Library of
Princeton Universityu.
NET
The Éiahtu (Pakt Library
of
Économics.
JAHRBÜCHER
II
FÜR
NATIONALÜKONOMIE UND STATISTIK.
GEGRÜNDET VON
BRUNO HILDEBRAND.
HERAUSGEGEBEN VON
DR L CONRAD,
PROF. IN HALLE A. B.,
IN VERBINDUNG MIT
Dr. EDG. LOENING, uno DR W. LEXIS,
PROF. IN HALLE A. 8., PROF. IN GÖTTINGEN.
_—
IL FOLGE. 23. BAND.
ERSTE FOLGE, BAND I—XXXIV; ZWEITE FOLGE, BAND XXXV—LV
ODER NEUE FOLGE, BAND I—XX1; DRITTE FOLGE, BAND LXXVII (III. FOLGE,
BAND XXIII).
JENA,
VERLAG VON GUSTAV FISCHER.
1902.
D
S 8. ER
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Inhalt d. XXII. Bd. Dritte Folge (LXXVIII).
L Abhandlungen.
v. Brandt, Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen nach den
Ergebnissen der im Jahre 1899 veranstalteten Reichsenquete. S. 289.
Brukner, Zuckerausfuhrprämien und Brüsseler Vertrag. S. 456.
Conrad, J., Die Agrarzölle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich. S. 145.
Die Grundlage der künftigen deutschen Handelsvertragsverhandlungen. $S. 721.
Horovitz, Alexander, Entstehung und Entwickelung des Getreideterminhandels in
Oesterreich. S. 433. e
Derselbe, „Begriff“ des börsenmäßigen Getreidetermingeschäftes. S. 598.
Kollmann, Paul, Hans von Scheel. S. 577.
Loeb, Ernst, Das Institut des Aufsichtsrats, seine Stellung und Bedeutung im
deutschen Aktienrecht und der deutschen Volkswirtschaft, die Notwendigkeit und Mög-
lichkeit seiner Reform. 8. 1.
Möller, Paul, Wohnungsnot und Grundrente. S. 29.
IL. Nationalökonomische Gesetzgebung.
Fuld, Hypothekenbanken und Hypothekenbankgesetz. S. 351.
Hesse, Albert, Die wirtschaftliche Gesetzgebung der deutschen Bundesstaaten im
Jahre 1900. S. 634, 739.
Koefoed, Michael, Die soziale Gesetzgebung Dänemarks. S. 615.
Manes, Alfred, Die wirtschaftliche Bedeutung der deutschen Privatversicherungs-
gesetzgebung. S. 51. 7 NET.
v Vasvári, Franz, Der ungarische Gesetzentwurf zur Bekämpfung des unlauteren
_Wetibewerbes. S. 194. ;
Wolff, Henry, W., Arbeiterschutzgesetzgebung in England in neuester Zeit. S. 493.
III. Miszellen.
Die Bevölkerungsbewegung in den letzten Decennien. 8. 786.
SSES, Hans, Der Stand der deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften,
. (91,
Gs Heckel, M., Die Getränkesteuern in Frankreich. S. 87.
Kollmann, Paul, Eine braunschweigische Hypothekarstatistik. S. 518.
Preisaufgaben der Rubenow-Stiftung. $S. 256.
Pudor, Hein rich, Die Selbsthilfe der Landwirtschaft in Frankreich. S. 656.
Derselbe, Zur Geschichte und Organisation der dänischen Meiereigenossenschaften und
der dänischen Meiereiwirtschaft. S. 813.
Papin, Arthur, Die sozialen Verhältnisse der Juden in PreuBen und Deutschland,
à , 760.
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
OI
RN
Inhalt d. XXII. Bd. Dritte Folge (LXXVIII).
I. Abhandlungen.
v. Brandt, Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen nach den
Ergebnissen der im Jahre 1899 veranstalteten Reichsenquete. $S. 289.
Brukner, Zuckerausfuhrprämien und Brüsseler Vertrag. 8. 456.
Conrad, J., Die Agrarzölle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich. S. 145.
Die Grundlage der künftigen deutschen Handelsvertragsverhandlungen. 8. 721.
Horovitz, Alexander, Entstehung und Entwickelung des Getreideterminhandels in
Oesterreich. S. 433. e
Derselbe, „Begriff“ des börsenmäßigen Getreidetermingeschäftes. S. 598.
Kollmann, Paul, Hans von Scheel. S. 577.
Loeb, Ernst, Das Institut des Aufsichtsrats, seine Stellung und Bedeutung im
deutschen Aktienrecht und der deutschen Volkswirtschaft, die Notwendigkeit und Mög-
lichkeit seiner Reform. 8. 1.
Möller, Paul, Wohnungsnot und Grundrente. $. 29.
IL Nationalökonomische Gesetzgebung.
Fuld, Hypothekenbanken und Hypothekenbankgesetz. S. 351.
Hesse, Albert, Die wirtschaftliche Gesetzgebung der deutschen Bundesstaaten im
Jahre 1900. S. 634, 739.
Koefoed, Michael, Die soziale Gesetzgebung Dänemarks. S. 615.
Manes, Alfred, Die wirtschaftliche Bedeutung der deutschen Privatversicherungs-
gesetzgebung. S. 51. P Ee
v Vasvári, Franz, Der ungarische Gesetzentwurf zur Bekämpfung des unlauteren
Wettbewerbes. S. 194.
Wolff, Henry, W., Arbeiterschutzgesetzgebung in England in neuester Zeit. S. 493.
III. Miszellen.
Die Bevölkerungsbewegung in den letzten Decennien. S. 786.
Crüger, Hans, Der Stand der deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften,
+ (91.
T Heckel, M., Die Getränkesteuern in Frankreich. S. 87.
Kollmann, Paul, Eine braunschweigische Hypothckarstatistik. S. 518.
Preisaufgaben der Rubenow-Stiftung. S. 256.
Pudor, Hein rich, Die Selbsthilfe der Landwirtschaft in Frankreich. S. 656.
Derselbe, Zur Geschichte und Organisation der dänischen Meiereigenossenschaften und
der dänischen Meiereiwirtschaft. S. 813.
"ee Arthur, Die sozialen Verhältnisse der Juden in PreuBen und Deutschland,
d 4, 760.
IV Inhalt.
Schor, Alexander, Kritik der Grenznutzentheorie. S. 227.
Thünen-Archiv. S. 790.
Zahn, Friedrich, Die soziale Statistik des Auslands auf der Pariser Weltausstellung
1900. S. 105.
Zimmermann, F. W. R., Ein neues Volkszählungsverfahren für die Vereinigten
Staaten von Nordamerika. S. 799.
Žižek, Franz, Die Bank der französischen Arbeiterproduktivgenossenschaften. S. 661.
Die Zunahme der Bevölkerung in den hauptsächlichsten Kulturstaaten während des
19. Jahrhunderts. $S. 788.
IV. Litteratur.
Arndt, Adolf, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. (M. Liepmann.) 8. 702.
Ashley, W. J., Surveys historic and economic. (v. Schullern.) 8. 258.
Ashley, W. J., Histoire et Doctrines Economiques de l’Angleterre. (E. v. Halle.)
S. 675.
Assekuranzatlas, Graphisch-statistische Darstellung der Entwickelung des Versicherungs-
wesens aller Staaten und aller Branchen. 1855—1895. Von Emil Stefan, fran-
zösischer Text von Al. Stefan. (Alfred Manes.) S. 694.
v. Below, Georg, Territorium und Stadt. Aufsätze zur deutschen Verfassungs-,
Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte. A u. d. T.: Historische Bibliothek. Hrsgg.
von der Redaktion der Historischen Zeitschrift, Bd. 11. (K. Heldmann.) S. 561.
Van der Borght, R., Handel und Handelspolitik. (Wiesinger.) S. 548.
Bowley, Wages in the United Kingdom in the 19th Century. Notes for the use of
students of social and economic questions. (Karl Diehl.) S 700.
Böckh, Richard und Klatt, Max, Die Alters- und Sterblichheitsverhältnisse der
Direktoren und Oberlehrer in Preußen. (H. Westergaard.) S. 847.
Bücher, Karl, Arbeit und Rhythmus. 3. Aufl. (E. Gothein.) S. 819.
Cassel, G., Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag. Eine Einführung in die theo-
retische Oekonomie. (Karl Diehl.) S. 698.
Troisième Congrès général des Organisations socialistes françaises, tenu à Lyon du
26 au 28 mai 1901, Compte rendu sténographique officiel. (v. Schullern.) S. 560.
Eberstadt, Rudolph, Der deutsche Kapitalmarkt. (Heinemann) 8. 128.
Eckert, Christian, Rheinschiffahrt im 19. Jahrhundert (Staats- und sozialwissen-
schaftliche Forschungen, herausgegeben von Gustav Schmoller, Bd. 18, Heft 5).
(E. Baasch.) 8. 123.
Ely, R. T., Monopolies and Trusts. (Robert Liefmann.) S. 414.
Felix, L., Der Einfluß von Staat und Recht auf die Entwickelung des Eigentums,
Zweite Hälfte, erste Abteilung. (Das Mittelalter.) (K. Heldmann.) S. 409.
Fellner, Friedrich, Das System der Rentengüter und dessen Anwendung in Ungarn.
Mit einem Vorworte von Karl Hieronymi. (Zoltán Ráth.) S. 119.
Flesch, Karl, Zur Kritik des Arbeitsvertrags. Seine volkswirtschaftlichen Funktionen
und sein positives Recht. Sozialrechtliche Erörterungen. (F. Eulenburg.) S 131.
Gibson, Arthur H., Natural economy, an introduction of political economy.
(v. Schullern.) S. 825.
Grosse, Hugo, Historische Rechenbücher des 16. und 17. Jahrhunderts und die Ent-
wickelung ihrer Grundgedanken bis zur Neuzeit. Ein Beitrag zur Geschichte der
Methodik des Rechenunterrichts. Mit fünf Titelabbildungen. (G. v. Below.) S. 543.
Handbuch der Frauenbewegung herausgegeben von Helene Lange und Gertrud Bäumer.
(E. C.) S. 696.
Ritter von Hattingberg, J., Die gemeinwirtschaftlichen Kredite der österreichischen
Landwirte (K. Thiess.) S. 126.
Hesse, Richard, Entwickelung der agrar-rechtlichen Verhältnisse im Stifte, späterem
Herzogtum Verden. (A. u. d. T.: Sammlung national-ökonomischer und statistischer
Abhandlungen des staatswissenschaftlichen Seminars zu Halle a. d. S. Herausgegeben
von Dr. Joh. Conrad, Bd. 27.) (Felix Rachfahl.) S. 407.
Industrial Commission, Preliminary Report on Trusts and Industrial Combinations together
with Testimony, Review of Evidence, Charts showing Effects on Prices, and Topical
Digest. (Robert Liefmann.) S 412.
Inhalt. V
s
Jahrbuch für den Oberbergamtsbezirk Dortmund. 5. Jahrgang. (A. Hesse.) S. 848.
Kaerger, Karl, „Landwirtschaft und Kolonisation im Spanischen Amerika.‘ Bd. I.
Die La Plata-Staaten ; Bd. II. Die Südamerikanischen Weststaaten und Mexiko. (Paul
Holdetleiß.) S. 687.
Klöti, Emil, Die Proportionalwahl in der Schweiz. Geschichte, Darstellung und
Kritik. (Separatabdruck aus der Zeitschrift für schweizerische Statistik, Bd. 37, 1901.)
(Loening.) S. 133.
Kötzschke, Rudolf, Studien zur Verwaltungsgeschichte der Großgrundherrschaft
Werden an der Ruhr. (Felix Rachfahl.) S. 535.
Kulemann, Wilhelm, Die Gewerkschaftsbewegung. Darstellung der gewerkschaft-
lichen Organisation der Arbeiter und der Arbeitgeber aller Länder. (Josef Schmöle.)
S. 555.
Landré, Corneille L., Mathematisch-techuische Kapitel zur Lebensversicherung.
Zweite verbesserte und vermehrte Auflage. (Paul Radtke.) S. 841.
Landry, Adolphe, L’utilité sociale de la propriété individuelle, Etude d’economie
politique. (v. Schullern.) S. 681.
Liebenam, W., Städteverwaltung im Römischen Kaiserreiche. (Ernst Kornemann.)
8. 828.
Lorini, Eteocle, Il profitto, appunti di critica economica intorno ad un particolare
aspetto dell’ odierna questione sociale. (v. Schullern.) 8. 271.
Freiherr v. Manteuffel gen. Szöge, Carl, Das Sparen. Sein Wesen und seine
volkswirtschaftliche Wirkung. (L. Pohle.) S. 822.
Mühlbrecht, Otto, Wegweiser durch die neuere Litteratur der Rechts- und Staats-
wissenschaften. Für die Praxis bearbeitet. Bd. II enthaltend die Litteratur der Jahre
1893—1900 nebst Nachträgen und Ergänzungen zu Bd. I (die Litteratur bis 1892).
(W. Kähler.) S. 823.
Muensterberg, P., Das ausländische Armenwesen. Uebersicht über die neueren
Bestrebungen auf dem Gebiete der Armenpflege in den für uns wichtigsten Staaten
des Auslandes. Neue Folge (Schriften des deutschen Vereins für Armenpflege und
Wohlthätigkeit. Heft 52). (Loening.) S. 274.
Recensement général des industries et de 3 métiers en Belgique de 31 Octobre 1896.
(Friedrich Zahn.) S. 545.
Das Reichsgesetz betreffend die Patentanwälte vom 21. Mai 1900. Für den praktischen
Gebrauch systematisch dargestellt von Dr. jur. Damme. (A. Hesse.) RB 844.
Roscher, System der Finanzwissenschaft. 5. vermehrte Auflage , bearbeitet von Otto
Gerlach. (Max von Heckel.) S. 551.
v. Schicker, Die Gewerbeordnnng für das Deutsche Reich nach dem neuesten Stand
mit Erläuterungen und den Ausführungsvorschriften des Reiches. 4. Auflage. 3. Liefe-
rung (Schluß). Inhalt: 2. Bd. (W. Kähler.) S. 845.
Schmidt, Paul, Das Warenzeichenrecht nebst einem Ueberblick über die Bestim-
mungen wider den unlauteren Wettbewerb nach den Gesetzgebungen aller Länder
dargestellt. (Wermert.) S. 266.
ale Gustav, Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre. (W. Has-
Pach.) S. 387.
Sieveking. Heinrich, Genueser Finanzwesen, mit besonderer Berücksichtigung der
Casa di $. Giorgio. I. Genueser Finanzwesen vom 12.—14. Jahrhundert. II. Die
R Casa di 8. Giorgio. (Ludwig Schmitz.) 8. 669.
Statistisches Jahrbuch der Schweiz. Herausgegeben vom statistischen Bureau des eidg.
Departements des Innern. 9. Jahrgang. (A. Hesse.) S. 850.
tubmann , P., Holland und sein deutsches Hinterland in ihrem gegenseitigen Waren-
verkehr, mit besonderer Berücksichtigung der holländischen Haupthäfen seit der Mitte
des 19, Jahrhunderts. Eine handelsstatistische Studie. Erstes Heft des ersten Bandes
A bhandlungen des staatswissenschaftlichen Seminars zu Jena. (G. K. Anton.)
Systematische Zusammenstellung der Zolltarife des In- und Auslandes. E. Landwirt-
schaft, Nahrungs- und Genußmittel. Herausgegeben im Reichsamt des Innern. 2. Aufl.
(Dochow) S. 834.
onnar, A., Essai sur le système économique des primitifs d’après les populations
de l’état indépendant du Congo. (G. K. Anton.) S. 686.
Treetz, Fritz, Das Wirtsgewerbe in München. Eine wirtschaftliche und soziale
VI Inhalt.
Studie. (Münchener volkswirtschaftliche Studien, herausgegeben von Lujo Brentano
und Walter Lotz. 33. Stück. (F. Eulenburg.) S. 261.
Wagner, Adolf, Finanzwissenschaft. IV. Teil: Specielle Steuerlehre: Die deutsche
Besteuerung des 19. Jahrhunderts. 2. Halbband: Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen,
Mecklenburg. Sämtliche Kleinstaaten. Deutsches Reich. — Nachträge. (Max von
Heckel.) S. 553.
Weltgeschichte, unter Mitarbeit von Georg Adler ete. herausgegeben von Hans F. Hel-
molt (Felix Rachfahl.) S. 679.
Freiherr von Wieser, Friedrich, Die Ergebnisse und die Aussichten der
Personaleinkommensteuer in Oesterreich. (Otto Gerlach.) S. 836.
Willett, Allan H., The Eeonomie Theory of Risk and Insurance (Columbia University
Studies in Political Science). (H. Westergaard.) S. 842.
Die Wohnungsverhältnisse Hamburgischer Unterbeamten im Jahre 1897. Im Auftrage
der Hamburgischen Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe
(Patriotische Gesellschaft), bearbeitet von Karl Pfingsthorn. (v. Mangoldt.)
S. 684.
Wörterbuch der Rechts- und Staatswissenschaften. Redigiert von A. F. Wolkow und
S. D. Filipow. Herausgegeben von der Gesellschaft ,,Obschestwennaja Polsa“.
(Gustav Sodoffsky.) 8. 540.
Ritter v. Wretschko, Alfred, Das österreichische Marschallamt im Mittelalter.
Ein Beitrag zur Geschichte der Verwaltung in den Territorien des Deutschen Reiches.
(G. v. Below.) S. 541.
Frhr. v. Zedlitz und Neukirch, Oktavio, Dreißig Jahre preußischer Finanz-
und Steuerpolitik. (Brodnitz.) S. 269.
Zimmermann, Alfred, Die Kolonialpolitik Frankreichs. Von den Anfängen bis
zur Gegenwart. 4. Bd. der Sammlung : Die Europäischen Kolonien. (Paul Mohr.)
S. 404.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des
Auslandes. S. 117. 257. 404. 535. 679. 819.
Die periodische Presse des Auslandes. S. 141. 281. 427. 570. 714. 852.
Die periodische Presse Deutschlands. S. 143. 285. 430. 574. 719. 856.
Volkswirtschaftliche Chronik. S. 491. 1. 31. 73. 121. 161.
Ernst, Loeb, Das Institut des Aufsichtsrats, seine Stellung und Bedeutung ete f
Nachdruck verboten.
I
Das Institut des Aufsichtsrats, seine Stel-
lung und Bedeutung im deutschen Aktien-
recht und der deutschen Volkswirtschaft,
die Notwendigkeit und Möglichkeit seiner
Reform.
Dr. Ernst Loeb (Berlin).
Einleitung.
Es ist eine alte Erfahrung, daß in Zeiten rückgängiger wirt-
schaftlicher Konjunktur und einer tiefer greifenden geschäftlichen
Depression die Verbrechen und Vergehen gegen das Eigentum sich
mehren; einmal absolut, indem ein Teil derjenigen Kreise, denen
durch die Ungunst der Lage des Arbeitsmarktes die Erwerbsmög-
lichkeit erschwert oder genommen ist, zu rechtswidrigen Handlungen
schreitet, sodann relativ, insofern als in schlechten Zeiten unehren-
hafte Handlungen und Verfehlungen, die schon lange Zeit hindurch
begangen wurden und in ihren Anfängen weit zurückliegen, leichter
und zahlreicher entdeckt und ans Tageslicht gefördert werden, als
m Perioden des gewerblichen Aufschwungs und des allgemeinen
seschäftlichen Vertrauens. In Zeiten sinkender Preise mustert nicht
nur der Käufer die Waren durch doppelte Brillen, sondern auch der
eine Kaufmann prüft den anderen schärfer. Das allgemeine Mif-
trauen wirkt wie ein Scheidewasser, das die unechten Unternehmen
von den echten trennt, die ungesunden Keime, die unter dem allzu-
warmen Licht eines überhitzten Vertrauens üppig emporgewuchert
sind, tötet und die Träger eines unverdienten Vertrauens in ihrem
wahren Lichte erscheinen läßt. Die anormal zahlreichen Enthüllungen
von unehrenhaften Handlungen verleiten dann in der Regel das
große Publikum dazu, den Grund für die Verirrungen nicht in den
Schwächen der Menschen, sondern in Fehlern wirtschaftlicher und
Dritte Folge Bd. XXIII (LXX VII). 1
2. - Ernst Loeb,
rechtlicher Institutionen zu suchen und vom Gesetzgeber und Volks-
wirt Abhilfe der Mißstände zu verlangen.
Die gegenwärtig in Deutschland herrschende Krisis hat insbe-
sondere schwere Vergehen von Leitern großer Aktienunternehmungen
zu Tage gefördert und grobe Vertrauensbrüche seitens mehrerer
Direktoren von Hypotheken- und Kreditbanken und industriellen
Gesellschaften enthüllt. In der Oeffentlichkeit hat man hierfür in
erster Linie die Aufsichtsräte der betreffenden Gesellschaften verant-
wortlich gemacht, die bedauerliche Mißwirtschaft aber nicht allein
den in Frage kommenden Persönlichkeiten des Aufsichtsrates als
solchen vorgeworfen, sondern dem Institut des Aufsichtsrats im all-
gemeinen in seiner juristischen Normierung und faktischen Ent-
wickelung.
Ob und wie weit diese Vorwürfe gegen das Institut des Auf-
sichtsrats mit Recht erhoben werden, erscheint angesichts der
gewaltigen Entwickelung, welche in Deutschland das Aktienwesen
genommen und der großen Bedeutung, die hierdurch das Institut
des Aufsichtsrats erlangt hat, als eine Frage von außerordentlicher
Tragweite für die ganze deutsche Volkswirtschaft.
I. Die Bedeutung des Instituts des Aufsichtsrats für
die deutsche Volkswirtschaft.
Der gewaltige Umfang und die große Bedeutung, welche das Aktien-
wesen für das deutsche Wirtschaftsleben erlangt hat, geht aus folgen-
den Zahlen zur Genüge hervor. Gegen die Mitte des Jahres 1900
betrug die Zahl der in Deutschland bestehenden Aktiengesellschaften
ungefähr 5500; hiervon entfallen !) 3443 auf Industriegesellschaften
verschiedener Art, 442 auf Kreditbanken, 249 auf Baubanken, 41 auf
Hypothekenbanken, 288 auf Eisenbahn- und Straßenbahngesellschaften
und 146 auf Dampfschiffahrtsgesellschaften. Unberücksichtigt die
Notenbanken und Versicherungsgesellschaften betrug das Aktien-
kapital der genannten Aktiengesellschaften nach dem Nominalbetrage
10,8 Milliarden Mark, ungerechnet das für die Aktien gezahlte Auf-
geld, ungerechnet ferner die ausgegebenen Obligationen und bei den
Hypothekenbanken die Pfandbriefe. Schätzt man mit Schmoller ?)
die Gesamtsumme des ausgeliehenen Kapitals, das in Deutschland
die Form von Effekten angenommen hat, auf 30 Milliarden — welche
Zahl wohl jetzt schon um ein Drittel zu niedrig sein dürfte — so
ergäbe sich, daß von dem in Effekten investierten deutschen Kapital
ein Drittel, resp. ein Viertel in Aktien angelegt ist. Bemist man
das deutsche Nationalvermögen auf 175 Milliarden 2. so kommt man
1) Nachfolgende Statistik ist von mir nach dem Handbuch der deutschen Aktien-
gesellschaften 1900/1901 zusammengestellt.
2) Einleitung zu den statistischen Materialien der Börsenenquete,
3) Schmoller, ebenda. Der französische Nationalökonom Alfred Neymark berechnet
neuerdings den Besitz Deutschlands an Wertpapieren auf 45 Milliarden fres., den
Frankreichs auf 90 und den Englands auf 120 Milliarden fres., vergl. seinen Bericht
für das Internationale Institut für Statistik in der franz. Wochenschrift: Le Rentier vom
7., 17. und 27. Okt. 1901.
Das Institut des Aufsichtsrats, seine Stellung und Bedeutung ete. 3
zu dem Resultat, daß mehr als 6 Proz. des deutschen Nationalver-
mögens in Aktien deutscher Aktiengesellschaften Anlage gefunden hat.
An dem von uns mit 10,8 Milliarden Mark ermittelten Aktien-
kapital der oben erwähnten Gruppe von Aktiengesellschaften entfällt
ungefähr die Hälfte, nämlich 5,9 Milliarden auf Industriegesellschaften,
24 Milliarden auf Kreditbanken, 625 Millionen auf Baubanken, eine
Milliarde auf Eisenbahn- und 380 Millionen auf Dampfschiffahrts-
gesellschaften. Hieraus ist ersichtlich, daß die Form der Aktien-
gesellschaft in den verschiedensten Zweigen der gewerblichen Thätig-
keit, speciell aber in Handel und Industrie eine geradezu führende
und ausschlaggebende Stellung erlangt hat.
Es handelt sich also bei der Verwaltung der Aktiengesellschaften
um Interessen und Aufgaben, die über den Rahmen des rein Privat-
wirtschaftlichen weit hinausreichen und mit tausend Fäden herüber-
greife in die volkswirtschaftliche Güterwelt. Daraus erklärt es sich
auch, daß der Gesetzgeber die Verwaltung der Aktiengesellschaften
einer genauen und umfassenden Regelung unterzogen hat und die
Verfassung der privaten Aktienunternehmungen so zu normieren
suchte, daß auch die Interessen der Volkswirtschaft nach Möglichkeit
gewahrt würden. Das suchte er insbesondere durch die Vorschriften
zu erreichen, welche er für den Aufsichtsrat getroffen hat.
I. Das gegenwärtige für den Aufsichtsrat geltende
Recht!).
Welche Bedeutung der Gesetzgeber dem Institut des Aufsichts-
rats bei den Aktiengesellschaften beigemessen hat, geht schon zu-
nächst aus der Thatsache hervor, daß er den Aufsichtsrat zu einem
notwendigen Organ der Aktiengesellschaft machte?). Die Errich-
tung einer Aktiengesellschaft ohne Aufsichtsrat ist rechtlich unmög-
ich, seine Bestellung kann durch statutarische Bestimmungen nicht
ausgeschlossen werden. Es ist das ein beachtenswerter Unterschied
der Aktiengesellschaft von der Gesellschaft mit beschränkter Haf-
tung, der sich ohne weiteres aus dem ganz verschiedenen Wesen
dieser beiden Gesellschaftsformen erklärt. Bei der Gesellschaft mit
beschränkter Haftung ist das Band zwischen der Gesellschaft und
den Gesellschaftern ein viel engeres, die Gesellschafter stehen in
einem dauernden Verhältnis zur Gesellschaft, ein Wechsel der Gesell-
schafter ist zwar möglich, aber sehr erschwert, und infolgedessen
nicht häufig. Denn zur Abtretung von Gesellschaftsanteilen durch
Gesellschafter bedarf es stets eines in gerichtlicher oder notarieller
I D
CS D Bezüglich der rein juristischen Fragen verweise ich auf die einschlägige
Junistische Litteratur; außer den im Laufe der Arbeit citierten namentlich auf: Josef
Bauer, Der Aufsichtsrat, 2. Aufl., Leipzig 1900, Mankiewiez, Die Rechte und Pflichten
ie Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft, Berlin 1899 und dort eitierte, Tscharmann,
er Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft, Leipzig 1896.
2) H.G.B. § 243.
1*
A Ernst Loeb,
Form abgeschlossenen Vertrages!). Infolgedessen hat der Gesetz-
geber die Bestellung eines Aufsichtsrats bei den G. m. b. H. nicht
vorgeschrieben, sondern das dem Statut überlassen. Er begnügt
sich mit der Bestimmung, daß, falls nach dem Gesellschaftsvertrage
ein Aufsichtsrat zu bestellen ist, auf denselben die für den Auf-
sichtsrat einer Aktiengesellschaft nach den Art. 224—226 Abs. 1
H.G.B. geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung finden 21.
Auch das ist jedoch nicht zwingendes Recht, sondern gilt nur sub-
sidiär für den Fall, daß der Gesellschaftsvertrag keine anderen Be-
stimmungen für den Aufsichtsrat trifft. Ganz anders bei der Aktien-
gesellschaft. Bei ihr sind die Bande zwischen der Gesellschaft und
den Gesellschaftern, also den Aktionären, sehr locker. Die Gesell-
schafter sind nicht dauernd, dauernd ist vielmehr nur ihr Wechsel,
der durch das Gesetz äußerst leicht gemacht und geradezu begünstigt
wird, da die Uebertragbarkeit der Aktien (außer bei den sogenannten
vinkulierten und kleinen Aktien) an gar keine Form gebunden ist.
Der häufige und leichte Wechsel der Gesellschafter macht die Bil-
dung eines dauernden Vertretungsorgans zur Notwendigkeit, und dar-
aus erklärt sich, daß das Institut des Aufsichtsrats bei einer Aktien-
gesellschaft nie fehlen darf®). Indem das Gesetz aber die Bestellung
eines Aufsichtsrats vorschreibt, giebt es nur die Minimalorganisation
an, die es bei einer Aktiengesellschaft für unentbehrlich erachtet, es
will jedoch dem Statut damit keine engen Grenzen ziehen und über-
läßt es ihm, über die Schaffung eines weiteren Organs, das ver-
wandte Funktionen erfüllen soll, Vorsorge zu treffen. Denn $ 235
H.G.B. sagt ausdrücklich, daß eine Beschränkung der Vertretungs-
befugnis des Vorstandes Dritten gegenüber unwirksam sein soll,
insbesondere für den Fall, daß für einzelne Geschäfte die Zustim-
mung der Generalversammlung, des Aufsichtsrats oder eines an-
1) R.G. betr. die G. m. b. H. vom 20. April 1892 § 15.
2) § 33 Le.
3) Obligatorisch ist der Aufsichtsrat in Deutschland geworden in dem Augenblick,
als mit dem staatlichen Konzessionssystem für die Aktiengesellschaften gebrochen und
dieses dureh das System der privatrechtlichen Normativbestimmungen ersetzt wurde.
In Preußen trat an Stelle des Oktroisystems, d. h. der Regelung durch landesherrliches
Specialprivileg das Konzessionssystem durch das Eisenbahngesetz vom 3. November 1833
und das Gesetz über die Aktiengesellschaften vom 9. November 1843. (Mankiewiçz
l. e S. 5, Ring, Kommentar zum R.G. vom 18. Juli 1884, Berlin 1893, S. 4). Das
Allgemeine deutsche Handelsgesetzbuch von 1861 machte den Aufsichtsrat nur für die
Kommanditgesellschaft auf Aktien obligatorisch, die Bundesnovelle vom 11. Juni 1870
für alle Aktiengesellschaften. Die Aktiennovelle vom 18. Juli 1884 führte eine schärfere
Verantwortung des Aufsichtsrats ein. (Vergl. darüber auch Tscharmann È Ce, S. 6 ff.,
ferner Simonsohn im Novemberheft des Bankarchivs 1901, Frankfurt, S. 23.) Ob für
die vor Einführung des Konzessionssystems gegründeten Aktiengesellschaften die Be-
stellung eines Aufsichtsrats notwendig ist, ist noch hente Streitfrage. Die Notwendig-
keit wird überwiegend bejaht, so von Bauer l ce, S. 7, Mankiewicz Le. S. 7 und
dort citierte, von Neukamp, Monatsschrift für Handelsr. und Bankwesen vom 11. August
1900, 8. 209, dagegen verneint von Veit Simon, ebenda, No. 2 vom 9. Februar 1901
mit Rücksicht auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Trotz der gewichtigen Be-
denken Simons möchte ich mich mit Rücksicht auf den Sinn des H. G. B. und aus wirt-
schaftlicher Zweekmäßigkeit der ersteren Ansicht anschließen.
ung
ion
Das Institut des Aufsichtsrats, seine Stellung und Bedeutung etc. 5
deren Organs der Gesellschaft erfordert wird. Da das Gesetz
nun nur drei Organe der Aktiengesellschaft nennt, nämlich den Vor-
stand, den Aufsichtsrat und die Generalversammlung, so folgt aus
dieser Fassung des Gesetzes, daß neben dem Aufsichtsrat die Bildung
eines ihm verwandten Organs mit ähnlichen Funktionen, sagen wir
kurz eines Verwaltungsrats, zulässig ist und durch statutarische
Bestimmungen angeordnet werden kann !).
Der Aufsichtsrat ist also ein notwendiges Organ der Aktien-
gesellschaft in gleicher Weise wie der Vorstand und die General-
versammlung. Im Gegensatz zu dem Vorstand, der auch aus nur
einer Person bestehen kann 2, ist der Aufsichtsrat ein kollegiale:
Organ, er muß stets aus mindestens 3 Personen bestehen, das
Statut kann eine höhere, nicht aber eine geringere Zahl festsetzen?).
Gewählt wird der Aufsichtsrat stets von der Generalversammlung 4),
während der Vorstand auch nach den Statuten in anderer Form
bestellt werden kann, z. B. durch den Aufsichtsrat’). Bei der Si-
multangründung, also wenn die Gründer alle Aktien über-
nehmen, ist der Aufsichtsrat von ihnen gleichzeitig mit der Er-
richtung der Gesellschaft oder in einer besonderen gerichtlichen oder
notariellen Verhandlung zu bestellen; beider Successivgründung;
also wenn die Gründer nicht alle Aktien übernehmen, hat seine Wahl
durch eine nach der Zeichnung des Grundkapitals zu berufenden
Generalversammlung zu erfolgen. Das Gesetz trifft also genaue Be-
stimmungen darüber, wann die Bestellung des Aufsichtsrates zu
erfolgen hat, es sorgt dafür, daß mit der Errichtung der Aktien-
gesellschaft auch ein Aufsichtsrat besteht, es regelt ferner zwingend,
wer berechtigt ist, den Aufsichtsrat zu wählen, indem es dieses
Recht ausschließlich in die Hände der Generalversammlung legt,
doch schweigt es sich über die passive Wahlfähigkeit, also
über die wichtige Frage, wer als Mitglied des Aufsichtsrats gewählt
werden kann, fast ganz aus. Das ist um so merkwürdiger, als der
Gesetzgeber selbst nach gewissen Richtungen hin auf die Persönlich-
keit der Aufsichtsratsmitglieder großes Gewicht zu legen scheint.
Er macht nämlich die Mitgliedschaft zum Aufsichtsrat zu einem hoch-
Persönlichen Recht, indem er bestimmt, daß die Mitglieder des Auf-
Sichtsrats die Ausübung ihrer Obliegenheiten nicht anderen übertragen
können et, auch fordert er, daß jede Aenderung in den Personen der
Mitglieder des Aufsichtsrats von dem Vorstand unverzüglich in den
Gesellschaftsblättern bekannt zu machen und die Bekanntmachung
zum Handelsregister einzureichen ist’). Trotzdem enthält das Ge-
1) Siehe besonders Staub, Kommentar zum H.G.B., S. 748 Anm. 15. Pinner,
Das deutsche Aktienrecht 1899, S. 172.
2) H.G.B. § 231.
3) 8 243.
4) ebenda § 190,3.
5) § 190 Abs. 1 und 2.
6) § 246 Abs. 4.
7) H.G.B. $ 244.
6 Ernst Loeb,
setz über die Qualifikation der Mitglieder des Aufsichtsrats nur
eine Bestimmung, und zwar eine negative. Das Gesetz bestimmt
nämlich), daß die Mitglieder des Aufsichtsrats nicht zugleich Mit-
glieder des Vorstandes oder dauernd Stellvertreter von Vorstands-
mitgliedern sein können, auch können sie nicht als Beamte die Ge-
schäfte der Gesellschaft führen. Diese Einschränkung erklärt sich
ohne weiteres aus der notwendigen Trennung zwischen Vorstand und
Aufsichtsrat, die sich aus der Natur der Sache von selbst ergiebt.
Abgesehen von dieser einzigen negativen Bestimmung, enthält das
Gesetz keine Vorschriften über die passive Wahlfähigkeit von Auf-
sichtsratsmitgliedern. Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen kann also
jeder Handlungsfähige zum Mitglied eines Aufsichtsrats gewählt
werden, rein theoretisch also auch jemand, dem die bürgerlichen
Ehrenrechte aberkannt sind oder Analphabeten, also Personen, die nicht
lesen und schreiben können, ferner Kridare oder Personen weiblichen
Geschlechts. Auch Angehörige fremder Staaten können Mitglieder des
Aufsichtsrats deutscher Aktiengesellschaften werden, das Gesetz
schreibt nicht einmal vor, daß auch nur ein Mitglied des Aufsichts-
rats Deutscher sein oder sein Domizil am Ort des Sitzes der Ge-
sellschaft haben muß?). Die Mitglieder des Aufsichtsrats brauchen
auch nicht notwendig Aktionäre der Gesellschaft zu sein, sind sie es
aber, so haben sie über ihren Aktienbesitz das freie Verfügungsrecht.
Die Zahl der Aufsichtsratsstellen, die eine Person bekleiden kann,
unterliegt gleichfalls keiner gesetzlichen Beschränkung; die Kumu-
lierung zahlreicher Aufsichtsratsstellen in einer Hand ist also recht-
lich zulässig. Rechtlich steht auch nichts im Wege, daß die Mit-
glieder des Vorstands und Aufsichtsrats miteinander verwandt oder
verschwägert sind. Diese Lücken, die das Gesetz gelassen hat,
können natürlich von den Statuten in der einen oder anderen Form
ausgefüllt werden, aber sie müssen es keineswegs. Die Wahl der
Personen also, auf die es beim Aufsichtsrat in erster Linie ankommt,
hat der Gesetzgeber nahezu ganz dem freien Ermessen der General-
versammlung überlassen.
Von welch großer Bedeutung aber eben die Personenfrage ist,
erhellt ohne weiteres aus einer Betrachtung der Funktionen,
welche der Aufsichtsrat erfüllen soll. Die Arbeitsteilung zwischen
Vorstand und Aufsichtsrat hat das Gesetz so geregelt, daß dem Vor-
stand die Führung der Geschäfte obliegt, dem Aufsichtsrat dagegen
im wesentlichen die Ueberwachung der Geschäftsführung. Maßgebend
hierfür ist $ 246 des H.G.B., welcher lautet:
„Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung der Gesellschaft in
allen Zweigen zu überwachen und sich zu dem Zwecke von dem
Gange der Angelegenheiten der Gesellschaft zu unterrichten. Er
kann jederzeit über diese Angelegenheiten Berichterstattung von dem
1) § 248.
2) Diese Frage ist in letzter Zeit infolge der Bestrebungen der Amerikaner, auf
die deutschen Sehiffahrtsgesellsehaften maßgebenden Einfluß zu gewinnen, von großem
praktischen Interesse geworden.
Das Institut des Aufsichtsrats, seine Stellung und Bedeutung etc. 7
Vorstande verlangen und selbst oder durch einzelne von ihm zu be-
stimmende Mitglieder die Bücher und Schriften der Gesellschaft ein-
sehen sowie den Bestand der Gesellschaftskasse und die Bestände
an Wertpapieren und Waren untersuchen. Er hat die Jahres-
rechnungen, die Bilanzen und die Vorschläge zur Gewinnverteilung
zu prüfen und darüber der Generalversammlung Bericht zu erstatten.
Er hat eine Generalversammlung zu berufen, wenn dies im
Interesse der Gesellschaft erforderlich ist.
Weitere Obliegenheiten werden durch den Gesellschaftsvertrag
bestimmt.“
Aus diesem letzten Passus des $ 246 geht schon hervor, daß
der Gesetzgeber nur das Mindestmaß der Pflichten des Aufsichtsrats
geregelt hat, eine Erweiterung seines Pflichtenkreises jedoch dem
Statut überlassen will. Die Ueberwachungspflicht, die er
dem Aufsichtsrat auferlegt, ist ihrem Umfang nach nicht beschränkt,
sie erstreckt sich, wie das Gesetz ausdrücklich betont, auf die Ge-
schäftsführung der Gesellschaft in allen Zweigen der Ver-
waltung. Sie erstreckt sich also nicht nur darauf, zu kontrollieren,
daß die Geschäftsführung der Direktion den gesetzlichen und statu-
tarischen Vorschriften entspricht, sondern auch auf die Prüfung ihrer
Zweckmäßigkeit und Richtigkeit. Diese Kontrolle ist deshalb von
größter Bedeutung, weil die Geschäftsführung des Vorstandes für
die Gesellschaft unbedingt verbindlich ist, selbst dann, wenn der
Vorstand bei seiner Geschäftsführung die ihm durch Gesellschafts-
vertrag oder Beschlüsse der Generalversammlung gezogenen Grenzen
in seiner Vertretungsbefugnis überschreitet. Dritten gegenüber ist
jede Beschränkung der Vertretungsbefugnis des Vorstandes unwirksam.
Seine Handlungen verbinden auch dann die Gesellschaft, wenn sie
ohne die für sie etwa erforderliche Zustimmung der General-
versammlung, des Aufsichtsrats oder eines anderen Organs der Ge-
sellschaft erfolgt sind!). Aus der Ueberwachungspflicht des Auf-
sichtsrats folgt ohne weiteres die ihm vom Gesetz beigelegte Pflicht,
sih von dem Gange der Angelegenheiten der Gesellschaft zu
unterrichten. Denn überwachen kann man nur Handlungen und
Dinge, von denen man Kenntnis hat. Diese kann sich der Auf-
sichtsrat dadurch verschaffen, daß er berechtigt ist, jederzeit von
dem Vorstande Berichterstattung zu fordern und die Bücher
und Schriften der Gesellschaft einzusehen, sowie den Bestand der
Gesellschaftskasse und die Bestände an Waren und Wertpapieren zu
untersuchen. Den Inhalt der Ueberwachungspflicht des Aufsichts-
rats hat das Gesetz also nur generell bestimmt, es erstreckt sie zwar
ausdrücklich auf alle Zweige der Verwaltung, enthält sich aber jeder
detaillierten Bestimmung darüber, was der Aufsichtsrat im einzelnen
zu überwachen hat. Es specifiziert nur insofern, als es ihm die
Prüfungen der Jahresrechnungen, Bilanzen und der Vorschläge zur
Gewinnverteilung zur Pflicht macht, sowie die Berichterstattung
En
1) 8 235.
8 Ernst Loeb,
darüber an die Generalversammlung. Dagegen ist der Aufsichtsrat
nicht verpflichtet, sondern nur berechtigt, Berichterstattung über die
Angelegenheiten der Gesellschaft vom Vorstand zu verlangen, er hat
auch nicht die Pflicht, sondern nur das Recht der Einsichtnahme der
Bücher und Schriften, sowie der Untersuchung der Bestände. Ob er
von diesem Rechte Gebrauch macht, wie oft, zu welcher Zeit und in
welcher Art, das ist ganz seinem eigenen freien Ermessen über-
lassen. Das Statut kann natürlich hier ergänzend eingreifen, aber
das Gesetz schafft dafür, daß der Aufsichtsrat seine Kontrollpflicht
auch thatsächlich erfüllt, keine weitere Kautele als die, daß es ihm
die Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes zur
Pflicht macht!). Ob der Aufsichtsrat seiner ganzen Zusammen-
setzung nach überhaupt in der Lage ist, eine wirksame Kontrolle that-
sächlich auszuüben, darum kümmert sich das Gesetz nicht, scheinbar
dem Grundsatz huldigend: Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er
auch den Verstand. Jede wirkliche wirksame Kontrolle erfordert
Sachkenntnis, Muße und volle Unabhängigkeit dem zu Ueberwachenden
gegenüber; ob der Aufsichtsrat diese Voraussetzungen erfüllt, ob er
diesen notwendig an ihn zu stellenden Ansprüchen gewachsen ist,
über diese wichtige Frage schweigt sich der Gesetzgeber aus, er baut
anscheinend auf die „kollegiale Weisheit“ des Aufsichtsrats. Er baut
darauf so sehr, daß er nicht nur die Ucberwachungs- und Unter-
richtungspflicht nur dem Aufsichtsrat als ganzem, als Kolle-
gium beilegt, sondern auch das Recht Berichterstattung vom Vor-
stande zu verlangen, nicht dem einzelnen Mitglied des Aufsichtsrats
giebt, sondern nur dem Aufsichtsrat als ganzem. Nur zur Einsicht-
nahme der Bücher und Schriften und zur Untersuchung der Be-
stände kann der Aufsichtsrat aus seiner Mitte Mitglieder bestimmen,
im übrigen aber kann er seine Funktionen nur als kollegiales Organ
ausüben ?).
Die Funktionen des Aufsichtsrates sind im wesentlicheu kon-
trollierende, jedoch nicht ausschließlich. Von seinen Kontrollfunktionen
ist, abgesehen von der Prüfung der Bilanz, im Gesetz noch speciell
genannt seine Pflicht — den Gründungshergang in Gemeinschaft mit
dem Vorstand zu prüfen ë) und über die Ergebnisse sich zu erklären.
Hierbei hat er gleichfalls die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns
anzuwenden). Dieselbe Pflicht hat er im Falle der sog. Nach-
gründung des $ 207 H.G.B., d. h. in den Fällen, wo die Gesell-
schaft vor dem Ablauf von 2 Jahren nach ihrer Eintragnng ins
1) $ 249 Abs. 1.
2) Die Motive zur Aktiennovelle von 1834 begründeten das nur kollektive Auf-
sichtsrecht des Aufsichtsrats, wie folgt: „Es läßt sich nicht verkennen daß ein be-
ständiges Eingreifen der einzelnen Mitglieder des Aufsichtsrats die Gefahr in sieh bergen
würde, daß eine thatkräftige Geschäftsleitung des Vorstands gehemmt wird, auch daß
einzelne Aufsichtsratsmitglieder die erlangte Kenntnis der inneren Verhältnisse der Ge-
sellschaft, namentlieh der Bezugsquellen und Geschäftsverbindungen, im eigenen Interesse
ausbeuten. Das Gesetz hat deshalb das Recht der individuellen Aufsicht nicht auf-
genommen.“ Siehe Bauer l. e S. 89.
KOCH 4) § 196.
Das Institut des Aufsichtsrats, seine Stellung und Bedeutung etc. 9
Handelsregister vorhandene oder herzustellende Anlagen, die dauernd
zu ihrem Geschäftsbetriebe bestimmt sind, oder unbewegliche Gegen-
stinde für eine den zehnten Teil des Grundkapitals übersteigende
Vergütung vertragsmäßig erwirbt. In diesem Falle hat der Aufsichts-
rat den Vertrag vor der Beschlußfassung zu prüfen und über die
Ergebnisse seiner Prüfung schriftlich Bericht zu erstatten’). Nicht
die Funktionen eines Kontrollorgans sind dagegen die
folgenden gesetzlichen Obliegenheiten des Aufsichtsrats: Er hat die
Gesellschaft in Gemeinschaft mit sämtlichen Gründern und dem Vor-
stand bei dem Berichte ihres Domizils zur Eintragung in das Handels-
register anzumelden ?), er hat zur Bestellung von Prokuristen seine
Zustimmung zu geben, sofern durch den Gesellschaftsvertrag oder
den Beschluß der Generalversammlung nichts anderes bestimmt ist 3),
er hat ferner in Gemeinschaft mit der Generalversammlung seine Zu-
stimmung zur Uebertragung von kleinen Aktien *) zu geben 5), schließ-
lich ist er ausnahmsweise auch zur Vertretung der Gesellschaft
berufen, wenn nämlich die Gesellschaft mit dem Vorstand Rechts-
geschäfte abschließt (z. B. Engagementsverträge) oder Prozesse gegen
den Vorstand führt 6).
Um nun dem Aufsichtsrat die Möglichkeit der Ausübung
seiner Kontrollfunktionen zu gewährleisten, bestimmt das
Gesetz, daß der Vorstand durch Ordnungsstrafen seitens des zu-
Ständigen Gerichtes dazu angehalten werden kann, dem Aufsichts-
rat den verlangten Bericht über die Angelegenheiten der Gesellschaft
zu erstatten und ihm Einsicht in die Bücher und Schriften der Ge-
sellschaft zu gewähren "1. Denselben Zweck hat die dem Aufsichts-
rat zustehende Befugnis und gleichzeitig ihm obliegende Verpflichtung,
eıne (reneralversammlung zu berufen, wenn dies im Interesse der
Gesellschaft erforderlich ist 8).
. Garantien dafür, daß der Aufsichtsrat seiner
Ueberwachungspflicht möglichst gewissenhaft nach-
kommt, hat der Gesetzgeber nach zwei Richtungen hin zu schaffen
gesucht, einerseits durch die Einschränkung seines Tantième-An-
spruchs, andererseits durch die Regelung seiner Haftpflicht.
Um das Band der Interessen zwischen der Gesellschaft und dem
Aufsichtsrat enger zu knüpfen, bestimmt das Gesetz, daß bei Be-
rechnung der Tantième des Aufsichtsrats von dem Reingewinne
nicht nur sämtliche Abschreibungen und Rücklagen vorweg in Ab-
Aug zu bringen sind, sondern außerdem noch eine mindestens 4-proz.
Dividende an die Aktionäre 9). Der Wert dieser Bestimmung
schrumpft allerdings dadurch sehr zusammen, daß das Gesetz die
arantie einer Minimaltantième nicht verbietet und auch die statuten-
mäßige Einräumung einer festen Vergütung an den Aufsichtsrat zu-
Dä "o. Nur kann in diesem Fall eine Abänderung des Gesellschafts-
|
$ 207 Abs. 2. 2) $ 195.
$ 238. 4) Gemäß $ 180 Abs.
$ 222 Abs. 4. 6) $ 247.
$ 319 Abs. 1. 8) $ 246 Abs. 2.
45. 10) Siehe Dinner Le S. 168, Riesser Le S. 27.
Ee
10 Ernst Loeb,
vertrages im Sinne einer Ermäßigung der Vergütung von der
Generalversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit beschlossen
werden!), während sonst zur Statutenänderung eine Dreiviertelmehr-
heit erforderlich ist?). Nur für den ersten Aufsichtsrat, der
nach der ersten Generalversammlung nach Ablauf des ersten Ge-
schäftsjahres ausscheidet?), kann eine feste Vergütung nicht festge-
setzt, sondern nur durch Beschluß dieser Generalversammlung be-
willigt werden 21.
Die Haftpflicht des Aufsichtsrats ist eine doppelte; sie be-
steht einerseits nur der Gesellschaft gegenüber, andererseits gegen-
über der Gesellschaft und ihrer Gläubigern. Der erste Fall liegt
vor, wenn der Aufsichtsrat seine Obliegenheiten verletzt, also seiner
Ueberwachungs- und Unterrichtungspflicht nicht genügt oder es
unterläßt, eine Generalversammlung zu berufen, wenn dies im In-
teresse der Gesellschaft erforderlich ist. In diesen Fällen haften die
Mitglieder des Aufsichtsrats der Gesellschaft mit den Vorstandsmit-
gliedern als Gesamtschuldner für den daraus entstehenden Schaden.
Der in Frage kommende Absatz 2 $ 249 H.G.B. lautet wörtlich:
Mitglieder, die ihre Öbliegenheiten verletzen,
haften der Gesellschaft mit den Vorstandsmitgliedern als Gesamt-
schuldner für den daraus entstandenen Schaden.“
Diese Fassung des Gesetzes ist beachtenswert, denn es folgt
daraus, daß den Aufsichtsrat, der die Kontrollfunktion zwar nur in
seiner Gesamtheit hat, nicht notwendig auch die Haftpflicht als Ganzes
trifft, sondern daß das eine Mitglied des Aufsichtsrats haftpflichtig
sein kann, das andere aber nicht. Die Haftpflicht kann beispiels-
weise nur das Mitglied treffen, das der Aufsichtsrat zur Einsicht-
nahme der Bücher und Schriften und zur Untersuchung der Be-
stände delegiert hat oder aber nur diejenigen Mitglieder, die wußten
oder wissen mußten, daß bei der Gesellschaft nicht nach Gesetz oder
Statut oder nicht zweckmäßig verfahren wurde. Wußte ein Mitglied
des Aufsichtsrats darum, ohne in der Lage zu sein, den Mißständen
abzuhelfen, so war es verpflichtet, davon dem Gesamtaufsichtsrat
Anzeige zu machen, wollte es nicht seine Obliegenheiten verletzen.
Nicht nur gegenüber der Gesellschaft, sondern auch gegenüber
deren Gläubigern haften die Mitglieder des Aufsichtsrats, wenn
sie wissentlich und ohne einzuschreiten dulden, daß entgegen den
Bestimmungen des H.G.B., eine der folgenden Handlungen vorge-
nommen wirdt): wenn
1) Einlagen an die Aktionäre zurückgezahlt,
2) den Aktionären Zinsen oder Gewinnanteile gezahlt,
3) eigene Aktien oder Interimsscheine der Gesellschaft erworben,
zum Pfande genommen oder eingezogen,
4) Aktien vor der vollen Leistung des Nennbetrages oder, falls
45 Abs. 2. 2) § 249 Abs. 3 8 241 Abs. 3.
>» +) § 243 Abs. 3.
249 Abs, 3. 8 241 Abs, 3.
Das Institut des Aufsichtsrats, seine Stellung und Bedeutung etc. 11
der Ausgabepreis höher ist, vor der vollen Leistung dieses Betrages
ausgegeben werden,
5) die Verteilung des Gesellschaftsvermögens oder eine teilweise
Zurückzahlung des Grundkapitals erfolgt,
6) Zahlungen geleistet werden, nachdem die Zahlungsunfähigkeit
der Gesellschaft eingetreten ist oder ihre Ueberschuldung sich er-
geben hat.
In diesen 6 Fällen kann der Ersatzanspruch auch von den
Gläubigern der Gesellschaft, soweit sie von der Gesellschaft ihre Be-
friedigung nicht erlangen können, geltend gemacht werden. Auch
kann ihnen gegenüber die Ersatzpflicht nicht durch einen Verzicht
der Gesellschaft aufgehoben werden, während die nur der Gesellschaft
gegenüber bestehende Haftung des Aufsichtsrates durch einen Ver-
gleich begrenzt oder durch von der Generalversammlung erteilte
Entlastung aufgehoben werden kann. Allgemein unterliegen jedoch
die Regreßansprüche gegen den Aufsichtsrat einer 5-jährigen Ver-
jährungsfrist 1). Geltend zu machen sind die Ansprüche gegen den
Aufsichtsrat, wenn es in der Generalversammlung mit einfacher
Stimmenmehrheit beschlossen oder von einer Minderheit von Aktio-
nären verlangt wird, deren Anteile den zehnten Teil des Grund-
kapitals erreichen ?). Im letzteren Falle muß die Geltendmachung
des Anspruches binnen 3 Monaten vom Tage der Generalver-
sammlung an erfolgen*); andererseits ist ein Verzicht oder ein Ver-
gleich der Gesellschaft nur dann zulässig, wenn von den die Minder-
heit bildenden Aktionären so viele zustimmen, daß die Aktien der
übrigen nicht mehr den zehnten Teil des Grundkapitals darstellen +).
Neben der civilrechtlichen Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats be-
Steht in gewissen Fällen auch eine strafrechtliche Verant-
wortlichkeit auf Grund der së 312—315 des H.G.B. Die
Mitglieder des Aufsichtsrats werden nämlich mit Gefängnis und zu-
gleich mit Geldstrafe bestraft, wenn sie absichtlich zum Nachteile
der Gesellschaft handeln ($ 312), wenn sie wissentlich falsche An-
gaben machen, behufs Eintragung der Aktiengesellschaft oder Ein-
tragung der Erhöhung des Grundkapitals ins Handelsregister ($ 313),
wenn sie die Verhältnisse der Gesellschaft wissentlich unwahr dar-
Stellen oder verschleiern oder gesetzwidrig Aktien oder Interims-
Scheine ausgeben ($ 314). In allen diesen Fällen mit Ausnahme des
zuletzt genannten kann neben der Geld- und Gefängnisstrafe auch
auf Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Mit
Gefingnisstrafe bis zu 3 Monaten und zugleich mit Geldstrafe bis zu
5000 M. werden sie bestraft, wenn die Gesellschaft länger als
3 Monate ohne Aufsichtsrat geblieben ist oder länger als 3 Monate in
dem Aufsichtsrat die zur Beschlußfähigkeit erforderliche Zahl von
Mitgliedern gefehlt hat. — Zu erörtern sind nun noch die Bestimmungen
1) § 249 Abs. 4 und § 241 Abs, 5.
2) § 268. 3) $ 269.
4) 8 270.
12 Ernst Loeb,
über die Amtsdauer des Aufsichtsrates Das Gesetz hat die
Maximaldauer der Amtsthätigkeit des Aufsichtsrats beschränkt und
zwar für den ersten Aufsichtsrat auf die Dauer eines Geschäfts-
jahres; die Generalversammlung soll aus naheliegenden Gründen
sich schon nach Ablauf des ersten Geschäftsjahres die Frage vor-
legen, ob der erste Aufsichtsrat auch ihres Vertrauens würdig ist
und eine Wiederwahl verdient. Später kann der Aufsichtsrat nicht
für eine längere Zeit als bis zur Beendigung derjenigen Generalver-
sammlung gewählt werden, welche über die Bilanz für das vierte
Geschäftsjahr nach der Ernennung beschließt; hierbei wird das Ge-
schäftsjahr, in welchem die Ernennung erfolgt, nicht mitgerechnet!).
Die Gesellschaft kann allerdings vor Ablauf dieser Zeit die Bestel-
lung eines Aufsichtsratsmitgliedes widerrufen, doch ist das dadurch
sehr erschwert, daß für den Widerruf ein Beschluß der General-
versammlung mit Dreiviertelmehrheit notwendig ist, sofern nicht
das Statut ein anderes bestimmt?). Andererseits kann jedoch ein
Mitglied des Aufsichtsrats sein Amt vor Ablauf der Wahlzeit nieder-
legen und zwar, wenn es nur Tantièmen bezieht, nach den Be-
stimmungen des B.G.B. über das Mandat jederzeit), bei fester
Vergütung jedoch nur dann ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist,
wenn ein wichtiger Grund vorliegt®).
III Die Entwickelung des Instituts des Aufsichtsrats
in der Praxis auf Basis des geltenden Rechts.
In obigem haben wir die wichtigsten für das Institut des Auf-
sichtsrats maßgebenden Rechtsgrundsätze kurz dargelegt, und es gilt
nun zu untersuchen, wie sich auf dieser Rechtsbasis in der Praxis
das Institut des Aufsichtsrats entwickelt hat.
Die Bildung einer Aktiengesellschaft vollzieht sich heutzutage
in den seltensten Fällen ohne Mitwirkung eines Bankhauses:
in der Regel ist vielmehr eine Bank oder ein Privatbankier dabei
hervorragend beteiligt. Die Fälle der sogenannten Familiengrün-
dungen, an denen ein Bankhaus überhaupt nicht in irgend einer
Form partizipiert, gehören zu den Ausnahmen. Durch das Börsen-
gesetz, daß die Macht der großen Aktienbanken bedeutend gesteigert
hat, ist ihnen auch der bei weitem größte Anteil bei der Bildung
von Aktiengesellschaften zugefallen, zumal durch die Bestimmung
des Börsengesetzes, daß die Aktien eines zur Aktiengesellschaft um-
gewandelten Unternehmens erst 1 Jahr nach Veröffentlichung der
ersten Bilanz der Aktiengesellschaft an die Börse gebracht werden
dürfen 5). Immerhin hat jedoch auch seit Bestehen des Börsen-
gesetzes noch eine große Anzahl von Privatbankiers eine reiche Grün-
dungsthätigkeit entfaltet. Im Falle der Neugründung sowohl wie
1) § 243.
2) 243 Abs. 4. 3) B.G.B. $ 627.
4) B.G.B. $ 626. Pinner, Le S. 164.
5) Bürsengesetz $ 39,
Das Institut des Aufsichtsrats, seine Stellung und Bedeutung ete. 13
im Falle der Umwandlung eines bestehenden Unternehmens wird
nun zunächst die beteiligte Bank oder Bankfirma im Aufsichtsrat
vertreten sein; es ist das eine fast stillschweigende Voraussetzung
bei jeder Neugründung oder Umwandlung, doch machen das die
interessierten Bankiers meist ausdrücklich schon in den Verhand-
lungen über die Gründung und dem Vorvertrag zur conditio sine
qua non. Bei der Neugründung, bei welcher das Bankhaus in der
Regel einen größeren Teil der Aktien selbst übernimmt, erklärt sich
das ohne weiteres aus seinem großen finanziellen Interesse. Dies
ist jedoch auch im Falle einer Umwandlung meist vorhanden infolge
der in der Regel dem Bankier eingeräumten Optionsrechte oder des
Rechts, die Aktien an der Börse einzuführen. In beiden Fällen wird
auch die bei der Gründung beteiligte Bank fast immer die Bankver-
bindung der neuen Gesellschaft. In jedem Falle ist also das finan-
zielle Interesse des betreffenden Bankhauses so groß, daß seine Ver-
tretung im Aufsichtsrat der Gesellschaft entschieden berechtigt ist.
Aus dieser Lage der Dinge erklärt sich ohne weiteres ein starkes
Vorherrschen von Bankiers in den Aufsichtsratsstellen und gleich-
zeitig die Kumulierung von zahlreichen Aufsichtsratsstellen in einer
Hand. Wenn wir das „Adreßbuch der Direktoren und Aufsichts-
räte“ 1) durchblättern, so finden wir, daß die Personen, die zahlreiche
Aufsichtsratsstellen in ihrer Hand vereinigen, vorwiegend dem Bankier-
stande angehören. Wir finden darunter Persönlichkeiten, die in mehr
als 30 Gesellschaften Aufsichtsratsstellen bekleiden 2). Beispielsweise ist
Geh. Komm.-R. Victor Hahn, der Inhaber der Firma Eduard Rocksch
Nachfolger in Dresden in 31, Komm.-R. Gutmann, der Direktor der
Dresdner Bank in 30 Gesellschaften im Aufsichtsrat. Die Kumulie-
rung von zahlreichen Aufsichtsratsstellen in einer Hand erscheint
im Wesen als eine Folge der Konzentration, die im Bankwesen und
speciell der Emissionsthätigkeit Platz gegriffen hat. Neben den
direkten Vertretern der Bankinteressen werden nun in zweiter Linie
zunächst diejenigen Personen in den Aufsichtsrat gewählt, die bei
der Gründung der Aktiengesellschaft oder der Emission der Aktien
einen großen Posten Aktien fest übernehmen. Dann spielt bei der
Vergebung der Aufsichtsratsstellen aber auch das Vettern- und Sippen-
wesen, kurz das Protektionssystem und der Nepotismus eine sehr
große Rolle. Besonders bedenklich ist das dann, wenn durch den
Einfluß des Direktors oder eines Aufsichtsratsmitglieds sich der ganze
Aufsichtsrat aus Verwandten des Direktors zusammensetzt. Schließ-
lich finden häufig bei der Besetzung von Aufsichtsratsstellen Persön-
lichkeiten, die mit Titeln schwer beladen sind oder einen klangvollen
Namen haben, sehr weitgehende Berücksichtigung, und dadurch ge-
langen vielfach Leute in den Aufsichtsrat, die nur zur Dekoration
bestimmt sind.
———.
1) Jahrgang 1901, herausgegeben von Arendts & Mossner, Berlin Verlag der Kor-
'espondenz Gelb.
2) Man hat ausgerechnet, daß 70 Personen in 1184 Gesellschaften Aufsichtsrats-
“tellen bekleiden. Vergl. Deutscher Oekonomist vom 28. Sept. 1901.
14 Ernst Loeb,
Die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder ist Sache der General-
versammlung, also eine Frage der Majorität. Die Wahl eines Auf-
sichtsratsmitgliedes vollzieht jedoch die Generalversammlung meist
nur de jure, nicht aber de facto, denn sie stimmt in der Regel nur
der Wahl der vom Vorstand oder Aufsichtsrat vorgeschlagenen Persön-
lichkeiten zu. Es erklärt sich das daraus, daß die Aktienmehrheit
in der Generalversammlung meist in den Händen des Vorstands und
Aufsichtsrats liegt, wenn auch "nicht durch wirklichen, so doch häufig
durch geliehenen Aktienbesitz, da die Mehrzahl der Kleinaktionäre
in der Regel aus Gleichgiltigkeit den persönlichen Besuch der General-
versammlung unterläßt. In Wirklichkeit hängt also die Wahl der
Aufsichtsräte fast ausschließlich von den Großaktionären ab, deren
Interessen mit denen der Kleinaktionäre und häufig auch mit den
richtig verstandenen Interessen der Gesellschaft selbst keineswegs immer
identisch sind. Das Interesse des Kleinaktionärs und das wahre
Interesse der Gesellschaft geht dahin, in erster Linie das Fundament
der Gesellschaft in technischer und ökonomischer Hinsicht gesund
auszubauen, dafür zu sorgen, daß ihr Geschäft regelmäßig, ihre Fi-
nanzgebahrung solide ist, ihre Entwickelung und Erweiterung stetig
und schrittweise, aber nicht übereilt erfolgt, daß die Verbesserungen
z. B. bei Industriegesellschaften möglichst aus den flüssigen Mitteln
bestritten werden, nicht aber Kapitalsvermehrung auf Kapitalsver-
mehrung gehäuft wird, daß schließlich das Erträgnis möglichst sta-
bilisiert wird und nicht stark schwankende, bald sehr hohe und bald
sehr niedrige Dividenden, sondern möglichst gleichmäßige Dividenden
verteilt werden. Das Interesse der Großaktionäre und mithin auch
der Aufsichtsräte bewegt sich häufig besonders in dem letzten Punkte
gerade in entgegengesetzter Richtung; ihre Dividendenpolitik richtet
sich oft nicht nach der Finanzlage, dem wahren Interesse der Gesell-
schaft, sondern ist häufig abhängig von Finanzplänen, wie z. B. der
Erhöhung des Aktienkapitals, Fusionen oder Ausgabe von Obliga-
tionen.
Außerdem spielt naturgemäß beim Aufsichtsrat die Frage der
Tantième keine ganz untergeordnete Rolle. Mit der Höhe des Aktien-
kapitals pflegt die Tantième zu wachsen, da der Bruttogewinn, ab-
solut genommen, meist hierdurch steigt und infolgedessen werden
nicht selten vom Aufsichtsrat Kapitalsvermehrungen vorgeschlagen,
die den wahren Interessen der Gesellschaft nicht förderlich sind.
Die Tantièmen des Aufsichtsrats sind zu gewaltiger Höhe angewachsen.
Nach einer Zusammenstellung, die wir gemacht haben !), betrugen
im letzten Jahre bei 442 Kreditbanken mit einem Gesamtaktien-
kapital von 2459 Mill. M., die Tantièmen 11 Mill. M. oder !/, Proz.
vom Kapital, bei 449 Baubanken mit einem Gesamtaktienkapital von
389 Mill. M. die Tantièmen 1 Mill. M. oder !/, Proz., bei 41 Hypo-
thekenbanken mit einem Gesamtaktienkapital von 625 Mill. M. die
Tantièmen 4 Mill. M. oder “|, Proz., bei 3443 Industriegesellschaften
1) Nach dem Handbuch der Deutschen Aktiengesellschaften 1900/1901.
Das Institut des Aufsichtsrats, seine Stellung und Bedeutung etc. 15
mit einem Gesamtkapital von 5915 Mill. M. die Tantièmen 41 Mill. M.
oder 5/, Proz., bei 288 Eisen- und Straßenbahngesellschaften mit
einem Gesamtkapital von 1047 Mill. M. die Tantièmen 1 Mill. M.
oder 11, a Proz. und bei 146 Dampfschiffahrtsgesellschaften mit einem
Gesamtaktienkapital von 380 Mill. M. die Tantièmen 1 Mill. M. oder
1, Proz. Insgesamt betrugen bei allen diesen 4609 Gesellschaften
mit einem Gesamtaktienkapital von 10815 Mill. M. die Tantièmen
59 Mill. M. oder im Durchschnitt */,, Proz. vom Aktienkapital. Im
Durchschnitt betrug also die Tantième des Gesamtaufsichtsrats — im
einzelnen natürlich verschieden nach den Erträgnissen der Gesell-
schaft und der statutenmäßigen Festsetzung des Tantièmenanspruchs —
‘la Proz. vom Nominalaktienkapital. Nehmen wir für die Mitglieder-
zahl des Aufsichtsrats als Durchschnitt die Zahl 6 an, so würde das
einzelne Aufsichtsratsmitglied durchschnittlich 1/,, Proz. des Aktien-
kapitals, also bei einer Gesellschaft mit einer Million Aktienkapital
1000 M. als Tantième erhalten haben.
Diese Remuneration mag für denjenigen, welcher einen Aufsichts-
ratsposten lediglich als Sinekure auffaßt, als hoch, als viel zu hoch
erscheinen, vielleicht sogar selbst für denjenigen, der die Stelle eines
Aufsichtsrats so auffaßt, wie das Gesetz und die öffentliche Meinung
sie aufgefaßt haben wollen, nämlich als ein Ehrenamt, das nicht nur
Rechte, sondern auch schwerwiegende ernste Pflichten mit sich bringt.
Leider ist bisher vielfach die erstere Auffassung herrschend ge-
wesen und nicht die letztere. Wenn man auch davon ausgehen
muß, daß der Aufsichtsrat seinem Zweck und seiner ganzen Ver-
fassung nach nicht dazu berufen ist, die Geschäftsführung bei seiner
Gesellschaft ständig zu überwachen und täglich zu kontrollieren,
sondern vielmehr nur dazu da ist, sich über den Gang des Geschäftes
seiner Gesellschaft im allgemeinen und die wichtigen inneren und
äußeren Angelegenheiten im besonderen zu unterrichten und über
eine ordentliche Geschäftsführung sorgsam zu wachen, so wird man
doch zugeben müssen, daß diesen Anforderungen bisher vielfach
nieht Genüge geschehen ist. Schon dadurch, daß der Aufsichtsrat,
nach dem jetzigen Recht die Ueberwachung nur in corpore ausüben
konnte, funktionierte der Apparat schwerfällig, denn die Einberufung
einer Aufsichtsratssitzung ist zeitraubend und umständlich, zumal die
Mitglieder häufig, ja meist an verschiedenen Orten wohnen. Infolge-
dessen findet die Einberufung des Aufsichtsrats selten statt, meist
Nur zur Entgegennahme der Jahres- oder Halbjahresbilanz, oder bei
außergewöhnlichen Anlässen, z. B. geplanten größeren finanziellen
Transaktionen. Nur vereinzelt, z. B. bei einigen großen Banken, ist
Man zur Bildung von Kommissionen aus dem Aufsichtsrat geschritten,
um dadurch ein beweglicheres Ueberwachungsorgan zu erlangen. So
St es gekommen, daß der Aufsichtsrat von großen und folgen-
schweren Transaktionen meist erst nach ihrem Abschluß Kenntnis
erhielt, denn ein einzelnes Mitglied des Aufsichtsrats hat, sofern es
nicht ausdrücklich dazu delegiert ist, kein Recht, die Korrespondenzen
und Bücher der Gesellschaft einzusehen. Dazu kommt, daß die
16 Ernst Loeb,
Direktion es nur allzu leicht als ein Mißtrauensvotum betrachten
würde, wenn der Aufsichtsrat unerwartet im Laufe des Geschäfts-
jahres eine derartige Kontrolle vornehmen würde, denn er ist nach
dem jetzigen Recht nicht dazu verpflichtet, sondern nur berechtigt.
Infolgedessen fand eine eingehende Kontrolle seitens des Auf-
sichtsrats bisher meist nur bei Aufstellung der Bilanz statt. Aber
auch da war die Kontrolle vielfach nur unvollkommen, denn die
formelle und materielle Kontrolle ging hier nicht Hand in Hand,
sondern war getrennt. Die formelle Prüfung der Bilanz, also die
Prüfung der ziffernmäßigen Richtigkeit der Bücher und die Ab-
stimmung der Saldi der einzelnen Konten vollzog meist der Bücher-
revisor, der Aufsichtsrat glaubte jedoch der materiellen Prüfung
dodurch Genüge zu thun, daß er sich vom Vorstand Bericht erstatten
ließ. Eine selbständige genaue und formelle Prüfung und Kenntnis-
nahme der Bücher und Korrespondenzen vollzog der Aufsichtsrat
meist nicht.
Die bedauerlichen Vorgänge der jüngsten Vergangenheit haben
aber gezeigt, daß für den Aufsichtsrat kein „scheint“ gelten, daß er
vielmehr nur das glauben darf, wofür er die „sichere fühlbare Ge-
währ der eigenen Augen“ hat. Die Zusammenbrüche der letzten
Zeit wären auch vielleicht bei einer anderen Organisation des Auf-
sichtsrats nicht zu vermeiden gewesen, aber sie wären wahrscheinlich
früher erfolgt, und von geringerer Bedeutung für die Allgemeinheit
geworden, wenn die Aufsichtsräte anders zusammengesetzt gewesen
wären und sie ihre Pflichten ernster wahrgenommen hätten. Man
darf allerdings zweierlei nicht außer Acht lassen, einmal daß gegen
Verbrechen und Betrug kein Gesetz und auch keine noch so große
menschliche Vorsicht absoluten Schutz gewähren kann, sodann aber
auch nicht die aus der Natur des Menschen ohne weiteres erklärliche
Thatsache, daß man Personen, die einmal unser Vertrauen gewonnen
und dieses durch Erfolge, wenn auch nur scheinbare, verstärkt haben,
freier schalten und walten läßt, und Mißtrauen gegen sie besonders
schwer aufkommt in Zeiten, die durch die Gunst der Verhältnisse
einen übertriebenen Optimismus und eine allzu große Vertrauens-
seligkeit erwecken und nähren. Bei den letzten Zusammenbrüchen
haben beide Thatsachen eine wichtige Rolle gespielt; jedoch kommt
bei ihnen noch ein anderes Moment in erster Linie in Betracht: Die
Form der Bilanzierung und der Inhalt der Geschäftsberichte.
Das gilt sowohl von den verkrachten Kredit- und Hypotheken-
banken — also der Leipziger Bank 1), der Dresdener Kreditanstalt, der
Heilbronner Gewerbebank, dem Ansbacher Kreditverein und der
Rheinischen Bank, der Pommernbank und den Spielhagen Banken —
1) Interessant ist, daß bei der Konzessionierung der Leipziger Bank im Jahre 1858
sich die sächsische Regierung für die Mitglieder des Bankausschusses, welcher neben
dem Direktorium in Aussicht genommen war, das Bestätigungsrecht vorbehielt und erst
davon abstand, als die Stände sich dagegen erklärten, weil sie einen aus der voll-
kominenen Wahlfreiheit entspringenden Nachteil nicht bemerken könnten. Tscharmann
LS BA
Das Institut des Aufsichtsrats, seine Stellung und Bedeutung etc. 17
als auch von den Industrieunternehmungen — also der Trebergesell-
schaft, der Kummergesellschaft, der Breslauer Rhederei und der
Aktiengesellschaft Terlinden in Oberhausen. Theilweise haben bei
ihnen, wie bei Terlinden und der Breslauer Rhederei, direkte
Bilanzfälschungen stattgefunden, die rechtzeitig aufzudecken natur-
gemäß sehr schwierig, vielfach sogar unmöglich ist, teilweise
waren die Bilanzen, wenn nicht direkt gefälscht, so doch zum
mindesten verschleiert, insbesondere durch fiktive Konten, wie
bei der Leipziger Bank, den Spielhagenbanken, der Heilbronner
Gewerbebank und der Trebergesellschaft, in ‘den anderen Fällen,
wie bei der Dresdener Kreditanstalt, der Rheinischen Bank, der
Kummergesellschaft, waren die Bilanzen undurchsichtig, unklar und
unvollständig. Der Aufsichtsrat hat dafür Sorge zu tragen, daß
die Bilanz ein wahres, klares und vollständiges Bild von der Lage
der Gesellschaft giebt; bei der Bilanzprüfung muß er unter Kenntnis-
nahme der Bücher und Schriften nicht nur die formelle Richtigkeit,
sondern auch die materielle Angemessenheit der Bilanzierung prüfen.
Die Thätigkeit des Aufsichtsrats bei der Feststellung der Bilanz er-
scheint als eine seiner wichtigsten Funktionen, die bei der Frage der
Reform des Aufsichtsratswesens ganz besonders zu berücksichtigen ist.
IV. Die Reform des Instituts.
Daß das Institut des Aufsichtsrats reformbedürftig ist, kann
nach vorstehendem keinem Zweifel unterliegen und wird auch nicht
bestritten +). Seine Reform ist notwendig im Interesse der Volks-
wirtschaft, im Interesse der Aktionäre, im Interesse der Vorstände
der Aktiengesellschaften und schließlich auch im Interesse der Auf-
sichtsräte selbst. Im Interesse der Volkswirtschaft, weil die not-
wendigen Garantien dafür geschaffen werden müssen, daß der große
Teil des Nationalvermögens, der in Aktiengesellschaften investiert ist,
auch wirklich ökonomisch verwaltet wird; im Interesse der Aktionäre,
damit ihre finanziellen Interessen gewahrt werden; im Interesse der
Vorstände der Aktiengesellschaften, damit ihre große Verantwortlich-
keit herabgemindert wird, und im Interesse der Aufsichtsräte selbst,
damit der Posten eines Aufsichtsrats in der öffentlichen Meinung wieder
zu dem emporgehoben wird, was er sein soll, zu einem Ehrenamt
in des Wortes umfassendster Bedeutung.
Bei dem Verlangen nach einer Reform des Instituts wird man
aber seine Anforderungen nicht zu hoch schrauben dürfen, sondern
1) Nur der deutsche Oekonomist (vom 28. September 1901) bestreitet die Notwendig-
keit der Reform. In einem wohl etwas pro domo geschriebenen Artikel macht der
Herausgeber geltend, daß sich das Institut durchaus bewährt habe, denn es sprüche doch
gar nicht mit, wenn von 6000 Aktiengesellschaften nur wenig über ein Dutzend aller-
dings sehr bedeutender verkracht sei. „Was ist denn an 6000 Aktiengesellschaften
generell zu reformieren, wenn nur 11/, Dutzend schlecht verwaltet sind“? Zuzugeben
ist, daß nur eine geringe Anzahl bis jetzt zusammengebrochen ist, schlecht verwaltet
it aber leider eine bedeutend größere Zahl.
Dritte Folge Bd, XXII (LXXVIII). 2
18 Ernst Loeb,
in den eng gemessenen Grenzen halten müssen, die für jede mensch-
liche Institution gesteckt sind; vor dem Wünschenswerten wird man
auch hier nur das Erreichbare erstreben dürfen. Man hüte sich vor
allen Dingen vor dem Irrglauben, daß Gesetze allmächtig und in der
Lage sind, die menschlichen Schwächen, Irrtümer, Fehler und Ver-
gehungen zu beseitigen. Es ist nicht die richtig verstandene Auf-
gabe des Volkswirts, möglichst viele und dickleibige Gesetze ins
Leben zu rufen, um dadurch eine gedeihliche Entwickelung des
Wirtschaftslebens zu gewährleisten, ein höheres und erstrebens-
werteres Ziel ist es, die operativen Eingriffe der Gesetzgebung in
den Wirtschaftskörper thunlichst zu vermeiden und das Verständnis
für die sozialen Pflichten des Einzelnen zu heben zu suchen. Wir
brauchen weniger Gesetze und mehr Gesittung, weniger die Zwangs-
jacke der kaufmännischen Legislatur und mehr freies kaufmännisches
Ehrgefühl, kurz weniger geschriebenes Recht und mehr Moral.
Unter den Reformvorschlägen, die bisher gemacht worden
sind, können wir im wesentlichen zwei Arten unterscheiden: Die
Vorschläge einer Reform von innen heraus im Wege der Selbsthilfe
der Aktionäre und die Vorschläge einer Reform durch äußeren Ein-
griff, also im Wege der Gesetzgebung.
Die Anhänger der letzteren Art der Reform zerfallen wieder in
zwei Gruppen: erstens in die Radikalen, die das Institut des Auf-
sichtsrats ganz abschaffen, und zweitens die gemäßigten, die es
im Wege der Gesetzgebung nur ändern wollen.
Die Radikalen behaupten, „daß das Aufsichtsratsamt von dem
Gesetzgeber zwar schön gedacht war, daß es in der Wirklichkeit aber
zu einer nutzlosen und obendrein sehr kostspieligen Dekoration
unseres Geschäftslebens geworden ist“. „Es wäre interessant, heißt
es in einem Artikel der „Vossischen \Zeitung“ !), einmal genau aus-
zurechnen, wie viel jährlich an Tantièmen für Aufsichtsräte ausge-
geben wird. Man käme dabei auf viele Millionen Mark. Es fragt
sich aber, ob wir gut daran thun, unser Wirtschaftsleben Jahr für
Jahr unnützerweise mit solchen Riesenausgaben zu belasten. Die
Konkurrenz im Auslande wie auf dem Weltmarkte wird immer
schärfer. Die Arbeiter steigern ihre Ansprüche. Die Gesellschaften
müssen heute schon alle Kraft anstrengen, um durch einen kauf-
männisch und technisch möglichst rationellen Betrieb ihre Pro-
duktionskosten zu verringern. Nun wohl, in der Aufhebung der
Aufsichtsratsstellen ist ihnen ein Mittel gegeben, ohne Schaden zu
sparen. Die Gesellschaften werden diese Last um so mehr fühlen,
je ernster die Zeiten werden. Sie mögen in dringender Form in
dieser Beziehung auf eine Reform des Gesetzes hinarbeiten. Oder
wollen sie den lästigen Zopf ewig weiter schleppen? Die Arbeit, die
die Aufsichtsräte leisten sollten, aber nicht leisten, läßt sich besser
und wohlfeiler durch Revisoren ausführen, die von den Aktionären
gewählt, von der Gesellschaft bezahlt, fortwährend mitten in dem
Unternehmen ständen.“
1) No. 295 vom 27. Juli 1901.
Das Institut des Aufsichtsrats, seine Stellung und Bedeutung ete. 19
Der in diesen Ausführungen niedergelegten Ansicht kônnen wir
nicht beipflichten. Wir sind nicht der Meinung, daß der Aufsichts-
rat ohne Schaden für die Aktiengesellschaften entbehrt werden kann.
Unzweifelhaft ist, daß der Aufsichtsrat, wenn auch vielfach Mißstände
hervorgetreten sind, sich bei sehr zahlreichen Gesellschaften durchaus
bewährt hat. Gerade durch die Vielgestaltigkeit der Berufsstände,
die meist in einem Aufsichtsrat vertreten sind, wird im allgemeinen
eine weitausschauende Beurteilung der Verhältnisse gewährleistet,
die Hervorkehrung großer Gesichtspunkte ermöglicht und die Nutz-
barmachung der mannigfachen Beziehungen und Kenntnisse der ein-
zelnen Aufsichtsratsmitglieder für die Zwecke der Gesellschaft er-
reicht. Häufig genug ist das Industriegesellschaften bei der Auf-
nahme neuer Artikel oder epochemachenden Umwälzungen in der
technischen Produktionsmethode zu statten gekommen, und nicht
selten sind die Fälle, wo dem Aufsichtsrat wertvolle Anregungen für
die Erweiterung des Absatzgebietes und die fortschreitende Ent-
wickelung des gesamten Unternehmens zu verdanken sind. Gewiß
sind die Ausgaben für die Tantièmen hoch, sie betragen, wie wir
oben erwähnt haben, in Deutschland eirca 60 Mill. Mark oder im
Durchschnitt !/, Proz. des Aktienkapitals, bei falscher Auffassung von
dem Amte des Aufsichtsrats sind sie sicherlich zu hoch, aber sie
bedeuten unserer Ansicht nach nicht zu viel gegenüber den Diensten,
die der Aufsichtsrat bei richtiger Würdigung seines Amtes
den Gesellschaften leisten kann. Der Vorschlag, statt ihrer
„Revisoren zu ernennen, die fortwährend mitten in dem Unternehmen
stehen“, erscheint uns als eine contradictio in adjecto, denn Revi-
soren, die fortwährend mitten in dem Unternehmen stehen, sind eben
keine Revisoren mehr, sondern Beamte, welche die Thätigkeit aus-
üben, die jetzt dem Vorstande obliegt. Vielleicht ist bei diesem
Vorschlag an die Revisoren des englischen Aktienrechts gedacht, und
es lohnt daher wohl, bei ihnen etwas zu verweilen. Das neue eng-
lische Aktienrecht, niedergelegt in dem sog. Companies Act 19001),
enthält folgende Bestimmungen über die Revisoren:
1) Jede Gesellschaft soll bei jeder Generalversammlung einen oder
mehrere Revisoren wählen, die bis zur nächsten Generalversammlung
im Amte bleiben sollen?).
..2) Findet eine Wahl von Revisoren in der Generalversammlung
nicht statt, so kann das Handelsamt auf Antrag irgend eines Aktionärs
der Gesellschaft einen Revisor für das laufende Jahr bestellen und
die ihm von der Gesellschaft für seine Dienste zu zahlende Ver-
Sütung festsetzen®).
EES
1) Siehe Text und deutsche Uebersetzung in ` Goldschmidt: Zeitschrift für
Handelsrecht, Bd 50.
2) Companies Act 1900, Art. 21: Every company shall at each annual general meeting
appoint an auditor or auditors to hold office until the next annual general meeting.
3) If an appointment of auditors is not made at an annual general meeting, the
Board of Trade may, on the Application of any member of the company, appoint an
DE
20 Ernst Locb,
3) Ein Direktor oder Beamter der Gesellschaft kann nicht zum
Revisor ernannt werden !).
4) Die ersten Revisoren der Gesellschaft können von den Di-
rektoren vor der konstituierenden Generalversammlung ernannt werden,
und die so Ernannten sollen im Amte bleiben bis zur ersten jähr-
lichen Generalversammlung, sofern sie nicht vorher durch den Be-
schluß der Aktionäre in einer Generalversammlung abgesetzt und
an ihrer Stelle andere Revisoren ernannt werden?).
5) Die Direktoren können eine zufällige Vakanz in dem Revi-
sorenposten ausfüllen, doch kann auch während der Dauer der Vakanz
der überlebende oder weiter amtierende Revisor, resp. die überlebenden
oder weiter amtierenden Revisoren das Amt versehen °).
6) Die Vergütung der Revisoren soll von der Gesellschaft in
der Generalversammlung festgesetzt werden, ausgenommen den Fall,
daß die Vergütung für vor der konstituierenden Generalversammlung
ernannte Revisoren oder für Ersatzrevisoren im Falle einer Vakanz
von den Direktoren bestimmt wird ®).
7) Jeder’) Revisor hat das Recht, jederzeit die Bücher,
Rechnungen und Belege der Gesellschaft einzusehen und ist berechtigt,
von den Direktoren und Beamten der Gesellschaft die
Auskünfte und Erklärungen zu fordern, die notwendig sind zur Er-
füllung der Revisionspflichten. Auch sollen die Revisoren am Fuße
der Bilanz eine Erklärung darüber abgeben, ob in ihr alle ihre An-
forderungen erfüllt worden sind oder nicht und den Aktionären Be-
richt erstatten über die Rechnungen, die sie geprüft haben und über
jede Bilanz, die während ihrer Amtsdauer der Generalversammlung
auditor of the compaany for the current year, and fix the remuneration to be paid to
him by the company for his services.
1) A Director or officer of the company shall not be capable of being appointed
auditor of the company,
2) The first autitors of the company may be appointed by the direetors before
the statutory meeting and if so appointed, shall hold office until the first annual general
meeting, unless previously remoted by a resolution of the shareholders in general meeting,
in which case the sharcholders at such meeting, may appoint auditors.
3) The directors of a company may fill any casual vacancy in the office of auditor,
hut while any such vacanzy continues, the surviving or continuing auditor or auditors,
if any, ınay act.
4) The remuneration of the auditors of a company shall be fixed jby the com-
pany in general meeting, except that the remuneration of any auditors appointed be-
fore the statutory meeting, or to fill any casual vacancy, may be filled by the directors.
5) Every auditor of a company shall have a right of access at all times to the
books and accounts and vouchers of the company, and shall be entitled to require from
the directors and officers of the company such information and explanation as may be
necessary for the performance of the duties of the auditors, and the auditors shall sign
a certifieate at the foot of the balance. Sheet stating whether or not all their require-
ments as auditors have been complied with, and shall make a report to the shareholders
on the accounts examined by them and on every balance-sheet laid before the company
in general meeting during their tenure of office; and in every such report shall state
wheter in their opinion, the balance sheet in the opinion referred to in the record is
properly drawn up so as to exhibit a true and correct view of the state of the com-
pany’s affairs as shown by the books of the company; and such report shall be read
before the company in general meeting“.
Das Institut des Aufsichtsrats, seine Stellung und Bedeutung ete. 21
vorgelegt wird. In jedem solchen Bericht sollen sie feststellen, ob
nach ihrer Ansicht die Bilanz so gezogen ist, daß sie ein wahres
und korrektes Bild von dem Stande der Geschäfte der Ge-
rellschaft giebt, wie er nach den Büchern erscheint; und dieser Be-
sicht soll in der Generalversammlung verlesen werden.
Das englische Aktienrecht läßt es also an detaillierten Bestim-
mungen über die Revisoren nicht fehlen, und einige von ihnen er-
scheinen uns sogar bei einer Reform des Aufsichtsrates der Berück-
sichtigung wert. Jedoch einen Ersatz für den Aufsichtsrat sehen wir
in den Revisoren des englischen Aktienrechts nicht, einmal aus oben
angeführten Gründen, sodann aber deshalb, weil unserer Ansicht nach
die Institution der Revisoren auch keine genügende Garantie für hin-
reichende Ueberwachung bietet, schon wegen der beschränkteren
Haftbarkeit der Revisoren; denn der englische Revisor haftet nur
bei wissentlich falscher Berichterstattung. Das Urteil eines Kenners
des englischen Aktienwesens über die Revisoren lautet: „Das Gesetz
läßt es an umfassenden Amtsbefugnissen für die Revisoren nicht
fehlen; nur schade, daß die Praxis schon in Ermangelung jeglicher
Rechtsnormen über die Buchführung der Aktiengesellschaften die
Berichterstattung der Revisoren regelmäßig auf rein formelle Ge-
sundheitsscheine beschränkt sieht!).
Die Anhänger einer gemäßigten Reform wollen den Aufsichtsrat
nicht im Wege der Gesetzgebung abschaffen, sondern ihn beibehalten
und durch Erlaß einzelner neuer Vorschriften besser ausgestalten,
teilweise dadurch, daß sie ihn in seinen finanziellen Interessen enger
an die Gesellschaft binden und in seiner Zusammensetzung ändern,
teilweise dadurch, daß sie seinen Pflichtenkreis genauer umgrenzen.
Man macht geltend, daß der Aufsichtsrat um so besser funktionieren
werde, je größer sein eigenes finanzielles Interesse an der Gesell-
schaft sei. Man schlägt deshalb vor, daß der Aufsichtsrat, ebenso
wie übrigens der Vorstand — eine gewisse Minimalquote des
Aktienkapitals besitzen und !diesen seinen Aktienbesitz während
seiner Amtsdauer nicht veräußern darf?). Diesen Vorschlag, der
im ersten Augenblick etwas Bestechendes hat, möchten wir jedoch
nicht befürworten. Einmal, weil er das Amt des Aufsichtsrats
zu einem Privileg der Reichen macht, und von ihm kapitallose
oder weniger kapitalkräftige Intelligenz ausschließt — denn der
obligatorische Aktienbesitz des Aufsichtsrats müßte schon ziemlich
hoch gemessen werden, wenn er überhaupt einen Wert haben soll —
Sodann aber, weil dem Aufsichtsrat die Möglichkeit gegeben ist, in
dem Augenblick, wo ihm das Veräußerungsverbot seines Aktienbesitzes
lästig wird, sein Amt niederzulegen. Auch der vom Professor Schanz
I Würzburg gemachte Vorschlag), die Tantièmen des Aufsichtsrats
erst 1 Jahr nach seinem Ausscheiden auszuzahlen, bis dahin jedoch
—
y 1) Ausführlich darüber Frankfurter Zeitung, No. 212 vom 2. August 1901: Die
"Zielen im englischen Aktienwesen. g
2) S. Nationalzeitung vom 8. Juli 1901.
3) 8. Münchner Neueste Nachrichten vom 14. August 1901.
22 Ernst Loeb,
zu sperren und der Gesellschaft zur Verfügung zu überlassen, erscheint
uns nicht empfehlenswert, denn wenn man vom Aufsichtsrat ver-
langt, daß er seine Pflichten ernst nehmen soll, dann darf ihm auch
nicht eine angemessene Vergütung während seiner Amtsdauer vor-
enthalten werden.
Unverkennbar ist, daß die Zusammensetzung des Auf-
sichtsrats häufig viel zu wünschen übrig läßt. Trotzdem scheint
es uns ausgeschlossen, daß die Gesetzgebung an diesem Punkte
ändernd eingreifen kann. Die Schwierigkeiten der richtigen Zu-
sammensetzung des Aufsichtsrats resultieren einerseits aus dem
Wesen der Aktiengesellschaft, nämlich der rein und ausgeprägt
kapitalistischen Gesellschaftsform und den aus ihr entspringenden
Privilegien des Kapitals, sodann aber aus der damit in engem Zu-
sammenhang stehenden Thatsache, daß für den Aufsichtsrat im
wesentlichen nur kapitalkräftige Elemente in Frage kommen können,
weil anderen gegenüber ein eventuell geltend zu machender Regreß-
anspruch praktisch fast wertlos ist. Dazu kommt, daß es aus Rück-
sichten des Geschäftsinteresses nahezu unmöglich ist, wirklich Sach-
verständige in den Aufsichtsrat zu wählen, denn diese sind meist
Konkurrenten. Es bleibt dem Gesetzgeber mithin kaum etwas
anderes übrig, als die Auswahl der Personen der Generalversamm-
lung freizugeben. Der Vorschlag von Schanz (l. c.) die Zahl der
Aufsichtsratsstellen, die eine Person bekleiden darf, gesetzlich zu
beschränken z. B. auf 3, erscheint nicht empfehlenswert. Ganz ab-
gesehen davon, daß das Gesetz schon heute eine Handhabe bietet,
gegen die Annahme allzu vieler Aufsichtsratsämter durch eine Person
einzuschreiten, insofern es nämlich Personen, die mehr Aufsichts-
ratsämter übernehmen, als sie ausfüllen können, unter Umständen
wegen der dadurch entstehenden Verletzung ihrer Obliegenheiten
regreßpflichtig macht!), läßt sich schon deshalb keine allgemeine ge-
setzliche Maximalzahl von Aufsichtsratsstellen für eine Person nor-
mieren, weil es hierbei ausschließlich auf die individuelle körperliche
und geistige Fähigkeit des Einzelnen, seinen Fleiß, seine Kenntnisse,
seine praktische Erfahrung und seine Muße ankommt. Es ist nicht
zu leugnen, daß sich auch im Aufsichtsratswesen durch Praxis,
Uebung und Erfahrung Specialisten ausbilden können, „die sich
durch ihre Kenntnis des Betriebs einer großen Zahl von Gesell-
schaften und insbesondere der Thätigkeit des Aufsichtsrats eine
höchst schätzenswerte Aufsichtsratstechnik aneignen und dadurch
sehr gute Dienste leisten kônnen?).“ Die Kumulierung der Auf-
sichtsratsstellen ist als eine notwendige Folge der Konzentration im
3ank- und speciell im Emissionswesen mit in Kauf zu nehmen, und
es wird daher Sache der individuellen Erwägung des Einzelnen sein,
die Grenze zu finden, wo die Summe seiner Aufsichtsratsstellen
und der damit verbundenen Pflichten das Maß seiner körperlichen und
1) § 249, H.G.B.
2) Simonson im Bankarchiv, November 1901, S. 25.
Das Institut des Aufsichtsrats, seine Stellung und Bedeutung etc. 23
geistigen Fähigkeiten und seiner verfügbaren Zeit überschreitet.
Ueberhaupt muß jeder, der zum Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft
gewählt wird, vor Annahme der Wahl prüfen, ob er die zur
Ueberwachung der Geschäftsgebahrung der betreffenden Ge-
sellschaft erforderlichen Fähigkeiten hat. Wenn es ihm daran
mangelt und er dennoch die Wahl annimmt, so ist er zwar den
Aktionären nicht verantwortlich — wenigstens, wenn sie es wußten
oder es wissen mußten — wohl aber unter Umständen den Ge-
sellschaftsgläubigern?). Allgemein gilt das jedenfalls von der Kennt-
nis der kaufmännischen Buchführung; sie muß man von jedem, der
die Wahl in den Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft annimmt, vor-
aussetzen dürfen. Der Vorschlag, für alle Aktiengesellschaften staat-
liche Revisoren zu ernennen?), also Staatsbeamte, die dieses
Amt als Hauptamt ausüben, erscheint nicht annehmbar. Die staat-
liche Polizeiaufsicht in Privatbetrieben, insbesondere die Aufsicht
über deren Geschäftsführung, hat sich bisher so wenig bewährt, daß
man sie jedenfalls nicht weiter ausdehnen soll. Bei den Hypotheken-
banken liegen die Verhältnisse anders als bei den anderen Banken und
industriellen Unternehmungen; bei jenen sind sie so gleichmäßig und
schablonenhaft wie bei diesen ungleichmäßig und im einzelnen
tausendfach verschieden. — In Erwägung zu ziehen ist dagegen
vielleicht die Einreichung einer Vorschlagsliste von Auf-
sichtsratskandidaten seitens der Aktionäre. Das Recht hierzu steht
ihnen heute schon sicherlich zu, doch ist der Aufsichtsrat nicht ver-
pflichtet, von den Vorschlägen, die ihm einzelne Aktionäre machen,
Notiz zu nehmen. Würde den Aktionären ausdrücklich das Recht
gegeben, spätestens einen Monat nach Ablauf des Geschäftsjahres
ihre Vorschläge für die Neuwahlen zum Aufsichtsrat beim Aufsichts-
ratsvorsitzenden einzureichen und dieser verpflichtet, der
Generalversammlung davon Kenntnis zu geben, so würde mindestens
die so überaus wünschenswerte aktivere Beteiligung der Aktionäre
an den Angelegenheiten der Gesellschaft erreicht. Vorteilhaft dürfte
es auch sein, wenn nicht, wie es bisher geschieht, in der
Bekanntmachung der Tagesordnung der Generalver-
samlung nur generell von Neuwahlen gesprochen, sondern der
Name der zur Wahl vorgeschlagenen Personen bekannt
gegeben wird, damit die Aktionäre 14 Tage Zeit haben, sich über
die Qualifikation der Aufsichtsratskandidaten zu informieren.
Für nicht minder wichtig haltenwirdie Forderung, daß die Ueber-
wachungspflicht des Aufsichtsrats genauer specifiziert und insbesondere
dafür gesorgt wird, daß es ihm auch wirklich möglich ist, sich über
die Geschäftslage der Gesellschaft zu unterrichten. Die Thätigkeit
der in letzter Zeit zahlreich ernannten Revisionskommissionen hat
gezeigt, daß es möglich ist, selbst in die schwierigsten und verwor-
rensten Angelegenheiten einer Gesellschaft Licht zu bringen und ihre
1) Vergl. Bauer l. e., S. 96.
2) Deutscher Oekonomist vom 28. September 1901.
24 Ernst Loeb,
Geschäftslage zu erkennen. Was diese Revisionskommissionen gekonnt
haben, das muß der Aufsichtsrat auch können, man gebe ihm also
die Möglichkeit dazu. Diese Möglichkeit war zwar bisher auch da.
denn wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, aber vielleicht ist es doch
ratsam, dem Aufsichtsrat diesen Weg leichter gangbar zu machen.
Mit Recht sagt Staub!) von dem Recht des Aufsichtsrats, Bericht-
erstattung vom Vorstand zu fordern, „daß diese Stellung zum Ge-
deihen der Gesellschaft nur dann ausgefüllt werden kann, wenn beide
Organe sich entgegenkommen; wenn das Entgegenkommen jedoch
fehle, so sei sie Stellung des Aufsichtsrats nicht nur thatsächlich
schwierig, sondern auch im einzelnen rechtlich so zweifelhaft, daß
eine wirksame Ausübung der Befugnisse des Aufsichtsrats nicht mög-
lich ist“. Bis jetzt konnte thatsächlich der Vorstand einer Aktien-
gesellschaft mit einigem Recht ein Mißtrauensvotum darin erblicken.
wenn der Aufsichtsrat unvermutet im Laufe des Geschäftsjahres von
seinem Recht, die Bücher und Korrespondenzen der Gesellschaft ein-
zusehen in corpore oder durch einen Delegierten, Gebrauch gemacht
hätte, obgleich ein kluger Vorstand wie jeder wirklich kluge Mensch
stets suchen sollte, das Maß seiner Verantwortlichkeit möglichst herab-
zumindern dadurch, daß er andere zu Mitträgern der Verantwort-
lichkeit macht. Es ist deshalb mit gutem Grund vorgeschlagen worden,
aus dem Recht des Aufsichtsrats, die Bücher und Schriften der
Gesellschaft einzusehen, eine Pflicht zu machen, nicht nur um
der Ausübung dieses Rechts das Odium zu nehmen, sondern auch
um die wirkliche Ausübung dieses Rechts zu gewährleisten. Im
Berliner Tageblatt) ist deshalb vorgeschlagen worden, dem $ 246
H.G.B. folgende Fassung zu geben:
„Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung der Gesellschaft in
allen Zweigen der Verwaltung zu überwachen und sich zu dem
Zwecke von dem Gange der Angelegenheiten der Gesellschaft zu
unterrichten. Er hat in jedem Geschäftshalbjahre ein-
mal unter Zugrundelegung eines vom Vorstande ein-
zureichenden Berichtes selbst oder durch eine aus
seiner Mitte zu bestimmende Kommission sämtliche
Briefeund Schriften der Gesellschaftzu prüfen sowie
den Bestand der Gesellschaftskasse und die Bestände
an Wertpapieren und Waren zu untersuchen undüber
den Befund sowie die gesamte Geschäftslage eine
detaillierte Aufstellungzu machen, welche vonsämt-
lichen Mitgliedern des Aufsichtsrateszuunterschrei-
ben ist. Durch die Unterschrift übernehmen die Mit-
glieder gegenüber der Gesellschaft die volle Ver-
antwortung für die Richtigkeit derselben. Für einen
Schaden, der der Gesellschaft dadurch erwächst, daß die Aufstel-
lung die Thatsachen nicht richtig oder nicht vollständig wieder-
1) Kommentar zum H.G.B., S. 746.
2) Vom 14. Oktober 1901.
Das Institut des Aufsichtsrats, seine Stellung und Bedeutung etc. 25
giebt, haften die Mitglieder der Gesellschaft als Gesamtschuldner
(gemäß $S 421 ff. des B.G.B) ... ete.“
Wir halten diesen Vorschlag für angemessen und durchaus zweck-
mäßig, denn durch ihn wird eine wenigstens periodische thatsäch-
liche Ueberwachung der Geschäftsführung für die Aktionäre gewähr-
leistet, auch wird durch die größere Arbeitslast, die hierdurch dem
Aufsichtsrat aufgebürdet wird, die Kumulierung von zahlreichen Auf-
sichtsratsstellen in einer Hand zwar nicht de jure, wohl aber de facto
verhindert. Der Ergänzung bedürftig erscheint uns jedoch der Vor-
schlag nach zwei Richtungen hin: Nach dem Muster der englischen
Revisoren möchten wir zunächst jedem Mitglied des Aufsichtsrats
und nicht bloß dem Aufsichtsrat in seiner Gesamtheit das Recht ein-
räumen, jederzeit die Bücher und Schriften der Gesellschaft einzu-
sehen und infolgedessen die oben vorgeschlagene Fassung des § 246
H.G.B. noch durch folgenden Zusatz ergänzen:
„Jedes Mitglied des Aufsichtsrats ist berechtigt,
die Bücher und Schriften der Gesellschaft jederzeit
einzusehen.“
Zur Begründung hierfür brauchen wir nur auf die Thatsache zu
verweisen, daß naturgemäß oft das eine Mitglied des Aufsichtsrats
mehr, das andere weniger Verständnis und Interesse für die Ange-
legenheiten der Gesellschaft hat. Deshalb muß man den einzelnen
Aufsichtsratsmitgliedern auch möglichste Freiheit lassen in der Art
der Ausübung ihrer Funktionen. Weshalb soll z. B. ein auswärtiges
Aufsichtsratsmitglied, das zufällig vorübergehend an dem Orte weilt,
wo die Gesellschaft ihren Sitz hat, nicht berechtigt sein. diese Ge-
legenheit zu einer Informierung über die Geschäftslage der Gesell-
schaft und zur Kontrolle derselben zu benutzen ?
Außerdem möchten wir die Durchführung der erwähnten, in
gewissen längeren Perioden obligatorisch stattfindenden Revisionen
durch eine Vorschrift erleichtern, deren Befolgung in der Praxis
Jetzt schon vielfach üblich ist, wenig Arbeit verursacht und den
Aktionären noch weitergehenden Schutz sichert. Wir möchten es
nämlich zur Pflicht des Vorstandes gemacht wissen, dem
Aufsichtsrat monatlich einen Auszug aus der Kasse
und dem Hauptbuch nebst Erläuterungen und Angabe
der laufenden Verbindlichkeiten zu geben. Bei zahl-
reichen Aktiengesellschaften geschieht das schon jetzt und hat sich
als sehr zweckmäßig erwiesen; denn aus einer Vergleichung der
monatlichen Bewegungen der Kasse und im Hauptbuch kann sich
der Aufsichtsrat leicht ein Urteil über die Dispositionen des Vor-
standes bilden. Eine derartige monatliche Aufstellung der einzelnen
Debitoren und Kreditoren nach Angabe und Betrag pflegt in jedem
geordneten Geschäftsbetriebe hergestellt zu werden, es wäre also nur
nötig, dem Aufsichtsrat hiervon eine Kopie zu senden. Bei Banken
wird man vielleicht außerdem noch die Angabe der Beteili-
£ungen, also des Effektenbesitzes, der Kommandit-
und Konsortialbeteiligungen nach Gattung, Zahl und
26 Ernst Loeb,
Höhe und des Deckungsverhältnisses der Debitoren
sowie der Art der Deckung verlangen müssen. Diese Mo-
natsauszüge werden gleichzeitig für den Aufsichtsrat ein sehr wert-
volles Material bei Prüfung der Bilanz in formeller und materieller
Richtung liefern.
Wenn der Aufsichtsrat in dieser Weise von dem Gang und der
Entwickelung des Geschäftes dauernd auf dem Laufenden gehalten
und unterrichtet wird, wird er auch eher in der Lage sein , die
Bilanzaufihre formelle und materielle Richtigkeitund
ihre Vollständigkeit zu prüfen !). Er wird es auch nicht durch
1) Welche Gesichtspunkte für den Aufsichtsrat bei Prüfung der Bilanz und einer
Revision der Bücher maßgebend sein müssen und worauf sich die Prüfung im einzelnen
zu erstrecken hat, läßt sich nicht genauer und deutlicher angeben als es Bauer Le
S. 96 ff. thut. Es heißt dort: „Die Aufgabe einer Bücherrevision ist: nach-
zusehen, ob und inwieweit die Geldwerte auf die richtigen Konti gestellt wurden; zu
prüfen, ob die Konti selbst im Mechanismus richtig eingekettet sind; dann erforderlichen
Falls zu vergleichen, ob die Einnahme- und Ausgabebelege mit den Eintragungen in
den Kassabüchern gleichlauten und die Bücher untereinander übereinstimmen. Bei dem
Hauptbuche hat der Aufsichtsrat außer auf die rein rechnerische Thätigkeit durch
Addition und die Richtigstellung der Ueberträge seine Aufmerksamkeit darauf zu richten,
daß jeder Posten stets im richtigen Verhältnis zu dem Kontoinhaber gebucht ist... .
Die Konti-Korrent-Konti bedürfen einer besonderen Nachprüfung, weil es wichtig ist zu
wissen, wie der Saldo eines Kontokorrent-Schuldners entstanden ist .... Eine besondere
3eachtung erheischt auf jeden Fall das Wechselbuch, verbunden mit dem Wechsel-
bestand. Hierbei ist das Augenmerk auch auf sogenannte schwebende Verbindlichkeiten
aus Wechselindossamenten (Giroverbindlichkeiten) zu richten. Durch eine genaue Prüfung
der Bücher läßt sich eine zu hohe, gar nicht oder ungenügend gedeckte Kreditgewährung
ohne Schwierigkeit ermitteln. Alle von und für die Gesellschaft geführten Bücher
unterstehen der Revision des Aufsichtsrats, seien es auch nur Hilfs-, Bei- oder Geheim-
bücher. Neben den Büchern bilden die Schriften die Hauptquelle zur vollständigen
Kenntnisnahme der Geschäftslage. Hierher gehört die Korrespondenz, eingelöste Wechsel,
Quittungen, Rechnungen, Lieferscheine u. s. w. Das bloße Durchsprechen von Buch-
auszügen ohne die betreffenden Konten einzuschen und zu prüfen, erscheint absolut
unzulänglich. Die Vornahme von Stichproben erweist sich ebenfalls
als unzuverlässiges Kontrollmittel und ist daher mehr oder minder
wertlos. ..... Jede Kasse, wenn deren mehrere bestehen, ist womöglich zu kon-
trollieren . . .. .: auch auf die Kassenbelege hat sich die Untersuchung zu erstrecken.
Vor allem empfiehlt sich die umsichtigste und sorgfältigste Revision des Wechsel-
bestandes zusammen mit dem Wechselbuche, und zwar namentlich mit Bezug auf
die Person der Wechselverpflichteten, der Höhe der Wechselsumme und der Echtheit
dieser Papiere... .. Werden, wie z. B. in Bankgeschäften, sogenannte Wechsel-
bestandsverzeichnisse vorgelegt, so sind diese nieht nur mit Bezug auf ihre einzelnen
Posten (Art und Güte des Wechselbestandes), sondern auch in Hinsicht auf ihre Voll-
ständigkeit zu prüfen. Auch das Kontokorrentbuch ist unter Umständen wieder herbei-
zuziehen. weil nicht nur die an Zahlungsstatt gegebenen Rimessen,
sonders auch die eigenen Accepte des Kontokorrentschuldners ihm
wie eine Barzahlung gutgebracht und erst im Falle der Nichteinlösung eines
Wechsels dessen Betrag seinem Konto wieder zur Last geschrieben wird. — Um also
den wahren Stand der Schuld festzustellen, muß stets der Betrag der Wechselverbind-
lichkeiten zum Debetsaldo des Kontokorrentkontos hinzugerechnet und zu diesem Zwecke
das Konto des betreffenden Kunden im Kontokorrentbuche durchgesehen oder besondere
aus diesem herausgeschriebene Kundenwechselobligo-Listen zu Hilfe genommen werden
Sas TRS Will ein Aufsichtsrat sicher gehen, so beachte er für seine Revisionspflicht
folgende Grundsätze: Die doppelte Buchführung weist wohl jeden rechnerischen Fehler
in der Buchhaltung selbst und unter den einzelnen Hauptkonten bei Ziehung der
Bilanz nach, aber sie schützt die haftpflichtigen Aufsichtsräte nicht vor fingierten
Das Institut des Aufsichtsrats, seine Stellung und Bedeutung etc. 27
Unkenntnis rechtfertigen können, wenn die Bilanzen und Geschäfts-
berichte, wie es bisher vielfach der Fall war, unklar, undurchsichtig
und unvollständig sind. Will man dafür noch weitergehende Kautelen
schaffen , so mag man dem Aufsichtsrat nach dem Muster der eng-
lichen Revisoren auch noch das Recht beilegen, nicht nur vom
Vorstand, sondern nach seinem Ermessen auch von den Be-
amten der Gesellschaft Berichterstattung zu fordern.
Wenn diese von uns skizzierten Vorschläge zum Gesetz erhoben
werden, dann dürfte es nicht notwendig sein, die Regreßpflicht
des Aufsichtsrats auch noch dadurch zu verschärfen, daß das
Recht die Erhebung der Regreßklage zu verlangen, einer geringeren
als der bisher geforderten Minorität (10 Proz. des Aktienkapitals)
eingeräumt wird. Durch die Bestimmungen des H.G.B.!) wird aller-
dings, wie die „Kölnische Zeitung“ ?) richtig bemerkt, die Erhebung
der Regreßklage sehr erschwert, zumal die Minderheit eine den
10. Teil des Grundkapitals der Gesellschaft erreichende Anzahl
von Aktien für die Dauer des Rechtsstreits zu hinterlegen und glaub-
haft zu machen hat, daß sich die Aktien seit mindestens 6
Monaten von der Generalversammlung zurückgerechnet in ihrem Be-
sitz befinden, und ferner auf Verlangen des Beklagten eine vom
Gericht nach freiem Ermessen zu bestimmende Sicherheit zu leisten
wd die Kosten des Rechtsstreits in allen Fällen, also auch wenn
sie obSiegt, zu tragen hat?).
Die Köln. Ztg. schlägt deshalb vor, den Anteil des Aktien-
kapitals, über den die Minderheit verfügen muß, noch weiter, etwa
af den 15. oder 20. Tei des Grundkapitals herabzusetzen, auf den
Nachweis eines 6-monatlichen Besitzes der Aktien zu verzichten
und sich mit dem Nachweis eines 3-monatlichen Besitzes zu be-
mügen, und auch die Bestimmung, daß die Minderheit unter allen
Umständen die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat, zu streichen.
Sie meint, durch die Pflicht der Minderheit, die Aktien zu hinter-
legen, event. Sicherheit zu leisten und für den durch böswillige
Handlungsweise verursachten Schaden aufzukommen, sei gegen eine
mißbräuchliche Ausnutzung der Minderheitsrechte ein vollkommener
Schutz gegeben. Es ist jedoch zu bedenken, daß man die Regreß-
Hicht des Aufsichtsrats auch nicht zu weit ausdehnen und sie nicht
Buchungen, Buchungsverschleierungen und Unterlassungen ..... Es ist des-
halb notwendig, daß jährlich öftere, je nach Größe der Aktiengesellschaft wo-
möglich monatliche, gründliche Revisionen vorgenommen werden
und als erste Bedingung zur Norm gemacht wird, daß keine Buchungen in Prima-
Nota (Memorial), Kassa-, Ein- und Verkaufsbücher ohne bezügliche schriftliche
Unterlage (Original- und Kopiebriefe, Kassabelege, Fakturen und Fakturenkopieen)
gemacht werden..... Sogenannte Stichproben von seiten der Aufsichtsrats-
mitglieder am Ende oder im Laufe eines jeden Monats haben gegenüber fingierten
Buchungen, Buchungsverschleierungen und Unterlassungen gar keinen Wert und bieten
keinerlei Garantie.“
1) § 268.
2) Siehe K. Z. vom 3. Juli und 17. September 1901.
3) H.G.B. § 269.
28 Ernst Loeb, Das Institut des Aufsichtsrats, seine Stellung und Bedeutung etc.
durch eine häufig chikanöse und selbtsüchtige allzu geringe Mino-
rität ausnutzen lassen darf; denn die notwendige Folge davon
wäre die Flucht gerade der kapitalkräftigen und
besseren Elemente aus dem Aufsichtsrat, die ihren Namen und
ihr Vermögen nicht so leicht aufs Spiel setzen wollen, und das Ein-
dringen minderwertiger Personen, die durch die Annahme eines Auf-
sichtsratspostens weder Ehre und Namen noch Vermögen riskieren.
Außerdem müßte natürlich bei einer Annahme des Vorschlags der
Köln. Ztg. auch der § 270 des H.G.B. — der bezüglich eines von
der Minderheit geltend gemachten Anspruchs den Abschluß eines
Vergleichs oder die Erklärung eines Verzichts der Gesellschaft nur
dann zuläßt, wenn von den die Minderheit bildenden Aktionären so
viele zustimmen, daß die Aktien der übrigen nicht mehr den 10.
Teil des Grundkapitals darstellen — gleichfalls entsprechend ge-
ändert werden. Denn die Erhebung der Regreßklage durch die
Minderheit steht mit dem ihr gewährten Widerspruchsrecht gegen
den Abschluß von Vergleichen oder die Erklärung von Verzichten
in einem untrennbaren Zusammenhang !).
Soweit unsere Vorschläge für eine Reform des Aufsichtsrats
im Wege der Gesetzgebung. Gleich wichtig wie diese äußere Reform
ist aber die Reform von innen heraus im Wege der Selbst-
hilfe durch die Aktionäre. Mit Recht nennt Riesser?) „die
lebendigere Teilnahme und Kontrolle des einzelnen Aktionärs bezüg-
lich der Vorgänge der Gesellschaft und einen sachlicheren Anschluß
der Beteiligten an das Unternehmen ein Ziel, das außerhalb des
legislatorischen Einflusses liegt“, um so mehr muß man aber dieses
Ziel durch Belehrung und Aufklärung zu erreichen suchen. Der
Aktionär muß selbst sein Interesse nach Kräften wahren, denn er
ist doch gewissermaßen „der Nächste dazu“, er muß, soweit es ihm
eben möglich ist, die Generalversammlungen besuchen und sich die
Persönlichkeiten ansehen, denen er sein Vertrauen schenkt. Er muß
vor allem aber auch selbst die Geschäftsberichte und Bilanzen lesen
und zu verstehen suchen, und sich nicht scheuen, schriftlich oder
mündlich über Punkte, die ihm unklar oder zweifelhaft sind, Anfragen
an die Direktion zu richten. Daneben ist die Bildung von selb-
ständigen und unabhängigen Aktionärvertretungen durch sachver-
ständige Bankiers, die in letzter Zeit zusehends mehr Platz gegriffen hat,
zu begünstigen. „Furcht giebt Sicherheit“, dieses Wort Shakespeare's
dürfte sich auch bei den Aktiengesellschaften bewähren: Der Vor-
stand muß sich bewußt sein, daß er nicht nur durch einen pflicht-
treuen Aufsichtsrat, sondern auch durch wachsame Aktionäre kon-
trolliert wird, dann wird er seine Pflichten so erfüllen, wie es zu
seinem besten, zum besten der Aktionäre, und zum besten der
deutschen Volkswirtschaft dient.
1) Vergl. darüber Bauer 1. c. S. 70.
2) L c., S. 7.
Paul Müller, Wohnungsnot und Grundrente. 29
Nachdruck verboten.
II,
Wohnungsnot und Grundrente.
Von
Regierungsrat Paul Möller, Altona.
1. Ursachen der Wohnungsnot.
Die Wohnungsnot zeigt sich in der ungenügenden Befriedigung
des Wohnungsbedürfnisses, Mangel an Wohnungen, Enge, Teuerung!)
auf der einen, hoher Verzinsung der Baukosten und hoher Grund-
rente auf der anderen Seite. Diese Erscheinungen, welche sich
zwischen Mieter und Vermieter abspielen, sind aber wesentlich nicht,
oder nicht allein auf Ausbeutung der Notlage der Mieter durch die
einzelnen Hauswirte zurückzuführen, sondern in der Hauptsache
auch auf seiten der Hausbesitzer durch eine Reihe zusammen-
wirkender Ursachen bedingt.
Freilich kann nicht verkannt werden, daß mit der Zunahme der
großstädtischen Bevölkerung die Neigung des gewerbsmäßigen Haus-
besitzes zur Erzielung höherer Einnahmen durch Mietsteigerungen und
Beschränkung der Mieträume wuchs. Je mehr die Bevölkerung sich
an enge Räume gewöhnte, welche die Unterbringung einer großen
Zahl von Mietern auf enger Grundfläche ermöglichten, je mehr bei
der starken Nachfrage nach Wohnungen und der Steigerung des
Volkswohlstandes durch die Lohnsteigerungen der aufblühenden In-
dustrie die Erzielung von Mieten gelang, welche über den Betrag
angemessener Verzinsung der Baukosten weit hinausgehen, um so
mehr stieg die Nachfrage nach geeignet gelegenen Baugrundstücken
von seiten des gewerbsmäßigen Hausbesitzes und des Baugeschäfts,
aber auch die Zurückhaltung des Angebotes seitens der Eigentümer
der Bauplätze. Die Ueberschüsse der Mieten über den Baukosten-
zins führten zur Erkenntnis der Wertes städtischer Lage für die
Erzielung hoher Grundrenten und zur Ausnutzung der steigenden
g 1) Freese, Wohnungsnot und Absatzkrisis, 8. 644. Hildebrandt’s Jahrbücher, 1893,
3d. 61.
30 Paul Müller,
Nachfrage nach Grundstücken durch hohe Preisforderungen. Der
Grundbesitz wurde Gegenstand der Spekulation, um so mehr, je
schwieriger sich scheinbar die Befriedigung der Nachfrage nach ge-
eignetem Baugrund in erreichbarer Nähe der Städte gestaltete. Die
Spekulation sah sich selbst einem verhältnismäßig geringen Angebot
gegenüber, da der Ausbau der Verkehrsmittel nicht genügend war.
Einmal folgten die Verkehrsmittel im allgemeinen erst dem Ausbau
der Stadtviertel und der Vororte, andererseits verteilten sie sich
nicht gleichmäßig auf die ganze Umgebung, sondern entwickelten sich
nur streckenweise. Die Baugrundpreise stiegen um so höher, je näher
der Baugrund den vorhandenen Verbindungen und der Stadtmitte
belegen !), gingen freilich auch in größerer Entfernung von beiden,
wenn auch nicht in gleichem Maße, mit Rücksicht auf die künftige
Entwickelung in die Höhe.
Die Spekulation rechnet bei ihren Preisforderungen mit der
Schwierigkeit der Bewältigung der Entfernungen. Je schwieriger
die Entfernungen den Verkehr machten, um so höher wurden die
Preise der in der Nähe der Städte liegenden Baustellen, um so höher
die Miethäuser?), um so enger die Wohnungen, um so mehr wurden die
Mieten gesteigert, und ihre Zurückführung auf die Grundrente stei-
gerte wieder die Baugrundpreise®). Die Baupolizei sieht sich bei dem
ungenügenden Ausbau der Verkehrsmittel zum Geschehenlassen der
Entwickelung verurteilt, da kein hinreichendes Angebot von Grund-
stücken in erreichbarer Nähe vorhanden ist, um durch Niederhaltung
der Bodenpreise die Durchsetzung der Forderungen zu unterstützen.
Bei besserem Ausbau der äußeren Verkehrsverbindungen wäre frei-
lich ein anderer Entwickelungsgang möglich gewesen, wie die, selbst
in London durchgeführte, englische Sitte des Einzelhauses beweist 4).
Die heutigen Hausbesitzer handeln unter dem Drucke der gewordenen
Entwickelung, stehen im Banne der durch diese gegebenen Anschau-
ungen, sind in gegebene Verhältnisse eingetreten, haben die Häuser
unter Zugrundelegung des aus dem hohen Mietaufkommen berech-
neten Kapitalwertes erworben. Dieselben Anschauungen waren maß-
gebend für die Grundeigentümer beim Erwerb von Baugrundstücken,
für die Hypothekengläubiger bei der Beleihung.
Die bestehenden Mißstände können somit nicht bloß den heutigen
1) Gustav Müller, Karten zur Berechnung des Grund- und Bodenwertes in den
Vororten von Berlin, Deutscher Verlag, 1901.
2) Die deutsche Sitte des Etagenhauses hat, vermöge der Aussicht auf Erzielung
hoher Grundrente, die Baugrundspekulation groß gezogen.
3) Nirgends ist die Spekulation so ausgebildet wie in Deutschland. v. Miquel,
Verhandlungen des Abgeordnetenhauses, 25. April 1893, Bd. 4, S. 2029.
4) Das Etagenhaus ist freilich auch in Frankreich üblich: dort aber steigt die
Nachfrage nach Grundstücken nieht so scht, weil die Bevölkerung stillsteht. Die Spe-
kulation sieht sich daher keinem steigenden Bedürfnis gegenüber. In England und
Amerika, wo Einzelhäuser vorherrschen, ist die zu erwartende Grundrente geringer.
Hohe Grundrenten finden sich dort in gewerblichen und gesellschaftlich bevorzugten
Vierteln. Natürlich ist auch dort die Baugrundrente höher als die landwirtschaftliche
Grundrente, auch in den Arbeitervierteln. Bodennot, Oppenheimer, der Kapitals-
markt, Prß. Jahrbücher, 1901, S. 519; Städtischer Verwaltungsbericht Düsseldorf, 1899.
Wohnungsnot und Grundrente, 31
Hausbesitzern zur Last gelegt werden. Die Beseitigung der Wohnungs-
not wird daher unter Berücksichtigung der gewordenen Werte, er-
worbener Rechte, angebahnt werden müssen. Auf die mit zu-
nehmender Bevölkerung und Nachfrage eintretende Neubildung von
Werten wird aber unter vorwiegender Berücksichtigung der Forde-
rungen der Wohlfahrt Einfluß zu nehmen sein.
Die Teuerung der Mietwohnungen ist gegenwärtig sehr groß.
Eine Wohnung von 25—40 qm Grundfläche und 3,2 m Höhe, deren
Baukosten im Rahmen eines größeren Hauses, für das Kubikmeter
12—15 M.!), im ganzen sich etwa auf 1500 M. belaufen mögen,
kostet 180—250 M. und darüber bis zu 300 M., in Hamburg durch-
schnittlich 216 M. Rechnet man, einschließlich der Unkosten, 8 Proz.
Verzinsung der Baukosten von 1500 M., so beläuft sich der Ueber-
schuß der Mieten über den Zinsbetrag der Baukosten von 120 M.
auf 60—180 M., bei 4—5 Stockwerken auf 240—900 M. Diese Grund-
rente der Baufläche von 25—40 qm ergiebt, zu 5 Proz. kapitalisiert,
enen Baugrundwert von 4800—18000 M., für das Quadratmeter
120—450 M. Die Bodenspekulation rechnet mit der künftigen Aus-
sicht der Annäherung an solche Bodenpreise. Im Umkreis der nach
dem Stande der Verkehrsmittel erreichbar erscheinenden Entfernungen,
zur Zeit etwa eine Meile, vervielfachen sich die Bodenpreise unbe-
bauter Flächen auf 20—40 M. für das Quadratmeter und höher. Die
Ackerpreise in ländlicher Lage betragen 0,04—0,40 M. für das
Quadratmeter, 400—4000 M. für das Hektar. In der Umgebung
kleiner Städte vermögen Baugenossenschaften Hausgrundstücke, be-
stehend aus 2 Zimmern, Küche, Keller und Dachgelaß, sowie Stall-
gebäude, einschließlich !/, ha Gartenland, für 3000 M. abzugeben.
2. Abhilfe der Wohnungsnot. Straßenbahnen.
Die Preisbildung vollzieht sich bei Grundstücken wie bei anderen
Sachgütern. Die Nachfrage ist um so stärker, je dichter die Be-
völkerung. Sollen die Forderungen der Hygiene durchgesetzt werden,
so bedarf es der Vermehrung des Angebotes von erreichbaren Bau-
grundstücken. Die Vermehrung der erreichbaren Grundstücke hat
zur Voraussetzung geeignete Entwickelung der Verkehrsmittel. Die
Rücksicht auf die durch die Mißstände der kleinen Wohnungen ge-
steigerte Tuberkulosegefahr, die Kindersterblichkeit und die Beein-
trächtigung der Sittlichkeit und der Wehrkraft der heranwachsenden
Generation legen die Forderung der Abhilfe der Mißstände durch
Aufbringung der erforderlichen Mittel im Wege der Besteuerung des
Grundbesitzes nahe. Ist es möglich, durch Besteuerung der mit zu-
nehmender Bevölkerung und Nachfrage sich ergebenden Wertsteige-
rung der Grundstücke oder andere mit der Bevölkerungszahl an-
wachsende Steuerquellen genügende Beträge für die Baukosten aus-
reichender Verkehrsmittel zu gewinnen, so bietet die Bevölkerungs-
1) Durchschnittsannahme der Königlichen Bauverwaltung.
32 e Paul Möller,
zunahme, wirtschaftlich fortwirkend, von selbst die Mittel zur Er-
weiterung des Angebots von Baustellen !)?).
Die an die Verkehrsmittel zu stellenden Anforderungen ver-
mögen die elektrischen Straßenbahnen bei einer Durchschnittsge-
schwindigkeit von 20 km in der Stunde zu erfüllen. Allmählicher
Ausbau eines Systems von Straßenbahnen, nach dem Gesetz des
Kreises angelegt, von Radial- und Gürtelbahnen, vermag alle Punkte
der städtischen Umgebung zu erschließen, durch Mehrung des An-
gebots weiteres Steigen der Baugrundpreise für gewöhnliche Wohn-
stätten zu verhüten und die Durchführung der Rücksichten der Wohl-
fahrt mittels baupolizeilicher und finanzieller Maßnahmen zu unter-
stützen.
Die Kosten der Straßenbahnen sind im Verhältnis zum Boden-
wert sehr gering. Die Billigkeit des Betriebes stellt Ueberschüsse
aus den Betriebseinnahmen in Aussicht.
Straßenbahnen haben einen Bereich von mindestens 12 Minuten
Weges, 1 km, auf jeder Seite: 1 km Straßenbahn vermag daher 2 qkm
unbebauter Fläche für die Bebauung zu erschließen; dazu kommt
am Ende der Bahn ein Halbkreis mit dem Durchmesser von 2 km.
Die Kosten eines Kilometer Strecke), einschließlich des Anteils der
allgemeinen Unkosten, betrugen bei der Leipziger elektrischen Straßen-
bahn im Jahre 1896 150000 M., bei der elektrischen Bahn Altona-
Blankenese 1900 nur 82000 M. Auf das Quadratmeter entfallen also
in vorstädtischen Lagen nur Bahnbaukosten von 4—15 Pfg., je mehr,
je enger der Abstand der Bahnen.
Die jährlichen Kosten des elektrischen Betriebes der Straßen-
bahnen auf das Kilometer betrugen bei der elektrischen Straßenbahn
in Leipzig 1896 4000 M., bei der Aachener Kleinbahn-Gesellschaft,
1) Die Lösung der Wohnungsfrage wird begünstigt durch die bei dem unver-
hältnismäßig geringen Flächeninhalt des Weichbildes der deutschen Städte gegebene
Möglichkeit der Ausdehnung und dureh die mit der Ausbreitung der Stadtflächen zu
erwartende Wertsteigerung der Ländereien der Umgebung. Freilich wird die Wert-
steigerung sich in mäßigen Grenzen halten, wenn große Gartengrundstücke Regel werden.
Berlin bedeckte um 1890 mit 1500000 Einwohnern nicht viel mehr als 60 qkm;
Chicago mit 1100000 Einwohnern 181 Squaremeilen, über 460 qkm; Boston, Phila-
delphia siche S. 49. Berlin hat 250 Einwohner auf dem Hektar, diese amerikanischen
Städte 22—32.
Deutschland hat gegenwärtig durchschnittlich 100 Einwohner auf dem Quadrat-
kilometer, 1 auf dem Hektar. Rechnet man die städtische Bevölkerung auf 60 Proz.,
so würde deren Verteilung zu 25 Einwohner auf dem Hektar nur 2,5 Proz. der Gesamt-
fläche beanspruchen.
2) Bericht des Kaiserlichen Konsuls in Cineinnati. Deutsches Handelsarchiv, Juni
1901, S. 309:
In den großen und mittleren Städten wird der Preis des Grundeigentums stark
durch die Ausdehnung des Straßenbahnnetzes beeinflußt. Die umliegenden Ortschaften
werden in immer weiterem Umkreise mit der betreffenden Stadt durch elektrische
Straßenbahnen verbunden, und es wird auf diese Weise der städtischen Bevölkerung
ein übermäßig großer Raum zum Zwecke des Bewohnens zur Verfügung gestellt. Das
Angebot leerer Bauplätze übertraf daher bei weitem die Nachfrage, und die Preise
waren schr gedrückt.
3) Die deutschen elektrischen Straßenbahnen. Leipzig 1897, 1900 (Schumann).
Wohnungsnot und Grundrente, 33
welche 1899 mit 80 Motorwagen, 42 Anhängewagen und 54 Güter-
wagen auf 95,5 km Strecke 8,5 Mill. Personen und 59 t Güter be-
förderte, 6000 M. Der Betrieb für die Personenbeförderung in Vor-
orten wird also mit 4000 M. zu bestreiten sein!). Die Geringfügigkeit
der Kosten setzt zu ihrer Deckung nur eine mäßige Bevölkerungs-
dichtigkeit voraus. Gegenwärtig giebt die Staatsbahn in der Um-
gebung großer Städte Arbeiterwochenkarten zum Preise von 0,50—
IM. und darüber aus. Zur Aufrechterhaltung des Betriebes bedürfte
es also nur der Ausgabe von 4000 — 8000 Arbeiterwochenkarten
jährlich, 80—160 Karten wöchentlich. Eine Baufläche von 2 qkm
bietet, selbst bei landhausmäßiger Bebauung auf Grundstücken von
'/; ha, Raum für 1200 Hausstände in Einzelhäusern, den Hausstand
durchschnittlich zu 4,2 Personen gerechnet, für mehr als 5000 Per-
sonen. Das Aufkommen der Betriebskosten durch billige Wochen-
karten dürfte danach unter allen Umständen gesichert erscheinen ?).
Die Höhe der bereits gewordenen Bodenpreise läßt landhausmäßige
Bebauung mit !/, ha Grundstücksfläche nur sehr fern der Stadtmitte
zu. Von vornherein wird daher auf wesentlich dichtere Bebauung
und Bevölkerung und entsprechend höhere Betriebseinnahmen zu
rechnen sein, welche unter allen Umständen zu Ueberschüssen führen.
müssen. Die Schnelligkeit der Beförderung hängt wesentlich davon
ab, daß durchgehende Bahnlinien von der Umgebung nach der
Stadtmitte geschaffen werden, die Notwendigkeit des Umsteigens
vermieden wird.
Die Straßenbahnennetze sind gegenwärtig, dem Bau der Städte
gemäß, mehr oder weniger in rechtwinkelig aufeinander stoßenden
Linien angelegt. Für die Stadtmitte ist darin kein Nachteil zu er-
blicken, weil konzentrische Bahnlinien dort zu dicht aufeinander zu-
laufen würden. Für die Erschließung der Umgebung ist strahlen-
fürmiger Ausbau des Bahnnetzes erwünscht, um mit möglichst kurzen,
geraden Strecken auszukommen und die seitlichen Verbindungen
durch Gürtelbahnen möglichst einfach gestalten zu können. Die Bahn-
linien werden gleichzeitig nach möglichst verschiedenen Richtungen
anzulegen sein, anfangs ohne Rücksicht auf die Weite der gegen-
seitigen Abstände. Nach und nach werden durch Zwischenlegung
neuer Strecken die Abstände der Bahnen untereinander nach Be-
dürfnis auf 2 oder 1 km zu verringern sein.
1) Nach amerikanischen Berechnungen betragen die Betriebskosten des Wagen-
kilometers, einschließlich der Kosten für Ausbesserungen, Personal, Geleisunterhaltung
bei Preßluftbetrieb 0,35—0,45 M., bei elektrischem Betrieb 0,329 M. Schnelles Fahren
ist bei elektrischem Betriebe wirtschaftlich. Zeitschr. f. Kleinbahnen, 1901, S. 156,
281. Faßt ein Wagen 30—35 Personen, so kostet das Personenkilometer 1 Pfg. bei
voller Besetzung.
s 2) In den amerikanischen Städten, deren Straßenbahnen Privatunternehmungen
sind, z. B. in Chicago, kostet jede Fahrt 5 Cents. Für 6 Arbeitstage ergeben sich
60 Cents, kommen Mittagsfahrten hinzu, 1 $ 20 e. Abonnements kennt man nicht. Die
Leute wohnen trotzdem gern in den Vororten, da die Wohnungen dort billiger sind und
Gärten haben. Für Deutschland sind möglichst billige Fahrkosten anzustreben, um die
Konkurrenz der Industrie auf dem Weltmarkte zu begünstigen.
Dritte Folge Bd. XXIII (LXXVIII). 3
ER Paul Möller,
3. Baupolizei. Staatshoheit. Grundrente.
Kann auf diesem Wege, nach und nach, die ganze städtische
Umgebung für Wohnplätze erschlossen werden, so wird die Erkenntnis
der Möglichkeit der Befriedigung der Raumnachfrage mäßigend auf
die Preisbildung der Grundstücke einwirken. Um weitere Preis-
treibereien zu verhüten, bedarf es aber außerdem der Minderung des
Anreizes zu Spekulationen durch baupolizeiliche Maßnahmen zur
Erfüllung der Anforderungen der Hygiene und der Volkswohlfahrt.
Die Grundrente der städtischen Bauplätze ist lediglich Folge der
Bebauungsdichtigkeit. Der Nutzungswert der einzelnen Wohnungen
ist einerseits durch die Baukosten, andererseits durch die Leistungs-
fähigkeit der Bewohner bedingt. In den englischen Großstädten, wo
die Sitte des Einzelhauses durchgeführt ist, hat dieses etwa denselben
Nutzungswert wie in Deutschland und Frankreich die Etagenwohnung.
Mit der Zahl der übereinander gebauten Wohnungen steigt die
Grundrente. Die großstädtischen Wohnungen haben bei der großen
Nachfrage und der Zurückhaltung des Angebots infolge der Leistungs-
fähigkeit der Bewohner einen wesentlich höheren Nutzungswert als
‘den Betrag der Verzinsung der Baukosten. Die Grundrente ist
somit von den baupolizeilichen Vorschriften über die zulässige Be-
bauungsdichtigkeit abhängig, findet ihre Begrenzung an den durch
die Bauordnung durchzuführenden Gesetzen der Hygiene und Wohl-
fahrt!).
Für die Baupolizei ist damit die Aufgabe gestellt, zwischen der
Rücksicht auf angemessene Verzinsung der bisher gewordenen Boden-
preise und den Anforderungen der Hygiene einen angemessenen
Ausgleich zu finden ?).
Die Baukosten halten sich innerhalb gewisser Grenzen, für das
Kubikmeter Wohnungsraum etwa 12—15 M. Es ist daher bei Be-
rücksichtigung der örtlichen Höhe der Mietpreise möglich, auf all-
gemeine Einführung von grundsätzlichen Bestimmungen für die Größe
der Grundfläche und die Höhe der Einfamilienwohnungen hinzuwirken °).
Daneben erscheint erwünscht, nach Maßgabe der Baugrundpreise auf
Freilassung genügender Hofräume Bedacht zu nehmen. Es bedarf
zunächst der Ermittelung der Grundstückspreise nach Wertbereichen,
wozu die Grundbücher, Kataster und die zur Kenntnis der Stempel-
steuerämter kommenden Verträge die Handhaben bieten. Den ge-
1) Göcke, Die Wohnfrage — eine Frage des Städtebaues. Deutsche Bauzeitung,
1900, S. 113, 114 (Schluß).
2) Voigt, Grundrente und Wohnungsfrage in den Vororten Berlins. Erster Teil,
Jena 1901, S. 215, 216.
3) Die Forderung einer Mindestgröße ist in Wissenschaft und Praxis öfters gestellt
worden, der Versuch der baupolizeilichen Durchführung ist in Schöneberg-Berlin seiner
Zeit gescheitert.
Nur die Rücksicht auf die Wehrkraft des Reiches vermag den Widerstand der
Grundeigentümer zu brechen: damit hat die Baupolizei ihre Forderungen einzusetzen.
Wohnungsnot und Grundrente. 35
wordenen Preisen werden sich die baupolizeilichen Anforderungen
anzupassen haben !).
Wo der Baugrund sehr teuer ist, wird nach englischem Vorbild
auf den Bau quadratischer Häuserringe um gemeinsame große Binnen-
höfe hinzuwirken sein. Wird um einen Binnenhof von 625 qm, 25 m
im Geviert, ein Haus von 10 m Breite, und, unter Freilassung eines
weiteren Hofringes von 17!/, m Breite, ein Außenring von 10 m
Breite gebaut, so hat das Binnenhaus eine Grundfläche von 1400 qm,
das Außenhaus von 3600 qm. Auf 1 ha können so in 5 Stockwerken
der 300 Wohnungen mit einer Grundfläche von 80 qm angelegt
werden.
Erscheinen infolge der Baugrundteuerung mehr Stockwerke oder
verhältnismäßig kleinere Höfe geboten, so wird durch baupolizeiliche
Forderung der Anbringung von Balkonen zu 20—25 qm Grundfläche
bei jeder Wohnung der Austritt zu frischer Luft zu begünstigen
sein. Wo auf teurem Baugrund die Zersplitterung des Grundbesitzes
die Erbauung von Häuserblocks um große Höfe erschwert, wird
nach dem Vorgange der Agrargesetzgebung, wie neuerdings auch in
Frankfurt a. M. in Aussicht genommen ist, zur Durchführung der
hygienischen Rücksichten auf Zusammenlegung der Grundstücke hin-
ıwirken sein.
Je niedriger die Preise sich zur Zeit noch halten, um so mehr
wird die Zahl der zulässigen Stockwerke herabzusetzen, um so größere
Hofräume werden anzuordnen sein. Wo nach den gewordenen
Grundstückspreisen die Möglichkeit der Anordnung von Einzelhäusern
mit kleinen Hofräumen oder Etagenhäusern mit größeren Hofräumen
vorliegt, mag letzteren, wegen des besseren Luftzutritts, vielleicht
der Vorzug zu geben sein.
Im allgemeinen wird aber die Baupolizei auf die Erbauung von
Einzelhäusern hinzuwirken haben, wo die Grundstückspreise die Zu-
teilung von genügenden Hofräumen gestatten.
Von vornherein wird die Erschließung durch Straßenbahnen auf
Ländereien, wenn auch in entfernter Lage, auszudehnen sein, deren
billige Bodenpreise die Wohlthat landhausmäßiger Bebauung mit
größeren Gartenflächen auch den Arbeitern zugänglich machen. Die
Anlesung von Einzelhäusern mit Hofräumen, wie sie in England
durchgeführt ist, bietet zwar Vorzüge gegenüber den Mietkasernen.
Englands günstigere Stellung in der Sterbeziffer, 17,6 auf 1000,
gegenüber Deutschland und Frankreich mit 21,5 und 21 scheint bei
—— non
1) Die Rückwirkung der baupolizeilichen Feststellung der Bebauungspläne auf
den künftigen Gesundheitszustand und die Wehrkraft der Bevölkerung rechtfertigt die
Einflußnahme des Reiches und seiner Volksvertretung auf die Bebauungspläne kraft des
Rechtes zur Beaufsichtigung der Maßregeln der Medizinalpolizei (Art. 4, No. 15 der
Reichsverfassung). Das Bedürfnis der Schaffung neuer materieller Normen des Bau-
polizeirechts ist minder dringend, da die vorhandenen Normen, vielfach durch Her-
kommen ausgebildet, dem Sinne nach einander entsprechen: die Einrichtung der land-
hausmäßigen Bebauung findet sich in jedem Baupolizeirecht.
. „Pen äußeren Anlaß zum Einschreiten des Reiches bietet die Seuchengefahr und
die Sterblichkeit übervölkerter Wohnungen und Häuser.
Ek
36 Paul Môller,
dem starken Ueberwiegen der städtischen Bevölkerung, 21 Millionen
von 29 in England und Wales, und bei der starken Inanspruchnahme
der Bevölkerung durch die Industrie auf die bessere Luft, als Folge
der geringeren Bevölkerungsdichtigkeit, zurückzuführen zu sein, welche
die engliche Sitte des Einzelhauses mit sich bringt. Trotz der großen
Industrie hat England die geringste Sterblichkeit an Tuberkulose
1,5 : 1000, während Rußland und Oesterreich 3,5 : 1000 aufweisen,
Frankreich diese Ziffer fast erreicht, Deutschland etwa die Mitte ein-
nimmt.
Gleichwohl klagen die englischen Aerzte nicht minder als die
deutschen über die ungünstigen Lebensbedingungen der Großstädte,
deren Schädlichkeit den Tropen gleichstehe, wie die schlechte Ent-
wickelung der Kinder der Großstadt im Verhältnis zur Landbevölke-
rung, die Unfähigkeit zu schwerer körperlicher Arbeit, die vielen
Erkrankungen, das schnelle Aussterben der Familien, regelmäßig in
3—4 Generationen, erweisen. Zur Abhilfe empfehlen sie suburban
quarters !), Ausdehnung der landhausmäßigen Bebauung auch auf die
Arbeiterviertel, indem sie auf die Erfahrung hinweisen, daß in
Musterwohnungen die Sterblichkeit auf 15: 1000 herabzumindern sei.
In der That wird zur Zeit bei London durch den Gemeinderat ein
Vorort in landhausmäßiger Bebauung angelegt. Die Möglichkeit der
Herabsetzung der Sterbeziffer erweisen auch andere Länder. Belgien
hat, bei seiner starken industriellen Bevölkerung, teilweise wohl in-
folge der auch in den Arbeitervorstädten begonnenen Durchführung
des Systems der Einzelhäuser, eine Sterblichkeit von nur 18,1,
Holland von 17,6, Dänemark 16,5, Schweden und Norwegen 15,6.
Für Deutschland springt somit die Dringlichkeit der Wohnungs-
besserung ins Auge, da die Abgänge durch vorzeitigen Tod wegen
der voraufgehenden Krankheiten Verluste für das Volk noch mehr
bedeuten als die Auswanderung, und bei der Zunahme der städtischen
Bevölkerung auf die Erhaltung der militärischen Leistungsfähigkeit
Bedacht genommen werden muß, deren Beeinträchtigung durch
städtisches Leben von deutschen militärischen Autoritäten ?) ebenso
bemerkt wird, wie von den englischen Aerzten die Abnahme der
Fähigkeit zu schwerer Arbeit) {).
Abhilfe dieser Schäden ist von der landhausmäßigen Bebauung 5)
1) Russell, The atmosphere in relation to human life and health, p. 291, 254.
Cohen, The air of towns, p. 350, 386. Annual Report ete. of the Smithsonian Institution,
July 1895, Washington 1896.
2) v. Blume, Grundlagen der Wehrkraft, S. 57.
3) In dem Wohnungselend liegt die Hauptursache des Alkoholismus. Schlechte
Luft erfrischt nicht, erzeugt daher das Bedürfnis nach künstlicher Anregung durch
geistige Getränke. Russell, S. 290, 293.
4) Die schulärztlichen Untersuchungen der Dresdener Elementarschüler haben
ergeben, daß die Hälfte der Kinder anormal ist. Das geradezu erschreckende Krankheits-
bild hat die Lehrerschaft zu Anträgen an den Magistrat veranlaßt.
Die Stadtbevölkerung wird kleiner, selbst Friesen und Niedersachsen. In
Altona, im Grenzgebiet beider Stämme, werden nur wenige Leute zur Garde ausgehoben.
5) Ansetzung der Industriearbeiter in ländlich bebauten Vierteln verlangt zur
Wohnungsnot und Grundrente. 37
und der Zuteilung von Hausgärten zu erwarten. Bei der Bekämpfung
der Sterblichkeit handelt es sich vor allem um die Verringerung der
Schwindsuchtsgefahr und der Kindersterblichkeit!). Auf Tuberkulose
ist jeder dritte zwischen dem 15. und 60. Lebensjahre eintretende
Todesfall zurückzuführen. Von 100 Kindern des 1. Lebensjahres
sterben zeitweilig und stellenweise 40, ja 60, von den unehelichen
75. Auf die überlebenden Kinder der Großstadt wirken die schlechten,
dunklen, feuchten, unsauberen Wohnungen und fehlerhafte, unregel-
mäßige Ernährung schädlich, oft für das Leben. Drei Viertel leiden
an Anämie?) mit der Folge mangelhafter Muskulatur und Elasticität
und auftretender Mattigkeit. Die große Verbreitung der Skrofu-
lose 2), pathologischer Veränderungen der Gewebe, welche einen Nähr-
boden für die Tuberkulose bieten, hat bei uns der privaten Wohl-
thätigkeit, in Frankreich der Regierung, Anlaß zu werkthätiger Hilfe
durch Ueberführung der Kinder in Heilstätten geboten. Rhachitis ?),
Weichwerden der Knochen, oft mit folgenden Verkrümmungen der
Rippen und Veränderungen der Lungen, befällt, mindestens zeitweilig,
mehr als drei Viertel der Großstadtkinder. Alle diese Krankheitser-
scheinungen bilden eine Gefahr für die Erhaltung der Wehrfähigkeit.
Besserung dieser Verhältnisse kann nicht eintreten, solange nicht die
Wohnungen gebessert, für genügende Sauberkeit gesorgt, die Frau dem
` Hause, die Mutter den Kindern wiedergegeben wird. Sauberkeit kann
nicht in genügendem Maße durchgeführt werden, soweit die Frau auf
Fabrikarbeit®) angewiesen ist und auch nicht einmal zeitweise Gelegen-
heit zu nutzbringender Beschäftigung beim Hause findet. Hat die
Familie einen Hausgarten, so kann die Frau Gemüse, auch Futter für
Schwein oder Ziege ziehen, Hühner halten, und findet damit häuslichen
Nebenerwerb. Kann die Frau daheim bleiben, findet sie auch Freude
an der Ordnung und Säuberung des Hauswesens. Die soziale Bedeu-
tung des Hausgartens{) wird um so größer, je vollkommenere Aus-
nutzung desselben der Frau durch sachverständige Anleitung über
Zeit und Art des Gemüsebaues ermöglicht wird. Je mehr die Frau
Erhaltung der bedrohten Wehrfähigkeit der Bevölkerung und des Familienlebens: Binde-
wald, Die Wehrfähigkeit der städtischen und ländlichen Bevölkerung. Schmoller’s
Jahrb., 1901, 25. Jahrg., S. 192, 193.
1) Die Säuglingssterblichkeit nimmt ab, wenn die Mütter die Kinder warten und
pflegen, selbst dann, wenn Arbeitslosigkeit der Mutter in Krisen schwerster Not eintritt.
Schmoller’s Jahrb., 1901, 25. Jahrg., S. 384.
2) Baginsky, Kinderkrankheiten, 3. Aufl., S. 263, 303, 306. Berlin 1889. Nobi-
ling-Jankau, Handbuch der Prophylaxe, S. 180, 208, 466. München 1901.
3) Freese, Wohnungsnot und Absatzkrisis, S. 645.
4) Günstige Beobachtungen über den Einfluß des Hausgartens auf das Familien-
leben liegen in Blumenthal bei Bremen vor bei dem vom Landrat Berthold begrün-
deten Spar- und Bauverein. Der Hausgarten bietet den Familien Erholung statt des
Wirtshausbesuches, zu dem die Leute sich sonst verurteilt sehen. Den einen bereitet
die Blumenpflege Freude, andere verkauften in einem Frühjahr von einem halben
Morgen 1/, ha, Gartenland für 50 M. Gemüse. Die von den dortigen Fabrikleitern mit
der Wohnungsbesserung bezweckte Hebung der sittlichen Führung und der Arbeits-
leistungen der Arbeiter ist erreicht. Norddeutscher Baugewerks-Anzeiger, Hamburg,
1901, No, 12, S. 91.
38 Paul Maller,
zu Hause bleiben kann, umso mehr kommt es der Wiederherstellung
des durch die Fabrikarbeit aufgelösten Ehelebens'!), der Kinder-
erziehung, der Wiedererweckung des Sinnes für Eigentum und Häus-
lichkeit zu gute?). Die Beseitigung des wirtschaftlich erdrückenden
Raummangels begünstigt die Wiederentfaltung des Handwerks,
namentlich unter Zuhilfenahme der elektrischen Kleinkraftmotoren,
die nicht mehr Platz beanspruchen als ein Reisekoffer. Der Er-
nährungsrückhalt des eigenen Gartens für Notstände aller Art mindert
immerhin die Existenzsorgen und festigt die Grundlagen des Staates
durch Erleichterung der Armut.
Fast scheint es, als ob auf diesem Wege die Entstehungs-
ursachen der Sozialdemokratie?) abgeschwächt werden könnten, zumal
die Herabsetzung der Grundrente der Einflußnahme der Seel-
sorge auf die Bevölkerung zu gute kommt. Billiger Baugrund er-
leichtert die Beschaffung von Baustellen für Kirchen. Herabsetzung
der Grundrente bedingt bessere Auskömmlichkeit der Gehälter der
kirchlichen Organe. Die Mietsteigerungen in den letzten Jahrzehnten
sind eine wesentlich mitwirkende Ursache der Verteuerung aller
Lebensbedürfnisse, und demzufolge der Notwendigkeit der Erhöhung
der Gehälter aller staatlichen, städtischen und kirchlichen Beamten
einerseits, und der, teilweise durch Strikes durchgesetzten, Lohn-
steigerungen und des Anwachsens der städtischen Armenlasten
andererseits.
Die Armenlasten betrugen bereits in dem ohne allgemeine Not-
stände verlaufenen Wirtschaftsjahre 1897 in Berlin 8,50 M., in Ham-
burg 7,75 M. auf den Kopf der Bevölkerung. Für Berlin ergiebt
sich danach ein Jahresbetrag von 17 Mill. M., als Rente zu Kapital
berechnet von 425 Mill. M. Für diesen Betrag ist, das Hektar zu
2000 M. gerechnet, eine Ackerfläche von 212500 ha, von 2125 qkm,
zu erwerben, während der Stadtbereich. von Berlin höchstens eine
Größe von etwa 85 qkm haben wird. Verteilung von 212500 ha auf
2 Mill. Menschen, in 480000 Hausständen zu je 4,2 Personen, würde
jede Familie in den Genuß einer Gartenfläche von ?/ ha setzen.
Je mehr landhausmäßige Bebauung den Bewohnern einen Ernährungs-
rückhalt gewährt, die Teuerung durch Herabsetzung der Grundrente
mindert und den Gesundheitszustand !) hebt, um so mehr verringern
1) Freese, a. a. O., S. 645.
2) Ist die oft behauptete Ueberlegenheit des amerikanischen gelernten Arbeiters that-
sächlich vorhanden? Welche psychischen Einflüsse liegen ihr zu Grunde? Geräumiges
Wohnen? Große Parkanlagen in den Städten? Gute Ernährung? Familienleben —
Verhinderung der Frauenarbeit durch die Sitte? Die Arbeitsgenossen federn den Mann,
der die Frau arbeiten läßt. Abneigung der Amerikaner gegen Frauenarbeit: Professor
Hollrung, Vortrag. — Die deutsche Zuekerindustrie, Wochenblatt, Berlin 1901, S. 1239,
1243. Der gereizte Ausdruck des deutschen Sprüchworts: „Weiber und Hunde gehören
ins Haus“, kennzeichnet die Unerläßlichkeit des Wirkens der Hausfrau für das Familien-
leben.
3) Freese, a. a. O. S. 647; Paulsen, Ethik, 4. Aufl., Bd. 2, S. 384; Luigi Einaudi,
La municipalisation du sol dans les grandes villes, Extrait du Devenir social, Paris 1898,
H. 60. À
4) In Deutschland befinden sich 220000 Personen in Krankenhausbehandlung
allein wegen Tuberkulose. Geheimrat Koch auf dem Tuberkulosekongreß in London 1901.
STE
Wohnungsnot und Grundrente. 39
sich die Armenlasten. Die Baupolizei und die städtischen Ver-
tretungen haben daher, auch im Interesse der Steuerzahler, Anlaß,
die ihnen übertragene Ausübung des Hoheitsrechtes über Grund und
Boden im Sinne der Ausdehnung der landhausmäßigen Bebauung
auf die Arbeiterviertel geltend zu machen. Die Grenze der Aus-
dehnung ergiebt sich im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit der Arbeiter-
bevölkerung, neben den Baukosten auch die gewordenen Baugrund-
preise zu verzinsen, aber nur die derzeitigen Preise, nicht jedoch
Preissteigerungen, welche nicht bereits eingetreten sind.
Voraussetzung der Ausdehnung der landhausmäßigen Bebauung
auf die Arbeiterviertel ist billiger Baugrund. Es ist daher der Er-
wägung wert, ob nicht die Verteueruug der Grundstücke durch
die Kanalisation, mehrere Mark für das Quadratmeter), bei Ein-
familienhäusern durch andere Einrichtungen erübrigt werden kann.
Die geringe Dichtigkeit der Bevölkerung in landhausmäßig be-
bauten Vierteln dürfte, mindestens für den Anfang, die Ersetzung
der Kanalisation durch das Heidelberger Tonnensystem unbedenklich
erscheinen lassen ?), zumal sich dabei der Vorteil ergäbe, bei Ver-
arbeitung der Ausscheidungen zu Dünger die gesundheitsgefähr-
liche Verschmutzung der Flüsse zu vermeiden. Die Kosten der
Tonnenanlage, höchstens 300 M., würden ein Baugrundstück ver-
hältnismäßig um so weniger verteuern, je größer es ist, ein Grund-
stück von 1666 qm = Te ha, nur um 15—20 Pf. für das Quadrat-
meter. Erscheinen also auch nach dieser Richtung wesentliche Er-
sparungen an Baugrundkosten möglich, so wird die Durchführung
der landhausmäßigen Bebauung auch für Arbeiterviertel wohl mög-
lich, sofern hinreichend billige Ländereien durch die Baupolizei da-
für bestimmt und durch Anlegung von Straßenbahnen in einem die
Spekulation ausschließenden Umfange als Wohnplätze zugänglich ge-
macht werden. Daß die landhausmäßige Bebauung thatsächlich unter-
nommen werden wird, wenn Bodenpreise und Bahnverbindungen sie er-
möglichen, ist nach der bisherigen Thätigkeit der Baugenossenschaften
wohl zu erwarten. Der Bau kleiner Wohnungen bietet, wegen der
mit der steigenden Bevölkerungsziffer zuuehmenden Nachfrage, eine,
bereits längst in England und neuerdings durch ein bemerkenswertes
Beispiel in Frankfurt a. M. als solche anerkannte, sichere Kapital-
anlage3), deren Sicherheit mäßige Verzinsung entspricht +).
Die Rücksicht auf die Entfernungen des billigen Baugrundes
1) Die Kanalisation kostet für das laufende Meter Front 30 M., mehr oder weniger.
2) Voigt, a. a. O. S. 137: Die Kanalisation begünstigt die Mietkaserne.
3) Die englischen Baugesellschaften erzielen auch gute Verzinsung der aufge-
wendeten Kapitalien: „außerordentliche Erfolge“ trotz guter Bauleistungen. Nord-
deutscher Baugewerks-Anzeiger, 1901, 14. Juli, No. 28, S. 217.
4) Die Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses durch das Baugewerbe wird in
Zeiten hochgehender geschäftlicher Konjunktur des Marktes durch eintretende Geld-
knappheit und hohen Zinsfuß erschwert. Gerade in solehen Zeiten mehrt sich der Zu-
zug nach den Großstädten, steigt das Wohnungsbedürfnis. Insofern gewinnen die Bau-
genossenschaften, wegen der ihnen zur Verfügung stehenden Darlehen aus öffentlichen
Mitteln gegen billige Verzinsung, besondere Bedeutung.
40 Paul Müller,
bildet kein Hindernis der landhausmäßigen Bebauung mehr. Die
elektrischen Straßenbahnen vermögen bei einer Stundengeschwindig-
keit von 12 km in der Stadt, von 30 km in den Vorstädten, mehr
als 20 km in einer Stunde zurückzulegen. Je eine Stunde Wegs
zur Arbeit und für die Heimkehr ist nach vorliegenden Erfahrungen !)
noch angemessen. Kommt zu der Bahnfahrt ein Fußweg von 10—
12 Minuten, so wird durch die Bahn ein Kreis mit dem Halbmesser
von 21 km ?) um die Stadtmitte erschlossen, 1386 qkm, welche bei durch-
weg landhausmäßiger Bebauung, mit 25 Bewohnern auf dem Hektar,
Raum für 31/, Millionen bieten würden, während bei Berücksichtigung
der nun einmal dichteren Bevölkerung der Stadtmitte für mehr als
die doppelte Anzahl Raum vorhanden wäre.
4. Straßenbahnen als Gemeindeanstalten. Baugrund-
steuern.
Die Anlegung von Bahnverbindungen zur Erschließung von
billigen Bauländereien in einiger Entfernung von den Städten ist
freilich von gewerbsmäßigen Straßenbahnunternehmungen nicht zu
erwarten, weil in den ersten Jahren des Betriebes zur Verzinsung
der Baukosten ausreichende Betriebseinahmen nicht in Aussicht
stehen. Aus diesem Grunde bleibt nur der Bau der Straßenbahnen
durch die Gemeinden übrig, empfiehlt sich aber andererseits auch
nicht der Weg der Beschaffung der Baukosten durch Anleihen.
Das öffentliche Interesse weist auf den Weg der Beschaffung
der Baukosten durch Besteuerung. Die Bahnen sind erforderlich
zur Beseitigung des Raummangels der kleinen Wohnungen, die als
Herde der Tuberkulose und anderer Volkskrankheiten alle Teile der
Bevölkerung gefährden und, zum Nachteil der Wehrkraft und der
Arbeitstüchtigkeit, die Entwickelung des heranwachsenden Geschlechts,
namentlich durch Verkümmerung der vitalen Kapazität, der Brust-
und des Nervenlebens, beeinträchtigen. Die Steuern werden vom
Grundbesitz zu erheben sein 21. Dieser erfährt durch den Ausbau der
Verbindungen regelmäßig unmittelbare Wertsteigerung, welche die
im Verhältnis zum Bodenwert geringen Kosten der Straßenbahnen
weit übersteigt, und die bei der Zunahme der Bevölkerung von dem
1) In Westfalen, wo die Leute es vorziehen, nieht in geschlossenen Ortschaften zu
wohnen, sondern mehr auf dem Lande, da fahren Tausende von Arbeitern stundenweit
mit dem Fahrrade zur Arbeitsstelle. Handelsminister Möller beim Festmahl der Auto-
mobilisten, 1901.
2) Philadelphia hat eine Längenausdehnung von 22 englischen Meilen, bei 5—10
Meilen Breite.
3) Für die Kleinbahn anf der Insel Alsen wird eine Kreiseisenbahnsteuer erhoben.
Die Heranziehung insbesondere auch der Grund- und Gebäudesteuer zu den Kreisabgaben
für Verkehrsanlagen sieht § 12 der Kreisordnung für Schleswig-Holstein vor (Gesetz-
Sammlung 1888, S. 143). Mechrhelastung einzelner Kreisteile, welchen die Kreisein-
richtungen zu gute kommen, ist zulässig: $ 13 das. Eisenbahnen als „Kreiseinrichtung“
behandelt das Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom 12. Nov, 1885, XII, 27 (29).
v. Kamptz, Rechtsprechung des O.V.G., Bd. 1, S. 171.
Wohnungsnot und Grundrente. 41
Betriebe der Straßenbahnen zu erwartenden Ueberschüsse werden
durch Erleichterung der Steuerlast der Gemeinden vorwiegend dem
Grundbesitz zu gute kommen.
In erster Linie wird die Heranziehung der Grundeigentümer
der zur Verwendung als Bauplätze zu erschließenden Ländereien zu
Beiträgen zum Bau und Betrieb der Bahnen gemäß $ 9 des Kom-
munalabgabengesetzes ins Auge zu fassen sein!). Die zu bauenden
Bahnen sollen der Erhaltung der Volksgesundheit dienen, also als
Veranstaltungen im öffentlichen Interesse unternommen werden.
Die Kosten des Bahnbaues betragen, wie eingangs berechnet, 4 bis
lö Pfg. für das Quadratmeter. Die Betriebskosten der Bahnen be-
tragen höchstens etwa 6000 M. für das Kilometer; auf 2 qkm, 200 ha,
verteilen sich dieselben mit 30 M. für das Hektar, !/, Pfg. auf das
Quadratmeter. Diese Beträge fallen gegenüber dem Bodenwert um
so weniger ins Gewicht, je höher derselbe bereits gestiegen ist.
Der Anschluß an das städtische Wirtschaftsgebiet bringt für den
Grundeigentümer wirtschaftliche Vorteile durch erhebliche Wert-
steigerung der Grundstücke mit sich. Die Voraussetzungen der Er-
hebung von Beiträgen sind also gegeben. Die Beiträge zu den Be-
triebskosten werden fortzufallen haben, insoweit diese durch die
Betriebseinnahmen gedeckt werden.
Wenn der Weg der Heranziehung der Anlieger zu Beiträgen
nicht einzuschlagen sein sollte, würde mit der städtischen Um-
satzsteuer von den Liegenschaften der Anfang der Aufbringung der
Mittel zum Bahnbau zu machen sein. An die Umsatzsteuern würde
sich die in $ 27 Abs. 3 des Kommunalabgabengesetzes vorgesehene
Besteuerung der in den erschlossenen Ländereien durch Festsetzung
von Baufluchtlinien im Wert erhöhten Grundstücke nach Maßgabe
Ex höheren Wertes anzuschließen haben, und zwar als laufende
teuer.
Die Wertsteuer ?2) würde mit der Höhe der Bodenpreise steigende,
progressive Steuersätze einzuführen haben, um die Zurückhaltung
des Angebots von Baugrund zu treffen: zur Erschwerung, soweit
sie auf Vorteil durch Aussicht auf eintretenden Raummangel abzielt;
zur Besteuerung gesteigerter Ansprüche, soweit sie Verwertung der
Grundstücke zu Wohnplätzen für die wohlhabenden Klassen °) oder
zu Geschäftslagen bezweckt.
Der Schein der Härte des Eingriffs einer Wertsteuer zur Er-
1) Die Städte können auch entlegenes, billiges Land ankaufen, durch Straßen-
bahnen erschließen und in dem Mehrwert der Bauplätze Ersatz der Bahnbaukosten
finden. Auf diesem Wege gehen amerikanische Privatunternehmer vor. Sie benehmen
der Oertlichkeit die Einsamkeit durch Anlegung von Vergnügungsgärten, geben auch
wohl Land zu Fabriken umsonst ab, ziehen durch billige Ueberlassung von Bauplätzen
einige Leute heran und verdienen, wenn sich nun der Zuzug der steigenden Bevölkerung
mehrt, an den Bauplätzen und den Straßenbahnen. Die Innenstadt wächst nach außen
nach. So ist die Gartenstadt Chicago entstanden.
2) v. Miquel, Verhandlungen des Abgeordnetenhauses, 25. April 1893, Bd. 4,
8. 2029 u. 2030.
3) Voigt, a. a. O., S. 203.
42 Paul Möller,
schwerung des Liegenlassens der Grundstücke mildert sich unter
der Betrachtung, daß der Verkauf Verzinsung des in den Grund-
stücken angelegten Kapitals nach dem Baugrundwerte zur Folge hat,
während liegenbleibende Grundstücke zwar im Werte steigen, aber
als Aecker oder als Gartenflächen nur geringe, dem Ackerwert ent-
sprechende, Nutzungen aufbringen. Der Ueberschuß der Verzinsung
des Baugrundwertes über den Nutzertrag der ländlichen Bevwirt-
schaftung, als Rente zinseszinslich angelegt, führt in längeren Zeit-
räumen, wie sie die Spekulation für liegenbleibende Grundstücke in
Aussicht nimmt, gleichfalls zur Vervielfachung des Grundwertes.
Die Wertsteuer zur Erschwerung der Zurückhaltung des An-
gebotes würde nach der baupolizeilichen Zweckbestimmung der
Ländereien eine städtische und eine vorstädtische Zone zu unter-
scheiden haben.
In der städtischen Zone beginnt die Spekulation auf Raum-
mangel oder gesteigerte Ansprüche, wenn die Baugrundpreise für
das Quadratmeter den, allerdings geringen, Betrag von 4,50 M. über-
steigen. Eine Arbeiterfamilie kann bei einem Einkommen von 1000M.
eine Wohnung zum Nutzwerte von 200 M. halten und bedarf einer
Grundfläche von 80 qm für 2 Stuben, Kammer, Küche, Speisekammer.
Die Herstellung einer solchen Wohnung kostet für Baugenossen-
schaften im Rahmen eines größeren Baues etwa 2800 M., deren Ver-
zinsung zu 6 Proz. mit 168 M. eine Grundrente von 32 M. übrig
läßt. Soll der Jugend zur Entwickelung der vitalen Kapacität !), zur
Verhütung von Anämie, Skrofulose, Tuberkulose, Rhachitis die
Möglichkeit hinreichender Bewegung zu teil werden, darf die Zahl
der Stockwerke nicht über 3 betragen und muß für jede Wohnung
ein Hofraum von 100 qm vorhanden sein. Die Grundfläche von
80 qm, auf 3 Stockwerke verteilt, zuzüglich 100 qm Hofraum, be-
dingt eine Baufiäche von 126,66 qm. Die Grundrente ergiebt, zu
5 Proz. kapitalisiert, einen Bodenwert von 640 M., für das Quadrat-
meter etwa 4,50 M.
Für die vorstädtische Zone sollte landhausmäßige Bebauung mit
1/, ha Gartenland als Regel anzunehmen sein. Das einzelnstehende
Arbeiterhaus kostet etwa 3000 M. Ist es dem Arbeiter von Bau-
genossenschaften vermietet oder sein Eigentum, muß eine Verzinsung
der Baukosten mit 6 Proz. berechnet werden. Bei einem Nutzungs-
werte des Hausgrundstücks von 200 M. verbleibt eine Grundrente
von 20 M. Die Verzinsung wird in diesem Falle für das Grundstück
mit 4 Proz. angenommen werden können, der Grundstückswert also
auf 500 M. für !/, ha, für das Quadratmeter 30 Pfg?) Die Güte
1) Dr. med. Hoole, Trainieren zum Sport, S. 40 ff., Wiesbaden 1899.
2) Ein Quadratmeter Baugrund wird für 30 Pfg. nur zu haben sein, wenn der
Boden Ackerland schlechtester Klasse ist, das als solches einen Wert von etwa 4 Div
hat. Je geringer der Ackerertrag, um so sicherer wirkt der Zwang der angemessen
angesetzten Wertsteuer auf den Verkauf hin, sofern großes, allseitiges Angebot vorliegt,
dessen Bereitstellung Sache der Verkehrsmittel ist.
Wohnungsnot und Grundrente. 43
des Bodens ist nebensächlich, weil schlechter Boden durch Spaten-
arbeit und Bedüngung ertragsfähig wird.
Die Grenze zwischen der städtischen und vorstädtischen Zone
wird nicht scharf zu ziehen, sondern nach Maßgabe der Bodenpreise
Zwischenzonen einzulegen sein.
5. Besserungsabgabe, betterment tax.
Die größte Wertsteigerung erfahren die Grundstücke in gesuchten
(reschäftslagen, in der Hauptsache die Grundstücke in der Stadtmitte,
welche von allen Seiten am besten erreichbar sind, da Umfang und
Leistun gsfähigkeit der meist gewerblichen Nachfrage die Mieten und
die Grundrente erhöhen. Je mehr Bevölkerung und Wohlstand in
der Umgebung der Städte zunimmt, um so höher steigt der Wert
der Geschäftsgrundstücke vermöge der erhöhten Nachfrage nach
günstig gelegenen Geschäftsräumen. Die Wertsteigerung der besten
(eschäftslagen beziffert sich auf das Hektar nach Millionen Mark,
auf das Quadratmeter nach Hunderten und Tausenden. In England
und seinen Besitzungen und in Amerika sind diese von dem Zuthun
des Grundstückeigentümers unabhängigen Gewinne, unearned incre-
ment, einer Steuer, betterment tax, unterworfen !). Die Heranziehung
dieser Gewinne zur Besteuerung behufs Erschließung der Umgebung
für die Besiedelung durch Verkehrsmittel erscheint berechtigt. Die
Steuer trifft leistungsfähige Schultern ?) und ist bestimmt, die allseitige
Erreichbarkeit der Stadtmitte zu fördern, den dort liegenden Grund-
stücken also, durch Zuführung der umwohnenden Bevölkerung,
weitere Werterhöhung als Geschäftslagen zu verleihen.
Die Besteuerung des steigenden Bodenwertes unterliegt keinem
Bedenken, da $ 25 Abs. 1 des Kommunalabgabengesetzes nach
Seinem Wortlaut die Einführung besonderer Steuern vom Grund-
esitz allgemein gestattet.
Die Steigerung des Bodenwertes von Berlin in den Jahrzehnten
von 1870—1890 ist auf 3!/, Milliarden M. berechnet worden, für
alle deutschen Großstädte zusammen für die Zeit von 1870—1898
auf 7'/, Milliarden, von 1'/, auf 9 Milliarden M.
Ist bei dem hohen Geburtenüberschuß weitere Steigerung der
evölkerung und weitere Erhöhung der Nachfrage, wie bisher, zu
erwarten, so würde für Berlin eine fernere Jahreszunahme des Boden-
Wertes von 175 Mill. M. in Aussicht stehen.
Für die Besteuerung der Wertsteigerung gelten in den ver-
1) Hallgarten, Die kommunale Besteuerung des unverdienten Wertzuwachses in
England. Stuttgart 1899.
2) Bericht des Kaiserlichen Konsuls in Cineinnati, a. a. O.:
Auch das Bestehen großer Verkaufsbazare, in welchen man Waren der ver-
Schiedensten Art kaufen kann, erwies sich für den Preis des Grundeigentums’in den
Geschiftsvierteln der großen und mittleren Städte insofern als schädlich, als durch den
«rdrückenden Wettbewerb dieser großen Verkaufsläden eine Anzahl kleinerer Läden
Leet stand, und die Ertragsfähigkeit und der Preis der betreffenden Häuser litten.
44 Paul Müller,
schiedenen Ländern und Gemeinden verschiedene Steuersätze, bis zu
20 Proz. und mehr!).
Amerikanische Städte bezogen 1891 aus der Besteuerung der
Bodenwertsteigerung bis zu einem Viertel ihrer Steueraufkünfte:
Chicago 6,4 Mill. Doll., New York 2,5, Buffalo 2,4; San Francisco
1,8, Philadelphia 1,1 Mill. Doll.
Für Berlin dürfte ein mäfiger Steuersatz, etwa von 5 Proz. der
Gewinne, voraussichtlich ein Jahresaufkommen an Besserungsabgaben,
betterment tax, von 8,75 Mill. M. ergeben.
Diese Steuerbeträge würden also eine jährliche Erweiterung des
Straßenbahnnetzes um 60—100 km gestatten, im Laufe von 15—25
Jahren, bei Herstellung eines Straßenbahnnetzes von 1500 km, 63
Radialbahnen von 20 km Länge, in Abständen von 2 km endigend,
einer äußeren Gürtelbahn von 125 km Länge und der erforderlichen
inneren Gürtelbahnen, somit ein Gelände von fast 1400 qkm für die
Bebauung eröffnen.
Das Gesetz des unverdienten Wertzuwachses durch zunehmende
Nachfrage, mit der Wirkung der Steigerung der Grundrente bei
steigender Dichtigkeit der Bevölkerung, gilt auch für die Straßen-
bahnen. Die Leipziger elektrische Straßenbahn bezog 1896 vor-
wiegend aus dem Vorortverkehr auf einer Betriebslänge von 40 km
bei 160000 M. Betriebskosten eine Betriebseinnahme von 320000 M.
Stuttgarts Straßenbahn hatte 1896 auf 19,2 km 420000 M. Betriebs-
kosten und 900000 M. Fahrgeldeinnahmen, die Straßenbahngesell-
schaft in Hamburg auf 125 km bei 3,85 Mill. M. Betriebskosten
6,56 Mill. M. Einnahmen. Die Hamburg-Altonaer Centralbahngesell-
schaft hatte 1899 auf 15,1 km 1,2 Mill. M. Betriebseinnahmen bei
590000 M. Betriebskosten.
Der Natur der Straßenbahneinnahmen als Grundrente der Straße
entspricht die vielfach eingeführte hohe, bei steigender Einnahme
progressive, Besteuerung oder Gewinnbeteiligung der Städte. Kana-
dische Städte, Montreal und Toronto, besteuern die Roheinnahmen
mit Steuersätzen bis zu 15 und 20 vom Hundert. Die Besteuerung
in Hamburg-Altona beträgt für eine Gesellschaft über 10 Proz. der
Roheinnahmen. Bei einer anderen Gesellschaft ist der Hamburgische
Staat an der 6 Proz. übersteigenden Dividende progressiv beteiligt.
Die Progression steigt mit der Zunahme der,Dividende von 25 auf
50 vom Hundert.
Die Entschädigung für den Genuß der Grundrente der Straße
wird stellenweise in Form eines unentgeltlichen Heimfalls der Straßen-
bahn nach abgelaufener Konzession an die Stadt vereinbart. So in
1) In Essen und Bielefeld besteht bereits die Besteuerung der Wertsteigerung als
Umsatzsteuer. Die Sätze sind mäßig. Die Marineverwaltung im Kiautschougebiet hat
sich Anteilnahme an der Wertsteigerung des Bodens gesichert und zwar in der Höhe
der englischen und amerikanischen Steuersätze. Landesrat Brandts, Die Aufgaben der
Gemeinden in der Wohnungsfrage, Vortrag in der Generalversammlung des Nieder-
rheinischen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege in Cöln. Norddeutscher Bau-
gewerks-Anzeiger, 1901, No. 13, S. 98.
Wohnungsnot und Grundrente. 45
Magdeburg und Hamburg. Hamburg fordert Uebergabe in gutem
Zustand und behält sich zur Erzwingung die Forderung der Be-
seitigung der Bahnanlagen und Wiederherstellung des Pflasters vor.
Die französische Regierung hat sich bei Vereinbarung des Heimfalls
von Straßenbahnen bei Paris nötigenfalls sogar die Beschlagnahme
der Einnahmen der letzten 5 Konzessionsjahre zur Sicherung der
Instandhaltung der Bahn vorbehalten.
Das Steigen der Einnahmen der Straßenbahnen bei zunehmender
Bevölkerungsziffer läßt überall in aufblühenden Städten die Ueber-
nahme des Betriebes der Straßenbahnen durch die städtischen Ver-
waltungen erwünscht erscheinen. Mit Uebernahme des Betriebes
würden die städtischen Verwaltungen lediglich das vom preußischen
Staat durch die Verstaatlichung der Eisenbahnen gegebene Beispiel
befolgen.
Die steigenden Betriebseinnahmen werden für die für den Er-
web der bestehenden Linien aufzuwendenden Opfer entschädigen,
daneben außerdem große Gewinne aufbringen.
Die Besserung der großstädtischen Wohnungsverhältnisse ist
somit nicht bloß ohne Eingriff in erworbene Rechte, ohne Schädigung
gewordener Werte, möglich, sondern verheißt auf die Dauer sogar
unmittelbare Erhöhung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Ge-
meinden.
6. Landwirtschaft. Arbeiterfrage. Stadt und Land.
Die großstädtische Wohnungsfrage kann freilich mit Rücksicht auf
den auf Kosten der Landwirtschaft fortdauernden Zudrang zu den
großen Städten des Westens nicht ohne Rücksicht auf den, von seiten
der Landwirtschaft betonten, Zusammenhang mit der ländlichen Ar-
beiterfrage behandelt werden. Gleichwohl wird die Besserung mit
Rücksicht auf die Schädigung des Volkswohls durch die Sterblich-
keitsverluste und der Wehrkraft durch Verkümmerung der Gesund-
heit, namentlich der Brust und des Nervenlebens, nicht aufgeschoben
Werden können. Wohl aber wird auf gleichmäßige Förderung von
Stadt und Land Bedacht zu nehmen sein.
Das nächstliegende Interesse der Landwirtschaft fordert Fest-
haltung der Arbeiter auf dem Lande. Bei der einmal gegebenen
Freizügigkeit kann diese ohne Besserung der wirtschaftlichen Lage
der Arbeiter nicht durchgeführt worden.
In erster Linie werden die auf dem Lande vielfach sehr kleinen
und in ungenügendem Bauzustande befindlichen Arbeiterwohnungen
zu bessern sein!). Auf den ländlichen Arbeitermangel ist die gerade
im Osten stellenweise als Folge des ungenügenden Zustandes der
Wohnungen sich ergebende große Kindersterblichkeit nicht ohne Ein-
1) Ländliche Arbeiterwohnungen. Zeitschr. der Centralstelle für Arbeiterwohl-
fabrtseinrichtungen, 1894, S. 221.
46 Paul Müller,
fluß. Die Normen für die Besserung der Wohnungen wird die Bau-
polizei an die Hand zu geben haben.
Weitere Besserung der wirtschaftlichen Lage der Arbeiter wird,
wo geringe Verzinsung der Gutswerte jede Geldausgabe empfindlich
macht, durch vermehrte Zuteilung von Deputatland zu erreichen sein.
Die Arbeiterfrau geht nicht mehr in demselben Maße auf Gutsarbeit
wie früher. Der Deputatgarten hat sich vielfach als zu klein er-
wiesen, so daß selbst bei Geburten auf dem Lande schädliche Folgen
ungenügender Bewegung während der Schwangerschaft hervorgetreten
sind. Eigenes Land wird die Frau bearbeiten. Vergrößerung des
Deputatlandes ermöglicht die Haltung von Vieh, die den Arbeiter
befriedigt. Klagen sind beispielsweise in Pommern hervorgetreten,
wo aus Sachsen kommende kapitalkräftige Landwirte mit Einführung
des reinen Geldlohnes dem Arbeiter die Kuh nahmen. Einfachem
Verständnis zugängliche Anleitung zu zweckmäßiger Ausnutzung des
Deputatlandes durch Spatenarbeit und mehrfachen Anbau mit Ge-
müsen nach der Jahreszeit, werden die Erträge bessern. Die Leute
haben gegenwärtig nicht überall die genügende Einsicht zur Aus-
nützung aller möglichen Vorteile !) 2).
Dauernde Förderung der Landwirtschaft ist von ablehnendem
Verhalten gegenüber der städtischen Wohnungsfrage nicht zu er-
warten.
Vielmehr bedarf es dazu in erster Linie der Hebung der Kauf-
kraft der großstädtischen Bevölkerung und der Minderung der Ver-
luste durch die hohe Sterblichkeit, der gleichzeitigen Nutzbarmachung
der für die städtische Wohnungsbesserung erschlossenen Finanzquellen
für Zwecke der Landwirtschaft und gleichmäßigerer Verteilung der
Bevölkerung über das ganze Land. Die Kaufkraft der großstädtischen
Bevölkerung leidet durch die hohe Grundrente. Wo der Arbeiter
für ein einzelnes Zimmer, dessen Herstellung 1500 M. kostet, 220 M.
Miete zahlt, entrichtet er mindestens 100 M. Grundrente, 10 Proz.
eines Einkommens von 1000 M.°). Wo die Raumnachfrage dichter Be-
völkerung die Wohnungsmieten in die Höhe getrieben hat, werden
für die noch mehr gesuchten Geschäftslagen, und wären es nur die
Eckhäuser, noch weit höhere Mieten gezahlt. Die Teuerung der
Ladenmieten verteuert die Bedürfnisse, Ernährung und Kleidung,
um weitere 10—20 Proz. des Arbeitereinkommens.
Eine gewisse Gleichartigkeit der Interessen des ländlichen Grund-
besitzes mit denen der großstädtischen Bevölkerung läßt sich nach-
weisen. Es kommt hier weniger darauf an, daß mit der Verteilung
1) Das Deputatland muß mit seinen Erträgen den Einnahmeausfall ersetzen, den die
Einführung der Maschinenarbeit durch Verdrängung der menschlichen Arbeitsleistung
zur Folge gehabt hat. Namentlich wird die Entziehung der angenehmen, ruhigen
Winterarbeit, die früher das Dreschen gewährte, durch die Dreschmaschine, beklagt.
2) Ucberlassung von etwas mehr Grund und Boden ist neuerdings auch von
anderer Seite empfohlen, um die Landarbeiter an die Scholle zu fesseln. Vgl. Binde-
wald, a. a. O. S. 194.
3) Freese a. a. O. S. 645; Voigt a. a. O. S. 194, 217.
Wohnungsnot und Grundrente. 41
der Großstädte auf größere Flächen die Vorteile der Einbeziehung
in das städtische Gebiet und die damit verbundene Wertsteigerung
des Bodens als Baugrund einer größeren Zahl von Grundbesitzern
und schneller zu gute kommt. Die wichtigere Folge der Verteilung
auf eine größere Fläche ist das Anwachsen der Entfernungen. Je
mehr die Entfernungen wachsen, um so schwieriger wird immerhin
die Bewältigung durch die Transportmittel. Die damit für die In-
dustrie und die Arbeiter verbundenen Nachteile werden freilich da
wilig hingenommen werden, wo besonders großer Verdienst zu er-
zielen ist. Im übrigen werden sie, je mehr die Volkszahl zunimmt,
Verteilung der Bevölkerung auf eine größere Zahl von Wohnplätzen
zur Folge haben.
Je höher die Bodenpreise im Westen im Verhältnis zum Osten
sind, um so größeren Vorteil wird scharfe Handhabung der bau-
polizeilichen Ansprüche an die Größe der Wohnungen und Garten-
flächen dem Osten verschaffen. Je mehr die Vervollkommnung der
Transportmittel Ueberführung großer Mengen von Rohstoffen zu
niedrigen Frachtsätzen nach dem Osten begünstigen, je mehr im
Osten die Industrie entwickelt wird, um so mehr wird die steigende
Entwickelung die Bevölkerung des Ostens steigern, zumal mit Rück-
sicht auf die Nähe des russischen Absatzgebietes der Industrie-
erzeugnisse wesentliche Ersparungen an Bahnfrachten zu erzielen
sein werden, welche die billigeren Kosten der Verschiffung von Roh-
stoffen ausgleichen werden.
Die Rückwirkung industrieller Entwickelung auf den Grund-
besitz kann nicht ausbleiben 11. Der Grundbesitz erhält seinen Wert
durch Nutzbarmachung für menschliche Wirtschaft. Mit steigender
Bevölkerungsdichtigkeit steigt der Wert des Grundbesitzes. Die
fortschreitende Zunahme der Bevölkerung muß die Nachfrage nach
Grund und Boden und den Erzeugnissen der Landwirtschaft steigern,
welche bei dem Wohlstande der städtischen Bevölkerung die Preise
der Erzeugnisse heben muß. Bessere Preise bedingen Hebung der
Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft im Verhältnis zur Industrie,
welche bei steigender Volkszahl die Mittel zu besserer Entlohnung
gegenüber gesteigertem Angebot von Arbeitskräften bieten wird.
Bei der Gleichmäßigkeit der Interessen der Bevölkerung von
Stadt und Land könnte sich vielleicht empfehlen, den Widerstand
der städtischen Bevölkerung gegen die Getreidezölle durch Ueber-
weisungen aus den Aufkünften an die Gemeinden mit der Bestimmung
zur Erleichterung der Aufbringung der Mittel für den Bau von
Straßenbahnen herabzumindern. Die auf die ländlichen Gemeinde-
verbände entfallenden Anteile würden Aufwendungen für Wege-
besserungen und, bei vorhandenem Bedürfnis, zur Beschaffung von
Einrichtungen für Bodenmeliorationen gestatten, welche den ein-
1) Jentsch, Friedrich List, S. 56, 155, 156, Berlin 1901: List verweist auf die
amerikanische Volkswirtschaft.
48 Paul Müller,
zelnen Grundbesitzern gegen Beiträge zum Erneuerungsfonds zur
Verfügung zu stellen sein würden.
Umgekehrt dürfte die Leistungsfähigkeit der Besserungsabgaben
vom unverdienten Wertzuwachs des großstädtischen Baugrundes die
Erwägung ihrer Einführung als Staatssteuer schon aus dem Grunde
nahe legen, um den Gemeinden die Schwierigkeit der Ueberwindung
des Widerstandes der in den städtischen Verwaltungen einflußreichen
Grundeigentümer zu erleichtern !). Für städtische Zwecke genügt eine
Besteuerung der Steigerung mit 5 Proz. Würde der Staat die Steuer
mit Sätzen von wenigen Prozenten allgemein einführen, so würde
die Kommunalabgabe daneben als Zuschlag zu erheben sein, ohne,
wie der Hinblick auf andere Länder lehrt, die Leistungsfähigkeit der
Abgabe zu erschöpfen. Wenn die Zunahme der Wertsteigerung des
Bodenwerts der Großstädte, für die Zeit von 1870—1898, nach den
angestellten Berechnungen 7!/, Milliarden, wie bei der Bevölkerungs-
zunahme zu erwarten, fortdauert, so würde dem Staate ein jährlicher
Zuwachs von 270 Mill. M. für die Besteuerung zur Verfügung stehen
und damit ein jährlicher Steuerertrag von mehreren Millionen Mark.
Ueberweisung dieser aus städtischen Werten aufgebrachten Steuern
für agrarpolitische Zwecke würde der Billigkeit nicht widerstreiten,
weil die Städte fortwährend vom Lande den Zuzug erwachsener
Arbeiter erhalten, deren Erziehungskosten das Land trägt. Die
Aufwendung dieser Beträge zu Bodenbesserungen, zur Urbarmachung
der in der Nähe der Marschen belegenen Haiden und Moore durch
Beschlickung und Entwässerung, zur Verwendung des bei dem Bau
der großen Kanäle ausgehobenen nutzbaren Erdreichs zu Mergelungen,
würde an die besten preußischen Ueberlieferungen anknüpfen. An-
setzung kleiner Bauern auf den erschlossenen Ländereien würde die
Sicherung der Getreideversorgung?) des Landes im Kriegsfall und,
durch Vermehrung der stetigen Elemente, die innere Ruhe fördern,
dem Wohlstande, der Bevölkerungszunahme und der Steigerung der
Wehrkraft des Landes dienen. Die Rückwirkung auf die Entwickelung
und das weitere Steigen des Verkehrs und des Wohlstandes würde
dem Steigen des Bodenwertes der Städte wieder zu gute kommen.
7. Ergebnis.
Der Gang der Untersuchung dürfte in folgenden Sätzen zusammen
zu fassen sein. i À |
Die üblichen Mieten betragen viel mehr als die Verzinsung der
1) Die autonome Leistungsfähigkeit der großen Gemeinden darf nicht über-
schätzt werden. Selbst die meisten Großstädte haben von der Befugnis, besondere
Grund- und Gewerbesteuern einzuführen, keinen Gebrauch gemacht und behelfen sich
mit Prozenten der in der Regel als Grundlage für die großstädtische Besteuerung wenig
geeigneten Staatsstenern; sogar in Berlin. v. Zedlitz, Miquel als Staats- und Finanz-
minister, Preußische Jahrbücher, Juli 1901, S. 3.
2) Zugleich würden dem platten Lande Arbeitskräfte erhalten oder wieder zu-
geführt.
Wohnungsnot und Grundrente. 49
Baukosten. Der UeberschuR ist Grundrente. Weitere Steigerung
der Grundrente ist, als dem Gemeinwohl schädlich, hintanzuhalten.
Das Steigen der Grundrente ist der Beeinflussung zugänglich.
Die Grundrente ist abhängig von Angebot und Nachfrage von Bau-
grund, das Angebot abhängig von der Entwickelung der Straßen-
bahnen und beliebiger Vermehrung fähig. Die Grundrente ist ab-
hängig von der Ausübung des staatlichen Hoheitsrechtes über Grund
und Boden durch die Baupolizei. Die Rücksicht auf die Volks-
gesundheit fordert Anordnung von Normalwohnungen. Bei deren
Anordnung hat die Festsetzung der Bebauungsdichtigkeit Rücksicht
auf die gewordenen Bodenpreise zu nehmen, unter möglichster Aus-
dehnung der landhausmäßigen Bebauung auch auf die Arbeiter-
viertel.
Es ist wegen der allgemeinen Bedrohung der Volksgesundheit
durch die Mißstände der kleinen Wohnungen gerechtfertigt, zur
Erschließung der städtischen Umgebung Straßenbahnen aus städtischen
Steueraufkünften zu bauen, und in städtischen Betrieb zu nehmen.
Die Billigkeit fordert Heranziehung der Wertsteigerung der an den
Bahnen liegenden Grundstücke zu Beiträgen, außerdem Besteuerung
der Wertsteigerung des Baugrundes überhaupt zur Durchführung
der Anforderungen der Hygiene.
Einen Anhalt für die Durchführbarkeit der Vorschläge und die
Ausdehnungsmöglichkeit der Städte bieten amerikanische Städte.
Boston hat bei 700000 Einwohnern einen Stadtbereich von etwa
122 englischen Quadratmeilen, annähernd 320 qkm, also nur 22 Ein-
wohner auf dem ha; Philadelphia, die „City of Homes“, bedeckte
1893, bei durchschnittlich 32 Einwohnern auf dem ha, im Einzelhause
5,8, mit nur 1050000 Einwohnern 130 Squaremeilen oder 320 qkm,
etwa die Fläche Londons ohne Vororte. Auf die englische Quadrat-
meile, 2,56 qkm, kommen in Boston 8 englische Meilen Straßen-
bahnen. Im Verhältnis zu den englischen Großstädten ist diese
Entwiekelung ein außerordentlicher Fortschritt. Es darf aber nicht
verkannt werden, daß die englischen Städte, vermöge der durch-
geführten Sitte des Einzelhauses und der besseren Verbindungen
nach der Umgebung, freilich nicht in den inneren Stadtteilen, einen
großen Vorteil gegenüber den deutschen Städten besitzen. Die
amerikanischen Straßenbahnen sind großenteils in städtischem Be-
triebe, in New York seit 18521). Die englischen Städte beginnen
neuerdings gleichfalls den Bau städtischer Straßenbahnen in den
inneren?) Stadtteilen unter Aufnahme von Anleihen, welche bei der
starken Benutzung der Strecken gute Verzinsung gewährleisten. Die
äußeren Verbindungen genügen in England meistens.
Den anzubahnenden Reformen steht das Interesse der Land-
wirtschaft nicht im Wege. Vielmehr fordert dasselbe Wohnungs-
1) Gustav Cohn, Die Zukunft der Straßenbahnen, S. 796. Der Lotse, Wochen-
schrift, Hamburg 1901, 16. März.
2) Zeitschr. f. Kleinbahnen, 1900, S. 283,
Dritte Folge Hd. XAI (LXXVII). 4
50 Paul Möller, Wohnungsnot und Grundrente.
besserung auch auf dem Lande, daneben Herabsetzung der städtischen
Grundrente zur Förderung der Kaufkraft der großstädtischen Be-
völkerung. Minderung der Sterblichkeit muß zu allmählicher Hebung
des Arbeitermangels und zu gleichmäßigerer Verteilung der Be-
völkerung führen.
Die Wirtschaft von Stadt und Land steht in gegenseitiger
Wechselwirkung, und es ist im Interesse des sozialem Friedens
wünschenswert, diese Wechselwirkung bei der Erschließung von
Steuerquellen zur Geltung zu bringen.
Die Durchführung der Vorschläge wird berechtigten Klagen der
Arbeiterbevölkerung abhelfen, der Landesverteidigung durech bessere
Entwickelung der physischen Kraft und Erhaltung des guten Geistes
der Mannschaft 1) zu gute kommen, durch Betonung der Gremeinsam-
keit der Interessen Annäherung der Industrie und des Arbeiter-
standes an die staatserhaltenden Kräfte der Landwirtschaft fördern.
1) v. Blume, a. a. O. S. 34, 35.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 51
Nachdruck verboten.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
I
Die wirtschaftliche Bedeutung der deutschen Privat-
versicherungsgesetzgebung.
Von Dr. Alfred Manes in Göttingen.
Einleitendes.
Der 1. Januar 1902 ist der Tag, an welchem auch für die deut-
sche Privatversicherung ein Stück Reichs- und Rechtseinheit beginnt
md die Freizügigkeit auch ihr eingeräumt wird. Denn mit diesem
Termin tritt das Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen
vom 12. Mai 1901!) in seinem ganzen Umfang in Kraft.
Es ist die erste reichsgesetzliche Kodifikation, welche
einheitliche Normen für das Verwaltungsrecht der deutschen
Privatversicherung bringt, ohne daß darin das Civilrecht vergessen ist.
Wenn man nun bedenkt, daß im Reichsgebiete annähernd 350 größere
Versicherungsunternehmungen thätig sind?), deren Prämieneinnahmen
1899 sich auf über 938 Millionen beliefen, daß daneben wohl noch an
6000 kleinen lokalen Vereinigungen zu Versicherungszwecken zu zählen
sein dürften; wenn man weiter beachtet, daß die großen Anstalten Ende
1899 nicht weniger als 3 Milliarden M. an Aktiven aufzuweisen hatten 3)
und daß bei ihnen weit über 150 Milliarden Werte, d. i. der drei-
fache Betrag der Börsenwerte, versichert sind, für die 1899 über 425 Mill.
Schadenzahlungen geleistet werden mußten: so erhellt daraus die enorme
1) Der Text des Gesetzes ist abgedruckt im Oktoberheft des Jahres 1901 dieser
Zeitschrift. — Wo nichts anderes vermerkt ist, nehme ich im folgenden Bezug auf meinen
bei Hirschfeld-Leipzig 1901 erschienenen Kommentar, da hier die gesamten Auslegungs-
materialien meist unverkürzt verwertet sind. Weitere Kommentare sind erschienen von
Neumann, Rehm, Könige, Deybeck, Alexander-Katz, Müller und Prager sowie Randow
\Assekurunzalmanach). Angekündigt ist ein solcher von v. Knebel-Döberitz u. Broeker.
2) Die statistischen Angaben sind der von B. Irányi verfertigten Statistik in
Ehrenzweig’s Assekuranzjahrbuch , 22. Jahrg., Wien 1901, entnommen. Vergl. dort
besonders LIL. Teil S. 277 ff.
3) In den letzten 5 Jahren haben die Fonds um eine Milliarde M. zugenommen, ein
wohl beispielloser Erfolg. Vergl. über die Entwickelung aller Versicherungsarten in
allen Ländern neuestens den vortrefflichen „Assekuranzatlas‘“ von Stefan, Wien 1901.
4*
52 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Tragweite des neuen Gesetzes für die weitesten Kreise unserer Volks-
wirtschaft, und es bedarf keiner Rechtfertigung, warum an dieser Stelle
das neue Gesetz einer Besprechung unterzogen werden soll.
Die volle Würdigung des Gesetzes ist aber nur möglich, wenn
man sich vergegenwärtigt, welche Rechtszustände vor seinem Erscheinen
geherrscht haben, und wenn seine Hauptbestimmungen im einzelnen auf
ihre wirtschaftliche Tragweite hin untersucht sowie einer objektiven
Kritik unterzogen werden. Dabei dürfte ein gelegentlicher Seitenblick
aufs Ausland ebenso von Vorteil sein, wie die Schilderung der Ent-
stehung des Gesetzes.
I. Die rechtlichen Verhältnisse der Privatversicherung vor dem
Gesetz vom 12. Mai 1901.
Nach $ 6 der Reichsgewerbeordnung findet diese „keine
Anwendung auf den Gewerbebetrieb der Versicherungsunternehmer“,
aber nicht etwa, weil der Gesetzgeber unumschränkte Gewerbefreiheit
für diesen Betrieb schaffen wollte, sondern weil er ein besonderes Gesetz
hierfür beabsichtigte, wozu Art. 4 No.1 der Reichsverfassung die
Handhabe bietet. Hier werden nämlich als „der Beaufsichtigung des
Reiches und der Gesetzgebung derselben“ unterliegend bezeichnet: „die
Bestimmungen über den Gewerbebetrieb, einschließlich des Versiche-
rungswesens“.
Solange aber das Reich von der ihm zustehenden Befugnis keinen
Gebrauch gemacht hatte, unterstand das private Versicherungswesen
nicht einem Reichsgewerberecht, sondern den verschiedenen Landes-
gewerberechten. Und das war bis zum 1. Januar 1902 der Fall.
Wie aber sahen diese Landesgewerberechte aus!
Eine bunte Musterkarte aller Systeme, angefangen vom
freien unbeaufsichtigten Wettbewerb für die gesamte Privatversiche-
rung!) oder für die meisten Zweige derselben ?) bis zum strengen Kon-
zessionsprinzip 3) mit oder ohne Bedürfnisnachweis, sowie anderen Kau-
telen und mit mehr oder weniger Staatsaufsicht: das ist das Bild,
welches uns das Verwaltungsrecht der Privatversicherung bis 31 Jahre
nach der Reichsgründung bietet), Noch mehr verschiedener Rechte,
1) So in Oldenburg, Sachsen-Coburg-Gotha, Hamburg, Bremen und Lübeck,
ferner innerhalb Preußens im Gebiet der ehemaligen Reichsstadt Frankfurt und des
Herzogtums Lauenburg.
2) Nur für die Feuerversichernng bestand Konzessionspflicht in
Preußen für gewisse Teile von Hessen- Nassau und Schleswig-Holstein, in Württemberg,
Sachsen, Baden, Mecklenburg, Lippe-Detmold, Schaumburg-Lippe, Reuß ä. L.; nur die
Lebensversicherung war konzessionspflichtig in Elsaß-Lothringen.
3) Allgemeine Konzessionspflicht bestand in Preußen für die alten
Landesteile sowie für die Provinz Hannover, in Bayern, Hessen, Sachsen-Weimar,
Braunschweig, Anhalt, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Schwarzburg-Rudolstadt,
Schwarzburg-Sondershausen, Reuß j. L., Waldeck.
4) Eine Zusammenstellung aller Gesetze giebt Kummer „Die Gesetzgebung der
europäischen Staaten betreffend die Staatsaufsicht über die privaten Versicherungs-
anstalten“, Bern 1883, S. 56 ff. — Eine systematische Uebersicht über das Konzessions-
recht giebt Ehrenberg in seinem „Versicherungsrecht‘“, Leipzig 1593, S. 18 ff.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 53
als es deutsche Staaten giebt, hat sich die Privatversicherung bis dahin
zu erfreuen gehabt!), denn innerhalb eines Staates gab es mitunter
verschiedene Rechte. So galten in Preußens neuen Provinzen andere
Vorschriften, wie in den alten Landesteilen, ja innerhalb derselben
Provinz waren die für eine Konzessionserteilung zuständigen Behörden
ebensowenig die nämlichen, wie die Beaufsichtigung einer einzigen
Centralbehörde oblag. Drei Ministerien, das des Innern, das Landwirt-
schafts- und das Handelsministerium teilten sich hierein, natürlich ohne
die gleichen Grundsätze aufzustellen.
Zu dieser kaum übersehbaren Buntscheckigkeit hinzu kam die
unzeitgemäße Erscheinung, daß die deutschen Bundesstaaten
sich gegenseitig als Ausland ansahen. Die preußische Aktiengesell-
schaft, die ihr Geschäft beispielsweise nach Hessen ausdehnen wollte,
trat ins Ausland und mußte hier, wie in jedem anderen Bundesstaat,
in dessen Grenzen sie thätig sein wollte, die jeweiligen Bedingungen
erfüllen, die hier bestanden. Der Art. 3 der Reichsverfassung, der ein
gemeinsames Indigenat für ganz Deutschland normiert und für den
Angehörigen jedes Bundesstaates, will er ein Gewerbe betreiben, die
gleiche Behandlung wie für den Inländer festsetzt, konnte an der Be-
handlung der Angehörigen anderer Bundesstaaten als Ausländer nichts
ändern, wenn Konzessionspflicht auch für den Inländer bestand. Nur
wo Gewerbefreiheit für den Inländer herrschte, mußte diese auch dem
„deutschen Ausländer“ eingeräumt werden. Lediglich Bayern, Württem-
berg, Oldenburg und Elsaß-Lothringen waren der Zeit so vorangeeilt,
daß sie die auswärtigen deutschen Anstalten besser behandelten, wie die
nichtdeutschen, nämlich den einheimischen gleichstellten.
Diese schmählichen Zutände waren um so weniger zweckentsprechend,
als gerade das Versicherungswesen auf eine möglichst unein-
geschränkte Entwickelung seinem ganzen Wesen nach ange-
wiesen ist. Abgesehen von den Vereinigungen lokalen Charakters
ist jedes Versicherungsunternehmen von einer großen territorialen Aus-
dehnung in seinem Bestand geradezu abhängig. Nur so kann das Gesetz
der großen Zahl, auf welchem die gesamte Statistik beruht, zur Anwen-
dung gebracht, nur so ein Ausgleich der Risiken herbeigeführt, nur so
die Unabhängigkeit von unberechenbaren örtlichen Zufällen erreicht
werden ?). Die bis 1902 bestehende Rechtszersplitterung war „für die
Gesellschaften drückend und für die Aufsichtsbehörden lähmend“ 3).
Die Mannigfaltigkeit der Gesetze wurde anerkanntermaßen durch
die Mangelhaftigkeit häufig noch übertroffen. Wo es an gesetzlichen
Vorschriften überhaupt fehlte, hatte sich ein Gründungsschwindel
entwickelt, dem die Behörden oft so lange machtlos gegenüberstanden,
1) Nach einem Vortrag des Generalsekretärs Dr. Rüdiger im Verein leitender
Außenbeamten der Lebensversicherung in Berlin, 1900 werden für die Feuerversiche-
rung in Deutschland 99 oder 100 Rechte gezählt.
2) Vergl. die allgemeine Begründung des Entwurfs I, abgedruckt in meiner Ge-
Setzesausgabe S. 13 ff.
3) Vergl. Bödiker, Die „Reichsversicherungsgesetzgebung“, Leipzig 1898. II. Die
Privatversicherung, S. 36.
54 Nationalökonomische Gesetzgebung.
bis das Unternehmen am Zusammenbruch und allgemeines Unheil an-
gerichtet war!). Da mußte die Anwendung des Strafgesetzbuchs nach-
träglich gut machen, was teilweise nur durch die Kurzsichtigkeit der
Gesetzgeber gewisser Bundesstaaten, durch den Mangel eines brauch-
baren Verwaltungsgesetzes verursacht worden war. Bedenklich war
andererseits die in manchen Gebieten den Behörden eingeräumte allzu-
große Machtbefugnis, die in der Möglichkeit freier Widerruflichkeit
einer Konzession zum Ausdruck kam. Auch hier war im Interesse der
Rechtssicherheit eine Abstellung dringend erwünscht.
II. Das Streben nach Rechtseinheit und die Geschichte des neuen
Gesetzes?).
Die Spuren der Bestrebungen nach Vereinheitlichung des öffent-
lichen Rechts der deutschen Privatversicherung lassen sich bis ins
Jahr 1861 verfolgen). Damals wurden sowohl einzelne Stimmen in der
Litteratur laut), als auch auf Versammlungen wissenschaftlicher Körper-
schaften. Auf dem volkswirtschaftlichen Konkreß in Stuttgart fielen
Aeußerungen in diesem Sinne Sie fanden Widerhall 1862 auf dem
deutscheu Juristentag, 1863 auf dem fünften internationalen Kongreß
in Berlin, 1865 auf dem volkswirtschaftlichen Kongreß in Nürnberg und
auf dem Handelstag in Frankfurt a. M.5) 1862 war sogar der Plan
gefaßt worden, eine Gesellschaft zur Förderung der Versicherungs-
gesetzgebung zu gründen. Man geht nicht fehl in der Annahme,
daß es diesen Bestrebungen zu verdanken ist, wenn in der Ver-
fassung des Norddeutschen Bundes vom 25. Juni 1867 in dem
in die Reichsverfassung übergegangenen Artikel IV die Grundlage
für die Rechtseinheit geschaffen wurde. Auf diesem Fundament
sogleich weiter zu bauen, bestand die beste Absicht. Aber man fand
sofort Schwierigkeiten, an deren Ueberwindung man sich nicht heran-
getraute, die aber zweifelsohne ebenso erheblich überschätzt worden
sind, wie man die Wichtigkeit eines Reichsgesetzes in weiten Kreisen
trotz steter Mahnung unterschätzt hat oder richtig einzuachätzen außer
stande war. Bei der Abfassung der Gewerbeordnung für den
Norddeutschen Bund wurde das Versicherungswesen zwar nicht ver-
gessen, seine Regelung aber, wie erwähnt, in dem Gesetz selbst mit
1) Vergl. dazu auch meinen Aufsatz „Zum deutschen Versicherungsgesetzentwurf“
in der „Gegenwart“, 1901, No. 5. Siehe auch Baumgartner in seiner Zeitschr. f. Vers.-
Recht u. -Wissensch., 1897, Bd. 3, S. 875 f.
2) Vgl. Bödiker S. 36, sowie C. v. W(oedtke) in Schmoller’s Jahrbüchern, 1898, ‚Ueber
Privatversicherungswesen‘“, S. 840 ff.; ferner ist zu vergleichen die Einleitung meiner
Ausgabe S. 1—22. Weitere Litteraturangaben bei Hager, „Die öffentlich-rechtliche
Regelung des Privatversicherungswesens in Deutschland“, Berlin 1900, namentlich $S. 35,
Anm. 1.
3) Vgl. Saski, „Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Versicherungswesens“.
3. Aufl., Leipzig 1869.
4) Vergl. insbesondere die Vorschläge von Jacobi in der Zeitschrift des Königl.
Preuß. Statistischen Bureaus 1862 No. 6, 1563 No. 1 u. 8.
5) Vergl. das hierfür von Knoblauch erstattete Referat „Die Fehler und Mängel
des Feuerversicherungsrechts‘“ 1865.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 55
Absicht übergangen und einem Sondergesetz vorbehalten.
Die Motive der Gewerbeordnung rechtfertigen diesen Schritt mit den
Worten, ein solches Vorgehen sei angebracht, „teils durch die besondere
Stellung der Versicherungsunternehmungen, welche, soweit sie auf Gegen-
seitigkeit beruhen, nicht die Natur eigentlicher Erwerbsunternehmungen
haben, teils dadurch, daß die bezügliche Gesetzgebung aus dem
Rahmen der Gewerbegesetzgebung heraustritt, wenn sie die Bedingungen
der Entstehung der Versicherungsgesellschaften als juristischer Personen
regelt, teils endlich dadurch, daß die in den Bundesstaaten bestehenden
Bestimmungen über das Versicherungswesen so verschiedener Natur
sind und so vielfach in andere Gebiete hinübergreifen, daß die einheit-
liche Regelung derselben notwendig einer besonderen, mehr als die
bloßen Bedingungen der Zulassung zum Gewerbetriebe umfassenden
Gesetzgebung vorbehalten werden muß. Eine gemeinsame Gesetzgebung
über das Versicherungswesen ist im Bundesrate bereits angeregt; und
es liegt in der Absicht, in nächster Zeit an die Lösung dieser Aufgabe
heranzutreten“.
Wie es aber mit dieser Absicht in Wirklichkeit aussah, geht schon
daraus hervor, daß Preußen, wohl in richtiger Erkenntnis der Sachlage,
daß nämlich die Aussicht auf ein Zustandekommen einer gemeinsamen
Gesetzgebung „in ungewisse Ferne“ gerückt sei, ein selbständiges
Vorgehen trotz des Art. IV der Bundesverfassung für notwendig
hielt. Am 1. Februar 1869 überreichte die preußische Regierung dem
Abgeordnetenhaus einen Gesetzentwurf, das Feuerversicherungswesen
betreffend und einen zweiten über den Geschäftsverkehr der Ver-
sicherungsanstalten !), wozu die Grundlagen schon 1862 von dem da-
maligen Decernenten für Versicherungswesen im Ministerium des Innern,
dem um das Versicherungswesen hochverdienten Geheimen Regierungs-
rat Jacobi gegeben worden waren. Preußen glaubte, eine wesentliche
Erleichterung der einheitlichen Gesetzgebung werde herbeigeführt, „wenn
die Speciallegislaturen den allmählichen Uebergang zu einem einheit-
lichen Prinzip vorbereiteten und in den Specialgesetzen diejenigen Kor-
rekturen eintreten ließen, welche sich als unbedingt notwendig heraus-
stellen“. Was Preußen damals als Korrektur ansah, besagt der Art. 1
des Entwurfs: „Zur Errichtung von Versicherungsanstalten jeder Art,
sowie zum Betriebe des Versicherungsgeschäfts bedarf es fortan der
Genehmigung nicht.“ Nur die Erfüllung von Normativbestimmungen
war vorgeschrieben.
Andere Bundesstaaten wollten Preußens gut gemeintem Bei-
spiel folgen. Aber das Ergebnis wäre dann nur neue Rechtsverschieden-
heit gewesen. Das scheint Sachsen-Coburg-Gotha befürchtet zu haben;
und solchen Beweggründen dürfte wohl sein Antrag im Bundesrat vom
1) Vergl. Zeitschrift des Kgl. Preuß. Statistischen Bureaus 1869, Ergünzungsheft,
Kritiken der Entwürfe enthaltend sowie eine Uebersicht über die inländische und aus-
ländische Gesetzgebung ete.; ferner zu vergl. Wallmanns Versicherungszeitschrift, Bd. 10
1569 70. Auch die Handelskammerberichte aus dieser Zeit geben über die Bestrebungen
lehrreichen Aufschluß. Für ein Versicherungsgesetz trat unter anderen auch der Kongreß
Norddeutscher Landwirte 1869 ein.
56 Nationalökonomische Gesetzgebung.
1. März 1869 entsprungen sein, „an den Herrn Reichskanzler das Er-
suchen zu richten, etwa nach Einziehung nötiger Auskunft über die in
den einzelnen Staaten des Norddeutschen Bundes in betreff des Ver-
sicherungswesens geltenden Bestimmungen den Entwurf eines Bundes-
gesetzes über das Versicherungswesen ausarbeiten lassen und dem
Bundesrate zur Beschlußnahme vorlegen zu wollen. Dabei nimmt der
Ausschuß an, daß der Antrag die privatrechtliche Seite nicht im
Auge hat“.
Dem Antrag war Erfolg beschieden, wenigstens sah Preußen nun-
mehr von dem Zustandekommen seiner Entwürfe ab, und der Reichs-
kanzler erließ unterm 31. Juli 1869 ein Rundschreiben im Sinne
des Antrags. Die Gesetzgebung der Einzelstaaten wurde
also zu Gunsten der Reichsgesetzgebung gehemmt, aber
diese stand „in ungewisser Ferne“. Zwar fehlte es durchaus nicht an
Vorschlägen; mehrere Gesetzentwürfe gingen dem Bundesrate zu,
wurden auch veröffentlicht und diskutiert und kritisiert und — ver-
schwanden. Ein Antrag der sächsischen Regierung vom 10. Juni 1870
auf Beschleunigung der Angelegenheit im Bundesrat vermochte daran
nichts zu ändern.
Auch die durch den großen Sieg geförderte deutsche Einheit
blieb ohne günstigen Einfluß auf das Versicherungswesen, hatte vielleicht
eher den Nachteil, daß man die Regelung des Versicherungswesens nun
erst recht zurückstellen mußte, um andere, als wichtiger angesehene
Gesetze zu erledigen.
Im Reichstage erfolgte bereits im Oktober 1871 eine Inter-
pellation bezüglich des Standes der Angelegenheit, und der Reichskanzler
gab die Erklärung ab, daß das gesamte zur Bearbeitung des Gegen-
standes nötige Material gesammelt sei und vorliege, und man werde
„unverzüglich an die Bearbeitung“ gehen, aber bis zum Jahre 1874
hörte man nichts mehr von der Versicherungsgesetzgebung. Damals
gab gelegentlich der Besprechung einer Petition ein Kommissar des
Reichskanzleramtes die Erklärung ab, daß der Gesetzentwurf vor seiner
Einbringung im Reichstage einer Sachverständigenkonferenz unterbreitet
werden sollte!), und nach 5 Jahren erklärte abermals ein Regierungs-
vertreter in der Petitionskommission, daß eine solche Unterbreitung noch
nicht stattgefunden habe. Der Reichstag faßte dann auf Antrag der
Kommission den Beschluß vom 14. Mai 1879, „die Regierung um
baldigste Regelung des Versicherungswesens entsprechend Art IV
Ziff. 1 der Reichsverfassung zu ersuchen“, ein im Jahre vorher schon
vom preußischen Abgeordnetenhause beliebtes Vorgehen.
Es folgte ein neuerlicher Schriftwechsel des Reichs-
kanzlers mit den Bundesregierungen, aus dem das Rund-
schreiben?) vom 11. August 1879 hervorzuheben ist, welches die
1) Aus der Litteratur dieser Zeit ist anzuführen Gerkrath, Zur Versicherungs-
gesetzycbung 1875.
2) Abgedruckt bei Elster: „Die Lebensversicherung in Deutschland“. Habilitations-
schrift 1884, woselbst die Hauptdaten der Entwickelung angegeben sind und die Probleme
der Gesetzgebung gewürdigt werden.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 57
Grundsätze darlegt, auf denen der künftige Entwurf aufgebaut sein
sollte 1). Alleinige Regelung der verwaltungsrechtlichen Seite unter Aus-
schluß der Besteuerungsfrage, Ausschluß der Transport- und Rück-
versicherung von der gesetzlichen Regelung, ebenso der öffentlichen
Versicherungsanstalten, Beschränkung der Vorschriften auf Aktien- und
Gegenseitigkeitsunternehmungen: das sind schon hier vertretene Gesichts-
punkte. Konzessionsprinzip oder Normativbestimmungen ? ist die an die
Einzelstaaten gerichtete Hauptfrage, welcher andere über die Normen
bezüglich des Geschäftsbetriebs, der Prämienreserven, Rechnungslegung
us. w. folgen. Im Jahre 1881 wurde ein zweites Ruudschreiben
vom Reichskanzler erlassen, das sich besonders auf statistische Er-
hebungen bezog.
Damals war der spätere erste, hochverdiente Präsident Dr. Bödiker
Referent für das Gewerbewesen im Reichsamt des Innern ?). Als solchem
wurde ihm, vermutlich auf sein eigenes Betreiben hin, „da die Materie
sein ganz besonderes Interesse in Anspruch nahm“, der Auftrag zu teil,
„das schon vorhandene Material aus den Akten hervorzuholen und zu
bearbeiten“, um einen Privatversicherungs-Gesetzentwurf vorzubereiten.
Hieraus ist meines Erachtens die Schlußfolgerung zu ziehen, daß alle
seit Ende der 60er Jahre von der Regierung hinsichtlich dieser Kodi-
fkation gegebenen Versprechungen bis 1881 im wesentlichen eben
lediglich Versprechungen waren, daß wenigstens ein amtlicher Gesetz-
entwurf vor 1881 noch nicht vorhanden war und Bödiker als der
eigentliche Stammvater des jetzigen Gesetzes zu be-
zeichnen ist.
Bödiker unterzog sich seiner Aufgabe, indem er auch hier, wie so
oft an anderer Stelle, es meisterhaft verstand, in enge Fühlung mit den
Interessentenkreisen zu treten und deren berechtigte Forderungen
möglichst uneingeschränkt zu erfüllen bemüht war. Noch bevor der
Bödiker'sche Entwurf dem Reichsamt des Innern unterbreitet wurde,
wurde er in einer Konferenz mit Sachverständigen im Januar 1883
durchberaten. Hier wurde der ursprüngliche erste Entwurf sogleich
abgeändert und ein zweiter, um etwa 20 Paragraphen vermehrter auf-
gestellt, „wobei dieser zweite Entwurf alle die Anregungen und Wünsche,
die die erste Beratung zeitigte, von vornherein berücksichtigte, während
die Resultate der zweiten Lesung — März 1883 — in den zweiten
Entwurf mit aufgenommen wurden“). Da die Sachverständigen „an
Kenntnissen auf dem Gebiete des Versicherungswesens mitbrachten,
was davon überhaupt in Deutschland zu sammeln war“ und die Kon-
ferenzen „zu allseitiger Befriedigung“ verliefen, indem man sich „über
alle wesentlichen Punkte“ einigte, so hätte angenommen werden können,
daß, wäre der damalige Entwurf Gesetz geworden, „sowohl die Inter-
essen der Versicherungsgesellschaften als auch die der Versicherten und
1) Ueber die Stellungnahme hierzu vergl. die Handelskammerberichte 1879.
2) Bödiker S. 41f. l. c.
3) Der Darstellung der Thätigkeit Bödiker’s liegen teilweise direkte Mitteilungen
zu Grunde, die dieser in liebenswürdigster Weise dem Verfasser neuerdings zukommen
ließ. Dadurch ist eine gewisse Ergänzung der Einleitung meiner Ausgabe S. 8 möglich.
58 Nationalökonomische Gesetzgebung.
endlich auch die der zu berufenden Aufsichtsorgane einen billigen Aus-
gleich gefunden hätten“. Als Bödiker aus dem Reichsamt des Innern
schied, hinterließ er hier diesen Entwurf, zu dem er dann noch als
Präsident des Reichsversicherungsamts dem Reichsamt des Innern die
allgemeinen Motive und einen großen Teil der Specialmotive über-
lieferte.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß, wäre Bödiker dem Reichs-
amt des Innern erhalten geblieben, das Privatversicherungsgesetz viele
Jahre früher ans Tageslicht getreten wäre. So aber fiel die Materie
wieder der Vergessenheit anheim, welche innere Gründe dies veranlaßt
haben, entzieht sich der Besprechung. Erst Ende der 90er Jahre kamen
die Gesetzgebungsarbeiten wieder in Fluß. Im Januar und April 1898
fanden unter Heranziehung von Sachverständigen streng geheime Be-
retungen im Reichsamt des Innern statt, denen damals der jetzige Präsi-
dent des Aufsichtsamts für Privatversicherung Dr. v. Woedtke vor-
stand.
Am 26. November 1898 wurde der erste Entwurf eines Gesetzes
über die privaten Versicherungsunternehmungen veröffentlicht). Seine
Redaktion rührt von dem Geheimen Oberregierungsrat im Reichsamt
des Innern, Gruner, her. Er ist auf der Grundlage der Bödiker’schen
Vorarbeiten aufgebaut und enthält diese größtenteils sowohl im Gesetzes-
text, wie in den Motiven. Die Abänderungen sind allerdings weniger
der Zahl wie der Wichtigkeit nach bedeutend ?).
An den Entwurf knüpfte sich eine lebhafte Kritik, die in erster
Linie gar oft in recht wenig parlamentarischem Tone von der Fach-
presse geführt wurde, während die Tageszeitungen in ihrer großen
Mehrzahl, die Bedeutung desselben verkennend, sich meist mit einigen
kurzen Notizen begnügten. Auch zahlreiche Interessentenverbände, die
Handels- und Landwirtschaftskammern u. s. w. nahmen größtenteils in
Petitionen Stellung zu ihm; die objektive, wissenschaftliche Kritik war
sehr zurückhaltend. Nur das schon bereits in Bezug genommene Buch
von Gerichtsassessor Dr. Hager verdient als eine umfassende kritische
Arbeit hier hervorgehoben zu werden). Der erste Entwurf wurde im
Reichsamt des Innern von den verschiedenen Ressortvertretern wiederholt
durchberaten und alsdann den einzelnen Bundesregierungen, im März 1900
dem Bundesrate vorgelegt. Eine Anzahl von Aenderungen*) wurden im
Bundesrat bewirkt; und in der hier festgestellten Fassung gelangte die Vor-
lage als zweiter Regierungsentwurf am 14. November 1900 an
den Reichstag. Am 29. November 1900 erfolgte hier die erste Lesung im
Plenum und gleichzeitig die Ueberweisung an eine Kommission von
21 Mitgliedern, welche unter dem Vorsitz des Abgeordneten Finanzrat
1) Es waren auch mehrfach von privater Seite Entwürfe angefertigt worden, so
von Cohen, Neumann u. a. Vergl. dazu Baumgarten in seiner Zeitschr. f. Versicherungs-
recht und -Wissenschaft, Bd. 2, 1896, S. 556 ff., Bd. 4, 1898, S. 1ff., 767 ff.
2) Die Bödiker’schen Grundsätze in dessen Schrift S. 42 ff.
3) Beachtenswert auch Einhauser’s Kritik in der Zeitschrift f. d. gesamte Staats-
wissenschaft, 25. Jahrg., 2. Heft. Hier sind jedoch nur einzelne Punkte erörtert.
4) Diese sind in meiner Ausgabe S. 18 ff. verzeichnet.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 59
Büsing in der Zeit vom 11. Januar bis 13. März 1901 in 26 Sitzungen
tagte und abermals Modifikationen !) vornahm. Der zu diesem Kom-
missionsentwurf erstattete ausführliche Kommissionsbericht hat den
Landgerichtsdirektor Zehnter zum Verfasser. Die zweite Lesung
des Gesetzes fand in den letzten Tagen des April, die dritte Lesung
am 2. Mai 1901 statt. Während in der zweiten Lesung der Gesetzes-
wortlaut in wenigen Punkten noch einmal neuen Aenderungen unterworfen
wurde, erfolgte in der dritten Lesung seine Annahme en bloc.
Das Gesetz ist veröffentlicht in No. 18 des Reichsgesetzblattes,
ausgegeben zu Berlin am 22. Mai 1901.
III. Das Gesetz vom 12. Mai 1901 systematisch und kritisch
betrachtet.
„Geradezu verwunderlich“?) bezeichnet Bödiker mit Recht das lange
Ausbleiben der Versicherungsgesetzgebung. Denn „was auch immer
bei ihr herauskommen mag, es kann niemals eine Verschlechterung,
nur eine Verbesserung des zur Zeit im Reiche bestehenden Zustandes
sein?)“. In der That herrscht auch nur über das Maß der Verbesserung
geteilte Anschauung.
Um dem Gesetz in seiner wirtschaftlichen Bedeutung voll gerecht
zu werden, empfiehlt sich eine Betrachtung der Einzelbestim-
mungen jeweils nach den Gesichtspunkten:
Welche Fortschritte bringt das Gesetz der gesamten Volkswirt-
schaft ?
Welche Bedeutung hat das Gesetz für die Versicherungsunter-
nehmungen ?
Welche Vorteile bringt das Gesetz den Versicherten’?
Eine strikte Disponierung nach diesem Schema ist jedoch deshalb wenig
angebracht, weil die einzelnen Normen sehr häufig für alle drei Gesichts-
punkte in Betracht kommen. Die folgende Darstellung schließt sich
daher im allgemeinen der Disposition des Gesetzes anê).
1) Vereinheitlichung des Rechts. Der Rahmen
des Gesetzes.
Der Hauptvorteil des neuen Gesetzes ist in der Schaffung einer
einheitlichen Rechtsgrundlage für das gesamte Reichsgebiet
zu erblicken. Aber diese Grundlage umfaßt durchaus nicht alle
Materien, die für die Privatversicherung in Betracht kommen, das
Gesetz beschränkt sich prinzipiell auf die Regelung der öffent-
lichen, des Verwaltungsrechts, scheidet also von vornherein
die Ordnung des Versicherungsvertrags aus 1) Nur die Verhältnisse
1) Vergl. meine Ausgabe S. 16 ff.
2) S. 57 seiner erwähnten Schrift.
3) Im folgenden werden unter Ziffer 1—6 die Bestimmungen besprochen, die für
neu zu gründende Anstalten in Frage kommen. Die Einwirkung des Gesetzes auf die
bestehenden Gesellschaften wird in einem besonderen Kapitel berührt.
4) Ein Gesetz über den Versicherungsvertrag soll in Vorbereitung begriffen sein.
Siehe unten sub V.
GO Nationalökonomische Gesetzgebung.
zwischen den Privatversicherungsunternehmungen und dem Staat, nicht
aber die Beziehungen zwischen Unternehmungen und Versicherten will
das Gesetz mit seinen Normen umfassen. Doch das Prinzip ist nach
einer doppelten Richtung hin durchbrochen. Einmal wird auch das
Civilrecht nicht unerheblich berücksichtigt: die Gegenseitigkeits-
vereine erhalten durch das Gesetz zum ersten Male in Deutschland eine
einheitliche Gestaltung. (Darüber unter 4) Auch konkursrechtliche
und sonstige privatrechtliche Normen enthält das Gesetz!). Dieses
Hinausgehen über die selbstgezogenen Grenzen war — wie noch
gezeigt werden wird — ebenso notwendig, wie nützlich. Tadelns-
wert hingegen erscheint der völlige Ausschluß der zahlreichen
auf Landesrecht beruhenden öffentlichen Versiche-
rungsanstalten ($ 120)?) und landesgesetzlicher Vor-
schriften ($ 121). Die Feuersocietäten, die staatlichen Hagel- und
Viehversicherungsanstalten bleiben unberührt von dem neuen Gesetz.
Ebenso bleiben die landesrechtlichen Vorschriften über polizeiliche
Kontrolle der Feuerversicherungsverträge — jedoch unter Beseitigung
der Präventivkontrolle, — über Leistungen für gemeinnützige oder
Feuerlöschzwecke u. dgl. m. bestehen ($ 121) Nach Ansicht des
Gesetzgebers fehlt ein ausreichender Anlaß zur Einbeziehung der
öffentlichen Anstalten in die Neuregelung des Verwaltungsrechts, ein
Bedürfnis dazu sei nicht vorhanden. Der wahre Grund zeigt aber
deutlich partikularistische Symptome. „Jede Aenderung in dieser Richtung
würde als unliebsamer und ungerechtfertigter Eingriff in die Thätigkeit
und Selbständigkeit historisch gewordener Landesinstitute und in die
landesgesetzliche Behördenzuständigkeit empfunden werden.“ Nur ein
Paragraph des Gesetzes bezieht sich auch auf diese Anstalten ($ 119),
wonach sie gemäß näherer Anordnung des Bundesrats bestimmte statistische
Nachweise über ihren Geschäftsbetrieb zu machen haben. Die weitere
Anordnung der Rechnungslegung nach einbeitlichem Schema und die
Pflicht zur Veröffentlichung in einem Centralorgan wäre höchst zweck-
entsprechend gewesen. Hingegen ist den Motiven durchaus darin zu-
zustimmen, daß es nicht Aufgabe des Gesetzes ist, die Konkurrenz-
bedingungen der verschiedenen Arten von Versicherungsunternehmungen
zu einander zu regeln, so wenig wie es angebracht erschien, der
Forderung nachzugeben, die Errichtung neuer Monopolanstalten zu ver-
bieten u. dgl. m. Das ist nicht Sache des Gesetzgebers, in die Ent-
wickelung des Versicherungswesens dergestalt einzugreifen. Das beste
Schutzmittel gegen eine solche Verstaatlichung, deren Einführung nur
für eine ganz geringe Zahl von Versicherungsarten überhaupt in Frage
kommen könnte, ist und bleibt die möglichst weitgehende Anpassung
der Privatversicherung an die Bedürfnisse des Lebens 2) und die Auf-
1) Hierdurch entstehen für die juristische Auslegung vieler Gesetzesstellen erheb-
liche Schwierigkeiten, da oft nicht ersichtlich ist, ob eine Bestimmung öffentlich-recht-
licher oder privatrechtlicher Natur sein soll.
2) Vgl. dazu u. a. Emminghaus in der Zeitschrift für Sozialwissenschaft, Jahrg. 1900
S. 889. — Hager, S. 63 ff.
3) Hierbei soll nicht unterlassen werden, darauf hinzuweisen, wie wenig Anhang
Nationalökonomische Gesetzgebung. 61
fassung ihres Berufes nicht einzig und allein vom geschäftlichen
Standpunkt). Gegen den Ausschluß der eingeschriebenen Hilfs-,
der Innungs- und Knappschaftskassen ($ 122) lassen sich
ähnliche Bedenken erheben, wie gegenüber den öffentlichen Feuer-
soeietäten. Gerade für die zahllosen kleinen Vereine wäre eine einheit-
liche Aufsicht in vieler Hinsicht sehr am Platze?). Der berechtigte
Ausschluß, der Transport-, Kursverlust- und Rückversicherung ist in
anderem Zusammenhang zu besprechen.
Sehr bedauerlich ist, daß der Gesetzgeber Abstand davon genommen
hat, steuerrechtliche Fragen in das Gesetz hineinzuziehen 3).
In Bezug auf die Besteuerung der Versicherungsunternehmungen herrschen
dieärgsten Mißstände. Vielfach sind hier wiederholte Doppelbesteuerungen
möglich und üblich®), ohne daß ein Schutz hiergegen gegeben ist. Die
Motive verkennen die Mißstände auch nicht, „daß infolge der Verschieden-
heit der steuerlichen Grundsätze in den verschiedenen Staatsgebieten
Unzuträglichkeiten und Unbilligkeiten nicht ausgeschlossen sind“. Aber
wenn auch diese Frage nicht leicht zu lösen war, eine Besserung war
nicht ausgeschlossen. Die Abstandnahme davon bedeutet eine Hinaus-
schiebung der steuerlichen Regelung auf ungewisse Zeit, das Fort-
bestehen durchaus berechtigter Klagen der Versicherungsunternehmungen.
Auch hier sind es offenbar partikularistische Beweggründe, die diese
Mängel des Gesetzes verursacht haben. Um eine nennenswerte finanzielle
Einbuße hätte es sich, soweit sich dieses übersehen läßt, nicht für einen
einzigen Staat gehandelt. Die Lösung der Frage wird aber dadurch,
daß man sie überhaupt fallen ließ, für einen späteren Zeitpunkt nicht
leichter. Ihre Regelung hätte sicherlich auch manchen Gegner des
Gesetzes milder gestimmt.
2. Konzessionsprinzip und Staatsaufsicht.
Als allgemeiner Vorteil des Gesetzes ist neben der Vereinheit-
lichung die Einführung des Konzessionsprinzips mit Staats-
Wagner mit seinen Verstaatlichungsprojekten für die Privatversicherung im allgemeinen
gefunden hat. Wenn man häufig seinen Lehren mit einer gewissen Gereiztheit begegnet
ist und sie mit recht unparlamentarischen Ausdrücken in der Fachpresse bekämpft hat, so
ist auf der anderen Seite zu berücksichtigen, daß Wagner sich die Bekämpfung seiner
Gegner insofern häufig sehr leicht macht, als er immer wieder einfach erklärt, von ihren
Argumenten nicht überzeugt zu sein. Vergl. insbesondere die Anmerkungen zu seinem
„Versicherungswesen‘“ im Schönberg’schen Handbuch, 4. Auflage.
1) Vgl. dazu den Aufsatz von M(anes) „Versicherungsgewerbe und Versicherungs-
wissenschaft“ in Masius’ Rundschau, 1901, Heft 4.
2) In diesem Sinne auch Hager, S. 63.
3) Emminghaus a. a. O. Hager, S. 84 ff.
4) Hager führt (S. 86) folgendes Beispiel an. Ein bayerischer Staatsangehöriger,
der im Königreich Sachsen wohnt und bei einer Gesellschaft in Gotha eine Lebens-
versicherung in Höhe von 10000 M. eingeht, hat zu zahlen
a) gothaischen Stempel 211. Da = 5 M.
b) sächsischen Cha
e) bayerischen 2 2/0 = 20 »
35 M.= 15°/, der 1. Prämie eines Dreißigjährigen.
62 Nationalökonomische Gesetzgebung.
aufsicht zu bezeichnen!) Denn bei der steten Wechselwirkung
zwischen Volkswohlstand und Versicherung ist das System, welches für
die Zulassung von Versicherungsunternehmungen gehandhabt wird, von
großer Bedeutung für die ganze Volkswirtschaft.
Die Kämpfe, die um das System, nach welchem der Versicherungs-
betrieb zu gestatten sei, geführt worden sind und noch geführt werden,
ähneln in ihrer ganzen Erscheinung den augenblicklichen Kämpfen um
die Zollpolitik. Ein Ausgleich der widerstrebenden Meinungen ist hier
ausgeschlossen. Eine Erörterung aller theoretischen und praktischen
Gründe für oder wider das gewählte System erscheint daher unan-
gebracht. Einigermaßen Uebereinstimmung der Gegner herrscht nur in
Bezug darauf, daß dasselbe System nicht gleichmäßig für sämtliche Ver-
sicherungsarten in Anwendung zu bringen ist, daß insbesondere die
Transport-?) und die Rückversicherung, einer strengen gesetzlichen
Regelung und staatlichen Aufsicht nicht in dem Male bedarf, wie bei-
spielsweise die Lebens- oder die Feuerversicherung®). Denn bei jenen
stehen sich meist gleichwertige Kräfte gegenüber, Vertragsparteien, die
beide gleich geschäftskundig und erfahren sind; namentlich im Rück-
versicherungsgeschäft kommen auf beiden Seiten Versicherungsgesell-
schaften in Betracht. Ferner ist bei dem internationalen Charakter der
See- wie der Rückversicherung eine thunlichst große und uneingeengte
Bewegungsfreiheit empfehlenswert.
Das Gesetz bestimmt daher ($ 116), daß Unternehmungen, welche
die Rückversicherung“) oder Transportversicherung be-
treiben, ebenso wie die Kursverlustversicherungsunter-
nehmen weder konzessionspflichtig sind, noch prinzipiell
einer Aufsicht unterstehen sollen. Ausgenommen sind die meist
lokalen Charakter tragenden Transportversicherungen auf Gegenseitig-
keit. Einzelne Gesetzesbestimmungen können durch Bundesratsbeschluß
aber auch auf diese befreiten Versicherungszweige in Anwendung ge-
bracht werden. Dringend erwünscht ist eine solche Anordnung hin-
sichtlich der statistischen Nachweise.
Die hauptsächlichsten Gesichtspunkte, welche für die Gestaltung
des Konzessionsprinzips und der Aufsichtspflicht für die übrigen Ver-
sicherungszweige maßgebend waren, werden in der Begründung des
Gesetzes in vortrefflicher Weise zusammengestellt. Sie seien hier im
Auszug mit unwesentlichen Modifikationen wiedergegeben.
1) Dagegen die gesamte Fachpresse. Vergl. unter anderen Baumgartner in seiner
Zeitschrift Bd. 4 S. 767 ff., ferner Emminghaus in der Z. f. Sozialwissensch., 1900,
S. 850. (Vergl. dort aber die Gegenbemerkungen von Wolff!)
2) Vergl. meinen Artikel „Transportversicherung“. Handw. d. Staatsw. 2. Aufl.
7. Bd.
3) Wie über die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung der einzelnen Ver-
sicherungszweige oft verschiedene Ansichten herrschen, zeigt beispielsweise der Umstand,
daß Hager (S. 55) für eine Einbeziehung der Haftpflichtversicherung „kein genügendes
öffentliches Interesse“ als vorhanden ansieht, weil bei dieser, wie bei anderen Arten seiner
Ansicht nach (S. 56) „nur unbedeutendere volkswirtschaftliche Interessen auf dem Spiele
stehen.“ Dabei betragen die im Jahre 1900 vereinnahmten Haftpflichtversicherungs-
prämien schätzungsweise weit über 10 Mill. M.
4) Diese wollte Bödiker unter das Gesetz gebracht wissen, S. 49 ]. c.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 63
Wollte man von der Annahme ausgehen, daß der Betrieb der Versicherungs-
eschäfte auf eine Linie zu stellen sei mit jedem Gewerbebetriebe, dem gegenüber
Ver: die Gewerbeordnung ein freies Gewährenlassen gesichert ist, daf es dem ver-
sicherungssuchenden Publikum lediglich selbst überlassen werden könne, seine
Interessen im Geschäftsverkehre mit den Versicherungsanstalten zu wahren und
sich durch eigene Wachsamkeit vor Schaden zu schützen, und daß der freie Wett-
bewerb unter den Anstalten mit hinreichender Stärke in dem Sinne wirken werde,
schwindelhafte Unternehmungen auszumerzen und unsolides Geschäftsgebahren auf
die Dauer unmöglich zu machen, dann allerdings würde es einer besonderen staat-
lichen Ueberwachung des Versicherungsbetriebs nicht bedürfen, und dann würde
die Gesetzgebung sich darauf beschränken können, für den Beginn des Geschäfts-
betriebs die Erfüllung bestimmter äußerer Erfordernisse, z. B. hinsichtlich der Ver-
fasung einer Gesellschaft, des Vorhandenseins gewisser finanzieller Garantie-
mittel u. s. w., in Form sogenannter Normativbestimmungen vorzuschreiben.
Würde dann überdies etwa noch die Hinterlegung einer bestimmten Summe als
Kaution verlangt und eine jährliche öffentliche Klarlegung der Betriebsverhältnisse
und der Vermögenslage der Anstalten gefordert, so wäre damit zum Schutze des
Publikums schon ein Uebriges gethan.
Dem Gesetze liegt die entgegengesetzte Auffassung zu Grunde, nämlich die,
daß das öffentliche Interesse an einer gedeihlichen und soliden Entwickelung des
Versicherungswesens in besonders hohem Grade beteiligt ist und dem Staate die
Pflicht besonderer Fürsorge auf diesem Gebiete auferlegt. Maßgebend hierfür ist
insbesondere einerseits die Rücksicht auf die große volkswirtschaftliche,
sozialeund ethische Bedeutung des Versicherungswesens, anderer-
seits auf die Gefahr schwerster Schädigung des Volkswohls, die von einem Miß-
brauche des Versicherungswesens droht und um so näher liegt, als auf diesem
Gebiete des Wirtschafts- und Verkehrslebens selbst der sorgsame und
verständige Bürger ohne Hilfe von anderer Seite zu eigener zu-
verlässiger Beurteilung der Anstalten, denen er sich anvertrauen
muß, regelmäßig nicht im stande ist.
Es ist nicht bloß die Höhe der dem Versicherungszwecke gewidmeten und
der durch die Versicherung . gewährleisteten Summen, welche die wichtige Rolle
es Versicherungswesens im Wirtschaftsleben bedingt; die gesamte Höhe der in
Deutschland in Versicherung gegebenen Werte übersteigt die Summe von 150
Milliarden M., [so daß sie das dreifache der Börsenwerte ausmacht.] Vor allem
müssen auch die eigenartigen, für den Volkswohlstand und das
ethische Volksleben bedeutsamen Funktionen ins Auge gefaßt werden,
durch welche sich das Versicherungswesen von den sonstigen Wirtschaftszweigen
wesentlich abhebt. Wie der durch die Versicherung ermöglichte Schutz des Einzelnen
gegen die vernichtenden und zerrüttenden Wirkungen elementarer Schäden eine
Wichtige volkswirtschaftliche und zugleich kulturelle Errungenschaft bildet, so ist
die durch die Lebensversicherung zu erreichende F Weil der Versicherungsnehmer
für die Zukunft ihrer Familienangehörigen nicht bloß eine für letztere segens-
reiche Bethätigung des Familiensinnes und der Familienpflichten, sondern auch
für den Versorgenden selbst ein Mittel, sich von drückender Sorge für die Zukunft
zu befreien und sich für die Anforderungen der Gegenwart Mut und Schaffens-
freudigkeit zu sichern. Unter diesen Umständen ist es bei der dem deutschen
Volke eigenen Auffassung von den Aufgaben des Staates unmöglich, dem
Staate dem Versicherungswesen gegenüber kein anderes Interesse und keine anderen
Pflichten zuzusprechen, als gegenüber einer beliebigen, auf Erzeugung und Bereit-
stellung materieller Güter für den Volksbedarf gerichteten freien Gewerbethätigkeit.
Dazu kommt, daß der Versicherungsbetrieb mehr als irgend ein anderer
Wirtschaftszweig auf das Vertrauen der Bevölkerung angewiesen ist....
Wird das Vertrauen getäuscht, so leidet das ganze Versicherungswesen EinbuBe . . .
Daß der Einzelne in der Lage wäre, sich durch unrichtige Prüfung ein zu-
treffendes Urteil zu bilden, welcher Unternehmung er sein Vertrauen schenken
dürfe, läßt sich im allgemeinen nicht annehmen ')....
Von vielen Seiten wird ein wichtiger, aber auch ausreichender Schutz des
1) Ebenso Bödiker 8. 53.
64 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Publikums in dem System der Publizität erblickt, wonach gesetzlich dafür
gesorgt wird, daß der Geschäftsplan, nach dem eine Anstalt das Versicherungs-
geschäft betreiben will, und ebenso auch alljährlich die Betriebsergebnisse durch
ausführliche Rechenschaftslegung (Betriebsrechnung, Vermögensausweis, Jahres-
bericht) öffentlich dargelegt werden. Hierdurch werde, so meint man, im weitestem
Maße die öffentliche Kritik der Anstalten und ihrer Geschäftsgebahrungen ermög-
licht und angeregt, unsolidem Treiben gesteuert und dem versicherungsuchenden
Publikum ein Mittel sicherer Orientierung geboten.
Daß die Publizität in diesem Sinne in der That ein wichtiger Faktor ist, um
das Versicherungswesen auf gesunden Bahnen zu erhalten, und daß sie namentlich
in Verbindung mit einer sachgemäß geübten Staatsaufsicht in hohem Grade segens-
reich wirken kann, ist nicht zu bestreiten; daß sie aber für sich allein zur Siche-
rung jenes Zweckes ausreicht, muß ms bezweifelt werden. Selbst wenn durch
die Varöffeitlichingen der Anstalten alle diejenigen Daten geliefert würden, welche
erforderlich sind, um den Sachverständigen ein Urteil über Leistungsfähigkeit und
Solidität eines Unternehmens zu ermöglichen, so ist eine auf den Grund gehende
Prüfung der Gesamtverhältnisse einer größeren Anstalt eine äußerst mühsame und
zeitraubende Arbeit, und es steht sehr dahin, ob solche Prüfungen von interessierter,
rewissenhafter Seite in ausreichendem Maße zur Aufklärung der öffentlichen
leinung zu erwarten sind. Derartigen nur der Sache dienenden Beurteilungen
stehen aber jederzeit solche gegenüber, die unter dem Scheine selbstloser Objektivität
im Dienste bestimmter einseitiger Interessen die Verkleinerung der einen, die
reklamenhafte Anpreisung der anderen Anstalt bezweckt.....
Dazu kommt aber, daß die in üblicher Weise erfolgenden jährlichen Ver-
öffentlichungen der Versicherungsanstalten auch dem gewiegtesten Fachmann doch
nur ein sehr bedingtes Urteil über die Vertrauenswürdigkeit einer Anstalt ge-
statten... .
So wird man aus mannigfachen Gründen, wenn anders nicht überhaupt auf
besondere staatliche Fürsorge für eine gedeihliche, solide Entwickelung des Ver-
sicherungswesens und auf einen besonderen Schutz der Versicherten verzichtet
werden soll, zu dem System einer materiellen Beaufsichtigung der
Versicherungsunternehmungen hingeführt, wie sie der Entwurf vorsieht.
Die Aufsicht soll sich hiernach nicht lediglich in formaler Richtung
bethätigen, indem sie die Einhaltung der durch Gesetz und Satzungen gegebenen
Bestimmungen überwacht. Die Aufsicht soll vielmehr durch Prüfungen
und Entscheidungen materieller Art das Entstehen solcher An-
stalten hindern, welche von vornherein des Vertrauens unwürdig
erscheinen, bei allen zugelassenen Anstalten fortlaufend den ge-
samten Geschäftsbetrieb im Auge behalten und darüber wachen,
daß von dem genehmigten Geschäftsplane nicht abgewichen wird,
in der Geschäftsführung nicht Mißbräuche Platz greifen, welche
die Versicherten gefährden und aus einem zu gemeinnütziger Wirksamkeit be-
stimmten Institut ein gemeingefährliches machen würden. Da, wo veränderte Ver-
hältnisse (z. B. Aenderung der Gefahrenverhältnisse, des Zinsfußes) es nötig machen,
soll die Aufsicht dahin wirken, daß durch Umgestaltung der technischen und
finanziellen Grundlagen des Geschäfts der Bestand und Leistungsfähigkeit der
Anstalt erhalten bleiben, und endlich in Fällen, wo dennoch ein Zusammenbruch
nicht abzuwenden ist, dafür sorgen, daß dem Geschäftsbetriebe rechtzeitig ein Ziel
gesetzt wird und die Abwickelung der Geschäfte ohne willkürliche Beschädigungen
oder Bevorzugungen Einzelner unter gleichmäßiger Wahrung der Interessen aller
Beteiligten erfolgt.
