customs Gazette. 
N° CXXVII, July-September 1900. Shanghai, Kelly & Walsh, and London, King & Son, 
1900. 4. 285 pp. $ 1.—. (issued 18th XII. 1900. Published by order of the Inspector 
General of Customs.) 


— (Japan). 

Annuaire statistique de l’Empire du Japan. Année XIX (1899). Tokio 1900. 
gr. in-8. 1175 pag. (Ganz in japanischer Sprache. Inhalt: Areal und Bevölkerung. — 
Oeffentlicher Unterricht und Kultus. — Civil- und Kriminalgesetzgebung. Polizei und 
Gefängniswesen. — Armee und Marine. — Landwirtschafts-, Forst- und Jagdwesen. 
Fischerei. — Montanindustrie. — Binnen- und Außenhandel. — Sparkassen. — Ver- 
kehr zu Wasser und zu Land. Post-, Telegraphen- und Telephonwesen. — Oeffentliche 
Arbeiten. — Oeffentliche Gesundheitspflege. — Oeffentliches Armenwesen. — Finanz-, 
Bank- u. Geldzirkulationswesen. — Wahlstatistik. — etc.) 


Australien. 
Coghlan, T. A. (Statistician of New South Wales), A statistical account of the 
seven colonies of Australasia, 1899—1900. VIII issue. Sidney, W. A. Gullick printed, 
1900. gr. in-8. 836 pp. with chart, 


— (Kolonie Neu-Süd-Wales). 

New South Wales statistical register for 1899 and previous years. Compiled from 
official returns by T. A. Coghlan (Government Statistician). Sidney, printed by W. A. 
Gullick, 1900. gr. in-8. VIII—1013 pp., cloth. 5/.—. (Contents: Local government. — 
Shipping. — Commerce. — Land settlement. — Agriculture. — Manufactories and works. 
— Population and vital statistics. — Education, science, and art. — Law and crime. — 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 585 


Hospitals and charities. — Financial institutions. — Public finance. — Miscellaneous. — 
Industrial wages. — etc.) 


— (Kolonie Tasmania). 

Statisties of the colony of Tasmania for the year 1899. Hobart, J. Vail printed, 
1900. gr. Folio. VIII—425 and 28 pp. (Contents: Blue book. — Population. — Inter- 
change. — Finance. — Accumulation. — Law, crime, and protection. — Production. —- 
Intellectual, moral, and social provision. — etc.) 


— (Kolonie Victoria). 
Australasian statistics for the year 1898. Adelaide, C. E. Bristow printed, 1900. 
gr. in-Folio. 53 pp. with folding sheet in max.-Imp.-Folio. (Compiled by the Govern- 
ment Statist of Victoria.) 


13. Verschiedenes. 


Arbeiterschutz! Warum kein Schülerschutz? Ein Weckruf an Eltern und 
Erzieher. Zur Reform der Gymnasien in Oesterreich, von (Pater familias). Wien, W. 
Frick, 1900. gr. 8. 64 SS. M. 1,50. 

Böhm, J., Beiträge zur Geschichte der bayerischen Volksschule insbesondere im 
XIX. Jahrhundert. Nürnberg, Fr. Korn, 1900. 8. VI—128 SS. mit 23 Porträts. 
M. 1,50. 

Brüggemann, F. (Dirigent der 11. städtischen Fortbildungsschule in Berlin) und 
F. Groppler (Lehrer in Berlin), Volks- und Fortbildungsschulwesen Frankreichs im 
Jahre 1900. Zwei Berichte auf Grund einer von der Diesterwegstiftung veranlaßten 
Studienreise nach Paris. Berlin, L. Oehmigke, 1901. gr. 8. VIII—188 SS. M. 3.—. 

Erweiterung, die, der Westfülischen Hochschule. Münster i. W., Druck von 
Joh. Bredt, 1901. gr. 8. 35 SS. Als Manuskript gedruckt. (Denkschrift des Senates 
der kgl. Akademie zu Münster.) 

Felden, E., Der Ultramontanismus im Reichsland am Ende des 19. Jahrhunderts. 
Heidelberg, Evangel. Verlag, 1900. 12. 71 SS. M. 0,40. 

Großherzog Friedrich von Baden. Reden und Kundgebungen 1852—1896. 
Herausgeg. von Rud. Krone. Freiburg i. B., P. Waetzel, 1901. gr. 8. XVI—358 SS. 
M. 6.—. 

Haefcke, H., Städtische Fabrikabwässer. Ihre Natur, Schädlichkeit und Rei- 
nigung. Wien, A. Hartleben, 1901. kl. 8 XVI—480 SS. mit 80 Abbildgn. M. 8.—. 

Hoppe, L. (P., weiland Reiseprediger der Riograndenser Synode.) Mit Geleitswort 
von C. Klingemann (Superintend., Essen), Aus dem Tagebuch eines brasilischen Urwald- 
pfarrers. Essen, G. D. Baedeker, 1901. 8. VIII—235 SS. M. 2.—. 

Jahrbuch der schweizerischen Gesellschaft für Schulgesundheitspflege. I. Jahr- 
gang: 1900. 1. Teil. Zürich, Druck von Zürcher & Furrer, 1900. gr. 8. 106 SS. mit 
24 Taf. Abbildungen. Preis für Teil 1 u. 2. M. 5,60. 

Jahrbuch des Unterrichtswesens in der Schweiz 1899. Jahrg. XIII. Bearbeitet 
und mit Bundesunterstützung herausgeg. von Albert Huber (Sekretär des Erziehungs- 
wesens des Kantons Zürich). Zürich, Verlag des Art. Instituts Orell Füssli, 1901. gr. 8. 
X11—169 SS. und 260 SS. Beilagen. M. 5.—. 

Killmann, A. (Direktor der k. Realschule, Dirschau), Die Direktorenversamm- 
lungen des Königreichs Preußen von 1890—1900. Die Meinungsäußerungen, Wünsche, 
Anträge und Beschlüsse der Mehrheiten nebst einzelnen Berichten und Verhandlungen 
in Auszügen oder wörtlicher Wiedergabe. Zusammengestellt von M. K. Berlin, Weid- 
mannsche Buchhdl., 1900. gr. 8. XII—192 SS. M. 6.—. 

Knopf, 8. A. (Arzt, New York), Die Tuberkulose als Volkskrankheit und deren 
Bekämpfung. Berlin, 1900. gr. 8. 48 SS. (Preisschrift, gekrönt mit dem Preise des 
Kongresses zur Bekämpfung der Tuberkulose als Volkskrankheit, Berlin 24.—27. V. 
1899. Herausgeg. vom deutschen Centralkomitee zur Errichtung von Heilstätten für 
Lungenkranke.) 

Mertz, G., Das Schulwesen der deutschen Reformation im 16. Jahrhundert. Liefe- 
rung 1. Heidelberg, C. Winters Universitätsbuchhdl., 1901. gr. 8. 64 SS. M. 1,20, 
(Das Werk erscheint in Lieferungen zum Subskriptionspr. von je M. 1,20.) 

v. d. Osten, G., Geschichte des Landes Wursten. I. Teil: Bis zu den Erohe- 


586 Die periodische Presse des Auslandes, 


rungskriegen. Bremerhaven, G. Schipper, 1900. gr. 8. IV—99 SS. M.4.—. (Herausgeg. 
im Auftrage des Bundes der Männer vom Morgenstern.) 

Schultheß’ Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Jahrg. XVI: 1900 
(der ganzen Reihe XLI. Band). Herausgeg. von Gust. Roloff. München, C. H. Beck- 
sche Verlagsbhdl., 1901. gr. 8. VIII —375 SS. M. 8.—. 

Sozialdemokratie im Heere. Reform des deutschen Heeresdienstes zur Abwehr 
des Sozialismus. Von einem Offizier. Jena, H. Costenoble (1901). gr. 8. 55 SS. 
M. 1.—. 

Weißenfels, O. (Prof. am k. frzs. Gymnas. in Berlin), Kernfragen des höheren 
Unterrichts. Berlin, R. Gaertner (H. Heyfelder) 1901. gr. 8. XVI—352 SS. M. 6.—. 


Annuaire de l’instruction publique et des beaux. arts pour l’année 1901 rédigé 
et publié par MM. Delalain (imprimeurs de l’Université). Paris, Delalain frères, 1901. 
gr. in-8. 882 pag. av. carte. fr. 5.—. 

Fleury (le comte), Un grand terroriste: Carrier à Nantes (1793—1794). 2° édition. 
Paris, Plon-Nourrit & Ci, 1901. 12. XV—343 pag. et 1 portr. fr. 4.—. 

Notice sur les asiles publics d’aliénés et les colonies familiales (du département 
de la Seine) 1900. Paris, imprim. Chaix, 1900. Lex. in-8. 98 pag. av. gravures et 
planches. (Publication de la préfecture du département de la Seine, service des aliénés.) 

Arreguine, V., En que consiste la superioridad de los Latinos sobre los Anglo- 
Sajones. Buenos-Ayres 1900. 8. 


Die periodische Presse des Auslandes. 
A. Frankreich. 

Annales de l’Institut des sciences sociales. VI° année, n° 4: Comptabilisme et 
productivisme, par E. Solvay. — L'oeuvre d’Auguste Comte et son influence sur la 
pensée contemporaine, par H. Denis. 

Annales des sciences politiques, 1901, Janvier: Les marchés à terme, par R. G. 
Lévy. — L'Armée allemande, par M. B. — Les finances de la ville de Paris de 1798 
à 1900, par C. Picot. — La marine anglaise. — La commission de 1897 sur la marine 
marchande et ses résultats, par J. Wilhelm. 

Bulletin de statistique et de législation comparée. XXVième année, 1901, Février: 
A. France, colonies et Tunisie: Loi sur la tutelle administrative en matière de dons et 


legs. — L'exploitation du monopole des allumettes chimiques. — L'exploitation du mono- 
pole des tabacs. — Les revenus de PEtat, exercice 1900. — Les recettes des théâtres 
et spectacles de Paris. — Les revenus de l'Etat, Janvier 1901. — L’eneaisse, la circu- 
lation et les opérations de la Banque de France en 1900. — Le commerce extérieur, 
mois de Janvier 1900. — Tunisie: Le budget de la Régence pour 1901. La situation- 
économique et financière de la Régence. — Pays étrangers: Pays divers: La production 
des vins. — Angleterre: Le monnayage. — Italie: La production de vins. — Russie: 
Le relèvement des droits de douane et d’accise. — Création d’une section des fonds 
publics à la Bourse de Saint-Pétersbourg. — Grand-duché de Luxembourg: Le projet 
de budget pour 1901. — Suisse: Le monopole de l'alcool. Loi fédérale sur l'alcool 


(loi du 7 juin 1900). — Etats-Unis: Le rapport annuel du Secrétaire du Trésor. Les 
opérations des Clearing-Houses en 1899 et en 1900. — etc. 

Journal des Economistes. 60° année 1891, Mars: La suppression des congré- 
gations religieuses et l’expropriation de la mainmorte ecclésiastique en Italie, par 
Vittorio Racca. — Sociétés secrètes et assurances fraternelles aux Etats-Unis, par G. Nest- 
ler Tricoche (suite et fin). — Un nouveau monopole: Le rachat des chemins de fer, 
par Emman. Ratoin, — Mouvement scientifique et industriel par Daniel Bellet. — 
Revue de l’Académie des sciences morales et politiques (du 15 novembre 1900 au 
28 février 1901, par J. Lefort. — Société d'économie politique (réunion du 5 mars 
1901): Discussion: Regime douanier du blé. — ete. — Comptes rendus. — Chronique: 
Une épidémie de grèves. Un trust monstre de l’acier, etc. 


Die periodische Presse des Auslandes. 587 


Journal de la Société de statistique de Paris. 42i@me année, 1901, N° 3, Mars: 
Procès-verbal de la séance du 20 février 1901. — Annexes au procès-verbal: Discussion 
sur „les lois de la population“ d’après M. G. Cauderlier: Observations de MM. Loua 
March, Vauthier, J. Bertillon, Ad. Coste. — Le coût de la vie à Paris A diverses 
époques, par G. Bienaymé. — Chronique de statistique judiciaire, par Maur. Yvernès. 

Moniteur, le, des assurances: Revue mensuelle. N” 388 à 390, Janvier, Février, 
Mars 1901: Production des compagnies françaises d'assurances sur la vie, en 1900, par 
Ed. Olivreau. — De la clause à ordre dans les polices d'assurances sur la vie et mari- 
times, par Paul Bailly, chap. 1 (suite 3 et 4). — La patente des compagnies d’assuran- 
ces. — L'assurance sur la vie en Turquie, par Ali. — L’effort moral dans l’assurance 
sur la vie, par Alexis Frochot. — Assurances contre les accidents: Dangers et la con- 
currence au rabais, par E. Pagot. — La patente des agents généraux d’assurances. — 
Au delà de l'épargne. Observations sur quelques-uns des mobiles de la prévoyance. — 
Assurances contre l’incendie: Du danger et de l'évaluation du risque dans l’emploi de 
l’acétylène, par L. Arraou (art. 1). — Assurances contre les accidents: Commentaire 
pratique de la loi du 9 avril 1898, par E. Pagot (art. 1). — Assurances contre la grêle 
ét la mortalité du bétail: Les mutuelles agricoles. — etc. 

Réforme sociale, la. Année 1901, n° 1: Les nouveaux droits sur les successions 
et la propriété foncière, par C. de Meaux. — Le projet de loi sur les établissements 
libres de bienfaisance, par H. Valleroux. — N° 2: La formation des villes dans l’Europe 
occidentale aux origines de la civilisation moderne, par F. F. Brentano. — La réforme 
de la bienfaisance en Belgique, par L. Rivière. — Pays de langue anglaise, par J. A. 
des Rotours. — N° 3: Les immeubles des congrégations d’après l’enquête officielle, par 
H. Valleroux. — Après l'Exposition, par M. Lair. — N° 4: Que doit le patron A ses 
ouvriers en plus du salaire, par M. Tolman. — Le progrès social et ses conditions 
nécessaires, par L. Skarzynski. — N° 5: L'évolution industrielle des Etats-Unis, par 
F. Lepelletier. — Le Congrès international d’assistance publique et de bienfaisance 
privée et l’Office central des oeuvres de bienfaisance, par A. des Rotours. — L’admi- 
nistration parisienne de 1800 à 1870, par A. Babeau. — N° 6: Le scrutin uninominal 
et la représentation proportionnelle, par J. Mommaerte. — La fortune de la France des 
familles et des individus, par V. Turquan. ete. 

Revue d'économie politique. XV° année, 1901, n° 2, Février: L'agriculture 
moderne et sa tendance A s’industrialiser, par Jos. Hitier. — La spécialisation et ses 
conséquences, par Laurent Dechesne. -— Le développement des principaux ports mari- 
times de l’Allemagne, par A. Aftalion. — Chronique législative, par Edm. Villey. — ete. 

Revue politique et parlementaire. N° 81. Paris 10. III. 1901: L’échec pédagogique 
des lettrés et des savants, par A. Fouillée (de l’Institut). — Notes de jurisprudence 
parlementaire: 1. Les additions aux ordres du jour motivés, par A. Esmein (prof. de 
droit, Paris). — Le projet de loi sur l'arbitrage et la grève obligatoire, par E. d’Eich- 
thal. — Portraits politiques: Monsieur A. Ribot, par J. Ernest-Charles. — Des relations 
mutuelles de l'assistance et de l'assurance ouvrière, par Maur. Bellom. — Le Slesvig 
du Nord sous le gouvernement Prussien, par M. C. Mathiesen. — Les banques de 
Londres, par A. A. Sayous. — Revue des questions ouvrières et de prévoyance, par 
L. de Seilhae. — ete. 

Revue internationale de sociologie. 9° année, 1901, N° 2, Février: Un monastère 
d’ermites avant la Révolution, par Ch. Roussel. — Du déterminisme et de la respon- 
sabilité sociologiques, par Raoul de la Grasserie (suite). Société de sociologie de 
Paris, séance du 9 janvier 1901: La Pologne A l’Exposition universelle, par L. Skar- 
zynski, avec discussion. — Mouvement social: Suisse (1900), par Virg. Rossel, — Revue 
des livres, — Informations. — etc. 


B. England. 
Board of Trade Journal. N° 217—223, January 24—Mareh 7 1901: Trade between 


India, Chinese Turkistan and Tibet via Leh. — Export of Russian tissues. — Trade 
and industry in Liberia. — Trade and industry of the Faroe islands. — Improvements 
in German harbours. — Manufacturing industries in East Siberia. — British cement 
in the United States. — The trade of Ssumao and Mengtse in 1899. — The camphor 
industry of Formosa. — The Mexican Cotton Industry. — Trade of Tonga (Friendly 
Islands) in 1899. — Foreign trade of the United Kingdom in January 1901. — Horti- 


culture and viticulture in South Australia. — Yarns and textiles. — Agricultural in- 


588 Die periodische Presse des Auslandes. 


dustries and botanical stations in Southern Nigeria. — The mineral wealth of Servia. — 
Trade of the Jonians Islands (Corfu and Cephalonia). — The coal trade of the United 
States. — French shipping in 1900. — Commercial and industrial conditions in Spain. 
— Condition of trade in Angola. — The cotton industry of British India. — The 
American boot and shoe industry. — Openings for British trade. — Tariff changes and 
customs regulations, — Shipping and transport. — Mining, metals and machinery. — 
Agriculture. — Statistical tables. — etc. 

Economie Journal, the, of British Economic Association. Vol. XI, N° 1. March 
1901: Further notes on the economie aspects of the war, by (Sir) R. Giffen. — The 
statistics of municipal trading, by J. Row-Fogo. — Contracting-out from the Workmen’s 
Compensation Act, by Mona Wilson. — Some features of the economie movement in 
Ireland, 1880—1900, by C. F. Bastable. — Theory of international trade, by A. Loria. 
— An agricultural excursion in Lombardy, by L. L. Price, — Philanthropy and wage- 
paying, by Virginia M. Crawford. — The protection of labour in Japan, by E. Foxwell. 

Journal of the Royal Statistical Society. Vol. LXIV, part 1, 30'% March 1901: 
The State monopoly of spirits in Russia, by Alexis Raffalovich (with discussion). — A 
review of Indian statisties, by F. C. Danvers (with discussion). — The growth of muni- 
cipal and national expenditure, by (Lord) Averbury. — Miscellanea: Prices of com- 
modities in 1900, by A. Sauerbeck. The statistics of wages in the United Kingdom 
during the last hundred years, by A. L. Bowley (part VIII). — Commercial history 
and review of 1900. — Fires in London and the metropolitan fire brigade in 1900. 
— etc. > 
Nineteenth Century, the, and after. N” 289 and 290, March and April 1901: 
The civil list, by E. Robertson. — The South African Hospitals Commission, by Fr. 
Treves. — Sham versus real home defence, by A. Conan Doyle. — The admirulty versus 
the navy, by H. W. Wilson. — The drama in the English provinces, by H. A. Jones. 
— Imperial eivil service: a suggestion from Australia, by (Prof.) Edw. E. Morris. — 
The British workman and his competitors, by W. Woodward. — Some American im- 
pressions of Europe, by Ph. Alex. Bruce. — Monarchy in the XIXth Century, by Sidney 
Low. — Leaders of opposition, before and after 1832, by T. E. Kebbel. — The modesty 
of englishwomen, by (Mrs.) W. Mahood. — Emigration for gentlewomen, by A. Monte- 
fiore Brice. — Doctors in hospitals, by B. Burford Rawlings. — British communication 
with East and South Africa, by E. Ceeil. — Company law reform, by R. Gervase 
Elwes. — Lord Curzon in India, by Steph. Wheeler. — etc. 


C. Oesterreich-Ungarn. 

Deutsche Worte. Monatshefte herausgeg. von Engelbert Pernerstorfer. Jahrg. XXI, 
1901, Heft 2, Februar: Das Volksheim, von Leo Halberstam (Wien). — Volksbildung 
und Volkscharakter, von Aurelianus (Wien). — Delle Grazie’s „Schlagende Wetter‘, 
ein soziales Problemstück, von Max Adler (Wien). — ete. — Heft 3: Die Agrarfrage 
in Rußland. — Litterarische Anzeigen. 

Handelsmuseum, das. Herausgeg. vom k. k. österr. Handelsmuseum. Bd. XVI, 


Nr 10—15, 7. III.—11. IV. 1901: Der Handel mit Centralafrika (Schluß). Die Zoll- 
tarifreform im Deutschen Reiche. — Die amerikanische Konkurrenz, von L. — Winke 
für den Export von Baumwollwaren, — Eine deutsche Reichshandelsstelle, von J. Gensel 


(Leipzig). — Eine deutsche Handelshochschule in Deutschland, von Schmid. — Kanal- und 
Hafenbauten in Frankreich. — Die Schiffahrt in der Levante, von G. Herlt (Konstantin- 
opel). — Die ungarische Industrie im Jahre 1900. (Aus dem „Pester Lloyd.) — Die 
Brünner Spitzen- und Vorhangindustrie. — Die Handelspolitik Englands (I. Ami, — 
Die wirtschaftlichen Verhältnisse auf den Philippinen. 

Mitteilungen des k. k. Finanzministeriums. Jahrg. VII, Heft 2, ausgegeben 
im März 1901: Rede des Finanzministers Ir Ritter Böhm v. Bawerk anläßlich der Ein- 
bringung des Staatsvoranschlages pro 1901. — Statistische Mitteilungen über das öster- 
reicbische Tabakmonopol für das Jahr 1899. — Ergebnisse der Punzierung im Jahre 
1599. Kassaerfolg des Stempel-, Tax- und Gebürengefälles im Jahre 1899. — Die 
Stempelwertzeichenmaterial- und Stempelsignatursgebarung im Jahre 1899. — Ueber die 
Fondsbeitrüäge von Verlassenschaften. — Statistik der in den Jahren 1896, 1897 und 
1598 auf Grund der Gesetze vom 9. II. 1850 (R.G.Bl. N° 50), 13. XII. 1862 (R.G.Bl. 
N’ 89) u. 31. III. 1890 (R.G.Bl. N’ 53) bemessenen Bereicherungs- und Immobiliar- 
gebühren für Vermögensübertragungen unter Lebenden und von todeswegen. — Ergebnisse 


Die periodische Presse des Auslandes. 589 


des Tabakverschleißes der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder im 1. Se- 
mester 1900. 

Monatschrift, statistische. N. Folge, VI. Jahrg., Wien, 1901, Jännerheft: Ernte- 
ergebnisse der wichtigsten Körnerfrüchte im Jahre 1900. Im k. k. Ackerbauministerium zu- 
sammengestellt. — Mitteilungen und Miscellen: Die ältesten Einrichtungen zur Registrie- 
rung der Bevölkerungsbewegung in den Ver. Staaten von Amerika. — Konferenz für 
Landesstatistik. — Die Landesfinanzen Galiziens, von (Graf) St. H. Badeni. — Die 
Organisation der kommunalen Statistik, insbesondere in Oesterreich-Ungarn, von Helene 
Landau. — Einheitliche Gestaltung der Armenfinanzstatistik in Deutschland, von Fuhr- 


mann. — etc. 
Oesterreichisch-ungarische Revue. Band XXVII, Heft 4 u. 5 (Wien 1901): 


Die Hebung des ungarischen Bauernstandes, von Mosco-Wiener (Forts). — Die Ent- 
wickelung des gewerblichen und kommerziellen Unterrichts in Oesterreich, von K. J. 
Romstorfer. — Zur Ethnographie des serbokroatischen Volkes, von Mor. v. Landwehr- 


Pragenau. — etc. 

Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung. Organ der Gesell- 
schaft österreichischer Volkswirte. Band X, 1901, Heft 1: Zur Reform der österreichi- 
schen Arbeiterwohnungsgesetzgebung, von (Frh.) v. Schwartzenau. — Der Chekverkehr 
der österreichischen Postsparkasse, von K. Leth. — Die theoretischen Grundlagen der 
doppelten Buchhaltung, von G. Seidler. — Die Budgets der bewaffneten Macht Oester- 
reich-Ungarns für das Jahr 1900, von J. Ullmann. — Ein Rückblick auf die Entwicke- 
lung der Triester Lagerhäuser, von G. Lippert. — etc. 


D. Rußland 

Russian Journal, the, of Financial Statistics. February 1901. (St. Petersburg, 
Millionnaia, 23, printed by W. Kirchbaum.) II"d specimen number. Contents: Official 
diserepancies. — Profits and addresses of joint stock companies in Russia. — English 
companies in Russia. — Russian Joint Stock Companies Bill. — Iron industry in the 
Urals. — Charcoal versus coal. — Baku Petroleum industry. — Russian railways receipts, 
mileage, ete. — Budget of the Empire for 1899, 1900 and 1901. — Labour legislation 
and factory inspection in Russia. — The emaneipation of the serfs and land redemption. 
— Index to the 2 specimen numbers. 


E. Italien. 

Rivista della beneficenza pubblica ete. Anno XXIX, 1901, N°2, Febbraio: Pro- 
poste pel riordinamento del servizio degli esposti, per R. Perla. — Gli educatori di 
San Leonardo in Bologna. — Il progetto di legge sulle esposti, per Silvio de Kunert, 
— V Congresso nazionale delle opere pie in Venezia. — Cronaca: Sul lavoro delle 
donne e dei fanciulli. L’Orfanotrofio dei servi a Palermo. La società di previdenza pei 
disoccupati in Venezia. Carità e agricoltura. Congregazione di carità a Napoli, ete. — 
Massime di giurisprudenza. — etc. 


G. Holland. 


de Economist opgericht door J. L. de Bruyn Kops. Lete jaargang, 1901, Maart: 
Het ontworpen tarief van invoerrechten, door D. Bos. — Längeres Referat (S. 252/263) 
über „Ashley, Histoire et doctrines économiques de l'Angleterre“, tome 1 et 2, von 
Ph. Falkenburg. — Economische kroniek: Auszahlungen an Gemeinden (gemäß der 
Gesetze vom 24. V. 1897 u. 2. VI. 1900 über holländische Kommunalfinanzen). Kon- 
stituierung des Vereins für gesetzlichen Arbeiterschutz in Amsterdam. Englische Kriegs- 
kosten 1899/1900. Französischer Zuckertrust. ete. — Handelskroniek: Das Referat der 
Handels- und Industriekammern in Holland über die gegenwärtige Lage der hollän- 
dischen Industrie. — etc. 


H. Schweiz. 

Monatsschrift für christliche Sozialreform. Redaktion: M. v. Vogelsang, Frei- 
burg (Schweiz). Jahrg. XXIII, 1901, Heft 3: Zur Beurteilung des persönlichen Ehe- 
rechts im Vorentwurf eines schweizerischen Civilgesetzbuches, von (Prof.) U. Lampert 
(Freiburg, Schweiz) [3. Artik., Schluß]: Die Ehescheidungsgründe; Die Scheidungs- 
klage; Die Folgen der Scheidung. — Wirtschaftliche Tagesfragen, von Sempronius 
(Wiener Korrespondenz vom 4. III. 1901:) Das Vorstadium der Handelsverträge von 


590 Die periodische Presse Deutschlands. 


1903. Die österreichische Frage in Frankreich. — Mobiles und immobiles Kapital. — 
Sozialer Rückblick, von Walther v. Quarten. — Sozialpolitisches und Wirtschaftliches 
aus der Schweiz, von A. Hüttenschwiller. — ete. > 

Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. IX. Jahrg., 1901, 
Heft 3 u. 4: Zur schweizerischen Handelspolitik. Vortrag, geh. am 4. II. 1901 von 
O. Hunziker. — Die russische Arbeiterschutzgesetzgebung, von Hans Fehlinger (Liesing, 
bei Wien). — Soziale Chronik. — Statistische Notizen: Die Naturalverpflegung in der 
Schweiz. — Sozialpolitisches Archiv, N’ 1: Gewerbegerichte und Einigungsämter in der 
Schweiz. X. Solothurn. — Die rechtliche Stellung der Ehe- und Handelsfrau in Deutsch- 
land, von Bruno Volger (Leipzig). — Die Krankenversicherung in der Hausindustrie, 
von Eug. Schwiedland. — Soziale Chronik: Arbeiterbewegung, ete. — Statistische Notizen : 
Die Auswanderung aus der Schweiz im Jahre 1900. — ete. 

Zeitschrift für schweizerische Statistik. Jahrg. XXXVI, 1901, I. Band, 1. Liefe- 
rung: Protokoll der Jahresversammlung des Verbandes schweizerischer amtlicher Statistiker 
und der schweizerischen statistischen Gesellschaft den 24. u. 25. IX. 1900 im GroBrats- 
saale in Chur (S. 1—154). — Protokoll der Jahressitzung der schweizerischen statisti- 
schen Gesellschaft, Montag, den 24. IX. 1900. 


M. Amerika. 


Annals of the American Academy of political and social science (issued bi-montly). 
Vol. XVII, n° 2, March 1901: Election methods and reform in Philadelphia, by Clinton 
Rogers Woodruff. — The reorganization of railroads, by Edw. Sherwood Mende. — 
Politieal and municipal legislation in 1900, by Rob. H. Whitten. — Paternal insurance 
in the United States, by B. H. Meyer. — Editorial, by Rob. P. Falkner. -— Communi- 
cations: Greater Chicago, by J. H. Gray. — The juvenile court of Chicago and its 
work, by C. Kelsey. — Meeting of the American Economic Association, by H. R. Seager. 
— Theoretical socioloy, conducted by J. E. Hagerty: The origin of totemism. Child 
suieide in Prussia. — etc. 

Bulletin of the Department of Labor. N° 33, March 1901 (Washington): Foreign 
labor laws, by W. F. Willoughby (of the Departm. of Labor). — The British conspiracy 
and protection of Property Act and its operation, by A. Maur, Low. — Digest of recent 
reports of State bureaus of labor statistics: Connecticut; North Carolina; Pennsylvania ; 
West Virginia. — State reports on building and loan assoeiations: California; New 
York. — Digest of recent foreign statistical publications. — Deeisions of courts affect- 
ing labor. — Laws of various States relating to labor enacted since January 1, 1896. 

Journal of Political Economy. Vol. IX, N° 1, December 1900: The anthracite 
miners’ strike of 1900, by G. O. Virtue. — Shipping subsidies, by F. L. Me Vey. — 
The distribution of money, by C. A. Conant. 

Quarterly Publications of the American Statistical Association, New series, N° 52, 
December 1900: Advertising in the United States, by Sidney A. Sherman. — The prac- 
tical use of vital statisties, by Fred. L. Hoffmann. — Miscellany and notices: Classifi- 
cation of causes of death, by C. E. A. Winslow; Employers liability, by Miles Men. 
Dawson; Vital statistics of the army; Notes on vital statistics; A mathematical analysis 
of the curve of deaths of different ages, by C. E A. Winslow. — etc. 


Die periodische Presse Deutschlands. 


Alkoholismus, der. Vierteljahrsschrift zur wissenschaftlichen Erörterung der 
Alkoholfrage. Jahrg. II (Dresden 1901). Heft 1: Ueber die Notwendigkeit der Gründung 
von Triukerheilstätten, von C. Pelmann (GehMedR.). — Wer soll die künftigen Trinker- 
heilanstalten errichten und leiten? von Schaefer. — Die Verwendung des Spiritus zur 
Krafterzeugung, von G. Asmussen. — Mitteilungen aus der Trinkerfürsorge, von (Rektor) 
Neumann. — Die Alkoholfrage in Rußland, von A. v. Rothe (GehStaatsR.). — Referat 
über „Das Temperenzproblem und die soziale Reform“, von Jos. Rowntree und Arthur 


Sherwell. — VII. internationaler Kongreß gegen den Alkoholismus in Wien, 1901. 
= etc. 


Die periodische Presse Deutschlands. 591 


Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft. 
Jahrg. XXXIV, 1901, Nr 3. Herausgeg. von K. Th. Eheberg und Ant. Dyroff: Der 
hessische Gesetzentwurf über die öffentlichen Sparkassen, von Seidel (Wiesbaden). — 
Gold ersparende Zahlungsmethoden in dem heutigen Bankverkehr Deutschlands, von 
Dunker (Frankfurt a/M.) |I. Art... — Ueber die rechtliche Stellung der ärztlichen 
Standesvertretungen, von Schanze (Dresden) [I. Vortrag]. — Zur Entwickelung des Etats 
für die Verwaltung der kais. deutschen Marine, von W. Thrän (Forts.). — Die Todes- 
erklärung Verschollener nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, von B. Lehmann (Ebers- 
walde) [Schluß]. — etc. 

Archiv für Eisenbahnwesen. Jahrg. 1901, Heft 2, März und April: Theoretische 
Betrachtungen über das Binnenschiffahrtsabgabenwesen in Deutschland, von (Prof.) Herm. 
Schumacher. — Die russischen Südwestbahnen, von (Ingen.) F. Thiess. — Deutsch- 
lands Getreideernte in 1899 und die Eisenbahnen, von G. Thamer. — die Reichseisen- 
bahnen in Elsaß-Lothringen und die Wilhelm-Luxemburgbahnen im Rechnungsjahre 
1899. — Hauptergebnisse der österreichischen Eisenbahnstatistik für das Jahr 1898. — 
Die Betriebsergebnisse der Staatsbahnen und der 6 großen Eisenbahngesellschaften in 
Frankreich im Jahre 1899. — etc. 

Archiv für öffentliches Recht. Band XVI, 1901, Heft 1: Zollausschlüsse und 
freie Niederlagen. Eine zollrechtliche Studie, von Chr. Behr. — Eisenbahn und Wege- 
recht, von O. Mayer. — Geburt und Aufenthalt als Anknüpfungspunkte für den Erwerb 
der Staatsangehörigkeit, von J. Keidel. — Soldatentestament in China, von R. Weyl. 
Kapitalabfindung der Rentenberechtigten, von B. Hilse. — ete. 

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Herausgeg. von A. Osterrieth. 
Jahrg. VI, 1901, N" 2, Februar: Konferenz des Deutschen Vereins zum Schutze des 
gewerblichen Eigentums am 19. Dezember 1900 (S. 29—56). 

Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich. 
Herausgeg. von Gustav Schmoller. Jahrg. XXV, 1901, Heft 1: Neuere Agrarpolitik in 
Algerien und Tunesien, II. Art. (Tunesien), von G. K. Anton. — Die gewerbliche Ent- 
faltung im Deutschen Reiche nach der Gewerbezählung vom 14. VI. 1895, von Paul 
Kollmann (Schluß). — Die Gewerbeinspektion in Deutschland, von (Fabrikinspektor) 
Fuchs. — Die Winzergenossenschaften und die deutsche Gesetzgebung über Wein unter 
eingehender Schilderung der Verhältnisse von preußischen Winzervereinen, von Fritz 
Deichen (Art. II). — Die Krankenversicherung der Verlagsarbeiter, von E. Schwiedland. 
— Zur wirtschaftlichen Lage in den tropisch-amerikanischen Staaten, von Alfr. Weber. 
— Auflösung und Wiederherstellung der Berliner Produktenbörse, von F. Goldenbaum. 
(Art. II). — Die englische Gewerkvereinsentwickelung im Lichte der Webbschen Dar- 
stellung, von G. Schmoller. — Die deutschen Staatsanleihen von 1894—1900, von R. 
Eberstadt. — etc. 

Masius’ Rundschau. Blätter für Versicherungswissenschaft. Neue F. Jahrg. XIII, 
1901, Heft 3: Bedenkliche Bestimmungen für die Reichsinvalidenversicherung. — 
Reichsversicherungsgesetz. — Die Lage des Versicherungsgeschäfts im Jahre 1900. — 
Die Zunahme der Sterblichkeit durch Krebs. — etc. 

Vereinsblatt für deutsches Versicherungswesen, Jahrg. XXIX, 1901, N°5: Die 
Bestrebungen der International Law Association, betreffend Ausgleich der wesentlichsten 
Verschiedenheiten im Seeversicherungsrecht der einzelnen Länder. — Geschäftsstand des 
Rückversicherungsverbandes deutscher Lebensversicherungsgesellschaften, Ende 1900). 

Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbefleißes. Jahrgang 
LXXIX (1900) (Berlin). Inhalt. Abhandlungen: Ueber Wellenstromenergie, von C. 
Heinke (München). — Die Weltausstellung in Paris 1900, von W. Gentsch. — Die 
Elektrotechnik auf der Pariser Weltausstellung, von W. Wedding. — Die Thonindustrie 
auf der Weltausstellung 1900 in Paris, von (RegR.) Hecht. — Das Eisenhüttenwesen 
auf der Pariser Weltausstellung 1900, von (GehBergR. Prof.) H. Wedding. — Die 
kunstgewerblichen Metallarbeiten auf der Pariser Weltausstellung 1900, von Fr. Liebe- 
tanz (Düsseldorf). — B. Vorträge: Schrift und Schreibgeräte verschiedener Völker und 
Zeiten, von Naß. — Ueber Neuerungen in der Zuckerindustrie, von (Prof.) Herzfeld. 
— Technische Reisenotizen aus Süditalien, von Frank. — Ueber die Bedeutung der 
Elektrochemie für die Technik, von (Prof.) v. Knorre. — Ueber die sozialen Aufgaben 
des Maschinenbaues, von (Direktor) Blum. — etc. 

Verwaltungsarchiv. Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichts- 
barkeit. Herausgeg. von M. Schultzenstein (k. preuß. OVerwGerR.) und A. Keil (k. 


592 Die periodische Presse Deutschlands. 


preuß. OHofKammerR.). Bd. IX, Heft 4/5, März 1901: Das englische Local Govern- 
ment, seine heutige Form und Bedeutung für die preußisch-deutsche Rechtsentwickelung, 
von Jul. Hatschek (Privdoz., Heidelberg). — Ueber das Anschlagwesen, insbesondere 
nach preußischem Rechte, von Gerland (Senator u. Polizeidir., Hildesheim. — Ueber die 
polizeiliche Beschlagnahme eines durch Brand zerstörten Grundstücks behufs Zwangsver- 
steigerung, von (AmtR) Altmann (Rixdorf). — Die Heranziehung des gewerblichen Ein- 
kommens der Aktiengesellschaft und der Dividende des Aktionärs zur Gemeindeein- 
kommensteuer in Preußen (unter dem Gesichtspunkte der Doppelbesteuerung de lege 
lata und de lege ferenda), von Wangemann (RegAss., Königsberg i. Pr.). 

Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. Herausgeg. vom kaiserl. 
statistischen Amt. Jahrg. X, 1901, Heft 1: Anordnungen für die Reichsstatistik aus 
dem Jahre 1900. — Zur Statistik der Preise: A. Großhandelspreise wichtiger Waren an 
deutschen Plätzen 1900 und in den 20 Jahren 1881/1900. B. Roggen- und Weizen- 
preise an deutschen und fremden Börsenplätzen im 4. Vierteljahr 1900. C. Viehpreise 
in 10 deutschen Städten im 4. Vierteljahr 1900. — Erntestatistik für das Jahr 1900, 
— Der Tabak im deutschen Zollgebiet 1899. — Zollfreie Schiffsbaumaterialien 1900. — 
Bestand der deutschen Kauffahrteischiffe am 1. I. 1900. — Verunglückungen deutscher 
Seeschiffe 1898 und 1899. — Die Schiffsunfälle an der deutschen Küste 1899. — Die 
Förderung und der Absatz von Steinkohlen 1891—1900. — Petroleumproduktion, 
Petroleumhandel und Petroleumverbrauch 1891/1900. — Die überseeische Auswande- 
rung 1900. — Die Selbstmorde 1899. — Die Eheschließungen, Geburten und Sterbe- 
fälle 1899. — Die Bevölkerung des Deutschen Reichs nach der Volkszählung vom 1. 
XII. 1900. — Konkurse im 4. Vierteljahr 1900. Vorläufige Mitteilung. — Die jugend- 
lichen Fabrikarbeiter und Fabrikarbeiterinnen 1899. — Zur Statistik der Streiks und 
Aussperrungen im 4. Vierteljahr 1900. — Bei den deutschen Börsen zugelassene Wert- 
papiere 1900. — Die Grundlagen der Handelsstatistik einiger fremder Staaten. 
III. Frankreich. 

Zeitschrift des kgl. bayerischen statistischen Bureaus. Jahrg. XXXII, 1900, 
N" 4: Die Ernte des Jahres 1900. — Die Hagelschläge in Bayern während des Jahres 
1900. Mit Rückblicken auf die Erhebungen seit 1879. — Nachweisungen über den 
Verkauf von Getreide auf den bayerischen Schrannen sowie über die erzielten Durch- 
schnittspreise für das Jahr 1900. — Durchschnittspreise der Viktualien an verschiedenen 
Orten Bayerns für das Jahr 1900. — Geburten und Sterbefälle in 25 bayerischen Städten 
im 2. Halbjahr 1900. 

Zeitschrift für Kleinbahnen. Jahrg. VIII, Heft 4, April 1901: Die elektrischen 
Straßenbahnen und das Telegraphenwegegesetz in Preußen, von (RegR.) v. Rohr. — 
Staatsbeihilfe für Kleinbahnen. — Ueber elektrische Lokomotiven auf Klein- und Neben- 
bahnen, von F. Hermann. — Gesetzgebung. — Kleine Mitteilungen. — ete. 

Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Jahrg. IV, 1901, Heft 3: Das Bazarwesen 
als Wirtschaftsform, von H. Schurtz (Bremen). — Die deutsche Besteuerung des 19. 
Jahrhunderts, von A. Buchenberger (Finanzmin., Karlsruhe). — Die eheliche Frucht- 
barkeit in Deutschland, von Fr. Prinzing (Ulm) (III. Art. Schluß). — Sozialpolitik: 
Von der sozialen Bedeutung des preußischen Fürsorgeerziehungsgesetzes, von G. v. Rohden 
(Düsseldorf). — Miszellen. — ete. 


Druckfehlerberichtigung. 
Seite 202 des Bd. 21 Zeile 14 ist anstatt „Brenn holzunterstützung‘“ zu lesen 


„Bau holzunterstützungen“. 
Zeile 18 ist in der Klammer hinter 5400 M. einzuschalten „jetzt 8800 M.“. 


Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena, 


G. v. Below, Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft et. 593 


Nachdruck verboten. 


VIII. 


Der Untergang der mittelalterlichen 
Stadtwirtschaft (über den Begriff der 
Territorialwirtschaft). 


Von 


G. v. Below. 
(Fortsetzung und Schluß.) 


Zweiter Teil. 


Inhalt. V. Die Vorkaufsgesetzgebung, S. 593. VI. Die Grundlagen der Zunft- 
verfassung, S. 594. VII. Verleger und Fabrikanten, 8. 596. VIII. Der Handel, S. 609. 
IX. Die Ursachen der neuen Erscheinungen, S. 616. X. Das Steuerwesen, S. 624. 
XI. Resultate, S. 627. 


V. Die Vorkaufsgesetzgebung. 


Eines der wichtigsten Mittel, die die mittelalterliche Stadt zur 
Aufrechterhaltung ihrer wirtschaftlichen Selbständigkeit und Herr- 
schaft angewandt hat, ist das Verbot des Vorkaufs. Begrifflich 
könnte man es geradezu als die Grundlage der gesamten Stadt- 
wirtschaftspolitik auffassen ®). Praktisch gehen freilich die ver- 
schiedenen Sätze des mittelalterlichen Stadtrechts meistens auf beson- 
dere Antriebe zurück. 

Die Idee der Verwerflichkeit des Vorkaufs wird aus den Städten 
durch die Landesherren übernommen, wie Schmoller selbst hervor- 
hebt 8): „Der Glaube an die Schädlichkeit des Vorkaufs, der alle 
Waren nur verteuere, ging von den städtischen Statuten ziemlich un- 
verkürzt in die Landesgesetze über.“ 

Man kann bei den städtischen Vorkaufsgesetzen des Mittelalters 
drei Kategorien unterscheiden ®): der ,Vorkauf* ist Gegenstand der 
Gesetzgebung als 1) Kauf außerhalb der städtischen Märkte, 2) „In 


87) Vgl. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung S. 42, 64, Anm. 1 
und S. 72. Schmoller, Umrisse. S. 645. 
88) Schmoller, Umrisse, S. 19. Histor. Ztschr. 75, S. 443, Anm. 4, Ritter, 
Deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 40f. 
89) Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht, Bd. 37 (1890), 8. 268. 
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI) 38 


594 . G. v. Below, 


den Kauf fallen“, 3) Lieferungskauf. Uns interessiert hier, weil 
wir die Frage der Ausdehnung des Verkehrs über das Stadtgebiet 
hinaus beantworten wollen, näher nur die gewerbepolizeiliche Be- 
stimmung, die in der ersten Kategorie ausgesprochen ist, während 
wir die privatrechtlichen Sätze außer Acht lassen dürfen. Von jener 
aber ist es bekannt, daß sie noch im preußischen Landrecht durch- 
aus festgehalten wird. „Wer durch Auf- und Vorkäuferei — heißt 
es Teil II, Titel 20, § 1292°°%) — „Lebensmittel und andere gemeine 
Bedürfnisse verteuert oder die Zufuhr derselben zu den öffentlichen 
Märkten zu hindern oder zu schwächen unternimmt, soll nach Be- 
stimmung der Polizeigesetze eines jeden Orts nachdrücklich bestraft 
werden.“ 


VI. Die Grundlagen der Zunftverfassung. 


Die vorstehende Darstellung hat gezeigt, daß die alten Mittel 
der Stadtwirtschaftspolitik in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit 
nicht beseitigt worden sind. Nun wäre es freilich denkbar, daß die 
Bürgerschaften unter Festhaltung der Abschließung nach außen und 
der Herrschaft über das umliegende Land ihre innere Organisation 
verändert hätten. Gästerecht und Bannmeilenrecht wären vereinbar 
mit Preisgabe der Zunftverfassung. Wir haben ja auch schon die 
Beobachtung gemacht, daß ein Teil der mittelalterlichen Zunftver- 
fassung, die Autonomie, gefallen ist. Indessen die wesentlichen 
Stücke der alten Zünfte‘%), der Zunftzwang und die Regelung der 
Produktion des Einzelnen im Interesse der ganzen Korporation, die 
Beschränkung auf mittlere und kleinere Betriebe, sind bis zum Be- 
ginne des 19. Jahrhunderts bei Bestand geblieben. Nur vereinzelt 
und dann in der Regel vorübergehend ist es zu Zunftauflösungen 
gekommen. Die hochfliegenden Pläne auf radikale Aenderungen für 
große Gebiete!) sind nicht verwirklicht worden. Die Thätigkeit der 
Landesherren beschränkt sich auf Abstellung von Mißbräuchen und 
auf Reformen in Einzelheiten. Die viel genannte Handwerkerpolitik 
König Friedrich Wilhelms I. von Preußen ®?) hat auch keinen anderen 
Inhalt: weitere Fortschritte in dem Kampf gegen die Zunftautonomie, 
in der Abschließung des Territoriums nach außen (Beseitigung der 
Abhängigkeit von auswärtigen Hauptladen), etwas größere Unifizie- 
rung im Innern des Landes, etwas Abbröckelung von dem alten 


90) Vgl. auch Teil II, Titel 8, $ 1355. 

90a) Es mag hier darauf hingewiesen werden, daß die oben (S. 454 ff.) erwähnten 
Handwerker- und Städtevereinigungen sich keineswegs eine Aenderung der Grund- 
lagen des Zunftwesens zum Ziele setzen, sie eher zu befestigen suchen. Vgl. dazu noch 
Hansische Geschichtsblätter, 1897, 8. 76 und 103; Ztschr. für Sozial- und Wirtschafts- 
geschichte, Bd. 2, S. 64. Auch darin zeigen sich die Schranken, über die die Städte 
aus eigenem Antrieb nicht hinausgegangen sind. Vgl. oben S. 472. 

91) Vgl. über die an sich interessanten Pläne aus der zweiten Hälfte des 17. 
Jahrhunderts summarisch Stieda, Art. Zünfte, Handw. d. St. VI. (1. Aufl.), S. S88f. 

92) Vgl. über sie die eingehende Darstellung von Schmoller, Umrisse S. 344 ff. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 595 


Zwang?) — diese Neuerungen sind gewiß, für sich betrachtet, der 
historischen Betrachtung sehr würdig; indessen die Grundlagen der 
Zunftverfassung tasten sie noch nicht an. Es sind dies alles bekannte 
Thatsachen. Um sie uns aber ganz und gar gegenwärtig zu machen, ist es 
vielleicht gut, daran zu erinnern, daß im 16. Jahrhundert, gegenüber dem 
Mittelalter, die Zahl der Zünfte noch wächst %), die Redaktion ihrer Sta- 
tuten erst jetzt detaillierter, das Zunftrecht überhaupt bestimmter 
ausgebildet wird, daß viele Zünfte erst im 16. Jahrhundert ihre 
Zunfthäuser erhalten 291. daß im 16. und 17. die Bedingungen für das 
Meisterwerden verschärft werden, daß nicht bloß im 16. und 17.%), 
sondern auch noch im 18. Jahrhundert”) niemand zwei offene Läden, 
bez. einen offenen Laden und eine Marktbude zugleich halten darf, 
daß selbst ein Gesetzbuch wie das allgemeine preußische Landrecht, 
welches eine umfassende Kodifikation des Gewerberechts enthält, dem 
lokalen Brauch einen weiten Raum gestattet”). Gothein spricht im 
Hinblick auf die Uebernahme wesentlicher Stücke der mittelalter- 
lichen Zunftverfassung durch die Landesherren von einem „Einge- 
ständnis der eigenen Ideenlosigkeit“ "1. Wir wollen hier nicht unter- 
suchen, ob und inwiefern wir sie wegen ihres Anschlusses an die 
mittelalterliche Form zu tadeln haben "mat, Vielleicht geht es auch 
zu weit, der landesherrlichen Gewerbepolitik des 16.—18. Jahr- 
hunderts 1°°) eigene Gedanken schlechthin abzusprechen. Thatsache 
ist es aber, daß die Landesherren in hohem Maße, oft in über- 
raschender Weise in) das städtische Muster nachgeahmt haben. 


93) Zu den interessantesten Maßnahmen gehören in dieser Hinsicht die Kon- 
zessionierung der Freimeister und die der Hausierer. Klagen der Städte über die Frei- 
meister bez. Freibriefe s. z. B. bei Breysig-Spahn, Bd. 2, S. 637 (vgl. S. 727), über die 
Hausierer (Schotten) ebenda S. 1120 und Schmoller, Umrisse S. 19. Im Allg. Prß. 
Landrecht Teil II, Titel 8, $ 184 wahrt sich der Staat das Recht, Freimeister anzu- 
stellen. Die Freiheit, die den Hausierern gewährt wird, ist übrigens lokal verschieden. 
Manchen Orts wird das Hausieren für bestimmte Waren streng untersagt. Tröltsch, 
Die Kalwer Zeughandlungskompagnie, S. 72. 

94) Von Schmoller selbst angedeutet, Umrisse S. 324 und 329 (Forschungen zur 
brandenb. und preuß. Gesch., Bd. 1, S. 65 und 69). Hier und da wird die Zunftver- 
fassung erst im 18. Jahrhundert eingeführt. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarz- 
waldes, Bd. 1, S. 450. 

95) Vgl. mein älteres deutsches Städtewesen und Bürgertum, S. 59. 

96) Techen, Hansische Geschichtsblätter, 1897, S. 91. Kleine Abweichungen vom 
Marktzwang kommen, wie es scheint, schon seit dem 16. Jahrhundert auf. S. ebenda 
S. 92. Ueber eine Milderung in Breslau im 17. Jahrhundert s, Walter Borgius, Archiv 
für soziale Gesetzgebung, Bd. 13, S. 47. 

97) Schmoller, Umrisse, S. 422 

98) Teil II, Titel 8, § 179 ff. 

99) Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd, 1, S. 3934 

99a) Zur Rechtfertigung der Konservierung (auch Verschärfung) der Zunftver- 
fassung im 17. Jahrhundert vgl. Tröltsch, Die Kalwer Zeughandlungskompagnie, S. 76. 

100) Gothein, S. 394. 

101) Vgl. das von mir in meinem Aufsatz „Die städtische Verwaltung des Mittelalters 
als Vorbild der späteren Territorialverwaltung‘“, Histor. Ztschr., Bd. 75, S. 444 ange- 
führte charakteristische Beispiel. Daselbst habe ich auseinandergesetzt, in welchen 
Zweigen der Verwaltung die Städte von den Territorien kopiert worden sind, bez. 
diese sich als selbständig schöpferisch erwiesen haben. In mehreren Verwaltungs- 


38* 


596 G. v. Below, 


Jedenfalls ist es richtiger, auf die „Ideenlosigkeit* hinzuweisen, als 
den Beginn einer neuen Wirtschaftsperiode mit dem Eintritt der 
Neuzeit zu behaupten. 

Schmoller’s Periodisierung erklärt sich daraus, daß er sein Augen- 
merk fast nur auf die politische Seite der Gewerbegeschichte richtet 
und den Erfolg der territorialen Politik jener Jahrhunderte zu hoch 
anschlägt. Wer aber eine Theorie der Wirtschaftsstufen aufstellen 
will, wird in erster Linie die allgemein wirtschaftlichen und sozialen 
Momente zu untersuchen haben. Man darf nicht ohne weiteres an- 
nehmen, daß eine Verändernng im Subjekt der Gewerbepolitik zu- 
gleich eine allgemeine Umwandlung der gewerblichen Verhältnisse 
bedeutet. 

Als erster hat wohl Tröltsch der Schmoller’schen Periodisierung 
der Gewerbegeschichte widersprochen. In der Rezension einer Publi- 
kation zur Gewerbegeschichte der Stadt Münster i. Westf.!02) hebt 
er hervor, daß das Jahr 1661, in dem die Selbständigkeit der Stadt 
und damit auch die Autonomie der Zünfte ihr Ende erreicht, wohl 
rechtlich und politisch, nicht aber wirtschaftlich und sozial einen 
Abschnitt bezeichnet. In vielen anderen Städten beseitigen die 
Landesherren die städtische Autonomie schon im 16. Jahrhundert. 
Daher. datiert Schmoller von da ab die Periode der Territorial- 
wirtschaft. Allein das politische Ereignis greift hier eben nicht so 
tief. In ihrem Kern bleiben die alten Zustände bis in das 19. Jahr- 
hundert erhalten !°3), Man muß äußere und innere Gewerbever- 
fassung unterscheiden. 


VI. Verleger und Fabrikanten. 


Die soeben gemachten Bemerkungen über die Fortdauer der 
alten Gewerbeverfassung bedürfen nun allerdings einer Einschrän- 
kung. Wir haben schon angedeutet, daß der grundsätzlich anerkannte 
Zunftzwang sich manche Abbröckelung im einzelnen gefallen lassen 
mußte. Es könnte ferner sein, daß, wie die äußere Gewerbeverfassung 
nicht mehr mit der inneren übereinstimmt, so auch diese mit der 


zweigen sind die Landesherren originaler gewesen als auf dem Gebiet der Gewerbe- 
olitik. 

> 102) Histor. Vierteljahrsschrift Bd. 1 (1898), S. 544 ff. Vgl. oben S. 455, Anm. 19, 
über die Publikation von Krumbholtz. 

103) Bücher, Entstehung der Volkswirtschaft, S. 113, läßt die alte stadtwirtschaft- 
liche Organisation nicht ganz korrekt „bis gegen Ende des vorigen (d. h. des 18.) Jahr- 
hunderts“ bestehen. — Eine unrichtige Anschauung von der sozialen Struktur des Hand- 
werkerstandes in der Zeit des Uebergangs vom Mittelalter zur Neuzeit hat Schönlank, 
Soziale Kämpfe vor dreihundert Jahren (Leipzig 1894). Zur Kritik seiner Ansichten 
vgl. Oldenberg, Jahrbuch für Gesetzgebung, 1896, S. 322, Stieda, Histor. Ztschr, Bd. : 
74, S. 100, Sombart, Archiv für soziale Gesetzgebung, Bd. 7, S. 720 ff., Eulenburg, 
Ztschr. für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 4, S. 136ff. Auch Lamprecht beur- 
teilt die sozialen Verhältnisse der gewerblichen Kreise nicht richtig. Zur Kritik seiner 
Behauptungen vgl. Max Lenz, Histor. Zeitschr., Bd. 77, S. 385 ff., Kaser, Politische und 
soziale Bewegungen im deutschen Bürgertum zu Beginn des 16. Jahrhunderts und W. 
Stolze, zur Vorgeschichte des Bauernkrieges. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 597 


thatsächlichen Gestaltung der Dinge nicht gleichen Schritt hält. In 
Bezug auf den ersten Punkt sind namentlich zu erwähnen die be- 
schränkte Zulassung von Freimeistern und Hausierern 1) und die 
ebenfalls beschränkte, sogleich näher zu erörternde Anerkennung 
einer großindustriellen Thätigkeit. In Bezug auf den zweiten Punkt 
ist daran zu erinnern, daß schon im Mittelalter die Durchführung 
der Idee der Zunftverfassung an den Thatsachen Grenzen gefunden 
hat 981 Sie ist immerhin in so hohem Maße gelungen, daß wir nicht 
Bedenken tragen, das Mittelalter eine Periode der Stadtwirtschaft 
zu nennen. Suchen wir jetzt ein Urteil darüber zu gewinnen, ob 
in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit der Widerspruch zwischen 
Zunftverfassung und thatsächlichen Zuständen ein erheblich größerer 
geworden ist. Uebrigens werden sich die Betriebe, die unter staat- 
licher Anerkennung aufkommen, und diejenigen, die sich mehr oder 
weniger im Gegensatz zum geltenden Gewerberecht ausbilden, nicht 
ganz scharf von einander sondern lassen. 

Die Entstehung einer Grofindustrie 1%) in Deutschland ist in 
neuerer Zeit mehrfach geschildert worden. So hat Stieda in den 
Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 39 und 40106), eine Dar- 
stellung der Entstehung der Hausindustrie gegeben. Er nimmt 
drei Quellen für diese an: 1) Entsteht sie durch Auflösung der 
Fabrikunternehmung (S. 108 ff.), 2) aus einer Nebenbeschäftigung 
des Landvolkes (S. 110 ff.), 3) durch Umbildung des handwerks- 
mäßigen Betriebes in einen hausindustriellen (S. 115 ff). Die 
erste Art dürfte für uns nicht in Betracht kommen. Die zweite 
wird uns später beschäftigen. Für den am häufigsten eingeschlagenen 
Weg hält Stieda die dritte Art. Er weist zunächst auf die expor- 
tierenden Handwerker hin, die genötigt waren, sich für ihren Absatz 
der Vermittelung des Kaufmanns zu bedienen. Das konnte den An- 
laß zur Ausbildung neuer Formen der wirtschaftlichen Beziehungen 
geben. In dieser Hinsicht ist besonders lehrreich ein Vertrag, den 


104) S. oben S. 595 Anm. 93. 

105) Vergl. meine Theorieen der wirtschaftlichen Entwickelung, passim, z. B. S. 56 
Anm. 2. 

106) Das Wort Großindustrie gebrauche ich hier im allgemeinen Sinne und unter- 
scheide zwei Formen derselben: 1) Das Verlegertum mit hausindustrieller Thätigkeit 
der abhängigen Leute, 2) die Fabrik. Nur bei der zweiten Kategorie liegt ein gewerb- 
licher Großbetrieb vor. Bei der ersten haben wir es mit gewerblichen Kleinbetrieben 
(beziehungsweise Mittelbetrieben) zu thun, die jedoch im Dienste eines kaufmännischen 
Großbetriebs stehen. Den Ausdruck „kapitalistische Unternehmung“ vermeide ich wegen 
des verschiedenen Gebrauchs, den man von dem Worte Kapital macht. Vergl. Bücher, 
Entstehung der Volkswirtschaft, S. 151 ff.; meine Theorien der wirtschaftlichen Ent- 
wickelung, S. 59 ff. 

106a) S. auch den Ueberblick bei Roscher, Stieda, Nationalökonomik des Handels 
und Gewerbefleißes, 7. Auflage, S. 725 ff., der freilich nicht ganz kritisch ist. Der 
Aufsatz von R. Martin, Großbetrieb und Handwerk vor 600 Jahren, Preußische Jahr- 
bücher, Bd. 91 (1898), S. 305 ff. bezieht sich nur auf die Ersetzung der Fußwilkerei 
durch die Walkmühle und der Spindel durch das Spinnrad. Vergl. neuerdings hierzu 
kritisch Al. Schulte, Geschichte des mittelalterlichen Handels und Verkehrs zwischen 
Westdeutschland und Italien mit Ausschluß von Venedig, Bd. 1, S. 113 und 117 ff., 
besonders S. 118 Anm. 9 und S. 121. 


98 G. v. Below, 


EI 


4 Lübecker Kaufleute im Jahre 1424 mit der Zunft der Bernstein- 
dreher daselbst schließen: die Meister derselben — 12 an der Zahl 
— verpflichten sich, während der beiden nächsten Jahre ihr gesamtes 
Produkt an Paternosterkränzen den Kaufleuten zu überlassen. Eine 
solche Verpflichtung stellt eine bedeutsame Abweichung von der 
mittelalterlichen Gewerbeverfassung dar. Freilich stehen solche Hand- 
werksmeister immerhin noch verhältnismäßig selbständig: „es fehlt 
die Anweisung des Kaufmanns, wie die Ware herzustellen sei, die Liefe- 
rung des Rohstoffes ‘durch den Unternehmer“ 1971. Der ausgedehnte 
Paternosterhandel jener Zeit!) führte auch an anderen Stellen zu 
ähnlichen Verhältnissen. Das Ulmer 1%) Handlungshaus Ruland setzt 
im 15. Jahrhundert ganze „Fässer“ von Paternostern (aus Mistelholz) 
und ferner Salzburger „Tafeln“ 10) in Menge um. Es erhält 
sie von Handwerkern, die durch einen wohl um eine Nuance schärferen 
Vertrag als die Lübecker Pasternostermacher gebunden sind!!). Die 


107) Max Weber, Zeitschrift für Handelsrecht, Bd. 37 (1890), S. 270 faßt den 
Vertrag von 1424 in Uebereinstimmung mit F. Conze, Kauf nach hanseatischen Quellen 
(Bonner Dissertation von 1889), S. 55 juristisch als Kauf (Lieferungskauf), nicht als 
Dienstmiete auf. „Wirtschaftlich“ — fährt er fort — „hat allerdings . . . die schiefe Ebene 
zum hausindustriellem Betrieb bereits begonnen; juristisch aber läge zu einer Aende- 
rung der Konstruktion selbst dann noch ein Anlaß nicht vor, wenn eine Monopolisie- 
rung der gesamten Arbeitsleistung (Verbot, für andere zu arbeiten) stattfände und die 
Art der Herstellung seitens des „Verlegers‘“ speciell vorgeschrieben wäre. Erst die 
mindestens teilweise Lieferung des Rohstoffes durch den Kapitalisten bildet, wie wirt- 
schaftlich einen der wichtigsten, so juristisch den entscheidenden Schritt.“ 

108) Stieda hat über die Thätigkeit des von ihm S. 118 erwähnten Hildebrand 
Vockinchusen inzwischen in seinen „Hansisch-venetianischen Handelsbeziehungen im 
15. Jahrhundert“ Näheres mitgeteilt. Vergl. diese Jahrbücher, Bd. 75, S. 12 Anm. 27. 
Ueber die Bernsteindreher (Paternostermacher) s. auch Pauli, Lob, Zustände 3, S. 41 f. 
In großem Umfang blieb bei ihnen neben dem Absatz an Verleger der an das große 
Publikum erhalten. 

109) Ich habe über die Unternehmungen dieses Handelshauses schon in diesen Jahr- 
büchern, Bd. 75, S. 12 und 41 gesprochen. Stieda bezeichnet als Sitz desselben irr- 
tümlich Augsburg. — Vergl. auch meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, 
S. 52 Anm. 1 und S. 54. 

110) Stieda, S. 118 Anm. 3 denkt hier an Schreibtafeln. Richtiger scheint mir 
die Erklärung zu sein, die der Herausgeber des Ruland’schen Handlungsbuches dem 
Worte giebt. Ott Ruland’s Handlungsbuch, herausgeg. von Hassler, Bibliothek des 
Stuttgarter litter. Vereins, Bd. 1 (1843), S. VII f. 

111) Die Bestimmung, daß sie von ihren Erzeugnissen niemand etwas verkaufen 
sollen, „sy geben dan ainen 1 tafel und nicht sammenkaufs“ (Stieda, S. 119 Anm. 2), 
findet sieh ganz ähnlich in dem Arbeitsverhältnis der von der Kalwer Kompagnie ab- 
hängigen Zeugmacher. Tröltsch, Die Kalwer Zeughandlungskompagnie, $. 92: Verbot 
vom Juhre 1653, die Waren kisten- oder ballenweise abzusetzen. Diese Abmachungen 
illustrieren gut die neuen Verhältnisse im Gegensatz zum mittelalterlichen Stadtrecht 
(speciell Gästerecht), welches im Interesse der städtischen Gewerbetreibenden den Gästen 
den Kleinverkauf untersagt, sie auf den Großhandel beschränkt. S. diese Jahrbücher, 
Bd. 75, S. 6. Man sieht, wie das eine Mal der Verkauf im kleinen, das andere Mal 
der im großen als Vorrecht gewährt, bez. vorenthalten wird. Es mag hier auch noch 
die Rolle der Lübecker Schuhmacher von 1441 herangezogen werden, welche dem 
Schuhmacher, der dem Kaufmann „thor seewart“ Schuhe machen will, verbietet, ihm 
mehr als 10 Paar zu liefern, ehe sie von den Elterleuten „besehen“ sind. Wehrmann, 
Die älteren Lübeckischen Zunftrollen, S. 414; Stieda, S. 116. Nach dem Zusammen- 
hang der Zunftrolle ist diese Bestimmung wohl zunächst nur so zu verstehen, daß die 
Notwendigkeit der gewerblichen Schau eingeschärft wird. Aber zugleich diente sie 
gewiß der Tendenz, den Handwerker von dem Kaufmann unabhängig zu halten. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 599 


Frage, ob die Lieferanten des Ruland’schen Handlungshauses durch- 
weg städtische Handwerker oder neben solchen auch Landleute ge- 
wesen sind, mag hier unbeantwortet bleiben. Weiter in das Mittel- 
alter zurück reichen die von Stieda verwerteten Nachrichten über 
Abweichungen vom strengen Zunfthandwerk in der Böttcherei, die 
mit dem großen Heringshandel der Hanseaten zusammenhängen. 
Diese Abweichungen sind indessen in den neueren Jahrhunderten 
kaum stärker, eher geringer geworden. Ueberdies betreffen sie nur 
ein lokal beschränktes Gebiet. Wichtiger ist das Schicksal der 
Klingenschmiede und der Messermacher in Solingen, die im 17., teilweise 
schon im 16. Jahrhundert unselbständige Lohnarbeiter werden; frei- 
lich ist auch dies ein lokaler Vorgang. Die von Stieda erwähnten 
Kämpfe im Hutmachergewerbe erheben sich wohl kaum über mittel- 
alterliche Gegensätze und endigen außerdem mit einem Siege der 
Zunftverfassung (im 17. Jahrhundert). Er weist ferner auf die Um- 
wandlungen innerhalb der Textilbranche hin, die sich seit dem Aus- 
gang des Mittelalters vollziehen !!?). Bei ihnen haben wir es zweifellos 
mit den lokal am weitesten greifenden Abweichungen vom mittel- 
alterlichen System zu thun. Sie sind denn auch von anderen 
Forschern eingehender, sogar in besonderen Monographien, behandelt 
worden 13), Die Geschichte der Ulmer Barchentindustrie hat E. Nüb- 
ling, Ulms Baumwollweberei im Mittelalter (Schmoller’s Forschungen 
IX, 5) erzählt!!4). Ulmer Kaufherren beschäftigten Landleute, die 
neben der Weberei zugleich Landwirtschaft trieben !15). Ihre Barchent- 
produktion erreichte einen außerordentlichen Umfang ; aber die Thätig- 
keit der „Gäuweber“ 116) rief den heftigen Unwillen der zünftigen 


112) Uebrigens haben wir es auch hier teilweise mit Gegensätzen zu thun, die 
schon dem Mittelalter bekannt waren und gewissermaßen in der Natur der Sache lagen. 

113) Um bei dieser Gelegenheit ein paar Nachrichten über Städte, deren Gewerbe- 
geschichte noch nicht monographisch behandelt worden ist, zusammenzustellen, so lesen 
wir bei P. v. Stetten, Geschichte der reichsfreien Stadt Augsburg, Bd. 1, S. 703 und 
779, daß einige Kaufleute den Färbern ihren Arbeitslohn mit allerhand Waren (Farb- 
und anderen Waren) und noch dazu zu einem zu hoch angesetzten Preise bezahlt haben 
(es wird deshalb eine Untersuchung gegen sie angestellt). Buff, Augsburg in der Re- 
nuissancezeit, S. 92 hebt hervor, daß, während bei den meisten Handwerken die Zahl 
der Meister viel größer als die der Gesellen ist, sich bei den Bleichern 4 Meister und 
83 Gesellen finden. Dieselbe Thatsache erwähnt Hartung, Jahrbuch für Gesetzgebung, 
Bd. 19, S. 850 Anm. 4, knüpft aber daran eine zu weit gehende Generalisation. Der 
Rat von Ravensburg traf schon im Mittelalter Bestimmungen über den Fall, daß je- 
mand „sein Geld auf Leinwand leihen will“. Hafner, Geschichte der Stadt Ravens- 
burg, S. 135. Den (zünftigen) Stadtwebern in Memmingen und Biberach droht eine 
Zeit lang die Konkurrenz der Gäuweber (im 15. Jahrhundert). Es gelingt ihnen jedoch 
bald, deren Abtreibung durchzusetzen und ihr Zunftmonopol zu behaupten. Nübling, 
Ulms Baumwollweberei im Mittelalter, S. 149 f. 

114) Vergl. dazu neuerdings Al. Schulte a. a. O., Bd. 1, S. 646. 

115) Nübling, S. 148. 

116) Nach Nübling, S. 145 erhalten in der früheren Zeit die Weber als Lohn- 
weber die Baumwolle von den Wollherren zum Weben; später dagegen „fungiert viel- 
fach der Weber als selbständiger Unternehmer, kauft die Wolle vom Wollherrn, läßt 
sie spinnen, verwebt sie und verkauft dann den rohen, d. h. ungebleichten Barchent 
wieder an den Barehenthändler, trägt also das ganze Risiko der Produktion.“ Die Lage 
der Güuweber würde sich hiernach also im Laufe der Zeit nicht verschlechtert haben, 
sondern wäre, wenigstens vielfach, eine selbständigere geworden. 


600 G. v, Below, 


Stadtweber hervor, die den Rat gegen die verderbliche Konkurrenz 
in Bewegung zu setzen suchten. Dieser nahm indessen die Partei der 
Kautleute. Lange hat jedoch die Ulmer Großindustrie nicht geblüht. 
Sie fiel zwar nicht den heimischen Handwerksmeistern, sondern aus- 
wärtiger Konkurrenz (namentlich der der Fugger’schen Weber aus 
Weißenhorn) zum Opfer (seit den dreißiger und vierziger Jahren des 
16. Jahrhunderts) 117). Geering, Handel und Industrie der Stadt 
Basel, S. 359 ff. schildert, wie die Mitglieder der Handelszunft „zum 
Schlüssel“, der alten Gewandschneiderzunft 118), eine größere Industrie 
zu begründen suchen, wie aber die Weber ihnen widerstreben und 
wie diese — im Zusammenhang mit einem allgemeinen großartigen 
Siege der Zünfte — das entschiedene Uebergewicht erlangen. Die 
betreffenden Kämpfe fallen in das ausgehende 15. und die erste 
Hälfte des 16. Jahrhunderts. Von da ab herrscht die zünftige Arbeit 
in der Stadt Basel. Allerdings kommt nachträglich wieder eine Groß- 
industrie daselbst auf. Allein diese sieht sich genötigt, ihre Arbeiter 
außerhalb der Stadt zu suchen 115*). Tröltsch giebt in seinem Buch 
„über die Calwer Zeughandlungskompagnie und ihre Arbeiter“ die 
eingehendste und gründlichste Darstellung, die bisher ein Zweig der 
in den neueren Jahrhunderten aufkommenden Großindustrie gefunden 
hat. In Württemberg entfaltet sich das neue Gewerbe der Zeug- 
macherei aus der städtischen Tuchmacherei !!°?) und zwar in der 
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Bei dieser Entwickelung spielt 
einmal die Mode eine sehr wesentliche Rolle, indem man sich in 
jener Zeit in ganz Mittel- und Süddeutschland von den Tuchen den 
Zeugen zuwendet 12°). Sodann ahmt Württemberg das in der Nach- 
barschaft, insbesondere im Badischen Pforzheim, schon angenommene 
Verlagssystem nach; es zeigt den Wunsch, den außerwürttembergischen 
Händlern ihr Geschäft abzuschneiden 1211. Unter den Verlegern 
spielen die Färber die Hauptrolle!??). Sie bringen die anderen 
Personen, die bei der Produktion beteiligt sind, in Abhängigkeit. 
Diese Gestaltung der Dinge beschränkt sich freilich auf einen Teil 
Württembergs, „das Schwarzwaldgebiet und den größten Teil des 
sogenannten Gäus (Herrenberg und Böblingen) bis gegen den Schön- 
buch hin“ +23). Hier ist der Sieg der Verleger um 1612 entschieden. 


117) Nübling, S. 159. Nur eine dürftige Existenz führte die Ulmer Barchent- 
weberei noch im 17. Jahrhundert. 

118) Vergl. meine Großhändler und Kleinhändler im deutschen Mittelalter, in diesen 
Jahrbüchern, Bd. 75, 8. 17. 

118a) Auch die Frankfurter Kapitalisten haben ihre industriellen Anlagen außer- 
halb des Stadtgebictes begründet. Ein Hauptgrund dafür war ebenfalls die in der 
Stadt herrschende zünftlerische Organisation. Darmstädter, Das Großherzogtum Frank- 
furt (Frankfurt a. M. 1901), S. 291, 

119) Tröltsch, S. 10. 

120) Tröltsch, S. 18. 

121) Tröltsch, S. 19. 

122) Tröltsch, S. 20 und 28. Wie ein einzelner Fürber in Konstanz schon in der 
ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu einer solchen Stellung gelangt, darüber s. Gothein, 
Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1, 8. 523. 

123) Tröltsch, S. 29. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 601 


Im ganzen übrigen Württemberg bleibt die Zeugmacherei wie die 
Tuchmacherei Handwerksbetrieb. Die Vereinigung der Verleger zu 
der Calwer Zeughandlungskompagnie fällt in das Jahr 1650124), 
Dieselbe hat bis zum Ende des 18. Jahrhunderts bestanden. Die 
Beziehungen der Kompagnie zu den von ihr abhängigen Webern 
sind durch die sogenannte „Moderationsverfassung“ geregelt; sie 
bedeutet die Gebundenheit der Zeugmacher (ländlicher wie städtischer) 
gewisser Distrikte an die Calwer Kompagnie. Die abhängigen Weber 
sind, soweit ihr Verhältnis zu der Kompagnie in Betracht kommt, 
der alten Zunftverfassung entrückt; in anderen Beziehungen gelten 
aber für sie wie für die freien Weber manche Schranken der Hand- 
werkerverfassung. Gothein würdigt in seiner Wirtschaftsgeschichte 
des Schwarzwaldes eingehend das Aufkommen der Großindustrie auf 
verschiedenen Gebieten, besonders auch das in der Textilbranche. 
Er spricht die Ansicht aus (S. 35), daß „die ursprüngliche Gestalt 
der Großindustrie die Handelsvormundschaft ist“. Der Ausdruck 
Handelsvormundschaft wird, obwohl er etwas der Sache Wesentliches 
gut hervorhebt, besser vermieden, da man ihn auch in anderem 
Sinne gebraucht '?®). Bleiben wir also bei der Bezeichnung Ver- 
legertum. Richtig wird es sein, daß dieses die älteste nachweisbare 
Form der Großindustrie ist!?®). Indessen ist doch der gewerbliche 
Großbetrieb nicht viel jünger. Bekanntlich hat im Jahre 1391 der 
Nürnberger Patrizier Ulman Stromer eine Papiermühle angelegt, 
zweifellos die erste, die Deutschland erhalten hat 127). Er beschäftigte 
in ihr im ganzen 12 Arbeiter — das ist eine Zahl, welche für mittel- 
alterliche Verhältnisse einen Großbetrieb ersten Ranges darstellt. 
Die Papierproduktion ist wohl auch weiterhin regelmäßig in der 
Form des Großbetriebes erfolgt!*®). Ueber die Verbreitung der 
Großbetriebe überhaupt äußert sich Gothein !?°) dahin, daß sie „zu- 
nächst nur da möglich waren, wo neue Gewerbe mit schwer erlern- 
barer Technik, die alsbald auf einen weiten Absatzkreis spekulierten, 
rasch in die Höhe kamen“. Für die Papiermacherei trifft diese Er- 
klärung unzweifelhaft zu. Sie gilt ferner großenteils für den Buch- 


124) Tröltsch, S. 55. 

125) Vergl. Wilh. Stolze, Zur Vorgeschichte des Bauernkrieges (Schmoller’s Forsch» 
ungen, XVIII, 4), S. 47. 

126) Gothein, 8. 35 verweist namentlich auf die seit dem 14. Jahrhundert be- 
stehende Organisation in dem Konstanzer Leinwandhandel. Ganz schlüssig ist seine 
Beweisführung hier übrigens nicht. 

127) Chroniken der deutschen Städte, Bd. 1, S. 77 f. und 474. Geering a. a. O., 
S. 286 f. 

128) Vergl. Geering, S. 287 f. Hafner, Geschichte von Ravensburg, S. 275, 327, 
440, 606. Al. Schulte, Geschichte des mittelalterlichen Handels und Verkehrs zwischen 
Westdeutschland und Italien, Bd. 1, S. 623 und 663. Die früher weit verbreitete An- 
sicht, daß Ravensburg die erste Papiermühle in Deutschland gehabt habe (s. z. B. 
Theodor Herberger, Augsburg und seine frühere Industrie [Augsburg 1852], S. 17), ist 
irrtümlich. Ueber die Papierindustrie vergl. ferner Pauli, Lüb. Zustände 3, 3: 
Siewert, Rigafahrer in Lübeck, S. 191 (vor 1425). 

129) Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1, 8. 29. Achnlich Stieda bei 
Roscher a. a. O., S. 726. 


602 G. v. Below, 


druck 13°). Man kann von ihr aber auch bei der Frage nach der 
Verbreitung des Verlegertums in gewissem Sinne Gebrauch machen. 
Wenigstens wies der Ulmer Stadtrat die Ansprüche der Weberzunft 
auf das Barchentmonopol mit der Motivierung zurück, der Barchent 
sei ein fremdes Gewirk und gehöre überhaupt gar keiner Zunft; 
d. h.: die Barchentweberei sei nicht einer von den seit alters von 
den städtischen Zünften mit Beschlag belegten Berufen, sondern 
etwas neu Importiertes #1). Andererseits sind die Gewerbe, in denen 
Großbetriebe aufkommen, nicht bloß die neuen, vielmehr auch manche 
alte, So verfällt vor allem der Bergbau dem Großbetrieb !3?). In 
anderen alten Gewerben finden sich wenigstens einzelne Beispiele 
desselben. Aus Worms!3?) hören wir von einem (im Jahre 1514 
wegen Aufruhrs hingerichteten) Kürschner, daß er „gemainlichen 12, 
14, 16, 13 und daruber knecht gehalten“ und daß „auch vil ander 
kursner kursenwerk zwischen Frankfurter messen bei ime kauft 
haben“ 184), Es liegt auf der Hand, daß wir es hier mit einem 
wirklichen Großbetriebe zu thun haben !?5), der sich an das alte 
Handwerk anschließt, gewissermaßen auf einer Erweiterung desselben 
beruht. Die vorhin erwähnte große Ausdehnung der hansischen 
Böttcherei zeigt, wie bemerkt, das Verlegertum; vielleicht aber sind 
daneben auch schon industrielle Großbetriebe einzelner Böttcher- 
meister vorgekommen. Gothein glaubt Beispiele von Großbetrieben 
in der Metzgerei konstatieren zu können !3®), Indessen sind es 
doch durchaus Ausnahmen, wenn wir innerhalb der alten Gewerbe 
Großbetriebe finden. Soweit die Großindustrie in ihnen Platz greift, 
geschieht es vom Ende des Mittelalters bis ins 18. Jahrhundert ganz 
überwiegend in der Form des Verlegertums !37). Wenn wir hiermit 


130) Vergl. Roscher-Stieda a. a. O., S. 728 Anm. 2 über die gewaltige Ausdehnung 
der Druckerei des im Jahre 1513 verstorbenen Nürnberger Bürgers A. Koberger. — 
Ein anderes Beispiel eines neuen Gewerbes, in dem der Großbetrieb Anwendung findet, 
liefert die Sammetweberei. Nübling, S. 161 Anm. 2. 

131) So im 15. Jahrhundert. Nübling, S. 149, 

132) Vergl. Gothein, S. 30 ff. und S. 667 ff. 

133) Quellen zur Geschichte der Stadt Worms, herausgeg. durch H. Boos, Bd. 3 
(Monumenta Wormatiensia), S. 647 Anm. 1. 

134) Beachtenswert ist es auch, daß dieser Kürschner nach dem bei Boos a. a. O. 
mitgeteilten Inventar über seinen Nachlaß ein sehr bedeutendes Warenlager besessen hat. 

35) Wenn man mit Hasbach (vergl. meine Theorien der wirtschaftlichen Ent- 
wickelung, S. 61 Anm. 2) den Begriff der lokalen Arbeitsvereinigung als wesentlichen 
Bestandteil des Begriffs Fabrik ansieht, wird man kein Bedenken tragen, den Groß- 
betrieb jenes Kürschners Fabrikbetrieb zu nennen. Bücher wird dagegen von seiner 
Definition des Wortes Fabrik aus ihn nicht so bezeiehnen. Entstehung der Volks- 
wirtschaft, 2. Aufl., 8. 154 (3. Aufl., S. 204). 

136) Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1, S. 501: die Metzgerei habe 
sich in Freiburg i. B. (im 16. Jahrhundert) infolge der Fleischtaxen als Großgewerbe 
entwickelt. Ueber Beispiele des Großbetriebes in anderen Berufen s. ebenda S8. 856 
s. v. Großbetrieb. 

137) Ueber die Verbreitung des Verlegertums und der Hausindustrie im 17. und 
18. Jahrhundert s. Stieda, Entstehung der deutschen Hausindustrie, S. 129 ff. Es mag 
hier hervorgehoben werden, daß die viel genannte, im Jahre 1685 herausgegebene 
Schrift „Entdeckte Goldgrube in der Accise“ die hausindustrielle Betriebsform nament- 
lich gegenüber dem Fabriksystem rühmt. Stieda, S. 130. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 603 


die sachlichen Grenzen der Verbreitung der Großindustrie beschrieben 
haben, so dürfen wir hinsichtlich des numerischen Verhältnisses 
sagen, daß die Zahl der großindustriellen Unternehmungen in den 
ersten Jahrhunderten der Neuzeit noch immer eine ziemlich be- 
scheidene bleibt. Die Großbetriebe (Fabriken) — innerhalb der an- 
gegebenen sachlichen Grenzen — mehren sich etwas seit den letzten 
Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts infolge der Anregungen, die die 
um ihres Glaubens willen aus den Niederlanden, Frankreich und 
teilweise Italien vertriebenen Protestanten !?®) gaben. Allein ein er- 
heblicher Fortschritt tritt doch wohl erst im 18. Jahrhundert mit 
den unter dem Einfluß des Merkantilsystems begründeten Fabriken 
ein, die der Mehrzahl nach teils staatliche Begünstigung erfuhren, 
teils direkt staatliche Unternehmungen waren 139), und die deshalb 
auch vielfach einen künstlichen Charakter zeigen 140), Unternehmungen 
von Verlegern kommen seit dem Ausgang des Mittelalters häufiger 


— 


138) Vergl. z. B. Geering, Handel und Industrie der Stadt Basel, 8. 449 ff.; 
Gothein a. a. O., S. 46 ff., 565 und mehrfach; Tröltsch a. a. o. S. 3f; Roscher- 
Stieda a. a. O., S. 729. — Uebrigens sind die Anregungen, die Deutschland von Süden 
und Westen erhalten hat, bekanntlich älter als die Hugenottenzeit , und auch in ihr 
gehen sie nicht bloß von einwandernden Protestanten aus. Vielfach erfolgt der Aus- 
tausch in der Weise, daß Deutsche ins Ausland wandern und von dort die bessere 
Kenntnis heimbringen. Ueber die Italiener als Lehrmeister der Deutschen des Mittel- 
alters in der Papierindustrie s. Geering, S. 286 ff. und Al. Schulte, Bd. 1, S. 623 
Anm. 1. Vergl. ferner Nübling, S. 161 Anm. 2; G. v. d. Ropp, Hansische Geschichts- 
blätter 1892, S. 174 ff.; Stieda, Hausindustrie, S. 125. E. O. Schulze, Die Kolonie- 
sierung und Germanisierung der Gebiete zwischen Saale und Elbe, 8. 234 Anm. 3 
(dazu Tröltsch, S. +). Bei der Umwandlung des Betriebes im Bauwesen — im Mittel- 
alter erfolgt die Ausführung der Bauten durch zünftige Handwerker (vergl. meine 
Theorien der wirtschaftlichen Entwiekelung, S. 54 Anm. 3) — spielen die Ausländer auch 
eine groBe Rolle. Ueber die Verwendung italienischer Architekten im 16. Jahrhundert 
s. Histor. Zeitschr., Bd. 75, S. 429. Ueber die allmähliche Einschränkung des Monopols 
des zünftigen Handwerksmeisters im Bauwesen vergl. Hansische Geschichtsblätter 1897, 
S. 49. Es bedarf übrigens ja keiner Beweisführung , daß der Klein- und Mittelbetrieb 
sich hier noch in bedeutendem Umfang behauptet hat. Noch im Jahre 1760 entschied 
das Wismarsche Konsulat, daß Schiffsarbeit nur von dem ganzen Reiferamte gemein- 
schaftlieh und nicht von einzelnen Meistern zu übernehmen und zu verrichten sei. Han- 
sische Geschichtsblätter, 1897, 8. 104. Vergl. diese Jahrbücher, Bd. 75, S. 47. 

139) Die Litteratur über diesen Gegenstand ist so groß, daß sie hier auch nicht 
annähernd vollständig eitiert werden könnte. Um einige Beispiele zu geben, sei auf 
Koser, König Friedrich der Große, Bd. 1, S. 429 ff., v- Bassewitz, Die Kurmark Branden- 
burg vor 1806, S. 444, Roscher-Stieda, S. 729, Schüz, Ztschr. für die gesamte Staats- 
wissenschaft, Bd. 6, S. 297 hingewiesen. 

140) Sehr ungünstig äußert sich hierüber v. Bassewitz a. a. O., S. 457 f. Tröltsch, 
Histor. Vierteljahrssehrift, Bd. 3, Jahrgang 1900, S, 138 urteilt über die Fabrikgrün- 
dungen des 18. Jahrhunderts in Berlin, es handle sich „um künstliche Pflanzungen, 
deren Lebensfähigkeit nur ausnahmsweise die Stürme der napoleonischen Kriege über- 
dauerte.“ Wir werden freilich darin, daß wirtschaftliche Unternehmungen bei gewal- 
tigen politischen Erschütterungen zurückgehen, noeh keinen unzweifelhaften Beweis für 
ihren Mangel an Lebensfähigkeit sehen dürfen. Uebrigens aber ist es für den Zusam- 
menhang unserer Untersuchung nicht notwendig, eine allgemeine Würdigung der merkan- 
tilistischen, hier speeiell der Friderieianischen Politik zu versuchen. Wir haben nur 
die einfache Thatfrage zu beantwarten, wie weit man sich in den neueren Jahrhunderten 
vom alten Handwerk entfernt hat. Ueber die Berechtigung der Pflege der Großindustrie 
im merkantilistischen Zeitalter vergl. einerseits Schmoller, Umrisse , a 530 ff. anderer- 
seits Gothein, Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein, Heft 58, S. 198 ff. 


604 G. v. Below, 


vor als Fabriken. Aber „bisweilen mußte die Großindustrie von 
Positionen, die sie schon erobert zu haben glaubte, noch zurück- 
weichen t41), Immer wurde durch sie der Kreis des zunftmäßigen 
Handwerks nur eingeschränkt, nicht dieses selber umgewandelt“ 1+2). 
Es dürfte hier für die Interpretation der Quellen der Gewerbe- 
geschichte eine allgemeine Bemerkung nicht überflüssig sein. In der 
Gegenwart ist die Neigung sehr verbreitet !‘3), bei jeder Nachricht, 
die einen Gegensatz zwischen Altem und Neuem anzudeuten scheint, 
ohne viel Ueberlegung „Verfall“, „Zersetzung“, „Auflösung“ des Alten 
zu wittern. Auf einem solchen Wege würde es ein leichtes sein, 
bereits für das Ende des Mittelalters die völlige Auflösung des 
Zunftwesens zu demonstrieren 1%). Ja, wir müssen sogar hinzu- 
fügen: schon für das echte und rechte Mittelalter ließe sich ein 
derartiger Beweis führen. Wir haben uns jedoch daran zu erinnern, 
daß kaum einmal ein System absolut herrscht, daß es regelmäßig 
gilt Gegensätze zu überwinden. Ein System, eine Tendenz wird nur 
immer die Vorherrschaft ausüben. Und gerade bei dem Zunftwesen 
des Mittelalters wird jeder Forscher, je mehr er sich in jene Zeiten 
vertieft, um so deutlicher erkennen, daß es seine Geltung Kämpfen 
verdankt, keineswegs reines „Naturprodukt“ ist145), dem etwa, 
nachdem seine Periode abgelaufen war, kraft derselben Natur- 
gewalt ein anderes System folgte. Man hat mit Recht den mittel- 
alterlichen Zünften von ihrem ersten Bestehen an eine antikapita- 
listische Tendenz zugeschrieben !*®). Wir dürfen uns deshalb nicht 
wundern, wenn im weiteren Verlauf ihrer Geschichte immer und 
immer Mächte auftauchen, die sich ihnen nicht fügen wollen. Auch 
schon im Mittelalter mußten die Zunftmeister beständig auf ihrer 
Hut sein, um die Vorherrschaft ihres Betriebes zu behaupten. Was 
wir nun seit dem Beginn der Neuzeit von Gegensätzen gegen das 
Zunftwesen beobachten, das hat sehr oft keinen wirklich neuen 
Charakter; es finden sich vielmehr genug Analoga solcher Differenzen 
schon im Mittelalter. 

Wir werden über die maßgebende Stellung, die das Zunftwesen 
auch in den neueren Jahrhunderten eingenommen hat, noch größere 


141) S. z. B. oben S. 599 Anm. 113 über Memmingen und Biberach und unten 
die Beispiele über den Kampf des Handwerks gegen die Großindustrie. Auch inner- 
halb der gewerblichen Großbetriebe hat manches Unternehmen nur ein kurzes Leben. 
Nübling, S. 161 Anm. 2. 

142) Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1, S. 437, mit beson- 
derem Bezug auf das 18. Jahrhundert. 

143) Vergl. diese Jahrbücher, Bd. 75, S. 37. 

144) Solche Fälle der Gefahr einer Bildung von Großbetrieben, wie sie Stieda im 
Histor. Taschenbuch, Jahrgang 1855 (z. B. S. 330 ff.) schildert, konnten wohl auch im 
Mittelalter vorkommen. 

145) Vergl. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, S. 63 ff. (über 
die Entstehung der mittelalterlichen Stadtwirtschaft), 

146) Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1, S. 28. Vergl. dazu 
meine Theorien der wirtschaftlichen Entwiekelung, S. 71 Anm. 2. Man wird freilich 
darüber streiten können, in welchem Maß die antikapitalistische Tendenz bei der ersten 
Begründung der Zünfte mitgewirkt habe. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 605 


Klarheit gewinnen, wenn wir jetzt die Haltung der Staatsgewalt in 
den Kämpfen zwischen Handwerk und Großindustrie in den Grund- 
zügen zu schildern versuchen. 

Manches, was in dieser Hinsicht lehrreich ist, haben wir schon 
zu erwähnen Gelegenheit gehabt. Es sei namentlich an die Entschei- 
dungen der städtischen Regierungen in Ulm und Basel erinnert: 
dort zu Gunsten des Kaufmanns, der Großindustrie, hier!) zu 
Gunsten des Handwerks. Beide Male wurden die Entscheidungen 
von städtischen Republiken, von Reichstädten getroffen. Je nachdem 
die Kaufleute oder die Handwerker zu maßgebendem Einfluß in der 
städtischen Verwaltung gelangt waren, ergriff man diese oder jene 
Wirtschaftspolitik. Weniger einfach liegen die Verhältnisse in den 
Territorien. In ihnen hat es die Regierung mit komplizierteren In- 
teressengegensätzen zu thun; die Politik der Landesherren zeigt nicht 
so radikale Umschläge wie die städtische. Im ganzen darf man sagen, 
daß die territoriale Gewerbepolitik der Hauptsache nach unter dem 
Einfluß der mittelalterlichen Tradition, nämlich der der Stadtwirt- 
schaft, steht und in dieser durch die Rücksichten, die die territoriale 
Steuerpolitik ihr auferlegt, festgehalten wird. Ein charakteristischer 
Fall mag hier aus dem Herzogtum Jülich 4) erörtert werden. 

Im Jahre 1539 erhob die Stadt Düren Beschwerde darüber, daß 
durch die einem gewissen Clemens gehörige Kupfermühle Holz und 
Kohlen verteuert würden. Darauf entschied die Herzogliche Regierung 
folgendes: Clemens soll „gein holz oder koelen mit wagen oder 
karren van den anbrengeren oder zufoereren gelden noch gebruichen; 
sonder, wes ime so zuqueme, sol er abwisen und nit annemen; aber, 
wes ime van m. g. h. of anderen uf dem stock van eigen buschen 
an schlagholz verkouft wurde, ungeferlich zu dri, vier und zom aller- 
hochsten vunf morgen zu, jarlichs verbruichen mogen. Und notturf- 
tige holzkoelen sullen ime durch einen koller zom hochsten jarlichs 
zu 18 wagen zugefoert werden. Und sunst sol er gein holz oder 
holzkolen gebruichen, usgescheiden wachholter- und ginzteren- 
Schanzen, ... Und damit die holzkoelen nit zu hoech verduirt, wil 
hochg. m. g. h. bevelhen, das geine holzkoelen us dem . . . lande 
van Gulich gefoirt sullen ‘werden, doch nach befinden . . . siner f. g. 
solichs zu veranderen und das den undertanen auch geburliche beza- 
long nach der werde geschehe.* 

Wie man sieht, wird hier eine Entscheidung gefällt, die sich 
durchaus im Rahmen der mittelalterlichen Stadtwirtschaftspolitik hält: 
Wenn für den Holz- und Kohlenverbrauch ein Maximum festgesetzt 
wird, so ist dies eine Maßregel, die der städtischen Verwaltung des 
Mittelalters ganz geläufig (st Dn. Wenn die große Entwickelung einer 
Industrie die für den täglichen Bedarf unentbehrlichen Waren ver- 
teuert, so hält die Obrigkeit sich für berechtigt und verpflichtet, sie 


147) Ueber die ähnlichen Fälle in Biberach und Memmingen s. oben $S. 599 
Anm. 113. 

148) S. meine Landtagsakten von Jülich-Berg, Bd. 1, S. 234. 

149) Hansische Geschichtsblätter 1397, S. 83 f. 


606 G. v. Below, 


zu hindern. Wie der Kölner Stadtrat das blühende Gewerbe der 
Kunsttöpferei mit Rücksicht auf die durch sie herbeigeführte Teuerung 
des Brennholzes (und die Feuergefährlichkeit des Betriebes) gewaltsam 
vernichtete und die Krugbäcker zur Auswanderung trieb 1%), so be- 
seitigt der Jülicher Landesherr jenen Großbetrieb zwar nicht, redu- 
ziert ihn aber auf einen bescheideneren Umfang. In der verhält- 
nismäßigen Duldung, die er ihm gewährt, wird man kaum eine 
Abweichung vom mittelalterlichen System sehen dürfen. 

Die territoriale Gewerbepolitik des 16. Jahrhunderts nimmt wohl 
durchweg den Standpunkt ein, den der Jülicher Herzog dort vertritt. 
Aber auch noch im 17. ändert sie sich nicht, bis strengere merkan- 
tilistische Anschauungen zur Herrschaft gelangen. In den Territorien 
wie in den Reichsstädten 151) befreundet man sich sehr langsam mit 
der neuen Betriebsweise. Wenn in Württemberg die Kalwer Zeug- 
handlungskompagnie über die freien Handwerker siegt, so sind ihre 
Mittel Täuschung der Regierung und die württembergische Vettern- 
wirtschaft 152). 

Seit dem Ausgang des 17. Jahrhunderts, seit dem Anschluß an 
strengere merkantilistische Grundsätze sind die Regierungen, sind 
wenigstens einzelne Fürsten oft sehr energisch für die Großindustrie 
gegen die Zünfte eintreten 1791. Aber im allgemeinen hat man doch 
die groRindustriellen Unternehmungen als eine Abweichung von dem 
normalen, wünschenswerten Zustand der Dinge empfunden 154), Auch 
Schmoller bestreitet dies nicht. Er beschreibt die Stellung der 
preußischen Regierung im 18. Jahrhundert in folgender Weise: 
„Man könnte sagen, die Gesetzgebung habe die Ausbildung größerer 
Geschäfte und ihre Konkurrenz untereinander fördern oder nicht 
hindern wollen, habe aber doch jede Wendung zum spekulativ-kapi- 
talistischen Betrieb unter dem Handwerk noch als ein Uebel ange- 
sehen 155).* 

Ohne den zähen Widerstand der Zünfte hätte die Großindustrie 
zweifellos mehr Terrain gewonnen. In ihrem Kampfe gegen dieselbe 
kam ihnen nicht bloß die Haltung der Regierungen zu statten, sondern 
auch ihre vom Mittelalter ererbte wirtschaftliche Organisation. Für 
einzelne Gewerbe, die ohne größeres Anlagekapital "nicht betrieben 
werden konnten, waren im Mittelalter Anstalten zu gemeinsamer 
Benutzung errichtet worden, die sich entweder im Eigentum der 
Stadt oder in dem der Zünfte befanden 155°). Durch sie erhielt der 


150) Korrespondenzblatt der Westdeutschen Zeitschrift, 1899, Sp. 87. 

151) Ueber das 17. Jahrhundert s. z. B. Roscher-Stieda, S. 729. 

152) Tröltsch, S. 73, 80, 84 f. 

153) Vergl. z. B. Koser, Friedrich d. Gr., Bd. 1, S. 432, 

154) Vergl. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1, S. 438. 

155) Umrisse, S. 452. Schmoller äußert sich daselbst weiter über die Stellung der 
Kaufleute, von der er meint, daß sie im Verkauf von Produkten des Handwerks freiere 
Bewegung erhielten. Hierzu nachher noch ein Wort. 

155a) Vergl. Schönberg, Jahrbücher für Nationalökonomie, Bd. 9, S. 113. Diese 
Thatsache wird in dem oben 8. 597 Anm. 106a erwähnten Aufsatze von Martin nicht 
genügend gewürdigt. 


(Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 607 


einfache Handwerksmeister die Vorteile, die sonst großer Kapital- 
besitz gewährt. Solche gemeinsamen Anstalten sind nun auch in 
den neueren Jahrhunderten bestehen geblieben, ja öfters neu ange- 
legt worden 15%5°) und haben die Zünfte im Kampf gegen die Groß- 
industrie unterstützt 155°), 

Ein Schüler Schmollers, Ed. Otto. schildert den Zustand des 
18. Jahrhunderts mit den Sätzen: „Unter dem Einflusse des fürst- 
lichen Absolutismus und seiner merkantilen Wirtschaftspolitik trat 
neben das zünftige das freie 155) Handwerk, neben den handwerks- 
mäßigen Kleinbetrieb die „Industrie“, d. h. der hausindustrielle und 
der fabrikmäßige Mittel- und Großbetrieb. Die Kundenproduktion #5?) 
trat allmählich zurück, zwischen den Gewerbetreibenden und den 
Kunden schob sich mehr und mehr der zur Zeit der Zunftblüte ver- 
pönte Zwischenhändler ein.“ 

Es scheint mir, daß in diesen Worten das Verhältnis, welches im 
18. Jahrhundert zwischen Handwerk und Großindustrie bestanden 
hat, doch nicht ganz richtig ausgedrückt ist. Gewiß gehört es zu den 
schwierigsten Aufgaben, große und komplizierte Verhältnisse in einer 
einfachen Formel zusammenzufassen, und wir wollen darum keine 
Splitterrichterei treiben. Indessen ist es doch ein tieferer sachlicher 
Gegensatz, wenn wir sagen, es hätte der handwerksmäRige Betrieb 
als der noch überwiegende, die Kundenproduktion als die noch vor- 
herrschende bezeichnet werden müssen. Der Zwischenhändler ist im 
18. Jahrhundert zwar nicht in dem Maße wie in früheren Jahrhun- 
derten verpönt gewesen; aber für viele Waren schloß ihn die Ge- 
werbeverfassung des 18. noch aus 158). Die Schilderung Otto’s dürfte 
mehr für das 19. als für das 18. Jahrhundert zutreffen 15°). 

Schmoller +°) sagt über das 18. Jahrhundert: „Seit dem 15. 
und 16. Jahrhundert hatte der größere interlokale Absatz dahin ge- 
drängt, daß der Handwerker nicht mehr alle seine Produkte selbst 
verkaufe. ... Der große Schritt der Arbeitsteilung, daß der Hand- 
werker technisch produziere, der Kaufmann den Vertrieb besorge, 
. . . mußte gemacht werden.“ Und ferner über das 16. Jahr- 
hundert 61): „Allerwärts drängte das Arbeiten für entfernteren Ab- 


155b) Geering, Handel und Industrie der Stadt Basel, S. 395. 

155e) Ueber die Stellung der Händler und der Kupfermühlenbesitzer zu den 
Kupferschmieden und die Wahrung des Zunftinteresses im 17. Jahrhundert vgl. Krumb- 
holtz, Gewerbe der Stadt Münster, Einleitung, S. 213. 

156) Uebrigens ist es wohl richtiger (vgl. die Darstellung von Tröltsch), die zünf- 
tiren Handwerker freie Handwerker zu nennen, im Gegensatz zu den von einem Groß- 
industriellen abhängigen. 

156a) Zur allgemeinen Würdigung der historischen Stellung der Kundenproduktion 
vergl. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, S. 41 ff. 

157) Eduard Otto, Das deutsche Handwerk in seiner kulturgeschichtlichen Ent- 
wickelung (Leipzig 1900), S. 105. - 

158) Schmoller, Umrisse, S. 425 macht meines Erachtens einen zu scharfen Unter- 
schied zwischen dem Mittelalter und dem 18. Jahrhundert. 

159) Ein dem Otto’schen entgegengesetztes allgemeines Urteil fällt Schüz a. a. O., 
S. 297. Richtiger als Otto Gothein, S. 437. 

160) Umrisse, S. 426. 

161) Straßburger Tucher- und Weberzunft, S. 520. 


608 G. v. Below, 


satz auch zu einer anderen Organisation des ganzen Gewerbes; das 
Befahren der Messen durch den Weber selbst wurde seltener.“ Hier- 
zu wäre folgendes zu bemerken. Der interlokale Verkehr bildet auch 
schon im Mittelalter ein konstitutives Element im wirtschaftlichen 
Leben 1991. Auch das mittelalterliche Handwerk konnte, selbst in 
seiner alten Verfassung, bis zu einem gewissen Grade für den ent- 
fernteren Absatz arbeiten. Ein erheblicher Export war möglich ohne 
Verlegertum und industriellen Großbetrieb 16%). Zuzugeben ist, daß 
bei wesentlicher Steigerung des entfernteren Absatzes die alte Hand- 
werksverfassung schwer gelitten haben würde. Allein es läßt sich 
für Deutschland eine bedeutende Zunahme des Exports im 16. und 
17. Jahrhundert doch wahrlich nicht behaupten; sogar im Laufe des 
18. findet mehr eine Minderung des Imports als eine Steigerung des 
Exports statt. Immerhin soll zugegeben werden, daß in diesem 
wenigstens innerhalb der großen deutschen Staaten der Austausch 
lebendiger wird. Ein Zug zu größerer Konzentration im Verkehr 
tritt schon seit dem Beginn der Neuzeit hervor 154). Doch darf 
man sich den Unterschied zwischen dem Mittelalter einerseits und 
dem 16. und 17., auch 18. Jahrhundert andererseits nicht zu groß 
vorstellen. Wenn Schmoller mit Recht hervorhebt, daß das Befahren 
der Messe durch den Weber selbst seltener wurde, so ist es doch 
auch wieder notwendig zu betonen, daß der Besuch entfernter Märkte 
durch den Handwerker keineswegs aufgehört hat. Sogar in Württem- 
berg, trotz der Privilegien der Kalwer Zeughandlungskompagnie, 
bringt der Handwerker teilweise selbst auf entferntere Messen sein 
Produkt zum Verkauf165), Umgekehrt sind auch im Mittelalter 
nicht alle einzelnen Handwerksmeister selbst auf die Märkte gezogen, 
haben nicht alle ihre Produkte selbst verkauft. Ein gewisser Spiel- 
raum stand bereits damals dem Zwischenhändler frei 166). Jedenfalls 
sind in Bezug auf jenen „großen Schritt der Arbeitsteilung“ das 16. 
und das 17. Jahrhundert nur wenig und das 18. noch nicht gerade 
sehr viel über das Mittelalter hinausgegangen 167). 


162) S. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, S. 55. 

163) Stieda, Hausindustrie, S. 116 bemerkt mit Recht: „Diese exportierenden Hand- 
werke änderten zunächst ihre Verfassung nicht. Sie hielten an der zünftlerischen Orga- 
nisation fest.“ Man braucht ja nur daran zu erinnern, daß im 13. Jahrhundert in 
beträchtlichem Umfang Handwerksprodukte exportiert wurden, ohne daß es eine Groß- 
industrie gab. 

164) Ueber eine in dieser Hinsicht bemerkenswerte Thatsache vergl. meine Groß- 
händler und Kleinhändler im deutschen Mittelalter, 8. 35. 

165) Tröltsch, S. 29. 

166) Es sei an die Thätigkeit erinnert, die der Hamburger Gewandschneider Vicko 
von Geldersen im Zwischenhandel entfaltet hat. 8. meine Großhändler und Klein- 
händler, S. 30 ff. 

167) Als Gegenstück zu Schmoller’s Urteil über das 16. Jahrhundert vergl. man 
Geering’s Schilderung der Baseler Verhältnisse (Handel und Industrie der Stadt Basel, 
S. 396 f.): „Noch zur Zeit der Reformation präsentiert sich uns das Zunfthandwerk in 
seiner höchsten Kraft und Lebensfülle. Und der Sieg des Kleinbetriebsprinzips, der 
dem Handwerk die bequemsten denkbaren Vorbedingungen schuf, konnte nicht anders 
als es wenigstens zeitweilig heben. , , , In Basel dauert die Blüte des Handwerks etwa 
bis 1650.“ Betreffs der späteren Zeit sei die Ansicht von Tröltsch (s. oben S. 603 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 609 


VIII. Der Handel. 


Betreffs des Handels können wir uns kürzer fassen. Unsere 
Bemerkungen über das Gäste-, das Stapelrecht, die Beherrschung 
des Landes durch die Stadt, die Vorkaufsgesetzgebung, die gewerb- 
lichen Verhältnisse haben bereits wichtige Fragen der Handels- 
verfassung zum Gegenstand gehabt. 

Wir haben gesehen, daß die Leitung der Handelspolitik mehr 
und mehr von den Städten auf die Landesherren übergeht !#8). Sie 
nehmen sich der Interessen ihrer Städte gegen die Städte fremder 
Territorien an!®8®), wofür wir einen bezeichnenden Ausdruck in der 
Ausbildung eines territorialen Gästerechts kennen gelernt haben. 
Ihre Handelspolitik ist ferner gegen das platte Land, auch gegen 
die Landleute des eigenen Territoriums gerichtet, indem sie, wenig- 
stens in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit, in dem Streit zwischen 
Stadt und Land überwiegend den Ansprüchen der Bürgerschaften 
nachgeben. Ueber den Rahmen ihrer Territorien hinaus reicht ihre 
Handelspolitik aber nicht !#®®). Das hat vor allem die Hanse er- 
fahren müssen. Das Reich war groß genug, um die Aufgabe in sich 
zu fühlen, für den deutschen Kaufmann einzutreten. Es fehlte ihm 
jedoch die Kraft. Die Landesherren sahen in den selbständigen 
Städten „lästige Durchbrechungen des landesfürstlichen Prinzips“ 15°) 
und erblickten ihre oberste Aufgabe darin, sie dem territorialen 


Anm. 140) angeführt, daß Berlin nach den Stürmen der Napoleonischen Kriege, die 
der Mehrzahl nach die unter Friedrieh Wilhelm I. und Friedrich d. Gr. gegründeten 
Fabriken zerstörten, „im ganzen wieder das Bild einer Handwerkerstadt bot.‘ 

163) Beispiele des Uebergangs der handelspolitischen Vertretung von den Städten 
auf die territorialen Regierungen bei Schmoller, S. 12 f., der übrigens mit Recht her- 
vorhebt, daß anfangs die Anregungen noch von den Städten ausgehen. Dopsch, in 
seiner inhaltreichen Besprechung von Luschin v. Ebengreuth, Die Handelspolitik der 
österreichischen Herrscher im Mittelalter, Mitteilungen des Instituts für österreichische 
Geschichtsforsehung, Bd. 16 (1895), 8. 365 f. hebt mehrere Thatsachen zur Geschichte 
der Handelspolitik der österreichischen Herrscher im späteren Mittelalter hervor: so 
die Begünstigung Triests als Handelsstadt durch nachdrückliche Betonung eines darauf 
abzielenden Straßenzwanges (1459); die Weisung Kaiser Friedrichs vom 17. Juli 1478 
an den Hauptmann von Triest darauf zu sehen, daß die Fremden, welche in Triest 
Handel und Gewerbe trieben, ihr Gut in Immobiliarbesitz daselbst festlegen sollten ; 
den Abschluß von Handelsverträgen mit dem Ausland, soweit dieselben z. B. die Auf- 
hebung des für den Handel so schädlichen Rechts der Grundruhr oder die Offenhaltung 
und Sicherung der Handelsstraßen auch für den Fall einer kriegerischen Komplikation 
der beiden vertragschließenden Mächte bezweckten (1375). So interessant diese That- 
sachen an sieh sind, so scheinen sie mir doch über den Rahmen des mittelalterlichen 
Systems kaum hinauszugehen (vergl. übrigens oben S. 457 Anm. 27). Wenn Dopsch 
meint, die Landesherren suchten darauf hinzuwirken, daß „der Handelsgewinn des 
fremden Kaufmannes dem Lande selbst zu Nutzen werde“, so ist doch wohl die Ein- 
schränkung zu machen, daß nur der Nutzen der Städte des Landes erstrebt wird. 
Vergl. über das älteste Vorkommen wirklicher Handelsverträge A. Oncken, Art. Handels- 
verträge, Handwörterbuch d. Staatsw., 2. Aufl., Bd. 4, S. 1080. 

168a) Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 45. 

168b) Die Regierung der burgundischen Niederlande (vergl. Ritter a. a. O.) kann 
als eine einfache deutsche Territorialregierung nicht angesehen werden. 

169) Vergl. die präeisen Sätze bei Dietrich Schäfer, Deutschland zur See, S. 22. 
Histor. Ztschr., Bd. 75, S. 448; Bd. 83, S. 431. 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 39 


610 G. v. Below, 


Organismus einzufügen. Eine weiter ausschauende Handelspolitik 
entfalten die Territorien erst später und auch nur diejenigen unter 
ihnen, die sich über das Maß der normalen deutschen Landesherr- 
schaften hinaus zu größeren Staaten entwickeln. 

Unter den Maßregeln positiver Natur, die die Landesherren im 
Interesse des Handels ergriffen haben, sind ihre Leistungen auf dem 
Gebiete des Straßenwesens, der Land- wie Wasserstraßen, zunächst 
bescheidener Natur. Eine namhaftere Thätigkeit entfalten sie hier 
erst im 18. Jahrhundert 170). Für die Belebung des kaufmännischen 
Verkehrs sind im Laufe der Zeit die Posten 1711 von großartiger 
Bedeutung geworden. Man kann darüber debattieren, ob Maximilian I. 
(soweit seine Person überhaupt in Betracht kommt) sie in Deutsch- 
land als König oder als Landesherr eingeführt hat. Jedenfalls wird 
man sagen dürfen, daß, von der juristischen Frage abgesehen, seine 
königliche Stellung und der außerordentliche Umfang seines landes- 
herrlichen Besitzes ihn zu ihrer Einführung veranlaßt haben. Vom 
Standpunkt eines normalen deutschen Landesherren aus wäre er 
kaum dazu gelangt. Die Landesherren haben anfangs sämtlich ohne 
eigene Post die kaiserliche, die Taxissche Post benutzt, und die 
kleinen sowie viele mittlere Territorien sind ihr noch sehr lange treu 
geblieben. Hauptsächlich nur solche Territorien, die sich schon zu 
größeren Staaten ausbildeten, haben eigene Posteinrichtungen ge- 
schaffen. In der Geschichte des deutschen Münzwesens hat man 
mitunter zu scharf zwei Perioden unterschieden, das Mittelalter als 
die Zeit des städtischen, die neueren Jahrhunderte als die des 
territorialen Münzwesens. Thatsache ist, daß auch schon im Mittel- 
alter die Landesherren sich manche Verdienste um das Münzwesen 
erwerben !??). Die Zeit ihrer fruchtbaren Thätigkeit beginnt frei- 
lich erst mit dem Beginn der Neuzeit. Anfangs, namentlich im 
16. Jahrhundert, erfahren sie noch manche Anregungen vom Reiche. 
Im Jahre 1559 wurde durch Reichsgesetz eine einheitliche Münze 
für das ganze Reichsgebiet angeordnet 1722), Am meisten kamen 
dieser Forderung diejenigen Gegenden nach, in denen die Kreis- 
verwaltung stark war, also eine Instanz, die über die Territorien 
hinaus ragte. Trotz der geplanten Einheit bestanden selbst in diesen, 
die sich doch dem Willen des Reichs gefügt hatten, Verschieden- 
heiten 172). Und überhaupt genügten die Kreise nicht der schweren 


170) Vergl. Histor. Ztschr., Bd. 75, S. 440 Anm. 1; Roscher-Stieda, S. 455 Anm. 8; 
Koser, Friedrich der Große, Bd. 1, S. 440 ff. 

171) Zur Litteratur über ihre Einführung in Deutschland s. die neuen Mitteilungen 
von Al. Schulte, Bd. 1, S. 500 ff. 

172) Vergl. Histor. Zeitschr., Bd. 75, S. 449 f. (zu S. 450 Anm. 2 vergl. Bd. 76, 
S. 192); E. v. Schwind und A. Dopsch, Urkunden zur Verfassungsgeschichte der dentsch- 
österreichischen Erblande im Mittelalter, S. 191 ff. Am Ende des 15. Jahrhunderts 
gehen die Reformen im Münzwesen nicht von der Stadt Köln, sondern von den rheinischen 
Fürsten aus. Knipping, westdeutsche Zeitschr., Bd. 13, 8. 374. — Ueber die Frage, 
inwieweit das Münzwesen der Städte durch die Territorialregierungen nachgeahmt worden. 
ist, s. Hist. Ztschr. a. a. O., S. 450 und Schmoller, S. 427. 

172a) Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 56 f.; Bd. 2, S. 460. 

172b) Ritter, Bd. 2, S. 461 Anm. 3. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 611 


Aufgabe.. Die weiteren Verbesserungen im Münzwesen gehen durch- 
aus auf die Landesherren zurück. Das einzelne Territorium war 
aber zu klein, um als Grundlage einer besonderen Münzwirtschaft 
dienen zu können. Deshalb vereinigten sich mehrere größere Staaten 
zu einem Gebiet von gleichem Münzfuß. Für die Ordnung von Maß 
und Gewicht hatten die Landesherren sich im Mittelalter sehr wenig 
interessiert 178). Seit dem 16. Jahrhundert nehmen sie sich der- 
selben mit größerem Eifer an. Im Beginn der Neuzeit, in der Zeit 
der Bauernkriege, verlangen mehrere Reformprogramme Einheit von 
Maß und Gewicht für das ganze Reich 174). Diese Forderung kommt 
aus Kreisen, die den Landesherren feindlich waren. Wie nun die 
lokalen Gewalten den Sieg davon trugen, blieb jener Wunsch un- 
erfüllt. Die Landesherren haben im Laufe der Zeit wohl daran ge- 
arbeitet, innerhalb ihres Territoriums Maß und Gewicht mehr ein- 
heitlich zu gestalten. Indessen voile Gleichheit haben sie nicht 
erreicht 175). Es blieben in der Reichszeit nicht nur die Verschieden- 
heiten von Territorium zu Territorium, sondern auch viele Ab- 
weichungen in diesen selbst erhalten. 

Von der Stellung der Landesherren zu dem lokalen Gästerecht 
und dem Stapelrecht haben wir oben bemerkt, daß sie die mittel- 
alterlichen Schranken im 16. und 17. Jahrhundert nur unerheblich, 
mit mehr Energie und größerem Erfolge erst im 18. Jahrhundert 
zu beseitigen suchen, daß aber von beiden noch das 19. mancherlei 
gesehen hat. Ungefähr ebenso verhält es sich mit dem alten Zoll- 
wesen. Die Landesherren bemühen sich, im Interesse ihrer Städte 
die Beseitigung oder Herabsetzung fremder Zölle zu bewirken 176) 
oder fremde Territorien durch Zollerhebungen zu bekämpfen. Im 
18. Jahrhundert 1771 werden höchst energische Zollkriege zwischen 
den größeren deutschen Staaten geführt. Diese Zusammenfassung 
des Territoriums als eines zollpolitischen Ganzen ist dem Mittel- 
alter gegenüber etwas durchaus Neues, zumal in der Steigerung, die 
uns im 18. Jahrhundert begegnet. Indessen im Innern wird an den 
mittelalterlichen Zollschranken kaum gerüttelt; vielmehr bleibt das 
System der Binnenzölle im wesentlichen bis ins 19. Jahrhundert er- 
halten 175), 

Von dem größten Interesse ist für unser Thema aus dem Handels- 


173) S. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, S. 41 Anm. 1 und 
Ztschr. für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 481 ff. 

174) Vergl. darüber z. B. Roscher-Stieda, S. 623. 

175) Ueber Anfänge eines einheitlichen Maßes innerhalb des Territoriums im 18. Jahr» 
hundert s. Roscher-Stieda, S. 624 Anm. 5. 

176) Vergl. Histor. Ztschr., Bd. 75, S. 408 Anm. 1 und S. 447 Anm. 3. 

177) Koser a. a. O., S. 442 ff. 

178) Sommerlad, Art. Binnenzölle, Handwörterbuch d. St., 2. Aufl., Bd. 2, S. 808. 
Aus der Schrift von Ötto Pilet, Ein Rückblick auf mein Leben (Magdeburg 1900), 
S. 77 ersieht man gut, wie schr es noch der Kaufmann der zweiten Hälfte des 19. Jahr- 
hunderts empfand, daß „die Binnenwasserstraßen bis auf den Rhein, der durch die 
Rheinschiffahrtsakte von Abgaben zuerst frei geworden war, mit Zöllen hoch belastet 
waren, namentlich die Elbe“. Die gänzliche Aufhebung der Elbzölle ist bekanntlich 
erst sehr spät erfolgt. Vergl. den Art. Elbschiffahrt im Handwörterbuch d. St. 


39* 


612 G. v. Below, 


leben die Bedeutung, die der Großhandel in den neueren Jahr- 
hunderten hat. Im Mittelalter hat ein Großhandel keineswegs gefehlt. 
Allein er wurde in der Regel von Personen betrieben, die zugleich 
im Kleinhandel thätig waren. Jedenfalls gab es keinen Stand der 
Engroshändler in der offiziellen Gewerbeverfassung der Stadt 179), 
Anders wird es in dieser Hinsicht mit dem Beginn der Neuzeit 18°), 
Der Großhandel, gleichviel von wem er betrieben wird, gewinnt ge- 
waltig an Ausdehnung. Es ist aber auch ein besonderer Stand der 
Engroshändler deutlich wahrnehmbar, und die städtische Gewerbe- 
verfassung nimmt jetzt von ihnen auch mehrfach offizielle Notiz. 
Um eine Anschauung von der großartigen Ausdehnung des Groß- 
handels zu geben, brauchen wir nur an die Unternehmungen der 
Fugger und Welser zu erinnern. Es ist bekannt, daß die großen 
oberdeutschen Handelshäuser in der zweiten Hälfte des 16. Jahr- 
hunderts sehr schwere Verluste erleiden 1911. Trotzdem scheint die 
Tendenz zu stärkerer Ausbildung des Großhandelsverkehrs nicht nach- 
zulassen, bleiben namentlich die neuen Formen des Großhandels er- 
halten. Diesen widmen wir jetzt eine etwas eingehendere Betrachtung. 
Als neue Formen des Großhandels, die die Neuzeit vor dem Mittel- 
alter voraus hat, sind namentlich die Börsen und die öffentlichen 
Banken, die sich vor der mittelalterlichen Wechselbank zugleich 
durch die Ausbildung des Depositen- und Giroverkehrs auszeichnen, 
zu nennen. Auch eine zunehmende Bedeutung der Messen darf man 
wohl als ein Zeichen der unmittelbar auf das Mittelalter folgenden 
Jahrhunderte ansehen !8?). Es wird wenigstens die Behauptung zu- 
lässig sein, daß die eigentliche Blütezeit der Messen von Frank- 
furt a. M. das 16. Jahrhundert ist !33). Jedenfalls steht so viel fest, 
daß Deutschland in diesen, ferner — seit dem 17. Jahrhundert — 
in denen von Frankfurt a. d. O. und von Leipzig sehr bedeutende 
Messen gehabt hat. Einen ausgeprägteren neuzeitlichen Charakter 
als die Messen tragen übrigens die Börsen und öffentlichen Banken ; 
sie überdauern auch jene, welche im 19. Jahrhundert ihre alte 
Wichtigkeit verlieren. 

Wenn wir nun das Verhältnis des deutschen Großhandels zu den 
Territorien bestimmen wollen, so nehmen wir wahr, daß er an sie 

179) Vergl, meine Großhändler und Kleinhändler im deutschen Mittelalter, S. 7. 

150) Auf die ersten Anfänge eines Standes der Großhändler in Deutschland habe 
ich in meiner angeführten Abhandlung hingewiesen. 

181) Vergl. darüber Ehrenberg’s Buch über das Zeitalter der Fugger. — Ueber 
Uas Problem des schon vor dem 30-jährigen Kriege einsetzenden Rückgangs des deut- 
schen Volkswohlstandes vergl. u. a. Gothein, Zeitschr. für die Geschichte des Ober- 
rheins, 1888, S. 61. S. übrigens auch Westdeutsche Zeitschr., 1900, S. 74. 

182) Ueber die historische Stellung der Messen vergl. Rathgen, Art. Märkte und 
Messen, Handw. d. St. Die Frage, ob die großen deutschen Messen vorzugsweise eine 
neuzeitliche Erscheinung sind, ist übrigens nieht bloß eine Frage der allgemeinen Ver- 
schiedenheit von Mittelalter und Neuzeit, sondern hängt auch mit besonderen, momen- 
tanen Umständen zusammen. Z. B. war Frankfurt a. M. zu einem beträchtlichen Teil 
Erbe von Antwerpen. 

153) Man darf freilich andererseits die große Bedeutung der Messen von Frankfurt a. M, 
nicht zu spät ansetzen. Vergl. Westdeutsche Zeitschr. a. a. O. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 613 


recht wenig gebunden ist, und insbesondere die eben erwähnten 
drei Einrichtungen des Großhandels weisen weit über sie hinaus. 
Das Haus der Fugger z. B. an ein bestimmtes Territorium zu knüpfen 
ist ganz unmöglich. Bekanntlich sind die Landesherren im Verein 
‘mit der großen Mehrheit des deutschen Volkes im 16. Jahrhundert 
den monopolsüchtigen oberdeutschen Handelshäusern feindlich ge- 
sinnt gewesen und haben Versuche gemacht, sie zu beseitigen oder 
wenigsten ihren Geschäftsbetrieb einzuschränken; auch die mittleren 
und niederen Schichten der Bürgerschaften schlossen sich ihnen hierbei 
an !8%+), Die Unterstützung, die die großen Firmen hiergegen ge- 
nossen, lag einmal in der städtischen Politik, soweit sie von ihnen 
beeinflußt wurde, sodann in der Haltung des Kaisers. Jene Be- 
kämpfung der Monopolmacher hat die Landesherren nicht abgehalten, 
im einzelnen mit ihnen in Beziehungen zu treten. Die Fugger haben 
wohl mit allen namhafteren deutschen Landesherren in Geschäfts- 
verkehr gestanden. Aber weit größere Bedeutung hatten für sie die 
Beziehungen zu den Häuptern großer Reiche. Und im übrigen ent- 
faltet das Haus der Fugger eine Thätigkeit, die nur im Rahmen des 
Welthandels Platz findet 184). Betreffs der deutschen Messen des 
16.—18. Jahrhunderts kann man darüber streiten, ob sie nur der 
Volkswirtschaft oder teilweise auch der Weltwirtschaft angehören. 
Unbestreitbar ist es, daß das Territorium einen viel zu kleinen Um- 
fang hat, um als Grundlage für den Verkehr einer Messe zu dienen. 
Die deutschen Börsen jener Zeit '®5) gelangen nicht zu einer großen 
Stellung. Allein einer „Territorialwirtschaft“ kann doch keine ein- 
gereiht werden. Sie sind eine Einrichtung für volks- und weltwirt- 
schaftliche Beziehungen. Ich führe einen charakteristischen Bericht 
des Kölner Bürgers Hermann Weinsberg 186) an: „1597 Februar 15 
haben die us- und inwendige kauflude angehalten umb eine neue 


183a) Von besonderer Wichtigkeit sind in dieser Hinsicht die Beschlüsse des Nürn- 
berger Reichstags. Vgl. O. R. Redlich, Der Reichstag von Nürnberg 1522—23 (Leipzig 
1557). Höchst interessant ist es zu beobachten, wie die Vertreter der großen Handels- 
häuser die Absichten der deutschen Reichsstände beim Kaiser zu hintertreiben wissen. 
S. darüber Kluckhohn, Zur Geschichte der Handelsgesellschaften und Monopole im Zeit- 
alter der Reformation, Historische Aufsätze dem Andenken an G. Waitz gewidmet. S. 
auch Frensdorff, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanist. Ab- 
teilung, Bd. 20; meine Großhändler und Kleinhändler, S. 8 ff. Auch hier (vgl. meine 
Theorien der wirtschaftlichen Entwiekelung, S. 76) sieht man übrigens, daß die Aus- 
dehnung des Großhandels zum Teil davon abhängig ist, welche Interessenkreise in der 
städtischen Verwaltung zu maßgebendem Einfluß gelangen. 

184) Welthandel und Weltwirtschaft sind ebenso relative Begriffe wie Weltgeschichte, 
Ich verstehe unter Weltwirtschaft eine Wirtschaft, die über den Rahmen der Volks- 
wirtschaft hinausgeht. 

185) Ueber die Gründung der Kölner Börse s. die Nachrichten im Buch Weins- 
berg (herausgeg. von Höhlbaum und Lau), Bd. 2, S. 143; Bd. 4, S. 184 und 268, dureh 
die die Angaben von Ehrenberg, Zeitalter der Fugger, Bd. 1, S. 82 und Bd. 2, S. 244 
vervollständigt, bez. berichtigt werden. Außer der Kölner kommen aus dem 16. Jahr- 
hundert die Börsen von Hamburg, Nürnberg („Herrenmarkt“) und Augsburg (,„Perlach‘) 
in Betracht, aus dem 17. die von Lübeck und Bremen. Vergl. den Art. Börsenwesen 
von Ehrenberg in der 2. Auflage des Handwörterbuchs der Staatswissenschaften. 

156) Buch Weinsberg, Bd. 4, S. 268. 


614 G. v. Below, 


burse; dan der kaufhandel und wetzel [Wechsel] heufet sich eitz 
[jetzt] seir in Italien, Frankrich und ander landen.“ Die öffentlichen 
Banken des 17. Jahrhunderts haben mit einem einzelnen Territorium 
nichts zu thun. Im weltwirtschaftlichen Verkehr spielen sie wohl 


kaum 187) eine Rolle. Sie dehnen ihr Arbeitsfeld indessen über einen ` 


sehr großen Teil des Deutschen Reiches, wiewohl nicht gerade über 
das ganze, aus. Im 18. Jahrhundert bringen allerdings die großen 
Staaten, die freilich das Maß regelrechter deutscher Territorien schon 
weit überschreiten, Bankinstitute hervor, die ihre Bedeutung in der 
Thätigkeit für das Landesgebiet haben. Die wichtigste deutsche Bank 
bleibt jedoch einstweilen noch eine nicht territoriale, die Hamburger. 

Der Großhandel ist in den neueren Jahrhunderten in Deutsch- 
land bedeutender als die Großindustrie. Die Deutschen gehören 
wohl zu denjenigen Völkern, deren Geschichte noch verhältnismäßig 
viel Uebereinstimmung zwischen Gewerbe- und Handelsentwickelung 
aufweist. Aber eine Identität ist nicht vorhanden. Im Mittelalter 
giebt es keine Großindustrie in Deutschland, wohl aber einen Groß- 
handel fest, Bücher hat seine Theorie der Stufen der wirtschaftlichen 
Entwickelung und der mittelalterlichen Stadtwirtschaft unter der 
Voraussetzung ausgebildet, daß Handels- und Gewerbegeschichte zu- 
sammenfallen, bezw. daß mit der Gewerbegeschichte oder der Handels- 
geschichte der Gewerbe auch die allgemeine Handelsgeschichte ge- 
geben ist!8°). Eben deshalb hat er vielfach geirrt. Der Handel 
fügt sich nicht so gut der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ein, wie 
Bücher meint. In der Neuzeit nun beobachten wir wiederum ein 
Auseinandergehen von Gewerbe- und Handelsgeschichte. Um nur 
zwei Punkte hervorzuheben, so hält sich das Gewerbe offenbar in 
stärkerem Grade an die Territorien als der Handel, und die Aus- 
dehnung des Großhandels übertrifft, wie bemerkt, die der Großin- 
dustrie. Es giebt in Deutschland im 16. Jahrhundert nicht entfernt 
so bedeutende Großindustrielle wie Großhändler °°). Es kann eben 
der Großhandel Fortschritte machen, während im Gewerbe der kleine 
Betrieb die Herrschaft behält. 

Es ist bemerkenswert, daß die älteren deutschen Börsen durch- 
weg in Reichsstädten gegründet werden. Auch die öffentlichen 
Banken des 17. Jahrhunderts (Hamburg, Nürnberg) haben ihren 
Sitz in solchen 1°91). Die großen Messen, welche in landesherrlichen 
Städten gehalten werden, sind die jüngeren. 

Die Frage, welche Politik die Landesherren den Messen gegen- 


187) Die Hamburger Bank hatte jedoeh für die nordischen Reiche Wichtigkeit. 

188) Natürlich ist dieser Satz in der oben S. 612 Anm. 179 gegebenen Begren- 
zung zu verstehen. 

189) S. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, S. 29. Vergl. unten 
Anm. 237. 

190) Allerdings besitzen einige bedeutende Großhändler zugleich großindustrielle 
Unternehmungen. 

191) Die älteren öffentlichen Leihhäuser sind ebenso wie die älteren öffentlichen 
Banken städtische Einriehtungen. Vergl. den Art. Leihhäuser im Handwörterbuch der 
Staatswissensehaften und Mor. Ritter, Deutsche Geschichte, Bd, 2, S. 464. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 615 


über eingenommen haben, ist nicht einfach zu beantworten. Einer- 
seits hat in Leipzig die sächsische Regierung wiederholt die Freiheit 
des Verkehrs gegen lokalpatriotische Anwandlungen des Stadtrates 
geschützt 19721. Andererseits „mußte die merkantilistische Handels- 
politik die internationale Bedeutung der Messen herabdrücken, wie 
dies unter Friedrich d. Gr. thatsächlich in Frankfurt a. O. der Fall 
war1°%).* Jedenfalls treiben die landesherrlichen Regierungen — 
und auch nur einige größere unter ihnen — erst in ziemlich später 
Zeit eine ansehnlichere Meßpolitik. 

Wir haben nun noch eines für die Handelsverfassung sehr wich- 
tigen Punktes zu gedenken, nämlich der Stellung, die die Gesetz- 
gebung betreffs des Vertriebs von Handwerksprodukten durch den 
Kaufmann einnahm. Die Haltung der Landesherren zu dieser Frage 
ist ungefähr dieselbe, die sie in den neueren Jahrhunderten gegen- 
über dem Handwerk überhaupt beobachten. Im wesentlichen bleiben 
sie dem mittelalterlichen System treu, gestatten nur einige Milde- 
rungen !?*),. Vielleicht darf man für das 18. Jahrhundert eine er- 
heblichere Abweichung behaupten !°5), 


192) Rathgen, Art. Märkte und Messen, Handwörterbuch der Staatswissenschaften 
(1. Aufl.), Bd. 4, S. 1121. Uebrigens nimmt einen solchen Standpunkt auch schon der 
mittelalterliche Stadtherr ein. S. 1123 verweist Rathgen ferner auf die preußischen 
freilich wenig erfolgreichen Versuche, die Messen von Halle und Naumburg zu heben, 
solche in Breslau (1742—49) neu zu gründen. „Auch in Oesterreich steht am Beginne 
einer staatlichen Handelspolitik die Gründung einer Messe zu Triest (1729)“. Rathgen 
räumt übrigens ein, daß Frankfurt a. M. „für seine im 16. Jahrhundert die größte 
Bedeutung erlangenden Messen keinen Rückhalt an einer größeren Territorialgewalt ge- 
habt hat“. Beispiele einer „territorialen Marktpolitik“ führt er S. 1123 für Frankreich 
aus dem 15., für Deutschland erst aus dem 18. Jahrhundert an. 

193) Rathgen, S. 1121. Natürlich schließt dies nicht aus, daß innerhalb gewisser 
Schranken die preußische Regierung zu Gunsten der Frankfurter Messe thätig war. 

194) Vergl. oben S. 606 Anm. 155, S. 607 Anm. 158 und 8. 608. 

195) Am Schlusse dieses Abschnittes mögen noch einige einzelne Notizen zur Ge- 
schichte des Großhandels gegeben werden. Ueber den Großbetrieb im Holzhandel und 
im Weinhandel s. meine Großhändler und Kleinhändler, S. 43. Ueber die Verwand- 
lung der zunftmäßigen Kleinschiffahrt in kapitalistische Großschiffahrt s. neuerdings 
Chr. Eckert, Rheinschiffahrt im 19. Jahrhundert (Sehmoller’s Forschungen, XVI, 4). 
In der Seeschiffahrt kommt der Großbetrieb etwas früher vor. S. meine Großhändler, 
S. 45 f. Auch hierbei sieht man, daß Großhandel und Großindustrie in ihrer Ent- 
wickelung nicht zusammenfallen: zur Zeit der ersten Anfänge des Großbetriebs in der 
Reederei herrscht im Schiffbau noch der Handwerksbetrieb. Vergl. oben S. 603 Anm. 138. 
Von Interesse ist es in diesem Zusammenhang, daß die Kaufleute lange Zeit die klei- 
neren Fahrzeuge bevorzugt haben. So bemerkt Gothein, Westdeutsche Zeitschr. 14, 
S. 241 betreffs der Rheinschiffahrt, daß man erst seit dem 16. Jahrhundert begonnen 
hatte, größere Schiffe zu bauen, daß aber dieser technische Fortschritt sich keineswegs 
der allgemeinen Billigung erfreute (auch die kaufmännischen Kreise waren viel dagegen). 
E. Baasch, Die Börtfahrt zwischen Hamburg, Bremen und Holland, S. 54 f. erwähnt 
einen Konflikt zwischen der Bremer Kaufmannschaft und den Bremer Schiffern (im 
17. Jahrhundert). „Die fremden Schiffe, die Amelander und Friesen, waren wegen 
ihrer Tragfähigkeit . . . sehr beliebt, weil sie Alleinbefrachtungen auch bei kleineren 
Ladungen ermöglichten ` die Bremer Schiffe waren dagegen meist größer... . Aber 
gerade jene Alleinbefrachtungen . . . waren der Schiffergilde ein Dorn im Auge.“ Ueber 
die Bemühungen Friedrichs des Großen um den Bau größerer Seeschiffe s. Koser, Bd. 1, 
S. 443. — Um ein vollständiges Bild von der Stellung der Territorien zu den Bewegungen 
im Handelsleben zu geben, müßten wir auch auf die Erleichterungen, die die neueren 


616 G. v. Below, 


IX. Die Ursachen der neuen Erscheinungen. 


Bisher haben wir von dem unmittelbaren Verhältnis der Terri- 
torien zu den neuen Erscheinungen im Wirtschaftsleben, von ihrer 
Gewerbe- und Handelspolitik, gesprochen. Es kann aber auch 
eine mittelbare Einwirkung von jenen auf diese stattgefunden haben. 
Ueber sie unterrichten wir uns, indem wir die allgemeinen Ursachen 
jener Erscheinungen, insbesondere der Ausbildung der Großbetriebe 
im Gewerbe und Handel und der neuen Formen des Großhandels, 
der Messen, Börsen, Banken, festzustellen suchen. 

Nach Bücher’s Auffassung ist, wie wir schon erwähnt haben !°®), 
„die Ausbildung der Volkswirtschaft im wesentlichen eine Frucht der 
politischen Centralisation 1°”), welche an der Wende des Mittelalters 
mit der Entstehung territorialer Staatsgebilde beginnt und in der 
Gegenwart mit der Schöpfung des nationalen Einheitsstaates ihren 
Abschluß findet. Die wirtschaftliche Zusammenfassung der Kräfte 
geht Hand in Hand mit der Beugung der politischen Sonderinteressen 
unter die höheren Zwecke der Gesamtheit.“ 

Gegen den zweiten dieser beiden Sätze wird sich, falls Bücher 
damit nicht einen genauen zeitlichen Parallelismus aussprechen will, 


Jahrhunderte auf dem Gebiete der Kreditgewährung, der Zinsgesetze und des Handels- 
rechts überhaupt bringen, eingehen. Vergl. dazu z. B. Erdmannsdörffer, Deutsche Ge- 
schichte von 1648—1740, Bd. 1, S. 113 ff., Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 46 f. 
und Gothein, Die deutschen Kreditverhältnisse und der 30-jährige Krieg (Leipzig 1893). 
Zum großen Teil hängen jene Fragen mit dem Problem der Rezeption des römischen 
Rechts zusammen (vergl. z. B. Weber, Ztschr. f. Handelsrecht, Bd. 37, S. 268). Viel- 
leicht ist es der Erwähnung nicht unwert, daß der Bekämpfer des kanonischen Zins- 
verbotes Dumoulin bei deutschen Landesherren Aufnahme fand. Doch kommt hier wohl 
mehr der Gegensatz des protestantischen Deutschland gegen das katholische Frankreich 
in Betracht. Für unseren speciellen Zweck wird es aber nicht erforderlich sein, das 
Verhältnis der Territorien zu allen diesen komplizierten Vorgängen darzulegen, da auch 
schon die Erörterung der Punkte, die wir in den Vordergrund gestellt haben, ein Urteil 
darüber möglich macht, ob man von einer besonderen Periode der Territorialwirtschaft 
sprechen darf. 

196) S. oben S. 450. 

197) Wie früher schon (s. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, 
S. 22), so hat Schmoller auch wieder in seinen „Umrissen und Untersuchungen‘, S. 60 
Bücher’s Ausführungen nicht richtig verstanden. Nach ihm liegt das Wesen der Bücher- 
schen Stufentheorie darin, daß derselbe „die wirtschaftliche Organisation verschiedener 
Epochen unabhängig von Gemeinde, Territorium und Staat aus rein wirtschaftlichen 
Ursachen ableiten“ will. Hierzu ist zunächst zu bemerken, daß Bücher durchaus nicht 
die Frage nach den Ursachen in den Vordergrund stellt; seine Absicht ist lediglich, die 
Etappen der wirtschaftlichen Entwickelung zu schildern. Wo er von Ursachen spricht, 
da geschieht es bloß zur Illustrierung, mehr nur nebenbei. Sodann aber zeigt die oben 
im Text mitgeteilte Stelle deutlich, daß Bücher wahrlich nicht alles aus rein wirtschaft- 
lichen Ursachen „ableiten“ will. Niemand ist weiter davon entfernt als er. Wenn man 
ihm einen Vorwurf hinsichtlich der Ableitung der Ursachen machen will, so wäre es 
vielmehr der, daß er die politischen Ursachen zu stark anschlägt. Ich habe mich in 
dieser Beziehung schon gegen seine Erklärung der Entstehung des Städtewesens aus- 
gesprochen. S. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, S. 35. Im übrigen 
kann die vorsichtige Art, mit der Bücher sich über die wirtschaftlichen Momente als 
Ursachen äußert, anderen Autoren dringend zur Nachahmung empfohlen werden. S. 
meine Theorien der wirtschaftlichen Entwiekelung, S. 21 f. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 617 


nicht viel einwenden lassen. Hier interessiert er uns so wie so 
weniger, da er über die Frage der Ursachen nichts behauptet. 
Gegen den ersten Satz indessen dürfte ein Einwand zu erheben 
sein. Hören wir aber zunächst Schmoller’s Ansicht !98), 

„Der Kampf gegen den großen Adel, die Städte, die Korporationen 
und Provinzen, die nicht bloß politische, sondern auch wirtschaftliche 
Verschmelzung dieser Sonderkreise zu einem Ganzen, der Kampf 
für gleiches Maß und Geld, für ein geordnetes Münz- und Kredit- 
wesen, für gleiches Recht und gleiche Polizei, für einen freieren 
und lebendigeren Verkehr im Lande war es vor allem, was eine 
Arbeitsteilung und einen Wohlstand ganz anderer Art schuf, tausend- 
fache Kräfte entband.“ 

Was Schmoller Arbeitsteilung, zunehmenden Wohlstand und 
Kräfteentbindung nennt, das ist ungefähr dasselbe wie das, was 
Bücher unter Volkswirtschaft, bezw. Annäherung an die Volkswirt- 
schaft versteht. Beide leiten also die neuen wirtschaftlichen Er- 
scheinungen „im wesentlichen“, „vor allem“ überstimmend aus einer 
politischen Thatsache ab, nämlich dem Fortschritt der Territorial- 
bildung. Schmoller’s Satz ist allerdings als nicht ganz klar oder 
auch als inkorrekt insofern zu bezeichnen, als er unter die Kategorie 
der Ursachen schon „die wirtschaftliche Verschmelzung“ rechnet. 
Wir wollen die Möglichkeiten, wie er diese Worte aufgefaßt zu sehen 
wünschen mag, nicht durchsprechen. — Beide Autoren sind der (zu- 
treffenden) Ansicht, daß die politische Centralisation im Anfang der 
Neuzeit noch verhältnismäßig gering war. Aber Schmoller schlägt 
sie noch immerhin zu hoch an. Wir haben ja schon von verschie- 
denen der hier von ihm berührten Zweige des wirtschaftlichen Lebens 
auseinandergesetzt, daß in ihnen ein freierer Verkehr, eine Ver- 
schmelzung in den ersten Jahrhunderten kaum erreicht, sogar kaum 
erstrebt worden ist. Der Partikularismus innerhalb des Territoriums 
ist bis ins 17. Jahrhundert noch recht groß!?®?), Der angebliche 
Kampf für gleiches Geld kann für das 16., auch wohl das 17. Jahr- 
hundert bei der Kleinheit der deutschen Territorien schwerlich viel 
bedeuten. Ueberhaupt sind die landesherrlichen Bemühungen auf 
dem Gebiete des Münzwesens in diesen beiden Jahrhunderten, ja 
sogar im 18. weder so radikal noch so sorgfältig, daß sich tiefgrei- 
fende Wirkungen davon erwarten ließen. Am radikalsten dürften 
sie in den Mißgriffen gewesen sein !%?8’). Doch wir wollen über das 
Maß der erreichten politischen Centralisation hier nicht weiter streiten. 