Wenn man gegen das Konzessionsprinzip und die Staatsaufsicht
der Versicherungsunternehmungen anführt, die Staatsbehörde sei hier
so wenig, wie bei den Hypothekenbanken imstande, unsolides Geschäfts-
gebahren aus der Welt zu schaffen; auch wo sie bisher bestanden, sei
nicht alles tadellos hergegangen, so ist darauf zu erwidern, daß eine
völlige Beseitigung von Mißständen überhaupt unmöglich ist. „Und wenn
Nationalökonomische Gesetzgebung. 65
in der That — sagt Büdiker mit Recht!) — trotz des bestehenden
Konzessionszwanges Versicherungsgesellschaften zusammengebrochen sind,
so fragt es sich, wie viele ohne dieses Prinzip untergegangen wären
und wie viele unsolide Gründungen verhindert worden sind“. Und es
ist doch schon ein wesentliches Moment, wenn das Entstehen neuer
schlecht fundierter Anstalten im gesamten Reichsgebiet zu hemmen die
gesetzliche Möglichkeit vorliegt und eine jede Unternehmung sich jeder-
zeit bewußt sein muß, daß Rechenschaft von ihr über den Geschäfts-
betrieb eingefordert werden kann. „Staatsbehörden werden jedenfalls,
darüber kann ein Zweifel nicht bestehen, weit besser imstande sein,
Uebelstände aufzudecken und abzuwehren, als die auf Selbsthilfe ver-
wiesenen Versicherungsbedürftigen und die auf sich allein gestellte
private Kritik. Letztere wird erst dann recht fruchtbar werden können,
wem sie neben der Staatsaufsicht und mit dieser in gegenseitiger Unter-
stützung der Aufgabe waltet, das Versicherungswesen auf vertrauens-
würdger Bahn zu erhalten.“ Hinter der allgemeinen Einführung der
Konzession und Aufsicht nun gar die Vorboten einer Verstaatlichung
der Privatversicherung zu wittern, wie gewisse Organe der Fachpresse
es immer wieder gethan haben, liegt meines Erachtens auch nicht der
geringste Anlaß vor. Vielmehr wird durch die Staatsaufsicht zweifels-
ohne der solide und reelle Geschäftsbetrieb, wie er in den Bundes-
staaten, die schon vor 1902 das Konzessionsprinzip und eine gewisse
Staatsaufsicht hatten, allgemein zu beobachten war, in ganz Deutschland
gleichmäßig sich Bahn brechen.
Die Wahl des durch das Gesetz eingeführten Systems hat auch
die historische Entwickelung für sich. Und wo es, wenn auch
nicht im jetzigen Umfang, galt, hat es sich im allgemeinen bewährt. „Die
Reichsgesetzgebung hat die Aufgabe, die Vertrauenswürdigkeit und das
Ansehen des deutschen Versicherungswesens als einen wertvollen nationalen
Besitz zu hüten, und ein hohes Interesse daran, an den Rechtsgrund-
lagen festzuhalten, auf denen jener Besitz errungen worden ist. Ein
Bruch mit dem Grundsatz der Staatsaufsicht wäre daher nur zu recht-
fertigen, wenn sich, was thatsächlich nicht der Fall, ein zweifellos voll-
kommeneres System darböte.“
. Auch die ausländischen Staaten, welche dasselbe System
eingeführt haben, haben gute Erfahrungen damit gemacht. So Oester-
reich, die Schweiz und die Vereinigten Staaten von Nordamerika nach
dem Vorbild des Staates New York. Die zahlreichen Entwürfe,
welche für ausländische Staaten vorliegen, für Ungarn, Schweden, Nor-
wegen, Holland, Italien lassen sämtlich erkennen, daß man die Staats-
aufsicht für das beste — wenn auch zweifelsohne noch verbesserungs-
fähige — System ansieht.
Nach dieser allgemeinen Rechtfertigung der gewählten Systeme be-
darf es einer Betrachtung der Einzelbestimmungen.
DieErlaubniszum Geschäftsbetrieb wird von dem Kaiser-
lichen Aufsichtsamt für Privatversicherung erteilt, wenn eine
1) 8. 53 1L e.
Tritte Folge Bd, XXIII (LXXVIII).
Qt
66 Nationalükonomische Gesetzgebung.
Unternehmung ihren Betrieb über die Grenzen eines Bundesstaats aus-
dehnt, bei Beschränkung auf einen Bundesstaat von den Landes-
behörden ($$ 2, 4). Mit dem Antrag auf Zulassung sind, um den
Behörden die Prüfung der rechtlichen und wirtschaftlichen Seite des
Betriebs zu ermöglichen, der Gesellschaftsvertrag bezw. die Satzung,
die allgemeinen Versicherungsbedingungen und technischen Grundlagen
einzureichen ($ 4). Von der Bedürfnisfrage ist die Konzession eben-
sowenig abhängig zu machen, wie eine zeitliche D oder örtliche Beschrän-
kung der Konzession zulässig ist, sofern nicht etwa eine solche von
dem Unternehmer gewünscht wird ($ 5). Auch hier mag nochmals auf
den wesentlichen Fortschritt hingewiesen werden, daß die Konzessions-
nachsuchung für das ganze Reich nur mehr bei einer einzigen Behörde
erforderlich ist. In allen Fällen bedarf es dann noch einer Anzeige,
die von dem Vorstand an die Landescentralbehörde jedes Bundesstaats
zu richten ist, in dem der Geschäftsbetrieb stattfinden soll ($ 115, 1).
Die Landescentralbehörden können aber weiterhin verlangen, daß jedes
Versicherungsunternehmen, das nicht seinen Sitz in ihrem Bundesstaat;
hat, einen Hauptbevollmächtigten mit Wohnsitz in dem betref-
fenden Bundesstaat und mit weitgehenden Vollmachten ausgestattet
bestellt. Da als Voraussetzung für dieses Verlangen ein Geschäfts-
betrieb in dem Einzelstaat bestimmt ist, der „von einem solchen Um-
fang werden soll, daß danach die Bestellung eines Hauptbevollmächtigten
sich rechtfertigt“, da weiterhin für mehrere Bundesstaaten zusammen
die Bestellung von einem gemeinsamen Bevollmächtigten möglich und
wahrscheinlich ist, und da schließlich bei Bestreiten des Vorhandenseins
der erforderlichen Voraussetzung der Bundesrat die Entscheidung zu
fällen hat: so erscheint die gegen diesen $ 115 Abs. 2 gerichtete Agi-
tation der Versicherungsgesellschaften — wenigstens gegenüber der
definitiven Fassung — sehr übertrieben. „Illusorisch“ werden die
günstigen Wirkungen des Gesetzes durch diesen heiß umstrittenen
Paragraphen durchaus nicht gemacht, wie vielfach behauptet worden
ist?). Zuzugeben ist aber, daß ein dringendes Bedürfnis für diese Be-
stimmung nicht recht ersichtlich ist. Auch hier hat eben der Partikula-
rismus sein Opfer gefordert. Es ist nur zu wünschen, daß die einzelnen,
namentlich die kleineren und kleinsten Staaten von ihrem Recht auf
einen Hauptbevollmächtigen so wenig als möglich Gebrauch machen.
Denn die Kosten seines Gehalts haben doch am Ende die Versicherten
zu tragen.
Als eine im Interesse der Versicherer wie der Versicherten ge-
troffene Maßregel, der durchaus zuzustimmen ist, erscheint die Bestim-
mung ($ 6), daß Personenvereinigungen, welche die Versicherung ihrer
Mitglieder nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit betreiben, nur noch zu-
gelassen werden, falls sie in der Form von Versicherungsvereinen
auf Gegenseitigkeit errichtet werden, deren Verfassung das Gesetz
genau vorschreibt). ($$ 15—53. Näheres weiter unten.) Mithin sind
1) In der Schweiz erfolgt die Konzession stets nur für höchstens 6 Jahre.
2) So z. B. von Emminghaus — allerdings zum „Entwurf“ — S. 892 l. c.
3) Das Recht der Gegenseitigkeitsscheine war bis 1902 sehr umstritten, da es
Nationalükonomische Gesetzgebung. 67
insbesondere die Genossenschaften vom Versicherungsbetrieb aus-
geschlossen.
„Ob sich diese Rechtsform der Genossenschaft überhaupt zum Betriebe von
Versicherungsgeschäften eignet — so heißt es in den Motiven — darüber herrscht
in der Wissenschaft wie namentlich auch unter den in der Praxis des Genossen-
schaftslebens stehenden Sachkundigen Meinungsverschiedenheit. Die einen glauben,
daß die eingetragenen Genossenschaften nicht die Gewähr der Dauer und der
finanziellen Festigkeit bieten, die für Versicherungsunternehmungen und nament-
lich für die Uebernahme ran Risiken unentbehrlich ist; andere wieder
sehen gerade darin, daß die Genossenschaften sich regelmäßig auf einen räumlich
begrenzten Wirkungskreis beschränken und dabei einen engen persönlichen Zu-
sammenhang und eine gegenseitige Kontrolle der Mitglieder ermöglichen, einen
Vorzug, der sie wenigstens zum Betriebe gewisser Versicherungszweige, wie nament-
lich der Viehversicherung, besonders geeignet erscheinen lasse. Dabei wird betont,
daß sich durch Zusammenschluß der Genossenschaften zu größeren Verbänden
zum Zwecke der Rückversicherung die Gefahren eines auf enge örtliche Grenzen
beschränkten Versicherungsbetriebs vermeiden lassen. Diese zu Gunsten der Ge-
nossenschaften geltend gemachten Gründe treffen in Wahrheit aber nicht sowohl
die Rechtsform, als vielmehr den Umfang der Unternehmungen. In letzterer Be-
zieung sind allerdings kleineren örtlichen Vereinigungen zum Zwecke der Vieh-
versicherung gewisse Vorzüge dann nicht abzusprechen, wenn in der That gleich-
zeitig mit einer solchen decentralisierenden Organisation eine Zusammenfassung der
örtlichen Vereine zu einem auf ein umfangreicheres Gebiet sich erstreckenden Rück-
vericherungsverbande Hand in Hand geht. Eine derartige Organisation ist aber
auf das zweckmäßigste schon mit der im Gesetze geregelten, speciell für Ver-
sicherungszwecke zugeschnittenen Form der Gegenseitigkeitsvereine durchführbar.
Thatsächlich ist auch seither schon von der Form er eingetragenen Genossen-
shaft zum Zwecke der Versicherung nur in verschwindendem Maße Gebrauch
É worden. Nach dem Jahrbuche des Allgemeinen Verbandes der deutschen
erbs- und Wirtschaftsgenossen für 1897 befaßten sich im Reichsgebiete 24 ein-
garapene Genossenschaften mit dem Versicherungsgeschäft, und zwar darunter 1
mt der Hagelversicherung, je 3 mit der Schiffs- und mit der Feuerversicherung,
6 mit der Vieh- und 8 mit der Unfallversicherung. In dem Jahrbuche für 1898
werden 37 Versicherungsgenossenschaften erwähnt. Nach der von der preuBischen
Centralgenossenschaftskasse herausgegebenen Statistik über die eingetragenen Ge-
nossenschaften bestanden am 28. Februar 1897 in Preußen 17 Versicherungs-
genossenschaften einschließlich 5 Unfallversicherungsgenossenschaften.“
Zum Betrieb der wichtigsten Versicherungszweige:
Lebens-, Unfall-, Haftpflicht-, Feuer- und Hagelversicherung darf die
rlaubnis nur an die Versicherungsvereine a. G. (auf
Gegenseitigkeit) undan Aktiengesellschaften erteilt werden ($ 6,
ibs. 2,3) Nur diese werden als den Anforderungen genügend angesehen,
die man an Unternehmungen stellen muß, welche solche Versicherungs-
Zweige „von hoher volkswirtschaftlicher Bedeutung“ betreiben. Darin
folgt das Gesetz dem Muster mehrerer ausländischer Gesetzgebungen !).
eege
allgemein an gesetzlichen Bestimmungen für sie fehlte. Nur in Elsaß-Lothringen fanden
Sich Normen, die auf Grund des französischen Gesetzes vom 24. Juli 1876 als dessen
Ausführungsverordnung unterm 22. Januar 1868 ergangen waren, und in Sachsen ent-
hielt das Gesetz vom 15. Juni 1868 betr. die juristische Personen einige Bestimmungen.
$ 1) Ueber die Geeignetheit der verschiedenen Unternehmungsformen für den Ver-
sicherungsbetrieb vergl. den wenig beachteten Aufsatz von Schäffle in der Tüb. Zeitschr.
f. d. ges, Staatswissenschaft, 1869, sowie die Jenenser Dissertation von Becker-Laurich:
„Die wirtschaftlichen Unternehmungsformen in ihrer Anwendbarkeit auf das Versiche-
rungswesen“, 1883. Vergl. ferner die sehr beachtenswerten Ausführungen bei van
Schevichaven: „Vom Leben und Sterben‘, 1898, S. 86 ff., insbesondere S. 92 f. über
Aktiengesellschaften und Gegenseitigkeitsvereine.
Dë
68 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Demgegenüber erscheint es als eine große Inkonsequenz des Gesetz-
gebers, wenn dieser im $ 23 des sogenannten Mantelgesetzes zum neuen
Unfallversicherungsgesetz den Berufsgenossenschaften das Recht auf
den Betrieb der Haftpflichtversicherung zugesteht 1).
Der Bundesrat hat übrigens die Möglichkeit, die Beschränkung
hinsichtlich der Unternehmungsform auch noch auf andere Versicherungs-
zweige auszudehnen ($ 117). Under wird wohl davon Gebrauch machen,
wenn Einzelunternehmer etwa die Diebstahl-, Sturmschäden- oder Strike-
versicherung betreiben wollten, da auch für diese Branchen ein dauer-
hafter Bestand und eine gewisse Kapitalsicherheit vonnöten ist.
Während ausländische Gesetze mehrfach die Konzessionserteilung
regelmäßig von einer Kautionsbestellung abhängig machen, ist
eine solche nach dem deutschen Gesetz in der Regel nicht erforderlich,
kann aber von der Aufsichtsbehörde im Einzelfall verlangt werden
($ 7, Abs. 2).
Die Konzessionsverweigerung kann nur aus bestimmten
Gründen stattfinden ($ 7, Abs. 1), nämlich, wenn der Geschäftsplan den
Gesetzen widerspricht oder nach ihm die Interessen der Versicherten
bezw. die dauernde Erfüllbarkeit der Verpflichtung nicht genügend
gewahrt erscheinen oder schließlich „wenn Thatsachen vorliegen, welche
die Annahme rechtfertigen, daß ein den Gesetzen oder den guten Sitten
entsprechender Geschättsbetrieb nicht stattfindet.“ Gegen diese allgemein
gehaltene Fassung — bezw. gegen die in den Entwürfen enthaltenen
Worte „Gefährdung des allgemeinen Wohls“ — hat sich eine lebhafte
Opposition geltend gemacht, die schärfere Präcisierung anstrebte?).
Allein meines Erachtens ist hier eine Specialisierung nicht angebracht.
Gäbe das Gesetz eine solche, so würde sich immer noch Maschen
finden lassen, durch die man schlüpfen kann, ebenso wie beim Gesetz
über den unlauteren Wettbewerb die dort beliebte Aufzählung der ein-
zelnen Thatsachen, in denen der Gesetzgeber das Delikt des unlauteren
Wettbewerbs erblickt, sich nicht recht bewährt hat. Etwas Vertrauen
dürfen auch die Versicherungsgesellschaften zu den deutschen Behörden
haben, daß diese sich nicht leicht eines Uebergriffes hinsichtlich der
Konzessionsverweigerung schuldig machen. Zu den Einwendungen Ein-
hauser’s ?), gegenüber der Möglichkeit einer Ausbeutung der Versicherten
durch listige Vertragskiauseln in den Versicherungsbedingungen sei
die Konzessionsverweigerung ein zu schweres Geschütz, macht Hager)
mit Recht geltend, daß gerade diese Mafregel „ein recht geeignetes und
äußerst wirksames Mittel sei, um vor Versicherungsbedingungen Schutz
zu gewähren, welche auch den gewissenhaftesten Versicherten eventuell
zum Fallstricke werden können.“
Ueber den Inhalt des Gesellschaftsvertrages sowie
1) Den ausführlichen Nachweis der Ungeeignetheit der Berufsgenossenschaften zum
Betrieb der Haftpflichtversicherung werde ich in meinem in Kürze erscheinenden Buche:
„Die Haftpflichtversicherung, ihre Geschichte, wirtschaftliche Bedeutung und Technik,
insbesondere in Deutschland“ zu erbringen versuchen.
2) Emminghaus, S. 890 Le Einhauser, S. 300 f. l. c.
3) 5. 301 Le 4) S. 69 L c
Nationalökonomische Gesetzgebung. 69
der allgemeinen Versicherungsbedingungen sind keine
obligatorischen Bestimmungen getroffen, sondern lediglich fakultative
($$ 8, 9). Hingegen ist es eine zwingende Vorschrift, daß Abweichungen
von den allgemeinen Versicherungsbedingungen zu Ungunsten des Ver-
sicherten nur bei schriftlicher Bestätigung desselben vor Vertrags-
schluß zulässig sind ($ 9, Abs. 2), und daß in der Regel ebenfalls vor
Vertragsschluf dem Versicherten ein Exemplar der allgemeinen Ver-
sicherangsbedingungen eventuell auch der Satzungen „gegen eine be-
sonders auszufertigende Empfangsbescheinigung“ auszuhändigen ist.
Wie erwähnt, müssen bei Beantragung der Konzessionserteilung
auch die technischen Grundlagen der Aufsichtsbehörde zur Prüfung
eingreicht werden. In dieser Hinsicht giebt das Gesetz für den
Geschä ftsplan der Lebensversicherung ($ 11) eine Sonder-
vorschrift, die einen alten technischen Streit von neuem aufgewühlt
hat. Denn dieser Geschäftsplan hat unter anderem neben der voll-
ständigen Darstellung der Tarife sowie der Grundsätze für die Berech-
nung der Prämien und Prämienreserven, der Angabe des Zinsfußes, der
Höhe des Zuschlags zur Nettoprämie (woraus sich die zur Erhebung
gelangende Bruttoprämie bestimmt), und der Beifügung der Wahrschein-
liehkeitstafeln auch anzugeben, „ob und in welchem Maße bei der Be-
rechnung der Prämienreserve eine Methode angewendet werden soll, nach
welcher anfänglich nicht die volle Prämienreserve zurückgestellt wird,
wobei jedoch der Satz von Zwölfeinhalb per Mille der Versicherungs-
summe nicht überschritten werden darf“. Es handelt sich hier um die
Zillmer’sche Methode der Prämienreserveberechnung!).
Zu ihrer Erläuterung ist folgendes zu bemerken: Die Versicherungs-
gesellschaft nimmt im ersten Jahre nur die erste Prämienzahlung der
ersicherten ein; sie hat aber demgegenüber erhebliche Unkosten zu
bestreiten, nämlich neben den laufenden Verwaltungskosten die ersten
Unkosten, die in der meist bedeutenden Abschlußprovision bestehen.
Der in der ersten Prämie enthaltene Zuschlag für die Geschäftsunkosten
reicht oft zur Deckung der Ausgaben im ersten Jahre nicht aus. Die
Gesellschaft befindet sich also hier in gewisser Verlegenheit. Aeltere
esellschaften stellen die volle Nettoprämie in die Prämienreserve, in-
dem sie ihrem Gewinnfonds unbedenklich die Ausgabe für die Anwerbe-
Provision entnehmen können (sogenannte Nettomethode) Wo aber ein
solcher Fonds noch nicht geschaffen ist, also bei jungen Gesellschaften,
muß man unbedingt, will man die Gesellschaft in die Höhe bringen,
auf andere Mittel sinnen. Dr. Zillmer ist nun der Schöpfer einer
Methode, nach welcher die ersten Unkosten nicht aus dem Gewinnfonds
entnommen werden, sondern er legt von der ersten Prämie nur einen
Teil oder auch gar nichts als Prämienreserve zurück, deckt vielmehr
mit ihr die Abschlußprovision; dagegen läßt er vom zweiten Versiche-
1) Vergl. in diesen Jahrbüchern den Aufsatz von Dr. Heym (Gegner Zillmer’s):
Die Zillmer’sche Methode der Reservenberechnung und die zukünftige Versicherungs-
Zesetzgebung“, 1882, Bd. 39, S. 208 ff., besonders S. 226,228. Ebenda die Erwiderung
Lilmers, S. 536 ff. In dem Heym’schen Aufsatz findet sich auch eine gute Erklärung
der hier in Betracht kommenden Begriffe: Nettopriunie, Bruttoprämie, Prämienreserve ete.
70 Nutionalökonomische Gesetzgebung.
rungsjahr an etwas mehr von der Prämie in den Reservefonds fließen,
als eigentlich rechnungsmäßig zu erfolgen hätte, so daß am Ende der
Versicherung dann doch die volle Prämienreserve vorhanden ist. Bei
gewissenhafter Befolgung der Lehren Zillmer’s ist gegen seine
Methode eine Einwendung nicht zu erheben. Dies ist um so weniger
der Fall, wenn gewisse gesetzliche Kautelen getroffen sind, wie sie
z. B. in Preußen schon längere Zeit bestehen, woselbst das Zillmern,
wie es auch das neue Gesetz bestimmt, nur bis zu 121/,0/,, der
Versicherungssumme gestattet war, d. h. so, daß bei einer Versicherung
von 1000 M. nicht mehr als 12,50 M. von der normalen Prämienreserve
des ersten Versicherungsjahres zu Unkostenzwecken verwendet werden
dürfen). Bei dieser Bestimmung ($ 11) mag auf eine verwandte Be-
stimmung des Hypothekenbankgesetzes vom 13. Juli 1899 exemplifiziert
werden, woselbst ($ 25) den Hypothekenbanken gestattet ist, das Dis-
agio beim Verkauf von Hypothekenpfandbriefen in ihrer Bilanz auf
5 Jahre zu verteilen.
Auf die der Lebensversicherung hinsichtlich der mathematisch-
technischen Grundlagen nahe verwandten Unfall- und Kranken-
versicherung finden die Vorschriften betreffs Vorlegung dieser
Grundlagen entsprechende Anwendung ($ 12).
Aenderungen des Geschäftsplans sind anzeige- und
genehmigungspflichtig ($ 13), ebenso Fusionen ($ 14). Bei beiden
darf die Verweigerung nur aus denselben Gründen wie die Konzessions-
verweigerung stattfinden.
Eine Beschränkung der Zahl der verschiedenen Ver-
sicherungsarten, denen sich das gleiche Unternehmen widmet, ist,
anders wie in gewissen ausländischen Rechten, mit Recht nicht beliebt
worden?) Die Aufsichtsbehörde kann von Fall zu Fall am besten
die Zulässigkeit bezw. Zweckmäligkeit etwaiger Beschränkung prüfen.
3. Die Geschäftsführung der Versicherungsunter-
nehmungen.
a) Prämienreserve bei der Lebensversicherung.
Schon bei der Besprechung des Geschättsplans mußte dieser Teil
der Geschäftsführung kurz berührt werden. „Vielleicht der wichtigste
1) In der Fachpresse ist über die Zillmer’sche Methode ein neuer Kampf ent-
brannt, da die Ansieht geäußert worden ist, die Aufsichtsbehörde sei nur berechtigt,
nicht verpflichtet, die Zillmer’sche Methode in der beschränkten Form des $ 11 des
Gesetzes zuzulassen. Diese Auffassung, die auch Rehm und Könige in ihren Kommen-
taren vertreten, läßt sich meines Erachtens durchaus nicht aufrecht erhalten; denn
die Ansicht des Gesetzgebers geht zweifelsohne dahin, daß bei der Zillmer’schen
Methode in der Form des $ 11 die Interessen der Versicherten „hinreichend gewahrt“
sind und „die dauernde Erfüllbarkeit der aus den Versicherungen sich ergebenden
Verpflichtungen genügend dargethan ist“. Sonst wäre die Zulässigkeit der Methode
überhaupt nicht ausgesprochen worden. Im Ergebnis wie hier: Alexander-Katz, Randow,
offenbar auch Deybeck.
2) Bödiker’s Vorschlag ging dahin, den Lebensversicherungsgesellschaften den Be-
trieb anderer Versicherungsarten zu untersagen. 8.55 L c
Nationalökonomische Gesetzgebung. 71
Teil des Gesetzes“ ist der Abschnitt über die Prämienreserve nach
Emminghaus!), „insoweit dieser auf den Schutz der Interessen der Ver-
sicherten gerichtet ist“. Die einschlägigen Vorschriften „erschöpfen
auch den Gegenstand und behandeln ihn in technisch unanfechtbarer
Weise“.
Das Gesetz schreibt die getrennte Berechnung und Buchung nach den
einzelnen Arten der Lebensversicherung (Invaliditäts-, Alters-, Witwen-,
Waisen-, Aussteuer-, Militärdienstversicherung etc.) für den Schluß
eines Jeden Geschäftsjahres vor. Ein Sachverständiger hat die richtig
erfolgte Berechnung und Einstellung der Reserven unter der Bilanz zu
bescheinigen ($ 56, Strafandrohung $ 107). Dennoch bleibt der Vor-
stand dafür verantwortlich, wie er auch die Verantwortlichkeit für die
unverzügliche Abführung der Prämien zum Reservefonds und die vor-
schriftsmäßige Anlegung der Gelder trägt. Für Zuwiderhandlungen sind
Strafen festgesetzt ($ 106). Die Aufbewahrung des Fonds hat in der
Regel am Sitze des Unternehmens, stets aber gesondert von jedem an-
deren Vermögen zu geschehen und ist der Aufsichtsbehörde bekannt zu
geben. Die Bestände sind einzeln in ein Register einzutragen, das dem
Aufsichtsamt alljährlich in beglaubigter Abschrift einzureichen ist ($ 57).
Auch für die in Rückversicherung gegebenen Summen finden diese
Bestimmungen entsprechende Anwendung ($ 58).
Die Anlegung der Prämienreserven ist ein für die Ver-
sicherer wie die Versicherten gleich bedeutungsvolles Kapitel ?). Der
Gesetzgeber muß hier auf der einen Seite eine möglichst sichere An-
legung verlangen, auf der anderen Seite darf er aber der Anlegung
keine zu engen Grenzen ziehen. Das Gesetz beschränkt die Anlegung
auch nicht auf die für Mündelgeld vorgeschriebenen Anlagearten, sondern
giebt weitere Möglichkeiten. Im einzelnen gilt hier folgendes.
Die Anlegung der den Prämienreservefonds bildenden .Bestände kann (nach
$ 59) erfolgen:
. I. In der im $ 1807 Abs. 1 No. 1 bis 4 des B.G.B. für die Anlegung von
Mündelgeld vorgeschriebenen Weise, also:
1) In Forderungen, für die eine sichere Hypothek an einem inländischen
Grundstücke besteht, oder in sicheren Grundschulden oder Rentenschulden an
inländischen Grundstücken.
e 2) In verbrieften E egen das Reich oder einen Bundesstaat sowie
in Forderungen, die in das Reic RE oder in das Staatsschuldbuch eines
Bundesstaates eingetragen sind.
3) In verbrieften Forderungen, deren Verzinsung von dem Reiche oder einem
Bundesstaate gewährleistet ist.
4) In tree insbesondere Pfandbriefen, sowie in verbrieften Forde-
Tungen jeder Art gegen eine inländische kommunale Körperschaft oder die Kredit-
anstalt einer solchen Körperschaft, sofern die Wertpapiere oder die Forderungen
von dem Bundesrate zur Anlegung von Mündelgeld für geeignet erklärt sind.
IL. In anderer Weise:
5) Die Bestände dürfen bis höchstens zum zehnten Teile des Prämienreserve-
fonds in Wertpapieren, welche nach landesgesetzlichen Vorschriften zur Anlegung
von Mündelgeld zugelassen sind, sowie in solchen auf den Inhaber lautenden
1) S. 890 Le,
2) Vergl. dazu in der Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft, Bd. 1,
1101, die Aufsätze S. 46 ff. (Gerkrath) und S. 182 ff. (Emminghaus).
72 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Pfandbriefen deutscher Hypotheken-Aktien-Banken angelegt werden, welche die
Reichsbank in Klasse I beleiht. (Diese Erweiterung der Bestimmung des Bürger-
lichen Gesetzbuchs ist ein Analogon zu $ 108 des Gewerbe-Unfallversicherungs-
Gesetzes.)
6) Gegen Verpfändung solcher Hypotheken oder Wertpapiere, in denen eine
Anlegung nach No. 1 gestattet ist, bis zu fünfundsiebzig vom Hundert ihres Nenn-
wertes, sofern aber der Kurswert niedriger ist, bis zu fünfundsiebzig vom Hundert
des Kurswertes.
7) In der Weise, daß Vorauszahlungen oder Darlehen auf die eigenen Ver-
sicherungsscheine des Unternehmers (Policenbeleihung) nach Maßgabe der allgemeinen
Versicherungsbedingungen gewährt werden.
8) Mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde in Schuldverschreibungen in-
ländischer kommunaler Körperschaften, Schulgemeinden und Kirchengemeinden,
wofern diese Schuldverschreibungen entweder von seiten des Gläubigers kündbar
sind oder einer regelmäßigen Tilgung unterliegen.
9) Kann die Anlegung den Umständen nach nicht in einer dem Abs. 1 ent-
sprechenden Weise erfolgen, so ist eine vorübergehende Anlegung bei der Reichs-
bank, bei einer Staatsbank oder bei einer durch die Aufsichtsbehörde dazu für
geeignet erklärten anderen inländischen Bank oder öffentlichen Sparkasse gestattet.
Das Bürgerliche Gesetzbuch hat der Landesgesetzgebung die Be-
stimmung der Grundsätze vorbehalten, nach welchen die Sicherheit
einer Hypothek, Grundschuld oder Rentenschuld festzustellen ist. Mit
Recht hat aber das Versicherungsgesetz in dieser Hinsicht einheitliche
Normen für das ganze Reich festgesetzt ($ 60), indem es sich eng an
die entsprechenden Bestimmungen des Hypothekenbankgesetzes (Gë 11,
12) anlehnt. Die Sicherheit einer Hypothek wird angenommen, wenn
die Beleihung die ersten drei Fünfteile des Wertes des Grundstückes
nicht übersteigt. Nur wenn die Centralbehörde eines Bundesstaates die
Beleihung landwirtschaftlicher Grundstücke bis zu ?/, des Wertes
gestattet hat!) darf die Sicherheit auch bei einer solchen Beleihung
angenommen werden. Nur erststellige Beleihungen sollen in der Regel
erfolgen. Beleihungen von Bauplätzen, unfertigen Neubauten, Gruben
Brücken u. ähnl. sind — im Gegensatz zum Hypothekenbankgesetz —
ausgeschlossen, weil ein Bedürfnis hierfür nicht vorliegt.
Das Gesetz bringt bezüglich der Anlegung anderer Gelder
wie des Prämienreservefonds keine Vorschriften, weil hier das Interesse
der Versicherten so verschieden sein kann, daß es sich vom Standpunkt
des öffentlichen Interesses nicht rechtfertigen lassen würde, für sie
ganz allgemein gleich strenge Normen wie für die Prämienreserve vor-
zuschreiben.
Die Entnahme von Geldern aus dem Prämienreservefonds
darf nur die zur Kapitalanlage nötigen Mittel und die durch Beendigung
des Versicherungsverhältnisses (Auszahlung der Versicherungssumme,
Rückkauf) frei werdenden Summen betreffen ($ 61, Abs. 1).
Von einschneidender Bedeutung erscheint das nunmehr gesetzlich
fixierte Recht der Versicherten an dem Prämienreserve-
fonds im Konkursfall ($ 61). Das Gesetz zieht die praktische Konse-
quenz aus der wirtschaftlichen Bedeutung der Prämienreserve, indem
es den Versicherten ein Recht auf bevorzugte Befriedigung im Konkurs
der Anstalt gewährt, sie also dagegen schützt, daß ihnen ihre im
1) In Gemäßheit des $ 11 Abs. 2 des IIypothekenbankgesetzes.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 73
Reservefonds liegende Deckung durch den Zugriff anderer Gesellschafts-
gläubiger entzogen wird. Die nähere Erörterung dieser konkursrecht-
lichen Bestimmungen ist hier nicht angebracht 1). Nur bedarf noch die
Einführung eines Pflegers ($ 62), der die Aufgabe hat, das Interesse
der Versicherten zu wahren, der Erwähnung.
Alle diese Bestimmungen gelten nicht nur für die verschiedenen
Arten der Lebensversicherung, sondern auch für die Unfall-
und Krankenversicherung in entsprechender Weise ($ 63).
Ihre Durchführung wird auch durch Strafandrohungen gesichert ($$ 112,
113).
Für alle Versicherungsbranchen hingegen sind nur die
folgenden Bestimmungen getroffen.
b) Allgemeine Vorschriften.
Diese sind in nur zwei Paragraphen enthalten und geben außer
einer Beschränkung hinsichtlich des Grundstückserwerbs ($ 54) lediglich
Regeln für den Rechnungsabschluß ($ 55).
Die Bücher einer Versicherungsunternehmung sind jährlich abzuschließen ;
auf Grund der Bücher ist für das verflossene Geschäftsjahr ein Rechnungsabschluß
und ein die Verhältnisse, sowie die Entwickelung des Unternehmens darstellender
Jahresbericht anzufertigen und der Aufsichtsbehörde einzureichen.
Nähere Vorschriften über die Fristen, sowie die Art und Form des Rechnungs-
Lt aen und des Jahresberichts werden noch von der Aufsichtsbehörde erlassen
werden.
.., Alle Anerkennung verdient die Vorschrift, daß die Gesellschaften verpflichtet
sind, innerhalb des auf das Berichtsjahr folgenden Geschäftsjahres jedem Ver-
sicherten auf Verlangen ein Exemplar des Rechnungsabschlusses und des Jahres-
Tichts mitzuteilen. Im übrigen kann die Aufsichtsbehörde darüber Bestimmun
treffen, inwieweit und auf welche Weise alljährlich der Rechnungsabschluß un
der Jahresbericht den Versicherten zugänglich zu machen oder zu veröffentlichen
Vor Erlassung solcher Vorschriften hat die aufsichtführende Reichsbehörde
den Versicherungsbeirat zu hören.
4. Die Aufsichtsbehörden.
a) Verfassung und Verfahren.
_ Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß das ganze Wohl und
Wehe der Privatversicherung vom Jahre 1902 ab in hohem Grade von
dem Verständnis, dem Takt und der Umsicht der neuen Behörde ab-
ängig ist, die zu seiner Ueberwachung bereits am 1. Juli 1901 ins
eben gerufen worden ist. Die Erfahrungen, die man in der Schweiz
mit der dortigen anerkanntermaßen äußerst segensreich wirkenden Auf-
Sichtsbehürde gemacht hat, ebenso die guten Erfahrungen mit der Auf-
sichtsbehörde in Oesterreich, ferner die allgemeine Zufriedenheit mit
der Geschäftsführung des deutschen Reichsversicherungsamts, nicht
minder während seiner Leitung durch Bödiker, als durch den jetzigen
1) Vergl. dazu meinen Aufsatz: „Das besondere Konkursrecht der Versicherungs-
unternehmungen“, der in Bd. 52 Heft 1/2 der Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht
erscheint.
74 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Präsidenten Gäbel geben die Zuversicht, daß auch das neue Kaiser-
liche Aufsichtsamt für Privatversicherung in Berlin unter
dem in Versicherungssachen so bewährten Präsidenten Dr. v. Woedtke
die ihm gestellte, nicht leichte Aufgabe zum allgemeinen Besten lösen
kann und wird.
Während in den Kreisen der Versicherer, wie der Versicherten
— soweit diese sich überhaupt mit der gesetzlichen Regelung des Ver-
sicherungswesen beschäftigt haben — im allgemeinen die Ansicht vor-
herrschte, nur eine Reichs-Centralbehôrde sei befähigt, in das Chaos
der Privatversicherung Ordnung zu bringen, scheint man in gewissen
Regierungskreisen nicht so unbedingt dieser Meinung gewesen zu sein !):
sonst ließen sich die Ausführungen der Motive nicht verstehen, die sich
große Mühe geben, das Bedürfnis einer solchen Centralbehörde darzu-
legen ?).
Bödiker hielt das Reichsversicherungsamt für die allein geeignete
Behörde zur Beaufsichtigung auch des privaten Versicherungswesens?).
Er dachte sich eine Zerlegung des Amtes in zwei große Abteilungen.
Auch von anderer Seite wurde dieser Plan vertreten. Warum man ihm
in dem Regierungsentwurfe nicht näher getreten sein mag, kann hier
nicht besprochen werden. Daß ein besonderes Amt für die Privat-
versicherung errichtet worden ist, erscheint mir aber auch bei Berück-
sichtigung aller dagegen geltend gemachten Momente als die beste Lösung,
schon weil durch die rein äußerliche Trennung der beiden Behörden
dokumentiert wird, daß die Privatversicherung auch nach den Intentionen
der Regierung nicht in eine ihr vielleicht gefährliche Nachbarschaft der
Staatsversicherung gebracht werden sollte. Eine Real- und womöglich
Personalunion für die Beaufsichtigung der privaten wie der öffentlichen
Versicherung hätte allzuleicht auch die „Wechselwirkung“ hervorrufen
können, daß man beiden den gleichen — öffentlichen — Charakter geben
zu wollen wenigstens den Schein erweckt hätte.
Die finanziellen Bedenken gegen die Errichtung einer besonderen
Behörde erscheinen wenig angebracht. Denn eine besondere Last ist
meines Erachtens durch die Schaffung der Sonderbehörde kaum hervor-
gerufen worden. Neue Beamte und neue Räume hätte man auch bei
der Einverleibung der Aufsichtsführung über die Privatversicherung in
das schon bestehende Amt nötig gehabt.
Für die Centralisation führen die Motive unter anderem folgende
Gründe ins Feld:
„Eine solche centrale Behörde kann aus dem ganzen Gebiete des Reiches
am ehesten mit den geeigneten administrativen, juristischen und insbesondere auch
mit solchen Kräften ausgestattet werden, denen die erforderliche Erfahrung auf
dem Gebiete der Versicherungspraxis und die nötigen Kenntnisse auf dem der
Versicherungstechnik innewohnen. Die Zahl der hierzu geeigneten Beamtenkräfte
1) Vergl. die Antwort des Staatssekretärs v. Boetticher auf die Anfrage des Ab-
geordneten Graf Behr in der Reichstagssitzung vom 13. Januar 1892. Auch landwirt-
schaftliche Kreise sprachen sich gegen die Centralisation aus. Vgl. Hager, S. 105 Note 4.
2) Vgl. S. 38 ff. in meiner Ausgabe.
3) S. 50. ff. l. c.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 75
ist aus erklärlichen Gründen zur Zeit nicht besonders groß !), und es würde sehr
schwer sein, zahlreiche Landesbehörden in den einzelnen Bundesstaaten, wollte man
die Aufsichtsführung an solche übertragen, mit Kräften zu besetzen, die dieser
schwierigen Aufgabe gerecht werden könnten. Eine Reichsbehörde kann vermöge
ihrer berufsmäßigen, ständigen und vielseitigen Beschäftigung mit den Angelegen-
heiten der Versicherungsanstalten sich über deren geschäftliche und finanzielle Ent-
wickelung genau unterrichtet halten und zugleich sich mit den Vorgängen auf
dem gesamten Gebiete des Versicherungswesens so vertraut machen, wie dies für
eine derartige Behörde unerläßlich ist, soll sie der Schwierigkeit und Verantwort-
lichkeit ihrer eigenartigen Aufgaben gewachsen sein. Bei Landesbehörden mit ihrer
naturgemäß weit geringeren Praxis würde ein solches Aufgehen in die Aufgaben
deep speciellen Zweiges der Verwaltungswissenschaft für absehbare Zeit nicht er-
wartet werden können.“
Die Reichsaufsichtsbehörde besteht aus einem Vorsitzenden
(Wirklicher Geheimer Oberregierungsrat Dr. v. Woedtke) und der
erforderlichen Zahl von ständigen und nichtständigen Mitgliedern. In
den dem Reichstage zugegangenen Nachtragsetat für das Aufsichtsamt
sind verzeichnet: 1 Direktorstelle (besetzt vom Geheimen Regierungsrat,
früheren Senatsvorsitzenden beim Reichsversicherungsamt, J au p), 5 Stellen
für ständige Mitglieder?) (Regierungsräte Klewitz, Dr. Broecker,
Wagener, Dr. v. Liebig, früher als Rechtsanwalt im Vorstand des all-
gemeinen Deutschen Versicherungsvereins zu Stuttgart und Dr. Kemmer,
früher Sekretär der Handelskammer in Ludwigshafen). Ferner sind
mehrere Versicherungsrevisoren angestellt. Hilfsarbeiter (wohl in der
Regel zum Aufsichtsamt beurlaubte Assessoren) sind ebenfalls heran-
gezogen worden. Die Zahl der nebenamtlich zu berufenden Mitglieder
ist auf 4 festgesetzt. Außerdem ist im Gesetz ($ 71) die fakultative
erufung von Kommissaren nach Bedarf vorgesehen und „zur
rleichterung des Geschäftsverkehrs des Auftsichtsamtes mit den seiner
Aufsicht unterstehenden Unternehmungen.“ Leider ist die häufig gestellte
Forderung) der obligatorischen Einführung dieser Kommissare nicht
b 8°) g 8
eachtet worden.
Neben dem Amt ist ein Versicherungsbeirat ($ 72) einge-
richtet, eine aus Sachverständigen bestehende, teils rechtsprechende, teils
begutachtende Behörde, deren Mitglieder „angesehene und erfahrene
ertreter und Kenner des deutschen Versicherungswesens“ im Ehren-
amte thätig sind. Als Muster diente hier der preußische Versicherungs-
beirat. Nur ist dringend zu wünschen, daß der Reichsbeirat öfter heran-
gezogen werde, wie der preußische. Empfehlenswerter wäre der Bö-
diker’sche Vorschlag gewesen), nichtständige Mitglieder für die ver-
——
. 1) Das königliche Seminar für Versicherungswissenschaft an der Universität Göt-
Ungen, bei dessen Errichtung zweifelsohne daran gedacht worden ist, es als Pflanzschule
für künftige Beamte auch dieses Amts zu benutzen, hat, soweit ich sehe, die weit über-
Wiegende Zahl seiner Mitglieder, sofern diese sich späterhin überhaupt der Versicherung
zuwandten, an die Privatgesellschaften abgegeben.
2) Eine Vermehrung soll bereits jetzt schon stattfinden.
3) 8. Hager, S. 106, v. Baumgartner in seiner Zeitschr., Bd. 5, S. 365, die sich
dieser namentlich von Vietor Ehrenberg vertretenen Forderung anschließen. Vergl.
auch die Vorschläge von Langhans in: „Die Privatfeuerversicherung und das Reichs-
Versicherungsgesetz“, 1901.
4)8.501.e.
76 Nationalökonomische Gesetzgebung.
schiedenen Zweige der Versicherung von den Versicherungsanstalten
aus ihrer Mitte wählen zu lassen, in Analogie der Einrichtung bei der
Reichsunfallversicherung.
Das Verfahren vor dem Amt wird in dem Reichsgesetz nur in
seinen Grundzügen geregelt: Mündlichkeit des Verfahrens, Entscheidungen
in der Besetzung von 3 Mitgliedern des Amts und 2 des Beirats ($ 73),
Möglichkeit eines Rechtsmittels — Rekurs bezw. Beschwerde — gegen
die meisten Entscheidungen des Amts ($$ 94, 75, 77), Recht des Amtes
auf Zeugenvernehmung u. dgl. m. ($$ 78, 79). Die näheren Anordnungen
über das Verfahren sind durch kaiserliche Verordnung zu erlassen ($ 80).
Großer Opposition ist mit vollem Recht die Art der Besetzung der
Rekursinstanz begegnet, in der im direkten Gegensatz zu den sonstigen
Prinzipien unserer Justizverfassung !) Mitglieder der ersten Instanz mit-
wirken können. Diese Vorschrift ist, wenn auch gegenüber den Ent-
würfen gemildert, auch in den definitiven Gesetzestext aufgenommen
worden und wird — wenn auch jetzt nur noch der Vorsitzende des
Amtes in der Rekursinstanz mitwirkt — meines Erachtens sicherlich
nicht gerade dazu beitragen, das Vertrauen der leicht argwöhnischen
Fachkreise zu dem neuen Amt wesentlich zu erhöhen. Eine Recht-
fertigung dieser Vorschrift giebt es meines Erachtens überhaupt nicht.
Alles was in den Motiven oder in dem Kommissionsberichte zur Ver-
teidigung dieses Verfahrens angeführt worden ist, läßt sich nicht auf-
recht erhalten. Man denke sich einmal nur die Anwendung des gleichen
Prinzips bei unseren allgemeinen Gerichten!
Ungerechtfertigt ist hingegen die Bekämpfung der Aufbringungs-
weise der Kosten des Amtes ($ 81). Nominell trägt diese das
Reich. Von den Versicherungsunternehmungen werden jedoch in der
Form von Jahresbeträgen Gebühren erhoben, welche nach den einer
jeden Unternehmung im letzten Geschäftsjahr aus den im Inland abge-
schlossenen Versicherungen erwachsenen Bruttoprämien (Beiträgen, Vor-
und Nachschüssen, Umlagen), jedoch abzüglich der zurückgewährten
Ueberschüsse oder Gewinnanteile bemessen werden. Als Maximum ist
der Betrag von 1°/,, der Bruttoprämieneinnahme festgesetzt. Ein
anderer Verteilungsmalstab kann vom Bundesrat nach Anhörung des
Beirats fixiert werden. Durch die Gebühren „soll annähernd die Hälfte
der im letzten Reichshaushaltsetat für das Amt festgesetzten fortdauern-
den Ausgaben betragen“ ?). Gleiche Bestimmungen finden sich u. a.
1) Nur beim Reichseisenbahnamt findet sich eine, aber kaum irgendwie bedeutungs-
volle Ausnahme.
2) Ueber die Höhe der Kosten, welche voraussichtlich zur Erhebung zu kommen
haben, können — nach den Motiven — sichere Angaben nieht gemacht werden. „Bei
der Ausarbeitung des Gesetzes hat der Regierung vorgeschwebt, daß die laufenden Kosten
sich in der nächsten Zeit, wo man mit kleinerem Personal und aushilfsweise herange-
zogenen Kräften wird arbeiten müssen, sich auf etwa 200 000—250 000 M. jährlich
stellen möchten. Später wird man mit einer Erhöhung, jedoch schwerlich bis auf das
Doppelte, rechnen müssen. Die nach den Bestimmungen des $ 81 Abs. 2 berechneten
Prämien sind ermittelt für: 1895 auf 349 Mill. M., 1586 auf 380 Mill, 1897 auf
426 Mill, 1898 auf 475 Mill. M. Hieraus ergiebt sich eine durchschnittliche jährliche
Zunahme von rund 42 Mill. M. Setzt man diese Zunahme auch für die folgenden Jahre
Nationalökonomische Gesetzgebung. 77
im schweizerischen Versicherungsgesetz, ferner in den ungarischen,
schwedischen und norwegischen Entwürfen. — Die Kosten der ersten
Einrichtung trägt das Reich allein. Die Kosten bei unbegründeten
Anträgen oder Beschwerden können den Antragstellern auferlegt werden
($ 82).
Von hohem wissenschaftlichem und praktischem Interesse werden
de Veröffentlichungen des Amtes sein, die dieses alljährlich
„iber den Stand der seiner Aufsicht unterliegenden Versicherungsunter-
nehmungen sowie über seine Wahrnehmungen auf dem Gebiete des
Versicherungswesens“ zu veröffentlichen hat, wie dieses auch fortlaufend
dieRechts- und Verwaltungsgrundsätze aus dem Bereiche seiner Thätig-
keit publiziert ($ 83).
s wäre dringend zu wünschen, daß eine gleiche Vorschrift auch
fir die Landesbehörden bestände, für welche das Gesetz lediglich
die Bestimmung über die Anfechtung der von diesen getroffenen Ent-
scheidung giebt ($ 84).
b) Die Befugnisse im einzelnen, insbesondere
beim Konkurs.
So allgemein als möglich bestimmt das Gesetz ($ 64):
„Der Aufsichtsbehörde liegt es ob, den ganzen Geschäftsbetrieb der Versiche-
rungsunternehmungen, insbesondere die Befolgung der gesetzlichen Vorschriften
und die Einhaltung des Geschäftsplans, zu überwachen.
‚ Sie ist befugt, diejenigen Anordnungen zu treffen, welche geeignet sind, den
Geschäftsbetrieb mit den gesetzlichen Vorschriften und dem Geschäftsplan im Ein-
lange zu erhalten oder Mißstände zu beseitigen, durch welche die Interessen der
Versicherten gefährdet werden oder der Geschäftsbetrieb mit den guten Sitten in
Widerspruch gerät.
.. Zur Befolgung ihrer nach Abs. 2 erlassenen Anordnungen kann die Auf-
‘ichtsbehörde die Inhaber und Geschäftsleiter der Unternehmungen durch Geld-
strafen bis zu 1000 M. anhalten. Solche Geldstrafen werden in derselben Weise
beigetrieben wie Gemeindeabgaben.“
Und als weitere Befugnisse der Behörde zählt es sodann
auf: das uneingeschränkte Recht zur jederzeitigen Prüfung der Ge-
schäftsführung und Vermögenslage, auch hinsichtlich der Uebereinstim-
mung der Veröffentlichungen mit den thatsächlichen Umständen; das
Recht auf Büchereinsicht und Auskunft; das Recht auf Entsendung von
Kommissaren in die Versammlungen der Organe der Anstalt; das Recht
auf Berufung von Versammlungen ($ 65). Auch während der Liqui-
dation einer Anstalt dauert das Aufsichtsrecht an (8 66).
Diesen weitgehenden Befugnissen wird Nachdruck verliehen durch
das der Aufsichtsbehörde eingeräumte Recht der Betriebsunter-
sagung ($ 67).
voraus, so würden sich die Prämieneinnahmen belaufen: 1899 auf 517 Mill., 1900 auf
559 Mill, 1901 auf 601 Mill. M. Nimmt man davon 1%, wie in dem schweize-
rischen Gesetz, so ergiebt sich eine Jahreseinnahme von 600 000 M., und als weiteres,
vom Reich aufzubringendes Viertel 200 000 M., zusammen 800000 M. so daß vor-
aussichtlich bei weitem nicht 1%0 der nach $ 81 berechneten Prämien als Kosten
aufzubringen sein würden. In anderen, namentlich amerikanischen Gesetzen, werden
sehr viel größere Beiträge erhoben.“ Eine Erhöhung hat übrigens bereits in letzter
Zeit stattgefunden.
78 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Eine solche kann aus ähnlichen Gründen erfolgen, aus welchen
die Konzessionserteilung zu versagen ist. Es handelt sich hier um
Fälle, in denen ein fortgesetztes Zuwiderhandeln gegen die aus der
Konzessionserteilung sich ergebenden Verpflichtungen erfolgt oder eine
Gefährdung der Versicherten oder „der guten Sitten“ droht. Die gegen
diese allgemeine Fassung laut gewordenen Bedenken sind bereits ge-
würdigt worden. Es ist zuversichtlich zu hoffen, daß die Behörde von
ihrer Untersagungsgewalt nur äußerst selten Gebrauch zu machen ge-
nötigt ist.
Häufiger aber wird sie vielleicht in der Lage sein, die ihr bei allen
Versicherungsunternehmungen ausschließlich eingeräumte Befugnis auszu-
üben, den Antrag auf Konkurseröffnung zu stellen (§§ 68, 102).
Eine solche Anordnung ist ein Novum im Konkursrecht. Der Gesetz-
geber ging bei dieser Bestimmung von der Auffassung aus, daß die
Aufsichtsbehörde zuerst und am sichersten in der Lage sei, die Not-
wendigkeit des Einschreitens des Konkursgerichts zu erkennen, dessen
Voraussetzung zu ermitteln bei Versicherungsgesellschaften besonders
schwierig ist. Während sonst stets das Konkursgericht das Prüfungs-
recht und die Prüfungspflicht hat, ob die Voraussetzungen zur Konkurs-
eröffnung vorliegen, ist dessen Thätigkeit für dieses erste Stadium hier
mit Fug und Recht ausgeschaltet. Denn die Kenntnisse des Versiche-
rungswesens in Juristenkreisen sind minimal!). Eine technische Er-
fahrung auf diesem Specialgebiet ist einem Richter auch nicht zuzumuten ?).
Anstatt daß der Vorstand den Antrag auf Konkurseröffnung beim Kon-
kursgericht zu stellen hat, sieht das Gesetz die Verpflichtung desselben
vor, sobald die Zahlungsunfähigkeit eintritt oder sich Ueberschuldung
ergiebt, der Aufsichtsbehörde bei Meidung von Strafe ($ 109) Meldung
zu machen. Diese allein ist, wie gesagt, antragsberechtigt. Dem Kon-
kursgericht steht eine Anfechtung des Eröffnungsbeschlusses nicht zu.
Zu dieser im Interesse der Versicherten getroffenen Regelung
kommt als eine weitere sehr anerkennenswerte Neuerung: das nach eng-
lischem Vorbilde eingeführte Sanierungsverfahren. Hier bestimmt
das Gesetz ($ 69).
„Ergiebt sich bei der Prüfung der Geschäftsführung und der Vermögenslage
eines Unternehmens, daß dieses zur Erfüllung seiner Verpflichtungen für die Dauer
1) Nur an zwei oder drei Universitäten innerhalb des Deutschen Reiches wird ein
Collegium über Versicherungsrecht gelesen. Dieses bildet auch nie einen besonderen
Gegenstand der juristischen Staatsprüfungen. Ebenso vernachlässigt wird das Privat-
versicherungswesen im allgemeinen aber auch seitens der Nationalökonomie. Spezial-
kollegien hierüber giebt es nur in Göttingen, neuerdings auch an den Handelsakademien
in Frankfurt a./M. und Köln.
2) Energiseh bekämpft Rüdiger a. a. O. dieses Recht der Aufsichtsbehörde. „Der
konstitutionelle Grundsatz: Niemand darf seinem ordentlichen Richter entzogen werden,
erscheint für die Versicherungsunternehmungen aufgehoben und das Gericht zum bloßen
Werkzeug des Aufsichtsamts herabgewürdigt. Ich unterschätze nicht den Grund, den
man für diese Maßregel anführt; man sagt nämlich, der Richter sei nicht genügend
unterrichtet, um die Konkursmäßigkeit einer Versicherungsgesellschaft feststellen zu
können. Zugegeben! Aber die richtige Folgerung daraus wäre doch die gewesen, daß
die Regierung dafür gesorgt hätte, daß der Mangel behoben und der Richter in den
Stand gesetzt werde, sich sein Urteil zu bilden.“
E)
Nationalökonomische Gesetzgebung. 79
nicht mehr imstande ist, die Vermeidung des Konkurses aber im Interesse der
Versicherten geboten erscheint, so kann die Aufsichtsbehörde die zu diesem Zwecke
erforderlichen Anordnungen treffen, sowie auch die Vertreter des Unternehmens
auffordern, binnen bestimmter Frist eine Aenderung der Geschäftsgrundlagen oder
die sonstige Beseitigung der Mängel herbeizuführen. Bestimmte Arten von Zah-
lungen, insbesondere Gewinnverteilungen, und bei Lebensversicherungen der Rück-
kauf oder die Beleihung des Versicherungsscheins sowie Vorauszahlungen darauf
können zeitweilig verboten werden.
Unter der im Abs. 1 Satz 1 bezeichneten Voraussetzung ist die Aufsichts-
behörde berechtigt, nötigenfalls die Verpflichtungen einer Lebensversicherungsunter-
nehmung aus ihren laufenden Versicherungen, dem Stande ihres Vermögens ent-
sprechend, jedoch um höchstens 33'/, Proz., zu ermäßigen.“
Diese Anordnung entspricht einem in Kreisen von Fachmännern
geäußerten Verlangen, der Aufsichtsbehörde die Möglichkeit zu gewähren,
eventuell im Interesse der Versicherten einem Konkurse vorzubeugen.
Denn auch eine vorsichtig wirtschaftende Gesellschaft, insbesondere der
Lebensversicherungsbranche, kann unverschuldet, beispielsweise durch
starkes Sinken des Zinsfußes, in große Verlegenheit geraten. Die zur
Sanierung erforderlichen Maßregeln sind nicht einzeln aufgezählt; ihre
selbständige Ausführung wäre auch kaum angängig. Die Maßregeln
müssen vielmehr von Fall zu Fall erwogen werden. Besonders weit-
gehend ist die Sanierungsbefugnis bei der Lebensversicherung. Hier
kann die Behörde — ein Fall, der ohne Vorbild im ganzen deutschen
Rechtsleben dasteht und dem höchstens die Expropriation zur Seite zu
stellen ist — eine zwangweise Reduktion der Einzelansprüche im In-
teresse der Gesamtheit der Versicherten herbeiführen.
5. Die Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit.
Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß, sieht man von den
Genossenschaften ab, die auf dem Gegenseitigkeitsprincip beruhenden
Versicherungsvereine bisher in fast allen deutschen Staaten der besonderen
gesetzlichen Ordnung entbehrt haben. Ihre Rechtsverhältnisse bestimmten
sich nach den Regeln des bürgerlichen Rechts über Korporationen und
Gesellschaften. Es gab Gegenseitigkeitsvereine mit und solche ohne
den Charakter als juristische Person. Ihre Verfassung war auch sonst
durchaus verschieden. Dieser Rechtszustand war den Gegenseitigkeits-
vereinen in vielen Beziehungen gegenüber dem festen und einheitlichen
Recht der Aktiengesellschaften von großem Nachteil. Das Versicherungs-
gesetz hat daher eine vom Versicherer wie vom Versicherten häufig
schmerzlich empfundene Lücke dadurch ausgefüllt, daß es über seinen
eigentlichen Rahmen hinaus auch die privatrechtlichen Verhältnisse der
Gegenseitigkeitsvereine geregelt hat und zwar in einer Weise, der all-
seitige Zustimmung nicht gefehlt hat.
In thunlichster Anlehnung an das Recht der Aktien-
gesellschaften (Handelsgesetzbuch, II. Buch, $$ 178—324) wird
das Recht der „Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit“ in einem
eigenen Abschnitte (88 15—53) geregelt.
Dabei unterscheidet das Gesetz zwischen den gewöhnlichen
oder großen eingetragenen Gegenseitigkeitsvereinen und kleineren
80 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Vereinen, die einen sachlich, örtlich oder hinsichtlich des Personen-
kreises eng begrenzten Wirkungskreis haben ($ 53), wie Viehladen,
Sterbe- und Feuerkassen, Kaskovereine u. ähnl. Im allgemeinen gelten
die Vorschriften für die größeren Vereine auch für diese kleineren
Vereine, nur sollen sie nicht der Eintragung wie diese unterliegen, und
das Recht der Vereine, wie es das Bürgerliche Gesetzbuch normiert
hat (§§ 24—53), findet auf sie entsprechende Anwendung. Diese für
die kleineren Vereine bestimmten Ausnahmen bleiben in der folgenden
Darstellung der hier nur ganz summarisch zu schildernden Privatrechts-
verhältnisse zweckmäßig außer Betracht.
Künftig erlangen die Gegenseitigkeitsvereine gleichzeitig mit ihrer
Konzessionierung die Rechtsfähigkeit; es bedarf also nicht mehr,
wie bisher, in Staaten mit Konzessionspflicht einer doppelten Verleihung
($ 15). Die Verfassung der Vereine wird als Satzung bezeichnet
($ 17); sie hat die Firma und den Sitz des Vereins anzugeben ($ 18);
soll Bestimmungen enthalten über Beginn und Ende der Mitgliedschaft
($ 20); über Bildung und Tilgung eines regelmäßig erforderlichen, meist
bar einzuzahlenden Gründungsfonds, der zur Deckung der Kosten
der Vereinserrichtung sowie als Garantie- und Betriebsfonds zu dienen
hat ($$ 22, 23); über die Art der Beiträge, ob und welche Vorschuß-
oder Nachschufleistungen zu erfolgen haben ($ 24) und wie die Aus-
schreibung derselben zu erfolgen hat; auch über die Verwendung
sonstiger Deckungsmittel soll sie Bestimmung treffen ($ 27); ferner hat
sie die Bildung eines Reservefonds zu bestimmen ($ 37) und die
Verteilungsart für Ueberschüsse zu enthalten. Schließlich sind, ab-
gesehen von sonstigen dem Aktienrecht entsprechenden Erfordernissen
($ 28: Form der Bekanntmachungen des Vereins; $ 30 ff.: Anmeldungs-
pflicht zur Eintragung in das Handelsregister etc.), Bestimmungen über
die Bildung der Organe des Vereins erforderlich.
Der Versicherungsverein hat einen Vorstand ($ 34), einen Auf-
sichtsrat ($ 35) und ein der Generalversammlung bei der Aktien-
gesellschaft entsprechendes oberstes Organ ($ 36), das in der Ver-
sammlung aller oder eines Teiles der Mitglieder besteht. Die Funktionen
der Organe und ihre Rechtsverhältnisse entsprechen durchaus denen der
Aktiengesellschaften. Das Vereinsvermögen haftet ausschließlich
für die Schulden des Vereins ($ 19). Die Mitglieder haften weder
während des Bestehens des Vereins, noch im Konkursfall den
Gläubigern desselben direkt, sondern lediglich dem Vereine gegenüber
($$ 19, 50).
Satzungsänderungen sind in der Regel nur durch das oberste
Organ zu bewerkstelligen ($ 39) und eintragungs- sowie genehmigungs-
pflichtig (§§ 40, 41).
Die Auflösung des Vereins erfolgt durch Ablauf der in der
Satzung bezeichneten Zeit ($ 42) oder durch Beschluß des obersten
Organs, für welchen 3/, Majorität und Genehmigung der Aufsichts-
behörde vorgeschrieben ist ($ 48); auch die Auflösung durch Fusion
ist vorgesehen (8 44).
Für die Liquidation des Vereins gelten ebenfalls analoge Be-
stimmungen wie für die Aktiengesellschaften ($$ 46, 47).
Nationalökonomische Gesetzgebung. 8
Beim Konkurs eines Versicherungsvereins gilt ebenfalls Handels-
recht hinsichtlich der Eröffnung, während für die Nachschußeinziehungen
die entsprechenden Vorschriften des Genossenschaftsrechts zur Anwendung
gelangen ($$ 49—52).
Prineipiell müssen die Beiträge der Mitglieder und die Leistungen
des Vereins an diese bei gleichen Voraussetzungen nach gleichen Grund-
sätzen bemessen werden und nur Mitglieder des Vereins können sich
bei ihm versichern. Es ist aber den Vereinen, soweit die Satzung
dieses ausdrücklich gestattet, die Möglichkeit gewährt, Versicherungen
auch mit Nichtmitgliedern gegen feste Prämien abzuschließen ($ 21);
dann liegt ein sogenannter gemischter Verein vor.
6. Ausländische Versicherungsunternehmungen.
Für die ausländischen Unternehmungen möglichst das gleiche Recht
wie fir die inländischen zu normieren, entspricht dem internationalen
Charakter der Privatversicherung. Wollte man in Deutschland härtere
Bestimmungen für die Ausländer treffen, so würde das Ausland sogleich
mit den entsprechenden Mafregeln gegen deutsche Unternehmungen
vorgehen.
In der That bestimmt das Gesetz auch, indirekt im Interesse der
inländischen Versicherer, weniger aber im Interesse der Versicherten,
daß seine Vorschriften auf die ausländischen Unternehmungen im allge-
meinen Anwendung finden!) ($ 85, Abs. 2). Nur geringe Ausnahmen
von diesem Princip bestehen.
Der Betrieb des Versicherungsgeschäfts dieser Anstalten im Inland
durch die Vermittelung von Vertretern, Bevollmächtigten, Agenten oder
sonstige Vermittler ist konzessionspflichtig ($ 85, Abs. 1), während zu dem
lediglich im Korrespondenzweg zu betreibenden Geschäft eine Konzession
nicht erforderlich ist, da hierfür einerseits ein praktisches Bedürfnis
micht vorliegt, andererseits die Durchführung einer solchen Vorschrift
mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen hätte.
Ausschließlich zuständig zur Entscheidung über den Antrag auf
Konzessionserteilung ist der Reichskanzler. Die Konzession darf aber
nur an Gesellschaften, die mit juristischer Persönlichkeit in ihrem
Heimatsstaat ausgestattet sind, erteilt werden, nach gutachtlicher
Aeußerung des Aufsichtsamts darüber, ob nicht Gründe vorliegen, die
zur Konzessionsverweigerung auch bei inländischen Gesellschaften ($ 7)
führen müßten, und unter der Bedingung, daß die Gesellschaft einen
mit weitgehender Vollmacht ausgerüsteten verantwortlichen Vertreter
mit Wohnsitz im Reichsgebiet bestellt ($$ 86, 88). Nur durch Ver-
mittelung von im Inland wohnenden Vertretern darf die ausländische
Gesellschaft Versicherungsverträge mit Inländern abschließen ($ 87).
Da die Kontrolle über die Vermögenslage der ausländischen An-
1) Daraus folgt ohne weiteres (was in der Fachpresse unbegreiflicherweise zu
Diskussionen geführt hat), daß ausländische Anstalten, die Transportversicherung be-
treiben, im Inland nicht konzessionspflichtig sind. Vergl. § 85, 2 in Verbindung mit
$ 116. S. auch die Anmerkung zu § 87 betr. Rückversicherung, S. 228 in meiner
Ausgabe.
Dritte Folge Bd. XXII (LXXVIII). 6
82 Nationalökonomische Gesetzgebung.
stalten nur schwer möglich ist, so wäre wenigstens für die Lebens-
versicherung eine Bestimmung empfehlenswert gewesen, daß hier eine
besondere Sicherstellung der Rücklagen im Inland zu erfolgen hat, die
aus dem inländischen Geschäft stammen und für dieses angesammelt
werden. Der Regierungsentwurf enthielt auch eine solche Anordnung,
wonach die Hälfte der Prämienreserve in verbrieften Forderungen gegen
das Reich oder einen Bundesstaat anzulegen waren. Mit Rücksicht auf
die Versicherer, die reciproke Anwendung dieser Bestimmung fürchteten,
ist diese jedoch fallen gelassen worden. Immerhin findet sich ein
geringer Schutz: die inländischen Prämienreserven müssen derart sicher
gestellt werden, daß über diese nur mit Genehmigung der Aufsichts-
behörde verfügt werden kann ($ 90, Abs. 2) Von Kautionsstellung
u. dgl. m. ist abgesehen worden, obwohl die deutschen Gesellschaften im
Ausland hiermit, wie mit anderen Kautelen, öfters belästigt werden.
Um aber im Notfall Wiedervergeltungsrecht ausüben zu können,
ist die zweckmäßige Bestimmung getroffen ($ 91), daß auf Antrag des
Reichskanzlers der Bundesrat gegen zugelassene ausländische Unter-
nehmungen die Untersagung des Geschäftsbetriebs nach freiem Ermessen
beschließen kann, abgesehen von dem ordnungsmäligen Untersagungs-
recht des Aufsichtsamts ($ 67).
7) Inwieweit findet das neue Gesetz auf bestehende
Unternehmungen Anwendung?
Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen haben neue Gesetze keine
rückwirkende Kraft. Dieses Prinzip spricht auch das Privatversiche-
rungsgesetz aus.
Wie anfangs hervorgehoben worden ist, finden die Bestimmungen,
die im Vorstehenden angeführt worden sind, allgemein und uneinge-
schränkt Anwendung nur auf nach dem 1. Januar 1902 entstandene
Unternehmungen.
Zweckmäligerweise muß dieser Grundsatz aber in geringer Hinsicht,
soll das Gesetz für die bestehenden Gesellschaften von Nutzen sein,
durchbrochen werden. Der Gesetzgeber hat dies, wie allgemein an-
erkannt ist, in geschickter Weise durchgesetzt.
Die am 1. Januar 1902 landesgesetzlich zugelassenen Unterneh-
mungen bedürfen keiner erneuten Konzession nach Maßgabe
des Gesetzes ($ 92), können eine solche aber nachsuchen, wozu sie
unter Umständen Anlaß haben, um sich von Unannehmlichkeiten zu
befreien, die ihnen bei ihrer ehemaligen Zulassung vielleicht auferlegt
worden sind. Alle Gesellschaften unterstehen aber naturgemäß von
diesem Tage an, sofern sich ihr Betrieb über den Umfang eines Bundes-
staates hinaus erstreckt der Kontrolle des Kaiserlichen Aufsichtsamts,
während die anderen Unternehmungen der Kontrolle der Landesbehörden
unterstehen ($ 93). Bei Ablauf einer landesgesetzlich nur auf bestimmte
Zeit erteilten Konzession muß die neue Erlaubnis bei der Aufsichts-
behörde eingeholt werden ($ 94), während bei einer nur widerruflich
erteilten Konzession die freie Widerruflichkeit der Aufsichtsbehörde
zufällt (§ 95). Durch Nachsuchung der Konzession nach den nunmehrigen
Bestimmungen befreit sich der Unternehmer von dieser Fessel.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 83
Um eine fortlaufende Beaufsichtigung des Betriebs möglich zu
machen, war es erforderlich, die Verpflichtung der bestehenden Gesell-
schaften zur Klarlegung ihres Geschäftsplans auf Erfordern der Be-
hörde binnen einer bestimmten Frist zu normieren ($ 98). Von diesem
ihnen zustehenden Recht hat das Aufsichtsamt bereits im Laufe des
Jahres 1901 Gebrauch gemacht, da dieser Paragraph neben anderen schon
mit dem 1. Juli 1901 in Kraft getreten ist,
Die Vorschriften über die Prämienreserve bei der
Lebensversicherung, sowie der Kranken- und Unfallversicherung finden
teils sogleich Anwendung — bei den nach dem 1. Januar 1902 abge-
schlossenen Versicherungen — teils nach einer Frist von 3 bezw. 5 Jahren,
da nach den Motiven „eine schonende Rücksichtsnahme auf die bestehen-
den Geschäfts- und Rechtsverhältnisse geboten erscheint.“ Ausnahms-
weise ist eine Fristverlängerung möglich ($ 99). Ein sofortiges Ein-
greifen der Behörde ist aber gestattet ($ 100), wenn sie die Prämien-
reserve „zur Sicherstellung einer dauernden Erfüllung der an den Ver-
Sicherungsverträgen sich ergebenden Verpflichtungen nicht für aus-
reichend“ hält. Alsdann kann sie eine Frist zur Beseitigung der Mängel
Setzen, vorbehaltlich strengeren Eingreifens.
Besondere Bestimmungen mußten für die Gegenseitigkeits-
vereine getroffen werden. Solche mit Rechtsfähigkeit — ab-
gesehen von den Genossenschaften und gewissen ähnlichen sächsischen
Vereinigungen ($ 102) — unterliegen mit Ausnahme der Vorschriiten
über die Bildung eines Gründungs- und Reservefonds sogleich den neuen
Vorschriften; auf solche ohne Rechtsfähigkeit finden die ein-
schlägigen Paragraphen keine Anwendung. Diese Vereine können aber
von der Aufsichtsbehörde zur Nachsuchung der Konzession binnen einer
Frist von mindestens 6 Monaten aufgefordert werden; im Weigerungs-
falle ist die Aufsichtsbehörde zur Betriebsuntersagung befugt.
Auf Unternehmungen in Liquidation findet das Gesetz
keine Anwendung mehr ($ 103).
8) Rückblick.
Die große wirtschaftliche Bedeutung des Gesetzes vom
12. Mai 1901 für das gesamte Privatversicherungswesen und somit für
einen sehr beträchtlichen Teil unserer Volkswirtschaft steht außer Frage.
Aber ebenso wenig kann es einem Zweifel unterliegen, daß der Gesetz-
geber durch dieses Werk sich den Anspruch auf Dank aller Versicherer
und Versicherten erworben hat und die Aufgabe, wenn auch nicht in
vollkommener, so doch inanerkennenswerter Weise gelöst hat,
an die Stelle der Rechtszersplitterung und Rechtsunsicherheit, Rechts-
einheit und Rechtssicherheit treten zu lassen.
Wohl ist das neue Gesetz verbesserungsfähig, wohl sind zahlreiche
Wünsche, die man hinsichtlich seines Inhaltes gestellt hatte, unberück-
sichtigt geblieben, die billigerweise Beachtung verdient hätten. Die in
dieser Hinsicht hervortretenden Mängel sind in der Besprechung des
Gesetzes auch an dieser Stelle hervorgehoben worden. Aber das alles
6*
84 Nationalökonomische Gesetzgebung.
hindert nicht, den großen Fortschritt, den das Gesetz bringt, dank-
bar zu begrüßen.
Die deutsche Privatversicherung wird auf der neuen einheitlichen
Grundlage sich einer noch größeren Blüte zu erfreuen haben, wie unter
der Herrschaft der alten Gesetzesmenge. Aber eins ist dabei erforder-
lich: Vertrauen zu dem Aufsichtsamt, Aufgeben der Ab-
neigung gegen die Behörden, vor allem Aufgeben der so
unbegründeten Furcht vor Verstaatlichung. Möge dieses
Vertrauen in demselben Maße wachsen, in dem sich die neue Behörde
ihrer Aufgabe gewachsen zeigt.
IV. Sonstige reichsgesetzliche Bestimmungen über das
Privatversicherungswesen.
Der Vollständigkeit halber bedarf es noch der Erwähnung der
Bestimmungen anderer Reichsgesetze, in welchen das
private Versicherungswesen betreffende Vorschriften
enthalten sind!). Diese sind jedoch meist nicht öffentlich-recht-
licher Natur, betreffen vielmehr das Verhältnis zwischen Versicherern
und Versicherten.
Nach Art. 75 des Einführungsgesetzes zum Bürger-
lichen Gesetzbuch bleibt auch nach dessen Inkrafttreten das Lan-
desrecht für die privatrechtliche Seite des Versicherungswesens maß-
gebend. Daß jedoch dem Reich die Befugnis zur Regelung nach dieser
Seite zusteht, ist ausdrücklich festgesetzt durch das Gesetz vom
20. Dezember 1873, wonach dem Reiche die Gesetzgebung über
das gesamte bürgerliche Recht zugewiesen ist.
Die $$ 1045 und 1046 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ent-
halten Bestimmungen über die Versicherung der Nießbrauchsache: die
Versicherungspflicht des Nießbrauchers und die Surrogierung der Ver-
sicherungsforderung. Die $$ 1127—1130 desselben Gesetzes regeln
die Versicherungsansprüche bei Hypotheken: das Erstrecken der Hypothek
auch auf die Forderung gegen den Versicherer, die Stellung des Ver-
sicherers in solchen Fällen bei Gebäudeversicherung und anderweiter
Versicherung und die satzungsgemäße Zahlung zur Wiederherstellung.
Aus dem Handelsgesetzbuch vom 7. April 1897 ist an-
zuführen die Bestimmung des $ 1 Abs. 2 No. 3, wonach als Handels-
gewerbe der Gewerbebetrieb gilt, welcher die Uebernahme von Ver-
sicherungen gegen Prämie zum Gegenstand hat. Ferner $ 278, der be-
züglich der Versicherungsaktiengesellschaften eine Ausnahme gegenüber
anderen Aktiengesellschaften dahin zuläßt, daß eine Erhöhung des Grund-
kapitals durch Ausgabe neuer Aktien auch vor der vollen Einzahlung
des bisherigen Kapitals erfolgen darf. Im letzten Buch des Handels-
gesetzbuchs ist das Recht der Seeversicherung normiert. Die
SS 390, 407, 417 desselben Gesetzes regeln die Verantwortlichkeit des
Kommissionärs, Spediteurs und Lagerhalters wegen der Unterlassung der
ausdrücklich vom Kommittenten angeordneten Versicherung der Ware.
Die Reichsgewerbeordnung bestimmt im $ 14 Abs. 2 eine
1) S. 20 meines Kommentars.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 8
Anmeldepflicht für Feuerversicherungsagenten bei Uebernahme und Auf-
gabe der Agentur !).
Das Strafgesetzbuch schließlich bedroht mit Strafe im $ 265 den
Feuer- und Seeversicherungsbetrug ?), in den $$ 277—280 die Täuschung
einer Versicherungsgesellschaft über den Gesundheitszustand einer Person
vermittels falscher Beurkundung, im $ 360 Ziffer 9 die Errichtung von
Versicherungsanstalten entgegen gesetzlichen Bestimmungen ohne Ge-
nehmigung.
V. Die künftigen Aufgaben des Gesetzgebers.
Nur „eine späte Abschlagszahlung auf alte Versprechungen“ ist
das Privatversicherungsgesetz vom 12. Mai 1901. Nur einen Teil seiner
Aufgaben und seiner Verheißungen hat der deutsche Gesetzgeber
durch seine Einführung erfüllt. Ein mindestens ebenso großer und ein
noch schwierigerer Teil harrt seiner Lösung: die reichsgesetzliche
Regelung des Privatversicherungsvertrags.
Eine Gesetzesvorlage in diesem Sinne soll sich zur Zeit in Arbeit
befinden. Aber es kann Keinem verdacht werden, wenn er nicht eher
daran glaubt, als bis er das gedruckte fertige Gesetz in Händen hat.
Denn wenn schon das weniger schwierige Gesetz 31 Jahre gebraucht
hat, um zu erscheinen, wie lange wird dann das andere noch auf sich
warten lassen ?
Dazu kommt, daß man in den Kreisen der Versicherer durchaus
nicht allgemein der Ansicht ist, ein solches Gesetz sei notwendig. Im
Gegenteil findet man in der Fachpresse immer wieder zahlreiche
Aeußerungen darüber, es sei überhaupt nicht Sache des Staates, sich in
die ganz internen Vertragsverhältnisse zweier Parteien hineinzumischen.
Was für beinahe alle Vertragsarten als notwendig und nützlich erachtet
und anerkannt ist: zwingendes Recht für die Parteien, die den Vertrag
schließen, für den Versicherungsvertrag soll es unzulässig sein®).
Das ist gerade das wichtigste Moment bei der Regelung des Ver-
sicherungsvertrags, Recht zu schaffen, welches durch den Parteiwillen
nicht umgeändert werden kann‘). „Der Gesetzgeber muß Sonne und
Wind gleich verteilen; wo es notwendig ist, muß er durch zwingende
Rechtssätze dem Schwachen Schutz gewähren; er kann aber nicht seine
Aufgabe dem Billigkeitsgefühl oder den Konkurrenzrücksichten eines
Vertragsteils überlassen“ 5).
Erkennt man diesen Grundsatz an — und die juristische wie die
1) $ 6 ist schon oben angeführt, ebenso Art. IV der Reichsverfassung.
2) Ueber dieses Delikt und die Unzulänglichkeit des Schutzes der Versicherungen
durch das Strafgesetz vergl. den Aufsatz „Versicherungsbetrug‘“ in Masius Rundschau
1901, Heft 9/10, S. 293.
3) Vgl. die „Bemerkungen der Schweizerischen Versicherungsgesellschaften über
den Gesetzentwurf betr. das Obligationenrecht‘, Zürich 1877. Die dort niedergelegten
Anschauungen sind heute noch die herrschenden!
4) Darauf weist besonders Steinbach hin in Ebenzweig’s Assekuranz-Jahrbuch,
1885, S. 250 ff. Vgl. auch dessen Schrift: „Die Stellung der Versicherung im Privat-
recht“, 1883,
5) Steinbach a. a. O. S. 258.
86 Nationalökonomische Gesetzgebung.
ökonomische Wissenschaft hat ihn längst anerkannt — so folgt daraus,
daß da, wo gleiche Parteien sich gegenüberstehen, also beı der See-
und Rückversicherung, eine gesetzliche Regelung nicht erforderlich ist.
Und doch ist gerade das Recht der Seeversicherung in allen Kultur-
staaten geregelt 1). Allerdings ist dieses Recht durchweg ein dispositives,
dem Abänderungswillen der Vertragsparteien unterworfenes; aber schon
daraus, daß hier, wo man eine gesetzliche Grundlage nicht nur in
Versicherungskreisen am wenigsten erforderlich erachtet, eine solche all-
gemein geschaffen ist, folgt die unbedingte Notwendigkeit der Regelung
auch der übrigen Vertragsarten der Versicherung.
Ein brauchbares Vorbild, das der Gesetzgeber einfach adoptieren
könnte, besteht für ein solches Gesetz nicht. Zwar giebt es in den ver-
schiedenen handelsrechtlichen Kodifikationen des Auslandes eine ganze
Anzahl einschlägiger Gesetzesbestimmungen; aber diese geben keine
erschöpfende Regelung der Materie und enthalten dazu durchweg keinerlei
zwingendes Recht.
Einen gewissen Anhalt wird der vom Reichsgerichtsrat Bähr?),
herrührende, insbesondere aber der von Prof. Roelli in amtlichem
Auftrag in Zürich verfalte Entwurf?) eines schweizerischen Versiche-
rungsrechts bieten können; auch sonst fehlt es nicht an Vorarbeiten 4).
Bedauerlicherweise haben die Versicherungsgesellschaften den schon
von Steinbach angedeuteten, zweckmäligen Gedanken, von sich aus
einen Gesetzentwurf aufzustellen und ein einheitliches Vertragsrecht
einzuführen, nicht befolgt.
„Freilich — so habe ich schon an anderer Stelle ausgeführt) — haben nach
Erscheinen des amtlichen Entwurfs die Gesellschaften das Recht der Kritik. Aber
um wieviel mehr hätten ihre Forderungen Aussicht auf Erfolg gehabt, wenn auf
der Grundlage eines von ihnen eingereichten Entwurfs sich die amtliche Beratung
hätte aufbauen können. Die von den Verlegern eingeführte Verlagsordnung ist in
vielen Paragraphen wörtlich in das neue Reichsgesetz über den Verlagsvertrag
übernommen und ihre Grundsätze im wesentlichen durchaus vom Gesetzgeber an-
erkannt worden. Ein solches Vorgehen eines Berufsstandes sollten sich andere
zum Muster nehmen. Für die privaten Versicherungsunternehmungen hätte der-
gleichen zu einem friedlichen Ausgleich der hitzigen Konkurrenz sicherlich auch
ein wenig beigetragen.“
Selbst jetzt scheint es nicht zu spät dazu! —
In ganz ungewisser Ferne liegt die Kodifikation eines inter-
nationalen Versicherungsrechts, ein Gedanke, dem schon
wiederholt Ausdruck verliehen worden istf) und dessen Verwirklichung
man sich auf die Dauer nicht wird entziehen können.
1) Vgl. dazu Ehrenberg, „Versicherungsrecht‘, 1893, S. 42 ff.
2) Im Archiv für bürgerliches Recht, Bd, 7, 1802,
3) Erschienen in Leipzig 1899, wiederholt in den Organen der Fachpresse kritisiert.
4) Vergl. Ehrenberg, „Versicherungsrecht“, 1893, § 5. S. auch Chaufton, „Les
assurances“, Bd. 2, 1886, und Brämer, „Versicherungswesen‘“, 1894, Kap. VII.
5) „Frankfurter Aktionär“, 1901, No. 2777.
6) Vergl. L. v. Stein, „Ueber das öffentliche Recht des Versicherungswesens“, Vor-
trag, mitgeteilt in Masius? Rundschau, Bd. 35, 1855, S. 457 ff., insbesondere S. 475.
Für ein internationales Recht sprach sich auch der Handelskongreß in Philadelphia,
1899, aus. Dazu Wallmann’s Versicherungszeitung, 1900, Bd. 34, No. 39.
Miszellen. 87
Nachdruck verboten.
Miszellen.
I.
Die Getränkesteuern in Frankreich.
Von Prof. Dr. M. v. Heckel.
(Fortsetzung und Schluß.)
IV. Biersteuer, Octroi, Liqueur- und Kunstweinsteuer.
Das Finanzgesetz vom 30. Mai 1899 hat durch die Neuordnung der
Biersteuer einen ganz wesentlichen Fortschritt der Getränkebesteue-
rung erzielt. Sie ist in der Hauptsache auf den Grundlagen der Ribot-
schen Vorschläge aufgebaut. Die Gesetzgebung verläßt hier das Prinzip
der Verarbeitungssteuer und geht zum System der Fabrikat- oder Pro-
duktsteuern über. An die Stelle der bisherigen Kesselsteuer mit Würze-
kontrolle tritt nunmehr die Würzesteuer il
Die Abgabe vom Bier beträgt in Hauptsumme und Zuschlägen (en
principal et décime) 0,50 fres. vom Hektolitergrad der Bierwürze. Es
ist daher von je 1 hl Bierwürze und je 1° des Dichtigkeitsmessers über
100° (Dichtigkeit des Wassers) bei einer Temperatur von + 159 C
der Einheitssatz der Steuer zu entrichten. Durch das Gesetz vom
29. Dezember 1900 ist der Satz auf 0,25 fres. ermäßigt worden. Den
Anknüpfungspunkt bildet hier einesteils der im Maischbottich mit
Wasser angerührte Malzbrei, die Bierwürze, und anderenteils der Ex-
trakt aus dieser, der Zuckergehalt, der durch ein besonderes Instrument,
den Dichtigkeitsmesser, festgestellt wird. Wenn der Ertrag der Bier-
steuer, der innerhalb der ersten 12 Monate seit Inkrafttreten des Ge-
setzes erzielt wird, höher oder niedriger ist als 27,420 Mill. fres., so ist
der Steuersatz durch Ermäßigung oder Erhöhung auf denjenigen Betrag
zu bringen, der unter Zugrundelegung der in der ersten 12-monatlichen
Perioden konstatierten Hektolitergrade notwendig ist, um einen Steuer-
eingang von 27,420 Mill. fres. zu sichern?). Damit ist eine Art Kon-
1) Bulletin, Vol. XLV, p. 500—503.
2) Dies ist geschehen durch Gesetz vom 29. Dezember 1900, durch das der Steuer-
satz von 0,50 fres. auf 0,25 fres. vom Hektolitergrad herabgesetzt wurde, jedoch
ohne Zusammenhang mit der hier erwähnten gesetzlichen Bestimmung.
88 Miszellen.
tingentierung geschaffen. Zur Korrektur des nicht immer mit genügender
Sicherheit funktionierenden Meßapparates werden noch die Ueberschüsse
aus dem Ausbeuteverhältnis berücksichtigt. Einer Verordnung ist es
überlassen, Bestimmungen zu treffen über Volumen und Dichtigkeit der
Bierwürze, über das Minimum der Hektolitergrade, die jedem Brausud
zu Grunde zu legen sind für die Besteuerung, die Art der Feststellung
für jene u. s. w. Wenn die Gesamtzahl der Hektolitergrade die dekla-
rierte Anzahl um 10—15 Proz. überschreitet, so ist der doppelte Steuer-
satz, bei einem Ueberschuß von 15—20 Proz. sind 5 fres. vom Hekto-
litergrad als Abgabe zu entrichten!). Die verwendeten Braupfannen
müssen im allgemeinen mindestens 8 hl Rauminhalt fassen. Bewegliche
oder tragbare Braupfannen dürfen nicht benutzt werden. Landwirte
oder Pächter dürfen für ihren Haustrunk steuerfreies Bier herstellen,
wenn dasselbe nur für ihre eigene Konsumtion dient, sie nur selbst-
gebaute Rohstoffe verwenden und die Braugefäße nicht mehr als 5 hl
fassen. Privatpersonen, Schulpensionate, Unterrichtsanstalten und son-
stige öffentliche Anstalten unterliegen den gleichen Steuern und Vor-
schriften wie die gewerbsmäßigen Brauereien, dürfen aber bei Verwen-
dung von Braugefäßen unter 8 hl Rauminhalt bewegliche Pfannen be-
nutzen und sind von der Licenzpflicht ausgenommen. Ambulante Brau-
betriebe sind untersagt. Die Benutzung heimlicher Apparate oder
Röhren ist mit Geldstrafe von 3000—10 000 fres. bedroht. Im Wieder-
holungsfalle sind die Geldbußen zu verdoppeln, auch kann auf eine
Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis 1 Jahr erkannt werden. Auch für
sonstige Zuwiderhandlungen sind Strafen vorgesehen.
Im Verordnungswege (Dekrete von 10. und 11. August 1899) sind
dann die vom Gesetze vorgesehenen Vorschriften über die Beauf-
sichtigung der Brauereien und Destillerien erlassen worden?) Das
Ausbeuteverhältnis der Melasse und Glykose in Hektolitergraden ist
für die Bierbereitung bei Melasse auf 31 Hektolitergrade und bei
Glykose auf 29 Hektolitergrade von je 100 kg festgesetzt worden.
Außerdem hat das Gesetz vom 30. Mai 1899 noch der Verordnung
weitere Einzelheiten vorbehalten: Die Festsetzung der Steuerzahlungs-
termine, Vorschriften über die Bedingungen für die Einrichtung der
Brauereien, der Brau- und Hopfpfannen und Anordnungen für die
Revisionen der Etablissements bei Nacht und für die Rückvergütung
der Steuer vom exportierten Bier.
Eine weitere wichtige Abänderung des bestehenden Rechtes wurde
durch die Neugestaltung der Octroigesetzgebung von 1897 —1900
herbeigeführt 3).
Das Hauptgesetz datiert vom 29. Dezember 1897 und nimmt die
schon früher mehrfach erwähnten Bestrebungen wieder auf, im Zusammen-
hang mit der geplanten Herabsetzung der staatlichen Abgaben von den
1) Ein Ueberschuß von mehr als 20 Proz. über die deklarierte Menge setzt eine
falsche Deklaration voraus: hier ist dann die Gesamtheit der festgestellten- Mengen
(nicht nur der Ueberschuß mit 5 fres. per Hektolitergrad) zu besteuern. <
2) Bulletin, Vol. XLV, p. 539.
3) Bulletin, Vol. XLII, p. 15—18 u. 242.
Miszellen. 89
gesundheitsunschädlichen Getränken, die städtischen Octrois auf den
hygienischen Getränken (boissons hygieniques ou alimentaires)
zu beseitigen oder doch wesentlich zu beschränken. Den Ausfall sollten
Steuererhöhungen der gesundheitsschädlichen Getränke, vor allem des
Branntweins und andere öffentliche Einnahmen decken. Darnach werden
die Gemeinden (Octroigemeinden) ermächtigt, ihre Octroiabgaben von
den hygienischen oder Nahrungsgetränken (Wein, Obstwein, Birnmost,
Honigwein, Bier und Mineralwasser) vom 31. Dezember 1898 an auf-
zuheben. In denjenigen Gemeinden, die auf die Erhebung dieser Octrois
nicht verzichten wollen, werden unüberschreitbare Maximalsätze dafür
festgesetzt. Sie betragen für Wein in Gemeinden unter 6000 Ein-
wohnern 0,55 fres., in solchen mit 6000—10 000 Einwohnern 0,85 fres.,
in solchen mit 10000—15 000 Einwohnern 1,15 fres., in solchen mit
25000—20000 Einwohnern 1,40 fres., in solchen mit 20000 bis
530000 Einwohnern 1,70 fres., in solchen mit 30 000—-50000 Ein-
wwohnern 2,00 frcs., in solchen mit 50000 und mehr Einwohnern 2,25 fres.
wand in der Stadt Paris 4,00 fres. vom Hektoliter. Für Obstwein, Birn-
rmost, Honigwein und Mineralwasser besteht der gleiche Ortsklassentarif,
essen Sätze für den Hektoliter in gleicher Staffelung 0,35, 0,50, 0,60,
Chan, 0,95, 1,15, 1,25, 1,50 und 2,00 frcs. betragen. Der Maximalsatz,
der vom Bier erhoben werden darf, beträgt vom Hektoliter 5,00 fres.
æ nd in 5 besonders benannten Departements (Aisne, Ardennes, Nord,
Pas de Calais, Somme) 1,50 fres. Weine, deren Alkoholstärke 15°
ü berschreitet, können mit dem doppelten Steuersatz belastet werden,
wenn ihr Alkoholgehalt sich zwischen 15 und 21° bewegt, und sie
werden wie reiner Alkohol besteuert, falls ihre Alkoholstärke über 210
bSinausgeht (Gesetz vom 1. September 1871).
An Stelle der aufgehobenen oder herabgesetzten Octrois von den
hygienischen Getränken können die Gemeinden die Abgaben von
B ranntwein auf das Doppelte der (bisherigen) Eingangsabgabe ein-
schließlich der Zuschläge erhôhen1). In Gemeinden mit weniger denn
4000 Seelen dürfen aber die Octroisätze auf Alkohol diejenigen
nicht überschreiten, die in Kommunen mit 4000—6000 Einwohnern er-
hoben werden. Ferner können durch ein Gesetz kommunale
Licenzen (licences municipales) vom Getränkehandel neben den auf
Rechnung des Staates erhobenen eingeführt werden. Sie setzen sich
aus einer Normalanlage (droit fixe) und einer Betriebsanlage (droit pro-
portionel) zusammen. Jene ist nach zwei Gewerbegattungsklassen ab-
zustufen, je nachdem die Händler nur hygienische Getränke oder Alkohol
mit oder ohne hygienische Getränke vertreiben. Diese dagegen wird
nach dem Mietwert der gesamten Geschäftslokalitäten angelegt. Unter
gleichen Voraussetzungen können ferner Abgaben bis zu 0,30 fres. von
Flaschenweinen ohne die Weine der Clubs und eine Mehrzahl von
Luxussteuern auf Pferde, Maulesel, Wagen, Automobils, Billards, Klubs,
geschlossene Gesellschaften und auf das Halten von Hunden erhoben
1) Die Abgabe für Paris kann von dem bisherigen Satze von 24 fres. vom Hekto-
liter auf 85,20 fres. erhöht werden.
90 Miszellen.
werden. Mit gesetzlicher Ermächtigung ist auch die Einführung neuer
direkter und indirekter Specialsteuern zulässig. Die direkten Steuern
dürfen nur auf in der Gemeinde gelegenen Grundbesitz ausgedehnt
werden und müssen proportionale Abgaben sein, progressive Steuersätze
sind unstatthaft.
Die Octroitarife für die hygienischen Getränke sind auf diese ge-
setzlichen Bestimmungen hin zu prüfen innerhalb einer festgesetzten
Frist entsprechend zu revidieren. Ergeben sich bei dieser Revision
aus den Ersatzabgaben höhere Erträge als die Entlastung der hygie-
nischen Getränke ausmacht, so können andere octroipflichtige Gegen-
stände aus diesen Ueberschüssen angemessen erleichtert werden. Auf
die „Nahrungsgetränke“ können in Orten, in denen diese bisher steuer-
frei waren, keine Octrois gelegt werden. Dagegen kann in Ausnahme-
fällen durch ein Dekret des Staatsrates Gemeinden, die bisher niedrigere
Steuersätze als die durch das Gesetz vom 29. Dezember 1897 fest-
gesetzten Maxima einzogen, die Ermächtigung erteilt werden, von nun
ab die hygienischen Getränke mit den gesetzlichen Maximalsätzen zu
belasten. Gemeinden, die bisher Wein, Obstwein, Bier, Mineralwasser
octroifrei ließen, können entweder den Getränkehandel durch kommunale
Licenzen erfassen oder Abgaben von Alkohol errichten. Endlich ist in
Städten, die auf alle Einkünfte aus den hygienischen Getränken ver-
zichten, eine Erleichterung der militärischen Baulasten in Aussicht ge-
stellt worden.
Nachdem ein Gesetz vom 9. März 1898 den Gemeinden, die schon
vor dem 1. Dezember 1898 zu einer Revision der Octroitarife schreiten
würden, die Vorteile der neuen Gesetzgebung zugänglich gemacht hatte,
zeigte sich die Notwendigkeit, die Durchführung dieser gesetzlichen An-
ordnungen mehrfach hinauszuschieben. Das war insbesondere für die
großen Städte ein dringendes Bedürfnis, deren Gemeindehaushalt durch
die plötzliche Beseitigung eines Teils ihrer Octroieinnahmen in Un-
ordnung zu geraten drohte. Ein Uebergangsstadium schien daher un-
vermeidlich. Diese Rechtswohlthat wurde mit bestimmten einschränken-
den Modifikationen der Stadt Paris bis zum 31. Juli 1898 (Gesetz vom
28. Juni 1898) zugewendet, worauf eine zweite Verlängerung bis
31. Dezember 1898 (Gesetz vom 21. Juli 1898) gewährt wurde. Ein
anderer Aufschub bezog sich auf eine Mehrzahl von Zuschlagstaxen
(surtaxes), die unabhängig von den lokalen Getränkesteuern bis zu den
genannten Terminen weiter erhoben werden durften!). Ein weiterer
allgemeiner Aufschub wurde allen Gemeinden, die dieses benificium
dilationis in Anspruch nahmen, zuerst bis 31. Dezember 1899 (Gesetz
vom 24. Dezember 1898) und dann abermals bis 31. Dezember 1900
(Gesetz vom 29. Juni 1899) zugestanden ?).
In der jüngsten Zeit ist man in Paris noch viel radikaler vor-
gegangen, als der Gesetzgeber gedacht hatte). Die ganze Aktion hat
1) Bulletin, Vol. XLIV, p. 1, 117.
3) Bulletin, Vol. XLV, p. 5 u. 6.
3) Journal des économistes, 1901, p. 151. Das Gesetz vom 31. Dezember 1900
ist im Bulletin, Vol. XLIX p. 5—8 abgedruckt.
e + e
—
Miszellefn. 91
auch einen politischen Hintergrund. Der Pariser Stadtrat hat auf die
weitere Erhebung der Octrois von gesundheitsunschädlichen Getränken
überhaupt verzichtet und damit einen Ausfall von rund 46 Mill. fres.
durch andere Steuern zu decken. Durch Gesetz vom 31. Dezember
1900 sind nun die Ersatzabgaben eingeführt worden. Unter diesen
steht an erster Stelle eine 21/,-proz. Abgabe vom Reinertrag des Ge-
bäudeeigentums; andere Auflagen sind eine städtische Bauplatzsteuer
von !/, Proz. von dem nicht bebauten Grundstücke, eine Mietsteuer
von 1 Proz. des persönlichen Mietaufwands, eine Abgabe für das Weg-
schaffen des Kehrichts, die mit 1,666 Proz. des Reinertrags der Häuser
Veranlagt wird, eine Steuer von Beiträgen zu Klubs, Vereinen, Kasinos
u. a w, eine Luxussteuer vom Halten von Pferden, Maultieren und
ÆAutomobils und endlich einzelne Zuschläge zu den Enregistrements-
a nd Stempelabgaben. Die Tendenz der ganzen Neuordnung ist auf
d ie stärkere Belastung des Grundeigentums und der besitzenden Klassen
g erichtet.
Eine eigene Regelung hat auch durch das Finanzgesetz vom 13. April
E 898 die Besteuerung der Wermut-, Liqueur-und Kunst-
wein gefunden. Für sie hatte bereits der Ribot’sche Entwurf besondere
Normen vorgeschlagen 1).
Wermut-, Liqueur- und Kunstweine werden nach ihrem vollen
A Ikoholgehalt unter Annahme eines Minimums von 16% für Wermuth-
uæd von 15° für Liqueur- und Kunstweine besteuert. Sie werden von
dean halben Steuersätzen der Alkoholsteuer getroffen, bei einer Stärke
von 15% während sie bei höherer Grädigkeit dem vollen Steuerausmaß
unterliegen. Naturweine (vins doux naturels) mit einer natürlichen
Akoholstärke von mindestens 15° können auf Antrag der Produzenten
ucad gegen Nachweis ihrer Naturreinheit den Normen der gewöhnlichen
Weinsteuer unterworfen werden. Durch Entrichtung der halben Ver-
br-auchsabgabe wird bei diesen Weinen der Steuerpflicht für den Alkohol
genügt, der vor der Gärung zur Gehaltserhöhung verwendet wird. Die
Zusetzung muß jedoch beim Weinbauern unter steueramtlicher Kontrolle
geschehen.
Von den übrigen Bestimmungen, die für diese Materien getroffen
wurden, seien mit Uebergehung der weniger wichtigen, meist im Ver-
ordnungswege erlassenen Vorschriften nur die Regelung der Denatu-
rierung des Alkohols erwähnt?) Schon das Finanzgesetz vom
17. April 1895 hat zur Deckung der hier entstehenden Kontrollkosten
eine Aufsichtsgebühr von 0,80 fres. vom Hektoliter Alkohol eingeführt.
Diesem folgte das Gesetz vom 16. Dezember 1897, das zunächst die
Abgabe vom denaturierten Spiritus (von 30 fres.) auf 3 fres. vom Hekto-
liter herabsetzte und Anordnungen für die steueramtliche Behand-
lung desselben, sowie andere Punkte des Kontroll- und Aufsichtswesen
beim Alkohol ins Leben rief. Die Verordnung vom 1. Juni 1898
hat dann ein ausführliches Reglement für das Verfahren bei der
1) Bulletin, Vol. XLIII, p. 356.
2) Bulletin, Vol. XXXVII, p. 329.
92 Miszellen.
Denaturierung entworfen. Die Vollzugsvorschriften zum Gesetze vom
16. Dezember 1897 sind dann durch das Dekret vom 29. November 1898
erflossen!). Sie haben die erforderlichen Veränderungen in den Bau
der Ausführungsbestimmungen für die Denaturierung des Alhohols ein-
gefügt und die älteren 1874, 1878 und 1881 hergestellten Normen
dieser Materie ersetzt.
V. Caillaux’ Variante und das Gesetz vom 29. Dezember 1900.
1. Allgemeine Gesichtspunkte und Ziele.
Die letzte Etappe in der ganzen Reformbewegung bildet der modi-
fizierte Gesetzentwurf, den der Finanzminister Caillaux am 14. November
1899 den französischen Kammern unterbreitete?) Die Vorlage einer
solchen Variante war durch verschiedene Umstände und Ereignisse be-
dingt. Zunächst machten sich natürlich die Wirkungen der Entlastungs-
aktion geltend. Durch die im vorigen Abschnitt in ihren wesentlichen
Bestimmungen wiedergegebenen Steuergesetze waren die Bierbesteue-
rung die Regelung der Octrois, die Behandlung der Wermut-, Sül-
und Kunstweine sowie die Ordnung des Denaturierungsverfahrens aus
dem Rahmen des neuen Projektes ausgeschieden. Ihm oblag in der
Hauptsache die Wein- und Obstwein- und die Alkoholsteuer neuzuordnen
und daneben die hiermit notwendig gewordenen Bestimmungen der Steuer-
verwaltung und Finanztechnik den geänderten Verhältnissen anzupassen.
Es waren aber auch die beiden wichtigsten und schwierigsten Probleme
noch ungelöst. Denn gerade mit der Weinsteuer und der mit ihr zu-
sammenhängenden Obstweinsteuer paaren sich hygienisch-sanitäre und
wichtige volkswirtschaftliche Interessen. Die Einrichtung der Alkohol-
steuer in fiskalischer und gesundheitspolizeilicher Beziehung entscheidet
das Schicksal der ganzen Reform überhaupt. Der Variantenentwurf hat
im übrigen gegenüber dem Plane Ribot’s einschneidende Aenderungen
prinzipieller Natur vermieden und die leitenden Gesichtspunkte sind die
nämlichen geblieben, wie sie seit ein- und einhalb Jahrzehnten, oftmals
verschieden in der äußeren Gestalt, doch unverändert im Wesen, in
Frankreich feste Wurzeln geschlagen hatten. Voran steht auch hier
das Bestreben, die gesundheitsunschädlichen, diehygienischen oder
Nahrungsgetränke, Wein, Obstwein und Bier durch Steuererleichte-
rungen zu entlasten. Man mischte in die finanzpolitischen Vorgänge
auch eine soziale Erwägung, man beabsichtigte gerade im Interesse der
unteren und arbeitenden Klassen unschädliche Getränke mehr zu ver-
breiten, ihren Genuß allgemeiner und durch Verbilligung der Preise
breiten Volksschichten zugänglicher zu machen. Auf der anderen Seite
geht das Streben parallel, die Alkoholsteuer zu erhöhen. Es
geschieht dies wiederum unter einem doppelten Gesichtspunkt. Einmal
1) Bulletin, Vol. XLII, p. 604—614 u. XLIV, p. 600—603. Durch Gesetz vom
29. Dezember 1900 ist die Denaturierungsabgabe von 3,00 fres. vom Hektoliter reinen
Alkohols abgeschafft und durch eine statistische Abgabe von 0,25 fres. vom Hektoliter
ersetzt worden.
2) Abgedruckt im Bulletin. XLV, p. 420—432.
EI
Ba; |
Miszellen 93
soll der Branntwein geflissentlich verteuert werden, durch höhere Brannt-
weinpreise soll der Branntweingenuß vermindert werden. Der schlechte
nicht genügend gereinigte Trinkbranntwein soll als Genußmittel unter-
drückt werden, ein wesentliches Mittel zur Bekämpfung der Brannt-
weinpest und Trunksuchtsplage, die in gefahrdrohender Weise den Volks-
wohlstand und die nationale Kraft und Gesundheit zu schädigen beginnt.
Sodann aber kommt auch eine fiskalische Notwendigkeit zur Geltung.
Die Entlastung der hygienischen Getränke bedeutet für den Staat einen.
Jährlichen Ausfall von rund 126 Mill. fres., für die in erster Linie die
Besteuerung des Alkohols einen Ersatz bieten soll.
Die Regelung der Wein- und Obstweinsteuer trifft aber auch mit
wwichtigen, volkswirtschaftspolitischen Forderungen zusammen. Hier spielt
dlie Thatsache herein, daß die Steuernormen nicht zuletzt die Produktions-
Verhältnisse des Wein- und Obstbaus fühlbar berühren. Nicht nur die
Steuerlast wird als solche von diesen Kreisen als drückend empfunden,
sondern auch die Formen der Steuererhebung sind für Kultur und
Æbsatz dieser Erzeugnisse erheblich. Von einer Entlastung erhoffen
&ie Produzenten eine Erleichterung des Abflusses und des
Absatzes für Wein, Obstwein und Weinspritt Waren im Laufe der
lestzten Jahre die Wünsche um Erleichterung durch die Notlage des
V#Weinbaues infolge der Verheerungen der Reblaus und des Obstbaues
durch die landwirtschaftliche Krisis überhaupt begründet worden, so
haben neuerdings gute und überreiche Ernten und mit ihnen die starke
Ansammlung absatzbereiter Produkte die Zuführung auf aufnahmefähige
Mffärkte zu einer Lebensbedingung dieser Produktionszweige gemacht.
Diese Interessentenkreise richten daher ihre Aufmerksamkeit neben der
SÆeuererleichterung vor allem auch auf eine Vereinfachung der
S teuerformen und der angewendeten Steuertechnik. Und
acach diesen Anregungen sucht Caillaux’ Variante durch Beseitigung
\asstiger Beaufsichtigung, durch Abschaffung und Verminderung der
Formalitäten beim Versand nach Kräften entgegenzukommen, wobei
insbesondere die Ansprüche der Wein- und Obstbauern weitgehend be-
rücksichtigt werden sollen. Schließlich aber darf nicht unerwähnt bleiben,
daß jede Produktion ein Feind dauernder Beunruhigung durch neue
Steuerpläne und Steuerprojekte sein muß. Für den Produzenten ist die
Stabilität in Steuersachen eine Bedingung des Wohlergehens und der
Blüte. Von 1885—1895, also in einem 10-jährigen Zeitraum, sind, von
gelegentlichen Anregungen abgesehen, nicht weniger als sechs vollständig
ausgearbeitete und vorbereitete Gesetzentwürfe über die Getränkesteuern
vor die Volksvertretung gelangt, von denen jeder mindestens in ein-
zelnen Nüancierungen abweichende Normen für die Besteuerung der
hygienischen Getränke vorschlug. Solche Zustände der Ungewißheit
müssen auch auf die Entwickelung der Produktion einen nachteiligen
Einfluß ausüben.
Auch in diesem letzten Stadium der Reformaktion hat es nicht an
Rufern im Streit aus den Reihen der Deputierten gefehlt, die wenig-
stens für die gesundheitsunschädlichen Getränke die völlige Beseitigung
aller Abgaben wünschten. Schon der Senat ist dieser Forderung nicht
94 Miszellen.
beigetreten und die Variante hat sie aus sachlichen, wie formellen Gründen
grundsätzlich abgelehnt. Das Erreichbare hat seine Grenzen in der
Ermäßigung der Tarife, die den Wünschen der Produktion und Kon-
sumtion entspricht. Denn nur die zu hohen Steuersätze stellen der
Verbreitung des Genusses der hygienischen Getränke ein Hindernis ent-
gegen, nicht die Besteuerung an sich. Außerdem gestattet die Finanz-
lage es nicht, auf einen so erheblichen Teil der öffentlichen Einkünfte
zu verzichten, ohne den Staatshaushalt in Verwirrung zu bringen. Die
Aufrechterhaltung dieser Steuern wird auch durch die notwendige
Kontrolle der Gärungsindustrie überhaupt bedingt, ohne die eine wirk-
same Durchführung der verschärften Alkoholbesteuerung nicht möglich
ist. Außerdem würde auch der gesetzliche Schutz des Weinbaues gegen
die Fabrikation und den Verkauf von Kunstweinen wirkungslos bleiben.
Auch die von der Deputiertenkammer befürwortete Zuschlagssteuer auf
Absynth und zusammengesetzte Spirituosen, von der man sich einen
Ertrag von 20 Mill. fres. versprach, kann nur als ein höchst unsicherer
und fragwürdiger Ersatz für die Steuern von den Nahrungsgetränken
gelten. Diese Frage muß daher endgiltig als erledigt betrachtet werden.
Im System der französischen Getränkebesteuerung sind und bleiben die
Wein- (Obstwein-) und Biersteuer unentbehrliche Glieder.
Noch größere Schwierigkeiten waren in den allgemeinen parlamen-
tarischen und politischen Verhältnissen begründet. Denn hier stießen
die mannigfachsten Interessengegensätze zusammen. Aufgabe der Variante
war es, einen Mittelweg ausfindig zu machen, der die einzelnen Wünsche
und Forderungen in der Hauptsache befriedigte. Das parlamentarische
Ausleben des Ribot’schen Entwurfes war sehr vielgestaltig und bewegt.
Sowohl in der Deputiertenkammer als auch im Senate waren zu dem
Gesetzentwurf Ribot’s zahlreiche Abänderungsanträge eingebracht worden,
die den ganzen Charakter des Gesetzgebungswerkes umzugestalten suchten.
Es war daher notwendig geworden, das sich anstauende Material zu
sichten und auf seine Durchführbarkeit zu prüfen. Diese Gesichtspunkte
sind dann in der Vorlage Caillaux’ in feste Formen gegossen worden.
Die Verwirklichung wurde allerdings erleichtert durch die Loslösung
jener Getränkesteuergesetze, die von 1897—1899 zustande gekommen
waren. Dieser „Reinigungsprozeß“ wurde auf eine Mehrzahl von Be-
stimmungen angewendet, die teils schon von Ribot in die Vorlage auf-
genommen waren, teils in Anregungen und Anträgen aus den Reihen
der Abgeordneten und Senatoren ihre Wurzeln hatten.
Wir versuchen sie im folgenden kurz zu charakterisieren.
An erster Stelle ist zu erwähnen die Zuschlagssteuer von Absynth,
Bitterwasser, Liqueure und andere zusammengesetzte Spirituosen in Form
einer Fabrikationsabgabe vom Alkoholgehalt und zahlbar beim Ueber-
gang in den freien Verkehr. Dieser schon von Ribot angeregten Sonder-
steuer standen aber eine Reihe von Hindernissen im Wege. Vor allem
sind hier namhaft zu machen die Unbequemlichkeiten und Hemmnisse,
die der Fabrikation dieser Spirituosen durch diese Steuer erwachsen,
die heimliche, schwer kontrollierbare Herstellung durch die Benutzung
von Essenzen, die überdies gerade gesundheitsschädliche Produkte dem
Miszellen. 95
Genusse zuführt, der geringe Ertrag der Steuer und die erhebliche
Schädigung einer blühenden Industrie. Der Senat hat zwar die darauf
gerichteten Beschlüsse des Abgeordnetenhauses dadurch zu mildern ge-
sucht, daß derartige Spirituosen mit geringem Alkoholgehalt von dieser
Auflage ausgenommen werden sollten. Allein die Variante hat auf
diese Besteuerungsform verzichtet. Ebenso lehnt sie einen weiteren
Antrag auf Einführung einer gesundheitspolizeilichen Kontrolle über
den Alkohol ab und glaubt diesem Zwecke durch die strikte Hand-
habung der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen ausreichend genügen
zu können und dabei die immerhin mißliche Verquickung hygienischer
vand steuerpolitischer Momente zu vermeiden. Die für die Essigsteuer
won Ribot beabsichtigten Steuernormen sind gleichfalls im Interesse der
Zssigproduktion, namentlich aus Wein und Weinrückständen, beseitigt
wworden. Es hat hier bei dem bisherigen Rechtsstand sein Bewenden.
Endlich hat Caillaux auch den Wünschen des Senates um Verschärfung
er strafgesetzlichen Bestimmungen nicht stattgegeben.
Dem Inhalt der Variante mit all diesen Zielen und Gesichtspunkten
swcht der neue Gesetzentwurf gerecht zu werden: Entlastung der
læ ygienischen Getränke auf Kosten einer stärkeren Belastung des Alkohols.
Pur Erreichung dieses Zweckes hat die Variante aber mehrfach andere
s#euertechnische Mittel angewendet als der Ribot’sche Gesetzentwurf.
Für Wein- und Obstwein wird die Cirkulationsabgabe beibehalten,
welche als Verbrauchsabgabe vom Wein 1,50 fres. und vom Obstwein
0-80 fres. für je 1 Hektoliter beträgt. Dabei soll das bisher geltende
Znensystem, wie es bereits die Fassung des Gesetzes im Senat ge-
aan hatte, in Wegfall kommen, da die Abstufung der Steuersätze nach
den territorialen Distrikten zwar den älteren Verhältnissen des Wein-
verkehrs entsprach, ein Zustand, dessen Wirkungen durch die Eisen-
bæhnen und Tarifreformen längst aufgehoben sind. Die Eingangsabgaben,
di e einzige Abgabe und die Kleinabgabe werden aufgehoben. Mit der
Kleinabgabe verschwindet auch das Exercice der Debitanten (Klein-
verschleißer), das jetzt nur mehr durch allgemeine, aus dem Rahmen
der Ueberwachung bei der indirekten Besteuerung hervorgehende Kontroll-
vorschriften ersetzt wird. Aus gleichen Erwägungen kommt die Ersatz-
abgabe in Paris und Lyon in Wegfall. Die Reduzierung der Weinsteuer
auf den mittleren Satz der bisherigen Cirkulationsabgabe machte eine
gleiche Entlastung auch für das Bier notwendig, um zwischen den
Steuern auf den beiden „hygienischen“ Getränken die Verhältnismäßig-
keit herzustellen. Der Steuersatz des Gesetzes vom 30. Mai 1899 wurde
demgemäß von 0,50 auf 0,25 fres. erniedrigt. Die Ausgleichung dieser
erheblichen Steuerentlastung zu gunsten der gesundheitsunschädlichen
Getränke soll zunächst die Erhöhung der allgemeinen Verbrauchsabgabe
vom Alkohol bringen. Sie wird auf 220 fres. vom Hektoliter reinen
Alkohols festgesetzt, während der bisherige Steuersatz 156,25 fres. vom
Hektoliter betrug. Man erwartet von dieser Erhöhung einen jährlichen
Mehrertrag der Alkoholsteuer von 95 Mill. fres. Für die noch fehlen-
den 30 Mill. fres. sollen neben einzelnen kleineren Mehreinnahmen vor
allem die Erträge aus den Licenzen der Kleinverschleißer aufkommen.
96 Miszellen.
Der Mehrertrag, der auf 22,000 Mill. fres. veranschlagt ist, soll haupt-
sächlich aus der Vermehrung der Debitantenlicenzen fließen. Der vor-
geschlagene Tarif soll, einschließlich der Zuschläge (Decimen) folgender-
maßen festgesetzt werden für:
1) Debitanten:
in Gemeinden von 500 Einwohnern u. weniger im Jahr 25 fres. (bisher 15,00 fres.)
Ge Pr a 50I— 1000 Einwohnern , 7 Ga d CE 15,00 y)
DI DI n I 001— 4 000 n „ DI 40 y ( DI 15,00 nm )
A d „ 400I— 10 000 rh e Ae OO Aë JL ai 2ëëtäe AE: aech
, D » 10001— 20 000 D a 2 "Spa 300: 363%)
» D „ 20001— 50 000 n H » 100 „ ( ” 40u. 55 „ )
an DI HI 50 001— 100 000 HI DI DI 120 HI ( HI 50 an )
= o mit mehr als 100 000 Sur pi CAS d, E o 50 eh
Die Kleinverschleißer, die nur an Festtagen und bei Märkten Ge-
tränke feilbieten, haben die niedrigste Jahreslicenz von 25 fres. zu ent-
richten.
2) Großhändler im Jahre 250 fres. (bisher 125 fres.)
3) Bierbrauer in 11 Departements im Jahre 250, 2 E o "äs 45.1)
4) Bierbrauer in den übrigen Departements im Jahre 150 „ ( „ 715. e?
5) Branntweinbrenner und Destillateure im Jahre 60 ip (» 25 »)
Endlich bringt die Variante noch eine neue Regelung für die
Eigenbrenner (Bouilleurs de cru), die zwar nicht soweit geht als
die Vorschläge des Senats, indessen doch eine Neuordnung dieser
schwierigen Materie anbahnt. Diese Bouilleurs de cru waren von jeher
das Schmerzenskind der französischen Getränkebesteuerung durch ihre
zu großen Mißbräuchen ausgenutzten Privilegien. Man versteht darunter
Grundeigentümer oder Pächter (Landwirte), die ausschließlich Wein,
Apfelwein, Birnmost, Weintreber und Hefe, Kirschen oder Pflaumen
ihrer eigenen Ernte verarbeiten (destillieren). Sie sind befreit von der
Deklarationspflicht bezüglich ihrer Betriebseinrichtungen und ihrer
Fabrikation, sie unterliegen nicht dem Exercice und der aus ihrer
eigenen Ernte gewonnene Alkohol ist ganz oder teilweise steuerfrei. Das
Gesetz vom 24. April 1806 hat zuerst diese Bevorzugung begründet.
Die Eigenbrenner hatten nur die Hälfte der Kleinabgabe für ihre Pro-
dukte zu entrichten und blieben von der Cirkulationsabgabe für den
Verkehr innerhalb des Arrondissements überhaupt frei. 1808 wurden
diese Vorrechte beschränkt auf die freie Cirkulation innerhalb des
Kantons. Die Steuerermäßigung bei der Kleinabgabe kam in Wegfall.
Die Folgezeit brachte aber eine erneute Ausdehnung ihrer Privilegien.
1812 wurde das Exercice für sie, das thatsächlich nicht ausgeübt wurde,
auch formell-rechtlich beseitigt, seit 1814 wurde aller Alkohol bis 74°,
der aus ihrer eigenen Ernte hergestellt war, von der Cirkulationsabgabe
befreit und die Kleinabgabe unter gleichen Bedingungen um 25 Proz.
ermäßigt. Das Gesetz vom 28. April 1816 hielt die Befreiung von der
Cirkulationsabgabe aufrecht, soweit es sich um Transporte von der Kelter
zum Keller handelte. Auch für die Verbrauchsabgabe wurden Er-
leichterungen zugestanden. Nach weiteren Beschränkungen im Jahre
1837 trat auch hier ein Stillstand in der Gesetzgebung ein. Erst nach
den Kriegsereignissen von 1870—71 hat man der wachsenden Mißstände
Miszellen. 97
wegen die Eigenbrenner dem Exercice unterworfen und ihre Steuer-
immunität für den eigenen Konsum auf 40 1 Alkohol im Jahre beschränkt
(Gesetz vom 2. August 1872). Dieses Maximum wurde 1874 auf 20 1
reduziert. Das Gesetz vom 14. Dezember 1875 hat das Exercice für
die Eigenbrenner wieder aufgehoben und ebenso die Maximierung aus
politischen Gründen beseitigt, ohne das zulässige Maß des steuerfreien
Familienbedarfs näher zu bestimmen. Alle Reformpläne seit 1880 haben
der Behandlung der Bouilleurs de cru, deren Zahl auf 400000 Betriebe
angegeben wird, ihre Aufmerksamkeit gewidmet und verschiedene Modali-
täten für die Reform vorgeschlagen.
Caillaux’ Reformprojekt, das hier im wesentlichen die Grund-
gedanken der Ribot’schen Vorlage wieder aufnimmt, hat in maßvoller
Weise den praktischen Bedürfnissen Rechnung zu tragen gesucht. Die
eimmal vorhandenen Thatsachen, die große Zahl der Eigenbrenner und
eimgewurzelte Gewohnheiten lassen schwer die radikale Durchbrechung
des geltenden Rechtes zu, wie der Senat es befürwortet hatte. Außer-
dem stellt das Exercice oder eine andere wirksame Ueberwachung dieser
Bestriebe der Steuerverwaltung ungeheuer schwierige Aufgaben, die ohne
erae starke Vermehrung des Kontrollpersonals und der Kontrolleinrich-
tugen undurchführbar sind. Auch würde in der Unterdrückung des
Eszercice für die Debitanten und in der Aufrichtung desselben für die
D genbrenner ein nicht zu beseitigender Widerspruch liegen. Die
Væ-riante behält daher die Unterscheidung die (Ribot’sche) Unterscheidung
in Eigenbrenner mit unvollkommeneren und Eigen-
br enner mit vollkommeneren Betriebseinrichtungen bei,
sol che, die im wesentlichen für ihren Hausbedarf destillieren, und solche,
die hauptsächlich für den Marktabsatz und Verkauf produzieren. Die
differenzierte Steuerpflicht bemißt sich daher nach den technischen Be-
trieebseinrichtungen, nach Natur und Produktionskraft ihrer Apparate.
Jeme bleiben nach wie vor in ihrem Betriebe unbehelligt, unterliegen
keiner Deklarationspflicht und werden nur im Falle der Steuerhinter-
Geng mit strengen Strafen bedroht. Diese dagegen werden mehr
den gewerblichen Brennereien gleichgestellt.
Mit diesen Zielen hat die Variante Caillaux’ die Hauptpunkte der
angebahnten Getränkesteuerreform zu regeln gesucht, um die verschieden-
artigen Wünsche und Forderungen auf ein gemeinsames Programm zu
vereinigen. Der Inhalt des neuen Gesetzentwurfes ist denn auch ohne
erhebliche Abänderungen zum Gesetz erhoben worden. Nur in der
Frage der Licenzen haben die Kammern teilweise andere Festsetzungen
vorgenommen. Bevor wir uns aber mit den neuen gesetzlichen Be-
stimmungen auseinandersetzen, erscheint es empfehlenswert, die finan-
ziellen Konsequenzen der Reform noch etwas näher zu beleuchten.
2. Die fiskalisch-finanzpolitischen Wirkungen.
Für den Staatshaushalt waren die Erträge der Getränkesteuern zu
allen Zeiten von großer Wichtigkeit. In Frankreich haben sie dadurch
für das ganze Finanzwesen eine erhöhte ‘Bedeutung gewonnen, daß sie
=
Dritte Folge Bd. XXIII (LXXVIII). í
98 Miszellen.
mebr und mehr zum Eckstein des ganzen Steuersystems geworden sind.
Ueberblicken wir daher zunächst die Eingänge aus dieser Steuerart in
ihrer geschichtlichen Entwickelung. Die Verbrauchsabgaben ergaben
einen Ertrag von:
Wein Obstwein Bier Alkohol
Mill. fres. Mill. fres. Mill. fres. Mill. fres.
1831 35,203 6,311 6,388 14,522
1836 48,858 7,715 8,386 15,832
1841 54,504 7,510 9,365 21,191
1846 59,176 7,687 10,912 24,780
1851 59,844 7,655 9,633 25,905
1856 65,497 10,905 15,054 50,040
1861 86,685 13,467 15,856 79,091
1866 121,064 11,600 18,428 91,671
1872 139,195 10,890 19,588 119,000
1877 184,914 14,896 21,489 173,224
1882 135,548 11,034 22,108 233,855
1887 132,218 13,667 22,309 242,749
1892 142,462 12,868 23,962 288,311
1893 146,929 15,942 23,973 275,361
1894 154,594 15,021 22,432 259,508
1895 159,400 15,188 23,555 260,987
1896 156,427 14,965 23,756 268,039
1897 161,643 12,882 24,372 275,200
1898 155,565 12,884 25,141 300,731
1899 160,720 13,149 26,610 300,088
1900 (79,968) (6,675) (13,551) (151,937)
(1. Halbjahr)
Diese Ziffern werden durch die neue Reform nicht unerheblich be-
rührt. Die herbeigeführte Entlastung beträgt beim Wein 103,384 Mill.
fres., beim Obstwein 7592 Mill. fres. und bei den aufgehobenen, ge-
bührenartigen Einnahmen, bei Wein und Obstwein zusammen 1,300
Mill. fres. Die Ermäßigung des Steuersatzes beim Bier ist mit 13,710
Mill. fres. an Ausfällen veranschlagt. Somit beläuft sich die gesamte
Steuererleichterung für die hygienischen Getränke auf 125,986 Mill. fres.
Ihr Ertrag belief sich 1899 auf 200,479 Mill. fres., so daß es sich hier
um eine Verminderung der bisherigen Steuerlast um 64,86 Proz. handelt.
Diese Ausfälle sollen durch die Steuererhöhung beim Alkohol und bei
den Licenzen wieder gedeckt werden. Aus der Erhöhung der Alkohol-
steuer wird eine Mehreinnahme von 95,000 Mill. fres. als Wirkung der
Steigerung des Steuersatzes von 156,25 auf 220 fres. vom Hektoliter
reinen Alkohols erwartet. Da sich aber diese Erhöhung auf dem Steuer-
ertrag aus Wermut-, Süß- und Kunstweinen äußern muß, die nach dem
Gesetz vom 13. April 1898 nach Maßgabe ihrer Alkoholstärke zu be-
steuern sind, so wird auch bei dieser Gruppe ein Mehrertrag von 4,267
Mill. fres. angenommen. Außerdem soll die neue Ordnung der Rechts-
verhältnisse für die Eigenbrenner jährlich 3,000 Mill. fres. eimbringen.
Die Veränderungen in der Gesetzgebung über die Licenzen sind mit
einer Mehreinnahme von 22,000 Mill. fres. angesetzt. Diese letzteren
Beträge sind nach den Modifikationen durch die Kammern wahrschein-
lich noch etwas zu gering berechnet. Endlich sind noch 1,800 Mill. fres.
aus anderen Bestimmungen der Cirkulation der eigenen Ernte und des
Miszellen. 99
Zuckerbeisatzes bei der häuslichen Weinfabrikation vorgesehen, die in-
dessen nur teilweise zum Gesetze erhoben wurden. Der Alkohol hätte
demnach eine Mehrbelastung von 34,10 Proz. zu tragen. Dagegen sind
die Getränkelicenzen von 14 Mill. fres. auf 36 Mill. fres. vermehrt
worden. Die gesamten Mehreinnahmen betragen so 126,066 Mill. fres.,
denen als Mindereinnahmen 125,986 Mill. fres. gegenüberstehen. Es
giebt sich daraus ein geringfügiger Ueberschuß von 80,779 fres. zu
gunsten des Staatsschatzes. Die Variante Caillaux’ hat daher auch
hier den Grundgedanken ihrer Vorgängerinnen recipiert, eine Aus-
gleichung der Steuerlast durch eine andersartige Verteilung derselben
herbeizuführen. Auf fiskalisch-finanzpolitischem Gebiete waren daher
die Absichten des Gesetzgebers darauf gerichtet, nicht eine beträchtliche
Ertragssteigerung zu erzielen, sondern vielmehr die den hygienischen Ge-
tæ-änken abgenommene Steuerlast dem gesundheitsschädlichen Alkohol
a ufzubürden, wenigstens in der Hauptsache. Die ganze Vorlage läßt
daher den Charakter einer sozialpolitisch-ethischen, aus gesundheits-
politischen und sittlichen Motiven herausgewachsenen Aktion nicht ver-
kennen. Eigentliche fiskalische Zwecke, das Streben nach gesteigerten
$teuererträgen, liegen ihr ferne. Die in das Gebiet der Budgettechnik
eu nschlagenden Aufstellungen scheinen sehr vorsichtig aufgestellt zu
sein. Es steht daher zu erwarten, daß hier der Zweck der neuen
Œ esetzgebung erreicht wird und peinliche Enttäuschungen auf die Dauer
erspart bleiben. Zunächst haben sich allerdings die fiskalischen Er-
w artungen nicht erfüllt. Denn die Erträge der Getränkesteuern sind
in den ersten drei Vierteljahren für 1901 hinter den Ansätzen des
Bændgets zurückgeblieben.
3. Das Gesetz vom 29. Dezember 1900.
Es erübrigt noch zum Schlusse die Bestimmungen näher zu be-
wachten, die das neue Getränkesteuergesetz vom 29. Dezember 1900
getroffen hat. Sie schließen sich in der Hauptsache an den Inhalt der
Variante Caillaux’ an und sind nur in einzelnen Punkten von den
gesetzgebenden Körperschaften modifiziert worden. Für die Beurteilung
des ganzen Rechtsgebietes ist aber zunächst die Thatsache erheblich,
daß eine Mehrzahl von Steuervorschriften und organisatorischen Ein-
richtungen durch die neue Gesetzgebung unberührt blieb. Es ist ja
auch kaum möglich, den kunstvoll aufgerichteten Bau der französischen
Getränkebesteuerung von Grund ausneu umzugestalten. Die Verwaltungs-
arbeit eines ganzen Jahrhunderts müßte auf neue Fundamente gestellt
werden. Eine derartige grundsätzliche Abänderung des Bestehenden
entspricht aber auch nicht den Wünschen und Interessen der Steuer-
pflichtigen. Denn die Zusammenfügung des Systems von Kontroll- und
Ueberwachungsvorschriften hat sich in Frankreich durch die Uebung
eines Jahrhunderts eingelebt und wird von der Bevölkerung trotz aller
Mängel, Belästigungen und Unbequemlichkeiten weniger drückend em-
pfunden. Der Gesetzgeber hat sich daher auf die Beseitigung lästig
gewordener Steuerformen und steuertechnischer Maßregeln beschränkt,
kk
100 Miszellen.
im übrigen aber die überkommenen Einrichtungen und die bestehende
Dienstesorganisation beibehalten.
Die wichtigten Bestimmungen der Reform sollen im Nachfolgenden
dargestellt werden.
1) Steuerformen und Steuersätze. Bei der Wein- und
Obstweinsteuer ist die Kleinabgabe, die Eingangsabgabe und die ein-
zige Abgabe beseitigt worden. Wein, Obstwein, Birnmost und Honig-
wein werden fortan einer Verbrauchssteuer, und zwar einer allgemeinen
Cirkulationsabgabe, unterworfen, Sie beträgt, einschließlich der Zuschlag-
zehntel, vom Hektoliter Wein 1,50 frcs. und vom Hektoliter Obstwein,
Birnmost und Honigwein 0,80 fres. Das Zonensystem bei der Wein-
steuer kommt in Wegfall. Ihr unterliegen auch die Mengen, die an
die Kleinverschleißer (Debitanten) versendet werden. Auch der Most
ist steuerpflichtig und unterliegt allen Versandvorschriften wie der
Wein, wenn er in Mengen von über 10 hl außerhalb des Ernte-Arron-
dissements und der angrenzenden Kantone cirkuliert. Dabei sind 3 hl
Most wie 2 hl Wein zu behandeln. Die Biersteuer ist bereits durch
Gesetz vom 30. Mai 1899 geregelt worden. Hier hat die Getränke-
steuerreform von 1900 lediglich den Satz von 0,50 frcs. auf 0,25 fres.
vom Hektolitergrad der Bierwürze herabgesetzt, wie bereits an anderer
Stelle erwähnt wurde. Der Steuerausfall, der durch diese Ermäßigungen
bedingt wird, soll auf die leistungsfähigeren Schultern des Branntweins
abgewälzt werden. Die Alkohol- oder Branntweinsteuer ist
eine Fabrikatabgabe und wird in der Form einer allgemeinen Ver-
brauchsabgabe erhoben. Sie trifft Branntwein, Spiritus, Fruchtbrannt-
wein, Absynth und alle übrigen nicht einzeln namhaft gemachten alkohol-
haltigen Getränke. Der Steuersatz, in dem die Zuschlagzehntel zugleich
mitenthalten sind, wurde auf 220 fres. vom Hektoliter reinen Alkohols
festgesetzt. Der bisherige Steuersatz betrug für die gleiche Menge
156,25 fres. Die Erhöhung beträgt daher 40 Proz. und erscheint
ziemlich beträchtlich. Die vormalige Denaturierungsabgabe von 3 fres.
vom Hektoliter reinen Alkohols (Gesetz vom 16. Dezember 1897) ist
in eine statistische Gebühr von 0,25 fres. vom Hektoliter verwandelt
worden. Sie hat somit keine steuerpolitische Bedeutung mehr.
2) Die Licenzen. Die Licenzen der Kleinverschleißer und der
Großhändler mit Getränken, der Bierbrauer, Branntweinbrenner und der
Destillateure sind neu geregelt worden. Dabei wählten die Kammern
einen Tarif, der von den Vorschlägen der Variante wesentlich abweicht.
Die Kleinverschleißer oder Debitanten werden im engsten Anschlusse
an die Patentsteuer zur Leistung herangezogen. Diejenigen, welche in
der ersten Hauptklasse des Patentsteuertarifs (Tableau A: commercants
ordinaires occupants des ouvriers) besteuert werden, unterliegen einem
Ortsklassentarif, der folgendermaßen aufgebaut ist:
(Siehe Tabelle auf S. 101.)
Diejenigen Kleinverschleißer oder Debitanten, welche in die übrigen
Hauptklassen des Patentsteuertarifs aufgenommen sind, haben Jahres-
licenzen im Betrage von 450 fres. zu entrichten.
Miszellen. 101
Die Kleinverschleißer haben als Jahreslizenz zu entrichten
in Gemeinden mit
. D D D DH ©
S D ` D 2 à A à 2 À Sg
KËEERETEAER 258El3258|25 SA 2
Ree E
o = |224|324|3234a|234|2823s|255|7S
S321823:1883:183:|sS:|sS5|ss: 35
fres fres fres fres fres fres fres fres.
nu 8. Tarifklasse | 20,00 24,00| 30,00! 45,00! 60,00 SE 85,00 | 100,00
6. » 22,00 28,00| 35,00) 50,00! 70,00| 85,00 | 105,00 | 125,00
5. a 25,00 32,00 | 40,00 | 60,00! 80,00 | 100,00 | 120,00 | 150,00
4 3) 45,00 | 60,00! 70,00 | 105,00 | 140,00 | 175,00 | 210,00 | 260,00
1,2. u. 3. 5 75,00 | 100,00 | 120,00 | 180,00 | 240,00 | 300,00 | 360,00 | 450,00
Die Licenzpflicht der Großhändler mit Getränken richtet sich
nach ihrem jährlichen Umsatze. Sie wird bemessen jährlich auf:
1) 200 fres. bei einem Umsatz von nicht mehr als 190 hl Alkohol,
Di LE] LE ” » A9 »” 1000 » Wein, e 6
Get 2 55 5 ze 5» „ 2000 „ Obstwein und Birnmost.
2) 300 fres. „ „ S a 191 bis 250 „ Alkohol,
HI HI LL HI 1001 » 2500 » Wein, e d
e 2001 ,, 5000 „ Obstwein und Birnmost.
D » » 3 HI
UI
3) soofres. p p e à mehr als 250 , Alkohol,
LE HI » nm ” HI 2500 n Wein, ` £
Hi ” n H » » 5000 ,„ Obstwein und Birnmost.
Die Bierbrauer werden nach der Zahl der Sude oder Brauakte
zu den Licenzen herangezogen. Die Jahreslicenz beträgt:
1) 150 fres. bei höchstens 12 Suden im Jahr,
2) 250 » Hi DI 50 DI HI n
3) 500 HI HI mehr als 50 Hi ” »”
Für die Branntweinbrenner und Destillateure ent-
scheidet die Menge der hergestellten Fabrikate; die jährliche Abgabe
ist festgesetzt auf:
1) 40 fres. bei einer Fabrikationsmenge bis zu 50 hl reinen Alkohols,
2) 60 HI 29 DI DI von 51—150 HI LL HI
3) 120 HI Hi Hi n» » über 150 HI H ”
Das Gesetz trifft dann noch eine Reihe von kasuistischen Einzel-
bestimmungen für besondere Fälle, wie für Gewerbebetriebe, die den
Getränkehandel und andere Gewerbe vereinigen und für gewerbliche
Niederlassungen von Debitanten außerhalb der geschlossenen Orte und
endlich Specialbestimmungen für Paris bei Verbindung des Getränke-
handels mit anderen geschäftlichen Unternehmungen und über die Be-
handlung der gelegentlichen Kleinverschleißer und der Debitanten auf
Märkten und Messen, die dem Licenztarif für Orte mit 500 oder weniger
Einwohnern unterstellt werden. Die Munizipallicenzen (Gesetz vom
29. Dezember 1897 und Verordnung vom 16. Juni 1898) sind nach den
Tarifen zu veranlagen, die vor dem Gesetz vom 29. Dezember 1900 in
Kraft waren,
102 Miszellen.
3) Kontrollen und Deklarationen. Neben den Steuervor-
schriften hat das neue Gesetz auch die umfassenden Kontrollen der
Cirkulation und Versendung der steuerpflichtigen Getränke, mit Aus-
nahme des Bieres, in vollem Umfang aufrecht erhalten und hat an diesen
entscheidenden Punkten des ganzen Getränkesteuersystems nur einzelne
Modifikationen vorgenommen. Wein, Obstwein, Birnmost und Honig-
wein unterliegen auch fernerhin dem Begleitscheinverfahren (aquit-à-
caution), wenn sie an Steuerpflichtige, die im Genusse eines Steuer-
kredits sind, oder an Kleinverschleißer in geschlossenen Orten mit weniger
als 4000 Einwohnern bestimmt sind. Für Eigenbauer bestehen Erleichte-
rungen bei Transporten von selbstgekeltertem Wein, Obstwein, Birn-
most und Honigwein, der von ihrer eigenen oder einer öffentlichen
Kelter nach ihren Kellern und Lagern in der Gemeinde der Ernte oder
in den Nachbargemeinden verbracht wird. Das Begleitscheinverfahren
ist ferner für alle Spirituosen und alkoholhaltigen Flüssigkeiten vor-
geschrieben, die nach Städten mit 4000 und mehr Einwohnern oder
nach solchen Gemeinden versendet werden, in denen ein Octroi von
Alkohol erhoben wird. Auch für die Brennerei- und Destillations-
apparate sind Ueberwachungsvorschriften erlassen worden. Alle Mieter
von beweglichen und transportablen Brennereiapparaten haben in ein
bestimmtes Journal regelmäßige Einträge zu machen über Tag, Stunde,
Ort, Beginn und Beendigung jeder einzelnen Destillation, ferner über
die Menge und Art der verwendeten Stoffe und die an jedem Tage
erzeugten Produkte. Alle Besitzer von Brennereiapparaten oder Teilen
von solchen haben nach Inkrafttreten der neuen Getränkesteuern inner-
halb eines Monats eine steueramtliche Deklaration über die Zahl, Art
und Leistungsfähigkeit ihrer Vorrichtungen zu erstatten. Auch die Fabri-
kanten und Händler mit Brennerei- oder Destillierapparaten haben in ein
Register den Namen und Wohnort der Personen einzutragen, an welche
sie solche Apparate verkauft oder unter sonstigem Rechtstitel abgegeben
haben. Ueber alle vollzogenen Verkäufe ist innerhalb einer 14-
tägigen Frist bei der Steuerbehörde Anzeige zu erstatten. Alle Apparate
sind mit einem amtlichen Stempel zu versehen. Endlich sind im Gesetz
mehrfache Vorschriften über die Deklarationen und Inventaraufnahmen
der Alkoholbestünde bei den Händlern und bei sonstigen Personen vor-
gesehen.
4) Die Steuerzahlung. Die Cirkulationsabgabe und Verbrauchs-
abgabe der mit Begleitschein versendeten und an die Kleinverschleißer
gerichteten Getränke und die Verbrauchsabgabe von an die Konsumenten
transportierten Spirituosen ist in geschlossenen Orten mit 4000 und mehr
Einwohnern sofort bei der Einbringung und im übrigen innerhalb einer
14-tägigen Frist nach Ablauf des für den Transport vorgezeichneten Ter-
mins zu entrichten. Die Debitanten, die gelegentlich der Märkte und Messen
Getränke verkaufen, haben die Abgaben sofort zu entrichten. Die Steuern
von Getränken, mit Ausnahme der Spirituosen, die mit Begleitschein
eingeführt oder in Destillerien hergestellt werden, sind vom Rohmaterial
je nach dem Volumen und der Menge des darin enthaltenen reinen
Alkohols zu erheben. Zum Beginn des Einmaischens oder irgend eines
Miszellen. 103
anderen Produktionsprozesses ist von dem Produzenten bei der Steuer-
verwaltung eine Anzeige hierüber zu erstatten. Von dieser Vorschrift
snd nur die Eigenbrenner ausgenommen, die ausschließlich die vom
Gesetz vom 14. Dezember 1875 bezeichneten Stoffe verarbeiten.
Jeder Produzent von Wein, Obstwein, Birnmost und Honigwein,
der seine Erzeugnisse im großen oder kleinen verkaufen will, hat dar-
iber zuerst bei der Steuerbehörde eine Anzeige zu erstatten und eine
Licenz für den Groß- oder Kleinhandel zu lösen. Die Steuern und Ab-
geben sind sofort nach jeder Fabrikation zu entrichten, wenn die Ge-
trinke zum Absatz im kleinen bestimmt sind.
Das Exercice der Debitanten wird aufgehoben.
5) Die Eigenbauer und Eigenbrenner. Der Rechtsstand
dieser Kategorie ist durch die neue Gesetzgebung auf keine neuen
Grundlagen gestellt worden. Insbesondere hat man sich gescheut, die
Privilegien der Eigenbrenner mit ihren vielfachen Nachteilen vollständig
zu beseitigen. Diese schwierige Frage ist somit noch keineswegs aus
der Welt geschafft. Einige Veränderungen und Verbesserungen sind
aber trotzdem erreicht worden. Jeder Eigenbauer, der die aus seiner
eigenen Ernte gewonnenen Getränke im kleinen verkaufen will, hat
vorher eine Anzeige bei der Steuerbehörde zu erstatten, eine Debi-
tantenlicenz zu lösen, die auf die Getränke gelegten Staats- und Ge-
meindesteuern zu entrichten und alle Vorschriften für den Kleinverkauf
zu erfüllen. Die Privilegien der Eigenbrenner, die mit unvollkommenen
Apparaten eine landwirtschaftliche Brennerei betreiben, werden von dem
neuen Gesetz nicht berührt und hat es daher bei dem bisherigen Rechts-
stand sein Bewenden. Transportable Brennkolben dürfen von ihnen
mit einem Rauminhalt von mehr als 5 hl benutzt werden. Sie ver-
lieren dadurch ihre Steuervorrechte nicht. Dagegen sind Eigenbrenner
mit vollkommeneren Betriebseinrichtungen den gewerblichen Brennern
gleichgestellt und haben die nämlichen Formalitäten der Produktion,
Versendung und Besteuerung zu erfüllen. Das Gesetz versteht dar-
unter Brennereien mit fortwährend thätigen Apparaten, die täglich mehr
als 200 1 Gärungsstoff produzieren, mit durch Dampfkraft betriebenen
Werkvorrichtungen mit gewöhnlichen (feststehenden) Brennkolben, deren
Rauminhalt 5 hl überschreitet. Allein auch ihnen ist ein steuerfreies
Quantum von jährlich 20 1 reinen Alkohols für den Hausverbrauch zu-
gestanden. Eigenbrenner, die nach den Normen der Verordnung vom
17. März 1852 (Art. 20) das Gewerbe eines Debitanten oder Groß-
händlers mit selbst hergestellten Getränken in eigener Person ausüben
oder durch einen Stellvertreter ausüben lassen, werden gleichfalls nach
den Vorschriften für gewerbsmäßige Brenner behandelt. Wenn Eigen-
brenner Spirituosen ohne Begleitschein oder mit unzulänglichen Begleit-
papieren von ihren Lagern abbringen oder abbringen lassen, so ver-
wirken sie, ohne Rücksicht auf die sonstigen Strafen, für die laufende
und die nächste Brennkampagne ihr Privilegium als Eigenbrenner und
werden während dieser Zeit den gewerbsmäßigen Brennern gleich-
gestellt und sind allen für diese giltigen Anordnungen unterworfen.
6) Verbote und Strafen. Alle gesundheitsschädlichen Essenzen
104 Miszellen.
sind im Verordnungswege und nach Maßgabe des Gutachtens der Medizin-
akademie zu verbieten. Die Zuwiderhandlungen gegen die gesetzlichen
Vorschriften der Getränkesteuern werden nach den bereits geltenden
Grundsätzen für die Wein- und Obstweinbesteuerung (Gesetz vom 28. Fe-
bruar 1872) und Alkoholbesteuerung (Gesetz vom 21. Juni 1873) be-
straft. Die Uebertretungen der Kontrollvorschriften sind mit Geld-
strafen von 500—5000 frcs. bedroht. Daneben ist auf Einziehung und
Unbrauchbarmachung der Apparate und beschlagnahmten Getränke zu
erkennen. Die hinterzogenen Steuern sind außerdem nachzuzahlen. Bei
Rückfällen sind die Geldstrafen zu verdoppeln. Die Beihilfe zu den
Uebertretungen und Steuerhinterziehungen werden wie diese selbst be-
straft. Endlich hat es bei den bisherigen Bestimmungen des Strafgesetz-
buches, die für diese Materie einschlägig sind, sein Bewenden !).
Außer den inländischen Aufwandsteuern von den Getränken ist
noch die Belastung durch die Zölle zu erwähnen, auf die aber an
dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden soll.
Münster i. W., Oktober 1901.
1) Ueber Einzelheiten vergl. die ausführliche Darstellung der französischen Ge-
gränkesteuern bei Wagner, Fin. I, S. 617-—658.
Miszellen. 105
Nachdruck verboten.
II.
Die soziale Statistik des Auslands auf der Pariser Welt-
ausstellung 1900.
Von Friedrich Zahn (Berlin).
Industrieausstellungen gelten als Uhr- und Stundenweiser des ge-
werblichen Fortschritts. Die Pariser Ausstellung darf in gewissem Sinne
als Uhr- und Stundenweiser des allgemeinen wirtschaftlichen und
kulturellen Fortschritts betrachtet werden. Was sie brachte, ließ er-
kennen, wieweit sich die ausstellenden Nationen auf dem betreffenden
Gebiete entwickelt hatten. Im Zeichen des sozialen Zeitalters war es
natürlich, daß auch die besonderen Leistungen der Staaten auf dem
Gebiete der Arbeiterfürsorge im Programm der Pariser Weltausstellung
Berücksichtigung fanden. Die hierfür einschlägige Statistik!) sozial-
politischen Inhalts war in der Hauptsache im Palais des Congrès et
de l'Economie Sociale konzentriert.
Dieser war nicht bloß Kongreßpalast — Versammlungsplatz für
126 Kongresse —, sondern beherbergte in seinen Geschoßen den größten
Teil der sozialpolitischen Ausstellung, die im übrigen noch in der
Maschinenabteilung, in der hygienischen Abteilung und im Bois de
Vincennes untergebracht war. Nach Art einer sozialpolitischen Bilder-
sammlung waren da die Wände mit zahlreichen graphischen Darstellungen
behängt, die auf die mannigfachste Weise über Erscheinungen des
sozialen Lebens und über Bestrebungen, es zu verbessern, Auskunft
gaben. „Lä étaient le coeur et le cerveau de l’exposition“, um an die
Preisverteilungsrede von Millerand am 19. August 1900 anzuknüpfen.
Als Hilfsmittel der graphisch-statistischen Darstellung waren verwendet
Kurven, gebrochene Linien, neben oder in einander gezeichnete Kreise
oder sonstige Figuren entsprechender Größe, vertikale, neben einander
oder horizontale, über einander gelagerte Säulen, Körper wie Obelisken,
Prismen, allegorische Bilder in Form eines Baums u. s. w.
Besonders reichhaltig war in dieser Beziehung die französische
Ausstellung, die noch eine gute Ergänzung in der Ausstellung des
1) Eine gute Uebersicht über die sozialpolitische Ausstellung in Paris giebt
N. P. Gilmann im Bulletin of the Department of Labor, Washington, May 1901. Unsere
Darstellung bezieht sich lediglich auf den statistischen Teil der genannten Ausstellung.
106 Miszellen.
Service de Statistique Muncipale de la Ville de Paris im Palais de la
Ville de Paris fand, sowie die englische Ausstellung. Auf Beide soll
im Folgenden näher eingegangen werden.
A.
Die franzôsische Ausstellung war das Werk der Direction du
Travail, eines in eine Verwaltungs- und eine technische Abteilung sich
gliedernden Bestandteils des Handelsministeriums. Die Ausstellung, die
nicht weniger als 85 karto- und diagraphische Bilder, ein Album von
40 Blättern und 160 Bände Verôffentlichungen umfaßte, setzte sich zu-
sammen, aus I. den Travaux des services administratifs; II. den Travaux
des services techniques (Office du Travail, Statistique generale, Recen-
sement professionnel); III. den Travaux des Conseils supérieurs (Conseil
supérieur du travail, Conseil supérieur de statistique).
I. Von den unter I genannten Arbeiten erregte zunächst eine Karte
über die Conseils de prud’ hommes in Frankreich die Aufmerk-
samkeit. Solche Gewerbegerichte — aus einer gleichen Zahl von Arbeit-
gebern und Arbeitnehmern zusammengesetzt, die von ihren Berufs-
genossen gewählt werden — sind an allen wichtigeren Industrieplätzen
eingerichtet und bestehen jetzt 152. Sie hatten im Jahre 1898 50 823
Fälle zu erledigen, wovon 35556 verglichen wurden; die Fälle betrafen
Lehrlingsarbeit, Arbeitszeit, Kinderarbeit, Akkordarbeit. Ueber eine
durch die Pariser Conseils de prud’hommes im Jahre 1897 vorgenommene
Enquete in Bezug auf die Akkordarbeit giebt ein besonderes, ebenfalls
ausgestelltes Werk Aufschluß.
Weitere Karten beschäftigen sich mit den Syndicats pro-
fessionnels, sowohl mit den Syndikaten der Industrie und des Handels,
die in solche der Arbeitgeber, der Arbeiter und in gemischte zerfallen, als auch
mit den landwirtschaftlichen Syndikaten. In je drei Tafeln wird die Ver-
teilung dieser Berufsvereine nach Departements und deren Wachstum
in der Periode 1884/98 dargestellt. Außerdem sind die Jahrbücher
aufgelegt, die seit 1889 erscheinen und die näheren Verhältnisse dieser
Syndikate (Adresse, Mitgliederzahl, Kasseneinrichtungen, Konsum-, Pro-
duktivvereine, Arbeitsnachweis etc.) mitteilen. Welch große Bedeutung
die Syndikate in Frankreich haben, erhellt daraus, daß im Jahre 1897
2000 Arbeitgebersyndikate mit 190000 Mitgliedern
2300 Arbeitersyndikate » 433000 K
184 gemischte Syndikate » 34000 ge
(im Jahre 1898) 1800 landwirtschaftliche Syndikate ,, 500000 A
existierten.
Viele Syndikate haben von der Befugnis Gebrauch gemacht, sich
zu Verbänden (Unions) zusammenzuschließen, teils zu Verbänden
von Syndikaten des gleichen Berufs, teils zu Verbänden von
Syndikaten verschiedener Berufszweige an demselben Orte, im letzteren
Falle zum Zweck der Errichtung von Arbeitsbörsen. Die Zahl der
Mitglieder der Syndikatsverbände betrug 1898 97000 für die Arbeit-
geber-, 312000 für die Arbeiter-, 466000 für die landwirtschaftlichen
Syndikate. Die Verteilung der letztgenannten Verbände, d. h. der land-
Miszellen. 107
wirtschaftlichen, mit Angabe des Betriebssitzes der Union ist Gegen-
stand eines besonderen Kartogramms.
An Arbeitsbörsen, die ebenfalls ein Kartogramm veranschaulicht,
sind 64 in Frankreich und Algerien vorhanden. Diese Gewerkschafts-
verbände pflegen als allgemeine, gemeindlich unterstützte Anstalten zur
Wahrung der gesamten Interessen der ihnen angehörigen Arbeiter haupt-
sichlich den Arbeitsnachweis, außerrdem veranstalten sie Versammlungen
zır Erörterung von Fragen, die das Arbeiterinteresse berühren, und
für wissenschaftliche Vorträge, unterhalten Fachlehrkurse, Bibliotheken,
die Herausgabe periodischer Zeitschriften. Jene 64 Arbeitsbörsen werden
gebildet von 1340 Syndikaten (Gewerkschaften) mit 232 700 Mitgliedern.
Weitaus die bedeutendste Arbeitsbörse, nach Zahl der Teilnehmer und
Größe des Zuschusses, ist die von Paris; sie besteht seit Anfang der
9er Jahre, umfaßt 220 Syndikate mit 70000 Mitgliedern, erhält von
der Stadtkasse außer den Gründungskosten von nahezu 3 Mill. frcs.
eine Jahressubvention von 182000 fres.
Bemerkenswert ist ferner ein Unternehmen, das gegenwärtig im
Gange ist; es verfolgt die Aufgabe, die geschichtliche Entwickelung der
einzelnen Berufsvereine festzustellen. Bisher ist von diesem Unternehmen
der erste Band im Jahre 1899 erschienen, er enthält, wie aus dem aus-
gestellten Exemplar zu ersehen war, alle für die Entwickelung der be-
treffenden Gewerkschaften belangreichen Dokumente Die Sammlung,
wenn einmal fertiggestellt, wird für allgemeine sozialpolitische Unter-
suchungen wertvolle Unterlagen abgeben.
Die Strikestatistik ist auf drei Tafeln behandelt. Das eine Karto-
gramm stellt nach Departements die innerhalb der Jahre 1890/99 vor-
gekommenen Strikes dar, das andere zeigt nach Departements und für
die Periode 1890/99 das jährliche Verhältnis der Strikenden zur In-
dustriebevölkerung, ein drittes endlich veranschaulicht die Strikes nach
Berufsgruppen sowie nach Ursachen und Erfolgen. Außerdem lagen in
Form von 9 Bänden die jährlichen Veröffentlichungen über die Strikes
auf; sie beziehen sich im einzelnen auf Ort, Betrieb, Ursache, Zeit-
punkt des Anfangs und der Beendigung des Strike, Forderungen der
Strikenden, Vorschläge der Arbeitgeber, Höhe der Löhne vor und nach
dem Strike, Zahl der Strikenden in den verschiedenen Stadien des
Strike, Zahl der Arbeiter, die indirekt zur Arbeitslosigkeit gezwungen
waren, Eingreifen der Arbeitgeber-, der Arbeitersyndikate und An-
wendung des Gesetzes vom 27. Dezember 1892 über Einigungsamt und
Schiedsgericht.
Letzteres Gesetz giebt den Arbeitgebern wie den Arbeitnehmern
die Befugnis, bei Streitigkeiten allgemeiner Art über die Bedingungen
des Arbeitsvertrags (conflicts collectifs entre patrons et ouvriers) zu-
nächst die Beilegung der Streitigkeiten durch ein Einigungsamt (comité de
eonciliation) zu betreiben, und, falls dessen Thätigkeit ohne Erfolg, den
Spruch eines Schiedsgerichts (conseil d'arbitrage) herbeizuführen. Das
Einigungsamt besteht aus — höchstens je 5 — Vertretern beider Teile
und wird vom Friedensrichter des betreffenden Bezirks geleitet. Kommt
eine Einigung im comit& de conciliation nicht zustande, so ernennen
108 Miszellen.
beide Teile auf Aufforderung des Friedensrichters einen gemeinschaft-
lichen oder je einen oder mehrere Schiedsrichter. Der von diesen
gefällte Schiedsspruch wird öffentlich bekannt gemacht, ebenso die
Weigerung einer Partei, einen Schiedsrichter zu ernennen.
Wie aus den vorhin genannten Veröffentlichungen hervorgeht, wurde
fast in einem Viertel aller Strikefälle ein Einigungsamt angerufen.
Einen Ueberblick über die Erfahrungen, die in Frankreich und
außerhalb Frankreichs, namentlich in Massachusetts, New York und
in Belgien, mit obligatorischen oder fakultativen Schiedsgerichten ge-
macht wurden, bietet der vom bureau des associations ouvrieres aus-
gestellte Rechenschaftsbericht.
In Ergänzung hierzu giebt ein anderes Werk eine internationale
Darstellung der Arbeiterschutzgesetzgebung nach dem Stande von 1895.
Auf Grund derselben ist ein Tableau hergestellt, das den Fortschritt
der einzelnen Industriestaaten in Bezug auf Hebung der gesundheit-
lichen Verhältnisse und Besserung der Arbeitsbedingungen ersichtlich
macht. Nach diesem Tableau erscheint Frankreich überholt von England,
den Vereinigten Staaten von Amerika und der Schweiz hinsichtlich der
Verminderung der Arbeitszeit und der Ausdehnung der Betriebsaufsicht,
von Deutschland und Oesterreich hinsichtlich der Ersatzleistungen bei
Arbeitsunfällen.
II. Die Ausstellung des Office du Travail legte ein beredtes
Zeugnis davon ab, wie sehr das Arbeitsamt seiner Zweckbestimmung
als informierende und Gesetzesvorlagen vorbereitende Stelle entspricht.
Errichtet auf Grund des Gesetzes vom 20. Juli 1891 erhielt diese un-
mittelbar unter dem Handelsminister stehende Dienststelle, die in eine
Centralstelle und den auswärtigen Dienst sich gliedert, durch Ver-
fügung vom 19. August 1891 zur Aufgabe, sämtliche Nachrichten über
die Arbeit, insbesondere was den Stand und die Entwickelung der
Produktion, die Organisation und Entlohnung der Arbeit, ihre Beziehungen
zum Kapital, die Lage der Arbeiter, den Zustand der Arbeit in Frank-
reich, verglichen mit dem im Auslande, betrifft, innerhalb bestimmter
Grenzen und Bedingungen zu sammeln, ordnen und zu veröffentlichen.
An der Spitze des Amts steht ein Direktor und drei Abteilungsvorsteher,
denen für die Provinzen drei ständige Delegierte und in der Centrale
eine Anzahl von Unterbeamten beigegeben sind.
Von der großen Reihe der bisherigen Veröffentlichungen (32 Bde.)
hat das Arbeitsamt die wichtigsten in ihren Ergebnissen durch Karten
und Tafeln den Ausstellungsbesuchern vorgeführt.
So schildert eine Tafel die Bewegung der Arbeitslosigkeit
der Mitglieder von Arbeitersyndikaten innerhalb der Periode Mai 1894
bis Mai 1900. Zwei Karten veranschaulichen die Verteilung der ent-
geltlichen und unentgeltlichen Arbeitsnachweise in den einzelnen De-
partements Frankreichs, teils im Verhältnis zur Bevölkerung, teils im
Verhältnis jeder Gattung von Arbeitsnachweisen zur Gesamtzahl der
Arbeitsnachweise. (Konzessionierte gewerbsmälige Stellenvermittelungs-
bureaus giebt es in Frankreich, wie einschaltend bemerkt sei, noch
611000; sie befassen sich zumeist mit der Arbeitsvermittelung für häus-
Miszellen. 109
lihe Dienstboten.) Ein weiteres Kartogramm bezieht sich auf die
Konsumvereine und zeigt deren Verteilung in Frankreich (durchschnitt-
lich treffen auf 10 000 Einwohner 121 Mitglieder von Konsumvereinen).
Zum Teil sind diese Darstellungen Auszüge aus dem seit 1894 monat-
lich erscheinenden Bulletin de l’Office du travail, welches Stand und
Entwickelung der Produktion, sowie den Arbeitsmarkt in Frankreich
und im Ausland aufmerksam verfolgt und immer die neuesten Daten,
die hierüber existieren, registriert.
Ferner geben graphische Tafeln die Hauptergebnisse der Erhebung
über Löhne und Arbeitszeit in der Großindustrie und in der mittleren
Industrie, innerhalb deren ein Drittel des Personals in die Erhebung
enbezogen war. Die Tafeln schildern nicht bloß den gegenwärtigen
Zustand, sondern lassen auch Vergleiche mit früher zu. So stellt eine
die Veränderungen im Arbeitsmarkt im Laufe des Jahres dar und giebt
ein Bild der toten Saison und der Kampagne für jede der Haupt-
industrie in Paris und in der Provinz.
Andere Karten haben zum Gegenstand die Löhne der gelernten
und der ungelernten Arbeiter in den einzelnen Gebieten Frankreichs
die Kosten des Lebensunterhalts mit Unterscheidung der Kosten für Woh-
nung und für Lebensmittel. Ein Diagramm veranschaulicht die Verände-
rung der Preise und Löhne seit 1840, 1853 und 1860, ein anderes die der
Preise in Paris seit 1806: danach hat sich während der letzten 50 Jahre
der Lohn verdoppelt, seit 100 Jahren verdreifacht, die Perioden einer be-
sonders bemerkenswerten Hausse für die Löhne fallen zwischen 1853/60
und 1874/83, der Arbeiter hat an der Hausse nicht vollständig teil-
genommen, denn der Preis der Lebensmittel hat sich ebenfalls erhöht.
Indessen ist in einem anderen Tableau, das von Produktion, Konsum
und Löhnen in der Periode 1840/92 handelt, dargethan, daß der zur
Aufrechthaltung der nämlichen Lebensweise erforderliche Aufwand
nicht in demselben Maße als der Lohn gestiegen, daß sich aber die
Ausgaben im allgemeinen mit dem Lohn veränderten, d. h. daß die
Lebenshaltung eine bessere geworden ist — ein Zeichen des zunehmenden
Wohlstandes.
Ferner sind hervorzuheben die Karto- und Diagramme, welche die
Ergebnisse der Berufszählung vom 29. März 1896 veranschaulichen.
Und zwar stellen sie dar die departementweise Verteilung der verschie-
denen Industriegruppen, die Zusammensetzung der Berufsbevölkerung
Frankreichs, die mehr oder weniger starke Konzentrierung der
industriellen Bevölkerung in Großbetrieben (dazu die Brochüre von.
Lucien March, La distribution des entreprises selon leur importance).
Außerdem sind in Diagrammen geschildert die Bedeutung der einzelnen
Industriezweige, die Benutzung von Dampfmotoren und Dampfmaschinen
in den einzelnen Industriezweigen, die Arbeitslosigkeit in den verschie-
denen Berufsgruppen, endlich ein zeitlicher Vergleich der Berufsgliede-
rung 1866 und 1896. Hier seien wenigstens die bei der 1896er Zäh-
lung ermittelten Grundzahlen über die berufliche Gliederung der er-
werbsthätigen französischen Bevölkerung angeführt:
110 Miszellen.
Erwerbsthätige Personen im Jahre 1896
& SE Sea unbekannten | überhaupt| in
> männlich | weiblich Geschlechts absolut Proz.
Land- und Forstwirtschaft,
Fischerei 5 741 101| 2 759 829 755 8 501 685| 46,0
Bergbau, Steinbrüche 222 040| 4759 16 226 815| 1,2
Industrie 3 488 077| 1 888 947 1345 5 378 369| 29,1
Handel, Bankwesen, Schau-
stellung 1030977| 571079 1761 1603 817| 8,7
Verkehr 551 731| 160 760 120 712611| 3,9
Staats- und Gemeindedienst 584 134| 104 648 311 689093| 3,7
Freie Berufe 199 546| 138 460 1170 339 176| 1,9
Persönliche und häusliche Dienstel 217 197| 737 941 13 926 969 064| 5,2
Unbekannte Berufe 26318) 16235 4155 46 708| 0,3
zusammen 12061 121|6382658| 23559 |18 467 338] 100
Im übrigen umfaßt die Ausstellung des französischen Arbeitsamts
eine Anzahl von Werken, die es auf Grund besonderer Enqueten im
Laufe der letzten Jahre veröffentlicht hat, so über die Kleinindustrie,
die Arbeiterproduktivgenossenschaften, die Arbeiterversicherung, die
Arbeitersparkassen, die Wirkung des Gesetzes über die Lohnbeschlag-
nahme, das Submissionswesen, das Vereinswesen.
III. Die sonstige statistische Ausstellung der französischen Regie-
rung im Sozialpalast hat mehr rein demographischen Charakter. Sie behan-
delt die Ergebnisse der Volkszählung und der Bevölkerungsbewegungssta-
tistik, aber auch die Wohnungsverhältnisse. Von den zahlreichen (ca. 50)
Tafeln fällt vor allem ein Diagramm ins Auge, daß die Entwickelung
der französischen Bevölkerung innerhalb der Periode 1806/1896 dar-
stellt, hiernach ist das Wachstum der französischen Bevölkerung in der
zweiten Hälfte des Jahrhunderts nur halb so groß als in der ersten
Hälfte.
Außerdem waren in besonderen Bänden die Verhandlungen auf-
gelegt, welche der Conseil supérieur du Travail und der Con-
seil supérieur de Statistique in seinen bisherigen 8, bezw.
7 Sitzungen gepflogen hat. Die erstgenannte Stelle, die unter dem
Vorsitz des Handelsministers 66 Mitglieder (darunter 22 Arbeitgeber, 22
Arbeiter) zählt, befaßt sich ausweislich jener Sitzungsberichte vornehm-
lich mit sozialpolitischen Problemen, die im Sinne des Conseils nachher
vom Office du Travail weiter zu fördern sind, die Thätigkeit des Conseil
supérieur de Statistique, dem der Handelsminister, 3 Vicepräsidenten,
16 Mitglieder aus dem Parlament und der Gelehrtenwelt, 33 Vertreter
aus Ministerien und 15 sonstige Mitglieder angehören, bezieht sich
namentlich auf Volks-, Berufszählung, Statistisches Jahrbuch und der-
gleichen statistische Arbeiten.
IV. Ein besonderes Interesse beansprucht vom sozialen und demo-
graphischen Standpunkt aus die Ausstellung des Statistischen
Amts der Stadt Paris. Es hat 140 Karto- und Diagramme aus-
gestellt, welche sich auf die Pariser Bevölkerung beziehen und eine
Miszellen. 111
Würdigung der Bewegung derselben auch unter dem Gesichtspunkt der
Wohlhabenheit zulassen.
Zwei Diagramme behandeln die Verteilung der Pariser Einwohner-
schaft nach Alter und Familienstand auf Grund der 1896er Zäh-
lung. Danach ist Paris essentiellement une ville d’adultes. Kinder
sind relativ selten, teils wegen der schwachen Geburtenzifter, teils weil
vile Kinder zur Pflege aufs Land gegeben werden; vom 15. Jahre an
macht sich die Einwanderung bemerkbar, sie verstärkt die Zahl der
den betreffenden Altersklassen zugehörigen Personen; die höheren Alters-
klassen werden wieder schwach infolge häufiger Abwanderung aufs platte
Land.
Fünf Kartogramme, die sich mit der Verteilung der einzelnen
Altersklassen auf die verschiedenen Pariser Distrikte befassen, ergeben,
daß wenig Kinder im Centrum, weit mehr dagegen (doppelt so viele)
in den armen Distrikten der Peripherie vorkommen; Erwachsene und
Greise sind gleichmäliger verteilt.
Hinsichtlich der Heiratshäufigkeit besagen drei Diagramme
und ein Kartogramm, daß sie bei den Witwern höher — obschon in
Paris geringer als anderwärts — ist als bei den Junggesellen des
gleichen Alters, umgekehrt bei den Witwen geringer als den Mädchen
des gleichen Alters.
In den armen Distrikten der Stadt wird mehr geheiratet als in den
reichen des Centrums.
Dies ist, wie J. Bertillon in seinem dem vorjährigen hygienisch-
demographischen Kongreß vorgelegten Referat „Mouvements de population
et causes de décès selon le degré d’aisance à Paris, Berlin, Vienne“
näher ausführt, auch in den Städten Berlin und Wien der Fall. Diese
Erscheinung erklärt sich nur zum Teil durch das Vorhandensein von
ledigem weiblichen Dienstpersonal in jenen reicheren Vierteln, haupt-
bestätigt sich hier die Erfahrung „la richesse est contraire au mariage.“
Ein anderes Diagramm behandelt die Altersdifferenz der Ehegatten:
in allen Distrikten von Paris ist der Mann wenigstens 10 Jahre älter
als die Frau, „disproportionierte“ Heiraten (sei es, daß die Frau älter
als der Mann, oder der Mann weit über 10 Jahre älter als die Frau)
sind etwas häufiger in den reichen als in den armen Distrikten.
Was die Geburtenhäufigkeit betrifft, so steigt sie mit dem
Grade der Armut des Distrikts, je ärmer derselbe, um so mehr Geburten,
legitime wie illegitime (la natalité d’une population est inverse de son
degré moyen d'aisance). Auch nach dem Alter der Mütter ist die
Geburtenhäufigkeit kartographisch dargestellt, sie nimmt bei den ver-
heirateten Frauen mit deren Alter rasch ab, bei den nichtverheirateten
ist sie am höchsten in deren Alter von 25—29 Jahren, verringert sich
dann nur langsam, so zwar, daß sie nach dem 40. Jahre die legitime
Fruchtbarkeit übersteigt.
Bedeutend ist die Zahl der Totgeburten, insbesondere der ille-
gitimen, in Paris. Auch ist sie wesentlich höher in den Distrikten des
Centrums als an der Peripherie der Stadt.
Am geringsten ist ausweislich eines besonderen Diagramms die
112 Miszellen.
Zahl der Totgeburten bei den verheirateten Frauen im Alter von
20—25 Jahren, dann nimmt sie mit dem Alter der Mütter regelmälig
zu. Anders bei den unverheirateten Müttern, hier bleibt die Zahl der
Totgeburten bis zum 40. Jahre ziemlich gleich, dann wächst sie auf-
fallend rasch.
Zwei Diagramme behandeln die Häufigkeit der Totgeburten während
und nach den zwei Belagerungen von Paris. Bemerkenswert ist da,
daß die Zahl der Totgeburten bis zum Ende der Belagerung sich
bedeutend erhöhte, wohl infolge der Entbehrungen, die sich die Pariser
Bevölkerung damals auferlegen mußte. Dann aber verringerte sie sich
bis unter den gewöhnlichen Stand. Neun Monate nach der Belagerungs-
periode sieht man die Geburtenhäufigkeit erheblich abnehmen, während
die der Totgeburten steigt und selbst die am Ende der Belagerung
überragt.
Der Sterblichkeit nach dem Alter sind ein Diagramm und
6 Kartogramme gewidmet. Die Sterblichkeit der kleinen Kinder ist in
Paris noch größer als die der Greise von 80 Jahren, ebenso übertrifit
die Sterblichkeit der Männer in allen Altersklassen die der Frauen.
Die große Sterblichkeit der Kinder berührt vor allem die armen
Distrikte (Montmartre etc.), so daß die Armen sowohl hinsichtlich der
Heiratshäufigkeit wie der Gebürtigkeit und Sterblichkeit mit höheren
Ziffern als die Reichen erscheinen, mit anderen Worten, der Bevölke-
rungsumsatz ist bei ihnen rascher als bei den Reichen!). Ein besonders
genaues Verhältnis zwischen Sterblichkeit und Wohlhabenheit ist für
die Kinder im Alter von 1—4 Jahren ersichtlich.
In einem weiteren Diagramm wird veranschaulicht, welchen Anteil
an der Sterblichkeit die einzelnen Todesursachen haben. Auffallend
hoch ist derjenige der Lungenschwindsucht, sie veranlaßt fast 1/; der
Todesfälle.
Hundert weitere Karto- und Diagramme behandeln die Todes-
ursachen einzeln. Jede ist historisch (seit 1865 oder 1880 oder 1886)
nach Distrikten und in Bezug auf Alter und Geschlecht zur Darstellung
gebracht.
1) Zu demselben Ergebnis kommt C. A. Verrijn-Stuart in seinem Bericht für
das Internat. Statist. Institut (Budapest 1901). ,,Natalité, mortinalité et mortalité enfantine
selon le degr& d’aisance dans quelques villes et un nombre de communes rurales dans
les Pays-Bas“: Le nombre des enfants nes par ménage est plus petit dans les familles
d'une aisance élevée, la mortalité d’enfants s’abaisse quand le degré d’aisance monte, Les
résultats sont les mêmes pour la population urbaine et la rurale.
Dans le rapport entre natalité et aisance il y a probablement une causalité réci-
proque. D'une part, une petite fécondité part prévenir la famille de la descente sur
l'échelle sociale, d'autre part il se plus que certain degré d'aisance une fois atteint
évoque le désir de le maintenir aussi pour ses enfants, ce qui peut à son tour devenir
la cause d’une restriction de la fécondité ete. Vergl. a. a. O. S. 12; auch Wolf’sche Zeit-
schrift f. Sozialwissenschaft, Bd. 4, S. 649 fg. Auch M. Neefe, Ueber den Einfluß der
Wohlhabenheit auf die Sterblichkeit in Breslau (Zeitschr. f. Hygiene und Infektions-
krankheiten, Bd. 24, 1897), findet, daß der nach Einkommen und Miete gemessene
Wohlstand zur Sterblichkeit der Bevölkerung im eutgegengesetzten Verhältnis steht.
Miszellen. 113
B.
Wie Englands Sozialpolitik ihre besondere Bedeutung hat in
der statistischen Begründung und Beleuchtung der verschiedensten
Gebiete, so ist auch seine Ausstellung im Sozialpalast vornehmlich eine
statistische. Veranstalter derselben ist im wesentlichen das englische
Arbeitsamt, das als eigene Abteilung des Handelsministeriums (Board
of trade, Labour Department) seit 1893 besteht und die
Arbeitsstatistik seither in musterhafter Weise pflegt. Was the Labour
Department in Paris vorführte, bestätigt, daß die dem Amt zugewiesenen
Aufgaben mit großer Betriebsamkeit verfolgt werden. Zu seinem Auf-
gabenkreis gehört bekanntlich: Sichtung und Veröffentlichung der in
den Parlamentsberichten und. anderen Publikationen enthaltenen arbeits-
statistischen Daten zum Zwecke der Gewinnung eines Bildes von der
Entwickelung der Lage der arbeitenden Klassen in den abgelaufenen
Jahrzehnten, Ergänzung dieser Statistik durch ausländische Daten,
Sammlung und Verarbeitung von statistischem Material über das Spar-
wesen und die allgemeine Lage der Arbeiter, über Lebensmittelpreise
und andere, die arbeitende Klasse besonders berührende Gegenstände,
Herstellung periodischer Nachweise über Löhne, Arbeitszeit, Arbeits-
markt, Zusammenstellung statistischer Daten über Preise, Produktions-
verhältnisse, Lebensunterhalt etc.
Die wichtigsten Ergebnisse seiner bisherigen Veröffentlichungen
hat the Labour Department in 26 Tafeln zur Anschauung gebracht.
Besonders bemerkenswert sind die Tafeln, welche die Bewegung
des Arbeitsmarkts in der Periode 1888/99, die Bewegung der Löhne
in der Periode 1874/99 und die der Warenpreise in der Periode
1801/99 betreffen. In der erstgenannten Tafel werden die Verände-
rungen im Arbeitsmarkt durch das Prozentverhältnis der unbeschäftigten
Mitglieder derjenigen Trade Unions, die von Monat zu Monat, von Jahr
zu Jahr Nachweise mitteilen, dargethan; ein besonderes Diagramm über
die monatsweise Arbeitslosigkeit bringt die Veränderungen zum Aus-
druck, die durch die Saison und den allgemeinen Stand des Arbeits-
markts hervorgerufen sind, ein anderes eliminiert die Saisongründe und
zeigt in einer Kurve die durch Aenderung im Gewerbe bewirkte Arbeits-
losigkeit. Die Lohntafel berücksichtigt die Löhne im Baugewerbe, in
Kohlenbergwerken, im Maschinen-, Textilgewerbe und in der Landwirt-
schaft. Diese Karte sowohl wie die Karte über die Warenpreise ist
nach dem Indexsystem angelegt. Nach der letztgenannten Karte er-
scheinen die Jahre 1810, 1820, 1825 und 1873 als Teuerungsjahre,
während der Tiefstand aller Warenpreise im vergangenen Jahrhundert
auf 1850 fällt. Da die Bewegung der Warenpreise in einer einheit-
lichen Zahl keineswegs einwandfrei sich ausdrücken läßt, sind zur Ergän-
zung noch einigen hauptsächlichen Bedarfsgegenständen, wie Kohle, Eisen,
Baumwolle, Weizen, Darstellungen gewidmet. Auch die Tafel der Be-
schäftigten und Arbeitslosen ist weiter spezialisiert durch eine Karte
in Bezug auf die Maschinenindustrie. Hier ist namentlich auch die
Dritte Folge Bd. XXIII (LXXVIII). 8
114 Miszellen.
Verschiedenheit der geleisteten Arbeitszeit und der Löhne für ein gutes,
mittleres und schlechtes Jahr ersichtlich gemacht; im Durchschnitt
zeigt an Beschäftigungsstunden eines Arbeiters ein gutes Jahr 2678,
ein mittleres 2544 1/,, ein schlechtes 2378 Stunden; auf 300 Arbeits-
tage gerechnet, bedeutet das also in einem guten Jahr 8,9, in einem
schlechten 7,9 Stunden täglicher Arbeitszeit. Eigene Karten befassen
sich mit den Löhnen der landwirtschaftlichen Arbeiter innerhalb der
Periode 1851—1899 und mit den Löhnen im Kohlen-, Eisen-, Stahl-
gewerbe 1894/99. `
Die anderen Tafeln haben zum Gegenstand die Arbeitseinstellungen
(nach Industrien, Ursachen und Wirkungen) 1896—1899, die Trade
Unions (Mitgliederzahl, Geschäftsergebnisse 1892—1898), die tötlichen
Unfälle in der Industrie 1895—1898, die Arbeitergenossenschaften
1862—1898 (1898 besaßen sie zusammen ein Vermögen von 493 Milliarden
fres. und einen Jahresumsatz von 1637 Milliarden), sowie die Ausdehnung
der Frauen- und Kinderarbeit 1891.
Auf die sonst noch vom Board of trade ausgestellte reichhaltige
und wertvolle Litteratur braucht hier wohl nicht weiter eingegangen
zu werden, ebensowenig auf die Drucksachen der London Charity
Organisation.
Hervorhebung verdient dagegen eine Riesenkarte, welche Charles
Booth auf Grund seiner in einem neunbändigen Werk (weitere 3 Bände
stehen noch aus) niedergelegten Untersuchung „Life and Labour of the
people in London“ angefertigt und ausgestellt hat. Diese Sozial-
karte von London, welche eine ganze Wand für sich einnimmt,
kennzeichnet jede Straße nach der sozialen Lage ihrer Einwohner; gelb
bezeichnet die reichen Straßen, rot die wohlhabenden, rosa die gut
situierte, purpurn die weniger gut situierte Arbeiterklasse, hellblau die
Armen (18—21 Schilling wöchentlich für eine Familie), dunkelblau die
sehr Armen, endlich schwarz die Gegenden der lowest, vicious, semi-
criminal class. Einen Einblick in die dargestellten Verhältnisse geben
folgende Daten:
Klasse | Einwohner | in Proz. | Bemerkungen
A. (lowest) 37 610 9 Arme
B. (very poor) 316 834 7,5 (in poverty)
C. u. D. (poor) 938 293 22,3 30,7 Proz.
E. u. F. (working elass eomfortable) 2 166 503 51,5 l er
ä a £ 1 comfo
G. u. H. (middle class and above) 749 930 17,8 | Er nt
4 209 170 100
Bewohner von Anstalten 99 830
zusammen | 4 309 000 | |
In den einzelnen Stadtbezirken sind die ärmeren Klassen in folgen-
dem Maße vertreten:
Miszellen. 115
davon ärmere
Einwohner Klassen
in Proz.
City 42 561 | 31
Central part of East London 367 057 44
Eastern „ ,, p D 328 361 32
Northern, ,, , Fo 196 121 24
Central part of North London 225 330 43
Northern „ u y l 353 642 32
Central part of West London 371091 21
Western „ wu 483 298 25
Northern „ ,, ,, 287 220 25
Central part of South London 387 248 47
Eastern „ „n » o 362 333 32
Southern „p p y 5 435 667 | 22
Westem p » w Ze 369 241 27
zusammen | 4 209 170 | 31
C.
Seitens der anderen ausländischen Staaten ist die soziale
Statistik in wesentlich geringerem Maße zum Gegenstand ihrer sozial-
politischen Ausstellung gemacht. Wie das Deutsche Reich, so beschränkte
sich auch Oesterreich-Ungarn im Sozialpalast — namentlich wegen der
knappen Platzverhältnisse — auf Vorführung statistischer Tafeln über
die Arbeiterversicherung. In der schwedischen Austellung, die vor-
nehmlich der Frauenfrage gewidmet ist, ist eine von der Union Fredrika
Bremer hergestellte Jahreszahlentabelle der Frauenrechte bemerkens-
wert; sie umfaßt die Periode von 1855, wo den schwedischen Frauen
die Akademie zur Musik eröffnet wurde, bis 1890, wo sie in die Armen-
pflege und die Gemeindeverwaltung eintraten. Italien stellt die Thätig-
keit der Volksbanken (Banche populari) in den Vordergrund seiner Aus-
stellung, die Schweiz die der internationalen Friedensliga, Portugal die
der christlichen Orden, Belgien, abgesehen von den auf die Ergebnisse der
1896er Gewerbezählung bezüglichen Tafeln, die der christlichen Vereine,
die Niederlande die sozialen Einrichtungen der Fabrique Néerlandaise
de Levure et d’Alcool, Rußland seine Veranstaltungen zur Bekämpfung
des Alkoholismus. Nur Amerika, inbesondere Massachusetts, war noch
mit einer größeren Reihe von statistischen Tafeln vertreten, sie sind
zum Teil in dem statistischen Atlas enthalten, der auf Grund des 1898er
Census der Vereinigten Staaten im Jahre 1898 veröffentlicht wurde.
Im übrigen fand die soziale Statistik — zum Teil sehr eingehende —
Berücksichtigung in den Spezialbeschreibungen, welche eine Reihe von
Staaten aus Anlaß der Ausstellung in ihren amtlichen Katalogen oder
in besonderen Werken über ihre wirtschaftlichen und sozialen Verhält-
nisse geliefert haben.
Derartige Beschreibungen lagen vor in den amtlichen Katalogen
von Belgien, Bulgarien, Rumänien, Oesterreich-Ungarn. (Für Deutsch-
land war außer einer solchen Beschreibung im amtlichen Katalog noch
die Schrift von H. Albrecht „Soziale Wohlfahrtspflege in Deutschland“
g*
116 Miszellen.
und meine Schrift „Wirkung der deutschen Arbeiterversicherung“ sozial-
statistischen Inhalts) Als besondere Werke kamen in Betracht:
1) Die soziale Verwaltung in Oesterreich am Ende des 19. Jahrhunderts
(2 Bände, unter Leitung von E. von Philippovich und M. Gruber).
2) Das Königreich Ungarn (2 Bände von Alexander von Matlekowits).
3) Inventaire des Institutions économiques et sociales de la Suisse à
la fin du XIX. siècle (von A. C. Cointe). 4) La Suède, son peuple et
son industrie (unter Leitung von G. Sundbärg). 5) Norway (amtliche
Veröffentlichung). 6) La Russie à la fin du XIX. siècle (unter Leitung
von M. W. de Kovalevsky, Rat im russischen Finanzministerium.
7) Notices sur la Finlande publiées à l’occasion de l'Exposition uni-
verselle de Paris en 1900 (unter Leitung von M. Mechelin). 8) Mono-
graphs on American Social Economies, herausgegeben vom Department
of Social Economy (unter Leitung von Herbert B. Adams) und Mono-
graphs on Education in the United States, herausgegeben vom Depart-
ment of Education (unter Leitung von Nicholas Murray Butler).
9) General view of commerce and industry of the Empire of Japan
(von M. Saïto) 10) Le Canada, son histoire, ses produits et ses res-
sources naturelles (von George Johnson).
Für Frankreich steht ein derartiges Werk auf Grund der Berichte
der Jury noch zu erwarten.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 117
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
L Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Aus dem litterarischen Nachlaß vou Karl Marx, Friedrich Engels und Ferdinand
Lassalle. Herausgeg. von Frz. Mehring. IV. Stuttgart, Dietz Nachf., 1902. gr. 8. M.5.—.
(Inhalt: Ferd. Lassalle, Briefe an Karl Marx und Friedrich Engels. 1849—1862. XVI—
367 SS.)
Handwörterbuch der schweizerischen Volkswirtschaft. Herausgeg. von N. Reiches-
berg (Prof., Univ. Bern). I. Bd., 1. Lieferung: Ablösung—Aerztewesen. Bern-Berlin,
J. Edelheim & C°, 1901. Lex.-8. 32 SS. M. 0,80. (Der Subskriptionspreis des voll-
ständigen 3-bändigen Werkes beträgt Fr. 81.—.)
Hofmokl, Sigism., Ideenskizze zur Begriffsbestimmung der Oekonomik als
Sonderdisziplin. Eine theoretische Studie. Wien, Manz, 1901. gr. 8. XII—220 SS.
M. 5.—.
Lehr, Julius (weil. Prof., Univ. München), Die Grundbegriffe der National-
ökonomie. Zur Einführung in das Studium der Staatswissenschaften. 2. Aufl., herausgeg.
von Max von Heckel (Prof. an der Akademie zu Münster i. W.). Leipzig, C. L. Hirsch-
feld, 1901. gr. 8. XVI—365 SS. M. 9.—. (A. u. d. T.: Hand- und Lehrbuch der
Staatswissenschaften, 1. Abteil. Volkswirtschaftslehre, I. Bd.)
v. Mohl, Robert, Lebenserinnerungen 1799—1875. 2 Bde. Stuttgart, Deutsche
Verlagsanstalt, 1902. gr. 8. VIII—288 u. 451 SS. mit 13 Bildnissen. M. 10.—.
Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen herausgeg. von Gustav Schmoller.
Band XIX, Heft 6. Leipzig, Duncker & Humblot, 1901. gr. 8. (Inhalt: Das öster-
reichische Arbeiterkrankenversicherungsgesetz und die Praxis. Beobachtungen eines Ver-
waltungsbeamten, von Karl Lamp (Graz). 161 SS. M. 3,60.)
Brants, V. (prof. à l’Université de Louvain), Les grandes lignes de l’économie
politique. Louvain, Ch. Peeters, 1901. gr. in-8. 615 pag. fr. 9.—.
Bücher, Karl, Etudes d’histoire et d’économie politique. Trad. franç. par A.
Hansay, avec préface par H. Pirenne. Bruxelles, Lamertin, 1901. 8. 356 pag.
Congrès (troisième) général des organisations socialistes françaises, tenu à Lyon
du 26 au 28 mai 1901. Compte rendu sténographique officiel. Lille, impr, Le Bigot
frères, 1901. 8. 587 pag. fr. 3,50.
Deslinières, Lucien, Entretiens socialistes. Paris, 62, rue St.-Lazare, 1901.
24. 158 pag.
Histoire socialiste 1789—1900. Sous la direction de Jean Jaurès. Dir partie:
La constituante, par Jean Jaurès. Paris, 1901. in-4. 768 pag. et 115 gravures du
temps. fr. 10.—.
Solvay, E., L'Ecole des sciences sociales et l’Institut de sociologie fondés à Bru-
xelles. Bruxelles, impr. Lefèvre, 1901. 8. 10 pag. et 4 planches.
Milner, Alfr. (Lord), Arnold Toynbee: a reminiscence. 2% ed. New York,
Longmans, Green & C°, 1901. 12. 60 pp., cloth. $ 0,90.
Peixotto, Jessica, The French Revolution and modern French socialism: a
comparative study of the principles of the French Revolution and the doctrines of
modern French socialism. New York, Crowell & C°, 1901. 12. 423 pp., cloth. $ 1,50.
Levi-Morenos, D., La produttivita del suole aque e in funzione del diritto di
proprietà e dell’ organizzazione del lavoro. Venezia, tip. A. Pellizzato, 1901. 8. 22 pp.
Setti, Ern., Gli equivoci dominanti nella sociologia. Parte I”*: L’equivoco fonda-
mentale (sulla natura organica della societa). Modica, C. Papa, 1901. 8. 77 pp.
118 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Ruskin, John, „Dezen laatsten ook“ (Unto this last). Vier schetsen over de
beginselen der staathuishoudkunde. Uit het Eng. vert. door P. Horrix. Groningen, Evers,
1901. gr. 8. 12 en 102 blz. fl. 1,25.
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte. Neue Folge
der „Märkischen Forschungen“ des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg. In
Verbindung mit Fr. Holtze, G. Schmoller und A. Stölzel herausgeg. von O. Hintze.
XIV. Bd., 2. Hälfte. Leipzig, Duncker & Humblot, 1901. gr. 8. 317 u.29SS. M. 6.—.
(Aus dem Inhalt: Der Schöppenmeister Hieronymus Roth, von (Rektor) O. Nugel (Char-
lottenburg). — Die schlesische Wollindustrie im 18. Jahrh., von Fr. (Frh.) v. Schroetter
(Berlin). III. Teil, S. 157—256.)
Mitteilungen der Altertumskommission für Westfalen. Heft 2: Haltern und
Altertumsforschungen an der Lippe. Münster, Aschendorff, 1901. gr. 8. IX—228 SS. mit
Abbildgn. u. 39 Taf. M. 10.—.
Steinbach, E., Genossenschaftliche und herrschaftliche Verbände in der Orga-
nisation der Volkswirtschaft. Wien, Manz, 1901. gr. 8. 82 SS. M. 1,60.
de Bertha, A., La Hongrie moderne 1849—1901. Paris, Plon-Nourrit EC,
1901. 8. fr. 6.—.
Machat, J., Le développement économique de la Russie. Paris, Armand Colin,
1901. 8. XVI—311 pag. av. 4 cartes et 10 diagrammes. fr. 4.—. (Table des matières:
Réalité et importance de la question russe. — Vue d’ensemble des ressources de la
Russie et des conditions de son développement. — Les ressources minérales: les métaux.
— Les ressources minérales: les combustibles naturels. — Les ressources végétales
naturelles, les forêts. — L’utitisation des ressources naturelles animales par la pêche
et la chasse. — L'élevage et ses produits. — Les conditions générales de l’agriculture.
— Les cultures d’alimentation. — Les cultures industrielles. — Les industries métallurgi-
ques du fer. — Les industries textiles. — Les autres industries. — Les voies de com-
munication et le commerce intérieur. — Les instruments et les conditions du commerce
extérieur. Les ports. La flotte marchande. — Le commerce extérieur: La politique
douanière. Valeur et nature des échanges.)
Weulersse, G., Chine ancienne et nouvelle. Impressions et réflexions, Paris,
A. Colin, 1901. 8. fr. 4.—. (Sommaire: Hong-Kong. — Canton. — Macao. — Shanghai.
— Sur le Yangtse. — Le péril économique chinois. — La France en Chine. — Les
causes du soulèvement chinois. — Le problème chinois.)
Graham, H. Grey, The social life of Scotland in the XVIII century. London,
A. Black, 1901. 8. XII—545 pp.
Natives, the, of South Africa, their economic and social condition. London, J.
Murray, 1901. 8. XV—360 pp. with charts. (Edited by the South African Native
Races Committee.)
Pierson, N. G., Problemi odierni fondamentali dell’ economia e delle finanze.
Traduzione dall olandese di Erasmo Malagoli. Torino, Roux & Viarengo, 1901. 8.
472 pp. 1. 5.—.
Zappola, Gius., Socialismo contro socialismo. Milano, L. F. Cogliati, 1901. 12.
XI—407 pp. 1. 3.—.
3. Bevölkerungswesen. Auswanderung und Kolonisation.
v. Bremen, W. (OLeutn. z. D. zugeteilt dem Großen Generalstabe), Die Kolonial-
truppen und Kolonialarmeen der Hauptmächte Europas. Bielefeld, Velhagen & Klasing,
1902. gr. 8. 80 SS. M, 1,50.
Meinecke, G. und W. v. Bülow, Seidenzucht in den Kolonien. Untersuchungen
und Anregungen. Berlin, Deutscher Kolonialverlag, 1901. 8. 50 SS. M. 1,20.
Thiele, Otto (Marburg), Die Volksverdichtung im Regierungsbezirk Aurich.
Stuttgart, J. Engelhorn, 1901. gr. 8. 66 SS. mit einer Karte in gr.-4. M. 6,60. (A.
u. d. T.: Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, herausgeg. von A. Kirch-
hoff, Bd. XIII, Heft 5.)
Annual report of the Commissioner-General of Immigration for the fiscal year
ended June 30, 1901. Washington, Government Printing Office, 1901. gr. 8. 52 pp.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 119
Kuhns, ©., The German and Swiss settlements of colonial Pennsylvania: a study
of the so-called Pennsylvania Dutch. New York, H. Holt, 1901. 8. V—268 pp.
Registrar-General’s report on births, deaths, and marriages, Ireland, for 1900.
Dublin, 1901. gr. 8. 2/.6. (Parl. pap.)
4% Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Fellner, Friedrich, Dr, Das System der Rentengüter und
dessen Anwendung in Ungarn. Mit einem Vorworte von Karl Hiero-
nymi. Budapest (Franklin) 1900. 203 SS.
Das Rentengut, für dessen Einbürgerung in Ungarn Dr. Fellner
eintritt, muß als eine der modernen Waffen im Dienste der demokratischen
Grundbesitzverteilungspolitik betrachtet werden. Daß wir solch einer
Waffe bedürftig sind, beweist die thatsächliche Verteilung des Grund-
besitze. Wir verfügen zwar diesbezüglich über keine vollständige
Statistik, die zu Gebote stehenden Daten bezeugen aber, daß der Grund-
besitz mit beschränktem Verkehr wie im allgemeinen der Großgrund-
besitz eine zu große Rolle spielt, weshalb die zunehmende Bevölkerung
den Segen des Grundeigentums nicht im berechtigten Maße genießen
kann. Dies beweiseu auch die statistischen Daten (1896), wonach der
Grundbesitz mit beschränktem Verkehr 34,86 Proz. der Bodenflächen
Ungarn (im engeren Sinne genommen, also ohne Kroatien und Sla-
vonien) ausmachte. Es ist zwar richtig, daß in diesem Prozentuale,
sowie im allgemeinen bei den Großgrundbesitzen der Waldbesitz —
welcher aus einem ganz anderen Gesichtspunkte beurteilt werden muß,
als ein landwirtschaftlicher Besitz — mit einer sehr hohen Quote be-
telligt ist; sehen wir aber auch von den Waldbesitzungen ab, so bleibt
das Verhältnis der Grundbesitzverteilung noch immer ungünstig. Laut
unserer im Jahre 1895 mit großem Apparat angefertigten landwirt-
schaftlichen Betriebsstatistik umfaßte nämlich das Ausmaß der Groß-
betriebe (über 1000 Kat.-Joch 575,5 ha) 31,2 Proz., die Betriebe über
200 Kat.-Joch (105 ha) aber 41,9 Proz. des zur Urproduktion ver-
wendeten Gesamtbodens des Königreichs Ungarn. All dies spricht
dafür, daß die Kleingrundbesitzerklasse mit einer zu geringen Quote
vertreten ist, mit viel geringerer wie z. B. in Preußen im allgemeinen,
und daß also unter den einheimischen Verhältnissen die innere Koloni-
sation auf Großgrundbesitzen eine wichtige sozialpolitische Aufgabe ist.
Das Werk Dr. Fellner’s zerfällt in drei Abschnitte. Er beginnt
mit der Theorie seines Materials, indem er sich mit dem Wesen des
Rodbertus’schen Rentenprinzips und mit den Vor- und Nachteilen der
Rentengüter eingehend beschäftigt. Die zahlreichen, aus den hervor-
ragendsten Werken von Agrarpolitikern und Juristen herrührenden
Citate beweisen, daß er gründlicher Kenner der deutschen Litteratur
ist. Laut den letzten und nach unserer Meinung richtigen Konse-
quenzen dieses Abschnittes wäre es überflüssig, ja sogar schädlich, das
Rentenprinzip zur alleinigen Form des Bodenkredits zu machen; die
Rentenhypothek ist aber berufen, neben der Kapitalhypothek, mit Ver-
mittelung von Rentenbanken, wichtige Dienste zu leisten.
Der II. Abschnitt beschäftigt sich mit der Verwirklichung des
Rentengütersystems im Auslande. In ausführlichster Weise wird selbst-
verständlich die in Preußen durchgeführte Reform besprochen, während
120 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
in England — konstatiert unser Verfasser — infolge Mangels an not-
wendigen natürlichen Vorbedingungen der Smalholding keinen Er-
folg aufweisen konnte. Was Oesterreich anbetrifft, so muß sich
der Autor mit der Auseinandersetzung der Verfügungen jenes weit-
greifenden, in agrarpolitischer Hinsicht hochinteressanten Gesetz-
entwurfes vom Jahre 1893 begnügen, welcher das Rentengütersystem
mit der Errichtung von Berufsgenossenschaften der Landwirte zusammen-
knüpfen wollte, welcher Entwurf aber bekanntermaßen von der Regie-
rung zurückgezogen werden mußte. Bei der Auseinandersetzung der
Institution der Rentengüter in Preußen behandelt Dr. Fellner nicht nur
sämtliche diesbezügliche gesetzgeberische Verfügungen — das Gesetz
vom 12. Juli 1900 mit inbegriffen — sondern erstreckt sich auf die
Vorbereitung derselben, auf die Rolle des Anerbenrechtes auf dem Ge-
biete der Rentengüter und veröffentlicht sehr ausführliche Tabellen über
die bisherigen Resultate.
Zum Schlusse werden die besprochenen drei Rentengütersysteme
zusammengefaßt gewürdigt und wird hierbei mit großem Apparate und
von allen Seiten unter anderem auch mit Heranziehung der Behand-
lungen von deutschen und österreichischen Agrarversammlungen die
wirtschaftliche, ja sogar politische Wirkung dieser Institution beleuchtet.
Der letzte Abschnitt ist jener Frage gewidmet, ob das System der
Rentengüter unter unseren einheimischen Verhältnissen mit Erfolg zu
verwirklichen wäre. Dr. Fellner kommt auch hier mit voller Gründ-
lichkeit seiner Aufgabe nach; umfaßt einen sehr breiten Kreis, indem
er in diese Frage das ganze Problem der Verschuldung des ungarischen
Bodens einbezieht. Diese Frage dürfte übrigens dem Verfasser eine
wohlbekannte sein, da sowohl seine bisherige litterarische Thätigkeit
als auch seine bei der Ungarischen Agrar- und Rentenbank ein-
genommene Stelle ihn völlig berechtigen, über diesen Gegenstand ein
kompetentes Urteil abzugeben. Er versucht, die auf dem ungarischen
Boden haftenden Hypothekarlasten abzuschätzen, dieselben dem Boden-
werte entgegenzustellen und ziffermälig zu beweisen, wie die Zerstücke-
lung der Besitze fortschreitet.
Das Werk Dr. Fellner’s ist eine vollständige Monographie der
Rentengüter, welche auch ohne Heranziehung der speciellen ungarischen
Verhältnisse einen vornehmen Platz in der einschlägigen Fachlitteratur
einnehmen würde. Vom ungarischem Gesichtspunkte wird aber der
Wert des Werkes dadurch erhöht, daß es der ungarischen Agrarpolitik
neue Wege zeigt. Sowohl das aus der hochangesehenen Feder her-
rührende Vorwort, als die Intention des Ackerbauministeriums lassen es
hoffen, daß die Auseinandersetzungen des besprochenen Werkes von
einem nicht bloß akademischen Werte bleiben werden.
Dr. Zoltän Räth.
Berg- und Hüttenkalender für das Jahr 1902. Jahrg. 47. 4 Abteilungen mit Bei-
gabe. Essen, G. D. Baedeker, 1901. 12. geb. u. br. M. 3,50. (In Abteilung IV,
S. 37—68: Internationale Bergbaustatistik.)
Denkschrift der Handelskammer für das Herzogtum Oldenburg betreffend Schä-
digung der oldenburgischen Landwirtschaft dureh die Erhöhung der Zölle auf Getreide,
e er o
IRL
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 121
insbesondere Gerste. Oldenburg, Stalling, 1901. gr. Folio. 20 SS. u. statistische Nach-
weise zur Denkschrift. 16 SS.
Diessner, Br. (Fischmeister), Die künstliche Zucht der Forelle. 2. verm. Aufl.
Neudamm, J. Neumann, 1901. gr. 8. XI—209 SS. mit 108 Abbildgn.
Jahresbericht des schlesischen Provinzialvereins für ländliche Arbeiterkolonien
für die Zeit vom 1. VII. 1900 bis Ende VI. 1901. Breslau, Druck von W. G. Korn,
1901. gr. 8. 60 SS.
Jahresbericht über den Zustand der Landeskultur in der Provinz Branden-
burg für das Jahr 1900 erstattet durch die Landwirtschaftskammer für die Provinz
Brandenburg. Prenzlau, Druck von A. Mieck, 1901. gr. 8. 157 SS.
Land- und forstwissenschaftliche Berufsgenossenschaft für das KReich Sachsen.
ee für das Jahr 1900. Dresden, Druck v. A. Schönfeld, 1901. Folio.
2 SS.
Mentzel und v. Lengerke, Landwirtschaftlicher Hilfs- u. Schreibkalender.
55. Jahrg. (1902). 2 Teile. Herausgeg. von H. Thiel (Wirkl. GehORegR.). Teil II
(555 SS.. Darin die Abhandlung: Industriestaat oder Agrarstaat, von (GehORegR.) -
Traugott Müller. Berlin, Parey, 1902. 12.
Rabe, O., Die Kornhausgenossenschaft e G. m. b. H. zu Halle a/S. Berlin,
Parey, 1901. gr. 8. 35 SS.
Boutt&, Le matériel et les procédés de l’exploitation des mines à l’Exposition
universelle de 1900. Paris, E. Bernard & Or, 1901. gr. in-8. 260 pag. av. fig. et
un atlas de 11 planches. fr. 20.—.
Lecomte, H. (avec la collaboration de Ch. Chalot), Le vanillier, sa culture,
préparation et commerce de la vanille. Paris, Naud, 1902. 8. 228 pag.
Réponse au questionnaire adressé le 25 juillet 1901, par la commission de la
durée du travail dans les mines. Paris, Comité central des houillières de France, 1901.
ind. 73 pag.
Evidence before the Committee on prices of agricultural products in Scotland,
with appendices and index. Edinburgh, 1901. Folio. (Parl. pap.) 3/.5.
Gilbey, W. (Sir), Horse-breeding in England and India and army horses abroad.
London, Vinton, 1901. 8. 62 pp. 2/.—.
Galdi, D., Trattato della industria mineraria: economia e legislazione mineraria.
Caltanissetta, Lo Maglio & Licitri, 1901. 8. 501 pp. 1. 6.—.
Rapport van de Commissie voor het petroleum-vraagstuk, uitgebracht aan den
heer Minister van waterstaat, handel en nijverheid, Juli 1901. "e Gravenhage , Gebr.
van Cleef, 1901. Folio. 16, 5 en 5 blz. met 21 tab. fl. 2.—.
Reinders, G., Handboek voor den Nederlandschen landbouw en de veeteelt.
# druk. DI. I en II. Groningen, J. B. Wolters, 1901. gr. 8. pro cplt. (3 dln.) fl. 12.—.
5. Gewerbe und Industrie.
Albrecht, Otto (Redakteur d. Allgem. Gärtnerzeitung), Denkschrift an den
Reichstag betreffend die sozialen Rechtsverhältnisse der gewerblichen Gärtner in Deutsch-
land im Lichte der Gerichtspraxis und behördlichen Verwaltungstechnik. Berlin, Ver-
lag des Allgem. Dtsch. Gärtnervereins, 1901. 8. VI—104 SS. (Nicht im Handel.)
Bericht über den Betrieb der Seidentrocknungsanstalt zu Krefeld für das Ge-
schäftsjahr 1900/1901 von E. Königs (Direktor der Anstalt). Krefeld, Druck von Kramer
& Baum, 1901. gr. 4 21 SS. und statistische Tabellen.
Bettelheim, E. (Gerichtsadjunkt, Wien), Das Recht des Erfinders in Oesterreich
nach dem Gesetze vom 11. I. 1897. Systematisch dargestellt mit vergleichender Berück-
sichtigung des deutschen und anderer Patentrechte des Auslandes. Wien, Manz, 1901.
gr. 8. V—360 SS. M. 7.—.
v. Doepp, G. (Prof.), Die Dampfkessel auf der Weltausstellung in Paris, 1900.
Freiberg, Craz & Gerlach, 1901. gr. 8. 113 SS. mit Abbildgn. M. 3.—. (Aus „Proto-
kolle des St. Petersburger polytechn. Vereins.‘“)
Fachberichte über die Pariser Weltausstellung im Jahre 1900. Herausgeg.
vom schweizerischen Gewerbeverein. Bern, Büchler & C°, 1901. 4. XI—415 SS. M. 4.—.
Hildebrand, F. W., Die Kistenfabrikation und die Konfektion der Cigarre.
Praktisches Handbuch für die Kisten- und Cigarrenfabrikation. Herford, Selbstverlag,
1901. gr. 8. 31 SS. M. 3.—.
122 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
Jahrbuch der Erfindungen. Begründet von H. Gretschel und H. Hirzel. Her-
ausgeg. von A. Berberich, G. Bornemann und O. Müller. Jahrg. XXXVII. Leipzig,
Quandt & Händel, 1901. 8. VI—400 SS. M. 6.—.
Katalog der I. Ausstellung für Kunst im Handwerk, München 1901. München,
L. Burger, 1901. gr. 8. 94 u. 48 SS. mit Abbildgn. M. 2.—.
Krefft, H., Kurze Geschichte der Innung der Bau-, Maurer-, Steinmetz- und
Zimmermeister in München vom 15. Jahrh. bis zur Gegenwart. München, L. Werner,
1901. gr. 8. 75 SS. mit Abbildgn. M. 1,60.
Lange, Ernst, Der Zusammenschluß der deutschen Spiritusindustrie. Eine ökono-
mische Studie. Berlin, Parey, 1901. gr. 8 32 SS. M. 0,50.
Stübben (GehBauR., Köln), Rheinische Arbeiterwohnungen. Bonn, E. Strauß,
1901. gr. 8. 14 SS. mit 10 Taf. kart. M. 3.—.
Vaillant, Th. (LandgerR.), Die Sonntagsruhe in Elsaß-Lothringen. Metz, R.
Lupus, 1901. kl. 8. 274 SS. M. 2,50 (betrifft die Sonntagsruhe im Gewerbebetrieb).
Ziegler, Frz., Wesen und Wert kleinindustrieller Arbeit gekennzeichnet in einer
Darstellung der Bergischen Kleinindustrie. Berlin, Bruer, 1901. gr. 8. VIII —490 sg,
mit Anhang von 89 SS. Anlagen. M. 12.—.
Congrès, XXXVIII*", des membres du syndicat professionnel de l’Union des
fabricants de papier de France (8 juin 1901). Paris, impr. Capiomont & C", 1901.
8. 131 pag. fr. 1.—.
Delessard, E. (ingénieur des arts et manufactures), L'industrie des matières
textiles à l'Exposition universelle de 1900. Paris, E. Bernard & C", 1901. gr. in-8.
224 pag. av. fig. et un atlas in-folio de 7 planches. fr. 15.—.
Forcella, V., Le industrie e il commercio a Milano sotto i Romani. Milano,
tip. P. G. Bellini, 8. 125 pp. 1. 8.—.
Halévy, D., Essais sur le mouvement ouvrier en France. Paris, Bellais, 1901.
8. fr. 3,50.
Henrivaux, J. (ancien directeur de la manufacture de Saint-Gobain), La verrerie
à l'Exposition universelle de 1900. Paris, Bernard & OC, 1901. gr. in-8. 107 pag. avec
36 figures. fr. 5.—,
Huret, Jul., Les grèves. Préface de M. Millerand, Ministre du commerce,
Enquête au Creusot, à Lille, Marseille, Carmaux, Lyon, Saint-Etienne, ete. Législation
comparée dans tous les pays d'Europe et d'Amérique. Paris, édition de „La Revue
Blanche‘, 1901. 8. fr. 3,50.
Rapport sur la situation de l’industrie minérale et métallurgique dans la pro-
vince (de Hainaut), année 1900. Frameries, imprim. Dufrane-Friart, 1901. gr. in-8.
52 pag.
RER n, Max (prof. à l’Institut national agronomique), Le matériel agricole
à l'Exposition de 1900. Paris, veuve Ch. Dunod, 1901. in-4. 224 pag. av. fig. fr. 10.—.
Rouquet, Jean (conseiller à laCour d’appel de Montpellier), Traité de l’inspec-
tion du travail à l’usage des inspecteurs, préfets, magistrats, industriels ete. Montpellier,
Coulet & fils, et Paris, A. Rousseau, 1902. gr. in-8. XVIII—305 pag. fr. 6.—. (Table
des matières: Organisation de l'inspection du travail. — Attributions des inspecteurs
du travail: 1. Attributions administratives. 2. Attributions de police judiciaire. — Suites
des procès-verbaux des inspecteurs du travail en justice: 1. Exercice du droit de pour-
suite ou d'action, 2. Des juridictions qui peuvent être saisies. 3. Des pénalités. —
Législation étrangère.)
de Rousiers, P., Les syndicats industriels de producteurs en France et à l'étranger
(trusts ` cartells ; comptoirs). Paris, A. Colin, 1901. 8. VIII—290 pag. fr. 3,50. (Table
des matières: Détermination du phénomène étudié. — Les trusts américaines: 1. Défi-
nition du trust. 2. Ja concentration industrielle et commerciale. 3. Les éléments anormaux
du trust. 4. Le trust de l'acier. 5. Les effets des trusts, — Les cartells allemands :
1. La nature des cartells. 2. Les causes des cartells. 3. L'organisation des cartells.
4. Les effets des cartells. — Les syndicats industriels des producteurs français: 1. La
monopolisation industrielle en France. 2. L'organisation du comptoir de Longwy. 3. Les
causes de la création du comptoir de Longwy. 4. Le comptoir de Longwy et sa clientèle.
5. Le comptoir de Longwy et ses adhérents. 6. Le comptoir de Longwy et le marché
national. 7. Les comptoirs métallurgiques de spécialités, — Conclusion: 1. La cause
générale des syndicats de producteurs. 2. Les divers types de syndicats de producteurs.
3. Le syndicat de producteurs est-il un danger?)
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 123
Sidersky, D., Rapport sur les emplois industriels de l’aleool à l'Exposition
agricole de Halle-sur-Saale (Allemagne). Paris, impr. nationale, 1901. 8. 51 pag. av. fig.
Annual report, XVII‘, of the Bureau of Labor Statistics of the State of New
York for the year 1900. Albany, J. B. Lyon, 1901. gr. 8. XIV—1072 pp. (Contents:
The eight-hour movement: 1. The shortening of the work-day in American industries in
the XIX® century; 2. The hours of labor in foreign countries. 3. Practicability of the
eight-hour day. 4. Methods of establishing the eight-hour day. 5. Appendices and tables.
— Social settlements. — The economic condition of organized labor. — The New York
State Free Employment Bureau. — New York labor laws of 1900.)
Bowstead, W., Law relating to workmen’s compensation under the Workmen’s
Compensation Acts 1897 and 1900. London, Sweet & M., 1901. 8. 10/.—.
Bücher, K., Industrial evolution. Translated from 3” German ed. by S. M.
Wickett. London, 1901. 8. 408 pp. 12/.—.
Clark, John Bates, The control of trusts. An argument in favor of curbing
the power of monopoly by a natural method. New York, the Macmillan Cr, 1901. 8.
X—85 pp., cloth. 2/.6. (Contents: The people and the problem. — Early experiments
and present facts. — How not to deal with trusts. — Monopolies and the law. —
Conelusion.)
Report on workmen’s co-operative societies in the United Kingdom, with stati-
stical tables. London, printed by Darling & Son, 1901. gr. 8. XLVIII—252 pp. 1/.5.
(Publieation of the Board of Trade, Labour Department. Contents: Workmen’s retail
distributive societies. — The Wholesale societies, English and Scottish. — Co-operative
production in Great Britain. — Co-operation in Ireland. — Provision of dwellings by
workmen’s co-operative societies. — Associations for eredit (including building societies),
— Co-operative insurance. — Propagandist organisations. — etc.)
de Mier, S. B. (Ministro y comisario general en la Exposición de Paris), México
en la Exposición universal internacional de Paris (1900). Paris, impr. Dumoulin, 1901.
8. 309 pag. av. grav.
6. Handel und Verkehr.
Eckert, Christian, Dr. jur. et phil., Rheinschiffahrt im
19. Jahrhundert (Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen, her-
ausgegeben von Gustav Schmoller, Bd. 18, Heft 5). Leipzig (Duncker
u Humblot) 1900. XX, 450 SS.
Dies fleißige, sorgfältig gearbeitete Buch kann nur mit Freude
begrüßt werden. Aus der Verarbeitung des stattlichen gedruckten
Materials, das wir über den Rheinstrom besitzen, wie der Akten des
Stadtarchivs und der Handelskammer in Mainz ist hier ein wertvolles
Buch entstanden, das sich ebenso gut liest, wie es reiche Belehrung
gewährt.
Die Zeit vor dem 19. Jahrhundert, die ja für die Rheinschiffahrt
recht unerfreulich gewesen, nur kurz berührend, schildert der Verf. zu-
nächst ihre Schicksale während der Wirren bis 1815, die Aufhebung
der Rheinzölle, ihren Ersatz durch einen Oktroi. Die Oktroikonvention
von 1804, die bis 1831 in Kraft blieb, wird in ihrer großen Bedeutung
genügend gewürdigt; gegen die frühere Zeit stellt sie einen um so
größeren Fortschritt dar, als die Durchführung der Resultate des Wiener
Kongresses über die Rheinschiffahrt praktisch zum Teil an der Un-
einigkeit der Uferstaaten scheiterte. Erst nach der Rheinschiffahrtsakte
von 1831 fielen die alten Stapelrechte von Mainz und Köln, die aller-
dings schon vorher vielfach gemildert waren, die Schiffergilden wurden
aufgelöst. Der nun entstehende Kampf zwischen den Rangfahrten der
Schiffer, die Konkurrenz zwischen Köln, Mainz, Mannheim wird anschau-
lich dargelegt; ebenso der in den 30er, noch mehr in den 40er Jahren
einsetzende Kampf der alten Leinfahrten mit der aufkommenden Dampf-
124 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
schleppschiffahrt. Und während dieser Kampf sich
Gunsten der letzteren wandte, erstand dieser wieder ein mächtigerer
Wettbewerber in der Eisenbahn. Der Einfluß der Eisenbahn auf die
Dampfschiffahrt , die Schädi ung, die diese namentlich auf dem Ober-
rhein erfuhr, das Gegenmittel, das die Dampfschiffahrtsgesellschaften
namentlich in der Bildung von Tarifgemeinschaften fanden, alles dies
wird in klarer, übersichtlicher Darstellung erörtert. Erst die finanzielle
immer mehr zu
Der Verfasser geht nicht auf den bedeutenden Einfluß ein, den in
der Mitte des Jahrhunderts die Rheinschiffahrt auf die Wirtschafts-
und Verkehrspolitik der nicht unmittelbar an den Rhein grenzenden
deutschen Länder gehabt hat, z.B, auf die Eisenbahnpolitik in Hannover
und Sachsen; er beschränkt sich im wesentlichen auf die mit der Rhein-
schiffahrt eng und direkt zusammenhängenden Vorgänge, Thatsachen,
verkehrspolitischen Kämpfe. Sehr eingehend wird dagegen die Technik
des Schiffahrtsbetriebes geschildert.
Lückenlos ist überhaupt die gesamte Darstellung nicht; der Verf.
Iskammer
+ Ungern vermißt man
eine Darlegung dieser Verhältnisse, die gerade in den letzten Jahr-
zehnten für die innere deutsche Verkehrspolitik besonders wichtig ge-
worden sind; daß es dazu, wie der Verf. meint, „einer Jahrzehnte
heischenden Durchforschung der Archive aller rheinischen Handels-
centren“ bedurft hätte, bezweifelt Ref. Auf die am Schluß, in dem
„Ausblick“ ($ 21) sich findenden Bemerkungen über Binnenschiffahrts-
abgaben, Kanalprojekte u. dgl. hätte man dagegen gerne Verzicht geleistet.
Hamburg. E. Baasch.
Acta Borussica, Denkmäler der preußischen Staatsverwaltung im 18, Jahrh. Her-
ausgeg. von der kgl. Akademie der Wissenschaften. Die einzelnen Gebiete der Verwal-
tung. Gctreidebandelspolitik Band II. Berlin, P. Parey, 1901. gr. 8. XII—670 SS.
geb. M. 16.—, (A. u. d. T.: Die Getreidehandelspolitik und Kriegsmagazinverwaltung
Brandenburg-Preußens bis 1740, Darstellung und statistische Beilagen, von W. Naudé.
Akten bearbeitet von G. Schmoller und W. Naudé.)
Hafenanlagen zu Breslau. Denkschrift zur Eröffnung des städtischen Hafens
am 3. IX. 1901. Herausgeg. vom Magistrat der kgl. Haupt- und Residenzstadt Breslau.
Berlin, J. Springer, 1901. gr. Folio. VI—97 SS. mit Abbilden. u. 44 Taf. M. 20.—.,
Hieronymi, K., Die Kanalfrage, Budapest (Wien, Braumüller), 1901.
29 SS. M. 1.—. (Aus „Pester Lloyd“,)
Meyer, A. (kais. Postinsp.), Die deutsche Post im Weltpostvercin und im Wec
verkehr. Nach dem Stande vom 15. VI. 1901 bearbeite
gr. 8. VIII—337 SS, M. 5.—.
Munzi nger, L., Die Entwickelung des Inseratenwes
Heidelberg, C. Winter, 1901. gr. 8. 90 SS. M. 2,40.
Neisser, E, J, (wissensch. Hilfsarbeiter bei der Handelskammer zu
Der Spezialhandel des deutschen Zollgebietes 188
gr. 8.
hsel-
t. Berlin, Jul. Springer, 1901.
ens in den deutschen Zeitungen.
Potsdam),
9—1900 in graphischer Darstellung im
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 125
Auftrage der Handelskammer zu Potsdam. Potsdam, 1901. gr. 8. 6 SS. Text, 2 Ta-
bellen und 2 Taf. graphischer Darstellungen.
Postanstalten, die fremden, in der Türkei, von H. A. Merseburg, Stollberg,
1901. 8. 36 SS.
Ruge, Sophus (Prof., Dresden), Die transsibirische Eisenbahn. Dresden, v. Zahn
& Jaensch, 1901. gr. 8. 52 SS. M. 1.—.
Staudt, Wilh. (Konsul, Berlin), Die Handelsverträge, deren Bedeutung und
Wirkung für Deutschland. Berlin, D. Reimer, 1901. gr. 8. 27 SS. M. 0,50.
Bourgaud, A. M., Lyon et le commerce des soies avec le Levant. Lyon, Rey
& C*, 1901. 8. 63 pag. fr. 1,50.
Chambre de commerce d'Anvers. Renouvellement des traités de commerce.
Rapport présenté par E. Ceulemans, président sortant de la section d'économie politique
et de statistique. Anvers, impr. L. De la Montagne, 1901. gr. in-4. 18 pag. fr. 1.—.
Chambre de commerce de Verviers. XXV” anniversaire (1876—1901) et rapport
général sur la situation du commerce et de l’industrie de l’arrondissement de Verviers
pendant l’année 1900. Verviers, impr. A. Nicolet, 1901. 8. 147 pag. fr. 2.—.
Compte rendu des travaux de la chambre de commerce de Troyes en 1900. 84° année.
Troyes, impr. Nouel, 1901. 8. 268 pag.
Congrès international des voyageurs et représentants de commerce tenu à Paris
du 8 au 11 juillet 1900. Paris, Bellais, 1901. 8. 309 pag. fr. 3.—.
Demolins, Edm., Les grandes routes des peuples, essai de géographie sociale.
Comment la route crée le type social. Tome I: Les routes de l’antiquité. Paris, Firmin-
Didot, 1901. 8. 463 pag.
Fuster, Ed., Annuaire général des tramways de France publié sous les auspices
de l’Union des tramways de France (syndicat professionnel) Septembre 1901. Paris,
veuve Dunod, 1901. gr. in-8. 797 pag. relié fr. 10. (Sommaire: I" partie. Notices
sur les concessionaires. — Him partie. Personnel administratif, — Ulm partie. Légis-
lation.)
Sarraut, Maur. (conseiller du commerce extérieur), Le problème de la marine
marchande. Préface de M. Ed. Lockroy (ancien ministre de la marine). Paris, Berger-Levrault
& C*, 1901. gr. in-8. XIV—411 pag. fr. 6.—. (Table des matières: Le rôle de la marine
marchande. — Notre flotte commerciale. — Armateurs et constructeurs. — Les chantiers
français. — La puissance maritime de l'Angleterre. — Les chantiers de la Clyde. —
Les chantiers de la Tyne et de la Wear. — La question ouvrière. — L'effort necessaire.)
Parker, E. H., China, her history, diplomacy and commerce from the earliest
times to the present day. London, J. Murray, 1901. 8. XX-—332 pp. with plates
and charts.
Amoruso, Mauro, Il porto di Bari: studio tecnico-economico. Trani, V. Vecchi,
1901. 8. 93 pp. e 1 tav.
Molli, G., Le grandi vie di communicazione. Torino, fratelli Bocca, 1901. 12.
367 pp. 1. 4.—.
de Stoppelaar, J. H., Balthasar de Moucheron. Een bladzijde uit de neder-
landsche handelsgeschiedenis tijdens den tachtigjarigen oorlog. ’s Gravenhage, Nijhoff,
1901. 8. XII; 218; 101 blz.
7. Finanzwesen.
Eingabe des Gesamtvorstandes und Ausschusses des Bundes der Landwirte an
den Deutschen Reichstag zum Entwurf des neuen Zolltarifs. Berlin, Druck von W.
Issleib, 1901. 4. 10; 154 SS. (Nicht im Handel.)
Roscher, Wilhelm, System der Finanzwissenschaft. Ein Hand- und Lesebuch
für Geschäftsmänner und Studierende. 5. vermehrte Aufl. bearbeitet von Otto Gerlach.
2 Halbbde. Stuttgart, J. G. Cotta’sche Bhdl. Nacht, 1901. gr. 8 X—511 u. VI—
523 SS. M. 16.—.
Schäffle, A., Ein Votum gegen den neuesten Zolltarifentwurf. Tübingen, Laupp,
1901. gr. 8. VIII—232 SS. M. 3,50.
Schwarz, O. und G. Strutz (GehOFinzRäte im kgl. preuß. Finanzministerium),
Der Staatshaushalt und die Finanzen Preußens. Band I. Die Ueberschußverwaltungen,
Buch VII. Die Eisenbahnverwaltung. Berlin, J. Guttentag, 1901. gr. 8. VIII, S. 567—
1056 und Anlagen XLIII—LXVII M. 20.—. (Bildet Lieferung 4 des Gesamtwerkes.)
126 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Levy, Raph. Georges (prof. à PEcole libre des sciences politiques, C. Picot et
Ed. Cailleux), Des tendances nouvelles de la législation fiscale en Europe depuis cin-
quanteans, Rapport général présenté au congrès des sciences
Société française d’impr. et de librairie, 1901. 8, XXV—179
pag. fr. 6.—. (Table des matières:
I. L’impöt sur le revenu. Taille: 1. La taille, type parfait de T
sous l’ancien régime. Taille personnelle, taille réelle, capitation: abus d
Oeuvre des assemblées pro-
vinciales. Voeux de l'opinion publique en 1789 relativement à l’impôt sur le revenu.
— Il. L’impöt sur les revenus. Dixiöme et vingtième: 1. L’impöt sur les revenus
sous l’ancien régime. Le dixième, le vingtième : Organisation, assiette, perception. 2. His.
toire du dixième et du cinquanième, 3, Le vingtième sous le règne de Louis XV,
4. Le vingtième sous le règne de Louis XVI, 5, Conclusion: organisation de P’impöt sur
les revenus par l’Assemblée constituante.)
Vacher, Léon, Du poids comparatif des charges fiscales
qui pèsent sur la pro-
priété immobilière et sur les valeurs mobilières en France, Budapest, impr. Athenaeum,
1901. in-4.
Public income and expendure (England and Wales) 1880/81 to 1900/01. Lon-
don. Folio. (Parl. pap.)
Vignali, Giov., Le tasse di bollo nella teoria e nel diritto positivo italiano.
Milano, Società editr. libr., 1901. 8. XXIV--440 pp. 1. 10.—.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Ritter von Hat tingberg, J., Die gemeinwirtschaftlichen Kre-
dite der österreichischen Landwirte. Wien und Leipzig (Fr. Deuticke)
1900. 166 SS,
Der Direktor der niederösterreichischen Landeshypothekenanstalt schil-
dert in diesem Buche Entstehung, Wirken und Au
wirtschaftlichen Kreditinstitute“ in Oesterreich,
denen weder wie für die Sparkassen und gemeinnü
mögliche Verwertung der vorhandenen Mittel, noch wie bei den Aktien-
banken ein Unternehmergewinn, sondern ledi
und billigste Versorgung des Kreditbedürfnisses Zweck und Richt-
schnur ist. Seit der Entwickelung des modernen Kreditbedürfnisses in
anstalten durch Landesgesetze und unter Haftung des Landes
die Hypothekenbank des Königreichs Böhmen 1865, die schlesische
Bodenkreditanstalt 1869, die mährische Hypothekenbank 1876, die An-
stalt in Istrien 1880, die niederösterreichis
1889, die oberösterreichische 1891, die kärntner
Anstalten 1897 in Vorarlberg, 1898 in Tirol, 1899 in Dalmatien. Für
Kommunal- und Hypothekarkredit entstand außerdem 1882 in Galizien,
für Meliorationskredit 1890 in Böhmen eine L
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 127
samten Hypothekarkredit durch ihren Wettbewerb verbessernd und ver-
billigend eingewirkt zu haben.
Verfasser schildert auch die Entwickelung des organisierten Hy-
pothekarkredits in Deutschland kurz, weil man in Oesterreich für die
Landesanstalten von der deutschen Theorie die Grundsätze der Un-
kündbarkeit und Zwangsamortisation, von den preußischen Landschaften
die Ausgabe der Pfandbriefe, die den Darlehnszinsfuß von den Schwan-
kungen des Geldmarkts unabhängig machen, von den mitteldeutschen
Landesanstalten das Eintreten des Staates mit öffentlich-rechtlicher Haft-
barkeit, von den Aktienbanken den bankmäligen Betrieb, den einheit-
lichen Pfandbriefabsatz in eigener Regie und damit die Regulierung des
Kurses übernommen habe.
Als Vorzug der Landesanstalten wird es dargestellt, daß sie jedem
Hypothekarkredit in Stadt und Land und jeder Besitzgröße gerecht
werden können, wie andererseits auch der Kommunal- und Meliorations-
kredit ihnen neue Aufgaben stellen. Anstatt ein eigenes System von
Unterorganisationen auf dem Lande zu schaffen, bestreben sie sich, mit den
zahlreich in Oesterreich überall jetzt entstandenen ländlichen Spar- und Dar-
lehnskassen (Genossenschaften nach Raiffeisen’schem System) in Ver-
bindung zu stehen, diese für Hypothekenvermittlung und Zinsinkasso
gegen Entschädigung in Anspruch zu nehmen, sie besonders auch für
die Konvertierung von höher verzinslichen, kündbaren Schulden zu
interessieren. In dieser suchen die Landesanstalten ihre Hauptaufgabe
und haben schon Beträchtliches darin geleistet; manche gewähren
zum Abstoßen der alten Darlehne einen Zwischenkredit und befassen
sich selbst mit der Regulierung des Grundbuchstandes. Die rührig-
sten der Landesanstalten streben den ländlichen Kreditgenossen-
schaften und auch den sonstigen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossen-
schaften gegenüber die Stellung einer Ausgleichsstelle und Bank an,
die in Preußen dem besonderen staatlichen Institut der Preußischen
Centralgenossenschaftskasse überwiesen wurde. Die kleinen Schuldner
werden beim Ausschlagen der Verwaltungskosten begünstigt. Jedoch
soll der Betriebskredit bei den Personalkreditgenossenschaften gedeckt
werden. Deshalb scheint dem Verfasser die Ausgabe ganz kleiner Hy-
pothekendarlehne nicht zweckmäßig. Im Gegenteil sieht er in der Ab-
lösung der kleinen teueren Nachhypotheken mit Hilfe der Genossen-
schaften eine notwendige Reform.
Mit Hilfe der Genossenschaftsorganisation, ihrer Revisoren, Rechner-
tage, Litteratur u. s. w. die Landbevölkerung über die richtige Be-
nutzung des Kredits aufzuklären, erscheint dem Verfasser als die wich-
tigste künftige Aufgabe der Landesanstalten. Die Hypothekentilgungs-
versicherung nach Dr. Hecht’s Vorschlägen wird ins Auge gefaßt und
ihre spätere Einführung gilt für aussichtsvoll. Gegenwärtig sei sie nur
beschränkt anwendbar, da nur wenige jüngere Leute die Versicherungs-
beträge neben Zinsen und Amortisation aufbringen könnten.
Die begeisterte Schilderung der Landesanstalten, die in vollem
Bewußtsein ihres sozialen Wertes und ihrer sozialen Aufgaben plan-
mäßig auf eine stete Verbesserung der Realkreditverhältnisse und eine
wirtschaftliche Erziehung des Volkes hinarbeiten, bringt in mancher
128 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Hinsicht Zukunftsmusik, aber auch schon manche sehr beachtlichen
Leistungen, namentlich hinsichtlich der innigen Verbindung mit Personal-
kredit und Bevölkerung durch die Darlehnskassen, und in dieser Hinsicht
könnte die deutsche Praxis Nützliches daraus lernen.
Hamburg. K. Thiess.
Eberstadt, Rudolph, Der deutsche Kapitalmarkt. Leipzig, Verlag
von Duncker und Humblot.
„Ein großer Aufwand, schmählich, ist verthan“ — in diese Worte
Mephistopheles’ möchten wir unser Urteil über das vorstehende Werk
zusammenfassen. Eine Schilderung des deutschen Kapitalmarktes ist,
wie wir gerne zugeben, keine leichte Aufgabe; aber daß zu ihrer Be-
wältigung die Kräfte des Verfassers nicht ausreichen beweist sein Werk,
wie groß auch der Fleiß und die Mühe ist, die er darauf verwendet hat.
Das Werk ist in der Hauptsache ein Konglomerat statistischer Zu-
sammenstellungen; wer aber ein Bild im ganzen sucht, wer eine Ant-
wort haben will auf die Frage, um deren Lösung es dem Verfasser zu
thun ist, wer, kurz gesagt, sich eine Vorstellung von der Beschaffenheit
des deutschen Kapitalmarktes machen will, der wird in dem Eberstadt’schen
Werke vergebens suchen. Der Verfasser scheint das selbst zu fühlen,
denn im Schlußkapitel sagt er: „Eine Zusammenfassung im eigentlichen
Sinne soll dieses Schlußkapitel nicht bieten.“ „Auf der specialisierten,
durch statistische Ziffern gestützten Einzelschilderung lag für uns das
Hauptgewicht.“ Läßt sich hiernach ein bestimmtes Bild vom deutschen
„Kapitalmarkt“ als solchem nicht gewinnen, so geben selbst die von ihm
gebotenen, Einzelschilderungen, da auch sie nur Bruchstücke sind, keine
klare Verstellung der von ihm jeweilig behandelten Gebiete des deutschen
Kapitalmarktes. Das Werk zerfällt in zwei Teile; der erste behandelt
das Thema „Der Kapitalmarkt und die Börsenemissionen, vornehmlich des
Jahres 1899, im zweiten Teil wird der Kapitalmarkt und die Kapitali-
sierung des Bodens zum Gegenstand der Erörterung gemacht. Daß mit
der Darlegung dieser beiden Gebiete nicht alle wesentlichen Vorgänge
im Wirtschaftsleben erschöpft werden, die „in irgend einer Weise auf
dem Kapitalmarkt zu wahrnehmbarem Ausdruck gelangen“ (Seite 3)
erscheint klar. Das Werk führt nach einander die Emissionen nach
einzelnen Abteilungen auf, und zwar: Industrie, Handel und Verkehr,
Banken, Grund und Boden, öffentliche Verbände und das Ausland. Bei den
tabellarischen Aufstellungen, die sich auf das Jahr 1899 beziehen, unter-
scheidet er bei den einzelnen Werten den Nominalbetrag, den „Börsen-
kurswert“, wobei er den Einführungskurs zu Grunde legt, und
den „Kapitalreinanspruch“. Auf den letzteren legt der Verfasser ein ganz
besonderes Gewicht; er soll gewissermaßen den Schlüssel zur Lösung
des Problems bilden und darthun, daß die Industrie den verhältnismäßig
geringsten Anteil an dem Kapitalbedarf habe und daß der eigentliche,
der Hauptkapitalverbraucher die Spekulation gewesen sei. Auf diese
Weise berechnet er unter anderem für den Januar 1895 die Summe
von 661 Millionen M. Montanaktien, die damals einen Kurswert von
777 Mill. M. hatten. Am 1. April 1900 repräsentierten diese Aktien
einen Wert von 1475 Mill. M., folglich, meint er, wären in 5!/, Jahren
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 129
für „spekulative Zwecke“ 698 Mill. M. „aufzubringen“ Wie sich der
Verfasser diesen Vorgang denkt, ist mir nicht ganz klar. Er legt
jedenfalls das ganze Aktienkapital der aufgeführten Papiere zu Grunde
und operiert dann mit dem jeweiligen Tageskurs, ohne anscheinend
zu berücksichtigen, daß die notierten Kurse nichts weiter als das
Ergebnis der jeweilig umgesetzten (minimalen) Beträge sind. Wenn
z B. an einer Börse innerhalb weniger Augenblicke ein Papier 5
Prozent in die Höhe geht und gleich darauf wieder sinkt, will man im
Ernste behaupten, daß in jenen wenigen Augenblicken für die Zwecke
der Spekulation ein „Verbrauch“ vom Kapital stattgefunden hat, der durch
Zugrundelegung der Kursvariation auf das Aktienkapital der betreffenden
Gesellschaft dargestellt werde? Der Verfasser bittet an einer dritten
Stelle um Nachsicht in Betreff des statistischen Materials; eine solche
Nachsicht ist in der That notwendig, denn schon die ersten Stichproben
genügten, um wesentliche ziffernmälige Unrichtigkeiten zu Tage treten
zu lassen. Da führt er (Seite 40) den Nennwert des Kapitals der Dort-
munder Union am 1. Januar 1895 mit 38660700 M. Lit. A und mit
1017900 M. Lit. B. Beide Ziffern stammen aus den achtziger Jahren;
sowohl die Bilanz vom 30. Juni 1895 (38869200 resp. 392400 M.) als
auch die Bilanz vom 30. Juni 1894 (38 866200 resp. 401 400 M.) weisen
andere Ziffern auf. In derselben Rubrik ist ferner falsch (Seite 41) die
Angabe, daß die Neuemissionen der Dortmunder Union vom 1. Januar
1895 bis 1. April 1900 (Spalte 8) 9 Mill. M. betragen; in Wirklichkeit
wurden in diesem Zeitraum emittiert laut Beschluß der Generalver-
sammlung vom 25. Januar 1896 131/, Mill. M. Vorzugsaktien und laut
Beschluf vom 16. September 1899 9 Mill. M., zusammen also 221/,
Mill, nicht 9 Mill. M. Aktien. Gerade bei diesem Unternehmen erscheint
es (Seite 29) auch wenig angebracht, die zum Zwecke des Erwerbes der
Zeche A. v. Hansemann verausgabten 4491000 M. zur Grundlage eines
Kapitalreinanspruchs zu machen, denn es handelte sich hierbei um einen
einfachen Umtausch von Papieren, und zwar von Aktien der Dortmunder
Union gegen Kuxenanteile der Zeche Hansemann. Eigentümlich sind
die Vorstellungen des Verfassers über die „Emissionspraxis“ der Banken
(S. 111), die er lediglich nach den Emissionen der eigenen Aktien
der betreffenden Bankinstitute zu beurteilen scheint und die er außer-
ordentlich günstig nennt: er glaubt „das Bestreben“ der Bankver-
waltungen zu erkennen, dem Markte nicht mehr Kapital zu entziehen,
als für die Zwecke des emittierenden Unternehmens notwendig ist. Wir
glauben, daß noch niemals eine Bankverwaltung nach solchen theoreti-
sierenden Grundsätzen emittiert hat, und vollends die „graueste Theorie“
tritt uns entgegen, wenn er (S. 112) verlangt, daß Emissionen junger
Aktien in einem bestimmten Verhältnis zu dem thatsächlichen Wert
der Aktie erfolgen. Am Schlusse des ersten Teils berechnet er das
Reinkapital der Emissionen auf 2'/, Milliarden mit dem Bemerken, daß
ein zureichendes Bild hiermit nicht gegeben sei, und im zweiten Teile
kommt er zu dem Resultate, daß der Jahresbedarf aufden behandelten
Gebieten folgendermaßen zu fixieren sei: 1) Börsenemissionen (nach
Abzug von Grund und Boden): 1832 Millionen M.; 2) Spekulation
Dritte Folge Bd. XXII (LXXVIII). 9
130 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
in Wertpapieren nicht zu fixieren; wir müssen uns, sagt er, „an der Fest-
stellung genügen lassen“, daß wir auf den untersuchten Gebieten der
Spekulation gegenüber dem Kapitalreinanspruch als den stärkeren Faktor
gefunden haben; 3) Kapitalisierung von Grund und Boden: Mindestens
3700 Millionen M. — Resultate mithin, die in Ansehung der Beschaffenheit
des Kapitalmarktes selbst nach dem Vorangegangenen kaum mit diesem
Namen bezeichnet werden können. Wir glauben nicht, daß das Werk
eine Aenderung der seitherigen Anschauungen über Ursachen und Be-
deutung der jüngsten Geldverteuerung hervorrufen wird.
Heinemann.
Assekuranzjahrbuch. Begründet von A. Ehrenzweig, herausgeg. von der
Redaktion der ,,0esterr. Versicherungszeitung“. Jahrg. XXIII. Wien, Manz, 1902,
gr. 8. IV—423 SS.; XLV SS. geb. M. 12.—. (Aus dem Inhalt: Zur rechtlichen
Beurteilung der Antragserklärung, von (Prof.) C. Herm. (Edler v.) Otavsky. — Das
deutsche Reichsgesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen, von (Prof.)
Rich. Weyl. — Französische Rechtsprechung in Unfall-, Feuer- und Lebensversicherungs-
sachen, von R. Maignien. — Zur Reform des italienischen Arbeiterunfallversicherungs-
gesetzes, von (Prof.) Ul. Gobbi. — Zur Seeunfallversicherung in Italien, von (Prof.)
Arn. Bruschettini. — Die Pensionsrechte der Staatsbeamten in Rumänien, von Leon.
Colescu. — Die Mathematik der Lebensversicherung, von C. Keuchel. — Die Berechnung
des Prozentsatzes der Verwaltungskosten in der Lebensversicherung, von A. Amthor. —
Etwas über den Streit zwischen Alt und Neu in der Lebensversicherung, von J. van
Schevichaven. — Renten, bei welchen die Auszahlungen nicht dem Datum des Ver-
tragsabschlusses entsprechend stattfinden, von Corn. L. Landré. — Vorschläge für die
Rückversicherung in der Transportversicherungsbranche, von H. Sadte. — Die Konnos-
sementsklauseln mit Bezug zuf die Seeversicherung, von L. Ytier. — Methoden der
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von Mitgliedern des Reichsversicherungsamtes nach den Akten dieser Behörde. Neue,
mit dem Wortlaut der Unfallversicherungsgesetze vom Jahre 1900 vermehrte, sonst un-
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liche Erörterungen. Jena (Gustav Fischer) 1901. VII u. 36 SS.
Der bekannte Frankfurter Stadtrat erörtert in dem kleinen Schriftchen
den heutigen freien Arbeitsvertrag: was er für den Unternehmer, was er
für den Arbeiter leistet bez. nicht leistet. Er weist darauf hin, daß der
Arbeiter in mannigfacher Hinsicht durch diesen „freien“ Arbeitsvertrag
benachteiligt sei, da er der Produktionsmittel beraubt die Arbeits-
bedingungen annehmen müsse. Hier vermag nur der kollektive Arbeits-
vertrag, wie er durch die Gewerkvereine durchgesetzt werden kann,
Abhilfe zu schaffen. Deshalb sind die Arbeiterkoalitionen vom Rechte
anzuerkennen und vermögens- bez. verantwortungsfähig zu machen. Nur
so kann dem Zustand eines ungeordneten Fehdewesens gesteuert werden,
was im eigenen Interesse auch der Unternehmer liegt. Aber es bleibt
auch dann noch eine Reihe von Aufgaben übrig, deren Erfüllung nur
durch staatliche Eingriffe möglich ist. Dahin gehört einmal, daß den
Arbeitern die Teilnahme an öffentlichen Angelegenheiten, die ihm heute
schon unsere Gesetzgebung auferlegt, sichergestellt wird. Sodann Ar-
beitslosenversicherung und Arbeitsnachweise. Vor allem aber Schutz
gegen willkürliche Entlassung der Arbeiter, namentlich aus Gründen,
die nicht aus dem Arbeitsverhältnisse selbst, d. h. aus den geschäft-
lichen Dispositionen des Unternehmers oder der Leistungen des Ar-
beiters entspringen. Es soll ein richterliches Verfahren, etwa vor dem
Gewerbegericht, eintreten, das die Gründe der Entlassung zu prüfen
hat und ev. den Unternehmer entschädigungspflichtig macht.
Die Ausführungen des Verf. werden dem Nationalökonomen kaum viel
Neues bieten; sie sind in den Schriften der Webbs, Brentano's u. a. ja oft
genug erörtert worden. Von juristischer Seite hat Anton Menger sie in
seiner bekannten Kritik des Bürgerlichen Gesetzbuches eingehend behandelt.
Indessen ist es verdienstlich, daß der Verf. zum Zwecke einer ev. Gesetz-
9%
132 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
gebung die Dinge klar formuliert und sie dadurch den Juristen näher
gebracht hat. Er hat darum auch einen eigenen ausgearbeiteten „Entwurf
gesetzlicher Bestimmungen über die Auflösung gewerblicher Arbeits-
verträge“ hinzugefügt. Freilich bleibt sehr zu erwägen, ob der Begrif
des „wichtigen Grundes“ der Kündigung sich wird einwandsfrei bestimmen
lassen. Es ist vielmehr wahrscheinlich, daß der Unternehmer in den
meisten Fällen die Möglichkeit haben wird, die Entlassung aus „Gründen
des inneren Dienstes“, wie die berühmte Formel lautet, zu rechtfertigen.
Immerhin sind die Vorschläge des Verf. beachtenswert und verraten
einen fortgeschrittenen und vorurteilsfreien sozialpolitischen Standpunkt.
Leipzig. F. Eulenburg.
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die Zeit vom 1. IV. 1900—31. III. 1901. Kiel, Donath, 1901. gr. 8. 105 SS.
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Klöti, Dr. Emil, Die Proportionalwahl in der Schweiz. Ge-
schichte, Darstellung und Kritik. (Separatabdruck aus der Zeitschrift
für schweizerische Statistik, Bd. 37, 1901.) 480 SS. Bern, Kommissions-
verlag von Schmid u. Francke, 1901. 6 M.
Das System des sogenannten Proportionalwahlrechts oder der Proporz,
wie man in der Schweiz in volkstümlicher Abkürzung sagt, hat bisher
in Deutschland nur wenig Beachtung gefunden. Württemberg dürfte
der einzige deutsche Staat sein, in dem die Frage seiner Einführung
zum Gegenstand staatsrechtlicher und politischer Erörterungen geworden
ist. Im Ausland dagegen, in den germanischen wie in den romani-
schen Staaten, in Europa, in Amerika, ja in Australien ist eine umfang-
reiche Litteratur, die sich mit seiner Begründung, Ausbildung und
praktischen Einführung beschäftigt, entstanden, und in einigen Staaten
ist es ihm schon heute gelungen, den Sieg über das System der ein-
134 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
fachen Mehrheitswahlen zu erringen. Das oben angezeigte Buch von
Klöti giebt einen sehr wertvollen Beitrag zur Geschichte dieser Be-
wegung, die auf die Einführung des Proportionalwahlsystems gerichtet
ist. Nachdem der Verf. in einer Einleitung eine Uebersicht über die
verschiedenen Systeme der Minoritätenvertretung und der Proportional-
wahlen gegeben, führt er in dem ersten Teil (S. 19—176) in eingehender
und lebendiger Darstellung die Geschichte der Wahlreform in der
Schweiz vor. Im letzten Jahrzehnt ist das Proportionalwahlvertahren,
zum Teil unter heftigen politischen Kämpfen, in den Kantonen Tessin,
Genf, Neuenburg, Zug, Solothurn und Schwyz für die Kantonalwahlen,
im Kanton Freiburg für die Gemeindewahlen und im Kanton Bern für
die Wahlen zum Stadtrat der Stadt Bern eingeführt worden. Aber das
System ist noch weit davon entfernt, allgemeine Anerkennung zu finden.
In zahlreichen Kantonen sind die auf seine Einführung gerichteten An-
träge verworfen worden, in einzelnen Kantonen sind dahingehende An-
träge noch nicht einmal gestellt worden. Auch der Initiativantrag, der
für die Wahlen der Mitglieder des Nationalrats, der eine der beiden
Kammern der Bundesversammlung ist, das Proportionalwahlsystem zur
Einführung bringen wollte, ist in der allgemeinen Volksabstimmung mit
großer Mehrheit verworfen worden. Von 413674 Abstimmenden haben
sich bei der Abstimmung am 4. November 1900 244666 dagegen
ausgesprochen. Auch in zwei Kantonen, in denen das Proportionalwahl-
system in der Kantongesetzgebung Eingang gefunden hat, fiel die Ab-
stimmung zu dessen Ungunsten aus, in Neuenburg und Solothurn. Die
Hälfte aller Kantone (11 Kantone und ein Halbkanton) haben sich da-
gegen ausgesprochen. Allerdings hebt der Verf. mit Recht hervor, dal
daraus keine Schlüsse auf schlechte Erfahrungen, die mit diesem Wahl-
system gemacht worden seien, gezogen werden dürfen. Die Stellung
der politischen Parteien, die die Abstimmung beherrschen, wird naturgemäß
immer durch das Parteiinteresse beeinflußt werden. Die Parteien, welche
von der Einführung eines neuen Wahlsystems eine Vermehrung ihrer
Parteigenossen und eine Stärkung ihrer Partei erhoffen, werden für die
Einführung, diejenigen dagegen, die befürchten, daß dadurch eine
Schwächung ihrer Partei herbeigeführt werde, werden dagegen Stellung
nehmen. Nur wenn die Ueberzeugung von der Ungerechtigkeit und
Schädlichkeit eines bestehenden Wahlsystems in der großen Mehrheit
des Volkes eine so allgemeine und so starke wird, daß sie die Partei-
gegensätze zu überwinden vermag, werden auch die Führer der Par-
teien sich der Notwendigkeit nicht entziehen können, für eine Reform
des Wahlrechts einzutreten, selbst wenn vorauszusehen ist, daß da-
durch das einseitige Parteiinteresse geschädigt werden wird.
Der Verf. hat sich aber nicht damit begnügt, die Geschichte der
Reformbewegung in der Schweiz zu erzählen, er hat auch in einem
zweiten Teil (Theorie und Praxis der Proportionalwahl S. 176—454)
die Berechtigung dieses Systems und seine Ausgestaltung einer ein-
gehenden Prüfung unterzogen und über die bisher in den Kantonen da-
mit gemachten Erfahrungen berichtet. Wie er in dem Vorwort mit-
teilt, ist er als Gegner der Proportionalwahlen an die Bearbeitung seines
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 135
Themas gegangen. „Ich stand unter dem Banne der von den Majoritäts-
parteien und ihren Organen stets wiederholten Behauptung, daß die
Idee der Proportionalvertretung prinzipiell verwerflich sei, mindestens
aber praktisch in nicht zufriedenstellender Weise realisiert werden
könne.“ Das eingehende und ernste Studium der Frage hat ihn aber
belehrt und ihn aus einem Gegner zu einem entschiedenen Verteidiger
und Vorkämpfer der Wahlreform gemacht. Wenn der Verf. zur Be-
gründung dieser Aenderung seiner Ansicht sich auf die Erfahrungen
beruft, die mit dem Wahlsystem in den einzelnen Kantonen gemacht
worden seien, so sind doch diese Erfahrungen für ihn offenbar nicht
entscheidend gewesen und können es nicht sein. Die Zeit, in der die
neuen Gesetze in Wirksamkeit stehen, ist noch zu kurz, um gegenwärtig
schon den Beweis zu erbringen, daß dadurch eine Besserung der poli-
tischen Zustände herbeigeführt worden sei. Nur insofern sind diese
Erfahrungen wichtig und über den Bereich der kleinen Kantone hinaus
beachtenswert, als dadurch erwiesen ist, daß das Proportionalwahlsystem
so gestaltet werden kann, daß es praktisch durchführbar ist. Freilich
it es unbestreitbar, daß das Wahlverfahren nach diesem System so-
wohl für die Wähler wie für die Wahlbehörden viel komplizierter ist,
als das Wahlverfahren nach dem Mehrheitssystem. Aber die Erfahrung
hat in der Schweiz wie in Belgien gezeigt, daß dies ein Hindernis für
die Einführung des Proportionalwahlsystems nicht bildet. Wähler wie
Wahlbehörden haben sich rasch die gesetzlichen Bestimmungen ange-
eignet und, wie der Verf. mitteilt (S. 433), haben auch die Gegner des
Systems diesen Einwand und Vorwurf wenigstens in der Schweiz all-
gemein fallen gelassen. Damit ist aber das System selbst noch nicht
gerechtfertigt, sondern es ist nur eine Schwierigkeit, welche seiner
praktischen Verwirklichung entgegenzustehen schien, beseitigt. Der
Verf. hat sich aber auch bemüht, nachzuweisen, daß die Gerechtigkeit
die Einführung des Systems verlange. Nur das Proportionalsystem
entspreche dem Grundgedanken der Repräsentativverfassung, und seine
Einführung sei deshalb in allen Staaten mit Repräsentativverfassung
— mögen sie Republiken oder Monarchien sein — geboten. Nur eine
nach diesem System gebildete Volksvertretung vermöge „die einseitige
Beeinflussung der Gesetzgebung und Regierung von seiten einer einzigen
Partei oder eines Parteikartells durch ein gemeinsames Konkurrieren
aller Tendenzen im Verhältnis ihrer durch die Zahl der Anhänger fest-
stellbaren Intensität zu ersetzen“ (S. 182). Aber einen Beweis für diesen
Satz erbringt der Verf. nicht, und ein Beweis wird sich hierfür auch
nicht erbringen lassen. Der Verf. wie die meisten Verteidiger des Pro-
portionalwahlsystems überschätzen dessen günstige Wirkungen. Wenn
er auch sein verdienstreiches Buch mit dem Satze schließt, daß freilich
auch die Proportionalvertretung kein politisches Eldorado schaffen könne,
so ist er doch der Ansicht, daß nur eine nach dem Proportionalsystem
gewählte Volksvertretung die Bürgschaft darbiete, daß sie der ihr ob-
liegenden Aufgabe gerecht werde. Die Gründe, die gegen die Ein-
führung dieses Systems geltend gemacht werden, prüft der Verf. und
sucht sie zu widerlegen. Den gewichtigsten dieser Gründe aber be-
136 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
rührt er nur oberflächlich, ohne seine große politische Bedeutung in
vollem Umfange zu erkennen und zu würdigen. Die folgerichtige Durch-
führung des Proportionalwahlsystems erfordert die Beseitigung der
Wahlkreise. Der ganze Staat muß einen einheitlichen Wahlkreis bilden.
Nur dann ist die Möglichkeit gegeben, daß die einzelnen Parteien in der
Volksvertretnng in demselben Verhältnis vertreten sind wie in der Ge-
samtheit der Wähler. Die Einteilung des Landes in Wahlkreise ist
bei dem Proportionalwahlsystem widersinnig. Dies erkennt der Verf.
auch an, und wenn er auch für die Gegenwart die Beseitigung der
Wahlkreise noch nicht fordert, weil die Macht des Lokalgeistes noch
zu stark entwickelt sei und der Fortschritt nur stufenweise vor sich
gehen könne, so hofft er doch von der Zukunft, daß das Proportional-
wahlsystem in voller Reinheit unter Aufhebung aller örtlich gegliederten
Wahlkreise verwirklicht werde. Werden aber alle örtlichen Wahlver-
bände aufgelöst, so wird damit der größten Gefahr, die einem freien
Gemeinwesen aus der Repräsentativverfassung drohen kann, nämlich der
einer rücksichtslosen Parteiherrschaft, großer Vorschub geleistet. Bilden
alle Stimmberechtigten eines Staates nur einen Wahlkörper, so werden
die Parteien genötigt, die straffste Parteidisciplin durchzuführen, um in
dem Wahlkampf zu bestehen. Für jede Partei wird eine kleine Zahl
von Männern, denen es gelingt Parteiführer zu werden, alle Kandidaten
der Partei für das ganze Land zu bestimmen haben. Alle Partei-
genossen im ganzen Lande müssen für diese Kandidaten ihre Stimmen ab-
geben, wenn sie nicht eine verlorene Stimme abgeben wollen. Die
Wähler haben zwar noch die Wahl, welcher Partei sie sich anschließen
wollen, einen Einfluß auf die Auswahl der Kandidaten haben sie nicht
mehr. Die Parteien werden sich als geschlossene Körperschaften gegen-
überstehen, von denen eine jede von einer kleinen Zahl von Männern,
wenn nicht gar nur von einem Parteihaupte beherrscht wird. Je größer
der Staat ist, um so größer werden die daraus entspringenden Ge-
fahren sein.
Doch würde es hier zu weit führen, diese Bedenken zu verfolgen
und tiefer zu begründen. Es sollte nur darauf hingewiesen werden,
daß, so lehrreich auch die Ausführungen des Verf.’s sind, die außer-
ordentlich wichtige Frage doch noch manche Seiten darbietet, die von
ihm nicht genügend berücksichtigt worden sind. Das Buch verdient
aber auch in Deutschland die Berücksichtigung aller derer, die den
Gang der europäischen Verfassungsentwickelung mit Interesse verfolgen.
Loening.
Acta Borussica. Denkmäler der preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert:
Behördenorganisation und allgemeine Staatsverwaltung Preußen im 18. Jahrh. Band Ill.
Akten vom Januar 1718 bis Januar 1723, bearbeitet von G. Schmoller, D. Krauske
und V. Loewe. Berlin, P. Parey, 1901. gr. 8. 767 SS. geb. M. 16.—.
Charlottenburg. Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeinde-
angelegenheiten der Stadt Ch. für das Verwaltungsjahr 1900. Charlottenburg, C. Ulrich
& C°, November 1901. Folio. 227 SS.
Escher, C., Der Finanzhaushalt der Stadt Zürich. Zürich, C. M. Ebell, 1901.
gr. 8 41 SS. M. 1.—.
Herzfeld, Jos. (Mitglied des Reichstags), Die Mecklenburgische Verfassung. Ein
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 137
Beitrag zur Geschichte des Junkertums. I. Teil. Bis zum landesgrundgesetzlichen
Erbvergleich. Stuttgart, J. H. W. Dietz, 1901. gr. 8 76 SS. M. 1.—.
Hoeniger, Frz., Die Grenzstreitigkeiten nach deutschem bürgerlichen Rechte,
auf historischer Grundlage unter besonderer Berücksichtigung des preußischen Rechtes
dargestellt. Berlin, J. Guttentag, 1901. gr. 8. 111 SS. M. 3.—.
Jahresbericht des Medizinalkollegiums (der freien und Hansestadt Lübeck) für
das Verwaltungsjahr 1900. Lübeck, Druck von Gebrüder Borchers, 1901. 4. 9 SS.
(Nicht im Handel.)
Meyer, Georg, Das parlamentarische Wahlrecht. Nach des Verfassers Tode
herausgeg. von Georg Jellinek. Berlin, O. Haering, 1901. gr. 8. VIII—735 SS.,
M. 16.—.
v. Possaner (Frh.), Systematische Darstellung des österreichischen Staatskassen-
und Verrechnungswesens. Wien, A. Hölder, 1902. gr. 8. XV—354 SS. M. 4,80.
Quedlinburg. Verwaltungsbericht der Stadt Quedlinburg für das Jahr 1900/1901.
Quedlinburg, Druck von Geßler & Strauß, 1901. gr. 4. 126 SS.
~ Stettin. Bericht über die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten der Stadt
Stettin für die Zeit vom 1.IV. 1900 bis dahin 1901. I. Darlegung der finanziellen Er-
gebnisse, Stettin, 1901. gr. 4. 125 SS.
Stoppenberg. Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeinde-
wgelegenheiten der Bürgermeisterei Stoppenberg während der Jahre 1898, 1899 und
1900, erstattet durch den Bürgermeister Meyer. Stoppenberg-Caternberg, Druck von
Grewer & C°, 1901. gr. 4. 215 SS.
>. Wüttmayer, Leo, Unser Reichsratswahlrecht und die Taaffe’sche Wahlvorlage.
Eine politische Abhandlung. Wien, Manz, 1901. gr. 8. VIII—188 SS. M. 2,80.
M unicipal Register, the, for 1901, containing a register of the eity government,
Dr rules of the Board of aldermen, common council and city council. Boston, Municipal
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Allgemeines.
Gothaischer genealogischer Hofkalender nebst diplomatisch-statistischem
Ishrbuche. 1902. Jahrg. 139. Gotha, J. Perthes, 1901. 12. 1136 SS. mit 4 Portr.,
geb. M. 8.—.
Taschenkalender für den katholischen Klerus 1902. Redaktion: C. A. Geiger,
k. Hofkurat, Nymphenburg. Jahrg. XXIV. Regensburg 1901. 12. 189 SS. geb.
M. 1.—. (Darin: Spezielle Statistik der Diözesen Deutschlands, der Schweiz, der österr.
Kirchenprovinzen Wien, Salzburg, Prag und Olmütz.)
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Washington, Government Printing Office, 1901. gr. 8. LXXX—1280 pp. (Contents:
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Deutsches Reich.
Beiträge zur Statistik des Großherzogtums Hessen. Herausgeg. von der groBh.
Centralstelle für die Landesstatistik. Band 45, Heft 2. Darmstadt, Jonghaus, 1901. 4.
26 SS. (Inhalt: Uebersicht der Geschäfte der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit bei
dem großherz. OLandesgerichte zu Darmstadt und bei den Gerichten und Staatsanwalt-
schaften im Bezirke desselben während des Geschäftsjahres 1900.)
138 Uebersicht über die neuesten Pubikationen Deutschlands und des Auslandes.
Ein Beitrag zur Blindenstatistik. Aus der Tübinger Universitätsaugenklinik. Tü-
bingen, F. Pietzcker, 1901. gr. 8. 20 u. 22 SS. M. 2,40.
Ergebnisse, endgiltige, der Volkszählung (im KReich Bayern) vom 1. XI.
1900. München, 1901. gr. 4. 15 SS. (Sonderabdruck aus der ‚Zeitschr. d. k. bayer,
statistischen Bureaus“, Jahrg. 1901, Heft 3.
Jahrbuch, statistisches, der höheren Schulen und heilpädagogischen Anstalten
Deutschlands, Luxemburgs und der Schweiz. Jahrg. XXII. Leipzig, Teubner, 1901.
12. 255 u. 399 SS. geb. M.4,40. (Inhalt: I. Abteilung. Das Königreich Preußen nebst
Anhang: Verzeichnis der Mittelschulen; II. Abteilung. Die deutschen Staaten (außer
Preußen), Luxemburg, die Schweiz und statistische Uebersicht über die höheren Schulen
Deutschlands.)
Koenig, Rud., Statistische Mitteilungen aus 62 kleinbürgerlichen Betrieben über
Erzeugung, Verbrauch, Verkauf und Zukauf von Getreide. Jena, G. Fischer, 1901.
gr. 8 VII—60 SS. M. 1,50.
Kollmann, P. (großh. oldenb. GehRegR.), Statistische Beschreibung der Gemeinden
des Fürstentums Lübeck. Oldenburg, Ad. Littmann, 1901. Lex.-8. VIII—367 SS. mit
einer Karte. (Im Auftrage des großh. oldenburgischen Staatsministeriums bearbeitet.)
Statistik der deutschen Reichs-, Post- und Telegraphenverwaltung für das Kalender-
jahr 1900. Berlin, gedr. in der Reichsdruckerei, 1901. Folio. 117 SS. mit 10 Tafeln
graphischer Darstellungen und 1 Karte in größt. Imp.-Folio.
Textilindustrie, die deutsche, im Besitze von Aktiengesellschaften. Statisti-
sches Jahrbuch über die Vermögensverhältnisse und Geschäftsergebnisse derselben im
Betriebsjahr 1900/1901. 5. Aufl. V. Jahrg. Leipzig, Verlag für Börsen- und Finanz-
litteratur, 1901. gr. 8. XII—208 SS. geb. M. 5.—.
Frankreich.
Annexe à la statistique médicale de l’armée française pendant l’année 1899, pour
servir à l'étude de la statistique internationale. Paris, imprim. nationale, 1901. in-4.
19 pag.
Statistiques coloniales pour l’année 1899. (Commerce) Melun, impr. admini-
strative, 1901. 8. XIII—954 pag. (Publication du Ministère des colonies.)
England.
Railways. — Returns for January-March, 1901, with report of Inspectors on
the cause of each accident. London, 1901. Folio, with plans. 2/.6.
Oesterreich.
Jahrbuch, statistisches, des k. k. Ackerbauministeriums für das Jahr 1899.
Heft 2. Der Bergwerksbetrieb Oesterreichs im Jahre 1599. Lieferung 3: Die Gebarung
und die Ergebnisse der Krankheits-, Mortalitäts- und Invaliditätsstatistik der Bergwerks-
bruderladen im Jahre 1898. Wien, Druck und Verlag der k. k. Hof- und Staats-
druckerei, 1901. Imp.-8. 191 SS.
Holland.
Koninkrijk der Nederlanden. Statistiek van den in-, uit- en doorvoer over het
jaar 1900. II% gedeelte. ’s Gravenhage, ’s Gr.—sche boek- en handelsdrukkerij, 1901.
gr. in-Folio. XX1V—blz. 548—899: (Handelsverkeer, gesplitst naar de verschillende
landen.) [Uitgegeven door het Departement van financiën.]
Pierson, H., De waarde van een degelijk boek. Een leekenpleidooi voor de
wiskundige behandeling der statistiek. ?s Gravenhage, W. A. Beschoor, 1901. gr. 8.
64 blz. fl. 0,40. (Overdruk uit het ,,Maandblad van de Nederl. Vereeniging tegen de
prostitutie‘.)
Schweden.
Bidrag till Sveriges Officiela Statistik. F) Handel. Kommerskollegii underdäniga
berättelse för är 1900. Stockholm, Norstedt & Söner, 1901. gr. 4. XVII—240 pp.
Spanien.
Estadística de la administración de justicia en lo criminal durante el año 1898
en la peninsula & islas adjacentes. Madrid, Garcia, 1901. 4. 160 pp.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 139
Australien (Kolonie Neusüdwales).
Coghlan, T. A. (Government Statistician), New South Wales statistical register
for 1900 and previous years. Part VIII: Financial institutions; Part XII: Hospitals and
charities. Sydney, W. A. Gullick printed, 1901. gr. 8. 32 and 36 pp. x
13. Verschiedenes.
Bismarck. — Anhang zu den Gedanken und Erinnerungen von Otto, Fürst von
Bismarek. 2 Bünde. Stuttgart u. Berlin, J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger,
1901. gr. 8. geb. M. 20.—. (Inhalt: Band I. Kaiser Wilhelm I. und Bismarck.
XLIV—360 SS. mit einem Bildnis des Kaisers und 22 Briefbeilagen in Facsimiledruck.
— Band IL Aus Bismarcks Briefwechsel. XLVI—567 SS.) [Herausgeber des zwei-
bändigen Anhanges ist Horst Kohl.]
Bode, Wilh., Die Trunksucht als Krankheit und ihre Behandlung. Weimar,
W. Bodes Verlag, 1901. 8. 111 SS. M. 1,20.
Chwolson, D., Die Blutanklage und sonstige mittelalterliche Beschuldigungen der
Juden. Eine historische Untersuchung nach den Quellen. Nach der 2. vielfach ver-
beserten Ausgabe von 1880 aus dem Russischen übersetzt und mit vielen Zusätzen vom
Autor wersehen, Frankfurt a. M., J. Kauffmann, 1901. 8. XV—362 SS.
Freund, H. W. (Prof, Direktor der Hebammenschule, Straßburg i. Ei, Vor-
shläge zur weiteren Reform des Hebammenwesens. Wien, Frz. Deuticke, 1902. gr. 8.
6 SS. M. 1,50.
F rick, P. (Seminardir. in Schwäb. Gmünd), Die Lehrerbildung in Württemberg.
Ein Ueberblick über Erziehung, Unterricht und Prüfungen der Kandidaten und Kandi-
poses des Volksschulamtes. Stuttgart, Muth’scher Verlag, 1902. kl. 8. 216 SS.
. 2,40.
F ührer durch das kirchliche Berlin. Bearbeitet im Auftrage des Stadtausschusses
für Innere Mission von (Pastor) C. Böhme + und (Lie.) R. Mumm. X. Ausgabe 1901
bs 1902. Berlin, K. J. Müller, 1901. 12. X—222 u. 60 SS. M. 1.—.
H albfaß, Wilh., Beiträge zur Kenntnis der Pommerschen Seen. Gotha, J. Perthes,
1901. erg VI—131 SS. Mit einer Uebersichtskarte von Hinterpommern und 125 Tiefen-
karten Pommerscher Seen auf 5 Blättern ete. M. 10.—. (A. u. d. T.: Petermanns Mit-
tilungen aus Justus Perthes’ geographischer Anstalt, Ergänzungsheft N" 136.)
Handbuch der Hygiene. Herausgeg. von Dr med. Th. Weyl. I. Supplementband.
Jena, G. Fischer, 1901. gr. 8. M. 5.—. (Inhalt: Notizen zur Hygiene des Unterrichts
und des Lehrerberufes, von L. Burgerstein. — Hygiene der Arbeit in komprimierter
Luft, von Ph. Silberstein. — Hygiene des Alkoholismus, von A. Delbrück.)
Handelshochschule, die städtische, in Köln, die erste selbständige Handels-
pe bschule in Deutschland, eröffnet am 1. V. 1901. Berlin, Jul. Springer, 1901. gr. 8.
0 SS. M. 1.—.
e Hippel (RegAss.), Gesetz betreffend die Dienststellung des Kreisarztes und die
Bildung von Gesundheitskommissionen vom 16. IX. 1899 nebst Ausführungsbestim-
mungen und Anhang. Textausgabe mit Einleitung, Anmerkk. u. Sachregister. Leipzig,
€. L. Hirschfeld, 1901. 12. VI—230 SS., kart. M. 2,80.
Liman, Paul, Fürst Bismarck nach seiner Entlassung. Leipzig, Historisch-
politischer Verlag, 1901. gr. 8. 294 SS. mit Portr. (Heliogr.), geb. M. 6,50.
Masaryk, Th. G. (Prof. an der böhmischen Univ. Prag), Die Ideale der Huma-
nität. Ins Deutsche übertragen von H. Herbatschek. Wien, C. Konegen, 1902. gr. 8.
An SS, M. 1.—. (Aus dem Inhalt: Wesen und Entwickelung des Humanitätsgedankens.
— Der Sozialismus. — Der Individualismus. — Der Utilitarianismus. — Der Evo-
htionismus.)
Penzler, Joh., Graf Wilhelm Bismarck, Ein Lebensbild nach dem von der
Familie dargebotenen und anderem Material. Berlin u. Stuttgart, W. Spemann, 1902.
8. 349 §S. mit 20 Originalbildern. M. 10.—.
Sauer, Frz., Orthographiewillkür und Orthographiereform, ein Schulkreuz des
19., eine Volkshoffnung des 20. Jahrhunderts. Bonn, P. Hanstein, 1901. gr. 8. IV—
235 SS. M. 4.—.
Schippel, Max, Sozialdemokratisches Reichstagshandbuch. Ein Führer durch
die Zeit- und Streitfragen der Reichspolitik. Berlin, Vorwärts, 1901. 8. (Erscheint in
35 Lieferungen A M. 0,20.)
140 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Stern, B., Abdul Hamid II., seine Familie, sein Hofstaat. Budapest, S. Deutsch
& Ci, 1901. kl. 8. 234 SS. M. 5.—.
Westland, E., Universität, Politik und Dummheit, Berlin, H. Zitelmann, 1901.
gr. 8. III-243 SS. M. 1,75.
de Chambrier, James, La cour et la société du second Empire. Paris, Perrin
& Ci, 1901. 8. fr. 3,50.
Congrès international de l’enseignement secondaire à l’Exposition universelle de
1900. Procès-verbaux et comptes rendus officiels. Paris, Arm. Colin, 1901. gr. in-8.
144 pag. fr. 2,50.
de Germiny, Ch. (comte), La politique de Léon XIII. Préface de Franç. Coppée.
Paris, Perrin & C", 1901. 8. fr. 3,50.
Guieysse, Ch., Les Universités populaires et le mouvement ouvrier. Suresnes,
impr. G. Richard, 1901. 8. 72 pag.
Imbeaux, Ed. (ingenieur des ponts et chaussées, ete.), L'alimentation en eau et
l'assainissement des villes. Compte rendu des derniers progrès et de l’état actuel de
la science sur ces questions. 2 vols. Paris, Bernard & C", 1901. gr. in-8. 980 pag. et
375 fig. fr. 30.—.
Justice militaire, la, en Allemagne et l’affaire Krosigk, par un officier français,
Paris, Ch. Eitel, 1901. 8. fr. 1.
Lanson, G., L'Université de la société moderne. Paris, A. Colin, 1901. 8. fr. 1,50.
(Table des matières: La réforme de l’enseignement secondaire. — L’enseignement moderne.
— Les langues vivantes. — L'enseignement classique et le baccalauréat. — L'éducation.
— Les réformes administratives. — Derniers obstacles. — Les véritables humanités modernes.)
Michel, H., Notes sur l’enseignement secondaire. Paris, Hachette & C", 1901.
8. fr. 3,50.
Moreau, A. (vétérinaire sanitaire), L’agencement des abattoirs au point de vue
sanitaire. Paris, Baillière & fils, 1901. gr. in-8. 92 pag. fr. 2.—.
Morot, Ch. (vétérinaire municipal et directeur de J’abattoir des Troyes), Les
viandes impropres à l'alimentation humaine. Justification des motifs de saisie. Nécessité
d’une règlementation uniforme. Paris, J. B. Baillière & fils, 1901. gr. in-8. 256 pag.
fr. 4.—.
Socialisme révolutionnaire, le, dans l’armée allemande, par un officier prussien.
Paris, Ch. Eitel, 1901. 8. fr. 1.—.
Holland, B., Imperium et libertas. A study in history and politics. London,
E. Arnold, 1901. 8. 12/.6. (Contents: The American Revolution—Canadian history. —
— Lord Durham’s report. — Creation of the Canadian dominion. — The United Kingdom.
— The Union of 1801, the home rule movement. — etc.)
Sykes, John F. J., Small-pox in London. A paper read before the incorporated
Society of medical officers of health. London, King & Son, 1901. 8. With illustr.
diagrams. 1/.—.
War in South Africa. Reports on the condition and working of the refugee camps
in the Trausvaal, Orange River colony, Cape colony, and Natal. 3/.6. London, 1901.
Folio. (Parl. pap. Contents: Rules for ingress and egress. — Sanitation and water supply.
— Hospital attendance. — Rations. — Accommodation. — Clothing. — Schools, religious
service. — Conduct of inmates. — Inspection. — Sickness and mortality.)
Year-book of the scientific and learned societies of Great Britain and Ireland,
comprising lists of the papers read from January 1900 to June 1901. XVII“ annual
issue. London, Ch. Griffin & C°, 1901. gr. 8. VI—347 pp. cloth. 7/.6.
van der Voo, B. P., Studie over het anarchisme van de daad. Een beschouwing
over mr. F. B. Enthoven’s „studie over het anarchisme van de daad“. Amsterdam, J.
Sterringa, 1901. gr. 8. 30 blz. fl. 0,25.
Annuario della R. Università di Bologna per l’anno scolastico 1900—1901.
Bologna, tip. suce. Monti, 1901. 8. 450 pp. (Contiene: Aug. Gaudenzi, Lo studio di
Bologna nei primi due secoli della sua esistenza.)
Die periodische Presse des Auslandes, 141
Die periodische Presse des Auslandes.
A. Frankreich.
Bulletin de statistique et de législation comparée. XXVi" année, 1901, No-
vembre: A. France, colonies: Produits des droits sur les boissons pendant les neuf
premiers mois de 1901. — Les tarifs d'octroi sur les vins dans les principales villes. —
Les revenus de l'Etat. — Le commerce extérieur, mois d'Octobre 1901. — Les produits
de l’enregistrement, des domaines et du timbre pendant l’exercice 1900. — La situation
financière des chemins de fer français d'intérêt général au 31 décembre 1899. — La
production des vins en 1901 (résultats provisoires, Les subventions A la marine
marchande. — Pays étrangers: Pays divers: Le stock monétaire des principaux pays.
— Angleterre: Modifications apportées à (Estate duty (loi du 9 avril 1900). La loi de
finances de 1901. Les résultats de l’année financière 1900/01. Mouvement de la dette
nationale depuis 1891. Cours moyens annuels des consolidés anglais depuis 1793 (dia-
gamme), Les droits de douane en 1900—1901. Le revenu intérieur (droits d’accise).
Le commerce extérieur du Royaume-Uni pendant les trois premiers trimestres de 1901.
— Autriche-Hongrie: Le projet de budget autrichien pour 1902. — Danemark: La
Banque nationale. — Espagne: Le commerce extérieur pendant les trois premiers tri-
metres de 1901. — Italie: La caisse nationale de prévoyance pour l’invalidit@ et pour
Ia vieillesse des ouvriers (loi du 28. VII. 1901) [suite et fin]. La dette hypothécaire. —
Pays-Bas: Le budget pour 1902. — Russie: Le mouvement des alcools de 1898—99 à
1900—01. — Suisse: L’importation des vins. — Etats-Unis: Le commerce extérieur en
1900—01. — République du Salvador: Le budget de l’année 1902.
R evue générale d'administration, XXIV° année, 1901, Octobre: Législation du
travail, par Dan. Massé (conseiller de préfecture d’Aube) [art. 1]. — De la proposition
de suppression des conseils de préfecture de M. le député Marlot, par Alb. Lavallée
(uite 1). — Chronique de l'administration française. — etc.
Revue internationale de sociologie. 9° année, 1901, N° 11, Novembre: Adolphe
Coste. — Paroles prononcées à ses funérailles par Edm. Duval, Fred. Passy, Em.
levasseur, René Worms. — Sociologues et pacifiques, par J. Novicow. — Rapport des
doctrines politiques anciennes avec la sociologie et la politique contemporaines, par G.
L. Duprat. — La classification des sciences abstraites, par J. Dévot. — Revue des
livres, — etc.
B. England.
Board of Trade Journal. Vol. XXXV, N° 261—63, November 28 — December 12,
1901 : Openings for British trade. — Trade of India with Turkistan and Tibet via
ladakh. — The export trade of Canada from 1867 to 1901. — The mining industries
% Salonica and Kassova. — The railways of Europe. — The trend of British South
African trade (1896—1900). — Prospects of the Mohair industry in Australia. — American
b@ornotives on the Burma railways. — The Swiss silk industry. — Tariff changes and
Stems regulations. — Shipping and transport. — Minerals, metals, and machinery. —
Miscellaneous. — Agriculture. — Statistical tables. — Government publications. —
Foreign trade of the United Kingdom in November, 1901. — Trade of Cape Colony,
Jan uary-September 1901. — etc.
Nineteenth Century, the, and after. N° 298, December 1901: A message from
America, by (Sir) Wemyss Reid. — Marriage and modern civilisation, by W. S. Lilly.
— A new light on the Bacon-Shakespeare cypher, by W. H. Mallock. — How to put
and to professional crime, (Sir) Rob. Anderson. — A plea for the circuit system, by
Justice Grantham. — „Bigods“, by (the countess) of Warwick. — A national theatre:
an appeal to the London County Council, by John Coleman. — Sketches in a Northern
town, by (Mrs.) H. Birchenough. — Why the religious orders leave France, by J. G.
Snead Cox. — Child-settlers for South Africa, by Francis Stevenson. — Officiers’ expenses,
by (Major) G. F. Herbert. — The white peril, by G. Macaulay Trevelyan. — etc.
Westminster Review, December 1901: The paradox of liberal imperialism, by
S. P. Kerr. — Help to ruined farmers in South Africa, by W. S. Cohen. — A plea
for an Anglo-French alliance, by Herb. V. Vaughan. -— The Deists and and the deistie
movement of the XVIII* century, by John Max Attenborough. — Alfred Noble, his
142 Die periodische Presse des Auslandes,
life and will, by A. Edmund Spender. — Edward Carpenter: The walt whitman of
England, by W. Diack. — Conditional immortality : a misread record, by Ben Elmy.
— The genesis of worship, by C. Penrhyn Gasquoine. — etc.
C. Oesterreich.
Deutsche Worte. Monatshefte herausgeg. von Engelbert Pernerstorfer. Jahr-
gang XXI, 1901, Heft 11, November: Lawrows „Historische Briefe“. Besprochen von
S. Schorr. — Charakterbilder aus der Geschichte des Sozialismus und Kommunismus,
von Leo Kestenberg (Reichenberg): VII. Wilhelm Weitling. — VII. Ferdinand Las-
salle. — etc.
Handelsmuseum, das. Herausgeg. vom k. k. öterreichischen Handelsmuseum.
Bd. XVI, N’ 48—50, Wien, 28. IX.—12. XII. 1901: Die deutsche Zolltarifvorlage, von
L. (Art. I—III). — Der neue australische Zolltarif. — Der philippinische Zolltarit.
Bericht des k. k. Konsulates in Manila. — Zur Handelslage in Australien. Nach dem
Berichte des k. k. Konsulates in Sydney. — Ein Handelsministerium für die Vereinigten
Staaten. — Serbiens Fleisch- und Viehausfuhr. — ete.
Statistische Monatsschrift. Herausgeg. von der k. k. statistischen Centralkom-
mission. N. Folge VI. Jahrg., 1901, Oktoberheft: Die Entwickelung der Grundbesitz-
verteilung in Frankreich im Laufe des 19. Jahrhunderts, von Frz. Zizek. — Oester-
reichs Sparkassen im Jahre 1899, von H. Ehrenberger (II. Artik.). — Entwickelung
des auswärtigen Warenverkehrs Bosniens und der Hercegovina im Triennium 1595,
1899, 1900, von Rud. Krickl. — ete.
E. Italien,
Rivista italiana di sociologia. Anno V, 1901, fase. 4, Luglis-Agosto: L’evoluzione
in biologia e nell uomo come essere individuale e collettivo, per G. Sergi. — Una legge
sociologica della storia, per L. Gumplowicz. — La pedagogia nelle sue relazioni con la
sociologia, per P. Romano. — L'influenza dell’ invasione longobarda sul tipo nazionale
italiano, per A. Alberti. — Le condizioni sociali della Sardegna e i caratteri psicologici
dei Sardi, per G. Curis. — Rassegne analitiche: Tendenze passate e presenti dell’ eco-
nomia politica, per V. Giuffrida; Filosofia del diritto e sociologia, per G. Solari. — etc.
H. Schweiz.
Monatsschrift für christliche Sozialreform. Begründet von (Frh.) K. v. Vogel-
sang. Jahrg. XXIII, 1901, Heft 11: Zur Frage der Kranken- und Unfallversicherung
in der Schweiz, von (Prof.) J. Beck. — Die Arbeiterjugend, von (Vikar) Jos. L. Bühl-
mann. — Wirtschaftliche Tagesfragen, von Sempronius: Die Verstaatlichung der Wasser-
wege; Der Widerstand Europas gegen die amerikanische Expansion; Die Allianz zwischen
Industriellen und Agrariern; Staatshilfe für die Industrie; Die Bedeutung der Reben-
produkte der Landwirtschaft für diese und für die Handelsbilanz. — Sozialer Rück-
blick, von Walther v. Quarten. — Delegiertenversammlung des Verbandes katholischer
Männer- und Arbeitervereine in Zürich, am 26. u. 27. X. 1901, von A. Hättenschwiller.
— etc.
Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. IX. Jahrg., 1901,
Heft 21 u. 22: Die Verhandlungen des schweizerischen Vereins für Straf- und Gefängnis-
wesen und der interkantonalen Vereinigung der schweizerischen Schutzaufsichtsvereine,
von (Prof.) E. Zürcher. — Sittlichkeitsdelikte an Kindern, von (Prof.) A. Forel (Chigny
bei Morges). — Unsere Hochschulen und die Anforderungen des XX. Jahrhunderts, von
A. Vajda (Budapest). — Soziale Chronik. — Statistische Notizen: Einige Ergebnisse
der Erhebung betreffend die amtliche Armenpflege in der Schweiz. — Sozialpolitisches
Archiv N°5.— Die nächsten Ziele der schweizerischen Arbeiterpolitik, von (NationalR.)
E. Wullschleger (Basel). — Die allgemeine wirtschaftliche Lage Deutschlands im Jahre
1900. Aus dem Berichte des österreichischen Generalkonsuls Emil v. Filtsch (Ham-
burg). — etc.
M. Amerika.
Political Science Quarterly. Edited by the faculty of political science of Columbia
University. Vol. XVI, n° 3, September 1901: John Marshall, by J. B. Moore. —
Expansion after the war, 1865—71, by T. C. Smith. — Responsible county government,
by S. E Sparling. — The decline in English liberalism, by W. Clarke. — Monopolies
Die periodische Presse Deutschlands. 143
and the law, by J. B. Clark. — The principles of economie geography, by L. M.
Keasbey. — The decisions in the insular cases, by J. W. Burgess. — Reviews. — etc.
Yale Review, the. A quarterly journal for the scientific discussion of economic,
political and social questions. Vol. X, n° 3, November 1901: Comment: The new
President and the new Mayor. Municipal statistics in the United States, ete — Forest
problems in the United States, by H. S. Graves. — The machinists’ strike of 1901, by
Ernest L. Bogart. — The measurement of unemployment: a statistical study, by William
F. Willoughby. — The social consequences of city growth, by L. S. Rowe. — Notes:
British legislation in 1901, by Edw. Porritt; Operation of electric plants by Massachusetts
towns, by Alton D. Adams. — etc.
Die periodische Presse Deutschlands.
Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft.
Jahrg. XXXIV, 1901, N’ 12: Die Last der indirekten Steuern, von P. Koch
(GehA dmiralitR., Berlin). — Die Tabakbesteuerung in Deutschland, von Frz. Graf
(Forts. 7). — Miszellen: Das Getreide im Weltverkehr. — etc.
A rchiv für soziale Gesetzgebung und Statistik. Herausgeg. von Heinrich Braun.
Bd. XVII, Heft 1 u. 2 (ausgegeben November 1901): Der Stil des modernen Wirt-
schaftslebens, von (Prof.) Werner Sombart (Breslau). — Das preußische Fürsorgeerziehungs-
gesetz wom 2. VII. 1900. Vom Standpunkt der Armenpflege und der Sozialpolitik, von
(Stadt R.) Karl Flesch (Frankfurt a./M.). — Arbeiter- und Konsumentenschutz im Bäcker-
gewerbe, von M. Schulz (Vorsitzender des Gewerbegerichts in Berlin). — Der Entwurf
vn Bestimmungen über die Beschäftigung der Gastwirtsgehilfen in Deutschland, von
À Cohen (München). — Die deutsche Streikstatistik, von Clem. Heiss (Berlin). — Ge-
stzgebung. — Miszellen: Ausdehnung der Statistik über die Krankenversicherung im
Deutschen Reiche, von Ad. Braun (Stuttg.). Die Kommunalversicherung wegen Arbeits-
lsigkeit in Gent, von Louis Varlez (Gent). —
Archiv für Post und Telegraphie. Herausgeg. im Auftrage des Reichspostamts.
Jahrg. 1901. N’ 21 u. 22, November 1901: Aus der schlesischen Postgeschichte in
österreichischer Zeit, von (Postdirektor) Stock (Peine). — Der Beamtenwohnungsverein
zu Berlin. — Der Rowlandtelegraph (Schluß). — Die Guttaperchafrage in Niederländisch-
Indien, — Ueber Wärmemotoren unter Berücksichtigung der Kaltdampfmaschine und
des Diesel-Motors. — Die belgische Staatssparkasse im Jahre 1900. — ete.
Monatshefte, sozialistische. Jahrg. VII, 1901, Heft 6 bis 11: Die Aussichten
der Getreidezollerhöhung, von J. Auer. — Der gegenwärtige Stand der demokratischen
Entwickelung Englands, von E. Bernstein. — Robert Reitzel, von A. Weidner. —
Sozialismus und Ethik, von S. Gunter. — Zur Frage des bäuerlichen Gemeindegrund-
besitzes in Rußland, von Ch. Schitlowsky. — Nachwort zum Fall Millerand, von
G. v. Vollmar. — Agrarbewegung und Parteizustände in Süddeutschland, von M. Schippel.
— K. Kautsky und der „freie kritische Sozialismus“, von P. Kampffmeyer. — Friedenau
in Kriegszustand, von E. Bernstein. — Eine Revision des Sozialismus, von E. David.
— Der Anteil der Gewerkschaftsbewegung an der materiellen Hebung der Arbeiter-
asse, von R. Schmidt. — Die trades-unions und die Politik, von Mac Donald. —
Durch Gärung zur Klärung, von A. v. Elm. — Die Agrarbewegung und die National-
liberalen, von M. Schippel. — Idealismus, Kampftheorie und Wissenschaft, von A. Bern-
stein. — Wie stellen wir uns zur Alkoholfrage, von R. Lebius. — Sozialistisches aus
der Natur, von C. Grottewitz. — Zur Frage der Budgetbewilligung, von A. Fendrich.
— Wie ist wissenschaftlicher Sozialismus möglich? von W. Heine. — Zur Theorie der
Handelskrisen und der Ueberproduktion, von K. Schmidt. — Zum Kampfe gegen die
Zollschraube, von E. Bernstein. — Die Agrarbewegung und das Centrum, von M. Schippel.
— Die sozialdemokratische Presse, von R. Calwer. — Zum Wohnungsprogramm der
deutschen Sozialdemokratie, von P. Kampffmeyer. — Die Hamburger Akkordmaurer
vor dem Parteigericht, von E. David. — Maxim Gorkij, von E. Most. — Der neue
Programmentwurf für die österreichische Sozialdemokratie, von Th. Herz. — Groß-
144 Die periodische Presse Deutschlands.
einkaufsgenossenschaften deutscher Konsumvereine, von H. Kaufmann. — Die Lehren
des Gumbinner Militärstrafprozesses, von W. Heine. — Der Kernpunkt des Streites, von
E. Bernstein. — Die Aufgaben der politischen und gewerkschaftlichen Organisationen in
der Frage des Bauarbeiterschutzes, von G. Heinke. — Mutterschaft und geistige Arbeit,
von W. Zepler. — Rückblick auf Lübeck, von E. David. — Parteidisziplin und Ueber-
zeugungstreue, von E. Bernstein. — Justiz und Politik in Oesterreich, von Fr. Hertz.
— Der Sozialismus in der Schweiz, von O. Lang. — Der Weg der Civilisation, von
M. Schwann. — Die sächsischen Landtagswahlen 1901, von G. Schöpflin. — Gedanken
über die Schule, von W. Bölsche.
Neue Zeit, die. XX. Jahrh. I. Bd. 1901/1902, N” 6—10, 9. XI. bis 7. XII.
1901: Das Ueberbrettl, von H. Ströbel. — Ein Vorstoß des Zünftlertums, von Fritz
Winter. — Neue Untersuchungen über die Wohnungsfrage, von P. Hirsch. — Beiträge
zur Geschichte der Volksschule, von H. Schulz (2. Artik.). — Karl Bürkli, von H. Thurow.
— Der Wiener Parteitag, von K. Kautski. — Sozialer Imperialismus, von M. Beer. —
Akademiker und Proletarier, von Mich. Impertro. — Der Kongreß der Arbeitskammern,
Genossenschaften und Hilfskassen Italiens, von Oda Olberg (Genua). — Zur Kritik des
Gewerkschaftswesens, von August Quist. — Sozialpolitische Umschau, von Em. Wurm.
— Erklärung, von A. Bebel. — Englischer Sozialismus in Vergangenheit und Zukunft,
von Th. Rothstein. — Ziffern des Verbrechens, insbesondere die starke Abnahme der
Vermögensdelikte, von H. L. — Die verkehrspolitischen Leitsätze der süddeutschen
sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten, von W. Keil. — Aus dem Lande der Yankees,
von Ph. Rappaport. — Zwei litterarische Erzeugnisse über die Frauenfrage, von A. Bebel.
— Was revolutioniert die Arbeiterschaft? von Georg Ledebour. — Christian Dietrich
Grabbe, von Frz. Mehring. — ete.
Preußische Jahrbücher. Herausgeg. von H. Delbrück. 106. Band,. Heft 3,
Dezember 1901: Die Selbstverwaltung in Berlin im Jahre 1899, von H. Böing (prakt.
Arzt, Berlin). — Die Wirkung der australasischen Arbeitergesetze, von W. Mommsen
(Halensee). — Der höhere Lehrerstand und seine Stellung in der gelehrten Welt, von
F. Paulsen (Prof., Univ. Berlin). —
Zeitschrift des Kgl. preußischen statistischen Bureaus. Herausgeg. von dessen
Direktor E. Blenck. Ergänzungsheft XX: Verbreitung der venerischen Krankheiten in
Preußen sowie die Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Krankheiten. Nach den Ergebnissen
der statistischen Erhebung am 30. IV. 1900 und nach anderen Nachrichten im Auftrage des
Herrn Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten bearbeitet
von (Prof.) A. Guttstadt (Geh.MedR.) (Berlin 1901). Imp.-4. 6; 66 SS.
Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft. Jahrg. LVII, Heft 4: Die soziale
Versicherung der Verlagsarbeiter, von O. v. Zwiedineck-Südenhorst. — Die Fabriken-
gründungen in Schlesien nach dem 7-jährigen Kriege unter Friedrich dem Großen, von
(Prof) H. Fechner. — Zur Auslegung des Artikels 5 der Reichsverfassung, von
Frz. Schmid (3. Aufsatz). — Ein neuliberaler deutscher Oekonomist: (Ur med. Fr,
Oppenheimer), von Clemens Heiß. — Beiträge zur bayerischen Finanzgeschichte, von
K. Seiffert. — ete.
Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde. N. Folge.
XXV. Band. Kassel, A. Freyschmidt’s Buchhdl., 1901. (4; 320 SS. mit Karte.) (Aus
dem Inhalt: Melsungen zur westfälischen Zeit, von L. Armbrust. — Prinz Karl Kon-
stantin von Hessen-Rothenburg (der Clubist „Bürger Hessen“ auch „Citoyen Hesse“),
von A. Kleinschmidt. — Die ehemalige Festung Ziegenhain, von F. v. Appell.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena,
J. Conrad, Die Agrarzölle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich. 145
Nachdruck verboten.
MI.
Die Agrarzölle in der Zolltarifvorlage
im Deutschen Reich.
Von
J. Conrad,
Der Entwurf eines Zolltarifgesetzes ist dem Reichstage vorgelegt
und die Hauptredeschlacht über denselben beendigt. Eine ganze
Litteratur ist über den Gegenstand erschienen, in der die Publi-
kationen des Vereins für Sozialpolitik besonders wertvoll sind. Auch
die Referate!) auf der Versammlung desselben Vereins in München
liegen uns durch die Güte der Verlagsbuchhandlung in vorläufigen
Abzügen vor. Haben wir unsere Ansicht über die Agrarzölle auch
hereits in dem ersten Bande der Publikationen des Vereins für Sozial-
politik niedergelegt und ausführlich zu begründen gesucht, so halten
wir uns doch für verpflichtet, in den „Jahrbüchern“ noch einmal
darauf zurückzukommen, um eine Fortsetzung des hier früher ge-
brachten Materials zu liefern, dann um auf die entgegengesetzten
Anschauungen einzugehen und zu untersuchen, ob und wie weit darin
me Widerlegung unserer Aufstellungen zu sehen ist.
; Zunächst wird eine kurze Charakteristik der oben erwähnten
Publikationen am Platze sein.
Obgleich nach unserer Ansicht die Begründung der Vorlage von
seiten der Regierung nur eine außer ordentlich dürftige ist, ganz be-
sonders in betreff des hier in Rede stehenden Teiles derselben, und
die Reichstagsdiskussion hierzu nur eine äußerst spärliche Ergän-
zang gebracht hat, so ist immerhin ein Fortschritt zu konstatieren.
Es zeigt sich, daß die wissenschaftlichen Untersuchungen doch jetzt
eine ganz andere Beachtung gefunden haben, als das noch im Jahre
1879 ‘der Fall war. Die thörichten Schlagworte und die wüste Agi-
tationshetze des extremen Agrariertums sind, Gott sei Dank, von der
Regierung völlig beiseite gelassen. Ze ist notwendig, dieses ausdrück-
1) Sie sind inzwischen erschienen.
Dritte Folge Bd. XXII (LXX VW. 10
146 J. Conrad,
lich zu konstatieren. Es erleichtert dies die Polemik und gestattet
es uns, sie auf wissenschaftlichem Boden fortzusetzen.
Vor allem ist es wichtig hervorzuheben, daß die Vertreter der
Regierung rückhaltlos anerkennen: Deutschland kann die Zufuhr an
Getreide nicht entbehren, die Landwirtschaft ist nicht imstande, das
zu liefern, was die Bevölkerung gebraucht. Wiederholt ist es vom
Regierungstische ausgesprochen, besonders von Graf Posadowsky, daß
nur an Getreide eingeführt wird, was man gebraucht, und daß
nur hier und da in einzelnen Momenten dadurch eine einseitige
Preisverschiebung stattfinden kann. In allen Ausführungen wird als
selbstverständlich angenommen, daß der Zoll in den Inlandspreisen
in der Hauptsache zur Geltung kommt. Erst dadurch ist für die
Diskussion eine gesunde Grundlage gewonnen. Die scheinheilige
Maske, mit der bisher so allgemein von seiten der Interessenten die
Zölle befürwortet wurden, daß dadurch ja nur das Ausland getroffen
werde, ist endlich beiseite geworfen; offen und ehrlich stellt man
sich auf den Boden der unleugbaren Thatsachen. In der Begrün-
dung wird in derselben Weise, wie wir es seit Decennien gethan
haben, auf Grund der Preisangaben des In- und Auslandes und der
sich daraus ergebenden Differenz die Wirkung des Zolles hergeleitet,
und dieses als beweiskräftig anerkannt. Zu verwundern bleibt es,
daß man sich nicht hat entschließen können, auch anzuerkennen, daß
die Brotpreise ebenso die Wirkung der Getreidezölle zeigen, wie die
Gretreidepreise. Aber man ist doch wenigstens vorsichtig, man be-
hauptet nicht das Gegenteil, sondern läßt nur die Möglichkeit des
Gegenteils zu, da „dieselben nicht immer in dem bestimmten Ab-
hängigkeitsverhältnisse von den Getreidepreisen stehen“. Der württem-
bergische Minister von Pischek sprach (dagegen im Reichstage aus-
drücklich aus: „Denn das steht für mich allerdings fest, daß in
der Regel die Zollerhöhung sich in einer Erhöhung der Getreide-
preise ausdrücken wird, und daß ebenso die erhöhten Getreidepreise
auch eine Erhöhung der Brotpreise zur Folge haben werden. Ich
kann mich meinerseits von der Auffassung nicht frei machen, daß,
wenn das Tuch teuerer wird, ceteris paribus auch der Rock, der
daraus gemacht wird, teuerer wird.“ Wenn der Freiherr von Heyl
das dadurch zu widerlegen suchte, daß er Angaben über den Rück-
gang der Brotpreise in seinem Konsumverein und in Frankreich
machte, wonach trotz der Auflegung höherer Zölle die Brotpreise ge-
sunken waren, so muß man füglich erstaunt sein, eine solche Logik
im Reichstage zu finden, denn daß die Brotpreise nicht steigen können,
wenn die Getreidepreise infolge guter Ernten auf dem Weltmarkt
um mehr sinken als der Zollbetrag, versteht sich von selbst.
Es ist allerdings ein ungemein bequemer Weg für die Regierung.
die Gehässigkeit des ganzen Vorgehens durch die Behauptung von
sich abzuwälzen, daß die Brotpreise nicht den Getreidepreisen folgen,
somit die konsumierende Bevölkerung durch die Zölle nicht ent-
sprechend zu leiden haben. Nun haben wir stets ausgeführt, daß, wenn
auch unserer Ansicht nach das vorliegende statistische Material den Zu-
Die Agrarzölle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich. 147
sammenhang jener Preise vollständig erkennen läßt, so doch ein klarer
Beweis sich durch die Statistik nicht führen läßt, wir deshalb ein
Gewicht derselben nicht beilegen. Dagegen läßt sich a priori der
Nachweis für einen jeden, der objectiv zu urteilen versteht, sehr wohl
führen. Dr. Dade macht in seinem Artikel in den Beiträgen zur
neuesten Handelspolitik Deutschlands Bd. 2, S. 115 die folgende
Bemerkung: „Bei dem Verkauf von Weizen und Roggen würde
die Landwirtschaft ohne die Herabsetzung der Zölle jährlich etwa
112 Mill. M. und in den verflossenen Erntejahren zusammen etwa
%0 Mill. M. erzielt haben.“ Da er selbst an das Märchen nicht
glaubt, daß das Ausland diese Summe auf sich genommen haben
würde, so hätten diese Summen von der inländischen Bevölkerung
zu Gunsten der Landwirtschaft aufgebracht werden müssen. Ist es
inder That denkbar, daß diese kolossalen Beträge, oder auch nur
ein erheblicher Teil hiervon zur wesentlichen Entlastung der Konsu-
menten von der kleinen Zahl der Bäcker, Müller und Getreidehändler
aufgebracht werden könnte? Man mutet ihnen da eine Leistungs-
fähigkeit zu, von der keine Rede sein kann. In dem jetzt vorliegen-
den Falle handelt es sich aber noch um wesentlich höhere Summen,
die zu Gunsten der Landwirte aufgebracht werden sollen. Außerdem,
das iSt zu beachten, wird jetzt erwartet, diese Zwischenhände werden die
Summen selbst nicht auslegen, sondern nachhaltig tragen, anstatt sie
af das konsumierende Publikum abzuwälzen. Sämtliche Beteiligte
haben hier offenbar dasselbe Interesse, und in der Verfolgung des-
selben werden sie durch die Konkurrenz des Auslandes absolut nicht
gehindert. Die Konsumenten sind bei der Deckung ihres Bedarfes
af sie angewiesen, die Regierung selbst vertritt die Ansicht, daß
die Zollerhöhung nicht ausreicht, um eine wesentliche Verminderung
des Bezuges herbeizuführen, und wir stimmen ihr darin bei. Es
wäre deshalb ein Akt der Freiwilligkeit, wenn Müller, Bäcker und
Händler bereit wären, die Zollerhöhung auf sich zu nehmen und sie
ich nicht zurückzahlen zu lassen. Es ist wohl denkbar, daß die
Ermäßigung eines Zolles noch eine Zeit lang von den Betreffenden
Au Erzielung höherer Gewinne ausgenutzt wird, bis eine allmählich
wachsende Konkurrenz sie zur Ermäßigung der Preise zwingt, die
den Verhältnissen entspricht. Bei einer Erhöhung der Preise fehlt
es indes an solchem Anreiz zu erhöhter Konkurrenz, infolgedessen
auch an einem Druck für die Beteiligten, die Zahlung auf sich zu
nehmen, und gar bei Beträgen, wo in kurzer Zeit es sich um eine
Milliarde handelt. Das heißt denn doch den breiten Schultern der
Bäcker mehr zumuten als sie zu tragen vermögen, wie ebenso der
Opferfreudigkeit der Händler ein zu großes Vertrauen entgegen-
bringen.
Wenn man in dem Reformationszeitalter die steigenden Getreide-
und Brotpreise, statt auf die Entwertung des Edelmetalls dem Wucher
der Getreidehändler und der Gewinnsucht der zünftlerischen Bäcker
zuschrieb, so kann man dieser Naivität, die sich nur an das hielt,
was die Bevölkerung unmittelbar zu übersehen vermochte, Verständ-
10*
145 J. Conrad,
nis entgegenbringen. Eine gleiche Naivität bei den Vertretern der
Regierung, nicht mehr des heiligen römischen Reiches deutscher
Nation, sondern des neuerstandenen Deutschen Reiches im 20. Jahr-
hundert mit der gleichen Nachsicht aufzunehmen, liegt wahrlich ein
Grund nicht vor.
Von besonderer Bedeutung erscheint es uns. daß mit der Vor-
lage ausgesprochen ist, man könne in den nächsten Jahrzehnten noch
nicht auf eine Aenderung der agrarischen Situation rechnen, man
müsse vielmehr auf dieselbe ausländische Konkurrenz, damit auch
auf den gleichen Preisdruck für die Zukunft rechnen. Dies erklärt,
weshalb nirgends der Versuch gemacht ist, die Zollerhöhung als eine
nur vorübergehende hinzustellen, und eine Herabsetzung in bestimmte
Aussicht zu nehmen, worauf wir stets das größte Gewicht gelegt haben,
und wodurch dem Gegner der Getreidezölle eine wesentliche Waffe
aus der Hand gewunden wäre. Es ist wichtig zu konstatieren, daß
wir es mit einer dauernden Auflage zu thun haben, die also auch
über die Periode der jetzt in Aussicht genommenen Verträge hin-
ausgehen soll. Daß damit sofort die Agitation für weitere Erhöhungen
bei den Agrariern inauguriert ist, versteht sich von selbst. Deshalb
ist dieses Vorgehen in hohem Maße zu beklagen.
Dagegen ist dankbar anzuerkennen, daß vom Bundesratstische
aus wiederholt auf das entschiedenste die Notwendigkeit von Han-
delsverträgen, welche die Volkswirtschaft für längere Zeit vor
Zollveränderungen schützen, anerkannt wurde. Damit haben wir
einen festen Stützpunkt gewonnen und einen Damm gegen die
Ueberflutung agrarischer Bestrebungen, die rücksichtslos darauf
hinauslaufen, eventuell die Industrie dem Ruine preiszugeben, wenn
nur die Stellung des Grundbesitzers eine größere Sicherung da-
durch erlangt. Man kann sich nicht verhehlen, daß dadurch die
Bedeutung der Minimalzölle auf Getreide erheblich abgeschwächt
ist, die ja überhaupt nur eine formale Bedeutung haben. Denn es ist
damit ausgesprochen, daß, wenn auf Grund derselben Handelsverträge
abzuschließen sich unmöglich erweise, die Regierung eben noch ein-
mal vor den Reichstag treten werde, um die Beseitigung dieses Hinder-
nisses zu beantragen. Und man kann ganz sicher sein, daß die Majorität
sie dann nicht im Stiche lassen wird. Wie es als selbstverständlich
vorausgesetzt werden mußte, haben die Minister allgemein die Zu-
versicht ausgesprochen, daß auf dem Boden der Vorlage Handels-
verträge zustandezubringen seien. Von anderer Seite ist dieses
nachdrücklichst bestritten. Es erscheint uns sehr müßig, hierüber
Betrachtungen anzustellen, die Zeit ist nicht so ferne, wo man die
Antwort auf diese Frage erhalten wird. Denn schon jetzt ist abzu-
sehen, daß die Fragestellung selbst eine wesentliche Aenderung nicht
erfahren wird. Die Regierungen sind sich bewußt, mit der Majorıtät
der Volksvertretung Hand in Hand zu gehen. Auf der letzteren
liegt deshalb auch die Verantwortung für das Vorgehen, nicht aber
bei der ersteren, die vielmehr gar nieht anders handeln konnte. Wir
nehmen an, daß die Geschichte einmal sehr scharf mit den maßgebenden
Die Agrarzölle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich. 149
Parteien, ganz besonders mit derjenigen ins Gericht gehen wird, die
nach ihrer historischen Tradition und ihrem Namen vor allem berufen
gewesen wäre, den nationalliberalen Standpunkt zu vertreten, der
unzweifelhaft nur so weit eine Berechtigung hat, als er den einsei-
tigen Interessenbestrebungen einer bestimmten Klasse und eines
bestimmten Standes entgegentritt. Niemand kann bei dem gegen-
wärtigen Stande der Diskussion noch im Zweifel darüber sein,
daß es sich in der Hauptsache um einen Kampf des Großgrund-
besitzerstandes, nicht um seine Existenz, wie man fälschlich viel-
fach aufstellt, sondern um seinen gegenwärtigen Bestand
handelt, der mit allen künstlichen Mitteln nicht aufrecht zu erhalten
ist. Nach unserer Ansicht ist er in der jetzigen Ausdehnung weder
eme wirtschaftliche noch eine politische Notwendigkeit, sondern hat
vielmehr nach beiden Richtungen hin seine Berechtigung eingebüßt und
wird sie mehr und mehr einbüßen. Bei objektiver Betrachtung der Ver-
hältnisse muß auch derjenige zu dieser Ueberzeugung gelangen, der,
wie Schreiber dieses, als früherer Landwirt und durch Familientradition
mt dem Großgrundbesitz auf das engste verknüpft ist, und deshalb
die Entwiekelung nur mit den schmerzlichsten Gefühlen verfolgt.
. „Eine solche Scheidung des Großgrundbesitzers von dem Bauern
vird allerdings sehr begreiflicherweise von den Vertretern des ersteren
"erhorreseiert und auch vielfach von den der letzteren geleugnet. Sie
St gleichwohl eine Notwendigkeit, denn die Thatsache ist gegenüber
ĉen klaren statistischen Belegen nicht abzuleugnen, daß der Groß-
Tundbesitz in überwiegendem Maße seine finanzielle Basis in dem
‘etreidebau sieht, der bäuerliche dagegen in der Viehzucht.
SS Regierungsvorlage giebt selbst hierfür die Zahlenbelege, sieht
A aber offenbar nicht im eigenen Interesse, die richtigen Konsequenzen
araus zu ziehen. Daß auch in großer Ausdehnung der Bauer sich
na den Tarif begeistert, ist nicht gerade zu verwundern. Der Groß-
Uer nimmt gerne den ihm in Aussicht gestellten Profit mit, er
Weiß ihn zu schätzen, auch wenn er klein ist. Der Kleinbauer hat
“ein Interesse daran und läßt ihn laufen. Der Parzellenbesitzer kommt
!berhaupt in der ganzen Diskussion nicht zu Worte, über seine Inter-
essen geht man beruhigt zur Tagesordnung über, da ihm das Klassen-
’ewußtsein und die Organisation der Arbeiterklasse fehlt.
Die Vertreter Süddeutschlands am Bundesratstische waren freilich
Zenötigt, in das allgemeine Horn zu blasen. Die gewundene Art der
erteidigung des württembergischen und bayerischen Ministers, ihre
Nachdrückliche Verwahrung (später besonders von dem Vertreter Badens
In der Zolltarifkommission) gegen eine über die Vorlage hinausgehende
Erhöhung der Zölle zeigen sehr deutlich, daß vom Süden her kein
Antrag auf Erhöhung der Getreidezölle eingebracht worden wäre,
Wenn man auch die Zustimmung nicht versagen mochte.
Schließlich ist noch von Interesse, «daß in der Begründung der
Getreidezülle ausdrücklich hervorgehoben ist, daß eine Ermittelung
der Produktionskosten des Getreides ohne Wert sei, und dem können
wir nur im vollsten Maße zustimmen. Damit ist zum Glück auch
von dieser autoritativen Seite her, die gewiß gerne die hierfür zu
150 J. Conrad,
Tage geförderten Zahlen benutzt hätte, offen und ehrlich anerkannt,
daß sie den damit getriebenen Mißbrauch nicht mitmachen will. Sie
erkennt an, daß die Getreideproduktion nur aufzufassen ist als ein
Teil der gesamten landwirtschaftlichen Produktion und die Isolierung
derselben ein ganz falsches Bild geben muß. Sie verzichtete deshalb
aber überhaupt aufjeden Beweis des landwirtschaftlichen Notstandes,
und begnügte sich mit dem Hinweis auf den Rückgang der Domänen-
pacht im letzten Decennium, ohne indes die nötigen Reserven zu
machen. Sie weist außerdem wieder ohne die nötige Einschränkung
für die darauf zu bauenden Schlüsse auf die Zunahme der Verschul-
dung hin, die sie ebenso bei dem Bauern wie bei dem Gutsbesitzer
voraussetzt. Auf beide Punkte müssen wir daher später ausführ-
licher zurückkommen.
Auch in der sonstigen mündlichen und litterarischen Diskussion
fehlt jeder Beweis der Notwendigkeit der Hilfe zur Erhaltung der
Landwirtschaft. Mit bloßen Phrasen ist doch heutigen Tages in dieser
Hinsicht nichts mehr zu begründen. Wenn man sich der hochtra-
benden Tiraden erinnert, welche schon im Jahre 1879 nicht nur in
landwirtschaftlichen Vereinen, sondern gerade von dem Bundesrats-
tische aus, von dem damaligen Adjutanten des Fürsten Reichskanzlers
von Tiedemann ertönten, zu einer Zeit, wo die Preise thatsäch-
lich noch außerordentlich günstige und nur nicht auf der exorbi-
tanten Höhe der vorhergehenden Jahre waren, welche kein Verstän-
diger schon damals als normal ansehen konnte. Wenn man ferner
in diesen mehr als 20 Jahren dieselbe Redensart von dem unaus-
bleiblichen Ruin der Landwirtschaft mit aufmerksamen Ohren ver-
folgt hat, und demgegenüber jetzt das Bekenntnis auch in der
Vorlage entdeckt, daß von einem thatsächlichen Rückgang der Land-
wirtschaft in keiner Hinsicht gesprochen werden kann, so verliert
denn doch dieser Notschrei an Wirksamkeit, wenn wir uns auch nicht
verhehlen, daß die Mißernte des Jahres 1901 bei niedrigem Preise
die pessimistischen Auffassungen ebenso zu unterstützen angethan
ist, wie der Preisaufschwung des Jahres 1891 die optimistische Stim-
mung gefördert hatte.
Von der Litteratur interessiert uns vor allem das Korreferat des
Dr. Dade in den Publikationen des Vereins für Sozialpolitik. Wir
finden darin eine große Zahl wesentlicher Berührungspunkte, um
mit ihm Hand in Hand zu gehen, wie wir es von dem offiziellen
Vertreter unseres Agrariertums kaum zu hoffen gewagt haben.
Auch er erkennt vor allen Dingen rückhaltlos an, daß namentlich
nach Beseitigung des Identitätsnachweises die inländischen Preise
um die Zollhöhe gegenüber dem Auslande höher gestanden haben, die
Zölle deshalb der Landwirtschaft zu gute gekommen sind, während
das Inland dementsprechend belastet wurde. Damit stehen wir auf
demselben Boden bei dem Ausgange der Untersuchung, und damit
ist viel gewonnen. In noch höherem Maße können wir das von dem
Schlußergebnis seiner Untersuchung sagen. Wir haben stets mit
dem größten Nachdruck hervorgehoben, daß der Agrarzoll einen ganz
Die Agrarzülle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich. 151
anderen Charakter erhält, wenn er ausdrücklich nur als eine Ueber-
gangserleichterung aufgefaßt wird, um der bedrängten Landwirtschaft
über die erste Kalamität der internationalen Konkurrenz hinfortzu-
helfen, ihr Zeit zu lassen, sich durch wirtschaftliche Anpassung in
die neuen Verhältnisse hineinzuleben. Wir betonten, daß auf diese
Weise die sonst unausbleibliche Hochhaltung der Grundwertpreise,
oder gar eine Erhöhung derselben nicht zu befürchten sei, und nicht
verhindert werde, was zur Sanierung erforderlich ist, daß Pacht und
Grundwert sich den heruntergegangenen Getreidepreisen auf dem
Weltmarkte anpassen. Wir legten Gewicht darauf, daß von vorne-
herein ein Zeitpunkt in das Auge gefaßt wird, für welchen eine
allmähliche Ermäßigung der Zölle vorgeschrieben würde. Dieser
Auffassung kommt Dr. Dade in dem folgenden Satze wesentlich
entgegen: „Man gewähre der deutschen Landwirtschaft für ein weiteres
Jahrzehnt, das für die wirtschaftliche Entwickelung des deutschen
Volkes nur eine kurze Spanne Zeit bedeutet, einen ausreichenden
Zollschutz, bis die Hochflut der ausländischen Konkurrenz etwas mehr
verlaufen ist, und damit die Landwirtschaft Zeit gewinnt, durch weitere
Fortschritte auf dem Gebiete des Ackerbaues, der Viehzucht und der
Betriebslehre die plötzlich und mit elementarer Gewalt auf sie her-
eindrängende Konkurrenz des Auslandes besser ertragen zu können.“
Leider ist weder in der Begründung der Vorlage noch in den Reden
der Minister irgendwo ein Anklang an diese Auffassung zu finden.
Ueberall wird die Kalamität, die einen Schutz beansprucht, als eine
noch Decennien hindurch dauernde angenommen und deshalb auch
eine dauernde Zollerhöhung als selbstverständlich vorausgesetzt. Damit
wird der Vorlage die erwähnte verhängnisvolle Wirkung gegeben.
Der Grundwert wird seine unnatürliche Höhe bewahren. Das ist
ja auch das ausgesprochene Ziel der Agrarier, wie es Graf Kanitz
in seinem Referat im Landwirtschaftsrat ausdrücklich ausgesprochen
hat. „Selbstverständlich müssen wir die Verzinsung des in der Land-
wirtschaft angelegten Kapitales verlangen.“ Ebenso sprach Graf
Schwerin-Löwitz im Reichstage aus: man müsse unbedingt die Wieder-
herstellung der Durchschnittspreise erreichen, wie sie in den letzten
beiden Dezennien vor Abschluß der Handelsverträge bestanden haben.
Was eben nichts Anderes heißt als, auch eine unnatürliche Höhe der
Preise wie des Grundwertes, welche den allgemeinen Verhältnissen
absolut nicht entsprichen, sollen künstlich auf Kosten der Steuerzahler
aufrecht erhalten werden. Warum sollte nicht auch die gleiche Staats-
garantie den Inhabern der verkrachten Hypothekenbankobligationen
oder Aktien gewährt werden! Uns ist auch nicht bekannt, daß von
Graf Kanitz oder seinen Gesinnungsgenossen je der Antrag gestellt ist,
dem Arbeiter Arbeit und Verdienst durch den Staat zu garantieren.
Die Referate auf der Versammlung des Vereins für Sozialpolitik
ergänzten sich in vortrefflicher Weise und waren durchaus dazu an-
gethan, die verschiedenen Standpunkte zu vertreten und klärend zu
wirken. Jedes war in seiner Art vortreftlich durchgeführt. Professor
Lotz vertrat den entschiedenen Freihandelsstandpunkt, auf den wir
ihm nicht zu folgen vermögen, wenn wir uns auch in vielen Stücken
152 J. Conrad,
auf dem Gebiete der Agrarzölle berühren. Wenn er seinen Vortrag
damit begann, daß Deutschland vor eine Entscheidung gestellt sei,
von der nicht mehr und nicht weniger als Deutschlands zukünftige
Weltstellung abhänge, vielleicht auch das politische und wirtschaft-
liche Gleichgewicht zwischen den Völkern des europäischen Fest-
landes und Nordamerikas, so scheint uns das doch eine wesentliche
Ueberschätzung des Einflusses dieser Zollmaßregel zu sein. Hat es
sich doch wieder und wieder gezeigt, daß das wirtschaftliche Leben
Kraft genug besitzt, um den Einfluß der Zollschranken zu brechen
und einmal trotz aller Hemmnisse sich zur Blüte zu entwickeln,
anderenfalls trotz aller Zollbegünstigungen in dem Aufblühen zurück-
zubleiben. Es ist ferner nicht genügend in Rücksicht gezogen, wenn
auch in den weiteren Ausführungen dies in höherem Maße "geschehen
ist, daß wir doch noch in den "Anfängen der Verhandlungen stehen
und die Regierung genugsam bekundet hat, daß sie unter "allen Um-
ständen Handelsvertr äge abschließen will. Damit ist ausreichend zu
erkennen gegeben, daß sie zu einem extremen Schritt nicht geneigt
ist, sondern nur dasjenige durchzusetzen suchen wird, was ein harmo-
nisches Zusammengehen mit den anderen Ländern in dem wirtschatt-
lichen Leben nicht zu stören angethan ist. Wir sehen deshalb der
ganzen weiteren Entwickelung mit weit größerer Ruhe entgegen als er.
Mit Recht betont er, wie das in anderer Weise auch von Dr. Pohle
geschehen ist, den Zusammenhang zwischen Industrie- und Agrar-
zöllen, die sich gegenseitig bedingen, indem keine Partei der beiden
Interessentengruppen der anderen eine Zollbewilligung gewähren wird.
ohne von der anderen eine entsprechende Gegenleistung zu erhalten.
Insofern ist nicht mit Unrecht von einem einfachen Handelsgeschäft
zwischen Agrariern und Großindustriellen, d. h. den Vertretern der
sogenannten „schweren“ Industrie, gesprochen. Die letztere fürchtet
sich nicht wesentlich vor der Verteuerung des Getreides, weil sie
sich im Momente mächtig genug fühlt, um einer entsprechenden
Lohnerhöhung entgegentreten zu können, und hofft auf der anderen
Seite für etwaige Schädigung ausreichenden Ersatz durch Zollerhö-
hungen zu erlangen. Nur auf solche Weise ist das Eintreten der
gewerblichen Kreise zu Gunsten der Forderungen der Landwirtschaft
zu erklären. Lotz sucht ebenso nachzuweisen, daß Getreidezölle auch
Erhöhung der anderen Agrarzölle bedingen, und zeigt mit Recht.
wie dadurch die Kaufkraft der Bevölkerung für Industrieerzeugnisse
erschwert werden muß, und damit indirekt die Industrie geschädigt
wird, während aus demselben Grunde die Erhöhung der Getreide-
preise eine Verminderung des Fleischkonsums etc. mit sich bringt
und dadurch der Bauernstand in weit höherem Maße benachteiligt
wird, wie er das selbst ahnt.
Wenn Lotz die Bedeutung der Enquete gering anschlägt, welche
von «dem Landwirtschaftsrate unternommen ist, so können wir ihm
darin nur beiptlichten. Allerdings erstreckt sich dieselbe auf 1524
Landwirtschaftsbetriebe, mit 207 000ha. Indessen repräsentieren die-
selben hauptsächlich Großbetriebe, bei welchen eine durchschnittliche
Rente von nur 2,1 Proz. berechnet ist, und wenn für das Gebäudekapital
Die Agrarzülle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich. 153
3Proz., für das bewegliche Betriebskapital 5 Proz. abgezogen werden,
bleiben nur 0,7 Proz. als reine Grundrente übrig, wonach eine Verzin-
sung etwaiger Hypothekenschulden unmöglich wäre. Da nun dieselbe
thatsächlich erfolgt ist, so muß entweder die Berechnung unrichtig sein,
oder die Grundbesitzer waren in der Lage auf eine entsprechend hohe
Verzinsung des übrigen Kapitales zu verzichten. Daß das Gesamter-
gebnis aber, wenn es richtig ist, als ungünstig bezeichnet werden
muß, soll nicht bestritten werden. Lotz legt nun wesentliches Ge-
wicht darauf, daß nach den betreffenden Erhebungen die Bruttoein-
nahmen aus Getreide nur 26,4 Proz. der Gesamteinnahmen ausge-
macht haben, 16,3 Proz. aus Zuckerrüben und Kartoffeln, 40,6 Proz. von
Tieren und tierischen Produkten erzielt wurden, also bedeutend mehr
als aus Getreide. Wir fügen hinzu, daß in Württemberg bei 94 typi-
schen Landwirtschaftsbetrieben auf die Einnahmen aus Verkauf von
Vieh und tierischen Produkten 55,8 Proz., aus verkauften Getreide
nur 19,6 Proz. der Einnahmen herrührten. Er läßt sich aus diesen
Angaben zu einer zu weit gehenden Schlußfolgerung in betref? der
Bedeutung der tierischen Produkte verleiten. Wir haben es nur
mit dem Rohertrage zu thun, der Reinertrag, der allein maßgebend
ist, würde ein anderes Ergebnis liefern, weil eben zur Viehzucht
und Erzielung der tierischen Produkte weit größere Unkosten erforder-
lieh sind, als für den Getreidebau. Man denke an die Unkosten ein
Pferd aufzuziehen, das 4 Jahre unterhalten werden muß; an das Futter,
das eine Kuh brauchte, bis sie Milch zu liefern anfing und ihr weiter
gegeben werden muß, um sie leistungsfähig zu erhalten. Dagegen ist
der Unterschied bei dem bäuerlichen Betriebe in Süddeutschland
allerdings ein so bedeutender, daß hier mit Sicherheit gesagt werden
kann, die Vorteile der Erhöhung der Getreidepreise durch die Zölle,
wie sie beabsichtigt sind, kann dem Bauern, dessen Bruttoeinnahmen
aus Getreide im Durchschnitte nur 15—26 Proz. der Gesamteinnahme
ausmachen, keinen durchgreifenden Nutzen bringen und steht in keinem
Verhältnis zu der Last, welche der übrigen süddeutschen Bevölkerung
aufgebürdet wird. die ohnehin weit höhere Preise zu zahlen hat als
das übrige Deutschland. Dagegen ergiebt sich daraus die viel höhere
Bedeutung, welche für ihn die Zölle auf Vieh und ‘tierische Produkte
haben müssen.
.. „Schon 1883 hat Schmoller auf der Versammlung des Vereins
für Sozialpolitik in Frankfurt den Vorschlag gemacht, der preußische
Staat solle 100 Mill. aufnehmen, um damit große Güter anzukaufen,
und sie zur Erweiterung des Bauernstandes zerschlagen. Wir traten
damals dem mit dem Hinweis entgegen, daß die weitere Entwicke-
lung solche Zerschlagung auch ohne Staatshilfe ausreichend herbei-
führen würde, was sich ja wohl in der Hauptsache bewährt hat.
Lotz befürwortet jetzt eine Reichsanleihe von einer Milliarde, um
die notleidenden Landwirte auszukaufen, und zeigt, daß selbst bei
einem Verzicht auf die Verzinsung von 35 Mill. das Reich ein glän-
zerides Geschäft machen würde, wenn es damit auf die Zölle ver-
zi@htete, die dem Lande 315 Mill. jährlich zu demselben Zwecke, der
Urterstützung der Landwirte, kosten. Der Gedanke ist nicht so ohne
154 J. Conrad,
weiteres von der Hand zu weisen, weil mit der Zerkleinerung der
Grundstücke der Viehstand derartig gehoben werden würde, daß
wenigstens der Bedarf an tierischen Produkten ohne Schwierigkeit
im Inlande gedeckt werden könnte, und dadurch vermieden würde,
daß der unrentable Getreidebau künstlich gefördert würde, zumal
erfahrungsgemäß eine bedeutende Einschränkung desselben gar nicht
zu befürchten ist. Durch die erwähnte Maßregel würde nur noch
eine größere Absorbierung der Brachflächen bewirkt werden, um da-
durch mehr Futter zu erzielen.
Wir möchten den Gedanken anregen, die vom Staate aufgekauften
Güter zur Dotierung der Provinzen, Kreise und Gemeinden zu ver-
wenden, anstatt, wie es jetzt in Preußen geschieht, ihnen Kapitalien über-
wiesen werden. Es war unzweifelhaft ein großer Fehler im östlichen
Preußen bei der Regulierung der grundherrlich-bäuerlichen Verhältnisse
und der Separation, den größten Teil des früheren Gemeindebesitzes
aufzuteilen. Die dadurch herbeigeführte Schwächung der Leistungs-
fähigkeit der Gemeinden macht sich fortdauernd empfindlich fühlbar,
und der Nordosten ist gerade dadurch in seiner Entwickelung gegenüber
dem Süden mit ausgedehntem Gemeindeland erheblich zurückgeblieben.
Die Gemeinden wie Kreise und Provinzen sind sehr wohl in der
Lage, auch Bauergrundstücke durch Verpachtung zu verwerten, was
für den Staat mit kompliziertem und centralisiertem Beamtenapparat
weit schwieriger und kostspieliger ist. Wenn freilich der Landwirt-
schaftsminister von Podbielski im Abgeordnetenhause kürzlich meinte,
im Osten größere Domänengüter als Musterwirtschaften nicht nur er-
halten, sondern noch vermehren zu müssen, so ist das ein Ana-
chronismus, den jeder, der die dortigen Verhältnisse etwas kennt.
nur mit Verwunderung aufnehmen kann. Es fehlt dort weder an
Domänen noch an Gütern im Privatbesitz, die Musterwirtschaften
repräsentieren.
In ganz anderer Weise erfaßte der zweite Referent Schumacher
seine Aufgabe: indem er die internationale Lage von Handel und
Verkehr untersucht und damit die Veränderungen feststellt, welche
seit 1579. eingetreten sind. Er beweist dabei eine große Uebersicht
und Sachkenntnis. Mit vollem Rechte führt er aus, daß eine völlige
Umarbeitung des Tarifs von 1879 erforderlich gewesen sei, und wie
das Prinzip der Meistbegünstigung bei den bisherigen Handelsver-
trägen zu häufig den Zweck verfehlt und ungünstig gewirkt habe.
Er tritt daher für die Meisthegünstigung einzelner Artikel ein,
während er die geographische Einschränkung der Meistbegünstigung
verwirft. Seine Untersuchungen des Verhältnisses zwischen Deutsch-
land und den einzelnen anderen in Frage kommenden Ländern bietet
viel Interessantes. Das Endergebnis seiner Untersuchung steht dem
von Lotz diametral entgegen, indem er sich im großen Ganzen voll-
ständig der Regierungsvorlage anschließt. Die Agrarzölle berührt
er nur ganz beiläufig, weshalb wir auf seine Ausführungen nicht
näher einzugehen brauchen.
Der dritte Referent. Dr. Pohle, steht in der Hauptsache gleich-
falls auf dem Boden der Regierungsvorlage: namentlich auch in be-
Die Agrarzölle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich. 159
treff der Agrarzölle, die er schon als Korrelat der Industriezölle für
notwendig hält. Gerade hier vermögen wir ihm nicht zuzustimmen.
Nur dann wird ein Zoll für die Landwirtschaft angemessen sein.
wenn die Notwendigkeit erwiesen ist, um den angemessenen Betrieb
zu erhalten, gleichviel, ob sich eine gleiche Notwendigkeit für die
Industriezölle ergiebt. Der umgekehrte Fall lag unserer Ansicht
nach im Gegensatz zu der Auffassung Pohle’s Anfang der neunziger
Jahre vor. Die Industrie brauchte unbedingt einen Schutz, die Land-
wirtschaft dagegen nicht. Daher hat der damalige Handelsvertrag
auch der Industrie großen Segen gebracht, während, wie Pohle selbst
zugestehen muß, ein Rückgang der Landwirtschaft in diesen 10 Jahren
nicht zu konstatieren gewesen ist. Wenn er die Sache nun so
wendet, daß die Landwirtschaft wohl bisher imstande gewesen sei,
dieses zu ertragen, aber keinenfalls in der Zukunft, so ist bereits
darauf hingewiesen, daß hierfür ein Beweis nicht erbracht ist. Was
Pohle nach dieser Richtung ausführt, kann in keiner Weise als durch-
schagend angesehen werden. Das Wesentlichste ist darüber oben
bereits gesagt, und auf anderes kommen wir zurück. Hier wollen
wir nur noch auf die durchaus irrtümliche Beurteilung der englischen
Landwirtschaft hinweisen, die er als verfallen und als warnendes Bei-
spiel hinstellt, während sie sich bekanntlich mit Ausnahme ganz
geringer Landesteile in durchaus blühendem Zustande befindet,
weil die Ermäßigung der Pacht dem Farmer es ermöglichte, den
Betrieb fortzuführen. Ganz unhaltbar ist die Behauptung, daß
die Zuwanderung der Arbeiter vom Lande nach den Städten
darauf zurückzuführen sei, daß die Industrie rentabel, die Land-
wirtschaft dagegen es nicht gewesen sei. Das könnte doch nur
der Fall sein, wenn Land unbenutzt geblieben und der Betrieb
extensiver geworden wäre, wofür nirgends ein Anhalt gegeben ist.
Die Klage der Landwirte über Arbeitermangel beweist genugsanı,
daß Mangel an Arbeitsgelegenheit die Fortwanderung nicht herbei-
geführt hat; ebensowenig ein Rückgang der Löhne, die im Gegen-
teil sehr gestiegen sind !).
1) Während das Obige sich bereits im Satz befand, ist der Bericht über die Ver-
handlungen des Vereins f. Sozialpolitik (Leipzig 1902) erschienen. In der Diskussion
boten für uns besonders die Ausführungen Prof, Sering’s und Frhrn. von Cetto’s
Interesse, Der erstere suchte die Lage auch des bäuerlichen Betriebes als sehr bedroht
hin zustellen und verstieg sich zu der Behauptung, daß ohne die Getreidezölle Verödung
weiter heute besiedelter Bezirke erfolgt wäre. „An die Stelle von Zehntausenden von
Bauern wären wenige Waldarbeiter und vielleicht Schafhirten getreten. Eine un-
zeheuere Krisis hätte nicht nur die Landwirtschaft, sondern den ganzen Bau unserer
volkswirtschaftlichen und sozialen Verfassung erschüttert.“ Und worauf stützt er diese
zrausige Schilderung dessen, was geschehen wäre und geschehen müßte, wenn die Wünsche
der Agrarier nieht befriedigt wären und würden? Einmal auf den Hinweis, daß es im
Osten Englands in den Kornbaudistrikten traurig aussehe. Er versäumt aber dabei hervor-
zuleben, wie viel mehr die Getreidepreise in England zurückgegangen sind, wie in Deutsch-
land, wie viel größer dort die Arbeitsnot, wie viel höher dort die Löhne sind als in
Deutschland. Welche Uebertreibung er und Pohle sieh schuldig machen, geht daraus
(erer, daß in Großbritannien die landwirtschaftliche Fläche 1854 32 465 861 Acres be-
Erg, 1599: 32457 107 Acres, also in dieser Zeit nicht abgenommen hat, wenn sie in der
Zwischenzeit vorübergehend auch weiter ausgedehnt war. Aber er hat auch ähnliche Ver-
hilmisse in Niederschlesien, bei Sand- und lehmigen Sandboden, bei vorherrsehendem
156 J, Conrad,
Auf die beachtenswerte Schrift unseres Altmeisters Schäffle
werden wir an anderer Stelle eingehen.
Wir entnehmen der ganzen bisherigen Diskussion als Ergebnis,
(daß, abgesehen von den extremen Forderungen der Sozialisten auf
der einen, der Graf Kanitz und Genossen auf der anderen Seite,
die Gegensätze weniger prinzipieller als praktischer Natur sind. Die
Sozialdemokraten sehen die Agrarzölle ausschließlich von dem Stand-
punkte der Arbeiterklasse als eine ungerechte Belastung derselben
an, ohne ihre sonstige nützliche Wirkung zur Erörterung zuziehen.
Die Vertreter des Großgrundbesitzes halten es dagegen für ihr Recht,
vom Staate nicht nur einen Lohn ihrer Arbeit, "sondern auch eine
Garantie der Verzinsung ihrer in Grund und Boden angelegten
Kapitalien zu verlangen. Beide Parteien stehen auf dem sozia-
listischen Standpunkt, der unserer Ansicht nach in der gleichen
Weise unhaltbar, ungerecht und kulturwidrig ist. Dazwischen liegt
ein breiter Mittelweg, der sich auf demselben Boden befindet, dem
gleichen Ziele einer allgemeinen Förderung des volkswirtschaftlichen
Lebens zusteuert, aber doch in verschiedener Weise mit ungleichen
Mitteln in abweichendem Tempo zu benutzen ist. Die Kernfrage, die.
toggen- und Kartoffelbau gefunden. Nun, solche Beispiele würden wir ihm in Westpreußen
in manchen Gemeinden schon in den 60er Jahren haben nachweisen können, und wenn er
die Gutachten für den Verein für Sozialpolitik aus den S0er Jahren sieh näher ansieht, so
wird er dort gleichfalls solehe Darstellungen finden. Wir bestreiten aber entschieden, «daß
sie als typisch anzusehen sind. Wire es sonst denkbar, daß, wie die Statistik angiebt, die
Preise der bäuerlichen Grundstücke nieht zurückgegangen sind, vielmehr noch immer eine
außerordentliche Höhe zeigen, wenn, wie Sering behauptet, von 1893—97 nieht einmal „die
baren Ausgaben, welehe Wirtschaft und Haushalt verursachen”, gedeckt wären? Entweder
ist seine Reinertragsbereehnung, die übrigens von ihm auf allgemein angenommene Sätze
basiert, nieht aber aus den Wiüirtschaftsbüehern entnommen ist, unrichtig oder es sind
exceptionelle Verhältnisse zur Untersuehung gezogen. Auch Sering will aber die Er-
höhung der Getreidezölle nur aeceptieren, wenn dem Volke weitgehende Kompensationen
dureh erhebliche Steuerentlastung und umfassende Kolonisation und Verbot der
Arbeiterzuwanderung aus Polen und Rußland geboten werden. Da nun hierauf nieht
zu rechnen ist, so finden wir in ihm schließlich einen Gegner der Maßregel, was wir
nach seinen vorhergerangenen Ausführungen allerdings nicht erwartet hatten.
Freiherr von Cetto suchte insbesondere nachzuweisen, daß eine Erweiterung des Vieh-
standes in Deutschland unthunlieh sei, da es an Wiesen fehle und diese sieh nieht willkür-
lich ausdehnen lassen. Er wählte zum Belege Beispiele, daß Pferde- und Viehzucht im
großen nur bei großen Wiesenflächen möglieh sei. Damit ist natürlich für unsere Frage
gar nichts bewiesen. Zwischen Viehzucht im großen und Viehhaltung im kleinen ist
bekanntlich ein gewaltiger Unterschied, und zur Sehweine- uud Geflügelhaltung, die, wie
wir zu zeigen suchten, für den Bauer von sehr großer Bedeutung und deren Ausdehnung für
das Land sehr wünschenswert ist, sind Wiesen überhaupt nieht nötige. Durch Verschiebung
der Frage ins Extreme erweckt man wohl den Schein einer Widerlegung, in Wirklichkeit
erreicht man «damit eine solche nieht. Wir haben gezeigt, daß eine Verkleinerung der
Betriebe von selbst die Ausdehnung der Vichhaltung zur Folge hat, auch da, wo Boden
und Klima den Graswuchs nieht besonders begünstigen, Es braucht damit gar nicht
eine Beschränkung des Getreidebaues verbunden zu sein. Hannover hat den stärksten
Getreideban (inkl. der Hülsenfrüchte), TO Proz. der Fläche, und zugleich eine sehr
starke Viehhaltung. Die Ermittelungen der nationalliberalen Partei haben nach Zeitungs-
beriehten ergeben, daß sieh weite Kreise der Landwirte daselbst gegen die Erhöhung
der Getreidepreise ausgesprochen haben, da sie davon eine überwiegende Sehädigung
ihrer Interessen fürehten. Auch das Königreich Sachsen verbindet mit einem sehr
starken Getreidebau eine groBe Viehhaltung. Es handelt sieh deshalb gar nieht um die
Frage entweder Getreidebau oder Viehzucht, sondern neben Getreidebam er-
weiterte Viehzucht.
Die Agrarzülle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich. 157
wie wir glauben, nicht genügend in der Diskussion in den Vordergrund
gestellt ist, liegt darin : Ist der landwirtschaftliche Produktionsbetrieb in
der That unter den jetzigen Preisverhältnissen derartig bedroht, daß er
einer Stütze nicht entraten kann, und auf der anderen Seite, sind hier
die Agrarzölle die geeigneten Maßregeln, um ihm zu helfen? Niemand
von den in Frage kommenden Gegnern der Zölle bestreitet, daß die
Landwirtschaft als solche erhalten bleiben muß. als eine Hauptgrund-
lage unseres Staats- und Wirtschaftslebens. Alle nach dieser Richtung
gehenden Auseinandersetzungen scheinen uns sehr überflüssig, und
schießen an dem Ziele vorbei. Wenn die Regierung und die Majorität
des Reichstages die Ueberzeugung gewonnen haben, daß die Land-
wirtschaft als solche wirklich bedroht ist, so können sie gar nicht
anderes, als nach entsprechenden Gegenmaßregeln zu suchen. Vor-
schläge aber, welche darauf hinauszielen zwangsweise ein solches Vor-
gehen zu verhindern, durch Obstruktion im Reichstage, oder gar
durch Boykott der heimischen Produktion, sind ebenso unsinnig wie un-
konstitutionell und geradezu verbrecherisch, da sie eine Art Bürgerkrieg
bilden. Es ist notwendig, sich von allen Uebertreibungen fernzuhalten.
Vor allen Dingen ist festzustellen, daß es nicht Sache der Gegner
der Agrarzölle ist, den Nachweis zu führen, daß dieselben nicht not-
wendig sind, sondern umgekehrt, Sache der Regierung und ihrer An-
hänger, die unbedingte Notwendigkeit zu beweisen; und nur wenn
dieses ausreichend geschehen ist, wird einer so bedeutenden Forderung
nachgegeben werden dürfen. Diesen Nachweis vermissen wir in-
dessen vollständig. Wir haben oben bereits darauf hingewiesen, daß
die Regierung ebenso wie die Vertreter der Landwirtschaft sich selbst
durch ihre Uebertreibungen in früheren Jahren um das nötige Ver-
trauen gebracht haben, indem sie in der unverständigsten Weise von
einer Not der Landwirtschaft sprachen, wo thatsächlich keine vor-
handen war, sondern nur von einer Kalamität der Landwirte mit
unzureichender Intelligenz oder unzulänglichen Mitteln gesprochen
werden konnte. Wirtschaftliche Schwierigkeiten rechtfertigen
aber noch nicht ein so tiefgreifendes Vorgehen, welches Hunderte von
Millionen alljährlich von der Bevölker ung beansprucht, die außerdem
nach Art der Kopfsteuer aufgebracht werden sollen. In großer
Schwierigkeit befindet sich bekanntlich gegenwärtig ebenso ein großer
Teil unserer Industrie, z. B. die Textilgewerbe, wie die Rhederei,
ohne daß sie mit den gleichen Ansprüchen hervortreten. Außerdem
ist festzustellen, ob alle Kategorien der landwirtschaftlichen Betriebe
in der gleichen Weise zu leiden haben, oder ob nicht hierbei ein
Unterschied zwischen Groß- und Kleinbetrieb zu machen ist. Es
ist schließlich die Frage, die wir schon berührten, ob zu Gunsten der
wirklich einer durchgr eifenden Stütze Bedürftigen nicht zweckmäkiger
in anderer Weise vorgegangen werden kann.
Die erstere Untersuchung ist allein statistisch zu führen, wie
wir das bereits wiederholt an dieser Stelle versucht haben. Wir
geben deshalb hier nur die Fortsetzung, und verweisen zugleich in
betreff des umfassenderen Materials auf unsere Abhandlung in dem
ersten Bande der Publikationen des Vereins für Sozialpolitik, Bei-
158 J. Conrad,
träge zur neuesten Handelspolitik Deutschlands, Leipzig 1900, S. 105.
Das am meisten benutzte Material, um die Not der Landwirtschaft
nachzuweisen , ist das der preußischen Domänenpacht, welches auch
von uns stets entsprechend herangezogen wurde. Wir legen deshalb
die Zahlen hier vollständig vor, wenn auch in reduzierterer Weise
als in dem oben angegebenen Artikel.
Die Pacht der altpreußischen Domänen belief sich im Durchschnitt
pro ha nutzbarer Fläche: Preise pro Tonne:
Jahr Weizen Roggen
1549: 13,90 M. = 100 1841—1850: 167,8 M. = 100 123,0 M. = 100
1864: 20,23 = 145 1851—1860: 211,4 „ = 126 165,4 „ = 134,5
1869: 26,41 „ = 190 1861—1870 : 204,6 „ = 121,93 154,6 „ = 126
1879: 35,53 es 256 1871—1880 : 223,2 „ = 133 172,8 „ = 140,5
1580: 39,10 „ = 281 1881—1890: 181,4 „ = 108,1 151,5 » = 123
1899 : 36,48 99,28 134,8 »
Die Entwickelung der Pachterträge in Regierungsbezirken der
östlichen Provinzen Preußens von 1849—1899:
262 1891—1898 : 166,6 , 109,5
Steigerung der Pacht
y Pacht pro ha We ge
Regierungsbezirk sr
1849 | 1869 | 1879 | 1890 | 1899 | 1879 | 1890 | 189%
Königsberg i. Pr. 8,57 | 17,89 | 23,48 | 24,48 | 22,54] 274 | 286 263
(Gumbinnen 6,88 | 14,14 | 15,92 | 17,70 | 17,12 | 231 257 249
Danzig 11,96 | 28,13! 33,22 | 30,15 28,07| 278 252 | 235
Marienwerder 7,38 | 17,68 | 25,4% | 27,60 | 23,13 | 344 374 313
Posen 7,93 | 17,12 | 20,27 | 20,62 | 19,89 | 256 260 251
Bromberg 8,03, 19,04 | 21,14 | 20,26 / 21,46| 203 252 267
Stettin 12,57 | 24,15 | 27,19 | 28,81 | 25,21| 216 225 201
Köslin 9,81 | 20,06 | 27,59 | 23,07 | 22,81 | 281 | 235 | 232
Stralsund 11,18 | 29,94 | 31,49 | 29,78 | 27,80 282 266 249
Breslau » 13,96 | 24,84 | 34,68 | 45,19 | 41,58 | 248 | 324 299
Liegnitz 13,69 | 23,83 | 41,71 | 42,50 3155] 305 | 310 230
Oppeln 10,06 | 17,48 | 27,32 | 35,65 | 33,42 | 272 254 333
Potsdam 10,26 | 24,06 | 30,43 | 30,59 | 25,48 | 297 | 298 | 248
Frankfurt a. O. 14,84 | 28,57 | 37,11 | 37,69 | 32,63 | 250 260 220
Magdeburg 27,12 | 47,66 | 78,37 | 91,80 | 90,63 | 289 | 338 | 334
Merseburg 31,76 | 40,65 | 60,16 | 75,63 | 73,43 | 189 238 231
Erfurt 24,43 | 33,10 | 43,79 | 39.82 35,56 | 179 163 145
|
Durehsehnitt: | 13,90! 31,18 | 35,63 | 38,05
(Siehe Tabelle auf S. 159.)
36,48 256 | 280 | 262
Der durchschnittliche Rückgang der Pacht ist, wie sich daraus
ergiebt, bisher nur ein unbedeutender gewesen. Was will es besagen.
wenn die Pacht, welche pro ha im Durchschnitte 1889 39,10 M. be-
trug, im Jahre 1899 auf 36,18 zurückgegangen ist, wenn dieselbe
1879 35,53 M. betrug, 1869 26,41, 1849 aber 13,90 M. Wir ent-
nehmen aus diesen Zahlen nur, daß bei den Pächtern in den letzten
Decennien eine unberechtigte Ueberspekulation stattgefunden hat, die
jetzt auf das richtige Maß zurückgeschraubt wird, und welche noch
Jetzt erheblich hinter der richtigen Grenze zurückbleibt. Dieses findet
noch eine schärfere Beleuchtung in der kleinen Tabelle, welche neben
den durchsehnittlichen Pachtsätzen die Preise für Weizen und Roggen
Die Agrarzölle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich. 159
mm = — -
P s Bis dahin A
d Pacht- | Zahl der | Nutzbare Steigerung
Bezirk 5 d S | = Neue gezahlte 2
e beginn Güter Fläche Pacht | “Pacht 100:
: 1870—74 11 6531 | 124990! 83892 | 148,9
1875—79 || 10 5 141 115716 88890 | 130,2
1880—84 25 16 589 324 229| 304515 106,5
Ostpreußen 1885—89 16 | 9250 135 824 | 208 551 89,1
1890—94 || 12 | 6518 130241 158034 82,4
1895—99 20 | 16157 276752| 306886 90,2
1870—74 6 | 3113 105753, 53886| 196,8
1875—79 10 4 443 104 278 55713 187,2
A 1880—84 14 7 721 221 360| 207610| 106,6
Westpreußen 1885—89 9 4 060 77390 | 102 922 75,2
1890—94 9 5 344 113 173! 175 123 64,6
1895—99 15 | 7686 155 945 | 191 240 81,5
1870—74 5 | 2056 41 120| 29856 137,7
1875—79 15 9466 | 176311! 115 332 152,9
Posen 1880—54 15 | 9634 211041 | 207 868 101,5
S 1885—89| ı2 | 8053 154169! 185640! 83,0
1890—94 14 9 080 146 354 | 177 764 82,3
1895 — 99 12 6 498 142506 | 157449 90,5
1870 —74 17 8 583 340791 212934 | 160,0
1875—79 || 30 15 293 647 367 | 474592 136,4
1880—84 || 23 15 236 528 476| 507 825 104,1
Brandenburg 1885—89 | 19 11 782 321 209 1 375 925 82,8
1890--94| 32 | 15797 | 471749| 563431 83,7
1895—99 28 | 19658 530725. 710874 7457
1870 -74 30 12 247 378667 | 314 889 120,3
1875—79 29 12 809 365 382 | 335 224 109,0
Pomem 1880—84 | 33 17 455 440 588 | 484701 90,9
1885—89 48 20 333 449857 | 587 840 84,9
1890—94 | 30 13 364 325456; 392754 82,9
1895—99 | 34 17103 | 375469! 484190! 77,5
1870—74 10 3 598 137 434| 74442] 184,8
1875—79 16 7 665 230 562. 140119 164,0
Schlesien 1880—84 16 | 8131 469 436, 283616 165,1
1885—-89 || 13 7275 233 246| 231301 100,8
1890—94 | II 5 359 158 725 | 206 892 76,7
1895—99 16 6 474 173270! 244635 70,8
1870—74 | 27 13 961 881420! 461233 186,8
1875—79 | 18 11091 |1226962 452024 | 271,0
Sachsen 1880—84 | 32 17 621 1 596 344 | 1056 540 151,1
1885—89 35 17 982 |1 189 480 | 1 038 825 104,8
1890—94 25 12450 |1 145724 | I 114069 102,8
1895—99 31 16959 |1198626 1 361 105 88,1
1875—79 61 10987 ')| 420070 725650 57,9
1880—84 56 3 942 264010! 251539| 105,0
Hannover 1885—89 Si 10 921 659773 | 733 205 90,0
1890—94 65 14 281 880 443, 743819 118,3
1895—99 ' 62 9 256 560 134 | 581 907 96,3
1875—79 29 55201)| 235348! 257 240 91,5
1880—84 14 | 1764 72313, 70772 102,2
Hessen-Nassau 1885—89 16 3752 159627 | 165053 96,7
1890—94 31 5 001 242649 259412 93,5
1895—99 | 21 4 286 240 371 271751 88,5
1870—74| 106 | 50089 |2010175 la 231 132| 163,4
1875—79 128 65908 |23866578! 1 661 894 172,5
Summe der sieben ) ı 1880—84 158 | 92387 13791474 3052675 124,2
östlichen Provinzen | | 1885—89 152 78735 |2561 175 |2731 004 93,8
1890—94 133 67 912 |2491 422 2788 067 | 89,9
= u. 1895—99| 156 | 90535 |2853 29313456379, 85,4
$ 1) Es hat eine Reduktion der Fläche stattgefunden, wodurch die Pachtsumme er-
niedrigt wird, deren Höhe wir aber nicht festzustellen vermögen.
160 J. Conrad,
angiebt. In dem Decennium von 1841—50 war der Weizenpreis
genau so hoch wie von 1891—98, der Roggen sogar 11 M. niedriger,
während die Pacht in dieser Zeit gestiegen ist: wie 100 zu 962.
Das war ermöglicht durch die außerordentlichen Fortschritte, welche
die landwirtschaftliche Produktion gemacht hat. Die Steigerung war
angeregt durch die kolossale Preissteigerung von den 40er bis in
die Mitte der 70er Jahre hinein, so daß in dem letzterwähnten De-
cennium gegenüber den 40er Jahren das Verhältnis bei dem Weizen
wie 100 zu 133 ist, bei dem Roggen wie 100 zu 140. Der große
Fehler der Landwirte lag, wie oft erwähnt, darin, anzunehmen, daß
diese Preisentwickelung so weiter gehen werde, während jeder, der
die Verhältnisse überschaute, sich sagen mußte, daß es sich hier nur
um eine vorübergehende Erscheinung handeln könne. Wenn nun
gar die Grofgrundbesitzer verlangen, daß ihnen diese Preise nach-
haltig garantiert werden sollen, weil sie sich damals damit einer
unberechtigten Ueberspekulation überlassen haben, so ist das volks-
wirtschaftlich als absolut unberechtigt und unhaltbar zu bezeichnen,
und nur zu erklären, einmal, weil sie durch falsche Darstellungen
der Preisentwickelung irre geleitet sind, dann, weil sie das Bewußt-
sein haben, die gesetzgeberische Thürklinke, wie sich Bismarck ein-
mal ausdrückte, in der Hand zu haben und dieselbe nicht in dem
allgemein volkswirtschaftlichen, sondern in ihrem persönlichen Interesse
als Grundbesitzerklasse für sich ausnutzen wollen, und, wie es
scheint, zu können. Um dieses noch klarer zu legen, führen wir die
Preisentwickelung für Berlin und einzelne Länder an, um die Ent-
wickelung in größeren und kleineren Perioden überschauen zu lassen:
Getreidepreise pro Tonne in Mark in Berlin
Weizen Roggen Gerste Hafer
1651—1700 74,5 53,4 54,6 52,4
1701—1730 84,8 02,7 52,9 52,5
1751—1800 125,3 101,4 108,4 90,5
1301—1850 185.8 136,0 127,2 130,6
1851—1900 194,5 154,4 152,1 151,7
(Siehe Tabelle auf S. 161.)
Man würde aber ein falsches Bild erhalten, wenn man sich
allein an diese Durchschnittszahlen halten wollte. Der Rückgang
der Pacht tritt darin naturgemäß sehr langsam hervor, weit schärfer
läßt er sich bei der Zusammenstellung der Neuverpachtungen er-
kennen, wo die Zahlen weit extremere sind. Im Durchschnitt der
q östlichen Provinzen ergab sich, daß von 1585—89 die neu zu
zahlende Pacht für 152 Güter gegenüber der bisher bezahlten in
dem Verhältnis wie 100 zu 93.8 zurückstand, von 1890—94 be
der Neuverpachtung von 133 Gütern wie 100 zu 89,9: in der Periode
von 1895—99 wie 100 zu $5,4, wodurch der Staat eine Einbuße von
ea. 600000 M. erlitt. Am stärksten war der Rückgang in Schlesien:
in der letzten Periode wie 100 zu 70,8, in Brandenburg wie 100 zu
14,7, in Pommern wie 100 zu 77,5. In der Provinz Hannover war
der Rückgang nur ein ganz unbedeutender: Anfang der Wer Jahre
hatte noch eine Steigerung stattgefunden; es kamen dort hauptsäch-
161
11
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Dritte Folge Bd, XXIII (LXXVIII).
162 J. Conrad,
lich nur kleine Grundstücke zur Verpachtung. Auch in der Provinz
Sachsen und Hessen-Nassau hat sich die ungünstige Konjunktur be-
merklich gemacht durch einen Pachtrückgang wie 100 zu 88. Daß
sich hieraus also eine Ungunst der landwirtschaftlichen Verhältnisse
ergiebt, unterliegt keinem Zweifel, aber die beiden Momente sind
dabei im Auge zu behalten, die in der neueren Zeit viel zu wenig
beobachtet wurden, daß es sich hier im großen Ganzen nur um
eroße Güter handelt und ferner, daß allgemein ein Uebergebot bei
den Pachtungen stattgefunden hatte, und schon vor 20 Jahren es
nicht an Stimmen gefehlt hat, welche vor einer Ueberspannung
der Pacht warnten. Es kann darüber kein Zweifel sein, daß die
Landwirte sich in großer Ausdehnung in der Hoffnung auf die
Wirkung der Getreidezölle zu übermäßigen Geboten haben verleiten
lassen.
Ein beachtenswertes Symptom bilden außerdem die bedeutenden
Summen, welche bei der Pacht rückständig geblieben sind. Sie be-
zifferten sich in den letzten beiden Perioden auf 11/, Mill. M., wäh-
rend in den früheren es sich meist nur um eine halbe Million handelte.
Wenn trotz des Rückgangs der Pacht, die allerdings erst ganz kurze
Zeit gewirkt hat und noch keineswegs allgemein eingetreten ist, die
Landwirte nicht imstande waren, ihren Verpflichtungen ausreichend
nachzukommen, so wird man nicht umhin können zuzugestehen, daß
noch immer normale Verhältnisse vorliegen.
Pachtreste aus den Jahren 1872—1808/99:
à no rn 187718— 1881/82— 1886,87 — 1891/92— 1896/07 —
-chse à BS
Leet 1872—76 1880/81 1885/86 1888/89 1895/96 1598/99
Oestliche Provinzen 415 543,42 739531,75 579668,40 1274411,61 1290442,63 1 200 041,2:
Westliche j 121 790,88 76158,67 64 620,77 96 697,69 156 916,11 272 188.6;
Ueberhaupt 537 334,30 815 690,42 644 289,17 1371 109,30 1447 358,74 1 538 220,
Ein noch schlimmeres Zeichen ist unzweifelhaft die zunehmende
Verschuldung, wofür wir leider nur für Preußen ausreichende Zahlen
haben, die auch nur die Zunahme ersehen lassen, nicht aber die wirk-
liche Höhe der Verschuldung. Von 1886—97 ist die Hypotheken-
schuld auf den ländlichen Grundstücken Preußens um 2416 Mill. M.
gestiegen. Das ist unzweifelhaft eine bedenkliche Summe, zumal,
wenn man dabei erwägt, daß in dieser Zeit der Wert des Grund
und Bodens im allgemeinen nur wenig gestiegen, hier und da sogar
zurückgegangen ist. In den Bezirken von Jena, Frankfurt a. M.
und Kassel ist die Zunahme nur gering gewesen, also in Gegenden
mit überwiegendem Kleinbetriebe, wo also, wie es scheint, ein ge-
ringerer Geldbedarf vorgelegen hat.
(Siehe Tabelle auf S. 163.)
In «diesen Zahlen ist unserer Ansicht nach am schlagendsten die
Wirkung der landwirtschaftlichen Depression zu Tage getreten. Sie
sind nur daraus zu erklären, daß sich allmählich das landwirtschaft-
liche Defizit so gesteigert hat, daß man sich genötigt sah, die auf-
gehäuften Personalschulden hypothekarisch eintragen zu lassen, denn
es ist nicht anzunehmen, daß heutigen Tages die Landwirte mit einer
geringeren Anzahlung sich ankaufen, als das bisher der Fall gewesen
163
Die Agrarzölle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich.
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164 J. Conrad,
ist. Es wäre das ein so unbegreiflicher Leichtsinn, wie wir ihn nicht
glauben voraussetzen zu können. Ein Teil allerdings kann darauf
zurückgeführt werden, daß die Landwirte bestrebt gewesen sind, zu
einem intensiveren Betriebe überzugehen und hierzu Anleihen auf-
genommen haben. Doch ist dieses erfahrungsgemäß doch nur bei
einem kleinen Teil der Schuldsummen anzunehmen. Wenn in einem
Artikel in der „Nation“ von Broemel die Bedeutung der Erschei-
nung dadurch abzuschwächen gesucht wurde, daß er anführte, erheb-
liche Summen, die thatsächlich getilgt sind, blieben stehen, so fällt
dieses Moment bei unserer Betrachtung nicht erheblich ins Gewicht,
da wir es nicht mit dem absoluten, sondern einem relativen Bestande
zu thun haben, und kein Grund vorliegt, anzunehmen, daß jetzt mehr
getilgte Gelder ungelöscht bleiben als früher. Dagegen wird man
allerdings hervorheben dürfen, daß die bäuerliche Bevölkerung erst
in der neueren Zeit in ausgedehnterer Weise von dem Hpypothekar-
kredit Gebrauch macht, während sie sich früher mehr mit dem Per-
sonalkredit begnügte. Wir sind leider nicht in der Lage, die Bedeu-
tung dieses Momentes näher beleuchten zu können, so wichtig es
auch wäre. Unter allen Umständen haben wir es hier mit einer
Thatsache zu thun, welche auf eine zunehmende Notlage der Grund-
besitzer schließen läßt, und um so mehr, da im Laufe der Zeit, für
welche wir Belege in der Hand haben, eine Steigerung zu verfolgen
ist. Von 1886—89 betrugen die Ueberschüsse der Eintragungen
172,3 Mill.; von 1890—93 200 Mill. Von 1893—97 sogar 275 Mill. M.
Hatte die letzte Untersuchung ein ungünstiges Ergebnis geliefert.
so zeigt die Verfolgung der Zwangsversteigerung ein wesentlich besseres
Bild, indem überall eine erhebliche Abnahme derselben zu konsta-
tieren ist.
Zwangsversteigerungen in Preußen.
(Nach der Zeitschrift des preußischen Statistischen Büreaus.)
Der versteigerten | Von der Gesamtfläche Oest- | West-
Grundstücke entfielen auf Betriebe liche liche
Jahr ee E a i Pro- | Pro-
Gesamt- | Gesamt- | unter von |von 50n. Vinzen || vinzen
zahl fläche ha | 2 ha [2—50 ha mehr ha ha | ha
1886/87 2979| 110063 0,79 | 21,09 78,12 | 100581 | 9982
1887/88 2355 81681 0,81 | 20,52 78,87 | 74612 | 7069
1889/89 2 446 81280 0,77 | 21,59 | 77,64 74672 | 6608
1856/90 2014| 62801, 0,86 | 24,89 74,25 | 57 775 | 4026
1890/91 2 220 | 55310) 1,20 | 23,38 75,42 51158 4102
1891/92 1536 | 62351 0,58 | 19,20 79,85 | 58648 3703
1892/93 2 299 89 260| 0,63 | 21,90 77,47 |
1893/94 1998| 69327, 0,10 | 21,73 | 77,57 |
1894/95 1566| 60287 0,7 | 21,39 | 78,04 | 53 869 | 6418
1895/96 1834| 67259) 0,68 | 19,16 80,16 | 60576 6683
1896/97 1517 | 64 107, 0,63 19,73 79,64 |
1897/98 1591! 47782 0,81 | 28,30 | 70,90 | 42142 5636
1808/99 1411! 37727 1,05 | 37,00 | 61,88 28879 | 3848
Betriebe überhaupt
nach der Zählung |
von 1882 1232108 24122733 1,52 52,76 | 45,72
Die Agrarzölle in der Zolltarifvorlage iu Dehtschen Reich. 165
Zwangsweise Veräußerung landwirtschaftlicher An-
wesen in Bayern.
(Nach der Zeitschrift des Königlich Bayerischen statistischen Büreaus.)
Gesamte Grund- | Außer Bewirtschaftung standen am
Zahl der Ver- A | Schlusse des res
Jahr äußerungen lache | - gah
ha Anwesen ha
1880 3739 30 059 953 5392
1851 2739 21 252 399 2261
1882—86 1609 11 883 261 1325
1887—91 1275 8 944 127 917
1892 883 6785 77 876
1893 823 6718 79 637
1894 991 7 385 74 717
1895 1086 8616 145 658
1896 1148 9 149 186 1023
1897 1280 11 318 198 1385
1898 1248 10 395 213 1339
1898 976 8 967 184 1005
1900 865 7 116 181 999
Liegenschaftliche Zwangsveräußerungen für die land-
wirtschaftlichen Anwesen im Großherzogtum Baden.
(Statistisches Jahrbuch für das Großherzogtum Baden.)
Sé Betroffene Die Fläche Jahr Betroffene Die Fläche
F Landwirte im ganzen ha Landwirte im ganzen ha
1882 538 2430 1891 367 1560
1883 311 1419 1892 355 1551
1384 315 1435 1593 276 849
1885 245 1149 1894 206 612
1556 252 1255 1895 187 744
1587 218 979 1596 180 1060
1888 372 1640 1897 196 715
1389 412 1400 1398 187 826
1890 339 1389
Auch diese Angaben beweisen, daß die Verhältnisse sich gebessert
haben. Sie geben aber keinen Anhalt dafür, daß jetzt eine besondere
Veranlassung vorliegt, durch eine Zollerhöhung Hilfe zu leisten.
In Preußen war die zwangsweise versteigerte Fläche 1886—89
pro Jahr durchschnittlich gegen 90000 ha. In den letzten Jahren
durchschnittlich 50 000, 1898/99 37 700. Die Zahl der Subhastationen
landwirtschaftlicher Anwesen ging von gegen 3000 im Jahre 1886/87
ganz allmählich auf die Hälfte herunter. Noch günstiger haben sich
die Verhältnisse in Süddeutschland gestaltet. 1880 kamen in Bayern
nicht weniger als 3700 landwirtschaftliche Anwesen zur Versteigerung,
von 1882—86 1609, von 1887—91 1275 und von 1892—95 946, von
1396—98 1200, 1899/1900 920 ha. Die Fläche, welche dabei in Be-
tracht kam, sank von 30 000 auf 10 000, also den dritten Teil, obgleich
in den Jahren 1897/98 wiederum eine Verschlimmerung eingetreten war.
1880 standen 953 Anwesen mit 5392 ha außer Bewirtschaftung 1894 nur
‘+ mit 717 ha, 1900 : 181 mit 1000 ha. In Baden wurden 1882 538 Land-
wirte bankerott und 2430 ha kamen zur Zwangsversteigerung. In den:
166 J. Conrad,
letzten Jahren 190 Landwirte mit ca. 800 ha, das ist der dritte Teil.
Nun wird zwar vielfach behauptet, daß hieraus eine Besserung der
Verhältnisse nicht zu entnehmen sei, sondern, weil die Gläubiger bei
der Zwangsversteigerung so schlechte Geschäfte gemacht haben, nähmen
sie davon Abstand. Nun wird die folgende Untersuchung aber sofort
ergeben, daß dieses für den bäuerlichen Besitz entschieden nicht zu-
trifft, da derselbe in dem Werte nicht gesunken ist und sich im
allgemeinen durchaus angemessen verkäuflich gezeigt hat. Höch-
stens für den Großgrundbesitz könnte jener Einwand acceptiert werden.
Wir sehen auch den Wert der angeführten Zahlen hauptsächlich darin,
daß er zeigt, wie wesentlich sich in Süddeutschland mit überwiegend
bäuerlichen Betrieben die Verhältnisse gebessert haben, und man er-
kennen kann, daß dort der Bauer mehr und mehr gelernt hat, die
Ungunst der Verhältnisse auszugleichen.
Dies Ergebnis wird wesentlich dadurch gestützt, daß die Ver-
kaufspreise, die für Baden vorliegen, eine fortdauernde Steigerung
beobachten lassen. Der durchschnittliche Erlös pro ha Ackerland
ist für das Jahr 1868 auf 1639 M. berechnet, Wiesen auf 2039 M.
und 1880: 1867 und 2204, 1890: 2036 und 2326, 1897 : 2535 und 3119.
Verkaufspreise und Pachterträge pro ha im Groß-
herzogtum Baden.
(Aus Statist. Jahrb. f. d. Großh. Baden.)
Durchschnittlicher
Durchschnittlicher Erlös pro ha | Pachtertrag pro ha
Jabr = == |
Acker Gärten Wiesen Reben Wald || Acker Wiesen
M. M. M. M. M. | M M.
1868 1639 — 2039 4281 692 | — —
1876 1993 5422 2702 5049 1023 | — ©
1877 2130 4 406 2731 5250 992 — —
1878 1966 4319 2556 5004 945 96 119
1879 1866 4054 2329 4764 1156 o 116
1880 1867 4381 2204 3957 805 92 110
1881 1898 4 886 2361 4625 812 oi 111
1882 1917 4529 2318 4851 819 90 109
1883 1888 4779 2353 4521 725 91 109
1584 1941 5 567 2321 3915 797 92 III
1885 1893 6365 2368 4426 740 89 108
1386 1871 5 309 2393 4863 991 89 107
1887 2069 5 175 2409 4662 921 86 106
1888 2096 5 927 2441 4673 782 85 106
1889 2167 4 537 2546 3971 1044 | 85 104
1890 2036 5156 2326 3792 878 | 85 102
1891 2141 10 341 2473 3689 901 | 85 103
1802 2133 7 261 2490 3696 839 | 87 105
1893 2283 8 436 2500 4178 971 89 112
1894 2263 9 105 2696 5039 1130 | 7 106
1895 2491 8 624 2777 4048 1116 ! 86 104
1596 2635 10 296 2770 5248 1172 | 84 102
1897 2535 12613 3119 5045 1453 | 8 101
1898 3790 11 336 3376 4859 1332 | 86 102
Die Agrarzülle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich. 167
Die Pacht pro ha ist allerdings von 1879 mit 96 M., 1879 mit
91 M., 1890 auf 85 M., 1897 auf 83 M. heruntergegangen. Immer-
hin ergiebt sich aus diesen Zahlen, daß die Fachmänner die Ren-
tabilität der Landwirtschaft keineswegs so ungünstig beurteilen, wie
ihre Presse, ihre Vertreter in Vereinen, Landtage und im Reichs-
tage sie darstellen.
Der Kaufpreis der Allodial- und Lehngüter in Mecklenburg-
Schwerin war durchschnittlich pro Hufe:
m S 7
Allodialgüter Roggen | Weizen
Lehngüter | Durehschnittspreis Durehsehnittspreis Durchschnittspreis
| pro Hufe | ` ppm 100 kg pro 100 kg
piny | Ver- | Ver- | Ver- | ee
M. |hältnis| M. | hältnis-| M. |hältnis-| Mo. en
zahl || zahl | zahl e 100
1770—1789 | 22000 100 | 22819 100 ! 9,08 100 12,31 100
1790—1809 | 60000! 270 | 58 674 257 | 14,31 157,6 18,70 152
1810—1829 | 43000! 195 | 4468| 196 | 9,82 ; 108,2 | 14,40 117
1830—1849 | 73000! 331 | 78975] 396 | 10,67 | 117,6 | 15,98 130
1850—1859 | 133 000| 605 |118696| 520 15,40 | 169,6 | 19,87 161
1860—1869 | 152000, 620 180441 731 | 14,73 | 162,2 | 19,15 156
1870—1878 | 133 000 605 | 158945 693 N 15,68 172,7 N 20,86 169
I 1 N:
t
Vergleichung der Grundpreise mit den Getreidepreisen in der
Provinz Posen nach Sarazin:
Grundpreise | Getreidepreise d Prozentische Preissteigerung
pro ha in M. pro Ctr. in M. 1861—70 = 100
Zeitraum PR Fr | El | 5 | PR A 3 | A E
=n AE 3 E S ZE zg ‘5 Se
SZ S2 | e | e \82|52 [ein
bis 1800 — | 207 | 159 — | — | — 40 35 | = =
1801—10 — — 269 | 59 = =
1811—20 — 232 266 9,15 | 5,70 | = 45 58 92 82
1821—30 113 210 133 5,251 3,75 | 27 41 2 60 54
1831—40 149 132 164 6,85 , 4,25 36 25 36 69 61
1841—50 | 195 | 243 | 274 | 815; 5,50 | 47 47 60 82 | 79
1051—60 301 363 340 | 10,70 7,70 | 73 70 74 107 DNI
1861—70 412 516 459 9,95 6,95 | 100 100 100 100 100
1871—80 | 520 | 630 | 578 | 10,65 | 8,02 | 126 122 126 | 106 | 115
1881—90 | 661 703 | b620 Han 7,08 | 153 136 135 88 102
1891—95 | 732 | 654 | 537 | 8,40 | 725 | 178 127 | 117 | 84 | 104
Die Preise des Grund und Bodens in der Provinz Sachsen nach
Steinbrück:
(Siehe Tabelle auf S. 168.)
Welch verschiedene Entwickelung in dieser Hinsicht der große
und kleine Grundbesitz zeigen, geht aus den beiden Zusammen-
stellungen von Sarrazin und Steinbrück hervor, die uns
außerordentlich charakteristisch erscheinen und sich auf die Pro-
168 J. Conrad,
Dee
Kaufpreise ER: Kaufpreise
bei Rittergütern Verhaltnis der Landgüter Ueber- A
Jahr zu h lassungspreise
pro ha 1801—20 pro ha eh
M. à M. pro ha
1741—1760 468 63,6 — =
1761—1780 567 | 77,0 _ =
1781—1800 611 83,0 202 236
1801—1820 736 100,0 488 285
1821—1840 840 114,0 602 547
1841—1860 1216 165,2 1151 587
1861—1880 2135 289,8 2200 1567
1881—1895 2945 399,8 3467 2643
vinzen Posen und Sachsen beziehen. Während in Posen der Groß-
grundbesitz seit den 70er Jahren, namentlich aber seit den 80er
gesunken ist, ist bei dem Mittelbesitz erst seit dem letzten De-
zennium ein unbedeutender Rückschlag eingetreten, so daß noch nicht
einmal das Niveau der 70er Jahre erreicht wird. Bei dem Klein-
besitz hat aber überhaupt ein Rückschlag nicht Platz gegriffen, viel-
mehr ist die Steigerung bis in die Gegenwart hin fortgesetzt. In
der Provinz Sachsen ist ein Rückgang überhaupt nicht zu kon-
statieren gewesen, aber wir haben es da mit einem größeren
Durchschnitte zu thun: es kann deshalb sehr wohl in den 90er
Jahren ein solcher vorgelegen haben. Wichtiger ist für uns, daß
auch hier die kleinen Grundstücke weit stärker im Preise gestiegen
sind als die großen, woraus sich entnehmen läßt, daß auch in dieser
Provinz die Lage des Bauern eine wesentlich bessere ist als die des
Großgrundbesitzers, obgleich der letztere im großen Ganzen weit
höheren Nutzen aus dem Rübenbau zu ziehen vermag als der erstere.
Ueberhaupt aber ist darauf aufmerksam zu machen, wie außer-
ordentlich die Wertsteigerung des Grund und Bodens in den letzten
Dezennien gewesen ist, welcher Kapitalszuwachs daraus dem Grund-
besitz erwachsen ist und wie verschieden dagegen der Rückschlag
in der neueren Zeit war. Es muß ferner darauf aufmerksam ge-
macht werden, daß solche Schwankungen in dem Grundwerte in
jedem Jahrhundert vorgekommen sind und es eine völlige Ver-
kennung der Thatsachen ist, wenn die gegenwärtige Preissenkung
als etwas ganz Außergewöhnliches, Unerhörtes und das Staatswohl
Bedrohendes hingestellt wird. Die Preisangaben für Posen zeigen,
wie gegenüber dem Anfang des Jahrhunderts in den 20er Jahren
unter die Hälfte gesunken ist, der mittlere insbesondere in den
30er Jahren nahezu auf die Hälfte fiel, um dieses aber schon in
dem folgenden Dezennium vollständig wieder auszugleichen. Die
Statistik der Kaufpreise der größeren Lehen- und Allodialgüter in
Mecklenburg-Schwerin ergiebt, daß der durchschnittliche Preis der
Hufe von 1790—1809 60 000 M., von 1810—29 43 000 M. bei den
Lehengütern, 58000 und 44 000 M., bei den Allodialgütern war. Die
Ueberschätzung der jetzigen Kalamität kann nicht schärfer genug
charakterisiert werden als durch die Gegenüberstellung dieser Zahlen.
Die Agrarzülle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich. 169
Zwei Untersuchungen sind hieran anzuknüpfen: einmal von
welcher Bedeutung ist überhaupt der Preisrückgang des Grund- und
Bodens für die Volkswirtschaft, und ferner, woran liegt es, daß der
bäuerliche Besitz die Depression wesentlich leichter erträgt als der
Großgrundbesitz.
Wiederholt ist in der agrarischen Litteratur auf die Einbuße an
Nationalvermögen hingewiesen, welche durch den Rückgang des
Wertes des landwirtschaftlichen Grundbesitzes herbeigeführt werde.
Diese Auffassung beruht auf einer gänzlichen Verkennung der volks-
wirtschaftlichen Verhältnisse, und einer privatwirtschaftlichen Be-
urteilung des Volkswohlstandes. So wenig an und für sich die
Schwankungen des Kurswertes der Papiere, z. B. der Staats-
obligationen, irgend eine Bedeutung für den Volkswohlstand haben;
so wenig das Steigen der (Gebäudepreis in den Städten, so-
lange dieselben unverändert bleiben, eine Verbesserung der Lage
der Bevölkerung in sich schließt, so wenig ist das von dem Steigen
des Grundwertes auf dem Lande zu erwarten, und ebensowenig von
dem Sinken desselben an und für sich eine Verarmung des Landes
zu befürchten. Es kommt vielmehr ganz darauf an, wodurch der-
selbe herbeigeführt ist. Beruht derselbe allein auf einem Rückgang
der Preise der landwirtschaftlichen Produkte, oder auf einer Ver-
änderung des Zinsfußes, während die Produktion dieselbe geblieben
Ist, so wird dadurch der Volkswohlstand nicht berührt, denn der Vor-
tel des Grundbesitzers bildet den entsprechenden gleichen Nachteil
fir die Konsumenten, die für ihre Bedürfnisse entsprechend mehr
ausgeben müssen, wie der Landwirt mehr einnimmt. Ist der Guts-
wert gesunken, so haben die jüngeren Landwirte den entsprechenden
Vorteil, das Land billiger erwerben, respektive pachten zu können,
die Gesamtheit hat weder einen Nachteil noch einen Vorteil davon:
geradeso wie ein Sinken der Miete in den Städten der zuziehenden
Bevölkerung zugute kommt. An und für sich hat also das Land
kein Interesse daran, den Wert des Grund und Bodens hochzu-
halten, solange die Bewirtschaftung desselben dadurch nicht be-
einträchtigt wird. Und hier liegt eben ein erheblicher Spielraum
vor, nicht nur in der Grundrente, sondern auch in der Verzinsung
des mit dem Grund und Boden verbundenen Kapitales, welches nicht
herausgezogen werden kann, und deshalb benutzt wird, solange die
Produktionskosten gedeckt werden. Erst dann leidet die Gesamt-
heit, wenn der Landwirt nicht mehr imstande ist, Gebäude, Melio-
rationen, Inventar in dem bisher leistungsfähigen Stande zu erhalten
und in dem Ertrage keinen Anreiz zur weiteren Kapitalsanlage findet,
dureh welchen die Erträge erhöht werden können. Daß auf diesen
Punkt bisher die Erträge nicht herabgesunken sind, ging aus den
oben angeführten Zahlen genugsam hervor. Ob ein Sinken unter
diesen Punkt bei dem jetzigen Preisniveau zu erwarten steht, ist
allerdings ebenso schwer nachzuweisen, wie zu bestreiten. Von
den Landwirten in der Debatte im Reichstage, vor allem von
dem Grafen Schwerin, ist nachdrücklichst hervorgehoben, daß der
170 J. Conrad,
moderne landwirtschaftliche Betrieb ein industrieller sei. Nun, die
Industrie liefert fortdauernd Beispiele wie der menschliche Unter-
nehmungsgeist den Betrieb den Verhältnissen anzupassen und bei
einem Rückgang der Preise der Waren die Produktionskosten zu er-
mäßigen weiß, um dadurch die Fabrikation aufrecht zu erhalten.
Es ist nur nötig, an das Agrargewerbe der Zuckerindustrie zu
erinnern, wo auch ein extremer Fall der Preise des Rohzuckers die
Industrie nicht lahm gelegt, sondern nach vorübergehendem Rück-
gang zu neuem Aufschwung gebracht hat. Solche Mittel und Wege
stehen in ausgedehntem Maße auch der Landwirtschaft zur Verfügung.
Wie wäre es sonst möglich gewesen, daß im Laufe von 100 Jahren
die Preise der Mecklenburger Güter sich versiebenfacht haben, wäh-
rend die Preise der landwirtschaftlichen Produkte sich noch nicht
einmal verdoppelten. Seit 1549 hat die Pacht der preußischen Domänen
sich verdreifacht, obwohl die Getreidepreise im Durchschnitte kaum
gestiegen sind, und in der neueren Zeit sogar einen tieferen Stand
erreicht haben als damals, obwohl der Fiskus nicht gerade bestrebt
ist, große Kapitalien in den Domänen anzulegen. Hier entsteht
die wichtige Frage: ist es richtig, durch künstliche Erhöhung
der Getreidepreise die Landwirtschaft bei der bisherigen Betriebs-
weise festzuhalten, oder sie der Entwickelung der Weltwirtschaft ent-
sprechend dahin zu drängen, in einem höheren Maße als bisher den
Schwerpunkt der finanziellen Verwertung statt in dem Getreide
in den übrigen Produkten zu suchen, die nicht entwertet, sondern
verteuert sind, und welche die deutsche Landwirtschaft in so unzu-
länglicher Weise liefert, daß alljährlich eine halbe Milliarde dafür an
das Ausland gezahlt werden muß. Hauptsächlich kommen hierbei in
Betracht die verschiedensten Viehgattungen mit Ausnahme der Schafe,
von denen mehr exportiert als importiert werden. Fleisch aller Art,
Speck, Schmalz, Butter, Käse, Geflügel, Bier, Obst, Gemüse etc.
Allerdings sind alle diese Gegenstände im allgemeinen mehr von
den kleinen, als den Großgrundbesitzern zu erwarten. Und um die
Erhaltung des Großgrundbesitzes und Großbetriebes dreht sich der
ganze Tarifstreit. Der Großgrundbesitz kämpft um seine Stellung,
ihn sollen die Getreidezölle stützen. Wie Friedrich Wilhelm I. den
Junkers gegenüber den rocher de bronce stabilierte, und Friedrich
Wilhelm III. nur durch Machtspruch dem Grundadel die Beseitigung
des Hörigkeitsverhältnisses abzuringen vermochte, Wilhelm I. nur
unter Mitwirkung der liberalen Partei die konservativen Gutsbesitzer
zwingen konnte, Anfang der 60er Jahre von der gewaltigen Steigung
der Grundrente einen sehr bescheidenen Teil durch gleichmäßige
Uebernahme der Grundsteuer mit dem bäuerlichen Besitz an den
Staat abzutreten, so sind auch jetzt die Grundbesitzer nur durch
Zwang dahin zu bringen, sich den Zeitverhältnissen unterzuordnen.
Das kann nur geschehen «durch Uebereinstimmung der Krone mit
der Majorität der Volksvertretung, und sind diese der Meinung, daß
der ländliche Großbetrieb in der Hauptsache seine Mission noch
nicht erfüllt hat, sondern auf Kosten der übrigen Bevölkerung in
Die Agrarzölle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich. 171
seiner bisherigen Ausdehnung erhalten werden muß, so ist einst-
weilen dagegen nichts zu machen. Wir bezweifeln indessen sehr,
daß das Erstrebte trotz aller Opfer erreicht werden wird, sondern
gehen davon aus, daß eine erhebliche Reduktion desselben nichts-
destoweniger eintreten wird, bis auf diejenigen Betriebe, die durch
Verbindung des Agrargewerbes, durch Erzielung edlerer Produkte etc.
Hervorragendes leisten, weil dazu besondere Intelligenz und höhere
Mittel erforderlich sind, als sie naturgemäß dem Kleinbetrieb zur
Seite stehen. Wir würden es für richtiger halten den Uebergang zu
beschleunigen, statt ihn mit weit größeren Opfern zu verzögern.
Wir kommen damit zur zweiten Frage, warum der Bauer die
gegenwärtige Depression besser zu überstehen vermag, als der Guts-
besitzer. Hier liegen verschiedene Momente vor, die einzeln beachtet
werden müssen. In erster Linie ist es allbekannt, daß der Groß-
betrieb in der Hauptsache von dem Getreidebau lebt, der Bauer
mehr von der Viehzucht. Das Getreide ist erheblich im Preise ge-
suınken, die tierischen Produkte erfreuen sich mit Ausnahme der
Wolle und einzelner weniger in Betracht kommender Gegenstände
hoher Preise. Damit ist in der Hauptsache der Unterschied des
Interesses in voller Bestimmtheit klargelegt.
Die Erhöhung der Löhne trifft natürlich den am meisten, der
völlig auf Lohnarbeit angewiesen ist, wie der Großbetrieb, er wird
w so weniger fühlbar, je kleiner der Betrieb ist, je mehr mithin die
Familienglieder des Besitzers im Betriebe ausreichen. Da nun die
Löhne auf dem Lande — Gott sei Dank — in den letzten Decennien
sehr bedeutend gestiegen sind, so drückt dieses in gewaltiger Weise
den Reinertrag des Großbetriebes herab, und dies ist in Deutschland
noch in keiner Weise durch Anwendung von Maschinen ausgeglichen,
während auf der anderen Seite der Bauer mehr und mehr beginnt,
auf dem Wege der Association sich die Maschinen nutzbar zu machen.
Je intensiver der ganze Betrieb ist, je mehr die Produktionskosten
Steigen, um so mehr fallen die Nachteile ins Gewicht, welche die
Entfernung der Felder vom Hofe mit sich bringt. Schon Albrecht
Thaer hat darauf aufmerksam gemacht, daß viele Großgrundbesitzer
entfernt gelegene Ländereien nur mit Schaden bewirtschaften, weil
sie nicht durch eine genaue Reinertragsberechnung die Verhältnisse
klar übersehen, und nicht erkennen, daß der ausgedehnte Betrieb
nur auf Kosten der näher gelegenen Grundstücke unterhalten wird.
Daß sich dieses Verhältnis in der neueren Zeit ganz gewaltig aus-
xedehnt hat und heutigen Tages viele große Güter nur deshalb un-
rentabel sind, weil zu viel entlegene Felder vom Centrum aus über-
haupt oder zu intensiv bewirtschaftet werden, ist allgemein anerkannt.
Diese Verhältnisse künstlich aufrecht zu erhalten, wird eine Haupt-
wirkung der Getreidezölle sein. Während durch eine Abstoßung der
Außenländereien durch Bildung bäuerlicher Betriebe nach allen Rich-
tungen hin ein Nutzen gestiftet würde.
Das dritte Moment, welches sich zum Nachteil der Gutsbesitzer
entwickelt hat, liegt in der Zunahme der Lebensansprüche und der
172 J. Conrad,
Verteuerung der Lebensbedingungen der gebildeten Klasse. Soweit
der Bauer sich seine alte Anspruchslosigkeit erhalten hat, lebt er
jetzt billiger, als früher. Hauseinrichtung, Kleider, Beleuchtung,
Kolonialwaren kosten jetzt nicht so viel als vor 50 Jahren. Ein
Gutsbesitzer, der an einen gewissen Luxus gewöhnt ist, der zugleich
seinen Kindern eine höhere Bildung geben lassen will und muß, die
dann eventuell bis zum 30. Jahre seine Unterstützung brauchen, bis
sie endlich ihren Unterhalt sich selbst verdienen können — man denke
an Juristen, Offiziere etc. — brauchen heutigen Tages mehr als das
Doppelte, bei größerer Kinderzahl das Dreifache für den Familien-
unterhalt, als vor 50 Jahren, und dieser Umstand bewirkt in vielen
Fällen allein, daß der Reinertrag des Gutes für ihn nicht ausreicht,
sondern Schulden gemacht werden müssen, auch wenn die Wirt-
schaft denselben Reinertrag wie bisher liefert. Für eine Familie
mit höheren Lebensansprüchen hat sich das Leben auf dem Lande
noch mehr verteuert als in den Städten, trotz der hohen Mieten, die
hier gezahlt werden müssen. Sind mehrere Kinder zu erziehen, so
ist es für den Gutsbesitzer mitunter vorteilhafter, ganz in die Stadt
überzusiedeln, wenn er einen ordentlichen Vertreter hat, als die Kinder
in einer Pension unterzubringen. Man kann beobachten, daß Güter
sich ganz leidlich rentieren, nachdem der Besitzer, der mit einem
Defizit wirtschaftete, gestorbeu, der Haushalt aufgelöst ist, und an
die Stelle ein anspruchsloser, aber tüchtiger Administrator gesetzt
wurde. Die Schwierigkeiten des Unterhaltes fallen aber dann ganz
besonders ins Gewicht, wenn auf dem Gute Schulden lasten, und
das ist ja in der neueren Zeit fast allgemein der Fall, und bekannt-
lich in einem höheren Maße als auf den Bauerngütern.
Da alle diese betrachteten Momente nicht vorübergehender Natur
sind, vielmehr im großen Ganzen sich in der Zukunft noch mehr
verschlimmern dürften, erscheint es uns hoffnungslos und volkswirt-
schaftlich wie politisch falsch. dagegen durch Schutzzoll anzukämpfen,
es wird dadurch nicht Gesundung herbeigeführt, sondern das Gegenteil
bewirkt. Dem einen Teil der größeren Landwirte ist nicht zu helfen,
der andere Teil bedarf der Hilfe nicht, er kann sich selbst helfen.
Denn es fehlt durchaus nicht an Gutsbesitzern die eine angemessene
Verzinsung ihres Vermögens erzielen, wie z. B. Wendorff-Zechau in
seiner bekannten Schrift: Die Entschuldung des Grund und Bodens.
Posen 1900, dargelegt hat. Jeder, der die landwirtschaftlichen Verhält-
nisse mit aufmerksamem Auge verfolgt, ist in der Lage, Beispiele an-
zuführen, wo intelligente Landwirte in den letzten Decennien sich ein
Vermögen erworben baben, sei es durch den Rübenbau oder durch
die Kultur anderer Ilandelsgewächse, sei es durch den Verkauf edleren
Zuchtmaterials oder durch einen besonders rationellen Ackerbau mit
Anwendung künstlicher Düngmittel, oder durch Samenbau ete.
Daß der bäuerliche Betrieb in Deutschland noch keineswegs auf
angemessener Höhe steht, ist allgemein zugestanden; obwohl er in
der neueren Zeit einen gewaltigen Aufschwung genommen hat. Wie
unzulänglich gerade auf den bäuerlichen Besitzungen der Obst-, aber
Die Agrarzölle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich. 173
auch Gemüsebau ist, wie unrationell noch vielfach die Viehhaltung, die
Behandlung des Düngers. wie wenig die Geflügelzucht verwertet wird,
ist von den landwirtschaftlichen Vereinen oft genug hervorgehoben.
Da nun die Preise all dieser hierbei in Betracht kommenden Produkte
keineswegs niedrig, sondern verhältnismäßig hoch sind, so muß in
dieser Beziehung die Landwirtschaft einer hohen Entwickelung fähig
sein, und hier kann es die Aufgabe einer richtigen Schutzzollpolitik
sein, entsprechend nachzuhelfen und besondere Anregung zu geben.
Schon allein durch eine größere Zerteilung des Grundbesitzes wird
aber der landwirtschaftliche Betrieb in dieser Hinsicht den Verhält-
nissen entsprechend abgeleitet und zur Gesundung geführt werden.
Im deutschen Reiche wurden auf 1000 ha landwirtschaftlich benutzter
Fläche 1895 auf Grundstücken der folgenden Größenkategorien Vieh
gehalten:
unter 2ha von 2—4 ha von 5—20 ha von 20—100 ha über 100 ha
Haupt-Großvich 1465 1155 947 765 482
ns E
Rindvieh 783 598 250
Schweine 1917 402 113
Hiernach kann der Leser leicht ermessen, welche geringe Zerkleine-
rung der Betriebe ausreichen würde, um den Viehstand Deutschlands
so zu erhöhen, daß er in der Hauptsache zur Befriedigung des Be-
darfs an tierischen Produkten genügen würde.
Ist es auch bereits oft auseinandergesetzt, worin der Unterschied
zwischen Industrie- und Agrarzöllen in ihrer volkswirtschaft-
lichen Wirkung liegt, so muß doch hier noch einmal darauf zurück-
gekommen werden, weil dieses von agrarischer Seite absichtlich
ignoriert oder verschleiert wird.
Während ein Zoll auf Industrieprodukte, z. B. Wollwaren dem
betreffenden Fabrikanten eine unmittelbare Erleichterung gewährt
und nur so weit eine Abschwächung erwarten läßt, als ein über-
mäßiger Gewinn Konkurrenz groß zieht, kein Unbeteiligter einen
Vorteil davon hat, sondern nur noch andere Gewerbszweige, welche
das Rohprodukt und Halbfabrikat herstellen. dadurch begünstigt
werden, die Last dagegen allein von den Konsumenten getragen
wird, liegt die Sache bei den Agrarprodukten prinzipiell anders. Der
momentan wirtschaftende Besitzer oder Pächter hat natürlich gleich-
falls einen Vorteil von der entsprechenden Preiserhöhung, aber so-
bald er seinen Posten verläßt, das Gut neu zur Verpachtung gelangt,
steigt auch die Pacht in entsprechender Weise, wie ebenso bei dem
Verkauf der Grundwert. Der neue Uebernehmer steht dann genau
so da, wie sein Vorgänger, bevor die Zölle auferlegt wurden. Da
hierbei die optimistische Natur des Menschen stark zur Geltung
kommt, liegt sogar die Gefahr vor, daß die Preise stärker steigen,
als es den Verhältnissen entspricht, weil man die Wirkung der Zölle
überschätzt. Das ist ganz unzweifelhaft 1879 der Fall gewesen und
hat bis in die neueste Zeit gewirkt. Unsere Landwirtschaft stünde
174 J. Conrad,
heutigen Tages besser da, wenn überhaupt (retreidezülle nicht auf-
gelegt worden wären. Freilich würde der Besitzwechsel infolge einer
großen Zahl von Bankerotten ein sehr viel größerer gewesen sein.
Die jetzigen Besitzer und Pächter würden aber zu einem sehr viel
niedrigeren Preise die Güter übernommen haben, hätten entsprechend
weniger an Pacht und Zins zu zahlen und würden deshalb der gegen-
wärtigen Situation besser gewachsen sein: In der gleichen Weise
liegt jetzt die Gefahr vor, daß, wenn der neue Tarif eingeführt ist,
und damit höhere Zölle dem Landwirte gewährt werden, eine an-
gemessene Reduktion der Pacht- und Grundpreise nicht statt-
findet, oder wohl gar eine Erhöhung derselben eintritt, und die jüngere
Generation der Landwirte dadurch keine verbesserte, sondern ebenso
schwierige Stellung hat, als das bei der gegenwärtigen der Fall ist:
und nach Ablauf des Handelsvertrages wird dann mit derselben Be-
stimmtheit zur Erhaltung der Landwirtschaft eine abermalige Zoll-
erhöhung als unerläßlich hingestellt werden, wie in der Gegenwart.
Wir haben es mit einer Schraube ohne Ende zu thun, wie das mit
vollem Rechte wiederholt ausgesprochen ist.
Was wird von seiten der Landwirte dagegen eingewendet ?
Einmal, daß diese Anpassung der Pacht- und Grundpreise sich
sehr langsam vollziehe und für diejenigen unwirksam bleibe, welche
durch keinen Besitzwechsel berührt werden. Da man im Durch-
schnitte alle 15 Jahre einen Besitzwechsel durch Erbfall und Kauf
bei uns annimmt, die Pachtperiode kaum je über 18 Jahre hinaus-
geht, so ist doch der Besitzwechsel in 10—12 Jahren ein völlig
durchgreifender, so daß dem Einwande eine Bedeutung nicht beigelegt
werden kann. In zweiter Linie kann man sehr häufig die Behauptung
hören, daß heutigen Tages bei dem gewaltigen Kapitalumsatz in dem
landwirtschaftlichen Betriebe die Höhe der Pacht und des Zinses für
das Kaufkapital keine ausschlaggebende Bedeutung habe. Diese Auf-
fassung kann nicht scharf genug zurückgewiesen werden. Vor allem
ist es klar, daß sie eine gewisse Berechtigung nur bei ganz extrem
intensiv betriebenen Wirtschaften hat, wie bei gärtnerisch verwerteten
Grundstücken, bei landwirtschaftlicher Samenkultur, außergewöhnlich
hoher Viehnutzung etc., wo der Wert des Grund und Bodens ähn-
lich zurücktritt wie bei einer Fabrikanlage. In allen Fällen gewöhn-
licher Kultur, wie sie im großen und ganzen vor allem im bäuer-
lichen Betriebe vorliegt, ist das entschieden nicht der Fall. Hier
balanziert vielmehr der Reinertrag fortdauernd in der nächsten Nähe
um die Summe, die für den Haushaltsbedarf und zur Deckung von
Pacht und Zinsen erforderlich ist. Als auf einer größeren Versamm-
lung von Landwirten in unserem Beisein die Frage erörtert wurde,
wie dem Landwirte in der gegenwärtigen Kalamität zu helfen sei,
erhob sich ein angesehener größerer Pächter und sagte, ohne daß
ihm widersprochen wurde: „Da kann ich Ihnen ganz genau ein un-
fehlbares Mittel angehen, ermäßigen Sie die Pacht auf die Hälfte,
dann ist uns Allen geholfen.“ Hierin liegt es, daß die gegenwärtige
Landwirtschaft in England ihren blühenden Charakter, im Gegen-
Die Agrarzölle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich. 175
satz zu einer weit verbreiteten Ansicht in Deutschland, im großen
Ganzen nicht eingebüßt hat, trotzdem dort der Preisrückgang der land-
wirtschaftlichen Produkte weit größer und allgemeiner gewesen ist als bei
uns. Die Grundbesitzer haben an Pachteinnahmen sehr bedeutende Ein-
buße erlitten, die Farmer haben sich in ihrer Wirtschaftsmethode den
Verhältnissen angepaßt und die Kalamität längst überwunden. Wenn
die Statistik zeigt, daß der Getreidebau eingeschränkt ist, die Weide-
flächen ausgedehnt worden sind, so bedeutet das, wie jeder weiß, der
die englischen Verhältnisse kennt, nicht wie bei uns einen Uebergang
zum extensiven Betriebe, sondern nur eine andere Art der Nutzung
des Grund und Bodens, da die Grasnutzung auf Grund der Rayolung
des Landes und mit bedeutendem Aufwande von Dünger und sorg-
fältiger Behandlung des Landes stattfindet, während der stärkere
Viehstand gleichfalls mehr Kapital in Anspruch nimmt. Wir ver-
weisen Dn Bezug hierauf auf die Artikel von König in diesen Jahr-
büchern, Bd. 21, sowie auf die Schriften von Stillich und König
über die englische Landwirtschaft, die Jena 1898 und 1899 erschienen
sind und sich auf die Agrarenquete in England stützen.
Innerhalb Deutschlands bieten sich uns aber gleichfalls Zahlen
zur Bekräftigung unserer Auffassung. Die Preise der landwirtschaft-
lichen Produkte sind in den einzelnen Landesteilen außerordentlich
verschieden, während die Klagen der Landwirte überall dieselben
sind. Im Jahre 1900 waren die Durchschnittspreise für die Tonne
Weizen in Westpreußen 143 M., im Rheinland 163 M. Der Roggen,
ebenso der Hafer, in Westpreußen 13 M. weniger als im Rheinland;
das Schweinefleisch 25 M. Nach den monatlichen Nachweisen über
den auswärtigen Handel des K. statistischen Amtes Dezember 1901
war der Roggenpreis im Jahresdurchschnitt 1901 in Königsberg (guter,
gesunder) 129,8, in Leipzig 150,5, in München (gut, mittel) 157,5,
prima 160,3 M. pro Tonne. Der Weizenpreis war in Breslau 155,8,
Königsberg (guter, bester) 154,7, in Leipzig 165,4, in Lindau aber
195,8, in München (gut, mittel) 185,9, (prima) 191 M. pro Tonne.
In Lindau war der Weizen 39 M. höher notiert als in Königsberg,
in manchen Jahren ist die Differenz aber noch erheblich größer ge-
wesen. Im Durchschnitt der Jahre von 1891/95 war der Weizen-
preis in Königsberg 162,9 M., in Lindau 212,9 M., die Differenz betrug
50 M. Die Eier kosteten in Westpreußen 338, am Rhein 491 M. die
Butter dort 215, hier 233 M. Eine Molkereigenossenschaft in Jablonowo
in Westpreußen zahlt für die Milch durchschnittlich 6 Pfg. pro Liter
unter Rückgabe der Magermilch, die etwa auf 2—2!/, Pfg. zu be-
werten ist, und die Landwirte der Umgegend sehen diese Preise schon
als einen wesentlichen Fortschritt und als segensreiche Wirkung der
Genossenschaft an. Die Grundbesitzer in der Umgegend von Halle
sind in der Lage für ihre Milch 18 Pfg. zu erhalten, gleichwohl be-
haupten die Landwirte in der Provinz Sachsen wie am Rhein und in
der Umgegend von Lindau ete. in der gleichen Weise, daß für ihre
Existenz die Zölle unbedingt notwendig seien. Auch sind sie mit
den Preisen ebenso unzufrieden wie die westpreußischen Guts-
176 J. Conrad,
besitzer. Und wenn es gelänge, in dem letzteren Landesteile die
Preise auf dieselbe Höhe zu heben wie am Rhein, so würden zwar
die jetzigen Gutsbesitzer dabei außerordentlich gute Geschäfte machen,
wie es unsere Väter oder Großväter thatsächlich gemacht haben,
aber nach Ablauf von 20 Jahren würde die neue (Generation ganz
mit den gleichen Klagen hervortreten, wie sie jetzt vom Rhein, von
dem südlichen Baden etc. herübertönen. Nun sind zwar die Löhne
im Westen höher als im Osten, sie haben sich aber in der neueren
Zeit ganz außerordentlich ausgeglichen, und die Differenz ist nicht
so groß, wie man vielfach annimmt, während die Kohlen im Inneren
von Westpreußen ungleich teurer sind als irgendwo am Rhein. In
der Hauptsache ist es die Verschiedenheit der Pacht und der Preise
des Grund und Bodens, durch welche das Endergebnis für die Land-
wirte trotz der Verschiedenheit der Produktenpreise so ziemlich das
gleiche ist, und dieses Ergebnis ist doch für die Frage der Agrar-
zölle von durchgreifender Bedeutung.
Wie bedeutend der Unterschied in den Pachtverhältnissen ist.
geht genugsam aus der oben angegebenen Tabelle über die Domänen-
pacht hervor. Im Regierungsbezirk Gumbinnen betrug die durch-
schnittliche Pacht 1899 17 M., in Posen 20 M., im Regierungsbezirk
Magdeburg dagegen 90 M.; in Merseburg 73, Breslau 72 M., was
weniger durch die natürlichen als die volkswirtschaftlichen Be-
dingungen bestimmt wird.
Von besonderer Bedeutung ist nun natürlich, zu zeigen, daß
bisher die Landwirtschaft einen Rückgang nicht erfahren habe. Wer
irgend mit offenen Augen die deutschen ländlichen Verhältnisse in
den letzten Dezennien verfolgt hat, kann doch darüber nicht im
Zweifel sein, daß nicht nur der landwirtschaftliche Betrieb bis zur
Gegenwart hin beständig Fortschritte gemacht hat. sondern daß auch
der Wohlstand in den ländlichen Distrikten, und zwar nicht nur in
den östlichen Provinzen, sondern auch in dem übrigen Deutschland.
speziell von der Provinz Sachsen ganz zu schweigen, außerordent-
lich gestiegen ist.
Wie ganz anders wohnt, kleidet und nährt sich in ganz Deutsch-
land jetzt der Bauer und ländliche Tagelöhner als vor 50 Jahren.
Am schärfsten tritt dieses in den östlichen Provinzen Preußens her-
vor, die in der Entwickelung lange Zeit übermäßig zurückgeblieben
waren. Das ist aber auch in der Provinz Sachsen konstatiert und
das Gleiche bezeugt Schäffle für Württemberg. Hauptsächlich ist
dieses von der Arbeiterklasse zu sagen, herbeigeführt durch die
Steigerung der Löhne.
Gleichwohl ist nicht zu leugnen, daß sich der landwirtschaftliche
Grundbesitz in schwieriger Lage befindet, und es ist nur ein außer-
ordentlich günstiges Zeichen des Fleißes und der Energie der
deutschen Landwirte, daß sie nichtsdestoweniger in dem Betriebe
keinen Rückgang, sondern im Gegenteile überall einen Fortschritt
haben eintreten lassen.
Die Agrarzülle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich. 177
Haus- u. Hof-
Forsten =
Acker, Wiesen Weiden- u, und Hal: räume, Oede-
Garten Hutwegen zungen land, Wege,
Gewässer
ha ha ha ha ha
1878 auf 26 063 000 5 907 065 13 838 856
1883 „26 177 000 5 896 930 13 900 612
1593 ,, 26 243 000 5 915 709 2 873 037 13 956 827 4927 200
Die Ackerfläche hat stetig zugenommen, die Wiesen blieben nach
Schwankungen von 1878—1893 fast auf derselben Ziffer.
Von größerer Bedeutung ist für uns die Frage: wie haben sich
die Anbauflächen verändert? Getreide und Hülsenfrüchte nahmen im
Jahre
1878 59,79 Proz.
1883 60,06 D
1503 60,94 5
der Fläche ein.
Trotz der ungünstigen Preise hat ein Rückgang der Anbau-
fläche nicht stattgefunden. Der Getreidebau hat seine alte Bedeu-
tung vollständig bewahrt.
Hackfrüchte und Gemüse:
1878 13,64 Proz.
1883 15,07 „
1893 16,15 „
Summe der Handelsgewächse:
1878 1,60 Proz.
1883 135 p
1893 oa ë,
Futterpflanzen Brache Aöikerweide Haus- u. Obst-
Jahr absolut . P absolut , P G Pro: " gärten
1000 ha; Fra. enen ZE PS 10% Proz.
1878 2605 9,93 2308 8,89 5,80 0,89
1883 2631 10,05 1847 7,05 5,69 1,59
1393 2569 9,70 1550 5,91 4,61 1,88
Anbaufläche in Deutschland.
J Weizen Roggen F ER Hafer Kartoffeln
ahr
ha ha N ha ha
1878 2 217 090 | 5934 927 1 620 283 | 3 743 070 2753216
INS5 2 293 831 5 841 841 1 742 386 | 3 786 827 2921179
1856—90 2305596 | 5823528 1706981 3 847 983 2915 563
1591—85 2 307 597 5 821 778 | 1688494 | 3998 958 2 992 852
1896—99 2 283 355 5 941 304 1643208 | 3993780 3083151
1900 2360391 | 3.954973 1670033 | 4122818 3 218777
(Siehe Tabellen auf S. 178.)
Das wichtigste Ergebnis der vorgelegten Zahlen ist, daß die
Landwirte trotz der niedrigen Preise es nicht für angezeigt gehalten
haben, den Getreidebau einzuschränken. Die vier Hauptgetreidearten
okkupierten 1878: 13515570 ha, von 1896—1899 durchschnittlich
Dritte Folge Bd. XXI (LXXVII). 12
178 J. Conrad,
Ertrag in Tonnen.
Jahr Weizen Roggen Gerste Hafer Kartoffeln
1878—80 2 878 517 5 817 797 2177411 4515 702 20 677 000
1881—85 2 868 560 5 741 993 2 190 792 4 113 067 24 088 000
1886—90 3051765 5 844 565 2 205 030 4583110 24 450 434
1891—95 3 281 312 6 548 335 2 345 940 4753486 | 27932129
1896—98 3 769 445 7 232 580 2 315 860 5 196 806 30 290 302
1899!) 4 323 542 8 675 792 2 983 876 6 882 687 38 486 202
1900 4 307 512 8 550 659 | 3 002 182 7 091 930 40 585 517
Ertrag in Mark?).
Tahi Weizen Roggen Gerste Hafer ue “| Kartoffeln
in 1000 M. | in 1000 M.| in 1000 M. | in 1000 M. | , Getreide in 1000 M.
in 1000 M.
1878—80 | 607 942 968 081 | 352 740 689 096 2 617 861 1 253 026
1881-85 | 542 157 918718 | 339134 599 685 2 399 696 1 267 028
1886—90 | 530 701 835 772 | 305 176 619 636 2 291 287 1 117 384
1891—95 | 543 057 972427 | 334296 | 681649 2531431 | 1477609
1896—98 | 629 120 941681 | 313335 | 697411 2 581 549 1 247 918
1899 696 355 11250441 | 466 141 982 847 3 394 786 1 347 010
1900 608 651 | 1392847 | 480349 999 962 3481811 I 461 060
nach der Erntestatistik 13 861 607 N 1900: 14 114 215 ha, also noch
etwas mehr. Sehr bedeutend hat der Kartoffelbau zugenommen und
zwar besonders auf Kosten der Brache, die von 1878—1893 von
2 308 000 auf 1550000 ha, d. i. von 8,9 auf 5,9 Proz. der Acker-
fläche zurückgegangen ist. Damit ist zum Ausdruck gelangt, daß
der Betrieb ein intensiverer geworden ist.
Auf die Angabe des Ernteertrages legen wir wenig Gewicht.
Der Direktor des deutschen statistischen Amtes nahm selbst fort-
dauernd Gelegenheit, davor zu warnen, den absoluten Zahlen Ge-
nauigkeit beizumessen, er vindiziert ihnen nur einen relativen Wert,
um den Ernteausfall von einem Jahre zum anderen zu bestimmen.
Zum Ueberfluß ist durch die gesonderte Aufführung der Zahlen pro
1899 diese Ungenauigkeit noch besonders illustriert, indem die sehr
erhöhten Zahlen pro 1899 keineswegs auf eine außergewöhnlich gün-
stige Ernte, sondern auf den veränderten Erhebungsmodus zurück-
zuführen sind. Jeder Versuch, auf Grund dieser Statistik den Nach-
weis der Höhe der Ertragssteigerung, der Lieferung des Bedarfes
der Bevölkerung zu führen, muß auf das entschiedenste zurückge-
wiesen werden.
Nur um einen ganz ungefähren Anhalt zu geben, haben wir den
Ertrag mit den Preisen multipliziert, und es ergiebt sich daraus, daß
die Ertragsentwickelung den Rohertrag auf der alten Höhe zu er-
1) Nach anderer Aufnahme,
also unverrleichbar.
2) 1873—98 Preise von Alt-Preußen ;
statistik.
die ein höheres Ergebnis liefert, als die bisherige,
1899—1900 Preise der deutschen Reichs-
Die Agrarzülle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich. 179
halten vermocht hat. Wir erwähnen es nur, da es die Beobachtung
der meisten praktischen Landwirte auf ihren Wirtschaften bestätigt.
Die letzten beiden Jahre sind, wie gesagt, hierbei nicht zur Ver-
gleichung zu ziehen.
Nachdem wir bisher die allgemeinen Gesichtspunkte erörtert
haben, welche für und gegen die Agrarzölle sprechen, wollen wir
jetzt noch die einzelnen Gegenstände besonders in das Auge fassen,
und zwar zunächst das Brotgetreide.
Bisher waren Roggen und Weizen stets mit demselben Zollsatze
belegt, während die Vorlage eine Differenzierung vornimmt, und den
Roggen um eine halbe Mark billiger in das Land hinein läßt, obwohl
von agrarischer Seite stets nachdrücklich eine gleiche Behandlung
aller Getreidearten befürwortet ist. Die bisherigen Zollsätze für Weizen
und Roggen waren pro Doppelcentner 5 M. auf Grund von Special-
verträgen ermäßigt auf 3!|, M. Die Erhöhung soll stattfinden bei
dem Roggen auf 6 M., was eine Erhöhung von 20 Proz. in sich
schließen würde. Vertragsmäßige Reduktion ist auf 5 M. vor-
gesehen, die Steigerung beträgt 1!/, M. oder 43 Proz., Weizen
und Spelz dagegen auf 6,50 M., das ist eine Steigerung von
30 Proz., wobei eine Ermäßigung auf 5,50 M. vorgesehen ist,
was gegenüber dem bisherigen Satze eine Steigerung von 2 M.
und 57 Proz. ausmacht. Das ist sicher eine sehr bedeutende Er-
höhung, über welche die Begründung sich leichtfertig hinfortsetzt,
indem sie darauf hinweist, daß diese Sätze sich nur bei dem Weizen
von dem entfernen, was ohne Benachteiligung der Volkswirtschaft
von 1837—92 bestanden hat, und um so leichter gezahlt werden könne,
da die Preise um noch einen bedeutenderen Betrag in den letzten Jahren
gesunken seien. Weil der Weizen dabei eine stärkere Einbuße erlitten
hat, als der Roggen, so hält es die Regierung für angemessen, den
Weizen stärker zu belegen, als den Roggen; zumal immer noch drei
Viertel des Verbrauchs in Deutschland von dem Brotgetreide auf
Roggen fällt und der Weizen überwiegend von der wohlhabenderen
Klasse konsumiert wird; außerdem weil die Produktionskosten des
Weizens höher veranschlagt werden. Diese Gründe dürften aus-
reichend sein, um noch eine stärkere Differenzierung berechtigt
erscheinen zu lassen, von etwa einer Mark. Die dagegen ange-
führten Bedenken, daß es dann mißlich sei, das Roggen- und Weizen-
mehl bei der Verzollung gleichmäßig zu behandeln, was aus prak-
tischen Rücksichten wünschenswert ist, wird von der Regierung selbst
widerlegt, da das Roggenmehl so gut wie gar nicht bei der Einfuhr
in Betracht kommt. Das Verhältnis des Roggens zum Weizenkonsum
hat sich in der neueren Zeit nicht unbedeutend zu Gunsten des Weizens
verschoben:
auf Roggen auf Weizen
a š 879/8 0,0 v. H. 0,0 v. H.
im Föhresdurchschnikt | ee Ee y e vH
der Jahrfünfte GET EN De Ser Ap A8
| 1889/94 64,0 p z 36,0 n» »
: ` e 1894/95 63,8 5, ; 36,7;
E aji Pi J / x rn jé 3 rn
im RBE 1895/96 624 37,6 ,, |
EN
180 J. Conrad,
Dieses zu begünstigen liegt, kein Grund vor. Außerdem fällt bedeu-
tend ins Gewicht, daß ein niedrigerer Roggenzoll für Rußland eine
besondere Bedeutung hat, und durch eine Ermäßigung desselben von
ihm bedeutsame Konzessionen zu erlangen sein werden, während sich
der Weizenzoll hauptsächlich gegen die Ver. Staaten und Argentinien
richtet, gegen welche nur in weit geringerem Maße Rücksichten zu
nehmen nötigsind. Außerdem ist die heimische Landwirtschaft in höhe-
rem Maße in der Lage, den Roggenbedarf zu decken; im Durchschnitte
von 1896—1900 92,6 Proz., in dem letzten Jahre sogar 95,6 Proz.; an
Weizen dagegen in dem letzten Jahrfünft nur 73,7 Proz. Daß durch
solche Differenzierung eine irgendwie schädliche Verschiebung des
Anbaues jener Getreidearten herbeigeführt würde, wie die Landwirte
fürchten, ist kaum anzunehmen, da ihr durch die Bodenbeschaffenheit
natürliche Grenzen gezogen sind. Schwerwiegender ist der Einwand,
daß den geringeren Bodenarten dabei ein unzureichenderer Schutz
als den besseren gewährt wird; doch dürfte es sich in der That nur
um eine Zurückführung des Preisverhältnisses handeln, das in früheren
Jahrzehnten bestanden hat, nicht aber um eine völlig neue Veränderung.
Besonderes Kopfzerbrechen verursachte den Beteiligten die Auf-
stellung eines entsprechenden Zolles auf Gerste. Bisher betrug der
Satz 2,25 M., für die meistbegünstigten Länder 2 M. Jetzt ist der
Satz von 4 M. angenommen. Hier deckt der heimische Ertrag im
Durchschnitt 69,6 Proz. des Bedarfs, und Rußland und Oester-
reich-Ungarn liefern hauptsächlich die Ergänzung. Bei der Gerste
ist der wesentliche Unterschied zu machen zwischen Futtergerste,
von der auch ein sehr bedeutender Teil zur menschlichen Nahrung
Verwendung findet, und der Braugerste. Die letztere kommt
hauptsächlich aus Oesterreich-Ungarn, während die Zufuhr aus
den anderen Ländern hauptsächlich der ersteren Qualität angehört. Es
wäre nun in hohem Maße wünschenswert, beide Qualitäten verschieden
zu behandeln, indessen ist von der Regierung ausdrücklich anerkannt,
daß dieses undurchführbar ist, weil sich äußere Kennzeichen zur Unter-
scheidung nicht genügend finden lassen. Um namentlich die kleineren
Brauereien nicht zu schwer zu belasten, hat man eine weitere Er-
höhung des Gerstenzolles für unthunlich erklärt. Der bayerische
Minister sprach sich entschieden dagegen aus. Ganz besonders
aber würde ein hoher Zoll die Futtergerste zu sehr verteuern, die
für Mastzwecke und Geflügelzucht auch in der Landwirtschaft eine
große Rolle spielt, und, wie erwähnt, des Zuschusses vom Aus-
lande nicht entbehren kann. Gerade aus diesem Grunde wäre es
allerdings wünschenswert gewesen, auf eine Zollerhöhung überhaupt zu
verzichten; doch steht dem auf der anderen Seite gegenüber, daß
gerade eine Ausdehnung des Gerstenbaues in Deutschland sehr wün-
schenswert wäre, die allerdings auch ohnehin dadurch begünstigt wird,
daß die Gerste weniger im Preise gesunken ist, als das Brotgetreide.
(ranz unerwartet hat die Regierung eine bedeutende Erhöhung
des Haferzolles und zwar um 70 Proz. von 2,80 M. resp. 2,20 auf
6 und 5 M., also dem Roggenzoll entsprechend in Vorschlag gebracht.
Die Agrarzölle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich. 181
Die Deckung durch die eigene Ernte ist auf gegen 94 Proz. veran-
schlagt. Der Zuschuß kommt in überwiegender Weise von Ruß-
land, in geringen Quantitäten auch von Amerika. Die Maßregel
wird damit motiviert, daß Hafer die hauptsächlichste Frucht ärmerer,
und namentlich klimatisch minder begünstigter Böden und Lagen ist.
In vielen Gegenden sei der kleine Landwirt auf den Erlös von Hafer
ausschließlich angewiesen, da er das erbaute Brotgetreide selbst kon-
sumiert (das ist besonders in Süddeutschland der Fall); während
Hafer als Futter für die Zwecke der Viehmästung von geringerer
Bedeutung sei als Gerste und Roggen. Man geht im großen ganzen
allerdings davon aus, daß gerade der Landwirt verhältnismäßig selten
Hafer zukauft, so daß die Last des Zolls hauptsächlich den städti-
schen Haltern von Pferden zufällt. Man erwägt dabei nicht genügend,
daß eine Verteuerung des Hafers notwendig eine erweiterte Ver-
fütterung des Brotgetreides zur Folge haben muß. Es sind uns
bäuerliche Wirtschaften vorgekommen, wo in einer erheblichen Aus-
dehnung nicht nur Roggen, sondern guter, aber selbst gebauter
Weizen an die Pferde verfüttert wurde, mit der Motivierung, daß
bei dem geringen Preisunterschiede es keinen Zweck habe, Weizen
zu verkaufen, um dafür Hafer zu kaufen. Auch Dade spricht sich
gegen diese Erhöhung aus, da in dem letzten Jahrzehnt der Hafer-
preis mehr über als unter dem Roggenpreis stand. 1893/94 kostete
der Hafer 149, der Roggen 139, 1895/94 157, der Roggen 125,
1896/97 130, der Roggen 121. Er fürchtet, daß die beabsichtigte
Maßregel dauernd den Hafer teuerer als den Roggen machen werde,
und der Haferbau sich auf Kosten des Roggenbaues erweitern würde.
Nun wird in der Diskussion über die Zölle von seiten ihrer Vertreter,
besonders von Dade, stets besonderes (Gewicht darauf gelegt, die
Deckung des Bedarfes an menschlichen Nahrungsmitteln durch den
eigenen Anbau zu bewirken. Von den verschiedensten Seiten wird
fortdauernd den Landwirten gepredigt, nicht Brotgetreide zu ver-
füttern, sondern dafür Futtermittel zu kaufen. Die Verzollung des
Hafers wirkt dem in beklagenswerter Weise entgegen. Es ist übrigens
nicht richtig, daß der kleine Landwirt allgemein besonders viel Hafer
baut, das ist der Fall in den preußischen Provinzen Hessen-
Nassau und der Rheinprovinz, wo derselbe 23,1 und 20,7 der
Ackerfläche occupiert; in den östlichen Provinzen Preußens dagegen
nur etwa 13 Proz., in den beiden Mecklenburg 15,4 Proz., im rechts-
rheinischen Bayern 16,1, in Württemberg 16,6, in Baden aber nur
11,8 Proz., also weniger als in den Gegenden des großen Grund-
besitzes.
Anbauverhältnisse in Gegenden mit großem Grundbesitz gegen-
über solchen mit überwiegem Bauerland.
(Siehe Tabellen auf S. 182.)
Wir fürchten, daß diese Maßregel sich für die Gesamtheit als
wenig vorteilhaft erweisen wird. Eine notwendige Folge derselben
ist dann auch sofort eine entsprechende Erhöhung des Zolles auf
Mais gewesen, der bisher 2M. resp. 1,60 M. betrug und fortan auf
182 J. Conrad,
Acker- u. Roggen u,
Gartenland Weizen Hafer Gerste
Ostpreußen ha ha ha ha
Westpreußen 6 865 335 2 185 666 887 793 348 914
Pommern 31.5 9/0 13 % 5,1 0/0
Posen
33,9 Din 23,1 0/0 4,5 %
Hessen-Nassau 925 209 212 194 144 650 28 267
28,5 0/0 20,7 0/0 2,6 %
Rheinland 1 241 230 354 407 257 321 32 945
31,3 Un 16,1 Din 11,9 0
Bayern r. 2 798 606 875,265 451 352 332 553
27,2 0/0 16,6 °/, 11,2 0%
Württemberg 881 198 239 851 146 159 98 916
24.0 0/0 11,8 0/0 9,8 fin
Baden 579 420 39 379 68 700 56 859
28,1 1/0 15,4 Din 3,0 Yo
Mecklenburg - Schwerin
und -Strelitz 900 546 253 436 138 671 27 395
Klee u. gege
Luzerne
4 preußische Provinzen 566 790 = 8,8
Hessen-Nassau 49439 = 7,9
Rheinland 126 680 = 10,2
Bayern r. 337599 = 12,7
Württemberg 96 386 = 10,9
Baden 60 448 = 10,4
Mecklenburg 49004 = 5,4
4 M. erhöht werden soll. Der größte Teil unserer in der neueren
Zeit auf 1!/, Mill. t gesteigerten Einfuhr wird als Futtermittel
verwertet, außerdem gewisse Quantitäten zur Stärkefabrikation un
zur Spiritusbrennerei. Die Regierung erkennt ausdrücklich an, d
die Landwirtschaft besonders für Mastzwecke dieses Futtermittel
nicht entbehren kann, daß die heimische Produktion dadurch direkt
eine Begünstigung nicht erfährt. Es ist also allein der indirekte
Druck, den man von dem Mais befürchtet und ganz besonders die
Konkurrenz, welche er dem Hafer bereitet, die zu dieser Maßrert
Veranlassung gegeben hat; vielleicht auch die Hoffnung, daß gerade
hier das Ausland so gütig sein würde, den Zoll auf sich zu nehmen.
Da aber, wie erwähnt, gerade in der neueren Zeit die Zufuhr mehr
als verdoppelt ist, so dürfte dafür wenig Aussicht sein. Die deutschen
Käufer erweisen sich dabei als der entschieden schwächere Teil. Man
nimmt mit der einen Hand, was man mit der anderen gegeben hat;
der Schutzzoll wird eben als das Allheilmittel angesehen.
Anders als die Getreidezölle sind die Zölle auf Tiere und
tierische Produkte zu beurteilen, von denen gleichfalls die deutsche
Landwirtschaft nicht so viel liefert, als zur Deckung des Bedarfs er-
forderlich ist. Und gerade in der neueren Zeit ist die Einfuhr 1 be-
deutendem Maße gestiegen, während die Ausfuhr mehr und mehr
reduziert ist. Wer nun davon durchdrungen ist, daß die Entwickelung
der Landwirtschaft in Deutschland in höherem Maße auf die Viehzucht
gerichtet werden muß, wird sich genötigt sehen, prinzipiell für emen
Die Agrarzölle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich. 183
Schutzzoll zu Gunsten der Viehzucht einzutreten. Indessen ist es
nötig, hervorzuheben, daß man sich im allgemeinen von der Wirkung
dieser Zölle für die Landwirtschaft viel zu viel verspricht. Die
Preise sind hier noch in einem viel höheren Maße lokalisiert als
für Getreide, und die Qualität fällt dabei in einem weit höheren
Maße ins Gewicht. Es kann deshalb auch die Erschwerung der
Einfuhr nicht in einem solchen Maße hebend auf die Preise ein-
wirken, zumal die ausländische Konkurrenz bis jetzt hierin doch nur
eine sehr beschränkte ist. Dagegen ist im Auge zu behalten, daß
die Verbesserungen der Einrichtungen der Waggons wie der Schiffe
fortdauernd große Fortschritte machen, und die Frachtsätze ermäßigt
werden, so daß dadurch auch nach dieser Richtung die Gefahr der
ausländischen Konkurrenz mit jedem Jahr zu steigen droht.
Ein- und Ausfuhr von lebendem Vieh
im Deutschen Reiche von 1875—1901.
Pferde Kühe Schweine
Jahr Einfuhr Ausfuhr Einfuhr Ausfuhr Einfuhr Ausfuhr
1875 68 919 28 059 112 315 59 379 903 553 361 571
1879 81873 42 526 61 620 38 008 1057 854 358 761
1855 69 763 15 770 45 456 35 235 545 633 423 293
1356/90 80 234 11 158 81 380 12 870 433 560 190 572
1591/95 85 340 8 620 123 900 3 562 696 285 10 333
1596/1900 115 106 9641 68 972 2 200 82 127 6 862
1901 100 389 10 541 76959 1651 77 257 1 986
Schafe Jungvieh Ochsen und Stier
Jahr Einfuhr Ausfuhr Einfuhr Ausfuhr Einfuhr Ausfuhr
1875 344413 991 890
1879 259294 1253 842 34 000 45 000 16 700 66 000
1885 9126 1175 993 30 317 49 335 12 769 56 874
1686/90 4245 940 000 43 470 35 058 16915 25 574
1581,95 4 560 336 720 82 618 4 579 65 787 4410
1896/1900 1 544 168 914 61 848 3 372 62 027 3 599
1901 655 187 862 68 146 3 867 71885 2671
Einfuhr und Ausfuhr von Schmalz, Geflügel,
Eier, Fleisch und Talg (in Tonnen = 1000 kg)
Schmalz Geflügel Eier Fleisch Talg
Jahr Ein- Aus- Ein- Aus- Ein- Aus- Ein- Aus- Ein- Ans-
fuhr fuhr fuhr fuhr fuhr fuhr fuhr fuhr fuhr fuhr
1590 91030 138 18521 300 54072 823 26329 15970 13309 593
1591—95 83 244 180 21075 277 70340 710 22927 5242 15457 627
1896—1900 122032 80 30300 350 105 041 620 58040 3745 21716 915
1901 124648 25 116 486 699 23114 77
Unter den lebenden Tieren nehmen vor allem die Pferde die be-
deutsamste Stelle ein. Wie die obige kleine Tabelle zeigt, ist
seit Mitte der 70er Jahre die Einfuhr von etwa 70000 Stück auf
110 bis 120000 in der neueren Zeit gestiegen, während die Ausfuhr
von 30000 auf 10000 gesunken ist. Deutschland giebt jetzt jährlich
gegen 80 Mill. M. aus, um sich die nötigen Pferde zu beschaffen,
die zum größten Teile aus Rußland (36000 Stück), aus Belgien und
184 J. Conrad,
Dänemark (ca. 20000), aus Oesterreich-Ungarn (16000), aus den Ver-
einigten Staaten (in den letzten Jahren 5 bis 6000) kamen. Es ist
hauptsächlich der schwere, kaltblütige Schlag, der von dem Westen
bezogen wird, und die minderwertige Mittelware, sowie die Ponies,
die aus dem Osten kommen. Die kleinen Tiere gehen in die Berg-
werke, die schwersten werden in der Industrie und im Verkehrs-
gewerbe benutzt, einen bedeutenden Teil bezieht aber die Landwirt-
schaft selbst. Gerade der ganz schwere Schlag wird in Deutschland
noch in unzureichendem Maße gezüchtet, wenn auch in der letzteren
Zeit große Anstrengungen gemacht werden, hier einen Ausgleich
herbeizuführen. In den Verhandlungen des deutschen Landwirt-
schaftsrats im Jahre 1399 wurde von dem Referenten hervorgehoben,
daß Remonten mehr gezüchtet würden als Bedarf vorliegt, denn die
Remontekommission habe in den letzten Jahren nur ein Drittel der
gestellten Tiere bezogen ; für die übrigen zwei Drittel sei es schwierig
gewesen, angemessene Preise zu erhalten. Die Regierungsvorlage
bestimmt den Bedarf des deutschen Heeres auf alljährlich 11 bis
12000 junge Pferde, während 1897 25318 Remonten den Ankaufs-
kommissionen vorgeführt wurden. In den folgenden beiden Jahren
23700 und 21800; eine Verringerung des Angebots wird von
der Regierung konstatiert und beklagt. Sie fürchtet, daß die
zunehmende Zucht kaltblütiger Tiere dasselbe noch in höherem
Maße vermindern wird, da sie anerkennt, daß die für die Tiere
gezahlten Preise nur unvollkommen die Produktionskosten decken.
Der praktische Bedarf der Landwirtschaft verlangt aber wiederum
unbedingt eine Ausdehnung der Zucht des schwereren Schlages,
während gerade die warmblütigen mehr einen Absatz im Ausland
suchen müssen, wenn die hisherige Ausdehnung der Zucht auf-
recht erhalten werden soll, die wiederum wünschenswert ist, um für
das Militär die entsprechende Auswahl zu haben. Die Interessen
des Militärfiskus und der Landwirte gehen hier nicht Hand in Hand,
sondern stehen sich vielmehr gegenüber. Die Züchtung des Warm-
blutes wird schwerlich durch den Schutzzoll gehoben werden. Hier
hat die Regierung wohl ein anderes, besseres Mittel in der Hand:
die Zahlung höherer Preise für die Remonten: und die dafür auf-
zuwendenden Mittel wären sicher geringere, als man sie durch einen
höheren Schutzzoll der Gesamtheit zumutet. Dagegen wird die
letztere Maßregel sehr wohl, im Interesse der Zucht schwererer
Pferde zu befürworten sein, und diese Last wird verhältnismäßig leicht
von den beteiligten Industriezweigen, Rübenbauern, und sonstigen
größeren Landwirten getragen werden können. Bisher wurde der
Zoll einfach nach der Stückzahl erhoben, wie das auch in den meisten
anderen Ländern der Fall ist, nur die Vereinigten Staaten erheben
25 Proz. des Wertes. Da bei dem hiesigen Verfahren die Ponies
ebenso behandelt werden, wie die großen, schweren und die feineren
Reitpferde, ist ein hoher Satz dabei unausführbar; er würde den
Bezug der ersteren unberechtigterweise erschweren, wo nicht unter-
drücken; während auf der anderen Seite eine genauere Berück-
Die Agrarzölle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich. 185
sichtigung des Wertes sich als undurchführbar erweist, weil die Be-
urteilung desselben durch die Steuerbeamten unthunlich ist. Die
Regierungsvorlage schlägt nun einen Mittelweg ein, der durchaus
Beachtung verdient, indem sie eine Staffelung nach 4 Wertstufen in
Ansatz bringt, indem sie die folgende Unterscheidung trifft.
Vieh, lebend für I Stück
bis 300 M. das Stück 30 M.
PE $ von mehr als 300—1000 M. das Stück 75 »
Pferde im Werte 3 Zu 1800-2600 i S 150 à
ag » » 2500 M. das Stück 300 „
Maulesel, Maultiere 30" 45
Esel 5 »
Man glaubt damit die Stufen den folgenden Kategorien angepaßt
zu haben: die erste trifft die kleinen Tiere für den Bergwerks-
betrieb ete., die zweite die Arbeitspferde, die dritte die wertvolleren
Wagen- und Reitpferde, die vierte die Luxustiere. Diese Unter-
scheidungen glaubt man um so leichter machen zu können, da die
einzuführenden Pferde durch angestellte Grenztierärzte in Bezug auf
ihren Gesundheitszustand ohnehin einer Untersuchung unterzogen
werden müssen, und durch dieselben Sachverständigen leicht die
Einteilung in die verschiedenen Kategorien geschehen kann. Werden
gleichwohl bei denjenigen Tieren, welche auf der Grenzscheide stehen,
hier und da Schwierigkeiten erwachsen, so wird man doch nicht
leugnen können, daß durch dieses Verfahren eine zweckmäßigere An-
passung des Zolles und damit eine Erhöhung erleichtert worden ist;
und bei einer etwas liberaleren Handhabung bei der Zuteilung in die
verschiedenen Abteilungen sind Härten leicht zu vermeiden. Um die
Einfuhr von Zuchtmaterial zu erleichtern, ist ausdrücklich vorgesehen,
daß dasselbe auf Grund specieller staatlicher Genehmigung in den
einzelnen Fällen zu den alten Steuersätzen geschehen kann. Die
bisherigen Zollsätze von 20 M. pro Stück der erwachsenen Tiere,
von 10 M. für die unter 2 Jahren sind allerdings außerordentlich
niedrig. Frankreich hat 1898 nach dem Alter im Generaltarif
von 80 bis 200 fres., für Pferde über 5 Jahre einen Minimaltarif
von 120 fres. erhoben. Oesterreich-Ungarn erhebt allerdings
auch nur 10—20 Gulden.
Der Rindviehstand hat sich in Deutschland in der neueren
Zeit bedeutend gehoben: von 15,8 Mill. im Jahre 1883 auf 18,5 Mill.
im Jahre 1897; und es ist anzunehmen, daß die Entwickelung
seitdem noch weiter vorgeschritten ist. Gleichwohl findet noch
eine erhebliche Einfuhr statt, die nach manchen Richtungen hin, be-
sonders an Ochsen, sich in der neueren Zeit noch gehoben hat. In
den letzten Jahren wurden 60—70 000 Kühe, 60000 Ochsen, 6000
Stiere und gegen 60000 Stück Jungvieh eingeführt, während die
Ausfuhr sich in minimalen Zahlen bewegte. Es werden dafür über
60 Mill. M. jährlich an das Ausland gezahlt. Die Zollsätze sind
gegenwärtig sehr niedrige. Für Bullen und Kühe 9 M. der Satz
soll auf 25 M. erhöht werden, für Jungvieh von 6 auf 15 M, für
Kälber von 3 auf 4 M., für Ochsen von einem Gewicht von 6 Doppel-
centnern von 30 auf 72 M., indem hier das lebende Gewicht fortan
186 J. Conrad,
als Maßstab genommen werden soll, und zwar der bisherige Ge-
wichtszollsatz für frisches Fleisch von 12 M. Dabei ist indessen
nicht berücksichtigt, daß ein bedeutender Teil dieser Ochsen als Zug-
vieh 1—2 Jahre Verwendung findet, bevor sie zur Mastung aufgesteilt
werden. Wenn aber die Landwirte selbst mit dieser Verteuerung
ihres Produktionsmittels einverstanden sind, so ist dagegen nicht viel
zu sagen. Daß die Verzollung dieser verhältnismäßig geringen Zahl
von Tieren eine erhebliche Verteuerung des konsumierten Fleisches
herbeiführen sollte, ist nicht anzunehmen. Der Druck der aus-
wärtigen Konkurrenz kann wegen des beschränkten Quantums, das
hier überhaupt zum Bezuge zur Verfügung steht, einen großen Ein-
fluß auf die Preisbildung im Inlande nicht ausüben. Es wird hier-
nach die Vorlage wohl zu acceptieren sein.
Die Einfuhr der Schweine hat in der neueren Zeit bedeutend
abgenommen. In den Jahren von 1875—79 wurden, abgesehen von
den Spanferkeln, über 1 Million eingeführt und 300000 ausgeführt, in
den letzten Jahren dagegen nur 70000 importiert, 3000 exportiert.
Der Bestand ist außerordentlichen Schwankungen unterworfen, er
wird bei mangelndem Futter und niedrigen Preisen in kurzer Zeit
bedeutend eingeschränkt, um bei dem Steigen der Preise sich sehr
schnell wieder zu vermehren. 1873 wurden 7,1 Mill. Schweine in
Deutschland gezählt, 1883: 9,2 Mill, 1892: 12,2 Mill., 1897: 14,3 Mill.
Daß Deutschland imstande ist, durch eine geringe Steigerung der
Zucht den Bedarf selbst zu befriedigen, unterliegt keinem Zweifel.
Hier ist es gerade der kleine Mann, der das seinige dazu beiträgt.
Bei den Schafen liegen die Verhältnisse etwas anders als bei
den bisher betrachteten Tieren. Infolge des Rückganges der Woll-
preise hat sich die Schafhaltung in Deutschland seit den 70er Jahren.
wo sie sich noch auf 25 Mill. belief, ganz gewaltig verringert, und
zwar scheint die Abnahme noch nicht ihre Grenze gefunden zu
haben. Im Jahre 1897 war der Bestand auf 10,8 Mill. gesunken,
im Jahre 1900 nach einer vorläufigen Notiz sogar auf 7,5 Mill.
Gleichwohl werden heutigen Tages mehr Schafe exportiert als im-
portiert, wenn auch nicht mehr in dem Maße wie früher. 1888 trat
Deutschland noch über 1 Mill. Schafe an das Ausland ab, in den
letzten Jahren nur noch 150000. Die Einfuhr beschränkte sich auf
etwa 1500, hatte also überhaupt keine Bedeutung. Ein Zoll ist also
nach dieser Richtung überhaupt ohne Einfluß. Die bisherigen Sätze
waren 1 M. pro Stück, bei Lämmern 50 Pfe. Man hat geglaubt,
diese Sätze noch verdoppeln zu müssen, wohl nur um diese Tiere
gegenüber den anderen nicht zu exceptionell zu behandeln.
Eine speciellere Berücksichtigung hat dagegen das Geflügel
zu beanspruchen, welches, ebenso wie ihr Produkt, die Eier, in der
Zufuhr einen enormen Aufschwung genommen hat. Von 1890—93
wurden nur 19000 t Geflügel im Werte von 15 Mill. M. lebend und
geschlachtet eingeführt; in den letzten Jahren dagegen rund 30 000
im Werte von über 30 Mill. M. Die Zufuhr von Eiern belief sich
Anfang der Wer Jahre auf 58000 t. in den letzten Jahren auf das
doppelte Quantum, und die Zunahme ist von Jahr zu Jahr eine er-
Die Agrarzölle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich. 187
heblichere geworden: 1895: 83000, 1897: 99000, 1898: 106 000,
1899: 112500 t. Im Jahre 1901: 116000 t im Werte von 103 Mill.
M. Die Einfuhrländer sind besonders Rußland und Oesterreich.
Die Geflügelzucht ist in Deutschland anerkanntermaßen übermäßig
vernachlässigt. Hierin kann der kleine Mann unzweifelhaft am meisten
leisten, und der Bauer vermöchte aus derselben eine wesentliche
pekuniäre Stütze in der jetzigen Kalamität zu finden. In der That
werden auch in der neueren Zeit von seiten der landwirtschaftlichen
Vereine und Landwirtschaftskammern große Anstrengungen gemacht,
das Versäumte nachzuholen. In einer Zeit, wo man sich daran ge-
wöhnt hat, Staatshilfe überall für unentbehrlich zu halten und die
hauptsächliehste Förderung für die Landwirtschaft in den Zöllen zu
sehen, erschien es unerläßlich, auch hier eine Zollerhöhung eintreten
zu lassen, um dem Bauer den guten Willen zu zeigen und seine
Bestrebungen durch den in Aussicht gestellten Zoll in besonderer
Weise anzuregen. Da nun in der neueren Zeit die Preise für Eier
und Geflügel nicht unbedeutend gestiegen und deshalb keineswegs
als niedrig anzusehen sind, da zu gleicher Zeit das Geflügelfutter im
Preise gesunken ist, so ergiebt sich daraus, daß eine Preissteigerung
allein noch keineswegs ausreicht, um die Bauern allgemeiner zu
größerer Anstrengung zu veranlassen. So wird der betreffende Zoll
schwerlich einen Einfluß ausüben und die weitere künstliche Steige-
rung dürfte als überflüssig zu bezeichnen sein. Bisher bestand nur
ein unbedeutender Zoll auf Gänse, während Hühner frei eingingen.
Sie sollen jetzt 6 M. pro Doppelcentner zahlen, Gänse 24 M. oder
das Stück 70 Pfg. Es wird darauf hingewiesen, daß Frankreich
20 fres. pro Doppelcentner für lebendes wie geschlachtetes Geflügel
erhebt. Eier sollen fortan mit 6 M., Eigelb mit 8 M. pro Doppel-
centner belegt werden.
Berücksichtigen wir schließlich noch Butter und Käse. Die
Butter ist erst in der neueren Zeit von der Statistik isoliert an-
gegeben. Gleichwohl läßt sich erkennen, daß die Einfuhr in der
neueren Zeit große Dimensionen angenommen hat und fortdauernd
erheblich steigt. 1896 wurden 76697 de. im Werte von 11,3 Mill.
M. eingeführt, im Jahre 1901 180079 de. im Werte von 27,7 Mill. M.
In der gleichen Zeit ist die Ausfuhr von 69000 auf 24600 de., der
Wert von 14,1 auf 5,3 Mill. M. gesunken, obgleich durch Ausbildung
der Molkereien in Deutschland in letzter Zeit die Produktion schr
bedeutend gehoben und im Werte erheblich verbessert ist, so daß
sehr allgemein über eine Ueberproduktion geklagt wird und der Ab-
satz nicht überall zu angemessenen Preisen bewirkt werden kann.
Da nun nichts beklagenswerter wäre als eine Hemmung der gegen-
wärtigen Entwickelung, die gerade auch dem Bauern in besonderem
Maße zu gute kommt, der erst durch die Molkereien zu einer an-
gemessenen Verwertung seines Produktes gelangen kann, so erscheint
hier der Zollschutz durchaus angezeigt. Der Zoll ist jetzt auf 30 M.
pro Doppeleentner normiert, welches einem Wertzoll von etwa 19 Proz.
gleich erachtet wird, wodurch eine Ueberlastung sicher nicht eintritt.
Das gleiche ist von dem Zoll auf Käse zu sagen, der aus denselben
188 J. Conrad,
Gründen gerechtfertigt werden muß; auch er ist auf 30 M. angesetzt,
1890 betrug die Einfuhr 88000 Zentner, mit 12,6 Mill. M. im Werte,
Das Jahr 1901 zeigte fast eine Verdoppelung der Zahl auf 166 700
Zentner und 21,3 Mill. M. im Werte. Die Einfuhr kommt haupt-
sächlich aus der Schweiz, den Niederlanden, Frankreich und Oester-
reich- Ungarn. Aber auch Belgien, Großbritannien, Italien und
Rußland treten hier als Lieferanten auf und bieten, darüber kann
kein Zweifel sein, in großer Ausdehnung feinere, bessere Ware als
das Inland. Auch hier wäre die deutsche Landwirtschaft imstande
durch Verbesserung der Fabrikation sich eine sehr bedeutende
pekuniäre Hilfe zu verschaffen.
Frisches Fleisch und Fleischkonserven werden, ohne
Schaden für die Gesamtheit, einen Zoll vertragen. Die Quantitäten
sind nicht von einer hohen wirtschaftlichen Bedeutung, weder zur
Unterstützung der Ernährung, noch in betreff der Konkurrenz, die
dadurch der Landwirtschaft erspart werden kann. Nach beiden Rich-
tungen hin überschätzt man den Einfluß des Zolles. Ganz anders
liegt die Sache bei Speck und Schmalz, die gerade für die ärmere
Bevölkerung ein wesentliches Lebensmittel bilden. Dieser dasselbe
zu verteuern, ist sicher nicht wünschenswert. Ein dringendes Be-
dürfnis liegt dafür nicht vor, denn die Preise sind darin keineswegs
zurückgegangen und können nicht als niedrig anerkannt werden. Im
letzten Jahre kamen über 1 Mill. de. fast ausschließlich amerika-
nisches Schweineschmalz über unsere Grenze, und gegen dieses richten
sich energische Angriffe unserer Landwirte, weil ein bedeutender
Teil davon zur Verarbeitung in Margarine Verwendung findet. Es
ist dafür eine Zollerhöhung von 10 M. auf 10,50 M. beantragt, die
zwar nicht bedeutend ist, aber gleichwohl beklagt werden muß.
Nach dem Gesagten leistet die deutsche Landwirtschaft in betreft
der Viehzucht nicht, was sie leisten kann und müßte. Sie wäre un-
zweifelhaft imstande, den Bedarf an Vieh und tierischen Produkten
selbst zu decken, während über 400 Mill. M. dafür alljährlich an das
Ausland gezahlt werden. Das ist mehr als für die Getreidearten,
die auch in Deutschland gebaut werden können. Die Preise für
tierische Produkte sind keineswegs niedrige und das Futter ist im
Preise gesunken), und wenn die Vichzüchter die Summe, welche
1) Nach den Mitteilungen des landwirtschaftlichen Institutes der k. Universität
3reslau, herausg. von Dr. K. v. Rümker, Berlin 1901, S. 181, waren die Preise der
käuflichen Futtermittel:
Jahr Mais Raps- | Lein- | Palmkern- | Erdnuß- ' Kokos- paii
3 ge kuchen|kuchen kuchen kuchen kuchen _
| | : jsaatmehl
1871—1875] 16,4 | 73 | 98 | — | — — | — | — —
1876—1850 | 12,7 6,9 9,3 | 4,2 5,0 1876) 7,0 (1879) 11,5 10,0 9,3
1581—1555 | 14,5 -1 | au |g | 5,2 S85) 6,3 9,2, 8,0 7,9
t856—1590 | 11,9 | bg 8,3 | 42 | 4,8 |[11880/90)6,3) Be 7,6 57
1891—1595 | 12,4 | 6.3 | F6 | ds: | 1650 5,9 RA 6,5 7.4
1896-1900 | 11,2 | 58 | 6,9 | 4,4 | An 5,7 Dei 6,6 7.0
Die Agrarzölle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich. 189
jetzt an das Ausland dafür abgegeben wird, selbst bezögen, würde
die Kalamität in der Hauptsache beseitigt sein. Freilich hat Deutsch-
land in den letzten Jahren über 140 Mill. M. für ausländische Kleie,
Oelkuchen, Palmenkerne und ähnliche Futterstoffe, 135 Mill. M.
außerdem für Mais an das Ausland gezahlt, wovon der größte Teil
gleichfalls als Viehfutter Verwendung fand. Dieser Bezug muß bei
Erweiterung der Züchtung natürlich steigen, und es ist sehr zu
beklagen, daß die eingeschlagene Zollpolitik nicht auf eine Er-
mißigung der Preise, sondern auf eine Erhöhung hinwirkt, und
damit die Viehzucht, die man auf der einen Seite auf Kosten der
Konsumenten zu fördern sucht, dann wieder auf Kosten der Land-
wirtschaft selbst zu erschweren trachtet. Nochmals muß darauf auf-
merksam gemacht werden, daß jede Verteuerung des Brotgetreides
die Kaufkraft der Bevölkerung für tierische Produkte entsprechend
schwächt und zwar ebenso zum Nachteile einer gesunden Ernährung,
wie zum Nachteile der, Viehzucht. Hält man aber gerade diese zu
fördern im Interesse der Land- und Volkswirtschaft, so giebt es
wiederum, wie erwähnt, kein besseres Mittel, als die Zerschlagung
der großen Güter und die Vermehrung der Bauernstellen, wodurch
von selbst die entsprechende Steigerung des Viehstandes sofort auf
die Höhe, welche den Verhältnissen entspricht, erzielt werden würde.
Ist auch augenblicklich keine Aussicht vorhanden, daß die Zollpolitik
im Momente die vorgeschlagene Richtung einschlägt, so ist doch mit
Sicherheit anzunehmen, daß die Entwickelung der Verhältnisse bis
Ablauf der jetzt projektierten Handelsverträge sie mit zwingender
Gewalt zur Aenderung der Richtung in der angegebenen Weise ver-
anlassen wird.
Wir haben das Ergebnis unserer Untersuchung noch einmal zu-
sammenzufassen und zugleich die Stellung der Landwirtschaft zur
Industrie wenigstens kurz zu berücksichtigen.
Wir halten die Diskussion über die Frage, ob Deutschland be-
reits ein Industriestaat oder Agrarstaat ist für ziemlich überflüssig,
da jeder etwas Anderes darunter versteht. Darüber kann kein
Zweifel sein, daß eine Zunahme des heimischen Wohlstandes nur von
der Industrie und dem Handel zu erwarten ist, und nur von ihr eine
lohnende Beschäftigung der steigenden Bevölkerung, mit der wir zu
rechnen haben. Daß die Zollpolitik deshalb in erster Linie die
Interessen der letzteren ins Auge zu fassen hat, unterliegt keinem
Zweifel. Die Landwirtschaft ist ein stabiles Gewerbe, bei welchem
eine Einschränkung auch bei erheblichem Preisrückgang nicht zu
erwarten ist, während dagegen in der Industrie und im Handel so-
fort die Thätigkeit stockt, wenn ein Reingewinn nicht erzielt wird.
In der Landwirtschaft wird die Thätigkeit fortgesetzt auf Kosten des
Grundwertes und des Gewinnes des Grundbesitzers. Daß dieser
gleichfalls einer Schonung bedarf und einen Zollschutz unter Um-
ständen beanspruchen kann, ist ausdrücklich und genugsam anerkannt.
Es ist nur die Frage ob hier jetzt eine solche Veranlassung dazu
vorliegt. Wir kamen zu der Entscheidung, daß der bisherige Schutz
190 J. Conrad,
der Landwirtschaft erhalten bleiben muß, aber zu einer Erhöhung,
namentlich nicht in dem Maße, wie die Vorlage es in Aussicht nimnt,
ein zwingender Grund nicht vorliegt. Das erscheint uns um so be-
deutsamer in einem Momente, wo die Lage der Industrie eine ent-
schieden gedrückte ist, und allgemein mit Bangen der weiteren Ent-
wickelung entgegengesehen wird. Nun ist in der Begründung der
Vorlage, wie von dem Bundesratstische aus wiederholt ausgesprochen,
daß man der Industrie durch entsprechende Zollerhöhungen ein
Aequivalent für die Last geboten habe, die in den Agrarzöllen auch
ihr zugemutet wird, und ein großer Teil der Industriellen hat sich
auch damit einverstanden erklärt, ein anderer Teil dagegen wider-
spricht dem auf das Entschiedenste. Besonders werden Bedenken
laut, ob diese Zollerhöhungen nicht entsprechende Gegenmaßregeln
des Auslandes nach sich ziehen müssen. Darüber kann nun kein
Zweifel sein, daß unsere Industrie ein weit größeres Interesse hat,
im Auslande Zollermäßigungen und damit erweiterte Absatzwege zu
erlangen, als einen erhöhten Schutz gegen das Ausland. Die hierbei
hauptsächlich in Betracht kommenden Länder sind vor allem Ruß-
land und die Vereinigten Staaten von Nordamerika. Die
durch die erhöhten Zollschranken zu erwartende Ausdehnung des in-
ländischen Absatzes steht in gar keinem Verhältnis zu den Nach-
teilen, welche die Gegenmaßregeln jener Länder uns zufügen können.
Da nun jene Länder gerade das hauptsächlichste Interesse haben die
Agrarprodukte gleichmäßig nach Deutschland führen zu können, so
werden gerade in den Verhandlungen mit diesen die Agrarzölle be-
sonders verhängnisvoll. Unzweifelhaft wird die Wirkung vor allem
der Getreidezölle im Auslande sehr überschätzt, denn daß Deutsch-
land diese Zufuhr nicht entbehren kann, ist durch die Statistik ge-
nugsam bewiesen, und auch ein hoher Zoll kann in dieser Hinsicht
nichts ändern. Das Ausland kann daher auch im Durchschnitte auf
den gleichen Absatz rechnen wie bisher, auch wenn die Zollerhöhung
durchgeführt wird. Dagegen ist es richtig, daß gerade in Jahren
eines erheblichen Ernteüberschusses, vor allem Rußland einen Preis-
druck erfahren kann, wo derselbe der eigenen Landwirtschaft be-
sonders empfindlich ist. Daher ist es vollständig begreiflich, daß das
Ausland die Zollerhöhung nicht mit Gleichmut auffaßt, und Alles
daran setzen wird, die Maßregel zu bekämpfen. Die Vereinigten
Staaten kommen in dieser Beziehung nicht in solcher Weise in
Betracht, da der dortige gewaltige Aufschwung der Industrie
ohnehin unsere Produkte mehr und mehr überflüssig macht. Von
1893—1900 stieg die Ausfuhr nach den Vereinigten Staaten nur von
354 bis 440 Mill., 1897 waren er bereits 397 gewesen. Die Einfuhr
aus den Vereinigten Staaten war aber in der gleichen Zeit von 458
auf 1021 Mill. gestiegen. Graf Posadowski hat nun gerade mit Em-
phase sich auf diese letzteren Zahlen gestützt, um das große Interesse
nachzuweisen, welches Amerika an dem Absatze nach Deutschland
habe und infolgedessen genötigt sei, auf uns Rücksicht zu nehmen.
Das scheint uns eine verhängnisvolle Ueberschätzung zu sein: denn
Die Agrarzülle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich. 191
es kommt doch sehr darauf an, welcher Art die bezogenen Gegen-
stinde sind. Was wir von Amerika beziehen, ist besonders Getreide,
Petroleum, Baumwolle, also Rohmaterialien, die wir nicht entbehren
können, und solange wir mit unseren Zolloperationen isoliert dastehen,
sind Zollerhöhungen einem einzelnen Lande gegenüber, namentlich
den Vereinigten Staaten gegenüber mit den ausgedehnten Handels-
beziehungen nach den verschiedensten Ländern ein Schlag ins Wasser.
Es findet auf dem Weltmarkte denselben Absatz wie bisher, und zu
den gleichen Preisen, wenn wir auch das amerikanische Getreide von
unserer Grenze abweisen, weil dann eben unsere anderen Liefe-
ranten, wie vor allem Rußland, aber auch Oesterreich, Frankreich,
Argentinien. Indien sich in erhöhtem Maße vom Weltmarkte ab-
wenden und uns bedenken, während das uns gelieferte Getreide
eventuell in den Nachbarländern durch amerikanisches gedeckt
wir. Dadurch wird die Wirkung des Zolles beseitigt, auch wenn
es gelingt, die Herkunft genau zu konstatieren und nicht durch
Umgehungen von englischen und holländischen Lieferanten uns doch
amerikanische Provenienz unter anderer Firma zugeführt wird. Daß
in diesem Falle Amerika eine gewisse Ueberlegenheit hat, wird
nicht zu leugnen sein, der nur durch ein europäisches Zoll-
bündnis begegnet werden kann. Diese Umgehung ist von seiten
Rußlands schwerer durchzuführen, wie die Zeit des Zollkampfes
1891/92 bewiesen hat. Bei einer längeren Dauer des Kampfes würde
sich aber auch dort ein entsprechender Ausweg gefunden haben.
Russisches Getreide wäre immer allgemeiner nach Oesterreich,
Rumänien u. s. w. geschoben, während das dortige Getreide nach
Deutschland wanderte. Der Absatz nach Rußland ist nun in den
letzten Jahren in weit höherem Maße gestiegen, als der nach
Amerika, hat freilich sehr viel größere Schwankungen erfahren und
ist in den letzten Jahren sogar etwas zurückgegangen. Er war schon
1891 262 Mill. M., sank 1893 auf 184 Mill., erreichte 1898 mit 440 Mill.
den Höhepunkt und betrug im Jahre 1900 359 Mill. Unzweifelhaft
ist die Aufnahmefähigkeit Rußlands aber eine ungleich größere, und
könnte durch Zollherabsetzung gewaltig gesteigert werden. Nun be-
ziehen wir hauptsächlich Roggen und Hafer aus Rußland, es ist da-
her nicht genug zu beklagen, daß gerade bei diesen Gegenständen
an einer Zollerhöhung festgehalten wird, wo die Vorteile für unser
eigenes Land sicher weit fragwürdiger sind als bei den anderen
Grétreidearten. Gerade hier sollte die Regierung Nachgiebigkeit
zeigen, nicht aus Rücksicht für das Ausland, sondern im wohl-
verstandenen eigenen Interesse, um dort eine offene Thür zu er-
langen, wo sie sowohl politisch, wie wirtschaftlich so außerordent-
lich wünschenswert wäre.
Eine Milderung des ungünstigen Eindrucks, den die Erhöhung der
Getreidezölle auf die große Masse der Bevölkerung machen muß, würde
erzielt werden, wenn die bedeutenden Summen, die damit der unteren
Klasse entzogen werden, zu ihren Gunsten Verwendung fänden. Das
würde erreicht werden, wenn der vom Centrum in Aussicht genommene
192 J. Conrad,
und schon von vielen Seiten empfohlene Antrag Annahme fände, daß
diese Zollerträge zu Gunsten einer Arbeiterwitwen- und Waisenver-
sorgung verwendet werden sollen. Ist der gute Wille da, so wird
sich auch sicher leicht eine Form dafür finden lassen. Außerdem
liegt es nahe, besonders auf eine Beseitigung der Salzsteuer zu
dringen, die als ein Schandfleck in unserem Steuersystem zu be-
zeichnen ist. Freilich wird die Regierung bei der jetzigen mißlichen
Finanzlage des Reiches die sichere Einnahme mit Aussicht auf eine
sehr schwankende nicht aufgeben wollen, zumal der Minister von
Rheinbaben für Preußen soeben erklärt hat, daß alle Steuerquellen
bis auf dem letzten Tropfen verwertet wären. Das ist entschieden
nicht richtig. Die Getränkesteuern sind in Deutschland so wenig
ausgebeutet, wie in keinem sonst in Betracht kommenden Lande,
und zwar wiederum aus alleiniger Rücksicht gegen den Großgrund-
besitz, dem man die Stütze der Branntweinbrennerei nicht schmälern
will. Wenn aber der Branntwein nicht höher belastet wird, kann
man das Bier und den Wein auch nicht schärfer heranziehen. Eine
Verteuerung des Alkohols wäre aber schon im Interesse des sozialen
Wohles und der physischen Entwickelung der Bevölkerung sehr zu
wünschen.
Man muß natürlich voraussetzen, daß die Reichsregierung dar-
über informiert ist, welche Aufnahme die Vorlage im Ausland finden
wird, ob überhaupt und mit welchem Erfolge darauf hin Handelsver-
träge zustande zu bringen sind; und da sie ausdrücklich erklärt hat,
unter allen Umständen solche zu erstreben, so darf man wohl mit
Ruhe die weitere Entwickelung abwarten. Vielleicht, daß sich dann
das Ausland selbst als unser bester Bundesgenosse erweist und uns
vor der Uebermacht des Agrariertums schützt. Es erweist sich so
manchesmal als das Element, das das Böse will und das Gute schafft.
Erlangen die projektierten Agrarzölle aber die Realisation, so ver-
mögen wir doch nicht die Wirkung so pessimistisch zu beurteilen,
wie es von anderen Gegnern derselben geschieht. Man muß aner-
kennen, daß so gut Frankreich die hohen Zölle erträgt, dieses auch
für Deutschland möglich sein wird, und besonders weil, wie vom
Bundesratstische wiederholt betont wurde, wir höhere Getreidepreise
längere Zeit gehabt haben und zwar bei einem geringerem Wohl-
stand, niedrigeren Zöllen und sehr viel niedrigeren Löhnen. So-
bald daher die gegenwärtige Arbeitslosigkeit, deren Folgen doppelt
energisch mit Aufwand umfassender Mittel zu mildern sind, über-
wunden ist, wird auch die Arbeiterbevölkerung die Last zu tragen
imstande sein. Wir werden sie als eine ungerechte beklagen und
fortdauernd bekämpfen ` darum einen Stillstand, oder gar einen Rück-
gang in unserer wirtschaftlichen Entwickelung zu befürchten, liegt
kein Grund vor. Wie bereits oben ausgesprochen, die Wirkung wird
von beiden Seiten wesentlich überschätzt. Die ganze Frage ist aber,
wie wir nachdrücklich hervorheben, als keine prinzipielle, sondern
als eine rein praktische Tagesfrage aufzufassen. Die Befürworter
wie die Gegner der Zollerhöhung haben zu häufig Unklarheit in die
Die Agrarzölle in der Zolltarifvorlage im Deutschen Reich. 193
Diskussion gebracht, indem sie sich Blößen gaben, die von den
Gegnern eifrig bei ihren Angriffen ausgenutzt sind, wodurch die
Diskussion von dem Kernpunkte abgelenkt wurde. Man verfiel
von beiden Seiten starrem Doktrinarismus. Es kann sich dabei nicht
um ein Entweder Oder handeln, sondern nur um ein „Wieweit“.
Wird dieses erst in einem höherem Maße erkannt und anerkannt,
stellt man sich bei der Verhandlung allein auf den praktischen Boden des
wirtschaftlichen Bedürfnisses, so werden sich die Gegensätze mildern
und ein Kompromiß leichter zustande zu bringen sein, und diesen zu
erreichen muß als das alleinige Ziel angesehen werden. Daß aber die
Gegner der Getreidezölle die Pflicht haben, sich den Beschlüssen des
uesetzgebenden Körpers mit Ruhe zu ufiterwerfen , bedarf für ein
land, ‘dem das allgemeine, direkte Wahlrecht zur Seite steht, keiner
Begründung. Jeder Versuch der Obstruktion oder sonstiger oppo-
sitioneller Gewaltmaßregeln würde das Ansehen des Konstitutionalis-
mus empfindlich schmälern, so daß der Schaden ungleich größer wäre,
als er durch eine verfehlte Zollpolitik dem Lande zugefügt werden
kann. Vielleicht wirkt die jetzige Erfahrung darauf hin, das Bürger-
tum aus seinen Indifferentismus aufzurütteln, ihm die Bedeutung
des Wahlrechts klar zu machen und es zu allgemeinerem Gebrauche
dieses Rechtes zu veranlassen. Damit würde das jetzt zu bringende
Opfer zum großen Teile aufgewogen werden.
Dritte Folge Bd. XXIII (LXXVIII). 13
194 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Nachdruck verboten.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
IL.
Der ungarische Gesetzentwurf zur Bekämpfung
des unlauteren Wettbewerbes.
Von Dr. Franz von Vasväry, Waisenstuhls-Assessor und Professor
der Reehtskunde an der höheren Handelsschule in Pécs (Fünfkirehen, Ungarn).
A
Die königlich ungarische Handelsregierung veröffentlichte im Monate
September des Jahres 1900 folgenden Gesetzentwurf zur Be-
kämpfung des unlauteren Wettbewerbes:
$ 1. Im Handels- und gewerblichen Verkehr darf niemand in seiner Firma,
in seiner Auslage, auf seinen Waren, in seinen Kundmachungen, Rundschreiben,
Rechnungen oder anderen schriftlichen oder öffentlichen mündlichen Mitteilungen
über die geschäftlichen Verhältnisse, insbesondere über die Beschaffenheit, Menge,
Herstellungsart oder Preisbemessung der Arbeit oder Ware, über die Bezugsquelle,
über die Auszeichnungen, über die Art, den Anlaß oder Zweck des Verkaufs An-
gaben oder Abbildungen gebrauchen, welche der Wirklichkeit nicht entsprechen
und zur Irreführung des Publikums geeignet sind.
$ 2. Solche Auszeichnungen, Titel oder Diplome, welche sich nicht auf
— unter der Obrigkeit der ungarischen Regierung veranstaltete — Ausstellungen
beziehen, können nur mit der Erlaubnis des königlich ungarischen Handelsministers
gebraucht werden. .
Solche persönlichen Eigenschaften, welche aus dem Geschäftsverhältnisse zu
einem anderen Kaufmanne oder Gewerbetreibenden (Lehrling, gewesener Ange-
stellter, Vertreter) stammen, können nur mit der Einwilligung des betreffenden
Kaufmannes, (rewerbetreibenden oder deren Nachfolger gebraucht werden.
S 3. Im Handels- und gewerblichen Verkehr darf niemand auf der Ware
oder in den bezüglichen Mitteilungen die Bezcichnung eines Herkunftsortes ge-
brauchen, weiche der Wirklichkeit nicht entspricht und zur Irreführung des Publi-
kums geeignet ist.
Hierher gehört insbesondere auch jener Fall, wenn eine Ware fremden Ur-
sprungs als vaterländisches Produkt bezeichnet ist.
Eine Ausnahme bildet jene Ortsbezeichnung, welche ihre auf die Herkunft
der Ware sich beziehende ursprüngliche Bedeutung verloren hat und zur Qualitäts-
bezeichnung der betreffenden Ware geworden ist, vorausgesetzt, daß ihre ursprüng-
liche Bedeutung mit den Worten: „ursprünglich“, „echt“, oder mit anderen ähn-
lichen Ausdrücken nieht entschieden hervorgehoben ist.
$ 4. Der königlich ungarische Handelsminister ist berechtigt zu verordnen,
Nationalükonomische Gesetzgebung. 195
daß gewisse Waren nur mit der Bezeichnung des Herkunftsortes in Verkehr ge-
bracht werden können. g s :
$ 5. Im Handels- oder gewerblichen Verkehr darf niemand die Packungs-
oder Ausstellungsart der Waren, ferner solche Kundmachungen, Preiselisten, geschäft-
lichen Briefe, Offerte oder Rechnungen benützen, welche im beteiligten Verkehr
ak diejenigen eines Mitwerbers bekannt sind. | 2
s 6. Im Handels- oder gewerblichen Verkehr ist eine solche M ee
der Person, Leistung oder Ware des Mitwerbers, welche auf den Gang oder Kredit
des Geschäftes nachteilig ist, verboten. R
Ausgenommen ist jene vertrauliche Mitteilung, welche über die Geschäfts-
oder Vermögensverhältnisse eines Produzenten, Kaufmannes oder Gewerbetreiben-
den, oder über die Verwendungsverhältnisse der Angestellten aus berechtigtem
Interesse geschieht. | : .
$ 7. Im Handels- oder gewerblichen Verkehr ist der Vergleich der eigenen
Waren oder der eigenen geschäftlichen Thätigkeit mit den Waren oder der Thätig-
keit des Mitwerbers, um die Gangbarkeit oder den Wert der eigenen Waren oder
Lieferungen auf Kosten des Mitwerbers zu heben — verboten.
Insbesondere ist jener Vergleich, welcher auf Kosten der vaterländischen Er-
zeugnisse geschieht, verboten. . - : G .
$ 8. Im Handels- oder gewerblichen Verkehr ist verboten einen Namen, eine
Firma, ein Schild, eine geschäftliche Benennung oder andere Bezeichnungen, deren
sich ein anderer, in demselben oder ähnlichen Geschäftskreise befindender Kauf-
mann oder Gewerbetreibende befugterweise bedient, auf einer Art benützen, die
eine Verwechslung verursachen kann.
$9. Wer gegen die Verbote der vorangehenden Paragraphen verschuldet,
ist durch die kompetente Gewerbebehörde von Amtswegen oder auf die Klage des In-
teressenten mit einer Geldstrafe bis zu 600 Kronen, im Falle der Wiederholung
außerdem mit Haft bis zu 30 Tagen zu bestrafen, dabei bleibt noch der Weg des
strafrechtlichen Verfahrens offen, wenn die Handlung gegen die Strafgesetze verstößt.
Zu den Interessenten gehören auch jene Korporationen und Vereine, welche
zur Beförderung wirtschaftlicher, gewerblicher oder Handelsinteressen gegründet sind.
Wenn der Kaufmann oder Gewerbetreibende durch eine solche verbotene Hand-
lung Schaden erleidet, kann er bei dem für Handelssachen kompetenten Gericht
um Vergütung Klage heben.
Ueber Obwaltung und Größe des Schadens entscheidet das Gericht mit freiem
Wägen der Umstände nach seinem Ermessen , eventuell nach Anhörung der Sach-
verständigen.
$ 10. Werals Angestellter, Arbeiter oder Lehrling ein Geschäfts- oder Betriebs-
(Fabriks-)Geheimnis, das ihm vermöge des Dienstverhältnisses zugänglich geworden
ist, während der Geltungsdauer des Dienstvertrages einem anderen unberechtigt,
um dem Geschäftseigentümer Schaden zuzufügen, mitteilt, verübt ein Vergehen
und ist auf Antrag des Beschädigten mit Gefängnis bis zu 6 Monaten und mit
Geldstrafe bis zu 4000 Kronen zu bestrafen.
. Dieselbe Strafe trifft auch denjenigen, der ein Geschäfts- oder Betriebs-(Fa-
briks-\Geheimnis, das ihm durch einen Angestellten, Arbeiter oder Lehrling, oder
durch eine andere, gegen das Gesetz oder gegen die guten Sitten verstossende Hand-
lung RRE geworden ist, zum Wettbewerb unberechtigt verwendet oder anderen
mitteilt,
. SU. Wer einen Angestellten, Arbeiter oder Lehrling zur unberechtigten
Mitteilung eines Geschäfts- oder Betriebs-(Fabriks-)Geheimnisses des Geschäfts-
eigentümers überredet, verübt ein Vergehen und wird mit Gefängnis bis zu 3 Mo-
naten und mit Geldstrafe bis zu 2000 Kronen bestraft.
§ 12. In den Fällen der $$ 10 und 11 kann auf Bitte der beschädigten
Partei ein Schadenersatz bis zu 10 000 Kronen zugeurteilt werden. Der 4. Absatz
des $ 9 wird auch hier angewendet. :
$ 13. Die Gewerbebehörde ($ 9), respektive das Gericht ($$ 10 und 11) kann
auf Verlangen der beschädigten Partei verordnen, daß die Verurteilung im ganzen
Umfange mit den Beweggründen in den durch die beschädigte Partei bezeichneten
Zeitungen auf Kosten der verurteilten Partei veröffentlicht werde.
$14. Der königlich ungarische Handelsminister ist berechtigt, zu verordnen,
13*
196 Nationalökonomische Gesetzgebung.
daß gewisse ins Land hereingebrachte Waren, welche mit dem Namen einer zu
den Landen der ungarischen Krone gehörigen Ortschaft falsch versehen oder
allgemein als valesläudische Erzeugnisse angegeben sind, konfisziert werden.
$ 15. Ausländer sind nur in jenem Fall teilhaftig der Schutzgewährung
dieses Gesetzes, wenn sie im Lande eine Handels- oder Gewerbeniederlassung be-
sitzen, oder wenn jener Staat, dessen Angehörige sie sind, den ungarischen Staats-
bürgern einen gleichen Schutz sichert.
$ 16. Gegenwärtiges Gesetz tritt am Tage der Verlautbarung in Kraft und
mit dessen Vollziehung werden die Handels- und Justizminister, in Kroatien—Sla-
vonien der kroatisch-slavonisch-dalmatische Banus beauftragt.
IL.
Dieselben Ursachen, welche in den Kulturstaaten die Begründung
des rechtlichen Schutzes für das gesunde Gedeihen des redlichen ge-
schäftlichen Verkehrs und gegen die schädlichen Erscheinungen des
unlauteren Wettbewerbes hervorriefen — haben auch im ungarischen
Reiche die Handelsregierung bewogen, um so den langjährigen Petitionen
der Municipien und der Handels- und Gewerbekammern, wie auch dem
aufrichtigen Verlangen der öffentlichen Meinung und der Rechtslitteratur
entgegenkommend, den obigen Gesetzentwurf zu veröffentlichen.
Wie im Auslande, so ist auch in Ungarn im Laufe des 19. Jahr-
hundertes der Grundsatz der gesellschaftlichen Freiheit
allgemein im staatlichen Leben und insbesondere das Prinzip des
freien Wettbewerbes zur Grundlage des modernen wirtschaftlichen
Lebens geworden. Unter den — durch die französische Revolution
proklamierten — Wahlsprüchen: Freiheit! Gleichheit! Brüderlichkeit!“
wurde die Freiheit, die möglichst unumschränkte Wirkungsfähigkeit
des Individuums, der politische, wissenschaftliche und wirtschaftliche
Liberalismus zur thatsächlichen Grundidee des 19. Jahrhunderts.
In allen Kulturstaaten wurde die Freiheit des Handels und Gewerbes
gesetzlich offenbart und gesichert.
Denselben Entwickelungsgang zeigt auch der ungarische Staat.
Gleich nach dem Sturze der österreichischen absoluten Centralisation
und nach dem staatsrechtlichen Ausgleich zwischen Ungarn
und Oesterreich im Jahre 1867 hat Ungarn im Gesetzartikel XXXI
vom Jahre 1868 die Zinsfreiheit!) und im Gesetzartikel VIII vom
Jahre 1872 die Gewerbe- und Handelsfreiheit?) ausgesprochen.
Auch das ungarische Handelsgesetzbuch (GesetzartikelXNXXVII
vom Jahre 1875), welches zur Grundlage das deutsche Handelsgesetz
nahm, steht auf dem Boden der möglichst unbeschränkten wirtschaftlichen
Freiheit.
Ein natürlicher Erfolg dieser ökonomischen Liberalität war die
freie Konkurrenz, das heißt einerseits der freie Kampf zwischen
1) § 1. Indem die in den bisherigen Gesetzen enthaltene Beschränkung des ver-
tragsmäßigen Zinsfußes aufgehoben wurde, können die Kontrahenten denselben durch
schriftlichen Vertrag nach Belieben bestimmen.
2) § 1. Auf dem Gebiete der ungarischen Krone kann eine jede großjährige oder
großjährig gesprochene Person, ohne Geschleehtsunterschied, zwischen den Schranken
dieses Gesetzes, einen jeglichen Gewerbezweig, hieher gerechnet auch den Handel, wo
immer, selbständig und frei ausüben.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 197
den Produzenten derselben wirtschaftlichen Güter, um sich unter den
günstigsten Bedingungen einen Absatz zu sichern, und andererseits der
freie Kampf der Konsumenten um die wirtschaftlichen Güter möglichst
vorteilhaft zu erwerben.
Wenn auch die riesenhaften Fortschritte, welche das ver-
fossene Jahrhundert auf allen Gebieten des menschlichen Wirkens auf-
weisen kann, zum großen Teil diesem Prinzip der wirtschaftlichen Frei-
heit und somit auch der freien Konkurrenz zu Gunsten zuzuschreiben
sind, so hat aber auch dieser Grundsatz seinenichtunbedeutenden
Schattenseiten. Die Auswüchse der freien Konkurrenz bezeichnet
man neuerdings mit dem Namen „unlauterer Wettbewerb“ (französisch:
concurrence déloyale“, englisch: „not honorable competition“, ungarisch :
„tisztességtelen verseny“).
= Der Wettbewerb fängt an unlauter zu werden, wo der wirtschaft-
liche Kampf nicht mit dem alleinigen gesetzlichen Mittel, nämlich mit
der eigenen Kraft, sondern mit dem Erfolg einer fremden
wirtschaftlichen Arbeit ausgeübt wird. Im modernen Staat ist
jedermann berechtigt zum Erlangen von — seinen individuellen Fähig-
keiten entsprechenden — Vorteilen, die freie Konkurrenz in Anspruch
zu nehmen. Wenn aber jemand, den Grundsatz des freien Wettbewerbes
mißbrauchend, das durch fremde Kraft und Fähigkeit Erschaffene zu
seinen Interessen benützt, so ist es eine Pflicht der Rechtsordnung, dem
Geschädigten zu Hilfe zu kommen, und die Gesetzgebung kann ihr
diesbezügliches Ziel nicht durch die Aufhebung der freien Konkurrenz,
sondern nur durch die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes er-
langen.
> Wie die Einführung des Grundsatzes der wirtschaftlichen Freiheit in
die Kulturstaaten nur successive vor sich ging, so kam es auch zur
Bekämpfung deren Auswüchsen nicht auf einmal in den ver-
schiedenen Ländern. Der erste Staat, welcher — die Schranke des
damals in der ganzen Welt herrschenden Zunftsystems wegschaffend —
das Prinzip des freien Handels und Gewerbes zur Geltung brachte und
im Jahre 1791 gesetzlich proklamierte, war Frankreich. Aber auch
die erste Nation waren die Franzosen, welche, die Auswüchse des
freien geschäftlichen Lebens erkennend, Schritte thaten, um gegen die
Mißbräuche Einzelner die Reinheit, den Anstand und die Gesetzlichkeit
des Wettbewerbes zu schützen.
Die Franzosen nennen das ganze Verhältnis, welches zwischen dem
Kaufmanne oder Gewerbetreibenden und seinen Kunden besteht „achan-
dalage“ (deutsch: „Kundschaft“, ungarisch: vevöi kör“) und diesem
Recht zum Erwerben von Kundschaft gewährt die französische Gesetz-
gebung und Rechtssprechung einen weitgehenden Schutz. Die wissen-
schaftliche Feststellung des Begriffes der unlauteren Konkurrenz ist
ein Verdienst der französischen Rechtslitteratur!). Das auf die Ent-
7 1 Siehe: H. Allart, Traité théorique et pratique de la concurrence déloyale.
Paris 1592. R. Barbier, De la concurrence déloyale. Paris 1895. E. Bert, Droit
français de la concurrence déloyale. Paris 1888;
Traité théorique et pratique de
la concurrence deloyale. Paris 1888. Braun, Nouveau traité des marques ete.
198 Nationalökonomische Gesetzgebung.
wickelung des modernen Privatrechtes einen so durchdringenden und
wohlthuenden Einfluß ausübende Code civil, ferner auch das Code
pénal, Code du commerce und andere Specialgesetze
enthalten vortreffliche Verordnungen zum Schutze der loyalen und zur
Bekämpfung der illoyalen Konkurrenz. Und die französische geschäft-
liche Welt nimmt diesen rechtlich gewährten Schutz auch in vollem
Maße in Anspruch. Dieser letztgenannte Umstand hat eine überaus
hervorragende Bedeutung. Es ist nämlich nicht genügend, daß durch
ein Gesetz ein Lebensverhältnis zu einem Rechtsverhältnis erhoben
wird, sondern ein Rechtsinstitut muß den Geist eines Volkes durch-
dringen, das Volk muß die Schutzmittel des Rechtslebens auch that-
sächlich in Gebrauch nehmen, nur dadurch kann der tote Buchstabe
des Gesetzes zu einer lebendigen Kraft sich emporschwingen. Die
französische Rechtspflege bietet hierüber ein glänzendes Beispiel. Be-
gründet auf einem Artikel des Code civil verfahren die französischen
Richter mit unerbittlichem Ernste gegen die „Concurrence déloyale“.
Der Artikel 1382 des Code civil: „Tout fait quelconque de l’homme
qui cause à autrui un dommage, oblige celui par la faute duquel il est
arrivé, à le réparer“ — enthält nämlich den Grundsatz, daß jede Hand-
lung eines Menschen, welcher Art sie auch sei, die einem anderen
Schaden verursacht, denjenigen, durch dessen Verschulden der Schaden
entstanden ist, denselben zu ersetzen verpflichtet. Der genannte Artikel
hat seine Stelle im Kapitel II. „Von den Delikten und Quasidelikten.“
Unter Delikt versteht das französische bürgerliche Gesetzbuch jede Hand-
lung, durch welche einem anderen aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit un-
befugt Schaden zugefügt wird; als unbefugt wird die Handlung betrachtet,
wenn durch sie das Recht eines anderen verletzt wird. Nun wird
nach französischer Auffassung die Gesamtheit der Erwerbs- und Ge-
schäftsbeziehungen eines Kaufmanns oder Gewerbetreibenden als ein
immaterielles Rechtsgut betrachtet, welches gegen die Angriffe des un-
lauteren Wettbewerbes einen Rechtsschutz genießt. In Frankreich wird
es als ein Uebergriff über das eigene Recht gehalten, wenn in der Kon-
kurrenz obzwar gesetzlich ausdrücklich nicht verbotene, jedoch im
Handels- und gewerblichen Verkehr als unredlich betrachtete Mittel ge-
braucht werden. Der französische Richter untersagt auf die Klage des
Geschädigten die Handlung, welche eine unlautere Konkurrenz bildet,
und setzt den erwachsenen Schaden nach Anhörung von Sachverständigen
fest 1). Durch die vollkommene Anwendung dieser Grundsätze hat die
auf der Höhe ihres Berufes stehende Rechtspraxis in Frankreich ohne
irgend eine bedeutendere Intervention der Gesetzgebung die hochwichtige
et de la concurrence déloyale. Paris 1888. J. Lestra, De la concurrence déloyale
en droit francais. Paris 1879. Loison, Noms commerciaux, médailles et récompenses
industrielles honorifiques. Paris 1579. Gaston Mayer, De la concurrence déloyale
et de la contrefaçon en matière de noms et marques. Paris 1879. E. Pouillet,
Traité des marques de fabrique et de la concurrence déloyale en tous genres. Paris
15092. A. Ploeque, De la concurrence déloyale par homonymie, Paris 1892. Raoul-
Joubert, De la concurrence déloyale. Paris 1890.
1) Siehe Jul. Bachem und Herm., Roeren, Das Gesetz zur Bekämpfung des
unlauteren Wettbewerbs. Leipzig 1896, 8. 3—4. g
Nationalökonomische Gesetzgebung. 199
und schwere Frage des Schutzes der gewerblichen immateriellen Güter
and somit das Problem betreffend die Bekämpfung des unlauteren Wett-
bewerbes gelöst.
Gleich Frankreich bildet auch in Italien!) außer einigen Special-
esetzen das nach franzüsischem Muster geschaffene allgemeine bürger-
liche Gesetzbuch die Grundlage zur gerichtlichen Bekämpfung der un-
lauteren Erscheinungen des geschäftlichen Lebens.
Auch in England?) und in den nordamerikanischen
Vereinigten Staaten verfährt die Rechtsprechung mit bestem Er-
flg gegen die „not honorable competition“, und außerdem finden wir
noch mehrere Specialgesetze zum Schutze des redlichen Wettbewerbes.
Bei weitem engherziger ist die Richtung des Schutzes der wirt-
schaftlichen Loyalität und der Bekämpfung der Auswüchse des ge-
schäftlichen Lebens im Deutschen Reich, in Oesterreich und
in Ungarn. Nach der herrschenden Auffassung in diesen Staaten
ist das subjektive Recht des Wettbewerbes unbeschränkt, welchem nur
in positiven gesetzlichen Bestimmungen Grenzen gezogen werden können.
Demnach ist die rechtliche Regelung betreffend den Schutz der ge-
schäftlichen immateriellen Güter und betreffend die Bekämpfung deren
feindlicher Faktoren in mehreren Specialgesetzen zerstückelt, welche
Bestandteile des allgemeinen Privat-, Handels-, Verwaltungs-, Prozeß-
und Strafrechtes in sich vereinigen.
In Deutschland?) können diesbezüglich neben den Bestim-
mungen des Reichsstrafgesetzbuches über die Ver-
1) Siehe M. Amar, Dei nomi, dei marchi e degli altri segni e della concorrenza
nell’ industria e nell commercio. Torino 1893.
2) Siehe N. Brown, The law of trade marks. London 1896. A. Gray, The
law of false marking. London 1887. H. Ludlow and H. Jenkyns, A treatise on
the law of trade-marks and trade-names. London 1873. Sebastian, A digest of cases
trade-work, trade-name, trade-secret, good-will ete. London 1879.
3) Siebe R. Alexander-Katz, Die unredliche Konkurrenz. Berlin 1892.
J. Bachem, Der unlautere Wettbewerb in Handel und Gewerbe und dessen Be-
kämpfung. Köln 1892; Wie ist dem unlauteren Wettbewerb in Handel und Verkehr
zu begegnen? Köln 1893. J. Bachem und H. Roeren, Das Gesetz zur Bekämpfung
des unlauteren Wettbewerbes. Leipzig 1896. Blanekertz, Die Bekämpfung des un-
lauteren Wettbewerbes durch Gewährleistung der Qualität von Seiten des Produzenten.
Berlin 1895. H. Böttger, Zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes. Braun-
schweig 1895. T. Brokat, Ueber unlauteren Wettbewerb. Zittau 1805. Gewallig,
Die gesetzlichen Bestrebungen des Deutschen Reiches zur Bekämpfung des unlauteren
Wettbewerbes. München 1895. Gottschalk, Das Gesetz über den unlauteren Wett-
bewerb. Berlin 1895, E. Katz, Gesetz zum Schutze der Warenbezeichnungen und
unlanterer Wettbewerb. Berlin 1894. J. Kohler, Treu und Glauben im Verkehr.
Berlin 1893. Dr. Adolf Lobe, Das Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wett-
bewerbes. Leipzig 1896. Rausnitz, Zum Gesetzentwurf zur Bekämpfung des un-
lauteren Wettbewerbes, Berlin 1895. Dr. W. Reuling, Der unlautere Wettbewerb
nach dem 2. Entwurfe eines Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes.
Berlin 1895. Eduard Rosenthal, Wettbewerb, unlauterer, Handwörterbuch der
Staatswissenschaften (Conrad, Elster, Lexis, Loening). Jena 1895. Stegemann, Un-
lauteres Geschäftsgebahren: 1. Typische Fälle. 2. Berichte, Anträge und Verhandlungen.
Braunschweig. 1594, Dr. H. Steinfeld, Die Grenzen der unlauteren Reklame,
Hannover 1896. Müller, Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes im Lichte
des allgemeinen Interesses. Berlin 1897. Wermert, Ueber den unlauteren Wett-
bewerl und die Konsumvereinsbewegungen. Halle 1895.
200 Nationalökonomische Gesetzgebung.
leumdung und Kreditschädigung, den Betrug, die An-
nahme von Titeln und Würden, das unbefugte Tragen
von Orden und Ehrenzeichen, und neben den Verordnungen
der Handelsgesetze über die Firmen, die Geschäfts-
veräußerung u. s. w., — besonders folgende Gesetze in Be-
tracht genommen werden:
Betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken, Ab-
bildungen, musikalischen Kompositionen und drama-
tischen Werken vom 11. Juni 1870:
betr. den Markenschutz, vom 30. November 1874;
betr. das Urheberrecht an Werken der bildenden
Künste, vom 9. Januar 1876:
betr. den Schutz der Photographie gegen unbefugte
Nachbildung. vom 10. Januar 1876;
betr. das Urheberrecht an Mustern und Modellen, vom
11. Januar 1876;
betr. das Patent, vom 25. Mai 1877 und 7. April 1891;
betr. den Verkehr mit Nahrungsmitteln und Ge-
brauchsgegenständen, vom 14. Mai 1879;
betr. den Schutz von Gebrauchsmustern, vom 1. Juni
1891;
betr. den Schutz der Warenbezeichnungen, vom 12. Mai
1894;
betr. das Warenratengeschäft, vom 16. Mai 1894; und
endlich
betr. die Bekämpfung des untlauteren Wettbe-
werbes, vom 27. Mai 1896.
Dieses letztgenannte Reichsgesetz, welches die nicht mindere Lücken-
haftigkeit des durch die hergezählten Specialgesetze gewährten und
dem redlichen Handels- und gewerblichen Verkehr dienenden Rechts-
schutzes durch die Bekämpfung der Hauptarten des unlauteren Wett-
bewerbes ergänzen will, wurde auch zur Grundlage des oben mitge-
teilten Gesetzentwurfes der königlich ungarischen Handelsregierung ge-
nommen.
Die Entwickelung des gewerblichen Rechtsschutzes in Oester-
reich!) zeigt dasselbe Bild, wie in Deutschland. Trotzdem das
österreichische bürgerliche Gesetzbuch im $ 1295 einen
dem oben erwähnten Artikel 1382 des Code civil entsprechenden Rechts-
satz enthält, welcher den Beschädigten zum Ersatz des durch Ueber-
tretung einer Vertragspflicht oder ohne Beziehung auf einen Vertrag
verursachten Schadens verpflichtet, so hat doch nicht in der öster-
reichischen Gerichtspraxis auf dieser Grundlage gleich des französischen
Rechtslebens ein allgemeiner rechtlicher Schutz gegen den unlauteren
1) Siehe Brunstein, Der Schutz des Fabriks- und Geschäftsgeheimnisses. Wien
1857. 0O. Franekel, Die Bestimmungen des österreichischen Rechts gegen unlauteren
Wettbewerb. Wien 1884. Maresch, Ueber gesetzlichen Schutz gegen unredliche
Konkurrenz. Wien 1890, Meili, Die neuen Aufgaben der modernen Jurisprudenz.
Wien 1892,
Nationalökonomische Gesetzgebung. 201
Wettbewerb sich ausgebildet. Außer den allgemeinen Verordnungen
der Straf- (Gesetz vom 27. Mai 1852, R.G.Bl. No. 117), Gewerbe-
(Gesetze vom 20. Dezember 1859, R.G.Bl. No. 227, vom 15. März 1883,
R.G.Bl. No. 39, vom 8. März 1885. R.G.Bl. No. 22 und vom 23. Februar
1897, R.G.Bl No. 63) und Handelsgesetze (Gesetz vom 17. De-
zember 1862, R.G.Bl. No. 1) sind hier folgende Specialgesetze her-
zuzählen:
Betr. die Maß- und Gewichtsordnung, vom 23. Juli 1871
(R.G.Bl. 1872 No. 16) und vom 12. Januar 1893 (R.G.Bl. No. 10);
aliena enthaltend einige Bestimmungen über die Veräußerung
von Staats- und anderen Losen oder deren Gewinst-
hoffnung, vom 7. November 1862 (R.G.Bl. No. 85) und 30. Juni 1878
(R.G.Bl. No. 90);
betr. Abhilfe wider unredliche Vorgänge bei Kredit-
geschäften, vom 28. Mai 1881 (R.G.Bl. No. 47);
betr. den Markenschutz, vom 6. Januar 1890. (R.G.Bl. No. 19)
und 30. Juli 1895 (R.G.Bl. No. 108);
betr. die Regelung der Ausverkäufe, vom 16. Januar 1895
(R.G.Bl. No. 26);
betr. das Urheberrecht an Werken der Litteratur,
Kunst und Photographie, vom 26. Dezember 1895 (R.G.Bl.
No. 197);
betr. den Verkehr mit Lebensmitteln und einigen Ge-
brauchsgegenständen, vom 16. Januar 1896 (R.G.Bl. 1897
No. 89);
betr. die Ratengeschäfte, vom 27. April 1896 (R.G.Bl. No. 70).
betr. die Regelung des Umfanges der Berechtigung
ER Detailhandelsgewerbe, vom 4. Juli 1896 (R.G.Bl.
No. 205);
Ge das Patent vom 11. Januar 1897 (R.-G.Bl. No. 30).
Aus den hergezählten Gesetzen ist ersichtlich, daß die Bekämpfung
der unredlichen Erscheinungen des freien Wettbewerbes in Oesterreich
nur wenig fortgeschritten ist. Die Wiederherstellung der Arbeits-
fähigkeit des Reichsrates nach langen politischen Wirren läßt die
Hoffnung hegen, daß die Versäumnisse der Gesetzgebung, betreffend
die weitere Ausbildung des Rechtsschutzes des lauteren geschäftlichen
Verkehrs, womöglich ohne Verzug ergänzt werden.
Den Hauptrichtungen der deutschen und österreichischen Rechts-
entwickelung, betreffend den Schutz der wirtschaftlichen immateriellen
Güter, gleicht die ungarische. Auch in Ungarn!) wurde die rechtliche
1) Siehe: 1. Dr. Arnold Balog, Türvényjavaslat a tisetessögtelen versenyröl (Ge-
setzentwurf über den unlauteren Wettbewerb). Jogtudemänyi Közlöny (Rechtswissen-
schaftliches Organ), Jahrg. 1900, Bd. 35, S. 253. 2. Emerieh Bálint, Tisztességtelen
verseny (Unlauterer Wettbewerb). Magyar Nemzetgazda (Ungarischer Nationalökonom),
Bd. 12, No. 28. 3. Dr. Samuel Bleuer, Három törvényjavaslat (Drei Gesetzentwürfe).
Jortud. Közl, Jahrg. 1900, Bd. 35, S. 261. 4. Desider Fon, A verseny hamis
alapfeltételei és ezeknek következményei (Die falschen Grundhedingnisse des Wettbewerbes
und deren Folgen). Magyar kereskedök Lapja (Blätter ungarischer Kaufleute), Bd. 3,
Jahrg. 1883, No. 52, 8. 5. 5. Dr. Friedrieh Frey, Concurrence déloyale, Jogtud.
202 . Nationalökonomische Gesetzgebung.
Bekämpfung der ungesunden Triebe des wirtschaftlichen Liberalismus
in Specialgesetzen successive durchgeführt. Es zeigte sich nämlich die
oben erwähnte liberale Richtung der ungarischen Gesetzgebung und
Rechtsprechung im ersten Decennium des wiederhergestellten konstitu-
tionellen Lebens in ihren Folgen übertrieben. Denn je intensiver sich
die ungarischen geschäftlichen Verhältnisse gestalteten, desto größer wurden
die Gefahren, welche die Solidität des Handels- und gewerblichen Ver-
kehrs durch seine häßlichen Auswüchse erlitt. Die vorhandenen Gesetze
waren zur Verhinderung oder Wegschaffung dieser kommerziellen und
industriellen Krankheitssymptome unvermögend. Ja es kamen traurige
Közl, Jahrg. 1884, Bd. 19, S. 407, 6. Ludwig Keleti, Idegen feliratú hazai
gyártmányok (Inländische Fahrikate mit fremden Aufschriften). Magy. Keresk. Lapja,
Jahrg. 1885, Bd. 5, No. 12.; 7. A reklámokról (Von den Reklamen). Magy. Keresk. Lapja,
Jahrg. 1585, Bd. 5, No. 46. 8. Rudolf Kreiesi, A reklámról (Von der Reklame),
(Iparügyek (Gewerbeangelegenheiten), Bd. 3, No. 9; 9. A reklämröl (Von der Reklame).
Budapest 1559. 10. Eugen Marich, Tisztességtelen verseny (Unlauterer Wettbewerb),
Küzgazdesägi Lexikon (Volkswirtschaftliches Lexikon), Bd. 3, 8. 533. 11. Paul
Mittag jun., A németek nemes mödoni coneurrentiäja (Die edelartige Konkurrenz
der Deutschen). Magyar Gazda (Ungarischer Landwirt), Bd. 4, No. 2. 12. Dr. Theodor
N'euschlosz, A tisztességtelen versenynek speciális törvény által való szabälyoräsa
ozélhoz vezet-e? (Wird die Regelung des unlanteren Wetthewerbes durch Spezialgesetz zum
Ziele führen ?), Jogtud. Közl., Jahrg. 1900, Bd. 35, S. 353. 13. Hermann Sasvári, A
franezia verseny segedeszközei (Die Hilfsmittel der französischen Konkurrenz). Magyar
kereskedelmi Muzeum (Ungarischer Handelsmuseum), Bd. 5, No. 52. 14. Ignaz Sugár,
A tisztességtelen verseny (Der unlantere Wettbewerb). Magy. Keresk. Lapja, Jahrg. 1596,
Bd. 16, No. 26; 15. Az árúk származási helyének megjelölése (Die Bezeichnung des
Herkunftsortes der Waren). Magy. Keresk. Lapja, Jahrg. 1896, Bd. 16, No. 40; 16. A
tisztességtelen verseny (Der unlautere Wettbewerb). Magy. Nemzetgazda, Bd. 8, No. 26.
17. Dr. Julius Wlassich, Alhirek terjesztése és a büntetöjog (Die Verbreitung
falscher Nachrichten und das Strafrecht). Nemzetgazdasági Szemle (Nationalökonomische
Rundschau), Bd. 16, Nr. 3. 18. Az illoyalis verseny (Der illoyale Wettbewerb). Jogtud.