Daß politische Vorgänge die größte Wirkung auf die Gestaltung 
der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse ausüben können, ist 
nicht im mindesten zu bezweifeln. Das 19. Jahrhundert hat ja da- 
für die greifbarsten Beweise geliefert, z. B. in den Wirkungen, die 
die Versorgung der gewaltigen Armeen für die Vermehrung und 


198) Umrisse und Untersuchungen, 8. 37 f. 

198a) S. mein Territorium und Stadt, S. 223 und 266. 

198b) Vergl. z. B. Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 2, S. 463 Anm. 2; Bd. 3, 
8. 204 ff. 


618 G. v. Below, 


Steigerung der Großbetriebe im Handel und Gewerbe gehabt hat, 
und in den Folgen der Aufhebung der Binnenzölle für die Belebung 
des Verkehrs. Auch andere Zeiten liefern genug Belege für die 
Wichtigkeit des politischen Faktors. So hat die Stadtwirtschaft des 
deutschen Mittelalters sowohl in der Herrschaft, die sie ausübt, wie 
in den Grenzen, die ihr gezogen sind, mancherlei politische Ur- 
sachen !?8°). Der deutsche Großhandel z. B. würde zweifellos eine 
größere Ausdehnung gewonnen haben, wenn die Macht der Vene- 
tianer ihm nicht den Weg über Venedig hinaus versperrt hätte. 
Es fragt sich nun aber, ob speciell die neuen Erscheinungen im 
Wirtschaftsleben des 16.—18. Jahrhunderts auf politische Ursachen 
zurückgehen, und, wenn das der Fall ist, ob die betreffenden poli- 
tischen Gewalten gerade die Territorien sind. 

Das Aufkommen der großen oberdeutschen Handelshäuser des 
16. Jahrhunderts darf man insofern mit den Territorien in Zusammen- 
hang bringen, als die Geldverlegenheiten des Landesherrn von Tirol 
zur Verpfändung von Bergwerken führten, deren Ausnutzung den 
Betrieb der Fugger erheblich gesteigert hat 1991. Auch sonst hat 
das große Geldbedürfnis der deutschen Fürsten zur Ausdehnung des 
Betriebs der Geldhändler beigetragen. Indessen diejenigen politischen 
Mächte, die den Geldhändlern in erster Linie zu thun gaben, waren 
nicht die deutschen Landesherren, sondern der Papst 2%), der deutsche 
Kaiser und die Monarchen großer Volksstaaten. Soweit also die 
Bildung der oberdeutschen Handelshäuser auf politische Ursachen 
zurückgeht, sind es überwiegend universale oder volksstaatliche 
Kräfte, welche wirksam werden. Nun müssen wir jedoch konstatieren, 
daß eben nicht bloß politische Momente in Betracht kommen. Die 
Geldhändler Oberdeutschlands haben sämtlich mit dem Warenverkehr 
begonnen und die meisten ihn nie ganz aufgegeben. Die einzelnen 
haben somit verschieden starke Beziehungen zu den politischen Ge- 
walten. Alle jedoch haben den Grund zu ihrer Wohlhabenheit durch 
den Warenhandel gelegt. Neben dem großen Geldhandel bildet der 
deutsche Kaufmann gleichzeitig den Großbetrieb im Warenverkehr 
aus oder vielmehr steigert ihn über das im Mittelalter vorhandene 
Maß hinaus. Hier könnte die Analogie der späteren Zeiten die 
Vermutung nahe legen, daß der Großbetrieb im Warenverkehr und 
ebenso die früher geschilderte Großindustrie durch die Notwendig- 
keit der Versorgung der ansehnlichen Söldnerheere, die damals auf- 
gestellt wurden, verursacht worden seien. Allein diese Erklärung 
wird schwerlich 2911 zutreffen. Dagegen wird man in anderer Weise 


198e) Vergl. oben Anm. 183a. 

190) Dies ist jedoch nieht die älteste und nicht die einzige Art, wie die Fugger 
(und andere oberdeutsche Handelshäuser) zu ihrem großen Bergwerksbetrieb gelangen. 
Vergl. darüber neuerdings Al. Schulte, Bd. 1, S. 650 ff. 

200) Der Papst leiht nieht bloß Geld von den Fuggern (Schulte, S. 653), sondern 
zieht außerdem durch sie von der deutschen Kirche Geld ein. 

201) Vergl. Forschungen zur deutschen Geschichte, Bd. 4, S. 485: Mit dem Gelde, 


das der Erzbischof von Salzburg 1486 als Reichssteuer einkassiert, wuchert er, indem 
er sich durch einen Nürnberger für 1700 Gulden Tuch zu Gewändern einkaufen läßt 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 619 


die Steigerung des Großbetriebes im Warenverkehr, wie wir sie im 
16. Jahrhundert beobachten, allerdings auf politische Ursachen zu- 
rückführen müssen. Wir haben hier an die neuen Entdeckungen ?°1:), 
an, die jetzt in großen Massen herbeiströmenden Produkte Indiens 
zu denken. Lag darin schon an sich ein Anlaß zur Ausdehnung der 
Betriebe, so wirkten noch mehr dahin die strenge staatliche Regelung 
des Verkehrs der Kolonieen mit dem Mutterlande und der damit 
in Zusammenhang stehende Grundsatz der portugiesischen Regierung, 
den Ertrag der Handelsflotte nach Möglichkeit nur im großen zu 
veräußern. Es sind dies jedoch wiederum politische Ursachen, die mit 
den deutschen Territorien gar nichts zu thun haben. 

Die Gründe, die weiterhin den Großhandel und die Großindustrie 
befördert haben, lassen sich nicht einfach herzählen und sind schwie- 
riger zu erkennen als die genannten. Bald wirkt eine besonders 
günstige Absatzgelegenheit°). Bald liegt der Antrieb zur Wahl der 
neuen Betriebs- oder Wirtschaftsform in der schwer erlernbaren 
Technik eines neuen Gewerbes, das auf einen weiten Absatzkreis 
spekuliert ?°). Bald wird die Lücke benutzt, die die mittelalterliche 
Zunftverfassung frei läßt?%). Bald bringen Einwanderer die neuen 
Einrichtungen ins Land, oder die Deutschen ahmen die fremde Sitte 
nach 2%). Großenteils geschieht dies, um der Konkurrenz des Aus- 
landes zu begegnen). Mit allen diesen Anlässen kann die Wir- 
kung aufgespeicherten Kapitals verbunden sein; aber es kann ferner 
auch ohne sie wirken. Wir haben uns dabei jedoch gegenwärtig zu 
halten, daß das Kapital nicht getrennt von der menschlichen Persön- 
lichkeit seine Wirkungen ausübt 2971. Auf die nicht politischen Ur- 


und dies dann bei der Ausgabe (doch wahrscheinlich an die in Sold genommenen Lands- 
knechte) mit 2550 Gulden berechnet. Das wäre ein Fall, der in jenem Zusammenhange 
in Betracht kommen könnte. Aber es handelt sich hier doch nur um ein Kuriosum. 
Veberdies stammt das Geld, das den großen Umsatz möglich macht, nicht aus einer 
Territorial-, sondern einer Reichssteuer, — Daß die landesherrliche Verwaltung anfangs 
keine erhebliche Bedeutung für die Förderung von Handel und Gewerbe hat, darf man 
auch schon der Thatsache entnehmen, daß es im 16. und zunächst auch im 17. Jahr- 
hundert noch keine Residenzen im Sinne von Hauptstädten giebt und daß demgemäß 
Residenzen als Mittelpunkte von Handel und Gewerbe noch keine Rolle spielen. 

201a) Wenn ich hier eine Wirkung der neuen Entdeckungen auf die Art des 
Handelsbetriebs in Deutschland annehme, so schließe ich mich damit keineswegs der 
Ansicht un, daß dieselben sogleich eine allgemeine Verlegung der Verkehrswege in 
Europa hervorgerufen haben. Gegen diese noch immer hier und da vorgetragene An- 
schauung hat sich mit Recht wiederum Dietrich Schäfer, Hansische Geschichtsblätter, 
1597, S. 3 ff. ausgesprochen. 

202) Vergl. oben S. 599 über die Böttcherei. 

203) S. oben S. 601 zu Anm. 129. 

204) S. oben S. 602 zu Anm. 130. 

205) S. oben S. 603 Anm. 138. 

206) Das Ausland bilden nieht bloß außerdeutsche Staaten, sondern auch das eine 
Territorium im Verhältnis zum anderen. Vergl. Tröltsch, Die Calwer Zeughandlungs- 
kompagnie, S. 5 f. 

207) Schmoller, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, Bd. 1, S. 97 und 430 weist 
treffend die irrige Anschauung zurück, daß die ungleiche Kapitalverteilung an sich die 
Großbetriebe erzeuge. „Was sie schafft und erhält, bleiben immer die persönlichen 
Eigenschaften.“ „Nicht eine Untersuchung der Natur der Ware, des Kapitals und Aehn- 


620 G. v. Below, 


sachen sind wir übrigens nicht genötigt näher einzugehen. Denn 
für uns handelt es sich ja nicht sowohl um die Frage, ob politische 
oder nichtpolitische Momente maßgebend sind, als vielmehr um die, 
welche Rolle unter den politischen Gewalten speciell den Territorien 
zukommt. 

Hinsichtlich der Ursachen der großen Messen, Banken und 
Börsen haben wohl schon unsere obigen Erörterungen den Beweis 
geliefert, daß sie in Wirkungen, die von den Territorien ausgehen, 
wenigstens während des 16. Jahrhunderts nicht gesucht werden können. 

Somit können wir also Schmoller und Bücher nicht darin bei- 
stimmen, daß die in dieser Zeit bemerkbaren Ansätze zur Ausbildung 
einer „Volkswirtschaft“ „vor allem“, „im wesentlichen“ eine Frucht 
der politischen Centralisation — beide haben den politischen Fort- 
schritt der deutschen Territorien im Auge — seien.VWir haben 
uns wiederum daran zu erinnern, daß die politische Gewalt damals 
die Großindustrie und den Großhandel weit mehr gehindert als be- 
fördert hat. Soweit sie aufkamen, setzten sie sich überwiegend 
trotz der politischen Gewalten durch ??8). Uebrigens nimmt Bücher 
das, was er zuerst gesagt, nachträglich großenteils zurück. Nachdem 
er nämlich von den politischen Kräften, auf die das Neue „im 
wesentlichen“ zurückgehe, gesprochen, hebt er die daneben wirkenden 
nichtpolitischen Ursachen hervor und nennt als deren Folgen ?°°): 


liches bringt uns weiter, sondern eine solche der Ursachen menschlicher Verschiedenheit 
und der Institutionen, die diese steigern oder mildern und die den Güterverteilungsprozeß 
beherrschen und beeinflussen.“ Wenn man sich aber diese Thatsache gegenwärtig 
hält, darf man unbedenklich das Kapital als Ursache des Großbetriebs nennen. Vergl. 
Tröltsch, Historische Vierteljahrsschrift, 1900, S. 136 f. — Zum nicht geringen Teil ist 
das Kapital, welches den Großhandel und die Großindustrie befördert, ausländisches. 
Teilweise bringen es die Einwanderer nach Deutschland. Teilweise bleibt es im Eigen- 
tum des Auslandes. Bei dem Aufkommen der Seeversicherung in Deutschland dürfte 
italienisches Kapital (das der „Lombarden‘“) thätig gewesen sein. Die bedeutende Rolle, 
welche das ausländische Kapital bei der Ausbildung der neuen Erscheinungen im wirt- 
schaftlichen Leben Deutschlands spielt, läßt auch wiederum erkennen, daß die Bezeich- 
nung „Territorialwirtschaft‘‘ doch nicht viel zur Charakterisierung der ersten Jahrhunderte 
der Neuzeit beiträgt. 

208) Stieda bei Roscher a. a. O., S. 725 f. setzt in seiner Erörterung über die 
Gründe des Aufkommens der Fabriken richtig auseinander, daß die Beseitigung der 
Zunftschranken eine Voraussetzung für dasselbe ist. In der That hätten Großindustrie 
und Großhandel auch schon im Mittelalter eine bedeutende Rolle gespielt, wenn ihnen 
nicht die Stadt- und insbesondere die Zunftpolitik feindlich gewesen wären; das Hand- 
werk und der kaufmännische Mittelstand mußten stets sorgsam vor dem Aufkommen 
großer Unternehmungen auf der Hut sein. Diese Thatsache ist ein wertvoller Beleg 
für die Wichtigkeit des politischen Faktors. Es mag hier an die modernen Bestre- 
bungen erinnert werden, bei der Deckung des Bedarfs der Armeen nach Möglichkeit 
die Produzenten und bei dem Verkauf der in den staatlichen Gruben gewonnenen Kohlen 
die Konsumenten zu berücksichtigen. Solche Bestrebungen können viel Erfolg haben. 
Ihre Wirkung ist freilich von mancherlei Faktoren abhängig. Es können auch große 
Unternehmungen gegen den Willen der politischen Gewalten aufkommen. Daß es sich 
so im 16. und 17. Jahrhundert in Deutschland im allgemeinen verhielt, hätte Stieda, 
S. 725 hervorheben sollen (die Andeutungen S. 729 genügen nicht). 

209) Entstehung der Volkswirtschaft, S. 112. Die nachher aufgezählten Erschei- 
nungen leitet Bücher durchweg aus der Thatsache ab, daß in den Städten das Leih- 
kapital entwickelt wurde und zu dem bis dahin allein vorhandenen Handelskapital trat. 
Er nimmt also eine im engsten Sinne wirtschaftliche Ursache an. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 621 


die steigende Bedeutung der Messen (Frankfurt a. M. im 16. Jahr- 
hundert), die neuen Banken, das Aufkommen der Großindustrie, ja 
sogar das neue Transportwesen, die Staatsposten, die Zeitungen, die 
nationale Handelsflotte (?) u. s. w. Nun, da wären wir ja einig; 
oder vielmehr, wir müssen jetzt nach der anderen Seite Front 
machen und es monieren, daß Bücher in der Leugnung politischer 
Ursachen zu weit geht. 

Im 17. Jahrhundert ändert sich die Situation kaum ?!°), Nur 
eine kleine Verschiebung zu Gunsten des Einflusses der Territorien 
ist bemerkbar. Erst mit dem 18. Jahrhundert treten wir in Ver- 
hältnisse ein, die einen größeren Gegensatz gegen den älteren Zu- 
stand zeigen. Freilich gilt dies der Hauptsache nach nur von den- 
jenigen Territorien, die sich zu bedeutenderen Staaten entwickeln. 
Diese befördern innerhalb der früher geschilderten Schranken direkt 
den Großhandel und die Großindustrie, und auch indirekt erfahren 
beide von den kräftigeren Staaten und durch deren steigende Be- 
dürfnisse manche Anregungen *!1) Wir haben bereits bemerkt, 
daß jetzt speciell die Messen sich der Gunst der Landesherren er- 
freuen. Aber gerade hierbei beobachten wir wiederum die Grenze 
des Einflusses der Territorien: die allgemeine Stellung einer Messe 
hängt doch nicht von der Unterstützung des Fürsten ab. Und wenn 
man von der Leipziger Messe sagt?!?), daß sie sich infolge des 
Erwerbs von Polen durch den Kurfürsten von Sachsen gehoben hat, 
so geht das Hinterland, auf das sie sich stützt, eben bei weitem 
über den Rahmen eines deutschen Territoriums hinaus. 

Von der Frage nach den Gründen jener neuen wirtschaftlichen 
Erscheinungen ist das Problem der Entstehung einer territorialen 
Wirtschaftspolitik zu sondern.v Was hat dahin geführt, daß die 
Landesherren, die im Mittelalter überwiegend die Stadt als etwas 
für sich Stehendes behandelten ?!?), in den neueren Jahrhunderten 
ihr Herrschaftsgebiet mehr und mehr als ein wirtschaftliches Ganzes 
zusammenzufassen suchen? Es liegt nahe, hier von vornherein 
namentlich zwei Unterfragen zu stellen: geht die Tendenz zur Zu- 
sammenfassung von den Unterthanen, bezw. von welchen Kreisen 
derselben aus? oder ist die Bildung eines größeren Wirtschafts- 
körpers ein Gedanke und das Werk der landesherrlichen Ge- 


210) In den agrarischen Verhältnissen, die uns jedoch hier nicht interessieren, 
machen Großbesitz und Großbetrieb in der Zeit vom 16. bis 18. Jahrhundert gewaltige 
Fortschritte, nicht am wenigsten gerade im 17. Jahrhundert. Und die Ursachen dieser 
Erscheinung sind in schr starkem Maß politischer Natur. Ueber Norddeutschland 
s. mein Territorium und Stadt, S. 1 f., über Böhmen Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 3, 
S. 196 ff. 

211) Schmoller, Umrisse, S. 422 macht interessante Mitteilungen über die Deckung 
des Bedarfs der preußischen Armee in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts. 
Man sieht, wie die Regierung, trotzdem sie prinzipiell den Zunftmeistern den Anspruch 
auf die Arbeit zuerkannte, doch wegen des starken Bedarfs der Armee eine Einschrän- 
kung dieses Prinzips zu Gunsten des GroBbetriebs, des Zwischenhandels vornimmt. 

212) Rathgen, Handwörterbuch d. St., Bd. 4 (1. Aufl.), S. 1124. 

213) 8. oben S. 451. 


622 G. v. Below, 


walt? Sowohl für das eine wie für das andere läßt sich manches 
anführen. 

Wir haben früher die schon im Mittelalter hervortretende 
Neigung der Städte größerer Gebiete sich zusammenzuschließen 
kennen gelernt ?!*). Die Unterlage dieser Gruppen wurde keines- 
wegs immer durch ein Territorium gebildet. Aber wir dürfen aus 
der Thatsache des Zusammenschlusses die Neigung der Bürger- 
schaften, überhaupt die alte Isolierung zu verlassen, folgern. Aller- 
dings erfordern die Ziele, die sie erreichen wollen, doch eine be- 
sondere Berücksichtigung. Die städtischen Münzverträge können im 
vollen und besten Sinne des Wortes als ein Fortschritt von der 
Stadt zur Volkswirtschaft hin bezeichnet werden; sie entspringen 
der Ueberzeugung, daß im Interesse des Verkehrs ein größeres 
Münzgebiet hergestellt werden müsse ?15). Uebrigens verfolgen die 
Landesherren dasselbe Ziel. Die allgemeinen Zwecke der Hanse 
wollen wir hier nicht erörtern; aber es darf in diesem Zusammen- 
hang nicht unerwähnt bleiben, daß bei ihrem Bunde und bei den 
Verkehrserleichterungen, die er seinen Mitgliedern gewährte, das 
Motiv der gemeinsamen Vereinigung gegen einen Gegner stärker 
als der Wunsch der Beseitigung innerer Schranken war ?!®). Die 
Vereinigungen der Handwerker verschiedener Städte ferner haben 
wohl durchweg, wie schon angedeutet ?!?), nicht sowohl die Be- 
seitigung alter Einrichtungen als vielmehr ihre Konservierung zum 
Ziele?1%). Man hatte offenbar vielfach die Ueberzeugung, daß die 
strenge Zunftverfassung sich in der einen Stadt nicht aufrecht 
erhalten ließ, wenn in einer anderen laxere Grundsätze herrschten, 
oder man glaubte mit vereinten Kräften einem irgendwie gearteten 
Einbruch in die Zunftverfassung besser wehren zu können. Teil- 
weise ist das Ziel der Vereinbarungen einer Mehrzahl von Städten 
die einfache Behauptung der Herrschaft, indem sie etwa dahin 
gerichtet sind, das patrizische Regiment in den miteinander ver- 
bundenen Gemeinden zu stützen. 

Stärker als die spontane Bewegung der Bevölkerung, bezw. 
bestimmter Gruppen derselben auf Herstellung größerer wirt- 
schaftlicher Gebiete hin ist aber unzweifelhaft der dahin gerichtete 
Zwang, der von der landesherrlichen Gewalt ausgeht. Die Ziele, 
die sie dabei verfolgt, sind wiederum verschiedener Art. In der ersten 
Zeit erstrebt sie überwiegend nur äußere Herrschaft. Wenn sie 
ein wirtschaftlich einheitliches Gebiet zu schaffen sich bemüht, so 


214) S. oben S. 452, S. 454, S. 459, S. 604. 

215) Histor. Ztschr. 75, S. 449; Schmoller, Umrisse, S. 25. 

216) S. oben S. 460. 

217) S. oben S. 460 und 594 Anm. 90a. 

218) Hansische Geschichtsblätter, 1897, 8. 76: Die Handwerker der wendischen 
Städte fassen Beschlüsse über das Lehrlingswesen, also im zünftlerischen Interesse. Ebenda, 
S. 103: die Vereinigung der Rotgießer verschiedener Städte spricht das Verbot aus, daß 
der eine dem anderen seine Arbeit abspanne (16. Jahrhundert). Die oben S. 454 
Anm. 14 erwähnte Vereinbarung der Armbruster bezieht sich auf gemeinsame Regelung 
der Stücklöhne. Etwas anders verhält es sich wohl bei den Gesellenvereinigungen. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc, 623 


sind diese Bestrebungen gewiß oft unbewußte Wirkungen der er- 
langten einheitlichen politischen Macht, beruhen nicht immer auf 
allgemeinen wirtschaftspolitischen Erwägungen ?1°). Teilweise ent- 
schließen sich die Landesherren aus lediglich finanziellen Motiven zu 
den Maßregeln, die eine Beseitigung der mittelalterlichen Schranken 
anbahnen ??°). Die Einführung eines territorialen Gästerechts, das 
sie im Beginn der Neuzeit dem städtischen Gästerecht an die Seite 
setzen, ist wohl die früheste Aeußerung einer Politik, die sich das 
wirtschaftliche Gedeihen der Territorialinsassen ??!) zum Ziele setzt. 
Ob die Landesherren dabei die Stadt des Mittelalters in bewußter 
Weise nachgeahmt haben, mag hier unerörtert bleiben. Eine starke 
Anregung zur Ordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse ihrer 
Territorien gaben ihnen die Kämpfe zwischen Stadt und Land, 
zwischen großen und kleinen Unternehmungen. Gerade hier zeigt 
es sich besonders deutlich, daß die lokalen Gewalten den in der 
neueren Zeit hervortretenden Schwierigkeiten nicht gewachsen waren, 
daß eine umfassendere Gewalt eingreifen mußte ???). In manchen 
Beziehungen waren die Unterthanen, speciell die Städte, sogar 
Gegner der wirtschaftlichen Einheit, wie es namentlich darin hervor- 
tritt, daß sie die Herrschaft über das platte Land nicht aufgeben 
wollten 22). Erinnern wir endlich noch daran, daß die Gebiete, für 
die sich die erwähnten Städtebünde konstituierten, keineswegs immer 
mit den Grenzen der Territorien zusammenfielen, so kann vollends 
kein Zweifel bestehen, daß die Hauptarbeit von den Landesherren 
gethan worden ist??#), und es ist auch klar, daß die Einigung durch 


219) Wie noch sogleich hervorzuheben sein wird, erwarben die Landesherren sich 
das Verdienst, in die Streitigkeiten der verschiedenen Interessengruppen ordnend einzu- 
greifen. Für die Erkenntnis ihrer Motive ist es aber in der im Text angedeuteten 
Richtung lehrreich, daß sie mitunter das Mittel der Erregung von Uneinigkeit anwandten, 
um ihre Herrschaft um so leichter etablieren zu können. Vergl. Histor. Ztschr., Bd. 75, 
S. 410 Anm. 2. 

220) Vergl. z. B. die oben S. 458 angeführte Aeußerung aus dem Jahre 1513: 
Der Landesherr hofft, daß eine Milderung des städtischen Gästerechts den Ertrag der 
herzoglichen Zölle steigern werde. Er spricht freilich auch noch ein allgemeineres wirt- 
schaftliches Motiv aus. 

221) Freilich noch nicht aller, sondern, da das lokale städtische Gästerecht daneben 
beibehalten wurde, nur der Bürgerschaften. S. oben S. 465 ff. 

222) Die Eingriffe der Landesherren in die inneren Verhältnisse der Städte beziehen 
sich bekanntlich nieht bloß auf wirtschaftliche Dinge im engeren Sinne, sondern auch 
z. B. auf die Abstellung der Vetternschaft im städtischen Beamtenwesen. Es ist be- 
merkenswert, daß schon Melchior v. Ossa fordert, der Landesherr solle „gegen die 
Unrechtlichkeit in den Städten“ und gegen die Vetternwirtschaft (die Bevorzugung der 
zur „Kette“ gehörenden Personen) einschreiten. F. A. v. Langenn, Melchior v. Ossa, 
S. 173 und 183. 

223) S. oben S. 465. 

224) Die erwähnten Vereinigungen verschiedener Städte, bezw. ihrer Handwerker 
werden teilweise in der späteren, in der nachhansischen Zeit noch fortgesetzt. Aber es 
steckt in ihnen nichts Kräftiges mehr. Vergl. Dragendorff, Hansische Geschichtsblätter, 
1599, S. 190. Allerdings könnte man zu obigem bemerken, daß, wenn in früherer Zeit die 
Territorien nicht das politische Uebergewicht erhalten hätten, nicht sie, sondern die 
Städte die wirtschaftliche Einigung durchgesetzt hätten. Gewiß ist es durch politische 
Kämpfe entschieden worden, wem diese Aufgabe zufallen sollte. Aber es ist doch wohl 
nicht reiner Zufall, daß die Territorien siegten und so die Aufgabe lösten. 


624 G. v. Below} 


die Bevülkerung allein nicht zustande gekommen wäre. Freilich 
ist das Ziel nur sehr langsam und vollständig nicht im Rahmen der 
Territorien, sondern erst in dem des nationalen Staates erreicht worden. 

Mit den hier erörterten Kategorien ist das Problem der Ursachen 
noch nicht erschöpft 2231. Aber das Gesagte wird für die Beant- 
wortung der speciellen Frage, die wir uns gestellt haben, hinreichen. 


X. Das Steuerwesen. 


Der Gegensatz der Begriffe Stadt-, „Territorial“- und Volks- 
wirtschaft betrifft bloß die Verhältnisse von Handel und Gewerbe. 
Der Ackerbau wird von ihm nur insofern berührt, als zum Wesen 
der Stadtwirtschaft die Beherrschung des platten Landes gehört 291 
Es kommt hier zum Ausdruck, daß die Fülle des geschichtlichen 
Lebens durch einfache Kategorien nie erschöpft wird. Die Frage 
nach der Berechtigung der Annahme eines besonderen Zeitalters 
der „Territorialwirtschaft* darf daher auch bei ausschließlicher 
Berücksichtigung der Verhältnisse des Handels und der Gewerbe 


225) Von größtem Interesse sind z. B. noch die Fragen, ob der Fabrikbetrieb sich 
aus oder neben dem Handwerk entwickelt, aus welchen Kreisen die Großindustriellen 
und Großhändler hervorgehen. Vergl. dazu Roscher-Stieda, S. 739 Anm. 3; Stieda, 
Hausindustrie a. a. O.; Tröltsch, Historische Vierteljahrsschrift, 1900, S. 138. — Man 
könnte ferner die Frage erörtern, ob der Sieg der Landesherren über die Städte mit 
einem wirtschaftlichen Rückgang derselben (vergl. Westdeutsche Zeitschrift, 1900, S. 74) 
zusammenhängt, bezw. in welchem Maße dieser durch jenen bedingt ist. Freilich ist 
das Problem des wirtschaftlichen Rückgangs der Städte in seinen Einzelheiten bisher 


noch nicht genügend untersucht worden. — Ueber die besonderen Ursachen, welche 
bald zu der einen, bald zu der anderen Getreidehandelspolitik führen, s. Schmoller, 
Umrisse, S. 657 f. — Zu der in meiner Abhandlung über Theorien der wirtschaftlichen 


Entwickelung, 8. 63 ff. gegebenen Schilderung der Ursachen der mittelalterlichen Stadt- 
wirtschaft trage ich hier den Hinweis auf Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarz- 
waldes, Bd. 1, S. 475 nach. Derselbe spricht sieh — ebenso wie ich a. a. O. — gegen 
die Anschauung aus, daß im Anfange der gewerblichen Entwiekelung der Städte die 
größte wirtschaftliche und soziale Gebundenheit bestanden habe und daß sie trotz ein- 
zelner Rückschläge im Laufe der Zeit nur Lockerungen erfahren habe. Er sieht sich 
„vielfach zu einer entgegengesetzten Ansicht“ genötigt. Richtig bemerkt er, daß jene 
irrige Anschauung mit der hofrechtlichen Theorie zusammenhänge. Unzulässig ist es 
aber, wenn er weiterhin behauptet: „Die Städte waren ursprünglich ohne Acker- 
gemarkung. Es darf nur gesagt werden, daß einzelne sie nicht besaßen. Keussen ist 
kürzlich zu dem Resultat gelangt, daß auch Köln entgegen der bisher allgemein herr- 
schenden Annahme eine Allmende gehabt hat. 

226) Es liegt nahe, Aenderungen im Betrieb der Landwirtschaft auf den Einfluß 
der Stadt-, bezw. Volkswirtschaft zurückzuführen, und gewisse Einwirkungen sind ja 
nicht zu bestreiten, Aber es wäre unzulässig, wenn man behaupten wollte, daß das 
Aufkommen der Stadt-, bezw. der Volkswirtschaft oder gar einer „Territorialwirtschaft“ 
bestimmte Aenderungen in der Landwirtschaft unbedingt nach sich ziehe. Um uns 
auf unser specielles Beweisthema zu beschränken, so sind im 16. Jahrhundert — mit 
dem das Zeitalter der „Territorialwirtschaft“ beginnen soll — aus West- und Süddeutsch- 
land nur ganz geringe Aenderungen in der Landwirtschaft zu verzeichnen, im Osten, 
speciell im Nordosten größere. Aber — von anderem abgesehen — gerade diese ört- 
liche Verschiedenheit der Entwiekelung beweist, daß jenes neue nicht Ausdruck eines 
neu aufkommenden allgemeinen wirtschaftlichen Zeitalters sein kann. Ueber die Um- 
wandelung der Verhältnisse im Osten und ihre Ursachen s. übrigens mein Territorium 
und Stadt, S, 1 ff. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 625 


beantwortet werden. Man könnte aber immerhin noch weitere Zweige 
der staatlichen Verwaltung daraufhin untersuchen, ob sich aus 
ihrer Gestaltung ein Anhalt für die Konstruierung eines solchen 
Zeitalters gewinnen ließe. Wir wollen deshalb wenigstens dem 
Steuerwesen 2271 noch ein kurzes Wort widmen. 

Schmoller ??®) läßt die territorialen Steuersysteme „die alten 
städtischen Steuersysteme teils beseitigen, teils wesentlich verändern“ 
und „zwischen Stadt und Land, . .. zwischen den einzelnen Land- 
schaften des Territoriums Beziehungen und Bande“ schaffen, „welche 
das wirtschaftliche Leben von Grund aus umgestalteten“. Von vorn- 
herein ist die letzte Behauptung abzulehnen: eine radikale Um- 
wandlung des wirtschaftlichen Lebens hat in keiner Weise statt- 
gefunden. Sodann haben die territorialen Steuern ganz gewiß dazu 
beigetragen, die einzelnen Teile des Territoriums einander nahe 
zu bringen: aber diese Annäherung hält sich doch in bemerkens- 
werten Grenzen. Manche Landschaften des Territoriums behalten 
ihr eigenes Steuersystem??”). Es wird ferner den lokalen Ver- 
waltungssprengeln noch viel Freiheit der Bewegung zugestanden 2901. 
Wichtiger ist es, daß die städtischen Steuersysteme nicht „beseitigt“ 
oder „wesentlich verändert“ worden sind, sondern sich im wesent- 
lichen behauptet haben. Erst in und seit der zweiten Hälfte des 
17. Jahrhunderts findet eine tiefer greifende Beeinflussung der 
städtischen Steuern durch die territorialen Regierungen statt 2911. 
Wie wir beobachtet haben, daß in allgemein wirtschaftlicher Be- 
ziehung die Städte ihre bevorzugte Stellung in den ersten Jahr- 
hunderten der Neuzeit bewahren, so gehen sie auch hinsichtlich der 
Steuerverfassung keineswegs im Territorium auf. Die Landesherren 
erkennen noch im 16. Jahrhundert die eigentümlichen städtischen 
Privilegien des Mittelalters in den direkten Steuern des Territoriums 
an 222), Von dem im Beginn der Neuzeit geschaffenen indirekten 
territorialen Steuersystem meint Schmoller ?#), daß es „notwendig 
einen Kampf gegen die städtischen indirekten Steuern und die auf 
sie sich gründende Handelspolitik erzeugte“. Man wird doch wohl 
umgekehrt finden, daß das indirekte territoriale Steuersystem des 


227) Aehnliches wie für das Steuerwesen ließe sich wohl für die Luxusgesetzgebung 
ausführen. Vergl. Sommerlad, Art. Luxus, Handw. der St., 2. Aufl., Bd. 5, S. 652 ff. 
Es mag hier noch hervorgehoben werden, daß die ständische Teilung des wirtschaft- 
lichen Daseins, wenn sie auch gesetzlich überwiegend erst in nachmittelalterlicher Zeit 
festgelegt worden ist, doch wesentlich auf mittelalterlichen Gedanken beruht (vgl. mein 
Territorium und Stadt, S. 271 ff. und Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 41). Sie 
bleibt bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts rechtlich anerkannt. 

228) Umrisse und Untersuchungen, 8. 29 f. 

229) Vergl. z. B. meine landständische Verfassung in Jülich und Berg, Teil UI, 
Heft 1, S. 82 f. und Heft 2, S. 80 f.; Territorium und Stadt, S. 223. 

230) Vergl. z. B. meine landständ. Verf. a. a. O., Heft 2, S. 45 und 51. 

231) Schmoller schreibt die von ihm behauptete Umwandlung der Zeit vom 15. 
bis 17. Jahrhundert zu. Den Anfang bildet nach ihm etwa das Jahr 1470. 

232) S. meine landst. Verf. a. a. O., Heft 1, S. 39 Anm. 17 und S. 40 Anm. 19; 
Heft 2, S. 85 f. 

233) Umrisse, S. 30. 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 40 


626 G. v. Below, 


16. bis 18. Jahrhunderts überwiegend den Verhältnissen der Städte 
angepaßt war und daß der Landesherr aus Rücksicht auf seine in- 
direkten Steuern die alte Stadtherrschaft konservierte 2%), wodurch 
seine Handelspolitik wesentlich bestimmt wurde. Allerdings mußte 
ja die Einführung territorialer indirekter Steuern die alten städtischen 
Accisen beeinflussen. Das System der indirekten Steuern wurde 
weiter ausgebaut; ihr Ertrag fiel mehr dem Landesherrn zu, während 
ihn im Mittelalter fast ausschließlich die Städte genossen hatten; 
ihre Verwaltung endlich wurde im Laufe der Zeit, hauptsächlich 
übrigens erst seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, eine 
landesherrliche. Aber gerade die von Schmoller behauptete Wirkung 
trat kaum ein 235), 

Die im 16. Jahrhundert begründete territoriale Steuerverfassung 
erinnert in gewissem Sinne an das damals geschaffene territoriale 
Gästerecht. Beide übertragen den in der mittelalterlichen Stadt- 
wirtschaft herrschenden Gedanken der Abschließung auf das Terri- 
torium, indem sie es dem Auslande gegenüber als eine Einheit auf- 
fassen und den Ausländer dem Insassen gegenüber benachteiligen ?5). 


234) An anderer Stelle (Umrisse, S. 379) hebt Schmoller übrigens richtig hervor, 
daß die Entscheidungen in der Frage der Beherrschung des Landes durch die Stadt 
„mehr vom fiskalischen Aceisestandpunkt eingegeben“ wurden. 

235) Die Schilderung des mittelalterlichen Steuerwesens bei Schmoller, S. 30 ist 
unzutreffend. Es verhält sich nicht so, daß „in den Städten‘ „das 13. Jahrhundert haupt- 
sächlich die direkte Vermögenssteuer ausbildete“, sondern die specifisch städtische Steuer 
des 13. Jahrhunderts ist durchaus die indirekte (die Aceise). Die direkte Steuer des 
13. Jahrhunderts (auch schon des 12.) ist eine landesherrliche (Bede, Schatz). So bleibt 
es auch der Hauptsache nach im ganzen Mittelalter; nur daß in fast allen größeren 
und auch manchen kleineren Städten seit dem 14. Jahrhundert zu der indirekten all- 
gemeine Vermögenssteuern hinzutreten. Aber die Grundlage der städtischen Finanz- 
wirtschaft bildet in allen Jahrhunderten des Mittelalters die Aceise. Der von Schmoller 
für das 14. Jahrhundert behauptete Wechsel hat nicht stattgefunden. Er unterscheidet 
ferner nicht zwischen der landesherrlichen und der landständischen Bede. Irrig ist 
ferner seine Angabe, daß die territorialen direkten Steuern des 14. und 15. Jahrhunderts den 
„älteren städtischen Steuern nachgebildet“ worden seien. Um Nachahmung kann es sich 
hier schon deshalb nicht handeln, weil die städtischen direkten Steuern gar nicht älter sind. 
Eine Nachahmung der Städte durch die Landesherren ist im Mittelalter nur auf dem 
Gebiet der Accise zu beobachten. Vergl. meine Abhandlung über die städtische Ver- 
waltung des Mittelalters als Vorbild der späteren territorialen Verwaltung, S. 432; 
meine Artikel Bede und Grundsteuer im Handw. d. St., 2. Aufl., Bd. 2, S. 535 ff. 
und Bd. 4, S. 917 H: Gött. Gel. Anzeigen 1890, S. 314; Westdeutsche Ztschr., 1900, 
S. 67. Das mittelalterliche Steucrwesen läßt sich nur verstehen, wenn man die Be- 
deutung der älteren Bede richtig würdigt. Auch in Schmoller’s Abhandlung über die 
Epochen der preußischen Finanzpolitik (Umrisse, S. 104 ff.) kommt dieselbe nicht zu 
rechter Geltung. Er hat es unterlassen, beim Wiederabdruck dieser Abhandlung die 
Bemerkungen in der in meinem Art. Grundsteuer erwähnten trefflichen Schrift von 
F. J. Neumann und in meiner landständ. Verfassung a. a. O., Heft 1, S. 54 Anm. 1 zu 
verwerten. Auch hier sehen wir wiederum, daß der Beginn der Neuzeit nicht den 
Anfang einer ganz neuen Wirtschaftsperiode bezeichnet. Wie einerseits das mittelalter- 
liche System noch weit in die neuere Zeit hineinreicht, so beginnt andererseits das, was 
Schmoller „Territorialwirtschaft“ nennt, schon erheblich früher im Mittelalter, als er an- 
nimmt. — Ueber die von Schmoller, Umrisse, S. 29 Anm. 1 erwähnten Schriften von 
Hoffmann und Bielfeld vgl. Gött. Gel. Anzeigen, 1890, S. 323 Anm. 2. 

236) Vergl. die stärkere Heranziehung der Ausländer, die im Lande Grundbesitz 
haben. zu den territorialen Steuern. 8. meinen Artikel Grundsteuer a. a. O., S. 920 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 627 


Aber beide stimmen auch darin überein, daß sie innerhalb des 
Territoriums noch keine Gleichheit einführen, vor allem die Sonder- 
stellung der Städte nicht beseitigen, sondern nur neben das städtische 
das territoriale Recht setzen. 


XI. Resultate. 


Wir können jetzt aus unseren Betrachtungen das Facit ziehen. 

Man darf von einer wirtschaftlichen Territorialpolitik, nicht 
aber von einer Territorialwirtschaft sprechen. Wenn man die 
Perioden der Wirtschaftsgeschichte je nach dem einflußreichsten 
Faktor in der Wirtschaftspolitik bilden will, so mag Schmoller recht 
haben. Allein die Berechtigung eines solchen Verfahrens ist zu 
bestreiten. Es muß in jedem einzelnen Fall erst nachgewiesen 
werden, daß mit einem Wechsel in dem Subjekt der Politik sofort 
eine allgemeine Umwandlung der wirtschaftlichen Verhältnisse zu- 
sammenfällt. Der von Schmoller vorausgesetzte enge Zusammenhang 
zwischen den verschiedenen Seiten der wirtschaftlichen Kultur ver- 
steht sich keineswegs von selbst 29". Mit der Kenntnis der religiösen 
Bewegung einer Zeit gewinnen wir noch keine Kenntnis der wirt- 
schaftlichen Zustände derselben, und selbst innerhalb der wirt- 
schaftlichen Kultur vermittelt uns die Anschauung der einen Seite 
noch nicht ohne weiteres ein Bild der anderen. 

Mit dem 16. Jahrhundert beginnt eine Wirtschaftspolitik der 
Landesherren. Aber die mittelalterliche Stadtwirtschaft bleibt im 
wesentlichen bestehen. Falls wir eine einfache Formel zur Bezeichnung 
des wirtschaftlichen Charakters der Zeit vom 16. bis zum 18. Jahr- 
hundert aufstellen wollen, so dürfte es sich empfehlen, sie die 
Periode der Stadtwirtschaft unter landesherrlicher Leitung zu nennen, 
im Gegensatz zum Mittelalter als der Periode der Stadtwirtschaft 
unter städtischer Leitung ?#). 


§ 6; Th. Knapp, Die Verfassung der Landorte des jetzigen Oberamts Heilbronn, Württem- 
bergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde, 1899, S. 38. 

237) Oben S. 614 ff. habe ich auseinandergesetzt, daß die Entwickelung des Han- 
dels und die der Gewerbe durchaus nicht in einem so engen Zusammenhang stehen, 
wie es z. B. Bücher voraussetzt.  Vergl. ferner meine Theorien der wirtschaftlichen 
Entwickelung, S. 26 f. Es kann bei einem Volke großer Handel ohne städtisches Leben 
bestehen. Ueber das Verhältnis der Entwiekelung der Landwirtschaft zu der von Handel 
und Gewerbe s. oben Anm. 226. Hildebrand sagt in seinen Jahrbüchern, Bd. 2, S. 10: 
„jede Nation hat ihre Naturalwirtschaft und mit ihr in der Regel auch ihre feudalen 
Institutionen gehabt.“ Aber Bauernrepubliken haben trotz der Naturalwirtschaft feudale 
Institutionen nicht. Die Vertreter der Kulturgeschichtschreibung im 19. Jahrhundert 
gehen (soweit sie überhaupt einen prinzipiellen Standpunkt einnehmen) übereinstimmend 
von dem Gedanken der Einheit der Kultur aus. Maßvoll verteidigt diesen Gedanken 
Gothein, Die Aufgaben der Kulturgeschichte (Leipzig 1899), S. 37 ff., in extremer Weise 
Lamprecht (s. Historische Zeitschrift, Bd. 81, S. 258 HL Die Vertreter der Idee der 
Einheit der Kultur müßten nachweisen, daß der Kundenproduktion überall die gleiche 
politische Verfassung entspricht. In Deutschland sehen wir aber, daß die Kunden- 
produktion, die im Mittelalter mit der Autonomie der Städte gleichzeitig ist, in den 
ersten Jahrhunderten der Neuzeit auch mit der Herrschaft der Landesherren bestehen kann. 

238) Auch Koser, Friedrich d. Gr., Bd. 1, S$. 438 lehnt Schmoller’s „Territorial- 


40* 


628 G. v. Below, 


Die gewerbliche Produktion und der Austausch der Waren, 
der „Weg“, den sie zurücklegen ??°), haben in den ersten Jahr- 
hunderten nach Schluß des Mittelalters überwiegend noch denselben 
Charakter, den sie in diesem hatten. Es herrscht somit noch das 
stadtwirtschaftliche System in wenig verminderter Weise vor. Und 
die Landesherren stellen auch ihre Politik vorzugsweise in den 
Dienst der Ziele der Stadtwirtschaft. Nun giebt es freilich neben 
dem alten auch neue wirtschaftliche Erscheinungen: Aufkommen 
einer Großindustrie, Steigerung des Großhandels, große Messen, 
Banken, Börsen. Indessen soweit die Landesherren mit diesen 
Dingen überhaupt zu thun haben, fördern sie sie einstweilen nur 
wenig oder stehen ihnen sogar feindlich gegenüber, bekämpfen sie 
im Interesse der alten Stadtwirtschaft. Der Hauptsache nach stehen 
jene neuen Erscheinungen gar nicht im Rahmen der territorialen 
Grenzen. Der Handel ist entweder lokal oder er geht nicht bloß 
über das Stadtgebiet, sondern auch über das Territorium hinaus. 
Die neuen wirtschaftlichen Erscheinungen gehören überwiegend der 
Volks-, teilweise sogar der Weltwirtschaft an. Die Territorien sind 
sämtlich nicht groß genug, die meisten viel zu klein, um eine 
Territorialwirtschaft möglich zu machen. Der Landesherr sieht es 
mitunter selbst ein, indem er sich -- so beim Münzwesen — mit 
Nachbarn vereinigt, um ein größeres Wirtschaftsgebiet herzustellen. 

Mit den Bemerkungen über die neuen wirtschaftlichen Er- 
scheinungen deute ich schon an, daß ich keineswegs beanspruche, 
durch die vorhin aufgestellte Formel die ganze Fülle des wirtschaft- 
lichen Lebens der hier in Betracht kommenden Jahrhunderte wieder- 
zugeben. Ich bin vielmehr der Ansicht, daß wir bei historischen 
Erscheinungen überhaupt darauf verzichten müssen, eine Bezeich- 
nung ausfindig zu machen, die allen ihren Seiten gerecht wird. Bei 
ihrer Kompliziertheit werden wir nur immer das Ueberwiegende an- 
deuten können. Die Autoren, die nicht müde werden, über die Ver- 
kehrtheit der herkömmlichen Einteilung des geschichtlichen Verlaufs 
Altertum, Mittelalter und Neuzeit zu sprechen, haben ihrerseits noch 
keine Terminologie vorschlagen können, die imstande wäre, jene 


wirtschaft‘ stillschweigend ab, indem er als den positiven Kern des Merkantilismus 
„das Ringen nach Ersetzung des Widerstreits örtlicher, stadtwirtschaftlicher Sonder- 
bestrebungen durch eine staatliche und nationale Gemeinpolitik, durch eine Volks- 
wirtschaft“ auffaßt. Er läßt also auf die Stadtwirtschaft unmittelbar die Volkswirtschaft 
folgen. Al. Schulte, Handel mit Italien, Bd. 1, S. 678 schildert die wirtschaftlichen 
Verhältnisse des 16. Jahrhunderts als noch durchaus mittelalterlich. Er geht darin 
vielleicht etwas zu weit, trifft aber mit seinem Urteil mehr das Richtige als Schmoller. 
Im einzelnen ließe sich sonst Manches gegen seine Ausführungen einwenden, z. B. 
gegen den Satz: „die wirtschaftliche Gliederung in Handelsstädte und wesentlich von 
der Urproduktion lebende Halbstaaten blieb in Deutschland bestehen.“ Diese „wirtschaft- 
liche Gliederung“ bestand ja auch in denjenigen Staaten, welche — wie England — 
im 16. Jahrhundert eine energische Handelspolitik entfaltet haben. Eine andere Auf- 
fassung als Schmoller hat ferner offenbar Rathgen, wenn er in Oesterreich „eine staat- 
liche Handelspolitik“ erst seit dem 18. Jahrhundert bestehen läßt. S. oben S. 615 
Anm. 192. 
239) Vergl. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, S. 11. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft etc. 629 


in befriedigender Weise zu ersetzen?4°). Daß auch der Ausdruck 
„Stadtwirtschaft“ dem mittelalterlichen Wirtschaftsleben nicht in 
allen Beziehungen gerecht wird, haben wir schon angedeutet. Noch 
schwieriger ist die Auffindung eines Terminus für die uns hier be- 
schäftigende Zeit. Vielleicht zieht mancher es vor, für sie eine 
Formel aufzustellen, in der vorzugsweise die neuen Erscheinungen 
(der zunehmende Großhandel u. s. w.) zum Ausdruck gelangen. Ich 
lehne eine solche Formel ab, weil meiner Meinung nach das Alte 
überwiegt ?*'). Aber gesetzt, es stellte sie jemand auf: das Wort 
„Territorialwirtschaft“ würde sie keinenfalls enthalten. Denn für 
jene neuen Erscheinungen ist es charakteristisch, daß sie an den 
Rahmen des Territoriums nicht gebunden sind. 

Ein Zugeständnis könnte man Schmoller’s Auffassung allenfalls 
für das 18. Jahrhundert machen. Jetzt besitzen einige deutsche 
Staaten, insbesondere Preußen und Oesterreich, ein in hohem Maße 
abgeschlossenes und eigenartiges wirtschaftliches Leben. Sie er- 
reichen für ihr großes Gebiet ungefähr dieselbe Abgeschlossenheit, 
die die mittelalterliche Stadt für ihr kleines Gebiet durchzusetzen 
wußte. Allein den Ausdruck „Territorialwirtschaft“ wird man doch 
auch auf sie nicht anwenden. Denn erstens gelangen zu jenem Ziel 
nicht alle deutschen Territorien, sondern nur einige wenige. Und 
diejenigen, die überhaupt in Betracht kommen, haben das Maß des 
normalen deutschen Territoriums weit überschritten. Perthes nennt 
sie „Staaten mit europäischem Charakter“ 242). Weiter aber #43) 
haben sie, so bedeutsam ihre Fortschritte in der Ueberwindung der 
mittelalterlichen Schranken im Innern sind ?**), mit ihnen noch 
‚keineswegs vollständig aufgeräumt: sie bewahren noch viel von der 
mittelalterlichen Stadtwirtschaft. Statt daß man sie als Repräsen- 
tanten der „Territorialwirtschaft‘“ bezeichnet, sollte man lieber die 
Formel gebrauchen, sie stellten die Anfänge der Volkswirtschaft 
dar ?*5). Die Schritte, die über die Stadtwirtschaft hinaus gethan 


240) Für die Wirtschaftsgeschichte, speciell die Gewerbegeschichte Deutschlands 
weist die vorliegende Untersuchung nach, daß das Jahr 1500 einen weniger bedeut- 
samen Abschnitt bildet als das Jahr 1800 oder richtiger 1810. Für die allgemeine 
Geschichte aber bleibt die Einteilung in Mittelalter und Neuzeit immer noch die 
brauchbarste. Wichtiger als das kritische Urteil über die Mängel einer Einteilung ist 
die Erkenntnis, daß die Einheit der Kultur nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden darf. 

241) Daran kann doch wohl nicht gezweifelt werden. Ueber den Umfang und die 
Kraft des Neuen gehen die Ansichten allerdings etwas auseinander. Vergl. einerseits 
Bücher oben S. 450, andererseits Tröltsch oben S. 608 Anm. 167. 

242) Das deutsche Staatsleben vor der Revolution, S. 154 ff. 

243) Wir wollen davon absehen, daß ihre wirtschaftliche Abgeschlossenheit nicht 
vollständig ist. Auch ein Staat wie Preußen sucht z. B. für das Münzwesen Anschluß 
an andere. 

244) Vergl. z. B. oben S. 461 Anm. 45. 

245) S. oben S. 628 Anm. 238. — Schmoller scheint öfters einen Unterschied 
zwischen territorialer und staatlicher Wirtschaftspolitik, zwischen territorialen und staat- 
lichen Wirtschaftskörpern zu machen. Vergl. z. B. Umrisse, S. 28 Anm. 1 und S. 34—37. 
Er drückt sich jedoch nicht ganz klar darüber aus. Auf eine Schwierigkeit im Aus- 
druck weist Ratzel hin. S. meine Theorien der wirtschaftlichen Entwickelung, 8. 21 
Anm. 3. Für Deutschland hat jedoch der Sprachgebrauch dahin entschieden, daß man 


630 G. v. Below, 


werden, führen nicht zu einer „Territorialwirtschaft“; sondern zu der 
Volks-, teilweise sogar Weltwirtschaft. 

Wenn wir der Politik der deutschen Landesherren die Wirkung 
und Bedeutung für das Wirtschaftsleben des 16. bis 18. (oder 17.) 
Jahrhunderts, die Schmoller ihnen beimißt, absprechen, so unter- 
schätzen wir die Wichtigkeit des politischen Faktors für die wirt- 
schaftliche Entwickelung keineswegs. Wir sehen vielmehr gerade 
in der Thatsache, daß die politische Schwäche Deutschlands, seine 
Zersplitterung mit einem Zurückbleiben in wirtschaftlicher Beziehung 
zusammenfällt, einen Beweis für seinen Einfluß. Wir wollen auch 
der Arbeit der Landesherren in der auf das Mittelalter folgenden 
Zeit die Anerkennung im allgemeinen nicht versagen. Aber ihre 
Thätigkeit ist im 16. und meistens auch noch im 17. Jahrhundert 
mehr anderen Fragen als den wirtschaftlichen gewidmet. Die Ver- 
größerung des Territoriums, die Niederwerfung und Angliederung 
lokaler Gewalten mannigfacher Art ?#6), die Herstellung von Ord- 
nung und Sicherheit ?*°), die großen kirchlichen Angelegenheiten, 
die Reform der Verwaltungsorganisation ?*®), die im Zusammenhang 
mit der Rezeption des römischen Rechts vorgenommenen Kodifika- 
tionen — das waren Probleme, deren Bewältigung gewiß nicht gering 
anzuschlagen ist. Von den wirtschaftlichen Fragen sind es jedoch 
hauptsächlich nur die Steuerverfassung, das Münzwesen und die 
Domänenverwaltung, in geringem Grade die Landwirtschaft ?*°) als 
solche, die eine selbständige Thätigkeit der Landesherren zeigen. 


Territorium und Staat öfters in verschiedenem Sinne nimmt. Hat man die ältere Zeit 
im Sinne, so spricht man von den „deutschen Territorien“. Denkt man an das 19. Jahr- 
hundert, so spricht man von den „Einzelstaaten‘ oder von den deutschen Staaten schlechthin. 
Für uns sind diese Unterschiede nicht von Wichtigkeit, da es eine „Territorialwirtschaft“ 
jedenfalls nicht gegeben hat. Der Ausdruck Staatswirtschaft ist in dem uns interessie- 
renden Zusammenhange schon deshalb zu vermeiden, weil er den Gedanken an eine 
ganz andere Vorstellungsreihe erweckt. Das, was man allenfalls in jenem Sinne Staats- 
wirtschaft zu nennen sich genötigt sehen könnte, läßt sich auch als Volkswirtschaft 
bezeichnen, da bei diesem Begriff, wie er nun einmal von Bücher ausgebildet worden 
ist, nicht sowohl an das nationale Moment als vielmehr nur an eine bestimmte Art des 
wirtschaftlichen Austausches innerhalb eines großen Gebietes gedacht wird. Vergl. oben 
S. 613 Anm. 184. Ad. Wagner, Preuß. Jahrbücher, Bd. 75, S. 553 macht gegen 
Schmoller den Einwand, zwischen seiner Territorial- und Volkswirtschaft sei nur ein 
gradweiser Unterschied vorhanden. Er gesteht damit implieite also die Existenz einer 
Territorialwirtschaft zu. Im übrigen trifft sein Einwand zu. — Es würde sehr lehr- 
reich sein, hier noch die Verhältnisse anderer Völker zum Vergleich heranzuziehen. 
Vergl. dazu Schmoller, Umrisse, S. 442 ff. und meine Theorien der wirtschaftlichen 
Entwickelung, S. 76 Anm. 2. Allein wir müssen uns aus Rücksicht auf den uns zur 
Verfügung stehenden Raum auf die deutsche Wirtschaftsgeschichte beschränken. Es 
mag nur hervorgehoben werden, daß Schmoller, Umrisse, S. 658 von den französischen 
pays d'élection bemerkt, sie seien schon so groß gewesen, „daß man nicht eigentlich 
mehr von einer territorialen, sondern von einer staatlichen Politik sprechen muß“. 

246) Es handelt sich hier keineswegs bloß um die Beseitigung der Autonomie der 
Städte. Ueber eine andere Kategorie vgl. z. B. meine landständische Verfassung in 
Jülich und Berg, Teil III, Heft 2, S. 183 ff. 

247) Nähere Ausführungen hierüber s. in meinen Landtagsakten von Jülich-Berg, 
Bd. 1, S. 113 ff. und 139 ff. 

248) S. mein Territorium und Stadt, S. 283 ff. 

249) Vergl. oben S. 472 Anm. 86 ff. 


Der Untergang der mittelalterlichen Stadtwirtschaft ete. 631 


Im übrigen schließen sie sich in wirtschaftlicher Beziehung, wie wir 
gesehen haben, einstweilen überwiegend an das mittelalterliche 
System an. Erst im 18. und vor allem im 19. Jahrhundert begegnen 
wir ihnen hier in erhöhter und originaler Thätigkeit. 

Wie im 16. und 17. Jahrhundert die Bedeutung der politischen 
Verhältnisse für die wirtschaftlichen uns in negativer Hinsicht ent- 
gegentritt, SO zeigen sie im 19. in hohem Maße ihre fördernde Kraft. 
Wenn wir dieses im vollem Sinne eine Zeit der Volkswirtschaft zu 
nennen berechtigt sind, so ist die eingetretene Erweiterung des Ver- 
kehrs zu einem sehr beträchtlichen Teile Produkt politischer Vor- 
gänge. Die Bedürfnisse des großen Staates und die Herstellung 
der Verkehrsfreiheit und Verkehrseinheit haben den Güteraustausch 
außerordentlich gesteigert. Neben den neuen volkswirtschaftlichen 
Beziehungen sind die alten stadtwirtschaftlichen noch nicht ganz 
geschwunden und werden voraussichtlich auch nicht ausscheiden. 
Die Neigung der Gemeinden Zu Abschließung und Ausübung der 
Herrschaft wird immer wieder hervortreten. „Der wirtschaftliche 
Städtekrieg früherer Jahrhunderte tobt immer weiter“ ?5°). Aber 
der Staat hat die alten Schranken beseitigt und die Mittel, mit denen 
sonst die Gemeinden einander und das platte Land zu bekämpfen 
pflegten, an sich genommen. Das gewaltigste Verkehrsmittel der 
Gegenwart ist in Deutschland fast ausschließlich in seiner and. 
Die lokalen Bestrebungen werden keine großen Erfolge haben, SO 
lange der Staat kräftig bleibt. 


250) Hasbach, Histor. Zeitschr., Bd. 63, S. 352. 


632 R. Rosendorff, 


Nachdruck verboten. 


IX. 


Die Goldprämienpolitik der Banque de France 
und ihre deutschen Lobredner. 


Von 
Dr. R. Rosendorff. 


I. Teil. Die Goldprämienpolitik der Banque de France. 


I. Die Angriffe der Bimetallisten auf die Diskont- 
politik der Reichsbank. 


Seit mehreren Jahren wird die Diskontpolitik der Reichsbank 
von seiten der Agrarier und Bimetallisten einer scharfen Kritik 
unterzogen. Diese Politiker behaupten nämlich, lediglich durch das 
Festhalten an der „durchaus veralteten“ Praxis der Diskonterhöhungen, 
die bei internationalen Goldbewegungen seitens der Reichsbank zum 
Schutze ihrer Goldreserve vorgenommen würden, würde die pro- 
duktive deutsche Arbeit in Industrie und Landwirtschaft zu Gunsten 
der „spekulativen Arbitrage‘ oder des „goldbedürftigen Auslandes“ 
schwer belastet, während die Leitung der Reichsbank durch Ueber- 
gang zu dem seitens der Bank von Frankreich angeblich mit durch- 
schlagendem Erfolge geübten System der ,Goldprämienpolitik* sehr 
wohl dazu imstande sei, die deutschen Goldbestände ohne eine die 
gesamte Volkswirtschaft belastende Geldverteuerung wirksam zu 
schützen. 

Zum Beweise für diese Behauptung weist man auf den dreimal 
so großen Goldschatz der Bank von Frankreich hin, welcher bei 
einem wesentlich niedrigeren und stabileren Bankdiskont lediglich 
mit Hilfe von Goldprämien erworben und festgehalten sei. 

Nachdem die deutschen Bimetallisten unter dem Beistande des 
Franzosen Théry diese Ansichten schon im Jahre 1897 in der Bro- 
schüre: „Warum zahlt der Deutsche 5 Proz., der Franzose 2 Proz. 
Bankdiskont?“, zu vertreten gesucht hatten, wurden ihre Angriffe 
gegen die Leitung der Reichsbank 1898 und 1899, Jahren, in welchen 
der deutsche Bankdiskont eine Höhe von 6 und 7 Proz. erreichte, 


Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 633 


während Frankreich mit einem wesentlich geringeren Satze auskam, 
um so heftiger, und sie versuchten sogar, einen positiven Einfluß auf 
die Gesetzgebung zu gewinnen. 

So wurde von Arendt bei Gelegenheit der Beratung der Bank- 
gesetznovelle dem Reichstage eine Resolution vorgelegt, in der es 
heißt: 

„Der Herr Reichskanzler möge behufs Sicherung reichlicher 
Goldbestände in der Reichsbank und eines dadurch bedingten billi- 
geren Diskont das Direktorium der Reichsbank anweisen, dem Bezuge 
von Gold zu Exportzwecken seitens der Arbitrage durch ein Auf- 
geld für exportfähiges Gold bis zu höchstens 10°/,, entgegen- 
wirken.“ 

Die dieser Resolution zu Grunde liegenden Anschauungen sind 
noch nicht alt. Noch in der Vorrede zur 3. Auflage des Buches 
von Goschen „The theory of the foreign exchanges“ spricht Leon 
Say, der frühere französische Finanzminister, von diesem seitens der 
Bank von Frankreich geübten System als einer „méthode nouvelle 
et dangereuse“. Und während dieselbe bisher allgemein — auch 
von französischen Volkswirten — verdammt wurde, begann sie erst 
Landesberger im Jahre 1892 in ein wissenschaftliches System zu 
bringen und dem damaligen österreichischen Finanzminister in einer 
Denkschrift für die Politik der Bank von Oesterreich- -Ungarn — aller- 
dings erfolglos — zu empfehlen 1). 

Zur Entscheidung der Frage, ob die deutsche Reichsbank gut 
daran thäte, das von ihr im Einklang mit sämtlichen Notenbanken 
der Welt mit alleiniger Ausnahme der Bank von Frankreich geübte 
System der Diskontpolitik zu verlassen und dem Beispiele der letzt- 
genannten Bank zu folgen, darf man jedoch nicht, wie dies Landes- 
berger thut, auf Grund theoretischer Deduktionen urteilen, sondern 
muß, wie wir dies in den folgenden Aufsätzen versuchen werden, die 
Prämienpolitik in dem Lande und zu der Zeit ihrer praktischen Wirk- 
samkeit einer Untersuchung unterziehen. 


II. Die Handhabung der Goldprämienpolitik 
in Frankreich. 


Die Goldprämienpolitik der Bank von Frankreich basiert auf 
dem ihr gesetzlich zustehenden Rechte, die silbernen Fünffrancs- 
stücke in jedem Betrage an Stelle von Gold in Zahlung zu geben. 


1) Landesberger, Währungssystem und Relation, 2 Bde. Ueber die Goldprämien- 
politik der Zettelbanken. Wien 1892. 

Zu den zahlreichen bimetallistischen Unrichtigkeiten gehört auch die Behaup- 
tung der Thatsache, daß die Bank von Oesterreich-Ungarn ihren Goldschatz durch Gold- 
prämien schütze. (Cf. Arendt, Dtsche Tagztg. vom 6. Mai 1900). Bei einer Bank, die wie 
die erwähnte, ihre Barzahlungen überhaupt noch nicht aufgenommen hat, kann natür- 
lich von Prämienpolitik nicht die Rede sein. Thatsächlich thut sie aber seit einigen 
Jahren sogar genau das Gegenteil davon, d. h. sie giebt Gold, oder vielmehr größten- 
teils Devisen ab, um den Wechselkurs möglichst niedrig zu halten, ohne dazu irgend- 
wie verpflichtet zu sein, und trachtet dabei danach, dem Diskont des Auslandes so weit 
als möglich zu folgen. (Cf. Ostersetzer, Die Entwickelung der Valuta und die Zukunft 
der Währungsreform.) 


634 R. Rosendorff, 


Während die Reichsbank, die bis zur vülligen Durchführung der 
Münznovelle vom 13. Juni 1900, dasselbe Recht hinsichtlich der in 
ihrem Besitz befindlichen Thaler hat, davon trotz mancher wider- 
sprechender Gerüchte im Interesse der deutschen Valuta thatsächlich 
niemals zwangsweise Gebrauch gemacht hat, benutzt die Bank von 
Frankreich jenes erwähnte Recht, in nicht exportfähigem Silber zu 
zahlen, um das von ihr verlangte exportfähige Gold entweder ganz 
zu verweigern oder doch zu verteuern !). 

Die deutschen Bimetallisten gehen bei ihrer Darstellung der 
Wirkungen der Goldprämien von einer in Frankreich angeblich 
systematisch ausgebildeten und gehandhabten Politik aus. Sie stellen 
sich dieselbe sehr einfach, aber völlig unrichtig vor. Sie glauben 
nämlich, Gold gäbe die Bank dem, der es im Inlande für inländische 
Geschäfte braucht; habe sie jedoch die Vermutung, das von ihr ge- 
forderte Gold solle dem Export dienen, so verlange sie eine so hohe 
Prämie, daß der Export des Goldes wegen der durch diese hervor- 
gerufenen Verteuerung unrentabel und daher unmöglich werde. In- 
folgedessen behalte die Bank ihr Gold und sei in der Lage, den 
Diskont niedrig und stabil zu erhalten. 

In dieser von den deutschen Bimetallisten und Landesberger 
geschilderten systematischen Weise wird die Prämienpolitik von der 
Bank von Frankreich jedoch nicht zur Anwendung gebracht. In 
Wirklichkeit geht sie in ihrer Münzpolitik oft recht launenhaft vor. 
Dem einen giebt sie Gold selbst bei Bereitwilligkeit zur Zahlung 
hoher Prämien überhaupt nicht heraus, ein anderer erhält es schon 
gegen eine verhältnismäßig niedrige Prämie. Einem dritten giebt sie 
es sogar zu pari, sofern er ihr lange Diskonten einreicht. Es ist daher 
nicht immer leicht, die jeweiligen Ziele der französischen Bankpolitik 
herauszufinden, und die Korrespondenten deutscher Blätter in Paris 
sind oft schon in Verlegenheit gewesen, diese Politik richtig wieder- 
zugeben ?). Im allgemeinen dürften jedoch die Grundsätze der Bank 
die folgenden sein: 

Napoleons, die französischen Goldmünzen, giebt sie in größeren 
Quantitäten überhaupt nicht heraus. Sie thut dies nur dann, wenn 
sie weiß, daß damit Getreide oder Baumwolle bezahlt werden soll, 
weil dieses Geld in 6 Monaten doch wieder zu ihr zurückkehrt. 
Falls sie sich entschließt, größere Beträge französischen gemünzten 
Goldes herzugeben, so thut sie dies nur dann, wenn man bei ihr 
Wechsel, die noch 75—90 Tage zu laufen haben, zum Banksatze 
diskontiert, langes Papier, das sie sonst nur wenig erhält’); sie hat 
dann in der längeren Laufzeit dieser Wechsel ihr Entgelt‘). 


1) Nitti in der Révue d’écon. polit., 1898, p. 385. The Economist f. 1895, p. 382. 

2) Bürsencourier vom 8. März 1898. 

3) Ueber die Gründe dieser Erscheinung cf. Rosendorff, „Die Bedeutung des Er- 
fordernisses der dritten Unterschrift für bankfähige Wechsel in Frankreich“ in dieser 
Zeitschrift 1901, Aprilheft. 

4) Heiligenstadt, „Beiträge zur Lehre von den auswärtigen Wechselkursen“, in 
dieser Zeitschr. 1893, S. 233. 


Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner, 635 


Fordert jemand kleinere Beträge gemünzten französischen Goldes 
in Noten oder Guthaben, so giebt es ihm die Bank ohne 
weiteres, bedient sich hierbei aber häufig abgenutzter, also minder- 
wertiger Stücke, die zum Export weniger geeignet sind. Jedenfalls 
besteht bei der Bank von Frankreich für den, der Gold haben will, 
durchaus keine Verpflichtung, anzugeben, wofür es bestimmt ist; 
thatsächlich wird es freilich häufig gethan, besonders wenn es zur 
Bezahlnng von Getreide oder Baumwolle dient, weil es heißt, daß 
die Bank zu diesem Zwecke das Gold lieber hergebe. 

Eine „Prämie“ verlangt die Bank nur beim Verkauf von Gold- 
barren und fremden Goldmünzen in der Form, daß sie zu dem Gold- 
preise von 34,37 fres., zu welchem sie gesetzlich das Kilo fein an- 
kaufen muß, einen wechselnden Betrag hinzuschlägt, den man auf 
4— 80/0 beziffert). Genaue Angaben über die Höhe desselben 
lassen sich nicht machen, da die Prämiensätze offiziell niemals be- 
kannt gemacht worden sind. Die hierüber in den Zeitungen ge- 
machten Mitteilungen können daher auch nicht den Anspruch auf 
Zuverlässigkeit erheben. Die Bimetallisten verwechseln vielfach die 
an der Pariser Börse notierten Goldprämien mit denen der Bank. 
Selbst Landesberger macht sich dieses Fehlers schuldig. 

Auch die Reichsbank verlangt, wenn sie fremde Goldmünzen 
zum Export verkauft, einen etwas höheren Preis dafür, als deren 
Goldwert nach Gewicht betragen würde Sie kann dies, weil die 
fremden Goldmünzen an ihrem Herkunftsorte zu ihrem Nominalwerte 
ohne Rücksicht auf einen etwaigen, durch die Abnutzung bewirkten 
Gewichtsverlust in Zahlung genommen werden. Auch steigert sie 
mitunter den Verkaufspreis für Barren. Wenn man Zeitungsnach- 
richten glauben darf, so verhielt sie sich gegenüber Gesuchen um 
Ueberlassung von Barren und fremden Goldmünzen in früheren 
Jahren sogar ablehnend. Hierin ist jedoch schon seit mehreren 
Jahren eine Aenderung eingetreten. Für die Industrie giebt die 
Reichsbank jetzt kleine Goldbarren 900/1000 fein zum Preise von 
1396 M. pro Pfund ab?). 

Häufig giebt sie zu Exportzwecken Münzen, die dem Passier- 
gewicht nahe kommen. Auch in der Aufstellung und eventuellen 
Veränderung eines Tarifes für den An- und Verkauf fremder Gold- 
münzen besitzt die Reichsbank ein Mittel, sich der Prämien nicht 
nur beim Verkauf, sondern auch beim Ankauf fremder Goldmünzen 
im Interesse des heimischen Goldvorrates zu bedienen. 


1) Cf. hierzu die Angaben des Reichsbankpräsidenten Dr. Koch im Reichstag am 
10. Febr. 1899 und dessen Citate aus Briefen Pariser Bankiers: „dans ces conditions, 
quand elle paie en napol&ons, elle ne demande jamais d’agio et elle n’aurait pas le 
droit de le faire. Ces dernières années elle n’a donné des napoléons en sommes im- 
portantes que pour le paiement du coton en Égypte. Là encore elle n’a pas demandé 
de prime, ce, que légalement elle ne pent pas faire. .... “ La Banque vend des 
monnaies d’or &trangeres et de lingots d’or avee une prime sur son prix d’achat en 
prenant pour base le prix de l’or fin à Londres. Elle facilite ainsi des achats de 
denrées alimentaires telles que céréales. La Banque décide chaque jour Ja somme 
qu’elle vent donner et la partage au prorata des demandes des banquiers." 

2) Frankf. Ztg. v. 16. Jan. 1893, Mgbltt. Nat.-Ztg. v. 14. Febr. 1893. 


636 R. Rosendorff, 


Die Bank von England hat besonders in letzter Zeit Gold, das 
sie Zu 77 sh. 9 d. pro Unze standard angekauft hatte, nur für 77 sh. 
11 d. abgelassen. 

Trotzdem so das Verfahren der Banken von England und 
Deutschland bei der Herausgabe von fremden Goldmünzen und 
Barren dem der Bank von Frankreich scheinbar sehr ähnlich ist, 
unterscheidet sich die Praxis der erstgenannten Banken jedoch 
prinzipiell von der von der Bank von Frankreich geübten Prämien- 
politik. Während, wie wir gesehen haben, letztere oftmals die Heraus- 
gabe von Landesgoldmünzen überhaupt verweigert und so den Be- 
trag der Prämien, theoretisch genommen, bis ins ungemessene erhöhen 
kann, können die Banken von England und Deutschland den Ver- 
kaufspreis für fremde Goldmünzen und Barren nur bis zum Betrage 
der Prägekosten und der Abnutzung steigern. Sonst würde man 
auf die Barren und fremden Münzen verzichten und statt dessen 
Zwanzigmarkstücke resp. Sovereigns verlangen, die für den Expor- 
teur denselben Wert haben. Eine höhere Prämie ist nämlich den 
Banken von England und Deutschland deshalb unmöglich, da sie im 
Gegensatz zu Frankreich ihre Noten stets zum Nennwerte in Landes- 
goldmünzen einlösen und niemals den Versuch gemacht haben, ihr 
Gold dem Verkehre zu verweigern !). 


III Die Wirksamkeit der Goldprämienpolitik. 


Die Behauptungen der deutschen Bimetallisten, daß die Bank 
von Frankreich bei der Abgabe von Gold jedesmal den Zweck 
dieser Entnahme prüfe, falls das Gold zum Export verlangt wird, stets 
unter allen Umständen, Restriktionen eintreten lasse und so imstande 
sei, jeder Verringerung ihres Goldbestandes erfolgreich Widerstand 
zu leisten, findet also in der Art, wie diese Politik thatsächlich von 
der Bank von Frankreich gehandhabt wird, keine Stütze. 

Sie findet sie ebensowenig in der Goldbewegung Frankreichs. 
Seit 1895, dem Jahre, in welchem die Bank am 14. März ihren Diskont 
auf 2 Proz. herabsetzte und diesen Satz bis zum 28. Okt. 1898 un- 
verändert beibehielt, zeigt der Goldverkehr Frankreich folgendes Bild: 

Jahr Import Export Ueberschuß 


1895 253 244 + 9 
1896 301 311 — 10 
1597 291 132 + 159 
1898 200 313 — 113 
1899 319 161 + 158 
Summa 1304 1161 323 ?) 


1) Cf. Heiligenstadt in dieser Zeitschr. 1893, S. 224 ff. Ostersetzer, Währungs- 
wechsel I, S. 132 ff. Helferich, Zur Erneuerung des deutschen Bankges., S. 112 u. a. 

Es ist vielleieht nicht uninteressant, an dieser Stelle auf die Praxis der Bank von 
Holland hinzuweisen. Sie hat bisher ganz im Gegensatz zur Bank von Frankreich in 
bereitwilligster Weise zum Exporte Gold zur Verfügung gestellt, verweigert es jedoch 
häufig für den inländischen Bedarf. Cf. Ausführungen des Direktors der österreichischen 
Kreditanstalt, Mauthner, in der Wärhungsenquete-Komm. in Wien. Sten. Prot. S. 168. 
Wien 1392. 

2) Rapport du Ministre des finances éd. par l’Administration des Monnaies et 
médailles 1900, S. 73. 


Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 637 


Der Goldbestand der Bank von Frankreich betrug am 31. Dez. 
in Millionen Francs 


1894 2060 1897 1945 + 33 
1895 1950 — 110 1898 1818 — 127 
1896 1912 — 38 1899 1865 + 47°) 


Differenz vom 31. Dez. 1894—1899 = 195 Mill. frcs. 


Diese Ziffern beweisen, daß thatsächlich trotz der Prämienpolitik 
die Goldbestände des Landes zeitweise eine erhebliche Verminderung 
erfahren haben. Die Goldbestände der Bank haben sich von ihrem 
höchsten Stande am 1. Sept. 1894 sogar um 365 Mill. fres. vermindert. 

Wenn also Landesberger ?) auf Grund theoretischer Deduktionen 
behauptet: „Durch eine successive Erhöhung der Prämie ist die 
Centralbank in der Lage, den Goldexport gänzlich hintenanzuhalten, 
indem sie die Exportgrenze, den Goldpunkt, immer um etwas weiter 
hinausrückt, als es die Verschlimmerung der Wechselkurse bedingt“ 
— so findet diese Behauptung in den französischen Verhältnissen keine 
Stütze. 

Die Vorgänge im Herbst und Winter 1898 und 1899 sind ein 
geradezu klassischer Beweis dafür, daß thatsächlich die von der Bank 
von Frankreich geübte Prämienpolitik den Goldabfluß bei starkem 
ausländischen Goldbedarfe, resp. bei großer Verschuldung Frank- 
reichs ans Ausland, nicht zu verhindern vermag. 

Infolge der schlechten Ernte des Jahres 1897, welche den Im- 
port großer, zum größten Teil aus Amerika exportierter Mengen von 
Cerealien nach Frankreich notwendig gemacht hatte), verringerten 
sich bereits im Monat März des Jahres 1898 die Goldbestände der 
Bank um etwa 12 Mill. fres. innerhalb von 8 Tagen. 

Die Bank suchte nun ihren Goldschatz durch gesteigerte Prämien 
zu schützen und gab Eagles nur gegen ein Agio von 6°/,, und Ein- 
reichung von 75—90 Tage langen Diskonten heraus®). Zeitweise 
verweigerte sie das Gold für Amerika gänzlich; infolgedessen stieg 
der Wechselkurs auf New York auf521 gegenüber einer theoretischen Pa- 
rität von 518,13. Dies bedeutete ein Agio von 2,87 fres. = 51/3 Don, 
So war es trotz der großen Prämien immer noch billiger, zu den 
Eagles der Bank zu greifen, als Wechsel anzukaufen. Nunmehr ver- 
suchten die Bankiers, welche mit Amerika arbeiteten, den Versand 
des Goldes nach London abzulenken. Darauf stieg der Chek London 
auf 25,32 und erreichte damit eine seit langem nicht mehr dagewesene 
Höhe, eine Thatsache, die um so größere Verwunderung erregte, als 
Hand in Hand damit 27 Mill. fres. Gold abgeflossen waren, worauf 
man bei den von der Bank gegen Goldentnahmen geübten Restrik- 


1) Nach den Comptes rendus de la Banque de France 1894—1899. 

2) Währungssystem und Relation, S. 104. 

3) Cf. The Econ. 1899, p. 40, 41, 50, 51, Compte rendu f. 1898, p. 12. 

4) Die Schilderung der Verhältnisse des französischen Geldmarktes in den 
Jahren 1898/99 beruht auf den Berichten des Börsencouriers, der Frankfurter Zeitung, 
der Conrad’schen Chronik, des Économiste français, the Economist u. Moniteur des 
ntérêts matériels. 


638 R. Rosendorff, 


tionen auch nicht entfernt gerechnet hatte. Zu den Gründen, die 
den Goldexport nach Amerika hervorriefen, trat im Laufe der folgen- 
den Monate noch ein anderes den Goldabfluß steigerndes Moment 
hinzu, nämlich der durch die Differenz in den Zinssätzen hervor- 
gerufene Abfluß französischen Kapitals nach dem Auslande, insbe- 
besondere nach Deutschland, welches dort lohnendere Anlage fand 
als in Frankreich. 

Am 19. Oktober erreichte der Londoner Checkkurs die Höhe von 
25,34. Die Prämie auf Barren und fremde Goldmünzen war jetzt 
auf 80%, gestiegen. Napoleons gab die Bank überhaupt nicht ab. 
Trotzdem verlor sie in der Zeit vom 30. Dezbr. 1897 bis 20. Oktbr. 1898 
111 Mill. fres. Gold, während in den ersten 9 Monaten des Jahres 
1898 etwa 89 Mill. fres. ins Ausland abflossen. 

Endlich, als die Bank die Unmöglichkeit einsah, bei den starken 
Anforderungen des Auslandes ihren Goldbestand durch Prämien allein 
zu schützen, erhöhte sie ihren Diskont auf 3 Proz. am 20. Oktbr. 
1898, zu einer Zeit, in welcher er in London auf 4, in Berlin auf 
5 Proz. stand. 

Bei dieser Differenz kann es auch nicht wunderbar erscheinen, 
das die Bank von Frankreich ihren eigentlichen Zweck, nämlich den 
Goldausgang, resp. die Geldausleihungen der Pariser Privatbanken 
an ausländische Plätze zu hemmen, nicht erreicht hat. Trotz der 
Erhöhungen blieb die Prämie, und der für die Goldbewegung Frank- 
reichs entscheidende Checkkurs auf London ist im Gegensatz zur all- 
gemeinen Erwartung in den letzten Tagen des Oktober auf 25,42 
= 8%, über die theoretische Parität von 25,22 gestiegen. Im No- 
vember wurde er wiederholt noch mit 25,355 notiert; auch die Gold- 
exporte hörten nicht auf, so daß die Bank im ganzen Jahre 127,1 Mill. fres. 
verlor. In derselben Zeit gingen aus dem Lande per Saldo 111 Mill. fres. 
Erst als im Januar 1898 die Bank von England mit ihrer Rate auf 
3!/ə Proz. herabgegangen war, hörte der Goldexport auf. 

Diese Verhältnisse wiederholten sich im Jahre 1899 mit gestei- 
gerter Heftigkeit. Im Anfange des Jahres zeigte sich in Frankreich 
eine große Geldfülle. Im Gegensatz zum Schluß des vorigen Jahres 
war der Check London zeitweise bis auf 25,17 gesunken. Die Gold- 
ausfuhr hatte aufgehört. Die Goldprämien der Bank, die Anfang 
Januar noch 2—4 "hoo betragen hatten, verschwanden mit Ende des 
Monats ganz. Man führte diese Erscheinung auf die Annahme zurück, 
daß Deutschland einen Teil der von ihn im vergangenen Jahre auf- 
genommenen Darlehne durch Ziehungen auf London beglichen hätte, 
und daß in Paris infolge der Emission der indo-chinesischen Anleihe 
englische Wechsel auf den Markt gebracht seien, die bisher in den 
Portefeuilles der französischen Bank geruht hatten 1). 

Nachdem im Februar der Diskont in Berlin auf 4!/,, in London 
auf 3 Proz. gesunken war, hatten die französischen Bankiers vorder- 
hand auch weniger Anlaß zu neuen Darlehngewährungen ans Aus- 


1) Volksw. Chron. f. 1899, S. 7. 


Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 639 


land. Unter diesen Umständen stieg in Verbindung mit starken Rück- 
flüssen aus dem inneren Verkehr der Goldbestand der Bank vom 
12. Januar, dem Tage, an welchem er seinen tiefsten Stand erreicht 
hatte, bis zum 24. August um 120 Mill. 

Erst als im Herbst die Zinssätze Deutschlands und Englands 
wieder bedeutend höher als die französischen gestiegen waren, änderte 
sich dies. So war der Check London am 30. Septbr. wieder bis auf 
25,29 gestiegen. Nunmehr stellte nämlich der französische Markt 
dem Auslande wieder große Kredite zur Verfügung. Dazu kam noch, 
daß Frankreich im Herbste an Argentinien für Wolle große Zahlungen 
zu machen hatte!). Je mehr sich infolgedessen die Goldbestände der 
Bank verminderten, um so höher wurde auch wieder die Prämie, 
welche im Oktober auf 5!/, °/ stieg, während gleichzeitig der Check 
London die Höhe von 25,34 erreichte, da man in Paris bei den 
starken Restriktionen der Bank gegen Goldentnahmen die Zahlungen 
wiederum auf London abzuwälzen versuchte. All dies war aber nicht 
imstande, den weiteren Goldexport zu hindern. Die Bankbestände 
verminderten sich vom 24. August bis 7. Dez. um 43 Mill. fres. Dies 
veranlaßte die Bank endlich am 7. Dezbr. zu einer Steigerung ihres 
Diskonts von 3 auf 3!/, Proz. Allein trotzdem in Verbindung 
damit auch die Prämie wieder auf 6—7 Ou gestiegen war, vermochte 
diese Erhöhung das weitere Steigen des Checks London und die Gold- 
ausgänge nicht zu verhindern. Der Checkkurs stieg bis zum 21. De- 
zember bis auf 25,405. Dabei verringerte sich der Goldbestand der 
Bank vom 7. bis 21. Dezbr. um weitere 8,6 Mill. fres. Die Be- 
fürchtung eines Disagios der französischen Valuta lag nahe. Dies 
veranlaßte die Bank endlich am 21. Dezbr. zu einer weiteren Dis- 
konterhöhung, und zwar dieses Mal um ein volles Prozent, eine Maß- 
nahme, die denn auch sofort den gewünschten Erfolg zeitigte. 

Diese Darstellung der Verhältnisse des französischen Geldmarktes 
in den Jahren 1398 und 1899 zeigt zur Evidenz, daß die Goldprämie, 
sobald größere und vor allen Dingen andauernde Goldnachfragen des 
Auslandes auftreten, völlig versagt. 

Sie beweist ferner aber auch, daß die Prämie nicht, wie Landes- 
berger behauptet, den Einfluß des internationalen Goldbedarfs auf 
den heimischen Geldmarkt zu teilen und abzugrenzen imstande ist?). 
Arendt erklärt freilich die Diskonterhöhung der Bank von Frank- 
reich im Herbst 1898 und Winter 1899 durch die großen Anforde- 
rungen des inneren Verkehrs und will für diese Ansicht auch die 
Ausführungen verwerten, durch welche im „Compte rendu* der 
Banque de France die Diskonterhöhung des Jahres 1898 begründet 
wird 3). 

Aus obiger Darstellung der Verhältnisse des französischen 
Geldmarktes geht deutlich hervor, daß es die Ansprüche des Aus- 


1) Compte rendu f. 1899, S. 8. 
2) Währungssyst. u. Relation, S. 108. 
3) Im Reichstage am 28. April 1899. 


640 R. Rosendorff, 


landes waren, welche die Verminderung des Goldvorrats der Bank 
und damit die Erhöhung ihrer Rate verursacht haben. Noch deut- 
licher wird sich dies durch eine Betrachtung der Bewegung der Noten 
und des Wechselverkehrs bei der Bank von Frankreich in den kriti- 
schen Zeiten zeigen. Wir verweisen dafür auf den 2. Teil unserer 
Arbeit, in der diese Verhältnisse einer ausführlichen kritischen Be- 
trachtung unterzogen werden sollen. 

An dieser Stelle beschränken wir uns, um die Unrichtigkeit der 
Ansicht Arendts zu erweisen, darauf, die bezüglichen Stellen der 
Jahresberichte der Bank von Frankreich hierher zu setzen. 

Unter der Ueberschrift: ,Réserves métalliques“ heißt es dort, 
nachdem eine Verringerung der Metallreserve von 126,8 Mill. fres. 
konstatiert ist!): L’encaisse argent n’a guère varié: elle est de 
1,205 Millions à la fin de 1898 comme à, la fin de 1897. La dimi- 
nution porte entièrement sur l'or. La récolte insuffisante de 1897, 
qui a necessité d'énormes importations de céréales pour la plus 
grande partie tirées des États-Unis en a été la principale cause. 

Unmittelbar darauf, zur Erklärung dafür, daß man einen durch 
die Anforderungen des Auslandes hervorgerufenen Abfluß des Goldes 
zunächst ruhig mitansehen konnte, fährt der Bericht fort: „La ré- 
serve métallique accumulée dans nos caisses nous permit de satis- 
faire aux demandes, qui nous étaient adressées (scl. des Auslandes, 
wie ja eben auseinander gesetzt wurde) et nous avons pu dans cette 
passe difficile maintenir le change à un niveau modéré.“ 

„Au mois d'octobre (also, wie wir gesehen haben, zu einer Zeit, 
als die Differenz zwischen den Zinssätzen Frankreichs und des Aus- 
landes den Goldexport rentabel machte) une tension plus marquée 
(nämlich der Wechselkurse, die man bisher „à un niveau modéré“ 
hatte halten können) se manifesta et en présence de cette aggra- 
vation nous dûmesrecourir au seulrémède qu’en pareil cas con- 
seillel’expérience, l’élévation du taux de l’escompte.* 
Und was war die Folge dieser Maßnahme, etwa eine Verminderung 
der Kreditanlagen der Bank? Sie war dies ebensowenig, wie eine 
Vergrößerung der Kreditanlagen, ein allzu hoher heimischer Bedarf, 
den man hätte einschränken müssen, die Ursache der Diskont- 
erhöhung gewesen war, „il eut l’effet attendu, le change baissa et, à 
la fin de l’année, il était revenu à un niveau plus normal“. 

Und der Bericht schließt mit den Worten: „Au surplus, les 
sorties d’or, si importantes qu'elles aient été, laissent encore notre 
encaisse or à un niveau très élevé; elle dépasse l’encaisse de toutes 
les banques du monde, à l'exception de celle de la Banque impériale 
de Russie. Si nous nous efforçons de conserver dei grandes disponibilités 
métalliques et de les ménager le mieux possible, nous ne devons 
pas non plus perdre de vue les intérêts du commerce et lui refuser 
les moyens de paiement qu'il réclame pour les besoins les plus 


1) Compte rendu f. 1898, S. 12. 


Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. GA) 


légitimes, c'est-a-dire pour l’approvisionnement du marché francais“. 
(Verproviantierung, nämlich zur Bezahlung des Getreides aus Amerika.) 

Kein Wort findet sich hier also davon, daß die Metallreserve 
sich durch Prämien wirksam verteidigen lasse. Kein Wort davon, 
daß etwa ein innerer hoher Bedarf die Diskonterhöhung veranlaßt 
hätte. Hat hiernach die Interpretation des Bankberichtes durch Arendt 
auch nur einen Schatten von Beweiskraft für sich? Und muß man 
sie nicht vielmehr für völlig unvereinbar mit diesen strikten Erklä- 
rungen des Gouverneurs der Banque de France halten? 

Auch die erwähnte Unveränderlichkeit des Silberstandes spricht 
gegen die Annahme, daß Gold vorzugsweise in den inneren Verkehr 
geflossen sei, denn sonst müßte sich auch beim Silber eine Abnahme 
der Bankbestände, wie dies in Deutschland geschehen ist, zeigen. 

Der von uns angeführte Schlußsatz des Berichtes klingt gegen- 
über den zahlreichen Angriffen, die man in Frankreich gegen die 
Bank wegen ihrer Prämienpolitik erhoben hat!), fast als eine Ent- 
schuldigung und als eine Versicherung, daß sie trotz ihres Bedachtes 
auf Vergrößerung ihres Metallbestandes, doch niemals dem Handel 
das nötige Gold für seine legitimen Bedürfnisse verweigern werde. 

Unter dem Titel „Taux de l’Escompte“ finden wir eine weitere 
Bestätigung unserer Ansicht. Es heißt dort: „Les conditions du 
marché nous ont fait une obligation de ce relèvement, seul moyen 
connu de défendre l’encaisse; à la date, où nous avons pris 
cette mesure, le taux était de 4%, à la Banque d'Angleterre, de 5% 
à la Banque d'Allemagne et bientôt après de 6%. Un pareil écart 
entre le prix du capital en France, en Angleterre et en Allemagne 
avait plusieurs effets regrettables, notamment celui de faire de 
partout converger sur la France les demandes de crédit du dehors. 
Nous avions donc pour devoir de sauvegarder notre situation ainsi 
menacée.“ 

Noch viel deutlicher treten die Gründe für die Diskonterhöhung 
der Bank von Frankreich und die Unmöglichkeit, die Goldbestände 
durch Prämien gegen starke ausländische Anforderungen zu schützen, 
in dem „compte rendu“ für 1899 hervor, welcher zu der Zeit, als 
Arendt die erwähnte Aeußerung that, noch nicht erschienen war. 

Hier heißt es unter dem Titel „Réserves métalliques“ 2). 

„La guerre du Transvaal, qui a tari une des principales sources 
de la production de l'or, les besoins qui se manifestaient autour de 
nous et qu'attestait la hausse de l’escompte sur les principales places 
étrangères, ont amené de nouvelles sorties dans les derniers mois, 
mais elles ont été rélativement faibles. . . . .. .. Toutefois, nous 


1) Cf. z. B. Le Temps vom 17. Oktbr. 1898 (also kurz vor der Diskonterhühung): 
N'est-ce pas l’occasion et le moment pour notre banque d'abandonner son attitude im- 
possible, son système d’invariabilité de l’escompte, en un mot à s’émouvoir? Deoit-elle 
continuer à défendre son encaisse par l’élévation de la prime sur Por? Mais alors il se 
produira ce que nous disons toute à l'heure disparition du métal jaune de la circulation, 
changes défavorables et plaintes du commerce extérieur?“ 

2) Compte rendu f. 1899 p. 7. 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 41 


640 R. Rosendorff, 


landes waren, welche die Verminderung des Goldvorrats der Bank 
und damit die Erhöhung ihrer Rate verursacht haben. Noch deut- 
licher wird sich dies durch eine Betrachtung der Bewegung der Noten 
und des Wechselverkehrs bei der Bank von Frankreich in den kriti- 
schen Zeiten zeigen. Wir verweisen dafür auf den 2. Teil unserer 
Arbeit, in der diese Verhältnisse einer ausführlichen kritischen Be- 
trachtung unterzogen werden sollen. 

An dieser Stelle beschränken wir uns, um die Unrichtigkeit der 
Ansicht Arendts zu erweisen, darauf, die bezüglichen Stellen der 
Jahresberichte der Bank von Frankreich hierher zu setzen. 

Unter der Ueberschrift: „Réserves métalliques“ heißt es dort, 
nachdem eine Verringerung der Metallreserve von 126,8 Mill. fres. 
konstatiert ist): L’encaisse argent n’a guère varié: elle est de 
1,205 Millions à la fin de 1898 comme à, la fin de 1897. La dimi- 
nution porte entièrement sur lor. La récolte insuffisante de 1897, 
qui a necessité d'énormes importations de céréales pour la plus 
grande partie tirées des États-Unis en a été la principale cause. 

Unmittelbar darauf, zur Erklärung dafür, daß man einen durch 
die Anforderungen des Auslandes hervorgerufenen Abfluß des Goldes 
zunächst ruhig mitansehen konnte, fährt der Bericht fort: „La ré- 
serve métallique accumulée dans nos caisses nous permit de satis- 
faire aux demandes, qui nous étaient adressées (scl. des Auslandes, 
wie ja eben auseinander gesetzt wurde) et nous avons pu dans cette 
passe difficile maintenir le change à un niveau modéré.“ 

„Au mois d'octobre (also, wie wir gesehen haben, zu einer Zeit, 
als die Differenz zwischen den Zinssätzen Frankreichs und des Aus- 
landes den Goldexport rentabel machte) une tension plus marquée 
(nämlich der Wechselkurse, die man bisher ,à un niveau modéré* 
hatte halten können) se manifesta et en présence de cette aggra- 
vation nous dûmes recourir au seulrémède qu’en pareilcascon- 
seillel’expérience, l'élévation du taux de l’escompte.* 
Und was war die Folge dieser Maßnahme, etwa eine Verminderung 
der Kreditanlagen der Bank? Sie war dies ebensowenig, wie eine 
Vergrößerung der Kreditanlagen, ein allzu hoher heimischer Bedarf, 
den man hätte einschränken müssen, die Ursache der Diskont- 
erhöhung gewesen war, „il eut l’effet attendu, le change baissa et, à 
la fin de l’année, il était revenu à un niveau plus normal“. 

Und der Bericht schließt mit den Worten: „Au surplus, les 
sorties d'or, si importantes qu'elles aient été, laissent encore notre 
encaisse or à un niveau très élevé; elle dépasse l’encaisse de toutes 
les banques du monde, à l'exception de celle de la Banque impériale 
de Russie. Si nous nous efforçons de conserver dei grandes disponibilités 
métalliques et de les ménager le mieux possible, nous ne devons 
pas non plus perdre de vue les intérêts du commerce et lui refuser 
les moyens de paiement qu’il réclame pour les besoins les plus 


1) Compte rendu f. 1898, S. 12. 


Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. (541 


légitimes, e’est-a-dire pour l’approvisionnement du marché français“. 
(Verproviantierung, nämlich zur Bezahlung des Getreides aus Amerika.) 

Kein Wort findet sich hier also davon, daß die Metallreserve 
sich durch Prämien wirksam verteidigen lasse. Kein Wort davon, 
daß etwa ein innerer hoher Bedarf die Diskonterhöhung veranlaßt 
hätte. Hat hiernach die Interpretation des Bankberichtes durch Arendt 
auch nur einen Schatten von Beweiskraft für sich? Und muß man 
sie nicht vielmehr für völlig unvereinbar mit diesen strikten Erklä- 
rungen des Gouverneurs der Banque de France halten? 

Auch die erwähnte Unveränderlichkeit des Silberstandes spricht 
gegen die Annahme, daß Gold vorzugsweise in den inneren Verkehr 
geflossen sei, denn sonst müßte sich auch beim Silber eine Abnahme 
der Bankbestände, wie dies in Deutschland geschehen ist, zeigen. 

Der von uns angeführte Schlußsatz des Berichtes klingt gegen- 
über den zahlreichen Angriffen, die man in Frankreich gegen die 
Bank wegen ihrer Prämienpolitik erhoben hat!), fast als eine Ent- 
schuldigung und als eine Versicherung, daß sie trotz ihres Bedachtes 
auf Vergrößerung ihres Metallbestandes, doch niemals dem Handel 
das nötige Gold für seine legitimen Bedürfnisse verweigern werde. 

Unter dem Titel „Taux de l’Escompte“ finden wir eine weitere 
Bestätigung unserer Ansicht. Es heißt dort: „Les conditions du 
marché nous ont fait une obligation de ce relèvement, seul moyen 
connu de défendre l’encaisse; à la date, où nous avons pris 
cette mesure, le taux était de 4%, à la Banque d'Angleterre, de 5% 
à la Banque d'Allemagne et bientôt après de 6%. Un pareil écart 
entre le prix du capital en France, en Angleterre et en Allemagne 
avait plusieurs effets regrettables, notamment celui de faire de 
partout converger sur la France les demandes de crédit du dehors. 
Nous avions donc pour devoir de sauvegarder notre situation ainsi 
menacée.“ 

Noch viel deutlicher treten die Gründe für die Diskonterhöhung 
der Bank von Frankreich und die Unmöglichkeit, die Goldbestände 
durch Prämien gegen starke ausländische Anforderungen zu schützen, 
in dem „compte rendu“ für 1899 hervor, welcher zu der Zeit, als 
Arendt die erwähnte Aeußerung that, noch nicht erschienen war. 

Hier heißt es unter dem Titel „Réserves métalliques“ ?). 

„La guerre du Transvaal, qui a tari une des principales sources 
de la production de l'or, les besoins qui se manifestaient autour de 
nous et qu'attestait la hausse de l'escompte sur les principales places 
étrangères, ont amené de nouvelles sorties dans les derniers mois, 
mais elles ont été rélativement faibles. ...... . Toutefois, nous 


1) Cf. z. B. Le Temps vom 17. Oktbr. 1898 (also kurz vor der Diskonterhöhung): 
.. N'est-ce pas l’occasion et le moment pour notre banque d’abandonner son attitude im- 
possible, son système d’invariabilité de l’eseompte, en un mot à s’'émouvoir? Doit-elle 
continuer à défendre son encaisse par l'élévation de la prime sur Por? Mais alors il se 
produira ce que nous disons toute à l’heure disparition du métal jaune de la circulation, 
changes défavorables et plaintes du commerce extérieur?“ 

2) Compte rendu f. 1899 p. 7. 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 41 


642 R. Rosendorff, 


avons relevé à 31/,%,, puis à 41/, %, le taux de l’escompte, et cette 
mesure a donné, comme toujours en pareil cas, le résultat qu'on en 
attendait.“ 

Obgleich nun zwar des weiteren gesagt wird, daß der große 
industrielle Aufschwung, der sich bereits seit mehreren Jahren in 
England, Deutschland und Amerika bemerkbar gemacht habe, seine 
Rückwirkungen auch auf Frankreich ausgeübt habe, zeigen doch die 
nachfolgenden Ausführungen des Berichtes, daß es nicht etwa ein 
hierdurch hervorgerufener außerordentlicher Kreditbegehr war, der 
die Erhöhungen des Diskontes der Bank von Frankreich notwendig 
machte, sondern der durch die Differenz zwischen den französischen 
und deutschen Zinssätzen hervorgerufene Abfluß der französischen 
Kapitalien ins Ausland 11. 

Der Bankbericht sagt hierüber: „A la fin de l’année, le taux de 
l’escompte était de 7°/, à la Banque impériale d'Allemagne, de 6%, 
à la Banque d'Angleterre, de 7°/, à la Banque impériale de Russie, etc. 
Devant un si pressant appel du dehors adressé d'une manière aussi 
continuée aux capitaux francais et à notre numéraire, nous avions le 
devoir de relever notre taux. Nous avions réussi à le maintenir à 
3°, pendant la plus grande partie de l’année, et même après une 
hausse importante de l’escompte sur toutes les grandes places du 
monde; mais nous aurions manqué à la plus élémentaire prevoyance, 
si, en présence des besoins du dehors et de la tension des changes 
qui commençaient à se manifester, nous n'avions pas pris souci de 
notre encaisse; après un relèvement de '/,°/, qui n'eut qu’un effet 
très passager, nous dûmes nous résoudre à prendre une mesure 
plus efficace, en procédant à une hausse de 1°. 

Cette fois, le résultat cherché était obtenu, le change sur Lon- 
dres, qui est l'indice le plus sûr de notre balance des paiements, 
s’est mis à baisser, dès que notre escompte eut atteint un taux en 
harmonie avec celui du marché international.“ 

Auch in dem „Rapport de MM. Les Censeurs“, welchen M. 
Delaunay-Belleville als rapporteur abstattete, wird die Diskonterhöhung 
auf diese Weise erklärt, wenn er sagt?): 

„La Banque de France, en effet, pas plus qu’aucune autre institution 
financière, ne saurait se soustraire à la loi de l’offre et de la demande; 
et, sous peine de voir s'épuiser les ressources qui constituent la 
suprême réserve nationale, elle ne peut faire autrement que de 
demander, pour ses capitaux, le prix du marché“. 

Wenn die Leitung der Banque de France es somit selbst aus- 
spricht, daß die Prämien zum Schutze ihrer Goldreserven nicht wirk- 
sam gewesen seien, so haben dieselben, wie wir gesehen haben, einen 
um so größeren Einfluß in anderer Richtung gehabt. 

Während nämlich die Wechselkurse zwischen Ländern mit gleicher 
Währung von ihrer Parität nur um so viel abweichen können, als die 


1) Ebenda, $. 10. 
2) Ebenda 8. 76. 


Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 643 


Prägungs-, Versendungs- und Versicherungskosten des Goldes betragen, 
bewirkte die Erhebung der Prämie durch die französische Centralbank 
eine Erweiterung des sonst begrenzten Spielraumes der Wechselkurse 
um den jeweiligen Betrag der Prämie. Die Schwankungen der aus- 
wärtigen Wechselkurse in Paris in den Jahren 1898—1899, in welchen 
die Prämie in so ausgedehntem Maße in Wirksamkeit trat, zeigten 
dies ganz deutlich. 

Und während auf der einen Seite der Kurs der fremden Wechsel 
in Paris fast andauernd nicht nur über die Parität, sondern sogar 
über dem Goldpunkte stand, sind auf der anderen die Kurse der 
französischen Wechsel auf den ausländischen Börsen genau im Ver- 
hältnis zum Steigen der fremden Wechsel auf den inländischen Börsen 
gefallen. 

Diese Wirkungen der Goldprämienpolitik der Banque de France 
erstrecken sich nicht nur auf Frankreich selbst, sondern auch auf 
die Schweiz, welche durch ihre Teilnahme am Lateinischen Münz- 
bunde von Frankreich in währungspolitischer Hinsicht vollständig 
abhängig ist. 

So hat Kalkmann !) nachgewiesen, daß die Höhe der französischen 
Goldprämie bis zu einem gewissen Grade die Höhe des Aufgeldes 
in der Schweiz bedingt. Wird nämlich in Frankreich eine erheb- 
liche Prämie auf Gold bezahlt, und ist dies in der Schweiz nicht 
gleichzeitig der Fall, so — führt er aus — wird es ein sehr lohnendes 
Geschäft sein, in Frankreich Silber zu sammeln, dasselbe nach der 
Schweiz zu bringen und zu pari gegen Gold einzutauschen, dieses 
dann nach Frankreich zu importieren und dort gegen eine Prämie 
wieder in Silber einzulösen. 

Da nun ferner die schweizerische Währung in ihrem Wertgange 
von den Schwankungen der französischen Währung abhängt, so hat 
jedes Auftreten einer Goldprämie in Frankreich nicht nur für dessen 
eigene, sondern auch für die schweizerische Währung die Bedeutung, 
daß ihre Parität nach oben verschoben wird, und die schweizerischen 
Wechselkurse auf England und Deutschland z. B. müssen daher, 
wenn sich beim Erscheinen eines Aufgeldes auf Gold in Paris die 
französischen Kurse auf die genannten Länder ungünstig für Frank- 
reich stellen und sich hoch über die Münzparität erheben, diese Be- 
wegung auch dann mitmachen, wenn in den Beziehungen der Schweiz 
zu Deutschland und England Gründe für einen hohen Stand der 
Kurse nicht vorhanden sind. Die Thatsache, daß sich die schweize- 
rischen Wechselkurse auf Deutschland und England in ihrem Preise 
nach den entsprechenden französischen Kurse richten und stets um 
so viel höher oder tiefer als die letzteren stehen müssen, bewirkte 
ferner, daß, wenn die Devise Frankreich den Goldpunkt überschritten 
hat, die schweizerischen Kurse auf Deutschland und England auch 
über die Goldpunkte steigen können. Dies wird aber um so häufiger 
eintreten, als die Wertschwankungen der Devise Frankreich in der 


1) Kalkmann, Untersuchungen über das Geldwesen der Schweiz. St. Gallen 1900. 


41* 


644 R. Rosendorff, 


Schweiz unbegrenzt sind. Die Schweizer Notenbanken können näm- 
lich nach Frankreich, wenn dort eine Prämie bezahlt wird, Gold zu 
pari nicht abgeben, da sie sonst Gefahr liefen, sofort ihren ganzen 
Goldbestand zu verlieren; andererseits würde ihnen niemand gegen 
Zahlung einer Prämie Gold abnehmen, da nach Frankreich auch in 
Silber gezahlt werden kann. Die Banken müssen daher stets das 
nötige Silber in ihren Kassen für die Zahlungen nach Frankreich 
bereit halten, was ihnen um so schwerer wird, als die 34 Noten- 
banken der Schweiz nur 10 Mill. fres. Silber besitzen. Infolgedessen 
können sie bei einem Silberexport auch nicht so lange warten, bis 
der Kurs sich wieder günstig für die Schweiz stellt und das Silber 
von selbst zurückkehrt, sondern müssen es um jeden Preis wieder 
in ihre Kassen zurückzubringen suchen. Dieses Verfahren eben be- 
wirkte den hohen Stand der Devise Frankreich. Denn die Ent- 
lastung des Wechselmarktes, welche mit dem Export von Silbergeld 
eintreten sollte, kommt nicht zustande. Diejenigen, welche Zahlungen 
in Frankreich zu leisten haben, kaufen zwar keine Wechsel mehr, 
aber die Banken sind an ihre Stelle getreten und zwar kaufen die- 
selben Wechsel genau für die gleichen Beträge, welche ihnen in 
Silber entzogen worden sind. Infolgedessen ist die obere Grenze 
für die Steigerung der französischen Wechsel nicht mehr vorhanden, 
denn jeder Export von Silber nach Frankreich ruft einen neuen Be- 
darf an Wechseln auf dasselbe Land hervor +). 

Leider existiert eine Untersuchung über die Wirkungen fran- 
zösischer Goldprämienpolitik auf die Länder des Lateinischen Münz- 
bundes nur für die Schweiz. Sicherlich ließen sich dieselben auch 
für die übrigen Länder dieses Bundes nachweisen, was einer späteren 
Untersuchung vorbehalten bleiben muß. 

Wenn wir schließlich die Resultate dieses Abschnittes kurz zu- 
sammenfassen, so ergiebt sich: 

Die Goldprämienpolitik der Banque de France ist dauernd nicht 
imstande, als definitiver Schutz gegen Goldausgänge zu dienen. Sie 
vermag auch nicht den Einfluß des ausländischen Goldbedarfs auf 
den heimischen Geldmarkt dergestalt abzugrenzen, daß sie Diskont- 
erhöhungen dauernd unnötig macht. Dagegen bewirkt sie eine zeit- 
weilige Entwertung der Valuta Frankreichs und der Schweiz, welche 
um so erheblicher wird, je höher die Prämie steigt und je länger sie 
erhoben wird. 


IV. Vergleich der deutschen mit der französischen 
Goldbilanz. 


Noch mehr als durch eine einseitige Betrachtung der Gold- 
bewegung Frankreichs innerhalb der letzten Jahre wird das soeben 
gewonnene Resultat von der Unwirksamkeit der Prämie bestätigt 


1) Cf. für die vorstehenden Ausführungen Kalkmann, S. 11—17, 35—36, 77, 
80—82, 87. 


Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 645 


durch einen Vergleich der Goldbilanz Frankreichs mit der Deutsch- 
lands innerhalb desselben Zeitraums. 

Der deutsche Goldbestand sowohl im Lande wie bei der Reichs- 
bank hat sich seit 1885 nicht, wie die Bimetallisten behaupten, ver- 
mindert, sondern dauernd vermehrt. 

Während die Golddeckung der Noten bei der Reichsbank in 
früheren Jahren nur 37 Proz. des Metallbestandes betrug, beläuft 
sie sich jetzt auf etwa 65—70 Proz. 1880—84 hat allerdings die 
Goldausfuhr aus Deutschland um den Betrag von 86,9 Mill. über- 
wogen. Dagegen stellen sich seit 1885 ununterbrochen beträchtliche 
Ueberschüsse der Goldeinfuhr über die Ausfuhr heraus. 

So — in tausend Mark — 


1885 18 023 1393 38 465 
1886 26 317 1894 251154 
1887 37 832 1895 15 132 
1888 35 113 1896 22 479 
1889 13751 1897 36 065 
1890 60 221 1898 104 439 
1891 99 415 1899 135 042 
1892 28 640 Summa 929088 Mark!) 


Unter Abrechnung des Exportsaldos von 1880—84 bleibt also von 
1880—99 ein Mehrimport von 842 Mill. M. Gold. 

In dieser Summe ist der Ueberschuß des eingeführten Bruch- 
goldes, welches unter Nummer 305 der Statistik zusammen mit 
Pagament geführt wird, nicht enthalten. Bei einem Vergleich der 
deutschen mit den französischen Zahlen muß es jedoch in Rechnung 
gebracht werden, da es die französische Statistik unter der Goldein- 
und -Ausfuhr enthält, eine Nichtberücksichtigung das Bild also 
in unrichtiger Weise zu Ungunsten Deutschlands verschieben würde. 

Nach den Angaben des Geh. Ober-Finanzrats Dr. von Glasenapp, 
Mitglied des Direktoriums der Reichsbank, im Reichstage am 28. April 
1899 erhöht sich dann der Ueberschuß von 1885—98 um weitere 
175,5 Mill. Hierzu kommen für 1899 noch etwa 13,5 Mill., also für 
die ganze Zeit 189 Mill. Danach vermehrten sich die deutschen 
Goldbestände von 1880—99 insgesamt um 1031 Mill. M. 

Wenn diese Ziffern von bimetallistischer Seite mit dem Hinweise 
auf die Unmöglichkeit einer derartigen Wertberechnung bemängelt 
werden, so ist dies unrichtig ?). 


1) Nach Helfferich, Reform des deutschen Geldwesens, Bd. 2, S. 51, den monat- 
Nachweis über den auswärtigen Handel des deutschen Zollgebietes u. der Volksw. 
Chronik für 1899, S. 417. 

2) Der Abg. Arendt verlas am 28. April 1899 im Reichstage zum Beweise dieser Be- 
hauptung eine ihm auf eine Anfrage mitgeteilte Auskunft des Kaiserlich Statistischen 
Amtes, welche lautete: „Die deutsche Handelsstatistik giebt keine besonderen Zahlen für 
Bruchgold. Dasselbe wird in Zusammenfassung mit Pagament (aus Bruchsilber und Bruch- 
gold zusammengeschmolzenen Barren) und Bruchsilber unter Nummer 305 der Statistik 
aufgeführt. Zur Kenntnis des statistischen Amtes werden nur die Mengen der unter 
dieser Nummer fallenden Waren ohne Bezeichnung der Warengattung gebracht.“ 

Der Abg. Arendt hat jedoch aus der ihm zu teil gewordenen Auskunft nur den- 
jenigen Teil verlesen, welcher geeignet war, seine Deduktionen über die Unmöglichkeit 


646 R. Rosendorff, 


Es ist nämlich sehr wohl möglich, aus den in der Handelsstatistik 
unter einer Nummer zusammengefaßten Mengen „Pagament, Bruch- 
gold und Bruchsilber“ das in dem Gesamtquantum enthaltene Gold 
zu berechnen, weil dort nicht nur die Menge, sondern auch der Wert 
angegeben wird. Dieser Wert wird nach dem Ergebnisse festgestellt, 
das sich bei der Scheidung des Pagaments seitens der Affinieran- 
stalten ergiebt. Das importierte Pagament kommt in diese Anstalten, 
wird dort affiniert, und das Ergebnis ist dann zur Feststellung des 
für das Pagament angegebenen Wertbetrages maßgebend. Ebenso 
wird das Bruchgold dort in die reinen Metalle zerlegt, und so der 
genaue Nachweis darüber geliefert, wie viel reines Gold es enthält. 
Auf der anderen Seite braucht aber bei der Ausfuhr das Bruchgold 
nicht berücksichtigt zu werden, da es in Verbindung mit Pagament 
und Bruchsilber nach den statistischen Nachweisungen nur in so ver- 
schwindend kleinen Beträgen exportiert wird, daß die für Bruchgold 
in Betracht kommende Ziffer das Resultat nicht ändern kann. 

Vergleichen wir hiermit die Goldbewegung Frankreichs, so zeigt 
sich zunächst in Uebereinstimmung mit Deutschland, daß es von 
1880—84 gleichfalls Gold verloren hat, und zwar mehr als Deutsch- 
land, nämlich im ganzen 136 Mill. fres. gleich 109 Mill. M. Es hat 
also in dieser Zeit 22,1 Mill. M. Gold verloren als Deutschland. Für 
1885—99 stellt sich das Bild folgendermaßen !) 


in Millionen fres. 


1885 42 1893 188 
1886 62 1894 353 
1837 —165 1895 9 
1888 — 91 1896 — 10 
1889 209 1897 159 
1890 —134 1898 —113 
1891 127 1899 158 
1892 276 Sa. 1070 Mill. fres. = 856 Mill. M. 


Hiervon gehen die 109 Mill. M. Gold, die 1880—84 per Saldo ex- 
portiert wurden, ab, so daß Frankreich im Laufe der Jahre 1880—99 
einen Goldimportsaldo von nur 747 Mill. M. zu verzeichnen hat. 

Während sich also für Deutschland unter dem Einflusse der 
Diskontpolitik seit 1885 fortgesetzt Ueberschüsse ergeben, hat die 
französische Goldprämie, worauf wir bereits im vorigen Abschnitte 
hingewiesen haben, zeitweise recht erhebliche Mehrexporte nicht zu 
verhindern vermocht. 

Für die Zeit von 1880—-99 stellt sich denn auch der Gesamt- 
überschuß an Gold für Frankreich um 284 Mill. M. geringer als der 
für Deutschland ermittelte Ueberschuß. 


der Wertberechnung des eingeführten Bruchgoldes zu unterstützen. Wie v. Glasenapp 
mitteilte, istihm aber auf eine weitere Anfrage noch eine zweite Auskunft zu teil geworden, 
welche dahin lautete, daß es sehr wohl angängig sei, mit annähernder Sicherheit den 
Wertbetrag des Bruchgoldes zu ermitteln. Arendt hat es aber, da ihm diese Mitteilung 
natürlich nicht paßte, für zweckmäßig gehalten, sie überhaupt nicht zu erwähnen. — 
Cf, Reichstagsverhandlungen vom 28. April 1899. 

1) Nach Rapport für 1900, 8. 73. 


Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 647 


In der Anlage zum Bericht der 8. Kommission des Reichstages 
von 1899 bemängelt der Abg. Arendt zunächst die Statistik, auf Grund 
welcher diese Resultate gewonnen sind. Abgesehen davon, daß er 
das Bruchgold nicht in Rechnung bringen will, behauptet er, daß 
die Handelsstatistik keine genügende Grundlage für die deutsche 
monetäre Statistik biete. Er beruft sich hierfür auf das Zeugnis des 
verstorbenen Soetbeer, unseres ersten Währungsstatistikers, dessen 
Anschauungen im übrigen nicht gerade geeignet sind, die Beweis- 
führung von Arendt und seinen Gesinnungsgenossen zu unterstützen. 
Dieser hat allerdings vor Jahren einmal geäußert, daß die Nachweise 
der Ein- und Ausfuhr von Gold und Silber in deutsche Zollgebiet 
unvollständig seien. 

Es ist eigentümlich, daß Arendt diese Ziffern nur dann zu be- 
mängeln für gut befindet, wenn ihre Resultate seinen Deduktionen 
ungünstig sind, dagegen beruft er sich mit Vorliebe auf dieselben, 
wenn die Ausfuhr von Gold die Einfuhr übersteigt. 

Gegenüber der citierten Aeußerung Soetbeer’s ist zu bemerken, 
daß seit 1879 die ganze Statistik über Ein- und Ausfuhr auf neue 
Grundlagen gestellt ist. 

Besonders ist hierbei in Betracht zu ziehen, daß jetzt das Gewicht 
deklariert wird, und also eine ,Unterdeklaration“, wie Arendt be- 
hauptet, nicht möglich ist. In der That dürften unsere amtlichen 
statistischen Veröffentlichungen über die Einfuhr von Edelmetallen 
auf durchaus zuverlässiger Basis ruhen, insbesondere wenn man 
berücksichtigt, daß in anderen Ländern gleichfalls derartige Veröffent- 
lichungen erfolgen, aus denen sich passendes Vergleichsmaterial und 
eine gewisse Kontrolle ergiebt, so daß man hieraus ein richtiges Bild 
über die Edelmetallbewegung gewinnen kann. 

Arendt hat ferner an derselben Stelle behauptet, daß von dem 
Ueberschusse, den wir seit 1885 an Gold gehabt haben, der industrielle 
Verbrauch abgerechnet werden müsse. Dieser beziffere sich von 
1885—98 auf 570 Mill Der Zuwachs des monetären Edelvorrats 
betrage demnach für diese Jahre nur 130 Mill. M. Er berechnet 
nämlich den Ueberschuß der Goldeinfuhr nach Deutschland fälsch- 
lich nur auf 702 Mill., eine Vermehrung, die wie er meint, kaum der 
Volkszunahme, geschweige denn dem in diesen Jahrzehnten so außer- 
ordentlich gesteigerten wirtschaftlichen Verkehr entspricht. 

Wie verhalten sich die Dinge in Wirklichkeit? 

Will man die Summe Goldes berechnen, welche nach Ab- 
zug des industriellen Edelmetallverbrauches für monetäre Zwecke 
übrig bleibt, so muß man hierbei das Quantum berücksichtigen, 
welches Jahr für Jahr auf dem Wege der Goldproduktion in Deutsch- 
land gewonnen wird!). Dieses Gold wird zum kleinen Teil aus ein- 
heimischen „güldischen Silbererzen“, zum größeren Teil aus impor- 
tierten fremden Golderzen, goldhaltigen Silbererzen und goldhaltigem 
Silber gewonnen. Diese letzteren gelangen bei der Goldein- und 


1) Cf. Glasenapp im Reichstag am 25. April 1599. 


648 R. Rosendorff, 


Ausfuhr nicht zur Nachweisung. Das daraus gewonnene Gold muß 
daher der Goldmenge hinzugerechnet werden, welche in Deutschland, 
sei es für monetäre, sei es für industrielle Zwecke verwendbar wird. 

Nach Foville!) wird in Deutschland pro Jahr durchschnittlich 
für 7,5 Mill. M. Gold produziert. Unter Hinzurechnung dieser Summe 
ergiebt sich von 1880—1899 ein gesamter (Goldüberschuß von 
1181 Mill. M. Hiervon ist der industrielle Verbrauch im Betrage 
von durchschnittlich 30 Mill. pro Jahr in Abzug zu bringen. Nach 
Abzug dieser Summe verbleibt von 1880—1899 ein Ueberschuß von 
581 Mill. M. für monetäre Zwecke. Hiervon darf nicht etwa noch, 
wie Arendt will, der Wert der exportierten Goldwaren abgerechnet 
werden. Denn da wir die industriell verwandten Summen von 
dem Gesamtvorrat subtrahiert haben, so ist dieser Betrag schon darin 
enthalten. 

Wenn wir dieselbe Rechnung für Frankreich aufmachen, so er- 
giebt sich folgendes Bild. 

Die Goldimportüberschüsse Frankreichs beziffern sich von 1880 
bis 1899 auf 747 Mill. M. 

Hierzu kommt die französische Goldproduktion welche nach 
Foville?) pro Jahr durchschnittlich !/, Mill. M. beträgt. Die Ge- 
samtüberschüsse beziffern sich demnach auf 742 Mill. M. Nun ist 
aber die industrielle Verwendung des Goldes in Frankreich er- 
heblich bedeutender als in Deutschland. Sie beträgt nach Fovilles 
Berechnungen pro Jahr durchschnittlich 40 Mill. M. Zieht man 
diese Summe von der von uns ermittelten Ziffer von 742 Mill. ab, 
so ergiebt sich, daß die Goldbilanz Frankreichs seit 1880 nicht nur 
keine Ueberschüsse für monetäre Zwecke, sondern ein Minus von 
43 Mill. M. aufweist. 

Das Resultat des vorigen Abschnittes wird also durch das Er- 
gebnis, zu welchem uns die vergleichende Betrachtung der franzö- 
sischen und deutschen Goldbilanz geführt hat, dahin verstärkt, daß 
Frankreichs Stellung unter dem System der Goldprämie im inter- 
nationalen Goldverkehr eine wesentlich ungünstigere war, als die 
Deutschlands unter dem Einflusse der Diskontpolitik. 


V. Wie erklären sich die durch die Prämienpolitik 
hervorgerufenen Erscheinungen? 


Wie erklärt es sich nun, daß das System der Goldprämien so 
wesentlich andere Wirkungen zeitigt, als man nach den Darstellungen 
der Bimetallisten glauben sollte? 

Daß die Prämie nämlich, statt, wie Arendt meint, einer Steige- 
rung der Wechselkurse entgegenwirken und so den Goldexport und 
dadurch notwendig gew ordene "Diskonterhöhungen zu verhindern, zeit- 

1) Foville, Rapport fe 1599, S. 234. 

2) Foville, S. 118. 


Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 649 


weilig größere Schwankungen der französischen Valuta hervorruft, 
als es durch die Paritäten gerechtfertigt ist? 

Ist dies doch um so auffallender, als die Arendt'sche Annahme 
auf den ersten Blick ganz plausibel erscheint. Denn wenn der 
Wechselkurs so weit gestiegen ist, daß es für den, welcher im Aus- 
lande Zahlungen zu leisten hat, rentabler wird, Gold zu versenden 
als Wechsel, so müßte, da ja durch die Prämie das Gold verteuert 
wird, jetzt trotz des hohen Wechselkurses wiederum zu Wechseln 
gegriffen werden. 

Diese Argumentation setzt jedoch voraus, daß trotz der Prämie 
der Wechselkurs derselbe bleibt wie vorher, eine Annahme, die aber, 
wie wir gesehen haben, nicht den Thatsachen entspricht. Die Prämie 
überträgt sich vielmehr auf den Wechselkurs und ruft in dem Lande, 
welches eine Prämie erhebt, eine Steigerung, in dem, welches sie 
zahlen soll, ein Sinken des Wechselkurses hervor. 

Zur Erklärung dieser Erscheinung ist es notwendig, auf die 
Gründe zurückzugehen, welche den Goldexport hervorrufen. 

Die Ursachen, welche internationale Goldbewegungen veranlassen, 
sind zweierlei Art. 

Man muß nämlich dabei unterscheiden zwischen Goldexporten, 
welche durch internationale Finanzoperationen hervorgerufen werden 
und Goldexporten, welche einem ungünstigen Stande der Zahlungs- 
bilanz ihre Entstehung verdanken. Letztere haben ihre Ursache 
wiederum entweder in der Thatsache, daß das Gold exportierende 
Land nicht genügend Forderungen auf das andere hat, mit welchem 
es seine Schuld an dasselbe kompensieren könnte oder darin, daß 
der Wert des Geldes im anderen Lande ein höherer ist. 

Die erste Art von Goldoperationen, die von Heiligenstadt so- 
genannten „Ordrebezüge“, sind nicht die Folgen von legitimen Handels- 
beziehungen zwischen zwei Ländern, sondern stellen nur eine Seite 
größerer finanzieller Operationen dar. Sie sind z. B. die Folge des 
Ueberganges eines Staates zur Goldwährung. Auf diese Weise sind 
die Goldbezüge Rußlands und Oesterreichs im Jahre 1895 zu er- 
klären, welche Goldexporte aus allen Staaten in größerem oder ge- 
ringerem Umfange zur Folge hatten. 

Gerade gegen diese plötzlichen sprunghaft und unvorhergesehen 
auftretenden Nachfragen des Auslandes soll, wie Landesberger be- 
hauptet!), die Prämie eine definitive Schutzwaffe bilden. 

Glaubt er aber im Ernste, daß etwa das Konsortium, welches 
im Jahre 1895 die Beschaffung von 100 Mill. fl. gleich 228 Mill. 
Kronen Gold für die österreichische Regierung zum Zwecke der be- 
absichtigten Valutaregulierung übernahm, sich durch eine auch noch 
so hohe Goldprämie an der Durchführung der beabsichtigten Trans- 
aktion hätte verhindern lassen ? 

Landesberger giebt selbst zu, daß die Prämie eine gewisse Höhe 
— bei der Bank von Frankreich betrug sie nie mehr als Dog — 


1) Währungssystem u. Relation, S. 100. 


650 R. Rosendorff, 


niemals überschreiten dürfe, sofern sie nicht die Stabilität der Valuta 
gänzlich aufheben solle. Wir werden noch sehen, daß auch aus 
anderen Gründen die Erhebung höherer Prämien gänzlich unmög- 
lich ist. 

Aber selbst eine sehr hohe Prämie, etwa von 2—3 Proz., würde 
diese Art von Goldexport nicht verhindern können. Die Banken 
würden sich zur Uebernahme einer derartigen Anleihe niemals ver- 
stehen, wenn ihnen nicht der Tragweite der Operation entsprechende 
sehr hohe Gewinne winkten. Bei der dem Abschlusse des Vertrages 
vorausgehenden Kalkulation würde dann die Prämie einfach seitens 
der Banken in ihre Unkosten einbezogen werden, und eventuell 
in einem höheren Emissionskurse ebenso ihre Deckung finden, wie 
alle anderen Unkosten der Transaktion. 

Andererseits würde sich aber auch das Land, welches das Gold 
zur Durchführung der Währung braucht, falls die Banken wegen 
der Prämie einen höheren Preis fordern würden, sicherlich nicht 
dadurch davon zurückschrecken lassen. Es müßte dann eben seine 
Goldwährung um so viel teurer bezahlen. 

Auch Frankreich hat im Jahre 1895 einen erheblichen Betrag 
Goldes. nämlich 38 Mill. fres., für die österreichische Valuta-Regulie- 
rung hergeben müssen, und wenn diese Summe geringer war als 
das, was beispielsweise England und Deutschland dazu beisteuerten, 
so liegt dies nicht an der Prämie, sondern findet seine Erklärung in 
der im Vergleich zu den genannten beiden Ländern größeren Ab- 
neigung Frankreichs gegen die direkte Beteiligung an ausländischen 
Finanzgeschäften !). 

Ebensowenig wie die Prämie imstande ist, ihre prophylaktischen 
Funktionen auf dem Gebiet auszuüben, auf welchem sich Landes- 
berger gerade die größten Wirkungen von ihr verspricht, vermag 
sie einen Goldabfluß hintanzuhalten, welcher sich als Folge un- 
günstiger Wechselkurse darstellt. 

Findet auf Grund eines solchen ein Goldabfluß ins Ausland statt, 
so bedeutet dies nämlich nichts anderes, als daß im Inlande keine 
genügend große Anzahl von Wechseln, d. h. von Forderungen aufs 
Ausland, vorhanden ist, mit denen das Ausland seine Forderungen 
kompensieren könnte. Mangels derartiger Wechsel kann aber die 
Begleichung eines aus dem legitimen Handel herrührenden Saldo 
nur mittels des Weltgeldes, des Goldes, erfolgen. 

Wie sollnun eine auch noch so hohe Prämie das Ausland daran 
verhindern können, auf sein Recht auf Einkassierung seiner fälligen 
Forderungen zu verzichten? Es wird dasselbe vielmehr gebieterisch 
geltend machen, und das Inland wird sich, wenn es auf andere Weise 
kein Gold erlangen kann, wohl oder übel zur Zahlung der Prämie 
an seine Centralbank entschließen müssen, sofern es nicht durch ein 
höheres Zinsäquivalent das Ausland dazu veranlassen kann, ihm 


1) Cf. Heiligenstadt, „Die internationalen Goldbewegungen“ in Schmoller’s Jahrb. 
L 1894, S. 575. e 


Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 651 


seine Schuld zunächst noch zu stunden. Ein solcher Aequivalent 
bietet dem Auslande eine Diskonterhöhung seitens der Centralbank 
des anderen Landes, nicht aber die Prämie. Ein weiterer Goldabfluß 
wird also durch die Diskonterhöhung verhindert, da durch den höheren 
Zinsfuß das Ausland veranlaßt wird, seine Guthaben noch stehen zu 
lassen. resp. Wechsel des höheren zinsgewährenden Landes gegen 
Gold zu kaufen. Und zwar wird das eine Land um so mehr von 
den hohen Diskontsätzen des anderen profitieren, um SO mehr Gold 
dahin senden, je größer die Differenz der Diskontsätze bei den 
Ländern ist!). 

Sucht man durch die Prämie im Inlande einer eventuell not- 
wendigen Diskonterhöhung entgegenzuwirken, SO sind eben jene Ver- 
hältnisse, wie wir sie auf dem französischen Geldmarkte in den 
Jahren 1898 und 1899 kennen gelernt haben, und die unsere soeben 
nn Ausführungen bestätigen, die notwendige Folge des Ver- 
ahrens. 

e Es wirkte damals in Frankreich die Notwendigkeit, das Saldo 
der momentan ungünstigen Zahlungsbilanz zu decken mit dem Wunsche 
der Banken zusammen, von den höheren Zinssätzen des Auslandes 
zu profitieren, SO daß trotz der hohen Prämien große französische 
Kapitalien ins Ausland wanderten. 

Immerhin aber war doch die Macht der Prämie in Verbindung 
mit den übrigen restriktiven Maßnahmen der Bank von Frankreich 
stark genug, um den Goldexport zu erschweren. Derselbe konnte 
sich thatsächlich nur unter gewissen Reibungen vollziehen, da eben 
bei den Schwierigkeiten, die die Bank machte, Gold nicht, wie in 
Deutschland und England, jederzeit in beliebiger Menge zu einem 
bestimmten Preise zum Export zu haben war. Da aber die Ur- 
sachen, die die Nachfrage im Auslande an Gold hervorriefen, un- 
verändert bestehen blieben, so konzentrierte sich die Nachfrage unter 
den obwaltenden Umständen in Frankreich um SO mehr auf die Gold- 
wechsel, die im Preis immer höher stiegen und sich um so mehr 
von der Parität entfernen mußten, je höher die Prämie der Bank 
stieg. 

Dies erklärt die zeitweise starke Entwertung der französischen 
Valuta gegenüber der englischen und deutschen. 

In Ländern, wie Deutschland und England, welche der Preis- 
steigerung der Devisen durch Goldabgabe zu einem bestimmten 
Preise eine Grenze ziehen, kann eine derartige Valutaentwertung 
aber niemals eintreten. Die deutsche Währung kann sich beispiels- 
weise gegenüber der englischen immer nur um den Betrag entwerten, 
den die Versendungs- und Versicherungskosten Von Berlin nach 
London ausmachen. Wollte der Wechselkurs in Berlin die Neigung 
zeigen höher zu steigen, SO würde es in Deutschland rentabler sein, 
die englischen Forderungen mit Gold zu decken. Hierdurch wird 


1) Cf. auch den Kommissionsbericht über die Beratung der Novelle zum deutschen 
Bankgesetz von 7. Juni 1899. 


652 R. Rosendorff, 


aber die Nachfrage nach Wechsel verringert und dem weiteren Steigen 
eine feste Grenze gezogen. 

Wenn die französische Valuta nicht in noch höherem Grade 
schwankt, als dies thatsächlich der Fall ist, so hat dies seinen Grund 
darin, daß Frankreich bei seiner so außerordentlich günstigen Zah- 
lungsbilanz nur selten und ausnahmsweise Zahlungen ans Ausland 
zu leisten hat und daher auch nur in Ausnahmefällen zur Prämien- 
politik greift‘). Aber auch in den Jahren, in denen die Bank die 
Prämie erhob, stieg der Wechselkurs in Frankreich nicht so hoch, 
wie dies zweifellos der Fall gewesen wäre, wenn der Goldexport aus 
Frankreich durch die Prämie völlig unmöglich gemacht worden wäre. 
In Frankreich ist nämlich Gold in der Cirkulation in derartigen 
Mengen vorhanden, daß sie beträchtliche Summen davon ohne Schaden 
entbehren kann. Infolgedessen gehen trotz aller erschwerenden Maß- 
regeln der Bank bedeutende Beträge Goldes aus dem Lande, die 
das weitere Steigen des Wechselkurses verhindern. 

Und zwar kann die Entnahme von Gold aus der Cirkulation 
statt aus den Kellern der Bank in Frankreich um so leichter vor 
sich gehen, als dort gerade die Goldprämienpolitik der Centralbank 
zu einem besonderen banktechnischen Geschäftszweige geführt hat. 
Die Privatbanken sammeln nämlich, unterstützt von einem weit- 
verzweigten Kreise von Helfershelfern zunächst große Mengen Goldes 
aus der Cirkulation, speichern sie bei sich auf und stellen sie dann 
dem Auslande, dem die Prämienpolitik der Bank den Bezug von Gold 
in Frankreich zu erschweren sucht, gegen eine Verfügung, die zwar 
geringer sein muß als die jeweilig von der Bank geforderte Prämie, 
aber immerhin noch groß genug ist, um dieses jeden Risikos ent- 
behrende Geschäft recht rentabel zu machen ?). 

In der That zeigt auch die Statistik, daß die im französischen 
Verkehr befindlichen Goldmengen sich trotz der starken Ausmün- 
zungen im Laufe der Jahre verringert haben. Während bei der von 
der französischen Regierung im Jahre 1885 vorgenommenen Kassen- 
enquete, bei welcher die Münzbestände einer sehr großen Anzahl 
öffentlicher Kassen auf ihre Zusammensetzung hin geprüft wurden, 


in Noten 67,63 Proz, 
in Gold 22,44 ,„ 
in Silber N er 


vorhanden waren, waren 1897 nur 


11,25 Proz. Gold 
84,21 ,„ Noten 
4,52 , Silber 


in den Kassenbeständen 3). 


1) Cf. Landmann, System der Diskontpolitik, S. 185. Deutscher Oekonomist, 
1893, S. 490. 

2) Gegen Landesberger’s Behauptung (Goldprämienpolitik S. 50/51), daß die Ent- 
nahmen von Gold aus der Cirkulation in Frankreich schwer durchführbar seien, cf. 
Heiligenstadt in Conrad’s Jahrb. f. 1893, S. 230. Ostersetzer, Währungswechsel, Bd. 2, 
S. 140. — Stenogr. Prot. der Wiener Währungs-Enquête 1892, S. 26, I68. 

3) Cf. Glasenapp im Reichstage am 28. April 1899. 


Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 653 


Obgleich diese Verschiebung zu Ungunsten des Goldes auch auf 
andere Ursachen zurückzuführen ist, hat das Bestreben der franzö- 
sischen Arbitrageurs, Gold zum Export an sich zu ziehen, hierbei 
sicherlich stark mitgewirkt. 

Wie sehr die Politik der Bank von Frankreich aus den genannten 
Gründen das Verschwinden des Goldes aus dem Umlauf bewirkt, 
geht auch aus der Thatsache hervor, daß sich auch in der von ihr 
beeinflußten Schweiz die Proportion des Goldes zum Silber zu deren 
Ungunsten verschoben hat. 

Wie Kalkmann ausführt), übt nämlich die Prämie, solange sie 
sich noch nicht auf den schweizerischen Geldmarkt übertragen hat, eine 
gewisse Anziehungskraft auf schweizerisches Gold aus und veranlaßt 
es zur Auswanderung nach Frankreich. 

Raffalovich ?) hat daher recht, wenn er sagt: „La prime défensive 
protège, si l’on veut, l’encaisse visible, le réservoir central du pays, 
mais elle permet l’appauvrissement de la circulation métallique, or la 
Banque doit surveiller aussi bien sur l'encaisse qu'elle détient que 
sur la porte-monnaie du particulier. N'est-il pas absurde à Paris 
de voir les grands magazins tout comme l'épicier du coin porter 
leurs pièces de 20 francs chez Je changeur qui pratique le tré- 
buchage?* — 

Allein wenn so die große französische Cirkulation auch teilweise 
dem Bedürfnisse nach Gold zu genügen vermochte, so war sie 
doch, wie wir gesehen haben, nicht vollständig hierzu imstande. Sie 
vermochte dem Steigen des Wechselkurses zwar eine gewisse Grenze 
zu ziehen, es aber nicht zu verhindern. Die Prämie bewirkte in- 
folgedessen für diejenigen eine Verteuerung, welche Zahlungen ans 
Ausland, sei es in Wechseln oder Gold, zu machen hatten. Wenn nun 
allerdings diese Zahlungen auch seitens der Arbitrage gemacht werden, 
die darüber entscheidet, ob es für sie vorteilhafter ist, sich dafür 
des Goldes oder Wechsel zu bedienen, so ist sie doch weit entfernt 
davon, wie dies die Bimetallisten glauben und für so überaus wün- 
schenswert halten, die durch die Prämie bewirkte Verteuerung auch 
zu tragen. 

Der Arbitrageur zahlt ja nicht für sich, sondern ist nur der 
Vermittler der internationalen Ausgleichung. Wenn er nun entweder 
die Prämie oder den durch sie verursachten höheren Wechselkurs 
zahlen muß, so vergrößern sich seine Spesen, und da mit der wech- 
selnde Prämie auch diese schwanken, auch sein Risiko. Infolgedessen 
läßt er sich noch eine gewisse Risikoprämie vergüten. Derjenige, 
welcher sich zur Zahlung ausländischer Schulden der Vermittelung 
der Arbitrage bedient, muß daher außer der ordentlichen Provision 
auch diese noch tragen. So bewirkt die Prämie eine doppelte Ver- 
teuerung des Importeurs und einen besonderen Nebenverdienst der 
Arbitrage. Diese leidet daher auch nicht unter der Prämie, sondern 


Kalkmann, Geldwesen der Schweiz, S. 11. 


1) 
2) Marcher financier pro 1899/1901. S. X. 


654 R. Rosendorff, 


steht sich recht gut dabei, was ja auch die Thatsache beweist, daß 
die Thesaurierung von Gold, welches man bei hoher Prämie etwas 
billiger hergiebt als die Centralbank, sich zu einem besonderen Ge- 
schäftszweige der französischen Bankiers herausgebildet hat. Um so 
schlechter kommen dabei die Importeure und damit diejenigen weg 
welche die vom Ausland bezogenen Waren konsumieren und dafür 
einen höheren Preis zahlen müssen !). 

Vergegenwärtigt man sich, daß Frankreich pro Jahr etwa für 
eine Milliarde Nahrungsmittel, für 1!/, Milliarden Rohstoffe und für 
eine !/, Milliarde Fabrikate einführt, so bekommt man einen unge- 
fähren Begriff davon, wie bedeutend die durch die Prämie herbei- 
geführte Belastung der französischen Konsumenten und Industriellen 
sein muß?). 

Die Ansicht der Bimetallisten darüber, daß die Prämie von der 
Arbitrage getragen und daher durch sie im Gegensatz zur Diskont- 
erhöhung die große Masse der Konsumenten nicht belastet, beruht 
auf der völlig falschen Vorstellung, die dieselben von dem Wesen 
der Arbitrage haben. Sie übersehen nämlich, daß der Wechselkurs, 
bei welchem ein Goldexport der Arbitrage als rentabel erscheint, 
nicht von ihr willkürlich hervorgerufen wird, sondern die Folge der 
internationalen Zahlungsbilanz ist, welche es notwendig macht, daß 
das eine Land mangels eines genügend großen kompensablen W echsel- 
vorrats in Gold zahlt. Thatsächlich spielt heute übrigens die Arbi- 
trage beim Goldexport bei weitem nicht mehr die große Rolle, welche 
ihr die Bimetallisten beimessen. Sehr oft ist es in den letzten Jahren 
zu Zeiten hohen Bankdiskontes auch vorgekommen, das sie nach 
Verständigung mit dem Reichsbankpräsidium, trotzdem es für sie 
lohnend gewesen wäre, keinen Goldexport vorgenommen hat, um 
nicht durch ihre Thätigkeit ein weiteres Steigen des Diskontes her- 
vorzurufen. 

Nur bei verhältnismäßig hoher Marge hat sie Gold exportiert 
und dafür mittels Wechsels Deckung genommen. Ueberhaupt werden 
Edelmetalltransporte heutzutage vielmehr von den Centralbanken als 
der privaten Arbitrage ausgeführt). Sehr häufig wirkt gerade ihre 
Thätigkeit darauf hin, den Goldexport solange als möglich zu ver- 
hindern, da sie ja in jedem Winkel der Welt einen billigeren Wechsel 
zu erspüren sucht, um so lange es irgend geht, damit zu zahlen. Kann 
sie einen solchen nicht mehr billig genug erhalten, so wird sie viel- 
fach auch dann noch nicht zum Goldexporte schreiten, sondern zu- 
nächst größere Beträge von im Inlande placierten ausländischen 
Papieren ins Ausland zu schaffen suchen. Dies wird sie den Metall- 
transaktionen um so mehr vorziehen, als hierbei der Nutzen für sie 
ein bedeutender größerer ist als bei dem Goldversande 21. 