Közl., Jahrg. 1898, Bd. 33, S. 357, 381; 19. A tisztességtelen versenyzés (Das unlautere
Konkurrieren). Magy. Keresk. Lapja, Jahrg. 1882, Bd. 2, No. 2; 20. A versenyzés (Das
Konkurrieren). Magy. Keresk. Lapja, Jahrg. 1883, Bd. 3, No. 21, S. 3. 21. A jog és
erköles a kereskedelemben (Recht und Moral im Handel). Magy. Keresk. Lapja,
Jahrg. 1883, Bd. 3, No. 23, S. 1. 22. Fizetésképtelenségi hamis hirek terjesztése (Ver-
breitung falscher Nachrichten über Zahlungsunfähigkeit). Magy. Keresk. Lapja, Jahrg. 1855,
Bd. 5, No. 44; 23. Amerikai üzleti hirdetések (Amerikanische geschäftliche Kund-
machungen). Magy. Keresk. Lapja, Jahrg. 1854, Bd. 7, No. 52; 24. A verseny elfajuläsa
(Die Entartung des Wettbewerbes). Magy. Keresk. Lapja, Jahrg. 1889, Bd. 9, No. 6:
25. A tisztességtelen verseny (Der unlautere Wettbewerb). Magy. Keresk. Lapja.
Jahrg. 1590, Bd. 10, No. 24; 26. A tisztességtelen verseny (Der unlautere Wettbewerb).
Magv. Keresk., Lapja, Jahrg. 1894, Bd. 14, No. 28; 27. A concurrence déloyale nálunk
(Die Concurrence déloyale bei uns). Magy. Keresk. Lapja, Jahrg. 1895, Bd. 15, No. 1;
28, A tisztességtelen verseny ellen (Gegen den unlauteren Wettbewerb). Magy. Keresk.
Lapja, Jahrg. 1895, Bd. 15, No. 2; 29. A reklámügy rendezése (Die Regelung des
teklamewesens (Magy. Keresk. Lapja, Jahrg. 1895, Bd. 15, No. 34; 30. A származási
hely megjelölése (Die Bezeichnung des Herkunftsortes). Magy. Keresk. Lapja, Jahrg. 1546,
Bd. 16, No. 47, 48; 31. A hirdetési ügy szabályozása a fövärosban (Die Regelung des
Annoncenwesens in der Hauptstadt). Magyar Pénzügy (Ungarisches Finanzwesen).
Jahrg. 18858, Bd. 8, No. 14; 32. Klikk és reklám (Klikk und Reklame). Magy. Pénzügy
Jahrg. 1504, Bd. 14, No. 27; 33. A piszkos verseny (Der unreine Wettbewerb). Iparügyek,
Jahrg. 1894, S. 279; 34. A tisztességtelen verseny meggátlása, (Die Verhinderung des
unlauteren Wettbewerbes). Magyar Ipar (Ungarisches Gewerbe, Jahrg. 1895, S. 105:
35. A reklám mint közgazd: i tényezö (Die Reklame als volkswirtschaftlicher Faktor),
Magyar Nemretgazda, Bd. 12, No. 25.
e
Nationalükonomische Gesetzgebung. 203
Ereignisse vor, welche ihre Grundlage gerade in den geltenden Gesetzen
hatten. Man mußte einsehen, daß die schwächeren gesellschaftlichen
Elementen durch die Stärkeren ausgebeutet werden. Wenn die großen
Nationen Westeuropas es für notwendig fanden, daß ihr auf einer so
hohen Stufe der Vollendung stehendes wirtschaftliches Leben mit den
mächtigsten Mitteln der Rechtsordnung gegen alle bösartigen Auswüchse
in entschiedenster Weise geschützt werde, wie bei weitem dringender
bedurfte das verhältnismäßig kleinere und schwächere geschäftliche Wirken
Ungarns, als eines nach langen traurigen Zeiten sich wirtschaftlich mit
Riesenschritten entwickelnden Staates — der gesetzlichen Hilfsmittel
gegen die illoyale Konkurrenz, welche die nützlichsten und solidesten
Bestrebungen des redlichen Geschäftsmannes vereitelt, den inländischen
Handel vor dem Publikum diskreditiert und den Kredit Ungarns vor dem
Auslande schädigt. Die auf die Entartung des Liberalismus aufgebaute
illoyale Konkurrenz gefährdet selbst auch die wirtschaftliche Freiheit,
diesen mächtigen und unschätzbaren Hebel des geschäftlichen Lebens.
Der unlautere Wettbewerb giebt den Feinden der ökonomischen Freiheit
— dieser für sich ganz richtigen und für den weiteren Fortschritt un-
entbehrlichen Grundlage — die gefährlichsten Waffen in die Hand.
Empört durch das Unwesen der unlauteren Konkurrenz, will man die
Freiheit der Gewerbeverfassung als eine Utopie betrachten, welche not-
wendigerweise einen sich in den schädlichen Auswüchsen zeigenden
pathologischen Zustand hervorbringt. Aber diese Ansicht ist verfehlt,
wie das Beispiel der oben erwähnten Kulturstaaten beweist, in welchen
ohne Preisgebung des Prinzipes der Gewerbefreiheit, ja auf dessen Boden
die rechtlichen Schutzmittel zur Bekämpfnng des unlauteren Wett-
bewerbes aufgebaut wurden.
Von der zweiten Hälfte der 70er Jahre des ver-
flossenen Jahrhunderts an läßt sich eine Richtungsver-
änderung im ungarischen Rechtsleben konstatieren. Der auf die
Grundlage des schroffsten Egoismus sich stützende Liberalismus mußte
langsam weichen vor dem sich stufenweise stärkenden Prinzip der
Gleichheit, des Schutzes der Schwächeren gegen die Uebermacht der
Gewaltigeren, des Sozialismus. Das 20. Jahrhundert wird — wie im
Auslande, so auch in Ungarn — voraussichtlich die zweite Devise der
französischen Revolution verwirklichen, die Gleichheit.
Schon im Jahre 1877 (Gesetzartikel VIII) hat die ungarische Ge-
setzgebung die durch den oben erwähnten Gesetzartikel XXXI vom
Jahre 1868 ausgesprochene Zinsfreiheit beschränkt, wenigstens so
weit, daf dem Wucherer die gerichtliche Hilfe entzogen wurde!).
1) § 1. Es darf durch den öffentlichen Notar keine öffentliche Urkunde auf-
genommen oder Privaturkunde mit dem Charakter eines Notariatsaktes versehen werden
in welchen Zinsen über 8 Proz. bedungen sind. Widrigenfalls kann die Urkunde keine
Kraft einer öffentlichen Urkunde, resp. eines Notariatsaktes haben.
S 3. Die Vormerkung oder Einverleibung eines Pfandrechtes zur Sicherstellung
von Zinsen über 8 Proz. kann nicht verordnet werden.
S 4. Zinsen über 8 Proz. können gerichtlich nicht bestimmt werden,
204 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Später ist auch durch den Gesetzartikel XXV vom Jahre 18851) gegen
den Wucher ein strafrechtlicher Schutz gegeben worden.
Das im selben Jahre (1883) entstandene Gesetz (Gesetzartikel XXI)
gewährt dem Publikum gegen jene Mißbräuche einen rechtlichen Schutz,
welche durch Effektenratengeschäfte hervorgebracht werden.
Dadurch wurde aber nur ein halber Schritt gethan, die Warenraten-
geschäfte sind bisher in Ungarn gesetzlich noch ungeregelt. Die
Leichtigkeit der Zahlungsbedingnisse bei diesen Geschäften verführt
viele zum Ankauf solcher Sachen, die für den Käufer oft gänzlich
überflüssig sind und deren Wert mit den Vermögensverhältnissen des
Käufers nicht im Einklange steht. Auch giebt es unzählige Fälle, in
welchen einzelne unredliche Kaufleute den Verkehr mit einer Fülle
von wertlosen Artikeln überhäufen und die Unwissenheit, Unerfabrenheit,
Leichtfertigkeit oder Notgedrungenheit der Käufer benützend, dieselben
zu einem überaus hohen Preis verwerten und somit die Interessen der
konkurrierenden soliden Kaufleute beschädigen. Ein anderer dies-
bezüglicher Mißbrauch besteht darin, daß gewissenlose Agenten ihre
Geschäfte oft nur durch solche wörtlichen Versprechungen erzwingen,
denen der unterfertigte schriftliche Vertrag nicht entspricht. All diese
Ursachen bewogen die königlich ungarische Handelsregierung zur Ver-
fassung und Veröffentlichung eines diesbezüglichen Gesetz-
entwurfes, welcher aber bis jetzt noch keine gesetzliche Kraft erhielt.
Auch die ungarischen Gesetzartikel: XIV vom Jahre 1881, betr.
die Faustpfandleihgeschäfte; XVII vom Jahre 1881, betr.
das Konkursverfahren; XVI vom Jahre 1884, betr. das Ur-
heberrecht; IX vom Jahre 1889 betr. den Verkehr der Ge-
winnanleiheobligationen und Promessen und XXIII vom
Jahre 1898, betr. die wirtschaftlichen und Kreditgenossen-
schaften — bezwecken, die Lauterkeit des geschäftlichen Verkehrs
zu schützen.
Das unlängst sanktionierte, sogenannte Agentengesetz, bildet
auch ein organisches Glied jener neueren legislativen Richtung, welche
die Herstellung und Sicherung des Gleichgewichtes der wirtschaftlichen
Kräfte und Faktoren sich zum Ziele setzt. Dieses Gesetz verändert
den $ 50 des Gewerbegesetzes (Gesetzartikel XVII vom
Jahre 1884) welcher die Freiheit des Sammelns von Be-
stellungen proklamierte. Durch die neue gesetzliche Be-
schränkung dieser Freiheit wird im Interesse des inländischen, ins-
1) § 1. Wer, die Notlage, den Leichtsinn oder die Unerfahrenheit eines anderen
benützend, unter solchen Bedingungen einen Kredit gewährt oder Zahlungsfrist giebt,
welche durch die ihm oder einem Dritten gewährten maßlosen Vermögensvorteile, das
wirtschaftliche Verderben des Schuldners oder Gutstehers herbeizuführen oder zu be-
fördern geeignet sind, oder bei welchen, den Umständen des Falles gemäß, zwischen
der Leistung und Gegenleistung eine auffallende Unverhältnismäßigkeit sich zeigt; ver-
übt das Vergehen des Wuchers und wird mit Gefängnis in der Dauer von 1 bis zu
3 Monaten und mit Geldstrafe von 100—200 Gulden bestraft.
$ 3. Der in den vorigen Paragraphen bestimmten Strafe unterliegt auch derjenige,
welcher, den Thatbestand kennend, eine Wucherforderung erwirbt und dieselbe weiter
veräußert oder deren Wuchervorteile er selbst geltend macht.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 205
besondere des provinziellen Handels und Gewerbes, und im Interesse
des konsumierenden Publikums den Mißbräuchen der reisenden Agenten
ein Ende zu bereiten erzielt.
II.
Die erwähnten ungarischen Gesetze und Gesetzentwürfe beziehen
sich aber nur von weitem und nicht unmittelbar auf die in engerem
Sinne genommene „Concurrence déloyale“, d. h. auf die Gesammtheit all-
jener Handlungen, welche den guten Sitten und der kaufmännischen
Wohlanständigkeit zuwiderlaufen und die berechtigten geschäftlichen
Interessen des Mitwerbers zu schädigen geeignet sind.
Wie die Erscheinungen des unlauteren geschäftlichen Verkehrs
äußerst mannigfaltig sind, so sind auch die dagegen in Anwendung
genommenen rechtlichen Schutzmittel entsprechend sehr verschieden-
artig. und je nach den zum Gebrauch gelangenen Rechtemitteln werden
mehrere oder wenigere Gruppen des illoyalen Wettbewerbes unter-
schieden.
Am einfachsten kann man die unlauteren Erwerbshandlungen in
ıwei große Kategorien teilen, nämlich:
a) in Handlungen, welche im allgemeinen die eigene
Erwerbsthätigkeit — ohne dadurch einen bestimmten Konkur-
renten zu schädigen — unlauter fördern, und
b)in Handlungen, welche unmittelbar die Thätig-
keitdes Wettbewerbers illoyal hindern.
In die erste Gruppe gehören:
1) Quantitätsverschleierung (az ärumennyiseg elpalästoläsa),
2) Qualitätsverschleierung (az äruminüség elpalästoläsa),
3) falsche Ortsbezeichnung (a szärmazäsi hely elpalästoläsa),
4) Reklameschwindel (hirdetési szédelgés) és
5) Anmaßung besonderer Auszeichnungen (kitüntete-
sekkel való visszaélés).
Die zweite Gruppe bilden:
1) Anmaßung fremder Unterscheidungszeichen (Na-
men-, Firmen-, Marken- u. s. w. Mißbrauch, usurpation de nom, de raison,
de l'enseigne etc., név-, czég-, vedjegy-stb. bitorlás),
2) Herabsetzung des Wettbewerbers (Betriebs- oder Kre-
ditschädigung, dénigrement, a versenytärs üzletének ócsárlása vagy
hitelénex kisebbitése) und
3) Verrat von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen
(üzlet-vagy üzemtitok eläruläsa).
Gegen die meisten dieser schädlichen Erscheinungen des Handels-
und gewerblichen Verkehrs finden wir Bestimmungen im Corpus
juris Hungarici. Nur basiert dieser gesetzliche Schutz im unga-
rischen Reich nicht — wie bei den Franzosen — auf einem allgemeinen
Rechtssatz und auf diesem begründeter Rechtsübung, sondern auf ver-
schiedenen Verordnungen, welchein mehreren einzelnenSpecial-
gesetzen zerstreut sind.
1) Was vor allem die durch Quantitätsverschleierung her-
kauften Waren — vortreffliche Verordnungen.
Gesetzartikel VIII vom Jahre 1874,
$ 10. Im öffentlichen Verkehr dürfen nur nach den folgenden Bestimi
geaichte und gestempelte Maße und Maßapparate angewendet werden.
$ 11. Zur Aichung und Stem belung werden nur solche Maße zugelassen,
welche in den SS 3, 5 und 7!) hergezählten Quantitäten, deren Hälfte oder Viertel.
teil, resp. deren 2-, 5, 10- und 20-fache ents richt.
$ 13. Wenn Wein, Bier oder Sprit in Fässern verkauft wird, muß das Faß
geaicht (kubiert) und mit einer den Rauminhalt nach dem neuen Maß bezeichneten
Stempelung versehen sein. Eine Ausnahme hiervon findet nur bezüglich solcher
ausländischen Weine, Biere und Sprite statt, welche in den Originalgebinden weiter
verkauft werden.
$ 19. Die Anwendung von den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht ent-
sprechenden Maßen und Maßa araten im öffentlichen Verkehr wird, außer der
onfiskation des regelwidrigen Maßap arates, mit einer im Verwaltungswege ein-
zubringenden Geldstrafe bis zu 100 Gulden bestraft; außerdem bleibt noch die
allfällige Behandlung nach dem Strafgesetze übrig.
nungen
Gesetzartikel XL vom Jahre 1879.
$ 136. Wer in seiner Handlung, seinem Magazin, seiner Werkstatt oder Ver-
kaufslade ein mit behördlicher Aichung nicht versehenes Gewicht-, Längen- oder
Hohlmaß anwendet; auch wer gegen die das Gewicht-, y
betr. Bestimmungen verstößt, wird mit einer Geldstrafe bis zu 100 Gulden — im
Rückfall aber — wenn seit der letzten Bestrafung 2 Jahre noch nicht verflossen
sind, mit einer Haft bis zu 8 Tagen und einer Geldstrafe bis zu 100 Gulden bestraft.
iese Uebertretung verübt auch derjenige, der mit behördlicher Aichung nicht
verschenes Gewicht, Längen- oder } i
seiner Werkstatt oder Verkaufslade — obzwar ohne Anwendung — hält.
$ 138. Wer im Falle der behördlichen Preisbestimmung die nach Gewicht
oder Preis bestimmten Fleisch- oder Brotartikel für höheren Preis oder in minderem
Gewicht oder in schlechterer (Qualität verkauft, ist mit einer Geldstrafe bis zu
Gesetzartikel XXXIV vom Jahre 1893.
$ 1. Betreffend die für den inländischen Verkehr bestimmten Waren, welche
im Detailhandel in fertigen Paketen (in Schachteln, Bündeln oder anderen Um-
üllungen) gelangen und welche von dem Käufer weder vorgezählt, noch vorge-
messen oder vorgewogen werden, sondern im öffentlichen Verkehr in geschlossenen :
Umhüllungen oder stückweise oder nach gewissem Maß den Gegenstand des Kaufs
oder Verkaufs bilden, insofern die Quantität auf dem Paket oder auf der Ware selhst
1) § 3 Die Einheit des Längenmaßes ist das Meter. Der 10. Teil des Meter
ist das Deeimeter , der 100. Teil das Centimeter, der 1000. Teil das Millimeter.
1000 Meter bilden das Kilometer, 10.000 Meter das Myriameter,
$ 5. Körpermaße sind allgemein die Würfel der Längenmaße. Die Einheit des
Hohlmaßes ist das Liter. Das Liter ist der 1000, Teil des Kubikmeters. Der 10. Teil
des Liters ist das Deeiliter, der 100. Teil das Centiliter, 100 Liter bilden dsa Hektoliter.
S 7 Die Einheit des Gewichtes ist das Kilogramm. Das Kilogramm ist das Ge-
wicht eines Liters destillierten Wassers bei der Temperatur von 49 C über dem Frost-
punkt. Der 1000. Teil des Kilogramms jet das Gramm. Der 10. Teil des Gramms ist
das Decigramm, der 100. Teil d
as Centigramm, der 1000. Teil das Milligramm. 10 Gramm
bilden das Dekagramm, 1000 Kilogramm die Tonne.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 207
(in Gewicht oder Längenmaß) bezeichnet ist, so muß diese Bezeichnung der Wirk-
lichkeit getreu und in gesetzlichem Maß ausgedrückt sein.
Wenn die Bezeichnung nach Gewicht geschieht, so darf die Umhüllung nicht
eingerechnet werden.
$ 2. Der königlich ungarische Handelsminister ist berechtigt, mit dem Ein-
verständnis des kroatisch-slavonisch-dalmatischen Banus und nach der Anhörun
der Handels- und Gewerbekammern, eventuell anderer Fachkorporationen, dure
Verordnung bei gewissen Waren die obligatorische Bezeichnung der Quantität auf
den Paketen — zu bestimmen, auch kann er verordnen, daß die Bezeichnung der
Quantität, resp. des Gewichtes auf der Ware selbst oder auf deren Umhüllungen
anzuwenden ist; und endlich, daß die Quantität nach Stück, Maß oder Gewicht
bezeichnet werde ....
$ 4. Wer gegen die im $ 1 dieses Gesetzes bestimmte Verpflichtung ver-
stößt und die Waren quantitativ nicht der Wahrheit getreu und nicht in gesetz-
lichem Maß bezeichnet, oder solche Waren, für welche durch eine auf Grund des
$ 2 dieses Gesetzes erlassene ministerielle Verordnung bestimmte Bezeichnungs-
verpflichtung obwaltet, ohne obligatorische Bezeichnung oder mit regelwidriger
Bezeichnung unmittelbar dem konsumierenden Publikum im Inland verkauft oder
zum Verkauf für dieses vorrätig hält — insofern die Handlung nicht unter schwe-
rere Zurechnung fällt — verübt eine Uebertretung und ist mit einer Geldstrafe
bis zu 100 Gulden, im Rückfall aber, insofern seit der letzten Strafe 2 Jahre noch
nicht verflossen sind, mit einer Geldstrafe bis zu 200 Gulden zu bestrafen.
Eine gesetzwidrige Bezeichnung gebraucht auch derjenige und ist mit der in
diesem Paragraphen bestimmten Strafe zu bestrafen, der auf der Ware oder auf
deren Umhällung eine solche Aufschrift anwendet, welche zur Irreführung des
Publikums über die Quantität geeignet ist.
$ 5. Insofern die Handlung nicht unter schwerere Zurechnung fällt, verübt
derjenige eine Uebertretung und ist nach dem gegenwärtigen Gesetze mit einer
Geldstrafe bis zu 200 Gulden, im Rückfall hingegen, wenn seit der letzten Strafe
2 Jahre noch nicht verflossen sind, mit Haft bis zu 1 Monate und mit einer Geld-
strafe bis zu 300 Gulden zu bestrafen: wer zwar mit regelmäßiger Bezeichnung
versehene solche Warenumhüllungen dem konsumierenden Publikum im Inland
unmittelbar feilhält, von welchen er wußte oder mit der Sorgfalt eines ordentlichen
Kaufmannes wissen mußte, daß die Quantitätsbezeichnung dem Inhalte nicht
entspricht.
$ 6. Bei Waren, die wegen ihrer natürlichen Qualität, trotz der Sorgfalt
eines ordentlichen Kaufmannes, durch längeres Liegen in Gewicht oder Maß ge-
wöhnlich einen Verlust leiden, kann ein solches Abnehmen keine Thatsache einer
Uebertretung sein.
§ 9. Die Gewerbebehörden sind berechtigt, im Falle eines begründeten Ver-
dachtes im Geschäft sich befindende und in den $$ 1 und 2 dieses Gesetzes er-
wähnte Waren zu jenem Zwecke zu besichtigen, ob die Bezeichnung den Be-
stimmungen dieses Gesetzes, resp. der auf Grund dessen erlassenen Verordnung
entsprechen.
2) Was die durch die Qualitätsverschleierung der Waren
verübten Auswüchse des Handels- und gewerblichen Lebens betrifft, so
ist ein bedeutender Unterschied zwischen den Erzeugnissen der Land-
wirtschaft und der gewerblichen Arbeit zu machen. Dieser Unterschied
ist auch in der bisherigen Richtung der ungarischen gewerblichen Ge-
setzgebung ersichtlich. Während nämlich die Beschaffenheit der land-
wirtschaftlichen Erzeugnisse auch mit geringerer Fachkenntnis leicht zu
erkennen ist, können die industriellen Artikel qualitativ meist auch
durch die Hilfsmittel der Chemie und Technik nur schwer bestimmt
werden.
Betreffend die Erzeugnisse der Landwirtschaft, besitzt Ungarn weit-
gehende und vortreffliche gesetzliche Schutzmittel. Im allgemeinen
verbietet das Gesetz über die öffentlichen Gesundheits-
208 Nationalökonomische Gesetzgebung.
angelegenheiten (Gesetzartikel XIV vom Jahre 1876) die Fälschun
von Nahrungsmitteln. Diesbezügliche Specialgesetze sind die Geset
artikel:
D
Z-
$ 1. Einen künstlichen Wein verfertigen oder fabrizieren, auch einen solchen
Wein auf was immer für eine Weise in Verkehr bringen, ist verboten.
Auch ist verboten, solche Stoffe, die zur Verfertigung oder Fabrizierung des
i unter diesem Vorwande
im Gebiete der Länder der ungarischen Krone ankündigen oder für diesen Zweck
und unter diesem Vorwande im Gebiete der Länder ges ungarischen Krone auf
was immer für eine Art in Verkehr bringen.
$ 2. Der Wein ist künstlich, wenn er
a) nicht ausschließlich aus Trauben, resp. Traubenmost verfertigt ist;
b) wenn zum Wein außer gereinigtem Spiritus oder Cognac, Wasser oder was
immer für ein Stoff gemischt wird.
Aber ein Wein, welcher durch die den Grundsätzen der vernünftigen Keller-
behandlung entsprechende Verbesserung des aus Trauben verfertigten Mostes produ-
ziert ist, kann nicht als künstlicher Wein betrachtet werden.
Ueber die Frage, was unter vernünftiger Behandlung oder Verbesserung des
Mostes zu verstehen ist, wird der Handelsminister mit dem Ackerbauminister auf
deren
$3. Es ist verboten, solchen Wein, zu welchem auch ausländische Rosinen
gegeben werden, unter den Benennungen „tokaji“, »hegyaljai oder „szamorodni“
in den Verkehr zu bringen.
Champagner, Wermutwein, Tresterwein (Lauer, Treberwein) und Obstwein
dürfen nur unter den — dieser ihrer Qualität — entsprechenden Benennungen
Magaziniert und in Verkehr gebracht werden. Der Handelsminister wird auf Ver-
ordnungswege die Kennzeichen dieser Getränke und jene Bezeichnungen , unter
welchen diese Getränke magaziniert und in den Verkehr gebracht werden können
$ 4. Es ist verboten, den Wein mit der Bezcichnung einer Gegend, in welcher
er nicht gewachsen ist, bezw. wenn er dem Charakter jener Gegend nicht ent-
spricht — in Verkehr zu bringen,
Ueberdies ist es verboten, den Wein mit der Bezeichnung einer Traubensorte,
aus welcher er nicht verfertigt wurde, in Verkehr zu bringen.
Im Falle der Mischung von in verschiedenen Gegenden gewachsenen oder
aus verschiedenen Traubensorten verfertigten Weinen, muß die Mischung mit einer
Benennung solcher Gegend, bezw. solcher Traubensorte versehen sein, deren sie
der überwiegenden Weinsorte nach thatsächlich ents richt.
Die Einteilung der Weingegenden ist durch den Handelsminister mit Ein-
verständnis des Ackerbauministers auf Verordnungswege zu bestimmen.
S 5. Es verübt eine Uebertretung und wird — insofern die Handlung nach
den Strafgesetzen oder nach den Gesundheitsgesetzen und Verordnungen unter
keine schwerere Strafe fällt — mit einer Geldstrafe yon 25—300 H. bestraft :
a) wer zur Verfertigung oder Fabrizierung yon künstlichen Weinen dienende
Sfoffe ausdrücklich zum Gebrauch für diesen Zweck ankündigt oder in Verkehr
ringt ;
b) wer einen in $ 2 beschriebenen Wein in Verkehr bringt;
€) wer die im ersten Absatz des 8 3 erwähnten Weine unter der Benennung
„tokaji“, „hegyaljai“ oder „szamorodni“ in Verkehr bringt;
d) wer die im zweiten Absatze des $ 3 erwähnten Getränke nicht unter den
Nationalükonomische Gesetzgebung. 209
auf Verordnungswege bestimmten Bezeichnungen magaziniert oder in Verkehr
bringt;
mi wer einen Wein mit der Bezeichnung einer Gegend, in welcher er nicht
gewachsen ist. bezw. wenn er dem Charakter jener Gegend nicht entspricht, in Ver-
kehr bringt (siehe $ 4);
f) wer einen Wein unter der Benennung einer Traubensorte, aus welcher er
nicht verfertigt wurde, in Verkehr bringt.
$ 6. Es verübt eine Uebertretung und insofern die Handlung nach den Be-
stimmungen der Strafgesetzbücher unter keine schwerere Strafe fällt, wird mit einer
Geldstrafe von 25—300 fl. und mit Haft bis zu 2 Monaten bestraft: wer einen im
$ 2 erwähnten künstlichen Wein verfertigt oder fabriziert.
Gesetzartikel XLVI vom Jahre 1895.
$1. Die Fälschung von landwirtschaftlichen Früchten, Erzeugnissen und
Artikeln, nämlich: von Milch und Milcherzeugnissen, von tierischen und vegetabi-
lischen Fetten, Fettwaren, Oelen, weiter von Getreide, Mehl oder aus diesem ver-
fertigten Mehlpreisen, von Honig, spanischem Pfeffer, im allgemeinen von Saat-
korn und Grassamen, von Futter und Dünger, so auch das Inverkehrbringen
dieser gefälschten Artikel ıst verboten.
Der Ackerbauminister wird beauftragt, daß wenn außer den im gegenwärtigen
Gesetz erwähnten Früchten, Erzeugnissen und Artikeln im Interesse der Land-
wirtschaft das Verbot der Fälschung von anderen Früchten, Erzeugnissen oder
Artikeln notwendig sich zeigen möchte, diesbezüglich durch Verordnungen An-
staltungen zu treffen; aber er ist verpflichtet betreffend diese seine Verordnungen
alle 2 ie dem Abgeordnetenhaus Bericht zu erstatten.
$2. Unter Fälschung von landwirtschaftlichen Früchten, Erzeugnissen und
Artikeln ist die Nachahmung oder derartige Veränderung der im $ 1 aufgezählten
Sachen zu verstehen, welche zur Irreführung des konsumierenden Publikums oder
des Käufers über die Herkunft, Zusammensetzung oder Qualität geeignet ist.
$ 3. Es verübt eine Uebertretung und insofern die Handlung unter keine
schwerere Strafe fällt, ist mit Haft bis zu 2 Monaten und mit einer Geldstrafe
bis 600 Kronen zu bestrafen, wer:
a) landwirtschaftliche Früchte, Erzeugnisse oder Artikel fälscht;
b) zur Fälschung geeignete Stoffe für diesen Zweck ankündigt;
c) verfälschte landwirtschaftliche Früchte, Erzeugnisse der Artikel in Ver-
kehr bringt;
. Es verübt weiter eine Uebertretung, und insofern die Handlung nicht unter
eine schwerere Strafe fällt, ist mit einer Geldstrafe bis zu 600 Kronen zu be-
strafen, wer:
d) landwirtschaftliche Früchte, Erzeugnisse oder Artikel, obzwar unverfälscht,
unter einer solchen Benennung oder Bezeichnung verkauft oder in Verkehr bringt,
welche derselben ihrer Natur und Herkunft nach in der Wirklichkeit nicht ge-
pührt.
Die industriellen Erzeugnisse betreffende, ähnliche Be-
stimmungen fehlen im Corpus juris Hungarici Die Budapester
Handels- und Gewerbekammer!) und viele angesehene Faktoren
des ungarischen Geschäftslebens halten die etwaigen gesetzlichen Be-
stimmungen solcherart für nicht zweckentsprechend, ja für nachteilig und
kaum durchführbar. Man befürchtet, daß die behördliche Kontrolle der
Qualitätsbezeichnungen der industriellen Artikel deren Handels- und
gewerblichen Verkehr lähmen und in gewissen Fällen große Unbillig-
keit oder Ungerechtigkeit hervorrufen könnte. So z. B. gebraucht der
mit dem konsumierenden Publikum in unmittelbarer Berührung stehende
1) Berieht der Budapester Handels- und (rewerbekammer aus der Sitzung vom
26. und 27, Juni 1899, betr. den unlauteren Wettbewerb.
Dritte Folge bé. XXIII (LXXVIN). 14
210 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Kleinhändler fast ohne Ausnahme jene Bezeichnungen, welche der Groß-
händler oder Fabrikant, von denen er seine Artikel bezieht, weil er
weder entsprechende Fachkenntnis, noch genügende Zeit besitzt, um
die gekaufte Ware ihrer Beschaffenheit nach einer gründlichen Prüfung
zu unterziehen; deshalb ist er genötigt, der durch den Großhändler
oder Fabrikanten angewendeten Qualitätsbezeichnung volles Vertrauen
zu schenken. Und dennoch müßte er in erster Reihe für die Wirklich-
keit dieser Bezeichnung verantwortlich sein, und bei einer etwaigen
Strafe könnte er sich vom Verkäufer des Artikels keinen Schadenersatz
verschaffen, z. B. im Falle, wenn derselbe ein Ausländer ist, für welchen
die Rechtskraft der inländischen Gesetze nicht wirksam ist. Aus dieser
Verantwortlichkeit würden viele Unannehmlichkeiten und Plackereien
den Handelsmann treffen, welchen er nur dadurch könnte ausweichen,
wenn er allgemein der Qualitätsbezeichnung der durch ihn in Verkehr
gebrachten Waren sich gänzlich enthalten möchte. Aber dieses Ver-
fahren würde natürlich auf den geschäftlichen Verkehr äußerst schäd-
lich wirken, indem die Unterscheidung der Waren durch Bezeichnungen
nach ihrer abweichenden Beschaffenheit beim Verkauf eine bedeutende,
in gewissen Fällen sogar eine unentbehrliche Rolle spielt. Um diese
üblen Folgen zu vermeiden, aber auch den berechtigten Forderungen
betreffend den gesetzlichen Schutz des lauteren Wettbewerbes womög-
lich Genüge zu leisten, hat man den Vorschlag gemacht, daß der oben
eitierte Gesetzartikel, betreffend die richtige Bezeichnung des Quantitäten-
inhalts der in Paketen verkauften Waren — in jener Richtung er-
gänzt werde, daß der Handelsminister beauftragt werde, für gewisse
Waren nicht nur die obligatorische Bezeichnung der Quantität, sondern
auch die der Qualität auf der Umhüllung oder auf der Ware selbst —
verordnen zu können. Es ist selbstverständlich, daß, solange die Ge-
meinsamkeit des ungarischen und österreichischen Zollgebietes aufrecht
steht, kann eine solche Verordnung nur in jenem Falle in Ungarn —
ohne einen beträchtlichen Schaden des ınländischen Handels- und ge-
werblichen Verkehrs — ins Leben treten, wenn es zu sichern gelingt,
daß auch Oesterreich ein gleiches gesetzliches Schutzmittel schafft. Aber
auch diese gesetzlichen Verordnungen sollen sich besonders nur auf
solche Bezeichnungen beziehen, welche den Stoff der Ware betreffen,
daß man nicht zum B. das Eisen als Stahl, den bronzierten Eisengul
als Bronzeguß, die Baumwolle als Leinen u. s. w. bezeichne. Keines-
falls sollen sie aber für solche Bezeichnungen gebraucht werden, die
nur den Grad der Qualität zeigen, und deren Grundlage eine subjektive
Schätzung ist, wie z. B. fein, sehr fein, mittelfein, unverwüstlich, echt.
gut, best, stark u. s. w.
3) Gegen die durch die Verschleierung der Herkunft
der Ware ausgeübten Auswüchse des geschäftlichen Lebens enthält
einen allgemeinen Schutz der $ 58 des Gewerbegesetzes (Gesetz-
artikel XVII vom Jahre 1884).
„Kein Gewerbetreibender oder Kaufmann darf in seiner Firma, auf seinen
Drucksachen oder Kundmachungen solche Beifügungen, Bezeichnungen oder An-
gaben gebrauchen, welche den thatsächlichen geschäftlichen Verhältnissen oder der
Wirklichkeit nicht entsprechen.“
Nationalökonomische Gesetzgebung. 211
Auch die vorher erwähnten Gesetze betr. das Verbot der
Verfertigung und des Inverkehrsetzens von künst-
lichen Weinen und betr. das Verbot der Fälschung von
landwirtschaftlichen Früchten, Erzeugnissen und Ar-
tikeln, enthalten diesbezügliche Bestimmungen.
Durch auf Grund des $ 107 des Gesetzes betr. die öffentlichen
Gesundheitsangelegenheiten (Gesetzartikel XIV vom Jahre 1876) er-
lassene Verordnungen wurde die falsche Herkunftsbezeichnung
der Mineralwässer verboten.
4) Gegen den Reklameschwindel, als eine der häufigsten
Erscheinungsformen des unlauteren Wettbewerbes, enthält im allge-
meinen das schon eitirte ungarische Gewerbegesetz in seinem
$ 58 ein entsprechendes Schutzmittel.
Auch können in gewissen Fällen gegen die durch Reklameschwindel
verübten Auswüchse des illoyalen geschäftlichen Verkehrs die Be-
stimmungen gegen den Betrug des Strafgesetzes ($$ 379
bis 390 des Gezetzartikels V vom Jahre 1878) in Anwendung ge-
nommen werden. Eine häufige Form des Reklameschwindels bilden in
vielen Fällen die verschiedenen Veranstaltungen zum
Zwecke einer beschleunigten Veräußerung von Waren.
Eine diesbezügliche Regelung finden wir in den $$ 51 und 52 des
ungarischen Gesetzartikels XVII vom Jahre 1884, deren
vortreffliche Bestimmungen auch Oesterreich nach dem Ablaufe einer
Dekade durch das Gesetz vom 16. Januar 1895 größtenteils
übernahm.
Gesetzartikel XVII vom Jahre 1884.
$ 51. Eigene oder fremde Erzeugnisse dürfen durch Ausverkaufversteigerung
oder auf einer zu einem massenhaften und schnellen Verkauf lockenden Art nur
mit Bewilligung der Gewerbebehörde verkauft werden.
Diese Bewilligung kann längstens auf die Dauer von 3 Monaten erteilt
werden und bei deren Erlangen ist in erster Reihe für gewerbliche, ev. für kauf-
männische Unterrichtszwecke in die Gemeindekasse zu zahlen:
a) in Budapest 100 fl.;
b) in Städten und Gemeinden mit über 10000 Einwohnern 50 fl.;
c) in anderen Orten 20 fl.
Der Standesort des Ausverkaufes ist mit einer übereinstimmenden Genehmigung
der Gewerbe- und Polizeibehörde zu bewilligen.
Ueber die Verkäufe sind ordentliche Bücher zu führen, in welchen jeder ver-
kaufte Artikel mit Verkaufspreis aufzuzeichnen ist. Diese Verzeichnisse sind durch
die Behörde zu kontrollieren.
Beim Schluß der Verkäufe ist der zehnte Teil der eingeflossenen Summe in
erster Reihe für gewerbliche, eventuell für kaufmännische Unterrichtszwecke in
die Gemeindekasse zu zahlen.
S 52. Für Geschäfte, deren Eigentümer gestorben ist, oder welche wenigstens
seit 2 Jahren bestehen, kann die Gewerbebehörde zum Zwecke einer Geschäfts-
abwickelung auf die Dauer von längstens 6 Monaten einen Ausverkauf oder eine
Versteigerung bewilligen und diese Zeit in besonderen rücksichtswürdigen Fällen
und unter der Bedingung auf die Dauer von längstens einem Jahre verlängern,
daß bei der Abwickelung mit der gehörigen Kontrolle der Gewerbebehörde nur die
inventierten Gegenstände des Geschäftes zum Verkauf gelangen können.
. ‚Bei den Bewilligungen dieser Art, wie auch im Falle eines Konkurses und
bei durch gerichtliche oder behördliche Verordnungen gehaltenen Verkäufen, sind
die Bestimmungen des vorigen Paragraphen nicht anzuwenden.
14*
212 Nationalökonomische Gesetzgebung.
5) Eine ebenfalls sehr häufige Art und Weise des unredlichen ge-
schäftlichen Lebens ist der durch Anmaßung besonderer Aus-
zeichnungen hervorgerufene Mißbrauch. Auch gegen diese Aus-
artung des Handels- und gewerblichen Verkehrs bieten der öfters be-
tonte $ 58 des Gewerbegesetzes und die gleichfalls erwähnten,
sich auf Betrug beziehenden Satzungen des Gesetz-
artikels V vom Jahre 18%8 (betr. die Verbrechen und Vergehen)
einen gesetzlichen Schutz. Endlich sind hier noch insbesondere der
§ 45 des Gesetzartikels XL vom Jahre 1879 (betr. die Ueber-
tretungen) und der Gesetzartikel XVIII vom Jahre 1883
(betr. die Bewilligung von einer Anwendung des vereinigten Wappens
der Länder der ungarischen Krone und des besonderen Wappens des
Landes, durch Private und privatliche Korporationen, Unternehmungen
und Anstalten) zu erwähnen.
Gesetzartikel XL vom Jahre 1879.
$ 45. Wer einen nicht gebührenden Titel oder eine nicht gebührende Rang-
stufe gebraucht, durch welche das Publikum irregeführt werden, auch wer un-
gebührende inländische Ordens- oder Ehrenzeichen, oder ohne Erlaubnis ausländische
Ordens- oder Ehrenzeichen trägt, ist mit einer Geldstrafe bis zu 100 fl. zu be-
strafen.
Gesetzartikel X VIII vom Jahre 1883.
Betr. die Bewilligung einer Anwendung des vereinigten Wappens der Länder
der ungarischen Krone und des besonderen Wappens des Landes wird verordnet:
$ 1. Vom Zeitpunkte des in Wirksamkeittretens des gegenwärtigen Ge-
setzes an dürfen nur jene Privaten, privatlichen Korporationen, Unternehmungen und
Anstalten die oben erwähnten Wappen auf ihren Fabriks- oder Gewerbeartikeln,
Waren, geschäftlichen Lokalen, Firmentafeln, Etiquetten, geschäftlichen Druck-
sahen u. s w. anwenden, welche vom AE eet eine Bewilligung erhalten
aben.
Diese Bewilligung erteilt der Ministerpräsident nach Anhörung der Meinung
des Ministers des Inneren, in Kroatien-Slavonien des Banus.
$ 9. Eine gegen das gegenwärtige Gesetz verstoßende Anwendung dieser
Wappen bildet eine Uebertretung und ist mit Haft bis zu 2 Monaten und mit
einer Geldstrafe bis zu 300 fl. zu bestrafen.
Auch der Titel eines königlich ungarischen Hofliefe-
ranten kann nur mit behördlicher Erlaubnis getragen werden.
6) Gegen jene mannigfaltigen Auswüchse des Handels- und ge-
werblichen Verkehrs, welche unter den Benennungen Namen-, Firmen-
und Markenmißbrauch vorkommen und welche die gewöhnlichsten
Formen der durch Anmaßung fremder Unterscheidungs-
zeichen verübten illoyalen Konkurrenz bilden, hat Ungarn in den
s$453 und 72des Gesetzartikels XL vom Jahre 1879, betr.
die VUebertretungen und in den $$ 44 und 83 des Gesetz-
artikels XXXIII vom Jahre 1894, betr. die staatlichen
Matrikel einen allgemeinen und indenGesetzartikeln XXXVII
vom Jahre 1875, enthaltend das Handelsgesetzbuch, wie
auch II. vom Jahre 1590 und XLI, vom Jahre 1895, betr.
den Markenschutz, einen besonderen rechtlichen Schutz.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 213
Gesetzartikel XXXVII vom Jahre 1875.
$ 10. Die Firma ist der Name, unter welchem der Kaufmann sein Geschäft
betreibt und welchen er als Unterschrift gebraucht.
$ 11. Kaufleute, die ihr Geschäft allein betreiben, müssen als Firma ihren
eigenen bürgerlichen Namen, und zwar mindestens ihren Familiennamen gebrauchen.
Ihrer Firma dürfen sie keinen Zusatz beifügen, der auf ein Gesellschafts-
verhältnis hinweisen würde, dagegen steht es ihnen frei, Zusätze zu gebrauchen,
welche zur näheren Bezeichnung der Person oder des Geschäftes dienen.
$ 12. Wer ein bereits bestehendes Handelsgeschäft durch Vertrag oder Erb-
schaft erwirbt, kann dasselbe mit Einwilligung des gewesenen Eigentümers oder
seiner Rechtsnachfolger unter der bisherigen Firma mit einem die Nachfolge be-
zeichnenden Zusatze oder auch ohne einen solchen fortführen.
$ 13. Die Firma einer Kollektivgesellschaft muß, wenn in derselben nicht
die Namen aller Gesellschafter enthalten sind, den Namen mindestens eines der
Gesellschafter, mit einem auf das Vorhandensein des gesellschaftlichen Verhält-
nisses hinweisenden Zusatze enthalten.
Bei Kommanditgesellschaften muß die Firma den Namen mindestens eines
der persönlich haftenden Gesellschafter mit einem auf das Gesellschaftsverhätnis
hinweisenden Zusatze enthalten.
Ueberhaupt ist es untersagt, in die Firma neu entstandener Gesellschaften
die Namen anderer Personen als die der persönlich haftenden Gesellschafter auf-
zunehmen; ebenso dürfen Kollektiv- und Kommanditgesellschaften sich weder als
Aktiengesellschaften noch als Genossenschaften bezeichnen.
$ 14. Die Aktiengesellschaften und Genossenschaften müssen in ihrer Firma
ausdrücklich als solche bezeichnet sein.
$15. Wenn jemand in ein bestehendes Handelsgeschäft als Gesellschafter
eintritt oder einer Handelsgesellschaft als neues Mitglied beitritt oder aus einer
solchen austritt, so kann die ursprüngliche Firma ungeachtet dieser Veränderung
auch ferner fortgeführt werden.
Jedoch ist beim Austreten eines Gesellschafters, dessen Name in der Firma
enthalten war, zur Fortführung der bisherigen Firma die Einwilligung des Aus-
getretenen Gesellschafters in die Fortführung der Firma erforderlich.
Dasselbe gilt im Falle, wenn eine Gesellschaft aus zwei Personen bestanden
hat und eine derselben aus der Gesellschaft austritt.
$ 17. Jede neue Firma muß sich von den an demselben Orte oder in der-
selben Gemeinde bereits bestehenden und in das Handelsfirmenregister einge-
tragenen Firmen deutlich unterscheiden.
Hat ein Kaufmann mit einem in das Handelsfirmenregister eingetragenen
Kaufmann gleichen Namen, so hat er denselben als Firma in der Weise zu ge-
brauchen, daß derselbe von der bereits eingetragenen Firma deutlich unterschieden
werden kann.
$ 18. ..... Wenn an dem Orte oder in der Gemeinde, wo die Zweignieder-
lassung errichtet wird, eine schon eingetragene gleiche Firma besteht, so ist dıe
einzutragende Firma derart zu gebrauchen, daß sie von der schon protokollierten
Firma unterschieden werden kann.
$ 22. Die Gerichte überhaupt und die Verlassenschafts- und Konkursbehörden
insbesondere, sowie die Handels- und Gewerbekammern und die Gewerbebehörden
haben, insofern sie innerhalb ihres Wirkungskreises ..... von unbefugtem Gebrauche
einer Firma amtlich Kenntnis erlangen, hiervon unverzüglich dem kompetenten
Gerichtshofe Anzeige zu erstatten.
S 24. Wer durch den unbefugten Gebrauch einer Firma in seinen Rechten
verletzt ist, kann verlangen, daß dem Unberechtigten der weitere Gebrauch der
Firma bei Androhung der im $ 21t) festgesetzten Geldstrafe untersagt und daß
derselbe zum Schadenersatz verhalten werde.
1) § 21. Wer die auf Firmeneintragung bezüglichen Vorschriften dieses Gesetzes
nicht einhält, ist von dem kompetenten Gerichtshof unter Verhängung einer Geldstrafe
bis zu 500 Gulden von Amtswegen dazu anzuhalten ....
Ein ähnliches Vorgehen findet gegen diejenigen statt, die eine Firma unbefugt
gebrauchen, wobei die Verfügung des $ 24 in Kraft bleibt.
214 Nationalükonomische Gesetzgebung.
Ueber das Vorhandensein und die Höhe des Schadens entscheidet der Ge-
richtshof auf Grundlage der obwaltenden Umstände, eventuell unter Anhörung
von Sachverständigen, nach seinem freien Ermessen.
Der Gerichtshof kann überdies die Veröffentlichung des auf Ansuchen der
verletzten Partei gefällten Erkenntnisses auf Kosten des Verurteilten verordnen.
Gesetzartikel XL vom Jahre 1879.
$ 43. Wer bei der Aufforderung eines Beamten oder Organes der Behörde
inmitten der Ausübung seines Berufes zur Mitteilung des Namens, Standes und
Wohnortes, die Antwort verweigert oder Unwahres behauptet; ist mit einer Geld-
strafe bis zu 25 Gulden zu bestrafen.
$ 72. Wer in Gast- oder Einkehrwirtshäusern, in für die Evidenzhaltung
der Fremden behördlich verordnetem Gastbuch oder Liste, wenn dieselben mit der
bezüglichen Aufforderung dargereicht worden, seinen Namen, Stand und Wohnort
nicht einschreibt, ist mit einer Geldstrafe bis zu 50 Gulden zu bestrafen. Wer
aber zur Irreführung der Behörde seinen Namen, Stand oder Wohnort falsch
einschreibt, ist mit einer Geldstrafe bis zu 100 Gulden zu bestrafen.
Gesetzartikel XXXIII. vom Jahre 1894.
$ 44. Niemand darf einen anderen Familien- und Vornamen tragen, als
welche in der Geburtsmatrikel eingetragen sind.
Diese Bestimmung beschränkt nicht den Gebrauch von schriftstellerischen und
künstlerischen Pseudonymen.
$ 38. Wer die Verordnung des $ 44 dieses Gesetzes verletzt, verübt eine
Uebertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 200 Kronen zu bestrafen.
Gesetzartikel Il. vom Jahre 1890.
$ 1. Unter Marken werden nach gegenwärtigem Gesetze jene Zeichen (Chiffren,
Vignetten u. dergl.) verstanden, welche zum Unterscheiden der für den Handels-
verkehr bestimmten Erzeugnisse und Waren von anderen gleichartigen Erzeugnissen
und Waren dienen.
$ 2. Wer sich das ausschließliche Gebrauchsrecht einer Marke sichern will,
muß die Registrierung derselben nach den Bestimmungen des folgenden Abschnittes
erwirken.
$ 3. Von der Registrierung ausgeschlossen und daher zur Erwerbung eines
ausschließlichen Gebrauchsrechtes nicht geeignet, sind solche Marken, welche
1) ausschließlich Bildnisse Ihrer Majestäten oder von Mitgliedern der könig-
lichen Familie enthalten;
2) ausschließlich in Staats- und öffentlichen Wappen, wie auch bloß in Zahlen,
Buchstaben oder Worten bestehen;
3) zur Bezeichnung von bestimmten Warengattungen im Verkehr allgemein
gebräuchlich sind ;
4) unsittliche und Aergernis erregende oder gegen die öffentliche Ordnung
verstoßende Darstellungen oder den thatsächlichen geschäftlichen Verhältnissen
oder der Wahrheit nicht entsprechenden und zur Täuschung des konsumierenden
Publikums geeignete Aufschriften oder Angaben enthalten.
$ 4. Solche Marken, bei welchen Bildnisse Ihrer Majestäten oder von Mit-
gliedern der königlichen Familie, oder eine Auszeichnung, das ungarische Staats-
oder ein öffentliches Wappen einen Bestandteil der Marke bilden, dürfen nur dann
registriert werden, wenn im Sinne der bestehenden Gesetze oder Vorschriften die
Bewilligung zur Benützung vorher nachgewiesen ist.
$ 5. Durch die Registrierung einer Marke, welche auch Worte oder Buch-
staben enthält, wird niemand gehindert, seinen Namen oder seine Firma, sei es
auch in abgekürzter Form, zur Bezeichnung seiner Waren zu gebrauchen.
Su. Die Benützung der registrierten Marke ist in der Regel, nicht obligatorisch;
aber der Handelsminister kann hinsichtlich bestimmter Warengattungen verordnen,
daß Waren solcher Gattungen nicht in den Verkehr gesetzt werden dürfen, bevor
dieselben mit einer im Sinne des gegenwärtigen Gesetzes registrierten Marke in
der im Verordnungswege zu bestimmenden Weise versehen SE
$ 7. Das ausschließliche Gebrauchsrecht einer Marke schließt nicht aus, daß
eın anderer Unternehmer dieselbe Marke zur Bezeichnung anderer Warengattungen
Nationalökonomische Gesetzgebung. 215
in Gebrauch nehme. Wenn bezüglich der Gleichartigkeit dieser Warengattungen
ein Zweifel entsteht, so unterscheidet der Handelsminister nach Anhörung der
Handels- und Gewerbekammer.
$ 8. Die Anmeldung mehrerer Marken auf den Namen eines Markenschutz-
werbers, auch wenn sie für dieselbe Warengattung bestimmt sind, ist nach Maß-
gabe der Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes gestattet.
$ 10. Der Gebrauch des Namens, der Firma, des Wappens oder der Be-
nennung des Geschäftes eines anderen Produzenten, Gewerbetreibenden oder Kauf-
mannes zur Bezeichnung von Waren, ist ohne Einwilligung der Beteiligten verboten.
$ 11. Alles, was in diesem Gesetze von der Bezeichnung von Waren gesagt
ist, gilt auch für die auf deren Verpackungen, Gefäßen, Umhüllungen u. dergl.
angebrachten Bezeichnungen.
$ 25. Die Strafbarkeit der in den Paragraphen 23 und 24!) bezeichneten
Handlungen wird dadurch nicht ausgeschlossen, daß die Marke, der Name, die
Firma, das Wappen oder die geschäftliche Benennung der Unternehmung mit so
eringen Abänderungen oder in so undeutlicher Weise wiedergegeben sind, daß
de Unterschied von dem gewöhnlichen Käufer der betreffenden Waren nur durch
Anwendung besonderer Aufmerksamkeit wahrgenommen werden könnte.
$ 31. Wenn der Handelsminister auf Grund des $ 6 hinsichtlich bestimmter
Warengattungen verordnet, daß dieselben vor dem Inverkehrsetzen mit einer in
der durch ihn bestimmten Weise registrierten Marke zu versehen sind, derjenige,
der diese Verordnung verletzt, verübt eine Uebertretung und ist gemäß dem
Punkte di im $ 157 des Gesetzartikels XVII vom Jahre 1884 gite Cl
mit einer Geldstrafe von 20 Gulden bis zu 200 Gulden zu bestrafen und auBerdem
ist immer die betreffende Ware zu konfiszieren.
Gesetzartikel XLI vom Jahre 1895.
$ 1. Die Vorschrift des $ 3, Punkt 2, des Gesetzartikels II vom Jahre 1890,
kraft welcher die bloß in Worten bestehenden Warenzeichen von der Registrierung
ausgeschlossen sind — findet nur auf solche Worte Anwendung, welche aus-
schließlich Angaben über Ort, Zeit oder Art der Herstellung, über die Beschaffen-
heit, über die Bestimmung, über die Preis-, Mengen- oder Gewichtsverhältnisse der
Ware enthalten.
2. Das ausschließliche Gebrauchsrecht einer bloß aus einem Worte oder
Worten bestehenden, regelmäßig registrierten Marke erstreckt sich nicht bloß auf
den Gebrauch dieser Marke in ihrer hinterlegten Form, sondern auch auf den
Gebrauch in solchen Ausführungsformen, durch welche das geschützte Wort oder
die geschützten Worte in anderen Schriftzeichen, Farben oder Größen zur Gänze
oder teilweise wiedergegeben werden.
§ 8. Der § 23 des Gesetzartikels II vom Jahre 1890 wird wie folgt verändert:
Wer Waren, die mit einer Marke unbefugt bezeichnet sind, bezüglich welcher
einem anderen das ausschließliche Gebrauchsrecht zusteht, wissentlich in Verkehr
setzt oder feilhält, ferner zu diesem Zwecke wissentlich eine Marke nachmacht,
macht sich einer Uebertretung schuldig und ist mit einer Geldstrafe von 200 Kronen
bis zu 600 Kronen, im Rückfalle aber, wenn seit dem Zeitpunkte, in welchem das
Urteil, welches die Strafe bestimmt hat, zur Rechtskraft gelangt ist, 2 Jahre noch
nicht verflossen sind — mit Haft bis zu 2 Monaten und mit einer Geldstrafe bis
zu 600 Kronen zu bestrafen.
Die gleichzeitige Anwendung der strengeren Bestimmungen des Strafgesetz-
buches, insbesondere derjenigen über das Verbrechen und Vergehen des Betruges,
ist hierdurch nicht ausgeschlossen. -
e Der § 24 des Gesetzartikels II vom Jahre 1890 wird wie folgt verändert:
ie Bestimmungen des $ 8 des gegenwärtigen Gesetzes gelangen auch gegen
denjenigen zur Anwendung, welcher Waren, die mit dem Namen, der Firma, dem
Wappen oder der Benennung des Geschäftes eines Produzenten, Gewerbetreibenden
oder Kaufmannes unbefugt bezeichnet sind, wissentlich in Verkehr setzt oder feil-
hält; ferner gegen denjenigen, welcher zu diesem Zwecke wissentlich die erwähnten
Bezeichnungen verfertigt.
1) Statt diesen gegenwärtig die §§ 8 und 9 des Gesetzartikels XLI vom
Jahre 1895; siehe unten.
216 Nationalökonomische Gesetzgebung.
7) Die Herabsetzung des Wettbewerbes, die sogenannte
Betriebs- und Kreditschädigung findet auch entsprechende
Bekämpfungsmittel in der ungarischen Rechtsordnung. Insofern die-
selbe in einer Weise geschieht, daß sie den Konkurrenten verächtlich
zu machen geeignet ist, oder insofern sie eine Behauptung enthält, deren
wirkliches Vorhandensein die Grundlage zur Einleitung eines strafrecht-
lichen Verfahrens bilden würde, so ist diese Handlung als Verleum-
dung nach den $$ 258 und 259 des Gesetzartikels I vom
Jahre 1878 (Strafgesetzbuch betr. die Verbrechen und Vergehen)
strafbar. Weiterhin bildet das Gebrauchen eines verächtlichen Ausdruckes
oder das Verüben einer verächtlichen Handlung gegen einen anderen,
somit auch gegen den Mitbewerber — nach dem $ 261 desselben
Gesetzes eine Ehrenbeleidigung.
Einen gleichfalls diesbezüglichen Rechtsschutz finden wir in der
Bestimmung des $ 128 des Gesetzartikels XI vom Jahre
1879: „Wer durch Verabredung, durch Versprechen einer Gewinn-
teilung oder anderer Belohnung oder anderen Vorteiles, zur Vereitelung
oder Verminderung des Erfolges einer öffentlichen Versteigerung wirkt,
auch wer zu diesem Zwecke einen Gewinnanteil, eine Belohnung oder
einen Vorteil annimmt, ist mit Haft bis zu 2 Monaten und mit einer
Geldstrafe bis zu 300 fl. zu bestrafen.“
Schon vor dem Erscheinen des oben angeführten Gesetzentwurfes
betr. die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes, wurde in einer —
bis jetzt zu einem Gesetze noch nicht erhobenen — Strafgesetznovelle
($ 520) die Bestimmung aufgenommen: „Wer öffentlich wider besseres
Wissen Waren oder gewerbliche Leistungen eines Gewerbetreibenden,
um deren Absatz zu fördern, mit unwahren, auf Täuschung berechneten
Angaben über die den Wert wesentlich bestimmenden Eigenschaften
anpreist oder zu solchem Zwecke in gleicher Weise Waren oder ge-
werbliche Leistungen anderer herabsetzt, verübt eine Uebertretung und
ist mit Haft bis zu 2 Monaten und mit einer Geldstrafe bis zu 300 f.
zu bestrafen“.
8) Endlich hat das ungarische Reich auch gegen die letztgenannte
Abzweigung der schädlichen Auswüchse des Handels- und gewerblichen
Verkehrs, nämlich gegen den Verrat von Geschäfts- oder
Fabriks-(Betriebs-)Geheimnissen einen gesetzlichen Schutz.
Diesbezüglich finden wir nämlich im Absatz 1 des $ 59 des Ge-
setzartikels XXXVII vom Jahre 1875 (Handelsgesetzbuch)
und im Absatz g des $ 94 des Gesetzartikels XVIIvom
Jahre 1884 (Gewerbeordnung) folgende übereinstimmende Verordnung:
„Der Gehilfe kann ohne Kündigung sofort entlassen werden, wenn er
durch Mißbrauch des Vertrauens seines Prinzipales die Interessen des
Geschäftes gefährdet.“
IV.
Nach dem Vorausgeschickten ist es klar gethan, daß die ungarische
Gesetzgebung schon vielfache vortreffliche Rechtsmittel zum Schutze des
soliden Handels und des redlichen Gewerbes, bezw. zur Beseitigung
218 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Dieser Auffassung nach hat die ungarische Gesetzgebung
ihre diesbezüglichen Aufgaben schon gelöst. Es fehlt näm-
lich nicht an entsprechenden Gesetzen, sondern vielmehr an deren
vollständigen und richtigen Vollstreckung. Die Mangel-
haftigkeit der letzteren ist die eigentliche Ursache der Unwirksamkeit
und Lückenhaftigkeit des Rechtsschutzes, welchen die ungarische Legis-
latur bereits für die immateriellen wirtschaftlichen Güter geschaffen
hat. Der Fehler liegt in der ungarischen Rechtspflege, welche den
Intentionen der Gesetzgebung nur wenig entspricht; denn trotz den
vielseitigen gesetzlichen Bestimmungen, fehlt es dem ungarischen ge-
schäftlichen Leben an einem thatsächlich wirksamen Rechtsschutze.
Die oben angeführten Angaben zeigen es deutlich, daß es kaum
eine unredliche Erscheinung des wirtschaftlichen Lebens gebe, gegen
welche ein gesetzliches Bekämpfungsmittel nicht vorhanden wäre. Und
doch — erheben sich Klagen über Klagen wegen der vielfachen Mil-
bräuche, welche die lauteren Bestrebungen des ehrlichen Geschäfts-
mannes vereiteln. Die Ursache dieser traurigen Erscheinungen will
man insbesondere darin finden, daß die Verwaltungsbehörden, welche
in Gewerbeangelegenheiten im allgemeinen kompetent sind, nicht auf der
Höhe ihres Berufes stehen. In Ungarn bleiben — wie es die Er-
fahrung zeigt — derartige Gesetze nur auf dem Papiere, weil nämlich
die zum Einschreiten berufenen behördlichen Organe von den gegen
das Gesetz verstoßenden geschäftlichen Handlungen keine Kenntnis
nehmen, auch dann nicht, wenn dieselben offenkundig zu Tage liegen,
also ihrer Aufmerksamkeit nicht entgehen können, und gewöhnlich gegen
die Uebertreter der diesbezüglichen Bestimmungen erst dann einschreiten,
wenn sie durch eine Anzeige dazu gleichsam bemülßigt sind; Anzeigen
aber werden vermöge der in Ungarn herrschenden gesellschaftlichen
Auffassung sehr selten eingebracht. An diesen Zuständen wird die
Schaffung eines einheitlichen neuen Gesetzes kaum etwas ändern, ja
es wäre vielleicht ein größerer Erfolg zu erwarten, wenn in einer an
alle Behörden zu richtenden Cirkularverordnung alle diesbezüglichen
Bestimmungen der in Kraft stehenden Gesetze zusammengefaßt und die
Behörden zur strikten Durchführung derselben energisch angewiesen
würden.
Hier liegt der Schwerpunkt dieser nicht minder wichtigen Frage.
Die Lücke, welche sich hier in der gegenwärtigen ungarischen Gewerbe-
verwaltung zeigt, könnte dadurch ersetzt werden, wenn die neben jeder
Gewetbebehürde erster Instanz gewählten gewerbebehördlichen
Kommissionärel) ihre gesetzlichen Aufgaben mit größerer Pflicht-
1) Gewerbeordnung (Gesetzartikel XVII vom Jahre 1884):
§ 169. Neben jeder Gewerbebehörde erster Instanz werden 20 gewerbebehördliche
Komniissionäre gewählt.
§ 172. Die gewerbebehördliehen Kommissionäre werden von den auf dem Gebiete
der Gewerbebehörden erster Instanz. bezw. neben die Stuhlrichter von den im Amtsorte
des Stuhlrichters wohnenden Gewerbetreibenden (Kaufleuten) jährlich gewählt.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 219
t-eue ausüben möchten. Der $ 1681) der Gewerbeordnung, welcher die
emnzelnen, besonderen Pflichten der gewerbebehördlichen Kommissionäre
aufzählt, erwähnt zwar nicht als eine besondere Aufgabe: von den
gegen die Gewerbegesetze verstoßenden und von ihnen
zur Kenntnis genommenen Uebertretungen der kom-
petenten Gewerbebehörde Anzeige zu machen, aber die
Aufzählung in diesem Paragraphen ist — wie es dessen 1. Absatz
zeigt — nicht erschöpfend. Im allgemeinen bestimmt der $ 1672?) den
Beruf der gewerbebehördlichen Kommissionäre, welcher ihnen zur Auf-
gabe macht, die Gewerbebehörde erster Instanz in ihrer
amtlichen Wirksamkeit zu unterstützen. Hier könnten die
gewerbebehördlichen Kommissionäre, als geübte und erfahrene Kauf-
leute und Gewerbetreibende, vieles thun zur Vervollständigung der Voll-
ziehung der Gewerbegesetze und dadurch auch zur vollkommneren Be-
kämpfung des unlauteren Wettbewerbes. Auch in Frankreich konnte
nur durch die Mitwirkung praktischer Geschäftsleute eine Rechtspflege
entstehen, welche die Frage der Bekämpfung der illoyalen Konkurrenz
ohne eine bedeutendere Einwirkung der Gesetzgebung, insbesondere
ohne diesbezügliche Specialgesetze, löste. Hier sind nämlich für die
aus dem geschäftlichen Leben entstehenden Streitfragen — zu denen
auch die Fälle des unlauteren Wettbewerbes gehören — die Handels-
gerichte kompetent, welche unter dem Präsidium eines rechtsgelehrten
Richters aus Kaufleuten und Gewerbetreibenden gebildet werden.
Die bisherige Thätigkeit der ungarischen gewerbebehördlichen Kom-
missionäre beweist, daß dieselben weder über genügende Fähigkeit,
noch über entsprechende Neigung verfügen, um ihren gesetzlichen
1) Die Aufgabe und der Beruf der gewerbebehördlichen Kommissionäre sind ins-
besondere folgende:
1) Ihr Gutachten ist zu vernehmen
a) bei der Schaffung von die Gewerbeangelegenheiten betreffenden Statuten;
b) bei beabsichtigter Expropriation von Gewerbegeschäften ;
c) bei Gründung von Gewerbekorporationen, bei Ueberprüfuug von Statuten der
Gewerbekorporationen, bei Schaffung von die Angelegenheiten der Gehilfen und Lehr-
linge betreffenden Statuten;
2) sie müssen in allen von der Gewerbebehörde an sie gerichteten und gewerbliche
Angelegenheiten betreffenden Fragen Gutachten geben;
3) auf die Aufforderung der Gewerbebehörde Ausverkauf oder Versteigerung ver-
anstaltende Geschäfte kontrollieren ;
4) die durch die Gewerbebehörde mit der Registrierung der selbständigen Gewerbe-
treibenden, Gehilfen und Lehrlinge betrauten Organe beaufsichtigen, daß dieselbe in
gehöriger Ordnung geführt werde und im Falle einer Unordnung der Gewerbebehörde
Anzeige machen;
5) von Zeit zu Zeit die Lehrlingsschulen besuchen und über die dort erworbenen
Erfahrungen der Gewerbebehörde Anzeige machen ;
6) in den Werkstätten die Lehrlinge zu kontrollieren und über die dort erworbenen
Erf,hrumgeu der Gewerbebehörde Anzeige machen ;
7) die Fabriken besichtigen und über die dort erworbenen Erfahrungen der Ge-
‚tbehörde Anzeige machen.
ge 2) Die Gewerbebehörde erster Instanz wird in ihren Funktionen von den gewerhe-
[N ne Kommissionären unterstützt.
D
290 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Pflichten nachzukommen t). Es ist wirklich bedauernswert, daß die
Beteiligung der freien gesellschaftlichen Elemente
neben den Berufsbeamten in der Ausübung der auf
Gewerbeangelegenheiten sich beziehenden exekutiven
Staatsgewalt die erwarteten wohlthuenden Folgen nicht hervor-
brachte. Die Verwaltung der Gewerbeangelegenheiten ist besonders ge-
eignet, um in dieser das Prinzip der Anteilnahme der Bevölkerung
durchzuführen, weil dieselbe eine in strenger Einheit, Unterordnung und
berufsmälig wirkende Organisation nicht unbedingt verlangt, weil bier
die amtlichen Funktionen ihrer Natur nach wissenschaftliche Fachkennt-
nisse meistens nicht in Anspruch nehmen, im Gegenteil die erforder-
liche Qualifikation durch das praktische Leben gegeben wird; weil hier
die Amtsthätigkeit kein ununterbrochenes Wirken bedingt, sondern
dieselbe auf eine Weise teilbar ist, daß sie alle Zeit und Kraft des für
das Ehrenamt erkorenen Staatsbürgers nicht erfordert und denselben
von seiner Wirtschaft, von seinem Berufe nicht in dem Maße entzieht,
daß dadurch seine materielle Lage gefährdet wird. Die Angelegen-
heiten der Gewerbebehörden erster Instanz bilden den
entsprechendsten Wirkungskreis für einen Ehrenbe-
amten, nachdem dessen Grundlage insbesondere jenes Interesse bildet,
welches den Ehrenbeamten gemäß seiner wirtschaftlichen Lage, gesell-
schaftlichen Stellung und persönlichen Verbindungen zu einem kleinen
Ortskreise bindet. Eine Erziehung der interessierten geschäftlichen Ele-
mente zur wahren Erkenntnis ihrer gesetzlichen Schuldigkeit, eine ge-
wissenhaftere Pflichttreue seitens der Gewerbebehörden, eine wirksamere
Kontrolle der Gewerbeverwaltung seitens der Handelsregierung und eine
vollständigere Exekution aller sich auf Gewerbeangelegenheiten be-
ziehenden Gesetze und Verordnungen — und keinesfalls eine
neue Gesetzgebung — sind die Erfordernisse, welche die unga-
rische geschäftliche Welt zum Schutze des redlichen Handels und ge-
werblichen Verkehrs und zur Bekämpfung deren unlauteren Auswüchse
aufstellt.
Aber eben die Begründung dieser Einwendung gegen den Entwurf
eines Spezial-Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes be-
weist das Entgegengesetzte. Es ist nämlich eine unleugbare Thatsache, dal
trotz der bisherigen mannigfaltigen Gesetze und Verordnungen die Be-
kämpfung der geschäftlichen Unlauterkeit in Ungarn sehr beschränkt
ist. Die 16 Jahre, welche seit dem Inkrafttreten des Gewerbegesetzes
(Gesetzartikel XVII vom Jahre 1884) verflossen sind, geben eine ge-
nügende Beweisführung darüber, daß auf der jetzigen gesetzlichen
Basis die ungarische Verwaltung zu einem wirksameren Schutze der
Handels- und gewerblichen Interessen unvermögend ist. Von der auf
sich verlassenen ungarischen Gewerbeverwaltung kann man keine be-
deutenderen Erfolge erwarten. Ohne Zweifel bedarf sie einer Einwendung
seitens der Gesetzgebung. Und eben dieses soll durch den fraglichen
1) Bericht betreffend die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes (aus der
Sitzung vom 26, und 27. Juni 1899 der Budapester Handels- und Gewerbekammer).
Nationalökonomische Gesetzgebung. 221
6 esetzentwurf erzielt werden, an welchen — im Falle des Erlangens
der gesetzlichen Kraft — die schönsten Hoffnungen der ungarischen
Geschäftsleute gebunden sind.
2) Die zweite Einwendung hält zwar die bisherigen gesetz-
lichen Mittel zum Schutze der Loyalität des geschäftlichen Verkehrs für
ungenügend und verlangt eine Intervention der Legislatur, verschmäht
aber dieSchaffung eines diesbezüglichen Specialgesetzes
und forderteinenallgemeinen Rechtsschutz für alle Inte-
ressen dergeschäftlichen Angelegenheiten. Die Verteidiger
dieser Ansicht berufen sich insbesondere auf merkantil und industriell
hochentwickelte Länder, wie Frankreich, Belgien, Italien, die
Schweiz, England und die Vereinigten Staaten von Nord-
amerika, welche ohne ein dem oben erwähnten ungarischen Gesetzentwurf
entsprechendes Specialgesetz — einerseits nur auf die Prinzipien und In-
stitutionen des allgemeinen Civilrechtes begründet und andererseits durch
die richtige Interpretation der Patent- und Markenschutzgesetze — die
verschiedenartigen Mißbräuche des geschäftlichen Lebens bekämpfen.
Auch wird die diesbezügliche Lage im Deutschen Reich hervorgehoben,
wo zwar zum Schutze der loyalen Konkurrenz ein Specialgesetz ge-
geben wurde, jedoch nur durch die weitestgehende Inter-
pretation dieses Gesetzes gelang es der deutschen Judikatur,
die unredlichen Kniffe des Handels- und gewerblichen Verkehrs zu ver-
folgen und die immateriellen Güter des geschäftlichen Lebens zu be-
schützen. Auch muß in Betracht gezogen werden, daß alle denkbaren
Formen der vielgestaltigen Schleichwege des Verkehrslebens — selbst
bei größter Specialisierung der Gesetzgebung — in ein Gesetz zu ver-
einigen, an der Grenze der Unmöglichkeit liegt. Gegen dieselben kann
die Bekämpfung in zweckentsprechendster Weise durch eine auf die
Prinzipien des allgemeinen Privat- und Strafrechtes begründete Rechts-
pflege veranstaltet werden. Schon bei der Beratung des diesbezüglichen
deutschen Gesetzentwurfes merkte man die erwähnten Mängel und
darum wurde bereits durch die deutsche Gesetzvorbereitungskommission
betont, daß in jenen Fällen, in welchen die Bestimmungen des Special-
gesetzes sich für unwirksam erweisen werden, muß die Judikatur
auf Grund des $ 826 desallgemeinen bürgerlichen Gesetz-
buches berufen sein, Hilfe zu leisten; dieser Gesetzesabschnitt
enthält den Rechtssatz, daß jedermann, der einem anderen auf eine gegen
die guten Sitten verstoßende Art absichtlich Schaden verursacht, zu
einem Schadenersatz verpflichtet ist.
Noch ist hier nicht zu vergessen, daß ein Specialgesetz solcher Art
entweder zu weitläufig und daher gefährlich ist, weil es
leichthin loyale geschäftliche Gebräuche für strafbar erklären kann,
oder zu engherzig und deshalb unwirksam weil es den
unzähligen und sich fortwährend erneuernden und verändernden mannig-
de Gestaltungen des unlauteren Wettbewerbes entsprechende indi-
D ‚„‚alisierende Normen im voraus aufzustellen nicht vermag. Ein
vi ecialgesetz kann nur gewisse, häufig vorkommende Formen
Te x illoyalen Konkurrenz verbieten und seine Satzungen
222 Nationalökonomische Gesetzgebung.
lassen — wie es die Praxis bezeugt — zur Vereitelung des Gesetzes
viele Auswege, auch sagt ein solches Gesetz gleich den Dienst auf, so-
bald von einer neuen, unbekannten Art des unredlichen Wettbewerbes
die Rede ist, welche die wenigen Paragraphen des Gesetzes nicht voraus-
sehen konnten.
Die dem fraglichen ungarischen Gesetzentwurfe beigegebene Be-
gründung hebt hervor, daß die ungarische Gesetzgebung im Schutze
des redlichen geschäftlichen Verkehrs gegen die Mißgestalten des un-
lauteren Wettbewerbes bereits sehr weit gegangen ist. Die diesbezüg-
lichen Bestimmungen der schon angeführten Handels-, Gewerbe- und
Strafgesetzbücher und Specialgesetze geben darüber einen genügenden
Beweis. '
Aus dieser Angabe der Begründung des Entwurfes wollen dessen
Gegner ein Beweismittel gegen diesen Entwurf schmieden. Wenn —
nach ihrer Meinung — die bisherigen, vielseitigen und der Anzahl nach
nicht wenigen Specialgesetze zu einem entsprechenden Rechtsschutze
der loyalen Konkurrenz ungenügend waren, so wird auch die Schaffung
eines neuen Specialgesetzes wenig Erfolg erzielen. Die Gesetzgebung
müßte in dieser Angelegenheit die bisherige Richtung verlassen und
einen neuen Weg einschlagen. Dazu bietet die gegenwärtig in
Aussicht genommene Revision der Handels-, Gewerbe-
und Strafgesetzbücher eine besonders günstige Gelegenheit,
bei welcher zum Schutze des redlichen wirtschaftlichen Lebens und
zur Bekämpfung dessen Auswüchse entsprechende Bestimmungen auf-
gestellt werden können. Und endlich, um die unausweichbare Lücken-
haftigkeit all dieser gesetzlichen Rechtsmittel vollkommen auszufüllen,
soll der $ 1077 des unlängst erschienenen ersten Entwurfes eines
ungarischen allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches: „Wer ein rechtlich
geschütztes Interesse eines anderen rechtswidrig und schuldig — ab-
sichtlich oder fahrlässig — verletzt, ist verpflichtet, dem Beschädigten
den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen“ — mit dem Zusatze ergänzt
werden, „daß jedermann, der seinem Mitbewerber absichtlich oder fahr-
lässig Schaden verursacht, zum Schadenersatz verpflichtet sei.“ Auf
Grund solcher Prinzipien, so auch auf Grund der oben erwähnten
Revision oder der novellarischen Ergänzungen der Handels-, Gewerbe-
und Strafgesetzbiücher, endlich auf Grund der in Rechtskraft stehenden
diesbezüglichen Spezialgesetze könnte auch im ungarischen Reich eine
der französischen gleiche Rechtspflege zum Schutze der Lauterkeit des
Handels- und gewerblichen Verkehrs und zur Bekämpfung des parasitären
geschäftlichen Lebens entstehen.
Wenn auch die Anhänger der hier erörterten Ansichten sich hervor-
ragender ausländischer Genossen rühmen können, so sind diese Ein-
wendungen doch — die thatsächlichen Rechts- und Wirtschaftsangelegen-
heiten Ungarns in Betracht genommen — unhaltbar. Die oben bereits
erwähnten Ursachen, welche im deutschen Reich zur Schaffung eines
diesbezüglichen Speziellgesetzes führten, obwalten auch in Ungarn. Der
ungarische Staat entbehrt bis jetzt eines allgemeinen bürgerlichen Gesetz-
buches, auf welchem sich eine entsprechende Rechtspflege zum Schutze
Nationalökonomische Gesetzgebung. 223
der Lauterkeit des geschäftlichen Verkehrs und zur Bekämpfung der
Dloyalität des Wettbewerbes vielleicht ausgebildet hätte. Aber auch
das eventuelle Vorhandensein eines bezüglichen allgemeinen Rechts-
satzes würde dem Augenscheine nach — die in Ungarn herrschenden
Rechtsprinzipien in Erwägung genommen — keine Rechtspraxis nach
französischem Muster hervorrufen, wie z. B. trotz der diesbezüglichen
Rechtssätze des österreichischen ($ 1295) und sächsischen
‘$ 116) bürgerlichen Gesetzbuches, so auch des preußischen
(I, 6, § 58 ff.) und des bayerischen (Teil IV, c. 16, $ 6) Land-
rechtes!), welche wirksame Waffen im Kampfe gegen unlauteren
Wettbewerb auf dem Boden des Civilrechtes bieten — hat sich in
den genannten Ländern kein diesbezüglicher intensiver und allgemeiner
Rechtsschutz ausgebildet. Auch die öfters erwähnten allgemeinen Rechts-
satzungen der ungarischen Handels-, Gewerbe- und Strafgesetzbücher
waren dazu unvermögend. Gerade der Umstand, daß in Ermangelung
von Spezialvorschriften auf dem hier fraglichen Gebiete eine sichere
Rechtsgewohnheit über die Grenzen des vom Standpunkte der geschäft-
lichen Moral aus Zulässigen sich trotz der vielfach geltenden allge-
meinen Verpflichtung zum Schadenersatze herauszubilden nicht vermocht
hat, macht es ratsam, die Merkmale dessen, was künftig als gesetzlich
verboten gelten soll, bestimmt zu bezeichnen. Darum verschmäht der
fragliche (Gesetzentwurf jene Art des gesetzgeberischen Vorgehens, daß
eine allgemeine Vorschrift wider den unlauteren Wettbewerb überhaupt,
welche die Rechtspflege auf die konkreten Fälle des letzteren an-
zuwenden hätte, aufgenommen werde, sondern trifft nur Bestimmungen
gegen einzelne Formen der illoyalen Konkurrenz, es will nur bestimmte,
nach den bisherigen Erfahrungen für den redlichen Erwerbsgenossen
besonders nachteilige Mißbräuche verhindern. (Begründung des deutschen
Entwurfes eines Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes
S. 22). Das ungarische geschäftliche Leben bedarf der schnellen
Schaffung eines entsprechenden Heilmittels gegen seine ungesunden
Erscheinungen und kann das voraussichtlich nur nach vielen Jahren
sich einfindende Inslebentreten des ungarischen allgemeinen bürgerlichen
Gesetzbuches und die eventuelle Revision oder novellarische Ergänzung
der Handels-, Gewerbe- und Strafgesetzbücher nicht abwarten. Durch
wirtschaftliche Verhältnisse gedrängt, hatte die. ungarische Handels-
1) Alle dahin zielenden Bestrebungen im Deutschen Reich, daß auch nach dem
bier geltenden Recht gegen den unlauteren Wettbewerb ebenso vorgegangen werden
könne, wie man in Frankreich auf Grund allgemeiner eivilrechtlicher Grundsätze gegen
die „concurrence déloyale“ wirksam vorgeht, scheiterten an der Rechtsprechung des
Reichsgerichtes, welches wiederholt aussprach, daß „die Grundsätze des französischen
Rechtes von der „concurrence déloyale“ im Handelsgesetzbuch und im gemeinen Rechte
keinen Boden haben“. (Entscheidungen des Reichsgerichtes in Civilsachen, Bd. 20,
Ss. 71 u. ff.) Selbst für die deutschen Gebiete, in welchen der Code civil seine Geltung
behalten hat (die preußische Rheinprovinz, Rheinhessen, die Rheinpfalz, Baden und
Elsaß-Lothringen) ist der Artikel 1382 hinsichtlich der Bekämpfung des unlauteren
Wettbewerbes ein toter Buchstabe geblieben. — Auch in jenen Teilen des ungarischen
Reiches (Siebenbürgen, Militärgrenze, Fiume, Kroatien-Slavonien), wo das österreichische
allgemeine bürgerliche Gesetzbuch Rechtskraft hat, sucht man vergebens eine dies-
bezügliche und sich auf den $ 129% stützende Rechtspflege.
224 Nationalökonomische Gesetzgebung.
regierung diesen — den thatsächlichen geschäftlichen Erfordernissen
entsprechenden — Gesetzentwurf veröffentlicht. Nicht die Lösung
theoretischer Probleme, sondern das Vorhandensein praktischer
Bedürfnisse haben diesen Gesetzentwurf hervorgebracht, welcher
zwar durch seinen kasuistischen Charakter nicht allen berechtigten
Wünschen des Handels- und gewerblichen Verkehrs Genüge leisten
wird, aber durch exakte Feststellung der häufigsten Erscheinungen des
unlauteren Wettbewerbes zu einem mächtigen und ehrbaren Schutz-
mittel der immateriellen kommerziellen und industriellen Güter — ohne
Zweifel — sich emporschwingen wird.
3) Die dritte Einwendung gegen den in Frage stehenden
Gesetzentwurf richtet sich gegen dessen Kompetenzbestimmungen.
Dieselben haben in weiten Kreisen der ungarischen Juristen Bedenken
hervorgerufen. Man hält es nämlich für das Rechtsleben gefährlich,
daß diese Kodifikation in dem Machtkreis der Verwaltung solche Fragen
zieht, welche nicht ausschließlich und in erster Reihe verwaltungs-
rechtlicher Natur sind, sondern teils in den Rahmen des Civil- und
Handels- und teils des Strafrechtes gehören, und weil die Richtung
dieser Kodifikation die Einheitlichkeit des ungarischen Rechtssystems
gefährdet.
Wenn man schon von diesem Gesichtspunkte aus gegen den obigen
Entwurf wesentliche Ausstellungen erheben kann, — so sind noch be-
deutender die Einwendungen von dem Gesichtspunkte des
öffentlichen Rechtes, weil man mit Recht befürchtet, daß die
Richtung dieses Entwurfes im Gegensatze steht zu den Prinzipien des
Gesetzartikels IV vom Jahre 1869 — dieses ehrbaren Vermächtnisses
Franz Deäk’s, des größten Staatsmannes und Juristen des neueren
Ungarns — welcher ein Grundgesetz der ungarischen Verfassung bildet.
Der genannte Gesetzartikel proklamiert nämlich die Trennung
der richterlichen Gewalt von der exekutiven Staats-
macht und bezweckt dadurch die Unabhängigkeit der Gerichte und
der Richter von der Regierung und den Administrationsbehörden. Aber
dieser Grundsatz wurde nicht getreu befolgt. Die beiden Gewalts-
sphären des Staates wurden thatsächlich nicht in allen Teilen folgerecht
getrennt, ja die Uebermacht der exekutiven Gewalt wird von Tag zu
Tag fühlbarer, ein jedes neues Institut des öffentlichen Rechtes ver-
mindert den Wirkungskreis der ungarischen Richter.
Umsonst proklamierte das oben citierte Grundgesetz, daß weder die
Verwaltungs- noch die Gerichtsbehörden gegenseitig in ihrem Wirkungs-
kreis sich einmengen dürfen, hat doch eine große Anzahl von Ge-
setzen!) viele Teile der bürgerlicheu Gerichtsbarkeit
aus den Händen der für Rechtspflege berufenen Gerichte entzogen und
in den Wirkungskreis der Verwaltungsbehörden gewiesen. Auch kann
1) z. B. die Gesetzartikel XXIL vom Jahre 1877, betr. die bürgerlichen Bagatell-
streitsachen, VIII vom Jahre 1872 und XVII vom Jahre 1884, betr. die Gewerbe-
ordnung, XII vom Jahre 1876, betr. die Dienstbotenordnung u. s. w.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 225
die Zahl jener Gesetze 1), welche für die durch sie festge-
setzten Uebertretungen die Kompetenz der Verwaltungs-
behörden bestimmten, auf beiläufig 40 gethan werden. Keine
Ausnahme bildet diesbezüglich die vor einigen Jahren erfolgte Re-
gelung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, welche in einer
Richtung durchgeführt wurde, daß diese zur Kontrolle der exekutiven
Macht unvollkommen ist, denn es wurden Fragen ?) von der Kompetenz
dieses Gerichtes weggezogen, welche die Interesse der hochwichtigsten
Vermögens- und Freiheitsangelegenheiten der einzelnen Bürger berühren.
Das ungarische Rechtsleben zeigt in dieser Richtung schreiende Wider-
sprüche. Während z. B. im Falle eines geringen Vergehens das straf-
rechtliche Verfahren mit allen Garantien der modernen Forderungen
versehen ist, sind in großer Zahl die schwierigsten und die Grundlage
der moralischen und materiellen Existenz der Staatsbürger bildenden
Angelegenheiten in den Händen der Polizeibehörden, trotzdem die In-
tentionen der exekutiven Gewalt von Tag zu Tag sich verändern.
Auch der fragliche Gesetzentwurf will die Grenzen des Rechts-
staates verengern dadurch, daß er Sachen in die Hand der vollziehenden
Macht giebt, welche ihrer Natur nach in richterliche Hände gehören.
Schon die erste Arbeit, die Festsetzung des Gesetzes
bietet die größten Schwierigkeiten. Der Raum, in welchem der Gesetz-
geber wandelt, ist äußerst schlüpfrig; die Begriffe, aus welchen die
Rechtsregeln gebildet werden, sind überaus abstrakt; die Kasuistik —
das gewöhnliche Mittel der schwachen Gesetzgeber — wird mit Vor-
liebe gebraucht. Der Legislator muß mit besonderer Behutsamkeit die
Auswüchse der unlauteren Konkurrenz vernichten, ohne dadurch die
gesunden Lebenskräfte des geschäftlichen Verkehrs zu schädigen oder
gar zu vernichten.
Bedeutend schwerer, als die Frage der Gesetzgebung ist die der
Gesetzvollziehung. Ein Gesetz solcher Art verlangt bei seiner
Exekution eine besondere Vorsicht, bedingt das Anvertrauen an be-
rufene Hände, kann nur durch unabhängige, sachverständige und ge-
wandte Richter segensreich wirken. Darum hat man berechtigtes Be-
denken gegen jene Dispositionen des Entwurfes, welche die Beurteilung
der durch denselben festgesetzten Uebertretungen den Verwaltungs-
organen anvertrauen. Die Kompetenzfrage dürfte auch bei der Be-
ratung dieses Gesetzentwurfes im Reichstage eine heftige Debatte her-
vorrufen, welche aber voraussichtlich leider keinen Erfolg erreichen
wird. Dessen Ursache liegt in der unbestrittenen Thatsache, daß in
Ungarn die Verwaltung gegenüber der Justiz, ja im allge-
1) z. B. der Gesetzartikel XX XVII vom Jahre 1880, betr. das Inslebentreten der
Strafgesetzbücher (der Gesetzartikel V vom Jahre 1878, betr. die Verbrechen und Ver-
gehen und der Gesetzartikel XL vom Jahre 1879, betr. die Uebertretungen) und auch
die oben aufgezählten verschiedenen Specialgesetze.
2) z. B. die Verwaltung der Vormundschaft, der Pflegeschaft, des Gewerbes, der
Vereine, der Auswanderung, der Statistik, der Expropriation, des Staatsbürgertums, der
Krankenunterstützungskassen, der Militärergänzung, der Handels- und Gewerbekammern,
der Mittelschulen, des Bergwesens, der Pässe, der Feuerpolizei, des Vorspannwesens,
der Kultusgemeindesteuer, der Regalien, der Verzehrungssteuer u. s. w.
Dritte Folge Bd. XXIL (LXXVIII). 15
296 Nationalökonomische Gesetzgebung.
meinen das Staatswesengegenüber dem gesellschaftlichen
Leben ein bedeutendes Uebergewicht zeigt. Die ungarische Gesellschaft
ist im Vergleich mit dem Staate äußerst schwach. Nicht nur auf dem
Gebiete des rechtlichen, sondern auch des kulturellen und materiellen
Lebens gehen alle Initiativen vom Staate aus und alle größeren Werke
erstehen durch den Staat und nur mit passiver Assistenz der Gesell-
schaft. Und weil die Rechtswissenschaft nur eine Thätigkeit
dieser schwachen Geselischaft ist, im Gegensatze zu der Gesetz-
gebung, als Funktion des Staates, darin besteht die Ursache dessen,
daß obzwar bei der Veröffentlichung eines jeden solchen Gesetzartikels,
welcher die Kompetenz der Verwaltungsorgane ausbreitete, die un-
garischen Juristen in Wort und Schrift mit den besten Waffen der
Wissenschaft und der Ueberzeugung für die hehre Idee des modernen
Rechtsstaates in den Kampf gingen, ihre Wirkung doch größtenteils
erfolglos blieb, ihre Debatte nur einen theoretischen Charakter hatte.
Obgleich die in der nächsten Vergangenheit geschaffenen und auch
die in Aussicht genommenen Verwaltungsgesetze — insbesondere jene,
welche den Erfordernissen des Sozialismus Genüge zu leisten bestrebt
sind — eine geradezu unermeßliche Macht in die Hände der Regierung
und der administrativen Organe geben, die öffentliche Meinung
hat dennoch — mit geringer Ausnahme — dieselben ohne Widerspruch,
vielmehr mit Dank und Freude empfangen. Die Erfahrung zeigt, daß
die ungarische Rechtslitteratur zur Führung der ungarischen öffent-
lichen Meinung unfähig ist. Die vollkommene und folgerechte Voll-
ziehung des erwähnten Gesetzartikels IV vom Jahre 1869 wird seitens
der öffentlichen Meinung kaum, seitens der Rechtslitteratur hingegen
mit nicht genügendem Nachdrucke erfordert.
Wenn auch viel Beherzigendes die letzt erörterte Einwendung gegen
den besprochenen Gesetzentwurf enthält, ist andererseits in Betracht
zu nehmen, daß dieser Entwurf keine radikalen Reformen enthält, keine
Systemänderung bezweckt, keine Modifikation der bisherigen Grund-
institutionen hervorbringen will, die Richtung der bisherigen
ungarischen Rechtsentwickelung nicht verläßt. Die Reihe
der oben hergezählten und die Bekämpfung der mannigfaltigsten Aus-
arten des Handels- und gewerblichen Verkehrs sich zum Ziele setzenden
Specialgesetze zeigt, daß die ungarische Gesetzgebung, den von Zeit zu
Zeit auftretenden Erfordernissen des geschäftlichen Lebens gemäß, mit
einzelnen entsprechenden Gesetzen successive das Gebäude
des Rechtsschutzes der immateriellen wirtschaftlichen Güter hervor-
brachte. Diese gesetzgeberische Richtung führte in organischem Ent-
wickelungsgange zum Gesetzentwurfe der Tagesordnung, diesem ge-
lungenen Werke des Staatssekretärs im königlich ungarischen Handels-
ministerium.
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Miszellen. 297
Nachdruck verboten.
Miszellen.
III.
Kritik der Grenznutzentheorie.
Von Alexander Schor.
L
Die zur Zeit auf dem Gebiete der rein theoretischen National-
ökonomie herrschende Lehre der Grenznutzentheorie hat der Wissen-
schaft ein Kriterium gegeben, an der Hand dessen die Richtigkeit ge-
wisser sozialökonomischer Deduktionen geprüft werden kann. Dieses
Kriterium sind die Eigenschaften des wirtschaftenden Subjektes als
solchen, welche die Grenznutzentheorie zur Basis ihres Systems gemacht
hat. Die Anhänger der Grenznutzentheorie hatten mit vollem Recht
hervorgehoben, daß das specifisch Eigentümliche verschiedener Typen
menschlicher Verhältnisse auf wirtschaftlichem Gebiete nur dann ver-
standen werden kann, wenn man die ökonomische Natur des wirtschaf-
tenden Menschen überhaupt, unabhängig von allen Verhältnissen inner-
halb der Gesellschaft, erfaßt hat.
Die rein ökonomische Natur des Menschen ist aber am leichtesten
zu verstehen, wenn man die Eigenschaften des isolierten Individuums
untersucht. Indem die Grenznutzentheorie verschiedene ökonomische
Gesetze der isolierten Wirtschaft feststellt, behauptet sie keineswegs,
daß diese Gesetze mit denjenigen des Menschen als eines Gliedes der
Gesellschaft identisch sind, sondern es wird der organische Zusammen-
hang der einzelnen Glieder der Gesellschaft eben dadurch erst ver-
ständlich, daß man aus der rein ökonomischen Natur des Menschen die
Notwendigkeit derjenigen sozialen Kombinationen ableitet, die man als
Sozialwirtschaft zu bezeichnen pflegt!)., Nur indem man versteht, was
Oekonomike an und für sich ist, kann man auch begreifen, warum Oeko-
1) Vgl. Menger, Untersuchungen über die Methode ete., 1883, 8. 123: „... die
Beobachtung der Singularerscheinungen der menschlichen Wirtschaft so unentbehrlich
ist, daß wir uns ohne das Studium der Geschichte der Volkswirtschaft zwar keine hoch-
entwickelte Theorie der volkswirtschaftlichen Erscheinungen, ohne die Beobachtung der
Singularerscheinungen der menschliehen Wirtschaft aber überhaupt keine Theorie der
letzteren zu denken vermögen.“
15*
228 Miszellen.
nomike unter gewissen Bedingungen nicht als ein Zustand der Wirt-
schaft des isolierten Menschen, sondern nur als eine soziale Erscheinung
möglich ist.
Auch die Veränderungen innerhalb der Gesellschaft kann man nur
dann erklären, wenn man das wirtschaftende Individuum als einen un-
endlich kleinen Teil der Gesellschaft betrachtet und entsprechend damit
operiert. Die reine Oekonomike ist also ein notwendiges Hilfsmittel für
die Oekonomik der Gesellschaft.
Andererseits legt die Grenznutzentheorie ihren Deduktionen nicht
nur das wirtschaftende Subjekt als solches zu Grunde, sondern be-
hauptet damit auch, daß die subjektive Seite den Kern der ökonomischen
Erscheinungen bildet. Sie behauptet, daß beinahe alle Fehler auf dem
Gebiete der Nationalökonomie dadurch entstanden sind, daß man das-
jenige ignorierte, was in den Erscheinungen das Wesentliche ist (die
subjektive Seite) und dasjenige hervorgehoben habe, was man fälsch-
lich für das Wesentliche hielt (die objektive Seite).
Indem die Grenznutzentheorie verschiedene ökonomische Systeme
der Vergangenheit kritisiert, ist sie immer im Stande, die Ungiltigkeit
der Deduktionen derselben zu beweisen. Alle diese Systeme haben un-
bewiesene Grundsätze als Axiome angenommen, und während sie aus
diesen ohne Kritik angenommenen Grundsätzen alle Phänomene abzu-
leiten versuchten, machten sie keinen Versuch, dieselben zu beweisen.
Im Gegensatze dazu hat die Grenznutzentheorie keine derartigen Postu-
late. Die Beweise für das, was sie als Postulate annimmt, sind auf
anderen Gebieten des menschlichen Wissens zu erbringen. Die Verdienste
der Grenznutzentheorie auf dem Gebiete der Kritik sind also für das
Bedeutendste zu halten, was in der theoretischen Nationalökonomie im
letzten Viertel des 19. Jahrhunderts geleistet wurde.
Die Grenznutzentheorie behauptet weiter, daß dasjenige, was die
alten Theorien als Grundsätze annahmen, in Wirklichkeit als etwas Ab-
geleitetes betrachtet werden müsse.
Sie ist stolz darauf, ein System aufgebaut zu haben, in Verhältnis
zu dem die älteren Theorien etwas Untergeordnetes bilden, und nur
insoweit richtig sind, als sie mit der allgemeineren Theorie überein-
stimmen.
Die Anhänger der alten Theorien versuchten nicht selten die alten
Systeme zu verteidigen und zu beweisen, daß die Bedeutung dieser
Theorien keineswegs zu unterschätzen sei. Sie machten einige, in ge-
wissen Fällen sehr scharfsinnige Einwendungen gegen die Grenznutzen-
theorie, um darzuthun, daß die alten Theorien in gewissen Fällen eine
praktisch anwendbare Antwort gäben, wenn die Grenznutzentheorie
dieselbe Frage nur theoretisch lösen könne. Unter ihnen giebt es bei-
nahe keinen, der nicht prinzipiell die Grundsätze der Grenznutzentheorie
als giltig anerkannt hätte. Sie führen gegen die Grenznutzentheorie
nur einen defensiven Kampf, indem sie die alten Theorien gegen die
neue verteidigen und die letztere als eine bloße Spekulation neben den
ersteren betrachten.
Unsere Aufgabe wird darin bestehen, zu prüfen, ob die Grenz-
Miszellen. 229
nutzentheorie ihre Behauptungen richtig deduziert, Wenn wir nun
finden würden, daß die Grenznutzentheorie formell nicht richtig wäre,
so würde jeder Streit über die Methoden derselben überflüssig.
Wir wählen dazu einen Autor, der dieser Lehre die vollendetste
Form gegeben hat, v. Böhm-Bawerk. Und da die Darstellung dieses
Autors auch dasjenige in sich einschließt, was andere Anhänger dieser
Lehre gegeben hatten, werden wir am besten unser Ziel erreichen,
wenn wir uns in unserer Kritik überhaupt nur gegen ihn wenden. Wir
setzen dabei voraus, daß dem Leser die Theorie v. Böhm-Bawerk’s be-
kannt ist und zwar dasjenige, was er in seinen „Grundzügen der Theorie
des wirtschaftlichen Güterwertes“ und in seinem Buche: „Kapital und
Kapitalzins“ entwickelt hat1) Wir werden uns daher hier auf die
Feststellung der Fundamentalsätze dieser Theorie beschränken, um bei
unserer Kritik von einer bestimmten Grundlage auszugehen.
IL.
Die Hauptsätze der Grenznutzentheorie in der ihnen von v. Böhm-
Bawerk gegebenen Form sind folgende:
Man muß den Wert in subjektivem Sinne von dem Werte in ob-
jektivem Sinne unterscheiden. Wert im subjektiven Sinne ist die Be-
deutung, die ein Gut oder ein Güterkomplex für die Wohlfahrtszwecke
eines Subjektes besitz. Wert im objektiven Sinne heißt dagegen die
Kraft oder Tüchtigkeit eines Gutes zur Herbeiführung irgend eines
objektiven Erfolges. Wenn ein gewisser Gegenstand ein gewisses
menschliches Bedürfnis befriedigt, hat er subjektiven Wert; der objek-
tive Wert dagegen hat mit menschlichem Wohlgefallen oder mensch-
lichem Leiden nichts gemeinsam. Unter allen Arten des objektiven
Wertes ist für den Nationalökonomen nur der objektive Tauschwert von
Interesse. Hierunter ist die objektive Geltung der Güter im Tausche
zu verstehen, oder mit anderen Worten, die Möglichkeit, für sie im
Austausch eine Quantität anderer wirtschaftlicher Güter zu erlangen —
diese als eine Kraft oder Eigenschaft der ersteren gedacht.
Der Grad der Abhängigkeit der Wohltahrt der Menschen von
äußeren Gegenständen kann verschieden sein: das Gut kann entweder
nur einfach tauglich sein, um ein menschliches Bedürfnis zu befriedigen,
oder es kann auch eine Bedingung der Bedürfsbefriedigung sein.
Diesen verschiedenen Grad der Abhängigkeit drücken wir aus, indem
wir im ersten Falle den Gütern „Nützlichkeit“ zuschreiben, im zweiten
Falle aber „Wert“. Der Wert ist also diejenige Bedeutung, die ein
Gut oder Güterkomplex als erkannte Bedingung eines sonst zu ent-
behrenden Nutzens für die Wohlfahrtszwecke eines Subjektes erlangt.
Damit ein Wert entstehe, muß sich zur Nützlichkeit, nämlich der
für alle Güter (also auch für freie Güter) gemeinsamen Eigenschaft,
auch Seltenheit gesellen. Güter erlangen dann Wert, wenn der ver-
1) Kapital und Kapitalzins, Positive Theorie des Kapitales, III. Buch, I. Abschn.:
Der Wert. II. Abschn.: Der Preis. Innsbruck 1889. — Grundzüge der Theorie des
wirtschaftlichen Güterwertes, Conrad’s Jahrb., N. F. Bd. XIII, 1886.
230 Miszellen.
fügbare Gesamtvorrat derselben so gering ist, daß er zur Deckung der
von ihnen Befriedigung heischenden Bedürfnisse entweder nicht oder
doch nur so knapp ausreicht, daß er ohne die Güterexemplare; um deren
Schätzung es sich handelt, nicht mehr ausreichen würde.
Das Wesen des Wertes ist also durch Nützlichkeit bedingt. Da-
gegen ist die Frage nach der Größe des Wertes unvergleichlich kom-
plizierter. Der Behauptung, daß die Größe des Wertes durch die Größe
der Nützlichkeit bedingt ist, widerspricht dem Scheine nach die That-
sache, daß Gegenstände, welche sehr nützlich sind, oft geringen Wert
haben, während Gegenstände, die verhältnismäßig geringere Nützlichkeit
besitzen, einen sehr großen Wert besitzen können.
Die richtige Entscheidung darüber, wie viel für die Wohlfahrt
einer Person von einem Gute abhängt, löst sich in der Beantwortung
zweier Teilfragen auf: 1) Welches unter mehreren oder vielen Be-
dürfnissen hängt von einem Gute ab? 2) Wie groß ist die Wichtigkeit
des abhängenden Bedürfnisses, bezw. seiner Befriedigung.
Die Bedürfnisse unterscheiden sich in ihrer Bedeutung. Wir
pflegen den Grad derselben an der Schwere der nachteiligen Folgen
zu bemessen, die ihre Nichtbefriedigung für unsere Wohlfahrt nach
sich zieht. Nach diesen Merkmalen läßt sich eine förmliche Rangleiter
oder Wichtigkeitsskala der Bedürfnisse aufbauen. Unter dem Ausdruck
„Rangordnung der Bedürfnisse“ kann man entweder die Rangordnung
. der Bedürfnisgattungen oder die der konkreten Bedürfnisse verstehen.
Eine Theorie, welche die Gattungsbedürfnisse als Prinzip der Wert-
schätzung aufstellen wollte, müßte notwendig zu falschen Folgerungen
kommen, indem sie z. B. jeden Menschen, der auf einen Gegenstand
des Bedürfnisses der Nahrung verzichtete, als unökonomisch handelnden
verurteilte. In Wirklichkeit muß man nicht die Gattungen der Bedürf-
nisse in abstracto im Auge haben, sondern die konkreten Bedürfnisse.
Die konkreten Teilbedürfnisse, in die sich unsere Bedürfnisregungen
zerfällen lassen, sind untereinander von ungleicher und zwar stufen-
weise bis zum Nullpunkt abnehmender Bedeutung. Man kann sich
leicht ein Schema denken, in dem die verschiedenen Bedürfnisgattungen
mit ihren mannigfaltigen konkreten Abstufungen nebeneinander stehen.
Wenden wir uns nun zu der zweiten Hauptfrage: Welches unter
mehreren oder vielen Bedürfnissen hängt von einem Gute wirklich ab:
Vergegenwärtigen wir uns einen Jäger i im Walde, der zwei ganz gleiche
Exemplare Brot besitzt. Durch das eine stillt er seinen Hunger, das
zweite benutzt er, um seinen Jagdhund zu füttern. Wenn unser Jäger
jetzt ein Brot aus seinem Vorrate verliert, wird er keineswegs auf die
Befriedigung seines Hungers verzichten. Er wird nur dasjenige Be-
dürfnis unbefriedigt lassen, das für ihn geringe Bedeutung hat, in
unserem Falle ist es das Bedürfnis, einen satten Hund zu haben. Es
ergiebt sich Folgendes daraus:
Die Größe des Wertes eines Gutes bemißt sich nach der Wichtig-
keit desjenigen konkreten Bedürfnisses oder Teilbedürfnisses, welches
unter den, durch den verfügbaren Gesamtvorrat an Gütern solcher Art
bedeckten Bedürfnisses, das mindest wichtige ist. Dieses Gesetz kann
Miszellen. 231
man in folgender einfacher Formel ausdrücken: Der Wert eines Gutes
bestimmt sich nach der Größe seines Grenznutzens.
Ein anderes Beispiel nimmt einen Kolonisten an, der 5 Säcke Korn
besitzt, die zu verschiedenen wichtigen Verwendungen bestimmt sind,
der letzte zur Fütterung von Papageien. Nach dem Grenznutzengesetze
wird der letzte Sack Korn die Bedeutung dieses letzten und wenigst
wichtigen Bedürfnisses haben, und da alle Säcke gleich sind, wird
auch der Wert jedes Sackes Korn durch den Nutzen des letzten be-
stimmt, Ginge dieser verloren, so würde der größere Nutzen des
vierten Sackes für den Wert eines jeden Sackes maßgebend. Der Wert
ändert sich aber im umgekehrten Sinne, wie die Menge.
Die Identität von Kosten und Wert ist nach der Grenznutzen-
theorie nur eine andere Aussageform für die Identität des Wertes der
ineinander übergehenden Gütergruppen verschiedener Ordnungen, indem
sie in die erste Ordnung diejenigen Güter setzt, die unsere Bedürfnisse
unmittelbar befriedigen, in die zweite jene, mit deren Hilfe die Güter
erster Ordnung hervorgebracht werden, u. s. w. Was aber die Ursache
dieser Identität betrifft, so formuliert die Grenznutzentheorie sie in einem
entgegengesetzten Sinne, wie die Produktionskostentheorie. Die erstere
sagt, daß der Wert der Kostengüter sich nach dem Werte ihrer Produkte
richtet, während das Kostengesetz gewöhnlich behauptet, daß der Wert
der Produkte bestimmt wird durch den Wert der Kosten. Sie leitet
dieses Gesetz ab, indem sie eine analoge Methode wie vorher benutzt,
nämlich den Fortfall einer konkreten Quantität irgend eines Gutes be-
liebiger Ordnung annimmt.
Die Erörterung der Frage vom objektiven Tauschwerte beginnt
Böhm-Bawerk mit dem Beispiele des isolierten Tausches an, wo ein
Landmann A, der ein Pferd auf 300 fl. schätzt, ein solches zu kaufen
beabsichtigt, ein anderer B aber, der ein Pferd verkaufen will, dasselbe
nur auf 100 fl. schätzt. In diesem Falle setzt sich der Preis innerhalb
eines Spielraumes fest, dessen Obergrenze die subjektive Wertschätzung
der Ware durch den Käufer, dessen Untergrenze ihre Wertschätzung
durch den Verkäufer bildet: Bei einseitigem Wettbewerb der Kauf-
lustigen A,, A,, A, etc, denen nur der einzig verkauflustige B ent-
gegensteht, bleibt der tauschfähigste Bewerber, d. h. derjenige, der die
Ware im Vergleich zum Preisgut am höchsten schätzt — Ersteher,
und der Preis bewegt sich zwischen der Wertschätzung des Erstehers
als Ober- und der des tauschfähigsten unter den ausgeschlossenen Be-
werbern als Untergrenze. Bei einseitigem Wettbewerb der Verkäufer
gelangt wieder der tauschfähigste Mitbewerber zum Tausche. Und der
Preis muß sich festsetzen zwischen der Wertschätzung des Verkäufers
als Untergrenze und der des Tauschfähigsten der ausgeschlossenen Be-
werber als Obergrenze.
Bei beiderseitigem Wettbewerb endlich stellt sich der Marktpreis
innerhalb eines Spielraumes fest, der nach oben begrenzt wird durch
die Wertschätzungen des letzten noch zum Tausch kommenden Käufers
und des tauschfähigsten ausgeschlossenen Verkaufsbewerbers, nach unten
durch die Wertschätzungen des letzten noch zum Tausche gelangenden
232 Miszellen.
Verkäufers und des tauschfähigsten vom Tausch ausgeschlossenen Kauf-
bewerbers.
Wenn wir in der obigen Formel den mafgebenden 4 Personen
den Namen der Grenzpaare geben wollen, so erhalten wir folgende
Formel: Die Höhe des Marktpreises wird begrenzt und bestimmt
durch die Höhe der subjektiven Wertschätzungen der
beiden Grenzpaare.
III.
Damit schließen wir die kurze Darstellung der Grenznutzenlehre
und gehen zu ihrer Kritik über. Alles übrige in der Grenznutzentheorie
bildet nur eine Reihe von Deduktionen aus diesen Fundamentalsätzen.
Diese Deduktionen, mögen sie an sich falsch oder richtig sein, sind nur
insoweit berechtigt, als der Grundsatz richtig ist, welcher für das
System das Fundament bildet.
Indem die Grenznutzentheorie den Wert definiert, nimmt sie bereits
zwei nicht begründete Sätze an, sie behauptet erstens, daß der subjektive
und der objektive Wert zwei Erscheinungen seien, die nichts Gemeinsames
hätten und nicht unter einem gemeinsamen Gattungsbegriffe stehen
könnten; sie behauptet dann zweitens, daß der subjektive Wert dasj enige
sei, was im ökonomischen Werte überhaupt wesentlich ist.
Was die erste Annahme betrifft, so hat sie recht, wenn sie be-
hauptet, daß der subjektive und objektive Wert nicht einem gemein-
samen Begriffe untergeordnet werden können. Es bleibt aber noch
eine Möglichkeit, nämlich daß dasjenige, was die Grenznutzentheorie
mit den Worten „subjektiver Wert“ und „objektiver Wert“ bezeichnet,
in Wirklichkeit nicht getrennt sein könne. Daß Wert nur dann möglich
ist, wenn ein Mensch mit seinen Bedürfnissen vorhanden ist, unterliegt
keinem Zweifel; insofern kann kein absoluter Wert existieren. Wenn
aber die Grenznutzentheorie daraus ableitet, daß infolgedessen die
subjektive Seite das Wesentliche in dem Werte bildet, vergißt sie,
daß dieselbe Argumentation auch auf die objektive Seite der Er-
scheinung anwendbar ist. Es ist auch möglich, daß ohne gewisse
objektive Bedingungen Wert ebenso undenkbar sei, als ohne subjektive,
daß man die ersteren aus den letzteren ebensowenig ableiten kann,
als die letzteren aus den ersteren. In diesem Falle werden diejenigen
Begritfe, welche die Grenznutzentheorie mit dem Namen „subjektiver
Wert“ bezeichnet, eigentlich keine Werte im ökonomischen Sinne !).
Und das kann nicht nur in Bezug auf „objektiven Wert“, d. h.
„die Tüchtigkeit eines Gutes zur Herbeiführung eines objektiven Er-
folges“ gelten, sondern auch dasjenige betreffen, was die Grenznutzen-
theorie mit dem Namen „subjektiver Wert“ bezeichnet. Nur dann
hätten die Vertreter der Grenznutzentheorie mit ihren Behauptungen
1) Vergleiche Stolzmann, Die soziale Kategorie in der Volkswirtschaft, 1896, S. 19.
„Es giebt nur einen Wert und das, was man Gebrauehswert und Tausehwert nennt,
sind nimmermehr Unterarten dieses Wertes, sondern nur wissenschuftliche Hilfs-
begriffe zur Erfassung und Bemessung dieses einen begrifflieh unteilbaren
Wertes.“
Miszellen. 233
recht, wenn man im Stande wäre, ohne gewisse objektive Voraussetzungen
alle Arten ökonomischen Wertes abzuleiten. Eben das letzte behauptet
v. Böhm-Bawerk in Bezug auf die einzige Art des objektiven
Wertes, welche seiner Meinung nach für einen Nationalökonomen In-
teresse haben kann — in Bezug auf den objektiven Tauschwert.
Daraus aber würde folgen: 1) daß in einer Wirtschaft, wo kein
Tausch existieren kann (z. B. in isolierter oder in kollektiver Wirtschaft)
der subjektive Wert den einzigen ökonomischen Wert bilde; 2) daß,
wenn ein ökonomischer Wert nicht subjektiver Wert ist, der erstere
doch eine gewisse Modifikation des letzteren darstellt (in einer Ge-
sellschaft mit Tauschverhältnissen).
Untersuchen wir also, ob es bei isolierter Wirtschaft möglich ist,
den Wert nur aus den subjektiven Eigenschaften der menschlichen
Natur abzuleiten, dann, ob man im Stande ist, aus denselben subjektiven
Eigenschaften der menschlichen Natur den objektiven Wert (Tauschwert)
der Güter in der Gesellschaft zu deduzieren.
Dabei müssen wir zunächst die Begriffe „objektiv“ und „subjektiv“
im ökonomischen Sinne prüfen, sodann der Definition des Wertes Er-
klärungen beifügen, in denen wir bestimmt feststellen, was die in der
Definition gebrauchten Termini bedeuten.
Mit dem Ausdruck „die subjektiven Eigenschaften der mensch-
lichen Natur“ bezeichnen wir diejenigen Eigenschaften der menschlichen
Natur, die nur durch die innere Organisation unseres Körpers und
unserer Seele bedingt sind. Außer diesen Eigenschaften besitzt aber
der Mensch auch andere Eigenschaften, infolge deren er wie jedes
äußere Objekt gewisse Effekte in der Außenwelt hervorrufen kann.
Die menschliche Arbeit z. B. ist bei dem Menschen von einem be-
stimmten Gefühl (der Müdigkeit) begleitet, sie ist für den Menschen
nur in gewisser Quantität ausführbar und weiter während einer be-
stimmten Zeit (derjenigen der Erholung) unmöglich — das alles ist nur
die subjektive Seite der menschlichen Arbeit. Andererseits aber leistet
der Mensch durch seine Arbeit einen mechanischen Effekt, welcher, wie
jede Außerung von Kräften in der Außenwelt, auf bestimmte Art durch
die Eigenschaften des eine mechanische Arbeit leistenden Menschen-
körpers und diejenigen der zu bearbeitenden Gegenstände bedingt ist.
Wir werden nun gleich bemerken, daß dasjenige, was v. Böhm-
Bawerk mit dem Namen „objektiver Wert“ bezeichnete, in Wirklich-
keit keinen ökonomischen Begriff darstellen kann. Die Tüchtigkeit
eines Gutes zur Herbeiführung irgend eines objektiven Erfolges, wenn
dieser Erfolg mit der Wohlfahrt der Menschen nichts Gemeinsames
hat, kann für die Oekonomik keinerlei Bedeutung haben, da wir mit
dem Namen Oekonomik nur eine menschliche Thätigkeit bezeichnen,
nur von einer Oekonomik vom Gesichtspunkte des Menschen sprechen
und ein Ausdruck wie „Oekonomie der Natur“ nur eine Metapher ist.
Dagegen ist die Definition des subjektiven Wertes von v. Böhm-
Bawerk ohne Zweifel ein ökonomischer Begriff. Wenn wir aber
andererseits diese Definitionen genauer prüfen, bemerken wir, daß sie
nicht notwendig eine solche des subjektiven Wertes sein muß. In der
234 Miszellen.
That, aus der Annahme, daß der Wert die Bedeutung der Güter für
die Wohlfahrtszweige des Subjektes sei, folgt noch nicht, daß diese
Bedeutung nur durch die subjektiven Eigenschaften der menschlichen
Natur bedingt sei.
Das Einzige, was man von dem subjektiven Werte Böhm-Bawerk’s
sagen kann, ist nur, daß dieser Wert ohne den Menschen — als das
Subjekt — unmöglich ist. Damit ist durchaus noch nicht gesagt, was
für eine Rolle in der Erscheinung des Wertes die objektiven Eigen-
schaften der Dinge spielen. Der Wert kann ohne Menschen nicht
existieren; das unterliegt keinem Zweifel. Was aber würden wir sagen,
wenn ohne gewisse objektive Eigenschaften der Dinge der Wert sich
ebenso als nnmöglich erweist, wie ohne ein Subjekt?!) Würden wir
dann behaupten können, daß der Wert eine rein objektive Erscheinung
ist? Alsdann hätten wir ebenso recht, dasjenige, was v. Böhm-
Bawerk subjektiven Wert nennt, als „objektiven Wert“ zu bezeichnen.
Es hat wohl nie einen ökonomischen Forscher gegeben, der be-
hauptete, daß der Wert ohne den Menschen, „das Subjekt“, möglich
wäre Am wenigsten haben das die Vertreter der klassischen Schule
oder die Vertreter des wissenschaftlichen Sozialismus behauptet. Ricardo
z. B. hat ganz im Gegensatze dazu gesagt, daß Nützlichkeit absolut
wesentlich für den Wert ist (is absolutely essential. Wenn man von
objektivem Werte spricht, so bezeichnet man damit nur ein Phänomen,
welches man aus der menschlichen Natur allein nicht ableiten kann,
welches nur dann verständlich wird, wenn wir als Bedingung für diese
Erscheinung gewisse Zustände in der Außenwelt annehmen. Wenn es
aber ohne diese Annahme unmöglich ist, dasjenige, was man mit dem
Namen Wert bezeichnet, abzuleiten, dann haben wir kein Recht zu be-
haupten, daß das Subjekt die Ursache des Wertes ist. Die subjektive
Seite wird dann nur eine Bedingung des Wertes sein, wie es Ricardo,
Rodbertus und Marx behauptet hatten.
Wir nehmen also die Definition des „subjektiven Wertes“ von
v. Böhm-Bawerk als die Definition desjenigen, was wir als „Wert“
überhaupt zu bezeichnen pflegen, ohne mit der Behauptung v. Böhm-
Bawerk’s einverstanden zu sein, daß subjektiver und objektiver Wert
Phänomene wären, die miteinander so wenig Gemeinsames hätten, daß
man dies Gemeinsame nur in der Sprachengeschichte suchen dürfte ?).
Indem wir also die Definition des Wertes als der Bedeutung für
1) Stolzmann, Die soziale Kategorie, S. 271: „Ist es nicht mindestens ebenso gut
denkbar, daß der Wert a priori gegeben ist, nämlich etwa dureh Abhängigkeit des Menschen
von indispensablen sozialen und Naturnotwendirkeiten? Ist es nicht denkbar, daß die
Technik, die Wirtschaft und das Verhalten des Menschen sich an dieses anderweitig
Gegebene anschließt.“
2) Siehe: Grundsätze der Theorie des wirtschaftlichen Güterwertes, Conrad's
Jahrb., Bd. 13, 1886, S. 6: „Wichtigkeit für die Wohlfahrt irgend eines Menschen“ und
„objektive Fähigkeit gegen andere Güter vertauscht zu werden“, sind zwei Begriffe, die
so wenig gemeinsame logische Merkmale besitzen, daß ein allgemeiner Begriff . . . ganz
leer und schattenhaft geraten müßte. Damit soll keineswegs geleugnet werden, daß
manche . . . Beziehungen zwischen ihnen bestehen. Aber diese ihre Einheit ist nur
mehr rückwärts in der Sprachgeschichte zu suchen.“
Miszellen. 235
Wohlfahrtszwecke des Subjektes annehmen, halten wir es für notwendig,
den Begriff „Bedeutung“ im ökonomischen Sinne genauer zu unter-
suchen. Wenn wir von der ökonomischen Bedeutung gewisser Gegen-
stände sprechen, so bezeichnen wir damit, daß der Mensch in seiner
Wirtschaft mit diesen Gegenständen als mit bestimmten Größen operiert.
Aus dem praktischen Leben wissen wir, daß von jedem wirtschaftenden
Subjekte diese Größen als notwendige Bedingung für seine wirtschaft-
lichen Pläne angenommen werden. Das Wesen dieser Größen besteht
darin, daß sie eine Relation der verschiedenartigen Dinge darstellen und
zwar eine Relation, die während bestimmter Perioden der wirtschaft-
lichen Thätigkeit annähernd gleich bleibt.
Wenn wir also sagen, daß a Ellen Leinwand für uns ebenso viel
Bedeutung haben wie b Pfund Thee, so sagen wir damit nicht, daß wir
in unserer Wirtschaft nur mit den Größen a und b operieren müssen,
sondern wir bestimmen durch diese Größen allgemein die relative Be-
deutung dieser Güter für unsere Wirtschaft. Die Eigenschaft der
Gegenstände, unter gewissen Bedingungen in einer be-
stimmten Relation zu stehen, müssen wir als ein not-
wendiges Merkmal für die ökonomische Bedeutung der
Güter annehmen, und damit auch für den Wert.
Wenn wir also sagen, daß zwei bestimmte Quantitäten von Gütern
gleichen Wert haben, sind wir nur dann berechtigt, dies zu behaupten,
wenn die gegebene Relation zwischen ihnen nur als eine einzig mög-
liche denkbar ist.
Nachdem wir also die ökonomischen Begriffe: subjektiv, ob-
Jektiv, Bedeutung, genauer festgestellt haben, können wir zur
Kritik der Grenznutzentheorie übergehen.
v. Böhm-Bawerk beginnt die Auseinandersetzung seiner Prin-
zipien, indem er den Leser auf die Fähigkeit der Güter, menschliche
Bedürfnisse zu befriedigen, als auf eine wesentliche Eigenschaft der Güter
aufmerksam macht. Der Grad der Abhängigkeit von äußeren Gegen-
ständen, fährt er fort, kann verschieden sein, das Gut kann entweder
nur tauglich sein, um menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, oder es
kann auch eine Bedingung der Bedürfnisbefriedigung des Subjektes
sein. Indem v. Böhm-Bawerk dann die erstere Eigenschaft der
Dinge mit dem Namen „Nützlichkeit“, die zweite aber mit „Wert“ be-
zeichnet, hat er wohl Recht, aber doch verbirgt die oben erwähnte
Behauptung eine ohne Kritik gemachte Annahme, was man auf den
ersten Blick nicht bemerken kann. Denn wenn v. Böhm-Bawerk
sagt, der Grad der Abhängigkeit von äußeren Gegenständen sei ver-
schieden, nimmt er bereits an, daß die Nützlichkeit der Dinge und ihr
Wert nur dem Grade nach sich unterscheiden.
Wenn wir aber in Wirklichkeit von der Tauglichkeit der Güter
einerseits und andererseits von ihrer Fähigkeit, eine Bedingung der Be-
friedigung der menschlichen Bedürfnisse zu sein, sprechen, bezeichnen
wir mit diesen Namen zwei Erscheinungen, die sich nicht allein quanti-
tatiy (wie v. Böhm-Bawerk behauptet), sondern auch qualitativ von
einander unterscheiden. Die Fähigkeit der Güter, menschliche Bedürf-
236 Miszellen.
nisse zu befriedigen, ist eine Erscheinung, welche wir unserer Termi-
nologie nach als eine bloß subjektive bezeichnen, d. h. sie ist eine
Erscheinung, deren Wesen durch eine Reihe von Prozessen innerhalb
des menschlichen Organismus erschöpft ist. Wenn wir dagegen von der
Fähigkeit der Gegenstände, eine Bedingung der menschlichen Wohlfahrt
darzustellen, sprechen, so bezeichnen wir damit eine Erscheinung, deren
Wirkungssphäre ebenso auf dem Gebiete der menschlichen Natur als
auf demjenigen der Außenwelt liegt.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß ein Gut keinen Wert besitzen
kann, wenn es in unbeschränkter Quantität vorhanden ist. Mit dieser
Annahme aber brauchen wir noch nicht der entgegengesetzten Schluß-
folgerung beizustimmen. Wenn ein Mensch einen bestimmten Vorrat
an Gütern besitzt, deren Menge also beschränkt ist, so ist es möglich,
daß er unter gewissen Bedingungen diesen Gütern ebenso wenig Wert
beimessen kann, als wenn er sie in einer unbeschränkten Quantität be-
sitzen würde. Wir dürfen dabei nicht vergessen, daß, wenn wir jetzt
vom Werte sprechen, wir ausschließlich einen ökonomischen Be-
griff im Auge haben. Dieser Wert ist absolut unmöglich bei einem
Subjekt, das keine Wirtschaft führt. Unter dem Worte Wirtschaft
aber verstehen wir immer eine vorsorgliche Thätigkeit. Auch der
Hauptvertreter und Begründer der Grenznutzentheorie — Menger —
hat sehr klar ausgedrückt, daß er unter der Wirtschaft eben eine vor-
sorgliche Thätigkeit versteht!) Da aber bei v. Böhm-Bawerk das
nicht der Fall ist, so wollen wir beifügen, daß, wenn man unter der
Wirtschaft eine vorsorgliche Thätigkeit versteht, man in gewissen Fällen
behaupten muß, daß ein Gut, obgleich es im Vorrate eines bestimmten
Menschen in beschränkter Quantität vorhanden ist, für ihn doch keinen
Wert habe, weil es eben für ihn nicht Gegenstand einer vorsorglichen
Thätigkeit wäre.
v. Böhm-Bawerk behauptet, daß für einen Menschen in der
Wüste einen Becher Wasser großen Wert haben wird, während der-
selbe Becher Wasser für denselben Menschen wertlos würde, wenn er
an einem Bache stünde. Hier aber nimmt v. Böhm-Bawerk, ohne
darüber etwas zu sagen, wieder eine Bedingung an, die für die weiteren
Schlußfolgerungen von größter Bedeutung ist. Wenn auch in der Wüste
für einen Menschen jede Möglichkeit, bestimmte Güter zu produzieren,
ausgeschlossen ist, so kann man doch nicht sagen, daß hier die Thätig-
keit des Menschen absolut nichts mit der Wirtschaft gemeinsam hätte.
Denn der Mensch wird unter solchen Umständen immer an die Gefahr
denken, die ihm drohte, falls er einen Gütervorrat verlieren würde.
Wenn wir aber dieses Beispiel ein wenig verändern und uns einen
Menschen vorstellen, der periodisch über einen im Vergleich mit seinen
Bedürfnissen sehr knappen aber doch keiner Gefahr des Verlustes
unterliegenden Vorrat verfügt, so können wir von der Wirtschaft
1) Menger, Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften und der
politischen Oekonomie im besonderen, 1883, S. 263: „Wir verstehen unter der Wirt-
schaft die auf die Deekung unseres Güterbedarfes gerichtete vorsorgliche Thätigkeit.“
Miszellen. 237
eines solchen Menschen nicht sprechen. Wir können z. B. von der
Wirtschaft eines Menschen, der in einem Gefängnis sitzt und alle Güter
schon zubereitet bekommt, nur sprechen, wenn wir das Wirtschaften
nicht als eine vorsorglichen Thätigkeit, sondern als ein bloßes Kon-
sumieren verstehen wollen. Wenn man dieses als eine Thätigkeit be-
zeichnen will, so muß man sie jedenfalls von der wirtschaftlichen Thä-
tigkeit streng unterscheiden, weil die erstere mit der letzteren, obgleich
oft, so doch nicht immer verknüpft ist.
Falls wir also die Behauptung v. Böhm-Bawerk’s annehmen, daß
die zwei Bedingungen: Nützlichkeit und Seltenheit zusammen den Wert
der Güter bilden, so müssen wir, wenn wir nicht mit dem Namen
„Wirtschaft“ die Konsumtionsthätigkeit bezeichnen wollen, immer noch
einen dritten Faktor im Auge haben, nämlich das Verhältnis des
Menschen zur Außenwelt.
Die Vertreter der Grenznutzentheorie können sagen, daß dieser
dritte Faktor als etwas Selbstverständliches angenommen werden könne,
indem er bereits in den ersten zwei Faktoren enthalten sei. In Wirk-
lichkeit aber ist die Annahme dieses dritten Faktors keineswegs von
so geringer Bedeutung, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.
Beinahe ohne Wichtigkeit zeigt sich dieser Faktor nur bei den von
v. Böhm-Bawerk hypothetisch gewählten Beispielen. Nachdem er
bereits angenommen hatte, daß in diesen Fällen der Wert nicht nur
möglich, sondern auch notwendig ist, kann er diesen Faktor als unbe-
deutend betrachten. Für uns aber, weil wir zwischen Konsumtions-
thätigkeit einerseits und wirtschaftlicher Thätigkeit andererseits unter-
scheiden, ist noch die Frage nicht gelöst, ob in den von v. Böhm-
Bawerk gegebenen hypothetischen Fällen überhaupt ein Wert
vorhanden ist. Wir sagen z. B., daß bei dem Menschen in der Wüste
die ganze wirtschaftliche Thätigkeit damit erschöpft wird, daß er dafür
sorgt, seine Güter nicht zu verlieren. Diese Thätigkeit aber unter-
scheidet sich sehr von der gewöhnlichen wirtschaftlichen Thätigkeit;
eben daher können wir schon a priori sagen, dal, wenn wir auch in
diesem hypothetischen Falle den Wert als existierend annehmen, er
doch sehr von dem gewöhnlichen Werte bei normaler wirtschaftlicher
Thätigkeit sich unterscheiden wird.
Und nun kommt die Frage, ob unser dritter Faktor nicht dasjenige
ist, was den ganzen Unterschied zwischen unseren hypothetischen Fällen
und den aus dem Leben genommenen Fällen bedingt. In nnseren
hypothetischen Fällen kann unser dritter Faktor als etwas nebensäch-
liches erscheinen, weil in diesen auch die ganze Wirtschaft von geringer
Bedeutung ist. In der wirklichen wirtschaftlichen Thätigkeit aber, wo
der Mensch nicht nur dafür zu sorgen hat, seine Güter nicht zu
verlieren, sondern auch dafür, diese Güter zu bekommen, kann
dieser dritte Faktor die entscheidende Rolle spielen. Es ist sehr wohl
möglich, daß jeder Wert als eine bestimmte Größe undenk-
bar ist, wenn dieser Faktor nicht schon vorher als eine
bestimmte Größe gegeben ist.
Wir können also nicht der Behauptung v. Böhm-Bawerk’s
238 Miszellen.
beistimmen, daß der Wert seinem Wesen nach durch Nützlichkeit und
Seltenheit der Dinge bedingt ist, da er uns nicht sagt, in welchem
Sinne er den Wert der Güter in den betrachteten hypothetischen Fällen
versteht.
Für uns kann daher auch nichts Wunderbares in der Erscheinung
liegen, daß viele Güter, die einen großen Nutzen zeigen, einen geringen
Wert haben und umgekehrt. Indem v. Böhm-Bawerk zur Frage
von der Größe des Wertes übergeht, sucht er einen Widerspruch zu
lösen, der zwischen demjenigen existiert, was er als Wesen der Er-
scheinung betrachtet und demjenigen, was er als eine kompliziertere
Form annimmt. Wir aber haben noch die Frage vom Wesen des Wertes
offen gelassen, und kommen nun zu demjenigen, was v. Böhm-Bawerk
als eine kompliziertere Form bezeichnet, mit der Hoffnung, daß hier die
Frage vom Wesen des Wertes gelöst werden wird. Wenn sich aber
zeigen sollte, daß dasjenige, was v. Böhm-Bawerk als Wesen des
Wertes bezeichnet, demjenigen widerspricht, was wir für ein mögliches
Wesen der Güter halten können, dann ist dieser Widerspruch auch auf
einem anderen Wege zu lösen, als auf demjenigen, den v. Böhm-
Bawerk angenommen hat. Es kann nämlich sehr wohl in den von
ihm gewählten hypothetischen Fällen überhaupt kein ökonomischer
Wert vorhanden sein, oder doch nur ein Wert in stark modifi-
zierter und entstellter Form.
Auf die Frage vom Wesen des Wertes folgt bei v. Böhm-Bawerk
die Prüfung und die Klassifikation der Gattungsbedürfnisse und der
konkreten Bedürfnisse. Da wir mit allen Gedanken dieser Abteilung
der Theorie von v. Böhm-Bawerk übereinstimmen, gehen wir direkt
zur Frage von der Größe des Wertes über. Das Einzige, was wir
über die Klassifikation der Bedürfnisse bemerken wollen, steht in engem
Zusammenhange mit der Frage von der Größe des Wertes. Wenn wir
ein Gattungsbedürfnis auf eine gewisse Zahl von konkreten Bedürf-
nissen verteilen, mussen wir in gewissen Fällen als ein Prinzip der
Teilung etwas von der Natur des Gegenstände selbst abhängendes an-
nehmen, in anderen Fällen aber können wir selbst dieses Prinzip wählen;
in letzterem Falle aber dürfen wir nicht vergessen, daß unser Prinzip
der Teilung nur eine Fiktion und nichts anderes ist. Wenn jemand
z. B. einen Vorrat von 5 Kleidungsstücken hat, so wird ein jedes kon-
kretes Bedürfnis durch ein Kleidungsstück dargestellt werden, weil
diese Teilung durch die Natur der Gegenstände bedingt ist: man kann
ein Kleidungsstück nicht teilen, ohne seine nützliche Eigenschaft ganz
zu vernichten. Wenn wir aber einen Vorrat Wein besitzen, so können
wir, je nachdem wir eine gewisse Quantität als eine Einheit wählen,
das allgemeine Bedürfnis an ihm in 6 oder 7 oder 5 konkrete Bedürf-
nisse teilen.
Gehen wir jetzt auf das erste Beispiel ein, durch welches v. Böhm-
Bawerk zeigen will, daß der Wert des Gutes nichts anderes ist, als
ein Verhältnis zwischen einem konkreten Bedürfnisse einerseits und
einem bestimmten Objekte andererseits,
Ein Jäger begiebt sich in den Wald mit 2 Stücken Brot, deren
Miszellen. 239
eines er für sich selbst, das andere aber für seinen Hund bestimmt.
Es ist klar, daß diese 2 Bedürfnisse für unseren Jäger verschiedene
Bedeutung haben, weil ihm die Befriedigung seines Hungers der seines
Hundes vorangeht.
Nun fragt v. Böhm-Bawerk: „Von welchem dieser beiden Be-
dürfnisse hängt der Wert jedes einzelnen Brotes ab?“ Es ist unmölich,
meint er, daß der Wert dieser 2 Brote verschieden sei, da zwischen
ihnen kein Unterschied konstatiert werden kann. Und so kommt
v. Böhm-Bawerk leicht zu dieser Antwort: „Der Wert jedes Brotes ist
durch den geringsten Nutzen bestimmt, der von diesem Brote abhängt,
in unserem Falle von dem Nutzen, den unser Jäger durch Fütterung
seines Hundes hat.
Zu dieser Antwort kommt v. Böhm-Bawerk auf folgendem
Wege. Er behauptet, daß das einzige Mittel, durch das man den Wert
des Gutes in diesem Falle ans Tageslicht bringen kann, die Annahme
ist, daß die Nichtbefriedigung desjenigen Bedürfnisses, welches un-
gedeckt bleibt, falls das Gut verloren geht, dem Werte des Gutes
entspricht.
Wenn man dem Autor diese Annahme einräumt, so ist man auch
gezwungen die Folgerungen anzunehmen, die sich aus derselben ergeben.
Warum aber sollen wir dieser Annahme bestimmen, wenn sie willkürlich
aufgestellt ist? Wenn v. Böhm-Bawerk fragt, von welchem aus
zwei verschiedenen Bedürfnissen der Wert des Gutes abhänge, löst
er diese Frage so leicht, weil in ihr schon die Antwort eingeschlossen
ist. Man nimmt an, daß der Wert jedes Brotes klein ist, der Nutzen
des einen Brotes groß, der des anderen aber klein ist. Dann schließt
man, der kleine Wert kann nur von kleinem Nutzen abhängen und
räumt damit sehr leicht die Argumentation des Autors ein.
In Wirklichkeit aber kann auf die Frage, von welchem Bedürfnisse
— von einem großen oder von einem kleinen — der Wert des Gutes
abbängt, — noch eine dritte Antwort gegeben werden, weder von
einem großen noch von einem kleinen, weil der Wert etwas von dem
Bedürfnisse ganz Verschiedenes ist. Jene ganze Argumentation führt
zu einer petitio principii, und zwar zu einer petitio principii, die nur
dadurch möglich ist, daß der Leser jene Vorstellungen, die er von dem
Wert der Güter aus dem praktischen Leben hat, anf den Fall v. Böhm -
Bawerk überträgt, und damit vergißt, daß dasjenige, wasim praktischen
Leben richtig ist, durch ganz andere Ursachen bestimmt werden kann,
die in dem Beispiele v. Böhm-Bawerk's unmöglich sind. Eine solche
Ansicht ist z. B. die, daß, wenn man 2 Exemplare eines Gutes besitzt,
jedes Exemplar einen geringen Wert hat, als wenn man nur ein einziges
davon besitzt.
Durch seine Argumentation kommt v. Böhm-Bawerk zu dem
selben Resultate und erreicht damit, daß der Leser, der schon vorher
geneigt war, einen Zusammenhang der Quantität der Güter mit ihrem
Werte zu konstatieren, die Annahme einräumt, daß man den Wert
eines Gutes durch die Nichtbefriedigung jenes Bedürfnisses messen
kann, das infolge des Wegfalles dieses Gutes ungedeckt bleibt. Be-
240 Miszellen.
trachten wir also zunächst die aus dem praktischen Leben übernommene
Meinung, welche den psychologischen Grund für die Annahme v. Böhm-
Bawerk’s bildet, und gehen wir dann zur Kritik der Annahme
selbst über.
v. Böhm-Bawerk schließt, daß jedesmal das mindest wichtige
unter allen in Frage kommenden Bedürfnissen den Wert des Gutes be-
stimmt. Bei unveränderlicher Quantität der Güter wird also der
Wert hoch oder niedrig sein, je nach dem Bedürfnis des Subjektes
groß oder gering ist.
Die Ueberzeugung, daß dieser Satz richtig ist, beruht bei den
meisten Lesern auf die Berücksichtigung eines Faktors, der im wirk-
lichen Leben die notwendige Voraussetzung für jede Wirtschaft bildet,
nämlich der die Produktion. Die Grenznutzentheorie aber betrachtet diesen
Faktor erst später.
Nehmen wir ein Beispiel, das sich dem von v. Böhm-Bawerk ge-
gebenen anschließt, aber eine weitere Bedingung einführt: der Jäger
soll die von v. Böhm-Bawerk angenommenen Bedürfnisse haben,
aber mit dem Unterschiede, daß er die Gegenstände seines Bedürfnisses
selbst produziert. Er produziert also 2 Brote täglich, deren eines er
für sich selbst, das andere aber für seinen Hund verwendet. Nehmen
wir an, daß er für die Produktion jedes Brotes täglich 5 Stunden
arbeiten muß. Er arbeitet also täglich 10 Stunden. Nehmen wir weiter
an, daß er außer 10 Stunden täglicher Arbeit und außer der Jagd, die
für ihn mehr Erholung als Arbeit darstellt, keinesfalls mehr arbeiten
würde, wenn auch seine Bedürfnisse sich vergrößert hätten.
Nun setzen wir noch voraus, daß infolge der Veränderungen der
technischen Produktionsbedingungen seine Arbeit um die Hälfte weniger
produktiv geworden ist. Jetzt muß er 10 Stunden täglich verwenden,
um nur ein Brot zu produzieren. Da er nicht mehr als 10 Stunden
arbeiten will, ist er genötigt, seinen Hund nicht mehr zu füttern. Ein
Stück Brot besitzt jetzt mehr Wert, als es vordem besaß, und wir
können auch konstatieren, daß der Nutzen eines Brotes (und zugleich
sein Grenznutzen) größer geworden ist. Wenn wir das Bedürfnis des
Jägers nach einem Stück Brot mit 10 und das Bedürfnis, einen ge-
sättigten Hund zu haben, mit 2 ausdrücken, so vergrößert sich der
Nutzen des letzten Exemplares von 2 auf 10, und nach der Annahme
der Grenznutzentheorie wird sich auch der Wert des einen Stückes
vergrößern. Zu derselben Schlußfolgerung waren wir aber schon vorher
geneigt, weil es selbstverständlich war, daß ein Brot, welches man in
10 Stunden produziert, mehr Wert haben muß, als es früher hatte, da
seine Produktion nur 5 Stunden dauerte. Wir können also hier nur
die Uebereinstimmung der Grenznutzentheorie mit der Wirklichkeit
konstatieren. Aber die Ursache der Werterhöhung ist eine äußere und
objektive.
Nun nehmen wir an, daß die Bedingungen der Produktion die ur-
sprünglichen geblieben sind, daß aber die Bedürfnisse des Subjektes
sich veränderten. Setzen wir den Fall, daß sie sich vergrößerten.
Unserm Jäger genüge nun täglich ein Brot nicht mehr, er müsse
Miszellen. 241
mindestens zwei konsumieren. Es sei der Nutzen des zweiten Brotes,
obgleich er geringer ist als der des ersten, doch höher als 2, mit
welchen Nutzen unser Jäger das Bedürfnis, einen satten Hund zu
haben, bezeichnet — also etwa 4. Unser Jäger wird jetzt täglich zwei
Brote produzieren, aber selbst beide konsumieren, seinen Hund aber
abschaffen, wie in dem oben erwähnten Falle. Der Grenznutzentheorie
nach hat jetzt der Wert jedes Exemplares sich vergrößert, da der Grenz-
nutzen, der früher nur 2 war, jetzt 4 geworden ist.
Denken wir uns nun noch einen dritten Fall. Die Bedürfnisse
unseres Jägers sind geringer geworden. Es findet jetzt, daß die Jagd
ein überflüssiger Zeitvertreib ist und daß ihm der Hund nur Schaden
verursacht. Er wird also seinen Hund erschießen, nur ein Brot täglich
produzieren und dieses Brot selbst konsumieren. Wie steht es jetzt
mit dem Werte des Brotes? Nun ist nur das letzte Exemplar allein
vorhanden. Wird man also jetzt behaupten, daß der Wert sich ver-
größert hat, weil der Nutzen des letzten Exemplares und damit auch
sein Grenznutzen, der früher gleich 2 war, jetzt 10 geworden ist?
Die einzig mögliche Schlußfolgerung daraus wird dann diese sein,
daß unter denselben Bedingungen der Produktion, die Vergrößerung des
Bedürfnisses denselben Eftekt hervorrief, wie die Verringerung des Be-
dürfnisses. Die einzige Erklärung für dieses Wunder wird sein, daß
zwischen der Höhe des Bedürfnisses und derjenigen des Wertes kein
innerer Zusammenhang existiert, wenn auch ein äußerer, d.h.
durch die Verhältnisse der Außenwelt bedingter, bestehen kann.
Wenn nun v. Böhm-Bawerk behauptet, daß der Wert eines
Gutes durch die Nichtbefriedigung eines Bedürfnisses messbar sei, die
infolge seines Wegfalles entsteht, vergißt er, daß sein Versuch, bei
einer bestimmten Quantität von Gütern einen Zusammenhang zwischen
Bedürfnis und Wert festzustellen, nicht der einzig mögliche ist. Man
muß sich stets erinnern, daß der Wert ein Begriff ist, der nur in der
realen Wirtschaft seine Bedeutung hat.
Bei der realen wirtschaftlichen Thätigkeit wird das Subjekt ebenso
wenig darüber nachdenken: „Wie wäre es, wenn ich ein Exemplar aus
meinem Vorrate verloren hätte“, als darüber: „Wie wäre es, wenn ich
den gesamten Vorrat verloren hätte“ 1). Die eine wie die andere Ueber-
legung hat für unser wirtschaftendes Subjekt kein Interesse und ist für
seine Wirtschaft ohne jede Bedeutung. Die reale Wirtschaft wird nicht
nach gewissen Phantasiebildern geführt, die man in der Wirklichkeit
niemals findet, sondern in der Art, daß man bestimmte reale und nicht
hypothetische Zustände in der Außenwelt als Voraussetzung für eine
vorsorgliche Thätigkeit nimmt.
Diese realen Zustände in der Außenwelt sind eben dasjenige, wo-
mit jeder Wirt operieren muß. Indem aber v. Böhm-Bawerk diese
objectiven Voraussetzungen absichtlich ignoriert, um sie später aus seinen
1) „... der Grundgedanken der Grenznutzentheorie . . . führt . . . zu einer Er-
klärung der Erscheinungen in der Wirklichkeit nicht aus dem, was sie ist, sondern
aus dem, was sie nicht ist“. Stolzmann, Die soziale Kategorie in der Wirtschaft,
1896, S. 258,
Dritte Folge Bd. XXII (LXXVIII). 16
242 Miszellen.
Grundsätzen abzuleiten, bedarf er eines Surrogates, ohne das keine be-
stimmte Antwort auf die Frage, wie groß der Wert des angegebenen
Vorrates sei, möglich ist. Daß dieses letzte Bedürfnis, daß dieser
Nutzen des letzten Exemplares der sogenannte Grenznutzen, bloße
Fiktion ist, die man zu dem Zwecke eingeführt hat, dasjenige zu be-
weisen, was zu beweisen unmöglich ist, kann man am leichtesten an dem
zweiten Beispiele konstatieren.
Besitzt ein Kolonist in einem Walde 5 Säcke Korn, so würde
nach der Meinung v. Böhm-Bawerk’s der Wert eines Sackes Korn
durch seinen Grenznutzen gemessen, und dieser Grenznutzen entspräche
im gegebenen Falle dem Bedürfnisse, Papageien zu halten. Also würde
der Grenznutzen jedes Sackes Korn und damit sein Wert gleich 1 sein.
Da wir mit diesem Beispiele uns eingehender beschäftigen werden,
nehmen wir an, daß uns das Gesetz bekannt ist, nach welchem das Be-
dürfnis unseres wirtschaftenden Subjektes sich ändert. Wir nehmen in
dem Beispiele von v. Böhm-Bawerk statt der Ziffern 10, 8, 6, 4, 1 die
Ziffern 9, 7, 5, 3, 1 an, so daß die Reihe zu einer arithmetischen Pro-
gression wird, deren Gliedersumme gleich 25 ist!) Man kann nun
sehr leicht die Größen des Nutzens von bestimmten Quantitäten Korn
dadurch finden, daß man den ganzen Vorrat auf beliebige gleiche Teile
verteilt. Wenn die Zahl der Teile 15 wird, erhält man nach der
Formel der arithmetischen Progression folgende Reihe: 32/,, 3, 27/,,
25/95 299 21/9, 18/9 18/9, 14/9, Dis 1, T/g, 5/9; Dia loi wenn
man aber die Zahl der Teile nur auf 3 beschränkt, folgt die Reihe:
138/4, 83/9, 27/9. Wenn wir jetzt zu Böhm-Bawerk’s Beispiel
übergehen, und die Behauptung finden, daß für den Besitz von 5 Sack
Korn der Grenznutzen 1 charakteristisch sei, können wir die Frage
stellen, warum eigentlich der Grenznutzen gerade 1 sei. Wir können
denselben Vorrat in 15 gleiche Säcke verteilen, deren jeder dreimal
kleiner als der in dem Beispiele Böhm-Bawerk’s ist. Für den
Vorrat unseres Kolonisten ist demnach der Grenznutzen 1/, charak-
teristisch und zwar gleich dem geringsten Bedürfnis, das unbefriedigt
bleibt, wenn er einen kleinen Sack verliert, den er für einen von seinen
3 Papageien bestimmt hatte.
Wir können auch den ganzen Vorrat in 3 großen Säcken darstellen.
So wird sich der Grenznutzen 27/, ergeben. Wie wird jetzt die Grenz-
nutzentheorie die Frage nach dem Wert des Vorrates lösen ?
Die Antwort ist eine zweifache. Einerseits kann man behaupten,
daß der Wert des ganzen Vorrates durch den Grenz-
nutzen des letzten Exemplares bedingt ist. Dann aber
kommt es darauf an, was wir für eine Einheit der Messung annehmen.
Nimmt man in unserem Beispiel 1/, Sack als Einheit an, so ist der
Wert des Vorrats 15 X 1/ = 1?/,; bei der Einheit von 1 Sack ist
der Wert des Vorrates gleich 5 und bei der Einteilung in 3 große
1) Wir finden es nicht überflüssig, zu bemerken, daß wir damit keineswegs meinen,
daß in der Wirklichkeit ein soleher Zusammenhang existiere. Im Gegenteil, ein solcher
existiert nieht; wir nehmen ihn nur, um unser Beispiel zu vereinfachen, da der Gang
der Deduktionen ganz unabhängige von den gegebenen Größen ist.
Miszellen. 243
Säcke wird dieser Wert gleich 3 X 27/4 = 81/,. Die mathe-
matische Grenznutzentheorie sucht sich dadurch zu helfen, daß sie
die den Grenznutzen bestimmende letzte Menge als unendlich klein an-
nimmt. Diese aber hat in Wirklichkeit überhaupt keine wirtschaftliche
Bedeutung; sobald man also mit einer letzten Menge von endlicher
Größe operiert, besteht wieder eine Unbestimmtheit, wie oben.
Man ist so gewöhnt, die Nützlichkeit der Dinge als etwas von
ihren äußeren quantitativen Verhältnissen abhängiges zu betrachten, daß
man das Wort Quantität für selbstverständlich hält und sich nicht
fragt, was eigentlich diejenige Quantität ist, von welcher die Ver-
treter der Grenznutzentheorie sprechen. Man kann z. B. sagen, daß
das Wort Quantität bloß Quantität der Einheiten bedeutet, unabhängig
davon, wie groß die Einheit ist. Man urteilt hier nach Analogie mit
anderen Messungen. So kann man die Höhe eines Gegenstandes ent-
weder als eine große Zahl von kleinen Einheiten oder als eine geringe
Zahl von großen Einheiten betrachten, seine Größe wird dadurch keine
Veränderung erleiden. Ganz anders aber verhält es sich in unserem
Falle; es ist für uns nicht gleichgiltig, ob wir den Vorrat des Kolo-
nisten in unserem Beispiel durch große oder kleine Säcke messen. Wenn
wir die Quantität der Säcke als Quantität von kleinen Einheiten be-
trachten, bekommen wir die Größe des Wertes !/,; wenn wir sie durch
grosse Einheiten messen, erhalten wir die Größe des Wertes 21/,.
Während aber die Einheit im ersten Falle 3mal kleiner und im
zweiten 1?/,mal größer ist, als die ursprüngliche Einheit, ist der Grenz-
nutzen im ersten Falle nicht 3mal, sondern 9mal kleiner, im zweiten
nicht 5/,mal größer, sondern mehr als ®/,mal größer als der ursprüng-
liche. Es ist also in diesem Falle nicht dasselbe, ob wir eine große
oder eine kleine Einheit wählen 1).
Wenn die Grenznutzentheorie von zwei Faktoren, Nützlichkeit und
Seltenheit, sprach, so meinte sie eigentlich nur einen Faktor, nämlich
Quantität der Nützlichkeit. Nützlichkeit ohne Quantität ist ein bloßes
begriffliches Abstraktum und keine Realität. Wenn wir also früher von
drei Faktoren sprachen, schlossen wir uns nur vorläufig der Termino-
logie der Grenznutzentheorie an. In Wirklichkeit giebt es in der
Wirtschaft nur zwei Faktoren, den subjektiven und den objektiven.
Durch den ersten ist das wirtschaftende Subjekt, durch den zweiten das
Milieu, seine äußere Bedingtheit dargestellt. Wenn die Grenznutzen-
theorie den zweiten ursprünglichen Faktor vernachlässigt und ihn nur
später als einen aus ihren Grundsätzen ableitbaren Faktor zu deduzieren
versucht, so fühlt sie doch die Unmöglichkeit, den Wert nur durch
einen Faktor zu bestimmen. Sie muß zwei Faktoren haben und
diese erlangt sie dadurch, daß sie erstens eine Erscheinung von zwei
1) Vel. Komorzinski, Der Wert in der isolierten Wirtschaft, S. 53: „Wir sind zu
dem Schlusse gekommen, daß sieh... in letzter Auflösung als die Folge des zeitweiligen
Wegfalls einer bestimmten Nutzwirkung, je nach der Art und dem Ausmaße dieser
Nutzwirkung ... ein Entgang an Bedürfnisbefriedigungen von verschiedener Art
und Dringlichkeit ergeben wird.“
16*
244 Miszellen.
Seiten betrachtet, als qualitative und quantitative, dann aber dem Wert
Quantität eine andere Bedeutung unterstellt.
In unserem Beispiel besitzt der Kolonist 5 Säcke; sie befriedigen
seine Bedürfnisse und haben als Objekte des Bedürfnisses eine gewisse
Bedeutung — nicht wirtschaftliche Bedeutung — wenn man nicht das
Essen der Mehlspeisen, das Trinken des Branntweins und die Spiele
mit Papageien als Wirtschaft bezeichnet, sondern die Konsumtions-
bedeutung, ohne die keine Wirtschaft möglich ist, die aber keineswegs
das Wesen der Wirtschaft erschöpft. Um jetzt die Thätigkeit des
Kolonisten als etwas von dem Verzehren der Bedürfnisobjekte ver-
schiedenes darzustellen, bedarf die Grenztheorie einer gewissen Eigen-
schaft der Dinge, welche die Vorsorge des Kolonisten hervorruft und
die mit der Nützlichkeit der Objekte nicht identisch ist.
Eine solche Eigenschaft findet sie in der Quantität der Dinge, in-
dem sie jetzt erstens mit dem Worte Quantität nicht dasjenige be-
zeichnet, was sie früher damit benannte (nicht Quantität der Nützlich-
keiten, sondern Quantität der Säcke) und zweitens die ebenso will-
kürliche als falsche Annahme macht, daß die vorsorgliche
Thätigkeit des Kolonisten bei diesen Säcken nur durch
das letzte Exemplar der ganzen Quantität bestimmt werde.
Das einzige aber, was wir von der Wirtschaft des Kolonisten sagen
können, falls er in keinem Verhältnisse zur Gesellschaft oder zur Natur
steht 1), ist nur, daß er für seinen Vorrat sorgt, als bestimmte
Größe aber können wir diese vorsorgliche Thätigkeit
keineswegs darstellen, am wenigsten haben wir ein Recht, zu
behaupten, daß zwischen dieser vorsorglichen Thätigkeit
und der Quantität der Güter ein bestimmter Zusammen-
hang bestehe. Eine solche Behauptung wäre nur dann möglich, wenn
dasjenige, was v. Böhm-Bawerk von der Möglichkeit sagt, ein Gut
zu verlieren, nicht eine bloße mögliche Erscheinung wäre, an die unser
Kolonist wahrscheinlich nie denken wird, sondern eine Erscheinung, die
für seine Wirtschaft eine reale Bedeutung hätte. Nur wenn eine ge-
wisse Gesetzmäßigkeit in dem Verlieren der Objekte vorhanden wäre,
könnten wir die Annahme der Grenznutzentheorie einräumen. In diesem
Falle hätten diese Gesetze des Verlierens in der Wirtschaft des Kolo-
nisten dieselbe Rolle gespielt, welche in der realen Wirtschaft die Pro-
duktions- und gesellschaftlichen Gesetze spielen.
Nehmen wir an, daß auf irgend einem anderen Planeten das wirt-
schaftende Subjekt seine Güter nicht produziert, sondern daß sie ihm
von der Natur geschenkt werden. Nehmen wir weiter an, daß sein
Kampf gegen die Kräfte der Außenwelt darin besteht?), daß diese
Kräfte immer die Tendenz haben, ihn seiner Güter zu berauben, und
daß er auf diese Tendenz stets Rücksicht nehmen mul, um gegen sie
zu kämpfen und so zweckmälig zu wirtschaften. Das jeweilig bedrohte
1) Wir meinen das Verhältnis, das sich in dem Produktionsprozesse äußert.
2) Ohne diesen Kampf wäre überhaupt keine Wirtschaft möglich, sondern nur
Konsumtionsthätigkeit.
Miszellen. 245
Exemplar eines Gutes wäre nach der Anschauung der Grenznutzen-
theorie immer als letzte anzusehen. Nur unter solchen Umständen wären
die Gesetze der Grenznutzentheorie richtig.
Aber auch in diesem Falle wäre der Wert der Güter nicht durch
Nützlichkeit und Seltenheit bedingt, sondern durch Nützlichkeit und
durch dasjenige, was in dieser Wirtschaft als eine Einheit des Gutes
gelten würde Für ein solches wirtschaftendes Subjekt spielte die
objektive materielle Form der Dinge dieselbe Rolle, wie sie in unserer
Wirtschaft die Technik spielt. Die wirtschaftlichen Fortschritte bei
ihm beständen darin, daß es z. B. seine trennbaren Güter in möglichst
kleine Quantitäten zerlegte, um dadurch den geringsten Grenznutzen
und den geringsten Wert seiner Gegenstände zu verwirklichen. Selbst-
verständlich kann aus einer derartigen Phantasiewirtschaft keinerlei
Schlußfolgerung auf unsere reale gezogen werden.
Die zweite mögliche Antwort auf die Frage, wie groß der Wert
der Güter bei unserem Kolonisten sei, besteht darin, daß der Grenz-
nutzen nicht den Wert des gesammten Vorrates bestimmt, sondern nur
derjenigen Einheit, von deren Grenznutzen man in einem bestimmten
konkreten Falle spricht. Unter den Vertretern der Grenznutzentheorie
steht eben v. Böhm-Bawerk einer solchen Vorstellung näher als
andere!). In einer Antwort auf Schäffles Kritik des Wieser’schen
„Ursprung und Gesetze des natürlichen Wertes“ sagt er direkt, daß der
Grenznutzen nicht den gesamten Vorrat, wohl aber ein einzelnes Gut
betreffe. Andererseits aber ist bei v. Böhm-Bawerk auch die ent-
gegengesetzte Meinung nicht ganz ausgeschlossen. Er sagt z. B., daß
man zwischen dem Werte des ganzen Vorrates und demjenigen der
Einheit immer unterscheiden soll, daß aber die Schätzung nach dem
gesamten Vorrate eine seltene Ausnahme bilde, weil „unter der Herr-
schaft der arbeitsteiligen Produktion die geschäftlichen Verkäufe zumeist
aus einem Ueberflusse erfolgen ?).*
Diese Antwort ist aber inkonsequent. Entweder soll man immer
nur von dem Werte einer bestimmten Quantität der aus dem Vorrate
genommenen Güter sprechen, der aber an und fürsich für einen
gegebenen Zustand der Wirtschaft unseres Subjektes
nicht charakteristisch ist, oder von dem gesamten Vorrate.
Man kann behaupten: Aus dem Vorrate unseres Kolonisten besitzt ein
großer Sack den Wert 27/,, ein mittlerer Sack den Wert 1, ein kleiner
den Wert !/,; eine solche Antwort wäre ganz konsequent. Man könnte
diese Antwort noch konsequenter in der Form aussprechen, daß der
Wert des Kornes als solchen bei unserem Kolonisten
1) Am klarsten ist die erste Form der Vorstellung von dem Grenznutzengesetze
bei Wieser ausgedrückt: Der natürliche Wert, Wien 1889, S. 24 „ein Vorrat über-
haupt hat einen Wert, der gleichkommt dem Produkte der Stückanzahl (oder
der Anzahl der Teilmengen) mit dem jeweiligen Grenznutzen ;“ 8.27, „der Wert des
Vorrates bei einem SH
von I 10 11 Gütern
gleich 1X10 Xo RA X vip 6%5 X4 8X3 gë 10X1 TXO
oder 10 24 28 30 30 28 24 18 10
2) Conrad’s HS XIII, 1886, S. 35.
246 Miszellen.,
eine unbestimmte Größe ist, weil die Werte des großen, mittleren
und kleinen Sackes der Quantität des Kornes nicht proportional sind
(das Verhältnis der Quantität 5/4: 1: 1/ = 5:3:1, dasjenige des
Wertes 27/,:1:1/, = 25 : 9 : 1)1).
Inkonsequent ist in dieser Antwort, daß „wir in unserem gewöhn-
lichen praktischen Leben nicht häufig die Gelegenheit haben, die ge-
schilderte Besonderheit wahrzunehmen.“ Warum denn? Wir können
sehr leicht einräumen, daß wir in unserem Wirtschaftsleben den ge-
samten Vorrat nie veräußern, aber, je nachdem wir eine größere oder
geringere Quantität aus unserem Ueberflusse veräußern, bekommen
wir wieder verschiedene Größen des Wertes. Wie ist es nun möglich,
daß wir doch nicht bemerken, in unserer Wirtschaft könne kein be-
stimmter Wert des Kornes oder Eisens sein? Wie kann überhaupt bei
einem unbestimmten Ueberfluß ein bestimmter Grenznutzen, der größer
als O ist, subjektiv empfunden werden ?
Noch mehr Neigung, den Nutzen des letzten Exemplares als eine
malgebende Größe nicht nur für eben dieses Exemplar, sondern auch
für den wirtschaftlichen Zustand des Subjektes überhaupt zu betrachten,
zeigt v. Böhm-Bawerk in folgender Bemerkung?): „Die Menschen
können die Schätzungseinheit nicht nach Willkür wählen, sondern die-
selben äußeren Umstände, die sie überhaupt zu einer Wertschätzung
gegenüber einer Güterart veranlassen, enthalten zugleich ein völlig
zwingendes Gebot darüber, über welche Quantität sie eine einheitliche
Wertschätzung zu fällen haben.“ Bedeutet dieser Satz nicht, daß bei
gegebenem Zustande der Wirtschaft nur ein einziger Wert auch
des Gütervorrates möglich ist? Die Behauptung übrigens, daß die
für jede Güterarbeit bei der Schätzung anzunehmende Mengeneinheit
durch die Umstände zwingend bestimmt sei, bleibt gänzlich unbewiesen.
Jedenfalls aber darf man eine bestimmte Antwort auf die Frage ver-
langen, wie groß denn nach v. Böhm-Bawerk’s Ansicht der Wert
des Vorrates bei einem gegebenen Grenznutzen sei).
1) Der Wert ist unbestimmt in dem Sinne, daß wir in ihm unser not-
wendiges Merkmal des Wertes nicht finden. Ich kann z. B. nicht von
dem Korne des Kolonisten sagen, daß bei ihm der Wert von !/,, des Vorrats eine be-
stimmte Größe darstellt; denn wenn ich es als 1/, des letzten Exemplares mit dem
Grenznutzen 1 betrachte, kann ich sagen, daß sein Wert gleich 1/, ist, wenn ich es
aber als letztes Exemplar betrachte, ist es !/,, endlich als !/, eines Exemplares mit
A 5
en
2) Conrad’s Jahrbücher, Bd. 13, 1886, S. 16. „... habe ich ein Pferd zu kaufen,
so wird es mir nicht einfallen, mir ein Urteil zu bilden, wie viel 100 Pferde, oder wie
viel alle Pferde der Welt für mich wert wären ... sondern ich werde natürlich ein
Werturteil über ein Pferd fällen.“
3) Obgleich die Unrichtigkeit der Voraussetzungen der Grenznutzentheorie, nämlich
die ihrer Methode, mit dem Fortfall des letzten Exemplares zu operieren, schon durch
Komorzinsky entdeckt wurde, hat nur Stolzmann mit voller Konsequenz diesen Gedanken
entwickelt. Wir halten es daher für notwendig, seine Meinungen über das „letzte
Exemplar“ und die „Gütereinheit" zu ceitieren. Stolzmann, Die sociale Kategorie
(Berlin 1896):
N. 259. „Hier sei nur darauf hingewiesen, daß der Fortfall des Gutes ... noch
die mißliche und verhängnisvolle Konsequenz zu Wege bringt, daß je nachdem eine
Grenznutzen 27/, ist es 27/
Miszellen. 247
IV.
Wir gehen nun zur Lehre von den Gütern der höheren Ordnungen über.
Da wir von demjenigen, was v. Böhm-Bawerk bisher mit dem
Worte „Wert“ bezeichnete, zweierlei Vorstellungen haben, — einerseits
als von einer Größe, die nur bei einer gewissen ganz willkürlichen An-
nahme eine bestimmte Größe darstellt, andererseits aber als von einer
Größe, die überhaupt keine bestimmte Größe sein kann, fühlen wir uns
gedrungen, die Frage genauer zu prüfen, was denn eigentlich die Be-
hauptung v. Böhm-Bawerk’s bedeutet, daß der Wert der Güter
höherer Ordnungen durch denjenigen der niederen Ordnungen bestimmt
ist. Will er damit sagen, daß man zwischen Gütern höherer und denen
niederer Ordnungen den Zusammenhang ebenfalls nur unter gewissen
Voraussetzungen feststellen kann? Oder will er sagen, daß man den
Zusammenhang zwischen diesen Gütern ohne jegliche Voraussetzungen
der Grenznutzentheorie festzustellen im Stande ist und dann mit der
gesamten Erscheinung, ohne das Verhältnis ihrer einzelnen Glieder zu
berücksichtigen, dieselben Operationen machen kann, die uns die Grenz-
uutzentheorie empfiehlt.
Wenn man sich tiefer in diese Erscheinung hineindenkt, bemerkt
man, daß zwischen denjenigen Gütern, welche die Grenznutzentheorie
als Güter verschiedener Ordnungen bezeichnet, immer ein gewisser Zu-
sammenhang existiert, der ganz objektiv ist, d. h. mit menschlichen Be-
dürfnissen absolut nichts zu schaffen hat. Wenn ich aus a Quantitäten
Korn b Quantitäten Branntwein zu produzieren im Stande bin, wird
das Verhältnis zwischen diesen zwei Gütern unter denselben technischen
Bedingungen immer dasselbe bleiben, wie sich meine Bedürfnisse auch
gestalten möchten. Es ist also möglich, daß zwischen den Gütern in
dem Vorrate eines Wirtes gewisse quantitative Verhältnisse existieren
und zwar Verhältnisse, die ganz bestimmte Größen darstellen, welche
einerseits ganz unabhängig davon sind, ob wir die absoluten Quantitäten
solcher Güter groß oder klein nehmen und andererseits ohne jede will-
kürliche Annahme existieren, nämlich nicht nur als denkbare, sondern
auch als reale Zustände.
In diesen Eigenschaften der „Güter höherer Ordnungen“ finden
wir also jene Merkmale des Wertes, die wir als notwendige bezeichneten
und die den Gütern „erster Ordnung“ unter den Voraussetzungen der
Grenznutzentheorie fehlen. Wir konstatieren ebenfalls, daß alle diese
Merkmale durch objektive Eigenschaften der Gegenstände bedingt sind.
Dieser Umstand zwingt uns, wieder zu den betrachteten Beispielen der
größere oder geringere Menge desselben Gutes als fortfallend gedacht wird, der Grenz-
nutzen, damit die Werteinheit und auch der Wert des ganzen Vorrates ... ganz ver-
schieden ausfällt, oder ... das gegenseitige Wertverhältnis der Güter nicht jedesmal
einen konstanten Größenausdruck darstellt.“ S. 261. „Das Wort „Gütereinheit“
ist nun aber leider trivial, man denkt dabei unwillkürlich an die Gewichtsgrößen, ...
Mengen, wie z. B. Pfund, Centner ... worin die betreffenden Güterarten im praktischen
Leben gemessen werden. Aber die Einheit in diesem Sinne kann ja v. Wieser nicht
meinen, das wäre eine unzulässige „Materialisierung“, „Objektivierung“ des Wertes.“
248 Miszellen.
Grenznutzentheorie zurückzukehren. Nun können wir an ihnen eine
neue Beobachtung machen.
In allen diesen von v. Böhm-Bawerk gegebenen Beispielen ver-
steht sich nämlich der Umstand von selbst, daß, wenn hier überhaupt
Wert möglich ist, er von den konkreten Bedürfnissen, die
die verschiedenen Güter gewöhnlich befriedigen, ganz
unabhängig ist. Die Grenznutzentheorie nahm diese Erscheinung
als Basis ihres Grenznutzengesetzes, ohne sie genauer zu prüfen
Wenn sie aber diese Erscheinung geprüft hätte, hätte sie jedenfalls
bemerken müssen, daß das einzig Unzweifelhafte in dem Grenznutzen-
gesetze auch durch objektive Eigenschaften der Dinge hervorgerufen
ist. Die Güter können gleichen Wert besitzen, obgleich sie ver-
schiedene konkrete Bedürfnisse befriedigen, eben dadurch, daß sie als
objektive Werte, als Quantitäten von „Heizwert“, „Nährwert“ etc.
gleich sind.
Gehen wir weiter. Ohne dasjenige, was in den Beispielen v. Böhm-
Bawerk’s durch die objektiven Eigenschaften der Gegenstände be-
dingt ist, bleibt alles Uebrige entweder unbestimmt oder nur bei ge-
wissen ganz willkürlichen Annahmen bestimmt.
Jetzt fragen wir uns, ob nicht auch für diejenigen Güter, von
denen v. Böhm-Bawerk spricht, gewisse Bedingungen möglich sind,
unter denen sie auch etwas Konstantes bilden und keiner willkürlichen
Annahme bedürfen, um als bestimmte Größen zu erscheinen.
Wir können schon feststellen, daß in den von Böhm-Bawerk
gewählten Beispielen dasjenige Merkmal der Wirtschaft fehlt, welches
für jede Wirtschaft notwendig ist, nämlich die Thätigkeit des
wirtschaftenden Subjektes. Man kann nicht jede Thätigkeit
des Menschen als Produktion bezeichnen, man darf‘ aber auch nicht
vergessen, daß auch der Wilde seine Bedarfsgegenstünde nicht etwa schon
zubereitet von der Natur bekommt. Ein Vorrat von Gütern ist nicht
nur für den Menschen, sondern auch für jedes lebende Wesen nur als
Resultat einer gewissen Thätigkeit möglich. In dieser Thätigkeit aber
operiert jeder Mensch mit objektiven Eigenschaften der Dinge und
seine Thätigkeit selbst ist als etwas Objektives zu betrachten.
Es ist also wohl möglich, daß, abweichend von den Beispielen
Böhm-Bawerk’s, bei jeder realen Wirtschaft das wirtschaftende Sub-
jekt die Gegenstände der Bedürfnisse als Größen betrachtet, deren
Schätzung nicht nur mit dem Nutzen, sondern auch mit dem Grenz-
nutzen nichts gemein hat. :
In diesem letzteren Falle ist die Behauptung, daß der Wert der
Güter höherer Ordnung durch denjenigen der Güter niederer Ordnung
bestimmt ist, durchaus falsch. Wenn wir mit dem Worte Wert das-
jenige Unbestimmte oder unter gewissen willkürlichen Voraussetzungen
1) „Alle noch so verschiedenen Nutzanwendungen, sind danach in ihrem Objekte
gleichwertig, das Wichtigste ist thatsächlich nieht mehr wert, wie das Unwichtigste.
In diesem Sinne ist also die Grenznutzenlehre in Wahrheit nicht eine Erfüllung, sondern
eine Negation, eine Widerlegung der Nutzwerttheorie.“ Stolzmann, Die soziale Kategorie,
S. 265—66,
Miszellen. 249
Bestimmte bezeichnen, was die Grenznutzentheorie damit benennt, dann
hängt der Wert der Güter höherer Ordnung von demjenigen der niederen
nur insoweit ab, als er etwas Unbestimmtes oder nur unter gewissen
Voraussetzungen Bestimmtes bildet. Alles aber, was wir in dieser Er-
scheinung als konstant und ohne alle Voraussetzungen als Realität
existierend finden, ist von Bedürfnissen ganz unabhängig und durch
objektiv-technische Eigenschaften dieser Gegenstände bedingt. Falls
wir mit dem Worte Wert auch etwas Konstantes und ohne fiktive
Voraussetzungeu Existierendes bezeichnen wollen, möchten wir besser
sagen, daß der Wert der Güter niederer Ordnung nur
dann möglich ist, wenn für siegleichartige Bedingungen
und Verhältnisse vorhanden sind, wie wir sie in Bezug
auf das Verhältnis der Güter verschiedener Ordnungen
konstatierten.
Nehmen wir zur Erläuterung dieser Verhältnisse an, daß ein Mensch
einen Vorrat eines Rohstoffes besitzt, aus dem er zwei Arten von Ge-
brauchsgütern, A und B herstellt und zwar von jedem 4 Mengen-
einheiten. Der Nutzen von A sei durch die Skala 7, 5, 3, 1 gemessen,
der von B durch die Skala 31/,, 21/,, 11/,, 1/,. Die Produktion
soll unter solchen technischen Bedingungen stattfinden, daß aus derselben
Quantität Rohstoff, aus der eine Einheit von A hergestellt wird, auch
eine Einheit produziert von B werden kann.
Jetzt wird die Grenznutzentheorie behaupten, daß der Wert jeder
Einheit von A wie auch der Wert jeder Einheit von B gleich !/, wird.
Was bedeutet diese Behauptung? Sie bedeutet einerseits, daß, wenn
wir mit der Wirtschaft unseres Subjektes nach den Vorschriften der
Grenznutzentheorie verfahren, wir am Ende zu dem Resultate kommen,
daß ein Bedürfnis unbefriedigt bleibt. Sie bedeutet aber außerdem noch, daß
eine Einheit von B ebenso viel Bedeutung hat, wie eine Einheit von A.
Während man erstere Erscheinung als den Wert allein unter der An-
nahme bezeichnen kann, daß die vorsorgliche Thätigkeit des Subjektes
nur das letzte Exemplar betrifft, ist die zweite Erscheinung unzweifel-
haft mit dem Werte der Güter eng verknüpft, weil für jedes wirt-
schaftende Subjekt die Güter gleiche Bedeutung. haben, wenn er bei
gleichen Bedingungen das eine so gut wie das andere bekommen kann.
Erklärt uns nun aber die subjektive Werttheorie überhaupt etwas
von der Erscheinung, daß eine Einheit von A ebenso viel Wert hat
wie eine Einheit von B? Absolut nicht. Aus der Skala der Bedürf-
nisse können wir nur sehen, daß der Grenznutzen von A gleich 1 und
derjenige von B gleich 1/, ist. Welche Quantität eines Gutes gleiche
Bedeutung hat, wie eine bestimmte Quantität eines anderen Gutes, ent-
scheiden nur die Verhältnisse der Technik.
Nehmen wir an, daß die Technik sich so verändert, daß der Ko-
lonist aus demselben gesamten Rohstoffvorrat dieselbe Quantität von
Gütern zu produzieren im Stande sei, aber daß eine Einheit von A jetzt
zweimal so viel Rohstoff erfordere, wie eine Einheit von B!). Wie
wird sich jetzt die Grenznutzentheorie verhalten ?
1) Z. B. während früher 6 Rohstoffeinheiten sich auf 3 A und 3 B verteilten
250 Miszellen.
Sie wird sich keineswegs an ihre Skala wenden, um daraus zu er-
sehen, wie es nun mit dem Werte der Güter steht; wenn sie das thun
würde, so könnte sie nur konstatieren, daß die Quantitäten der Güter
gleich geblieben sind, und da die Bedürfnisse auch gleich geblieben
sind, so hat sich auch der Grenznutzen nicht geändert, damit aber auch
dem Anscheine nach der Wert nicht 1).
Wo also irgend welche Ursachen zweien Gegenständen gleiche Be-
deutung für die Wirtschaft des Subjektes erteilen, nimmt die Grenz-
nutzentheorie diesen realen Zusammenhang, ohne sich darum zu kümmern,
daß diese Art von Bedeutungen der Güter etwas qualitativ Verschiedenes
ist von demjenigen, was sie ihrerseits als die Bedeutung der Güter be-
zeichnet?). Das erstere ist etwas Reales und Objektives, das letztere
ist entweder nur etwas Mögliches oder, wenn es auch etwas Reales
darstellt, so liegt es außer dem Gebiete der wirtschaftlichen Thätigkeit
und zwar auf demjenigen der Konsumtionsthätigkeit. Falls aber die
eine und die andere „Bedeutung“ zwei qualitativ verschiedene Er-
scheinungen darstellen, müssen wir entweder das eine oder das andere
als ökonomischen Wert bezeichnen, sonst werden wir alle Erscheinungen
verwirren, in denen wir diesen Terminus gebrauchen, ohne damit zu
bezeichnen, was wir eigentlich unter dem Worte Wert verstehen.
Man soll also entweder behaupten, daß der Vorrat für unseren
Kolonisten keinen Wert hat, wenn er aus ibm nie ein Exemplar ver-
lieren wird. Und weil dann die verschiedenartigen Gegenstände keinen
Wert haben, können wir von ihnen nur in diesem Sinne sagen, daß sie
gleichen Wert besitzen. Oder aber wir können behaupten, daß die
Gegenstände innerhalb der Wirtschaft einen bestimmten Wert besitzen,
dann aber müssen wir diejenige Erscheinung, die die Vertreter der
Grenznutzentheorie als Wert bezeichnen, mit einem anderen Worte aus-
drücken. Dies Wort ist Nützlichkeit; der „Wert“ der Grenznutzen-
theorie ist nichts Neues im Vergleich mit „Nützlichkeit,“ sondern nur
dieselbe Erscheinung in einer besonderen Auffassung und mit einem
anderen Worte bezeichnet. Man kann uns einwenden, daß wir dennoch
einräumen müssen, daß der Wert der Produktivgüter durch denjenigen
der Genußmittel bestimmt sei. Keineswegs. Wenn wir dasjenige, was
die Grenznutzentheorie als Wert bezeichnet, nur als Nutzen bezeichnen,
wird es absolut unmöglich, den Wert der Produktivgüter durch den der
Genußgüter (d. h. den Nutzen) zu bestimmen, weil wir unter dem Namen
„Wert der Produktivgüter“ nicht nur den Nutzen, sondern auch etwas
anderes verstehen.
wird jetzt jede Einheit von A */, und jede Einheil von B ?/, Rohstoffeinheiten er-
fordern; dabei ist aber 3X %/, + 3 X */, wieder = 6.
1) Vgl. ein solches Beispiel bei Dietzel. Conrad’s Jahrbücher 1890, Bd. 20, 1890,
Die klassische Werttheorie und die Theorie vom Grenznutzen (493).
2) In unserem Beispiele wird sie bloß annehmen, daß eine Einheit des Ersteren
Gutes so viel Wert hat, als zwei Einheiten des Zweiteren, wie sie auch jedes beliebige
andere Verhältnis zwischen Werten dieser Güter annehmen könne. Dann wird sie die
beiden gleichen Größen nach der kleineren aus zwei ungleichen Größen des Nutzens
bemessen und diese Operationen als Erklärung der Veränderung in dem Werte der Güter
bezeichnen.
Miszellen. 251
Was die Vertreter der Grenznutzentheorie als den Wert der Ge-
nußgüter hezeichnen, und was in Wirklichkeit nur Nutzen ist, ist nur
Bedingung des Wertes, wie schon die Klassiker und Sozialisten be-
haupteten. Damit aber der Wert d. h. die bestimmte ökonomische
Bedeutung der Güter entstehe, müssen die Dinge außer der Nütz-
lichkeit, wie wir sehen, auch gewisse objektiv-technische Eigenschaften
oder Beziehungen besitzen, weil diese Eigenschaften eben die Größen
sind, mit denen jedes wirtschaftende Subjekt operiert und welche mit
den Größen der Nützlichkeit der Dinge nichts gemeinsam haben.
Wir haben diese Eigenschaften oder Verhältnisse hier nur bei den
Gütern höberer Ordnungen vorgefunden, weil wir der Auseinandersetzung
Böhm-Bawerk’s folgend mit dem ganzen Vorrate des wirtschaftenden
Subjektes als mit einer gegebenen Größe opererierten, und daher den
objektiven Zusammenhang nur zwischen den Gliedern dieses Vorrates
konstatieren konnten, von den objektiven Eigenschaften des gssamten
Vorrates aber nichts Bestimmtes erfuhren. Diese Annahme Böhm-
Bawerk'’s ist aber nicht zutreffend. Kein Mensch, weder Wilder noch
Civilisierter, bekommt seinen Vorrat fertig geliefert 1). Er muß ihn der
Natur abringen, wobei er es mit den -„bjektiven Eigenschaften der
Dinge zu thun hat. Damit aber verschwindet der Unterschied zwischen
Gütern verschiedener Ordnungen, weil die Güter aller Ordnungen auch
gewisse objektive Eigenschaften und Verhältnisse zur Außenwelt haben
und der Wert nicht ihr Nutzen, sondern etwas anderes ist.
V.
Wir gehen nunmehr zur letzten Frage über, zur Frage von dem
objektiven Tauschwert. Wenn die Grenznutzentheorie im Stande ist, aus
der Nützlichkeit der Dinge und aus ihrer Quantität einen bestimmten
Tauschwert abzuleiten, so werden wir zugeben, daß diese Theorie, wenn
nicht die Erscheinungen innerhalb der isolierten Wirtschaft, so doch
diejenige in der Gesellschaft erklärt und in diesem letzten Sinne Be-
deutung hat.
Prüfen wir also den Fall des isolierten Tausches. Bei v. Böhm-
Bawerk finden wir diesen Fall in komplizierter Form, weil Käufer
und Verkäufer nicht Austausch mit Produkten treiben, sondern Geld
geben und Waren bekommen. Nehmen wir an, daß nur Austausch von
Waren gegen Waren stattfinde.
Bei dieser Annahme finden wir wieder, daß in den von v. Böhm-
Bawerk gegebenen Beispielen dasjenige den Deduktionen zu Grunde
gelegt ist, was man eben beweisen sollte. Es soll nämlich bewiesen
werden, daß, wenn die Tauschenden bestimmte Quantitäten besitzen, der
Austausch zwischen ihnen nur nach einem einzigen quantitativen Ver-
hältnisse der auszutauschenden Objekte möglich ist. Das beweist aber
v. Böhm-Bawerk nicht; ihm ist die Thatsache nicht unbekannt, daß,
je nachdem man das eine oder das andere „letzte Exemplar“ wählt,
1) Es ist selbstverständlich, daß wir nicht von dem Menschen in der Gesellschaft
sprechen, wo es sehr oft der Fall ist.
259 Miszellen.
man ganz verschiedene Größen des Grenznutzens bekommt!). Das
Einzige aber, was er über diese Erscheinung sagt, ist, daß wir nicht
beliebig das letzte Exemplar wählen können. Diese Behauptung trifft
nicht zu: in den meisten Fällen können wir dies Exemplar nach Will-
kür bestimmen; es unterliegt aber keinem Zweifel, daß es in gewissen
Fällen nicht möglich ist und zwar in allen jenen Fällen, wo wir ein
einziges Exemplar eines unteilbaren Gutes besitzen. Es ist nicht Zufall,
daß v. Böhm-Bawerk als Beispiel für seine Behauptung das Gut-
Pferd wählt und, daß in seinem Falle des isolierten Tausches wieder
ein Pferd figuriert, weil das Pferd eben ein solches Gut ist. In diesem
Beispiele ist also die „Quantität“ eines der auszutauschenden Güter fest-
gestellt: unser Wirt könnte entweder die „Quantität“ ein Pferd sich
verschaffen, oder auf die Quantität ein Pferd verzichten. Als ein
anderes Gut wählt v. Böhm-Bawerk Geld, d. h. ein Gut, daß wir
nicht als Gebrauchsgegenstand, sondern als Maßstab des Wertes schätzen.
Dieser Umstand erleichtert es ihm, auch ein anderes der auszutauschenden
Objekte als eine bestimmte Größe zu fixieren — jedem ist bekannt,
daß der Wert des Geldes seiner Quantität proportional ist. Nach
solchen Voraussetzungen beweist v. Böhm-Bawerk, daß im Falle des
isolierten Tausches, obgleich der Preis (und damit der objektive Tausch-
wert) unbestimmt wird, er doch nur in gewissen Grenzen sich bewegen
kann, und zwar in den Grenzen, die durch subjektive Wertschätzungen
der austauschenden Subjekte bestimmt sind. Sobald die Zahl der aus-
tauschenden Personen größer wird, werden diese Grenzen immer enger,
bis in dem Falle des beiderseitigen Wettbewerbes sehr zahlreicher
Käufer und Verkäufer die subjektiven Wertschätzungen der Grenzpaare
den Preis des Gutes (und damit auch seinen objektiven Tauschwert)
fest bestimmen. Die subjektiven Wertschätzungen der Grenzpaare
bilden also im Tausche dasjenige Feste, was entweder die Grenzen be-
stimmt, innerhalb deren die Unbestimmtheit möglich ist, oder selbst
diese bestimmten Größen bedingt.
In allen Fällen aber, in denen dasjenige, was v. Böhm-Bawerk
für das Bestimmte hält, sich als etwas Unbestimmtes erweist, wird im
Tausche alles unbestimmt. Die einzig mögliche Folgerung wird dann
sein, daß in diesen Fällen kein bestimmter Preis und kein bestimmter
Tauschwert möglich ist. Um beweisen zu können, daß eben das letztere
der Fall ist, wählen wir das Grenzpaar, indem wir nicht zu vergessen
bitten, daß, was das Grenzpaar betrifft, auch für alle anderen
Paare gilt.
Zwei Subjekte also tauschen Objekte ihrer Bedürfnisse, wobei beide
gleiche Bedürfnisse ?), aber ungleichen Besitz an Bedürfnisobjekten haben.
Nehmen wir an, daß A die Quantität a eines beliebig teilbaren Gutes X
besitzt, dessen Gesamtnutzen gleich 20 ist, B aber die Quantität b
eines ebenfalls beliebig teilbaren Gutes Y, dessen Gesamtnutzen 14 ist.
Die Grenznutzentheorie behauptet, daß zwischen dem Y und dem X
1) Conrad’s Jahrb., Bd. 13, 1856 (S. 16). Siehe das bezügliche Citat S. 246.
2) Es ist diese Annahme bei dem Grenzpaar beinahe richtig.
Miszellen. 253
nur ein einziges quantitatives Tauschverhältnis möglich ist!) Diesen
Satz beweist sie in folgender Weise, Nehmen wir an, daß A eine be-
stimmte Quantität, 1/,a X gegen Y verkaufen will, während B 1/,b Y
gegen X zu verkaufen bereit ist. Wenn der Nutzen des Gutes X durch
die Skala 10, 6, 3, 1 und der Nutzen des Gutes Y durch die 5, 4, 3, 2
dargestellt wird, bekommen wir folgendes Resultat. A wird sehr gern
bereits sein. 1/,a X abzugeben, weil er den Nutzen 1 verliert und
Nutzen 5 gewinnt, auch die zweite Tauscheinheit des Gutes X wird er
austauschen wollen, weil für ihn der Nutzen 4 des Y anstatt des
Nutzens 3 des X einen Gewinn bringt. Die dritte Einheit Y wird er
aber keineswegs abgeben, weil Nutzen 6 für ihn mehr Bedeutung hat
als Nutzen 3. Andererseits wird B sehr gern zwei Einheiten aus seinem
Vorrate von Y abgeben wollen, um für den Nutzen 2 und 3 den Nutzen
10 und 6 einzutauschen. Wenn also A dem B vorschlägt, zwei Tausch-
einheiten (!/,a + 1/,a) von X in Austausch für zwei Einheiten
(1/ b + 1/,b) von Y zu geben, wird B darauf gerne eingehen, und da
für den einen sowohl wie für den anderen den Austausch fortzusetzen
keinen Sinn hat, wird der Austausch enden. Diesem Beispiele gemäß
scheint es, als ob die Mengen der ausgetauschten Objekte immer eine
bestimmte Größe darstellen müßten, wobei nur angenommen wird, daß
der Besitzzustand beider Teile und ihre Bedürfnisse sich nicht ändern.
In der That aber ist die Sache umgekehrt. Nur weil wir voraus-
gesetzt haben, was bewiesen werden sollte, wurde eine bestimmte Ant-
wort möglich. Wir haben in diesem Beispiele mit den Quantitäten
!/,a und !/,b operiert, als ob es in der Wirtschaft wirklich gewisse
„letzte Exemplare“ gäbe und zugleich angenommen, daß diese sich gegen
einander austauschen. Weil aber das „letzte Exemplar“ keine Realität
ist, sondern nur ein Hilfsmittel, womit die Grenznutzentheorie ihren
Sätzen einen Anschein von Wahrheit verschafft, können wir mit gleichem
Rechte behaupten, daß der Vorrat von A aus zwei Tauscheinheiten des
Gutes X besteht. Das „letzte Exemplar“, d. h. hier, die letzte
durch Maß oder Gewicht bestimmte Tauscheinheit, wird dann den
Grenznutzen 4 darstellen. Für A ist es ebenso möglich, daß er dieses
neue „letzte Exemplar“ von X für das alte des Gutes Y giebt, weil er
dann anstatt des Nutzens 4 den Nutzen 5 bekommt. Auf die zweite
Menge mit dem Nutzen 16 wird er aber nie verzichten. B aber seiner-
seits wird für die letzte Einheit dieser Art von X keineswegs mehr als
eine seiner Einheiten geben, da diese Einheit von X für ihn weniger
Nutzen (4) als zwei seiner Einheiten von Y besitzt.
Der Austausch zwischen beiden Subjekten kann also nur statt-
finden, wenn im Voraus ein Mengenverhältnis für denselben angenommen
wird und er wird verschieden sein, je nachdem wir den Vorrat des
Subjektes A durch zwei oder vier Tauscheinheiten darstellen, also die
auszutauschenden Mengeneinheiten größer oder kleiner annehmen, Im
1) Vergessen wir nicht, daß die Bedürfnisse unserer Subjekte gleich sind. Unser
Fall unterscheidet sich also von dem, mit welchem Böhm-Bawerk seine Auseinander-
šetzung angefangen hat, wo die subjektiven Wertschätzungen verschieden sind und eben
dadurch der Preis zwischen ihnen als zwischen den Grenzen schwanken kann.
254 Miszellen.
ersten Falle wird das Verhältnis der ausgetauschten Produkte !/, a: 1/,b
= a: b; im zweiten 1/,a:1/,b = 24:b!).
Der Wert der auszutauschenden Einheiten wird nur dann eine be-
stimmte Größe darstellen, wenn alle Verkäufer nur unteilbare Güter-
exemplare besitzen. Eben dadurch aber, daß Böhm-Bawerk nicht
vom Gesamtnutzen, sondern vom Grenznutzen spricht, beweist er, dal
er seine Behauptung auch auf alle Fälle ausdehnt, in denen die aus-
tauschenden wirtschaftenden Subjekte bestimmte kontinuierliche Quanti-
täten von Gütern besitzen.
Wir unsererseits wollen nur darauf aufmerksam machen, daß in
allen Fällen, wo die Menschen in ein solches Verhältnis zu den Gütern
gestellt sind, daß sie keine Thätigkeit ausüben und mit den Gütern nur
wie mit Quantitäten der Nützlichkeit operieren können (z. B. in der
Zeit einer Mißernte oder während der Belagerung einer Stadt) die Preise
immer schwanken. Wir schließen nach Analogie dieser realen Fälle,
daß die Preise in ewiger Bewegung sich befinden würden, falls der
ideelle Zustand, welchen die Grenznutzentheorie schildert, sich ver-
wirklichte, was auch a priori aus unserer Untersuchung des Wesens der
Nützlichkeit und des Wertes folgt. E
Die „Grenzen“ der Grenznutzentheorie sind also keine bestimmte.
Aus den Bedürfnissen der wertschaffenden Subjekte
einen bestimmten Tauschwert abzuleiten, ist durchaus
unmöglich.
Fassen wir unsere Ergebnisse der Kritik der Grenznutzentheorie
zusammen. Die Behauptungen der Grenznutzentheorie, daß aus den sub-
jektiven Wertschätzungen bei gegebenen Bedürfnissen und Quantitäten
der Güter eine bestimmte Größe des Tauschwertes entsteht, ist nicht
richtig und zwar wegen ihrer Voraussetzungen. Unrichtig ist nämlich
die Behauptung, daß die vorsorgliche Thätigkeit nur durch das letzte
Exemplar des Gutes bestimmt sei. Diese Annahme, welche die ganze
unhaltbare Schlußfolgerung im Gefolge hatte, resultierte ihrerseits aus
der unrichtigen Annahme, daß der Wert der Güter nur durch ihre
Nützlichkeit und Quantität bedingt ist. Diese zweite ist ihrerseits
wiederum ein Resultat einer dritten falschen Annahme, daß der ükono-
mische Forscher der objektiven Seite des Wertes keine Beachtung zu
schenken habe. Wir sehen also, daß die ganze Lehre der
Grenznutzentheorie auf unhaltbaren Annahmen beruht.
Wo die Grenznutzentheorie mit den objektiv gegebenen Größen
operiert, wie z. B. in der Frage über die Güter höherer Ordnungen, ist
sie im Stande, diese durch gewisse Kombinationen ihrer Lehre anzu-
passen. Wo aber solche nicht vorhanden sind, kann sie mit subjektiven
1) Vgl. Scharling, Werttheorie und Wertgesetz, Conrad’s Jahrb., 1888, Bd. 16,
S. 520: „Wenn nun die Besitzer von Korn gern 11 Pfd. Korn für 1 Pfd. Fleisch geben
wollten, während die Besitzer von Fleisch mit 9 Pfd. Korn für 1 Pfd. Fleisch zufrieden
sind, so kann der Tasch ebenso gut nach dem Verhältnis 1:9 wie 1:11 stattfinden
— und was bestimmt denn, ob es das eine oder das andere wird, oder vielleicht die
Mitte zwischen beiden und der Tausch sich auf 1 : 10 stellt?“
Vgl. auch, Principles of Economies Marshall. Note on Barter S. 395.
Miszellen. 255
Größen allein nichts ausrichten. In der isolierten Wirtschaft giebt es
‘ gewisse Gesetze, welche denen des Tauschwertes entsprechen, Gesetze,
die bestimmen, welche Quantität eines Gutes man von der Natur be-
kommen kann anstatt einer bestimmten Quantität anderer Güter 1.
Diese Gesetze ignoriert die Grenznutzentheorie, indem sie den
Menschen nur von seiner subjektiven Seite betrachtet und sie berührt
sie nur teilweise in der Lehre von den Gütern höherer Ordnungen.
Damit aber hat sie sich die unlösbare Aufgabe gestellt, einen ursprüng-
lichen Faktor (den objektiven) aus einem anderen ursprünglichen (dem
subjectiven) abzuleiten. Somit ist es kein Wunder, daß sie die Frage
von dem Werte der Güter nicht lösen kann. In allen Fällen, wo sie
dieselbe zu lösen versucht, führt sie entweder unvermerkt einen objek-
tiven Faktor ein, oder sie setzt eben das, was sie beweisen sollte, voraus.
So verfährt sie in allen Fällen, wo entweder Zufall oder eine andere
objektive Ursache (z. B. die materielle Form des Objektes) die Quantität
dieses Objektes fixiert.
Die richtige Theorie der reinen Oekonomik soll beide Faktoren —
den objektiven und den subjektiven — berücksichtigen, sonst kann sie
nie als eine Einleitung in die Sozialökonomik dienen.
Die dargestellte Kritik der Grenznutzentheorie betrachten wir nur
als eine Einleitung zu einem solchen Versuche, ein System der reinen
Oekonomik aufzubauen.
1) Vgl. Seligman, Social elements in the theory of value, The Quart. Journ. of
economies, p. 327: „It is not strictly accurate to say, that the original idea of value is
independent of exehange. It is independent of exchange as between man and man ; but
it is not independent of exchange as between commodity and commodity, between want
and want. Crusoe exchanges in his mind apples und nuts in estimating their value to
him. The value in use is thus really only one kind of value in exchange, although it
is a peculiar kind of exchange.“
256 Miszellen.
IV.
Preisaufgaben der Rubenow-Stiftung.
1) Ernst Moritz Arndt in den Jahren 1806—1815.
Es wird gewünscht nähere Aufklärung der äußeren Lebensumstände
des Mannes, insbesondere seiner Beziehungen zu bestimmten Kreisen,
z. B. während seines Berliner Aufenthaltes Anfang 1810, sowie seiner
patriotischen Schriftstellerei nach Plan und Wirkung während der
französischen Herrschaft in Deutschland. Vorausgesetzt wird Aufspürung
und Verwertung neuer Materialien.
2) Eine kritische Ausgabe der deutschen Pomerania im Anschluss
an die Edition der Pommerschen Chroniken Kantzow’s von G. Gaebel.
(Stettin 1897/88.)
3) Entwickelung der Landwirtschaft in Pommern nach der Bauern-
befreiung.
Es sind die wirtschaftlichen Folgen der verschiedenen Maßregeln
der Bauernbefreiung von 1811—1857, insbesondere der veränderten
Grundbesitzverteilung, für die landwirtschaftliche Produktion, Ver-
schuldung, Arbeiterfrage etc. in der Provinz Pommern an einer ge-
nügenden Anzahl einzelner Güter und Bauernhöfe eingehend zu unter-
suchen und dabei namentlich die Wirkungen für die bäuerlichen
Wirtschaften einer- und die großen Güter andererseits auseinander-
zuhalten. Die vorhergegangene Entwickelung auf den Domänen soll
wenigstens einleitungsweise behandelt und die ganze Untersuchung
zeitlich so weit ausgedehnt werden, daß auch die Wirkungen der
letzten Maßregeln von 1850—1857 erkenntlich werden, also ungefähr
bis zum Ende der 60er Jahre, bis zum Beginn der modernen Agra-
krisis. Die Lehren, welche sich für letztere etwa aus der betrachteten
Entwickelung ergeben, würden dann den naturgemäßen Schluß bilden.
Die Bewerbungsschriften sind in deutscher Sprache abzufassen.
Sie dürfen den Namen des Verfassers nicht enthalten, sondern sind mit
einem Wahlspruche zu versehen. Der Name des Verfassers ist in
einem versiegelten Zettel zu verzeichnen, der außen denselben Wahl-
spruch trägt.
Die Einsendung der Bewerbungsschriften muß spätestens bis zum
1. März 1906 an uns geschehen. Die Zuerkennung der Preise erfolgt
am 17. Oktober 1906.
Als Preis für jede der 3 Aufgaben haben wir 1800 M. festgesetzt.
Greifwald, im Dezember 1901.
Rektor und Senat
hiesiger Königlicher Universität.
Credner.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 257
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Abhandlungen des staatswissenschaftlichen Seminars zu Jena. Herausgeg. von
(Prof.) J. Pierstorff. Bd. I, Heft 4. Jena, G. Fischer, 1902. gr. 8 VI—184 SS.
M. 4,50. (A. u. d. T.: Landwirtschaftliche Reinertragsberechnungen bei Klein-, Mittel-
und Großbetrieb, dargelegt in typischen Beispielen Mittelthüringens, von Leo Huschke.)
Forschungen, staats- und sozialwissenschaftliche, herausgeg. von Gustav Schmoller.
Bd. XX, Heft 1: Der Berliner Effektenhandel unter dem Einflusse des Reichsbörsen-
gesetzes vom 22, VI. 1896, von Chr. Knipper. Leipzig, Duncker & Humblot, 1902.
gr. 8. 102 SS. M. 2,40.
Kempel, F., Göttliches Sittengesetz und neuzeitliches Erwerbsleben. Eine Wirt-
schaftslehre in sittlich-organischer Auffassung der gesellschaftlichen Erwerbsverhältnisse.
Mit einem Anhang über die wirtschaftsliberale Richtung im Katholizismus und über
die Frage der christlichen Gewerkschaften. Mainz, Kirchheim, 1901. gr.8. XVI--450 SS.
M. 6.—.
Nordenholz, A., Allgemeine Theorie der gesellschaftlichen Produktion. München,
C. H. Becksche Verlagsbhdl., 1902. gr. 8. X—292 SS. M. 7.—.
Protokoll über die Verhandlungen des Gesamtparteitages der sozialdemokratischen
Arbeiterpartei in Oesterreich. Abgeh. zu Wien vom 2.—6. XI. 1901. Wien, Wiener
Volksbuchhdl., 1901. gr. 8. 204 SS. M. 1.—.
Walter, Frz., Sozialismus und moderne Kunst. Freiburg i. B., Herder, 1901.
gr. 8. VIII—102 SS. M. 1,50. (Inhalt: Der Marxismus in seinem Verhältnis zu Kunst
und Geistesleben. — Die moderne Kunst im Lichte der neueren sozialistischen Litteratur.)
Wiener staatswissenschaftliche Studien, herausgeg. von Edm. Bernatzik u. Eug.
v. Philippovich (in Wien). Bd. III, Heft 3: Die Staatsforsten als Gegenstand der Ver-
fassungsgesetzgebung und Verfassungsänderung. Eine Studie aus der allgemeinen Staats-
lehre, von Rud. Herm. v. Herrnritt (Privdoz., Univers. Wien). Tübingen, J. C. B.
Mohr, 1901. gr. 8. VIII—59 SS. M. 2.—. (Abonnementspr. M. 1,60.)
Wittich, Werner (Prof.), Die Frage der Freibauern. Untersuchungen über
die soziale Gliederung des deutschen Volkes in altgermanischer und frühkarolingischer
Zeit. Weimar, H. Böhlaus Nachf., 1901. gr. 8. 111 SS. M.3.—. (Aus „Zeitschrift der
Savignystiftung für Rechtsgesch.‘)
Brunel, Ch., Bastiat et la réaction contre le pessimisme économique. Paris,
Pedone, 1901. 8. 95 pag.
Fidao, J. E., Auguste Comte. Le positivisme et le catholicisme, La Chapelle-
Montligeon (Orne) impr. de Notre-Dame-de Montligeon, 1901. 8. 32 pag.
Halévy, D., Essais sur le mouvement ouvrier en France. Paris, Société nouvelle
de librairie & d'édition, 1901. 8. 300 pag. fr. 3,50. (Die Schrift behandelt die sozia-
listische Bewegung der französischen Arbeiter der Gegenwart.)
Landry, Ad., L’utilite sociale de la propriété individuelle. Paris, Société nou-
velle de librairie et d’edition, 1901. 8. XII—510 pag. fr. 7,50. (Sommaire: La pro-
duction, la distribution et la consommation des richesses.)
Whitaker, Jos., Almanack for the year of our Lord 1902. London, Office: 12,
Dritte Folge Bd. XXIII (LXXVII). 17
258 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Warwick Lane, 1901. 8. 776 pp., bound. 2,.6.
(Contents: Information respecting the
government, finances, population, commerce and general statisties of the British Empire
throughout, ete.)
Battisti, Cesare, Una campagna autonomistiea; il partito socialista e l’autonomia
del Trentino (1895-—1901): note storiche e riassunti di discorsi. Trento, Soc. tip. edit.
trentina, 1901. 8. 76 pp.
Ferrandina, Alf., Il pensiero sociale di Leone XIII. Con introduzione del
(prof.) Gius. Toniolo. Napoli, libr. edit. La Croce, 1902. 8. 282 pp. l. 2.—.
Socialisme (wetenschappelijk). Verslagen van vier voordrachten van (prof.)
Enrico Ferri, gehouden te Delft. Delft, J. Waltman jr., 1901. 8. 46 blz. fl. 0,25.
(Overdruk uit het „Studenten-weekblad‘“.)
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Ashley, W. J., Surveys historie and economic. London (Long-
mans, Green and Co.) 1900. 467 SS.
In diesem Gustav Schmoller gewidmeten Bande sind 45, meist
schon bekannte Arbeiten des Verfassers, darunter viele Besprechungen
systematisch gesammelt. Das ganze Materiale ist in folgende Gruppen
geteilt: „Einleitendes (zwei Schriften über das Studium der Wirtschafts-
geschichte, das Programm Roscher’s von 1843) — Mittelalterliche
Agrarfragen — Mittelalterliches Städtewesen — Oekonomische Anschau-
ungen (Montchrétien, Gournay, Der torystische Ursprung der
Freihandelspolitik) — Die ökonomischen Beziehungen zwischen England
und Amerika (1660—1760) — Industrielle Organisation der Gegen-
wart — Biographisches (Toynbee u. a.) — Akademisches“ (hierunter
ein meines Erachtens etwas sonderbarer Artikel über die Universität
Freiburg in der Schweiz).
Unter den Besprechungen sind die interessantesten diejenigen über
die so wichtigen Siedelungsfragen; hierbei kommen aber — das
mag mit der Entstehungszeit der einzelnen Artikel und selbstverständ-
lich auch mit ihrem Wesen als Rezensionen zusammenhängen — die
gegenwärtig wichtigsten Streitpunkte nur beiläufig zur Sprache (s. über
Knapp, S. 182—136 und die Ausführungen über Meitzen). Einschlägige
Darlegungen über Frankreich und England, über Indien und Japan
bieten des Lehrreichen genug, um zu einem eingehenden Studium der
Verhältnisse in jenen Ländern anzuregen; vor zu sehr ins einzelne
gehenden, voreiligen Vergleichen, zu denen man sich durch die Lektüre
des Buches leicht versucht fühlen könnte, möchte aber auch ich warnen
(s. Vorwort, S. VIII).
Die ziemlich eingehende Würdigung voñ Hildebrand’s: „Recht
und Sitte“ sei hier besonders hervorgehoben, ebenso eine kurze Be-
sprechung von Inama-Sternegg's: Deutsche Wirtschaftsgeschichte.
Der Abschnitt über die ökonomischen Beziehungen zwischen Eng-
land und seinen amerikanischen Kolonien bekämpft eine Reihe von in
dieser Richtung herrschenden Anschauungen, die als irrig nachgewiesen
werden. v. Schullern.
Alt-Arnstadt. Beiträge zur Heimatkunde von Arnstadt und Umgegend. Herausgeg.
von der Museumsgesellschaft. Heft 1. Arnstadt, E. Frotscher’s Hofbuchdruckerei, 1901.
gr. 8. 133 SS. M. 1,50.
Baecker, H., Unsere wirtschaftlichen Verhältnisse. Ein Wort zur Verständigung.
Berlin, Siemenroth & Troschel, 1901. 8. 29 SS. M. 0,50.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 259
Deeken, R., Manuia Samoa! Samoanische Reiseskizzen und Beobachtungen.
Oldenburg, G. Stalling, 1901. 8. VIII—240 SS. mit Abbildgn. M. 4.—.
Heiderich, J. H., Das Wachstum Englands. Wirtschaftsgeschichtliche Skizze.
Kassel, G. Klaunig, 1901. 8. 66 SS. M. 1,20.
Philippson, A. (Prof.), Beiträge zur Kenntnis der griechischen Inselwelt. Gotha,
J. Perthes, 1901. Lex.-8. IV—172 SS. mit Karte. M. 10.—. (A. u. d. T.: Petermanns
Mitteilungen. Herausgeg. von A. Supan. Ergänzungsheft N° 134.)
Patin, G., La France au milieu du XVII® siècle (1648—1661) d’après la cor-
respondance de Gui Patin. (Extraits, publiés par A. Brette et une introduction par
E. Champion.) Paris, Colin, 1901. 8. XXXI—584 pag. fr. 4.—.
Ramon, Prosp., Mes tournées commerciales aux pays scandinaves (1896—1900).
Paris, Berger-Levrault & C, 1902. 8. XXI—104 pag.
Remy, J. J., Essais de flore fourragère. Nancy, Berger-Levrault & C, 1901. 8.
110 pag. (Sommaire: Pain; Farine; Blé; Economie politique; Exportations; Impor-
tations.)
Church, P, W., Chinese Turkestan with Caravan and Rifle. London, Rivingtons,
1901. 8. 10).—.
Digby, William, Prosperous British India. A revelation from official records.
London, T. Fisher Unwin, 1901. 8. XLVII—661 pp. with map. 12/.6.
Hough, P. M., Dutch life in town and country. New York, Putnam, 1901. 12.
6: 291 pp., illustr., cloth. $ 1,20. (Describes the social life of Holland: Its national
characteristics; Court and society; The professional classes; The position of women; The
workman of the towns; etc.)
MeElwaine, E., The truth about Alaska, the Golden Land of the Midnight
Sun, Philadelphia, Bradford, 1901. 8. With portraits, illustr. and maps. 10/.6,
Soeial England. A record of the progress of the people in religion, laws,
learning, arts, industry, commerce, science, literature, and manners, from the
earliest times to the present day. Edit. by H. D. Traill and J. S. Mann. Vol. I.
Ilustr. edit. London, Cassell, 1901. 4. XCVI -702 pp. 12/.—.
Western Australia. Blue book for the year, 1900. Perth, A. Watson printed,
1901. Folio. 148 pp. (Compiled in the Registrar General’s Office from officiel returns.)
de Windt, H., Finland as it is. London, J. Murray, 1901. 8. XI-416 pp.
[lustr. 9/.—.
3. Bevölkerungswesen. Auswanderung und Kolonisation.
Kaindl, Raim. Frd., Das Andsiedlungswesen in der Bukowina seit der Besitz-
ergreifung durch Oesterreich. Mit besonderer Berücksichtigung der Ansiedlung der Deut-
schen. Mit Benutzung der urkundlichen Materialien aus dem Nachlasse von F. A.
Wickenhauser, Innsbruck, Wagner, 1902. gr. 8. XVI--537 SS. M. 12,50. (A. u. d. T.:
Quellen und Forschungen zur Geschichte, Litteratur und Sprache Oesterreichs und seiner
Kronländer. Durch die Leo-Gesellschaft herausgeg. von (Proff.) J. Hirn und J. E. Wacker-
nell. Bd. VIIL)
Alliance nationale pour l'accroissement de la population française. Programme,
statuts et compte rendu des travaux de Pexercice 1900—1901. Paris, 26, avenue Mar-
ceau, 1901. 8. 54 pag. a
Neovius, E. R., La densité de la population en Finlande, d’après une méthode
cartographique nouvelle. Avec deux cartes (enthalten in Fennia. Bulletin de la Société
de géographie de Finlande, Helsingfors 1900—1901.)
Sylvain, Benito, Du sort des indigènes dans les colonies d’exploitation. Paris,
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4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
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Unger, 1901. gr. 8. VIII—63 SS. (Schriften der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft,
Heft 55.)
Bericht über die 46. Versammlung des sächsischen Forstvereins geh. zu Eiben-
17*
260 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
stock vom 30. VI. bis 3. VII. 1901. Tharandt, Akad. Buchh., 1901. gr. 8. VI—205 SS.
mit 1 Taf. M. 1,50.
Geschichte der österreichischen Land- und Forstwirtschaft und ihrer Industrien
1848—1898, Festschrift. Wien, Perles, 1901. Lex.-8. VII—653 u. 247 SS. mit Abbildgn.
M. 22.—
Handbuch des Grundbesitzes im Deutschen Reiche. Nach amtlichen Quellen
bearbeitet von genannten Autoren. I. Das Königreich Preußen. Lieferung VII. Provinz
Posen. 6. Aufl. bearbeitet von E Kirstein. Berlin, Nicolaische Verlagsbhdl., 1902.
gr. 8. LXI—367 SS. M. 10.—.
Jahresbericht über die Erfahrungen und Fortschritte auf dem Gesamtgebiete
der Landwirtschaft. Begründet von (OekonR.) Buerstenbinder. Jahrg. XV., 1900. Her-
ausgeg. von (GenSekr. OekR.) E. Pommer. Braunschweig, Vieweg & Sohn, 1901. gr. 8.
XXIII—547 SS. mit 101 Abbildgn., geb. M. 9.—.
Kalender für die Jandwirtschaftlichen Gewerbe: Brennerei, Preßhefe-, Essig- und
Stärkefabrikation für das Jahr 1902. 2 Teile. Berlin, P. Parey, 1902. 12. IX—124 SS.
u. 350 SS. M. 3.—. (Inhalt von Teil II: Die Elektrizität und ihre Verwendung in den
landwirtschaftlichen Gewerben, von (Ingen.) E. Haack. — Wirtschaftlicher Jahresbericht.
— Statistik (Spiritus; Stärke; Stärkezucker; Essig, ete.). Branntweinsteuergesetzgebung.
— Handelsusancen, etc.)
Martiny, Benno, Die Butterversorgung Berlins durch die Eisenbahn im ersten
Halbjahr 1899. Berlin, Druck von Gebr. Unger, 1901. gr. 8. 34 SS. (Arbeiten der
deutschen Landwirtschaftsgesellschaft, Heft 58.)
Nachrichten von dem Betriebe der unter der preußischen Berg-, Hütten- und
Salinenverwaltung stehenden Staatswerke während des Etatsjahres 1900. Berlin, 7. XII.
1901. Nebst 4 Anlagen: Nachweisung der Ueberschüsse der Berg-, Hütten- u. Salinen-
verwaltung im Etatsjahre 1900, ete. Berlin, 1901. Folio. 58 SS. (Haus der Abgeord-
neten, 19. Legislaturperiode, IV. Session, 1902, Drucksache N" 8.)
Nachweisung über die im Kalenderjahr 1901 stattgehabte Aus- und Einrangie-
rung in den Landgestüten des Staates; Betriebsresultate der Haupt- und Landgestüte
des Staates in den Jahren 1897,98 bis einschließlich 1899/1900. Berlin, 12. I. 1902.
Folio, 11 SS. (Haus der Abgeordneten, 19. LegislPer. IV. Session, 1902.)
Sorauer, Paul (Prof., Berlin), Die Frostschäden an den Wintersaaten des Jahres
1901. Berlin, Druck von W. Greve, 1901. gr. 8. VIII—204 SS. (Arbeiten der Deut-
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Frick, 1901. gr. 8. III—250 SS. M. 3.—.
Allard, F. (inspecteur-adjoint des eaux et forêts), Les forêts et le régime forestier
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Buckley, E. R., The clays and clay industries of Wisconsin. London, Wesley,
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Martin, John Wesley, The ruin of rural England. A warning. London,
Simpkin, 1901. 8. 286 pp. 3/.6.
Mineral industry (the), its statistics, technology and trade in the United States
and other countries to the end of 1900. Founded and edited by Rich. P. Rothwell +
and completed by Jos, Struthers. Vol. IX (supplementaring volumes I to VIII. New
York and London, Seientifie Publishing Company, 1901. gr. in-8. XXX—986 pp..
cloth. $ 5.—.
Rolt, H. A. (Assistant secretary, Piscatorial Society), Grailing fishing in South
country streams. London, Sampson Low, 1901. 8. 21.6.
S Giretti, Ed., Per la libertà del pane. Torino, Roux & Vinrengo, 1901. 8. 234 pp.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 261
5. Gewerbe und Industrie.
Treefz, Fritz, Das Wirtsgewerbe in München. Eine wirtschaft-
liche und soziale Studie. (Münchener volkswirtschaftliche Studien, her-
ausgegeben von Lujo Brentano und Walter Lotz. 33. Stück). München
1899. X u. 240 SS.
Das an sich interessante Thema hat in der vorliegenden Mono-
graphie eine ansprechende Behandlung erfahren. Der Verf. beschränkt
sich auf die Schilderung des Münchener Wirtsgewerbes, das jedoch in
den Grundzügen wohl typisch für die allgemeinen deutschen Verhält-
nisse ist. Zuerst wird ein geschichtlicher Ueberblick über die Gewerbe-
befugnisse und das Wirtsgewerbe vor Einführung der Gewerbefreiheit
gegeben. Es zeigt sich auch hier wiederum, was wir aus anderen Ver-
hältnissen und Gewerben bereits kennen, daß die „gute alte Zeit“ durch-
aus keinen „goldenen Boden“ für das Handwerk schuf. Die Klagen
über Niedergang und Uebersetzung des Gewerbes sind uralt und man
verlangte Abhilfe auf dem Wege der Gewerbepolitik durch das Kon-
zessionierungssystem. Auch hafteten Realrechte und radizierte Rechte
vielfach gerade auf dem Wirtsgewerbe. Die neue Zeit wird dadurch
charakterisiert, daß der Kapitalismus auch das Wirtsgewerbe in Ab-
hängigkeit von sich bringt, indem es die Besitz- und Pachtverhältnisse
der Wirte beeinflußt. „Wir haben schon unter der Herrschaft der
Zwangs- und Bannrechte eine große Abhängigkeit der Wirte von den
Brauern gefunden. Aber während diese Abhängigkeit von den Braue-
reien früher auf feudalen Herrschaftsverhältnissen beruhte, beruht sie
jetzt auf kapitalistischen Vertragsverhältnissen. Der Kapitalismus ist
also hier nur nach dem Muster des Feudalismus verfahren. Wo früher
Abhängigkeit auf Grund der Ungleichheit des Rechtes bestand, finden
wir sie jetzt auf Grund von Darlehnsverträgen unter rechtlich Gleich-
stehenden“. Die Wirte sind entweder nur Pächter, die von den Groß-
brauereien eingesetzt sind, oder wenn sie auch selbständige Besitzer
sind, so haben die Brauereien doch das Grundstück hypothekarisch be-
lastet und verlangen dafür die Abnahme ihrer Biere. Seitens sämtlicher
Brauereien arbeitet etwa ein Kapital von 44 Mill. M. in Münchener
Wirtschaften, von dem etwa 24 Mill. auf das Hypothekendarlehnskonto
fällt. Dadurch ist der Wirt natürlich auch in der Wahl des Bieres
gehemmt. Von diesen Verhältnissen wird die Rentabilität des Geschäftes
wesentlich mit bedingt. Zwar ist der Konsum von Getränken hin-
reichend groß; aber die Betriebe werden im allgemeinen zu teuer ge-
kauft oder gepachtet. „Die große Konkurrenz der vielen kleinen Betriebe
untereinander und der den Brauereien gehörigen Großbetriebe mit diesen
hat den Bierabsatz vieler Wirtschaften unter das Existenzminimum her-
abgedrückt.“ Dazu kommt noch der Flaschenbierhandel, den neuerdings
die Brauereien vielfach an die Privatkundschaft direkt betreiben. Wirt-
schaften mit mindestens 3 Hektolitern Bierabsatz und günstigen Kaut-
bez. Pachtverhältnissen verschaffen aber auch jetzt noch ein gutes Ein-
kommen, natürlich nur wenn sie tüchtig und ökonomisch geleitet werden.
Es wird aber aus dieser Darlegung erklärlich, daß sich neuerdings
262 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
wiederum stärker der Ruf nach Beschränkung und nach Einführung
eines Ortsstatutes bemerkbar macht: man möchte die Konzession von
der Bedürfnisfrage abhängig machen; bis jetzt haben diese Bestrebungen
allerdings noch keinen Erfolg gehabt.
Im Rahmen der Studie werden auch die Verhältnisse der Ange-
stellten — d. h. des Küchen-, Schank- uud Bedienungspersonais be-
sprochen — freilich nicht in durchaus erschöpfender Weise. Die ersten
beiden stehen sich im allgemeinen nicht ungünstig, sondern eher im
Gegenteil; anders bei der dritten Kategorie, die in München fast ganz aus
Kellnerinnen besteht. Verf. geht aber z. B. gar nicht auf die Höhe der
Abzüge ein, die das Halten der Wassermädchen, der Zeitungen, so auch
anderer Ausgaben verursachen, und urteilt hier bezüglich des Lohnein-
kommens und der Ersparnisse entschieden noch zu optimistisch, wenn man
sie mit anderen Schilderungen vergleicht; auch die abnormen Sterblich-
keitsziffern behandelt er nicht. Diese Darlegungen können daher am
wenigsten befriedigen, da sie unvollständig sind. Dagegen weist er mit
Recht darauf hin, daß der Mangel an Organisation eine Besserung der
Verhältnisse erschwert; die Enquete der Kommission für Arbeiterstatistik
giebt hier ein ziemlich zutreffendes Bild. Im ganzen aber erhalten wir
in der vorliegenden Arbeit eine sorgfältige und zutreffende Monographie
über einen Berufszweig, dessen Entwickelung vielfach typisch für moderne
Verhältnisse ist.
Leipzig. F. Eulenburg.
Arbeitslosenunterstützung und Arbeitsnachweis. Bericht an das Schweize-
rische Arbeitersekretariat. Zürich, Buchdruckerei des Schweizer. Grütlivereins, 1901. 8.
288 SS.
Blumer-Zweifel, P., Französisch und deutsch. Eine vergleichende Studie über
die Weltausstellung 1900. Bern, K. J. Wyss, 1901. gr. 8. 132 SS. M. 2.—.
Faulhaber, C., Ueber Handel und Gewerbe der beiden Städte Brandenburg
im 14. u. 15. Jahrh. Brandenburg, M. Evenius, 1901, gr. 8. 62 SS. M. 1.—.
Hoffmann, F. (GehRegR.), Die Organisation des Handwerks und die Regelung
des Lehrlingswesens auf Grund des Reichsgesetzes vom 26. VII. 1897. Erläutert. 3. Aufl.
Berlin, C. Heymann, 1902. gr. 8. M. 4.—. è
Krefft, H. (Architekt u. Baumeister), Kurze Geschichte der Innung der Bau-,
Maurer-, Steinmetz- und Zimmermeister in München vom 15. Jahrh. bis zur Gegenwart.
München, Selbstverlag der Innung, 1901. gr. 8. 75 SS. mit Abbildgn. M. 1,60.
Schutz den Heimarbeitern! Eine Denkschrift dem Bundesrat und Reichstage
überreicht vom Verband der Schneider, Schneiderinnen und verw. Berufsgenossen. Stutt-
gart, Fr. Holzhäusser, 1901. 8. 131 SS.
Steffen, Gust. F., Studien zur Geschichte der englischen Lohnarbeiter mit be-
sonderer Berücksichtigung der Veränderungen ihrer Lebenshaltungen. I. Band in 3 Teilen.
Stuttgart, Hobbing & Büchle, 1901, gr. 8 VI—511 SS. mit 3 farbigen statistischen
Tafeln. M, 11.—. (Inhalt: Vor 1350. Die Veränderungen in der sozialen Unfreiheit
des arbeitenden Volkes in England während der Entstehung des Lohnsystemes. — 1350—
1540: Die Veränderungen in der wirtschaftlichen und rechtlichen Stellung der eng-
lischen Lohnarbeiter während der Auflösung des Feudalismus. — 1540—1660: Die
Veränderungen in der wirtschaftlichen Stellung der englischen Lohnarbeiter während
der erfolgreichen staatlichen Regulierung des Arbeitsvertrages. — 1660—1760: Die
Veränderungen in der wirtschaftlichen Stellung der englischen Lohnarbeiter während
der Vorbereitungen zum Fabriksysteme.)
Wildner, P. (Schweidnitz) u. R. Zimmermann (Berlin), Die Thonwarenindustrie.
Berlin, 1901. (A. u. d. T.: Das Interesse der deutschen Industrie an den Handelsver-
trägen, Kinzeldarstellungen, Heft 5.)
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 263
Blondeau, F., L’exposition du syndicat du commerce des vins de Champagne
en 1900. Reims, impr. Matot fils, 1901. 4. 50 pag. et grav.
Comité central des houillères de France. Mémoire et observations présentés par
les propriétaires de houillères à la Commission du travail de la Chambre des députés,
le 6 novembre 1901, au sujet de la proposition de loi tendant à réduire à 8 heures la
durée de présence des ouvriers dans les mines. Paris, 55, rue de Châteaudun, 1901.
in-4. 81 pag.
Conseil supérieur du travail. ` Al" session, juin 1901. Paris, impr. nationale,
1901. in-4. VII—178 pag. (Publication du Ministère du commerce.)
Byng, G., Protection. The views of a manufacturer. London, Eyre & Spottiswoode,
1901. gr. 8. XI—255 pp., cloth. 3/.6. (Contents: Historical: Condensed history. A
prophecy. — The manufacturer, — No new industries — The manufacturer and the
nation. — The consumer. — The middleman. — The working man. — Agriculture. —
Retaliation and reciprocity. — Imperial commercial federation. — Inaction and its
consequences. — Protection.)
Dos Passos, J. R., Commercial trusts; the growth and rights of aggregated
capital: an argument delivered before the Industrial Commission at Washington, De-
cember 12, 1899, corrected and revised. New York, Putnam, 1901. 8. 8; 137 pp.,
eloth. $ 1.—.
Mathiesons’ Handbook for investors for 1902. A pocket record of stock exchange
prices and dividends for past ten years of the fluctuating securities. London, F. C.
Mathieson & Sons, 1901. 12. XIV—263 pp. 2/.6.
roberts, P., The anthracite coal industry: a study of the economic conditions
and relations of the co-operative forces in the development of the anthracite coal in-
dustry of Pennsylvania; with an introduction by W. G. Sumner. New York, Mac-
millan, 1901. 8. 12; 261 pp., cloth. $ 3,50.
Colajanni, Pompeo, L/interesse sociale nel sindacato obbligatorio per gl’in-
fortuni del lavoro fra i coltivatori di solfare in Sieilia. Caltanissetta, tip. Panfilo
Castaldi-Petrantoni, 1901. in-4. 54—IV pp.
Forcella, V., Le industrie e il commereio a Milano sotti i Romani. Milano,
tip. Bellini, 1901. 8. 125 pp. 1. 8.—.
6. Handel und Verkehr.
Stubmann, Dr. P., Holland und sein deutsches Hinterland in
ihrem gegenseitigen Warenverkehr, mit besonderer Berücksichtigung
der holländischen Haupthäfen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Eine
handelsstatistische Studie. Erstes Heft des ersten Bandes der Abhand-
lungen des staatswissenschaftlichen Seminars zu Jena. Jena (Gustav
Fischer) 1901. gr. 8°. 130 SS. i
Zu den handels- und verkehrspolitischen Studien, die in den letzten
Jahren, namentlich vom Verein für Sozialpolitik, unternommen wurden,
liefert die unabhängig von ihren entstandene vorliegende Arbeit eine
wertvolle Ergänzung. Ihr Verfasser stellt die für die Beurteilung unserer
Handelsbeziehungen mit den Niederlanden grundlegenden statistischen
Zahlen übersichtlich zusammen, sucht zugleich in der gegenseitigen
Handelsbewegung den Anteil der Wasserstraßen von dem der Eisenbahnen
zu trennen und gelangt zu teilweise recht überraschenden Ergebnissen. In
Hinblick auf deren Bedeutung ist es freudig zu begrüßen, daß die Studie
nicht bloß als Doktordissertation erschienen ist, sondern einem größeren
Kreise von Lesern zugänglich gemacht wurde, indem der Leiter des
staatswissenschaftlichen Seminars der Universität Jena, Herr Professor
Dr. J. Pierstorff, mit ihr den ersten Band der Abhandlungen des
Seminars eröffnet. Zwei weitere Arbeiten, die sich unter der Presse
befinden, werden binnen kurzem diesem ersten Hefte folgen, das sich
264 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
als eine sorgfältige und fleißige Studie kennzeichnet, die das spröde
und trockene statistische Material mit großem Geschick behandelt und
genießbar macht.
Sie zerfällt in zwei Teile: in Berücksichtigung des Umstandes, dal
1868 die letzten Rheinzölle aufgehoben wurden und 1870 die deutschen
Staaten sich zum Deutschen Reich zusammenschlossen, wird die Zeit
vor der Gründung des Deutschen Reiches von der ihr nachfolgenden
unterschieden. In jedem der so gegebenen Teile betrachtet der Ver-
fasser erst den Güterverkehr im allgemeinen, wobei er naturgemäß die
Warenbewegung von den Niederlanden nach dem deutschen Hinterland
von der Bewegung in umgekehrter Richtung trennt. Mit derselben
Unterscheidung behandelt er dann den Warenverkehr im besonderen,
mit anderen Worten in Ansehung einer Reihe von Gütern, die ent-
weder als Güter des Massenimportes Beachtung verdienen, wie z. B.
Getreide, Kaffee, Reis, Zucker, Tabak, Baumwolle, Eisen, Oel, Erze,
Steinkohlen, oder den Versand eines specifisch lokalen Produktes dar-
stellen, wie holländische Heringe uud deutsche Weine.
Der Raum verbietet es, auf die Ergebnisse seiner Untersuchungen
näher einzugehen. Ich muß mich auf die Hervorhebung derjenigen be-
schränken, die mir die wichtigsten zu sein scheinen. Hier darf ich
wohl in den Vordergrund die vom Verfasser auf Grund der holländischen
Handelsstatistik festgestellte Thatsache rücken, daß in der deutsch-
niederländischen Güterbewegung von 1873—98 der Eisenbahnverkehr
prozentual stark zugenommen, der Flußverkehr dagegen abgenommen
hat, während bei der Güterbewegung in niederländisch-deutscher
Richtung, das entgegengesetzte Bild sich zeigt. Hier übernahm der
Flußverkehr nach und nach */, des Gesamtverkehrs, während der
Anteil der Eisenbahnen auf !/, seiner anfänglichen Höhe hinab-
sank. Allerdings hat die rückläufige Bewegung des Flußverkehrs von
Preußen nach Holland seit 1893 wieder angefangen, sich in ihr Gegen-
teil zu verwandeln, aber noch immer betrug 1898 der Eisenbahverkehr in
dieser Richtung 46 Proz., der Flußverkehr nur 49 Proz. der gesamten
preußischen Einfuhr nach Holland, während in umgekehrter Richtung
52 Proz. auf den Flußverkehr und nur 13 Proz. auf die Eisenbahnen
entfielen.
Den mitgeteilten Zahlen entspricht es, daß auf der Wasserstraße
des Rheins der Verkehr in der Richtung von Preußen nach Holland
durch den Verkehr in umgekehrter Richtung seit 1888 erheblich über-
troffen wird, während vor diesem Jahr das umgekehrte Verhältnis vor-
lag. Von 1871/99 stieg die Thalfahrt auf dem Rhein von 1361 262 t
auf 3927 092 t,die Bergfahrt aber von 666 860 t auf 8249697 t. Dem-
nach war die Bergfahrt 1899 mehr als doppelt so groß als die Thal-
fahrt, die umgekehrt 1887 (2701967 t) noch um 465000 t größer war
als jene (2223601).
Daß der Rhein für das deutsche Hinterland heute als Bezugsweg
— hauptsächlich von Nahrungsmitteln und Rohstoffen — eine viel
höhere Bedeutung besitzt denn als Versandweg, das liegt, wie die an-
gegebenen Zahlen erkennen lassen, jedenfalls an der Konkurrenz der
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 265
Eisenbahnen. Diese haben von der Güterbewegung nach Holland einen
größeren Anteil sich zu sichern gewußt, als bei der Bewegung von
Holland nach Preußen. Berücksichtigen wir ferner, daß bei dem
wichtigsten Ausfuhrartikel Preußens, bei dem man dies am wenigsten
erwarten sollte, den Steinkohlen, die Ausfuhr vom Rhein heute nur
noch zu ?/,, von den Eisenbahnen aber zu 21. getragen wird, während
sie früher zu 4|, auf den Rhein entfiel, so haben wir hier eine sehr
interessante Illustration des Gegenteils der bekannten Ulrich’schen Aus-
führungen, nach welchen die Eisenbahnen nur die Konkurrenz abgaben-
freier Wasserstraßen zu fürchten haben. Daß hier umgekehrt die Eisen-
bahnen über die abgabenfreie Rheinstraße siegten, erklärt sich höchst
wahrscheinlich aus ihrer Tarifpolitik. Leider ermöglicht die Eisenbahn-
statistik es nicht, dieser Vermutung näherzutreten, und insbesondere
zu untersuchen, wie die in Betracht kommenden Tarife sich zu den
Selbstkosten der Eisenbahntransporte stellen. —
Fragen wir nach der Beteiligung deutscher und niederländischer
Handelsplätze an den gegenseitigen Handelsbeziehungen, so belehrt uns
der Verfasser, daß der Handel Holiands nach Deutschland sich auf
wenige holländische Hafenplätze beschränkt, unter denen Rotterdam und
Amsterdam die erste Stelle einnehmen, denen in großem Abstande
Dordrecht und einige kleinere Plätze folgen Amsterdam, das früher den
ersten Platz behauptete, ist längst durch Rotterdam überflügelt, dank
des besseren Wasserweges. Auch die 1858 ins Leben getretenen Eisen-
bahnen von Rotterdam und Amsterdam nach dem Rhein vermochten
den Sieg Rotterdams nicht zu hindern. Umgekehrt hat der Handel
des deutschen Hinterlandes nach und über Holland seine Stützpunkte
nicht, wie man annehmen sollte, in unseren großen Rheinhäfen wie Düssel-
dort, Köln, Mainz, Mannheim. Es erklärt sich dies einerseits daraus,
daß der Hauptversandartikel der Rheinschiffahrt, die Steinkohle, in Ruhr-
ort, Duisburg und Hochfeldt, seine eigenen Häfen besitzt, andererseits
aus dem Umstande, daß nicht einzelne deutsche Städte, sondern ganze
Territorien die Zubringer dieses Handels sind, und zwar nicht bloß die
Rheinlande. In Folge der zu den Wasserwegen getretenen Eisenbahnen
hat sich vielmehr das kommerzielle Hinterland Hollands auf das ganze
deutsche Industriegebiet ausgedehnt.
Was die Bestimmungsorte anlangt, so erfahren wir hinsichtlich der
Güterbewegung auf dem Rhein, daß die von Holland rheinauf gefahrenen
Güter vorzugsweise von Mannheim aufgenommen wurden, das 1/, von
ihhen empfing, während der Kölner Einfuhrhandel zurückging von
13,2 Proz. in 1871 auf nur 4,7 Proz. in 1888. Eine bedeutsame That-
sache für die viel ventilierten Projekte zur Verbesserung der oberen Rhein-
straße. Leider stand dem Verfasser kein genügendes Zahlenmaterial zur
Beantwortung der Frage nach den deutschen Bestimmungshäfen zur
Verfügung. Hinsichtlich der niederländischen Bestimmungsorte der
rheinab gefahrenen Güter zeigt sich das umgekehrte Verhältnis als bei
den niederländischen Herkunftsorten. War Rotterdam mit 76,5 Proz.
am Bergverkehr beteiligt, so entfiel 1899 vom Thalverkehr nur !/,
sämtlicher deutscher Rheinanfuhren auf diesen Hafen, mehr als 1,
266 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
hingegen auf Belgien (30 Proz.), 4,2 Proz. auf Amsterdam, 1,6 Proz.
auf Dordrecht, und der ganze Rest von ca. 50 Proz. verteilte sich auf
Utrecht, Arnheim, Nymwegen, Tiel und alle jene kleineren, kaum
dem Namen nach bekannten Orte, die vortreffliche Wasserver-
bindungen nach dem Rhein und seinen Mündungsarmen besitzen. Ein
sehr lehrreiches Faktum für unsere Kanalgegner! Diese kleineren
holländischen Binnenhäfen haben seit 1880 stets ungefähr die Hälfte
der deutschen Einfuhr auf dem Rhein erhalten, 1885 sogar 63 Proz.,
1899, wo sie am wenigsten bekamen, noch immer 50 Proz. Ein sehr
großer Teil der deutschen Ausfuhr, soweit sie auf dem Wasserwege
befördert wird, geht also in den Verbrauch Hollands ein. Nur die
größeren Städte schieben einen Teil der empfangenen Güter weiter ab.
Die starke Beteiligung der kleineren holländischen Binnenhäfen deutet
auf eine gewisse wirtschaftliche Abhängigkeit Hollands von seinem
Hinterlande. Daß Holland hier eine mehr konsumtive als distributive
Aufgabe erfüllt, zeigt sich auch darin, daß die thalabwärts geführten
Waren große Mengen von Steinkohlen und Steinen, Erde und Bau-
materialien enthalten. Die Steine dienen vornehmlich den großartigen
Deichen und Wasserbauten der Holländer, die Steinkohlen der auch
auf den holländischen Kanälen recht ausgebreiteten Dampfschiffahrt.
Die kleineren Häfen sind die Hauptempfänger der Ruhrsteinkohlen.
Offenbar können hier belgische nnd französische Kohlen nicht kon-
kurrieren; nicht einmal den Bedarf der großen Seehäfen können sie
bewältigen. —
Zum Schlusse möchte ich noch auf ein kaum weniger interessantes
Ergebnis der fleiligen Studie hinweisen, daß nämlich am Rhein-
verkehr Belgien wachsenden Anteil nimmt. Der Warenverkehr von
Deutschland nach Belgien auf dem Rhein hat sich seit 1880 von Ei,
auf 1/, des Gesamtverkehrs, der das deutsche Gebiet verließ, gehoben,
nämlich von 257475 t auf 1207 111t in 1899, wovon der Hauptteil auf
Steinkohlen und Eisen entfiel. Umgekehrt stieg der Verkehr von
Belgien nach Deutschland, der sich von Antwerpen die Schelde hinunter,
über See nach Dordrecht und Rotterdam und dann den Rhein hinauf
bewegt, von 185187 t auf 1450652 t. Das bedeutet zwar nur von
15,3 Proz. des Gesamtverkehrs auf 17,7 Proz.; wir dürfen aber nicht
aus den Augen verlieren, daß wie ich oben hervorhob, der Gesamt-
verkehr nach Deutschland auf dem Rhein in derselben Zeit sehr viel
stärker gewachsen ist, als der Gesamtverkehr in umgekehrter Richtung.
G. K. Anton.
Schmidt, Paul, Rechtsanwalt bei dem Landgerichte I zu Berlin,
Das Warenzeichenrecht nebst einem Ueberblick über die Bestimmungen
wider den unlauteren Wettbewerb nach den Gesetzgebungen aller Länder
dargestellt. Leipzig (C. L. Hirschfeld) 1899. VIII und 388 SS.
Der Verfasser macht uns in seinem inhaltreichen Werke mit den
gesetzlichen Vorschriften zum Schutze der Warenbezeichnungen aller
Länder bekannt und zwar in der Form einer systematischen Darstellung
der Gesetzestexte, wodurch der Zweck, eine vergleichende Uebersicht
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 267
der einschlägigen bestehenden gesetzlichen Vorschriften zu geben, ohne
dem Bande einen zu starken Umfang angedsihen zu lassen, in glück-
lichster Weise erreicht ist. Im Anschlusse hieran findet auch eine
kurze Darlegung derjenigen gesetzlichen Bestimmungen statt, welche
zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes erlassen worden sind.
Naturgemäß ist bei dieser Darstellung die deutsche Gesetzgebung in
ausgiebigster Weise berücksichtigt worden, indem sie fast ein Drittel
des ganzen Werkes füllt, aber in dem übrigen Teile ist alles Wissens-
werte für Industrie, Handel und Gewerbe in Bezug auf die Gesetz-
gebung der zahlreichen übrigen Länder, welche einen Zeichenschutz
besitzen, enthalten. Schmidt hat mit einer solchen peinlichen Genauig-
keit gesammelt, daß z. B. sogar die Insel Island nicht vergessen worden
ist, von St. Helena und Lagos ganz zu geschweigen. Angehängt sind
die Gesetzestexte von Deutschland, Frankreich, England und Japan,
worauf zum Schlusse eine ausführliche Bibliographie gegeben ist, welche
in wünschenswerter Vollständigkeit die Werke und Schriften über Ur-
heberrecht, Warenzeichen- und Markenschutz und den unlauteren Wett-
bewerb in den verschiedensten Staaten aufzählt.
Das Buch füllt eine oft empfundene Lücke unserer rechtlichen
Litteratur in dankenswerter Weise aus. Während nämlich der Welt-
markt für unseren Warenverkehr eine fortgesetzt wachsende Bedeutung
annimmt, und der deutsche Handel, die deutsche Industrie und der
deutsche Gewerbefleiß immer stärkere Anstrengungen machen, sich nicht
nur die bisher errungene zweitbeste Stellung auf dem Gebiete des
internationalen Warenverkehrs zu erhalten, sondern neue Märkte zu
den alten zu erschließen, ist es für alle Beteiligten außerordentlich
wünschenswert, eine sichere Handhabe zu besitzen, um die jeweilig
geltenden Bestimmungen über Warenzeichen, Musterschutz, Patentschutz,
Urheberrecht, unlauteren Wettbewerb etc. in den entlegendsten Länder-
strecken unserer Erde in kurzen Zügen ohne langes Studium erkennen
zu können. In knapper klarer Sprache hat der Verfasser diese Auf-
gabe im vorliegenden Werke für das Warenzeichenrecht gelöst, weshalb
es nicht nur den Fachmännern und Juristen, sondern auch den oben
bezeichneten Erwerbskategorien als bequemes Aushilfsbuch empfohlen
werden kann.
Ferner wird in einer kurzen allgemeinen Einleitung darauf hin-
gewiesen, wie sich im modernen Rechte im Gegensatze zum römischen
Rechte, das nur das Machtverhältnis zwischen, Personen und Sachen
regelt, die Thätigkeit des Herrschaftsverhältnisses zwischen Personen
und den geistigen Ergebnissen der Arbeit allmählich angebahnt hat,
wobei ein Blick auf die historische Gestaltung der Gesetzgebung auf
diesem Gebiete von dem Metzenmacherprivilegium des Herzogtums Jülich
vom 14. Februar 1571 bis zum Reichsgesetze zum Schutze der Waren-
bezeichnungen vom 12. Mai 1894 und dessen Ausführungsbestimmungen
geworfen wird: eine Darstellung, die manchem Leser sehr willkommen
sein dürfte und auch für den Zweck des Werkes nicht enbehrt werden
kann.
Halle a. S. Wermert.
268 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
Bericht über den deutschen Drogen- und Chemikalienhandel während des Jahres
1901. Erstattet von Brückner, Lampe & C°, Berlin C. (gegründet 1750). Berlin, Druck
von O. v. Holten, Anfang Januar 1902. kl. 4 8 SS. (Nicht im Handel.)
Bericht der Handelskammer in Bremen über das Jahr 1901 erstattet an den
Kaufmannskonvent. Bremen, H. M. Hauschild, 1902. gr. 8. 81 SS.
Bericht, vorläufiger, der Handelskammer zu Kiel über ihre Thätigkeit sowie
über Lage und Gang des Verkehrs im Jahre 1901. Jahrg. XXX. Kiel, Januar 1902.
8. 83 SS. (Erstattet in der öffentlichen Sitzung der Handelskammer am 31. XII. 1901.)
Bericht der Handels- und Gewerbekammer zu Sonneberg S.-M. auf das Jahr
1901. Sonneberg, Druck von C. A. Mylius, 1901. gr. 8. VI—153 SS.
Bericht des Magdeburger Schiffervereins zu Magdeburg für das Jahr 1900. Magde-
burg, Druck der Panswschen Buchdruckerei, 1901. 4. 56 SS. mit 2 Taf. graphischer
Darstellungen.
Bericht, der, über die Ergebnisse des Betriebes der vereinigten preußischen und
hessischen Staatseisenbahnen im Reehnungsjahre 1900. Berlin, W. Moeser, Buchdruckerei,
1901. Roy.-4. 246 SS.
Handel und Industrie Ungarns im Jahre 1900. Budapest, Pester Buchdruckerei,
A.-G., 1901. gr. 8. V—357 SS. (Herausgeg. von der Budapester Handels- und Gewerbe-
kammer.)
Jahresbericht der Handelskammer zu Altona für das Jahr 1901. I. Teil.
Altona, Druck von H. W. Köbner & C°, 1901. gr. 8. 48 SS.
Jahresbericht der Handelskammer für den Kreis Essen, 1901. Teil I. Essen-
Ruhr, Druck von W. Girardet, 1902. Gr. Folio. 71 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Hannover für das Jahr 1901. Teil I:
Wirksamkeit der Kammer; Ansichten und Gutachten. Hannover, Druck von W. Riem-
schneider, 1901. gr. 8. V—113 SS.
Jahresbericht, III, der Handelskammer zu Ruhrort für 1900/1901. 2 Teile,
Ruhrort, Druck von Joh. Brendow & Sohn, 1901. gr. 4. 82 u. 52 SS.
Jahresbericht über die Staatseisenbahnen und die Bodenseedampfschiffahrt im
Großherzogtum Baden für das Jahr 1900. Im Auftrag des Ministeriums des großh.
Hauses und der auswärtigen Angelegenheiten herausgeg. von der Generaldirektion der
Badischen Staatseisenbahnen zugleich als Fortsetzung der vorangegangenen Jahrgänge 60.
Nachweisung über den Betrieb der großh. Badischen Staatseisenbahnen und der unter
Staatsverwaltung stehenden Badischen Privateisenbahnen. Karlsruhe, Ch. Müller’sche
Hofbuchhdl., 1901. 4. 80 SS. mit 34 Tabellen, 6 Blatt Fahrplananlagen und 1 graphi-
schen Anlage in größt. Imp.-Folio.
Lotz, W. (Prof.), Sonderinteressen gegenüber der Wissenschaft einst und jetzt.
Ein Beitrag zur Beurteilung der Wirkungen des Protektionssystems auf die Industrie.
Berlin, L. Simion, 1902. gr. 8. 31 SS. (Vortrag geh. in der Volkswirtschaftlichen Ge-
sellschaft zu Berlin am 6. I. 1902. Mitteilungen des Vereins zur Förderung der Handels-
freiheit, 1902, N" 1.)
Peege, B., Die deutschen Eisenbahngesetze sowie die Einrichtungen der Eisen-
bahnen Deutschlands und des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen. 3. Aufl. Dres-
den, C. Heinrich, 1901. gr. 8. 166 SS., geb. M. 2.—.
Ruß, Viktor, Der volkswirtschaftliche Wert der künstlichen Schiffahrtsstraßen.
Wien, Lehmann & Wentzel, 1901. gr. 8. 15 SS. (Aus „Deutsche Arbeit“.)
Weber, Fr. (PostR.), Post und Telegraphie im Königreich Württemberg. Denk-
schrift aus Anlaß des Ablafs der fünfzigjährigen Verwaltung des württembergischen
Post- und Telegraphenwesens durch den Staat. Unter Mitwirkung von Fachmännern
verfaßt. Stuttgart, W. Kohlhammer, 1901. gr. 8. VIII—342 SS. M. 7.—.
Annales du commerce extérieur. Commission permanente des valeurs de douane
(session de 1901). Valeurs arbitrées pour 1900. Paris, impr. nationale, 1901. 8. 349 pag.
(Publication du Ministère du commerce.)
Commerce et navigation des principaux pays étrangers de 1891 à 1899 — 1900.
Paris, imprim. nationale, 1901. gr. in-8. 248 pag. (Annales du commerce extérieur.
Faits commerciaux, N° 19.)
Compte rendu sommaire des travaux de la chambre de commerce de Dieppe
pendant l’année 1900. Documents statistiques concernant le commerce du port de Dieppe
et de la circonscription, Dieppe, impr. centrale, 1901. 8. 235 pag.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 269
Krauss, J. S., Aerial navigation: how far is it practicable? London, Simpkin,
1901. 8. 1/.—;: è
Moore, Henry Ch., Omnibuses and cabs, their origin and history. London,
Chapman & Hill, 1901. 8. XIV—281 pp. with 31 illustr. 7/.6.
Report from the select Committee on steamship subsidies; together with the
proceedings of the Committee, minutes of evidence, ete. London, printed by Wyman
& Sons, 1901. Folio. XII—369 pp. 3/.6. (Parl. pap.)
Spoorweghaven, een, voor Soerabaja. Soerabaja, E. Fuhri & C° (Amsterdam,
J. H. de Bussy) 1901. 4. 4; 68 en 2 blz. met 1 krt. fl. 2,50.
"Eusiaex ris Eii/Zëze peta tò Eros 1899. s. 1. ( Svjvorc) 1900. 4. 449 pp.
(Handel Griechenlands mit dem Auslande.) [Publikation des statistischen Bureaus im
Finanzministerium. |
7. Finanzwesen.
Oktavio Frhr. v. Zedlitz und Neukirch, Seehandlungs-
präsident a. D., Dreißig Jahre preußischer Finanz- und Steuerpolitik.
` Berlin (Mittler & Sohn) 1901. 122 SS.