1) Cf. den eitierten Kommissionsbericht. 

2) Cf. auch Hertzka, Das internationale Währungsproblem, S. 55. 
3) Ehrenberg, Art. „Arbitrage“ im H. d. St., Bd. 1, S. 1042, 

4) Saling, Börsenpapiere, Bd. 1, S. 282, 


Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 655 


VI. Die Gründe der Bank von Frankreich i 
für die Goldprämienpolitik. 


Angesichts der Unwirksamkeit der Goldprämienpolitik zum dauern- 
den Schutze des französischen Goldschatzes und zur dauernden Ver- 
meidung von Diskonterhöhungen fragt man sich wohl nach den Gründen, 
die die Leitung der Bank dazu veranlaßt haben mögen, im Gegen- 
satz zu sämtlichen Notenbanken der Welt von den bewährten Grund- 
sätzen der Diskontpolitik abzuweichen und eine Politik einzuschlagen, 
welche Léon Say, der frühere französische Finanzminister, als „dangereuse 
et nouvelle méthode“ bezeichnet !). Thatsächlich schlägt auch die 
französische Bank die Goldprämienpolitik durchaus nicht freiwillig 
ein, weil sie von ihrer absoluten Ueberlegenheit gegenüber der Dis- 
kontpolitik überzeugt ist, sondern «poussée par la fatalité des choses”, 
wie sich ein französischer Nationalökonom nicht unrichtig ausdrückt. 

Die Bank wird nämlich durch die eigentümlichen französischen 
Verhältnisse häufig auch dann zur Vermeidung von Diskonterhöhungen 
gezwungen, wenn die französische Goldbilanz sich derart ungünstig 
gestaltet, daß man in anderen Ländern unter diesen Umständen zu 
einer Korrektur derselben durch eine Diskonterhöhung schreiten 
würde. 

In solchen Fällen kann die Bank aber trotzdem natürlich nicht 
darauf verzichten, ihren Goldschatz zu schützen und greift daher 
dann zur Erhebung von Prämien als Palliativmittel. 

Wenn die Bank in der That danach strebt, Diskonterhöhungen 
soweit als möglich zu vermeiden und den Erfolg derselben durch 
andere Mittel zu ersetzen, SO wird sie hierzu in erster Linie durch 
einen von der Regierung auf sie ausgeübten Druck bestimmt, welche 
aus bestimmten noch zu erörternden Gründen ein Interesse an niedrigem 
Diskont hat. 

Die Beobachtung, daß die französische Bankpolitik sich vielfach 
den Zwecken der jeweiligen Regierung anpaßt, ist von englischen und 
französischen Schriftstellern bereits des öfteren gemacht worden. 

So sagt George Clare?): 

„Unlike the bank of England which is a private corporation 
existing solely for the benefit of its stockholders, the Bank of France 
is regarded as semi-independent department of the state and as such 
is expected to adapt its poliey to the views of the Government as 
well as to private ends.“ 

Und Courcelle-Seneuil *) : 

„La Banque de France n'est pas un établissement commercial 
seulement, c'est aussi et avant tout un instrument politique, une 
banque d'État.“ 


1) Vorwort zur 3. Auflage des Werkes von Goschen. 
2) Clare, A money market primer, $. 110. 
3) Courcelle-Seneuil, Les opérations des banques, 7. Aufl., S. 247. 


656 R. Rosendorff, 


. Die Ansichten dieser Schriftsteller werden auch durch die Er- 
gebnisse der Jahre 1898 und 1899 bestätigt. 

Schon im April 1898 erwartete man allgemein mit Rücksicht 
auf den enormen Goldexport nach Amerika, der selbst durch Prämien 
bis zu 9 % nicht gehemmt werden konnte, eine Diskonterhöhung, 
die aber mit Rücksicht auf die Regierung erst im Oktober vorge- 
nommen wurde, da sie wegen der bevorstehenden Wahlen eine Ver- 
teuerung der Diskontsätze vermieden wissen wollte. Auch im folgen- 
den Jahre übte die Regierung in gleicher Weise einen Druck auf die 
Leitung der Bank aus!). 

Zum Verständnis des großen Interesses, das die französische 
Regierung am niedrigen Diskont hat, muß man sich zweierlei ver- 
gegenwärtigen. Zunächst die eigentümliche Art, in welcher in Frank- 
reich die Staatsanleihen begeben werden, und ihre dadurch herbei- 
geführte Demokratisierung. Die französische Rente wird nämlich 
in der Weise vertrieben, daß durch den Hauptsteuereinnehmer, 
„receveur general“, ein beständiger Rentenverkauf stattfindet, wo- 
durch bewirkt wird, daß sie in alle Volksschichten getragen wird 
und gerade die kleinen und kleinsten Kapitalisten an ihrem Kurse 
vorzugsweise interessiert werden. In der That ist sie dadurch 
auch in dem Maße zu einer Nationalschuld geworden, daß sie sich 
fast völlig in den Händen von Inländern befindet. So wünschens- 
wert diese Thatsache auch aus manchen Gründen sein mag, führt sie 
doch zu einer Schwäche des französischen bankpolitischen Systems ?), 
da die Regierung im Interesse der großen am Hochstande der Rente 
interessierten Volkskreise, auf die sie sich stützt, gezwungen ist, durch 
Maßnahmen ihrerseits für einen günstigen Kurs Sorge zu tragen ?). 
Bei einem dauernd hohen Diskont würde sie aber in Anbetracht des 
engen Zusammenhanges, der zwischen dem Kurse der Staatspapiere 
und dem Diskont besteht, hierzu kaum in der Lage sein. Denn der 
gestiegene Diskont würde die Besitzer der Rente dazu veranlassen, 
ihre darin angelegten Mittel flüssig zu machen und in Wechseln 
bezw. als Depositum, dessen Einsatz bekanntlich mit dem Diskont 
steigt, zu verwerten. Hierdurch würden die Kurse der französischen 
Rente stark sinken und ihre Besitzer lebhafte Klagen gegen die 
Regierung erheben, die dieselbe bei den von uns geschilderten eigen- 
artigen französischen Verhältnissen mehr Aufmerksamkeit zu schenken 
gezwungen ist, als in anderen Ländern, in denen die Regierung nicht 
derart von den Rentenbesitzern abhängig ist, wie in Frankreich $). 


1) Cf. Moniteur des intérêts matériels vom 14. Dezbr. 1899: „On dit courramment 
en Bourse, que le ministre des finances A l’instigation sans doute des grands politiciens 
avait fait le possible auprès du conseil de régence, pour que le taux de l'escompte 
nestät immuable malgré la cherté progressive de l'argent à Londres.“ 

2) Heckel im W. d. V., Bd. 2, S. 601, 603, Art.: „Staatsschulden“. 

3) Lotz, Art.: „Diskont“ im H. d. St., Bd. 3, S. 181. $ 

4) Struck, Studien über den englischen Geldmarkt in Schmoller’s Jahrb. 1898, 
S. 408. — Wie sehr die französische Regierung offenbar an dem Hochhalten der Renten- 
kurse interessiert ist, zeigt sich auch an versehiedenen gesetzgeberischen Maßnahmen 
derselben. Es sind alle französischen Sparkassen gezwungen, ihre Gelder in 3-proz. 


Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 657 


Die Diskontpolitik wird in Frankreich aber auch noch von Rück- 
sichten auf andere Volkskreise zweifellos stark beeinflußt, in deren 
Interesse es wünschenswert erscheint, der Goldausfuhr lieber durch 
ein System entgegenzuwirken, welches zwar, die Schwankungen des 
Wechselkurses vergrößert, den Kredit aber nicht derart versteuert, 
wie dies bei einer Erhöhung des Diskontes der Fall ist. 

Es sind dies die Rücksichten auf die bäuerliche Bevölkerung. 
Staaten wie England und Deutschland, deren wirtschaftliche Blüte auf 
dem Außenhandel beruht, würden freilich durch die durch die Gold- 
prämie hervorgebrachten Schwankungen der Wechselkurse weit em- 
pfindlicher leiden, als durch eine Kreditverteuerung, da jede, auch 
die kleinste Entwertung der Valuta, ja selbst die bloße Möglich- 
keit des Eintritts einer solchen, genügt, um den auswärtigen Handel 
zu schädigen; dagegen, wird der englische oder deutsche Kauf- 
mann durch eine Kreditverteuerung lange nicht so hart getroffen, 
da er nur einen kurzen Betriebskredit braucht und einer Ver- 
teuerung oder Verbilligung desselben in seinen Kalkulationen leicht 
Rechnung tragen kann !). 

Im Gegensatz zu diesen Ländern beruht das wirtschaftliche 
Schwergewicht in Frankreich auf dem Ackerbau, im Verhältnis zu 
welchem Handel und Industrie schwächer entwickelt sind. Unter 
den Schwankungen des Wechselkurses leidet daher nur ein kleiner 
Teil der Bevölkerung, während die Kreditverteuerung Produktion und 
Absatz im Innern hemmen würde. Denn der Bauer braucht lang- 
fristigen Kredit, und ist daher sowohl deshalb wie wegen seiner ge- 
ringen kommerziellen Beweglichkeit nicht imstande, seine Kalkula- 
tionen dementsprechend einzurichten. Wie Grunzel?) ausführt, übt 
dies aber auch seine Wirkung auf den Industriellen aus, da die 
Rohstoffmärkte entlegen sind, und das Inkasso durch den temporären 
Charakter der landwirtschaftlichen Produktion beeinflußt wird. 

Zu diesen politischen und wirtschaftlichen Gründen, welche 
zweifellos einen maßgebenden Einfluß auf die Entwickelung der 
Prämienpolitik in Frankreich ausgeübt haben, kommt noch, daß die 
Banque de France, selbst wenn sie den geschilderten Verhältnissen 
nicht in dem Maße, wie sie es thut, Rechnung tragen würde, bei der 
eigentümlichen Lage des französischen Geldmarktes und den be- 


Rente anzulegen, ebenso müssen auch die ausländischen Lebensversicherungsgesellschaften 
einen Teil ihrer Prämienreserve aus 3-proz. Rente bilden. Nach einem Gesetz aus 
dem Jahre 1895, welches am 1. Jan. 1901 in Kraft getreten ist, darf niemand mehr als 
1500 fres. bei einer öffentlichen Sparkasse guthaben. Wenn die diesen Betrag über- 
steigenden Summen bis zu jenem Termin nicht zurückgezogen waren, so verloren die 
Sparer das Recht der Rückforderung ihres Kapitals und mußten es sich gefallen lassen, 
daß jene Summen in französischer Rente angelegt wurden. Dies Gesetz zeitigte auch 
den gewünschten Erfolg. Denn der Kurs der 3-proz. amortisierten Rente hob sich vom 
2. Jan. bis 31. Dez. von 92,20 auf 101,30 Proz. Cf. Volksw. Chron. f. 1900, S. 471, 
536. Ichenhäuser, Finanzielle Zeit- und Streitfragen, S. 12. Wolff, money in wrong 
place in the Econ. Review f. 1895, S. 291 ff. 

1) Cf Lotz, H. d. St., Bd. 3, S. 180. 

2) Grunzel, Der internationale Wirtschaftsverkehr, S. 113. 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 42 


658 R. Rosendorff, 


sonderen monetären Verhältnissen des Landes in normalen Zeiten 
gar nicht imstande sein würde, durch eine Diskonterhöhung einen 
Goldabfluß zu verhindern und daher auch aus diesem Grunde ge- 
zwungen ist, sich nach einem Ersatzmittel dafür umzusehen, welches, 
den Goldabfluß aus dem Lande zwar nicht gänzlich zu verhindern 
vermag, immerhin den Goldbeständen der Bank doch vorübergehend 
einen gewissen Schutz verleiht, sofern die Anforderungen des Aus- 
landes nicht allzu groß und nur vorübergehender Natur sind. 

Wenn die Bank von Frankreich durch eine Diskonterhöhung 
nicht in der Lage ist, den Goldabfluß ins Ausland zu verhindern, 
so hat dies seinen Grund darin, daß Frankreich sehr reich an Kapital 
ist, seine wirtschaftliche Entwickelung aber zurückgeht und seine 
Bevölkerung stagniert. Infolgedessen und wegen der Abneigung der 
französischen Banken überhaupt sich an Gründungen und in- 
dustriellen oder Handelsunternehmungen zu beteiligen, sind diese 
großen Kapitalien niemals dauernd dem französischen Markte ent- 
zogen, sondern werden in kurzfristigen Darlehen oder im Wechsel- 
diskontgeschäft immer nur auf kurze Zeit festgelegt. Im Gegensatz 
zu den deutschen Banken, die bei der steten und energischen Unter- 
stützung, die Handel und Industrie durch sie finden, teilweise den 
Charakter von Credit-mobilier-Instituten haben, sind die französischen 
Banken viel mehr bloße Depositen- und Kommissionsbanken !) 

Würde die Bank von Frankreich nun ihren Zinsfuß erhöhen, 
um den Goldabfluß zu verhindern, so würde sie damit auch nicht 
den geringsten Einfluß auf den Markt ausüben, denn auf die große 
Menge unbeschäftigten Kapitals hat der Abfluß eines Teiles des- 
selben gar keine Bedeutung 71. Die großen Kreditinstitute würden 
die Bank einfach unterbieten und ihr einen noch größeren Teil des 
Wechselmaterials entführen, als dies bekanntermaßen trotz des 
niedrigen Diskonts der Bank schon heute der Fall ist?). 

Würde nun der Goldabfluß sich sehr steigern, so würde sich 
allmählich wohl eine Goldknappheit und damit ein Goldagio heraus- 
bilden, der Zinsfuß für Geld aber damit nicht steigen 21. 

Diese Thatsache kann aber für die Bank um so verhängnis- 
voller werden, als sie damit zu kämpfen hat, daß sie neben ihrem 
Goldschatz noch einen sehr hohen Silbervorrat besitzt’). Diese 
Silbermengen sind fast ebenso groß wir ihr jeweiliger Goldvorrat 
und bestehen zu Hunderten von Millionen in fremden Prägungen 
der anderen Staaten des Lateinischen Münzbundes, welche bei ihr 
festliegen. Diese enormen Silbermengen haben, zumal da auch der 


1) Sugous, Le banche Tedesche e la loro influenza sulla slancio industriale e 
commerciale della Germania in der Riforma sociale vom 15. Jan. 1899. — Derselbe, 
Les banques de dépôt, les banques de crédit et les sociétés financierès, Paris 1901, 
Teil II, Cap. 2 und 3. 

2) Kalkmann, Entwertung der österreichischen Valuta im Jahre 1899, S. 22. 

3) Heiligenstadt im Reichstag am 8. Febr. 1899. Rosendorf bei Conrad, März 1901. 

4) Landmann, S. 189. 

5) Reichsbankpräüsident Koch im Reichstage am 26. Jan. 1901. — L. Say in der 
Vorrede zu Goschen, abgedruckt bei Raffalovich, Le marcher fin., 1896/97, S. 59. 


Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 559 


französische Verkehr mit ca. 400 Milliarden Franken Silber- 
courant gesättigt ist, eine große Bedeutung für die Münzpolitik der 
Bank. 

Wenn sich nämlich in einem Lande ein weit über den Bedarf 
hinaus gehender Vorrat von entwertetem Silber befindet, so läuft die 
Cirkulation leicht die Gefahr, fortwährend Gold zu verlieren und 
statt dessen nur Silber zu erhalten. Wegen ihrer Minderwertigkeit 
können die Goldsurrogate die Grenze nicht überschreiten, sie bleiben 
stets im Lande und befriedigen auch bei großer Ausdehnung des 
Verkehrs die Bedürfnisse desselben. Hierdurch wird das Gold frei 
und kann, ohne daß sich im Verkehr ein Mangel an Zahlungsmitteln 
geltend macht, der dem weiteren Abströmen des Goldes Einhalt 
thun würde, das Land verlassen. Eine Folge hiervon ist, daß auch 
die Bank nur Silber bekommt, und die Masse des unterwertigen Silbers 
droht die ganze Valuta zu entkräften. Auch in Frankreich drängte 
das Silber stets in die Bank, und trotz aller Gegenmaßregeln mußte die- 
selbe es schließlich aufgeben, es wieder in den Verkehr zu bringen 
und ihr Heil nur noch in einer Vergrößerung ihres Goldschatzes 
suchen. Hierdurch erklärt sich die Stabilität des Silbers bei der 
Bank von Frankreich im Verhältnis zur stärkeren Vergrößerung ihres 
Goldvorrates. 

Bei diesen Verhältnissen könnte die Bank von Frankreich auch 
aus diesem Grunde durch eine Diskontpolitik ihren Goldschatz über- 
haupt nicht wirksam verteidigen. Denn bei der stark gemischten 
Cirkulation vermag sie die Metallströmungen nicht so vollständig zu 
beherrschen, wie die Centralbank eines monometallistischen , resp. 
eines Landes, dessen Cirkulation nicht so stark mit Silber gesättigt 
ist. Ermöglicht z. B. der Stand der Wechselkurse ein Ausströmen 
des Goldes, so würde die Bank, selbst wenn sie den Diskont zur 
Verteidigung ihres Goldbesitzes noch so sehr erhöhen würde, die 
Arbitrage nicht daran verhindern können, der mit beiden Metallen 
reichlich versehenen Cirkulation Gold zu entnehmen. Der Bank 
würde dann nur fort und fort Silber zuströmen. Es würde also 
durch den hohen Diskont wohl der Barvorrat, nicht aber der Gold- 
schatz der Bank verstärkt werden. 

Da auch die französische Cirkulation, wie wir bereits bemerkt 
haben, übergroße Mengen Silbers enthält, so wird diese Gefahr um 
so größer, denn der Verkehr wird sich des lästigen Silbers dadurch 
zu entledigen suchen, daß er es in die Bank und die öffentlichen 
Kassen ableitet. Je größer dann die dort lagernden Silberbestände 
werden, um so kleiner wird der Goldschatz der Bank, bis schließ- 
lich die Goldzahlungen und damit die Solvenz des Instituts ihr Ende 
erreicht. Die Bank muß sich also bemühen, ihr Gold möglich durch 
andere Mittel festzuhalten. Daß sie dies auf jede ihr zu Gebote 
stehende Weise selbst bei einem sehr großen Goldbestande thut, be- 
weist, wie sehr die Verwaltung befürchtet, daß einmal jene oben 
besprochenen Folgen einer zu hohen Silbereirkulation eintreten 
könnten. Es gewinnt dabei, wenn man sieht, wie ängstlich die Bank 

42% 


660 R. Rosendorff, 


über ihrem Goldschatze wacht, fast den Anschein, als besäße sie 
mit Rücksicht auf ihren starken Silberbestand relativ immer noch zu 
wenig Gold !). 

Bei diesen Verhältnissen kann die Bank einen Schutz ihres 
Goldes, wenn überhaupt, nur durch die Goldprämie erreichen. 

Wenn die Bank von Frankreich, nachdem bei den andauernd 
großen Goldnachfragen die Goldprämie selbst ihren beschränkten 
Schutz verlor, trotzdem in den Jahren 1898 und 1899 zu Diskont- 
erhöhungen griff, und dadurch dem reicheren Goldabfluß Einhalt zu 
thun vermochte, so steht dies zu unseren Ausführungen durchaus 
nicht in Widerspruch, sondern bestätigt dieselben. Bei den gewaltigen 
und fortgesetzten Bedürfnissen, die sich in England als Folge des 
Transvaalkrieges in Deutschland als Folge des gewaltigen Auf- 
schwunges geltend machten, waren derartig große Summen aus Frank- 
reich ans Ausland abgeflossen, daß selbst die bedeutenden flüssigen 
Kapitalien dieses Landes davon aufgesaugt worden waren und sich 
infolgedessen auch dort eine so empfindliche Geld- und Goldknapp- 
heit bemerkbar machte, daß die Bank annehmen konnte, nunmehr 
mit einer Erhöhung des Diskonts auch auf dem offenen Markte 
durchzudringen, und in der That damit auch den gewünschten Erfolg 
hatte. War doch der Verkehr sogar derart an Gold geschwächt, daß 
vollwertige 20-Francs-Stücke bereits rar zu werden begannen und 
die Bank sich infolgedessen veranlaßt sah, für 10 Mill. leichte 
10-Francs-Stücke in den Verkehr zu bringen. 


VI. Die Uebertragbarkeit der Goldprämienpolitik 
auf Deutschland. 


Wollte die Reichsbank, den Wünschen der deutschen Bimetal- 
listen folgend, einem Goldabfluß aus Deutschland durch Erhebung 
von Goldprämien nach dem Beispiele der Banque de France ent- 
gegenzuwirken suchen, so würde sich, bei der im Verhältnis zu 
Frankreich ungünstigeren deutschen Handelsbilanz, noch deutlicher 
zeigen, daß das System der Goldprämien ebensowenig imstande 
ist, die deutschen Goldbestände wirksam zu schützen, wie den 
deutschen Diskont dauernd stabil zu erhalten. 

Auf der anderen Seite würden sich aber die durch diese Politik 
mit Notwendigkeit vergrößerten Schwankungen der Wechselkurse 
um so fühlbarer machen. 

Die Wirkungen von Valutaschwankungen äußern sich bekannt- 
lich in zweierlei Hinsicht. 

Sie vermindern einmal die Bedeutung des Landes, dessen Valuta 
schwankt, für den Weltverkehr, da in dem Handel mit demselben 


1) Ostersetzer in Volksw. Wochenschr. vom 18. Juni 1891 und Lieben, Ebenda 
25. Febr. 1892. Cf. auch Thery, Les fonctions de la Banque de France, S. 8. „Lette 
masse d’or est nécessaire pour dorer nos écus, c’est-à-dire pour défendre l’ensemble de 
la circulation monétaire française contre la dépréciation extérieure dont la baisse du 
metal blane devait être la conséquence rationelle.‘ 


Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 661 


ein aleatorisches Moment tritt. Hierdurch verlieren seine Wechsel 
ihre Ebenbürtigkeit mit barem Golde und sind nun nicht in dem 
Maße, in dem sie dies sonst wären, für Gold gut“ 1): 

Die Wirkung der Valutaschwankungen äußert sich ferner darin, 
daß durch sie Kapitalsübertragungen aus dem einen Lande in das 
andere gehemmt werden, weil der Ausländer befürchten muß, bei vor- 
übergehenden Geldanlagen in dem Lande mit schwankender Valuta 
Kursverluste zu erleiden. 

Wenn Frankreich trotzdem die durch seine Goldprämienpolitik 
erzeugten mehr als normalen Schwankungen seiner Valuta zu Of: 
tragen vermag, SO hat dies seinen Grund einmal, wie wir bereits 
früher erwähnten, darin, daß das wirtschaftliche Schwergewicht Frank- 
reichs nicht so sehr im auswärtigen Handel liegt, wie in Deutsch- 
land und England. Insbesondere beruht auch gerade die wirt- 
schattliche Entwickelung Frankreichs in den letzten Jahren, in 
welchen dort so hohe Prämien erhoben wurden, nicht auf einer Aus- 
dehnung seines Handels. Dazu kommt aber vor allen Dingen, daß 
Frankreich ein so reiches Land ist, daß es auf den Kredit des Aus- 
landes nicht angewiesen ist und bei seiner SO überaus günstigen 
Handelsbilanz die Prämie immer nur vorübergehend zu erheben braucht. 
Wäre dem nicht so, SO würden die durch die Prämie erweiterten 
Schwankungen der französischen Valuta bald derartige Dimensionen 


annehmen, daß man sich auch dort entschließen müßte, ihre Ursachen 
durch Aufgeben der sie erzeugenden Politik zu beseitigen. Aber 
auch bei diesen für Frankreich so günstigen Verhältnissen hat die 
Goldprämienpolitik der Banque de France der internationalen Um- 
laufsfähigkeit der französischen Wechsel sehr geschadet, da man 
infolge der durch sie hervorgebrachten mehr als normalen Schwan- 
kungen der französischen Wechsel Frankreich zu den Ländern mit 
schwankender Valuta rechnet 2). Als Beweis hierfür kann auch gelten, 
daß die Bank von Oesterreich-Ungarn, welche einen gewissen Betrag 
von Devisen als Bardeckung einrechnen darf, französische Wechsel 
nieht als einrechenbare Goldwechsel behandelt, sondern nur Devise 
London und Deutschland °). 

Wenn sich nun die Nachteile der durch die Prämienpolitik er- 
zeugten Valutaschwankungen selbst für Frankreich fühlbar gemacht 
haben, so würden dieselben für Deutschland wesentlich verhäng- 
nisvoller sein. Denn es würde dadurch gerade in seiner Ent- 


Ae Ee 


1) Landmann, S. 184. 

2) Landesberger, Währungssystem und Relation, S. 94. 

3) Wegen der mit der Prämienpolitik unzertrennlich verbundenen starken Schwan- 
kungen der Wechselkurse warnt Kalkmann (S. 87) auch die Schweiz, falls sie sich ein- 
mal währungspolitisch selbständig machen sollte, davor, sich die Politik der Bank von 
Frankreich zum Muster zu nehmen, da die Schweiz zur Entwickelung ihrer heimischen 
Volkswirtschaft fremder Gelder bedürftig sei und die fremden Kapitalisten bei Schwan- 
kungen der Wechselkurse davon abgehalten werden würden, ihre Gelder vorübergehend 
in der Schweiz anzulegen. Er meint sogar, schon der hohe Kursstand der letzten Jahre 
habe manchen fremden Gläubiger dazu veranlaßt, seine in der Schweiz angelegten 
Kapitalien zurückzuziehen. 


662 R. Rosendorff, 


wickelung in der Richtung gehemmt werden, in welcher es in den 
letzten Jahren so mächtig fortgeschritten ist, nämlich auf seinem 
Wege zur Verflechtung in die Weltwirtschaft, auf welchem es nur 
bei unbedingter Stabilität seiner Valuta fortschreiten kann. Ist es 
doch nicht zum wenigsten der Kräftigung der deutschen Valuta 
in den letzten Jahrzehnten zu verdanken, daß die deutschen Wechsel, 
die früher als nicht marktgängig im Auslande nur mit Verlust zu 
verkaufen waren. heute den Londoner Wechseln ebenbürtig sind, 
und der deutsche auswärtige Handel dadurch von den Londoner 
Bankiers, denen er schwere Provisionen zu zahlen hatte, unabhängig 
geworden ist!). 

Dieses unbedingte Vertrauen, das die deutsche Valuta hinsicht- 
lich ihrer Stabilität im Auslande genießt, hat die ausländischen Kapi- 
talien häufig und insbesondere in den Jahren des deutschen Auf- 
schwunges 1895—1900 zur Anlage in Deutschland und zur Unter- 
stützung des deutschen Unternehmungsgeistes veranlaßt. Ohne diese 
fremden Kapitalien, die sich auf Hunderte von Millionen beziffern, 
wäre aber eine derartige Entfaltung der deutschen volkswirtschaft- 
lichen Kräfte, wie wir sie in den letzten Jahren erlebt haben, kaum 
möglich gewesen. 

Würde Deutschland in jenen Jahren durch die Prämienpolitik 
und die dadurch herbeigeführten Valutaschwankungen dieses Ver- 
trauen wieder verscherzt haben, so würde auf der einen Seite wegen 
Mangels an Kapital der deutsche Aufschwung gehemmt, auf der 
anderen aber die durch die Anspannung aller verfügbaren Mittel 
bewirkte Geldteuerung und damit die Diskontsätze noch erhöht worden 
sein ?). Die Goldprämienpolitik würde also gerade in entgegengesetzter 
Richtung gewirkt haben, als «dies die Bimetallisten wünschen °). 

Angesichts dieser Sachlage würde die Uebertragung der franzö- 
sischen Goldprämienpolitik auf die deutschen Verhältnisse von den 
größten Nachteilen für Deutschland begleitet sein, während sie die 
von den Bimetallisten gerühmten Vorzüge um so weniger mit sich 
bringen würde, als sie dieselben, wie wir gesehen haben, auch 
in Frankreich nicht gezeitigt hat. 

1) Heiligenstadt in Conr. Jahrb. f. 1893, 8. 227. 

2) Helfferich, Zur Erneuerung des deutschen Bankgesetzes, S. 130. 

3) Anfangs des Jahres 1900 ist es einmal vorgekommen, daß es in Deutschland 
bei den Erschwerungen, die die Reiehsbank der Entnahme von Gold bereitete und da 
auch die deutschen Banken in Anbetracht der Schwierigkeiten auf dem inneren Geld- 
markt von der lohnenden Versendung von Gold nach England Abstand nahmen, unmög- 
lich war, Gold zur Ausfuhr zu erlangen und der Londoner Cheekkurs über 20,60 
stieg, eine Abweichung von der Parität, die seit der Valutakrisis von 1874—75 sich 
niemals wieder gezeigt hatte und ein offenbares Disagio der dentsehen Währung be- 
deutete, Die Reiehsbank wurde deshalb auch sehr getadelt. Denn es war ein Fehler 
zu einer Zeit, wo Dentschland so viel fremdes Geld in Form sehwebender Bankiers- 
darlehen von aller Welt hatte und brauchte, diesen fremden Kapitalien schwere Ver- 
luste am Wechselkurse zuzufügen. Es hat dies offenbar auch absehreekend auf das 
Ausland gewirkt. Denn die Arbitrage war später vielfach nur gegen Sicherung des 
Wechselkurses seitens der Darlehnsnehmer dazu zu bewegen, mit Deutschland zu arbeiten. 
Cf. die Reichsbank von 1576—1900, Amt), Publikat., Berlin 1901. 


Die Goldprämienpolitik der Banque de France und ihre deutschen Lobredner. 663 


Wenn diese Politik daher selbst dort von den Nationalökonomen 
verurteilt wird *), 50 wird man es um SO begreiflicher finden, daß 
die Reichsbank den Wünschen der Bimetallisten zum Trotz bisher 
an dem System der Diskontpolitik festgehalten hat. 

In Zukunft wird übrigens die Agitation für die Goldprämien- 
politik in Deutschland nur noch eine historisch-akademische Be- 
deutung haben. Denn da durch die Münznovelle von 1809 die 
Gleichstellung der Thaler mit dem Golde, worauf bisher die rechtliche 
Möglichkeit der Prämienpolitik beruhte, ihr baldiges Ende erreichen 
wird, scheint es schon durch die Gesetzgebung als ausgeschlossen, 
daß diese Agitation in Zukunft jemals einen praktischen Einfluß auf 
die Maßnahmen der Verwaltung der Reichsbank gewinnen kann. 


1) Cf. z. B. Raffalovich: „La pratique de la prime n’a jamais eu nos sympathies. 
Elle a été formellement condamnée par M. Léon Say dans sa dernière préface à la tra- 
duction du Traité des changes de Goschen. (Le marcher financier 1598/99, D XIV.) 
Ferner Say in der citierten Vorrede: 

„Si la Banque de France ne devait livrer d’or pour l'exportation qu’en le vendant 
à prime, si pour en augmenter en cas de besoin la quantité, elle n'avait recours qu’au 
achats de matières à l'étranger, elle ne ferait que de la bien fausse et bien impru- 
dente administration monétaire. Il n’y a qu’une opération licite pour attirer l'or étranger 
quand le change devient contraire, c’est l'élévation du taux de lescompte, et ce moyen 
tout dans l'ouvrage de Goschen prouve surabondamment qu’on ne peut le remplacer par 


aucun autre quelque ingénieu que puisse paraitre un expédient quelconque.” 


664 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Nachdruck verboten. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 


V. 
Die wirtschaftliche Gesetzgebung der deutschen 
Bundesstaaten im Jahre 1899. 


Von Dr. jur. Albert Hesse. 
(Fortsetzung.) 


Sachsen. 


Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich 
Sachsen vom Jahre 1899. 


Verordnung sämtlicher Ministerien, die Einziehung nicht mehr um- 
laufsfähiger Zehn- und Fünfpfennigstücke betr. Vom 9. Februar 1899, 
Ss. 17. 

Verordnung des Ministeriums des Innern, die Ermittlung der Anbau- 
flächen betr. Vom 7. März 1899, S. 71. 


Die Ermittlung der Anbauflächen hat alljährlich durch die Ortsbehörden unter 
Hinzuziehung von Orts- und Landwirtschaftskundigen, bezüglich der Forsten und Hol- 
zungen von Forstwirtschaftskundigen zu erfolgen. Die vom statistischen Amt teils unter 
Vermittlung der Amtshauptmannschaften, teils direkt den Ortsbehörden übersandten 
Formulare sind von diesen innerhalb der ersten beiden Wochen des Monats auszufüllen 
und bis Mitte Juni an die Amtshauptmannschaften bezw. direkt an das statistische Amt 
einzusenden. Etwaige Fehler sind auf Erinnerung des statistischen Bureaus ab- 
zustellen. 

Verordnung des Ministeriums des Innern, eine Aenderung der Aus- 
führungsverordnung zur Gewerbeordnung vom 28. März 1892 betreffend. 
Vom 7. März 1899, S. 73. 

Verordnung des Ministeriums des Innern, eine anderweite Aende- 
rung von $ 6 der Ausführungsverordnung zur Gewerbeordnung vom 
28. März 1892 betr. Vom 30. März 1899, S. 101. 

Dritter Nachtrag zu den Ausführungsvorschriften zum Reichsgesetz 
über die Ausdehnung der Unfall- und Krankenversicherung vom 28. Mai 
1885 im Bereich der sächsischen Staatseisenbahnverwaltung. Vom 
15. März 1899, S. 84. 

Bekanntmachung des Kriegsministers, anderweite Ausführungsvor- 
schriften zu dem Reichsgesetze über die Ausdehnung der Unfall- und 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 665 


Krankenversicherung vom 28. Mai 1885 für den Bereich der sächsischen 
Heeresverwaltung betr. Vom 28. März 1899, S. 95. 

Verordnung des Ministeriums des Innern wegen Abänderung der 
Ausführungsverordnung vom 23. Mai 1888, die Unfall- und Kranken- 
versicherung der in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben beschäf- 
tigten Personen betr. Vom 8. Juni 1899, S. 153. 

Verordnung sämtlicher Ministerien und der Generaldirektion der 
Königlichen Sammlungen, das Verzeichnis der den Militäranwärtern im 
königlich sächsischen Staatsdienst vorbehaltenen Stellen betr. Vom 
17. Mai 1899, S. 121. 

Verordnung der Ministerien des Innern und des Kriegs, die Be- 
setzung der Subaltern- und Unterbeamtenstellen bei den Kommunal- 
behörden u. s. w. mit Militäranwärtern betr. Vom 30. Oktober 1899, 
S. 483. 

Verordnung sämtlicher Ministerien, die Behandlung nachgemachten, 
verfälschten, beschädigten und abgenutzten Metall- und Papiergeldes 
betr. Vom 23. Mai 1899, S. 112. 

Verordnung sämtlicher Ministerien, die silbernen Zwanzigpfennig- 
stücke betr. Vom 30. Mai 1899, S. 125. Entsprechende Verordnung 
vom 18. August 1899, S. 383. 

Anweisungen an die Staatskassen zum Zweck der Einziehung der silbernen 
Zwanzigpfennigsticke. 

Verordnung sämtlicher Ministerien zur Ausführung des Bürgerlichen 
Gesetzbuchs und der zu dessen Ein- und Ausführung ergangenen 
Gesetze. Vom 6. Juli 1899, S. 203. 

Verordnung der Ministerien der Justiz und des Innern zur Aus- 
führung einiger mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch zusammenhängender 
Reichsgesetze. Vom 24. Juli 1899, S. 217. 

Verordnung des Ministeriums des Innern zu weiterer Ausführung 
des Gesetzes vom 1. Juni 1898, die Einführung einer allgemeinen 
Schlachtvieh- und Fleischbeschau betreffend. Vom 23. Juli 1899, S. 331. 

Verordnung des Ministeriums des Innern zur Ausführung des Ge- 
setzes vom 2. Juni 1898, die staatliche Schlachtviehversicherung betr. 
Vom 24. Juli 1899, 5. 366. 

Verordnung der Ministerien der Justiz und des Innern zur Aus- 
führung der gesetzlichen Bestimmungen über die Angelegenheiten der 
freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Hinterlegungswesens. Vom 25. Juli 
1899, S. 246. 

Verordnung der Ministerien der Justiz und des Innern zur Aus- 
führung des $ 126 des Reichsgesetzes über die Angelegenheiten der 
freiwilligen Gerichtsbarkeit. Vom 11. November 1899, S. 564. 

Verordnung des Ministeriums der Justiz zur Ausführung der Grund- 
buchordnung. Vom 26. Juli 1899, S. 261. 

Verordnung der Ministerien des Innern und der Finanzen zur Aus- 
führung der Aichordnung für die Binnenschiffahrt auf der Elbe Vom 
19. August 1899, S. 384. 

Verordnung des Finanzministeriums, die Ausführung des Gesetzes 


666 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


über den Urkundenstempel vom 13. November 1876 in der Fassung 
des Gesetzes vom 10.Juni 1898 betr. Vom 12.Oktober 1899, S. 444. 

Wahlordnung, die Wahlen von Vertretern der Arbeitgeber und der 
Versicherten für die Invalidenversicherung betr. Vom 27. Oktober 1899, 
S. 471. 

Verordnung der Ministerien der Justiz und des Innern zur Aus- 
führung des Handelsgesetzbuches, des Binnenschiffahrtsgesetzes und des 
Flößereigesetzes. Vom 10. November 1899, S. 562. 

Verordnung des Ministeriums der Justiz zur Ausführung der Civil- 
prozefordnung und der Konkursordnung. Vom 20. November 1899, 
S. 583. 

Verordnung des Ministeriums der Justiz, die Zwangsvollstreckung 
in das unbewegliche Vermögen betr. Vom 5. Dezember 1899, S. 589. 
Dazu Verordnung vom 6. Dezember 1899, S. 595. 

Verordnung des Ministeriums des Innern zur Ausführung des In- 
validenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899. Vom 30. November 
1899, S. 599. 

Gesetz, die provisorische Forterhebung der Steuern und Abgaben 
im Jahre 1900 betr. Vom 13. Dezember 1899, S. 610. 


Im Jahre 1900 sind vorbehältlich der definitiven Regulierung durch das für die 
Finanzperiode 1900/01 zu erlassende Finanzgesetz, bis zum Erlajs dieses Gesetzes zu 
zu erheben: a) Die Grundsteuer nach 4 Pfennigen für die Steuereinheit; b) die Einkom- 
mensteuer; €) die Steuer vom Gewerbebetrieb im Umherziehen; d) die Schlachtsteuer, 
ingleichen die Uebergangsabgabe vom vereinsländischen und die Verbrauchsabgabe vom 
vereinsansländischen Fleischwerke; e) die Erbschaftssteuer und f) der Urkundenstempel. 
Alle sonstigen Abgaben, Natural und Geldleistungen, die nicht ausdrücklich aufgehoben 
sind oder noch aufgehoben werden, bestehen vorschriftsmäjsig fort. Auch bleiben den 
Staatskassen die ihnen im Jahre 1899 in Gemäfsheit des Staatshaushaltsetats zugeteilten 
übrigen Einnahmequellen ebenfalls bis zum Erlasse des künftigen Finanzgesetzes für 
die Finanzperiode 1900/1901 zugewiesen, 

Verordnung über die Kosten. Vom 18. Dezember 1899, S. 611. 

Gesetz, die Anlegung von Mündelgeld betr. Vom 22. Dezember 
1899, S. 619. Dazu Ausführungsverordnung des Justizministeriums 
von demselben Tage. S. 620. 


Württemberg. 


Regierungsblatt für das Königreich Württemberg 
vom Jahr 1899. 


Bekanntmachung des Medizinalkollegiums, betr. die Einführung 
einer neuen Arzneitaxe. Vom 28. Dezember 1898, S. 12. 

Gesetz, betreffend Aenderungen des Landtagswahlengesetzes vom 
nn Vom 28. Januar 1899, S. 27. Dazu Bekanntmachung 
des Ministeriums des Innern, betr. den Text des Landtagswahlgesetzes. 
Vom 2. Februar 1899, S. 31. 

Gesetz, betr. die Ermächtigung des Finanzministeriums zur Ge- 
währung von Darlehen an die landwirtschaftliche Genossenschafts- 
centralkasse in Stuttgart. Vom 4. Februar 1899, S. 31. 


Nationalökonomisehe Gesetzgebung. 667 


Gesetz, betr. Abänderung des Gesetzes, betr. die Errichtung von 
Handels- und Gewerbekammern vom 4. Juli 1874. Vom 10. Februar 
1899, S. 43. 


Die gegenwärtigen Mitglieder der Handels- und Gewerbekammer bleiben im Amt, 
bis die auf Grund des bevorstehenden Gesetzes — Ges. vom 30. Juli 1899 — über die 
Handelskammern erstmals gewählten Kammern sich konstituiert haben, 


Verfügung des Ministeriums des Innern, betr. das Verbot der 
öffentlichen Ankündigung von Geheimmitteln. Vom 14. Februar 1899, 
S. 45. 

Verfügung des Ministeriums des Innern, betr. die Umlage zur Be- 
streitung der Entschädigung für auf polizeiliche Anordnung getötete 
oder vor Ausführung der Tötungsanordnung gefallenen Tiere, sowie zur 
Bestreitung der Entschädigung für an Milzbrand und an Maul- und 
Klauenseuche gefallene Tiere. Vom 9. März 1899, S. 51. 


Fiir jedes Pferd ist ein Beitrag von 10 Pia, für einen Esel, Maultier oder Maul- 
esel sind 15 Pfg., für jedes Stück Rindvieh 25 Pfg. zu entrichten. 


Verfügung der Ministerien des e? und der Finanzen, betr. die 
Sammlung von Anblümungs-, Saatenstands- und Erntenachrichten. Vom 
15. März 1899, S. 51. 


Auf Grund des Bundesratsbeschlusses vom 19. Januar 1899 unter Aufhebung der 
Verfügung vom 25. März 1898: Der Stand der Felder, Anblümung, wird in jeder 
Gemeinde alljährlich im Juni erhoben. Der Ortsvorsteher hat zunächst die Hauptarten 
der landwirtschaftlichen Bodenbenutzung mit ihrer Fläche summarisch darzustellen. So- 
dann haben vom Gemeinderat zu bestellende örtliche Sachverständige die dem Anbau 
der einzelnen Fruchturten und Gewächse gewidmeten Flächen schätzungsweise zu er- 
mitteln'). Diese Uebersicht ist an das Oberamt spätestens bis 1. Juli einzusenden. Das 
Oberamt stellt diese Uebersichten der Gemeinden zusammen. Die Oberamtsübersicht ist 
bis spätestens 15. Juli an das statistische Landesamt zu senden?) Zum Zweck der 
Erhebung des Saatenstandes und der Ernteerträge werden besondere Er- 
hebungsbezirke gebildet?) und in jedem Bezirk ein ehrenamtlich thätiger Berichterstatter 
samt Stellvertreter bestellt*). Die Saatenstandsberichterstattung bezieht sich auf den 
Saatenstand von Winter- und Sommerweizen, Winterdinkel, Winter- und Sommerroggen, 
Sommergerste, Haber, Kartoffeln, Hopfen, sowie auf den Stand von Klee, Luzerne, 
Wiesen, von Aepfeln, Birnen und auf den Stand der Weinberge). Die Beurteilung 
des Standes hat in der Gestalt von Noten mit nachstehender Abstufung zu geschehen: 
1 = sehr gut, 2 = gut, 3 = mittel (durchschnittlich) 4 -= gering, 5 = sehr gering DL, 
Die Berichterstattung erfolgt in den Monaten April bis November für die Mitte jedes 
Monats). Die Formulare gehen an das Statistische Landesamt®). Ueber den Ernte- 
ausfall in ihrem Erhebungsbezirks haben die Berichterstatter in der ersten Häljte des 
November Durchschnittsangaben in Gewicht der vom Hektar geernteten Frucht von den 
nachgenannten Fruchtarten zu machen: Winter- und Sommerweizen, Winterdinkel, 
Winter- und Sommerroggen, Sommergerste, Haber, Kartoffeln, Winterraps, Hopfen, 
Klee, Luzerne, sowie von Wiesen HL, Ueber weitere Feldfrüchte sind Erntenachrichten 
einzusenden, sofern sie in erheblichem Umfang angebaut werden. Auch über die Menge 
des Strohertrages der Halmfrüchte ist in Gestalt der oben angeführten Noten zu be- 
richten. Am Schlufs des Berichts sind allgemeine Angaben über wichtige Erscheinungen, 


1) Im wesentlichen entsprechend: Altenburg. 

2) Entsprechend: Altenburg. 

3) Entsprechend: Altenburg. 

4) Altenburg: Vorzugsweise Vertrauensmänner der Jlandwirtschaftlichen Vereine 
5) Im wesentlichen entsprechend: Altenburg. 

6) Ebenso: Altenburg. 

7) Ebenso Altenburg. 

8) Altenburg: Statistisches Bureau vereinigter Thüring. Staaten. 

9) Im wesentlichen entsprechend: Altenburg. 


668 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


die den landırirtschaftlichen Ertrag beeinflufsten, beizufügen. Die Berichte gehen an 
das statistische Lundesamt. 

Die Zahl der tragfähigen Apfel-, Birnen-, Pflaumen-, Zwetschgen- und Kirschen- 
bäume, sowie deren Ertrag nach Gewicht und Geldiwert ist gemeindeweise durch den 
Ortsvorsteher zu erheben. Die einzelnen Berichte gehen an das Oberamt, welches sie 
zu einer Oberamtsliste zusammenstellt und diese dem statistischen Lundesamt vorlegt. 

Die Kosten der Ermittlung der Felderanblümung trägt die Gemeinde. Den Saaten- 
stands- und Ernteberichterstattern werden notwendige Auslagen aus der Staatskasse 
ersetzt. 


Gesetz, betr. die Giltigkeitsdauer der mit dem 31. März 1899 außer 
Wirksamkeit tretenden Bestimmungen über die Besteuerungsrechte der 
Gemeinden. Vom 24. März 1899, S. 237. 

Verlängerung der Giltigkeitsdauer bis zum 31. März 1905. 

Verfügung des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten, Ab- 
teilung für Verkehrsanstalten, betr. die Ergänzung der Württembergi- 
schen Telegraphenordnung vom 3. Juli 1897. Vom 21. März 1899, 
H 247. 

Verfügung des Ministeriums des Innern, betr. das Statut der Staats- 
irrenanstalten. Vom 20. März 1899, S. 249. 

Gesetz, betr. die Aufhebung der Dienstkautionen der Staatsbeamten. 
Vom 28. März 1899, S. 273. 

Die Verpflichtung der im Sinne des Art. 1 des Beamtengesetzes vom 28. Juni 
1876 angestellten Staatsbeamten zur Leistung von Dienstkautionen wird aufgehoben. 
Denjenigen, im Staatsdienst beschäftigten Personen, welche nicht Beamte im Sinne 
dieses Artikels sind, kann nach Bestimmung der obersten Dienstbehörden die Leistung 
von Kautionen auch fernerhin auferlegt werden. 

Dazu Verfügung der Ministerien der Justiz, der auswärtigen An- 
gelegenheiten, des Innern, des Kirchen- und Schulwesens und der 
Finanzen. Vom 29. April 1899, S. 323. 

Königliche Verordnung, betr. die Gebühren der Aerzte, Zahnärzte, 
Wundärzte zweiter Abteilung und Hebammen. Vom 17. März 1899, 
S. 274. 

Königliche Verordnung, betr. die Gebühren der öffentlichen Feld- 
messer. Vom 28. März 1899, S. 307. 

Verfügung des Ministeriums des Innern, betr. Maßregeln zur Be- 
kämpfung der Geflügelcholera. Vom 14. April 1899, S. 314. 

Gesetz, betr. die Beschaffung von Geldmitteln für den Eisenbahn- 
bau und für außerordentliche Bedürtnisse der Verkehrsanstaltenverwaltung 
in der Finanzperiode 1899/1900. Vom 27. Mai 1899, S. 329. 

Gesetz über das Gerichtskostenwesen in Angelegenheiten der frei- 
willigen Gerichtsbarkeit, sowie im Zwangsversteigerungs- und Zwangs- 
verwaltungsverfahren. Vom 4. Juli 1899, S. 365. 

Behält die Regelung dieser Materie, soweit diese der Landesgesetzgebung zusteht, 
einer königlichen Verordnung vor. 

Finanzgesetz für die Finanzperiode 1. April 1899 bis 31. März 1901. 
Vom 27. Juli 1899, S. 381. 

Der Staatsbedarf ist festgesetzt für das Jahr vom 1. April 1899 bis 31. März 1900 
auf 80750167 M., für das Jahr vom 1. April 1900 bis 31. März 1901 auf 81864 787 AL, 
zusammen 162 114 904 M. Zur Deckung dieses Aufwandes sind bestimmt der Reinertrag 
des Kammerguts, veranschlagt auf 58462652 M., direkte Abgaben, veranschlagt auf 
35 227 840 M., indirekte Abgaben, veranschlagt auf 70 080 100 M., zusammen 163 720 092 M., 
sodafs ein Ueberschufs von 1605 188 M. verbleibt. 


Nationalükonomische Gesetzgebung, 669 


Dazu Gesetz, betr. einen Nachtrag zum Finanzgesetz für die Finanz- 
periode vom 1. April 1899 bis 31. März 1901. Vom 6. Dez. 1899. 
S. 1081. 

Vermehrung des Stautsbedarfs um 2 254 633 M. Erhöhung der indirekten Abgaben 
um 950 500 M. 


Ein weiterer Nachtrag im Gesetz vom 26. Dez. 1899, S. 1295. 


Vermehrung des Staatsbedarfs um 40000 M. Einmalige Zuweisung des Betrages 
von 2.000 000 M. aus dem Vermögen der Restverwaltung an den Hagelrersicherungs- 
Jonds. 

Bekanntmachung des Finanzministeriums, betr. die Bestimmungen 
über die Ursprungsnachweise für die aus meistbegünstigten Ländern 
eingehenden Waren. Vom 13. Juli 1899, S. 393. 

Ausführunggesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch und dessen Neben- 
gesetzen. Vom 28. Juli 1899, S. 423. 


I. Freiwillige Gerichtsbarkeit. 1. Grundbuchwesen — Grundbuchamt ; 
Grundbuchgeschäftez; Grundbuchgeschäfte bezüglich der Fideikommisse, Stammgüter oder 
Lehen: Uebergangsvorschriften; Beurkundung von Rechtsgeschäften über Grundstücke ; 
Schätzung von Grundstücken. — 2. Vormundschaftswesen — Vormundschaftsgericht ; 
Vormundschaftsgeschäfte;  Gemeindewaisenrat; Besondere Vorschriften für das Ver- 
fahren vor dem ordentlichen Vormundschaftsgericht; Uebernahme einer Vormundschaft 
dureh Beamte und Polizeidiener; Anlegung von Mündelgeldern. — 8. Nachlafswesen — 
Nachlajfsgericht; amtliche Verwahrung von Testamenten und Erbverträgen; die Ge- 
schäfte des Nachlafsgerichts; Verfahren in Nachlafs- und Teilungssachen; Besondere 
Vorschriften für das Verfahren vor dem ordentlichen Nachlafsgerichte; Nachfolge in 
ein Familienfideikommiys, Stammaut oder Lehen. — 4. Notariatswesen — Bezirksnotare ; 
öffentliche Notare; Dienstaufsicht über die öffentlichen Notare; Geschäfte des üffent- 
lichen Notars; Erledigung des Amtes; gerichtliche Urkunden ; öffentliche Beglanbigung. — 
5% Oeffentliche Vermögensverzeichnisse. 6. Ordnungsstrafen. 

Dazu Königliche Verordnung, betr. die Gerichtskosten in An- 
gelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, sowie im Zwangsversteige- 
rungs- und Zwangsverwaltungsverfahren. — Gerichtskostenordnung. — 
Vom 11. Nov. 1899, S. 925. 


II. Gerichtsstand der Mitglieder des Königlichen Hauses in An- 
selegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. III. Bürgerliches 
Recht. A. Allgemeiner Teil. 1. Namensänderung. 2. Juristische Personen — 
Vereine; Stiftungen; Abgabe von Willenserklärungen gegenüber juristischen Personen; 
Eriwerbsbeschränkungen juristischer Personen. — 8. Verjährung öffentlich rechtlicher An- 
sprüche. B. Recht der Schuldverhältnisse. 1. Zahlung aus Öffentlichen Kassen. 
2. Hinterlequngswesen. 3. Verbot der stückweisen Veräufserung von Grundstücken. 
4. Gesindewesen — siehe unten. — 5. Schuldverschreibungen auf den Inhaber. 6. Er- 
satz des Wildschadens. 7. Haftung des Staats und der Gemeinde für ihre Beamten. 
8. Brandversicherung. C. Sachenrecht. 1, Sachenrechtliche Vorschriften mit Aus- 
nahme des Nachbarrechts — Jagd- und Fischereirecht; Bergrecht; Nutzungsrecht; 
Zwoangsenteignungz; Feldbereinigung; Uebertragung des Eigentums, Begründung und 
Aufhebung von Dienstbarkeiten an nicht im Grundbuch eingetragenen Grundstücken ; 
Pfandrechte an Grundstücken. — 2. Nachbarrecht — Einleitende Bestimmung; Ver- 
kehrsunternehmungen ; nachbarrechtliche Bestimmungen in Bezug auf Gebäude und andere 
Bauwesen; von Aufbereitungen auf Grundstücken; von der Erhöhung der Grundstücke ; 
von der Beschaffenheit der Einfriedigung an der Grenze; ron den Abständen der Ein- 
friedigungen und Pflanzenanlagen; vom Abstand der Waldungen; von überragenden 
Wurzeln und Zweigen; allgemeine Bestimmungen. — D. Familienrecht. 1. Bürger- 
liche Ehe. 2. Verwandtschaft. IV. Streitige Gerichtsbarkeit. 1. Gerichts- 
rerfassungsgesetz. 2. Cirilprozejsordnung. 3. Gesetz über die Zwangsrersteigerung und 
die Zwangsrerwaltung. V. Ausführungsrorschriften zum Handelsgesetz- 
buch. 


670 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Gesindeordnung. Vom 28. Juli 1899, S. 528. 

Der Dienstrertrag bedarf keiner Form); vorbehaltlich der durch Gesetz begrün- 
deten Beschränkungen unterliegt sein Inhalt freier Uebereinkunft — Art. 1. — Die 
Gültigkeit des Vertrages ist von der Leistung einer Draufgabe — Hajtgeld — nicht 
abhängig. Ein dem Dienstboten gegebenes Haftgeld ist im Zweifel auf den Lohn nicht 
anzurechnen?), aufser bei Aufhebung des Dienstverhältnisses schon vor dem ersten 
Termin, für welchen es gekündigt werden konnte, aus Gründen, die in der Person des 
Dienstboten liegen — Art. 3. — Einer Person, welche selbst, oder deren in demselben 
Haushalt lebender Ehegatte 8) sich nicht im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte be- 
findet oder unter polizeilicher Aufsicht steht, kann die Annahme oder Beibehaltung von 
Dienstboten unter 18 Jahren *) von der Ortspolizeibehörde untersagt werden. Der Dienst- 
bote, der ohne Schuld auf diese Weise seinen Dienst verliert, hat Schadensersatzanspruch 
— Art. 4. — Hat sich ein Dienstbote mehreren Herrschaften für die gleiche Zeit ver- 
dingt, so kann jede zurücktreten, die erste kann Antritt des Dienstes verlangen, aufser 
wenn der Dienstbote schon bei einer anderen den Dienst angetreten hat®). Die Herr- 
schaften, bei denen der Dienstbote nicht eintritt, haben Schadensersatzanspruch. — 
Art. 5°). 
$ Für den Beginn des Dienstverhältnisses ist in erster Linie die Vereinbarung mafs- 
gebend; dann ist er aus der Beschaffenheit oder dem Zweck der zu leistenden Dienste 
zu entnehmen; ist auch dies nicht möglich, so bestimmt sich der Beginn nach der 
Kiindigungsfrist als der erste Tag, der auf den Vertragsschlufs folgenden Kalenderwoche, 
des Kalendermonats, des Kalendervierteljuhres ?) — Art. 6. — Auch für die Dauer des 
Dienstverhältnisses ist in erster Linie die Vereinbarung ma/fsgebend; nötigenfalls ist sie 
wieder aus dem Zweck oder der Beschaffenheit der Dienste zu entnehmen; eventuell 


richtet sie sich nach der Zeit, für die die jeweilige Vergütung bemessen ist — Art. 783) = 
Widerspruchslose Fortsetzung eines auf Zeit geschlossenen Dienstrerhültnisses über die 
Zeit hinaus begründet ein solches auf unbestimmte Zeit — Art. 10%). — Rücktrittsrecht 


der Dienstherrschaft vor Beginn des Dienstrerhältnisses bei Vorliegen eines wichtigen 
Grundes), z. B. Verweigerung des Dienstantritts Y), Unfähigkeit, Verzögerung des 
Dienstantritts ohne Verschulden der Herrschaft um mehr als eine Woche — Art. 11. — 
Bei Weigerung der Herrschaft ohne rechtfertigenden Grund hat der Dienstbote das 
Recht, das Hartgeld zu behalten, aufserdem, Schadensersatz oder die nach Z 615 B.G.B. 
zustehenden Ansprüche geltend zu machen. — Art. 121%). — Rücktrittsrecht des Dienst- 
boten vor Beginn des Dienstwerhältnisses bei Vorliegen eines wichtigen Grundes !®), 2. B. 
Weigerung der Herrschaft, den Dienstboten anzunehmen, Unfähigkeit, Gelegenheit zur Ein- 


1) Mündliche Verträge nur giltig, wenn Handgeld gegeben und angenommen oder 
der Dienst angetreten ist: Schaumburg-Lippe, Lübeck, Schwarzburg, Oldenburg. Wie 
oben: Weimar, Gotha, Braunsehweig, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz. 

2) Die gleiche Bestimmung in der Mehrzahl der anderen Staaten, z. B. Oldenburg, 
Weimar, Gotha, Braunschweig, Schaumburg-Lippe, Schwarzburg; in den übrigen um- 
gekehrt, da dann § 337 B.G.B. eintritt. 

3) 4) In einigen Staaten weitergehende Bestimmungen, so Weimar und Gotha. 

5) Grundsätzlich ebenso in den anderen Gesindeordnungen. 

6) Entsprechend in den anderen Bundesstaaten; in einigen daneben Strafe, so 
Gotha, Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz, Lippe. 

7) In den übrigen Staaten gesetzliche Antritts- und Wechseltage, 

8) So Lübeck; gilt als auf unbestimmte Zeit geschlossen: Weimar, Schaumburg- 
Lippe; gesetzliche Dauer: Gotha, Mecklenburg, Braunschweig, Lippe. 

9) Ebenso: Weimar, Mecklenburg; bestimmte Dauer: Gotha, Braunschweig. 

10) Entsprechend in der Mehrzahl der übrigen Staaten, so z. B. Oldenburg, Weimar 
Gotha, Schaumburg-Lippe, Braunschweig, Lübeck, Schwarzburg. 

11) In diesem Full in der Mehrzahl der Bundesstaaten außerdem obrigkeitlicher 
Zwang, so z. B. Oldenburg, Weimar, Lippe, Schaumburg-Lippe, oder Strafe, so Lippe. 
Schwarzburg, Gotha. 

12) Grundsätzlich in den übrigen Staaten entsprechend ; im einzelnen Abweichungen. 

13) Entsprechend in der Mehrzahl der Bundesstaaten, so: Oldenburg, Weimar, 
Gotha, Schaumburg-Lippe, Lippe, Braunschweig, Lübeck, Schwarzburg. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 671 


gehung einer Ehe, zur Gründung eines eigenen Hausstandes, zum Eintritt in eine öfe 
liche Dienststellung, falls diese Gelegenheit durch Antritt des Dienstes versäumt wird '). 
Bei Weigerung des Dienstboten, den Dienst anzutreten, ohne rechtfertigenden Grund: Er- 
Jüllungsanspruch oder Verlust des Haftgeldes und Schadensersatzpflicht — Art. 14°). — 
As Vergütung ist im Fall, dafs nichts vereinbart ist, zu gewähren, was einem Dienstboten 
der betreffenden Art am Ort und zur Zeit des Vertragsschlusses gegeben zu werden pflegt 
— Art. 15°). — Der Dienstrerpflichtete hat vorzuleisten®). Der Lohn ist jedoch mindestens 
in vierteljährlichen Raten zahlbar®). Entschädiqungsansprüche wegen vorsätzlicher Ver- 
letzung der Verpflichtungen des Dienstboten können seitens der Herrschaft unbeschränkt 
gegen die Lohnforderung aufgerechnet werden — Art. 168). — Die Dienstboten haben sich 
der Hausordnung zu fügen und sich nach Anordnung der Herrschaft allen. Verrichtungen 
zu unterziehen, die ihren Kräften und dem Dienstrerhültnis entsprechen’). Nie dürfen 
sich im Zweifel ohne Zustimmung der Herrschaft nicht vertreten lassen®). Die Dienst- 
herrschaft hat das Recht der Zurechtweisung bei Nachlässigkeit und Pflichtwidrigkeit 
— Art. 19. — Auschlufs der Haftung der Dienstboten gegenüber der Herrschaft für ge- 
ringes Versehen, wenn die Haftung nach den Umständen der Billigkeit nicht ent- 


spricht — Art. 20%). — Durch den Tod des Dienstherrn wird das Dienstwerhältnis 
nicht beendet‘). In einem anderen Haushalt als dem bisherigen ist der Dienstbote 
seine Dienste zu leisten nicht verpflichtet — Art. 20. — Das Dienstrerhültnis kann von 
jedem Teile ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn ein 
wichtiger Grund vorliegt — Art. 23"). — Als wichtiger Grund berechtigt die Herr- 


schaft zur sofortigen Entlassung besonders Unfähigkeit des Dienstboten, beharrliche 
Weigerung, Verlassen des Dienstes für eine den Umständen nach erhebliche Zeit, an- 
haltende Krankheit, längere Freiheitsstrafe, Untreue, Unehrlichkeit, Unsittlichkeit, grober 
Ungehorsam, Trunkfälligkeit — Art. 24"). — Als wichtiger Grund berechtigt den 
Diensthoten zum Verlassen des Dienstes unter anderem: Unfähigkeit, Mifshandlung, 
unsittliche Zumutung seitens des Herrn, Verlegung des Wohnsitzes aufserhalb des 
Königreichs, Nichtgewährung des Lohnes oder des gebührenden Unterhalts — Art. 25"). — 
Im Fall der Beendigung des Dienstrerhältnisses nach Art. 2353—25 kann der Dienst- 
bote nur einen seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung ver- 
langen unbeschadet jedoch des Art. 27 — Art, 26%). — Wird eine sofortige Kündigung 
(Art. 23—25) durch schuldhaftes Verhalten des anderen Teiles verursacht, so ist dieser 
dem Kündigenden zum Ersatz des dadurch entstehenden Schadens verpflichtet — 


1) Unter diesen Voraussetzungen in der Mehrzahl der Bundesstaaten nur, wenn 
der Diensthote einen anderen tauglichen Dienstboten statt seiner stellt, so z. B. Schaum- 
burg-Lippe, oder eineXündigungsfrist einhält, so z. B. Lippe, oder Entschädigung leistet, 
so z. B. Mecklenburg. 

2) Entsprechend in den übrigen Staaten. 

3) Die gleiche Bestimmung in Weimar und Gotha. In den übrigen Staaten ebenso 
wegen $ 612, II B.G.B. 

4) Entsprechend in den übrigen Staaten. 

5) So: Weimar, Mecklenburg. Anders: Oldenburg. Gesetzliche Termine: Gotha. 

6) Ebenso: Weimar; enger: Gotha; weiter Lübeck. 

7) Entsprechend in den Gesindeordnungen der übrigen Bundesstaaten. 

3) Entsprechend in den Gesindeordnungen der übrigen Bundesstaaten. 

9) Grundsätzlich entsprechend in den übrigen Staaten. 

10) Kündigungsrecht der Erben unter Einhaltung gesetzlicher Frist. Grund- 
sätzlich entsprechend: Oldenburg, Schaumburg-Lippe, Gotha, Braunschweig. Beider- 
seitiges Kündigungsrecht: Weimar, Lippe. 

11) Entsprechend die übrigen Gesindeordnungen in einigen Staaten außerdem unter 
bestimmten Voraussetzungen Kündigungsrecht beider Teile mit gesetzlicher Frist, so z. B 
Schwarzburg. 

12) Entsprechend, jedoch mehr kasuistisch die übrigen Gesindeordnungen. 

13) Entsprechend die übrigen Gesindeordnungen. 

14) Entsprechend die übrigen Gesindeordnungen; in einigen Entschädigungen an 
die Herrschaft, so Lübeck, Mecklenburg. 


672 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Art. 271), — Ebenso, wenn die Dienstherrschaft ohne wichtigen Grund und ohne Ein- 
haltung der Kindigqungsfrist den Dienstboten entläjst oder dieser den Dienst aufgiebt, 
und der Verletzte nicht Erfüllung des Vertrages verlangen will — Art. 281), — Wer 
Dienstboten verleitet, ohne Grund nicht anzutreten oder den Dienst zu verlassen oder 
einen Dienstboten in Kenntnis eines bestehenden Dienstwerhältnisses annimmt, ist der 
Dienstherrschaft verantwortlich und haftet mit dem Dienstboten als Gesamtschuldner — 
Art, 29°). — Der Dienstbote kann ein schriftliches Zeugnis über Art und Dauer der 
Beschäftigung, Leistungen und Verhalten verlangen — Art. 30%). — Erteilung eines 
unrichtigen Dienstzeugnisses wissentlich oder in grober Fahrlässigkeit begründet Nchadens- 
ersatzpflicht gegenüber der nichstfolgenden Dienstherrschaft hinsichtlich des durch die 
Wuhrheitswidrigkeit des Zeugnisses entstandenen Schadens — Art. 81%). — Die Ge- 
sindeordnung tritt mit dem 1. Januar 1900 in Kraft. Ein zu dieser Zeit bestehendes 
Dienstverhältnis bestimmt sich nach dem alten Recht nur, wenn es für den ersten, 
nach dem bisherigen Recht zulässigen Termin gekündigt wird, bis zu diesem Zeit- 
punkt — Art. 32. — 


Königliche Verordnung, betr. das Grundbuchwesen. Vom 30. Juli 
1899, S. 540. 

Gesetz, betr. die Einrichtung eines Reservefonds der Staatseisen- 
bahnen. Vom 29. Juli 1899, S. 575. 

Gesetz, betr. den Bau von Nebeneisenbahnen und die Beschaffung 
von Geldmitteln für die in der Finanzperiode 1899 —1900 herzustellenden 
Nebeneisenbahnen. Vom 29. Juli 1899, S. 577. 

Gesetz, betr. die Handelskammern. Vom 30. Juli 1899, S. 579. 


Art. 1: Die Handelskammern haben die Bestimmung, die Gesamtinteressen der 
Handels- und Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrzunchmen, insbesondere die Behörden 
in der Förderung des Handels und der Gewerbe durch thatsächliche Mitteilungen, An- 
zeigen und Erstattung von Gutachten zu unterstützen®). Sie sollen in allen wichtigen, 
die Interessen des Handels oder der Gewerbe berührenden Angelegenheiten gehört werden. 
Die Handelskammern haben alljährlich dem Ministerium des Innern über den Zustand 
des Handels und der Gewerbe ihres Bezirks, über wünschenswerte Verbesserungen und 
über die mögliche Art der Ausführung derselben Bericht zu erstatten. Sie sind befugt, 
Veranstaltungen zur Förderung von Handel und Gewerbe zu unterstützen®). Art. 2: 
Die Errichtung der Handelskammer, sowie die Feststellung ihrer Bezirke, der Zahl 
der Mitglieder einer jeden Kammer und des Sitzes derselben erfolgt nach Anhörung der 
beteiligten Kreise durch Königliche Verordnung‘). Dem Ministerium des Innern steht 
es zu, festzusetzen, dafs eine bestimmte Zall der ordentlichen Mtylieder aus am Sitz 
der Kammer nicht wohnhaften Mitgliedern zu bestehen habe. Art. 3: Das Amt der 
Mitglieder der Handelskammer ist ein Ehrenamt’) Pflicht zur Uebernahme besteht 
nicht®). Rücktritt während der Amtsdauer ist zulässig. Art. 4—19: Wahlordnung. 
Art. 20: Eintritt eines die Wählbarkeit ausschliefsenden Umstandes hat Erlöschen der 
Mitgliedschaft zur Folge‘). Art. 21: Die Handelskammer kann ein Mitglied, welches 
die öffentliche Achtung verloren oder sich eines groben Verstofses gegen die kaufmänni- 
sche Ehre schuldig gemacht hat, ausschliefsen‘!). Art, 22: Die Handelskammern wählen 


1) Grundsätzlich entsprechend in den anderen Staaten. 

2) Die gleiche Bestimmung in den Gesindeordnungen für Weimar und Gotha. 

3) Entsprechend die übrigen Gesindeordnungen. 

4) Entsprechende Bestimmung in der Mehrzahl der übrigen Gesindeordnungen ` 
daneben Strafe: Gotha, Lippe, Schwarzburg. 

5) Entsprechend: Sehwarzburg-Sondershausen, Reuß j. L. 

6) Entsprechend: Schwarzburg, Reuß. 

7) Gesetz: Schwarzburg, Reuß. 

8) Ebenso: Reuß, Schwarzburg. 

9) Anders: Schwarzburg. 

10) Die gleiche Bestimmung in Schwarzburg. 

11) Ebenso: Schwarzburg. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 673 


für je 3 Jahre einen Vorsitzenden und einen Stellvertreter aus ihrer Mitte‘). Art. 28: 
Abstimmung. Art. 24: Die Sitzungen der Kammer sind öffentlich, sofern es sich nicht 
um Gegenstände handelt, bei welchen die Oeffentlichkeit der Beratung entweder von der 
'rorgesetzten Behörde ausdrücklich ausgeschlossen ist oder von der Kammer selbst als 
ungeeignet befunden wird®). Art. 25: Die näheren Bestimmungen über den Geschäfts- 
gang der Handelskammer werden durch Beschlufs derselben in einer Geschäftsordnung 
zusammengefafst, welche durch Vermittlung der Centralstelle für Handel und Gewerbe 
dem Ministerium des Innern zur Genehmigung vorzulegen ist”). Art. 26: Die Handels- 
kammern beschliefsen über den zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben erforderlichen 
Kostenaufwand und ordnen ihr Kassen- und Rechnungswesen selbständig. Sie nehmen 
die von ihnen für erforderlich erachteten Arbeitskräfte an, setzen die Vergütung für 
dieselben fest und beschaffen die nötigen Räumlichkeiten®). Art. 27: Die Handels- 
kammer kann unter ihrem Namen Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, vor Ge- 
richt klagen und verklagt werden®). Für ihre Verbindlichkeiten haftet den Gläubigern nur 
ihr Vermögen. Sie wird nach aufsen vertreten durch den Vorsitzenden oder seinen 
Stellvertreter®). Urkunden, welche die Handelskammer vermögensrechtlich verpflichten 
sollen, müssen unter ihrem Namen von dem Vorsitzenden oder seinem Stellvertreter und 
rinem weiteren Mitglied der Handelskammer vollzogen werden’). Art. 28: Die Behörden 
sind innerhalb ihrer Zuständigkeit verpflichtet, den im Vollzug dieses Gesetzes an sie er- 
gehenden Ersuchen der Handelskammer um Auskunftserteilung zu entsprechen®). Art. 29: 
Jede Kammer hat alljährlich einen Einnahme- und Ausgabeetat aufzustellen, der Central- 
stelle für Gewerbe und Handel vorzulegen und öffentlich bekannt zu machen®). Art. 80: 
Die Kosten der Handelskammer sind von den Wahlberechtigten des Kammerbezirks °) 
nach dem Mafsstab ihrer Gewerbesteuerkapitale ) zu tragen und werden auf Grund 
der von der Handelskammer gefertigten Umlage durch die Steuereinbringer der Ge- 
meinde'?) als Zuschlag zur Gewerbesteuer bei dem Einzug der letzteren erhoben. Für 
die zur Gewerbesteuer nicht veranlagten (Gewerbebetriebe des Staats, sowie die Vorschufs- 
und Kreditvereine wird durch die Bezirkskommission ein als Majsstab dienendes fingiertes 
Gewerbesteuerkapital gebildet. Einer vorgängigen Genehmigung des Ministeriums des 
Innern bedarf es, wenn die Beschaffung des Aufwandes für ein Jahr mehr als zwei 
vom Tausend des Gewerbekatasters beträgt. Die Erhebung der Beiträge geschieht gegen 
eine von dem Ministerium des Innern zu bestimmende Gebühr. Art, 81: Die Einnahmen 
der Handelskammer können von derselben mit ministerieller Genehmigung der Gemeinde- 
oder Oberamtspflege am Sitz der Kammer zu rechnerischer Verwaltung überwiesen werden. 
Art. 33: Nach Verkündigung dieses Gesetzes ist die Umbildung der bestehenden Handels- 
und Gewerbekammern in Handelskammern einzuleiten. 


Gesetz, betr. die Einkommensverhältnisse der Volksschullehrer die, 
Trennung des Meßnerdienstes vom Schulamt und die Rechtsverhält- 
nisse der Lehrerinnen an Volksschulen. Vom 31. Juli 1899, S. 590. 
Dazu Ausführungsverordnung vom 30. September 1899, S. 659. 


1) Für je ein Jahr: Schwarzburg. Wie oben: Reuß. 
2) Ebenso: Schwarzburg. Reuß: Die Handelskammer kann die Oeffentliehkeit 
ihrer Sitzungen beschließen; Ausschluß derselben: entsprechend obigen Bestimmungen. 
3) Entsprechend: Schwarzburg. 
4) Entsprechend: Schwarzburg, Reuß. 
5) Entsprechend: Schwarzburg, Reuß. 
6) Gleiche Bestimmung für Reuß. 
7) Schwarzburg: Zwei weitere Mitglieder. Reußj: wie oben. 
8) Ebenso: Reuß. 
9) Entsprechend: Schwarzburg, Reuß. 
10) Entsprechend: Zuschuß des Staates in Höhe von "/, der Kosten, jedoch nicht 
über 1500 M. Sonst wie oben. Reuß: wie oben. 
11) Maßstab ist das aus Handel und Gewerbe herrührende Einkommen: Schwarz- 
burg, Reuß. 
12) Reuß: nur auf Antrag der Kammer. Schwarzburg: direkte Zahlung an die 
Kasse der Kammer. 


Dritte Folge Bd, XXI (LXXVI) 43 


674 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Verfügung des Justizministers, betr. die Gerichtsvollzieherordnung. 
Vom 8. September 1899, S. 631. 

Verfügung der Ministerien der Justiz, des Innern und der Finanzen, 
betr. die Erhaltung und Fortführung der Flurkarten und Primärkataster. 
Vom 1. September 1899, S. 667. 

Königliche Verordnung, betr. Vorschriften für die Sicherheit der 
Bodenseeschiffahrt. Vom 25. September 1899, S. 721. 

. Staatsvertrag zwischen Württemberg und Preußen über die Auf- 
hebung der Flößerei auf dem Neckar oberhalb der Enzmündung und auf 
der Glatt. Vom 7. April 1899, S. 753. Dazu Königliche Verordnung 
vom 13. Otober 1899, S. 752. 

Verfügung der Ministerien der Justiz und der Finanzen zur Voll- 
ziehung des Gesetzes vom 23. Mai 1890, betr. weitere Aenderungen 
des Gesetzes vom 19. September 1852 über die Steuer von Kapital-, 
Renten-, Dienst- und Berufseinkommen. Vom 20. Oktober 1899, S. 765. 

Verfügung des Ministeriums des Innern, betr. den Vollzug des 
Abschnitts III (Handwerkskammern. Së 103—103 q) des Titels VI der 
Gewerbeordnung in der Fassung des Reichsgesetzes vom 26. Juli 1897. 
Vom 31. Oktober 1899, S. 785. 


Errichtung von 4 Handwerkskammern: Stuttgart, Ulm, Heilbronn, Reutlingen. 
Höhere Verwaltungsbehörde ist der Verwaltungsausschufs der K. Centralstelle für Ge- 
werbe und Handel. Dazu Anlage I: Wahlordnung; II—V: Statuten der Handwerks- 
kammern; VI: Wahlordnung für den Gesellenausschufs der Handırerkskammern: VII: 


Regulativ für die Gewährung einer Entschädigung für Zeitversäumnis und des Ersatzes 
barer Auslagen an die Mitglieder der Handelskammer und ihrer Organe. 


Verfügung des Justizministeriums, betr. die Führung des Handels- 
registers. Vom 9. November 1899, S. 823. 

Verfügung des Justizministeriums, betr. die Führung des Genossen- 
schaftsregisters. Vom 9. November 1899, S. 844. 

Verfügung des Justizministeriums, betr. die Führung des Vereins- 
registers und des Güterrechtsregisters. Vom 9. November 1889, S. 845. 

Verfügung der Ministerien der Justiz und des Innern, betr. die 
Ausführung des Reichsgesetzes über die Beurkundung des Personen- 
standes und der Eheschließung. Vom 30. Oktober 1899, S. 861. 

Verfügung der Ministerien der Justiz und des Innern, betr. die 
Führung der Familienregister und die Mitteilungen über Personenstands- 
änderungen. Vom 30. Oktober 1899, S. 893. 

Bekanntmachung des Landesversicherungsamts, betr. die Wahlord- 
nung für die Wahl der Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten 
bei den unteren Verwaltungsbehörden im Sinne des $ 57 des Invaliden- 
versicherungsgesetzes. Vom 4. November 1899, S. 911. 

Bekanntmachung des Landesversicherungsamts, betr. die Wahlord- 
nung für die Wahl der Mitglieder des Ausschusses der für Württem- 
berg errichteten Versicherungsanstalt. Vom 4. November 1899, S. 917. 

Königliche Verordnung, betr. eine Gebührenordnung für öffentliche 
Notare, Rechtsanwälte und andere in Rechtsangelegenheiten thätige 
Personen. Vom 14. November 1899, S. 964. 

Verfügung des Ministeriums des Innern, betr. den Vollzug des 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 675 


Hypothekenbankgesetzes vom 13. Juli 1899. Vom 16. November 1899, 
S. 980. 


Aufsichts- und Centralbehörde im Sinne dieses Gesetzes ist das Ministerium des 
Innern. 


Verfügung des Ministeriums des Innern, betr. den Betrieb und die 
Ueberwachung der Privatirrenanstalten. Vom 18. November 1899, S. 983. 

Verfügung der Ministerien der Justiz und der Finanzen, betr. das 
Hinterlegungswesen. Vom 1. Dezember 1899, S. 995. 

Verfügung des Justizministeriums, betr. die Hinterlegung bei den 
Gemeinderäten. Vom 1. Dezember 1899, S. 1032. 

Verfügung des Ministeriums des Innern, betr. den Vollzug des 
Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899. Vom 25. November 
1899, S. 1037. 

Verfügung des Ministeriums des Innern, betr. die Vollziehung des 
Reichsgesetzes über die Abwehr und die Unterdrückung der Reblaus- 
krankheit vom 3. Juli 1883 und des Ausführungsgesetzes vom 3. Mai 
1885. Vom 5. Dezember 1899, S. 1079. 

Verfügung der Ministerien der Justiz und des Innern, betr. die 
Bestellung der Revisoren zur Prüfung der Gründung von Aktiengesell- 
schaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien. Vom 11. Dezember 
1899, S. 1082. 

Verfügung des Ministeriums des Innern, betr. die Behandlung der 
Fundsachen durch die Polizeibehörden. Vom 14. Dezember 1899, S. 1142. 

Bekanntmachung des Königlichen Medizinalkollegiums, betr. die 
Abänderung und Ergänzung der Arzneitaxe vom 28. Dezember 1898. 
Vom 16. Dezember 1899, S. 1158. 

Gesetz, betr. die Wandergewerbesteuer. Vom 15. Dez. 1899. 
S. 1163. Dazu Verfügung der Ministerien des Innern und der Finanzen, 
betr. den Vollzug des Gesetzes vom 15. Dez. 1899 über die Wander- 
gewerbesteuer. Vom 18. Dez. 1899, S. 1185. 


Der Gewerbebetrieb im Umherziehen (Wandergewerbebetrieb) unterliegt ausschliefs- 
lich der Wandergewerbesteuer. Erster Abschnitt: Staatliche Besteuerungder 
Wandergewerbe, I. Allgemeine Bestimmungen. Wandergewerbesteuerpflichtig 
ist, wer im Lande aufserhalb des Gemeindebezirks seines Wohnorts oder der im Ver- 
ordnungsiweg dem Bezirk des Wohnorts gleichgestellten nächsten Umgebung desselben 
ohne Begründung einer gewerblichen Niederlassung und ohne vorgängige Bestellung in 
eigener Person 1. Waren feilbieten, 2. Warenbestellungen aufsuchen oder Waren bei anderen 
Personen als bei Kaufleuten oder an anderen Orten als in offenen Verkaufsstellen zum 
Wiederverkauf ankaufen, 8. gewerbliche Leistungen anbieten, 4. Lustbarkeiten, ohne dafs 
ein höheres Interesse der Kunst oder der Wissenschaft dabei obwaltet, darbieten will — 
Art, 2. — Befreiungen von der Wandergewerbesteuer : Art. 3—5. Die Steuerpflicht der 
Angehörigen aufserdentscher Staaten: Art. 6. Wer ein der Wandergewerbesteuer unter- 
liegendes Gewerbe ausüben will, ist verpflichtet, dasselbe vor Eröffnung des Betriebes 
behufs Entrichtung der Steuer der zuständigen Steuerbehörde anzumelden und einen 
Stenerschein zu lösen — Art. 7. — Steuertarif: 1. Hausiergewerbe: a) Sammeln ge- 
ringwertiger Erzeugnisse, Anbieten gewerblicher Arbeiten von untergeordneter Beschafen- 
heit, Handel mit rohen Erzeugnissen, geringwertigen Haushaltungsgegenständen: 1—6 M., 
b) sonst 2—150 M. 2. Detailreisende: 5—300 M. 3. Lustbarkeiten wie oben: a) unter- 
geordneter Art 3—6 M., b) besserer Art 6—36 M. Stets für das Kalenderjahr. Für 
Begleiter gewöhnlich die Hälfte des einfachen Satzes. 4. Wanderlager: a) Feilbieten 
roher Erzeugnisse und geringwertiger Haushaltungsgegenstände: 2—4 M., b) anderer 
Waren 10—20 M. für je 1000 M. Warenwert und weniger und für jede Woche des Be- 


43* 


676 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


triebes an einem Orte. 5. Aufserdeutsche Handlungsreisende 30 M. für das Kalender- 
jahr. Betreibt der Steuerpflichtige mehrere unter verschiedene Tarifnummern fallende 
Wandergewerbe, so ist er mit jedem besonders zur Steuer zu ziehen. Fällt der Betrieb 
unter mehrere Abteilungen derselben Tarifnummer, so kommt nur der Steuersatz der 
höheren Abteilung zur Anwendung — Art. 8. — Das Finanzministerium kann Steuer- 
freiheit oder Ermäfsiqung des Tarifs für gewisse Zweige eintreten lassen und von der 
Erhebung der Steuer gegenüber hilfsbedürftigen Personen absehen — Art. 9. — Die 
Steuer ist vor Beginn des Betriebes in dem ganzen angesetzten Betrage zu entrichten — 
Art. 10. — Art. 11: Inhalt des Steuerscheins. Der Steuerschein ist nicht übertrag- 
bar — Art. 12. — Bei Abstandnahme, Einstellung, Unterbrechung oder Verminderung 
des Gewerbebetriebes findet keine Erstattung der Steuer statt — Art. 14. — II. Be- 
sondere Vorschriften. 1. Hausiergewerbe. 2. Detailreisende — Inhaber stehender 
Gewerbe und die in deren Diensten stehenden Reisenden, welche aufrerhalb des Ge- 
meindebezirks ihrer gewerblichen Niederlassung bezw. der gewerblichen Niederlassungen 
ihres Geschäftsherrn ohne vorgängige ausdrückliche Aufforderung Bestellungen auf Waren 
bei anderen Personen als bei Kaufleuten oder solchen Personen, in deren Geschäftsbetrieb 
Waren der angebotenen Art Verwendung finden oder bei Kaufleuten auyserhalb ihres 
Geschäftsraumes aufsuchen — Art. 16. — 3. Schaustellungen und Lustbarkeiten, 
4. Wanderlager — Wanderlager sind solche Unternehmungen, in welchen aujserhalb 
des Wohnorts des Unternehmers und aufser dem Mefs- und Marktrerkehr ohne Be- 
gründung einer dauernden gewerblichen Niederlassung von einer festen Verkaufsstätte 
aus vorübergehend Waren, gleichviel ob zum Verkauf aus freier Hand oder im Wege 
der Versteigerung feilgeboten werden — Art. 18. — 5. Aufserdeutsche Handlungs- 
reisende, III. Beschwerde. IV. Strafbestimmungen. Zweiter Abschnitt: 
Kommunale Besteuerung der Wandergewerbe. Diejenigen Gemeinden und 
Amtskörperschaften, für welche eine Umlage auf Grundeigentum, Gebäude und Ge- 
werbe stattfindet, haben eine Wandergewerbesteuer in der Form von Zuschlägen zu 
der staatlichen Wandergewerbesteuer zu erheben — Art. 27. — Die Höhe der für die 
Gemeinden und Amtskörperschaften zu erhebenden Wandergewerbesteuer bemifst sich 
nach dem gleichen prozentualen Verhältnis zur staatlichen Wandergewerbesteuer, in 
welchem der auf das stehende Gewerbe entfallende Gemeindeschaden und Amtsschaden 
zu der staatlichen Gewerbesteuer steht — Art. 28. — Dritter Abschnitt: Schlufs- 
und Uebergangsbestimmungen. 


Gesetz, betr. die Anlegung und Fortführung der Steuerbücher. 
Vom 20. Dez. 1899, S. 1219. 

Verfügung des Ministeriums des Innern, betr. die öffentliche Ver- 
steigerung von Grundstücken. Vom 20. Dez. 1899, S. 1229. 

Gesetz, betr. die Fürsorge für nicht pensionsberechtigte Staats- 
beamte im Falle der Dienstunfähigkeit. Vom 26. Dez. 1899, S. 1231. 


Beamte im Sinne des Art. 1 des Beamtengesetzes vom 28. Juni 1876, welche nàch 
2 1 Ziffer 2 in Verbindung mit Z 2 Absatz 1 des Imvalidenversicherungsgesetzes vom 
18. Juli 1899 der Versicherungspflicht unterliegen würden, haben im Falle der Dienst- 
unfähigkeit nach Vollendung von 4 Dienstjahren gegen die Staatskasse Anspruch auf 
eine lebenslängliche Unterstützung im Mindestbetrage der Invalidenrente nach den 
Sätzen der ersten Lohnklasse. Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Beamte die 
Dienstunjähigkeit vorsätzlich herbeigeführt hat, 

Gesetz, betr. weitere Aenderungen des Gesetzes vom 24. März 1881 
über die Erbschafts- und Schenkungssteuer. Vom 26. Dez. 1899, 
S. 1232. Dazu: Bekanntmachung der Ministerien der Justiz und der 
Finanzen, betr. den Text des Erbschafts- und Schenkungssteuergesetzes. 
Vom 26. Dez. 1899, S. 1296. Verfügung der Ministerien der Justiz 
und der Finanzen, betr. den Vollzug des Erbschafts- und Schenkungs- 
steuergesetzes. Vom 27. Dez. 1899, S. 1318. 


I. Erbschaftssteuer. Zu Art. 1: Schenkungen unter Lebenden, deren Voll- 
zug bis zum Ableben des Schenkers aufgeschoben war, werden wie schenkweise ver- 
sprochene Leistungen auf den Todesfall behandelt. Neuer Art. 2: Das Gesetz erstreckt 
sich auf Erwerbungen von unbeweglichem Vermögen — Grundstücke, Zubehör und die 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 677 


Rechte an Grundstücken. mit Ausnahme der Hypotheken, Grund- und Rentenschulden — 
welches sich innerhalb Württembergs befindet. Art. 2a: Das bewegliche Vermögen unter- 
liegt der Erbschaftssteuer stets, wenn der Erblasser zur Zeit seines Ablebens in Württem- 
berg seinen Wohnsitz hatte. Das in Württemberg befindliche bewegliche Vermögen eines 
Erblassers, welcher zur Zeit seines Ablebens in Württemberg einen Wohnsitz nicht hatte, 
unterliegt der Steuer namentlich in den Fällen, dafs der Erblasser auch aufserhalb Württem- 
bergs einen Wohnsitz nicht hatte, dafs das Vermögen einem zur Zeit des Erbfalls in 
Württemberg wohnhaften Erwerber zufällt. Art. 2b: Vergeltungsrecht gegenüber An- 
gehörigen aufserdeutscher Staaten auszuüben durch Verordnung des Finanzministeriums ; 
diese hat auch einzutreten zur Vermeidung von Doppelbesteuerung. Zu Art. 4: Wenn 
ein mehrfaches Verwandtschaftsverhältnis zu dem Erblasser besteht, oder Verwandt- 
schaft und Schwägerschaft zusammentreffen, so ist die Steuer nach dem für den Steuer- 
pflichtigen günstigsten Verhältnis zu berechnen. Art. 5: Eintritt der Steuerpflicht bei 
Erbschaften, Vermächtnissen, Pflichtteilen, sowie Schenkungen auf den Todesfall und 
denen des Zusatzes zu Art. 1 mit dem Erbfall; sie tritt aufser Wirkung im Fall der 
Ausübung des Ausschlagungsrechts oder des Wegfalls des Pflichtteilsanspruchs; bei 
Zuwendungen in (Gemäj/sheit von Auflagen, Bedingungen u. s. w. ist mafsgebend der 
Zeitpunkt der Erfüllung seitens des Beschwerten. Art. 5a: Zur Entrichtung der Steuer 
ist derjenige verpflichtet, welcher den steuerbaren Vermögensanfall erwirkt. Art. 8: Neue 
Grundsätze für die Berechnung des Wertes von Forderungen und Nutzungen. Art. 11 
—13: Neue Bestimmungen über die Ermittelung und Feststellung der steuerbaren An- 
fülle sowie den Ansatz und Einzug der Erbschaftssteuer. Anmeldungspflicht des Er- 
werbers; Auskunftspflicht der Erben, Testamentsvollstrecker, Nachlajsverwalter, Nach- 
lafspfleger. Art. 15: Recht der Beschwerde und der weiteren Beschwerde. Art. 16: 
Verjährung. 

II. Schenk ungssteuer. Art. 17: Die Schenkungssteuer wird erhoben von den 
nicht unter die Erbschaftssteuer fallenden Schenkungen an unbeweglichem Vermögen, das 
sich innerhalb Württembergs befindet, an beweglichem Vermögen, wenn der Beschenkte in 
Württemberg einen Wohnsitz hat. Eine auswärts auferlegte Steuer ist an der württem- 
bergischen in Abzug zu bringen. Wiedervergeltungsrecht wie oben Art. 2b. Zusatz zu 
Art. 18: Befreit von der Schenkungssteuer sind Schenkungen, deren Wert 500 M. bei 
unbeweglichem Vermögen 120 M. nicht übersteigt. Art. 20: Eintritt der Steuerpflicht mit 
dem Vollzug der Schenkung. Zur Entrichtung der Steuer ist der Beschenkte verpflichtet. 
Art. 21: Anmeldungspflicht desselben. III. Strafbestimmungen. IV. Schlufs: 
bestimmungen. 


Gesetz, betr. die Besteuerung des Umsatzes von Grundstücken. 
(Umsatzsteuer) Vom 28. Dez. 1899, S. 1254. 


I. Steuerpflicht. Der Steuer vom Grundstücksumsatz unterliegen Kauf- und 
Tauschverträge und andere entgeltliche Rechtsgeschäfte, welche den Erwerb des Eigen- 
tums an Grundstücken und solcher Berechtigungen zum Gegenstand haben, für welche 
die sich auf Grundstücke beziehenden Vorschriften gelten. Dem Erwerb durch ent- 
geltliches Rechtsgeschäft steht gleich der Erwerb durch Zwangsversteigerung oder durch 
Zwangsenteignung. Zu den steuerpflichtigen Gegenständen gehören auch die Bestand- 
teile des Grundstücks. Die Steuerpflicht wird nur begründet, insoweit als die Gegen- 
stünde des Erwerbs sich in Württemberg befinden. Die entgeltliche Abtretung von 
Forderungen, die auf Uebertragung des Eigentums an Grundstücken oder auf die Be- 
gründung oder Uebertragung eines den Grundstücken gleichgestellten Rechts gerichtet 
sind, unterliegt gleichfalls der Umsatzsteuer. Ma/sgebend für die Bemessung der Steuer 
ist der Wert des Gegenstandes, also z. B. bei Kaufverträgen der Kaufpreis unter Hinzu- 
rechnung der zum Zweck des Erwerbs übernommenen sonstigen Leistungen und der vom 
Veräujserer vorbehaltenen Nutzungen. Sachliche Steuerbefreiungen vor allem: Der 
Rückerwerb im Fall des gesetzlichen oder vorbehaltenen Rücktrittsrechts oder der Wandlung ; 
Erwerbungen im Interesse der Landeskultur, aus Anlafs der Auflösung von Realgemeinde- 
rechtsverhältnissen ; Erwerbungen durch Zwangsenteignung zur Durchführung der Orts- 
baupläne; Erwerbungen, deren steuerpflichtiger Wert den Betrag von 120 M. im Ganzen 
nicht übersteigt. Aussetzung des Steuereinzugs und Rückerstattung der Steuer Art. 8—9. 
II. Person des Steuerpflichtigen. Die Entrichtung der Umsatzsteuer liegt dem 
Erwerber der Gegenstände und Rechte ob. Mehrere haften als Gesamtschuldner. Verein- 
barungen über die Tragung der Steuer sind nur für die Beteiligten wirksam. Persön- 


678 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


liche Steuerbefreiungen: Staatsoberhaupt; Staat; Reich; die kirchlichen Korporationen 
für Erwerbungen zu gottesdienstlichen Zwecken; Aktiengesellschaften, Genossenschaften, 
Gesellschaften m. b. H., welche ohne Gewinnabsicht den Zweck verfolgen, unbemittelten 
Familien gesunde Wohnungen billig zu verschaffen; entsprechend Körperschaften des 
öffentlichen Rechts, rechtsfähige Vereine und Stiftungen; Abkömmlinge in bestimmten 
Umfang bei Rechtsgeschäften mit ihren Eltern und Ureltern; Abkömmlinge bei Aus- 
einandersetzung eines Nachlasses oder einer fortgesetzten Gütergemeinschaft; Konkurs- 
schuldner und Zwangsvollstreckungsschuldner sowie deren nächste Angehörige für Er- 
werbungen aus der Konkursmasse oder der Zwangsversteigerung. III. Besteuerung 
in einigen besonderen Fällen. IV. Festsetzung der Steuer. Die Umsatz- 
steuer beträgt vorbehaltlich des verfassungsmäj/sigen Abgabeverwillungsrechts der Stände 
1 M. 20 Pig. für 100 M, steuerpflichtigen Wert. V. Strafbestimmungen. VI. Ver- 
jührung und Schlufsbestimmungen. 


Gesetz, betr. Aenderungen des allgemeinen Sportelgesetzes vom 


24. März 1881 
74 TRS 199m: 5 3 1271; 
14. Juni 1887 Vom 28. Dez. 1899, S 7 Dazu Bekanntmachung 


des Finanzministeriums betr. die Redaktion des allgemeinen Sportel- 
gesetzes. Vom 28. Dez. 1899, S. 1334. 


Gesetz, betr. die Zwangserziehung Minderjähriger. Vom 29. Dez. 
1899, S. 1284. 


Mecklenburg-Schwerin. 


Regierungsblatt für das Großherzogtum Mecklenburg- 
Schwerin. Jahrgang 1899. 


Verordnung zur Aenderung der Verordnung vom 3. Januar 1876, 
betr. die baupolizeilichen Vorschriften für das Domanium. Vom 17. Januar 
1899, S. 4. 

Edikt, betr. Ausschreibung einer Bienenseuchenabgabe für das Jahr 
1899. Vom 24. Januar 1899, S. 7. 

Von jedem am 15. Februar 1899 vorhandenen Bienenstock eine Abgabe von 30 Pig. 

Bekanntmachung, betr. Feststellung des Verhältnisses des gestriche- 
nen zu dem gehäuften Landesscheffel (Rostocker) für Weizen, Roggen 
und Gerste, sowie Rauminhalt und Gewicht des letzteren. Vom 1. Fe- 
bruar 1899, S. 12. Entsprechende Bekanntmachung vom 18. März 1899, 
S. 46. 

Verordnung zur Ergänzung der Verordnung vom 8. August 1855, 
betr. die Heilighaltung der Sonn- und Festtage. Vom 3. Februar 1899, 
S. 11. 

Auch das nicht gewerbsmäfsige Aufsuchen von Bestellungen, Herumtragen, An- 
bieten und Vorteilen von Schriften und Bildwerken wird der Verordnung von 1855 
unterstellt, 

Bekanntmachung, betr. die Getreidedurchschnittspreise, nach welchen 
der Geldkanon der Erbpächter u. s. w. in den Domänen für die nächste 
Zahlungsperiode zu regulieren ist. Vom 3. Februar 1899, S. 13. 

Kontributionsedikt für das Jahr Johannis 1899/1900. Vom 23. Fe- 
bruar 1899, S. 29. 

I. Erhebung der ordentlichen Kontribution, und zwar a) der ordentlichen Domanial- 
Hufenstener im Betrage von 77 M. für die Hufe; b) der ordentlichen ritterschaftlichen 
Hufensteuer sowie der ordentlichen Necessarien zusammen mit 86 M. für die Hufe; 
€) Die lundstädtische Steuer von Häusern und Ländereien. II. Erhebung der Kon- 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 679 


tribution nach dem Kontributionsedikt vom 2. Mai 1597 mit zehn Zehnteln des vollen 
ediktmäfsigen Betrages, 

Bekanntmachung, betr. die der Berechnung der Landeskontribution 
im Steuerjahr 1899/1900 zu Grunde liegenden Getreidepreise. Vom 
2. Juni 1899, S. 416. 

Bekanntmachung, betr. Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugend- 
lichen Arbeitern in Ziegeleien. Vom 20. März 1899, S. 47. 

eststellung der Fassung der Auszüge, die in den Ziegeleien auszuhängen sind, 
welche von den Bestimmungen unter II der Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 
18. Oktober 1898 Gebrauch machen wollen. 

Zusatzverordnung zur Verordnung vom 16. Januar 1895 zur Be- 
förderung der Landespferdezucht. Vom 4. April 1899, S. 51. 

Verordnung zur Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Vom 
9. April 1899, S. 57. 

Bekanntmachung, betr. die Aufsicht über bäuerliche Fideikommisse. 
Vom 20. Dezember 1899, S. 970. 

Verordnung zur Ausführung der Grundbuchordnung. Vom 9. April 
1899, S. 173. 

Anordnungen zur Ausführung der Grundbuchordnung. Vom 9. April 
1899, S. 191. 

Verordnung, betr. das Verfahren in Vereinssachen. Vom 9. April 
1899, S. 209. 

Verordnung, betr. die Zwangserziehung Minderjähriger. Vom 9. April 
1899, S. 221. 

Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über die Angelegenheiten 
der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Vom 9. April 1899, S. 227. 

Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über die Zwangsversteige- 
rung und die Zwangsverwaltung. Vom 9. April 1899, S. 257. 

Verordnung zur Ausführung der Civilprozeßordnung. Vom 9. April 
1899, S. 263. 

Verordnung zur Ausführung der Konkursordnung. Vom 9. April 
1899, S. 279. 

Verordnung zur Ausführung des Handelsgesetzbuchs. Vom 9. April 
1899, S. 283. 

Verordnung, betr. das Hinterlegungswesen (Hinterlegungsordnung). 
Vom 9. April 1899, S. 291. 

Gesindeordnung. Vom 9. April 1899, S. 3231). 

I. Begründung des Dienstrerhältnisses, II. Vergütung der Dienstleistungen. III. Ver- 
pflichtungen aus dem Dienstverhältuis. A. Obliegenheiten der Dienstherrschaft. B. Pflichten 
der Diensthoten. IV. Dauer des Dienstrerhältnisses. V. Art der Beendigung des 
Dienstrerhältnisses. VI. Gesindedienstbücher, VII Besondere Bestimmungen für das 
platte Land. VIII. Strafbestimmungen. IX. Schlufsbestimmungen, 

Verordnung, betr. den Ersatz vom Wildschaden. Vom 9. April 
1899, S. 311. 

Bekanntmachung, betr. die Einrichtung und Führung des Vereins- 
registers und des Güterrechtsregisters. Vom 25. April 1899, S. 383. 

Bestimmungen, betr. die Einrichtung und Führung des Handels- 
registers und des Güterrechtsregisters. Vom 4. Juli 1899, S. 477. 


1) Siehe die Anmerkungen zur Wüttembergischen Gesindeordnung oben S. 670. 


678 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


liche Steuerbefreiungen: Staatsoberhaupt; Staat; Reich; die kirchlichen Korporationen 
für Erwerbungen zu gottesdienstlichen Zwecken; Aktiengesellschaften, Genossenschaften, 
Gesellschaften m. b. H., welche ohne Gewinnabsicht den Zweck verfolgen, unbemittelten 
Familien gesunde Wohnungen billig zu verschaffen; entsprechend Körperschaften des 
öffentlichen Rechts, rechtsfähige Vereine und Stiftungen; Abkömmlinge in bestimmtem 
Umfang bei Rechtsgeschäjten mit ihren Eltern und Ureltern; Abkömmlinge bei Aus- 
einandersetzung eines Nachlasses oder einer fortgesetzten Gütergemeinschaft; Konkurs- 
schuldner und Zwangsvollstreckungsschuldner sowie deren nächste Angehörige für Er- 
werbungen aus der Konkursmasse oder der Zwangsversteigerung. III. Besteuerung 
in einigen besonderen Fällen. IV. Festsetzung der Steuer. Die Umsatz- 
steuer beträgt vorbehaltlich des verfassungsmäfsigen Abgabeverwillungsrechts der Stände 
1 M. 20 Pig. für 100 M. steuerpflichtigen Wert. V. Strafbestimmungen. VI. Ver- 
jührung und Schlufsbestimmungen. 


Gesetz, betr. Aenderungen des allgemeinen Sportelgesetzes vom 
=4. März 1891 vom 28. Dez. 1899, S. 1271. Dazu Bek h 
14, Jani 1887 om 28. Dez. ; Ds è azu Bekanntmachung 
des Finanzministeriums betr. die Redaktion des allgemeinen Sportel- 
gesetzes. Vom 28. Dez. 1899, S. 1334. 

Gesetz, betr. die Zwangserziehung Minderjähriger. Vom 29. Dez. 
1899, S. 1284. 


Mecklenburg-Schwerin. 


Regierungsblatt für das Großherzogtum Mecklenburg- 
Schwerin. Jahrgang 1899. 


Verordnung zur Aenderung der Verordnung vom 3. Januar 1876, 
betr. die baupolizeilichen Vorschriften für das Domanium. Vom 17. Januar 
1899, S. 4. 

Edikt, betr. Ausschreibung einer Bienenseuchenabgabe für das Jahr 
1899. Vom 24. Januar 1899, S. 7. 

Von jedem am 15. Februar 1899 vorhandenen Bienenstock eine Abgabe von 80 Pig. 

Bekanntmachung, betr. Feststellung des Verhältnisses des gestriche- 
nen zu dem gehäuften Landesscheffel (Rostocker) für Weizen, Roggen 
und Gerste, sowie Rauminhalt und Gewicht des letzteren. Vom 1. Ee- 
bruar 1899, S. 12. Entsprechende Bekanntmachung vom 18. März 1899, 
S. 46. 

Verordnung zur Ergänzung der Verordnung vom 8. August 1855, 
betr. die Heilighaltung der Sonn- und Festtage. Vom 3. Februar 1899, 
S: 11. 

Auch das nicht gewerbsmüfsige Aufsuchen von Bestellungen, Herumtragen, An- 
bieten und Vorteilen von Schriften und Bildwerken wird der Verordnung von 1855 
unterstellt. 

Bekanntmachung, betr. die Getreidedurchschnittspreise, nach welchen 
der Geldkanon der Erbpächter u. s. w. in den Domänen für die nächste 
Zahlungsperiode zu regulieren ist. Vom 3. Februar 1899, S. 13. 

Kontributionsedikt für das Jahr Johannis 1899/1900. Vom 23. Fe- 
bruar 1899, S. 29. 

I. Erhebung der ordentlichen Kontribution, und zırar a) der ordentlichen Domanial- 
Hufensteuer im Betrage von 77 M. für die Hufe; b) der ordentlichen ritterschaftlichen 
Hufensteuer sowie der ordentlichen Necessarien zusammen mit 86 M. für die Hufe; 
€) Die landstädtische Steuer von Häusern und Ländereien. II. Erhebung der Kon- 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 679 


tribution nach dem Kontributionsedikt vom 2. Mai 1897 mit zehn Zehnteln des vollen 
ediktmäfsigen Betrages. 

Bekanntmachung, betr. die der Berechnung der Landeskontribution 
im Steuerjahr 1899/1900 zu Grunde liegenden Getreidepreise. Vom 
2. Juni 1899, S. 416. 

Bekanntmachung, betr. Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugend- 
lichen Arbeitern in Ziegeleien. Vom 20. März 1899, S. 47. 

Feststellung der Fassung der Auszüge, die in den Ziegeleien auszuhängen sind, 
welche von den Bestimmungen unter II der Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 
18. Oktober 1898 Gebrauch machen wollen. 

Zusatzverordnung zur Verordnung vom 16. Januar 1895 zur Be- 
förderung der Landespferdezucht. Vom 4. April 1899, S. 51. 

Verordnung zur Ausführung des Bürgerlichen Gesetzhuchs. Vom 
9. April 1899, S. 57. 

Bekanntmachung, betr. die Aufsicht über bäuerliche Fideikommisse. 
Vom 20. Dezember 1899, S. 970. 

Verordnung zur Ausführung der Grundbuchordnung. Vom 9. April 
1899, S. 173. 

Anordnungen zur Ausführung der Grundbuchordnung. Vom 9. April 
1899, S. 191. 

Verordnung, betr. das Verfahren in Vereinssachen. Vom 9. April 
1899, S. 209. 

Verordnung, betr. die Zwangserziehung Minderjähriger. Vom 9. April 
1899, S. 221. 

Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über die Angelegenheiten 
der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Vom 9. April 1899, S. 227. 

Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über die Zwangsversteige- 
rung und die Zwangsverwaltung. Vom 9. April 1899, S. 257. 

Verordnung zur Ausführung der Civilprozeßordnung. Vom 9. April 
1899, S. 263. 

Verordnung zur Ausführung der Konkursordnung. Vom 9. April 
1899, S. 279. 

Verordnung zur Ausführung des Handelsgesetzbuchs. Vom 9. April 
1899, S. 283. 

Verordnung, betr. das Hinterlegungswesen (Hinterlegungsordnung). 
Vom 9. April 1899, S. 291. 

Gesindeordnung. Vom 9. April 1899, S. 3231). 

I. Begründung des Dienstverhältnisses. TI. Vergiitung der Dienstleistungen. TIT. Ver- 
pflichtungen aus dem Dienstverhältnis. A. Obliegenheiten der Dienstherrschaft. B. Pflichten 
der Dienstboten. IV. Dauer des Dienstverhältnisses. V. Art der Beendigung des 
Dienstverhältnisses. VI. Gesindedienstbücher. VII. Besondere Bestimmungen für das 
platte Land. VIII. Strafbestimmungen. IX. Schlufsbestimmungen. 

Verordnung, betr. den Ersatz vom Wildschaden. Vom 9. April 
1899, S. 811. 

Bekanntmachung, betr. die Einrichtung und Führung des Vereins- 
registers und des Güterrechtsregisters. Vom 25. April 1899, S. 383. 

Bestimmungen, betr. die Einrichtung und Führung des Handels- 
registers und des Güterrechtsregisters. Vom 4. Juli 1899, S. 477. 


1) Siehe die Anmerkungen zur Wüttembergischen Gesindeordnung oben S. 670. 


680 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Bekanntmachung, betr. Bestimmungen über die Einrichtung und 
Führung des Schiffsregisters für Binnenschiffe. Vom 11. November 
1899, S. 802. Für Seeschiffe. Vom 18. November 1899, S. 822. 

Bekanntmachung, betr. die Eintragung der sogenannten buchungs- 
freien Grundstücke in das Grundbuch. Vom 22. September 1899, S. 537. 

Gerichtsvollzieherordnung. Vom 4. Oktober 1899, S. 675. 

Verordnung zur Ausführung der Gebührenordnung für Rechtsan- 
wälte. Vom 18. Dezember 1899, S. 899. 

Verordnung, betr. die Gebührenordnung für Notare. Vom 18. De- 
zember 1899, S. 909. 

Einführungsverordnung zur Gerichtskostenordnung. Vom 18. Dez. 
1899, S. 917. Dazu S. 1035. 1036. 

Verordnung, betr. die Erhebung des landwirtschaftlichen An- 
baues, sowie der landwirtschaftlichen Bodenbenutzung. Vom 17. Mai 
1899, S. 403. 

I. Erhebung des landwirtschaftlichen Anbaues. Alljährlich, Anfang 
Juni findet eine statistische Erhebung über den Anbau von Feld- und Gartenfrüchten 
statt (2 1). Die Erhebung geschieht nach Gemeinden bezw. Gutsbezirken durch die 
Ortsobrigkeiten, die sich der Hilfe besonderer Beauftragter bedienen können; die Müt- 
glieder der Gemeindevertretung sind auf Verlangen dazu verpflichtet. Die Inhaber 
landwirtschaftlicher Betriebe sind verpflichtet, die an sie von den Ortsobrigkeiten oder 
deren Beauftragten gerichteten Fragen über die Anbauverhältnisse ihrer Lündereien 
nach bestem Wissen und Gewissen zu beantworten (3 2). II. Erhebung über die 
landwirtschaftliche Bodenbenutzung. Alle 10 Jahre (2 3). Verfahren wie 
bei I. III. Gemeinsame Bestimmungen für die Erhebung des land- 
wirtschaftlichen Anbaues und der Bodenbenutzung. 

Verordnung zur Aenderung und Ergänzung der Verordnung vom 
17. Februar 1897, betr. das Wegerecht. Vom 9. Juni 1899, S. 419. 

Bekanntmachung, betr. die Ausführung der Bestimmungen des 
Bundesrats über die Einrichtung und den Betrieb der Roßhaarspinne- 
reien u. s. w. Vom 18. September 1899, S. 535. 

Bekanntmachung, betr. die im Bundesrat vereinbarten Grundsätze 
über die Besetzung der Subaltern- und Unterbeamtenstellen bei den 
Kommunalbehörden u. s. w. mit Militäranwärtern. Vom 10. Oktober 
1899, S. 545. 

Bekanntmachung, betr. die Wahlen von Vertretern der Arbeitgeber 
und der Versicherten im Bereiche der Versicherungsanstalt Mecklen- 
burg. Vom 25. Oktober 1899, S. 572, 

Bekanntmachung, betr. die Wahlordnung, für die für den Ausschuß 
bei der Versicherungsanstalt Mecklenburg zu wählenden Mitglieder. Vom 
8. November 1899, S. 779. 

Verordnung, betr. die Versetzung richterlicher Beamten in den 
Ruhestand. Vom 28. November 1899, S. 839. 

Bekanntmachung, betr. die Anlegung von Mündelgeld bei inlän- 
dischen öffentlichen Sparkassen. Vom 19. Dezember 1899, S. 973. 

Verordnung, betr. die Aufhebung der Verpflichtung zur Bestellung 
von Dienstkautionen. Vom 22. Dezember 1899, S. 971. 


Ausgenommen: Rechnungsbeamte, Beamte der Grundbuchämter und Gerichtsvoll- 
zieher. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 681 


Verordnung, betr. die Stempelsteuer. Vom 22. Dezember 1899, 
S. 9751). 

Verordnung, betr. die Erhebung einer Erbschaftssteuer. Vom 22. De- 
zember 1899, S. 1005. 


I. Gegenstand der Erbschaftssteuer. Einer Erbschaftssteuer unterliegen 
ohne Unterschied, ob der Anfall an Inländer oder Ausländer gelangt, Erbschaften, Ver- 
müchtnisse, Lehns- und Fideikommifsanfälle, Schenkungen von Todesiwegen, Schenkungen 
unter Lebenden, deren Vollzug bis zum Tode des Schenkers aufgeschoben ist, sowie Zu- 
wendungen durch eine einer letztwilligen Verfügung oder dieser gleichstehenden Schen- 
kung hinzugefügte Auflage (2 1). Innerhalb des Landes belegenes unbewegliches Ver- 
mögen und Nutzungen eines solchen unterliegen ausnahmslos der Erbschaftssteuer ohne 
Rücksicht auf den Wohnsitz und die Staatsangehörigkeit des Erblassers (Z 2). Beweg- 
liches Vermögen unterliegt der Erbschaftssteuer, wenn der Erblasser bei seinem Ableben 
seinen Wohnsitz in Mecklenburg-Schwerin hatte. Für die Fälle, da/s der Erblasser 
aufserdem in einem anderen Staate des Deutschen Reiches seinen Wohnsitz oder bei 
seinem Ableben keinen Wohnsitz hatte, folgen eingehende Bestimmungen (4 3). Fidei- 
kommifsanfälle von unbeweglichem Vermögen unterliegen nur der Besteuerung, wenn 
dasselbe im Lande belegen ist. Die aus beweglichen Gegenständen, aus Kapitalien u. 8. w. 
bestehenden Fideikommisse sind beim Eintritt eines Erbfalles der diesseitigen Besteuerung 
unterworfen, wenn sie tm Lande errichtet und bestätigt eind (2 4). Befreiungen von 
der Erbschaftssteuer: I. Zuwendungen an Eltern und Voreltern, Abkömmlinge, Ehe- 
gatten; Zuwendungen unter 1000 M. an häusliches Dienstpersonal; II. Zuwendungen 
an milde Stiftungen, für Kunst und Wissenschaft; III. Anfälle, deren Wert den Be- 
trag von 150 M. nicht übersteigt; Nutzungen und Leistungen, deren Jahresbetrag die 
Summe von 75 M. nicht übersteigt; alle Erbschaften, deren Reinbestand den Betrag von 
1000 M. nicht übersteigt (25). II. Erbschaftssteuerpflichtige Masse. Zu der 
steuerpflichtigen Masse gehören auch die ausstehenden Forderungen, auch die Beträge, 
die der Erwerber selbst zur Masse schuldet (2 6). Unsichere, unbekannte, bestrittene 
Teile der Masse; Abzüge von der Erbmasse: 32 7,8. III. Eintritt der Steuer- 
pflicht und Ermittelung des Wertes der Anfälle. Die Pflicht zur Ent- 
richtung der Erbschaftssteuer tritt mit dem Zeitpunkt ein, in dem der Steuerpflichtige 
den der Besteuerung unterliegenden Anfall erworben hat ($ 9). IV. Von dem Be- 
trage der Erbschaftssteuer. Es zahlen: 1 Proz.: Geschwister, Adoptirkinder ; 
2 Proz.: Geschwisterkinder, Stiefkinder; 8 Proz.: Geschwisterenkel, Schwiegerkinder, 
Geschwister des Vaters oder der Mutter des Erblassers und deren Kinder, stets Dienst- 
personen für Nutzungen; 4 Proz.: Schwiegereltern, Stiefeltern und Stiefenkel; 6 Proz.: 
Stiefgrofseltern, zusammengebrachte Geschwister, Schwäger und Schwägerinnen, die 
Abkömmlinge der Adoptivkinder, alle übrigen Verwandten bis zum 6. Grad einschliefs- 
lich; 8 Proz.: alle sonstigen Erwerber (2 20). V. Von den für die Feststellung 
der Erbschaftssteuer zuständigen Behörden un dderen Verfahren. 
VI. Kontrolle-, Straf-, Verjährungs- und Schlufsbestimmungen. 


Verordnung, betr. die Erhebung einer Fideikommißsteuer. Vom 
22. Dez. 1899. S. 1029. 


Von jedem neu errichteten Familienfideikommifs und von jedem einem bestehenden 
Familienfideikommifs neu hinzugefügten Gegenstand ist für die Entziehung der zum 
Fideikommi/s gehörenden Gegenstände aus dem freien Verkehr eine Fideikommijssteuer 
zu entrichten (2 1). Diese beträgt Ein vom Hundert des Wertes der zum Fideikommifs 
gehörenden Gegenstände (2 2). Die Steuer ist von dem Fideikommifsinhaber zu ent- 
richten, sobald das Frdeikommifs in Wirksamkeit tritt (2 3). Art der Entrichtung: 
£ 4 Verfahren: 2 5. 

Bekanntmachung, betr. Ausführung der Vorschriften im $ 64, Abs. 2 
und 6 des Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899. Vom 


23. Dez. 1899, S. 1033. 


1) Siehe die Anmerkungen zum Altenburgischen Gesetz vom 24. Dezember 1899 
unten unter Altenburg. (Fortsetzung folgt.) 


682 Miszellen. 


Nachdruck verboten. 


Miszellen. 


X. 


Strikes und Aussperrungen im Jahre 1899 in Deutschland 
und Oesterreich. 


Die vom Kaiserlichen Statistischen Amt herausgegebene „Statistik 
des Deutschen Reichs“, N. F. Bd. 134, Berlin 1900, Verlag von Putt- 
kammer und Mühlbrecht, veröffentlicht eine Statistik der Strikes und 
Aussperrungen im Jahre 1899, der wir folgende interessante Thatsachen 
entnehmen und mit den Ergebnissen der österreichischen Statistik mit 
dem Titel „Die Arbeitseinstellungen und Aussperrungen in Oesterreich 
während des Jahres 1899, herausgegeben vom Arbeitsstatistischen Amte 
im k. k. Handelsministerium“, Wien (Alfred Hölder) 1900 vergleichen. 

Erst seit dem 1. Januar 1899 ist das Deutsche Reich dem Vor- 
bild anderer Staaten gefolgt, fortlaufende statistische Erhebungen über die 
im Gewerbebetrieb vorkommenden Strikes und Aussperrungen zu machen, 
um dadurch Klarheit in die Beurteilung dieser wichtigen. wirtschafts- 
politischen Fragen zu bringen. In erster Linie hat man deshalb die 
Zahl, Gründe und Dauer der Strikes und Aussperrungen zum Gegen- 
stand der Untersuchung gemacht, die Orte, an welchen sie zum Austrag 
gekommen sind, die betroffenen Gewerbearten, die Ziffern der in Mit- 
leidenschaft gezogenen Betriebe und Personen, der Inhalt der gestellten 
Forderungen, der Ausgang der Ausstände. Endlich die Art und Weise 
ihrer schließlichen Beilegung und die nachweisbaren Verluste am Arbeits- 
lohn. Auch ist die Frage nach Einwirkung von Berufsvereinigungen 
oder dritter Personen auf den Beginn und den Verlauf der Arbeiter- 
konflikte gestellt worden. Weiter hat man zu ermitteln gesucht, wie 
oft sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei ihrem angriffsweisen Vor- 
gehen auf dem Boden des Rechts gehalten, wie oft gegen den Arbeits- 
vertrag verstoßen haben, und ob Strikes oder Aussperrungen Anlaß zu 
polizeilichen Maßnahmen, insbesondere zum Zwecke des Schutzes Arbeits- 
williger oder zur Inanspruchnahme der Staatsanwaltschaft gegeben 
haben. 

Die Erhebung des Urmaterials erfolgte in einheitlicher Weise für 
das ganze deutsche Reichsgebiet. 


Miszellen. 683 


Als Strike ist bei diesen Erhebungen „jede gemeinsame 
Arbeitseinstellung mehrerer gewerblicher Arbeiter, die 
zum Zweck der Durchsetzung bestimmter Forderungen beim Arbeit- 
geber erfolgt ist“, aufgefaßt. 

Als Aussperrung ist „jede gemeinsame Ausschließung 
mehrerer gewerblicher Arbeiter von der Arbeit, die von dem 
Unternehmer zum Zwecke der Durchsetzung bestimmter Forderungen 
bei den Arbeitern vorgenommen wird“, anzusehen. 

Als „Zählungseinheit“ gilt in unserer Statistik nicht der einzelne 
Betrieb, sondern der einzelne Strikefall. Ein gemeinsames Vorgehen 
von in verschiedenen Unternehmungen beschäftigten Arbeitern wird als 
„Gruppenstrike“ bezeichnet. Dasselbe Zählungsprinzip ist für die Aus- 
sperrungen maßgebend, nur ist hier das gemeinsame Vorgehen der Unter- 
nehmer maßgebend, die gleichzeitig mehrere Betriebe schließen. Unter 
Betrieb ist hierbei auch ein Arbeitsplatz zu verstehen, auf denen Arbeiter 
verschiedener Gewerbe thätig sind, z. B. Neubauten. „Angriffsstrikes* 
sind solche Arbeitseinstellungen, durch welche die Beteiligten eine 
Aenderung des bisherigen Arbeitsverhältnisses zu erzielen suchen, „Ab- 
wehrstrikes“ solche, durch welche die Arbeiter eine Verschlechterung 
ihrer Arbeitsbedingungen verhindern wollen. 

Nur sehr ungenau sind die Angaben über die nachweisbaren Ver- 
luste an Arbeitslohn aus Anlaß des Strikes. Summiert man den Aus- 
fall des Arbeitslobnes an sich, was wohl noch den sichersten Anhalt 
geben würde, so erhält man dadurch noch keineswegs ein klares Bild, 
denn manche der Arbeiter finden während des Strike Gelegenheits- 
arbeit; andere haben noch über die Dauer des Strike hinaus unter 
den direkten Folgen desselben zu leiden, sie finden keine oder minder- 
bezahlte Arbeit u. dergl. 

Die Sonn- und Landesfeiertage sind in die Zahl der Striketage mit 
eingerechnet. 

In Bezug auf die Forderungen der Strikenden hat man drei Haupt- 
gruppen unterschieden, insofern sich dieselben auf Arbeitslohn, Arbeits- 
zeit oder andere Gegenstände bezogen. Zur ersten Gruppe gehören 
auch die Forderungen, die sich auf die Bezahlung von Ueberstunden 
bes. Entschädigung für Zeitverlust durch Warten beziehen etc. Zur 
Gruppe zwei, Verlängerung der Arbeitspausen, Vermeidung oder Ein- 
schränkung der Sonntags- und Nachtarbeit etc. In Rubrik „andere 
Gegenstände“ fallen endlich alle Forderungen, die sich nicht in die 
erstgenannten einreihen, z. B. in Bezug auf Aenderung der bisherigen 
Löhnungsweise, Entfernung von Vorgesetzten und Wiederanstellung ent- 
lassener Arbeiter. Forderungen in Bezug auf hygienische Einrich- 
tungen u. dergl. mehr. 

Auch den Ausfall der Strikes hat man besonders registriert und 
die Angaben darüber in Gruppen geordnet. 

Die Art der statistischen Erhebung in Oesterreich, weicht nicht 
wesentlich von der in Deutschland ab, so daß ein Vergleich der Er- 
gebnisse im großen ganzen leicht durchgeführt werden kann. Oester- 
reich ist in einigen Fragen noch mehr in das Detail gegangen, zum 


684 Miszellen. 


Beispiel hat es häufig gelernte und ungelernte Arbeiter besonders auf- 
geführt, auch vielfach das Geschlecht unterschieden; beides hat Deutsch- 
land unterlassen. Dagegen hat die österreichische Statistik das Alter 
der Arbeiter in den meisten Fällen nicht berücksichtigt, wo sie aber 
in der Weise unterschieden hat, rechnet sie unter Erwachsene alle 
Arbeiter über 16 Jahre, die deutsche Statistik dagegen nur die 
Arbeiter über 21 Jahren, wodurch jene Zahlen für einen Vergleich kaum 
verwendbar sind. Eine im Jahre 1899 zum erstenmal in Oester- 
reich gemachte Fragestellung nach Strikewiederholungen ist in Deutsch- 
land bis jetzt noch unterlassen. Der Hauptunterschied in der Strike- 
statistik dieser beiden Länder liegt aber darin, daß die österreichische 
Statistik den Nachdruck auf die Untersuchung der Zahl der Strikenden, 
während die deutsche den Schwerpunkt auf die Zahl der Strike fälle legt. 
Gehen wir nun zu den Ergebnissen der statistischen Erhebungen über. 

Es fanden im Jahr 1899 im Deutschen Reich im ganzen 1336 Aus- 
stände statt, von denen 14 bereits vor dem 1. Januar begonnen hatten; 
zur Beendigung gelangten in jenem Jahre 1288 Strikes. Demgegenüber 
hat Oesterreich !) für das Jahr 1899 nur 311 Strikes zu verzeichnen. 
Unter den deutschen Bundesstaaten waren Schwarzburg-Rudolstadt, 
Waldeck, Schaumburg-Lippe und Lippe die einzigen, in denen gar 
keine Strikes vorkamen. Diesen steht natürlich Preußen mit einer 
recht bedeutenden Zahl von Ausständen gegenüber, es hatte 835 oder 
62,50 Proz. aller Strikefälle zu verzeichnen, dann kommt das industrie- 
reiche Sachsen mit 149 oder 11,15 Proz., Bayern mit 102 oder 7,64 Proz., 
Hamburg mit 62 oder 4,64 Proz. u. s. w. abwärts; Lübeck hatte ver- 
hältnismälig viele, nämlich 3 oder 0,60 Proz, Sachsen-Weimar dagegen 
nur 5 oder 0,38 Proz., die beiden Mecklenburg als Agrarstaaten zu- 
sammen nur 6 oder 0,45 Proz. Unter den preußischen Provinzen ist 
Hohenzollern die einzige, die ganz ohne Strike ausging. Dagegen thut 
sich Berlin mit 227 oder 27,19 Proz. aller innerhalb Preußens be- 
gonnener Strikes hervor. Brandenburg hat 169 = 20,24 Proz., das Rhein- 
land, 125 — 14,97 Proz. und so geht es zurück bis auf Schleswig-Holstein 
mit 35 — 4,19 Proz., Westfalen 33 — 3,95 Proz., Westpreußen mit 6 
= 0,72 Proz. und endlich Ostpreußen mit 5 = 0,60 Proz. 

In welchem Umfang die einzelnen Gewerbegruppen in Mitleiden- 
schaft gezogen wurden, hat die Statistik des Deutschen Reiches genau 
festgestellt; wir greifen nur einige bedeutsame Zahlen heraus. Die 
meisten Strikes entfielen auf das Baugewerbe, nämlich 478 oder 
35,78 Proz. aller 1899 begonnenen Strikes, dann folgt die Industrie der 
Holz- und Schnitzstoffe mit 163 — 12,20 Proz., die Metallverarbeitung 
mit 146 = 10,93 Proz., die Textilindustrie mit 106 = 7,93 Proz. am 


1) Die Zahlen für Oesterreich sind, wie oben angegeben, der vom „Arbeits- 
statistischen Amte im k. k. Handelsministerium‘“ veröffentlichten Statistik entnommen, 
merkwürdigerweise weichen dieselben ganz wesentlich von den Zahlen ab, welche die 
„Soziale Rundschau, I. Jahrgang im Januar-Februarheft 1900 über die gleichen Ver- 
hältnisse giebt, die ebenfalls vom Arbeitsstatistischen Amt im k. k. Handelsministerium 
in Wien herausgegeben wird. Wir wissen uns diese eigentümliche Erscheinung nicht zu 


erklären. 


Miszellen. 685 


wenigstens wurden die künstlerischen Gewerbe, die Beherbergungs- 
und Erquickungsgewerbe und die Kunst- und Handelsgärtnerei von 
Strikes betroffen mit 4 = 0,30 Proz., 3 — 0,22 Proz. und 1 = 0,07 Proz, 
was ja durch ihre Eigentümlichkeit des Gewerbebetriebes leicht zu erklären 
ist, aber auch die chemische und die Papierindustrie waren nur mit 
4 = 0,30 Proz. und 9 = 0,68 Strikefällen beteiligt. Stellt man diesen 
Zahlen die Ergebnisse der österreichischen Erhebungen zur Seite, so 
findet man einige Abweichungen. Es steht dort die Textilindustrie 
mit 84 oder 27,00 Proz. aller Strikes an der Spitze, dann folgt auch an 
zweiter Stelle die Industrie der Holz- und Schnitzwaren und Kautschuk 
mit 35 oder 11,25 Proz., dann die Baugewerbe mit 33 oder 10,60 Proz. 
etc. Nur ein Strikefall fand im Tapeziergewerbe statt, das in Deutsch- 
land gar nicht besonders angeführt ist, in der chemischen Industrie 4, 
im Verkehrswesen 3, im Gast- und Schankgewerbe kamen gar keine 
Strikes vor. 

Die Feststellung der Verteilung der Strikes auf die verschiedenen 
Quartale ist nur für die Saisongewerbe von Bedeutung. Von den 
Strikes, welche das Baugewerbe erfaßten, fielen 41 in das erste Quartal, 
232 in das zweite, 141 in das dritte und 64 in das vierte Und zwar 
verteilten sich diese 478 Strikefälle des Baugewerbes in der Weise, 
daß in 244 oder 51,05 Proz. der Fälle die Maurer strikten, in 67 oder 
14,02 Proz. die Zimmerer, in 9 oder 1,88 Proz. der Fälle die Dach- 
decker und Ofensetzer etc. Hier läßt sich leider, wegen der Ver- 
schiedenheit der statistischen Erhebung, ein Vergleich mit Oesterreich 
nicht durchführen, doch möchten wir die Thatsache berichten, daß von 
den insgesamt 311 Strikes in Oesterreich 98 in das Frühjahr fielen, 
94 in den Sommer, 80 in den Herbst und 39 in den Winter. 

In die Details gehende Angaben kann die deutsche Statistik von 
1899 nur über die 1288 Strikefälle geben, die am 31. Dezember 1899 
ihre Erledigung gefunden hatten, die übrigen 48 in jenem Jahre nicht 
beendigten können erst im folgenden Jahrheft nähere Berücksichtigung 
finden. 

7121 Betriebe waren mit 256 858 Arbeitern durch die hier in Be- 
tracht kommenden Ausstände betroffen, darunter 40062 Arbeiter im 
Alter von unter 21 Jahren, von diesen traten im ganzen 99338 in die 
Strikebewegung ein, worunter sich 15 600 jugendliche befanden, das sind 
38,94 Proz. aller jugendlichen, in den betroffenen Betrieben beschäftigten 
Arbeiter. In Oesterreich erstreckten sich die Strikes auf 977 Betriebe 
mit 82 682 beschäftigten und 59 146 strikenden Arbeitern. 

Zum völligen Stillstand wurden in Deutschland 1890 Betriebe ge- 
bracht, das sind etwa ein Viertel aller von der Strikebewegung er- 
griffenen Betriebe. 

Von den im Jahre 1899 zur Beendigung gelangten Strikes waren 
in Deutschland 1019 oder 79,11 Proz. aller als Angriffsstrikes zu be- 
zeichnen, nur 269 oder 20,89 Proz. als Abwehrstrikes. Die Angriffs- 
strikes waren gegen 6717 Betriebe mit 200 935 beschäftigten Arbeitern, 
darunter 28 692 jugendliche gerichtet und bewirkten den Stillstand von 
1809 dieser Betriebe; Abwehrstrikes wendeten sich gegen 404 Betriebe 


686 Miszellen. 


mit 55 923 Arbeitern, darunter 11 370 jugendliche. Die Hüchstzahl der 
gleichzeitig Strikenden betrug bei sämtlichen 1288 Strikes 99 338 Per- 
sonen, das ist 38,67 Proz. aller in den betroffenen Betrieben überhaupt 
beschäftigten Personen. Durchschnittlich betraf eine Arbeitseinstellung 
77,1 strikende Arbeiter und 5,5 Betriebe; bei den Angriffsstrikes er- 
höht sich die Durchschnittsziffer der Strikenden auf 81,4, diejenigen 
der in Mitleidenschaft gezogenen Betriebe auf 6,6, während auf jeden 
Abwehrstrike sich im Durchschnitt nur 61,1 Strikende und 1,5 Betriebe 
berechneten. 10122 Arbeiter oder 3,94 Proz. aller in sämtlichen vom 
Strike betroffenen Betrieben Beschäftigten mußten unfreiwillig feiern. 
Auf je 100 Strikende fielen somit 10,19 Proz. gezwungen Feiernde, auf 
Angriffstrikes 11,34 Proz., auf Abwehrstrikes 4,38 Proz. Oesterreich 
hatte 206 Angriffs- und 68 Abwehrstrikes zu verzeichnen. 

Von allen 1288 Arbeitseinstellungen waren 931 oder 72,28 Proz. 
(nur auf einen Betrieb ausgedehnte) Einzelstrikes, nur 357 oder 27,72 Proz. 
Gruppenstrikes, die in 24 Fällen über 50 Betriebe umfaßten. 

In Oesterreich waren 45 oder 14,47 Proz. aller Gruppenstrikes 
und 266 oder 85,53 Proz. aller Einzelstrikes. Auf eine Arbeitseinstellung 
entfallen dort etwa 176 strikende Arbeiter. 

Der uns vorliegende statistische Band suchte auch festzustellen, 
wieweit Einzel- resp. Gruppenstrikes vollständige oder unvollständige 
Strikes waren, wie viel Strikende, wie viel gezwungen Feiernde auf 
diese verschiedenen Kategorien fallen. Wir wollen hier nicht darauf 
eingehen. 

Um ein Bild davon zu geben, wie sich die Strikenden auf div 
28 deutschen Großstädte verteilen, hat man die Zahl der Strikenden 
in den betreffenden Städten den, nach der Zählung von 1895 in den- 
selben ermittelten gewerbsthätigen Gehilfen und Arbeitern gegenüber- 
gestellt. Danach steht Krefeld in erster Linie, da 10,54 Proz. aller 
seiner Arbeiter strikten, dann folgt Halle mit 7,65 Proz., Leipzig mit 
5,67 Proz., Berlin mit 4,98 Proz., Elberfeld 4,46 Proz. u. s. w. Am 
günstigsten stehen Straßburg und Dortmund da, die überhaupt keine 
Strikenden hatten, Danzig mit 0,20 Proz., Chemnitz, diese bedeutende 
Industriestadt, mit nur 0,25 Proz., Hannover mit 0,29 Proz. u. s. f. 

Interessant sind die Mitteilungen des uns beschäftigenden Bandes 
in Bezug auf die Beteiligung von Arbeitervereinigungen (Gewerkschaf- 
ten etc.) an der Vorbereitung und Durchführung von Strikes, allerdings 
sind die Angaben darüber mit etwas Vorsicht aufzunehmen Strikes 
mit Beteiligung von Berufsvereinigungen sind im Jahre 1899 744 ge- 
zählt worden, darunter 451 Einzelstrikes und 293 Gruppenstrikes, wäh- 
rend die übrigen 544 Strikes unabhängig von Berufsvereinigungen be- 
gonnen und durchgeführt wurden. Von allen 471 auf das Baugewerbe 
entfallenden beendeten Strikes sind 57,1 Proz. mit und 42,9 Proz. ohne 
Intervention von Berufsvereinigungen ins Werk gesetzt worden. Für 
die Strikes in der Industrie der Holz- und Schnitzstoffe stellt sich 
dieses Verhältnis wie 64,9 Proz. zu 35 Proz., in der Metallindustrie 
wie 70,0 zu 30,0, in der Textilindustrie wie 50,0 Proz. zu 50,0 Proz. 
In allen Gewerben, die in die Strikebewegung hineingezogen wurden, 


Miszellen. 687 


waren auch Berufsvereinigungen beteiligt gewesen, abgesehen von der 
Gruppe der Kunst- und Handelsgärtnerei, sowie des Beherbergungs- 
und Erquickungsgewerbes, die ja überhaupt nur in geringem Maße an 
den Strikes teilnahmen. 
Nun noch einige Angaben in Bezug auf die Dauer der Strikes. 
133 oder 10,33 Proz. aller dauerten weniger als 1 Tag 


439 » 3408 „ ” r 1— 5 Tage 

I91 ,, 14,83 „ e fe 6— 10 „ 

182 „ 14,18 „ D 5 II — 20 „ 

106 ,, 8,23 , Pr i 2I— 30 „ 

105 „ 8,15 „ F ze 31— 50 „ 

94 » 7,30 » a D 51—100 

38 „ 2,95 101 u. mehr Tage 


Von den Strikes mit einer Dieser über 100 Tage entfielen 16 auf das 
Baugewerbe, 7 auf die Metallverarbeitung, je 4 auf die Textilindustrie 
und die Industrie der Holz- und Schnitzstoffe etc. Die österreichische 
Erhebung hatte in Bezug auf die Dauer der Strikes folgende Ergeb- 
nisse. Nach ihr dauerten 54,66 Proz. aller Ausstände 1—5 Tage, 
26,37 Proz. 6—25 Tage, über 100 Tage währten nur 0,96 Proz. der 
Strikes, die durchschnittliche Dauer betrug dort 14 Tage. 

Was die aktive Beteiligung der Arbeiter an den beendeten Strikes 
anlangt, so hatten die Arbeit eingestellt: 


bei 78 Strikes oder 6,06 Proz. aller 2— 5 Arbeiter 


» DÉI » 5, ASE, ye e 6— 10 w 
an, 262 ai ep 20,36, a D II— 20 s 
en, SET Lis „ 16,61 „ Ss 21— 30 
» 189 4 se TARE on D 31— 50 
» 70 à „ 1320 a fs 51—100 
102 „ n 7,92 » „  IOI—200 oe 
Dr 5; 5 4,66 » " 201—500 o 
0 va a 279 aw a SOL gt mehr „ 


Die Forderungen der Strikenden hat man, wie oben erwähnt, in 
drei Gruppen geschieden, je nachdem sie sich auf Arbeitslohn, Arbeits- 
zeit oder andere Gegenstände beziehen. Im Jahre 1899 gehörten die 
Forderungen vorwiegend der ersten Gruppe an, nämlich in 1126 Fällen; 
Forderungen hinsichtlich der Arbeitszeit wurden 379mal erhoben, die 
übrigen zur dritten Gruppe zählenden 596mal. Am häufigsten wurde 
eine Erhöhung der Stunden-, Tage-, Wochen- und Accordlöhne ange- 
strebt und zwar in 820 Fällen, nur in 67 handelte es sich um die 
bloße Aufrechterhaltung der bisherigen Arbeitslöhne, 275mal wurde von 
den Strikenden auf eine Verkürzung der Arbeitszeit hingearbeitet, 23mal 
auf die vollständige Abschaffung von Ueberstunden. Die übrigen Forde- 
rungen bezogen sich meist auf die Wiederanstellung entlassener Ar- 
beiter, nämlich in 153 Fällen; in 34 Fällen suchten die Strikenden die 
Entfernung von Vorgesetzten zu veranlassen. In Oesterreich zielten 
die meisten Forderungen, 217, auf Verbesserung der Lohnverhältnisse 
hin, 122 richteten sich auf die Arbeitszeit, 169 auf sonstige Forde- 
rungen, vor allem in Bezug auf die Dienstverhältnisse. 

Von sämtlichen im Jahre 1899 zur Erledigung gelangten Strikes 
endeten für die Strikenden mit vollem Erfolg 331 mit 18699 Striken- 


688 Miszellen. 


den in 2092 Betrieben, mit teilweisem Erfolg 429 mit 51 835 Strikenden 
in 8853 Betrieben, ohne Erfolg 528 mit 28804 Strikenden in 1176 Be- 
trieben. Es hatten also die Strikenden vollen Erfolg in 25,7 Proz. aller 
Strikes mit 18,8 Proz. aller Strikenden und 29,4 Proz. aller betroffenen 
Betriebe, teilweisen Erfolg in 33,3 Proz. aller Strikes mit 52,2 Proz. 
aller Strikenden und 54,1 Proz. aller betroffenen Betriebe, keinen Erfolg 
in 41,0 Proz. aller Strikes mit 29,0 Proz. aller Strikenden und 16,5 aller 
betroffenen Betriebe. Von je 100 der in die betreffenden Kategorien 
fallenden Strikes brachten den Beteiligten 


vollen teilweisen keinen 

Erfolg Erfolg Erfolg 
Angriffsstrikes 24,6 37,6 37,5 
Abwehrstrikes 29,7 17,1 53,2 


In Oesterreich hatten die Ausständigen in 48 Fällen vollen Erfolg, in 
123 Fällen teilweisen und in 140 gar keinen. 

Von den vollständigen Einzel- und Gruppenstrikes in Deutschland 
endeten für die Strikenden mit vollem Erfolg 42,0 Proz. der Fälle, mit 
teilweisem 29,3 Proz. und ganz zurückgewiesen wurden die Forderungen 
in 28,7 Proz. Aus den Angaben ist ersichtlich, daß die unvollständigen 
Strikes, in denen keine Gewerbegruppe ganz strikte, am wenigsten Er- 
folge erzielten. Wollen die Arbeiter etwas erreichen, so müssen sie 
solidarisch vorgehen, sonst können sie auf keine Erfolge rechnen. Aus 
den vorliegenden statistischen Angaben geht ferner hervor, welchen 
wirksamen Einfluß die Arbeiterorganisationen in Bezug auf den Strike- 
ausfall haben. Nur 34,0 Proz. aller Strikes mit Intervention von Be- 
rufsvereinigungen blieben ganz ohne Resultat, 41,0 Proz. setzten ihre 
Ansprüche teilweise durch. Diesen Zahlen sind die der von Berufs- 
vereinigungen unabhängigen Strikes gegenüber zu stellen, die in 50,5 Proz. 
aller Fälle resultatlos verliefen, in 22,8 Proz. einen teilweisen Erfolg zu 
verzeichnen hatten. Hinsichtlich der Strikes mit vollem Erfolg stehen 
sich diese beiden Kategorien allerdings mit 25,0 Proz. zu 26,7 Proz. 
gegenüber, Die Thatsachen verhalten sich so, daß Einzelstrikes mit 
Intervention von Arbeiterorganisationen erfolgreicher sind als ohne 
solche Unterstützung, Gruppenstrikes dagegen eher, wenn sie unabhängig 
dastehen. 

Von den in 820 Fällen gestellten Forderungen auf Lohnerhöhun 
wurden 228, also 27,8 Proz. aller dahingehenden Forderungen, voll- 
ständig, 287 oder 35,0 Proz. nur teilweise und 305 oder 37,2 Proz. 
überhaupt nicht durchgesetzt, während die 275mal angestrebte Verkür- 
zung der Arbeitszeit 116mal oder in 42,2 Proz. der Fälle in vollem 
Umfang, 5lmal oder in 18,5 Proz. teilweise und 108mal oder in 39,3 Proz. 
der Fälle gar nicht erreicht wurde. 