Die vorliegende Schrift ist der Niederschlag der Kenntnisse und
Anschauungen, die sich Verf. in seiner parlamentarischen Thätigkeit
erworben hat. Besondere Berücksichtigung hat daher die Behandlung
der Finanzreformen im Landtage gefunden, zumeist allerdings nur unter
Heranziehung der vom Verf. und seinen politischen Freunden gemachten
Vorschläge. Besprochen wird im 1. Teil die Entwickelung des Staats-
haushalts und, der allgemeinen Finanzpolitik, im 2. die Steuerpolitik.
Der Aera Camphausen wirft Verf. „Popularitätsrücksichten und
schwächlichen Optimismus“ vor, wenn auch Maßregeln, wie die Konso-
lidation der Staatsschulden und die Dotierung der Provinzen gelobt
werden. Bei der Aufzählung der einzelnen Steuergesetze aus dieser
Zeit ist S. 79 das Erbschaftssteuergesetz von 1873 übersehen. Für
die folgende Periode, von Campbausen’s Rücktritt bis zum Eintritt
Miquels, die „Periode des Flickwerks“, wird mit Recht der über-
wiegende Einfluß Bismarcks scharf hervorgehoben, der schließlich durch
seine Abneigung gegen die direkten Steuern das schwerste Hindernis
der Reform wurde. Zweifelhaft erscheint allerdings, ob der Versuch
von 1883 gerade am Widerspruch des Kanzlers gegen die Deklarations-
pficht scheiterte (S. 84) Denn für diese hat sich Fürst Bismarck
nicht nur wiederholt ausgesprochen, sondern er führt sie auch noch
in den „Gedanken und Erinnerungen“ als eine der Forderungen an,
mit deuen er im Finanzministerium keinen Anklang gefunden hätte.
Uneingeschränkte Anerkennung hat auch Herr v. Miquel nicht ge-
funden. An ihm wird eine zu pessimistische Auffassung der Finanz-
lage und übermäßige Fiskalität getadel. Wenn ihm auch ein hervor-
ragender Ehrenplatz unter den Finanzmännern Preußens zugesichert
wird, bedauert Verf. doch, daß sein sonstiges staatsmännisches Wirken
nicht dieselbe Größe und Entschlossenheit gezeigt habe, wie die Steuer-
reform.
Die kleine Schrift bietet eine schätzenswerte Ergänzung zu ähnlichen
größeren Darstellungen. Bei einer Neuauflage ließen sich vielleicht
manche Anklänge an das Juristendeutsch (z. B. der einen einzigen
Satz bildende Abs. 2 S. 111) vermeiden.
Berlin. G. Brodnitz.
270 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
Allgemeine Rechnung über den Staatshaushalt des Jahres vom 1, April 1898 49
nebst Anlagen. Berlin, gedr. in der Reichsdrpckerei, Dezember 1901. Folio. VIII-
477; 106; 6 u. 4 SS.
v., Sartori-Monteeroce, Tullius R., Geschichte des landschaftlichen Steuer-
wesens in Tirol. Von K. Maximilian I. bis Maria Theresia. Innsbruck, Wagner, 1902,
gr. 8. VII—334 SS. M. 6,40. (A. u. d. T.: Beiträge zur österreichischen Reichs- und
und Rechtsgeschichte, Bd. IL.)
Uebersicht der Staatseinnahmen und -Ausgaben mit dem Nachweise von den
Etatsüberschreitungen und den der nachträglichen Genehmigung bedürfenden außer-
etatsmäßigen Ausgaben für das Etatsjahr 1900 nebst Uebersicht von den Verwaltung-
einnahmen und -Ausgaben der preußischen Centralgenossenschaftskasse für das Etats-
jahr 1900. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei, Dezember 1901. Folio. XXIV—
581 SS.
Rapport au président de la République et déclarations générales de la Cour des
comptes sur les comptes de l’année et de l'exercice 1899, et ecluircissements en réponse
aux observations contenues dans le rapport au président de la République et dans les
déclarations générales de la Cour des comptes. Paris, impr. nationale, 1901. in-
XII—576 pag. (Publication du Ministère des finances.)
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Aerztliche Stand, der, und die deutsche Arbeiterversicherung. Aus Anlaß der
bevorstehenden Abänderung des Krankenversicherungsgesetzes zusammengestellt vom
ärztlichen Lokalvereine Augsburg. Augsburg, Selbstverlag des Lokalvereins, 1901.
gr. 8. VII-363 SS. u. 2 Tabellen.
Arbeiterkrankenversicherung, die, in Berlin im Jahre 1900, Berlin, Druck
von W. & S. Loewenthal, 1901. Imp.-4. 31 SS. (Bearbeitet im statistischen Awt
der Stadt Berlin.)
Bestimmungen der preußischen Centralgenossenschaftskasse für den Geschäfts-
verkehr mit Vereinigungen und Verbandskassen eingetragener Erwerbs- und Wirtschafts-
genossenschaften (Gesetz v. 31. 7. 1595 $ 2 Ziffer la und 2; Gesetzsammlung 1895, 8.310).
Berlin, 6. IX. 1901 mit IX Anlagen. gr. Folio. (Nach dem Inkrafttreten des Bürger-
lichen Gesetzbuches neu bearbeitete Bestimmungen.)
Geschäftsübersicht der Landesversicherungsanstult Königreich Sachsen für
1900. Dresden, Druck von W. Baensch, 1901. 4 32 SS., 2 tabellarische Anlagen
und 1 graphische Darstellung.
Geschäftsbericht der Leinenberufsgenossenschaft für das Jahr 1900. Schwelm,
Druck von M. Scherz, 1901. 4 20 SS.
Glackemeyer (Senator u. Kreditbankdirektor, Hannover), Die Centralgenossen-
schaftskasse für Niedersachsen zu Hannover. Hannover, Manz & Lange, 1901. 16.
31 SS. M. 0,20.
Grossmann, Wilh., Versicherungsmathematik. Leipzig, Göschen, 1902. 8. VI—
218 SS. geb. M. 5.—.
Liman, C. (GehKommissR.), Tagesfragen. Die Generalversammlung der pommer-
schen Hypothekenaktienbank vom 16. XI. er. und die Scheu vor der Liquidation. —
Beurteilung der Entwürfe eines Reichsgesetzes betr. die Sicherung der Bauforderungen.
Hypothekenbanken und Staatsaufsicht. Berlin, A. Bath, 1901. gr. 8 32 SS. M. 0,90.
Loeb, Ernst, Die volkswirtschaftliche Schädigung Deutschlands durch das Börsen-
gesetz. Berlin, Verlag des „Berliner Aktionär“, 1902. 12. 40 SS.
Mitteilungen über den 42. allgemeinen Genossenschaftstag der auf Selbsthilfe
beruhenden deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften zu Baden-Baden vom
4. bis 7. IX. 1901. Ilerausgeg. im Auftrage des allgemeinen Verbandes von Hans
Crüger (Verbandsanwalt). Berlin, Guttentag, 1901. gr. 8. 412 SS. M. 2.—.
Riesser (Berlin), Die Notwendigkeit einer Revision des Börsengesetzes vom 22. VI.
1896 bezw. 1. I. 1897. Vortrag geh. in der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft in Berlin
am 21. XI. 1901. Berlin, L. Simion, 1901. gr. 8. 64 SS.
Versicherungskalender, deutscher, für das Jahr 1902, XX XII. Jahrgang.
Gr.-Lichterfelde bei Berlin, Wallmanns Verlag und Buchdruckerei, 1901. 12. 726 SS.
M. 10.—. (Enthält außer den im Deutschen Reiche arbeitenden ausländischen auch
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslan des, 271
dänische, niederländische, norwegische, schwedische, russische, finische und spanische
Versicherungsgesellschaften.)
Verwaltungsbericht des Vorstandes der Landesversicherungsanstalt Branden-
burg für das Geschäftsjahr 1900. Berlin, Deutscher Verlag, 1901. Imp.-4. 44 SS.
Verwaltungsbericht des Vorstandes der Versicherungsanstalt für Schwaben
und Neuburg für das Geschäftsjahr 1900. Augsburg, Druck von Pfeiffer, 1901. gr. 8.
51 SS.
Wiener, Rob., Vorschläge zum Schutze der Pfandbriefe. Berlin, C. Heymanns
Verlag, 1902. 8. 29 SS. M. 0,50.
Association nationale des porteurs francais de valeurs étrangères, Rapport
annuel, exercice 1900—1901. Paris, 5, rue Gaillon, 1901. 8. 25 pag.
Skarzynski, Stanisl., Essai sur une „Banque de Russie“. Paris, Guillaumin
& Ci, 1901. 8. 73 pag. fr. 2,50.
Taquet, Paul, Une fraude de 100 millions. Les bouilleurs de cru. Paris,
Guillaumin & Ci, 1901. 8. 244 pag. fr. 4.—.
Cochrane, A. D., Banking: Notes on the origin and development of banking,
and lessons to be drown from its history. London, Wilson, 1901. 8. 100 pp. 21.6.
Wall, Walter W. (late editor of the Mining Journal), "How to speculate in mines,
being an exposition of the principles of investment an speculation, with descriptions
of mine-developments and principal gold-fields, and a glossary of mining terms. London,
Grant Richards, 1901. 5. XX—360 pp., cloth. 6/.—. (Contents: The golden rule of
spéculation. — Capital, area, position, size of reefs, ‘ete. — Economical facilities. —
Experts. — How markets are influenced. — Bulls and bears. — Mine developments. —
The financial press. — Rand mining. — Rhodesians. — West Australians. — West
Africans. — Indian mines. — British Columbians. — Miscellaneous gold-fields. — ete.)
Verslag aan de Koningin betrekkelijk den dienst der Rijkspostspaarbank in
Nederland over 1900. ’s Gravenhage, Gebr. van Cleef, 1901. 4. III—119 blz. en
20 graphische voorstellingen. — Extrait du rapport A la Reine concernant le service
de la caisse d’&pargne postale des Pays-Bas, en 1900. Franseker, F. Koksma, 1901.
Lex. in-8. 16 pag.
9. Soziale Frage.
Lorini, Eteocle, Il profitto, appunti di critica economica intorno
ad un particolare aspetto dell’ odierna questione sociale. Roma (Loescher)
1901. 155.88;
Lorini hat sich bisher hauptsächlich durch tüchtige Arbeiten auf
dem Gebiete des Währungswesens bekannt gemacht: mit dieser Schrift
betritt er ein neues Terrain. Er bietet uns, wie er sagt, vorerst nur
eine Skizze seiner Ansichten über den „Profito“, in dem in der heutigen
Wirtschaftsorganisation der Kern der sozialen Frage stecke. Dabei
wandelt er vielfach neue Bahnen und beansprucht er für seine Forschung
und seine Darlegungen das Recht voller Freiheit und Unabhängigkeit
von ihm vorausgegangenen Theoretikern.
Im ersten Kapitel bespricht L. einige „angeblich“ grundlegende
Prämissen der ökonomischen Forschung, in erster Reihe das Prinzip
der Wirtschaftlichkeit (principio edonistico), das er nicht als eine Prä-
misse für die Forschung, sondern als eine Norm tür das wirtschaftliche
Handeln aufgefaßt wissen will, allerdings innerhalb des Rahmens der
Moral und des Rechtes. Inwieweit diese Auffassung in dieser Form
mit einem kollektivistischen Denken vereinbar ist, möchte ich hier nicht
untersuchen.
L. geht dann zur Besprechung des „Prinzips“ der abnehmenden
Erträge über (produttività decrescente) und sucht dasselbe auf seinen
272 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
wahren Inhalt zurückzuführen (S. 10), insoweit das Prinzip für den
Grund und Boden in Betracht kommt. Seine Bedeutung für die mensch-
liche Arbeit erörtert er unter Berücksichtigung weiter Zeiträume in
erfreulich-optimistischem Sinne und vom Standpunkte der Gesamtheit.
Als dritte Prämisse betrachtet L. das Malthusianische Bevölkerungs-
gesetz. Er stellt als Ergebnis dieser Betrachtungen den Satz auf, die
nationalökonomische Forschung bedürfe keiner ihr allein eigenen Prä-
missen; die „moralischen, juristischen und politischen Wissenschaften“
stellen die erforderlichen Prämissen bei und diese haben wir für die
induktive Forschung zu verwenden; dem, was jene Wissenschaften sagen,
fügen wir unsere Erkenntnisse darüber bei, was dem individuellen
kollektiven Interesse entspricht und zu welchen Handlungen und
Maßnahmen uns dieses beim Tausche führt.
Auf’ diese Einleitung folgt bei L. ein Kapitel, daß sich mit dem
„Unternehmer“ beschäftigt, der ganz selbständig neben den anderen
Produktivfaktoren dastehe, also auch neben dem Kapitale, bezw. dem
Kapitalisten und der dem Kapitalisten gegenüber das natürliche Be-
streben haben müsse und mußte, seinen Fesseln sich zu entwinden,
während es andererseits gerade das Interesse des Kapitalisten war, wo-
durch die Industrie ihre heute vervollkommnete Form, die der unter
nehmerweisen Großindustrie erlangt hat; im Kampfe gegen das Risiko
seitens der Kapitalisten und der Unternehmer entstand die Aktiengesell-
schaft.
Das dritte Kapitel behandelt endlich den Begriff des Profites, als des
specitischen Unternehmereinkommens, des Unternehmergewinnes und
setzt sich mit den wichtigsten Auffassungen dieses wirtschaftlichen Phäno-
mens, insbesondere aber mit der nach L. ganz irrigen Behandlung des
Profites als einer Form der Rente auseinander (S. 66, 67). Diese skiz-
zenhaften Ausführungen sind für alle diejenigen von besonderem Interesse,
welche eine einheitliche Erklärung der Einkommensarten postulieren.
Das vierte Kapitel behandelt den Profit in der „kapitalistischen
Industrie“: es folgt sodann ein Abschnitt über den Profit in der „unter-
nehmerweisen Industrie“; beider Inhalt kann in einer kurzen Anzeige nicht
widergegeben werden und würde eine eingehende Kritik erfordern. L. ge-
langt zu dem Schlusse, daß, wenn die Einkommensverteilung nach Maßgabe
der produktiven Beihilfe der Produktionsfaktoren mit Einschluß der Unter-
nehmerthätigkeit erfolgt, zwischen den Einkommensteilen, also auch
zwischen dem Profite und den anderen prinzipiell weder eine „Har-
monie“, noch ein Antagonismus besteht, daß aber künstlich ein Antago-
nismus hineingetragen werde, weil jenes Prinzip der Verteilung praktisch
heute nicht zur Geltung komme. Nicht mehr das Kapital, sondern der
Unternehmer sei heute der Feind der gerechten Verteilung.
v. Schullern.
Jahre, fünfzig, innerer Mission in Nassau 1850—1900. Allgemeine Uebersicht
über die Arbeiten der inneren Mission und insbesondere Bericht über die Entstehung
und Entwickelung, die Anstalten und die Thätigkeiten des evangelischen Vereins in dem
Konsistorialbezirk Wiesbaden. Herausgeg. vom Vorstande des evangelischen Bundes.
Herborn, Buchhandl. des Colportagevereins, 1901. gr. 8. VI—115 SS. M. 0,80.
|
|
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 273
Magdalenenstift, das evangelische, zu Plötzensee bei Berlin (vom 1. VIII.
1901 in Teltow). Diakonissenhaus für Liebesarbeit unter Verlorenen und Krankenpflege
(Verwaltungsjahr 1900/01). Berlin, Druck von Thormann & Goetsch, 1901. 8. 29 SS.
Rauchmayer, Hans, Zur sozialen und wirtschaftlichen Lage der Coiffeur-
gehilfen in der Schweiz. Bericht über unsere Statistik für 1900. Zürich, Buchdruckerei
des Schweizerischen Grütlivereins, 1901. 8.
Schriften des deutschen Vereins für Armenpflege und Woblthätigkeit. Heft 56.
Leipzig, Duncker & Humblot, 1901. gr. 8. 145—XX SS. M. 3,40. (Inhalt: Stenogr.
Bericht über die Verhandlungen der 21. Jahresversammlung des deutschen Vereins für
Armenpflege, ete. am 12. u. 13. IX. 1901 in Lübeck; enthält u. a.: Bericht über das
ausländische Armenwesen, von (StadtR.) E. Münsterberg. — Soziale Ausgestaltung der
Armenpflege, von (StadtR.) Flesch und (StadtR.) Soetbeer. — Das Verhältnis der Armen-
verbinde zu den Versicherungsanstalten, von (Rat) Olshausen u. (Direktor) Gebhard. —
Die Aufgaben der Armenpflege gegenüber trunksüchtigen Personen, von (StadtR.) Samter
und (StadtR.) Waldschmidt. — Die Fürsorge für Erhaltung des Haushaltes, insbesondere
durch Hauspflege, von (Bürgermstr.) v. Hollander.
Sinzgheimer, Ludw., Die Arbeiterwohnungsfrage. Stuttgart, E. H. Moritz,
1902. 8. 190 SS. (Volksbücher der Rechts- und Staatskunde, Bd. II u. III.)
Verhandlungen des 31. Kongresses für innere Mission zu Eisenach vom 23.—
%. IX. 1901. Herausgeg. im Auftrag des Sekretariats. Eisenach, H. Kahle, 1901.
gr. 8. XII—271 SS. M. 2,50.
Congrès (Ii) international de la mutualité, tenu au palais des congrès de PEx-
position Universelle de 1900 sous la présidence de M. V. Lourties (ancien ministre) du
6, au 10 juin 1900. Compte rendu des travaux par Jul. Arboux (secrétaire général).
Paris, Firmin-Didot & Oe, 1901. gr. in-8. 682 pag. fr. 6.—.
Boies, Henry M. (Member of the Board of Public Charities etc. of the State of
Pennsylvania), The defence of society against crime. New York, Putnam’s Sons, 1901.
gr. 8. XVII—459 pp., cloth. 15/.—. (Contents: The criminal class. — Crime. — The
detection and identification of criminals. — The defense of society, and State control of
eriminals. — Legal penalties. — The indeterminate sentence. — The reformation of
criminals. — Drunkards and prostitutes. — The criminal insane and insane convicts. —
The instinctive and habitual criminal. — Juvenile and first offenders. Probation and
parole. — Prison labor. — The installation and administration of penal and reformatory
institutions. — Police prevention. Prohibition of the marriage of the unfit. — Pre-
sumptive criminals : the minor wards of the State; Defective, delinquent, neglected, and
abandoned children. — The education of children in publie schools. — Kindergartens
and orphanage training. — Penological ethics in the administration of law. — Statistics
of illiteracy, suffrage, and crime in the United States for 1900. — Number of homi-
cides, executions, and lynchings in the United States collected by the Chicago Tribune
from newspaper reports for 18 years. — etc.)
10. Gesetzgebung.
Coermann, W. (kais. AmtsR., Mülhausen i. E.), Die deutsche und internationale
Frachtgesetzgebung. Ein Handkommentar für den Juristenstand und die Handels- und
Verkehrswelt. Berlin, O. Häring, 1901. 8. 228 SS., kart. M. 3.—.
Fischer-Colbrie, Ed., Die Anfechtung von Hypotheken durch Nachhypothekare
nach österreichischem Rechte. Wien, Manz, 1902. gr. 8. V, 118 SS. M. 2,40.
Hammerschlag, P., Ueber die Rückforderbarkeit der Deckung bei Differenz-
geschäften. Mit einer Zusammenstellung der einschlägigen Entscheidungen des obersten
Gerichtshofes. Wien, Manz, 1901. gr. 8. III—79 SS. M. 1,50.
Hirsch, Rob. (Rechtsanw. Ulm) in Verbindung mit L. Nagel (k. OAmtstierarzt,
Ulm), Die Gewährleistung beim Viehhandel nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Stutt-
gart, W. Kohlhammer. 1902. gr. 8 VIII—559 SS. M. 10.—.
Schröter, C., Die ôffentlich-rechtlichen Folgen der fruchtlosen Pfändung und
des Konkurses in der Schweiz. Bern, Schmid & Francke, 1902. 8. 82 SS.
Stölzel, Adolf, Die Entwiekelung der gelehrten Rechtsprechung untersucht auf
Grund der Akten des Brandenburger Schöppenstuhls. Bd. I: Der Brandenburger Schöppen-
Dritte Folge Bd. XXIII (LXXVIII), 18
274 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
stuhl. Berlin, Frz. Vahlen, 1901. gr. 8. XVIII—595 SS. mit Tabelle über das Personal
des Brandenburger Schöppenstuhls und 1 Tafel. M. 12.—.
Voigtländer, R. (Verlagsbuchhändler), Die Gesetze betreffend das Urheberrecht
und das Verlagsrecht an Werken der Litteratur und der Tonkunst vom 19. VI. 1901.
Sachlich erläutert. Mit einem Anhange enthaltend die litterarischen Gesetze von Oester-
reich, Ungarn, der Schweiz, die Bremer Uebereinkunft und die wichtigsten Staatsver-
träge. Leipzig, Rossberg & Berger, 1901. 8. 357 SS. geb. M. 6.—.
Chevalier, L. (receveur-rédacteur à la direction de l’enregistrement, des domaines
et du timbre de la Vienne), Les droits de mutation par décès en France au cours du
XIX” siècle (22 frimaire an VII—25 Février 1901). Poitiers, imprim. Blais & Roy,
1901. 8. 218 pag.
Decaudin, P. (avocat), Etude sur le régime légal des sociétés coopératives de
consommation en France. Lille, impr. Morel, 1901. 8. 124 pag. (thèse).
de Ricqlès, E. H., La recherche de la paternité. Paris, A. Rousseau, 1901. 8.
VII—223 pag. (thèse),
Boyle, E. and T. Waghorn, Law relating to traffic on railways and canals.
3 vols. London, Clowes, 1901. Roy.-8. 50/.—.
Simonson, Paul Fred., The law relating to the reconstruction and amalga-
mation of joint stock companies, together with forms and precedents. London, E. Wilson,
1901. Roy.-8. 190 pp. 10/.6.
11. Staats- und Verwaltungsrecht.
Muensterberg, Dr. E. (Stadtrat in Berlin), Das ausländische
Armenwesen. Uebersicht über die neueren Bestrebungen auf dem Ge-
biete der Armenpflege in den für uns wichtigsten Staaten des Aus-
landes. Neue Folge (Schriften des deutschen Vereins für Armenpflege
und Wohlthätigkeit. Heft 52). Leipzig 1901. IX u. 307 SS.
In den Jahren 1891—1895 erstattete der verstorbene Freiherr von
Reitzenstein in den Jahresversammlungen des deutschen Vereins für Armen-
pflege und Wohlthätigkeit mündlich einen Bericht über die neueren
Bestrebungen auf dem Gebiete des Armenwesens im Auslande, der nur
in dem stenographischen Berichte über die Jahresversammlung gedruckt
ward. Nach seinem Tode übernahm diese Berichterstattung der um die
Wissenschaft wie um die Praxis der Armenpflege hochverdiente Dr. Muen-
sterberg, der jetzt als Stadtrat der Stadt Berlin an der Spitze der
größten Armenverwaltung im Deutschen Reiche steht. Aber er gab
der Berichterstattung eine andere Gestalt und damit zugleich dem Be-
richte eine weit größere wissenschaftliche Bedeutung. Statt eines kurzen
mündlichen Jahresberichts giebt er in einem besonderen Heft der Schriften
des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit eine aus-
führliche Darstellung der Gesetzgebung und praktischen Bestrebungen
auf allen Gebieten der Armenpflege in den wichtigsten Staaten des Aus-
landes, auch beschränkt er sich nicht auf ein Jahr, sondern faßt in
seinen Berichten mehrere Jahre zusammen. Im Jahre 1895 erschien in
Heft 35 der Schriften des Vereins der erste Bericht Muensterberg’s,
der die Jahre 1893—97 umfaßte (s. Jahrbücher, III. Folge, Bd. XVIII,
S. 661). Ihm hat der Verfasser jetzt in Heft 52 einen zweiten Bericht
folgen lassen, der über die letzten Jahre sich erstreckt. Obwohl in
diesen Jahren in keinem der von dem Verfasser behandelten Staaten
ein größeres und bedeutsames Gesetz über die Armenpflege oder die
damit in nächstem Zusammenhange stehende soziale Fürsorge, wie Ar-
: B-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 975
beiterversicherung u. s. w., erlassen worden ist, so ist der Umfang des
Berichts doch um mehr als das Dreifache angewachsen. Den 73 Seiten
des ersten Berichts stehen 307 Seiten des zweiten Berichts gegenüber.
Daraus ergiebt sich schon, daß der Verfasser sich zum Ziel gesetzt hat,
die Zustände, wie sie auf dem Gebiet der Armenpflege in den ein-
zelnen Staaten thatsächlich bestehen, sowie die Reformbestre-
bungen, die in den Beratungen der parlamentarischen Versamm-
lungen, in Vereinen und in der Litteratur zu Tage treten, eingehend
zu schildern. Wenn der Verfasser vielleicht in einzelnen Abschnitten
auch etwas kürzer sich hätte fassen können, so kann ihm doch die Wissen-
schaft für den großen Fleiß und die Sorgfalt, mit denen er seinen Be-
richt bearbeitet hat, nur dankbar sein. Es galt ein außerordentlich
umfangreiches Material, das in Büchern, Verhandlungen, parlamen-
tarischen Berichten, Zeitungsartikeln, Jahresberichten zahlreicher Ver-
eme und Anstalten weit verstreut ist, zu sammeln und wissenschaft-
lich zu verarbeiten. Es ist ihm dies in vortrefflicher Weise gelungen.
Seine Schrift darf als ein wichtiges, ja unentbehrliches Hilfsmittel zur
Kenntnis des Armenwesens der Gegenwart bezeichnet werden. Durch
diereichen Litteraturangaben, die der Verfasser dem Bericht über ein
jedes Land voraussendet, giebt er zugleich eine Ergänzung zu der von
ihm 1900 herausgegebenen Bibliographie des Armenwesens. (Bei dieser
Gelegenheit darf darauf hingewiesen werden, daß soeben zu dieser
Bibliographie ein erster Nachtrag, der 54 Seiten umfaßt, erschienen ist.
Schriften der Centralstelle für Arbeiter-Wohlfahrtseinrichtungen. Ab-
teilung für Armenpflege und Wohlthätigkeit. Berlin 1902.)
Wie in dem ersten Berichte, behandelt der Verfasser auch jetzt
Oesterreich, die Schweiz, England, die Vereinigten Staaten von Nord-
Amerika, Frankreich (doch hätte der Inhalt des S. 212 angeführten
Gesetzes vom 19. April 1898, soweit er in den Rahmen des Berichtes
gehört, angegeben werden sollen), Italien, ‘Belgien. Der vorliegende
Bericht ist aber auch auf die Niederlande und Rußland ausgedehnt
worden, wenn der Verfasser auch, was den Bericht über Rußland be-
trifft, durch die Unkenntnis der russischen Sprache verhindert war,
von der sehr umfangreichen russischen Litteratur selbst Kenntnis zu
nehmen. Vielleicht wird es sich empfehlen, für den nächsten Bericht
die Berichterstattung über Rußland einem russischen Gelehrten und
Sachverständigen anzuvertrauen. Freilich weiß der Referent aus eigener
Erfahrung, daß es nicht ganz leicht ist, einen russischen Gelehrten
bierfür zu gewinnen. Wenn es gestattet sein darf, noch einen weiteren
Wunsch für den nächsten Bericht auszusprechen, so ginge derselbe
dabin, daß auch die skandinavischen Länder und die englischen Kolo-
nien, insbesondere Canada und Australien in die Berichterstattung
einbezogen werden möchten. Namentlich in den Kolonien Australiens
sind in den letzten Jahren die Gesetzgebung und die Reformbestre-
bungen zur Besserung der sozialen Fürsorge außerordentlich rege ge-
wesen. Nach Deutschland dringen hierüber nur wenige und nicht
immer zuverlä ssige Nachrichten. Allerdings wird dem Verfasser die
18*
976 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Erfüllung dieses Wunsches nur möglich sein, wenn er sich in den
Besitz der hierzu erforderlichen Materialien zu setzen vermag. Doch
wollen wir nicht mit einem vielleicht zu weitgehenden Wunsche schließen,
sondern mit dem Ausdruck des Dankes für die reiche Belehrung, die
die Schrift des Verfassers jedem Leser gewährt. Loening.
Bericht über die Verwaltung der Feuerwehr und des Telegraphen von Berlin
für das Etatsjahr 1900 (1. IV. 1900—31. III. 1901). Berlin, W. & S. Loewenthal, 1901,
gr. 8. 139 SS.
Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegenheiten der
Stadt Erfurt für das Rechnungsjahr 1900. Erfurt, Druck von Fr. Kirchner, 1901.
gr. 4. 278 SS.
Bezirkstag des Unterelsaß. Sitzung von 1901. Verhandlungen. Straßburg,
Elsässische Druckerei, 1901. 4. XIX u. S. 253—416.
Freiberg. Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegen-
heiten der Stadt Freiberg auf die Jahre 1899 und 1900. Freiberg, Craz & Gerlach,
1901. 4. IV—350 SS. M. 6.—.
M.-Gladbach. Finalabschlüsse des Ordinariums und Extraordinariums der
Hauptrechnung sowie der Nebenrechnungen der Stadt M. Gladbach für das Rechnungs-
jahr 1900. M.-Gladbach, 1901. 4. 53 SS.
Glogau. Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten in
der Stadt Gl. für die Zeit vom 1. IV. 1900 bis 31. III. 1901. Glogau, ,,Glogauer
Druckerei“, 1901. gr. 4 39 SS.
Görlitz. Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten der
Stadt Görlitz im Etatsjahre 1900. Görlitz, Druck von Hoffmann & Reiber, 1901. 4.
171 SS. — Jahresabschluß der Stadthauptkasse zu Görlitz für das Rechnungsjahr 1900.
Ebd. gr. Folio. 151 SS.
Hoeniger, Frz., Die Grenzstreitigkeiten nach deutschem bürgerlichen Rechte
auf historischer Grundlage unter besonderer Berücksichtigung des preußischen Rechtes.
Berlin, Guttentag, 1901. 8. 111 SS. M. 3.—.
Hof- und Staatshandbuch des Großherzogtums Baden, 1902. Karlsruhe, G. Braun-
sche Hofbuchdruckerei, 1901. gr. 8. 977 SS.
Hue de Grais (Graf, Wirkl. GehORegR., etc.) Handbuch der Verfassung und
Verwaltung in Preußen und dem Deutschen Reiche. 14. Aufl. Berlin, Jul. Springer,
1901. gr. 8. XI-b631 SS., geb. M. 7,50. é
Klatt, O. (kgl. Kriminalinspekt., Berlin), Die Körpermessung der Verbrecher nach
Bertillon und die Photographie als die wichtigsten Hilfsmittel der gerichtlichen Polizei,
sowie Anleitung zur Aufnahme von Fußspuren jeder Art. Berlin, J. J. Heine, 1902.
gr. 8. 82 SS. mit zahlreichen Abbildgn. im Text und 21 Tafeln. M. 2,80.
Krone, die, und die Reichshauptstadt. Allgemeinpolitische Betrachtungen und
Erörterung der Konflikte zwischen der Krone und der Stadt Berlin. Von einem Berliner.
Berlin, H. Berwühler, 1902. VI—40 SS. M. 0,50.
Lukas, Jos., Die rechtliche Stellung des Parlamentes in der Gesetzgebung Oester-
reichs und der konstitutionellen Monarchie des Deutschen Reiches. Eine Kritik der
herrschenden Lehre. Graz, Leuschner & Lubensky, 1901. gr. 8. VII —243 SS. M.5.—.
Mühlhausen i. Th. Bericht des Magistrats der Stadt M. i. Th. über Stand und
Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten im Verwaltungsjahre 1900/1901. Mühlhausen
i. Th., Druck von Röth & Köhler, 1901. gr. 4. 38 SS.
Osnabrück. Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten
der Stadt Osnabrück für das Rechnungsjahr vom 1. IV. 1900 bis 31. III. 1901. Osna-
brück, Druck von A. Liesecke, 1901. gr. 4. 140 SS.
v. Rohden (Pastor), Geschichte der Rheinisch-Westfälischen Gefüngnisgesellschaft.
Festschrift zum 75jähr. Bestehen der Gesellschaft im Auftrage des Ausschusses. Düssel-
dorf, L. Voss & C', k. Hofbuchdruckerei, 1901. 8. 184 SS. M. 1,50.
Soest. Bericht des Magistrats zu Soest über den Stand und die Verwaltung der
Gemeindeangelegenheiten für das Verwaltungsjahr 1900/01. Soest, Druck von M. Hoff-
mann, 1901. 8. 67 SS.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 277
Verwaltungsbericht der Stadt Brandenburg a. d. H. pro 1. IV. 1900 bis
dahin 1901. Brandenburg a. H., J. Wiesike’s Buchdruckerei, 1901. gr. 4. 82 SS.
Wiesbaden. Bericht über die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten im Rech-
nungsjahre 1900. (1. April 1900 bis 1. April 1901.) Wiesbaden, Druck von C. Schnegel-
berger & Ce, 1901. 4. 240 SS.
Conseil général du département de la Seine. mm: session de 1900. Mémoires de
M. le préfet de la Seine et de M. le préfet de police et procès-verbaux des délibérations.
Paris, imprimerie municipale, 1901. gr. in-8. 1438 pag.
Département de la Seine: Exercice 1901. Budget des recettes et des dépenses.
Paris, Libraire nouvelle (association ouvrière) 1901. Imp. in-4. 211 pag.
Glasson, E. (doyen de la faculté de droit de l’Université de Paris, membre de
l'Institut), Le Parlement de Paris, son rôle politique depuis le règne de Charles
VII jusqu’à la Révolution. 2 vols. Paris, Hachette & Ce, 1901. gr. in-8. 11—469 et
516 pag. fr. 15.—.
Rapport annuel de l’année 1900 sur les services municipaux de l’approvisionne-
ment de Paris. Paris, impr. municipale, 1901. gr. in-4. 334 pag. (Publication de la
préfecture du département de la Seine, Bureau de l’approvisionnement. Sommaire :
Marché aux bestiaux. — Abattoirs. — Halles centrales. — Marchés de quartier. —
Entrepôt de Bercy. — Vin, alcool, bière, cidre, vinaigre. — Poids publie, — Tableau
récapitulatif des perceptions municipales. — Pain. — Denrées diverses (blé, farines, ete.).
— Assistance publique (prix des denrées). — Consommation moyenne par habitant. —
Objets soumis au droit d'octroi (acides, vernis et matériaux de construction exceptés).)
Lee, W. L. Melwille, A history of police in England. London, Methuen, 1901.
8. 430 pp. 7/.6.
Bilanci comunali per l’anno 1899 e situazione patrimoniale dei comuni al 1° gennaio
1899. Roma, tip. nazionale di G. Bertero & C., 1901. Lex. in-8. CLIII —143 pp. 1. 2,50.
Sveriges Statskalender för ar 1902. Utgifven efter Kgl. Maj:ts nädigste förord-
nande af dess Vetenskaps-Akademi. Stockholm, Norstedt & Söner, 1901. 8 722 pp.
& bihang: (utdrag ur Norges Statskalender) XVI pp.
12. Statistik.
Allgemeines.
Bevölkerung der Erde, begründet von E. Behm und Herm. Wagner. XI. Asien
und Australien samt den Südseeinseln. Gotha, J. Perthes, 1901. Lex.-8. 107 SS. M. 6,40.
(A. u. d. T.: A. Petermanns Mitteilungen aus J. Perthes geographischer Anstalt, her-
ausgegeben von (Prof.) A. Supan. Ergänzungsheft N" 135.)
Deutsches Reich.
Gade, H., Historisch-geographisch-statistische Beschreibung der Grafschaften Hoya
und Diepholz. Nach den Quellen bearb. von H. Gade. 2 Bde. Hannover, M. & H.
Schaper, 1901. gr. 8. Mit den Ansichten sämtlicher Kirchen und Kapellen beider Graf-
schaften. M. 12.—.
Hof- und Staatshandbuch für die Herzogtümer Sachsen-Koburg und Gotha, 1901.
Gotha, E. F. Thienemann, 1901. gr. 8. VIII—244 SS. geb. M. 5,50. (Der stati-
stische Teil des Buches: Einwohnerzahl und sonstige statistische Angaben für die ein-
zelnen Gemeinden befindet sich auf den SS. 118—216.)
H of- und Staatshandbuch des Königreichs Württemberg. Jahrg. 1901 in 2 Teilen.
Stuttgart, Druck von W. Kohlhammer, 1901. gr. 8. geb. (Herausgeg. von dem k. stati-
stischen Landesamt. Inhalt: Teil I. Wirkungskreis der Staatsbehörden des KReichs
Württemberg, XXXII—704 u. 82 SS.; Teil II. Ortschaftsverzeichnis des Königreichs
Württemberg nach der Volkszählung vom 1. XII. 1900. 390 SS.)
Mitteilungen aus der Verwaltung der direkten Steuern im preußischen Staate.
Statistik der preußischen Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1901. Im Auftrage
des Herrn Finanzministers bearbeitet vom kgl. statistischen Bureau. Berlin, Verlag des
Bureaus, 1901. Folio. XIV—215 SS.
Münchener Jahresübersichten für 1900. München, J. Lindauersche Bhdl., 1901,
gr. 4. 118 SS. (A. u. d. T.: Mitteilungen des statistischen Amtes der Stadt München,
Bd. XVII, Heft 4.)
278 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Nachweisungen, statistische, aus der Forstverwaltung des Großherzogtums Baden
für das Jahr 1900. Jahrg. XXIII. Karlsruhe, Ch. Fr. Müller’sche Hofbuchdruckerci,
1901. gr. 4. 119 SS.
Schematismus des Bistums Breslau und seines Delegaturbezirks für das Jahr
1902, Breslau, Druck von R. Nischkowsky, 1901, gr. 8. XXXII—439 SS. (Herausgeg.
von der fürstbischöfl. geheimen Kanzlei.)
Statistik, die, der Bewegung der Bevölkerung, sowie die medizinische und ge-
burtshilfliche Statistik des Großherzogtums Baden für das Jahr 1899. Karlsruhe, Ch.
Fr. Müller’sche Hofbuchdruckerei, o. J. (1901). gr. 8. 76 SS.
Statistik des Deutschen Reichs, Neue Folge, Bd. 136: Auswärtiger Handel des
deutschen Zollgebiets im Jahre 1900. Bearbeitet im kais. statistischen Amt. Teil Il:
Darstellung nach Warengattungen. Berlin, Puttkammer & Mühlbrecht, 1901. Imp.-1.
48; XXXII; 394; 28 SS. M. 6.—.
England.
Abstract, statistical, for the several colonial and other possessions of the United
Kingdom in each year from 1886 to 1900. XXXVIII" number. London, printed by
Wyman & Sons, 1901. gr. 8. 362 pp. 1/.9. (Parliam. pap.)
London Statistics, 1899—1900. London, October, 1901. Folio. CXIII—884 pp.
5/.10. (Published by the London County Council, Local Government and Statistical
Department, County Hall, Spring Gardens, S. W. Contents: Statistics printed by the
London County Council during the years 1899—1900, with an analysis of the statistics
relating to London printed in the annual reports of Vestries and District Boards for
the year 1895—99, and in Parliamentary papers of session 1899.) [London statisties,
vol. A.
Oesterreich-Ungarn.
Arbeitseinstellungen und Aussperrungen in Oesterreich während des Jahres
1900. Wien, A. Hölder, 1901. gr. 8. 161; 301 SS. (Herausgeg. vom k. k. arbeits-
statistischen Amte im Handelsministerium.)
Jahrbuch, statistisches, des k. k. Ackerbauministeriums für das Jahr 1900.
Heft 2. Der Bergwerksbetrieb Oesterreichs im Jahre 1900. Lieferung 2: Bergwerks-
verhältnisse (mit Ausnahme der Bergwerksproduktion). Naphtastatistik. Schlagwetter-
statistik. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1901. gr. 8. 277 SS.
Oesterreichische Statistik. Herausgeg. von der k. k. statistischen Central-
kommission. Band LVIII, Heft 1: Die Ergebnisse der Civilrechtspflege in den im Reichs-
rate vertretenen Königreichen und Ländern, im Jahre 1897. XLVIII—115 SS. Kr. 5.—.
Band LVIII, Heft 2: Die Ergebnisse des Konkursverfahrens (in Cisleithanien) im Jahre
1897. XVI—57 SS. Kr. 2,20. — Bd. LVIII, Heft 4: XXX. statistische Uebersicht der
Verhältnisse der österreichischen Strafanstalten und Gerichtsgefängnisse. XXVII—89 SS.
Kr. 4,60. — Bd. LVIII, Heft 5: Statistische Nachweisung über das zivilgerichtliche
Depositenwesen, die kumulativen Waisenkassen und über den Geschäftsverkehr der
Grundbuchämter im Jahre 1897. XXXIV—114 SS. Kr. 4.—. Bd. LIX, Heft 2, 1. Ab-
teilung: Statistik des Verkehrs (in Cisleithanien) für die Jahre 1898 und 1899. 1. Ab-
teilung: Landstraßen, WasserstraBen, Flußschiffahrt. XXXII—76 SS. Kr. 2,60. Zu-
sammen 5 Hefte. Wien, C. Gerolds Sohn, 1901. Imp.-4.
Statistik der Sanitätsverhältnisse der Mannschaft des k. u. k. Heeres im Jahre
1900. Ueber Anordnung des k. u. k. Reiehskriegsministeriums bearbeitet und heraus-
gegeben von der Ill. Sektion des k. k. technischen Militärkomitee. Wien, Druck der
k. k. Hof- u. Stantsdruekerei, 1901. Imp.;4. IV—278; LII SS.
Magyar statisztikai közlemények. Uj folyam. Kötet XXV, XXVIII & XXIX. A ke-
reskedelemügyi Magy. kir. Miniszter rendeletéböl szerkeszti és kiadja a Magyar kir. központi
statisztikai hivatal. (Ungarische statistische Mitteilungen. Neue Folge, Band 25, 28
und 29. Auf Anordnung des kgl. ungarischen Handelsminister verfaßt und herausgeg.
vom kgl. ungar. statistischen Zentralamt. Inhalt: Bd. 25. Die Krankenkassen der Länder
der ungarischen Krone im Jahre 1898. 164; 129 SS. Kr. 6.—.) Bd. 28. Eisenbahnen
der Länder der ungarischen Krone in den Jahren 1897, 1898 und 1899. 23; 184 SS.
Kr. 6.—. Bd. 29. Auswärtiger Handel der Länder der ungarischen Krone im Jahre
1900, 87; 187 8S. Kr. 6.—. Budapest, Buchdruckerei der Aktiengesellschaft Athenaeum,
1901. Imp.-Folie.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 279
Rußland (Finland).
Hjelt, Aug., De första officiela relationerna om svenska tabellverket apen 1749 —
1757. Nägra bidrag till den Svensk-Finska befolkningsstatistikens historia. 136 pp.
(Darstellung der Bevölkerungsstatistik in Schweden und Finland auf Grundlage des
sogen. schwedischen Tabellenwerkes, enthalten in Fennia. Bulletin de la Société de
géographie de Finlande. Vol. VXI). Helsingfors, 1900. gr. 8.
Holland.
Bijdragen tot de Statistick van Nederland. Nieuwe volgrecks V. Statistiek der
spaar- en leenbanken in Nederland, over het jaar 1898. IV— 277 blz. — VI. Statistiek
der gemeentefinancien in 1898. XIT—149 blz. — VII. Justitiöele statistiek van het
Koninkrijk der Nederlanden over het jaar 1900. XXX VINI— 197 blz. — VIII, 1. Statistiek
der periodieke verkiezingen (Wahlen) voor de II. Kamer der Staten-Generaal, de pro-
vinciale staten en de gemeenteraden, in gemeenten met 15000 of meer zielen (Seelen),
gehouden in 1901. XXVIII—141 blz. — VIII, 2. Statistiek der verkiezingen voor de
II. Kamer der Staten-Generaal en vervolg der periodieke verkiezingen voor de provinciale
staten in 1901. VI—19 bliz. — IX. Statistiek van den loop der bevolking in Neder-
land over 1900. 234 blz. — X. Kiezers-statistiek 1901. VII—72 blz. — XI. Statistiek
van het gevangeniswezen over het jaar 1900. XLVIII—129 blz. Zusammen 8 Hefte.
's Gravenhage, Gebr. Belinfante, 1901. 4. u. gr. 8. [Uitgegeven door het Centraal
Bureau voor de Statistiek.)
Jaarcijfers voor het Koninkrijk der Nederlanden. Rijk in Europa 1900. ’s Gra-
venhage, Gebr. Belinfante, 1901. gr. 8. XXVIII—281 blz. (Bewerkt door het Centraal
Bureau voor de Statistiek.)
Overzicht, vijfjarig, van de sterfte naar den leeftijd en de oorzaken van den
dood in elke gemeente van Nederland gedurende 1895—1899. ’s Gravenhage, Gebroed.
Belinfante, 1901. 4. 1173 blz. (Fünfjährige Uebersicht der Sterbefälle und Todesursachen
in den Gemeinden des KReichs der Niederlande während der Jahre 1895 bis 1899, nach
Lebensdauer und Todesursachen.)
Statistiek van het Koninkrijk der Nederlanden. Bescheiden betreffende de geld-
middelen. XXV“. stuk, 2% gedeelte: Statistiek der domeinen over 1900. ’s-Gravenhage,
M. Nijhoff, 1901. gr. 4. 194 blz. (Uitgegeven door het Departement van Financiën.)
Dänemark.
Danmarks Statistik. Statistisk Aarbog. 6' Aargang: København, Thieles Bog-
trykkerie, 1901, gr. 8. XIII—192 pp. (Udgivet of Statens statistiske Bureau 1 December
1901.) [Indholdsfortegnelse: Areal und Bevölkerung. Bewegung der Bevölkerung. —
Landwirtschaft und Fischerei. Gewerbe und Industrie. Handel und Schiffahrt. — Trans-
portmittel: Post-, Telegraphen- und Eisenbahnwesen. — Geld-, Kredit- und Versiche-
rungswesen, — Sozialstatistik. — Gemeindefinanzen und Staatsfinanzen. — Kolonial-
statistik. — Internationale statistische Tabellen.)
Danmarks Vareindforsel og- Udforsel i Aaret 1900. Kobenhavn, Gyldendalske
Boghandel, 1901. gr. 4. 61; 179 pp. (Danmarks Statistik. Statistik Tabelvierk, 5 Række,
Litra D N° 8.)
Schweiz.
Gesamtbevölkerung, die, der Gemeinden in der Schweiz. Bern, Buchdruckerei
Stämpfli & C", 1901. 4. 31 SS. Deutscher und französischer Text. (Vom statistischen
Bureau des eidgenössischen Departements des Innern. Definitive Ergebnisse der eidgen.
Volkszählung vom 1. XII. 1900.)
Jahrbuch, statistisches, der Schweiz. Herausgeg. vom statistischen Bureau des
eidgenössischen Departements des Innern. Jahrg. X, 1901. Bern, Schmid & Francke,
1901. gr. 8 367 SS. kart. (Inhalt: Bodenfläche; Bevölkerung. — Landwirtschaft;
Tierbestand ` Forstwirtschaft; Fischzucht und Jagd. — Salinen. — Industrie. — Verkehr
und Verkehrsmittel. — Handel; Versicherung; Banken; Preise. — Gesundheitswesen ;
Gesundheitspolizei ; Unterstützung. — Unterricht und Erziehung. — Finanzwesen. —
Gefägniswesen. — Militärwesen. Politische Statistik der Schweiz. — etc.) Text deutsch
und französisch. (A. u. d. T.: Schweizerische Statistik, Lieferung 130.)
Mitteilungen des Bernischen statistischen Burenus. Jahrg. 1901, Lieferung 2:
280 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Ergebnisse der eidgenössischen Volkszählung im Kanton Bern, vom 1. XII. 1900. Bern,
Buchdruckerei Büchler & C°, 1901. gr. 8.
Schweden.
Bidrag till Sveriges offieiela Statistik. F. Handel. Kommerskollegii berättelse för
ar 1900. XVII—240 pp. — L. Statens jernvägstrafie 38b. Allmän svensk jernvägsstatistik
för är 1899. Allgemeine schwedische Eisenbahnstatistik für 1899.) 32; 36 pp. mit
Karte. — L. 39". Statens jernvägstrafie för ar 1900. (Schwedische Staatsbahnstatistik
für 1900.) 119 pp. mit 1 graph. Darstellung in Folio. — M. Postverket. 37. (Schwe-
dische Postbetriebsstatistik für 1900.) XXVII—62 pp. — N. Jordbruk och boskaps-
skötsel für Ar 1901. (Schwedische Aussaat- und Erntestatistik für 1901.) 17 pp. —
U. Kommunernas fattigvärd och finanser. XXVI. Gemeindearmenpflege und -Finanzen
in Schweden 1899.) XXIV—112 pp. (Zusammen 6 Hefte.) Stockholm, P. A. Norstedt
& Söner, 1901. Imp.-4.
Norwegen.
Norges officielle Statistik. IV. Række (Serie) N° 8: Tabeller vedkommende
Folkemængdens Bevægelse i Aarene 1896—1900. II. Tabeller for Aaret 1897. 47 pp.
— N° 9. Norges kommunale Finantser i Aaret 1896. 60 pp. — N° 10. Rekruterings-
statistik for den norske Arme for Aaret 1900. 52 pp. — N°11. Norges Handel i Aaret
1900. XXII—218 pp. — N° 12. Beretning om Rigets Distriktsfængsler for Aaret 1599.
39 pp. — N° 13. Tabeller vedkommende Norges Sparebanker i Aaret 1900. 9; 15 pp.
— N° 14. Tabler vedkommende Norges Kriminalstatistik for Aarene 1895, 1896 og
1897. 170 pp. — N° 15. Tabeller vedkommende Norges Postvæsen for Aaret 1900,
70 pp. — N° 16. Fattigstatistik for Aaret 1895. 21; 108 pp. — N°17. Tabeller ved-
kommende Folkemængdens Bevægelse i Aarene 1896—1900. III. Tabeller for Aaret
1898. 47 pp. Zusammen 10 Hefte. Kristiania, H. Aschehoug & C°, 1901. gr. 8.
Spanien.
Movimiento annal de la poblaciön de España, ano de 1900. I“ parte: Naci-
mientos, matrimonios y defunciones en general. Madrid, imprenta de la Dirección general
del Instituto geogräfico y estadistico, 1901. gr. in-8. XXXIII—448 pp. (Pubblicazione
del Ministerio de instrucción pública y bellas artes, Dirección general del Instituto
geogräfico y estadistico.)
Serbien.
Crarucruka ciozamese TPFOBuHe Kparesme Cpôuie ox 1896 ao 1900 roume.
Beorpax (Belgrad), Serbische Staatsdruckerei, 1901. Imp.-4. 8; 133 pp. (Statistik des
Außenhandels des Königreichs Serbien in den Jahren 1896—-1900.) [Herausgegeben
vom serbischen Finanzministerium, Zolldepartement.]
Amerika (Ver. Staaten).
Monthly summary of commerce and finance of the United States, N° 3 series
1901/1902: September 1901. Prepared in the Bureau of Statistics, Treasury Depart-
ment. Washington, Government Printing Office, 1901. Roy.-4. (pp. 929—1187.) [Con-
tents: Commercial notes. — Reciprocity treaties and agreements. — Territorial expan-
sion of the United States. — Internal commerce. — Financial tables. — Prices of
leading articles. — Foreign commerce of the United States.]
Australien (Kolonie Süd-Australien).
South Australia. Census of 1901. Part I: Summary tables. Adelaide, Chief
Secretary Office, Sept, 30%, 1901. Folio. 82 pp.
13. Verschiedenes.
Bericht über die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt zu Hildesheim vom 1. IV.
1900 bis Ende März 1901. Hildesheim, Druck von A. Lax, 1901. gr. 14 SS.
Büchersammlung des Reichsbankdirektoriums. Berlin, gedruckt in der Reichs-
druckerei, 1901. gr. 8. XII—440 SS,
Dannemann, A. (Privdoz., Univ. Gießen), Bau, Einrichtung und Organisation
psychiatrischer Stadtasyle. Betrachtungen über eine zeitgemäße Verbesserung der Fürsorge
Die periodische Presse des Auslandes. 281
für Geistes- und Nervenkranke. Halle a/S., C. Marhold, 1901. gr. 8. 172 SS. mit 7 Taf.
M. 4.—.
Dillmann, C., Der Schulmeister von Illingen. Ein Zeit- und Sittenbild des
19. Jahrhunderts. Stuttgart, Metzler, 1901. 8. 231 SS. M. 2.—.
Dunbar (Prof.) und K. Thumm (Chemiker der Klärversuche für Sielwässer), Bei-
trag zum derzeitigen Stande der Abwasserreinigungsfrage mit besonderer Berücksichti-
gung der biologischen Reinigungsverfahren. München, R. Oldenbourg, 1902. gr. 8.
VII— 142 SS. M. 4.—. (Aus dem staatlichen hygienischen Institut in Hamburg.)
Haym, Rudolf. — Aus meinem Leben. Erinnerungen von R. H. Aus dem
Nachlaß herausgeg. Berlin, R. Gaeriners Verlag, 1902. gr. 8. 303 SS. mit 2 Portr.
M. 4.—.
Jahresbericht der Verbreitung von Tierseuchen im Deutschen Reiche. Bear-
beitet im kais. Gesundheitsamte zu Berlin. Jahrg. XV: das Jahr 1900. Berlin, Jul.
Springer, 1901. Lex.-8. 170; 100 SS. mit 5 Uebersichtskarten u. 11 in den Text
gedr. Diagrammen.
Jakob, P. (Privdoz.) u. G. Pannwitz (OStabsArzt), Entstehung und Bekämpfung
der Lungentuberkulose. Auf Grund ihrer in den deutschen Lungenheilstätten angestellten
Sammelforschung. I. Bd. Leipzig, G. Thieme, 1901. gr. 8. IX—372 SS. M. 10.—.
Moltke in seinen Briefen. Mit einem Lebens- und Charakterbilde des Verewigten.
2 Teile (in 1 Bde.). Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1902. gr. 8. 293 SS. u. 277 SS.
Mit Bildnissen, Abbildgn., Kartenskizze und Stammbaum, geb. M. 6.—.
Postel, Emil, Deutscher Lehrerkalender für das Jahr 1902. Herausgeg. von
R. Hantke. XXIX. Jahrg. 2 Teile. Breslau, F. Hirt, 1901. 12. (Teil II enthält u. a.
den Schematismus der Behörden für das Volksschulwesen im Deutschen Reiche.)
Stroebe, Fr. (Hofapoth.), Wie gewinnt man gutes Trinkwasser? Ein Beitrag zur
Wasserversorgungsfrage unter Hinweis auf den Einfluß der Schwemmkanalisation auf
die Beschaffenheit der Flüsse. Karlsruhe, Ch. F. Müller, 1901. 4. VII—99 SS. mit
29 Abbildgn. u. 8 Vollbildern. M. 2,80.
v. Treuenfeld, Bruno (Major a. D.), Das Jahr 1813 bis zur Schlacht von Groß-
Görschen. Leipzig, Zuckschwerdt & C°, 1901. gr. 8. XV—544 SS. u. Beilagen 240 SS.
mit 7 Karten. M. 20.—.
Verhandlungen des VII. internationalen Geographenkongresses, Berlin 1899.
2 Teile. Berlin, W. H. Kühl, 1901. gr. 8. XV—455 SS. u. XV—981 SS. mit 37 Ab-
bildgn. u. 30 Taf. geb. M. 20.—.
Clark, J. Willis, The care of books: an essay upon the development of libraries
and their fittings, from the earliest times to the end of the XVIII" century. New York,
Macmillan, 1901. 8. 18; 330 pp. illustr., cloth. $ 5.—.
Cower (Lord Ronald Sutherland), The Tower of London. Vol. I: Norman,
Plantagenet, and Tudor times. London, G. Bell, 1901. Roy.-8. 244 pp. with numerous
illustrations. 21/.—.
Report, XXXII™ annual, of the State Board of Health of Massachusetts. Boston,
Wright & Potter Printing C°, 1901. gr. 8. LIV—891 pp.
Die periodische Presse des Auslandes.
A. Frankreich.
Bulletin du Ministère de l’agriculture. XX"° année, N° 4, Decembre 1901:
I. Statistique agricole annuelle de la France: 1. Tableaux des recoltes pour l’année
1900 (Céréales, tubercules et racines, légumineuses, fourrages, cultures industrielles,
vignes, cultures fruitières ; production séricicole, production des betteraves, ete. — 2, Pro-
duction en céréales et en pommes de terre de 1891 à 1900, production des betteraves
de 1891 à 1900. — 3. Production en vins et en cidres, 1891 à 1900. — 4. Animaux
de ferme et leurs produits: Existences au 31. 12. 1900. Principaux produits en 1900
282 Die periodische Presse des Auslandes.
(lait, laine, miel et cire). — 5. Approvisionnement de Paris: Opérations du marché aux
bestiaux de la Villette en 1898, 1599 et 1900, Consommation de la viande à Paris et
de la viande de cheval, mulet et âne dans le département de la Seine en 1900. —
II. Statistique agricole de l'Algérie. — HI. Statistique agricole des pays étrangers.
Bulletin de statistique et de législation comparée. XXV'" année, 1901, Décem-
bre: A. France, colonies: Décret et arrêté relatifs à l'émission de rentes 3 p.°, perpé-
tuelles. — Loi portant prorogation du privilège des banques coloniales, — Le projet
rectifié de budget pour l'exercice 1902. — Les revenus de PEtat. — Le commerce
extérieur, mois de Novembre 1901. — Les produits de l’enregistrement, des domaines
et du timbre en 1900 (suite et fin). — Droits sur les boissons et consommation moyenne
par habitant dans les principales villes de France (1899—1900). — Production des vins
et des cidres en 1901 (France et Algérie). — B. Pays étrangers: Angleterre: Le revenu
intérieur (suite). — Autriche-Hongrie: Le budget hongrois pour 1902. L’impöt personnel
sur le revenu en Autriche de 1898 A 1900. — Italie: L’Cxpos& financier du Ministre
du trésor. — Russie: Les résultats définitifs de l'exercice 1900. — Suisse: Le projet
de budget de la Confédération pour 1902. — Etats-Unis: Le message du (Président)
Roosevelt. Le rapport du Secrétaire du trésor. La circulation fiduciaire et le système
de trésorerie, — Japon: La frappe des monnaies de 1870 à 1900/1901, — etc.
Journal des Economistes. Revue mensuelle. 60° année, 1901, Décembre: La
participation au bénéfice, par H. L. Follin. — La question des sucres et la conférence
de Bruxelles. — Mouvement scientifique et industriel, par Dan. Bellet. — Travaux des
chambres de commerce, par Rouxel. — Revue de l’Académie des sciences morales et
politiques du 20 août au 30 novembre 1901, par J. Lefort. — Lettre des Etats-Unis,
par G. Nestler-Tricoche. — Le développement de l'industrie sucrière aux Etats-Unis,
par D. B. — Une thèse de Tolstoi, par Fred. Passy. — Bulletin: Création d'un port
franc à Brest. Fédération libre-échangiste internationale. Note sur l’admission temporaire.
— Société d'économie politique, réunion du 5 décembre 1901. Discussion: Des divers
procédés d'émission de valeurs mobilières. — Comptes rendus. — Chronique. — etc.
Journal des Economistes. Revue mensuelle. 61° année, 1902, Janvier: Le XX°
sitele, par G. de Molinari. — Le marché financier en 1901, par A. Raffalovich. — Les
Etats Unis et la réciprocité commerciale, par Achille Viallate. — Revue des principales
publications économiques de l’étranger, par Em. Macquart. — Les finances de la France,
par Maur. Zablet. — Correspondance: La colonisation en Tunisie, par un colon. —
Bulletin: Rapport sur le mouvement de la population en France pendant l’année 1900.
Protestation de la fédération libre-échangiste internationale contre le projet de loi sur
les marchés À terme. — Société d'économie politique (réunion du 6 janvier 1902): Dis-
cussion: Le traité de commerce franco-amerieain. — Comptes rendus, — Chronique.
Journal de la Société de statistique de Paris. XLII®"° année, 1901, N° 11. No-
vembre: Procès-verbal de la séance du 16 octobre 1901. — Nécrologie: M. Adolphe
Coste. — Les compensations de valeurs mobilières en Autriche et en Allemagne. —
L'Institut international de statistique à Buda-Pesth. — „Syrie, Liban et Palestine,
géographie administrative, statistique descriptive et raisonnée, par Vital Cuinet.“ Rapport
par Th. Ducrocq. — Chronique trimestrielle des banques, changes et métaux précieux.
— N°12. Décembre: Procès-verbal de la séance du 20 novembre 1901. — Annexe
au procès-verbal: Rapport de M. E. Cheysson sur le prix Bourdin. — La démographie
dune petite ville aux XIX” siècle, par P. Meuriot. — La population des Etats-Unis,
de 1790 à 1900, d’après les documents officiels. — L’ineidence des droits de douane, par
P. des Essars. — Chronique des questions ouvrières et des assurances sur la vie, par
M. Bellom. — etc.
Revue d'économie politique. AN" année, 1901, N°12, Décembre : La méthode mathé-
matique en économie politique, par Em. Bouvier (suite et fin). — La spécialisation et ses con-
séquences, par Laurent Dechesne (suite et fin). — Chronique législative, par Edm.
Villey. — Revue des revues économiques italiennes, par F. Lepelletier. — etc.
B. England.
Board of Trade Journal. Vol. XXV, N° 264—269, December 19, 1901 to Ja-
nuary 23, 1902: Import trade of the Transvaal (July—Sept., 1901). — Trade of Cape
Colony, January— November 1901. — The raw cotton import trade of Russia. — Hints
on packing goods for Asia Minor, — French interests in China. — America versus
British coal in the Mediterranean. — Decline of American trade with China. — The
= < m
Die periodische Presse des Auslandes. 283
manufacturing industries of Kansas. — Mineral industry of Western Australia. — Openings
for British trade in China. — The trade of British Guiana. — The fish trade in Spanish
ports. — Trade of the Transvaal via Cape Colony. — Openings for British trade. —
Foreign trade of the United Kingdom. — Opening for the establishment of oil mills in
Queensland. — Import trade of Rhodesia. — Commercial methods and openings for
trade in Siberia (Manchuria: Part Dalny). — British versus German coal at Hamburg.
— The dairy export trade of Montreal. — Industrial statistics of New Zealand. —
Russian Bank in Persia. — Trade of France with the American continent (1897—1900).
— Proposed tariff changes. — Tariff changes and customs regulations. — Shipping and
transport. — Minerals, metals, and machinery. — Agriculture. — Miscellaneous. —
Statistical tables. — Government publications.
Edinburgh Review, the. N° 399, January 1902: Local taxation. — Educational
ideals. — Martial law. — Bolingbroke and his times. — Present Irish questions. —
Madame d’Epinay and her circle. — The Empire and the Kingdom. — etc.
Nineteenth Century, the, and after January 1901: The naval position in Eastern
Seas, by (Sir) A. Clarke. — The education problem, by (Sir) Joshua Fitch. — Female
emigration in South Africa, by (Lady) Hely-Hutchinson. — A new route to Canada,
by Edw. C. Burgis. — Sir James Paget and Louis Pasteur, by (Lady) Priestley. —
British labour—a workman’s view, by Jam. G. Hudchinson. — The reduction of town
fogs, by R. Russell. — etc.
Westminster Review, the. December 1901: The paradox of liberal imperialism,
by S. P. Kerr. — Help to ruined farmers in South Africa, by Walther S. Cohen. —
The Deists and the deistie movement of the XVIII" century, by John Max Atten-
borough, — Alfred Noble, his life and will, by A. Edmund Spender. — Edward Carpenter:
the walt whitman of England, by Will. Diack. — Conditional immortality: a misread
record, by Ben Elmy. — The genesis of worship, by C. Penrhyn Gasquoine. — etc.
C. Oesterreich-Ungarn.
Deutsche Worte. Monatshefte herausgeg. von Engelbert Pernerstorfer. Jahr-
gang XXI, 1901, Heft 12: Wie studiert man Sozialwissenschaft? von Fr. Hertz (Wien).
— Charakterbilder aus der Geschichte des Sozialismus und Kommunismus, von Leo
Kestenberg (Reichenberg). [Art. IX u. X: Karl Marx und Friedrich Engels.] — etc.
Handelsmuseum, das, herausgeg. vom k. k. österr. Handelsmuseum. Bd. XVI
N 51 u 52, 19. XII.—26. XII. 1901: Die Meistbegünstigung in den kommenden
Handelsverträgen, von A. Meyer (Zürich). — Die Zolltarifreform im Deutschen Reiche.
— Die Baumwollindustrie im deutschen Zolltarifentwurf, von einem sächsischen Mit-
arbeiter. — Die wirtschaftliche Lage Belgiens. — ete,
Handelsmuseum, etc. Bd. XVII, N° 1—5, 2. I.—30. I. 1902: Entwurf eines
Gesetzes, betreffend den Schutz gegen unlauteren Wettbewerb, von Rud. Pollak (Prof.
der Exportakademie). — Die wirtschaftliche Lage in Südafrika. — Der panamerika-
nische Kongreß, von Emil S. Fischer (New York). — Industrielles aus Kalifornien.
(Aus dem Bericht des k. k. Konsulates in San Francisco pro 1900.) — Die wirtschaft-
liche Bedeutung der Bagdad-Bahn, von Gustav Herlt (Konstantinopel). — Produktions-
verhältnisse in Argentinien. (Aus den Berichte des k. k. Konsulates in Buenos Aires.)
— Die handelspolitischen Aussichten in den Vereinigten Staaten von Amerika, von
Victor Graetz (Washington). [Korrespondenz vom Januar 1902.] Außenhandelsbilanzen
1901. — Die Zolltarifreform im Deutschen Reich. — Winke für den Export von Leder-
waren. — etc.
Mitteilungen des k. k. Finanzministeriums. Redigiert im Präsidialbureau des
k. k. Finanzministeriums. Jahrg. VII, Heft 4 (ausgegeben im Dezember 1901): Rede
des Finanzministers (D' Ritter) Böhm v. Bawerk anläßlich der Einbringung des Staats-
voranschlages für das Jahr 1902. — Ergebnisse der Verzehrungssteuer im Jahre 1899.
— Die Salinen Oesterreichs in den Jahren 1898 und 1899. Verfaßt von A. Schnabl
(OHüttenverwalter im k. k. Finanzministerium.) — Statistische Mitteilung über das
österreichische Tabakmonopol für das Jahr 1900. — Ergebnisse des Tabakverschleißes
im I. Semester 1901. — Der Spielvertrag nach dem Lottopatente. Maßnahmen zum
Schutze des spielenden Publikums. — Statistik des Zahlenlottos (mit 3 Blatt graphischer
Darstellungen). — Statistik der Ausspielungen für Privatzwecke mit 1 graphisch. Tafel.
— Statistik der Immobiliargehühren für Vermögensübertragungen. `
Soziale Rundschau. Herausgeg. vom Arbeitsstatistischen Amte im k. k. Handels-
284 Die periodische Presse des Auslandes.
ministerium. Jahrg. II, 1901, November: Abkürzung der Arbeitszeit jugendlicher Hilfs-
arbeiter im Staate Californien. — Gewerbeinspektion in Preußen 1900. — Genossen-
schaftswesen ` Landwirtschaftliche Genossenschaften in Deutschland. Thätigkeit der land-
wirtschaftlichen Kreditkassen in Frankreich im Jahre 1900. — Arbeiterorganisationen:
Arbeitskammern in Italien. Arbeiter- und Gewerkschaftssekretariat Posen. Jahresbericht
und Bilanz der Mailänder Arbeitskammer für das Jahr 1900. — Soziale Versicherung:
Centralreservefonds der österreichischen Bergwerksbruderladen im Jahre 1900. Italienische
Nationalkasse. Invalidenrente für staatliche Bergarbeiter in Rußland. — Wohnungs-
wesen: Staatliche Förderung der Baugenossenschaften im Deutschen Reiche. — Arbeits-
ämter: Ernennungen für den ständigen Arbeitsbeirat (Oesterreich). Der Voranschlag des
k. k. arbeitsstatistischen Amtes. — Arbeitseinstellungen und Aussperrungen: Streik-
bewegung in Oesterreich im Monate Oktober 1901. Die Arbeitskonflikte im Bergbau
Oesterreichs im HI. Quartale 1901. Streikbewegung im Auslande (England, Frank-
reich). Streikbewegung in Oesterreich im Jahre 1900. Streiks und Aussperrungen in
England im Jahre 1900. — Arbeitsmarkt: Staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit in Oesterreich. Die Arbeitsmarktberichterstattung in verschiedenen
Ländern. — Arbeitsvermittlung: Ergebnisse der Arbeitsvermittlung in Oesterreich im
Monate Oktober 1901. Städtisches Arbeitsamt in München. Vorschriften für gewerbs-
mäßige Arbeitsvermittlung in Preußen. Das Arbeitsvermittlungsinstitut in Budapest im
Jahre 1900. — Wohlfahrtseinrichtungen: Arbeiterheim in Graz. Museen für Arbeiter-
wohlfahrtseinrichtungen in Rußland. — Verschiedenes : Das deutsche Bürgerliche Gesetz-
buch und die Arbeiter. Landeskulturkammern in Frankreich. Lohnhöhe und Schulbil-
dung der russischen Arbeiter. Arbeitsverhältnisse in Spanien. Arbeiterverhältnisse bei
den ungarischen Eisenhütten im Jahre 1898. Arbeitsverhältnisse in Pennsylvanien.
Kinderschutzgesellschaften im Auslande. — ete.
E. Italien.
Giornale degli Economisti. Dicembre 1901: La situazione del mercato monetario.
— Disegno di una riforma razionale del sistema tributario italiano, per G. Alessio. — Il
problema delle case economiche, per G. Spera. — Uenno necrologico su Carlo Conigliani.
— Sul preteso deeremento del patrimonio nazionale italiano, per C. Conigliani. — Previ-
denza (a proposito della cassa di risparmio di Marsiglia) per C. Bottoni. — Cronaca (il
rompiçapo Napoletano), per F. Papafava. — etc.
Rivista della beneficenza pubblica, delle istituzioni di previdenza e di igiene
sociale. Anno XXIX, Novembre-Dicembre 1901, N° 11—12: Le case a buon mercato,
per R. Laschi. — Su la beneficenza, per Azio Samarani. — Cronaca (pp. 875—912):
Consiglio degl’ istituti ospitalieri in Cremona. Comitato di beneficenza per gli operai
anchilostomiaci in Lercara. Relazioni della gestione 1899—1900. Congresso per Pallatta-
mento e la tutela dell’ infanzia. Istituti ospitalieri di Milano. — ete. — Massime di
giurisprudenza. — Atti ufficiali. —
G. Holland.
de Economist, opgericht door J. L. de Bruyn Kops. L"° jaargang, 1901, No-
vember: De industrieele „trusts“ der Vereenigde Staten van America, door G. M. Boisse-
vain (I. art.) — Verplichte beslechting in der minne van arbeidsgeschillen, door (Prof.)
W. A. Reiger. — Economische kroniek: Die industrielle Krisis; Die deutsche Sozial-
demokratie und E. Bernstein auf dem Lübecker Parteitag; Zuckerprämien; Arbeits-
dauer in den Schweizerischen Fabriken; Militär- bezw. Invalidenversicherung in der
Schweiz; Amerikanische Eisenbahnen; Die „Joint Stock Banks“ in dem Vereinigten
Königreich Großbrit. u. Irland. — Handelskroniek. — Economische nalezingen en
berichten : Tabaktrust in England. — ete.
de Economist, ete. 1901, December: De industrieele „trusts“ der Vereenigde
Staten van Amerika, door G. M. Boissevain (art. II, met naschrift) — De achtste
zitting van bet Institut International de statistique, door C. A. Verrijn Stuart. — De
heropening der Internationale Suikerconferentie, door (Prof. Baron) d’Aulnis de Bourouill,
— Economische kroniek : Amerikanische Steinkohlen in Europa. — Die Einkommen-
steuerverteilung nach den Einkommensteuerklassen in England und Oesterreich. Der
Stand der Finanzen der Ver. Staaten von Amerika nach dem Bericht des Schatzamt-
sekretürs Lyman I. Gage vom 3. XII. 1901. Die französische Staatsschuld. Der Börsen-
terminhandel in Oesterreich. Die Getreidezölle in Deutschland. Das neue Wohnungs-
=
KI
Die periodische Presse Deutschlands. 285
gesetz für den Staat New York. Die französischen Schiffahrtsprämien, ete. — Handels-
kroniek. — etc.
H. Schweiz.
Monatsschrift für christliche Sozialreform. Jahrg. XXIII, 1901, Heft 12: Die
Barzahlungen in Oesterreich-Ungarn, von Brandt (II. Art.) — Arbeiterhygiene und
Arbeiterschutzgesetzgebung in der Schweiz und im Kanton Luzern, von (Ur med.)
K. Beck. — Sozialer Rückblick, von Walther v. Quarten. — Die Arbeiterjugend, von
(Vikar) Jos. L. Bühlmann (II. Art.) — Sozialpolitisches und Wirtschaftliches aus der
Schweiz, von A. Hättenschwiller. — ete.
Sehweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Halbmonatsschrift.
Jahrg. IX, 1901, Heft 23 u. 24: Das Verhältnis des Sozialismus zur Arbeiterschutz-
gesetzgebung, von Max Büchler (Bern). [I u. Forts.] — Das schweizerische Rindvieh,
dessen Zucht und Haltung im XIX. Jahrhundert, von (Prof.) F. Anderegg (Bern). —
Soziale Chronik. — Statistische Notizen: Die europäische Handelsflotte im Jahre 1900.
— etc.
Zeitschrift für schweizerische Statistik. Jahrg. XXXVII, 1901, Lieferung 5:
Geschichte der Gefängnisreformen in der Schweiz, von K. Hafner. — Die Legitimation
vorehelich geborener Kinder in der Schweiz, im Jahre 1899. Vom eidgen. statistischen
Bureau. — ete.
M. Amerika.
Annals of the American Academy of Political and Social Science. Vol. XVIII,
n° 3: November 1901: Bernstein vs. „old-school“ Marxism, by G. A. Kleene. — The
profits and volume of capital, by W. Grant Sawin. — Recent tendeneies in State ad-
ministration, by Leon. A. Blue. — Western South America and its relation to American
trade, by J. Russell Smith. — Communications: The evolution of the American system
of forming and admitting new States into the Union, by G. H. Alden; The Columbus
attempt to secure three-cent fares, by Edw. W. Bemis; The State military pension
system of Tennessee, by H. Glasson. — Notes on municipal government; sociology,
philanthropy, charities and social problems; colonies and colonial government; industry
and commerce.
Bulletin of the Department of Labor. N° 37, November 1901 (Washington):
Railway employees in the United States, by Sam. MeCune Lindsay. — The Negroes
of Liwalton, (Va): A social study of the „Oyster Negro“, by Will. Taylor Thom. —
Digest of recent reports of State bureaus of labor statisties: Maine; Maryland; Michigan ;
North Dakota. — XV* Annual report of the State Board of Arbitration and Conciliation
of Massachusetts. — Digest of recent foreign statistical publications. — Decisions of
courts affeeting labor. — Laws of various States relating to labor enacted since Ja-
nuary 1, 1896.
Quarterly Journal of Economics. Published for Harvard University Boston.
November 1901: The fecundity of the native and foreign born population in Massachu-
setts, by R. R. Kuczynski (I. art.) — The national amalgamated association of iron,
steel, and tin workers, 1892—1901, by Carroll D. Wright. — Gustav Schmoller’s eco-
nomics, by Thorstein Veblen. — The integration of industry in the United States, by
Will. Franklin Willoughby. — Notes and memoranda: Recent changes in the taxing
laws of Michigan, by H. C. Adams; The work of an trained economist in the industrial
commission, by W. Z. Ripley; Fragment of an unpublished manuscript by John Rae
(1796—1872). — etc.
Die periodische Presse Deutschlands.
Alkoholismus, der. Eine Vierteljahrsschrift zur wissenschaftlichen Erörterung
der Alkoholfrage. II. Jahrg., (Dresden) 1901, Heft 4: Kurze statistische Abhandlung
über Produktion und Konsum alkoholischer Getränke, von Lucien Mayet. — Die Folgen
des Alkoholmißbrauches und die Maßnahmen zur Bekämpfung derselben, von Max
REIH Die periodieshe Presse Deutschlands.
Kötscher. — Ueber die Notwendigkeit der Alkoholenthaltsanıkeit bei der Nachbehand-
lung der narkotischen Suchten, von Burmester. — Ueber die Leitung und die Not-
wendigkeit künftiger Trinkerheilanstalten, von Alfr. Smith. — Der VIII. intern. Kongreß
gegen den Alkoholismus (Schluß). — Bahnhofswirtschaften in Dänemark und Schweden,
von Stubbe. — Vereinsnachrichten. — etc.
Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft
ete. Herausgeg. von K. Th. Eheberg und A. Dyroff. Jahrg. 1902, N’ 1: Die staats-
rechtliche Stellung der Reichseisenbahnen, von Werner Rosenberg (Staatsanw., Straßburg
ti. E.). — Handelsverträge und Handelspolitik, von (OZollR.) C. Wiesinger (Forts.). —
Die Organisation der inneren Verwaltung auf rechtsvergleichender Grundlage, von (Prof.)
C. Bornhak (Forts.). — Ueber die Voraussetzungen eines Ausfuhrzolles auf Kalisalze,
von E. Kohler (München). — ete.
Archiv für Bürgerliches Recht. Bd. XX, Heft 2, Dezember 1901: Das Ermessen
im Bürgerlichen Gesetzbuche, von (GerAss.) Recke (Spandau). — Der Kreditauftrag nach
dem Bürgerlichen Gesetzbuche, von (Rechtsanw.) Bendix (Breslau). — Der Eintritt eines
neuen Gesellschafters in die Gesellschaft nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche, von (GerAss,
u. Privdoz.) Paul Knocke (Göttingen). — Erbbaurecht und hypothekarische Belastung,
von Paul Oertmann. — Die Regel „locus regit actum“ im internationalen Privatrechte
des Bürgerlichen Gesetzbuches, von S. Rundstein (Warschau). — Die zivilrechtliche
Bedeutung der Vorentscheidung nach $ 11 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfas-
sungsgesetze, von (LandGerR.) Silberschmidt (Aschaffenburg). — Ueber Goldschmidt:
Besitzlehre, von P. Oertmann.
Archiv für Eisenbahnwesen. Herausgeg. vom k. preußischen Ministerium der öffent-
lichen Arbeiten. Jahrg. 1902, Heft 1, Januar und Februar: Die Pensionskasse, die
Krankenkassen und die Unfallversicherung der Arbeiter bei der preußisch-hessischen
Eisenbahngemeinschaft im Jahre 1900, von Niehaus (GehORegR.), Ueber die wirtschaft-
liche Lage der Binnenschiffahrtsunternehmungen in Großbritannien und Irland, von
C. A. Wagner (Schluß). — Zur Geschichte des Eisenbahnwesens im Großherzogtum
Finland, von (GehBauR.) a. D. (H. Claus, Kassel). — Die unter k. sächsischer Staats-
verwaltung stehenden Staats- und Privateisenbahnen im KReich Sachsen im Jahre 1900,
— Hauptergebnisse der österreichischen Eisenbahnstatistik für das Jahr 1899. — etc,
Archiv für Post und Telegraphie. Jahrg. 1902, N" 1 u. 2 (Januar): Die Wir-
kungen der Fernsprechgebührenordnung. — Das niederländische Post- und Telegraphen-
wesen im Jahre 1900. — Das deutsche Postgebäude in Peking. — Die Ergebnisse der
Reichs-, Post- und Telegraphenverwaltung während der Jahre 1896 bis 1900. — Post-
dampfschiffverbindung Warnemünde-Gedser. — Luxemburgs Post- und Telegraphenver-
kehr 1895 und 1900. — Verkehrs- und Reiseverhältnisse im Kaukasus. — etc.
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Herausgeg. von Albert Oster-
rieth. Jahrg. VI, 1901, N° 11: Protokoll über die Sitzung der auf Grund eines Be-
schlusses des Kölner Kongresses berufenen Konferenz zur Revision der Kölner Beschlüsse
und Vorbereitung des Hamburger Kongresses. — Programm der Arbeiten für den Winter
1901/1902 und Gesichtspunkte für die zur Bearbeitung der einzelnen Gebiete eingesetzten
Ausschüsse. — Der Schutz zusammengesetzter Erfindungen und die Patentzerstückelung,
von R. Wirth (S. 315—331). — ete.
Gewerblicher Rechtsschutz ete., 1901, N" 12, Dezember: Die Pflichten und
Rechte des Patentanwalts, von (PatAnw. Ingen.) Mintz (Berlin). — Firmenzeichen, von
(Rechtsanw.) Wassermann (Hamburg). — Unlauterer Wettbewerb auf pharmazeutischem
Gebiete. — Sitzung des Deutschen Vereins für den Schutz des gewerblichen Eigentums
vom 21. XI. 1901. — ete.
Jahrbücher, landwirtschaftliche. Bd. XXX, 1901, Heft 5/6: Das Gut Lupitz,
seine Bewirtschaftung und seine Erträge, von (Landwirtschaftslehrer) E. Bock [S. 659—
770]. — Betrachtungen über das Exterieur der Milchkuh, zunächst am baltischen
Anglerrinde, von (Agronom) P. Stegmann. — ete. L
Masius’ Rundschau. Blätter für Versicherungswissenschaft. N. Folge, Jahrg. XIM,
1901, Heft 12. Der II. internationale Kongreß der Versicherungsärzte (Art. II). — Der
Begriff des Unfalls in der privaten Versicherung. — Prämienreserve und Prämien-
reservefonds. — Rechtsprechung des Reichsgerichts. — ete.
Mitteilungen vom Verband deutscher Patentanwälte. Jahrg. I, N°7, November
1901: „Patentbureau“, von Hugo Alexander-Katz (RegR. a. D. u. JustizR., Berlin). —
Teilung von Patentanmeldungen nach Erfindungsklassen, von Max Georgii (Forts. und
Schluß).
Die periodische Presse Deutschlands. 287
Neue Zeit. XX. Jahrg., I. Bd., 1901/1902, N" 11—13, vom 7. XII.—28,. XII.
1901: Die Zolltarifdebatte. — Grundzüge der Handelspolitik, von K. Kautsky. — Eng-
lische Lokalverwaltung, von C. Hugo. — Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten
in Württemberg, von Helene Simon. — Zur Freihandelsrede von Marx, — Die Ent-
wiekelung des Kapitalismus in Italien, von Alessandro Schiari. — Grundzüge der Handels-
politik, von K. Kautsky (Forts.). — Antisoziales aus der Gewerkschaftsbewegung, von
Jul. Grünwald (Wien). — Wirtschaftliche Umschau, von Heinr. Cunow. — Neo-Marxis-
mus. — Der Mystieismus in der modernen Litteratur, von Henriette Roland Holst. —
Das Glück der Unfallberufsgenossenschaften, von E. Gräf. — Sozialpolitische Umschau,
von Eman. Wurm.
Preußische Jahrbücher. Herausgeg. von H. Delbrück. Bd. 107, Heft 1, Ja-
nuar 1902: Römisch-katholische Censur zu Anfang des 20. Jahrhunderts, von Max
Lehmann (Prof. der Geschichte, Univ. Göttingen). — Neueinrichtung der preußischen
Verwaltung, von O. (Frh. v.) Zedlitz und Neukirch (Berlin). — Die Untersuchungshaft,
von A. Bozi (LandRicht., Bielefeld). — Rußland in der Krisis, von Paul Rohrbach
(Berlin). — Politische Korrespondenz: Die Lehre von Wreschen ` Die öffentliche Dis-
kussion des Falles Spahn. — etc.
Soziale Revue. Zeitschrift für die sozialen Fragen der Gegenwart. Herausgeg.
von Jos. Burg, Essen-Ruhr. Jahrg. I, 1901, 1. u. 2. Quartalsheft, ausgeg. 24. VI. und
17, IX. 1901: Die katholisch-sozialen Bestrebungen, von A. Brüll (Godesberg). — Die
Frauenfrage. 1. Die sogen. Frauenemanzipation. — Volkswirtschaftliche Theorien.
— Reichtum und Armut. — Die Genesis des Sozialismus. — Die Stellung des
des Marxismus zur Kunst der Gegenwart, von (Privdoz.) Walter (München). — Die
Sturmeswehen des Jahres 1848—1849. Eine zeitgemäße Betrachtung, von W. Han-
kamer (Wesel) [I. Art.]. — Grundlagen des 19. Jahrhunderts, von Alb. Ehrhard. —
Sehutz der Sittlichkeit nach der sozialpolitischen Gesetzgebung in Deutschland, von
Will (Straßburg, Els.). Aus der sozialen Welt: Zur Arbeiterfrage (1.) Kinderselbst-
morde, von H. Rost (Bamberg). — Das soziale Wirken der katholischen Kirche, von
(P.) Fr. Boissl (S. J.). — ete.
Soziale Revue, ete. I. Jahrg., 1901, 3. u. 4. Quartalsheft (ausgegeben am 20. XII.
1901: A. Abhandlungen: Staatsrecht und Staatsformen. — Die Sturmeswehen der Jahre
1848—1849, von W. Hankamer (II. Art.). — Ueber Wesen und Geschichte des Kapita-
lismus, von (Privdoz.) Walter (München). — Zur Genesis der Sozialdemokratie. Das
Wiedererstehen des Anarchismus, von (Prof.) Weinand (Aachen). — Schutz der Arbeit
im gewerblichen Arbeitsvertrag, von (Diak.) Will. — Zur Geschichte des modernen
Sozialismus, von Frz. Meffert (Premich). — Die Trades-Unions und der kontinentale
Sozialismus, von J. Wien. — Die Fürsorgeerziehung Minderjähriger, von (Dr jur.) Jos.
Jörg. — Die Kirche und der liberale Katholizismus. B. Aus der sozialen Welt: Zur
Arbeiterfrage [IL Art... Der „Niedergang“ der katholischen Völker und der „Auf-
schwung“ der protestantischen Nationen. Das soziale Wirken der Vincenzvereine, von
À. Schmeck. Aus der Arbeiterbewegung der Gegenwart, von Paul Fleischer. — etc.
X Vereinsblatt für Deutsches Versicherungswesen. Jahrg. XXIX, 1901, N" 12:
Raiserl. Verordnung betreffend das Verfahren und den Geschäftsgang des kais. Auf-
sichtsamts für Privatversicherung.
Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbfleißes. Jahrg. 1901.
(Berlin). A. Abhandlungen: Das Materialprüfungswesen auf der Pariser Weltausstel-
lung, von (Prof.) M. Rudeloff. — Der Schiffbau auf der Weltausstellung zu Paris 1900,
von (Prof.) Osw. Flamm (Charlottenburg). — Holzbearbeitungsmaschinen auf der Pariser
Weltausstellung 1900, von Paul Fischer (kais. RegR.). — Verkehrswesen um die Wende
des 19. Jahrhunderts, von C. Pieper (Ingen.). — Die Panamerikanische Ausstellung in
Buffalo, von Fr. Liebetanz (Düsseldorf) [S. 359—416]. — Vorträge: Hauptverwendungs-
gebiete der Feldbahnen, von (RegBauM.) E. Lipmann. — Die elektrische Kraftüber-
tragung in Berg- und Hüttenwerken, von (Olngen.) C. Köttgen. — Mitteilungen aus
dem Bericht über die Verwaltung der öffentlichen Arbeiten in Preußen in den Jahren
1890—1900, von (Wirkl. GehR.) Fleck (Unterstaatssekr.). — Fortschritte in der Lino-
leumindustrie, von (Betriebsdirekt.) v. Michalkowski. — ete.
Verw altungsarchiv. Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichts-
barkeit. Bd. X, Heft 2/3, Dezember 1901: Ueber die Zulässigkeit polizeilicher Anord-
nungen bei den nach § 16 der Gewerbeordnung genehmigten Anlagen, von (GehR. Prof.)
Arndt (Königsberg). — Ausscheiden aus einer eingeschriebenen Hilfskasse beim Eintritt
288 Die periodische Presse Deutschlands.
bestimmter Thatsachen. von (Rat) Olshausen (Hamburg). — Die geschichtliche Ent-
wickelung des Landratsamtes der preußischen Monarchie unter besonderer Berücksich.
tigung der Provinzen Brandenburg, Pommern und Sachsen, von (Refer.) Gelpke (Han-
nover). — Gesetzgebung. — etc.
Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. Herausgeg. vom kais.
statistischen Amt. Jahrg. X, 1901, Heft 4: Vorwort (H. v. Scheel +). — Konkurs-
statistik 1900. — Zur deutschen Justizstatistik 1900. — Die Bergwerke, Salinen und
Hütten 1900. — Salzgewinnung und -Besteuerung 1900, — Bicrbrauerei und Bier-
besteuerung 1900. — Statistik der Preise: Kleinhandelspreise von Fischen in Berlin,
Breslau und Dresden 1891—1900; Roggen- und Weizenpreise an deutschen und fremden
Börsenplätzen im dritten Vierteljahr 1901; Viehpreise in 10 deutschen Städten im
dritten Vierteljahr 1901; Rindvieh- und Schweinepreise in 5 deutschen Städten ` Groß-
handelspreise von Rohjute, Jutegarn und Jutegewebe 1857—1900; Börsenpreise wich-
tiger Waren in Paris (1896—1900) ; Börsenpreise wichtiger Waren in Amsterdam (1896 —
1900). — Die Schulbildung der Rekruten 1900. — Zur Kriminalstatistik: Verbrechen
und Vergehen gegen Reichsgesetze. 1895—1900. (Vorläufige Mitteilung.) — Hopfen-
anbau und Schätzung der Hopfenernte 1901. — Zur Statistik der deutschen Lebens-
versicherungsgesellschaften 1900. — Konkursstatistik 1901 (III. Vierteljahr). — Streiks
und Aussperrungen 1901 (3. Quartal). — Die Bevölkerung auf den deutschen Schiffen
im Auslande am 1. XII. 1900. — Bevölkerung, Fläche, Wohnhäuser im Deutschen
Reich nach der Volkszählung vom 1. XII. 1900. — Direktivbezirke für die Verwaltung
der Zölle und gemeinschaftlichen indirekten Steuern sowie Zollausschlüsse des Deutschen
Reichs. Begrenzung und Bevölkerung am 1. XII. 1900. — Die jugendlichen Fabrik-
arbeiter und die Fabrikarbeiterinnen 1900. —- Zuckergewinnung und -Besteuerung 1900—
1901. — Stärkezuckergewinnung und -Handel 1900/1901. — Der Tabak im deutschen
Zollgebiet 1900. — Tabakbau 1901. Vorläufige Nachweise.
Zeitschrift des kgl. preußischen statistischen Bureaus. Herausgeg. von dessen
Direktor E. Blenck. XLI. Jahrg., 1901, 3. Vierteljahrsheft (ausgegeben Januar 1902):
Die Elbe und ihr Gebiet, nach dem großen Werke: „Der Elbstrom und seine wichtig-
sten Nebenflüsse‘“, bearbeitet von K. Brämer. (S. 172/192). — Die Trinkerfürsorge in
Preußen, von (IP med.) J. Waldschmidt. — Die Geburten, Eheschließungen und Sterbe-
fälle im preußischen Staate während des Jahres 1900. — Sozialstatistische Streifzüge
durch die Materialien der Ergänzungssteuerveranlagung in Preußen, von (ORegkR.) G.
Evert. — Bücheranzeigen. — Statistische Korrespondenz.
Zeitschrift für Keinbahnen. Jahrg. IX, 1902, Januar: Die Kleinbahnen in
Preußen (S. 1—130). — Die städtische Straßenbahn in Frankfurt a/M., von A. Battes
(städtischer Verkehrsinspektor, Frankfurt a/M.). — Gesetzgebung. — Kleinere Mittei-
lungen. — cte. ;
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Herausgeg. von (Prof.) Jul. Wolf, Jahrg. IV,
1901, Heft 12: Staat und Wirtschaft im alten Aegypten, von R. Thurnwald (Schluß).
— Die Notwendigkeit einer Reichsfinanzreform, von (Frh.) v. Zedlitz-Neukirch (See-
handlungspräsid. a. D.). — Dühring und Henry George, von Frz. Oppenheimer (Berlin).
— Rußland und Frankreich in Mittel- und Ostasien, von M. v. Brandt (Wirkl. GehR.).
— Sozialpolitik: Die gegenwärtige Lage der Börsengesetzreform in Deutschland, von
(LandgerR.) H. Dove. Zur Unfallstatistik des Reichsversicherungsamts, von (Ur med.)
J. Waldschmidt (Charlottenburg). — etc.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena.
v. Brandt, Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 289
e Nachdruck verboten,
IV.
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit
verheirateter Frauen nach den Ergebnissen
der im Jahre 1899 veranstalteten
Reichsenquete,
Von
Dr. v. Brandt, Regierungsassessor.
Erster Abschnitt.
A. Die Frau als Fabrikarbeiterin.
Verkehrsentwickelung und Maschinenbetrieb haben im 19. Jahr-
hundert in allen europäischen Ländern eine mehr oder minder tief-
sehende Umwälzung der wirtschaftlichen Verhältnisse herbeigeführt.
Bei dem engen Zusammenhang, welcher zwischen den Erwerbsver-
hältnissen und der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens besteht,
mußten die wirtschaftlichen Verschiebungen auch eine gewaltige Rück-
wirkung auf die Gliederung der Gesellschaft ausüben. Neue Gesell-
schaftsschichten sind entstanden und die alten haben sich in ihrem
estand und wechselseitigen Verhältnis verändert. Der gesellschaft-
liche Umbild ungsprozeß ist jedoch ein noch intensiverer gewesen: Er
hat die Familie, das Molekül der Gesellschaft, wie Le Play sie nennt,
ergriffen. Der Grund dieser Erscheinung liegt in der Verwendung
der weiblichen Arbeitskraft in der modernen Großindustrie.
Schon in früheren Wirtschaftsepochen hat eine gewerbliche Arbeit
der Frauen in nicht unerheblichem Umfang stattgefunden. Die Frau
war aber damals vorwiegend Hilfskraft des Mannes oder konnte das
(rewerbe doch wenigstens in der Wohnung ausüben. Dies änderte
sich mit der Entstehung des maschinellen Großbetriebs. Die Fabrik
zog gewisse Verrichtungen an sich, welche die Frauen früher zu Hause
vorgenommen hatten, wie das Spinnen und Nähen. Andererseits dräng-
fen mannigfache Umstände zur Verwendung weiblicher Arbeitskräfte
in der Fabrik. Die Maschinen erforderten im allgemeinen nur geringe
Dritte Folge Bd. XXIIT (LXXVII), 19
290 v Brandt,
physische Kraft zur Bedienung, die Erweiterung des Absatzes nötigte
aber zur Heranziehung zahlreicher Arbeitskräfte, und die Konkurrenz
der verschiedenen Industrieländer zwang zu einer möglichsten Ver-
billigung der Produktionskosten. Die Frauenarbeit entsprach diesen
Anforderungen: das weibliche Geschlecht ist dem männlichen an Zahl
noch überlegen, die Frauenlöhne aber sind infolge des beschränkten
Kreises der den Frauen zugänglichen Erwerbsarten niedriger als die
Männerlöhne 11. So erklärt es sich, daß die Frau in immer steigen-
dem Maße in der Industrie Verwendung gefunden hat und aus der
Hilfskraft des Mannes zu seiner Konkurrentin geworden ist. Für
weite Volkskreise können jetzt nicht mehr die alten Regeln gelten:
„Der Mann muß hinaus ins feindliche Leben“ und „drinnen waltet
die züchtige Hausfrau“. Auch die Frau geht jetzt außer dem Hause
dem Erwerbe nach, die ledige sowohl wie die verheiratete. Erstere
sucht sich außer dem Hause die Mittel zum Unterhalt, welchen die
großindustrielle Arbeiterfamilie ihr nicht mehr allein zu bieten ver-
mag; die Ehefrau müht sich, den durch die freie Konkurrenz regu-
lierten, unzureichenden Lohn des Gatten durch eigenen Verdienst zu
ergänzen.
Sind schon gegen die Arbeit lediger Frauen in den Fabriken
vom gesundheitlichen wie vom sittlichen Standpunkt aus erhebliche
Bedenken geltend zu machen, so gilt dies in noch höherem Maße
von der Arbeit der verheirateten. Der Beruf der Frau als Fabrik-
arbeiterin erscheint als nicht vereinbar mit der gewissermaßen von
der Natur gewiesenen Teilung der Aufgaben zwischen den Gatten.
wonach dem Mann der Erwerb durch gewinnbringende Arbeit, der
Frau die Besorgung des Hauswesens und die Erfüllung der Pflichten
als Gattin und Mutter obliegt. Dieser Widerstreit zwischen den
Forderungen der Natur und der unerbittlichen Notwendigkeit mußte
in dem Maße, als die angedeuteten Veränderungen sich in den ein-
zelnen Industrieländern vollzogen, zu Zuständen führen, angesichts
deren Jules Simon im Jahre 1862 in den Angstruf ausbrach: „Unsere
wirtschaftliche Verfassung krankt an einem furchtbaren Uebel, welches
um jeden Preis beseitigt werden muß, wenn wir nicht daran zu Grunde
gehen sollen: das ist die Auflösung des Familienlebens* 2).
B. Die Frauenarbeit in Deutschland.
Auch in Deutschland ist das weibliche Geschlecht in der Zahl
der gewerblichen Lohnarbeiter stark vertreten. Im Jahre 1595 waren
6760102 Männer und 1521118 Frauen in Industrie und Bergbau
thätig®). Die Zahl der in der Industrie erwerbsthätigen Frauen stieg
1) Paul Leroy-Beaulieu, Le travail des femmes au 19%we siècle, Paris 1873,
S. 134.
2) Jules Simon, L’ouvriere. Paris 1864, S. III.
3) Die in diesem Absatz angeführten Zahlen sind nach Pierstorff (,,Frauen-
arbeit und Frauenfrage im Handwörterbuch der Staatswissenschaften), welcher sich auf
die Gewerbezählung von 1895 stützt, zusammengestellt. „Industrie“ ist hier in
dem
weiteren Sinne, welchen ihr die Gewerbezählung beilegt, zu verstehen.
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 291
in der Periode 1882—1895 um 82 Proz., die der Männer hingegen
nur um 40 Proz. Von der Gesamtzahl der zur Industrie gehörigen
Frauen waren 519492 selbständig, also wohl meist der Hausindustrie
zuzurechnen. Von den übrigen waren nach den Berichten der Gewerbe-
aufsichtsbeamten 739755 Fabrikarbeiterinnen. 69 Proz. der Gesamt-
zahl waren ledig, 16 Proz. verheiratet und 15 Proz. verwitwet. Unter
den Fabrikarbeiterinnen war der Anteil der Verheirateten ungefähr
der gleiche!) wie bei den gewerblichen Arbeiterinnen überhaupt.
Am stärksten waren die verheirateten Frauen in der Textilindustrie
(besonders Baumwollspinnerei und -weberei), sowie in der Nahrungs-
mittel- (besonders Tabak-)Industrie vertreten. Hier machten sie
21 bezw. 19 Proz. der erwachsenen Arbeiterinnen aus, während ihr
Anteil in den übrigen Industriegruppen im Durchschnitt nur 14 Proz.
betrug.
C. Die Enquete des Reichsamts des Innern.
Die auf Veranlassung des Reichstags im Jahre 1899 vom Reichsamt
des Innern veranstaltete Erhebung über die Fabrikarbeit verheirateter
Frauen ?) gewährt ein vollständiges Bild der Verhältnisse, unter welchen
diese Frauen leben und arbeiten. Sie ermöglicht daher eine zutreffende
Beurteilung der einzelnen Erscheinungen, sowie der Zweckmäfigkeit
und Durchführbarkeit derjenigen Maßnahmen, welche zur Beseitigung
der zu Tage getretenen Mißstände vorgeschlagen worden sind.
Wirft man nun die Frage auf, ob sich nach den Ergebnissen
der Umfrage bei den Gewerbeaufsichtsbeamten ein weiterer Ausbau
der Arbeiterschutzgesetzgebung empfiehlt, so wird von den thatsäch-
lichen Anführungen und den Gutachten der Berichterstatter auszu-
gehen und im einzelnen zu prüfen sein, was für Mißstände bestehen,
ob geeignete Vorschläge zu deren Beseitigung gemacht worden sind
und ob diese als durchführbar anerkannt werden können. Die der
Behandlung des Gegenstandes zu Grunde zu legende Einteilung er-
giebt sich aus der Zerlegung der wichtigsten Vorschläge in einzelne
Hauptgruppen. Unter den Vorschlägen der Aufsichtsbeamten ist zu
unterscheiden zwischen den Schutzmaßregeln für die in den Fabriken
beschäftigten Ehefrauen, also einem positiven Eingreifen zur Besse-
rung ihrer Arbeitsbedingungen, und solchen Maßnahmen, durch welche
die Arbeiterschutzgesetzgebung in anderer Weise ergänzt werden soll.
In letzterer Hinsicht kommen, abgesehen von den Aeußerungen der
Aufsichtsbeamten, welche eine Aenderung der geltenden Bestimmungen
zu Gunsten aller Fabrikarbeiterinnen empfehlen, diejenigen vorbeugen-
den Maßnahmen in Betracht, welche darauf abzielen, die Frau von
der Fabrik mehr oder minder fernzuhalten oder wenigstens durch
1) Die Zahl der Fabrikarbeiterinnen über 16 Jahre betrug 764 548; die Zahl
der verheirateten Frauen (einschließlich der Witwen) 1899 230397, also fast 30 Proz.
Jener Gesamtzahl.
2) Die Beschäftigung verheirateter Frauen in Fabriken. Nach den Jahresberichten
der Gewerbeaufsichtsbeamten für 1809 bearbeitet im Reichsamt des Innern. Berlin 1901
(Verlag v. Decker). (Citierweise: Denkschrift.)
19*
299 v. Brandt,
Beschränkung der Fabrikarbeit jugendlicher Arbeiterinnen den Frauen
vor der Verheiratung eine bessere Ausbildung in häuslichen Dingen
zu ermöglichen. Gewisse Aenderungen der Arbeiterversicherungs-
gesetzgebung, welche in enger Verbindung mit einzelnen Schutz-
bestimmungen angeregt worden sind, werden mit Rücksicht auf diesen
Zusammenhang gleichfalls zu erörtern sein.
D. Allgemeine Gesichtspunkte,
Die Behandlung des Gegenstandes nach dem angegebenen Plane
erfordert eine bestimmte Grundanschauung über Berechtigung, Zweck-
mäßigkeit und Durchführbarkeit der sozialpolitischen Maßnahmen im
allgemeinen. Schon zur Vermeidung von Wiederholungen erscheint
es daher angezeigt, diejenigen Gesichtspunkte, welche bei der Prüfung
der Einzelfragen leitend sein sollen, hier vorauszuschicken.
Ueber das Recht und die Pflicht des Staates, unter gewissen
Voraussetzungen die Freiheit des Arbeitsvertrags zu beschränken,
besteht heutzutage, wenigstens in Deutschland, kein Zweifel. Das
ethische Moment steht bei der Erörterung volkswirtschaftlicher Fragen
im Vordergrund, „die Theorie von der verteilenden Gerechtigkeit als
leitendem Prinzip der sozialen Reformen“ 11 ist zur herrschenden
geworden. Der Staat erscheint als der Hüter der dem Menschen
angeborenen Rechte, insbesondere des Anspruchs auf Entfaltung und
Ausbildung der natürlichen Fähigkeiten und auf Schutz gegen die-
jenigen schädlichen äußeren Einwirkungen, gegen welche sich der
einzelne nieht zu schützen vermag. So betrachtet man es auch als
eine Pflicht des Staates, die Lohnarbeiter gegen die Gefährdung von
Leben, Gesundheit und Sittlichkeit zu sichern, welche aus der ge-
werblichen Arbeit entstehen kann. „Eine vollendete Arbeiterschutz-
gesetzgebung bedeutet eine vollständige, bis in ihre Konsequenzen
entwickelte Anerkennung des Rechtes der Existenz und des damit
im engsten Zusammenhang stehenden Rechtes der Familie“ ?). Die
allgemeinen Forderungen, welch£ demnach hinsichtlich der gewerb-
lichen Frauenarbeit aufzustellen sind, lassen sich etwa folgender-
maßen zusammenfassen: Es muß durch Maßnahmen der Gesetzgebung
dahin gewirkt werden, daß die Frau durch die Erwerbsthätigkeit nicht
an der Erfüllung ihres natürlichen Frauenberufs gehindert und
ihre Befähigung zu «demselben nicht beeinträchtigt wird ®). Dieser
allgemeine Satz läßt allerdings verschiedenartige Schlußfolgerungen
zu. Während die als Kathedersozialismus bekannte Schule lediglich
eine Beseitigung der besonderen Nachteile fordert, welche die Fa-
brikarbeit der Frauen zu zeitigen pflegt, fordern die Kreise, welche
die sozialen Fragen vorwiegend vom religiösen Standpunkt betrachten,
1) Sehmoller, Ueber einige Grundfragen der Sozialpolitik und Volkswirtschafts-
lehre. Leipzig 1808, S. 85.
2) v. Hertling, Naturrecht und Sozialpolitik. Köln 1593, S. 44.
3) Aechnlich sprieht der Verfasser des Aufsatzes: Die Frauenarbeit als Gegen-
stand der Fabrikgesetzgebung in Schmoller’s Jahrbuch 1883 (S. 465) sich aus.
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 293
wie die christlich-soziale Partei und die Centrumspartei das völlige
Verbot der Fabrikarbeit der Frauen und insbesondere der Ehefrauen,
da sie diese als unvereinbar mit den Anforderungen eines gedeih-
lichen Familienlebens erachten. Derartigen radikalen Forderungen
gegenüber dürfte jedoch folgender Gesichtspunkt zu betonen sein.
Besitzt jeder ein Recht auf Schutz gegen äußere Einflüsse, welche
ihn bei der Verrichtung von Lohnarbeit in seiner persönlichen Ent-
wickelung schädigen können, so besitzt doch jeder in noch höherem
Maße das Recht, sich durch Arbeit den Lebensunterhalt zu verschaffen.
Es ist keine Wiederholung des sozialistischen Grundsatzes des Rechts
auf Arbeit, wenn man jedem das Recht zuspricht, der Arbeit, deren
er zum Unterhalt bedarf, obliegen zu dürfen. Entsteht ein Konflikt
zwischen diesem Recht und dem Anspruch auf Schutz, so muß ersteres
als das begriffsmäßig frühere Recht obsiegen. Es ergeben sich hier-
aus die natürlichen Grenzen, welche jeder Regelung oder Beschrän-
kung der Frauenarbeit gezogen sind.
Bei der Frage, ob und welche besonderen Maßnahmen zu Gunsten
der verheirateten Fabrikarbeiterinnen angezeigt sind, kommt es aber
ferner in besonderer Weise auch darauf an, ob die in Aussicht ge-
nommenen Bestimmungen eine systematische Fortentwickelung be-
stehender Vorschriften darstellen, ob sie mit den unter der Herr-
schaft des geltenden Rechts entstandenen Verhältnissen in Einklang
zu bringen sind, oder ob sie etwa ein sprungweises Vorgehen, ein
Verlieren des Zusammenhanges mit dem Bestehenden darstellen. Im
ersteren Falle kann auf die Möglichkeit ihrer Durchführung ohne
Schädigung der in Betracht kommenden Interessen geschlossen werden,
im letzteren bedeuten sie einen gefahrvollen Sprung ins Ungewisse.
Eine gesunde, leistungsfähige Arbeiterklasse ist allerdings ein Vorteil
für die Industrie, und somit kommt der Arbeiterschutz in seinen
Folgen auch den Unternehmern zu gute; es handelt sich jedoch
hierbei um Resultate einer ferneren Zukunft, während jede neue
Schutzbestimmung zunächst eine Erschwerung der Produktion bedeutet,
welche die Industrie im Konkurrenzkampf mit dem Auslande stark
benachteiligen kann. Sehr richtig bemerkt Jules Simon: „Vergessen
wir nie, daß es ein Gesetz giebt, mächtiger als alle geschriebenen
Gesetze und stärker als die wärmste Nächstenliebe: das unser ganzes
wirtschaftliches Leben beherrschende Gesetz, welches den Fabrikanten
zwingt, seine Ausgaben nach den Gewinnchancen zu bemessen und
den Wettbewerb mit billiger arbeitenden Produzenten auszuhalten“ !).
‚ Bei der Prüfung der seitens der Aufsichtsbeamten abgegebenen
Gutachten werden schließlich auch die Erfahrungen zu berücksich-
tigen sein, welche bei dem früheren gesetzlichen Vorgehen gesammelt
worden sind. Insbesondere dürfte hier und da auf die Beobachtungen
zurückzugreifen sein, welche bei der Durchführung der Bestimmungen
des Arbeiterschutzgesetzes gemacht worden sind. Kehren doch nicht
selten die bei der Beratung dieses Gesetzes geltend gemachten
1) Simon, L’ouvriere, S. VIII.
294
v. Brandt,
Der Schutz der erwachsenen
Arbeitsdauer
Sonntags- und
Nachtarbeit
Pausen
Sonnabendschluß
Genereller Maximal-
arbeitstag von 11
Stunden. Ueber-
stunden : 1—2 Stun-
den auf längstens
15 Wochen bei
einer Höchstdauer
der Arbeitszeit von
13 Stunden
Oesterreich
In Textilfabriken 10-
stünd.
beitstag von 6—6
oder Uhr.
Arbeitswoche56t/,
Stunden. In an-
deren Fabriken und
Werkstätten Ar-
beitswoche 60 Stun-
den. — Bei Ueber-
"arbeit höchste Ar-
beitszeit 14 Stunden
bei 2 Stunden
Pausen, aber nicht
öfter als an drei
Tagen der Woche
und an 30 Tagen
im Jahre. Die Mit-
England
et.
gabe von Arbeit
gilt als Beschäfti-
gung.
Schweiz (eidgenössi- | Genereller Maximal-
sches Fabrikgesetz) arbeitstag von 11
Stunden, an Vor-
abenden von Sonn-
und Festtagen von
10 Stunden. In
einigen Kantonen
ist die Ausgabe von
Arbeit aus den
Fabriken nach
Hause über die ge-
setzliche Arbeits-
zeit hinaus ver-
boten.
Maximalarbeitszeit v.
11 Stunden, vom
Jahre 1902 ab von
101, Stunden, von
1904 ab 10 Stun-
den.
Frankreich
Normalar- |
Generelles Verbot
der Sonntags-
arbeit. Verbot
der Nachtarbeit
(einzelne Aus-
nahmen).
Verbot der Sonn-
tags- und Nacht-
arbeit.
Generelles Verbot
der Sonntags-
und Nachtar-
beit.
Verbot der Sonn-
tags- und der
Nachtarbeit.
Für alle Arbeiter
Pausen von min-
destens 11,
Stunden, davon
womöglich 1
Stunde Mittags-
pause.
In Textilfabriken
zwei Stunden
Pause, nach A7 -
Stunden stets
eine. In ande-
ren Fabriken
und Werk-
stätten it's
Stunde Pause,
alle 5 Stunden
eine.
Generelle Mittags-
pause von 1
Stunde. Frauen,
die ein Haus-
wesen zu be-|
sorgen haben,
sind t/, Stunde
vor der Mittags-
pause zu ent-
lassen, sofern
diese nieht 11, |
Stunden be-
trägt.
Mindestens cine
Stunde.
Un Textilfabriken
spätestens 2 Uhr.
In anderen Fa
briken u. Werk-
stätten auch 3
oder 4 Uhr.
IMaximalarbeits-
zeit an Sonn-
abenden zehn
Stunden.
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen.
Fabrikarbeiterinnen im Ausland.
295
Schonzeit für
Schwangere und!
Wüchnerinnen
Verbot der Be-
schäftigung von
Wöchnerinnen
während vier
Wochen nach
der Nieder-
kunft.
Á —
Desgleichen.
©
Schonzeit von
5 Wochen vor
und nach der
Arbeit in be-
sonders gefähr-
lichen Betrieben
Besondere Be-|
| stimmungen
über die Arbeit
in Bergwerken
Bem
erkungen
Zulassungsalter
Verbot der Beschrän-
kung durch Minister
zulässig.
|
|
Verbot der Beschäfti-
gung junger Per-
sonen in 7 Indust-
riezweigen. Außer-
dem generelle Re-
gelung gesundheits-
nachteiliger Fabri-
kationsarten auf
dem Verordnungs-
wege zulässig.
Die Maximalarbeits-
zeit kann für solche
Betriebe durch den
Niederkunft,
mindestens 6
Wochen nach
derselben. Der
Bundesrat kann
die Beschäfti-
gung von
Schwangeren in
einzelnen In-
dustriezweigen
verbieten.
Bundesrat herabge-
setzt werden.
Im Verordnungswere
ist die Beschäfti-
gung geschützter
Personen bei ge-
wissen Arbeiten all-
gemein verboten u,
in gewissen Indu-
strien besonders ge-|
Verbot der Ar-
Verbot der Ar-
beit unter
Tage. Schon-
zeit für
Wüchnerin-
nen 6 Wo-
chen, nur
auf ärztli-
ches Attest
4 Wochen.
Verbot der Ar-
beit unter
Tage. Ar-
beitswoche
54 Stunden.
beit
Tage.
unter
regelt worden,
14 Jahre. Verbot der
Beschäftigung von
14—16-jährig. mit
schweren oder ge-
sundheitsschädli-
chen Arbeiten.
11 Jahre. Im Alter von
11—13 Jahren ist
gleichzeitig Schul-
besuch, über 13
Jahren ein Reife-
zeugnis, bis 16 Jah-
ren ärztliches Attest
erforderlich.
14 Jahre.
12 Jahre. Von 12—13
Jahrenur mit Schul-
und Arztattest; bis
zum 16. Jahre nur
mit leichten Arbei-
ten zu beschäftigen.
| Auslegung des Be-
griffs „Fabrik“
Unternehmung zur Her-
stellung oder Verarbei-
tung gewerblicher Ge-
genstände mit gewöhn-
lich mehr als 20 Arbei-
tern in der Regel mittels
Maschinen in arbeits-
teiligem Verfahren, ge-
leitet durch einen nicht
mitarbeitenden Unter-
nehmer.
Betriebe mit mechani-
scher Kraft gelten als
Fabriken, die übrigen
gewerblichen Betriebe
als Werkstätten.
Als Fabriken gelten Be-
triebe mit mehr als
10 Arbeitern; solche
mit mehr als 5 Arbei-
tern, sofern sie mecha-
nische Motoren anwen-
den, Personen unter
18 Jahren beschäftigen
oder besondere Gefah-
ren mit sich bringen;
Betriebe mit weniger
als 6 Arbeitern sofern
sie ganz besonders ge-
fährliche sind.
IMotorenbetriebe, Betriebe
mit ununterbrochenem
Feuer oder mit mehr
als 20 Arbeitern.
296 v. Brandt,
Gesichtspunkte in der Enquete wieder. Verschiedentlich ist aber
auch im Jahre 1891 betont worden, daß es sich um einen ersten
Schritt handele, auf welchen später ein weiteres Vorgehen erfolgen
könne. — Sofern im Ausland ähnliche Maßnahmen, wie die in Frage
kommenden getroffen sein sollten, so wird auch hierauf hinzu-
weisen sein. Vergl. hierzu die Tabelle auf S. 294 u. 295.
E. Geltende Bestimmungen zum Schutze der Fabrikarbeiterinnen.
Bevor in eine Erörterung der Ergebnisse der Erhebung einge-
treten wird, sind zunächst noch diejenigen Bestimmungen der Gewerbe-
ordnung in der Fassung des Arbeiterschutzgesetzes vom 1. Juni
1891 anzuführen, welche zur Zeit den verheirateten Frauen wie
allen weiblichen Arbeitern über 16 Jahre zu gute kommen. Das
geltende Recht räumt den verheirateten Fabrikarbeiterinnen in keiner
Beziehung eine Ausnahmestellung ein, gleichwohl müssen gewisse
Bestimmungen, wie z. B. die betreffend die Wöchnerinnen, nach der
Natur ihres Inhaltes besonders auf die verheirateten Frauen An-
wendung finden.
Es kommen die folgenden Bestimmungen in Betracht:
Arbeiterinnen dürfen nicht länger als 11 Stunden täglich, an
den Vorabenden der Sonn- und Festtage nicht länger als 10 Stunden
beschäftigt werden. An den gedachten Vorabenden dürfen sie nicht
nach 5!/, Uhr nachmittags beschäftigt werden. Die Nachtarbeit
zwischen 81/, Uhr abends und 5!/, Uhr morgens ist verboten. Die
Sonntagsarbeit ist für Frauen wie für Männer verboten.
Zwischen den Arbeitsstunden muß den Arbeiterinnen eine min-
destens einstündige Mittagspause gewährt werden. Arbeiterinnen,
welche ein Hauswesen zu besorgen haben, sind auf ihren Antrag
eine halbe Stunde vor der Mittagspause zu entlassen, sofern diese
nicht mindestens 1!/, Stunden beträgt.
Der Bundesrat ist befugt, die Beschäftigung von Arbeiterinnen
in gewissen Fabrikationszweigen, welche mit besonderen Gefahren
für Gesundheit und Sittlichkeit verbunden sind, zu untersagen oder
von besonderen Bedingungen abhängig zu machen. Derartige An-
ordnungen des Bundesrats, betreffend die Beschäftigung weiblicher
Arbeiter, sind für 12 Industriezweige ergangen !).
In Bergwerken, Salinen, Aufbereitungsanstalten und unterirdisch
betriebenen Brüchen und Gruben dürfen Frauen unter Tage nicht
beschäftigt werden.
Wöchnerinnen dürfen innerhalb 4 Wochen nach der Niederkunft
nicht beschäftigt werden, während der darauf folgenden 2 Wochen
nur dann, wenn dies durch ärztliches Zeugnis für zulässig erklärt
worden ist.
1) Gummiwarenfabriken, Glashütten, Drahtziehereien, Cichorienfabriken,
Rohzuckerfabriken und Zuckerraffinerien, Walz- und Hammerwerke, Ziegeleien, Blei-
fabriken, Cigarrenfabriken, Betriebe zur Verarbeitung der Thomasschlacke, Accumulatoren-
fabriken, Ziukhütten,
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 297
Es sind Einrichtungen zu treffen und Vorschriften zu erlassen
zur Aufrechterhaltung der guten Sitten und des Anstandes im Be-
triebe. Soweit es die Natur des Betriebes zuläßt, muß bei der Arbeit
die Trennung der Geschlechter durchgeführt sein, sofern die Auf-
rechterhaltung der guten Sitten und des Anstandes durch die Ein-
richtung des Betriebs nicht ohnehin gesichert ist. Falls Ankleide-
und Waschräume vorhanden sind, müssen diese nach Geschlechtern
getrennt sein. Die Bedürfnisanstalten müssen ohne Verletzung von
Sitte und Anstand erreicht und benutzt werden können.
Wegen außergewöhnlicher Häufung der Arbeit. wie solche nach
der preußischen Ausführungsanweisung vom 26. Februar 1892 be-
sonders in den sogenannten Saison- und Kampagneindustrien vor-
kommen kann, darf auf Antrag des Unternehmers eine Beschäfti-
gung bis 10 Uhr abends an den Wochentagen außer an Sonnabenden
in der Weise gestattet werden, daß die tägliche Arbeitsdauer 13 Stunden
nieht übersteigt. Die Erlaubnis darf für einen Betrieb auf die Dauer
von höchstens 40 Tagen im ganzen innerhalb des Kalenderjahres
erteilt werden. Für mehr als 2 Wochen darf die Erlaubnis nur
dann erteilt werden, wenn die Arbeitszeit für den Betrieb so geregelt
ist. daß ihre tägliche Dauer im Durchschnitt der Betriebstage des
Jahres die regelmäßige tägliche Beschäftigungsdauer von 11 Stunden
nicht übersteigt.
Die Beschäftigung von Arbeiterinnen, welche kein Hauswesen
zu besorgen haben und eine Fortbildungsschule nicht besuchen, kann
an Vorabenden von Sonn- und Festtagen bis 8'/, Uhr abends durch
die untere Verwaltungsbehörde gestattet werden zu Arbeiten zur
Reinigung und Instandhaltung, sowie zur Verhütung des Verderbens
von Rohstoffen, und zu solchen Arbeiten, durch welche der regel-
mäßige Fortgang des Betriebes bedingt ist, u. dergl.
Für einzelne Fabriken können Ausnahmen von den Bestimmungen
über Arbeitsdauer und -zeit auf die Dauer von 2 Wochen gestattet
werden, wenn Naturereignisse oder Unglücksfälle den regelmäßigen
Betrieb unterbrochen haben. Ferner können Abweichungen von den
Regeln über Beginn und Schluß der Arbeitszeit und über die Gewäh-
rung einer einstündigen Mittagspause gestattet werden, wenn die
Natur des Betriebs oder Rücksichten auf die Arbeiter in einzelnen
Fabriken es erwünscht erscheinen lassen.
Für Fabriken, welche mit ununterbrochenem Feuer betrieben
werden, oder welche sonst durch die Art des Betriebes auf eine
regelmäßige Tag- und Nachtarbeit angewiesen sind, sowie für die
sogenannten Kampagneindustrien kann der Bundesrat Ausnahmen
von den Vorschriften über die Arbeitsdauer, die Arbeitszeit und die
Pausen zulassen, jedoch darf die wöchentliche Arbeitszeit die regel-
mäßige Maximalarbeitszeit von 65 Stunden nicht übersteigen; für
Ziegeleien bildet eine 70-stündige Maximalarbeitszeit die Grenze.
Derartige Anordnungen sind erlassen worden für die Steinkohlen-
bergwerke, Zink- und Bleierzbergwerke und Kokereien im Regie-
rungsbezirk Oppeln, sowie für die Zuckerfabriken und Ziegeleien.
298 v. Brandt,
Der Bundesrat ist schließlich auch ermächtigt, für Saisonindustrien
Ausnahmen von den Vorschriften über Arbeitsdauer und Arbeitszeit
zuzulassen.
Die angeführten Bestimmungen finden Anwendung für die Ar-
beiterinnen in Fabriken, sowie in einer Anzahl von Unternehmungen,
welche den Fabriken nahestehen, wie Hüttenwerke, Zimmerplätze u. a.,
ferner in Bergwerken, Salinen u. dergl. Durch Kaiserliche Verord-
nung vom 9. Juli 1900 sind sie auch auf die Werkstätten ausgedehnt
worden, in welchen durch elementare Kraft bewegte Treibkräfte nicht
bloß vorübergehend zur Verwendung kommen. Ob ein Betrieb im
Einzelfalle als Fabrik zu betrachten ist, hängt davon ab, in welchem
Maße die Merkmale bei ihm zutreffen, welche durch die Rechtsprechung
des Reichsgerichts als für den Fabrikbetrieb charakteristisch festge-
stellt sind 1).
Zweiter Abschnitt. Schutzmaßregeln zu Gunsten der in
den Fabriken beschäftigten Frauen.
A. Kürzung der täglichen Arbeitszeit.
I. Vorgeschichte des Maximalarbeitstages
für Frauen.
Faßt man die einzelnen Bestimmungen ins Auge, welche zum
Schutze der verheirateten Fabrikarbeiterinnen vorgeschlagen worden
sind, so steht unter diesen die Verkürzung der täglichen Arbeitszeit
obenan. Das Arbeiterschutzgesetz vom 1. Juni 1891 hat bereits das
Höchstmaß der zulässigen Arbeitszeit auf (11 bezw. 10) Stunden
festgesetzt; es kommt also jetzt eine Herabsetzung des geltenden
Maximalarbeitstages in Frage. Mit Rücksicht hierauf empfiehlt es
sich, zunächst einen Blick auf die Verhältnisse zu werfen, unter
welchen der heutige Maximalarbeitstag eingeführt worden ist. Die
früher übliche Arbeitszeit betrug vielfach 12—13 Stunden, besonders
war dies in den Spinnereien der Fall?) In den Jahren 1889 und
1890 führte jedoch eine erhebliche Zahl von Textilindustriellen in
ihren Betrieben den Elfstundentag durch®). Im Reichstag bestand
daher große Neigung, statt der 11-stündigen die 10-stündige Maxi-
malarbeitszeit einzuführen. Von einer Seite wurde diese Maßregel
ausschließlich zu Gunsten der verheirateten Frauen angeregt (Antrag
Schädler) '). Die Regierung veranstaltete hierauf eine Umfrage über
1) Vergl. Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen, Bd. 14, 8.423 und
Bd. 26, 8. 161.
2) Drucksachen des Reichstags 1500/91, Bd. 4, 8.2407. Die durchschnitt-
liche Arbeitszeit der Spinnereien betrug in Schlesien 11—12, in Brandenburg 11—13,
in Westfalen 111/,—12, am Niederrhein 10—13, in Bayern 10—14, in Sachsen,
Württemberg, Baden 11—12 Stunden. (Anlage F zum Kommissionsberieht, Drucksachen
des Reichstages 1590/91, Bd. 2, S. 1495.)
3) Weber, Die Entwiekelung der deutschen Arbeiterschutzgesetzgebung seit 1890.
Schmollers Jahrbueh 1897, S. 1181.
4) Vergl. auch Beschluß des Reichstags vom 17. Juni 1887 betr. Zehnstundentag
für verheiratete Frauen.
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 299
die Durchführbarkeit dieses Vorschlags. Die hierbei erstatteten Gut-
achten sprachen sich jedoch mit verschwindenden Ausnahmen mit
Rücksicht auf die Anforderungen des Betriebes und die Gefahr einer
Verdrängung der verheirateten Frauen durch andere Arbeitskräfte
gegen eine solche differenzielle Behandlung der Frauen aus!). Erst
nachdem seitens der Regierung zum Ausdruck gebracht worden war,
daß das Festhalten an dem Zehnstundentag das „Zustandekommen
des Gesetzes ernstlich gefährde*, stimmte der Reichstag dem 11-
stündigen Maximalarbeitstag für alle Arbeiterinnen zu.
I. Durchschnittliche Arbeitszeit der Frauen.
Aus den Jahresberichten der Gewerbeaufsichtsbeamten ist zu
entnehmen, daß der gesetzliche Maximalarbeitstag von 11 Stunden
im großen und ganzen nicht die Regel bildet?).. Die Denkschrift
nennt 16 Bezirke, in welchen die durchschnittliche Dauer der regel-
mäßigen Arbeitszeit 10 Stunden und weniger beträgt. So haben im
Bezirke Hannover 80 Proz. der verheirateten Frauen einen 10-stün-
digen Arbeitstag (S. 222). Dagegen wird aus 8 anderen Bezirken
berichtet, daß dort für die Arbeiterinnen und im besonderen für
die Frauen an der gesetzlichen Maximalarbeitszeit zumeist festge-
halten wird. Für die anderen Bezirke erhält man, soweit ziffermäßige
Angaben vorliegen (S. 64 ff. und S. 183) folgendes Zahlenbild. Von
den in sämtlichen bezw. in den untersuchten Betrieben des Bezirks
beschäftigten Frauen arbeiteten länger als 10 Stunden:
im Aufsichtsbez. Potsdam 9 Proz. im Aufsichtsbez. Erfurt 27 Proz.
h & Hamburg 10 Magdeburg 29 ,,
a D n
Be à Chemnitz ZA- :; ZS 5 Hildesheim 32 „
ZS Berlin 28, 4,45 o 5 Breslau 38 RR
~ Se Oberbayern 26" À SS Schleswig 45
P D wW ürttemberg mA er 5 H Aachen 49 eai
In Unterelsaß betrug die Arbeitszeit in 60 Proz. der Betriebe länger
als 10 Stunden täglich.
In Bayern war die allgemeine Arbeitszeit für 37 Proz. der Ar-
beiter 11 Stunden und mehr, für 47 Proz. der Arbeiterschaft 10—
11 Stunden). Nach dem Berichte des badischen Fabrikinspektors
schreitet die Einführung einer etwas kürzeren als der 11-stündigen
Arbeitszeit langsam voran und rechnet man damit, daß der Zehn-
stundentag allmählich erzwungen wird (S. 67). Aehnlıch wird aus
dem Bezirk Breslau berichtet, bei den größeren Fabrikbetrieben sei
das Bestreben unverkennbar, eine 10-stündige Arbeitszeit für alle
Arbeiter einzuführen +).
1) Anlage C zum Kommissionsbericht, Drucksachen aes Reichstags 1590/91,
Bd. 2, S. 1488 fg.
2) Denksehrift S. 64. — Die Bezugnahme auf die Denkschrift des Reichsamts des
Innern wird fortan durch Angabe der Seitenzahlen im Text stattfinden,
3) Jahresberichte der Gewerbeuufsichtsbeamten für 1599, herausgegeben vom
teichsamt des Innern, Bd. 2, S, 9,
+) Jahresberichte der Kgl, Preuß. Regierungs- und Gewerberäte für 1899, S. 199,
300 v. Brandt,
Mehrfach wird in den Berichten der Spinnereien als solcher
Betriebe gedacht, in welchen zum Unterschied von der Mehrzahl der
anderen Betriebe an der gesetzlichen Maximalarbeitszeit festgehalten
wird). So arbeiten von den im Bezirke Chemnitz in Spinnereien
beschäftigten Frauen 1270 11 Stunden und nur 186 eine geringere
Zeit täglich?). In den bayerischen Spinnereien waren 5530 Arbeiter
11—12 Stunden und nur 587 10—11 Stunden im Tage beschäftigt’).
Das Bild würde jedoch kein getreues werden, wenn nur die
Bezirke mit längerer oder kürzerer Arbeitszeit einander gegenüber-
gestellt würden, bestehen doch zwischen den einzelnen Aufsichts-
bezirken hinsichtlich der Zahl der in ihnen beschäftigten Frauen
sehr große Verschiedenheiten. In den Bezirken, wo die 11-stündige
Arbeitszeit als Regel besteht, sind rund 50000 verheiratete Frauen
in Fabriken beschäftigt. Rechnet man hierzu die Bezirke, in welchen
nach obiger Zusammenstellung noch über 40 Proz. der Arbeiterinnen
länger als 10 Stunden arbeiten, mit rund 20000 Frauen, so kommt
man zu dem Ergebnis, daß im ganzen wohl ein Drittel der verhei-
rateten Frauen im Durchschnitt 11 Stunden oder wenigstens über
10 Stunden beschäftigt ist.
Die vorstehenden Angaben über die zur Zeit übliche Beschäf-
tigungsdauer der Frauen sind nicht so zu verstehen, als ob es sich
stets um eine von der allgemeinen Arbeitszeit abweichende Normie-
rung für die verheirateten Frauen handele. In einer nicht unbe-
trächtlichen Anzahl von Bezirken genießen die Frauen in dieser
Beziehung nur selten eine Ausnahmestellung (S. 69). In einer ganzen
Reihe von Bezirken hingegen werden in erheblichem Umfang zu
Gunsten der Frauen Ausnahmen von der allgemeinen Arbeitszeit
gemacht, um ihnen eine bessere Besorgung ihres Hauswesens zu
ermöglichen (S. 71 f.) Von den ersteren Bezirken sei der Pots-
damer als Beispiel angeführt: Hier hatten von 7490 Frauen nur 610 eine
kürzere Arbeitszeit als die übrigen Arbeiterinnen. Dagegen trat im
Bezirk Chemnitz für 1901 von 6196 Frauen infolge Verlängerung der
Mittagspause, Einlegung anderweiter besonderer Pausen und späteren
Beginnes oder früheren Schlusses eine Verkürzung der allgemeinen
Arbeitszeit von !/,—1 Stunde und mehr ein (S. 71). „Die verhei-
rateten Arbeiterinnen haben durchweg eine um eine !/, Stunde
längere Mittagspause“, berichtet der Aufsichtsbeamte zu Frankurt a. 0.:
„in manchen Betrieben der Textilindustrie kommen und gehen die
Arbeiterinnen nach Belieben, so daß stellenweise eine 2-stündige
Mittagspause herauskommt“ ®). Die Zahl der Frauen, welche eine
derartige Vergünstigung genießen, ist auf Grund der Erhebung nicht
genau festzustellen: im allgemeinen läßt sich jedoch sagen, daß der-
1) Denkschrift, S. 65 f. — Der Entwurf zum Arbeiterschutzgesetz hatte im § 139°
eine besondere Dispensbefugnis des Bundesrats zu Gunsten der Spinnereien vorgesehen.
2) Jahresberichte der Kgl. Sächs. Gewerbeinspektoren für 1899, S. 100.
3) Jahresberichte (Bayern), S. 291.
4) Jahresberichte (Preußen), S. 48.
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 301
artige Abweichungen von der regelmäßigen Arbeitszeit in zahlreichen
Bezirken in ziemlich weitgehendem Maße gestattet werden (S. 71).
III. Nachteile der heutigen Ausdehnung der Arbeits-
zeit der Frauen.
a) Schädigung der Gesundheit.
Leidet die Gesundheit der verheirateten Frauen infolge der jetzigen
Ausdehnung ihrer Arbeitszeit? Diese Frage ist schwer zu beant-
worten, da zwar Angaben über die Häufigkeit der Erkrankung Ver-
heirateter im Verhältnis zu der Erkrankungshäufigkeit der Ledigen,
wenngleich auch nur in bescheidenem Umfange, vorhanden sind,
aber keine Möglichkeit besteht, festzustellen, in welchem Maße die
Krankheitsziffern durch die Arbeitsdauer bedingt sind. Läßt sich
nun auch ein Zusammenhang zwischen Arbeitszeit und Erkrankungs-
gefahr nicht zahlenmäßig feststellen, so kommt doch die Krankheits-
häufigkeit der Frauen hier auch insofern in Betracht, als aus einer
besonders hohen Krankheitsziffer auf die Notwendigkeit einer größeren
Schonung und somit einer Verkürzung der Arbeitzeit zu schließen
wäre,
Insoweit das Material der Krankenkassen im Hinblick auf die
Frage bearbeitet worden ist, sind die Resultate keine gleichmäßigen
(S. 92 fg.) So erscheint danach die Krankheitshäufigkeit und durch-
schnittliche Krankheitsdauer für die verheirateten Textilarbeiterinnen
im Bezirk der Gewerbeinspektion München-Gladbach nicht höher als
die für die Ledigen. In dem Aufsichtsbezirk Frankfurt a. O. und
dem Bezirk der Gewerbeinspektion Barmen ist sie im Gegenteil be-
trächtlich größer als diese. In ersterem Bezirk ist auch in der Cigarren-
industrie die Zahl der Erkrankungen für die Verheirateten größer
als für die Ledigen, dagegen ist in der Glas- und der Schuhwaren-
industrie gerade das Gegenteil der Fall. In Berlin ist nach den in
der Denkschrift mitgeteilten Gutachten die Zahl der erkrankten Frauen
erheblich größer als die der Mädchen.
Bei dem beschränkten Kreis der statistischen Untersuchungen
und der vorauszusetzenden Verschiedenartigkeit in der Bearbeitung
des Materials dürften sich hieraus keine allgemeinen Schlüsse ziehen
lassen. Besondere Vorsicht scheint hierbei aber schon aus dem
Grunde geboten, weil die verheirateten Frauen zu einer Krankmeldung
leichter geneigt sind als die Ledigen !). Sofern also das Material
der Krankenkassen ein Urteil gestattet, ist anzunehmen, daß die
Krankheitsgefahr für die verheirateten Frauen in den einzelnen In-
dustrien und je nach den Gewohnheiten der betreffenden Arbeits-
bevölkerung verschieden, im allgemeinen aber wohl höher ist als die
für die Ledigen.
1) Hierauf weist auch das Ergebnis einer statistischen Untersuchung des Materials
der Ortskrankenkassen zu Frankfurt a. M. hin. (Beiträge zur Statistik der Stadt Frank-
furt a. M, Frankfurter Krankheitstafeln, Frankfurt a. M. 1900, S. 27.) In der gleichen
Hinsicht erscheint die dortige Feststellung von Interesse, daß auch bei dem männliehen
Geschlecht die Krankheitsdauer der Verheirateten größer als die Ledigen ist.
302 v. Brandt,
Aus der Schwierigkeit der Feststellungen nach dieser Richtung
und aus den Verschiedenheiten nach der Beschäftigungsart und der
Gegend erklärt sich auch wohl, wie es kommt, daß die Hälfte der
Aufsichtsbeamten eine besondere Schädigung der Gesundheit der
verheirateten Frauen durch die Fabrikarbeit verneint (S. 87), während
sich 14 andere im entgegengesetzten Sinne aussprechen (S. 90).
Diese Verschiedenheit der Gutachten wird aber noch verständlicher,
wenn man die Umstände ins Auge fast, welche als Gründe für eine
besondere Gesundheitsgefährdung der Frau in Betracht kommen.
Es ist dies einmal die ungeeignete oder übermäßige Arbeit während
der Schwangerschaft oder in der ersten Zeit nach der Niederkunft
— dieser Uebelstand trifft freilich auch für viele Ledigen zu — sodann
aber auch die Ueberlastung, welche sich aus der Verbindung der
gewerblichen Arbeit mit den Obliegenheiten der Hausfrau und Mutter
ergiebt. Eine 11-stündige tägliche Arbeitszeit bildet schon eine ge-
nügende Anstrengung; tritt nun noch die häusliche Arbeit hinzu, so
muß dies alle Frauen, die nicht ganz besonders leistungsfähig sind,
überanstrengen und ihre Gesundheit auf die Dauer untergraben (S. 90).
Dies Moment wird von den Berichterstattern, welche eine besondere
Gesundheitsschädigung der Frauen verneinen, nicht gewürdigt. Bei
diesen steht die Erwägung im Vordergrunde, daß die Fabrikarbeit
der Verheirateten nicht schwerer ist als die der Ledigen und daß die
älteren Arbeiter widerstandsfähiger sind als die jüngeren. Allerdings
finden sich auch bei diesen Berichterstattern Aeußerungen, aus welchen
zu entnehmen ist, daß die Frauen thatsächlich überanstrengt werden !).
Wenn nun auch eine derartige Ueberlastung der Frauen in gewissen
Gegenden nicht zu beobachten gewesen sein sollte, so läßt sich
dies schließlich auch dadurch erklären, daß die Frauen sich dort
nicht in gleichem Maße um das Hauswesen bemühen wie anderwärts.
So heißt es in einzelnen Gutachten, daß die Frau nur in Ausnahme-
fällen ihren Pflichten als Hausfrau, Mutter und Erzieherin der Kinder
und zugleich ihrem Berufe als Fabrikarbeiterin genügen könne (S. 120).
während in anderen wiederholt auf die Willens- und Arbeitskraft solcher
Frauen hingewiesen wird, die ihren vielseitigen Pflichten unter er-
höhter Anspannung ihrer Leistungsfähigkeit gerecht zu werden suchen
(S. 122). Die Folgen der Ueberanstrengung brauchen keineswegs
in einer Erhöhung der Krankheitsziffern ihren Ausdruck zu finden,
sie werden sich zumeist in einer frühzeitigen Erschöpfung der Kräfte
äußern, welche zur Aufgabe der Arbeit nötigt.
b) Nachteile für das Familienleben.
Die Gewerbeaufsichtsbeamten geben eine ausführliche Schilderung
der Schäden, welche aus der Unzulänglichkeit der verheirateten
Fabrikarbeiterinnen zur Besorgung ihrer häuslichen Obliegenheiten
für das Familienleben erwachsen. Von den im einzelnen in Betracht
kommenden Nachteilen ist vor allem die „bis zur Gesundheits-
1) Denkschrift S. 174 und 182 (Berlin und Frankfurt a. O.).
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 303
schädigung fortschreitende Vernachlässigung der Fürsorge für die
Ernährungsverhältnisse* zu erwähnen (S. 121). Bei der geringen
Sorgfalt, welche die Frau auf ihr Hauswesen verwenden kann, ent-
stehen Unordnung, Unsauberkeit und Ungemütlichkeit der Wohnung
und als Folge hiervon die Neigung des Mannes zum Wirtshausleben.
Auch die Kinder leiden sittlich und gesundheitlich unter der langen
Abwesenheit der Frau. Ein Berichterstatter spricht sich dahin aus,
„es könne kein Zweifel darüber bestehen, daß ein ernstlicher Anfang
damit gemacht werden sollte, die verheiratete Frau ihrer Familie
und insbesondere die Mutter ihren Kindern nach und nach wieder-
zugewinnen“ (S. 185). Er ist der Ansicht, bei kürzerer Arbeitszeit
brauchten die Kinder nicht mehr in fremden Häusern untergebracht
zu werden. „Die Kindererziehung“, so sagt ein anderer, „würde
sorgfältiger werden und die ganze Familie würde physisch und mo-
ralisch gehoben“ (S. 225). Es will nun allerdings scheinen, als ob
eine Kürzung der Arbeitszeit, sofern sie sich im Rahmen der Vor-
schläge der überwiegenden Mehrzahl der Aufsichtsbeamten hält (S. 181),
weniger der Kindererziehung zu gute käme, als vielmehr dem ganzen
Haushalte und dadurch in erster Linie dem Manne. Jedenfalls würde
aber eine bessere Ernährung der Familie auch für die Kinder ein
Vorteil sein.
IV. Gründe gegen eine Herabsetzung
der Maximalarbeitszeit.
Würde also eine gesetzliche Verkürzung der jetzigen Arbeitszeit
der Frauen im Interesse ihrer Gesundheit und in dem des Familien-
lebens gelegen sein, so lassen sich doch auch Gründe gegen eine
derartige Maßnahme geltend machen. Insbesondere fragt es sich,
ob die mit der Durchführung verbundenen Nachteile nicht unver-
hältnismäßig große sind.
a) Jetzige Verbreitung einer hinter 11 Stunden
zurückbleibenden Beschäftigungszeit.
Wie oben festgestellt, hat bereits zur Zeit eine große Anzahl
von Betrieben eine geringere Arbeitszeit als 11 Stunden, sei es für
alle Arbeiter gleichmäßig, sei es nur für die Frauen. Es wäre nun
die Auffassung möglich, daß bezüglich dieser Betriebe eine ander-
weite Regelung nicht erforderlich sei, bezüglich der übrigen Betriebe
aber eine ähnliche Festsetzung der Beschäftigungsdauer erwartet und
daher von einem Eingreifen mit den Mitteln der Gesetzgebung ab-
gesehen werden könne. Demgegenüber ist jedoch darauf hinzuweisen,
daß die Zahl der Betriebe mit 11-stündiger Arbeitszeit doch that-
sächlich noch eine sehr große ist, so daß die Vorteile einer Her-
absetzung der Arbeitszeit einer sehr großen Zahl von Frauen zu
gute kommen würden. Sofern man aber von der freien Ent-
wickelung der gewerblichen Verhältnisse eine Aenderung erwartet,
darf man sich keiner Täuschung darüber hingeben, daß der Ent-
304 v. Brandt,
wickelungsgang keineswegs ein mit Sicherheit vorauszusehender ist
und jedenfalls nicht in allen Landesteilen gleichmäßig sein wird.
Vor allem ist zu bedenken, daß es stets auch Unternehmer geben
wird, welche, in der irrigen Ansicht, hieraus einen Extragewinn er-
zielen zu können, freiwillig von der längeren Arbeitszeit nicht abgehen
werden!).
b) Schutzbedürftigkeit der übrigen Arbeiterinnen.
Eine Reihe von Gesichtspunkten sind fernerhin gegen die Ein-
räumung einer Sonderstellung für die verheirateten Frauen geltend
gemacht worden. Es sind zunächst die Interessen der nicht von
der Ausnahmebestimmung erfaßten Arbeiterinnen betont worden.
Gerade die jüngeren Arbeiterinnen, so sagt man, bedürfen eines be-
sonderen Schutzes (S. 178 fg.) Durch die lange Arbeitszeit in den
Fabriken werde bei diesen die Prädisposition zu verschiedenen all-
gemeinen und lokalen Krankheiten erhöht, zumal die Ernährung der
Mädchen erfahrungsgemäß schlechter sei als die der jungen Burschen.
Die Dauer der Arbeitszeit lasse ferner den Mädchen keine Zeit, um
sich die für die Führung einer Haushaltung nöthigen Kenntnisse an-
zueignen. Die Lage der verheirateten Arbeiterinnen werde daher
am wirksamsten durch Schutzmaßnahmen gebessert, welche allen
Arbeiterinnen gleichmäßig und somit auch den jüngeren vor der
Verheiratung zu gute kämen. Diese Erwägung scheint berechtigt.
Zwar ist es sehr zweifelhaft, ob eine Verkürzung der Arbeitszeit
dazu führen würde, daß die Fabrikmädchen bei ihrer geringen Neigung
zur Beschäftigung mit Haushaltungsgegenständen sich in höherem
Maße mit solchen befassen würden; der Zusammenhang der Ge-
sundheitsverhältnisse der jungen Mädchen mit denen der Frau ist
aber zu einleuchtend, als daß man nicht auch für jene eine Kürzung
der Arbeitszeit als zweckmäßig anerkennen müßte, um so mittelbar
die Gesundheitsverhältnisse der verheirateten Fabrikarbeiterinnen zu
verbessern. Der Gewinn, welcher in dieser Hinsicht erzielt werden
könnte, darf allerdings nicht überschätzt werden, da weniger die
Dauer der Beschäftigung, als vielmehr die Fabrikarbeit überhaupt,
insbesondere gewisse für den weiblichen Organismus ungeeignete
Beschäftigungen der Entwickelung desselben schädlich sind.
Eine weitere Einwendung der gleichen Art geht dahin, daß die-
jenigen ledigen Arbeiterinnen, welehe ein Hauswesen zu besorgen
haben, des gleichen Schutzes bedürftig seien, wie die verheirateten
(5. 175). Es kommen hier in Betracht die Töchter, welche im Hause
des Vaters die verstorbene oder kranke Mutter ersetzen, sowie die
Ledigen mit Kindern. Im Vergleich zu der großen Zahl der letzteren
Fälle werden die ersteren nur eine geringe Minderzahl bilden. Nach
einer Umfrage in 8 der größten Betriebe mit Arbeiterinnen im Be-
zirke Breslau kamen auf 1612 Frauen 521 ledige Arbeiterinnen mit
Kindern (S. 235). Nach dem Bericht der Aufsichtsbeamten zu Anna-
1) Jahresbericht der großherzogl. badischen Fabrikinspektion 1899, S. 98.
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 305
berg standen im Jahre 1898 bei dem weiblichen Arbeiterpersonal
der Fabriken des Bezirks 91 ehelichen Geburten 145 uneheliche gegen-
über (S. 157). Für das bei der gemeinsamen Ortskrankenkasse zu
Chemnitz versicherte weibliche Personal betrug im Jahre 1899 die
Zahl der ehelichen Geburten 331, die der unehelichen 426 (S. 113). Die
unehelichen Kinder von Arbeiterinnen werden allerdings vielfach
nicht von der Mutter aufgezogen, sondern an Fremde in Pflege
gegeben, immerhin liegt einer großen Zahl von ledigen Müttern, die
in den Fabriken arbeiten, die tägliche Sorge und Pflege für ihre
Kinder und somit gleichfalls die Besorgung eines Hauswesens ob.
Freilich ist das Maß der häuslichen Verpflichtungen für diese Arbeite-
rinnen wohl nicht das gleiche, wie für die verheirateten. Ein kleiner
Hausstand, wie die mit ihrem Kinde lebende Arbeiterin ihn führt,
wird sich öfters auch bei Ledigen ohne Kind finden. Da, wo eine
Person lebt, kann ein einziges Kind — und um ein solches wird es
sich doch allermeist nur handeln — ohne besonderen Aufwand von
Zeit und Kraft mitunterhalten werden. Häufig leben solche Arbeite-
rinnen aber auch mit ihren Verwandten; in diesen Fällen wird das
Kind mehr von den älteren Familiengliedern gepflegt und erzogen
als von der Mutter, die ja doch den größten Teil des Tages außer
dem Hause ist. Das Interesse der Kinder und des Hauswesens,
welches für eine Kürzung der täglichen Arbeitszeit der verheirateten
Frauen spricht, gilt somit nicht in gleichem Maße für eine kürzere
Beschäftigungsdauer der ledigen Mütter.
Nach alledem würde eine allgemeine Kürzung der Arbeitszeit
der Frauen auch für die im Entwickelungsalter stehenden Mädchen,
sowie für die ledigen Mütter von besonderem Vorteil sein. Das
Interesse, welches beide Gruppen von Arbeiterinnen an einer solchen
Maßnahme haben, kann jedoch nicht als demjenigen gleichwertig
angesehen werden, welches die verheirateten Frauen daran besitzen.
Die gewichtigsten Gründe, welche gegen eine Kürzung der Ar-
beitszeit für die verheirateten Frauen angeführt werden, sind die-
jenigen, welche sich gegen die Durchführbarkeit einer solchen Maß-
nahme mit Rücksicht auf die Interessen der beteiligten Gewerbe-
zweige sowie der Frauen und ihrer Familie geltend machen lassen
c) Nachteile einer Herabsetzung der Maximal-
arbeitszeit für die Industrie.
Die Frage, ob die Industrie imstande sein würde, eine Beschrän-
kung in der . Ausnutzung der fraglichen Arbeitskräfte durch Kürzung
der Arbeitszeit zu ertragen, ist bei der Solidarität der Interessen
von Unternehmern und "Arbeitern hinsichtlich des Bestehens und
Gedeihens der Industrie für beide gleichmäßig wichtig. Sofern hierbei
nur eine mäßige Herabsetzung der Maximalarbeitszeit in Betracht
kommt, ist diese Frage nach “den Berichten der Aufsichtsbeamten
sowohl hinsichtlich der Frauen, als auch hinsichtlich aller Arbeite-
rinnen zu bejahen (S. 222). Der Aufsichtsbeamte zu Frankfurt a. O.,
in dessen Bezirk zur Zeit der Elfstundentag noch entschieden über-
Dritte Folge Bd. X XIII (LXXVII). 20
306 v. Brandt,
wiegt, berechnet, daß die Einführung des Zehnstundentages für alle
weiblichen Arbeitskräfte einen Ausfall von !/,, sämtlicher Arbeite-
rinnen bedeuten würde (S. 249). Er bemerkt, daß dieser Ausfall bei
dem allgemeinen Arbeitermangel, unter dessen Eindruck sich die
Gewerbeaufsichtsbeamten damals zu der Frage äußerten, nicht
ohne weiteres zu decken sei, hält dies aber mit Rücksicht auf die
Thatsache für möglich, daß die hier am meisten beteiligte Textil-
industrie nach dem Zehnstundentag allgemein strebe. Der Aufsichts-
beamte für Württemberg I berechnet den durch die Einführung des.
Achtstundentages für die Frauen entstehenden Ausfall auf 1,2 Proz.
der Gesamtarbeiterschaft. Der für Württemberg II spricht sich dahin
aus, daß die Herabsetzung der Arbeitszeit für Frauen, welche ein
Hauswesen zu besorgen haben, „von der großen Mehrzahl der Be-
triebe ohne wesentliche Störung ertragen werden könne“. Die Herab-
setzung des Maximalarbeitstags der Frauen auf 10 Stunden würde
nach dem Bericht für Unterelsaß nur einzelnen Betrieben der Textil-
industrie Schwierigkeiten bereiten. Diesen Schwierigkeiten würde
aber nach der Ansicht des Berichterstatters am zweckmäßigsten durch
die Einführung des Zehnstundentages für alle Arbeiterinnen begegnet
werden !).
Eine mäßige Herabsetzung der Maximalarbeitszeit für die Frauen
auf ein Maß täglicher Beschäftigungszeit, welches bereits jetzt in
einer großen Zahl von Betrieben üblich ist, etwa auf 10 Stunden,
würde demnach vom Standpunkt der Industrie keinen Bedenken
unterliegen. Anders würden sich jedoch die Folgen eines neuen
Maximalarbeitstags gestalten, wenn sich dieser erheblich von der
jetzt üblichen Arbeitszeit entfernte. Ein derartiges Vorgehen würde
nach der Ansicht der weit überwiegenden Mehrzahl der Aufsichts-
beamten für die Industrie erhebliche Nachteile zur Folge haben und
ihre Konkurrenzfähigkeit beeinträchtigen (S. 242 fg.). Von den Be-
richterstattern wird vor allem die Schwierigkeit betont, bei einem
Arbeitermangel, wie dem damals herrschenden die Vermehrung des
Personals vorzunehmen, welche durch den Ausfall an Arbeits-
stunden der Frauen nötig würde. Nach der Berechnung des Auf-
sichtsbeamten zu Köln entstände ein Ausfall von 17 Proz. der ge-
samten Arbeiterinnen in der Textilindustrie in dem Fall, daß die
Beschäftigungszeit der Frauen auf 6 Stunden herabgesetzt würde.
čin Ersatz durch inländische Arbeiter oder Arbeiterinnen ist nach
dem Urteil der Berichterstatter vielerorts ausgeschlossen, so daß man
zur Heranziehung ausländischer Arbeiter schreiten müßte (S. 243),
was im nationalen Interesse äußerst unerwünscht wäre, zumal die
Landwirtschaft der östlichen Provinzen Preußens bereits in sehr
hohem Maße auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen ist. Da, wo
aber männliche Arbeiter als Ersatz eingestellt werden könnten, wären
diese zu den bisher von Frauen geübten Verrichtungen nicht in gleicher
Weise wie diese befähigt, da „viele Arbeiten ihrer Natur nach die
1) Die Gutachten sind auf S. 248 der Denkschrift wiedergegeben.
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 307
leichte geschickte Hand der Frau erfordern“ (S. 244). Die Ein-
stellung von Männern an der Stelle von Frauen würde aber auch
wegen der höheren Löhne eine beträchtliche Verteuerung der Pro-
duktionskosten bedeuten. Sofern ledige Arbeiterinnen als Ersatz in
Betracht kämen, würde sich vielfach der Mangel der „langen Uebung
und Erfahrung“ (S. 246) bei schwierigen Verrichtungen geltend machen;
auch unterziehen sich diese erfahrungsgemäß nicht leicht den unan-
genehmen Arbeiten, zu welchen sich Frauen eher bereit finden (S. 57
und 246).
Von den einzelnen Industrien würde die Spinnerei wohl am
meisten durch eine Herabsetzung der Arbeitszeit in Mitleidenschaft
gezogen werden, da in den Betrieben dieser Gewerbegruppe vielfach
die längste gesetzlich zulässige Arbeitszeit noch üblich ist. Gerade
in der Textilindustrie würde aber die besondere Geschicklichkeit
der Frauen schwer vermißt werden (S. 176 und 244).
d) Nachteile für die Frauen.
«) Verdrängung der Frauen durch ledige Arbeiterinnen.
Die von den Aufsichtsbeamten geäußerte Befürchtung, es werde
nicht möglich sein, durch Neueinstellung von Arbeitskräften einen
Ausgleich für die Verkürzung der Arbeitszeit zu schaffen, war zur
Zeit der Umfrage im Jahre 1599 besonders begründet, da die Nach-
frage nach Arbeitskräften damals allgemein eine sehr starke war.
Wie die Erfahrung neuerdings wiederum gelehrt hat, sind solche
Zeiten aber nicht von Dauer und es treten auch wieder Verhält-
nisse ein, in welchen die Heranziehung neuer Arbeiter erheblich
leichter ist. Bei einer derartigen Lage des Arbeitsmarktes könnte
die gesetzliche Verkürzung der Arbeitszeit der Frauen die Folge
haben, daß die Unternehmer neue Arbeitskräfte nicht nur zur Deckung
des entstehenden Ausfalles von Arbeitsleistung, sondern als Ersatz
für die verheirateten Frauen überhaupt heranziehen, so daß die Frauen
der Erwerbsgelegenheit in der Industrie verlustig gingen. Diese Folge
würde um so schwerwiegender sein, als die verheirateten Fabrikar-
beiterinnen in der großen Mehrzahl der Fälle durch die Not zur
Arbeit gezwungen sind (S. 33), ein gleichwertiger und weniger nach-
teiliger Erwerb als Ersatz für die Fabrikarbeit aber nach der Ansicht
der Gewerbeaufsichtsbeamten nicht vorhanden ist (S. 226)!). Eine
Verdrängung der Frauen durch Ledige ist besonders in denjenigen
Industriezweigen wahrscheinlich, für welche die Beschränkung der
Arbeitszeit eine empfindliche Störung darstellt. Die Zahl der hier
in Betracht kommenden Betriebe darf aber nicht unterschätzt werden,
weisen doch 21 Aufsichtsbeamten und die Einleitung zu dem Bericht
für Bayern nachdrücklich auf «die Gefahr für die Beschäftigung der
Frauen hin, welche sich aus einer besonderen Behandlung der letzteren
1) Dieser Gesichtspunkt wird im 3. Abschnitt des Aufsatzes unter A I eingehend
zu erörtern sein,
20*
308 v. Brandt,
ergeben kann (S. 174 Tel Nach diesen Gutachten würde eine Ab-
weichung von der allgemeinen Arbeitszeit besonders in den Fabriken
als störend empfunden werden, wo die Arbeit der Frauen im eng-
sten Zusammenhang mit dem Fortgang des ganzen Betriebes steht
(S. 176 fg.). Verschiedentlich werden als solche Betriebe die Spinne-
reien erwähnt. Schwierigkeiten würden ferner in den Fabriken ent-
stehen, in welchen Frauen zur Bedienung von Arbeitsmaschinen ver-
wendet werden. Die von den Frauen bedienten Maschinen müßten
dort im Vergleich zu den übrigen Maschinen der Fabrik um so viel
länger ruhen als die den Frauen gewährte Verkürzung der Arbeits-
zeit beträgt. Auch die Kraftmaschine der Fabrik würde somit wäh-
rend dieser Zeit nicht voll ausgenutzt werden können (S. 175 fg.).
In den mechanischen Betrieben müssen die Unternehmer aber dar-
auf halten, daß sämtliche Maschinen während möglichst langer Zeit
im Gange sind, weil hiervon die Höhe der Produktion und die Ver-
zinsung des investierten Kapitals abhängig ist.
Gegenüber diesen aus den Anforderungen des Betriebes her-
geleiteten Bedenken kann nun aber darauf hingewiesen werden, daß
bereits jetzt in gewissen Bezirken den verheirateten Arbeiterinnen
in erheblichem Umfang besondere Vergünstigungen in Bezug auf
die Arbeitszeit gewährt werden (S. 64). Von besonderem Interesse
ist in dieser Hinsicht die Mitteilung des Aufsichtsbeamten zu Zwickau,
daß in verschiedenen Spinnereien dieses an Textiletablissements so
reichen Bezirks den Frauen, welche ein Hauswesen zu besorgen
haben, eine 2-stündige Mittagspause und dadurch eine Verkürzung
der Arbeitszeit gewährt wird, obgleich Arbeiter und Arbeiterinnen
gemeinschaftlich an einer und derselben Maschine thätig sind (S. 180).
Der Beamte zieht daraus den Schluß, daß selbst in diesem Falle
eine differenzielle Behandlung der Frauen durchführbar sei, während
der Aufsichtsbeamte für Berlin dagegen die Ansicht vertritt, daß
„bei Maschinenbetrieb eine Abweichung von der regelmäßigen Arbeits-
zeit der Fabrik sicher nicht zugestanden würde“ (S. 174). Den Aus-
führungen des Aufsichtsbeamten zu Zwickau lassen sich die des
Gewerberates in Aachen an die Seite stellen, welcher berichtet, die
Differenzierung der Arbeitszeit für Frauen um eine halbe Stunde
gegenüber den übrigen Arbeiterinnen werde nach dem Urteil an-
gesehener Arbeitgeber der Textil- und Papierindustrie eine Entlassung
der Frauen aus der Arbeit nicht zur Folge haben (S. 184). Bereits
zur Zeit genießen 19 Proz. der in den Fabriken des Bezirks Aachen
beschäftigten Frauen eine Verkürzung der Arbeitszeit, meist in Ge-
stalt einer Verlängerung der Mittagspause (S. 71). Der Aufsichts-
beamte bemerkt jedoch hierzu, daß diese Vergünstigung meist nur
solchen Frauen zugestanden werde, welche in Accordarbeit stehen
und keine Arbeitsmaschinen zu bedienen haben.
Lauten also die Gutachten der Aufsichtsbeamten, was die tech-
nische Seite der Frage angeht, in verschiedenem Sinne, so dürfte
doch aus ihnen zu entnehmen sein, daß eine gesetzliche Verkürzung
der täglichen Arbeitszeit der verheirateten Frauen, sofern dieselbe
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 309
sieh im Rahmen der vielfach schon jetzt den Frauen gewährten Ver-
günstigungen hält, keineswegs eine allgemeine Verdrängung der-
selben aus den Fabriken zur Folge haben würde. Wenn ein Teil
der Unternehmer schon jetzt eine besondere Behandlung der Frauen
zu ermöglichen gewußt hat, so wird sicherlich wenigstens ein Teil
der übrigen im Falle einer gesetzlichen Verkürzung der Arbeitszeit
ebenfalls Mittel und Wege zu finden wissen. Es muß freilich auch
mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß in einer Anzahl von Be-
trieben die Frauen durch ledige Arbeiterinnen ersetzt würden. In
welchem Umfang das letztere der Fall wäre, ist von dem Wert ab-
hängig, welcher der Frauenarbeit in den einzelnen Gegenden und
den verschiedenen Industriezweigen zuerkannt wird. Die Unter-
nehmer rühmen den Frauen vielfach mehr Fleiß, Pünktlichkeit und
Zuverlässigkeit nach, als bei den Ledigen zu finden sei. Die Frauen
besitzen ferner mehr Erfahrung und Geschicklichkeit als die jüngeren
Arbeiterinnen, auch sind sie eher als diese bereit, unangenehme
Arbeiten zu übernehmen, so daß die Unternehmer vielfach auf die
Frauen mehr oder weniger angewiesen sind!). Im allgemeinen kann
daher gesagt werden, daß die Gefahr einer Verdrängung der Frauen
besonders dort besteht, wo sie zur Bedienung von Arbeitsmaschinen
verwendet werden, sowie daß sie für die ungelernten Frauen größer ist
als für die gelernten. In sehr erheblichem Maße wird es ferner auf
die Geneigtheit der einzelnen Unternehmer zu einer entsprechenden
Einrichtung des Betriebes und Verteilung der Arbeitskräfte an-
kommen. Diese Geneigtheit wird aber wieder davon abhängen, ob
die Möglichkeit besteht, andere gleichwertige Arbeitskräfte als Er-
satz für die Frauen heranzuziehen.
Erwägt man alle diese Gesichtspunkte, so kommt man zu dem
Ergebnis, daß im Falle einer differenziellen Behandlung der Frauen
mit der Gefahr ihrer Verdrängung aus der Fabrik zu rechnen ist
und daß diese Gefahr je nach den Verhältnissen in den einzelnen
Industriezweigen und je nach der zur Zeit des Inkrafttretens der
Bestimmung bestehenden wirtschaftlichen Lage verschieden groß sein
würde.
f) Ausfall an Lohn infolge Verkürzung der Arbeitszeit.
Nimmt man nun selbst an, daß die Frauen in ihrer überwiegen-
den Mehrzahl auch nach der Herabsetzung der Maximalarbeitszeit
ihre Stellen in den Fabriken behielten, so bleibt die weitere Frage
ins Auge zu fassen, welches ihre Einbuße an Arbeitsverdienst sein
würde. Nach den Berichten der Aufsichtsbeamten ist nämlich an-
zunehmen, daß eine Kürzung der Arbeitszeit zu einem Rückgang
des Verdienstes führen wird, da die Unternehmer sich zu einer frei-
willigen Fortleistung der früheren Lohnsätze bei verminderter Arbeits-
leistung nicht verstehen werden (S. 219). Zum Beweis für die
Richtigkeit dieser Voraussicht wird in einem Berichte angeführt, daß
1) Denkschrift S. 57, 174, 177.
310 v. Brandt,
in einer sehr großen Zahl von Betrieben der Ausfall an Arbeitszeit,
welcher durch die Kürzung derselben an den Sonnabenden und die
Verlängerung der Pausen infolge des Arbeiterschutzgesetzes ent-
standen ist, von den Unternehmern nicht bezahlt werde. Nach jenen
Gutachten würde der Ausfall an Verdienst bei Tage- und Stunden-
löhnen der Verkürzung der Arbeitszeit entsprechen, also im Falle
der Einführung des Zehnstundentages circa 10 Proz. betragen
(S. 222 fg.). Allerdings ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß
dieser Ausfall durch eine allmähliche Erhöhung der Löhne wieder
ausgeglichen würde. Hiermit stimmen denn auch die Erfahrungen
überein, welche nach der Einführung des jetzigen Maximalarbeits-
tages gemacht worden sind. Die in Tage- und Stundenlohn stehen-
den Arbeiterinnen erlitten damals vielfach mit der Zeitverkürzung
einen entsprechenden Lohnverlust, in nicht seltenen Fällen ist aber
bei den Tagelöhnerinnen überhaupt keine Aenderung der Lohnsätze
eingetreten !).
In anderer Weise sind dagegen die Folgen einer Kürzung der
Arbeitszeit für die im Accordlohn stehenden Frauen zu beurteilen.
Es ist da nicht ausgeschlossen, daß die Frauen trotz Verminderung
der Arbeitszeit das gleiche Quantum Arbeit leisten wie früher, in-
dem sie nämlich der Arbeit mit größerer Intensität obliegen, so daß
eine Vermehrung von Kraft und Fleiß die Verminderung der Arbeits-
zeit ganz oder teilweise ausgleicht. Sechs von den Berichterstattern
sprechen sich gegen die Annahme aus, daß eine derartige Entwicke-
lung Platz greifen werde, dagegen rechnen elf andere Beamte mit
einer solchen oder betrachten sie als wahrscheinlich. Die Frage, ob
die Kürzung der Arbeitszeit bei den im Accordlohn beschäftigten
Frauen eine Steigerung der Arbeitsleistung zur Folge haben würde,
ist um so bedeutsamer, als der Accordlohn sich häufiger findet als
der Stundenlohn. Besonders in der Metall- und der Textilindustrie
ist für die Mehrzahl der weiblichen Arbeiter der Accordlohn üblich ?).
Angesichts der gedachten Verschiedenheiten in den Gutachten der
Aufsichtsbeamten dürfte es sich auch hier empfehlen, die Erfahrungen
in Betracht zu ziehen, welche mit der Einführung des Maximal-
arbeitstages im Jahre 1891 gemacht worden sind. Nach den Jahres-
berichten der Aufsichtsbeamten für 1894 ist bei den im Accordlohn
beschäftigten Arbeiterinnen vielfach ein Rückgang des Verdienstes
infolge Verkürzung der Arbeitszeit zu beobachten gewesen, wenn-
gleich bei diesen in geringerem Maße als bei den im Zeitlohn
arbeitenden ê). Anderwärts hingegen hat sich eine derartige Folge nicht
ergeben, und zwar ist dies zurückzuführen einerseits auf das Streben
der Arbeiter, den Lohn auf der früheren Höhe zu erhalten und des-
halb die Leistung zu vermehren, andererseits aber auf die Be-
1) Amtliche Mitteilungen aus den Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten
1894, S. 141 fg.
2) Dodd, Die Wirkungen der Schutzbestimmungen für die jugendlichen und weib-
lichen Fabrikarbeiter, Jena 1898, S. 132. Denkschrift, S. 223.
3) Atmliche Mitteilungen, 1894, S. 150 f.
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 311
mühungen der Arbeitgeber durch Aenderungen in der Produktions-
methode die höchstmögliche Leistung zu erzielen. Dank der günstigen
Lage der Industrie haben die Löhne sogar in manchen Fällen eine
Steigerung erfahren. Auch in dieser Hinsicht hängt also die Wir-
kung einer gesetzlichen Regelung der Arbeitszeit von Umständen ab,
welche von den gesetzgebenden Gewalten nicht beeinflußt und nicht
vorausgesehen werden können. Die Prosperität der Industrie hat
aber bereits seit dem Zeitpunkt der Erhebung eine erhebliche Ab-
schwächung erfahren, es kann also jetzt auf diese nicht als lohn-
steigernden Faktor gerechnet werden. Es muß fernerhin auch frag-
lich erscheinen, ob die Frauen nach ihrer Lebenshaltung noch zu
einer beträchtlich größeren Anspannung ihrer Leistungsfähigkeit im-
stande sind, sowie ob die Produktionsmethoden noch weiter verbessert
werden können.
Nach alledem dürfte der Ansicht derjenigen Aufsichtsbeamten
der Vorzug zu geben sein, welche von der Verkürzung der Arbeits-
zeit eine Verminderung des Verdienstes für die Frauen erwarten,
sei es, daß diese im Accordlohn oder Zeitlohn beschäftigt sind. Es
ergiebt sich hieraus die Notwendigkeit, eine Kürzung des Maximal-
arbeitstags, wenn eine solche überhaupt stattfinden soll, mit Rück-
sicht auf die Bedürfnisse der Frauen und ihrer Familien nur in
mäßigem Umfang vorzunehmen.
Muß somit mit einem Rückgang des Verdienstes als der voraus-
sichtlichen Folge einer weiteren Beschränkung der noch sehr ver-
breiteten 11-stündigen Arbeitszeit gerechnet werden, so ist doch auch
wieder andererseits in Betracht zu ziehen, daß die erhöhte Thätigkeit
im Haushalt einen gewissen Ersatz für den Lohnausfall bieten würde.
Die Gutachten der Aufsichtsbeamten betonen die Bedeutung einer
vermehrten Sorge für Haus und Kind, auch fehlt es nicht an Stimmen,
welche die fortan auf den Haushalt mehr zu verwendende Zeit als
eine direkte Ersparnis bezeichnen, da Wäsche, Kleider und dergleichen
besser gepflegt werden könnten. Inwieweit in dieser Hinsicht ein
Ausgleich für den entgehenden Verdienst geschaffen werden könnte,
hängt wiederum von dem Maße der vorzunehmenden Kürzung der
Arbeitszeit und der dadurch bedingten Höhe des Lohnausfalles ab.
V. Maß der Herabsetzung der Maximalarbeitszeit.
Im Verlauf der vorstehenden Erörterungen ist verschiedentlich
darauf hingewiesen worden, von welcher Bedeutung das ins Auge
zu fassende Maß der Verkürzung des Maximalarbeitstages für die
Durchführbarkeit einer solchen Maßregel ist. Da sich hieraus zugleich
die Direktiven für die Beurteilung der einzelnen Vorschläge ergeben,
so ist die Erörterung der letzteren bis an das Ende der dieser
Einzelfrage gewidmeten Ausführungen aufgeschoben worden.
Nach dem, was über die voraussichtlichen Folgen einer Herab-
setzung des Maximalarbeitstags für die Industrie sowohl wie für die
Frauen dargelegt worden ist, läßt sich der allgemeine Grundsatz
312 v. Brandt,
aufstellen, daß die Aenderung des Maximalarbeitstags abhängig zu
machen ist von der Vorfrage, ob die wirtschaftlichen Verhältnisse eine
Aenderung der Arbeitszeit gestatten, d. h. ob bei Berücksichtigung
des Standes der Technik, der internationalen Konkurrenzbedingungen
sowie des Einkommens und der Leistungsfähigkeit der Arbeiterschaft
die Einführung einer kürzeren Arbeitszeit ohne Schädigung der In-
teressen der Industrie wie der Arbeiterschaft durchführbar erscheint.
Ist dies nicht der Fall, so ist anzunehmen, daß eine Neuregelung
der gesetzlichen Arbeitszeit eine schädliche Wirkung ausüben würde.
Als ein sicheres Anzeichen dafür, ob die wirtschaftlichen Verhältnisse
eine Herabsetzung der gesetzlichen Arbeitszeit gestatten oder nicht,
kann aber die Entwickelung der vertragsmäßigen Arbeitszeit ange-
sehen werden. Geht der Durchschnitt dieser erheblich zurück, so
wird man auf die Zulässigkeit einer Herabsetzung der Maximal-
arbeitszeit schließen können, anderenfalls aber eine solche Aenderung
als bedenklich ansehen müssen. Ein neuer Maximalarbeitstag hat
daher, wenn er durchführbar sein soll, für einen Teil der Betriebe
lediglich die bereits gültige Arbeitszeit gewissermaßen zu ratifizieren,
während er die noch zurückstehenden Betriebe zwingt, ihre Arbeits-
zeit auf das Durchschnittsmaß jener herabzusetzen.
Im ganzen haben 31 Aufsichtsbeamte eine Verkürzung der
Maximalarbeitszeit für die verheirateten Frauen mit einem Hauswesen
oder für alle Arbeiterinnen vorgeschlagen. Neunzehn hiervon sprechen
sich für 10 oder 10!/,, einer für 9'/,, zwei für 9—10 Stunden und
einer für 8 Stunden aus, während vier eine noch niedrigere Arbeits-
zeit befürworten und drei eine eine Kürzung der Arbeitszeit anregen,
ohne eine bestimmte Grenze anzugeben (S. 181 f.) Wie oben dar-
gelegt, ist noch etwa ein Drittel der fraglichen Frauen länger als
10 Stunden im Tage in Fabriken beschäftigt. Die durchschnittliche
Arbeitszeit der übrigen liegt aber dem Zehnstundentag von den ver-
schiedenen Arbeitszeiten ganz entschieden am nächsten; nur ver-
einzelt überwiegt eine niedrigere Arbeitszeit!). Die Herabsetzung
des Maximalarbeitstags auf 10 Stunden muß daher als die am weitesten
gehende Aenderung bezeichnet werden, welche für durchführbar zu
erachten ist.
Ob etwa dem Bundesrat eine Dispensbefugnis zu Gunsten der
Spinnereien vorzubehalten wäre, kann auf Grund der Enquete nicht
mit Sicherheit entschieden werden. Es ist jedoch in hohem Maße
wahrscheinlich, daß sich dies mit Rücksicht auf die jetzige Dauer der
Arbeitszeit in dieser Industrie und auf die schwierige Lage der
letzteren empfehlen würde.
Die Wahl des Zehnstundentages unter den vorgeschlagenen Ar-
beitszeiten empfiehlt sich auch im Hinblick auf die im Ausland
geltende Maximalarbeitszeit. Diese beträgt meist 11 Stunden. In
England bleibt sie in den Textilfabriken nur wenig hinter 10 Stunden
zurück. Wenn vereinzelt, wie z. B. in Zürich und in nordamerl-
1) Dies gilt von Hamburg und Darmstadt; Denkschrift S. 68.
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 313
kanischen Staaten geringere Maximalarbeitszeiten bestehen, so kann
dies bei den in Deutschiand zu berücksichtigenden großen örtlichen
Verschiedenheiten nicht vorbildlich sein. Auch ist bereits im Aus-
land die Erfahrung gemacht worden, daß eine zu weitgehende Kürzung
der Arbeitszeit die Frauen in die unkontrollierbare Hausindustrie
drängt!). Aehnliches ist in Deutschland nach 1891 bezüglich der
Kinderarbeit beobachtet worden.
Der Aufsichtsbeamte für Unterelsaß spricht sich gleichfalls für
die Herabsetzung des Maximalarbeitstags auf 10 Stunden aus, be-
fürwortet aber gleichzeitig eine Bestimmung des Inhalts, daß das
Höchstmaß der zulässigen Arbeitszeit nach 5 Jahren nur 5 Stunden
betragen, nach 10 Jahren aber die Fabrikarbeit nur mehr für solche
Frauen zulässig sein solle, welche im Jahre 1911 verheiratet und
dauernd beschäftigt waren, sowie für Frauen ohne Ernährer und für
Wittwen. Der Gedanke einer stufenweisen Herabsetzung der Arbeits-
zeit ist nicht neu. So wurde schon bei der Beratung des Arbeiter-
schutzgsetzes in der Kommission des Reichstages vorgeschlagen, zu-
nächst einen allgemeinen 10-stündigen Arbeitstag einzuführen und
diesen in 4-jährigen Zwischenräume um je 1 Stunde bis 8 Stunden
herabzusetzen?). Solche Vorschläge haben insofern etwas Bestechendes,
als sie dem Bedürfnis nach einem allmählichen schonenden Uebergang
Rechnung zu tragen und doch mit mathematischer Sicherheit zum
Ziele zu führen scheinen. Die Unzweckmäßigkeit einer derartigen
Regelung ergiebt sich jedoch aus der Erwägung, daß die künftige
wirtschaftliche Entwickelung, auch wenn es sich nicht um einen weit-
entfernten Zeitpunkt handelt, niemals mit einiger Sicherheit voraus-
gesehen werden kann und daher auch im voraus kein Urteil darüber
möglich ist, ob die wirtschaftlichen Verhältnisse in der Zukunft die
Durchführung einer kürzeren Arbeitszeit gestatten werden. Die Fest-
seztung einer successiven Verkürzung der Arbeitszeit muß daher in
allen den Fällen als irrationell erscheinen, in welchen sie nicht zur
schonenderen Durchführung einer bereits von vornherein zulässigen
Verkürzung der Arbeitszeit bestimmt ist #).
Das von den Aufsichtsbeamten zu Köln und für Oberelsaß em-
pfohlene Halbzeitsystem mit zwei 6-stündigen Arbeitsschichten muß
gleichfalls als undurchführbar bezeichnet werden. Die Unbequemlich-
keit der Doppelschicht für Ehefrauen würde viele Unternehmer veran-
lassen, von der Beschäftigung abzusehen ; dort wo sich die Doppelschicht
aber einführen ließe, würde sie eine Zunahme der Frauenarbeit zur
Folge haben. Da die unverheirateten Arbeiterinnen wegen des größeren
Verdienstes vorziehen würden, während der allgemeinen Arbeitszeit
zu arbeiten, so müßte auch die zweite Schicht von einer Frau über-
1) Frankenstein (Der Arbeiterschutz, Leipzig 1893, S. 49) berichtet dies für
Australien.
2) Kommissionsbericht S. 1468.
3) Das französische Gesetz vom 31. März 1900 sieht in dieser Weise eine Herab-
setzung der 11-stündigen Arbeitszeit auf eine solche von 10'/, und 10 Stunden in
2-jährigen Zwischenräumen vor.
314 v. Brandt,
nommen werden, für eine Stelle müßten daher fortan zwei Frauen
eingestellt werden !).
VI. Resümee.
Auf Grund der vorstehenden Untersuchungen ist schließlich die
Kardinalfrage zu entscheiden, ob eine Kürzung der Arbeitszeit aus-
schließlich für die verheirateten Frauen oder für alle Arbeiterinnen
einzutreten hätte. Das Bedürfnis nach einer Verminderung der täg-
lichen Beschäftigungsdauer ist nicht nur bei den Frauen, sondern
auch bei den im Entwickelungsalter stehenden Mädchen über 15 Jahren,
sowie bei den ledigen Arbeiterinnen mit einem Hauswesen vorhanden,
wenn auch nicht in gleichem Maße, wie bei den Frauen. Die In-
dustrie würde auch eine Herabsetzung der Maximalarbeitszeit tür
jene ertragen können. Bei dem Vorhandensein eines gleichen oder
ähnlichen Bedürfnisses bei den Ledigen wie bei den Verheirateten
kann aber der ideelle Gesichtspunkt, daß die verheiratete Frau
einer Bevorzugung zu würdigen sei?), nicht entscheidend sein. Er
erscheint nur da angebracht, wo es sich um die Gewährung von
Vergünstigungen handelt, um derentwillen die Stellung der Verhei-
rateten begehrenswert erscheinen würde. In diesem Sinne kann aber
die Kürzung der Arbeitszeit nicht aufgefaßt werden, da der Frau ein
Teil des Verdienstes entgeht und zudem die Gefahr einer Verdrän-
gung durch ledige Arbeiterinnen vorhanden ist. Wäre hiernach eine
allgemeine Kürzung der täglichen Arbeitszeit der Arbeiterinnen ins
Auge zu fassen, so verdient eine derartige Regelung der Arbeitszeit
auch insofern den Vorzug, als bei einer differenziellen Behandlung
der Frauen eine Kontrolle ihrer Angaben darüber, ob ihnen die Sorge
für ein Hauswesen obliegt (S. 184), in der Praxis die größten Schwierig-
keiten bereiten würde. Für sie spricht schließlich auch der Umstand,
daß hierbei die Gefahr einer Verdrängung der Frauen aus der Be-
schäftigung in den Fabriken nicht in Frage käme.
B. Einzelne Vorschläge betreffend die anderweite
Regelung der Arbeitszeit.
I. Beginn und Schluß der täglichen Arbeitszeit.
In engem Zusammenhang mit den auf eine Kürzung der täg-
lichen Arbeitszeit gerichteten Vorschlägen stehen diejenigen, welche
sich auf eine Aenderung der Bestimmungen über Beginn, Schluß
und Unterbrechung der Arbeit beziehen, da ihre Verwirklichung zu
allermeist auch eine Kürzung der Arbeitszeit in sich schließen würde.
Verschiedentlich ist es als wünschenswert bezeichnet worden,
daß die Arbeit der Frauen erst später beginnen dürfe und früher
enden müsse, als dies heute üblich ist. Zwei Aufsichtsbeamte sprechen
sich dahin aus, die tägliche Arbeit der Frau solle nicht vor 7 bezw.
1) Vergl. Pohle, Frauenfabrikarbeit und Frauenfrage, Leipzig 1900, S. 53.
2) Hitze, Zeitschrift Arbeiterwohl, 1898, Heft 2, S. 29.
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 315
8 Uhr morgens beginnen und spätestens um 7 Uhr abends enden.
Die Ortspolizei solle befugt sein, eine Ausdehnung der Arbeitszeit
auf die Dauer der für die unverheirateten Frauen geltenden zuzu-
lassen (S. 184). Ein weiterer Berichterstatter spricht sich gleichfalls
für den 8 Uhr-Beginn aus (S. 183). Von anderer Seite wird hin-
gegen eine Bestimmung dieses Inhaltes als nicht ratsam bezeichnet,
„so sehr es auch im Interesse zahlreicher Kinder gelegen wäre“
(S. 185). Die Gründe, welche für eine solche Maßregel sprechen,
liegen nahe. Der Haushalt und die Kinder verlangen gerade in den
ersten Morgenstunden die Thätigkeit der Frau; muß diese schon früh
zur Arbeit, so ist sie gezwungen, entweder die Nachtruhe stark ab-
zukürzen oder jene Pflichten zu vernachlässigen. Bei der Einfüh-
rung eines späteren Arbeitsbeginnes der Frauen „würden die Kinder
längere Nachtruhe haben, sich vor Beginn der Schule nicht stunden-
lang selbst überlassen sein“ (S. 182). Es ließe sich hierdurch, so
meint ein Berichterstatter, schon eine wesentliche Verbesserung der
bisherigen Zustände erreichen (S. 183).
Würde demnach ein späterer Arbeitsbeginn wohl im Interesse
der Frauen und der Familien gelegen sein, so erscheint es doch sehr
fraglich, ob eine solche Vorschrift ohne erhebliche Schädigung der
Industrie und der Frauen selbst erlassen werden könnte. Zwar
berichtet eine größere Anzahl von Aufsichtsbeamten, daß den Frauen
in einer beträchtlichen Anzahl von Fällen ein späterer Beginn oder
früherer Schluß eingeräumt werde. Die als Beispiele angeführten
Betriebe sind jedoch vorwiegend solche, welche ihrer Natur nach
eine größere Unregelmäßigkeit des Betriebes zulassen, da jeder Ar-
beiter für sich allein arbeitet, wie z. B. die Cigarrenfabriken und
die Konfektionsindustrien (S. 81 f.). Dagegen wird aber auch be-
richtet, daß den an Arbeitsmaschinen beschäftigten Arbeitern solche
Vergünstigungen nicht gewährt werden. Bei dem beschränkten Kreis
der Fälle, in welchen heute derartige Ausnahmen zu Gunsten der
Frauen gemacht werden und angesichts der Schwierigkeiten, welche
ihrer Durchführung in einem großen Teil der Betriebe entgegen-
stehen, erscheint eine Verallgemeinerung dieser besonderen Behand-
lung der Frauen nicht empfehlenswert. Auch hier dürften die be-
reits zur Zeit bestehenden Verhältnisse ein zuverlässiger Anhalt bei
der Beurteilung des Vorgeschlagenen sein.
II. Verlängerung der Mittagspause.
Gründe dafür.
Ungefähr ein Viertel der Aufsichtsbeamten hat eine Verlänge-
rung der gesetzlichen Mittagspause für die verheirateten Frauen oder
für alle durch ein Hauswesen in Anspruch genommenen Arbeiterinnen
in Vorschlag gebracht. Diese Berichterstatter legen ein besonderes Ge-
wicht auf eine thunlichst reichliche Bemessung der Mittagspause für
die durch häusliche Pflichten in Anspruch genommenen Frauen (S. 187).
Die Gewährung einer 1'!/,-stündigen Mittagspause würde nach der
316 v. Brandt,
Ansicht der Aufsichtsbeamten in Chemnitz für die Frauen, welche
während derselben nach Hause gehen könnten, sowie für deren Familien,
eine wahre Wohlthat sein (S. 190). Der Aufsichtsbeamte zu Plauen
tritt sogar für eine 2-stündige Pause ein, da die jetzt gewährte 1!/,-
stündige Mittagspause für manche Frauen eine anstrengendere Zeit
sei als die Fabrikthätigkeit selbst. Die Ueberanstrengung der Frauen
und die mangelhafte Ernährung der Arbeiterfamilien dürften in der
That ihren Hauptgrund in der Kürze der zur Bereitung der Haupt-
mahlzeit verfügbaren Zeit haben. Eine Behebung dieses Uebelstandes
erscheint daher als ein wertvolles Mittel zur Besserung der Lage der
verheirateten Fabrikarbeiterinnen.
Jetziger Zustand.
Nach den jetzt geltenden Bestimmungen ist die Verlängerung
der Mittagspause auf 1!/, Stunden von einem vorgängigen Antrag
der Frauen abhängig. Diese Regelung hat hauptsächlich die Be-
deutung eines „Fingerzeigs“ dafür, welche Einrichtung der Gesetz-
geber unter normalen Verhältnissen getroffen zu sehen wünscht !).
In zahlreichen Betrieben genießen denn auch die Frauen die Ver-
günstigung, sich eine gewisse Zeit vor der allgemeinen Mittagspause
entfernen zu dürfen. Nach der Denkschrift trat die Verlängerung
der Mittagspause unter den Fällen, in welchen den mit geregelter
Arbeitszeit beschäftigten Frauen eine Ausnahmestellung eingeräumt
wurde. stark hervor (S. 72). Insbesondere ist auch in nicht seltenen
Fällen von dem Antragsrecht des 3 137 Abs. 4 G.O. Gebrauch ge-
macht worden. Im Bezirk Plauen galt dies von mehr als der Hälfte
der Frauen (S. 72 f.). Nach den Ermittelungen des Aufsichtsbeamten
zu Köln ist die Zahl der Frauen, welche ein Hauswesen zu besorgen
haben, ungefähr gleich derjenigen, für welche die verlängerte Mittags-
pause gewährt wird (S. 190). Im Bezirk Frankfurt a. O. dürfen sich
die verheirateten Frauen durchweg eine !/, Stunde vor der Mittags-
pause entfernen (S. 72).
Den 21 Bezirken, aus welchen derartiges berichtet wird, stehen
jedoch zahlreiche andere gegenüber, in welchen den Frauen keine
Ausnahmestellung bezüglich der Mittagspause eingeräumt ist. In
einem kleineren Teil der hier in Betracht kommenden Betriebe hat
eine allgemeine Verlängerung der Mittagspause auf 1!/; Stunden
stattgefunden, so daß die Voraussetzung des Antrags gemäß $ 137
Abs. 4 G.O. entfällt. Vielfach ist aber auch die Beobachtung gemacht
worden, daß die Unternehmer den auf Verlängerung der Pause ge-
richteten Bestrebungen der Frauen durch Entlassungen oder Nicht-
annahme solcher Frauen, welche auf der längeren Pause bestanden,
entgegengetreten sind (S. 75). Zuweilen war auch eine prinzipielle
Abneigung gegen „die in einem solchen Antrag liegende Rechtsforde-
rung“ (S. 77) wahrzunehmen. Zahlreiche Arbeiterinnen haben daher
1) Drucksachen des Reichstages 1890/91, S. 2426.
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 317
aus Furcht, entlassen zu werden, den erforderlichen Antrag nicht
gestellt (S. 187).
Durchführbarbeit einer Verlängerung der Pause.
Faßt man die Folgen der Durchführung einer längeren Mittags-
pause der Frauen für die Industrie und für die Frauen selbst ins
Auge, so ergeben sich auch hier die nämlichen Schwierigkeiten, welche
sich einer großen Zahl von Betrieben jeder differenziellen Behand-
lung eines Teils der Arbeiterschaft entgegenstellen. Die Maßregel
würde besonders in den Betrieben mit Maschinenbetrieb und in solchen
Betrieben störend empfunden werden, in welchen die einzelnen Ver-
richtungen in einem derartigen inneren Zusammenhang stehen, daß
das Ausscheiden einzelner Glieder eine Störung dieses Zusammen-
banges zur Folge hätte. Ein Berichterstatter stellt in dieser Be-
ziehung die Webereien und die Spinnereien einander gegenüber und
bemerkt, die Entlassung der Frauen vor der Mittagspause werde in
den Webereien in der Regel keinem Anstande begegnen, dagegen
würden sich die Arbeiterinnen in Spinnereien geradezu der Gefahr
aussetzen, durch ihren Antrag die Stelle zu verlieren (S. 76). In
zwei Gutachten findet denn auch die Befürchtung Ausdruck, daß die
Frauen infolge einer besonderen Regelung ihrer Mittagspause aus der
Fabrikarbeit verdrängt würden. Nach einem dritten hingegen würde
eine solche Maßnahme für die Arbeitgeber ziemlich belanglos sein
(S. 189). Der Aufsichtsbeamte zu Plauen, welcher sogar für eine
2-stündige Mittagspause eintritt, erwartet ebenfalls keine besonderen
Schwierigkeiten bei der Durchführung, weil die Einrichtung in den
meisten Betrieben bei gutem Willen so getroffen werden könne, daß
die Arbeiten, welche eine Unterbrechung während der allgemeinen
Betriebszeit nicht oder doch nur schwer erfahren können, unverhei-
rateten oder solchen verheirateten Arbeiterinnen übertragen werden,
deren Hauswesen durch andere Personen geführt wird (S. 191).
Zieht man neben solchen zustimmenden Aeußerungen der Auf-
sichtsbeamten noch in Betracht, daß die verheirateten Frauen bereits
jetzt vielfach eine Mittagspause von 1!/, Stunden genießen, so ge-
winnt man den Eindruck, daß auch in den meisten übrigen Betrieben
eine Erweiterung der Pause auf dieses Maß wohl möglich sein würde.
Ob eine gesetzliche Verlängerung der Pause zu Entlassungen von
Frauen oder zur Beschränkung der Einstellung von solchen führen
würde, hängt von der Lage des Arbeitsmarktes, dem Wert der Frauen
für den einzelnen Industriezweig und dem Maße der Erschwerung
des Betriebes ab. Die Gefahr der Verdrängung der Frauen ist also
hier in ähnlicher Weise zu beurteilen, wie bei der Frage der Kürzung
der ganzen Arbeitszeit. Freilich würden die Unternehmer, welche
an einer Kürzung ihrer 11-stündigen Arbeitszeit um eine volle Stunde
Anstoß nähmen, wohl eher geneigt sein, eine Verlängerung der Mittags-
pause um !/, Stunde zu ermöglichen. Sollte nun aber gleichzeitig eine
Herabsetzung der Arbeitszeit auf 10 Stunden und eine Verlängerung
318 . v. Brandt,
der Mittagspause auf 1'/, Stunden eintreten, so kämen die Unter-
nehmer, in deren Betrieb die Frauen jetzt noch 11 Stunden arbeiten,
in die Lage, entweder die Mittagspause der Frauen auf 2 Stunden
zu verlängern oder zu zwei Malen des Tages die Frauen je um eine
halbe Stunde früher entlassen zu müssen, vorausgesetzt nämlich, daß
Sg 11-stündige Arbeitszeit für die übrigen Arbeiter beibehalten
bleibt.
Wollte man nun die verlängerte Mittagspause nicht nur für die
verheirateten Frauen, sondern für alle Arbeiterinnen, welche ein
Hauswesen zu besorgen haben, einführen, so würden dennoch die
nachteiligen Folgen einer solchen Maßregel ausschließlich die Ver-
heirateten treffen. Die ledigen Frauen, welche für Kinder oder
andere Angehörige zu sorgen haben, würden diese ihre Verpflichtung
den Fabrikanten vorenthalten, wenn sie von diesen die Entlassung
zu befürchten hätten; ja sie würden sich unschwer so einzurichten
vermögen, daß man ihnen ihre Verpflichtung nicht nachweisen könnte,
z. B. durch Weggabe der Kinder in Pflege. Auch von den Frauen
würden ähnliche Umgehungen der Vorschrift zu befürchten sein.
Um solche zu verhindern, müßte man daher im Gesetze die ver-
heirateten Frauen als solche Personen bezeichnen, bei welchen die
Sorge für ein Hauswesen zu präsumieren ist. Da nun keine Mög-
lichkeit besteht, der Umgehung durch die Ledigen in ähnlicher Weise
entgegenzutreten, so bliebe schließlich die Gefahr einer Verdrängung
der Frauen die gleiche, sei es, daß die verlängerte Mittagspause für
sie allein, oder daß sie für alle Arbeiterinnen mit einem Hauswesen
eingeführt wird.
Oertliche Verschiedenheit des Bedürfnisses.
Gegen eine Maßnahme der fraglichen Art wird aber ferner geltend
gemacht, die Frauen hätten vielfach gar nicht den Wunsch, mittags
nach Hause zu gehen, wenn nämlich die Wohnung zu weit von der
Fabrik entfernt sei. Dies gilt vor allem für die Großstädte Berlin
und Hamburg (S. 186). Die Arbeiterfamilien genießen dort meist
ihre Hauptmahlzeit am Abend und legen daher Wert darauf, mög-
lichst früh nach Hause zu kommen. Auch die Aufsichtsbeamten zu
Frankfurt a. O. und Schleswig sprechen sich dahin aus, daß die
Mittagspause vielfach wegen der örtlichen Verhältnisse von den Frauen
ntcht geschätzt werde (S. 188). Bei diesen Aeußerungen dürften
die Berichterstatter jedoch nicht ihre eigenen Aufsichtsbezirke im
Auge haben, da in dem einen die Frauen durchweg, in dem anderen
alle bis auf 8 Proz. eine Mittagspause von 1!/, Stunden besitzen
(S. 72 und 189). Die obligatorische Mittagspause von 11/, Stunden
würde demnach wohl nur in den größten Städten den Bedürfnissen
der Arbeiterschaft nicht entsprechen. Dieser Umstand steht jedoch
nicht dem Erlaß einer derartigen allgemeinen Vorschrift im Wege,
bietet doch bereits jetzt § 139 Abs. 2 G.O. eine genügende Hand-
habe, um eine besondere Regelung der Pausen in den Fabriken ein-
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen, 319
treten zu lassen, in welchen Rücksichten auf die Arbeiter Abweichungen
von der gesetzlichen Regel erwünscht erscheinen lassen. Die
preußische Ausführungsanweisung vom 26. Februar 1892 zum Reichs-
gesetz vom 1. Juni 1891 bemerkt ausdrücklich unter F IV 6 zu
$ 139 Abs. 2: „Hier kommen auch die Fälle in Betracht, in denen
Arbeitern, welche von der Fabrik so weit entfernt wohnen, daß sie
nicht zum Mittagessen nach Hause gehen können, durch Abkürzung
der Pausen und der täglichen Arbeitszeit die Möglichkeit verschafft
werden soll, einen größeren Teil des Tages zu Hause zuzubringen,
als es bei regelmäßiger Einteilung der Arbeitszeit möglich sein
würde“ Dem obigen Bedenken würde dann vollkommen Rechnung
getragen sein, wenn bei der Neuregelung der Mittagspause der
Frauen die höhere Verwaltungsbehörde ermächtigt würde, auch be-
zirksweise eine von der Regel abweichende Normierung der Pause
zu gestatten.
Einzelne Vorschläge.
Faßt man die Vorschläge ins Auge, welche im einzelnen für
die Verlängerung der obligatorischen Mittagspause gemacht worden
sind, so kommt von diesen in erster Linie die von 15 Aufsichts-
beamten empfohlene Mindestpause von 1!/, Stunden in Betracht
(8.190 f.). Für diese spricht der Umstand, daß diese Pause bereits
jetzt in einer erheblichen Anzahl von Fällen den Frauen gewährt
wird. Dagegen würde die von zwei anderen Berichterstattern be-
fürwortete 2-stündige Pause eine viel zu weitgehende Aenderung
des bestehenden Zustandes bedeuten. Zwar ist oben eine Herab-
setzung der 11-stündigen Arbeitszeit auf eine 10-stündige, also die
Kürzung der Arbeitszeit um eine ganze Stunde als durchführbar
bezeichnet worden, es ist jedoch hierbei zu bedenken, daß wohl in
zahlreichen Betrieben eine 10-stündige Beschäftigungsdauer bereits
eingeführt ist, im Vergleich hiermit eine 2-stündige Mittagspause
aber äußerst selten vorkommt (S. 74). Dagegen gilt eine Mittags-
pause von 1!/, Stunden in vielen Betrieben, sei es allgemein, sei
es nur für die Frauen.
Seitens des Aufsichtsbeamten zu Zwickau ist nun ferner in Vor-
schlag gebracht worden, den Frauen, welche ein Hauswesen zu be-
sorgen haben, zu gestatten, entweder eine Stunde vor der Mittags-
pause sich zu entfernen, oder eine Stunde nach Beginn der Arbeit
zu kommen, oder sie eine Stunde früher zu verlassen (S. 188). In-
dem eine derartige Regelung eine weitgehende Differenzierung der
Arbeitszeit der Frauen in allen Betrieben obligatorisch macht, wird
sie weder den Interessen der Industrie noch denen der Frauen ge-
recht. Während die Kürzung des Maximalarbeitstages für die Frauen
keineswegs für alle Betriebe die Einräumung einer Sonderstellung
an die Frau bedeuten würde und die Erhöhung der Mittagspause um
'/; Stunde eine mäßige Begünstigung der Frauen darstellt, welche
bereits jetzt vielfach von den Unternehmern aus freien Stücken ge-
währt wird, kommen ähnliche die Durchführung erleichternde Um-
320 v. Brandt,
stände bei dem gedachten Vorschlag nicht in Betracht. Er thut den
thatsächlichen Verhältnissen gewissermaßen Gewalt an, seine Ver-
wirklichung würde daher die Weiterbeschäftigung der Frauen in der
Industrie auf das schwerste gefährden.
Ausnahmevorschriften fürdie Frauen oder allgemeine
Regelung?
Es bleibt schließlich zu untersuchen, für welche Gruppe von
weiblichen Arbeitern die Erweiterung der Mittagspause um !/, Stunde
ins Auge zu fassen wäre. Das Bedürfnis nach einer längeren Mittags-
pause besteht nicht nur bei den verheirateten Frauen, sondern auch
bei vielen Ledigen, welche ebenfalls ein Hauswesen zu besorgen
haben, wenngleich diese wegen des geringeren Umfanges der häus-
lichen Pflichten einer verlängerten Pause nicht in dem gleichen Maße
benötigen, wie die Verheirateten. Die Gefahr der Verdrängung der
Frauen ist, wie oben gezeigt, gleich groß bei einer engeren wie bei
einer weiteren Geltung der Bestimmung. Bei dieser Sachlage dürfte
es sich empfehlen, die gesetzliche Mittagspause für alle erwachsenen
Arbeiterinnen, welche ein Hauswesen zu besorgen haben, einzuführen
und im Gesetz als solche ausdrücklich diejenigen verheirateten Frauen
zu bezeichnen, welche nicht den Nachweis erbringen, daß die Ehe
nicht mehr besteht und daß der Pflege bedürftige, insbesondere schul-
pflichtige Kinder nicht mehr vorhanden sind!). Bei einer derartigen
Regelung würden voraussichtlich die verheirateten Frauen in ihrer
großen Mehrzahl, die Ledigen mit einem Hauswesen aber in den-
jenigen Betrieben einer längeren Mittagspause teilhaftig werden, wo
sich die Unternehmer zu der Neuerung freundlich stellen.
In einem der Gutachten findet sich der Vorschlag, die Gewährung
der 1?/,-stündigen Mittagspause für die Frauen nicht obligatorisch
zu machen, sondern sie nur in dem Falle eintreten zu lassen, daß
die Mehrheit der Arbeiterschaft einen entsprechenden Antrag stellt
(S. 187). Dieser Vorschlag muß jedoch als ungeeignet bezeichnet
werden. Er verlegt nämlich den Schwerpunkt der Regelung in die
Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, welche ört-
lich verschieden und von dem Wechsel der Konjunktur abhängig sind,
während der Vorzug der obligatorischen Verlängerung der Pause
gerade darin liegt, daß die Normierung der Pause der freien Verein-
barung entzogen ist.
In erster Linie wird also eine Erhöhung des Mindestmaßes der
Mittagspause auf 1'/, Stunden für die fragliche Kategorie von
Arbeiterinnen in Anregung gebracht. Fernerhin dürfte aber auch
der Vorschlag eines Berichterstatters der Berücksichtigung wert sein,
welcher die Umgestaltung des $ 137 Abs. 4 G.O. dahin empfiehlt,
1) Eine ähnliche Präsumtion fand sich in der Fassung des § 137 nach dem
tegierungsentwurf zum Arbeiterschutzgesetz, wurde aber vom Reichstag verworfen. Bei
einer obligatorischen Regelung dürfte sie jedoch nicht zu entbehren sein.
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 321
daß die Arbeiterin auch dann zur Stellung des Antrags auf Ent-
lassung vor der Mittagspause befugt sein soll, wenn diese 1!/, Stunde
beträgt (S. 188). Mit Recht wird darauf hingewiesen, daß, wenn die
örtlichen Verhältnisse die Bemessung der Pause auf 1'/, Stunden
nötig machen, auch die Gewährung einer längeren Pause für die
Frau nötig ist, damit das Essen rechtzeitig bereit sein kann. Eine
Aenderung, welche auch diesem Umstande Rechnung trüge, könnte
einer Minderzahl von Frauen zu statten kommen. Die sie beschäftigen-
den Betriebe würden aber hierdurch nicht mehr gestört als die-
jenigen, in welchen bereits jetzt den Frauen auf Grund des $ 137
Abs. 4 G.O. eine Verlängerung der Mittagspause auf 1!/, Stunden
eingeräumt werden muß.
II. Einrichtung besonderer Pausen für die Frauen.
Seitens eines Aufsichtsbeamten ist in Anregung gebracht worden,
es solle den Unternehmern die Verpflichtung auferlegt werden, den
Frauen besondere Pausen, nämlich je eine !/,-stündige an den Vor-
und Nachmittagen, zu gewähren (S. 192). Gegen diesen Vorschlag
sind jedoch sehr erhebliche Bedenken geltend zu machen. Eine mehr-
fache Unterbrechung des Betriebes wirkt nämlich infolge des un-
vermeidlichen Zeitverlustes vor und nach einer jeden Pause in hohem
Maße störend. Eine Mehrheit von Pausen ist denn auch nach den
Berichten der Gewerbeaufsichtsbeamten nur in sehr geringem Um-
fang verbreitet (S. 78). Die Einführung einer gesetzlichen Bestimmung
dieses Inhaltes würde daher in den meisten Betrieben überaus störend
empfunden werden. Insbesondere würde dieselbe aber neben einer
Verlängerung der Mittagspause nicht in Frage kommen können. Es
dürfte sich daher erübrigen, noch näher auf diesen vereinzelt da-
stehenden Vorschlag einzugehen.
IV. Verkürzung der Arbeitszeit an Sonnabenden.
Mehrere von den Berichterstattern sind dafür eingetreten, daß
die Vorabende der Sonn- und Festtage oder wenigstens die Sonnabend-
nachmittage den Frauen in weiterem Umfang als jetzt freigegeben
werden (S. 192). Zur Begründung dieser Forderung wird auf die
Notwendigkeit hingewiesen, daß die Frau wenigstens einmal in der
Woche ihr Hauswesen gründlich besorgen könne. Da die Arbeiterinnen
bereits jetzt an Sonnabenden und Vorabenden vor Festtagen nach
51/, Uhr nachmittags nicht beschäftigt werden dürfen, so würde es
sich also darum handeln, diese Grenze noch heraufzurücken. Hin-
sichtlich der Durchführbarkeit einer solchen Maßregel gehen aber
selbst bei den Beamten, welche sie in Anregung gebracht haben, die
Ansichten sehr auseinander. Die einen weisen auf Betriebe hin, wo
eine solche Regelung schon getroffen sei, und glauben, daß die Frauen
den zu erwartenden kleinen Verdienstausfall wenig in Anschlag
bringen würden, die anderen befürchten, die Frauen würden infolge
der Bestimmung aus einer größeren Anzahl von Fabriken aus-
Dritte Folge Bd. XXII (LXXVII), 21
322 v. Brandt,
geschlossen werden, oder würden einen zu großen Ausfall an Ver-
dienst erleiden. Bei näherer Prüfung dürften in der That die
Nachteile der Aenderung die zu erwartenden Vorteile derselben
überwiegen.
Der Zweck der Maßregel, den Frauen eine bessere Besorgung
ihres Hauswesens zu ermöglichen, könnte nur dann erreicht werden,
wenn die Grenze der Arbeitszeit von 5!/, Uhr nachmittags um eine
größere Anzahl von Stunden verschoben würde. Geht man von einer
Kürzung der Arbeitszeit um 3 Stunden aus, so würde dies bei einer
wöchentlichen Arbeitszeit von 60 Stunden 5 Proz. derselben aus-
machen und ebenso hoch würde sich voraussichtlich der Lohnausfall
stellen. Eine solche Maßnahme würde aber ungleich tiefer eingreifen
als der Maximalarbeitstag von 10 Stunden. Letzterer ist bereits in
einem erheblichen Teil der Betriebe eingeführt und dort, wo dies
nicht der Fall ist, könnte der Ausfall an Arbeitszeit durch vermehrten
Fleiß und verbesserte Einrichtungen ausgeglichen werden. Ein Gleiches
gilt nicht von der fraglichen Beschränkung der Arbeitszeit an Sonn-
abenden. Die Maschinen bleiben da so lange Zeit ungenutzt stehen,
daß die Produktionsmenge zurückgehen muß. Die Erschwerung des
Betriebes, welche infolge einer Verlegung des Sonnabendschlusses
der Frauen entstünde, erscheint daher als so erheblich, daß sie vor-
aussichtlich zu einer Verdrängung eines Teiles der Frauen aus der
Fabrikarbeit führen würde. Diese Auffassung wird auch durch die
Erfahrungen bestätigt, welche mit der im Jahre 1891 stattgehabten
Verkürzung der sonnabendlichen Arbeitszeit gemacht worden sind.
Von allen Bestimmungen des Arbeiterschutzgesetzes hat gerade diese
mit die meisten Klagen veranlaßt. Auch hat die Einschränkung der
Sonnabendsarbeit zu Entlassungen der Arbeiterinnen geführt. Der
durch sie verursachte Lohnausfall war verhältnismäßig bedeutend).
Die Gewerbeaufsichtsbeamten sprachen sich bei der Berichterstattung
im Jahre 1894 dahin aus, daß die fraglichen Bestimmungen in sehr
weitem Umfang auf den Arbeitsplan der Betriebe eingewirkt habe und
als lästig und die Produktion hemmend empfunden worden sei, zumal
sie in den Betrieben, in welchen Männer und Frauen in abhängiger
Arbeitsteilung zusammen beschäftigt werden, auch zu einer früheren
Entlassung der Männer genötigt habe?). Aehnliche Folgen müßten
wohl in noch höherem Maße von einer weiteren gleichwertigen Be
schränkung erwartet werden. Eine solche kann daher nach Lage
der Verhältnisse heute noch nicht in Frage kommen).
V. Beschränkung der Ueberarbeit.
Die Gewerbeordnung gestattet, wie oben angezeigt, in gewissen
Fällen die Ueberschreitung “des Maximalarbeitstags der Arbeiterinnen.
1) Amtliche Mitteilungen, 1894, S. 113 und 173.
2) Ebenda, S. 149 f.
3) Im Ausland findet sich nur in England eine weitergehende Beschränkung der
Sonnabendsarbeit.
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 323
Von neun Aufsichtsbeamten ist nun eine Einschränkung der zu-
lässigen Ueberarbeit für die verheirateten Frauen angeregt worden
(S. 193 f). Mehrere Berichterstatter empfehlen, die Verwendung ver-
heirateter Frauen zu der nach Së 138a und 139 G.O. zulässigen
Ueberarbeit gänzlich zu verbieten. Von anderer Seite wird eine
Bestimmung befürwortet, daß die Mehrarbeit wegen außergewöhn-
licher Häufung der Arbeit nach Einführung des Zehnstundentages
für Frauen die Dauer von 11 Stunden nicht überschreiten solle, wäh-
rend sie jetzt 13 Stunden betragen kann). Schließlich wird auch
eine allgemeine Beschränkung der zulässigen Ueberarbeit auf 40 Tage
im Jahre befürwortet. Während einige von diesen Gutachten sich
dahin aussprechen, daß die von ihnen befürwortete Aenderung keine
erheblichen wirtschaftlichen Nachteile zeitigen würde, hält der Aufsichts-
beamte für Oberelsaß die Ausschließung der Frauen von der Leistung
von Ueberarbeit dort für nicht thunlich, wo dieselben ein Glied einer
größeren Arbeiterkette sind, „wo also die Arbeiter sich gegenseitig
Hand in Hand arbeiten“; ihre Verwendungsfähigkeit werde in solchen
Fällen sehr in Frage gestellt werden (S. 194).
Schon daraus, daß derartige Vorschläge nur von einer kleinen
Minderheit von Berichterstattern gemacht worden sind, dürfte sich
ergeben, daß die Wirksamkeit der zum Schutz der Frauen wie aller
Arbeiterinnen vorgenommenen Beschränkung der Arbeitszeit durch
das Maß der jetzt zulässigen Ueberarbeit nicht in bedenklicher Weise
abgeschwächt wird. Hierfür sprechen aber auch die Bewilligungen
von Ueberarbeit, welche auf Grund des $ 138a Abs. 1—4 G.O. that-
sächlich erteilt worden sind. So durften im Jahre 1398 von 764548
Arbeiterinnen über 16 Jahre 174513 mit Ueberarbeit beschäftigt werden.
Auf jede der letzteren entfielen im Durchschnitt 22,6 Ueberstunden.
In der Textilindustrie waren von 348545 Arbeiterinnen 90653 in
dieser Weise mit durchschnittlich 20,6 Ueberstunden beschäftigt. Am
zahlreichsten waren die Ueberstunden in der Industrie der Holz-
und Schnitzstoffe, sowie in der Industrie der Nahrungs- und Genuß-
mittel. Hier kamen auf jede mit Ueberarbeit beschäftigte Arbeiterin
28,7 bezw. 35,9 Ueberstunden ?).
Kann demnach ein Bedürfnis zu einer Aenderung im fraglichen
Sinne, sei es zu Gunsten aller Arbeiterinnen oder nur der verhei-
rateten, nicht anerkannt werden, so ist um so mehr auch der Nachteil
zu betonen, welcher aus einer derartigen Bestimmung für die Frauen
dadurch entstehen könnte, daß sie aus den Industrien, welche am
meisten auf Ueberarbeit angewiesen sind, verdrängt würden. Die
Industrie aber würde eines wertvollen Hilfsmittels beraubt, welches es
ermöglicht, zeitweise eine Abschwächung der sie belastenden Schutz-
maßnahmen eintreten zu lassen, um die einheimische Produktion in
dem Konkurrenzkampf mit dem Ausland zu unterstützen.
1) $ 138a Abs. 5 G.O. schließt bereits die Arbeiterinnen, welche ein Hauswesen
zu besorgen haben, von denjenigen Arbeiten aus, welche an Vorabenden von Sonn- und
Festtagen nach 5'/, Uhr abends zugelassen werden können.
2) Amtliche Mitteilungen, 1898, Anlage V.
l 21*
324 v. Brandt,
Weitergehende Beschränkungen der Ueberarbeit als die zur Zeit
bestehenden erscheinen aber auch nicht im Hinblick auf die auslän-
dischen Bestimmungen dieser Art angezeigt. In England ist zwar
die Zahl der Tage, für welche die Erlaubnis zur Ueberarbeit erteilt
werden darf, auf 30 beschränkt, dagegen beträgt hier die in diesen
Fällen zulässige tägliche Arbeitszeit 14 Stunden.
C. Vorschläge zum Schutz der Frauen in der Zeit
vor und nach der Entbindung.
Nachdem bis jetzt ausschließlich solche Vorschläge erörtert worden
sind, welche auf eine Aenderung der Arbeitsdauer und Arbeitszeit
abzielen, sind nunmehr Maßnahmen zu würdigen, welche im beson-
deren Interesse der schwangeren und der nährenden Frauen, sowie
der Wöchnerinnen vorgeschlagen worden sind. Hatten die Schwierig-
keiten, welche hinsichtlich der Durchführung der zur ersteren Gruppe
gehörigen Vorschläge in Betracht kamen, meist ihren Grund in den
Anforderungen des Betriebs, so sind diese Schwierigkeiten bei den
jetzt zu prüfenden Vorschlägen hauptsächlich in den persönlichen
Verhältnissen der zu Schützenden gelegen.
I. Schutzvorschriften für schwangere Frauen.
In zahlreichen Berichten wird das Bedürfnis nach besonderen
Schutzvorschriften für die schwangeren Frauen anerkannt und hierbei
insbesondere auf die große Zahl der Früh- und Fehlgeburten hin-
gewiesen (S. 97 und 194). Vereinzelt wird die Gewährung besonderer
Pausen und eine kürzere Arbeitszeit für Schwangere angeregt, weit
häufiger wird hingegen die Schwierigkeit der Durchführung © solcher
Ausnahmen betont. "Eine ganze Reihe von Gutachten sprechen sich
für den Ausschluß der Frauen von der Fabrikarbeit während der
letzten Zeit der Schwangerschaft aus; im einzelnen gehen sie aller-
dings weit auscinander. Die Formulierung eines zweckentsprechen-
den Vorschlags begegnet in der That den größten Schwierigkeiten.
Wird auch im "allgemeinen angenommen, daß die Schonung der
Schwangeren erst in der letzten Zeit vor der Niederkunft erforder-
lich ist, so wird doch auch erwähnt, daß gerade die ersten 6—8 Wochen
der Schwangerschaft besondere Beschwerde mit sich bringen, die zur
Arbeit untauglich machen können, sowie daß die meisten Fehlgeburten
in den ersten 3 Monaten der Schwangerschaft vorkommen, wo die
äußeren Zeichen der letzteren noch leicht zu verbergen sind (Ss. 19).
Ferner sind die Arbeitsverrichtungen keineswegs alle und gleichmäßig
den Schwangeren schädlich. Mäßige Arbeit, besonders im Sitzen
verrichtete können die Schwangeren bis kurz vor der Err
ohne Schaden leisten (S. 197 und 199). Dagegen sind z. B. Be-
wegungen, Role durch regelmäßige Anstrengung bestimmter Körper-
teile den Bildungsvorgang beeinflussen, entschieden unzuträglich
(5. 202). Die Arbeit mit giftigen Stoffen , das Heben und Forthe-
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 325
wegen größerer Lasten, Arbeiten bei anhaltendem Stehen, das Haspel-
ziehen und Karrenlaufen in Bergwerksbetrieben werden von den Auf-
sichtsbeamten als Verrichtungen bezeichnet, von welchen Schwangere
ausgeschlossen sein sollten.
Die Beschränkung der Arbeit schwangerer Frauen während eines
gewissen Zeitraumes vor der Niederkunft erfordert, daß der voraus-
sichtliche Zeitpunkt der Entbindung in jedem Einzelfalle festgestellt
wird. Kann dieser aber selbst unter normalen Verhältnissen vom
Arzte oft nicht mit Bestimmtheit vorausgesehen werden, so kommt
hier noch das besondere Bestreben der Arbeiterin hinzu, den Ein-
tritt der Erwerbsbeschränkung vor der Niederkunft möglichst lange
hinauszuschieben. Sind doch die Arbeiterinnen erfahrungsgemäß be-
müht, im Hinblick auf den durch die Niederkunft bedingten Ver-
dienstausfall vorher noch möglichst lange der Arbeit nachzugehen.
Würde nun auch kein Ausschluß der Schwangeren von der Be-
schäftigung, sondern lediglich die Gewährung von Pausen für diese
vorgeschrieben, so wäre doch die Furcht vor der Entlassung wegen
der “dadurch verursachten Störung des Betriebes ausreichend, um die
Frauen zur Verheimlichung ihres Zustandes oder zu falschen An-
gaben über die Zeit der Konzeption zu bestimmen. Auch das Ver-
bot der Entlassung der Schwangeren wegen ihres Zustandes könnte
hieran nichts ändern, da es dem Unternehmer nicht schwer fiele, im
Einzelfalle einen annehmbaren Grund zur Entlassung zu finden.
Sieht man aber auch von dieser Schwierigkeit ab, so würde
man sich doch von einem Ausschluß der Schwangeren für einen
gewissen Zeitraum vor der Niederkunft nur dann einen Vorteil
versprechen können, wenn diese nicht durch Erwerbsrücksichten ge-
nötigt wären, sich inzwischen andere, vielleicht ebenso unzuträgliche
oder noch schwerere Arbeit zu suchen. Da nach der herrschenden
Praxis der Krankenkassen für die durch normale Schwangerschaft
verursachte Arbeitsunfähigkeit kein Krankengeld gewährt wird (S. 200),
so ist die Frau auch während der Schwangerschaft genötigt, dem
Verdienst nachzugehen. Die Voraussetzung des Ausschlusses der
Schwangeren wäre daher die Gewährung einer Unterstützung während
derselben.
Was die Dauer des fraglichen Ausschlusses angeht, so besteht
in dieser Hinsicht keine auch nur annähernde Uebereinstimmung
zwischen den einzelnen Forderungen. Diese schwanken zwischen 1
und 12 Wochen vor der Niederkunft. Am annehmbarsten erscheint
die vom Gewerbegericht in Berlin, der Handelskammer in Aachen und
dem Verein deutscher Nadelfabrikanten vorgeschlagene Schonzeit von
2 Wochen. Den Beginn dieser Schonzeit wollen die einen von dem
Ausspruch des Arztes abhängig machen, die anderen aber dann ein-
treten lassen, wenn die Schwangerschaft offensichtlich geworden ist.
Beide Vorschläge setzen voraus, daß die Schwangere nicht darauf
ausgeht, ihren Zustand zu verbergen. Mit diesem Bestreben der
Frauen wird aber stets zu rechnen sein, weil die von Krankenkassen
zu gewährende Unterstützung doch immer hinter dem Betrage des
326 v. Brandt,
entgehenden Verdienstes zurückbleiben wird; zudem erscheint es
sehr wohl möglich, daß die Frauen eine starke Abneigung gegen
die vom Fabrikarzt vorzunehmende Untersuchung zeigen würden.
Das die ganze Frage beherrschende subjektive Moment dürfte daher
den Erlaß obligatorischer Vorschriften in dieser Richtung unmöglich
machen.
Im Gegensatz hierzu erscheint der Vorschlag einiger Bericht-
erstatter wohl erwägenswert, den Schwangeren das Recht zu geben, die
Arbeit auch ohne Kündigung niederzulegen und ihnen ein Kranken-
geld im Höchstbetrage von etwa 2 Wochen bis zur Niederkunft zu-
zubilligen!). Die Unternehmer wären nun allerdings in der Lage,
schwangere Frauen frühzeitig zu entlassen oder solche Frauen, welche
von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, nach der Niederkunft
nicht wieder einzustellen. Es kann aber wohl angenommen werden,
daß eine solche Vergünstigung in ähnlicher Weise den Frauen zu
gute kommen würde, wie dies bei der Bestimmung betreffend die
Verlängerung der Mittagspause auf Antrag für die Frauen, welche
ein Hauswesen zu besorgen haben, der Fall gewesen ist. Die Chancen
der Durchführung würden hier aber insofern noch günstiger liegen,
als es sich lediglich um eine Verlängerung der 4- bezw. 6-wöchigen
Unterbrechung der Arbeitszeit handelt, welche für die Frauen nach
der Niederkunft einzutreten hat. Erschwerend kommt hingegen für
den Umstand in Betracht, daß die Unternehmer infolge ihrer Bei-
tragspflicht zu den Krankenkassen durch’ die Niederlegung der Arbeit
auch direkt in Mitleidenschaft gezogen werden. Jedenfalls würde
aber eine derartige Bestimmung zu Gunsten hochschwangerer Per-
sonen wohl manche Frau veranlassen, sich vor der Niederkunft zu
schonen, indem sie ihr die Möglichkeit giebt, die Arbeit niederzu-
legen, wenn sie ihr zu schwer wird. Die den Krankenkassen dadurch
entstandene Mehrbelastung dürfte aber deren Leistungsfähigkeit wohl
nicht übersteigen (S. 199).
Es fragt sich schließlich, ob diese Bestimmungen lediglich zu
Gunsten der verheirateten Frauen oder allgemein für alle Schwangeren
zu: treffen wären. Die Entscheidung kann da nicht schwer fallen.
Die Aufsichtsbeamten, welche diese Frage erörtern, sprechen sich
bis auf einen, der die Frage als heikel bezeichnet, für eine allge-
meine Regelung aus. Eine solche dürfte in der That allein in Frage
kommen können, da es sich hier nicht um eine sittliche, sondern
um eine die Volksgesundheit interessierende Frage handelt, die keinen
Raum für die an sich gewiß bedeutsame Unterscheidung zwischen
der Ehefrau und der ledigen Mutter gewährt.
Inwiefern die Natur gewisser Betriebe und Arbeitsverrichtungen
in besonderem Maße der Schwangeren schädlich ist, und demzufolge
trotz der hervorgehobenen Schwierigkeiten ein obligatorischer Aus-
schluß in Frage kä ime, kann nach den “Gutachten der Gewerbeaufsichts-
1) Denkschrift, S. 197 und 201. Fine ähnliche Bestimmung gilt im Kanton
St. Gallen.
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Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 327
beamten nicht entschieden werden!). Diese enthalten in Bezug auf
die einzelnen Arbeitsverrichtungen nur die oben angeführten Mit-
teilungen, welche offenbar nur als Beispiele anzusehen sind. Es
würde da auf eine Specialuntersuchung und medizinische Gutachten
ankommen. Dagegen erscheint die von einer Seite angeregte Aus-
dehnung des $ 120c G.O. auf schwangere Personen wohl erwägens-
wert (S. 157). Es würde danach dem Unternehmer die Verpflichtung
aufzuerlegen sein, die besonderen Rücksichten zu nehmen, welche
bei Arbeiterinnen zur Zeit der Schwangerschaft geboten sind. Solche
Arbeiterinnen dürften alsdann nicht mehr zu besonders schweren
oder sonstwie unzuträglichen Arbeiten, z. B. zum Tragen von Lasten,
verwendet werden, welche die Fabrikarbeit für sie nachteilig machen.
Den Grad der Schwangerschaft näher zu bezeichnen, dürfte nicht
erforderlich sein, da die Praxis hier die richtige Auslegung von
Schwangerschaft als des für jedermann offensichtlich werdenden Zu-
standes finden würde.
II. Schutzvorschriften für nährende Frauen.
Das Nähren der Neugeborenen ist nicht nur für die Gesundheit
der letzteren, sondern auch für die der Mütter von der größten Be-
deutung. Nach den Berichten der Gewerbeaufsichtsbeamten kommt
es nur selten vor, daß die Säuglinge der Fabrikarbeiterinnen in die
staubigen Fabrikräume mitgebracht werden (S. 135), dagegen leiden
sie aber im allgemeinen dadurch, daß die in der Fabrik arbeitenden
Mütter das Geschäft des Nährens nicht oder doch nur ganz unregel-
mäßig besorgen können (S. 137). Vor allem ist die Thatsache be-
dauerlich, daß nur wenige Arbeiterinnen ihre Kinder selbst nähren. In
Berlin wurden unter den in den Fabriken beschäftigten Arbeiterinnen
fast keine nährenden Frauen gefunden (S. 137). Nach dem Ergeb-
nis vorgenommener Stichproben wurden die Säuglinge dort mit
wenigen Ausnahmen schon von Anfang an mit der Flasche genährt.
Auch nach anderen Berichterstattern ist die Zahl der Nährenden für
den Fabrikbetrieb im allgemeinen nur von ganz geringer Bedeutung
(5. 207). Sofern die Arbeiterinnen ihre Kinder im Anfang selbst
nähren, suchen sie diese schon bald abzugewöhnen, so daß die natür-
liche Ernährung nach der Wiederaufnahme der Arbeit nicht mehr
stattfindet. Die den Kindern gebotene künstliche Nahrung ist aber
mangels der nötigen Kenntnisse und der erforderlichen Zeit meist
ungeeignet. Die Folge dieser Uebelstände ist eine sehr hohe Sterb-
lichkeit der Kinder (S. 137 f.). Der Einfluß der Ernährungsweise
auf die Kindersterblichkeit wird durch die Beobachtung eines Ge-
werbeinspektors schlagend bewiesen, wonach die Kindersterblichkeit
in den Betrieben, wo die Natur der Arbeit ein öfteres Verlassen der
Arbeitsstätte zuläßt, weit geringer ist als in denen, wo die Frauen
die Arbeit nicht unterbrechen können (136).
17 In der Schweiz hat der Bundesrat die Beschäftigung von Schwangeren in ge-
wissen Fabrikationszweigen untersagt (Hitze, a. a. O. §. 31).
328 v. Brandt,
Von 5 Aufsichtsbeamten ist nun angeregt worden, es möchten
den nährenden Frauen besondere Pausen zugestanden werden, damit
sie während derselben zu ihren Kindern nach Hause gehen könnten
(S. 203). Diese Pausen dürften, um ihren Zweck zu erreichen, nicht
knapp bemessen werden. Sieht man aber auch hiervon ab, so würde
doch die Einrichtung von weiteren Pausen neben der Mittagspause
schon an sich eine so schwere Störung aller mit fest geregelter
Arbeitszeit arbeitenden Betriebe bedeuten, daß die Unternehmer wohl
kaum mehr solche Arbeiterinnen einstellen würden. Die Folge dieser
zu erwartenden Stellungnahme der Unternehmer wäre aber sicher-
lich die, daß die Frauen auf das Nähren Verzicht leisten würden,
um ihrem Verdienst nachgehen zu können. Die ganze Schutz-
bestimmung würde so in der Praxis gegenstandslos werden. Da
man nun aber den Fabrikanten auch nicht zumuten kann, daß sie
Räume und Einrichtungen für die Aufbewahrung der Säuglinge in
der Fabrik bereitstellen, so muß man schließlich anerkennen, (daß
die Fortsetzung der natürlichen Ernährung nach der Wiederaufnahme
der Arbeit mit den Anforderungen des Betriebes nicht zu vereinigen
ist und daß daher von dem Erlaß besonderer Vorschriften nach dieser
Richtung abgesehen werden muß.
III. Absonderung der schwangeren und der nährenden
Frauen von den männlichen Arbeitern.
Die Fabrikarbeit der schwangeren und der nährenden Frauen
kann aber auch zu einer sittlichen Schädigung derselben führen. Bei
dem Zusammenarbeiten mit Männern kann es nämlich vorkommen,
daß ihr Zustand diesen Anlaß zu unsittlichen Bemerkungen bietet,
welche sie verletzen und auf die Dauer eine Abstumpfung des weib-
lichen Zartgefühls zur Folge haben müssen. Einige Berichterstatter
erwähnen in der That, daß schwangere oder nährende Frauen unter
den Anzüglichkeiten oder Belästigungen ihrer Mitarbeiter zu leiden
hatten !). Von einer Seite wird auch mitgeteilt, die Frauen zögen
es bei dem Mangel besonderer Umkleideräume vor, im Korset und
in enger Kleidung zu arbeiten, um nicht den zudringlichen Blicken
jugendlicher Arbeiter beim Umkleiden ausgesetzt zu sein (S. 119).
Schwangere können hierdurch gesundheitlich schwer geschädigt werden.
Dagegen wird aber auch verschiedentlich berichtet, daß freche Be-
merkungen in Bezug auf Schwangere bei dem Bildungsgrad der
Arbeiterschaft gänzlich ausgeschlossen seien, sowie daßdie Schwangeren
sich sogar besonderer Rücksichtnahme seitens der Mitarbeiter zu
erfreuen hätten. Andererseits wird auch wiederum vom Standpunkt
der jugendlichen Arbeiter geltend gemacht, daß der Anblick hoch-
schwangerer Frauen für diese kein geeigneter Ablick sei (S. 118 f.
und 167).
Mit Rücksicht auf die gedachten mißlichen Folgen des Zu-
1) Denkschrift, S. 117, 119, 168, 171.
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 329
sammenarbeitens jener Frauen mit der übrigen Arbeiterschaft be-
zeichnen mehrere Aufsichtsbeamte eine Absonderung derselben als
wünschenswert; bis auf einen halten sie jedoch die Schwierigkeiten
der Durchführung einer solchen Bestimmung für zu groß (S. 167 f.).
Vor allem kommen auch hier wieder die technischen Schwierigkeiten
in Betracht, welche sich einer jeden Ausnahme von der allgemeinen
Regelung der Arbeit im Betriebe entgegenstellen. Eine solche Maß-
nahme würde nach der Ansicht eines Berichterstatters in den
Spinnereien und Webereien geradezu einem Ausschluß jener Frauen
von der Beschäftigung gleichkommen (S. 173). Hierzu kommt aber,
daß die geforderte Absonderung die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter
direkt auf den Zustand der Frauen lenken und ihre Spottsucht
geradezu herausfordern würde. Die geschützten Personen würden
sich vielfach in ihrem Ehrgefühl verletzt fühlen und der Meinung
sein, ihr Zustand werde als ein anstößiger betrachtet. Alledem
könnten die Frauen aber dadurch entgehen, daß sie die Schwanger-
schaft möglichst lange, selbst auf Kosten der Gesundheit, verbergen
und auf das Nähren verzichten. In beiden Fällen würden schwere
gesundheitliche Nachteile die Folge sein.
Was aber im besonderen die nährenden Frauen betrifft, so sind
diese in den Fabriken äußerst selten. Für sie hat die Frage der
Absonderung, wie der Aufsichtsbeamte zu Breslau richtig bemerkt,
überhaupt keine praktische Bedeutung, so lange nicht Einrichtungen
für die Aufbewahrung der Säuglinge in den Fabriken bestehen !).
Schon jetzt bietet aber $ 120b G.O. im einzelnen Falle eine ge-
nügende Handhabe, um zu erreichen, daß den Frauen Gelegenheit
geboten würde, ihr Kind in einem besonderen Raume zu ernähren.
Die Anordnung einer allgemeinen Absonderung der fraglichen
Frauen würde vielleicht in den Betrieben, in welchen sich Unzuläng-
lichkeiten ergeben haben, eine Wohlthat sein können, in den übrigen
jedoch von den Frauen wie von den Unternehmern als lästig em-
pfunden werden. Die zu Tage getretenen Mißstände sind aber keines-
wegs erheblich und allgemein genug, um bei dieser Sachlage ein
Eingreifen der Gesetzgebung zu erheischen.
IV. Erweiterung des Wöchnerinnenschutzes.
Handelt es sich bei den Vorschlägen zu Gunsten der schwangeren
und der nährenden Frauen um Anregungen zur Einführung gänz-
lich neuer Schutzbestimmungen, so kommt hinsichtlich der Wöchne-
rinnen die Erweiterung einer bereits bestehenden Einrichtung in
Frage.
Die Gewerbeaufsichtsbeamten gehen in ihrem Urteil darüber,
ob die einschlägigen Bestimmungen des $ 137 Abs. 5 G.O. den Be-
dürfnissen entsprechen, weit auseinander. Die geltenden Vorschriften
1) Jahresberichte (Preußen), S. 170.
D
330 v. Brandt,
(S. 204 f.). Nach diesen Berichten giebt es Betriebe, in welchen die
Wiederaufnahme der Arbeit meist vor 6 Wochen also auf Grund
eines ärztlichen Zeugnisses stattfindet, in anderen hingegen erfolst
sie niemals eher als nach 6 Wochen (S. 204—208). Einzelne Be-
richterstatter verweisen auf die Erfahrungen der von ihnen befragten
Aerzte und Hebammen, nach welchen die jetzt übliche Schonzeit
genügt (S. 205—214). Auch wird bemerkt, die Wöchnerinnen strengten
sich während der Schonzeit oft in der Haushaltung mehr an als sie
dies in der Fabrik zu thun brauchten.
Mehrere andere Gutachten sprechen sich gleichfalls dahin aus,
daß die jetzige gesetzliche Schonzeit im allgemeinen genüge, be-
tonen aber, die Arbeit werde häufig aus Erwerbsrücksichten schon
nach der Mindestschonzeit von 4 Wochen auch in solchen Fällen
wieder aufgenommen, wo die Innehaltung der 6-wöchigen Frist
im Interesse der Gesundheit rätlich wäre (S. 206 LL Als Grund
dieser Erscheinung wird der Mangel einer Unterstützung der Kranken-
kassen oder der unzureichende Betrag derselben bezeichnet. Ist die
Wiederaufnahme der Arbeit vor Ablauf von 6 Wochen auch von der
Ausstellung eines ärztlichen Zeugnisses abhängig, so ist es doch zu
naheliegend, daß die Aerzte sich bei ihrer Entscheidung über de
Antrag der Frauen auch durch die Rücksicht auf deren wirtschaft
liche Lage beeinflussen lassen. Wird aber selbst das Attest ver-
weigert. so ist doch eine Umgehung der Vorschrift insofern mn ö glich,
als die Frau sich in einer anderen Fabrik, wo ihre Niederkun ft nicht
bekannt ist, Arbeit sucht (S. 214). Die Aufsichtsbeamten er wähnen
nun verschiedentlich, daß die Krankenkassen keine Wöchnerinnen-
unterstützung gewähren oder eine solche nur auf die Dauer der ge-
setzlichen Verpflichtung leisten (S. 206). Da die Orts- und die
Betriebskrankenkassen zur Gewährung von Wöchnerinnenunterst ützung
an Fabrikarbeiterinnen für die Dauer ihres gesetzlichen Ausse hlusses
verpflichtet sind, so kann es sich bei diesen Angaben der Aufsichtsb eamten
nur um die Gemeindekrankenversicherung oder um Arbeiterinnen
handeln, auf welche $ 137 G.O. keine Anwendung findet- Ver-
schiedentlich werden auch die freien Hilfskassen als solche Kassen
erwähnt, welche keine Wöchnerinnenunterstützung gewährers. Die
Berichterstatter empfehlen daher, die Verpflichtung zur Zahlu ng von
Wöchnerinnenunterstützung bis zu 6 Wochen auf alle Kranke rı Kassen
auszudehnen. Von einer Seite wird gleichzeitig die Erhöha mg der
Unterstützung auf den Betrag des ortsüblichen Tagellnes_ oft
11, desselben angeregt und dabei bemerkt, die meist ausscha li eßlich
aus Männern bestehenden Kassenvorstände suchten an dieser Art
der Unterstützung zu sparen, da das weibliche Geschlecht die Æ% assen
verhältnismäßig stark belaste (S. 207). Von 17 Berichterstatten
wird schließlich eine Verlängerung der gesetzlichen Schonz eit be-
fürwortet. In Verbindung hiermit wird von den meisten auch die
allgemeine Gewährung von Wöchnerinnengeld durch die Kranken-
kassen und die Erhöhung der Unterstützungssätze empfohlen (S- 207).
Die Mehrzahl bezeichnet unter Berufung auf die Gutachten von Sach-
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 331
verständigen eine Frist von 6 Wochen als die vom hygienischen
Standpunkt erforderliche Mindestschonzeit. Diese Frist sei aber bei
der jetzigen Regelung nur die Ausnahme. Die Vorschläge laufen
im wesentlichen darauf hinaus, das Mindestmaß der gesetzlichen
Schonzeit auf die Dauer von 6 Wochen zu erhöhen. Auch die Bei-
bringung eines ärztlichen Attestes als Bedingung der Wiederzulassung
zur Arbeit wird empfehlend erwähnt. Verschiedentlich wird ferner
erörtert, ob die Entlassung mit Rücksicht auf die Niederkunft nicht
zu verbieten sei, da schwangere Frauen zuweilen von den Unter-
nehmern entlassen würden, um die Zahlung der Wöchnerinnen-
unterstützung durch die Betriebskrankenkasse zu vermeiden 11. Auch
das Verbot der Heimarbeit wird besprochen. Gesetzliche Anordnungen
nach diesen Richtungen werden jedoch von den Berichterstattern selbst
als kaum durchführbar bezeichnet. Ein Aufsichtsbeamter befürwortet
schließlich die Ausdehnung der 4-wöchigen Schonzeit auf die Frauen,
welche eine Fehlgeburt erlitten haben. Dieser Vorschlag steht je-
doch völlig vereinzelt da.
Nach dem Gesagten liegt der Schwerpunkt der ganzen Frage
in dem rein medizinischen Moment; hier stehen sich aber die An-
sichten der Sachverständigen schroff gegenüber. Während die einen
die gegenwärtige Schonzeit als völlig ausreichend betrachten (S. 214 f.),
erscheint diese den anderen als entschieden zu gering bemessen (s.
bes. S. 213). Eine Vereinigung dieser Ansichten, welche sich beider-
seitig auf die Gutachten von Sachverständigen gründen, ist unmög-
möglich. Aus diesem Widerstreit der Ansicht ist aber zu entneh-
men, daß die jetzigen Bestimmungen im allgemeinen keine schäd-
lichen Folgen gezeitigt haben und daß kein allgemeines Bedürfnis
nach ihrer Aenderung besteht. Dagegen wäre doch zu erwägen,
ob der jetzige Schutz nicht durch entsprechende Aenderung des
Krankenversicherungsgesetzes wirksamer gestaltet werden könnte.
Für eine Erhöhung der Wöchnerinnenunterstützung der Orts- und
Betriebskrankenkassen spricht die Erwägung, daß bei dieser die
Gefahr der Simulation, welche im allgemeinen zu einer mäßigen
Normierung der Krankenunterstützung nötigt, für die ersten 4 Wochen
nach der Niederkunft ausscheidet; für die folgenden 2 Wochen steht
es allerdings in dem Belieben der Frauen, sich bei dem Arzt auf
ihre Arbeitsfähigkeit untersuchen zu lassen oder nicht. Hiernach
erscheint es zweckmäßig, eine Erhöhung der Unterstützung, voraus-
gesetzt, daß sie finanziell möglich ist, für die ersten 4 Wochen etwa
auf ®/, des ortsüblichen Tagelohnes vorzunehmen ?).
Was nun die Ausdehnung der obligatorischen Wöchnerinnen-
unterstützung auf die Gemeindekrankenversicherung angeht, so er-
scheint diese vom Standpunkt des Arbeiterinteresses dringend wün-
1) S. 211, 212, 215. — Das Verbot der Kündigung mit Rücksicht auf die Nieder-
kunft wurde 1891 in der Reichstagskommission abgelehnt, weil dies nur dazu führen
werde, daß schon früher gekündigt werde. Drucksachen 1390/91, Bd. 2, S. 1473.
2) Ueber die finanzielle Tragweite besteht unter den Berichterstattern keine Ueber-
einstimmung. Vergl. S. 211 und 212.
332 v. Brandt,
schenswert, dagegen läßt sie sich nicht wohl mit dem Grundge-
danken der Organisation des Krankenversicherungswesens in Ein-
klang bringen, wonach die Gemeindekrankenversicherung nur ein
Mindestmaß von Leistungen bieten soll, da sie die keiner anderen,
vom Versicherungszwang befreienden Kasse angehörigen Arbeiter,
zumeist also die am geringsten gelohnten umfaßt. Mit Rücksicht
hierauf ist denn auch die Gewährung von Wöchnerinnenunterstützung
durch die Gemeindekrankenversicherung nach $ 10 des Gesetzes vom
E nur in Ausnahmefällen zulässig!). Ob die Leistungs-
fähigkeit der bei der Gemeindekrankenversicherung versicherten
Personen die allgemeine Einführung der Wöchnerinnenunterstützung
für diese zuläßt, kann nur auf Grund einer Prüfung vom kassen-
technischen Standpunkt aus entschieden werden. Vorbehaltlich einer
solchen ist jedoch eine derartige Maßnahme zu Gunsten der Ledigen
wie der Verheirateten als eine empfehlenswerte zu bezeichnen. Es
sei aber hierzu noch bemerkt, daß bei den Erhebungen, welche zur
Vorbereitung einer Reform der Krankenversicherung stattgefunden
haben, auch Stimmen zu Gunsten einer völligen Beseitigung des
Instituts der Gemeindekrankenversicherung laut geworden sind.
Beachtenswert ist schließlich noch die Forderung einer Kontrolle
darüber, daß die Wöchnerinnen die Arbeit nicht vor der Zeit wieder
aufnehmen (S. 215). Diese Kontrolle soll durch die Krankenkassen
ausgeübt werden. Die Voraussetzung des Vorschlags ist also die,
daß alle Wöchnerinnen von den Krankenkassen Unterstützung er-
halten und daß diese zum Unterhalte der Wöchnerin und der Ihren
ausreicht. Bei der reichlichsten Bemessung der Unterstützung wird
es aber Fälle geben können, wo die Unterstützung nicht ausreicht
und die Frau durch Not gezwungen ist, thätig zu sein. Bei Entziehung
der Unterstützung wegen verbotenen Arbeitens während der Schonzeit
würde die Lage einer solchen Frau äußerst beklagenswert sein. Eine
Kontrolle der Wöchnerinnen dürfte wegen der mit ihr verbundenen
unvermeidlichen Härten kein geeignetes Mittel sein, um die Be-
obachtung der Schonzeit durch die Wöchnerinnen zu erzielen. Dies
wird vielmehr allein durch eine ausreichende Unterstützung der-
selben zu erreichen sein.
Dritter Abschnitt. Anderweite Ergänzung des Arbeiterschutz-
gesetzes zu Gunsten der Frauen.
Sind bisher nur solche Maßnahmen erörtert worden, durch welche
eine Regelung der Arbeitsbedingungen der in den Fabriken beschäf-
tigten verheirateten Arbeiterinnen in einer ihrer besonderen Bedürf-
nissen entsprechenden Weise bezweckt wird, so sind nunmehr die-
jenigen Vorschläge zu würdigen, welche die zu Tage getretenen
nachteiligen Folgen der Fabrikarbeit verheirateter Frauen durch ein
1) v. Woedtke, Das Krankenversicherungsgesetz, 1898, S. 171.
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 333
mehr oder minder umfassendes Verbot dieser Arbeit für die Frauen
oder durch die Einführung gewisser Bedingungen für die Zulassung
zu derselben aus der Welt schaffen wollen. Hieran wird sich die
Besprechung solcher Maßnahmen anzuschließen haben, welche die
Lage der verheirateten Fabrikarbeiterinnen indirekt und zwar da-
durch zu verbessern bestimmt sind, daß den Arbeiterinnen bereits
in der Jugend eine bessere Ausbildung in Hauswesen und Küche
verschafft wird. Es handelt sich bei dieser Gruppe von Vorschlägen
nicht um einen positiven Schutz gegen unbillige Arbeitsbedingungen,
also nicht um Schutzmaßregeln im engeren Sinne, sondern um ein
vorbeugendes Eingreifen der Gesetzgebung zur Verhütung der aus
der Fabrikarbeit der Ehefrauen entstehenden Nachteile.
A. Ausschlufs der verheirateten Frauen von der Fabrikarbeit.
a) Dafür sprechende Gründe.
Die Gründe, welche für das gänzliche Verbot der Fabrikarbeit
der Ehefrauen geltend gemacht werden, sind vor allem die Gesund-
heitsgefährdung der Frauen, welche zugleich eine solche der Nach-
kommenschaft in sich schließen kann, ferner die Möglichkeit sitt-
licher Nachteile für die Frauen, sowie die Schädigung des Familien-
lebens. Was zunächst die gesundheitlichen Nachteile angeht, so
kommen da in erster Linie die sich aus der Eigenart der verschie-
denen Gewerbezweige ergebenden besonderen Krankheitsgefahren in
Betracht. Nach den Berichten der Gewerbeaufsichtsbeamten sind
eine Reihe von Arbeiten für den weiblichen Organismus ungeeignet
und ihm schädlich. Als solche werden bezeichnet das anhaltende
Stehen, wie es namentlich in der Textilindustrie die Bedienung der
Webestühle und der Spinnmaschine erfordert. Das andauernde
Sitzen, welches z. B. in der Cigarrenfabrikation allgemein ist, ferner
die sich gleichmäßig wiederholende Bewegung der unteren Glied-
maßen zum Antriebe von Maschinen in der Bekleidungsindustrie,
das Tragen schwerer Lasten und andere besondere Kraftanstren-
gungen bei gewissen Verrichtungen im Baugewerbe, in Zuckerraffi-
uerien, Ziegeleien und anderen Gewerben. Die angeführten Thätig-
keiten sind für weibliche Arbeiter überhaupt nachteilig, wirken jedoch
bei Frauen vor und nach der Niederkunft in ganz besonderer Weise
schädlich. Es kommen aber weiter hier auch solche gesundheits-
schädliche Einflüsse in Betracht, welche bei gewissen Fabrikations-
arten für alle Arbeiter auftreten, auf den zarteren weiblichen Orga-
nismus jedoch in erhöhtem Maße ungünstig einwirken. Hierher gehören
die Dünste, Dämpfe und sonstigen Einwirkungen bei der Verarbei-
tung giftiger Stoffe in Gummifabriken, chemischen Fabriken und
Reinigungsanstalten. Auch das Arbeiten in Räumen mit hoher Tempe-
ratur und die Beschäftigung mit stauberzeugenden Arbeiten gilt als
für Frauen besonders ungeeignet.
Die angeführten gesundheitsschädlichen Arbeiten weisen hin-
sichtlich des Grades der durch sie verursachten Gesundheitsgefähr-
354 v. Brandt,
dung sehr große Verschiedenheiten auf. Sehr richtig bemerkt ein
Aufsichtsbeamter, es gebe schließlich in jeder Industriegruppe ge-
wisse Verrichtungen, welche von Arbeiterinnen unter gewöhnlichen
Umständen ganz wohl besorgt werden können, trete aber Ueberan-
strengung hinzu, so seien für die Frauen besonders zur Zeit der
Schwangerschaft und nach der Niederkunft, gesundheitsschädliche
beiterinnen eine höhere ist als die der ledigen. Diese Frage ist
oben bedingt bejaht worden, da die Krankheitsgefahr der Frauen,
soweit das statistische Material eine Schlußfolgerung gestattet, je
nach den Fabrikationsarten und nach den örtlichen Verhältnissen
verschieden ist. Mag nun ferner auch eine Ueberanstrengung der
Frauen, welche zu einer verhältnismäßig frühzeitigen Erschöpfung
ihrer Kräfte führt, zuzugeben sein, so kann doch in diesen allge-
meinen Folgen der Fabrikarbeit in dieser Hinsicht kein zwingender
Grund für ein allgemeines Verbot der Frauenarbeit erblickt werden.