In Oesterreich hatten von den 197 auf Lohnerhöhung hinzielenden 
Strikes 41 vollständigen Erfolg, 84 teilweisen und 72 gar keinen, in 
25 Fällen konnte der Ausgang nicht ermittelt werden. Von den Strikes 
in Bezug auf Verkürzung der Arbeitszeit setzten 34 ihre Forderungen 
ganz durch, 23 nur teilweise und 42 gar nicht. In Bezug auf 14 Fälle 
ist das Resultat unbekannt. Sonstige Forderungen wurden 45mal mit 


Miszellen. 689 


vollständigem Erfolg geltend gemacht, 33mal mit teilweisem und 65mal 
wurden die Forderungen nicht bewilligt. In 19 Pallen blieb der Aus- 
gang unermittelt Da zuweilen bei einem Ausstand verschieden- 
artige Forderungen gestellt werden, so deckt sich die Zahl der Forde- 
rungen nicht ganz mit der Zahl der Strikefälle. 

Sehr bedeutsam ist die, in dem vorliegenden Band gemachte Fest- 
stellung über die Zahl der durch die Strikes kontraktbrüchig Gewor- 
denen. Danach waren von der 99338 Arbeiter umfassenden Höchst- 
ziffer der Strikenden nach amtlicher Zählung 71968 oder 72,5 Proz. 
aller bei Ausbruch des Strikes zur sofortigen Arbeitsniederlegung be- 
rechtigt, 27 345 oder 27,5 Proz. dagegen kontraktbrüchig geworden. Sämt- 
liche Strikenden waren kontraktbrüchig in den preußischen Regierungs- 
bezirken Köslin und Oppeln, in dem bayerischen Regierungsbezirk Ober- 
pfalz, im badischen Kreis Heidelberg u. s. w. Es handelte sich dabei 
um 15 Strikefälle mit zusammen 929 aktiv beteiligten Arbeitern. Da- 
gegen waren in den Regierungsbezirken Königsberg, Marienwerder, im 
Herzogtum Oldenburg, den beiden Mecklenburg etc. gar keine Kontrakt- 
brüchigen unter den Strikenden. Auch in der Stadt Berlin, der Provinz 
Posen, Hamburg etc. befanden sich wenig Kontraktbrüchige, um so 
mehr im Schwarzwaldkreis, in Elsaß-Lothringen u. s. f. 

Unsere Statistik giebt uns auch darüber Auskunft, wie sich die 
Kontraktbrüchigen auf die verschiedenen Gewerbegruppen verteilen. 
Wir bemerken hier nur, daß in dem Beherbergungs- und Erquickungs- 
gewerbe alle Strikenden kontraktbrüchig waren, im Bergbau, Hütten- 
und Salinenwesen fast alle. Etwa die Hälfte in der chemischen und 
der Textilindustrie. Im Handelsgewerbe, im Baugewerbe und in der Leder- 
industrie ist die Zahl der Kontraktbrüchigen dagegen eine sehr geringe. 
Jedoch sind aus den Angaben bezw. Kontraktbruches resp. berechtigter 
Arbeitsniederlegung ohne weiteres keine sicheren Schlüsse zu ziehen, 
denn aus den Tabellen ist nicht ersichtlich, ob in den Gegenden resp. 
Gewerbearten ohne Kontraktbruch die Kündigungsfrist eingehalten wurde 
oder gar keine Kündigungsfrist bestand. 

Schließlich sei noch erwähnt, daß in 50 zur Erledigung gebrachten 
Strikefällen das Gewerbegericht in Gemäßheit der Së 61—69 des 
Reichsgesetzes, betreffend die Gewerbegerichte vom 29. Juli 1890 als 
Einigungsamt thätig gewesen ist. Es geschah dies in Preußen in 35 Fällen, 
in Bayern in 3 Fällen, in Hessen in 5 Fällen u. s. f. In die Textil- 
industrie fallen davon 6, in das Baugewerbe 29 etc. In Oesterreich 
wurde in sehr vielen Fällen von staatlichen Behörden eine Vermitte- 
lungsthätigkeit mit Erfolg durchgeführt. 

Die im Berichtsjahr beendeten Strikes führten in 170 Fällen zur 
Aurufung der Staatsanwaltschaft, wie weit dieselbe wirklich eingeschritten 
ist, konnte noch nicht festgestellt werden. In 256 Fällen wurde ein 
Eingreifen der Polizeibehörden notwendig, was aber im allgemeinen nur 
in einer Postierung von Schutzleuten auf der Arbeitsstelle, auf Bahn- 
höfen u. s. w. bestand. 

Man hat den Gesamtverlust an Arbeitslohn aus Anlaß von Strikes 

Dritte Folge Bd, XXI (LXXVI). 44 


688 Miszellen. 


den in 2092 Betrieben, mit teilweisem Erfolg 429 mit 51 835 Strikenden 
in 3853 Betrieben, ohne Erfolg 528 mit 28 804 Strikenden in 1176 Be- 
trieben. Es hatten also die Strikenden vollen Erfolg in 25,7 Proz. aller 
Strikes mit 18,8 Proz. aller Strikenden und 29,4 Proz. aller betroffenen 
Betriebe, teilweisen Erfolg in 33,3 Proz. aller Strikes mit 52,2 Proz. 
aller Strikenden und 54,1 Proz. aller betroffenen Betriebe, keinen Erfolg 
in 41,0 Proz. aller Strikes mit 29,0 Proz. aller Strikenden und 16,5 aller 
betroffenen Betriebe. Von je 100 der in die betreffenden Kategorien 
fallenden Strikes brachten den Beteiligten 


vollen teilweisen keinen 

Erfolg Erfolg Erfolg 
Angriffsstrikes 24,6 37,6 37,5 
Abwehrstrikes 29,7 17,1 53,2 


In Oesterreich hatten die Ausständigen in 48 Fällen vollen Erfolg, in 
123 Fällen teilweisen und in 140 gar keinen. 

Von den vollständigen Einzel- und Gruppenstrikes in Deutschland 
endeten für die Strikenden mit vollem Erfolg 42,0 Proz. der Fälle, mit 
teilweisem 29,3 Proz. und ganz zurückgewiesen wurden die Forderungen 
in 28,7 Proz. Aus den Angaben ist ersichtlich, daß die unvollständigen 
Strikes, in denen keine Gewerbegruppe ganz strikte, am wenigsten Er- 
folge erzielten. Wollen die Arbeiter etwas erreichen, so müssen sie 
solidarisch vorgehen, sonst können sie auf keine Erfolge rechnen. Aus 
den vorliegenden statistischen Angaben geht ferner hervor, welchen 
wirksamen Einfluß die Arbeiterorganisationen in Bezug auf den Strike- 
ausfall haben. Nur 34,0 Proz. aller Strikes mit Intervention von Be- 
rufsvereinigungen blieben ganz ohne Resultat, 41,0 Proz. setzten ihre 
Ansprüche teilweise durch. Diesen Zahlen sind die der von Berufs- 
vereinigungen unabhängigen Strikes gegenüber zu stellen, die in 50,5 Proz. 
aller Fälle resultatlos verliefen, in 22,8 Proz. einen teilweisen Erfolg zu 
verzeichnen hatten. Hinsichtlich der Strikes mit vollem Erfolg stehen 
sich diese beiden Kategorien allerdings mit 25,0 Proz. zu 26,7 Proz. 
gegenüber. Die Thatsachen verhalten sich so, daß Einzelstrikes mit 
Intervention von Arbeiterorganisationen erfolgreicher sind als ohne 
solche Unterstützung, Gruppenstrikes dagegen eher, wenn sie unabhängig 
dastehen. 

Von den in 820 Fällen gestellten Forderungen auf Lohnerhöhung 
wurden 228, also 27,8 Proz. aller dahingehenden Forderungen, voll- 
ständig, 287 oder 35,0 Proz. nur teilweise und 305 oder 37,2 Proz. 
überhaupt nicht durchgesetzt, während die 275mal angestrebte Verkür- 
zung der Arbeitszeit 116mal oder in 42,2 Proz. der Fälle in vollem 
Umfang, 5lmal oder in 18,5 Proz. teilweise und 108mal oder in 39,3 Proz. 
der Fälle gar nicht erreicht wurde. 

In Oesterreich hatten von den 197 auf Lohnerhöhung hinzielenden 
Strikes 41 vollständigen Erfolg, 84 teilweisen und 72 gar keinen, in 
25 Fällen konnte der Ausgang nicht ermittelt werden. Von den Strikes 
in Bezug auf Verkürzung der Arbeitszeit setzten 34 ihre Forderungen 
ganz durch, 23 nur teilweise und 42 gar nicht. In Bezug auf 14 Fälle 
ist das Resultat unbekannt. Sonstige Forderungen wurden 4ömal mit 


Miszellen. 689 


vollständigem Erfolg geltend gemacht, 33mal mit teilweisem und 65mal 
wurden die Forderungen nicht bewilligt. In 19 Fällen blieb der Aus- 
gang unermittelt. Da zuweilen bei einem Ausstand verschieden- 
artige Forderungen gestellt werden, so deckt sich die Zahl der Forde- 
rungen nicht ganz mit der Zahl der Strikefälle. 

Sehr bedeutsam ist die, in dem vorliegenden Band gemachte Fest- 
stellung über die Zahl der durch die Strikes kontraktbrüchig Gewor- 
denen. Danach waren von der 99338 Arbeiter umfassenden Höchst- 
ziffer der Strikenden nach amtlicher Zählung 71 968 oder 72,5 Proz. 
aller bei Ausbruch des Strikes zur sofortigen Arbeitsniederlegung be- 
rechtigt, 27 345 oder 27,5 Proz. dagegen kontraktbrüchig geworden. Sämt- 
liche Strikenden waren kontraktbrüchig in den preußischen Regierungs- 
bezirken Köslin und Oppeln, in dem bayerischen Regierungsbezirk Ober- 
pfalz, im badischen Kreis Heidelberg u. s. w. Es handelte sich dabei 
um 15 Strikefälle mit zusammen 929 aktiv beteiligten Arbeitern. Da- 
gegen waren in den Regierungsbezirken Königsberg, Marienwerder, im 
Herzogtum Oldenburg, den beiden Mecklenburg etc. gar keine Kontrakt- 
brüchigen unter den Strikenden. Auch in der Stadt Berlin, der Provinz 
Posen, Hamburg etc. befanden sich wenig Kontraktbrüchige, um so 
mehr im Schwarzwaldkreis, in Elsaß-Lothringen u. s. f. 

Unsere Statistik giebt uns auch darüber Auskunft, wie sich die 
Kontraktbrüchigen auf die verschiedenen Gewerbegruppen verteilen. 
Wir bemerken hier nur, daß in dem Beherbergungs- und Erquickungs- 
gewerbe alle Strikenden kontraktbrüchig waren, im Bergbau, Hütten- 
und Salinenwesen fast alle. Etwa die Hälfte in der chemischen und 
der Textilindustrie. Im Handelsgewerbe, im Baugewerbe und in der Leder- 
industrie ist die Zahl der Kontraktbrüchigen dagegen eine sehr geringe. 
Jedoch sind aus den Angaben bezw. Kontraktbruches resp. berechtigter 
Arbeitsniederlegung ohne weiteres keine sicheren Schlüsse zu ziehen, 
denn aus den Tabellen ist nicht ersichtlich, ob in den Gegenden resp. 
Gewerbearten ohne Kontraktbruch die Kündigungsfrist eingehalten wurde 
oder gar keine Kündigungsfrist bestand. 

Schließlich sei noch erwähnt, daß in 50 zur Erledigung gebrachten 
Strikefällen das Gewerbegericht in Gemäßheit der Së 61—69 des 
Reichsgesetzes, betreffend die Gewerbegerichte vom 29. Juli 1890 als 
Einigungsamt thätig gewesen ist. Es geschah dies in Preußen in 35 Fällen, 
in Bayern in 3 Fällen, in Hessen in 5 Fällen u. s. f. In die Textil- 
industrie fallen davon 6, in das Baugewerbe 29 etc. In Oesterreich 
wurde in sehr vielen Fällen von staatlichen Behörden eine Vermitte- 
lungsthätigkeit mit Erfolg durchgeführt. 

Die im Berichtsjahr beendeten Strikes führten in 170 Fällen zur 
Aurufung der Staatsanwaltschaft, wie weit dieselbe wirklich eingeschritten 
ist, konnte noch nicht festgestellt werden. In 256 Fällen wurde ein 
Eingreifen der Polizeibehörden notwendig, was aber im allgemeinen nur 
in einer Postierung von Schutzleuten auf der Arbeitsstelle, auf Bahn- 
höfen u. s. w. bestand. 

Man hat den Gesamtverlust an Arbeitslohn aus Anlaß von Strikes 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI), 44 


690 Miszellen. 


auf 4300000 M. veranschlagt; eine Summe, die nur ungefähr an- 
genommen ist, der deshalb kein großes Gewicht beigelegt werden kann. 

Machen wir nun noch einige Angaben über die Aussperrungen im 
Jahr 1899. Es waren im Deutschen Reich deren 28 zu verzeichnen. 
Von den 23 noch während des Berichtsjahres wieder aufgehobenen 
Aussperrungen wurden im ganzen 427 Betriebe betroffen, in denen 
8290 Arbeiter, darunter 408 jugendliche (unter 21 Jahren) bei Beginn 
der Aussperrung beschäftigt waren. Nur in 8 Fällen betraf die Aus- 
sperrung den Gesamtbetrieb, in den übrigen beschränkte sie sich auf 
einzelne Beschäftigungsarten innerhalb desselben, denen zusammen 
3486 Arbeiter, darunter 44 Personen unter 21 Jahren angehört hatten. 
Ausgesperrt wurden im ganzen 5298 Personen, darunter 219 jugendliche 
Arbeiter. Von den Ausgesperrten waren 5236 oder 98,8 Proz. ohne 
Verletzung der Kündigungsfrist, 62 oder 1,2 Proz. dagegen mit Ver- 
letzung derselben von der Weiterarbeit ausgeschlossen. Außerdem 
wurden 1728 infolge der Aussperrungen unfreiwillig Feiernde gezählt. 
Die bedeutendsten Aussperrungen waren diejenigen von Maurern in 
Bauunternehmungen Berlins, Charlottenburgs, Steglitz ete., von Stein- 
metzen in Dresden, Pirna, Neundorf etc., die Roßlederfabrik in Wilster 
sperrte 268 Arbeiter aus, die Eisengießereien in Torgelow 248 in 8 Be- 
trieben. In 17 Fällen suchten die Arbeitgeber auf der Aufrechterhaltung 
der bisherigen Löhne und zwar in 7 Fällen gleichzeitig unter Beibehaltung 
der bisherigen Arbeitszeit zu bestehen, in 2 Fällen wollten sie die 
Lohnsätze herabdrücken, in einem Fall auch die Arbeitszeit verlängern. 
8 Fälle waren für die Arbeiter erfolglos, 9 hatten teilweisen, 6 voll- 
ständigen Erfolg. 11 Aussperrungen sind durch Intervention von Berufs- 
vereinigungen in die Wege geleitet und durchgeführt worden; in 5 Fällen 
brachte das Gewerbegericht eine Einigung zustande. 

Eine große Anzahl von Arbeitern wurde den 2. Mai von der 
Arbeit ausgeschlossen, weil sie unerlaubterweise am 1. gefeiert hatten, 
diese hat unsere Statistik nach Beschäftigungsart und -ort geordnet 
in einer besonderen Tabelle dargestellt. 

In Oesterreich kamen im Jahre 1899 nur 5 Aussperrungen vor, 
wobei die Hauptursachen die Maifeier, sowie die Solidarität der Arbeit- 
geber gegen die Strikebewegung gebildet haben. Diese 5 Aussperrungen 
betrafen 38 ‘Betriebe mit 5671 Beschäftigten und 3457 Ausgesperrten. 
Eine der Aussperrungen erstreckte sich auf 30 Betriebe, eine auf 5 
und die übrigen nur auf je einen Betrieb. E. C. 


Litteratur. 691 


Nachdruck verboten. 


Litteratur. 


VI. 
Neuere Litteratur über den Handel. 


Besprochen von Dr. A. Wirminghaus, Köln. 


1) Cohn, Gustav, Nationalökonomie des Handels und des Ver- 
kehrswesens. Ein Lesebuch für Studierende. Stuttgart 1898. VIII, 
1030 SS. 

2) Roscher, Wilhelm, Nationalökonomik des Handels- und Ge- 
werbfleiBes. Ein Hand- und Lesebuch für Geschäftsmänner und 
Studierende. 7. vermehrte Auflage, bearbeitet von Wilhelm Stieda. 
Stuttgart 1899. XVIII, 1119 SS. 

3) van der Borght, R., Handel und Handelspolitik. Leipzig 1900, 
XII, 570 SS. 


Trotz der vortrefflichen Bearbeitung, welche der Handel und das 
Verkehrswesen im Schönberg’schen Handbuch der politischen Oekonomie 
sowie im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, namentlich auch in 
deren neuen Auflagen erfahren haben, wird man das Erscheinen der drei 
obigen Werke, die größtenteils bezw. ausschließlich den kommerziellen 
Fragen gewidmet sind, als besonders zeitgemäß bezeichnen dürfen. Die 
behandelten Gegenstände stehen teilweise geradezu im Mittelpunkte des 
öffentlichen Interesses, und es müssen deshalb neue Lehr- und Lese- 
bücher willkommen sein, welche eine abgerundete systematische Dar- 
stellung des Stoffes bieten. Cohn behandelt, wie der Titel seines Werkes 
besagt, den Handel und das Verkehrswesen, Roscher-Stieda daneben noch 
die gewerblichen Fragen, während van der Borght sich ganz auf den 
Handel beschränkt. Auch im einzelnen weichen die drei Autoren hin- 
sichtlich des Umfanges des Stoffes und der Gliederung desselben er- 
heblich voneinander ab. Diese Verschiedenheiten sind, abgesehen davon, 
daß sich überhaupt noch keine feststehende Systematik des volkswirt- 
schaftlichen Lehrstoffes eingebürgert hat, darauf zurückzuführen, daß 
alle drei Werke Teile eines größeren Ganzen darstellen und sich diesem 
einfügen mußten. Das Cohn’sche Werk bildet den 3. Band seines 
aufs beifälligste aufgenommenen „Systems der Nationalökonomie“, von 

44* 


692 Litteratur. 


welchem der 1. Band, die Grundlegung enthaltend, im Jahre 1885, 
und der 2. Band, die Finanzwissenschaft enthaltend, im Jahre 1889 er- 
schien. Als Roscher 1894 gestorben war, trat an den Verlag seines 
berühmten „Systems der Volkswirtschaft“ die Aufgabe heran, die 5 
Bände desselben durch Neubearbeitungen vor dem Veralten zu schützen. 
Zunächst erschien der 1. Band: Grundlagen der Nationalökonomie, 
bearbeitet von Robert Pöhlmann, dem nunmehr der 3. Band gefolgt 
ist, dessen Bearbeitung in die bewährten Hände Stieda’s gelegt wurde. 
Das van der Borght’sche Werk endlich bildet einen der zahlreichen 
Bände des von Kuno Frankenstein begründeten und von Max von Heckel 
fortgesetzten „Hand- und Lehrbuchs der Staatswissenschaften“, zu dem 
van der Borght früher bereits den Band über das Verkehrswesen bei- 
gesteuert hat, welcher bei seinem Erscheinen im Jahre 1894 allgemeinem 
Interesse begegnete. 

Wir haben es also in allen drei Fällen mit Männern zu thun, deren 
wissenschaftliche Richtung und Arbeitsweise genugsam bekannt sind, 
und deshalb auch einer kritischen Würdigung an dieser Stelle kaum 
bedürfen. Indessen mag doch ausgesprochen werden, daß die obigen 
Werke, abgesehen von ihrem streng wissenschaftlichen Gepräge, hin- 
sichtlich der Gesamtauffassung der wirtschaftspolitischen Fragen im 
wesentlichen übereinstimmen, eine Auffassung, welche auf der Ueber- 
zeugung beruht, daß die gegenwärtige, unter dem Einfluß der ge- 
steigerten Kapitalmacht, der vervollkommneten Verkehrsmittel und der 
immer weiteren Verbreitung des genossenschaftlichen Gedankens stehende 
Entwickelung unserer wirtschaftlichen Verhältnisse zu neuen Gestaltungen 
führt, die trotz einzelner Härten dem allgemeinen Fortschritt dienen. 
Dieser gesunde, abgeklärte Optimismus steht in erfreulichem Gegensatz 
zu anderen Richtungen, welche zur Zeit nicht ohne Erfolg im öffent- 
lichen Leben nach Einfluß ringen. Jene wirtschaftspolitische Gesamt- 
tendenz darf aber hier um so mehr mit Genugthuung hervorgehoben 
werden, als alle drei Werke Lehrzwecken dienen, indem Cohn das seinige 
ausdrücklich für „Studierende“ bestimmt, Roscher daneben bekanntlich 
auch für „Geschäftsmänner“ geschrieben hat und van der Borght be- 
sonders betont, daß er sich der möglichsten Gemeinverständlichkeit der 
Sprache befleißigt habe, wenngleich ihm der sogenannte „wissenschaft- 
liche Stil“ bequemer sei. Am lebhaftesten kommt die fortschrittliche 
Auffassung bei Cohn zur Geltung; wesentlich zurückhaltender ist van 
der Borght, welcher nach meiner Empfindung namentlich bei der Be- 
urteilung der Detailhandelsfragen den zur Zeit in vielen Kreisen unseres 
Kleinbürgertums herrschenden reaktionären Tendenzen zu weit entgegen- 
kommt. Stieda hat seine Aufgabe im Geiste Roscher's mit bestem Er- 
folge gelöst. Die allgemeine Richtung, welche in seiner bekannten 
Stellungnahme zur Handwerkerfrage Ausdruck findet, tritt auch bei den 
übrigen Ergänzungen des Roscher’schen Bandes bestimmend hervor. 

Cohn bespricht nach einer allgemeinen Einleitung, welche u. a. 
eine lehrreiche Erörterung über die Bedeutung der sogen. Handels- 
wissenschaft enthält, die Entwickelung des Handels in der Geschichte, 
die öffentlichen Veranstaltungen im Dienste des Handels, die Organisations- 


Litteratur. > 693 


formen und die Elemente desselben, den Börsenhandel und die Fragen 
der äußeren Handelspolitik. Es folgen sodann das Bank-, Versicherungs- 
und Verkehrswesen, wobei wiederum einmal die geschichtliche Ent- 
wickelung, und sodann das Wesen und die verschiedenen Arten dieser 
Zweige des Wirtschaftslebens, beim Verkehrswesen auch die Oekonomik 
der einzelnen Verkehrsmittel zur Erörterung gelangen. Die Vorzüge, 
welche die Kritik bei den beiden früheren Bänden von Cohn’s Systems 
rühmen konnte, der lebendige Stil und die anschauliche Darstellung 
sind auch dem neuen Bande eigen. Es liegt dem Verfasser allerdings 
weniger an einer gleichmäßigen Ausführlichkeit in der Behandlung der 
einzelnen Fragen, als an der Hervorkehrung namentlich derjenigen 
Punkte, welche ihm besonders interessant erscheinen und über welche 
er eigene Gedanken vorzubringen hat. Manche Probleme werden 
nur gestreift, einzelnes kommt bei der Darstellung überhaupt zu kurz. 
Andererseits ist darauf Bedacht genommen, durch geeignete historische 
oder statistische Beispiele die allgemeinen Ausführungen zu erläutern. 
So wird auch dieser Band seiner ganzen Anlage nach zwar dem Neuling 
in der Wissenschaft manches dunkel lassen, aber seinen ausgesprochenen 
Zweck, als „Lesebuch“ für gereiftere Studierende zu dienen, zweifellos 
in hohem Maße erfüllen. Auch die entschiedene Betonung des ethischen 
Moments bei der Beurteilung der ökonomischen Probleme ist, abgesehen 
von der vollen sachlichen Berechtigung dieses Standpunktes, von großem 
pädagogischen Wert, wenn man bedenkt, daß die Praktiker unseres 
Wirtschaftslebens diesen allgemeinen Gesichtspunkt häufig nur zu sehr 
zurücktreten lassen. Auf Einzelheiten des Werkes hier einzugehen, 
kann ich mir schon deshalb versagen, weil viele Fragen, so namentlich 
die das Börsen- und Bankwesen und das Verkehrswesen betreffenden, 
in größeren Specialwerken und Abhandlungen von Cohn in anerkannt 
hervorragender Weise behandelt worden sind. In der zur Zeit brennenden 
Frage der Konkurrenz der Wasserstraßen und Eisenbahnen nimmt Cohn 
bekanntlich einen Standpunkt ein, der ihn in scharfen Gegensatz zu 
den entschiedenen Anhängern des Ausbaues unserer Binnenwasserstraßen 
stellt, und gerade in diesen Abschnitten seines Werkes weiss Cohn 
seine Auffassung mit Lebhaftigkeit und Geschick zu verteidigen, wobei 
freilich auch mancher dem neuesten Kanalenthusiasmus kühler gegen- 
überstehende Leser die Empfindung haben dürfte, daß Cohn die 
fiskalischen Interessen zu sehr in den Vordergrund stellt. Die Behand- 
lung dieses Gegenstandes sowie seine Beurteilung der sog. Mittelstands- 
politik im Kleinhandel zeigen, daß Cohn auch vor der Erörterung akuter 
Tagesfragen nicht zurückschreckt, weshalb ich seine Bemerkung im Vor- 
wort, die vorläufige Zurückstellung der Agrar- und Gewerbepolitik habe 
auch das für sich, daß auf diesen Gebieten gegenwärtig eine unbehag- 
liche Gärung herrsche, der gegenüber man gerne eine wissenschaftliche 
Enthaltung beobachte, nicht wohl gelten lassen möchte. Der vorliegende 
Band ist aber schon reichlich stark geworden, weshalb Cohn recht 
daran thut, den noch rückständigen Teilen seines „Systems“ einen be- 
sonderen Band zu widmen. In dem Wunsche, daß derselbe rascher er- 
scheinen möge als der dritte, werden sich alle Freunde seines umfang- 
reichen Unternehmens vereinigen. 


694 Litteratur. 


Ueber Stieda’s Neubearbeitung der Roscher’schen National- 
ökonomik des Handels- und Gewerbfleißes kann ich mich kurz fassen. 
Die Besonderheiten und Vorzüge des Systems Roscher’s sind bekannt. 
Auch über dessen allgemeine wissenschaftliche Stellung ist hier kein 
Wort zu verlieren. Zweifelhaft könnte es sein, ob bei der Eigenart 
der Roscher’schen Darstellungsweise, bei welcher die allgemeinen Aus- 
führungen im Texte fortlaufend durch eine Menge von Citaten sowie 
von historischen und statistischen Beispielen unterstützt und erläutert 
werden, was eine ungewöhnliche Belesenheit und Sammelthätigkeit 
voraussetzt, eine dem jeweilig neuesten Stande der Wissenschaft ent- 
sprechende Fortführung der Bände auf die Dauer möglich sein wird. 
Man muß diese Frage der Zukunft überlassen. Jedenfalls ist an- 
zuerkennen, daß Stieda seine Aufgabe, sowohl den Haupttext wie auch 
die Anmerkungen zu ergänzen, ohne dem Werke das eigentümliche 
Roscher’sche Gepräge zu nehmen, richtig angefaßt hat. Mit Rücksicht 
darauf, daß Roscher selbst bei den späteren Auflagen seiner Bände 
manchmal zu starr an dem Haupttext festhielt und neuere Forschungs- 
ergebnisse, die wohl eine entsprechende Umgestaltung der textlichen 
Ausführungen nötig gemacht hätten, in die Anmerkungen verwies, hätte 
Stieda hier und da vielleicht weniger konservativ sein können. Im 
ganzen aber wird man Art und Inhalt der Stieda’schen Ergänzungen 
als durchaus sachgemäß bezeichnen müssen. Die Einteilung des Stoffes 
bei Roscher ist völlig beibehalten worden. Dementsprechend finden in 
der ersten Abteilung (Handel) auch das Geld- und Kreditwesen, das 
Verkehrswesen und das Maßwesen ihren Platz. Die zweite Abteilung 
(Gewerbefleiß im engeren Sinne) bringt u. a. auch die Erörterung über 
Handelspolitik, unlauteren Wettbewerb u. dergl. Den Schluß bildet der 
Bergbau, während der Band durch eine Abhandlung über die Entwickelung 
des Städtewesens nach der topographischen, historischen und sozial- 
statistischen Seite hin, unter besonderer Berücksichtigung der Wohnungs- 
frage, eingeleitet wird. Ueber alle diese verschiedenen Gebiete des 
öffentlichen Lebens haben ja im Laufe der letzten Jahre die Gesetz- 
gebung, die Verwaltung und die privaten Bestrebungen, nicht minder 
auch die amtliche Statistik und die wissenschaftliche Litteratur ein 
außerordentlich reiches Material beigebracht, so daß namentlich in den 
Abschnitten über das Börsen- und Bankwesen, das Verkehrswesen, die 
Handelspolitik und die Gewerbepolitik (Handwerkerfrage, Maßregeln 
im Interesse der Industriearbeiter u. s. w.) der kundigen Hand Stieda’s 
eine sehr vielseitige Aufgabe zufiel, welche er aufs beste zu lösen ge- 
wußt hat. Es bleibt nur zu wünschen, daß die noch ausstehenden Bände 
eine gleich gute Fortführung erfahren, damit das beliebte Roscher’sche 
System neben den neuen Handbüchern seinen Platz behauptet. 

Das Werk van der Borght’s zerfällt in zwei Teile, von denen 
der erste dem Handel selbst, der zweite der Handelspolitik gewidmet 
ist. Dasselbe trägt wesentlich einen lehrbuchartigen Charakter. Die 
einzelnen Unterabteilungen sind dementsprechend recht gleichmäßig und 
vollständig ausgearbeitet; nur vereinzelt, so bei dem Kapitel über die 
auswärtige Handelspolitik, ist mit Rücksicht auf die sonstige reiche 


Litteratur. 695 


litterarische Bearbeitung des Gegenstandes eine mehr summarische Be- 
handlung desselben vorgezogen worden, obwohl auch dieser Teil sich 
dem Ganzen gut anfügt. Anmerkungen sind fast ganz vermieden; dafür 
ist der von P. Lippert bearbeitete Litteraturnachweis am Schlusse des 
Werkes besonders reichhaltig. Wenn auch das demselben vorangeschickte 
Inhaltsverzeichnis den Inhalt der Unterabschnitte wiedergiebt, so wäre 
doch eine Hervorhebung der einzelnen Fragen durch Sperrdruck im 
Texte sehr wünschenswert gewesen; dieser würde hierdurch bei der 
Verschiedenartigkeit der in den Unterabteilungen behandelten Materien 
an Uebersichtlichkeit wesentlich gewonnen haben. Im übrigen ist die 
ganze Anlage des Werkes eine sehr zweckentsprechende. 

Zunächst wird das Wesen des Handels nach der begrifflichen Seite 
hin erörtert. Der Verfasser legt hierbei ein besonderes Gewicht auf die 
Unterscheidung zwischen dem eigentlichen Handel (bei dem ein Kaufen 
zum Zwecke des Wiederverkaufens vorliegt) auf der einen und dem 
Handel des Fabrikanten und Handwerkers auf der anderen Seite. Ob 
die Bezeichnung jenes eigentlichen Handels als „Kaufmannshandel“ in 
Anbetracht der jedem Geschäftsmanne geläufigen Bestimmungen des$ 1 
des Handelsgesetzbuches eine besonders glückliche ist, lasse ich dahin- 
gestellt. Jedenfalls ist die stärkere Hervorhebung jenes Gegensatzes 
berechtigt, um so mehr, als van der Borght diese begrifflichen Unter- 
scheidungen im weiteren Verlauf seiner Darstellung, so namentlich in 
dem Abschnitt über den Betrieb des Warenhandels, auch sachlich weiter 
zu verwerten gewußt hat. Fraglich scheint mir dagegen, ob es mit 
Rücksicht darauf, daß der Begriff der Handelspolitik allerdings ein weit 
umfassenderer ist als der des Handels, nötig war, eine Definition des 
„Handels im allgemeinen“ zu geben, dahingehend, daß derselbe „die 
Ueberwindung der persönlichen, räumlichen und zeitlichen Trennung des 
Konsumenten vom Produzenten“ bedeutet. Mit einer solchen, der An- 
schaulichkeit entbehrenden, abstrakten Formulierung dürfte namentlich 
in einem Lehrbuche der Sache wenig gedient sein. 

Die weiteren Kapitel behandeln die volkswirtschaftliche Bedeutung, 
die geschichtliche Entwickelung des Handels, die Gegenstände des Handels- 
verkehrs, die menschliche Arbeit im Dienste des Handels, das Kapital, 
den Kredit und die Konkurrenz im Handel. Das hierauf folgende um- 
fangreiche Kapitel über den Betrieb des Warenhandels (Beschaffung 
der Waren, Absatzgewinnung, Bekanntmachung der Waren und Firmen, 
Festsetzung und Einziehung der Verkaufspreise, Buchführung) ist be- 
sonders deshalb wertvoll, weil van der Borght hier als der erste den 
ernstlichen Versuch macht, diesen bisher nur nebenher behandelten 
Fragen wissenschaftlich näherzutreten und damit den Grund für eine 
Handelsbetriebslehre zu schaffen, deren Fehlen besonders bei der 
theoretischen Ausbildung des Kaufmanns zur Zeit sehr empfunden wird. 
Hierbei würde auch auf die einzelnen Zweige des Warenhandels ein- 
zugehen sein, welche teilweise erhebliche Besonderheiten darbieten. Der 
auch von van der Borght besprochene Betrieb des Buchhandels ist 
wegen seiner Eigenart schon längst Gegenstand litterarischer Darstellung 
gewesen. Auch über andere Handelszweige liegen bekanntlich schon 


696 Litteratur, 


gute Monographien vor, auf denen weiter gebaut werden könnte. 
Einzelnes wird übrigens von van der Borght in anderen Kapiteln be- 
reits berührt (Getreidehandel S. 53 f). Den Beschluß des ersten Teiles 
bildet eine eingehende Darstellung des Börsenhandels. 

Im zweiten Teile wird nach einer einleitenden Abhandlung über 
Begriff und Arten der Handelspolitik, sowie über die Organe derselben 
zunächst die innere und sodann die äussere Handelspolitik besprochen 
und zwar wird hierbei der ersteren eine besondere Aufmerksamkeit ge- 
widmet. Unter anderem werden die mannigfachen polizeilichen Be- 
schränkungen des Handels (Detailreisen, Hausierhandel, Wanderlager), 
die Frage des unlauteren Wettbewerbes, die Verhältnisse im Klein- 
handel (Konsumvereine, Warenhäuser) eingehend erörtert. Auch die 
Börsengesetzgebung, sowie die sozialen und Bildungsverhältnisse im 
Kaufmannsstande finden an dieser Stelle ihre Würdigung.‘ In diesem 
Kapitel über die innere Handelspolitik bringt van der Borght wiederum 
manches, was in anderen Werken, so auch von Cohn und Roscher- 
Stieda nur nebenher oder gar nicht erörtert worden ist. Nicht recht 
einzusehen ist, warum van der Borght die innere Handelspolitik aus- 
drücklich auf den „Handel im engsten Sinne des Wortes“, also auf den 
„Kaufmannshandel“ im Gegensatz zum Fabrik- und Handwerkshandel 
beschränken will, da doch auch für diesen manche Fragen der inneren 
Handelspolitik eine Rolle spielen, wie z.B. die sozialen und Bildungs- 
fragen, der unlautere Wettbewerb u. a m. Mit Recht betont van der 
Borght, daß in der Handelspolitik, und zwar sowohl in der inneren wie 
in der äußeren, bei Berücksichtigung der Bedürfnisse des Handels von 
seiten des Staates die Interessenten der Gesamtheit stets mit in Rech- 
nung gezogen werden müssen und führt diesen Gedanken auch im 
einzelnen durch. Was die äußere Handelspolitik selbst anbetrifft, so 
geben die, wie schon bemerkt, verhältnismäßig kurzen, aber doch mit 
hinreichender Specialisierung behandelten Punkte (Handelsbilanz, Zölle, 
Handelsverträge u. s. w., endlich Seeschiffahrtspolitik) zu keinen besonderen 
Bemerkungen Anlaß. 

Dagegen möchte ich zum Schluß noch auf gewisse Einzelheiten der 
van der Borght’schen Ausführungen hinweisen, die mir nicht ganz ein- 
wandsfrei zu sein scheinen. Sie betreffen speciell den Kleinhandel, 
dessen Verhältnisse vom Verfasser besonders eingehend behandelt sind. 
Hier bemerkt man eine gewisse Aengstlichkeit bei der Erörterung der 
aktuellen Probleme. So läßt sich nach van der Borghts Ansicht 
auf die Frage, ob eine berufliche Ueberfüllung im Kleinhandel vorliege, 
keine allgemeine Antwort geben (S. 40). Bis jetzt habe noch niemand 
die Formel gefunden, nach der man berechnen könnte, wieviel Ein- 
wohner mindestens auf einen Kleinhandelsbetrieb entfallen müssen, wenn 
die Bedarfsversorgung in der wirtschaftlichsten Weise bewirkt werden 
solle, Auch die derzeitige Konkursstatistik ermögliche keinen Schluß 
auf die Ueberfüllung, obwohl die von van der Borght selbst (S. 143) 
mitgeteilten konkursstatistischen Ziffern schon zu denken geben könnten. 
Nach meinem Dafürhalten unterliegt es bei unbefangener Beobachtung 
der Verhältnisse namentlich auch in den größeren Städten gar keinem 


Litteratur. 697 


Zweifel, und wird auch in den Kreisen des Kleinhandels durchaus an- 
erkannt, daß sich demselben im Laufe der Zeit viel zu viele, und be- 
sonders viele ungeeignete Elemente zugewandt haben und noch zu- 
wenden, auch wenn die Statistik wegen ihrer Unvollkommenheit noch 
nicht den bündigen ziffernmäßigen Beweis hierfür geliefert haben sollte. 
Die Gewerbezählungen haben übrigens ergeben, daß in Preußen die Be- 
triebe des Handels und Verkehrs von 1882 bis 1895 um mehr als ein 
Drittel, die Geschäfte mit 1—5 Angestellten um 75 Proz., die Ge- 
schäfte mit nur 1 Angestellten sogar um 112 Proz. zugenommen haben. 
Auch dies ist gewiß beachtenswert. Jedenfalls hätte die Thatsache, daß 
die Vermehrung der Kleinhandelsbetriebe der gleichzeitigen Bevölkerungs- 
zunahme nicht entspricht, und mit einer vorhandenen Ueberfüllung zu 
rechnen ist, ganz anders in den Mittelpunkt der Erörterung gestellt 
werden müssen, als dies vom Verfasser geschehen ist. Er hätte dann 
vielleicht auch sonstige Fragen, wie z. B. die der Warenhausbesteuerung, 
anders angesehen. Auch hier macht sich bei van der Borght eine 
gewisse Unentschiedenheit im Urteil geltend Am Anfang der bezüg- 
lichen Erörterung (S. 373) wird der Zweck der Warenhaussteuer als 
Kampfmittel zu Gunsten der Eleinhändler im Grunde als berechtigt 
anerkannt, während im weiterer Verlauf (S. 378) auf das Bedenkliche 
dieses Prinzips in beredten Wort: n hingewiesen wird. Schließlich führt 
der Verfasser für die stärkere H ‘anziehung der Großbetriebe die beiden 
Gesichtspunkte der steuerlichen Leistungsfähigkeit und des Interesses 
an den Gemeindeeinrichtungen ins Feld, welche gewiß jeder unbefangene 
Steuerpolitiker als richtig gelten lassen wird, mit denen aber doch weder 
das neue preußische Gesetz noch überhaupt die Bestrebungen der 
Warenhausgegner in Einklang zu bringen sind. Auch Konsumvereine, 
Versandgeschäfte und Hausierhandel (S. 155) werden hauptsächlich von 
dem Gesichtspunkte aus betrachtet, daß sie dem Kleinhändler das Leben 
sauer machen, daß „der Großhandel damit über seine eigentliche Grenze 
hinausgreife“, was „im allgemeinen kein erfreulicher Vorgang sei“. 
Wesentlich auch vom Standpunkte der Detaillisten glaubt van der 
Borght selbst für das Reklamewesen in längeren Ausführungen (S. 194 ff.) 
eine Lanze brechen zu sollen. Gewiß ist die Reklame grundsätzlich 
durchaus geboten und bringt manchen Nutzen. Aber hat nicht auch 
Cohn recht, wenn er (S. 237) sagt, das ganze Reklamewesen, wie es 
sich heute darbietet, sei eine wechselseitige Treiberei, selbst der kleinsten 
Geschäftsleute, zu ruhelos wachsenden Unkosten? 

Die Kleinhandelsfrage sollte nicht vorwiegend von dem Gesichts- 
punkte aus betrachtet werden, daß an den bestehenden Verhältnissen 
möglichst nicht gerüttelt werden dürfe, sondern von dem eines gesunden 
Fortschrittes aus. Ein solcher ist es aber, wenn die mit dem wachsenden 
Wohlstande des Landes Hand in Hand gehende Kapitalansammlung 
auch dem Kleinhandel zu gute kommt, wenn auch diesem Erwerbs- 
gebiete das große Kapital sich zuwendet und so vollkommenere Be- 
triebsformen schafft. Der Kleinhandel hat keinen natürlichen Anspruch 
darauf, nur mit mäßigem Kapital betrieben zu werden. Er kann sich 
auch nicht beklagen, wenn neue Formen der Güterverteilung, durch 


698 Litteratur. 


welche Großhändler und Fabrikanten den Konsumenten besonders ent- 
gegenzukommen glauben, sich neben ihn stellen. Ein Anlaß, hier mit 
hemmenden Verwaltungs- und steuerlichen Maßregeln einzugreifen, liegt, 
abgesehen von allen grundsätzlichen Bedenken, für den Staat um so 
weniger vor, als der Weg der Selbsthilfe, was genossenschaftliche 
Organisation, berufliche Vorbildung u. s. w. anbetrifft — von der Ueber- 
füllung wurde oben bereits gesprochen — noch keineswege so, wie man 
wünschen muß, beschritten worden ist. Es ist zu bedauern, daß sich van 
der Borght nicht entschiedener auf diesen fortschrittlichen Standpunkt, 
wie er auch von Cohn ($ 172 ff.) zum Ausdrucke gebracht worden ist, 
gestellt hat. Ich will gerne zugeben, daß er neben der einen Seite der 
Frage auch die andere nicht ganz unbeachtet läßt, daß er nebenher 
auch auf das Bedenkliche der zur Zeit im Kleinhandel vielfach herrschenden 
rückschrittlichen und pessimistischen Auffassungen hinweist. Aber die 
Probleme werden doch von dieser Seite nicht fest angegriffen, die Grund- 
stimmung scheint mir zu sehr von den Klagen einzelner Handelskammern 
und Detaillistenverbände beeinflußt zu sein, deren Aeußerungen doch 
mit großer Vorsicht aufzunehmen sind. 

Gerade weil ich das van der Borght’sche Lehrbuch im ganzen sehr 
schätze, habe ich mir erlaubt, eine gegensätzliche Auffassung in Bezug 
auf einzelne Punkte zum Ausdrucke zu bringen. Vielleicht veranlaßt dies 
den Verfasser zu einer Nachprüfung seiner Ausführungen gelegentlich 
der späteren Auflagen, die das Werk bei seinen großen Vorzügen 
zweifellos erleben dürfte. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. (699 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands 
und des Auslandes. 
L Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle 
theoretische Untersuchungen. 

Dr. Fritz Demuth, F. Th. v. Bernhardi. Ein Beitrag zur Ge- 
schichte der Nationalökonomie im 19. Jahrhundert. Jena (Fischer) 1900. 
68 SS. 

Die vorliegende Schrift ist so verdienstlich, wie eine litterar- 
historische Monographie über einen verstorbenen Gelehrten nur über- 
haupt sein kann, und zwar schon deswegen, weil sie eine bisher wohl 
auch in nationalökonomischen Werken oft nebenher genannte (S. 45), 
aber wenig beachtete und noch seltener zum Gegenstande des Studiums 
gemachte, höchst bedeutende Persönlichkeit an den ihr gebührenden 
Platz stellen will. Vor allem interessiert die Darstellung der ein- 
schneidenden und siegreichen Kritik, die B. an Smith und seiner Schule 
übt, einer Kritik, in der B. dem großen „Vater der Nationalökonomie“ 
viel mehr im wahren Sinne gerecht wird, als viele von des letzteren 
Nachfolgern und Nachbetern. Dabei tritt Dis Auffassung des Wert- 
begriffes als höchst lehrreich hervor. Bis Stellung zur Grundrenten- 
theorie wird auf S. 23 ff. charakterisiert. 

Groß zeigt sich uns Bernhardi in seiner historischen Auffassung 
und in seinen sozialpolitischen Ansichten, die der Verf. treffend im 
Zusammenhange mit seinen theoretischen Lehren darstellt (z. B. S. 37, 
40, 43). Der eigentliche Gegenstand von Dia Werk: Die Bedeutung 
der verschiedenen Größenkategorien des Grunbesitzes, ist heute wieder 
höchst aktuell geworden (s. insbesondere S. 36); die vorliegende Schrift 
wird hoffentlich alle, die sich mit diesem Thema befassen, veranlassen, 
fortan B. nicht mehr unberücksichtigt zu lassen. 

Zu Demuth’s Bemerkungen über Fichte und sein Verhältnis zu 
B. möchte ich auf ein eben erschienenes Werk hinweisen: Luigi Clerici: 
„Le idee economico-sociali di Fichte, Modena 1900“, das in einer deutschen 
Zeitschrift nicht ohne lobende Erwähnung bleiben darf. 

Gegen den Schluß seiner Schrift behandelt Demuth die Stellung 
Bis in und zu der sogenannten deutsch-russischen Schule (S. 50 ff.), 
zu F. B. W. Hermann und zur eigentlichen historischen Schule. 


700 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Die Darstellung Demut’s ist im wesentlichen gedrängt und doch 
das Wichtigste erschöpfend, klar und überzeugend; ich hoffe, daß sie 
ihr Ziel erreicht, und Bernhardis Bedeutung zur Geltung bringt im 
Interesse seines Namens nicht nur, sondern auch im Interesse der 
Wissenschaft, die an ihm nicht achtlos vorübergehen darf. 

Schullern. 


Adler, A. (Prof. Dr., stellv. Direktor der öffentl. Handelslehr- 
anstalt in Leipzig), Leitfaden für den Unterricht in der Handelswissen- 
schaft mit besonderer Berücksichtigung der deutschen Gesetzgebung. 
5. verbesserte Aufl. Leipzig (Gebhardt) 1900. 159 SS. 

Ein Leitfaden für den Unterricht in den Handelswissenschaften 
kann nur eine Zusammenfassung von Stoffen sein, die den verschieden- 
sten Wissenszweigen und Wissenschaften entnommen sind und lediglich 
unter dem Gesichtspunkt dargestellt werden, wieweit ihre Erkenntnis 
für den Betrieb und die Beurteilung des Handels förderlich sein kann. 
Mag man dabei das Gebiet weiter fassen oder ihm enge Grenzen 
stecken, wie der Verf. es thut, wenn er lediglich die allgemeine Handels- 
lehre (Handelsbetriebslehre) in seinem Leitfaden vorträgt, immer ist 
man darauf angewiesen, die Ergebnisse anderer selbständiger Disciplinen 
zu übernehmen; die eigene Arbeit des Schriftstellers beschränkt sich 
dann auf zweckmälige Auswahl des Stoffes, die kritische Beurteilung 
der Quellen, die systematische Anordnung und die klare Darstellung 
des Uebernommenen. In diesen Hinsichten wird man dem vorliegenden 
Leitfaden einen erheblichen Wert beimessen können, da er in Knapp- 
heit und Klarheit der dargestellten Materien allen zu stellenden An- 
forderungen genügt und im einzelnen auf gediegener Sachkenntnis sich 
aufbaut. 

Aachen. " W. Kähler. 


Volkswirtschaftliehe Abhandlungen der badischen Hochschulen. Band V, 
Heft 1. Tübingen, Mohr, 1901. gr. 8 IV—88 SS. M. 3,50. (Inhalt: Die Entwicke- 
lung des Sparkassenwesens im Großherzogtum Baden), von Fr. Schulte. 


Roche, Jul., Les budgets du XIX" siècle et questions diverses. Paris, E. Flam- 
marion, 1901. gr. iu-8. 376 pag. fr. 7,50. (Table des matières: Les budgets du 
XIX" siècle, — Tablean des budgets depuis Pan 1801 jusquà 1900. — La Banque de 
France et la Banque d’Etat. — Le crédit agricole et les caisses d'épargne. — Nécessité 
de supprimer l'initiative parlementaire en matière de dépenses (Discours prononcé à la 
Chambre des Députés, le 16 mars 1900). — La ligue des contribuables. — Le Creusot 
et les grèves. -— La leçon du Creusot. — Contre le socialisme: 1. Le danger du socia- 
lisme. 2. L'Etat et l'individu. 3. Une apologie du capital. — L'armée française et 
l’armée allemande (Discours prononcé à la Chambre des Députés, le 25 3 1895). — Le 
service des deux ans. — Congrès télégraphique. — La liberté d'enseignement, — La 
population au AIX" siècle, — Le bi-centenaire de la Prusse.) 

Un siècle. Mouvement du monde de 1800 à 1900. Paris, H. Oudin, s. a. (1901). 
gr. in-8. XXVI—914 pag. fr. 7,50. (Table des matières: I” partie. Mouvement poli- 
tique et économique: L'oeuvre et l'influence de Napoléon, par Mar. Sepet. — Les natio- 
nalités, par Etienne Lamy. — Les gouvernements, par H. Joly. — La législation, par 
E. Chénon. — Le partage du monde, par R. Pinon. — Les peuples nouveaux, par 
(le vicomte) de Meaux, — La guerre, par (le général de division comte) de la Girennerie. 
— L'industrie et le commerce depuis un siècle, par (le vicomte) G. d’Avenel. — 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 701 


L’homme et la terre cultivée, par Jean Brunhes. — La question sociale au XIX* siècle, 
par (le comte) Albert de Mun. — L'église Romaine et les courants politiques du siècle, 
par G. Goyau. — II“ partie: Mouvement intellectuel. — III“ partie: Mouvement 
religieux.) 


Cromwell. Speeches of Oliver Cromwell, 1644—1658. Collected and edited by 
Ch. L. Stainer. London, H. Frowde, Oxford University Press Warehouse, 1901. 8., 
cloth. 6/.—. 

Hobson, J. A., Social problem, life and work. London, Nisbet, 1901. Roy.-8. 
308 pp. 7/.6. - 

Robertson, John M., Modern humanists: Sociological studies of Carlyle, Mill, 
Emerson, Arnold, Ruskin and Spencer. With an epilogue of social reconstruction. London, 
Sonnenschein, 1901. erown-8. 278 pp. 2/.6. 

Stubbs, C. W., Pro patria: sermons on special occasions in England and America. 
New York, Longmans, Green & C°, 1901. 8. 187 pp. cloth. $ 1,50. (Contents: A 
May festival of church and labour. — The health right of the people. — Village 
citizenship and religion. — The creed of christian socialism. — etc.) 

Mirabelli, R., Relazione al congresso repubblicano di Firenze. Napoli, A. Tocco, 
1900. 8. 17 pp. 

Tangorra, V., Saggi critici di economia politica. Torino, fratelli Bocca, 1901. 
8. 228 pp. 1l 5.—: 


2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur. 


Stieda, Wilhelm und Mettig, Constantin, Schragen der 
Gilden und Aemter der Stadt Riga bis 1621. Herausgegeben von der 
Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde der Ostseeprovinzen 
Rußlands. Riga (Alexander Stieda’s Buchhandlung) 1896. 

Seitdem Wilhelm Stieda im Jahre 1876 seine Habilitationsschrift 
über die Entstehung des deutschen Zunftwesens veröffentlicht hatte, 
hat er dieser Seite deutscher Wirtschaftsgeschichte sein Interesse be- 
wahrt und solches dann, durch lokale Umstände unterstützt, auch auf 
die Gewerbegeschichte von Liv-, Est- und Kurland übertragen. Die 
umständliche aber erfolgreiche Arbeit, aus Archiven, Bibliotheken und 
Handwerkerladen, die Schragen zu sammeln und zu sichten, mußte 
nach einer 5-jährigen Thätigkeit leider im Jahre 1882 unterbrochen 
werden, bis es Stieda gelang, im Jahre 1885 Constantin Mettig, den 
Verfasser der „Beiträge zur Geschichte der Rigaschen Gewerbe“ zur 
Mitherausgabe des Schragenbuches zu gewinnen. 

In dem jetzt vorliegenden stattlichen Bande findet sich als erster 
Teil aus der Feder Stieda’s eine Geschichte des Zunftwesens in Riga 
von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Bis zum Anfang des 
17. Jahrhunderts beruht diese auf der Urkundensammlung des zweiten 
Teiles, für die späteren Zeiten auf dem heute schon bekannten Material 
gewerbegeschichtlicher Litteratur und gliedert in die Darstellung auch 
die gewerblichen Zustände von Reval und Dorpat ein. 

Der erste Abschnitt des ersten Teils behandelt Alt-Rigas 
gewerbliches Leben. Die älteren Vorschriften von der Handelskonzen- 
tration auf den Markt widersprechende Anordnung, daß sich Gewerbe- 
treibende einer und derselben Art in der gleichen Straße niederzulassen 
hätten — sie ist wahrscheinlich hofrechtlichen Ursprungs, wohl nie 
streng durchgeführt, erleichtert aber die Erhebung der Verkaufsab- 
gaben und die Bewegung zu größerer Handelsfreiheit — giebt zunächst 
Veranlassung, die Rigischen Straßennamen, die von den Benennungen 


702 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Gewerbetreibender abgeleitet sind, zu verfolgen. Dann werden die 
Stätten des Gewerbebetriebes (dabei u. a. Mühlen, Brauhäuser, Gerber- 
häuser, Ziegelhütten, Badestuben, Apotheken) betrachtet, ihre Zahl und 
Bedeutung festgelegt und weiter die Stätten, an denen der Verkauf 
der dort hergestellten Erzeugnisse vor sich ging. Während in den 
abgeschlossenen Handwerkerstraßen gelegentlich nur Gegenstände eines 
bestimmten Gewerbes gehandelt werden durften, ist der Mittelpunkt 
geschäftlichen Treibens namentlich auch für die Waren, die von außer- 
halb kommen, der Markt mit seinen mannigfachen Verkaufsbuden (Brot- 
und Fleischscharren, der Fischhalle, dem Butterhaus), die, wenn nicht 
auf dem Markt selbst, doch durch Nebenstraßen mit ihm verbunden 
waren. Gegen den Ausgang des 15. Jahrhunderts tritt dann neben 
dem in diesen Anstalten betriebenen Kleinhandel der Großhandel rege 
hervor, mit dem die Talg-, Wachs- und Flachsspeicher, die Therebane 
(Platz zur Verpackung und Stapelung des Theers), die im Jahre 1516 
zum erstenmal auftretende Heringswrake u. ä. teilweise in einem be- 
sonderen Wrackhof in Zusammenhang zu bringen sind. Für Handel 
und Gewerbe gemeinsam waren Münze (1498 für 18M., 1503 für 25 M. 
Jahresmiete verpachtet), Wage (1487 auf 20 Jahre für 520 M. jährlich 
verpachtet) und Zollbude (Vereinnahmung von hansischem Pfundgeld, 
Zöllen fremder Kaufleute und etwa der Accise) bestimmt. Endlich 
gehören zu gewerblichen Anstalten Bier-, Weinstuben und Gasthäuser. 
Der Weinschank war in Riga nicht wie in Hamburg, Lübeck, Wismar 
und Elbing ein Monopol des Rates. Als Gasthäuser dienen im Mittel- 
alter entweder Stiftungen der Mildthätigkeit für Arme und Kranke (so 
die 1435 in Riga errichtete Herberge für obdachlose Reisende, eine Art 
Nachtasyl) oder für Bemittelte die Zunftherbergen und die privaten 
Unterkünfte bei Geschäftsfreunden (Dolmetschern und Maklern — in 
Brügge sind im 15. Jahrhundert die Makler Wirte der Kaufleute). In 
Riga erwähnt das Stadtrecht von 1270 an zwei Stellen die Personen, die 
als „Wirte“ Leute beherbergen, daneben kommen im 15., 16. und 17. Jahr- 
hundert noch öffentliche Herbergen im Stadtbesitz in Betracht. 

Der zweite Abschnitt ist den Gewerbetreibenden ge- 
widmet, d. h. Personen, die sich berufsmäßig mit der Umformung von 
Rohstoffen beschäftigen oder in Dienstleistungen für Handel und Ver- 
kehr ihren Unterhalt erwerben. Zuerst stellt da Stieda eine Gewerbe- 
statistik Rigas nach dem Rigischen Schuldbuch, den Libri redituum und 
den Erbebüchern auf, wobei die verschiedenen Gewerbe zu Gruppen 
nach der Art der Durchführung der deutschen Berufs- und Gewerbe- 
statistik zusammengefaßt und im Sinne des Mittelalters Arzt und 
Rechtsanwalt zu den Gewerbetreibenden gerechnet werden. Dabei ist 
zu bedenken, daß bis weit ins 15. Jahrhundert hinein die Handwerker 
noch keine Familiennamen führen, und es dürfen deshalb von etwa 1488 
an bei der Betrachtung der Verschiebung im gewerblichen Leben nur 
die Fälle gewählt werden, wo der Gewerbebetrieb durch Zusatz des- 
selben zum Familiennamen zweifellos ist. So sind im 13. Jahrhundert 
2. Hälfte bis ins 14. Jahrhundert 2. Hälfte nach dem Schuldbuch 49, 
im 14. Jahrhundert 1. Hälfte nach den Libri redituum 29 verschiedene 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 703 


Gewerbearten, im 14. Jahrhundert 2. Hälfte 63, im 15. bezw. 16. nur 23, 
nach den Erbebüchern im 14. bezw. 15. Jahrhundert 68 und im 15. bezw. 
16. Jahrhundert 30 Benennungen nachweisbar. Um nun ein vollstän- 
digeres Bild über die Bedeutung der gewerblichen Gliederung und Ar- 
beitsteilung in Riga während des 13. und 14. Jahrhunderts zu gewinnen, 
stellt Stieda einen Vergleich mit Reval, dann auch mit deutschen Städten 
an, und zwar mit Hansestädten — 2 kleinere: Stralsund, Kiel; 2 größere: 
Hamburg, Lübeck — und 2 süddeutschen Städten —- Frankfurt a. M. 
und Nürnberg. Vor allem zeigt Frankfurt a. M. die stärkste Mannig- 
faltigkeit: In Kiel sind 39, in Reval 53, in Nürnberg 96, in Riga 90, 
in Stralsund 113, in Hamburg 114, in Lübeck 129, in Frankfurt a. M. 137 
verschiedene Gewerbearten erkennbar. Für das 15. Jahrhundert ergiebt 
ein Vergleich der gewerblichen Zustände Rigas mit denjenigen der 
3 Ostseestädte Reval, Danzig und Lübeck an Gewerbearten: Lübeck 116, 
Danzig 82, Reval 73, Riga 142. In den höher entwickelten Gewerbs- 
arten steht Riga also hinter Lübeck und Danzig zurück, dagegen ist 
seine Gewerbethätigkeit auf dem Gebiet der Verarbeitung und Beschaf- 
fung der Rohprodukte mannigfaltiger. Vermutlich hat aus den Hanse- 
städten ein starker Strom einwandernder Handwerker sich nach Livland 
ergossen, auch aus Thüringen, Westfalen, den Rheingegenden, Holland 
und Flandern hat, wie Stieda aus der häufig dem Rufnamen zugesellten 
Angabe der Heimat schließt, ein lebhafter Zuzug stattgefunden, und so 
blieb Rigas Gewerbewesen stets im Einklang mit den Errungenschaften 
der Schwesterstädte des Westens. Zuletzt wird dann die Frage der 
Frauenarbeit erörtert. Grundsätzlich ist die Frau bis zum Jahre 
1300 nicht von der Teilnahme an der Zunft ausgeschlossen, was aber 
geschieht, seitdem die Zünfte aus gewerblichen auch kommunale Ver- 
bände werden und rechtliche, politische, militärische und administrative 
Funktionen erhalten und die Frau nur noch in eigener Behausung als 
Gehilfin des verwandten Meisters thätig ist. Doch kommt in Riga, 
Reval, Kiel, Stralsund, Lübeck und Hamburg die Frauenarbeit während 
des 14. Jahrhunderts nur auf beschränktem Felde zur Geltung. 

Ein dritter Abschnitt behandelt die Organisation der Gewerbe- 
treibenden in Aemtern. Die Heilig-Kreuz-Gilde, deren ältestes erhal- 
tenes Statut aus dem Jahre 1252 stammt, umfaßt ziemlich alle Berufe 
ohne Unterschied und dient vorzugsweise dem Seelenheil ihrer Mit- 
glieder. Aus ihr scheiden 1352 die Handwerker, 1354 auch die Kauf- 
leute aus und gründen unter Betonung ihrer Erwerbsinteressen mehr 
weltlichen Zwecken dienende Kompagnien, die dann allmählich auch poli- 
tischen Inhalt erhalten, zunächst aber keinen Zunftzwang kannten. Die 
Statuten der Handwerksämter Rigas (es sind die für Befriedigung un- 
entbehrlicher Lebensbedürfnisse sorgenden Gewerbe) sind alle aus der 
2. Hälfte des 14. Jahrhunderts, aber nur in zeitgenössischen Kopien auf 
uns gekommen. Die Bruderschaft der Bierträger, die große Gilde und 
Kompagnie der Schwarzen Häupter in Riga weisen den Charakter geist- 
licher Bruderschaft auf; letztere, nach dem Schutzpatron strebsamer 
Jugend, dem hl. Mauritius, dem christlichen Mohren genannt, vereinigt 
die männliche Jugend der Rigischen Aristokratie, der Kreygesche Schragen 


704 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


von 1390 gilt für einen Verband der bei dem Bau eines einzelnen be- 
stimmten Gebäudes beteiligten Werkleute. Neben diesen Korporationen 
erscheinen fast gleichzeitig Gesellenbruderschaften in Riga, nicht, wie 
in deutschen Städten oftmals, in bewußtem Gegensatz zu den Meister- 
verbänden, sondern lediglich religiösen Bedürfnissen entsprungen. Die 
Handwerksämter stehen ganz unter Botmäligkeit des Rates, werden 
dann bei der Ordnung gewerblicher Angelegenheiten von diesem häufig 
befragt, bis schließlich die aus allen Aemtern gebildete „kleine Gilde“ 
als Gegengewicht gegen die „große Gilde“ (die Vereinigung der Kauf- 
leute) als dritte Körperschaft in das Stadtregiment eintritt. 

Der vierte Abschuitt schildert die Verfassung der Aemter 
im 14. Jahrhundert. Er geht aus von der häufigen Entlehnung 
der Amtsrollen Rigas und anderer Kolonialstädte bei den Statuten der 
Handwerksämter des Mutterlandes und namentlich der Hansestädte und 
entwirft dann ein Bild von der Verfassung. Alle Grundzüge derselben: 
Lehrzeit, Gesellenwesen, Bedingungen für die Gewinnung des Meister- 
rechts, Regelung der Arbeitsordnung, Vorstand des Amtes, Versamm- 
lungen, Morgensprache, Gerichtsbarkeit, Aufsicht über die Arbeit der 
Amtsmitglieder, zeigen eine überlegte Ordnung der gewerblichen Zu- 
stände mit Rücksicht auf die Konsumenten; eine Fürsorge für die 
Produzenten offenbart sich nicht, sie könnte höchstens in dem freilich 
in den Rigischen Schragen nicht ausgesprochenen Zunftzwange erscheinen. 
Die Rigische Zunftverfassung des 14. Jahrhunderts weist keine Spur 
von einem drückenden Gewerbemonopol auf und bewahrt sich neben 
der wirtschaftlichen auch eine gesellige und kirchliche Seite. 

Im fünften Abschnitt wird der Aufschwung der Handwerks- 
ämter im 16. Jahrhundert verfolgt. Eigentliche Handwerksämter giebt 
es am Ende des 15. Jahrhunderts in Riga höchstens 13, während sich 
wenigstens 21 für den Ausgang des 16. Jahrhunderts nachweisen lassen, 
In dieser Zeit tauchen auch Verbindungen undeutscher Gewerbetrei- 
bender auf: Der Gegensatz, der zwischen deutschen und lettischen 
Amtsmitgliedern erwuchs, machte die Vereinigung der Letten in be- 
sonderen Aemtern zweckmäßig; als das erste derartig organisierte Amt 
tritt 1582 das der „unteutschen Schneider“ auf. Daneben haben die 
Aemter der dem Handel dienenden Hilfsberufe nach Stieda’s Vermutung 
von vornherein nur Personen lettischer Nationalität umfaßt. In Reval 
sind für den Ausgang des 16. Jahrhunderts nicht mehr als 13 Aemter 
anzunehmen gegen 21 in Riga. Einer Untersuchung der Quellen der 
livländischen Schragen erscheint Entlehnung lübischen Zunftrechts glaub- 
haft, die Rigischen Hutmacher berufen 1595 Vertreter der Hutmacher- 
ämter aus Stettin, Hamburg, Wismar, Rostock und Mölln nach Riga, 
die ihnen den Schragen aufsetzen. Bei den Gesellenschaften vermutet 
Stieda eine Statutenentlehnung aus einer süddeutschen Stadt, etwa Nürn- 
berg, die vielleicht auf Umwegen erfolgt ist. Die Verfassung der Aemter 
blieb in ihren Grundzügen unverändert, doch wird ihre Tendenz strenger, 
der Arbeitskreis begrenzter, die Bedingungen zur Erlangung der Meister- 
schaft werden verschärfter. Aber wenn auch das Riga von 1458 ein 
anderes wie das von 1544 ist, und wenn auch die Leiden, die trotz Be- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 705 


völkerungszunahme das Gewerbewesen durch Krieg und Unruhe erduldete, 
zwecks Erhaltung der Preise zu einer Verringerung der Produktion und 
einer Verbesserung ihrer Absatzfähigkeit anleiteten, so blieben die Hand- 
werker doch auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit, ja suchten es 
gesellschaftlich und geschäftlich den Kaufleuten gleich zu thun. Und 
endlich erwuchsen die beiden Gilden, die große oder „die Stube zu 
Münster“ (Vereinigung der Kaufleute) und die kleine oder „die Stube 
zu Soest“ (Mittelpunkt der verschiedenen Handwerksämter) zu verfas- 
sungsrechtlicher Bedeutung. Erst nach den Kämpfen von Jahrzehnten 
wird den Rigischen Gilden am 29. April 1604 die volle Anteilnahme 
an der gesamten städtischen und finanziellen Verwaltung gesichert. 

Der sechste Abschnitt betrachtet den Verfallder Aemter 
im 17. Jahrhundert und die Reformbestrebungen. Diese 
Epoche ist friedlicher als die voraufgegangene, das im Jahre 1621 das 
polnische passive Königtum ablösende Schweden-Regiment bringt für Liv- 
land geordnetere Verhältnisse; auf gewerbegeschichtlichem Gebiet einen 
immer ausgedehnteren Zunftzwang. An dem Amt der Rigischen Leine- 
weber entwickelt Stieda die Signatur der damaligen gewerblichen Verhält- 
nisse, kommt weiter auf die Bestrebungen deutscher Städte und Regie- 
rungen sowie des Reiches nach einer Reform des Zunftwesens und 
besonders auf die zeitlich diesen vorausgehenden Pläne und Vorschläge 
nach einer Beseitigung gewerberechtlicher Mißstände in Riga vom Jahre 
1661 zu sprechen. Doch die Anregungen verliefen im Sande, selbst 
die allgemeine schwedische Gewerbeordnung vom 1. März 1669, die 
3 Jahre vor dem für einzelne deutsche Territorien maßgebenden deut- 
schen Reichsgutachten vom 3. März 1672 veröffentlicht wurde, schuf 
für Riga keinen Wandel. Es herrschte unter den livländischen Juristen 
überhaupt Unklarheit, ob die schwedische Skraordnung Landesrecht 
geworden sei oder nicht. 

Der siebente Abschnitt behandelt die gewerblichen Zu- 
stände im 18. Jahrhundert, das unter russischer Herrschaft nur 
geringfügige Aenderungen in der "Gewerbeverfassung aufwies. In Riga 
wie in Dorpat ängstliche und kleinliche Abgrenzung der gegenseitigen 
Handwerksbefugnisse, die häufig zu Rechtshändeln führten. An einem 
kleinen noch vorhandenen Etui hatten nach einem Ausgabebeleg vom 
Jahre 1705 in Riga Bildhauer, Handschuhmacher, Buchbinder und Uhr- 
macher zusammen gearbeitet. Interessant ist, daß Peter d. Gr. durch 
Ukas vom 15. Dezember 1720 die Errichtung von Zünften für Rußland 
anordnete, wie er sich ja auch nach seinem Ideal der mittelalterlichen 
deutschen Stadtverfassung um die Einführung einer Städteordnung be- 
mühte. Dasselbe Ziel verfolgte Katharina IL, die sich auf die Schragen 
Rigischer Aemter stützte. Allein die Uebertragung der aus Deutschland 
übernommenen Einrichtungen in Livland und Estland auf das russische 
Gewerbewesen blieb erfolglos, weil ihr alle geschichtlichen Voraussetz- 
ungen fehlten. 

Der achte Abschnitt ist dem Ende des Zunftwesens 
gewidmet und verfolgt die Bestrebungen des 19. Jahrhunderts, das 
Zunftwesen der Ostseeprovinzen in zeitgemäßem Sinne umzubilden. , Das 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 45 


706 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Handels- und Gewerbesteuerreglement vom 9. Februar 1865 und seine 
Einführung durch Patent vom 4. Juli 1866 für die Ostseeprovinzen 
hat dem Zunftwesen das Grab gegraben. Die Aemter blieben zwar be- 
stehen, aber sie büßten das ausschließliche Recht auf Ausübung der 
Gewerbe ein. 

Der zweite Teil enthält die Schragen und Verordnungen. Die 
ihm von Stieda 1891 übergebene Sammlung von 41 Nummern Rigischer 
Handwerkerschragen von 1280—1595 hat Mettig verdreifacht und, wie 
er in der Einleitung zu diesem Teil auseinandersetzt, bis zum Jahre 
1621, dem Ausgang der drückenden Polenherrschaft und Beginn des 
schwedischen Regiments, fortgesetzt. Daneben wurden der Sammlung 
auch die Statuten der Gesellenverbände, sämtlicher Gilden, auch der 
von Kaufleuten gebildeten, verschiedene Entscheidungen des Rats, auch 
die kulturgeschichtlich wertvollen Fastnachtsordnungen einverleibt, wäh- 
rend Handel und Brauereiwesen unberücksichtigt blieben. Bei der Methode 
der Edition sind als Norm die bei der Herausgabe der Hanserecesse 
beobachteten Grundsätze im Auge behalten worden; die Schreibweise 
der Schriftstücke bis zum Ende des 16. Jahrhunderts ist vollständig 
genau wiedergegeben worden. Den Anhang zu den Rigischen Amts- 
und Gildeschragen bilden einzelne auf Gildewesen und Handwerk im 
allgemeinen bezügliche Verordnungen und einige für die Reformbestre- 
bungen charakteristische Aktenstücke des 17. Jahrhunderts. Beigetügt 
ist endlich ein niederdeutsches Glossar und ein Personen- und Orts- 
register. 

Beiden Verfassern, die das Buch als ihr gemeinsames Werk be- 
trachtet wissen wollen, gebührt Dank für das Unternehmen, das unter 
großen Schwierigkeiten vollendet wurde. Wenn ich an Stieda’s klarer 
und flüssiger Darstellung noch besonders einen wesentlichen Vorzug 
anerkennen soll, so ist es die Eingliederung der Zunftgeschichte einer 
oder mehrerer Städte in die gesamte gewerbegeschichtliche Entwicke- 
lung der zunächst beteiligten Länder, Deutschland, Schweden und Ruß- 
land. Der Umstand, daß dabei für die Probleme der Zunftgeschichte 
überhaupt wichtige und neue Gesichtspunkte erschlossen worden sind, 
macht das Buch zu einer bedeutenden wirtschaftsgeschichtlichen Leistung. 
Ich schließe in dieses Urteil gerade auch die Schilderung der Zustände 
des 17. und 18. Jahrhunderts, die auf Grund des zur Zeit bekannten 
Materials gegeben ist und die Stieda bescheiden nur einen „vorläufig 
orientierenden Versuch“ genannt hat, ausdrücklich ein. Je mehr uns 
noch immer genügende zusammenhängende Darstellungen dieser wirt- 
schaftlich wichtigen Zeit, wo sich aus mittelalterlicher wirtschaftlicher 
Gebundenheit und rechtlicher Regellosigkeit allmählich die Freiheit der 
Arbeit und die organische rechtliche Regelung losschälte, fehlen, um so 
sicherer erweitert sich die beabsichtigte lokalgeschichtliche Orientierung 
zu einer allgemein geschichtlichen Pfadfindung. Und wenn dabei, wie 
in Stieda’s Darstellung neben und über der statistischen die rechts- 
geschichtliche Methode angewandt wird, so bleibt die Gefahr, daß ein 
einseitiges und undeutliches, ja willkürliches Bild entstehen könnte, so 
gut wie ganz ausgeschlossen. So hat denn Stieda auch nie etwa den 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 707 


Verhältnissen einzelner Aemter absolute Giltigkeit beigemessen, aber 
doch sich nicht dem Eindruck verschlossen, daß auch auf einem ver- 
fassungsgeschichtlichen Sondergebiet die Ideen, die die Verfassung auch 
der anderen Institutionen einer Zeit beherrschen, zur Geltung gekommen 
sind. Wie vorsichtig er sich gleichwohl wieder vor Verallgemeinerungen 
hütet und wie er namentlich unausgesetzt bestrebt ist, den mancherlei 
und mannigfaltigen Ursachen wirtschaftlicher Erscheinungen nachzu- 
gehen, das wird demjenigen, der auch nur einen Blick in die einander 
widersprechenden und häufig so vorschnellen Arbeiten über die Wirt- 
schaftsgeschichte des 16. Jahrhunderts geworfen hat, die Schilderung 
der gewerblichen Verhältnisse dieser Epoche glänzend erweisen: Da 
fehlt neben dem Hinweis auf die Zunahme der Bevölkerung und auf 
die mancherlei Leiden des Gewerbewesens auch nicht die Betonung der 
Behäbigkeit des Handwerkerstandes und auch nicht die Würdigung 
der Bestrebungen, die Produktion zu verringern und ihre Absatzfähig- 
keit zu erweitern, ohne daß sofort unsystematisch und unhistorisch eine 
Thatsachenreihe aus der anderen abgeleitet würde. 

Zugleich ist auch an Constantin Mettig’s Edition nicht allein die 
Zuverlässigkeit und Akribie der Edition lobend hervorzuheben, sondern 
dankbar ist auch sein niederdeutsches Glossar zu erwähnen, das jedem, 
der über diese Gegenden arbeitet, hoch willkommen sein dürfte. Mettig 
selbst deutete schon darauf hin, daß das sprachliche Material gegen- 
über dem Wörterschatz der Hamburger und Lübecker Schragen manches 
Eigenartige aufweist und so auch die Beachtung der Sprachforschung 
verdienen dürfte. 

Nach alldem ist. wie ich glaube, die Hoffnung der beiden Gelehrten 
noch reichlicher erfüllt, als sie das selber erwarteten. Keineswegs allein 
den Landsleuten ihrer alten Heimat haben sie einen Dienst geleistet, 
vielmehr allen Kreisen, die bis auf die Gegenwart das Andenken an 
die Glanzzeiten der Zünfte bewahrt haben, und das sind die Angehörigen 
des Handwerkerberufes ebenso wie die verschiedenen Arbeitsrichtungen 
allgemein geschichtlicher und besonders wirtschaftlicher und kultur- 
geschichtlicher Forschung. 

Halle a. S. Theo Sommerlad. 


Eckert, Christian, Dr. jur. et phil, Das Mainzer Schiffer- 
gewerbe in den letzten 3 Jahrhunderten des Kurstaates. (Staats- und 
sozialwissenschaftliche Forschungen, herausgegeben von Gustav Schwoller. 
Bd. 16, 3. Heft.) Leipzig (Duncker u. Humblot) 1898. 

Der Verfasser erzählt in dem Vorwort, seine Abhandlung über die 
Berufsorganisation der Rheinschiffer solle sich in der Hauptsache des- 
halb aut die Zeit von 1462 bis 1798 beschränken, weil der Akten- 
bestand des Mainzer Stadtarchivs für die frühere Zeit nur spärliche 
Ausbeute biete und weil gerade die spätere Entwickelung der Zünfte 
gegenüber der Behandlung ihrer Entstehung und Blütezeit von der bis- 
herigen Forschung vernachlässigt worden sei. Das wesentliche Moment, 
das die Einrichtungen der Spät- und Frühzeit voneinander unterscheide, 

liege in den Beziehungen der Zünfte zur Staatsgewalt. 
45* 


708 Uebersicht über die nenesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


So ist denn der eigentliche Wert der Schrift in der Darstellung 
dieser späteren Entwickelung zu erkennen. In 4 Kapiteln verfolgt der 
Verfasser die Organisation der Schifferzunft nach der politisch-recht- 
lichen und volkswirtschaftlichen Seite, den Schiffahrtsbetrieb und seine 
Benutzung, die Zunftorganisation und ihre wesentlichen Einrichtungen 
in ihrem Verhältnis zu Publikum und Handwerksgenossen, die Reform- 
versuche des 18. Jahrhunderts und die Schifferzunft beim Ausgang der 
kurfürstlichen Herrschaft. Verdienstlich ist es auch, daß als Beilagen 
bisher ungedruckte 9 Ordnungen mitgeteilt worden sind. 

Bedauerlich ist es nun aber, daß der Verfasser sich nicht that- 
sächlich der Verheißung seines Vorworts entsprechend auf die spätere 
Zeit beschränkt hat, sondern auch allerlei Seitenblicke auf die früh- 
mittelalterliche Entwickelung geworfen hat. 

Der Verfasser behauptet, er habe versucht, aus der Fülle der Einzel- 
erscheinungen ein klares einheitliches Gesamtbild loszulösen. Es scheint 
ihm aber unbekannt zu sein, wie wichtig gerade für die mittelalterliche 
Wirtschaftsgeschichte die Zeitbestimmung der Begebenheiten ist und 
daß von deren exakter Feststellung gerade die Auffassung der Ent- 
wickelung wesentlich mit bedingt wird. So begegnen wir auf Schritt 
und Tritt höchst verschwommenen Zeitbestimmungen, deren ich nur 
einige zusammentragen will. S. 36: „Seit dem frühen Mittel- 
alter wurde der Verkehr der Niederlassungen an der Mainmündung 
untereinander fast lediglich durch Fähren bewerkstelligt.“ — „Nicht 
allzuspät muß sie denn (die Verbindung mit Kassel) an die Mainzer 
Erzbischöfe übergegangen sein.“ S. 44: „Mainz hat das Umschlagsrecht 
für sich seit dem frühen Mittelalter in Anspruch genommen.“ 
S.55: „Das Volk hatte wohl seit den Tagen des frühen Mittel- 
alters sich genügend Wertvorstellungen erworben.“ S. 78: „Wie am 
Oberrhein hat auch in der Mittelrheingegend das Fischergewerbe seit 
dem frühen Mittelalter geblüht. In Basel, Straßburg, Worms und 
ganz ebenso in Mainz gab es seit alters Leute u. s. w.“ 

Eine derartige Ungenauigkeit in den Zeitangaben hängt aber damit 
zusammen, daß der Verfasser bei seinen mittelalterlichen Streifzügen 
nicht auf die primären Quellen zurückgreift, sondern aus zweiter Hand 
seine Nachrichten schöpft. Häufig eitiert er da seinen Lehrer Gustav 
Schmoller, „der ibn in das Studium der Nationalökonomie eingeführt 
hat“, und gelangt so beispielsweise auf S. 4 zu dem bemerkenswerten 
Schluß, daß die Eingliederung von Mainz in das Erzstift ein Vorteil 
für die Städter war, weil „die freien Reichsstädte des 17. und 18. Jahr- 
hunderts den Gipfelpunkt der Mißbildung der mittelalterlichen Selbst- 
verwaltung darstellen (vergl. Schmoller, Tucherbuch S. 200)“. Daneben 
bleibt häufig die neuere Litteratur unberücksichtigt, ein Mann wie der 
alte Ockhart, der ja selber Schiffahrtskommissär war und für die Zeit 
des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts wohl als kom- 
petenter Beurteiler gelten kann, fungiert auf S. 44 als Quelle für das 
frühmittelalterliche Umschlagsrecht von Mainz und auf S. 2 sogar für 
die Errichtung der berühmten Rheinbrücke Karls d. Gr. Ich will dem 
Verfasser verraten, wo sich die Quelle für jenen Brückenbau findet: in 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 709 


Einhards Vita Karoli Magni c. 17, wo die Nachricht also lautet: „Inter 
quae (sc. opera) — et pons apud Mogontiacum in Reno quingentorum 
passuum longitudinis — nam tanta est ibi fluminis latitudo. Qui tamen 
uno antequam decederet anno incendio conflagravit, nec refici potuit 
propter festinatum illius decessum, quanquam in ea meditatione esset, 
ut pro ligneo lapideum restitueret,“ S. 36 Anm. 6 wird für diesen 
Brückenbau auch nicht Einhard, sondern Quetsch, Geschichte des Ver- 
kehrswesens am Mittelrhein eitiert, dessen vom Verfasser häufig ange- 
zogene Stoffsammlung für mittelalterliche Zeiten indessen auch keineswegs 
genügt, wie Eckert S. 54 Anm. 6 wohl selbst einmal herausgefühlt hat. 

Es ist fraglich, ob man für das 13. Jahrhundert, wie das Eckert 
S. 2 thut, eine beständige und allgemeine Steigerung der Bedeutung 
der Wasserstraßen im Verkehr, und nicht vielmehr schon wiederum 
eine Minderung anzunehmen hat. Sah auch Erzbischof Konrad im 
Jahre 1252 tausend Schiffe zu Köln am Seile hangen (Niederrhei- 
nisches Jahrbuch für Geschichte 1843, I, 141), so wissen wir doch 
andererseits, daß Basel schon im Jahre 1262 Maßregel gegen die Um- 
gehung der mit Zollstätten belasteten Rheinstraße ergriffen hat. (Geering, 
Handel und Industrie der Stadt Basel, S. 153.) 

Auch die Behauptung auf S. 5 von den Zünften, „die einstens so 
lange gegen die Patrizier und Erzbischöfe gekämpft hatten“ ist geeignet, 
unrichtige Vorstellungen über die Stellung der gewerblichen Verbände 
zu der geistlichen Gewalt zu verbreiten. Die Unruhen des 13. Jahr- 
hunderts wenigstens zeigen in Kölng Speier und Worms die Bischöfe 
gerade als Verbündete der Zünfte gegen das Patriziat, in seiner Reim- 
chronik kann Meister Godefrit Hagene nicht genug spotten über die 
neuen Schöffen von erzbischöflichen Gnaden, die Esel blieben, auch 
wenn man sie in eine Löwenhaut stecke (I. J, 1259). Daß die Dinge 
im 15. Jahrhundert vielfach anders lagen, zeigt ein Blick auf Worms, 
wo im Jahre 1406 die Zünfte, vor allem die Bäcker, beim Streit des 
Bischofs Matthaeus mit dem Rat den Standpunkt treuer Ergebenheit 
gegen den Rat gewahrt haben. (Zorns Wormser Chronik, Bibl. d. 
Litterar. Vereins in Stuttgart, XLIII, S. 162.) 

Auf S. 29 wird gesagt, die Leinpfade seien zum Teil schon von 
den Römern angelegt worden. Vorsichtiger hatte sich Lamprecht aus- 
gedrückt, der (deutsches Wirtschaftsleben, II, 242) den Moselleinpfad 
mit Berufung auf Ausonius Mosella V, 41 aus römischer Zeit stammen 
läßt, dagegen bei dem Rheinleinpfad diese Herleitung nur für „höchst 
wahrscheinlich“ hält. 

Auf S. 42 vertritt Eckert die längst überwundene Anschauung, es 
hätte sich „mit der Entdeckung Amerikas ein gewaltiger Umschwung 
vollzogen.“ Einmal hat sich die Folge dieser Entdeckung keineswegs 
plötzlich fühlbar gemacht. Dann aber sind meines Erachtens die 
Gründe dafür, daß der Rhein nicht mehr Hauptverkehrsader des Welt- 
austausches blieb, weit mehr in dem Einfluß der Entdeckung des Seewegs 
noch Ostindien zu suchen. An Stelle Venedigs wurde Lissabon der 

Stapelplatz für die ostasiatischen und indischen Produkte, damit hörte 
der Zwischenhandel deutscher Kaufleute im Gewürzhandel auf und Eng- 


710 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 


land kam in unmittelbare Beziehung zu dem portugiesischen Gewürz- 
markt (vergl. W. Heyd, Geschichte des Levantehandels im Mittelalter, 
II, 507—539), Deutschland deckte seinen Bedarf zunächst in Lissabon 
oder in Anwerpen, dessen nördlichem Stapelplatz Auch traten die 
Niederländer nicht auf die Dauer die Erbschaft Venedigs an, sondern 
Venedig nahm seit den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts die Handels- 
beziehungen zu Deutschland, vornehmlich zu Süddeutschland, wieder 
auf (vergl. Simonsfeld, der Fondaco dei Tedeschi in Venedig, S. 123). 

Auf S. 43 ist das Wesen des Stapelrechts nicht exakt und scharf 
analysiert, namentlich aber ist auch der Entwickelung dieser In- 
stitution nicht ihr Recht geworden. Die drei Aeußerungen der Natur 
dieses Rechtes (Vorkaufsrecht, Feilhalten für die Stapelberechtigten, 
Umschlagsrecht) treten doch nicht zu gleicher Zeit, sondern nachein- 
ander auf. Es wird nicht möglich sein, das zweite vom ersten zu tren- 
nen, namentlich aber ist das Umschlagsrecht naturgemäß das zeitlich 
erste. Das Stapelrecht ist ein Ergebnis der geographischen Beschaffen- 
heit einer Gegend: besondere Verkehrsschwierigkeiten bieten Anlaß, 
die Waren abzuladen und mit Hilfe der Ortsbewohner weiterzuschaffen, 
und aus diesem Umschlagsrecht entwickelte sich erst das Niederlage- 
recht und Vorkaufsrecht. Es wäre also entwickelungsgeschichtlich rich- 
tiger das Stapelrecht so zu gliedern 1) Umschlagsrecht, 2) Niederlage- 
recht, 3) Vorkaufsrecht. 

S. 56 meint der Verfasser, in den Zunftbestimmungen sei die Rück- 
sicht auf das Publikum oft nur eine vorgeschützte, hinter welcher sich 
das egoistische Interesse der Bruderschaft verbirgt. Stieda hat (Schragen 
der Gilden und Aemter der Stadt Riga, S. 106 f.) bei der Verfassung 
der rigischen Aemter des 14. Jahrhunderts nicht solche egoistische 
Hintergedanken angenommen, sondern klipp und klar gesagt: „Den 
Konsumenten vollkommen zu befriedigen ist das Ziel, das die damalige 
Gewerbepolitik ins Auge faßt. Daher die ängstliche Ueberwachung der 
gewerblichen Thätigkeit, die Vorschriften über die Güte des Rohstoffes, 
die Kontrolle über das fertige Produkt. — Gegenüber diesen zum Teil 
einschneidenden und strengen Mafregeln ist es auffällig wahrzunehmen, 
daß ein Interesse für die Produzenten selbst kaum sich zeigt.“ 

Schließlich sei noch eine Argumentation herausgegriffen, die für 
die Methode des Verfassers charakteristisch ist. 

S. 3 sucht er die Thatsache, daß in den ältesten Aufzählungen von 
Genossenschaften Mainzer Gewerbtreibender Namen, die auf die Be- 
schäftigung ihrer Träger mit dem Wasserverkehr hindeuten, nicht 
erwähnt sind, einmal damit zu erklären, daß handeltreibende Kaufleute 
vermutlich durch Knechte und Eigenleute die Wasserbeförderung vor- 
nehmen ließen, dann aber damit, daß der Beruf des Schiffmannes nur 
im Nebenberufe geübt worden sei, „wie dies noch in späterer Zeit 
beispielsweise von den Mainz-Frankfurter Marktschiffern urkundlich 
bezeugt ist.“ Es hat nun meines Erachtens gar keinen Wert, in den 
„ältesten Aufzeichnungen“ nach solchen Namen zu suchen oder sie zu 
vermissen; denn — wieder citiere ich das treffliche Werk von Stieda, 
S.33 — „wann der Prozeß der Bildung von Familiennamen beginnt 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 711 


und beendet ist, harrt zur Zeit nach genauerer Feststellung. Unan- 
fechtbar erscheint einstweilen nur, daß bis gegen Ende des 14. Jahr- 
hunderts die Handwerker durchweg noch keine Familiennamen führen 
und weit bis ins 15. Jahrhundert hinein diese Gewohnheit beibehalten.“ 
Zweitens aber ist es meines Dafürhaltens völlig unstatthaft, urkund- 
liche Bezeugungen späterer Zeiten auf die „ältesten Aufzählungen“ 
zurück anwenden zu wollen. 

Nach alledem muß ich leider bezüglich der Methode, die der Ver- 
fasser bei Fragen mittelalterlicher Wirtschaftsgeschichte 
anwendet, einen starken Dissens anmelden. Ich vermisse Genauigkeit 
in den Zeitangaben, Berücksichtigung der primären Quellenzeugnisse, 
genügende Beachtung der neuesten wissenschaftlichen Ergebnisse und 
vor allem eine gründliche genetische Methode, die gerade auf diesem 
Gebiet überkühne Konstruktionsversuche allein einzuschräuken vermag. 

Das alles aber hindert mich nicht, die Arbeit für die Erkenntnis 
der neueren Zeit, wo der Verfasser das archivalische Material benutzt 
hat, sowie namentlich für das Verständnis der Umwandlung der zunft- 
mäßigen Kleinschiffahrt zur kapitalistischen Großschitfahrt für geeigent 
zu halten. Sie kann auch als eine im großen und ganzen brauchbare 
Vorarbeit zu einer zukünftigen rheinischen Verkehrsgeschichte neuerer 
Zeiten gelten. 

Halle a. S. Theo Sommerlad. 


Tokuzo Fukuda, Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Ent- 
wickelung in Japan. 190 SS. 42. Stück der Münchener volkswirt- 
schaftlichen Studien, herausg. von Lujo Brentano und Walther 
Lotz. Stuttgart 1900, J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachtolger, G. 
m. b. H. 

Die japanischen wissenschaftlichen quellenkritischen Forschungen 
begannen in der Hauptsache erst in den 80er Jahren, Bis zum Jahre 
1890 zählte man etwa 1 Dutzend solcher Arbeiten, die zum Teil in den 
„Transactions of the Asiatic Society of Japan“ und in den „Mitteilungen 
der Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens zu 
Tokyo“, Tokyo und Berlin, niedergelegt sind. 

Mit Anfang der 90er Jahre aber schwillt die wissenschaftliche 
Litteratur über die japanische Geschichte und Entwickelung, sowohl in 
japanischer, wie auch in europäischen Sprachen, beträchtlich an. Als 
grundlegende Arbeiten von wissenschaftlichem Werte über Japan in 
englischer und deutscher Sprache seien an dieser Stelle folgende, auch 
von Fukuda angeführten, hervorgehoben: 

Chamberlain, Kojiki, or Records of Ancient Matters, in den Trans- 
actions, Supplement to vol. 10; Rein, Japan, nach Reisen und Studien, 
Leipzig 1881 u. 1886, 2 Bd.; Rathgen, Japans Volkswirtschaft und 
Staatshaushalt, Leipzig 1891; Kempermann, Die Gesetze des Jyeyasu, 
Mitteilungen, Bd. 1; Rudorff, Bemerkungen über die Rechtspflege 
unter den Tokugawa, Mitteilungen, Bd. 4; ders, Tokugawa-Gesetz- 
sammlung, Mitteilungen, Supplementheft zu Bd. 5; ders., Kwamporitsu 
oder Gesetze aus der Kwampoperiode (1741), Tokyo 1892; Weipert, 


712 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Das Familien- und Erbrecht Japans, Mitteilungen, Bd. 5; Florenz, 
Die staatliche und gesellschaftliche Organisation im alten Japan, Mit- 
teilungen, Bd. 5; ders., Nihongi oder japanische Annalen, übersetzt und 
erklärt, Mitteilungen, Supplement zu Bd. 5 u. 6. 

Die vorliegende Broschüre von Fukuda über die gesellschaftliche 
und wirtschaftliche Entwickelung in Japan ist in der Hauptsache eine 
Zusammenlassung und — an einigen Stellen — eine Ergänzung der 
bisherigen Litteratur. Der Titel wäre besser enger gefaßt und auf die 
„gesellschaftliche“ Entwicklung beschränkt worden, die, außer den damit 
zusammenhängenden Wandlungen der Agrarverfassung, in der Haupt- 
sache in Fukuda’s Buch nur zur Darstellung kommt. Ueber die „wirt- 
schaftliche“ Entwickelung Japans orientiert das in jeder Beziehung 
vortrefiliche und grundlegende Werk von Rathgen wie kein anderes 
und steht bisher völlig unerreicht da. 

Auch sonst vermag die Arbeit von Fukuda dem Kenner der oben 
aufgeführten Arbeiten nur an einigen Stellen Neues zu bieten. So be- 
richtigt: Fukuda bezüglich der Eheverhältnisse der Japaner in den 
ältesten Zeiten, soweit man sie eben zurückverfolgen kann, die bisherige, 
wohl nicht zutreffende Ansicht mancher Autoren, über das Mutterrecht, 
falls man darunter eine mutterrechtliche Herrschaft verstanden haben 
sollte, eine Matriarchie im Gegensatz zur Patriarchie, eine Ansicht, die 
auch Weipert zu teilen scheint. Eine solche Matriarchie hat allerdings 
wohl niemals, bei keinem Volke bestanden, sondern man hat unter 
Mutterrecht wohl einen Gesellschaftszustand zu verstehen, bei dem die 
Frauen, als gesuchte Arbeitskräfte und als Quelle solcher im Hause des 
Familien-, Geschlechts- oder Stammoberhauptes zurückgehalten wurden, 
und ihre Kinder, auch die von familien-, geschlechts- oder stammes- 
fremden Männern, bei ihnen und unter der Gewalt des Patriarchen 
blieben. Daß in solchen Zeiten Endogamie herrschte und daneben auch 
Frauenraub vorkam, ist selbstverständlich. Immerhin ist das noch eine 
keineswegs allgemein aufgeklärte Frage, und es klingt daher etwas 
sonderbar, wenn Fukuda Weipert wegen der Ausführung über den 
mutterrechtlichen Zustand „Voreiligkeit“ vorwirft (S. 15), ebenso wie 
an anderer Stelle dem trefflichen Japan-Forscher Chamberlain, der für 
diese älteste Periode irrtümlich das Fehlen von Sklaverei angenommen 
hatte (S. 13). Wörter wie „voreilig“ oder „oberflächlich“ (S. 14), „sich 
täuschen lassen“ (S. 132), namentlich wenn es sich gegenüber sonst so 
gewissenhaften Forschern wie Weipert und Rathgen nur um Kleinig- 
keiten oder zweifelhafte Dinge handelt, machen einen störenden Ein- 
druck. 

Neue Gesichtspunkte enthalten für den europäischen Forscher, 
der die japanischen Werke nicht lesen kann, weiter die Ausführungen 
über die Gründe des Zerfalls der alten Geschlechterstaaten, 
der Ujiverfassung. 

Iu dieser ältesten historisch erfaßbaren Zeit lebte das japanische 
Volk, in Geschlechtern, uji, gegliedert, die je unter einem Oberhaupte 
standen. Diese Groß-Uji stellten die politischen Einheiten dar, während 
ihre Unterabteilungen, Klein-Uji und Ko, größere und kleinere Familien- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 713 


verbände, die wirtschaftlichen Einheiten bildeten. Nach außen gab es 
noch keine verantwortlichen Individuen. Die zunehmende Bevölkerung, 
die Gebietserweiterung und dadurch notwendige Bildung neuer Uji, die 
Machtentwickelung des Kaisers, der als vornehmstes und angesehenstes 
Geschlechtsoberhaupt — weil Vermittler des Kultus der gemeinsamen 
Stammgöttin, der Amaterasu, der Sonne — ursprünglich nur primus 
inter pares gewesen war, und schließlich das Eindringen des Buddhis- 
mus mit der höheren chinesischen Kultur, der die Bedeutung der In- 
dividuen stark betonte und mehr zur Geltung brachte —, führten 
schließlich zur Sprengung der Uji, der Geschlechtsverbände und ge- 
stalteten die Ko, die erweiterten Familienhäuser, zur Grundlage des 
Japanischen Staats- und Gesellschaftslebens. Mit dem Ende des 6. Jahr- 
hunderts war die Macht des Kaisers derartig gestiegen, daß er das 
Obereigentum an Grund und Boden, der bisher Eigentum der 
Uji war und von denen an die Ko zur gemeinschaftlichen Bebauung und 
Nutzung — ähnlich wie in Irland in der Clan- und in Rußland in der 
Mirverfassung — vergeben wurde, beanspruchen konnte. Den Abschluß 
dieser zweiten Entwickelungsperiode bildete die sogenannte 
Taikwareform seit Mitte des 7. Jahrhunderts, deren Kernpunkt die 
Nachahmung und zeitweise Durchführung des chinesi- 
schen Beamtensystems und die Verteilung des Grund 
und Bodens an die einzelnen Familien auf gewisse Zeit 
sowie die gesetzliche Regelung einer den neuen Ver- 
hältnissen angepaßten Erbfolge war. 

Diese Entwickelung geht merkwürdigerweise fast gleichzeitig mit 
der sehr ähnlichen des Lehensgedankens in Europa vor sich, der vom 
Frankenreich seinen Ausgangspunkt nahm, aber nach Meitzen seine 
Wurzeln bis in die Ansiedelungszeiten des 4. und 5. Jahrhunderts zurück 
erstreckte. 

Und ebenso wie in Europa folgte auch in Japan nach dem Er- 
starken der kaiserlichen Macht sehr bald, bereits im 9. Jahrhundert, 
die Periode des Niederganges derselben. Seit Mitte des 9. Jahr- 
hunderts bis 1867 ist das Kaisertum zur Ohnmacht verurteilt und 
steht unter der Regentschaft eines bis 1601 mehrfach wechselnden, 
von da ab in einer einzigen Familie bleibenden Hausmeiertums, 
des Shogunats. 

Es entstehen — und damit beginnt die dritte Periode — 
große, steuerfreie Grundherrschaften — die Tairafamilie 
besaß um 1200 fast die Hälfte des gesamten Grund und Bodens —, auf 
deren Grundlage sich ein dem europäischen sehr ähnliches Lehn- 
system entwickelt. Die Darstellung dieser Entwickelung gehört mit 
zu den besten Partien der Fukuda’schen Arbeit. 

Die Lehen wurden erblich, aus den großen Lehensbeamten, den 
Jitos, sowie den früheren Großgrundherren wurden die späteren Dai- 
mios, Landesherren, deren man Mitte des 17. Jahrhunderts an 260, 
Mitte des 19. Jahrhunderts 160 zählte. 

Dieses Feudalsystem hat nominell bis zur Restauration 1869 


714 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


gedauert, ist aber unter der Tokugawaherrschaft, Shogunat, seit 1603 
derartig ausgehôhlt und seines Wesens entkleidet worden, daß man 
diese — vierte — Periode seit 1603, wie Fukuda mit Recht be- 
sonders hervorhebt, die Zeit des absoluten Polizeistaates, 
des werdenden nationalen Einheitsstaates nennen mul. 

Auch während dieser Zeit sehen wir Japan merkwürdigerweise 
dieselbe gleichzeitige Entwickelung wie Europa durchmachen, obwohl es 
fast hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen war. 

Die Tokugawa-Shogune, bezw. die wirklichen Gewalthaber des 
Shogunats, wußten die Landesherren durch eine Reihe von entsprechenden 
Malregeln während dieser langen Zeit des Friedens, des Kulturfort- 
schrittes, aber auch der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stagna- 
tion, in der sich das in Gilden organisierte Bürgertum, trotz 
seiner gesellschaftlichen Unterordnung unter die Soldatenkaste, nament- 
lich infolge der wachsenden Geldkalamitäten der Landesherren, zu An- 
sehen und Bedeutung erhob, in einer solchen Abhängigkeit und Un- 
selbständigkeit zu erhalten, daß, als die nationale Erhebung das Shogunat 
hinweggefest hatte, die 146 Daimios, die mehr und mehr in die Stellung 
von Beamten herabgedrückt waren, im Jahre 1869 ihre Macht freiwillig 
in die Hand des Kaisers zurückgaben 

Die neueste — fünfte — Entwickelungsphase ist nur 
sehr kurz — auf 8 Seiten — gestreift. Das Buch macht dadurch einen 
nicht vollständigen, unfertigen Eindruck. Bei derartigen Arbeiten, deren 
Hauptgewicht in die Darstellung der Vergangenheit fällt, würde es sich 
wohl empfehlen, die Leser in einem kurzen Vorwort über die Absicht 
des Verfassers und die Begrenzung des Stoffes zu unterrichten. Ein 
Hauptaugenmerk sollte auch auf die richtige Fassung des Titels gelegt 
werden, der die Haupttendenz und den Hauptinhalt des Buches wie 
in einem Brennpunkte stets wiedergeben sollte. 

Hätte Fukuda sein Buch etwa „Die gesellschaftliche Entwickelung 
Japans bis zur Restauration“ betitelt und sich in einem Vorwort darüber 
geäußert, wieweit er die bisherigen Forschungsergebnisse durch eigene 
Zuthaten bereichern wolle, und hätte er sich von den oben angeführten 
zu weitgehenden Tadelsäußerungen freigehalten, so würde sein Buch 
entschieden an Wert gewonnen haben. 

Aber auch so kann dasselbe Lesern, denen die japanische Litteratur 
nicht geläufig ist oder nicht vollständig zu Gebote steht, die aber über 
die früheren gesellschaftlichen Zustände dieses lange Zeit „geschlossen 
gewesenen Handelsstaates“ aus einer knappen Darstellung das Wissens- 
werteste erfahren möchten, empfohlen werden. Dr. J. Wernicke. 


Mitteilungen über den 41. Allgemeinen Genossen- 
schaftstag der auf Selbsthilfe beruhenden deutschen Erwerbs- und 
Wirtschaftsgenossenschaften zu Hannover vom 5.—8. September 1900. 
Herausgegeben im Auftrage des Allgemeinen Verbandes von Dr. Hans 
Crüger, Anwalt des Allgemeinen Verbandes der deutschen Erwerbs- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 715 


und Wirtschafts-Genossenschaften. Berlin (Kommissionsverlag von 
J. Guttentag) 1900. 558 SS. 

Auch dieser Band der „Mitteilungen“ bietet wie seine Vorgänger 
(vergl. darüber III. F. 19. Bd., S. 563) eine Fülle von Material zur 
Beurteilung der Entwickelung des deutschen Genossenschaftswesens, 
wenn er sich auch natürlich in erster Linie auf die Schulze-Delitzsch’sche 
Richtung bezieht. In den Jahresversammlungen werden die augen- 
blicklich schwebenden Fragen gründlich erörtert und mancherlei Ein- 
blicke in das Leben und Treiben der Genossenschaften gegeben, die 
aus den statistischen Mitteilungen des ,Jahrbuchs“ und den Jahres- 
berichten der Genossenschaften selbst nicht gewonnen werden können. 
Aus dem Inhalt heben wir neben dem Jahresbericht (S. 35) des Ver- 
bands-Anwalts Dr. Crüger hervor den Vortrag über die nächsten Auf- 
gaben der Fortentwickelung des Genossenschaftswesens, den Verbands- 
direktor Dr. Alberti-Wiesbaden unter dem Thema: „Das Genossen- 
schaftswesen im 20. Jahrhundert“ (S. 60) hielt. Aus den Spezial- 
verhandlungen sind als interessant zu erwähnen der Vortrag des 
Justizrat Gebhard-Zweibrücken über die rechtliche Natur und die 
wirtschaftliche Bedeutung des Kontokorrent-Verkehrs für die Kredit- 
genossenschaften (S. 119), die Verhandlungen über die genossenschaft- 
lichen Bestrebungen betr. die Ansiedlung ländlicher Arbeiter (S. 79), 
die Vorträge und Verhandlungen über die heutige Lage der Hand- 
werkergenossenschaften (S. 329), bei denen auch die Folgen der Neu- 
organisation des Handwerks in den Handwerkerkammern gestreift 
wurden. Besondere Beachtung werden in der gegenwärtigen Zeit- 
strömung aber für sich in Anspruch nehmen dürfen einmal die mancher- 
lei Verhandlungsgegenstände der Baugenossenschaften (S. 261) und 
ferner die Beratungen, in denen die Lage des Kleinhandels und die 
Konsumvereine zu lebhaften Auseinandersetzungen führten; Verbands- 
direktor Barth-München empfahl den Kleinkaufleuten Zusammenschluß 
zu Kredit- mit Einkaufsgenossenschaften (S. 355), während in der Dis- 
kussion von sozialdemokratischer Seite lebhaft dagegen opponiert wurde; 
Verbandsekretär Häntschke behandelte „die gewerberechtlichen Be- 
stimmungen und die Konsumvereine“ (S. 196). 

Dem allgemeinen Verbande gehörten am 1. Oktober 1900 (gegen 
den 31. März 1899) an 1643 (1571) Genossenschaften, davon waren 
Kreditgenossenschaften 942 (927), Konsumvereine 591 (538), Rohstoff-, 
Magazin-, Werk-, Produktivgenossenschaften u. s. w. 53 (51), Bau- 
genossenschaften 57 (41). Davon gehörten den 32 Unterverbänden 
1578 (1501) an. 


Aachen. W. Kähler. 

Ammann, Aug., Die Hungersnot in Indien und die britisch-indische Regierung. 
Ein Beitrag zur Zeitgeschichte, Frauenfeld, J. Huber, 1901. gr. 8 63 SS. M. 0,50. 

Beck, Ludw., Die Geschichte des Eisens in technischer und kulturgeschichtlicher 
Beziehung. V. Abteilung: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluß. Liefe- 
rung 1. Braunschweig, Fr. Vieweg & Sohn, 1901. gr. 8. 176 SS. Mit in den Text 


eingedr. Abbildgn. M. 5.—. 


716 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 


Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock, Band III, Heft 2. Rostock, Stiller- 
sche Buchhandlung, 1901. gr. 8. 120 SS. M. 2.—. (Aus dem Inhalt: Die Beschrän- 
kungen der Warnemünder in Bezug auf Handel, Schiffbau und Schiffahrt, von K. Kopp- 
mann. — Zur Geschichte des Amts der Wassermüller zu Rostock, von E. Dragendorff.) 

Doren, A., Studien aus der Florentiner Wirtschaftsgeschichte. Band I. Die 
Florentiner Wollentuchindustrie vom 14. bis zum 17. Jahrhundert. Stuttgart, J. G. 
Cotta Nachf., 1901. gr. 8. XXII—583 SS. M. 12.—. 

Gebauer, H. (Oberlehrer an d. öff. Handelslehranstalt der Dresdener Kaufmann- 
schaft), Handbuch der Länder- und Völkerkunde in volkstümlicher Darstellung mit 
besonderer Berücksichtigung der volkswirtschaftlichen Verhältnisse. I. Band: Europa. 
Leipzig, G. Lang, 1901. gr. 8 IV—98S6 SS. M. 15.—. 


Byrn, Edw. W., Progress of invention in the XIX century. London, Gay A 
Bird, 1901. 8. 480 pp. with 300 illustrations. 15/.—. 

Lynch, Hannah, French life in town and country. New York, Putnam, 1901. 
12. 316 pp., ill., cloth. $ 1,20. (Contents: French rural and provincial life. — Paris 
and Parisianism. — Social diversions and distinctions. — National institutions. — Home- 
life in France. — Peasant and artisan. — The press and the people’s eolleges. — ete. 

Macrosty, H. W., Trusts and the State: Sketch of competition. London, Richards, 
1901. 8. 326 pp. 5/.—. (Fabian series.) 

Newdigate-Newdegate (Lady) Anne E., Chevalier and puritan in the days 
of the Stuarts. Compiled from the private papers and diary of (Sir) Rich. Newdegate 
(II°? baronet) with extracts of MS. between 1675 and 1689. London, Smith, Elder & C”, 
1901. gr. 8. 7,.6. 

Percy (Earl), Highlands of Asiatic Turkey, London, E. Arnold, 1901. 8. 348 pp, 
illustr. 14/.—. 

Poole, Stanley Lane, A history of Egypt in the middle ages. London, 
Methuen, 1901. erown-8. 398 pp. with a map and 101 illustrations. 6/.—. 

Bonolis, G., La giurisdizione della mercanzia in Firenze nel secolo XIV: saggio 
storico giuridieo. Firenze, B. Seeber, 1901. 8. 140 pp. 1. 2,50. 


3. Bevölkerungswesen. Auswanderung und Kolonisation. 
Meinecke, G. und G. v. Bülow, Seidenzucht in den Kolonien. Untersuchungen 
und Anregungen. Berlin, Deutscher Kolonialverlag, 1901. gr. 8 50 SS. M. 1,20. 
Vallentin, W. (Pretoria), Minenwesen und Goldindustrie in Transvaal. Berlin, 
H. Walther, 1900. gr. 8. 40 SS. mit 17 Illustrationen. M. 1.—. 


d’Amalda Negreiros, A., Colonies portugaises: Angola. Paris, Alcan-Levy, 
1901. 8. 48 pag. 

Barnard, Anne (Lady), South Africa a century ago: Letters from the Cape of 
Good Hope, 1797—1801. Ed. with memoir and notes by W. H. Wilkins. London, 
Smith & E., 1901. 8. 326 pp. 7/.6. 

Robinson, ©. H., Nigeria, our last protectoriate. New York, Mansfield & C’, 
1901. 8. 235 pp., ill, map., cloth. $ 2.—. (Contents: Travelling in Nigeria. — The 


Royal Niger Company. — Missionary enterprise. — The Hausa assoeiation. — Kano 
market. — African fever. — With appendices on the Hausa association and on the 


recent proclamation of the English protectorate in Nigeria.) 

Willson, Beckles, The truth about Newfoundland, the X" island. Being an 
account of our senior colony, its people, its politics, its problems, and its pecularities. 
London, Richards, 1901. 8. 240 pp. 3.6. 


4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen. 
Balek, C. W. A. (Großh. geh. OFinR.), Güter und Aemter der Mecklenburg- 
Schwerinschen Domänen, ein Beitrag zum einheimischen Staats- und Verwaltungsrecht. 
Schwerin, Ed. Hallberger, 1901. gr. 8. 86 SS. M. 2.—. 
Hertel, G. (Prof, Magdeburg), Die Wüstungen im Nordthüringau (in den Kreisen 
Magdeburg, Wolmirstedt, Neuhaldensleben, Gardelegen, Oschersleben, Wanzleben, Kalbe 
und der Grafschaft Mühlingen. Halle, O. Hendel, 1901. gr. 8 XXXIV—557 SS. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 717 


mit einer Wüstungskarte von Nordthüringen in Farbendruck, entworfen von (OLehrer) 
G. Reischel, Maßstab 1 : 100 000. M. 16. 
Heß, R., Die Forstbenutzung. Ein GrundriB zu Vorlesungen mit zahlreichen 
Litteraturnachweisen. 2. Aufl. Berlin, Parey, 1901. gr. 8. XVI—318 SS. M. 8.—. 
Jahrbuch, landwirtschaftliches, der Schweiz. Herausgeg. vom schweizerischen 
Landwirtschaftsdepartement. Band XIV, 1900. Bern, K. J. Wyss, 1900. gr. 8. 
Jahresbericht des Bienen- und Seidenzuchtvereins der Rheinprovinz für das 
Jahr 1900. LI. Jahrg. M. Gladbach, Druck von W. Hütter, 1901. gr. 8 9 SS. 


Annuaire des associations de pêcheurs à la ligne de France pour 1901. Toulouse 
imprim. spéciale, 1901. 8. 161 pag. av. fig. 

Hawksworth, A., Australian sheep and wool. London, T. Fisher Unwin, 1901. 
8 7,.6. 

Manicastri, Biagio, La questione agraria in Sicilia. Palermo, tip. Virzi, 1900, 
8. 46 pp. 

Elink Schuurman, Ger. A., De coffiecultuur in Brazilië. Eenige aanteekeningen 
en beschouwingen. Bijvoegsel van ,,De Indische Mercuur“ 1901, N°8. Amsterdam, 
J. H. de Bussy, 1901. gr. 8. 67 blz. met afb., 5 tab. en 1 krt. (Nicht im Handel.) 

5. Gewerbe und Industrie. 

Les industries à domicile en Belgique. Bd. 2. 8°, 
465 SS. Brüssel 1900. 

Dem unlängst in diesen Jahrbüchern angezeigten 1. Bande hat das 
belgische Office du travail jetzt einen zweiten Band folgen lassen, der 
interessante Aufschlüsse über drei sehr verschieden geartete haus- 
industrielle Erwerbszweige bringt, nämlich über die Leinenweberei in 
Flandern (bearbeitet von Prof. Ernst Dubois). die Strohflechterei in den 
Provinzen Lüttich und Limburg (behandelt von Dr. Anciaux) und über 
die Schuhmacherei in Flandern (dargestellt von Dr. Ch. Gilles de 
Pélichy). Die Strohflechterei ist eine rückständige und im Absterben 
begritfene Industrie. Ihre Betriebsweise ist „elementar“ und von Arbeits- 
teilung ist nicht die Rede. Die bisherigen Absatzmärkte im In- und 
Auslande sind verloren gegangen bis auf den amerikanischen Markt, 
der aber ebenfalls immer mehr gefährdet wird. Die wirtschaftlichen 
und sozialen Nachteile, die absterbenden Erwerbszweigen anzuhaften 
pflegen, treten scharf zu Tage. Günstiger liegen die Verhältnisse bei 
den erwähnten Hausindustrien in Flandern. Die Schuhmacherei, in 
kleinen Orten dichtbevölkerter Distrikte ansässig, ist zum Teil erst im 
19. Jahrhundert entstanden. Sie arbeitet vorzugsweise für den inlän- 
dischen Bedarf, in Specialitäten auch für den Export. Der Betrieb stützt 
sich im wesentlichen auf Handarbeit, hat aber manche Fortschritte der 
Betriebsweise und auch eine erheblich entwickelte Arbeitsteilung auf- 
zuweisen. Die Arbeiterorganisationen haben sich schon bis zu einer 
gewissen Höhe entwickelt, die Einkommens- und Wohnungsverhältnisse 
sind relativ günstig. 

Die Leinenweberei ist eine alt eingesessene Industrie Flanderns, 
die sich aus natürlichen Gründen in den Bezirken konzentriert, in denen 
der Spinnstoff gewonnen wird. Die hausindustrielle Leinenweberei hat 
einen ausgesprochen lündlichen Charakter und erscheint vielfach als 
Winterarbeit der Landbevülkerung. Wohn- und Lohnverhältnisse sind 
günstiger, als sie oft in städtischen Hausindustrien gefunden werden. 


718 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Die mechanische Weberei hat aber die Hausindustrie schon beträchtlich 
zurückgedrängt, und das künftige Schicksal der letzteren hängt nament- 
lich davon ab, ob es gelingt, sie mehr in der Richtung des Kunst- 
gewerbes zu entwickeln und ihr dadurch neben der fabrikmäligen 
Weberei eine selbständige Bedeutung zu sichern. 

Daß der vorliegende Band die Möglichkeit bietet, sich über so ver- 
schiedenartige Hausindustrien an der Hand fleiliger und tüchtiger 
Arbeiten zu unterrichten, wird ihm in weiteren Kreisen Beachtung 
verschaffen. 


Berlin. R. van der Borght. 


Cremer, Chr. Jos., Das gewerbliche Leben im Kreise Teltow. Aus Veranlas- 
sung der „Berliner Gewerbeausstellung 18965“ im Auftrage des Kreisausschusses heraus- 
gegeben. Berlin, C. Heymanns Verlag, 1900. Imp.-Folio. VII—400 SS. Mit zahlreichen 
Vollbildern. 

v. Hössle, Fr., Geschichte der alten Papiermühlen im ehemaligen Stift Kempten 
und in der Reichsstadt Kempten. Kempten, Kôselsche Bhdl., 1901. gr. 4. Mit 6 Taf. 
und in den Text gedr. Abbildg. M. 4.—. 

Michel, C., Lehrbuch der Bierbrauerei nach eigenen Erfahrungen unter Zugrunde- 
legung der neuesten Theorien. 3. Aufl. Augsburg, Gebr. Reichel, 1901. Lex.-8. XII— 
717 SS. M. 21.—. 

Poellath, K. (k. bayer. Fabriken- und Gewerbeinspektor), Der Arbeiterschutz. 
Der Schutz der gewerblichen Arbeiter Deutschlands soweit er Aufgabe der Gewerbe- 
inspektion ist. Stuttgart, E. H. Moritz, o. J. (1901). kl. 8. 166 SS. geb. M. 1. (A. 
u. d. T.: Volksbücher der Rechts- und Staatskde. Bd. 1.) 

Sanders, W. (Sekr. der „Battersea Labour League), Die moderne Arbeiterbewegung 
in England. Frankfurt a. M., Ed, Schnapper, 1901. gr. 8. 32 SS. M. 1,20. 

Bailly, L. (ingenieur des mines), L’avenir &conomique et financier de l’industrie 
houillère et de la sidérurgie en France. Paris, V“ Dunod, 1901. gr. in-8. 27 pag. av. 
5 diagrammes. fr. 2.—. 

Razous, P. (inspecteur départemental du travail dans l'industrie) et A. Razous 
(eondueteur de travaux publies), Réglementation du travail industriel. Commentaire 
pratique. Paris et Nancy, Berger-Levrault & Or, 1901. 8. X—328 pag. fr. 6.—. 


(Table des matières: Livre I. Durée du travail. — Livre II. Hygiène et sécurité du 
travail et des travailleurs. — Livre III. Réparation civile des accidents du travail. — 


Annexes.) 

Allan’s Housing of the working classes. 2" ed. London, Butterworth, 1901. 8. 
7/.6. 

Courtney, L. H., Working constitutions of the United Kingdom. New York, 
Macmillan, 1901. 8. 391 pp. cloth. 2/.—. 

Factory and Workshop Acts Consolidation Bill. London, Eyre & Spottiswoode, 
1901. Folio. 

Factory & Workshop Acts Amendment Bill. London, Eyre & Spottiswoode, 
1901. Folio. 

Levasseur, P. E., The American workman; an American traduct. by T. S. Adams, 
ed. by Th. Marburg. Baltimore, J. Hopkins Press, 1901. 8. 529 pp. cloth. $ 3.—. 
(Studies in histor. and polit. science, extra vol. Contents: The progress of American 
industry in the last fifty years. — The productivity of labor and machinery. — Labor 
laws and trade regulations, -— Organizations of labor. — The strike. — Wages of men. 
— Wages of women and children. — Factors determining nominal wages. — Real 
wages and workmen’s budget’s. — Present conditions and future prospects ofthe Ame- 
rican workmen. — etc.) 

Report, I", of the Bureau of Labor of the province of Ontario for the year ending 
December 31% 1900. Toronto, L. K. Cameron, 1901. 8. 101 pp. 

Report, III" biennial, of the Bureau of Labor of the State of New Hampshire. 
Manchester, N. Hamp., 1900. 8. 270 pp. (Der Bericht umfaßt die Jahre 1899 und 1900.) 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 719 


Report, IX" biennial, of the Bureau of Labor Statistics of the State of California 
for the years 1899—1900. Sacramento (Calif.), A. J. Johnson, 1900. 8. 152 pp. 

Women worker’s conference, 1900. Papers read at the conference held at Brighton, 
arranged by the National Union of Women Workers. London, P. S. King & Son, 1901. 
8. 213 pp. 3/.—. 


6. Handel und Verkehr. 


Jenks, J. W., The Trust Problem. New York (McClure, Philipps 
& Co.) 1900 

Der Verfasser, Professor an der Cornell-Universität, ist als Mitglied 
und Experte der großen United States Industrial Commission, welche 
bisher namentlich eine umfangreiche Trust-Enquete ausgeführt hat, einer 
der besten Kenner des heute in den Vereinigten Staaten im Vorder- 
grunde stehenden Problems und hat dasselbe schon in mehrfachen Schriften, 
so auch in diesen Jahrbüchern (3. Folge, Bd. 1, 1891) behandelt. Sein 
neuestes Werk beruht insbesondere auf dem Thatsachenmaterial, welches 
die erwähnte oflizielle Enquete sowie auch die Chicagoer Trustkon- 
ferenz zu Tage gefördert hat, und bespricht in übersichtlicher Disposition 
und mit zahlreichen Beispielen die vielen Fragen, welche sich an die 
Erscheinung der Trusts knüpfen. Auf allgemeine Untersuchungen zur 
Theorie und Systematik der Monopole ist der Verfasser nicht einge- 
gangen. In dieser Hinsicht sei auch hier das Werk von R. T. Ely, 
monopolics and Trusts New York 1900, erwähnt. Das vorliegende Buch 
ist mehr für weitere Kreise bestimmt, die sich für die Trustfrage 
interessieren. Doch beabsichtigt der Verfasser in nicht zu ferner Zeit 
eine größere Arbeit über das ganze Problem der Monopole zu veröffent- 
lichen. 

Der Stoff ist, abgesehen von der Einleitung, in 11 Kapitel verteilt. 
Die Einleitung bringt unter anderem die Abgrenzung des Themas. 
Jenks bespricht die Trusts — man gebraucht das Wort heute in sehr 
verschiedener Bedeutung — insoweit, als sie „kapitalistische Monopole“ 
darstellen: „industrielle Gesellschaften mit so großem Kapital und solcher 
Macht, daß sie als eine Gefahr für die Allgemeinheit erscheinen können 
und wenigstens zeitweise thatsächlich eine beträchtliche monopolistische 
Macht besitzen.“ 

Die ersten 2 Kapitel erörtern die Grundlagen, auf welchen die 
Trusts entstanden sind, d. h. die modernen Wirtschaftsverhältnisse, die 
freie Konkurrenz und ihre Wirkungen. Denselben werden als Gegen- 
satz die Vorteile der Vereinigung gegenüber gestellt, während die 
folgenden Kapitel, in denen der Geschäftsbetrieb und die Wirkungen 
der Trusts geschildert werden, besonders ihre schlechten Seiten ent- 
hüllen. Die allgemeinen Vorteile der Trusts liegen hauptsächlich in 
der Verminderung der Produktions- und Absatzkosten, wofür Jenks in- 
teressante Beispiele anführt, dann in der Möglichkeit, die fähigsten 
Männer an die Spitze zu stellen, in der Einheitlichkeit der Leitung, 
endlich in der Möglichkeit dem Hauptproduktionszweige andere Stadien 
der Vor- oder Weiterverarbeitung anzugliedern (Kombinationen in unserem 
Sinne, während im Englischen der Ausdruck „Kombination“ alle Arten 


720 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


der Vereinigungen bezeichnet). Natürlich ist für alles dies ein abso- 
lutes Monopol nicht unbedingte Voraussetzung und bei der Zusammen- 
fassung mehrerer Produktionsstadien (Kombinationen) ist ein solches 
auch gar nicht beabsichtigt. 

Im 3. Kapitel erörtert der Verfasser diejenigen Umstände, 
welche der Gründung von Industrieverbänden förderlich sind, also 
namentlich Schutzzülle, und wendet sich gegen die Ansicht, daß der 
Schutzzoll die „Mutter aller Trusts“ sei, wenn er auch natürlich seine 
unterstützende Wirkung nicht verkennt. Von einer Aufhebung der 
Schutzölle verspricht er sich keinen Nutzen; sie würden entweder 
die ganze Industrie ruinieren oder den Trusts nichts schaden. Inter- 
nationale Vereinbarungen sieht er für die Zukunft in größerer Zahl 
voraus, namentlich mit Ländern, in denen ebenfalls Vereinigungen be- 
stehen, und in der That scheinen nach neuesten Berichten die Ameri- 
kaner mehrfach dahingehende Bestrebungen auch Deutschland gegen- 
über zu verfolgen. 

Im 4. Kapitel: Combination and Monopoly zeigt der Verfasser, 
wie die Wirkungen sich steigern, wenn eine Vereinigung allmählich zu 
einem wirklichen Monopol gelangt. Auch sehr große Betriebe können 
aber schon eine monopolartige Stellung einnehmen. Weiter wird daun 
der Nutzen geschildert, welchen den Trusts ihr großes Kapital gewährt, 
und darauf hingewiesen, daß auch das Streben nach großer Macht viel- 
fach hervorragende Geschäftsleute ‘zur Bildung von Vereinigungen ge- 
trieben hat. 

Von großem Interesse auch für diejenigen, welchen die übrigen bei 
uns ja ebenfalls viel erörterten Fragen bekannt sind, werden die Aus- 
führungen des 5. Kapitels: Promoter and Financier sein, die den 
amerikanischen Zuständen eigentümliche Erscheinungen besprechen und 
auf das dortige Gründungswesen ein helles Licht werfen. 

Die beiden nächsten Kapitel behandeln die Organisation der mono- 
polistischen Vereinigungen von den einfachen „pools“, die aber bei 
weitem nicht in so mannigfacher Form ausgebildet sind, wie unsere 
Kartelle, bis zu den eigentlichen „trusts“ und ihren unter dem Einfluß 
der Gesetzgebung entstandenen Weiterbildungen, den „voting trusts“ 
und den großen einheitlichen Kompagnien, ferner die Art und Weise, 
wie dieselben mit Kapital ausgestattet werden, namentlich das „stock 
watering“ endlich die Art ihrer Leitung und die große Machtstellung 
der Direktoren. Das 8. Kapitel bringt dann auf Grundlage der 
Trustenqueten interessante durch beigegebene Diagramme illustrierte 
Mitteilungen über den Einfluß der Trusts auf die Preise. Der vertüg- 
bare Raum verbietet es, darauf näher einzugehen, wie ich auch aus 
dem folgenden Kapitel: „Trusts und Löhne“ nur als Hauptergebnis 
mitteilen kann, daß die Trusts im allgemeinen durch Lohnerhöhungen 
für die Arbeiter vorteilhaft gewesen sind, wenn sie auch bei Streitig- 
keiten den Arbeitern mit größerer Macht gegenübertreten. Es scheint 
aber, daß die größere Leichtigkeit, die Preise zu erhöhen, die Trusts 
den Wünschen der organisierten Arbeiter gefügiger macht, so dal 
schließlich der Konsument die Zeche bezahlen mul. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 721 


Im 10. Kapitel besprichtJenks die allgemeinen politischen und sozialen 
Wirkungen der großen Vereinigungen. Er giebt zu, daß die große Kapital- 
macht nicht selten mißbraucht wurde, meint aber, daß Bestechungen 
der gesetzgebenden Faktoren doch seltener waren als behauptet wird, 
und legt dieselben mit Recht weniger den Trusts als den geringen mo- 
ralischen Qualitäten der Regierenden zur Last. Die Trusts erschweren 
aber das Aufkommen neuer Unternehmungen, bringen eine Anzahl von 
Leuten aus ihrem Wirkungskreise, die großen Machthaber haben das 
Bestreben, ihre Stellungen auf ihre Kinder zu vererben. Aber auf der 
anderen Seite köunen Unfähige leichter von der Leitung entfernt werden, 
als wenn sie selbst Besitzer der Werke sind, es werden überhaupt 
nicht mehr so viel Unfähige leitende Stellungen einnehmen, und wenn 
auch die Verminderung selbständiger Stellungen oft beklagt wird, so ist 
es doch vielleicht ein Vorzug, daß nicht mehr so viele Personen nie- 
mandem verantwortlich sind. 

Das letzte Kapitel behandelt die Fragen der gesetzlichen Regelung 
der Trusts. Im Gegensatz zu den Aufgaben eines Kartellgesetzes bei 
uns handelt es sich hier in erster Linie um eine Verbesserung des 
Korporationsrechtes, welche den Gründungsschwindel und un- 
lautere Mafregeln der Leiter möglichst einzuschränken imstande ist. 
Größere Oeffentlichkeit in der Geschäftsgebahrung der großen Korpo- 
rationen, tieferer Einblick öffentlicher Behörden in dieselben muß ge- 
fordert werden. Jenks scheint mir hier nicht energisch genug, nament- 
lich in der Forderung eines für alle Staaten giltigen Gesetzes, er 
fürchtet zu sehr, die Freiheit des Einzelnen zu beeinträchtigen. Wo die- 
selbe aber zu solchen die moralische Integrität eines Staates gefährdenden 
Mißbräuchen geführt hat, wie das bei den Trusts nachgewiesen wurde, 
da ist unserer deutschen Auffassung nach eine Beschränkung des Ein- ` 
zelnen im Interesse der Gesamtheit am Platze. Diese Riesenunter- 
nehmungen müssen auch nicht mehr als private Betriebe, in denen die 
Leiter nach Belieben schalten und walten können, sondern als halb 
öffentliche Anstalten betrachtet werden, an deren Thätigkeit die ganze 
Volkswirtschaft im höchsten Grade interessiert ist. 

Im Anhang werden noch einige Pläne zur gesetzlichen Regelung 
der Trusts mitgeteilt. Wie gezeigt, bespricht der Verfasser überall nur 
die amerikanischen Zustände. Seine Ausführungen sind aber auch für uns 
in Deutschland, namentlich zum Zwecke des Vergleichs mit unserem 
Kartellwesen, von hohem Interesse. Robert Liefmann. 


Anton, G. K. (Privdoz., Univ. Jena), Der Mittellandkanal (Rhein-Elbekanal). 
Hamburg, Verlagsanstalt und Druckerei (A.-G.) 1900. gr. 8. 40 SS. M. 0,75. 

Bericht der Direktion der pfälzischen Eisenbahnen über die Verwaltung der unter 
ihrer Leitung stehenden Bahnen in dem Jahre 1900. Ludwigshafen a. Rhein, Maursche 
Buchdruckerei, 1901. gr. 4. 164; 33 u. 29 SS. 

Bericht des Verbandes der Handels- und Gewerbevereine für das Herzogtum 
Oldenburg für die Jahre 1899 und 1900 (bis zur Auflösung am 1. VII). Oldenburg, 
Druck von G. Stalling, o. J. (1901). gr. 8. 128 SS. (Inhalt: Einrichtungen für Handel 
und Gewerbe. — Verkehrswesen. — Zölle und Steuern. — Statistisches. — Anlage I: 
Eingabe an das Staatsministerium, Dep. der Finanzen, zur Herbeiführung der Besteue- 


Dritte Folge Bd. XXI (LXX VI). 46 


722 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


rung der Konsumvereine. — Gesetz für das Herzogtum Oldenburg, betreffend die Er- 
richtung einer Handelskammer.) 

Dehn, P., Nationale Verkehrspolitik. Ein Beitrag zur Wasserstraßenfrage. Berlin, 
Gose & Tetzlaff, 1901. 8. 52 SS. 


Monthly summary of commerce and finance of the United States, January, 1901. 
Washington, Government Printing Office, 1901. gr. in-4. (pp. 1619—1893). [Prepared 
in the Bureau of Statisties, Treasury Department. General contents: Commercial notes. — 
Internal commerce. — Financial tables. — Prices of leading articles. — Foreign com- 
merce of the United States.] 

Stretton, Clement E., The history of the Midland railway. London, Methuen, 
1901. Roy.-8. 370 pp. with 100 illustrations and 6 diagrams. 12/.6. 

de Stoppelaar, J. H., Balthasar de Moucheron. Een bladzijde uit de Neder- 
landsche handelsgeschiedenis tijdens den tachtigjarigen oorlog. "e Gravenhage, M. Nijhoff, 
1901. gr. 8. 230 en 101 blz. met 1 facs., geb. fl. 3,75. 

de Molins, Jose Elias, Puertos francos: Puertos de Marsella, Genova y Bar- 
celona. Estudio economico. Barcelona, imprenta Barcelona, 1901. 8. 295 pp. 


7. Finanzwesen. 


Finanzverwaltung Preußens, die, in der Zeit vom 1. IV. 1897 bis 1. IV. 
1899. Bericht des Finanzministers an Se. Majestät den Kaiser und König. Berlin, 
gedruckt in der Reichsdruckerei, 1900. 4. 107 SS. 

Schreiber, H. (Geh. RechnR.), Das preußische Etats-, Kassen- und Rechnungs- 
wesen in dem Rahmen des Gesetzes, betr. den Staatshaushalt, vom 11. V. 1898 (G.S. 8.77) 
für den praktischen Gebrauch bearbeitet. Potsdam, Krämersche Buchdruckerei, 1900. 
Roy.-8. VIII—846 SS. M. 15.—. (Selbstverlag des Verfassers.) 


8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen. 

Hülsemann, Tierarzt Dr., Die Viehversicherung, ihr Wesen, ihre 
Aufgabe, ihre Organisation. Verlag von Richard Schoetz, Berlin 1899. 
Preis 2 M. 

In der spärlichen und dürftigen Litteratur über die Viehversiche- 
rung verdient das vorliegende Werk besondere Beachtung. Der Verf. 
giebt auf Grund reichlichen Materials und eigener praktischer Erfahrung 
ein anschauliches Bild von dem Stande und den Zielen der Vieh- 
versicherung. Er behandelt nach einer Einleitung zunächst das Wesen, 
die statistischen Grundlagen und die Bedeutung der Viehversicherung 
für die Land- und Volkswirtschaft. Darauf folgen eingehende Aus- 
fübrungen über die Seuchengesetzgebung im Deutschen Reich, in der 
Schweiz und die Bestrebungen in Oesterreich, sowie über die Betriebs- 
formen der Versicherung gegen Viehverluste durch sporadische Krank- 
heiten und Unglücksfälle. Den Grund für die geringe Ausbreitung der 
Viehversicherung sieht er in der völligen Unzulänglichkeit der heutigen 
Betriebsformen, von denen er den Ortsverbänden vor den großen Gegen- 
seitigkeits- und Aktiengesellschaften namentlich wegen der leichteren 
Kontrolle und der billigeren Verwaltung den Vorzug giebt. Die einzige 
Möglichkeit zu einer gesunden Entwickelung der Viehversicherung sieht 
er in staatlicher Zwangsversicherung, freilich ohne die praktischen 
Schwierigkeiten des Zustandekommens derselben zu übersehen. Er 
glaubt jedoch, daß durch methodische Aufklärung des Volkes, nament- 
lich durch die landwirtschaftlichen Schulen, der anfängliche Widerstand 
dagegen bald beseitigt werden kann. Wenn man gegen die vom Verf. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 723 


vorgeschlagene Zwangsversicherung auch erhebliche Bedenken wird er- 
heben müssen, so wird doch die Lektüre des Werkes jedem, der sich 
für die von der Wissenschaft leider allzusehr vernachlässigte Vieh- 
versicherung interessiert, Anregung und Belehrung geben. Dem 
Werke beigefügt sind Normalstatuten für Viehversicherungsvereine, 
welche die Ausführungen erläutern. 


Berlin. Brüders. 


Hager, Dr. P., Die öffentlich-rechtliche Regelung des Privat- 
versicherungswesens in Deutschland. Verlag von Georg Reimer, Berlin 
1900. Preis 3 M. 

Die Schrift bietet namentlich dem nichtfachmännischen Juristen 
und Nationalökonomen eine gute Einführung in das Studium des 
augenblicklich dem Reichstage vorliegenden Gesetzentwurfs über die 
privaten Versicherungsunternehmungen. Sie ist klar und verständlich 
gefaßt und zeugt von anerkennenswerter Sachkunde. Nach einigen ein- 
leitenden Paragraphen, welche die Einteilung, die wirtschaftliche Be- 
deutung und die Statistik des Versicherungswesens betreffen, schildert 
der Verf. den gegenwärtigen Rechtszustand in Deutschland wie im 
Auslande, um sich dann kritisch zunächst im allgemeinen über die Auf- 
gabe des Staates gegenüber dem Versicherungswesen und den Umfang 
der Staatsaufsicht auszulassen. Darauf folgt eine ausführliche Behandlung 
der einzelnen Spezialfragen, der Konzessionierung, Beaufsichtigung, Be- 
handlung ausländischer Versicherungsanstalten, der Besteuerung und im 
Anschluß daran eine Kritik der einzelnen Bestimmungen des Gesetz- 
entwurfs. Der Verf. weiß hier mit Geschick die dem wirtschaftlichen 
Zweck der Versicherung und den praktischen Bedürfnissen der Ver- 
sicherungsanstalten entsprechenden Grenzen des staatlichen Aufsichts- 
rechtes zu ziehen. Seine zahlreichen Verbesserungsvorschläge gegenüber 
der Fassung des Entwurfs sind wohldurchdacht und beachtenswert, 
haben zum Teil auch bereits durch den Bundesratsentwurf und die 
Beschlüsse der Reichstagskommission ihre Erledigung gefunden, so 
namentlich die Ausnahme der Transport- und der Rückversicherung von 
den Bestimmungen des Gesetzes. 


Berlin. Brüders. 


Biermann, W. E., Die deutsche Viehversicherung und ihre Reform. Berlin, 
Puttkammer & Mühlbrecht, 1901. gr. 8. 84 SS. M. 1,20. 

v. Cetto, Die Entwickelung der Organisation des landwirtschaftlichen Kreditwesens 
in Bayern. München, R. Oldenburg, 1901. gr. 8. VI—88 SS. M. 1,50. 

Exportfirmenadreßbuch, deutsches. Herausgeg. vom Exportbureau der deut- 
schen Exportbank. 28. Aufl. Berlin, W. 35, 1901. gr. 8. CIII—320 SS. mit Tele- 
graphenkarte für den Weltverkehr. Herausgeg. von R. Jannasch in Imp.-Folio. M. 5. 

Jahresbericht der Handelskammer zu Aachen für 1900. Aachen, Druck von 
€. H. Georgi, 1901. gr. 8. V—245 SS. 

Jahresbericht der Handelskammer zu Leipzig, Jahrg. 1900. Leipzig, J. C. 
Hinrichssche Bhdl., 1901. gr. 8. XIl—261 SS. mit dem Stadtplan von Leipzig (innere 
Stadt) für die Zwecke der Messen bearbeitet und herausgeg. vom Meßausschuß der 
Handelskammer. 

Jahresbericht der Handelskammer zu Nordhausen für das Jahr 1900. 3 Teile, 


46* 


724 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Nordhausen, Müller, 1901. 8. 104 SS. (Inhalt: I. allgemeiner Teil; II. besonderer 
(die einzelnen Industrien behandelnder) Teil; III. statistischer Teil.) 

Kanal-A-B-C. Kurze Angaben aus den Drucksachen zu den preußischen Kanal- 
vorlagen von 1899 und 1900 aus der Reichsstatistik und sonstigen amtlichen wie anderen 
Druckschriften. Hrsg. von Fr. Geck (Ingen.). 2. Aufl. Hannover, Gebr. Jänecke, 1901. 
3. 99 SS. M. 0,60. 

Leipzigs Handel und Industrie. Adreßbuch sämtlicher handelsgerichtlich einge- 
tragenen Firmen und der größeren gewerblichen Betriebe für 1901. Jahrg. V. Leipzig, 
Schulze & C°, 1900. gr. 8. 340 u. 71 SS., geb. M. 6.—. 

Regelung, die, des deutschen Apothekenwesens. Denkschrift des deutschen 
Apothekervereins. Berlin, Selbstverlag des DAVereins, 1901. 4. 19 SS. 

Verwaltungsbericht der sächsischen Holzberufsgenossenschaft für das Jahr 
1899. Dresden, Druck von C. Heinrich, 1900. 4. 27 SS. 


Congrès international des accidents du travail et des assurances sociales. Viz session, 
tenue A Paris du 23 au 30 juin 1900. Tome I. Paris, Béranger, 1901. 8. V—704 pag. 
(Table des matières: Rapports présentés par MM. Boediker, Zacher, Hartmann, Lach- 
mann, Koegler, Magaldi, de Angeli, Hjelt, Paulet, Gigot, Vermot, Marestaing, Neu- 
man-Bijleveld, Wodon, Dejace, Repond, Bellom, Fontaine, Cheysson, Bielefeldt, 
Roques, Ruysch, Villaret, Carroll D. Wright, Tessenden, Willoughby, Kaan, Colajanni, 
Schiff, Scodnik et la caisse nationale de prévoyance italienne, et publiés par les soins 
du comité d’organisation. (Exposition universelle de 1900. (Publication du Ministère 
du commerce et de l’industrie.) 

Dufourmantelle, Maur., Congrès international du crédit populaire, tenu à 
Paris du 8 au 11juillet 1900. Proces-verbaux sommaires, par M. D. (secrétaire général 
adjoint du congrès. Paris, impr. nationale, 1900. 8. 72 pag. 

Cordingley, W. G., Dictionary of stock exchange terms. London, E. Wilson, 
1901. crown-8. 96 pp. 2/.6. 

Hurrell, H. and Clar. G. Hyde, The joint stock companies’ practical guide, 
7% ed. London, Waterlow, 1901. 8. 400 pp. 6/.—. 

Parker Willis, H., A history of the latin Monetary Union, a study of inter- 
national monctary action. Chicago, the University of Chicago Press, 1901. 8. 332 pp. 

Report of the Director of the Mint upon the production of the precious metals 
in the United States, during the calendar year 1899. Washington, Government Printing 
Office, 1900. 8. 435 pp. 


9. Soziale Frage. 


Sacher Ed. K. K. Direktor, Die Massenarmut, ihre Ursache 
und Beseitigung. Akademischer Verlag für soziale Wissenschaften Dr. 
John Edelheim. Berlin-Bern 1901. 


Die Erscheinung, daß die Arbeit an und für sich immer ergiebiger 
wird, während gleichzeitig die Menschen, die diese Arbeit verrichten, 
immer ärmer werden, welche der Verf. als erwiesene Thatsache auf- 
faßt, hat ihn zu seiner Schrift angeregt. Um zur Lösung dieses Rät- 
sels zu gelangen, ist es notwendig, sich eine Vorstellung von der 
Gesamtwirtschaft eines Volkes zu machen. Ausgehend von den wichtigsten 
Bedürfnissen nach Nahrung, Wohnung und Kleidung, bespricht der 
Verfasser die Entstehung des Eigentums durch Arbeit, die Arbeits- 
teilung und das damit verbundene Tauschgeschäft, das den Grund- 
gedanken für die Wirtschaftsmoral und für das wirtschaftliche Recht 
bildet. Die Frage, ob der Boden für die wachsende Bevölkerung noch 
lange ausreichen werde, wird dahin beantwortet, daß bei vernünftiger 
Bewirtschaftung die hundertfache Anzahl der heutigen Menschen sich 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 725 


Nahrungsmittel leicht verschaffen könne. So könne Deutschland bei 
etwas intensiverer Landwirtschaft leicht 150 Millionen Menschen ernähren. 

Im Anschluß an den Darlehnsvertrag geht der Verfasser sehr ein- 
eingehend auf die Geschichte und Wirkung des Zinses ein. Im Zins 
ist die Ursache der Massenarmut zu erblicken, und „die Beseitigung 
des Wucherrechtes ist demnach der wichtigste Teil der Lösung der 
sozialen Frage“ (S. 51). 

Zur Beseitigung dieser Ursache ist eine Revolution nicht am 
Platze, „Da die Ursache der Massenarmut wirtschaftlicher Natur ist, 
so ist es höchst wahrscheinlich, daß die Heilmittel gegen diese Krank- 
heit auf wirtschaftlichem Gebiet gesucht werden müssen.“ Zu diesem 
Zweck hat der Verfasser in der gegenwärtigen Wirtschaftsweise nach 
Keimen für deren nächste Form gesucht und in England in den Pro- 
duktivgenossenschaften und Konsumvereinen gefunden. Selbstdisciplin 
und Sparsamkeit müssen vpraufgehen, ehe man den Weg der Selbst- 
hilfe betritt. Um aber dem Volke den Sparsinn in richtiger Weise 
anzuerziehen und um es zu vermeiden, daß das allgemeine Elend nur 
noch vergrößert werde, wie es bei der heutigen Art zu sparen der Fall 
ist, wird die Gründung eines Sparvereins empfohlen. 

Dieser Verein soll die drei Wege, auf denen der Zins aufgebraucht. 
wird, versperren. Die Vereinsmitglieder müssen erstens so gestellt 
werden, daß sie durch Organisation des Handels unter den erhöhten 
Verkaufspreisen nicht mehr zu leiden haben. Die Ueberproduktion, 
der zweite Weg, läßt sich dadurch beseitigen, daß die Mitglieder wesent- 
lich für einander arbeiten. Drittens sollen die Mitglieder mit Arbeits- 
mitteln versehen werden, „so daß sie sich der Unterzahlung der Lohn- 
arbeit nicht mehr wegen ihrer Notlage zu unterwerfen brauchen.“ 

Damit ist der Weg zur Beseitigung der Massenarmut angegeben. 
Der Schrift sind als Anhang die Satzungen des zu gründenden Vereins 
beigegeben. Die beitretenden Mitglieder haben die allgemeine Ver- 
pflichtung, zur wirtschaftlichen Förderung aller Mitglieder und zùr 
thunlichen Förderung des Vereinsvermögens beizutragen. Außerdem 
wirken sie bei der Durchführung der drei angegebenen speciellen wirt- 
schaftlichen Aufgaben mit. Alle, die elend sind und in ihrer Wirt- 
schaft nicht vorwärts kommen und den Armen helfen wollen, sind auf- 
gefordert, den allgemeinen Sparverein Selbsthilfe zu gründen. Der 
Verfasser hebt aber hervor: „Die soziale Frage vollständig zu lôser, 
ist natürlich nicht die Sache eines Privatvereins, denn es bleiben ganz 
selbstverständlich einige wirtschaftliche Maßregeln übrig, welche nur 
die Gesetzgebung unternehmen kann“ (S. 53). 

Die Anregung zu derartigen staatlichen Gesetzen soll den politischen 
Vereinen überlassen bleiben, da für den Sparverein die genannten drei 
Aufgaben vollauf genügen. 


Halle S. Franz Dochow. 
Becker (LandgerDir. u. Vorsitzender des Dresdner Spar- u. Bauvereins), Die Woh- 


nungsfrage und ihre Lösung auf baugenossenschaftlichem Wege. Dresden, v. Zahn A 
Jaensch, 1901. gr. 8. 44 SS. 


726 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Centralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen. Vorberichte für die Konferenz 
am 6. u. 7. Mai 1901 in München: Die Fürsorge für die schulentlassene gewerbliche 
männliche Jugend. Berlin, Heymanns Verlag, 1901. 8. 67 SS. (Als Manuskr. gedruckt.) 

Wie wirtschaftet man gut und billig mit einem jährlichen Einkommen von 1400— 
2000 Mark? Dresden, G. V. Böhmert, 1900. 8. 38 SS. M. 0,20. Herausgeg. von 
der volkstümlichen Ausstellung für Haus und Hof in Dresden. (A. u. d. T.: Volks- 
wohlschriften von (Prof.) V. Böhmert, Dresden, Heft 29.) 


Congrès international du patronage de la jeunesse ouvrière, tenu à Paris du 10 
au 13 juin 1900. Procès-verbaux sommaire, par P. Griffaton (secrétaire général du 
congrès. Paris, impr. nationale, 1901. 8. 27 pag. (Exposition universelle de 1900.) 

Grève (la) générale. Paris, impr. Mangeot, 1901. 8. 16 pag. (Publication du 
Comité de propagande de la grève générale. Table: La grève generale. — Pourgoi la 
grève générale. — Son but. — Ses moyens. — Lendemain de grève générale et attitude 
des partis politiques.) 

Andersson, Thor, Om nykterheten och Göteborgs maltdrycksaktiebolag. Göte- 
burg, Wettergren & Kerber, 1901. 8, 32 blz. (Vorschlag, betreffend Ausdehnung des 
Gothenburger Absistenzsystems auf den Bierausschank.) 

Page, Jesse, General Booth. The man and his work. London, Partridge, 1901. 
crown-8. 160 pp. with portr. of General Booth. 1/.6. (New century leaders.) 


10. Gesetzgebung. 


Dambach, O. (weil. Wirkl. GehR. ete.), Das Gesetz über das Postwesen des 
Deutschen Reichs vom 28. 10. 1871. Erläutert. 6. Aufl., hrsg. von (PostR.) E. v. 
Grimm. Berlin, R. Schoetz, 1901. 8. XXIII—364 SS. M. 5.—. 

Gesetzsammlung vom Jahre 1900, Heft 3: (Gesetzartikel. N° XXIII—XXX VI.) 
Budapest, Pester Buchdruckerei-Aktiengesellschaft, 1900. gr. 8. Kr. 3,30. (Herausgeg. 
vom k. ung. Ministerium des Innern.) 

Grotefend, G. A. (GehRegR.), Das gesamte deutsche und preußische Gesetz- 
gebungsmaterial. Die Gesetze und Verordnungen sowie die Ausführungsanweisungen, 
Erlasse, Verfügungen etc. der preußischen und deutschen Centralbehörden. Zusammen- 
gestellt und herausgeg. von G. Jahrgang 1900. Düsseldorf, L. Schwann, 1901. gr. 8. 
977 SS. 

Josef, E. (Notar a. D., Freiburg i. Br.), Rechtsfälle zum Handelsgesetzbuch unter 
Berücksichtigung von Vorschriften des sonstigen bürgerlichen Reichsrechts. Berlin, Fr. 
Vablen, 1901. 8. IV—163 SS. M. 2.—. 

Mancke, Die Bürsenjuristen gegen das Reichsgericht. Berlin, Selbstverlag, 1900. 
gr. 8. 89 SS. 

v. Mandry, G., Das Grundbuchwesen in Württemberg. Tübingen, H. Laupp- 
sche Bhdl., 1901. gr. 8. 52 SS. M. 1.—. 

Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiete des Civilrechts. Her- 
ausgegeben von B. Mugdan und R. Falkmann (KammergerRäten). I. Band, Jahrg. 1900. 
Leipzig, Veit & C°, 1900. Lex.-8. XVI—492 SS. M. 6.—. 


Rochette, H., Législation des logements insalubres (loi de 1850); aperçus eri- 
tiques sur les législations étrangères; projet de loi de 1901. Lyon, impr. Legendre 
& C", 1900. 8. 280 pag. 

Pingrey, D. H., Treatise on the law of suretyship and guaranty. Albany, 
Matthew Bender, 1901. 8. 459 pp. $ 4.—. 

Lavänyi, B., A birtokos és gazdatiszt közti jogviszonyok szabályozásáról szóló 
törvény magyarázata. Budapest, Grill, 1900. 8. 164 pp. (Erläuterung des Gesetzes betr. 
Regelung des Rechtsverhältnisses zwischen Landwirten und landwirtschaftlichen Beamten 
in Ungarn.) 


11. Staats- und Verwaltungsrecht. 


Angerburg. Verwaltungsbericht des Kreisausschusses des Kreises Angerburg für 
1900/1901. Angerburg 1901. Folio. 12 SS. — Kreishaushaltsetat des Kreises Anger- 
burg für die Zeit vom 1. IV. 1901 bis 31. III. 1902. Ebd., Druck von G. Werda, 
1901. Folio. 13 SS. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 727 


Bochum. Bericht des Magistrats der Stadt B. über die Verwaltung und den 
Stand der Gemeindeangelegenheiten für das Rechnungsjahr 1899. Bochum, Druck von 
W. Stumpf, 1901. 4. 145 SS. — Städtische Beleuchtungs- und Wasserwerke Bochum. 
Verwaltungsbericht für die Zeit vom 1. IV. 1899 bis 31. III. 1900. Ebd. 1900. 4. 


Dengler, P., Der 29. schlesische Bädertag und seine Verhandlungen nebst dem 
medizinischen , statistischen Verwaltungsbericht für die Saison 1900. Reinerz, 1901. 
gr. 8. 150 SS. 

Flensburg. Haushaltungsplan der Stadt Flensburg für das Rechnungsjahr vom 
1. IV. 1901 bis Ende März 1902. Flensburg, Druck von J. B. Meyer, 1901. Lex.-8. 
162 SS. 

Generalbericht über die Sanitätsverwaltung im Königreich Bayern. XXX. Band 
(Neue Folge XIX. Band), das Jahr 1899 umfassend. München, Fr. Bassermann, 1901. 
gr. 8. 351 u. 53 SS. mit 22 Tabellen, 8 Kartogrammen und 20 Diagrammen (Heraus- 
gegeben vom k. Staatsministerium des Innern. Bearbeitet im k. statistischen Bureau.) 

Halle a/S. Haushaltspläne der Stadt Halle a/S. für das Rechnungsjahr 1901. 
Halle a/S., Gebauer-Schwetschkesche Buchdruckerei, 1901. gr. 4, 706 SS. 

Hamburgisches Staatshandbuch für 1901. Amtliche Ausgabe. Hamburg, gedruckt 
bei Lüteke & Wulff, 1901. kl. 4. 403 SS. 

Hubrich, E., Parlamentarische Immunität und Beamtendisciplin. Ein Beitrag 
zur rechtlichen Beleuchtung der „Beamtenmaßregelung“ in Preußen. Berlin, Gose & 
Tetzlaff, 1901. gr. 8. 63 ss. M. 1.—. 

Hugo, C., Die deutsche Städteverwaltung. Ihre Aufgaben auf den Gebieten der 
Volkshygiene, des Städtebaus und des Wohnungswesens. Stuttgart, J. H. W. Dietz 
Nachf., 1901. gr. 8. XII—512 SS. M. 10.—. 

Königsberg i. Pr. Stadthaushaltsetat von Königsberg i. Pr. für das Rechnungs- 
jahr 1. IV. 1901/1902. 3 Hefte. Königsberg 1901. 4. 139; 164; 192 SS. 

Landsberg a. W. Bericht des Magistrats über die Verwaltung der Gemeinde- 
angelegenheiten für das Rechnungsjahr 1899. Landsberg a. W., Buchdruckerei des General- 
anzeigers, 1900. kl. 4. 60 SS. 

M. Gladbach. Haushaltspläne der Stadt M. Gladbach für das Rechnungsjahr 
1901. M. Gladbach, Druck von A. Korten, 1900. 4. 73 SS. 

Sammlung der Polizeiverordnungen und polizeilichen Vorschriften für Berlin. 4. 
umgearb. u. vermehrte Ausgabe. 3 Bde. Im amtlichen Auftrage herausgeg- Ende De- 
zember 1900. Berlin, A. W. Hayns Erben, 1900—1901. gr. 8. (Inhalt: I. Bd. Bicher: 
heits- und Ordnungspolizei, Medizinal- und Sanitätspolizei. 1V—517 SS. M. 7. 
II. Bd. Gewerbepolizei. 668 SS. M. 10,50. — III. Bd. Strom- und Schiffahrtspolizei, 
Baupolizei. 1V—186 SS. M. 3.—.) 

Verfassung, die, für die Ver. Staaten von Amerika. Uebersetzt und erläutert, 
Tübingen, J. C. B. Mohr, 1901. 8. VII—184 SS. M. 3.—. 

Verwaltung, die, der öffentlichen Arbeiten in Preußen 1890 bis 1900. Bericht 
an Se. Maj. den Kaiser und König, erstattet von dem Minister der öffentlichen Arbeiten. 
Berlin, Jul. Springer, 1901. Lex.-8. X—330 SS. mit 22 Abbildgn. im Text, 33 An- 
lagen und 2 Karten in größt. Imp.-qu.-Folio. 


Annual report of the executive Department of the city of Boston for the year 
1899. 2 parts. Boston, Munieipal Printing Office. 1900. 8. ca. 2800 pp. with numerous 


plates, charts, diagrams ete. (Contents: Part I: Address of Mayor. — Art Department. 
— Assessing Department. — Auditing Department. — Building Department. — Cemetery 
Department. — Children’s Institutions Department. — City Clerk Department. — City 
Messenger Department. — Clerk of Committees Department. — Colleeting Department. 
— Election Department. — Engineering Department. — Fire Department. — Health 
Department. — Hospital Department. — Insane hospital Department. — Institutions 


Registration Department. — Inspection of vessels and ballast Department. — Lamp 


728 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 


Department. — Law Department. — Part II: Library Department. — Market Depart- 
ment. — Music Department. — Overseeing of the Poor Department. — Park Depart- 
ment. — Pauper Institutions Department. — Penal Institutions Department. — Printing 
Department. — Public Buildings Department. — Public Grounds Department. — Registry 
Department. — Sailing of Weights and Measures Department. — Sinking Funds Depart- 
ment. — Soldiers’ Relief Department, — Statistics Department, — Street Department. 
— Street Laying-out Department. — Treasury Department. — Water Department. — 
Wire Department.) 

City of Boston. Statistics Department. Special publications n°6: Extraordinary 
receipts and expenditures 1893—1897. Boston, Municipal Printing Office, 1900. gr. in-4. 
218 pp. 

Hopkins, J. H., A history of political parties in the United States, being an 
account of the political parties since the foundation of the government. Together with 
a consideration of the conditions attending their formation and development, with a 
reprint of the several party platforms. London, Putnam’s Sons, 1901. 8. 477 pp. 
12/.6. 

12. Statistik. 


Allgemeines. 


Staats-, Hof- und Kommunalhandbuch des Reichs und der Einzelstaaten (zu- 
gleich statistisches Jahrbuch). Herausgeg. von Jos. Kürschner. 16. Ausgabe: 1901. 
Leipzig, G. J. Göschen, 1901. 8. IV—1252 Spalten mit Porträts, Flaggen-, Wappen- 
und Ordenstafeln. M. 6,50. 


Deutsches Reich. 


Statistik der Evangelisch - protestantischen Landeskirche im 
Großherzogtum Baden. Herausgegeben vom Ev. Pfarrverein im Groß- 
herzogtum Baden. Verlag desselben. Karlsruhe 1900. 220 SS. 

Die Arbeit würde wohl besser mit dem Namen Amtskalender 
oder Stellen- und Personalverzeichnis bezeichnet worden sein. Denn 
sie giebt zwar ein sehr genaues Verzeichnis der evangelischen Pfarreien 
mit eingehender Beschreibung der Kirchen, Pfarrhäuser, Gottesdienste 
u. s. w., der Finanzverhältnisse, Angabe der Seelenzahl, der wichtigsten 
bürgerlichen und sonstigen Verhältnisse, nach denen ein Pfarrer sich 
etwa eine Stelle auswählen würde. Aber eine Zusammenfassung der 
Einzelangaben in tabellarischen Uebersichten oder eine irgend sonst 
als spezifisch statistische Arbeitsleistung zu bezeichnende Verarbeitung 
des reichhaltigen Materials fehlt vollständig. Als Nachschlagebuch, 
vielleicht im Sinne eines kirchlichen Adreßbuchs, wird die Arbeit also 
ihren Wert haben; für eine statistische Erfassung der Verhältnisse der 
Evangelisch-protestantischen Landeskirche in Baden giebt sie aber doch 
nur Materialien hinsichtlich der Pfarrer, deren Verarbeitung zu wirk- 
licher „Statistik“ erst noch erfolgen müßte. Eine Feststellung der 
Verhältnisse im kirchlichen Leben der Gemeinden selbst, deren Ent- 
wickelung mit Zahlen mefbar ist, ist nicht beabsichtigt, hätte aber 
doch erfolgen müssen, wenn man den Titel im strengen Wortsinne 
erklärt. 

Aachen. W. Kahler, 


Ergebnisse, vorläufige, der Volkszählung vom 1. XII. 1900 im Königreich 
Preußen sowie in den Fürstentümern Waldeck und Pyrmont. Berlin, Verlag d. K. 
statist. Bureaus, 1901. Roy.-4, XVIII—66 SS. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 729 


Jahrbuch, statistisches, für das Großherzogtum Baden. Jahrg. XXXI, 1900. 
Karlsruhe, Macklotsche Druckerei, 1901. gr. 8 XXII—559 SS. 

Statistik des Deutschen Reichs. N. Folge. Band 130, Abteilung 2: Die See- 
schiffahrt im Jahre 1899. Bearbeitet im kais. statistischen Amt. II. Abteilung: See- 
verkehr in den deutschen Hafenplätzen ; Scereisen deutscher Schiffe. Berlin, Putt- 
kammer E Mühlbrecht, 1901. Imp.-4. 134 u. 124 SS. M. 4.—. 


England. 

Annual report, LXII", of the Registrar-General of births, deaths, and marriages 
in England (1899). London, printed by Darling & Son, 1901. gr. in-8. CXLIV—308 pp. 
2/).—. (Parl. paper. Contents: Report to the R. Hon. Walter H. Long, President of 
the Local Government Board ete. presented by Reg. Mac Lead, Registrar-General. 
— etc.) 


Oesterreich- Ungarn. 


Ergebnisse, vorläufige, der Volkszählung vom 31. XII. 1900 in den im Reichs- 
rate vertretenen Königreichen und Ländern. Bearbeitet und herausgeg. von der k. k. 
statistischen Centralkommission. Wien, A. Hölder, 1901. gr. 8 XXXI—156 SS. 
M. 3,20. 

Nachweis, provisorischer, des Zwischenverkehres zwischen den im Reichsrate ver- 
tretenen Königreichen und Ländern und den Ländern der ungarischen Krone im Jahre 
1900. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1901. Lex.-8. 52 SS. (Herausgeg. vom 
k. k. zwischenverkehrsstatistischen Amte im k. k. Handelsministerium.) 

Magyar statisztikai küzleméniek. Új folyam, XXVIT kötet: A Magyar korona 
országainak mezögazdasági statisztikája. Negyedik rész: Végeredmények. Budapest, 
Pester Buchdruckereiaktiengesellschaft, 1900. Folio. 118 u. 234 SS. Mit 17 graphi- 
schen Karten. (Ungarische statistische Mitteilungen. N. Folge, Band XVII: Landwirt- 
schaftliche Statistik der Länder der ungarischen Krone. 1V. Teil: Endergebnisse. Im 
Auftrage des k. ungarischen Handelsministers verfaßt u. hrsg. vom k. ung. statistischen 
Centralamt. Kr. 8.—.) 

Magyar statisztikai évkönyv. IT. Évfolyam 1899: Ungarisches Jahrbuch. Neue 
Folge. Bd. VII (1899). Im Auftrage des kön. ung. Handelsministers verfaßt und her- 
ausgegeben durch das k. ungar. statistische Centralamt. Amtliche Uebersetzung aus dem 
ungarischen Originale. Budapest, Buchdruckerei der Aktiengesellschaft Athenaeum, 
1901. gr. 8. XIX—442 SS. (Inhalt: Flächeninhalt, Bevölkerung und Sanitätswesen. 
— Volkswirtschaft. — Allgemeine Bildung. Unterrichtswesen und kirchliches Leben. 
— Staatliches und munizipales Leben.) 


Italien. 
Popolazione. Movimento dello stato civile, anno 1899. Roma, tip. di G. Bertero 
& C°, 1901. Lex. in-8. LIX—71 pp. (Pubblicazione del Ministero di agricoltura, 
industria e commercio, Direzione generale della statistica.) 


Holland. 


Bijdragen tot de statistiek van Nederland. Uitgegeven door het Central Bureau 
voor de Statistiek. Nieuwe volgreeks n° 3: Uitkomsten der VIII tienjaarlijksche 
volkstelling in het Koninkrijk der Nederlanden gehouden op den 31“*% XII 1899 (met 
uitzondering van de beroepstelling en de woningsstatistiek). Deel I, V en VI. (Ergeb- 
nisse der VIII. Zählung der Bevölkerung des Königreichs der Niederlande am 31. De- 
zember 1900, ausschließlich der Berufs- und Gebäudezählung. Teil I. Provinz Nord- 
brabant 345 SS.; Teil V. Provinz Seeland 178 SS.; Teil VI. Provinz Utrecht 148 SS.) 
’s Gravenhage, 1901. Folio. 

Bijdragen tot de statistiek van Nederland. Nieuwe volgreeks. IV. Statistiek 
der gemeentefinantien in 1897. ’s Gravenhage, Gebr. Belinfante, 1901. Lex. in-8. VIH — 
123 pp. 

Jaarcijfers voor het koninkrijk der Nederlanden. Rijk in Europa 1899. ’s Graven- 
hage, Gebr. Belinfante, 1900. gr. in-8. XXVIII —276 pp. (Herausgegeben vom stati- 
stischen Centralbureau des KReichs der Niederlande.) 


730 Uebersicht über die nenesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Coffee-statisties running from 1884 to 1905. Compiled by J. H. F. Schmedding 
& Zonen. Amsterdam, J. H. de Bussy, 1901. 4. 33 blz. fl. 1,50. 


Schweiz. 


Schweizerische Statistik. Lieferung 127: Die Bewegung der Bevölkerung in 
der Schweiz im Jahre 1899. Bern, Schmid & Francke, 1901. 4. 32 SS. (Herausgeg. 
vom statistischen Bureau des eidgen. Departements des Innern.) 


Amerika (Ver, Staaten). 


Abstract, statistical, of the United States, 1900. XXIII“ number. Washington, 
Government Printing Office, 1901. gr. 8. XV—467 pp. (Contents: Population. — 
Finance. — Commerce. — Agricultural and other leading products. — Mining. — 
Railroads and telegraphs. — Immigration. — Education. — Public lands. — Pensions. 
— Postal service. — Prices. — Tonnage. — etc.) [Prepared by the Bureau of Statisties 
under the direction of the Secretary of the Treasury.) 

Annual report, XIII", of the Bureau of statistics of labor, March (for the com- 
monwealth of Massachusetts) 1900. Boston, Wright & Potter Printing C°, 1900. gr. in-8. 
XXI—247 pp. cloth. (Contents: Part I. Changes in conducting retail trade in Boston, 
since 1874. — Part II. Chronology, 1899: Hours of labor; Wages; Trade Unions; 
Condition of workingmen, and labor legislation.) 

Annual statistics, the, of manufactures for the year 1899. XIV‘ report. Boston, 
Wright & Potter Printing C°, 1900. gr. in-8. XI—168 pp., cloth. (Publication of the 
Bureau of Statisties of labor) for the commonwealth of Massachusetts. Contents: Part I. 
Industrial chronology, 1899; Part II. Statistics of Manufactures, 1898, 1899.) 


13. Verschiedenes. 


Achelis, Th., Die Wandlungen der Pädagogik im XIX. Jahrhundert. Berlin, 
S. Cronbach, 1901. 12. 204 SS. M. 2,50. (A. u. d. T.: Am Ende des Jahrhunderts. 
Bd. XXI.) 

Behringer, G. (Freiburg i. B.), Die Gefüngnisschule. Ein Ueberblick über die 
geschichtliche Entwiekelung, den heutigen Stand und die Bedeutung des Schul- und 
Bildungswesens in Strafanstalten. Leipzig, C. L. Hirschfeld, 1901. gr. 8. IV—132 SS. 
M. 3,60. 

Bleibtreu, K., Zur Geschichte der Taktik und Strategie. 2. Ausgabe. Berlin, 
A. Schall, 1901. 8. XVI—495 SS. mit 11 Karten. M. 3.—. 

Jähns, Max, Was ist des Deutschen Vaterland? Berlin, G. Reimer, 1900. 8. 
46 SS. M. 0,50. 

Jahrbuch der Astronomie und Geophysik. Enthaltend die wichtigsten Fortschritte 
auf den Gebieten der Astrophysik, Meteorologie und physikalischen Erdkunde. Unter 
Mitwirkung von Fachmännern herausgeg. von Herm. J. Klein. XI. Jahrg.: 1900. 
Leipzig, Ed. H. Mayer, 1901. gr. 8. VIII—379 SS. mit 5 Tafeln in Schwarzdruck. 
M. 7.— 

Jahrbuch der Wiener k. k. Krankenanstalten. Herausgegeben von der k. k. n.- 
österr. Statthalterei. Jahrg. VII (1598) in 2 Teilen. Wien, W. Braumüller, 1900. 
Imp.-8. X—527 u. 366 SS. mit 13 Taf. u. 3 Abbildgn. im Text. M. 10.—. 

Jahresberichte über das höhere Schulwesen, herausgegeben von Conrad Reth- 
wisch. Jahrg. XIV. Berlin, R. Gaertner, 1900. gr. 8. VII—700 SS. M. 14.—. 

Kampf, der, um die deutsche Schulschreibung im Jahre 1900. Urkundliche Bei- 
träge zu einem nicht unwichtigen Kapitel der Geschichte unserer Muttersprache. Leipzig, 
Verlag des Börsenvereins deutscher Buchhändler, 1900. 8. 32 SS. M. 0,50. 

v. Müller, A. (OLeutnant im 1. Hanseatischen Infanterieregim. N° 75), Der Krieg 
in Südafrika 1599/1900 und seine Vorgeschichte. 5 Teile (in 1 Bande). 4. Aufl. Berlin, 
Liebelsche Buchhdl., 1900. gr. 8 VII—320 SS. mit zahlreichen Karten, Skizzen und 
Anlagen. M, 6.—. 

Provinzial-Irrenanstalt zu Leubus in Schlesien. Aus dem Jahresbericht für 
1899/1900. Wohlau, Buchdruckerei Schulze, 1900. 8. 30 SS. 

Schmölzer, Hans, Andreas Hofer und seine Kampfgenossen. Innsbruck, Wagner- 
sche Universitätsbuchhandlung, 1900. gr. 8 NIII—255 SS. mit zahlreichen in den 
Text gedr. Porträts u. 1 Karte. M. 5.—., 


Die periodische Presse des Auslandes. 731 


Stern, Alfr., Geschichte Europas seit den Verträgen von 1815 bis zum Frank- 
furter Frieden von 1871. Band IH. Berlin, Hertz, 1901. gr. 8. XII—419 SS. 
M.7.— 

Taube, Fr. W., Ludwig der Aeltere als Markgraf von Brandenburg (1328— 
1351). Berlin, E. Ebering, 1900. gr. 8. 146 SS. mit 1 Stammtafel. M. 4—. (A. u. 
d. T.: Historische Studien, Heft 18.) 

Türkel, S., Irrenwesen und Strafrechtspflege. Ein Vortrag über einige Kapitel 
aus der forensischen Psychiatrie, dem Straf- und StrafprozeBrecht, gehalten im Jänner 
1900. Wien, Manz, 1900. gr. 8. 38 ss. M. 2. 

Verhandlungen über Fragen des höheren Unterrichts. Berlin, 6. bis 8. Juni 
1900. Halle a. S., Verlag der Buchhdl. des Waisenhauses, 1901. gr. 8. XVI-414 SS. 
M. 5.—. (Nebst einem Anhange von Gutachten herausgeg- im Auftrage des Kultus- 
ministers.) 

Walcker, K. (Privdoz., Univ. Leipzig) , Priesterherrschaft oder Laienherrschaft? 
Sondershausen, Fr. A. Eupel, 1901. gr- 8. XI-36 SS. M. 1.—. 


Dupuis, V. (eapitaine breveté d’Etat-Major), L'évolution militaire en Allemagne 
et en France. Essais de sociologie militaire. Paris, G. Kleiner, 1901. 8. fr. 2,50. 
Annual report of the Board of Regents of the Smithsonian Institution, showing 
the operations, expenditures, and condition of the Institution for the year ending June 
30, 1898. Washington , Government Printing Office, 1899. gr. in-8. LV—713 pp- 
with plates and charts. 

Purves, G. T. (Prof. of Princeton theological Seminary), Christianity in the 
Apostololic age- London, Smith, Elder & C°, 1901. 8. 6/.—. 

Report of the Commissioner of Education for the year 1898—99. Vol. I. Was- 
hington, Government Printing Office, 1900. gr. in-8. VIII — pp- 1249—2518, cloth. 
Contents: Education and crime. — Education in Canada. — Education in Alaska. — 
IX" Annual report of the introduetion of domestie reindeer into Alaska. — Consular 
reports: Study of commerce in France. Education of German consuls. Workingmen’s 
aid societies in France. — List of foreign Universities and other institutions of higher 
education. — City school systems. — Institutions for higher education. — Professional 
schools. — Agricultural and mechanical colleges. — Statistics of normal schools. — 
Statistics of secondary schools. — Commercial and business schools. — Education of 
the colored race. — Schools for the defective classes. — Statistics of publie kinder- 
gartens. — Contribution to the history of normal schools in the United States. — Necro- 
logy for 1898. — Statisties of elementary education in foreign countries. — ete. 

Whittaker, T., The neo-Platonists: a study in the history of Hellenism. New 
York, Macmillan, 1901. 8. 244 pP- $ 2.—. (Cambridge Univ. Press ser.) 

d’Andrea, Givanni, Progetto di regolamento d’igiene per la citta di Taranto. 
Taranto 1900. 8. XIV—368 pp. 

Malagodi, O., Imperialismo, la civiltà industriale € le sue conquiste: studi 
inglese. Milano, fratelli Treves, 1901. 12. XI—414 pp. L 4.—. 


Die periodische Presse des Auslandes. 
A. Frankreich. 


Bulletin de statistique et de législation comparée. KXVime année, 1901, Mars: 
A. France: Loi portant fixation du budget général des dépenses et des recettes de 
l'exercice 1901. — Produit des contributions indirectes pendant Vannée 1901. — Les 


bons du Trésor. — Les revenus de PEtat. — Le commerce extérieur, mois de Février 
1901. — B. Pays étrangers: Pays divers: Production des métaux précieux. Les émissions 


732 Die periodische Presse des Auslandes. 


publiques en 1900. — Angleterre: Le produit de l’income-tax. — Espagne: La contri- 
bution industrielle et commerciale. — Russie: Le régime d'exportation des sucres. 
— etc. 


Journal des Economistes. Revue mensuelle. 60° année, 1901, Avril: Un pro- 
fesseur d'économie politique sous la restauration: J. B. Say, au Conservatoire des arts 
et métiers par A. Liesse. — Le mouvement financier et commercial, par Maur. Zablet. 
— Revue des principales publications économiques de l’étranger, par Em. Macquart. — 
La lutte contre les relèvements du droit sur les céréales en Allemagne, par Arthur 
Raffalovich. — Les dessous de la civilisation, par Fred. Passy. — Correspondance, par 
Vilfr. Pareto. — Société d'économie politique, réunion du 4 avril 1901. Discussion: 
De l’accaparement. — Comptes rendus. — Chronique. — etc. 

Revue d'économie politique. 15° année, 1901. N° 3, Mars: La crise du vin en 
France et les associations de vinification, par Ch. Gide. — La nouvelle réglementation 
de la journée de travail et ses premiers effets dans la grande industrie du Nord, par 
Maur. Bourguin. — Une forme nouvelle d'organisation du travail par les groupements 
professionnels, par Raoul Jay. — Le système des impôts directs d'Etat en France, par 
H. Truchy (suite) — Chronique législative. — etc. 

Revue politique et parlementaire. N° 82, 10 avril 1901: La réforme de Pen- 
seignement secondaire, par Th. Ferneuil. — La valeur dans le système collectiviste, 
par Maur. Bourguin (1% Article.) — Régime parlementaire et principe représentatif, par 
Félix Moreau (2° article.) — L'établissement du jury en 1790, par Edm. Seligman. — 
Les solutions du problème des retraites A l'étranger, par G. Salaun, — Un nouveau 
traité de droit administratif (par Berthélemy, prof. à l’Université de Paris) par Maur. 
Colin. — Ouvrages et brochures publiés à l’occasion de J’Exposition de 1900 (suite). — 
Revues des principales questions politiques et sociales, par R. Darlae et D. Zolla. — 
Les Russes en Mandchourie, par B. Zenzinoff. — etc. 

Revue internationale de sociologie 9° année, 1901, N° 3, Mars: Programmes de 
sociologie générale, par Aless. Groppali et Tongo Takébé (prof.-adjoint à l’Université de 


Tokio.) — Du déterminisme et de la responsabilité sociologiques, par Raoul de la 
Grasserie (suite et fin). — Société de sociologie de Paris: Séance du 13 février 1901: 


La Roumanie A PExposition universelle, par N. Mihaesco. — Mouvement social: Belgique, 
par O. Pyfferoen. — ete. 


B. England. 


Economie Review, the. Published for the Oxford University branch of the 
Christian Social Union. Vol. XI, N° 2, April 15, 1901: The Indian currency „experi- 
ment“, by W. Warrand Charlile. — Temperance reform: What blocks the way? by 
(Rev) T. C. Fry. — Life in manufacturing towns of Lancashire and Yorkshire, by 
J. Garrett Leigh. — John Woolman: a social reformer of the XVIII century, by 
(Miss) E. C. Wilson. — The demands of the French miners in the Pas-de-Calais, by 
Yan’ Keravie. — Recent progress of labour co-partnership, by A. Williams and H. Vivian. 
— The prospects of a stock exchange boom, by Walter F. Ford. — Legislation, parlia- 
mentary inquiries, & offic. returns, by E. Cannan. — etc. 

Nineteenth Century the, and after, N° 291, May 1901: The costs of the war, 
by (the Earl of) Camperdown. The national theatre, by Frank R. Benson. — The 
housing problem, by (Canon) Barnett. — The native Indian Press, by J. D. Rees. — 


„Australia for the white man“ again, by G. Parker. — Korea from the Japanese stand- 
point, by H. N. G. Bushby. — The blunder of modern education, by Har. E. Gorst. — 
Is law for the people or for the lawyers?, by (Judge) Emden. — Co-operative profit- 
sharing canteens, by J. W. Fortescue. — ete. 


Westminster Review, 1901, May: The worlds’ true heirs; or, true and false 
imperialism, by F. A. White. — Why not Irish volunteers? by Th. E. Naughter. — 


The working classes and conscription, by Anti-Jingo. — Land ownership; or, the right 
to land, by Franklin Thomasson. — Civil service inequalities and abuses, by Ashley de 
Burgh. — An ethical birth-rate, by Frances Swiney. — Hooliganism and working-boys’ 
clubs, by E. Morley. — ete. 


C. Oesterreich. 


Handelsmuseum, das. Herausgeg. vom k. k. österreichischen Handelsmuseum. 
Band XVI, N°16 u. 17 vom 18. und 25. April 1901: Die Neugestaltung der deutschen 


Die periodische Presse des Auslandes. 733 


Handelspolitik. -— Die Errichtung eines italienischen Musterlagers in Janina. — Argen- 
tiniens Saladeroindustrie im Jahre 1899/1900. — Transportverhältnisse auf russischen 
Eisenbahnen und binnenländischen WasserstraBen. — Die Handelspolitik Englands 
(Forts. aus Nr. 15). — Die wirtschaftliche Lage der Capkolonie. — Ein internationales 
Zinkkartell. — Winke für den Export von Glas- und Porzellanwaren. — Werte der 
deutschen Ein- und Ausfuhr 1900. — Kommerzielle Verhältnisse in den spanischen Be- 
sitzungen an der nordmarokkanischen Küste. — ete. 

Monatsschrift, statistische. Herausgeg. von der k. k. statistischen Central- 
kommission. N. Folge VI. Jahrg., 1901, Heft 2 u. 3, Februar-März: Vorläufige Er- 
gebnisse der Volkszählung vom 31. XII. 1900 in den im Reichsrate vertretenen König- 
reichen und Ländern. — Aus den Sitzungen der k. k. statistischen Centralkommission. 
— Schweden, sein Volk und seine Industrie, von R. v. Pflügl. — Die Sterblichkeit in 
den größeren Städten und Gemeinden Oesterreichs im Jahre 1900, von v. Bratassevič. 


— ete. 
Soziale Rundschau. Herausgeg. vom Arbeitsstatistischen Amte im k. k. Handels- 
ministerium. Jahrg. II, 1901, Februarheft: Lohnhöhe und Arbeitszeit. — Arbeiter- 


schutz; Das neue schwedische Gesetz über die Verwendung von Jugendlichen und 
Frauen im Fabrikbetriebe. Gesetzgebung zum Schutze der landwirtschaftlichen Arbeiter 
in Ungarn. — Gewerbeinspektion. — Unternehmerorganisationen. — Arbeiterorganisationen . 
Die Gewerkschaftskommission Oesterreichs im Jahre 1900. — Die französischen Syndikate 
im Jahre 1899. — Kongresse und Versammlungen: V. Verbandstag der Metallarbeiter 
Oesterreichs. — Arbeitsbeirat: VIII. Sitzung des Arbeitsbeirates im Sitzungssaale des 
k. k. arbeitsstatistischen Amtes. — Kommunale Wohlfahrtspflege: Die Verwaltung der 
Stadt Winterthur im Jahre 1899. — Soziale Versicherung: Bruderlade des k. k. Haupt- 
münzamtes im Jahre 1899. — Gewerbegerichte. — Soziale Hygiene. — Wohnungs- 
wesen: Arbeiterwohnhäuser in Floridsdorf bei Wien. Wohnungsverhältnisse in Frank- 
furt a./M. — Arbeitseinstellungen und Aussperrungen: Die Streikbewegung in Oester- 
reich im Monate Jänner 1901. Die Arbeitseinstellungen in England 1900. Die 
Streikklausel bei staatlichen Arbeitern in Preußen. — Arbeitsmarkt: Mitteilungen der 
Handels- und Gewerbekammer in Reichenberg über die Lage des Arbeitsmarktes im 
Jahre 1900. — Auswanderung: Einwanderung in die Ver. Staaten von Amerika und 
in Canada in dem Fiskaljahre 1899—1900. — Arbeitsvermittelung: Ergebnisse der 
Arbeitsvermittelung in Oesterreich im Monate Jänner 1901. — Verschiedenes: Sozial- 
statistisches aus Dänemark. Betriebsunfälle in England im Jahre 1900. — ete. 
Soziale Rundschau. Herausgeg. im Arbeitsstatistischen Amte im k. k. Handels- 
ministerium. Jahrg. II, Märzheft 1901: Lohnhöhe und Arbeitszeit: Sonntagsruhe bei 
der Binnenschiffahrt im Deutschen Reiche. Veränderungen in den Arbeitslühnen und 
in der Arbeitszeit in England im Jahre 1900. — Arbeiterschutz: Wohlfahrtseinriehtungen 
für Waldarbeiter in Sachsen. Ungarischer Gesetzentwurf über das Dienstverhältnis der 
Handelsangestellten. — Gewerbeinspektion und Gewerbegerichte in Sachsen-Meiningen. 
— Handels- und Gewerbekammern: Die Handels- und Gewerbekammer in Prag 1850 
— 1900. Die Handels- und Gewerbekammer für (Oesterreichisch-)Schlesien 1850—1900. 
— Arbeiterorganisationen: Die Metallarbeiter Oesterreichs 1869—1900. Allgemeiner 
österreichischer Werkmeisterverband in Reichenberg 1899/1900. — Kongresse: Jahres- 
versammlung des amerikanischen Bundes der Arbeit. — Sozialpolitik: Die Arbeitsräte 
in Frankreich. — Autonome Wohlfahrtspflege: Sanitäre und soziale Fürsorge in Salz- 
burg, Mähren und Schlesien im Jahre 1899. Aus dem Verwaltungsberichte der Landes- 
hauptstadt Brünn für 1899. — Soziale Versicherung: Unfallstatistik und Gebarung der 
berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen 
im Jahre 1899. Ergebnisse der Krankheitsstatistik und die Gebarung der Wiener Be- 
zirkskrankenkassen im Jahre 1899. — Wohnungswesen: Die Wohnungs- und Gesund- 
heitsverhältnisse der Heimarbeiter in der Kleider- und Wäschekonfektion in Oesterreich. 
Begünstigungen für Neubauten mit Arheiterwohnungen in Oesterreich. Kleine Wohnungen 
für Arbeiter und Beamte in Deutschland. Arbeiterhäuser und Arbeiterinnenheime in 
Schweden und Norwegen. — Landeskinderheime in Nieder-Oesterreich. — Arbeitsein- 
stellungen und Aussperrungen: Die Streikbewegung in Oesterreich im Monate Februar 1901. 
— Arbeitsvermittelung: Ergebnisse der Arbeitsvermittelung in Oesterreich im Monate 
Februar 1901. Arbeitsvermittelungsamt der Stadt Wien im Jahre 1900. Arbeitsnach- 
weis der Landwirtschaftskammer für die Rheinprovinz. Die unentgeltlichen öffentlichen 


734 Die periodische Presse des Auslandes. 


Arbeitsnachweise in den Ver. Staaten von Amerika. — Verschiedenes: Die Kohlen- 
produktion in England im Jahre 1900. — etc. 

Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung. Organ der Ge- 
sellschaft österreich. Volkswirte. X. Bd., 2. Heft, 1901: Die Lohnfondstheorie, von 
O. Jaeger. — Der Spieleinwand bei Börsenspekulationsgeschäften. — Verhandlungen der 
Gesellschaft österreichischer Volkswirte. — Der Bauernstand in Rumänien, seine ge- 
schichtliche Entwickelung und gegenwärtige Lage. — etc. 


G. Holland. 


de Economist opgericht door J. L. de Bruyn Kops. Liigste jaarg., 1901, April- 
Mei: Mijnontginning in Zuidelijk Limburg, door J. L. Cluisenaer. — Wie moet het 
Limburgsche steenkolenbekken ontginnen? door N. M. H. Doppler. — De werking van 
syndicaten (trusts), door (Prof.) J. d’Aulnis de Bourouill. — Economische kroniek: 
Annahme des holländischen Arbeiterwohnungsgesetzentwurfs in der II. Kammer der 
Generalstaaten. Gesetzentwarf betr. die Arbeits- und Ruhezeit in dem Bäckereigewerbe 
in Holland. Monopolisierungsbeginn (1. VII. 1902) der Fabrikation der Phosphor- 
streichhölzer in Holland. — ete. — Handelskroniek. — Economische nalezingen en 
berichten. — etc. 


H. Schweiz. 


Monatsschrift für christliche Sozialreform. Begründet von weiland Frh. K. 
v. Vogelsang (Redaktion: M. v. Vogelsang, Freiburg, Schweiz). Jahrg. XXIII, 1901, 
Heft 4, April: Die Vereinigten Staaten von Amerika zu Beginn des XX. Jahrhunderts, 
von Ch. Ritter. — Wirtschaftliche Tagesfragen, von Sempronius: Die Ablenkung des 
Weltverkehrs durch Kanäle und Schiffseisenbahnen. Oesterreich-Ungarns Holzexport 
und der Kampf zwischen Waldbesitzern und zwischen Holzindustriellen. Rückwirkung 
des Krieges in Südafrika auf die Volkswirtschaft Englands. Londons Besorgnis vor der 


fremden Finanzkonkurrenz. — Sozialer Rückblick, von Walther v. Quarten (Forts.) — 
Sozialpolitisches und Wirtschaftliches aus der Schweiz, von A. Hüttenschwiller (Forts.) 
— etc. 


Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Jahrg. IX, 1901, 
Heft 5 u. 6: Zur fünften schweizerischen Viehzählung, von (Prof.) F. Anderegg (Bern). 
— Krankenversicherung in der Hausindustrie. — Ueber die Frage eines eidgenössischen 
Anwaltsexamens, von (Prof.) M. Gmür (Bern). — Zur Frage der Arbeitslosenversicherung, 
von H. Hall (Direktor der Lebensvers.Gesellsch. „Globus“, Wien). — Soziale Chronik. 
— Statistische Notizen: Die Kapitalkraft der englischen und deutschen Konsumgenossen- 
schaften. — Der Geldvorrat der Welt. — ete. 


M. Amerika. 


Political Science Quarterly. Edited by the faculty of political science of Columbia 
University. Volume XVI, N° 1, March 1901: Police administration, by J. A. Fairlie. 
— Colonial agencies in England, by E. P. Tanner. — A study of presidential votes, 
by W. C. Hamm. — How govern the Philippine islands? by V. W. Cook. — The 
study of economie geography, by L. M. Keasbey. — The stock of gold in the United 
States, by M. L. Muhleman. — The Chicago building trades dispute, by E. L. Bogart. 
— etc. 

Quarterly Journal of Economies. February 1901: Trusts literature: a survey 
and a criticism, by C. J. Bullock. — The fundamental economie principle, by C. A. Tuttle. 
— Compétition and capitalization, as controlled by the Massachusetts Gas Commission, 
by J. H. Gray. — The effeet of the new currency law on banking in the West, by 
T. Cooke. — Taxes on department stores, by J. A. Hill. 

The International Monthly. A Magazine of Contemporary Thought. Published 
at Burlington, Vermont, by the Macmillian Company, New York. 

Volume I. March, 1900: John Ruskin, as economist, by Patrick Geldes. — 
April, 1900: The Institution of society, by L. M. Keasbey. — May, 1900: Social con- 
ditions in Kentucky, by Wm. Lindsay. 

Volume Il. August, 1900: The trend of modern agriculture in the United 


Die periodische Presse Deutschlands. 735 


States, by George William Hill. September, 1900: The expansion of Russia: Problems 
of the East and problems of the Far East, by Alfred Rambaud. The tendency in Trade 
Unionism, by Adna F. Weber. October, 1900: The expansion of Russia etc., concluded. 
November, 1900: Modern sociology, by Franklin H. Giddings. — December, 1900: The 
international position of Spain and the close of the XIX“ century, by Arthur E. Hough- 
ton. The American negro and his economic value, by Booker T. Washington. 


Die periodische Presse Deutschlands. 


Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik. Herausgeg. von Heinrich Braun. 
XVI. Band, 1901, Heft 3 u. 4: Die französische Unfallversicherungsgesetzgebung, von 
Raoul Jay (Prof., Univ. Paris). — Entwickelungstendenzen der deutschen Volkswirtschaft, 
von (Prof.) H. Rauchberg (Prag). — Zur Litteratur der Gewerkschaftsbewegung in 
Deutschland, von Ed, Bernstein (Berlin). — Ein Wort über die deutschen Arbeiter- 
sekretariate, von P. Kampffmeyer (Cronberg) — Das Fabrikinspektorat von New York 
und seine Stellung zur Arbeiterschutzgesetzgebung, von Florence Kelley (New York). — 
Das Arbeiterunfallentschädigungsgesetz in England, von Ed. Bernstein. — Wortlaut des 
französischen Gesetzes vom 9. IV. 1898 über die Haftung für Unfälle, von denen die 
Arbeiter in ihrer Thätigkeit betroffen werden. — Das Mikroskop, das Brillenglas, der 
Feldstecher und das Fernrohr in der deutschen Volkswirtschaftslehre, von H. Losch 
(k. FinzR.) Stuttgart. — Die kommunalen Arbeitsämter der Schweiz, von O. Lang 
(ORichter, Zürich). — ete. 

Finanzarchiv. Herausgeg. von Georg Schanz. Jahrg. XVIII, I. Band: Die 
Steuerreform im Großherzogtum Baden, von (Finanzminist.) Buchenberger. — Statistische 
Untersuchungen zur Frage der Steuerüberwälzung, geführt an der Geschichte der 
preußischen Mahl- und Schlachtsteuer, von E. Laspeyres (Prof., in Gießen). — Gesetze 
wegen Verwendung überschüssiger Reichseinnahmen zur Schuldentilgung, vom 25. III. 1599 
und vom 30. III. 1900. — Preußisches Gesetz, betr. die Vermeidung von Doppel- 
besteuerungen vom 18. IV. 1900. — Preußisches Gesetz, betr. die Warenhaussteuer, 
vom 18. VII. 1900, nebst Begründung zum Gesetzentwurf vom 8. II. 1900. — Württem- 
bergisches Gesetz, betr. die Besteuerung der staatlichen Salinen und Hüttenwerke durch 
die Gemeinden und Amtskürperschaften, vom 22. VI. 1900. — Württembergisches 
Wirtschaftsabgabengesetz, vom 4. VII. 1900. — Württembergisches Gesetz, betr. die 
Biersteuer vom 4. VII. 1900 etc., sowie Begründung zum Biersteuergesetzentwurf vom 
22. II. 1899. — Buadisches Veranlagungsgesetz vom 6. VIII. 1900. — Badische Ge- 
setze, die Einschätzung der Grundstücke und Gebäude und die Abänderung des Ein- 
kommen-, Gewerbe- und Kapitalrentensteuergesetzes ete. betr. vom 9. VII. 1900. 
— etc. 

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Jahrg. VI, N’ 3, März 1901: 
Die Bedeutung des gewerblichen Rechtsschutzes für das moderne Industrieleben (Pariser 
Kongreß für gewerblichen Rechtsschutz). Vortrag von (Patentanw.) Mintz. — Die Ueber- 
gangsbestimmungen des Gesetzes, betreffend die Patentanwälte, von (Rechtsanw.) M. Selig- 
sohn. — Das Wesen des Patentschutzes und sein Verhältnis zum Urheberrecht, von 
(JustizR.) Reuling (II. Art.) — ete. 

Masius’ Rundschau. Blätter für Versicherungswissenschaft. N. Folge. Jahrg. XIII, 


1901, Heft 4: Reichsversicherungsgesetz. — Die soziale Bedeutung der Haftpflichtver- 
sicherung. — Zur Geschäftspraxis der amerikanischen Anstalten. — Versicherung gegen 
Unwetterschäden. — Die letzte Volkszählung. — Gemeinsame skandinavische Gesetz- 
gebung für Lebensversicherung. — ete. 

Neue Zeit, die. Jahrg. XIX. Bd. UU, 1900—1901, N" 23—28, 9. März—13. April 
1901: Die Industriezölle und der Weltmarkt, von Parvus. — Jugendlitteratur, von 


Skonkje Troelstra — Die polnischen Wanderarbeiter, von J. Karski. — Stumm und 


736 Die periodische Presse Deutschlands. 


sein Samen. — Trusts, sogenannte und echte, und Schutzzoll in den Ver. Staaten, von 
J. L. Franz. — Ein Beitrag zur ultramontanen Arbeiterpolitik, von Aug. Erdmann. — 
Landarbeiterverhältnisse im preußischen Osten, von Ebhardt. — Zwei Schriften über 
die Wohnungsfrage, von Henriette Fürth. — Der Hunger in Apulien, von Aless. 
Schiari. — Marx über den Schutzzoll. — Sozialdemokratie und Baugenossenschaften, 
von Louis Cohn (München). — Brotwucherische Scharfmacherei. — Betrachtungen über 
den Niedergang Englands, von M. Beer (New York). — Ein sozialdemokratischer Theater- 
dichter, von J. F. Ankersmit. — Weiträumiger Städtebau und Wohnungsfrage, von 
C. Hugo. — Das Weib und der Stier, von H. B. Adams-Lehmann. — Die badische Budget- 
abstimmung, von Rosa Luxemburg. — Tolstoi und Brentano, von K. Kautsky. — Karl 
Lueger, von Fritz Austerlitz (Wien). — Mutterschaft und geistige Arbeit, von August 
Bebel. — Einige Argumente für die Verstaatlichung des Bergbaues, von H. Möller. — 
Die sozialistischen Gewerkschaften in Spanien, von H. Cunow. — Technische Fortschritte 
im Bauwesen, von P. M. Grempe. — etc. 

Preußische Jahrbücher. Herausgeg. von Hans Delbrück. 104. Band, Heft 2, 
Mai 1901: Die Rolle der Anschauung in dem Kulturleben der Gegenwart, von (Geh. 
RegR., Prof.) W. Münch. — Die Weltanschauung des alten Orients, von (PrivDoz.) 
H. Winckler (Univ. Berlin). — Babylon, von P. Rohrbach. — Wirtschafts- und finanz- 
politische Betrachtungen zu der wasserwirtschaftlichen Vorlage, von O. (Frh. v.) Zedlitz 
und Neukirch. Das Recht der Eisenbahnbetriebs- und Verkehrsordnungen. — Politische 
Korrespondenz, — etc. 

Vereinsblatt für deutsches Versicherungswesen. Redig. von J. Neumann. Jahr- 
gang XXIX, Berlin 1901, N° 6—10: Reichsversicherungsgesetz. Bericht der VII. Kom- 
mission des Reichstages. (SS. 205—354.) 

Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Jahrg. IV, 1901, Heft 4/5: Genossenschaft- 
liche und herrschaftliche Verbände in der Organisation der Volkswirtschaft, von Emil 
Steinbach. — Ein neuer Gegner das Malthus: (Franz Oppenheimer), von Julius Wolf. 
— Zur Bevülkerungsfrage auf Grund russischen Materials. — Die Witwen- und Waisen- 
pensionen in einer Anzahl deutscher Verwaltungen und Fabriken, von Fr. Prinzing. — 
Sozialpolitik: Fabrik und Werkstatt, ihre Merkmale und ihre gesetzlichen Beschränkungen 
in der Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern, von W. Heffter 


(k. GewerbeinspektsAssist., Charlottenburg). — Der Munizipalsozialismus in London, von 
K. Mareiner (Wien). — Miszellen. — ete. 
Berichtigung. 


S. 424 Z. 2 v. oben lies Regest anstatt Register. 


Frommaunsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena. 


Albert Hesse, Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 737 


Nachdruck verboten. 


X. 


Der Begriff der Gesellschaft in Herbert 
Spencer’s Soziologie. 


Von 
Dr. jur. Albert Hesse. 


Inhalt. Einleitung, S. 737. Erster Teil: Spencer’s Darstellung, S. 740. Erster 
Abschnitt: Die Gesellschaft als eigenes Wesen, S. 740. Zweiter Abschnitt: Die Gesell- 
schaft als Organismus, S. 741. Erstes Kapitel: Gleichheiten und Aehnlichkeiten, S. 741. 
A. Wachstum, S. 741. B. Organisation, S. 743. I. Allgemeine Grundzüge, S. 743. 
II. Organsysteme, S. 746. C. Das Verhältnis zwischen den Einheiten und dem Ganzen, 
S. 750. Zweites Kapitel: Verschiedenheiten, S. 751. Zweiter Teil: Kritik, S. 752. 
Erster Abschnitt: Spencer’s Beweis, S. 754. Erstes Kapitel: Gesellschaft und Mehrheit 
von Menschen, S. 754, Zweites Kapitel: Die Gesellschaft als Ding, S. 755. A. Stellung 
des Problems, S. 755. B. Die Realität der Gesellschaft, S. 756. C. Die Gesellschaft 
als Gegenstand unseres Denkens, S. 757. Drittes Kapitel; Gesellschaft und Organismus, 
S. 757. A. Spencer’s Fragestellung, S. 758. B. Spencer’s Beweisgründe, S. 763. I. Der 
Gang des Beweises, S. 763. II. Der Analogieschluß, S. 765. Zweiter Abschnitt: Un- 
richtigkeit des Gesellschaftsbegriffs Spencer’s, S. 775. Erstes Kapitel: Der Widerspruch 
in Spencer’ Gesellschaftsbegriff, S. 775. Zweites Kapitel: Die Beziehungen zwischen 
den Einheiten der Gesellschaft, S. 776. Schluß S. 780. 


Einleitung. 


Der Fortschritt in der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, den 
das vergangene Jahrhundert gezeitigt hat, ist auf fast alle Zweige 
wissenschaftlichen Denkens von Einfluß und so auch für die sozial- 
wissenschaftliche Forschung bedeutsam gewesen !). Auf diesem Ge- 
biet hat der durch die Untersuchungen von J. Schleiden, Th. Schwann, 
A. Kölliker und Milne Edwards?) hervorgerufene Aufschwung der 
3iologie dem englischen Denker Herbert Spencer die Anregung zu 
einer biologischen Auffassung der Gesellschaft gegeben, die er in 
seiner Schrift „Social States" im Jahre 1851 zuerst niedergelegt, in 
der Abhandlung „The social organism* 1866 und in dem Werk „The 
study of Sociology 21 1873 weiter ausgeführt und in dem ersten Band 
der „Principles of Sociology“ 1877 eingehend dargestellt und be- 
gründet hat: die Gesellschaft ist ein Naturwesen, analog dem phy- 
sischen Organismus, und untersteht dem einen Entwickelungsgesetz, 


1) Verl. hierüber Adolf Exner, Ueber politische Bildung. Rede gehalten bei Ueber- 
nahme der Rektorswürde an der Wiener Universität, 6. Ausg. 1592, S. 19 ff. 
2) Näheres hierüber siche bei Barth, Die Philosophie der Geschichte als Soziologie, 
Erster Teil 1897, S. 89 ff. 
3) Vgl. hier besonders Chapter XIV: Préparation in Biology. 
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 47 


738 Albert Hesse, 


das die ganze Natur beherrscht. Diese biologische Auffassung der 
Gesellschaft hat an Bedeutung gewonnen und einen stützenden Rück- 
halt bekommen durch das 1859 erschienene Werk Ch. Darwin’s „On 
the origin of species by means of natural selection“, das die Descen- 
denztheorie umfassender entwickelt und eingehender durchgeführt 
und die Lehre von der natürlichen Züchtung, das Prinzip der Selektion 
aufgestellt und begründet hat. 

Bald steht dann Spencer nicht mehr allein. P. v. Lilienfeld !) 
stellt eine naturwissenschaftliche Theorie der Gesellschaft auf, die von 
Spencer behauptete Analogie zwischen Natur nnd Gesellschaftsleben 
zur Kongruenz übertreibend. A. Schäffle?) hat die Ausführungen 
Spencer’s in wichtigen Punkten ergänzt und berichtigt, ohne grund- 
sätzlich über diese hinauszugehen. A. Fouillée 8) sucht eine Ueber- 
einstimmung der biologischen und soziologischen Thatsachen in 
weiterem Umfang als Spencer nachzuweisen, in bedeutsamen Fragen 
von dessen Ansichten abweichend, jedoch im Prinzip den gleichen 
Weg gehend. R. Worms!) entnimmt gleichfalls aus der Biologie 
die Gesetze der sozialen Entwickelung, er sucht die organische Natur 
der Gesellschaft noch schärfer als Spencer hervorzuheben und einige 
Punkte der Analogie in ein neues Licht zu setzen). O. Ammon) 
endlich will die soziale Entwickelung unter die Sätze der Lehre 
Darwin’s fassen. Und gerade die Descendenz- und Selektionstheorie 
sind im einzelnen noch von weitgehendem Einfluß auf das sozial- 
wissenschaftliche Denken gewesen, besonders hat durch ihre Sätze 
den Sozialismus zu stützen oder zu bekämpfen man vielfach versucht’). 

Ein Urteil über diese Richtung sozialwissenschaftlicher Forschung. 
welche die Gesetzmäfigkeit des Gesellschaftslebens durch Zurückgehen 
auf die Erkenntnisse der Naturwissenschaft feststellen will, kann ge- 
wonnen werden einmal durch Prüfung ihres gesamten gedanklichen 
Inhalts, aller Gesichtspunkte, welche von den einzelnen Ansichten 
für diese grundlegende Auffassung geltend gemacht sind®). Es kann 
jedoch eine kritische Würdigung auch, zumal wenn eine zusammen- 
fassende Darstellung und Beurteilung das Material gesichtet und be- 
wertet hat, auch den Weg einschlagen, daß sie die alles bedingende 
Voraussetzung aufweist und prüft und nach ihrer Richtigkeit die 
Meinungen, die auf dieser sich aufbauen, ohne weiteres aburteilt. 
Jene erste Methode verbindet mit dem Vorteil genauer Berücksichtigung 
der Einzelheiten, mit der Möglichkeit, auf die Abweichungen in den 
jeweiligen Ansichten hinzuweisen, den Nachteil, daß durch die Fülle 


1) Gedanken über die Soziulwissenschaft der Zukunft, 5 Bde., 1873—1881. — 
La pathologie sociale, 1896. 

2) Bau und Leben des sozialen Körpers, 2 Bde., 2. Aufl. 1896. 

3) La Science sociale contemporaine, 3. éd. 1896. 

4) Organisme et société, 1896. 

5) Näheres hierüber vgl. Barth a. a. O., S. 89 ff. 

6) Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen, 3. Aufl. 1900, 

7) Eine zusammenfassende Darstellung und kritische Würdigung dieser Ansichten 
zu geben unternimmt Woltmann, Die Darwin’sche Theorie und der Sozialismus (1599) 

8) So das oben angeführte Werk von Barth. 


Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 139 


des Stoffes eine eingehende Untersuchung jedes nnd somit auch des 
grundlegenden Gesichtspunktes erschwert wird. Der zweite Weg er- 
öffnet die Aussicht, diejenige Frage, welche die Berechtigung der 
ganzen Richtung bedingt, in eindringlicher Erörterung prüfen und 
daher das Urteil mit größerer Sicherheit abgeben zu können; er macht 
es aber unmöglich, auf die Einzelheiten einzugehen und den trotz 
der vielleicht unrichtigen Grundauffassung zutreffenden Ansichten 
gerecht zu werden. 

Schlagen wir den zweiten Weg ein! 

Die biologische Richtung in der Soziologie ist von Herbert 
Spencer eingeleitet worden. Die Nachfolger, die er gefunden hat, 
haben sein System im einzelnen ergänzt, seine Ausführungen be- 
richtigt, sind in mancher Beziehung über seine Anschauungen hinaus- 
gegangen; sie haben jedoch prinzipiell seine Theorie in nichts ver- 
ändert, stehen grundsätzlich auf dem gleichen Standpunkt wie er 
und kommen ihm an Bedeutung nicht gleich. 

Der grundlegende Gesichtspunkt, auf dem die Soziologie Spencer’s 
sich aufbaut, ist die Auffassung der Gesellschaft als Organismus). 
Die Gesellschaft ist ein Naturwesen, sie ist geworden und nicht ge- 
macht. Die soziale Entwickelung vollzieht sich nach dem gleichen 
Gesetz, wie die der übrigen Natur, sie ist nur ein Teil der Ent- 
wickelung im allgemeinen ?), sie ist nur eine Form der überorganischen 
Entwickelung, bestehend in allen jenen Prozessen und Produkten, 
welche die koordinierten Thätigkeiten zahlreicher Individuen zur Vor- 
aussetzung haben), und für diese gilt das gleiche Gesetz wie für 
die Entwickelung der organischen und anorganischen Welt. 

Somit finden wir als maßgebende und führende Lehre in der 
Soziologie diejenige Herbert Spencer's und als deren Grundlage die 
Auffassung der Gesellschaft als Organismus. Ein Urteil über die ge- 
samte Richtung können wir gewinnen durch eine Prüfung des Be- 
griffs der Gesellschaft in Spencer’s Soziologie. 

Und dieser wollen wir uns zuwenden). 


1) The study of sociology, deutsch von H. Marquardsen, 2 Bde., 2. Aufl. 1596, 
unter dem Titel „Einleitung in das Studium der Soziologie, S. 59 ff. Principles of 
Sociology, übersetzt von Vetter unter dem Titel „Die Prinzipien der Soziologie", 4 Bde., 
1877—1897, 88 212—255. ` 


2) Prinzipien — unter dieser Bezeichnung seien in den folgenden Ausführungen 
Spencer’s Prinzipien der Soziologie angeführt — SS 207, 209, 271, 336, 427, 576, 652, 


722, 853. Vergl. dazu Barth, a. a. O., N. 115 ff, und H. Hôffding, Geschichte der 
neueren Philosophie, 2. Bd. 1506, S. 538 ff. 

3) Prinzipien, §§ 2, 5, 50. 

4) Die Bearbeitung dieser so eng gefaßten Aufgabe hat sich mit wenigen Aus- 
nahmen auf die sehon vorhandene Litteratur über Spencer’s Philosophie im allgemeinen 
und seine Soziologie im besonderen nieht stützen können, da es dieser in erster Linie 
auf einen umfassenden Ueberblick ohne näheres Eingehen auf die Einzelheiten ange- 
kommen ist; sie findet sich — nicht immer richtig -— nachgewiesen bei Gaupp, Her- 
bert Spencer, 2. Aufl. 1900. Es sind noeh nachzutragen außer den oben angeführten 
Werken von Barth und Höffding: Tönnies, Herbert Speneer’s soziologisches Werk. 
Philosophische Monatshefte, XXV, N. 50 ff; derselbe, Werke zur Philosophie des sozialen 
Lebens und der Geschichte. Erster Artikel: H. Spencer, Soziologie, Bd. 3. Philo- 
sophische Monatshefte, XXVII, S. 37 ffa; Vorländer, Herbert Spencers Soziologie. 

475 


740 Albert Hesse, 


Erster Teil. Spencer’s Darstellung. 
Erster Abschnitt. Die Gesellschaft als eigenes Wesen. 


„Was ist eine Gesellschaft?“ Mit dieser Frage beginnt Spencer 
die Induktionen der Soziologie!), den Teil seines Systems, in dem 
er durch Vergleichung von Gesellschaften verschiedener Arten und 
auf verschiedenen Stufen die allgemeinen Wahrheiten festzustellen 
sucht 2). Ist eine Gesellschaft als ein Wesen für sich zu betrachten 
oder nicht, und wenn sie als ein eigenes Ding erscheint, ist sie allen 
übrigen Wesen absolut ungleich oder einigen derselben ähnlich ? 

Es sind zwei Arten eines Zusammenfassens von Individuen zu 
unterscheiden: die eine ergiebt eine Gesellschaft als eigenes Wesen, 
z. B. eine Nation; die zweite stellt nichts anderes dar als einen 
Sammelnamen für eine Anzahl von Einzelwesen; nur die Einheiten 
leben, die Existenz der Zusammenfassung liegt allein im Worte; so 
die Zuhörerschaft eines Professors. Die Grenze zwischen beiden 
Arten der Zusammenfassung liegt darin, daß die Anordnung in dem 
einen Fall dauernd ist, in dem anderen vorübergehend; und gerade 
die Dauer der Beziehungen zwischen den einzelnen Bestandteilen ist 
das Moment. welches die Individualität des Ganzen gegenüber den 
Individualitäten seiner Teile begründet. Die Quader, die Ziegelsteine 
und das Holz, bis dahin getrennte Dinge, werden zu dem Einzelding, 
das wir Haus nennen, wenn sie in bleibender Weise zusammenge- 
fügt sind. So kann auch ganz rechtmäßigerweise eine Gesellschaft 
als ein eigenes Wesen betrachtet werden. Sie ist ein Aggregat — 
eine Anhäufung von Einheiten —, das zwar aus diskreten Einheiten 
sich aufbaut, dem jedoch eine gewisse Konkretheit gegeben ist durch 
die allgemeine Fortdauer der Lagebeziehungen zwischen den Ein- 
heiten auf dem ganzen von ihnen eingenommenen räumlichen Gebiet). 

Wenn nun wegen der konstanten Beziehungen zwischen den 
Teilen die Gesellschaft als ein besonderes Ding, das eigenes Dasein 
hat, aufgefaßt werden kann, zu welcher Art von Dingen müssen wir 
sie rechnen? Unsere Sinne zeigen uns kein der Gesellschaft ähn- 
liches Objekt. Wir können daher etwaige Beziehungen zu anderen 
Dingen nicht durch unmittelbare Wahrnehmung, sondern nur durch 
Schlüsse feststellen. Für diese ist eine bestimmte Richtung schon 
vorgezeichnet. Da die Fortdauer der Beziehungen zwischen den 
Teilen die Gesellschaft als ein eigenes Wesen begründet, kann die 


Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 108, S. 73 ff.; L. Stein, Die 
soziale Frage im Lichte der Philosophie, 1897, S. 490 ; Gothein, Artikel „Gesellschaft“ 
im Handwörterbuch der Staatswissenschaften. 

1) Prinzipien $ 212. Diese geben die eingehendste Entwickelung und Begründung 
der Anffassung Spencers. Sie enthalten alle in den früheren Schriften hervorgehobenen 
wesentlichen Gesichtspunkte, diese weiter ausführend. Sie sind, soweit sie von den 
früheren Ansichten im einzelnen abweichen, zumal sie später entstanden sind, maß- 
gebend. Sie kommen daher in erster Linie in Betracht, 

2) Prinzipien, § 211. 

3) Prinzipien, § 212. 


Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 741 


einzige denkbare Aehnlichkeit zwischen einer Gesellschaft und einem 
beliebigen anderen Ding nur bestehen in einem Parallelismus des 
Prinzips der Anordnung der Bestandteile, in einer gewissen Ueberein- 
stimmung der Organisation, darin, daß die konstanten Beziehungen 
zwischen den Teilen der Gesellschaft in irgendwelchem Grade ver- 
wandt sind den konstanten Beziehungen zwischen den Teilen anderer 
Wesen. Es kann also die Gesellschaft nur mit dem Aggregat ver- 
glichen werden. 

Es giebt nun zwei große Klassen von Aggregaten, denen das 
soziale Aggregat gegenübergestellt werden kann: unorganische und 
organische. Von diesen beiden Möglichkeiten ist die erste außer 
Betracht zu lassen, denn ein Ganzes, dessen einzelne Teile lebendig 
sind, kann unmöglich in seinen allgemeinen Eigentümlichkeiten einem 
leblosen Ganzen gleichen. Es kann daher die Gesellschaft nur zu 
dem organischen Aggregat in Beziehung gebracht werden, jedoch 
nicht zu irgend einem bestimmten Typus tierischer oder pflanzlicher 
Organismen, sondern zu dem Organismus überhaupt !). 


Zweiter Abschnitt. Die Gesellschaft als Organismus. 


Von den soeben wiedergegebenen Erörterungen ausgehend sucht 
Spencer zu zeigen, daß die Gesellschaft in der That als ein Organis- 
mus aufzufassen, dem natürlichen Organismus analog ist. Die Gesell- 
schaft hat mit dem organischen Aggregat die Erscheinungen des 
Wachstums gemein ?), das Verhältnis zwischen dem Ganzen und den 
Einheiten ist in beiden Fällen ein entsprechendes®) und vor allem: 
die Grundprinzipien der Organisation der Gesellschaft wie des leben- 
den Körpers sind die gleichen). Um dies zu zeigen, sucht Spencer 
darzulegen, daß die Organisation beider Aggregate die gleiche ist, 
und glaubt dies darthun zu können durch den Nachweis, daß beide 
Aggregate die Thatsachen der Ausbildung von Struktur und Funk- 
tionen gemein haben, und diese Erscheinungen im einzelnen ähnlich 
sind. Zuletzt sucht er zu zeigen, daß die Verschiedenheiten, welche 
beide Aggregate aufweisen, an der Auffassung der Gesellschaft als 
Organismus grundsätzlich nichts zu ändern vermögen, sondern die 
Gesellschaft zu einem Organismus besonderer Art machen >). 


Erstes Kapitel. Gleichheiten und Aehnlichkeiten. 
A. Wachstum. 


Das soziale und das organische Aggregat haben beide die Er- 
scheinungen des Wachstums miteinander gemein, und diese stimmen 
wiederum rücksichtlich der Art, in der sie sich vollziehen, der Dauer, 
des Grades und des Umfanges überein. 


1) Prinzipien, $ 260. 

2) Ebenda, SS 214, 224—227. 

3) Ebenda, SS 218, 219. 

4) Ebenda, Së 215—217, 223, 223—255, 269. 
D) Prinzipien, Së 220—223. 


742 Albert Hesse, 


— Art. — In beiden Fällen nimmt die Größe vermöge zweier Vor- 
gänge zu, einmal durch einfache Vermehrung der Einheiten, wodurch 
der Umfang der Gruppe sich erweitert, vor allem aber durch Ver- 
einigung einzelner Gruppen von Einheiten und durch abermalige 
Verschmelzung mehrerer solcher Gruppen. Wie nur die kleinsten 
Tiere im wesentlichen eine einfache Anhäufung lebender Moleküle 
darstellen, so zeigt auch die ursprüngliche soziale Gruppe, die durch 
eine einfache Zusammenfassung einer Anzahl von Einzelindividuen 
gebildet wird, keine ansehnliche Größe. Wenn ein einfacher Stamm 
sich in dem Maße ausbreitet, in dem seine Zahl wächst, so zerstreut 
er sich bald in solcher Ausdehnung, daß die Teile ihren Zusammen- 
hang nicht mehr behalten können, und der Stamm ganz allmählich 
in einzelne Stämme zerfällt. Die zweite Form organischer Aggregate 
zeigt eine Anhäufung solcher kleinster Tierchen ; entsprechend er- 
folgt die Ausbildung einer größeren Gesellschaft durch Vereinigung 
mehrerer kleiner Gesellschaften der ersten Art. Wie endlich in der 
organischen Welt tertiäre Gebilde durch Anhäufung von sekundären 
entstehen, so erzeugt auch bei dem sozialen Aggregat die Wieder- 
holung des Vorganges der Zusammensetzung doppelt zusammen- 
gesetzte Gesellschaften !). Mit diesem Wachstum durch Vereinigung 
mehrerer Gruppen geht jene erste Art der Zunahme, durch Vermeh- 
rung der Individuen innerhalb einer Gruppe, gleichzeitig vor sich. 
Wie die niedrigsten Geschöpfe einen im Verhältnis zu der ihnen 
zukommenden Masse tierischer Substanz großen Raum einnehmen. 
so verbreiten sich auch die auf niedriger Stufe stehenden Gesell- 
schaften über Gebiete, die im Verhältnis zur Anzahl der sie zusam- 
mensetzenden Individuen außerordentlich umfangreich sind. Allein 
ebenso wie bei den Tieren mit der Größenzunahme eine Konzen- 
tration Hand in Hand geht, so ist auch die Vereinigung primitiver 
Ansammlungen verbunden mit einer Vermehrung der in jeder Gruppe 
enthaltenen Individuenzahl, mit einer Zunahme der Dichtigkeit der 
Bevölkerung. Das soziale Wachstum zeigt mithin eine Ueberein- 
stimmung mit dem des lebenden Körpers sowohl in der Bildung 
einer größeren Masse, als auch in der dichteren Aneinanderlagerung 
der einzelnen Teile ?). 

— Dauer. — Wie ferner die Organismen ihr ganzes Leben über 
oder wenigstens einen erheblichen Teil desselben wachsen, so dauert 
auch das soziale Wachstum gewöhnlich bis zur Teilung oder Ueber- 
wältigung der Gesellschaft fort). 

— Grad. — Wie (dann die lebenden Körper eine Massenzu- 
nahme in hohem Grade zeigen, der Keim bedeutend kleiner ist als 
der entwickelte Organismus, der aus ihm hervorgegangen ist, so sind 
auch die ursprünglichen Gesellschaften außerordentlich klein, ver- 
glichen mit der Masse, welche sie später erreichen. Die Werkzeuge 


1) Prinzipien, § 226. 
2) Ebenda, $ 227, 
3) Ebenda, $ 214. 


Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 743 
der vorhistorischen Völker weisen auf einen Mangel aller jener Künste 
hin, durch welche allein das Bestehen größerer Ansammlungen von 
Menschen möglich gemacht wird 11. 

- Umfang. — Weiterhin ist das Wachstum bei den verschiedenen 
Klassen der sozialen und organischen Aggregate außerordentlich 
wechselnd hinsichtlich seines Umfangs. Wie bei einem Ueberblick 
der tierischen Formen sich innerhalb der Glieder einer ganzen großen 
Klasse zwischen den höchsten und niedrigsten Vertretern des Typus 
bedeutende Unterschiede der Größe zeigen, so sind entsprechende 
Gegensätze zu beobachten innerhalb der Gesamtheit der menschlichen 
Gesellschaften : kleine Horden, größere soziale Aggregate von einigen 
Hunderten, Tausenden und große Gesellschaften vereinigter Millio- 
nen ?). 


B. Organisation. 


Wie die unorganischen Aggregate gegenüber den organischen 
und sozialen eine außerordentlich geringe Zunahme aufweisen, so 
sind auch die Differenzierungen des inneren Baues, die das Wachs- 
tum begleiten, so langsam und einfach, daß sie nicht in Betracht 
kommen. Dagegen zeigen die sozialen sowohl wie die lebenden 
Körper überhaupt während der Zunahme der Größe auch eine be- 
deutende Zunahme in ihrem inneren Bau, eine außerordentliche Un- 
gleichheit ihrer Organe und Funktionen gegenüber der ursprünglichen 
Gleichartigkeit der Teile. Es werden verwickeltere Einrichtungen 
nötig, um das kombinierte Leben einer ausgedehnten Masse möglich 
zu machen. 

Diese Zunahme der Verschiedenheit der Struktur und Funktionen, 
die beiden Aggregaten gemeinsam ist, zeigt im einzelnen in beiden 
Fällen bedeutende Uebereinstimmungen und große Aehnlichkeiten, 
sowohl rücksichtlich der Grundzüge der Differenzierung, als auch im 
besonderen hinsichtlich der Ausbildung der Organsysteme. 


I. Allgemeine Grundzüge. 


1) Struktur. Die Ausbildung des inneren Baues entspricht 
bei den einzelnen Organismen wie bei dem sozialen Aggregat dem- 
selben allgemeinen Gesetz: die Differenzierungen schreiten vom All- 
gemeineren zum Specielleren fort. Der Entwickelungsprozeß des Em- 
bryos scheidet zunächst die größeren Organe voneinander, differenziert 
dann die einzelnen Organe und bildet innerhalb dieser Teile weitere, 
kleinere Verschiedenheiten aus. Entsprechend finden sich in der 
Gesellschaft zuerst nur grobe und einfache Gegensätze zwischen den 
Teilen, dann innerhalb dieser primär verschiedenen Teile weitere 
Veränderungen, sodann in jeder dieser letzteren wieder eine Aus- 
prägung ungleicher Teile, und so fort bis ins Unendliche *). Ein weiterer 


1) Prinzipien, $ 224. 
2) Ebenda, § 225. 
3) Ebenda, § 230. 


744 Albert Hesse, 


auffallender Parallelismus ist dieser: der innere Aufbau und die Ein- 
richtung der Organe unterliegen bei Tieren und Gesellschaften dem 
allgemeinen Grundsatz, daß die zahlreichen ausgeprägten Unterschiede 
der Struktur begleitet sind von ebenso ausgeprägten Uebereinstim- 
mungen derselben. Wie die einzelnen Verdauungsorgane in ihrem 
allgemeinen Aussehen, ihrem feineren Bau und den Zwecken, denen 
sie zu dienen haben, sich unterscheiden, andererseits aber Ueberein- 
stimmungen zeigen rücksichtlich des Systems von Adern, Lymph- 
gefäßen, Ausscheidungskanälen und Nerven, so umfaßt auch jede 
Gruppe von Bürgern, die ein Organ zur Hervorbringung bestimmter 
Lebensbedürfnisse für den Verbrauch des ganzen Volkes darstellt. 
in sich mancherlei dienende Teile, die im wesentlichen denjenigen 
jedes anderen Organs, das andere Funktionen ausübt, gleich sind: 
Mittelspersonen zur Heranschaffung des Rohmaterials, zur Sammlung 
und Versendung der Erzeugnisse, Zuleitung und Verteilung der 
Lebensmittel, postalische, staatliche, kirchliche Einrichtungen !). 

Auch die Entwickelungstufen in der Ausbildung der Organe 
stimmen überein. So entspricht der primären Stufe in der Ausbildung 
eines Ernährungsorgans, auf der es nur eine Anzahl noch nicht ver- 
einigter selbständiger Einheiten darstellt, der Anfangszustand jedes 
industriellen Gebildes in einer Gesellschaft, in dem jeder Arbeiter 
seine Beschäftigung und den Verkauf seiner Erzeugnisse an den 
Konsumenten für sich allein besorgt. Dem höher entwickelten Ab- 
sonderungsorgan, einer enggeschlossenen Gruppe von langgestreckten 
Taschen, deren jede eine Familie von Zellen umschließt, ihre aus- 
sondernden Einheiten und besonderen Ausführungsöffnungen besitzt. 
entspricht in allen halbeivilisierten Gesellschaften ein bestimmter 
Typus sozialer Organe: Handwerkerviertel aus zahlreichen ver- 
bündeten Familien bestehend, deren jede sich aus den unter der 
Oberleitung des Vaters arbeitenden Söhnen zusammensetzt, ihre Er- 
zeugnisse selbst verkauft. Auch auf der dritten Stufe der Ent- 
wickelung läßt sich die Analogie nachweisen. Wie sich schließlich 
ein großes Eingeweide mit vielen der Struktur und Funktion nach 
differenzierten Teilen herausbildet, das nur einen einzigen Ausführgang 
hat, so stellt die letzte Stufe einer allmählich vorgegangenen indu- 
striellen Entwicklung die Fabrik dar, eine Vereinigung vieler, nicht 
verwandter Personen zu verschiedenartiger Arbeit unter Verwendung 
von Maschinenkräften; der frühere Meister giebt die Arbeit ganz auf, 
widmet sich ausschließlich dem Verkauf und wird so zu dem Kanal, 
durch den die Erzeugnisse abfließen ?). 

Die Uebereinstimmung zwischen den Differenzierungsvorgängen 
des tierischen und sozialen Aggregats zeigt sich am deutlichsten in dem 
Gegensatz zwischen der ursprünglichen und späteren Entwickelungs- 
weise. Wie im allgemeinen Gang der organischen Entwickelung von 
niederen zu höheren Formen vermöge unmerklicher Aenderungen 


1) Prinzipien. § 231. 
2) Prinzipien, $ 232. 


Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie) 745 


die einzelnen Stufen durchlaufen werden, dagegen in der individuellen 
Entwickelung des einzelnen hôheren Organismus diese Stadien be- 
deutend abgekürzt erscheinen, und die meisten Organe auf verhältnis- 
mäßig direktem Wege entstehen, so nehmen in unserer Zeit des 
Fabriksystems alle möglichen Industrien dieses unmittelbar an, ohne 
die früheren Stufen zu durchlaufen. Und wie endlich ganze Organe, 
welche in der allmählichen Entwickelung des Typus verhältnismäßig 
spät sich ausgebildet haben, nun bei dem heranwachsendem Indi- 
viduum relativ früh auftreten, so finden wir als analoge Veränderung 
der natürlichen Reihenfolge in der sozialen Entwickelung die Fälle, 
in denen neu entstehende Gesellschaften die fest ausgeprägten Sitten 
und Gebräuche älterer sofort übernehmen !). 

2) Funktionen. Die fortschreitende Differenzierung der 
Struktur in der Entwickelung des lebenden Körpers und der Gesell- 
schaft ist von einem Moment begleitet, das sich bei den unorganischen 
Aggregaten nicht findet, von fortschreitender Differenzierung der 
Funktionen. Die Abweichungen in der Gestalt und Znsammensetzung 
der Teile, wie sie bei einem sich entwickelnden Tiere auftreten, be- 
dingen als Folgeerscheinung Abweichungen in den von ihnen aus- 
geübten Thätigkeiten. Die ungleichen Organe haben stets ungleiche 
Aufgaben. Entsprechend hat jeder Teil einer Gesellschaft wegen 
seiner besonderen Beschaffenheit bestimmte Obliegenheiten ?). 

Diese den Umwandlungen des inneren Baues entsprechende 
Differenzierung der Funktionen macht die den organischen und so- 
zialen Aggregaten eigentümlichen Veränderungen des inneren Baues 
erst möglich. Die zunehmende Verschiedenheit des inneren Baues 
im lebenden Körper und der Gesellschaft ist dadurch auszeichnend 
charakterisiert, daß nicht einfache, sondern bestimmt zusammen- 
hängende Unterschiede sich herausbilden, die einander gegenseitig 
erst möglich machen. Die Veränderungen in den Teilen sind gegen- 
seitig bestimmt. und die veränderten Thätigkeiten der Teile hängen 
ebenso wechselweise voneinander ab. Im tierischen Körper können 
sich mit Fortschreiten der Entwickelung besondere Fortbewegungs-, 
Respirations-, Sinnesorgane nur herausbilden, wenn der dadurch be- 
dingte Verlust der Fähigkeit, sich mit dem nötigen Material zum 
Wiederersatz und Wachstum zu versehen, ausgeglichen wird durch 
die Entwickelung eines besonderen Organs, welches jenen dieses 
Material zuführt. Entsprechend hat in einer Gesellschaft die Aus- 
bildung eines stehenden Heeres, die Speeialisierung der Arbeit in 
Ackerbau, Bergbau, industrielle Thätigkeit und Handel zur bedingenden 
Voraussetzung, daß als Entgelt für die besondere Art von Diensten, 
welche jeder dieser Teile den übrigen leistet, diese übrigen Teile 
ihrerseits ein entsprechendes Maß ihrer eigenen Dienste darbieten. 
Die Differenzierung des tierischen wie des sozialen Aggregats ist 
mithin durch die gleiche Folgeerscheinung gekennzeichnet: eine gegen- 


1) Prinzipien, $ 233. 
2) Prinzipien, § 2 


746 Albert Hesse, 


seitige Abhängigkeit der Teile, ermöglicht durch Teilung der Arbeit. 
Dieses Zusammenwirken der Teile zum Wohl des Ganzen ist das 
fundamentale Merkmal des lebenden Ganzen, des Organismus. Ge- 
sellschaft und Einzelorganismus stimmen hinsichtlich dieser grund- 
legenden Thatsache vollkommen überein !). 

Je weiter nun die Differenzierung fortschreitet, desto größer wird 
die Abhängigkeit jedes einzelnen Teiles von den übrigen, sodaß die 
Trennung für ihn selbst und die übrigen verderblich sein würde. 
Wie bei den niedrigsten tierischen Aggregaten durch eine Trennung 
das Leben der einzelnen getrennten Stücke kaum irgendwie beein- 
trächtigt wird, da jedes einzelne Stück derselben nach Struktur und 
Funktionen dem anderen gleich ist, so zerstreut sich auch die führer- 
lose wandernde Herde primitiver Menschen ohne jeden Nachteil, da 
jeder einzelne Mensch die gleichen Funktionen ausübt und des Ein- 
verständnisses mit seinen Genossen nicht bedarf. Anders bei hoch- 
organisierten Aggregaten der einen wie der anderen Art: hier zieht 
eine Verstümmelung den Untergang des Ganzen nach sich ?). 

Dieser Gegensatz zwischen unentwickelten und entwickelten 
Aggregaten wird dadurch bedingt, daß zugleich mit zunehmender 
Specialisierung der Funktionen auch in jedem Teil das Unvermögen 
sich steigert, die Funktionen anderer Teile zu übernehmen. In 
gleichem Maße wie die einen Teil des Einzelorganismus bildenden 
Einheiten sich auf eine bestimmte Art der Thätigkeit beschränkt haben, 
verlieren sie die Fähigkeit der Anpassung an andere Thätigkeiten. 
Im sozialen Aggregat bedingt die Schulung, welche zur wirksamen 
Erfüllung einer besonderen Aufgabe notwendig ist, zugleich eine ge- 
wisse Ungeschicklichkeit im Erfüllen anderer besonderer Aufgaben, 
(die jener im wesentlichen unähnlich sind®). Andererseits führt aber 
diese Beschränkung der einzelnen Teile hinsichtlich ihrer Obliegen- 
heiten in beiden Fällen dazu, daß sie diese immer besser ausführen +). 


IL Organsysteme. 


hn besonderen stimmen die Erscheinungen der Differenzierung 
im sozialen und organischen Körper überein hinsichtlich ihrer Er- 
gebnisse, der Organsysteme. 

1) Beziehungen der Organsysteme untereinander. 
Auf (der ersten Stufe tierischer Entwickelung finden wir einen 
fundamentalen Gegensatz ausgeprägt zwischen den äußeren Teilen, 
welche mit den Dingen in der Umgebung — Erde, Wasser, Beute, 
Feinden — in Wechselwirkung treten, und den inneren Teilen, welche 
zum Nutzen des gesamten Körpers die nährenden Substanzen ver- 
werten, die ihnen durch die äußeren Teile zugeführt worden sind. 
Bei den höheren Gebilden dieser Stufe ist der Gegensatz dahin 
kompliziert, daß statt der einfachen Schicht von Zellen sich außen wie 


1) Prinzipien, $ 2 
2) Prinzipien, § 235. 
3) Prinzipien, $ 2! 

/ 


Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 747 


innen eine doppelte Schicht und zwischen diesen ein Hohlraum be- 
findet. Im wesentlichen ähnliche Entwickelungsstufen zeigen die so- 
zialen Aggregate. Dort findet sich der zunächst noch unbestimmt, 
später immer deutlicher ausgeprägte Gegensatz zwischen Herren und 
Sklaven, Herren, die als Krieger die Angriffs- oder Abwehrthätigkeit 
ausführen und so vorzugsweise zu den Einwirkungen der Umgebung 
in Beziehung treten, und Sklaven, welche die inneren Thätigkeiten 
ausführen zum Zweck des allgemeinen Unterhalts. Mit Fortschreiten 
der Entwickelung beginnen die höheren und niederen Schichten je- 
weils in sich selbst Differenzierungen zu erleiden. Die obere Klasse 
erzeugt eine sie ergänzende Klasse von persönlichen Anhängern, die 
zumeist ebenfalls Krieger sind, und die untere Klasse beginnt, sich 
in Hörige und Freie zu sondern !). 

Diese zu einander im Gegensatz stehenden Teile sind anderer- 
seits voneinander abhängig. Ihre Abhängigkeit verlangt irgendwelche 
Vermittelung zwischen ihnen, und je mehr sie sich entwickeln, desto 
mehr muß sich auch die Einrichtung zum wechselseitigen Austausch 
der Erzeugnisse ausbilden. So beginnt denn bei individuellen Or- 
ganismen, nachdem sich das äußere und innere System voneinander 
geschieden haben, ein drittes System sich auszubilden, das zwischen 
den beiden ersteren liegt, ihr Zusammenwirken erleichtert und sich 
in gleichem Maße verzweigt, wie die Teile, denen es die Stoffe zu- 
leitet, weiter auseinanderrücken, zahlreicher und komplizierter werden. 
Das Gleiche geschieht bei den Gesellschaften. Bei der niedrigsten 
Form berühren die ursprünglichen Klassen sich unmittelbar, es giebt 
noch kein verteilendes System. Sobald aber die festere Organisation 
die örtliche Ansiedelung bestimmter Industrien ermöglicht, beginnt 
sich zugleich eine Einrichtung für den Austausch der Lebensbedürf- 
nisse zu entwickeln ?). 

Diese drei großen Organsysteme entstehen im sozialen Aggregat 
in derselben Reihenfolge und aus denselben Gründen wie im Or- 
ganismus. Bei kleinen und wenig thätigen Geschöpfen genügt es, 
wenn die Nahrung von der inneren Schicht unmittelbar durch Ab- 
sorption in die äußere Schicht hinaus gelangt. Je lebhafter jedoch 
die Thätigkeit der äußeren Gebilde wird, desto größer werden die 
Ausgaben, und die einfache Absorption aus den benachbarten Ge- 
werben vermag «den Verbrauch nicht zu decken; ein Mittel der Ueber- 
tragung wird nötig. Dasselbe zeigt die Entwickelung der Gesell- 
schaften. Wo nur erst eine Klasse von Herren und Sklaven existiert, 
die in unmittelbarer Berührung miteinander stehen, da ist kein Raum 
für die Einrichtung zur Uebertragung der Erzeugnisse. Eine größere 
Gesellschaft dagegen kann heranwachsen und einen verwickelteren 
Zustand erreichen nur unter der Bedingung, daß ein Verteilungs- 
system sich herausbildet und entsprechend fortschreitet *). 


1) Prinzipien, § 238. 
2) Prinzipien, § 239. 
3) Prinzipien, § 240. 


148 Albert Hesse, 


2) Entwickelung der einzelnen Organsysteme. Nicht 
nur in den Beziehungen zwischen diesen drei großen Systemen bei- 
der Aggregate, auch hinsichtlich der Entwickelung eines jeden der- 
selben zeigen sich bedeutende Uebereinstimmungen. Um diese nach- 
zuweisen, führt Spencer die Parallele zwischen den sozialen und dem 
organischen Aggregat bis in die kleinsten Einzelheiten durch. Es seien 
jedoch hier nur die Grundzüge kurz hervorgehoben. 

Die der Ernährung dienenden Teile in einem lebenden Körper 
und die der produktiven Erwerbsthätigkeit gewidmeten Teile im sozialen 
Aggregat bilden zusammen ein Ernährungs- oder Erhaltungssystem, 
denn beiden fällt die gemeinsame Aufgabe der Ernährung oder Er- 
haltung zu. Diese Teile sind denn auch differenziert in Ueberein- 
stimmung mit bestimmten Gesetzen, welche sowohl für den sozialen 
wie für den Einzelorganismus Geltung haben !). Wie im Verlauf der 
Entwickelung des Ernährungssystems eines Tieres die Natur und die 
Verteilung der der Erhaltung dienenden fremden Stoffe, auf welche 
das Innere des Nahrungskanals einwirkt, den allgemeinen Charakter 
und die besonderen Merkmale des Inneren bestimmen, so wird auch 
der Gang der Entwickelung des industriellen Systems einer Gesell- 
schaft bedingt durch die mineralischen Stoffe, die Tiere und Pflanzen. 
mit denen ihre Arbeitskräfte in Berührung kommen; die industriellen 
Specialisierungen in den verschiedenen Teilen der Bevölkerung werden 
bestimmt durch die organischen und unorganischen Verschiedenheiten 
in den örtlichen Erzeugnissen, mit denen die Teile sich beschäftigen 
müssen ?). 

Die gesamte Klasse von Menschen, welche dem Ankauf und 
Verkauf von Gütern zur Befriedigung von Bedürfnissen aller Art in 
kleinerem und größerem Maßstabe sich widmet und dieselben längs 
allmählich sich ausbildender Kanäle nach allen möglichen Gegenden. 
Städten und Individuen versendet, um ihnen zu ermöglichen, auf diese 
Weise den durch ihre Thätigkeit verursachten Verbrauch zu ersetzen, 
diese ganze Klasse zugleich mit den Kanälen bildet das Verteilungs- 
system, erfüllt im wesentlichen eine ähnliche Aufgabe, wie sie im 
lebenden Körper dem Gefäßsystem anheim fällt, welches jedem ein- 
zelnen Gebilde und jeder kleinsten Einheit desselben einen Strom 
von Nährstoffen zuführt, der stets seiner Thätigkeit entsprechend 
bemessen ist”). So stimmen denn auch die Eigentümlichkeiten in 
der Entwickelung dieses Verteilungssystems im lebenden Körper und 
in der Gesellschaft überein. In beiden Fällen wird die Höhe der 
Ausbildung bestimmt durch die vorwaltenden Bedürfnisse des Aus- 
tausches zwischen den wechselseitig voneinander abhängigen Teilen ®). 
Wir beobachten neben anderen merkwürdigen Vergleichspunkten die 
gleichen Stadien der Aufeinanderfolge 5), eine Analogie rücksichtlich 


1) Prinzipien, SS 241, 242—243. 
2) Ebenda, $ 2 
3) Ehenda, § 2 
4) Ebenda, $ 2 
5) Ebenda, § 2 


Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 749 


der Bewegungen, welche längs der Kanäle stattfinden !), der Ströme, 
welche in den Kanälen kreisen, ihrer Natur und Beziehung zu den 
verschiedenen Teilen des Organismus ?). 

Die gegenseitige Abhängigkeit, das Zusammenwirken der Teile, 
welche das organische und soziale Aggregat übereinstimmend charakte- 
risieren, sind unmöglich ohne geeignete Vorrichtungen, durch welche die 
Thätigkeiten der zusammenwirkenden Teile jeweils abgemessen werden. 
So ist die unvermeidliche Folge, daß im Staatskörper, sowie im 
lebenden Einzelkörper ein regulierendes System entsteht). Die zu 
Anfang am dringlichsten erforderliche Art des Zusammenwirkens, 
diejenige, welche nötig ist, um mit den Feinden, mit der Beute in 
der Außenwelt fertig zu werden, ruft in beiden Fällen das erste 
regulierende Centrum zur Kontrolle der die äußeren Thätigkeiten 
besorgenden Organe ins Leben? Wie im Einzelorganismus der 
Nervenmuskelapparat, der den Kampf mit den Organismen der 
Außenwelt zu führen hat, eben durch diesen Kampf erzeugt und 
fortentwickelt wird, so wird auch die regierende und militärische 
Organisation einer Gesellschaft durch den Kriegszustand zwischen 
Gesellschaften hervorgerufen und weiter ausgebildet’). Dieses regu- 
lierende System, in kleinen und wenig differenzierten Aggregaten 
beider Art von einfachem Bau, entwickelt sich während der Bildung 
eines zusammengesetzten Aggregats zu einem komplizierten System 
über- und untergeordneter Centren ê); daneben nimmt das herrschende 
Centrum an Größe und Kompliziertheit des Aufbaues zu’), und bilden 
sich Verbindungsmittel aus, durch welche das Centrum die Teile des 
Ganzen beeinflussen kann *). Im Lauf der Entwickelung bildet sich 
später ein weiteres regulierendes System von wesentlich anderem 
Bau für die inneren, der Ernährung dienenden Organe heraus, das 
allmählich sich immer selbständiger macht: auf der einen Seite das 
symphatische Nervensystem, auf der anderen das industrielle regu- 
lierende System der Börsen und Märkte”). Bei beiden Aggregaten 
kommt dann noch ein drittes regulierendes System hinzu mit dem 
Zweck, den normalen Kreislauf der Nahrungsstoffe zu Gunsten der 
besonders thätigen Organe zu verändern: die vasomotorischen Nerven 
einerseits, die, neben den Arterien laufend, durch Zusammenziehen 
bezw. Erweiterung derselben den Blutumlauf vermindern bezw. er- 
höhen, und andererseits das System der Banken und der damit ver- 
knüpften Finanzeinrichtungen, welche Kapitalien ausleihen !°). 

Fassen wir die Ergebnisse dieses Abschnitts zusammen. Das 


1) Prinzipien, § 246. 
2) Ebenda, § 2 

3) Ebenda, $ 25° 

4) Ebenda, 
5) Ebenda, 
6) Ebenda, § 27 
7) Ebenda, 8 
8) Ebenda, § À 
9) Ebenda, § 252 
10) Ebenda, & : 


750 Albert Hesse, 


Wachstum des organischen und sozialen Aggregats wird begleitet 
von einer Zunahme der Verschiedenheit des inneren Baues. Die un- 
gleichen Teile übernehmen zugleich abweichende Thätigkeiten, deren 
Verschiedenheiten in der Beziehung zu einander stehen, daß die eine 
erst die andere möglich macht. „Die wechselseitige Unterstützung, 
welche sie sich auf diese Weise gewähren, verursacht dann wieder 
eine wechselseitige Abhängigkeit der Teile, und indem die wechsel- 
seitig abhängigen Teile — des sozialen Körpers — so durch und 
für einander leben, bilden sie ein Aggregat, das nach demselben all- 
gemeinen Grundsatz aufgebaut ist, wie ein einzelner Organismus“ !). 


C. Das Verhältnis zwischen den Einheiten 
und dem Ganzen. 


Nach Hervorhebung der Uebereinstimmungen hinsichtlich des 
Wachstums und der Organisation führt Spencer noch aus, daß das 
Verhältnis zwischen den Einheiten und dem Ganzen in beiden Aggre- 
gaten einander entspricht. Er legt jedoch auf dieses Moment nicht 
so viel Gewicht wie auf die früheren, viel eingehender erörterten 
Vergleichspunkte, es ist untergeordneter Natur und dient mehr zur 
Erläuterung. 


I. Der natürliche Organismus als Gesellschaft. 


Die Auffassung der Gesellschaft als Organismus erscheint noch 
klarer und gewinnt an Berechtigung, wenn wir erwägen, daß jeder 
Organismus von wahrnehmbarer Größe auch eine Gesellschaft ist. 

Bei gewissen Tieren niedriger Ordnung?) zeigt sich, wie zahl- 
reiche, winzig kleine, lebende Individuen sich vereinigen, um ein relativ 
großes Aggregat zu bilden, in dem diese einzelnen Individuen scheinbar 
aufgehen, dessen Gesamtleben aber doch nur auf der Kombination 
ihrer Einzelleben beruht). In anderen Fällen treten uns statt Ein- 
heiten, welche ursprünglich diskret sind und ihre Individualität erst 
durch Aneinanderlagerung verlieren, solche Formen entgegen, bei 
denen die Einheiten durch Vermehrung aus demselben Keime her- 
vorgehen und «dann niemals ihren Zusammenhang aufgeben, gleich- 
wohl aber ihre Sonderexistenz noch recht deutlich erkennen lassen $). 
Selbst bei den höchsten Tieren bleiben diese Beziehungen zwischen 
dem Gesamtleben und dem der einzelnen Bestandteile noch nach- 
weisbar. Im Blut kreisen unzählige lebende Einheiten, die Blut- 
körperchen, und auch hinsichtlich anderer Zellen 5) läßt sich nach- 
weisen, daß ihnen selbständiges Leben zukommt ê). 


1) Prinzipien, & 223. 

2) Den Myxomyceten, 

3) Prinzipien, $ 218. 

4) So z. B. die lebenden Schwämme, Prinzipien, § 218. 

5) Z. B. hinsichtlich der Epithelzellen, welehe die Oberflächen der Schleimhäute 
bedeeken. 

6) Prinzipien, $ 218. 


Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. e 


yı 


IL Das Leben der Einheiten und des Ganzen. 


Das Verhältnis zwischen dem Leben der Einheiten und dem des 
Ganzen zeigt als weitere, beiden Aggregaten gemeinsame Eigentüm- 
lichkeit die Thatsache, daß durch irgend eine Katastrophe das Leben 
des Aggregats zerstört werden kann, ohne daß damit auch unmittel- 
bar das Leben aller Einheiten vernichtet wäre. Wie bestimmte Zellen 
eines kaltblütigen Tieres und einzelne Teile ganzer Organe ihre Be- 
wegung noch lange Zeit von selbst oder infolge künstlicher Anreize 
fortsetzen, nachdem das Geschöpf, von dem sie einen Teil bilden, 
leblos und bewegungslos geworden ist, so kann ein Stillstand jener 
zusammenwirkenden Thätigkeiten, welche das Gesamtleben der Nation 
ausmachen, herbeigeführt werden, ohne daß deshalb auch die Thätig- 
keiten, aller ihrer Einheiten, z. B. derjenigen, die sich der Erzeugung 
von Nahrungsmitteln widmen, aufzuhören brauchen 1). 

Auf der anderen Seite wiederum überdauert das Leben des 
Aggregats, sofern keine Katastrophe es vor der Zeit unterbricht, bei 
weitem das Leben der Einheiten. Wie jedes der winzigen Lebens- 
elemente, die ein ausgebildetes Tier zusammensetzen, sich entwickelt, 
seine besondere Aufgabe erfüllt, wieder zerfällt und endlich völlig 
ersetzt wird, während das Tier als Ganzes ruhig fortlebt, so besteht 
das Leben einer Gesellschaft und ihrer größeren Abteilungen fort, 
ungeachtet des Absterbens einer Zahl der ihnen angehörigen Bürger. 
Ja noch mehr: einzelne Teile der Gesellschaft, z. B. Privatvereini- 
gungen, ganze Städte können zerfallen, während doch die Nation 
ihre Integrität behauptet und an Umfang und innerem Bau zunimmt ?). 


Zweites Kapitel. Verschiedenheiten. 
A. Die wichtigsten Unterschiede. 


Die Gesellschaft weist, abgesehen von einigen weniger wichtigen 
Punkten, in einer Beziehung eine bedeutende Verschiedenheit vom 
Organismus auf: die einzelnen Teile eines Tieres stellen ein konkretes 
Ganzes dar, die Teile einer Gesellschaft dagegen bilden ein Ganzes, 
welches diskret ist. Während im lebenden Körper die Einheiten in 
innigster Berührung miteinander verbunden sind, treten uns die 
eine Gesellschaft zusammensetzenden Individuen als freie Wesen 
entgegen, die nicht in Berührung miteinander stehen, nicht fest an 
ihre jeweilige Lage gebunden sind, sondern sich von Ort zu Ort bewegen. 
sich mehr oder weniger weit zerstreuen können 21. Diese Verschieden- 
heit hat einen weiteren wichtigen Gegensatz zur Folge. Im tierischen 
Körper geht die Differenzierung so weit, daß einige Teile zu Organen 
des Fühlens und Denkens, andere dagegen ganz empfindungslos werden. 
Im sozialen Aggregat ist dies nicht möglich: hier können nicht gänz- 


1) Prinzipien, § 219. 
2) Ebenda, § 219. 
3) Ebenda, § 220. 


152 Albert Hesse, 


lich empfindungslose Einheiten entstehen und andererseits solche, 
welche das Gefühl monopolisieren. Hier ist das Bewußtsein nicht 
wie im organischen Aggregat auf einen kleinen Teil konzentriert, 
sondern über das gesamte Aggregat verbreitet !); das heißt: während 
der physische Organismus einem seiner Teile, dem Centralnerven- 
system unterworfen ist, haben die Teile des sozialen Aggregats die 
Möglichkeit, unabhängig von einem regierenden Teil selbst zu wählen 
und ihre Bestimmungen zu treffen ?). 


B. Bedeutung für die Auffassung der Gesellschaft 
als Organismus. 


Diese Verschiedenheiten vermögen jedoch die Auffassung der 
Gesellschaft als Organismus grundsätzlich nicht zu ändern. 

Die wechselseitige Abhängigkeit der Teile, welche die Grundlage 
der Organisation bildet, erfordert ein Zusammenwirken, und die Aus- 
führung solcher wechselseitig abhängigen Thätigkeiten setzt wiederum 
voraus, daß die Teile sich gegenseitig beeinflussen, daß Impulse, der 
Art, dem Grade, der Zeit nach abgemessen, sich von einem Teil zum 
anderen fortpflanzen. Dies geschieht im organischen Körper, dessen 
Teile ja in Zusammenhang stehen, durch unmittelbar von einem Teil 
zum anderen sich fortpflanzende Reize. Im sozialen Aggregat werden 
die erforderlichen gegenseitigen Einflüsse, wo sie nicht auf direktem 
Wege übertragbar sind, auf indirektem Wege übertragen. Ohne in 
Berührung miteinander zu stehen, beeinflussen sich die Teile gegen- 
seitig durch den Raum hindurch vermittels der Sprache der Gemüts- 
bewegungen und vermittels der mündlichen und schriftlichen Sprache 
des Verstandes. Auf diese Weise wird die Voraussetzung jener 
wechselseitigen Abhängigkeit der Teile und damit auch diese Grund- 
lage der Organisation selbst sehr wirksam hergestellt, sodaß, ob- 
gleich nicht konkret, sondern diskret, das soziale Aggregat sich als 
lebendes Ganzes darstellt 5). 

Ergebnis. Somit wird durch diese Verschiedenheiten nach 
Spencer's Meinung die Auffassung der Gesellschaft als Organismus 
in nichts verändert. Und es ergiebt sich als Begriff der Gesellschaft 
in Spencer's Soziologie. wenn auch von ihm nicht ausdrücklich for- 
muliert, so doch als Resultat seiner Ausführungen mit Sicherheit 
feststehend: Die Gesellschaft ist ein diskreter Organismus, aufgebaut 
von Einheiten, die mit Bewußtsein begabt sind. 


Zweiter Teil. Kritik. 
Vorbemerkungen. 


Der Sprachgebrauch verwertet das Wort „Gesellschaft“ in der ver- 
schiedensten Bedeutung. Er kennt Gesellschaften, welche die gute Ge- 


1) Ebenda, § 222, 


2) Vergl. Barth a. a. O., S. 107. 
3) Prinzipien, §§ 222, 223, 


D 


Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 753 


sellschaft, auch die Gesellschaft genannt, giebt und besucht. Er faßt 
die Gesamtheit der Glieder eines Staatswesens zu der bürgerlichen 
Gesellschaft zusammen, diese auch bewußt dem Staat gegenüberstellend 
und wiederum in großstädtische und kleinbürgerliche Gesellschaft 
teilend. Er redet von der civilisierten, europäischen Gesellschaft und 
weiter von der menschlichen Gesellschaft überhaupt. Der Jurist endlich 
trennt die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts von den handelsrechtlichen 
Gesellschaften und stellt den privatrechtlichen Gesellschaften wiederum 
die des öffentlichen Rechts, z. B. die Religionsgesellschaften gegen- 
über !). 

In welcher Bedeutung gebraucht Spencer das Wort „Gesell- 
schaft“? Eine Gesellschaft ist nach seiner Ansicht vorhanden, wenn 
sämtliche Individuen, die ein bestimmtes räumliches Gebiet einneh- 
men, in dauernden Beziehungen stehen ?). Welches die Grenzen sind, 
die das räumliche Gebiet einschließen, sagt er an dieser Stelle aus- 
drücklich nicht. Aus seinen späteren Ausführungen ergiebt sich je- 
doch, daß er politische Grenzen im Sinne hat, denn als einzelne 
Gesellschaften giebt er an den Stamm), den Staat‘) mit seinen 
Gauen 5), Grafschaften ©) und Provinzen °), die Nation ê). Es bezeichnet 
also Spencer mit dem Wort „Gesellschaft“ die Gesamtheit der Glieder 
eines Staatswesens. 


Ob diese Auffassung berechtigt ist, diese Frage kann hier nicht 
behandelt werden, da dies den folgenden Untersuchungen vorgreifen 
würde. 

Es ist auch auf die Streitfrage nach dem Begriff der Gesellschaft 
hier nicht einzugehen, nicht ein bestimmter Begriff der Gesellschaft 
aufzustellen, als Maßstab, um Spencer’s Ansicht ohne näheres Ein- 
gehen nach ihm zu beurteilen. Man kann Spencer wohl widerlegen, 
wenn man, von vornherein auf einen anderen Standpunkt sich stel- 
lend, mit den Begriffen gegen ihn streitet, die er selbst bekämpft; 
man wird ihm aber nicht gerecht werden. Man muß seinen Wegen 
folgen, auf seinem eigenen Felde ihn zu überwinden suchen, den 


1) Vergl. hinsichtlich dieser Verschiedenheiten des Sprachgebrauchs den ange- 
führten Artikel von Gothein im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, sowie Rüme- 
lin, Reden und Aufsätze, 3. Folge, 1894, S. 248 ff. Vergl. über den Begriff der 
Gesellschaft außerdem: Stammler, Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Ge- 
schichtsauffassung, 1896, S. 83 ff.; Simmel, Ueber soziale Differenzierung, 1890, S. 10 H: 
Jhering, Der Zweck im Recht, 1877/83, Bd. 2, S. 174 ff.; Tönnies, Gemeinschaft und 
Gesellschaft, 1887, S. 46 ff.; Weisengrün, Der Marxismus und das Wesen der sozialen 
Frage, 1900, S. 370 ff.; Gumplowiez, Grundriß der Soziologie, 1885, S. 139 ff.; Kistia- 
kowski, Gesellschaft und Einzelwesen, 1899, S. 56 ff. 

2) Prinzipien, $ 212. 

3) Ebenda, z. B. Së 225, 226, 229, 230, 236, 238, 239, 245. 


4) Ebenda, z. B. 88 228, 229, 226, 243, 245, 248, 250. 
5) Ebenda, z. B. $ 227. 
6) Ebenda, z. B. $ 243. 


7) Ebenda, § 241, 243. 
8) Ebenda, § 212, 226. 
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 48 


754 Albert Hesse, 


Maßstab zu seiner Beurteilung aus seinen eigenen Werken ent- 
nehmen. 
Und dies soll hier versucht werden. 


Erster Abschnitt. Spencer’s Beweis. 
Erstes Kapitel. Gesellschaft und Mehrheit von Menschen. 


Die Gesellschaft ist nach Spencer ein Organismus besonderer 
Art. Diese Meinung setzt voraus, daß die Gesellschaft die charakte- 
ristischen Merkmale des Organismus zeigt. Diese Ansicht hat wieder 
zur bedingenden Voraussetzung, daß die Gesellschaft als besonderes 
Wesen, als Ding gefaßt, ihr eigenes Dasein zugeschrieben werden 
kann. Dies letztere endlich erfordert die scharfe und bestimmte 
Feststellung des Kriteriums, durch welches die Gesellschaft anderen 
Zusammenfassungen von Individuen gegenübergestellt wird. 

Und so stelle ich die erste Frage: Kann das quantitative Moment 
längerer oder kürzerer Dauer das Kriterium sein, welches die Ge- 
sellschaft anderen Zusammenfassungen von Individuen als selbständiges 
Objekt gegenüberstellt? 

Die Meinung, daß die Dauer des Zusammenseins das Wesen der 
Gesellschaft ausmache, kann nur dann Sinn und praktischen Wert 
haben, wenn bestimmt und sicher angegeben wird, bei welcher Zeit- 
dauer das Zusammensein in den Zustand gesellschaftlichen Zusammen- 
lebens übergeht. Spencer stellt nicht dem zeitweiligen Beisammen- 
sein das Gesellschaftsleben als ein Zusammenleben von unbegrenzter 
Dauer gegenüber. Er verkennt nicht die Thatsache der Geschichte, 
daß große Nationen im Laufe der Jahrhunderte wieder zu Grunde 
gingen; auch die Gesellschaft ist eine Zusammenfassung von nur 
begrenzter Dauer, ebenso wie das Zusammenleben, das nicht eine Ge- 
sellschaft darstellt. Wo läuft aber dann die Grenze? Wie lange 
muß ein Zusammenleben währen, um zu einem gesellschaftlichen 
werden zu können? Spencer sagt es nicht. 

Eine maßgebliche Angabe des Zeitpunktes, in dem das einfache 
Zusammenleben zum gesellschaftlichen werden soll, ist jedoch auch 
gar nicht möglich. Soll eine Zusammenfassung von Menschen 
Monate, Jahre oder Jahrhunderte renoncieren, ehe sie in den engeren 
Verband der Gesellschaften recipiert werden kann, und wie lange 
soll im einzelnen wieder der Zeitraum bemessen werden? Die Fest- 
setzung einer bestimmten Frist würde stets einen Akt der Willkür 
darstellen und giltig nicht begründet werden können 11. 

Es kann daher das Kriterium, durch das gesellschaftliches Zu- 
sammenleben von anderem Zusammensein abgegrenzt wird, nicht in 
der Dauer der Verbindung gesucht werden. Spencer hat der ersten 


1) Der Einwand von Tönnies (Philosophische Monatshefte, XXV, S. 70), daß 
bleibende Relationen nicht allein zwischen den Bestandteilen eines Ganzen, sondern 
auch sonst, z. B. in der Gruppe, die wir Art nennen, sich finden, trifft die Frage 
nicht, da Spencer hier von den Beziehungen auf Grund einer dauernden Anordnung, 
Verbindung redet. 


Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 755 


Anforderung, der sicheren Angabe eines Gesichtspunktes zur Trennung 
von Gesellschaft und anderen Zusammenfassungen von Individuen, 
nicht genügt. 


Zweites Kapitel. Die Gesellschaft als Ding. 
A. Stellung des Problems. 


Das Moment der Dauer der Verbindung kann, weil es überhaupt 
unbrauchbar ist, das soziale Leben von anderem Zusammensein ab- 
zugrenzen, auch die Gesellschaft nicht als besonderes Ding anderen 
Zusammenfassungen von Individuen gegenüberstellen. Der Grund, 
den Spencer für die Ansicht anführt. daß die Gesellschaft ein be- 
sonderes Wesen darstellt, ist unzutreffend, daher diese Meinung nicht 
bewiesen. Hiermit ist jedoch die Frage, ob sie ein eigenes Ding ist, 
noch nicht beantwortet. Die Auffassung der Gesellschaft als Ding 
setzt voraus, daß sie überhaupt von anderem Zusammenleben von 
Individuen geschieden werden kann, und. diese Voraussetzung ist 
durch den Nachweis, daß ein bestimmtes Kriterium hierzu unge- 
eignet ist, noch nicht hinfällig geworden. Es bleibt daher das Pro- 
blem, ob die Gesellschaft als Ding gefaßt werden kann, bestehen. 

Die Behandlung dieses Problems erfordert eine Erörterung der 
Frage nach der Realität der Gesellschaft und eine Prüfung, zu welchen 
Gegenständen unseres Denkens sie gehört. 

In vorliegender Untersuchung ist dieses Problem nicht in all- 
gemeinen metaphysischen und logischen Spekulationen zu erörtern, 
sondern enger zu fassen dahin: kann die Gesellschaft als Ding ge- 
faßt werden in dem Umfang, in dem Spencer sie als solches be- 
trachtet? Spencer selbst nimmt zu diesem Problem nicht Stellung, 
er geht auf jene allgemeinen Fragen überhaupt nicht ein!), sondern 
beantwortet sie mit der Darlegung, daß die Gesellschaft ein Organis- 
mus ist. Dies ist ein Fehler. Spencer mußte zuerst untersuchen, 
ob der Gesellschaft Realität zukomme, ferner, zu welchen Gegen- 
ständen des Denkens sie gehöre, und durfte erst dann in die Er- 
örterung eintreten, ob sie ein Naturding darstelle und weiter, ob sie 
bestimmten Naturwesen gleich oder ähnlich sei. Die vorliegende 
Untersuchung, die allein eine kritische Würdigung der Ansichten 
Spencer’s zur Aufgabe sich gestellt hat, muß sich mit der Fest- 
stellung dieses methodologischen Fehlers begnügen; sie hat den Ge- 
dankengängen Spencer's zu folgen, und in deren Beurteilung zu jenen 
allgemeinen Problemen Stellung zu nehmen. 

Auf die Frage: zu welcher Art von Dingen ist die Gesellschaft 
zu rechnen? antwortet Spencer: zu den organischen Aggregaten. 
Er faßt also das Aggregat als Ding. Dies ist unrichtig: das Aggre- 
gat ist eine Mehrheit von Dingen. Doch sehen wir von diesem an 


1) Er beschränkt sich auf eine ganz oberflächliche Hervorhebung des Gegensatzes 
zwischen Nominalismus und Realismus, den er zu Gunsten des letzteren mit dem oben 
S. 754 f. angeführten unbrauchbaren Gesichtspunkt der Dauer der Beziehungen zu er- 
ledigen meint. 


48* 


756 Albert Hesse, 


sich bedeutsamen, jedoch für die vorliegende Erörterung nicht so 
wichtigen Gesichtspunkt ab, und fragen wir: Kann die Gesellschaft 
als Ding gefaßt werden in dem Umfang, in dem das organische 
Aggregat ein solches darstellt, d. h. kommt der Gesellschaft die Re- 
alität der natürlichen Organismen zu, und ist sie als Gegenstand 
des Denkens gleicher Art wie das organische Aggregat? 


B. Die Realität der Gesellschaft. 


Das organische Aggregat, z. B. ein Tier, eine Pflanze ist ein 
Körper. Als wesentliche Merkmale eines solchen erscheinen uns von 
vornherein Raumerfüllung und Trägheit, und diese Vorstellungen 
gehen auf Wahrnehmungen des Tast- und Gesichtssinnes in der 
Hauptsache zurück. Die Gesellschaft jedoch können wir weder sehen, 
noch tasten, daher die Vorstellung der Trägheit, sowie die des Räum- 
lichen und der Undurchdringlichkeit, in denen sich uns die Raum- 
erfüllung darstellt, nicht gewinnen. Wir nehmen auf diesem Wege 
nicht die Gesellschaft wahr, sondern allein die Einzelindividuen. 

Den Körpern schreiben wir eine von den Sinnen unabhängige 
Wirklichkeit zu, weil sie fähig sind, auf unsere Sinne zu wirken. 
In der Frage nach der Existenz der Dinge sehen wir uns auf die 
sinnliche Erfahrung zurückgewiesen !), und das entscheidende Kriterium 
für die Beantwortung der Frage nach der Realität ist uns die Wahr- 
nehmbarkeit, der Gesichtspunkt, ob der Gegenstand unabhängig von 
unserem Willen uns gegeben wird ?). 

Die organischen Körper giebt uns die sinnliche Erfahrung; ohne 
sie wissen wir von ihnen nichts; wir reden von ihnen nur, wenn 
und weil wir sie wahrgenommen haben. Dies trifft aber, wie schon 
hervorgehoben, für die Gesellschaft nicht zu; wir nehmen nur die 
Einzelindividuen wahr und fügen diese zu der Gesellschaft zusammen. 
Die Gesellschaft erscheint uns mithin nicht als Körper; wir schreiben 
ihr nicht die Wirklichkeit, Existenz derselben zu. 

Dieser bedeutsame Unterschied zwischen Gesellschaft und natür- 
lichem Organismus spricht gewichtig gegen die Auffassung der Ge- 
sellschaft als Ding in dem Umfang, in dem Spencer dies annimmt. 
Er stellt mit Sicherheit fest, daß die Gesellschaft nicht als Körper 
aufgefaßt, ihr nicht die Realität des natürlichen Organismus zuge- 
sprochen werden kann. Er vermag jedoch die Auffassung Spencer’s 
nicht endgiltig zu widerlegen, denn Spencer behauptet nicht eine voll- 
kommene Uebereinstimmung zwischen Gesellschaft und physischem 
Organismus, sondern nur eine Analogie. Er stellt die Gesellschaft 
dem Organismus gegenüber, trotzdem ihm klar ist, daß sie keine 
äußere Gestalt besitzt, nicht als ein zusammenhängendes Etwas im 
Raume uns entgegentritt). Hierdurch wird nach seiner Meinung die 
Gesellschaft zu einem Organismus besonderer Art. 

1) A. Riehl, Der philosophische Kritieismus und seine Bedeutung für die posi- 
tive Wissenschaft, Bd. 2, 1887, 8. 130, 143. 

2) Benno Erdmann, Logik, Bd. 1. Logische Elementarlehre, 1892, S. 83. 

3) Siehe oben S. 751 f. 


Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 757 


C. Die Gesellschaft als Gegenstand des Denkens. 


Die Aufgabe, zu prüfen, ob die Gesellschaft in dem Umfang des 
natürlichen Organismus als Ding gefaßt werden kann, macht außer 
der Untersuchung der Wirklichkeit, Existenz es erforderlich, Ge- 
sellschaft und Organismus als Gegenstände des Denkens zu behandeln, 
zu erörtern, zu welchen Arten des Vorgestellten beide gehören, nach 
dieser Richtung hin Gesichtspunkte für die Beurteilung der Meinung 
Spencer’s zu suchen. 

Wir stellen die Einzelindividuen uns als bestimmt in Beziehung 
stehend vor und fügen sie auf Grund dieser Beziehung zu einer Ein- 
heit, der Gesellschaft, zusammen. Die Gesellschaft ist ein Inbegriff. 
Die Beziehungen zwischen den Einzelwesen setzen die Gesellschaft 
als Ganzes einer bloßen Mehrheit gegenüber, machen sie zu einem 
Gegenstand unseres Denkens, unterstellen sie damit der Kategorie 
der Beziehung!). Der fortgeschrittenen Erfahrung erscheinen auch 
die organischen Körper als Inbegriffe, somit der Kategorie der Be- 
ziehung unterstehend. Sie löst sie auf in Zellen, Molekel, Atome. 
Diese ursprünglichen Elemente werden zwar nicht unmittelbar wahr- 
genommen, sondern erschlossen; unmittelbar gegeben ist allein die 
unabsehbare Menge ihrer Zusammensetzungen, während bei der Ge- 
sellschaft umgekehrt wir nur die Einzelelemente unmittelbar wahr- 
nehmen und diese dann zu der Einheit der Gesellschaft zusammen- 
fügen. Diese Verschiedenheit betrifft jedoch allein die Frage, wie 
wir den Inbegriff gewinnen, ändert nichts an der Thatsache, daß in 
beiden Fällen ein Inbegriff vorliegt. 

Es sind also als Gegenstände des Denkens Gesellschaft und natür- 
licher Organismus gleicher Art, mithin ist, unter diesem allgemeinen 
Gesichtspunkte betrachtet, die Auffassung Spencer’s berechtigt. 


Drittes Kapitel. Gesellschaft und Organismus. 


Die Behandlung der Gesellschaft als Gegenstand unseres Denkens 
ist nicht nur notwendig für die Untersuchung, ob die Gesellschaft 
ein Ding ist, sie giebt auch den Weg an, auf dem die Erörterung, ob die 
Gesellschaft als ein bestimmtes Ding, als Organismus gefaßt werden kann, 
vorzugehen hat. Wenn Gesellschaft und natürlicher Organismus durch 
die Beziehungen zwischen den Teilen eigene Gegenstände unseres 
Denkens werden, so wendet sich die Frage, ob die Gesellschaft analog 
dem natürlichen Organismus ist, dahin, ob die Beziehungen zwischen 
den Einheiten der Gesellschaft denjenigen zwischen den Bestandteilen 
des organischen Körpers analog sind. Es sind deshalb die Aus- 
führungen Spencer’s, welche darlegen sollen, daß die Gesellschaft 
analog dem natürlichen Organismus ist, einen Organismus besonderer 
Art darstellt, unter diesem Gesichtspunkt eingehend zu prüfen. Da- 
bei seien im Anschluß an Spencer’s Sprachgebrauch die Erscheinungen, 
Vorgänge, Thatsachen des Gesellschaftslebens als Merkmale, Eigen- 


1) Erdmann, a. a. O., S. 99 ff. 


758 Albert Hesse, 


tümlichkeiten, Eigenschaften des sozialen Aggregats gefaßt. Ob dies 
richtig ist, bleibe dahingestellt. Eine Erörterung dieser Frage wird 
nur dann als notwendig sich herausstellen, wenn sie für die Richtig- 
keit oder Unrichtigkeit der Meinung Spencer’s maßgebend ist; sie 
erübrigt sich jedenfalls dann, wenn die Unrichtigkeit der Ansicht 
Spencer’s schon aus anderen Gründen sich ergiebt. 

Eine Kritik dieser Ausführungen Spencer’s kann sich nun nicht 
vornehmen die Beantwortung der Fragen: Was ist ein Organismus? 
Sind die Merkmale, welche Spencer hervorhebt, charakteristisch und 
erschöpfen sie diesen Begriff? Derartige Erörterungen liegen außer- 
halb der Grenzen sozialphilosophischer Untersuchung und außerhalb 
des Zieles dieser Arbeit, deren Aufgabe in diesem Teil ist, eine 
kritische Verfolgung der Gedankengänge, die Spencer zu der Auf- 
fassung der Gesellschaft als Organismus geführt haben. 

Diese Untersuchung erfordert in erster Linie eine Prüfung der 
Fragestellung Spencer's. 


A. Spencer’s Fragestellung. 
I. Fehler der Fragestellung. 


Spencer stellt die Frage: Zu welcher Art von Dingen müssen 
wir die Gesellschaft rechnen, zu den unorganischen oder organischen 
Aggregaten? Diese Fragestellung ist verfehlt. Sie setzt das voraus, 
was den wichtigsten Punkt der Aufgabe bildete, den Satz, daß die 
Gesellschaft entweder ein unorganisches oder organisches Aggregat 
ist, daß sie ein Naturding ist, grundsätzlich mit diesen überein- 
stimmend. Spencer mußte fragen: Was für ein Ding ist die Ge- 
sellschaft? ist sie von Menschenhänden künstlich gefertigt oder 
natürlich geworden? Diese Hauptfrage stellt er jedoch nicht; er 
stellt eine spätere Frage, welche die Beantwortung dieser ersten 
zur Bedingung hat. 

Die Fragestellung setzt einmal den wichtigsten Teil der Aufgabe 
ganz unbewiesen als in bestimmtem Sinn entschieden voraus, über- 
sieht die Grundfrage, die zu stellen war. Sie ist jedoch noch in 
anderer Beziehung zu tadeln. Spencer fragt nicht: Was ist die Ge- 
sellschaft für ein Ding? sondern: Ist die Gesellschaft ein bestimmtes 
Ding? Er lehnt die Möglichkeit, daß die Gesellschaft ein unorganisches 
Aggregat darstellen könne, kurz ab!) und fragt: Ist sie ein Organis- 
mus? Er faßt nicht die Eigentümlichkeiten des sozialen Aggregats 
sämtlich ins Auge, prüft sie hinsichtlich ihrer Bedeutnng und reiht 
dann die Gesellschaft einer bestimmten Klasse von Objekten ein, er 
behauptet von vornherein die Zugehörigkeit zu einer bestimmten 
Klasse und sucht dies nachzuweisen. 

Ein solches Suchen enthält stets eine aprioristische Anticipation 


1) Ob, wie Tönnies — Philosophische Monatshefte, XXV, S. 70 — annimmt, ohne 
zureichenden Grund, diese Frage tritt gegenüber der hier behandelten zurück, da sie 
deren Beantwortung voraussetzt. 


Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 759 


des Gesuchten und trägt so in die Auffassung und Behandlung der 
Thatsachen schwere Fehler hinein. Einmal werden die Thatsachen nicht 
gleichmäßig in Betracht gezogen, sondern diejenigen Thatsachen gesucht, 
welche für die Behauptung sprechen, und infolgedessen viele, aus 
denen keine Gründe entnommen werden können, trotz großer Wichtig- 
keit übersehen oder zu wenig berücksichtigt, während andere von 
geringerer Bedeutung, sofern sie Beweisgründe darbieten, viel ein- 
gehender erörtert werden. Weiterhin werden die Thatsachen von 
vornherein unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, vom Standpunkt 
dieser vorgefaßten Meinung aus angesehen, einseitig aufgefaßt. 

Diese Fehler, aus einer unrichtigen Fragestellung hervorgehend, 
finden wir in der That auch bei Spencer vor. 


IL Folgen der fehlerhaften Fragestellung. 
1. Einseitige Berücksichtigung der Thatsachen. 


— Hervorhebung nebensächlicher Momente. — Die Einseitigkeit 
Spencer’s in der Berücksichtigung der Thatsachen des Gesellschafts- 
lebens zeigt sich einmal darin, daß er Erscheinungen, die ganz neben- 
sächlich, von nur geringer Bedeutung sind, heranzieht, sofern sie die 
behauptete Uebereinstimmung zu beweisen oder auch nur im ein- 
zelnen zu erläutern geeignet scheinen. 

So setzt er z. B. die Thatsache, daß mit wachsender Lebhaftig- 
keit des Verkehrs in entwickelten Gesellschaften die Eisenbahnen 
statt eines einzigen Schienenstranges für die Bewegung in beiden 
Richtungen einen doppelten besitzen, eine Linie zur Hin- und eine 
zur Rückfahrt, in Parallele zu der doppelten Gruppe von Röhren, 
durch welche in allen höheren Tieren das Blut vom Centrum nach 
der Peripherie und von dort nach dem Centrum strömt!). Aehnlich 
vergleicht er den Telegraphendraht, der das Eisenbahnsystem bis in 
die kleinsten Verzweigungen hinaus begleitet, den Verkehr auf diesen 
Linien anregt und hemmt, mit dem vasomotorischen Nerven, der, 
längs der Arterien einherlaufend, diese zusammenzieht bezw. aus- 
dehnt und so den Kreislauf regelt ?). Wie in den Verteilungskanälen 
des Organismus Blutkörperchen und Blutflüssigkeit kreisen, so nehmen 
entsprechend die Verteilungskanäle in der Gesellschaft Menschen 
und Waren auf, Und weiter stellt er die Isolierung der unter- 
irdischen Kabel der Trennung der Nervenfasern gegenüber: wie dort 
zahlreiche zu einem Bündel vereinigte Drähte jeweils durch eine 
Scheide nicht leitender Substanz getrennt sind, so sind die Nerven- 
fasern, welche in dem Nervenstamm nebeneinanderlaufen, durch ihre 
jeweiligen Markscheiden voneinander gesondert 4). 

Die Reihe dieser Beispiele ließe sich leicht noch um ein Be- 
trächtliches vermehren. 


1) Prinzipien, § 245. 
2) Ebenda, § 254. 
3) Ebenda, § 246. 
4) Ebenda, $ 254, 


760 Albert Hesse, 


— Unzureichende Berücksichtigung wichtiger Thatsachen. — An- 
dererseits werden von Spencer überaus wichtige Thatsachen des 
Gesellschaftslebens, aus denen Gründe für seine Ansicht sich nicht 
herleiten lassen, übersehen oder zu wenig in Betracht gezogen. 

Man kann Spencer nicht den Vorwurf machen, daß er die Ver- 
schiedenheiten, die zwischen dem lebenden Körper und der Gesell- 
schaft, bestehen vollständig übersehen habe. Er hebt selbst mehrere 
Unterschiede hervor. So betont er vor allem, daß im sozialen Aggregat 
jede Einheit mit Bewußtsein begabt ist, während dieses im lebenden 
Körper auf einen kleinen Teil sich konzentriert. Er würdigt jedoch 
gerade diesen wichtigen Gegensatz nicht in seiner vollen Tragweite, 
zieht nicht die Konsequenzen, die sich aus ihm ergeben. Er erwähnt 
nur gelegentlich bei Darlegung der Uebereinstimmungen, welche beide 
Aggregate hinsichtlich des Wachstums und der Ausbildung des Ver- 
teilungssystems aufweisen, einige Unterschiede, die infolge dieses 
Gegensatzes und des Umstandes, daß die Gesellschaft ein diskretes 
Ganzes ist, sich zeigen, betont die Vergrößerung durch Wanderung !), 
die Thatsache, daß nicht, wie im physischen Organismus, jeder Ein- 
heit der nötige Anteil an Nahrungsstoffen stets direkt zugeführt wird, 
sondern die eigene Thätigkeit der Einheiten die Verteilung teilweise 
anders regelt, und hebt weiterhin hervor einen Unterschied hinsicht- 
lich der Art und Weise, wie die Kreislaufsströmungen in beiden 
Fällen in Bewegung gesetzt werden: im Organismus durch ein kon- 
traktiles Organ, im sozialen Körper durch die Kräfte, die in den 
Strömen selbst liegen ?). Weiter berücksichtigt Spencer die aus diesem 
Gegensatz sich ergebenden Verschiedenheiten jedoch nicht. 

Es seien hier nicht Einzelheiten angeführt, allein der wichtigste 
Punkt sei hervorgehoben: Spencer übersieht vollkommen, in welchem 
Umfang die Einheiten der Gesellschaft selbst deren Wachstum und 
Organisation beeinflussen. 

Die Individuen der Gesellschaft selbst bestimmen den Umfang 
des sozialen Wachstums beider Arten, der Zunahme durch Zusam- 
menschluß mehrerer Gruppen und durch Vermehrung der Individuen 
innerhalb derselben. Einfache und mehrfache Vereinigung von Gruppen 
ist das Ergebnis menschlichen Handelns, und dieses ist auch auf die 
zweite Art des Wachstums von bestimmendem Einfluß, insofern die Ge- 
sellschaft selbst Bevölkerungspolitik treibt, die Eheschließungen regelt, 
diese erleichternd oder erschwerend, die Aussetzung der Kinder er- 
laubt oder unterdrückt, Kolonien aussendet oder die Auswanderung 
überhaupt verbietet. Aber auch die Organisation der Gesellschaft, 
die Bestimmung des Verhältnisses der Individuen zu einander, ist 
von Menschen geschaffen. Rechtssatzung und Konventionalregal, 
welche die Beziehungen der Individuen zu einander normieren, rühren 
von Menschen her, sind von Menschen gesetzt, ob ausdrücklich oder 
durch stillschweigende Uebung, kommt nicht in Betracht. Die Ver- 


1) Prinzipien, $ 227. 
2) Ebenda, $ 248. 


Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 761 


schiedenheiten der Struktur und Funktionen der Teile der Gesell- 
schaft sind durch die Thätigkeit der Individuen entstanden, die ihre 
Kräfte auf einen bestimmten Arbeitszweig beschränkten. Die Ein- 
richtungen des Verteilungssystems in der Gesellschaft, die Eisen- 
bahnen, Land- und Wasserstraßen, die Verbindungsmittel des regu- 
lierenden Systems, Post und Telegraph, und dessen Centren, die 
Regierungsgebilde, Börsen, Märkte und Banken, sind Ergebnisse 
menschlichen Handelns. Und so läßt sich leicht weiter zeigen, daß 
alle diese Einrichtungen, die im natürlichen Organismus geworden 
sind, in der Gesellschaft von den Einheiten selbst geschaffen sind. 


2. Einseitige Auffassung der Thatsachen. 


Die durchaus unzureichende Berücksichtigung des wichtigen Gegen- 
satzeszwischen dem tierischen Organismus, in dem das Bewußtsein auf 
einen Teil konzentriert ist, und der Gesellschaft, die sich aus bewußt den- 
kenden Individuen zusammensetzt, führt Spencer zu einer einseitigen 
Auffassung der Thatsachen des Gesellschaftslebens. Der Gedanke, daß 
die Konsequenzen aus dieser Verschiedenheit eine andere Betrach- 
tungsweise der gesellschaftlichen Erscheinungen zum mindesten mög- 
lich machen, dieser Gedanke ist ihm nicht gekommen. 

Spencer betrachtet jene Ergebnisse menschlichen Handelns und 
mithin dieses selbst ausschließlich in gleicher Weise, wie alle übrigen 
Geschehnisse in der Natur. Es ist richtig, daß menschliche Hand- 
lungen, sobald sie als Geschehnisse Gegenstand der Wahrnehmung 
geworden sind, unter dem gleichen Gesichtspunkt zusammenfassend 
zu begreifen sind, wie alle übrigen Wahrnehmungen, mithin auch 
unter dem Gesichtspunkt von Ursache und Wirkung aufgefaßt werden 
müssen. Sie sind nur insofern qualifiziert, als der Beweis einer 
zwingenden Kausalität nicht mit naturwissenschaftlicher Exaktheit 
geliefert werden kann, da die Einzelursachen sich in unkontrollier- 
baren Komplikationen verlieren, nicht mit Sicherheit festgestellt werden 
können. 

Diese kausale Betrachtungsweise ist jedoch nicht die allein mög- 
liche, wie Spencer dies annimmt, insofern er ausschließlich unter 
diesem Gesichtspunkt die soziale Organisation betrachtet. 

Gesetze sind Gesichtspunkte der Auffassung und Ordnung, sie 
werden durch unser Bewußtsein geschaffen: „Die Einheit der Ob- 
jekte wird lediglich durch den Verstand bestimmt und zwar nach 
Bedingungen, die in seiner eigenen Natur liegen, und so ist der 
Verstand der Ursprung der allgemeinen Ordnung der Natur“ 1). So 
ist auch Kausalität nicht eine reale Kraft, die außer uns in der Natur 
wirkend zu Tage tritt, den Erfolg erzeugt, sie ist ein grundlegender 
Gesichtspunkt, unter dem wir Erscheinungen, die uns in der An- 
schauung gegeben werden, zu einheitlicher Auffassung ordnen ?). 


1) Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft 
wird auftreten können, $ 38. 
2) Stammler a. a. O., S. 349 ff. 


762 Albert Hesse, 


Das Kausalitätsgesetz ist aber maßgebendes Prinzip der Auffassung 
und Ordnung nur hinsichtlich der in bunter Mannigfaltigkeit ge- 
gebenen Erscheinungen, eine Verknüpfung von Wahrnehmungen. Es 
ist daher die Möglichkeit, eine menschliche Handlung, die noch nicht 
als äußeres Geschehnis Gegenstand unserer Wahrnehmung geworden 
ist, nicht unter diesem Gesichtspunkt vorzustellen, a priori nicht aus- 
geschlossen. 

Und in der That stellen wir uns eine künftige menschliche Hand- 
lung nicht ausschließlich und nicht einmal in der Regel als mit kau- 
saler Naturnotwendigkeit eintretend vor, sondern als zu bewirkend. 
Wir haben die Vorstellung, daß wir einen Erfolg herbeiführen können, 
der ohnehin, von selbst nicht eingetreten wäre. Dieser Gedanke tritt 
in den ungezählten Fällen zu Tage, in denen wir die Vorstellung 
einer möglichen Wahl haben, da doch der Gesichtspunkt des Wäh- 
lens denjenigen einer zwingenden Kausalität mit Notwendigkeit aus- 
schließt. Wir finden also in unserem Bewußtsein die Vorstellung 
eines zu bewirkenden Erfolges unleugbar vor. Es ist mithin auch 
eine unbestreitbare Thatsache der Erfahrung, daß wir uns künftige 
Erscheinungen des Gesellschaftslebens, die Ergebnisse menschlichen 
Handelns sind, nicht ausschließlich als kausal unvermeidliche Natur- 
vorgänge vorstellen, sondern als zu bewirkende Objekte. Ein solches 
nennen wir Zweck. Sofern eine vorzunehmende Handlung als eine 
von dem Handelnden zu bewirkende vorgestellt wird, liegt eine Zweck- 
setzung vor. 

Dieser Gesichtspunkt der Zwecksetzung, der, wie gezeigt, durch 
die Begriffe von Ursache und Wirkung durchaus nicht ausgeschlossen 
wird, wird von Spencer gar nicht berücksichtigt, vielmehr mensch- 
liches Handeln von vornherein und ausschließlich unter dem Gesichts- 
punkt von Ursache und Wirkung betrachtet, somit einseitig aufgefaßt, 
und zwar einseitig im Sinne der Behauptung, die er beweisen will, 
denn für die Betrachtung natürlicher Geschehnisse kann allein der 
Gesichtspunkt zwingender Kausalität und nicht das Moment der Zweck- 
setzung in Frage kommen. 

Somit finden wir, daß in der That jene unrichtige Fragestellung 
die Mängel mit sich gebracht hat, die von vornherein erwartet werden 
konnten. Spencer faßt nicht die Eigentümlichkeiten der Gesellschaft 
sämtlich ins Auge und bestimmt nach eingehender Prüfung, zu welcher 
Gruppe der Gegenstände unseres Denkens die Gesellschaft gerechnet 
werden muß. Er reiht sie von vornherein einer bestimmten Gruppe, 
den Naturwesen, sogar einer bestimmten Klasse von ihnen, den orga- 
nischen Aggregaten, ein und sucht diese Ansicht als richtig darzu- 
thun durch den Nachweis, daß die Gesellschaft diejenigen Merkmale 
zeigt, welche die Dinge dieser Klasse haben. Er hebt infolgedessen 
einseitig die Eigentümlichkeiten hervor, welche für seine Ansicht 
sprechen, berücksichtigt selbst die nebensächlichsten Thatsachen dieser 
Art eingehend, während er andere Thatsachen, von grundlegender 
Bedeutung, aus denen Beweisgründe nicht entnommen werden können, 
nicht in Betracht zieht. Er betrachtet die Thatsachen von vornherein 


Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 763 


unter dem Gesichtspunkt dieser vorgefaßten Meinung und kommt so 
zu einer einseitigen Auffassung. 


B. Spencer’s Beweisgründe. 


Nach einer Kritik der Fragestellung bleibt als Hauptaufgabe der 
Untersuchung eine Prüfung der Beweisgründe, die Behandlung der 
Frage: Hat Spencer nachzuweisen vermocht, daß die Gesellschaft als 
Organismus aufzufassen ist, daß die Beziehungen zwischen den In- 
dividuen der Gesellschaft denjenigen zwischen den Bestandteilen des 
organischen Aggregats analog sind? 

Von den drei zum Beweis angeführten Momenten, daß Gesell- 
schaft und natürlicher Organismus beide die Erscheinungen des Wachs- 
tums aufweisen, daß die Prinzipien der Organisation in beiden Aggre- 
gaten die gleichen sind, und das Verhältnis zwischen den Einheiten 
und dem Ganzen in beiden Fällen einander entspreche, von diesen 
drei Punkten berücksichtigt Spencer nur die beiden ersten eingehend 
in näherer Ausführung, während er auf den letzten nicht das gleiche 
Gewicht legt, ihn mehr zur Illustration heranzieht. Es kann daher 
eine kritische Verfolgung des Beweisganges, den Spencer einschlägt, 
sich auf eine Prüfung der beiden ersten Vergleichspunkte beschränken. 