Die Beobachtungen der Aufsichtsbeamten über die Folgen der
Frauenarbeit in sittlicher Beziehung sind verschiedenartige. 12 Be-
richterstatter haben sittliche Nachteile für die Frauen wahrgenommen,
Die von ihnen mitgeteilten Thatsachen sind die folgenden: Es sind
unsittliche Gespräche in Gegenwart der Frauen geführt worden;
die Beschaffenheit der Räumlichkeiten und der Mangel an Aufsicht
haben Excesse gestattet, und öfters hat die zu leichte Bekleidung der
Frauen zu solchen Anlaß geboten, ferner ist das Abhängigkeitsver-
hältnis der Frauen von den Unternehmern, den Beamten oder den
Vorarbeitern zuweilen in unsittlicher Weise ausgenutzt worden;
schließlich hat auch die Fabrikbeschäftigung nicht selten den Anlaß
zur absichtlichen Herbeiführung von Fehlgeburten geboten (S. 114).
ie in dieser Beziehung gelieferten Angaben verschaffen jedoch
und unpassende Bemerkungen fernzuhalten wissen. Auch wird mit
Nachdruck betont 1), daß die Anwesenheit der Frauen in den Fabriken
auf die jüngeren Arbeiterinnen in hohem Maße sittlich erzieherisch
einwirke. Es dürfte daher der Schluß gerechtfertigt sein, daß auch
die zu Tage getretenen sittlichen Nachteile nicht zur Begründung
eines völligen Verbots der Frauenarbeit ausreichen.
Gewichtiger sind zweifellos die schlimmen Folgen der Frauen-
1) Denkschrift, S, 57, 60, 61.
= ms
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 335
arbeit für das Familienleben. Zahlreiche Aufsichtsbeamte führen
aus, daß die Fabrikarbeit der Frau nicht genug Zeit lasse, um ihren
Pflichten als Hausfrau und Mutter in dem erforderlichen Maße ge-
recht zu werden, ja daß sie die Neigung zur häuslichen Thätigkeit
geradezu ersticke (S. 120 f.) Die Folgen hiervon sind einmal Un-
ordnung im Haushalt und eine schlechte, oft gesundheitsschädliche
Ernährung der Familien, sodann eine mangelhafte Pflege und Er-
ziehung der Kinder, welche zumeist alten Verwandten, gewerbs-
mäßigen Pflegerinnen oder gar sich selbst überlassen bleiben. Der
Mann neigt infolge der unerfreulichen häuslichen Zustände zum Wirts-
hausbesuch, während die Kinder unerzogen und schlecht ernährt
aufwachsen. Die bestehenden Kinderbewahranstalten sind nach den
Berichten unzureichend und werden wegen des ihnen anhaftenden
Beigeschmackes von Armenpflege nicht viel in Anspruch genommen
(S. 122). Die mangelhafte mütterliche Pflege in den ersten Lebens-
jahren erklärt ebenso wie die schlechte künstliche Ernährung in den
Monaten, wo noch die natürliche am Platze wäre, die auffallend
große Kindersterblichkeit in den Arbeiterfamilien (S. 135)! Der
mangelnden Erziehung werden auch vielfach das Schwinden des
Sinnes für Autorität und die hohe Zahl der unehelichen Geburten
zugeschrieben?). Nicht alle Berichterstatter geben hingegen zu, daß die
Kinder aus derartigen Familien in der Schule schlechtere Eigenschaften,
insbesondere eine geringere Leistungsfähigkeit zeigen als die übrigen
Kinder (S. 126). Wie dem auch sei, so sind doch diejenigen Nach-
teile, über deren Vorhandensein Uebereinstimmung besteht, so
schwere und tiefgehende, daß es wohl zu verstehen ist, wenn man
vielfach die Ausschließung der Frau von der regelmäßigen Fabrik-
arbeit als das anzustrebende Ziel hingestellt hat).
b) Gründe gegen das Verbot der Frauenarbeit.
a) Mangel anderer gleichwertiger Erwerbsarten
für die Frauen.
Der Verwirklichung jenes Ideals stellen sich aber die größten
Schwierigkeiten in den Weg. Würde es sich doch praktisch um
einen tiefen Eingriff in die ganze moderne wirtschaftliche Entwickelung
handeln, welche zur Entstehung der gewerblichen Frauenarbeit ge-
führt und es mit sich gebracht hat, daß die Frau der Fabrikarbeit,
die Industrie aber auch der Frauenarbeit bedarf. Ueber diese zwei-
fache Notwendigkeit kann nach dem Ergebnis der Umfrage kein
Zweifel bestehen (S. 33 f.). In der großen Mehrzahl der von den
Aufsichtsbeamten untersuchten Fälle lag die Veranlassung zur Fabrik-
arbeit der Frau in der unbedingten Erwerbsnotwendigkeit. Diese
1) Zahlenmäßige Angaben über die Kindersterblichkeit in den Arbeiterfamilien
finden sich bei Martin, Die Ausschließung der verheirateten Frauen aus der Fabrik
(Zeitschr. f. die ges. Staatswiss., 1806). H
2) Denkschrift, S. 124, 128, 133.
3) Hitze, a. a. O. S. 19,
33 v. Brandt,
bedarf keiner weiteren Begründung für die Witwen, die vom Manne
getrennt lebenden und die geschiedenen Ehefrauen, sowie für die
Frauen, welche an der Stelle des kranken, arbeitslosen oder arbeits-
scheuen Mannes für den Unterhalt der Familie zu sorgen haben.
In ähnlicher Weise sind aber auch die meisten verheirateten Fabrik-
arbeiterinnen, welche neben dem Manne erwerbsthätig sind, auf den
Verdienst angewiesen. Die Berichterstatter heben nämlich vielfach
hervor, daß das durchschnittliche Einkommen gewisser Klassen von
Arbeitern zum Unterhalt einer Familie nicht ausreicht (S. 34 f.).
Sie berechnen die Ausgaben einer Arbeiterfamilie und stellen
diesen den durchschnittlichen Jahresverdienst des Ehemannes gegen-
über, um zu dem Schluß zu kommen, daß neben der Arbeit des
letzteren noch eine andere Verdienstquelle vorhanden sein muß, um
das Durchkommen zu ermöglichen. So liegen die Verhältnisse bei
der großen Masse der ungeschulten Arbeiter, während diejenigen
Arbeiter, deren Verrichtungen einen besonderen Grad von Fertigkeit
verlangen, höhere, zum Unterhalt einer Familie ausreichende Löhne
besitzen. In solchen Fällen, wo der Verdienst der Frau für die
Familie nicht geradezu erforderlich ist, pflegt die Frau sich auf die
Haushaltung und Kinderpflege zu beschränken. So berichtet der
Aufsichtsbeamte zu Oppeln !), im Hüttenbezirke, wo ausreichende
Löhne für die männlichen Arbeiter gezahlt wurden, suche die Frau
nur in Ausnahmefällen die Fabrik auf (S. 44). Aehnlich berichtet
der badische Fabrikinspektor: Wo in einzelnen Industriezweigen die
Verdienste der Männer allgemein oder wo sie in Industrien mit ge
ringen Löhnen bei einzelnen qualifizierten Arbeitern für die Existenz
einer Familie ausreichen, denken die Frauen und vielfach auch die
Töchter nicht daran, in Fabriken zu gehen", Nach anderen Be-
richten heiraten denn auch besser gestellte Arbeiter weniger Fabrik-
arbeiterinnen als vielmehr solche Mädchen, die in Haus und Küche
bewandert sind®). Nach den Berichten der Aufsichtsbeamten giebt
es allerdings auch Fälle, in welchen die Frauen, ohne darauf ange-
wiesen zu sein, lediglich zur Verbesserung ihrer Lage die Fabrik
aufsuchen. Die Zahl dieser tritt jedoch gegenüber den Fällen, ın
welchen die Not zur Fabrikarbeit zwingt, im allgemeinen stark
zurück ®).
Ist somit der größte Teil der jetzt in den Fabriken arbeftenden
Frauen auf Lohnarbeit geradezu angewiesen, so kann ein Verbot
der Fabrikarbeit also nur dann in Frage kommen, wenn eine andere
Gelegenheit zum Broterwerb für sie vorhanden ist. Wie oben dar-
gelegt, geht das natürliche Recht, sich durch Arbeit den Unterhalt
zu verschaffen, dem Anspruch auf Schutz gegen schädliche Ein-
wirkungen bei der Arbeit vor. Nun würden aber nach den Gut-
achten zahlreicher Aufsichtsbeamten die Frauen, welche heute aus
1) Denkschrift, S. 43 f. Dort finden sich noch mehrere ähnliche Mitteilungen.
2) Jahresberichte (Baden), 8. 92,
3) Denkschrift, S. 235 und 238.
4) Denkschrift, S. 47.
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 337
Erwerbsrücksichten zur Fabrikarbeit greifen, einen gleichwertigen
anderweiten Verdienst im allgemeinen nicht finden können. Für die
jetzt in den Fabriken thätigen Frauen muß dies um so eher ange-
nommen werden, als es Personen, die lange Zeit in den Fabriken
gearbeitet haben, erfahrungsgemäß äußerst schwer fällt, sich an andere
Arbeit zu gewöhnen (S. 226) Wollte man nun auch die jetzt in
den Fabriken beschäftigten Frauen von der Regelung ausnehmen!),
so gestaltet sich doch die Sachlage für die in der Zukunft erwerbs-
bedürftig werdenden Frauen nicht minder schwierig. Zwar kommen
neben der Fabrikarbeit noch eine Reihe von Erwerbsarten in Be-
tracht, welche von den Frauen ergriffen werden können, wie z. B.
die Arbeit in der Landwirtschaft, die Thätigkeit im fremden Haus-
halt (als Aufwartefrau. Waschfrau und dergleichen), die Schneiderei,
Plätterei und schließlich auch die Hausindustrie. Diese könnten
aber die frei werdenden Kräfte nur in sehr beschränktem Maße auf-
nehmen. Zudem entbehren sie sämtlich der Stetigkeit, welche der
Thätigkeit in den Fabriken besonderen Wert verleiht (S. 51 f., 236 £.);
auch gewähren sie meist nicht den gleichen Verdienst wie diese.
Insofern die Frauen aber auch in anderen Berufsarten Be-
schäftigung fänden, würde keine wesentliche Verbesserung ihrer
Lage infolge des Aufgebens der Fabrikarbeit zu erwarten sein. In
keiner derselben würden sie die Wohlthaten der Versicherungsgesetz-
gebung in gleichem Maße genießen wie als Fabrikarbeiterinnen ?).
Die Thätigkeit im fremden Haushalt entzieht die Frau der Familie
ebenso lange wie die Fabrikarbeit, auch gelten diese Arbeiten bei
der Arbeiterschaft als schwerer und anstrengender als jene. Die
hausindustrielle Thätigkeit, welche hauptsächlich als Ersatz der
Fabrikarbeit in Frage käme, würde aber nach den Gutachten der
Aufsichtsbeamten geradezu eine wesentliche Verschlechterung der
1) Dahin geht der Vorschlag von Hitze, a. a. O. S. 24.
2) Uebersicht über die Versicherungspflicht in den Berufsarten:
| | S | Selbständige
; (a set z Landwirt- |In fremdem| — a
Fabrik- | Selbständige Heim- | schaftliche | Haushalt Gewerbetrei-
arbeiter arbeiter p S Arbeiter | Thätive ! bende (Plät-
d | © > |terinnen usw.
Kranken- Ja Versicherungspflich- ‘Sofern Landes- Nein Nein
versicherung tig auf Grund Orts- |gesetz besteht,
statuts, sonst ver- |versicherungs-
sicherungsberechtigt | pflichtig (in
Preußen nicht)
Unfall- Ja Nein Ja Nein | Nein
versicherung
Invaliden- Ja | Versicherungspflich- Ja Ju Ver-
versicherung tig in der Tabak- | sicherungs-
fabrikation und Tex- berechtigt
tilindustrie. Im übri-
gen versicherungs-
berechtigt
Dritte Folge Bd. XXIII (LXXVIII). 22
338 v. Brandt,
gegenwärtigen Zustände bedeuten (S. 228). Dies leuchtet ohne
weiteres für diejenige Form der Hausindustrie ein, welche auf die
Arbeit in der Werkstatt eines Zwischenmeisters hinausläuft. Da-
gegen hat die Hausindustrie im engeren Sinne, die Heimarbeit, zu-
nächst den Vorzug, daß die Frau dem Hauswesen und den Kindern
nicht entzogen wird. Dieser Vorteil wird aber durch eine Reihe
von Umständen mehr wie ausgeglichen. Unter dem Drucke der
großindustriellen Konkurrenz zahlen nämlich die Unternehmer den
Heimarbeitern Stücklöhne, welche im allgemeinen erheblich hinter
den Fabriklöhnen zurückbleiben, so daß die Heimarbeiter genötigt
sind, weit länger zu arbeiten als die Fabrikarbeiter, um zu dem
gleichen oder einem ähnlichen Verdienst zu kommen wie diese (S. 230).
Infolge der langen Arbeitszeit entfällt aber auch die Möglichkeit,
daß die Heimarbeiterin sich in dem wünschenswerten Maße dem
Hause widmet. Hierzu kommen ferner auch die gesundheitlichen
Nachteile, welche sich aus der Vereinigung von Wohnung und
Werkstatt ergeben, die Kosten der Heizung und Beleuchtung, welche
von der Heimarbeiterin zu tragen sind, das geringe Interesse der
Fabrikanten an der Lieferung guter Werkzeuge und Maschinen und
schließlich der Umstand, daß oft die Kinder noch mithelfen müssen,
um die Fertigstellung eines genügenden Arbeitspensums zu ermög-
lichen. Erwägt man diese Nachteile, so erscheint eine Maßnahme,
die eine Vermehrung der hausindustriellen Thätigkeit zur Folge hätte,
als nicht im Interesse der Frauen gelegen. Auch die mehrfach an-
geregte Ausdehnung des Arbeiterschutzes auf die Hausindustrie
könnte eine solche Maßnahme nicht annehmbarer machen. Sieht man
auch von der mißlichen Notwendigkeit eines Eindringens in die
Wohnung der Arbeiterfamilien ab, so könnte doch im ganzen höchstens
das erreicht werden, daß die als Werkstatt dienenden Räu mie den
hygienischen Anforderungen entsprechen. Eine Beschränkung der
Arbeitszeit erscheint dagegen bei dieser Erwerbsart als un durch-
führbar.
ß. Zusammenhang zwischen Frauenarbeit und
Männerlöhnen.
Gegenüber den Bedenken, welche aus der für die Fra wen be-
stehenden Erwerbsnotwendigkeit herzuleiten sind, ließe sich nun
darauf hinweisen, daß die Unzulänglichkeit des Lohnes des Ehe
mannes zur Bestreitung des Unterhaltes der Familie doch zu einem
Teile durch die Konkurrenz der Ehefrauen bedingt ist. Am dauernd
dringt die Frauenarbeit noch in weitere Gewerbezweige ein. 1n
welchen bis dahin nur männliche Arbeitskräfte verwendet w wurden ’).
Die Beschränkung der weiblichen Konkurrenz sollte daher als das
geeignetste Mittel zur Steigerung der Männerlöhne erschein en. Der
Zusammenhang zwischen der Frauenarbeit und den Männ erlöhnen
1) Vergl. Jahresberichte der Gewerbeaufsiehtsbeamten und Bergbehörden für 1599
Bd, 5 (Sachregister).
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 339
ist unbestreitbar, das Entscheidende hierbei ist jedoch, daß dieser
Zusammenhang nicht hinsichtlich der Arbeit der Ehefrauen allein,
sondern hinsichtlich der Frauenarbeit überhaupt besteht. In diesem
Sinne sagt Lorenz von Stein: „Die erwerbende Frau ist und bleibt
die Konkurrentin des Mannes und das, was sie erwirbt, wird deshalb
immer nur dazu dienen, den Ausfall im Preise der Arbeit zu er-
setzen, den der Mann dadurch erleidet, daß durch die Mitbewerbung
der Frau der Lohn des Arbeiters gedrückt wird 1). Von einer Ge-
samtzahl von über 4 Millionen Fabrikarbeitern im Jahre 1898 waren
860000 weiblichen Geschlechts (einschließlich der Jugendlichen und
Kinder °); unter diesen befanden sich nur 230000 verheiratete, ver-
witwete oder geschiedene Frauen. Die letzteren betrugen somit
bloß 5,8 Proz. der Gesamtzahl aller Arbeiter. Der Fortfall eines
so geringen Prozentsatzes von Arbeitskräften würde lediglich eine
mäßige Erhöhung des allgemeinen Lohnniveaus zur Folge haben,
durch welche der den einzelnen Familien entstehende Ausfall an
Einkommen nicht entfernt ausgeglichen würde. Aber selbst erheb-
liche Lohnerhöhungen könnten nicht unmittelbar zum Ziele führen,
pflegen doch solche eine allgemeine Verteuerung der Lebensverhält-
pisse nach sich zu ziehen, welche auch die Arbeiterfamilien treffen.
y) Nachteile für die Industrie.
Würde der Ausschluß der Frauen nun auch die Fabrikanten
nicht zur Zahlung erheblich höhere Löhne nötigen, da der ent-
stehende Ausfall an Arbeitern im Verhältnis zu der Gesamtzahl der
gewerblichen Arbeitskräfte nicht so beträchtlich wäre, so würde eine
solche Maßregel dennoch auch für die Industrie bedenkliche Folgen
haben. Wie bereits an anderer Stelle dargelegt, haben nämlich ge-
rade die Frauen für gewisse Industrien besonderen Wert, da sie als
ältere Arbeiterinnen eine größere Erfahrung und Geschicklichkeit
besitzen. Wie für alle weiblichen Arbeitskräfte, so sind aber auch
für sie die Lohnsätze niedriger als für die Männer. Der Ersatz,
den die Unternehmer sich für die Frauen zu beschaffen vermöchten,
würde also zu einem Teil nicht gleichwertig, zu einem anderen
teuerer als diese sein. Die Bedeutung dieses Umstandes tritt ins
rechte Licht, wenn man erwägt, wie stark die Frauen in den einzelnen
Industriezweigen vertreten sind. In dieser Hinsicht sind die
folgenden Zahlen der Gewerbezählung vom 14. Juni 1895 lehr-
reich 8) :
(Siehe Tabelle auf S. 340.)
e D
Bei dem hohen Prozentsatz, den hiernach die Frauen in ge-
wissen Industrien von der gesamten Arbeiterschaft sowohl, wie von
der weiblichen im besonderen ausmachen, erscheint es verständlich,
1) Lorenz von Stein, Die Frau auf dem Gebiete der Nationalökonomie. Stutt-
gart 1886, S. 159.
2) Amtliche Mitteilungen 1898, Anlagen I A und II 1.
3) Die Zahlen der Gewerbezählung sind bei Pohle, a. a. O. verwertet (S. 22).
22*
340 v. Brandt,
Von 100 Arbeitern
Verheiratete im ganzen sind
Arbeiterinnen verheiratete
| Arbeiterinnen
Von je 100 weib-
lichen Arbeitern
sind Ehefrauen
Gewerbezweige
Wollweberei 14 222 14 28
Baumwollweberei 12 695 | 13 2
Baumwollspinnerei 7 261 | 10 19
Wollspinnerei 4444 | 10 | 17
Tabakfabrikation 14 441 14 | 22
wenn einige Berichterstatter die Existenz solcher Gewerbezweige
durch das fragliche Verbot bedroht glauben (S. 248).
ò) Zunahme der Konknbinate.
Es bleibt schließlich noch eine letzte wahrscheinliche Folge des
Verbots der Frauenarbeit zu erwägen, welche auf sittlichem Gebiete
liegt, nämlich die Gefahr einer Zunahme der Konkubinate. Nach
den Gutachten zahlreicher Aufsichtsbeamten rechnen nämlich viele
Arbeiter, deren Lohn nicht zur Unterhaltung einer Familie aus
reicht, bei der Verheiratung von vornherein mit der Erwerbsfähigkeit
der Frau. Die Arbeit der Frau gilt da gewissermaßen als Aussteuer
(S. 233), vielfach ist sie nötig zur Deckung der auf Abzahlung ft
kauften ersten Einrichtung. Verbietet man nun den Frauen (ie
Fabrikarbeit, so wird für einen erheblichen Teil derselben die Er-
werbsmöglichkeit überhaupt wegfallen, so daß die Familien lediglich
auf den Verdienst des Mannes angewiesen wären, der nach wie VO
zur Bestreitung des ganzen Unterhaltes nicht ausreichen würde.
Nach dem Urteile von 30 Aufsichtsbeamten schlagen viele Männer
die Erwerbsfähigkeit der Ehefrau so hoch an, daß sie bei deren
Wegfall das Konkubinat der Ehe vorzögen. Die Gutachten, m
welchen diese Befürchtung nicht geteilt wird, berufen sich darauf,
daß die Arbeiter beim Abschluß der Ehe meist recht unbedacht zu
Werke gehen. Diese Auffassung dürfte aber im allgemeinen weniger
zutreffen, als die pessimistische der zuerst gedachten Berichterstatter.
Bedenken die Arbeiter jetzt vor der Verehelichung nicht, wie die
Kosten des künftigen Haushaltes getragen werden sollen, so wird
dies vielfach seinen Grund darin haben, daß sie wissen, es wird IM
schlimmsten Fall leicht sein, auch für die Frau eine Erwerbsgelegen-
heit zu finden. Wenn diese Gewißheit aber fortfällt und die Wat:
nehmung gemacht wird, daß verheiratete Frauen nur schwer und
unter ungünstigen Verhältnissen einen Verdienst finden, so werden
die jungen Leute sicherlich mehr erwägen, wie sich die Einkommens
verhältnisse nach einer eventuellen Eheschließung gestalten. Dies
mag in Gegenden, wo die sittlichen Anschauungen noch gesunder
sind, zur Hebung des Sparsinns führen (S. 237); dagegen müßte ın
den Gegenden, wo bereits jetzt die Konkubinate zahlreich sind, mit
einer beträchtlichen Zunahme derselben als Folge des Verbots der
Frauenarbeit gerechnet werden.
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verhcirateter Frauen. 341
So würde der gesetzliche Ausschluß der Ehefrauen aus den
Fabriken seinen Zweck, den Schutz von Gesundheit, Sittlichkeit und
Familienleben, völlig verfehlen und statt einer Förderung dieser
Interessen vielfach geradezu deren Schädigung zur Folge haben.
Hieran würde aber auch dann nichts geändert werden, wenn der
Ausschluß nach dem Vorschlag der Aufsichtsbeamten für Unterelsaß
(S. 149) etwa erst 10 Jahre nach dem Erlaß des Gesetzes in Kraft
treten sollte, würde doch auch bei Gewährung einer reichlichen
Uebergangsfrist das Hauptbedenken, die Unmöglichkeit, allen Frauen
einen anderen Broterwerb zu verschaffen, bestehen bleiben. Bei
der Prüfung derartiger radikaler Vorschläge wird man an das Wort
Jules Simone erinnert: „Es giebt ein Bedürfnis, das stärker ist als
alle anderen, das Bedürfnis des täglichen Brotes“ 1).
II. Ausschluß der Frauen aus einzelnen Industrie-
zweigen.
Wesentlich anders ist der Vorschlag einer größeren Anzahl von
Aufsichtsbeamten zu beurteilen, wonach die Frauen nur von einzelnen
Industriezweigen ausgeschlossen werden sollen (S. 151). Eine der-
artige Regelung würde keine allzu empfindliche Schädigung der Be-
teiligten darstellen; den Frauen bliebe die Möglichkeit, in anderen
Industrien eine Erwerbsgelegenheit zu finden, und die Fabrikanten
könnten unschwer andere Arbeitskräfte als Ersatz heranziehen.
Einige dieser Berichterstatter befürworten einen solchen teilweisen
Ausschluß zu Gunsten der verheirateten Frauen, während die übrigen
ihn für alle Arbeiterinnen empfehlen. Nach dem bereits oben an-
geführten Inhalt des $ 139a Abs. 1 Ziffer 1 G.O. besteht die Mög-
lichkeit, derartige Maßnahmen im Verordnungswege zu treffen, und
zwar könnte das Verbot oder die Beschränkung der Frauenarbeit
sowohl für alle Arbeiterinnen, als auch für gewisse Kategorien der-
selben, z. B. für alle verheirateten oder für die schwangeren, an-
geordnet werden. Als Betriebsarten, welche für die weiblichen
Arbeitskräfte besonders schädlich sind und in welchen keine Frauen
oder überhaupt keine Arbeiterinnen beschäftigt werden sollten, werden
von den Aufsichtsbeamten die folgenden angeführt: (uecksilber-
beleganstalten, die Industrie der Explosivstoffe, Zündholzfabriken, Kalk-
und Cementfabriken, Steinbrüche und Gräbereien, Eisenhüttenwerke,
Bleifarbenfabriken, Gummifabriken, Maisstärkefabriken, Fabriken, in
denen in stark erhitzten Räumen, bei giftigen: Gasen und Dämpfen
oder mit giftigen Stoffen gearbeitet wird, sowie das Baugewerbe.
Es würde sich demnach hauptsächlich um die Gewerbegruppen III,
IV und VII des Verzeichnisses handeln.
Gegen die Zweckmäßigkeit des Ausschlusses aus einzelnen
Fabrikationsarten läßt sich nun geltend machen, daß dadurch einer-
seits insofern zu weit gegangen werde, als nämlich in solchen Industrien
1) J. Simon, L'ouvrière, S. 16.
342 v. Brandt,
auch unschädliche Verrichtungen vorkämen, andererseits aber nicht
alles Wünschenswerte erreicht werde, da es auch in anderen Industrien,
ja fast in jedem Gewerbezweige für Frauen unzuträgliche Ver-
richtungen gebe. Diesem Bedenken tragen die Vorschläge Rechnung,
die den Ausschluß nur von gewissen Verrichtungen bezwecken
(S. 155). So wird empfohlen für Gummifabriken das Verbot der
Arbeit mit Chlorschwefel und Schwefelkohlstoff, für die Metall-
verarbeitung das Verbot des Arbeitens an Drehbänken und Schleif-
maschinen, für das Baugewerbe das des Steine- und Mörteltragens u. s. w.
Bei einer derartigen teilweisen Ausschließung kann nach der Ansicht
der Aufsichtsbeamten kein Unterschied zwisschen den verheirateten
Frauen und den ledigen Arbeiterinnen gemacht werden, insbesondere
erfordere die Schwangerschaft bei allen Arbeiterinnen die gleiche
Rücksichtnahme. Mehrfach wird in den Berichten die Ansicht aus-
gesprochen, daß in den einzelnen Industrien zunächst noch weitere
Erhebungen vorzunehmen und Erfahrungen zu sammeln, insbesondere
auch noch ärztliche Gutachten zu den Einzelfragen zu beschaffen
seien.
In der That ist die Berichterstattung in dieser Hinsicht keine
so eingehende, daß bereits auf Grund derselben eine Entscheidung
über die Notwendigkeit eines Ausschlusses der Frauen von der Be-
schäftigung in dieser oder jener Industrie möglich wäre. Im ganzen
hat sich nur etwa ein Viertel der Aufsichtsbeamten eingehender zu
der Frage geäußert, diese bezeichnen aber zumeist nicht die gleichen
Industrien als der Regelung bedürftig. Im ganzen gewinnt man
aus den Aeußerungen der Aufsichtsbeamten die Ueberzeugung, daß
das Bedürfnis nach besonderen Vorschriften gemäß $ 139a Abs. 1
Ziffer 1 G.O. in einer Reihe von Industrien besteht, für welche der
Bundesrat noch keine derartigen Anordnungen getroffen hat. Je-
nachdem in einem Gewerbezweige nur einzelne der zahlreichen Ver-
richtungen für die Frauen gesundheitsschädlich sind, dürfte der gänz-
liche Ausschluß der Frauen von diesem oder ihr Ausschluß von den
einzelnen Verrichtungen in Frage kommen. Auch hier wird es sich
aber empfehlen, keinen Unterschied zwischen den verheirateten Frauen
und den ledigen Arbeiterinnen zu machen, da auch bezüglich der
letzteren die besonderen Rücksichten auf den weiblichen Organismus
und die Schwangerschaft geboten sind.
B. Bcschränkte Zulassung zur Fabrikarbeit.
I. Zulassungsschein.
Es ist fernerhin angeregt worden, die Fabrikarbeit verheirateter
Frauen nur bedingungsweise, nämlich nur dann zuzulassen, wenn
im Einzelfalle der Nachweis erbracht werde, daß die Fabrikarbeit
keine nachteiligen Folgen für die Gesundheit der Frau oder für das
Familienleben haben könne. Am weitesten geht in dieser Hinsicht
die vom Abgeordneten Hitze aufgestellte Forderung eines Zulassungs-
scheines. Zur Erlangung eines solchen soll es neben einem ärzt-
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 343
lichen Gesundheitszeugnis noch einer Bescheinigung der Armen-
verwaltung darüber bedürfen, daß ein wirtschaftliches Bedürfnis die
Arbeit der Frau veranlaßt und daß für ausreichende Pflege und Auf-
sicht der Kinder unter 12 Jahren gesorgt ist. Der letztere Vorschlag
wird von 5 Aufsichtsbeamten erörtert; diese betonen jedoch die
Schwierigkeiten, welche sich seiner Durchführung entgegenstellen
würden. Gegen die Einführung eines solchen Zulassungsscheins
spricht insbesondere folgender Umstand. Will man im Einzelfalle
durch die Behörden prüfen lassen, ob ein Bedürfnis zur Fabrikarbeit
der Frauen vorliegt und ob für genügende Pflege und Beaufsichtigung
der Kinder gesorgt ist, so stellt man diesen eine kaum zu erfüllende
Aufgabe. In den Orten, wo die Frauen massenhaft zur Fabrik gehen,
ist es unmöglich, die Verhältnisse der einzelnen Familien in der er-
forderlichen Weise zu prüfen. Zudem würde die Armenverwaltung
schon im Interesse der Armenkasse geneigt sein, das Bedürfnis zu
bescheinigen und sich auf das ja auch meist richtige Raisonnement
zu beschränken, daß die Frau wohl nicht zur Fabrikarbeit greifen
würde, wenn kein Bedürfnis dazu bestände. Da die Frauen bereits
jetzt in irgend einer Weise für einen Ersatz der mütterlichen Pflege
während ihrer Abwesenheit sorgen, so hätten die Behörden also im
Einzelfalle zu prüfen, ob die getroffene Einrichtung als ausreichend
zu betrachten ist, im besonderen würden sie ein Urteil über die
Qualifikation der Verwandten oder der Pflegerinnen, welchen die
Kinder anvertraut sind, abzugeben haben. Es sind dies alles An-
forderungen, welche billigerweise nicht an Verwaltungsorgane ge-
stellt werden können.
II. Gesundheitszeugnis.
Die Einführung eines obligatorischen Gesundheitszeugnisses für
die Ehefrauen wird von 9 Aufsichtsbeamten für die ganze Industrie,
von 14 anderen in der Beschränkung auf besonders gesundheits-
gefährliche Gewerbezweige empfohlen (S. 157 LL Der Vorschlag
bezweckt den Ausschluß der schwächlichen und kränklichen Frauen
von der Fabrikarbeit. Es handelt sich um die Verallgemeinerung
einer Maßnahme, welche bereits durch Verordnung des Bundesrats
für einzelne Industrien auf Grund des $ 139a Abs. 1 G.O. ge-
troffen worden ist, z. B. für Bleifarbenfabriken hinsichtlich aller
Arbeiter und für Zinkhütten hinsichtlich der jugendlichen Arbeiter
zwischen 16 und 18 Jahren!). Die weit überwiegende Mehrzahl der
Berichterstatter verhält sich hingegen diesem Vorschlag gegenüber
völlig ablehnend, indem sie teils das Bedürfnis nach einer solchen
Maßnahme verneinen, teils den Vorschlag für unpraktisch und un-
durchführbar erklären.
Die allgemeine Einführung eines obligatorischen Gesundheits-
1) Verordnungen des Bundesrats vom 8. Juli 1893 (R.G.Bl. S. 218) und 6, Februar
1900 (R.G.Bl. S. 32).
344 v. Brandt,
zeugnisses für Frauen kann in der That nicht als eine zweck-
entsprechende Maßnahme bezeichnet werden. Auch hier würde die
Aufgabe desjenigen, von welchem die Erteilung oder Versagung des
Zeugnisses abhinge, eine kaum zu erfüllende sein. Der Arzt be-
dürfte einer genauen Kenntnis der Persönlichkeit und der besonderen
Fabrikarbeit, um welche es sich im Einzelfalle handelt, um sich ein
Urteil darüber bilden zu können, ob die Arbeit für die betreffende
Konstitution schädlich ist oder nicht. Da dem Arzt diese Kenntnis
aber im allgemeinen abgeht, so wird er meist, um Härten zu ver-
meiden, selbst in zweifelhaften Fällen das Zeugnis ausstellen. Eine
einmalige Untersuchung beim Arbeitseintritt würde aber insofern
den Zwecken nicht entsprechen, als der Gesundheitszustand unter
dem Einfluß der Arbeit oder der Schwangerschaft sich ändern kann.
Schließlich besteht auch nicht die Möglichkeit einer Kontrolle der
Angaben der Frauen über ihren Civilstand beim Antritt der Arbeit.
Diese wären daher in der Lage, dem Unternehmer ihre Verheiratung
zu verheimlichen und letzterer könnte in einem derartigen Falle
nicht für die Unterlassung der Untersuchung verantwortlich gemacht
werden. Die Frauen aber unter Strafandrohung zu einer solchen
Anzeige zu verpflichten, erscheint als eine übermäßige Härte. Auch
die Frage, wer die Kosten der Untersuchung zu tragen hätte, würde
Schwierigkeiten bereiten, da diese von den Unternehmern wie von
den Arbeitern gescheut werden.
Welches würde aber denn die Folge davon sein, daß kränkliche
und schwächliche Frauen von der Fabrikarbeit ausgeschlossen werden ?
Sicherlich nicht die, daß sie nun überhaupt auf eine Erwerbsthätig-
keit verzichten würden, denn die dira necessitas des Broderwerbs
zwingt sie ja meist dazu. Durch die Versagung des Gesundheits-
zeugnisses als minderwertige Arbeitskräfte gekennzeichnet, würden
sie genötigt sein, die ungünstigsten Arbeitsbedingungen anzunehmen
und so in Berufe gedrängt werden, welche noch gesundheitsschäd-
licher sind als Fabrikarbeit und wo sie der Wohlthaten der Kranken-
und Invalidenversicherung entbehren würden. Der fragliche Vor-
schlag erscheint also, in seinen Folgen betrachtet, als ein charak-
teristisches Beispiel solcher sozialpolitischen Maßnahmen, welche zum
Unheil derer werden müssen, zu deren Bestem sie gedacht waren.
C. Hebung der hauswirtschaftlichen Tüchtigkeit der Frau.
Es bleibt noch eine dritte und letzte Art von Vorschlägen für
eine Ergänzung der Arbeiterschutzgesetzgebung zu erwägen, näm-
solche. welche eine bessere Ausbildung der weiblichen Jugend in
den Haushaltungsgegenständen bezwecken. Auch hier handelt es
sich nicht um den unmittelbaren Schutz der in den Fabriken
arbeitenden Frauen, sondern um eine vorbeugende Maßnahme zur
möglichsten Verhütung von solchen Schädigungen, welche bisher als
Nachteile der Frauenarbeit zu Tage getreten sind.
In zahlreichen Berichten findet man die Bemerkung, daß die
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 345
beobachtete Vernachlässigung des Hauswesens durch die Arbeiter-
frau hauptsächlich ihren Grund habe in dem geringen häuslichen
Sinn derselben und in dem Fehlen der elementarsten Kenntnisse,
welche eine Hausfrau besitzen muß. Nach den Beobachtungen der
Aufsichtsbeamten sind gerade diejenigen Frauen am unfähigsten zu
ihrem häuslichen Berufe, welche bereits von Jugend auf die Fabrik
besucht haben (S. 123 u. 132). Die Zahl dieser Frauen nimmt aber
heutzutage infolge der reichlichen Gelegenheit zur gewerblichen Be-
schäftigung, welche allenthalben besteht, immer mehr zu (S. 51).
Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, daß eine Beschränkung
der Fabrikarbeit der Frauen dem Familienleben in den Fällen gar
nicht zu gute kommen könne, wo die Frau aus Mangel an wirt-
schaftlichen Fähigkeiten nicht imstande ist, von der ihr zur Ver-
fügung stehenden Zeit zum besten der Ihren Gebrauch zu machen.
Aus diesen Zuständen wird von den Berichterstattern die Notwendig-
keit geschlossen, Maßnahmen zu ergreifen, um die häusliche Aus-
bildung der jugendlichen Arbeiterinnen zu fördern.
Dieser Gesichtspunkt ist keineswegs neu. $ 120 G.O., welcher
den Unternehmern die Verpflichtung auferlegt, den Arbeitern unter
18 Jahren die zum Besuch des Fortbildungsunterrichts erforderliche
Zeit zu gewähren, bestimmt, daß als Fortbildungsschulen auch An-
stalten gelten sollen, in welchen Unterricht in weiblichen Hand- und
Hausarbeiten erteilt wird. Während aber der $ 120 G.O. in seiner
heutigen Fassung die Möglichkeit eines ortsstatutarischen Zwanges
zum Besuche des Fortbildungsunterrichts nur für männliche Arbeiter
enthält, hatte der Regierungsentwurf einen solchen auch für
Arbeiterinnen vorgesehen. Die Begründung bemerkte hierzu: „Für
die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und für die Hebung
des Familienlebens der arbeitenden Klassen und namentlich der
Fabrikarbeiter ist es, wie gegenwärtig anerkannt wird, von der größten
Bedeutung, daß die heranwachsende weibliche Jugend zur Thätig-
keit für den Beruf der Hausfrau erzogen wird. Dazu bedarf es ın
den Gegenden, wo die Mädchen schon in jungen Jahren Beschäftigung
in den Fabriken finden, eines geordneten Unterrichts in weiblichen
Hand- und Hausarbeiten“ t). In der Kommission führte der Regie-
rungsvertreter aus, „es werde allgemein anerkannt, daß die Unfähig-
keit der Industriearbeiterinnen, ein Hauswesen zu führen, eine Mahl-
zeit zu bereiten, die täglich vorkommenden Ausbesserungen an
Kleidung und Wäsche vorzunehmen, eines der wesentlichsten Hinder-
nisse eines gesunden wirtschaftlichen und Familienlebens der Arbeiter
bilde* ?); die Erfahrung habe aber auch zur Genüge gelehrt, daß
die Gelegenheit, an einem entsprechenden Unterricht teilzunehmen,
freiwillig nur von wenigen benutzt werde. Seitens der Kommissions-
mitglieder wurde eine Anzahl von Einwendungen gegen den Schul-
zwang geltend gemacht und insbesondere angeführt, es sei bedenklich,
1) Drucksachen des Reichstags 1590/91, Bd. 1, S. 17.
2) Drucksachen des Reichstags 1590/91, Bd. 2, S. 1448.
346 v. Brandt,
Mädchen des fraglichen Alters dem Zusammensein mit sittlich ver-
dorbenen Altersgenossinnen auszusetzen, die Gelegenheit zur häus-
lichen Ausbildung in der eigenen Familie fehle doch nicht überall,
der Handarbeitsunterricht werde schon in den Elementarschulen ge-
pflegt, der Kochunterricht aber werde sich wegen der Schwierigkeit
der Einrichtung stets nur auf eine kleine Anzahl von Teilnehmern
beschränken !).
Elf von den Berichterstattern haben nun in ganz besonderer
Weise auf den Schaden hingewiesen, welcher aus den ungenügenden
häuslichen Kenntnissen der Arbeiterfrau für die Familie erwächst
und gesetzgeberische Maßnahmen empfohlen. In 6 von diesen Gut-
achten wird angeregt, das Alter der Zulassung zur Fabrikarbeit auf
16 Jahre — nach einem sogar auf 18 Jahre — zu erhöhen. In
dreien von diesen Gutachten wird auch der Einführung des obliga-
torischen Fortbildungsunterrichts das Wort geredet. Wenn die Er-
höhung des Zulassungsalters in erster Linie befürwortet wird, so
hat dies wohl in der von einer Seite ausgesprochenen Auffassung
seinen Grund, daß Haushaltungsschulen nicht ausreichen, um den
Mädchen die nötigen Kenntnisse und Fertigkeiten zu verschaffen
(S. 252). Die Antragsteller erwarten sich von einer Erhöhung der
Altersgrenze vor allem die Folge, daß die Mädchen vor dem Ein-
tritt in die Fabrik sich als Dienstmädchen verdingen und so in
fremden Haushaltungen sich praktisch die Kenntnisse der Hauswirt-
schaft aneignen werden. Von einer Seite wird auch auf den ge-
sundheitlichen Vorteil einer solchen Regelung hingewiesen; die
Fabrikarbeit im Entwickelungsalter lege bei den Arbeiterinnen viel-
fach den Keim zu den Leiden des späteren Alters (S. 254). Die
Bedeutung dieses Gesichtspunktes ist bereits verschiedentlich im
Verlauf der Darlegungen hervorgehoben worden. Es ist anzuerkennen,
daß er in besonderem Maße für eine Erhöhung des Zulassungsalters
spricht.
Die Bedenken, welche sich vom Standpunkt der in Frage
kommenden Mädchen und ihrer Familien geltend machen lassen,
werden in der Mehrzahl jener Gutachten als nicht schwerwiegende
bezeichnet. Der Verdienst des Gesindes sei zwar etwas geringer
als der in den Fabriken, der Ausfall sei aber nicht bedeutend, auch
sei die Beköstigung vielfach eine bessere. Die Folgen einer der-
artigen Maßregel für die Industrie werden von 3 Berichterstattern
gewürdigt. Der Aufsichtsbeamte zu Frankfurt a. O. berechnet den
entstehenden Ausfall an Arbeitskräften in verschiedenen Industrie-
zweigen auf 2—4 Proz. der sämtlichen Arbeiter und glaubt, dieser
Ersatz werde schwer ‘zu decken sein, besonders weil es sich um die
billigeren Arbeitskräfte handele. Die Aufsichtsbeamten in Liegnitz
und P'auen vertreten hingegen die Auffassung, daß die Industrie
den allerdings merklichen Ausfall werde zu ertragen vermögen.
Eine Erhöhung der Zulassungsgrenze auf 16 Jahre erscheint
1) Drucksachen des Reichstags 1890/91, Bd. 2. S. 1448,
-
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 347
im ganzen zweckentsprechend und durchführbar ; auch dürfte sie in
höherem Maße als der obligatorische Haushaltungsunterricht zu der
Erreichung des fraglichen Zweckes geeignet sein. Der Nachteil des
letzteren liegt vor allem darin, daß bei diesem Unterricht, wie bei
jedem Schulunterricht, der einer großen Zahl von Schülern zugleich
erteilt wird, nur ein Teil der letzteren wirklichen Vorteil von dem
Gebotenen hat. Gerade bei dem Haushaltungsunterricht aber kann
nur der Minderzahl Gelegenheit zur praktischen Uebung geboten
werden. Insbesondere würde der Kochunterricht, auf welchen es
nach den vielfachen Bemerkungen der Aufsichtsbeamten in erster
Linie ankommen würde!), in dieser Hinsicht Schwierigkeiten ver-
ursachen. Dagegen würde die Beschäftigung als Dienstmädchen
während ungefähr 2 Jahren eine weit größere Gewähr für eine
praktische Ausbildung bieten. Auch der Unterschied im Verdienst
dürfte zu keinem Bedenken Anlaß geben. Würden nun auch trotz
des herrschenden Mangels an Dienstboten wohl nicht alle fraglichen
Mädchen im Alter von 14—16 Jahren als Dienstmädchen Verwendung
finden, so könnte der Ueberschuß doch sicherlich von der Landwirt-
schaft aufgenommen werden. Hier würden sie sich freilich nicht
die besonderen Kenntnisse erwerben, auf welche es für die Arbeiter-
frau ankommt; allein der so zu erzielende gesundheitliche Vorteil
erscheint groß genug, um eine solche Maßnahme auch im Hinblick
auf diese Folge zu rechtfertigen.
Für die Industrie würde die Erhöhung des Zulassungsalters
einen Ausfall von 70000 Arbeitskräften, also von etwas mehr als
einem Zehntel der Zahl der Arbeiterinnen über 16 Jahre bedeuten.
Zumal es sich nun aber nicht um gelernte Arbeiter, sondern viel-
mehr um solche handelt, für deren Verwendung durch die $$ 135
und 136 G.O. erschwerende Bedingungen aufgestellt sind, so würde
ihr Verlust die beteiligten Gewerbezweige nicht allzu schwer treffen.
Erscheint somit die Erhöhung des Zulassungsalters als im In-
teresse der weiblichen Arbeiterschaft und insbesondere auch der
Frauen wünschenswert und als durchführbar, so kann schließlich
auch darauf hingewiesen werden, daß die Beschäftigung jugendlicher
Arbeiterinnen unter 16 Jahren im Ausland zwar im allgemeinen
gestattet, aber vielfach zur Wahrung der gesundheitlichen Interessen
gewissen Beschränkungen unterworfen ist. So dürfen jugendliche
Personen im Alter von unter 16 Jahren in England nur auf Grund
eines ärztlichen Attestes beschäftigt werden. In Oesterreich dürfen
diese nicht zu schweren oder gesundheitsschädlichen Arbeiten, in
Frankreich nur zu leichten Arbeiten verwendet werden.
In Verbindung mit der Aenderung des Zulassungsalters könnte
auch die Einführung des ortsstatutarischen Zwanges zum Besuch
des weiblichen Fortbildungsunterrichts sich als wirksam erweisen.
Durch einen derartigen Unterricht würden bei den Mädchen vor
dem Eintritt in die Fabrik die häusliche Anleitung vervollständigt
1) Denkschrift, S. 124, 120, 131.
348 v. Brandt,
oder der etwaige Mangel einer solchen ergänzt, nach dem Beginn
der Fabrikarbeit aber würden dadurch die früher erworbenen Kennt-
nisse erhalten. Wird die Einführung des obligatorischen Unterrichts
der ortsstatutarischen Regelung überlassen, so kann man annehmen,
daß der Unterricht nur da obligatorisch sein wird, wo zugleich die
Bedingungen für eine erfolgreiche Erteilung desselben vorhanden sind.
Vierter Abschnitt. Gesamtergebnis.
Schreitet man nun dazu, die Ergebnisse der den Einzelfragen
gewidmeten Untersuchungen zusammenzufassen, so kommt man
zu folgendem Ergebnis: Trotz der anzuerkennenden erheblichen
Nachteile der Fabrikarbeit der verheirateten Frauen für diese
selbst wie deren Familien kann ein Ausschluß der Frauen oder
eines Teiles derselben von dieser Art der Erwerbsthätigkeit nicht
in Frage kommen. Eine solche Maßnahme würde in ihren Folgen
lediglich zu einer Verschlechterung der gesundheitlichen und sitt-
lichen Verhältnisse der Arbeiterkreise führen. Die gewerbliche
Arbeit der verheirateten Frauen erscheint im modernen Leben als
ein Teil der Frauenarbeit überhaupt und kann nicht für sich allein
aus der Welt geschafft werden. Die Frauenarbeit aber allgemein,
etwa durch einheitliches Vorgehen aller Länder, verbieten zu wollen,
ist eine Utopie. Es bleibt demnach nur die Möglichkeit, die Frauen
aus solchen Industrien oder von solchen Verrichtungen auszuschließen,
welche besonders gesundheitsschädlich sind. Ein Bedürfnis dieser
Art besteht nach den Berichten der Aufsichtsbeamten für eine Reihe
von Industriezweigen. Es bedarf aber hierzu keiner neuen gesetz-
lichen Bestimmungen, da $ 139a G.O. genügende Handhaben hier-
für bietet.
Es erscheinen aber ferner auch gewisse positive Schutzbestim-
mungen zu Gunsten der in den nicht besonders geregelten Industrie-
zweigen thätigen Frauen angezeigt und durchführbar. Bei einer
derartigen Regelung, wie bei einem Vorgehen auf Grund des $ 139a
Abs. 1 Ziffer 1 G.O. empfiehlt es sich aber nicht, zwischen den
verheirateten Frauen und den übrigen Arbeiterinnen zu unterscheiden;
bedarf doch der weibliche Organismus auch bei den Ledigen be-
sonderer Schonung, zudem ist die Gesundheit der Frau zu einem
großen Teile von der Entwickelung der in jugendlichem Alter stehen-
den Arbeiterin abhängig. Was aber die durch die Schwangerschaft
und Mutterschaft gebotenen besonderen Rücksichten angeht, so sind
diese in gleichem Maße den Ledigen wie den Verheirateten zuzu-
wenden, denn auch für jene gilt das Wort, daß auf der Gesundheit
des weiblichen Geschlechts noch mehr als auf der des männlichen
die Zukunft der Nation beruht!). Ist das Bedürfnis nach Schutz-
maßregeln bei den ledigen Arbeiterinnen nicht in allen Fragen das
1) Begründung zum Entwurf des Arbeiterschutzgesetzes, Drucksachen des Reichs-
tages, 1590, No. 4, S. 54.
Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen. 349
gleiche, wie bei den Frauen, so spricht doch für eine einheitliche
Behandlung aller weiblichen Arbeitskräfte schon der Umstand, daß
hierbei die Gefahr einer Verdrängung der Frauen aus der Fabrik
vermieden würde. Diese Gefahr hat sich als wesentlich von der
gewerblichen Konjunktur nach dem Inkrafttreten der Schutzbestim-
mungen abhängig erwiesen. Schon die Rücksicht auf dieses Risiko
empfiehlt, von einer besonderen Behandlung der Frauen abzusehen.
Hierzu gesellt sich aber der weitere Umstand, daß die Anwendung
des Begriffs der „Frauen, soweit sie ein Hauswesen zu besorgen
haben“, in der Praxis große Schwierigkeiten bereiten würde Es
fallen hierunter z. B. die Frauen, welche Kinder in schulpflichtigem
Alter haben, Frauen, die mit dem Manne allein leben, sowie allein-
stehende Frauen, welche mit erwachsenen Kindern oder anderen
Verwandten leben. Alle diese haben ein Hauswesen zu besorgen ;
die Lasten eines solchen sind aber in den einzelnen Fällen sehr
verschieden, so daß es doch nicht angängig wäre, alle gleichmäßig
den Schutzbestimmungen zu unterwerfen. Andererseits wäre aber
eine Unterscheidung ebenso schwierig wie eine Kontrolle der Durch-
führung. Erhebliche Härten bei der Anwendung im Einzelfalle und
mannigfache Umgehungen der Vorschriften durch die Frauen er-
scheinen als die unvermeidlichen Nachteile derartiger differenzieller
Bestimmungen. Die Frage, ob besondere Schutzmaßregeln für die
verheirateten Fabrikarbeiterinnen zu ergreifen sind, muß daher auf
Grund der Ergebnisse der Erhebung verneint werden. Dagegen
erscheinen hiernach, abgesehen von den gedachten Maßnahmen ge-
mäß $ 139a Abs. 1 Ziffer 1 G.O. die folgenden Bestimmungen zu
Gunsten aller Fabrikarbeiterinnen zweckmäßig und durchführbar:
1) Herabsetzung der Maximalarbeitszeit von 11 auf 10 Stunden;
2) Einführung einer obligatorischen Mittagspause von 1!/, Stun-
den für alle Arbeiterinnen, welche ein Hauswesen zu besorgen haben.
Als solche hätten alle verheirateten Frauen zu gelten, welche nicht
den Nachweis erbringen, daß die Ehe nicht mehr besteht und der
Pflege bedürftige Kinder, insbesondere Schulkinder nicht mehr vor-
handen sind. Die höhere Verwaltungsbehörde wäre zu ermächtigen,
die Ermäßigung der Mittagspause für die Frauen mit einem Haus-
wesen auf 1 Stunde für einzelne Betriebe oder bezirksweise zu
gestatten, wenn die Natur des Betriebs oder Rücksichten auf die
Arbeiter es dringend erwünscht erscheinen lassen;
3) Einräumung der Befugnis an hochschwangere Arbeiterinnen,
die Arbeit ohne Kündigung niederzulegen, und Gewährung von
Krankengeld vor der Niederkunft auf die Dauer von 2 Wochen an
solche Arbeiterinnen;
4) Erweiterung des $ 120c G.O. dahin, daß die Unternehmer
verpflichtet sind, auf die schwangeren Personen die durch ihren
Zustand gebotene Rücksicht zu nehmen;
5) Erhöhung der nach dem Krankenversicherungsgesetz zu zah-
lenden Wöchnerinnenunterstützung auf °/, des ortsüblichen Tage-
lohnes. Ausdehnung der Verpflichtung zur Zahlung dieser Unter-
stützung auf die Gemeindekrankenversicherung.
350 e Brandt, Die Frage der Regelung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen.
Zu Punkt 3 und 5 ist einschränkend zu bemerken, daß die
Vorschläge unter der Voraussetzung ihrer finanziellen Durchführ-
barkeit gemacht wurden, über welche das Material der Erhebung
kein abschließendes Urteil gestattet.
Schließlich sind auch noch die Erhöhung des Zulassungsalters
für Mädchen auf 16 Jahre und die Einführung des ortsstatutarischen
Zwanges zum Besuch des weiblichen Fortbildungsunterrichts bis
zum 13. Lebensjahr als geeignete Mittel zu bezeichnen, um der
Schädigung des Familienlebens durch die Arbeit der Ehefrauen ent-
gegenzuwirken.
Sollen die vorgeschlagenen Bestimmungen auch auf alle Arbeite-
rinnen oder auf alle diejenigen, bei welchen besondere Bedingungen,
wie Schwangerschaft oder Besitz eines Hauswesens, zutreffen, gleich-
mäßig Anwendung finden, so stellen sie doch nach Lage der Ver-
hältnisse den geeignetsten Weg dar, gerade auch den durch die
Erhebung festgestellten Bedürfnissen der verheirateten Frauen gerecht
zu werden. Die Gleichstellung der ledigen Arbeiterinnen, welche
infolge außerehelichen Umganges die gleichen physischen und wirt-
schaftlichen Bedürfnisse wie die verheirateten Frauen besitzen einer-
seits, und der Ehefrauen andererseits stellt aber auch für jene
nicht etwa eine Begünstigung dar, von welcher eine Vermehrung
des außerehelichen Zusammenlebens in den Arbeiterkreisen zu be-
fürchten wäre. Es darf vielmehr von der Hebung des gesund-
heitlichen und sittlichen Niveaus der Arbeiterschaft, wie sie von
einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen infolge er-
höhten gesetzlichen Schutzes erwartet werden darf, auch eine Wieder-
befestigung der durch die großindustrielle Entwickelung erschütterten
Arbeiterfamilie erwartet werden. Ein Verbot oder eine weitgehende
Beschränkung der Frauenarbeit würde hingegen gerade auch in
sittlicher Hinsicht verhängnisvolle Folgen zeitigen.
Das Maß desjenigen, was demnach zur Behebung der Nachteile
der Fabrikarbeit der Ehefrauen geschehen kann, ist im Vergleich
zu dem, was vielfach zu diesem Zweck gefordert wird, bescheiden
zu nennen. Es ergeht hier wie bei allen Maßnahmen der Fabrik-
gesetzgebung überhaupt, daß sie dem Philanthropen, der nur die
Nachteile sieht, nie weit genug gehen, daß sich aber bei näherer
Betrachtung oft scheinbar einfache Bestimmungen als ohne schwere
Schädigung berechtigter Interessen nicht durchführbar erweisen.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 351
Nachdruck verboten.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
III.
Hypothekenbanken und Hypothekenbankgesetz.
Von Rechtsanwalt Dr. Fuld in Mainz.
Der Erlaß eines Reichsgesetzes über das Hypothekenbankwesen ist
während langer Jahre vorbereitet worden, und man kann der Reichsge-
setzgebung nicht den Vorwurf machen, da sie bei Regelung der
schwierigen und in wirtschaftlicher Hinsicht außerordentlich bedeutungs-
vollen Materie es an der nötigen Sorgfalt und Ueberlegung hätte fehlen
lassen. Es kann auch nicht behauptet werden, daß das Gesetz vom
grünen Tisch aus ohne‘entsprechende Fühlung mit den Vertretern des
praktischen Hypothekenbankverkehrs gemacht worden sei. Die Forde-
rungen und Wünsche der Hypothekenbanken sind vielmehr in aus-
giebigem Maße berücksichtigt worden, vielleicht sogar in ausgiebigerem
Maße, als mit Rücksicht auf das als unbedingt anzusehende leitende
Prinzip, die Schaffung einer möglichst ausreichenden Sicherheit für die
Obligationäre, wünschenswert gewesen wäre; auch die Ausstellungen
und Einwendungen der Kritik, sowohl der juristischen als auch der
finanziellen und wirtschaftlichen, haben hinlänglich Beachtung ge-
funden, und daher konnte an sich erwartet werden, daß das Hypotheken-
bankgesetz allen berechtigten Anforderungen genügen und eine Ab-
änderung seiner Vorschriften sich in verhältnißmäßig langer Zeit nicht
als erforderlich herausstellen werde. Um so auffälliger ist es, daß noch
nicht ein Jahr seit dem Inkrafttreten desselben verstrichen war, als die
alsbaldige Revision des Gesetzes in Ansehung einer Anzahl seiner wich-
tigsten Vorschriften sowohl von einem großen Teile der politischen und
finanziellen Presse als auch in den Verhandlungen des preußischen Ab-
geordnetenhauses und des Reichstags verlangt wurde. Veranlassung
gab zu dieser Forderung der Zusammenbruch zweier preußischer
Hypothekenbanken, der Preußischen Hypothekenbank und der Deutschen
Grundschuldbank, ein Zusammenbruch, der auf höchst verwerfliche
Vermögensmanipulationen, unstatthafte Geschäfte und Kapitalsschiebungen,
Verquickungen mit Terrainspekulationsgesellschaften zurückzuführen war
und für zahlreiche Personen, welche ihre Ersparnisse in den allgemein
359 Nationalökonomische Gesetzgebung.
als sicher geltenden Pfandbriefen der beiden Banken angelegt hatten,
Verluste höchst empfindlicher Art zur Folge hatten. Die finanzielle
und wirtschaftliche Katastrophe, von welcher der Hypothekenmarkt in
Deutschland, richtiger gesagt in Norddeutschland betroffen wurde, war
um so bemerkenswerter, als Zusammenbrüche von Hypothekenaktien-
banken in Deutschland bisher noch nicht zu verzeichnen waren. Wohl
haben sich verschiedene Banken in früheren Jahren in größeren oder
geringeren Schwierigkeiten befunden, allein dieselben waren nicht dauernd,
sondern vorübergehend und wurden überwunden, ohne daß weitere
Kreise dabei in Mitleidenschaft gezogen worden wären- Der Zusammen-
bruch des in Stettin bestandenen Nationalhypothekenvereins, welcher
für den Osten große Verluste nach sich zog, kann gegen die Richtigkeit
dieser Behauptung nicht als Beweis angeführt werden, weil dieser
Verein nicht auf der Grundlage einer Aktiengesellschaft, sondern einer
Genossenschaft beruhte; er ist seitdem in eine Aktiengesellschaft um-
gewandelt worden und die Geschichte seiner Entwickelung kann wohl
dazu dienen, die Anschauung zu rechtfertigen, daß sich Genossen-
schaften, gleichviel ob mit beschränkter oder mit unbeschränkter Haftung,
für den Geschäftsbetrieb von Hypothekenbanken mit nichten eignen.
Es konnte demgemäß nicht überraschen, daß unter dem unmittelbaren
Eindruck der Katastrophe die Aufmerksamkeit der weitesten Kreise
sich der Frage zuwandte, wie es möglich sei, daß durch die geltende
Gesetzgebung die konstatierten Vorkommnisse nicht verhindert worden
sind. Bei der Beantwortung derselben ging man vielfach kurzweg da-
von aus, daß das kaum in Kraft getretene Gesetz nicht genüge und
dieserhalb möglichst rasch revidiert werden müsse, wogegen man der
Prüfung der Unterfrage, ob denn von dem geltenden Gesetze überhaupt
in richtiger, entsprechender und sachgemäßer Weise Gebrauch gemacht
worden sei, durchaus nicht die wohl gebotene sorgfältig Prüfung widmete.
Und doch stand, sobald die einzelnen Vorkommnisse, welche bei dem
Zusammenbruch eine Rolle spielten, bekannt waren, vollständig fest,
daß die preulische Regierung von den ihr durch das Reichsgesetz ein-
geräumten Befugnissen nicht die Anwendung gemacht hatte, welche
andere Bundesstaaten mit Recht für notwendig und nützlich hielten.
Die Zahl der Vorschläge zur Revision des Hypothekenbankgesetzes
war demgemäß sehr erheblich; je mehr sich die Aufregung steigerte,
welche durch die Katastrophe verursacht wurde, um so zahlreicher auch
die Abänderungs- und Verbesserungsprojekte, deren Inhalt ein überaus
verschiedener war. Bald beschränkte man sich auf die Deklaration
zweifelhafter Bestimmungen, bald verlangte man ein völlige Verschiebung
der Stellung und Rechte der Treuhänder, bald die Errichtung von Tax-
ämtern oder ähnlichen, allseits unabhängigen Organen für die Vor-
nahme von Taxationen, bald die Feststellung der für die Taxierungen
und Beleihungen in Anwendung kommenden Grundsätze einheitlich für
alle Hypothekenbanken durch eine Reichsbehörde. Diese und andere
Vorschläge ließ aber bei weitem hinter sich der im preußischen Abge-
ordnetenhause eingebrachte konservative Antrag, welcher dahin ging, die
Hypothekenbanken mit der Zeit durch genossenschaftliche Bodenkredit-
Nationalökonomische Gesetzgebung. 353
institute zu ersetzen, welchen die Ausgabe von hypothekarisch ge-
sicherten Obligationen ausschließlich zustehen solle und die lediglich
die hypothekarische Beleihung unter der Ausgabe solcher Obligationen
betreiben dürften; der Antrag erstrebte somit eine Art von Monopoli-
sierung der Ausgabe von Pfandbriefen zu Gunsten öffentlich-recht-
licher Pfandbrief- oder Bodenkreditinstitute und somit eine Be-
friedigung des Hypothekarkredits auf der Grundlage einer Organisation,
die von der gegenwärtigen, sowohl grundsätzlich wie praktisch voll-
ständig verschieden ist. Auch ohne ein näheres Eingehen auf die
grundsätzlithe Tragweite und die praktischen Konsequenzen dieses
Antrag, ist ohne weiteres ersichtlich, daß derselbe einerseits mit den
Ideen !n einem gewissen Zusammenhang steht, welche auf die öffent-
lich-rechtliche Organisation oder, wie man sagt, auf die Inkorporation
des Grundkredits gerichtet sind, andererseits aber durch die Wirksamkeit
der Landschaften beeinflußt wurde, welchen die politisch zum Konser-
vatismus zählenden Kreise von jeher besonders nahe standen und heute
noch nahe stehen. Die Verallgemeinerung der Landschaften kann als
einer der bei diesem Antrag leitend gewesenen Grundgedanken be-
zeichnet werden. Ueber die wirtschaftliche Bedeutung der Landschaften
sind die Ansichten nicht geteilt, es besteht auch für die objektive Be-
urteilung kein Zweifel darüber, daß die Landschaften in mancher Be-
ziehung vor den Hypothekenbanken gewisse Vorzüge besitzen, Vorzüge
die insbesondere auf dem Gebiete der Taxation der beliehenen Grund-
stücke und der hierdurch bedingten Sicherheit der Obligationäre liegen.
Andererseits aber läßt sich nicht bestreiten, daß ihrer Geschäfts-
führung auch bestimmte Mängel und Uebelstände anhaften. Die
Landschaften sind ihrer geschichtlichen Entwickelung zufolge vor
allem Kreditinstitute für die Befriedigung des Grundkreditbedürfnisses
des Großgrundbesitzers, insbesondere des ritterschaftlichen ; der Charakter
von Kreditinstituten für die Grundaristokratie war ihnen von Anfang
an eigen und sie haben denselben bis heute noch nicht vollständig
abgestreift, vielleicht nicht abstreifen können. Die wiederholt gemachten
Versuche, die Landschaften auch dem Mittelbesitz und dem bäuerlichen
Kleinbesitz zugänglich zu machen, haben nur innerhalb enger Grenzen
einen Erfolg gehabt. Dies ist seiner Zeit auf der sogenannten Agrar-
konferenz von Männern anerkannt worden, welche nicht in den Verdacht
kommen konnten, die Wirksamkeit der Landschaften gegenüber den
Hypothekenbanken und sonstigen Bodenkreditinstituten etwa mit Vor-
eingenommenheit für letztere zu beurteilen. Der Möglichkeit einer Aus-
dehnung des Wirkungskreises der Landschaften und der Verallgemeinerung
derselben stehen somit ernste, nicht auf theoretischen Anschauungen,
sondern praktischen Beobachtungen und Erfahrungen beruhende Bedenken
entgegen, und es würde demgemäß schon mit Rücksicht hierauf an der
Ausführbarkeit des konservativen Antrages ernstlich zu zweifeln gewesen
sein. Im übrigen ist auf denselben nicht näher einzugehen, weil es
sich bei ihm nicht um die Revision des geltenden Hypothekenbank-
gesetzes zu dem Zwecke handelt, die Thätigkeit der Hypothekenbanken
mit den weitestgehenden Garantien für die Sicherheit des Publikums
Dritte Folge Bd. XXII (LXXVII)- 23
354 Nationalökonomische Gesetzgebung.
zu versehen, sondern um die Beschaffung eines Ersatzes für diese
Banken, welchen nach Verwirklichung des Antrages der konservativen
Partei wohl kaum etwas anderes übrig bliebe, als in eine mehr oder
minder überhastete Liquidation einzutreten, die mit Notwendigkeit zu
einer allgemeinen und nachhaltigen Zerrüttung des deutschen Immobilien-
marktes würde führen müssen. Es ist aus dem gedachten Grund auch
nicht erforderlich, der Erörterung der Rechtsfrage einen breiten Raum
zu widmen, ob die preußische Landesgesetzgebung oder die Landes-
gesetzgebung eines anderen Bundesstaates überhaupt befugt ist, die
innerhalb des Gebietes dieses Bundesstaates bestehenden Hypotheken-
banken an der Ausübung der Thätigkeit zu verhindern, welche sie auf
Grund der Bestimmungen des Reichsrechtes und unter Anpassung an
den Inhalt und die Bedingungen desselben ausüben. Diese Frage
würde wohl schwerlich im Sinne einer Bejahung der Zuständigkeit der
Landesgesetzgebung zu beantworten sein; eine Befugnis, welche durch
Reichsrecht einem bestimmten Institute eingeräumt worden ist, darf
demselben durch die Landesgesetzgebung auch nicht mittelbar dadurch
entzogen werden, daß der Betriebszweig dieses Instituts zu Gunsten
der Körperschaften des öffentlichen Rechts monopolisiert wird.
Die Hypothekenbanken unterliegen nach $ 3 des Gesetzes der staat-
lichen Aufsicht; die Aufsicht ist nicht Sache des Reiches, sondern des
Bundesstaates, in welchem sich der Sitz der Bank befindet. Vermöge dieses
Aufsichtsrechts kann die Aufsichtsbehörde alles anordnen, was erforderlich
ist, um den Geschäftsbetrieb der Bank mit den Gesetzen, der Satzung
und den sonst in verbindlicher Weise getroffenen Bestimmungen im
Einklang zu erhalten; sie kann insbesondere einen Kommissar bestellen,
der unter ihrer Leitung die Aufsicht ausübt und anordnen, daß dieser
von ihr eine bestimmte Vergütung erhält. Die Art und Weise, in
welcher in den einzelnen Bundesstaaten von diesem Aufsichtsrecht
Gebrauch gemacht wird, ist keineswegs eine identische; wie schon vor
dem Inkrafttreten des Hypothekenbankgesetzes die Verwaltungspraxis
in den verschiedenen Staaten hierbei nicht unwesentliche Verschieden-
heiten anfwies, so treten auch heute noch in dieser Beziehung ganz
bedeutende Unterschiede zu Tage, Unterschiede, denen es zuzuschreiben
ist, daß die thatsächlich geübte Staatsaufsicht in dem einen Bundesstaat
eine ganz andere Bedeutung besitzt, wie in einem benachbarten. Diese
Verschiedenheit ın der Verwaltungspraxis ist wohl geeignet, es be-
sonders bedauern zu lassen, daß es seiner Zeit nicht gelungen ist, die
Aufsicht über die Hypothekenbanken dem Reiche zu übertragen; wenn
in der Sachverständigenkommission, welche sich im Jahre 1897 mit
dem Gegenstande befaßte, die Ansicht vertreten wurde, daß zur Ab-
stellung von Mängeln, die etwa im einzelnen Falle bei der Handhabung
des Aufsichtsrechts der Bundesstaaten hervortreten könnten, schon die
Vorschriften der Reichsvertassung genügen würden, so unterliegt es
heute wohl kaum noch einem Zweifel, daß diese Anschauung eine un-
begründete ist; der Mangel einer ausreichenden Aufsicht tritt um so
mehr hervor, als sich das Gesetz darauf beschränkt, bezüglich der
Wertfeststellung der zu beleihenden Grundstücke, also wohl der bei
»
Nationalökonomische Gesetzgebung. 355
weitem wichtigsten Frage aus der ganzen Materie, einige wenige, ziemlich
allgemein gehaltene Grundsätze aufzustellen. Indessen würde es auf
einer durch nichts gerechtfertigten Täuschung in Ansehung der be-
stehenden Verhältnisse beruhen, wollte man annehmen, daß unter dem
Eindruck, welchen der Zusammenbruch der beiden mehrfach genannten
Banken sowie die Aufdeckung der Verhältnisse bei der Pommerschen
und Mecklenburgischen Bank hervorgerufen hat, die Aussichten für die
Schaffung einer Reichsaufsicht günstiger wären, denn früher. Das ist
mit nichten der Fall. Die Schwierigkeiten, welche der Erfüllung des
dahin gerichteten Verlangens im Wege stehen, gehören nicht sowohl
dem Gebiete sachlicher als vielmehr politischer Erwägungen an, und
es besteht mit nichten ein Grund anzunehmen, daß die Einzelstaaten
und Bundesregierungen heute geneigter sein würden, auf ihre Aufsichts-
befugnisse zu Gunsten des Reiches zu verzichten. Wohl oder übel muß
damit gerechnet werden, daß für absehbare Zeiten die Staatsaufsicht
über die Hypothekenbanken durch die Einzelstaaten und nicht das
Reich wird ausgeübt werden. Es ist nun schon vor dem Erlaß des
Hypothekenbankgesetzes und auch nach demselben darauf aufmerksam
gemacht worden, daß die Staatsaufsicht nur dann dem Publikum einen
genügenden Schutz bietet, wenn sie zu einer fortlaufenden materiellen
Kontrolle ausgestaltet wird; eine Kontrolle, welche sich nur auf die
formelle Seite beschränkt, genügt mit nichten, sie schadet, genau ge-
nommen, mehr als sie nützt; denn es wird durch sie bei dem Publikum
die Meinung hervorgerufen, daß der Staat eine stetige Prüfung der als
Deckung der Pfandbriefe dienenden Hypotheken sowie der wichtigsten
Geschäftsvorgänge vornehme, während dies doch nicht der Fall ist.
In Preußen hatte man vor dem Eintritt der Katastrophe von der Be-
stellung von Bankkommissarien zur Ausübung des staatlichen Aufsichts-
rechts keinen Gebrauch gemacht, offenbar um deswillen, weil die
Regierung sich davor scheute, eine zu weitgehende Verantwortung zu
übernehmen. Die Begründung des Hypothekenbankgesetzes glaubte
ausdrücklich vor einer allzu weitgehenden Erstreckung der Staats-
aufsicht warnen zu müssen, wie dies in ähnlicher Weise auch schon
in der Begründung des im Jahre 1879 dem Reichstage vorgelegten
Gesetzentwurfs zur Sicherstellung der Rechte der Pfandbriefinhaber
geschehen war; es sollte nach Ansicht der Motive verhütet werden, daß
die Pfandbriefbesitzer sich darauf verlassen, daß ihre Interessen durch
die Organe der Staatsregierung hinreichend wahrgenommen würden und
es somit einer Thätigkeit ihrerseits überhaupt nicht mehr bedürfe.
Wenn man nun auch vorbehaltlos zugeben wird, daß einer zu weit-
gehenden Aufsicht der Staatsregierung, sowohl im Hinblick auf die
juristische als auch die moralische Verantwortung, widerraten werden
muß, mit welcher dieselbe alsdann belastet werden würde, so kann
doch in der Einsetzung von Bankkommissarien eine Ueberschreitung
der bei Ausübung des Aufsichtsrechts einzuhaltenden Grenze nicht
erblickt werden. Die Thätigkeit der Bankkommissarien ist mit nichten
eine geschäftsleitende, es wird durch sie nicht etwa die geschäftliche
Dispositionsthätigkeit aus den Händen der Bankleitung in die Hände
23*
356 Nationalökonomische Gesetzgebung.
des staatlichen Organs gelegt, sondern es wird nur die Prüfung der
für den Geschäftsbetrieb wichtigsten Vorgänge durch eine an demselben
nicht interessierte Stelle nach der materiellen Seite garantiert; hierzu
erscheint aber der Staat geradezu verpflichtet, es sei denn, daß er durch
Beseitigung jeder, auch der lediglich nach der formellen Seite hin
geübten Ueberwachung das Publikum mit aller Deutlichkeit darauf
hinweisen wollte, daß er sich um die Geschäftführung der Hypotheken-
banken überhaupt nicht bekümmere. Eine Beseitigung der Staats-
aufsicht wird aber selbst von denjenigen nicht gewünscht, welche sonst
bestrebt sind, die Einmischung des Staates in die geschäftlichen und
gewerblichen Verhältnisse auf das geringste Maß zu beschränken. Mit
der Bestellung von Bankkommissarien sind in anderen Bundesstaaten
durchaus gute Erfahrungen gemacht worden, und man darf es wenigstens
teilweise der Thätigkeit und Wirksamkeit derselben zuschreiben, daß
Vorkommnisse, wie sie bei der Preußischen Hypothekenbank und der
Deutschen Grundschuldbank zu konstatieren waren, bei den süd-
deutschen Hypothekenbanken unbekannt geblieben sind. In Bayern
ist beispielsweise für jedes Bodenkreditinstitut neben dem reichs-
gesetzlich vorgeschriebenen Treuhänder ein besonderer Regierungs-
kommissar ernannt worden; derselbe nimmt nach einer sehr eingehenden
und sehr zweckmäligen Instruktion an allen Beratungen der Ver-
waltungsorgane der Bank teil, es sind ihm wirksame, inhaltreiche Be-
fugnisse eingeräumt worden, um Maßregeln zu verhüten bezw. zu be-
anstanden, welche sich für die Geschäftsführung als schädliche ergeben
würden, und auf diese Weise ist hier für eine höchst intensive Beauf-
sichtigung gesorgt, die auch in annähernd gleichem Maße ganz un-
möglich ist, wenn die Aufsicht in den Händen eines Decernenten der
betreffenden Ministerialabteilung liegt. Die Bestellung von Kommissarien
widerspricht auch keineswegs den Wünschen der Hypothekenbanken
selbst. Uebrigens hat bereits bei der Begründung der Preußischen
Central-Boden-Kredit-Aktiengesellschaft, die ja allerdings unter den
Banken eine besondere Stellung einnimmt, die preußische Regierung
zur Wahrung der staatlichen Aufsichtsgewalt einen Regierungskommissar
bestellt; derselbe hat nach dem Statut die Befugnis, die Ausgabe der
Centralpfandbrief- und Schuldverschreibungen der Gesellschaft und die
Einhaltung der hierfür und für die Sicherheit der Darlehen auf Hypo-
theken oder an Gemeinden in den Statuten vorgesehenen Bestimmungen
zu überwachen, er ist berechtigt, die Gesellschaftsorgane einschließlich
der Generalversammlungen giltig zu berufen, an ihren Beratungen teil-
zunehmen, von den Kassen, Büchern, Rechnungen und sonstigen Schrift-
stücken der Gesellschaft Einsicht zu nehmen, und er bezeugt unter den
auszugebenden Pfandbriefen, daß die statutengemäßen Vorschriften über
den Gesamtbetrag der auszugebenden Pfandbriefe beobachtet worden
sind. Die Rechte dieses Regierungskommissars entsprechen im wesent-
lichen den Befugnissen, welche die Bankkommissare in den süddeutschen
Staaten besitzen. Gleichwohl kann man nicht behaupten, daß die
Leitung der Geschäfte der Preußischen Central-Boden-Kreditgesellschaft
auf den Regierungskommissar übertragen worden sei, und eine derartige
Nationalökonomische Gesetzgebung. 357
Anschauung wird auch seitens des Publikums mit nichten gehegt. Es
ist nicht einzusehen, daß die Bestellung von Kommissarien mit gleichen
Rechten bei den übrigen Hypothekenbanken in dem Publikum die
gedachte Meinung erwecken würde. Die moralische Verantwortung
der Regierung für die Thätigkeit der Banken wäre ja dann allerdings
eine etwas gesteigerte, aber sie könnte dieselbe alsdann auch auf sich
nehmen, weil die intensive Kontrolle ihr die Möglichkeit eines steten
Einblicks in das Innere des Geschäftsbetriebs und so auch die Möglich-
keit verschaffen würde, bedenklichen oder gefährlichen Manipulationen
zu einer Zeit ihr Veto entgegenzusetzen, in welcher dasselbe noch die
wünschenswerte Einwirkung hervorbringen kann. Ob das Bank-
kommissariat im Hauptamt oder nur im Nebenamt zu verwalten ist,
dürfte sich nicht allgemein, sondern nur von Fall zu Fall beantworten
lassen; bestellt man dieselbe Persönlichkeit zum Bankkommissar für
mehrere Banken, so läßt sich allerdings die Versehung der Stelle im
Nebenamt nicht ermöglichen. Sehr beachtenswert ist die Anregung,
daß zu Bankkommissaren kaufmännisch und banktechnisch ausgebildete
Personen bestellt werden sollten; hierauf hat schon im Jahre 1898 die
Direktion der Preußischen Central-Boden-Kreditgesellschaft die Staats-
regierung hingewiesen, und es ist auf diesen Wunsch um so größeres
Gewicht zu legen, als die Vervollkommnung der Technik des Hypo-
thekenbankwesens und des Immobilienverkehrs überhaupt es immer
mehr mit sich bringt, daß ein zutreffendes Urteil über alle Einzelheiten
des schwierigen Geschäftsbetriebes und Geschäftszweiges ohne den
Besitz kaufmännischen und insbesondere banktechnischen Wissens kaum
möglich ist, die Kenntnis des bürgerlichen Rechts und des Verwaltungs-
rechts genügt dafür nicht. Es bedarf keiner Abänderung des Hypotheken-
gesetzes, um diese intensivere Ausgestaltung der Staatsaufsicht herbei-
zuführen; die Bundesregierungen, welche bisher von der Bestellung
von Bankkommissaren Abstand genommen haben, sind jeden Tag
auf Grund des Gesetzes in der Lage, dies zu thun. Es würde
also nur die Frage zu erwägen sein, ob nicht die Staatsaufsicht im
Sinne der vorstehenden Erörterungen obligatorisch vorzuschreiben sei.
Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß das dem Staate gewährte Auf-
sichtsrecht nicht nur ein Aufsichtsrecht, sondern zugleich auch eine
Aufsichtspflicht ist; wenn ein Bundestaat sich mit der Beaufsichtigung
einer Hypothekenbank nur insoweit beschäftigen wollte, als sich aus
der Notwendigkeit der Bestellung eines Treuhänders ergiebt, so würde
dies mit dem Reichsgesetz nicht in Uebereinstimmung stehen, und es
wär Sache des Reiches, in Gemäßheit der von der Ueberwachung der
Ausführung der Reichsgesetze handelnden Bestimmungen der Reichsver-
fassung hiergegen einzuschreiten. Dies in dem Gesetze schärfer zum
Ausdruck zu bringen, als biser geschehen, würde allerdings nicht zu
beanstanden sein, aber für unbedingt erforderlich ist eine solche Dekla-
ration, oder, wenn man will, authentische Interpretation, nicht zu er-
achten.
Die Umwandlung der fakultativen Kommissarien in obligatorische
durch eine bezügliche Aenderung des Reichsgesetzes ist vielfach em-
358 Nationalökonomische Gesetzgebung.
pfohlen worden und Bedenken lassen sich hiergegen kaum geltend
machen, sofern man nicht den Erwägungen beipflichtet, von welchen
die preußische Regierung sich früher hat leiten lassen. Unter dem
Drucke der öffentlichen Meinung hat auch die preußische Regierung
die Beaufsichtigung der Banken zu einer intensiveren gemacht, ohne
allerdings in dieser Beziehung bisher so weit zu gehen, wie es in anderen
Bundesstaaten, vor allem in Bayern, geschehen ist. Indessen dürfte auf die
Dauer die preußische Regierung insoweit hinter den anderen nicht zu-
rückbleiben können noch wollen, und-dieserhalb erscheint es nicht er-
forderlich, im Wege der Reichsgesetzgebung das fakultative Bankkom-
missariat in ein obligatorisches umzuwandeln; denn es kann mit
Sicherheit angenommen werden, daß diejenigen Hypothekenbanken,
deren Beaufsichtigung eine besonders weitreichende ist, von dem Publikum
dauernd bevorzugt werden; die preußischen Banken laufen also Gefahr,
durch die Konkurrenz der übrigen, insbesondere der süddeutschen, ge-
schädigt zu werden, und dieser Eventualität gegenüber wird die preu-
ßische Regierung kaum im stande sein, den bislang festgehaltenen
Standpunkt auch fernerhin zu vertreten. Genau genommen, handelt es
sich aber hierbei nicht nurum eine Eventualität, sondern um eine Folge,
die mit Sicherheit zu erwarten ist. Die Bevorzugung der süddeutschen
Banken vor und gegenüber den preußischen hat sich schon unmittelbar
nach dem Ausbruch der Katastrophe bei den beiden preußischen
Banken bemerkbar gemacht und ist auch in der Kursbewegung der
Pfandbriefe wohl zum Ausdruck gekommen; auch nachdem die Schwierig-
keiten der Pommerschen und Mecklenburgischen Bank bekaunt wurden,
trat diese Erscheinung auffällig genug zu Tage. Die Pfandbriefe der
süddeutschen Banken gelangten auch nicht annähernd in dem Male
auf den Markt, in welchem dies bezüglich der Pfandbriefe der nord-
deutschen konstatiert wurde, eine Beunruhigung des süddeutschen Pfand-
briefmarktes bestand nicht, was selbstverständlich die Direktionen der
süddeutschen Institute mit Genugthuung erfüllen mußte und thatsächlich
erfüllt hat. Das Publikum hält an dieser verschiedenartigen Be-
werthung preußischer Banken einerseits, süddeutscher andererseits, so
lange fest, als ihm nicht der Nachweis erbracht ist, daß die staatliche
Beaufsichtigung der ersteren mit der staatlichen Kontrolle der letzteren
gleichwertig und gleichbedeutend ist, und es wird sich in dieser seiner
Anschauung durch ministerielle Erklärungen um so weniger beirren
lassen, als ja die Thatsachen für die Richtigkeit seiner Auffassung
sprechen. Nicht mit Unrecht hat man gesagt, die Besorgnis bestehe,
daß die preußischen Hypothekenbanken, nachdem sie jahrzehntelang
durch ein zu geringes Maß von Freiheit im Wettbewerbe eingeengt
und nachteilig beeinflußt worden seien, nunmehr durch eine allzu große,
von ihnen selbst in richtiger Erkenntnis des allgemeinen Interesses
nicht gewollte Freiheit im Wettbewerb beschädigt werden könnten ').
Mit Rücksicht hierauf wird die intensivste Ausgestaltung der Staats-
aufsicht auch bei den preußischen Banken nicht zu umgehen sein; je
1) Vergl. Gutmann in No. 113 des Berliner Aktionär vom 2. Februar 1901.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 359
länger man damit zögert, um so schwerer wird es den preußischen
Banken fallen, das Publikum zu bestimmen, ihnen die gleiche Gunst zu-
zuwenden wie den süddeutschen. Für die Herbeiführung eines mög-
lichst gesunden und möglichst befriedigenden Zustandes auf dem Ge-
biete des ganzen Hypothenbankwesens könnte es aber nur von Nach-
teil sein, wenn infolge dieser Bevorzugung gewisser Banken vor den
anderen letztere veranlaßt würden, um den Konkurrenzkampf mit Erfolg
zu bestehen, sich auf Manipulationen einzulassen, welche im allgemeinen
Interesse nicht gebilligt werden können; die Geschichte des Hypotheken-
bankwesens hat ähnliche Erscheinungen schon einmal aufgewiesen. In
seiner trefflichen Arbeit über die deutschen Hypothekenbanken (Jena
1880) hat Julian Goldschmidt schon vor mehr als zwei Jahrzehnten
hierauf aufmerksam gemacht; er betonte, daß die preußischen Banken
durch die Ungunst der äußeren Existenzbedingungen in verderbliche
Bahnen gedrängt worden seien, welche sie zum, wenn auch nur vorüber-
gehenden Schaden der ihnen anvertrauten Interessen betreten hätten.
Der Konkurrenzkampf zwischen den preußischen und außerpreußischen
Banken sei ein in höchstem Grade ungleicher gewesen ` bei letzteren
habe eine liebevolle Pflege aller zur Erreichung der Anstaltszwecke
notwendigen und dienlichen Einrichtungen, eine freie, an keine Tax-
prinzipien gebundene Beleihungsgrenze bestanden, bei ersteren dagegen
die Aufstellung absoluter Normen, welche in ihrer prinzipiellen Ver-
kehrtheit aus einem nebenher zu berücksichtigenden Wertfaktor einen
Wertmaßstab gemacht habe, während in den außerpreußischen Bundes-
gebieten durch die Hinwegräumung aller Schranken für den konstanten
Zufluß der disponibeln Geldmittel, welche sich vorzugsweise zur Anlage
im soliden Grundkreditgeschäft eigneten, der Staat die Entwickelung
derselben mächtig gefördert habe. Es ist wohl angebracht, hieran zu
erinnern, da eine Erneuerung des damaligen Konkurrenzkampfes unter
den heutigen Verhältnissen einen ganz besonders nachteiligen Einfluß
ausiben würde nicht nur auf die Hypothekenbanken, sondern auch
weiter auf den gesamten Hypotheken- und Immobilienmarkt, den zu
verhüten um so mehr Veranlassung vorhanden ist, als das Vertrauen
des Publikums durch die Vorgänge, welche mit dem Zusammenbruch
der preußischen Hypothenbank und Grundschuldbank, und der beiden
anderen erwähnten Banken in Zusammenhang standen, ohnehin stark er-
schüttert worden ist.
Neben dem Mangel einer ausreichenden Staatsaufsicht istam schärfsten
die Stellung bemängelt worden, welche der Treuhänder nach dem
geltenden Gesetze hat. Man hat die Institution des Treuhänders überhaupt
für gänzlich bedeutungslos erklärt, weil ihm ja nicht das Recht zustehe,
die den Pfandbriefen als Unterlage und Deckung dienenden Hypotheken
auf ihre Güte zu prüfen; die formelle Bescheinigung des Treuhänders, daß
für den Pfandbrief, der zur Ausgabe gelangt, die gesetzlich vorge-
schriebene Hypothek vorhanden sei, wird als wertlos im Hinblick darauf
bezeichnet, daß nicht die Hypothek an sich, sondern nur eine gute, d.h.
sichere Hypothek eine ausreichende Sicherung des Pfandbriefbesitzers
bilde. Das Gesetz bestimmt bekanntlich, daß bei jeder Hypothekenbank
360 Nationalökonomische Gesetzgebung.
ein Treuhänder und ein Vertreter desselben durch die Aufsichtsbehörde
zu bestellen ist. Die Aufgabe des Treuhänders besteht darin, darauf
zu achten, daß die vorgeschriebene Deckung der Pfandbriefe vorhanden
ist und daß die zur Deckung bestimmten Hypotheken und Wertpapiere
in das Register eingetragen werden. Der Treuhänder hat weiter die
Pfandbriefe vor der Ausgabe mit einer Bescheinigung über das Vor-
handensein der vorgeschriebenen Deckung und über die Eintragung in
das Register zu versehen; die Urkunden über die in das Register ein-
getragenen Hypotheken, die eingetragenen Wertpapiere und das zur
Deckung der Pfandbriefe bestimmte Geld sind unter dem Mitverschluß
der Bank von ihm zu verwahren; wenn genügend Deckung verbleibt
oder anderweit beschafft wird, so hat er Urkunden, Papiere oder Geld
herauszugeben, ebenso wenn der Schuldner die Urkunde zurück verlangen
kann oder dieselbe vorübergehend gebraucht wird. Es ergiebt sich so-
mit, daß dem Treuhänder eine Prüfung der materiellen Seite der
Hypotheken nicht nur nicht obliegt, sondern auch nicht zusteht; der Treu-
händer würde ohne Zweifel über den ihm eingeräumten Zuständigkeits-
kreis wesentlich hinausgehen, wollte er die für den Pfandbrief erforder-
liche Bescheinigung um deswillen verweigern, weil er die Hypothek für
ungenügend oder selbst für wertlos hält. Der Gesetzgeber hat wohl
bewußt dem Treuhänder eine Stellung angewiesen, die in der Haupt-
sache ihn auf formale Kontrollmaßregeln beschränkt. Die Reichsgesetz-
gebung hatte ursprünglich zur Sicherung der Rechte der Obligationäre
die Bestellung eines Pfandhalters in Aussicht genommen; auf diesem
Standpunkte standen noch die Entwürfe von 1879 und 1880; der
Pfandhalter war gedacht als Vertreter der Pfandbriefgläubiger bei Be-
gründung und Erhaltung des Pfandrechts, das an den einzelnen zur
Unterlage der Pfandbriefe dienenden Hypotheken konstituiert wurde.
Im weiteren Verlaufe der Entwickelung wurde aber hiervon Abstand
genommen, wie die Motive des Hypothekenbankgesetzes ausführen, ge-
schah dies im Hinblick auf die Schwierigkeiten, welche der Aner-
kennung eines auch außerhalb des Konkurses geltenden Pfandrechts so-
lange entgegenstanden, als das Grundbuch noch nicht in allen Gebieten
des Reichs angelegt ist; ob nicht auch ein gewisser Einfluß der
Hypothekenbanken mitgewirkt hat, um aus dem Pfandhalter einen
Treuhänder zu machen, soll dahingestellt bleiben. Jedenfalls war es
richtig, die Bezeichnung Pfandhalter zu vermeiden, nachdem man sich
für einen Rechtszustand entschlossen hatte, demzufolge ein Pfand über-
haupt nicht zu erhalten war. Konsequent wäre es gewesen, dann auch
auf die Bezeichnung Pfandbrief zu verzichten, denn dieselbe verweist dar-
auf, daß für die ausgegebene Obligation eine Hypothek verpfändet sei,
was indessen nicht der Fall. Es kann nicht in Abrede gestellt werden,
daß diese Bezeichnung dem heutigen Rechtszustaude nicht entspricht
und zu Irreführungen des Publikums geeignet ist.
Die Wünsche, welche auf eine Aenderung der für die Stellung
und Befugnisse der Treuhänder maßgebenden Bestimmungen gerichtet
sind, erstreben zunächst eine Prüfung des wirklichen Wertes der
Hypotheken durch die Treuhänder. Ueberträgt man aber den Treu-
Nationalökonomische Gesetzgebung. 361
händern diese Befugnis, die gleichzeitig eine Verpflichtung enthalten
würde, so wird die Stellung derselben grundsätzlich verändert. Die
Ernennung der Treuhänder ist nach dem geltenden Rechte Sache der
Regierung ` trotzdem haben sie nicht den Charakter von Staatsbeamten,
sondern sie gelten als Vertreter der Pfandbriefbesitzer, als Vertreter,
die allerdings nicht von den Vertretenen selbst gewählt, sondern von
einem unabhängigen Organ, der Aufsichtsbehörde, ernannt werden; aber
dieser Umstand beeinträchtigt diesen ihren Charakter mit nichten. Die
Vertreter haben aber natürlich das Interesse der von ihnen Ver-
tretenen stets zu wahren, und dieserhalb würden die Treuhänder bei
Erstreekung ihrer Befugnisse auf die Prüfung der Hypothek darauf zu
achten haben, daß die Beleihungen möglichst wenig umfangreich. seien,
denn die Sicherheit der Pfandbriefbesitzer ist um so größer, je kleiner
die Hypothekensumme, um so kleiner, je größer die Hypothek. Kon-
fikte zwischen den Banken und den Treuhändern wären dann an der
Tagesordnung, und ob die Regierungen, welchen zufolge gesetzlicher
Vorschrift die Entscheidung dieser zusteht, in der Lage sein würden,
regelmäßig oder auch nur in den meisten Fällen zu Gunsten der An-
sicht der Treuhänder zu entscheiden, ist doch zweifelhaft. Wenn man
die Beleihungsfrage lediglich unter dem Gesichtspunkte der Interessen
der Pfandbriefbesitzer beantworten wollte, so würde die Befriedigung
des Realkreditbedürfnisses ganz erheblich erschwert werden. Mit Recht
hat Goldschmidt schon vor Jahren gesagt, daß die Hypothekenbanken
nicht schlechthin Produktionsstätten sicherer Kapitalsanlagen seien, sie
dienen den Bedürfnissen des Grundkredits, zu ihrer Befriedigung ver-
schaffen sie sich fremde Kapitalien und die staatliche Aufsichtsbehörde
hat dem gemäß bei ihren Entschließungen sowohl diesen Interessen als
auch den Interessen der Pfandbriefbesitzer Rechnung zu tragen. Als
ausgesprochene Vertreter des letzteren können aber die Treuhänder
eine solche Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen, der Kredit-
geber und der Kreditnehmer, nicht in befriedigender Weise vornehmen,
und es erscheint daher auch nicht angängig ihnen die Prüfung der
Hypotheken in materieller Beziehung zu übertragen. Zu dieser sind
Organe berufen und geeignet, welchen die Parteistellung nicht eigen ist,
die Bankkommissare. Es beruht also nicht etwa auf einem juristischen
Formaliemus, wenn die materielle und formelle Prüfung getrennt und
verschiedenen Organen übertragen wird, sondern auf wohlerwogenen,
aus der Stellung des Treuhänders sich ergebenden Gründen. Es be-
darf aber auch gar nicht der Erweiterung der Rechte der Treuhänder
in dieser Richtung, wenn die Regierungen allenthalben von der Befug-
nis Gebrauch machen, die Banken durch Bankkommissare beaufsichtigen
zu lassen. Sehr zutreffend sagt Gutmann, daß der Treuhänder wohl
in dem Staatskommissar, dagegen nicht der Staatskommissar in dem
Treuhänder aufgehen könne!), Hieran muß jedenfalls so lange festge-
halten werden, als die Reichsgesetzgebung nicht der Ansicht ist, daß
es zweckmäßig sei, das Institut der Treuhänder zu beseitigen und zu
aaO, Aktionär, No. 113,
362 Nationalökonomische Gesetzgebung.
dem ursprünglich geplant gewesenen Institut der Pfandhalter zurück-
zukehren; es besteht aber kein Grund, anzunehmen, daß die Reichs-
gesetzgebung innerhalb kürzester Frist den Anschauungen untreu ge-
worden sei, die sowohl in der Begründung des Hypothekenbankgesetzes
als auch im Laufe der parlamentarischen Verhandlungen mit großer
Entschiedenheit vertreten wurden. Aus diesen Gründen muß also gegen-
über den Anregungen, den Treuhändern die Prüfung der Qualität der
Hypotheken zu übertragen, eine ablehnende Haltung eingenommen werden.
Nicht maßgebend erscheint es dagegen für die Bekämpfung dieser
Forderung, wenn man gesagt hat, daß die zu Treuhändern bislang er-
nannten Personen gar nicht imstande seien, die Güte einer Hypothek
nachzuprüfen. Allerdings ist nicht in Abrede zu stellen, daß Personen,
welche lediglich eine juristische Ausbildung erhalten haben und der
Praxis des Hypothekenverkehrs fernstehen, hierzu nicht geeignet er-
scheinen; es müßten Persönlichkeiten zu Treuhändern ernannt werden,
welche sowohl zur juristischen als auch zur wirtschaftlichen Prüfung
der Hypotheken die entsprechende Fähigkeit besitzen. Solche Persön-
lichkeiten mögen nicht in allzu großer Anzahl vorhanden sein, jeden-
falls besteht kein derartiger Mangel an ihnen, daß die Besetzung der
Stellen der Treuhänder mit ihnen auf ernstliche Schwierigkeiten stoßen
würde. Es kommt indessen nach den obigen Ausführungen auf diesen
mehr nebensächlichen und ziemlich bedeutungslosen Umstand in keiner
Weise an.
Nach einer anderen Richtung bewegt sich die Anregung, eine Ab-
änderung des $ 31 des Gesetzes vorzunehmen; inhaltlich dieser Vor-
schrift ist die Urkunde von dem Treuhänder herauszugeben, wenn die-
selbe vorübergehend gebraucht wird; diese Bestimmung ermöglicht, wie
aus den Manipulationen bei der preußischen Hypothekenbank ganz un-
zweideutig zu ersehen ist, die Entfremdung der Hypothekenurkunden
und damit die Beseitigung der Sicherungsgrundlage für die Pfandbriefe.
Es ist bezweifelt worden, daß es möglich sei, auf dem Boden des
geltenden Rechts und im Wege des Erlasses von Verwaltungsanord-
nungen und Instruktionen an den Treuhänder eine Sicherung hiergegen
zu schaffen; diese Zweifel sind indessen kaum berechtigt; aus der Pflicht
des Treuhänders darauf zu achten, daß die vorgeschriebene Deckung
der Pfandbriefe stets vorhanden ist, ergiebt sich sein Recht, auch bei
der vorübergehenden Herausgabe der Urkunde geeignete Maßnahmen
zu treffen, damit die Hergabe zu vorübergehenden Zwecken nicht zu
einer Verminderung des Deckungsbestandes und Deckungsmaterials wird;
auch dieses Recht ist gleichzeitig als eine Pflicht zu erachten und es
beruht auf einer falschen Auslegung des mißverstandenen, freilich auch
mißverständlichen $ 31, wenn man geglaubt hat, daß dem Treuhänder
bei dem vorübergehenden Gebrauch der Urkunde die Möglichkeit der
Verhinderung des Mißbrauchs und der Entziehung nicht zustehe. Nach-
dem nun aber die Richtigkeit dieser Anschauung bezweifelt worden ist,
würde die Ergänzung, bezw. die Deklaration des Gesetzes insoweit nur
zu befürworten sein: denn es ist selbstverständlich, daß die gesetzlich
vorgeschriebene Deckung auch nicht auf Umwegen beeinträchtigt oder
Nationalökonomische Gesetzgebung. 363
vermindert werden darf. Soll die Wirksamkeit des Treuhänders über-
aupt eine praktische Bedeutung besitzen, so muß doch zum mindesten
ürch sie einer derartigen Manipulation vorbeugend begegnet werden
nnen, Hierfür bietet das Gesetz heute schon die Handhabe und die
evision desselben kann insoweit nur die Aufgabe haben, dies jedem
Weifel zu entrücken.
Von jeher hat man die Aufstellung richtiger Bewertungsgrundsätze
bei den zu beleihenden Grundstücken als die bei weitem wichtigste
und die bei weitem schwierigste Frage der ganzem Materie betrachtet.
„Alle übrigen Fragen“, sagt Riesser mit Recht, „selbst die der recht-
lichen Sicherstellung der Pfandbriefgläubiger, verschwinden dagegen.
Denn daß den letzteren ihr Pfand- oder Vorzugsrecht recht wenig nützt,
wenn schließlich im Konkurse der Bank, wie dies leider ja schon ge-
schehen ist, festgestellt wird, daß die Grundlage der Pfandbriefe, die
hypothekarische Beleihung, nach falschen Grundsätzen oder in leicht-
fertiger Weise erfolgt ist, bedarf keiner näheren Ausführung.“ Das
geltende Gesetz beschränkt sich in Ansehung dieser Frage auf die Be-
stimmung, daß der angenommene Wert des verpfändeten Grundstücks
den Verkaufswert nicht übersteigen darf. Schätzen öffentliche Behörden
vor der Beleihung die Grundstücke ab, so kann der Bundesrat vor-
schreiben, daß der solchergestalt ermittelte Wert den bei der Be-
leihung angenommenen Wert nicht übersteigen darf. Im übrigen hat
die Bank eine Anweisung über die Wertermittelung zu erlassen, die
von der Aufsichtsbehörde zu genehmigen ist. Leider ist der vor dem
Erlaß des Gesetzes gegebenen Anregung, eine Centralstelle für die Be-
obachtung und Ueberwachung der Praxis einer möglichst großen An-
zahl von verschiedenartigen Hypothekenbanken bei der Wertermittelung
zu errichten, nicht Folge gegeben worden, und so besteht auch heute
noch der schon längst bekannte und auch längst beklagte Zustand fort,
daß die Wertermittelung (Taxation) im einzelnen eine überaus ver-
schiedene ist. Unsolide Taxationen haben wiederholt schon Hypo-
thekenbanken in Schwierigkeiten gebracht und auch bei der preußischen
Hypothekenbank, der Pommerschen Bank sowie der Grundschuldbank
spielten unsolide Taxen eine große Rolle. In den älteren Provinzen
Preußens fehlt es an allseits unabhängigen, mit der nötigen Sachkennt-
nis ausgestatteten behördlichen Organen, welche die zu beleihenden Grund-
stücke taxieren; während solche in den neueren Provinzen sowie in
verschiedenen Bundesstaaten teilweise existieren. Auch in Ansehung
dieses Punktes bleiben die Einrichtungen in Preußen hinter den in
anderen Gebieten des Reichs bestehenden wesentlich zurück. Man hat
es mit vollem Recht bedauert, daß in Preußeu nicht Behörden wie
die Ortsgerichte in Hessen, die Feldgerichte in Nassau bestehen, welche
die Taxationen in durchaus unparteiischer, sachkundiger Weise vornehmen ;
in der That ist die Errichtung von Taxämtern, welche nach Art dieser
Behörden zusammengesetzt sind, zum Zwecke der Herbeiführuug be-
friedigender Zustände auf dem Gebiete des Taxwesens unentbehrlich.
So lange die Taxation auf der Thätigkeit von Personen beruht, welche
den Hypothekenbanken näher stehen und in wirtschaftlicher bezw.
364 Nationalökonomische Gesetzgebung.
finanzieller Hinsicht an denselben interessiert sind, können und werden
unsolide und unvorsichtige Bewertungen vorkommen, so lange besteht
gar keine Garantie dafür, daß man bei der Abschätzung lediglich nach
sachlichen Gesichtspunkten verfahren ist. Bei den Landschaften hat
man sich von jeher einer äußerst vorsichtigen Taxation befleißigt, welche
eine Gewähr dafür bietet, daß zu hohe Beleihungen nicht vorgenommen
wurden. Die Taxatoren der Landschaften sind Mitglieder derselben,
sie haben somit ein eigenes und unmittelbares Interesse daran, daß die
Beleihung keine zu hohe, die Wertbemessung keine übermäßige ist,
und es kann nicht bestritten werden, daß gegen die landschaftlichen
Schätzungen sich viel eher der Vorwurf einer übervorsichtigen und allzu-
ängstlichen Wertbemessung erheben läßt als der gegenteilige. Hierbei
darf nicht unerwähnt bleiben, daß die landschaftlichen Taxen Wert-
taxen im eigentlichen Sinne nicht sind, auch nicht als solche zelten
wollen. Der Grundsatz, von welchem die Landschaft bei der Taxation
ausgeht, ist derjenige, daß Verluste, welche ihr aus zu hohen Be-
leihungen etwa erwachsen könnten, unter allen Umständen vermieden
werden müssen. Man berücksichtigt daher den derzeitigen Ertrags-
wert eines Gutes nur ganz vereinzelt und in sehr unerheblichem Maße.
Die landschaftliche Taxe bleibt dieserhalb hinter dem Ertragswert sehr
häufig in namhafter Weise zurück. Wegner nimmt im Anschluß an
von der Goltz an, daß die Landschaften durchgängig Grundstücke nur
bis zu der Hälfte des Ertragswertes beleihen, obwohl sie fast allent-
baiben eine Beleihungsgrenze bis zu ?/, des Taxwertes festgesetzt
haben!) Wenn nun auch eine ängstlichere Bewertung bei landwirt-
schaftlichen Grundstücken als bei städtischen ohne weiteres notwendig
erscheint, so muß doch gesagt werden, daß die Landschaften insoweit
manchen Hypothekenbanken, vor allem den in Norddeutschland domi-
zilierten, als Vorbild dienen konnten. In den Gebieten, in welchen die
Taxationen in den Händen unabhängiger Organe liegen, ist man damit
in der Hauptsache zufrieden. Die Errichtung solcher kollegialer Organe
nach Art der Feldgerichte, Ortsgerichte u. s. w. stößt keineswegs auf
große Schwierigkeiten; erwägt man, daß in Preußen die Errichtung von
Bauschöffenämtern geplant ist, welche bei der Ausführung der seitens
des Reichs zu erlassenden Vorschriften über die Sicherung der Rechte
der Bauhandwerker als Ausführungsorgane gedacht sind, so wird man
vielleicht die Anschauung vertreten, daß diesen Bauschöffenäntern auch
die Taxation des städtischen Grundbesitzes übertragen werden könnte.
Der Gedanke soll jedoch an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden.
Auf die Einzelheiten der Organisation dieser kollegialen Organe kommt
es dabei mit nichten an, es muß nur als maßgebender Grundsatz fest-
gehalten werden, daß bei der Besetzung derselben die Hypothekenbanken
ebensowenig mitzuwirken haben wie die Aufsichtsbehörden derselben;
die Vertretungen der Gemeinde sind allein berufen, die Besetzung vor-
zunehmen. Wenn die Taxen durch unabhängige, unbeeinflußte und
sachkundige Taxämter vorgenommen werden, so dürfte es wohl nicht
1) Wegener, Annalen des Deutschen Reichs, 1898, S. 596.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 365
mehr möglich sein, daß in verhältnismäßig zahlreichen Fällen die Be-
leihungen auf der Grundlage von Taxen beruhen, in Ansehung, welcher
D nicht als ganz unberechtigt erscheinen will, wenn man gesagt hat,
es handle sich nicht um Taxen, sondern um Faxen. Alle anderen
arantien, welche zum Schutze gegen Malversationen und unsolide Ge-
Schäftsführung der Banken in dem Gesetze aufgestellt werden, mögen
noch so wertvoll, noch so bedeutungsvoll sein, die vorsichtige und sach-
liche Taxation übertrifft sie an Wichtigkeit bei weitem, sie bildet ge-
wissermaßen den Mittel- und Schwerpunkt aller Maßregeln, welche die
Sicherung der Pfandbriefbesitzer zum Gegenstand haben. Auch auf
diesem Gebiete kann eine weitgehende Verbesserung der bisherigen
Zustände erreicht werden, ohne daß es erforderlich ist, das Hypotheken-
bankgesetz zu revidieren. Ob in Preußen die Errichtung von Taxämtern
der bezeichneten Art auf dem Verordnungswege erfolgen kann, oder
ob hierfür der Erlaß eines Landesgesetzes erforderlich erscheint, ist
eine Frage von verhältnismäßig nebensächlicher Wichtigkeit, auf welche
daher im Rahmen dieser Auseinandersetzungen nicht einzugehen ist.
Es ist aber selbstverständlich, daß sich die Bevorzugung derjenigen
Banken, deren Beleihungen auf den Taxen unabhängiger Organe des
öffentlichen Rechts beruhen, mit der Zeit sehr bemerkbar machen muß,
denn das Publikum ist genügend unterrichtet, um den Unterschied
zwischen einer orts- bezw. feldgerichtlichen Taxation und der Taxation
eines Baumeisters zu erkennen, welcher dem betreffenden Bodenkredit-
institut einen nicht unbeträchtlichen Teil seiner Einnahmen verdankt.
Die preußischen Banken, welche nicht in der Lage sind, sich der
Taxationen von Ortsgerichten, Feldgerichten und ähnlichen Organen
bedienen zu können, laufen also auch insoweit Gefahr, durch die Kon-
kurrenz der anderen Banken geschädigt zu werden, und diese Gefahr ist,
wie jeder Sachkenner zugeben wird und muß, nicht zu unterschätzen.
Bei der Frage, in welcher Weise und auf welchem Wege den
Pfandbriefbesitzern ein Vorrecht vor anderen Gläubigern der Banken
zu gewähren wäre, hat die Reichsgesetzgebung verschiedene Entwicke-
lungsstadien durchgemacht. Nach dem geltenden Rechte genießen die
Pfandbriefbesitzer ein Vorrecht, indessen nur ein Vorrecht im Konkurs-
verfahren, nicht auch außerhalb desselben ; in Ansehung der Befriedigung
aus den in das Hypothekenregister eingetragenen Hypotheken und
Wertpapieren gehen die Pfandbriefgläubiger den übrigen Gläubigern
vor; das Gleiche gilt in Ansehung von Geld, welches der Treuhänder
zur Deckung der Pfandbriefe verwahrt. Im übrigen stehen die Pfand-
briefgläubiger im Konkursverfahren den absonderungsberechtigten
Gläubigern gleich. Das Gesetz steht insoweit in Uebereinstimmung
mit der Regelung, welche die Frage in Frankreich und Oesterreich
erfahren hat. In den früheren Entwürfen von 1879 und 1880 nahm
die Gesetzgebung einen anderen Standpunkt ein, sie wollte den Pfand-
briefbesitzern ein auch außerhalb des Konkurses wirksames Pfandrecht
zuerkennen, welches an den einzelnen zur Unterlage der Pfandbriefe
dienenden Hypotheken bestehen sollte. Die Gründe, aus welchen man
diesen Standpunkt verlassen hat, werden in den Motiven des Hypotheken-
366 Nationalökonomische Gesetzgebung.
bankgesetzes dahin formuliert: „Einer solchen Regelung (nämlich der
in den genannten Entwürfen in Aussicht genommenen) bereitete die
Verschiedenheit der Formen, welche die geltenden Landesgesetze für
die Bestellung eines Pfandrechts an hypothekarischen Forderungen vor-
schreiben, erhebliche Schwierigkeiten, da trotz dieser Rechtsverschieden-
heit einheitliche Bestimmungen über die Pfandbestellung der Hypotheken-
banken zu treffen waren. Schon bei der Erörterung der Entwürfe ist
das Bedenken erhoben worden, daß es mit der Rechtssicherheit nicht
verträglich sei, für einen bestimmten Fall der Verpfändung einer
Hypothek die in anderen Fällen anwendbaren Rechtsgrundsätze zu
durchbrechen. Das Bürgerliche Gesetzbuch schafft nunmehr freilich ein
einheitliches Recht, dem sich auch die Bestimmungen über die Be-
stellung eines Pfandrechts für Pfandbriefgläubiger anschließen könnten.
Allein die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs, welche das Grund-
buchrecht betreffen, kommen nicht schon mit der Einführung des Gesetz-
buchs überall zur Anwendung; sie gelten vielmehr erst von dem Zeit-
punkte an, in welchem für die einzelnen Grundbuchbezirke das Grundbuch
als angelegt anzusehen ist und die Fertigstellung der Grundbücher wird
in manchen Gebieten noch geraume Zeit in Anspruch nehmen. Ein
Gesetz, das die Sicherung der Pfandbriefgläubiger mittels einer Pfand-
bestellung verwirklichen wollte, müßte deshalb, wenn auch nur vorüber-
gehend, ein doppeltes Recht schaffen; es müßte für den einen Teil des
Reichsgebietes Bestimmungen treffen auf der Grundlage des Bürgerlichen
Gesetzbuchs und andererseits Vorschriften geben, die einstweilen noch
da zu gelten hätten, wo das Grundbuch noch nicht angelegt ist. Es
liegt auf der Hand, daß in solcher Weise eine sehr verwickelte Rechts-
lage entstände, die nicht nur große Unzuträglichkeiten für die Hypo-
thekenbanken, sondern auch manche Weiterungen für die Hypotheken-
schuldner zur Folge haben würde“. Abgesehen hiervon war man auch
der Meinung, daß durch ein Vorrecht der Pfandbriefbesitzer resp.
Gläubiger im Konkurse dem praktischen Bedürfnis Rechnung getragen
würde. „Die weitergehende Sicherung“, so fahren die Motive fort,
„die ein Pfandrecht bieten könnte, besteht in dem Schutze gegen Ver-
fügungen der Bank über die Hypotheken und gegen eine Pfändung
von Hypotheken durch andere Gläubiger. Was den Schutz gegen un-
befugte Verfügungen der Bank betrittt, so wird derselbe insoweit, als
er sich ohne Benachteiligung der Hypothekenschuldner durchführen
läßt, schon durch die Vorschrift des $ 27 Abs. 2 des Entwurfs gewährt,
wonach mit Gefüngnis und Geldstrafe bestraft wird, wer für eine
Hypothekenbank wissentlich über eine in das Hypothekenregister ein-
getragene Hypothek durch Abtretung oder Belastung verfügt, obwohl
die übrigen in das Register eingetragenen Hypotheken zur Deckung
der Pfandbriefe nicht genügen. Die Möglichkeit, daß eine Hypotheken-
forderung den Pfandbriefgläubigern durch die von einem anderen
Gläubiger vorgenommene Pfändung entzogen wird, ist allerdings nach
dem Entwurf nicht ausgeschlossen; sie ist indessen ohne praktische
Bedeutung, und sobald sich die Lage einer Hypotkekenbank derart
gestaltet hat, daß Pfindungen in Frage stehen, wird es auch unverweilt
Nationalökonomische Gesetzgebung. 367
zur Eröffnung des Konkursverfahrens kommen.“ Die Erwägungen,
Welche in den vorstehenden Ausführungen enthalten sind, können nun
freilich auf vorbehaltlose Billigung und Zustimmung einen Anspruch
ucht erheben; auch wenn die Richtigkeit des leitenden Gedankens im
allgemeinen zugegeben wird, dürfte man doch die eine und andere
ehauptung mit einem großen Fragezeichen versehen. Indessen hat die
Streitfrage, ob das Vorrecht innerhalb des Konkursverfahrens dem auch
außerhalb desselben wirksamen Pfandrecht oder umgekehrt dieses jenem
vorzuziehen ist, genau genommen nur einen theoretischen Wert; in
praktischer Hinsicht spielt sie eine recht nebensächliche Rolle. Wenn
Riesser bemerkt: „In der Praxis wird die Sicherheit der Pfandbriefe
doch im großen und ganzen ausschließlich von drei Momenten abhängen:
1) von der Solidität der Geschäftsführung der Hypothekenbanken;
2) von zweckdienlichen Vorschriften über die Natur der zur hypo-
thekarischen Unterlage (zur Deckung) der Pfandbriefe zuzulassenden
Objekte und von der richtigen Ausführung dieser Vorschriften, sowie
3) von vorsichtiger Handhabung sachgemäßer Beleihungsgrundsätze“, so
ist das vorbehaltlos zutreffend. Wenn diese drei Voraussetzungen vor-
handen sind, so ist die Entstehung einer Gefahr für die Pfandbrief-
gläubiger so gut wie ausgeschlossen, die Frage, ob Pfandrecht oder
Vorrecht den Vorzug verdient, kommt also gar nicht in Betracht. Ist
dies aber nicht der Fall, so steht der Zusammenbruch der Bank im
Hintergrunde, dem regelmäßig der Konkurs folgen wird. Allerdings ist
auch Zusammenbruch ohne nachfolgenden Konkurs möglich, wie ja die
Entwickelung der Katastrophe auf dem Hypothekenbankmarkte im
Jahre 1901 zeigt. Wenn der Konkurs hierbei zum Teil vermieden
bezw. wieder aufgehoben worden ist, so haben sich die Pfandbrief-
gläubiger bei ihrem diesbezüglichen Verhalten von der vollkommen zu-
treffenden Erwägung leiten lassen, daß mit Rücksicht auf die unglaub-
liche Terrainanhäufung in den Händen der Bank, im Hinblick auf das
Verhältnis zu verschiedenen industriellen und kommerziellen Unter-
nehmungen und schließlich auch im Hinblick auf die recht fragwürdige
Qualität einer Anzahl von Hypotheken ihre Interessen bei der Durch-
führung des Konkursverfahrens trotz des Vorrechts noch mehr ge-
schädigt werden würden als bei einer Liquidation. Es lassen sich aus
der besonderen Eigenart dieses Falles allgemeine Schlüsse gegen die
Richtigkeit der Anschauungen der Motive des Gesetzentwurts nicht
ableiten und es ist nicht bedeutungslos hervorzuheben, daß während der
Vorbereitung des Gesetzes der Standpunkt, welchen es in dieser Frage
eingenommen hat, von seiten der Kritik durchgängig gebilligt wurde,
nicht nur von der juristischen, sondern auch von der wirtschaftlich-
finanziellen. Eine Aenderung des Gesetzes ist insoweit daher nicht
erforderlich, man kann noch weiter gehen und behaupten, nicht
wünschenswert. Uebrigens darf auch als sicher angenommen werden,
daß die Reichsgesetzgebung sich zu derselben in den nächsten Jahren
schon aus technisch-juristischen Gründen nicht verstehen wird; vor der
Anlegung des Grundbuchs in allen Bezirken Deutschlands würde in der
That die Konstituierung eines außerhalb des Konkursverfahrens wirk-
368 Nationalökonomische Gesetzgebung.
samen Pfandrechts einen recht verwickelten, um nicht zu sagen ver-
worrenen Rechtszustand zur Folge haben, der für die Hypothekenbanken
ebensowenig von Vorteil wäre wie für die Pfandbriefgläubiger. Die
übermäßige Bedeutung, welche man auf die Regelung dieser Frage von
jeher gelegt hat und auch jetzt noch legt, ist mit nichten berechtigt,
und es wäre überaus zu bedauern, wenn man unter dem Eiuflusse
mancher Aeußerungen in der politischen und Fachpresse in der Um-
wandlung des Vorrechts der Pfandbriefgläubiger in ein Pfandrecht mit
den wichtigsten der Punkte erblicken würde, um welche es sich bei
der eventuellen Revision des Hypothekenbankgesetzes handeln kann.
Die Vorschriften des Gesetzes über die bei der Aufstellung der
Bilanzen seitens der Banken zu beobachtenden Grundsätze gehören wohl
mit zu denjenigen, welche als besonders gelungen bezeichnet werden
können; man war seiner Zeit, als das Gesetz vorbereitet wurde, im
allgemeinen‘ darüber einig, daß denselben ziemlich vorbehaltlos zuge-
stimmt werden könne und heute noch ist man in den Bankkreisen und
auch außerhalb derselben der Ansicht, daß der Gesetzgeber insoweit in
der Hauptsache das Richtige getroffen habe. Jedoch hat neuestens die
Behandlung des Disagiogewinnes aus den eigenen Obligationen der
Banken den Gegenstand einer lebhaften Erörterung gebildet und dem
preußischen Ministerium für Landwirtschaft Veranlassung gegeben, die
Aufsichtsbehörden der Banken darauf hinzuweisen, der Ausschüttung
des Disagiogewinnes durch den Rückkauf der eigenen Obligationen
entgegenzutreten sei, weil darin mit Recht eine unwirtschaftliche Maßregel
zu erblicken ist, durch welche der Vermögensbestand der Bank beein-
trächtigt wird. Der Erlaß des Ministers verlangte die Einstellung der
eigenen Pfandbriefe in die Bilanz, während bisher von verschiedenen
Banken an dem Verfahren festgehalten wurde, die eigenen Pfandbriefe
sowohl aus dem Aktiv- wie dem Passivkonto der Bilanzen hinwegzu-
lassen. Die Uebereinstimwunng dieses Verfahrens mit dem geltenden
Recht ist auch in dem Erlaß des Ministers nicht angezweifelt worden.
Die Gesetzgebung ist in Ansehung dieser Frage nicht so klar, wie es
zu wünschen wäre und es wird daher ihre Ergänzung bezw. Deklaration
allerdings bei der Revision in das Auge gefaßt werden müssen. Eine
solide Bilanzierung muß davon ausgehen, daß der Ausfall, der sich bei
der Uebernahme der eigenen Obligationen unter dem Nominalwert
ergiebt, nicht als Gewinn im eigentlichen Sinne anzusehen ist und daher
bei der Ausschüttung unberücksichtigt bleiben muß. Ueber die Be-
handlung des Disagios bei der Bilanzaufstellung der Aktiengesellschaften
überhaupt war man früher vielfach geteilter Ansicht, heute kann in-
dessen die Auffassung als die herrschende bezeichnet werden, daß das
Disagio keinen Posten des Aktivsaldos bildet; dieselbe wird von den
meisten Kommentatoren des Handelsgesetzbuches vertreten und genießt
auch, soweit ersichtlich, den Beifall der Rechtsprechung. Der Erlal
des Ministers beruht auf der Erwägung, daß in Zeiten niedrigen Kurs-
standes durch die Aufnahme von Pfandbriefen unter dem Nominalwert
ein wesentlicher Disagiogewinn erzielt werde, an dessen Stelle aber im
Falle des Wiederverkaufs ein wesentlicher Disagioverlust trete. Wenn
Nationalökonomische Gesetzgebung. 369
der Gewinn am Ende des Jahres verrechnet werde, indem die unter
ari aufgenommenen Pfandbriefe in der Bilanz beiderseits abgeschrieben
Würden, so werde das neue Jahr bei dem Wiederverkauf sofort mit
einem Verluste beginnen. Demgegenüber erscheine es aber richtiger,
die aufgenommenen Pfandbriefe in das Aktivsaldo zu ihrem Ankaufs-
preis einzustellen und die Umlaufziffer unverändert zu erhalten; das
alte Jahr habe dann allerdings keinen Disagiogewinn zu verzeichnen,
dafür beginne aber das neue auch nicht mit einem Verluste. Diese
Ansicht, von der allerdings nicht bezweifelt werden kann, daß sie mit
dem geltenden Rechte vollkommen in Einklang steht, ist von seiten
der Praktiker mehrfach bekämpft worden und zwar unter dem Gesichts-
punkte, daß sie der wirtschaftlich-finanziellen Beurteilung der bezüglichen
Verhältnisse durchaus widerspreche und sich durch formal-juristische
Gesichtspunkte leiten lasse. Man betonte, daß der Disagiogewinn in
Wirklichkeit ein Gewinn sei und auch von dem Gesetze selbst als
solcher betrachtet werde. Wenn die Bank für eine Million Pfandbriefe
zu dem Kurs von 90 Proz. zurückkaufe, so habe sie nicht für 900 000 M.
ihrer bestehenden Schuld getilgt, sondern für eine Million. Wenn die
juristische Anschauung dahin gehe, daß die Schuld so lange bestehe,
als die Urkunde noch nicht vernichtet sei, so stehe dieselbe in direktem
Gegensatz zu der wirtschaftlich-finanziellen und sie führe zu sehr be-
denklichen Konsequenzen. Ohne des weiteren auf die Frage einzugehen,
die ohne genaue Behandlung der Banktechnik kaum in erschöpfender
Weise zu erörtern ist, sei so viel hervorgehoben, daß dieser Gegensatz
zwischen wirtschaftlich-finanzieller und juristischer Beurteilung doch
jedenfalls nicht in dem hier behaupteten Maße besteht. Auch nach der
juristischen Beurteilung wird die Tilgung der Schuld durch Rückkauf
der Pfandbriefe bis zu der Höhe des Nominalwertes derselben wohl
vertreten werden können und zwar um deswillen, weil der Rückkauf
eine Vereinigung der Gläubiger- und Schuldnerrechte in derselben Hand
bezw. in derselben Person ist und somit ein Erlöschen des Schuldver-
hältnisses bewirkt, da grundsätzlich niemand sein eigener Schuldner
sein kann. Jedenfalls wird die gesetzliche Ordnung dieser Frage nicht
unterlassen werden können, das Gesetz hat zwar eine Bestimmung
über die Verteilung des Agiogewinns auf eine gewisse Reihe von Jahren,
aber es entbehrt einer Vorschrift über die Verteilung des Disagio-
gewinns in gleicher Weise. Das ist eine Lücke, die zweifellos aus-
gefüllt werden muß. Soweit an die Stelle der aufgenommenen Pfand-
briefe höher verzinsliche treten, wird der Zinsüberschuß der Hypothek
über die Pfandbriefzinsen verringert und damit gleichzeitig vermindert
der Gewinn der nächsten Jahre. Es entspricht aber den Grundsätzen
einer guten Wirtschaft, daß mit dem Disagiogewinn des gegenwärtigen
Jahres die Zinsüberschüsse der folgenden Jahre verbessert werden, und
es erscheint hierbei als bedeutungslos, ob der Disagiogewinn auf dem
Zinsenkonto oder auf einem Specialkonto für Disagiogewinn verbucht
wird. Die Hypothekenbanken haben sich zum großen Teile wiederholt
für eine Behandlung der Frage in diesem Sinne erklärt, und es darf
Dritte Folge Bd, XXIII (LXXVIII). 24
370 Nationalökonomische Gesetzgebung.
angenommen werden, daß bei der Revision des Gesetzes dieser Aut-
fassung ein unzweideutiger Ausdruck gegeben werden wird.
Auch die Vorschriften über die Beschränkung des Geschäftskreises
der den Banken gestatteten Geschäfte sind als unzureichend bemängelt
und getadelt worden; man hat es im Hinblick auf die Vorgänge bei
der deutschen Grundschuldbank gerügt, daß die Banken in der Lage
seien, Grundstücke zu Spekulationszwecken zu erwerben und bis zu dem
Zeitpunkt des Verkaufs zu behalten, man hat des weiteren verlangt,
daß das Gesetz auch dem indirekten Erwerb von Grundstücken seitens
der Banken einen Riegel vorschiebe. Auch diese Ausstellungen können,
soweit sie sich gegen die gesetzlichen Bestimmungen richten, nicht als
begründet erachtet werden. Das Gesetz ermächtigt die Banken nur zu
dem Betriebe solcher Geschäfte, welche durch die Beleihungsthätigkeit
bedingt werden; die allgemeinen Bankgeschäfte sind ihnen nicht schlecht-
hin gestattet, sondern nur bedingt, sie dürfen den kommissionsweisen
Ankauf und Verkauf von Wertpapieren nur mit der Maßgabe über-
nehmen, daß die Ausführung der Kommission lediglich geschehen darf,
wenn die Bank bei einer Einkaufskommission die Deckung, bei einer
Verkaufskommission die Wertpapiere in Besitz hat; außerdem ist ihnen
noch die Besorgung der Einziehung von Wechseln, Anweisungen und
ähnlichen Papieren gestattet. Was den Erwerb von Grundstücken be-
trifft, so sind die Banken hierzu nur behufs der Sicherung ihrer hypo-
thekarischen Forderungen und der Beschaffung von Geschäftsräumen
berechtigt. Damit ist ausgesprochen, daß den Banken nur der Betrieb
des eigentlichen Bodenkreditgeschäfts und gewisser mit dem Boden-
kreditgeschäft im Zusammenhang stehender oder durch dasselbe be-
dingter oder dasselbe erleichternder Geschäfte zusteht. Ein erweiterter
Geschäftskreis ist lediglich denjenigen Banken gewährt, welche vor dem
1. Mai 1898 in Gemäßheit ihrer Statuten noch andere Geschäfte be-
trieben. Diese Regelung ist als eine durchaus zweckmäßige und sach-
entsprechende anzusehen, und es unterliegt keinem Zweifel, daß der
Erwerb von Grundstücken zu anderen Zwecken den Hypothekenbanken
untersagt ist. Die kapitalistische Beteiligung bei einer Terrain- oder
Immobiliengesellschaft ist eine Umgehung dieses gesetzlichen Verbotes,
die bei freier, der Absicht der Gesetzgebung entsprechender Auslegung
unter dasselbe fällt. Es ist nicht einzusehen, daß das Gesetz noch
weiter gehen könnte, es spricht hierbei so deutlich, wie es nur wünschens-
wert erscheint, und höchstens dürfte zu erwägen sein, ob nicht durch
eine Specialstrafandrohung dem Verbote des Immobiliarerwerbs ein größerer
Nachdruck zu verleihen wäre. Zu viel Erfolg wird man sich indessen
von einer derartigen Strafbestimmung nicht versprechen dürfen; die
Erfahrungen, welche mit ähnlichen oder verwandten Strafvorschriften
gemacht worden sind, lassen doch erkennen, daß Vorstände von Aktien-
gesellschaften sich von der Ausführung eines Geschäftes, das ihnen
nach Gesetz oder Statut nicht erlaubt ist, im allgemeinen durch das
Bestehen einer Strafbestimmung nicht abhalten lassen; man überschätzt
die Wirksamkeit des Strafrechts gerade auf diesem Gebiete ganz erheb-
lich, wenn man glaubt, es bedürfe nur des Erlasses einer Strafan-
Nationalökonomische Gesetzgebung. 371
drohung mit genügend hoher Strafe, um den gesetzwidrigen Erwerb
von Immobilien in den Händen der Hypothekenbanken zu verhindern.
Viel mehr Erfolg kann auch hierbei von einer ständigen, entsprechend
strengen Beaufsichtigung des Geschäftsbetriebs durch Bankkommissare
erwartet werden. Wenn die Beaufsichtigung in der erforderlichen Weise
ausgeübt wird, so ist es überhaupt gar nicht möglich, daß die Hypo-
thekenbank Grundstücke unter anderen als die in dem Gesetze be-
zeichneten Voraussetzungen erwirbt; der Kommissar würde dies sofort
bemerken und die Beseitigung der Rechtswidrigkeit herbeizuführen
haben. Auch unter diesem Gesichtspunkte erweist sich also eine ständige
Kontrolle durch Specialkommissare als unbedingt geboten. So wenig
hiernach bezüglich dieses Punktes eine Abänderung des Reichsgesetzes
erforderlich ist, ebensowenig läßt sich das Verlangen einer Verschärfung
der civilrechtlichen Verantwortlichkeit des Vorstandes mit Rücksicht
auf den gesetzwidrigen Erwerb von Immobilien rechtfertigen. Der Bank-
vorstand, welcher Grundstücke ungeachtet des gesetzlichen Verbotes
erwirbt, haftet für die Folgen dieser Handlung; es haftet aber auch
der Bankkommissar, welcher es unterlassen hat, die Rechtswidrigkeit
zu beanstanden bezw. zur Kenntnis der Aufsichtsbehörde zu bringen;
die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs reichen für die Geltend-
machung der Haftpflicht vollkommen aus.
Es dürfte berechtigt sein, auf Grund der vorstehenden Erörterungen
die Behauptung aufzustellen, daß zwar allerdings das Hypothekenbank-
gesetz in verschiedenen, keineswegs unwichtigen Punkten verbesserungs-
und revisionsbedürftig ist, daß aber doch die Gesetzgebung für die
vorgekommenen Miß- und Uebelstände weit weniger verantwortlich
gemacht werden darf, als die Rechtsanwendung in verschiedenen Bundes-
staaten, vor allem in Preußen, welche es unterlassen hat, die ihr ge-
währten Befugnisse bis zu den äußersten Grenzen auszunützen. Weiter
darf aber auch nicht vergessen werden, daß das Publikum auch die
Pflicht hat, soweit ihm dies möglich ist, die Qualität der einzelnen
Hypothekenbanken zu prüfen und sich nicht darauf zu verlassen hat,
daß eine Bank so gut und so sicher sei wie eine andere. Die kritik-
lose Gleichstellung aller Bodenkreditinstitute ist aber nicht minder un-
berechtigt und schädlich wie die Gleichstellung aller industriellen oder
kommerziellen Unternehmungen oder aller Staatsfinanzen. Die staatliche
Aufsicht über die Hypothekenbanken, auch wenn sie entsprechend den
vorstehenden Ausführungen gehandhabt und unnachsichtlich ausgeübt
wird, kann und soll nicht den Zweck haben, das Publikum der Selbst-
prüfung und Selbstkritik vollständig zu entheben. Letztere ist vielmehr
nach wie vor notwendig, und wenn einerseits verlangt wird, daß die
staatliche Kontrolle keine formelle und keine fiktive, sondern eine
materielle und wirkliche sei, so ist andererseits auch der Bedeutung
der Selbstprüfung in geeigneter Weise zu gedenken. Hierzu besteht
aber in um so höherem Maße Veranlassung, als man in Deutschland
sehr geneigt ist, dieselbe zu unterschätzen und dem Staat alle Verant-
wortlichkeit dafür aufzubürden, wenn sich Mißstände bei der Verwaltung
eines Unternehmens ergeben. Wie zu der Zeit, als die Gesetzgebung
24*
372 Nationalökonomische Gesetzgebung.
dem System der Konzessionierung der Aktiengesellschaft huldigte, man
vielfach in dem Publikum der Ansicht war, daß die eigene Prüfung und
Kontrolle erübrige, so hat man sich auch gegenüber den Hypotheken-
banken einer ähnlichen irrigen Meinung in weiten Kreisen zugewendet.
Es ist bekannt, zu welchen Folgen die Ueberschätzung des Konzessions-
systems seiner Zeit führte; sowohl in Deutschland als auch in anderen
Ländern, vor allem in Oesterreich. Die damals gemachten Erfahrungen
sollten dazu dienen, eine Sicherheit gegen die Wiederholung dieses Fehlers
zu bieten. Den Hypothekenbanken ist während ihres im Verhältnis
noch ziemlich kurzen Bestandes in Deutschland ein besonders großes
Vertrauen entgegengebracht worden, nicht nur seitens des Publikums,
sondern auch seitens des Staates; ihre Pfandbriefe galten als erstklas-
sige, unbedingt sichere Wertpapiere, welche den Schuldverschreibungen
der Bundesstaaten an Wert kaum nachstanden. Vielfach hat diese
Bewertung der Hypothekenbanken und ihrer Obligationen dadurch einen
prägnanten Ausdruck gefunden, daß der Staat die letzteren als mündel-
sichere Anlagen bezeichnet; in Preußen hat man dies allerdings nicht
gethan, der lebhafte Kampf, der bei Beratung des Ausführungsgesetzes
zu dem Bürgerlichen Gesetzbuch in dem preußischen Landtage um die
Mündelsicherheit der Pfandbriefe geführt wurde, endigte mit dem Siege
der Gegner der Mündelsicherheit, welche nach dem Zusammenbruch
der Preußischen Hypothekenbank und der Deutschen Grundschuldbank
selbstbewußt darauf hinwiesen, daß durch ihre Haltung das National-
vermögen vor eminenten Verlusten bewahrt worden sei. Das Vertrauen
zu den Hypothekenbanken mußte durch diesen Zusammenbruch, sowie durch
die Vorgänge bei der Pommerschen und Mecklenburger Bank einen Stoß er-
leiden, und es ist Thatsache, daß es denselben erlitten hat ; die Kursbewegung
der Pfandbriefe beweist denselben schlagend. Aber unter dem Drucke
desselben hatten die deutschen Hypothekenbanken, wie schon bemerkt,
nicht gleichmäßig zu leiden; die süddeutschen spürten davon sehr wenig
und auch den meisten norddeutschen wurde es nach verhältnismälig
kurzer Zeit möglich, die kritische Periode ohne allzu große Schwierig-
keiten zu überwinden. Eine Verallgemeinerung des da und dort be-
gründet gewesenen Mißtrauens gegenüber allen Hypothekenbanken ist
durchaus unberechtigt; man kann mit gutem Grund behaupten, daß die
große Mehrheit derselben das ihr entgegengebrachte Vertrauen verdient
und sich von allen Geschäften und Manipulationen freigehalten hat,
welche einen bedenklichen, die Interessen der Pfandbriefbesitzer gefähr-
denden Charakter tragen. In Zukunft dürfte die Vorsicht bei der Ge-
schäftsführung noch eine größere sein, da man an dem Beispiel in
obigen genannten Banken deutlich gesehen hat, zu welchen Konsequenzen
es führt, wenn die Hypothekenbanken daran vergessen, daß sie Boden-
kreditinstitute sind und daher alles von ihrer Geschäftsführung fern-
halten müssen, was eine Entartung zu einer spekulierenden Terraingesell-
schaft zur Folge haben würde. Die Hypothekenbanken haben für die
Befriedigung des Grundkreditbedürfnisses während ihrer Wirksamkeit
Bedeutendes geleistet; in erster Linie ist ihre Thätigkeit dem städti-
schen Realkredit zu gute gekommen, aber auch der ländliche hat Ver-
Nationalökonomische Gesetzgebung. 373
anlassung genug gehabt, sich ihrer Leistungen erfreuen zu dürfen.
Wenn man heute, nachdem auch in Preußen die Banken auf eine bald
fünfzigjährige Wirksamkeit zurückblicken können, die Bedenken sich
Vergegenwärtigt, welche die preußische Regierung zuerst gegen das
ganze Institut hatte, Bedenken, die es verursachten, daß die Errichtung
von Hypothekenbanken in dem größten deutschen Bundesstaate länger
als anderwärts verzögert wurde, so muß vom Standpunkte unbefangener
Beurteilung anerkannt werden, daß diese Bedenken durch die Erfah-
rungen in der Hauptsache durchaus widerlegt wurden. Die Hypo-
thekenbanken bilden eine notwendige und zweckmälige Organisation
für die Befriedigung des Grundkredits, und nicht darum kann es sich
handeln, an Stelle dieser Organisationen, die sich bewährt haben, neue
zu setzen, bezüglich deren Bewährung man nur auf Vermutungen ange-
wiesen ist, sondern vielmehr nur darum, die Mängel, welche hervor-
getreten sind, zu beseitigen, das Unvollkommene zu verbessern. Diese
Aufgabe ist aber, wie sich aus Vorstehendem ergiebt, keineswegs allzu
schwierig. Die Basis, auf welcher diese Organisationen beruhen, war
und ist eine gesunde; auf dieser Basis muß fortgearbeitet, von ihr aus
muß an die Beseitigung von Mißständen herangetreten werden, die in
weit höherem Maße auf persönliche, als auf sachliche Momente zurück-
zuführen sind. Wer die Entwickelung des Bodenkredits und der seiner
Befriedigung dienenden Organisationen aufmerksam und objektiv ver-
folgt, wird nicht im Zweifel darüber sein können, daß die auf dem
Aktienprinzip beruhenden Hypothekenbanken für den deutschen Grund-
kredit unentbehrlich sind und daß sie in der Hauptsache die ihnen
obliegenden Aufgaben in angemessener Weise gelöst haben.
374 Miszellen.
Nachdruck verboten.
Miszellen.
V.
Die sozialen Verhältnisse der Juden in Preussen
und Deutschland.
Statistisch dargestellt von Arthur Ruppin.
Kapitel 1.
Personenstands-und Familienverhältnisse der Juden im
Vergleich mit den Christen.
Die Zahl der Juden auf der ganzen Erde beträgt heute etwa 7 !/, Mill,
die sich in runden Zahlen auf die einzelnen Länder, wie folgt, verteilen.
1) Europa Uebertrag: Europa 6 287 000
Europäisches Rußland (ohne Polen) 2 205 000 | K
Oesterreich (Cisleithanien) 1 142 000 | 2) Asien
Polen 815 000 Palästina 75 000
Ungarn 638 000 Kaukasien 23 000
Deutsehland 570000! Persien 20 000
tumänien 400 000 Arabien 15 000
Großbritannien 160 000 Sibirien 12 000
Niederlande 98 000 Uebriges Asien 105000 250 000
er Ee 76 > 3) Afrika
en ` 4800| Marokko 200 000
Bulgarien 28 000 Tunis 15,009
Schweiz 8 100 Algerien 1700
Ostrumelien 7 000 Egypten 29,000
Bosnien 5 900 Tripolis : 2 Een 00 000
Griechenland 5 800 Uebriges- Afrika 175000 5
Serbien 4 000 | 4) Amerika
Dänemark R 4000! Verein. Staaten 350 000
Schweden u. Norwegen 3700| "Kanada 3 000
Belgien 3000| Uebriges Amerika 50000 403 00°
Spanien u. Portugal 2 500 ; s -=
Luxemburg 1 000 | 5) Australien u. Oceanien eet
6 287 000 7455
Ueber die Anzahl der Juden in Preußen (seit dem Jahre 1816)
und im Deutschen Reiche geben die nachfolgenden beiden Tabellen
1 und 2 Auskunft. Es ergiebt sich daraus als besonders bemerket’
wert, daß die prozentuale Anzahl der Juden gegenüber den Christen
unter denen hier wie im folgenden auch alle christlichen Sekten und die
Dissidenten begriffen werden, in Preußen bis zum Jahre 1880 beständig
Miszellen. 375
stieg (die Verminderung von 1861 auf 1867 ist auf die Einverleibung
der 1866 eroberten Provinzen mit schwächerer jüdischer Bevölkerung
zurückzuführen). Erst seit 1880 ist in Preußen ein Rückgang der
jüdischen Bevölkerung im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung von 13,3
auf 11,4 pro mille im Jahre 1900 eingetreten, nachdem dasselbe Ver-
hältnis sich für ganz Deutschland in ständigem Rückgange von 12,5
im Jahre 1871 auf 11,5 im Jahre 1890 vermindert hatte.
In Nachfolgendem soll des Näheren erörtert werden, welche Unter-
schiede in Bezug auf die wichtigsten Verhältnisse des Personenstandes
(Geschlecht, Geburten, Eheschließungen, Sterbefälle) zwischen Christen
und Juden bestehen.
Die Verteilung der Geschlechter ist bei Christen und Juden fast
ganz gleich, denn am 2. Dez. 1895 waren in Preußen männlichen
Geschlechts
15459 142 Christen = 49,06 Proz. aller Christen
186 297 Juden = 49,12 Proz. aller Juden.
Dagegen zeigen sich in den Geburtsverhältnissen weitreichende
Unterschiede In Tabelle 3 ist zunächst die durchschnittliche Anzahl
der jährlichen Geburten im Durchschnitt der 25 Jahre 1875—1899 und
die Vitalität der Geborenen angegeben. Es ergiebt sich hieraus, daß
die Lebensfähigkeit der von jüdischen Eltern Geborenen erheblich
größer ist als die der von christlichen Eltern Geborenen; denn auf 1000
eheliche Geburten von jüdischen Eltern entfallen nur 32,07 Totgeborene
gegen 35,88 bei christlichen Eltern; bei Mischehen zwischen Christen
und Juden beträgt dasselbe Verhältnis 34,54 pro mille, und zwar ist
Tabelle 1. | Tabelle 2.
Anzahlder Juden in Preußen 1)/Anzahl der Juden in Deutsch-
| land.
|
Es wurden gezählt | Unter 10.000 | Es wurden gezählt | Unter 10 000
Zeit der Personen der) Zeit der E Ver
Zähl EN f À Gesamtbevül-| ,,. S en Gesamtbevöl-
Lählung Anders- | gei ș g Zählung | Anders Lee ind
läubige | Juden | kerung sind | gläubige | Juden erung 310
8 g Juden j g Juden
1816 10 296. 072. 123 921 119 1. 12. 1871140 550 291| 512 153 125
1843 15 265 236| 206 529 133 1.12. 1580|44 672 449 561 612 124
1558 17 497 380, 242416 | 137 "1.12. 1885|40 292 532 563 172 120
3.12.1861 [18 236 435| 254785 | 138 ‚1.12. 1890|48 860 586| 567 884 115
12.1867 |23 657 785 313 156 131 |
1.12.1871 |24319518| 325 587 | 132 i
1.12.1880 [26 915 321| 363790 | 133 d
1.12.1885 |27 951 895| 366 575 129
1.12.1500 [29 585 308| 372050 | 124
2.12.1895 [31 475 407 379716 | 119
1.12.1900 [34 472 509) 392 322 114
1) Die Zahlen, welche dieser Tabelle und allen folgenden Tabellen und Berech-
nungen zu Grunde liegen, sind, soweit nicht etwas anderes besonders bemerkt, für Deutsch-
land aus den Veröffentlichungen des kais. statist. Amtes, für Preußen aus den Verüffent-
lichungen des königl. preuß. statist. Büreaus, für Berlin aus den statist. Jahrbüchern
der Stadt Berlin, für andere Städte aus Neefe’s Jahrbuch deutscher Städte gewonnen.
376 Miszellen.
Tabelle 3.
Vitalität der ehelich Geborenen in Preußen.
Es wurden jährlich geboren im Durchschnitt der Jahre 1875--1899:
00Gebor
Geborene über- | darunter totge- Auf 1000Geborene
kommen Totge-
haupt boren 1 =
borene
aus christlichen Ehen 1 039 569 37 299 35,88
aus jüdischen Ehen 9 199 295 32,07
aus Mischehen : ig
a) Mann christlich, Frau jüdisch 272,9 9,76 35,76
b) Mann jüdisch, Frau christlich 243,6 8,08 33,17
c) Mischehen zusammen 516,5 17,84 34,54
es in christlich-jüdischen Mischehen (Mann christlich, Frau jüdisch) mit
35,76 pro mille größer als in den jüdisch-christlichen Mischehen (Mann
jüdisch, Frau christlich) mit 33,17 pro mille.
Tabelle 4 behandelt das Vitalitätsverhältnis bei den unehelichen
Geburten.
Tabelle 4.
Vitalität der unehelich Geborenen in Preußen.
Es wurden unehelich geboren jährlich im Durchschnitt der Jahre 1882—1899 :
Ee | Unter 1000 unehelich
Geborene | darunter Saf
überhaupt totgeboren Kg
CH => sind totgeboren
von christlicher Bi 91644 4405 | 48,07
von jüdischer Mutter 261 12,84 49,20
Hiernach ist bei den unehelichen Geburten das Vitalitätsverhältnis
gerade umgekehrt, wie bei den eheliehen Geburten, denn dort haben
die Christen, hier die Juden die ungünstigere Ziffer. Unter 1000 un-
ehelichen Geburten von christlichen Müttern waren 48,07 Totgeburten,
unter 1000 unehelichen Geburten von jüdischen Müttern aber 49,20 Tot-
geburten.
Ein großer Unterschied besteht in der Häufigkeit der unehelichen
Geburten bei Christen und Juden, wie aus Tabelle 5 hervorgeht.
Tabelle 5.
Verhältnis der ehelichu.unehelich Geborenenin Preußen.
Es wurden jährlich geboren im Durchschnitt der Jahre 1875—1899:
Eheliche | Uneheliche. | Auf 1000 eheliche
Kinder Kinder Kinder kommen
uneheliche Kinder
von christlicher Mutter] 1039 569 | 91 644 | 88,16
von jüdischer Mutter 9199 | 261 28,37
Während ant 1000 ehelicher Kinder christliche Eltern 88,16 unehe-
liche Kinder christlicher Mütter entfallen, kommen auf 1000 eheliche
Kinder jüdischer Mütter nur 28,37 uneheliche Kinder jüdischer Mütter.
Dieser auffallend große Unterschied, wonach die unehelichen Geburten
Miszellen. 377
bei Juden über 3mal seltener sind als bei Christen, läßt sich am un-
gezwungensten aus der Thatsache erklären, daß die soziale Lage der
Juden im Durchschnitt eine erheblich bessere ist, als die der Christen.
Es ist ganz unzweitelhaft, daß unter den Umständen, die überhaupt den
außerehelichen Geschlechtsverkehr begünstigen, sozialer Tiefstand und
materielle Not die erste Stelle einnehmen. Andererseits scheinen aller-
dings auch die Jüdinnen an sich, von allen sozialen Unterschieden ab-
gesehen, im außerehelichen Geschlechtsverkehr zurückhaltender zu sein.
Die traditionelle strenge Auffassung von der Verwerflichkeit dieses
Verkehrs mag hier doch nicht ohne Einfluß sein, wozu noch kommt,
daß die jüdische Gesellschaft ihre Mitglieder besser kennt und deshalb
genauer beaufsichtigt als die christliche Gesellschaft dies — schon
infolge der größeren Anzahl ihrer Mitglieder — vermag. Wo trotzdem
Jüdinnen unehelich gebären, ist es deshalb wahrscheinlich, daß sie zur
Paralysierung dieser Widerstände sozial und materiell noch schlechter
stehen, als die unehelich gebärenden Christinnen. Könnte man alle un-
ehelich gebärenden Mütter je nach ihrer besseren oder schlechteren
wirtschaftlichen Lage in eine Stufenfolge bringen, so würden die christ-
lichen Mütter bis in leidlich gut gestellte Schichten hineinragen, die
Jüdischen Mütter aber zum allergrößten Teil eine ziemlich niedrige Schicht
nicht übersteigen.
In den Tabellen 6, 7 und 8 ist die Geburtenhäufigkeit bei Juden
und Christen in absoluten und relativen Zahlen angegeben, und zwar ist
sie in Tabelle 6 zur religionsgleichen Bevölkerung, in Tabelle 7 zu den
Eheschließungen in Beziehung gesetzt, während Tabelle 8 zur besseren
Anschauung wiedergiebt, wie sich 1000 Geburten in Preußen auf Juden
und Christen verteilen.
Tabelle 6.
Verhältnis der Geburten zur Bevölkerung in Preußen.
jährlich im | jährlich im | jährlich im jährlich im
Es wurden geboren [Durchschnitt der Durchschnitt der Durchschnitt der|Durchschnitt der
(ehelich u. unehelich) Jahre | Jahre Jahre Jahre
1820—1866 1878—1882 1888—1892 1893—1897
von christl. Mutter — | 1 063 698 | f$ 135 234 1 200 879
von jüd. Mutter 7440 11 289 | 9 130 8 447
Es kommen Geburten
von religionsgleicher
Mutter auf 1000!)
Christen — | 39,52 38,37 | 38,15
Juden 37,20 30,32 24,54 22,25
Es ergiebt sich aus Tabelle 6 ein überraschend großer Rückgang
der jüdischen Geburtenziffer. Während im Durchschnitt der Jahre
1820—1866 auf 1000 Juden jährlich 37,20 Geburten und im Jahr-
fünft 1878/82 jährlich noch 30,32 Geburten kamen, ist diese Ziffer im
1) Zu Grunde gelegt sind für die Jahrfünfte 1878/82, bezw. 1888/92 bezw.
1893/97 die Zahlen der Volkszählungen von 1850 bezw. 1890 bezw. 1895; für 1820/66
eine Durchschnittsbevölkerungszahl von 200000 Juden in Preußen.
378 Miszellen.
Jahrfünft 1893/97 auf 22,25 zurückgegangen, wogegen sie bei den
Christen 38,15, also fast das Doppelte, betrug! Diese Thatsache ist
bisher noch nicht genug gewürdigt worden, obwohl sie von größter
Bedeutung ist und über die Zukunft des deutschen Judentums ent-
scheiden dürfte. Denn von der Geburtenhäufigkeit bei den Juden hängt
es in erster Linie ab, ob sie Aussicht haben, sich inmitten einer
ihnen an Zahl hundertfach überlegenen christlichen Bevölkerung weiter
selbständig zu erhalten, oder ob sie dem Schicksale der Aufsaugung
durch die Christen früher oder später entgegen gehen. Die inner-
sten Gründe dieses überaus auffälligen Geburtenrückganges lassen
sich mit völliger Sicherheit natürlich nicht erschließen; sie sind viel-
leicht am ersten noch auf den im 19. Jahrhundert stark gewachsenen
Wohlstand der jüdischen Bevölkerung zurückzuführen, der ja, wie das
Beispiel Frankreichs zeigt, das Zweikindersystem oder zum mindesten
eine Einschränkung der Kinderzahl zur Folge hat, wie umgekehrt das
rapide Wachstum der armen polnischen Bevölkerung der Provinz
Posen beweist, daß schlechte materielle Lage mit großer ehelicher
Fruchtbarkeit Hand in Hand gehen können. Die jüdischen Familien
mit 12, 15 und noch mehr Kindern, die vor 30—50 Jahren noch
durchaus keine Seltenheit waren, sind heute fast gänzlich verschwunden.
Das zeigt insbesondere auch Tabelle 7.
Tabelle 7. m
Eheliche Fruchtbarkeit in Preußen.
Verhältnis der Zahl der Geburten zur Zahl der Eheschließungen :
Religion der
Eheleute
Es fanden durchschnittlich jähr- | Es fanden durchschnittlich jährlich
lich Eheschließnngen statt Geburten statt
Mann und Frau | | | | i | |
christlich 212 816 230 692.269 221,234 155/996 026 1 024 238 1 134 520 1 039 509 4,58 4,44
Mann u. Frau jüd, 2430 2359, 2555| 2440| 11113] 9083| 7019 9 199 4,57 3,85
Mann christlich, | | |
Frau jüdisch 131 139 202| 149 223 265 318 273) 1,70, 1,91
Mann jüdisch, | |
Frau christlich 108 152 231 154 104 261 304 244| 1,52 1,72
Mischehen über- |
haupt 239, 291 433 303. 387 526 622 517, 1,62 1,81
Demnach entfallen auf eine Eheschließung zwischen jüdischem Mann
und jüdischer Frau im Durchschnitt des Jahrfünfts 1875/79 jährlich 4,57,
im Durchschnitt des Jahrfüntts 1895/99 aber nur noch 2,98 Geburten,
während auf eine christliche Eheschließung im selben Jahrfünft 1895/99
jährlich 4,21 Geburten entfallen. Mit der vielberufenen ehelichen Frucht-
barkeit der Juden ist es demnach völlig vorbei; man mochte sie im
Anfang und in der Mitte des 19. Jahrhunderts noch mit Recht anführen,
heut haben sich die Verhältnisse jedenfalls gänzlich umgestaltet. Schon
Es kommen Geburten
auf 1 Eheschließung
jährlich während des
4,21 4,40
2,98 3,17
1,57 1,88
141] 1,58
1,43, 1,71
während des Zeitraums von während des Zeitraums von ER S
Zeitraums von
1875 | 1885 1895 | 1875 | 1875 | 1885 | 1895 | 1875 |187511885,1805 1975 |
bis | bis bis bis bis bis bis bis | bis | bis | bis | bis
1879 | 1589 | 1899 | 1809 | 1879 | 1559 1599 1800 1879/1880 18001500
Miszellen. 319
in dem Jahrfünft 1875/79 bleibt die eheliche Fruchtbarkeit der Juden
etwas hinter der christlichen zurück und im Jahrfünft 1895/99 hat sich
der Abstand so stark vergrößert, daß jetzt die jüdischen Ehen nur etwa
?/ soviel Kinder erzeugen als die christlichen. Dieser Rückgang der
jüdischen Fruchtbarkeit spiegelt sich in seinen Folgen besonders klar
wieder, wenn wir, wie dies in Tabelle 8 geschehen ist, die Verteilung
von 1000 Geburten in Preußen auf Christen und Juden früher und jetzt
ziffernmälig darstellen.
Tabelle 8.
Prozentuale Beteiligung von Christen und Juden
an 1000 Geburten in Preußen.
jährlich im | jährlich im | jährlich im
| Durchschnitt | Durchschnitt | Durchschnitt
Inter )0 G ner ents `
Unter 1000 Geborenen entstammten der Jahre | der Jahre der Jahre
1878—1882 | 1888— 1892 | 1895—1899
——— = = = = e | ==
aus rein christlichen Ehen 911,40 913,86 915,72
aus rein jüdischen Ehen 9,98 7,62 ,15
aus Mischehen :
a) Mann christlich, Frau jüdisch 0,24 0,26 0,25
b) Mann jüdisch, Frau christlich 0,18 0,25 0,24
uneheliche: |
a) von christlicher Mutter 77,92 | 77,89 77,42
b) von jüdischer Mutter 0,28 0,22 0,22
| 1000, — 1000, — 1000,—
überhaupt von jüdischem Vater (eheliche) 10,16 | 7,77 6,39
überhaupt von jüdischer Mutter (eheliche
und uneheliche 10,50 8,00 6,62
Die Beteiligung der jüdischen Ehepaare an 1000 Geburten in Preußen
ist demnach in dem kurzen Zeitraum von 17 Jahren ganz rapide, nämlich
von 9,98 im Jahrfünft 1878/1882 auf 6,15 im Jahrfünft 1895/99 ge-
sunken! Bei solch enormem Rückgang kann es nicht Wunder nehmen,
daß, wie aus Tabelle 1 hervorgeht und dort schon hervorgehoben ist,
der Anteil der Juden und Christen an der Gesamtbevölkerung sich seit
den 70er Jahren immer mehr zu Ungunsten der Juden verschoben hat,
so daß die Juden in Preußen im Jahre 1900 nur 1,14 Proz. der Gesamt-
bevölkerung gegen 1,33 Proz. im Jahre 1880 ausmachen. In der kurzen
Zeit von 20 Jahren also eine Verminderung des prozentualen Anteils
der Juden um mehr als ein Achtel! Das ist sehr bemerkenswert
und muß, wenn die Geburtenzitfer der Juden nicht wieder steigt.
den zahlenmäßigen Anteil der Juden in potenziertem Maße immer mehr
verringern und damit die Möglichkeit der Aufsaugung der Juden durch
die Christen verstärken.
Das Zahlenverhältnis würde für die Juden ein noch viel nach-
teiligeres geworden sein, wenn nicht die ungünstige Geburtenziffer der
Juden in einer sehr günstigen Sterbeziffer einigermaßen ein Gegengewicht
hätte, wie durch Tabelle 9 belegt wird.
380
Miszellen.
Tabelle 9.
Verhältnis der Gestorbenen (exkl. Totgeborenen)
zur Gesamtbevölkerung.
jährl. im |
jährl. im Durchschnitt
jährl. im Durchschnitt jährl. im Durchschnitt
Eirstarhen Durchschnitt | der Jahre 1878—1882 der Jahre 1888—1892 der Jahre 1893—1897
eg Aen Jahre Personen | Personen | Personen
i le Ae “T866 unter | über | über- unter | über | über- | unter ' über | über-
az 15 J.| 15 J. | haupt ' 15 J.| 15 J. | haupt | 15 I. 15 J. | haupt
| i
= f E > T = nr Shi am rd
Christen — 360 9181318 272,679 190.359 9251328 107 688 032,360 miles 550.687 494
Juden 4080 | 2631| 3601! 6 232) 1 882| 3 961| 5 843| 1505| 4 088| 5593
Es starben | | |
unter 1000 !) | | ii
Christen — 1 13,41 | 11,82 | 25,23 | 12,17 | 11,09 | 23,26 | 11,47 | 10,37 | 21,84
Juden 20,40 | 7,40 | 10,13 | 17,53 | 5,06 | 10,65 15,71 | 3,96 | 10,77 | 14,13
Es hat sich zwar nach den (hier tabellarisch nicht wiedergegebenen)
absoluten Zahlen der Statistik die Anzahl der .gestorbenen Juden im
Alter von über 15 Jahren von 3473 im Jahre 1877 auf 4374 im
Jahre 1899 erhöht, aber dies erklärt sich größtenteils durch die größere
absolute Anzahl der Juden in Preußen im Jahre 1899 gegen 1877.
Dagegen hat sich die Anzahl der gestorbenen Juden unter 15 Jahren
— und hierzu stellen erfahrungsgemäß die Säuglinge das Hauptkontingent
— von 2850 im Jahre 1877 auf 1280 im Jahre 1899, also um mehr
als die Hälfte vermindert. Aus Tabelle 9 ergiebt sich die niedrige
Sterbeziffer der Juden deutlich. Schon im Jahrfünft 1878|82 standen
sie mit einer Mortalität von 17,53 pro mille günstiger da als die
Christen mit 25,23 pro mille. Im Jahrfünft 1893/97 ist dann die Sterbe-
ziffer der Juden weiter auf die außerordentlich kleine Zahl von 14,73
pro mille herabgesunken, eine Zahl, die als Mortalitätsziffer der Ge-
samtbevölkerung heute von keinem Staat der Welt erreicht wird und
als Ideal der Hygiene angestrebt werden könnte. Allerdings ist infolge
allgemeiner Verbesserung der Gesundheitspflege von seiten des Staats
und der Gemeinden und infolge höheren standard of life auch die Sterb-
lichkeit bei den Christen von 25,23 im Jahrfünft 1878/82 auf 21,84 im
Jahrfünft 1893/97 herabgegangen, bleibt aber hinter der jüdischen
Mortalitätsziffer von 14,73 pro mille immer noch ganz erheblich zurück.
Uebrigens hat die Verminderung der Sterblichkeit bei den unter 15 Jahre
alten Juden auch ihre Schattenseite. Es werden durch sorgfältige Pflege
viele schwache Individuen dem Leben erhalten, die ohne diese Pflege
schon im Säuglingsalter zu Grunde gehen würden, und nun oft das
Jünglings- oder sogar das Mannesalter erreichen. Es kann vom rein
volkswirtschaftlichen Standpunkte aus fraglich erscheinen, ob für die Juden
die Erhaltung dieser körperlich schwachen Personen ein Vorteil ist, da sie,
wenn sie auch die Jahre der Kindheit überleben, doch meist kein hohes
Alter erreichen. Es fehlt an festen Unterlagen, um diese Frage zu be-
e
1) Zu Grunde gelegt sind der Verhältnisbereehnung für die Jahrfünfte 1878,82
1885/92 bezw. 1895/97 die Zahlen der Volkszählungen von 1850 bezw. 1890
1595; für die Jahre 1820 66 eine Anzahl von 200000 Juden.
bezw.
bezw.
Miszellen. 381
antworten, da man nicht im einzelnen feststellen kann, wie lange der
Mensch leben und arbeiten muß, um die auf ihn gewandten Erziehungs-
kosten wieder aufzubringen; sicher scheint aber. daß die kleine Ver-
schlechterung in der Sterblichkeit der über 15 Jahre alten Juden damit
zusammenhängt, daß jetzt viele Juden das 15. Jahr überleben, die früher
schon im Säuglings- und Kindesalter gestorben wären.
Daß unter den Juden heute viel mehr Personen ein hohes Alter
erreichen als unter den Christen, lehrt eine am 2. 12. 1895 in Berlin
vorgenommene Erhebung, deren Ergebnisse in Tabelle 10 zusammen-
gestellt sind.
Tabelle 10.
Unter der am 2. 12. 1895 gezühlten Gesamtbevölkerung Berlins waren geboren
in den Jahren:
in absoluten Zahlen in Prozent aller gezählten
Christen Juden christlichen jüdischen
Geburtszeit = 5 : ee in =
Männer Männer | Männer | Männer
und Männer und Männer | und | Männer und | Männer
Frauen | Frauen | Frauen Franen
1825 u. früher | 29 627 9612 2268 | 1014 | 1,862 1,276 2,632 2,312
1830/1526 24 432 9 050 1723 786 | 1,535 1,201 | 2,000 1,792
1835/1831 33974 | 13 922 2 243 1080 | 2,135 1,848 2,603 2,462
1840/1836 | 49952 | 21 972 3 239 1606 3,139 2916 3,760 | 3,662
1845/1841 66 694 | 30 663 4 113 2153 | 4,192 4,070 4,774 4,909
| | |
Samms aller
vor 1846 |
Geborenen |204 679 | 85 219 | 13 586 6639 | 12,863 | 11,811 | 15,769 | 15,137
Hieraus folgt, daß das 70. Lebensjahr (genauer 69 Jahre 11 Monate)
2,632 Proz. aller Juden, aber nur 1,862 Proz. aller Christen, das 60.
Lebensjahr 7,235 Proz. aller Juden und 5,532 Proz. aller Christen, das
50. Lebensjahr 15,769 Proz. aller Juden und 12,863 Proz. aller Christen
erreichen. Berücksichtigt man nur die Personen männlichen Geschlechts,
so stellt sich das Verhältnis für die Juden noch etwas günstiger, da
unter den männlichen Juden 2,312 Proz. das 70., 6,566 Proz. das 60.
und 15,137 Proz. das 50. Lebensjahr erreichen, während die entsprechenden
Zahlen bei den Christen nur 1,276 Proz. bezw. 4,325 Proz. bezw. 11,311 Proz.
betragen. Uebrigens muß betont werden, daß diese Ziffern, nach denen
verhältnismäßig viel mehr Juden als Christen ins Greisenalter gelangen,
wesentlich dadurch bedingt sind, daß die Zahlen der über 70 bezw. 60
bezw. 50 Jahre alten Christen und Juden zur Ziffer aller gezählten Christen
und Juden in Beziehung gesetzt werden; würde man dieselbe Zahl nur
zur Ziffer aller über 15 Jahre alten Christen und Juden in Beziehung
setzen, so würde der Prozentsatz der ein höheres Alter erreichenden
Christen und Juden ziemlich gleich sein. Es spricht sich eben auch in
Tabelle 10 wesentlich nur der Einfluß der geringeren Kindersterblichkeit
bei den Juden aus.
Daß thatsächlich insbesondere die Säuglingssterblichkeit bei den
382 Miszellen.
Juden viel kleiner ist als bei den Christen, zeigt noch besonders eine
im Jahre 1882 in Preußen erfolgte Feststellung, welche in Tabelle 11
wiedergegeben ist.
Tabelle 11.
Säuglingssterblichkeit in Preußen.
Von je 100 000 in Preußen Geborenen (einschließlich der Totgeborenen) überlebten im
Jahre 1882 das 1. Jahr:
Religion des Vaters
uneheliche
bezw. der unehel.
eheliche
Mutter Knaben | Mädchen | Knaben | Mädchen
evangelisch 753 | 789 | 606 642
katholisch 758 796 | 588 617
jüdisch 814 843 | 57 607
Es zeigt sich hier die viel günstigere Ueberlebensziffer der ehelichen
jüdischen Kinder gegenüber den christlichen Kindern ganz evident und
dieses Verhältnis hat sich seit 1882 sicher noch viel günstiger gestaltet,
wenn es sich auch gerade für die Säuglinge nicht durch neuere Er-
hebungen zahlenmäßig nachweisen läßt. Daneben finden wir in Tabelle 11
aber auch die Thatsache, daß die unehelichen Kinder jüdischer Mütter
nicht nur nicht günstiger, sondern erheblich ungünstiger als die unehe-
lichen christlichen Kinder dastehen, was wir, wie schon gelegentlich des
gleichen Verhältnisses bei den Totgeburten erwähnt, auf die besonders
schlechte soziale Lage der unehelich gebärenden Jüdinnen zurückführen,
wie andererseits die günstige Sterbeziffer der ehelichen jüdischen Kinder
sicher in ihrer durch die günstigere materielle Lage der Juden ermög-
lichten besseren Pflege ihren Grund hat. Unter diesem Gesichtspunkte
ist die Tabelle, nach der bei den Juden nur 174, bei den Evangelischen
und Katholiken aber 229 und 223 von 1000 Kindern vor Vollendung
des 1. Lebensjahres starben, zugleich eine Mahnung, wieviel auf
dem Gebiete der Säuglingspflege und des Schutzes der Schwangeren
von seiten des Staates und der privaten Wohlthätigkeit noch geschehen
kann, um den Untergang vieler junger Menschenleben zu verhindern.
Auf die Frage nach der Häufigkeit der Selbstmorde bei Juden und
Christen giebt Tabelle 12 Antwort. Es sind danach unter den Juden
und Jüdinnen die Selbstmorde relativ häufiger als unter den Christen
bezw. Christinnen. Bei den Juden männlichen Geschlechts läßt sich
dies ja wohl unschwer aus der erheblichen Beschäftigung mit dem an
Wechselfällen reichen und mit Spekulationen eng verknüpften Handel
erklären. Bei den Jüdinnen ist die Erklärung schwieriger; wir möchten
sie noch am ersten in der Furcht vor den Folgen sittlicher Fehltritte
finden, einer Furcht, die, wie schon erwähnt, bei den Jüdinnen infolge
der scharfen Kontrolle und Mifbilligung seitens der jüdischen Gesell-
schaft besonders stark ist.
Tabelle 13 giebt zum Schlusse eine Uebersicht über den Ueber-
schuß der Geburten über die Todesfälle, gewissermaßen als Resume aller
bisherigen Tabellen. Hier zeigt sich die Folge der Verringerung der
Geburtenhäufigkeit bei den Juden besonders augenfällig. Während noch
Miszellen. 383
D
Tabelle 12.
Selbstmorde in Preußen 1893—1897.
Es töteten sich selbst:
d | g m? | Es kommen Selbst-
jährlich im | mörder im Durch-
à As Durchschnitt schnitt der Jahre 1893
| 1893 | 1894 | 1805 | 1896 | 1897 | der Jahre 1897 auf 100 000
| 1893—1897 am 2. Dezember 1895
Gezählte
= - |
Christen | 4857 | 5042 | 4668 | 4849 | 4678 4819 31,17
Christinnen 1227 | 1287 | 1230 | 1365 | 1318 1285 S 8,02
Juden 72 72 64 54 7 68 36,50
Jüdinnen 25 25 15 27 24 23 11,89
Tabelle 13.
Der Ueberschuß der Geburten über die Sterbefälle in Preußen betrug jährlich pro mille
der Bevölkerung !):
Kä Durchschnitt der Jahre
1820 | 1878 | 1888 | 1893
bis bis bis | bis
1866 | 1882 | 1892 d 1897
beiden. Christen | inkl. aller unehelichen Kinder und der | — |14,29 | 15,11 | 16,31
À Kinder aus Mischehen nach dem
bei den Juden | Religionsbekenntnis der Mutter 16,80 | 12,79 | 8,83 | 7,52
biden Taden f unter Berücksichtigung nur d. Geburten — orge | 7,41 | 6,04
\ aus rein jüdischen Ehen
im Jahrfünft 1878—1882 die Juden sich jährlich um 12,79 aufs Tausend
vermehrten, ist diese Zahl im Jahrfünft 1893—97 auf 7,52 zurück-
gegangen, wogegen sie bei den Christen nicht nur nicht zurückgegangen,
sondern sogar von 14,29 auf 16,31 gestiegen ist. Und dabei sind unter
den Verhältniszahlen für die Juden noch die unehelichen und die Ge-
burten der in Mischehen lebenden jüdischen Mütter mitgerechnet (ohne
diese würde sich für 1893—97 der Geburtenüberschuß der Juden nur
auf 6,04 pro mille beziffern), obwohl sehr viele dieser Kinder, wie in
Kapitel 2 zu zeigen sein wird, nicht dem Judentum erhalten bleiben.
Die Christen vermehren sich jetzt also jährlich mehr als doppelt so
rasch als die Juden, und damit wird natürlich das Verhältnis der Juden
zu den Christen — wir müssen auf diese bemerkenswerte Thatsache
nochmals hinweisen — und ihre Chance, sich inmitten der Christen
unversehrt als Rasse zu erhalten, eine immer geringere. Schon seit
Jahrhunderten hat das Meer des Christentums ein Steinchen nach dem
anderen von der Insel des Judentums abgespült, und die Judenheit hat
sich nur dadurch erhalten, daß sie durch ihre große eheliche Fruchtbar-
keit für das auf der einen Seite Losgerissene auf der anderen Seite
gleichen oder sogar größeren Anwachs erhielt. Wenn jetzt mit rapid
1) Zu Grunde gelegt sind für die Jahrfünfte 1878/1882 bezw. 1888/1892 bezw.
1893/1897 die Zahlen der Volkszählungen von 1880 bezw. 1890 bezw. 1895.
384 Miszellen.
zurückgehender Geburtenziffer dieser Anwachs kleiner und kleiner wird,
dann steht das Judentum in Deutschland vor der Aussicht, immer
mehr an Terrain zu verlieren und von dem es umbrandenden Christen-
tume allmählich ganz verschlungen zu werden. Vorläufig scheint diese
Möglichkeit noch entfernt; aber sie rückt — wenn nicht unerwartete
Ereignisse, z. B. starke Einwanderung fremder Juden nach Deutschland
oder starkes Wiederansteigen der jüdischen Geburtenziffer, eintreten —
doch näher und darf heute nicht mehr als ein Phantom betrachtet
werden.
Auch in der Anzahl der jüdischen Eheschließungen ist seit den
TOer Jahren des 19. Jahrhunderts ein bemerkbarer Rückgang eingetreten.
Die Anzahl der jüdischen Eheschließungen des Jahres 1875 ist, obwohl
sich seit dem Jahre 1889 wieder eine langsame Steigerung wahrnehmen
läßt, bis zum Jahre 1899 nicht wieder erreicht worden, während die
christlichen Eheschließungen von 227 923 im Jahre 1875 auf 284335
im Jahre 1899 gestiegen sind. Die Folge ist, daß gemäß Tabelle 14
auf 1000 christliche Eheschließungen im Jahrfünft 1875/1879 11,42,
Tabelle 14.
Es wurden Ehen in Preußen geschlossen :
durchschnittlich | durchschnittlich
jährlich im Jahrfünft jährlich im Jahrfünft
1875/1879 | 1895/1899
rein christliche 212 816 269 221
rein jüdische 2430 2555
Auf 1000 christl. Eheschließungen
kommen jüdische 11,42 9,49
im Jahrfünft 1895/1899 aber nur noch 9,49 jüdische Eheschließungen
entfallen.
Während bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts ein jüdischer
Junggeselle zu einer sehr seltenen Species gehörte und jeder Jude
seinen eigenen Hausstand zu gründen suchte, ist hierin jetzt eine
Aenderung eingetreten, und unter den Christen sind die Eheschließungen
heute, wie Tabelle 15 zeigt, häufiger als unter den Juden.
Tabelle 15.
Verhältnis der Eheschließungen zur Bevölkerung
in Preußen.
et Een im Jahrfünft im Jahrfünft im Jahrfünft
å See 5 878/1882 | 8/1892 93/1897
statt unter 1000 1) 1878, FE SE j 1893/1897
Christen 7,80 8,09 8,12
Juden 6,53 6,66 6,61
1) Zu Grunde gelegt sind der Verhältnisberechnung für die Jahrfünfte 1878/82.
1888/92 und 1893/97 die Ergebnisse der Volkszählungen von 1880, 1890 und 1895.
Miszellen. 385
Unter 1000 Christen in Preußen fanden alljährlich im Jahrfünft
1893/97 8,12 Eheschließungen statt, unter 1000 Juden nur 6,61. Das-
selbe Ergebnis liefert eine besondere Erhebung für Berlin, wo am
2. Dezember 1895 von den vor dem Jahre 1876 geborenen (also etwa
20 Jahre und darüber alten) Männern verheiratet waren:
unter den Evangelischen 60,1
unter den Katholiken 54,2
unter den Juden nur 51,8
Dieses Zurückbleiben der jüdischen Eheschließungen hinter den christ-
lichen ist um so bemerkenswerter, als die wirtschaftlichen Verhältnisse
der Juden sich im 19. Jahrhundert fortschreitend gebessert haben und
also einen Anreiz zu häufigeren Eheschließungen bieten müßten. Die
Erklärung liegt zum Teil in der Zunahme der Mischehen zwischen
Christen und Juden, auf die wir im nächsten Kapitel zu sprechen
kommen.
Ueber die Ehescheidungen nach Religionsbekenntnissen giebt
es leider keine statistischen Zahlen für den ganzen Staat, sondern nur
solche für Berlin. Das statistische Jahrbuch der Stadt Berlin, 23. Jahr-
gang, S. 41, giebt hierüber die folgenden Tabellen 16 und 17.
Tabelle 16.
Ehescheidungen in Berlin.
im in
Es wurden geschieden | 1885 | 1886 | 1890 | 1801 | 1895 | 1896
RE r — eecht 1 | =
rein evangel. Ehepaare 690. | 604 | eg | 789 1077 | 1091
rein kathol. Ehepaare 21 14 26 33 42 38
rein jüdische Ehepaare 23 29 | 19 46 38 49
Tabelle 17.
In Berlin kamen jährlich Ehescheidungen auf 1000:
im Durchschnitt der Jahre `
1885—1886 | 1890—1891 | 1895—1896
saigel, Ehepaare 3,57 3,07 4,73
kathol. Ehepaare 2,71 2,81 3,35
jüdische Ehepaare 2,67 2,51 3,26
Zu Grunde gelegt sind den Verhältnisberechnungen für die Jahre 1885/86, 1890/91
und 1895/96 die Anzahl der am 1. 12. 1885, 1. 12. 1890 und 2. 12. 1895 in Berlin
gezählten Ehepaare.
Bemerkenswert ist hieraus, daß wie bei den Christen so auch bei
den Juden die Zahl der Scheidungen von 1890/91 bis 1895/96 stark
gestiegen ist. Indessen sind die Scheidungen jüdischer Ehepaare immer
noch seltener als die katholischer oder evangelischer Ehepaare. In den
beiden Jahren 1895 und 1896 wurden durchschnittlich jährlich ge-
schieden von 1000 jüdischen Ehepaaren nur 3,26, von 1000 katholischen
dagegen 3,35 und von 1000 evangelischen sogar 4,73.
Unter 100 Ehescheidungen der betreffenden Konfession in Berlin
sind erfolgt im Durchschnitt der Jahre 1891/1895 wegen
Dritte Folge Bd. XXIII (LXXVII. 25
386 Miszellen.
E Ehebruchs | des Mannes | der Frau | beider
— Maan on " — — =
bei den Evangelischen 19,94 | 15,56 | 3,41
bei den Katholiken 18,72 14,88 | 2,40
bei den Juden 14,76 | 3,69 | 1,23
Hierbei fällt die äußerst geringe Anzahl der Ehescheidungen wegen
Ehebruchs der Frau bei den Juden besonders ins Auge. Nur 3,69 Proz.
aller Ehescheidungen sind hierdurch veranlaßt, noch nicht ein Viertel
der aus gleichem Grunde erfolgten katholischen oder evangelischen Ehe-
scheidungen. In Bezug auf eheliche Treue scheint also bei den jüdischen
Frauen eine ausgezeichnete Tradition zu herrschen. Die jüdischen
Ehemänner stehen nicht in so überaus günstigem Verhältnis zu den
christlichen Ehemännern, wie ihre Frauen zu den christlichen Frauen,
obwohl die Anzahl der Ehescheidungen wegen Ehebruchs des Ehemannes
mit 14,76 Proz. aller Ehescheidungen immer noch hinter den entsprechen-
den Zahlen bei Katholiken (18,72) und Evangelischen (19,94 zurück-
bleibt.
Abgesehen von dieser größeren ehelichen Treue ist auch sonst die
Innigkeit des jüdischen Familienlebens rühmlich hervorzuheben (und ist
ja allerdings auch schon oft genug hervorgehoben). Diese hat, wie aus
dem Alten Testament ersichtlich, schon in der palästinensischen Zeit
bestanden, sie hat sich im Mittelalter, wo der Jude unter dem Druck
von außen nur bei den Seinen Liebe und Verständnis fand, noch verstärkt
und bis heute erhalten. Gefördert wird sie dadurch, daß nach herrschen-
der jüdischer Sitte anders wie bei Römern und Deutschen der jüdische
Hausvater nicht eine unbeschränkte Machtbefugnis über seine Kinder
ausübt, sondern daß dem Sohn, sobald er erwachsen ist, und nicht viel
weniger der Tochter ein ziemlich freier Spielraum gelassen wird. Der
Vater tritt sogar meist gern hinter seinen Sohn zurück und überläßt
ihm, wenn er etwa in sein Geschäft eintritt, möglichst bald die Leitung,
hat sich allerdings auch über schlechte Behandlung von seiten des
Sohnes wohl nie zu beklagen. Das germanische Sprichwort: „Wer seinen
Kindern giebt das Brot und leid’t im Alter selber Not, den schlag man
mit der Keule tot“, das die germanische Anschauung, daß der Vater
möglichst lange das Heft in der Hand behalten müsse, widerspiegelt,
ist den Juden fremd. Eher könnte man den jüdischen Eltern oft zu
große Nachgiebigkeit gegen ihre Kinder zum Vorwurf machen. Die
Töchter sucht man möglichst frühzeitig zu verheiraten; die allerdings
nur für Palästinas Klima geschriebene Regel, daß der junge Mann mit
18, das Mädchen mit 14 Jahren heiraten solle, hat hier vielleicht mit
den für deutsches Klima notwendigen Modifikationen fortgewirkt, und
es scheint, als ob die Jüdinnen in der Gegenwart im Durchschnitt
einige Jahre früher als die Christinnen in die Ehe treten, obwohl
statistische Nachweise hierüber unseres Wissens leider nicht vorliegen.
(Fortsetzung folgt.)
Wa,
Litteratur. 387
Nachdruck verboten.
Litteratur.
L
Gustav Schmoller, Grundriss der allgemeinen Volks-
wirtschaftslehre').
Erster größerer Teil. Erste bis dritte Auflage. Leipzig (Duncker & Hum-
blot) 1900. VI und 482 SS.
Besprochen von W. Hasbach.
I.
Von Schmollers Grundriß liegt bis jetzt nur die erste Hälfte vor,
und wir wissen nicht, welche Gestalt die zweite annehmen wird. Die
Worte der Vorrede: „Die zweite wird in zwei Büchern den gesell-
schaftlichen Prozeß des Güterumlaufs und der Einkommenbildung, sowie
die entwickelungsgeschichtlichen Gesamtresultate enthalten“, lassen nur
das Urteil zu, daß uns die Erscheinungen des Verkehrs und der Güter-
verteilung in der Frische ihrer geschichtlich wechselnden und mannig-
fach bedingten Formen entgegentreten werden.
Diese Ungewißheit hat ihre Unzuträglichkeiten für den Referenten,
aber sie lastet nicht auf dem Leser. Vor ihm liegt eines jener Funda-
mente, die wegen ihres eigenartigen und bedeutenden Charakters die
Frage nach dem Oberbau nicht aufkommen lassen. Er fühlt die in-
tellektuelle Freude, welche die erste Grundlegung der poli-
tischen Oekonomie vom geschichtlichen Standpunkte so-
wohl durch ihren Inhalt wie durch ihre Form bereitet. In dieses
Werk sind alle die Steine eingemauert, die von der historischen Schule
seit Jahren aus nationalökonomischen, philosophischen, ethnologischen,
soziologischen und anderen Wissensgebieten zusammengetragen wurden,
wobei der Verfasser sich nicht nur als Führer, sondern auch in Reih
und Glied an Abbau und Förderung beteiligt hat. Ein großer Teil
des Inhaltes des vorliegenden Bandes beruht auf seinen eigenen
Forschungen. Und die Darstellung fließt so leicht und reizvoll dahin,
1) Das verspätete Erscheinen dieser Besprechung ist Umständen zuzuschreiben,
deren Darlegung umständlich wäre und für die Ref. nieht verantwortlich ist.
25*
388 Litteratur.
daß man nicht ermüdet und sich auf die unübersehbare Summe von
gelehrter Arbeit besinnen muss, die über 458 Seiten verteilt ist.
Allein in der ausgezeichneten Verwertung vgrhandener Forschungen
besteht nicht der durch dieses Werk vollzogene Fortschritt. Am
leichtesten wird ihn erkennen lassen ein Blick auf die von der älteren
historisch-ethischen Schule verfolgten Ziele, die jedoch nicht in ihrer
zeitlichen Aufeinanderfolge vorgeführt werden sollen. Eine etwas aus-
führlichere Besprechung wird sich deshalb empfehlen, weil die genaue
Bekanntschaft mit ihnen schon im Verschwinden begriffen ist und bis-
her seltsamerweise niemand daran gedacht hat, die historische Schule
zum Gegenstande einer litterargeschichtlichen Untersuchung zu machen,
die man als bekannt voraussetzen könnte.
An den realen Ursachen ihres Entstehens müssen wir vorüber-
gehen. Nur den idealen Reflex der seit der Einführung liberaler
Reformen eingetretenen wirtschaftlichen Zustände dürfen wir zum Gegen-
stande einer kurzen Betrachtung machen. Sie fragt, ob der Eigennutz
die einzige Triebfeder wirtschaftlichen Handelns ist und sein soll, ob
dessen Wirkungen, wie sie sich in der Ausbeutung schwacher Individuen
durch die starken, zurückgebliebener durch fortgeschrittene Völker offen-
baren, als gerecht und segensreich gelten dürfen; sie zweifelt, ob sich
im Kampfe ums Dasein Menschen und Nationen mit gleichen Fähig-
keiten, auf gleicher Stufe wirtschaftlicher Kraft gegenüberstehen; sie
behauptet, daß die wirtschaftliche Freiheit und das unbeschränkte
Eigentumsrecht, diese Fundamente der liberalen wirtschaftlichen Rechts-
ordnung, den wirtschaftlichen Fortschritt und den sozialen Frieden nur
unter der Voraussetzung einer hohen psychologisch-ethischen Entwicke-
lung bewirken können, eines Zustandes, den verschiedene Völker in
verschiedenen Zeiten erreichen; sie fordert die Unterwerfung des wirt-
schaftlichen Lebens unter Sittlichkeit, Recht und Staat; sie stellt die
Prinzipien der Nationalität, der Relativität und der sittlichen Kontrolle
dem Kosmopolitismus, Absolutismus, der sittlichen Indifferenz gegen-
über; sie steht auf dem Boden kollektivistischer und evolutionistischer
Auffassung der gesellschaftlichen Erscheinungen. Ihre Abneigung gilt
der von A. Smith begründeten Wissenschaft, die von Ricardo aller ethischen
und geschichtlichen Elemente beraubt worden ist, und deren düsteren
Pessimismus Bastiat mit den hellen Farben Carey’schen Optimismus
übertüncht hat. Je mehr diese Einfluß gewinnt, um so mehr wendet
sich ihre Betrachtung der Psychologie, der Ethik, einer tieferen Auffassung
des Staates, der Pflege wirtschaftsgeschichtlicher Studien zu. Die Wirt-
schaftspolitik soll auf einen ganz neuen Boden gestellt, die bisherige
Theorie der politischen Oekonomie beseitigt werden. — Hier beginnt
meines Erachtens der Irrtum der älteren historischen Schule !).
Denn die Sätze der Political economy enthalten die volkswirt-
schaftlichen Erfahrungen Englands und Frankreichs, die diese Länder
1) Dieser Auffassung habe ich ausführlicher sehon vor 8 Jahren bei Gelegenheit
der Besprechung von Büchers ‚Entstehung der Volkswirtschaft in den „Göttinger Ge-
lehrten Anzeigen‘ Ausdruck gegeben. Hier muß ich mich beschränken.
Litteratur. 389
etwa seit dem 17. Jahrhundert, seit der Entstehung der Volkswirtschaft,
gewonnen haben. Die von ihren Begründern geschilderten Wirkungen
haben keine Aehnlichkeit mit denjenigen mechanischer Kräfte; es sind
gesellschaftliche Tendenzen, die sich aber stark fühlbar machten. Die
Kräfte sind psychologischer Natur, die sich unter dem Druck der
Lebensbedingungen alter Kulturvölker einstellen: Mangel an freien
Gütern, große Besitzunterschiede, eine arme handarbeitende Klasse, die
sich übermäßig stark vermehrt. Es sind nicht Prämissen eines deduk-
tiven Verfahrens, wie Senior, Mill und Cairnes lehrten, und was die
‚Political Economy’ über Preis, Grundrente oder Lohn berichtet, sind
nicht Schlußfolgerungen aus jenen Prämissen, sondern beobachtete,
häufiger wiederkehrende Thatsachen des wirtschaftlichen Lebens. Ebenso
wenig verdienten sie selbstverständlich den Namen von Naturgesetzen’,
denn die Abweichungen haben nicht den Charakter von Hemmungen.
Die der älteren Theorie anhaftenden Fehler bestanden also in der Form,
welche Engländer und Deutsche den die volkswirtschaftlichen Er-
fahrungen alter Kulturländer enthaltenden Urteilen gegeben hatten, weil
es ihnen an einem genügenden Ueberblick über die Entstehung der
volkswirtschaftlichen Sätze mangelte. Wollte man die Fehler beseitigen,
so mußte man Zweierlei thun: erstens den Naturgesetzen” ihren sozialen
Charakter zurückgeben, hinweisen auf die Bedingungen unter denen sie
zustande kommen, wie dies Neumann z. B. in der Lehre vom Preise
gethan hat, und der Theorie einen historischen Unterbau geben.
Man mußte die heutige Volkswirtschaft als den Endpunkt einer langen,
nicht bloß wirtschaftlichen Entwickelung verstehen lehren. Ihre Ge-
setze sind dann soziale Gesetze der Aufeinanderfolge wirtschaftlicher
Erscheinungen.
Die Richtigkeit dieser Auffassung beweist ein Blick auf die Volks-
wirtschaft des nördlichen Teiles der Vereinigten Staaten von Nord-
amerika in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Reichtum an freien
Gütern, die noch immer nicht stark fühlbaren Besitzunterschiede, die
hinter den Anforderungen des wirtschaftlichen Lebens zurückbleibende
Vermehrung der handarbeitenden Klasse schufen dort die ‚realen Grund-
lagen des Carey’schen Optimismus, den Bastiat auf den ganz anders
gearteten, auf verschiedenen realen Grundlagen stehenden europäischen,
Ricardo-Malthus’schen Pessimismus pfropfte. Zur selben Zeit im Süden
der Vereinigten Staaten eine auf der Sklaverei beruhende Volkswirt-
schaft, deren durchaus verschiedene ‚Gesetze Cairnes in einem ausge-
zeichneten, schon halb vergessenen Buche darstellte. Sehen wir nun,
wie sich die Hauptvertreter der älteren historischen Schule zu diesen
Fragen stellten!
Deren Wiege steht in Schwaben, die Schwaben List und Schüz
sind ihre Begründer, beide waren Professoren an der Universität
Tübingen, der letztere, der von den ethischen, historischen, sozialistischen
Strömungen der Zeit schon anfangs der vierziger Jahre kräftig be-
wegt wird, ist der Lehrer Schmoller’s gewesen. Aber eine stärkere
Wahlverwandtschaft verknüpfte diesen doch mit dem Thüringer Bruno
Hildebrand. Denn in Hildebrand tritt der ethisch-psychologische Zug
390 Litteratur.
der älteren Schule am schärfsten hervor, jedenfalls schärfer als in
Roscher und Knies. Seinen Standpunkt erkennt der aufmerksame Leser
deutlich genug in der Nationalökonomie der Gegenwart und Zukunft,
aber in den beiden Aufsätzen seiner Zeitschrift ist er ausführlicher
dargelegt. Bekanntlich sind es zwei Aufgaben, die er der Nationalökonomie
stellt; es empfiehlt sich, zuerst von der zweiten zu sprechen. Sie be-
steht in der „Notwendigkeit volkswirtschaftlicher Geschichts-
forschung“ Und es kann kein Zweifel sein, daß Schmoller mehr
als alle anderen Nationalökonomen sich dieser Aufgabe selbstthätig und
anregend gewidmet hat. Die erste formuliert er so: „daß sie ihre ganze
naturwissenschaftliche Grundanschauung einer Kritik unterwirft und die
Frage beantwortet, ob und inwieweit im wirtschaftlichen Leben wirk-
lich Naturgesetze herrschen“. Diese Forderung erhob er 1863, aber im
Jahre 1853 hatte Knies schon einen Abschnitt (III, 3) seines Werkes. ‚Die
politische Oekonomie vom Standpunkte der geschichtlichen Methode’
dieser Frage gewidmet, und er klagt in der 2. Auflage von 1883 darüber,
daß Hildebrand ihn in jenem Aufsatze nicht genannt habe. Wenn
man aber die Ausführungen von Knies überdenkt, in denen sich, wie
ich glaube, ein Grundirrtum über Smith befindet !), so bemerkt man,
daß er dasjenige, was Hildebrand wahrscheinlich für wünschenswert
hielt, nicht geleistet hat, während Schmoller’s Ueber einige Grundfragen
des Rechts und der Volkswirtschaft sich weit mehr in der von Hilde-
brand gewünschten Richtung bewegt. Knies giebt mit der gewöhn-
lichen Schärfe seines klaren Geistes Untersuchungen über Eigennutz,
Selbstliebe, Gemeinsinn u. s. w., die auch ein Philosoph des 18. Jahr-
hunderts hätte anstellen können; thatsächlich finden sie sich in den
Schriften englischer Ethiker jener Zeit. Andere Ergebnisse erwartete
wahrscheinlich Hildebrand. „Die Naturwissenschaft“, schreibt er, „er-
forscht in der bewußtlosen Wirklichkeit das herrschende Gesetz, in den
Veränderungen des Naturlebens das Bleibende; die Wissenschaft der
menschlichen Kultur dagegen in dem selbstbewußten Leben der Mensch-
heit den Fortschritt, in den Veränderungen und Erfahrungen der
Menschen die Vervollkommnung der Gattung.“ Und an Roscher
tadelt er folgendes: „Roscher nimmt also in der Geschichte der wirt-
schaftlichen Thätigkeit der Menschen und Völker zwei Elemente an:
das naturgesetzliche, das sich immer gleich bleibt und aus dem Privat-
interesse der Menschen entspringt, und das wandelbare, das mit dem
Volke sich ändert“. Was Hildebrand vorschwebte, war folglich eine
Entwickelungsgeschichte des sittlichen Bewußtseins, wie es das ganze
wirtschaftliche Leben in aufeinanderfolgenden Zeiträumen formt und
ändert. In der Vorrede zu seiner Schrift „Die Nationalökonomie der
Gegenwart und Zukunft“ (1848) bezeichnet er als sein Ziel, „diese
Wissenschaft zu einer Lehre von den ökonomischen Entwickelungs-
gesetzen der Volkswirtschaft umzugestalten“.
Diese Forderung hat dann Knies 5 Jahre später aufgenommen in
einem Buche, das eine Aufgabe löste, die auch Hildebrand sich gestellt
1) In Sehmoller’s Jahrbüchern, 1896, S. 871 f. habe ich darauf aufmerksam gemacht.
\
Litteratur. 391
hatte. Unstreitig hat er den Begriff des Entwickelungsgesetzes mit
einer Gründlichkeit erörtert, die sich weder bei Roscher noch bei Hilde-
brand findet, aber das Verhältnis der psychischen Entwickelung der Indi-
viduen und Völker zu deren wirtschaftlicher Entwickelung ist meines
Erachtens doch nur ungenügend aufgehellt. Er schreibt: „Das dem
geistigen Leben der Menschen und der Völker entstammende Element ist
auch die Ursache der im Wirtschaftsleben der Völker ersichtlichen,
andauernd vorschreitenden Entwickelung...... Ich habe meiner-
seits insbesondere durch den Nachweis des einheitlichen Springquells
der Triebe wie der Handlungen in dem menschlich persönlichen Leben
die Ursache jener Erscheinung!) darzulegen gesucht und darauf hin-
gewiesen, daß alle umbildenden Eindrücke und Einflüsse auf diesen
einheitlichen Kern des individuell- und nationalpersönlichen Lebens
ihre Wirkungen nach allen Seiten hin geltend machen können.“ Nach
diesen Worten kann man aber kaum die Psyche als die Ursache der
Entwickelung betrachten, sondern es sind die äußeren Verhältnisse, die
sie umbilden, und diese Auffassung erklärt weit mehr, weshalb alle
Kulturerscheinungen desselben Zeitalters verwandt sind und aufeinander
einwirken, als daß sie ein Gesetz der Aufeinanderfolge der kulturellen
Erscheinungen verständlich machte ?). Betrachtet man oben das Werk
von Knies in seinem Zusammenhange, dann erkennt man, weshalb es
nicht anders sein konnte. Seine Aufgabe ist es, die Vielheit der
Faktoren, welche das wirtschaftliche Leben beherrschen, aufzuzeigen,
und deren räumliche und zeitliche Veränderlichkeit, wie sie Ver-
schiedenheiten der nationalen Wirtschaft erzeugen, dem geistigen Blicke
näherzubringen. Die in dem wirtschaftlichen Leben der Völker her-
vortretende Mannigfaltigkeit auf ihre gesetzmäßig waltenden Ur-
sachen zurückzuführen, das liegt ihm weit mehr am Herzen als eine
Formel für ihr Wachstum und ihren Verfall zu finden. In diesem
theoretischen Boden wurzelt dann das Prinzip der Relativität.
Nichtsdestoweniger hat Kuies, wie Hildebrand, Roscher angegriffen,
weil er das Wort Naturgesetz nicht missen wollte Und doch war
Roscher der erste, der Entwickelungsgesetze forderte, und zwar schon
im Jahre 1843, 10 Jahre vor Knies, 5 bezüglich 20 Jahre vor Hilde-
brand. Aber in der Methodenlehre des 1. Bandes seines Systems der
Nationalökonomik sind die Entwickelungsgesetze des Grundrisses durch
‚Naturgesetze’ ersetzt. Wie erklärt sich diese Sinnesänderung ?
In der Einleitung des Grundrisses heißt es: „In der historischen
Methode der Staatswissenschaften überhaupt wird der politische Trieb
der Menschen, der nur aus einer Vergleichung aller bekannten Völker
1) Roscher hatte behauptet: „Wenn die natürlichen Verhältnisse des Bodens ete.
ein gewisses Feldsystem nötig machen, so werden insgemein auch die Verhältnisse der
Geburtsstände, der Staatsverfassung . . . genau so beschaffen sein, um von anderen Seiten
her auf dasselbe Feldsystem hinzuweisen“. Das ist die mechanisch-teleologische Weltan-
schauung.
2) In dem Aufsatze Hildebrands Natural-, Geld- und Kreditwirtse haft ist die
Psyche auch passiv. Der Einzige, der sie zum Bewegungsprinzip zu machen suchte, ist
| Baumstark in seinem Aufsatz ‚Die Volkswirtschaft nach Mense “henrassen’,
399 Litteratur.
erforscht werden kann, untersucht und das Gleichartige in den
verschiedenen Volksentwickelungen als Entwickelungsgesetz zusammen-
gefaßt.“ Und in der Vorrede: „Wer deshalb die Volkswirtschaft er-
forschen will, hat unmöglich genug an der Beobachtung bloß der heutigen
Wirtschaftsverhältnisse.“ Als er aber an die Ausarbeitung des 1. Bandes
seines Systems herantrat, da wird er, der A. Smith nicht als Gegner,
sondern als Vorläufer des ökonomischen Historismus betrachtete, wahr-
scheinlich eingesehen haben, daß die Erklärung der heutigen volks-
wirtschaftlichen Erscheinungen soziale Gesetze der Aufeinanderfolge der
wirtschaftlichen Erscheinungen erzeugt. Dagegen erfüllen der 2. und
3. Band das Versprechen des Grundrisses in so hervorragendem Mate,
daß sie die Roscher gezollte Bewunderung verständlich machen. Aber
der Widerspruch zwischen Ankündigung und Erfüllung läßt sich nicht
leugnen. Die Gesetze des 1. Bandes sind keine Entwickelungsgesetze
und die Gesetze des 2. keine Naturgesetze. Wohl aber reihen sich an
die Naturgesetze Entwickelungsgesetze, z. B. die Entwickelungsgesetze
des Luxus, des Kredits im 1. Bande des Systems. Mehr aber über-
rascht es, daß es an einer scharfen Sonderung von Theorie und Politik
fehlt. Die Erörterung politischer Probleme schließt sich sowohl an die
Naturgesetze wie an die Entwickelungsgesetze an.
Daß dieser unfertige Stand der Wissenschaft weder Hildebrand
noch Knies gefallen konnte, bedarf keiner besonderen Belege. Aber
es mag doch nicht unpassend sein, folgende Worte von Knies anzu-
führen: „Als ein ganz allgemein bedeutsames Verhältnis für das Er-
kennen des Wertes geschichtlicher Kenntnis ist nachdrücklich von mir
betont worden, daß die geschichtliche Entwickelung oder zeitliche Ent-
faltung (Explikation) des Wirtschaftslebens ihren Einfluß eben auch auf
dem Gebiete der allgemeinen oder theoretischen’ Volkswirtschaftslehre
und für die Bildung der ‚allgemeinen Begriffe” äußert“. Fordert Knies
eine Theorie der Volkswirtschaft vom historischen Standpunkt, so Hilde-
brand eine Volkswirtschaftspolitik gleichen Charakters. „Aber die Ge-
schichte, heißt es in dem ersten der oben genannten Aufsätze, „soll nicht
Deckmantel der Gesinnungslosigkeit werden und dahin führen, daß
Männer der Wissenschaft den praktischen Zeitfragen aus dem Wege
gehen“!). An diese Worte schließt sich das Bekenntnis einer eigenen
(liberal-sozialen) Stellung zu den Grundfragen der Zeit an.
Aber Knies hat, wenn auch vortreffliche Einzelausführungen, so
doch keine Theorie der Nationalökonomie und Hildebrand keine Volks-
wirtschaftspolitik vom historischen Standpunkt geschrieben.
Nur G. Cohn ist an die von Knies gestellte Aufgabe herangetreten,
denn das Buch von J. Kautz ist ein System der bis dahin ausge-
sprochenen Grundsätze der historischen Methode, und verdient als solches
weit mehr Beachtung, als ihm geworden ist. Nach dem Gesamttitel
1) Sehr prägnant sind auch folgende Worte: Die Wissenschaft „hat den historischen
Entwiekelungsgang sowohl der einzelnen Völker als auch der ganzen Menschheit von
Stufe zu Stufe zu erforschen und auf diesem Wege den Ring zu erkennen, den die
Arbeit des gegenwärtigen Geschlechts der Kette gesellschaftlicher Entwiekelung hinzu-
fügen soll“,
Litteratur. 393
sollte man allerdings eine Theorie der Nationalökonomik erwarten, der
besondere Titel aber lautet: „Die Nationalökonomik als Wissenschaft.“
Cohn’s Werk charakterisiert sich als eine Geschichtsphilosophie und Ethik
der Volkswirtschaft, hinter der die Vorgänge des Wirtschaftslebens
zurücktreten müssen. Philippovich aber würde Verwahrung dagegen
einlegen, wollte man ihn hier anreihen. Denn in dem Vorwort zur
2. Auflage rechnet er mit der allerdings noch langen Zeit, da die Lehr-
bücher der politischen Oekonomie noch die realistische Auffassung
werden zur Geltung bringen müssen.
IL.
Die der älteren historischen Schule eigentümlichen Ideen sind im
wesentlichen in der Zeit von 1843—1863 ausgeprägt worden. In dem-
selben Anfangsjahre veröffentlichte Roscher seinen Grundriß’ und Schüz
seine ‚Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, denen es leider nicht ver-
gönnt war, eine 2. Auflage zu erleben; zu stark war noch der Rationalis-
mus Rau’s, Lotzens und Hermann’s. Im Jahre 1863 erschienen die beiden
Aufsätze Hildebrand's. Will man List und Baumstark in den Kreis
mit aufnehmen, so ist die Periode etwas früher und etwas später an-
zusetzen: von 1841—1865. Daß ihre Begründer in der Forderung einer
historischen Methode und einer ethischen Kontrolle der Privatwirt-
schaften, wie einer kollektivistischen Auffassung des Wirtschaftslebens
übereinstimmten, tritt hoffentlich ebenso stark hervor, wie ihre Meinungs-
verschiedenheit über außerordentlich wichtige Fragen, so daß das Wort
historische Schule’ fast ebenso schlecht gewählt erscheint, wie das
beliebte ‚klassische Schule. Es hat eine physiokratische Schule ge-
geben und es giebt eine Marxische Schule, aber der historischen Schule
fehlte der strenge Zusammenhang, der nur möglich ist, wenn volle
Einheit über die Grundfragen einer Wissenschaft besteht. Die neu-
historische Schule hat die Kenntnis der Wirtschaftsgeschichte ganz
außerordentlich erweitert, sie hat im Kampfe mit ihren Gegnern Ge-
legenheit gehabt, ihren ethischen und politischen Standpunkt weit stärker
zu befestigen, das große Gebiet der Urgeschichte, Völkerkunde und
Soziologie ist von ihr für die Nationalökonomie erschlossen worden, aber
jene Grundfragen haben in der täglichen Arbeit der Schule’ nur eine
geriuge Rolle gespielt, wie das Fehlen einer kritischen Geschichte des
ökonomischen Historismus im Zusammenhang mit der Geschichte der
historischen und soziologischen Betrachtung in den übrigen Wissen-
schaften am besten beweist. Nur Schmoller hat in einer Reihe von
Aufsätzen Einzelschilderungen hervorragender Nationalökonomen, unter
anderen von Knies und Roscher, gegeben, die bei ihrem ersten Erscheinen
größtenteils als Rezensionen veröffentlicht wurden !). Wichtiger ist es, daß
er sich im Zusammenhang über die Fragen der Methode in einem längeren
Aufsatze geäußert, der, echt historisch, die Methodik in den Fluß der
Geschichte stellt 3. Diese beiden Schriften bieten den Schlüssel zum
1) Zur Litteraturgeschichte der Staats- und Sozialwissenschaften, 1888.
2) Volkswirtschaft, Volkswirtschaftslehre und -Methode. Handwörterbuch der Staats-
wissenschaften.
394 Litteratur.
Verständnis des Grundrisses, und so sollen die wichtigsten dort aus-
gesprochenen Ueberzeugungen hier folgen.
Schmoller setzt der allgemeinen eine specielle Volkswirtschaftslehre
entgegen, „wir ziehen in beiden Teilen das Verhältnis von Staat, Recht,
Sitte und Moral zur Volkswirtschaft in Betracht“. Die erstere „nähert
sich einer ethischen und geschichtsphilosophischen Untersuchung, wenn
sie die gesamten volkswirtschatftlichen Erscheinungen im Zusammen-
hange mit ihren letzten gesellschaftlichen Ursachen vorführen will.
Umgekehrt ist die specielle Nationalökonomie historisch und praktisch-
verwaltungsrechtlich; sie erzählt die neuere volkswirtschaftliche Ent-
wickelung Westeuropas oder eines einzelnen Landes nach Perioden
oder Hauptzweigen der Volkswirtschaft.“ Mit diesen Worten hat
Schmoller seine Auffassung treffend charakterisiert; ich glaube aber
nicht, daß sie allgemein geteilt wird. Ich vermute, daß mehr National-
ökonomen auf dem Standpunkte von Knies und Hildebrand, als auf
dem von Roscher und Schmoller stehen. In einen Teil der Wissen-
schaft die theoretischen Elemente verweisen, in einen anderen die
ethisch-politischen, in beiden die geschichtlichen und psychologischen zur
Geltung kommen lassen, das ist wohl das Häufigere. Auch mit dem
Begriff der Volkswirtschaft, der in dem Grundrif, ähnlich wie in der
Methodik, nur kürzer, entwickelt wird, werden nur Wenige überein-
stimmen. Er schreibt: „Nur wo Menschen derselben Rasse und derselben
Sprache, verbunden durch einheitliche Gefühle und Ideen, Sitten und
Rechtsregeln, zugleich einheitliche nationale Wirtschaftsinstitutionen
haben und durch ein einheitliches Verkehrssystem und einen lebendigen
Tauschverkehr verknüpft sind, sprechen wir von einer Volkswirtschaft.“
Und doch reden wir allgemein von einer österreichischen und einer
schweizer Volkswirtschaft. Jene Definition ist aber bemerkenswert,
nicht als eine Konsequenz, wohl aber als ein Postulat der psychologisch-
ethischen Richtung des Verfassers, die uns jetzt beschäftigen soll.
Jenes ethisch- psychologische Fundament an dessen Herstellung
nach Knies neben Wagner, Schönberg, Neumann, Cohn, Scheel, Held,
Schmoller mitgewirkt hat, erhält seine Stellung in der Methodik
bei der Lehre von den Ursachen. Die tief eindringende Behandlung
dieses Gebietes in dem Grundrisse, wie sie bisher niemals versucht
wurde, findet hier ihre zureichende Erklärung. Neben die psychischen
stellt Schmoller die physischen und biologischen Ursachen, aber er
meint: „Je höher die Kultur steigt, desto wichtiger würden die psychisch-
ethischen Ursachen, und die Unvollkommenheit der älteren National-
ökonomie hänge damit zusammen, daß sie diese größere und wichtigere
Hälfte der Ursachen vernachlässigt habe.“
Stimmt so der Verfasser in diesem Punkte mit der älteren Schule
überein, so weicht er in zwei wesentlichen anderen ab. Erstens ver-
wirft er die ausschließliche kollektivistische Auffassung der volks-
wirtschaftlichen Erscheinungen; „letzteres haben die Begründer der
bistorischen Schule häufig verlangt.... Oft sind die psychischen
Eigenschaften und Handlungen der Individuen, oft die bestimmter
Menschengruppen, oft sind Preiserscheinungen, Aenderungen der wirt-
Litteratur. 395
schaftlichen Zustände .... das zuerst sicher Beobachtete.... Man kann
z. B, wenn von Westeuropa und seinen heutigen Großkaufleuten die
Rede ist, ohne weiteres voraussetzen, diese Leute handelten im Durch-
schnitt .... unter der Herrschaft (des) Erwerbstriebes.“ Der andere
Punkt bezieht sich auf die Gesetze’ der Volkswirtschaft.
Die ältere historische Schule forderte Entwickelungsgesetze, und
wenn man die vorher erwähnte Schrift Schmollers Zur Litteratur-
geschichte der Staats- und Sozialwissenschaften vom Jahre 1888 durch-
sieht, dann ist man zur Annahme geneigt, daß auch er sich zu dieser
Forderung bekenne. Von Roscher heißt es: „sein Interesse ist in
erster Linie den großen Fragen der historischen Entwickelungsprozesse....
zugewandt .... Er sucht nach Naturgesetzen für den allgemeinen Gang
der volkswirtschaftlichen Entwickelung. Alles Studium....... dient
ihm als empirisches Material zur Auffindung allgemeiner Wahrheiten in
Bezug auf den Gang der politischen und wirtschaftlichen Geschichte...
Man könnte fast sagen, was Roscher vorschwebe, sei eine allgemeine Ge-
schichtstheorie, seien Gesetze des historischen Lebens überhaupt. Vielleicht
für die Gegenwart ein zu hohes Ziel! Aber immer eines, nach dem die großen
Geister stets von neuem greifen, nach dem zu greifen erlaubt ist, wenn
man Feinheit des Geistes und der Beobachtung mit universaler Bildung
verbindet.... Er wollte nicht bloß die heutige Einkommensverteilung
darstellen, sondern erklären, wie sie entstanden; nicht bloß die Gründe
aufzählen, die die Löhne heute bestimmen, sondern das heutige Lohn-
verhältnis als ein Glied der sozialen Entwickelung aufdecken; nicht
prüfen, ob Malthus mit seiner Uebervölkerungstheorie heute recht habe,
sondern die heutigen Bevölkerungsprobleme in die Geschichte der Be-
völkerungsbewegung einreihen.“ Und von dem 2. und 3. Bande
schreibt er: „Hier werden die volkswirtschaftlichen Institutionen ge-
schildert; hier war das eigenste Gebiet... für vergleichende Geschichts-
betrachtung, für die Auffindung notwendiger Sequenzen.“ Nur in
Beziehung auf einige Gebiete erkennt er an, daß die historische Be-
trachtung nicht notwendig sei. Es heißt: die Grundthatsachen der
Preisbewegung wiederholen sich überall ziemlich gleichmäßig, sind daher
historischer Untersuchung nicht so sehr bedürftig.“
Sind diese Sätze nicht außerordentlich charakteristisch wegen der
Aufhebung des Unterschiedes von theoretischer und politischer Sozial-
ökonomie? Muß man nicht erwarten, daß die 5 Jahre später er-
scheinende Methodenlehre nun das Schwergewicht legen wird auf die
Begriffe der Entwickelung und des Entwickelungsgesetzes? Aber es
geschieht nicht. Dort, wo Schmoller die Definitionen unserer Wissen-
schaft bespricht, hebt er hervor, daß mit dem Ausdruck, „die Lehre von
den Entwickelungsgesetzen“ „nur die dynamischen Veränderungen, nicht
die statischen Formen der Organisation ... erfaßt sind“. Der größte
Teil der Methodenlehre handelt nun von den statischen Gesetzen, und
Schmoller sagt: „Je mehr man überhaupt die Untersuchung einschränkt
auf einen bestimmten wirtschaftlichen Kulturzustand und diesen vor-
läufig, was sicher ein erlaubter methodologischer Kunstgriff ist, als
stabil annimmt, desto leichter wird man dazu kommen, die wichtigsten
396 Litteratur.
und vorherrschenden psychischen und anderweiten Ursachen richtig zu
fassen und aus ihnen typische Formen der Organisation abzuleiten und
die elementaren, typisch sich wiederholenden Vorgänge des wirtschaft-
lichen Prozesses erkennen. Ob man sie Gesetze oder hypothetische
Wahrheiten nenne, sie sind, in richtiger Begrenzung gebraucht, das
große Instrument der Erkenntnis und die Stützen zur guten Staatspraxis
und Verwaltung.“
Und der Begriff der Entwickelung und des Entwickelungsgesetzes?
Sie werden auf 1!/, Spalten erledigt, zwar wird geurteilt, daß die
statischen Gesetze nicht letzte Wahrheiten’ seien, daß „neben ihnen
nun die weitere und tiefere Untersuchung der sich ändernden Ursachen
und der Veränderungen aller volkswirtschaftlichen Formen und Vor-
gänge“ durchgeführt werden müsse, daß sie im wesentlichen bestehe
aus 1) einer Untersuchung der Umbildung der psychologischen Ursachen
und 2) des Entstehens der volkswirtschaftlichen Organisationen. Aber
jene schwierige, an erster Stelle genannte Untersuchung — sie ist nur
gestellt, jedenfalls ist der Weg zu ihrer Lösung nur angedeutet.
Wenn wir nun im Lichte der Methodenlehre Schmoller's Grundrib
ins Auge fassen, dann stellt sich bald das Bedauern ein, daß der 2. Band
nicht vorliegt. Namentlich das Verhältnis der Entwickelungsgesetze zu
den aus dem Eigennutz abgeleiteten, die dort wahrscheinlich ein weit
größeres Anwendungsgebiet finden werden, ist es, was wir zu wissen
wünschten. Hier treten hauptsächlich hervor Darstellungen wirtschaft-
licher Entwickelungsvorgänge, wenn auch jene Abhängigkeiten von
äußeren Faktoren, deren Nachweis dem Geiste von Knies besonders
congenial war, im 1. Buche eine ausgezeichnete Würdigung finden. Man
darf behaupten, daß der Grundriß eine Verbindung der von Knies und
Roscher bezeichneten, bezüglich geübten Methoden enthält, so daß jede
an ihrem Platze verwandt wird.
Ueber die dem Werke zu Grunde liegenden Ideen und Ideale wage
ich kein Urteil abzugeben. Nicht nur die Thatsache der Nichtvollendung,
sondern auch die andere, daß der Verfasser seine Meinung über die
Stellung des psychischen Faktors im wirtschaftlichen Entwickelungs-
prozesse nicht bestimmt geäußert hat, ermöglichen Irrtümer. Am Ende
des 2. Bandes, der ja die entwickelungsgeschichtlichen Gesamtresultate
zusammenfassen soll, werden wir deutlicher zu sehen vermögen. Einen
Ersatz wird ein flüchtiger Ueberblick über den Inhalt des Buches bieten.
II.
Die heutige Wirtschaft der Kulturvölker ist gesellschaftliche Wirt-
schaft, das wirtschaftliche Leben hängt unzerreißbar mit den übrigen
Erscheinungsformen des sozialen Lebens zusammen; diese soziologisch-
psychologische Basis der Wirtschaft wird uns im 2. Abschnitt der Ein-
leitung, der ein 1. über den Begriff der Volkswirtschaft vorangegangen
ist, in 9 Kapiteln auf nur 70 von 458 Seiten in überaus knapper Weise
vorgeführt.
Mit wenigen Strichen zeichnet er die äußeren Formen des Zusammen-
lebens voın Geschlechtszusammenhang bis zur Wirtschaftsgemeinschaft.
Litteratur. 397
Dann wird die Entwickelung der Verständigungsmittel der vergesell-
schafteten Menschen, Sprache und Schrift, behandelt, und es werden
deren Folgen für die Gesellschaft charakterisiert. „Es ist ein langsam
in Jahrtausenden gebildeter großer psychophysischer Apparat, der in
unseren heutigen Gesellschaften gleichsam die Nerven vertritt; alle
geistige soziale Aktion hängt von der Summe, Art und Organisation der
in diesen Dienst gestellten Kräfte ab.“ So entstehen kollektive geistige
Vorgänge, psychische Massenerscheinungen, einzelne Bewußtseinskreise,
wie die religiös-kirchlichen und die wirtschaftlichen. Wir haben bis
jetzt das Individuum als passiv kennen gelernt. Nun müssen die in
ihm schaffenden Mächte analysiert werden. Ausgehend von den Gefühlen,
gelangt der Verfasser zu den Bedürfnissen und Trieben. „Die wesent-
lichen habituellen Gefühle erscheinen in ihrer Beziehung zur Außenwelt
als Bedürfnisse, in ihrer aktiven auf bestimmtes Wollen und Handeln
hinzielenden Rolle als Triebe.“ Damit ist der Leser bei denjenigen
Thatsachen angelangt, die die ältere nationalökonomische Wissenschaft,
von Dudley North, Bayle, Mandeville angefangen bis auf James Steuart,
als Ausgangspunkt einer Wirtschaftslehre betrachtete. Dann stellten
die Physiokraten und Adam Smith die Güterproduktion voran; die Güter
sind wie bei Hufeland noch bei Rau und Roscher die Grundbegriffe der
Nationalökonomie. Drei bedeutende Theoretiker halten an dem früheren
Ausgangspunkte fest: Say, Storch und Hermann. Durch Jevons erfolgt
eine psychologisch vertiefte Rückkehr zu dem älteren Ausgangspunkte,
wenn auch seine Leistung durchaus auf Originalität Anspruch hat;
Dietzel giebt der Lehre einen neuen formalen Ausgangspunkt in der
wirtschaftlichen Handlung. Auch Schmoller beginnt formell mit dem
Begriff des Wirtschaftens und er giebt den Bedürfnissen eine psycho-
logische Begründung in den Lust- und Schmerzgefühlen, ohne sich im
übrigen mit Jevons oder Bentham zu berühren. Besonders bemerkens-
werth ist seine Lehre von den Trieben, die auch dem Umfange nach
stark hervortritt, und in einem dem Erwerbstriebe und den wirtschaft-
lichen Tugenden gewidmeten Kapitel breit auslädt. Hier wird ein
anderes Fundament’ der älteren Nationalökonomie, dessen Bau im
17. Jahrhundert beginnt und mit Steuart, Smith, Malthus endigt, auf den
‚Boden’ der heutigen Psychologie gestellt. Hiermit die von A. Wagner
gegebene, geistvolle „Anlyse der wirtschaftlichen Natur des Menschen“,
die sich im 1. Teil seiner Grundlegung befindet, zu vergleichen, hat
einen großen Reiz.
Die Triebe und ihre Aeuferungen unterliegen in der Gesellschaft
einer sittlichen Wertung; es bilden sich die ethischen Mächte: Sitte,
Sittlichkeit, Recht. Ihnen sind die 3 letzten Kapitel gewidmet. Das
neunte trägt die charakteristische Ueberschrift „Der allgemeine Zu-
sammenhang zwischen volkswirtschaftlichem und sittlichem Leben“,
Wer auf 28 Jahre sozialer Entwickelung zurückblicken kann, wird sich
durch deren Lektüre verjüngt und in die Zeit zurückversetzt fühlen,
da die Streitschrift „Ueber einige Grundfragen des Rechts und der
Volkswirtschaft“ der ethischen Richtung in der Volkswirtschaftslehre
neue Anhänger zuführte.
398 Litteratur.
In dem 3. Abschnitt bietet der Verfasser auf etwa 50 Seiten
eine Darstellung der geschichtlichen Entwickelung der Litteratur und
der Methode der Volkswirtschaftslehre. Insbesondere in der Methoden-
lehre und in dem 5. litterargeschichtlichen Kapitel findet der Leser
eine Begründung des wissenschaftlichen Standpunktes Schmollers. Von
besonderem Interesse sind die der historischen Forschung und dem
heutigen Stande der Wissenschaft gewidmeten Paragraphen.
Wir sind nun an das 1. Buch „Land, Leute, Technik“ gelangt.
In dem 1. Kapitel wird die Abhängigkeit der Volkswirtschaft von den
äußeren Naturverhältnissen abgehandelt. Seit Knies ist dies ein Lieblings-
gegenstand vieler Nationalökonomen; in den älteren Lehrbüchern von
Kraus, Hufeland, Lotz, selbst Storch und Rau wird er vernachlässigt.
Der Verfasser hat dem alten Stoffe durch starke Benutzung der geo-
graphischen Litteratur neues Leben gegeben, und ich kann mich nicht
erinnern, jemals eine knappere und eindrucksvollere Behandlung dieser
Frage gelesen zu haben. Charakteristisch ist es, daß „der Einfluß der
Kultur auf die Natur“, der einen so gelungenen Teil von Cohn’s Grund-
legung bildet, nur gestreift ist. Diese Thatsache allein gestattet
einen weitgehenden Schluß auf die Stellung des Verfassers zum Ent-
wickelungsproblem. Ein von den Lehrbüchern bisher noch nicht er-
schlossenes Gebiet, das von Knies als eine Interessen- und Machtsphüre
der Nationalökonomie angegliedert wurde, ist im 2. Kapitel, und zwar
mit besonderer Liebe, angebaut; es handelt von den Rassen und Völkern.
Der Verfasser meint selbst, daß dieses eben erst umgebrochene Neuland
für die Nationalökonomie noch wenige Früchte trägt. Das 3. ist der natür-
lichen Gliederung und Bewegung der Bevölkerung gewidmet. Es ist eine
wirklich sehr geistvolle Leistung. Dem 4. Kapitel giebt Schmoller die
Ueberschrift „Die Entwickelung der Technik in ihrer volkswirtschaft-
lichen Bedeutung“. Sie ist nicht ganz richtig gewählt. Denn nicht
nur den Gang der Technik lernen wir dort kennen, sondern auch den
der Gütergewinnung, der Lebensfürsorge. Es verdient hervorragende Be-
achtung auch deshalb, weil darin ältere Hypothesen über beide Ent-
wickelungsgebiete einer Prüfung unterzogen werden.
Das 2. Buch „Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft“
ist das umfangreichste, es hat 229 von 458 Seiten, es nimmt also gerade
die Hälfte des ganzen Werkes ein, während auf das 1. Buch wenig
mehr als 100 Seiten entfallen.
Von den niedrigsten Formen des Zusammenlebens führt uns der
Verfasser in dem ersten, der Familienwirtschaft gewidmeten Kapitel bis
zur heutigen Kleinfamilie; am Schlusse bezeichnet er seine Stellung zur
Frauenfrage. Der Schritt der Darstellung ist vorsichtig, fester wird er
im Umkreise der patriarchalischen Familie. In dem 2. Kapitel unter-
zieht er die Siedlungs- und Wohnweise einer fesselnden Betrachtung.
Ein geschichtlicher Ueberblick über die Entwickelung der Hof-, Dort-
und Stadtbildung mündet in einer Statistik der heutigen Verteilung der
Bevölkerung über Stadt und Land, vorzugsweise in Deutschland. Den
Vorwurf des 3. Kapitels bildet dann die Wirtschaft der Gebietskörper-
schaften, Staat und Gemeinde, nachdem zuvor die älteren Bildungen:
Litteratur. 399
Dorfwirtschaft, Grundherrschaft, Stadt-, Territorial-, und Volkswirtschaft,
konkret, anschaulich geschildert worden sind. Wie bekannt, befinden
wir uns hier auf dem eigensten Forschungsgebiete des Verfassers. Er
beklagt es in der Einleitung des Kapitels, daß man diesen Gegenstand
seit dem Bestehen einer besonderen Finanzwissenschaft vernachlässigt
habe, und er widmet ihm annähernd 50 Seiten.
In den 4 folgenden Kapiteln wird ein neues Thema angeschlagen.
Bisher sind wir mit den Momenten bekannt geworden, die zur Ver-
gesellschaftung des Menschen führen, nun geleitet er uns zu den trennenden.
Das 4. „Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Arbeitsteilung“ giebt
einen Ueberblick über die Arten der Arbeitsteilung, die trotz aller
Abstraktion in engem Zusammenhang mit den Ergebnissen der Völker-
kunde und der Soziologie gezeichnet werden. Eine starke Bereicherung
der Lehrbuchlitteratur stellen die Paragraphen 114—118 dar. Im
5. Kapitel behandelt Schmoller die wichtige soziale Erscheinung,
die als der rechtliche Niederschlag der natürlichen und gesellschaft-
lichen Gliederung angesehen werden muß: das Eigentum. Hier, aber
auch schon im vorhergehenden Kapitel, trifft er wiederum mit Wagner
zusammen. Während dieser auf die Theorien der Eigentumsentstehung
und die Aufstellung politischer Postulate besonderes Gewicht legt,
rückt ersterer die wirtschaftsgeschichtlichen Thatsachen in den Vorder-
grund. Das 6. Kapitel mit der Ueberschrift „Die gesellschaftliche
Klassenbildung“ giebt einem in der Lehrbuchlitteratur bisher nur spärlich
behandelten Stoffe eine höhere Geltung. Die Kasten und Stände, die
Klassen und Vereine werden auf ihre Ursachen zurückgeführt. Der
Unternehmung ist das letzte Kapitel gewidmet. Daß ein großer Teil
unseres Wissens über deren geschichtliche Entwickelung auf Schmoller’s
Forschungen beruht, braucht nicht betont zu werden. Auch in diesem
Kapitel tritt das Verfahren des Verfassers glänzend hervor, das Neueste
aus dem Aeltesten zu entwickeln und die begriffliche Schematik durch
den Reichtum klar gruppierter geschichtlicher Thatsachen zu ersetzen.
Er verfolgt die Unternehmung von ihren Ausgangspunkten, Handel,
Arbeitsgenossenschaften, Familie, herab zu dem modernen Großbetriebe,
den Genossenschaften und den Unternehmerverbänden. Mit einem Aus-
blick auf die zukünftige Organisation der Volkswirtschaft schließt
das Werk.
Ist es mir nun gelungen, gleichsam aus der Vogelschau eine
Zeichnung seiner Gedankengänge, wenn auch nicht seines inhaltlichen
Reichtums zu geben, so wird man mit mir, wie ich hoffe, in drei Punkten
übereinstimmen. Erstens eine allgemeine, konsequent durchgeführte
Volkswirtschaftslehre vom geschichtlichen Standpunkte, wie diejenige
Schmoller’s, haben wir nicht besessen, und die Jünger der Wissenschaft
dürfen sich, selbst wenn sie nicht auf dem Boden der historischen
Schule stehen, dazu beglückwünschen, das jetzt wenigstens deren erste
Hälfte vorliegt. So sehr ich nun mit Schmoller übereinstimme, so sehr
hat es mich gewundert, daß er die Lehre vom Kapital ganz übergangen
hat. Könnte er das Wort Kapital’ entbehren, was ja mit einigem
Zwange möglich wäre, so würde ich diesen Punkt nicht erwähnen.
400 Litteratur.
Und doch war es leicht, den Begriff in einem Systeme unterzubringen.
Ganz natürlich hätte er ihn im 4. Kapitel des 1. Buches, dort, wo er die
Entwickelung der Technik und die Aufeinanderfolge der Wirtschafts-
stufen! vorführt, erörtern können. Denn ist das Kapital etwas anderes,
als die nach den Wirtschaftsstufen zum Teil wechselnden technischen
Produktions- und Verkehrsmittel? Zweitens ist ein bedeutender
Fortschritt der Systematik nicht zu verkennen. In meinen „Unter-
suchungen über Adam Smith“ glaube ich den Beweis erbracht zu haben,
daß die Theorie der Wirtschaft ursprünglioh auf eine lückenhafte Er-
klärung; des Austausches und einiger Einkommenzweige beschränkt war.
Dann kamen bedeutende, die Systematik beeinflussende Erkenntnisse
hinzu: Cantillon’s Ausgang von den Grundeigentümern zur Erklärung
der Zirkulation und von dem Boden und der Arbeit zur Erklärung des
Preises, der Physiokraten Lehre vom Kapital und den Einkommenzweigen,
Steuart's wirtschaftliche Bevülkerungslehre. Was Smith in dem alten
systematischen Schema nicht unterzubringen vermochte, das verwies er
in das zweite Buch. Als dann Say die im wesentlichen noch heute
bestehende Systematik schuf, schob er die wichtigsten, über die Tausch-
theorie hinausgehenden Erkenntnisse in die Lehre von der Produktion;
auch der Lehre von der Zusammenfassung der produktiven Kräfte durch
die Unternehmung ging es nicht anders. Seinem Beispiele sind, um
die bekanntesten Verfasser von älteren Lehrbüchern oder Lehrbuchteilen
zu nennen, gefolgt: Rau, Roscher, Mangoldt, Kleinwächter. Nun aber
reichen die wirtschaftlichen Funktionen der Arbeitsteilung, des Bodens,
des Kapitals, der Unternehmung über die Produktion hinaus in Verkehr
und Handel hinein. Wird die Lehre von der Konsumtion der Güter richtig
ausgestaltet, dann kommt man auch dort nicht ohne jene Begriffe aus.
Ich nenne nur Verzehrgenossenschaften und Versicherungsgesellschaften.
Auch die Definition der Begriffe leidet darunter. Kapital wird ge-
wöhnlich als produziertes Produktionsmittel definiert, aber Schienen,
Lokomotiven, Schiffe sind doch wohl produzierte Verkehrsmittel!). Hier
hilft nur eine Veränderung der Systematik. Der Erkenntnis ihrer Fehler
entspringt nun die lebhafte Bewunderung der Anordnung des Stoffes im
1. und 2. Buche des Grundrisses, die auch anscheinend Verschiedenartiges
in einen leichten Zusammenhang bringt. Aber eine Frage erhebt sich: Soll
denn die Lehre von der Produktion ganz beseitigt werden? Denn in den
folgenden Büchern werden Güterumlauf und Güterverteilung folgen, und
in den vorhergehenden ist keine zusammenhängende Darstellung dieser
Lehre zu finden. Ich gebe gerne zu, daß sie für den Nationalökonomen,
der trotzdem dieses Werk mit großem Interesse liest, überflüssig ist.
Aber auch für den Studenten, dem der Grundriß in die Hand gelegt
1) Ich weiß sehr wohl, daß die Namengebung bedingt wird durch den Umfang
des Begriffes Produktion‘. Aber, wie mir scheint, hält doch die deutsche national-
okonomische Wissenschaft an der Erkenntnis fest, daß unter Produktion zu verstehen ist:
Vermehrung des Güterbestandes durch Wertvernichtung oder Wertverminderung der
Produktivgüter. Verhält sich das so, dann gehören Handel und Verkehr, so produktiv
sie auch sind, so sehr sie zur Produktion anregen mögen, nieht zur Produktion. Die
in ihnen verwandten Kapitalien sind folglieh aneh nieht Produktionsmittel.
Litteratur. 401
werden soll? Allein es ist denkbar, daß der Verfasser diese Lücke durch
einen kurzen Rückblick auf die bezüglichen Teile des 1. Buches in der
Einleitung zum zweiten ausfüllen oder die Produktion bei der Preis-
lehre nachholen wird. Womit die Unzuträglichkeiten, die das Referat
über eine Buchhälfte mit sich bringt, wiederum ersichtlich werden.
Aber über den dritten Punkt dürfen wir uns äußern, ohne befürchten
zu müssen, nachher des Irrtums geziehen zu werden. Ist nicht auch
der Leser der Meinung, daß in dem 3. Kapitel des 2. Buches einiges
steht, was über dessen Rahmen hinausgeht? Staat und Gemeinde
gehören in die Wirtschaftslehre als Bestandteile der gesellschaftlichen
Wirtschaft. Sie beschränken die Konsumtion der Bürger, und es ist
eine gerechtfertigte Frage, ob der öffentliche Konsum der den Privat-
wirtschaften entzogenen Güter höhere Werte schafft, als der Konsum
der Bürger vermocht hätte. Zweitens unterwerfen sie die Wirtschafts-
subjekte allgemeinen Normen, die den schwerwiegendsten Einfluß auf
deren Wohlfahrt haben, und eine eingehende Untersuchung recht-
fertigen. Und endlich verdient das gemeinwirtschaftliche Prinzip eine
gründliche Betrachtung, um so mehr, als auch im privatwirtschaftlichen
Verkehr Preisbemessungen nach der Leistungsfähigkeit der Per-
sonen und nach der Tragfähigkeit der Güter vorkommen, deren
gemeinwirtschaftliche Talminatur sich aber leicht nachweisen läßt. Bei
dieser Gelegenheit sei es nun erlaubt, zu bemerken, daß ein Einwand,
den Karl Gross in seinem scharfsinnigen Buche, „Wirtschaftsformen und
Wirtschaftsprinzipien“ gegen Wagner vorgebracht hat, mir nicht be-
gründet erscheint. Das privatwirtschaftliche Prinzip befolgen alle
Einzelwirtschaften im wirtschaftlichen Verkehre nach außen, im Ver-
kehr mit anderen Einzelwirtschaften, das gemeinwirtschaftliche und
karitative Prinzip wird im Verkehr nach innen angewandt. So muß
auch der Staat nach zwei Prinzipien handeln: nach dem privatwirt-
schaftlichen, wenn er z. B. Kohlen und Erbsen kauft, nach dem gemein-
wirtschaftlichen, wenn es sich um die Verteilung der von ihm produzierten
Güter und Leistungen an die von seiner Wirtschaft Umschlossenen, die
Staatsbürger, handelt. Nach dieser Abschweifung bemerke ich, daß
nur diese drei Punkte meines Erachtens in der Volkswirtschaftslehre
eine Erörterung beanspruchen dürfen.
Es wurde vorher der Anordnung des Stoffes Beifall gespendet.
Die Systematik ist überhaupt eine starke Seite des Werkes. Das ist
keın so leichter Vorzug, wie hie und da angenommeu wird. Neue
Systeme werden nicht willkürlich, oder durch möglichst kluges Zu-
sammenstellen von vorhandenen Teilen fabriziert, etwa wie man die
Steine eines Baukastens zusammensetzt. Wer ein neues System schafft,
hat auch etwas Neues zu sagen. Hat man aber viel mitzuteilen, dann
zeigt der Entwurf wohl kleine Unebenheiten. Wie erinnerlich, behandelt
der Verfasser in der Einleitung den Ursprung des Sittlichen. Er unter-
scheidet dort zwischen der Entstehung der sittlichen Anlage in uns
und der Entstehung der sittlichen Normen außer uns. Die Entstehung
des Sittlichen in uns leitet er aus zwei Quellen her: aus dem Erstarken
der Vernunft und der Bildung eines moralischen Gefühles, des Ge-
Dritte Folge Bd. XXIII (LXXVIII). 26
402 Litteratur.
wissens. Er knüpft damit zum Teil an die engliche Ethik des 18.
Jahrhunderts wieder an. Ich freue mich, daß Schmoller meine Meinung
über den dauernden Wert einiger Gedanken der Theorie der moralischen
Gefühle teilt. (Auch Wundt hat, wenn auch nicht konsequent, an einen
Geistesverwandten Smith’s, an Hartley, wieder angeknüpft.) Die ethischen
Normen leitet Schmoller aus dem sittlichen Gefühle unter dem Ein-
flusse der sozialen Umgebung ab, er bekennt sich also zu einem psy-
chologisch vermittelten sozialen Utilitarismus. Auch hierin freue ich
mich, mit ihm übereinzustimmen. Um so mehr hat es mich befremdet,
daß nun etwa 300 Seiten später eine anscheinend andere Erklärung
der Entstehung des Sittlichen gegeben wird. S. 330 heißt es nämlich:
„Indem die Priester mit Orakeln, Kultvorschriften und Gesetzen die
Menge bändigten und ordneten, schoben sie allmählich in die rohen
Vorstellungen über Befriedigung der Toten und der Geister die sitt-
lichen Gebote eines höheren sozialen Daseins ein. Aus der Vorstellung,
daß Opfer, Fasten und Geschenke die Götter beschwichtigten, wurde
die edlere, daß die Zauberformel des heiligen Wortes und das Gebet
die Hauptsache sei; aus der Vorstellung, daß gerecht sei, wer viele
Kühe den Priestern darbringe, wurde die edlere, daß gerecht sei, wer
seine Eltern ehre, nicht stehle, nicht lüge, nicht ehebreche, den Witwen
und Waisen beistehe“. Nun hat Schmoller schon in der Einleitung, im
Paragraphen 24, die Bedeutung der sittlichen Zuchtmittel: gesellschaft-
lichen Tadels, staatlicher Strafen, religiöser Vorstellungen, ausführlich
dargelegt. Mit Zuchtmitteln kann man meines Erachtens einer bestehenden
sittlichen Norm größere Kraft verleihen. Auch schaffen? Schmoller
schreibt: „Der äußere Zwang . . . gewöhnt die Menge daran, das
Wesentliche zu meiden, er erzieht durch Gewöhnung und Vorbild,
erbringt einen äußeren Schein der Anständigkeit hervor, der nicht ohne
Rückwirkung auf das Innere bleiben kann“ (S. 46). In allen Individuen ?
Und welches sind die Beweggründe, die die Priester veranlassen, die
sittlichen Vorschriften zu ändern? So ist offenbar, daß hier Lücken
vorhanden sind, wenn er sich auch durch diese Darstellung in keinen
Widerspruch verwickelt. So wäre zu wünschen, daß in der Ein-
leitung und im 2. Buche Hinweise auf den später folgenden bezüglich
früher vorgetragenen Gedankengang nicht fehlten. Der materielle Grund
der Schwierigkeit ist ja der, daß die psychologische Seite des Ent-
wickelungsgesetzes nicht zur Darstellung gelangt ist, der formelle be-
steht darin, daß die Einleitung ein Meisterstück knapper Darstellung ist.
Es bleiben mir nur noch einige Punkte zu besprechen, die wahr-
scheinlich auf Druck- und Schreibfehler hinauslaufen werden. Sollte
die Behauptung (S. 10), daß der Sprachsatz des Gebildeten 100000 und
mehr Worte erreicht, wahr sein? Und ist nur der Vorrat an Wörtern
der Muttersprache in Betracht gezogen? S. 246 berichtet Schmoller,
daß am 1. Dezember 1885 von 28,3 Mill. Preußen 27,4 in Familien-
haushaltungen lebten. Sind da vielleicht auch diejenigen Chambregar-
nisten, die zu den vermietenden Familien keine Beziehungen unter-
halten, mitgezählt? S. 263 heißt es: „Heute fehlt das Hofsystem hier
wie in Spanien und allen Mittelmeerländern“. Was aber dem Reisenden
Litteratur. 403
im Baskenlande vor allem auffällt, das sind die einzelstehenden, rot-
dachigen Häuser, die Caserios, mehr noch als die buntgekleideten Bäuerinnen
und die die blitzende Laya in den Boden stoßenden Bauern. Auch in der
Nähe von Valencia kommt eine von dem spanischen Dorfe abweichende
Ansiedlungsweise vor. Weißgestrichene Häuser mit lang herabreichen-
den Dächern, deren Umrißlinien eine gewisse Aehnlichkeit mit dem
niedersächsischen Hause haben, liegen über die Ebene zerstreut, aber
in geringer Entfernung voneinander. Ein Spanier, mit dem ich mich
über deren Bewohner unterhielt, rühmte sie. Das seien die Bauern die
vor der Puerta de los Apostolos das berühmte Wassergericht abhielten.
Während in dem typischen Dorfe ein Kaffeehaus bestehen könne, das
die Menschen verderbe, erhielten sich diese Leute in ihrer Vereinzelung
ihre alte Bauernkraft. Die, wie mir scheint, oberflächliche Erklärung
bestätigt im übrigen meine Beobachtung. Und sollen wir nicht auch
Südfrankreich zu den Mittelmeerländern rechnen? Dort giebt es eben-
falls Einzelhöfe neben den Dörfern; in einem Thale der Auvergne habe
ich sogar Häuser gesehen, die dem niedersächsischen wie ein Ei dem
anderen gleichen.
Ein Rückblick auf diese Besprechung dürfte die Behauptung recht-
fertigen, daß die Entwickelung der historischen Schule auf ein theore-
tisches Werk hinzielte, das, wie dieses auf philosophischer und historischer
Grundlage ruhend, alle volkswirtschaftlichen Erscheinungen der Zeit
in sich schlösse. Niemand war berufener, diese Aufgabe zu lösen, als
Schmoller, der mit tiefem Geiste und weiter Bildung die Richtungen
der älteren historischen Schule zu vereinigen und in hohem Maße aus-
zugleichen vermochte. Ihm, dem Landsmanne List’s und dem Schüler
von Schüz, wurden zu teil das Ethos Hildebrand’s, die Universalität von
Knies und Roscher’s feines Verständnis für den Gang historischer Ent-
wickelung. Es ist ein Ereignis, wie der ‚Wealth of Nations vor
125 Jahren war: eine Zusammenfassung des auf den verschiedensten Ge-
bieten Erkannten in einer schönen und doch strengen Form. Und
der Nachwuchs an historisch und philosophisch gebildeten National-
ökonomen ist so groß, daß nicht zu befürchten ist, das Errungene werde
wieder vorloren gehen, wie es damals geschehen ist.
26*
404 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Dr. Alfred Zimmermann, Die Kolonialpolitik Frankreichs.
Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Berlin 1901. E. S. Mittler und
Sohn, Berlin. 438 SS. 4. Bd. der Sammlung: Die Europäischen
Kolonien.
Unsere deutsche Koloniallitteratur ist noch wenig umfangreich.
Namentlich, was unsere Kenntnis von der Kolonialpolitik der anderen
älteren Kolonialvölker betrifft, so weist diese noch beträchtliche Lücken
auf. Seit Roscher’s bedeutendem, epochemachendem Werk: „Kolonien,
Kolonialpolitik und Auswanderung“ (1. Auflage 1898) haben sich nur
sehr wenige deutsche Gelehrte mit Kolonialpolitik beschäftigt. Die
wenigen aber, die es gethan, haben meistens ebenso wie Roscher die
Frage unter dem Gesichtspunkt der Auswanderungspolitik beleuchtet.
Heute handelt es sich aber um ein viel umfassenderes Problem. Wir
sehen heute die Kolonialpolitik unter dem Gesichtspunkt der Weltpolitik
eines Großstaates. In diesem Sinne hat sie Ratzenhofer, hat sie Treitschke
aufgefaßt als eine Lebens- und Daseinsfrage großer Nationen. Kolonial-
politik ist im eminentesten Sinne des Wortes Sozialpolitik, nicht bloß
Raumschaffung für die andrängenden Massen. Für ein altes Kulturvolk
ist eine gedeihliche Kolonialpolitik ein hervorragendes Mittel der Steigerung
seiner Lebenskräfte, sie befördert den geistigen und materiellen Stoft-
wechsel eines großstaatlichen Wirtschaftskörpers. In diesem Sinne konnte
sie Paul Leroy-Beaulieu als eins der kompliziertesten und delikatesten
Phänomene der sozialen Physiologie nennen. (S. Vorredezu seinem großen
Kolonialwerk 1874.)
In Deutschland ist die Kolonialpolitik als ein „Anachronismus“
verschrieen werden, und so ist unsere wissenschaftliche Koloniallitteratur
gering geblieben. Trotzdem man schon vor nunmehr 50 Jahren oft und
laut den Wunsch darnach hatte ertönen lassen. So schrieb im Jahre
1846 der Göttingensche Professor Wappäus, „daß eine deutsche Re-
gierung oder eine deutsche patriotische Gesellschaft bewirken mögen, daß
die Erfahrungen, welche die Spanier, Portugiesen, Briten, Franzosen und
Niederländer über transatlantische Kolonisation gemacht, und in ihrer
Litteratur niedergelegt haben, den deutschen zugänglich gemacht würden
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 405
durch eine auf diese Quellen gestützte Geschichte der modernen
europäischen Kolonisationen“.
Eine derartige, rein äußere, einfach referierende Geschichte hat
uns bisher gefehlt. Herr Dr. Zimmermann, der sich seit vielen Jahren
in anerkennenswerter Weise als kolonialpolitischer Schriftsteller be-
thätigt hat, hat als Einzelner den sehr schwierigen Versuch unternommen,
uns in großen Zügen in anspruchsloser Weise mit der Kolonialpolitik
der Portugiesen, Spanier, Engländer und in dem letzten Bande seines
Sammelwerkes mit der der Franzosen bekannt zu machen. Man geht
wohl nicht fehl, wenn man glaubt, daß es Herrn Dr. Zimmermann vor allem
darauf angekommen, ein in den breiteren Kreisen des Publikums gern
zur Hand genommenes Werk zu schreiben. Herr Dr. Z. wollte eine
zweifelsohne bestehende Lücke ausfüllen, und von diesem Standpunkte
ist das Buch ein nützliches. Sicher wollte der Autor in diesen einen
leichten, historischen Charakter tragenden Werken nicht die schwierigen
wirtschaftspolitischen Probleme seiner Betrachtung unterziehen. Nach
dieser Richtung hin sind spätere kolonialpolitische Untersuchungen in
erster Reihe zu machen.
Es fehlen uns heute noch Untersuchungen über die hochinteressante
Landpolitik der verschiedenen Kolonisationsstaaten, über die Art und
Weise der Organisation und Verwaltung der Kolonien, die Steuerver-
fassung, über die Erziehung und Behandlung der Eingeborenen, der
Arbeiterfrage in den Kolonieen, der kolonialen Zollpolitik sowie der
sonstigen wirtschaftlichen Maßnahmen zur Hebung des Wohlstandes der
Kolonieen, der Frage der kolonialen Förderungsmittel, Finanzverwaltung
der Kolonieen, Erziehung der Kolonialbeamten, Kolonialinstitute und
Schulen, der Frage der Gesetzesübertragung des Mutterlandes auf die
Kolonien. Wer auf diese und ähnliche Fragen Antwort erwünscht,
wird allerdings nur sehr wenig in dem Zimmermann’schen Werke finden.
Daher kann ich dem Autor auch nicht zugeben, daß er seinen ur-
sprünglich angekündigten Vorsatz ausgeführt hat. Wenn er in der
Vorrede seines großen Werkes schreibt: „Die ebenfalls in Aussicht ge-
nommene Geschichte der französischen Kolonialpolitik wird ihr Haupt-
interesse in der Darlegung der Schwierigkeiten haben, welchen gute
Gedanken bei der Ausführung durch schlechte Organe und in einer
unselbständigen, der Selbstaufopferung entbehrenden Nation begegnen“,
— so war das sicher eine vorgefaßte Meinung.
Weder hat es der französischen Kolonialpolitik an Männern, Po-
litikern, Wissenschaftlern, Forschern noch Militärs gefehlt, die mit höchster
Selbstaufopferung die koloniale Größe ihres Vaterlandes erstrebt, ge-
fördert und oft mit ihrem Leben bezahlt haben — noch hat es der
französischen Kolonialpolitik an schlechten Gedanken gemangelt. Soll
ich für das eine und das andere Beispiele anführen? Von Richelieu,
Colbert über Dupleix — Choiseul — bis zu Gambetta, Jules Ferry,
Ribot hat Frankreich kluge, entschlossene Kolonialpolitiker gehabt, es
kann stolz sein auf Generäle wie Faidherbe, Gallieni, die den alten
Marschällen Frankreichs an Tüchtigkeit gleichkommen, und was seine
Wissenschaftler und Forscher betrifft, so wird man ihnen auch nicht
406 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
Selbstaufopferung absprechen können. Wo wäre wohl Frankreichs Ko-
lonialbesitz, wenn es solche Leute nicht besessen ?
Was aber die schlechten Gedanken betrifft, so war für Frank-
reich die Frage des Kolonialbesitzes in Jahrhunderten nur eine solche
des nationalen Prestige. Das wirft man der französischen Politik
oft noch heute vor. „La Gloire du sabre“ ist das Stichwort dafür
neuerdings geworden. Des zweiten ist es die unglückselige Idee der
Assimilation, an der die französische neuere Kolonialpolitik noch krankt.
Nicht „afrikanische Kultur“, wie ein deutscher Gelehrter es ver-
langt, sucht Frankreich in Afrika beispielsweise zu treiben, sondern
französische Pfropfkultur, assimiler les Arabes. les nègres, les Indochi-
nois etc. Schon Thiers hat diese Assimilationssucht scharf gegeißelt:
Diese Manie, eine Kolonie dem Mutterland zu assimilieren und zu glauben,
daß man sie zivilisiert, indem man an ihr herumreibt (en la froissant),
diese Manie besitzen allein die wenig anfgeklärten Kolonisatoren. (Hist.
du Consulat et de l'Empire). Ein anderer schlechter Gedanke ist die un-
glückselige Zuvielregiererei, der Bureaukratismus, das zentralistische
System, das wohl am schärfsten in Frankreich selbst kritisiert wird und
über das wir Deutsche keineswegs erhaben sind. Darin haben wir viel-
leicht das Prädikat I, den größten Vorsprung vor allen andern Nationen
erlangt, während man in Frankreich noch nicht 2 juristische Staats-
examina gemacht haben und einige dicke bürgerliche und nicht
bürgerliche Gesetzbücher verdaut haben muß, um in einem Negerdorf,
Friedensrichter zu spielen. Es fehlt in den französischen Kolonien an
der frischen scharfen Luft der englischen Kolonien. Darum sagte schon
Leroy-Beaulien: Wenn der Ueberfluß guten Bodens und die Leichtigkeit
seiner Zueignung ein Hauptanziehungspunkt neuer Kolonieen ist, so ist
es nicht minder die den Kolonisten gewährte Unabhängigkeit und
Freiheit in ihrem Thun und Lassen des täglichen Lebens, in ihren
bürgerlichen und Handelserwerbsbeziehungen, die gleichfalls eine unerläß-
liche Vorbedingung ist für die Bevölkerung und den Wohlstand kolonialer
Gründungen.
Den weitgespannten Rahmen seiner Untersuchung gliedert Zimmer-
mann nach 6 Teilen. Der erste hehandelt die Anfänge vor Richelieu
und Franz I, der zweite und dritte behandelt den Erwerb und Verlust
des ersten französischen Kolonialreiches, der vierte die Kämpfe um ein
neues Kolonialreich unter Choiseul, in der Revolutionszeit und unter
Napoleon. Der fünfte und sechste bringt die Schöpfung des neuen
französischen Kolonialreiches.
Meines Erachtens hätte der Verf. eine leichtere Gliederung gehabt
und den Ideenkern mitverarbeiten können, wenn er eine Dreiteilung
angewandt.
1515—1688 Gründung des ersten Kolonialreiches die großen Handels-
kompagnieen. Der alte Pacte Colonial.
1688—1792 bezw. 1817 Verlust des wertvollsten Besitzes. England
wird koloniale Großmacht. Allmähliche Durchlöcherung des alten Pacte
Coloniale.
1817—1900 Erwerb eines neuen Kolonialreiches. Die Kolonial-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 407
politik Frage der Machterweiterung eines Großstaates unter gleichzeitiger
Konsolidierung seiner Volkswirtschaft auf vergrößerter und gesicherter
Grundlage.
Gleich auf der ersten Seite fordert der Verfasser die Kritik dadurch
heraus, daß er die französische Geschichtsfärbung, wonach Schiffer aus
Dieppe und Rouen vor den Portugiesen und Spaniern transatlantische
Ansiedlungen begründet haben, sich zu eigen macht. Die Versuche
Gaffarels und neuerdings des berühmten Afrikareisenden Binger, der-
artige Geschichtsverbesserungen zu machen, habe ich schon an anderer
Stelle zurückgewiesen. Sıe sind post festum gemacht, um gewisser-
malen der französischen Besitznahme Westafrikas ein erhabeneres Relief
zu geben. Haben sich doch infolge dieser Bemühungen französische
Schriftsteller bemüligt gefühlt, sich die Väter der modernen Ko-
lonisation zu nennen, was den alten Leroy-Beaulieu zu der Bemerkung
veranlaßte, das hieße schon zu viel der nationalen Eigenliebe schmeicheln
(pousser).
Auch sonst dürfte meines Erachtens manches historische Faktum
etwas anders aufzufassen sein, manche Ziffern und Angaben wären ge-
nauer nachzuprüfen. Was z. B. die angegebenen Budgetziffern auf
S. 421 betrifft, so werden hier die Zahlen der ursprünglich geforderten
mit den thatsächlich bewilligten und den durch die Nachtragskredite
noch erhöhten Gesamtziffern in bunter Reihe zusammengeworfen. In-
teressenten, die die richtigen Ziffern zu erfahren wünschen, verweise
ich auf die Berichte vor der Kammer durch Jules Siegfried, Domergue,
Myre de Vilers und Pauliat. Die interessante Zusammenstellung Sieg-
frieds befindet sich auch im Annuaire Statistique.
In dem Verzeichnis der wichtigeren Litteratur vermisse ich noch
einige der wichtigsten Werke. Dr. Paul Mohr.
Entwickelung der agrar-rechtlichen Verhältnisse im Stifte, späterem
Herzogtum Verden. Dargestellt von Richard Hesse, Doktor der
Staatswissenschaften. Jena, Verlag von Gustav Fischer, 1900. (A. u.
d. T.: Sammlung nationalökonomischer und statistischer Abhandlungen
des staatswissenschaftlichen Seminars zu Halle a. d. S. Herausgegeben
von Dr. Joh. Conrad, Professor in Halle a. d. S., Bd. 27.)
Die vorliegende, aus dem staatswissenschaftlichen Seminare zu
Halle hervorgegangene Abhandlung von Hesse enthält eine Darstellung
des Entwickelungsganges der ländlichen Verfassung im Stifte, späterem
Herzogtume Verden vom 14. bis zum 19. Jahrhundert. Auf archiva-
lischem Materiale beruhend, hat sie das Verdienst, dem Leser die
Geschichte der agrar-rechtlichen Verhältnisse in dem genannten Ländchen
in ihren Besonderheiten klar und übersichtlich vorzuführen.
Im Anfange des 14. Jahrhunderts gab es zwar noch persönlich
freie Bauern im Verdenschen Gebiete, aber kein bäuerliches Grund-
eigentum. Der gesamte Grund und Boden befand sich in grundherrlicher
Abhängigkeit, und zwar war die Kirche der größte Grundherr. Nur
wenige freie bäuerliche Hintersassen gab es; der weitaus größte -Teil
der Hintersassen war hörig oder leibeigen. Wir erfahren aus der
408 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Schrift von Hesse, wie seit dem 13. Jahrhundert das alte erbliche
Nutzungsrecht des Laten an seinem Hofe durch das Zeitpachtverhältnis
des Meierrechtes verdrängt wird; sie schildert weiterhin die Rechts-
verhältnisse der Hintersassen im Mittelalter, ihre Abgaben u. s. w. War
schon im Mittelalter die Lage der Bauern eine sehr günstige, so ge-
staltete sie sich in der Neuzeit noch viel mehr zu deren Vorteil. Zwar
gründete sich damals der Adel Gutswirtschaften auf dem bisherigen
Meierlande; allzu weitgehenden Bestrebungen des Adels, sich auf Kosten
des Bauernlandes auszudehnen, trat jedoch der Landesherr entgegen.
Denn für diesen war der Bauer eine wichtige Steuerquelle, während
der Adel für den eigenen Gutsbetrieb Steuerfreiheit behauptete. Daher
widersetzte sich der Bischof nach Kräften der Verwandlung von Meier-
land in Gutsland; sie durfte nur mit specieller Genehmigung des Bischofs
und nur unter billiger Entschädigung des Meiers erfolgen. Indem der
Bauer also in seinem Besitze geschützt wurde, erlangte sein Recht eine
Festigung, die der Ausbildung der Erblichkeit Vorschub leistete. Zwar
nicht landesgesetzlich ausdrücklich anerkannt, aber durch Sitte und
Brauch hat sich zum Beginne des 17. Jahrhunderts die Erblichkeit
der Meiergüter herausgebildet, und zum Ende des Jahrhunderts wurde
das Meierrecht bereits fast als Eigentum aufgefaßt. Die Leibeigenschaft
wurde seit dem Ausgange des Mittelalters ein Rechtsaltertum, das sich
im wesentlichen nur noch als ein Komplex von Abgabenverpflichtungen
darstellt; schließlich schwinden alle Spuren der einstigen persönlichen
Unfreiheit. Die schwedische Regierung (1648—1720) setzte die auf
die Niederhaltung des Adels und den Bauernschutz gerichtete Politik
der Bischöfe fort. Der größte Grundherr war jetzt der Staat; seine
Grundherrschaft setzte sich zusammen aus den wenigen unbedeutenden
Amtswirtschaften und den dazu gehörigen zahlreichen Meierhöfen,
die die größere Hälfte aller Meierhöfe im Lande ausmachten. Da-
neben finden wir kleinere Grundherrschaften des Adels, bestehend aus
wenig umfangreicher Eigenwirtschaft und den in verschiedenen Dorf-
schaften zerstreut liegenden Meierhöfen. In der hannöverischen Zeit
. setzt dann eine neue Entwickelung von individualisierender Tendenz
ein, deren Höhepunkt und Abschluß in das 19. Jahrhundert fällt —
nämlich das Streben nach Ablösung der Domanialdienste, sowie nach
gänzlicher Beseitigung des guts- und grundherrlichen Verbandes, daneben
die Gemeinheitsteilungen und Verkoppelungen. An der Hand eines
reichen Materials stellt Hesse diese Bewegung in allen ihren einzelnen
Phasen genau und ausführlich dar.
Für die Erforschung der Agrargeschichte des deutschen Nord-
westens ist in der jüngsten Zeit viel geschehen; die Schrift Hesse’s
erweitert und ergänzt unsere Kenntnis an diesem Gegenstande. Sie ist
tleißig und gründlich gearbeitet; eine Reihe interessanter archivalischer
Beilagen sind am Schlusse veröffentlicht. Der Ausdruck „souveräner
Landesherr“ paßt für das Mittelalter nicht. Bemerkenswert ist, daß der
Adel in Verden (mit wenigen Ausnahmen; vergl. S. 45 und 68) der
obrigkeitlichen Stellung gegenüber den Bauern entbehrte.
Halle a. S. Felix Rachfahl.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 409
Felix, L., Der Einfluß von Staat und Recht auf die Entwicke-
lung des Eigentums. Zweite Hälfte, erste Abteilung. (Das Mittelalter.)
Leipzig (Duncker & Humblot) 1899. XII, 776 SS. 80. 15M. (A. u.
d. T.: Entwickelungsgeschichte des Eigentums unter kulturgeschicht-
lichem und wirtschaftlichem Gesichtspunkte. Von L. Felix. Vierter
Teil, zweite Hälfte, erste Abteilung.)
Der verschrobene Titel dieses Werkes läßt dem Gedanken Raum,
daß dem Verfasser weder Staat noch Eigentum als Institutionen des
Rechtes gelten. Er kennzeichnet aber obendrein auch den Inhalt des
Buches gar nicht einmal zutreffend und erschöpfend. Was der Verfasser
über die Entwickelung des Eigentums bei Germanen und Byzantinern
und im Zeitalter des „Benefizial- und (!) Lehenswesens“ zu sagen hat,
wäre auf einem Drittel seines umfangreichen Buches reichlich darzu-
stellen gewesen — und dabei hätte auch etwas von eigenem Geiste
noch Platz finden können. In Wirklichkeit handelt es sich aber um
eine Exzerptensammlung aus den gangbarsten verfassungsgeschichtlichen
Werken und ein paar Originalquellen über alles, was auch nur von
ferne in einen Zusammenhang mit dem Eigentum gebracht werden
kann. Also mehr Verfassungsgeschichte als Geschichte des Eigentums.
Daß ein solches Werk bei seiner Reichhaltigkeit (denn es erstreckt sich
über das ganze mittelalterliche Europa) bis zu einem gewissen Grade
anregend ist, wenn es auch immer zu strengster Vorsicht mahnt, soll
nicht geleugnet werden; aber eine wissenschaftliche Auseinandersetzung
mit ihm lohnt sich nicht.
Halle a/S. K. Heldmann.
Abhandlungen des staatswissenschaftlichen Seminars zu Jena, herausgeg. von
(Prof.) Pierstorff, Bd. I, Heft 2. Jena, G. Fischer, 1902. gr. 8. 8; 232 SS. M. 6.—.
(Inhalt: Ernst Klien, Minimallohn und Arbeiterbeamtentum.)
Abhandlungen aus dem staatswissenschaftlichen Seminar zu Straßburg. Heft
XVII. Straßburg, K. J. Trübner, 1902. gr. 8. VIII—304 SS. M. 8.—. (Inhalt: Die
Feldgemeinschaft. Eine morphologische Untersuchung, von Alex. A. Tschuprow.)
Abhandlungen, volkswirtschaftliche, der Badischen Hochschulen. Bd. V, Heft3:
H. Kanter, Die Entwickelung des Handels mit gebrauchsfertigen Waren von der Mitte
des 18. Jahrhunderts bis 1866 zu Frankfurt a. M. Tübingen, J. C. B. Mohr, 1902.
gr. 8. VIII—143 SS. M. 4.—.
Lang, O. (ORichter, Zürich), Der Sozialismus in der Schweiz. Berlin, Verlag der
Sozialistischen Monatshefte, 1902. gr. 8. 27 SS. M. 0,75.
Meffert, Fz., Arbeiterfrage und Sozialismus. Vorträge. Mainz, Fz. Kirchheim,
1901. gr. 8. VIII—386 SS. M. 4,50. (Inhalt: Maschine und Kultur. — Bilder aus
der Geschichte der englischen Arbeiterbewegung. — Bilder aus der deutschen Industrie-
geschichte. — Die kommunistische Agitation in Deutschland bis 1848. — Marx und
Engels. Lebens- und Bildungsgang. — Ferdinand Lassalle. — Vom Tode Lassalles bis
zur Bildung der deutschen sozialistischen Arbeiterpartei. — Die Staatsromane. — Die
materialistische Geschichtsauffassung. — Die Werttheorie. — Die Verelendungstheorie.
— Die Krisentheorie. — Der Zukunftsstaat. — Karl Rodbertus und der Staatssozia-
lismus.)
Nossig, Alfr., Revision des Sozialismus. Bd. II. Das System des Sozialismus
2. Teil a. u. d. T.: Die moderne Agrarfrage. Berlin-Bern, John Edelheim, akad.
Verlag für soziale Wissenschaften, 1902. VII—587 SS. M. 9.—.
Schriften des Vereins für Sozialpolitik über die Wohnungsfrage und die Handels-
politik. Band XCVIII. Verhandlungen der Generalversammlung in München, 23., 24.
und 25. IX, 1901. Mit Referaten von (Proff.) C. J. Fuchs, E. v. Pilippovich, W. Lotz,
410 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
H. Schumacher, L. Pohle, (Landesrat) M. Brandts und einem Anhang: H. Lindemann,
Die Wohnungsstatistik von Wien und Budapest. — F. Zizek, Die Wohnungsfrage in
Frankreich. — R. Wuttke, Der deutsch-österreich-ungarische Handelsvertrag vom 6. XIL
1891. Leipzig, Duncker & Humblot, 1902. gr. 8. 476 SS. M. 10.—.
Wiener staatswissenschaftliche Studien, herausgeg. von E. Bernatzik und E. v. Phi-
lippovich. Band III, Heft 4: Das Problem der verhältnismäßigen Vertretung. Ein Ver-
such seiner Lösung von Siegfr. Geyerhahn. Tübingen, J. C. B. Mohr, 1902. gr. 8. 5088,
M. 1,50. (Abonnementspreis M. 1,40.)
Marx, Le capital. Critique de l’économie politique, livre III. Le procés den
semble de la production capitaliste. II. (suite et fin), traduit par Borchardot & Vander-
rydt. Paris, Giard & Brière, 1902. 8. 596 pag. fr. 10.—.
Thirion, E., Neustria. Utopie individualiste. Paris, Fischbacher, 1901. 8. 375 pag.
ft 3,50,
Sidgwick, Henry, The principles of political economy. 3"! edition. London,
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Cossa, Em., La teoria dell’ imposta. Milano, U. Hoepli, 1902. 8. XXI-
177 pp. 1. 3,50.
Degni, Franc., I limiti del diritto di proprietà. Milano, Società editr. librario,
1901. 8. 45 pp-
Messina, Gennaro, Il manuale del socialista. Firence, G. Nerbini, 1902. 12.
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Doebner, Rich. (Archivdirekt., Hannover), Studien zur Hildesheimischen Ge-
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die Altertumsforschung an der Lippe. Münster i. W., Aschendorffsche Bbdl., 1901.
gr. 8. VIII —?228 SS., mit zahlreichen Abbildgn. im Texte und 39 Tafeln. M. 10.—.
v. Zepelin, C. (k. preuß. Generalmaj. a. D.), Das russische Küstengebiet in Ost-
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Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 411
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Irish minerals and building stones. — The soils and climate of Ireland. — Economic
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gr. 8. IX—241 pp. with coloured map, cloth. 7/.6. (Condents: The sugar industry und
some general considerations. — The development of other resources. — The Negro and
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Saluzzi, P., Sui prezzi in Egitto nell? età tolemaica: contributo alla storia dei
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3. Bevölkerungswesen. Auswanderung und Kolonisation.
Kaindl, R. Fr., Das Ansiedlungswesen in der Bukowina seit der Besitzergreifung
durch Oesterreich. Mit besonderer Berücksichtigung der Ansiedlung der Deutschen.,
Mit Benützung der urkundlichen Materialien aus dem Nachlasse von J. A. Wicken-
hauser. Innsbruck, Wagner’sche Universitätsbuchhdl., 1902. gr. 8. XVI—537 SS.
M. 12,50. (A. u. d. T.: Quellen und Forschungen zur Geschichte, Litteratur und Sprache
Oesterreichs und seiner Kronländer. Durch die Leo-Gesellschaft herausgeg. von J. Hirn
und J. E. Wackernagel. Bd. VIII.)
Kolonialhandelsadreßbuch 1902. Jahrg. VI. Berlin, Unter d. Linden 40,
178 SS. mit der Karte der Kolonien in Buntdruck, M. 1,50. (Herausgeg. von dem
Kolonial-Wirtschaftlichen Komitee.)
L’ann&e coloniale publiée sous la direction de MM. Ch. Mourey et L. Brunel.
Une: année (1900). Paris, Montgredien & Or, 1901. gr. in-8. 442 pag. av. fig. fr. 10.
Colonies françaises. Petite encyclopédie coloniale, publiée sous la direction de
M. Maxime Petit. Tome premier: Principes d'organisation coloniale; Algérie; Tunisie;
Sabara; Sénégal; Guinée ; Côte d’ivoire; Dahomey. Paris, Larousse, 1902. 8. XXVII—
772 pag. avec 247 grav. et 24 cartes. fr. 10.—.
Vossion, L., L'Australie nouvelle et son avenir. Paris, Guillaumin & C'*, 1902.
gr. in-8. 196 pag. av. gravures. fr. 7,50. (Table des matières, extrait: Origine des
colonies. — Genèse historique de la fédération. — Finance et commerce. — Socialisme
et labor party. — Analyse sommaire des dernières statistiques officielles concernant
l'Australie fédérée y compris la Tasmanie.)
4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Howard, W. H. (ao. Prof., Univ. Leipzig), Die Produktionskosten unserer wich-
tigsten Feldfrüchte. Auf Grund der Ergebnisse von 140 Wirtschaften während der
letzten 3 bis 5 Jahre. 2. Aufl. Berlin, Parey, 1902. gr. 8. 84 SS. M. 1,50. (Heraus-
gegeben vom Buchführungsinteressentenverein zu Leipzig.)
Jahrbuch der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft. Herausgeg. vom Direktorium.
Bd. XVI: 1901. Berlin, P. Parey, 1901. gr. 8 XV—712 SS. M. 6.—.
Lieven, Max (Fürst), Die Arbeiterverhältnisse des Großgrundbesitzes in Kurland.
1. Abteilung, I. Bd.: Die Enquete vom Frühjahr 1899 und ihre Resultate. Lieferung 4 :
Kreis Tuckum. Mitau, gedr. bei J. F. Steffenhagen & Sohn, 1901. gr. 4.
Lohe (Landesbankdirektor), Die Verschuldung des ländlichen Besitzes infolge der
Erbteilungen und die unkündbare Rentenhypothek der Landesbank. Düsseldorf, Hub.
Hoch, o. J. (1901, November). 18 SS. M. 0,20.
Bellet, A. (président de la chambre de commerce de Fécamp, armateur à la
grande pêche à Terre-Neuve), Les Français à Terre-Neuve et sur les côtes de l'Amérique
412 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
du Nord. La grande pêche de la morue à Terre-Neuve depuis la découverte du
nouveau monde, Paris, Challamel, 1902. 8. 291 pag. av. fig.
Conn, H. W., Agricultural bacteriology. A study of the relation of bacteria to
agriculture. London, Rebman, 1902. 8. 11/.—.
Connold, Edw. T., British vegetable galls. London, Hutchinson, 1902. Imp.-8.
324 pp. with numerous plates. 15/.—.
5. Gewerbe und Industrie.
Industrial Commission, Preliminary Report on Trusts and
Industrial Combinations together with Testimony, Review of Evidence,
Charts showing Effects on Prices, and Topical Digest. Washington
(Government Printing Office) 1900. 264 u. 1325 SS.
Industrial Commission, Trusts and Industrial Combinations.
Statutes and Decisions of Federal, State, and Territorial Law, together
with a Digest of Corporation Laws applicable to large industrial com-
binations. In two parts. Ebenda 1900. 291 SS.
Die Vereinigten Staaten von Amerika scheinen das Land wirt-
schaftlicher Enqueten par excellence zu werden. Durch Gesetz v. 18. Juni
1898 ist dort die Industrial Commission geschaffen worden, die ein so
umfassendes Programm für ihre Untersuchungen aufgestellt hat, daß,
wenn es verwirklicht wird, wir über die amerikanischen wirtschaft-
lichen Verhältnisse am besten von allen Ländern orientiert sein werden.
Zunächst hat die Kommission eine Enquete über die Trusts und indu-
striellen Vereinigungen veranstaltet, deren Ergebnis als Bericht an das
Abgeordnetenhaus in zwei umfangreichen Bänden vorliegt. Es kann
hier natürlich nicht unsere Aufgabe sein, den außerordentlich reichen
Inhalt der beiden Bände, welche die umfassendste Untersuchung über
die Trusts bilden, wiederzugeben. Dafür sei auch hier auf das aus-
gezeichnete Buch von Jenks: The Trust problem (vergl. meine Be-
sprechung in diesen Jahrbüchern III. Folge, Bd. 21, S.719—21) ver-
wiesen, welches auf den Ergebnissen der Enquete beruht. Hier soll
nur die Methode und Einrichtung der Publikation kurz skizziert werden.
Der erste Band enthält eine äußerst brauchbare Uebersicht über
die allgemeinen Ergebnisse der Enquete. Die Ursachen der Trusts,
ihre Formen, die Ueberkapitalisierung, die Preise, die Einwirkungen
auf den Handel, die Bedeutung der Schutzzölle, das Verhältnis zu den
Eisenbahnen, die Wirkungen auf die Arbeiter, die Frage der gesetz-
lichen Regelung u. s w. werden kurz besprochen und überall wird auf
die hauptsächlichsten die Grundlage bildenden Aussagen des Enquete-
berichts Bezug genommen, so daß man sich in letzterem sehr leicht
orientieren kann. Es folgen die Untersuchungen von Jenks über die
Preisfestsetzungen der Trusts, die mitsamt den erläuternden Diagram-
men in dessen erwähntes Buch aufgenommen sind (S. 39—59). Den
Hauptabschnitt des ersten Teils bildet dann eine eingehende Ueber-
sicht über die Ergebnisse der Enquete, geordnet nach den 11 Trusts,
welche Gegenstand derselben gewesen sind. Am Schluß folgt eine zu-
sammenfassende allgemeine Erörterung über Ursachen, Wirkungen, Heil-
mittel etc. der Kombinationen (S. 59—255). Auch hier wird überall
durch Citierung der Seitenzahlen des Hauptberichts auf diesen Bezug
genommen. Der zweite Teil enthält den Hauptbericht selbst, und zwar
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 413
zunächst allgemeine Erörterungen und dann die Einvernahme der Zeugen
‚über die 11 untersuchten Compagnien. Hier treten manche der in der
Trustbewegung führenden Männer auf, so der Erfinder der Trusts, S. C.
T. Dodd, der Anwalt der Standard Oil Company; John D. Rockefeller,
der Präsident derselben, Henri O. Havemeyer, der Präsident des amerika-
nischen Zuckertrusts und andere. Daran schließt sich die Besprechung
der legislativen Probleme (S. 1077—1219), ferner eine Anzahl von Trust-
statuten und Verträgen (1221—1262) und endlich ein Inhaltsverzeichnis,
welches das Zurechtfinden in dem umfangreichen Bande und das Auf-
suchen der Erörterungen über bestimmte Fragen wesentlich erleichtert.
Der zweite Band zerfällt ebenfalls in zwei Teile. Der erste größere,
von Professor Jenks verfaßt, enthält die sämtlichen Gesetze der Gesamt-
republik und der Einzelstaaten über die Trusts und industriellen Ver-
einigungen, sowie eine große Anzahl von Gerichtsentscheidungen, auch
zwei englische und einen kanadischen Rechtsfall. Besonders übersicht-
lich sind die am Schluß beigegebenen Tafeln, welche die Gesetzgebung
eines jeden Staates nach den darin enthaltenen Verboten, der Art des
Verfahrens und den Strafandrohungen zur Vergleichung nebeneinander
stellt. Der kurze zweite Teil, von F. J. Stimson bearbeitet, enthält
ebenfalls die Gesetzgebung sämtlicher Staaten unter verschiedenen Ge-
sichtspunkten geordnet, so die Bestimmungen, die über Maximum und
Minimum des Trustkapitals getroffen sind, die Abgaben, die in den
einzelnen Staaten zu entrichten sind, dèe sehr mannigfachen Bestim-
mungen über die Art des eingezahlten Kapitals und der eingebrachten
Werte, die Vorschriften über die Haftung der Gesellschafter für Schulden,
über die Machtbefugnisse der Korporationen, namentlich hinsichtlich
der Vereinigung mit anderen Korporationen, u. s. w.
Für uns in Deutschland und für die Frage eines Kartellgesetzes
haben diese amerikanischen Korporations- und Antitrustgesetze die im
zweiten Bande zusammengestellt sind, eigentlich wenig Interesse. Wäh-
rend einzelne Staaten, so namentlich Delaware und New Jersey die
Bildung von Korporationen ganz außerordentlich erleichtern, um von
den Abgaben zu profitieren, erschweren andere sie so sehr, daß, wenn
die Gesetze strikt durchgeführt würden, die Errichtung von Gesell-
schaftsunternehmungen fast unmöglich wäre. So lange hier nicht eine
einheitliche Gesetzgebung Platz greift, ist natürlich an eine wirksame
Bekämpfung des Gründungsschwindels, der mittelst Fusionierungen be-
trieben wird, nicht zu denken. Und was den Zusammenschluß zu wirk-
lichen Monopolen, den eigentlichen Trusts, betrifft, so haben 27 Staaten
mehr oder weniger eingreifende Antitrustgesetze erlassen, während andere
die Bestimmungen des englischen gemeinen Rechts zu ihrer Bekämpfung
für genügend erachteten. In keinem Fall hat man verhindern können,
daß die Macht über ganze Industriezweige in die Hände Weniger ge-
langte, die dieselbe zur Erzielung höchstmöglicher Gewinne ausbeuten.
Was wir aus alledem lernen können, ist nur, daß eine Regelung der
Monopole nicht auf dem Boden des Privat- oder Strafrechts erfolgen
kann, weder dadurch, daß man die Monopole als gegen die guten Sitten
verstoßend erklärt, noch dadurch, daß man ähnliche Bestimmungen mit
414 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Strafandrohungen in andere Gesetze aufnimmt. Und der letzte Grund,
weshalb das nicht möglich ist, ist immer wieder der, auf den ich schon `
oft hingewiesen habe, daß man eben die monopolistischen Vereinigungen
von den nichtmonopolistischen und die schädlichen Monopole von den
nichtschädlichen nicht ohne weiteres unterscheiden kann, daß sich dafür
auch keine allgemeinen Gesichtspunkte aufstellen lassen und daß es
daher den ordentlichen Gerichten nicht überlassen werden kann, Ent-
scheidungen darüber, die einerseits so außerordentlich schwierig, anderer-
seits von so enormer Bedeutung für die ganze Volkswirtschaft sind, zu
treffen. Der einzige Versuch eines Staates, wirklich etwas Brauchbares
auf diesem Gebiete zu schaffen, ist, obwohl ihm unseres Erachtens noch
mancherlei Mängel anhaften, der österreichische Kartellgesetzentwurf in
seinen neueren Fassungen. Die Industriekommission plant eine Zusam-
menfassung der ausländischen Gesetzgebung über die staatliche Kontrolle
großer Unternehmungen und Monopole; es wird nützlich sein, wenn sie
sich nicht auf die bestehenden Gesetze beschränkt, die doch überall
als ungenügend empfunden werden, sondern auch die Entwürfe und
Vorschläge in den Kreis ihrer Untersuchung zieht. Dann ist zu hoffen,
daß doch allmählich die zweckmäßigsten Methoden der Regelung der
Monopole gefunden werden. In Amerika ist die Konzentrationsbewegung
am weitesten vorgeschritten, es wäre nur natürlich, wenn man dort auch
in der Bekämpfung ihrer Nachteile am energischsten vorgehen würde.
Robert Liefmann.
Ely, R. T., Monopolies and Trusts. New York (The Macmillan
Company) 1900.
Gegenüber fast der gesamten amerikanischen Litteratur über die
Trusts, welche diese Erscheinung nur vom praktisch-politischen
Standpunkt aus betrachtet, hat das vorliegende Werk insofern einen
strenger wissenschaftlichen Charakter, als es die Theorie und
Systematik der Monopole zu fördern sucht und die Trusts in diesen
allgemeineren Rahmen hineinstellt. Dem Verfasser bei seinen Aus-
führungen in allen Einzelheiten zu folgen, ist hier nicht möglich. Es
sollen daher hauptsächlich einige Punkte, in denen Referent abweichen-
der Meinung ist, hervorgehoben werden. Das erste Kapitel behandelt
das Wesen der Monopole, und Ely sieht dasselbe in der „vollkommen
einheitlichen Handlungsweise sei es einer sei es mehrerer Personen,
welche ausschließliche Kontrolle über einen Geschäftszweig,
namentlich hinsichtlich der Preisfestsetzung giebt“. Hier scheint mir
der Begriff der Kontrolle eines Unternehmungszweiges zu unbestimmt,
um ihn in einer allgemeinen Definition der Monopole zu verwenden.
Das „Kontrollieren“ ist eine namentlich in Amerika beliebte Verwendung
der großen Kapitalien, um sich durch Erwerbung der Mehrheit der
Aktien eines Unternehmens den maßgebenden Einfluß in demselben zu
verschaffen, und dasselbe geschieht in einem ganzen Industriezweige
durch Erwerbung des größeren Teiles der Aktien der wichtigsten Unter-
nehmungen. Aber alles dies ist doch nichts dem Begriff des Monopols
Wesentliches. Ich glaube, daß man den allgemeinen Begriff des Mono-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 415
pols besser faßt, wenn man ihn in naher Beziehung zum Begriff der
Konkurrenz bringt. Konkurrenz ist das Vorhandensein mehrerer von-
einander unabhängiger tauschwirtschaftlicher Subjekte auf demselben
Markte, Monopol daher das Vorhandensein nur eines einzigen (Einkaufs-
oder Verkaufsmonopol). Es kann dann weiter ein absolutes Monopol
sein, welches unabhängig von der Preishöhe ist, bei welchem also die
Konkurrenz auch bei einer Preiserhöhung über eine bestimmte Grenze
hinaus nicht sofort eintritt, oder ein relatives, wo die noch latente
Konkurrenz bei Erhöhung der Preise über ein gewisses Maß hinaus
alsbald in Wirksamkeit tritt (das Monopol des billigsten Produzenten,
Monopol der Differenzialrente, durch Schutzzoll geschaffene Monopole etc.).
So definiert tritt auch die Eigenart des Monopols der Unternehmer-
verbände, Kartelle klar hervor, welches, wie ich in meiner Arbeit über
die Unternehmerverbände gezeigt habe, nur einen teilweisen Ausschluß
der Konkurrenz darstellt, indem z. B. bei einem Preiskartell, die
Konkurrenz im Angebot, bei einem Angebotskartell die Konkurrenz
hinsichtlich der Preishöhe weiter fortbesteht. Diese Erscheinungen über-
sieht Ely ganz, was auch im zweiten Kapitel, wo er die „Klassifikation
und die Ursachen der Monopole“ bespricht, von Bedeutung wird.
Hier ist von besonderer Wichtigkeit die Unterscheidung der Mono-
pole nach ihrem Entstehungsgrunde. Ely unterscheidet natürliche und
soziale Monopole, letztere diejenigen nennend, die sonst gewöhnlich
als künstliche bezeichnet werden. Soziale Monopole sind nun nach Ely I.
General Welfare Monopolies, d. h. solche, die die Regierung im Interesse
der Allgemeinheit errichtet (S. 44). Es gehören dahin Patente, Ur-
heberrechte, Gebrauchs- und Musterschutz; auch staatliche Monopole,
sei es aus fiskalischen Gründen errichtete, sei es solche im Interesse der
Regulierung des Konsums (Branntweinausschank) rechnet der Ver-
fasser hierher. II. Special Privilege Monopolies und zwar beruhend
auf staatlicher oder auf privater Begünstigung. Zu letzteren
wären nun meiner Meinung nach namentlich die auf besonderen Ruf
und Namen des Produzenten beruhenden monopolartigen Zustände zu
rechnen, die die Konkurrenz nicht immer geradezu ausschließen, aber
als relative Monopole zu bezeichnen sind. Doch denkt Ely nicht an
diese, sondern an die Bevorzugung gewisser Produzenten durch die
Eisenbahnen oder überhaupt durch Wirtschaftssubjekte, welche ein
natürliches Monopol besitzen. Er führt das Beispiel des Zucker-
und des Viehtrusts an, welche sich ihr Monopol durch billige Tarife
seitens der Eisenbahnen gesichert haben sollen. Dasselbe gilt anch für
die Standard Oil Company. Er berührt damit eine Gruppe von Mono-
polerscheinungen, die noch gar nicht näher erörtert sind, aber auch aus
wirtschaftspolitischen Gründen großes Interesse beanspruchen dürfen.
Ich hoffe in nicht zu langer Zeit eine Studie über eine ganze Reihe
hierher gehöriger Erscheinungen zu veröffentlichen. Sie wird mir auch
Veranlassung geben, eine ganz andere Klassifikation der Monopole auf-
zustellen.
Die zweite Gruppe, die Natural Monopolies, teilt Ely einin 1) solche,
die auf beschränktem Vorkommen des Rohmaterials beruhen, 2) solche,
416 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
die in Eigenschaften, welche in der Art des. Geschäftes liegen, be-
gründet sind und 3) die auf Geheimhaltung beruhenden. Bezüglich
der ersteren sagt Ely, daß das beschränkte Vorkommen in der Regel
noch kein Monopol sei, und meint, daß hier die Hilfe anderer Wirt-
schaftssubjekte, insbesondere der Eisenbahnen, nötig sei, um ein solches
zu verschaffen. Er führt den Anthracitkohlen- und den Standard
Oil-Trust an, berücksichtigt hier aber zu ausschließlich amerikanische Zu-
stände und zu wenig die wichtige Thatsache, daß gerade bei beschränktem
Vorkommen ein Monopol durch Kartelle, Vereinbarungen der Produzenten
auch ohne Hilfe Dritter am leichtesten möglich ist (deutsche, öster-
reichisch, belgische Kohlenkartelle).
Auf die- Erörterung des dritten Kapitals: The Law of Monopoly
Price möchte ich hier nicht näher eingehen. Es ist ein Mangel der-
selben, daß Ely hier die deutsche Litteratur, namentlich auch Menger's
Grundsätze der Volkswirtschaftslehre gar nicht herangezogen hat. Doch
werden seine Ausführungen durch eine große Anzahl interessanter Bei-
spiele anschaulich gemacht.
Im 4. Kapitel: The Limits of Monopoly sind vor allem interessant
einige Briefe, welche die Vorteile des größeren Betriebes, der schließlich
zum Monopol führt, erörtern. Im Anschluß daran betont Ely, was so
oft übersehen wird, daß viele der sogen. Trusts gar keine Monopole,
sondern nur nichtmonopolistische Fusionen sind. Er zeigt weiter, wie
zwar die Tendenz zum Monopol sehr stark ist, die Konkurrenz aber
trotzdem immer noch eine große Rolle im Wirtschaftsleben spielen werde.
Im nächsten Kapitel geht der Verf. auf die Trusts über und stellt
sie als letzte Stufe der Entwickelung zum Großbetriebe hin, macht aber
andererseits darauf aufmerksam, daß in manchen Gewerbszweigen der
Kleinbetrieb seinen Platz behauptet. Auch geschähe die Bildung von
Kombinationen sehr häufig aus rein spekulativen Zwecken. Man könne
daher bei dem sogen. Trustproblem drei Fragen unterscheiden: 1) Das
Monopolproblem, 2) das Kombinations- (oder Fusions-)problem, 3) das
Problem der Kapitalskonzentrierung und der Benützung der Riesen-
kapitalien zu spekulativen Zwecken.
Anschließend daran werden im letzten Kapitel die Nachteile der
Trusts und der Monopole überhaupt und die Möglichkeit, ihnen entgegen-
zutreten, erörtert. Verf. wirft hier auch die Frage auf, weshalb Trusts
eigentlich nur in den Vereinigten Staaten in größerer Zahl zustande ge-
kommen sind. Aus seinen Auseinandersetzungen geht aber ebenfalls
wieder hervor, daß er keine rechte Vorstellung von dem Wesen der
europäischen Kartelle hat, so wenn er meint (S. 234), daß sie zumeist
gewöhnliche Kombinationen seien, die die Konkurrenz durchaus nicht
beseitigen. Er übersieht, daß bei uns das System der bloßen Verein-
barungen, bei welchen die Unternehmer ihre Selbständigkeit behalten
und dieselbe nur nach einer bestimmten Richtung hin einschränken, in
größtem Umfange angewendet wird, während in Amerika die Entwickelung
alsbald über diese Stufe hinaus zur vollständigen Verschmelzung der
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 417
konkurrierenden Unternehmungen gelangte, ohne daß dies nach jeder
Richtung hin als ein Vorteil aufzufassen wäre.
Was die amerikanischen Trustgesetze anlangt, so spricht Ely die
wohl bei uns überall geteilte Ueberzeugung aus, daß sie unwirksam
gewesen seien. Den Gedanken staatlichen Eingreifens durch Preisfest-
setzungen lehnt er kurzweg ab, weniger schon den der Verstaatlichung
gewisser monopolisierter Unternehmungszweige, doch erkennt er, daß es
in Amerika an einem unabhängigen Beamtenstande fehlt, um private
Monopole kontrollieren und staatliche im Interesse der Gesamtheit ver-
walten zu können. Er glaubt auch, daß andere Mittel genügen würden,
den Mißständen abzuhelfen, berührt den Hauptpunkt: Vereinheitlichung
und Verbesserung des Korporationsrechts, verstärkte Haftung der Gründer
und Aehnliches, und verknüpft das Problem im übrigen mit anderen
allgemeineren Fragen, insbesondere auch der Besitzverteilung überhaupt.
Endlich sei noch erwähnt, daß das Buch nach des Verf. Plan
nur ein kleiner Teil eines sehr umfassenden Werkes „The Distribution
of Wealth“ sein soll, das in 5 große Abschnitte geteilt ist, von denen
der erste allein wieder in neun Abteilungen zerfällt, deren siebente das
vorliegende Buch darstellen würde. Ob der Verf. andere Mitarbeiter
heranzuziehen gedenkt, wird nicht gesagt. Doch scheint mir das Unter-
nehmen über die Leistungsfähigkeit eines einzelnen erheblich hinaus-
zugehen. Robert Liefmann.
Haberland, G., Für das Bauhandwerk. Kritik der neuesten Gesetzentwürfe
des Reichsjustizamts. Berlin, J. Springer, 1902. 8. 54 SS.
Jahrbuch für den oberschlesischen Industriebezirk. Bearbeitet von R. Korna-
ezewski. Kattowitz (O.-S.), Gebr. Böhm, 1902. 8. IX—251 SS. mit 2 Kartenbeilagen,
geb. M. 5.—. r
= Parvus, Handelskrisis und Gewerkschaften nebst Anhang: Gesetzentwurf über
den achtstündigen Normalarbeitstag. München, M. Ernst, 1901. gr. 8. 64 SS. M. 1.—.
Tippmann, A. (Schuldirektor), Die erwerbsmäßige Kinderbeschäftigung und ihr
Einfluß auf Erziehung und Unterricht. Leipzig, Buchdruckerei Jul. Klinkhardt, 1901.
kl. 8. 36 SS.
Zur Lage des Spiritusgewerbes. Ein Promemoria, herausgeg. vom Verein deutscher
Spiritusinteressenten. Berlin, Druck von Maschning & Kantorowiez, 1902. 8. 15 SS.
(Streitschrift gegen den Spiritusring.)
Exposition internationale de Glasglow (1901). Section française, Rapport général
présenté à M. le ministre du commerce, de l’industrie ete. par Luc. Layus (rapporteur
général). Saint-Cloud, impr. Belin frères, 1901. in-4. 473 pag.
Huret, J., Enquête sur la grève et l’arbitrage obligatoires. Préface de M. A.
Millerand (ministre du commerce, de l’industrie, ete.). Tours, impr. Arrault & C",
1901. 8. 411 pag.
Paillart, C. (président), La crise industrielle dans l'arrondissement d’Abbeville.
Rapport lu à la chambre de commerce d’Abbeville, le 2. XII. 1901. Abbeville, Paillart,
1901. 8. 16 pag.
Pelletier, Mich. et Edmond Vidal-Naquet (avocats à la Cour d’appel de Paris),
La convention d’union pour la protection de la propriété industrielle du 20 mars 1883
et les conférence de revision posterieures. Paris, Larose, 1902. gr. in-8. VIII—543 pag.
fr. 12.—.
Raynaud, Barthel (licencié ès lettres), Le contrat collectif du travail. Paris,
A. Rousseau, 1902. 8. XIII—565 pag. fr. 8.—.
Annual returns, IV® and NI of persons employed in factories, London, printed
by Darling & Son, 1901. Folio. IV—38 pp. /.0,6. (Supplement to the annual report
of the Chief Inspector of factories and workshops for the year 1900.) [Parl. pap.]
Dritte Folge Bd. XXII (LXXVIII). 27
418 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Chemical manufacturers’ directory, 1902. London, Simpkin, 1902. 8. 2/.6.
Labor and industrial chronology of the Commonwealth of Massachusetts 1899 and
1900. 2 vols. Boston, Wright & Potter printing C°, 1901. gr. 8.
Monkhouse, C., A history and description of Chinese porcelain. With notes
by S. W. Bushell. London, Cassell, 1902. Roy.-8. 188 pp. with plates in colour, ete.
30/.—.
l Palliser, Bury (Mrs.), History of lace. Entirely revised. Re-written and enlarged,
unter the editorship of M. Jourdain and Alice Dryden. London, S. Low, 1902. 4. XVI—
536 pp. with 266 illustrations. 42/.—.
Piccinelli, F., Le società industriali italiane. Milano, U. Hoepli, 1902. 8.
534 pp. 1. 5,50.
6. Handel und Verkehr.
Anderlind, O. V. Leo, Darstellung des kaiserlichen Kanals von Aragonien
nebst Ausblick auf ein in Preußen herzustellendes Kanalnetz. Leipzig und Breslau,
Landwirtsch. Buchhdl. von K. Scholtze, 1902. gr. 8. 32 SS. M. 1.—.
Anweisung für die statistischen Ermittelungen über den Post- und Telegraphen-
verkehr. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei, 1902. 4. 145 SS. (In Kraft seit
1. Februar 1902.)
Barthold, K., Die Eisenbahntariffrage. Tarifierungskunst und Tarifreform. Karls-
ruhe, Braun, 1901. gr. 8. 43 SS. M. 0,30.
v. Bazant, O. R. (k. k. Ministerialkoneipist), Das Ablaufen der Handelsverträge
der österreichisch-ungarischen Monarchie. Wien, Manz, 1902. gr. 8. 28 SS. M. 0,50.
Bericht der Auskunftei W. Schimmelpfeng, Januar 1902. o. O. u. J. (Berlin,
1902.) kl. 8. 27 SS.
Bericht über den Getreide-, Oel- und Spiritushandel in Berlin und seine inter-
nationalen Beziehungen im Jahre 1901, erstattet von Emil Meyer (vereid. Waren- und
Produktenmakler). Berlin, Selbstverlag des Verfassers (Michaelkirchstr. 20), 1902.
gr. 4. 35 SS.
Bericht über Handel und Industrie von Berlin, nebst einer Uebersicht über die
Wirksamkeit des Aeltestenkollegiums im Jahre 1901, erstattet von den Aeltesten der
Kaufmannschaft von Berlin. I. Teil. Berlin, gedruckt bei R. Boll, 1902. Imp.-Folio.
V—108 SS.
Bericht der Handelskammer zu Lübeck über das Jahr 1901, erstattet am 31. XII.
1901. (Wirtschaftlicher Teil.) Lübeck, Druck von Gebr. Borchers (1901). gr. 8. 36 SS.
Geschäftsbericht über den Betrieb der Main-Neckar-Eisenbahn im Jahre 1900.
Darmstadt, J. C. Herbert’sche Hofbuchdruckerei, 1901. Roy.-4. 9 SS. mit XII Anlagen.
Jahresbericht der Handelskammer zu Hamburg über das Jahr 1901. Ham-
burg, Ackermann & Wulff Nachf., 1901, 31. XII. kl. 4. 48 SS.
Kurella, H. (prakt. Arzt), Der neue Zolltarif und die Lebenshaltung des Ar-
beiters. Berlin, Jul. Springer, 1902. gr. 8. 45 SS. (Handelspolitische Flugschriften,
herausgeg. vom Handelsvertragsverein, Heft 3.)
Nachweise, monatliche, über den auswärtigen Handel des deutschen Zollgebiets
nebst Angaben über Großhandelspreise sowie über die Gewinnung von Zucker und
Branntwein. Jahrg. 1901 in 12 Heften. Berlin, Puttkammer & Mühlbrecht, 1901. gr. 8.
Notschrei aus dem Mittelgebirge. Ein Beitrag zur Quebrachozollfrage. o. O. u. J.
(Berlin 1902). 8. 32 SS.
Reinhard, Rud. (Leipzig), Die wichtigsten deutschen Seehandelsstädte. Ein
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mit 8 figürlichen Beilagen. M. 5. (A. u. d. T.: Forschungen zur deutschen Landes-
und Volkskunde, herausgeg. von A. Kirchhoff (Prof., Univ. Halle). Bd. XIII, Heft 6.)
Rohrbach, P., Die Bagdadbahn. Berlin, Wiegandt & Grieben, 1902. gr. 8.
61 SS. nebst einer Karte. M 1.—.
Schigut, E., Einfuhr- und Ausfuhratlas von Oesterreich-Ungarn. Zusammen-
gestellt nach den offiziellen Daten für das Jahr 1899. Wien, Freytag & Berndt, o. J.
(1901). kl.-Folio. 5 farbige graphisch-statistische Tafeln mit eingedr. Text. M. 1,25.
Verzeichnis der Leuchtfeuer aller Meere. 8 Bde. Abgeschlossen am 1. XII.
1901. Berlin 1902. gr. 8. (Herausgeg. vom Reichs-Marineamt. Inhalt: Bd. I. Ostsee,
3d. II. Nordsee, Bd. III. Englischer Kanal, Bd. IV. Mittelmeer, Bd. V. Nördlicher
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 419
Atlantischer Ozean, Bd. VI. Südlicher Atlantischer Ozean, Bd. VII. Indischer Ozean,
Bd. VIII. Stiller Ozean.)
Annuaire de l’Union fraternelle du commerce et de l’industrie pour l’année 1902.
(XT° année.) Tours, imprim. Mame, 1902. 8. LXXX—800 pag.
Congrès international du commerce et de l’industrie, Paris 1900. Paris, Guillaumin
& C", 1901. 8. 622 pag. fr. 12.—, (Discussions, travaux et résolutions du Congrès.)
Indicateur (l’) des foires, fêtes, marchés francs de Paris et de sa grande banlieu
pour 1902. Paris, impr.-ed. Lahure, 1902. 8. 242 pag. fr. 0,60.
Malinvaud, M., Les primes sucrières. Limoges, impr. du „Courrier du Centre“,
1901. 8. 109—III pp.
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Washington, Government Printing Office, 1901. gr. 4. pp. 1192—1828. Contents:
Commercial notes. — Colonial administration, 1800—1900. — Internal commerce. —
Financial tables. — Prices of leading articles. — Foreign commerce of the United States.
With 2 charts. (N° 4, Series 1901—1902.) Monthly summary of commerce, ete. No-
vember 1901. Ibid. 1901. gr. 4. pp. 1828—2131. Contents: Commercial Australia in
1900. — Reciprocity treaties and agreements. — etc. (N° 5, Series 1901—1902.)
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l’unione cooper. editrice, 1901. 8. 677 pp. (Pubblicazione del Ministero dei lavori
pubbliei: R. Ispettore generale delle strade ferrate.)
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tip. del? unione cooperativa editrice, 1901. in-4. VII—514 pp. (Pubblicazione del
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"H 'Atuýpns duropecd vautla tùs "Eiäëoe Ev Zrer 1900. "Ev ’ASnvarç 1901.
4. (Statistik der zur griechischen Handelsmarine gehörigen Dampfer.)
7. Finanzwesen.
Soetebier, Jos. (Redakteur der „Norddeutschen Allgem. Zeitung“), Zolltarif-
handbuch. Im Auftrage des Handelsvertragsvereins bearbeitet und herausgegeben. Berlin,
Liebheit & Thiesen, 1901. gr. 4. 131 SS.
Staatshaushaltsetat für das Etatsjahr 1902. Mit 2 Anlagebänden. Berlin,
gedruckt in der Reichsdruckerei, 1901. gr. Folio.
Financial reform almanack, 1902, for fiscal reformers, free traders, ete. London,
Simpkin, Marshall & C°, 1901. 12. 202 pp. with elaborately-tabulated statistical infor-
mation, 1/.—.
ed H. St. George and R. F. G. Campbell, The income tax Acts. London,
Sweet & Maxwell, 1902. 8. 15/.—.
Return „relating to the rates of import duties levied upon the principal and other
articles imported into the colonies and other possessions of the United Kingdom.“ Lon-
don, printed by Eyre & Spottiswoode, 1901. gr. 8. XI—507 pp. 2/.3. (Parl. pap.)
Azienda dei sali. Relazione e balancio industriale per l’esercizio dal 1° luglio
1900 al 30 giugno 1901. Roma, tip. Calzone-Villa, 1902. Roy. in-4. 119 pp. con
quadro grafico. (Pubblicazione del Ministero delle finanze, Direzione generale delle
privative.)
Azienda dei tabacchi. Relazione e bilancio industriale per l’esercizio dal 1° luglio
1900 al 30 giugno 1901. Roma, tip. Calzone-Villa, 1902. Roy. in-4. LIX—139 pp.
(Pubblicazione del Ministero delle finanze, Direzione generale del privative.)
Bilancio, il, del regno d’Italia negli esereizi finanziari dal 1862 al 1899—1900.
Roma, tip. di G. Bertero & C., 1901. 4. 250 pp. e 10 tav.
Gestione (sulla) economica delle regie saline de Sardegna nel biennio 1900—1901.
Relazione a S. E. il Ministro delle finanze. Roma, tip. Calzone-Villa, 1902. Roy. in-4.
47 pp. (Pubblicazione del Ministero delle finanze, Direzione generale delle privative.)
Relazione del Direttore generale alla Commissione di vigilanza sul rendiconto
dell’ amministrazione del debito pubblico per l’esercizio dal 1° luglio 1900 al 30 giugno
1901. Roma, tipogr. de G. Bertero & C., 1901. Roy. in-4. 276 pp. (Pubblicazione del
Ministero del tesoro.)
27*
420 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Servizio del lotto. Esercizio 1900—1901. Relazione a S. E. il Ministro delle
finanze. Roma, tip. Calzone-Villa, 1902. Roy. in-4. 53 pp. con 1 quadro grafico.
(Pubblicazione della Direzione generale delle privative.)
de Madariaga, D. R., Los gambios y el pago en oro de los derechos de aduanas.
Madrid, Romero, 1901. 8. 69 pp.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Basch, Jul., Wirtschaftliche Weltlage, Börse und Geldmarkt. 12. Folge :
2. Aufl. Berlin, R. L. Prager, 1902. gr. 8. 68 SS. M. 1.—.
Geschäfts- und Rechenschaftsbericht der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft
Unter-Elsaß für das Jahr 1900. Straßburg, Straßburger Druckerei und Verlagsanstalt,
1901. gr. Folio. 41 SS.
Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften. Jahrbuch der deutschen Börsen,
Ausgabe 1901/1902. II. Band. Nebst einem Anhang: Die deutschen und ausländischen
Staatspapiere sowie die übrigen an deutschen Börsenplätzen notierten Fonds ete. 6. Aufl.
Leipzig, Verlag für Börsen- und Finanzlitteratur A. G., 1902. gr. 8. CXX—1452;
69 SS., geb. M. 20.—.
Ingerle, Stef. Ur med., München), Die Anstalten für Rekonvaleszenten, Erho-
lungsbedürftige und Tuberkulüse der Krankenkassen und Landesversicherungsanstalten
Deutschlands. München, Seitz & Schauer, 1901. gr. 8 128 SS. M. 4.—.
v. Knebel-Doeberitz, H. (GehORegR.) und H. Broecker (kais. RegR.), Das
private Versicherungswesen in Preußen. I. Bd. Berlin, S. Mittler & Sohn, 1902. gr. 8.
X—207 SS. M. 6.—. (A. u.d. T.: Die Aufsicht des Reichs und der deutschen Bundes-
staaten über die privaten Versicherungsunternehmungen. Das Reichsgesetz über die
privaten Versicherungsunternehmungen vom 12. V. 1901 etc. erläutert von H. v. Knebel
Doeberitz.)
Licht, Stef., Mittel und Wege zur genossenschaftlichen Organisation des klein-
gewerblichen Kredites in Oesterreich, ete. Brünn, C. Winiker, 1901. 8. 100 SS. M. 1,50.
Mazal, C., Die Aktienbanken Wiens und Berlins. Wien, Gerold & C°, 1901.
gr. 8. 32 8S. M. 1.—.
Prigge, P. (Geschäftsführer des deutschen Haftpflichtschutzverbandes), Die Volks-
versicherung als Zweig der Lebensversicherung. Frankfurt a/M., Ebd. Schnapper, 1902.
gr. 8 61 SS. M. 1,60.
Zacher (kais. GehRegR.), Die Arbeiterversicherung im Auslande. Heft XIV. Die
Arbeiterversicherung in Luxemburg. Berlin, A. Troschel, 1901. gr. 8. 69 SS. M. 2.—.
Heft XV. Die Arbeiterversicherung in Luxemburg. Ed. 1901. gr. 8. 69 SS. M. 2.—.
Congrès international du crédit populaire (associations coopératives de crédit)
tenu à Paris, du 8 au 11 juillet 1900. XI" congrès organisé par le centre fédératif
du crédit populaire en France. Actes du congrès. Menton, imprim. coopérative Menton-
naise, et Paris, Guillaumin & C, 1901. gr. in-8. 822 pag. fr. 6.—.
Destruels, E., Traité pratique de législation anglaise sur les sociétés anonymes
plimited“ suivi d'une notice concernant la Bourse de Londres. Paris, Chevalier-Marescq,
1902. 8. 227 pag. fr. 7.—.
Rousseau, Rod. (avocat à la Cour d’appel de Paris), Des sociétés commerciales
françaises et étrangères. Traité théorique et pratique. 2 vols. Paris, Arth. Rousseau,
1902. gr. in-8. fr. 25.—. (Comprenant une étude du régime fiscal des sociétés com-
merciales et suivi de formules annotées répondant à tous les actes de la vie sociale.)
Cochrane, A. Dougall, Banking. Notes on the origin and development of
banking, and lessons to be drawn from its history. London, E. Wilson, 1901. 8.
99 pp. 2/.6.
Edkins, J., Chinese eurreney. A history of Chinese eurreney from the earliest to
the present time. London, King & Son, 1902. 8. 151 pp. and index, bound. 5/.—.
(Contents: The prineiples of eurreney known to the Chinese. — How the rich may
be induced not to hoard cash. — Weights and measures. — Curreney in the present
dynasty. — Japanese finance. — Sources of the copper used in Chinese currency. —
Proportion of cash to the population. — Sources of Chinese silver. — Gold production.
— Paper currency. — Shanghai as a money distributor. — The spread of morphia.)
Mathieson’s Handbook for investors for 1902. London, E. Wilson, 1902. 8. 2/.6.
Skinner, Thomas, The stock exchange year-book for 1902. London, Office,
1902. 8. 28/.—.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 491
Willis, H. Parker, A history of the Latin Monetary Union. Chicago, Univer-
sity of Chicago Press, 1902. Roy.-8. 342 pp. 10/.—.
9. Soziale Frage.
Bergknecht, Joh. (Fortbildungslehrer), Ferienkolonien. Frankfurt a/M., Schnap-
per, 1902. gr. 8. 83 SS. M. 1,50.
Bericht, stenographischer, über die Verhandlungen der 21. Jahresversammlung
des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit am 12. u. 13. IX. 1901 in
Lübeck. Leipzig, Duncker & Humblot, 1901. gr. 8. 145 u. XIX SS. M.3,40. (Schriften
des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit. Heft 56.)
Turgeon, Ch., Le féminisme français. 2 tomes. Paris, L. Larose, 1902. 8.
fr. 8.—. (Tome I. Emaneipation individuelle et sociale de la femme; tome II. Eman-
cipation politique et familiale le la femme.)
Cumming, A. N. (Barrister-at-law), Public house reform; an explanation. Lon-
don, Sonnenschein, 1902. 8. illustr. 2/.6. (Contents: The new departure. — Principles
of the reform. — The temperance attack on the movement. — The reply. — The ideal
public house. — The system at work. — Progress of the movement.)
Stewart, Charles, Hand immemor: Reminiscences of legal and social life in
Edinburgh and London, 1850—1900. London, W. Blackwood, 1902. Roy.-8. 172 pp.
7/.6.
Labriola, Teresa, Del divorzio: discussione etica. Roma, Loescher & C°, 1901.
8. 63 pp. 1. 1,50.
10. Gesetzgebung.
Bauer, P., Der unlautere Wettbewerb und seine Behandlung im Recht unter
besonderer Berücksichtigung der ausländischen Rechtsprechung, Gesetzgebung und Litte-
ratur. München, Th. Ackermann, 1902. gr. 8. 116 SS. M. 2,40.
Entscheidungen des kgl. preußischen Oberverwaltungsgerichts. Herausgeg.
von (den kgl. OVerwaltungsräten) Freytag, Techow, Schultzenstein, Reichenau. Bd. XXXIX.
Berlin, C. Heymanns Verlag, 1902. gr. 8. XXII—498 SS. M. 8.
Entscheidungen des Reichsgerichts in Civilsachen. Bd. XLVIII. Leipzig,
Veit & C°, 1901. gr. 8. XII—468 SS. M. 4.—.
Gareis, K. (GehJustR., Prof., Königsberg), Deutsches Kolonialrecht. Eine orien-
tierende Schilderung der außereuropäischen Erwerbungen des Deutschen Reiches und
Darstellung ihrer Rechtsordnung. 2. Aufl. Gießen, E. Roth, 1902. gr. 8. X—238 SS.
M. 4.—.
Schneider, H., Die Gesetzentwürfe zur Sicherung der Bauforderungen vom Jahre
1901. Vorschläge zur Abänderung und Gegenentwurf. Berlin, Guttentag, 1901. 8.
80 SS. M. 1.—.
Schultze, E. (Privdoz.), Entlassungszwang und Ablehnung oder Wiederaufhebung
der Entmündigung. Halle a/S., C. Marhold, 1902. 8. 62 SS. M. 0,80.
Weymann, K. (kais. RegR.), Das Invalidenversicherungsgesetz vom 13. VII. 1899
und die zugehörigen Reichsausführungsbestimmungen, erläutert. Berlin Fz. Vahlen,
1902. gr. 8. XXIII—704 SS. M. 14.—.
Lois sur la pêche fluviale, annotées et commentées d’après la jurisprudence de la
cour de cassation et des cours d’appel. Paris, impr. Le Normand, 1902. 24. 59 pag.
Bowstead, W., The law relating to factories and workshops. London, Sweet &
Maxwell, 1902. 8. 9/.—.
Legge e regolamento sulla emigrazione. Napoli, tip. Ferrante, 1901. 8. 177 pp.
11. Staats- und Verwaltungsrecht.
Aenderungen und Nachträge, biographische Notizen betreffend, zum amtlichen
Reichstagshandbuch für die 10. Legislaturperiode 1898—1903. Abgeschlossen am 18. Ja-
nuar 1902. Berlin, gedruckt in der Reichstagsdruckerei, 1902. 12. 28 SS.
Angermünde. Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten
der Kreisstadt Angermünde für das Rechnungsjahr 1900. Angermünde, Druck von C.
Windolff, 1901. 8. 30 SS.
Arbeitersehutzvorschriften, landesbehördliche. Zusammengestellt im Reichs-
amt des Innern. Berlin, P. Stankiewicz, 1900. Lex.-8. 140 SS.
422 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Bericht der Verwaltung des Armenwesens und der milden Stiftungen der Stadt
Dortmund für das Verwaltungsjahr 1900 (1. IV. 1900—1901). Dortmund, Druck von
W. Crüwell, 1902. gr. 4. 54 SS.
Dirschau. Bericht über Stand und Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten der
Stadt D. für das Rechnungsjahr 1900. Dirschau, Druck der „Dirschauer Zeitung‘ 1901.
4. 58 SS.
Fischel, A., Das österreichische Sprachenrecht. Eine Quellensammlung, eingeleitet
und herausgeg. von A. F. Brünn, Fr. Irrgang, 1901. gr. 8. XLVILUI—259SS. M. 4,50.
Grosch, A. (Staatsanwalt), Das deutsche Auslieferungsrecht und die Rechtshilfe
in Strafsachen im Verhältnis zum Reichsausland mit den annotierten Auslieferung-
verträgen des Deutschen Reiches und der Bundesstaaten. Karlsruhe, Macklot, 1902.
gr. 8. VIII-479 SS., geb. M. 7,50.
Handbuch für das Deutsche Reich auf das Jahr 1902. XXVI. Jahrg. Bear-
beitet im Reichsamte des Innern. Berlin, C. Heymanns Verlag, 1902. gr. 8. XXXI—
650 SS.
Köln. Bericht über Stand und Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten der
Stadt Köln für das Etatsjahr 1900. Köln, Druck von M. Du Mont Schauberg, 1901.
gr. 4. 205 SS.
Krefeld. Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten für
das Etatsjahr 1900. Krefeld, Druck von Kramer & Baum, 1901. gr. 4. 175 SS.
v. Manteuffel. — Preußens auswärtige Politik 1850—1858. Unveröffentlichte
Dokumente aus dem Nachlasse des Ministerpräsidenten Otto Frh. v. Manteuffel. I. Bd.:
1850—1852. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1902. gr. 8 XIX—474 SS. M. 10.—.
(A. u. d. T.: Von Olmütz bis zur Errichtung des zweiten französischen Kaiserreichs.
Vom 1. XI. 1850 bis zum 2. XII. 1852.)
Plauen. Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegen-
heiten der Kreisstadt Plauen i. V. auf die Jahre 1899 und 1900. Plauen, gedruckt bei
M. Wieprecht, 1901. gr. 8 V—615 SS. kart. (Aus dem Inhalt: Verfassung und Ver-
waltung der Stadt im allgemeinen. — Kirchen- und Schulsachen. Wissenschaft und
Kunst. — Städtische Finanzen. — Sparkasse. — Grundbesitz und Unternehmungen. —
Feuerversicherung und Feuerlöschwesen. — Oeffentliche Gesundheitspflege. — Gewerbe-
sachen. — Arbeiterversicherung. — Armenwesen.)
Schweidnitz. Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten
der Stadt Schweidnitz in der Zeit vom 1. IV. 1900 bis 31. III. 1901. Schweidnitz,
Buchdruckerei C. Boy, 1901. gr. 4. 61 SS.
Uebersicht der Geschäftsthätigkeit der Aichungsbehörden während des Jahres
1900. Herausgeg. von der kais. Normalaichungskommission. Berlin, gedruckt in der
Reichsdruckerei, 1902. Imp.-4. 15 SS. š
Uebersicht über die Thätigkeit der freiwilligen Feuerwehren des Feuerwehr-
verbandes für die Provinz Hannover bei Bekämpfung von Schadenfeuern im Jahre 1899
nebst Uebersicht der im Jahre 1899 vorgekommenen Unfälle bei Bränden und Uebungen,
bearbeitet von H. Schaefer in Lüneburg (Schriftführer im Vorstande des Feuerwehr-
verbandes). Lüneburg, v. Stern’sche Buchdruckerei (1901). Größtes Imp.-Folio. 66 SS.
Wiener Kommunalkalender und städtisches Jahrbuch. XL. Jahrg. (1902). Wien,
M. Perles, 1901. 8. 670 SS., kart. M. 3,20. (Inhalt: Geschäftskalender. — Städtisches
Jahrbuch. — Beiträge zur Geschichte der Stadt Wien. — Chronik der Stadt Wien. etc.)
Witten. Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegen-
heiten der Stadt Witten für die Zeit vom 1. IV. 1899 bis 31. III. 1900. Witten, Druck
von C. L. Krüger, 1902. gr. 4. 93 SS.
Wittenberg. — Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegen-
heiten der Stadt W. in dem Rechnungsjahre 1900. Wittenberg 1901. gr. 4. 52 SS.
Fay, Fred. H., The population and finances of Boston. A study of municipal
growth. Boston, Municipal Printing Office, 1901. gr. in-8. 33 pp. with 3 diagrams
in Imp.-Folio.
Bryce, James, Studies in history and jurisprudence. Oxford, University Press,
1901. 8. cloth. $ 3,50. (Contents: The Roman Empire and the British Empire in
India. — The extension of Roman and English law throughout the world. — The action
of centripetal and centrifugal forces on political constitutions. — The constitution of
the United States as seen in the past. — Two South African constitutions. — The
eonstitution of the commonwealth of Australia. — The nature of sovereignty. — Methods
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 493
of lawmaking in Rome and in England. — The history of legal development at Rome
and in England. — Marriage and divorce in Roman and in English law.)
Report, the, of the Earl of Durham (her Majestys high Commissioner and Gover-
nor-General of British North’ America). Dated 31“ January, 1839. A new edition, with
an introductory note. London, King & Son, 1902. 8. 7/.6.
Ruggles-Brise, E., Two prisons congresses, Paris 1895; Brussels, 1900. Report
to the Secretary of State for the Home Department on the proceedings of the V* and
VI international penitentiary congresses. London, printed by Darling & Son, 1901.
gr. 8. XTV—172 pp. 1/.--. (Parl. pap.)
12. Statistik.
Allgemeines.
Niggl, A. (Prof. an d. Handelsakademie, Innsbruck), Grundzüge der Statistik mit
besonderer Berücksichtigung der Wirtschafts- und Handelsstatistik. Leipzig, L. Huberti,
o. J. (1901). gr. 8. 178 SS., geb. M. 2,75.
Fournier de Flaix, Statistique et consistance des religions à la fin du XIX°
siècle. Paris, E. Leroux, 1901. 8. 28 pag.
Deutsches Reich,
Beiträge zur Statistik des Herzogtums Braunschweig. Herausgeg. vom statisti-
schen Bureau des herzogl. Staatsministeriums. Heft XVI. Braunschweig, Druck von
Joh. H. Meyer, 1901. Imp.-4. 8; 118 doppelspalt. SS. (Inhalt: Die hypothekarische
Belastung des Grundbesitzes im Herzogtum Braunschweig am 1. I. 1897. II. Abteilung
(Textliche Bearbeitung). Bearbeitet von FinanzR. F. W. R. Zimmermann (Vorstand des
statistischen Bureaus des herzogl. Staatsministeriums). Aus dem Inhalt der II. Abtei-
lung: Die Entwickelung der Hypothekarstatistik im Deutschen Reiche. — Die Verschul-
dungsstatistik. — Hypothekarstatistik und Verschuldungsstatistik in ihrer prinzipiellen
Bewertung gegeneinander. — Die Grundlagen der Braunschweigischen Hypothekarstatistik
von 1897. — Die Belastung im Durchschnitt für das Hektar. — Die Belastung unter
Ausscheidung von Stadt und Land. — Die Verzinsung der hypothekarischen Belastungen.)
Beiträge zur Statistik der Stadt Essen. Heft 2: Die Wohnungsverhältnisse in der
Stadt Essen nach der Aufnahme vom 1. XII. 1900: I. Teil. Die Essener Grundstücke ;
II. Teil. Die Essener Gebäude. Essen, Druck von Fredeheul & Koenen, 1901. 4. 70SS.
mit 6 Tabellen und einer graphischen Beilage in qu.-Folio. (Im Auftrage des OBürger-
meisters herausgeg. durch das statistische Amt.)
Charlottenburger Statistik, Ergänzungsheft 1.: Die Grundstücksaufnahme vom
27. X. 1900 und die Wohnungsaufnahme vom 1. XII. 1900 in der Stadt Charlotten-
burg sowie in den Nachbargemeinden Wilmersdorf, Friedenau, Schmargendorf und Grune-
wald. Charlottenburg, C. Ulrich & C°, 1902. Imp.-Folio. 8; 64 SS. (Herausgeg. vom
statistischen Amt der Stadt Charlottenburg.)
Königsberger Statistik, im Auftrage des Magistrats herausgeg. vom statistischen
Amte der Stadt Königsberg i. Pr. N’ 1. Königsberg, Hartungsche Buchdruckerei, 1901.
gr. 8. 18 SS. (Inhalt: Die leerstehenden Wohnungen in Königsberg i. Pr. im Oktober
1901. Bearbeitet vom Direktor des statistischen Amtes A. Dullo.)
Mecklenburg-Schwerinscher Staatskalender. Herausgeg. vom großherz. statisti-
schen Amt. Jahrg. 127: 1902. 2 Teile. Schwerin, Verlag der Bärensprung’schen Hof-
buchdruckerei, 1901. 8. (Inhalt. Teil I: Personalstaat, Annalen des Großherzogtums, ete.
699 SS. — Teil II: Statistisch-topographisches Jahrbuch 453 SS.)
Preußische Statistik. (Amtliches Quellenwerk.) Herausgeg. vom statistischen
Bureau in Berlin. Heft 169: Die Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle im preußi-
schen Staate während des Jahres 1900. Berlin, Verlag des Bureaus, 1902. Imp.-4.
XXII—352 SS.
Protokoll über die Verhandlungen der Kommission für Arbeiterstatistik vom
12. XII. 1901. Berlin, C. Heymanns Verlag, 1902. Folio. 17 SS. (Drucksachen der
Kommission für Arbeiterstatistik, Verhandlungen N" 21.)
Statistik der im Betriebe befindlichen Eisenbahnen Deutschlands nach den An-
gaben der Eisenbahnverwaltungen bearbeitet im Reichseisenbahnamt. Band XXI, Rech-
nungsjahr 1900. 3 Abteilungen. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1902. Größt. Imp.-Folio.
ea. 400 SS.
Statistik der zum Ressort des k. preußischen Ministeriums des Innern gehören-
den Strafanstalten und Gefängnisse, der Zwangszöglinge nach $ 56 u. 55 des Str.-G.-B.
424 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
und der Korrigenden für das Etatsjahr 1900 (1. IV. 1900 bis 31. III. 1901.) Berlin,
Druckerei der Strafanstaltsverwaltung, 1902. gr. 8. XXIV—250 SS.
Verzeichnis der Gemeinden in Elsaß-Lothringen mit Angabe der Postbestell-
bezirke, der Amtsgerichtsbezirke, der Flächen der Gemeindegemarkungen, der Zahl der
bewohnten Häuser, der ortsanwesenden Bevölkerung (nach der Volkszählung vom 1. 12.
1900) und der Bürgermeister. Straßburg, Fr. Bull, 1901. gr. 8. 93 SS. M. 1,20.
Frankreich.
Statistique de la navigation intérieure. Relevé général du tonnage des marchan-
dises. Année 1900. 2 vols. Paris, imprim. nationale, 1901. gr.in-4. 430 pag. et 285 pag.
fr. 8.—, (Publication du Ministère des travaux publics, Direction des routes, de la
navigation et des mines.)
England.
Report, statistical, of the health of the navy for the year 1900. London, printed
by Eyre & Spottiswoode, 1901. gr. 8. IX—143; 104 pp. 1/.3. (Parl. pap.)
Oesterreich-Ungarn.
Jahrbuch, statistisches, des k. k. Ackerbauministeriums für das Jahr 1900.
2. Heft. Der Bergwerksbetrieb Oesterreichs im Jahre 1900. Lieferung I. Die Bergwerks-
produktion. Wien, k. k. Staatsdruckerei, 1901. gr. 8. 199 SS.
Jahrbuch, statistisches, der Stadt Wien für das Jahr 1899. Jahrg. XVII. Be-
arbeitet von (MagistratsR.) Stephan Sedlaezek, (MagistratsSekr.) W. Löwy und (Magistr-
Kommissär) W. Hecke. Wien, W. Braumüller, 1901. gr. 8. IX—942 SS. geb. (Mittei-
lungen des statistischen Departements des Wiener Magistrats.)
Mitteilungen des k. k. Arbeitsstatistischen Amtes im Handelsministerium. Heft 2.
Wien, A. Hölder, 1902. gr. 8. 97 SS. mit 1 Planbeilage. (Inhalt: Die Arbeitsverhält-
nisse im Lloydarsenale und Stabilimento tecnico Triestino unter Zugrundelegung der von
den Direktionen der beiden Anstalten zur Verfügung gestellten Daten.)
Magyar statisztikai evkönyv. VIII évfolyam 1900. Ungarisches statistisches Jahr-
buch. Neue Folge Bd. VIIL: 1900. Im Auftrage des kön. ungar. Handelsministers ver-
faßt und herausgeg. vom k. ungar. statistischen Centralamt. Amtliche Uebersetzung aus
dem ungarischen Originale. Budapest, Buchdruckerei der Aktiengesellschaft Athenaeum,
1902. gr. 8. XVII—453 SS., geb. Kr. 10.—.
Rußland.
C60PHUKYB crarucruuecxuxR cpkatuin Mumncrepersa 1ocruuis, ete. C.-Ilerep-
6ypr& 1901. Imp.-Folio. 233 & 59 pp. (Statistsches Jahrbuch des kais. russischen
Jusitzministeriums für das Jahr 1900. 2 Teile. [Teil I. Europäisches Rußland; Teil II.
Asiatisches Rußland.] Nebst 3 Kartogrammen.)
Bidrag till Finlands officiela Statistik. I. Handel och Sjöfart. N° 20: Finlands
Handel und Schiffahrt mit Rußland und dem Auslande, nebst Zollstätteneinnahmen
und der Handelsmarine Finlands. V—174; 106; 36 u. 9 pp. mit graphischer Darstel-
lung. — VII. A. Sparbanks-Statistik, är 1900. 120 pp. — IX. Elementarläroverkens
i Finland, 1896—1899. (Statistik der öffentlichen Schulen in Finland in den Schul-
jahren 1896—99.) 59 pp. — Elementarläroverkens i Finland under läseäret 1599 —
1900. 51 pp. — X. Statistik öfver folkundervisningen i Finland utgifven af öfversty-
relsen för skolväsendet, N° 28. XXIII—179 pp. (Statistik des Lehrpersonals, der Ein-
nahmen und Ausgaben für Schulzwecke im Schuljahr 1898/99.) — XIII. Post-Statistik.
Ny följd 16. XLIV—78 pp. — XVI. Byggnadsstatistik 2. (Statistik der öffentlichen
Bauten in Finland in den Jahren 1893—1899.) 97 pp. mit 12 Tafeln. — XXI. Fattig-
vards-Statistik. A 5: Fattigvarden ären 1896—1897. (Statistik der öffentlichen Wohl-
thätigkeit der finländischen Gemeinden 1896/97.) 45; 113; 107 pp. — XXIII. Rätts-
väsendet. N° 7 & N° 8: Finische Civil- und Kriminalgerichtsstatistik, für die Jahre
1897 u. 1898. 2 Teile. 68; 213 u. 74; 211 pp. — XXIV. Pantläne-Statistik (Pfand-
hausstatistik für 1900). 16 pp. Zusammen 11 Hefte. Helsingfors 1900 u. 1901. gr. 8.
Belgien.
Recensement général de la population au 31 décembre 1900. Relevé du nombre
des habitants du Royaume de Belgique par province, par arrondissement administratif
et par commune. Bruxelles, impr. J. B. Stevens, 1902. Roy. in-4. 16 pag. (Publication
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 495
du Ministère de l’intérieur et de l'instruction publique. Administration de la statistique
générale.)
Holland.
Verslag, XVIII, van het staatstoezicht op krankzinnigengestichten en over den
staat dier gestichten in de jaren 1897, 1898 en 1899, aan den Minister van binnen-
landsche zaken, opgemaakt door de inspecteurs voor het staatstoezicht op de krankzin-
nigen en de krankzinnigengestichten in Nederland. ’s Gravenhage, Gebr. Belinfante,
1901. 4. 491 blz. met 4 taf. max. in-folio. (Statistischer Verwaltungsbericht der Irren-
pflegeanstalten in Holland über die Jahre 1897—1899.)
Dänemark.
Danmarks Statistik. Statistische Meddelelser. IV. Serie, X. Bd. Kobenbavn,
Gyldendal, 1901. gr. 8. 29; 53; 132; 19 pp. (Udgivet af Statens Statistiske Bureau.
Inhalt: Ein- und Ausfuhr Dänemarks in der Zeit vom 1. April bis 30. Juni 1901. —
Statistik der Wahlen zum Folketing am 3. April 1901. — Die Bevölkerung des König-
reichs Dänemarks am 1. II. 1901, verteilt auf Städte, Kirchspiele, Amtsbezirke und
Diözesen. — Beschaffenheit der Ernte in Dänemark 1901.)
Schweden,
Bidrag till Sveriges officiela Statistik A. Befolkningsstatistik. Ny följd XLI
(Stand und Bewegung der Bevölkerung 1899) XX—55 pp. — G. Fângvärden. Ny
följd XLII (Gefängnisstatistik für 1900), XXX—42 pp. — I. Telegrafväsendet. Ny
följd 40. (Staatstelegraphenstatistik für 1900.) XXVI—23 pp. — P. Undervisnings-
väsendet 42. (Statistik der höheren öffentlichen Lehranstalten; Gehaltssätze des Lehr-
personals; Etat der Schulen, ete. für das Studienjahr 1899—1900.) 24; 45; 46; 18;
129 pp. — S. Allmänna arbeten 29. (Statistik der öffentlichen Weg-, Wasser- etc.
Bauten für das Jahr 1899.) 101; 11 pp. mit 3 graph. Tafeln. — Y. Sparbanksstatistik.
II. Postsparbanken. Berättelse för är 1900. XXIX—33 pp. Zusammen 6 Hefte. Stock-
holm, K. L. Beckmans boktryckeri, 1901. Roy.-4.
Norwegen.
Statistisk aarbog for Kristiania by Femtende aargang, 1900. Kristiania, J. Ch.
Gundersens bogtrykkeri, 1901. gr. 8. X—216 pp. (Statistisches Jahrbuch der Stadt
Kristiania, XV. Jahrgang. Inhaltsauszug: Statistik des bebauten Grundeigentums und
der Wohnungen. — Bewegung der Bevölkerung. — Oeffentliche Gesundheitspflege ;
Todesursachen. — Gewerbe und Industrie; Konsumstatistik; Marktpreise; Löhne. —
Gemeindefinanzen. — Oeffentliche Wohlthätigkeitspflege.)
Amerika (Vereinigte Staaten).
Annual statisties, the, of Manufactures (commonwealth of Massachusetts) 1900.
XV" report. Boston, Wright & Potter printing C°, 1901. gr. 8. X—157 pp.
Asien (China).
China. Imperial Maritime Customs I. Statistical series, N° 2: Customs Gazette.
N° CXXXI, July—September 1901. Shanghai, Kelly & Walsh, & London, King & Son,
1901. 4. 282 pp. $ 1.—. (Published by order of the Inspector General of Customs.)
— (British-Indien).
Financial and commercial statisties of British-India for 1900. (VIII issue.)
Caleutta and London, King & Son, 1902. Folio. (Publication of the Indian Government.)
Australien (Englischer Kolonialbesitz einschl. Neu-Seeland).
Statistics. Six States of Australia and New Zealand, 1861 to 1900. Sydney,
W. A. Gullick printed, 1901. gr. 8. 78 pp. (Compiled from official sources by T. A.
Coghlan, Statistician of New South Wales.)
— (Neu-Südwales).
Census of New South Wales, 1901. Bulletin n° 1: Summary of population by
counties. Preliminary statement. Sydney, W. A. Gullick printed, 1901. Folio, 2 pp. —
Bulletin n° 2. Population of municipalities. Preliminary statement. ibid. Folio. 3 pp.
426 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
— (Südaustralien).
South Australia. Agricultural and live stock statistics for the year ending March 31",
1901 with prefatory report. Adelaide, C. E. Bristow printed, 1901. Folio. XXIV—
69 pp.
13. Verschiedenes.
Carneri, B., Der moderne Mensch. Versuche über Lebensführung. 6. Aufl.
Bonn, E. Strauß, 1901. gr. 8. XII—179 SS. mit Portr. des Verfassers, geb. M. 4.
Eichhorn, C., Die Geschichte der „St. Petersburger Zeitung“ 1727—1902.
St. Petersburg, Buchdruckerei der St. Petersburger Zeitung, 1902. gr. 8. IX—257 SS.
mit 3 Beilagen. Eleg. kart.
Ende, das, der Offizierlaufbahn. Freimütige Gedanken eines alten Offiziers über
die Verabschiedungen, von G.—. Berlin, R. Felix, o. J. (1901). gr.8. 125 SS. M. 2,50.
Haeseler, Ad. (prakt. Arzt), Der wirtschaftliche Ruin des Aerztestandes. Frank-
furt a. M., Ed. Schnapper, 1902. gr. 8. 48 SS. M. 1.—.
Kriege, die, Friedrichs des Großen. Herausgeg. vom Großen Generalstabe, kriegs-
geschichtliche Abteilung IL Berlin, S. Mittler & Sohn, gr. 8. VIII—231 SS. mit
XV Plänen und Skizzen. (Inhalt: Der siebenjährige Krieg 1756—1763. Bd. III: Kolin.)
Lasker. — Aus Eduard Laskers Nachlaß: Herausgeg. von W. Cahn. I. Teil:
Fünfzehn Jahre parlamentarische Geschichte (1866—1880). Berlin, G. Reimer, 1902.
8. VI—168 SS. M. 2,40.
Näcke, P. (MedizR., OArzt an der k. sächs. Irrenanst. Hubertusburg), Die Unter-
bringung geisteskranker Verbrecher. Halle a. S., C. Marhold, 1902. gr. 8. 57 Ss.
M. 2.—.
Schmits, A., Der Kampf gegen die Sprachverwilderung. 2. Aufl. Köln, Du Mont-
Schauberg, 1901. gr. 8. 73 SS. M. 1.—.
Silbernagl, J. (UnivProf., Innsbruck), Die kirchenpolitischen und religiösen Zu-
stände im 19. Jahrhundert. Ein Kulturbild. Landshut, Ph. Krüll, 1901. gr. 8. VIII—
467 SS. M. 6.—.
Spahn, Martin, Der große Kurfürst. Mainz, Frz. Kirchheim, 1902. gr. 8.
151 doppelsp. SS. mit 1 Karte in Farbendruck, 93 Porträts u. 138 Abbildgn. im Text,
. 4.
Verhandlungen des XIII. deutschen Geographentages zu Breslau am 28., 29.
und 30. V. 1901. Herausgeg. von (Hauptmann a. D.) Georg Kolm. Berlin, D. Reimer,
1901. gr. 8 LXXXVI—302 SS. mit 3 Karten. M. 8.—.
Annuaire de l’Université catholique de Louvain 1902. 66° année. Louvain,
tip. J. van Linthout, 1901. 8. XXXII—403; CXV pag.
Congrès (X*) international d'hygiène et de démographie à Paris en 1900. Compte
rendu publié par le Sécretariat général du Congrès. Paris, Masson & Ci, 1901. gr. in-8.
1070 pag. av. fig. fr. 12.—.
Relevé des maladies infectieuses. Tableau comparatif des provinces et des princi-
pales villes d'Egypte pendant les 5 années 1896—1900. s. 1. [Alexandrie.] Imp. in-Folio.
1901. 22 pp.
Annual report of the Board of regents of the Smithsonian Institution, showing
the operations, expenditures, and condition of the Institution for the year ending June 30,
1900. Washington, Government Printing Office, 1901. gr. 8 LXV—759 pp. with
numerous plates.
Annual report of the Medical Officier on the public health of London during
the year 1900. IX” annual. London, King & Son, 1902. 8. With diagrams. 3/.6.
(Contents: Population. Births deaths and marriages. — Diphtheria, small-pox and other
infeetious diseases. — Drainage, sewage, and noxious trades. — Housing. — Factories,
workshops. — Water supply. — Special reports on prevalence of enteric fever and on
signs and symptoms of plague.)
Collet, Clara E. (Fellow of University College London), Educaded women.
Essays on the economie position of women workers in the middle classes. London,
P. S. King & Son, 1902. 8. VI—142 pp., cloth. 2/.6.
Coulton, G. G., Public schools and the public needs. Suggestions for the reform
of our teaching methods in the light of modern requirements. London, Simpkin, 1902,
8. 334 pp. 5/.—.
Die periodische Presse des Auslandes. 427
Index-catalogue of the library of the Surgeon-General’s Office, United States
Army. Authors and subjects. II"! series. Vol. VI. G.—Hernette. Washington, Govern-
ment Printing Office, 1901. Imp.-8. 1051 pp.
Stead, W. T., The Americanisation of the world, or the trend of the XX‘ cen-
tury. London, published at the „Review of Reviews“ Office, 1902. gr. 8. 182 pp.
illustr. 1,/.—. (Contents: The United States and the British Empire. — The rest of the
world. — How America americanises: Religion; Literature and journalism; Marriage
and society; The „American invasion“; Railways, shipping, and trusts. — The sum-
ming-up.)
Carlsen, J. (Ur med.), Dodsaarsagerne i Kongeriget Danmarks Byer i Aaret
1900. Udgivet af det Kgl. Sundhedskollegium. Kjøbenhavn, B. Lunos Bogtrykkeri,
1901. Roy.-4. 35 pp. (Todesursachen in den Städten des Königreichs Dänemark im
Jahr 1900.)
Die periodische Presse des Auslandes.
A. Frankreich.
Bulletin du Ministère de l’agriculture. XX" année, 1901, N° 5: A. France:
Documents statistiques sur les sucres et les boissons: I. Production des alcools en 1900
et 1599; II. Campagne sucrière 1900 à 1901. Tableau présentant, au 31 août 1901,
l'importance des quantités de betteraves mises en oeuvre depuis le 1% septembre 1900
et le rendement des betteraves en sucres et en mélusses; III. Relevé général des comptes
tenus dans les fabriques de glucoses pendant la campagne 1900—1901. — Rapport sur
une maladie bactérienne nouvelle de la pomme de terre, par G. Declaroix. — B. Etranger :
Royaume-Uni: Rapport sur les applications de froid industriel en agriculture, par J. de
Loverdo. — Allemagne: Rapport sur les emplois industriels de l’alcool à l’exposition
agricole de Halle-sur-Saale, par D. Sidersky. Danemark: Rapport sur le XVIII"
concours général d'agriculture à Odense en 1900. — etc.
Bulletin de statistique et de législation comparée. XXVI“" année, 1902, Jan-
vier: A. France, colonies ete.: Les ministres des finances depuis 1789. — Rapport et
décrets relatifs à l’organisation du personnel de la trésorerie de l'Algérie et au régime
financier en Algérie. — Les fabriques de sucre et leurs procédés de fabrication pendant
la campagne 1900—01. — L’impöt sur le opérations de bourse (avec diagramme), —
Les revenus de l'Etat. — Le commerce extérieur, mois de décembre 1901. — Le com-
merce extérieur de la France pendant l’année 1901. — Achats et ventes de rentes
effeetués par l’intermédiaire des comptables du Trésor. — Monnaies fabriquées en 1901
à la Monnaie de Paris. — La caisse nationale d'épargne en 1900. — Le budget de
l'Algérie (exercice 1902). — Le budget de la Régence de Tunis (exercice 1902). —
B. Pays étrangers: Situation des principales banques d'émission à la fin du 4° trimestre
de 1901. — Belgique: Modification à la législation sur les sucres (loi du 9 janvier
1902.) Le budget des voies et moyens pour 1902. Les droits de douane sur l’éther
sulfurique et l’éther acétique. — Italie: Le régime des alcools, loi du 29 XII 1902.
La production de vins. — Espagne : Le budget pour 1902. — Russie: La dette publique
au 1” janvier 1902. Le budget de l’Empire pour 1902. Les dépôts en Russie des
titres émis ou garantis pour l'Etat russe. — Egypte: Le budget pour 1902. etc.
Journal des Economistes. 61° année, 1902, Février: La responsabilité publique,
par Ladislas Domanski. — La erise viticole, par La Clavière. — Le mouvement agricole,
par L. Grandeau. — Revue des principales publications économiques en langue française,
par Rouxel. — Le grand programme des travaux maritimes de la Belgique, par Dan.
Bellet. — Les avariés. Une séance à l’Institut, par Fred. Passy. — La Commission
de dépopulation. — Société d'économie politique, réunion du 5 Février 1902: Nécrologie :
Emile Chevallier. Discussion: Les grands travaux publics peuvent-ils conjurer ou
provoquer des crises. — Comptes rendus. — Chronique. — etc.
Journal de la Société de statistique de Paris. XLIII® année, 1902, n° 1 et 2,
Janvier et Février: Procès-verbal de la séance du 18 décembre 1901. — Mouvement de
498 Die periodische Presse des Auslandes.
la population de la France en 1900. — La loi qui règle les naissances, par G. Cauder-
lier. — Chronique des transports, par H. Hertel. — Procès verbal de la séance du
15 janvier 1902. — Variétés: Le commerce extérieur de la France; Les accidents dans
les houillères de Belgique; La campagne sucrière en Allemagne. -— Chronique trime-
strielle des banques, changes et métaux précieux, par Pierre des Essars. — etc.
Revue d'économie politique. 16° année, 1902, N° 1, Janvier: Le concept de
l’éthique et de l’économie politique dans l’histoire, par L. Brentano. — La coopération
rurale en Belgique, par Emil Vandervelde. — Les transformations du contrat de salaire
et leur influence sur la rétibution de l’ouvrier, par Ch. Rist. — Chronique légis-
lative. — etc.
Revue internationale de sociologie, publiée sous la direction de René Worms.
9° année, 1901, n° 12, Décembre: Essai de classification des faits sociaux, par Arthur
Bauer (pag. 873 à 925). — Société de sociologie de Paris, séance de rentrée du
13 novembre 1901: Rapport du secrétaire-général René Worms sur les travaux de
l’année écoulée. Paroles de F. Faure et G. Tarde à la mémoire d’Adolphe Coste. —
Revue des livres. — etc.
England.
Economic Review, the. Published quarterly for the Oxford University branch
of the Christian Social Union. Vol. XII, n° 1, January 1902: Co-operation in Italy,
by H. W. Wolff. — Thirty years’ export trade: British and Irish produce, 1870—1899,
by Barnard Ellinger. — Some aspects of profit-sharing, by G. Mathieson. — The postu-
lates of the monetary standard, by W. Warrand Carlile. — „Whatever is, is right, by
(Rever.) J. G. Simpson. — The functions of a University in a commercial centre, by
(Rev.) H. Rashdall. — Legislation, parliamentary inquiries, and official returns, by
Edw. Cannan. — etc.
Journal of the Institute of Actuaries N° CCIV, January 1902. (Vol. XXXVI,
part IV): The case for Census reform, by G. H. Ryan (General Manager and Actuary
of the British Empire Mutual Life Assurance Company). — The business management
of foreign life insurance companies according to German Imperial law, by Karl Sam-
wer. — etc.
Nineteenth Century, the, and after. February 1902: South Africa: Chinese
labour for the Rand, by P. Leys. — Should Trade Unions be incorporated? — The
demand for a catholic University, by G. Johnstone Stoney. — Te passing of the Act
of Settlement, by (the Marquis) de Ruvigny and Raineval, ete. — Metternich and
(Princess) Lieven. — etc.
Westminster Review, the. January and February 1902: The South African
contpiracy. — Italy and her socialists, by H. W. Wolle. — The late Amir of Afghani-
stan, by F. B. Bradley-Birt. — The Workmen’s Compensation Act, by J. Tyrrell Bayler.
— Landlordism, by T. M. Donovan. — The exodus of the Irish, by Thom. E. Naughten.
— An appeal to Lord Salisbury, by a true friend of a better England. — How Ire-
lands are made, by W. J. Corbet. — Englands peril, by Volet Capel. — Anarchism, by
G. H. Wood. — Canadian railways and emigration, by T. E. Julian. — Supply and
demand, by Madeleine Greenwood. — ete.
C. Oesterreich-Ungarn.
Deutsche Worte. Monatshefte, herausgeg. von E. Pernerstorfer. Jahrg. XXI,
1902, Heft 1, Januar: Theoretische Gesichtspunkte in der österreichischen Nationalitäten-
frage. Vortrag, gehalten im Sozialwissenschaftlichen Bildungsverein in Wien, von
K. Renner (Wien). — Der Student und die Sozialwissenschaft, von Academicus. — etc.
Deutsche Worte 1902, Heft 2, Februar: Theoretische Gesichtspunkte in der
österreichischen Nationalitätenfrage. Vortrag gehalten im sozialwissenschaftlichen Bildungs-
verein in Wien, von Karl Renner (Wien) [Schluß]. — Ernst Häckel und die religiöse
teform, von F. Brand. — Zur Frage der Arheitslosenunterstützung und des Arbeits-
nachweises. etc.
Handelsmuseum, das. Herausgeg. vom k. k. österr. Handelsmuseum. Bd. XVII,
N° 6—N' 10, vom 6. Februar—6. März 1902: Die Industrieförderung in Rumänien und
ihre Rückwirkungen auf die Wareneinfuhr aus Oesterreich-Ungarn, von (Universit Prof.)
Carl Grünberg. — Zum Export nach Brasilien. — Winke tür den Export von Baum-
wollwaren. — Die Kaffeekrise in Brasilien. — Die wirtschaftliche Lage in Deutschland
Die periodische Presse des Auslandes. 429
1901. — Die indisch-persische Karawanenstraße Quetta-Seistan. — Das Schicksal des
deutschen Zolltarifes. Der Zolltarif der Schweiz. — Der Seehandel Dalmatiens, von
Rud. v. Schlick. — Winke für den Export von Eisenwaren. — etc.
Monatsschrift, statistische. Herausgeg. von der k. k. statistischen Central-
kommission. Neue Folge, Jahrg. VI, 1901, Heft 11 u. 12, November und Dezember:
Die VIII. Session des internationalen statistischen Institutes in Budapest vom 29. IX.—
5. X. 1901, von (HofR.) Frz. v. Juraschek. — Studentenstiftungen des Jahres 1899,
von Cas. Max. — Die Zwangsversteigerungen von Liegenschaften im Jahre 1899, von
J. Winkler. — Oesterreichs Sparkassen im Jahre 1899, von H. Ehrenberger (III. Art.:
Ertrag und Vermögensstand). — Der Zwischenverkehr der im Reichsrate vertretenen
Königreiche und Länder mit den Ländern der ungarischen Krone im Jahre 1900, von
Rud. Kriekl. — Bericht über die Thätigkeit des statistischen Seminars an der Universität
Wien im Wintersemester 1900/1901. — Die häuslichen Nutztiere in Oesterreich nach
dem Stande vom 31. XII. 1900, von Frz. v. Meinzingen (mit 1 graphischen Darstellung).
— ete. Beilagen: I. Graphische Darstellung der Verhältnisse der Rindviehhaltung zur
ortsanwesenden Bevölkerung nach den Ergebnissen der Zählung vom 31. XII. 1900;
II. Die Arbeitseinstellungen und Aussperrungen in Oesterreich im Jahre 1900. Herausgeg.
vom arbeitsstatistischen Amte im k. k. Handelsministerium. 161 SS.
Soziale Rundschau. Herausgeg. vom Arbeitsstatistischen Amte im k. k. Handels-
ministerium. II. Jahrg. 1901, Dezemberheft: Arbeitslohn und Arbeitszeit: Veränderung
in den Löhnen und in der Arbeitszeit in England im Jahre 1900. Neuregelung der
Arbeitszeit der Eisenbahnbediensteten in Frankreich. — Genossenschaften: Die Thätig-
keit der österreichischen Berghaugenossenschaften in den Jahren 1898 und 1899. Neue
Produktivgenossenschaft im Gablonzer Industriebezirke. Genossenschaftsbewegung in
England. — Der Bund österreichischer Industrieller im Jahre 1900/1901. — Die Ge-
werkschaftsbewegung in Dänemark. — Soziale Versicherung: Arbeiterunfallversicherungs-
anstalt in Graz und in Triest im Jahre 1900. Der gegenwärtige Stand der Frage der
Arbeiterpeusionen vor dem französischen Parlament. — Sitzung des Arbeitsbeirates, —
Wohnungswesen : Begünstigungen für Gebäude mit Arbeiterwohnungen in Oesterreich.
Baugenossenschaften im Deutschen Reiche. Wohnungsgesetz in New York. — Volks-
bildungswesen: Die volkstümlichen Universitätsvorträge 1895 bis 1901 in Oesterreich.
Museum für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen in München. — Arbeitseinstellungen und
Aussperrungen: Streikbewegnng in Oesterreich im November 1901. Der Arbeiter-
ausstand in der Eisen- und Stahlindustrie Pennsylvaniens. — Ergebnisse der Arbeits-
vermittelung in Oesterreich im November 1901. — Der XXXIV. Gewerbevereinskongreß
in England. — Sozialpolitische Bestrebungen in Australien. — Soziale Hygiene: Unter-
richt in Gewerbehygiene und Unfallverhütung in gewerblichen Lehranstalten Oesterreichs.
Schulhygiene im Deutschen Reiche. Ueber die Thätigkeit der Mäßigrkeitskuratorien in
Rußland. — Arbeitslosigkeit: Zur Gründung einer Kreditbank für die Unterstützung
von Arbeitslosen in Ungarn. Ausgestaltung der Wiener Armenpflege. Einige Ergeb-
nisse der Erhebung betreffend die amtliche Armenpflege in der Schweiz. — etc.
Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung. Organ der Ge-
sellschaft österreichischer Volkswirte. Bd. X, 1901, Heft 6: Das Auswanderungsproblem
und die Regelung des Auswanderungswesens in Oesterreich, von J. Buzek. II. Art.:
Die Regelung des Auswanderungswesens im allgemeinen. — Die österreichische Ge-
bührennovelle vom 18. VI. 1901, von A. (Frh.) v. Odkolek. — Das Gesetz vom 1. VII.
1901 über die Arbeitszeit der beim Kohlenbergbau in der Grube beschäftigten Arbeiter
— ete.
E. Italien,
Rivista della beneficenza pubblica. Anno XXX, n° I, Gennaio 1902: Alcune
idee sugli educatorii, per C. Biancoli. — Per un Congresso degli impiegati delle opere
pie, per Alf. Magnani. — Cronaca: Le petizione degli impiegati delle opere pie, per la
riduzione della ricchezza mobile. Ospizii marini. Asilo dei pellagrosi d’Inzago. Congre-
gazione di carità di Rimini. La casa di deposito dei derelitti a Milano. Per la pen-
sioni agli artisti drammatiei. — etc.
G. Holland.
de Economist. Opgericht door J. L. de Bruyn Kops. LI jaarg, 1902. January:
Fiscale en beschermende invoerrechten, door N. G. Pierson. — Pensioenfondsen van
430 Die periodische Presse Deutschlands.
werklieden, door J. P. Cau. — Invoer van meel uit Amerika, door M. Mees. — De
opbrengst der suecessichelasting in 1900, door S. v. N. — De internationale geldmarkt,
door C. Rozenraad. — Economische kroniek. — Handelskroniek. — ete.
H. Schweiz.
Monatssehrift für christliche Sozialreform. Jahrg. XXIV, Basel 1902, Heft 1:
Die Raiffeisengenossenschaften vom Standpunkte ethisch-sozialer Grundsätze aus be-
leuchtet, von Eug. Cremer. — Die Arbeiterjugend von (Vikar) Jos. L. Bühlmann
IL. Art.]. — Sozialer Rückblick, von Walther v. Quarten. — Etwas über den Militaris-
mus, von Sempronius. — Sozialpolitisches und Wirtschaftliches aus der Schweiz, von
A. Hüttenschwiller. — ete.
Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Halbmonatsschrift.
Jahrg. X, 1902, Heft 1: Die Volkszählung vom 1. XII. 1900, von J. Vogelsanger (NatR.,
Zürich). — Die Arbeitslosigkeit in der Stadt Bern, von (Arbeitersekr.) F. Bischoff
(Bern). — Das Verhältnis des Sozialismus zur Arbeiterschutzgesetzgebung, von Max
Büchler (Bern) [Forts.]. — Soziale Chronik. — 1902, Heft 2: Der kommunale Arbeits-
nachweis, von Eman. Bohny (Verwalter des städtischen Arbeitsamtes (Zürich). — Das
Verhältnis des Sozialismus zur Arbeiterschutzgesetzgebung, von Max Büchler (Bern)
[Schluß]. — ete.
M. Amerika.
Annals of the American Academy of political and social science. Vol. XIX,
N° 1, January 1902: The Isthmian Canal in its economic aspects, by Emory R. John-
son. — The Isthmian Canal question as affected by treaties and concessions, by Sam.
Pasco. — Present status of future prospects of American shipbuilding, by J. Franklin
Crowell. — Government ownership of railroads, by Martin A. Knapp. — Advisory
councils in railway administration, by B. H. Meyer. — The concentration of railway
control, by H. T. Newcomb. — The national company of light railways in Belgium,
by A. Nerinez. — etc.
Quarterly Publications of the American Statistical Association. New series,
N° 56 (vol. VII), December 1901: Permanent Census Office. — Reviews and miscellany :
Notes on foreign censuses, by A. Winslow; Notes on vital statistics of American cities,
by A. Winslow; Statisties of diseases, by A. Winslow; Cost of home cooked and pur-
chased food, by Ava M. Stoddard; A study of munieipal growth, by F. S. Crum;
Early congressional documents, by L. P. L.
Die periodische Presse Deutschlands.
Arbeiterfreund, der. Zeitschrift für die Arbeiterfrage. Jahrg. XXXIX,
4. Vierteljahrsheft, 1901: Ein neuer englischer Versuch zur Regelung der Lohnarbeit,
von Rob. Wuttke. — Die Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer und ihr gegenwärtiger
Stand in Deutschland, von (Prof.) V. Böhmert (IIT. Art.) — etc.
Archivy für Oeffentliches Recht. Band XVII, 1902, Heft 1 (Tübingen): Die un-
freiwillige Versetzung der Richter auf andere Stellen, nach Maßgabe des § 8 des Reichs-
gerichtsverfassungsgesetzes, und der desfallsigen Bestimmungen der Landesgesetze, von
(OLandesGerR.) Werle (Darmstadt). — Das im KReich Sachsen für die Wahlen zur
zweiten Kammer der Ständeversammlung gegenwärtig geltende Recht, von Fritz König.
— Studien zum Staatsbegriffe, von A. Affolter. — Litteratur.
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Herausgeg. von A. Österrieth.
Jahrg. VII, 1902, N’ 1, Januar: Fällt die Berühmung ein „Patentbureau“ zu besitzen,
unter die Bestimmung des $ 19 des Gesetzes betr. die Patentanwälte, von F. Damme.
— Bild und Wort in Warenzeichen, von (Rechtsanw.) P. Schmid (Berlin). — Sind
Kataloge, Warenverzeichnisse ete. und die darin enthaltenen Abbildungen gewerblicher
Gegenstände schutzfähig? von Joh. Junek (Rechtsanw. Berlin). — Das Gutschein-,
Hydra od. Gellasystem in seiner volkswirtschaftlichen und juristischen Bedeutung, von
R. Alexander-Katz (Rechtsanw.). — ete.
Die periodische Presse Deutschlands. 431
Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich.
Herausgeg. von Gustav Schmoller. XXVI. Jahrg., 1902, Heft 1: Deutsche Schiffahrts-
interessen im Stillen Ozean. Vorträge von Herm. Schumacher. — Die öffentliche Kinder-
fürsorge der Stadt Berlin, von Alvan A. Tenney, übs. von L. Katzenstein. — Die Straf-
gewalt moderner Vereine, von A. Leist. — Die Schätzung von Grundstücken für die
Beleihung, von Ivo Lützeler. — Die Erhebungen der Gewerbeaufsichtsbeamten über die
Fabrikarbeit verheirateter Frauen, von L. Pohle. (2. Art., Schluß.) — Aus venetia-
nischen Handlungsbüchern. Ein Beitrag zur Geschichte des GroBhandels im 15. Jahrh.,
von H. Sieveking. (2. Art., Schluß.) — Ueber die Notwendigkeit der Reform der Ver-
waltungsorganisation in Preußen. Vorschläge zu ihrer Durchführung nebst Grundzügen
zu einem Gesetzentwurf, von A. Lotz. — Der Unterstützungsverein für alle in der Hut-
und Filzwarenindustrie beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen, von Walther Frisch
(I. Art.) — Die rheinisch-westfälische Eisenindustrie in der gegenwärtigen Krisis, von
Leop. v. Wiese. — Hans von Scheel und die Reichsstatistik, von Fr. Zahn. — Richard
Böckh und das statistische Jahrbuch der Stadt Berlin 1876—1900, von Carl Ballod. —
John Ruskin, von Chr. Eckert. — Neuere Litteratur zum Bürgerlichen Gesetzbuch, von
P. Oertmann. — etc.
Masius’ Rundschau. Blätter für Versicherungswissenschaft, Versicherungsrecht etc.
N. Folge. Jahrg. XIV, 1902, Heft 1: 1901. Ein Rückblick. — Notwendige Reformen
der Krankenversicherung und ihre Wirkung. — Der zweite internationale Kongreß der
Versicherungsärzte. — Kaiserliches Aufsichtsamt für Privatversicherung. — Die von den
privaten Versicherungsunternehmungen zu machenden Angaben. — Die Kapitalanlagen
der österreichisch-ungarischen Versicherungsgesellschaften. — ete.
Mitteilungen vom Verband deutscher Patentanwälte. I. Jahrg. N’ 9. Berlin,
Januar 1902: Das einjährige Gewerbepraktikum des Patentanwaltsgesetzes, von R. Wirth.
— etc.
Neue Zeit, die, Jahrg. XX, 1. Band, 1901/1902. N’ 14/22, vom 4. Januar—
1. März 1902: Die Taktik der italienischen Sozialisten, von Oda Olberg (Genua). —
Parteipolitische Projekte in England, von M. Beer. — Der Mystizismus in der modernen
Litteratur, von H. Roland-Holst (Schluß). — Die amtliche deutsche Streikstatistik, von
Ad. Braun. — Die Metzeleien von Blagowestschensk. Ein Beitrag zur Geschichte der
europäischen Hunnenwirtschaft in Ostasien. — Kaufmännische Schiedsgerichte, von
W. Swienty. — Jahresberichte der preußischen Gewerberüte, von Helene Simon. —
Die Streiks in Frankreich im Jahre 1900, von H. Lagardelle. — Gartenbau und Land-
wirtschaft. — Wirtschaftliche Umschau, von Heinrich Cunow. -— J. J. Bachofen, von
Kasimir v. Kelles-Krauz. — Ein moderner Erziehungsroman: („Der Weg des Thomas
Truck“), von H. Ströbel. — Zur Frage der Arbeitslosenversicherung, von H. Molken-
buhr. — Die Kinderarbeit in der Sonnebergschen Spielwarenindustrie, von P. Reißhaus
(Erfurt). — Beiträge zu einer Geschichte der Internationale, von Max Bach. — Die
Streiks in Oesterreich im Jahre 1900, von F. W. — Sozialpolitische Umschau, von Em.
Wurm. — Die irische Bodenreform, von M. Beer. — Der Arbeiterschutz im Gastwirts-
gewerbe, von H. Poetzsch (Berlin). — Höhere Beiträge für die Gewerkschaften, von
G. Rössing. — Sozialdemokratische Kommunalwahlprogramme. Kritische Bemerkungen,
von Paul Hirsch. — Englische Frauenprivilegien, von E. Belfort-Bax. — Die Aufgabe
der Schulärzte, von Rob. Albrecht. — Viktor Hugo, von Franz Diederich (Bremen). —
Situation der sozialistischen Bewegung in Frankreich, von Jean Longuet. — Die Krise in
Rußland, von J. Karski. — Die Gründungsthätigkeit im Jahre 1901, von D. Zinner. —
Zur Frage des Minimallohns, von Max Zetterbaum. — Ueber Tarifgemeinschaften, von
F. Feuerstein. — Der Arbeiterschutz in Spanien, von H. Vogel. — Wer ist Schulherr:
Reich, Staat oder Gemeinde? von H. Schulz (Magdeburg), Sozialistische Umschau, von
E. Wurm. — etc,
Preußische Jahrbücher. Bd. 107, Heft 2, Februar 1902: Deutschland und die
öffentliche Meinung in den Ver. Staaten, von (Prof.) E. v. Halle (Berlin). — Zeno,
der Gründer der Stoa, von A. Döring (GymnasDir. a. D., Gr.-Lichterfelde). — Landes-
polizei und Orthographie, von (Prof.) Joh. Franck (Bonn). — Geschichte des Bestäti-
gungsrechts in Preußen, von H. Preuß (Privdoz., Berlin). — Die „Memoiren Robert
v. Mohls“ von Em. Daniels (Berlin). — Politische Korrespondenz. — ete.
Zeitschrift für Bergwesen. Herausgeg. von Mitgliedern des k. OBergamts zu
Bonn. Jahrg. 1902, Heft 1: Abhandlung: Die Gesetzgebung über den Kohlenbergbau
in den Ver. Staaten von Amerika, von (Bergrefer.) Tittler (Breslau). — Entscheidungen
der Gerichtshöfe. — Praxis der Verwaltungsbehörden. — etc.
432 Die periodieshe Presse Deutschlands. Vom
Zeitschrift des k. sächsischen statistischen Bureaus. Jahrg. XLVII, 1901,
Heft 3/4 (ausgegeben Mitte Januar 1902): Die Ergebnisse der Arbeiterzählungen im
KReieh Sachsen in den Jahren 1883—1900, von (Assess.) G. Lommatzsch. — Das Er-
gebnis der Obsthaumzählung im KReich Sachsen vom Jahr 1900, von (OekonomieR.)
O. Sieber. — Die Säuglingssterblichkeit im KReich Sachsen während der Jahre 1891—
1900, von (Assess.) G. Lommatzsch. — Die sächsischen Städte im XIX. Jahrhundert,
von (RegAssess.) Georg Wächter. — Beilage zum XLVII. Jahrg. 1901: Das Ergebnis
der Viehzählung vom Jahre 1900 (179 SS.)
Zeitschrift für Kleinbahnen. Jahrg. IX, 1902, N° 2, Februar: Die Entwicke-
lung der Kleinbahnen in Preußen nach dem Stande vom 31. ITM. 1901. — Kieine Mitte,
lungen: Die elektrische Heizung von Straßenbahnwagen ; Eine neue Stadt- und Vorortbahn
in Hamburg; Die königl. technischen Versuchsanstalten in Charlottenburg. — ete.
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Hrsg. von (Prof.) Julius Wolf. Jahrg. V,
1902, Heft 1: Der Ursprung der Exogamie, von W. Thomas (Prof., Chicago) [I. An.)
— Ziele und Wege der Reichsfinanzreform, von (Frh.) v. Zedlitz-Neukirch (Berlin). —
Das australische „Arbeiterparadies“, von Frz. Oppenheimer (Berlin). — Die uncheliche
Fruchtbarkeit in Deutschland, von (D° med.) Fr. Prinzing (Ulm). — Sozialpolitik: Die
Frage der Arbeitslosigkeit und die öffentliche Haushaltsführung, von (Prof.) G. Schanz
(Würzburg). — Müssen die deutschen Krankenkassen Krankenhauspflege gewähren?
von (StadtR.) H. v. Frankenberg (Braunschweig). — ete. — Jahrg. V, 1902, Heft2:
Ueber Vermehrungstendenz bei den Naturvülkern und ihre Gegenwirkungen, von Rich.
Lasch (Horn, N.-Oesterreich). [I. Art.| — Zur griechischen Wirtschaftsgeschichte, von
Jul. Beloch (Prof., Rom). [I. Art.) — Handelsstatistische Reformgedanken, von K. Ma-
reiner (Wien). — Eine Berliner Dienstbotenenquete (Stillich, Lage der weiblichen Dienst-
boten in Berlin), von (Prof.) E. Hirschberg (Direktor d. statist. Amts der Stadt Char-
lottenburg). — Sozialpolitik. — Miszellen. — ete.
Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft. Herausgeg. von (Minister a. D)
A. Schäffle und (o. Prof., Univ. Leipzig) K. Bücher. Jahrg. LVII, 1902, Heft 1: Die
Methode der nationalükonomischen Forschungen Johann Heinrichs von Thünen, von
R. Passow. — Garbo und Florenz. Zur Geschichte der Wollproduktion im Mittelalter,
von Aloys Schulte. — Die Geldtheorie und ihre Stellung innerhalb der wirtschafts- und
staatswissenschaftlichen Anschauungen des Aristoteles, von Joh. Zmave. — Wasserlei-
tungsversicherung, von A. Kleeberg. — Das internationale statistische Institut und seine
Verhandlungen zu Budapest 1901, von (FinzR.) F. W. R. Zimmermann. — Die Ent
wickelung des kantonalen Arbeiterschutzes in der Schweiz, von (NationalR.) E. Hof-
man. — Historische Wohnungsstatistik, von G. Heinr. Schmidt. — ete.
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Bd. XXII, 1902, Heft 2
und 3: Ueber Strafgesetze mit multiplikativ gebildeter Strafgrenze, von Jul. Jacobi
(Refer., Königsberg i P.). — Ueber Zweikampf und Beleidigung, von (AGerR.) Barto-
lomäus (Krotoschin). — Die Streitfrage über die Vollendung des Delikts bei der Kuppelei,
von P. Herr (Berlin). — Zur Lehre von der mittelbaren Thäterschaft, von Höpfner
(Göttingen). — Zur Lehre von dem autonomen Strafrecht öffentlich-rechtlicher Ver-
bände, von W. Lehmann (Berlin). — Kriminalpolizei und Kriminologie, von (Assess.)
Lindenau (Berlin). — La patronage familial. Bericht von Curtius (Refer. Landger.
Duisburg). — Zur Psychologie der Aussage. Experimentelle Untersuchungen über Er-
innerungstreue, von L. W. Stern (Privdoz., Breslau). — Ueber einige staatsrechtliche
Fragen des Strafprozesses, von Ad. Arndt. — etc.
Druckfehlerberichtigung.
S. 162 Z. 23 v. o. l. anormale statt normale.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena,
Alexander Horovitz, Entstehung u. Entwickelung des Getreideterminhandels ete. 433
Nachdruck verboten,
3 V.
Entstehung und Entwickelung des Getreide-
terminhandels in Oesterreich `).
Auf Grund der Ergebnisse der Wiener Terminhandels-
enquete’).
Von
Dr. Alexander Horovitz (Wien).
Börsen, deren Verkehrsgegenstände Getreide bildet, sind in
Oesterreich: die Börse für landwirtschaftliche Produkte in Wien, die
Produktenbörse in Prag, die Wiener Börse (Warenabteilung), die
Triester Getreidebörse, die Czernowitzer Fruchtbörse, die Grazer
Frucht- und Mehlbörse und die Linzer Getreidebörse.
Bestimmungen für den Terminhandel enthalten unter diesen
neben der Börse für landwirtschaftliche Produkte in Wien, noch
die Czernowitzer und Linzer Fruchtbörse, während die Wiener
Börse (Warenabteilung) mangels eines thatsächlichen Terminhandels-
verkehrs vor einigen Jahren die Terminhandelsbestimmungen aus
ihren Usancen wieder ausgeschieden hat. Ein thatsächlicher Termin-
handel fand und findet aber auch an der Czernowitzer oder Linzer
Fruchtbörse nicht statt, so daß ein Getreideterminhandel nur an
der Börse für landwirtschaftliche Produkte in Wien bestand und auch
heute besteht.
In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, mit der unge-
heueren Ausdehnung der Produktionsgebiete, der durch die Entwicke-
1) S. Jahrbücher 3. Folge, Bd. 21, 1901, S. 289 u. w. Ergebnisse der über den
börsenmäßigen Terminhandel in landwirtschaftlichen Produkten in Oesterreich (1900)
abgehaltenen Enquete, von Prof. Dr. H. v. Schullern-Schrattenhofen.
2) Protokolle Bd. I, Seite: 18, 19, 21—23, 26, 27, 29, 42, 43, 45—49, 50, 57,
58, 72, 188, 191, 211, 214, 216, 221, 223, 230, 234, 235, 261, 264, 273, 278, 299,
400, 436, 496—498, 500, 519; Bd. II, Seite: 19, 36, 40, 54, 55, 60, 63, 67—69, 86,
88, 101, 104, 215, 216, 226, 254, 260, 261, 271, 288, 337, 351—353, 459, 474, 475,
498, 664; Bd. III, Seite: 55—57, 67, 117, 118, 120—122, 125, 126, 129, 137, 148,
169, 194, 251, 691, 719, 720, 741, 746.
Dritte Folge Bd. XXIII (LXXVIII). 28
434 Alexander Horovitz,
lung der Transportmittel hervorgerufenen, verstärkten, wechselseitigen
Einwirkung dieser Produktionsgebiete, mit der Erweiterung des Perso-
nalverkehres durch Telegraph und Brief und der hierdurch herbei-
geführten Möglichkeit, an allen Punkten der Kulturländer sofort ge-
schäftlich einzugreifen; wurde auch eine Weltkonjunktur geschaften
und wurden als deren naturgemäße Folge in den dieser Weltkon-
junktur vorwiegend unterliegenden Bedarfsartikeln Preisschwankungen
gezeitigt. Aus dem Bestreben, die nachteiligen, alle Berechnungen
des Kaufmannes immer in Frage stellenden, nicht selten gänzlich
über den Haufen werfenden Folgen dieser Preisschwankungen mög-
lichst abzuwenden, entwickelte sich eine Handelsform, welche Termin-
handel genannt wurde und, auf den Börsenverkehr übertragen, dort
geregelt und in feste Formen gebracht, als börsenmäßiger Termin-
handel in die äußere Erscheinung trat.
Dieser Entstehungsgrund und dieser Entwickelungsgang erklärt es
auch, weshalb in Ländern, in welchen einzelne Artikel durch Steuer-
und Zollgesetzgebung oder durch Kartellierung von der Einwirkung
der Weltkonjunktur unabhängig gemacht wurden, sich für diese Ar-
tikel die Notwendigkeit der Einführung einer derartigen, die Gefahren
etwaiger unvorhergesehenen und unvorhersehbaren Preisschwankungen
abwehrenden Handelsform nicht ergab. Dies gilt in Oesterreich z. B.
für Petroleum und Zucker und ganz allgemein derzeit für Kohle,
welche bis nun lediglich einer nationalen Konjunktur unterworfen ist.
Am schärfsten und auf beiden Seiten seiner Erwerbsthätigkeit,
bei dem Ein- und Verkaufe, von der Weltkonjunktur erfaßt, war es
natürlich, daß zuerst der Handel darauf bedacht sein mußte, auf
diese Weltkonjunktur mit einer specifischen Funktion zu reagieren,
den Folgen der durch sie hervorgerufenen Schwankungen vorzu-
beugen und eine Organisation zu schaffen, welche ihm in einer ökono-
misch erfaßbaren Weise die Wirkungen dieser Weltkonjunktur mög-
lichst klar übermittelt. Wir sehen hier dieselbe treibende Ursache,
wie auf dem Gebiete der österreichischen Industrie und des Export-
handels. Auch hier bildete sich der Terminhandel in Devisen und
Valuten in einer Zeit aus, da die Schwankungen der Valuten in
Oesterreich für jeden Industriezweig ein genau zu beachtendes ge-
schäftliches Moment waren und daraus das zwingende Bedürfnis ent-
stand, eine Sicherungsgrundlage gegen diese, jede geschäftliche Kal-
kulation störenden Schwankungen zu finden, und er verschwand von
selbst wieder in dem Augenblicke, als durch die Valutaregulierung
diese Schwankungen wesentlich herabgemindert wurden und die hier-
durch gezeitigten Gefahren erloschen.
Die erste österreichische Börse wurde unter Maria Theresia im
Jahre 1758 in Triest errichtet, und für diese Börse entstand auch
das erste Börsengesetz. In den Dier und 60er Jahren des vorigen
Jahrhunderts nahm der Triester Mehl- und Getreidehandel einen
eroßen Umfang an. Da der Export nach England aus Ungarn über-
haupt nur über Triest möglich war, entwickelte sich hier ein sehr
reger Exportverkehr in Weizen nach England, in Mais nach England
Entstehung und Entwicklung des Getreideterminhandels in Oesterreich. 435P
und Italien. Das Getreidegeschäft war zumeist Konsignationshandel
und wickelte sich in den Formen des Zeitgeschäftes, in verschiffbaren
oder schwimmenden Ladungen mit giriertem Konnossement (Lade-
schein) ab. Diese Konnossements wurden in der Regel vom Kapitän
in 3 Exemplaren ausgefertigt und repräsentierten in ihrer Gesamt-
heit den Besitz- und Eigentumsnachweis für den Käufer. Die Anzahl
der Giris bis zur Ablieferung der Ware war keine beträchtliche und
das Konnossement repräsentierte eine Ware von vereinbarter Pro-
venienz, deren Qualität jedoch zumeist weder durch ein Muster fest-
gestellt noch durch Börse-Usancen typisch umschrieben war und
deren Quantität je nach dem Ausfalle der Schiffstour veränderlich
sein konnte. Das girierte Konnossement übertrug auf den Giratar
nicht nur alle Rechte auf die Ware selbst, sondern auch alle Regreß-
ansprüche gegen die Transport- und Assekurranzgesellschaft und wurde
eingeführt, um dem Geschäfte eine festere Grundlage und zwar ins-
besondere nach der Richtung zu geben, daß bei einer Havarie, in
welchem Falle der Vertrag rücksichtlich der nicht lieferfähigen Waren-
menge als aufgelöst angesehen wurde, der Käufer nicht zu großem
Schaden komme.
Wegen der Schwierigkeit der Girierungen mangels bestehender
Liquidationseinrichtungen und wegen der für Triest ungünstigen
topographischen und Verkehrsverhältnisse konnten sich diese Ge-
schäfte mit giriertem Konnossement zu keinem börsenmäßigen Ter-
mingeschäfte entwickeln. Diese Geschäftsart besitzt auch keine Ver-
wandtschaft mit den cedierbaren Schlüssen, den Filieren, Warrants,
weil derselben ein Merkmal der letztgenannten Dokumente, die ein-
heitliche und genau umschriebene Qualität und das Einheitsquantum
fehlen ; daher rührt auch die geringe Anzahl (1—2) von Giris auf diesen
Ladescheinen. Aber auch der früher so namhafte effektive Getreide-
zwischenhandel zwischen den Häfen des Schwarzen Meeres und den
westlichen Ländern hat mit der Ausschaltung Triests aus dem Ge-
treideproduktionsgebiete allmählich gänzlich aufgehört, ohne daß
jedoch dieser Rückgang des Getreidegeschäftes in irgendwelchem
Zusammenhange mit der Einführung oder Fortentwickelung des Ge-
treideterminhandels in Wien oder Budapest stände. Die Ablenkung
des Getreideverkehres von Triest findet ihre natürliche Erklärung
darin, daß der noch bescheidene österreichische Export sich nicht
mehr überseeisch abwickelt, sondern vorwiegend auf die Binnenländer,
die Schweiz und auf Mitteldeutschland beschränkt. Die Triester Firmen
besitzen ihre Filialen in Odessa, Galatz, London, Marseille und
machen ihre, spekulativen Zwecken oder zur Deckung für den Export
dienenden Termingeschäfte in Wien oder Budapest.
Die Behauptung, daß in Triest bis gegen Ende der 60er
Jahre, also noch früher als in Wien, allerdings auf Provenienzangabe
(Durchschnittsqualität ungarischer Fechsung) beruhende, jedoch sonst
ganz reguläre Getreidetermingeschäfte, und zwar in derselben Form
wie früher in Wien und Budapest, mit cedierbaren Schlüssen be-
standen und erst in dem Augenblicke aufgehört haben, als Triest
28*
436 Alexander Horovitz,
infolge ungünstiger Verhältnisse, insbesondere durch Einführung der
Getreidezülle und Aufhebung des Mahlverkehres seinen Rang als
Getreidehandelsplatz einbüßte und der Import von russischem und
rumänischem Getreide gänzlich nachließ, ist meines Erachtens un-
richtig, denn die aufgezählten, dem Triester Getreideverkehr inne-
wohnenden Besonderheiten charakterisieren die Geschäftsabschlüsse
lediglich als dasjenige, was wir heute unter handelsrechtliches Liefe-
rungsgeschäft, aber nicht, was wir unter einem organisierten börsen-
mäßigen Termingeschäfte verstehen.
Die Wiener Warenbörse (eine für den Wiener Warenver-
kehr bestehende zweite Börse, welche ein Scheindasein führt, keinerlei
innere Berechtigung besitzt, aber durch ihren Bestand die Weiter-
entwickelung der Wiener Produktenbörse wesentlich hemmt und
deren Nichtvereinigung mit der Produktenbörse eine echt öster-
reichische Eigentümlichkeit bildet) wurde im Jahre 1873 eröffnet
und im Jahre 1876 in die Wiener Effektenbörse aufgenommen; von
dem ihr zustehenden Rechte, auch das Börsentermingeschäft einzu-
führen, hat sie nur insofern Gebrauch gemacht, als sie (1886) für
den Terminhandel in Getreide, Petroleum, Spiritus, Rüböl und
Zucker Usancen und für die Liquidierung etwa abzuschließender Termin-
geschäfte Normen schuf, jedoch konnten dieselben, da auf dem Boden
der Wiener Warenbörse ein börsenmäßiges Termingeschäft sich
niemals herausgebildet hat, nicht verwertet werden und wurden
schließlich im Jahre 1898 wieder außer Kraft gesetzt.
An der Linzer Fruchtbörse bestand und besteht, ungeachtet
der für den Terminhandel in die Börse-Usancen aufgenommenen be-
sonderen Bestimmungen, kein börsenmäßiger Terminhandel, es wird
dort vorzugsweise gegen prompte oder kurz befristete Ablieferung
„nach Muster“ oder „wie das letztgelieferte“ gehandelt. Der Verkehr
entwickelt sich zumeist zwischen den ihre Ware direkt veräußernden
Produzenten aus Oberösterreich, den Händlern, die den Verkauf
von ungarischem und zur Mischung mit dem oberösterreichischen
Produkte dienendem Getreide vermitteln und den Müllern ab.
Die im Jahre 1877 gegründete Grazer Frucht- und Mehl-
börse verfolgte den Zweck, in das regellose Getreidegeschäft Steier-
marks Ordnung und Sicherheit zu bringen. Die Börse-Usancen ent-
halten nur Bestimmungen für die Regelung des effektiven Getreide-
geschäftes. Die größeren Mühlen Steiermarks benützen zuweilen,
aber nicht regelmäßig, den Wiener Terminhandel zu Deckungszwecken.
Die Prager Warenbörse besitzt, gleich der Wiener Waren-
börse, das unbeschränkte Recht, alle Waren zum Gegenstande ihres
Börsenverkehres zu machen. Anfangs der Vier Jahre fand in be-
scheidenem Umfange ein effektiver Getreidehandel mit Preisnotie-
rungen statt; mit dem Aufhören des Handels entfiel jedoch auch die
Kursnotierung, so daß heute nur mehr Rapsnotierungen vorgenommen
werden und die Prager Warenbörse, mit Rücksicht auf ihren eigent-
lichen Verkehr, nur eine Zucker- und Spiritusbörse genannt werden
kann.
Entstehung und Entwickelung des Getreideterminhandels in Oesterreich. 437
Auch an der im November 1894 gegründeten Prager Pro-
duktenbörse findet ein börsenmäßiger Terminhandel nicht statt;
die in den Usancen enthaltenen Bestimmungen über die Festsetzung
einer Type, über die verschiedenen Ablieferungstermine, die Normen
für die Kündigungsart und Kündigungszeit dienen nur zur Erleich-
terung des börsenmäßigen Zeitgeschäftes. Der Einführung und Ent-
wickelung des börsenmäßigen Terminhandels an dieser Börse stehen
auch natürliche Hindernisse entgegen, so der Mangel bedeutender
einheitlicher Warenmengen, die große Entfernung Ungarns als des
Produktionscentrums, welches diese erforderlichen Warenquantitäten
liefern könnte, die Unmöglichkeit, Prag als Durchzugsort für den
Export zu benützen, u. s. w. Die leichte Gelegenheit, den Wiener
Getreidemarkt zur Durchführung einer Terminhandelsoperation zu
verwenden, hat auch das Bedürfnis nach Einführung des börsen-
mäßigen Termingeschäftes in Prag bisher nicht fühlbar gemacht.
An der im Jahre 1877 behufs Regelung des Exportverkehres
aus Rumänien und Bessarabien nach Oesterreich, Deutschland und
der Schweiz gegründeten Czernowitzer Frucht- und Pro-
duktenbörse ist es trotz der bestehenden Usancen zu einem börsen-
mäßigen Terminhandel niemals gekommen. Den Handel in Mais
mit den Liefermonaten Mai—Juni als ein dem Wiener börsenmäßigen
Terminhandel gleichen oder ähnlichen zu bezeichnen 1, halte ich
mangels allgemein geübter, gleichmäßiger Geschäftsgebräuche und
börsentechnischer Einrichtungen für diese Geschäftsart, für unzu-
treffend. Diese Art von Geschäft bildet wohl den ersten Ansatz,
den Ursprung des börsenmäßigen Terminhandels, aber noch nicht -
diesen selbst.
In Galizien bestehen an einzelnen Orten, so z. B. in Podwolo-
czyska, Brody Geschäftsstellen, welche, obschon sie nur den Charakter
von Privatvereinigungen und nicht auch genehmigter Börsen be-
sitzen, ihr eigenes Statut, ein ständiges Schiedsgericht, überhaupt
die meisten zur Regelung des Verkehres dienlichen Einrichtungen
haben. Das Getreidegeschäft selbst wickelt sich in den Formen
eines ungeregelten, cedierbaren handelsrechtlichen Lieferungsgeschäftes
ab, ohne Festsetzung des Qualitätsgewichtes, ohne Gewährleistung
für den Zeitpunkt der Ablieferung der verschlossenen Warenmenge
und zuweilen auch ohne genaue Ersichtlichmachung der Menge jeder
einzelnen verkauften Getreideart. Nach Provenienzen wird nicht ge-
handelt, sondern es wird die Qualität der Ware typisch umschrieben,
indem man „trockenen gesunden Weizen“ oder „roten Weizen“ ver-
kauft. Der Produzent verkauft in der Regel kein genau festge-
setztes, sondern ein Getreidequantum mit der Klausel „mehr —
weniger“ mit ganz oberflächlicher Bezeichnung der Beschaffenheit
des zu liefernden Getreides, er verkauft auch „Paarln“ (Weizen und
Korn) zuweilen sogar „Drillinge* (Weizen, Korn und Gerste) in
einem Vertrage, ohne Abgrenzung der auf die einzelne Getreideart
1) Vgl. Experte Kindler III, 121/122.
438 Alexander Horovitz,
entfallenden Menge, zu einem Durchschnittspreise, welcher Geschäfts-
vorgang den Käufer in die Lage versetzt, den eigentlichen Wert
einer der gekauften Getreidegattungen zu verschleiern. Ueber den
erfolgten Verkauf stellt der Produzent einen „Zettel“ auch „Quittung“
genannt aus, welcher Schein vom Käufer mittels einer Cession
gegen einen Pauschalgewinn oder Verlust weiter begeben wird und
der letzte Cessionär übernimmt sohin bei dem Produzenten das Ge-
treide, indem er das abgelieferte Quantum zum ursprünglichen Ver-
kaufspreise bezahlt, ohne jedoch in der Regel einen Anspruch auf
Ablieferung des Fehlenden zu besitzen. Diese Verkaufsmodalitäten
herrschen allerdings zumeist nur in galizischem Grenzgebiete, auf
welches sich diese in Russisch-Polen geübte Praxis übertrug, indem
die große Entfernung des Produktionsortes von der Eisenbahnstation,
die oft mehrere Monate andauernde Unfahrbarkeit der Straßen, die
Ablieferung an sich und die Festsetzung der Einhaltung einer be-
stimmten Lieferzeit überaus erschweren und den Produzenten einer-
seits zwingen, jede Verkaufsgelegenheit zu ergreifen und anderer-
seits dem mit derartigen Käufen ein gewisses Risiko übernehmenden
Händler auch außergewöhnliche Begünstigungen einzuräumen.
Neben den Cessionen der ursprünglichen, mit den Produzenten
geschlossenen Verträge, kommen auch von den verschiedenen
galizischen Lagerhäusern ausgestellte, cedierbare Lagerscheine in
größerem, und cedierbare Warrants in geringerem Umfange vor.
Für den Getreideexport kommt derzeit Galizien nur wenig mehr in
Betracht, teils zufolge der ungünstigen Ernteergebnisse, teils vermöge
seiner eigenen höheren, durch die fortschreitende Industrieentwicke-
lung hervorgerufenen und geförderten Konsumtionskraft. Der seiner-
zeitige beträchtliche Transithandel in ausländischen, besonders
russischen Provenienzen, welcher namentlich ab russisch-Öster-
reichischen Grenzstationen nach Wien gravitierte, wurde allmählich
nach dem Auslande, insbesondere nach Deutschland verdrängt, während
sich der Getreideexport nach Bayern und der Schweiz direkt ab-
wickelt, zum Nachteile des galizischen Zwischenhandels, welcher die
ausgiebigen Hilfsmittel der Wiener kapitalskräftigen Kommissionäre,
Bankinstitute und Lagerhäuser entbehren muß.
Der gesamte österreichische Getreidehandel selbst hatte bis in
das 3. Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts lediglich den Charakter
des Marktverkehrs. Die Produzenten brachten ihre Erzeugnisse mit
Fuhrwerken zu gewissen Zeiten an bestimmte Orte, an welchen sie
erfahrungsgemäß mit Konsumenten und Händlern zusammentrafen
und verwerteten dort das Getreide zu Preisen, welche sich einer-
seits durch die Stärke der Zufuhr und andererseits durch den bis
zum nächsten Markttage berechneten Bedarf der Konsumenten, sowie
jenes Umkreises, welchen die Händler zu versehen hatten, am be-
treffenden Markttage herausgebildet hatten. Hier besteht die Thätig-
keit des Kaufinannes hauptsächlich noch in der des Fuhrmannes, er
kauft die Ware an dem einen Orte in der sicheren Voraussetzung,
daß sie an einem anderen Orte, wohin er sie direkt führte, dringender
Entstehung und Entwickelung des Getreideterminhandels in Oesterreich. 439
benötigt, daher besser bezahlt werden wird. Für seine Mühewaltung,
seine Transportspesen und auch für die Gefahr, daß bis zur Waren-
ankunft in dem Bedarfsorte dieser Bedarf sich wieder verringert
oder gänzlich aufgehört haben kann, muß er mit großem Nutzen
rechnen, welcher sich in dem niedrigeren Preise gegenüber dem
Verkäufer und dem Preisaufschlage bei dem Käufer äußert. Auf
die Preisgestaltung nehmen die verschiedensten psychischen Momente
in jedem einzelnen Marktorte Einfluß, wogegen die allgemein
giltigen, intellektuellen Faktoren, welche das thatsächliche Verhältnis
zwischen den wirklichen Vorräten und den. Bedürfnissen mit Kennt-
nis des Standes der eigentlichen Gütermenge und der Höhe, der
Dringlichkeit des Bedarfes nüchtern abwägen, nicht zum Durchbruche
gelangen. Naturgemäß mußte sich daher auch die Preisbildung an
jedem Marktorte anders, unberechenbar, sprunghaft, ohne jede sichere
und allgemeine Grundlage vollziehen.
Dieser primitiven Form des Getreideverkehres entspricht auch
die damalige Stellung des Wiener Getreidehandels, welcher sich bis
Ende der 30er Jahre an einer im „Kaffeehaus zur Mehlgrube“ ge-
nannten Winkelbörse abwickelte. Bei den hier stattfindenden Samstag-
zusammenkünften wickelten die einheimischen und fremden Getreide-
händler ihre Geschäfte ab, der Verkehr stand unter behördlicher
Kontrolle, indem ein Polizeikommissär mit der Aufrechthaltung der
Ordnung und ein „Marktbeschauer“ für die Feststellung der Waren-
preise zu sorgen hatte. Die naturgemäße Ausbreitung des Getreide-
handels, die immer regere Beteiligung der verwandten Industrien und
gewerblichen Berufskreise erweiterten auch den Geschäftsverkehr, und
anfangs der 40er Jahre finden wir in der heutigen Grünangergasse
in Wien eine „Mehlbörse“, an welcher sich neben Getreidehändlern
und Produzenten auch Müller, Bäcker, Brauer, sowie andere, am
Mehl- und Getreidehandel interessierte Berufskreise, zweimal wöchent-
lich, Mittwoch und Samstag, zum Abschlusse und zur Abwickelung
ihrer Geschäfte einfanden. Im Jahre 1853 unter die Verwaltung des
Wiener Magistrates gebracht, erhielt sie nunmehr als rein kommu-
nales, im Bürgerspitalsgebäude in der Kärnthnerstraße untergebrachtes
Institut die offizielle Bezeichnung „Wiener Frucht- und Mehlbörse‘
mit dem, schon in der Bezeichnung zum Ausdrucke gebrachten Zwecke,
der Approvisionierung der Stadt Wien zu dienen. Diese primitive
Art des Handels zieht sich noch in jene Epoche hinüber, welche
durch den Ausbau der Eisenbahnen ihr Gepräge erhält. Sie hat
sich bis heute bei dem böhmischen Kleingrundbesitze erhalten, indem
dieser das produzierte Getreide direkt auf den Wochenmarkt bringt,
um es dort dem Händler zu verkaufen oder direkt dem Müller, in
einzelnen Gegenden sogar dem Bäcker zuführt. Aber die Erweite-
rung der Märkte, das Näherrücken der Bevölkerung zeitigten eine
Erscheinung, welche es den Produzenten unratsam erscheinen ließ,
auch fernerhin ihre Produkte zu Markte zu bringen, um sie sofort
an die dort versammelten Händler und Müller zu veräußern. Denn
die Fälle mehrten sich, da den Märkten per Achse, Schiff oder Bahn
440 Alexander Horovitz,
Getreide in solchen Mengen zugeführt wurde, daß es dem Oekonomen
nicht gelang, für das Getreide den ihm bekannten, ungefähren Tages-
preis zu erzielen, um so weniger, als ja der Käufer bei dem voll-
ständigen Mangel von Magazins- und Lagerräumlichkeiten, die durch
die überreichen Zufuhren bewirkte Zwangslage des Oekonomen ge-
wiß auszunützen verstand. Oft war unter solchen Umständen Ge-
treide an bestimmten Markttagen überhaupt unverkäuflich. Der
größere und gebildete Produzent fand es daher bald heraus, daß er
denselben Zweck mit weit geringeren Beschwerlichkeiten und Ge-
fahren auch dadurch erreichen könne, wenn er von seiner Ware
lediglich eine Probe mit auf den Markt nahm, welche dem Käufer
ein getreues Bild von der Beschaffenheit der daheim eingelagerten
Ware zu bieten vermochte. Ebenso fand es allmählich auch der
Händler zweckentsprechender, das gekaufte Getreide nicht sofort zu
übernehmen und wegzuführen, sondern dasselbe eine geraume Zeit
bei dem Produzenten zu belassen, weil sein Abnehmer (gewöhnlich
der Müller) noch keinen dringenden Bedarf, oder augenblicklich keine
genügenden Lagerräumlichkeiten zur Aufnahme der Ware hatte. Es
wurden daher die ursprünglich nur über bereits am Erfüllungsorte
vorhandene Ware zustande gekommenen Geschäfte später nicht mehr
durch Zuführung und sofortige Uebergabe, sowie unmittelbare Be-
zahlung der Ware, sondern auf Grund von Kaufproben abgeschlossen.
Der Produzent oder Händler vermied derart die Gefahr des Hin-
und Rücktransportes und auch des Verderbens einer vielleicht nicht
sofort verkäuflichen Ware, der Gewerbetreibende oder Industrielle
konnte sich den Zeitpunkt der Warenübernahme nach Maßgabe seines
Bedarfes regeln. Ein beträchtlicher Teil des Getreideverkehres wickelt
sich auch noch heute so ab.
Als weitere Entwickelungsstufe trat bald die Erscheinung zu Tage,
daß nicht nur die vermittelnden Händler in der Anhoffnung Getreide
einkaufen, für dasselbe später zu günstigeren Preisen einen Abnehmer
zu finden, sondern daß auch Konsumenten ihren Bedarf für einen
längeren, als den augenblicklichen Zeitpunkt im voraus zu sichern
sich bestrebten und daß schließlich auch Produzenten bei günstigen
Ernteaussichten oder dringenden Geldbedürfnissen einen Teil ihrer
zu erwartenden Ernte im voraus veräußerten.
Zu diesem direkten, auf greifbarem Vorrate und unmittelbarem
Bedarfe beruhenden Angebot und Begehr von Produzenten und Kon-
sumenten tritt der spekulierende Kaufmann mit seinem, die künftige
Produktions- und Gebrauchsmenge ins Auge fassenden Angebot und
Begehr und seine Spekulationsthätigkeit ergänzt den Geschäftsverkehr
jener. Bei großem Ausgebote, zumeist also unmittelbar nach der
Ernte, tritt er als Käufer auf und wartet mit dem Verkaufe, bis sich
wieder die Nachfrage einstellt, in der spekulativen Erwartung, aus
dem billigeren Ein- und höheren Verkaufspreise einen geschäfts-
männischen Nutzen zu erzielen. Da die Hoffnung auf Preissteigerung
selbstverständlich sich nicht erfüllen mußte, derartige Geschäfts-
operationen daher auch fehlschlagen und mit großem Verluste enden
Entstehung und Entwickelung des Getreideterminhandels in Oesterreich. 441
konnten, war es einleuchtend, daß der Händler mit bedeutenden Ge-
winstprämien, bedingt durch die Spesen der Einlagerung, Konser-
vierung, des Transportes, Zinsen- und Gewichtsverlustes, insbesondere
aber mit den naturgemäßen Preisfluktuationen eines derartigen Massen-
gutes, rechnen mußte, welche Spesen und Gefahren, da man die
künftigen Kaufpreise nicht ins Kalkül ziehen konnte, in den niedrigeren
Einkaufspreisen zum Ausdrucke gelangten; ebenso war es aber selbst-
verständlich, daß, da das übernommene Risiko ein geradezu unbe-
grenztes war, diese spekulative Thätigkeit des Kaufmanns nur be-
schränkte Warenmengen umfassen konnte, welches Doppelverhältnis
keineswegs preisfördernd wirken konnte.
Ende der 60er und anfangs der 70er Jahre entwickelte sich
diese Art des Handels, des sogenannten effektiven Zeit- oder Termin-
handels, immer mehr und mehr. Die Interessengemeinsamkeit führte
die Besitzer und Abnehmer einer oder mehrerer bestimmter Waren-
gattungen an einem gemeinschaftlich gewählten Orte zusammen, wo
sich alsbald ein regelmäßiger Geschäftsverkehr entwickelte, an welchem
die Anwesenden ihre geschäftlichen Angelegenheiten erörterten, über
die einzuleitenden Handelsoperationen berieten und ihre Geschäfte
abschlossen. Die Zahl der Verkäufer vermehrte, der Kreis der Ab-
nehmer erweiterte sich, das gesteigerte Angebot, die erhöhte Kauf-
kraft und Kauflust zeitigten eine nach allen Seiten hin wirksame
Konkurrenz. Die Regelmäßigkeit der Zusammenkünfte förderte aber
auch die Leichtigkeit der Geschäftsabschlüsse, deren Anzahl und
Offenkundigkeit wieder eine aus der Abwägung aller Meinungen und
Ansichten hervorgehende, den thatsächlichen Vorrats- und Bedarfs-
mengen entsprechende Preisbildung sicherte Dieses Zusammen-
treffen von Geschäftsinteressenten schuf auch zahlreiche Berührungs-
punkte, erleichterte die Anknüpfung neuer und festigte den Bestand
alter Geschäftsbeziehungen. Allgemein geübte und deshalb auch all-
gemein anerkannte, den Bedürfnissen des Handels und Verkehrs ent-
sprungene Geschäftsgebräuche bürgerten sich ein, die im Handel
sich unablässig fortentwickelnden Rechtsüberzeugungen wurden, so-
bald sie Gemeingut geworden, in feste Formen gebracht, zur Er-
leichterung und Sicherung des Geschäftsverkehres wurden besondere
Einrichtungen (Schiedsgerichte, Preisnotierungen, Kündigungsbureaux
u. s. w.) getroffen, den regelmäßigen Zusammenkünften durch Auf-
stellung von Satzungen wurde ein fester Halt verliehen. So ent-
wickelte sich ein ständiger Vereinigungspunkt für einen bestimmten
Kreis von Geschäftsinteressenten, an welchem allmählich die einzelnen
Märkte des Inlandes und schließlich die Weltmarktplätze der ver-
schiedenen Kulturländer in Verbindung gebracht, der Absatz- und
Umsatzfähigkeit landwirtschaftlicher und industrieller Produkte ein
breiter konzentrierter Markt eröffnet wurde. Es entstand die eigent-
liche Börse.
Eine Folgeerscheinung dieses Umgestaltungsprozesses des Marktes
zur Börse war, daß nicht nur die Notwendigkeit der Zufuhr der
Ware und deren Prüfung und Gutbefund, sondern auch das Er-
442 Alexander Horovitz,
fordernis der persönlichen Anwesenheit des Verkäufers und Käufers
entfiel. Es bildete sich eine selbständige, am Börsenorte ansässige
Erwerbsgruppe, welche ihre Sach- und Personenkenntnisse, ihre aus
der berufsmäßigen Beschäftigung mit den einschlägigen Bezugs- und
Absatzverhältnissen geschöpfte Marktkunde, die gesamte praktische
Erfahrung, später auch den Kredit des Kaufmanns in den Dienst
beider Interessentenkreise stellte, die Verrichtung der Vermittelungs-
thätigkeit zu ihrem ausschließlichen Berufe machte und hierdurch zu
Gunsten der heimischen Landwirtschaft das Absatzgebiet für die zu
verwertenden Produkte vergrößerte, den Konsumenten, Industriellen
und Gewerbetreibenden die Erlangung der notwendigen Bedarfsartikel
erleichterte und vereinfachte. Die Zeit- und Kostenersparnis auf der
einen Seite bildete und rechtfertigte den Verdienst auf der anderen
Seite.
In diese Zeit (24. Juni 1869) fällt die Konstituierung der auto-
nomen Wiener Frucht- und Mehlbörse, mit der Bestimmung, speciell
den Wiener und im allgemeinen den österreichischen Handel in land-
wirtschaftlichen Produkten und den daraus erzeugten Fabrikaten zu
regeln und zu fördern. Die legislative Regelung der börsenrechtlichen
Thätigkeit erfolgte mit Gesetz vom 1. April 1875. Durch dieses
Gesetz wurde die Börse als „Verein zur Förderung kaufmännischer
Zwecke“ unter der Autonomie der Börsenleitung forthelassen, gleich-
zeitig jedoch unter eine, im Staatsinteresse unerläßliche Kontrolle
gestellt. Es ist daher die in der Enquete von agrarischer Seite auf-
gestellte Behauptung mit der geschichtlichen Entwickelung im Wider-
spruche stehend, daß die Wiener Produktenbörse zeitlich und der
Terminhandel genetisch ein Kind der Effektenbörse und deren Ent-
stehung auf den wirtschaftlichen Grundsatz einer Zeit zurückzuführen
sei, daß der wirtschaftlich Stärkere ein Anrecht auf die Ausbeutung
des wirtschaftlich Schwächeren besitzt. Die volkswirtschaftliche De-
pression, die Börsenkrise des Jahres 1873 stehen mit der Entwickelung
des Wiener Getreidehandels in keinerlei Zusammenhang. Banken und
Spekulantengruppen haben sich weder an der Gründung, bezw. auto-
nomen Ausgestaltung der Produktenbörse beteiligt noch an deren
Verwaltung jemals teilgenommen.
Die fortschreitende Verkehrsausbildung, die Entwickelung des
Kommunikationswesens zu Wasser und zu Land, die Ausbreitung
des Nachrichtendienstes und die Ausgestaltung der Kreditverhältnisse
führten einerseits vom Verkaufe individuell bestimmter Waren zum
Verkaufe von Waren einer vertretbaren Gattung, deren wirtschaftlich
rechtliche Eigenschaft darin besteht, daß gleiche Mengen von gleicher
3eschaffenheit für gleichartig gelten, vermehrten aber auch anderer-
seits die auf die Preisgestaltung des Getreides einwirkenden Momente.
Diese die zukünftige Preisgestaltung beeinflussenden Momente ins
geschäftliche Kalkul miteinzubeziehen, sie auszunützen, versuchte
nun die Spekulation, und durch das Bestreben, sich bei Vornahme
einer geschäftlichen Transaktion gegen künftige Preisfluktuationen zu
schützen, entstand das Sicherungsgeschäft. Die Spekulation selbst
Entstehung und Entwickelung des Getreideterminhandels in Oesterreich. 443
nahm ihren Anfang vom Effektivgeschäfte und hatte in diesem ihre
Grundlage. Bei gedrückten, aber für steigerungsfähig gehaltenen
Preisen, oder bei größeren, den momentanen Bedarf überschreitenden
Vorräten, fanden sich Händler, die größere Getreideposten ankauften,
einlagerten, die Ware konservierten und eine günstige Preisgestaltung
abwarteten. Waren sie nicht in der Lage, das erforderliche Kapital
so lange Zeit brach liegen zu lassen, so bewilligten sie wohl auch
bedeutenderen Grundbesitzern eine kleine Aufzahlung dagegen, daß
diese ihnen mit der Uebernahme und Bezahlung der Ware einen
längeren Zeitraum zuwarteten, innerhalb dessen sie ihre Spekulation
mit günstigem oder Mißerfolge durch Weiterveräußerung der Ware
zu Ende führten.
Spekulationsgeschäfte mit ähnlicher Grundlage effektiver Ware
waren die Bedarfsdeckungen des Aerars, welches sich Getreidevor-
räte für 1 Jahr ansammelte; jene der Eisenbahnen, welche ihren
Bedarf des aus Reps hergestellten Oeles auf 2—3 Jahre im voraus
deckten ; jene der Müller, welche das zu Mahlzwecken erforderliche
Getreide in größeren, als für die momentanen Bedürfnisse notwen-
digen Mengen kaufte, um den Anforderungen der Bäcker, welche
wieder für längere Zeitabschnitte Gebäcksablieferungen an größere Kon-
sumenten zu festen Preisen zu besorgen hatten, genügen zu können.
Die Vermittelung aller dieser Zeitlieferungs- und Spekulationsgeschäfte
oblag in seinen letzten Ausläufen dem Getreidehandel. Solange die
erst in der Entwickelung begriffenen, daher noch mangelhaften Ver-
kehrsmittel den Getreidehandel noch zu einem lokalen Geschäfte
stempelten, und der erzielbare höhere Geschäftsnutzen es dem Ge-
treidehändler ermöglichte, selbst bei geringfügigen Umsätzen sein
Auslangen zu finden, konnte er die mit derartigen Geschäften natur-
gemäß verbundenen Gefahren einer jähen, sprunghaften Preisver-
änderung auf sich nehmen. Als aber die Ausgestaltung der Eisen-
bahnnetze, die Anlegung von Schiffahrtskanälen, die rapide Entwicke-
lung des Nachrichten- und Transportwesens den Getreidehandel zu
einem internationalen Handel emporhoben, der Getreideverbrauch
eines Kulturstaates nicht mehr ausschließlich von dem Ausfalle der
heimischen Ernte, sondern von dem Ernteergebnisse aller Produk-
tionsländer abhing und demgemäß auch nicht mehr die lokalen Ver-
hältnisse, sondern der Weltmarkt den inländischen Getreidehandel
und damit auch den inländischen Getreidepreis beeinflußten, da er-
hielt auch der Getreidehandel ein anderes Gepräge. Wie einerseits
die Befriedigung der stetig wachsenden Bedürfnisse, andererseits das
Bestreben immer billigerer rationellerer Produktion der verlangten
Güter, die Arbeitsteilung sowie Speeialisierung immer weiter trieben
und Staaten über alle politische Schranken hinweg als ein zusam-
mengehöriges Wirtschaftsgebiet erscheinen ließen: so mußte auch
mit dem Auseinanderrücken des Produzenten vom Konsumenten,
dem Orte und der Zeit nach, mit dem Beginne einer Periode des
internationalen Verkehrs- und Güteraustausches, der Handel, als der
Organisator der Volkswirtschaft und unentbehrliche Vermittler, immer
444 Alexander Horovitz,
größere Raum- und Zeitmaße überwinden und daher mit Naturnot-
wendigkeit in erster Reihe jene Arten von Geschäften entwickeln
und ausgestalten, deren Erfüllung in später Zukunft liegt.
Der Verkehr wurde lebhafter, das Lieferungsgeschäft immer um-
fangreicher, das Bedürfnis nach Deckung des notwendigen Bedarfes
auf einen immer größeren Zeitraum dringender und wie früher die
Form des Verkaufes durch Marktzufuhren, erwies sich nunmehr der
ausschließlich auf Musterofferten beruhende Geschäftsabschluß als
unzureichend. Der Getreidehandel in der damaligen Organisation
konnte seiner großen Aufgabe, in Verbindung mit der Produktion,
die heimische Getreideversorgung rasch, einfach und sicher zu be-
werkstelligen, nicht mehr vollkommen gerecht werden und es stellte
sich das Bedürfnis heraus, eine neue wirtschaftliche Organisation zu
schaffen oder eine bereits anderswo bestehende mit Bedacht auf die
heimischen Verhältnisse aufzunehmen, welche es ermöglicht, jederzeit
eine bestimmte Warenmenge zu bestimmten Preisen auf offenem
Markte zu erwerben oder zu veräußern, den jeweiligen Anforde-
rungen des internationalen Verkehres augenblicklich durch Kauf und
Verkauf Rechnung zu tragen, auch wenn keine Ware am Markte in
genügender Menge oder entsprechender Beschaffenheit vorhanden war
und kein zureichendes Angebot in einer bestimmten Ware vorlag.
Diese Organisation bestand in dem börsemäßigen Terminhandel,
dessen wesentliche Eigenschaft darin gipfelt, daß in allen Ländern
eine allgemein giltige Getreidetype geschaffen wurde, welche dem
Durchschnittsprodukte und dem durchschnittlichen Anspruche des
Konsums des betreffenden Landes entspricht und deren Preis daher
als richtiger Maßstab für den Getreidepreis im allgemeinen gelten
kann und daß Lieferungstermine festgesetzt wurden, in welchen einer-
seits erfahrungsgemäß der größte Teil der heimischen Produkte zu
Markte gebracht wird, andererseits der Konsum zu seiner regel-
mäßigen Versorgung schreitet. Das handelsrechtliche Lieferungs-
geschäft als solches konnte diesem Zwecke nicht dienstbar gemacht
werden, weil der Mangel der Gleichförmigkeit und die Unbestimmt-
heit aller jeweils in Betracht kommenden Sorten und Qualitäten und
der engbegrenzte Kreis der Abnehmer, die rasche und umfangreiche
Ausdehnung solcher Arten von Geschäften unmöglich machten. Es
ist daher unrichtig, wenn die den Experten der Terminhandelsenquete
an die Hand gegebenen amtlichen „erläuternden Bemerkungen‘ !)
bloß für Amerika zugestehen, daß der Getreideterminhandel orga-
nisch aus der Getreidehandelsorganisation herausgewachsen ist, daß
dies jedoch tür Europa viel weniger ersichtlich ist, weil hier die
organische Verwachsung des Getreideterminhandels mit dem Effek-
tivgeschäfte durch die geschichtliche Entwickelung erschwert werde.
Es ist vielmehr der Terminhandel in Europa, ebensowie in Amerika,
in Oesterreich ebensowie in anderen Kulturländern aus der geschicht-
lichen Entwiekelung des Produktenverkehres in bestimmten Stapel-
1) Seite 185.
Entstehung und Entwickelung des Getreideterminhandels in Oesterreich. 445
artikeln, aus dem Bedürfnisse des Handels und dessen Bestreben.
entstanden, zufolge der ausgedehnten Verkehrsbeziehungen der Länder,
der rascheren Nachrichten- und Warenbeförderung, der großen, starken,
ausgedehnten Konkurrenz der Nationen und Einzelpersonen unter-
einander, jede sich darbietende Bezugs- und Absatzgelegenheit zu
ergreifen und auszunützen.
Die Einführung des börsenmäßigen Terminhandels an der
Wiener Produktenbörse hatte seinen zwingenden Entstehungs-
grund hier wie überall, wo er früher oder später entstand, in der
unabweisbaren Notwendigkeit, sich mit Getreide für einen längeren
als den gegenwärtigen Zeitpunkt zu versorgen und in den Bedürf-
nissen zahlreicher, am Getreidehandel interessierten Kreise. So
jener großen Anzahl von Händlern, welche ihre Geschäfte nicht mehr
auf schwankender, sondern auf sicherer Grundlage, geschützt vor
Preiserschütterungen, abschließen wollten; so jener Produzenten, die
ihr Getreide in einer der allgemeinen Marktlage und zu dem durch
die Wechselwirkung der Getreidepreise der einzelnen Staaten heraus-
gebildeten Welthandelspreise verwerten wollten; so schließlich in dem
Interesse der Konsumenten, welche danach strebten, jederzeit ihren
Bedarf zu einem festen Preise anschaffen zu können. In dem
Momente, als mit der Erweiterung und Vervollkommnung der Ver-
kehrsmittel der Getreidehandel seine lokale Gebundenheit abstreifte
und zum Welthandel wurde und an ihn die schwierige Aufgabe
herantrat, die jeweils nach der Ernte zu Markte gebrachten riesigen
Warenmengen, welche der Konsum ohne allzu starke Erschütterung
des Preisstandes nicht aufnehmen konnte, aufzunehmen und sie dann
dem jeweiligen Bedürfnisse entsprechend, dem Konsum zuzuführen,
war auch naturgemäß die unabweisliche Notwendigkeit nach Ein-
führung einer Handelsform gegeben, welche die Erfüllung dieses
Bedürfnisses ermöglichte und erleichterte. Dies war der Grund der
Einführung des börsenmäßigen Getreideterminhandels, nicht aber das
Bedürfnis des Effektivhandels nach einem Maßstabe für die täglichen
Preisgestaltungen und nach einer bestimmten gangbaren Type, um
an dieser die Preistendenz zur Anschauung zu bringen. Ohne den
Rückhalt des Terminhandels hätte die Aufnahme dieser andrängen-
den Warenmenge nur sehr langsam, sehr schwerfällig und natur-
gemäß auch nur zu rapid fallenden Preisen erfolgen können, denn
die Mehrzahl der Händler wäre nicht so waghalsig gewesen, sich
große Getreidelager anzuhäufen und ohne bedeutende Gefahrprämien
das Risiko jener Preisschwankungen zu tragen, welcher diese ein-
gelagerten Waren bis zur Hinüberleitung in den Konsum ausge-
setzt sind.
Verdankt der Terminhandel dem Getreidehandel seine Ent-
stehung, so ist seine Entfaltung und Ausgestaltung, seine Vervoll-
kommnung auf die Entwickelung der großen Handelsmühlen, der
Transportanstalten mit Pferdebetrieb u. s. w. zurückzuführen. Des
Terminhandels bedienten sich nämlich die großen Handelsmühlen,
um den mit der Ausbreitung des Geschäftsverkehres und Beginn
446 Alexander Horovitz,
des Exportes immer umfangreicher gewordenen Mehlabschlüssen eine
den Mahllohn sichernde Grundlage zu geben. Eine solche Mühle wird
nicht immer nur jenes Mehl verkaufen, wofür sie die Rohprodukte
angeschafft hat, sondern, wenn von einem modernen Handelsmühlen-
betriebe überhaupt die Rede sein soll, muß die Mühle, um den
Mehlverkäufen auf Zeit, eine den bürgerlichen Nutzen sichernde
Grundlage zu geben, auch die Gewähr haben, daß sie sich das Roh-
produkt, welches zur Vermahlung und Ablieferung auf große Mehl-
abschlüsse dienen soll, zu bestimmt kalkulierten Preisen wird ver-
schaffen können.
Wenn nun eine derartige Mühle nur die sofortige Anschaffung
der Rohprodukte ins Auge faßt, kann es vorkommen, daß sie auf
den Markt tritt und das Rohprodukt in der erforderlichen Beschaffen-
heit überhaupt nicht vorfindet, oder zufolge der lebhafteren Nach-
frage ein Preis gefordert wird, welchen sie ihren Mehlabschlüssen
nicht zu Grunde gelegt hat. Oder sie findet das Rohprodukt und
findet auch den Preis annehmbar, sie hat aber nicht die Lagerräum-
lichkeiten, diese Ware einzulagern und kann nicht die Spesen tragen,
um dieses Rohprodukt in anderen Lagerhäusern einzulagern. Wartet
eine derartige Mühle ab, bis sie die erforderlichen Rohprodukte be-
kommt, oder bis sie die nötigen Räumlichkeiten hat, so übernimmt
sie auch die Verlustgefahren und Gewinstchancen, welche bis zu
diesem Zeitpunkte eintreten können, das heißt, sie basiert diese
Mehlverkäufe nicht mehr auf einen bürgerlichen Nutzen, sondern sie
vertraut auf gut Glück, daß sie das Rohprodukt zu einem ihr ge-
nehmen Preise vorfinden wird, das heißt, sie wird zum Spekulanten.
Durch den Terminmarkt hat aber diese Mühle die thatsächlich in
immer größerem Umfange benützte Möglichkeit, sich, wenn auch nicht
die Qualität, so doch das Quantum zu einem fixen Preise zu er-
werben, weil eine internationale Type, die Usanceware und für
diese Type ein Welthandel besteht. In dem Augenblicke und nach
Maßgabe, als der Müller die zur Vermahlung gerade erforderliche
Qualität sich verschaffen kann, verkauft er das seiner Zeit auf dem
Terminmarkte gekaufte Getreide und der für die effektive Ware be-
zahlte höhere oder niedrigere Preis findet seine Ausgleichung in dem
höheren oder geringeren Erlöse aus der auf dem Terminmarkte nun-
mehr wieder weiter veräußerten Ware, oder der Müller übernimmt,
was durchaus nicht so selten ist, wie in der Terminhandelsenquete
betont wurde, das auf dem Terminmarkte gekaufte Getreide und ver-
mahlt es. Jedenfalls hat die Mühle sich das Rohprodukt oder dessen
Preis gesichert.
Auch der Vertreter des Konsumvereines hat in der Enquete den
Standpunkt vertreten, daß die Konsumenten ein gewichtiges Interesse
daran haben, ihren Mehlbedarf auf längere Zeit zu festen Preisen
jederzeit erwerben zu können und hat demgemäß es als selbstver-
ständlich erachtet, daß auch die Mühlen, welche doch diese Mehl-
abschlüsse auf längere Zeit machen, die Möglichkeit haben müssen,
das Rohprodukt jederzeit auf längere Zeit zu festen Preisen sich zu
Entstehung und Entwickelung des Getreideterminhandels in Oesterreich. 447
sichern. Demgegenüber hat wohl der Vertreter des niederöster-
reichischen Mühlenverbandes betont, daß die Thatsache, daß die
Mühlen auf längere Zeit Mehlabschlüsse machen können, ein Krebs-
schaden für das Mühlengewerbe und die Mühlenindustrie bilde und
eigentlich erst durch die Einführung des börsenmäßigen Terminhandels
gezeitigt worden sei. Das ist aber falsch, richtig ist vielmehr, daß
die Bedürfnisse der Mühlenindustrie die Einführung des Termin-
handels in Wien förderten.
Bis zum ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts gab es nur
ein lokales Mühlengewerbe, welches, auf seine nächste Umgebung an-
gewiesen, gegen einen gesetzlich bestimmten Anteil, den Mahllohn,
arbeitete. Nur allmählich, insbesondere zufolge der im Jahre 1831
erfolgten Gründung der Donaudampfschiffahrtsgesellschaft, welche
den Bezug von ungarischem Getreide ermöglichte, entwickelte sich,
und zwar vornehmlich in Niederösterreich, die Handelsmüllerei.
Der ursprünglich auf Grund von prompt zu erfüllenden Geschäften
sich entwickelnde Verkehr zwischen Müllern und Bäckern nahm mit
der in den 60er Jahren beginnenden Ausdehnung und Entwickelung
der im Jahre 1836 begründeten großen Budapester Mühlen eine
andere Richtung. Da diese Budapester Mühlen in ihrem eigenen
Lande lediglich für die schwarzen und mittleren Mehlsorten Verwen-
dung hatten, mußten sie darauf bedacht sein, für die mit den schwarzen
notwendigerweise gleichzeitig erzeugten feinen Mehlnummern ein an-
derweitiges Absatzgebiet zu finden.
Nun war speciell in Wien und Niederösterreich die Nachfrage
für die feinen Mehlsorten eine sehr große, und es war natürlich, daß
sich die Budapester Mühlen mit aller Wucht auf dieses Absatzgebiet
warfen und es zu erobern trachteten. Dies wurde ihnen nicht leicht
gemacht, denn es war eine jahrzehntelange, eingewurzelte Gepflogen-
heit, daß der lokale Bedarf von den lokalen Wiener und den nieder-
österreichischen Mühlen befriedigt wurde. Die Budapester Mühlen
konnten die Geschäftsverbindung mit den Bäckern nur in der Weise
einleiten und später auch aufrecht erhalten, daß sie diesen auf längere
Zeit hinaus das erforderliche Mehlquantum zu bestimmten Preisen
verkauften, was sie auch thun konnten, da sie sich ihrerseits den Preis
des Rohproduktes auf dem Budapester Terminmarkte zu sichern in
der Lage waren. Die Wiener und niederösterreichischen Mühlen
wurden derart allmählich von einem Teile ihres angestammten Kunden-
kreises abgedrängt und mußten darauf bedacht sein, sich den Kunden-
restzu erhalten, den verlorenen Teil wieder zu gewinnen. Dies konnten
sie nur erreichen, wenn auch sie den Wünschen und Bedürfnissen
der Bäcker nach Bestreitung ihres Bedarfes auf längere Zeit will-
fahrten, zu welchem Mittel sie schließlich auch greifen mußten. Sie
erhielten sich hierdurch auch ihre Kundschaft und konnten den Kon-
kurrenzkampf mit den ungarischen Mühlen aufnehmen, aber sie selbst
wurden nunmehr Spekulanten, weil sie allen von der Zeit des Mehl-
verkaufes bis zur Anschaffung des Rohproduktes eingetretenen, da-
mals sehr heftigen Preisschwankungen unterlegen waren. Und die
448 Alexander Horovitz,
Müller fühlten diesen, ihre Existenz geradezu täglich in Frage stellen-
den Uebelstand auch sehr intensiv und es wurden bald Stimmen laut,
welche energisch die Einführung des Terminhandels forderten, um
der ungarischen Konkurrenz nicht mit einem va-banque-Spiel, son-
dern mit gesicherter Grundlage entgegentreten zu können. So wurden
die Müller schließlich mit Naturnotwendigkeit auf die Benutzung des
Terminhandels als Instrument für die rechtzeitige Bedarfsdeckung
verwiesen, um eben ihren Mehlverkäufen eine zuverlässige, ihren
Mahllohn und bürgerlichen Gewinn sichernde Grundlage geben zu
können.
Vor Einführung des börsenmäßigen Terminhandels schlossen die
Müller und speciell die großen und mittleren nieder österreichischen
Müller Mehlabschlüsse auf ein halbes Jahr, ein Jahr und noch längere
Zeit hinaus und beklagten es tief, daß sie keine Deckungsmöglichkeit
für das Rohprodukt besitzen und es ist bezeichnend, daß einer der
hervorragendsten Vertreter dieses Gewerbes anfangs der 70er Jahre,
demnach zu einer Zeit, in welcher ein börsenmäßiger Terminhandel
in Wien und Oesterreich überhaupt nicht bestanden hat, der Termin-
handel daher einen Einfluß auf die Lage der österreichischen Mühlen-
industrie und des Müllergewerbes überhaupt nicht nehmen konnte,
in dem damaligen offiziellen Organe der Müller folgendes erklärte:
„Die Müller stehen nicht auf der Höhe der Zeit, weil sie ihren
Betrieb ohne alle kaufmännischen Regeln leiten. Der Müller ist zum
Spieler geworden, zum Spieler der bedauernswertesten Sorte. In
Zeiten, in welchen es den Anschein hat, daß der Fruchtpreis steigen
wird, machen die Bäcker und Mehlhändler Mehlabschlüsse, damit sie
für ein halbes Jahr oder für längere Zeit gedeckt sind, aber der
Müller ist nicht in der Lage, das Fruchtquantum, welches er zur
Deckung benötigt, anzuschaffen, denn dazu gehören riesige disponible
Kapitalien.“
Thatsächlich haben ja schon in der zu Wien im Jahre 1897 ab-
gehaltenen Terminhandelsenquete die als Experten vernommenen
Müller erklärt, daß das Termingeschäft in Getreide eigentlich seine
Grundlage in dem Betriebe des Müllergewerbes und der Mühlen-
industrie besitze, denn indem die Müller gezwungen sind, Mehlverkäufe
auf lange Zeit abzuschließen, haben sie auch das Bedürfnis, das Roh-
produkt für diese spätere Zeit anzuschaffen. Das können sie, indem
sie sich entweder selbst am Terminhandel beteiligen, oder indem
sie dem Händler, von dem sie das Rohprodukt kaufen, die Möglich-
keit bieten, sich dieses Getreide auf dem Terminmarkte anzuschaffen.
Aber auch für diejenigen Mühlen, welche sich des Terminmarktes
überhaupt nicht, oder doch nicht in der Regel bedienen, erweist sich
dessen Bestand als notwendig und nützlich; denn, wenn eine solche
Mühle an den Getreidehändler herantritt, um eine bestimmte Menge
Getreide von bestimmter Qualität und bestimmter Provenienz zu
kaufen und der Getreidehändler nicht in der Lage ist, sie zu be-
dienen, da er keinen effektiven Bestand, kein Lager von diesem Ge
treide hat, so kann er das Geschäft mit der Mühle nur dann ab
Entstehung und Entwickelung des Getreideterminhandels in Oesterreich. 449
schließen, wenn er die Möglichkeit hat, auf dem Terminmarkte sich
den Preis des dem Müller zu verkaufenden Getreides zu sichern. In
dem Augenblicke und in dem Ausmaße, als der Händler sich seiner
Zeit das Rohprodukt verschafft, um es dem Müller zu liefern, ver-
kauft er das seiner Zeit auf dem Terminmarkte gekaufte Getreide und
hat sich derart den Preis und seinen Händlernutzen gesichert.
Die geschichtliche Entwickelung lehrt, daß die Behauptung, der
Terminhandel in Getreide sei dem Bedürfnisse zu spielen, entsprungen,
und dann sei erst die Versicherungsfunktion hinzugetreten, eine irrige
ist; es hat im Gegenteil das Bedürfnis des Handelsverkehres nach
Versicherung den Terminhandel geschaffen und erst die Ausartung
und mißbräuchliche Ausnutzung seiner regulären Formen hat nach-
träglich das Spiel gezeitigt.
Die jahrzehntelange Erfahrung in den Kulturländern beweist,
daß die Hauptaufgabe des Handels, Ware billigst zu verschaffen und
auf die rascheste und wohlfeilste Art in die Hände desjenigen zu
leiten, der ihrer am meisten bedarf, am besten, einfachsten, sichersten
und befriedigendsten durch den Terminhandel gelöst wurde. Daß in
diesen Terminhandel nicht alle landwirtschaftlichen Produkte mit-
einbezogen wurden, ist ein oft gehörtes, aber durchaus nicht stich-
haltiges Argument; denn aus dem internationalen Charakter des
Terminhandels folgt eben, daß zum Gegenstande desselben nur solche
Waren gemacht werden können, welche im großen Welthandelsverkehr
stehen, daß dagegen alle jene Waren vom Terminhandel ausgeschlossen
sind, welche nur dem Bedürfnisse des lokalen oder Einzelhandels
dienen, für welche also kein Weltbedarf besteht. Welthandelsartikel
können nur reine Gattungswaren sein, das heißt Waren von durch-
schnittlich gleichmäßiger Beschaffenheit. Diese Thatsache erklärt es,
warum in Oesterreich Gerste kein Gegenstand des Terminhandels ist.
Gerade die Entwickelung des Terminhandels in Wien widerlegt
die Anschauung, daß nur Weltindustriestaaten und bedeutende Export-
länder zu ihrer raschen ungestörten Funktion einer die Interkommuni-
kation des Getreidehandels bewirkenden und fördernden Handelsform
bedürfen, daß der Terminhandel nur im internationalen Verkehr wegen
der notwendigen Ueberwindung der Zeit- und Raumdistanzen die
ihm zukommende Aufgabe erfüllen kann, dagegen in einem abge-
schlossenen Wirtschaftsgebiete, wie z. B. Oesterreich-Ungarn, sofern
dieses weder einen Import noch Export hat, kein notwendiges Glied
des Wirtschaftssystems bildet.
An der Börse für landwirtschaftliche Produkte in Wien hat sich
der Börsenterminhandel in einer deutlich erkennbaren und genau ver-
folgbaren Weise aus dem handelsrechtlichen Lieferungsgeschäfte her-
aus entwickelt. Den untrüglichen Beweis hierfür liefert die Thatsache,
daß in den ersten Jahren nach der Entstehung dieses Terminhandels
mehrere, dem schwunghaft betriebenen handelsrechtlichen Lieferungs-
geschäfte innewohnenden Eigentümlichkeiten auch im börsenmäßigen
Terminhandel zum Ausdrucke gelangen und nur allmählich gänzlich
verschwinden. Eine mit bestimmten, allgemeinen Merkmalen ver-
Dritte Folge Bd. XXII (LXXVIII). 29
450 Alexander Horovitz,
sehene Type, die sogenannte ,Usanceware“, bildet schon anfangs der
60er Jahre, bevor noch überhaupt kodifizierte Usancen bestehen, den
Gegenstand des Börsenverkehres, und als im Jahre 1869 die Usancen
zum erstenmal geregelt und kodifiziert wurden, wird der Handel
mit dieser genau umschriebenen Type, als Usanceware, auch in den
Verkehrsbestimmungen der Börse geregelt. Als Usanceware gilt
hiernach österreichisch-ungarisches Produkt (auch heute stammen
nahezu 90 Proz. des an der Wiener Produktenbörse gehandelten
Getreides, Weizen und Roggen und auch der Futtermittel, Hafer und
Mais, von ungarischer Provenienz her) von guter, gesunder, trockener
Qualität, mit einem vom Börsevorstande anfangs September eines
jeden Jahres festgesetzten Mindestgewichte.
Die Usanceware bildet die Grundlage der ersten Ansätze des
im Herbste 1875 in die Erscheinung getretenen börsenmäßigen Termin-
handels, in welchem zum erstenmale, und zwar im Mai, amtliche
Notierungen, und im Herbste auch amtliche Kündigungen von Usance-
und Terminware erfolgen. Es ist daher die Ansicht falsch, daß der
Getreidehandel sich zum Zwecke seiner Umsätze ein abstraktes Objekt,
das Usancegetreide, besonders geschaffen hat, welches nur zuweilen
im Augenblicke der Ablieferung, in konkreter Gestalt erscheint;
richtig ist vielmehr, daß diese im effektiven Getreideverkehre bereits
bestandene und lebhaft gehandelte Type in den Terminhandel hinüber-
genommen wurde, weil sie geeignet erschien, dem Markte eine mög-
lichst große Ausdehnung zu geben und die Geschäftsabschlüsse zu
erleichtern. So wenig die Kreditaktie eine „Spielmarke“ ist, sondern
ein Spekulationszwecken dienendes, internationales Zahlungsmittel,
in welchen die von dem einzelnen Geschäfte unabhängige Konjunktur
am reinsten zum Ausdrucke gelangt, ebenso stellt die Usanceware
lediglich eine Getreidetype dar, welche, weil sie den, in den für
unsere nationale Volkswirtschaft maßgebenden Gebieten produzierten
Getreidearten und den Konsumansprüchen im Durchschnitte entspricht,
auch die generelle Einwirkung der Konjunktur am klarsten und ver-
läßlichsten widerspiegelt.
Die Notierungen und Kündigungen umfaßten im ersten Jahre
lediglich Weizen Korn und Hafer, welchen Artikeln sich im Jahre
1876 Mais und 1877 Reps hinzugesellte. Aber bereits vor dieser
offiziellen Einführung des börsenmäßigen Terminhandels in Wien
haben böhmische Getreidehändler zu Beginn der 70er Jahre Getreide-
termingeschäfte in Berlin geschlossen, über Podwolaczyska bezogenen
russischen Weizen als Erfüllung von Terminverkäufen in Berlin
effektiv abgeliefert und auf dem Berliner Terminmarkte angekauften
Roggen effektiv bezogen. Es haben auch im Laufe des der Ein-
führung des Terminhandels in Wien vorangegangenen Jahrzehnts,
die dazumal nur in sehr geringer Anzahl in Wien thätigen Getreide-
händler, zu Sicherungs- und Spekulationszwecken Getreidetermin-
geschäfte im Auslande geschlossen und zwar bis gegen Ende der
60er Jahre in Berlin, Breslau, Köln, Paris, Amsterdam und von da
an in Budapest, wo sich nach dem Jahre 1867 bereits ein regel-
Entstehung und Entwickelung des Getreideterminhandels in Oesterreich. 451
mäßiger Terminhandel in Hafer mit dem Ablieferungsorte Raab ent-
wickelt hatte.
In diesem hervorragenden Exportjahre wurde namentlich Oester-
reich-Ungarn zum erstenmale mit dem Weltmarkte in bedeutendem
Ausmaße in Verbindung gesetzt. Die Getreidehändler von Ungarn
(damals noch mit Recht „Europas Kornkammer* genannt), hatten
auf Grund einer erhofften und auch thatsächlich eingetretenen aus-
gezeichneten Ernte, Vorverkäufe nach dem Auslande, insbesondere
nach Berlin, abgeschlossen, welche aber wegen überaus mangelhafter
Transportverhältnisse nicht erfüllt werden konnten. Teils die in
Differenzzahlungen und Konventionalstrafen zu Tage getretenen harten
Folgen, teils die praktisch erprobte Schwerfälligkeit und Unzuläng-
lichkeit der bestehenden Handelsform bei der Bewältigung eines so
großen Geschäftes, insbesondere des Exportgeschäftes, war die nächste
Veranlassung, daß man auch in Budapest sich zur Einführung der
bereits in anderen Kulturstaaten bewährten Handelsform, des Termin-
handels, entschloß. Bedeutend wurde der Terminhandel in Budapest
aber erst zu Beginn der 70er Jahre, zu welcher Zeit er auch die
Artikel Weizen, Mais, Korn und Reps umfaßte.
Da 80 Proz. des in Budapest und Raab gehandelten Hafers für
den Wiener Konsum bestimmt waren, richtete sich das Bestreben
der Wiener Getreidekommissionäre zuerst dahin, den Terminhandel
in diesem Artikel auf die Wiener Börse zu übertragen, und die ersten
Termingeschäfte an der Wiener Produktenbörse umfaßten thatsächlich
diesen Artikel. Die genaue Bezeichnung jenes Zeitpunktes, in welchem
das erste Termingeschäft in den derzeit für den börsenmäßigen
Terminhandel geltenden Normen abgeschlossen wurde, ist unmöglich,
weil es eine geraume Zeit währte, bis sich der Uebergang vom
börsenmäßigen Zeit- oder handelsrechtlichen Lieferungsgeschäfte zum
börsenmäßigen Termingeschäfte in einer Weise vollzogen hatte, daß
zwischen beiden Geschäftsarten eine schärfere Grenzlinie aufgestellt
werden konnte.
Das allmähliche Hinüberleiten des handelsrechtlichen Lieferungs-
geschäftes in den börsenmäßigen Terminhandel brachte es mit sich,
daß diesem in den ersten Jahren seines Bestandes noch die Un-
ebenheiten des ersteren anhafteten und erst mit der langsam fort-
schreitenden Entwickelung und Ausgestaltung der Terminhandels-
formen ausgemerzt wurden. So wurden eine geraume Zeit hindurch
die verschiedensten, im handelsrechtlichen Lieferungsgeschäft ver-
kehrsüblichen Mengen und diese wieder in den dazumals kunterbunt
gehandelten Gewichtseinheiten gekündigt, und wir finden neben
Kündigungen von 500 und in dessen Mehrfachen abgerundeten Quanti-
täten von 1000, 2000, 2500 und 5000 q auch solche von 200, 800,
1460 u. s. w. Metercentnern und neben Metercentnern auch Wiener
Centner, Zollcentner, Metzen u. s. w.
Die durch die Verschiedenartigkeit der Mengen und Gewichts-
einheiten überaus erschwerte Uebertragbarkeit und Weiterkündigung
führten den Handel dazu, im Terminverkehre neben der Einheitlich-
29*
452 Alexander Horovitz,
keit des Gewichtes nur eine Mengeneinheit oder deren Vielfaches zu
handeln. Die Grundlage für diese Mengeneinheit wurde wieder dem
handelsrechtlichen Lieferungsgeschäft entnommen, dessen namhaftester
Teil sich in sogenannten „Schleppladungen“ mit Quantitäten von
2500 q abwickelte und welches Quantum von 1000 q bei den
Kündigungen zum Ausdrucke gelangt. Da zur Zeit der Heraus-
bildung des börsenmäßigen Terminhandels in Wien dieser bereits in
Budapest bestand, war es bei dem regen Geschäftsverkehre zwischen
beiden Reichshälften und bei der innigen Verbindung der an dem
Getreidehandel beteiligten Berufskreise natürlich, daß manche dem
dortigen Terminhandel anhaftenden Eigentümlichkeiten sich auch in
Wien einbürgerten. Als deren charakteristischste ist die auch in
den Wiener Terminhandel übernommene Cedierbarkeit der
Schlüsse und das Angeld anzusehen, welches mit 1 fl. per
Metercentner festgesetzt war und vom Käufer bei dem Geschäfts-
abschlusse dem Verkäufer in barem behändigt werden mußte. Mit
Rücksicht auf die gehandelten bedeutenden Schlußquantitäten und
angesichts der langen Termine, bis nach deren Ablauf der Verkäufer
dieses „Angeld“ erst zu verrechnen hatte, wurde der Abschluß eines
Termingeschäftes auch zu einer eminenten Vertrauens- und Kredit-
frage und es war demgemäß auch die Auswahl der Person des Ver-
käufers eine strenge, da man nicht jedem Verkäufer einen so be-
deutenden und langen Kredit einzuräumen geneigt war. Das hatte
einerseits die wohlthätige Wirkung, daß für die genaue Vertrags-
erfüllung eine doppelte Gewähr vorhanden war und zwar für den
Käufer in der Person des am Börsenorte offenbar kreditwürdigen
Verkäufers und für diesen in der empfangenen Angabe; hatte aber
andererseits den Nachteil im Gefolge, daß sich der ganze Termin-
handel bei einigen besonders kapitalskräftigen Firmen und Banken
konzentrierte, die dann auch eine Art Monopol erwarben, welches
jeden sonstigen, vielleicht auch ganz gut fundierten Kontrahenten,
der im Terminhandel ein bestimmtes Getreidequantum verkaufen
wollte, zwang, sich gegen Entrichtung einer Provision einen Schluß
einer derartigen Firma oder Bank zu verschaffen, um ihn sodann
durch Giro seinem Käufer weiter zu geben. Dieser wirtschaftlich
ungerechtfertigten Benachteiligung des außerhalb des Monopolkreises
stehenden Verkäufers stand die große, zuweilen auch zu thatsäch-
lichen Katastrophen führende Gefahr zur Seite, daß die Angeld-
leistungen einzelnen geldbedürftigen Firmen die Möglichkeit bot,
Verkäufe in großem Maßstabe lediglich zu finanziellen Transaktionen
abzuschließen, um in den Besitz beträchtlicher unverzinslicher Kapi-
talien zu gelangen. Alle diese bei einem Zusammenbruche einer
derartigen Firma besonders kraß zu Tage getretenen Uebelstände er-
heischten immer dringender eine Abhilfe, die endlich im Jahre 1886
an der Wiener und bald darauf an der Budapester Produktenbörse
zur Auflassung des an anderen Terminbörsen ohnehin nicht be-
standenen Angeldes führte. Gleichzeitig wurde das zu große Ein-
heitsquantum von 2500 q auf 500 q herabgemindert und be-
Entstehung und Entwickelung des Getreideterminhandels in Oesterreich. 453
behufs Verminderung des Delcredere die Cedierbarkeit der Schlüsse
aufgehoben. Denn dieses Delcredere war besonders zu jener Zeit,
da die Schlußeinheit noch 2500 Ctr. betrug, für den Kommissions-
handel, wozu hauptsächlich Wien gehörte, ein sehr großes. Denn
zufolge der Cedierbarkeit konnte der ursprüngliche Verkäufer und
Aussteller der Schlüsse niemals wissen, in wessen Händen sich seine
Schlüsse mit Ablauf des Termins befinden und an wen er daher die
Ware zu liefern haben werde. Nun war es aber eine naturgemäße
Folge des Kommissionshandels, daß der heutige Verkäufer einige
Zeit nach Abschluß des ersten Verkaufsgeschäftes ein gleiches Quan-
tum Getreide zu kaufen hatte, wobei mit Rücksicht auf die be-
schränkte Anzahl von Kommissionsfirmen sehr häufig der Fall ein-
trat, daß er seinem ersten Käufer nun selbst als Käufer für dasselbe
Getreidequantum gegenüberstand und jetzt wieder diesem eine An-
gabe zu leisten hatte. Statt nun im Wege der Kompensation beider-
seits von der Verpflichtung aus der Angabe befreit zu werden, blieben
beide Kommissionäre noch weiter in Obligo, da die cedierbaren
Schlüsse inzwischen eben weiter übertragen wurden und es war
durchaus kein außergewöhnliches Vorkommnis, daß der Kommissionär
jenen Schluß, auf welchen er als Käufer eine Angabe empfangen
hatte, im Termine erfüllen mußte, während der eigentliche Kompen-
sationsschluß, auf welcher er als Käufer eine Angabe geleistet hatte
und welcher dazu bestimmt war, zur Erfüllung des ersten Verkaufs-
abschlusses verwendet zu werden, von dem, dem Kommissionär ganz
und gar unbekannten Besitzer des Schlusses nicht erfüllt werden
konnte, so daß der Kommissionär neben dem, durch die Nichterfüllung,
entstandenen Schaden auch den Verlust des geleisteten Angeldes zu
tragen hatte. Die Cedierbarkeit der Schlüsse barg aber auch den
weiteren Nachteil in sich, daß kein Kommissionär in den Stand ge-
setzt war, sein Risiko bei Geschäften abzugrenzen. Denn wenn auch
bei einem konkreten Geschäfte der Gegenkontrahent zufolge der ein-
getretenen Preisveränderungen im Vorteile war, konnte es der
Kommissionär zuweilen dennoch nicht wagen, ein weiteres Geschäft
abzuschließen, weil er ja der steten Gefahr ausgesetzt war, daß dieser
in der Kursdifferenz bestehende Vorteil nicht mehr seinem Gegen-
kontrahenten gebühre, da dieser möglicherweise die Kursdifferenz
durch Weiterbegebung des Schlusses bereits einkassiert haben und
diese Kursdifferenz daher nicht mehr als Sicherstellung für ein
zweites, vielleicht mit einem Verluste für den Gegenkontrahenten
abschließendes Geschäft dienen konnte. Die Uncedierbarkeit dieser
Schlüsse machte diesem Unwesen ein Ende, denn die bescheidene
Anzahl Getreidekommissionäre am Wiener Platze kompensierten
derartige Kauf- und Verkaufsabschlüsse gegenseitig, wodurch auch
das Deleredere wesentlich herabgemindert wurde. Sie hatte aber
auch die Folge, daß nunmehr jeder Kommissionär in der Lage war,
sein Risiko gegenüber dem anderen in der Weise zu begrenzen, daß
er, nach Maßgabe des aus einem Geschäfte zu Gunsten des Gegen-
kontrahenten resultierenden Vorteiles, mit diesem auch ein zweites
Geschäft ohne voraussichtliche Gefahr abzuschließen vermochte.
454 Alexander Horovitz,
Auf den Umfang der Warenbewegung war die Aufhebung der
Cedierbarkeit der Schlüsse ohne jeden Einfluß, obschon die Uncedier-
barkeit die Kompensation sehr förderte. Die Kompensation, welche
jetzt in unmittelbarem Verkehre erfolgt, gelangte eben zur Zeit der
Cedierbarkeit der Schlüsse erst auf dem beschwerlichen Wege von
Giris auf den Kündigungsscheinen dann zum Ausdrucke, bis ein
Girant einem Giratar gegenüber stand, mit dem er kompensieren
konnte.
Es ist daher unrichtig, wenn die Entwickelung des öster-
reichischen und insbesondere des Wiener Getreideterminhandels in
einen Gegensatz zur organischen Entwickelung des amerikanischen
Terminhandels gebracht und behauptet wird, daß er bei uns aus der
mißbräuchlichen Ausnützung des handelsrechtlichen Lieferungsge-
schäftes gewaltsam zu spekulativen Zwecken hervorgerufen, hierher
verpflanzt wurde, um diese internationale Getreidespekulation von
der Erzeugung und dem Konsume unabhängig zu machen und das
ihr naturgemäß anhaftende Risiko auf fremde Schultern zu über-
wälzen; daß er nicht der Ausfluß und Ausdruck des effektiven Ge-
schäftes sei, sich eine abstrakte Ware lediglich zum Zwecke ge-
schaffen habe, um seine Umsätze bis auf den denkbar höchsten Grad
zu steigern und daß er eben deshalb die Tendenz verfolge, an die
dem Terminhandel zu Grunde gelegte Type, die Usanceware, mög-
lichst geringe Anforderungen zu stellen 11.
Im allgemeinen wird wohl der Terminhandel auf die ungeheuere
Ausdehnung der Produktionsgebiete und auf die immer intensiver
sich äußernde wechselseitige Einwirkung dieser Produktionsgebiete.
auf die Ausgestaltung der Transportmittel, zurückzuführen sein, weil
diese Thatsachen unleugbar für den Händler das Bedürfnis zeitigten,
die Weltkonjunktur ökonomisch zu erfassen und sich vor deren Ge-
fahren möglichst zu sichern, wozu ihm eben nur der Terminhandel
die Möglichkeit bot. Aber an der organischen Entwickelung und
Ausgestaltung des Wiener Getreideterminhandels zu zweifeln, wäre
nach dem Ausgeführten verfehlt. Wenn es auch unzweifelhaft ist,
daß in Oesterreich der börsenmäßige Terminhandel niemals jenes
kommerzielle Instrument geworden ist, wie in Amerika mit seinen
Elevatoren, der Getreidegradierung, Specifizierung und dem ausge-
bildeten Warrantsystem, so ist es doch unrichtig zu behaupten, daß
in Oesterreich für die Einführung dieses börsenmäßigen Terminhandels
die für andere Wirtschaftsgebiete zufolge der Internationalität des
Handels begründeten wirtschaftlichen Voraussetzungen schon bei
seiner Einführung mangelten, daß er bei uns weder in den Anbau-
verhältnissen der Landwirtschaft noch in den Verkehrs- und Absatz-
verhältnissen begründet ist und daß der Terminhandel als Handels-
form des Weltmarktes Mitte der 70er Jahre lediglich zu dem Zwecke
eingeführt wurde, um mit Rücksicht auf den noch namhaften Weizen-
export, der von Amerika stark andrängenden Konkurrenz stand
1) Vergl. Kienbück, II, 260/261; Fuhrich, III, 123—127 ; Hohenblum, III, 256.
Entstehung und Entwickelung des Getreideterminhandels in Oesterreich. 455
halten zu können, heute aber nichts anderes sei, denn eine miß-
bräuchlich ausgenützte, inhaltlose Welthandelsform für einen Binnen-
verkehr.
Die Thatsache, daß für die äußeren, für die Abschluß- und Ab-
wickelungsformen des Wiener börsenmäßigen Terminhandels, einzelne
praktisch bewährte Bestimmungen ausländischer Börsen und insbe-
sondere der Budapester Börse mit oder ohne Aenderungen über-
nommen wurden, kann doch nicht als Beweis dafür dienen, daß ein
allgemeines wirtschaftliches Interesse für die Einführung dieser
Handelsform überhaupt nicht bestand, diese Einführung nicht auf
einem organischen, dem Effektivgeschäfte entsprungenen Bedürfnisse
beruht, und weil der Terminhandel spekulative Ausartungen im Ge-
folge hatte, nicht dafür herangezogen werden, daß die Reception
dieser Handelsform ausschließlich auf das Bestreben nach möglichster
Erweiterung des Spekulationsgebietes zurückzuführen ist. Hervor-
gehoben sei noch, daß es nicht in letzter Linie dem Terminhandel
und dem auch mit dessen Hilfe geschaffenen regen Geschäftsverkehre
zu danken ist, daß der Wiener Getreidehandel aus dem unschein-
baren, lediglich Approvisionierungszwecken dienenden lokalen Markte
zu einem Emporium des österreichisch-ungarischen Produktenhandels,
die Produktenbörse zu einer Institution von handelspolitischer Be-
deutung ausgestaltet und Wien selbst zum Mittelpunkte eines be-
trächtlichen Teiles der Getreideausfuhr Oesterreich-Ungarns und des
balkanländischen Transitverkehres emporgehoben werden konnte.
456 Brukner,
Nachdruck verboten.
VI.
Zuckerausfuhrprämien und Brüsseler
Vertrag.
Von
Direktor Dr. Brukner, Stralsund.
Der internationale Vertrag, der am 5. März 1902 von den Ver-
tretern der Regierungen vieler europäischen Staaten unterzeichnet
worden ist und die Abschaffung der Ausfuhrprämien bezweckt, lenkt
die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Geschichte und den Wert
dieser Prämien in den beteiligten Staaten und auf die gegenwärtige
Lage und Zukunft der gesamten europäischen Zuckerindustrie.
Die Rübenzuckerindustrie des europäischen Festlandes ist eine
Frucht der Kontinentalsperre und hat nur durch starke Schutzzölle
gegen den Wettbewerb des Rohrzuckers geschaffen und erhalten
werden können. Es fehlte von Anfang an nicht an Stimmen, die in
Frage stellten, ob es richtig sei, in unserem kalten Weltteil Zucker
zu erzeugen. Seit ihrem Entstehen ist die Zuckersteuergesetzgebung
ein Zankapfel der Freihändler und Schutzzöllner gewesen, und je
mehr die letztere Richtung in der Politik der europäischen und
der amerikanischen Staaten die Oberhand gewann, um so weniger
wurde die Notwendigkeit des Schutzes der Rübenzuckerindustrie
bezweifelt. Da sie sich unter kräftigem Schutze bald so entwickelte,
daß vorerst wenigstens von einzelnen bevorzugten Landstrichen Rüben-
zucker ausgeführt wurde, so nahmen in Deutschland schon um das
Jahr 1850 Bestrebungen ihren Anfang, die darauf hinausliefen, daß
die Rübensteuer, die seit 1841 im Zollvereinsgebiet erhoben wurde,
bei der Ausfuhr des Zuckers zurückvergütet werden solle. Die Zoll-
vereinskommission erkannte diese Forderung als grundsätzlich be-
rechtigt an !), die Regierungen erklärten sie aber als praktisch uner-
füllbar, u. a. auch deshalb, weil die Berechnung schwierig und un-
sicher sei und leicht zum Entstehen einer Prämie Anlaß geben
1) Z. d. V. d. d. Z., Bd. 2, S. 325.
Zuckerausfuhrprämien und Brüsseler Vertrag. 457
könne, „die doch allen Grundsätzen des Zoll- und Han-
delssystems völlig widerspreche“!) Eine solche Anschau-
ung stieß damals nirgends auf Widerspruch, nicht einmal in den
Kreisen der Zuckerindustrie selbst.
Im Gegenteil! In betreff der Rübenzuckererzeugung geben nach
Walcker?) selbst gemäßigte, sachkundige Schutzzöllner, z. B. Hum-
bert), zu, es könne ein Fehler gewesen sein, die deutsche und über-
haupt die europäische Zuckerindustrie künstlich groß zu ziehen.
„Selbst wenn es gelingt, in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten
die Zuckeraccisen und die Zuckerzölle gleichzustellen, d. h. die
Zuckerschutzzölle (den heute sogenannten Ueberzoll) abzuschaffen,
so ist damit noch keineswegs für immer die Frage entschieden, ob
es nicht ein großer Fehler war, in Europa überhaupt eine Rüben-
zuckerindustrie zu schaffen. Wenn die tropischen Länder große
kulturpolitische und technische Fortschritte machen, wenn es z. B.
gelänge, durch billige chinesische Arbeitskräfte, Sonnenkraftmaschinen
u. s. w. den Rohrzucker sehr billig herzustellen, so könnte die
Rübenzuckerindustrie konkurrenzunfähig werden, besonders da sie
wohl nur ausnahmsweise, vielleicht gar nicht mit Wasserkraft arbeitet
und da die Kohlenlager erschöpflich sind; während die tropische
Sonnenglut, abgesehen von der problematischen und fernliegenden
Möglichkeit einer allmählichen Erkaltung der Erdoberfläche, uner-
schöpflich ist. Dann könnte der Staat vor die Frage gestellt werden,
der Rübenzuckerindustrie ewige Schutzzölle, ewige Opfer zuzuge-
stehen, oder mit großen, wenn auch verhältnismäßig geringeren
Opfern den Uebergang der in der Rübenzuckerindustrie beschäf-
tigten Kapitalien und Menschen zu anderen Erwerbszweigen zu be-
fördern, was die französische Regierung bereits 1842 vorschlug“ +).
In ähnlichem Sinne sprachen sich zahlreiche Staatsmänner, Mi-
nister, Nationalökonomen aus. Der russische Finanzminister Graf
Cancrin sagt in seiner „Oekonomie der menschlichen Gesellschaft“,
der Zuckerbau sollte in unserem Klima nie künstlich gepflegt werden.
Selbst der Zuckerindustrielle Sombart erklärte im Zollparlament
am 14. Juni 1869, wegen der Ueberproduktion bezahle der Konsu-
ment die Steuer nicht. „Deshalb .... haben wir im vorigen Jahre
erklärt, die Rübenzuckerindustrie bedarf des Schutzes
nicht, weil lediglich der Weltmarkt .... den Preis regelt.“
Von Anbeginn der Zuckerbesteuerung bestand sowohl in Deutsch-
land als auch in Frankreich und Oesterreich ein erheblicher Zoll-
schutz für die Erzeugung des Zuckers aus Rüben, und dieser Zoll-
schutz mußte noch gegen eine angesehene, wissenschaftliche und
politische Gegnerschaft verteidigt werden. Die Schaffung einer
1) v. Lippmann, Die Entwickelung der deutschen Zuckerindustrie von 1850—
1900. Leipzig 1900, 8. 9.
2) Walcker, Schutzzülle, laissez faire und Freihandel. Leipzig 1880.
3) Untersuchungen über den Einfluß des Zuckerrübenbaues auf die Land- und
Forstwirtschaft mit besonderer Berücksichtigung der Provinz Sachsen, 1377.
4) Bau, Pol. Oek., II, $. 214.
458 Brukner,
Ausfuhrvergütung Zuckerzoll
a) | |
Zucker-| Ent- |Rohzucker c)
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Deutsche Ver- tete mindestens für Kandis ee ee? Raffi ui
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für |100 kg raft. |991/,Proz| os Proz Zucker eng
100 kg | Rüben Zucker von Pol. Pol Í
unter 98 |
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Kalender- Ea
jahre
1840 [Tarif vom 24.| . o
1841 | Oktober 1839| . 0,05 5 ; H | o Si CM
1842 |Ges. vom 21. . 0,10 36 s E le l a le
1843 | März 1840 |. 0,10 36 S ='| © | % w
1844 |Vereinb. 8.Mail . 0,10 36 f 8 | 6o | 60 | 4
1845 | 1841. Eing.| . 0,30 36 . 48 | 6o | 60 | 2
1846 | 1.Sept. 1841.| . 0,30 36 g ze Le.) GS
1847 [Vereinb. 6. . 0,30 36 à 48 | 60 | 60 | #4
1848 | Nov. 1843. . 0,30 36 SE 48 | Go | ele
1849 | Eing. 1. Sept. . 0,30 36 e 48 6o | 60 | 24
1850 | 1844 0,80 36 + 48 | éo | 60 | #4
1851 |Ges. vom 18.| . 0,60 36 ge 48 | éo | é | 4
1852 | Juni 1848 |. 0,60 36 Ce 38 | 6o | 60, | 2
1853 |Vereinb. vom| . 0,60 36 + 48 60 60 | 24
1854 | 4. April 1853| . 1,20 36 ES 48 | 6o | 60 | #4
1855 Eing. 1. Sept.| . 1,20 36 ei 60 60 24
1856 | 1854 ; 1,90 36 3 | 6o | &©|,#
1857 |Vereinb. 16.|. 1,20 36 2 60 60 24
1858 | Febr. 1858. . 1,20 36 38 | 6o | 60 | 24
1859 | Eing. 1. Sept. 1,50 35 f 60 6o | 18
1860 | 1859 1,50 35 48 6o | 60 | 18
1861 [Vereinb. 15.|, Os At 35 2 60 60 18
1862 März 1861. . | 1,50 16,50 18 om A4 15
1863 | Eing.1. Sept.| . 1,50 16,50 18 36 44 h 15
1864 | 1862 e 1,50 | 16,50 18 36 4 | 5
1865 [Erhöhung der| , 1,50 16.50 18 $ Se Së 44 15
1866 | Export- Ver-| . ‚1,50 17.20 18 ` | Ge Sa 44 15
1867 gütungssätze | , 1,50 17.20 18 K 6 t 42 15
1868 |Ges. v.26.Juni| . 150 | 17.20 18 Se 36 4 | 5
1869 1869. Eing.| . 1,50 17.20 18 re Ge e 44 15
1870 | 1. Sept. 1869] | 1,60 18,80 23 ‘21,60 - = o
Betriebs- i l K ni ;
jahre 15 |
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1 ée ‘ses 23 21,60 24 30 30 +
Io 1,68 18,80 23 21,60 24 | 30 | 30 n 7
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So > re 23 21,60 24 30 30 5
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| 1,60 | 18,80 23 21,60 24 30 30 15
Zuckerausfuhrprämien und Brüsseler Vertrag. 459
Ausfuhrvergütung Zuckerzoll
a) |
| Zucker-| Ent- |Rohzucker| c)
steuer- rich. | Yon | 2 ais! für allen Bruch- Syrup
Deutsche Ver- | tete ‚mindestens (UF RADOR Gien | Roh- | und | Raffi- | zoll-
Zuckersteuer- brauchs, ' Steuer | 90 Proz. = von |/uckervon| zucker|weißer | nade ‚Pflicht.
gesetze abgabe | für |Pol. u. für Kar Fang mindestens gestoß. Me-
für 100 kg) raffe TT of) 98 Proz. Zucker lasse
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M. | M. M. M. M. | M. M. M. M.
Betriebs-
jahre
1382 a + | 1,60 18,80 23 | 21,60 24 30 30 15
1883 à 1,60 18,80 23 | 21,60 | 24 30 30 15
1884 es v. 7. Julil. . . | 1,60 18,00 22,20 20,80 24 30 30 15
1885 1883. Eing. 1. . . . | 1,50 18,00 22,20 20,80 24 30 30 | 15
1886 Aug. 1553 RT: 18,00 22,20 20,80 | 24 30 30 15
1887 ÎGes. v. 1. Juni. . . | 1,60 18,00 22,20 20,80 24 30 30 15
1888 1886. Eing.1.| . . . 1,70 17,25 21,50 20,15 24 30 30 15
1889 Aug. 1886 12 1,70 8,50 10,65 10,00 30 30 30 15
1859/90 es v. 9. Juli 12 80 8,50 10,65 10,00 30 30 30 15
1891 1887. Eing. 1. 12 80 8,20 10,65 10,00 30 30 30 15
1892 Aug. 1888 12 80 8,50 10,65 10,00 30 30 30 15
1893 |Ges. v. 31. Mai 18 | 80 1,25 2,00 1,65 36 36 36 36
1894 1891. Eing.1.| 18 1,25 2,00 1,68 36 36 36 36
1895 Aug. 1892 18 1,25 2,0u 1,65 36 36 | 36 36
1896 18 1,25 2,00 1,65 36 36 36 36
1397 ` Wes, v. 27. Mai 20 2,50 3,55 3,60 40 40 40 40
1398 1896. Eing. 1. 20 2,50 3,55 3,— 40 40 40 40
1899 Aug. 1896 20 2,50 3,55 EE 40 40 40 40
1900 20 2,50 3,59 3,— 40 40 40 49
1901 20 2,50 3,55 | 3, — 40 | 40 40 40
Ausfuhrprämie wäre von allen Seiten als etwas Ungeheuerliches zu-
rückgewiesen worden. Trotzdem entstand sie unbeabsichtigt und
von den Gesetzgebern nicht gewollt durch das System der Steuer-
rückvergütung, und zwar zuerst im Interesse der Raffinerien, die
Kolonialzucker raffinierten, dafür hohe Eingangszölle entrichten mußten
und ihr Recht auf Rückvergütung bei der Ausfuhr durchsetzten. Erst
Mitte der 70er Jahre fing die deutsche Zuckerausfuhr an, die Ein-
fuhr zu überwiegen:
1876 um 37526 t 1879 um 132211 t
1877 „ 50770 t 1880 „ 129494 t
1878 „ 90156 t
Die Steuergesetze waren in einem beständigen Flusse, um sich der
stetig im Aufschwung begriffenen Industrie anzupassen. Eine kurze,
alles Wesentliche zusammenfassende Uebersicht giebt v. Lippmann
in seiner Festschrift: Die Entwickelung der deutschen Zuckerindustrie
von 1850—1900. Hier genüge der Hinweis auf obenstehende Ta-
belle’), aus der ersichtlich, daß in 60 Jahren 15 Gesetze nötig waren,
1) Nach Glanz, Märzheft der Z. d. V. d. d. Z., 1900,
460 Brukner,
also im Durchschnitt alle 4 Jahre eine neue gesetzliche Regelung
vorgenommen worden ist. Die längste Geltungsdauer hatte das Gesetz
von 1869, nämlich 14 Jahre. Während der Geltung dieses Gesetzes
stieg die Zuckererzeugung von 2 Mill. dz auf 8 Mill. dz.
Die Zuckerausfuhrprämien bestehen seit Jahrzehnten in Deutsch-
land (ebenso in Oesterreich, Frankreich, Belgien, Holland und Ruß-
land), obwohl sie niemand gewollt hat und obwohl es keinen wissen-
schaftlichen Verteidiger derselben giebt. Auch auf Friedrich List
kann man sich nicht berufen. Für ihn hatte das Schutzzollsystem
den Beruf, sich mit der Zeit selbst überflüssig zu machen. Er be-
kämpfte den Ausdruck: Treibhauspflanzen, den seine Gegner auf
geschützte Industriezweige anzuwenden pflegten, mit den Worten):
„Vernünftigerweise sollte man unter diesem Wort nur Pflanzen
begreifen, die ihrer Natur nach niemals bei uns zu acclimatisieren
sind .... nicht aber solche, die nur eine Zeit lang besonderer War-
tung und Pflege bedürfen, um bei uns in der freien Luft vollkommen
zu gedeihen und weil sie durch unsere Kunst und Sorgfalt nach
und nach bedeutend veredelt werden, noch reichlichere Früchte zu
tragen als in ihrer ursprünglichen Heimat“. Daß jede künstlich
geschaffene Industrie mit der Zeit so weit erstarken müsse, daß sie
keiner staatlichen Pflege und Fürsorge mehr bedarf, war für List
noch selbstverständlich. Diejenige Form des Schutzes, die nicht
mehr der Schaffung und Erhaltung der „produktiven Kraft“ dient,
sondern zum Angriffe eines ausländischen Marktes führt, diese
Eroberungsaufgabe der Ausfuhrprämie hat List weder gekannt noch
hätte er sie gebilligt. Es hat sie niemand gebilligt und sie ist doch
da und ist so kräftig am Leben, daß der deutsche Reichstag schon
einmal versucht hat, ihr das Lebenslicht auszublasen, durch Gesetz
von 1891, wonach die deutschen Prämien von 1897 ab ganz in Weg-
fall kommen sollten und in der Hoffnung, die anderen Prämienländer
würden seinem Beispiel folgen. Da sie nicht folgten, führte man
durch Gesetz von 1896 die Prämien wieder ein, erhöhte sogar den
früheren Satz, um einen besseren Tauschgegenstand für eine inter-
nationale Aufhebung der Prämien in der Hand zu haben. Das
Deutsche Reich war, wie Graf Posadowsky sagte, die Prämientreppe
hinabgegangen, aber keiner folgte.
Die Prämie ist entstanden durch die fortwährenden Verbesse-
rungen der landwirtschaftlichen Kultur, bessere Züchtung der Rübe,
Erhöhung ihres Zuckergehaltes, Verminderung der Zuckerverluste
in den Fabriken. Die Gesetzgebung hat die Steuerrückvergütung
immer festgelegt nach den bis dahin gemachten thatsächlichen Er-
fahrungen und vorhandenen Verhältnissen. Kaum aber war das
Ausbeuteverhältnis aus der Rübe gesetzlich zur Berechnung der
Vergütung zu Grunde gelegt, so ging die geistige Arbeit der Industrie
und Landwirtschaft wieder dahin, die Ausbeute günstiger zu ge-
stalten, Böden, Düngungsverhältnisse, Anbau, Auswahl des Samens,
1) Zollvereinsblatt 1843, S. 691.
Zuckerausfuhrprämien und Brüsseler Vertrag. 461
Entfernung der Rübenpflanzen voneinander auf dem Felde, tech-
nische Arbeitsmethoden in den Fabriken, so auszugestalten, daß die
Fabriken sich wiederum Ausfuhrprämien erarbeiteten. Diese
Entwickelung ist in den Haupterzeugungsländern eine vollständig
gleichlaufende gewesen, und es genügt darauf hinzuweisen und würde
zu weit führen, dies im einzelnen zu verfolgen. Ueberall war es
von derselben Folge für die Finanzen der betreffenden Länder be-
gleitet. Die Verbesserung und Ausdehnung der Zuckerausfuhr
führte zu empfindlichen Abnahmen des Steuerertrages und es wurde
hauptsächlich deshalb immer wieder nötig, die Gesetze zu ändern,
da die meisten Regierungen einen ausgiebigen Ertrag der Zucker-
steuer für «die Staatskassen brauchten und erhalten wollten. Als
Beispiel diene die folgende Tabelle!), aus der hervorgeht, welchen
außerordentlichen Schwankungen der Ertrag der Zuckersteuer im
Deutschen Reiche unterworfen gewesen ist.
Unter Nettoertrag ist der Ueberschuß der Einnahmen für Rüben-
steuer, Zuckersteuer, Zölle und zurückgezahlte Ausfuhrvergütungen
über die Summe aller Ausfuhrvergütungen zu verstehen.
Nettoertra e Nettoertrag
Betriebs- der x Au den Kopt Betriebs- der Zucker- uf den Kopi
: í der Bevölke- ? à 5 der Bevölke-
jahre steuer in runs in Märk jahre steuer in ring. Zë Mark
1000 M. RUES 1000 M. g à
187172 44 637 1,11 1887 33 624 0,72
1873 54 831 1,33 1888 14 677 0,31
1874 60 644 1,46 1889 30 095 0,62
1875 49 684 1,18 1889/90 80 559 1,64
1576 63 364 1,49 1591 75 760 1,52
1877 48 765 1,14 1592 72 042 1,43
1878 49 969 1,15 1593 52 215 1,03
1879 50 812 1,16 1804 82 231 1.60
1579/50 54 464 1,23 1895 85 714 1,65
1831 46 097 1,12 1896 103 701 1,97
1582 58457 1,29 1897 86 894 1,63
1853 67 287 1,49 1898 100 871 1,86
1584 47 788 1,05 1899 109 233 1,99
1885 39 369 0,86 1899/00 126 724 2,27
1586 24 492 0,53 1901 115 691 2,04
Die Schwankungen des Zuckersteuerertrages in wenigen Jahren
von 1,49 M. auf den Kopf der Bevölkerung bis auf 0,31, von 67
bis herab zu 14 Mill.M. sind nur die rein fiskalische Nebenerscheinung
der Steuergesetze und haben mit ihrer volkswirtschaftlichen Be-
deutung nichts zu thun. Aber besonders die Schwankungen nach
unten haben die Aufmerksamkeit der Regierungen aller Prämien-
länder beständig wach gehalten und den Wunsch der Herren Finanz-
minister geweckt, aus dem gleichmäßig steigenden Zucker-
verbrauche entweder eine stetig reicher fließende Einnahme-
quelle zu schaffen oder doch wenigstens eine solche, deren Ertrag
gleich bleibt und nicht unvorhergesehenerweise plötzlich abnehmen
kann. Aus diesem Grunde tauchte schon frühzeitig der Vorschlag
1) Nach Glanz, Z. d. V. d. d. Z. Märzheft 1900.
462 Brukner,
auf, anstatt der Rübensteuer eine Fabrikatsteuer einzuführen. Vom
Jahre 1860 ab ist dieser Gedanke nicht mehr verschwunden, weder
aus den Erwägungen der Regierungen, noch aus denen der Be-
teiligten. Aber gerade in letzteren entbrannten darüber heftige
Kämpfe; viele hielten die Materialsteuer für unentbehrlich, für die
Grundlage der Industrie, andere mit weiterem Blick oder aus ihren
besonderen örtlichen Interessen heraus verteidigten die Zuckersteuer.
Dieser Gegensatz ist ganz natürlich. Diejenigen, die infolge ihrer
klimatischen Lage, der Beschaffenheit ihrer Böden in der Regel
höchste Zuckerausbeuten erzielten, genossen durch das System der
Rückvergütung gezahlter Rübensteuer bei der Ausfuhr des Zuckers
nach einem gesetzlich festgelegten Ausbeuteverhältnis eine hohe, mit
steigender Ausbeute wachsende Ausfuhrprämie. Ungünstiger ge-
legene Fabriken mit tiefer liegenden Böden oder größeren Regen-
mengen erzielten eine geringe oder gar keine Prämie oder es kam
sogar dahin, daß die Ausfuhrvergütung die wirklich bezahlte Steuer
gar nicht deckte. Dieser Gegensatz machte die Industrie uneinig,
bis aus fiskalischen Gründen gegen den Widerspruch der
Mehrheit der Industrie die Zuckersteuer erst teilweise 1888 uni
dann 1892 ausschließlich in Deutschland durchgeführt wurde.
Erst die Durchführung der Fabrikatsteuer machte das bisher
gewahrte Geheimnis der Ausfuhrprämie zu einem öffentlich zu-
gestandenen Thatbestande. Bis dahin war von den Beteiligten das
Vorhandensein der Prämie vielfach bestritten worden, sie könne nur
durch besondere Intelligenz herausgeholt werden, sei nur ein un-
vermeidliches Anhängsel der segensreichen Materialsteuer. Jede neue
Erhöhung der Rübensteuer sollte die Prämie gänzlich beseitigen,
aber nie geschah es. Die Versicherungen der Beteiligten fanden
immer weniger Glauben bei den Regierungen. v. Lippmann teilt
die Aeußerung des Geh. Finanzrates Scheele mit, die er klassisch
nennt und die lautet: „Sachverständige können in ihrer eigenen
Sache keinerlei Glauben beanspruchen.“ Aehnlich äußerte sich —
bei anderer Gelegenheit — einmal H. v. Treitschke am 20. Mai
1879 im Reichstage: „.... Blicken Sie zurück, meine Herren, auf den
Gang der gesamten deutschen Handelspolitik seit jenem grund-
legenden Gesetze von 1818 bis herab zu den letzten Zollanschlüssen
nach 1866! Was finden Sie da? Jeder, auch jeder heilsame Fort-
schritt der preußischen Handelspolitik, den wir heute noch segnen,
wir Nachlebenden, vollzog sich unter dem allgemeinen Jammer-
geschrei und Weheruf nahezu sämtlicher Interessenten. Es waren
immer einige Leute, die nicht säeten und nicht ernteten, einige
Geheimräte Preußens und der Mittelstaaten, einige auch aus dem
höchst anrüchigen Stande der Professoren !) (Heiterkeit), wie z. B.
der alte Rau: Das waren die Männer, die im ganzen weiter sahen,
als der Durchschnitt der unmittelbar Beteiligten.“
1) Anspielung auf die „erhabene Geringschätzung“, mit welcher der sächsische
Agrarier Günther u. A. von der Wissenschaft gesprochen hatte. S. Walcker, Schutzzölle.
Zuckerausfuhrprämien und Brüsseler Vertrag. 463
Die Fabrikatsteuer wurde, wie alle Veränderungen der
Zuckersteuergesetze, gegen den Willen der Industrie
durchgeführt, um die Staatseinnahmen sicherzustellen und
die Ausfuhrprämie allmählich zu beseitigen. Die Regierungen hatten
nicht den Mut, die Prämie, unter deren Schutze die Zuckerindustrie
sich zur bedeutendsten Ausfuhrindustrie des Landes entwickelt hatte,
plötzlich zu beseitigen. Es wurde deshalb ihre allmähliche Ver-
ringerung und Abschaffung ins Auge gefaßt. Das Ziel der Prämien-
abschaffung wurde nicht mehr aus den Augen gelassen. Gleichzeitig
machte die Fabrikatsteuer es möglich, die Höchstsumme der vom
Staate zu zahlenden Ausfuhrvergütungen zu begrenzen. Oesterreich
ging sowohl mit der Fabrikatsteuer als auch mit der Begrenzung
voran, es bestimmte die Höchstsumme der Ausfuhrvergütungen erst
auf 5 Mill. fl, später, 1896, auf 9 Mill. fl. Deutschland folgte, wie
bereits erwähnt, durch die Gesetze von 1888, 1892 und 1896. Durch
das letzte Gesetz wurde auch eine Begrenzung der Ausfuhrzuschüsse
in der Weise vorgenommen, daß jeder Fabrik ein bestimmtes „Kon-
tingent“ zugemessen wurde, innerhalb dessen der Zucker mit einer
mäßigen Betriebsabgabe belastet war. Diese Fabriksteuer beträgt
für innerhalb des Kontingents eines Betriebsjahres abgefertigte
Mengen
bis zu 40 000 Doppelcentner 10 Pfg.
von über 40 000 bis zu 50000 Doppelcentner 121}, „
"m 50000 „ ,, 60 000 D I
(und so fort steigend) für je 100 kg Rohzucker. Wird aber das
Kontingent überschritten, so muß für jeden überschreitenden Doppel-
zentner Rohzucker ein Betriebssteuerzuschlag von 2,50 M., gleich
der vollen Höhe des Ausfuhrzuschusses, entrichtet werden. Diese
Bestimmung sollte ein allzu rasches Anwachsen der Zuckererzeugung
verhindern und eine gewisse Stetigkeit der Reichseinnahmen sichern.
Thatsächlich ist nur der letztere Zweck erreicht worden, wie die
obige Tabelle ausweist.
Aehnlich wie in Deutschland und Oesterreich sind in
den meisten Rübenzuckerländern Europas Prämien entstanden, ins-
besondere in Frankreich, Rußland, Holland und Belgien.
Aber auch jene Länder, die noch keine Zuckerindustrie besaßen,
lernten an den hervorragenden Beispielen der genannten Staaten,
daß ein kräftiger Zollschutz das Entstehen und Gedeihen der Zucker-
industrie, von den Grenzen des Zuckerrohrbaues in Spanien ange-
fangen, bis zum skandinavischen Norden ermögliche. Schweden mag
hier als typisches Beispiel aufgeführt sein, wie schnell es heute —
wo deutsche, österreichische und französische Maschinenfabriken in
der Lage und jederzeit bereit sind, den Bau ganzer Zuckerfabriken
für das Ausland zu übernehmen und dann das Beste, Neueste und
Rationellste zu liefern — möglich ist, eine Zuckerindustrie zu schaffen.
Das rasche und gewaltige Aufblühen der schwedischen Industrie er-
giebt sich aus nachstehender Tabelle.
464 Brukner,
Schweden.
Herstellung von Rübenzucker in den letzten 15 Jahren.
2. Ver- S SE g | Produktion von | Ausbeute d ER
: ze 5 agzi? | in Proz. vom ES
Betriebs- |. 5 | arbeitete | £a El Rob- ; | Rübengewicht | TS
jahr =2| Rüben | Z72#3, zucker | Melasse (SS
ER 2225, aller An) | Roh- Me | 5%
< Tonnen (SEET Tonnen | Tonnen | Zucker | lasse g“
1887/88 3 83 605 27 868 9176,1| 2487 | 10,98 2,97 | 13,08
1885/59 4 86 III 21525 | 8 880, 11 3179 | 10,51 3,69 11,96
1889/90 4 | 130813 34203 | 14 625,5] 4279 | 10,69 3,13 12,36
1890/91 6 218 229 36 372 206316) 7124| 9,45 3,26 12,09
1891/92 8 260 064 32509 | 26842,5l 7628 | 10,32 2,98 | 12,06
1892/93 10 277 443 27745 | 29 919,9 7940 | 10,78 2,56 11,94
1893/94 II 373 962 37396 | 43 167,5 9539 | 10,80 2,55 12,34
1894/95 17 628 480 36 909 | 72 890, A 17597 | 11,60 2,80 | 12,15
1895/96 18 535 149 31479 57 511,7) 15753 11,75 2,94 | 13,11
1596/97 19 890 240 46855 [105 556,2 25616 | 11,86 2,88 | 12,66
1897/98 19 716 141 37 092 88 935 20731 | 12,42 2,89 | 12,79
1898/99 19 480 931 25 312 59 316 13 154 || 12,33 2,74 | 13,37
1899/00 19 622 047 32739 | 80810 18 654 12,99 3,00 || 13,58
1900/01 19 875 912 46 101 115 547 | 13,19 | 14,14
1900/02) 19 876 000 46 105 |121 400 || 13,86 | 13,74
Auf demselben Wege der Entwickelung befinden sich seit einigen
Jahren Italien, Spanien, Rumänien.
In Italien "bestanden 1898 nur 4 Zuckerfabriken, in der letzten
Kampagne waren 33 und in der nächsten sollen 37 im Betriebe
sein. Die Einfuhr hat 1901 nur mehr 366266 dz betragen. Es ist
zu erwarten, daß selbst, wenn keine neuen Fabriken mehr hinzu-
kommen, die bestehenden in wenigen Jahren in der Lage sein werden,
den heimischen Bedarf zu decken. Auch wenn Italien dazu schreiten
sollte, aus fiskalischen Gründen den Ueberzoll zu vermindern, so
wird es doch nicht soweit gehen, der jungen Industrie das Lebens-
licht auszublasen, sondern nur soweit, daß die Industrie dabei lebens-
fähig bleibt.
Spanien hat es verstanden, seit dem Verluste Kubas (1898)
so viele Rübenzuckerfabriken zu schaffen, daß es schon im laufenden
Jahre keine Zuckereinfuhr mehr, sondern sogar eine Einschränkung
des Rübenbaues nötig hat, um nicht über den Inlandsbedarf hin-
aus Zucker zu erzeugen.
Rumänien führt schon Zucker aus, weil der Inlandskonsum
gering und die Erzeugung in den letzten Jahren rasch gestiegen ist.
Am 2. September 1900 haben die dort vorhandenen 8 Zuckerfabriken
ein Kartell gebildet, für den Verkauf im Inlande eine gemeinsame
Verkaufsstelle, welche den Inlandspreis so hoch als möglich hält,
um den Produktionsüberschuß zu jedem Preise im Auslande, haupt-
sächlich in der Türkei loszuschlagen. Der Konsum betrug früher
16—18 Mill. kg, nach Entstehen des Kartells wird er von landes-
kundiger Seite nur auf 14—16 Mill. kg geschätzt 2).
1) Se a Rare
2) Z. d. V. d. d. Z., 1901, S. 118.
Zuckerausfuhrprämien und Brüsseler Vertrag. 465
Die Zuckersteuerpolitik der Vereinigten Staaten von
Amerika war bisher eine zwar schutzzöllnerische, aber deshalb nicht
energisch, weil die Interessen dort zu verschiedenartig liegen. Der
Eingangszoll von 18 M. für 100 kg Zucker ermöglicht es der Rohr-
zuckerindustrie in Louisiana und der Rübenzuckerindustrie verschie-
dener einzelner Staaten, mit guten Gewinnen zu arbeiten. Insbe-
sondere ist das stetige Wachstum des amerikanischen Rübenbaues
nur dem Zollschutze zu danken. Seit der Besitznahme Portoricos
wird auch dortiger Zucker zollfrei nach Amerika gebracht. Die
staatsrechtliche Stellung der Philippinen und Kubas ist noch nicht
geklärt. Thatsächlich genießt der Zucker der Philippinen eine 25-proz.
Zollermäßigung, für den kubanischen Zucker ist eine solche von
20 Proz. beantragt, trotz des Meistbegünstigungsrechtes anderer
Staaten. Bisher hat die Zuckerfrage die volle Besitzergreifung Kubas
erschwert, weil die Rohrzuckerindustrie in Louisiana (Jahreserzeugung
275000 t) und die nordamerikanische Rübenzuckerindustrie (unge-
fähre Jahresleistung 150000 t) ihre bevorzugte Stellung verteidigen,
die durch zollfreien Eingang der großen Zuckermengen von den
Philippinen und Kuba verloren gehen würde. Auch ist der mäch-
tige Einfluß des Zuckertrusts dagegen, weil der Trust aus dem
Bestehen der Verschiedenheit der Zölle seinen Hauptnutzen zieht,
indem er es versteht und vermag, die Inlandspreise nahe an der-
jenigen Preisgrenze zu halten, die durch die höchsten Zölle be-
wirkt wird. Sollten aber die europäischen Staaten mit scharfen
Gegenmaßregeln gegen die Ermäßigung des Kubazolles Ernst machen,
so würde dadurch der Annexion Vorschub geleistet und sehr bald
der Ausweg gefunden werden, daß dann, um die Rübenzuckerindustrie
der Vereinigten Staaten vor dem Untergang zu schützen, eine
kleinere Verbrauchsabgabe auf Rübenzucker, eine
entsprechend höhere auf Rohrzucker gelegt würde, wäh-
rend ein hoher Zollschutz das Eindringen fremden Zuckers erschwert
oder unmöglich macht. Es muß damit gerechnet werden, daß Amerika
schon in wenigen Jahren sich selbst mit Zucker versorgt. Selbst ein
so heftiger Verteidiger der deutschen Zuckerausfuhrprämie wie der
Geschäftsführer des deutschen Zuckersyndikates, Dr. Hager +), der
die Prämie mit allen möglichen und einigen unmöglichen Gründen
verteidigt, kommt in dieser Hinsicht zum gleichen Ergebnis. „Wir
werden es erleben, sagt er, daß die einheimische Produktion Amerikas
und die zollbegünstigte Einfuhr aus Kuba, den Philippinen u. s. w.
mehr und mehr wächst und unseren Zucker aus dem Lande ver-
drängt.“ Sobald Amerika zur Annexion schreitet, ist jeder Schritt
des Auslands gegen diese Begünstigungen aussichtslos.
Zu dem Zollschutze treten in den Vereinigten Staaten noch
Prämien hinzu, welche Einzelstaaten gewährt haben oder noch
gewähren, z.B. Nebraska, Michigan und Minnesota. Jedoch
schwebt über diesen Sonderprämien das große Fragezeichen, ob sie
1) Flugblätter zur Brüsseler Konvention, No. 1.
Dritte Folge Bd, XXIII (LXXVIII). 30
466 Brukner,
mit den Staatsgrundgesetzen der Vereinigten Staaten vereinbar sind.
Der oberste Gerichtshof in Michigan hat dies bestritten!) und die
gegen den Staat klagenden labriken abgewiesen, weil durch die
Prämien das Eigentum eines Bürgers genommen wird, um es einem
anderen zu geben und dies nach der Konstitution für Privatzwecke
unzulässig sei. Der Staat Michigan hat die Prämienzahlung ein-
gestellt. Die Gegnerschaft ist auch in den anderen Staaten stark.
Immerhin bezahlen noch einige derselben direkte Erzeugungsprämien
und hat sich mit deren Hilfe die Rübenzuckerindustrie dort lang-
sam, aber stetig entwickelt.
Die Staaten Chile und Uruguai zahlen ebenfalls Erzeugungs-
prämien. Die Fabrikanten von Argentinien haben sich zu einem
Ausfuhrkartell vereinigt. In Canada sind Prämien der Zucker-
industrie zugesichert, jedoch trotzdem noch keine Rübenzuckerfabrik
zustande gekommen, obwohl die Anbauversuche mit Rüben günstige
Ergebnisse geliefert haben.
Von der Zuckerprämie gilt das Wort: „Es ist der Fluch der
bösen That, daß sie fortzeugend Böses muß gebären“. In den meisten
Ländern stützen die Beteiligten ihre Forderung nach Staatsunter-
stützung darauf, daß auch in den Nachbarstaaten eine solche ge-
währt wird. Am besten hat sich dieser internationale Zusammen-
hang aller Prämien 1896 gezeigt, als sofort, nachdem die Absichten
des Deutschen Reiches, die Prämie zu erhöhen, bekannt geworden
waren, in den übrigen Zuckerländern eine allgemeine Gärung ent-
stand, der es rasch — noch ehe das deutsche Gesetz fertig war —
gelang, die Prämien für ihre Erzeugung ebenfalls zu erhöhen. Keiner
wollte nachgeben und im Wettbewerb zurückstehen, und so sind
Zuckererzeugung und Staatshilfe in der ganzen weiten Welt ge-
wachsen. Einfuhrländer sind zur Zuckerausfuhr übergegangen oder
befriedigen wenigstens ihren Bedarf an Zucker durch eigenen Rü-
benbau.
Alle diese Vorgänge, die Schaffung und Erstarkung der Zucker-
industrie in Schweden, Italien, Spanien, Rumänien, den Vereinigten
Staaten, ebenso auf fast allen Gebieten der Welt, selbst in Australien,
haben sich während und trotz der energischen Ausfuhr-
prämienpolitik des alten Europa abgespielt, und es ist kein
Grund anzunehmen, warum dieser Entwickelungsgang unterbrochen
werden sollte, ob die alten Zuckerländer ihre Prämien behalten oder
nicht. Wie sich Europa von dem englischen Industriemonopol, das
Anfang des vorigen Jahrhunderts bestand, so machen sich jetzt fast
alle Länder, die bisher Zucker aus dem Auslande bezogen, von
diesem unabhängig und heben durch Schaffung von hohen Eingangs-
oder Ausgleichszöllen, von direkten Erzeugungsprämien, Staatshilfen
aller Art die Wirkung der Ausfuhrprämien anderer Länder auf und
was das Wichtigste ist, sie entfallen für die Zukunft als willige Ab-
nehmer der ungeheueren Zuckerausfuhr der Prämienländer.
Von dieser Ausfuhr giebt folgende Tabelle ein Bild.
1) D. Z., 1901, $. 95.
Zuckerausfuhrprämien und Brüsseler Vertrag. 467
Zuckerausfuhr aus Europa in Tonnen.
| 1804/95 | 1895,96 | 1896/97 | 1897/98 | 1898/99 | 1899/00 | 1900/01
Deutschland] 1 046 043 | 958 129 | 1237 521 | 1041 801 1008038 | 973 863 | 1 144 239
Oesterreich 452884 504531 565 106| 493455 | 719018] 707 410 693 271
Frankreich 333 096 | 248 388 360098 | 463672| 271455 | 565 950 761 015
Holland 133 650 | 160 008 176455 150403 | 158003| 148 956 152 318
Belgien 109 081 | 143 869 185681 | 242481 178 324 | 239 845 306 336
zusammen
2074754 | 2014 925 | 2 524 861 | 2 391 812 | 2 334 838 | 2 636 024 | 3 057
tußland
179
85 472| 181 454 114748 | 163 200 108 199 | 209933 | 163 627
6
zusammen |2 160 226 | 2 196 379 | 2 639 609 2555 oz? 443 037 | 2 845 957 3 220 806
Die Ausfuhr Europas war 1900/01 auf 3220806 t gestiegen.
Die Erzeugung des laufenden Betriebsjahres wird die des Vorjahres
nach bisheriger Uebersicht und Schätzung um 800 000 t übertreffen.
Da auf eine nennenswerte Zunahme des europäischen Verbrauches
infolge des Umstandes, daß fast in allen Staaten Europas der Zucker-
preis durch Steuern und Kartelle stark belastet ist und die Erwerbs-
verhältnisse auch zu wünschen lassen, nicht gerechnet werden kann,
so steigt das Ausfuhrbedürfnis des laufenden Jahres auf rund 4 Mill. t.
Es ist nun die Frage, ob diesem Ausfuhrbedürfnis irgendwo eine
entsprechende Einfuhrmöglichkeit gegenübersteht. |
Nach allem bisher Vorgetragenen muß es schon klar sein, daß
eine solche Aufnahmefähigkeit nirgends besteht, daß in den meisten
bisherigen Absatzgebieten die einheimische Zuckererzeugung über
den Bedarf hinauswächst oder den Bedarf selbst zu decken bestrebt
ist. Auch ist es ganz unerfindlich, wie anders die ungeheueren Welt-
bestände beseitigt werden können, als durch zwei Mittel: Einschrän-
kung der Zuckererzeugung und Steigerung des Verbrauches.
Alle bisherigen Krisen haben den Verlauf genommen, daß die
Einschränkung dem Rübenbau zur Last fiel, selbst in jenen Zeiten,
in denen der Rohrzucker noch nicht den Vorzug besaß, zu geringeren
Zöllen in große Konsumgebiete Eingang zu finden. Es liegt dies
in der Natur der Sache selbst. Das Zuckerrohr ist eine mehrjährige
Pflanze, von der eine lange Reihe von Jahren hindurch geerntet
werden kann und eine plötzliche Einschränkung der Kultur ist gar
nicht möglich. Es geht den Besitzern von Rohrpflanzungen ebenso
wie den Waldeigentümern. Wie letztere alljährlich eine gewisse
Menge Holz herausnehmen müssen und herausnehmen, ob das Holz
billig oder teuer verkauft werden kann, ebenso schneiden jene all-
jährlich das Rohr, solange der Preis des Zuckers das Schneiden
und Reinhalten des Ackers noch lohnt, d. h. einen Ueberschuß läßt,
sei er auch noch so gering. Die Besitzer der Pflanzungen nehmen
doch lieber eine kleine Rente als gar keine. Sind sie zu sehr ver-
schuldet, dann gehen sie vielleicht zu Grunde, und der Uebernehmer
erntet das Rohr, aber das Rohr, das thatsächlich wächst, wird auch
dann geworben, und so muß man der Thatsache Rechnung tragen,
daß der Rohranbau schon der Natur der Sache nach nicht abnimmt.
30*
468 Brukner,
Hingegen sind die Rohrzuckerernten erheblich wechselnder und
mehr von Sonne und Regen beeinflußt, als die Rübenzuckerernten.
Da im letzten Jahrzehnt viele Zuckereinfuhrländer, sei es, daß sie
besondere Interessen mit den Kolonien verbinden oder aus anderen
Gründen, der europäischen Prämienpolitik Trotz geboten haben,
durch Einführung von Ausgleichszöllen, so genießt der
Rohrzucker einen größeren Markt, wenn auch keinen wesentlich
höheren Preis und wird deshalb in Handelskreisen sogar mit weiterer
langsamer Zunahme der Rohrzuckererzeugung gerechnet. Ins-
besondere ist bestimmt zu erwarten, daß Kuba die Höhe der Pro-
duktion, die es vor dem Kriege schon erreicht hatte, bald wieder
erreichen oder überschreiten werde.
Die Einschränkung obliegt demnach ganz allein
dem Rübenbau. Es scheiden aber dabei von vornherein die-
jenigen Länder aus, die an der Zuckerausfuhr nicht beteiligt und
deren Zuckerproduktion durch hohe Schutzzölle für den heimischen
Bedarf gesichert ist: Italien, Spanien, Rumänien !), Schweden !),
Dänemark, die Vereinigten Staaten. Die Zuckerausfuhrstaaten (s.
obige Tabelle) werden die ganze Einschränkung auf ihre Schul-
tern nehmen müssen. Diese Einschränkung muß eintreten, ob
diese Staaten ihre Prämien weiter bezahlen oder nicht. Je größer
die Ausfuhr eines Staates, um so empfindlicher ist dieser Zwang,
am empfindlichsten daher für das Deutsche Reich. Die Größe der
Einschränkung, die nötig ist, um Angebot und Nachfrage wieder in
Einklang zu bringen, ergiebt sich aus folgender Betrachtung.
Zuckerbestände am 1. Sept. 1901 975 000 t
Rübenzuckererzeugung 1901/02 6 900 000 t
Rohrzuckererzeugung 1901/02 3 550 000 t
Verfügbar für das Betriebsjahr 1901/02 11 425 000 t
Voraussichtlicher Verbrauch 9 200 000 t
Restbestand am 1. Sept. 1902 2 225 000 t
Sollen durch das nächste Betriebsjahr diese Restbestände soweit
vermindert werden, daß sie auf ein normales Maß von 900 000 bis
1 000 000 t zusammenschmelzen, so müßte, wenn eine nennenswerte
Steigerung des Verbrauches nicht eintritt und die Rohrzucker-
erzeugung nur auf ihrer bisherigen Höhe bleibt, an Rübenzucker
um 1225 bis 1325000 t, sagen wir rund um 1300000 t von den
Ausfuhrländern Deutschland, Oesterreich, Frankreich, Rußland, Belgien
und Holland weniger erzeugt werden, der diesjährigen Ausfuhr dieser
Länder von 4 Mill. t gegenüber 32 Proz. Die Produktion dieser
Länder wird für das laufende Jahr auf 6313000 t geschätzt; es
müßte demnach eine Produktionseinschränkung von 20,6 Proz. platz-
greifen.
Die Schwierigkeit dieser Einschränkung soll nicht geleugnet
werden, doch wird sie allgemein überschätzt. Aber es handelt sich
nicht allein um diese einmalige Einschränkung, sondern darum, daß
1) Die geringfügige Ausfuhr kommt als unerheblich nicht in Betracht.
Tabelle, Beilage zu S. 169.
90 Camp. 1900/ 01. Camp. 1901/ 02.
I48 T. Erzeugung Europa 6,068,994 T. || Erzeugung Europa rei 6,800,000 T.
df ” n Kolonieen 2,990,427 ” e Kolonieen (ei 3,525,000 ”
94 T. Total nach H. Licht 9,059,421 T. || Total nach H Licht(e) 10,325,000 T.
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Zuckerausfuhrprämien und Brüsseler Vertrag. 469
deren Ursachen fortwirken und von Jahr zu Jahr mit weiterer Ab-
nahme der Ausfuhrmöglichkeit gerechnet werden muß und aller
Voraussicht nach nicht alle Staaten zur Einschränkung bereit sind
und auch in den einzelnen Staatsgebieten große Verschiedenheiten
obwalten. Die Staatsmänner haben nicht nur mit der Lage des
Augenblicks, sondern auch mit der Zukunft zu rechnen.
Die gewaltige Mehrerzeugung dieses Jahres hat die Zucker-
preise auf einen Tiefstand herabgedrückt, den noch vor Jahresfrist
niemand für möglich gehalten hätte. Preisbewegung der letzten
Jahre siehe graphische Darstellung, die wir mit Erlaubnis des
Bankhauses F. A. Neubauer, Hamburg, hier zum Abdruck bringen.
Die niedrigen Preise verlieren in den Ausfuhrprämienländern
ihre Schärfe zum Teil dadurch, daß die Zuckerfabrikanten, außer
dem Weltmarktpreise noch die staatliche Prämie erhalten, zum Teil
durch die zwar nicht durch den Staat, aber unter dem Schutz seiner
Gesetze aufgebrachten Zuwendungen, die man den Kartellnutzen
nennen kann. Zuckerkartelle bestehen im Deutschen Reiche, in
Oesterreich-Ungarn für die gesamte Zuckerindustrie, in Frankreich
unter den Zuckerraffineuren, ferner in Ländern, die für die Ausfuhr
wenig in Betracht kommen, wie Rumänien, Spanien, Argentinien.
Das Wesen der Kartelle in den beiden Hauptländern, die
?/, der europäischen Ausfuhr leisten, Deutschland und Oester-
reich, ruhen auf denselben Prinzipien. Der für das Inland erforder-
liche Zucker wird bis zu derjenigen Grenze, die der Eingangszoll
ermöglicht, verteuert und der erzielte Ueberpreis anteilig auf die
gesamte Produktion ausgeschüttet. Wesen und Wirkung des
Kartellnutzens sind dem der Prämien ganz gleich. Nur daß die
Prämien in den meisten Staaten von der Preishöhe des Weltmarktes
unabhängig sind, der Kartellnutzen aber bei steigendem Weltmarkt-
preise sich verringert und z. B. für die deutschen Rohzuckerfabriken
bei einem Preise von 12,75 Magdeburger Notierung, den wir (siehe
graphische Darstellung) 1896 und 1900 erreicht und überschritten
haben, ganz verschwindet. Bei Mindestpreisen von 9,35 M. und
darunter erreicht der deutsche Kartellnutzen für die Rohzucker-
fabriken sein höchstes Maß.
Es sei bei dieser Gelegenheit auf den einschneidenden Gegen-
satz hingewiesen, der zwischen dem deutschen Rohzucker und Raf-
fineriegewerbe besteht und dessen markantester Ausdruck wohl
darin liegt, daß für die Raffinerien deren ungeheurer
Nutzen aus dem Kartell ganz unabhängig von der Weltlage des
Artikels Zucker bei jedem Zuckerpreise fast ungeschmälert bleibt,
daß aber der an sich schon bescheidene Nutzen der Roh-
zuckerfabriken sich mit steigenden Zuckerpreisen verringert
und bei angegebener Höhe ganz verschwindet.
Das Kartell war für die Rohzuckerfabriken von Anfang an eine
Art Versicherung gegen einen tiefen Stand der Zuckerpreise und
sollte, soweit es geht, die niedrigen Preise ausgleichen. Thatsächlich
wirkt es auch in den beiden Hauptländern so, hat aber gerade durch
470 Brukner,
diese Art seiner Wirksamkeit zweiganzunentbehrlicheSicher-
heitsventile für kritische Zeiten außer Betrieb gesetzt. Ein
Sicherheitsventil war bisher bei niedrigen Preisen das starke Ein-
greifen des Konsums, der aber unter dem Kartell fast gleichmäßig
hohen Zuckerpreisen gegenüber steht; das andere Sicherheitsventil
ist die Einschränkung des Anbaues, die nach der Krisis 1894/95
sofort eintrat, während jetzt durch die Aussichten auf höheren
Kartellnutzen die Einschränkung nur langsam, widerwillig und un-
zureichend bewirkt wird. Daher gingen die Preise auch viel tiefer
herab, als sonst nötig gewesen wäre.