I. Der Gang des Beweises. 


Eine Uebereinstimmung des Wachstums und der Gesetze der 
Organisation des lebenden und des sozialen Körpers glaubt Spencer 
darlegen zu können durch den Nachweis, daß beide Aggregate die 
Thatsachen des Wachstums und der Ausbildung des inneren Baues 
gemein haben, und diese Erscheinungen im einzelnen einander gleich 
bezw. ähnlich sind. 

Er nimmt also — schon in diesem Punkt muß die Kritik ein- 
setzen — von vorn herein an, daß es ein soziales Wachstum giebt, 
daß diejenigen Thatsachen, welche den Vorgängen des organischen 
Wachstums entprechen, Erscheinungen des Wachstums der Gesell- 
schaft sind. Er setzt weiter voraus, daß diejenigen Eigentümlich- 
keiten des sozialen Körpers, welche den charakteristischen Merkmalen 
der Organisation des lebenden Körpers entsprechen, auch die soziale 
Organisation kennzeichnen, und schließt dann daraus, daß beide 
Aggregate die gleichen Thatsachen, und zwar im einzelnen einander 
ähnlich, aufweisen, auf die gleichen Gesetze der Organisation. 

Spencer sucht die Eigentümlichkeiten des sozialen Körpers auf 
an der Hand der Merkmale des organischen Aggregats; er giebt eine 
Analogie. Gegen ein solches Verfahren ist von vornherein nichts 
einzuwenden, wenn es sich allein darum handeln soll, die gleichen 
Verhältnisse aufzuweisen, wenn die Analogie als Leitfaden, als heu- 
ristisches Prinzip dienen soll!). Dies ist auch Spencer’s Absicht. 
Die Induktionen der Soziologie, die empirischen Verallgemeinerungen, 


1) Barth a. a. O., S. 94. 


164 Albert Hesse, 


gewonnen durch Vergleichung von Gesellschaften verschiedener Arten 
auf verschiedenen Stufen !) sollen auf eigenen Füßen stehen und von 
den Vergleichen mit den Erscheinungen des organischen Lebens un- 
abhängig sein?). Die Bedeutung der Analogie geht jedoch in der 
That über die Absicht Spencer’s hinaus. Spencer bleibt nicht beim 
bloßen Aufweisen der Verhältnisse stehen. Er wählt bestimmte 
soziale Thatsachen aus, die er den organischen gegenüberstellt, um 
an ihnen die Uebereinstimmung beider Aggregate zu zeigen, und 
dabei nimmt er den Gesichtspunkt, nach dem er die Auswahl trifft, 
aus dem Gebiet des organischen Lebens in das soziale hinüber. Er 
betrachtet diese Eigentümlichkeiten des sozialen Aggregats, welche 
den Merkmalen des natürlichen Organismus entsprechen, als wesent- 
lich, ihnen gegenüber erscheinen ihm andere als unwichtig. Und 
vor allem — und auf dieses Moment ist, wie schon hervorgehoben, 
besonderes Gewicht zu legen — er nimmt ohne weiteres an, daß 
diese sozialen Thatsachen, welche im organischen Leben ihre Parallele 
finden, für die Gesellschaft die gleiche Bedeutung haben, wie für den 
Organismus, insofern sie in gleicher Weise wie dort das Wachstum 
und die Organisation kennzeichnen, aus ihnen also die Gesetze der 
Organisation entnommen werden können. Spencer geht mithin, ohne 
sich dessen bewußt zu werden, über die analoge Betrachtungsweise 
hinaus zum Analogieschluß über, einem Schluß vom Besonderen aufs 
Besondere ungefähr in folgender Form: 
Obersatz: Bestimmte Eigentümlichkeiten des organischen Körpers 
kennzeichnen dessen Wachstum und Organisation. 
Untersatz: Bestimmte Eigentümlichkeiten des sozialen Körpers ent- 
sprechen ihnen. 
Schlußsatz: Diese Eigentümlichkeiten des sozialen Körpers kenn- 
zeichnen dessen Wachstum und Organisation. 

Von der Richtigkeit dieses Schlusses hängt der weitere Beweisgang 
ab. Stellt sich heraus, daß er falsch ist, daß mithin die fraglichen 
sozialen Thatsachen nicht als Kennzeichen sozialen Wachstums und 
gesellschaftlicher Organisation dargethan sind, so kann offenbar auf 
Grund dieser Thatsachen über Wachstum und Organisation des so- 
zialen Körpers nichts ausgesagt werden. Andererseits ist im Fall 
der Richtigkeit dieses Schlusses der weitere Beweisgang des näheren 
zu prüfen, ob es berechtigt ist, dann zu schließen, daß Wachstum 
und Organisation beider Aggregate überhaupt übereinstimmen, mit- 
hin auch die Prinzipien der Organisation die gleichen sind, und ob 
endlich die Gesellschaft als Organismus besonderer Art, analog dem 
natürlichen Organismus, dargethan ist. 

Eine Prüfung dieses Schlusses erfordert in erster Linie eine 
Untersuchung der Richtigkeit der Prämissen, dann ist der Schlußsatz 
zu behandeln. 


1) Prinzipien, § 211. 
2) Ebenda, $ 270. 


Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 765 


II. Der Analogieschluß. 
1. Die Prämissen. 


— Der Obersatz. — Der Obersatz des Schlusses: „Bestimmte 
Eigentümlichkeiten des organischen Körpers kennzeichnen dessen 
Wachstum und Organisation“ mag ohne weiteres als richtig ange- 
nommen werden. Eine kritische Nachprüfung dieses Satzes würde 
Aufgabe des Biologen sein, gehört nicht in das Gebiet sozialphilo- 
sophischer Erwägung. 

— Der Untersatz. -— Wohl aber ist die Richtigkeit des Untersatzes 
zu prüfen, zu untersuchen, ob thatsächlich in dem von Spencer an- 
genommenen Umfang die fraglichen sozialen Thatsachen den orga- 
nischen entsprechen. 

Beide Aggregate zeigen fortwährendes Wachstum und Zunahme 
der Verschiedenheit des inneren Baues, stimmen hinsichtlich dieser 
allgemeinen Thatsachen überein. Hieraus läßt sich jedoch nur 
dann etwas entnehmen, wenn im einzelnen das Wachstum und die 
Ausbildung des inneren Baues sich in gleicher oder sehr ähn- 
licher Weise vollziehen. Aus der Thatsache, daß beide Aggregate 
wachsen und an Verschiedenheit des inneren Baues zunehmen, ist 
gar nichts zu schließen. Das Wachstum beider Aggregate kann nach 
Art, Grad und Umfang verschieden sein, und die Struktur des sozialen 
und des organischen Körpers trotz jener gemeinsamen Erscheinung 
zunehmender Verschiedenheit in jeweils ganz anderer Weise sich 
ausbilden. Es muß daher hinzukommen, daß das Wachstum und die 
Ausbildung des inneren Baues in beiden Aggregaten in gleicher oder 
zum mindesten sehr ähnlicher Weise vor sich gehen. Dies ist auch 
Spencer’s Meinung. Gerade die Thatsache einer weitgehenden Aehn- 
lichkeit im einzelnen dient ihm zur Rechtfertigung der Ansicht, 
welche der Schlußsatz wiedergiebt, daß diese Einzelerscheinungen 
das gesellschaftliche Wachstum und die soziale Organisation kenn- 
zeichnen. 

Eine vollständige Uebereinstimmung aller Thatsachen im ein- 
zelnen behauptet Spencer nicht. Er hebt zwar hervor, daß gewisse 
Einzelheiten in gleicher Weise bei beiden Aggregaten sich finden !), 
diese in bestimmter Hinsicht einander gleich sind, übereinstimmen ?). 
In der Mehrzahl der Fälle jedoch beschränkt er sich darauf, einen 
Parallelismus®) zu behaupten, eine Verwandtschaft) hervorzuheben, 
auf die Aehnlichkeiten) hinzuweisen, zu zeigen, daß die sozialen 
Thatsachen den organischen analog sind), ihnen entsprechen ’)®). 


1) Prinzipien, z. B. $$ 219, 228, 235. 

2) Ebenda, z. B. §§ 217, 241, 

3) Ebenda, z. B. §§ 218, 231, 227, 

4) Ebenda, z. B. §§ 226. 

5) Ebenda, z. B. §§ 220, 219, 225, 232, 237. 

6) Ebenda, z. B. §§ 214, 223, 232, 233. 

7) Ebenda, z. B. §§ 226, 230, 236. 

8) Der Wortfassung ist in Spencer’s Ausführungen kein Wert für die Auslegung 
beizumessen. Spencer gebraucht weder jedes Wort stets streng in derselben Bedeutung, 


766 Albert Hesse, 


a) Methode der Untersuchung. 


Es kann bei einer Beurteilung der behaupteten Aehnlichkeiten 
nicht die Aufgabe sein, hervorzuheben, ob die Analogie vollständig 
ist, ob Spencer alle Aehnlichkeiten hervorgehoben hat. Eine der- 
artige Erörterung kann erst in Frage kommen, wenn die Berechtigung 
der Analogie dargethan ist. Es kann auch nicht untersucht werden, 
inwieweit im einzelnen es Spencer gelungen ist, die behaupteten Ueber- 
einstimmungen, Aehnlichkeiten, Parallelen nachzuweisen: eine derartige 
Prüfung würde zu sehr in Einzelheiten biologischer und soziologischer 
Natur führen und doch wiederum nur in der Gesamtheit ihrer Ergebnisse 
für die Beurteilung in Betracht kommen können. Es sei vielmehr einer 
kritischen Erörterung unterzogen ganz allgemein die Gegenüber- 
stellung sozialer und organischer Erscheinungen, die durch die Be- 
hauptung von Aehnlichkeiten oder Uebereinstimmungen vorgenommen 
wird, da sie deren Voraussetzung bildet. Ergiebt sich, daß sie nicht 
richtig durchgeführt, überhaupt nicht berechtigt ist und der Beweis- 
kraft entbehrt, so werden damit alle die behaupteten einzelnen Aehn- 
lichkeiten und Uebereinstimmungen ohne weiteres hinfällig. 

Um die Durchführung dieser Gegenüberstellung, ohne Eingehen 
auf die Einzelheiten, kritisch würdigen zu können, sei die Frage 
gestellt, ob Spencer einigen grundlegenden Bedingungen, deren Er- 
füllung Voraussetzung einer richtigen Durchführung ist, Genüge 
gethan hat, ob er die Elemente, an denen die entsprechenden Vor- 
gänge des Wachstums und zunehmender Verschiedenheit sich voll- 
ziehen sollen, aufgewiesen hat, und diese einander entsprechen, und 
ob er die Einheit des einen Aggregats wie das Aggregat selbst zu 
den entsprechenden Verhältnissen des anderen Aggregats und stets 
denselben in Beziehung gesetzt hat. Vor allem aber ist zu unter- 
suchen, ob Spencer die Erscheinungen des Gesellschaftslebens denen 
der organischen Natur so ohne weiteres gegenüberstellen durfte, und 
ob eine Begründung des Untersatzes in obigem Analogieschluß durch 
einen Nachweis von Aehnlichkeiten, wie Spencer ihn versucht, über- 
haupt möglich ist. 

Es ist also zu untersuchen die Durchführung der Gegenüber- 
stellung, deren Berechtigung, und endlich deren Beweiskraft. 


OI Die Gegenüberstellung sozialer und organischer 
Erscheinungen. 


aa. Durchführung. 


— Die Elemente des Wachstums und der Differenzierung. — Das 
Element, an dem die Vorgänge des Wachstums und der Differenzierung 


noch verwendet er für dieselbe Beziehung zwischen Gesellschaft und organischem Aggre- 
gat stets den gleichen Ausdruck. So hebt er z. B. in § 241 zuerst hervor, daß das 
Gesetz der Lokalisation der Teile sowohl für den Einzelorganismus wie für das soziale 
Aggregat Geltung habe, die materielle Außenwelt in beiden Fällen die Anordnung der 
Teile bestimme ($ 243); führt aber dann in demselben § 241 aus, daß die Lokalisierung 
in der Gesellschaft auf ganz ähnliche Weise bestimmt werde, wie im natürlichen Or- 
ganismus, und sagt im $ 243 wieder, daß hinsichtlich dieser Eigentümlichkeit beide 
Aggregate übereinstimmen. 


Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 767 


entsprechend den organischen sich vollziehen sollen, weist Spencer 
bei Durchführung der Analogie nicht auf; doch ergiebt sich seine 
Auffassung aus anderen Ausführungen. 

Die Einheit im organischen Leben, an der alle Vorgänge sich 
vollziehen, ist die Zelle, zusammengesetzt aus Komplexen mehrerer 
Eiweißmoleküle, die selbst wiederum aus Atomen bestehen 11. Dieser 
stellt Spencer als soziale Einheit den Menschen gegenüber ?). Anderer- 
seits setzt er allerdings wieder die kleine wandernde Herde zum 
Keim ë), die ursprüngliche soziale Gruppe zur einfachen Anhäufung 
lebender Moleküle, mit der die organische Entwickelung beginnt +), 
in Parallele, erklärt weiterhin seine Zustimmung zu dem Satz von 
Maine): „Die Einheit einer Gesellschaft des Altertums war die 
Familie, die einer modernen Gesellschaft ist das Individuum ®).* 
Gegenüber diesen vereinzelten Aeußerungen spricht jedoch neben 
einer großen Reihe ausdrücklicher Bestimmungen ‘) vor allem die 
Thatsache für die Auffassung des einzelnen Menschen als Einheit der 
Gesellschaft, daß Spencer in dem ersten Teil des ersten Bandes seiner 
Soziologie, den „Thatsachen der Soziologie“, als soziale Einheit, von 
der die Wissenschaft der Soziologie ausgehen muß, den primitiven 
Menschen behandelt in physischer, emotioneller, intellektueller Be- 
ziehung, hinsichtlich seiner primitiven Vorstellungen und Gefühle. 
Der Mensch ist also nach Spencer’s Meinung als die Einheit zu fassen, 
aus der das soziale Aggregat sich aufbaut, entsprechend der Zelle, 
die das organische Aggregat bildet 5). 

Dies ist jedoch nicht möglich. 

Der einzelne Mensch kann nicht in jeder Hinsicht Element der 
Gesellschaft sein wie die Zelle Element des Organismus. Er kann 
sich nicht durch sich selbst vermehren und zu einer Vielheit aus- 
wachsen °). Die Zelle dagegen teilt sich, wenn sie infolge der Auf- 
nahme und Verarbeitung von Nährstoffen bis zu einer gewissen 
Größe herangewachsen ist, nach vorausgegangener Kernteilung in 
zwei nahezu gleiche Teile, von denen jeder einen Kern umschließt. 
Die soziale Einheit hinsichtlich der Erscheinungen des Wachstums, 
der Vermehrung kann nur die Familie sein, niemals das Individuum. 

Das Element, an dem sich die Zunahme der Verschiedenheit 
des inneren Baues vollzieht, ist im organischen Aggregat wieder die 
Zelle, in der Gesellschaft kann es nicht die Familie, sondern nur der 
einzelne Mensch sein !%). Der Mensch tritt als einzelne Person in das 


1) Spencer, Prineiples of Biology, übersetzt von Vetter unter dem Titel: „Die 
Prinzipien der Biologie. 2 Bde., 1876/77, 8 66. 

2) Prinzipien, z. B. §§ 7, 49, 210, 337. 

3) Ebenda, § 224. 

4) Ebenda, $ 226. 

5) H. S. Maine, Early history of institutions — 1875 — S. 311, 99—100 (nach 
Spencer). 

6) Prinzipien, $ 320. 

7) Ebenda, § 7, 42, 49, 210, 212, 215, 219, 220, 222, 337. 

8) Anders Barth, a. a. O., S. 100. 

9) Ebenda, 8. 103. 

10) Ebenda, S. 103. 


768 Albert Hesse, 


Wirtschaftsleben ein, seine besonderen Aufgaben übernehmend. Für 
die Erscheinungen dieser Art trifft mithin die Meinung Spencer’s 
zu, daß der Mensch die soziale Einheit darstelle, dagegen hat er das 
Element des von ihm behaupteten sozialen Wachstums nicht richtig 
nachgewiesen. 

— Inkonsequenzen Spencer’s in der Durchführung der Gegenüber- 
stellung. — Wenn Spencer den Menschen als soziale Einheit auffaßt, 
mithin der Zelle gegenüberstellt, dann muß er diese Parallele auch in 
Konsequenz durchführen. Dies thut er jedoch nicht, denn, wenn er 
die Horde dem einzelligen Keim oder Tier gegenüberstellt, dann setzt 
er den Menschen nicht der Zelle, sondern einem der lebenden Mole- 
küle gleich, aus denen sich die Zelle zusammensetzt. 

Des weiteren erfordert die richtige Durchführung der Gegenüber- 
stellung, daß das Aggregat selbst zu den entsprechenden Verhält- 
nissen des anderen und zwar stets denselben in Parallele gesetzt, 
sowie, daß entweder die Gesellschaft schlechthin mit dem Organismus 
als solchem oder eine bestimmte einzelne Gesellschaft mit einem be- 
stimmten Organismus verglichen werden. 

Auch dies versäumt Spencer. Wie schon gezeigt, setzt er die 
Horde in Parallele einmal zu dem Keim !), dann zu dem kleinsten 
Tier?), die aus einer Zelle bestehen, während er sonst die Gesellschaft 
dem Organismus, dem gesamten organischen Aggregat gegenüber- 
stellt. Weiterhin ist seine Absicht, die Gesellschaft mit dem Or- 
ganismus schlechthin, nicht mit irgend einem besonderen Typus von 
tierischen oder pflanzlichen Einzelorganismen zu vergleichen 8). Auch 
dies führt er nicht in Konsequenz durch. Einmal stellt er das soziale 
Aggregat schlechthin den kaltblütigen Tieren gegenüber hinsichtlich 
der Eigentümlichkeit, daß durch eine Katastrophe das Leben des 
Aggregats zerstört werden kann, ohne daß damit auch unmittelbar 
das Leben aller seiner Einheiten vernichtet werde{). Umgekehrt 
setzt er Erscheinungen, die eine bestimmte Gesellschaft aufweist, in 
Parallele zu Vorgängen im tierischen Organismus überhaupt. Er 
stellt z. B. die nur für England zutreffende Thatsache, daß die Macht 
vom König allmählich thatsächlich auf seine Mittelspersonen, die 
Minister, überging, und diese wieder zu Werkzeugen der Parlaments- 
majoritäten wurden, einer Erscheinung in der Ausbildung des re- 
gulierenden Systems im Organismus überhaupt entgegen, daß mit 
Ausbildung neuer regulierender Centren die älteren Teile vergleichs- 
weise auf den Zustand automatischer Einrichtungen herabsinken, die 
zuletzt gebildeten Centren die Oberherrschaft erlangen, und die ihnen 
vorausgehenden ihre Diener werden). 

Spencer stellt auch nicht denselben Einrichtungen des sozialen 
Aggregats in Konsequenz die gleichen Objekte aus dem Gebiet der 


1) Prinzipien, $ 224. 
2) Ebenda, § 226. 
3) Prinzipien, $ 269. 
4) Ebenda, § 219. 
5) Ebenda, $ 252. 


Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 769 


organischen Natur entgegen. Er setzt z. B. die Telegraphendrähte 
einmal zu den vasomotorischen Nerven +), dann zu dem Nerven- 
system überhaupt?) in Parallele, und bringt endlich die Straßen so- 
wohl zu den Kanälen des Blutumlaufs 2, wie auch den Nerven- 
fasern *) in Beziehung. 

Diese Beispiele, die sich leicht vermehren ließen, mögen genügen, 
um zu zeigen, daß die Objekte, die Spencer in Parallele stellt, nicht 
immer einander entsprechen, und diese Gegenüberstellung auch nicht 
konsequent durchgeführt ist, den einzelnen Objekten wechselnd andere 
entgegengesetzt werden. 


bb. Berechtigung der Gegenüberstellung. 


Spencer durfte überhaupt nicht ohne weiteres Thatsachen des 
Wirtschaftslebens denen in der organischen Natur gegenüberstellen. 

— Verschiedenartigkeit der gesellschaftlichen Phänomene. — Die 
Phänomene des Gesellschaftslebens sind viel zu verschiedenartig, als daß 
eine Parallele zu den gleichmäßig und fest sich ausbildenden orga- 
nischen Erscheinungen gestattet wäre. Selbst unter den sozialen 
Erscheinungen der gleichen Art finden sich bei weitem nicht die 
Uebereinstimmungen wie in der organischen Welt. Von Gleichmäkig- 
keit und Stetigkeit in der Entwickelung nach festen Naturgesetzen 
kann nicht die Rede sein, nur eine gewisse Regelmäßigkeit der Wieder- 
kehr angenommen werden. 

Diese Vielgestaltickeit der sozialen Erscheinungen übersieht 
Spencer vollkommen. Er begeht daher die Fehler, einmal die That- 
sachen des Gesellschaftslebens ohne weiteres zu generalisieren, und 
weiterhin, wenn in einem auch nur nebensächlichen Punkte soziale 
und organische Erscheinungen einander ähnlich sind, beide in Parallele 
zu setzen, sogleich anzunehmen, daß auch in den anderen Punkten 
eine Aehnlichkeit sich finde. Hier kann einmal an das oben) ange- 
führte Beispiel der englischen Verfassung erinnert werden. Weiter- 
hin vergleicht er die Ausbildung des Industriesystems aus dem Hand- 
werksbetrieb mit der Entwickelung eines höheren Verdauungsorgans 
aus einer niederen Form®). Es ist richtig, daß die Industrie eine 
höher entwickelte Form sozialer Produktion darstellt, daß sie auch 
das Arbeitsgebiet bestimmter Handwerke, z. B. der Weberei, zum 
erößten Teil übernommen hat. Aber es ist doch nicht die Industrie 
vollkommen an die Stelle des Handwerks getreten, wie ein höheres 
Ernährungsorgan eine niedere Form ersetzt. In einer und derselben 
Gesellschaft bestehen Handwerk und Industrie nebeneinander, und 
dies wird auch für absehbare Zeit so bleiben, während ein Tier doch 
nur ein Ernährungsorgan besitzen kann, und auch nur ein solches, 


1) Prinzipien, $ ! 
2) Ebenda, § 253. 
3) Ebenda, $ 
4) Ebenda, § 253. 
5) Siche S. 767. 
6) Prinzipien, $ 232. 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI), 49 


770 Albert Hesse, 


das vielleicht einen Uebergang von einer niederen zu höherer Form 
darstellt, aber nicht beide Formen vollkommen ausgeprägt nebenein- 
ander aufweist. Ferner meint Spencer, daß die Lokalisierung der 
Erwerbszweige in einer Gesellschaft geschieht wie im Organismus, 
daß die materielle Außenwelt die industriellen Differenzierungen be- 
stimmt'). Dies trifft wohl für viele Zweige der Industrie zu, jedoch 
nicht für alle, z. B. die Uhrenindustrie in der Schweiz, die Weberei 
in Schlesien und Thüringen, die Spitzenfabrikation in Belgien. 

Diese Beispiele, die sich leicht vermehren ließen, mögen genügen, 
die oben hervorgehobenen Fehler zu kennzeichnen. Es erübrigt sich, 
in den Einzelheiten nachzuweisen, wie das Suchen nach Parallelen 
zwischen sozialen und organischen Thatsachen Spencer die Vielge- 
staltigkeit der sozialen Erscheinungen übersehen läßt, daß z. B. der 
Unternehmer nicht allein der Kanal ist, durch den die Erzeugnisse 
der Fabrik abfließen ?), sondern der Leiter des Ganzen, daß die Tele- 
graphendrähte nicht bloß die Aufgaben der vasomotorischen Nerven 
zu erfüllen haben ë), daß daher die Parallele als willkürliche, künst- 
liche Konstruktion erscheint. 

— Die Ursachen der sozialen Erscheinungen. — Spencer übersieht 
weiterhin auch die Ursachen für diese Verschiedenartigkeit der sozialen 
Erscheinungen gegenüber der Gleichmäßigkeit der organischen. Er 
geht nicht ein auf die Frage, welche Faktoren hinsichtlich jener That- 
sachen, die er als Vorgänge des Wachstums und der Differenzierung 
aufgefaßt wissen will, von maßgebender Bedeutung sind, während 
doch eine berechtigte Gegenüberstellung sozialer und organischer 
Erscheinungen gerade die Darlegung einer Uebereinstimmung oder 
Aehnlichkeit der Faktoren verlangte. 

Und diese Faktoren sind durchaus verschieden. 

Es ist hier auf das zurückzugehen, was oben) gelegentlich der 
Kritik der Fragestellung als Mangel der Darlegung Spencer’s her- 
vorgehoben wurde. Die Erscheinungen des Gesellschaftslebens, welche 
nach Spencer’s Meinung das soziale Wachstum und die gesellschaft- 
liche Organisation kennzeichnen, sind dadurch gegenüber den ent- 
sprechenden organischen Thatsachen qualifiziert, daß sie sich als 
Ergebnisse menschlichen Handelns darstellen. Eine zukünftige mensch- 
liche Handlung wird weitaus in der Mehrzahl der Fälle nicht als 
ein kausal notwendiges Naturereignis, sondern als ein zu bewirkendes 
Objekt, als Zweck vorgestellt; wir haben die Vorstellung einer mög- 
lichen Wahl. Und auf den Ausfall dieser Wahl ist die Vorstellung 
des zu bewirkenden Erfolges, die Zwecksetzung, von bestimmendem 
Einfluß; und bezüglich der Zwecksetzung im einzelnen Fall wieder 
sind die allgemeinen Gesichtspunkte von ausschlaggebender Be- 
deutung, ob das subjektive Begehren das allein oder in erster Linie 


1) Prinzipien, $$ 241, 245. Siehe oben 8. 748. 
2) Ebenda, $ 233. 
3) Ebenda, § 254. 
4) Siehe S. 760 ff. 


Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 771 


Maßgebliche sein soll oder nicht). So enthält die Kausalitätskette 
menschlicher Handlungen Glieder, die in jenen organischen Vorgängen 
sich nicht finden können. Und der Einfluß dieser Einzelzwecke und 
allgemeinen Gesichtspunkte zeigt sich auch hinsichtlich der Erschei- 
nungen, die Spencer als Thatsachen gesellschaftlichen Wachstums 
und sozialer Organisation auffaßt. Die Gesellschaft verfolgt bestimmte 
Zwecke bei ihrer Bevölkerungspolitik, sie sucht hemmend oder för- 
dernd auf die Vermehrung einzuwirken, die Rasse zu verbessern. 
Und diese Einzelziele sind wiederum abhängig von allgemeinen Ge- 
sichtspunkten: wirtschaftlichen Anschauungen, naturwissenschaftlichen 
Erfahrungen, sittlichen Grundsätzen. Weiterhin sind hinsichtlich der 
Normierung des Verhältnisses der Individuen zu einander bestimmte 
Ziele für die Gesellschaft maßgebend, z. B. Sicherung der Gesamt- 
heit und des einzelnen nach außen und nach innen, Schutz des 
körperlich, geistig, wirtschaftlich Schwächeren, Gesichtspunkte, wie- 
derum in einer reichen Fülle von Einzelzwecken uns entgegentretend, 
wie Sicherung des Eigentums gegen" Diebstahl, Schutz des Minderjäh- 
rigen gegen Uebervorteilung, des Mieters gegen Rechtsnachteile durch 
Veräußerung des Grundstücks; und über ihnen allen als oberste 
Richterin die Idee der Gerechtigkeit. Kann von alledem im orga- 
nischen Leben die Rede sein? Es ist ein Geschehnis, das sich als 
Erfolg menschlichen Handelns darstellt, kausal bedingt, wie jeder 
Naturvorgang, den wir wahrnehmen, aber die Ursachen sind wesent- 
lich andere. 

Die Vielgestaltigkeit der sozialen Phänomene, die einen Zusam- 
menhang naturgesetzlicher Art uns nicht erkennen läßt, der Gesichts- 
punkt, daß im Gesellschaftsleben ganz andere Faktoren als in der 
organischen Natur von maßgebender Bedeutung sind, diese Momente 
machen es unmöglich, Erscheinungen aus beiden Gebieten ohne weiteres 
gegenüberzustellen ?). 


cc. Beweiskraft der Gegenüberstellung. 


Auch wenn eine Parallele zwischen Vorgängen des organischen 
Lebens und sozialen Phänomenen gezogen werden könnte, so würden 
doch in dem vorliegenden Fall die Aehnlichkeiten, die Spencer in 
seinen Ausführungen hervorhebt, den Untersatz des Schlusses nicht 
begründen. 

Spencer will in den Induktionen der Soziologie die allgemeinen 
Wahrheiten finden 8), die Sätze, die er aus der Analogie zwischen 
Gesellschaft und natürlichem Organismus herleitet, sollen für jede 


1) Stammler a. a. O., S. 356 ff. 

2) Eine weitere Erörterung der Frage nach der Berechtigung dieser Gegenüber- 
stellung unterlasse ich mit Absicht. Diese würde ein näheres Eingehen auf die Streit- 
frage, ob es wirtschaftliche Gesetze gebe, erfordern. Derartige Untersuchungen führen 
aber mit Rücksicht auf die Fassung der Aufgabe zu weit und sind andererseits zur 
Beantwortung der vorliegenden Frage nicht nötig, da hierzu die angeführten wichtigsten 
Gesichtspunkte ausreichen. 

3) Prinzipien, $ 211, 217. 

49* 


772 Albert Hesse, 


Gesellschaft gelten. Dies ist nur möglich, wenn die Gesellschaft 
überhaupt, nicht eine bestimmte Gesellschaft dem Organismus gegen- 
übergestellt wird, wenn Thatsachen, die jede Gesellschaft aufweist, 
zur Begründung angeführt werden. Dies ist auch Spencer’s Absicht: 
er redet nur von der Gesellschaft schlechthin, die sozialen Erschei- 
nungen, die nach der Behauptung des Untersatzes in obigem Ana- 
logieschluß den Vorgängen in der organischen Natur entsprechen, 
finden sich, wie er meint, in jeder Gesellschaft vor. 

Dies ist jedoch nicht der Fall. 

Die Erscheinungen, welche Spencer den organischen Vorgängen 
gegenüberstellt, sind nicht jeder Gesellschaft eigen, sondern diese 
Phänomene, durch deren Aehnlichkeit mit den organischen That- 
sachen der Untersatz begründet werden soll, ergeben sich nur in 
konkreter Ausführung einer besonderen sozialen Ordnung. So setzt 
Spencer eine inhaltlich fest bestimmte Rechtsordnung voraus, welche 
einmal das Privateigentum als Norm enthält. Sonst kann von Kauf 
und Tausch !), Aneignung von Teilen des allgemeinen Nahrungstroms?), 
Kredit, Banken und Börsen ë) nicht die Rede sein. Spencer nimmt 
weiter an, daß Vertrags- und Verkehrsfreiheit in seiner Gesellschaft 
als Recht gelten, sonst ist ein Arbeitsvertrag mit dem Fabrikherrn!), 
ein freier Wettbewerb’), sind die sozialen Erscheinungen der Messen 
und Märkte‘), des Handels überhaupt”) nicht möglich, sonst kann 
sich ein verteilendes System, wie Spencer es darstellt®), und ein in- 
dustrielles regulierendes System”) gar nicht herausbilden. Ohne ein 
Erbrecht ist endlich ein Eintritt der Kinder in den Handwerksbetrieb 
des Vaters 1°) nicht möglich. Und so läßt sich noch weiter auch für 
die Einzelheiten nachweisen, daß die sozialen Thatsachen, welche 
Spencer als Erscheinungen jedes Gesellschaftslebens auffaßt, nur 
möglich sind unter Voraussetzung einer inhaltlich bestimmten sozialen 
Ordnung. Fällt diese fort, so verschwinden die sozialen Phänomene. 
Mit Aufheben dieser Ordnung wird aber einer Zusammenfassung von 
Menschen nicht der Charakter als Gesellschaft genommen, denn sie 
ist nur eine der möglichen Ordnungen. Unter dem sozialdemo- 
kratischen Zukunftsstaat haben wir auch eine Gesellschaft. Eine 
Kollektivierung der Produktionsmittel würde die Mehrzahl der That- 
sachen, die Spencer als Erscheinungen gesellschaftlichen Lebens über- 
haupt anführt, unmöglich machen, aber doch andere soziale Phäno- 
mene hervorrufen. 

Wenn somit die sozialen Erscheinungen, welche Spencer mit 


1) Z. B. Prinzipien, $ 441. 
2) Ebenda, § 247 ff. 

3) Ebenda, §§ 254 ff. 

4) Ebenda, 
5) Ebenda, 
6) Ebenda, 
7) Ebenda, 
8) Ebenda, SS 
9) Ebenda, Së 
10) Ebenda, $ £ 


RAR AN SF: 


H 


Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 773 


denen der organischen Natur vergleicht, nicht, wie er sie auffaßt, 
Phänomene des Gesellschaftslebens schlechthin, jeder Gesellschaft, 
sondern einer bestimmten Gesellschaft sind, so vermögen sie auch 
für den Satz, daß bestimmte Eigentümlichkeiten des sozialen Körpers 
überhaupt gewissen Merkmalen des natürlichen Organismus ent- 
sprechen, Beweisgründe in keiner Hinsicht zu bieten. Es kann der 
Satz, daß jede Gesellschaft bestimmte Merkmale aufweist, offenbar 
nicht bewiesen werden durch Thatsachen aus einem bestimmten Ge- 
sellschaftsleben. 

— Ergebnis der Prüfung des Untersatzes. — Aus diesen Aus- 
führungen geht, zumal wenn wir die oben !) gerügte Einseitigkeit in der 
Auffassung der sozialen Erscheinungen berücksichtigen, als Ergebnis 
hervor, daß die Gegenüberstellung von Erscheinungen des sozialen 
und des organischen Lebens von Spencer unrichtig durchgeführt ist, 
der Berechtigung entbehrt und Beweisgründe für die Richtigkeit der 
zweiten Prämisse des Analogieschlusses auch deshalb nicht zu bieten 
vermag, weil die gegenübergestellten Thatsachen das Gebiet, für 
welches die Behauptung gelten soll, nicht umfassen. Noch mehr: 
alle einzelnen Gesichtspunkte vereinigen ihre Beweiskraft dahin, daß 
von einer weitgehenden Aehnlichkeit oder gar Uebereinstimmung 
zwischen den Erscheinungen des sozialen und des organischen Lebens 
nicht die Rede sein kann. 

Eine Aehnlichkeit, wenn auch nur äußerlich und in geringem 
Umfang weisen die betreffenden organischen und sozialen Phäno- 
mene allerdings auf. Es treten uns unleugbar im sozialen Leben 
Thatsachen entgegen, die, zusammengefaßt, in großen Zügen den Er- 
scheinungen organischen Wachstums und Zunahme der Verschieden- 
heit des inneren Baues ähnlich sind. Wir finden in beiden Fällen 
eine gegenseitige Abhängigkeit der Teile, ein Zusammenwirken der 
Teile zum Wohle des Ganzen. 


2. Der Schlußsatz. 


Somit erhebt sich die Frage: Kann unter Bestimmung des Unter- 
satzes dahin, daß die betreffenden Eigentümlichkeiten des sozialen 
Körpers den fraglichen Merkmalen des sozialen Aggregats nur in 
geringem Grade ähnlich sind, geschlossen werden, daß sie in gleicher 
Weise, wie jene, Kennzeichen des Wachstums und der Organisation 
sind ? 

— Voraussetzung des Analogieschlusses. — Wir sagen vom Subjekt 
der zweiten Prämisse — den Eigentümlichkeiten des sozialen Aggre- 
gats — aus, daß es dem der ersten — den Eigentümlichkeiten des 
organischen Körpers — ähnlich sei, mithin Gleichheiten und Ver- 
schiedenheiten mit diesem aufzuweisen habe. Im Schlußsatz fügen 
wir dem Subjekt des Untersatzes das Prädikat des Obersatzes bei, 
sagen aus, daß diese Eigentümlichkeiten des sozialen Körpers dessen 
Wachstum und Organisation kennzeichnen. Wir schließen also auf 


1) S. 761 ff. 


714 Albert Hesse, 


das, was in dem ähnlichen Besonderen des Untersatzes dem ge- 
gebenen Besonderen des Obersatzes gleich ist. Indem wir dies 
thun, setzen wir in dem ähnlichen Besonderen die gleichen Be- 
dingungen voraus, die in dem gegebenen Besonderen zu dem Prä- 
dikat führen, das wir von ihm aussagen t). Wir fassen das, was wir 
von beiden ähnlichen Subjekten gemeinsam aussagen, als Wirkung 
auf und nehmen an, daß in dem zweiten, dem ersten ähnlichen Be- 
sonderen die gleichen Ursachen gegeben sein, und diesen die gleichen 
Wirkungen entsprechen werden. Unser Schluß ist mithin insoweit 
berechtigt, als wir voraussetzen dürfen, daß die gleichen Ursachen 
in dem ähnlichen Besonderen gegeben sein und diesen die gleichen 
Wirkungen entsprechen werden. 

Dies dürfen wir jedoch nicht. 

— Unrichtigkeit des Analogieschlusses Spencer's. — Wie oben? 
des näheren dargelegt, sind im sozialen Leben überhaupt und gerade 
hinsichtlich der hier in Betracht kommenden Phänomene Faktoren von 
maßgebender Bedeutung, die in der organischen Welt nicht in Betracht 
kommen können. Wir dürfen daher in keinem Umfang annehmen, 
daß in dem ähnlichen Besonderen die gleichen Ursachen gegeben 
sein und diesen die gleichen Wirkungen entsprechen werden °). 

Es ist daher dem Analogieschluß die Berechtigung zu versagen. 
Spencer kann nicht annehmen, daß die Eigentümlichkeiten des so- 
zialen Körpers, welche den Merkmalen des Wachstums und der 
Ausbildung des inneren Baues des organischen Aggregats in etwas 
ähnlich sind, wie diese, Wachstum und Organisation im sozialen 
Körper kennzeichnen; es ist ebenso unbegründet, diese Thatsachen 
als wesentlich hervorzuheben und ihnen gegenüber andere Erschei- 
nungen des Gesellschaftslebens als unwichtig außer Betracht zu 
lassen. 

— Ergebnis. — Mit der Unrichtigkeit dieses Schlusses verliert der 
weitere Gedankengang Spencer’s seinen Boden. Da die fraglichen 
sozialen Erscheinungen nicht als Kennzeichen gesellschaftlichen 
Wachstums und sozialer Organisation nachgewiesen sind, kann offen- 
bar auf Grund dieser Thatsachen über Wachstum und Organisation 
des sozialen Körpers nichts ausgesagt werden. Somit werden auch 
hinfällig der Schluß, daß Wachstum und Organisation beider Aggre- 


1) Erdmann, a. a. O., S. 615 ff. 

2) Siehe S. 771 f. 

3) Ein näheres Eingehen auf die Natur des Analogieschlusses und die über diese 
entstandene Streitfrage würde meines Erachtens über das Ziel dieser Arbeit hinausgehen 
und für das Ergebnis ohne Bedeutung sein. Auch wenn man z. B. mit Barth — a. a. 
O., S. 95 ff. — im Anschluß an Wundt als Voraussetzung des Analogieschlusses ein 
hinreichend ähnliches Verhalten fordert, muß man die Berechtigung des von Spencer 
ausgeführten Schlusses verneinen, da ein solches hinreichend ähnliches Verhalten nicht 
vorliegt — s. oben 8. 766 ff. —, nur äuberliche Aehnlichkeiten in geringem Umfang 
sich zeigen. Barth hält ein hinreichend ähnliches Verhalten für gegeben. Er berück- 
sichtigt jedoch nicht genügend die oben 8. 766 8. hervorgehobenen Gesichteptinkte, über. 
sieht vor allem den auf S. 771 ff. ausgcführten Gegensatz zwischen Gesellschaft und 
natürlichem Organismus, der für die Beurteilung des von Spencer behaupteten Ver- 
hältnisses beider Aggregate zu einander den Ausschlag giebt. 


Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 775 


gate überhaupt einander entsprechen, ebenso wie der Schluß, daß 
dann die gleichen Gesetze der Organisation für beide Aggregate 
gelten, mithin die Gesellschaft ein Organismus sei, ein Gedanken- 
gang, der schon unter den von Spencer angenommenen Voraus- 
setzungen äußerst bedenklich ist und näherer Begründung unbedingt 
bedurft hätte. 

Es hat somit Spencer die Auffassung der Gesellschaft als Orga- 
nismus, die Ansicht, daß die Beziehungen zwischen den Einzel- 
individuen der Gesellschaft denjenigen zwischen den Bestandteilen 
eines Organismus entsprechen, nicht als richtig erwiesen. Ob die 
Gesellschaft als Organismus besonderer Art dargethan ist, diese 
Frage kann nicht mehr erörtert werden. Diese Ansicht hat zur 
Voraussetzung, daß die Auffassung der Gesellschaft als Organismus 
feststeht; auf dieser baut sie sich auf und ohne sie ist sie näherer 
Behandlung gar nicht fähig. 

Somit fällt der ganze Beweis in sich zusammen. Sein Wert 
erscheint noch geringer, wenn wir bedenken, daß nicht allein die 
Gründe unzutreffend sind, sondern auch die Fragestellung von vorn- 
herein verfehlt und daher die Auffassung und Berücksichtigung der 
Thatsachen einseitig ist. 


Zweiter Abschnitt. Unrichtigkeit des Gesellschaftsbegriffes Spencer’s. 


Spencer hat die Richtigkeit seines Gesellschaftsbegriffes nicht 
zu erweisen vermocht; noch mehr: der Gesellschaftsbegriff Spencer’s 
ist unrichtig. 

Gesellschaft und natürlicher Organismus sind Inbegriffe. Durch 
die Beziehungen zwischen den Teilen werden beide zu eigenen 
Gegenständen unseres Denkens!). Für die Untersuchung, ob der 
von Spencer aufgestellte Begriff der Gesellschaft richtig ist, die 
Gesellschaft als Organismus aufgefaßt werden darf, ergiebt sich 
daher als leitendes Prinzip die Rücksicht auf die Beziehungen zwi- 
schen den Einheiten der Gesellschaft gegenüber denjenigen zwischen 
den Bestandteilen des natürlichen Organismus. 


Erstes Kapitel. Der Widerspruch in Spencer’s Gesellschaftsbegriff. 


Die Auffassung der Gesellschaft als Organismus diskreter Natur, 
aufgebaut von Einheiten, die mit Bewußtsein begabt sind, enthält 
einen Widerspruch in sich. 

— Organismus und Zweckgedanke. — Den Begriff des Organismus 
hat Spencer aus dem Gebiet der Naturwissenschaft in das der so- 
zialen Forschung unverändert herübergenommen. Es muß daher 
ein soziales Gebilde, das er Organismus nennen will, in den Grund- 
zügen mit dem natürlichen Organismus übereinstimmen. Und auch 
wenn die Bezeichnung „Organismus“ nur ein Bild sein soll, hat sie 


1) Siehe oben 8. 757 ff. 


7176 Albert Hesse, 


doch ohne eine Uebereinstimmung in den charakteristischen Merk- 
malen weder Wert noch Sinn. 

Wie nun auch immer das Wesen des natürlichen Organismus 
bestimmt werden mag, sicher ist, daß zwischen den Bestandteilen 
desselben ausschließlich kausale Beziehungen stattfinden können. 
Von Zwecksetzung, von der Vorstellung eines zu bewirkenden Er- 
folges kann nicht die Rede sein; denn die Bestandteile des Orga- 
nismus sind nicht mit Bewußtsein begabt, und der Zweckgedanke 
setzt Individuen, welche Bewußtsein besitzen, voraus. Die Auffas- 
sung der Gesellschaft als Organismus führt daher die vollständige 
Eliminierung des Zweckgedankens unbedingt mit sich. 

Dies ist jedoch gar nicht möglich und auch Spencer nicht 
gelungen. 

— Bewußtsein und Zweckgedanke. — Gesellschaft ist Vereinigung 
von Individuen zur Verfolgung bestimmter Zwecke. Wie oben!) 
gezeigt, sind die Beziehungen zwischen den Individuen von diesen 
selbst normiert, die sozialen Phänomene in weitem Umfang die Er- 
gebnisse menschlichen Handelns. Und für dieses Handeln ist das 
Kausalitätsgesetz nicht allein und nicht einmal in der Regel maß- 
gebendes Prinzip der Auffassung, sondern der Gesichtspunkt von 
Mittel und Zweck ?). Die Vorstellung eines künftigen Ereignisses als 
eines zu bewirkenden Erfolges schließt aber den Gedanken, daß 
dieses nach natürlicher Kausalität von selbst eintreten wird, not- 
wendig aus; mithin kann von den beiden Prinzipien jeweils immer 
nur eins in Anwendung kommen. Zwischen Individuen, die mit 
Bewußtsein begabt sind, können nicht ausschließlich kausale Be- 
ziehungen stattfinden, es müßte denn der Zweckgedanke überhaupt 
geleugnet werden. Dieser macht jedoch einen bedeutenden Teil 
des Inhalts unseres Bewußtseins aus und kann aus diesem nicht 
entfernt werden, ist mit ihm untrennbar verbunden. 

Es ist daher ein Organismus, aufgebaut von Einheiten, die mit 
Bewußtsein begabt sind, ein Widerspruch. 

Auch Spencer kann mit dieser Auffassung, die eine vollständige 
Negierung des Zweckgedankens in sich schließt, nicht auskommen. 
In seinen späteren Ausführungen faßt er selbst die Gesellschaft auf 
als eine Vereinigung von Kräften, um gemeinsame Zwecke zu ver- 
folgen, und die eigenen Bedürfnisse besser befriedigen zu können °). 
Somit führt er selbst den Gesichtspunkt von Mittel und Zweck ein, 
giebt aber damit auch den von ihm aufgestellten Begriff der Gesell- 
schaft in der Praxis auf. 


Zweites Kapitel. Die Beziehungen zwischen den Einheiten der 
Gesellschaft. 


Es ist bislang immer hervorgehoben, daß der Gesichtspunkt von 
Mittel und Zweck für die Auffassung derjenigen Beziehungen zwischen 


1) S. oben S. 760 f. 
2) S. oben $S. 761 f. 
3) Prinzipien, SS 440, 441, 442, 447, 


Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 717 


den Individuen, durch welche diese zu einer Gesellschaft verbunden 
werden, in Betracht kommt, somit gezeigt, daß diese Beziehungen 
nicht ausschließlich kausale sind, wie im Organismus. Eine Er- 
örterung der Beziehungen zwischen den Individuen der Gesellschaft 
gegenüber denjenigen zwischen den Bestandteilen des Organismus 
verlangt jedoch weiter eine Untersuchung, in welchem Umfang die 
beiden Gesichtspunkte für die Auffassung in Rücksicht zu ziehen 
sind, oder ob allein das Prinzip von Mittel und Zweck in Anwendung 
gebracht werden kann. 

— Aeußere Regeln als Voraussetzung gesellschaftlichen Zusammen- 
wirkens. — Das Zusammenwirken der Individuen, welches eine gegen- 
seitige Abhängigkeit derselben herbeiführt und sie dadurch zu einer 
Gesellschaft im wahren Sinn des Wortes vereinigt !), ist nur möglich, 
wenn nicht bloß einseitige Verpflichtungen, sondern Wechselbe- 
ziehungen vorliegen, das Verhalten der Individuen sich gegenseitig 
ergänzt, dem Recht auf der einen, eine Pflicht auf der anderen 
Seite entspricht?) Dies kann nur geschehen durch Regeln und 
zwar durch äußere Regeln, durch Normen, die von den Trieb- 
federn des einzelnen, sie zu befolgen, ihrem Sinne nach unabhängig 
sind °) 4), äußere Legalität fordern ohne Rücksicht auf die inneren 
Beweggründe des Einzelsubjekts. Solche äußeren Regeln sind die 
Rechtssatzungen und die Normen der Konvention 5): sie sind zufrieden 
mit äußerer Korrektheit, aus welchen Gründen der ihnen Unter- 
gebene sie befolgt, ist ihnen gleichgiltig. Zu diesen äußeren ver- 
bindenden Regeln gehören nicht die Lehren der Moral. Ihre Be- 
folgung verlangt innere Uebereinstimmung, Ueberzeugung von der 
Richtigkeit; sie legen dem einzelnen weiterhin nur einseitig Pflichten 
auf, ohne ihm ein Recht auf entsprechendes Verhalten des anderen 
zu geben. Aeußere Regel ist auch nicht zu fassen als Norm, die 
von staatlicher Autorität gesetzt ist. Der Staat setzt das Recht be- 
grifflich voraus; die Ordnung durch staatlich gesetzte Norm ist daber 
eine Unterart der äußeren Regelung, die staatliche Organisation ein 
Teil der sozialen °) ?). 

Jedes Zusammenwirken setzt eine derartige Regelung voraus. 
Eine Person kann nur dann eine bestimmte Art von Gütern in einer 
den eigenen Bedarf an derartigen Erzeugnissen weit übersteigenden 
Quantität ausschließlich produzieren und die Produktion der übrigen 


1) Prinzipien, $ 440. 

2) Ein Zusammenwirken ist ohne Organisation, ohne Einrichtungen, „welche die 
zu kombinierenden Handlungen nach Zahl, Größe und Art richtig abmessen“, nicht 
möglich. Prinzipien, §§ 440, 441. 

3) Stammler a. a. O., S. 105 ff. 

4) Im Gegensatz zu Spencer, der nur für einen Teil der sozialen, für die staat- 
liche Organisation dies annimmt. Prinzipien, $ 441. 

5) Stammler a. a. O., S. 111 ff. Entsprechend, doch ohne diese Begründung, 
Prinzipien, $ 271. 

6) Entsprechend, jedoch mit anderer, von mir nicht anerkannter Begründung, 
Prinzipien, $ 441. 

7) Es ist deshalb auch im Sprachgebrauch staatliche und soziale Organisation 
schärfer auseinanderzuhalten, als Spencer dies thut, Vergl. z. B. Prinzipien, §§ 441 
und 442. 


718 Albert Hesse, 


zur Befriedigung der Lebensbedürfnisse erforderlichen Mittel unter- 
lassen, wenn die Möglichkeit eines Austausches gegeben ist!). Und 
diese ist nur vorhanden, es können Sachen und Arbeitsleistungen 
gegeneinander und die eine gegen die andere nur umgetauscht 
werden unter Voraussetzung bestimmter verbindender Regeln, welche 
das Verhalten beider Teile zu den getauschten Objekten für die Zu- 
kunft fest normieren ohne Rücksicht auf spätere subjektive Be- 
weggründe. Und auch der erste Fall eines Tausches, der nach iso- 
liertem Dasein den Anfang gesellschaftlichen Zusammenwirkens ein- 
leitend gedacht wird, ist nur möglich unter Voraussetzung bestimmter 
verbindender Regeln. Die Hingabe eines Objekts und die Entgegen- 
nahme eines anderen dafür besagt, daß ein jeder die Herrschaft 
über den von ihm gebrachten Gegenstand verlieren und über den 
des anderen begründen will, daß wechselseitig Recht und Pflicht 
einander gegenüberstehen sollen. Diese Beredung gründet sich 
nicht auf bestehende Regeln, setzt aber eine solche als für die beiden 
Handelnden verbindlich ein. Es sollen für die Folgezeit das Ver- 
hältnis und das Verhalten eines jeden zu den getauschten Objekten 
festgesetzt, allein gemäß der getroffenen Bestimmung und unab- 
hängig von den augenblicklichen Einfällen des natürlichen Trieb- 
lebens gestaltet werden ?) °). 

Wie das Zusammenwirken selbst, so ist auch dessen zunehmende 
Ausdehnung und Kompliziertheit, wie sie Spencer bei Durchführung 
seiner Analogie näher darstellt‘), wiederum nur möglich unter Vor- 
aussetzung entsprechender äußerer Regeln, unter denen in unserer 
Zeit die Rechtssätze, die Normen des Gesetzes- und des Gewohn- 
heitsrechtes, die erste Stelle einnehmen. Großindustrie und Lohn- 
arbeit, Geld und Kapital, Bank und Börse, alle die einzelnen Arten 
und Formen der Produktion und des Handels setzen bestimmte recht- 
liche Satzungen voraus, die ohne Rücksicht auf subjektive Beweg- 
gründe ein fest normiertes wechselseitiges Verhalten der Unter- 
worfenen vorschreiben. 

Diese äußeren Regeln verbinden die Individuen zu einer Ge- 
sellschaft, bestimmen die Beziehungen, in welche die Individuen 
treten 5). Diese Beziehungen stellen die Gesellschaft als selbständigen 


1) Ueber die Bedeutung des Tausches in der Volkswirtschaft vergl. Conrad, 
Grundriß zum Studium der politischen Oekonomie. I. 3. Aufl. 1900 S. 45 ff. 

2) Stammler, a. a. ©. S. 113. 

3) Achnlich Prinzipien, $ 441: „Wo immer in einer Gruppe jenes Zusammen- 
wirken beginnt, das im Austausch von Dienstleistungen besteht, wo immer der ein- 
zelne seine Bedürfnisse besser befriedigt sieht, wenn er gewisse Dinge, die er am besten 
hervorzubringen vérmag, im Tausch gegen andere hingiebt, für deren Erzeugung er 
weniger geschiekt oder in minder günstiger Lage ist, da zeigen sich auch die Anfänge 
einer Organisation.‘ 

4) Daß auch Spencer in seinen Ausführungen die Geltung bestimmter rechtlicher 
Normen voraussetzt, ist gezeigt oben 8. 771 ff. 

5) Die äußere Regel ist das logische Prius gegenüber dem normierten Verhalten. 
Stammler, a. a, ©. 8. 112. Daß sie letzteren vorangcht, ist nicht nötig; beide können 
gleichzeitig entstehen. — Die Auffassung von Spencer: jedes Zusammenwirken und 
mithin auch dessen notwendige Bedingung, die soziale Organisation (8 441) wird durch 
die Gesellschaft möglich gemacht, es ermöglicht aber selbst erst die Gesellschaft (Prin- 


Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 779 


Gegenstand unseres Denkens der bloßen Mehrheit von Individuen 
gegenüber. Es sind deshalb die Gesellschaft selbst, sowie die Be- 
ziehungen zwischen den Individuen unter dem gleichen Gesichts- 
punkt aufzufassen wie jene Regeln, welche die konstituierende Be- 
dingung bilden. 

— Der Zweckgedanke in den äußeren Regeln. — Jene äußeren 
Regeln sind von Menschen geschaffen !), teils als allgemein giltige Norm 
in ausdrücklicher Satzung gegeben, teils in allmählicher Uebung still- 
schweigend angenommen. Diese Frage, wie im einzelnen die äußeren 
Regeln entstanden sind, ist jedoch hier zurückzustellen; für die vor- 
liegende Untersuchung kommt in erster Linie in Betracht nicht ihre 
Herkunft, sondern der in ihnen liegende Sinn 7. Und dieser ist in 
allen Fällen der, daß durch diese Regeln ein gewisser Zustand 
menschlichen Zusammenlebens erreicht, ein bestimmtes Verhältnis 
der Individuen herbeigeführt, eine bestimmte soziale Wirtschaft be- 
wirkt werden sollen. Sie wollen das wirtschaftliche Handeln in be- 
stimmte Bahnen lenken und von anderen Wegen wieder abhalten, 
sie verfolgen Ziele, die ohne sie in dieser Weise nicht erreicht 
werden würden, sie sind Mittel im Dienst menschlicher Zwecke. Es 
ist daher der Gesichtspunkt von Mittel und Zweck der maßgebende; 
er kann nicht außer Betracht gelassen oder geleugnet werden, wenn 
nicht Recht und Konvention vollkommen ihre Existenz verlieren 
sollen. Sie tragen in jedem Fall den Zweckgedanken in sich und 
haben nur als Mittel zu bestimmten Zwecken ihrem Inhalt nach 
Sinn und Bedeutung’). Da nun diejenigen Beziehungen zwischen 
den Individuen, welche die Gesellschaft als eigenen Gegenstand der 
bloßen Mehrheit von Menschen gegenüberstellen, durch Recht und 
Konvention geschaffen werden, in diesen Regeln sich darstellen, 
kommt mithin bei Betrachtung dieser Beziehungen stets der Ge- 
sichtspunkt von Mittel und Zweck in Anwendung. 

Damit ist aber zugleich das Kausalitätsgesetz als Prinzip der 
Auffassung der Beziehungen zwischen den Individuen abgelehnt. 
Der Gedanke, daß durch bestimmte Regeln ein gewisses Verhältnis 
der Individuen zu einander herbeigeführt werden soll, ist nur mög- 
lich, wenn dieses betreffende Verhältnis als ohne diese Regeln, von 
selbst mit Naturnotwendigkeit eintretend nicht eingesehen wird; 
denn der Gedanke, daß etwas bewirkt werden soll, schließt den, daß 
dieses von selbst sicher eintreten wird, mit Notwendigkeit aus. Für 
die Auffassung derjenigen Beziehungen zwischen Individuen, durch 
die sie zu einer Gesellschaft verbunden werden, kann allein der 


zipien, § 447) ist vollkommen unklar und hat den gleichen Wert wie die Frage nach 
der zeitlichen Priorität von Huhn oder Ei. 

1) Siehe oben 8. 760 f. 

2) Es ist daher wieder einseitig von Spencer, wenn er, ohne den Sinn dieser 
Regeln zu prüfen, bei Untersuchung der sozialen Organisation allein davon handelt, 
inwieweit diese aus absichtlicher Vereinbarung hervorgegangen oder ohne bestimmte Ab- 
sicht bei Verfolgung privater Zwecke entstanden ist. Prinzipien, $ 440 ff. 

3) Stammler a. a. O., S. 401 ff. 


780 Albert Hesse. 


Gesichtspunkt von Mittel und Zweck in Betracht kommen, nicht der 
von Ursache und Wirkung. 

Da für die Betrachtung des Verhältnisses zwischen den Be- 
standteilen eines Organismus der letztere der allein mögliche ist, 
können die Beziehungen zwischen den Individuen einer Gesellschaft 
nicht unter dem gleichen Prinzip aufgefaßt werden, wie die zwischen 
den Bestandteilen eines Organismus. 

Somit ist die Auffassung der Gesellschaft als Organismus ab- 
zulehnen, der Begriff der Gesellschaft, wie Spencer ihn aufstellt, 
unrichtig. 


Schluß. 


Es hat Spencer die Gesellschaft als Organismus besonderer Art, 
als Naturwesen, analog dem physischen Organismus, nicht dargethan. 

Er geht von vornherein methodisch falsch vor; er unterläßt 
eine Erörterung jener allgemeinen Probleme, deren Entscheidung 
die Voraussetzung einer Behandlung der Einzelfragen bildet !). Seine 
Beweisführung ist auch nach der materiellen Seite hin unhaltbar. 

Die Ansicht, daß die Gesellschaft ein Naturwesen, analog dem 
physischen Organismus ist, einen Organismus besonderer Art dar- 
stellt, setzt voraus, daß die Gesellschaft die charakteristischen Merk- 
male des Organismus zeigt. Dies wiederum kann nur dargelegt 
werden, wenn die Gesellschaft als besonderes Wesen, als Ding ge- 
faßt, ihr eigenes Dasein zugeschrieben werden kann. Dies letztere 
wieder erfordert die scharfe Bestimmung eines Kriteriums zur Ab- 
grenzung des gesellschaftlichen Zusammenlebens von anderem Zu- 
sammensein von Individuen. 

Der Gesichtspunkt, den Spencer zur Trennung von Gesellschaft 
und anderen Zusammenfassungen von Individuen anführt, ist hierzu 
unbrauchbar?) und infolgedessen auch nicht fähig, die Gesellschaft 
als ein besonderes Wesen, das eigenes Dasein hat, zu konstituieren. 
Mithin hat Spencer nicht dargethan, daß die Gesellschaft ein Ding 
ist). Er beantwortet weder die Frage, ob der Gesellschaft Realität 
zukomme), noch untersucht er, zu welchen Gegenständen des 
Denkens sie gehört); er faßt sie ohne weiteres als ein Ding, analog 
dem physischen Organismus. Dies ist bedenklich, denn die Gesell- 
schaft ist nicht real, existent wie das organische Aggregat‘); es ist 
unberechtigt, denn die Gesellschaft steht grundsätzlich diesem nicht 
gleich. Spencer hat den Nachweis prinzipieller Uebereinstimmung 
zwischen Gesellschaft und physischem Organismus nicht erbringen 
können, einmal weil er das Problem unrichtig gestellt, die Grund- 
frage, ob die Gesellschaft ein Naturwesen ist, übersehen ^), infolge- 


1) Siehe oben S. 755, S. 758 ff. 
2) Siehe oben S. 754 f. 
3) Siehe oben 8. 755 f. 
4) Siehe oben S. 755 f. 
5) Siche oben 8. 755 f. 
6) Siehe oben S. 756 f. 
7) Siche oben 8. 758 f. 


Der Begriff der Gesellschaft in Herbert Spencer’s Soziologie. 781 


dessen die Thatsachen des sozialen Lebens einseitig aufgefaßt hat 1). 
Er hat die Berechtigung der Analogie zwischen den Erscheinungen 
des Wachstums und der Ausbildung von Struktur und Funktionen 
in der Gesellschaft und in der organischen Welt weiterhin deshalb 
nicht dargethan, weil er die fraglichen Thatsachen des sozialen 
Lebens als Kennzeichen des Wachstums und der Ausbildung des 
inneren Baues nicht zu erweisen vermocht hat?). Die hinsichtlich 
dieser Erscheinungen maßgebenden Faktoren sind in der organischen 
Natur wesentlich andere als in der Gesellschaft’); die Gegenüber- 
stellung sozialer und organischer Phänomene, welche die Voraus- 
setzung der behaupteten Analogie bildet‘), ist von Spencer nicht 
richtig durchgeführt), an sich unberechtigt‘) und gar nicht fähig, 
Beweisgründe zu liefern”). Daher ist Spencer der Nachweis, daß 
die Gesellschaft ein Naturwesen, analog dem physischen Organismus 
sei, nicht gelungen. Mithin hat er auch die Gesellschaft als Organis- 
mus besonderer Art nicht dargethan 5). 

Noch mehr: Der Begriff der Gesellschaft in Spencer’s Soziologie 
ist unrichtig. Er birgt einen Widerspruch in sich; der Gesichts- 
punkt, welcher nach Spencer’s Meinung die Eigenart des sozialen 
Organismus begründet, macht eine Auffassung der Gesellschaft als 
Organismus überhaupt unmöglich’). Und diese ist auch deshalb 
zu verwerfen, weil die Beziehungen zwischen den Individuen der 
Gesellschaft ganz andere sind als die zwischen den Bestandteilen 
des organischen Körpers !°). 

So ist der Begriff der Gesellschaft in Spencer’s Soziologie un- 
haltbar. Damit wird dieser der feste Boden entzogen, der Grund, 
auf dem sie sich aufbaut. Und wenn sie auch im einzelnen viele 
richtige Ansichten bietet, die Fragen des Gesellschaftslebens unter 
neuen Gesichtspunkten treffend in Erwägung zieht, grundsätzlich 
ist sie verfehlt. Die Gesellschaft ist nicht ein Naturwesen, ein 
Organismus besonderer Art; die Geltung eines inhaltlich bestimmten 
Naturgesetzes für die soziale Entwickelung in gleichem Umfang wie 
für die Entwickelung sonst ist zu verneinen, da die Gesellschaft 
prinzipiell gleichartig den Dingen der organischen und unorganischen 
Welt uns nicht entgegentritt. 

Und dieses gilt auch für die biologische Soziologie überhaupt. 


1) Siehe oben 
2) Siehe oben 
3) Siehe oben 
4) Siehe oben 
5) Siehe oben 
6) Siehe oben 
7) Siehe oben 
8) Siehe oben 
9) Siehe oben 
10) Siehe oben 


KEEEEEEEEE 
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782 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Nachdruck verboten. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 


VI. 


Die wirtschaftliche Gesetzgebung der deutschen 
Bundesstaaten im Jahre 1899, 


Von Dr. jur. Albert Hesse. 
(Fortsetzung.) 


Oldenburg. 


Gesetzblatt für das Herzogtum Oldenburg vonden Jahren 
1898 und 1899, 


Bekanntmachung des Staatsministeriums, betr. die Ausführungsbe- 
stimmungen zu dem Gesetze vom 14. Februar 1883 wegen Errichtung 
einer Bodenkreditanstalt für das Herzogtum Oldenburg. Vom 31. Januar 
1899, S. 299. 

Bekanntmachung des Staatsministeriums, betr. Aenderung der Be- 
stimmungen wegen der Befreiung des zu landwirtschaftlichen und ge- 
werblichen Zwecken bestimmten Salzes von der Salzabgabe. Vom 
28. März 1899, S. 310. 

Enthält allein die Bestimmung, dafs unter Viehfütterung im Sinne dieses Ge- 
setzes Fütterung von Tieren jeder Art zu verstehen ist. 

Bekanntmachung des Staatsministeriums über die Ausführung des 
Gesetzes vom 9. April 1897, betr. die Förderung der Pferdezucht. Vom 
14. April 1899, S. 366. Dazu Bekanntmachung vom 5. Mai 1899, S. 404. 

Gesetz für das Herzogtum Oldenburg, betr. das Grunderbrecht. 
Vom 19. April 1899, S. 391. 

Jede bewirtschaftete Besitzung im Flächeninhalt von mindestens 1 ha oder mit 
einem Grundsteuerreinertrag von mindestens jührlich 15 M. kann durch Verfügung des 
Eigentümers die Eigenschaft einer Grunderbstelle erhalten (2 1). Zur Verfügung be- 
rechtigt ist der Eigentümer, welcher über die Besitzung letztwillig verfügen kann (2 2). 
Die aus unkultivierten Staatsländereien eingewiesenen und einem einstweiligen Zer- 
stückelungsverbot unterliegenden Anbaustellen erhalten durch die Einweisung die Eigen- 
schaft einer Grunderbstelle, auch wenn sie noch nicht bewirtschaftet werden und nicht 
den vorgeschriebenen Flächeninhalt oder Grundsteuerreinertrag haben (2 7). An den 
Grunderbstellen findet, falls für sie die gesetzliche Erbfolge eintritt, ein bevorzugtes 
Erbrecht eines Miterben — das Grunderbrecht — statt: a) unter den gesetzlichen Erben 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 783 


der ersten Ordnung, b) unter den gesetzlichen Erben der zweiten Ordnung dann, wenn 
der Erblasser ohne Hinterlassung eines Ehegatten verstorben ist, Zu den Abkömm- 
lingen werden Adoptivkinder nicht gerechnet (2 8). Der Grunderbe wird bestimmt durch 
den Vorzug des männlichen Geschlechts vor dem weiblichen und, je nachdem, in welchem 
Amt oder welcher Gemeinde die Grunderbstelle liegt, durch den Vorzug der älteren oder 
der jüngeren Geburt (2 9). Das Vorrecht, welches für einen vor dem Erblasser 
verstorbenen Abkömmling begründet gewesen sein würde, wenn derselbe den Erbfall 
erlebt hätte, geht auf dessen Nachkommen dergestalt über, dafs aus diesen der Grund- 
erbe nach den Vorschriften des 3 9 bestimmt wird (2 10). Vollgeschwister und deren 
Abkömmlinge gehen den Halbgeschwistern und deren Descendenz, beide mit ihrer De- 
scendenz den Eltern im Grunderbrecht vor (2 11). Das Grunderbrecht besteht darin, 
dafs der Grunderbe: a) das Alleineigentum der Grunderbstelle erhält gegen die Ver- 
pflichtung, den Wert derselben in die Erbteilungsmasse einzuschiefsen, b) aus der Erb- 
teilung als Voraus 15 bezw. 40 Proz. — je nachdem, in welchem Amt oder welcher Ge- 
meinde die Grunderbstelle liegt — des schuldenfreien Wertes der Grunderbstelle erhält 
(2 12). Feststellung des einzuschiefsenden Wertes, Ermittlung des schuldenfreien Wertes 
#2 18, 14. Der Grunderbe ist berechtigt den Beschlag der Stelle — die zur Bewirt- 
schaftung der Stelle erforderlichen Gegenstände, die vorhandenen Früchte und den vor- 
handenen Dünger — gegen den abzuschätzenden Verkaufswert zu übernehmen (Z 15). 
Die übrigen Paragraphen (22 16—30) enthalten Einzelbestimmungen und Uebergangs- 
vorschrijten. 


Gesetz für das Herzogtum Oldenburg, betr. das nutzbare Eigentum 
an Grundstücken. Vom 25. April 1899, S. 400. 

Gesetz für das Herzogtum Oldenburg zur Ausführung des Bürger- 
lichen Gesetzbuchs und des Handelsgesetzbuchs. Vom 15. Mai 1899, 
S. 405. Dazu Verordnung vom 1. Dezember 1899, S. 651. 

Gesetz für das Herzogtum Oldenburg zur Ausführung der Civil- 
prozeßordnung und des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die 
Zwangsverwaltung. Vom 15. Mai 1899, S. 427. 

Gesetz für das Herzogtum Oldenburg zur Ausführung des Gesetzes 
über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Vom 15. Mai 
1899, S. 437. 

Gesetz für das Herzogtum Oldenburg zur Ausführung der Grund- 
buchordnung vom 24. März 1897. Vom 15. Mai 1899, S. 453. Dazu 
Ausführungsverordnung vom 15. Mai 1899, S. 456. 

Gesetz, betr. eine Gesindeordnung für das Herzogtum Oldenburg. 
Vom 15. Mai 1899, S. 4851). 


I. Allgemeine Bestimmungen. II. Vorschriften über die Ein- 
gehung des Vertrages. 1. Berechtigung zur Annahme von Gesinde. 2. Berech- 
tigung sich zu vermieten. 3. Führung eines Dienstbuches. 4. Abschlufs des Dienstver- 
trages. 5. Vermieten bei mehreren Herrschaften. III. Vorschriften über den 
Dienstantritt. 1. Zeit des Dienstantritts. 2. Verzögerung des Dienstantritts. 
3. Weigerung der Herrschaft, den Dienstboten aufzunehmen. 4. Unterlassung des 
Dienstantritts seitens des Dienstboten. 5. Eintreten besonderer Umstände vor dem 
Dienstantritt, IV. Vorschriften über die Verhältnisse während der 
Dienstzeit. 1. Pflichten des Dienstboten. 2. Pflichten der Herrschaft. V. Vor- 
schriften über die Beendigung des angetretenen Dienstverhältnisses. 
1. Allgemeine Bestimmungen. 2. Eintreten besonderer Umstände während der Dienst- 
zeit. 8. Entlassung des Dienstboten vor Ablauf der Dienstzeit. 4. Verlassen des Dienstes 


1) Die wichtigsten Bestimmungen sind als Anmerkungen zu der Gesindeordnung 
‘für Württemberg gegeben. 


784 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


vor Ablauf der Dienstzeit. VI. Vom Dienstzeugnis. VII. Schlufs- und Straf- 
bestimmungen. 

Bekanntmachung des Staatsministeriums, betr. Regelung des Schiffs- 
verkehrs auf der unteren Hunte. Vom 17. April 1899, S. 375. 

Bekanntmachung der Ablösungkommission, betr. die Preise der 
Naturalien nnd Dienste, welche bei den nach dem 31. Dezember 1899 
bis zum Ablauf des Jahres 1904 beantragten Ablösungen maßgebend sind. 
Vom 22. September 1899, S. 557. 

Verordnung für das Herzogtum Oldenburg, betr. die Ausführung 
des Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899. Vom 14. November 
1899, S. 585. 

Verordnung, betr. Abänderung der zur Ausführung der Gewerbe- 
ordnung für das Deutsche Reich erlassenen Verordnung vom 14. Januar 
1884. Vom 16. November 1899, S. 588. 

Bekanntmachung des Staatsministeriums, Departement für Justiz, 
betr. die Hinterlegungsordnung für das Großherzogtum Oldenburg. Vom 
1. Dezember 1899, S. 656. 

Gesetz für das Großherzogtum Oldenburg, betr. die Berechtigung 
der Gemeinden zur Erhebung von Gebühren in baupolizeilichen Ange- 
legenheiten. Vom 7. Dezember 1899, S. 683. 


Die Gemeinden sind berechtigt, im Wege des Gemeindestatuts die Erhebung von 
Gebühren für die Genehmigung und Beaufsichtigung von Neubauten, Umbauten und 
anderen baulichen Herstellungen einzuführen. Die Gebühren müssen so bemessen werden, 
das deren Aufkommen die besonderen Kosten des in Frage stehenden Verwaltungs- 
zweiges nicht übersteigt. 

Verordnung für das Herzogtum Oldenburg zur Ausführung des 
Reichsgesetzes, betr. die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschiff- 
fahrt. Vom 7. Dezember 1899, S. 687. 

Bekanntmachung des Staatsministeriums, Departement des Innern 
und der Justiz, betr. Vorschriften über die Führung der Schiffsregister. 
Vom 7. Dezember 1899, S. 689. 

Bekanntmachung des Staatsministeriums, Departement der Justiz, 
betr. Vorschriften über die Führung des Vereinsregisters und des Güter- 
rechtsregisters. Vom 7. Dezember 1899, S. 737. 

Bekanntmachung des Staatsministeriums, Departement der Justiz, 
betr. Vorschriften über die Führung des Handelsregister. Vom 7. De- 
zember 1899, S. 759. 

Bekanntmachung des Staatsministeriums, Departement der Justiz, 
betr. Vorschriften über die Führung des Genossenschaftsregisters. Vom 
7. Dezember 1899, S. 792. 

Bekanntmachung des Staatsministeriums, betr. die Ausführung des 
Reichsgesetzes vom 1. Mai 1889, betr. die Erwerbs- und Wirtschafts- 
genossenschaften, in der Fassung des Reichskanzlers vom 20. Mai 1898. 
Vom 7. Dezember 1899, S. 791 der Bekanntmachung. 

Gesetz für das Herzogtum Oldenburg, betr. Abänderung des 
Art. 11 $ 1 der revidierten Gemeindeordnung. Vom 8. Dezember 1899, 
S. 684. 


Betrifft die Zusammensetzung der Gemeindevertretung. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 785 


Sachsen-Weimar-Eisenach, 


Regierungsblatt für das Großherzogtum Sachsen-Wei- 
mar-Eisenach auf das Jahr 1899. 


Landesherrliche Verordnung, betr. die Erhöhung des Beitrages zur 
Landes-Brandversicherungsanstalt. Vom 18. Januar 1899, S. 79. 

Nachtragsgesetz zum Steuergesetz für die Jahre 1899, 1900 und 
1901 vom 25. Mai 1898. Vom 22. März 1899, S. 95. 


Betrifft Aenderungen der Steuersätze. 


Nachtragsgesetz zum Einkommensteuergesetz vom 2. Juni 1897. 
Vom 22. März 1899, S. 97. 


Betrifft einen Zusatz zu den Strafbestimmungen. 

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Vom 5. April 1899, 
S. 123. 

Ausführungsgesetz zur Civilprozeßordnung und Konkursordnung. 
Vom 8. April 1899, S. 198. 

Ausführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch. Vom 10. April 1899, 
H 204. 

Gesetz, betr. die Ausführung des Reichsgesetzes über die Ange- 
legenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Mai 1898. Vom 
12. April 1899, S. 207. 

Gesetz über die Gebäude-Brandversicherungsanstalt des Großherzog- 
tums. Vom 10. Mai 1899, S. 245. Dazu Ausführungsverordnung vom 
24. Mai 1899, S. 291; Ministerialverordnung, betr. das Verfahren bei 
Abschluß von Versicherungsverträgen. Vom 16. Dezember 1899, S. 791. 


I. Allgemeine Bestimmungen. Die Gebäude-Brandversicherungsanstalt ist 
eine auf dem Grundsatz der Gegenseitigkeit 1) beruhende Staatsanstalt mit gesondertem 
Vermögen. Sie steht unter der Oberleitung des Staatsministeriums?) (2 1). Versiche- 
rungsumfang: Die Anstalt versichert gegen Schäden, welche durch Feuer und die zur 
Bewältigung eines Brandes amtlich getroffenen oder nachträglich gebilligten Mafsregeln 
an Gebäuden und deren Zubehör herbeigeführt sind (£ 2)®%). Schäden, welche durch 
Blitz oder Erplosion von Gas entstanden sind, werden den Brandschäden gleichgeachtet ; 
Schäden infolge anderer Explosionen nur insoweit, als durch die Erplosion ein Schaden- 
feuer entstanden ist (Z 8). Versicherungspflicht: alle mit Grundmanerwerk versehenen 
Gebäude mindestens zu fünf Zehnteilen ihres Jetztiwertes (2 4)*). Nichtrersicherungs- 
pflichtige aber zur Versicherung geriqnete Bauwerke: Z 5, namentlich unvollendete 
Gebäude und Fabriken, Ausschlufs von der Versicherung: 2 6°). Versicherungssätze : 
Die Anstalt versichert jedes Gebände nur nach Verhältnis seines durch Würderung 
Sachverständiger festgestellten Jetztwertes, und zwar nur zum vollen Werte oder zu 
fünf, sechs, sieben, acht oder neun Zehntrilen des Wertes (2 9).  Antragsrecht der Ge- 
bäudeeigentümer, Erhöhung und Verminderung des Versicherungssatzes: 2 10—12. An- 
meldungspflicht hinsichtlich baulicher Veränderungen, welche den Ausschlufs des Gebäudes 


1) Ebenso Gotha, 

2) Entsprechend Gotha. 

3) Gotha: Gebäude und alle beweglichen Sachen gegen jeden durch Feuer, Blitz- 
schlag, Explosion entstandenen Schaden. 

4) Gotha: Keine Versicherungspflicht. 

5) Gotha: Die Anstalt ist verpflichtet, sämtliche im Herzogtum Gotha belegenen 
Gebäude unter den in der Verwaltungsordnung näher bezeichneten Maßgaben in Ver- 
sicherung zu nehmen und auch im Fall des Besitzwechsels und der Nichtabführung der 
Beiträge zu behalten. 


Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 50 


786 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


von der Versicherung oder eine erhöhte Feuergefährlichkeit bedingen: 2 18. Ausschlufs- 
verfahren und Austritt: Z2 14, 15. Bei anderen Versicherungsanstalten dürfen gegen 
Brandschäden versichert werden: a) die von der Versicherung bei der Landesanstalt 
ausgeschlossenen Gebäude; b) die aufnahmefähigen, aber nicht versicherungspflichtigen 
Gebäude, solange sie nicht bei der Landesanstalt versichert sind; c) die bei der Landes- 
anstalt aufgenommenen Gebäude bis zur Höhe desjenigen Teils ihres katastrierten Wertes, 
mit welchem sie bei der Landesanstalt nicht versichert sind (2 16). Verwaltungsstellen der An- 
stalt: 22 18—22. Kosten; Verpflichtung zur Kostenzahlung : Z2 23—26. II. Würderung 
und Klasseneinteilung. Allgemeine Neuwürderung und Klasseneinteilung regelmässig 
nach Ablauf von 20 Jahren (2 27); sonst auf Antrag des Versicherten und auf Grund 
der von den Gemeindevorständen eingereichten Verzeichnisse der Gebäudeveränderungen 
im Gemeindebezirk (24 28, 29). Als Gebäude wird angesehen jeder Bau, der unter 
einem Dach steht; wenn ein Gebäude durch eine oder mehrere vorschriftsmäfsige Brand- 
manern bis über das Dach in mehrere Abschnitte eingeteilt ist, ist jedoch jeder Ab- 
schnitt gesondert zu behandeln; eine Trennung braucht nicht stattzufinden, wenn ein 
Gebäude, welches ein im Imnern durch Thüren verbundenes Ganzes bildet, mehrere 
Dachabteilungen von gleicher oder verschiedener Höhe enthält (4 82). Feuergefährlich- 
keitsklassen: Klasse I: Gebäude mit harter Dachung, welche vom Grunde bis an das 
Dach auf allen Seiten, einschliefslich der Giebel, massive Umfassungen haben. Klasse II: 
a) Gebäude, welche ihrer übrigen Bauart nach der Klasse I entsprechen, deren Be- 
dachung aber aus Ziegeln mit Moos- oder Strohfiederunterlage besteht; b) Gebände mit 
durchaus harter Dachung, deren Umfassungswände entweder teihreise massiv und im 
übrigen aus Stein- oder Lehmsteinfachwerk oder ausschliejslich aus Stein- oder Lehm- 
steinfachwerk gebaut sind. Klasse III: a) Gebäude der Bauart IIb mit Bedachung 
wie Ila; b) Gebüude mit durchaus harter Dachung, deren Umfassungswände durch- 
güngig oder in einzelnen Abteilungen aus Holz oder aus Lehmsteckenwerk gebaut sind. 
Klasse IV: a) Gebäude der Bauart IIIb mit Bedachung wie IIa. b) Gebäude, welche 
ganz oder in einzelnen Teilen mit weicher Dachung versehen sind. Klasse V: ohne 
Rücksicht auf die Bauart die nicht versicherungspflichtigen, aber zur Versicherung ge- 
eigneten Bauwerke (Z 38). Würderungsverfahren: 22 40 ff. Die Versicherung tritt 
sofort in Kraft, nachdem das Ergebnis der Würderung und Klasseneinteilung aner- 
kannt oder für anerkannt zu achten oder durch anderweite Würderung festgestellt und 
bei Neuversicherungen eine Erklärung über den Versicherungssatz abgegeben oder für 
abgegeben zu achten ist (4 55). III. Feststellung und Vergütung der Brand- 
schäden. IV. Versicherungsbeiträge und Rücklage. Beitragseinheiten: 
8 Pfg. für Klasse I, 14 Pfg. für Klasse II, 18 Pfg. für Klasse III, 20 Pfg. für die 
Klasse IV von je 100 M. Versicherungssumme. Für die Klasse V wird die Beitrags- 
einheit von dem Staatsministerium bestimmt in der Weise, dafs die Beitragseinheit, 
welche der Bauart des Gebäudes entspricht, erhöht wird (& 99). V. Rückversiche- 
rung: Das Gesamtrersicherungskapital der bei der Landesanstalt versicherten Gebäude 
in Orten von mehr als 10000 Einwohnern kann ebenso wie die Versicherungssumme 
einzelner besonders gefährdeter Gebäude anderer Orte bis zur Hälfte des Betrages bei 
anderen Versicherungsanstalten für Rechnung der Landesanstalt rückversichert werden?) 
(2 114). VI. Beseitigung feuergefährlicher Bauwerke. VII. Uebergangs- 
und Schlu/sbestimmungen. 


Höchste Verordnung, betr. die Organisation des Staatsministeriums. 
Vom 24. Mai 1899, S. 287. 

Ministerial-Verordnung zur Ausführung der Bekanntmachung des 
Bundesrats, betr. die Einrichtung und den Betrieb der Roßhaarspinnereien, 
Haar- und Borstenzurichtereien, sowie der Bürsten- und Pinselmachereien. 
Vom 30. Juni 1899, S. 343. 

Gesindeordnung für das Großherzogtum Sachsen. Vom 11. Oktober 
1899, S. 403°). Dazu Ministerial-Verorduung zur Ausführung. Vom 
13. Oktober 1899, S. 438. 

1) Gotha: Ohne Einschränkung. 

2) Vergl. Anmerkungen zu der Gesindeordnung von Württemberg. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 7187 


I. Allgemeine Bestimmungen. II. Vereinbarung und Beginn des Gesindedienst- 
verhältnisses. III. Gegenseitige Rechte und Pflichten der Dienstherrschaft und des Ge- 
sindes während der Dienstzeit. IV. Beendigung des Dienstverhältnisses. V. Vorschriften 
über Gesindedienstbücher und Dienstzeugnisse. VI. Strajbestimmungen. VII. Zuständig- 
keit der Behörden und Verfahren. VIII. Schlufs- und Uebergangsbestimmungen. 


Ministerial-Bekanntmachung, betr. die Ausführung des Invaliden- 
versicherungsgesetzes in.der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Juli 
1899. Vom 12. Oktober 1899, S. 449. Dazu Ministerial-Bekanntmachung 
vom 6. Dezember 1899, S. 620. 

Ministerial-Bekanntmachung, betr. Bestimmung der „Aufsichtsbe- 
hörde“ zur Ausführung des Reichs-Hypothekenbankgesetzes vom 13. Juli 
1899. Vom 31. Oktober 1899, S. 508. 


Bestimmung des Grofsherzoglichen Staatsministeriums als Aufsichtsbehörde. 


Ministerial-Bekanntmachung, betr. die Wahlordnung für die Wahl 
der Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten bei den unteren 
Verwaltungsbehörden auf Grund der $$ 63, 59, 61—62 des Invaliden- 
versicherungsgesetzes in der Fassung vom 13. Juli 1899. Vom 28. No- 
vember 1899, S. 607. Dazu Ministerial-Verordnung vom 1. Dezember 
1899, S. 619. 

Hinterlegungsordnung. Vom 29. November 1899, S. 543. Dazu 
Ausführungsverordnung. Vom 12. Dezember 1899, S. 655. 

Ministerial-Verordnung über die Führung des Vereinsregisters und 
Güterrechtsregisters. Vom 2. Dezember 1899, S. 737. 

Ministerial-Verordnung über die Führung des Handelsregisters. 
Vom 4. Dezember 1899, S. 755. 

Ministerial-Verordnuug über die Führung des Genossenschaftsre- 
gisters. Vom 5. Dezember 1899, S. 781. 

Gesetz über die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Ver- 
mögen. Vom 6. Dezember 1899, S. 553. 

Gesetz, betr. die kirchlichen Umlagen in den katholischen Kirchen- 
gemeinden des Großherzogtums Sachsen. Vom 6. Dezember 1899, S. 729. 

Die Kirchengemeinde ist verpflichtet, für Erhaltung, bezüglich Beschaffung der 
Mittel zur Befriedigung ihrer kirchlichen Bedürfnisse zu sorgen, soweit sie nicht durch 
Leistungen, welche auf anderen Rechtsgründen beruhen, zu decken sind oder nicht Ver- 
mögensbestände der Kirchenstiftungen herangezogen werden können. Unter diesen Mitteln 
ist alles zu verstehen, was zur Erhaltung und Förderung des kirchlichen Lebens in ihr 
gehört mit Einschlufs derjenigen Aufwendungen, welche die Erhaltung der Kirchen- 
und Pfarreigebäude erfordert, Die Kirchengemeinden sind jedoch nicht verpflichtet zur 
Aufbringung der Besoldung der Geistlichen Umlagen zu erheben. Die bisherigen Normen 
über die Banpflicht der Parochianen als solcher treten aufser Kraft (2 1). Werden 
kirchliche Umlagen nötig, so sind dieselben auf sämtliche Mitglieder der betreffenden 
Gemeinde nach Verhältnis der Heranziehung derselben zu den Gemeindesteuern zu ver- 
teilen. Befreiungen in geringem Umfang, besonders der Pfarrer (2 2). Werden Ge- 
meindeumlagen nicht erhoben, so erfolgt die Verteilung der zu kirchlichen Zwecken 
nötigen Umlagen nach Verhältnis der behufs Berechnung der Stimmberechtigung in der 
Gemeinde festgestellten Einkommenbeträge der Beitragspflichtigen oder nach Beschlufs 
des Kirchenvorsteheramts in anderer geeigneter Weise (Z 5). Aufbringung der Lasten 
in einer zusammengesetzten Parochie: Z 4. Verfahren: 2 9. 


Gerichtskostengesetz für das Großherzogtum Sachsen. Vom 9. De- 
zember 1899, S. 661. 
Ministeral-Verordnung, betr. Anweisung für das Verfahren vor 


50* 


788 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


den unteren Verwaltungsbehörden ($$ 57—64 des Invalidenversicherungs- 
gesetzes). Vom 22. Dezember 1899, S. 801. 

Ministerial-Bekanntmachung, betr. das Reichstelegraphen wegegesetz 
vom 18. Dezember 1899. Vom 26. Dezember 1899, S. 822. 


Mecklenburg-Strelitz. 


Großherzoglich Mecklenburg-Strelitz’scher Offizieller 
Anzeiger für Gesetzgebung und Staatsverwaltung. 1899. 


Verordnung zur Ergänzung der Verordnung vom 28. August 1855, 
betr. die bessere Heilighaltung der Sonn- und Festtage. Vom 3. Februar 
1899, S. 171). 

Verordnung zur Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Vom 
9. April 1899, S. 85. Dazu Verordnung vom 6. Dezember 1899, S. 806. 

Verordnung zu Ausführung der Grundbuchordnung. Vom 9. April 
1899, S. 181. 

Anordnungen zur Ausführung der Grundbuchordnung. Vom 9. April 
1899, S. 199. 

Verordnung, betr. das Verfahren in Vereinssachen. Vom 9. April 1899, 
S. 219. 

Verordnung, betr. die Zwangserziehung Minderjähriger. Vom 

D April 1899, S. 231. 

Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über die Angelegenheiten 
der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Vom 9. April 1899, S. 237. 

Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über die Zwangsver- 
steigerung und Zwangsverwaltung. Vom 9. April 1899, S. 265. 

Verordnung zur Ausführung der Civilprozeßordnung. Vom 9. April 
1899, S. 271. 

Verordnung zur Ausführung der Konkursordnung. Vom 9. April 1899, 
S. 287. 

Verordnung zur Ausführung des Handelsgesetzbuchs. Vom 9. April 
1899, S. 291. 

Verordnung, betr. das Hinterlegungswesen (Hinterlegungsordnung). 
Vom 9. April 1899, S. 297. 

Gesindeordnung. Vom 9. April 1899, S. 3131). 

Bekanntmachung, betr. die Einrichtung und Führung des Handels- 
registers. Vom 4. Juli 1899, S. 439. 

Bekanntmachung, betr. Bestimmungen über die Einrichtung und 
Führung des Schiffsregisters für Binnenschiffe. Vom 11. November 1899, 
S. 787. 

Gerichtsvollzieherordnung. Vom 4. Oktober 1899, S. 655. 

Gerichtskostenordnung nebst Einführungsverordnung. Vom 18. De- 
zember 1899, S. 839. 

Gebührenordnung für Notare. Vom 18. Dezember 1899, S. 919. 
Dazu Ausführungsverordnung. Vom 18. Dezember 1899, S. 907. 

Verordnung, betr. die Versetzung richterlicher Beamten in den 
Ruhestand. Vom 28. November 1899, S. 805. 


1) Siehe die gleiche Verordnung von Mecklenburg-Schwerin. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 789 


Verordnung, betr. den Ersatz von Wildschaden. Vom 18. Dezember 
1899, S. 927. 

Edikt, betr. die Ausschreibung einer Bienenseuchenabgabe. Vom 
24. Januar 1899, S. 91). Dazu Bekanntmachung, betr. die Erhebung. 
Vom 25. Januar 1899, S. 10. 

Bekanntmachung, betr. die Normalpreise des Korns im Steuerjahre 
1899—1900. Vom 1. Juli 1899, S. 898. 

Verordnung, betr. das Steueredikt für das Jahr 1900—1901. Vom 
18. Dezember 1899, S. 939. 


1. Erhebung der Hufensteuer von den ritterschaftlichen auch städtischen Kümmerei- 
und Oekonomiegütern und Dörfern für das Jahr von Johannis 1900 bis Johannis 1901 
mit 31 M. 50 Pfg. 2. Erhebung der Steuer von Häusern und Ländereien in den Land- 
städten. 3. Erhebung der Landessteuer nach dem Modus des unterm 2. Juni 1898 publi- 
zierten Kontributionsedikts im Betrag von neun Zehnteln der ediktmäjsigen Sütze. 

Bekanntmachung, betr. die Beschäftigung von Arbeiterinnen und 
jugendlichen Arbeitern in Ziegeleien. Vom 5. April 1900, S. 452). 

Verordnung, betr. die Erhebung des landwirtschaftlichen Anbaues, 
sowie der landwirtschaftlichen Bodenbenutzung. Vom 17. Mai 1899, 
H 772). 

EE betr. die Ausführung der Bestimmungen des 
Bundesrats über die Einrichtung und den Betrieb der Roßhaarspinnereien, 
Haar- und Borstenzurichtereien, sowie der Bürsten- und Pinselmachereien. 
Vom 6. Oktober 1899, S. 473. 

Bekanntmachung, betr. Maßregeln gegen die Maul- und Klauenseuche. 
Vom 20. Juni 1899, S. 361. 

Verordnung zur Aenderung und Ergänzung der Verordnung vom 
9. März 1897, betr. das Wegerecht. Vom 9. Juni 1899, S. 394. 

Verordnung zur Herausgabe der Chausseepolizeiordnung. Vom 
23. Februar 1899, S. 21. 

Bekanntmachung, betr. die Wahlordnung für die Wahl von Ver- 
tretern der Arbeitgeber und der Versicherten nach dem Invalidenver- 
sicherungsgesetz. Vom 25. Oktober 1899, S. 487. 

Bekanntmachung, betr. die Wahlordnung für die für den Ausschuß 
bei der Versicherungsanstalt Mecklenburg zu wählenden Mitglieder. 
Vom 20. November 1899, S. 635. 


Braunschweig. 


Gesetz-und Verordnungsblatt fürdie Herzoglich Braun- 
schweigischen Lande. 86. Jahrgang 1899. 


Gesetz, betr. Ergänzung der Städteordnung. Vom 6. Januar 1899, 
No. 1. 

Gesetz, betr. Ergänzung des $ 19 der neuen Wegeordnung für das 
Herzogtum Braunschweig vom 5. Juni 1871. Vom 20. Februar 1899, 
No. 8. 

Gesetz, die Abänderung des Gesetzes vom 22. März 1876 über die 


1) Siehe das gleiche Edikt für Mecklenburg-Schwerin. 
2) Siehe die gleiche Bekanntmachung bezw. Verordnung für Mecklenburg-Schwerin. 


790 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Verhältnisse der Beamten-, Witwen- und Waisenversorgungsanstalt betr. 
Vom 20. Februar 1899, No. 9. Dazu Bekanntmachung, die Ausführung 
dieses Gesetzes betr. Vom 18. April 1899, No 28. 

Gesetz, betr. die Abänderung des die Aufsuchung und Gewinnung 
des Steinsalzes, der Kali- und Magnesiasalze und der Solquellen betr. 
Gesetzes vom 19. Mai 1894. Vom 25. Februar 1899, No. 10. 


Fügt dem Art. II dieses Gesetzes einen Absatz 3 hinzu, nach dem zur Begründung 
eines Bergwerkseigentums hinsichtlich der im Absatz I genannten Mineralien Beschlufs 
der Bergbehüörde erforderlich und genügend ist. 


Gesetz, betr. die Entschädigung für an Milzbrand oder Rauschbrand 
gefallene Schafe. Vom 27. Februar 1899, No. 11. 
Gemeindeabgabengesetz. Vom 11. März 1899, No. 12. 


Erster Titel. Allgemeine Bestimmungen. Die Gemeinden sind be- 
rechtigt, zur Deckung ihrer Ausgaben und Bedürfnisse nach Mafsgabe der Bestimmungen 
dieses Gesetzes Gebühren und Beiträge, indirekte und direkte Steuern zu erheben (4 1). 
Die Gemeinden dürfen von der Befugnis, Steuern zu erheben, nur insoweit Gebrauch 
machen, als die sonstigen Einnahmen, insbesondere aus dem Gemeindevermögen, aus 
Gebühren, Beiträgen und vom Staate oder von den Kreiskommunalverbänden den Ge- 
meinden überwiesenen Mitteln, zur Deckung ihrer Ausgaben nicht ausreichen. Durch 
direkte Steuern darf nur der Bedarf aufgebracht werden, welcher nach Abzug des Auf- 
kommens der indirekten Steuern von dem gesamten Steuerbedarf verbleibt (Z 2). Ge 
werbliche Unternehmungen der Gemeinden sind grundsätzlich so zu verwalten, dafs 
durch die Einnahmen mindestens die gesamten durch das Unternehmen der Gemeinde 
erwachsenden Ausgaben, einschliefslich der Verzinsung und der Tilgung des Anlage- 
kapitals aufgebracht werden (Z 3). Zweiter Titel. Gebühren und Beiträge 
Die Erhebung von Gebühren hat zu erfolgen, wenn die Veranstaltung einzelnen Ge- 
meindeangehörigen oder einzelnen Klassen von solchen vorzugsweise zum Vorteile ge- 
reicht, und soweit die Ausgleichung nicht durch Beiträge oder eine Mehr- oder Minder- 
belastung erfolgt. Die Gebührensütze sind in der Regel so zu bemessen, dafs die Ver- 
waltungs- und Unterhaltungskosten der Veranstaltung, einschliefslich der Ausgaben für 
Verzinsung und Tilgung des aufgewendeten Kapitals, gedeckt werden (2 4, ID. Die 
Gemeinden können behufs Deckung der Kosten für Herstellung und Unterhaltung 
von Veranstaltungen, welche durch das öffentliche Interesse gefordert werden, von den- 
jenigen Grundeigentümern und Gewerbetreibenden, denen hierdurch besondere wirt- 
schaftliche Vorteile erwachsen, Beiträge zu den Kosten der Veranstaltungen erheben. Die 
Beiträge sind nach den Vorteilen zu bemessen. Beiträge müssen in der Regel erhoben 
werden, wenn anderenfalls die Kosten, einschliefslich der Ausgaben für die Verzinsung und 
Tilgung des aufgewendeten Kapitals, durch Steuern aufzubringen sein würden (4 9, I, I). 
Dritter Titel. Gemeindesteuern. Erster Abschnitt. Indirekte Ge- 
meindesteuern. Die Gemeinden sind zur Erhebung indirekter Steuern innerhalb 
der durch die Reichsgesetze gezogenen Grenzen befugt (2 12). Steuern auf den Ver- 
brauch von Fleisch — ausgenommen Wildpret und Geflügel —, Getreide, Mehl, 
Backwaren, Kartoffeln und Brennstoffe aller Art dürfen nicht eingeführt werden (2 13). 
Lustbarkeits- und Hundesteuer ausdrücklich gestattet (52 14, 15). Einführung neuer und 
Veränderung alter Steuern nur durch Statut möglich ( 16). Zweiter Abschnitt, 
Direkte Gemeindesteuern. I. Allgemeine Bestimmungen. Die direkten Steuern sind 
nach festen und gleichmäjsigen Grundsätzen zu verteilen. Nur wenn es sich um Veran- 
staltungen handelt, welche in besonders hervorragendem oder geringem Mafse einem 
Teile des Gemeindebezirks oder einer Klasse von Gemeindeangehörigen zu statten kommen, 
und wenn Beiträge nicht erhoben werden, kann die Gemeinde eine entsprechende Mehr- 
oder Minderbelastung beschlie/sen (2 17). Die direkten Gemeindesteuern können nur 
vom Grundbesitz und Gewerbebetrieb (Realsteuern), sowie vom Einkommen des Steuer- 
pflichtigen (Einkommensteuer) erhoben werden. Miets- und Wohnungssteuern dürfen 
nicht eingeführt werden. Einführung neuer und Veränderung bestehender direkter Ge- 
meindesteuern nur durch Statut möglich (Z 18). II. Besondere Bestimmungen. 1. Real- 
steuern. a) Vom Grundbesitz. b) Vom Gewerbebetrieb. 2. Gemeindeeinkommensteuer. 
a) Steuerpflicht. b) Feststellung des steuerpflichtigen Einkommens aus Bergbau oder 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 791 


sonstigen gewerblichen Unternehmungen des Fiskus u. s. w., sowie aus Domänen, Kloster- 
gütern und Forsten. c) Vermeidung von Doppelbesteuerung. 3) Verpflichtung der Be- 
triebsgemeinden zur Leistung von Zuschüssen. 4. Verteilung des Steuerbedarfs auf die 
verschiedenen Steuerarten. Die Gemeinden haben zur Deckung des Bedarfs direkter 
Steuern, 80 oft sie einen der Einheit der Staatseinkommensteuer entsprechenden 
Zuschlag zu dieser erheben, 8,5 vom Hundert des gemeindesteuerpflichtigen Grundsteuer- 
kapitals und 35 vom Hundert des vollen Betrages der auf die gemeindestenerpflichtigen 
Gewerbebetriebe entfallenden Staatsgewerbesteuer zu erheben. Bei Erhebung eines 
Teils der Staatseinkommensteuereinheit ist der entsprechende Teil der vorstehend 
bestimmten Beträge der Grund- und Gewerbesteuer zu erheben. Zuschläge über 
den doppelten Satz der Einheit der Staatseinkommensteuer und mehr als 7,5 vom 
Hundert des gemeindesteuerpflichtigen Grundsteuerkapitals und 75 vom Hundert des 
vollen Betrages der auf die gemeindesteuerpflichtigen Gewerbebetriebe entjullenden 
Staatsgewerbesteuer dürfen nicht erhoben werden Lë 46). Mit Genehmigung der Auf- 
sichtsbehörde sind die Gemeinden berechtigt, statt der 3,5 bez. 35 vom Hundert der 
Realsteuern von beiden Realsteuern oder einer derselben bis zu 4 bezw. 40 vom Hundert 
steigende höhere oder bis zu 3 bezw. 30 vom Hundert fallende Beträge zu erheben LG 47). 
Die in 2 46 enthaltene Feststellung des Verhältnisses, welches bei der Erhebung direkter 
Steuern zur Deckung des Gemeindebedarfs inne zu halten ist, bleibt so lange majsgebend, 
als für den Bedarf des Staates 2,5 vom Hundert des Grundsteuerkapitals und 25 vom 
Hundert des vollen gesetzlichen Betrages der Staatsgewerbesteuer zur Hebung kommen 
(mit Ausnahme der Steuer vom Gewerbebetriebe im Umbherziehen, welche im vollen Be- 
trage für den Staat erhoben wird). Bei etwaiger künftiger Erhöhung oder Herabsetzung 
des für den Staat zur Hebung kommenden Prozentsatzes jener Steuern sind die Prozent- 
sätze, welche nach Z2 46, 47 die Höhe der neben der (Gemeindeeinkommensteuer zu er- 
hebenden Realsteuern regeln, entsprechend herabzusetzen oder zu erhöhen. Diese Her- 
absetzung oder Erhöhung erfolgt durch Verordnung (2 48). Weitere Abweichungen 
können nur im Wege des Statuts angeordnet oder im Einzelfall durch das Staats- 
ministerium gestattet werden (2 49). 5. Zeitliche Begrenzung der Steuerpflicht. 6. Ver- 
anlagung und Erhebung. Vierter Titel. Rechtsmittel. Fünfter Titel. Auf- 
sicht. Sechster Titel. Strafen. Siebenter Titel. Nachforderungen 
und Verjährungen. Achter Titel. Kosten und Zwangsvollstreckung. 
Schlufs-, Ausführungs- und Uebergangsbestimmungen. 


Gesetz, betr. Abänderung des Einkommensteuergesetzes vom 16. April 
1896. Vom 11. März 1899, No. 13. 


I. und VI. Ausdehnung mehrerer Bestimmungen auf die Gesellschaften mit be- 
schränkter Haftung. II. Einheitssätze: von 900—1000 M. einschliefslich 3 M.; steigend 
— in grofsen Zügen — um 1 M. für je 100 M. des Einkommens von 1000—2500 M., um 2 M. 
für je 100 M. des Eink. von 2500—3000 M., um 8 M. für je 200 M. des Eink. von 
3000—5200 M., um A M. für je 200 M. des Eink. von 5200—6000 M., um 5 M. für je 
800 M. des Eink. von 6000—12 000 M., um 5 M. für je 500 M. des Eink. von 12 000— 
12500 M., um 8 M. für je 500 M. des Eink. von 12 500—30 000 M., um 10 M. für je 
500 M. des Eink. von 30000—50000 M., um 20 M. für je 1000 M. des Eink. von 
50 000—80 000 M., um 25 M. für je 1000 M. des Eink. von 80000—100 000 M., um 
40 M. für je 20000 M. des Eink. über 100000 M. III. Betrifft Aenderungen hinsicht- 
lich der anderweiten Veranlagung bei Vermehrung des Einkommens infolge eines Erb- 
anfalls und. die Steuerermäfsiqung. IV. Betrifft die Festsetzung der Nachsteuer. V. 
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. 


Gesetz, betr. die Erhebung der Einkommensteuer auf Grund des 
Einkommensteuergesetzes vom 16. April 1896 und des zu demselben 
erlassenen Abänderungsgesetzes vom 11. März 1899. Vom 11. März 1899, 
No. 14. 

Ergänzungssteuergesetz für das Herzogtum Braunschweig. Vom 
11. März 1899, No. 15. 


I. Steuerpflicht. Der Ergänzungssteuer unterliegen 1. die im 2 2 des Ein- 
kommensteuergesetzes vom 16. April 1896 zu No. 1—8 bezeichneten physischen Personen 


792 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


nach dem gesamten Wert ihres steuerbaren Vermügens; 2. ohne Rücksicht auf Staats- 
angehörigkeit, Wohnsitz oder Aufenthalt alle physischen Personen nach dem Werte 
a) ihres im Herzogtum belegenen Grundbesitzes, b) ihres dem Betrieb der Land- und 
Forstwirtschaft, einschliefslich der Viehzucht, des Wein-, Obst- und Gartenbaues, dem 
Betriebe des Bergbaues oder eines stehenden Gewerbes im Herzogtum dienenden. An- 
lage- und Betriebskapitals ; 8. die ruhende Erbschaft, insoweit dieselbe der Einkommen- 
steuer unterliegt (4 2). Von der Ergänzungssteuer befreit sind die gemäfs 3 4 des 
Einkommensteuergesetzes zu No. 1 und 2 von der Einkommenstener befreiten Personen 
(2 3). II. Mafsstab der Besteuerung. 1. Steuerbares Vermögen. Der Be- 
steuerung unterliegt das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen nach Abzug 
der Schulden, I. Als stenerbares Vermögen gelten insbesondere 1. Grundstücke nebst 
allem Zubehör, Bergwerkseigentum, dingliche Rechte, welche einen in Geld schätzbaren 
Wert haben. 2. Anlage- und Betriebskapital cf. oben I, 2, b; 3. das sonstige Kapital- 
vermögen. II. Von der Besteuerung sind ausgeschlossen: 1. Die aufserhalb des Herzog- 
tums belegenen Grundstücke, 2. Anlage- und Betriebskapital aufserhalb des Herzogtums. 
III. Als steuerbares Vermögen gelten nicht bewegliche körperliche Sachen, insofern die- 
selben nicht als Zubehör oder Bestandteile anzusehen sind (5 4). Vom Kapitalwert sind 
in Abzug zu bringen die dinglichen und persönlichen Kapitalschulden aufser den Haus- 
haltungsschulden und der Kapitalwert bestimmter periodischer geldiwerter Leistungen, 
2. B. der Renten und Altenteile (2 8). 2. Wertbestimmung. 3. Besteuerungs- 
grenze. Zur Ergünzungssteuer werden nicht herangezogen: 1. diejenigen Personen, 
deren steuerbares Vermögen den Gesamtwert von 6000 M. nicht übersteigt; 2. diejenigen 
Personen, deren nach Mafsqube des Einkommensteuergesetzes zu berechnendes Jahres- 
einkommen den Betrag von 900 M. nicht übersteigt, insofern der Gesamtwert ihres 
steuerbaren Vermögens nicht mehr als 12000 M. beträgt; 8. weibliche Personen, welche 
minderjährige Familienangehörige zu unterhalten haben, vaterlose minderjährige Waisen 
und Erwerbsunjähige, insofern das steuerbare Vermögen der bezeichneten Personen den 
Betrag von 20000 M. und das nach Mafsgabe des Einkommenstenergesetzes zu berech- 
mende Jahreseinkommen derselben den Betrag von 1200 M. nicht übersteigt (2 17). II. 
Steuersätze. 1. Steuertarif. Für ein Vermögen von 6000—8000 M.: 1,50 M., stei- 
gend um 50 Pfg. für je 2000 M. des Vermögens von 8000 —24 000 M., um 1 M. für je 
4000 M. des Vermögens von 24000—60000 M., um 2,50 M. für je 10000 M. des Ver- 
mögens von 60000 — 200000 M., um 5 M. für je 20000 M. des Vermögens über 200 000 M. 
B 18). 2. Berücksichtigung besonderer Verhältnisse. Steuerpjlichtigen, 
welchen auf Grund des 2 19 des Einkommenstenergesetzes eine Ermäjsigung der Ein- 
kommensteuer gewährt wird, kann bei der Veranlagung auch eine Ermäfsigung der Er- 
gänzungssteuer um höchstens 2 Stufen gewährt werden, sofern das steuerprlichtige Ver- 
mögen nicht mehr als 32000 M. beträgt (2 19). IV. Veranlagung. 1. Ort und 
Vorbereitung der Veranlagung. 2. Veranlagungsverfahren. Die Ver- 
anlaqung erfolgt gleichzeitig mit der Veranlagung der Einkommensteuer durch die Veran- 
lagungskommission. Eine Voreinschätzung durch eine Voreinschätzungskommission findet 
nicht statt (£ 22). Für jeden Veranlagungsbezirk wird ein Schätzungsausschufs gebildet, 
der die behufs Veranlagung erforderlichen Wertermittelungen vorzunehmen und 
den Wert des steuerbaren Vermögens zu begutachten hat (22 23, 24). Die Steuer- 
pflichtigen sind berechtigt, ihr steuerbares Vermögen anzugeben oder diejenigen thatsich- 
lichen Mitteilungen zu machen, deren die Veranlagungskommission zur Schätzung des 
Vermögens bedarf — Vermögensanzeige — unter der Versicherung, dafs die Angaben 

nach bestem Wissen und Gewissen gemacht sind (2 26). Der Vorsitzende der Veran- 
lagungskommission hat nach Einholung des Gutachtens des Schätzungsausschusses das 

nach seinem Ermessen für jeden Steuerpflichtigen zutreffende Vermögen in die Steuer- 

liste einzutragen, den nach Vorschrift des Gesetzes zu entrichtenden Steuersatz vorzu- 

schlagen und die Verhandlungen der Veranlagungskommission zur Beschlufsfassung vor- 

zulegen (2 27). Die Veranlagungskommission prüft das Gutachten des Schätzungsaus- 

schusses, die Steuerliste und die eingegangene Vermögensanzeige und setzt den nach 

ihrem Ermessen zutreffenden Steuersatz fest (23 28—80). 3. Rechtsmittel. V. Ver- 

anlaqungsperiode und Veränderungen der veranlagten Steuer inner- 

halb derselben. Die Veranlagung zur Ergänzungssteuer erfolgt für eine Periode 

von 4 Steuerjahren (2 83), VI. Steuererhebung. VII. Strafbestimmungen. 

VIII, Schlufsbestimmungen. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 793 


Gesetz, betr. die Erhebung der Ergänzungssteuer auf Grund des 
Ergänzungssteuergesetzes vom 11. März 1899. Vom 11. März 1899, 
No. 16. 

Bekanntmachung, betr. die Ausführungsvorschriften zum Ergän- 
zungssteuergesetz vom 11. März 1899 und Aenderungen der Ausführungs- 
vorschriften zum Staatseinkommensteuergesetz vom 16. April 1896. Vom 
11. März 1899, No. 18. 

Bekanntmachung, betr. die Fristen, innerhalb welcher das Veran- 
lagungsverfahren zur Staatseinkommensteuer und Ergänzungssteuer zu 
erledigen ist. Vom 22. August 1899, No. 70. 

Gesetz, das Halten von Zuchthengsten betr. Vom 13. März 1899, 
No. 20. 

Gesetz, betr. die Bauordnung für das Herzogtum Braunschweig. 
Vom 13. März 1899, No. 25. Anweisung zur Ausführung desselben in 
der Bekanntmachung vom 7. September 1899, No. 77. 

Gesetz, betr. Abänderung und Ergänzung der Bauordnung für das 


Herzogtum Braunschweig vom 13. März 1899. Vom 27. Oktober 1899, 
No. 96. 


Gesetz, betr. die Zusammensetzung der Landesversammlung. Vom 
6. Mai 1899, No. 31. 


Die Landesversammlung besteht aus 48 Abgeordneten, von welchen 30 durch all- 
gemeine Wahlen — und zwar 15 in den Stadtgemeinden, 15 in den Landgemeinden — 
die übrigen 18 in besonderen Wahlen von den angestellten Geistlichen der evangelischen 
Landeskirche, den Grofsgrundbesitzern, den Gewerbetreibenden, den wissenschaftlichen 
Berufsständen und den höchstbesteuerten Einkommensteuerpflichtigen gewählt werden 
(22 1, 4). Wählbar ist jeder männliche Braunschweigische Staatsangehörige, der das 
80. Lebensjahr zurückgelegt und mindestens ein Jahr lang vor seiner Wahl in Braun- 
schweig seinen Wohnsitz gehabt hat. Nicht wählbar ist, wer rechtskräftig zu Freiheits- 
strafen wegen einer Strafthat verurteilt ist, für welche auf Verlust der bürgerlichen 
Ehrenrechte erkannt werden kann, wer sich im Konkurse befindet oder für seine Person 
oder sein Vermögen unter Vormundschaft oder Pflegschaft steht, endlich wer auf Grund 
der Geschäftsordnung auf immer von der Landesversammlung ausgeschlossen ist. Aktive 
Militärpersonen sind wählbar, aber nicht wahlberechtigt (4 7). Die Wahlen der Ab- 
geordneten der Stadt- und Landgemeinden sind mittelbare. Die Wahlberechtigten wählen, 
eingeteilt nach dem Mafse der von ihnen aufgebrachten direkten Gemeindesteuern, in 
drei Klassen, auf deren jede ein Dritteil der Steuern fällt, als Urwähler die Wahl- 
männer und zwar jede Klasse für sich die gleiche Zahl. Die Wahlmiänner aller drei 
Klassen wählen vereint die Abgeordneten (2 8). Die Wahl kann abgelehnt werden 
(2 9. Civilbeamte, Geistliche und Schullehrer bedürfen keines Urlaubs (3 10). Die 
Wahlperiode der Landesversammlung dauert 4 Jahre, auch im Falle einer Neuwahl 
nach Auflösung der Landesversammlung (2 11). Wiederwahl ist zulässig (2 12). Der 
Auftrag der Abgeordneten erlischt mit Zeitablauf und Auflösung der Versammlung, 80- 
bald die neue Wahl des betrefienden Wahlkörpers beendigt ist; durch Wegfall einer 
der Voraussetzungen der Wählbarkeit; Annahme eines neuen Staats- oder Hofamts ; 
Niederlegung; geistige oder körperliche Unfähigkeit; zur Strafe (ë 13). Die folgenden 
Bestimmungen betreffen den Ausschufs der Landesversammlung, der, aus 7 Personen 
bestehend, bei Vertagung, Verabschiedung oder Auflösung des Landtages vor dessen 
Auseinandergehen gewählt wird (23 14—18). Auf die so gebildete Landesversammlung 
und deren Ausschufs gehen alle Rechte und Pflichten über, welche nach dem Landes- 
grundgesetz vom 12. Oktober 1832 der Ständeversammlung und deren Ausschufs zustehen 
und obliegen (2 19). Dieses Gesetz bildet einen Teil des Landesgrundgesetzes und kann 
nur, wie dieses Landesgrundgesetz selbst, authentisch interpretiert, abgeändert oder auf- 
gehoben werden. Es tritt am 1. Januar 1900 in Kraft. 


794 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Wahlgesetz. Vom 6. Mai 1899, No. 32. Dazu Bekanntmachung 
des Herzoglichen Staatsministeriums, betr. Ausführungsbestimmungen zum 
Wahlgesetz. Vom 6. September 1899, No. 75. Ergänzung desselben 
durch Bekanntmachung vom 1. Oktober 1899, No. 80 und Bekannt- 
machung vom 9. Dezember 1899, No. 103. 

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche Vom 12. Juni 
1899, No. 36. 

Verordnung, betr. die Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs. 
Vom 1. August 1899, No. 64. 

Bekanntmachung des herzoglichen Staatsministeriums, betr. Aus- 
führungsbestimmungen zu den $$ 980, 981, 983 des Bürgerlichen Ge- 
setzbuches. Vom 9. Oktober 1899, No. 90. 

Ausführungsgesetz zur Reichsgrundbuchordnung vom 24. März 1897. 
Vom 12. Juni 1899, No. 37. 

Bekanntmachung des Herzoglichen Staatsministeriums, Abteilung der 
Justiz, betr. eine allgemeine Verfügung zur Ausführung der Reichsgrund- 
buchordnung. Vom 7. Juli 1899, No. 61. Eine Abänderung derselben 
in der Bekanntmachung vom 15. September 1899, No. 76. 

Verordnung, betr. die Ausführung der Reichsgrundbuchordnung, 
sowie die Anlegung der Grundbücher. Vom 12. Juni 1899, No. 50. 

Gesetz, den Gebührentarif für Grundbuchsachen betr. Vom 12. Juni 
1899, No. 48. 

Ausführungsgesetz zum Gesetz über die Angelegenheiten der frei- 
willigen Gerichtsbarkeit. Vom 12. Juni 1899, No. 38. 

Bekanntmachung des Herzoglichen Staatsministeriums, Abteilung der 
Justiz, Ausführungsbestimmurgen zu den Angelegenheiten der freiwilligen 
Gerichtsbarkeit und anderen Angelegenheiten betr. Vom 13. Oktober 
1899, No. 88. 

Ausfübrungsgesetz zu dem Reichsgesetz über die Zwangsver- 
steigerung und Zwangsverwaltung vom 24. März 1897. Vom 12. Juni 
1899, No. 39. Anweisung zur Ausführung dieses Gesetzes. Vom 10. No- 
vember 1899, No. 98. 

Kostengesetz zu dem Reichsgesetz über die Zwangsversteigerung 
und die Zwangsverwaltung vom 24. März 1899 und zu dem zu diesem 
Gesetze erlassenen Ausführungsgesetze vom 12. Juni 1899. Vom 
12. Juni 1899, No. 49. 

Gesetz über das Hinterlegungwesen. Vom 12. Juni 1899, No. 40. 
Dazu Bekanntmachung vom 19. Dezember 1899, No. 108. 

Ausführungsgesetz zum Handelsgesetzbuche. Vom 12. Juni 1899, 
No. 41. 

Gesetz, betr. die Abänderung des Gesetzes über das Verwaltungs- 
zwangsverfahren wegen Beitreibung von Geldbeträgen vom 9. April 1888. 
Vom 12. Juni 1899, No. 43. 

Gesetz, betr. die Abänderung und Ergänzung des Ausführungsge- 
setzes zum deutschen Gerichtskostengesetze u. s. w. vom 11. Juli 1897. 
Vom 12. Juni 1899, No. 47. Dazu Bekanntmachung vom 13. September 
1899, No. 89. 

Bekanntmachung des herzoglichen Staatsministeriums, Abteilung der 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 795 


Justiz, betr. die Anweisung über Führung des Handelsregisters. Vom 
7. Juli 1899, No. 58. 

Bekanntmachung des herzoglichen Staatsministeriums, Abteilung 
der Justiz, betr. eine Abänderung der Bekanntmachung vom 18. Dezember 
1895 über die Führung der Schiffsregister. Vom 13. Oktober 1899, 
No. 86. 

Bekanntmachung des herzoglichen Staatsministeriums, Abteilung der 
Justiz, betr. die Anweisung über die Führung des Vereinsregisters und 
des Güterrechtsregisters. Vom 9. Oktober 1899, No. 91. 


Gesetz wegen Abänderung der Gesindeordnung. Vom 12. Juni 1899, 
No. 45. 

Bekanntmachung, enthaltend die „abgeänderte Gesindeordnung für 
das Herzogtum Braunschweig“ in der vom 1. Januar 1900 an geltenden 
Fassung. Vom 16. August 1899, No. 691). 


1. Von dem Begriffe des Dienstvertrags und den dabei vorkommenden Personen. 
2. Von der Eingehung des Dienstvertrags. 8. Von der Aufhebung des Dienstvertrags 
vor Antretung des Dienstes. 4. Von den Pflichten des Gesindes. 5. Pflichten der Herr- 
schaft. 6. Von der Aufhebung des Dienstverhältnisses nach Antretung des Dienstes. 
?. Allgemeine Bestimmungen. 8. Verfahren in Gesindesachen. 


Gesetz, betr. die Zwangserziehung Minderjähriger. Vom 12. Juni 
1899, No. 46. Anweisung zur Ausführung dieses Gesetzes. Vom 10. No- 
vember 1899, No. 98. 

Gesetz, betr. Abänderung des Berggesetzes vom 15. April 1867. 
Vom 12. Juni 1899, No. 44. 


II. An Stelle des Z 52: Das Bergwerkseigentum wird durch die von der Berg- 
behörde erteilte Verleihung bezw. durch den von der Bergbehörde gefafsten Beschlufe 
(cf. oben Gesetz vom 25. Februar 1899 durch die von der Bergbehörde bestätigte 
Konsolidation, Teilung oder Vertauschung von Grubenfeldern und Feldesteilen er- 
worben. Für das auf diese Weise begründete Bergwerkseigentum finden, vorbehaltlich 
besonderer Bestimmungen, die sich auf Grundstücke beziehenden Vorschriften des B.G.B. 
entprechende Anwendung. IV. An Stelle des Z 54. Die für den Erwerb des Eigen- 
tums und die Ansprüche aus dem Eigentum an Grundstücken geltenden Vorschriften 
des B.G.B. finden auf das Bergwerkseigentum entsprechende Anwendung, soweit nicht 
ein anderes bestimmt ist. V. XV. Aufhebung von ZZ 55, 144. VI. Der Hilfsbau gilt 
als Bestandteil. Die übrigen Bestimmungen betreffen hauptsächlich durch das B.G.B. 
nötig gewordene Ergänzungen und Veränderungen von geringerer Wichtigkeit. 


Gesetz, die Abänderung des Gesetzes vom 15. April 1867 wegen 
der Veranlagung und Erhebung der Bergwerksabgaben betr. Vom 
20. Juni 1899, No. 52. 


Die nach dem Gesetz vom 15. April 1867 mit Un des Wertes der abgesetzten 
Produkte zu entrichtende Bergwerksabgabe wird auf 11/, Proz. des Wertes der abge- 
setzten Produkte ermüfsigt. 


Wegeordnung. Vom 29. Juni 1899, No. 56. 


I. Allgemeine Bestimmungen. II. Von der Verbindlichkeit zur Herstellung und 
Unterhaltung der Strafsen und Wege. 1. Von den Interessenten, welchen die Ver- 
pflichtung obliegt. 2. Von der Verteilung der Wegebaulast. a) unter die Gemeinden 
und Gemarkungen. b) Unterverteiluug in den Gemeinden und Gemarkungen. III. Von 
der Herstellung und Einrichtung der Strafsen und Wege. IV. Von den Abtretungen 
der Grundstücke, welche zu den Wegen verwendet werden, und der Entschädigung dafür. 
V. Von den Wegebesserungsabgaben und Wegegeldern. 


1) Vergl. die Anmerkungen zur Gesindeordnung Württembergs. 


796 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Bekanntmachung, die Bestallung des herzoglichen Finanzkollegiums 
hierselbst als Aufsichtsbehörde über die im Herzogtum bestehenden 
bezw. noch sich bildenden Hypothekenbanken betr. Vom 4. Oktober 
1899, No. 81. 

Landtagsabschied des 24. ordentlichen Landtages. Vom 14. September 
1899, No. 83. Anlage A. Staatshaushaltsetat für das Etatsjahr 1899/1900 
der Finanzperiode 1. April 1898/1900. 


Die Einnahmen betragen 14 286700 M., darunter direkte Steuern in Höhe von 
2 056 500 M. und indirekte im Betrage von 4 894 580 M. Die Ausgaben betragen 14 430 000 
M., so dafs ein Fehlbetrag von 193 300 M. sich ergiebt. 


Verordnung zur Ausführung des Reichsgesetzes, betr. die Erwerbs- 
und Wirtschaftsgenossenschaften. Vom 20. Oktober 1899, No. 93. 


Aufhebung der Verordnungen vom 15. Januar 1869, vom 29. August 1889 und 
vom 26. November 1896. 


Bekanntmachung des herzoglichen Staatsministeriums zur Aus- 
führung des Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899. Vom 
8. Dezember 1899, No. 102. 


Sachsen-Meiningen. 


Sammlung der landesherrlichen Verordnungen im Her- 
zogtum Sachsen-Meiningen. Bd. XXIII. 


Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Vom 9. August 
1899, S. 333. 

Gesetz über das Ehegüterrecht. Vom 10. August 1899, S. 368. 

Nachtragsgesetz zum Berggesetz vom 17. April 1868. Vom 
11. August 1899, S. 392. 

An Stelle des Art. 50: Das Bergwerkseigentum wird durch Verleihung begründet, 
sowie durch Konsolidation, Teilung von Grubenfeldern oder Austausch von Feldesteilen 
erworben. Für das Bergwerkseigentum gelten, vorbehaltlich besonderer Bestimmungen 
des Beruygesetzes, die sich auf Grundstücke beziehenden Normen des B.G.B. Entsprechende 
Anwendung finden die für den Erwerb des Eigentums und die Ansprüche aus dem 
Eigentum an Grundstücken geltenden Vorschriften. Aufhebung von Art. 52 und 58. 
Der Hilfsbau gilt als Bestandteil. Das Bergwerk wird auf den Namen der Gewerk- 
schaft in das Berggrundbuch eingetragen. Die Kure sind unteilbar und gehören zum 
beweglichen Vermögen. Die durch die Bestellung eines Repräsentanten entstehenden 
Rechtsverhältnisse sind nach den allgemeinen Vorschriften über die Vollmacht und den 
Auftrag zu beurteilen. — Die übrigen neuen Bestimmungen sind weniger wichtig. 


Gesetz, betr. die öffentlichen Lasten. Vom 12. August 1899, S. 395. 


Art. 1. Als öffentliche Abgaben und Leistungen haften auf dem Grundstück: 
1. Die Grund- und Gebäudesteuer; 2. die nach der Grund- und Gebäudesteuer umge- 
legten Abgaben an Gemeinden, Gemarkungen und Kreise und an die Kirchengemeinden; 
3. die Kosten der Hutablösung und der Grundstückszusammenlegung' und die Teilbeträge 
an den zu deren Bestreitung von der Landeskreditanstalt oder von der Gemeinde ge- 
anährten Darlehen und die Zins- und Tilgungsrenten dafür; 4. die im Gesetz vom 
6. Mai 1872 begründete Verpflichtung zur Tragung der Kosten der Feststellung der 
einem Triebwerk zustehenden Wasserbenutzung, der Kosten der Wasser- und Uferbauten 
und einer auf Grund des Art. 67 dieses Gesetzes ausgeführten Anlage und deren Unter- 
haltung, sowie die Teilbeträge an den zur Errichtung dieser Anlage von der Landes- 
kreditanstalt gewährten Darlehen und die Zins- und Tilqungsrenten dafür; 5. die durch 
Ortsgesetz den Grundbesitzern auferlegten Beiträge an die Gemeinden zur Herstellung 
und Unterhaltung Öfentlicher Einrichtungen, besonders diejenigen, die nach den auf 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 797 


Grund des Gesetzes vom 26. März 1888, betr. die Heranziehung der Anlieger zu den 
Kosten der Anlegung und Veränderung von Strafsen, errichteten Ortsstatuten zu zahlen 
sind. Art. 2: Die Verpflichtung zu der Leistung trifft den jeweiligen Eigentümer des 
Grundstücks; dieser hat die laufenden Leistungen, sowie die Rückstände zu entrichten, 
unbeschadet der Verpflichtung der Vorbesitzer zur Abtragung der Rückstände. Art. 8: 
Die öffentlichen Abgaben und Leistungen sind nicht im Grundbuch einzutragen, 

Gesetz zur Ausführung des Handelsgesetzbuches. Vom 13. August 
1899, S. 397. 

Gesetz zur Ausführung der Reichsgrundbuchordnung vom 24. März 
1897. Vom 14. August 1899, S. 399. 

Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit. Vom 15. August 1899, 
S. 405. 

Gesetz zur Ausführung des Reichsgesetzes vom 17. Mai 1898, betr. 
Aenderungen der Civilprozeßordnung. Vom 16. August 1899, S. 435. 

Gesetz zur Ausführung des Reichsgesetzes über die Zwangsver- 
steigerung und die Zwangsverwaltung. Vom 17. August 1899, S. 441. 

Ministerial-Bekanntmachung zur Ausführung des Invalidenversiche- 
rungsgesetzes. Vom 9. Dezember 1899, S. 477. 

Verordnung über das Handelsregister. Vom 11. Dezember 1899, 
S. 479. 

Verordnung, betr. das Grundbuch. Vom 16. Dezember 1899, S. 484. 

Gesetz über die Gerichtskosten. Vom 22. Dezember 1899, S. 487. 

Gesetz über die Gebühren der Rechtsanwälte. Vom 23. Dezember 
1899, S. 547. 

Gesetz, betr. das Hinterlegungswesen. Vom 27. Dezember 1899, 
S. 553. Dazu Ministerial-Bekanntmachung vom 27. Dezember 1899, 
S. 560. 

Ministerial-Bekanntmachung zur Ausführung des Telegraphenwege- 
gesetzes vom 18. Dezember 1899. Vom 27. Dezember 1899, S. 582. 


Sachsen-Altenburg. 


Gesetzsammlung für das Herzogtum Sachsen-Altenburg 
auf das Jahr 1899. 


Gesetz, die anderweitige Regelung der Besoldungsverhältnisse der 
Geistlichen betr. Vom 7. Januar 1899, S. 1. 

Gesetz, die anderweite Regelung der Besoldungsverhältnisse der 
Volksschullehrer betr. Vom 7. Jannar 1899, S. 3. 

Gesetz, betr. die Aufhebung von Befreiungen hinsichtlich der 
Kirchen- und Schullastenpflicht. Vom 7. Januar 1899, S. 7. 

Aufhebung der Befreiungen der Geistlichen, Schullehrer und Kirchendiener des 
betr. Verbandes, sowie der Gensdarmen von der Beitragspflicht zu den Kirchen- und 
Schullasten hinsichtlich ihres Diensteinkommens. 

Bekanntmachung des Herzoglichen Ministeriums, Abteilung des 
Innern, die Arzneitaxe für das Jahr 1899 betr. Vom 2. Januar 1899, S. 9. 

Bekanntmachung des Herzoglichen Ministeriums, Abteilung des 
Innern, betr. die Erteilung von abgekürzten Standesregisterauszügen in 
Angelegenheiten der Kranken-, Unfall-, Invaliditäts- oder Altersver- 
sicherung und der Hinterbliebenen-Fürsorge. Vom 22. März 1899, S. 21. 


798 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Bekanntmachung des Herzoglichen Ministeriums, Abteilung des 
Innern, betr. die Saatenstands- und Erntenachrichten. Vom 29. März 
1899, S. 241). 

Bekanntmachung des Herzoglichen Ministeriums, Abteilung des 
Innern, die Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern 
in Ziegeleien betr. Vom 7. April 1899, S. 25. 

Feststellung der auszuhängenden Auszüge für diejenigen Ziegeleien, welche von 
den Bestimmungen unter Ziffer II der Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 18. Ok- 
tober 1898 Grbrauch machen. 

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Vom 4. Mai 1899, 
S. 31. 

Ausführungsgesetz zur Civilprozelordnung. Vom 4. Mai 1899, 
H 64. 

Ausführungsgesetz zur Konkursordnung. Vom 4. Mai 1899, S. 68. 

Ausführungsgesetz zur Grundbuchordnung. Vom 4. Mai 1899, 
S. 69. Dazu: Höchste Verordnnng vom 5. September 1899, S. 141. 

Ausführungsgesetz zum Reichsgesetz über die Zwangsversteigerung 
und Zwangsverwaltung. Vom 4. Mai 1899, S. 74. 

Ausführungsgesetz zum Reichsgesetz über die Angelegenheiten der 
freiwilligen Gerichtsbarkeit. Vom 4. Mai 1899, S. 80. 

Höchste Verordnung zur Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuches 
und seiner Nebengesetze. Vom 24. Juni 1899, S. 103. 

Bekanntmachung des Herzoglichen Ministeriums, Abteilung des 
Innern, die Hauptmängel und Gewährfristen beim Viehhandel betr. Vom 
12. Dezember 1899, S. 469. 

Hinterlegungsordnung. Vom 8. September 1899, S. 209. 

Verordnung des Herzoglichen Ministeriums, Abteilung für Justiz- 
angelegenheiten, die Führung des Vereinsregisters und des Güterrechts- 
registers betr. Vom 20. November 1899, S. 315. 

Verordnung des Herzoglichen Ministeriums, Abteilung für Justiz- 
angelegenheiten, die Führung des Handelsregisters betr. Vom 21. No- 
vember 1899, H 331. 

Verordnung des Herzoglichen Ministeriums, Abteilung für Justiz- 
angelegenheiten, die Führung des Genossenschaftsregisters betr. Vom 
23. November 1899, S. 350. 

Bekanntmachung des Herzoglichen Ministeriums, Abteilung für 
Justizangelegenheiten, Berichtigungen zu einigen behufs Ausführung des 
Bürgerlichen Gesetzbuches ergangenen Verordnungen betr. Vom 30. De- 
zember 1899, S. 480. 

Gesetz, den Ersatz von Wildschaden betr. Vom 20. De- 
zember 1899, S. 359. 

Sachsen - Altenburgische Kostenordnung für die Gerichte. Vom 
24. Dezember 1899, S. 361. 

Sachsen - Altenburgische Kostenordnung für Notare und Rechts- 
anwälte. Vom 24. Dezember 1899, S. 407. 

Verordnung des herzoglichen Ministeriums, Abteilung des Innern, 


1) Vergl. die Anmerkungen zu der württembergischen Verfügung vom 15. März 1899. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 799 


betr. die Einführung von Gänsen zu Handelszwecken. Vom 25. August 
1899, S, 139. 

Anweisung zur Ausführung der Bekanntmachung des Bundesrates, 
betr. die Einrichtung und den Betrieb der Roßhaarspinnereien, Haar- 
und Borstenzurichtereien, sowie der Bürsten- und Pinselmachereien. 
Vom 13. September 1899, S. 227. 

Gesamtministerial-Bekanntmachung, betr. die Errichtung einer ge- 
meinsamen Handwerkskammer für das Herzogtum Sachsen-Altenburg 
und das Fürstentum Reuß jüngerer Linie. Vom 25. Oktober 1899, 
S. 233. 


Betrifft Errichtung einer gemeinsamen Handwerkskammer in Gera. 

Verordnung des Herzoglichen Gesamtministeriums, die Ausführung 
des Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899 betr. Vom 
24. November 1899, S. 357. 

Gesamtministerial-Bekanntmachung, die Wahl der Vertreter der 
Arbeitgeber und der Versicherten nach $ 63 des Invalidenversicherungs- 
gesetzes vom 13. Juli 1899 betr. Vom 4. November 1899, S. 235. 

Gesetz, betr. die Abänderung des Einkommensteuergesetzes vom 
24. April 1896. Vom 23. Dezember 1899, S. 468. 


Aenderung der Strafbestimmungen. 
Gesetz, betr. die Stempelsteuer. Vom 24. Dezember 1899, S. 419. 


Der Stempelsteuer sind die in einem angefügten Tarif angeführten Urkunden der- 
gestalt unterworfen, dafs stempelpflichtig sind Versichungsverträge und Versteigerungs- 
protokolle unbedingt, die übrigen Urkunden dann, wenn sie von einer Öffentlichen Be- 
hörde oder von einem Notar aufgenommen oder ausgefertigt sind oder bei einer öffent- 
lichen Behörde oder bei einem Notar vorgelegt oder eingereicht werden (3 II). Befreit 
von der Steuer sind unter anderen alle Urkunden über Rechtsgeschäfte, deren Wert aus- 
schliefslich Zinsen und Kosten 150 M. nicht beträgt?), sowie beglaubigte Abschriften für die 
den Zustellungsurkunden beizufügenden Schrijtstücke (2 2). Die Verpflichtung zur Ent- 
richtung des Stempels trifft, soweit der Tarif nichts Abiweichendes bestimmt, bei behörd- 
lichen oder notariellen Ausfertigungen oder Beurkundungen denjenigen, durch den die 
Ausfertigung oder Beurkundung veranlafst wird); bei Verträgen, die nur für einen 
Teil Verpflichtungen begründen, diesen Teil, sonst beide Teile anteilig; bei einseitigen 
Willenserklärungen denjenigen, der die Erklärung abgiebt*); bei Versicherungsverträgen 
den Agenten, welcher die Versicherung abgeschlossen oder vermittelt hat, sowie den 
Versicherten; bei Versteigerungsprotokollen, vorbehaltlich des Rückgriffs gegen den 
Auftraggeber, denjenigen, unter dessen Leitung die Versteigerung ansgeführt wird 
(2 7)5). Es folgen eingehende Bestimmungen über die Folgen der Nichterfüllung der 
Stempelpflicht, über das Verfahren bei Feststellung von Stempelbeträgen, Erstattung 
bereits verwendeter Stempelmarken und die Rechtsmittel gegen die Abforderung von 
Stempelbeträgen. 


1) Schaumburg-Lippe: Alle in einem anliegenden Tarif aufgeführten Urkunden, 
welche mit dem Namen oder der Firma des Ausstellers unterzeichnet sind, insoweit 
nicht entgegenstehende Bestimmungen vorliegen. Mecklenburg-Schwerin: Alle in dem 
Tarif aufgeführten Urkunden. 

2) Entsprechend: Schaumburg-Lippe. Nicht: Mecklenburg-Schwerin ; jedoch hier 
eine Reihe anderer Befreiungen. 

3) Entsprechend: Schaumburg-Lippe. Mecklenburg-Schwerin: Für den zu einem 
Vertraue zu entrichtenden Stempel haften alle Vertragschließenden als Gesmntschuldner. 

4) Entsprechend: Schaumburg-Lippe. 

5) Entsprechend: Schaumburg-Lippe. 

(Fortsetzung folgt.) 


800 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Nachdruck verboten. 


VII 
Zur Reform des Bôrsengesetzes. 


Von Dr. Günther Siegfried Freund, Regierungsrat in Berlin. 


Wohl selten hat ein neueres Gesetz so viele Anfeindungen er- 
fahren als das Reichsbörsengesetz vom 22. Juni 1896. Bekannt ist das 
scharfe Urteil, das bereits ein Jahr nach seinem Erlaß Max Weber im 
Handwörterbuch der Staatswissenschaften (II. Supplementband Art. Börsen- 
gesetz) über die Gesamttendenz des Gesetzes und seine einzelnen Be- 
stimmungen gefällt hat. Mit Recht ist aber in allerjüngster Zeit von 
Schmoller betont worden !), daß die Bundesregierungen, die preußische 
Regierung und die Reichstagsmajorität gegenüber den vorhandenen 
Börsenmißbräuchen wohl Ursache hatten, eine Reform der Börse zu ver- 
suchen. In solchen Materien wesentlich sozialpolitischen Inhaltes könne 
keine Wissenschaft und keine praktische Sachkenntnis a priori den 
richtigen Weg vorschreiben, er müsse experimentierend gefunden werden. 
Sehe man ein, daß man mit dem Gesetz fehlgegriffen habe, zu weit 
gegangen sei, so müsse man dies ehrlich zugestehen und das Gesetz 
korrigieren. Die meisten Angriffe haben von allen Bestimmungen seit 
Beginn die gesetzlichen Vorschriften über den Terminhandel erfahren, 
d. h. der IV. Abschnitt des Börsengesetzes, was sich leicht daraus er- 
klären läßt, daß sie am allerstärksten in den bisherigen Börsenverkehr 
regelnd und normierend eingegriffen haben. Eine kräftige jahrelange 
Agitation, sowie das Hervortreten wirklich vorhandener Mängel hat 
eine Reform dieses Abschnittes des Gesetzes in erster Linie vorbereitet. 

Nach den Erklärungen, die in der Sitzung des preußischen Ab- 
geordnetenhauses vom 20. Februar d. J. seitens des Handelsministers 
Brefeld und der Vertreter der maßgebenden Parteien abgegeben worden 
sind, ist nicht mehr daran zu zweifeln, daß sie nunmehr in Angriff ge- 
nommen werden wird. Aus diesen Erklärungen war aber gleichzeitig 
zu entnehmen, in welchen Richtungen diese Reform gedacht ist, welche 
Grenzen sie einhalten soll. Als Leitsatz wurde von den in Betracht 
kommenden Mehrheitsparteien und von dem Minister an die Spitze ge- 


1) Im Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung cete., 1901, S. 289, Redaktions- 
anmerkung zu dem Aufsatz von Goldenbaum „Auflösung und Wiederherstellung der 
Berliner Produktenbörse.“ 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 801 


stellt, daß eine Aenderung sich nur in dem Rahmen der dem bestehenden 
Gesetze zu Grunde liegenden Grundgedanken vollziehen dürfe und könne. 
Es ergab sich ferner deutlich, daß die Reform sich nicht auf alle Teile 
des Börsengesetzes, vielmehr nur auf die Bestimmungen über den Termin- 
handel, d. h. den Abschnitt IV des Börsengesetzes, erstrecken solle, 
aber auch hier nur, soweit es sich um Mißstände handele, die aus der 
zur Zeit herrschenden Rechtsunsicherheit auf dem Gebiet der Börsen- 
geschäfte erwachsen. Bekanntlich hat der Minister es als seinen Wunsch 
bezeichnet, daß eine freie Kommission berufen werde, die aus Vertrauens- 
männern der Parlamente, der beteiligten Berufskreise und aus Autoritäten 
des Handelsrechtes besteht, und mit diesen erörtert werde, in welcher 
Begrenzung eine Remedur erreichbar und möglich sei, ohne den Grund- 
gedanken und die Tendenz des Gesetzes zu berühren, und mit einem 
entsprechenden Antrag ist er auch an die Reichsregierung herangetreten. 
Da es unzweifelhaft erscheint, daß die Reichsregierung diesem Antrag 
stattgeben wird, und daher die Einberufung einer Kommission in ab- 
sehbarer Zeit zu erwarten steht, so ist es jedenfalls angemessen, zu 
erörtern, auf welche Gebiete sich diese Reform erstrecken darf, wenn 
sie in den ihr durch die Wünsche der maßgebenden Parteien gesteckten 
Grenzen bleiben soll, und gleichzeitig die hervorgetretenen Reform- 
vorschläge einer Besprechung zu unterziehen. 

Zunächst mag hervorgehoben werden, daß für eine Beseitigung des 
Terminhandelsverbotes in Getreide und Mühlenfabrikaten ($ 50, Abs. 3) 
des Börsengesetzes Stimmung bisher nicht vorhanden ist und sich wohl 
auch kaum sobald finden wird. Freilich ist dies ein hohem Male zu be- 
dauern. Die Erfahrung hat gezeigt, daß man ohne einen Börsen- 
terminhandel in Getreide in Deutschland, als einem auf den Getreide- 
import notwendig angewiesenen Lande, nicht auskommen kann. Bekanntlich 
sind an der wichtigsten deutschen Getreidebörse, in Berlin, unter Mit- 
wirkung der Regierung, durch Aufstellung eines Formulares zu einer 
Schlußnote für Zeitgeschäfte im effektiven Getreide, Ersatzformen ge- 
schaffen worden, die sich lediglich infolge der mangelhaften Fassung 
der gesetzlichen Bestimmungen rechtlich ermöglichen ließen. Aber einer- 
seits ist es vom politischen Standpunkt bedenklich und führt keineswegs 
zur Stärkung der gesetzlichen Autorität, wenn man ein vom Gesetz ver- 
botenes Geschäft durch eine Hinterthür wieder hereinschlüpfen läßt, 
wenn auch tacito consensu aller Beteiligten. Andererseits ist nicht zu 
verkennen, daß jene Ersatzformen, trotz aller milden und lässigen Hand- 
habung des Gesetzes, nur unvollkommen funktionieren können und den 
Getreidehandel in der Erfüllung seiner Aufgabe dauernd beunruhigen 
und beeinträchtigen müssen. Mit Recht ist daher die Aufhebung des 
Terminhandelsverbotes in Getreide von sachverständigster Seite gefordert 
worden, so in letzter Zeit von Wiedenfeld!), Goldenbaum?) und auch 


1) Vergl. dessen Abhandlung „Organisation des deutschen Getreidehandels“ bei 
Schmoller, Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung ete., 1900, S. 185. 
2) Vergl. dessen Abhandlung „Auflösung und Wiederherstellung der Berliner 
Produktenbörse, eod., 1901, S. 288/299.“ 
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 51 


802 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


vi 


von Schmoller!). Da indessen, wie erwähnt, diese Frage für die bevor- 
stehende Reform zweifellos ausscheidet, so soll auch an dieser Stelle 
darauf nicht weiter eingegangen werden. 

Auch gegenüber der aus Börsenkreisen und von einer Reihe von 
Handelskammern erhobenen Forderung, das Verbot des Börsenterminhandels 
in Anteilen von Bergwerks- und Industriepapieren aufzuheben ($ 50, 
Abs. 2 des Ges.) wird man sich — hier aber mit vollem Recht — ab- 
lehnend verhalten, da nach den maßgebenden Erklärungen die Grund- 
gedanken des Gesetzes nicht berührt werden sollen. Zu einem dieser 
Grundgedanken gehört die Einschränkung der Börsenspekulation, und 
daß diese durch die Beschränkung des Terminhandels herbeigeführt 
worden ist, kann ernsthaft nicht in Zweifel gezogen werden. Gewiß ist 
auch auf dem Effektenmarkte die Spekulation und daher diejenige 
Geschäftsart, die ihren Zwecken ihrer eigentlichen Technik nach am 
meisten dient, nämlich der Terminhandel, eine Notwendigkeit, weniger 
wegen der für gewöhnlich angeführten Gründe, nämlich daß die ge- 
handelten Papiere internationale Zahlungsmittel sind und dem inter- 
nationalen Zahlungsausgleich dienen, als deshalb, weil in den Kursen der 
auf Termin gehandelten Papiere die von dem Einzelgeschäft unabhängige 
Konjunktur am reinsten zum Ausdrucke kommt, und weil sonach die 
Terminpreise das Barometer abgeben für die internationale Konjunktur 
auf dem Geldmarkte, was namentlich für die Eingehung großer Finanz- 
geschäfte von erheblicher Wichtigkeit ist. Aber diesen Zwecken dienen 
hinlänglich die internationalen Papiere, die in verschiedenen Ländern 
gleichzeitig zu Spekulationszwecken verwendet werden, insbesondere 
Staatsrenten, wichtige Eisenbahnpapiere, ferner die Aktien der Banken. 
Die Hereinbeziehung von Aktien der Bergwerks- und Industrieunter- 
nehmungen, für die meist nur ein Interesse in ihrem eigenen Lande be- 
steht, in diesen Kreis erscheint von dem angeführten Gesichtspunkt nicht 
erforderlich, bedeutet vielmehr lediglich die Schaffung weiterer „Spiel- 
marken“, also eine volkswirtschaftlich zwecklose, sonach verwerfliche 
Spekulation, die nur. für die weitere Heranziehung des Privatpublikums 
zur Beteiligung an dem Termingeschäfte den Nährboden abgiebt. Gerade 
wenn man, wie dies im vorhergehenden geschehen ist, den Terminhandel 
auch auf dem Effektenmarkte bis zu einem gewissen Grade als einen 
volkswirtschaftlich notwendigen Faktor, in seiner Eigenschaft als 
Barometer der internationalen Geldkonjunktur, anerkennt, so muß man 
andererseits verlangen, daß an diesem Faktor nur solche Elemente sich 
beteiligen, deren Thätigkeit überhaupt in erster Linie der Preisbildung 
gewidmet ist, und daß das Privatpublikum von dieser Geschäftsart, die 
wie keine andere ihrer eigentlichen Technik nach infolge der erleichterten 
Kreditgewährung zu einem bloßen Spiel auf das Steigen und Fallen 
des Preises mißbraucht wird, nach Möglichkeit ferngehalten wird. Ein 
Schritt auf diesem Wege ist die Beschränkung des Terminhandels auf 
diejenigen Papierarten, in denen er eine wirtschaftliche Notwendigkeit 


1) Vergl. dessen Schlußnotiz zu der in Anm. 2 citierten Goldenbaum’schen Ab- 
handlung, S. 289. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 803 


bildet, und diesen Weg ist das Börsengesetz seiner Zeit mit Recht 
gegangen. 

Als hauptsächlichster Grund für eine Aufhebung des Verbotes wird 
von den Befürwortern geltend gemacht, daß durch das Börsengesetz die 
Kontremine in der Spekulation ausgeschaltet werde, was bei Krisen 
eine von verhängnisvollen Folgen begleitete Verschärfung zur Folge 
haben müsse, und so auch bei der letzten Krise gehabt habe, daß ferner 
die Spekulation auch thatsächlich nicht vermindert werde, da der 
Umfang der an die Stelle der Terminspekulation tretenden Kassa- 
spekulation, namentlich in Zeiten der Aufwärtsbewegung, ebenso groß 
sei wie die Terminspekulation. 

Zunächst erscheint vom volkswirtschaftlichen Standpunkt an und 
für sich eine Maßregel, die in ihrer Wirkung eine Fernhaltung des 
Privatpublikums vom Börsenspiel zur Folge hat, aus den angeführten 
Gründen wichtiger als die Milderung etwaiger Krisen, da diese, wenn 
das Publikum vom Börsenspiel ferngehalten ist, in erster Linie doch 
mehr auf die eigentlichen Börsenkreise beschränkt bleiben. Sodann aber, 
sollte auch wirklich bei Krisen durch die Kontremine der Zusammen- 
bruch einigermaßen gemildert werden, so hat andererseits die durch die 
Terminspekulation ermöglichte Kreditgewährung in der Hausseperiode 
eine Kurstreiberei zur Folge, die den Zusammenbruch schließlich beim 
Ausbruch der Krise noch verhängnisvoller gestaltet und die durch das 
Bestehen der Kontremine gewährten Vorteile mehr als paralysiert. In 
Wahrheit kann auch die Kassaspekulation infolge der Erschwerung der 
Kreditgewährung nie der Terminspekulation an Umfang gleichkommen!}), 
und so hat die Beseitigung des Terminhandels thatsächlich die erwünschte 
Folge, daß die Beteiligung des Privatpublikums an der Spekulation ein- 
geschränkt wird. Schließlich wird ja diese Folge selbst von den Börsen- 
interessenten damit zugegeben, daß sie den durch die Bestimmungen des 
Börsengesetzes herbeigeführten Rückgang des Geschäftsverkehres der 
deutschen Börsen beklagen, und es mutet einigermaßen sonderbar an, 
wenn sie gleichzeitig mit dieser Klage in Abrede stellen, daß durch 
das Verbot des Terminhandels eine Beschränkung der Spekulation herbei- 
geführt worden sei. 

Wenn sich im übrigen in der verflossenen Periode eine Einschränkung 
der Spekulation nicht besonders bemerkbar gemacht hat, so mag dies 
— abgesehen von der durch den wirtschaftlichen Aufschwung herbei- 
geführten besonderen Begünstigung der Spekulation — auch daran ge- 
legen haben, daß thatsächlich auch in Bergwerks- und Industriepapieren 
ein lebhafter Terminhandel bisher weiter bestanden hat, der sich in 
der bekannten Form des sogenannten Großkassaverkehres abwickelte. 
Für den Rückgang der Terminspekulation giebt übrigens einigermaßen 
einen Anhalt der in den Jahresbilanzen der Banken enthaltene Ausweis 
über die Anlagen in Reports und Lombarddarlehn bei diesen Banken. 


1) Dies behauptet Sontag, Zur Reform des Börsengesetzes, in der Monatsschrift für 
Handelsrecht und Bankwesen, 1901, 8. 30, ferner Berliner Börsenzeitung vom 17. De- 
zember 1900 (Abendzeitung) in einer Kritik meines Aufsatzes zur Reform des Börsen- 
gesetzes in der deutschen Juristenzeitung vom 1. Dezember 1900. 


51* 


804 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Nach einer in der Frankfurter Zeitung vom 6. März 1901 (No. 65) ent- 
haltenen Zusammenstellung, die die 9 großen Berliner Banken be- 
trifft, haben sich die Anlagen darin bei diesen Banken im Jahre 1900 
um 108,46 Mill. M. vermindert, eine Thatsache, die auch von der Frank- 
furter Zeitung zum Teil darauf zurückgeführt wird, daß insbesondere der 
Terminhandel infolge des Börsengesetzes zusammengeschrumpft ist. Wie- 
weit das Kassageschäft an Stelle des Terminhandels getreten ist, läßt 
sich aus den Bilanzen der Banken nicht ermitteln. Es würde aber sicher 
im allgemeinen Interesse liegen, wenn sich die Banken zu näheren, 
zahlenmäßigen Angaben hierüber entschlössen, statt sich in ihren Jahres- 
berichten auf allgemeine Bemerkungen über die Zunahme dieser Geschäfts- 
art zu beschränken. Solange nähere Aufschlüsse in dieser Richtung 
nicht vorliegen, kann übrigens auch nicht zugegeben werden, daß die 
großen Banken lediglich wegen des Börsengesetzes, ınsbesondere wegen 
der durch das Kassageschäft in Anspruch genommenen großen Kapitalien ihr 
Aktienkapital in den letzten Jahren so ungeheuer haben vermehren müssen!). 
Näher liegt es, die Hauptursache hierfür, in den durch den wirtschatt- 
lichen Aufschwung hervorgerufenen verstärkten Ansprüchen der Industrie 
an den Geldmarkt und in der erheblichen Vermehrung der Gründungs- 
thätigkeit und der Konsortialgeschäfte der Banken zu finden. Erscheint 
ein angeblicher erheblicher Mehrbedarf der Börse an Kapital infolge des 
Börsengesetzes bisher thatsächlich noch nicht erwiesen, so entfallen 
hiernach auch alle von eifrigen Gegnern des Gesetzes, so von Zadig, 
daran geknüpften Schlußfolgerungen über die nachteilige Beeinflussung 
des Kapitalmarktes durch die bisherigen von dem Börsengesetz hervor- 
gerufenen Verhältnisse. 

Sonach bleiben aus dem IV. Abschnitt des Börsengesetzes für eine 
Reform die Bestimmungen des (Gesetzes über das Börsenterminregister 
und den sogenannten Differenzeinwand, gegen die sich bisher auch haupt- 
sächlich die Angriffe gerichtet haben. 

Zum richtigen Verständnis der Reformbestrebungen hinsichtlich 
des Terminregisters, sowie zur Beurteilung, ob sie berechtigt sind, ist 
ein kurzes Eingehen auf die gesetzlichen Bestimmungen und die Zwecke, 
die der Gesetzgeber mit dem Terminregister erstrebt hat, auf die Folgen 
des Gesetzes sowie die Gründe für das Scheitern der gesetzgeberischen 
Absichten erforderlich. 

In civilrechtlicher Hinsicht ergeben sich aus der durch das Bürsen- 
gesetz geschaffenen Institution des Bürsenregisters zwei Rechtsfolgen. 

1) Ein Börsentermingeschäft in Wertpapieren soll nur dann rechts- 
wirksam sein, wenn beide Parteien zur Zeit des Geschäftsabschlusses 
im Börsenregister für Wertpapiere eingetragen sind, vorbehaltlich der 
in $ 68 Abs. 2 hinsichtlich der Personen, die im Inlande weder einen 
Wohnsitz noch eine gewerbliche Niederlassung haben, festgesetzten Aus- 
nahmen. 

2) Für die hiernach mit rechtlicher Wirksamkeit ausgestatteten 


1) Zadig, Der Terminhandel und seine Behandlung durch Rechtsprechung und 
Gesetzgebung, S. 53 ff. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 805 


Börsentermingeschäfte ist der bisherige sogenannte Differenzeinwand 
wie er in $ 764 des Bürgerlichen Gesetzbuches eine gesetzliche Sanktion 
erfahren hat, beseitigt ($ 69 d. G.). 

Zwei Zwecke verfolgte der Gesetzgeber mit der Registereinrichtung. 
Auf der einen Seite sollte dadurch, daß die Rechtsgiltigkeit der Termin- 
geschäfte von der Eintragung in das Register abhängig gemacht wurde, 
eine Schranke zwischen berufsmäßigen Spekulanten und spekulierendem 
Publikum errichtet werden, indem man von der Annahme ausging, daß 
die Börsenkaufleute fernerhin Bedenken tragen werden, Termingeschäfte 
mit solchen Personen abzuschließen, die nicht in das Terminregister ein- 
getragen sind, daß aber zahlreiche bisher lediglich zum Zwecke der Er- 
langung eines Spielgewinnes an der Terminspekulation beteiligte Personen, 
ja ganze soziale Kategorien, durch die Notwendigkeit der Kundmachung 
der in das Börsenregister eingetragenen Namen aus verschiedenen Rück- 
sichten (auf Beruf, Stellung, Geschäftskredit u. dergl.) von der Ein- 
tragung sich abhalten lassen würden. Auf der anderen Seite sollte für 
den so beschränkten Kreis der an dem Terminhandel beteiligten Personen 
eine Sicherung gegen den bisherigen Differenzeinwand geschaffen werden. 
Der Schaffung des Terminregisters lag also eine gesunde juristische und 
volkswirtschaftliche Idee zu Grunde. Vor Erlaß des Börsengesetzes 
hatte bekanntlich eine erhebliche und lebhaft beklagte Rechtsunsicherheit 
infolge der verschiedenen Handhabung des Differenzeinwandes in der 
Praxis der Gerichte geherrscht, eine Rechtsunsicherheit, die aber um so 
erklärlicher war, als es außerordentlich schwierig war, mit dem Differenz- 
einwand in der Praxis zu operieren. Handelte es sich dabei doch um 
die Interpretation des oft zweifelhaften und schwer erkennbaren 
Willens der Parteien, um die Subsumierung eines Rechtsgeschäftes, 
des Kaufes, unter die Kategorie eines anderen, nämlich eines Spiel- 
geschäftes. Nunmehr sollte das Kriterium für die Giltigkeit und Un- 
giltigkeit des Geschäftes nicht mehr in der Natur der Geschäfte selbst, 
sondern in der Person des Abschließenden und in einem äußerlich hervor- 
tretenden Merkmale dieser Person, nämlich in der Eintragung in das 
Register, gefunden werden. Der Zweck des Börsenregisters war also, 
öffentlich festzustellen, wer mit Börsentermingeschäften zu thun haben 
will, durch den Registerzwang sollte die Beteiligung der outsiders am 
Termingeschäft soweit wie möglich ausgeschlossen werden. Gerade dies 
war der Zweck des Registers, den es um so besser erfüllte, je weniger 
darin standen !). Denn durch die Beseitigung der Beteiligung der outsiders 
sollte dem Termingeschäfte seine volkswirtschaftlich gefährliche Seite 
genommen werden. Bekanntlich ist diese gesetzgeberische Schöpfung 
und die ihr zu Grunde liegende Idee durch die Haltung der Börse 
ruiniert worden. Von Anfang an unternahmen es die beteiligten Börsen- 
kreise, die von einer Beschränkung des Kreises der an der Spekulation 
Beteiligten nichts wissen wollten, das Gesetz illusorisch zu machen. 
Man gab die Parole aus, das Terminregister sei ein Spielregister. Die- 


1) Vergl. Wiedenfeld, Die Organisation des deutschen Getreidehandels bei Schmoller, 
Jahrbuch für Gesetzgebung ete., 24. Jahrgang, 1900, S. 156/187. 


806 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


jenigen Kreise, die eine offene Gesetzesverletzung scheuten, verschanzten 
sich dabei hinter den dialektischen und spiegelfechterischen Einwand, 
das Gesetz habe die Eintragung ja nicht vorgeschrieben, vielmehr nur 
an die Nichteintragung Nachteile geknüpft, während doch zweifellos der 
Wille des Gesetzes dahin ging, daß die börsenmäligen Termingeschäfte 
nur unter Eingetragenen stattfinden sollten. Zur Begründung ihrer ab- 
lehnenden Haltung gegenüber dem Register wurde von den Börsenkreisen 
in erster Linie auf die Abneigung der Provinzialbankiers und des Privat- 
publikums gegen die Eintragung hingewiesen, deren Fernbleiben vom 
Terminregister die eigene Eintragung wirkungslos und wertlos mache. 
Ganz abgesehen davon, daß die Haltung dieser Elemente eine natürliche 
Konsequenz der ablehnenden Stellung der hauptstädtischen Börsenkreise 
war, verkannte man geflissentlich, daß es ja eben der Zweck des Ge- 
setzes war, gewisse Kreise des Privatpublikums, die ihrer sozialen und 
wirtschaftlichen Stellung nach sich nicht an der Terminspekulation be- 
teiligen sollen, fernzuhalten. Mit der ablehnenden Haltung dieser Kreise 
durfte man also in keinem Falle die eigene Stellungnahme rechtfertigen. 
Mit einer durch die Parteileidenschaft genährten Agitation brachte man 
es denn zustande, auch diejenigen Kreise des Privatpublikums von der 
Eintragung abzuschrecken, die ihrer wirtschaftlichen Stellung und Einsicht 
nach sehr wohl in der Lage sind, Termingeschäfte abzuschließen. Unter 
diesen Umständen, und da die berufsmäligen Börsenkreise für die 
unter sich geschlossenen Börsentermingeschäfte der durch die Ein- 
tragung erlangten Rechtsgarantie deshalb entbehren zu dürfen glaubten, 
weil die Sorge für den eigenen Kredit als stark genug angesehen wurde, 
um die Rechtsgenossen auch ohne Eintragung zu zwingen, ihre ein- 
gegangenen Verpflichtungen zu erfüllen, wurde fast allgemein seitens 
der Börsenkreise von der Eintragung Abstand genommen. Es hatte 
daher auch nur geringe Bedeutung, daß die in der sogenannten Stempel- 
vereinigung vereinigten Großbanken, von wenigen Ausnahmen abgesehen, 
sich alsbald eintragen ließen. Denn gerade diese einflußreichen Kreise haben 
es bis auf die allerneueste Zeit an einem Druck auf ihre Rechtsgenossen 
im Sinne der Eintragung fehlen lassen. Die geringe Zahl von Ein- 
tragungen in das Börsenregister lähmte aber das Termingeschäft, ins- 
besondere mit auswärtigen Kunden. Infolgedessen wurden für den 
Terminverkehr mit den Privatkunden, teilweise auch für den Termin- 
verkehr an der Börse, andere Geschäftsformen gleicher Art an Stelle des 
in $ 48 definierten Börsentermingeschäftes eingeführt, unter denen das 
sogenannte handelsrechtliche Lieferungsgeschäft die erste Stelle einnahm. 
Die Möglichkeit hierzu entnehmen die Beteiligten aus der mangelhaften 
Fassung der Bestimmungen des Gesetzes. Der $ 66 des Börsengesetzes 
spricht nämlich die Unwirksamkeit von Börsentermingeschäften, für die 
nicht beide Teile in das Terminregister eingetragen sind, seinem 
Wortlaut nach lediglich für Börsentermingeschäfte aus, und 
diese letzteren sind in dem diesem Abschnitt des Börsengesetzes voran- 
gestellten $ 48 in einer allgemeinen Formulierung definiert, Diese 
Legaldefinition, welche als Merkmale des Börsentermingeschäftes 1) eine 
festbestimmte Lieferungszeit, 2) das Vorhandensein amtlich festgestellter 


Nationalükonomische Gesetzgebung. 807 


Geschäftsbedingungen, 3) das Vorhandensein einer amtlichen Termin- 
notiz aufstellt, ist eine viel zu enge und wird den Zwecken des Gesetz- 
gebers nicht gerecht. Ohne auf diese Frage an dieser Stelle näher ein- 
zugehen, soll hier nur folgendes hervorgehoben werden. Vertehlt ist 
jedenfalls das in dieser Definition aufgestellte Merkmal der amtlichen 
Festsetzung des Börsenpreises und der amtlichen Feststellung der 
Geschäftsbedingungen. Wesentlich ist vielmehr lediglich der Abschluß 
nach typischen Geschäftsbedingungen hinsichtlich der wesentlichsten 
Teile des Geschäftes, die also keineswegs nur durch amtliche Festsetzung, 
vielmehr auch durch private Vereinbarung, ja sogar durch faktische 
Uebung festgestellt sein können; wesentlich ist ferner das Vorhandensein 
eines breiten und stetigen Marktes für diese Geschäfte, und als dessen 
Ausdruck die öffentliche Bekanntgabe der Preise; aber die Konjunktur 
wird ebenso wie durch ein offizielles Kursblatt, auch durch Bekannt- 
gabe der Preise vermittelst eines angesehenen privaten Kursblattes zum 
Ausdruck gebracht!). Diese Mängel der gesesetzlichen Detinition machte 
sich nun die Börse zu nutze, indem sie statt der der gesetzlichen 
Definition entsprechenden Börsentermingeschäfte Geschäfte setzte, die 
ihrer äußeren Rechtsform sich mit der Begriffsbestimmung der Legal- 
definition nicht deckten, aber ihrem materiellen Inhalt und ihrer wirt- 
schaftlichen Natur und Zweckbestimmung nach unter diejenigen Geschäfte 
fielen, die der Gesetzgeber nur den in das Register eingetragenen 
Personen mit Rechtswirksamkeit hat gestatten wollen. Man führte zu 
diesem Zwecke Geschäftsbedingungen ein, die sich mit den für Börsen- 
termingeschäfte bisher amtlich festgesetzten Bedingungen nicht deckten, 
versuchte auch teilweise den auf Grund dieser Geschäfte abgeschlossenen 
Geschäften den Fixcharakter zu nehmen, dadurch, daß man den Kunden 
eine auf Verlangen zu gewährende Nachfrist einräumte. Das einzelne 
auf Grund dieser Bedingungen abgeschlossene Geschäft wurde so seines 
Charakters als Börsentermingeschäft im Sinne der angeführten Legal- 
definition bis zu einem gewissen Grade entkleidet, aber für die Gesamt- 
heit der auf Grund dieser Bedingungen abgeschlossenen Geschäfte blieben 
die für das Vorhandensein des Börsenterminhandels charakteristischen 
obengenannten Merkmale, der Abschluß nach typischen Geschäfts- 
bedingungen und der breite und stetige Markt infolge der Massen- 
haftigkeit des Abschlusses gleichartiger Geschäfte. Unter diesen 
Umständen konnte das Reichsgericht in der Entscheidung vom 25. bezw. 
28. Oktober 1899 mit Recht das handelsrechtliche Lieferungsgeschäft 
als unter $ 66 des Börsengesetzes fallend erklären, womit der dadurch 
beabsichtigte Zweck für die Beteiligten hinfällig wurde ?). 

Im Anschluß an diese Entscheidung des Reichsgerichts, unter dem 
Einfluß der hereingebrochenen Börsenkrisis des Jahres 1900, erfolgten 
alsdann zahlreiche Zahlungsweigerungen und Prozesse, unter denen die- 


1) Vergl. Weber in, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, II. Supplementhand, 
1. Aufl. S. 242, Ehrenberg eod. I. Band, 2. Aufl. S. 1035, Experte Dr. Landesberger 
in der österreichischen Enquete betr. Reform des börsenm. Terminhandels mit landwirt- 
schaftlichen Produkten. Stenograph. Protokoll, IV. Gruppe der Experten, S. T2ff. 


2) Vergl. Entscheidung des Reichsgerichtes in Civilsachen, Bd. 44, S. 105 ff, 


808 Nationalükonomische Gesetzgebung. 


jenigen besonderes Aufsehen erregten, in denen der Einwand des 
Mangels der Eintragnng von Börsenhändlern erhoben wurde. Unter dem 
Drucke dieser Verhältnisse unternahm die haute finance nunmehr 
einen offenen Akt zu Gunsten der Registereintragung, indem die so- 
genannte Stempelvereinigung den Beschluß kund gab, vom 15. Oktober 
1900 ab nur noch mit eingetragenen Firmen Termingeschäfte abzuschließen. 
Diese Malregel hatte zwar eine größere Zahl von hauptstädtischen Ein- 
tragungen zur Folge, da aber die Provinzialbankiers und das Privat- 
publikum ihren ablehnenden Standpunkt nicht mehr aufgaben, auch die 
Mitglieder der Stempelvereinigung durch Abfall von Kunden Einbule 
zu erleiden drohten, so wurde der Beschluß der Stempelvereinigung nach 
17-tägiger Geltung wieder aufgehoben, und die bisherige Rechtslage 
blieb seitdem unverändert. 

Bereits vorher hatte aber seitens der Börsen und ihrer Sachwalter, 
in Börsenblättern und in den mobil gemachten Handelskammern und 
sonstigen kaufmännischen Vertretungen eine lebhafte Agitation zu 
Gunsten einer Reform des Börsengesetzes Platz gegriffen, die ihren 
hauptsächlichsten Ausdruck in Eingaben und Petitionen an den Reichs- 
kanzler sowie an den Reichstag fand. Man verlangte die Aufhebung 
oder Aenderung von gesetzlichen Bestimmungen, die derartige Rechts- 
unsicherheiten hervorgerufen hätten, und die zu einer Untergrabung von 
Treue und Glauben im Verkehr führen müßten, da sie es dem gewissen- 
losen Spekulanten ermöglichten, unter Berufung auf das Gesetz sich 
seinen Verpflichtungen zu entziehen, nachdem er auf der anderen 
Seite Gewinne eingestrichen habe. Die Reformbestrebungen gingen ent- 
weder ganz allgemein auf die Beseitigung des Terminregisters und 
die Schaffung einer gesicherten Rechtsbasis für den Wertpapier- 
handel, ohne daß man sich in dieser letzteren Richtung zu bestimmten 
Vorschlägen entschloß. Dies war z. B. der Standpunkt der Eingabe der 
Handelskammer zu Frankfurt a. M. und der Aeltesten der Kaufmann- 
schaft von Berlin an den Reichskanzler. Oder aber — und dies war 
die größere Mehrheit der Petenten — da man bei der gegenwärtigen 
Parteikonstellation im Reichstag die Aussichtslosigkeit der Bestrebungen 
auf die völlige Beseitigung des Registers zu erkennen glaubte, verlangte 
man wenigstens die Außerkraftsetzung des Terminregisters für die im 
Handelsregister Eingetragenen, so daß die Wirkungen, die das Börsen- 
gesetz an die Eintragung in das Börsenregister knüpft, für die, welche 
in das Handelsregister eingetragen sind, ohne weiteres eintreten sollten. 
Damit wollte man den am allerschwersten empfundenen Uebelstand, die 
Verweigerung der Erfüllung der Termingeschäfte wegen Nichteintragung 
durch die Bürsenkreise selbst, aus der Welt schaffen. Im übrigen 
wurden zur höheren Sicherung gegen den Differenzeinwand seitens des 
Privatpublikums verschiedene Forderungen aufgestellt, wie Rechtswirk- 
samkeit der für rechtsunwirksame Börsentermingeschäfte bestellten 
Sicherheiten und abgegebenen Schuldanerkenntnisse (also Gleichstellung 
dieser beiden Rechtsakte hinsichtlich der Rechtsgiltigkeit mit der auf 
Grund des geltenden Gesetzes nach völliger Abwickelung des Geschäftes 
geleisteten Zahlung), worauf später noch einzugehen sein wird. 


Nationalükonomische Gesetzgebung. 809 


Legen wir uns nun die Frage nach der Notwendigkeit von Re- 
formen des Gesetzen auf diesem Gebiete vor, so ist allerdings nicht zu 
verkennen, daß die gegenwärtigen Zustände in hohem Maße unerwünscht 
und bedenklich sind. Ein wichtiger Zweig des Börsenhandels ist des 
Rechtsschutzes völlig entkleidet, das öffentliche Rechtsgefühl und die 
Moral werden durch das Verhalten gewissenloser Spekulanten, die sich 
durch Berufung auf das Gesetz ihren Verpflichtungen entziehen, gekränkt. 
Freilich, wie schon ausgeführt, ist für diese Zustände nicht sowohl das 
Gesetz verantwortlich zu machen, wie dies seitens der Reformfreunde 
allgemein geschieht; dieses trifft vielmehr nur soweit eine Schuld, als 
es in der Fassung einzelner Bestimmungen unklar und unbestimmt war 
und durch das Zurückweichen vor den äußersten Konsequenzen die 
Umgehnng seiner Verbote zu leicht gemacht hat — Mängel aber, die 
um so verzeihlicher waren, als es sich um den ersten Versuch einer 
gesetzlichen Regelung der schwierigen Materie handelte Vielmehr 
trifft, wie dies oben näher dargelegt, die schwerste Schuld die Börsen- 
händler, die sich über die gesetzlichen Bestimmungen leicht hinweg- 
gesetzt und sich die Schwächen des Gesetzes zu nutze gemacht haben, 
dann aber, als sie die Folgen davon tragen sollten, daß sie sich außer- 
halb des Gesetzes gestellt haben, das Gesetz selbst verantwortlich 
machen. 

Man könnte sich nun hinsichtlich der Reformfrage in Sachen des 
Börsenregisters auf den strikten Standpunkt stellen 1): Solange die 
Börsenkreise ihren Widerstand gegen das Terminregister nicht auf- 
gegeben haben, ist man garnicht in der Lage, die notwendigen Er- 
fahrungen über die Wirksamkeit des Gesetzes zu machen, und solange 
diese nicht vorliegen, ist es verfrüht, an eine gesetzliche Beseitigung 
des Registers oder sonstige Abänderung der bisherigen gesetzlichen 
Bestimmungen zu denken. Es ist indessen nicht zu verkennen, daß, 
wie die Dinge sich leider einmal gestaltet haben, es schwer halten wird, 
den Widerstand gegen das Register in der Oeffentlichkeit zu brechen. 
Eine Erzwingung der Eintragung, dadurch, daß man die Bestimmungen 
des Gesetzes in anderer Weise verschärft und z. B. auch die Zurück- 
forderung der geleisteten Zahlungen aus Termingeschäften im Falle der 
Nichteintragung zuläßt, könnte vielleicht in Erwägung gezogen werden. 
So notwendig aber, wie sich aus dem Verhalten der Bürse heraus- 
gestellt hat, solche Bestimmungen zur Durchführung des Gesetzes von 
vornherein gewesen wären?), so können sie doch zur Zeit nicht mehr 
empfohlen werden. Nach der herrschenden Meinung der in Betracht 
kommenden Kreise ist nun einmal eine levis nota mit der Eintragung 
verbunden, und man würde auch im Falle der Verschärfung des Ge- 
setzes alle Hebel daran setzen, um der Eintragung zu entgehen. Eventuell 
würde, wozu der Anfang schon gemacht worden ist, der ganze Termin- 
handel in das Ausland abgelenkt werden, 


1) Verl. Freund, Zur Reform des Börsengesetzes. „Deutsche Juristenzeitung“, 1900, 
S. 457 ff. 

2) Vgl. in dieser Richtung auch die Aeußerung des Experten Prof. Karl Adler 
in der Oesterr. Börsenenquete (Protok., IHI. Gruppe, S. 539). 


810 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Sonach muß an eine andere Art der Reform gedacht werden. Jede 
Reform muß aber die von dem Börsengesetzgeber mit dem Register 
verfolgten, sogar von den wärmsten Freunden der Börse als berechtigt 
und nützlich anerkannten Zwecke im Auge haben: auf der einen Seite 
Scheidung des berechtigten und unberechtigten Terminhandels, Ver- 
schließung der Pforte, durch die das Privatpublikum den Einfluß zu 
dem sozial verhängnisvollen Börsenspiel gewinnen kann, auf der anderen 
Seite Sicherung des berechtigten Terminhandels, insbesondere vor der 
Antechtung durch den Spieleinwand, wie er durch die frühere Gerichts- 
praxis und im Anschluß daran durch $ 764 des Bürgerlichen Gesetz- 
buches herausgebildet worden ist. 

Beurteilt man die bisherigen Reformvorschläge unter diesem Gesichts- 
punkte, so stellen sie sich als ungeeignet und unzureichend heraus, um 
dieses gesetzgeberische Ziel zu erreichen, wie im einzelnen jetzt be- 
sprochen werden soll. 

In erster Linie ist vorgeschlagen worden, wie bereits erwähnt, 
„die im Handelsregister eingetragenen Kaufleute und Gesellschaften von 
der Eintragung in das Terminregister auszunehmen und das Termin- 
register nur noch für die nicht im Handelsregister eingetragenen Per- 
sonen bestehen zu lassen“. Danach würden allerdings die Termin- 
geschäfte zwischen den im Handelsregister eingetragenen Kaufleuten 
auf eine sichere Rechtsgrundlage gestellt werden, insofern der Differenz- 
einwand hier ebenso wie bei den ins Terminregister eingetragenen Kauf- 
leuten ausgeschlossen sein würde. Indessen würde die Durchführung 
dieses gesetzlichen Vorschlags zur Folge haben, daß dte Namen der 
großen und ausgezeichneten Firmen aus dem Terminregister verschwinden, 
und das letztere würde thatsächlich zu einer Spieler- und Spekulanten- 
liste heruntersinken, in die ein anständiger Mann sich nicht eintragen 
lassen könnte. Einer derartigen weiteren Diskreditierung des Registers 
kann nun unmöglich das Wort geredet werden, da damit jede Möglich- 
keit beseitigt würde, daß in der Zukunft der Widerstand gegen das 
Register vielleicht doch noch einmal aufgegeben würde. Ueberdies 
würde an den nachteiligen Zuständen, die das bisherige Scheitern der 
Bestimmungen über das Register zur Folge hatte, im Verhältnis zwischen 
Börsenhändlern und Privatpublikum, soweit das letztere nicht im Handels- 
register eingetragen ist, nicht das mindeste geändert. Die Börsen- 
händler würden auch ferner, wie bisher, mit nicht eingetragenen Privat- 
kunden gegen den Willen des Gesetzes Börsentermingeschäfte ab- 
schließen, und die Privatkunden würden auch ferner, namentlich in 
Zeiten wirtschaftlicher Krisen, die Zahlung unter Berufung auf die 
Nichteintragung verweigern, was neue Klagen über den Niedergang von 
Treue und Glauben im Börsenverkehr zur Folge haben würde. 

Noch ein ferneres gewichtiges Bedenken spricht aber auch gegen 
den Vorschlag, die Termingeschätte der im Handelsregister eingetragenen 
Kaufleute ohne jede Kautel mit unbeschränkter Klagbarkeit auszu- 
statten. Zweitellos sind im Handelsregister eine große Anzahl kleinerer 
Gewerbetreibender eingetragen, auf welche die von dem Gesetz bei 
Einführung des Registers verfolgte Tendenz, gewisse Kategorien von 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 811 


Rechtsgenossen vom Terminhandel fernzuhalten, ebenso zutrifft, wie auf 
das nicht im Handelsregister eingetragene Publikum. Diese Personen 
würden mit der gesetzlichen Aenderung der gesetzlichen Fürsorge ver- 
lustig gehen. 

Nicht mindere Bedenken bestehen aber auch gegen diejenigen 
Reformpläne, die, nach einer von dem Kommissar des preußischen 
Handelsministers in der Sitzung der Petitionskommission des Reichstags 
vom 27. Februar 1901 abgegebenen Erklärung, im preußischen Handels- 
ministerium gehegt wurden !). Danach will allerdings die preußische 
Regierung der Forderung, daß die Eintragung im Handelsregister der 
im Börsenregister gleichgestellt werden solle, nicht zustimmen, weil dies, 
wie oben ausgeführt, zu einer mehr oder minder vollständigen Be- 
seitigung des Bôrsenregisters und damit zur Durchbrechung einer der 
grundlegenden Bestimmungen des Börsengesetzes führen würde. Dafür 
soll ein Auskunftsmittel getroffen werden, welches das Register lebens- 
fähig machen soll, indem es die Börsenhändler veranlaßt, sich eintragen 
zu lassen, andererseits aber auch den Wünschen der Börsenhändler auf 
größere Rechtssicherheit entgegenkommen soll. Es soll nämlich den 
im Handelsregister Eingetragenen, und ferner denjenigen, welche berufs- 
oder gewerbsmälig Börsen- oder Bankiergeschäfte betreiben, auch wenn 
sie nicht ins Börsenregister eingetragen sind, gegenüber den Klagen 
der ins Börsenregister Eingetragenen bei Ansprüchen aus Börsentermin- 
geschäften die Berufung darauf versagt sein, daß sie selber nicht ins 
Börsenregister eingetragen sind. 

Diese Neuerung würde, wenn sie zum Gesetz erhoben würde, aller- 
dings eine vermehrte Zahl von Eintragungen im Terminregister zur 
Folge haben. Denn es würde nunmehr für den Bankier die eigene Ein- 
tragung im Terminregister von Nutzen sein, nämlich gegenüber den- 
jenigen Kunden, die im Handelsregister eingetragen sind oder gewerbs- 
bezw. berufsmäßig Börsen- oder Bankiergeschäfte betreiben, während 
sie unter den gegenwärtigen Verhältnissen für ihn zwecklos ist, weil 
keine Aussicht besteht, daß die Privatkunden sich eintragen lassen. 
Andererseits stehen dieser Neuerung Bedenken gleicher Art, wie sie bei 
dem früheren Vorschlag auseinandergesetzt sind, entgegen. Es ist oben 
bereits ausgeführt worden, warum es sich nicht empfiehlt, ohne weiteres 
mit denjenigen Schranken aufzuräumen, durch welche die im Handels- 
register eingetragenen Personen vom Terminhandel ferngehalten werden. 
Das gleiche trifft für den vorliegenden Vorschlag zu. 

Auf Grund des letzteren soll aber darüber hinaus noch hinsichtlich 
einer weiteren Kategorie von Personen das in der Klanglosigkeit der 
mit ihnen geschlossenen Geschäfte liegende Hindernis für ihre Beteili- 
gung am Terminhandel beseitigt werden, wogegen die früher erhobenen 
Bedenken in verstärkten Maße geltend zu machen sind. Es sind dies 
die gewerb- oder berufsmäßig Bank- oder Börsengeschäfte betreibende 

1) Vgl. 16. Bericht der Kommission für die Petitionen No. 223 (10. Legislatur- 


periode, II. Session, 1900/1901), Berichterstatter Abgeordneter Toennies; vgl. auch 
„Vossische Zeitung“ No. 165 vom 10. IV. 1901. 


812 Nationalökonomische Gesetzgebung. 
Personen, welche den ins Handelsregister Eingetragenen gleichgestellt 
werden sollen. Die Bedeutung dieser Bestimmung wird allerdings in 
erster Linie von der Auslegung abhängen, die die Gerichte, speciell das 
Reichsgericht, dem Begriffe „gewerbemäßiger Betrieb von Börsenge- 
schäften“ geben würden. Wird für den Begriff der Gewerbemäligkeit 
erfordert, daß die betr. Person dem Publikum gegenüber als Ge- 
schäftsmann hervortritt, wird also als ein dem Begriffe der Gewerbe- 
mäßigkeit immanentes Merkmal die Offenkundigkeit des Geschäfts- 
betriebs erachtet, so gehören zu denjenigen, die gewerbemäßig Börsen- 
geschäfte betreiben, nicht die Spekulationskunden der Bankiers, wie 
Aerzte, Richter, Landwirte, Anwälte u. s. w., auch wenn sie ständig 
in Wertpapieren spekulieren, da nur ihr Bankier darum weiß. Anders 
aber, wenn von diesem Merkmal in der Praxis abgesehen und die Ge- 
werbemäligkeit bereits in der Absicht der dauernden Thätigkeit zum 
Zweck der Gewinnerzielung erblickt wird. Alsdann würde allerdings 
die gesamte Spekulationskundschaft von jenem Begriff umfaßt werden, 
und die Lage des Bankiers würde rechtlich um so gesicherter sein, je 
mehr der Kunde bei ihm spekuliert und damit die Absicht an dem Tag 
gelegt hat, aus der Spekulation einen dauernden Gewinn zu erzielen !). 

Aus der neuen Bestimmung würde also dem Börsenhändler zwar 
der Vorteil größerer Rechtssicherheit erwachsen, sie würde aber zweifel- 
los den Nährboden für eine vermehrte Verleitung des Privatpublikums 
zur Spekulation abgeben, ohne daß hiergegen eine Schranke anderer 
Art bestehen würde, wie sie vor der Zeit des Börsengesetzes wenigstens 
in dem stets drohenden Differenzeinwand existierte. Damit würde aber 
an der wichtigsten Tendenz des Börsengesetzes, die nach den Erklä- 
rungen der maßgebenden Faktoren intakt erhalten werden soll, gerüttelt 
werden. 

Im übrigen erhellt freilich aus den Aeußerungen des Regierungs- 
vertreters noch nicht, ob gegenüber den Ansprüchen der im Termin- 
register Eingetragenen den im Handelsregister Eingetragenen und den 
ihnen gleichgestellten Personen lediglich der Einwand der mangelnden 
Eintragung oder auch der Einwand des Spiels gemäß $ 764 B.G.B. 
genommen werden soll, wie dies letztere durch $ 69 des Börsengesetzes 
hinsichtlich derjenigen Ansprüche aus Börsentermingeschäften geschehen 
ist, bei denen beide Kontrahenten in das Terminregister eingetragen 
sind. Von unserem Standpunkte aus bleibt es jedenfalls dringend zu 
erwünschen, daß mindestens das Sicherheitsventil des Spieleinwands 
$ 764 B.G.B. den genannten Personen erhalten bliebe, also der $ 69 
des Bürsengesetzes auf sie nicht ausgedehnt würde. 

Noch fernere Bedenken rechtlicher Art ergeben sich aus der ge- 
planten Bestimmung. Zunächst würde sie eine höchst unerwünschte 
Bresche in das Rechtssystem der börsengesetzlichen Bestimmungen legen 


1) Vergl. zu dieser Rechtsfrage Staub, Kommentar zum H.G.B. 6./7. Aufl. § 1 


Anm. 19 und 29, Cosack, Lehrb. des Handelsrechts (5. Aufl.) § 7, S. 25. — Die An- 
sicht des Reichsgerichts neigt jetzt anscheinend mehr dazu, von dem Merkmal der Offen- 
kundigkeit abzusehen (vergl. Staub a. a. O. Anm, 29). Vergl. auch Vossische Zeitung 


vom 10. IV. d. J. No. 165. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 813 


und damit sicher zu neuen Zweifeln und Unklarheiten Anlaß geben 
würde. Nach $ 66 des Börsengesetzes wird durch ein Börsentermin- 
geschäft, bei welchem nicht beide Parteien zur Zeit des Geschäfts- 
schlusses in dem Börsenregister eingetragen sind, ein Schuldverhältnis 
überhaupt nicht begründet. Theorie und Praxis stimmen darin über- 
ein, daß die Ungiltigkeit von Amtswegen berücksichtigt werden muß, 
keine der Parteien daher auf diese Berücksichtigung verzichten kann!). 
Zu dem Inhalt des $ 66 und zu jener Auslegung würde die geplante 
Abänderungsbestimmung in direkten Gegensatz treten, denn sie unter- 
stellt ihrer Fassung nach, daß das Termingeschäft, bei dem nicht beide 
Parteien eingetragen sind, nicht ohne weiteres ungiltig ist, und sie be- 
handelt die Berufung auf die Nichteintragung lediglich als einen Ein- 
wand, der im speciellen Fall durch gesetzliche Bestimmung ausgeschlossen 
wird. Sodann würde die geplante Neuerung aber auch sonstige schwere 
Nachteile für die im Handelsregister eingetragenen und die ihnen gleich- 
gestellten Personen zur Folge haben, denn bei einer Klage eines im 
Terminregister eingetragenen Börsenhändlers gegen sie würde ihnen 
selbst die Berufung auf ihre Nichteintragung versagt sein, während 
bei Erhebung eines Gegenanspruchs oder einer Widerklage von ihrer 
Seite der klagende Börsenhändler sich mit Erfolg darauf berufen könnte, daß 
der den Gegenanspruch oder die Widerklage Erhebende nicht im Termin- 
register eingetragen ist, der Gegenanspruch also rechtsungiltig ist. Dies 
sind schon Konsequenzen, die zu einer Verwerfung des handelsministe- 
riellen Vorschlages führen müssen. Hinsichtlich der Börsentermingeschäfte 
mit dem sonstigen Privatpublikum, würde übrigens, ebensowenig wie 
bei Durchführung des früher besprochenen Vorschlages, auch bei An- 
nahme der vorliegenden Vorschläge etwas an dem bestehenden Zustande 
geändert werden. 

Ein fernerer Reformvorschlag will, wie bereits hervorgehoben, den 
für rechtsunwirksame Börsentermingeschäfte bestellten Sicherheiten und 
abgegebenen Schuldanerkenntnissen Rechtswirksamkeit verschaffen. Dieser 
Vorschlag stellt sich auf den Boden der gegenwärtigen Verhältnisse 
und rechnet damit, daß auch ferner zwischen Personen, die nicht im 
Terminregister eingetragen sind, rechtsungiltige Termingeschäfte abge- 
schlossen werden. Der $ 66 Abs. 4 des Börsengesetzes bestimmt, daß 
auch bei dem mangels Eintragung eines oder beider Kontrahenten un- 
wirksamen Börsentermingeschäft eine Rückforderung dessen, was nach 
völliger Abwickelung des Geschäftes zu seiner Erfüllung geleistet ist, 
nicht stattfindet. Der erwähnte Vorschlag will also die beiden er- 
wähnten Rechtsakte hinsichtlich ihrer Giltigkeit der Zahlung nach Ab- 
wickelung gleichstellen, dergestalt, daß durch das Schuldanerkenntnis 
die an sich ungiltige Schuld zu einer giltigen und klagbaren werden, 
durch die Pfandsicherung Befriedigung in Höhe des Wertes des Pfand- 
objektes aus der an sich ungiltigen Schuld erlangt werden könnte, 


1) Vergl. Staub, Kommentar zum H.G.B. 6. und 7. Aufl. Exkurs zu § 376 
Anim. 22 und R.G. vom 8. Juli 1509 bei Holdheim, Bd. 8, S. 247, 


814 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Wie bereits früher ausgeführt !), kann diesem Vorschlage höchstens, 
soweit er sich auf die Schuldanerkenntnisse bezieht, beigestimmt werden. 
Denn hier handelt es sich um einen Rechtsakt, der nach Entstehung 
der Schuld aus freien Stücken vorgenommen wird. Dagegen würde es 
zu weit gehen, wenn Sicherheitsleistungen von vornherein rechtswirksam 
sein sollten; denn diejenigen Personen, welche mangels der erforder- 
lichen Voraussetzungen Börsentermingeschäfte auch in Zukunft rechts- 
wirksam nicht abschließen können, befinden sich bei Bestellung der 
Sicherheit über die Tragweite des eingegangenen Risikos oft im Un- 
klaren, die Unerfahrenen sollen aber gerade geschützt werden?) Aus 
diesem Grunde verhält sich dann auch die preußische Regierung diesem 
Vorschlage gegenüber nach beiden Richtungen hin ablebnend und er- 
achtet lediglich die Einführung kürzerer Präklusivfristen für die An- 
fechtung von Anerkenntnissen und die Rückforderung bestellter Sicher- 
heiten für erwägungswert, womit man sich gleichfalls einverstanden 
erklären könnte. 

Aus dieser Uebersicht ergiebt sich Folgendes. 

Die dargelegten bisherigen Vorschläge für die Abänderung der 
börsengesetzlichen Bestimmungen sind teils direkt abzulehnen, wie die 
Gleichstellung des Handelsregisters mit dem Terminregister oder die 
Versagung der Berufung auf die Nichteintragung in das Terminregister 
für die in das Handelsregister eingetragenen oder die ihnen gleich- 
gestellten Personen, teils sind sie zwar diskutabel, und können nach 
gewissen Richtungen eine Besserung der bisherigen Zustände herbei- 
führen, sind aber jedenfalls ungeeignet zur Erreichung der oben ange- 
führten Ziele, die der Gesetzgeber, wenn er das soziale Uebel an der 
Wurzel treffen will, erstreben muß. Diese sind Schutz der Unerfahrenen 
und Fernhaltung aller derjenigen, denen eine wirtschaftliche Berechti- 
gung zum Abschluß von Termingeschäften nicht zuerkannt werden kann, 
auf der einen Seite — Sicherung der wirtschaftlich berechtigten Termin- 
geschäfte gegen jede Anfechtung auf der anderen Seite. Mit dem Ter- 
miuregister kann aus den oben dargelegten Gründen bei der heutigen 
Lage der Verhältnisse dieses Ziel nicht erreicht werden. Man wird 
sich also über kurz oder lang zu einer Opferung dieser Institution ent- 
schließen müssen. Dafür wird das zu erstrebende Ziel für den Termin- 
handel in Effekten nach folgenden Gesichtspunkten vielleicht zu erreichen 
sein. Berechtigt ist der Terminhandel im allgemeinen zwischen den be- 
rufsmäßigen Börsenhändlern, wobei man notwendig in den Kauf nehmen 
muß, daß auch hier wirtschaftlich unberechtigte Geschäfte vorkommen. 
Man entschließe sich also, alle an der Börse oder auch sonst von be- 
rufsmäßigen Börsenhändlern geschlossenen Geschäfte ohne weiteres für 
klagbar zu erklären. Dies erfordert die Sicherheit des Börsenverkehrs, 
es muß, wie Grünhut es bezeichnet hat3), für diese Geschäfte, analog 
dem früheren „Messezwang“, der „Börsenzwang“ bestehen, ohne daß der 


1) Freund in der Deutschen Juristenztg. 1900, S. 489/490, 
2) So der preuß. Regierungsvertreter in der Reichstagskommission a. a. O. 
3) Vergl. Protokoll der österr, Enquetekommission IX. Gruppe, S. 626. 


Nationalükonomische Gesetzgebung. 815 


Differenzeinwand zulässig ist, ohne Unterschied, ob die Parteien einen 
Kauf, Verkauf oder ein Spiel beabsichtigt haben!), Die Bürsentermin- 
geschäfte und die ihnen wirtschaftlichen gleichstehenden Geschäfte mit 
allen übrigen Personen behandele man ausnahmslos präsumtiv als un- 
wirtschaftlich und darum als absolut wirkungslos. Die Widerlegung 
dieser Präsumtion wird lediglich darin gefunden werden dürfen, daß 
der Nichtbörsenhändler zur Zeit der Eingehung des Termingeschäftes 
seiner ökonomischen Lage nach als wirtschaftlich berechtigt gelten 
konute, Börsentermingeschäfte zu schließen. Hierfür giebt es aber nur 
ein schlagendes und in allen Fällen klar erkennbares Kriterium, näm- 
lich, daß von dem Auftraggeber bei Eingehung jedes Geschäfts eine 
für die effektive Erfüllung des Geschäftes genügende 
Deckung (etwa 20—25 Proz. des betr. Wertobjekts) bei dem Gegen- 
kontrahenten bar eingezahlt worden ist. Es ist zuzugeben, daß eine 
solche Bestimmung eines gewissen Formalismus, insbesondere, wenn der 
Auftraggeber eine notorisch reiche Persönlichkeit ist, nicht entbehrt. 
Im Interesse klarer Rechtsverhältnisse wird aber dieser Formalismus in 
Kauf zu nehmen sein ?). Ist eine derartige Einzahlung nicht erfolgt, 
so muß das Geschäft naeh jeder Richtung als wirkungslos behandelt 
werden. Erfahrungen, die man mit dem Börsenregister gemacht hat, 
haben nun gezeigt, daß, wenn man vor den äußersten gesetzgeberischen 
Konsequenzen zurückscheut, Umgehungen des Gesetzes seitens der 
Börsenhändler Thor und Thür geöffnet ist. Soll das Gesetz also nicht 
wiederum „ein Blatt Papier“ bleiben, so wird man nicht davor zurück- 
schrecken dürfen, den Abschluß von Börsentermingeschäften mit solchen 
Personen, die die angegebene Einzahlung nicht leisten, mit kriminellen 
Strafen zu bedrohen und die Rückforderung des zur Erfüllung solcher 
Geschäfte Geleisteten unbeschränkt zuzulassen. Dafür soll aber jedes 
den gesetzlichen Bestimmungen entsprechende Geschäft rechtswirksam 
und jeder Anfechtung durch den Spieleinwand entzogen sein. 


1) Auf nähere Einzelheiten, sowie auf sonstige Fragen, die sich hierbei erheben 
könnten, soll zur Zeit nicht weiter eingegangen werden. Sie bleiben einer späteren 
Zeit vorbehalten. 

2) Ein ähnlicher Vorschlag ist bereits von dem Abgeordneten Tönnies in dem 
Bericht der Petitionskommission des Reichstags und von mir noch früher in der Sitzung 
der Juristischen Gesellschaft vom 6. Februar d. J. vorgebracht worden. 


916 Miszellen. 


Nachdruck verboten. 


Miszellen. 


XI. 


Die Entwickelung der Hamburg-Amerika Linie 
von 1847 bis 1901’). 


Von Dr. K. Thiess in Page 


$ 1. Unter der Firma „Hamburg- Amerikanische Packetfahrt- 
Aktiengesellschaft“ ist eine Aktiengesellschaft errichtet, welche ihren 
Sitz in Hamburg hat. Die Gesellschatt ist befugt, Zweigniederlassungen 
und Agenturen an allen ihr geeignet erscheinenden Plätzen zu errichten. 
Die Gesellschaft zeichnet alle diejenigen Schriftstücke und Ankün- 
digungen, bei denen es nicht des Gebrauchs der vollen Firma der Ge- 
sellschaft bedarf, unter der abgekürzten Bezeichnung „Hamburg- 
Amerika Linie. 

$ 2. Der Zweck der Gesellschaft: ist der Betrieb einer Rhederei 
und solcher Handelsgeschäfte, welche dem Rhedereibetrieb oder dem 
Reiseverkehr dienlich erscheinen. 

So besagt das Statut der am 27. Mai 1847 begründeten großen 
Hamburger Schiffahrtsgesellschaft, deren Flotte an Tonnengehalt gegen- 
wärtig jede andere Rhederei der Welt überragt und deren Aufsteigen 
für die gesamte Entwickelung der deutschen Schiffahrt und des deutschen 
Außenhandels von bahnbrechender Bedeutung geworden ist, 

Seit der Befreiung der Vereinigten Staaten von Amerika hatte der 
transatlantische Verkehr einen großen Aufschwung genommen; die Aus- 
wanderung wuchs besonders in den 20er und 30er Jahren des 19. Jahr- 
hunderts, und der zunehmende Personenverkehr stellte an Schnelligkeit und 
Komfort der Schiffe größere Ansprüche. Gleichwie auf dem Lande mit 
Einführung der Eisenbahnen wurde auch auf dem Wasser das Bedürfnis 
nach Einrichtung regelmäßiger Schiffahrtslinien empfunden. Zunächst 
standen die Amerikaner und Engländer in dem transatlantischen Ver- 
kehr weit voran. Deutschlands Handelsflotte gehörte bis um die Mitte 


1) Litteratur: R. Landerer, Geschichte der Hamburg-Amerikanischen Packet- 
fahrt-Aktien-Gesellschaft (Jubiläumsschrift), Leipzig 1897. — Jahresberichte der 
H:amburg-Amerika Linie. 


Miszellen. 817 


des 19. Jahrhunderts überwiegend der Ostsee an. Die deutsche Hoch- 
seeschiffahrt konnte sich von der schweren während der Kontinental- 
sperre erlittenen Einbule erst langsam wieder erholen. 1840 erfolgte 
in England durch Stephan Cunard die Einrichtung einer staatlich sub- 
ventionierten großen Dampferlinie. Die Amerikaner unterhielten seit 
1828 einige Jahre hindurch nach Hamburg eine Seglerlinie, später nach 
Bremen und Havre regelmäßige Dampferlinien. In Deutschland ging 
der Seeverkehr nach Nordamerika in den 40er Jahren überwiegend- 
über Bremen, während Hamburg nach Westindien und Südamerika seine 
hauptsächlichsten Beziehungen hatte. Doch waren diese Beziehungen 
sehr viel weniger entwickelungsfähig als die nach Nordamerika, und es 
wurde für Hamburg eine Lebensfrage, sich an dem riesig anschwellenden 
Güter- und Personenverkehr nach den Vereinigten Staaten einen ent- 
sprechenden Anteil zu sichern. 

Dazu gehörte die Einrichtung regelmäßiger Fahrten zwischen Ham- 
burg und New York, die Einstellung schnellfahrender und gut einge- 
riehteter Schiffe, die zur Beförderung der Auswanderer besonders 
passend waren und den schlechten Ruf, den gelegentliche Auswanderer- 
transporte über Hamburg mit ungeeigneten Schiffen erlangt hatten, be- 
seitigen konnten. Das wurde von einigen Hamburger Kaufleuten, den 
Gründern der „Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Aktiengesellschaft“ 
richtig erkannt. Unter den Begründern werden der Schiffsmakler 
August Bolten, der erste Direktor Ad. Godeffroy, der Kaufmann Ernst 
Merck, die Rheder Ferd. Laeisz und Carl Woermann als besonders 
verdienstvoll genannt. Sie begründeten am 27. Mai 1847 die Gesell- 
schaft zu dem Zweck, eine regelmäßige Verbindung Hamburgs mit 
Nordamerika (zunächst mit New York) mittels Segelschiffen unter Ham- 
burger Flagge herzustellen. Die nötigen Schiffe sollten, soweit das 
Kapital dazu reichte, gebaut und gekauft, anderenfalls auch gechartert 
werden. Durch Ausgabe von 62 Aktien kam ein Kapital von 310 000 M. 
Bco. (465000 Reichsmark) zusammen. In den ersten Jahren wurden 
die Aktien ausschließlich an Hamburger Staatsbürger abgegeben, weil 
man durch diese Beschränkung die Befreiung vom Stader Zoll erreichte. 
Unter „Packetfahrt“ verstand man zur Zeit der Namengebung der 
Gesellschaft allgemein den regelmäßigen Schiffsverkehr zwischen zwei 
Häfen zur Beförderung von Stückgütern, Packeten und Postsachen. Als. 
das Wort außer Uebung kam, legte sich die Gesellschaft die kürzere 
und weniger mißverständliche Bezeichnung „Hamburg-Amerika Linie“ 
bei, die jetzt immer allgemeiner gebraucht wird. 

Alsbald nach der Gründung wurden drei tüchtige, solide und schnell 
segelnde Schiffe bei Hamburger Werften in Auftrag gegeben. Zwar 
fuhren zu jener Zeit schon Dampfer, aber noch Jahre lang war man in 
Hamburg der Meinung, daß ein Dampferdienst ohne Regierungsunter- 
stützung nicht aufrecht zu erhalten sein würde. Im Oktober 1848 
wurden die beiden ersten Segler „Deutschland“ und „Nordamerika“ in 
Dienst gestellt, Segler von 717 Registertonnen, mit Räumen für 200 
Auswanderer und 20 Kajütspassagiere zu einem Preise von je 132000 M. 
für die damalige Zeit große, komfortable und gern benutzte Schiffe, die 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI), 52 


818 Miszellen. 


durchschnittlich in 42 Tagen die Ausreise und in 30 Tagen die Rück- 
reise machten und besonders musterhafte Auswandererräume hatten. 
Die Jubiläumsschrift der Hamburg-Amerika Linie bemerkt aber von 
ihnen mit Recht, daß sie noch den Carawellen des Kolumbus an Größe 
und Art der Erscheinung viel näher standen als unseren heutigen 
Schnelldampfern, daß also die größten Fortschritte in Schiffbau und 
Schiffahrt erst in die wenigen Jahrzehnte des Bestehens der Gesellschaft 
fallen. Im nächsten Jahre kamen zwei weitere Segler hinzu. Zunächst 
war die Gesellschaft durch die mit dem dänischen Kriege verbundene 
Blockade verhindert, die nach 1848 einsetzende starke Auswanderung 
für sich auszunützen und hatte empfindliche Verluste zu erleiden. Die 
nächsten Jahre waren günstiger, so daß schon 1851 und 1853 ein fünfter 
und sechster größerer Segler beschafft werden konnten und vorüber- 
gehend mehrere Schiffe zur Bewältigung des Auswandererverkehrs ge- 
chartert werden mußten. Die 6 Segler maßen im ganzen 4000 Register- 
tonnen und machten durchschnittlich im Jahr 3 Reisen nach New York und 
zurück. Nun stieg in den folgenden Jahren außer dem Personen- auch 
der Güterverkehr über den Ozean, die amerikanische Ausfuhr und der 
Reiseverkehr nahmen erhebliche Dimensionen an und dadurch traten 
die Vorzüge der 4 bereits bestehenden englischen und amerikanischen 
transatlantischen Dampferlinien immer mehr hervor. Nachdem die 
Leitung der Hamburger Rhederei eine Zeit lang gezweifelt hatte, ob 
sie mit den sämtlich staatlich subventionierten Dampferlinien in Wett- 
streit treten könne, entschloß sie sich doch schon Ende 1853 zum Bau 
von 2 Dampfern. 

Die Dampfer Borussia und Hammonia wurden 1854 in England 
bestellt in Größe von je 2026 Registertonnen und für 12—121/, See- 
meilen Geschwindigkeit. Die Mittel wurden durch Erhöhung des 
Aktienkapitals auf 2 Mill. M. Bco. (Umwandlung der Namens- in In- 
haberaktien, Ausgabe auch außerhalb Hamburgs) aufgebracht. Die 
Schiffe wurden im Sommer 1855 geliefert und zunächst an die eng- 
lische bezw. französische Regierung für Truppentransporte nach der 
Krim vorteilhaft verchartert. 1856 wurden dann die Schiffe, die sich 
durchaus bewährten, in die New Yorker Fahrt eingestellt, und seit Juni 
1856 führte die Linie regelmäßige monatliche Fahrten ein. Auf der 
New Yorker Fahrt wurde seither meistens je ein Hafen in England 
(Southampton oder Plymouth) und in Frankreich (Havre, Boulogne oder 
Cherbourg) angelaufen. Um die Verbindung zu einer l4-tägigen zu 
machen, wurden noch im gleichen Jahre zwei weitere Dampfer bestellt. 
In den nun folgenden Jahren wurde das Geschäft mit abnehmendem Er- 
folge betrieben. Das Jahr 1858 brachte durch einen Frachtenkrieg mit dem 
das Jahr zuvor begründeten Bremer Lloyd und durch Verbrennen eines 
Dampfers empfindliche Verluste. Im Winter 1859/60 wurde der Betrieb 
zum ersten Male den ganzen Winter hindurch aufrecht erhalten. Das 
Jahr 1860 und die ihm folgenden brachten wieder günstigere Verhält- 
nisse und steigende Dividenden. Einige neue Dampfer wurden beschafft, 
daneben wurden auch die Segler, soweit sie nicht gelegentlich gechartert 
wurden, in der New Yorker Fahrt verwandt. Ein Versuch, sie nach 


Miszellen. 819 


Quebec zu leiten, wurde bald wieder aufgegeben. Nach und nach wurden 
aber die Segler verkauft, der letzte 1867, 

Im Jahre 1865, als nach Beendigung des amerikanischen Bürger- 
kriegs die Auswanderung und der Handel eine große Zunahme ver- 
sprachen, wurde das Kapital erhöht, die Flotte auf 8 Dampfer ge- 
bracht und der Bau eines eigenen Trockendocks in Hamburg beschlossen, 
das 1870 in Betrieb genommen wurde Es folgten Jahre großer 
Prosperität; 1866 wurden für den Sommer wöchentliche Expeditionen 
nach New York eingeführt. Im Jahre 1867 wurden günstige Post- 
verträge mit dem Norddeutschen Bund, den Vereinigten Staaten und 
England abgeschlossen, und im gleichen Jahre wurde mit den älteren 
Dampfern eine Linie nach New-Orleans und Havana ins Leben gerufen, 
während in die Linie nach New York, wo die internationale Konkurrenz 
immer schärfer wurde, wiederholt neue und schnellere Dampfer ein- 
gestellt wurden. 

Der Krieg von 1870 brachte nur für einige Monate eine voll- 
ständige Unterbrechung des Betriebs. 1871 wurde eine Linie nach 
Westindien mit zunächst monatlichen Abfahrten eingerichtet. Bei den 
günstigen Aussichten wurde das Aktienkapital wieder erhöht und eine 
ganze Anzahl von neuen Schiffen bestellt, darunter erstmalig einige 
Dampfer in Deutschland. Nun aber entstand in der Gründerzeit auch 
der Hamburg-Amerika Linie eine scharfe Konkurrenz. Die Hamburger 
Adler-Linie wurde 1872 mit einem großen Kapital gegründet und trat 
Ende 1873 in den Wettbewerb der New Yorker Fahrt ein. Im Jahre 
1874 brachte ein scharfer Frachtenkampf beide Gesellschaften an den 
Rand des Ruins und der Hamburg-Amerika Linie einen direkten Be- 
triebsverlust von 11/, Mill. M. Die einsetzende Wirtschaftskrise ver- 
schärfte den Kampf. Die Linie nach Westindien ergab gleichzeitig 
ebenfalls Verluste, die nach New-Orleans mußte aufgegeben werden. 
Jedoch war inzwischen die Adler-Linie vollständig zu Ende mit ihren 
Kräften. Schon im April 1875 übernahm die Hamburg-Amerika Linie 
deren gesamtes Inventar (darunter 6 Dampfer) gegen eine Vergütigung 
von 5!/, Mill. 5-proz. Schuldverschreibungen und 7!/, Mill. neuer Stamm- 
aktien. Durch die Uebernahme war aber das Kapital und die Flotte 
der Linie zu groß geworden für eine zweckmälige Verwendung. Ver- 
lustreiche Schiffsverkäufe, ungünstige Ergebnisse in Westindien und 
wiederholte schwere Havarien brachten im Jahre 1876 ein Defizit von 
31/, Mill zu Stande. Infolgedessen erfolgte eine Reduktion des 
Aktienkapitals von 221/, auf 15 Mill. M., und dadurch wurde eine 
Gesundung des Unternehmens bewirkt. 

Im Jahre 1878 wurde nach 4 dividendelosen Jahren wieder ein 
Gewinn erzielt. Die westindische Linie entwickelte sich günstig, und 
es kam eine Anschlußlinie nach Mexiko hinzu. Als zu Anfang der 
80er Jahre der Lloyd und die ausländischen Linien den Schnelldampfer- 
dienst einführten, hielt man in Hamburg zunächst damit zurück, jedoch 
wurden die Schiffe mit mehr Aufbauten für Passagiere versehen, neue 
große Dampfer zugekauft, und seit 1881 zweimal in der Woche Ab- 
fahrten nach New York eingeführt, im gleichen Jahr auch ein großer 

52* 


LL 


820 Miszellen. 


eigener Landungsplatz in New York beschafft. Nach einigen glück- 
lichen Jahren brachte das Jahr 1883 den Untergang mehrerer Schiffe 
und eine neue scharfe Konkurrenz im Auswanderer- und Frachtgeschäft 
nach New York durch die Hamburger Carr-Linie. Die Zwischendeck- 
und Frachtpreise wurden allmählich auf einen nie dagewesenen Tief- 
stand gedrückt, und die Hamburg-Amerika Linie arbeitete wieder ohne 
Gewinn, bis im Jahre 1886 eine Verständigung herbeigeführt wurde. 
Zwei Direktoren der Carr-Linie traten zur Hamburg-Amerika Linie 
über, darunter ihr jetziger Generaldirektor Alb. Ballin, der von nun an 
in der Entwickelung der Gesellschaft die Führung übernahm und nach 
allgemeinem Urteil an ihrer jetzigen Größe den hervorragendsten Anteil 
hat. Mit der Carr-Linie und der Rhederei von Sloman in Hamburg 
und auch mit den englischen u. a. Linien wurden in der Folge Abkommen 
getroffen, welche dem unbegrenzten Preiskampf im Passagegeschäft und, 
soweit die kontinentalen Linien in Fragekommen, auch im Frachtgeschäft 
ein Ende machten. 

Noch 1886 übernahm die Hamburg-Amerika Linie eine Linie 
zwischen Stettin und New York. Mit Energie wurde an der Erneue- 
rung der Flotte gearbeitet, alte Schiffe verkauft und neuere, trag- 
fähigere gebaut. Im Jahre 1887 wurden auch die ersten Schnell- 
dampfer, einer bei einer englischen Werft und der zweite bei dem 
Stettiner Vulkan in Auftrag gegeben, in Größe von 7500 Register- 
tonnen, 140 m lang, die ersten deutschen Dampfer mit Doppelschrauben, 
mit Maschinen von 13 300 Pferdekräften. 1888 wurde eine Linie nach 
Baltimore neu eingerichtet, die Abfahrten nach Westindien wurden 
auf sechs im Monat erhöht. Die Carr-Linie ging ein und ihre Dampfer 
wurden übernommen. Für den Ankauf der Schnelldampfer wurde das 
Kapital auf 30 Mill. erhöht. In Hamburg wurde ein großes Verwaltungs- 
gebäude errichtet, im Hafen wurden Werkstätten gebaut und im neuen 
Freihafen der Linie ein eigener Quai vom Hamburger Staat eingeräumt. 

Im Jahre 1889 traten die ersten Schnelldampfer Auguste Victoria 
und Columbia in Dienst, die durch Schnelligkeit, gute Bauart und 
Eleganz der Einrichtung bald zu den beliebtesten Dampfern der trans- 
atlantischen Fahrt zählten. Zwei weitere, ähnliche Schnelldampfer: 
Fürst Bismarck und Normannia wurden in Stettin und England gebaut 
und 1890 bezw. 1891 in Dienst gestellt. Der Fürst Bismarck war bei 
seiner Indienststellung das schnellste Schiff in der ganzen trans- 
atlantischen Fahrt und kürzte die Ueberfahrtszeit auf 6 Tage, 11 Stunden 
und 44 Minuten. Die Schnelldampfer sind nach Vereinbarung mit dem 
Reiche so eingerichtet, daß sie im Kriegsfall als Hilfskreuzer benutzt 
werden können. 1891 wurde die Linie nach Philadelphia neu ein- 
gerichtet und die Hamburger Hansa-Linie, die seit 1881 Fahrten nach 
Montreal und Boston unterhalten hatte, für 5 Mill. übernommen. Auch 
die Fahrten nach New-Orleans wurden wieder aufgenommen. 

Im Jahre 1892 brachte die Choleraepidemie in Hamburg der Linie 
schwere Verluste. Die Auswandererbeförderung wurde eingestellt, der 
Schnelldampferbetrieb nach England verlegt. Im Winter wurden von 
diesem Jahre an die Schnelldampfer von New York nach Genua ge- 


Miszellen. 821 


leitet. Auch im nächsten Jahre wirkte die Furcht vor der Cholera in 
Verbindung mit dem Darniederliegen des amerikanischen Frachten- 
marktes ungünstig. 1894 trat eine kleine Besserung ein, die 1895 
intensiver wurde. Für den New Yorker Dienst wurden nun große 
Doppelschraubendampfer gebaut, die zugleich Raum für zahlreiche 
Passagiere, besonders Auswanderer und eine bis dahin noch nirgends 
erreichte sehr erhebliche Ladungsfähigkeit hatten (P-Klasse, die 4 
großen P-Dampfer mit 140 000, die „kleinen“ mit 80 000 bis 90 000 dz 
Tragfähigkeit), und diese haben sich als außerordentlich praktisch 
und rentabel bewährt. Auch im übrigen wurden nach bewährten 
Typen ganze Gruppen gleichartiger Schiffe für einzelne Linien er- 
baut (B-Klasse, A-Klasse, S-Klasse nach den Anfangsbuchstaben der 
Schiffsnamen genannt). Seither sind in jedem Jahre gute Ergebnisse 
erzielt worden, und namentlich hat im Jahre 1900 der Verkehr nach 
Nordamerika große Gewinne gebracht. Im Jahre 1896 kam eine Linie 
zwischen Genua und dem La Plata hinzu. Das Aktienkapital wurde 
nun binnen wenigen Jahren von 30 auf 80 Mill. M. erhöht, die Flotte 
durch Einstellung neuer Schiffe entsprechend leistungsfähiger gemacht. 
Das Jahr 1898 brachte die wichtige Ausdehnung der Linie durch die 
Fahrten nach Ostasien. In den Reichspostvertrag des Norddeutschen 
Lloyd trat die Hamburg-Amerika Linie mit gleichzeitiger Verdoppelung 
der Fahrten zu gleichen Teilen ein und gab vier große Reichspost- 
dampfer in Bau. Ebenfalls gemeinsam mit dem Lloyd betreibt sie eine 
im Januar 1898 eingerichtete Frachtdampferlinie nach Ostasien. Die 
konkurrierende Hamburger Kingsin-Linie wurde aufgekauft. Bald darauf 
wurde auch eine Frachtdampferlinie zwischen New York und Ostasien 
durch den Suezkanal eingerichtet. Im Juni 1900 wurde eine Linie 
nach Nordbrasilien neu eröffnet und einige Monate später die Linien 
der Hamburger Rhederei de Freitas nach Südamerika aufgekauft. Die 
gesamten Hamburger Linien nach dem östlichen Südamerika werden nun- 
mehr von der Hamburg-Amerika Linie in Betriebsgemeinschaft mit der 
Hamburg-Südamerikanischen Dampfschiffahrtsgesellschaft befahren. An 
der Westküste von Amerika beteiligt sich die Hamburg-Amerika Linie 
durch Vertrag seit Anfang 1901 an den Fahrten der Hamburger Kosmos- 
Linie. Im Frühjahr 1901 wurde die englische Atlaslinie aufgekauft, die 
mit 7 Schiffen regelmäßige Linie von New York nach Westindien und 
Centralamerika betrieb, und diese Linien sollen durch Einstellung neuer 
Dampfer ausgestaltet werden. 

Im Sommer 1900 fiel der Linie gemeinsam mit dem Norddeutschen 
Lloyd die Aufgabe zu, das deutsche Expeditionskorps für China nach 
dem Kriegsschauplatz zu befördern, die Pferde dafür von San Franzisko 
zu bringen und die Materialien wie Ablösungstransporte zu fahren. Die 
Hamburger Linie stellte dafür 13 Dampter, die zum Teil noch im Jahre 
1901 für die Zwecke des Reiches zur Verfügung stehen. Sie hat 
außerdem ihren Dampfer Savoia als Hospitalschiff eingerichtet und dem 
Kaiser frei zur Verfügung gestellt. Nach dem Urteil der Behörden und 
der beförderten Offiziere und Mannschaften hat die Linie diese Aufgaben 


829 Miszellen. 


durchaus zur Zufriedenheit gelôst. Sie wurde im Sommer 1901 gleicher- 
weise auch mit dem Rücktransport der deutschen Truppen beauftragt. 

In Ostasien wurde im Jahre 1901 die Postdampferlinie zwischen 
Shanghai, Kiautschou, Cheefou und Tientsin von der Firma Diederichsen, 
Jebsen & Co. erworben und eine Linie zwischen Canton, Hongkong und 
Shanghai neu eingerichtet. — Für den schon während des spanisch- 
amerikanischen Krieges günstig verkauften Schnelldampfer Normannia 
hat die Linie im Jahre 1900 den Schnelldampfer Deutschland einge- 
stellt, mit 35600 Pferdekräften, 23,36 Seemeilen Geschwindigkeit, 
16 500 Registertonnen und 202 m Länge, mit seiner prächtigen Einrichtung, 
seinen zahlreichen schönen Sälen und Kajüten der schnellste, stärkste 
und schönste Handelsdampfer, der gegenwärtig (1901) überhaupt in 
Fahrt ist. Die Deutschland hat den Weg über den Ozean auf ihrer 
schnellsten Reise in 5 Tagen, 7 Stunden, 38 Minuten zurückgelegt. 
Weder ein deutsches noch ein ausländisches Schiff kann ihr gegen- 
wärtig den Vorrang auf dem Meere streitig machen. Durch die In- 
fahrtstellung der Deutschland und die gleichzeitige, unter Führung des 
Generaldirektors der Hamburg-Amerika Linie bethätigte erfolgreiche 
Beteiligung der deutschen Rhederei an der Weltausstellung zu Paris 
wurde das Ansehen der deutschen Schiffahrt in den weitesten Kreisen 
aller schiffahrenden Nationen wesentlich erhöht. 

In gleichem Maße wie die Vermehrung der Flotte wurde eine Er- 
weiterung der Hafen- und Landbauten für die Linie erforderlich. Gegen- 
wärtig wird in Hamburg speciell für sie ein großer Hafen von 254000 qm 
mit drei Quais vom Staate erbaut, den die Linie für eine Jahresmiete von 
1°/, Mill. M. in Benutzung nehmen wird. In Cuxhaven ist für die 
Schnelldampfer der Linie ein neuer, tiefer Hafen ausgehoben worden 
und es werden jetzt die Bauten für den Passagierverkehr und eine große 
Kolonie von Beamten- und Arbeiterhäusern der Hamburg-Amerika Linie 
dort errichtet. Desgleichen werden in Emden für den Bedarf der Linie 
gegenwärtig Hafenanlagen und Arbeiterhäuser erbaut, nach deren Fertig- 
stellung die Linie vom Juli 1901 ab Emden anlaufen und besondere 
Dampfer für den Transport schwedischer Erze nach Emden einstellen 
will. Zu gleicher Zeit werden die großen Quaianlagen der Linie in 
New York erweitert, wird in Hamburg an der Alster ein größeres neues 
Verwaltungsgebäude errichtet, von den kleineren Bauten zu schweigen. 

Für das laufende Jahr (1901) betreibt die Hamburg-Amerika Linie 
nunmehr 28 Linien, zum Teil mit anderen Rhedereien gemeinsam. 
Zwischen Hamburg und New York wird ein wöchentlicher Schnell- 
dampferdienst („Donnerstagslinie“, nach dem Hamburger Abfahrtstag) 
mit den 4 Doppelschrauben-Schnelldampfern der Linie unterhalten. Außer- 
dem wird mit den 4 großen und 2 kleineren Post- und Passagierdampfern 
der P-Klasse eine zweite wöchentliche Linie zwischen Hamburg und 
New York fortgeführt („Sonntagslinie“). Dazu tritt als dritte die in 
Zukunft ebenfalls wöchentliche Mittwochslinie, auf der abwechselnd 
Schiffe der Hamburg-Amerika Linie und der Hamburger Rhederei 
Sloman (Union-Dampfer) gehen. Die 14-tägige Scandia-Linie der 
Gesellschaft besteht zwischen Stettin und New York. Wöchentlich 


Miszellen. 823 


verkehren eine Anzahl Schiffe der B- und A-Klasse zwischen Ham- 
burg und Baltimore, etwa 12-tägig A-Dampfer zwischen Hamburg 
und Philadelphia. Je nach Bedarf gehen monatlich 2—3mal oder auch 
öfter Schiffe von Hamburg nach Boston. Die Verbindung von Ham- 
burg nach Kanada, Halifax und stromaufwärts nach Montreal (im 
Winter statt dessen nach Portland) soll etwa 14—18-tägig unterhalten 
werden. 

Nach Westindien und Mexiko fahren 7—8 Dampfer im Monat, die 
7 verschiedene Linien befahren. Dazu kommt nunmehr die angekaufte 
Verbindung New York-Westindien. In Zukunft wird zu diesen noch 
eine direkte 14-tägige Linie Hamburg-Mexiko treten. 29 Dampfer 
sind im laufenden Jahre speciell für den westindischen Dienst be- 
stimmt worden. Nach New Orleans und Galveston verkehrt 1mal 
im Monat ein Dampfer. — Die Linie Genua-La Plata wird nicht 
mehr von der Hamburg-Amerika Linie betrieben; an ihre Stelle ist 
die mit ihr in enger Beziehung stehende Gesellschaft Italia getreten. 
Auf der Strecke Genua-New York verkehren etwa 2mal monatlich 
Passagier- und Frachtdampfer; im Winter tritt der Schnelldampfer- 
dienst Genua-New York hinzu, den Hamburg-Amerika Linie und Nord- 
deutscher Lloyd gemeinsam besorgen. 

Gleichfalls gemeinsam werden von den beiden genannten Linien 
die Fahrten nach Ostasien betrieben, sowohl die 14-tägige Reichspost- 
dampferlinie nach Ostasien, auf der seitens der Hamburg-Amerika Linie 
außer den in Fahrt befindlichen großen Reichspostdampfern Hamburg 
und Kiautschou (je 11000 Tonnen) später zwei noch etwas größere Schiffe, 
die jetzt im Bau sind, eingestellt werden sollen. Zu der Frachtdampfer- 
linie von Hamburg nach Ostasien (3—4mal monatlich) stellt die Ham- 
burg-Amerika Linie 13 Schiffe der A- und S-Klasse. Mit zwei anderen 
Gesellschaften zusammen unterhält die Hamburg-Amerika Linie die 
Linie New York-Ostasien durch den Suezkanal, auf der sie viertel- 
jährlich 2 Dampfer stellt; dafür sind 4 Dampfer bestimmt worden. 
Hierzu kommen jetzt die beiden Linien Shanghai-Tientsin und Canton- 
Shanghai. 

Nach Südamerika ist von diesem Jahre ab ein gemeinsamer Dienst 
mit der Hamburg-Südamerikanischen Dampfschiffahrts-Gesellschaft ein- 
gerichtet worden, mit erheblicher Vermehrung der Abfahrten (wöchent- 
lich jetzt 3—4). An den 4 Linien nach Nord-, Mittel-, Südbrasilien 
und La Plata ist die Hamburg-Amerika Linie zu einem Drittel beteiligt 
und stellt hierfür 14 Dampfer. Ebenso ist die Gesellschaft in Zukunft 
an den Fahrten der Kosmoslinie nach der Westküste von Amerika (von 
der Südspitze bis San Franzisko) beteiligt und wird dorthin vorerst alle 
2 Monate, später öfter einen Dampfer expedieren. 

Eine Sonderstellung im Fahrplan nimmt endlich die neue speciell 
für Touristenfahrten 1900 erbaute Dampfyacht Prinzessin Viktoria Luise 
ein, die das ganze Jahr hindurch für Vergnügungsreisen zur Verfügung 
steht und die nach Westindien, ins Mittel- und Schwarze Meer, um 
England, nach dem Nordkap, in die Ostsee etc. geht. Zeitweise steht 
auch der Schnelldampfer Auguste Viktoria wieder für seine alljährlichen 


824 Miszellen. 


Orient- bezw. Nordlandfahrten zur Verfügung, die seit 1892 bezw. 
1894 mit großem Erfolg regelmäßig unternommen werden. 

Die Hamburg-Amerika Linie hat außerdem noch für andere Ge- 
sellschaften den Passagierdienst zu besorgen, so besonders für die 
Deutsche Ostafrika-Linie, deren Dampfer jetzt in beiden Richtungen 
ganz Afrika umkreisen, desgleichen für die Südamerika-Linie und für die 
Union-Dampfer. 

Ueber die Entwickelung der Linie von 1847—1900 teilen wir 
nachstehend die Hauptzahlen, betreffend das Kapital, die Schiffe, Reisen 
und Beförderungsleistungen in Tab. A mit; für die Zeit von 1885 bis 
1900, in welche die größte und entscheidende Entwickelung der Linie 
fällt, können wir in Tab. B noch einige weitere Angaben über die er- 
zielten Geschäftsgewinne und ihre Verwendung, sowie über den Raum- 
gehalt und den Wert der Ozeandampfer anfügen. 

(Siehe Tabelle A und B auf S. 825 u. 826.) 

Beide Tabellen zeigen auf den ersten Blick, daß das letztverflossene 
Jahr den Höhepunkt der gesamten Entwickelung darstellt. Für Ende 
März 1901 giebt der letzte Jahresbericht die Flotte der Gesellschaft 
auf 98 Seeschiffe mit 486528 Registertonnen in Betrieb, 15 See- 
schiffe mit 98600 ‚t im Bau, ferner auf 121 Flußdampfer, Schlepper 
und Leichter mit 25 277 t in Betrieb und 15 mit 4773 t im Bau an, 
im ganzen auf 249 Fahrzeuge mit 615178 Registertonnen. (Schon 
6 Wochen später war die Flotte durch Ankäufe auf 639000 t an- 
gewachsen.) Damit ist die Hamburg-Amerika-Linie, ebenso wie der 
Norddeutsche Lloyd in Bremen, der für die gleiche Zeit insgesamt 
540 119 t angiebt, allen ausländischen Rhedereien weit überlegen, als 
deren größte die British India Steam Nav. Co. mit 378 770 t in das 
Jahr 1901 eingetreten ist. Ebenso stehen die beiden großen deutschen 
Gesellschaften hinsichtlich der Beförderungsleistungen, für Güter be- 
sonders die Hamburger, für Personen am meisten die Bremer Linie, 
allen ausländischen Gesellschaften weit voran. 

Hinsichtlich des Kapitals ist zu bemerken, daß die Hamburg- 
Amerika-Linie Ende 1900 außer den 80 Mill. M. Aktienkapital, der 
Kapitalreserve und der Prioritätsanleihe noch über eine in den letzten 
Jahren gebildete Versicherungsreserve von 10 Mill. und ein Erneuerungs- 
konto von 2 Mill. M. verfügt. Im März 1901 wurde von der Linie 
die Ausgabe von 271/, Mill. M. neuer Obligationen beschlossen, die 
jetzt nach und nach begeben werden. 

Der Bruttogewinn erscheint auf den ersten Blick hoch, doch gehen 
von ihm außer den Steuern und Verwaltungskosten besonders die hohen 
Abschreibungen vorweg ab, welche die großen Schwankungen des inter- 
nationalen Handelsverkehrs, die Gefahren der Schiffahrt und die rasche 
Abnutzung und Entwertung der modernen kostspieligen Dampfer zur 
Pflicht machen. Der letzten Abschreibung von etwa 151/, Mill. steht 
ein Inventarwert der Schiffe und Immobilien von 118,9 Mill. M. gegenüber. 

Gegenwärtig erscheint das Unternehmen, mit seinen mehr als 
15 000 Angestellten, Agenten und Arbeitern eines der größten des Landes, 
nach dem Wechsel der guten und schlechten Zeiten, von Erfolgen und Ge- 


Miszellen. 825 


Tab. A. Kapital und Leistungen der Hamburg-Amerika 
Linie 1847—1900. 


Aktien- | Kapital- | Prioritäts- | Zahl der | Zahl |Beförderte| pps jorte 

Jahre | kapital reserve anleihe |Seeschiffe |der Rund-| Güter in Passion 
/ . 1 ise) 
in 1000 M. am Jabresschlug ` An Fahrt )| reisen |1000 cbm 

1847 465 = re = = = 
1848 510 — — 2 2 S 168 
1549 532,5 7,9 77 4 3 1424 
1850 532,5 39,4 — 4 11 1420 
1851 582,5 95,3 = 5 II ` 3 448 
1852 582,5 168,1 -— 5 14 4 666 
1853 582,5 168,1 — 6 13 4950 
1854 1 782,6 6,4 — 6 16 9 063 
1855 3 000 156,5 — 8 14 3 999 
1856 3 000 242,9 — 9 28 8 977 
1857 3 000 167,5 3 000 II 22 12 362 
1858 3 000 42,1 2 850 II 26 A 9597 
1859 2 887,5 36,6 2 700 II 33 17 6353 
1860 2 887,5 65,5 2550 II 36 19 12 870 
1861 2 887,5 152,1 2 400 II 34 22 11275 
1862 2 887,5 296,5 2250 II 39 29 13 259 
1863 2 941,5 333,9 2 100 10 35 21 15 160 
1864 3 562.5 58,8 1950 9 38 13 16 373 
1865 3 562,5 508,8 1 800 9 38 23 | 30002 
1866 | 4 283,2 958,8 3150 9 45 30 33 283 
1867 5 287,5 575,5 3 000 10 43 25 30 293 
1868 5 250 365,8 4 260 10 57 21 38 599 
1869 6 000 945,4 4 200 10 64 44 -43071 
1870 | 7500 394,5 3 780 11 44 36 29 441 
1871 9 600 384,5 6 540 13 63 155 39151 
1872 | 10500 1176,0 6 300 13 75 163 58 367 
1873 | 12750 774,8 8 970 17 76 172 50 908 
1874 | 16 500 1,7 8 640 23 78 188 34 666 
1875 | 22500 19,6 15 120 28 67 194 29 924 
1876 | 22 500 42,1 12 100 24 79 205 30 200 
1877 re 000 310,0 9850 19 71 211 23 688 
1878 | 15 000 462,2 5 900 17 69 210 26 219 
1879 | 15 000 554,0 4275 18 79 257 25 748 
1880 | 15.000 945,7 4050 20 94 273 57 873 
1881 | 15 000 1054,0 3 825 22 114 329 81 873 
1882 | 15 000 802,4 7000 | 22 124 385 81459 
1883 | 15 000 164,1 6650 22 112 386 67 295 
1884 | 15 000 164,1 6 300 23 122 435 78659 
1885 | 15 000 164,1 5 950 23 123 423 57 383 
1886 | 15 000 195,7 5 600 26 128 486 48 131 
1887 | 16250 248,9 6 250 26 | 125 525 41 620 
1888 | 22 500 3287,9 6397,»| 29 175 657 57 425 
1889 | 25 000 3291,7 9 500 37 213 807 59 420 
1890 | 30 000 3291,7 9 250 41 288 1039 86 156 
1891 | 30 000 3291,7 9000 | 45 | 273 989 125 997 
1892 | 30 000 3291,7 8750 | 48 | 293 1150 104 135 
1893 | 30 000 3291,7 15000 | SI CG 315 1226 103 114 
1894 | 30 000 3291,7 14625 | 55 327 1175 99 060 
1895 | 30 000 3291,7 14250 | ER 295 1363 91 638 
1896 | 30 000 3291,7 13 875 62 344 1808 84 250 
1897 | 45 000 4781,6 13 500 58 456 2305 73 089 
1898 | 50 000 5414,6 13 125 60 365 2389 74 661 
1899 | 65 000 6500,0 12 750 70 395 3034 101 975 


1900 | 80 000 8234,8 12 375 98 419 3196 166 539 


1) Jeweils am Jahresschluß bezw, zur Zeit der folgenden Generalversammlung 
(2 bis 3 Monate später). 


826 Miszellen. 


Tab. B. Jahresgewinne und Tonnage der Hamburg- 
Amerika Linie 1886—1900. 


Gesamter Ab- j © Der Oceandampfer 
Geschäfts- à Kapital- Schiffsraum : 
Jahr gewinn schrelbungeni dividende in in Brutto- We dee 
f Proz. registertonnen S 
in 1000 M. am Jahresschluß 
4 | 67237 16510 
6 | 65 021 16 044 
DNA 69 878 16 052 
II 104 225 30 125 
8 122 883 37 090 
5 | 138479 42 125 
o | 145 682 39 720 
o 153 629 38 725 
o 181 838 46 900 
5 173 985 44 890 
8 192 878 44 118 
6 227 082 53 079 
8 262 948 56 459 
8 335 238 73 695 
| 10 423 932 102 000 


fahren als fest fundiert, wenngleich der im Vergleich mit der zu er- 
wartenden Dividende niedrige Kursstand seiner Aktien (unter 130 im 
März 1901) zeigt, daß man sich der schwereren Zeiten noch wohl er- 
innert, und daß man auch daran denkt, wie im Rhedereigewerbe nur 
eine Minderzahl von Gesellschaften sich zu gesichertem Bestande durch- 
gerungen hat, während weit mehr ohne dauernden Erfolg vom Schau- 
platz wieder abtreten mußten. Das ist für die Beurteilung auch der 
ersten Schiffahrtswerte von Einfluß. 

Gegenwärtig schützt der Umfang und die Kapitalmacht der Linie 
diese vor einem verderblichen Wettbewerb neuer Konkurrenten. Die 
Vielseitigkeit ihres Betriebes macht sie von Wirtschaftskrisen und 
anderen Störungen des Handels mit einzelnen Ländern minder abhängig; 
nur wirtschaftspolitische Maßnahmen, welche das gesamte deutsche Wirt- 
schaftsleben erschüttern und den deutschen Export unterbinden, müßten 
auch die Linie empfindlich treffen, die in der vermehrten Auswanderung 
kaum einen ausreichenden Ersatz finden würde. Ihre starken Reserven 
und die energisch gehandhabten Abschreibungen bilden eine weitere 
wesentliche Sicherung gegen mögliche Unfälle und Wirtschaftskrisen. 
Diese sichere Lage der Gesellschaft ist bei ihrem jetzigen Betriebs- 
umfang aber auch für das deutsche Wirtschaftsleben fast eine Not- 
wendigkeit geworden. Denn weit über ihre vielfachen Beziehungen zu den 
staatlichen Betrieben der Post, der Eisenbahnen, des Heeres und der 
Marine hinaus geht das öffentliche Interesse an ihrem Betrieb, an dem 
Hunderttausende von Kunden und Interessenten Anteil nehmen und 
über den schließlich die Wirtschaftsgeschichte unseres Volkes das Ur- 
teil spricht. 


Miszellen. 827 


Nachdruck verboten, 


XII. 


Ausstände und Aussperrungen in Dänemark 1897—1899. 
Von W. Finn, Berlin. 


In den kürzlich vom königlich dänischen Statistischen Bureau 
herausgegebenen Publikationen sind die seit den letzten Jahren ge- 
sammelten Daten über die stattgefundenen Arbeitskonflikte zusammen- 
getragen und zum Gegenstande eingehender Untersuchungen gemacht 
worden. Einleitend giebt das Bureau eine Darstellung der Art und 
Weise, wie das Material zu der betreffenden Statistik in Dänemark be- 
schafft worden ist und welche Fragen man aufzuklären versucht; an- 
geschlossen ist eine Darstellung der Prinzipien, die in den anderen 
Kulturstaaten zur Anwendung kommen, welche ähnliche Aufklärungen 
einsammeln. Auf offiziellem Wege geschehe das in Deutschland, Frank- 
reich, England, Oesterreich, Italien, Belgien und den Vereinigten Staaten, 
aber auch seitens der Fachorganisationen würden solche Uebersichten 
ausgearbeitet. In Norwegen und Schweden sei die Sache noch nicht 
in die Hand genommen worden. In der Einleitung wird ferner auf die 
großen Schwierigkeiten hingewiesen, welche der Beschaffung einer zu- 
verlässigen Statistik in Dänemark sowohl wie anderwärts entgegenstehen 
und wie vorsichtig man bei seinen Schlußfolgerungen sein müsse. Schon 
die Beschaffung des Materials sei schwierig und stoße oft auf Unwillen 
bei den betreffenden Parteien. In den meisten Ländern würden die 
Lokalbehörden zur Beschaffung der nötigen Aufklärungen benutzt, in 
Dänemark und England dagegen wende man sich direkt an die Arbeit- 
geber und Arbeiter, um durch deren Organisationen die Fragebogen 
ausfüllen zu lassen. Die wesentliche Stütze, die England an den Labour- 
Correspondents habe, die das Arbeitsdepartement mit allen wichtigeren 
Begebenheiten à jour halten, habe Dänemark ja nicht, aber die Kleinheit 
des Landes mache es leichter, die Verhältnisse zu übersehen und er- 
heische auch keine besondere Kontrolle seitens der Arbeitsinspektoren 
bezüglich der Ausfüllung der Schemas wie in Oesterreich. 

Aber nicht nur die Einsammlung des Materials selbst biete Zweifel 
dar, diese machen sich noch mehr geltend, wenn man zu den gestellten 
Fragen komme; das Bureau will aber nicht darauf eingehen, was in 
den verschiedenen Ländern in dieser Hinsicht gefordert wird, sondern 


828 Miszellen. 


es will durch die nachfolgenden Thatsachen zeigen, was man in 
Dänemark aufzuklären versucht hat. Das Material sei im Laufe der 
letzten Jahre vollständiger und besser geworden, je nachdem die Or- 
ganisationen zu der Arbeit gewöhnt worden seien; dagegen seien die 
Aufklärungen der Arbeitgeber außerhalb der Industrie und des Hand- 
werks von geringerem Werte, da noch die Ansicht herrsche, daß solche 
ganz privaten Verhältnisse zwischen den Arbeitsherrn und ihren Arbeitern 
eine Staatsinstitution nichts angehe, eine Ansicht, die das Bureau im 
öffentlichen Interesse tief beklagen muß. 

Während der 3 Berichtsjahre 1897—1899 fanden in Dänemark 
356 Arbeitseinstellungen statt, nämlich 111 in 1897, 147 in 1898 und 
98 in 1899. Diese Zahlen lassen ersehen, daß man aus der Anzahl der 
Konflikte keine ruhigen Arbeitsverhältnisse folgern kann, denn sowohl 
1897 und 1899 waren entschiedene Kampfjahre, während 1898 ruhig 
war und doch so viele Konflikte stattfanden. Die meisten Konflikte 
waren lokaler Natur: von allen entfallen ?/, auf die Hauptstadt, ?/, 
auf die Provinzstädte und !/, auf das platte Land. Nach Fächern ver- 
teilt, fanden die meisten Konflikte im Schneiderfache statt (34), dann 
folgen die verschiedenen Fabrikarbeiter (32), die nicht fachgelernten 
Arbeiter in der Industrie (30), die Schmiede- und Maschinenarbeiter (23); 
aus diesen Ziffern sei jedoch nicht zu schließen, wo die Verhältnisse 
wirklich am wenigsten ruhige gewesen, denn je mehr Arbeitsstellen, 
desto größere Aussichten für Konflikte. Meistens fanden die Konflikte 
in den ersten Monaten statt, namentlich im April. 

Von den Arbeitseinstellungen werden 294 als Ausstände, 19 als 
Aussperrungen, 43 dagegen als von gemischtem Charakter angeführt; 
aus diesen Ziffern erhellt, daß die wenigsten Arbeitseinstellungen durch 
die direkte Initiative der Arbeitgeber verschuldet wurden. Die Ur- 
sache zu den Konflikten war in wenigstens ?/, der Fälle (241) die 
Lohnfrage — wesentlich veranlaft durch die höheren Lohnforderungen 
der Arbeiter — alsdann folgen Fragen betreffend die Arbeitsordnung 
(34), z. B. Uneinigkeit über die Werkstattreglements, Verlangen wegen 
Einführung von Werkstätten, Streit wegen der Verwendung von fach- 
gelernten oder nicht fachgelernten Arbeitern, die Einführung neuer 
Maschinen u. s. w. Auf „persönliche Verhältnisse“, wie Unzufriedenheit 
mit einem Werkstattvorsteher, Verlangen wegen Entlassung von „Strike- 
brechern“ entfallen 21 Konflikte, während sich im übrigen oft mehrere 
Ursachen in ein und demselben Konflikt geltend gemacht haben. Ueber 
die Dauer der Konflikte liegen in 8/, der Fälle Aufklärungen vor; 
von diesen wurden %/, innerhalb eines Monats beendet. 1/, dauerte 
1—3 Monate und nur !/,, über 1/, Jahr. Die meisten unbekannten 
Konflikte waren kurz. Bezüglich der Frage des Umfanges der Kon- 
flikte muß man wünschen, die betreffenden Arbeitgeber, die Arbeiter 
und die verlorenen Arbeitstage kennen zu lernen; über keinen Fall sind 
die Aufklärungen vollständig, Man ersieht jedoch, daß die allermeisten 
Konflikte nur eine Arbeitsstelle berührten; in den beiden ersten Jahren 
war die durchschnittliche Anzahl der Arbeitsstellen per Konflikt 10, in 


Miszellen. 829 


1899 ca. 60, was durch die grofe Arbeiteraussperrung von 4500 Arbeits- 
stellen verursacht wurde. Die Anzahl der Arbeiter ist meistens von 
6—25; der Durchschnitt ist 100 in 1897, 50 in 1898 und über 400 in 
1899. Benutzt man die dänische Industriezählung vom Jahre 1897 zum 
Vergleich, so ersieht man, daß von je 100 Arbeitgebern während der 
3 Jahre: 2,6, 4,0 und 14,0 von einem Konflikt berührt wurden, be- 
züglich der Arbeiter sind die Zahlen 4,0 3,8 und 20,0. Diese Zahlen 
sind jedoch nur Minima, da einige der Arbeiter in der 1. Woche, 
andere in der 2. Woche u. s. w. arbeitslos sind. In der großen 
Aussperrung im Jahre 1899 war die höchste Anzahl der Arbeitslosen 
in einer Woche 30009, aber während der ganzen Periode war die 
Summe der Arbeitslosen 34352. In Folge eines Konfliktes werden 
dann auch indirekt andere Erwerbszweige in Mitleidenschaft gezogen. 
Die verlorenen Arbeitstage während der 3 Jahre sind berechnet zu 
0,4, 0,2 und 0,1 Proz. von der möglichen Anzahl der Arbeitstage. In 
einem normalen Jahre wird der Verlust der Arbeitstage wahrscheinlich 
die letzte Ziffer erreichen, wie die der Arbeiterstärke der dänischen In- 
dustrie (ca. 183000), so daß also die Ausstände und Aussperrungen be- 
wirken werden, daß die Industrie des Landes während des Jahres einen 
Tag ruht. 

Ueber den Geldverlust der Arbeiter infolge von Konflikten 
liegen in 200 Fällen Mitteilungen vor, wonach 3 Millionen Arbeitstage 
verloren gingen, die über 13 Mill. Kronen repräsentieren, wovon 12 Mill. 
Kronen auf die Aussperrungen in 1899 entfallen. Der durchschnittliche 
Lohnverlust während aller 3 Jahre war per Tag in der Hauptstadt 
3,68 Kronen, in den Provinzstädten 2,52 Kronen und auf dem Lande 
2 Kronen. In dieser Berechnung sind aber die beiden großen, das 
ganze Land umfassenden Konflikte während der Jahre 1897 und 1898 
nicht einbegriften, wo der Lohnverlust nicht weniger als 4,35 Kronen 
betrug, da diese Konflikte die am besten bezahlten Gewerbe während 
der besten Zeit des Jahres betraf. Rechnet man, daß der Verlust an 
Arbeitstagen in den unbekannten Konflikten 115000 betrug, so beläuft 
sich der ganze Verlust auf 13,4 Mill. Kronen. Einen Teil dieses Ver- 
lustes erhielten die Arbeiter durch Unterstützungen aus den Strike- 
kassen u. s. w. gedeckt; in 147 Konflikten wurde ein Unterstützungs- 
betrag von 3385646 Kronen ausgezahlt, in 63 Konflikten wurde nichts 
gezahlt, für 146 Konflikte fehlen die Aufklärungen, letztere spielen aber 
keine bedeutende Rolle, da es nur kurze Arbeitseinstellungen waren. 
Die erwähnten 3,4 Mill. Kronen sind denn wohl als das Maximum zu 
betrachten und betrug danach die durchschnittliche Unterstützung per 
verlorenen Arbeitstag in 1897—1899: 1,52, 1,68 und 1,02 Kronen. Auf 
welche Weise die übrigen 10 Mill. Kronen beschafft worden sind oder 
derjenige Teil davon, womit die Arbeiter sich genügen lassen mußten, 
läßt sich statistisch nicht nachweisen, ebensowenig wie die ökonomische 
Balance der Arbeitgeber, geschweige denn, was die beiden Parteien 
durch die Konflikte erreichten. 

Es ist sehr schwierig, den Ausfall der Konflikte mit Genauigkeit 
anzugeben; es dürfte jedoch anzunehmen sein, daß die Arbeiter doppelt 


red 


830 Miszellen. 


so viel Male siegten, wie die Arbeitgeber. Der vierte Teil der Kon- 
flikte endigte mit einem Kompromiß und oft blieben die Konflikte un- 
entschieden. Letzteres bezieht sich meistens auf kurze Konflikte, 
während der verhältnismäßig größere Teil der lang andauernden Kon- 
flikte mit einem Kompromiß endigte. 

Durch Schiedsspruch wurden während der 3 Jahre resp. 
5, 5 und 4 Konflikte und durch Vermittelung im Jahre 1899 
20 Konflikte entschieden. 

Die dem Werke beigefügten Tabellen geben Mitteilungen über 
jeden einzelnen Konflikt während der 3 Jahre und bezüglich der be- 
deutenderen Arbeitseinstellungen sind erklärende Noten beigefügt. 


Miszellen. 831 


Nachdruck verboten. 


XIII. 


Zur Revision des Krankenversicherungsgesetzes — 
ein Vorschlag. 
Von Dr. P. Hesse, Greifswald; fr. Kassenarzt. 


Nach bisheriger Handhabung werden den wegen Krankheit Er- 
werbsunfähigen der Ortskrankenkassen allwöchentlich ärztlicherseits Be- 
scheinigungen ausgestellt, auf Grund deren das wöchentliche Krankengeld 
von der Kassenverwaltung gezahlt wird. Das erfordert Mühewaltungen 
der Aerzte und Kosten für die Kassen. Der Aufwand wird durch- 
geführt, um eine Sicherung zu haben, daß nicht ungerechte Ansprüche 
an die Krankenkasse befriedigt werden. Neben dieser ärztlicherseits 
geleisteten Gewähr wird noch eine weitere Kontrolle der als erwerbs- 
unfähig Geführten ausgeübt durch Kontrolleure, die als solche von dem 
Kassenvorstand bestellt werden, seien es Mitglieder dieses Vorstandes 
oder anderweitige Personen. Während nun die letztgenannte Beauf- 
sichtigung der erwerbsunfähig Gemeldeten durch solche Betraute des 
Vorstandes zweckmäßig und notwendig ist, trifft dies auf die ärztlichen 
Beglaubigungen nur in bedingtem Maße zu. Für viele Krankheits- 
zustände bedarf es der ärztlichen Bescheinigungen keineswegs, am 
wenigsten der allwöchentlichen. Eine Lungenentzündung bietet meist 
ein so augenfälliges Krankheitsbild, daß es dem besuchenden Kontrolleur 
unzweifelhaft feststeht, der krank Daniederliegende sei — worauf es 
für die Kasse ankommt — erwerbsunfähig; oft wird er sogar die 
Art der Erkrankung, daß es sich also um eine Lungenentzündung 
handele, richtig erkennen. Die Herbeiführung einer ärztlichen Be- 
scheinigung der Erwerbsunfähigkeit ist dann gänzlich überflüssig, noch 
dazu eine allwöchentliche Wiederholung. Für die Aerzte sind diese 
mechanischen Arbeiten keine besonders erfreulichen, den Kassen er- 
wachsen durch sie unnötige, nicht unbeträchtliche Kosten. Man darf 
sich daher gemeinhin von Kassenwegen für Auszahlung des Kranken- 
geldes getrost in solchem Falle mit den Beobachtungen der Kontrolleure 
begnügen. Ebenso sollte ein vorübergehendes Unwohlsein, eine un- 
bedeutende Verletzung mit dem Gefolge einer Erwerbsunfähigkeit von 
einigen Tagen für gewöhnlich nicht den kostspieligen ärztlichen Apparat 
mit Erwerbsunfähigkeits- und Wiedererwerbsfähigkeitsbescheinigung in 
Bewegung setzen. 

Wo es sich also um Krankheitszustände handelt, bei denen die 
von den Patienten angemeldete Erwerbsunfähigkeit ohne weiteres für 
jedermann klar auf der Hand liegt, z. B. bei heftigen innerlichen oder 
äußerlichen Entzündungen mit starkem Fieber, bei Knochenbrüchen, 
vielen Wunden u. s. w., oder zweitens bei kurz dauernden Arbeits- 
unterbrechungen verlasse man sich in der Regel lediglich auf die 
Kontrolleure; sie werden meisthin das Rechte treffen. 


832 Miszellen. 


Auch bei den außerhalb des Arztwohnsitzes wohnenden Kranken 
der Gemeindeversicherung entstehen durch die Inanspruchnahme des 
Arztes nicht selten Kosten, die in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen: 
Ein Mitglied meldet sich krank — nicht um ärztliche Hilfe zu haben, 
denn er und die Angehörigen wissen, daß sein Krankenlager nicht von 
langer Dauer sein wird; in wenigen Tagen hofft er, ohne weiteres 
wieder zur Arbeit brauchbar zu sein. Aber das ihm zustehende Kranken- 
geld will er sich nicht für die Tage entgehen lassen. Beispielsweise 
handele es sich um einen Anfall von Influenza. Da muß nun der Orts- 
vorstand zunächst bescheinigen, daß der Kranke nicht reisefähig sei; 
den Arzt citieren; dieser reist nach dem 12 km entfernt gelegenen 
Orte (Kostenpunkt: 8—12 M. plus Fuhrwerk 6—8 M.), bescheinigt Er- 
werbsunfähigkeit, verschreibt womöglich noch eine Mixtur zu 1 M; 
ein Bote muß in die Stadt, die Medizin zu holen; der Wiederhergestellte 
endlich muß alsbald zum Arzt reisen, um sich die wiedererlangte Er- 
werbsfähigkeit bescheinigen zu lassen. Alles das nur, damit der Mann 
für seine 4-tägige unfreiwillige Arbeitsunterbrechung 3 M. Krankengeld 
gezahlt erhalten könne! Solche Sachen lassen sich in der Regel von den 
Kassenverwaltungen allein ohne Zuhilfenahme der Aerzte erledigen. 

Für fragliche, nicht auf der Hand liegende Fälle, in denen den 
Kontrolleuren oder den Verwaltungen ärztliche Begutachtungen wirk- 
lich von Wert sind, und wo auch deren Kosten in einem vernünftigen 
Verhältnis zu dem durch sie erreichten Nutzen stehen, da verlange die 
Verwaltung resp. führe herbei ein ärztliches Gutachten, mit dessen Ab- 
fassung für den Arzt dann doch auch ein gewisses Maß geistiger, ihn 
befriedigender Thätigkeit verbunden ist, und lohne solche Arbeit der 
Würde entsprechend. 

So spart die Kasse, und die Aerzte haben weniger Ursache zu 
klagen. 

Die gleichen Rücksichten, auf die Kasse oder vielmehr ihre Mit- 
glieder in erster Linie — durch Herabsetzung der Ausgaben, daher 
Erniedrigung der Beiträge und Erhöhung der Krankengelder — und 
auf die Aerzte in zweiter Linie — durch Beseitigung ihrer Haupt- 
klagen, nämlich der unwürdigen Abhängigkeit der Kassenärzte von den 
Kassenvorständen sowie der Monopolisierung der umfangreichen Kassen- 
krankenpraxis in den Händen verhältnismäßig weniger Aerzte — wozu 
als dritter Grund hinzukommt die Vorbeugung gegen einen Zukunfts- 
fall, daß durch plötzlichen Aerztestrike hier oder da die Durchführbar- 
keit des Krankenversicherungsgesetzes erheblich erschwert oder gar 
vereitelt werden könnte — solche Gesichtspunkte veranlassen mich, 
dem Dr. Silbermann'’schen Vorschlage (September 1900 dieser Jahr- 
bücher) beizutreten, welcher dahingeht, daß die ärztliche Hilfe und 
Arznei nicht mehr aus den Krankenversicherungen bezahlt werde. 

Die Kombinierung der beiden Maßnahmen, Beschränkung des ärzt- 
lichen Krankenkassenattestwesens auf besondere Fälle und Loslösung 
der ärztlichen Behandlung von den Aufgaben des Krankenversicherungs- 
gesetzes, scheint mir eine wesentliche Vereinfachung und Verbesserung 
des Gesetzes zu bewirken. 


Litteratur. 833 


Nachdruck verboten. 


Litteratur. 


VII. 


Böhm-Bawerk, Eugen von, Kapital und Kapitalzins. 


2. vielfach vermehrte und verbesserte Auflage. I. Abteilung: Ge- 
schichte und Kritik der Kapitalzinstheorien. Innsbruck 1900. XXXV 
und 702 SS, 


Derselbe, Einige strittige Fragen der Kapitalstheorie. 
Drei Abhandlungen. Wien und Leipzig 1900. 127 SS. 


Besprochen von Karl Diehl (Königsberg). 


Wenige Werke weist die nationalökonomische Litteratur auf, die sich 
eines so ungeteilten Beifalls erfreuen, wie Böhm’s Geschichte und 
Kritik der Kapitalzinstheorien. Die sorgfältige, klare und objektive 
Darstellung aller wichtigsten Zinstheorien, die gründliche und schart- 
sinnige Kritik und der stets vornehme Ton der Polemik den gegnerischen 
Ansichten gegenüber haben es zu einem Standard work der Fachlitteratur 
gemacht, das weit über die Grenzen Deutschlands und Oesterreichs 
hinaus für alle nationalökomisch Interessierten eine Quelle reichster 
Belehrung und Anregung geworden ist. Ueber den Rahmen einer Dogmen- 
geschichte einer einzelnen Theorie hinausgehend, bietet es durch die 
eingehende Art, wie Böhm die einzelnen Autoren darstellt und kritisiert, 
gleichzeitig in gewissem Sinne eine Geschichte des nationalökonomischen 
Denkens überhaupt. — Es ist mit größter Freude zu begrüßen, daß 
der Verfasser neben seiner amtlichen Thätigkeit die Muße gefunden 
hat, sein Werk einer gründlichen Durchsicht zu unterziehen und in 
einer 2. Auflage eine große Reihe neuer Zusätze hinzuzufügen; zwar ist 
die Darstellung und Kritik der einzelnen Zinstheorien eine wesentlich 
unveränderte geblieben, aber die ganze in den 16 Jahren seit dem Er- 
scheinen der 1. Auflage hinzugekommene Zinslitteratur und zwar des 
In- und Auslandes ist in sorgfältigster Weise gesichtet und in einem be- 
sonderen Kapitel zusammengefaßt worden. Der Umfang des Werkes ist 
hierdurch bedeutend vergrößert worden; aus 498 Seiten sind 702 ge- 
worden. 

In der Vorrede verwahrt sich Böhm energisch gegen die Vorwürfe 

Dritte Folge Bd. XXIJLXXVI). 53 


834 Litteratur. 


Walker’s und Marshall’s, daß er seine Vorgänger in der Kapitals- 
theorie zu wenig anerkennend kritisiert hätte — das ist allerdings ein Vor- 
wurf, der Böhm schlechterdings nicht gemacht werden kann: eher könnte 
man umgekehrt sagen, daß er oft zu pietätvoll und in zu großer Aus- 
führlichkeit die Gedankenzüge mancher Autoren geschildert, für die das 
sachliche Interesse nicht allzu groß sein kann. Ich glaube aber, daß 
bei den Vorwürfen der beiden genannten Autoren ein anderer Faktor mit- 
spielt: die Einwände sind offenbar nicht so sehr gegen den Dogmen- 
historiker und Dogmenkritiker gerichtet — denn dessen strengste 
Objektivität in der Kritik steht zu klar vor aller Augen —, als vielmehr 
gegen den Dogmatiker Böhm. — Es scheint mir in den Angriffen von jener 
Seite der Gedanke zu liegen, daß im Grunde genommen die Böhm’ sche 
Agiotheorie gar nicht so sehr weit entfernt ist von mancher früheren 
Theorie, z. B. der Produktivitätstheorie und daß darum die schroffe Ab- 
lehnung dieser Theorien seitens Böhm’s zuweilen über das Ziel hinaus- 
ginge; ich werde auf diesen Punkt im Laufe meiner Besprechung noch 
zurückkommen, wollte hier nur der Meinung Ausdruck geben, daß die 
Angriffe sich nur so erklären lassen. 

Im einzelnen sei aus der neuen Auflage hervorgehoben, daß die Dar- 
stellung von Marx ganz bedeutend vergrößert und verbessert wurde auf 
Grund der inzwischen neu erschienenen Marx-Litteratur, und daß dem 
Canadier John Rae ein besonderes Kapitel gewidmet ist, der eine Zins- 
theorie aufgestellt hat, die in manchen Punkten mit der Böh m’schen Agio- 
theorie verwandte Züge aufweist. Eine Anzahl von Autoren, die Böhm 
am Schlusse seines Werkes ausführlich kritisch bedenkt, wie z. B. 
Marshall, Dietzel u. a., hatte er bereits in seiner früher erschienenen 
Schrift „Einige strittige Fragen der Kapitalstheorie“ besprochen — ich 
will daher meine Bemerkung über den letzten Abschnitt des Böhm’schen 
Werkes mit meiner Anzeige seiner kleineren Schrift verknüpfen. Letztere 
ist eine Zusammenfassung von drei Abhandlungen, die im Laufe des Jahres 
1899 in der „Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung“ 
erschienen waren und sich mit einzelnen Problemen der Zinstheorie 
beschäftigten —. 

Die Lorbeeren, die der Dogmenhistoriker und Dogmenkritiker Böhm 
in überreichem Maße eingeheimst hat, sind bisher dem Dogmatiker 
Böhm nur in sehr spärlichem Maße zu teil geworden; seine neue Agio- 
theorie hat nur sehr wenig Zustimmung gefunden. In Deutschland ist 
kaum ein namhafter Autor zu nennen, der sich rückhaltlos als Anhänger 
der Böhm’schen Theorie bekannt hätte und auch in der Heimat 
des Verfassers haben selbst viele seiner Fachgenossen, die in der Frage 
der Wertlehre mit ihm einig sind, für diese Lehre ihm die Gefolgschaft 
verweigert; verhältnismäßig am meisten Anklang hat die Büh m’sche 
Theorie in der englisch-amerikanischen und in der skandinavischen 
Litteratur gefunden — doch überwiegt auch dort der Widerspruch —. 
Dieser kühlen Stellungnahme der Wissenschaft gegenüber der Böhm "schen 
Theorie entspricht auch der Standpunkt der Kritik seiner Lehre; eine 
systematische, alle Einzelheiten gründlich beleuchtende Kritik ist der 
Böhm’ schen Theorie nur vereinzelt zu teil geworden; es handelt sich 


Litteratur. 835 


— wenigstens in Deutschland — überwiegend um einzelne theoretisch 
interessante Punkte, die herausgegriffen und zum Gegenstand der Kritik 
gemacht wurden. Im einzelnen sei besonders auf folgendes hingewiesen. 

Den Satz, deu Böhm bei der Begründung seiner Kapitalstheorie 
wiederholt aufgestellt, daß nämlich „mittels längerer, zeitraubenderer 
Produktionsumwege in der Regel ein größeres Produkt zu erzielen ist“, 
wurde von verschiedener Seite, z. B. von Lexis, White, Taussigin 
Zweifel gezogen. Es wurde diesem Satze die Erfahrungsthatsache der 
Technik entgegengehalten, daß im Gegenteil der menschliche Erfindungs- 
geist immer mehr dahin strebe, die Produktivitätssteigerung nicht durch 
Verlängerung der Produktionsperiode, sondern umgekehrt durch Ver- 
kürzung der Produktionsperiode herbeizuführen. Die Gegner wiesen 
besonders auf die glücklichen und ingeniösen Erfindungen hin, die es 
gestatten, ein größeres Produkt unter gleichzeitiger Abkürzung der 
Produktionszeit zu erlangen. Mir scheint, daß in dem vorliegenden 
Streitfalle sehr viel Mißverständnis und Wortklauberei mit unterläuft. 
Wie einerseits Böhm nicht von dem Vorwurf freizusprechen ist, nicht 
genügend klar hervorgehoben zu haben, daß er mit seiner These nur 
einen sehr wichtigen Hauptfall aus der kapitalistischen Technik heran- 
gezogen hat, ohne alle empirischen Möglichkeiten erschöpfen zu wollen, 
so haben seine Gegner den Fehler gemacht, aus gewissen Abweichungen 
von der Böhm’schen Regel, die sie koustatierten, eine ungenügende Fun- 
damentierung seiner Zinstheorie zu folgern. Jetzt, nachdem Böhm 
ausführlich seinen Satz nach allen Richtungen hin erläutert hat, 
werden wohl die Mißverständnisse beseitigt sein. Der Grundgedanke 
der Böhm’schen Zinstheorie, daß die Nachfrage nach Gegenwarts- 
gütern, welche die Möglichkeit gewähren, durch Verlängerung der Pro- 
duktionsumwege das Produktionserträgnis zu steigern, auch bei der 
reichsten Nation das Angebot an solchen Gütern übersteigt und dadurch 
ein Agio auf Gegenwartsgüter, d. h. den Zins begründet, ist durch 
obiges Gegenargument nicht zu widerlegen. Die Sache läge anders, 
wenn Böhm behauptet hätte, die kapitalistische Produktion beruhe aus- 
nahmslos auf dem Einschlagen zeitraubender Produktionsumwege; dies 
hat er aber nicht behauptet, sondern nur eine wichtige, aber keineswegs 
allgemein geltende Erscheinung der kapitalistischen Produktion hervor- 
heben wollen. — Wollte man den Kern der oben genannten Böhm- 
schen These leugnen, so müßte man alles leugnen, was über das Wesen 
des Kapitals längst feststeht; denn, wenn alles Nebensächliche fort- 
gelassen wird, soll dieser Böhm’sche Satz nur den einfachen Vorgang 
der kapitalistischen im Gegensatz zur kapitallosen Produktion erläutern; 
die von Böhm in seinem Werke gegebenen Beispiele sind sehr gut 
gewählt, um diesen Vorgang deutlich zu machen. Kapitallose Produktion 
beruht darauf, daß menschliche Arbeit und Naturkraft direkt auf Er- 
zeugung eines Genufgutes gerichtet werden; kapitalistische Produktion 
besteht darin, daß menschliche Arbeit und Naturkraft zuerst auf Her- 
stellung eines Zwischengutes, d. h. eines Produktionsmittels gerichtet 
werden, mit Hilfe dessen erst die fertigen Genußgüter gewonnen werden. 
Daß dieser Vorgang in der Regel auch, wie Böhm hervorhebt, ein 


53* 


836 Litteratur. 


zeitraubender Produktionsumweg ist — man denke an das Schulbeispiel 
des Fischens mit und ohne Boot und Netz —, ist ebenso richtig, wie 


es andererseits unbestreitbar ist, daß in zahllosen Fällen, namentlich 
bei entwickelter Produktionstechnik, weitere Produktionsverbesserungen 
gerade auf dem Wege der Abkürzung des Produktionsweges gemacht 
werden. Böhm’s Grundsatz, daß es jederzeit Gelegenheit giebt, durch 


eine Verlängerung des Produktionsweges — man denke an Meliorationen, 
an neue Kapitalinvestitionen in alten Betrieben — ein größeres Produkt 


zu erzielen, wird also thatsächlich nicht durch den allerdings ebenso 
richtigen Satz erschüttert, daß häufig Erfindungen gemacht werden, in- 
folge deren ein bestimmter, neu gefundener, kürzerer Produktionsweg 
ergiebiger ist, als ein bestimmter, vorher üblicher, längerer Produk- 
tionsweg. 

Wenn ich bisher der Antikritik Böhm’s zustimmen konnte, 
so muß ich fortan fast allen seinen weiteren Einwänden gegen Lexis 
und andere seiner Kritiker widersprechen. Hier ist zunächst der Ein- 
wände Lexis’ zu gedenken, die sich gegen das Theoretisieren mit un- 
gekannten Größen richten. Gewiß ist es richtig, den volkswirt- 
schaftlichen Produktionsprozeß als ein Ganzes aufzufassen und dem- 
entsprechend die Kapitalgüter als aufgespeicherte Arbeit, die dem Zweck 
dient, gewisse Endprodukte zu liefern; richtig ist auch, daß in den 
fertigen Genußgütern sowohl die unmittelbare Arbeit der im letzten 
Produktionsstadium beschäftigten Arbeiter, als die mittelbare Arbeit der 
zur Produktion nötigen Produktivmittel enthalten ist: aber von hier ist 
es noch ein weiter Weg bis zu der meines Erachtens verfehlten Be- 
trachtungsweise, die Kapitalgüter in direkte rechnerische Beziehung 
zu setzen zu dem schließlichen Produkte, also etwa alle Arbeitsauf- 
wendungen, die zur Baumwollproduktion nötig sind, in ein bestimmtes 
rechnerisches Wertverhältnis zu setzen zu den fertigen Baumwoll- 
waren, wobei für alle diese „Werte“ exakte Ziffern von Böhm an- 
genommen werden und auf Grund solcher rein willkürlich angenommener 
Ziffern die weitgehendsten Schlüsse in Bezug auf die Zinsentstehung 
und Zinshöhe gezogen werden. — Lexis hat ganz recht mit seinem 
Einwande, daß es nicht ersichtlich sei, wie man erfahrungsgemäß die 
Funktion p (die Größe des Arbeitsertrags bei bestimmter Länge der Pro- 
duktionsperiode) für die verschiedenen Produktionszweige ermitteln 
könnte, zumal man bei jeder Produktion mit der Produktion der Pro- 
duktionsmittel beginnen müsse. — Böhm meint zwar (S. 50): „Auch 
wenn wir gar keine Vorstellung davon haben, oder uns zu bilden 
bemüht sind, eine wie lange Produktionsperiode die ineinandergreifenden 
Thätigkeiten der Landwirte, die die rohe Wolle erzeugen, der Spinner, 
die das Garn, der Weber, die das Tuch daraus fertigen, der Maschinen- 
bauer, welche die Spinn- und Webstühle, der Bauarbeiter, welche die 
Fabrikgebäude, der zahllosen anderen Arbeiter, welche die sonst nötigen 
Werkzeuge und Hilfsstoffe erzeugen, endlich der Schneider, welche die 
fertigen Kleider herstellen, zusammengenommen ausfüllen mögen, so ist 
es axiomatisch klar, daß der Ersatz solcher Arbeiter, welche unmittel- 
bar vor der Herstellung des genußreifen Endproduktes, also mit einer 


Litteratur. 837 


kurzen Wartezeit thätig waren, durch solche andere Arbeiter, welche 
in früheren technischen Stadien, also mit einer längeren Wartezeit thätig 
zu sein haben, die durchschnittliche Wartezeit im ganzen erhöhen muß.“ 
— Wenn dies nur heißen soll, daß durch eine Verlängerung der Gesamt- 
periode auch eine Vergrößerung des Produktes zu erzielen ist, so kann 
das wieder zugegeben werden; dann läge wieder nur eine allgemeine 
Beschreibung des kapitalistischen Produktionprozesses vor; aber 
thatsächlich will Böhm noch viel mehr behaupten; er will den Zins 
erklären durch eine Wertdifferenz zwischen den im Produktions- 
prozesse aufgebrauchten Gütern und den erzielten Produkten und hierzu 
muß er für alle in Betracht kommenden Faktoren bestimmte Zittern 
aufstellen, und dieses Verfahren erscheint mir wegen der Unbestimmt- 
heit aller dieser Zahlen irreführend, Lexis bemängelte auch mit 
Recht die Zusammenfassung des arbeitsteiligen Produktionsprozesses in 
einen Gesamtprozeß in der Art, wie Böhm dies versteht: Böhm läßt 
nämlich die Höhe des Zinsfußes abhängen von der Ergiebigkeit der 
letzten noch gestatteten Produktionsverlängerung, und zwar genauer 
beschrieben, in der Art, daß die Kapitaleinheit, die nötig ist, um eine 
solche Verlängerung für je eine Arbeitskraft durchzusetzen, so viel an 
Zins tragen müsse, als das Mehrerträgnis ausmache, welches im Durch- 
schnitt des betreffenden produktiven Gesamtprozesses für je eine in 
demselben verwendete Arbeitskraft aus jener Verlängerung resultiere. 
— Sonach wird der ganze Produktions- und Umlaufsprozeß von Beginn 
der vorbereitenden Arbeiten bis zum Absatz des fertigen Produktes 
als einem einzigen Geschäftsbetriebe angehörend gedacht; Lexis hält es 
aber mit Recht für unbewiesen, daß der Zinsfuß durch die Gesamtheit 
der für jedes Gut verschiedenen Produktionsperioden bestimmt sei. Es 
ist Böhm nicht gelungen, die treffenden Einwendungen Lexis’ zurück- 
zuweisen, der einen funktionalen Zusammenhang der Länge der Pro- 
duktionsperiode und der Produktivität der Arbeit leugnet, d. h. es für un- 
möglich ansieht, daß der jährliche Arbeitsertrag p eine Funktion von 
t sei (der in Jahren ausgedrückten Zeit) und zwar in der Art, daß p 
bei gleicher Kapitalanlage immer größer werde, je melır die Produktions- 
periode zunehme, wobei jedoch die Größe der sich folgenden Mehr- 
erträgnisse abnehmen müsse. — Ich stimme durchaus der Ansicht 
Lexis’ zu, daß die Rentabilitätsverhältnisse der einzelnen Teilbetriebe, 
für welche lediglich die Geschäftsperiode des betreffenden Teilbetriebes 
und in keiner Weise die Länge der gesamten Produktionsperiode in 
Betracht komme, selbständig und unmittelbar den Zinsfuß beeinflussen, 
ohne jeglichen „übergreifenden“ Einfluß eines Teilbetriebes auf den 
anderen. — Ich gehe noch weiter als Lexis und leugne überhaupt die 
Existenz eines sogenannten „normalen“ Kapitalgewinnes und ebenso die 
„Tendenz zur Grewinnausgleichung“. Lexis spricht selbst wiederholt 
von einem „normalen“ Gewinne, erklärt ihn aber anders als Böhm; 
für ihn ist der Kapitalgewinn bedingt durch die wirtschaftlichen Macht- 
verhältnisse zwischen dem Kapitalbesitz einerseits und den besitzlosen 
Arbeitern andererseits. Lexis’ Gegnerschaft gegen die Böhm’sche 
Zinstheorie hängt jedoch aufs engste mit seiner ablehnenden Haltung 


838 Litteratur. 


gegenüber der Grenznutzentheorie zusammen; ohne daß dies speciell 
in der Kritik der Böhm’schen Zinstheorie hervortritt, ist es deutlich 
zwischen den Zeilen zu lesen. In demselben Hefte des Schmoller- 
schen Jahrbuchs, worin Lexis Wicksell’s Arbeit anzeigt, bespricht er 
auch Irving Fisher’s Mathematical Investigations in the theory of 
values and prices und sagt dort (S. 328): „daß die Grenznutzentheorie 
zwar die Erkenntnis der subjektiven psychologischen Bedingungen des 
wirtschaftlichen Verhaltens der Einzelnen gefördert, aber die Verfolgung 
des volkswirtschaftlichen Prozesses als eine nicht mechanische, sondern 
wesentlich gesellschaftliche Massenerscheinung keineswegs erleichtert 
hat“. — 

Auch hiermit sind die Einwendungen Lexis’ keineswegs erschöpft; 
um aber zu zeigen, inwieweit mir die Lexis’sche Kritik zutreffend zu 
sein scheint und worin ich von ihr abweiche, möchte ich an dieser 
Stelle kurz meine eigene kritische Stellungnahme zur Dohm schen Zins- 
theorie darlegen; es wird sich dann auch mit Leichtigkeit ergeben, in- 
wieweit ich mit den kritischen Einwendungen Dietzel’s und Phi- 
lippovich's übereinstimme. 

Meine Haupteinwände gegen die Böhm’sche Zinstheorie sind 
folgende: 

1) Böhm faßt das Zinsproblem als ein „natürlich-ökonomisches“ 
auf; der Zins entspringt nach ihm aus der Wertdifferenz gegenwärtiger 
und zukünftiger Güter; diese Wertdifferenz beruhe aber auf ganz natür- 
lichen Eigenschaften der Menschen, die sich auf jeder Wirtschaftsstufe 
und innerhalb jedes, wie immer geordneten Wirtschaftssystems vorfänden. 
— Der Zins im Sozialistenstaat, der Zins in der Robinsonwirtschaft, 
der Zins in der entfalteten kapitalistischen Verkehrswirtschaft — im 
Grunde seien alle diese Erscheinungen derselben ökonomischen Ursache 
entsprungen. Dies scheint mir eine methodische Verirrung zu sein. Der 
Zins kann nur aus einer bestimmten wirtschaftlichen Rechtsordnung 
heraus erklärt werden — er ist und bleibt eine ,historisch-rechtliche“ 
und keine sogenannte „natürlich-ökonomische“ Kategorie. Denn wenn 
auch zugegeben werden muß, daß die technisch größere Ergiebigkeit 
eines mit Kapital ausgestatteten Betriebes gegenüber dem kapitallosen 
Betrieb auch im sozialistischen Staate vorhanden ist, daß daher in der 
Buchführung des Sozialistenstaates dem Kapitalfaktor ein gewisser Teil 
des Ertrages zugerechnet werden muß, so ist dies doch etwas toto 
coelo Verschiedenes von den auf Grund des privaten Kapitaleigentums ent- 
stehenden Verhältnissen, ohne deren Mitberücksichtigung der Zins, wie 
er sich in der kapitalistischen Wirtschaft entwickelt, gar nicht zu er- 
klären ist. Ob man das, was im Sozialistenstaat der Mitwirkung des 
Kapitals zugerechnet werden muß, noch Zins nennen will, ist eine 
untergeordnete terminologische Frage; sachlich bietet sich uns 
etwas ganz Neues dar, was niemals mit dem Zins innerhalb der herr- 
schenden Wirtschaftsordnung einheitlich zu erklären ist. 

2) Da Böhm den Zins erklärt aus der Wertdifferenz zwischen 
Gegenwarts-und Zukunftsgütern, so muß auch der ganze Ballast 
der Grenznutzentheorie in die Zinstheorie herübergezogen werden, was 


Litteratur. 839 


dieses Problem unnôtig erschwert und zu einem unendlich verschlungenen 
und komplizierten gestaltet. Der Zins kann auch ohne den ungeheueren 
Aufwand der Grenznutzentheorie erklärt werden. Zudem scheint mir 
die Grenznutzentheorie auch sachlich unrichtig zu sein. So sehr diese 
Theorie das unbestreitbare Verdienst hat, gegenüber der objektivisti- 
schen Werttheorie der klassischen Nationalökonomie auf die Wichtigkeit 
der subjektiven Momente bei der Wertbildung hingewiesen zu haben, 
ist ihr grundlegender Gedanke, daß die Intensität der menschlichen 
Lust- und Unlustgefühle einen passenden Wertmaßstab liefern könnte, 
verfehlt; doch ist hier nicht der Ort, dies des näheren nachzuweisen. 

3) Die drei Gründe, die Böhm für die Höherschätzung der 
Gegenwartsgüter gegenüber den Zukunftsgütern anführt, nämlich erstens 
den geringen Bedacht des Menschen für die Zukunft, zweitens die 
Unterschätzung künftiger Lust- und Leidempfindungen und drittens die 
technische Superiorität gegenwärtiger Produktivmittel sind der Art 
und dem Grade nach so grundverschieden, daß sie nicht koordiniert 
zur Erklärung des Kapitalzinses herangezogen werden können. Der 
Art nach, denn die beiden ersten Gründe beruhen auf psychologischen 
Eigentümlichkeiten der Menschen, der dritte ist eine Thatsache der 
Technik, dem Grade nach, denn der dritte Grund ist so überwiegend 
ausschlaggebend für die Bildung des Zinses, daß die beiden anderen 
völlig dagegen zurücktreten müssen. Die Thatsache, daß der bei der 
Produktion mit einem Gütervorrate Ausgestattete im Vorzuge ist gegen- 
über dem nur auf seine Arbeitskraft Angewiesenen, wirkt so mächtig, 
daß diese Ursache allein zur Erklärung des Zinses ausreicht. Die an- 
geführten psychologischen Momente können wohl für die Höhe des 
Zinses von Einfluß sein; für das Wesen und die Entstehung des 
Zinses können sie außer Betracht bleiben. — Sehen wir nun die dritte 
Ursache etwas näher an, nämlich die technische Superiorität der Pro- 
duktivmittel, so erkennen wir einen alten Bekannten, nämlich die von 
Böhm so heftig angegriffene Produktivitätstheorie in nuce wieder; 
denn diese hatte ebenfalls — wenn auch in anderer und angreifbarer 
Form — die Quelle des Zinses in bestimmten produktiven Quali- 
täten des Kapitals erkannt: wenn wir diese Teilursache Böhm’s als den 
eigentlichen Kern der Zinstheorie ansehen, so ergiebt sich, daß die 
Böhm’sche Agiotheorie nicht so fundamental von der alten wichtigsten 
und verbreitetsten Zinstheorie entfernt ist, wie der Verf. annimmt. Ja, 
mir scheint, daß gerade durch die Böhm’sche Theorie die alte Pro- 
duktivitätstheorie eine neue Bekräftigung erfahren hat. Freilich kommt 
alles darauf an, daß sie in richtiger Weise verstanden und erklärt wird. 
Daß die alte Produktivitätstheorie sich schwerer Fehler nach dieser Richtung 
hin schuldig gemacht hat, muß Böhm unbedingt zugegeben werden. — 
Vor allem kann es sich bei der sogenannten Produktivität des Kapitals 
nur um physische oder technische, nie um Wertproduktivität handeln. — 
Damit komme ich zu einer weiteren Abweichung von Böhm. 

4) Es ist richtig, daß die ältere (gegenwärtige) Produktivmittel- 
menge der gleich großen jüngeren (künftigen) technisch überlegen ist; 
aber ist sie auch in der Höhe des Wertes überlegen? Diese Frage 


838 Litteratur. 


gegenüber der Grenznutzentheorie zusammen; ohne daß dies speciell 
in der Kritik der Böhm’schen Zinstheorie hervortritt, ist es deutlich 
zwischen den Zeilen zu lesen. In demselben Hefte des Schmoller- 
schen Jahrbuchs, worin Lexis Wieksell’s Arbeit anzeigt, bespricht er 
auch Irving Fisher’s Mathematical Investigations in the theory of 
values and prices und sagt dort (S. 328): „daß die Grenznutzentheorie 
zwar die Erkenntnis der subjektiven psychologischen Bedingungen des 
wirtschaftlichen Verhaltens der Einzelnen gefördert, aber die Verfolgung 
des volkswirtschaftlichen Prozesses als eine nicht mechanische, sondern 
wesentlich gesellschaftliche Massenerscheinung keineswegs erleichtert 
hat“. — 

Auch hiermit sind die Einwendungen Lexis’ keineswegs erschöpft; 
um aber zu zeigen, inwieweit mir die Lexis’sche Kritik zutreffend zu 
sein scheint und worin ich von ihr abweiche, möchte ich an dieser 
Stelle kurz meine eigene kritische Stellungnahme zur Böhm schen Zins- 
theorie darlegen; es wird sich dann auch mit Leichtigkeit ergeben, in- 
wieweit ich mit den kritischen Einwendungen Dietzel’s und Phi- 
lippovich’s übereinstimme. 

Meine Haupteinwände gegen die Böhm’sche Zinstheorie sind 
folgende: 

1) Böhm faßt das Zinsproblem als ein „natürlich-ökonomisches“ 
auf; der Zins entspringt nach ihm aus der Wertdifferenz gegenwärtiger 
und zukünftiger Güter; diese Wertdifferenz beruhe aber auf ganz natür- 
lichen Eigenschaften der Menschen, die sich auf jeder Wirtschaftsstufe 
und innerhalb jedes, wie immer geordneten Wirtschaftssystems vorfänden. 
— Der Zins im Sozialistenstaat, der Zins in der Robinsonwirtschaft, 
der Zins in der entfalteten kapitalistischen Verkehrswirtschaft — im 
Grunde seien alle diese Erscheinungen derselben ökonomischen Ursache 
entsprungen. Dies scheint mir eine methodische Verirrung zu sein. Der 
Zins kann nur aus einer bestimmten wirtschaftlichen Rechtsordnung 
heraus erklärt werden — er ist und bleibt eine „historisch-rechtliche“ 
und keine sogenannte „natürlich-ökonomische“ Kategorie. Denn wenn 
auch zugegeben werden muß, daß die technisch größere Ergiebigkeit 
eines mit Kapital ausgestatteten Betriebes gegenüber dem kapitallosen 
Betrieb auch im sozialistischen Staate vorhanden ist, daß daher in der 
Buchführung des Sozialistenstaates dem Kapitalfaktor ein gewisser Teil 
des Ertrages zugerechnet werden muß, so ist dies doch etwas toto 
coelo Verschiedenes von den auf Grund des privaten Kapitaleigentums ent- 
stehenden Verhältnissen, ohne deren Mitberücksichtigung der Zins, wie 
er sich in der kapitalistischen Wirtschaft entwickelt, gar nicht zu er- 
klären ist. Ob man das, was im Sozialistenstaat der Mitwirkung des 
Kapitals zugerechnet werden muß, noch Zins nennen will, ist eine 
untergeordnete terminologische Frage; sachlich bietet sich uns 
etwas ganz Neues dar, was niemals mit dem Zins innerhalb der herr- 
schenden Wirtschaftsordnung einheitlich zu erklären ist. 

2) Da Böhm den Zins erklärt aus der Wertdifferenz zwischen 
Gegenwarts-und Zukunftsgütern, so muß auch der ganze Ballast 
der Grenznutzentheorie in die Zinstheorie herübergezogen werden, was 


Litteratur. 839 


dieses Problem unnötig erschwert und zu einem unendlich verschlungenen 
und komplizierten gestaltet. Der Zins kann auch ohne den ungeheueren 
Aufwand der Grenznutzentheorie erklärt werden. Zudem scheint mir 
die Grenznutzentheorie auch sachlich unrichtig zu sein. So sehr diese 
Theorie das unbestreitbare Verdienst hat, gegenüber der objektivisti- 
schen Werttheorie der klassischen Nationalökonomie auf die Wichtigkeit 
der subjektiven Momente bei der Wertbildung hingewiesen zu haben, 
ist ihr grundlegender Gedanke, daß die Intensität der menschlichen 
Lust- und Unlustgefühle einen passenden Wertmaßstab liefern könnte, 
verfehlt; doch ist hier nicht der Ort, dies des näheren nachzuweisen. 
3) Die drei Gründe, die Böhm für die Höherschätzung der 
Gegenwartsgüter gegenüber den Zukunftsgütern anführt, nämlich erstens 
den geringen Bedacht des Menschen für die Zukunft, zweitens die 
Unterschätzung künftiger Lust- und Leidempfindungen und drittens die 
technische Superiorität gegenwärtiger Produktivmittel sind der Art 
und dem Grade nach so grundverschieden, daß sie nicht koordiniert 
zur Erklärung des Kapitalzinses herangezogen werden können. Der 
Art nach, denn die beiden ersten Gründe beruhen auf psychologischen 
Eigentümlichkeiten der Menschen, der dritte ist eine Thatsache der 
Technik, dem Grade nach, denn der dritte Grund ist so überwiegend 
ausschlaggebend für die Bildung des Zinses, daß die beiden anderen 
völlig dagegen zurücktreten müssen. Die Thatsache, daß der bei der 
Produktion mit einem Gütervorrate Ausgestattete im Vorzuge ist gegen- 
über dem nur auf seine Arbeitskraft Angewiesenen, wirkt so mächtig, 
daß diese Ursache allein zur Erklärung des Zinses ausreicht. Die an- 
geführten psychologischen Momente können wohl für die Höhe des 


Zinses von Einfluß sein; für das Wesen und die Entstehung des: 


Zinses können sie außer Betracht bleiben. — Sehen wir nun die dritte 
Ursache etwas näher an, nämlich die technische Superiorität der Pro- 
duktivmittel, so erkennen wir einen alten Bekannten, nämlich die von 
Böhm so heftig angegriffene Produktivitätstheorie in nuce wieder; 
denn diese hatte ebenfalls — wenn auch in anderer und angreifbarer 
Form — die Quelle des Zinses in bestimmten produktiven Quali- 
täten des Kapitals erkannt: wenn wir diese Teilursache Böhm’s als den 
eigentlichen Kern der Zinstheorie ansehen, so ergiebt sich, daß die 
Böhm’sche Agiotheorie nicht so fundamental von der alten wichtigsten 
und verbreitetsten Zinstheorie entfernt ist, wie der Verf. annimmt. Ja, 
mir scheint, daß gerade durch die Böhm’sche Theorie die alte Pro- 
duktivitätstheorie eine neue Bekräftigung erfahren hat. Freilich kommt 
alles darauf an, daß sie in richtiger Weise verstanden und erklärt wird. 
Daß die alte Produktivitätstheorie sich schwerer Fehler nach dieser Richtung 
hin schuldig gemacht hat, muß Böhm unbedingt zugegeben werden. — 
Vor allem kann es sich bei der sogenannten Produktivität des Kapitals 
nur um physische oder technische, nie um Wertproduktivität handeln. — 
Damit komme ich zu einer weiteren Abweichung von Böhm. 

4) Es ist richtig, daß die ältere (gegenwärtige) Produktivmittel- 
ınenge der gleich großen jüngeren (künftigen) technisch überlegen ist; 
aber ist sie auch in der Höhe des Wertes überlegen? Diese Frage 


840 Litteratur. 


wirft Böhm auf und beantwortet sie bejahend, indem er seine Unter- 
suchung auch auf den Grenznutzen und Wert der Produktivmittel aus- 
dehnt. Nach Böhm hängt aber der Grenznutzen und Wert von Pro- 
duktivmitteln vom voraussichtlichen Werte ihrer Produkte ab. „Nun kann 
man aber“, so führt Böhm fort (Kapital und Kapitalzins II, S. 279), 
„je nachdem man unser Produktivmittel „„Arbeitsmonat‘““ in eine Augen- 
blicksproduktion oder in eine solche mit 1-, 2-, 3- oder 10-jähriger Pro- 
duktionsperiode investiert, ein sehr verschiedenes Produkt, 100, 200, 
280, 350 Einheiten u. s. f. erlangen: welches dieser Produkte soll das 
maßgebende sein?“ Böhm antwortet darauf: „dasjenige Produkt, das 
die höchste Wertsumme darstellt“ — Dieses müsse aber nicht 
mit demjenigen Produkte zusammenfallen, welches die größte Stückzahl 
enthielte; denn die größte Stückzahl würden wir durch einen langen, 
vielleicht 100 oder 200 Jahre dauernden Produktionsprozeß erlangen; 
Güter aber, die erst zu Lebzeiten unserer Urenkel und Ururenkel zur 
Verfügung gelangten, hätten in unserer Schätzung so gut wie gar keinen 
Wert. — Es käme vielmehr an auf den mutmaßlichen Stand unserer 
Versorgung in den verschiedenen Zeiträumen; zweitens komme in 
Betracht, daß es für unsere gegenwärtige Wertschätzung eines künftigen 
Gutes nicht auf den wahren Grenznutzen, sondern auf unseren sub- 
jektiven Anschlag davon ankomme. Bei diesem fände aber aus 
dem oben angeführten Grund eine perspektivische Verkleinerung statt. Die 
malgebende größte Wertsumme werde daher offenbar demjenigen unter 
den verschiedenen möglichen Produkten zukomme, dessen Stückzahl 
multipliziert mit dem Werte der Produkteinheit, wie er sich mit Rück- 
sicht auf das Verhältnis von Bedarf und Deckung in der betreffenden 
-Wirtschaftsperiode und mit Rücksicht auf die bei künftigen Gütern eintre- 
tende perspektivische Reduktion ergäbe, die größte Wertziffer gäbe. 
Böhm giebt folgendes Zahlenbeispiel. Er nimmt an, für irgend 
ein Individuum betrüge nach seinen besonderen im ganzen sich zuneh- 
mend verbessernden Versorgungsverhältnissen der wahre Grenznutzen und 
Wert der Produkteinheit im Jahre 1888: 5, im Jahre 1889: 4, 1890: 
3,3, 1891: 2,5 1892: 2,2, 1893: 2,1 1894: 2, 1895: 1,5 Werteinheiten; 
dieser wahre Grenznutzen erfahre sodann für die späteren Jahrgänge 
eine unregelmäßig zunehmende perspektivische Reduktion in der Art, 
daß er für 1888 subjektiv veranschlagt werde auf 5 (ohne Reduktion), 
für 1889 auf 3,8, für 1890 auf 3, für 1891 auf 2,2, für 1892 auf 2, 
für 1893 auf 1,8, für 1894 auf 1,5 und für 1895 anf 1. Böhm be- 
rechnet auf Grund dieser Ziffern die Wertsumme des ganzen Pro- 
dukts eines im Jahre 1888 verfügbaren Arbeitsmonats und er rechnet 
heraus, daß für die Wirtschaftsperiode 1888 die 100 Produkte des Ar- 
beitsmonats 500 wert seien, für das Jahr 1889 die 200 Produkte des- 
selben Arbeitsmonats 760, für das Jahr 1890 die 260 Produkte 840 
Werteinheiten und daß dieses die höchste Wertsumme darstelle, da zwar 
für 1891 350 Produkte zu erzielen seien, aber nur mit Grenznutzen 2,2: 
also insgesamt 770 Werteinheiten u.s. w. in absteigender Linie — 
Gegen diese ganze Rechnung habe ich mannigfache Bedenken geltend 
zu machen: Vor allem ist zu bemerken, daß die ganze Aufstellung unter 


Litteratur. 841 


einer sehr wichtigen Voraussetzung gemacht ist: daß nämlich die fer- 
tigen Produkte auch Käufer finden, daß sie in entsprechender Zahl 
gewünscht und begehrt werden und zwar von zahlungskräftigen Käufern; 
mit anderen Worten, Böhm setzt eine glücklich geleitete Produk- 
tion voraus. Erst die künftige Marktlage wird aber ergeben, ob die künftige 
Produktenmenge auch wirklich einen größeren Wert repräsentiert als 
die aufgebrauchte Kapitalsubstanz. Auch darin kann ich Böhm nicht 
zustimmen, daß er den Wert der Produktivmittel bemessen will am 
Werte der mit ihrer Hilfe zu erlangenden fertigen Konsumtionsgüter; 
wenn Böhm meint (II, 316), daß die Produktivmittelgruppe, aus der 
wir 100 Ctr. Getreide erlangen, für unsere Bedürfnisbefriedigung genau 
dieselbe Bedeutung habe wie die 100 Ctr. Getreide, in die sie sich 
verwandle, und daß daraus folge, daß auch die Produktivmittel, wenn 
man sie gegen gegenwärtige Güter abschätze, einer geringeren als der- 
jenigen Stückzahl genufreifer Schlußprodukte gleichwertig befunden 
würde, welche man aus ihnen erzeugen könne — so frage ich: Warum 
sollen nicht Produktivmittel ebenso wie Genußgüter bewertet werden, näm- 
lich auf Grund ihrer Brauchbarkeit? — Daß in diesem Falle die 
Brauchbarkeit, z. B. einer Maschine darin besteht, daß ich andere Güter 
mit ihrer Hilfe verfertige, ist eine Sache für sich; deswegen bewerte 
ich aber doch nicht die Maschine auf Grund einer bestimmten Anzahl fertiger 
Güter, die ich möglicherweise mit ihrer Hilfe herstellen kann. — Böhm 
führt dies alles aber konsequent und zwar in Ziffern fixiert durch. — 
Aus dem ausführlichen Citat geht hervor, daß er die aus einem Arbeits- 
monate zu erzielenden Produkte nicht nur zahlenmäßig feststellt, sondern 
sogar ihrem Werte nach — wobei noch die rein subjektive mensch- 
liche Ueberschätzung der Gegenwart in Rechnung gestellt wird. Alle 
diese Berechnungen beruhen aber auf ganz unsicherer Grundlage und geben 
daher kein zutrettendes Bild von der wirklichen wirtschaftlichen Sachlage. 
Ich habe überhaupt beim Durcharbeiten der Böhm’schen Gedanken- 
gänge, so lehrreich und anregend sie sein mögen, doch stets den Ein- 
druck, als ob die ungeheuere Menge von Geisteskraft, die hier zur 
Erklärung des Zinsphänomens aufgewendet wird, nicht im richtigen 
Verhältnis zur Schwierigkeit des Problems stände, je daß das ganze 
Problem durch die Masse theoretischen Details, durch das man sich 
erst durcharbeiten muß, erschwert wird. 

Trotz aller scharfsinnigen Kritik, die Böhm speciell an der so- 
genannten Produktivitätstheorie übt, halte ich letztere im Kerne für un- 
umstößlich richtig. In den Mittelpunkt der Zinstheorie ist demnach der 
Böhm’sche Satz zu stellen, daß ein bestimmter Vorrat an Gegenwarts- 
gütern die Vorbedingung kapitalistischer Produktion ist und daß ein mit 
Kapital ausgestatteter Produzent mehr Güter herzustellen imstande ist, 
als der kapitallose Produzent. Damit soll keine „Produktivität“ des 
Kapitales im strengen Wortsinne statuiert sein, sondern nur im Sinne einer 
Unterstützung der allein produktiven Menschenkraft ; natürlich kann es sich 
auch nur um „physische“ Produktivität handeln. Um die Gegenwarts- 
güter kapitalistisch benutzen zu können, muß ich sie aber eine gewisse Zeit 
hindurch im Produktionsprozesse binden — auf die Natur dieser Güter 


842 Litteratur. 


kommt es nicht an, es können fertige Genußgüter sein, die den Arbeitern 
als Lohn gegeben werden, es können Produktionsmittel sein, es können Geld- 
summen sein etc. — das wesentliche ist, daß die betreffenden Güter 
eine Zeit lang irgendwie gebunden sind. Dies macht sich in folgender 
Weise bei der Tauschwertbildung geltend. Z. B. ein Gut A im Werte 
von 100 M. wird von mir Zug um Zug erworben durch die Hingabe 
von 100 M. — für dieses selbe Gut A muß ich jedoch eine größere 
Summe hingeben, wenn ich erst nach einem Jahre den Gegenwert hin- 
gebe. Warum? Beim Tausch Zug um Zug räume ich dem Kontra- 
henten alle Verwertungsmöglichkeiten seines Gutes ein, beim Tausch der 
zweiten Art jedoch ist ihm die kapitalistische Verwertungsmöglichkeit 
für ein Jahr lang entzogen — zur Entschädigung dafür muß ich ihm nach 
Jahresfrist einen höheren Wert hingeben. Die Sache liegt natürlich 
ganz ebenso, wenn ein Unternehmer Kapital im eigenen Unternehmen 
verwendet; wenn er einen Gütervorrat bucht, dessen Gegenwert ihm erst 
ein Jahr später zu teil werden kann, so muß er nach Jahresfrist aus 
demselben Grunde, wie oben, einen höheren Wert ansetzen. Ich glaube, 
daß auf diese Weise ohne Zuhilfenahme eines besonderen Gutes „Nutzung“ 
einfach aus der physischen Produktivität des Kapitals und des damit 
zusammenhängenden Mehrwertes der Gegenwartsgüter der Zins und 
zwar für alle Abarten desselben erklärt werden kann. 

5) Wenn uns die Böhm’sche Grunderklärung der Zinserscheinung 
nicht annehmbar erscheint, so haben wir noch besondere Bedenken gegen 
den Spezialfall des Kapitalgewinnes der Unternehmer geltend zu machen; 
hier hat Böhm offenbar nicht scharf genug Zins vom Unternehmer- 
gewinn geschieden. Böhm nimmt nämlich einen „mittleren“ oder 
„normalen“ Kapitalgewinn an, den der Unternehmer erzielen müsse, und 
zwar bestehe in der Volkswirtschaft die Tendenz, den Gewinn immer wieder 
auf die „normale“ Höhe zu bringen, wenn er auch temporär nach 
oben und unten von dieser Höhe abweichen könne. Diesen „normalen“ 
Kapitalgewinn der Unternehmer erklärt Böhm auch nach seinem all- 
gemeinen Schema und zwar so, daß die Unternehmer als Käufer von 
Gütern entfernterer Ordnungen erscheinen, von Produktivmitteln, wie 
Rohstoffen, Werkzeugen, Maschinen, Bodennutzungen und hauptsächlich 
Arbeitsleistungen, die sie durch den Produktionsprozeß in Güter erster 
Ordnung, in genußreife Produkte umsetzen; dabei fällt für sie ein im 
Verhältnis zur Größe ihres Geschäftskapitals stehender Wertgewinn ab; 
dieser Kapitalgewinn soll in der Hand des Kapitalisten so entstehen, 
daß seine Zukunttsware während des Fortschreitens der Produktion allmäh- 
lich zur Gegenwartsware ausreife und damit in den Vollwert der Gegen- 
wartsware hineinwachse (II, 318). Daneben existiert noch ein besonderer 
Unternehmergewinn; dieser ist für Böhm eine über das „normale“ Maß 
hinausgehende Prämie für die Auffindung und Ausnutzung der in der 
gegenwärtigen Konjunktur günstigsten Verwendungsgelegenheiten; diese 
Prämie werde aber gewöhnlich nicht lange dauern; sie locke in be- 
kannter Weise die Mitbewerbung und diese drücke den Preis herab 
(II, 326). Böhm spricht auch von „Konjunkturgewinnen“, die temporär 
möglich seien (II, 328). 


Litteratur. 843 


Die hier vorgetragene Kapitalgewinntheorie scheint mir mit dem 
Wesen und der Bedeutung der Unternehmerthätigkeit nicht vereinbar 
zn sein; vielmehr ist die Bildung dieses Kapitalgewinnes viel zu eng 
verknüpft mit der persönlichen Leistung des Unternehmers, als daß hier 
von einem Wertwachstum der Produktivmittel auf Grund ihrer einfachen 
technischen Ueberlegenheit gesprochen werden könnte. „Von selbst“ 
wächst den Produktivmitteln kein Mehrwert zu, sondern nur ver- 
mittelst der geschickten Leitung des Produktionsprozesses seitens des 
Unternehmers; daher auch der Kapitalgewinn der Unternehmer niemals 
mit dem für die Zinstheorie üblichen Schema erklärt werden kann. Wenn 
Böhm die Frage aufwirft (II, 331) „Warum muß der Marktpreis der 
Arbeit immer niedriger stehen, als der seinerzeitige Wert und Preis des 
fertigen Arbeitsproduktes ?“, so werden hier ganz incommensurable Größen 
einander gegenübergestellt: nämlich die Arbeitskraft einerseits und das 
mit Hilfe dieser Arbeit hergestellte Produkt anderseits. Ganz abgesehen 
von der Schwierigkeit, festzustellen, wieviel auf Rechnung der Arbeitskraft 
kommt, ist auch hier wieder die Frage aufzuwerfen, ob das fertige 
Arbeitsprodukt wirklich Wert- bezw. Mehrwert gegenüber den 
Produktivmitteln aufweist. Ist dieser „W ert“ vorhanden, so ist die Mög- 
lichkeit eines Kapitalgewinnes gegeben, aber doch nur vermittelt durch 
die persönliche Thätigkeit des Unternehmers; die technische Ueberlegen- 
heit der Gegenwartsgüter allein, die Böhm (II, 334) als das Entscheidende 
für die Kapitalgewinne der Unternehmer betrachtet, ist doch nur die 
Voraussetzung dafür, daß überhaupt kapitalistisch produziert wird; aber 
erst die erfolgreiche Produktion führt zu Kapitalgewinn. Bei jedem 
Ausfall der Produktion -— ob glücklich oder unglücklich — muß sich 
allerdings der Unternehmer einen „Zins“ für das investierte Kapital 
berechnen, dessen Höhe zu bemessen ist nach dem landesüblichen Zins 
für völlig sichere Anlagen — alles, was darüber hinausgeht, ist Unter- 
nehmergewinn, was dahinter zurückbleibt, Unternehmerverlust. 

Somit bestreite ich überhaupt die Existenz eines „normalen“ Kapital- 
gewinnes, der in der Praxis nicht vorkommt und theoretisch nicht kon- 
struiert werden kann. Da die Kapitalgewinne nicht von der 
technischen Ueberlegenheit der Produktionsmittel, sondern von der Per- 
sönlichkeit des Unternehmers und den tausenderlei Zufälligkeiten der 
Marktlage abhängen, sind sie auch unendlich verschieden in ihrer 
Höhe — eine Ausgleichung findet nur statt für den Darlehnszins, dessen 
durchschnittliche Höhe abhängt vom Stand der Nachfrage namentlich 
seitens der Unternehmer, die Kapitalien für ihre Unternehmungen 
brauchen und des Angebots seitens derer, die Kapitalien nutzbringend 
anlegen wollen. — Die Frage, die Böhm aufwirft (Strittige Fragen 61), 
„ob die Kapitaltheorie das Recht hat, das Walten der Gewinnaus- 
gleichung bei der Entwickelung ihrer Gesetze vorauszusetzen“, ist 
unbedingt zu verneinen. Böhm gelangt zu seiner Annahme eines 
„normalen Kapitalgewinnes“ durch die Voraussetzung, daß die freie 
Konkurrenz eine „quasi organisatorische“ Kraft äußere (Ebendort S. 61): 
„Hat das Kapital wirklich die ungehemmte Freiheit, sich den jeweils 
lohnendsten Verwendungsgelegenheiten zuzuwenden, dann kann eine über- 


844 Litteratur. 


mälige Gewinnanhäufung, die in einem einzelnen Gliede des arbeits- 
teiligen Gesamtprozesses etwa auf Kosten der übrigen Glieder stattfände, 
nicht andauernd sich erhalten, sie wird durch die sich zudrängende 
Konkurrenz hinweg nivelliert, und der Gewinnsatz aller aufeinander- 
folgenden arbeitsteiligen Stadien auf das gleiche Nieveau gebracht. Ist 
dies aber der Fall, dann findet der Grad des Vorteils des produktiven 
Gesammtprozesses sein ganz getreues Spiegelbild in der individuellen 
Gewinnrate jedes Teilunternehmers, und vice versa. — Das Kapital hat 
aber thatsächlich diese Freiheit nicht; hunderterlei Hemmnisse stehen 
dem freien Ein- und Ausströmen der Kapitalien von einem Betriebs- 
zweige zum anderen entgegen und aufs mannigfaltigste verschieden sind 
die persönlichen Qualitäten des Unternehmers. Es ist die bekannte 
Methode der klassischen Nationalökonomie und des modernen wissen- 
schaftlichen Sozialismus, von allen derartigen Reibungen des that- 
sächlichen wirtschaftlichen Lebens zu abstrahieren, um zu möglichst 
glatten Formeln und höchst einfachen wissenschaftlichen „Gesetzen“ zu 
gelangen. Man meint ein Werk aus der klassischen Nationalökonomie 
vor sich zu haben, wenn man z. B. folgende Stelle bei Böhm liest 
(S. 73): „Wer bei gesunkenen Preisen die nicht mehr lohnende Pro- 
duktion einschränkt oder aufgiebt, wer bei hohen Preisen die Produktion 
des abnorm lohnenden Artikels ausdehnt, vollzieht, indem er bewußt nur 
dem eigenen Vorteil nachgeht, unbewußt die organisatorische Funktion, 
daß er eine drohende oder begonnene Störung im Ebenmaß der 
sozialen Versorgung auszugleichen, ein einseitiges Uebermaß der Pro- 
duktion zu verringern, eine zu schwache Versorgung zu verstärken 
hilft. So wenig er dabei ausdrücklich zu bedenken oder zu wissen 
braucht, daß die Produktion zu schwach ist, und noch weniger, wie 
stark sie und der ihr gegenüberstehende Bedarf ziffernmälig ist, gerade 
so hilft in unserem Falle der Unternehmer, ohne irgend etwas von 
langer oder kurzer Gesamtperiode, großen oder kleinen durchschnitt- 
lichen Mehrerträgnissen u. s. f. zu wissen, dadurch allein, daß er die 
jeweils für seinen Teilbetrieb vorteilhafteste Produktionsweise auswählt, 
mittelbar denjenigen Produktionsmethoden die Bahn brechen, welche im 
ganzen die von meiner Theorie vorausgesetzte symmetrische Beziehung 
von Periodenlänge, Mehrerträgnis und Zinshöhe verwirklichen“. — 
Böhm meint zwar, ein Einwand könnte nicht gegen die von ihm an- 
genommene Gewinnausgleichung erhoben werden, sonst dürfte man auch 
das Produktionskostengesetz nicht gelten lassen (S. 74): „Und 
dennoch trägt die Theorie — mit Recht — kein Bedenken, die Ueberein- 
stimmung der Preise mit jener im einzelnen Falle von niemanden je 
wirklich gemessenen Größe zum Gegenstand eines Gesetzes zu machen, 
an dem niemand zweifelt, daß es eine der wichtigsten und fruchtbarsten 
Bereicherungen unserer Erkenntnis der wirtschaftlichen Zusammen- 
hänge darstellt“. — Ich behaupte aber, daß auch das Produktionskosten- 
gesetz eine unzulässige Abstraktion ist und die thatsächliche Preis- 
bildung in keiner Weise zu erklären imstande ist. — 

Wenn ich jetzt zu Böhm’s Polemik gegen seine Gegner zurück- 
kehre, möchte ich kurz zusammenfassend mitteilen, daß Philippovich 


Litteratur. 845 


mir in der Hauptsache im Recht zu sein scheint, wenn er die Frage 
des Dahrlehnszinses trennt von dem Kapitalgewiun der Unternehmer, 
den er auf andere, mit persönlichen Elementen gemischte Entstehungs- 
und Bestimmgründe zurückführt —; dagegen stimme ich Böhm zu in 
seiner Antikritik der Dietzel’schen Anschauung, daß für die Erklärung 
der Zinserscheinung mehrere Theorien gemeinsam herangezogen werden 
müßten, für manche Zinsbezüge die Nutzungstheorie, für andere die Pro- 
duktivitätstheorie, für wieder andere die Ausbeutungstheorie — dies 
muß zu bedenklichem Eklektizismus und zu theoretischer Verschwommen- 
heit führen. Ich stimme Böhm durchaus zu, daß die Zinserklärung 
aus einem Gusse erfolgen muß. Besonders beherzigenswert sind aber 
die vortrefflichen Ausführungen, die Böhm am Schlusse gegen die 
Varianten der Ausbeutungstheorie erhebt, die sich bei Dietzel und 
Lexis finden — sie zeigen von neuem den Meister glänzender, durch- 
dringender Kritik. 

Böhm hat versprochen, den zweiten Band seines Werkes eben- 
falls in 2. Auflage in nicht ferner Zeit nachfolgen zu lassen — möchte 
es ihm gelingen, dieses Versprechen möglichst bald zu erfüllen. Bei 
jedem „echten Freund der Theorie“, möge er nun Anhänger oder 
Gegner der Böhm’schen Agiotheorie sein, darf er auf das weit- 
gehendste Interesse rechnen, das mit Recht allem, was wir seiner Feder 
verdanken, entgegengebracht wird. — 


846 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands 
und des Auslandes. 


1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle 
theoretische Untersuchungen. 

Sächsische Volkskunde. Unter Mitarbeit von ...... 
herausgegeben von Dr. Robert Wuttke. 2., umgearbeitete und 
wesentlich vermehrte Auflage. Dresden 1901 (Schönfeld), 578 SS. 

Auf Anregung des Herausgebers hat die um die Verbreitung ge- 
diegener „politischer“ Bildung verdiente Gehe-Stiftung in Dresden Vor- 
träge über sächsische Volkskunde veranstaltet. Dieselben bilden den 
Grundstock des vorliegenden Sammelwerkes; wenngleich auch die Vor- 
tragsform in der Regel abgestreift ist, so hat doch der Ton und die 
Sprache des Buches die Allgemeinverständlichkeit im wesentlichen bei- 
behalten. Um selbständige wissenschaftliche Arbeiten handelt es sich 
daher nicht; aber die Namen der Bearbeiter geben doch die Bürgschaft 
und die Vorträge im einzelnen bieten auch den Beweis, daß es sich um 
die Wiedergabe gediegener Forschung handelt. Was in zahlreichen 
Publikationen allgemeiner Art oder in speciell mit den sächsischen Ver- 
hältnissen sich beschäftigenden Arbeiten zerstreut war, ist auf diese 
Weise in schöner Form, mit zahlreichen Abbildungen, Karten und 
Diagrammen erläutert, zusammengefaßt worden. Den Inhalt und die 
einzelnen Bearbeiter zeigt folgende Uebersicht. I. Die Grundlagen des 
Volkslebens: 1. Das sächsische Land. Von Prof. Dr. S. Ruge. — 
2. Sachsens vorgeschichtliche Zeit. Von Prof. Dr. Deichmüller (mit 
121 Abb. und 3 Karten). — 3. Die germanischen Bewohner Sachsens 
vor der Slawenzeit. Von Dr. Ludwig Schmidt (mit 1 Karte). — 
4. Verlauf und Formen der Besiedelung. Von Prof. Dr. E. O. Schulze 
(mit 13 Abb.). — 5. Die Anfänge des sächsischen Städtewesens. Von 
Reg.-Rat Dr. Ermisch (mit 6 Abb.). — II. Die Bevölkerung: 6. Stand 
und Wachstum. — 7. Bevölkerungsgliederung. — 8. Verbrechen und 
Selbstmord. Von Dr. Robert Wuttke (mit 7 Diagr.). — HL Aus 
dem geistigen Leben des Volkes. 9. Volksdichtung in Sachsen. Von 
Prof. Dr. Dunger. — 10. Die obersächsiche Hauptmundart. Von 
Dr. Karl Franke. — 11. Sitten und Gebräuche im Kreislauf des 
Jahres. — 12. Aberglaube und Volksmythen. Von Prof. Dr. E. Mogk. 
— 13. Sprache und Dichtung der Wenden. Von Pfarrer K. J. Walther. 
14. Volkssitte, Brauch und Aberglaube bei den Wenden. Von Pfarrer 
Dr. Rentsch. — IV. Das künstlerische Wollen des Volkes. 15. Die 
Dorfkirche. Von Hofrat Prof. Dr. C. Gurlitt (mit 17 Abb.) — 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 847 


16. Haus und Hof. Von Oberbaukommissar Gruner (mit 54 Abb.). — 
17. Die bäuerliche Wohnung. Von Landbaumeister K. Schmidt (mit 
17 Abb.) — 18. Die bäuerliche Kleinkunst. Von Dr. A. Kurzwelly 
(mit 47 Abb.). — 19. Die sächsischen Volkstrachten. Von Maler Prof. 
O. Seyffert (mit 3 Abb. und 4 Farbendrucktafeln). — 20. Die Zukunft 
der Volkstrachten. Von Hofrat Prof. Dr. C. Gurlitt. — Daraus er- 
giebt sich, daß nicht alle Materien, die man zur Volkskunde zu rechnen 
hat, berücksichtigt worden sind. Das ist die notwendige Folge der Ent- 
stehung des Werkes aus Vorträgen bei gegebener Gelegenheit. Aber 
selbst wenn eine systematische Verarbeitung seitens eines Verfassers 
in dieser Hinsicht vielleicht mehr gegeben hätte, bedeutet das Buch 
trotzdem eine ganz außerordentlich wichtige Erscheinung auf dem Ge- 
biete der Volkskunde, die sich ja sowohl mit der Statistik, wie mit der 
Wirtschaftsgeschichte und der Nationalökonomie in breiter Fläche be- 
rührt. Denn die Heranziehung von Specialistenarbeit wird gerade auf 
dem Gebiet der Sammlung von zerstreutem Material, der Zusammen- 
arbeitung der Ergebnisse verschiedener Forschungsmethoden aus ver- 
schiedenen speciellen Arbeitsgebieten, wie sie bei einer Volkskunde not- 
wendig sind, immer ihre Bedeutung behalten, wenn sie unter einheit- 
licher Leitung erfolgt, wie sie in diesem Fall durch Dr. Wuttke in 
erfolgreichster Weise bethätigt worden ist. Daß dabei die Gefahr eines 
unberechtigten Partikularismus völlig vermieden worden ist, mag gerade 
bei einer Volkskunde des Königreichs Sachsen als ein Beweis wissen- 
schaftlicher Grundlegung und Durchführung des ganzen Unternehmens 
gelten. 


Aachen. W. Kähler. 


Owen, Robert, Eine neue Auffassung von der Gesellschaft. 
Vier Aufsätze über die Bildung des menschlichen Charakters, als Ein- 
leitung zu der Entwickelung eines Planes, die Lage der Menschheit 
allmählich zu verbessern. Nach der 3. im Jahre 1817 in London er- 
schienenen Ausgabe übersetzt und erklärt von (Prof.) Oswald Collmann. 
Leipzig (Hirschfeld), 1900. 111 SS. 

Es sind dies die Aufsätze, durch welche der Grund für Owen’s 
Berühmtheit gelegt ward. Nachdem er in jahrelanger Arbeit seine 
Reformpläne in der Stille von New Lanark praktisch erprobt und durch- 
geführt hatte, veröffentlichte er seine Beobachtungen und Erfahrungen, 
seine Grundsätze und Erwartungen 1812—13 in diesen vier Aufsätzen. 
Die für Owen charakteristischen Momente treten in ihnen bereits deut- 
lich zu Tage; aber es ist doch für das Verständnis dieses Sozialisten 
von Wert, diese seine ersten Publikationen neben seinen späteren 
Schriften zu beachten; denn gerade in diesen Erstlingsarbeiten sind die 
phantastischen Pläne der späteren noch nicht so ausgeprägt, sein Denken 
ist noch inniger mit der Praxis verknüpft; er erscheint hier noch mehr 
als der Sozialreformer. Zur Kenntnis dieser seiner Entwickelungsstufe 
vermögen die Aufsätze grundlegendes Material zu liefern. Es ist daher 
mit Freude zu begrüßen, wenn sie in dieser guten Uebertragung einem 
weiteren Leserkreis zugänglich gemacht worden sind. 


Aachen. W. Kähler. 


848 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Abhandlungen des staatswissenschaftlichen Seminars zu Jena, herausgeg. von 
(Prof.) J. Pierstorff. Bd. I, Heft 1. Jena, G. Fischer, 1901. gr. 8. X—130 SS. 
M. 2,50. (Inhalt: Stubmann, P., Holland und sein deutsches Hinterland in ihrem gegen- 
seitigen Warenverkehr, mit besonderer Berücksichtigung der holländischen Haupthäfen, 
seit der Mitte des 19. Jahrh. Eine handelsstatistische Studie.) 

Forschungen, staats- und sozialwissenschaftliche, herausgeg. von Gustav Schmoller. 
Band XIX, Heft 2 (der ganzen Reihe Heft 83). Leipzig, Duncker & Humblot, 1901. 
gr. 8. V—92 SS. M. 2,20. (Inhalt: Die Entwickelung der Arbeitsteilung im Leipziger 
Gewerbe von 1751 bis 1900.) 

Friedlaender, Bened., Die vier Hauptriehtungen der modernen sozialen Be- 
wegung. Marxistische Sozialdemokratie, Anarchismus, Eugen Dührings sozialitäres 
System und Henry Georges Neophysiokratie, kritisch und vergleichend dargestellt. I. Teil : 
Marxismus und Anarchismus. Berlin, S. Calvary & C°, 1901. gr. 8 XX--220 SS. 
M. 3.—. 

Guglia, Eug., Friedrich Gentz. Eine biographische Studie. Wien, Wiener 
Verlag, 1901. X11—307 SS. M. 10.—. 

Jöhr, Ad., Jean Herrenschwand. Ein schweizerischer Nationalökonom des 18. Jahr- 
hunderts. Bern, K. J. Wyss, 1901. 8. 78 SS. M. 1.—. (A. u. d. T.: Beiträge zur 
Geschichte der Nationalökonomie, hrsg. v. A. Onken, N" 13.) 


Aupetit, A., Essai sur la théorie générale de la monnaie. Paris, Guillaumin & 
Ce, 1901. gr. in-8. fr. 10.—. 

Congrès, deuxième, général des organisations socialistes francaises, tenu à Paris 
du 28 au 30 septembre 1900. Compte rendu sténogr. officiel. Lille, impr. Le Bigot 
frères, 1901. 8. IX—392 pag. fr. 3.—. 

Congrès international de la participation aux bénéfices, tenu à Paris du 15 au 
18 juillet 1900. Compte rendu in extenso des séances. Paris, Chaix, 1901. 8. 287 pag. 
(Exposition universelle de 1900.) 

Congrès (Nic) socialiste international, tenu à Paris du 23 au 27 septembre 
1900. Compte rendu analytique officiel. Paris, Bellais, 1901. 8. 123 pag. fr. 1,25. 

Guesde, J., Etat, politique et morale de classe. Avant-propos par Ed. Fortin. 
Paris, Giard & Brière, 1901. 8. VIII—472 pag. fr. 3,50. 

Halévy (prof. à l'Ecole libre des sciences politiques), La formation du radicalisme 
philosophique. Vol. I et II. Paris, F. Alcan, 1901. 8. à vol. fr. 7,50. (Vol. I: 
La jeunesse de Bentham; vol. II: L'évolution de la doctrine utilitaire de 1789 à 1815.) 

Livre d’or des oeuvres ouvrières du Marais. Mesnil (Eure), impr. Firmin-Didot 
(1901). 42 pag. av. grav. 

Louis, Paul, Histoire du socialisme francais. Paris, édition de la „Revue 
Blanche“, 1901. 8. fr. 3,50. 

de Malarce, Note sur Schulze-Delitzsch et Georg Howel. Paris, impr. nation., 
1901. 8. 48 pag. (Extrait du Bulletin des sciences &conomiques et sociales du comite 
des travaux historiques et scientifiques, année 1900.) 

Piché, Em. (R. P., de la congrégation des frères de St.-Vincent-de-Paul), Con- 
férences sur les oeuvres sociales. Paris, H. Oudin, 1901. 8. fr. 3.—. 

De Graff, Lawrence, Ontlines and onestions on the principles of economics. 


Chicago, A. Flanagan C°, 1901. 12. 101 3,50. 
Devas, C. S., Political economy. rewritten and enlarged. New York, 
Longmans, Green & C°, 1901. 8. 691 pp. u. $ 2.—. 


Ferri, Enr., Socialism and modern science (Darwin-Spencer-Marx), trad. by R. 
R. La Monte. New York, Internat. Library Publ. C°, 1900. 12. 213 pp„ cloth. 
$ 1.—. 

Inter Amicos. Letters between James Martineau and W. Knight, 1869—72. 
London, J. Murray, 1901. 8. 166 pp. Du 

Robinson, E. C., A text-book of political economy. London, Simpkin, 1900. 
crown-8. 238 pp. 2/0. 

Kommunisme en anarchie. Amsterdam, L. de Boer, 1901. 8. 40 blz. fl. 0,25. 

Ferrazzani, Salv., Per la repressione dell’ usura. Napoli, tip. Pierro & Ve- 
raldi, 1901, 8. 31 pp. Li 

Morgari, Oddino, [arte della propaganda socialista. Parte I. Firenze, tip. 
elzeviriana, 1901. 12, 131 pp. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 849 


Tortoriei, Michele, Il socialismo concentrato nel vuoto. Vol. I. Caltanis- 
setta, tip. dell’ ospizio di beneficenza Umberto I, 1901. 12. 265 pp. 1. 2,50. 

2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur. 

May, R. E. Die Wirtschaft in Vergangenheit, Gegenwart und 
Zukunft mit 130 Tabellen und vergleichenden Uebersichten. Zur Jahr- 
hundertwende 1901. Akademischer Vortrag für soziale Wissenschaften 
Dr. John Edelheim, Berlin, Bern. XVI, 727 SS. 

Seitdem es eine Statistik giebt, hat sie sich mißbrauchen lassen 
müssen, sei es, um einem Augenblickzweck der Politik oder um ten- 
denziösen oder schnellfertigen „wissenschaftlichen“ Forschungen Magd- 
dienste zu thun. 

Das zeigt auch das vorliegende Buch. In ihm versucht ein mitten 
im Geschäftsleben stehender Hamburger, der mit der Naivität des Auto- 
didakten und mit der fröhlichen Zuversicht des Optimisten die wirt- 
schaftlichen Dinge um sich herum betrachtet, sich selbst und seinen 
Lesern von dem Betrachteten Rechenschaft zu geben. 

Der Verfasser hat sich vorher schon bekannt gemacht durch Ueber- 
blicke über einzelne Seiten der neueren Wirtschaftsentwickelung unter 
dem Titel von Jahresberichten (1895, 1897), denen eine gewisse 
Originalität mindestens in der Form nicht abzusprechen ist, ferner durch 
eine Studie in Schmoller’s Jahrbuch (1899, 1. Heft) über das Verhältnis 
des Verbrauches der Massen zu demjenigen der kleinen Leute, der Wohl- 
habenden und der Reichen, bei der schon deutlicher die Neigung zu 
schematischen Zahlenbeweisen hervortrat. 

Das vorliegende große Werk zeigt nun mit vielfach unangenehmer 
Schärfe die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Verfassers. Denn mit 
dem hohen Ton, in dem er schreibt, und mit dem Lob des Autors, das 
der Verleger den Recensenten „zur gefl. Benutzung“ in einem der 
jetzt leider so üblich gewordenen Waschzettel zu suggerieren für an- 
gemessen hält, steht in starkem Widerspruch die durchaus unwissen- 
schaftliche Methode des Buches. 

Dasselbe ist ein Seitenstück zu Mulhall’s Industries and wealth of 
nations; ihm hat der Verfasser mindestens ein Viertel seiner Tabellen 
mit oder ohne Veränderung entnommen; mit ihm teilt er aber vor allem 
die Lust am Fabulieren in Zahlen, die Unlust, dem Leser regelmäßig 
genauere Rechenschaft darüber u. reben, wie er zu seinen Zahlen 
gelangt ist, und die Kritiklosigkc der er alles, was ihm in Zahlen- 
form entgegentritt, aufnimmt. | 

Sein Steckenpferd ist gleich Muluall, für eine möglichst lange Periode 
Zahlenübersichten zu geben; er bekennt das selbst ganz naiv an 
mehreren Stellen (S. 17, S. 67). Auf seine Tabellen thut er sich darum 
auch besonders viel zu gut. Er ist so sehr Fanatiker der Zahl, daß 
er fast nie danach fragt, wie sie entstanden, ob sie mehrdeutig, ob 
sie typisch sei. Aus solch unsicherem Material baut er die weittragend- 
sten Schlüsse auf. Und gerade da, wo er Neues zu bieten glaubt, ist 
die größte Zurückhaltung am Platze Daß sich einzelne interessante 
Notizen und Gedankenassociationen in seinem Buch finden, soll dabei 
nicht geleugnet werden. 

Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI), 54 


850 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Eine breitere litterarische Bildung fehlt dem Verfasser; er holt sich 
seinen Stoff, soweit er ihm paßt, aus einzelnen Zeitungsartikeln, Inter- 
essentenberichten, Blaubüchern, Nachschlagewerken, nur teilweise aus 
guten Monographien. In der lockersten Form sind diese Lesefrüchte 
aneinander gereiht. Wo sie versagen, da klaffen einfach Lücken. Darum 
sind seine historischen Exkurse, auch wenn man sie nur als Skizzen 
betrachtet, meist unvollständig, nicht einmal alle statistischen Daten 
bis zur neuesten Zeit ergänzt; um in letzterer Beziehung nur zwei Bei- 
spiele anzuführen, die sich beliebig vermehren ließen, die deutsche 
Gründungsstatistik (S. 485) ist ihm nur bis 1897 bekannt, die Dichtig- 
keit der Telegraphenanstalten bis 1890 (S. 422). 

Diese Lücken auszufüllen, dazu fehlte dem Verfasser aber nicht 
nur die Vorbildung, sondern auch einfach die Zeit. Das „Nonum prematur 
in annum“ ist nicht nach dem Geschmack unseres Praktikers. Die 
46 Bogen müssen in 7—8 Monaten zusammengeschrieben sein. Im 
Dezember 1899 hat er nach seiner eignen Angabe das Buch begonnen, 
vom Oktober 1900 datiert der Verleger seinen Waschzettel. 

Unter diesen Umständen würde es ein neues Buch kosten, alle 
Irrtümer, Flüchtigkeiten und Schiefheiten des Vertassers richtig zu 
stellen. 

Der Wissenschaft gegenüber, die da und dort einmal vom Verfasser 
einen freundschattlichen Tritt erhält, wäre es nicht zu rechtfertigen, näher 
auf das Buch einzugehen; aber bei der Gefahr, die solche halbpopuläre 
und in siegesbewußtem Ton gehaltene Litteratur für die Nichtfachmänner, 
besonders für die Tagesschriftstellerei in sich trägt, ist es notwendig, 
doch noch bei einigen Punkten zu verweilen, Wir greifen dabei solche 
Teile des Buches auf, auf die der Verfasser laut seinem Vorwort besonders 
stolz ist, weil er hier Gebiete der Wirtschaft „erleuchtet“ zu haben 
glaubt, die „bisher mehr oder weniger Terra incognita gewesen“ seien. 

Die Gesamt (?)konsumzunahme (die Wortbildung stammt vom Ver- 
fasser) pro Kopf der Bevölkerung, die er im ersten Abschnitt bietet, 
ist keine originielle Leistung, denn soweit England in Betracht kommt, 
ist sie, wie überhaupt das Beste in diesem Abschnitt, den Studien von 
Wood in den Schriften der K. statistischen Gesellschaft in London vom 
Jahre 1899 entnommen. Aber es fehlen die zum Verständnis nötigen 
Erläuterungen. Soweit es sich um Deutschland handelt, ist die übliche 
Zollvereinsstatistik benutzt und zwar in ganz laienhafter Weise, und 
derselbe Vorwurf trifft die Vergleichung der englischen und deutschen 
Zahlen. 

Um das Verhältnis zwischen „Volksproduktion“ und Außenhandel 
zu bestimmen, stützt sich der Verfasser statt auf die neueren, zweifel- 
los der Wirklichkeit näher kommenden amtlichen Detailzahlen nur auf 
die bekanntlich durchaus unsicheren Gesamtschätzungen Mulhalls. Er- 
wägungen darüber, daß überhaupt der Wert der Produktion (und ebenso 
die Gesamtsumme der Einkommen) innerhalb einer Volkswirtschaft ganz 
verschieden aufgefaßt werden kann und aus diesen Verschiedenheiten 
die stärksten Abweichungen sich ergeben müssen, kommen dem Ver- 
fasser gar nicht in den Sinn. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 851 


Mit dem Nachweis, daß das Wachstum der Produktivität der Arbeit 
auch eine Steigerung der Löhne bewirkt habe, stößt der Verfasser offene 
Thüren ein. Nicht das steht in Rede, sondern die Frage, wo die 
Grenzen dieser Erscheinung liegen. Ueberhaupt führt der Verfasser 
viel zu allgemein die Lohnsteigerungen auf ein Wachstum der Pro- 
duktivität der Arbeit zurück. Daß der Verfasser sich in der Frage, 
ob die Gegensätze zwischen Reich und Arm infolge der modernen wirt- 
schaftlichen Entwickelung zugenommen haben, auf die Seite der Optimisten 
schlägt, war zu erwarten und ist sein gutes Recht. Aber der An- 
schauung muß widersprochen werden, daß in dieser übrigens sehr ver- 
schiedene Probleme in sich schließenden Frage überhaupt so leichthin 
entscheidende statistische Thatsachen beigebracht werden könnten. So 
gestatten auch seine und anderer Beispiele (S. 486) über die Zer- 
splitterung des Aktienbesitzes keineswegs den Schluß, daß die Ver- 
mehrung des beweglichen Besitzes keine Agglomeration desselben in 
wenigen einflußreichen Händen bedeute. 

Und ebenso muß die Meinung zurückgewiesen werden, als ob es 
erst des Verfassers bedurft oder ihm erst gelungen sei, der bisher 
blinden Mitwelt durch seine jetzigen oder früheren Ausführungen die 
Augen zu öffnen. Aehnliches gilt von seinem selbstbewußten und ganz 
mißglückten Feldzug gegen Malthus (S. 104). 

Um noch ein paar weitere Beispiele willkürlicher Berechnung zu 
geben, verweisen wir auf die Schätzung des Zahlenverhältnisses, das 
zwischen der Jahresproduktion und dem Kapital von industriellen Unter- 
nehmungen bestehen soll (S. 580 ff.), ferner auf die Tabelle (S. 591), wo 
die Ueberschüsse der Konsumvereine mit denen der Aktiengesellschaften, 
Berggewerkschaften und anderen Genossenschaften in Preußen neben- 
einander gestellt und addiert werden, um die durchschnittlichen 
Unternehmergewinne zu veranschaulichen. Die vergleichenden Daten 
über die Verkehrsdichtigkeit auf den Eisenbahnen (S. 352 und 353) 
sind, da sie ohne einschränkende Erläuterungen abgedruckt worden, 
für Laien geradezu irreführend. Der Verfasser kennt die Unvergleich- 
barkeit der Einzeldaten wohl selbst nicht. Jedenfalls hält sie ihn nicht 
ab, einen allgemeinen Durchschnitt zu ziehen. 

Auch die Berechnung des Verhältnisses, in dem das Aktienkapital 
wichtigerer Länder zum Volksvermögen steht, schwebt völlig in der 
Luft (S. 481 ff.) Der Verfasser denkt gar nicht an die Unterschiede, 
die das Bestehen großer Privatbahnen bewirkt, an die Unsicherheit der 
Schätzung des Volksvermögens, an den Besitz inländischer Aktien durch 
Ausländer; seine Schätzungen des Kurswertes der Aktien und der aus- 
gegebenen Obligationen sind roh und letztere z. B. für Deutschland 
viel zu niedrig. 

Alles in allem kann das Buch somit nicht nur nicht als wissenschaft- 
liches, sondern selbst bei niedriger gespannten Ansprüchen nicht als 
gelungen bezeichnet werden. Wenn die „Theoretiker“ die Statistik so 
skrupellos verwendeten, wie unser und viele andere Praktiker, wie würde 
sich über die Theoretiker dann die Welt entsetzen! 

Nur das mag dem Verfasser nachgerühmt werden, daß er für einen 


54* 


852 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Hamburger Kaufmann mit erfreulicher Vorurteilslosigkeit Entwicke- 
lungen, die in sozialer Beziehung von größter Wichtigkeit sind, wie 
das Genossenschaftswesen und die Gewerkschaftsbewegung dem Ver- 
ständnis seiner Leser näher zu bringen versucht. Auffallend wenig 
Material bringt der Verfasser dagegen über die neueste Trust- und 
Kartellbewegung. 


Karlsruhe. Troeltsch. 


Dix, A., Deutschland auf den Hochstraßen des Weltwirtschaftsverkehrs. Jena, 
G. Fischer, 1901. gr. 8 X—218 SS. M. 4,50. 

Schliz, A., Das steinzeitliche Dorf Großgartach, seine Kultur und die spätere 
vorgeschichtliche Besiedelung der Gegend. Stuttgart, F. Enke, 1901. gr. 4. 52 SS. 
mit 1 Karte, 12 Taf. u. 24 in den Text gedr. Abbildgn., kart. M. 8.—. 

Stauber, E., Geschichte der Gemeinde Ellikon an der Thur. St. Gallen, W. 
Hausknecht, 1901. gr. 8. VIII—194 SS., kart. M. 2.—. 


Russie, la, économique et sociale, à l’avenement de S. M. Nicolas II. Paris, 
Guillaumin & Ce, 1901. 8. fr. 6.—. 

Sicile, la, sous la monarchie de Savoie. Paris, Guillaumin & Or, 1901. 8. 
fr. 3,50. 

Trépard, J., L'origine des biens communaux. Besançon, impr. Jacquin, 1901. 
8. 29 pag. (Extrait des Mémoires de l’Académie ete. de Besançon.) 

Viollet, P., Les communes françaises au moyen âge. Paris, imprim. nationale 
(1901). in-4. 158 pag. (Extrait des Mémoires de l’Académie des inscriptions et belles- 
lettres.) 

Bleloch, W., The New South Africa, its value and development. London, Heine- 
mann, 1901. Roy.-8. 452 pp. with maps and diagrams ete. 10 .—. 

Cheyney, Edward Potts, An introduction to the industrial and social history 
of England. New York, Macmillan Cr, 1901. 10 and 317 pp., cloth. $ 1,40. (An 
account of changes in landholding and agriculture, in artisan life, in trading. commerce, 
legislation, ete, and of such movements as trades unions, trusts, factory laws, State 
socialism, etc.) 

Dawson, W. Harbutt, German life in town and country. New York, Putnam, 


1901. 12. 330 pp., illustr. $ 1,20. (Contents: Social divisions. — The „Arbeiter“. — 
Rural life and labor. — Public education. — Woman and the home. — Political life 
— Local government, — etc.) 


Deasy, H., In Tibet and Chinese Turkestan: being the record of three years 
exploration, New York, Longmans, Green & C°, 1901. 436 pp., ill, map, cloth. 
$ 5.—. 

Egypt. (Parliam. paper on E.) N° 1, 1901: Reports on finance, administration 
and conditions of Egypt, and the Soudan in 1900. London, 1901. Folio. 1/.3. 

Maerosty, H. W., Trusts and the State. A sketch of competition. London, 
G. Richards, 1901. 8. 326 pp. 5/.—. (Fabian series.) 

Vivienne, M., Travels in Western Australia. London, Heinemann, 1901. Roy.-8. 
360 pp. 15/.—. (Description of cities, towns, goldfields, agrieultural districts.) 


3. Bevölkerungswesen. Auswanderung und Kolonisation. 
Ambrosius, E., Die Volksdiehte am deutschen Niederrhein. Stuttgart, J. Engel- 
horn, 1901. gr. 8. 115 SS. mit 2 Kartenbeilagen und 3 Textillustr. M. 9,60. (A. u. 
d, T.: Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, hrsg. von (Prof.) A. Kirch- 
hoff. Band XIII, Heft 3.) 


Annuaire de la Guadeloupe et dépendances. Année 1901. 553 pag. 

Prentout, H., L'Ile de France sous Decaen (1503—1810). Essai sur la politique 
coloniale du premier Empire et la rivalité de la France et de l'Angleterre dans les 
Indes orientales. Paris, Hachette & C', 1901. gr. in-8. XLV—659 pag. ete. 

Barnard (Lady) Anne, South Africa a century ago. Letters written from the Cape 
of Good Hope, 1797—1801. Edit. by W. H. Wilkins, London, Smith, Elder & UC, 
1901. 8. 326 pp. 7/.6. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 853 


Beloch, W., New South Africa, its value and development. London, Heinemann, 
1901. 8. With illustrations and diagrams. 9/.—. 

Bigelow, Poultney, The children of the nations: a study of colonization and 
its problems. New York, MeClure, Phillips & C°, 1901. 8. 378 pp., eloth. $ 2.—. 

Chatterton, Eyre, The story of fifty years’ mission work in Chhota Nagpur. 
With a preface by the Lord Bishop of Chhota Nagpur. London, 1901. 8. 222 pp. 4/.—. 

Guffanti, A., La colonizzazione dei terreni incolti in Italia e le leggi agrarie 
allo scopo. Stradella, tip. P. Salvini, 1901. 8. 298 pp. 1. 3,50. 

van Eeden, Fred., Binnenlandsche kolonisatie. Amsterdam, W. Versluys, 1901. 
gr. 8. 32 blz. fl. 0,20. 

von Kol, H., Ontwerp-program voor de Nederlandsche koloniale politiek, te 
behandelen op het congres der sociaaldemokratische arbeidersparty te Utrecht 1901. 
Amsterdam, J. A. Fortuyn, 1901. gr. 8. 28 blz. 


% Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen. 

Steinbrück, Dr. Carl, Die Entwickelung der Preise des 
städtischen und ländlichen Immobiliarbesitzes zu Halle (Saale) und im 
Saalkreise. Jena 1900. 

Es ist sehr anerkennenswert, daf der Vert sich der Mühe unter- 
zogen hat, die Arbeit von Paasche: ,Die Entwickelung der Preise und 
der Renten des Immobiliarbesitzes zu Halle a. d. Saale“, 1876, bis zum 
Jahre 1895 fortzusetzen. Man ersieht daraus, daß die in den Jahren 
1890—95 gezahlten Preise um das 10-fache und darüber hinaus höher 
waren, als in den 3 ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts. Vergleicht 
man die Abschnitte 1830—39 und 1890—95, so findet man eine Steige- 
rung des Preises bei allen Arten von Gebäuden um das 8-fache. 

Weiter untersucht dann der Verf. die Entwickelung der Preise der 
Rittergüter und der über 30 ha großen Landgüter im Saalekreise, 
Merseburger Kreise, einiger Besitzungen im Mansfelder Seekreise und 
im Kreise Delitzsch, die zum Amtsgericht Halle gehören. Der Verf. 
hat zu diesem Zwecke die in den Hypothekenbüchern bis 1872 ver- 
merkten Kaufpreise zusammengestellt und, da seitdem keine Preise mehr 
notiert sind, aus den Kaufverträgen die für Immobilien festgestellten 
Preise ausgezogen. Da nämlich der Staat bei jedem Gutsverkauf 
eine Stempelsteuer von 1 Proz. von den Immobilien und !/, Proz. von 
den Mobilien erhebt, so muß in jedem Kaufvertrage ein Pauschquantum 
für Aecker und Gebäude und eines für Inventarvorräte u. s. w. ange- 
geben werden. In den Hypothekenbüchern sind bis 1872 die in den 
Kaufverträgen angegebenen Kaufbeträge für Aecker und Gebäude allein 
aufgeführt, und daher mußte der Verf. aus den Kaufverträgen auch 
die Preise für Aecker und Gebäude zusammenstellen. Da nun aber 
die Festsetzung der Preise für Immobilien nur nach Gutdünken, 
einzig zu dem Zwecke geschieht, um die Höhe der Stempelsteuer zu 
bemessen, so ist es klar, daß diese Summe im allgemeinen zu niedrig 
angegeben wird, und dies um so mehr, als die Kontrolle vom Fiskus 
schwer ausgeführt werden kann. Nur bei ganz exorbitanten Fällen 
tritt Remedur ein. Hierauf soll sich wohl die Notiz des Verf. auf 
S. 26 beziehen, wo er sagt: „Auch ist die Fehlerquelle, welche sich 
durch zu niedrige Angabe des Kaufpreises behufs Stempelsteuerhinter- 
ziehung eröffnet, erfahrungsgemäß auf dem Lande viel bedeutender als 
in der Stadt“. Andererseits aber kam es vor 1872 auch vor, daß der 


854 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Käufer ein größeres Gewicht darauf legte, im Hypothekenbuch einen 
zu hohen Preis zu vermerken, als die niedrige Stempelsteuer zu er- 
sparen, um diese Notiz bei etwaigem Wiederverkauf oder Beleihung des 
Gutes zu seinen Gunsten auszunutzen. 

Aus dem Gesagten dürfte hervorgehen, daß es sehr zweifelhaft ist, 
ob und inwieweit die angegebenen Preise den wirklich gezahlten Preisen 
entsprechen, daher eine Vergleichung der einzelnen aufgeführten Preise 
kaum statthaft ist. Hierzu kommt noch, daß in Erbschaftsfällen diese 
Fehlerquelle viel geringer wirkt. Unzweifelhaft aber ist es, daß die 
Durchschnittszahlen ein richtiges Bild der Entwickelung der Preise 
geben, und es ist dankbar aufzunehmen, daß der Verf. uns dieses Bild 
vorführt. 

Diese Entwickelung zeigen die nachstehenden Tabellen: 


Kaufpreise der Rittergüter. 


| . | Verhältnis des 
Zeit- Ko a Areal | dur sis verschiedenen 
abschnitt Rittergüter P Kaufpreises 
ha | M. M. 1801—20 = 100 
1740—1760 5 963 450 800 468,12 63,6 
1761—1780 5 1360 771 600 567,35 77,0 
1781—1800 6 755 461 400 611,13 83,0 
1801—1820 25 j 4927 3 628 800 736,51 100,0 
1821 — 1840 16 | 2845 2 389 200 839,79 114,0 
1841—1860 20 , 3553 4 320 000 1216,55 165,2 
1861—1880 16 2537 5415 750 2134,71 289,8 
1881—1895 5 1322 3 893 000 2944,18 399,8 
Kaufpreise der Landgüter. 
| Grund- |Kaufpreis, 
Anahi | Grund- Preise |steuerrein-|wenn Peri- 
è Kaufpreis| Areal steuer- h ertra. ode 1801 
ee r der reinertrag pro si —1820 — 
Verkäufe | 100 gesetzt 
| M. ha M. M. M. wird 
bis 1800 14 88 800| 400,13 — 201,93 — 41 
1801—20 26 451000 | 924,05 _ 488,07 = 100 
1821—40 28 683 700 | 1135,55 — 602,09 em 123 
1841—60 26 1 436 000! 1247,13 = | 1151,44 — 236 
1861—80 35 4128 700 | 1876,91 89 631,19 | 2199,73 | 47,76 | 451 
1881—98 35 7 422 600 | 2140,73 | 104 096,48 | 3467,32 | 48,63 710 


Man sieht aus diesen Tabellen, daß die Preise für Grund und 


Boden stetig gestiegen sind und bei den Landgütern noch stärker als 
bei den Rittergütern. Bei letzteren betrug der Preis pro ha in der 
letzten Periode 4mal so viel als in der ersten in diesem Jahrhundert, 
bei ersterer sogar 7mal soviel. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


855 


Sehr interessant sind auch die Tabellen, welche die Entwickelung 
der Verschuldung der Rittergüter und der Landgüter darstellen. 


Verschuldung der Rittergüter. 


| 


Zahl Hypo- | Verschul- | Prozent. | Prozent. ‚Verhältnis 
Zeit der Areal theken- dung |Steigen d. ele GEN der Ver- 
Ritter- | schulden proha | Verschul- k fprei |schuldung 
güter dung aupreise in Proz. 
ha M. M. pro ha 
1781—1800 42 2307 373 000 | 161,68 64,7 83,0 37,8 
1801—1820 42 7702 1925 300 | 249,98 100,0 100,0 29,5 
1821—1840 42 7761 2673100 344,42 137,8 114,0 24,3 
1841—1860 42 7804 |4136100| 530,00 212,2 165,2 23,0 
1861—1880 39 8187 5 801 700| 708,53 283,4 289,8 30,1 
1881—1895 39 8525 7 809 300 | 976,06 | 390,5 399,8 31,1 
Verschuldung der Landgüter. 
| e a Verhältnis 
Zahl der | Hypo- | Yerschul. Steigen d.| Steigen | Aer Ver- 
Zeit | Land- | Areal ı theken | dung |Vemchul-] der [| huldun 
8 schulden g a eer g 
güter | | pro ha | zum Kauf- 
ha M. Les , 
| 
1801—20 53 2053,7 161 600 78,68 | 100 100 16,12 Din 
1821 — 40 53 2090,7 446 500 | 213,56 271 123 35,58 si 
1841—60 53 2409,5 743 800 | 308,69 392 236 26,81 „ 
1861—80 52 2633,0 2314600 | 879,07 1117 451 39,96 „ 
1881—98 50 2871,1 2657 100 | 925,46 1176 | 709 26,75 „ 


Danach ist bei den Rittergütern die Schuldenlast bedeutend ge- 
stiegen, aber nach einigen Schwankungen hat sie heute dasselbe Ver- 
hältnis zum Kaufpreis als im Anfang des Jahrhunderts. Bei den Land- 
gütern ist die Schuldenlast noch stärker gewachsen als bei den Ritter- 
gütern und auch bedeutend stärker als der Kaufpreis des Grund und 
Bodens. Das Verhältnis der Schulden zum Kaufpreis ist aber bei den 
Landgütern günstiger als bei den Rittergütern: 26,75 gegen 31,1 Proz. 

Vergleicht man die Entwickelung der Preise des Grund und Bodens, 
wie sie hier dargestellt ist, mit derjenigen in der Provinz Posen, wie 
sie Hermann Sarrazin in seiner Schrift: „Die Entwickelung der Preise 
des Grund und Bodens in der Provinz Posen“, Halle a. S. 1897 und 
in den „Landwirtschaftl. Jahrbüchern“ von Thiel desselben Jahres dar- 
stellt, so findet man, wieviel stärker die Krisis der 20er und 30er Jahre 
und die jetzige auf die Preise in Posen eingewirkt hat. Hierbei ist zu 
bemerken, daß Sarrazin bei seiner Zusammenstellung anders verfahren 
ist als Steinbrück. Er hat die wirklich gezahlten Kaufpreise zusammen- 
gestellt, nicht die in den Kaufverträgen angegebenen Preise für Im- 
mobilien; ferner hat er die Cen eech lediglich nach ihrer Größe in 
1) Kleinbesitz bis zu 50 ha, 2) Mittelbesitz 50—300 ha und 3) Groß- 
besitz, solche Güter mit mehr als 300 ha, geteilt, während Steinbrück 
die Einteilung in Rittergüter und Landgüter über 30 ha gewählt hat. 


856 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Allerdings gehören die Rittergüter größtenteils zum Großgrundbesitz, der 
in Sachsen wohl schon von 100 ha an zu rechnen wäre, aber es giebt 
darunter auch vereinzelte Besitzungen von 50, 77, 84 ha u. s. w. Ebenso 
kommen unter den Landgütern vereinzelt solche von über 100 ha, auch 
über 200 ha vor. Immerhin wird man den Großbesitz bei Sarrazin den 
Rittergütern bei Steinbrück und den Mittelbesitz bei Sarrazin den 
Landgütern bei Steinbrück gegenüberstellen können. Endlich war Sar- 
razin, da ihm ein sehr viel reichhaltigeres Material zur Verfügung stand, 
in der Lage, kürzere Zeitabschnitte, von 10 zu 10 Jahren, zu berechnen, 
seit 1870 sogar von 5 zu 5 Jahren, während Steinbrück sich gezwungen 
sah, 20 Jahre zusammenzufassen. 


Sarrazin Steinbrück 
e e Preis von 1811—| Kaufpreis pro ha 
Zeit an u 1820 = 100 |v.1801--20. 100 
Klein: | Mittel- | Groß- | Mittel- | Groß- | Land- | Ritter- 
| besitz | besitz | besitz | besitz |_besitz güter | güter 
bis 1800 — 207 159 
1801—10 en — | 269 
1811—20 — 232 266 100 100 } CH 199 
1821—30 113 210 133 90 50 ) 
1831 — 40 149 132 Ga | Ss LS M RSR 
. 1841—50 195 243 274 | 105 103 
1851—60 301 363 340 | 156 128 236 165,2 
1861—70 412 516 459 222 169 | 
1871—75 493 630 586 | 272 220 451 | 289,8 
1876—80 546 631 570 | 272 214 | | 
1881—85 603 | 707 644 305 242 | | | 
1886—90 660 | 699 597 | 301 225 | 710 ı 3998 
1891—94 732 654 537 282 202 | 


So verschieden die beiden nun auch in ihren Arbeiten vorgegangen 
sind, so liefern schließlich beide ein Bild der Entwickelung der Preise 
für den Grund und Boden in den betreffenden Landesteilen im Laufe 
des verflossenen Jahrhunderts, und dürfte es nicht ohne Interesse sein, 
diese Bilder näher zu vergleichen. 

Aus obiger Tabelle ersieht man, daß in dem von Sarrazin bear- 
beiteten Bezirk, der Provinz Posen, die Preise der Großbesitzungen in 
den 20er und 30er Jahren um 50 resp. 38 Proz. zurückgingen. Der 
Mittelbesitz verlor dagegen in den 20er Jahren nur 10 Proz., ging aber 
in den 30er Jahren um 43 Proz. zurück. Anders in dem von Steinbrück 
bearbeiteten Landstrich, dem Kreise Merseburg und dem Saalkreis. Hier 
ist trotz der Krisis in den 20er und 30er Jahren eine Steigerung der 
Preise von Grund und Boden festgestellt, und zwar bei den Ritter- 
gütern um 14, bei den Landgütern um 23 Proz. In den Zeitabschnitten 
1841—60 und 1861—80 ist die Entwickelung der Preise in beiden 
Bezirken wohl ziemlich die gleiche. Allerdings sieht man bei Sarrazin, 
daß in den Jahren 1875—80 beim Mittelbesitz ein Stillstand, beim 
Großbesitz ein kleiner Rückgang der Preise eingetreten ist. In dem 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 857 


letzten Zeitabschnitte, 1881—95, findet in dem ersten Bezirk in den 
Jahren 1881—85 eine Preissteigerung statt, in den folgenden Jahren 
ein Rückgang. Immerhin bleibt für den Durchschnitt eine Preissteige- 
rung gegen die vorhergehende Periode, welche aber lange nicht so groß 
ist als die Steigerung der Preise im zweiten Bezirk. Man sieht also, 
daß auch in der neuesten Krisis Posen weit mehr leidet, als die hier 
vorgeführten Kreise der Provinz Sachsen. 

Ebenso zeigt diese Tabelle, daß der Großgrundbesitz auch in der 
neuesten Krisis, ebenso wie in der der 20er Jahre, weit mehr be- 
troffen wurde als der Mittelbesitz. Denn während der Großbesitz 
in Posen in den 20er und 30er Jahren ca. 44 Proz. am Werte 
verlor, ging der bäuerliche Besitz nur um 26 Proz. zurück, und in 
derselben Zeit stieg im zweiten Bezirk der Wert der Rittergüter 
nur um 11 Proz, der der Landgüter um 23 Proz. Ebenso ist die 
Steigerung im Preise eines Bauerngutes von 1861—80 zu 1891—94 
doppelt so groß, als die des Großbesitzes im Bezirk 1; in Bezirk 2 ist 
die Steigerung der Landgüter sogar 2!/, mal so groß wie die der Ritter- 
güter. M. C. 


Grünberg, K. (Prof), Studien zur österreichischen Agrargeschichte. Leipzig, 
Duncker & Humblot, 1901. gr. 8. VI—281 SS. M. 6.—. 

Konrad, Osc. (Braumstr.), Das Bier und seine Erzeugung. Nürnberg, M. Edel- 
mann, 1900. 8. 95 SS. M. 2.—. 

Siemens & Halske, A. G., Die Elektrizität in der Landwirtschaft. Berlin, 
P. Parey, 1901. Lex.-8. III—57 SS. mit Abbildgn., geb. M. 3.—. 

Stelling (Staatsanw.), Die freie Wasservögeljagd auf öffentlichen Gewässern der 
preußischen Monarchie unter besonderer Berücksichtigung der Provinz Hannover. Zu- 
gleich ein Beitrag zum Deich- und Wasserrecht. Hannover, Hahn, 1901. gr. 8. IV— 
164 SS. M. 3.—. 


Guyot, Yves, La question des sucres en 1901. 4 parties. Paris, Guillaumin, 


1901. 8. fr. 3.—. (Table: Ir partie: La législation sur les sucres en Europe. — 
2° partie: Les résultats. Production et consommation. — 3° partie: Valeur relative de 
l’industrie sucrière. — 4° partie: Le problème actuel.) 


Règlement, général, pour la culture du tabac en 1901, dans le département du 
Nord. Lille, impr. Danel, 1901. 8. 62 pag. 

Sébastian, V. (ancien directeur de station expérimentale), L'agriculture moderne. 
Encyclopédie de l’agrieulteur. Paris, librairie Larousse, 1901. 8. 560 pag. av. grav. 
fr. 5.—. (Bibliothèque rurale, vol. XI.) 

Villain, G., Le fer, la houille et la métallurgie à la fin du XIX” siècle. Cou- 
lommiers, impr. Brodard, 1901. 8. XVI—342 pag. 

Agricultural Holdings Act, the, 1883 and 1900. Arranged by J. M. Lely and 
W. H. Aggs. London, Clowes, 1901. 27.6. 

Morrison, R. S., and E. D. De Sota, Mining rights in the Western States 
and territories; lode and placer claims, possessory and patented, statutes, decisions, forms, 
land office and surveyor general’s rules, ete. 10‘ ed. Denver (Color.), Smith-Brooks C”, 
1901. 8. 500 pp. $ 3.—. 

Review of forest administration in British India, 189899. London, 1901. Folio. 
1/.-. (Parl. pap.) 

Cattaneo, A., Le casse rurali: studio. Padova, tip. Prosperini, 1901. 8. 75 pp. 


5. Gewerbe und Industrie. 
Röhl, Hugo, Beiträge zur preußischen Handwerkerpolitik vom 


Allgemeinen Landrecht bis zur allgemeinen Gewerbeordnung von 1845. 
(Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen. Herausgegeben von 


858 Uebersicht über die nenesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes 


Gustav Schmoller. Bd. 17, Heft 4.) Leipzig (Duncker und Humblot) 
1900. 276 SS. 

Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt, die allmähliche organi- 
sche Entwickelung des Liberalismus in der preußischen Gewerbepolitik 
darzustellen. Er stützt sich dabei auf Materialien, die zum Teil schon 
bekannt waren, zum Teil aber von ihm aus den Akten der Archive 
und Ministerien erstmalig herausgehoben worden sind. Die Arbeiten 
über die gleiche Materie von v. Rohrscheidt, die in verschiedenen Zeit- 
schriften veröffentlicht und dann in dem Buche: Vom Zunftzwang zur 
Gewerbefreiheit !) zusammengefaßt sind, hat der Verf. bei der Abfas- 
sung seiner Arbeit nicht oder nur zum kleineren Teil gekannt. Könnte 
man ihm daraus vielleicht auch einen Vorwurf machen, so muß man 
doch zugestehen, daß diese Thatsache der vorliegenden Arbeit keines- 
wegs irgendwie geschadet hat. Denn der Verf. hat im wesentlichen 
andere archivalische Materialien benutzt und die Verarbeitung der litte- 
rarischen Hilfsmittel ist ihm besser gelungen, als v. Rohrscheidt. Des- 
halb bildet die Röhl’sche Darstellung eine sehr wertvolle und auf selb- 
ständige Bedeutung Anspruch machende Ergänzung der v. Rohrscheidt- 
schen Untersuchungen, um so mehr als sie zeitlich weiter greift als 
die letzteren. 

Im Wesen solcher auf archivalische Arbeiten gestützten Darstel- 
lungen liegt es, daß sie eine Fülle von Details geben, daß sie anderer- 
seits aber auch gewissermaßen durch ihr Material eine Marschroute vor- 
geschrieben erhalten. Beides führt leicht dazu, daß der große Zusam- 
menhang nicht genügend hervortritt. Der Verf. ist sich dieser Gefahren 
bewußt gewesen und hat durch eine Reihe eingestreuter allgemeinerer 
Betrachtungen oder zusammenfassender Ueberblicke ihnen zu entgehen 
versucht. Andererseits aber meint er, daß eine „Beurteilung im großen 
Stil“ nicht mehr nötig gewesen sei, weil die Hauptresultate dieser seiner 
Untersuchungen bereits bekannt seien und ihre sachverständige Beur- 
teilung gefunden hätten. Ich bedauere diese Selbstbeschränkung des 
Verf. Denn insbesondere durch den als Einleitung gegebenen Ueber- 
blick über die gewerbepolitischen Ideen in der Litteratur zur Zeit des 
Eindringens und des Sieges des wirtschaftlichen Liberalismus (von 
1770—1825) wie durch andere einschlägige Ausführungen hat er den 
Nachweis erbracht, daß er zu solchen Zusammenfassungen und „Beur- 
teilungen großen Stils“ sehr wohl befähigt ist. Seine Arbeit würde nur 
gewonnen haben, wenn er sich die Aufgabe nicht selbst zu eng begrenzt, 
sondern in diesem Sinne erweitert hätte. Die Materialsammlung allein 
ist doch noch nicht die volle Höhe wissenschaftlicher Arbeit, sondern 
nur eine der zwar nützlichen und notwendigen Vorstufen, welche die 
zusammenfassende Darstellung und Beurteilung ermöglichen. — Eine 
andere Folge der Art des vom Verf. benutzten Materials ist die Beschrän- 
kung der Arbeit auf die Handwerkerpolitik der preußischen Regierung. 
Nur die Maßnahmen der Obrigkeit und die zu ihrer Vorbereitung die- 


1) Vergl. meine Besprechung derselben in diesen Jahrbüchern, III. F. Bd. 18, 
S. 266. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 859 


nenden Verhandlungen u. s. w., sowie die ihnen zu Teil werdende Be- 
urteilung durch die Interessenten kommen zur Darstellung. Die zu Grunde 
liegenden thatsächlichen Verhältnisse werden nur in diesem Zusammen- 
hang gestreift. Auch das kann man nach Lage der Sache und nach der 
vom Verf. sich selbst gestellten Aufgabe nicht als Vorwurf aussprechen. 
Aber seine Arbeit könnte nur gewonnen haben, wenn er auch die Zu- 
stände im Handwerk in der von ihm behandelten Zeit ausgiebiger 
berücksichtigt hätte. Die Schwierigkeiten einer derartigen Darstellung 
sind nicht gering. Aber der Wunsch nach einer ausgiebigeren Erfassung 
gerade jener Zeiten in der Entwickelung des Handwerks muß doch immer 
wieder ausgesprochen werden. Zudem würde gerade auch die Arbeit 
des Verf. manche Bereicherung dadurch erfahren haben. Die auch von 
ihm behandelte Frage, an der die ganze Schwierigkeit der Reform der 
Handwerkergesetzgebung sich so deutlich offenbart, die Frage nach der 
Entschädigung der Realgewerbeberechtigungen kann ohne eine Er- 
forschung und Darstellung der thatsächlichen Zustände nicht gewürdigt 
werden. Und eine solche Specialuntersuchung über die Bedeutung der 
Realgewerbeberechtigungen u. dergl. fehlt zur Zeit noch. Und doch 
geht aus allem, auch aus den Erörterungen des Verf. deren außerordent- 
liche Bedeutung klar hervor. 

Im ersten Kapitel seiner Arbeit behandelt der Verf. das Gewerbe- 
wesen im Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten von 1794, 
indem er ausgiebig die Materialien über die Entstehung des A.L.R. aus 
dem Berliner Justizministerium benutzt. Daran schließt er eine Schilde- 
rung der gewerbepolitischen Maßnahmen der Regierung in den letzten 
Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts unter dem Gesichtspunkt, wie einer- 
seits die freiere, liberale Auffassung derselben allmählich an Boden 
gewinnt und wie andererseits die merkantilistische Praxis allmählich 
verlassen wird. 

Das zweite Kapitel schildert die komplizierten Vorgänge der 
Stein-Hardenberg’schen Reform und der auf diese folgenden Jahrzehnte. 
Hier finden sich die breitesten Berührungsflächen mit den v. Rohr- 
scheidt’schen Arbeiten, ohne daß doch die Darstellung des Verf. durch 
diese überflüssig würde. Die Schwierigkeiten gerade dieser Materie 
hätten hier mehr zusammenfassende Ueberblicke und Durchblicke wün- 
schenswert gemacht. 

Im dritten Kapitel wird dann die — von v. Rohrscheidt nicht 
berücksichtigte — Entstehung der allgemeinen Gewerbeordnung für die 
preußischen Staaten von 1845 geschildert. In diesem Abschnitt des 
Buches wird wohl am meisten neues Material geboten. Je wichtiger 
diese Gewerbeordnung von 1845 für die spätere Gewerbegesetzgebung 
in Deutschland von 1869 an geworden jst, um so wertvoller sind auch 
für die Gegenwart alle Arbeiten, die jener großen preußischen Kodifi- 
kation des Gewerberechts gewidmet sind. 

Bei der Fülle der gebotenen Einzelheiten ließe sich natürlich manch- 
mal mit dem Verf. über einzelne Thatsachen und deren Darstellung oder 
Beurteilung streiten. Ich will nur einen Punkt hervorheben, wo viel- 
leicht ein Uebersehen vorliegt. Unter dem 10. VI. 1732 erging eine 


860 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Handwerksordnung für Ostpreußen, unter dem 24. I. 1771 eine solche 
für Westpreußen. Ueber beide finden wir bei Röhl nichts, obwohl doch 
solche Kodifikationen für ganze Provinzen als Vorläufer des A.L.R. Be- 
achtung verdienen. — Wenn außerdem ein rein äußerliches Monitum 
erlaubt ist, so möchte ich dieim und unter dem Text häufiger gefundene 
Verweisung „cf. weiter unten“ ohne Zusatz der Seite oder irgendwelche: 
näheren Bezeichnung von Abschnitt und Paragraph als Mißbrauch kenn- 
zeichnen. Dadurch ist dem Leser nicht gedient und die Uebersicht 
wird keineswegs erleichtert, was bei der ganzen Art der Arbeit und 
der Fülle des Materials doch sehr erwünscht gewesen wäre. Aber das 
sind Kleinigkeiten, die nebenbei zu erwähnen waren. 

Zusammenfassend läßt sich danach die Arbeit des Verf. als eine 
wertvolle Bereicherung der wissenschaftlichen Litteratur über die Ent- 
wickelung der gewerblichen Verhältnisse in Preußen hinstellen. 


Aachen. W. Kähler. 


Bloch, C. (Patentanw.), Wie erlangt und verwertet man einen Patent-, Gebrauchs- 
muster-, Warenzeichen- und Musterschutz? Berlin, H. Steinitz, 1901. gr. 8. 92 SS. 
M. 1.—. 

Braun, Ad., Zum Achtstundentag. Historisches und Agitatorisches über Arbeiter- 
schutz und Achtstundentag. Berlin, Buchhdl. Vorwärts, 1901. 8. 48 SS. 

Brunstein, Jos. L. (Hof- u. Gerichtsadvok.), Der österreichische Musterschutz 
und seine Reform. Vortrag. Wien, Manz, 1901. gr. 8. 43 SS. (Aus „Wochenschrift 
des niederösterr. Gewerbevereins.‘“) 

Hansen, F., Gewerbliche Rechtsfragen. Kurze Erläuterungen der für den Photo- 
graphen und Atelierinhaber wichtigsten Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches 
und der Gewerbeordnung in Bezug auf den Arbeitsvertrag. Halle ap. Knapp, 1900. 
gr. 8. VIII—63 SS. M. 1,50. 

Isaac, M., Der Schutz des Namens nach den Reichsgesetzen. Berlin, Struppe & 
Winckler, 1901. gr. 8. VIII—122 SS. M. 2,40. 

Ledebur, A. (GehRegR., Prof.), Handbuch der Eisen- und Stahlgießerei, um- 
fassend die Darstellung des gesamten GieBereibetriebes. 3. Aufl. Leipzig, B. F. Voigt, 
1901. gr. 8. VIII—478 SS. M. 15.—. 

Lüttich, A., Das Leipziger Gewerkschaftskartell und die Entwickelung und wirt- 
schaftlichen Kämpfe der Leipziger Gewerkschaften. Leipzig, Buchdruckerei und Verlags- 
anstalt der Leipziger Volkszeitung, 1901. 8. VII—190 SS. M. 1.—. 


Accidents du travail. Lois, règlements et cireulaires. (Janvier 1901.) Paris, 
impr. nationale, 1901. 8. 234 pag. (Publication du Ministère du commerce.) 

Loi, nouvelle, fixant les conditions du travail des femmes employées dans les 
magasins, boutiques et autres locaux en dépendant. Paris, Hayard, 1900. 8. 8 pag. 

Clarke, Allen, Effects of the factory system. New York, M. E. Mansfield & C’, 
1901. 12. 186 pp., cloth. $ 1,25. (Study made chiefly in Lancashire. Contents chapters 
on the unhealthiness and the dangers of the factory system; Female factory workers; 
Effects of the factory system on children; Infant mortality in factory towns; Wages 
and the future.) 

Lambert, Th., Bone products and manures. An account of the most recent 
improvements in the manufacture of fat, glue, animal charcoal, size, gelatine, and ma- 
nures. London, Scott, 1901. 8. 170 pp. 7/.6. 

Le Rossignol, J. E., Monopolies past and present: an introductory study. New 
York, Crowell & C°, 1901. 12. 257 pp., cloth. $ 1,25. (Contents: The nature of 


monopoly. — Monopolies in ancient and mediwval times. — Gilds as monopolies. — 
Exclusive trading companies. — Patents and copyrights. — Municipal monopolies. — 
Railways as monopolies. — Capitalistie monopolies.) 


Owen, Harold, The Staffordshire potter. With a chapter on the dangerous 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 861 


processes in the potting industry by the duchess of Sutherland. London, G. Richards, 
1901. 8. 366 pp. 6/.—. 

Sutherland, G., Twentieth century inventions: a forecast. London, Longmans, 
8. 302 pp. 5/.6. 

Willoughby, W. Franklin, State activities in relation to labor in the United 
States. Baltimore, John Hopkins press, 1901. 8. $ 0,75. (Contents: Bureaus of statistics 
of labor. — Employment bureaus. — The inspection of factories and workshops. — 
Regulation of the sweating system. — The inspection of mines. — Industrial conciliation 
and arbitration.). 

Resoconto ufficiale del I congresso degli albergatori italiani promosso dalla Soeietä 
italiana degli albergatori, tenuto in Roma il 14 giugno 1900 e dell’ adunanza per la 
costituzione della Associazione nazionale del movimento dei forestieri in Italia, tenuta 
il 16 giugno 1900. Genova, tip. fratelli Pagano, 1901. 8. 86 pp. 


6. Handel und Verkehr. 


Frey, G. Ad., Die Wasserfallenbahn. Eine volkswirtschaftliche Untersuchung. 
2. Aufl. (Basel) und Solothurn, A. Lüthy, 1901. hoch-4. VII—105 SS. M. 3,60. 

Gothein, G. (Abgeordn.), Der deutsche Außenhandel. Materialien und Betrach- 
tungen. I. Hälfte, Berlin, Siemenroth & Troschel, 1901. Lex.-8. XVI—420 SS. 
M. 10.—. 

v. Koenigsmarek, H. (OLeutn., Graf), Deutscher Handel und Wandel im Aus- 
lande. Vortrag. Berlin, H. Paetel, 1901. gr. 8. 32 SS. mit 1 Taf. M. 1,50. 

Kuhn, R. (BauOKomm.), Die Binnenschiffahrtskanäle auf der Pariser Weltaus- 
stellung 1900. Wien, A. Hölder, 1901. gr. 8 62 SS. mit Abbildgn. u. 3 Taf. 
M. 2,50. 

Zur WasserstraBenfrage in Oesterreich. Prag, K. Andre, 1901. 8. 30 SS. 


Aftalion, A. (chargé de cours d’&conomie politique A l’Université de Lille), Les 
ports francs en Allemagne et les projets de création de ports franes en France. Bar-Le- 
Due, impr. Contant-Laguerre, 1901. 8. 39 pag. 

Compte rendu des travaux de la chambre de commerce de Morlaix pour l’année 
1900. Morlaix, impr. Chevalier, 8. 148 pag. 

Compte rendu annuel de la chambre de commerce française de Portugal. 
Année 1599. Lille, impr. Danel, 1900. 8. 140 pag. 

Mémoires de la chambre syndicale des marchands de charbons de terre en gros 
et demi-gros de Paris. Tome U. Paris, 38 quai de la Räpte, 1901. 8. 144 pag. 

Travaux de la chambre de commerce de Châlons pendant l’année 1900. Chälons, 
impr. de PUnion républicaine, 1901. 8. 163 pag. 

Kelly’s Directory of engineers and iron and metal trades and colliery proprietors. 
9% ed. London, Kelly, 1901. 30/.—. 

Trade and shipping of South-East Asia Reports showing the trade, etc. of 
French, Indo-China, Siam, Straits-Settlements, and Malay federated States, and the 
British and Dutch possessions in the East Indian Archipelago. London 1901. Folio. 
1/.3. (Parl. Pap.). 

Commercio, il, degli oli d’oliva italiani in America e nel Levante. Roma, tip. 
nazionale di G. Bertero, 1901, 8. 159 pp. con 1 tav. (Pubblicazione del Ministero 
di agricoltura, industria e commercio.) 

Bigotti, L., VIII Congresso internazionale di navigazione interna in Italia nel- 
Pinteresse economico del paese. Torino, Roux & Viarengo, 1900. 8. 68 pp. 

Bonola, G., La ferrovia del Sempione. Roma, tip. Forzani & C., 1900. 8. VII— 
261 pp. L 3.—. 

Fiorito, L., Sulle condizioni della marina mervantile italiana al 31 dicembre 1599: 
relazione a S. E. il Ministro della marina. Roma, tip. L. Ceechini, 1900. 8. 412 pp. 
e 6 tavole. 

Pieraceini, Giulio, Indicatore generale della città e provincia di Firenze: 
guida commerciale, artistieo-industriale. Anno XXVI (1901). Firenze, G. Civelli, 1901. 
3. 556 & 191 pp. 1.5.—. 


7. Finanzwesen. 


Einkommensteuergesetz nebst Vollzugsverordnung und Dienstanweisung. 
Karlsruhe, Ch. F. Müller, 1901. 4. 78 SS. M. 1,20. 


862 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Mitteilungen aus der Verwaltung der direkten Steuern im KReich Sachsen. 
Band VI Heft 3. Dresden, C. Heinrich, 1901. Lex.-8. M. 1,30. 

Versatzamt, das k. k., in Wien von 1707 bis 1900. Wien, Manz, 1901. Lex.-8. 
V—143 SS. mit 6 Taf. M. 1.—. (Herausgeg. von der Direktion des k. k. Versatz- 
amtes.) 


Annuaire de l’administration des contributions indirectes. Situation au 1“ janvier 
1901. Poitiers, impr. Oudin & Or, 1901. 8. 358 pag. 

Jean, A. (directeur de la „Gazette du Palais“), Traité pratique du régime fiscal 
des successions, au courant de la nouvelle législation (loi du 25 février 1901). Paris, 
impr. de la Gazette du Palais, 1901. 8. 591 pag. 

Say, Léon, Les finances de la France sous la "pm République. Tome IV (et 
dernier). Paris, Calmann-Lévy, 1901. gr. in-S. V—696 pag. fr. 7,50. (Sommaire: 
La liberté économique, — Protectionnisme. — Socialisme |1570—1896].) 

Relazione sul amministrazione delle gabelle per l’esercizio 1899—1900. Roma, 
tip. elzeviriana di Pateras, 1901. in-4. 166 pp. 


8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen. 

Bantlin, A. (Prof.), Die deutsche Industrie und die Arbeiterversicherung, Stuttgart, 
A. Bergsträßer, 1901. gr. 8. 48 SS. mit 14 Taf. M. 1,20. (Festrede.) 

Bericht über die Thätigkeit der Arbeiterunfallversicherungsanstalt für Mähren 
und Schlesien in Brünn für das Verwaltungsjahr 1899. Brünn, R. M. Rohrer, 1901. 
gr. 4 52 SS. mit 1 Tab. M. 2.—. 

Bericht über den 18. Verbandstag der Genossenschaften des niedersächsischen 
Verbandes zu Hannover am 11. u. 12. VIII. 1900. Erstattet vom (Verbandsdirektor) 
Glackemeyer. Hannover, Manz & Länge, 1901. gr. 8 95 SS. M. 1,50. 

Biermann, W. E., Die deutsche Viehversicherung und ihre Reform. Berlin, 
Puttkammer & Mühlbrecht, 1901. gr. 8. 84 SS. M. 1,20. 

Brenning, E, Geld und Währung. 2 Vorträge. Göttingen, F. Wunder, 1901. 
gr. 8. 46 SS. M. 0,60. 

Cahn, J., Der Rappenmünzbund. Eine Studie zur Münz- und Geldgeschichte des 
oberen Rheinthales. Heidelberg, C. Winter, 1901, gr. 8. VII—218 SS mit 4 Taf. 
M. 7.—. 

Gesell, S., Das Monopol der schweizerischen Nationalbank und die Grenzen der 
Geldausgabe im Falle einer Sperrung der freien Geldausprägung. Bern, K. J. Wyss, 
1901. gr. 8. 42 SS. M. 0,60. 

Mitteilungen des deutschen Haftpflichtschutzverbandes. Herausgeg. von dem 
Verbandsvorstande. No. 12. Berlin, Siemenroth & Troschel, 1901. gr. 8. VII—167 SS. 
M. 3,50. 

Stefan, Emil (ÖRealschulprof.), Assekuranzatlas. Atlas des assurances. Geo- 
graphisch-statistische Darstellung der Entwickelung des Versicherungswesens aller Staaten 
und Branchen, 1855—1895. (Französischer Text.) Wien, G. Freytag & Berndt, 1901. 
gr. Fol. VIII—55 SS. Mit 161 farbig. Diagrammen und 3 Uebersichtskarten über 
den Stand der Lebensversicherung. geb. M. 50.—. 


Duguid, Ch., How to read the money article. Zei ed. London, E. Wilson, 1901. 
8. VII—130 pp. 2/.6. 

Rand Me Nally Bankers’ directory and list of attorneys 1901. Chicago, Rand, 
Me Nally & C°, 1901. 4. with maps. $ 6.—. 

Skinner, Th., The Directory of Directors for 1901. London, 1891. erown-8. 15/.—. 

Stock, the, Exchange official intelligence, 1991. London, 1901. 4. 50/.—. 


9. Soziale Frage. 


Pierstorff, Julius, Dr, Frauenarbeit und Frauenfrage. Jena 
(Gustav Fischer) 1900. Preis M. 1,20. 

Dem Pierstorff’schen Buch wird man nur gerecht, wenn man es 
als einen Separatabdruck eines Artikels aus dem Handwörterbuch für 
Staatswissenschaften beurteilt. Was man von einem solchen erwartet, 


‚Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 863 


wird in vortrefflicher Weise geleistet. Nach einer wertvollen Statistik 
werden wir in der für ein Nachschlagebuch gebotenen gedrängten 
Kürze über die geschichtliche Entwickelung der Frauenarbeit, über 
die Lage der Arbeiterinnen in der Gegenwart und die Frauenlöhne 
orientiert. Daran schließt sich eine Reihe von Paragraphen, welche der 
Frauenfrage gewidmet sind. Diese Frage, soweit sie eine Frage der 
Berufs- und Erwerbsthätigkeit ist, scheint sich nach der Auffassung des 
Verfassers auf „die Frauen des bürgerlichen Mittelstandes, zu denen 
sich die immer bedeutsamer hervortretenden Beamten- und Offiziers- 
kreise nebst den sonstigen liberalen Professionen“ gesellen, zu be- 
schränken. Ausführungen. über die Stellung der Frau im Privat- und 
öffentlichen Recht und über die geschichtliche Entwickelung der Eman- 
zipationsbewegung bilden die letzten Paragraphen. Schon diese An- 
ordnung der einzelnen Abschnitte, deren jeder für sich eigentlich ein 
abgeschlossenes Ganzes, ohne direkten Zusammenhang mit den anderen 
bildet, zeigt, daß es dem Verfasser nicht daran gelegen hat, die Frauen- 
frage in ihren Zusammenhängen, etwa als ökonomisches Phänomen dar- 
zustellen, sondern daß er nur für ein Nachschlagewerk in möglichster 
Vollständigkeit das Material zusammentragen wollte, dessen Kenntnis 
niemand, der sich ein objektives Urteil über die moderne Frauenbe- 
wegung bilden will, entbehren kann. Für das Handwörterbuch hat er 
damit genug gethan, von einer Monographie — und sobald der Artikel 
in Buchform erscheint, erhebt es doch den Anspruch einer solchen 
-—— erwartet man mehr. Jeder, der, durch den Titel verleitet, in dem 
Buch eine Darstellung der Frauenfrage sucht, d. h. jener Bewegung, die 
in den sozialen Kämpfen unserer Zeit der Frau die ihr zukommende 
Stellung anweisen will, wird nicht alles finden, was er wünscht. 
Ein Urteil z. B. über die Kontroverse, betreffend den Ausschluß der 
verheirateten Frauen aus der Fabrik, zu dem die vortreffliche Statistik 
der Frauenarbeit geradezu herausfordert, eine über das ganz Allgemeine 
hinausgehende prinzipielle Erörterung der Frage des Frauenstudiums 
hat der Vertasser vermieden, wenn sich auch seine persönliche Stellung 
zu diesen und anderen Fragen nirgends verleugnet. Nur in den Ab- 
schnitten über die rechtliche Stellung der Frau finden sich Ansätze, die 
aus dem Rahmen bloßer Berichterstattung auf das Gebiet kritischer 
Würdigung hinaustreten. 

Diese Ausstellungen berühren natürlich nicht die Bedeutung des 
Buches für die rein sachliche Orientierung. Daß derselben auch durch 
eine reichliche Litteraturangabe gedient wird, braucht bei den Artikeln 
des Handwörterbuches nicht besonders hervorgehoben zu werden. 


v. Erdberg. 


Bingner, H. (RegR.), Wohnungsfrage und Wohnungspolitik in ihren Beziehungen 
zur allgemeinen Sozialreform. Berlin, K. Hoffmann, 1901. gr. 8. 32 S5. M. 1.—. 

Gibsone, J. (GehKommR., Stadtverordn.), Die Wohnungsnot in Danzig. Vortrag. 
Leipzig, F. Leineweber, 1901. 8. 23 SS. M. 0,70, (Aus „Gesundheit'.) 

Perkins-Stetson, Charlotte, Mann und Frau. (Women and economies.) Die 
wirtschaftliehen Beziehungen der Geschlechter als Hauptfaktor der sozialen Entwickelung. 
Uebersetzt von Marie Stritt. Dresden, H. Minden, 1901. gr. 8. VIII—286 SS. M. 3.—. 


864 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 


Pfingsthorn, C., Die Wohnungsverhältnisse Hamburgischer Unterbeamten im 
Jahre 1897. Im Auftrage der Hamburgischen Gesellschaft zur Beförderung der Künste 
und nützlichen Gewerbe. Hamburg. L. Gräfe & Sillem, 1900. 8. 41 SS. M. 0,50. 

Wohlfahrtseinrichtungen, die, Nürnbergs. Herausgeg. von der Ortsgruppe 
Nürnberg des allgemeinen deutschen Frauenvereins. Nürnberg, F. Korn, 1901. gr. 8. 
VIll—254 SS, geb. M. 3.—. 


Faure, L., La condition civile des ouvriers en France, conférence faite à la Bourse 
du travail, le 7 février 1901. Le Puy, impr. Marchessou, 1901. 8. 16 pag. (Extrait 
du journal „La Haute-Loire.) 

Fleury, A. (avocat à la cour d'appel de Paris), De l’assistance publique à Paris. 
Paris, A. Rousseau, 1901. 8. X—260 pag. 

Vedie, E, L'église et les œuvres sociales en 1900. Paris, Poussielgue, 1901. 
gr. in-8. 212 pag. et 1 grav. (Publication du Comité pour la participation des œuvres 
catholiques en France, à l'Exposition universelle de 1900.) 

Fitzgerald, Percy, Fifty years of catholic life and social progress under 
Cardinals Wiseman, Manning, Vaughan, and Newman. 2 vols. London, Fisher Unwin, 
1901. 8. 260 pp. and 234 pp. 21/.—. 

Salmon, Lucy Maynard, Domestic service. 2”! ed. with an additional chapter 
on domestic service in Europe. New York, Macmillan, 1901. 27 and 338 pp., cloth. 
$ 2.—. 

Sherard, R. H., Cry of the poor: True account of a 3 months’ tour amongst 
pariahs of the Kingdoms of England, Scotland, and Ireland during last half-year of 19% 
century. London, Digby & L. 1901. 8. 224 pp. 3/.6. 

Sterza, A., La questione sociale. Roma, Desclée, Lefebvre e C., 1901. 12. 811 pp. 
L 2,50: 


10. Gesetzgebung. 


Bericht der VII. Kommission des Reichstags betr. den Entwurf eines Gesetzes 
über die privaten Versicherungsunternehmungen (No. 5 der Drucksachen). Berlin, 
C. Heymanns Verlag, 1901. Folio. 188 SS. 

Entwurf eines Gesetzes betr. die Abänderung des Branntweinsteuergesetzes vom 
24, VI. 1887—16. VI. 1895. Berlin, C. Heymanns Verlag, 1901. hoch-4. 23 SS. M. 0,60. 

Entwurf eines Süßstoffgesetzes. Berlin, C. Heymanns Verlag, 1901. hoch-4. 
51 SS. M. 1,20. 

Gebhard, Herm. (Direktor) und (RegR.) A. Düttmunn, Invalidenversicherungs- 
gesetz vom 13. VIIL. 1899. Altenburg, Geibel, 1901. gr. 8 XLIV—819 und 358 SS. 
M. 20.—. 

Jaeger, E. (Prof.), Das Bürgerliche Gesetzbuch mit Nebengesetzen. Für den 
akademischen und praktischen Gebrauch herausgeg. (Ausgabe für das Großhzt. Baden.) 
München, J. Schweitzer Verlag, 1901. gr. 8 VI—1330 XS., geb. M. 11.—. 

Mackenroth, Anna (Rechtsanw.), Ueber die Rechtsstellung der Frau im Vor- 
entwurf zum schweizerischen Civilgesetzbuch. 4 Vorträge. Zürich, Th. Schröter, 1901. 
gr. 8. 111—76 SS. M. 0,50. 

Malo, €. (LandgerR. a. D.), Der Entwurf eines Gesetzes betreffend die Umlegung 
von Grundstücken in Frankfurt a. M. (neue lex Adickes) und die Wohnungsfrage. 
Köln, P. Neubner, 1901. gr. 8. 42 u. 11 SS. M. 1.—. 

Osterrieth, A., Die Urheberrechtsvorlage und die Beschlüsse der XI. Reichstags- 
kommission. (I. Lesung.) Vortrag. Berlin, C. Heymanns Verlag, 1901. 8. 59 SS. M. 1.—. 

Pappenheim, Max (Prof.), Die Revisionsbedürftigkeit des deutschen Seehandels- 
rechts. Rektoratsrede. Kiel, Lipsius & Tischer, 1901. gr. 8 19 SS. 

Petersen, J. und G. Kleinfeller, Konkursordnung für das Deutsche Reich 
nebst den Einführungsgesetzen, den konkursrechtlichen Bestimmungen des Genossen- 
schaftsgesetzes und dem Anfechtungsgesetze. Erläutert von P. und K. 4. Aufl. be- 
arbeitet von (Prof.) G. Kleinfeller. I. Halbband. Lahr, Schauenburg, 1901. gr. 8. 
M. 14.—. 

Petschek, G., Die Zwangsvollstreckung in Forderungen nach österreichischem 
echte. I. Teil: Einleitung, Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung, Pfändungsver- 
fahren. Wien, Manz, 1901. gr. 8. VIII—348 SS. M. 6,60. 

Postelberg, E. und Max Modern (Hof- u. Ger.-Advok.), Das reformierte öster- 


H 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 865 


reichische Heimatrecht. Eine theoretische und praktische Darstellung unter Berück- 
sichtigung der strittigen Fragen ete. Wien, M. Perles, 1901. 8. VII—80 SS. M. 1.—. 

Reißmüller, R., Die sächsischen Fleischschaugesetze, mit der Dienstanweisung für 
die Fleischbeschauer nebst dem Schlachtviehversicherungsgesetze ete. Chemnitz, Selbst- 
verlag, 1901. 8. 74 SS., kart. M. 1.—. 

Scherer, M. (Rechtsanw.), Das erste Jahr des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Die 
gesamte Praxis und Theorie. Erlangen, Palm & Enke, 1901. gr. 8 XLII—156 SS. 
M. 4.—. 

Sehmitz, L. (LandgerDir.), Die Fürsorgeerziehung Minderjähriger. Preußisches 
Gesetz vom 2. VII. 1900 und die dazu ergangenen Ausführungsbestimmungen sowie 
die Fürsorge- bezw. Zwangserziehungsgesetze der übrigen deutschen Bundesstaaten. 
2. Aufl. Düsseldorf, L. Schwann, 1901. gr. 8 M. 4.—. 

Schwabe, Max, Rechtssubjekt und Nutzbefugnis. Mit kritischen Bemerkungen 
zur Entstehungsgeschichte des Begriffes „juristische Person.“ Basel, B. Schwabe, 1901. 
gr. 8. 64 SS. M. 1,60. 

Theusner, F., Die rechtliche Natur des Kontokorrentvertrages. Halle a. S., 
C. A. Kaemmerer, 1901. gr. 8. 58 SS. M. 1,20. 


André, A. (ancien notaire), Traité pratique des droits d’enregistrement. Paris, 
Marchal & Billard, 1901. 8. fr. 8.—. (Contenant: Les principes généraux. — L'étude 
des tarifs. — Le contentieux. — La loi du 25 février 1901. — Tarif général alpha- 
bétique.) 

Nourrisson, P. (avocat à la Cour d’appel), L'association contre le crime. Paris, 
L. Larose, 1901. 8. fr. 3,50. 

Brayshay, D. E., The law of no liability mining companies in Victoria. London, 
Low, 1901. 8. 25/.—. 

Emery, G. F., A treatise on company law under the Acts, 1862—90. London, 
E. Wilson, 1901. 8. 496 pp. 21/.—. 

Godden, W. and Stamf. Hutton, The Companies Acts, 1862—1900. With 
cross references ete. London, E. Wilson, 1901. crown-8. 312 pp. 5./—. 

Greenwood, M., Law relating to the poor law medical service and vaceination. 
London, Bailliere, 1901. 8. 2/.6. 

Horner’s Treatise on the liquor laws of Indiania: being a compilation of, and 
treatise on, the liquor laws of Ind., with Un. States revenue laws concerning distilled 
and fermented liquors. Indianapolis, J. F. Callen, 1900. 8. 268 pp. $ 2.—. 

Jaggard, Edw. A., The law of taxation in Minnesota, including a comparison 
of that law with municipal assessments in that State, and with the revenue systems of 
NDakota, SDakota, and Wisconsin. St. Paul, Keefe-Davidson Law Book C°, 1901. 8. 
845 pp. $ 7,50. 

Me Neil, Allan, Manual of the law of joint stock companies in Scotland. London, 
Sweet & Maxwell, 1901. 8. 6./—. 

Fockema, Andreae, De ongevallenwet. 1. Handleiding tot de wet, gevolgd 
door hen tekst. Leiden, J. M. N. Kapteyn, 1901. 8. 118 blz. fl. 0,75, 

Fuldauer, Siegfr. R., Verlies en diefstal van effecten. Eene studie over inter- 
national privaatrecht. ’s Gravenhage, Gebr. Belinfante, 1901. gr. 8. 4 en 154 blz. 
fl. 2.—. 


11. Staats- und Verwaltungsrecht. 


Bär, Max, Abriß einer Verwaltungsgeschichte des RegBezirks Osnabrück. Han- 
nover, Hahn, 1901. gr. 8. XII—241 SS. M. 4,50. (Quellen und Darstellungen zur 
Geschichte Niedersachsens, Bd. V.) 

Dienstanweisung für die Kreisärzte. Nebst einem Anhang, enthaltend Formulare 
und eine Auswahl von Gesetzen, Verordnungen und Ministerialerlassen. Berlin, 
R. Schoetz, 1901. gr. 8. IX—279 SS. M. 4.—. 

Dullinger, J., Die Ministerien des Kaisertums Oesterreich resp. der öster- 
reichischen Monarchie vom Beginne des Jahres 1848 bis in die Gegenwart. Eine 
Chronologie. Wien, W. Braumüller, 1901. gr. 8 53 SS. M. 1.—. 

u Hradec, H., Nationalitäten- und Sprachenstreit in Oesterreich. Randbemerkungen 
zur gleichnamigen Broschüre des Grafen Rudolf Czernin. Prag, F. Rivnäc, 1901. gr. 8. 
75 SS. M. 1,40. 


Dritte Folge Bd. XXI (LXXVI). 55 


866 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Mayr, M. (Prof.), Die politischen Beziehungen Deutschtirols zum italienischen 
Landesteile. Eine geschichtlich-staatsrechtliche Studie. Innsbruck, Vereinsbuchhdl. u. 
Buchdruckerei, 1901. 12. 82 SS. M. 0,60. 

v. der Mosel, Curt (OVerwGerR.), Handwörterbuch des kgl. sächsischen Ver- 
waltungsrechts. 9. Aufl. Leipzig, Rossberg & Berger, 1901. gr. 8. VI—822 SS. 
M. 16.—. 

Nyholm, C. V., Die Stellung Finlands im russischen Kaiserreich. Aus dem 
Dänischen. Leipzig, Duncker & Humblot, 1901. gr. 8. VIII—116 SS. M. 2,80. 


Combes de Lestrade, Droit politique contemporain. Paris, Guillaumin & C”, 
1901. gr. in-8. fr. 12. (Ouvrage qui a obtenu le prix „Le Dissez de Penanrum‘.) 

Courtenay Bodley, La France. Etude historique et critiqne sur les insti- 
tutions politiques de la France. Paris, Guillaumin & C", 1901. 8. Fr. 8.—. 

Dupriez, L. (prof. à l'Université de Louvain), L’organisation du suffrage universel 
en Belgique. Paris, L. Larose, 1901. 8. Fr. 3,50. (Sommaire: Vote plural. — Vote 
obligatoire. — Représentation proportionnelle.) 

Longemans, Ed. G., Recueil des traités et conventions conclus par le royaume 
des Pays-Bas avec les puissances étrangères, depuis 1813 jusqu’à nos jours. Apercu 
general, 2° édition, augmentée et mise à jour par J. B. Breukelman. La Haye, Belin- 
fante frères, 1901. gr. 8 6 en 152 blz. fl. 5,60. 

Massabiau, M. (président honor. à la Cour de Rennes), Manuel du ministère 
public près les cours et les tribunaux civils, correctionnels et de police. Dir: édition 
par Edm. Mesnard (conseiller à la Cour d'appel d'Amiens). Tome I. Paris, Marchal 
& Billard, 1901. 8. fr. 12.—. (Das vollständige Werk wird 3 Bände à fr. 12.— 
umfassen.) 

Bryant, Edw. E., The constitution of the United States, with notes of the 
decisions of the supreme court thereon, from the organization of the court till October 
1900. Madison (Wisconsin), Democrat printing comp., 1901. 12. cloth. 428 pp. $ 2,50. 

Curry, Jabez Labar Monroe, Civil history of the government of the Con- 
federate States. Richmond (Virginia), B. F. Johnson Publ. C°, 1901. 8. 322 pp, 
cloth. $ 1,29. 

Savill, Stanley, The police service of England and Wales: its organisation, 
disposition, finance, powers, and duties, pay, pension, conditions of service, ete. London, 
J. Kempster, 1901. 8. XV—301 pp. 

Canclini, Marino, Gli effetti benefici del pontificato di Leone XIII in ordine 
alla chiesa all’ Italia e alla civil società. Torino, P. Marietti, 1901. 12. 626 pp. 

Frilli, A., I partiti popolari: osservazioni critiche e notizie storico-statistiche. 
Firenze, tip. elzeviriana, 1900, 8. 189 pp. 


12. Statistik. 
Allgemeines. 
Hartlebens kleines statistisches Taschenbuch über alle Staaten der Erde. Jahr- 


gang VIII, 1901. Nach den neuesten Angaben bearbeitet von (Prof.) Frdr. Umlauft. 
Wien, A. Hartleben, 1901. 16. IV-—103 SS. geb. M. 1,50. 


Deutsches Reich. 


Rauchberg, H. (Prof.), Die Berufs- und Gewerbezählung im Deutschen Reich 
vom 14. VI. 1895. Berlin, C. Heymanns Verlag, 1901. gr. 8 XVI—422 SS. 8.—. 


Frankreich. 
Statistique des chemins de fer français, au 31 décembre 1899. Documents 
principaux. Paris, librairie polytechn. (Ch. Béranger) 1901. 4. fr. 5.—. (Publié par 
le Ministère des travaux publics.) 


England. 
Agricultural returns for Great Britain. London, Eyre & Spottiswoode, 1901. 
8. 1/.6. (Parl. pap.) (Contents: Acreage and produce of erops; prices of corn; number 
of live stock; agricultural statistics for the United Kingdom, British possessions and 
forcign countries, 1900.) 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 867 


Irish agrieultural products and live stock. Return of prices of certain classes 
for the year 1900. London, Eyre & Spottiswoode, 1901. 8. 1/.6. (Parl. pap.) 


Oesterreich. 


Bericht über die Thätigkeit des k. k. arbeitsstatistischen Amtes im Handels- 
ministerium seit seiner Errichtung bis Ende 1900. Wien, k. k. Hof- u. Staatsdruckerei, 
1901. Lex.-8 53 SS. M. 1.—. 

Sparkassen, die, und die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften in Steier- 
mark im Jahre 1899. Graz, Leuschner & Lubensky, 1901. Lex.-8. 56 SS. M. 1.—. 
(A. u. d. T.: Statistische Mitteilgn. über Steiermark, Heft 7.) 


Italien. 


Atti della Commissione per la statistica giudiziaria civile e penale: sessione del 
luglio 1900. Roma, tip. di Bertero, 1900. 8. XXVI—214 pp. l. 2.—. (Annali di 
statistica, serie IV, n° 98.) 


13. Verschiedenes. 


Schultze, Ernst, Freie öffentliche Bibliotheken, Volksbibliotheken 
und Lesehallen. Stettin 1900, H. Dannenberg u. Co. 8°. XX, 862 SS. 

Das Eduard Reyer in Wien, dem unermüdlichsten und thatkräftigsten 
Vorkämpfer der Volksbibliotheken gewidmete Buch ist auf Veranlassung 
des Institutes für Gemeinwohl in Frankfurt a. M. herausgegeben und 
verdient in den weitesten Kreisen Beachtung zu finden. 

Man mag volkstümliche Vorlesungen, Volksunterhaltungsabende 
u. s. w. in noch so großer Zahl und in noch so guter Auswahl ver- 
anlassen, sie werden doch immer nicht alle die erreichen können, die 
bildungsfähig und — bildungsdurstig sind. Freie öffentliche Bibliotheken 
— mag man sie Volksbibliotheken oder Lesehallen oder sonstwie 
nennen — aber, die allen Bevölkerungskreisen offen stehen und für sie 
alle Lesestoff enthalten von der einfachsten Erzählung bis zum bände- 
reichen wissenschaftlichen Werk, gestatten es dem einzelnen, sich die 
Zeit, in welcher er lesen will, vollständig frei zu wählen. Zudem 
muß ein Vortrag, eine Vorlesung, ein Unterhaltungsabend einen ge- 
wissen Bildungsstandpunkt der Hörer voraussetzen, während eine Bücherei 
auf eine verschieden hohe Bildung der Leser sehr wohl eingerichtet 
werden kann und muß. 

Verf. hat es nun in geschickter Weise verstanden, den Stoff zu 
einem kulturhistorischen Ueberblick zu verarbeiten, wobei stets als ein 
Refrain die Notwendigkeit der Besserung der deutschen Volksbibliothek- 
kreise hindurchklingt. Als sehr günstig um Stimmung zu machen, muß 
die Beigabe der Abbildungen der Gebäude einiger Bibliotheken ge- 
zeichnet werden, wodurch das Verständnis des Volksbibliothekenwesens 
erhöht und namentlich das fühlbare Zurückbleiben Deutschlands auf 
diesem Gebiete recht drastisch beleuchtet wird. 

Schultze versteht unter Volksbibliotheken aber nicht etwa Anstalten, 
die nach Art einer großen Zahl der heute in Deutschland bestehenden, 
nur kümmerlichen Lesestoff enthalten, sondern freie öffentliche Biblio- 
theken, welche genügend dotiert und allen Bevölkerungskreisen zu- 
gänglich sind, demgemäß auch wirklich für alle diese Lesestoff ent- 
halten. 

Statistisch zeigt sich das Anwachsen des Lesebedürfnisses darin, 

55* 


868 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


daß 1795 die Gesamtzahl der in Deutschland befindlichen und mit 
diesen im Verkehr stehenden auswärtigen Buchhandlungen nur 332 be- 
trug! 1898 erschienen dagegen beispielsweise in deutscher Sprache 
23739 Bücher, ohne Zeitungen, Zeitschriften u. dergl. Auch die Zu- 
nahme der schlechten Litteratur, namentlich der Kolportageromane, 
weist auf ein Lesebedürfnis des Volkes hin, das sich vielfach mit 
Schund begnügen mul, da ihm eine bessere geistige Nahrung nicht zur 
Verfügung steht. Sollen doch über den Tod des Kronprinzen Rudolf 
von Oesterreich etwa 20 Hintertreppenromane gedruckt sein, von dem 
einer eine Auflage von 180000 Exemplaren aufwies! 

Volksbibliotheken sind recht geeignet, in ihrer Weise eine Ver- 
besserung des Armenwesens, ein Sinken des Verbrechens und das Zurück- 
drängen des Alkoholismus herbeizuführen. So manche mangelhafte 
Bildung wird durch das Lesen guter Bücher ergänzt und läßt den 
Kampf um das Dasein dann leichter aufnehmen, ein Herabgehen der 
Kriminalität ist stets die Folge der Verbesserung der Volksbildung, 
und der Alkoholmißbrauch ist vielfach nur die Folge von Unthätigkeit 
und Langeweile. 

Den freien öffentlichen Bibliotheken in den Vereinigten Staaten 
ist ein eigenes Kapitel gewidmet, ihm schließen sich die von England, 
in Deutschland und den übrigen Ländern an; leider können wir auf 
diese Abschnitte hier nicht weiter eingehen. 

Wichtig ist es aber, einiges über die Einrichtung und Verwaltung 
von freien öffentlichen Bibliotheken zu erwähnen. So erwähnt Schultze, 
daß man — die Kosten spielen ja überall mit die Hauptsache — mit 
der Beschäftigung von Frauen recht günstige Erfahrungen gemacht hätte, 
in Amerika übertreffen die Frauen die männlichen Bibliothekare bereits 
der Zahl nach. 

Was die Zusammensetzung der Bibliothek aulangt, so seien zwei 
Uebersichten mitgeteilt. Die erste ist ein sogenannter Musterkatalog 
aus Amerika, die zweite giebt das prozentuale Verhältnis der einzelnen 
Fächer im Durchschnitt von 25 derartigen Anstalten in England wieder. 


I. Romane und Novellen 15,5 Proz. II. Theologie, Philosophie 5,6 Proz. 

Sonstige schöne Litteratur 13,3 „ Geschichte, Geographie, 

Geschichte 15,2 e Reisen 15,4 » 
Biographien TZT u; Biographien 81 a 
Sozialwissenschaften 84 A Politik, Bildungswesen 28 
Geographie nud Reisen 78 o Dichtungen und Drama 3,3 +» 
Naturwissenschaften GS + Belletristik 375 e 
Technik und Gewerbe 50 Ze Verschiedenes 16,5 „ 
Kunst 48 » 

Religion AR 

Sprachkunde 2,0 Ae 

Philosophie Lë e 


Für Deutschland haben wir keinen Musterkatalog anzugeben, wenn 
auch verschiedene Ansätze gemacht sind, höchstens ist für ländliche 
Volksbibliotheken der von Bube 1897 in zweiter Auflage heraus- 
gekommene als solcher zu bezeichnen. Wir finden 100 Werke zum 
Ladenpreis 184,85 M. aufgeführt, ab 5 Proz. Rabatt, 100 Einbände 
zu 30 Pf. (viel zu gering angesetzt. Ref.) — 205,23 M. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 869 


Vor allem ist bei der Auswahl von Büchern und in noch höherem 
Grade bei etwa aufzulegenden Zeitungen lediglich der litterarische 
Wert zu berücksichtigen, in keinem Falle aber eine religiöse oder 
politische Parteirücksicht zu dulden. Vielfach wird gegen das Anschaffen 
von Tageslitteratur polemisiert, aber erfahrene Kenner wissen, wie die 
Zeitungen gewißermaßen den Appetit zum Lesen erwecken, und deshalb 
sollte man sie in erster Linie in den Lesehallen auflegen. 

Politisch wie religiös darf die Litteratur in einer Lesehalle nicht 
sein; überall tritt das starke Verlangen nach schöner Litteratur zu Tage. 
Von Lesern, die anfangen zu lesen, werden hauptsächlich illustrierte 
Zeitschriften, wie Gartenlaube, Vom Fels zum Meer und ähnliche bevor- 
zugt. Für diese Kategorie kommt man meist auf 70—80 Proz. der Ge- 
samtbenutzung, was sich auch daraus erklärt, daß die meisten eben 
nicht studieren, sondern lesen, d. h. unterhalten sein wollen. 

Was das Offensein der Bibliotheken anlangt, so halte man die Lese- 
räume jeden Tag mindestens am Abend offen und suche für den Sonn- 
tag eine möglichst große Stundenzahl zu erwirken. 

Sehr wichtig ist es, den Zugang zu der Bildungsstätte nicht mit 
einem Vorbau von Regeln und Bestimmungen zu umgeben, woran staat- 
liche Institute bekanntlich meist im Uebermaß kranken. Da sei denn 
hervorgehoben, daß in den gelehrten Bibliotheken verhältnismäßig mehr 
Bücher fortkommen, als in den Volksbüchereien! 

So ließe sich noch manches Mitteilenswerte hier rekapitulieren. Auf 
die Statistik der Volksbibliotheken in den deutschen Städten und der 
deutschen Kreis-Volksbibliotheken sei noch besonders aufmerksam ge- 
macht. Bibliothekar Dr. E. Roth. 


Dobel, E. (RegBaumstr.), Kanalisation. Anlage und Bau städtischer Abzugs- 
kanäle und Hausentwässerungen. 3. Aufl. Stuttgart, W. Kohlhammer, 1901. gr. 8. 
VIII—159 SS. mit 15 lith. Taf. in gr.-4 M. 4,50. 

Frank, Fr. (Pfr.), Der Ritualmord vor den Gerichtshöfen der Wahrheit und der 
Gerechtigkeit. 2. Aufl. Regensburg, Verlagsanstalt vormals G. J. Manz, 1901. gr. 8. 
VII—327 SS. M. 2.—. 

Hermann, G., Die deutsche Karikatur im 19. Jahrhundert. Bielefeld, Velhagen 
& Klasing, 1901. Lex.-8. II—132 SS. mit 6 Kunstbeilagen u. 177 Abbildgn. M. 4.—. 
(Sammlung illustr. Biographien, Bd. II.) 

Nabert, H., Das Deutschtum in Tirol. München, J. F. Lehmann’s Verlag, 
1901. gr. 8. XVI—128 SS. M. 2.—. (Der Kampf um das Deutschtum in Tirol, 
Heft 7.) 

Weiberregiment, das, in den Pfarrhäusern oder Türkisches im Christentum. 
2. Aufl. München, O. Th. Scholl, 1901. gr. 8. M. 1,30. 


Champier, Victor, et Roger Sandoz, Le Palais-Royal d’après des documents 
inédits (1629—1900). 2 vols. Paris, A. Lahure, 1901. gr.in-4. 574 pag., av. 222 vignettes 
dans le texte et de 20 hors texte en héliogravure. fr. 50.—. (Vol. I. Du Cardinal de 
Richelieu à la Révolution; Vol. II. De la Révolution jusqu’à nos jours.) 

Goyau, G., L'Allemagne religieuse. Le protestantisme, 3° édition. Paris, Perrin 
& C, 1901. 8. fr. 3,50. (Ouvrage couronné par l’Académie française, prix Bordin.) 

Le Poittevin, G., La liberté de la presse depuis la Révolution (1789—1815). 
Paris, A. Rousseau, 1900. 8. fr. 3,50. 

Monod, H. (conseiller d’Etat, directeur de l’assistance et de l’hygiène publique), 
L'alimentation publique en eau potable de 1890 à 1897 devant le comité consultatif 
d'hygiène publique de France. Melun, impr. administrative, 1901. 8. 127 pag. et 
1 carte. 


870 Die periodische Presse des Auslandes. 


Romme, R. (préparateur à la faculté de médecine de Paris), L’Aleoolisme et la 
lutte contre l’alcool en France. Paris, Masson & Ce, 1901. 8. fr. 2,50. (Encyclopédie 
scientifique, publiée sous la direction de H. L£aut&, section de biologiste.) 

Bodington, P. E., Solveney or salvation? A handbook for millionaires. London, 
Chapman & Hall, 1901. 8. 266 pp. 6/.—. 

Munson, E. L., Theory and practice of military hygiene. New York, Wood EC, 
1901. 8. 1000 pp. ill. $ 8.—. 

ro F. R., History of medieine in the United States. Philadelphia, 1901. 
8. ill. 18/.—. 

Taunton, Ethrelred L., The history of the Jesuits in England, 1580—1773. 
London, Methuen, 1901. 8. 526 pp. with 12 illustr. 21/.—. 

Thompson, H., Modern cremation, history and practice to present time. 4" ed, 
London, Smith & E., 1901. 8. 206 pp. 2/.—. $ 

Turneaure, F. E. and H. L. Russell, Public water-supplies: requirements, 
resources, and the construction of works, etc. New York, Wiley & Sons, 1901. 8. ill, 
cloth. $ 5.—. 

Water supply metropolis. Commission report, 1899—1900. London, 1901. With 
maps, plans, and diagrams. 26/.—. (Parl. pap.) 

Annuario della R. Università di Parma per l’anno accademico 1900—1901. 
Parma, tip. Rossi-Ubaldi, 1901. 8. 274 pp. (Contiene: La lotta per l’esistenza sostenuta 
dall’ uomo contro gli animali.) 

Calderini, Marco, Il positivismo, l’evoluzione e il materialismo: critica. Roma, 
Desclée, Lefebvre e C., 1901. 8. 147 pp. 1. 1,75. 


Die periodische Presse des Auslandes. 
A. Frankreich. 


Bulletin de statistique et de législation comparée. XXV*® année, 1901. Avril: 
A. France, colonies: Les bons du Trésor. — Recettes et dépenses comparées des exer- 
eices 1888 à 1899. — Les revenus de l’Etat. — Le commerce extérieur, mois de mars 
1901. — Le sucrage des vins et des cidres avant la fermentation. -— Les actes enregistrés 
et les déclarations reçues en matière d’enregistrement, pendant l’année 1900. — Les 
recettes des chemins de fer en 1900 et 1899. Les transmissions en usufruit à titre 
gratuit. — La caisse nationale des retraites pour la vieillesse, -— Les caisses d'assurances 
en cas de décès et en cas d’accidents. — B. Pays étrangers: Angleterre: L’exposé 
budgétaire du Chancelier de l’échiquier. Les opérations du Clearing house de Londres 
depuis 1871. — Autriche-Hongrie: Les impôts sur le revenu en Autriche. Le projet 


de budget autrichien pour 1901. Le commerce extérieur. — Belgique: Les pensions 
de vieillesse. (Arrêté royal du 20 février 1901.) — Pérou: Le régime monétaire. — 
Espagne: Le commerce extérieur. — Italie: La dette publique. Le commerce extérieur. 
— etc. 


Journal des Economistes. Revue mensuelle. 60° année, 1901, Mai: Un professeur 
d'économie politique sous la restauration: J. B. Say, au conservatoire des arts et métiers, 
par A. Liesse (suite et fin). — Le problème des retraites, par E. Rochetin. — Le mouve- 
ment agricole: L'agriculture, la science et l’association, par L. Grandeau. — Revue des 
publications économiques en langue française, par M. Rouxel. — La question des sucres 
en 1901, par Emile Macquart. Quelques aspects de la question ouvrière en Italie, par 
Paul Ghio. — La transformation de la Russie. — Société d'économie politique, réunion 
du 4 mai 1901. Discussion: Comment rentre l’impôt. — Comptes rendus. Chronique. — etc. 

Journal de la Société de statistique de Paris. 42"" année, n° 4, Avril 1901: 
Procès-verbal de la séance du 20 mars 1901. — Etude sur les lois de la population et 
la loi de Malthus (2° article), par M. G. Cauderlier. — Nombre d’enfants par familles, 
par J. Bertillon. — „Report on the census of Cuba 1899“. Compte rendu par D. Bellet. 
— Chronique des transports, par Hertel. — ete. 

Moniteur des Assurances, Revue mensuelle. N” 391 et 392 (année XXXIV). 


Die periodische Presse des Auslandes. 871 


1901 : Assurances contre les accidents: Etudes sur les accidents du travail, par A. Beau- 
mont. — Commentaire pratique (relat. aux assurances contre les accidents) de la loi du 
9 avril 1898, par E. Pagot. — La mutualité-accidents, le pavillon et la marchandise, 
— Résiliation des polices-accidents. Résumé de la jurisprudence, par E. Pagot. — Assu- 
rances contre l’incendie: Du danger et de l’&valuation du risque dans l’emploi de Pacé- 
tylène, par L. Arraou (suite et fin). — Les sociétés mutuelles. Défaut du systeme. — 
Assurances sur la vie: Les retraites ouvrières et l’assistance obligatoire. — Assurances 
sur la vie: Droits de succession. Loi du 25 fevrier 1901 et instruction de la direction 
générale de l’enregistrement concernant l’application de cette loi, par Lux. — Plaidoyer 
d’un Inspecteur de la „New York“ en faveur de sa compagnie et réfutation. — De la 
vente des polices d’assurances sur la vie. — L’assurance contre la grêle en 1900. — 
La patente des agents généraux d'assurances, par H. Dubourg. — Résumé des opérations 
des compagnies d’assurances en 1900. (Branches: Accidents, grêle, incendie, maritime 
et vie.) — etc. 

Revue d'économie politique. 15° année, 1901, N° 4, Avril: La nouvelle régle- 
mentation de la journée de travail et ses premiers effets dans la grande industrie du 
Nord de la France, par Maur. Bourguin (suite), — Le système des impôts directs d'Etat 
en France, par H. Truchy (suite). — L'agriculture moderne et sa tendance ’s industria- 
liser, par Jos. Hitier (suite). — Chronique législative, par Edm. Villey: Débats parle- 
mentaires. Sénat: Proposition de loi sur l'exportation et l'importation des blés et la 
création de bons d'importation. — Projet de loi relatif à la contribution des patentes. 
— etc. 

Revue politique et parlementaire. N° du 10 Mai 1901: La loi sur les associations 
au point de vue des associations ordinaires laïques, par Eug. Rostand (membre de 
l'Institut). — La loi sur les associations. Réponse à M. E. Rostand, par G. Trouillot. 
— La réforme de l’enseignement moderne, par A. Fouillée (de l’Institut). — Notes de 
jurisprudence parlementaire II. La déchéance des députés et des sénateurs, par A. 
Esmein (prof. de droit, Paris). — Les parties ouvriers en Australasie, par A. Métin. — 
La valeur dans le système collectiviste (2° article), par Maur. Bourguin. — Un nouvel 
Etat: La République fédérale d'Australie (avec la traduction de sa constitution), par 
Ed. Picard. — Revue des principales questions politiques et sociales: 1. Revue du 
mouvement socialiste, par J. Bourdeau. 2. Revue des questions de transports, par 
C. Colson. — La vie politique et parlementaire à l’étranger et en France. — ete. 

Revue internationale de sociologie. IX* année, 1901, n° 4, Avril: Le collectivisme 
et la propriété rurale, 1™ partie: la doctrine économique, par Rene Worms. — Des 
limites à la protection du travail, par Alfr. Lambert. — Société de sociologie de Paris, 
séance du 13 mars 1901: La question monétaire, à propos de l'Exposition de 1900. 
Communication de Ch. Limousin. Discussion par T. Hayashi, Ad. Coste, A. Firmin, 
Lagoudaki, E. Delbet. — ete. 


B. England. 


Board of Trade Journal. Volume XXXII, nos 224—230, March 14—April 25, 
1901: The state of the foreign trade of the United Kingdom in February and in 
March 1901. — The trade route from India to Eastern Persia via Nushki. — World’s 
supply of tin in 1900. — Trade of Natal in 1900. — Trade routes in Northern Persia. 
— Russian grain export trade. — Trade of French colonies in 1899. — Annual meeting 
of the association of Chambers of commerce. — Trade of Cape colony in 1900. — 
Trade of Iquitos (Peru). — Trade of the greak lakes in 1900. — Regulations 
regarding foreign corporations in Porto Rico. — The industries of Natal. — The 
cotton industry of the United States. — The cotton piece-goods trade of the French 
Congo. — Trade ot Hiogo and Osaka in 1899. — Conditions of trade in Chicago, 
— American trade with Switzerland. — The commercial importance of Hankow. — 
Trade of Cape colony. — The Hawaiian sugar industry. — The phosphates of 
Christmas island. — The foreign trade of Japan in 1900. — The print industry of the 
United States. — Trade of German East Africa. — The production of Bessemer steel, 
ingots and rails in the United States in 1900. — British trade with France. — British 
versus foreign rolling stock on the Egyptian railways. — The trade of Madagascar in 
1900. — Railway progress in Japan. — Chilean nitrate in 1900. — Tea trade of the 
United States. — Zinc industry in the United States. — Openings for British trade. — 
Tariff changes and eustoms regulations. — Shipping and transport. — Mining, metals, 
and machinery. — Agriculture. — Reports of British Chambers of commerce. — etc. 


872 Die periodische Presse des Auslandes. 


Nineteenth Century, the, and after, N° 292, June 1901: British pessimism, by 
A. Carnegie. — Impressions of America, by Fred. Harrison. — The standard of strength 
for our army: a business estimate, by (Sir) Robert Giffen. — The Education Bill, by 
T. J. Macnamara. — The House of Commons, by L. A. Atherley Jones. — The sargent 
of the Royal Academy, by H. Hamilton Fyfe. — The pressing need for more uni- 
versities, by (Prof.) Ernest H. Starling. — Last month, by (Sir) Wemyss Reid. — etc. 

Westminster Review, tbe, June 1901: Pennsylvania and South Africa: a con- 
trast, by Howard Hodgkin. — The housing question and the savings banks, by H. W. 
Wolff. — The compulsory expropriation of Irish landlords, by Dudley S. A. Cosby. — 
The roman catholie University problem. Viewed from the standpoint of a bigot, by 
Th. E. Naughten. — Heinrich von Treitschke, von James Creed Meredith. 


C. Oesterreich-Ungarn. 


Deutsche Worte. Monatshefte herausgeg. von Engelbert Pernerstorfer. Jahrg. 
XXI, 1901, März- und Aprilheft: Die Agrarierfrage in Rußland. — Die Arbeiterschaft 
und die Alkoholfrage. Ein Vortrag von (Oberrichter) O. Lang (Zürich), gehalten in Wien 
am 11. IV. 1901. 

Handelsmuseum, das. Herausgeg. vom k. k. österreichischen Handelsmuseum. 
Bd. XVI, N° 19—22, Wien 9. V. bis 30. V.: Reformen im Kohlenhandel, Von Alfr. 
v. Lindheim. — Oesterreich-Ungarns Handel mit Marokko. — Zur Handelspolitik Spa- 
niens, von einem Oesterreicher in Madrid. — Der Außenhandel Serbiens im Jahre 1900. 
— Winke für den Export von Lederwaren. — Bericht der Sitzung der österreich. Han- 
dels- und Gewerbekammer Reichenberg vom 26. IV. 1901. — Die industrielle Entwicke- 
lung Rußlands. (Nach einem Spezialbericht des k. u. k. Generalkonsulates in Odessa.) 
— Die Mehleinfuhr Aegyptens. — Die amerikanische Reciprozitätspolitik. — Die 
Schmuckwarenindustrie von Pforzheim. — etc. 

Soziale Rundschau. Herausgeg. vom arbeitsstatistischen Amte im k. k. Handels- 
ministerium. II. Jahrg., 1901, N’ 4, April: Lohnhöhe und Arbeitszeit: Löhne im 
mährischen Stein- und Braunkohlenbergbau. Lohnverhältnisse im Bergbau Preußens. 
Löhne in Britisch-Indien. ete. — Arbeiterschutz: Gesetzliche Regelung des Arbeits- 
verhältnisses bei Bauunternehmungen, sowie bei Regiebauten und Hilfsanstalten der 
Eisenbahnen in Oesterreich. Ein neues Fabrikgesetz in Dänemark. ete. — Arbeiter- 
organisationen. — Kongresse und Versammlungen: Kongreß der Gewerkschaften Nor- 
wegens. ete. — Gewerbegerichte, Schieds- und Einigungswesen. — Arbeits-(statistische) 
Aemter. — Soziale Versicherung: Die hauptsächlichsten Gebarungsergebnisse der öster- 
reichischen Arbeiterunfallversicherungsanstalten im Jahre 1900. — Soziale Hygiene: 
Steiermärkische Landessiechenanstalt in Kindberg. etc. — Wohnungswesen: Die Woh- 
nungsfrage in Preußen. Gemeinnützige Baugenossenschaft in Posen. — Schule und Er- 
ziehung: Ziehkinderwesen in Dresden. Werkstätten für arme Kinder in Schweden. — 
Volksbildungswesen. — Arbeitseinstellungen und Aussperrungen: Die Streikbewegung 
in Oesterreich im Monate März 1901. Die Arbeitskonflikte im Bergbau Oesterreichs im 
I. Quartale 1901. Streikbewegung im Auslande (Belgien, England, Frankreich). ete. — 
Arbeitsvermittelung: Ergebnisse der Arbeitsvermittelung in Oesterreich im Monate März 
1901. Städtisches deutsches Arbeitsvermittelungsamt zu Reichenberg im Jahre 1900. 
Die kommunalen Arbeitsämter der Schweiz. ete. — Arbeitsmarkt: Berichte einzelner 
Handels- und Gewerbekammern über die Lage des Arbeitsmarktes im I. Quartale 1901 
(Budweis, Bozen). Die überseeische Auswanderung aus Deutschland im Jahre 1900. — 
Verschiedenes: Die österreichischen Strafanstalten und Gerichtsgefängnisse im Jahre 1897. 
Sozialstatistisches aus Berlın. Die landwirtschaftliche Statistik Ungarns (von Prof.) Herm. 
R. v. Schullern-Schrattenhofen, Brünn). — etc. 


E. Italien. 


Giornale degli Economisti, Marzo e Aprile 1901: Utilità limite e costo di ri- 
produzione, per D. Berardi. — Un capitolo; di storia sociale della Francia, per R. Dalla 
Volta. — La teoria del salario nella storia delle dottrine e dei fatti economici, per A. 
Graziani. — A proposito del censimento, per R. Benini e L. Bodio. — Commemorazione 
di Francesco Ferrara, per T. Martello. — Previdenza, per C. Bottoni: In attessa dei 
rendiconti 1900 delle casse di risparmio. La partecipazione alla mostra mondiale di 
Parigi. — Cronaca, per F. Papafava: Il nuovo ministero. 11 ministero e il pane. — 
Rassegna delle riviste (francesi, tedesche, americane, italiane). — ete. 


Die periodische Presse Deutschlands. 873 


H. Schweiz. 


Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Redaktion: Prof. 
N. Reichesberg, Bern. Jahrg. IX, 1901, Heft 6 u. 7: Ueber die Frage eines eid- 


genössischen Anwaltsexamens, von (Prof.) M. Gmür (Bern). — Zur Frage der Arbeits- 
losenversicherung, von H. Hall (Direktor der Lebensversicherungsgesellschaft „Globus“ 
(Wien). — Die schweizerischen Arbeiterkolonien, von (Prof.) H. Kesselring. — Die An- 


wendung des eidgenössischen Fabrikgesetzes, von (Prof.) Reichesberg. — Soziale Chronik. 
— Statistische Notizen. etc. 


M. Amerika. 


Bulletin of the Department of Labor. N° 34, May 1901. (Washington): Labor 
conditions in Porto Rico, by Azel Ames. — Social economics at the Paris Exposition, 
by (Prof.) N. P. Gilman. — The Workmen’s Compensation Act of Holland. — Digest 
of recent reports of State bureaus of labor statistics: New York. Ohio. — Digest of 
recent foreign statistical publications: Strikes and lockouts: Austria; France; Germany; 
Great Britain. — Decisions of courts affecting labor. — Laws of various States relating 
to labor enacted since January 1, 1896. 

Quarterly Publications of the American Statistical Association. New series. 
N° 53, March 1901: Industrial consolidations in the United States, by Luther Conant. 


— The enumeration of children, by Allyn A. Young. — Functional health of women, 
by Mary Roberts Smith. — Monthly bulletin of the statisties Department of Boston. — 
Economics statisties. — Statisties of pauperism. — The ratio of physicians to the 
population. 


Die periodische Presse Deutschlands. 


Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft. 
Jahrg. 1901. Herausgeg. von Karl Theod. Eheberg und Anton Dyroff. Nr. 4 u. 5: 
Die Tarifgrundsätze der neuen Eisenbahnverkehrsordnung vom 26. X. 1899, von G. Eger 
(RegR., Berlin). — Gold ersparende Zahlungsmethoden in dem heutigen Bankverkehr 
Deutschlands, von R. Dunker (Forts.). — Ueber die rechtliche Stellung der ärztlichen 
Standesvertretungen gegenüber den Standesgenossen, den Krankenkassen ete., von O. 
Schanze (Schluß). — Zur Entwickelung des Etats für die Verwaltung der kais. deutschen 
Marine, von W. Thrän (Schluß). — Max von Seydel + (Nachruf). — Das Koalitions- 
recht der Arbeiter. Ein Beitrag zur Geschichte unserer Sozialpolitik, von O. Goldschmidt 
(RegAss., Posen) [1. Artikel]. — Der Gesetzentwurf über die Errichtung einer hessischen 
Pfandbriefbank, nach der Begründung dargestellt von Seidel (RegR., Wiesbaden). — 
Können bayerische Staatsangehörige oder Elsaß-Lothringer, welche den Unterstützungs- 
wohnsitz erworben haben, wegen dauernder Hilfsbedürftigkeit aus dem Geltungsbereiche 
des Unterstützungswohnsitzgesetzes ausgewiesen werden? von H. Otto (BezAmtsAss., 
Königshofen). — Miszellen: Statistik der Badischen Einkommensteuer. Die Thätigkeit 
der Ansiedelungskommission in den Provinzen Westpreußen und Posen von 1886—1900. 
Die Thätigkeit der Bauabteilung des preußischen Ministeriums der öffentlichen Arbeiten 
im letzten Jahrzehnt. 

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Herausgeg. von Albert Oster- 
rieth. Jahrg. VI, 1901, N° 4, April: Ist die Vervielfältigung der Beilagen der aus- 
gelegten Patentanmeldungen, der Gebrauchsmuster- und der Warenzeichenanmeldungen 
nach dem Entwurfe des Urheberrechtsgesetzes gestattet?, von Paul Alexander-Katz 
(Rechtsanw. u. Privdoz). — Herstellungsort bei Kognak, von (Rechtsanw.) Fuld (Mainz). 
— Die Rechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichts über concurrence déloyale 
während der Jahre 1895 bis 1899, von Hans Schuler. — Die rechtliche Natur des 
Markenrechts sowie des Rechts an Warenausstattungen, von (Rechtsanw.) Richard 
Alexander-Katz. — etc. 

Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft. Hrsg. von Gustav 


874 Die periodische Presse Deutschlands. 


Schmoller. Jahrg. XXV, 1901, Heft 2: Die volkswirtschaftliche Aufgabe der Haus- 
industrie. Akademische Antrittsvorlesung, von Alfr. Weber. — Das Naturrechtsproblem 
und die Methode seiner Lösung, von L. v. Savigny. — Die freien Interessenverbände 
für Handel und Industrie und ihr Einfluß auf die Gesetzgebung und Verwaltung, von 
Fr. Schomerus. — Die Wehrfähigkeit der ländlichen und städtischen Bevölkerung, von 
G. Bindewald. — Ueber Möglichkeit und Wert einer allgemeinen Statistik der liegen- 
schaftlichen Verschuldung im Großherzogtum Baden, von Otto Bielefeld. — Die Ge- 
werkschaftsateliers zur Bekämpfung der Heimarbeit, von E. Schwiedland. — Centrali- 
sation im Bankwesen in Deutschland, von H. Fleischhammer. — Bericht über die 
XX. Jahresversammlung des deutschen Vereins für Armenpflege und Wobhlthätigkeit, 
von Emil Münsterberg. — Thirteenth and fourteenth annual report of the Commissioner 
of Labor 1898 and 1899, von Clemens Heiß. — Ein Versuch begriffsmäßiger Geschichts- 
schreibung. Eine Selbstanzeige von Kurt Breysig. — Das Aufsteigen des Arbeiterstandes 
in England, von H. Waentig. — etc. 

Masius’ Rundschau. Blätter für Versicherungswissenschaft. Neue Folge Jahr- 
gang XIII, 1901, Heft 5: Reichsversicherungsgesetz. — Das Kriegsrisiko der Lebens- 
versicherung in überseeischen Ländern. — Die Schiedsrechnung (dispache) bei Brand- 
schäden. — Versicherungsgewerbe und Versicherungswissenschaft. — etc. 

Mitteilungen vom Verband deutscher Patentanwälte. Jahrg. I, N" 1, April 
1901: Zur Einführung. — Das berufsmäßige Vertretungsgeschäft des $ 20 und § 21 
des Gesetzes betreffend die Patentanwälte, von (PatAnw.) Th. Stort. — Eingabe des 
Verbandes betreffend die Figurenbezeichnungen und Präsidialentgegnung. — ete. 

Neue Zeit, die. Revue des geistigen und öffentlichen Lebens. Jahrg. XIX, 
Band 2, 1900—1901. N° 29—35, 20. IV.—1. VI. 1901: Sozialistische Motive in der 
französischen Lyrik, von H. Thurow. — Moderne Evangelienkritik, von Franz Mehring. 
Akademiker und Proletarier, von K. K. — Die Freihandelsbewegung vor der Aera der 
Bismarckschen Wirtschaftspolitik, von Heinrich Cunow. — Der Eintritt Millerands ins 
Ministerium, von Jean Jaurès. — Die neue Bewegung in Rußland. — Der Eintritt 
Millerands ins Ministerium, von Ed. Vaillant. — Der jüngste Parteitag der niederlän- 
dischen Sozialdemokratie, von W. H. Vliegen. — Die dänischen Wahlen, von H. Bang. 
— Bismarcks „geniale“ Wirtschaftspolitik, von H. Cunow. — Sozialdemokratische Jugend- 
litteratur? von Heinr. Schulz. — Städtische Grundrente und Wohnungsfrage, von H. 
Cohn (München). — Zur Frage des Landbesitzes in Amerika, von L. Werner. — Fort 
mit dem Proportionalwahlsystem bei den Ortskrankenkassen, von Ed. Gräf. — Der rus- 
sische Imperialismus und Deutschlands Chinaabenteuer, von M. Walter. — Zum fran- 
zösischen Einigungskongreß, von Rosa Luxemburg. — Zur Konzentrationsbewegung in 
der amerikanischen Landwirtschaft, von J. L. Franz. — Der Mondsche Nickelgewinnungs- 
prozeß, von Heinr. Vogel. Die Krise im englischen Unterrichtswesen, von Jakob 
Brockle. — Machiavelli der Jüngere, von K. Kautsky. — Auch ein moderner Dienst- 
botenroman („das tägliche Brot, von Klara Viebig“), von Siegfr. Weinberg. — Blanqui 
und der Blanquismus, von Paul Louis (I. Artik.). — Die Lage der Textilindustrie und 
ihrer Arbeiter, von einem Textilarbeiter, — Bernsteins alte Artikel und neue Schmerzen, 
von K. Kautsky. — Die deutsche Städteverwaltung. Eine Selbstanzeige, von C. Hugo. 
— Aerzte im Gewerbeaufsichtsdienst, von Helene Simon. — ete. 

Zeitschrift für Kleinbahnen. Herausgeg. vom Ministerium der öffentlichen Ar- 
beiten. Jahrg. VIII, 1901, Heft 4, April: Die elektrischen Straßenbahnen und das 
Telegraphenwegegesetz in Preußen, von (RegR.) v. Rohr. — Staatsbeihilfen für Klein- 
bahnen. — Ueber elektrische Lokomotiven auf Klein- und Nebenbahnen, von F. Her- 
mann. — Gesetzgebung. — Kleine Mitteilungen. — etc. 


Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena. 


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