Die ganze Schwere der Krisis traf die Kolonien, die keine Kar-
telle und Prämien haben und die zwar ihre Produktion nicht ein-
schränken, aber ihre Ernte zu jedem Preise verkaufen müssen. Sie
haben deshalb schon seit Jahren ihren ganzen Einfluß aufgeboten,
um ihre Mutterländer zu einer kräftigen Politik gegen das System
der Ausfuhrprämien und Kartelle anzuspornen. Sie konnten mit
Recht behaupten, daß durch Prämien und Kartelle der Weltmarkt-
preis so herabgedrückt werde, daß ihre Plantagen überhaupt keine
Rente mehr abwerfen und daher die Prämienfrage für sie eine
Existenzfrage sei. Unter dem Drucke der gegenwärtigen Notlage
ist es insbesondere den englischen Kolonien gelungen, das Ohr der
englischen Regierung zu finden. Amerika ist ja schon seit Jahren
gegen die Prämien durch Ausgleichszölle vorgegangen, Australien,
Kanada und Ostindien waren diesem Beispiele gefolgt. England
ist der einzige große Zuckerkäufer, der den Zucker ohne
Rücksicht auf seine Herkunft zu gleichen Bedingungen einläßt. Es
ist unter Einsichtigen ohne weiteres klar, daß England durch
Schließung seiner Thore für Prämienzucker bezw. Uebergang zu
Ausgleichszöllen nach dem Vorbilde Amerikas, wo außer dem
Generalzoll für Zucker jeder Herkunft noch ein Zuschlagszoll in
Höhe der Ausfuhrprämie seines Ursprungslandes bezahlt werden
muß, über das Schicksal sämtlicher Ausfuhrprämien zu entscheiden
hat. Denn es wäre ein Widersinn, mit teueren Geld-
opfern Ausfuhrprämien zu bezahlen, wenn diese
Prämie in den Einfuhrländern durch Zuschlagszölle
aufgehoben werden.
Lange war England unentschlossen, zu Gunsten seiner Kolonien
der Prämienpolitik Europas mit voller Macht entgegenzutreten,
weil der englische Konsument sich des billigsten Zuckers der Welt
erfreute und jede Erhöhung der Prämien als direktes Geschenk be-
trachtete; brachte sie doch eine Erniedrigung des Weltmarktpreises.
Auch hatte sich auf Grund dieser niedrigen Preise nicht nur ein
riesiger Zuckerkonsum im Lande entwickelt, sondern auch eine große
Konfitüren-, James- und Marmeladenindustrie, die sich ihren not-
wendigsten Rohstoff nicht gerne verteuern lassen wollte. Es mußte
erst die Not dieser gewaltigen Krisis über die Kolonien herein-
brechen, auch der Gedanke des Größer-Britannien etwas er-
starkt sein, um die englische Regierung zu veranlassen, die ganze
Zuckerausfuhrprämien und Brüsseler Vertrag. 471
Macht, die sie als Vertreterin des größten Zuckerkäufers und des
letzten offenen Thores besitzt, anzuwenden, wie dies in der letzten
BrüsselerZuckerkonferenznunmehr thatsächlich geschehen ist.
Da England zu dem Entschluß gekommen war, von dieser Macht
Gebrauch zu machen, wußte es den Ernst seiner Absichten den
europäischen Regierungen klarzumachen und die am 16. Dez. 1901
eröffnete internationale Prämienkonferenz führte im Gegensatze zu
allen ihren zahlreichen Vorgängerinnen zu einem greifbaren
Ergebnis, einem Uebereinkommen der wichtigsten europäischen
Zuckerausfuhrländer und Englands. Auch die Länder, die Zucker
zwar nicht ausführen, aber doch für ihren eigenen Bedarf erzeugen,
sind in gewisser Weise an dem Uebereinkommen beteiligt, wie sich
aus dessen Inhalt ergiebt.
Das Brüsseler Uebereinkommen hat in deutscher Uebersetzung folgenden
Wortlaut:
„Seine Majestät der deutsche Kaiser, König von Preußen u. s. f. (folgen die
Namen der Oberhäupter der beteiligten Staaten) haben, um einerseits dem Wunsche
zu entsprechen, den Wettbewerb zwischen dem Rübenzucker und dem Rohrzucker
der verschiedenen Erzeugungsländer auszugleichen und andererseits zur Entwickelun
des Zuckerverbrauches beizutragen, und da dieses doppelte Ergebnis nur dure
die Abschaffung der Prämien und die Einschränkung des Ueberzolls erreicht werden
kann, beschlossen, zu diesem Behufe einen Vertrag zu errichten und zu ihrem Be-
vollmächtigten ernannt (folgen die Namen), die nach Prüfung der in Ordnung be-
fundenen Vollmachten übereingekommen sind, die nachfolgenden Artikel festzu-
stellen :
Art. 1. Die hohen vertragschließenden Parteien verpflichten sich, von dem
Zeitpunkte an, wo dieses Abkommen in Kraft tritt, die direkten und indirekten
Prämien aufzuheben, welche die Erzeugung oder die Ausfuhr von Zucker genossen
haben und keinerlei besondere Anemi anea während der ganzen Dauer dieses
Abkommens einzuführen.
Bei der Anwendung dieser Bestimmung sollen dem Zucker die gezuckerten
Waren gleichgestellt sein, als da sind Eingemachtes, Chokolade, Bisquits, konden-
sierte Milch und alle anderen ähnlichen Erzeugnis, die in einem ansehnlichen
Verhältnis Zucker enthalten, der ihnen künstlich zugesetzt wurde.
Es fallen unter diese Bestimmung alle jene Vorteile, die direkt oder indirekt
sich für die verschiedenen Arten der Produzenten aus der Steuergesetzgebung der
Staaten ergeben, namentlich: a) die direkten Begünstigungen, die für den Fall der
Ausfuhr gewährt werden; b) die direkten Vergütungen, die den Produzenten zu-
gewendet werden; c) die Steuernachlässe, die zum ganzen oder zu einem Teilbetrag
für einen Teil der Erzeugnisse bewilligt werden ; d) die Vorteile, die sich aus
Ueberschüssen der Zuckerausbeute ergeben; e) die Vorteile, die sich
aus einer Uebertreibung der Drawbacks (Rückvergütungen) ergeben; f) die Vor-
teile, die sich aus jedem Ueberzoll ergeben, dessen Höhe die im Art. 3 normierte
Grenze überschreitet.
Art. 2. Die hohen vertragschließenden Parteien verpflichten sich, dem Regime
der steuerfreien Läger unter dauernder Ueberwachung bei Tag und Nacht seitens
der Beamten der Steuerbehörden die Fabriken und Zuckerratfinerien, sowie alle
Gebäude zu unterwerfen, in denen aus Melasse Zucker hergestellt wird. Zu diesem
Zwecke sollen die Fabriken in der Weise eingerichtet werden, daß sie alle Bürg-
schaften bieten gegen heimliche Wegnahme von Zucker und daß die Beamten der
Steuerverwaltung die Möglichkeit haben, in alle Teile der Fabriken einzudringen.
Ueber alle Stufen der Fabrikation werden Kontrollbücher geführt. Der fertiggestellte
Zucker soll in besondere Läger eingelagert werden, die alle erforderlichen Bürg-
schaften der Sicherheit bieten.
Art. 3. Die hohen vertragschließenden Parteien verpflichten sich, den Ueber-
zoll auf den Höchstbetrag von fr. 6 tür 100 kg raffinierten und mit diesem gleich-
472 Brukner,
haltigen Zucker und auf fr. 5,50 für anderen Zucker zu begrenzen, das heißt auf
den Unterschied zwischen dem Zollsatze, dem die ausländischen Zucker unterworfen
sind, und dem Steuersatze, den der inländische Zucker bezahlt. Diese Be-
stimmung betrifft nicht den Zollsatz der keinen Zucker er-
zeugenden Länder; sie ist auch nicht auf die Nebenerzeugnisse der Zucker-
fabrikation und Zuckerraffination anwendbar.
Art. 4. Die hohen Vertragsmächte verpflichten sich, die aus solchen Ländern,
welche Produktions- und Ausfuhrprämien bezahlen, auf ihr Gebiet eingeführten
Zucker mit einem besonderen Zoll zu belegen. Dieser Zoll darf nicht geringer sein
als der Betrag der direkten oder indirekten Prämien, die in dem Herkunftsland
bezahlt werden. Die hohen Vertragsmächte behalten sich das Recht vor, einzeln
die Einfuhr von Prämienzucker zu verhindern. Für die Bewertung der aus dem
unter Lit. f des Art. 2 bezeichneten Ueberzolle entspringenden Vorteile wird der
im Art. 4 bestimmte Betrag von dem Betrage dieses Ueberzolles abgezogen ; die
Hälfte des Unterschiedes gilt als Betrag der Prämie, und die im Art. 8 erwähnte
Kommission hat das Recht, den so ausgerechneten Betrag auf das Verlangen eines
Staates zu revidieren.
Art. 5. Die hohen Vertragsmächte verpflichten sich gegenseitig, zu dem
niedrigsten Einfuhrzollsatze den Bebe aus den Vertragsländern oder aus deren
Kolonieen zuzulassen, die keine Prämien bezahlen und sich den Bestimmungen des
Art. 6 unterwerfen.
s Rohzucker und Rübenzucker können nicht mit verschiedenen Zöllen belegt
werden.
Art. 6 Spanien, Italien, Rumänien und Schweden sind von der
im Art. 1 enthaltenen Verpflichtung über die Erzeugungsprämien, sowie den Ver-
KE en der Art. 3 und 4 solange entbunden, als sie keinen Zucker aus-
ühren. Diese Staaten verpflichten sich, ihre Zuckergesetzgebung längstens binnen
Jahresfrift den Bestimmungen des Abkommens anzupassen. Diese Frist ıst zu be-
rechnen von dem Augenblick an, wo die ständige Kommission durch Stimmen-
mehrheit festgestellt haben wird, daß die oben erwähnten Bedingungen zu bestehen
aufgehört haben.
Art. 7. Die hohen Vertragsmächte kommen überein, eine ständige inter-
nationale Kommission zu schaffen, die damit betraut wird, die Ausführung der
Bestimmungen dieses Abkommens zu überwachen. Diese Kommission wird aus
Vertretern der vertragschließenden Staaten zusammengesetzt, und es wird ihr ein
ständiges Bureau angeschlossen. Die Kommission wählt einen Vorsitzenden. Sie
wird ihren Sitz in Brüssel haben und auf Einberufung des Vorsitzenden zu-
sammentreten. Die Vertreter haben folgende Aufgaben: a) festzustellen, ob in den
vertragschließenden Staaten keinerlei direkte oder indirekte Prämien für die Er-
zeugung gewährt werden; b) festzustellen, ob die im Art. 6 bezeichneten Staaten
dauernd der in diesem Artikel vorgesehenen besonderen Bedingung entsprechen;
c) festzustellen, ob Prämien bestehen in Ländern, die dem Abkommen nicht
beigetreten sind, und die Höhe dieser Prämien hinsichtlich der Anwendung des
Art. 4 abzuschätzen; d) die Kommission hat ihre Meinung abzugeben über streitige
Fragen; e) die Anforderungen wegen Zulassung zu dieser Vereinigung zu unter-
suchen, die von denjenigen Staaten ausgehen sollten, die an dem gegenwärtigen
Abkommen nicht beteiligt gewesen sind.
Die Kommission hat die Aufgabe, Auskünfte zu sammeln in Bezug auf die
Zuckergesetzgebung und die Statistik nicht nur der vertragschließenden, sondern
auch der anderen Länder. ,
Um die Ausführung dieser Arbeit zu sichern, werden die Vertragsmächte auf
diplomatischem Wege der belgischen Regierung, die sie der Kommission zukommen
lassen wird, die Gesetze und Verordnungen ihrer Länder über die Zuckerbesteuerung
und alles, was sonst mit diesem Gegenstand in Verbindung steht, mitteilen.
Jede Vertragsmacht kann in der Kommission von einem Abgesandten oder
einem solchen und einem Beigeordneten vertreten sein. Oesterreich und Ungarn
werden getrennt als Vertragsinächte angeschen.
Die erste Versammlung der ständigen Kommission wird in Brüssel durch
die belgische Regierung einberufen werden, und zwar 3 Monate vor dem Inkraft-
treten dieses Vertrags. Die Kommission hat nur einen feststellenden und prüfenden
Zuckerausfuhrprämien und Brüsseler Vertrag. 473
Charakter. Sie wird über alle ihr vorgelegten Fragen einen Bericht verfassen und
diesen an die belgische Regierung richten, die ihn den beteiligten Regierungen mit-
teilen und auf BIST einer Vertragsmacht den Zusammentritt einer Konferenz
veranlassen wird, die dann ihrerseits die durch die Umstände gebotenen Beschlüsse
fassen oder Maßregeln ergreifen wird. Indes werden die unter b und c erwähnten
Feststellungen einen vollstreckenden Charakter haben und durch einen Mehrheits-
beschluß festgelegt werden, der nach 2 Monaten in Kraft tritt. Jede Macht hat
eine Stimme. Wenn eine Vertragsmacht gegen einen Beschluß der Kommission
Berufung einlegen will, so muß sie binnen 8 Tagen nach der Zustellung der Ent-
scheidung eine neue Beratung der Kommission veranlassen. Letztere wird dringlich
zusammentreten und innerhalb eines Monats nach der Berufung endgültig ent-
scheiden. Die neue Entscheidung wird spätestens in 2 Monaten vollstreckbar sein.
Die Unkosten, die aus der Einrichtung und Thätigkeit der Kommission erwachsen
(mit Ausnahme der Gehälter und der Entschädigung für die Vertreter, die von
den betreffenden Ländern bestritten werden), werden von allen Vertragsmächten
getragen und nach einem von der Kommission zu regelnden Modus verteilt.
Art. 8. Die hohen vertragschließenden Mächte verpflichten sich, für sich und
ihre Kolonieen, mit Ausnahme der autonomen englischen Kolonieen und Britisch-
Ostindiens, die notwendigen Maßregeln zu treffen, um zu erreichen, daß prämiierter
Zucker, der im Durchgangsverkehr durch ein Vertragsland geht, die Vorteile des
Vertrags auf dem Bestimmungsmarkt nicht genießt. Die ständige internationale
Kommission wird in dieser Hinsicht Vorschläge machen.
Art. 9. Die an dem Vertrag nicht teilnehmenden Staaten können zum Beitritt
zugelassen werden auf ein Gesuch hin, dem die Kommission zustimmt. Das Gesuch
muß auf diplomatischem Wege an die belgische Regierung gehen und wird von
dieser weiter gegeben. Der Beitritt umfaßt die Teilnahme an allen Lasten und
Vorteilen, die durch den gegenwärtigen Vertrag festgelegt sind und wird wirksam
von dem 1. September ab, der auf die von der belgischen Regierung den Vertrags-
mächten gemachten Mitteilungen folgt.
Art. 10. Der Vertrag tritt in Kraft am 1. September 1903 und bleibt auf
die Dauer von 5 Jahren wirksam. Er ist weiter gültig von Jahr zu Jahr, falls
nicht eine Vertragsmacht 12 Monate vor dem Endtermin Einsprüche macht. Wenn
eine Vertragsmacht den Vertrag kündigen sollte, hat dies nur Wirkung für sie
allein. Die anderen Mächte behalten bis zum 31. Oktober des Jahres, in welchem
die Kündigung geschieht, die Befugnis, ihre Absicht eines sich anschließenden
Rücktritts für den 1. September des folgenden Jahres kundzugeben. Sollte mehr
als eine Macht sich zurückziehen, so würde binnen 3 Monaten eine Konferenz
der Mächte in Brüssel zusammentreten, um die zu ergreifenden Maßregeln zu be-
raten.
Art. 11. Die Bestimmungen des Vertrages finden Anwendung auf die über-
seeischen Provinzen, Kolonien und fremden Besitzungen der Vertragsmächte. Es
sind ausgenommen die britischen und niederländischen Kolonien und Besitzungen
(hinsichtlich deren Erklärungen ins Schlußprotokoll aufzunehmen sind), was die
Bestimmungen der Art. 5 und 8 anlangt.
Art. 12. Die Ausführung der Vertragsverpflichtungen ist dem Bedürfnis der
Erfüllung der Förmlichkeiten und Regeln untergeordnet, welche die Verfassungen
der beteiligten Länder vorschreiben. Der Vertrag wird vollzogen werden, und die
Urkunden werden im Ministerium des Aeußeren zu Brüssel am 1. Februar 1903
oder, falls dies geschehen kann, auch früher niedergelegt werden. Es versteht sich
von selbst, daß der Vertrag nur rechtsverbindlich ist, wenn er wenigstens von den
Vertragsmächten vollzogen ist, auf die sich die Ausnahmebestimmung des Art. 6
nicht bezieht. Falls eine oder mehrere Mächte die Vollziehungen in dem vor-
esehenen Zeitraum nicht bewirkt haben, soll die belgische Regierung sofort eine
sntscheidung der anderen Mächte über das Inkrafttreten des Vertrags unter ihnen
allein herbeiführen.
STARS dessen haben die bevollmächtigten Vertreter diesen Vertrag unter-
zeichnet.
474 Brukner,
Schlußprotokoll.
Vor der Unterzeichnung des Abkommens über die Behandlung des Zuckers
zwischen den Regierungen von ... haben die unterfertigten Bevollmächtigten
folgendes vereinbart:
Zu Art. 3. Da der Ueberzoll bezweckt, den Markt eines jeden Zucker er-
zeugenden Landes wirksam zu schützen, behalten die hohen vertragschließenden
Parteien sich das Recht vor, eine Erhöhung des Ueberzolles eintreten zu lassen in
dem Falle, wo bedeutende Mengen Zucker aus einem Vertragsstaate in ihr Land
eindringen würden. Die Erhöhung würde nur den Zucker aus diesem einen Ur-
sprungslande treffen. Der Antrag ist der in Art. 7 erwähnten Kommission zu
unterbreiten, die in kurzer Frist über die Berechtigung der Maßregeln, die Dauer
ihrer Anwendung und Bemessung der Erhöhung, die jedoch fr. 1 für 100 kg nicht
übersteigen darf, entscheiden wird. Die Kommission kann der Erhöhung nur
zustimmen, wenn der betreffende Markt überladen sein sollte infolge einer that-
sächlichen wirtschaftlichen Schwäche (infériorité) und nicht infolge einer künst-
lichen Preiserhöhung durch ein Einvernehmen der Produzenten.
Zu Art. 11. Die großbritannische Regierung erklärt: 1) Während der Geltung
des Abkommens soll für Zucker aus den Kronkolonieen keine direkte oder indirekte
Prämie gewährt werden. 2) Sie erklärt ferner: Als Ausnahmemaßregel und unter
Vorbehalt ihrer Handlungsfreiheit mit Bezug auf die friedlichen
Verbindungen zwischen Großbritannien und seinen Kolonien
und Besitzungen wird während der Geltung des Abkommens dem Kolonial-
zucker gegenüber dem ausländischen Zucker kein Vorzug gewährt werden. 3) Sie
erklärt, daß das Abkommen durch ihre Vermittelung den selbständigen Kolonien
und Ostindien unterbreitet werden wird, damit sie die Möglichkeit haben, ihm beizu-
treten. Es ist ausgemacht, daß die Regierung Seiner britischen Majestät das Recht
hat, dem Abkommen im Namen der Kronkolonien beizutreten. — Die Regierung der
Niederlande erklärt, daß während der Geltung des Abkommens dem Zucker aus
niederländischen Kolonien keine direkte oder indirekte Prämie gewährt werden soll,
und daß solcher Zucker in die Niederlande zu keinem geringeren Satze cin-
geführt werden darf, als der Zucker aus anderen Vertragsstaaten.
Urkundlich dessen u. s. w.
Die Entscheidung wird bei den Parlamenten der beteiligten
Staaten liegen, aber nach der Stellungnahme, die sie bisher einge-
nommen haben, ist kaum daran zu zweifeln, daß sich in allen Staaten,
selbst in Frankreich, eine Mehrheit für eine dem Brüsseler Ueber-
einkommen entsprechende Aenderung der Steuergesetze finden wird.
Standen doch die meisten dieser Parlamente schon bisher auf dem
Standpunkt, daß die Prämien nur der lieben Nachbarn wegen nötig
seien, die ebenfalls Prämien bezahlen. Und selbst die Industrie
hat wiederholt sowohl im Deutschen Reich als auch in Oesterreich
durch ihre Organe erklärt, daß sie der Prämien entraten kann bei
allgemeiner Aufhebung derselben. Nun wird freilich jetzt von ein-
zelnen Beteiligten, insbesondere von Heißspornen !), darauf hinge-
wiesen, daß noch nicht alle Staaten beteiligt seien. Aber das war
ja stets vorauszuschen, daß einzelne kleine, nicht in Frage kom-
mende, weil unbedeutende Staaten sich nicht anschließen würden,
z. B. die Schweiz, die nur 1 kleine Fabrik hat, oder Chile und
Argentinien. Ueber das Draußenbleiben der Vereinigten Staaten
und Rußlands, der beiden einzig erheblichen Gebiete, werden wir
eine besondere Untersuchung anzustellen haben. Daß wirklich alle
1) S. Edmund Blappers „Deutsche Agrarzeitung‘, Heft 1 und ff., 1902.
Zuckerausfuhrprämien und Brüsseler Vertrag, 475
Staaten sich je anschließen werden, wurde von niemandem gedacht
oder auch nur angestrebt. Der österreichische Ackerbauminister
fand nach dem Protokoll der Zuckerenquete 1895 die Zustim-
mung der versammelten Fachleute, Zuckerfabrikanten und
Landwirte, als er in seiner Schlußrede bemerkte: „Ich glaube, daß
es nicht so ganz aussichtslos ist, als es meist befürchtet wird, auf
internationalem Wege irgendwelche Mittel zu finden, um der jetzigen,
wirklich sehr drückenden Krise entgegenzuarbeiten. Ich möchte
da aber allerdings die Einschränkung machen, daß ich unter inter-
national nicht die ganze Welt verstehe“ (Zustimmung).
In derselben Enquete hatte der Nestor der österreichischen
Zuckerindustriellen, Reichsratsabgeordneter Ritter von Proskowetz,
als Hochschutzzöllner bekannt, sich dahin ausgesprochen, daß nur
Einschränkung des Rübenbaues helfen könne.
Bezüglich der Exportprämie bemerkt Redner, daß seiner Zeit
bei Beratung des Zuckersteuergesetzes der jetzige Finanzminister
Plener, der damals ein Abgeordneter der Opposition war, gewarnt
hat, diese Prämie nicht so sehr als eine Panacee anzusehen. Damals
sei man darüber sehr aigriert gewesen und er, der Experte, sei auch
einer von denen gewesen, die es geradezu als ein Attentat betrachtet
haben, wenn keine Prämie gegeben wird. Ich bekenne es, sagte
Redner, heute öffentlich, daß ich es bedauere, damals für dieses
Danaergeschenk gestimmt und gesprochen zu haben. Damals wäre
es mir von meinen Kollegen übel genommen worden, wenn ich da-
gegen gestimmt hätte. Heute ist die Stimmung eine andere und
wir werden den Tag segnen, an dem es möglich sein
wird, diese Prämie ganz aufzuheben. Die Regierung möge
so rasch als möglich ein internationales Uebereinkommen behufs
Aufhebung der Prämien anbahnen. Insolange dies aber nicht all-
gemein geschieht, müssen wir die Prämie auch haben, und Redner
könne deshalb nicht genug stark den gestern vom Experten Janotta
ausgesprochenen Wunsch wegen Vorlage eines Ermächtigungsgesetzes
unterstützen.
Ein anderer Experte, Fürst Hugo Salm (Besitzer der Zucker-
fabrik Raitz), Präsident der mährischen Gesellschaft zur Förderung
der Landwirtschaft, der Natur- und Landeskunde, verwies darauf,
daß seitens der Zuckerfabrikanten der Rübenbau in irrationeller
Weise animiert wurde, und daß infolgedessen eine Ueberproduktion
entstanden sei. Daß es den Zuckerfabrikanten so schlecht gehe und
sie jetzt nach den früheren guten Kampagnen nach Hilfe rufen, rühre
daher, daß viele Fabriken die verflossene gute Kampagne nicht dazu
benutzt haben, eine mobile Reserve zu schaffen, sondern glaubten,
es werde so bleiben, daß sie viele Investitionen gemacht haben und
heute statt eines mobilen Geldbestandes sehr viele Maschinen haben,
mit denen sie ihre Steuer und sonstigen Auslagen nicht bezahlen
können. Der Experte glaubt auch, daß die ungarische Regierung
durch übergroße Unterstützung der dortigen Zuckerindustrie nicht
unbedeutend zur Ueberproduktion beigetragen habe.
476 Brukner,
Bezüglich der Exportprämie bemerkt Redner, daß es nur sehr
zu bedauern sei, wenn andere Staaten den Fehler begehen, die Ex-
portprämie hinaufzusetzen und dadurch künstlich die Ueberproduktion
noch zu forcieren, gegen die wir eigentlich auftreten möchten. Es
wäre jedenfalls sehr wünschenswert, wenn im Wegeeiner inter-
nationalen Vereinbarung die Exportprämien ganz ab-
geschafft würden. Man rufe jetzt nach Staatshilfe. Nachdem
die Zuckerfabrikanten auf das maßloseste eine Ueberproduktion her-
vorgerufen haben, rufen sie jetzt den Staat zur Hilfe, daß er die
Prämie erhöht; dann werde die Sache wieder von neuem beginnen.
Es sei im heutigen Momente, namentlich nach der vorletzten Kampagne
nicht am Platze, gar so sehr über den Rückgang des Zuckers zu
lamentieren.
Ebenso haben sich viele angesehene Fachmänner!) der deut-
schen Zuckerindustrie schon seit Jahren für internationale Aufhebung
der Prämien und Hebung des Inlandverbrauches ausgesprochen.
Ganze Gruppen der Industrie, insbesondere der ost- und nord-
deutschen Zuckerindustrie sind wiederholt in diesem Sinne geschlossen
aufgetreten, während die mitteldeutsche, ältere Zuckerindustrie sich
mehr von der Beibehaltung der Prämien versprochen hat und noch ver-
spricht. Schon 1876 hat sich das Direktorium des Vereins der deutschen
Zuckerindustrie dahin ausgesprochen, „daß die deutsche Zuckerin-
dustrie keiner Prämie, wohl aber gegen die fremden Prämien und
Exportprämien eines Schutzes bedürftig sei, der in Deutschland am
besten durch entsprechende Erhöhung des Einfuhrzolles, in den übrigen
Staaten aber durch das Verbot der Einfuhr prämiierter Zucker, oder
durch Differentialzölle erreicht werden könne.“ Inzwischen
sind die Stimmen in der Industrie selbst, die von den Prämien
nichts mehr wissen wollen und eine gedeihliche Zukunft nur im
inländischen Markte sehen, immer zahlreicher und einflußreicher ge-
worden, und wenn auch in den öffentlichen Kundgebungen nach
Möglichkeit die Einigkeit gewahrt wird, so geht doch aus den De-
batten hervor, daß in der Frage der Prämien und des Kartells die
Industrie in sich uneinig ist. Jedenfalls ist durch das Brüsseler
Uebereinkommen diejenige Lage geschaffen, die oben von dem
Organe der deutschen Zuckerindustrie selbst als erwünscht bezeich-
net worden ist: Aufhebung der Prämien in allen Rübenzuckeraus-
fuhrstaaten (mit Ausnahme Rußlands), Einführung von Differential-
zöllen in den wichtigsten Zuckereinfuhrstaaten, die der Konvention
beigetreten sind. Außerdem bestehen solche Differentialzölle, die
1) Noch 1897 sagte Pr. v. Lippmann im Zweigverein d. d. Z. für Halle, im
Anschluß an einen Bericht über eine Versammlung der Raffinerien: „Ganz allgemein
war in Berlin auch — das kann ich nicht nur aus öffentlichen Verhandlungen, sondern
auch aus privaten Gesprächen konstatieren — die Ueberzeugung vorhanden, daß es für
unsere Industrie nur mehr eine Bahn gebe, die sie anzustreben habe, nämlich die
Abschaffung der Prämien, die aber nur auf dem Wege erreicht werden kann, daß wir
uns zunächst bemühen, den Zollschutz, den unsere Ware genießt, im erforderlichen
mäßigen Grade uns zu Nutze zu machen; hierzu gehört aber vollständige Einigkeit der
gesamten Industrie‘,
Zuckerausfuhrprämien und Brüsseler Vertrag. 471
sich dann hauptsächlich gegen den russischen Zucker wenden, in
den Vereinigten Staaten von Amerika, in Britisch Ostindien, in
Canada und Australien!
Es bedarf einer besonderen Untersuchung, ob das Fernbleiben
Rußlands und der Vereinigten Staaten die Bedeutung des Brüsseler
Abkommens nicht sehr herabmindert.
Die Frage, ob Rußland ein gefährlicher Wettbewerber für West-
europa werden kann, ist in diesen Blättern schon einmal!) aufge-
worfen und damals verneint worden. Brokl wies 1897 darauf hin,
daß Rußlands Zuckerausfuhr seit 1886 stetig gewachsen sei. In-
zwischen hat sich das Wachstum noch beschleunigt. Wenn Brokl
damals meinte, daß auf noch ziemlich lange Zeit Rußland auf euro-
päischen Märkten mit namhaften Partien nicht auftreten könne,
höchstens auf asiatischen Märkten, wo es einen natürlichen Markt
habe, wo sich aber der Absatz nicht merklich steigere, so ist er durch
die thatsächliche Entwickelung der russischen Ausfuhr nach England
und sogar nach den Vereinigten Staaten von Amerika, trotz ihrer
Ausgleichszölle, widerlegt worden. Rußlands Ausfuhr hat betragen:
1894/95 85 472 1898/99 108 199
1895/96 181 454 1899/00 209933
1896/97 114748 1900/01 163 627
1897/98 163 200 1901/02 241 363 ?)
Ein stetiges und gefährliches Wachstum, das nur durch Rückschläge
infolge schlechter Ernten unterbrochen wird, ist unverkennbar.
Rußlands Ausfuhr wird jetzt schon nicht mehr von seinen östlichen
Nachbarn aufgenommen und man darf nicht unterschätzen, daß Ruß-
land in jeder Hinsicht stark entwickelungsfähig ist. Aber da mit
Inkrafttreten des Brüsseler Uebereinkommens die wichtigsten Ein-
fuhrgebiete den Russen versperrt sein werden, und die Zucker-
produktion auch nach erheblicher Einschränkung dann immer noch
in der ganzen Welt so groß bleiben wird, daß England und Amerika
den russischen Zucker entbehren können, es dann als einziges
Prämienland vor den Ausgleichszöllen steht, so würde der russische
Zuckerfabrikant die ganzen Ausgleichszölle zu tragen haben, eine
Ueberwälzung auf die Einfuhrländer in normalen Zeiten unmöglich,
er somit gezwungen sein, entweder seinen Absatz im Inlande oder
bei seinen östlichen Nachbarn zu suchen oder seinen Rübenanbau
einzuschränken. Immerhin kommt aber der Zucker im ersteren Falle
nicht aus der Welt, sondern verdrängt in Persien, der Türkei oder
selbst in China einen Teil der österreichischen oder deutschen Ein-
fuhr und schiebt diese wieder anderen Märkten zu. Es ist deshalb
der Beitritt Rußlands zum Brüsseler Abkommen dringend erwünscht.
Es ist auch anzunehmen, daß er erreichbar sein wird, weil Rußlands
eigenes finanzielles Interesse ebenso, vielleicht noch mehr mitspricht,
1) Jahrbücher f. N. und St. III, Bd. 13, S. 84. Leonard Brokl, Rußlands
Zuckerfabrikation und Rübenbau.
2) Schätzung s. Z. der V. der D. Z., Bd. 52, S. 47.
478 Brukner,
als in den anderen Staaten, weil die russische Ausfubr vorläufig noch
nicht so groß ist, daß der russischen Industrie durch Beitritt zu den
Brüsseler Abmachungen ein nennenswerter Schaden erwüchse und
weil auch in der russischen Zuckerindustrie lebhafte Stimmen laut
geworden sind für Herabsetzung der Inlandspreise und Hebung
des inländischen Verbrauches.
Auch die Vereinigten Staaten von Amerika waren in Brüssel
nicht vertreten, und es ist fraglich, ob sie sich nachträglich in irgend
einer Form anschließen werden. Betrachtet man die Vereinigten
Staaten mit ihrem Anhang Hawaii, Portorico, Philippinen und Kuba
als ein Ganzes, dann sind sie jetzt schon von fremder Zufuhr nahezu
unabhängig. Auch die Fachzeitschrift „Deutsche Zuckerindustrie*
hat sich dahin ausgesprochen, daß es nur eine Frage der Zeit ist,
wann Kuba von den Vereinigten Staaten in den gemeinsamen Zoll-
verband einbezogen wird. Jedenfalls kann dieser Schritt von keiner
europäischen Macht aufgehalten werden, er wird eine innere Ange-
legenheit Amerikas sein und, wie oben schon angedeutet, durch eine
je nach dem Rohmaterial (Rübe, Rohr, Ahorn) verschiedene Zucker-
verbrauchsabgabe wesentlich erleichtert werden. Die Vereinigten
Staaten samt Kolonien gehören somit nicht zu den Zuckerausfuhr-
ländern, sondern zu denjenigen, die wie Italien noch eine, allerdings
wahrscheinlich von Jahr zu Jahr abnehmende Zuckereinfuhr nötig
haben. Da sie aber jetzt schon Differenzialzölle gegen alle Prämien-
zucker, auch gegen den russischen Zucker, erheben, so ist ihr Bei-
tritt zum Brüsseler Abkommen nicht einmal nötig, vorausgesetzt,
daß sie ihre bisherige Zuckerpolitik innerhalb der nächsten 5 Jahre
nicht ändern. Nur um die Sicherheit für die Dauer des Ueberein-
kommens zu haben, daß eine Aenderung nicht erfolgt, kann man
den Beitritt der Vereinigten Staaten wünschen. Notwendig ist er
vorläufig nicht. Denn daß die Vereinigten Staaten, nachdem die
Ausfuhrprämie sonst fast überall gefallen, ihrerseits dazu übergehen
sollten, ihre Zuckererzeugung durch künstliche Mittel über den Be-
darf hinaus zu steigern und ihrerseits Ausfuhrprämien einzuführen,
liegt so außerhalb des Bereiches der Möglichkeit, daß dieser Fall
wohl nicht in Erwägung gezogen zu werden braucht.
Aus demselben Grunde ist auch der Beitritt der britischen
Kolonien Kanada und Ostindien zu wünschen. Beide besitzen ohne-
dies Ausgleichszölle gegen Prämienzucker. In Kanada wird im
Staate Ontario außerdem gesetzliche Prämiierung der Rübenzucker-
fabrik beabsichtigt, ohne daß es jedoch bisher zur Gründung einer
Fabrik gekommen wäre.
Australien hat auch Ausgleichszölle und zwar bezahlt der
Rübenzucker einen höheren Eingangszoll als der Rohzucker. Rüben-
zucker wird dort mit Prämienzucker als identisch betrachtet, was
bis jetzt auch der Fall war. Eine Aenderung dieses Gesetzes im
Sinne des Brüsseler Abkommens ist erwünscht, um auch dort, falls
Rußland dem Abkommen nicht beitritt, den russischen Zucker be-
sonders zu treffen.
Zuckerausfuhrprämien und Brüsseler Vertrag. 479
Bei dem außerordentlichen Interesse, das England an der Durch-
führung des Brüsseler Abkommen hat, wird es dem Drucke des
vereinigten Europa wohl nachgeben und seinen ganzen Einfluß auf-
bieten, seine Kolonien zum Beitritt zu bestimmen. Man darf freilich
nicht übersehen, daß die englischen Kolonialzuckerfabrikanten und
Raffinerien einen erheblichgrößeren VorteilvomScheitern
des Abkommens und den dann einzuführenden englischen Zu-
schlagszöllen haben, weil dann nicht nur eine Gleichstellung des
Rohrzuckers mit dem Rübenzucker erfolgt, sondern eine Vorzugs-
stellung, eine Einfuhrprämie, die je nach der Marktlage teils der
Rohzuckererzeuger, teils der englische Raffinadeur verdient, geradeso
wie jetzt die Ausgleichszölle in den Vereinigten Staaten zum großen
Teil in die Taschen des Trust fließen, wie dies an anderer Stelle
bereits genauer dargestellt ist. Die Schaffung von englischen Aus-
gleichszöllen, die der Prämie und einem auf 2—3 M. für den Doppel-
centner geschätzten Kartellnutzen angepaßt würden, müßte sofort große
Mengen englischen Kapitals — vielleicht auch deutschen — in die
Kolonialzuckergebiete ziehen, wo ihm eine gewinnbringende Anlage
sicher oder doch höchst wahrscheinlich wäre. Auch dies spricht
sehr zu Gunsten des Brüsseler Vertrages.
Da so viele entscheidende Gründe für das Brüsseler Abkommen
sprechen und es selbst den wiederholt geäußerten Wünschen der
Industrien, noch mehr aber der Parlamente der beteiligten Länder
entspricht und die Regierungen sich schon dahin gebunden haben,
daß sie ihrerseits dafür eintreten werden, so ist wohl anzunehmen,
daß es Gesetzeskraft erlangen wird und zu hoffen, daß es der
Diplomatie des vereinigten Europa gelingen wird, auch Rußlands
Beitritt zu bewirken. Welche Folgen ergeben sich nun aus dem
Fortfall der Ausfuhrprämien für den Rübenbau der beteiligten Länder,
welche Aussichten für die Zukunft? Wie wird dadurch der Rohr-
anbau und wie der Weltmarktpreis beeinflußt werden ?
Es unterliegt keinem Zweifel, daß in Brüssel die Entscheidung
zu Gunsten der Kolonien ausgefallen ist und daß nach Fortfall der
Prämien zum erstenmal Rohrzucker und Rübenzucker mit gleichen
Waffen einander gegenüberstehen werden, daß sich Rohrzucker, der
in ohnedies begünstigten Klimaten erzeugt wird, auf billigen Böden,
mit schwarzen oder chinesischen oder anderen billigen Arbeits-
kräften, zu dessen Herstellung keine Kohle verbraucht wird, sondern
nur das ausgepreßte Rohr, das unter den Dampfkesseln verbrannt
wird, die Gleichberechtigung auf dem Weltmarkte erstritten hat.
Die Rohrzuckererzeugung wird in Zukunft einen höheren Gewinn
abwerfen als bisher — wenn der Weltmarktpreis steigt.
Darüber wird von Beteiligten sehr viel Unwahres behauptet,
und dadurch Verwirrung gestiftet. Die Kolonialzuckerinteressenten
suchen das englische Publikum, das von der Prämienaufhebung mit
Recht Schaden befürchtet, damit zu trösten, daß sie eine Steigerung
des Weltmarktpreises infolge : der Prämien- und Kartellaufhebung
480 Brukner,
leugnen. Die französischen und deutschen Agrarier!) machen
Stimmung gegen die Prämienaufhebung, indem sie den Einfluß der
Prämien auf den Weltmarktpreis leugnen, und so bildet sich ein
lauter Chor, der seine Behauptungen tausendmal wiederholt, ohne
sie ein einziges Mal zu begründen. Die Verteidiger dieser Ansicht
übersehen dabei, daß die Kolonien ja kar kein Interesse an der
Prämienaufhebung hätten, wenn sie nicht eine Hebung des Welt-
marktpreises davon erwarteten. Die an und für sich klare Ange-
legenheit wird aber doch durch die vielen entgegengesetzten Be-
hauptungen so getrübt, daß ihr einige Worte gewidmet werden müssen.
Der Preis eines Artikels, der wie Zucker in beliebigen Mengen
hergestellt werden kann, wird natürlich durch Angebot und Nach-
frage geregelt und er schwankt, je nachdem Angebot oder Nachfrage
überwiegen, um eine gewisse Mittellinie herum nach unten und
oben. Diese Mittellinie selbst aber wird durch die mittleren Pro-
duktionskosten gebildet, sonst wäre es ja ganz unerklärlich, warum
der Zuckerpreis jetzt um 9 M. herum sich bewegt und nicht wie
Butter um 100 M. herum. Ein Mehrangebot über die jeweilige
Nachfrage hinaus wirft den Preis unter die Mittellinie der Produk-
tionskosten und dieser Preisrückgang bewirkt erst die Einschränkung
des Betriebes und damit wieder Herstellung des Gleichgewichts.
Wenn die Produktionskosten eines Centners Zucker bei 10 M. lägen
und der Preis sich auf 13 M. stellte, so würde ein Rückgang des
Preises von 13 auf 11 M. noch nicht die geringste Mindererzeugung
bewirken, wohl aber ein Rückgang unter 10 M.
Die Ausfuhrprämien (und diesen vollständig gleich die Kartell-
prämien, die indirekten Prämien Frankreichs und Rußlands) stellen
aber nichts anderes dar und sind in diesem Sinne auch von der
Industrie aller dieser Länder aufgefaßt, verteidigt und beansprucht
worden, nichts anderes als einen staatlichen Zuschuß zu den Pro-
duktionskosten, also eine Herabsetzung der eigenen Produktions-
kosten des Fabrikanten. Wie jede andere allgemeine Herabsetzung
der Herstellungskosten beeinflussen sie die Verkaufsgeneigtheit des
Zuckerfabrikanten und damit den Marktpreis. Wir brauchen bloß
frühere Krisen ins Auge zu fassen, was am leichtesten mit Hilfe
nachfolgender Tabelle?) geschieht, in der die Bewegung der
Preise für Rüben und Zucker, sowie des Rübenanbaues ersichtlich
ist. Im Betriebsjahre 1884/85 genügte ein Rückgang der Zucker-
preise, Magdeburger Notierung von 52 auf 36 M., um den Rübenbau
im Deutschen Reiche von 104 Mill. de. auf 71 Mill. dc. im folgen-
den Jahre herabzudrücken. 1895 genügte ein Rückgang der Preise
von 25 auf 17 M., um eine Einschränkung von 145 Mill. de. auf
117 Mill. de. Rüben herbeizuführen. Im Jahre 1901/02 sind die
Preise bis auf 15 herabgegangen, ohne daß man in Handelskreisen
an eine genügende Einschränkung des Rübenbaues glaubt. Giebt
1) Dr. Hager, 2. Flugblatt. D. Z. vom 29. März 1902,
2) Nach Glanz, Märzheft der Z. d. V. d. D. Z. 1900.
481
1 Brüsseler Vertrag.
Zuckerausfuhrprämien um
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31
Dritte Folge Bd. XXII (LXXNVIL).
48? Brukner,
nicht die Preislage von 15 M. 1902 gegen 17 M. 1896 darüber einen
bündigen Aufschluß, daß wohl die ganzen, durch das Zuckerkartell
erbrachten 2 M. pro de. erst auf dem Weltmarkt daran gesetzt
worden sind, ehe überhaupt ein deutscher Landwirt oder Zucker-
fabrikant daran dachte, den Rübenbau einzuschränken ?
Am 29. Januar 1898 erklärte Fabrikdirektor Dr. Seyffart in
einer Versammlung des Zweigvereins Halle des Vereins der deut-
schen Zuckerindustrie, ohne irgendwelchen Widerspruch zu erfahren:
„Nach unserer Kenntnis drückt die Exportprämie allein noch den
Weltmarktpreis soweit herunter, daß bei diesem Preis Nordamerika
und England nicht imstande sind, ihren benötigten Zucker selbst zu
erzeugen. Einen solchen niedrigen Stand zu erhalten, ist
unbedingt nötig, ist unsere erste, allem anderen vorauf-
gehende Aufgabe, wenn wir nicht unseren ganzen Export verlieren
sollen, die Grundlage unserer großen Industrie.“ Im baltischen Zweig-
verein d. d. Z. am 6. Dezember 1897 erklärte Direktor Dr. Ruhnke
klar und bündig und in dieser Beziehung auch unwidersprochen:
„Durch die Prämien sind die Weltmarktpreise ge-
fallen, die anderen Staaten haben aus Konsequenz ihren Zucker
höher prämiiert als Deutschland, ohne sich Umstände und Erschwer-
nisse, wie die Betriebssteuer und die Kontingentierung aufzuerlegen.*
Die gleiche Ansicht vertrat wiederholt ein hervorragender Zucker-
industrieller der Provinz Posen, von Grabski, weiland Direktor der
Zuckerfabriken zu Kruschwitz und Pakosch, Direktor von der Ohe
und viele andere mehr.
Wenn aber als unbestritten gelten muß, daß die von den Aus-
fuhrstaaten oder Kartellen gezahlten Prämien den Weltmarkt ge-
drückt und bewirkt haben, daß die Engländer billigen Zucker zu
essen bekamen, wie es gewöhnlich heißt, so folgt daraus auch, daß
durch Aufhebung dieser Prämien der Weltmarktpreis steigen muß.
Natürlich ist es in Zukunft trotzdem denkbar, daß durch eine riesen-
hafte Rohr- und Rübenzuckerproduktion ähnlich niedrige Preise, wie
jetzt wieder herbeigeführt werden können, aber dies widerspricht
nicht dem Satze, daß das Preisniveau durch Aufhebung der Prämien
gehoben wird, der sich ja selbstverständlich der Voraussetzung be-
dient, die bei jedem Vergleich notwendig ist: ceteris paribus.
Gerade diese Hebung des Weltmarktpreises bildet die Gefahr
für die Zukunft der Rübenzuckerindustrie, weil sie dem Rohrzucker
voll und ganz zu gute kommt und zu einer Ausdehnung der Rohr-
zuckererzeugung führen wird. Kann diese Ausdehnung auch aus
technischen, landwirtschaftlichen und finanziellen Gründen nicht so
plötzlich erfolgen, wie es beim Rübenbau wiederholt der Fall war,
so ist doch mit allmähligem und stetigem Wachstum des Rohran-
baues zu rechnen. Wir haben oben gesehen, daß trotz der euro-
päischen Prämienpolitik der Rohranbau — abgesehen von den Folgen
des kubanischen Krieges — stetig gewachsen ist; es muß daher als
höchst wahrscheinlich betrachtet werden, daß bei höheren Weltmarkt-
preisen dieses Wachstum noch erheblich beschleunigt wird und liegt
darin für den jetzigen Umfang der europäischen Rübenzuckerindustrie
Zuckerausfuhrprämien und Brüsseler Vertrag. 483
eine Erhöhung der Gefahr, allmählich vom Weltmarkte verdrängt zu
werden. Die Möglichkeit muß ernst ins Auge gefaßt werden, daß
die alten Zuckerausfuhrländer vielleicht schon nach 10—15 Jahren
nicht mehr in der Lage sein werden, überschüssigen Zucker im Aus-
lande unterzubringen. Aber da wir aus der Betrachtung der Pro-
duktionsentwickelung gelernt haben, daß auch bei Aufrechterhaltung
der Prämien der Zuckerausfuhr ein gleiches Schicksal droht, nur
vielleicht einige Jahre später, da ferner ein Teil des Auslandes jetzt
schon im Kampf gegen die europäischen Prämien dem Rohrzucker
Vorrechte einräumt, da England den letzten bedeutenden offenen
Markt bildet, bei dessen Abschließung durch Ausgleichszölle der
Wert der Ausfuhrprämien vernichtet wird, da also die Gleichstellung
des Rohrzuckers mit dem Rübenzucker jetzt nicht mehr verhindert
werden kann — es sei denn durch Kriege oder Zollkriege, die des
Zuckers allein wegen niemand führen wird und deren Erfolg stets
zweifelhaft ist — so haben sich auch die Freunde der Prämienpolitik
größtenteils mit dieser Thatsache abgefunden und die Beteiligten
selbst sind vielfach der Ansicht, daß man nach Lage der Sache den
Prämien der Staaten und Kartelle nichts anderes mehr wünschen
kann als — requiem sempiternam.
Denn auch die Freunde der Ausfuhrprämien und die Einsich-
tigen unter den Beteiligten haben sich schon längst die Frage nach
den Kosten der Prämienpolitik vorgelegt. Da die Kosten in fast
allen Staaten vom Zuckerverbraucher wieder aufgebracht werden
müssen in Form einer Verbrauchsabgabe oder künstlich hoch gehaltener
Preise, so wird die Zuckerindustrie auf der einen Seite gefördert durch
Prämien, auf der anderen geschädigt, weil der Zuckerverbrauch bei
hohen Preisen sich nicht in dem Maße entwickeln kann als bei niedrigen
Preisen. In Frankreich ist der Doppelcentner Zucker durch eine Ver-
brauchsabgabe von 64 frcs. belastet, in Oesterreich durch eine solche von
15 fl. = 30 M. und durch einen Kartellnutzen, der ungefähr dem
deutschen Kartellnutzen gleichkommt. Im Deutschen Reiche ist der
Doppelcentner Zucker mit 38 M. Steuer und Kartellnutzen belastet.
Um über den Aufpreis klar zu werden, der durch das Zucker-
kartell bewirkt wird, nehmen wir als Beispiel die Woche vom 11.—
17. Januar 1902. Der Durchschnittspreis für 100 kg Rohzucker
betrug Magdeburger Notierung für I Produkt 14,85 und der vom
Kartell festgestellte Mindestpreis für Brotraffinade 55 M., der Höchst-
preis 56,40 einschließlich Konsumsteuer. Magdeburg notierte 56,40.
Es ist anzunehmen, daß die Raffinerien vielfach den Höchstpreis
erzielen, aber da dies doch nicht immer der Fall ist, möge statt
dessen 56,05 in unsere Rechnung eingestellt sein, abzüglich Konsum-
steuer 36,05. Ziehen wir davon den oben angegebenen Rohzucker-
preis 14,85 ab, so verbleibt als Spannung zwischen Rohzucker und
Raffınade 21,20 für 100 kg.
Wie groß müßte die Spannung ohne Kartell sein? Die Statistik
des Deutschen Reiches weist folgende Durchschnittsnotierungen für
100 kg Rohzucker I Produkt und Raffinade nach:
31*
484 Brukner,
1895/6 1896/7 1897/8 1898/9 1809/00)
Raffinadepreis abzüglich Konsumsteuer 28,35 27,16 26,96 28,82 28,33
Rohzuckerpreis 22,65 19,56 20,12 21,95 21,34
Spannung 5,70 780 6,84 6,87 6,99
Jede technische Verbesserung des Betriebes, jede Verbilligung
der Unkosten in den Raffinerien bewirkt eine Erniedrigung dieser
Spannung, ebenso jede Verbilligung des Rohzuckers. Schon der
Umstand, daß man aus 10 Ctr. Rohzucker 9 Ctr. Raffinade gewinnt,
bewirkt, daß der Preis dieses 1 verlorenen Ctrs. Rohzucker für die
Spannung sehr wesentlich ist. Sinkt der Rohzuckerpreis um 1 M.,
so sind die erhaltenen 9 Ctr. Raffinade um La billiger geworden,
also um rund 11 Pfg.; da auch noch eine Zinsenersparung hinzu-
kommt, kann man annehmen, daß jede Mark Preisrückgang des Roh-
zuckers die Spannung um mindestens 12 Pfg. herabdrücken muß.
Der Spannung des Jahres 1899/00 mit 21,34 Rohzuckerpreis ent-
spräche für unsere fragliche Woche mit einem Rohzuckerpreise von
14,85 eine Spannung von höchstens 6,99 — 78 = 6,21 für 100 kg.
Die Spannung war durch das Kartell auf 21,20 bemessen, hätte
ohne Kartell nur höchstens 6,21 betragen dürfen, es ist daher
der Doppelcentner Raffinade um 21,20 — 6,21 — 14,99 oder rund 15 M.
verteuert.
Wir haben oben gesehen, daß die Spannung schon ein ganzes
Jahr hindurch auf 5,70 gesunken war, daß dieser Zustand leicht
wiederkommen und bei Berücksichtigung oben dargelegter 78 Pfg.
sogar auf 4,92 sinken könnte, daß also die berechnete Belastung des
Verbrauchszuckers mit 15 M. von der Wirklichkeit noch überboten
wird. Denn es kommt hinzu, daß die Raffinationsindustrie seit 1899
natürlich erhebliche Fortschritte gemacht hat, daß bei billigen In-
landspreisen und steigendem Verbrauche die Unkosten durch Mehr-
verarbeitung herabgedrückt werden, daß in Zeiten der Krisis auch
zwischen den Raffinerien lebhafter Wettbewerb entsteht, der zwar
deren Verdienst schmälert, aber in einer Verringerung der Spannung
zum Ausdruck kommt. Wenn man alles dies in Rücksicht zieht,
wird man wohl nicht fehlgreifen mit der Annahme, daß die thatsäch-
liche Verteuerung des Zuckers über 15 M. hinausgeht und sich auf
ungefähr 16 M. für 100 kg Raffınade beläuft.
Diese hohe Belastung des Inlandzuckers tritt allerdings nur
ein, solange der Magdeburger Rohzuckerpreis unter 9,35 für den
Zollcentner steht. Der Preis bewegt sich jetzt um 7’/, M. herum
und es wird auch von den Optimisten nicht erwartet, daß er wäh-
rend der Dauer des Kartells die Ziffer von 9,35 wieder er-
reichen wird, geschweige denn für längere Zeit übersteigen könnte.
Eine Steigerung des Preises um 2 M. bedeutet für den Center Rübe
25 Pfg., also so viel, daß nicht nur keine Einschränkung des Anbaues
eintreten, sondern eine starke Zunahme desselben unmittelbar bevor-
1) Dieses Betriebsjahr ist nur mit 10 Monaten, nämlich bis zum Inkrafttreten des
Kartells, eingesetzt,
Zuckerausfuhrprämieu und Brüsseler Vertrag. 485
stehen, damit aber baldiges Abbröckeln der Zuckerpreise bewirkt
würde. Mit der oben bezifterten Belastung muß also für die weitere
Dauer des Kartells gerechnet werden.
Zu dieser Belastung durch das Kartell kommt die gesetzliche
durch die Zuckersteuer und Prämien. Die erstere beträgt 20 M. für
100 kg, letztere für 100 kg Kandis und Zucker in weißen vollen
harten Broten, Blöcken, Platten, Stangen oder Würfeln oder in
weißen harten durchscheinenden Krystallen 3,55 M. Der inländische
Verbraucher muß natürlich diese Prämie mitbezahlen; denn der
Zuckerfabrikant erhält bei Ausfuhr des Zuckers Weltmarktspreis +
Prämie und hat keinen Anlaß, im Inlande seine Ware billiger ab-
zugeben. |
Auch die gestaffelte Betriebssteuer, welche durch das Zucker-
steuergesetz von 1896 geschaffen worden ist, belastet den Verbraucher,
da sie die Erzeugungskosten des Zuckers erhöht. Die Betriebssteuer
samt Zuschlägen hat nach der „Deutschen Zuckerindustrie* für 1900/01
dem Staate 7469500 M. eingebracht. Die Absicht des Gesetzgebers
mag dabei wohl die gewesen sein, daß diese Steuer auf den Ver-
braucher nicht überwälzt werden soll und in ganz direkter Weise
erfolgt diese Ueberwälzung auch nicht, aber in indirekter, insofern
sie die durchschnittlichen Herstellungskosten des Zuckers erhöht und
damit auch einen hebenden Einfluß auf den Weltmarktpreis des Zuckers
ausübt. Bei gänzlicher Ueberwälzung auf den Inlandskonsum, der
1900/1 7 965 656 de. betragen hat, beträgt die Betriebssteuer immer-
hin fast 1 M. für den Doppelcentner. Eine gänzliche Ueberwälzung
ist aber natürlich bei vorhandener Ueberproduktion ausgeschlossen,
es ist vielmehr unter diesen Verhältnissen wahrscheinlich, daß diese
Belastung allein vom Fabrikanten bezw. Landwirt getragen werden
muß. Sie sei daher im folgenden außer acht gelassen,
dürfte aber der wissenschaftlichen Vollständigkeit wegen um so weniger
unerwähnt bleiben, als auch Verhältnisse möglich und denkbar sind,
in denen die gänzliche Ueberwälzung stattfindet und weil auch jetzt
ein Bruchteil, den man aber nicht schätzen kann, jeder Zeit über-
wälzt wird, sei es auch nur "ua,
Wir lassen die ungeheuere Zinsenbelastung des gesamten Zucker-
handels durch die künstlich erhöhten Preise, die Mehrkosten des
Händlers an Feuerversicherungsprämien und bei Transporten an Ge-
bühren für See- und Flußschiffahrtsversicherung unberücksichtigt,
weil die Ermittelung schwierig ist und doch schließlich den anderen
gewaltigen Faktoren gegenüber nicht viel ausmacht. Aber an sich
unbedeutend ist diese Last nicht. Angenommen z. B., daß der deutsche
Groß- und Kleinhandel zusammen immer Ware für 3 Monate in ihren
Lagern haben und diese für 1 Vierteljahr zu einem Satze von 1%
gegen Feuer versichern, so macht diese Versicherung für Kartell und
Steuerlast allein schon ungefähr 4 Pfg. pro Doppelcentner; sollte
diese Prämie aber, besonders in den kleinen Lagern, mit 5/, °/o ge-
griffen werden müssen, so sind es 5 Pie, pro Doppelcentner. Der
Zinsverlust ist noch erheblich größer und kann doppelt so hoch ver-
anschlagt werden.
486 Brukner,
Der Doppelcentner Brotraffinade ist nach vorstehenden Ermitte-
lungen belastet:
1) durch das Kartell mit mindestens 15,— M.
2) „ die Verbrauchsabgabe mit 20,— ,,
SI a „ Prämie 3,55 y
4) ,, Betriebssteuer, Zinsenlast und Versicherungsprämien werden
nicht veranschlagt und nur zur Abrundung angezogen mit 0,05
Zusammen mindestens 38,60 M.
In Rußland wird aus den künstlich geschaffenen Reserven immer
erst auf Anordnung des Ministeriums Zucker herausgelassen, wenn
der Preis für das Pud auf 4!/, Rubel gestiegen ist. 1 Pud zu
16,38 kg, der Rubel zu 2,16 gerechnet, ergiebt einen Preis von rund
60 M., also höher als der deutsche Raffınadenpreis trotz Steuer und
Kartell.
Gerade in den Staaten, in denen Zucker im Ueberschuß erzeugt
und aus denen er ausgeführt werden muß, ist der Preis des Zuckers
im Inlande so hoch, daß der Verbrauch ungünstig beeinflußt werden
mußte, drei, vier bis fünfmal höher als auf dem Weltmarkte. Die
Hauptausfuhrstaaten, deren Regierungen den Brüsseler Vertrag unter-
zeichnet haben: Deutschland, Oesterreich, Frankreich, Belgien und
Holland, umfassen aber selbst eine Bevölkerung von über 150 Mill.
mit Rußland mehr als !/, Milliarde Menschen!
Haben wir oben gesehen, daß der Auslandsmarkt für Zucker
allmählich abbröckeln wird — mit und ohne Prämienpolitik — so
wird zu untersuchen sein, ob es nicht möglich ist und in welchem
Umfange es möglich ist, den kontinentalen Markt aufnahmefähiger
zugestalten. Auch diese Frage ist durch Interessentensophistik
vielfach verwirrt worden, weil man Prämie und Kartell damit zu
rechtfertigen suchte, zu behaupten, der einheimische Verbrauch werde
durch billige Preise nicht beeinflußt. Nun giebt es allerdings Artikel,
deren Verbrauch vom Preise ziemlich unabhängig ist, die so unent-
behrlich sind, daß sie unter allen Umständen in annähernd gleicher
Menge verbraucht werden, die andererseits auch von dem Aermsten
bis zu seiner vollen Befriedigung verzehrt werden, z. B. das Salz.
Dies drückt sich statistisch darin aus, daß der deutsche Salzverbrauch
seit Jahrzehnten auf 7,6 bis 7,3 Kilo auf den Kopf der Bevölkerung
stehen bleibt. Auch eine Verbilligung des Salzes auf die Hälfte
seines gegenwärtigen Preises würde eine Steigerung des Verbrauches
nicht bewirken, es sei denn um einige Zehntel, welche auf minder
sparsames Umgehen, Verstreuen, Nichtverwendung von Salzlaugen-
resten (vom Einpökeln des Fleisches u. dgl. stammend) zurückzu-
führen sein würden. Im Schlaraffenlande soll zwar Honig in Bächen
tließen und gebratene Tauben sollen dort herumfliegen, aber es ist
nirgends zu lesen, daß diese Tauben stärker gesalzen sind, als das
dem Geschmack und Körperbedürfnis entspricht. Der Salzverbrauch
zu Speisezwecken ist so hoch, daß er das vorhandene Bedürfnis voll
und ganz befriediet.
Giebt es bei Zucker auch eine bestimmte Verbrauchshöhe, bei
der man von einer absoluten Befriedigung sprechen könnte? Man
Zuckerausfuhrprämien und Brüsseler Vertrag, 487
würde sie vielleicht ermitteln können, wenn man den Zucker ein Jahr
lang umsonst abgäbe; aber selbst dann, würde diese Menge je nach
Volk, Landschaft, Speisegewohnheiten, je nach der Menge und dem
Säuregehalt aller geernteten Obstarten, je nach dem Umfange der
Obstweinbereitung u. s. w. außerordentlich verschieden ausfallen.
Daß aber bei billigem Zucker der Verbrauch bis auf fast 90 Pfund
auf den Kopf der Bevölkerung steigen kann, wenn die Volksge-
wohnheiten sich dem niedrigen Preise dieses Nahrungsmittels all-
mählich angepaßt haben und der Wohlstand der Bevölkerung die An-
schaffung solcher Zuckermengen gestatten, das hat England bewiesen.
Und auch in den Vereinigten Staaten, wo Zucker um den General-
zoll teuerer, aber immer noch erheblich billiger als in den Prämien-
ländern ist, erreicht der Verbrauch fast 70 Pfd. auf den Kopf!
[Im Jahre 1900 2178615 t Raffinade| 1). Daraus ergiebt sich, daß bei
Engländern und Amerikanern bei 90 bezw. 70 Pfd. der Zustand der
vollen Zuckersättigung noch nicht erreicht ist; auch hat der Ver-
brauch bisher noch jährlich in England langsam, in Amerika rascher
zugenommen. Ob nicht bald ein Stillstand in dieser Zunahme ein-
treten wird und bei welcher Ziffer, ob vielleicht schon bei 100 Pfd.
die volle Sättigung vorhanden sein wird, eine ebensolche Sättigung,
wie bei 7,8 Kilo Salz, das läßt sich nur vermuten und wir möchten
glauben, daß England der vollen Sättigung bereits sehr nahesteht.
Ist dies der Fall, dann werden die beiden größten Zuckerverzehrer
England und die Vereinigten Staaten, die zusammen 40 Mill. t
Zucker verbrauchen, nahezu die Hälfte der gesamten Welt-
erzeugung, soweit diese in der Statistik zum Ausdruck kommt,
zu einem Stillstand ihres Verbrauches gelangen und an der weiteren
Steigerung des Weltverbrauchs, die bisher jährlich 5—6 Proz. des
Weltverbrauchs des jeweiligen Vorjahres betragen hat, nicht mehr
teilnehmen. Auch dieses Ereignis, die Sättigung der beiden Haupt-
abnehmer der europäischen Zuckerausfuhr, wird sich vollziehen, ob
die Prämienpolitik weiter betrieben wird oder nicht. Es würde im
ersteren Falle die jährliche Zunahmerate erheblich herabdrücken
und die Verdrängung des Rübenzuckers durch den Rohrzucker be-
schleunigen.
Wie anders sollte also Rat geschaffen werden für die Zukunft,
als dadurch, daß allmählich die Zuckerindustrien der Ausfuhrländer
einschrumpfen und, eine mäßige Steigerung des Inlandskonsums
vorausgesetzt, in Deutschland und Oesterreich auf die Hälfte der
Erzeugung herabsinken oder durch Erschließung des inneren Marktes ?
Die Einschränkung des Rübenbaues auf die Hälfte seines bisherigen
Umfanges brächte der deutschen Landwirtschaft eine furchtbare
Katastrophe und wäre aus rein technisch landwirtschaftlichen Gründen
mit einem erheblichen Rückschritt unserer Landeskultur gleichbe-
deutend. Die großen Werte, die in der Zuckerindustrie angelegt
sind, wären dann auch — wenigstens zu einem Drittel — verloren.
Insbesondere würden jene Landesteile betroffen, in denen der Rüben-
1) D. Z. 1900, S. 81.
488 Brukner,
bau seit Jahrzehnten eingeführt und stark ausgedehnt ist, die Provinz
Sachsen, Anhalt, Braunschweig, Hannover.
Will man gegen eine solche Katastrophe Vorkehrung treffen —
und welche Regierung sollte es nicht wenigstens versuchen? — so
giebt es nur einen Weg, durch wesentliche Verbilligung des Zuckers
den Verbrauch im Inlande zu heben. Der Zuckerverbrauch ist im
Deutschen Reiche im letzten Betriebsjahre von 13,7 kg Raffinade auf
12,3 kg — dank den Kartellpreisen — gesunken und wenn auch
ein Teil dieses Rückganges auf die Versorgung der zweiten Hand
vor Inkraftreten des Kartells zurückgeführt werden kann, so bleibt
doch immer noch ein erheblicher Rückgang außer Frage. Nehmen
wir den Verbrauch mit 12,5 kg an, so bezahlt der deutsche Kon-
sument (nach Großhandelspreisen) für seinen Zucker, wenn wir den
durchschnittlichen Magdeburger Brotpreis für 1900/01 mit 57,42 M.
zu Grunde legen, 7,18 M. "jährlich. Bei gänzlichem Fortfall der
Steuer- und Kartellverteuerung hätte der Konsument für 7,18 M.
36,9 kg Zucker kaufen können, also nahezu das Dreifache. Die
deutsche Zuckererzeugung dire selbst in diesem Jahre außerge-
wöhnlich hoher Ernte im Inlande untergebracht.
Dies soll natürlich nur als Beispiel dienen; denn es ist weder
anzunehmen, daß der Verbrauch in 1 Jahre sich verdreifachen würde,
wenn die Preise auf ?/, herabgehen, weil dazu eine allmähliche Ge-
wöhnung des Geschmackes gehört, noch ist anzunehmen, daß der
Staat auf die Einnahmequelle der Zuckersteuer ganz verzichten kann,
insbesondere solange nicht, als er darauf angewiesen ist, auch das
unentbehrliche Salz zu besteuern.
Professor Conrad!) hat jüngst darauf hingewiesen, daß es den
ungünstigen Eindruck mildern würde, den die Erhöhung der Getreide-
zölle auf die große Masse der Bevölkerung machen muß, wenn die
bedeutenden Summen, die damit der unteren Klasse entzogen werden,
zu ihren Gunsten Verwendung fänden, und fügt den bekannten Vor-
schlägen des Centrums noch hinzu, auf Beseitigung der Salz-
steuer, die er als Schandfleck in unserem Steuersystem bezeichnet.
Sollte unter den obwaltenden Verhältnissen, durch die der deutschen
Zuckerindustrie zum ersten Male der offene Kampf mit dem Rohr-
zucker aufgenötigt und der bisherige Schild, die Ausfuhrprämie, ent-
zogen wird, nicht die Ermäßigung der Zuckersteuer vor-
zuziehen sein, die doch demselben Zweck dienen würde? Es ist ja
richtig, daß der Verbrauch von Zucker in den unteren Klassen nicht
ebenso groß ist wie in den reicheren Ständen, wie dies beim Salz
der Fall ist; aber da 25 Pfd. Zucker auf den Kopf der deutschen
Bevölkerung verzehrt werden, so ist darüber kein Zweifel, daß der
erheblich größte Teil eines Steuernachlasses ebenfalls den
unteren Klassen zu Gute käme. Wenn also auch nicht mathematisch
genau dieselbe soziale Wirkung erzielt würde, ob das Reich auf
50 Mill. M. Zuckersteuer oder auf 50 Mill. M. Salzsteuer verzichtet,
so ist doch fast dieselbe Wirkung zu erwarten, da gerade bei Ver-
1) Jahrbf. f. N. u. St., Bd. 23, S. 192.
int
Zuckerausfuhrprämien und Brüsseler Vertrag. 489
billigung des Zuckers der Verbrauch in den unteren Klassen be-
deutend steigen würde. Diese 50 Mill. M. Ausfall würden aber
außerdem dazu dienen, eine blühende Industrie erhalten zu helfen,
die anderenfalls vor einer gewaltigen Krisis steht und deren Be-
deutung nicht näher beleuchtet zu werden braucht.
In finanzieller Hinsicht wäre aber ein Verzicht auf 50 Mill.
Zuckersteuer von ganz anderer Bedeutung, er würde nur für sehr
kurze Zeit gelten. Wenn nach Wegräumung der Prämie die Ver-
brauchsabgaben von 20 auf 8 M. für 100 kg Zucker herabgesetzt
würde, so ergiebt dies, den gegenwärtigen Verbrauch von nur
7:/, Mill. de. zu Grunde gelegt, eine Gesamteinnahme von 60 Mill. M.;
aber da vor Gründung des Kartells schon 1 Mill. de. mehr ver-
braucht worden ist, der Zuckerpreis aber unter unserer Voraussetzung
selbst bei einer Hebung des Weltmarktpreises um 5 M. für 100 kg
um 24 M. für den Doppelcentner sinken müßte, also so tief, wie ihn
der deutsche Konsument noch nie gesehen, so ist wohl nicht zu viel
geschätzt, wenn wir annehmen, daß der Konsumrückgang von 1 Mill. de.
sofort wieder ausgeglichen und den billigen Preisen gemäß noch "1.
bis 1 Mill. de. mehr verbraucht würde als im Jahre 1899/00, also
statt 7 1/ dann 9 bis 9'/, de. 9 Mill. de. würden schon bei 8 M.
Konsumsteuer 72 Mill. M. Ertrag bringen und nach wenigen Jahren
wäre die Zuckersteuer wiederum die ergiebigste von allen Steuer-
quellen.
Daß aber Mehrverbrauch von Zucker nicht etwa bloß im Interesse
des Rübenbaues und der Landeskultur erwünscht ist, sondern auch
zwecks besserer Volksernährung, durch Einbürgerung des Theetrinkens
sogar als Gegner des Alkoholverbrauchs, dies ist in letzter Zeit in
so eingehender Weise!) dargelegt und über jeden Zweifel hinaus
gehoben worden, daß es hier als bekannt vorausgesetzt werden kann.
Auch ist dies mehr eine chemische und physiologische Frage, deren
nähere Erörterung den Rahmen dieser rein wirtschaftlichen Be-
trachtung überschreiten würde.
Ebenso wie für das Deutsche Reich liegt die Frage der Ver-
brauchssteigerung auch in den Vertragsstaaten, die dem Brüsseler
Abkommen beigetreten sind. In allen wird beabsichtigt, die Ver-
brauchssteuer herabzusetzen. In Frankreich soll eine Herabsetzung
von 64 auf 30 fres. ins Auge gefaßt sein. Bedenkt man, eine wie
große Veränderung dort 1900 die Getränkebesteuerung erfahren hat,
aus rein hy gienischen Gründen, daß Frankreich eine sichere Einbuße
von 125 Mill. M. aus der Besteuerung der „hygienischen“ Getränke
(Wein, Obstwein und Bier) auf sich genommen hat?), um diesen Be-
trag dem Branntweinverbrauch aufzulasten, daß aber immerhin erst
die Zukunft lehren muß, ob er diese Last tragen und nicht etwa
sein Verbrauch stark zurückgehen wird, was auch der Absicht des
1) Dr. Theodor Jaensch, Der Zucker in seiner Bedeutung für die Volksernährung,
Berlin 1890. Prof. Dr. Stutzer, Zucker und Alkohol. Die Eigenschaften von Zucker
und Alkohol in physiologischer, sozialer und volkswirtschaftlicher Beziehung, Berlin 1902.
2) Prof. v. Heckel, Die Getränkesteuern in Frankreich, Jahrb. f. N. u. St.
Bd. 23, S. 99.
490 Brukner,
Gesetzgebers entspricht, so wird man nicht daran zweifeln, daß das
protektionistische Frankreich in der Zuckerfrage, wo es sich um eine
hygienische Angelegenheit ersten Ranges und zugleich um die Existenz
einer blühenden Industrie handelt, selbst vor einem Rückgange des
Zuckersteuerertrages nicht zurückschrecken wird.
Dasjenige von den alten Zuckerausfuhrländern wird seine Industrie
am besten schützen und seiner gesamten Bevölkerung am meisten
nützen, in dem die Neuregelung der Zuckersteuer zumeist aus
allgemeinen volkswirtschaftlichen und hygienischen
und zu mindest aus rein fiskalischen Rücksichten er-
folgt.
Haben wir bisher Prämien und Kartelle einheitlich zusammen-
gefaßt, weil sie thatsächlich dieselben Wirkungen haben und deshalb
die Bestimmungen des Brüsseler Uebereinkommens im allgemeinen
gutgeheißen, weil sie die Prämien beseitigen und Kartelle unmöglich
machen, so bedarf doch die Festlegung des Zuckereingangszolles auf
6 fres. noch einer besonderen Beleuchtung nach zwei Richtungen
hin. Erstens, ob es zur Sprengung der Kartelle notwendig ist, mit
dem Zollschutz so tief herabzugehen und zweitens, ob dadurch nicht
die Einfuhr von Kolonialzucker in die Vertragsstaaten ermöglicht
wird.
Für die Sprengung aller gegenwärtig bestehenden Kartelle würde
ohne Zweifel schon eine Verringerung des Eingangszolles auf 10 fres.
für 100 kg Raffinade, ja sogar auf eine etwas höhere Ziffer genügen.
Es handelt sich aber wohl auch darum, die Entstehung neuer Kartelle
innerhalb der Brüsseler Vertragsdauer zu verhindern. Da muß zu-
gegeben werden, daß, rein theoretisch betrachtet, auch bei einem
Zollschutze von 6 fres. die Bildung von Kartellen möglich wäre, in-
dem dann der Inlandspreis für Raffinade annähernd um 6 fres. für
100 kg erhöht werden könnte und bei gegenwärtigem Stande der
deutschen und österreichischen Ausfuhr eine Prämie von 2 fres. für
100 kg Raffinade herausgewirtschaftet werden könnten. Aber prak-
tisch liegt die Sache erheblich anders. Betrachten wir als Beispiel
das Deutsche Reich und greifen zurück auf die oben dargelegte
Verteuerung des inländischen Verbrauches durch das gegenwärtig
bestehende Kartell. Wir haben gefunden, daß diese Verteuerung
5 M. für 100 kg Zucker beträgt. Von dieser Summe stehen, wie
ein genaues Studium des Kartellvertrages und aller sonstigen Kartell-
bestimmungen ergiebt, nur 7,75 M. zur Verfügung der "Rohzucker-
erzeuger, der ganze Rest von 7,25 fließt in die Taschen der Raffi-
nationsindustrie. Die Rohzuckerindustrie erhält also von jedem im
Inlande verzehrten und aus Kartellfabriken stammenden Doppel-
centner Raffinade 7,75 oder auf Rohzucker umgerechnet 6,97 M.
Davon sind erst die Kosten des Kartellapparates, der Verwaltung zu
bestreiten, dann die Ausgaben für Unterdrückung von Fabriken, deren
Entstehen außerhalb des Kartells befürchtet wird; ferner Abgaben,
die an solche Kartellfabriken zu zahlen sind, die gutwillig nicht bei-
treten wollten, deren Eintritt ins Kartell erkauft werden mußte z. B.
Tapiau u. dergl. mehr. Rechnet man dies alles ab, so verbleibt für
Zuckerausfuhrprämien und Brüsseler Vertrag. 491
die gesamte Rohzuckerproduktion nicht mehr wie ungefähr 2 M. per
Doppelcentner. In der Rohzuckerindustrie ist man sich bewußt, daß
davon ein erheblicher Teil auf dem Weltmarkte abbröckelt. Nun
wird doch niemand glauben, daß der Raffinationsindustrie fast die
Hälfte des gesamten Kartellnutzens aufgeopfert wird, bloß deshalb,
weil die Rohzuckerfabrikanten einen ungeschickten Vertrag gemacht
haben oder, wie es in Agrarversammlungen heißt, sich von den
Raffinerien haben übers Ohrs hauen lassen. Dazu verfügt die
deutsche Rohzuckerindustrie in ihrer Gesamtheit denn doch über
ein zu großes geistiges Kapital, als daß dies möglich wäre. Nein,
der große Anteil der Raffinerien ist der genaue Ausdruck ihrer Macht
und Kartellbereitschaft, ohne diesen großen Anteil an der Beute war
die Raffinationsindustrie für das Kartell nicht zu haben, und es
spricht nichts dafür, daß sie für ein späteres Kartell billiger zu haben
sein wird. Nun ist vielfach darauf hingewiesen worden, die Roh-
zuckerindustrie könnte allein ein Kartell bilden. Das ist ebenfalls
ein Irrtum, denn erstens ist ein Teil der Rohzuckerindustrie mit den
Raffinerieinteressen verquickt, insofern es eine große Zahl von Roh-
zuckerfabriken giebt, die nebenbei Raffinade erzeugen; andere wieder
sind an Raffinerien mit Kapital beteiligt, wie z. B. an den großen
Melasseraffinerien in Oschersleben und Frellstädt. Andererseits be-
sitzen viele Raffinerien entscheidenden Einfluß in Rohzuckerfabriken.
Ferner besteht gerade so gut unter den großen Raffinerien eine in-
stinktive Feindschaft gegen das Kartell, weil dadurch kleine Wett-
bewerber aufrecht erhalten werden, deren Untergang man im freien
Spiel der Kräfte erhofft. Diese natürlichen Gegner des Kartells
können nur um teueren Preis in das Joch hineingezwungen werden.
Der Anteil der Raffinerien am Kartellnutzen ist die Diagonale dieser
Kräfte und in einem neuen Kartell würde diese Diagonale nicht er-
heblich anders aussehen. Es müßte also von dem theoretischen Ge-
samtgewinn wieder annähernd die Hälfte der Raffinierien verfallen.
Da die Unkosten des Kartells bei kleinerem Nutzen nicht fallen,
sondern im Gegenteil noch mehr mit solchen zu rechnen sein würde,
die eines Butterbrotes wegen nicht ins Kartell eintreten, so würde
von den theoretischen 3 fres., auf 3 Ctr. Rohzucker 2,70 fres. =
2,16 M. nicht viel übrig bleiben. Sollten es auch wirklich 50 Pfg.
auf den Doppelcentner Rohrzucker sein, so ist allen Kennern
deutscher Verhältnisse klar, daß mit der Aussicht auf einen Höchst-
gewinn von 50 Pfg. für den Doppelcentner Rohrzucker sich kein
Kartell schaffen läßt, ja nicht einmal wenn diese Aussicht durch Er-
höhung des Eingangszolles auf 12 fres. verdoppelt würde.
In Oesterreich-Ungarn scheinen die Gegensätze zwischen Roh-
zucker- und Raffinationsindustrie nicht ganz so heftig zu sein, größer
aber noch als hier der Kampf der kleinen und großen Raffinerien
untereinander. Aber vorhanden sind sie auch dort und würde eine Ver-
ringerung des Zollschutzes auf 10 fres. für den Doppelcentner Raffı-
nade nicht nur das bestehende Kartell sprengen, sondern nach mensch-
lichem Ermessen auch die Bildung eines neuen praktisch unmöglich
machen. Es ist auch nicht anzunehmen, daß der Brüsseler Vertrag,
492 Brukner, Zuckerausfuhrprämien und Brüsseler Vertrag.
der in allem übrigen ein wesentlicher wirtschaftlicher Fortschritt
für alle Vertragsstaaten ist, daran scheitern würde, wenn statt des
6 fres.-Zolles ein 10 fres.-Zoll beschlossen und unter den Vertrags-
staaten vereinbart würde.
Ein Zollschutz von 10 fres. für 100 kg Raffınade ist aber des-
halb wünschenswert, weil der Zoll von 6 fres. kein wirksamer Schutz
gegen das Eindringen des Kolonialzuckers ist. Es bestehen immer
noch gewisse Vorurteile zu Gunsten des Rohrzuckers, über welche
sich kürzlich Professor Dr. Herzfeld!) ausführlicher ausgesprochen
hat. Deutschland führt jetzt schon bei einem Zoll von 20 M. jähr-
lich gegen 12500 de. Kolonialzucker ein. Der Brüsseler Vertrags-
zoll von 4,80 würde das Pfund Rohrzucker nur um 2!/, Pfg. ver-
teuern. „Die nur zurückgedämmten, niemals erstorbenen Vorurteile
des Publikums — sagt Herzfeld — welche durch den zunehmenden
Luxus und die Neigung gewisser Bevölkerungsschichten, mit extra-
feinen ausländischen Produkten zu glänzen, verstärkt werden, würden
von neuem gebieterisch hervortreten und so müssen wir erwarten,
daß alsbald für feinere Genußzwecke wieder größere Mengen Kolonial-
zucker eingeführt werden. Auch die Schaumweinfabrikanten und
Fabrikanten besserer Liqueure, welche gleichfalls immer noch der
(irrigen) Meinung sind, daß für ihre Zwecke der Kolonialzucker besser
ist als der Rübenzucker, würden sicherlich bei Eintritt einer starken
Ermäßigung des Eingangszolls zum Rohrzucker zurückkehren“.
Soweit diese Gefahr vermieden werden kann, müßte es auch
geschehen und der Zollschutz so hoch gehalten werden, daß er wohl
die Kartelle begräbt und neue am Entstehen verhin-
dert, andererseits aber auch den inländischen Markt wirksamer
gegen das Eindringen des Kolonialzuckers schützt, als dies bei 4,80 M.
der Fall sein würde. Es wird die Aufgabe der Parlamente sein, die
richtige Mittellinie, als die wir 10 fres. betrachten, zu bestimmen
und die Aufgabe der Diplomaten, diese Aenderung des Ueberein-
kommens herbeizuführen. Seinen Zweck für die Kolonien, Gleich-
stellung des Rohrzuckers mit dem Rübenzucker auf dem Weltmarkte
wird es auch mit dem 10 fre.-Zoll erfüllen. Die Ausfuhrstaaten
wird es aber nur dann voreiner Katastrophe bewahren
undvorallmählichem stetigen Rückschrittihres Rüben-
baues und ihrer Landeskultur, wenn gleichzeitig die
Thoredesinneren Konsums soweitalsmöglich geöffnet
werden, wenn die Verbrauchsabgabe weit unter ihr
jetziges Maßin allen beteiligten Staaten herabgesetzt
wird.
1) D. Z., 1902, 8. 292.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 493
Nachdruck verboten.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
IV.
Arbeiterschutzgesetzgebung in England in neuester Zeit.
Von Henry W. Wolff.
Genau ein Jahrhundert ist es her, daß in England, vorerst noch in
zaghafter Weise, das erste, sehr bescheidene Fabrikgesetz zum Schutze
von Arbeitern angenommen wurde. Gesetze zur Regelung der Arbeiter-
verhältnisse von obenher giebt es allerdings beinahe seit Begründnng des
englischen Unterhauses im 13. Jahrundert. Derartige Gesetze wurden
indessen in der Mehrzahl der Fälle nicht zum Schutze der Arbeiter,
sondern im Gegenteil zu ihrer weiteren Unterwerfung, im Interesse
der arbeitgebenden Klassen, und von diesen erlassen.
Vermutlich das älteste Arbeiterschutzgesetz, ein Vorläufer des
bekannten Truckgesetzes, welches die Zahlung des Arbeitslohnes in
barer Münze vorschreibt, datiert indessen schon aus der Regierungs-
zeit Edwards IV. vom Jahre 1445. Hat dasselbe jemals in irgend nam-
hafter Weise Anwendung gefunden, so ist seine Wirkung doch längst
verraucht. Vor 70 Jahren, als das Parlament mit dem eigentlichen
Truckgesetz vorging, war von thatsächlicher Wirkung jedenfalls keine
Spur mehr vorhanden. Ueberhaupt lagen die Rechte der Arbeiter und
alle gesetzgeberische Rücksicht auf diese lange Zeit im argen. 5
Im Jahre 1802 begann für die Arbeiter ein günstigerer Wind zu
wehen. Eine 1796 eingeleitete Enquete hatte ein wahrhaft grauen-
haftes Mißwesen unter den Armenkindern bloßgelegt, welche die
Ortsbehürden auf Grund des aus der Zeit der Königin Elisabeth
stammenden Armengesetzes an Wollen- und Baumwollenspinnereien in
Lancashire und den umliegenden Grafschaften „in die Lehre“ gegeben
hatten, einfach um sich ihrer zu entledigen. Es waren dies sowohl
Mädchen wie Knaben, welche nach wahrer Sklavenart während der
Arbeitszeit nach Kräften ausgenutzt wurden, um dann, ermattet und er-
schlafft, wie Vieh, ohne Berücksichtigung des Geschlechts, in die gemein-
samen Schlafräume getrieben zu werden, wo die von der Tagesschicht
Heimkehrenden die abwechselnd benutzten Betten oft noch von der
Körperwärme ihrer Kameraden von der anderen Schicht erwärmt fanden.
Zur Abhilfe brachte der ältere Sir Robert Peel, Vater des großen Frei-
händlers und Premierministers, ein Gesetz ein, welches nach seiner An-
494 Nationalökonomische Gesetzgebung.
nahme als das „Gesundheits- und Sittlichkeitsgesetz“ bekannt wurde,
Es schrieb vor, daß die „Lehrlinge“ in den Schlafräumen dem Geschlecht
nach getrennt werden und daß fortan nicht mehr als höchstens zwei
in einem Bette schlafen sollten; es hob für die „Lehrlinge“ die Nacht-
arbeit gänzlich auf, und beschränkte den Arbeitstag auf 12 Stunden;
es bestimmte die Sonntagsruhe und Unterricht in der Religion, im
Lesen, Schreiben und Rechnen; es sicherte den Kleinen alljährlich einen
neuen Anzug; verordnete die Anbringung genügender Fenster in den
Fabrikräumen, zur Sicherung einer hinreichenden Menge von Luft und
Licht; schrieb zweimaliges Weißen der Räume im Jahre vor und
führte schließlich eine Art obrigkeitlicher Fabrikaufsicht ein, indem es die
Friedensrichter anwies, die Fabrikräume von Zeit zu Zeit zu besichtigen
und sich von der Befolgung der gemachten Vorschriften zu überzeugen.
Aus diesem winzigen Saatkorn hat sich binnen Säkularfrist ein
Baum entwickelt, auf welchen man heute jedenfalls mit Genugthuung
hinblicken kann. Und zwar nicht nur, weil er den Arbeitern heute
unmittelbar doch sehr reichliche Frucht und Schatten, Schutz und Her-
berge gewährt, sondern weil er überdies für sie die ganze Atmosphäre
geändert und gemildert hat. Als im Jahre 1890 die britischen Ab-
geordneten von der Berliner Arbeiterkonferenz heimkehrten, konnten sie
mit Befriedigung konstatieren, daf England in Bezug auf die Arbeiter-
schutzgesetzgebung bis auf einen einzigen, allerdings wichtigen, Punkt
allen anderen Ländern voraus war. Auch auf diesem einen Punkte,
die allzujugendliche Beschäftigung von Kindern, ist nunmehr Nachhilfe
geschafft worden. Und, wie mir eben ein in der Sache sehr bewanderter
und sehr streng kritischer Oberfabrikinspektor schreibt, darf England
sich heute auch rühmen, zum mindesten den festländischen Staaten
vorauszustehen, wenngleich einige britische Kolonien dem Mutterlande
in dieser Hinsicht den Rang abgelaufen haben.
Die Säkularfeier, um sie so zu nennen, rechtfertigt wohl je-
denfalls einen kurzen resumierenden Rückblick auf die jüngsten Ergeb-
nisse auf dem Felde der Arbeiterschutzgesetzgebung. Nach Legung
des ersten Grundsteins zu dem aufzuführenden Gebäude kam die
Gesetzgebung bald in rascheren Gang. Shaftesbury und Fielden,
und nach ihnen andere, denen es um die Sache Ernst war, nahmen die
Arbeit in die Hand. So schnell ging es mitunter, daß Arbeitgeber sich
beschwerten, daß sie inmitten vor sich gehender Neuerungen gar nicht
mehr wüßten, woran sie sich zu halten haben. Im Jahre 1895 beklagte
sich ein Parlamentsmitglied dieser Kategorie, daß binnen 6 kurzen
Jahren nicht weniger als drei neue Fabrikgesetze erlassen worden seien.
Lord Salisbury ließ sich ebenfalls einmal zu dem Klageruf verleiten, daß
die ewige Beaufsichtigung, von diesem, jenem und dem dritten und
vierten, einem das Leben unerträglich mache. Trotzdem wird immer
neue Beaufsichtigung geschaffen. Fertig ist die Arbeiterschutzgesetz-
gebung allerdings noch lange nicht. Lücken giebt es leider noch sehr
bemerkliche. Indessen darf man doch sagen, daß man in dieser Hin-
sicht in der neuen Zeit in ein anderes, ruhigeres Fahrwasser gelangt ist.
Die Gesetzgebung dieser letzten Periode trägt sozusagen ihren
Nationalökonomische Gesetzgebung. 495
eigenen Stempel auf sich. Nicht allein ist man dreister geworden, mehr
darauf bedacht, etwas Genügendes zu erreichen, als dem Drängen der
Arbeiter gegenüber nur das möglichst Wenige zuzugestehen. Man hat
seine Pflicht erkannt, im Interesse des Gemeinwesens die Schutzlosen
zu schützen. Man hat mit größerer Beherztheit eingegriffen, wo Ein-
greifen nun einmal notwendig erschien. Alte verschimmelte Vorurteile
des Manchestertums hat man rücksichtslos weggefegt und selbst Arbeit-
geber haben erkennen gelernt — davon liegen verschiedene Beispiele
vor — daß ihr Ach- und Wehrufen bei jeder Neuerung keinerlei Begrün-
dung gehabt hat, daß die Gesundung der Arbeitsverhältnisse ihnen selbst
durch erhöhte Leistungen Vorteil bringt. Nachklänge fanden diese
hergebrachten Besorgnisse allerdings noch in den Beratungen über
das Unfallentschädigungs- und das neueste Fabrikgesetz. Da wurde
wieder, ganz gewohnheitsmälig, der gänzliche Untergang des Gewerbes
als unausbleibliche Folge vorausgesagt. Aber selbst die Parlaments-
häuser weigerten sich damals schon, diese Klagen länger ernstlich zu
nehmen. Die alte vergilbte Maxime von der Berechtigung staatlichen
Eingreifens nur da, wo es sich um den Schutz von Frauen und Kindern
handelt, ist endgiltig an den Nagel gehängt worden. Man greift heute
flott zum Schutz auch von erwachsenen Männern ein, wo dieses nötig er-
scheint, so zum erstenmale in dem Fabrikgesetz vom Jahre 1896. Daß
ein Minister, wie z. B. der jetzige Lord Croß es noch im Jahre 1878
bei Einbringung eines Fabrikgesetzes that, die beantragten Gesetzes-
bestimmungen für Bäckereien dem Unterhause mit der Vorstellung an-
nehmbar zu machen suchen sollte, daß es sich ja nicht um das Wohl der
Bäcker, sondern nur um die Güte des herzustellenden Brotes handele,
ist heute schlechterdings undenkbar.
Weiter hat man sich redlich bestrebt gezeigt, die 1890 in Berlin
bloßgelegte Scharte auszuwetzen. Allerwärts hat man, teils mit Hin-
zuziehung von Unterrichtsgesetzen, das Minimalalter für beschäftigte
Kinder erhöht. Noch vor nicht sehr langer Zeit betrug es nur 8 Jahre.
Heute ist es 12 und 13. Ferner hat man sich weit mehr als früher an
das Ausland anzulehnen gelernt. Man erkundigt sich sorgfältig, wie
die Sachen im Ausland gehandhabt werden, schickt Fabrikinspektoren
und andere Sachverständige auf Studienreisen in die Fremde, ver-
gleicht, ahmt nach. Die Erhöhung des Beschäftigungsalters für Kinder
ist jedenfalls durch das ausländische Beispiel beschleunigt worden.
Chamberlain’s Unfallentschädigungsgesetz und sein Vorschlag einer Alters-
versicherung sind unmittelbar durch das deutsche Beispiel eingegeben.
In Bezug auf Fabrikeinrichtungen, Vorsorge für die Arbeiter, besondere
Schutzvorrichtungen u. s. w. läßt man sich vom Ausland her belehren.
Und das bringt uns zu einem neuen Merkmal, welches der einschlägigen
Gesetzgebung der Neuzeit eigentümlich ist. Man gewährt der Regie-
rung in Bezug auf ihre Einmischung durch Erlaß besonderer Bestim-
mungen heute weit freiere Hand als sonst. Das ist für England be-
sonders wichtig, weil es ja in England keine Disciplinar- und Straf-
befugnisse für die Verwaltungsbehörden giebt !). Selbst das Ministerium
1) Von 1833—1844 besaßen die (damals nur vier) Fabrikinspektoren gewisse
496 Nationalökonomische Gesetzgebung.
kann keinen in Strafe nehmen. Es muß ihn vor dem betr. Gerichts-
tribunal, gewöhnlich dem Friedensrichter, belangen und selber als Kläger
auftreten. Das Reichsgesetz, welches den Forderungen aller Parteien
Rechnung zu tragen gehalten ist, kann sich indessen unmöglich allen
Sonderverhältnissen anpassen. Es muß also der Regierung eine Er-
gänzung der gesetzlichen Bestimmungen auf dem Wege der Verord-
nung freilassen. Damit hatte es früher seine Haken. Man hat in-
dessen darauf bestanden, und die erweiterte Befugnis der verwaltenden
Behörde hat sich in der Praxis stets gut bewährt. Besonders wertvoll
ist dieses Verordnungsrecht, weil man in letzter Periode dazu gekom-
men ist, methodisch durch Annahme großer Sammelgesetze die Ge-
setzgebung zu vereinfachen, um der vormaligen heillosen Verwirrung
ein Ende zu machen. Zu gleicher Zeit hat man sich auch befleiligt,
die gesetzlichen Bestimmungen zu verallgemeinern, von einer Fabrik-
kategorie auf alle auszudehnen. Aus diesem Bestreben sind das große
Sammelgesetz vom Jahre 1894 für den Schiffahrtsbetrieb, das Kohlen-
bergwerksgesetz vom Jahre 1887 und das neue Fabrikgesetz vom Jahre
1901 hervorgegangen. Damit ist ein bedeutender Vorteil erlangt worden.
In erheblichem Male ist weiter auch auf diese Weise dem Parlament
die wesentliche Gleichstellung der verschiedenen Berufsarten möglich
geworden. Man ist von der Empirik zu der Methodik übergegangen.
Man ist, sozusagen, heute seines Gebietes mehr Meister. Das Kriegs-
feld ist mit „Blockhäusern“ überzogen, welche eine bleibende Herr-
schaft sichern. Was noch fehlt, ist die Unterdrückung der noch
überlebenden Widerspenstigen. Da gäbe es allerdings noch recht Erkleck-
liches nachzubessern. Für die landwirtschaftlichen Arbeiter z. B. ist
bisher so gut wie gar nichts geschehen. Und das Wenige ist zum Teil
illusorisch. Auch entziehen sich die Hausindustrien und die häusliche
Arbeit, also die beiden erkorenen Berufstätten des „Schwitzens“,
noch in wesentlichem Maße der Beaufsichtigung. Auf allen diesen
Punkten läßt sich indessen nunmehr mit Zuversicht Nachhilfe vor-
aussehen, da man sich doch über das Recht des staatlichen Eingreifens
und über die Grundsätze des Arbeiterschutzes im allgemeinen endgiltig
geeinigt hat.
Gehen wir zur flüchtigen Betrachtung der einzelnen getroffenen
Maßnahmen über:
Als größte Neuerung auf dem Gebiete der Arbeiterschutzgesetz-
gebung der letzten Jahre wird die im Jahre 1897 erfolgte Annahme
des Grundsatzes gelten müssen, wonach der Arbeiter rechtens, ohne
Vorliegen eines nachweisbaren Vergehens seines Arbeitgebers, für im
Betrieb erlittene Untälle vom Arbeitgeber zu entschädigen ist. Das ist
für England ein ganz neues Zugeständnis. Man geht häufig darin fehl,
daß man das neue englische Arbeiterentschädigungsgesetz mit dem
deutschen Unfallversicherungsgesetz auf eine Stufe setzen und nach
einem Maßstab beurteilen will. Das ist ein großer Irrtum, der zu ganz
friedensrichterliche Befugnisse ; diese wurden ihnen indessen durch das Gesetz vom Jahre
1544 absichtlich wieder benommen,
Nationalökonomische Gesetzgebung. 497
falschen Schlüssen führen muß. Ein Unfallversicherungsgesetz in dem
Sınne des deutschen ist das englische überhaupt nicht, wenn es gleich
die Versicherung — wohl zu verstehen, eine freiwillige, auf rein ge-
schäftlicher Grundlage aufgebaute — zuläßt und sogar dazu anregt.
Solch ein gewaltiger Sprung von dem alten, hergebrachten Prinzip der
Verantwortlichkeit für einen selbstvollzogenen Akt, zu einem neuen,
wie es die Annahme des in dem deutschen Gesetze vorliegenden Grund-
gedankens bedingt haben würde, hätte selbst die enorme Machtstellung
der konservativen Regierung im Jahre 1897 mit ihrer 150-Majorität
nicht gestattet. Es kostete viel Zurechtstutzen, um die Vorlage selbst
unter solchen günstigen Umständen annahmegerecht zu machen. In
der Beratung mußte viel Ladung über Bord geworfen werden, die man
lieber bewahrt hätte, um das Schiff wenigstens sicher in den Hafen
zu bringen. Und selbst angesichts dieser dürftigen, knappen Fassung,
welche, wie man sagen kann, eben nur den nackten Grundsatz zu Geltung
bringt, glaubte Chamberlain vorgehen zu müssen, als sich die ministerielle
Mehrheit, nach weniger als 2 Jahren nach den Wahlen, noch im vollsten
Grade ihrer Frische und Fügsamkeit befand. Es galt, nicht — wie deutsche
Kritiker anzunehmen belieben — das möglichst Vollkommene zur An-
nahme zu bringen, sondern das Viele oder Wenige, was überhaupt an-
nehmbar war, durchzusetzen, und dann der Vorsehung die weitere Ver-
vollständigung des Gewonnenen zu überlassen. Es ist das in England
der beliebte, herkömmliche Weg der Gesetzgebung. Das zur An-
erkennung gebrachte Prinzip, dessen Annahme als erster Schritt viel
kostet, aber auch „die halbe Schlacht“ bedeutet, macht dann von selbst
sein Recht geltend und weitere Bekehrungsversuche entbehrlich. In
dieser Weise glaubte Chamberlain im Jahre 1897 vorgehen zu müssen.
Und das Ergebnis hat im allgemeinen die Richtigkeit seines Urteils
bestätigt.
Das 1897er Gesetz, dessen Wirkung im Jahre 1900 auf die land-
wirtschaftliche Bevölkerung ausgedehnt worden ist, ist an und für sich
ein sehr unvollkommenes, welches bei seiner Annahme recht wohl arge
Besorgnisse einflößen durfte!). Die Fassung ist voller Unklarheiten
und Widersprüche, welche den mit der Rechtsprechung betrauten
Richtern den Kopf wirr zu machen eigens bestimmt schienen, bis in, für
Gericht und Arbeiter glücklicher, in anderer Hinsicht indessen vielleicht
bedenklicher, Weise das Oberhaus sich als oberste Gerichtsinstanz ins
Mittel legte und im vergangenen Herbste durch eine ganze Reihe etwas
auffallender Urteile in Berufungsfällen Ordnung in die Sache brachte.
Nachdem das erst- und zweitinstanzliche Tribunal den Wortlaut der
Akte wesentlich anders aufgefaßt hatten, wird man dem Gedanken
kaum widerstehen können, daß die Oberhausrichter — es sind dies nur
1) Die Bestimmungen des Gesetzes habe ich deutsch in Braun’s Archiv für soziale
Gesetzgebung und Statistik, Bd. 11 (1897) S. 688—725 eingehend besprochen. Die
hauptsächlichsten Mängel des Gesetzes, im Vergleich mit ähnlichen Gesetzen anderer
Länder, habe ich zu beleuchten gesucht in „Employers’ Liability an Workmen’s Compen-
sation. Two Lectures delivered on February 17" and 23% 1898. London, P. S. King
& Son. 6 pence.“
Dritte Folge Bd, XXII (LXXVII). 32
A98 Nationalökonomische Gesetzgebung.
richterliche Personen, mit dem politischen Lordkanzler an der Spitze —
sich in ihrer Auslegung des Wortlautes einigermaßen von ihrer Kennt-
nis der Absichten der Schöpfer des Gesetzes haben leiten lassen. Ist
dem so, so darf man dazu wohl den Kopf schütteln. Indessen ist da-
durch doch das Gesetz verständlich und zur Erreichung seines Zieles
geeignet geworden.
Man behauptet manchmal, das Gesetz vom Jahre 1897 habe weiter
nichts gethan als den 1880, durch die Haftpflicht begonnenen Aufbau
etwas weiter zuführen. Das ist indessen nicht richtig. Zwei wichtige
Gewinne hat das 1897er Gesetz unbedingt gebracht, von denen in dem
1880er Gesetze — welches zur Zeit für eine bedeutende Errungenschatt
galt, zu dessen Annahme seine Urheber ebenfalls die Unterstützung einer
jugendfrischen großen Majorität im Vollgefühle ihres eben errungenen
Wahlsieges zu benutzen für notwendig erachteten — nichts stand. Es
hat die geradezu widersinnige Ueberlieferung für die „gemeinsamen Be-
schäftigung“, welche seit 1837 die Entschädigungsberechtigung der Mehr-
zahl verletzter Arbeiter hinfällig machte -— einen ganz unberechtigten
richterlichen Zusatz zu dem Gemeinen Recht — endlich aus dem Wege
geräumt. Und es hat die Lehre von dem „risque professionnel“, von der
Entschädigungspflicht des Arbeitgebers, selbst obne Nachweis unmittel-
barer Verschuldung, zum leitenden Grundsatz erhoben. Nach Erreichung
dieses Standpunktes durfte man zur thatsächlichen Anwendung der Lehre
auf einzelne Fälle, zur Ausdehnung solcher Anwendung auf die ver-
schiedensten Berufsarten, sich auf den gesunden Menschenverstand ver-
lassen.
Eine Besserung der Umstände that allerdings unstreitig Not. Bis
1880 hatte der verletzte Arbeiter nichts, worauf er sich in seiner
Forderung hätte berufen können, als das Gemeine Recht. Innerhalb
seines knappen Bereiches gab ihm nun allerdings das Gemeine Recht,
bei nachweislicher Verschuldung des Arbeitgebers — und seit 1837 „vor-
behaltlich der gemeinsamen Beschäftigung“ — vollständigen Ersatz. Das
traf indessen nur für eine geringe Minderzahl der vorkommenden Fälle
zu, Mit seinem Haftpflichtgesetz vom Jahre 1880 schoß Gladstone in
diese mißlichen Urzustände nun allerdings Bresche. Seine Akte leistet
auch heute noch anerkennenswerte Dienste. Sie ist keineswegs in Auf-
hebung gekommen, und wo sie Anwendung findet, gewährt sie höheren
Schadenersatz als das neuere Gesetz. Es ist deshalb nicht zu ver-
wundern, wenn beschädigte Arbeiter, wenn sie sich einmal zur Klage
entschließen, nach Möglichkeit unter ihrem breiteren Fittich Schirm
suchen. Allein der durch diese Akte herbeigeführte Zustand ist doch
immer noch ein Zustand des Kampfes und der Interessenverschiedenheit.
Der Anspruch auf Schadenersatz schließt einen Vorwurf der Verschuldung
in sich, von dem sich die andere Partei selbstverständlich unter allen Um-
ständen freizuwaschen sucht. Man hat gräßliche Angst davor gehabt,
daß dem Arbeiter durch eine Schutzgesetzgebung zu viel Rechte einge-
räumt werden könnten, daß er dieses unbillig ausnützen dürfte. Die
Verpflichtung des Arbeitgebers, seine Arbeiter schadlos zn halten, wollte
man noch durchaus nicht zugestehen. Der Arbeiter sollte sich vor-
Nationalökonomische Gesetzgebung. 499
sehen! Deshalb verbarrikadierte man nach Möglichkeit jede Gasse, die
zum Anspruchsrecht führen konnte. Wenn nun die Arbeitgeber und
ihre Freunde im Parlament in so übertriebener Weise dem Arbeiter die
alleinige Verantwortlichkeit aufzubürden suchten und ihm ein unter den
Umständen geradezu höhnendes „Caveat operarius“ zuriefen, so kann es
nicht überraschen wenn andererseits die Arbeiter und ihre Verbün-
deten auf der entgegengesetzten Seite zu weit gingen und behaupteten,
an Unfällen könne überhaupt nur der Arbeitgeber Schuld sein. Er
solle sich vorsehen, Verhütungsmaßregeln vornehmen; man solle ihm
das Leben schwer machen, ihm jede mögliche Verantwortlichkeit auf
die Schultern legen, damit er aus Furcht vor Bestrafung alle thunlichen
Sicherheitsmaßregeln einleite! Solcher Stimmung entwuchs die, allerdings
nicht extrem gehaltene, weitere Haftpflichtvorlage Asquiths vom Jahre
1893. Solcher Anschauung ist die heute Lügen gestrafte arbeiterliche
Anschauung von der Unbilligkeit der Versicherungsabkommen zuzu-
schreiben, die als ein „Loskaufen* — scilicet zu ungenügendem Preise
— von der gesetzlichen Haftpflicht, auf englisch, eine „Contracting out“,
bezeichnet und lange Zeit emphatisch perhorresciert wurde. Ganz selbst-
verständlich suchten die Arbeitgeber ihre Haftpflicht auf ein Durch-
schnittsmaß herabzubringen, so daß diese, unbeschadet genügenden Er-
satzes an die Arbeiter, ihnen doch geschäftlich erträglich würde. Sie
versicherten sich entweder bei einer Versicherungsgesellschaft, welche
dann an ihre Stelle für den Ersatz eintrat — und sich allerdings vor
Gericht mit größerer Entschiedenheit wehrte, als es ein Arbeitgeber
wohl gethan haben würde; für die Gesellschaft war die Sache ja bloßes
Geschäft. Oder sie zahlten einen jährlichen Beitrag zu der Unfallhülfs-
kasse ihrer Arbeiter.
Unter derartigen Umständen lag die Entschädigungsfrage schwierig:
das Gesetz regte eben ganz unnütz widerstrebende Interesse, künst-
lich an, die Juristen bekamen die Sache in die Hand, und es wurde
über jeden Punkt konsequent gestritten. Wie es unter den Um-
ständen einem unglücklichen Arbeiter gehen konnte, wenn ihm das
Schicksal abhold war, habe ich in meinen kleinen Buche „Employer’s
Liability — What ought it to be“?1) dargelegt. Für effektiv alles dort
Angeführte lassen sich Beispiele vorbringen. Doch ist damit nicht
gesagt, daß in irgend einem konkreten Falle alles für den Arbeiter der-
artig ungünstig ausgefallen ist.
Daß das Chamberlain’sche Gesetz eine wesentliche Aenderung zum
besseren herbeigeführt hat ist heute, nachdem die erste Aufregung und
Verwirrung vorbei ist, schlechterdings nicht zu leugnen. Anfangs salı
es allerdings anders aus. Denn das Gesetz schafft wohl allerdings die
Voraussetzung einer Schuld ab, läßt indessen die Sache immer noch in
den Händen der Juristen, welche sie vor einem Richter auskämpfen
dürfen. Zumal da die Redaktion geradezu jammervoll ist, und die Be-
stimmnngen von kleinlichen Unterscheidungen, engen Beschränkungen,
und Ausnahmefeststellungen u. s. w. wimmeln, nahm man naturgemäß an,
1) London 1897, P. S. King and Son. 2 sh, 6 de
32*
500 Nationalökonomische Gesetzgebung.
daß das Gesetz notwendig neue Prozesse anregen müsse, anstatt alte
zu beseitigen, und nannte es geradezu ein „Advokatengesetz“. Eine
Zeitlang tummelte sich nun auch wirklich die Advokatur lustig in der
Arena mit allerhand Kniffen und Schlichen, und da alle Norm fehlte,
urteilte dieser erstinstanzliche Richter in diesem Sinne, jener in dem
entgegengesetzten. Auch das Obergericht brachte in diese Unordnung
keine Klärung. Das blieb, wie gesagt, dem Oberhause vorbehalten.
Klagte man nun einmal, so berief man sich, wie gesagt, sehr viel lieber
auf das ältere, freigebigere, bekanntere, Haftpflichtgesetz — was das neue
Gesetz weiter in Mißkredit zu bringen geeignet schien. Heute ist
das indessen alles vorbei. Die Zahl der anhängig gemachten Klagen
ist derart unbedeutend geworden, daß mir vor kurzem ein in dieser
Sache arbeitender Anwalt versichern konnte, daß, wo es sonst zwanzig
Klagen gab es heute kaum eine giebt. Man trägt die Fragen in Güte
aus. Und wird ja noch geklagt, so geschieht das recht häufig auf
Grund seiner gütlichen Uebereinkunft, nicht, um einen Streit auszu-
kämpfen, sondern um einen fraglichen Rechtspunkt endgiltig ent-
scheiden zu lassen. Und das neue Gesetz ist beliebter geworden als
die älteren.
Der Verweisung an die Gerichte — welche die Verwendung von
Advokaten bedingte — war in England schlechterdings nicht auszu-
weichen. Verwaltungstribunale giebt es, wie schon gesagt, in England
nicht. Solche will man auch nicht haben. In Sache des Fabrikge-
setzes haben sie sich nicht bewährt. Zu den Gerichten, namentlich
den überall bekannten Grafschaftsgerichten, hat man dagegen Ver-
trauen. Bei ihnen kann von irgendwelcher unstatthaften Beeinflussung
keine Rede sein. Irgend ein anderes Erkenntnis als ein gerichtliches
würde man als eine Streitfrage endgiltig regelnd nun und nimmer-
mehr anerkannt haben.
Und es gab doch so gewaltig viele Streitfragen zu regeln! Welche
Kategorien von Arbeitern waren entschädigungsberechtigt, welche Arten
von Unfällen waren zu entschädigen? Was bedeutete eine „Fabrik“,
eine „Werkstatt“, ein „Schiff“ u.s. w. Ein zufällig, vorübergehend, als
„Arbeiter“ beschäftigter Seemann wurde damit für diesen Fall ent-
schädigungsberechtigt; ein vorübergehend zu Seemannsarbeit verwendeter
„Arbeiter“ büßte sein analoges Recht ein. Einem Lichter, der im
Schiff arbeitete, wurde Recht auf Entschädigung zugesprochen. Seinem
Kameraden, der außerhalb, auf einem Gerüst, aufgestellt war, und
ebenfalls am Schiff arbeitete, nicht. An einem im Umbau begriffenen
Gebäude malte ein Anstreicher inwendig die Kuppel aus. Er stürzte.
Malen war weder als „Bauen“ noch als „Reparatur“ auszulegen. Also
ging der Mann seiner Entschädigung verlustig. So gab es Hunderte von
Fällen. Dazu noch die ganz querköpfige Beschränkung der Ersatz-
pflichtigkeit bei Bauarbeitern auf Gebäude von 30 Fuß und mehr.
Das sollte die kleinen Bauunternehmer schützen welche „sich kaum
besser stehen als ihre Arbeiter“ — eine sonderbare Beschränkung!
Thatsächlich thut es dies keineswegs; denn die kleinen Unternehmer
übernehmen nicht kleine Bauten, sondern kleine Teile an größeren Bauten.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 501
Die Bestimmung schaffte also nur neue Verwirrung. Multe der Bau
effektiv schon 30 Fuß Höhe erreicht haben oder noch nicht? Von wo
ab sollte man die 30 Fuß messen, und bis wohin?
Kurz und gut, es galt einen Faden durch ein endloses Labyrinth
hindurchzuziehen. Und diese Arbeit haben die Gerichte leisten müssen,
nicht, damit Prozesse geführt werden, sondern damit, wenn die Punkte
einmal entschieden sind, keine geführt werden. Denn wenn in dem Ge-
setze Streitfragen an die Gerichte verwiesen werden, so heißt das nicht,
daß jede Forderung prozeßweise ausgefochten werden muß, wie etwa in
Deutschland jede Unfallsache vor ein Schiedsgericht kommen muß. Ist
der Fall einmal entschieden, so prozessiert man nicht mehr. Der
praktische Engländer scheut dann seine Prozeßkosten. Wirklich prozeß-
süchtig, oder ungewillt seinen Teil an der Last zu tragen, ist weder der
englische Arbeitgeber noch der englische Arbeiter. Im Stadium vor der
Entscheidung kämpfen beide; später nicht. Die Last der Entschädigungs-
pflicht hat sich nun, wie man sagen kann, auf einen bloßen Bruchteil
von dem herausgestellt, was man in seiner Angst zu Anfang besorgte.
Die Versicherungsgesellschaften sind mit ihren Sätzen etwa auf die
Hälfte herabgekommen. Und in dem Kohlenbergbau hat sich Chamber-
lain's Prophezeiung bewahrheitet, d. h. die Last stellt sich thatsächlich
auf nur etwa 1/, d. (4 deutsche Pfennige) pro Tonne Förderkohle.
Ueber übermäßige Lasten klagt heute kein Mensch mehr. Allerdings
gewährt das Gesetz in seinem beschränkten Rahmen vorerst auch nur
wenig. 50 Proz. des Arbeitslohnes zu Anfang, und nach 6 Monaten,
nach Wunsch der Entschädigungspflichtigen, Umwandlung in eine
Pauschalzahlung, welche, als Leibrente angelegt, nicht entfernt diesen
Satz erreicht — das ist unbedingt zu dürftig. Auch der bloße Modus
der Pauschalzahlung erregt heute schon bei den Arbeitern Anstoß. Sie
haben erkennen gelernt, daß eine Rente annehmbarer sein würde. So-
dann hat die 14-tägige Karenzzeit in England, wo es keine obliga-
torische Krankenversicherung giebt, die sich des Verletzten während
dieser Zeit annehmen könnte, kaum eine Berechtigung. Auf diesem Felde
giebt es also erheblich nachzubessern, und wird jedenfalls auch noch
nachgebessert werden. Allein in dem Bereich der nunmehr einmal fest-
gestellten Verpflichtung sucht der englische Arbeitgeber sich in der Regel
keineswegs zu „drücken“. Er leistet das Vorgeschriebene bereitwillig.
Nur möchte er die Last innerhalb bestimmter Grenzen halten. Und das
um so mehr. als in England, gerade so wie früher in Deutschland und
Oesterreich, seit Anwendung des Gesetzes die Zahl der angemeldeten
Unfälle stetig und mächtig anwächst. Anstatt weniger gebräuchlich als
sonst — wie es die Arbeiter wollten — sind deshalb jetzt Versicherungen
mehr gebräuchlich geworden. In der That hat das „Entschädigungs-
gesetz“ ganz von selber in die Bahn einer Versicherung, auf freiem
Wege, eingelenkt, in welcher heute auch sogar schon den deutschen
Berufsgenossenschaften mehr oder weniger ähnelnde Vereinigungen zu
finden sind. Diese Entwickelung ist überaus interessant. Denn die alten
Vorurteile haben den Lehren der Praxis gegenüber nicht standhalten
können. Von der vermeintlichen Sträflichkeit des „Contracting out“ hört
502 Nationalökonomische Gesetzgebung.
man heute schon nur sehr wenig. Im Gegenteil bestehen heute zu
recht 46 sogenannte „Arrangements“, in welchen die Arbeiter ihre Unfall-
kassen bilden, zu denen aber die Arbeitgeber ein jährliches Fixum bei-
steuern, welches sie weiterer Haftpflicht entbindet. Und die Ergebnisse
sind durchaus zufriedenstellend. Derartige Abkommen bedürfen zu ihrer
Giltigkeit der vorherigen Prüfung und Anerkennung des „Registrar of
Friendly Societies“, einer den Arbeitern sehr gewogenen Behörde. Es ge-
schieht den Arbeitern dabei also volles Recht. Auch die Arbeitgeber
sind indessen damit zufrieden. Man hat sich dem zuerst widersetzt.
In Wigan z. B. wurde ein scharfer Kampf geführt, und die alte Unfallkasse
erkämpfte vermittelst schwacher Stimmenmehrheit ihre Unabhängigkeit,
d. h. sie wies die Beiträge der Arbeitgeber zurück. Sie machte indessen
schlechte Erfahrungen. Eine neue Kasse, welcher die Arbeitgeber beitraten,
leistete Besseres. Anderwärts — so in den Kohlenbergbau treibenden
Grafschaften Durham und Northumberland — haben sich die Arbeiter
allerdings auch nur allein zusammengethan. Ihre Hilfskassen gehen
die Arbeitgeber nichts an. Sie leiten indessen doch in sehr frucht-
bringender Weise die Entschädigungsleistung. Denn auf anderer Seite
haben sich Arbeitgeber in bedeutender Zahl ebenfalls zu Haft-
pflichtgenossenschaften vereinigt, um vereint entweder allen, jeden
einzelnen betreffenden, Verpflichtungen nachzukommen, oder doch den
schwereren, über eine bestimmte Summe hinaus. Das sind namentlich
Grubenbesitzer und Maschinenbauer. Derart ist es in Northumber-
land und Durham. Und dort treten gleiche Anzahlen von Vertretern
der Arbeitgeber und der Arbeiter — wie man in Dentschland sagen
würde, als „Schiedsgericht“, indessen ohne Vertreter einer obrigkeitlichen
Behörde und ohne jeden Zwang — zusammen, und einigen sich gütlich
über vorkommende Fälle, für welche in der Hauptsache die Praxis
bereits eine Norm gefunden hat. Alles dieses sagt englischen Arbeit-
gebern sowohl wie Arbeitern wesentlich mehr zu, als eine Einmischung
von Regierungsbehörden. Man hat sich hineingelebt, und es geht. In
dieser Weise scheint auch die Unfallversicherungsfrage in der Folge
ihre bleibende Lösung finden zu sollen, nämlich durch bereitwilliges,
gütliches Anpassen an das Gesetz. Die einseitig eigennützigen Einwände
von seiten der Arbeitgebervereinigungen, wovon man wohl früher hörte,
scheinen aufgehört zu haben. Ebenso prozessieren Versicherungsanstalten,
welche in Einzelversicherungen, d. h. in Versicherungen einzelner Be-
triebe oder Geschäftshäuser, ein bedeutendes Geschäft machen, lange nicht
in dem nämlichen Grade wie früher.
Dieses Allgemeinwerden der Versicherung, sei es bei einer Gesell-
schaft, sei es durch eine Genossenschaft, mäßigt schon sehr erheblich
den einen Mangel, der sich dem englischen Gesetz mit Recht vorwerfen
ließ, nämlich, daß sie bei Verbindlichmachung des einzelnen Arbeit-
gebers keine Vorsorge dafür trifft, daß auch das Geld zur Entschädigung
wirklich vorbanden sein wird. Bisher betrifft ja allerdings die Ent-
schädigungspflicht immer auch nur einen mehr oder weniger beschränkten
Kreis von Betrieben und Arbeiterkategorien. Und das ist einer ihrer
ernstlichsten Fehler. Sie kommt dem Landarbeiter zu gute, aber noch
Nationalökonomische Gesetzgebung. 503
nicht dem Seemann, noch nicht dem im Handwerk oder im Handel Be-
schäftigten. In seiner ersten Anwendung betraf das Gesetz von etwa
13000000 Arbeitern nur 6000000, wozu im Jahre 1900 noch gegen
1 700000 ländliche Arbeiter gekommen sind. Die 6000000 sind meist
in größeren Betrieben beschäftigt, wo ihnen kapitalkräftige Arbeitgeber
gegenüberstehen. Da ist besondere Vorsorge für Vorhandensein von
Entschädigungskapitalien kaum notwendig, Es scheinen auch kaum
Fälle vorgekommen zu sein, wo solche Kapitalien nicht zur Stelle
gewesen wären. Das mag anders werden, wenn erst das Handwerk,
und wenn z. B. die kleinen Baubetriebsunternehmer in den Wirkungs-
kreis des Gesetzes hineingezogen werden; und dann wird am Ende
auch auf diesem Punkte Nachhilfe zu leisten sein.
Es bleibt indessen noch des Vorwurfs zu gedenken, wonach das
englische Unfallentschädigungsgesetz die Unfallverhütungen gänzlich außer
Acht läßt. Es ist richtig, daß es sich mit dieser Sache ganz und gar
nicht beschäftigt. Es ist indessen bisher noch nicht ernstlich be-
hauptet worden, daß hieraus thatsächlich Mißstände erwachsen sind.
Denn die Unfallverhütungsstudien und -vorschriften werden absichtlich
anderen Behörden überlassen, d. h. vor allem der Fabrikbeaufsichtigungs-
und der Bergwerksbeaufsichtigungsabteilung im Ministerium des Innern.
Diese Abteilungen lassen sich das Studium dieser Dinge auch recht an-
gelegen sein. Man hat, wie noch hervorgehoben werden wird, seit
1897, besondere Sektionen, z. B. zur Handhabung von Explosivstoffen 1),
eingerichtet, man verfolgt mit großer Aufmerksamkeit alles, was in dieser
Hinsicht zu Hause oder im Auslande geleistet wird. Und auf Grund
dieser Nachforschungen verfügt dann das Ministerium und macht Vor-
schriften, denen nicht auszuweichen ist. Damit wird allerdings nicht ab-
solut alles geleistet, was zu leisten sein mag. Für die Landwirtschaft
giebt es z. B. bis heute an Unfallverhütungsmaßnahmen nur das Häcksel-
schneidegesetz vom Jahre 1897, welches für mit Kraft getriebene
Häckselschneidemaschinen Einfriedigung der gefährlichen Teile vor-
schreibt. Allein, abgesehen von Bergwerken und Fabriken u. s. w.,
empfindet man das Bedürfnis besonderer Verhütungsmalregeln auch noch
nicht. Und auf dem so abgegrenzten Felde leistet die amtliche Aufsicht
alles, was man für nötig erachtet, und leistet es in für Engländer mehr
zusagender Weise, als Berufsgenossenschaften dies thun könnten. Denn
an den Fabrik- oder Bergwerksinspektor hat man sich gewöhnt. Ihm
macht man heute gern auf. Zu seiner Verschwiegenheit hat man Ver-
trauen gewonnen. Einem Berufsgenossen, oder dem Vertreter seiner
Berufsgenossen, würde man nur mit Mißtrauen begegnen. Was über
Unfallverhütungen gesagt worden ist, läßt sich auch auf Unfallmeldungen
und -untersuchungen ausdehnen. Das Fabrikgesetz schreibt sehr streng,
bei schwerer Strafe, sofortige Anmeldung vor. Der Inspektor oder der
Vertreter der Amtsbehörde muß gleich zur Stelle sein. Bei der ein-
zuleitenden Untersuchung haben alle Teile ihr volles Recht. In den
Bergwerken wird die Sache nicht ganz mit derselben Strenge gehand-
1) Dazu ist eben noch eine Abteilung für elektrische Anlagen gekommen.
504 Nationalökonomische Gesetzgebung.
habt, doch vorläufig auch, wie man annimmt, genügend. Auf diesem
Gebiete mögen die gesetzlichen Bestimmungen noch etwas straffer an-
zuspannen sein, wie denn auch der heutige Minister des Innern selbst
vor kurzen zugegeben hat, daß das Unfallentschädigungsgesetz be-
deutender Vervollständigung bedürfe. Das ist unbedingt richtig. Nach
vielen Zweifeln und Bedenken in der ersten Zeit ist man indessen
heute zu der Anschauung gekommen, daß das 1897er Gesetz in seiner
Art, wenn auch nicht vollkommen in seiner Gestalt, doch das giebt, was
für England notwendig ist und daß der weitere Ausbau auf der-
selben Grundlage, d. h. durch Vorschrift, wenn nötig, durch Rekurs, an
die Gerichte, aber daneben durch das freie Sichfügen und Sichanpassen
— wobei der treibende Stachel des Staates so wenig wie möglich zu
fühlen sein soll — wird weiter verfolgt werden müssen. Statt des
besäbelten Gendarmen liebt man nun einmal den unbewaffneten Orts-
polizisten und unterwirft sich ihm auch bereitwillig.
Als Ergänzungsstück zu dem Unfallentschädigungsgesetz wird hier
am besten des im Jahre 1900 angenommenen Gesetzes zur Verhütung
von Unfällen unter Beschäftigten an Eisenbahnen zu gedenken sein.
Abgesehen von der Anwendung, welche das noch zu besprechende
Fabrikgesetz teilweise auf Eisenbahnen findet, ist dies, neben dem Eisen-
bahnregulierungsgesetz vom Jahre 1893, eigentlich das einzige Arbeiter-
schutzgesetz für Eisenbahnbeschäftigte, welches zur Zeit besteht. Denn
die in dem Gesetze vom Jahre 1889 enthaltene Bestimmung über
Beschränkung der Arbeitsstunden durch die Regierungsbehörde, wurde
mehr von dem Wunsche, der öffentlichen Sicherheit zu dienen, als dem,
den Arbeitern zu helfen, eingegeben. Das Gesetz vom Jahre 1893 giebt
nun allerdings den Regierungsbehörden auf Anregung der Mehrzahl der
beschäftigten Arbeiter weitgehende Befugnisse. Dennoch ist die Arbeits-
zeit im allgemeinen auf 10 Stunden am Tage beschränkt, indessen für
Signalisten und Weichensteller erster Klasse auf nur 8, für solche
zweiter Klasse auf nur 9. Wagenrangierer dürfen ebenfalls nur
8 Stunden am Tage beschäftigt werden +).
Das Eisenbahngesetz vom Jahre 1900 ist recht eigentlich eine Un-
fallverhütungsmaßregel, welche auf Eisenbahnen schützend wirken soll,
wie es ähnliche, bereits früher angenommene Bestimmungen in den
Bergwerksgesetzen in Bergwerken tlıun. Es erteilt dem Handelsamt
die Befugnis, nach eigenem Urteil, im Interesse der Sicherheit, Vor-
sichtsmafregeln in Bezug auf Hemmvorrichtungen, Dampfapparate aller
Art, die Lage der Gebäude und Wachthütten, Beleuchtung, Schutz des
Bahnkörpers selbst, Schutz der Arbeiter beim Bau oder bei der Aus-
besserung u. s. w., anzuordnen. Eisenbahndirektionen sind gehalten,
diesen Bestimmungen nachzukommen, wenn sie nicht rechtzeitig an die
1) Zum weiteren Schutz der Eisenbahnarbeiter gegen übermäßig anhaltende Be-
schäftigung hat das Unterhaus in laufender Session einen Beschluß angenommen, wonach
die Regierung von den Eisenbahnverwaltungen periodisch Berichte über die auf ihren
Bahnen geurbeitete Stundenzahl einfordern soll. Da die Annahme dieses Beschlusses
gegen den Wunsch der Regierung erfolgte, so ist keineswegs sicher, daß ihm Folge ge-
leistet werden wird.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 505
Eisenbahnkommission Berufung einlegen. In zweifelhaften Fällen ist
die Verweisung an einen Schiedsmann zulässig. Selbstverständlich ge-
währt dasselbe Gesetz auch das Recht ungehinderter Beaufsichtigung,
und schreibt Unfallanzeigen vor, soweit diese Dinge noch nicht anderswie
vorgesehen sind.
Gehen wir nun einen Schritt weiter! Wenn englische Sachverständige
von der Ueberlegenheit der englischen Arbeiterschutzgesetzgebung
sprechen, so haben sie dabei vornehmlich die Fabrikgesetze und die
verschiedenen Bergwerksgesetze im Auge. Diese Gesetze beherrschen
in der Hauptsache das ganze Gebiet gewerblicher Beschäftigung. Sie
thun das im ganzen in befriedigender Weise. Den Ausdruck „Ueber-
legenheit“ kann man indessen, wie sich weiter erweisen wird, nicht ab-
solut ohne Vorbehalt auf sie anwenden.
Auf die englischen Fabrikgesetze läßt sich ganz besonders an-
wenden, was bereits über die englische Arbeiterschutzgesetzgebung im
allgemeinen gesagt worden ist. Aus schwachen, zusammenhangslosen,
arbiträr ins Leben gerufenen Teilen haben sie sich allmählich zu einem
logisch begründeten und berechtigten Ganzen entwickelt. Das erste
Sammelgesetz, vom Jahre 1878, welches nicht weniger als 16 veraltete
Gesetze in Aufhebung brachte, wurde von Freunden und Gegnern der
damaligen Regierung, darunter der bekannte Wirtschaftspolitiker Stanley
Jevons, als geradezu ein Meisterwerk begrüßt, obwohl es keinerlei neue
Grundsätze zum Ausdruck brachte. Heute erscheint es uns als eine
Anfängerarbeit, ein bloßer erster Schritt. Erst seit 1891 kann man
sagen, daß sich das Fabrikgesetz als ein geschlossenes Ganzes, ein
logisch und konsequent aus bestimmten Grundsätzen entwickeltes Gesetz
darstellt. Selbst damals blieb noch manches Stückwerk. Heute lobt
man allgemein das neueste Gesetz wom Jahre 1901, welches wiederum
nichts weniger als neun überflüssig gewordene Gesetze (seit 1878) in
Aufhebung bringt. Alle Welt ist damit zufrieden. Im letzten Stadium
sind wir indessen deswegen auch heute noch nicht angekommen.
Ueber die Bedeutung des Fabrikgesetzes für England wird man
sich klar werden, wenn man bedenkt, daß es in der That für alle ge-
werbliche Arbeit, im Fabrikraum, in der Wohnung, in der Bäckerei,
der Wäscherei, auf Teilen von Eisenbahnen, Steinbrüchen und Berg-
werken, die von der speciell gewerblichen Gesetzgebung nicht betroffen
werden — seit 1901 auch auf Werften, auf Quais, in Lagerräumen, sowie
in den von dem Unfallgesetze als Ausnahmearbeiten behandelten, mit
Maschinenbenutzung betriebenen Bauten unter 30 Höhe — als Norm dient,
Ja, dem Wortlaut nach hätte es auch die landwirtschaftliche Arbeit
miteinbegreifen müssen, und nur einem etwas arbiträr richterlichen Ent-
scheid ist es zuzuschreiben, daß es dies nicht thut. Notwendigerweise
spielt es in das Bereich der Gesundheits- und der Unterrichtsgesetz-
gebung über. Die diese Gebiete betreffenden Gesetze sind ihm heute wert-
volle Verbündete geworden, wurden indessen, bei Lichte betrachtet, erst
von der Fabrikgesetzgebung angeregt. Denn die Gesundheitsgesetzgebung
war zuerst specifisch zum Schutz der jungen Arbeiter, und namentlich Ar-
beiterinnen, auf Fabrikräume abgesehen, und als es sich um Beschrän-
506 Nationalökonomische Gesetzgebung.
kung der Kinderarbeit handelte, führte die Schwierigkeit, solche wirk-
lich durchzusetzen, zu dem, von Edwin Chadwick gemachten, Vorschlag,
als Beweis für Nichtbeschäftigung in der Fabrik (darum handelte es
sich), das Zeugnis des Schullehrers über erfolgten Schulbesuch, der auf
diese Weise erzwungen wurde, zu fordern. Neben dem Fabrikraum über-
wacht heute die Fabrikinspektion strengstens auch den Schulbesuch, und
jeden Montag muß jedes Kind sich über das vorgeschriebene Maß des
Schulbesuches ausweisen, oder aber diesen vor der Aufnahme der Fa-
brikarbeit nachholen. Auf die örtliche „Gesundheitsbehörde“ und den
„medical officer of health“ muß sich das Land bei Ausübung des Arbeiter-
schutzes, zumal in den kleinen Werkstätten der Hausindustrie, in-
dessen noch sehr viel — in Wahrheit viel zu viel — verlassen. Die
Ueberwachung ist noch hauptsächlich ihnen überlassen. So versehen in
nicht fabrikmäligen und häuslichen Werkstätten die örtlichen Behörden
immer noch die Beaufsichtigung in betreff der Reinlichkeit, der ge-
nügenden Speisung mit gesunder Luft und der Vermeidung einer Ueber-
füllung mit Menschen.
Abgesehen von einer allgemeinen Konsolidierung bereits bestehen-
der Bestimmungen, und der Zusammenfassung aller gesonderten Vor-
schriften in ein Ganzes, hat die neuere, in dem 1901er Gesetze gipfelnde,
Fabrikgesetzgebung vor allem die Frauen- und Kinderarbeit weiter zu
beschränken und von gesundheitlichen und anderen Gefahren zu be-
freien, und überdies die bestehenden Vorschriften auf das ganze Gebiet
der gewerblichen Arbeit auszudehnen gesucht, was eine straffere An-
spannung des Einspruchsrechtes der Regierung, und damit auch, neben
der Verallgemeinerung der Bestimmungen, eine Vermehrung der Ausnahme-
fülle, nach Gutdünken der Regierung, bedingt hat. Es wird der Regie-
rung jetzt erheblich freiere Hand gelassen. Nur auf diese Weise läßt
sich die obrigkeitliche Kontrolle, in höherem Maße gerade durch die,
der örtlichen Behörde überlegenen, Fabrikinspektion durchsetzen. In
dieser Hinsicht haben die beiden letzten Gesetze nicht wenig Gutes
zuwege gebracht. Der „sanitary inspector“ oder „medical officer of health“,
der Beamte des erwählten Bezirksrates, ist zur Stelle, daher häufiger
verfügbar; er kennt die Oertlichkeit. Er kann daher unter Umständen
mehr in der Aufsicht leisten, und auszumerzen wird er niemals sein.
Allein er hat zu der Beaufsichtigung nicht denselben Trieb wie der
Fabrikinspektor. Die Leute die ihn berufen sind, möglicherweise, Ar-
beitgeber des Ortes, gerade die Leute die er selber beaufsichtigen soll,
denen aber seine Beaufsichtigung mitunter recht ungelegen kommen
kann. Die Zweiteilung der Arbeit wirkt störend. Wiederholt sind dar-
aus erwachsende Uebelstände öffentlich aufgedeckt worden. Die neuen
Gesetze haben die Kompetenz der Regierung und ihrer Inspektion zum
mindesten erweitert, so daß sie doch da zwingend eintreten können, wo
die örtliche Behörde bei Nichtsthun beharrt. Auch die Eintrittsberechti-
gung bei Tag und Nacht ist für Fabrikinspektoren erweitert worden. Ab-
gesehen von schärferer Regelung des Arbeitsstundenplanes für Kinder,
ist das Minimalalter für in Fabriken beschäftigte Kinder von 10
Nationalökonomische Gesetzgebung. 507
erst auf 11, und dann 1901 auf 12 erhöht worden 3) Der Möglichkeit
übermäßiger Arbeit durch Beschäftigung außerhalb der gesetzmäßigen
Zeit in der Nähe der Fabrik oder zu Hause ist durch neue Bestim-
mungen vorgebeugt worden. Kinder dürfen überhaupt nicht über die
Stundenzeit hinaus beschäftigt werden oder Arbeit mit heimnehmen.
Für halberwachsene Leute und Frauen ist die Extraarbeit, über die
gewöhnlichen Arbeitsstunden hinaus, zum mindesten beschränkt worden,
und darf nur, einige besondere Beschäftigungen ausgenommen, die sich
nicht so streng kontrollieren lassen, nicht öfter als 30mal im Jahre
vorkommen. Kinder dürfen weiter überhaupt nicht zu gefahrbringende
Beschäftigungen (wo z. B. Vergiftungen möglich sind) verwendet werden.
Es ist für größere Sicherheit vor Feuer gesorgt und die Bestimmungen
über ärztliche Atteste betreffend Alter und körperliche Fähigkeit für Kinder
sind verschärft. Besonders hervorzuheben ist ferner die Verschärfung der
Bestimmungen in Bezugauf Wäschereien, Bäckereien und Milchwirtschaften,
für welche das Eingreifen bisher bedeutende Schwierigkeiten bot. Reli-
giöse und sogenannte philanthropische Anstalten sperrten sich gewaltig
gegen obrigkeitliche Beaufsichtigung ihrer „erziehenden“ oder „korrek-
tionellen“ Wäschereischulen, aus welchen recht böse Uebelstände berichtet
wurden?). Auch den Bäckereien war schwer beizukommen. Es sind in-
dessen nunmehr genügende gesundheitliche Vorkehrungen getroffen, und
von 1904 ab wird es keine „unterirdische“ Bäckerei (mit dem Fußboden
mehr als 3 Fuß unter dem Erdboden) geben dürfen. Weiter sind be-
sonders in Bezug auf Speisung der Fabrikräume mit genügender Luft
strengere Vorschriften niedergelegt worden. Als Minimalsatz pro Person
sind 250 Kubikfuß Luft angeordnet, wo nachgearbeitet wird, 400 Ku-
bikfuß; dabei zählen 3 Gasflammen gleich einer Person. Das ist am
Ende immer noch nicht zu reichlich; es steht indessen der Regierung
eine Vermehrung nach eigenem Ermessen frei. Wo sich Staub oder
Ausdünstungen ansammeln, darf die Regierung künftig Ventilation vor-
schreiben, welche allerdings die Arbeiter selbst häufig nicht leiden
wollen. Seit 1897 wird die Luftreinheit nach dem Gehalt an Kohlen-
dioxyd (CO?) bestimmt. Es dürfen auf 10000 Teile Luft höchstens
6 Teile Kohlendioxyd kommen. Ebenso sperren sich die Arbeiter — wie
vormals die Arbeitgeber — gegen die Anwendung der neuen Vorschriften
gegen übermäßige Erhöhung der Temperatur, welche früher, zumal wo
der Raum künstlich angefeuchtet wird, oft viel zu weit getrieben wurde,
derart, daß selbst die Ware darunter litt. Das für derartige Fabriken
bestimmte Gesetz (Cotton Cloths Act) ist in das allgemeine Fabrikgesetz
mit aufgenommen und damit noch allgemeiner angewendet worden. Gerade
1) Bis Vollendung des 14. Jahres untersteht jedes Kind, was auch seine Beschäf-
tigung sein mag, den Schulräten und ist gehalten, deren Bestimmungen nachzukommen.
Mit 13 Jahren kann es, nach Erlegung eines Fähigkeitsattestes vom „Kind“ zum „jungen
Menschen“ werden. Ohne solches Attest bleibt es „Kind“ und darf nur als Kind be-
schäftigt werden.
2) Den Wäschereieinrichtungen religiöser (katholischer) Häuser werden noch Miß-
bräuche nachgesagt, zu deren Hebung eine im gegenwärtiger Session eingebrachte Gesetz-
vorlage verschärfte obrigkeitliche Aufsicht vorsah. Diese Vorlage wurde indessen in-
>
folge unsympathischer Haltung der Regierung abgelehnt.
508 Nationalükonomische Gesetzgebung.
für solche Fabrikräume hat auch die Regierung die Herrichtung eigener
Garderoben, zur sicheren Aufbewahrung der Kleidungsstücke, angeord-
net. In Bezug auf derartige Einrichtungen, überhaupt auf die persön-
liche Fürsorge des Arbeitgebers für die Arbeiter, stehen die englischen
Fabriken hinter den deutschen, belgischen und französischen zurück.
Andererseits legt der Arbeiter in England größere Selbständigkeit und
Initiative an den Tag. In Bezug auf Dampfkessel sind die Bestim-
mungen verschärft worden, und den Friedensgerichten ist die Befugnis
überlassen worden, die Benutzung ihnen geführlich erscheinender Ma-
schinen, Dampfkessel u. s. w. schlechthin zu untersagen oder aber auf
Beseitigung der Gefahr zu dringen. Bis 1901 hatte das Ministerium
in dieser Hinsicht nur beschränkte Rechte. Wichtig sind auch die
verschärften Bestimmungen mit Bezug auf Giftstoffe, wie Blei, Phosphor,
Arsenik und Quecksilber — der Minister darf weitere Stoffe für „gefähr-
lich“ erklären — worauf, ebenso wie auf die leider immer noch zu
häufig vorkommenden gewerblichen Krankheiten, seit einer Enquete im
Jahre 1897 sehr viel Gewicht gelegt wird. Seit 1898 hat die eng-
lische Fabrikinspektion einen eigenen ärztlichen Inspektor, der das ge-
samte Gebiet der Gesundheitspflege aufmerksam überwacht — wie seine
Jahresberichte erkennen lassen. In Bezug auf Minderung der Fälle
von Bleivergiftung will man den deutschen Verhältnissen bestimmt vor-
ausgekommen sein. In anderer Hinsicht, in Bezug auf Waschräume,
Gummischutzhandschuhe bis an den Ellbogen, und vor allem Schutz
der Atmungsorgane durch vorgeschobene Glasscheiben, ist man indessen
im Auslande weiter als in England.
Bei alledem kann man unter obwaltenden Umständen sagen, daß
seit 1901, soweit Fabriken und analoge Arbeitsräume in Betracht kommen,
den Zeitverhältnissen entsprechend befriedigend für das Wohl der Arbeiter
gesorgt wird. Die Fabrikaufsicht ist unbedingt gut. Auch dem vormals
angeregten Mangel genügender Kräfte ist abgeholfen worden. Und
es steht ja der Regierung jederzeit frei, mehr Inspektoren anzustellen.
An der Spitze der Abteilung steht ein höchster Inspektor mit einem
Vertreter, welchem 6 Oberinspektoren unterstellt sind. Davon stehen
4 ihnen eigens zugewiesenen Bezirken vor, in welchen 49 Inspektoren und
34 Unterinspektoren ihre ständigen Unterbezirke haben, durch Hilfs-
inspektoren verstärkt, welche nach Bedarf hierhin und dorthin geschickt
werden können. Ein Oberinspektor, ein Inspektor und 2 Unter-
inspektoren sind ebenfalls an keinen Ort gebunden. Die übrigen, ab-
geschen von einer Oberinspektorin und 8 Inspektorinnen für Arbeiter
weiblichen Geschlechts, d. h. also 1 Oberinspektor, 2 Inspektoren,
1 Unterinspektor und 2 Hilfsinspektoren, sind eigens für Textil-
fabriken angestellt, für welche besondere Vorschriften bestehen und die
eigens nachgesehen werden wollen !). Unter anderem handelt es sich um
die „Particulars clauses‘, welche zum Schutze der Arbeiter erst 1891
eingeführt wurden und seitdem äußerst beliebt geworden sind und sich
vorzüglich bewähren. Um allen möglichen Mißbräuchen vorzubeugen,
1) Dazu kommt jetzt noch ein Inspektor für elektrische Anlagen.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 509
ist festgesetzt worden, daß, wo in Textilfabriken Arbeit in Accord ver-
geben wird, die Arccordbedingungen den Arbeitern bei Ausgabe der
Arbeit auf das allerklarste in Worten, nicht aber in Schriftzeichen oder
Hieroglyphen, angegeben werden, so daß nirgends ein Irrtum vorkommen
kann. Das beschäftigt zum Teil diese Specialinspektoren. Weiter
aber nehmen sie auch die besondere Bestimmungen, welche für künstlich
befeuchtete Fabrikräume bestehen, in Anspruch. Ein eigener örtlicher
Inspektor steht, wie bereits erwähnt, der Abteilung in „gesundheitlichen“
Dingen vor; und überdies hat die Abteilung ihre näheren sachverständigen
„Ratgeber“ für Maschinensachen. Leider hindern die Arbeiter und Ar-
beiterinnen selbst noch in immerhin recht nennenswertem Grade die wohl-
thuende Thätigkeit der Inspektoren. Jn öffentlichen Versammlungen und
ähnlichen Orten mag man die Unzulänglichkeit der bestehenden Vor-
schriften und Maßnahmen gern tadeln. In der Arbeit selbst setzt der
Arbeiter eines höheren Verdienstes wegen nur gar zu häufig die zu seinem
eigenen Schutz beabsichtigten Maßregeln beiseite und hilft dem Arbeit-
geber den Fabrikinspektor hintergehen. In Irland hat eine Fabrik-
inspektorin sich 4 Wochen lang als einfache Touristin an einem Ort
aufbalten müssen, um auf diese Weise das Vertrauen der Arbeiterinnen so-
weit zu gewinnen, daß diese ihr (immer noch als Touristin) erzählten, wie
sie, dem Fabrik- und Truckgesetze zum Hohne, hintergangen würden, und
sie weiter in den Stand zu setzen, derartige Kontraventionen auch wirk-
lich vor dem Friedensrichter nachzuweisen. Der Fabrikinspektorin
hätten die Leute das niemals mitgeteilt.
Bestimmt unzulänglich wird die Fabrikgesetzgebung, wo sie auf
kleinere Werkstätten und häusliche Arbeit ihre Anwendung findet.
Das ist seit Jahren der specifisch wunde Punkt in dieser Gesetzgebung
gewesen. Man hat die bestehende Bestimmung in letzter Zeit bedeutend
verschärft. Namentlich hat man 1891 die Maßnahme eingeführt, daß
über Namen und Wohnung häuslich beschäftigter Arbeiter und Ar-
beiterinnen streng Register zu führen ist, war eine Kontrolle er-
möglicht. Das hat denn auch die Fabrikinspektion in den Stand ge-
setzt, wenigstens in einigem Maße dem „Schwitzen“ Einhalt zu thun. Die
Fabrikinspektion beaufsichtigt diese eingetragenen Räume indessen nur
in betreff der Anwendung des Fabrikgesetzes (Frauen- und Kinderarbeit,
Arbeitszeit u. s. w.), in betreff des Gesundheitsgesetzes thut dies die
örtliche Behörde ganz allein. Für Kontraventionen in Bezug auf An-
nahme von Arbeit bei Obwalten ansteckender Krankheiten u. dgl. wird
der Arbeitgeber, der sich darum kümmern soll, verantwortlich gemacht,
und nötigenfalls in Strafe genommen. Für die häusliche Einrichtung
ist der Eigentümer des Gebäudes verantwortlich. Ausgeschlossen von
der Anwendung des Fabrikgesetzes in häuslichen Werkstätten sind zur
Zeit nur die drei leichten Beschäftigungen: Strohflechten, Spitzenarbeit
und Handschuhmachen. Im übrigen ist alle Arbeit, jedenfalls alle Lohn-
arbeit, dem Gesetze unterworfen. Aber trotzdem dauern Mißbräuche
fort. Von seiten der Gewerkvereine möchte man die häusliche Arbeit
gern ganz und gar untersagen. Ohne ganz soweit zu gehen, verlangen
einige auf Reform Bedachte nach Vorbild einiger amerikanischer Staaten
510 Nationalökonomische Gesetzgebung.
und britischer Kolonien besondere Konzessionierung jeden Ortes, wo
gewerbliche Arbeit vollzogen wird.
In Bezug auf Bergwerke und Schiffahrt ist die neueste Periode
gesetzgeberisch wenig ereignisvoll gewesen — allerdings ist auch in
Anbetracht der im allgemeinen ersprießlichen Wirksamkeit. der älteren
Gesetze nach keiner neuen Gesetzgebung verlangt worden.
Für die Kohlenbergwerke ist das große Sammelgesetz vom Jahre
1887, in den Jahren 1895 und 1900 durch geringe Zusätze ergänzt,
noch immer das malgebende Und man ist damit durchaus zufrieden.
Dieses Gesetz, welches zur Zeit als ein wesentlicher Fortschritt in der
Vereinfachung der Gesetzgebung mit großer Freude begrüßt wurde, be-
darf hier kaum der eingehenden Besprechung. Es machte der Be-
schäftigung von Frauen und Mädchen unter der Erde ein Ende, ge-
stattete solche indessen weiter auf der Oberfläche, und zwar unter Um-
ständen, welche zur Kritik Anlaß gaben, denn manche Arbeit dieser
Art ist schwer. Es bestimmte das Minimalalter für Knaben, oberhalb
wie unterhalb der Oberfläche auf 12, und gestattete die Beschäftigung
solcher Knaben widersinnigerweise oberhalb nur zur halben Arbeits-
zeit, unterhalb zur ganzen, weswegen die jüngsten Knaben sich unter-
halb beschäftigen ließen. Es setzte Prüfungsbehörden ein, ohne deren
Zeugnis erster Klasse niemand Betriebsdirektor einer Grube, ohne Zeugnis
zweiter Klasse niemand Unterbetriebsdirektor werden konnte. Es traf
Bestimmungen über tägliche Besichtigung der Grube durch einen dieser
beiden, über Einreichung eines getreuen Grubenplanes an die Regierung,
Beaufsichtigung der Grube durch Grubeninspektoren, Vorsichtsmaßregeln
gegen Entzündung, gegen Einfall der Decke u. s. w., machte Vorschriften
in Bezug auf Gebrauch von Sicherheitslampen, auf Beschäftigung nur
geübter Arbeiter, über Unfallberichte, Untersuchung u. s. w. und räumte
schließlich den Arbeitern das Recht ein, auf ihre Kosten Beamte zur
Kontrolle des Wiegens der geförderten Kohle als Löhnungsnorm, und
ebenso weitere Vertreter zu ernennen, welche im Interesse der Arbeiter
die Grube allerwärts besichtigen durften. Dieses Gesetz bewährte sich
in der Praxis sehr gut. Nur hatte man vergessen, bei Vorschrift der
Vorsichtsmaßregeln die Gefahr in Betracht zu ziehen, welche aus An-
häufung von Kohlenstaub erwächst. Eine Kommissionsenquete legte
diese bald deutlich zu Tage. Ueberhaupt erschien weiteres Eingreifen
behufs größerer Sicherheit angezeigt. Man schlug dazu berufsgenossen-
schaftsartig gebildete erwählte Behörden vor, einen Rat für das ge-
samte Königreich oder kleinere Bezirksräte. Dies wollte indessen weder
den Grubenbesitzern noch den Arbeitern zusagen. Deshalb schnitt
man den gordischen Knoten dadurch, daß man durch die Novelle des
Jahres 1895 dem Minister des Innern sehr weitgehende Befugnisse
zum eigenmächtige Eingreifen zuwies. Gewissermaßen mit Bangen und
Zagen beantragte der Minister selbst diese Neuerung in dem nicht-
bureaukratischen England. Allein es zeigte sich kein ernstlicher Wider-
spruch. Und zugestandenermalen hat sich keine Gesetzbestimmung
besser bewährt als gerade diese. Die Regierung hat von ihrem Rechte
in umfassendem Maße Gebrauch gemacht. Gleich im Jahre 1897
Nationalökonomische Gesetzgebung. 911
führte der Minister, behufs seiner besseren Befähigung zum Handeln
in dieser Sache, eine Station zur Prüfung von Spreng- und Zündstoffen,
als eigene Abteilung in dem Grubeninspektorat ein. Die Station be-
steht in Woolwich und hat einen Artillerieoffizier zum Chef. Die an-
gestellten Versuche führten zum Erlaß einer sehr strengen Verordnung
in Bezug auf die Verwendung von Sprengstoffen, welche 1899 vervoll-
ständigt wurde und anerkanntermaßen zur besseren Sicherung des
Lebens sehr erheblich beigetragen hat. Auf Anregung der Regierung
haben auch einzelne Gruben in großer Menge „Specialreglements“ ange-
nommen, welche den örtlichen Verhältnissen gemäß für Sicherheit sorgen
und jetzt distriktweise so allgemein zu Kraft bestehen, daß man auf
ihrer Verallgemeinerung drängt. Die 1896er Novelle enthielt ebenso
strengere Vorschriften über Einreichung von Grubenplänen, wo der Betrieb
sistiert wird. Dazu ist nun 1900 noch eine weitere Novelle gekommen,
welche das Minimalalter für beschäftigte Knaben einheitlich, gleichviel
ob über oder unter der Erde, auf 13 erhöht.
Mit solchen Zusätzen scheint das 1887er Gesetz bestehenden Bedürf-
nisse ganz und gar zu genügen, wenngleich es, streng genommen, nicht
in seinem ganzen Umfange zur Anwendung kommt. Die Einrichtung
der von den Arbeitern erwählten Wägungskontrolleure ist von den
Arbeitern ausgiebig benutzt werden. Es wird so gar viel nach Ge-
wicht gelohnt, wobei denn oft nach Uebereinkommen ein fester Prozent-
satz für Abraum in Abzug kommt. Die Schwierigkeiten, welche die
Arbeitgeber zuerst mitunter den Kontrolleuren in den Weg legten, in
der Befürchtung, sie dürften ihr Vorrecht zur Förderung einer gehüssigen
Gewerksvereinspolitik ausnutzen, hat 1894 eine kleine Novelle nötig
erscheinen lassen, welche derartige Hinderung streng verbietet. Seitdem
hat man von Nachstellung nicht viel gehört. Andererseits ist von dem
Rechte, sogenannte Arbeiterinspektoren zur periodischen Besichtigung der
Grube zu ernennen, nur wenig Gebrauch gemacht worden, offenbar weil
man die Kosten scheut. Arbeiter in Schottland haben dies frei heraus-
gesagt. Anderwärts hat man behauptet, die „Arbeiterinspektoren“
würden von ihren Vorgesetzten Nachstellungen auszustehen haben. Im
allgemeinen sind die Arbeitgeber indessen der Grubenbesichtigung durch
die Arbeiter geradezu günstig, und wo sie stattgehabt hat, hat sie sich
durch Begründung festen Vertrauens bewährt. Wo der Haken liegt,
ersieht man sehr deutlich aus dem wiederholt vorgebrachten Vorschlag
der Arbeiter, die Regierung möge staatlich besoldete Grubeninspektoren
aus dem Arbeiterstande berufen. Die Grubenbeaufsichtigung ist im
ganzen eine gute. Sie ist seit einigen Jahre mit der Beaufsichtigung
von Metallbergwerken vereint worden und zur Versehung des gemein-
samen Dienstes in zwölf Bezirken giebt es zur Zeit 37 Inspektoren
und Hilfsinspektoren. Wohl klagen Arbeiter mitunter darüber, daß diese
Inspektoren nicht genug leisten. Dieses Urteil entspringt indessen wohl
der falschen Voraussetzung, daß die Inspektoren nicht dazu da sind, um
die Betriebsführung nur zu kontrollieren, sondern um geradezu den
Betrieb selbst zu leiten. Es scheint indessen zugestanden zu werden,
daß die Meldung von Unfällen nicht mit derselben Promptheit geschieht,
512 Nationalökonomische Gesetzgebung.
wie in Fabriken. Gegen Berufung von Grubeninspektoren aus dem
Arbeiterstande sperrt man sich schon deswegen, weil es kaum statthatt
sein würde, die geprüften Betriebsdirektoren ungeprüften Inspektoren
mit weniger Kenntnis zu unterstellen. Mit den Ergebnissen der Prüfung
von Betriebsdirektoren und Unterdirektoren ist man allerwärts zufrieden;
doch hat man hier und da angeregt, daß das Kriterium der Prüfung
mit Vorteil auch auf niedere Angestellte auszudehnen wäre. Außerdem
regt die thatsächliche Auslegung der 1887er Bestimmung über Nicht-
beschäftigung von ungeübten Arbeitern mitunter zur Kritik an. Die
Fassung läßt die Auslegung zu, daß ungeübte Arbeiter zwar nicht allein,
aber doch zu zweien oder in größerer Zahl beschäftigungsfähig seien.
Und so hat man die Bestimmung auch ausgelegt. Die Alternative
wäre, eine Art Lehrlingsstadium einzuführen. Das Gesetz spricht von
2-jähriger Vorbildungszeit, welche die Arbeiter weiter zur 5-jährigen
machen wollen. Während dieser Zeit wären die neuen Arbeiter nicht
vollberechtigt. Bei Licht betrachtet, wären es Lehrlinge. Den Gewerk-
vereinen wäre dieses schen recht, weil sie dadurch in die Lage gesetzt
werden würden, den Zutritt zu ihrem Beruf absolut zu kontrollieren und
die Zahl der zulässigen Arbeiter zu beschränken. Die öffentliche Meinung
hat sich indessen noch nicht zu diesem Punkte drängen lassen. Der
zumeist umstrittene Punkt in der Gesetzgebung ist noch immer die
Beschäftigung von Knaben. In den wichtigen Kohlenbezirken von
Durham und Northumberland fehlt es an Knaben zur Leistung der Hilfs-
dienste. Die Erhöhung des Minimalalters hat diesen Mangel noch fühl-
barer gemacht. Soll also der erwachsene „Hauer“ vollauf zu thun
haben, so muß der „Knabe“ länger beschäftigt werden als er selber.
In der That arbeitet der Knabe meist 10 Stunden, der Hauer nur 7!/,.
Das ist der Grund, weswegen die Bergarbeiter dieser Grafschaften so
hartnäckig dem Verlangen nach einem gesetzlich festgesetzten Acht-
stundentag widerstehen. Wollte man die Arbeitszeit der Knaben
(und junger Leute bis zu 16) beschränken, so würden Männer Knaben-
arbeit mitzuversehen und sich einer längeren Arbeitszeit zu unterwerfen
haben. Die Nichtbeschränkung der Arbeitszeit kommt also den Knaben
selber zu gute, wenn sie erst einmal dem Knabenalter entwachsen sind.
Aus dem Gebiete der Gesetzgebung für andere Gruben und Berg-
werke ist noch weniger zu berichten. Für Erzbergwerke bleibt das
Gesetz vom Jahre 1872, durch eine Novelle vom Jahre 1875 ergänzt,
maßgebend. Dieses Gesetz macht sehr eingehende Vorschriften in Bezug
auf das Alter der Beschäftigten — unterirdisch nur Männer und Knaben
— Arbeitszeit u. s. w. Unter 13 Jahren darf überhaupt niemand be-
schäftigt werden. Winden und ähnliche Apparate sind nur Männern
anzuvertrauen. Es ist eine eingehende Beaufsichtigung durch Inspektoren
vorgesehen, welche jährlich im allgemeinen, und außerdem über jeden
Unfall und jede von ihnen entdeckte Gefahr zu berichten haben. Ihren
Berichten zufolge hat das Ministerium das Recht, allgemeine oder
specielle Vorschriften zu erlassen. In Bezug auf die Benutzung von
Sprengstoffen unterliegen sämtliche Bergwerke sowie auch Steinbrüche
dem Sprengstoffgesetz vom Jahre 1875, welche über die Anfertigung,
Nationalökonomische Gesetzgebung. 513
den Verkauf, die Aufbewahrung, den Transport und die Verwendung
aller Sprengstoffe Bestimmungen trifft und Beaufsichtigung durch einen
Sprengstoffinspektor vorschreibt. Mit Bezug auf diese, recht strengen,
Bestimmungen, gestattet ein Zusatzgesetz vom Jahre 1882 dem Minister
des Innern, Schieferbrüche, bei welchen ja weniger Gefahr der Ent-
zündung vorliegt, von ihrer Anwendung auszunehmen, was auch ge-
schehen ist. Doch kann der Minister diese Ausschlußbestimmung jeder-
zeit zurücknehmen. Die Zinnbergwerke unterliegen noch immer einem
eigenen Gesetze, vom Jahre 1869, welches 1887 ausgiebig ergänzt
worden ist. Es sieht dies im Interesse der Arbeiter wenig weiteres
vor, als daß ihr Arbeitslohn unter allen Umständen sichergestellt wird,
d. h. vor allen anderen Verbindlichkeiten den Vortritt genießt. Durch
das Steinbruchsgesetz vom Jahre 1894 werden andererseits die Stein-
brüche, deren Tiefe an irgend einem Punkte mehr als 20 Fuß unter
die Erdoberfläche hinabreicht, von der Anwendung des Fabrikgesetzes
ausgenommen und mit den Erzbergwerken auf eine Stufe gesetzt. Da-
mit werden sie statt der Beaufsichtigung durch Fabrikinspektoren mehr
folgerichtig derjenigen durch Bergwerksinspektoren (Berggeschworene)
unterstellt, und alle Arbeiterschutzbestimmungen, die in Erzbergwerken
Platz haben, werden ipso facto auf sie anwendbar.
Zum Schutze der Seeleute, ihren Arbeitgebern gegenüber, hat das
Gesetz vom Jahre 1876, welches durch die effektvolle Plimsoll'sche
Agitation provoziert wurde, derartig eingreifende Sicherheitsmaßregeln
zur Geltung gebracht, daß seitdem kaum das Bedürfnis neuer Schutz-
maßregeln empfunden worden ist. Wohl verlangt man noch Aus-
dehnung der Unfallentschädigung auf die Beschäftigung zur See. In-
dessen ist ein geradezu dringendes Bedürfnis noch nicht nach-
gewiesen worden. Was den Schutz der Seeleute sich selbst gegenüber,
d h. ihrem sprichwörtlich gewordenen Leichtsinn, wenn „Geld in
Bänken“ ist, und ihrer Gutmütigkeit gegen Schwindler, anlangt, so
hat das Gesetz vom Jahre 1880 neue Brustwehren aufgeführt. Beide
Gesetze und noch 47 andere, welche dadurch in Aufhebung gekommen
sind, hat das Riesensammelgesetz vom Jahre 1894, welches 748 Para-
graphen umfaßt, und 292 Druckseiten Großoktav anfüllt, in eins ver-
einigt. Wie der verstorbene Mundella, der es als Handelsminister vor-
legte, ausdrücklich erklärte, enthält es keinerlei neue Bestimmungen.
In betreff etwaiger Verbesserungen gehen auch heute noch die An-
sichten ziemlich weit auseinander. Das bestehende Gesetz giebt dem
Seemann in Hinsicht auf seine Löhnung doch recht angemessenen Schutz.
Die Werbung darf nur durch amtlich als berechtigt anerkannte Personen
und andererseits, soweit als Vermittler in Betracht kommen, durch
ebenso Berechtigte erfolgen, was allerdings nicht ausgeschlossen hat, daß
der nicht berechtigte Seemannsgewerksverein Vermittlerdienste gespielt
hat. Lôhnungsverhältnisse, ebenso wie Verpflegungsbedingungen, und
alles was den Dienstvertrag betrifft, muß völlig deutlich schwarz auf
weiß niedergeschrieben sein. Douceurs oder andere Vergütung, irgend
etwas über die festgesetzten gesetzlichen Spesen hinaus, darf bei Strafe
kein Beamter, kein Vermittler von einem Seemann annehmen. Selbst-
Dritte Folge Bd. LI (LXXVIII). 33
514 Nationalökonomische Gesetzgebung.
verständlich spielt im Seemannsdienst, zumal wo es sich um Fischfang
handelt, die Annahme von Lehrlingen eine größere Rolle als auf dem
Lande. Junge Leute müssen in ihrem eigenen Interesse angelernt und
auf die volle Lehrzeit festgemacht werden. An Bord ist der Seemann
zu einen Minimalmaß von 72 Kubikfuß Schlafraum berechtigt, der durch
keinerlei Vorräte — wie das früher geschehen ist — beeinträchtigt
werden darf. Sein Arbeitgeber ist gehalten, die nötigen Arzeneien, Mittel
gegen Skorbut u. s. w., an Bord zu führen. Dieselben sind amtlicher
Untersuchung ausgesetzt. Zählen die an Bord befindlichen Personen
100, so muß der Arbeitgeber ferner einen Arzt an Bord führen. Sollten
die Lebensmittel oder das Wasser schlecht sein, so ist es jedem Be-
amten in dieser Sache, jedem Konsularbeamten oder Offizier eines
Schiffes der königlichen Marine Vorschrift, auf Verlangen von mindestens
drei klageführenden Seeleuten eine Untersuchung einzuleiten. Erweist
sich die Klage als ungerechtfertigt, so können die Klageführer aller-
dings eine Wochenlöhnung einbüßen. Andererseits wird Besserung ge-
schafft. In betreff von Heimsendung von Geld oder Anlage der Löhnung
sind heute alle möglichen Erleichterungen gegeben. Vormals büßten
die Seeleute dabei häufig viel ein, weil sie nicht wußten, wie mit Geld
umzugehen ist. Auch werden die Leute, welche die Seeleute sonst zu
leichtsinnigen Abmachungen, Miete, Ankauf unnötiger Dinge u. s. w.
verleiteten, energisch vom Schiffe ferngehalten. In der Not, so daß er
etwa der Armenbehörde zur Last fiele, darf kein Seemann von seinem
Arbeitgeber entlassen werden. Was die Ladung oder den Zustand der
zur See gesandten Schiffe anbelangt, so sind die 1876er Bestimmungen
recht streng. Es handelt sich um Anzeichnung der nach Prüfung fest-
gesetzten Wasserlinie, über die hinaus das Schiff nicht beladen werden
darf; um die Beschränkung der Ladung auf dem Verdeck; um das
Verbot der Ladung von Getreide im losen Zustande; um wasser-
dichte Zwischenwände u. s. w. Der amtliche Kontrollapparat sieht
tüchtige Behörden vor und das Gesetz giebt dem Handelsamt und
seinen Untergebenen weitgehende Befugnisse. Ein zur Seefahrt un-
sicher erscheinendes Schiff läßt sich durch bloße Verordnung des Be-
amten im Hafen anhalten. Auch darf das Handelsamt nach Gutdünken
Vorschriften in Bezug auf Sicherheitsmaßregeln, Rettungsmittel u. s. w.
erlassen. Selbstverständlich muß jeder irgendwie verantwortliche Be-
amte, der mit der Leitung eines Schiffes zu thun hat, seiner Charge ge-
mäß eine Prüfung bestehen. Das Handelsamt beruft Inspektoren (Board
of Trade inspectors) und Besichtiger (surveyors), letztere speciell für
Dampfer. In jedem Hafenorte besteht ein örtliches Marineamt, aus einem
örtlichen Beamten, Vertretern der Schiffseigentümer im Bezirke und Be-
rufenen des Handelsamtes zusammengesetzt, welches in Beschwerdesachen
gegen höhere Schiffsbeamte (nicht bloße Seeleute) Recht spricht. Dieses
Amt, hat auch die Befugnis, Schiffsvorräte besichtigen und untersuchen
zu lassen. Weiter besteht in jedem solchen Orte auch eine Mercantile
Marine Office mit einem „Superintendenten“, welches wesentlich zum
Schutze der niederen Seeleute und zur Vermittelung zwischen diesen und
ihren Arbeitgebern berufen ist. Es wirkt zugleich sozusagen mit als
Nationalökonomische Gesetzgebung. 515
Arbeitsamt und amtlicher Vermittler bei der Werbung und Entlassung.
In Lohnstreitigkeiten bis zu 5 £ kann es Recht sprechen.
Auf diese Weise ist doch anscheinend für alles unmittelbar Nötige
gesorgt. Neue Wünsche werden allerdings von Zeit zu Zeit laut. Zu
effektiven Gesetzvorschlägen irgend welcher Bedeutung ist es indessen
nicht gekommen.
Eines der bekanntesten englischen Arbeiterschutzgesetze ist die im
Jahre 1831 angenommene und im Jahre 1887 vervollständigte Truckakte,
welche dem Arbeitgeber die Zahlungsleistung der dem Arbeiter schuldigen
Löhnung in Geldeswert statt baren Geldes absolut untersagt, ebenso
ihm verbietet, dem Arbeiter bedingungsweise den Handel in besonderen
Läden vorzuschreiben, oder ihm über bestimmte Grenzen hinaus Lohn-
abzüge zu machen. Zur Sicherung der Ausführung dieser Gesetzes-
bestimmungen ist den Fabrik- und Bergwerksinspektoren die Aufsicht in
der Sache überwiesen. Sie sollen stets dazu bereit sein, Klagen wegen
Kontraventionen entgegenzunehmen und daraufhin Untersuchungen ein-
zuleiten. Damit will es nun nicht immer gehen, denn — namentlich
in Irland — scheuen sich die Arbeiter nicht selten, dergleichen Klagen
laut werden zu lassen. Man will absolut nicht in der gehässigen
Rolle eines „Denunzianten“ erscheinen. Sonderbare richterliche Ent-
scheide haben zu diesen beiden Gesetzen im Jahre 1896 eine Gesetz-
novelle notwendig gemacht, welche eine nicht ganz unwichtige Neben-
wirkung herbeigeführt hat. Bis dahin beschränkte sich die Wirksamkeit
des Truckgesetzes ganz allein auf gewerbliche Arbeiter. Für sie allein
war überhaupt die Schutzgesetzgebung abgesehen. Auf landwirtschaft-
liche Arbeiter, Dienstboten und Kellner hat die Truckakte noch immer
keine Anwendung. Diese dürfen in natura gelohnt werden. Dabei
kann es nun heutzutage aber kaum mehr zu Mißbräuchen kommen. Der
Schuh drückt indessen noch an dem Punkte der Lohnabzüge, sei es für
Strafe, sei es zu Ersatz für angerichteten Schaden. Eines weiteren
schmerzenden Punktes wird noch zu gedenken sein. Die geradezu in-
stinktive Scheu vor unbilligen Abzügen ist es, beiläufig, mit in großem
Maße, welche die englische Arbeiterbevölkerung einer Maßnahme wie
es die deutsche Unfall- oder Altersversicherung ist, wobei der Arbeitgeber
für abzuziehende Beiträge des Arbeiters verantwortlich zu machen sein
würde, so gewaltig ungünstig stimmt. Man scheut den Truck — und den
Trug. Von liberaler Seite wurde in den 1896er Debatten, und wird
seitdem noch immer beharrlich dafür eingetreten, daß Lohnabzüge
überhaupt nicht, d. h. unter keiner Bedingung, statthaft sein sollen. Ob
wir noch dahin kommen oder nicht, die Berechtigung solcher Forderung
wurde 1896 allerseits zugestanden und es wurde von seiten der
Regierung besonders geltend gemacht, daß bei ungebildeten und un-
wissenden Arbeitern eine falsche Auslegung, zu ihren Ungunsten, der
Bestimmungen, welche in Ausnahmefällen doch einen Abzug gesetzlich
machen, schlechterdings nicht zu vermeiden ist. Trotzdem wollte man
die Ausnahmebestimmungen, als absolut notwendig, aufrecht erhalten.
Nur sichert sich die Regierung dabei, unter Zustimmung des Parla-
mentes, weitere Rechte zum Eingreifen, welche sie thatsächlich mehr
33*
516 Nationalökonomische Gesetzgebung.
oder weniger zum eigenmächtigen Schützer der Arbeiter machen.
Die nicht unwichtige Nebenwirkung, welche die Ergänzung des Ge-
setzes — die hauptsächlich auf klarere Erläuterung der Ausnahmefälle
abgesehen war — herbeigeführt hat, ist diese, daß sie auf Verlangen
der Liberalen auch Handlungsgehilfen in das Bereich ihrer Wirksam-
keit hineinzieht. Das ist, mit einer Ausnahme, das erste Zugeständnis,
welches die Arbeiterschutzgesetzgebung der handeltreibenden Bevölkerung
gemacht hat. Eine Lücke läßt das 1896er Zusatzgesetz noch, wie eine
späterer Enquete klar dargelegt hat, dadurch, daß es den Arbeitgebern
leider noch gestattet, ihren Arbeitern gegenüber als Bedingung der Be-
schäftigung darauf zu bestehen, daß sie von den Arbeitgebern zu be-
zeichnenden Hilfskassen beitreten. Das geschieht weit weniger — über-
haupt kaum — mit Bezug auf eine gemeinsam zu betreibende Unfall-
versicherung, wie vor dem Jahre 1897. Meist hat es nur auf die ge-
wöhnliche Krankenversicherung und andere Hilfskassendienste Anwen-
dung. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die betreffenden Arbeitgeber —
darunter hochmächtige Eisenbahn- und Werftgesellschaften — sich bei
dieser Sache nichts Böses gedacht haben. Die Enquete hat indessen
Mißbräuche aufgedeckt, gegen welche die Untersuchungskommission ab-
solute Abhilfe verlangt. Sie dringt darauf, daß der Zwang jedenfalls
abgeschafft werde, und beantragt auch, daß jede überhaupt zulässige
Hilfskasse, welche gemeinschaftlich von Arbeitern und Arbeitgebern ge-
bildet wird, dem Placet des Registrar of Friendly Societies unter-
worfen werde. Dem ausgesprochenen Verlangen der Kommission ist noch
nicht Folge geleistet worden !).
Das neueste Truckgesetz hat uns von der gewerblichen Arbeit in
das Gebiet des Handels übergeführt. Längere Zeit schon dringt man
aut Schutz, vorerst zum mindesten des verkaufenden Ladenpersonals, auf
gleiche Weise wie jetzt die Arbeiter geschützt werden. Im Jahre 1886
genehmigte das Parlament ein Gesetz, welches für Kinder und junge
Leute — d. h. Leute bis zu 18 Jahren — die Beschäftigung in einem
Laden auf 74 Stunden in der Woche beschränkt, und natürlich weitere
Ausbeutung der jugendlichen Kräfte etwa in einer Werkstatt oder in
einer Fabrik untersagt. Dieses Erstlingsgesetz ist durch nebensächliche
Zusätze schon dreimal ergänzt worden, nämlich 1892, 1893 und 1895.
Unter anderem sind Stadträte dadurch ermächtigt worden, behufs Beauf-
sichtigung der Kaufläden Ladeninspektoren einzusetzen. Auch sind
Strafen für Kontraventionen festgesetzt. Im Jahre 1899 ging man
einen Schritt weiter und verfügte, daß in Läden, wo Verkäuferinnen
beschäftigt werden, für solche genügende Stühle oder Bänke vorhanden
sein sollen, so daß sie sitzen können.
So weit geht heute das Gesetz. Es wird indessen schon weit mehr
verlangt. Es sollen bestimmte Fristen für Mahlzeiten festgesetzt werden;
zu schwererem Ladendienste Beschäftigte sollen erst bezüglich ihrer
1) Das wird indessen voraussichtlich jetzt gethan werden. Es ist ganz kürzlich
ein Gesetzentwurf im Sinne der Empfehlungen der Kommission eingebracht worden,
über welchen zur Zeit die Einzelberatung stattfindet.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 517
körperlichen Befähigung geprüft werden; ja, schließlich soll den örtlichen
Behörden das Recht zugestanden werden, in ihren Bezirken den Laden-
schluß zu bestimmten Stunden zu verordnen. Mittlerweile ist die Bildung
von Gewerksvereinen zur Wahrung der Interessen von Handlungsgehilfen
angeregt worden.
In Bezug auf die landwirtschaftlichen Arbeiter bleiben das bereits
erwähnte Gesetz über Häckselschneidemaschinen und die Ausdehnung
der Unfallentschädigung auf diese Arbeiterkategorien die einzigen Er-
rungenschaften der Neuzeit. Und aus älterer Zeit hat sich nur das
Volksunterrichtsgesetz vom Jahre 1876 erhalten, welches ja kein Ar-
beiterschutzgesetz ist, welches, gerade im Gegenteil, das bischen Schutz,
was früher bestand, sonderbarweise in Aufhebung gebracht hat. Warum
es dazu benutzt wurde, dafür ist niemals ein Grund angegeben worden.
Ein Gesetz vom Jahre 1867 schrieb vor, daß kein Kind unter 8 Jahren
landwirtschaftlich beschäftigt werden darf, und daß in den damals ge-
bräuchlichen Arbeiterzügen, die zur Zeit reichlicher Arbeit allerwärts Be-
schäftigung suchten, wo sie zu finden war, Frauen und Mädchen nur
gesondert von Männern und Knaben zu verwenden seien, und zwar
unter Vorarbeitern ihres eigenen Geschlechtes, welche sich erst vor
einem Friedensrichter über ihr gutes Verhalten ausgewiesen haben
mußten. Im Jahre 1873 wurde diesen Bestimmungen ein Unterrichts-
zwang hinzugefügt. Allein, vielleicht aus Versehen, wurden durch das
weitere Unterrichtsgesetz vom Jahre 1876 diese älteren Bestim-
mungen in Aufhebung gebracht. Mittlerweile sind ja die Arbeiter
knapp geworden und die ganze Entwickelung ländlichen Lebens hat ja,
soweit ländliches Leben überhaupt besteht, eine neue Richtung einge-
schlagen. Die Entvölkerung geht allerdings noch fort. Aber das Be-
streben ist doch nach der Kleinkultur. Es ist also vielleicht Schutz-
gesetzgebung nicht mehr so notwendig wie sonst.
Abgesehen von dem landwirtschaftlichen Kapitel darf England mit
den Arbeiterschutzergebnissen der letzten Periode offenbar zufrieden sein.
Es ist noch lange nicht erreicht, was wünschenswert ist. Allein der
Arbeiterschutz hat über das Manchestertum gesiegt, hat sich eine be-
festigte Stellung errungen. Die alten Vorurteile sind überwunden. Die
Besorgnisse der Arbeitgeber sind in großem Maße beseitigt. Der Staat
ist sich seiner Aufgabe und seiner Pflichten bewußt. Und zu dem Werke
der Vervollkommnung bekennen sich alle Parteien gewillt und bereit
Die Kämpfe des heute beschlossenen Jahrhunderts sind aufreibend und
schwierig gewesen. Sie haben aber doch zu einer wertvollen Errungen-
schaft geführt. Und auf Grund dieses hundertjährigen Fundamentes
läßt sich ein weiterer ersprießlicher Ausbau erwarten.
518 Miszellen.
Nachdruck verboten.
Miszellen.
VI.
Eine braunschweigische Hypothekarstatistik.
Von Dr. Paul Kollmann.
Eine statistische Erforschung der hypothekarischen Verschuldung
hat zwar unter dem Drucke der gegenwärtigen bedrängten Lage des
landwirtschaftlichen Grundeigentums in deutschen Staaten neuerlich
öfters stattgefunden ` doch ist es noch keineswegs gelungen, die hierbei
sich entgegenstellenden erheblichen Schwierigkeiten völlig zu überwinden,
Schwierigkeiten, welche nicht nur in der Umständlichkeit und Kost-
spieligkeit der Ermittelungen, sondern auch in dem Wesen der Sache
begründet sind dergestalt, daß selbst bei guter Beschaffenheit der
Quellen, d. h. der Grund- oder Hypothekenbücher, nicht immer aus-
reichende Bürgschaft für erschöpfende und zutreffende Feststellung der
Thatsachen vorliegt. Das letztere rührt zumal daher, daß die in den
Hypothekenbüchern verzeichneten Schuldpöste vielfach nicht den wirk-
lichen Schuldbetrag beziffern, da erfahrungsmäßig die Löschung abge-
zahlter Schulden erst geraume Zeit später zu erfolgen pflegt. Dazu
kommt, daß die Einrichtung der Hypothekenbücher oftmals der stati-
stischen Ausnutzung sich mehr oder minder spröde erweist. So haben
die nach einem trefflich entworfenen, umfassenden Plane unternomme-
nen, auch dadurch bemerkenswerten Ermittelungen im Königreich Sachsen,
daß sie wohl zum erstenmale in neuerer Zeit eine einen größeren Staat
umfassende Bestandesaufnahme ins Werk setzten, wegen der hierfür
unzulänglichen Art der Unterlagen der aufgewendeten beträchtlichen
Mühe nur in schwachem Maße entsprochen. Mit mehr Erfolg, aller-
dings auch weniger umfassend, sind Hessen und Württemberg vorge-
gangen, welche ebenfalls das ganze Staatsgebiet einbegriffen haben. Da-
gegen hat Preufen es bislang dabei bewenden lassen, seine sonst mit
Umsicht vorgenommenen Feststellungen auf einen doch nur kleinen Teil
seines Gebietes, auf 52 ausgewählte Amtsgerichtsbezirke zu beschränken.
Noch weiter sind darin süddeutsche Staaten gegangen, welche bei Ge-
legenheit einer landwirtschaftlichen Enquête gar nur einzelne geeignete
Gemeinden ins Auge gefaßt haben. Gestattete hierbei wohl die enge
Miszellen. 519
Begrenzung des Erhebungsgebietes, tiefer einzudringen und über die
sonst entgegentretenden Unzuträglichkeiten, welche mit größeren Veran-
staltungen verbunden sind, hinwegzukommen, so können doch solche bei-
spielsweisen Feststellungen eine wirkliche und allgemeine statistische
Erfassung nicht ersetzen. Die Weitläufigkeiten und Unzulänglichkeiten
einer auf die Grund- oder Hypothekenbücher aufgebauten Statistik lassen
sich allerdings, wie die während der 90er Jahre vorgenommenen und
glücklich durchgeführten Versuche Badens und Oldenburgs beweisen,
dadurch umschiffen, daß man sich dort, wo eine Einkommensteuer be-
steht und die Schulden bezw. Schuldzinsen zwecks Absetzung von dem
steuerpflichtigen Einkommen zur Angabe und Aufzeichnung gelangen,
an die viel leichter zu verwendenden und in dem diesbezüglichen In-
halte auch zutreffenderen Einkommensteuerkataster hält. Da aber diese
Quellen, so vortrefflich und angezeigt sie im übrigen sind, nicht bloß
die Schulden mit hypothekarischer, sondern auch die mit persönlicher
Haft ununterschieden anzugeben pflegen, so gewähren sie auch nicht
das, worauf es bei der Belastung des Grundeigentums in erster Linie
abgesehen ist. Um diesen Zweck zu erreichen, hat man denn in Baden
trotz der erst kürzlich veranstalteten Verschuldungsstatistik im weiteren
Sinne im Jahre 1901 von neuem eine Hypothekarstatistik im engeren
Sinne angeordnet; doch ist über deren Gestalt und Ausführung einst-
weilen noch nichts Näheres bekannt geworden.
Einen bemerkenswerten Fortschritt in der Erhebung der hypothe-
karischen Verschuldung hat nun jüngst das Herzogtum Braunschweig
gezeitigt durch seine eingehende Bestandesaufnahme nach dem Stande
vom 1. Januar 1897 und damit dargethan, wie auch für ein ganzes
Land durch sorgfältige Anlage und Behandlung eine den wesentlichen
Anforderungen genügende Hypothekarstatistik ohne gerade unverhältnis-
mäßigen Kostenaufwand durchführbar ist. Die Grundlage zu dieser Er-
hebung gab eine Ministerialverfügung vom 3. April 1897 ab, welche den
Amtsgerichten aufgab, aus den Grundbüchern getrennt für jede Ort-
schaft und für jedes belastete oder unbelastete selbständige Grundstück
bis zum 15. Oktober gleichen Jahres Auszüge nach Maßgabe des dafür
aufgestellten Formulars zu bewirken. Dieses Formular enthält folgende
12 Rubriken: Bezeichnung des Eigentümers, des Grundstückes, Größe
in ha, Grundsteuerkapital, Ablösungskapitale für Herzogliches Leihhaus,
für andere Berechtigte, bäuerliche Lasten, d. h. Abfindungen, Leib-
zuchten, hypothekarische Belastungen für Herzogliches Leihhaus, für
den ritterschaftlichen Kreditverein und ähnliche Institute, für sonstige
Gläubiger, Kautionshypotheken, sonstige Belastungen. Aus den hierzu
erteilten Anweisungen ist hervorzuheben, daß sämtliche in Privathänden
befindliche Anwesen und selbständigen Grundstücke, welche das Grund-
buch enthält, aufzunehmen, also auch diejenigen, bei denen eine hypo-
thekarische Belastung nicht in Frage kam, daß dagegen die im Eigen-
tume des Staates, der Gemeinden, der Kirchen und Schulen wie der
sonstigen Stiftungen stehenden Grundstücke fortzulassen waren. Sofern
es gerichtskundig war, daß ein bestimmtes, noch nicht gelöschtes Ab-
lösungskapital bereits seine Rückzahlung gefunden hatte, war auch solches
520 Miszellen.
nicht zu berücksichtigen. Für die Feststellung der bäuerlichen Lasten
erschien es von vornherein ohne ganz bedeutende Weiterungen ausge-
schlossen, sie vollständig zu erfassen. Es konnte deshalb nur darauf
ankommen, sie soweit, als das Grundbuch darüber Aufschluß gab, in
Rechnung zu bringen. Sofern das Grundbuch eine Abfindung oder
Leibzucht nicht näher ersichtlich machte oder sie teilweise in natura
oder auch in einer Rente ausgeworfen war, sollte lediglich das Vorhanden-
sein (durch ein A oder L) kenntlich gemacht werden. Da erfahrungsgemäß
mit der Beantragung der Löschung bäuerlicher Lasten häufig lange gezögert
wird, aber auch angenommen werden darf, daß die Tilgung nach
Ablauf eines größeren Zeitraums zweifellos erfolgt ist, so war vorge-
schrieben worden, alle vor dem Jahre 1860 eingetragenen und seither
noch nicht gelöschten Lasten, ohne weiteres als gelöscht zu betrachten.
Endlich kommt zur Vermeidung vor Doppelzählungen die Anordnung in
Betracht, daß, falls für ein und dieselbe Hypothek mehrere Grundstücke
verhaftet waren, die Hypothek nur einmal in Ansatz zu bringen war.
Verhandlungen zwischen dem Vorstande des statistischen Bureaus und
den Amtsgerichten, welche vor der Ausführung der Ermittelungen zur
Beseitigung bestehender, zumal örtlichen Eigentümlichkeiten entspringen-
der Schwierigkeiten gepflogen waren, hatten dahin geführt, daß, weil
diese Schwierigkeiten sich als besonders erheblich darstellten, die Städte
Braunschweig, Wolfenbüttel und Holzmünden, sowie 2 Landgemeinden
von der Aufnahme auszuschließen seien, überdies weitere 6 Ortschaften,
weil deren gesamter Grund und Boden sich im Besitze des Staates befindet.
Die Ergebnisse der so zur Ausführung gebrachten Erhebung sind
in zwei Bänden herausgegeben worden, von denen der eine die er-
mittelten und berechneten Thatsachen selbst, der andere die weitere
Bearbeitung aus der Feder des Finanzrates Dr. Zimmermann, des
Vorstandes des statistischen Bureaus des Herzoglichen Staatsministeriums,
enthält!). Die Veröffentlichungen sind ein vollgiltiger Beweis für die
einsichtige und kritische Arbeitsweise des braunschweigischen statistischen
Amtes. Denn nicht allein das angewandte Verfahren bei Erhebung
und Aufbereitung des Materials, auch die weitere wissenschaftliche Ver-
wertung und Beurteilung der gewonnenen Thatsachen ist danach
angethan, strengeren Anforderungen zu genügen und somit die Erkenntnis
des behandelten Gegenstandes in trefflicher Weise zu fördern. Dabei
hat der Bearbeiter gleichzeitig einen Ueberblick über den heutigen
Stand der Hypothekarstatistik in Deutschland gegeben und hiermit eine
eingehende Untersuchung über den Wert der weiteren Verschuldungs-
und engeren Hypothekarstatistik verbunden. Die ihm unverkennbaren
Vorteile jener wurden doch für das Braunschweigische Vorgehen auf-
gewogen durch das auf die Erfassung des Realkredites gesteckte
Ziel und durch den Umstand, daß die neuere Einkommen- und Ver-
1) Beiträge zur Statistik des Herzogtums Braunschweig, herausgegeben vom stati-
stischen Bureau des herzoglichen Staatsministeriums. Heft 15. Die hypothekarische
Belastung des Grundbesitzes im Herzogtum am 1. Januar 1897. Erste Abteilung.
Braunschweig 1900, gr. 4, 215 SS.; Heft 16, unter demselben Titel: Zweite Abteilung, die
textliche Bearbeitung von F. W. R. Zimmermann, 1901, 118 SS.
Miszellen. 521
mögenssteuergesetzgebung erst soeben zum Abschlusse gelangt ist und
die daraufhin erstmalig unternommene Veranlagung noch nicht als ge-
eignet für statistische Ermittelungen angesehen werden konnte. Auch
sprach gegen die Einkommensteuerkataster, daß man daraus weniger
leicht die jährlichen Bestandesveränderungen der Verschuldung glaubte
gewinnen zu können. Es läßt sich nicht beurteilen, wie die Einrichtung
jener Unterlagen die jährlichen Zu- und Abgänge leichter oder unständ-
licher entnehmen läßt; nach der der oldenburgischen Einkommensteuer-
rollen hat sich eine alljährliche Feststellung des Schuldenbestandes un-
schwer beschaffen lassen. Auch gestattete sie die Trennung der Real-
und Personalschulden, da bei den Offenbarungen der Steuerpflichtigen
die einzelnen Schulden nach ihrer Art genau nachzuweisen sind.
Die erhobenen Thatsachen sind zunächst in folgender grundlegen- '
den Gestalt gemeinde-, amtsgerichts-, kreis- und landesweise zusammen-
gestellt worden:
£ (Siehe Tabelle auf S. 522.)
Was hier geboten ist, enthält zweifellos alles Wesentliche, was für
die Beurteilung der hypothekarischen Belastung zunächst in Betracht
kommt und übertrifft zugleich das, was bisher für ein größeres Gebiet
statistisch zusammengetragen ist. Namentlich lehrreich ist die ein-
gehende Berücksichtigung des Grundeigentums durch die Abstufung
nach seinen Größenverhältnissen. Wünschenswert wäre es ja selbst-
verständlich gewesen, wenn auch die bedeutsame Trennung nach rein
landwirtschaftlichen, rein gewerblichen und gemischten Besitz hätte
gemacht werden können; doch ließen das die Quellen nicht zu. Immer-
hin ist es nicht gering anzuschlagen, daß wenigstens die eigentlichen
industriellen Etablissements ausgeschieden werden konnten, weil bei ihnen
der haftende Umfang und Wert des Grund und Bodens in keinem Ver-
hältnisse zu der Leistungskraft des Unternehmens zu stehen pflegt und
daher ihre Einrechnung in die betreffenden Größenstufen zu schiefen
Bildern geführt haben würde. Ein gewisses, wenn auch nicht durch-
schlagendes Erkennungszeichen für die mehr landwirtschaftliche und
gewerbliche Verschuldung bieten ferner die Auseinanderhaltung der
Stadt- und der Landgemeinden. Zu weiteren Erörterungen über die
zur Darstellung gebrachten Gegenstände: wird die Veranschaulichung
der Ergehnisse selbst Anlaß bieten.
Wendet man sich nunmehr diesen, den erhobenen und daraus ab-
geleiteten Thatsachen zu, so ist vorweg das für die Verschuldung
haftende Grundeigentum ins Auge zu fassen. Da erhält man:
(Siehe Tabelle auf S. 523.)
Aus dieser Zusammenstellung geht hervor, daß im Durchschnitte
des Herzogtums reichlich ein Drittel der Besitzungen unverschuldet ist,
daß dieses Verhältnis auf ein gutes Viertel im Kreise Helmstedt
herabsinkt und auf beinahe die Hälfte im Kreise Gandersheim ansteigt.
Ob derartige Erscheinungen als günstig oder ungünstig aufzufassen sind,
läßt sich ohne weiteres nicht sagen, da es an geeignetem Vergleichs-
materiale aus anderen deutschen Staaten fehlt. Sehr fühlbar geht die
Verschuldungsfreiheit nach der Besitzgröße auseinander. Ganz erheblich
Miszellen.
522
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5-
Miszellen.
523
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| belastet stücke kapital wert
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Kreis Braunschweig 5581, 2009 36,0| 37 934,44! 1627 182,5 63 624 250 128 711 650.153 817 000
Kreis Wolfenbüttel 7288 2 823 38,7| 45 482,32| 2 736 615,3 100 371 0601209 836 000/231 465 500
Kreis Helmstedt 7613 2166 28,5| 50 233,75| I 761 307,8 103 679 8501174 132 200/196 292 600
Kris Gandersheim 6 232| 2 897|46,5| 30 157,46 1404 916,8 59037 800/115 234 500 112 860 900
Kreis Holzminden 4901| 1 796, 36,7) 26 895,55, 595 080,6) 39 899 670, 79 702 500| 82 467 250
Kræ IS Blankenburg 4786| 1 620 33,8| 10 560,67) 267 843,9, 43 653 940 54 369 700| 59 083 150
Heæ20gtum Braunschweig |
Suæl{gemeinden H ? ? ? ? ? 100 623 700,104 173 300
Lan dœemeinden ? ? ? ? | ? ? 661 360 8501731 813 100
überhaupt und zwar nach |
Gru n dbesitzklassen : |
1-20 ; flüchtig 987| 885 | 89,7 100,24 4 846,9| — 193 850| 278 800
= a Sr“ a
m. Gebäuden | 11 269| 2 466 | 21,9 516,43 34 314,2 100 774 050 102 147 200 102 083 900
208° — 2 hal flüchtig 2534| 2077 | 82,0 1728,92 58 454,4 — 2 338600, 3 108 900
à © "Im. Gebäuden 8614| 2753 | 32,0 6905,17 301 689,2) 69 616 100! 81 684 400! 83 414 800
5 "Ba lee 422) 334179,1 1284,24 41111,5 — 1644 100| 2411400
EA m. Gebäuden 3703| 1290 |34,8| 12 142,78 497 540,3) 33 088 200| 52 990 100| 57 031 900
5—2® ha 5 951} 2340 | 39,3, 62 703,00, 2 855 438,3! 80 267 000 194 484 000/214 276 100
20—1 O0 ha 2578| 1065 | 41,3| 91 390,61) 4 093 834,8| 79 369 500,243 122 500/280 566 300
100 hææ und darüber 88 26 20,5, 23 175,22, 858 172,4, 16 595 460| 50 922 200| 59 404 700
Indust ze. Etablissements 264! 75,28,4| 1317,58 47535,9) 30 556 260| 32 457 700, 33 409 600
Zusammen |36 410|13 311 | 36,6 201 264,19| 8 792 946,91410 266 570 761 984 550/835 986 400
und wohl auch leicht zu begreifen ist sie bei den „flüchtigen“ d. h. den
nicht mit Gebäuden bestandenen Besitzungen. Bei den übrigen der be-
hausten beobachtet man, daß sie um so geringer ist, je kleiner die Be-
sitzungen sind, daß also mit anderen Worten die kleineren am häufigsten
sich belastet erweisen. Nur der Großgrundbesitz, d. h. der von über
100 ha, tritt gegen die vorige, den großbäuerlichen Besitz darstellende
Stufe zurück. Und etwa ebenso oft als jener sind die industriellen
ÆEtablissements schuldenfrei, die, wie man sieht, nur über ein geringes
Ausmaß von Grund und Boden, im Mittel bloß über je 4,24 ha verfügen.
— In Bezug auf den für die Berechnung des Wertes des Grundeigen-
tums verwendeten Brandkassenwert bleibt hinzuzufügen, daß dieser in
Cer Hauptsache von der als Zwangsanstalt bestehenden Landesbrand-
versicherungsanstalt hergegeben und im übrigen für die einzelnen Ge-
Väude von den im Herzogtum vertretenen Feuerversicherungsgesellschaften
nachgewiesen worden ist. Die obigen Angaben des Brandversicherungs-
wertes und ebenso die des Grundsteuerkapitals erstrecken sich übrigens
auf den ganzen privaten Grundbesitz, nicht bloß auf den verschuldeten,
da für die praktischen Zwecke der Landesbehörden vornehmlich, wenn
nicht ausschließlich, das Verhältnis der Verschuldung zum Gesamtbesitz
in Frage kommt.
Was nun die Verschuldung anlangt, so hat die Aufnahme er-
geben:
Miszellen.
524
Ablüsungskapitale für
Hypothekarische Belastungen für
= — Kautions. | Sonstige | trag der Be. Belastungen
ritterschaftl. x h einmalige | lastungen | vom Besitz-
in Herzogl. |andere Be-| Herzog), Kreditv. u sonstige ne | "Be (ohne wert
Leihhaus | rechtigte | Leihhaus | nn]. Instit., (Gläubiger theken | lastungen | Kautions-
i hypotheken)| I Il
M. M. M. M. M. M. M. M. | Proz. | Proz.
Kreis Braunschweig 371 479 18 969 7837627) 1757055 | 20041 446| 994516 58 300 | 36 084 876 28,0 | 23,5
» Wolfenbüttel 731670| 57897 5361896 | 5138479 | 41 510675 | 2655 046 8785 | 52809402, 25,2 | 22,8
„ Helmstedt 292 425 20738 | 10219611 2775 145 | 48 880 914 |3 083 486 | 201 343 62390176 35,8 | 31,8
„ Gandersheim 677440| 14538 | 2454267 | 3088809 | 17 113 432 | 1 406 188) 178720 | 23527 206 20,4 | 20,8
» Holzminden 575674 | 164442 | 4609840 874 900| 9907 770| 480100) 26030 | 16455656 20,6 | 20,0
» Blankenburg 19 478 7283 | 6399 201 313 985 | 17 279987 | 897 878 = 24019934 44,2 | 40,7
Herzogtum Braunschweig |
Stadtgemeinden ? ? ? H ? ? ? 57 865 252 57,5 | 55,5
Landgemeinden ? ? ? ? ? ? ? 15421998 23,8 | 21,5
überhaupt und zwar nach
Grundbesitzklasse |
20 a—2 ha flüchtig 37 72 1 906 1675 | 100 050 200 — 103 740 53,5 | 37,2
“mit Gebäuden | 14185] 1024 | 9088586| 978774 47013874|1068098| 46772 | 57143215 55,9 | 56,0
0 —20a | flüchtig 829 714 40 404 9 500 ' 658 672| 906 400 241 710360 30,4 | 22,8
mit Gebäuden | 88 975 5290 | 4869469 561909 26710823| 062283 | 95567 | 32332033) 39,6 | 38,8
2 —5 ha flüchtig 1 247 445 23 247 2 100 | 376 381 36 300 — 403 420| 24,5 | 16,7
mit Gebäuden | 142577 7875 | 2808251 314575) 11 869156| 5oro66| 27013 | 15 169447| 28,6 | 26,6
5 —20 ha 1067 933| 55368 | 8513584| 1171785 25524381 |1191545| 47127 | 36380178) 18,7 | 17,0
20 —100 ha 1289553! 82931 | 9129139| 4021700| 26 100 794| 1 209332| 241980 | 40866097) 16,8 | 14,6
100 ha und darüber 705| 130148 | 1187000| 6702955 6877298| 185600| 14478 | 14912584| 29,8 | 25,1
Industrielle Etablissements 62115 — 1517 856 183 400 | 15 502 795 | 4 281 390 -= 17 266 176| 53,2 | 51,7
Zusammen |2 668 166| 283 867 | 37 179 442| 13 948 373 |160 384 225 |9517 214' 473178 |215 287 250 28,3 | 25,8
Miszellen. 525
Die hier bezifferte Verschuldung giebt indessen deren vollen Betrag
noch nicht wieder, wohl aber die der eigentlichen hypothekarischen Be-
lastung — abgesehen von der schließlich noch nachzuweisenden Richtig-
stellung der unmittelbaren Aufnahmeergebnisse. Die Eintragungen in
Grundbücher ermöglichen es nämlich nicht, einmal die bäuerlichen Lasten
nach ihren Geldwerte, wenigstens bei weiten nicht vollständig, zu ersehen.
Abfindungen wie Leibzuchten pflegen in der Regel nur als solche auf-
geführt zu werden, während das Nähere die besonderen darauf bezüg-
lichen Akten enthalten, auf die zurückzugreifen zu weit geführt haben
würde. Daher giebt das Quellenwerk bloß die Zahl dieser Fälle an und
zwar für das Herzogtum 5806 Abfindungen und 9163 Leibzuchten.
Sodann konnten die „sonstigen“, d. h. die sonstigen finanziellen, nicht
etwa auch Servituten und andere dingliche Rechte betreffenden Be-
lastungen nur in Bezug auf die einmaligen — wobei es sich meist um
Mutter- und Heiratsgut, Lehnskapital handelt — vollständig belegt
werden. Von den jährlichen dagegen, welche deshalb auch nicht für
die Aufrechnung des Gesamtbetrages herangezogen, und in vorstehender
Uebersicht fortgelassen sind, mußte abgesehen werden, weil sie ver-
schiedentlich in Wohnungs- und Nießbrauchsrecht — im Herzogtum jenes
in 71, dieses in 83 Fällen — bestehen und für deren Wertberechnung eia
sicherer Maßstab fehlte. Die übrigen, Krug-, Grund-, Haus-, Meier-,
Müller-, Erbenzinsen, Renten an geistliche Institute, für aufgehobene
Leistungen verschiedener Art, Dienstgelder, legierte Renten, welche zum
Teil nur zeitweise zu entrichten sind, belaufen sich im ganzen Lande
auf 41 414 M.
Außer den erwähnten, noch dazu nur nach der Zahl der Fälle erhobenen
bäuerlichen Lasten, den aus der Ablösung vormaliger bauerrechtlicher
Lasten herrührenden Schulden und den Kautionshypotheken hat die
Ursache der Verschuldung keine Berücksichtigung erfahren. Auch die
gewiß im Hinblick auf die an dem hypothekarischen Zinsgenusse teil-
nebmenden Bevölkerungskreise nicht unwichtige Trennung der Schulden
nach den verschiedenen Arten von Gläubigern ist, wiewohl schon die
Unterlagen das füglich gestattet haben würden, aus Gründen der
Arbeitsvermehrung unterblieben. Immerhin hat es aber seinen Wert,
daß wenigstens für die im engeren Sinne hypothekarische Verschuldung
die Darleiher insoweit getrennt erhoben und aufgeführt sind, als
daraus im wesentlichen erhellt, welcher Teil auf Amortisation angeliehen
ist, ein Umstand, der um so mehr ins Gewicht fällt, als diese Schulden,
welche zwar nach ihrem ursprünglichen, nicht nach ihrem durch die
Abtragungen verminderten Betrage zum Ansatz gebracht sind, eine nach-
trägliche Berichtigung erfahren konnten. Darauf wird noch zurück-
zukommen sein. Einstweilen sind im Anschlusse an die vorstehend
wiedergegebenen tabellarischen Ergebnisse die formell aufgeführten
Schuldbeträge berücksichtigt, wodurch diese, soweit sie das Herzogliche
Leihhaus und landwirtschaftliche Kreditanstalten, insbesondere den braun-
schweigischen ritterlichen Kreditverein zum Gläubiger haben, zu hoch
erscheinen und infolgedessen ebenso die prozentualen Anteile der Schulden
am Werte des Grund und Bodens.
526 Miszellen.
Sieht man jetzt auf die letzteren, so beläuft sich die Verschul-
dung, welche der beiden Wertberechnungen man auch zu Grunde legt,
des Herzogtums im ganzen zwar nur auf ungefähr ein Viertel des
Wertes des Grundeigentums; es sind aber recht erhebliche räumliche
Abweichungen davon zu erkennen, wenn jene sich im Kreise Helm-
stedt auf etwa ein Drittel, ja im Kreise Blankenburg auf über zwei
Fünftel erhebt, hingegen in den Kreisen Gandersheim und Holzminden
bis auf bloß ein Fünftel herabsinkt. Worin diese Verschiedenheiten zu
suchen sind, läßt die sonst so umständlich zu Werk gehende Text-
bearbeitung leider unerörtert; und doch wäre ein Eingehen auf die
allgemeinen wirtschaftlichen Zustände mit ihrer Rückwirkung auf die
Verschuldungsverhältnisse für das Verständnis der ermittelten Thatsachen
besonders angezeigt und von hervorragender Bedeutung gewesen. Fab-
licher ist es schon, daß die städtische, sich vorzugsweise auf den verhältnis-
mäßig wertvollen Häuserbesitz stützende Verschuldung so ungleich höher
als die des platten Landes ist. Auch bezüglich der industriellen Etablisse-
ments versteht man es, daß sie nur vornehmlich aus demselben Grunde
und wegen ihrer vorhin belegten im ganzen geringfügigen Grundfläche
im Verhältnisse zum Werte besonders hoch belastet sind. Sie sind
übrigens mit dem sonstigen Grundeigentum nicht wohl vergleichbar,
da für ihren Beleihungswert andere Umstände an erster Stelle ins Ge-
wicht fallen, die bei der vorliegenden Aufnahme keine Beachtung
finden konnten. Von dem anderen Grundeigentum hat sich hinsichtlich
seines Größenumfanges herausgestellt, daß der Verschuldungsanteil im
umgekehrten Verhältnis zu jenem steht, demnach mit dem steigenden
Umfange fällt. Eine Ausnahme macht allein der Großgrundbesitz, der,
vermutlich wegen der Erfordernisse intensiverer Bewirtschaftung, ein
beträchtlich höheres Verhältnis als die voraufgehenden Stufen anzeigt.
Wie sich innerhalb des Landes je nach der Größenklasse des Be-
sitztums das Verschuldungsverhältnis seinem Grade nach verschieden
gestaltet, ergiebt sich aus folgender Uebersicht, welche die Anzahl und den
Prozentanteil der einzelnen Gemeinden nach diesem Grade belegt. Dabei
ist das Verhältnis zu Wert I berechnet und nur auf die mit Gebäuden
bestandenen Besitzungen, nicht auch auf die „flüchtigen“ Rücksicht
genommen worden. Danach betragen:
(Siehe Tabelle auf S. 527.) d
Diese zunächst aus praktischen Interessen der Staatsverwaltung für
die Beurteilung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Gemeinden wichtigen
Berechnungen zeigen, daß anfänglich die Zahl der Gemeinden bis ZU
4. Stufe hin, d. h. bis zu einer Beschwerung von 15—20 Proz. mit së
Höhe der Schuldenbelastung beim Privatbesitz überhaupt ziemlich rase
anwächst, daß von da an aber ihre Zahl langsam wieder fällt- Anders
ist das hinsichtlich der einzelnen Größenklassen des Besitzes. Bel den
Anbauergewesen tritt, abgesehen von der untersten Stufe, die Belastung
in immer größerem Maße bis zu einer Höhe von 50—60 Proz. hin auf.
Die Parzellenbesitzungen zwischen 20 ar und 2 ha sind am häufigsten
nach der Zahl der Gemeinden mit einer Verschuldung von 15—40 und
von 45—60, die kleinbäuerlichen mit solcher bis zu 80 Proz. anzutreffen:
Miszellen. 527
die Gemein- bei einer Besitzfläche von
|
one wache RUE |20 ar bis) 2 bis | 5 bis | 20 bis | 100 und | über-
belastet sina | 20 ap | 2 ha 5 ha 20 ha 100 ha | mehr ha | haupt
mit Proz. Anzahl
o— 5 17 | 16 4I 44 72 25 10
5—10 8 | 19 36 53 61 6 36
10—15 10 18 31 86 68 5 59
15—20 13 | :37 47 64 50 2 86
20—25 24 | 42 40 51 45 5 74
25—30 38 | 44 47 33 29 I 42
30—35 45 | 50 24 24 17 8 39
35—40 44 47 33 18 14 4 26
40—45 51 | 28 | 25 10 4 4 | 17
45—50 55 37 23 9 5 4 21
50—60 70 38 | 23 12 9 3 12
60—70 35 21 | 18 8 4 5 12
70—80 16 12 e 5 I 4 4
80—90 I 3 6 2 = 2 I
90 und mehr 2 14 | 8 I 3 7 I
Zusammen | 429 426 | 409 420 382 85 440
in Prozenten
0— 5 3,96 3,76 10,28 10,48 18,85 29,41 2,27
5—10 1,86 4,46 9,02 12,62 15,96 7,06 8,18
10—15 2,33 4,23 7,17 20,47 17,80 5,88 13,41
15—20 3,03 8,69 11,78 15,24 13,09 2,35 19,55
20—25 5,59 9,85 10,03 12,14 11,78 5,88 16,82
25—30 8,86 10,33 11,78 7,86 7,59 1,18 9,54
30—35 10,49 11,73 6,02 5,71 4,45 9,41 8,86
35—40 10,26 11,03 5,76 4,29 3,66 4,71 5,91
40—45 11,89 6,57 6,27 2,38 1,05 4,71 3,86
45—50 12,82 8,69 5,76 2,14 1,31 4,71 4,77
50—60 16,32 8,92 | 5,76 2,86 2,36 3,53 2,78
60—70 8,16 493 | 4,52 1,90 1,05 5,88 2,18
70—80 3,73 2,82 1,75 1,19 0,26 4,71 0,91
80—90 0,23 070 | 1,50 0,48 — 2,35 | 0,23
90 und mehr 0,47 3,29 | 2,00 0,24 0,79 8,23 0,23
Günstiger stellt sich die Sachlage bei den mittleren und großen bäuer-
lichen Besitzungen dar; für sie begegnet man der Mehrzahl der Ge-
meinden auf den unteren Stufen bis zu höchstens 25 Proz. der Ver-
schuldung des Wertes. Ganz besonders aber ist eine sehr geringe
Verschuldung beim Großgrundbesitz anzutreffen, doch machen sich auch
hier einzelne höhere Belastungsstufen bemerklich.
Von größerem Belange als die Verteilung der Gemeinden nach
ihrer Belastungshöhe erscheint die Verschuldung im Hinblick auf den
Durchschnitt einer Besitzung und der Flächeneinheit. Da erhält man:
(Siehe Tabelle auf S. 528.)
In vergleichsweise ganz außerordentlich hohem Grade ist hiernach
die Flächeneinheit bei den kleinen behausten Anbauergewesen belastet,
was aber als naturgemäß anzusehen ist, da eben hier neben der gering-
fügigen Bodenfläche der Gebäudebesitz eine hervorragende Rolle für
528 Miszellen.
durchschnittlich | durchschnittlich
Wert (I) Belastung | Wert (I) | Belastung
e bei Besitzungen Ga) $ | Sch
für je 1 Besitzung für je 1 ha
M. Mg Ve “OU
DOS flüchtig 196 105 | 1939 | 1037
pi mit Gebäuden 9064 | 5071 197 959 | 110 743
flüchtig 923 280 1353 Ha
20 a—2 ha { mit Gebäuden 9 483 3753 | 11830 | 4 682
2—5 ha { flüchtig 3 896 956 | 1 280 | 314
F mit Gebäuden 14310 | 4097 | 4364 | 1249
5—20 ha 32681 | 6113 | 3 102 580
20—100 ha 94 307 15 852 2 660 447
100 ha und darüber 518661 | 149461 2 197 643
Industrielle Etablissements 122946 | 65402 24 626 | “43100
Herzogtum zusammen 20 928 5913 | 3 786 | 1070
Darunter im Kreise N |
Braunschweig 23 062 6466 | 3393 | 951
Wolfenbüttel 28 792 7246 | 4614 | 1161
Helmstedt 22 873 8 195 3 466 | 1242
Gandersheim 18 491 3775 | 3821 780
Holzminden 16 233 3351 | 2 963 612
Blankenburg 11 360 5 019 5 148 2274
| N
die Beleihung spielt. Das ist auch, wenn schon in weit geringerem
Maße, bei den folgenden beiden Größenstufen, soweit sie mit Gebäuden
bestanden sind, der Fall. Ebenso heben sich, weil auch hier neben
dem Grund und Boden andere, viel maßgebendere Umstände mitsprechen,
die industriellen Etablissements durch die Höhe ab, in der sie, an der
Fläche gemessen, von der Verschuldung betroffen sind. Die den klein-
bäuerlichen Betrieb kennzeichnenden Besitzungen von 5—20 ba sind in
dieser Beziehung in einer weniger günstigen Lage als die großbäuerlichen.
Doch auch jene bleiben noch sichtlich hinter dem Großgrundbesitz
zurück, bei denen die Belastung des Hektars erheblich 600 M. über-
steigt. Unter den einzelnen Kreisen des Herzogtums gestaltet sich die
mittlere Verschuldung für alle Größenklassen derartig abweichend, dal
sie im Kreise Blankenburg dreimal so hoch ist als, in den Kreisen
Holzminden und Gandersheim. À
Hat außer dieser Berechnung der mittleren Belastung der Fläche
die vorstehende Zusammenstellung enthält, so hat sie in Bezug E
das Material noch in bemerkenswerter Weise dadurch erweitert, e
zugleich die wirkliche, die absolute Verschuldungshöhe je nach #4
verschieden hohen Beträgen, in welcher sie vorkommt, dargethan wor a
ist. Und zwar ist es in der Weise geschehen, daß die sämtlichen 9%
lasteten, mit Gebäuden bestandenen Grundbesitzungen zu Grupp®" na
der Höhe ihrer Belastung zusammengefaßt sind. Die hierbei Cen
Gruppen sind dann, weil je nach der Größe des Besitztums, auch m
Verschuldungshöhe eine andere war, verschieden gebildet worden. Geht
man hierauf ein, so betrugen bei Besitzungen mit Gebäuden :
Miszellen. 529
EE
von 0—20 a | vom 20 a—2 ha
solche |
Anzahl | Proz. | Anzahl | Proz
Ueberhaupt nicht oder nur mit Abfindungen |
u. dergl. belastet 2466 | 21,88 | 2753 31,06
Belastet mit M. |
bis I 000 456 4,05 617 7,16
I 000— 2000 1219 10,82 1038 12,05
2000— 3000 1269 11,26 | 950 11,03
3 000— 4000 1458 12,94 | 907 10,55
4 000— 5000 908 8,06 553 6,42
5 000— 7 500 1298 11,5%) | 757 8,79
7 500— 10 000 724 6,42 358 4,16
10 000— 15 000 716 6,35 | 282 3,27
15 000— 20 000 315 2,79 141 1,64
20 000— 25 000 159 1,41 | 90 1,04
25 000— 50 000 215 1,91 | 127 1,48
50 000— 100 000 56 0,50 | 33 0,38
100 000 und mebr 10 0,09 | 8 0,09
Und weiter stellen sich die Verhältnisse bei den größeren behausten
Besitzungen, daß entfallen auf die:
von 2—5 ha ' von 5—20 ha | von 20—100 ha
Besitzungen | |
Anzahl | Proz. : Anzahl | Proz. | Anzahl | Proz.
Ueberhaupt nicht oder nur mit | | |
Abfindungen u. dergl. belastet | 1290 | 34,84 | 2340 | 39,32 1065 41,31
Belastet mit M. | | |
bis 2 500 687 18,55 | 842 14,15 M 129 5,00
2500— 5 000 691 18,66 | 636 | 10,69 | o 6,60
5 000—# 7 500 408 11,0% 482 | 8,10 | 129 5,00
7 500— 10 000 248 6,10 | 380 6,38 | 125 4,85
10 000— 15 000 193 Sai | Sıı | 8,58 | 148 5,74
15 000— 20 000 87 2,35 | 312 | 5,24 | 146 5,66
20 000— 25 000 27 0,13 | 173 | 2,91 | 127 4,93
25 000— 50 000 60 1,62 | 223 | 3,78 | 291 11,29
50 000— 100 000 10 0,27 | 48 0,81 | 193 7,49
100 000 und mehr 2 | 0,08 | 4 | 0,07 | 55 2,13
Daß die Größe der Besitzungen sich im allgemeinen auch bestimmend
für die Höhe der Schuldbeträge erweist, liegt auf der Hand. Dennoch
sind, wie das schon die bisher betrachteten Thatsachen ergeben haben,
die ganz kleinen Besitzungen wegen des bei ihnen ausschlaggebenden
Gebäudewertes mehr in fortgeschrittenen Stufen vertreten als die der
nächstfolgenden Größenklasse. Zwar thun sie beide sich ziemlich gleich-
mäßig stark und vorzugsweise mit Schulden zwischen über 1000—4000 M.
hervor; aber bei jenen sind die bis zu 1000 M. weniger, die von mehr
als 4000 M. häufiger vertreten als bei diesen. Die nächsten beiden
Gruppen, die von 2—5 und von hier bis 20 ha Umfang, machen sich
vornehmlich durch Belastungen bis zu 7500 M. bemerklich, indessen
die erstere entschieden mehr als die andere, bei der auch noch solche
bis zu 15000 M. hin merklich in Betracht kommen. Dagegen ist der
Anteil der großbäuerlichen Besitzungen zwischen 20 und 100 ha be-
sonders hoch bei Verschuldungen von 25000—30000 und danach von
Dritte Folge Bd. XXIII (LXXVIII). 34
530 Miszellen.
50000—100 000 M. während die voraufgehenden Stufen mit etwa 5—
6 Proz. ziemlich gleichmäßig verteilt sind. Wesentlich anders ist be-
greiflicherweise die Sachlage beim Großgrundbesitze. Von den neben
26 (oder 29,55 Proz.) vorhandenen unbelasteten oder bloß mit Abfin-
dungen belasteten 62 verschuldeten Gütern hat die Mehrzahl, nän-
lich 24 (27,27 Proz.) eine Verschuldung zwischen 100 000 und 250 000 M,
dann 15 (17,05 Proz.) eine solche zwischen 250000 und 500000 M,
9 (10,23 Proz.) eine zwischen 50000—100000 M. Außerdem finden
sich hier noch je 4 Güter (4,54 Proz.) mit Verschuldungen bis zu
10000 M., zwischen diesem Betrage und 50 000 M., wie ferner zwischen
500 000 und 750 000 M., endlich je ein Gut (1,14 Proz.) zwischen 750000
und 1000000 M. und über 1 Mill. M. hinaus.
Nicht belanglos ist es selbstverständlich, die hier ins Auge gefalten
gegenwärtigen Erscheinungen mit denen der Vergangenheit zu vergleichen.
Dazu ist wenigstens in bescheidenem Umfange die Möglichkeit geboten.
Denn außer der eingehenden Ermittelung des Jahres 1897 geschahen
bereits seit 1855 im Herzogtum Braunschweig alljährliche Feststellungen
der hypothekarischen Verschuldung. Sind selbige gleich nicht frei von
empfindlichen Mängeln, bieten sie doch einigen Anhalt, die Bewegung
des Lastenstandes in Anschlag zu bringen. Demgemäß betrug der
Bestand der ingrossierten Hypothekenkapitale und zwar für den gleichen
räumlichen Umfang, auf den sich die letzte Erhebung bezieht, am 1. Januar:
e 1857 1875 1897
Se M. M. M.
den Städten 7 979 466 17 197 308 51 085 095
den Landgemeinden 58 711539 92 360 043 164 202 155
dem Herzogtum 66 691 005 109 557 351 251 287 250
Danach stellte sich die Zunahme von:
Ge 1857—1875 1875 — 1897 1857—1897
M. Proz. M. Proz. M. Proz.
den Städten 9 217 842 115,5 33 887 787 197,1 43 105 629 540,8
d. Landgemeinden 33 648 504 57,3 71842 112 78 105 490 616 279°
dem Herzogtum 42 866 346 64,3 105 729 899 96,5 148 596 245 222,8
Die Vermehrung der hypothekarischen Schuldenlast ist mithin
eine ganz gewaltige: binnen 40 Jahren ist sie auf die dreifache Höhe
und darüber angestiegen, ja in den Städten insbesondere hat sie sich
über das Sechsfache hinaus erhoben. So erschreckend sich eine der-
artige Anschwellung der Belastung des Grund und Bodens auf den
ersten Blick ausnimmt, kann sie doch nur dann von vornherein zm Be-
denken berechtigen, wenn sie die Begleiterscheinung eines rückläu figen
oder auch nur beharrenden wirtschaftlichen Entwickelungsganges wäre.
Nun ist ja aber seit Mitte der 50er Jahre überall in Deutschland eine ma üch-
tige Entfaltung auf allen Gebieten des Erwerbslebens und voran in der Land:
wirtschaft eingetreten, die nicht nur den Wert des Bodens und des übrigen
Nationalreichtums fühlbar erhöht, sondern auch zu seiner Ausnutzung be
deutendere Kapitalkräfte in Anspruch genommen hat. Und im Herzog-
tume Braunschweig insbesondere war der Aufschwung ein recht ge deih-
licher: seine Landwirtschaft gehört großenteils zu der am intensivsten 11
Deutschland betriebenen, wozu nicht unerheblich der Anbau der Zu cker-
rübe und die Fabrikation des Rübenzuckers beiträgt, seine Industrien haben
Miszellen. 531
sich mächtig gehoben, das Verkehrswesen hat beträchtlich an Ausdehnung
zugenommen. Alles das war aber danach angethan, das Kreditbedürfnis zu
erhöhen und als Pfand den gestiegenen Wert des Grund und Bodens
in die Wagschale zu werfen. Und vorzugsweise waren an der neuen
Entwickelung die teilweise beträchtlich angewachsenen Städte beteiligt,
daher auch sie gerade auf die Ausbeutung des Realkredites sich angewiesen
sahen. Freilich ist das hier auch verhältnismäßig in höherem Grade
als auf dem platten Lande geschehen. Das läßt ein Vergleich mit der
Bewegung des Gebäudeversicherungswertes erkennen, der hier allein
als Maßstab angelegt werden kann, da hinsichtlich der Grundsteuer-
kapitale geeignete Angaben aus früherer Zeit fehlen. Es war näm-
lich der Bestand an Gebäudeversicherungssummen am 1. Januar:
in 1875 1875 1897
M. M. M.
den Städten 15 401 737 27 147 000 77 436 280
den Landgemeinden 81 212 175 148 595 100 332830 290
dem Herzogtum 97613912 175842 100 410 266 570
Demgemäß beträgt die Vermehrung von:
in 1857—1875 1875—1897 1857—1897
M. Proz. M. Proz. M. Proz.
den Städten 11 745 263 76,3 50 289 280 185,2 62 034 543 402,8
d.Landgemeinden 67 382 925 38,0 184 235 190 124,0 251618 ıı5 309,8
dem Herzogtum 79 128 188 81,9 234 524 470 133,4 313 652 658 324,6
Der Wert der Gebäude hat sich also ebenfalls außerordentlich kräftig
gehoben, ja in noch sichtlich stärkerem Grade als die Hypotheken.
Freilich gilt das letztere nur von dem platten Lande insbesondere und
infolgedessen auch von dem ganzen Herzogtume. In den Städten da-
gegen war das Fortschreiten der hypothekarischen Verschuldung rascher
und überholte dasjenige des Gebäudeversicherungswertes. Wie sich
dabei beide Erscheinungen zu einander verhalten, verdeutlicht folgende
Berechnung. Es kommen nämlich auf je 100 M. der Gebäudeversiche-
rungssummen Hypotheken am 1. Januar:
; 1857 1875 1897
Ka M. M. M.
den Städten 51,8 63,3 66,0
d.Landgemeinden 72,3 62,2 49,3
dem Herzogtum 69,0 62,3 52,3
Während demnach im Hinblick auf den Gebäudewert die Belastung
in den Landgemeinden erheblich geringer geworden ist, hat sie in den
Städten sich vermehrt. Immerhin erweckt aber der Vergleich mit dem
Gebäudewerte die Vorstellung, daß im großen und ganzen das Wachs-
tum der hypothekarischen Verschuldung im Herzogtum Braunschweig
mit der allgemeinen wirtschaftlichen Entwickelung Schritt gehalten hat
und zu Besorgnissen keinen Anlaß giebt. —
Soweit in diesen Ausführungen von hypothekarischer Belastung die
Rede war, ist solche bloß im engeren Sinne und mit Einschluß der
Ablösungskapitale herangezogen worden in Anlehnung an die thatsäch-
lich und vollständig bewerkstelligte Erhebung. Es ist aber auch bereits
hervorgehoben worden, daß die so ermittelten Thatsachen den gesamten
34*
532 Miszellen.
Umfang der Belastung weder erschöpfend noch auch der wirklichen
derzeitigen Höhe nach wiedergeben, da einerseits die belangreichen
bäuerlichen Lasten nur teilweise beziffert werden konnten und daher
ausgeschieden werden mußten, andererseits die eingetragenen Hypotheken
wegen unterbliebener Löschungen von bereits beglichenen Schulden als
zu hoch angesetzt zu gelten haben. Um aber ein annähernd zutreffen-
des Bild der wahren Verschuldungsgröße zu erlangen, war der Versuch
nicht abzuweisen, solches wenigstens auf dem Wege einer möglichst
sorgfältigen Schätzung richtigzustellen. Es wird daher auch hier
lohnen, die schätzungsweise Ergänzung der erhobenen
Thatsachen zu verfolgen.
In betreff der bäuerlichen Lasten wurden die in Jahresleistungen
bestehenden Lasten und zwar die Abfindungen durch Multiplikation
mit 20, die Leibzuchten durch die mit 10 kapitalisiert und den durch
eine einmalige feste Summe zu erfüllenden hinzugelegt. Das aus dieser
Summe berechnete Mittel der einzelnen Last wurde denn weiter
dazu benutzt, den Wert der lediglich ohne Wertangabe und bloß der
Anzahl nach erhobenen Lasten zu finden. Der bereits getilgte, aber
noch nicht gelöschte Teil der bäuerlichen Lasten wurde auf ein Zehntel
gegriffen und abgesetzt. Aehnlich wurde bei den „sonstigen“, nicht
weiter benannten Lasten verfahren, zudem hierbei für Wohnungs- und
für Nießbrauchsrecht durchweg je 1500 M. angenommen. Auf diese
Weise sind 62905000 M. bäuerliche und 1379300 M. sonstige Lasten,
zusammen 62484300 M. ermittelt worden, um welche die früher be-
zifferte Gesamtbelastung sich erhöht. Dagegen bedurfte es ihrer Ver-
ringerung bezüglich der eigentlichen hypothekarischen Verschuldung
um den bereits ausgeglichenen, in den Grundbüchern aber noch weiter
geführten Betrag. Hierzu fehlte es indessen vielfach an jeglichem An-
halte, zumal wo bloß eine einmalige Tilgung ausgemacht ist, wie das
namentlich bei Darleihungen durch einzelne private Kapitalisten die
Regel zu bilden pflegt. Doch auch da, wo größere Bankgeschäfte und
Leihanstalten sich zur ratenweisen Rückzahlung verstanden haben, war
es bis auf 2 Fälle unausführbar, den thatsächlichen Schuldenstand zur
Zeit der Erhebung festzustellen. so daß in gewissem Maße eine annähernde
Richtigstellung der Ergebnisse ausgeschlossen geblieben ist. Anders jedoch
verhielt es sich mit den Darlehen des Herzoglichen Leihhauses und des
ritterschaftlichen Kreditvereines, bei denen vorzugsweise erheblichere,
nach und nach abzutragende Beträge in Frage stehen. Für sie ließ
sich eine Feststellung des thatsächlichen Schuldenstandes am 1. Januar
1897 bewirken und damit zugleich für einen höchst ansehnlichen Teil
der Hypothekenschulden die gebotene Ermäßigung erreichen. So ist
man zu einer Verminderung der hypothekarischen Lasten des Leihhauses
um 7218512 M. oder 19,4 Proz. und des ritterschaftlichen Kreditvereins
um 1956695 M. oder 19,7 Proz. und der Ablösungskapitale des Leih-
hauses um 1568366 M. oder gar um 58,8 Proz. gelangt. Daß bei den
Ablösungskapitalen der wirkliche Schuldbetrag so belangreich hinter
dem erhobenen zurückbleibt, erklärt sich daraus, daß hier meistens schon
vor geraumer Zeit aufgenommene und darum auch bereits in größerem
Umfange zurückgezahlte Schulden vorliegen.
Miszellen. 533
Auf Grund dieser Berichtigungen gestaltet sich nun die Verschul-
dung des privaten Grundeigentums folgendermaßen. Es betragen die:
hypothekarischen Belastungen für ‚Ablösungskapitale für bäuerliche Lasten
d. ritterschaft]. | Herzog-
Kreditverein | sonstige liches
und ähnliche! Gläubiger | SE
> | Leihhaus
Institute |
Herzog-
in liches
Leihhaus
andere Be- Ab- Leib-
rechtigte findungen | zuchten
| i
M. M. M. | M. M. M | M.
Kreis Braunschweig | 5 987 242) 1123939 | 26041446 143 542 18 969 | 2975 000 7 997 500
Kreis Wolfenbüttel 4274665) 4412661 | 41510675) 358 691 57897 5 042 200 11 250 200
Kreis Helmstedt 8 363 166| 2582451 | 48880914, 94725 20738 ` 2993 100, 6 908 500
Kreis Gandersheim 1932000| 2834182 | 17 113432| 243 559 14538 | 4666 200 4 231 800
Kreis Holzminden 4 161 989 801 996 9907 770| 250733 | 164442 | 3 159 500 12 183 600
Kreis Blankenburg 5 241 868 236449 | 17 279987. 8 550 7283 138900! 3 358 500
Herzgt. Braunschweig|29 960 930| 11991673 |160 734 224lı 099 800 | 283 867 18 974 900'34 930 100
(Fortsetzung)
| e Durehschnittliche Be-
y lastung für je 1
RT an kn te : |BelastungProz.
in Sonstige Be- Kautions- Gesamtbe- | 15
lastungen | hypotheken | lastung | des Wertes e ke Vine
| | ‚sitzung,
M. M. Eh | M. | M | M
Kreis Braunschweig 336 000 331 505 44 956 043 | 34,9 , 29,2 ı 8055 | 158 1082
Kreis Wolfenbüttel 223 200 855 015 68 015 204 , 32,4 29,4 9333, 1495 1076
Kreis Hélnstedt 351 000 1 027 829 71221523 | 40,9 | 36,3 9355| 1418: 1008
Kreis Gandersheim 335 900 468 729 31740 340 | 27,5 28,1 5093| 1053 687
Kreis Holzminden 116500 | 160 033 30 906 563 | 38,8 37,5 | 6295| 1 149 8ot
Kreis Blankenburg 116 700 299 293 24 687 530 | 45.4 | 41,8 5158 2338 772
Herzgt. Braunschweig 1 379 300 3172404 | 171527203 | 35,6 | 32,5 7458 1349 929
Obschon durch die Absetzung der getilgten Schulden die Belastung
bedeutend vermindert ist, hat sie doch durch Einrechnung der bäuer-
lichen Lasten eine fühlbare Vergrößerung erfahren und zwar gegen die
zuvor nachgewiesenen 215287250 M. um 56239953 M. oder um ein
volles Viertel (26,1 Proz... Demgemäß beläuft sich das Verhältnis der
Verschuldung zum Werte um 7,3 (I) bezw. 6,7 Proz. (II) mehr, als sich
vorhin ergeben hatte und erreicht jetzt etwa ein Drittel des geschätzten
Boden- und Gebäudewertes für den Durchschnitt des Herzogtums.
Außer der hypothekarischen Verschuldung selbst erübrigt es zum
Schlusse noch, auch der dafür geleisteten Jahresaufwendung, der
Verzinsung kurz zu gedenken, obwohl diese keinen Gegenstand der
eigentlichen Erhebung bildete. Verzichtet wurde hierbei nämlich auf
die Feststellung des Zinsfußes, weil häufig im Grundbuche eine Ver-
zinsung teils überhaupt nicht, teils und überwiegend, schon um der
Bewegung des Zinsfußes folgen zu können, bloß allgemein die Verpflich-
tung zu „Zinsen und Kosten“ sich angegeben findet. Mit besserem
Erfolge glaubte man statt dessen in der Weise vorzugehen, daß man
durch die Amtsgerichte die neu eingetragenen Hypotheken der Jahre
534 Miszellen.
1896—1900 nach ihrem Zinsfuße ermitteln ließ. Dabei stellte sich für
das Herzogtum im ganzen heraus:
Gesamtheit
davon verzinslich zu
der neuein- über 4 Proz. | 4 Proz. unter 4 Proz.
getragenen u) eng ` = Ge
Hypotheken absolut | Proz. absolut | Proz. | absolut | Proz.
1896 | Anzahl 4 080 895 | 21,94 2781| 68,16 | 404 9,90
\ Betrag M.| 36 144 500| 6 846 200 | 18,94 | 21 523 500 | 59,56 | 7 769 800| 21,50
1897 Anzahl 3 931 693 | 17,63 | 2822| 71,79 416| 10,58
Betrag M. | 37 121 000| 9 104 900 | 24,53 | 21 984 300 | 59,22 | 6 031 800| 16,25
1898 J Anzahl 4 007 781 | 19,49 | 2222| 55,45 1.004| 25,06
Betrag M.| 41 301 900! 7426400. 17,98 | 22 419 400 | 54,28 |11 456 100| 27,74
1899 Anzahl 3 809 745 19,56 2316 | 60,80 748| 19,64
Betrag M.| 35 615 800 | 9916000 27,84 | 20 187 500 | 56,68 | 5 512 300| 15,48
1900 { Anzahl 3 941 1580 | 40,09 | 2158 | 54,76 203| 5,15
Betrag M.| 40 307 500 | 22 254.000 | 55,21 | 16 261 500 | 40,34 | 1792000) 4,45
Die Thatsachen, welche eine Veränderung im üblichen Zinsfuße
während des beobachteten Jahrfünftes deutlich hervortreten lassen, haben
dahin geführt, für den Verschuldungsstand des Erhebungsjahres 1897
eine Verzinsung von 4 Proz. zu Grunde zu legen. Danach berechnet
sich dann als Jahresaufwendung für die Gesamtbelastung:
vom Werte im Durchschnitt für 1
in Betrag E 3 S Be- A Ein-
| sitzung wohner
Si M. | Proz. | Proz. M. M. M.
Kreis Braunschweig 1 798 242 1,4 1,2 | 322 | 47 43
Kreis Wolfenbüttel 2720608 | 1,3 1,2 | 373 60 43
Kreis Helmstedt 2848861 | 1,6 1,6 | 374 | 57 40
Kreis Gandersheim 1269614 | 1,1 1,1 204 42 27
Kreis Holzminden 1 236 262 1,6 1,5 252 46 32
Kreis Blankenburg 987 501 1,8 1,7 206 93 31
Herzogtum Braunschweig 10 861 088 1,4 1,8 | 298 54 37
Mögen mit diesen Berechnungen der Verzinsungskosten, welche
annähernd die auf das Privateigentum aufgenommenen Schulden er-
heischen dürften, die gegenwärtigen Mitteilungen über das neueste braun-
schweigische Unternehmen zur Herstellung einer brauchbaren Hypothekar
statistik beschlossen werden, so soll nochmals zum Ausdruck gelangen,
daß zwar auch hierbei nicht alle Mißstände, die in dem Gegenstande
liegen, beseitigt werden konnten, daß aber das angewandte Verfahren
gezeigt hat, wie mit ihm doch die wesentlichsten Schwierigkeiten sich heben
lassen und es gewiß im großen und ganzen befriedigende Ergebnisse zu
liefern vermag. Insbesondere gebührt auch der eingehenden Behandlung
des spröden Materials und seiner trefflichen Darstellung durch den
Finanzrat Zimmermann volle Anerkennung. Jedenfalls wird bei allen
ferneren Versuchen einer hypothekarstatistischen Erhebung dem braun-
schweigischen Vorgang vorbildliche Beachtung zu schenken sein.
Oldenburg.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 535
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Kötzschke, Rudolf, Privatocent der Geschichte an der Uni-
versität Leipzig, Studien zur Verwaltungsgeschichte der Großgrundherr-
schaft Werden an der Ruhr. Druck und Verlag von B. G. Teubner
in Leipzig, 1901.
Von der Rheinischen Gesellschaft für Geschichtskunde mit der
Herausgabe der Urbare des Klosters Werden an der Ruhr beauftragt,
hat sich Kötzschke seit mehreren Jahren mit der Geschichte dieses
Klosters und seines Grundbesitzes beschäftigt. Als eine Frucht dieser
Studien ist die vorliegende Schrift erschienen, die der Geschichte der
Einrichtungen für die Verwaltung des klösterlichen Grundbesitzes ge-
widmet ist.
Das Buch zerfällt in zwei Hauptteile, von denen der eine die Ent-
wickelung der Verwaltungseinrichtungen an der Centralstelle schildert,
während der andere die lokale Organisation behandelt. Jener (in der
Anordnung des Verfassers der zweite) gewinnt bei der Eigenart seines
Stoffes die Bedeutung einer Geschichte der klösterlichen Verfassung
selbst, einer Geschichte der im Kloster bestehenden Aemter, sowie des
Verhältnisses zwischen Abt und Konvent in den Grundzügen seiner Ent-
wickelung. Die ersten Vorsteher des Klosters waren zugleich Bischöte;
da sie eben deshalb nicht immer im Kloster verweilen konnten, setzten sie
Pröbste ein, denen ihre vollständige Stellvertretung zufiel. Seit 886 traten
Aebte, die vom Konvente gewählt wurden, an die Spitze des Klosters,
und dadurch wurde die Stellung des Probstes einer starken Beschränkung
unterworfen. Seine Hauptaufgabe ward von jetzt ab die Fürsorge für den
Lebensunterhalt der Brüder. Im Laufe der Zeit verwandelten sich die
Abteien zu reichsfürstlichen Instituten mit weltlich-politischen Zwecken;
damit nun die Mönche darüber nicht zu kurz kämen, wurde für sie ein
bestimmter Teil des Klostergutes als Probsteigut dauernd reserviert;
der weitaus größere Teil des Klosterbesitzes aber diente fortan gleich-
falls dauernd als Abteigut dem Abte für die Erfüllung seiner staatlich-
repräsentativen Aufgaben. In der Mitte des 10. Jahrhunderts setzte
diese Teilung ein; sie wurde nicht durch eine einmalige Maßregel be-
wirkt, sondern hat sich allmählich herausgebildet. In der Folgezeit
wurden auch noch andere Aemter, wie das des Pförtners, Dekans,
Küsters u. s. w., mit festen Einkünften bedacht: so wurde der Kon-
vent schließlich zu einer Genossenschaft von Pfründnern, das Kloster
536 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
zu einer Versorgungsanstalt des Adels, der Konvent zu einem Kapitel,
die Mönche zu Kapitelsherren. 1474 wurde Werden, wie andere Bene-
diktinerklöster in jener Zeit, einer Reform im Sinne strengerer Obser-
vanz unterworfen. Im Zusammenhang damit trat eine Neuordnung der
Verwaltung ein, die in einer Wiederherstellung der früheren Einheit
der Administration gipfelte. Alle Einkünfte flossen fortan in eine Central-
kasse. Die Technik der Verwaltung in der Centralstelle wies zum Ende
des Mittelalters allerdings noch große Mängel auf. Zwar war die Geld-
wirtschaft bereits eingedrungen, und das Schreibwesen befand sich auf
einer ziemlich hohen Stufe der Ausbildung; aber noch wurde nicht
einmal die Höhe der gesamten Einnahme und Ausgabe genau fest-
gestellt; von einem Haushaltungsplane war noch nicht die Rede, und
eine beständige und ungeregelte Borgwirtschaft war der Krebsschaden
der damaligen Verwaltung.
Am wichtigsten und interessantesten ist der Abschnitt über die
Lokalverwaltung. Es kam wohl vor, daß Bestandteile des klösterlichen
Grundbesitzes einer Geschäftsstelle im Kloster unmittelbar untergeben
waren; die Regel aber war die Unterordnung unter eine lokale Zwischen-
instanz, und zwar konnte diese letztere eine bloße Hebestelle sein, oder
auch (und das war am häufigsten der Fall) ein ländlicher Gutsbetrieb,
der sich in der Eigenwirtschaft des Klosters befand, ein Fronhof. Die
Fronhofsverfassung weist zwei verschiedene Typen auf. Es gab Fron-
höfe, auf denen der Gutsbetrieb im wesentlichen durch die Dienste der
abhängigen Bauern aufrecht erhalten wurde; sie finden sich vornehmlich
am Niederrheine und in Ostsachsen um Helmstedt. Die Gutsbetriebe
dieser Art haben einige Aehnlichkeit mit der Nordostdeutschen Guts-
herrschaft der späteren Zeit, nur daß die Getreideproduktion für den
Markt und im Zusammenhange damit die kapitalistische Betriebs-
form fehlt. Für diese zweite Art der Fronhofsverfassung ist es cha-
rakteristisch, daß sie des größeren Wirtschaftsbetriebes ermangelt, und
daß daher die Dienste der bäuerlichen Hintersassen wenig oder gar
nicht in Anspruch genommen werden; der Gutsbetrieb wird in der
Hauptsache durch die unfreien Gutsinsassen besorgt, die den proven-
darii des capitulare de villis entsprechen. Den hintersässigen Bauern
gegenüber ist der Fronhof im wesentlichen hier also lediglich Einhebe-
stelle für die schuldigen Lieferungen. Dieser zweite Typus der Fronhofs-
verfassung findet sich besonders in Gegenden mit Einzelhofsiedlung, in
Westfalen und in Friesland, sowie auf Neubruchslande bei Werden.
Der Hauptwert der vorliegenden Untersuchungen Kötzschke’s besteht
nun darin, daß er durch das Mittelalter hindurch das Schicksal der
Fronhofsverfassung auf dem Grundbesitze des Klosters Werden verfolgt.
Wir wollen, den Ausführungen des Verfassers folgend, hier einige An-
deutungen über den Entwickelungsgang der Werdener Fronhofsverfassung.
geben. Zum ehemaligen Frongute Friemersheim am Niederrhein ge-
hörte eine Reihe von Fronhöfen, mit denen ein größerer Gutsbetrieb,
basiert auf die Dienste der bäuerlichen Hintersassen, verbunden war.
Indem Kötschke an das Frongut Friemersheim anknüpft, legt er den
Entwickelungsgang der Fronhofsverfassung dieses ersteren Typus dar.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 537
Es war dafür entscheidend, daß seit dem 11. Jahrhundert der große
Eigenbetrieb der Fronhöfe verfiel. Je mehr das Hofland abnahm, um so
mehr konnten die Dienstleistungen verringert oder mit Gelde abgelöst
werden. Der Betrieb auf den Fronhöfen wurde seitdem mehr und mehr
durch die auf ihnen selbst befindlichen Arbeitskräfte besorgt, und er
unterschied sich hinsichtlich seiner Größe schließlich kaum noch von
einem bäuerlichen Betriebe. So verwandelten sich die Fronhöfe all-
mählich in selbständige, großbäuerliche Güter. Zugleich änderte sich
ihr Verhältnis zur Centralverwaltung. Früher hatte an diese der Fron-
hof seinen ganzen Ueberschuß nach Deckung der Betriebsunkosten ab-
geliefert; nunmehr wurden ihm bestimmte Geld- und Naturallieferungen
auferlegt, und dadurch erlangte sein Vorsteher der Centralverwaltung
gegenüber eine sehr selbständige Stellung. In und nach der Staufer-
zeit gelangte diese Entwickelung zum Abschlusse. Die Fronden sind
so gut wie vollständig abgelöst, und nichts ist übrig geblieben als die
jährlichen Gefälle an Getreide und Geld, die im wesentlichen fixiert
waren und schließlich als auf den Hufen ruhende Reallasten angesehen
wurden. Der Fronhof war nichts mehr, als ein bäuerlicher Großbetrieb,
dem ein Bauer mit der Pflicht zu bestimmten Leistungen an den Abt
oder Probst vorstand, ein Bauerngut, wie die übrigen abhängigen Bauern-
höfe. Der Hofbauer hatte von den übrigen Hüfnern den Zehnten ein-
zusammeln und führte den Vorsitz im Hofgerichte des Herrn; daher
erhielt er den Namen eines Schulten. Da sowohl Metallgehalt als auch
Kaufkraft des Geldes gesunken war, erlitt der Grundherr, dessen Renten
genau fixiert waren, großen Schaden zu Gunsten des Bauern. Ueberhaupt ist
damals eine entschiedene Besserung in der Lage des Bauernstandes zu
bemerken, so vor allem hinsichtlich der Besitzverhältnisse. Die Hüfner
erlangten ein erbliches Recht an ihren Gütern nebst einer, wenngleich
keineswegs unbeschränkten, Veräußerungsfreiheit; eine Wirkung dieser
letzteren war es freilich, daß der Vollhufenbesitz aufhörte, die Norm
des bäuerlichen Besitzmaßes zu bilden. Indem sich der Abt mit einem
reisigen Gefolge umgab und daher einen beträchtlichen Teil seines Gutes
als Lehnsgut nach Dienstmanns- oder auch Mannslehenrecht austhat,
wurde gleichfalls eine ganz neue Besitzverteilung geschaffen. Im ein-
zelnen erlitt die Fronhofsverfassung, je nachdem Abtei- oder Probstei-
gut in Betracht kommt, sehr verschiedenartige Schicksale; doch ist hier
nicht der Ort, des näheren darauf einzugehen. Es sei nur noch be-
merkt, daß, als zum Ende des 15. Jahrhunderts die Scheidung zwischen
Abtei- und Probsteigute aufgehoben wurde, ein Amtmann zu Asterlagen
eingesetzt wurde, zu dessen Funktionen sowohl die Rentenverwaltung
als auch (auf dem Gebiete des früheren Probsteigutes) die Leitung des
Hofgerichtes gehörten. Von besonderem Interesse sind in diesem Ab-
schnitte die Ausführungen über die Entstehung und Geschichte der
Herrlichkeit Friemersheim (S. 54 ff).
Ganz anderer Art war die Entwickelung der Fronhofsverfassung
auf dem westfälischen Bestandteile des Klostergutes. Hier war der
Besitz des Klosters Streubesitz; es gab hier nur wenige und nicht ge-
rade bedeutende Fronhöfe, nur 4—5 Hufen groß, die auf die bäuer-
538 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
lichen Dienste nicht angewiesen waren. Die westfälischen Hintersassen
des Klosters waren ihrem Stande nach Laten (ca. ?},) und liberi (ca. !/, .
Die letzteren waren persönlich freie Leute ohne Grundeigentum; sie
sind identisch mit den Landsassen des Sachsenspiegels. Zum Ende des
9. Jahrhunderts standen die treien Hintersassen des Klosters, was Heer-
bann und Gericht betrifft, noch unmittelbar unter der öffentlichen
Gewalt. Man sieht also: Staatliche Rechte und Pflichten
wurden durch die Uebernahme zinspflichtigen Landes,
d. h. durch das Verhältnis der wirtschaftlichen Ab-
hängigkeit von einem Grundherrn, durchaus nicht be-
einträchtigt. Die Laten hingegen waren nicht mehr unmittel-
bar der staatlichen Gewalt untergeordnet; sie entrichteten seit der
fränkischen Eroberung Heerschilling und Heermalder dem Grundherrr.
Noch waren ihre Leistungen an den Grundherrn nicht unabänderlich
fixiert; es wurde aber ein gewisses Recht des Laten am Gute aner-
kannt, und es scheint sogar die weibliche Erbfolge bestanden zu haben.
Vereinzelt gab es übrigens auch Hörige fremder Herren, die Hintersassen
des Klosters waren. Wir bemerken demnach, daß in dieser Gegend
schon damals Grundherrschaft und Leibherrschaft über
eine bestimmte Person keineswegs in der Hand eines
und desselben Herrn vereinigt zu sein brauchten. Dem
bäuerlichen Hintersassen gegenüber kam dem Fronhofe in Westfalen
lediglich die Bedeutung eines Hebeamtes zu. Es gab 7 solcher Hebe-
ämter, ministeria. Die abhängigen Bauernhöfe waren unter sie auf-
geteilt; es gehörte also zu jedem von ihnen eine bestimmte Anzahl von
Höfen, deren Inhaber auch später in Sachen der Hofgerichtsbarkeit eine
Gerichtsgenossenschaft bildeten. An der Spitze stand immer ein Schulte
(villicus, scultetus). Nachdem er anfangs in einem reinen Beamten-
verhältnisse gestanden und den ganzen Ueberschuß aus der Wirtschaft
des Fronhofes der Centralstelle im Kloster hatte abführen müssen, wurde
es seit dem 11. Jahrhundert Brauch, ihm den Fronhof zu eigenem Be-
triebe mit der Verpflichtung zu bestimmten Leistungen seitens des Fron-
hofes neben den fixierten Abgaben der dazu gehörigen Bauernhöfe an
den Grundherrn abzuführen. Er war zunächst zwar noch absetzbar, in
der Wirtschaftsführung aber ganz selbständig, indem er die Ueberschüsse,
die er über die für den Grundherrn bestimmte Leistung hinaus erzielte,
für sich behalten durfte, während er freilich andererseits für etwaige
Mindererträge aufzukommen hatte. Die Schulten gehörten dem Stande
der Ministerialen an. Seit dem 12. Jahrhundert setzte sich die Erb-
lichkeit des Amtes durch; zugleich wurden sie als dem ritterlichen
Stande zugehörig betrachtet. Sie hatten meist ohnebin schon Kloster-
gut zu Lehen; nunmehr drang auch noch die Auffassung durch, dab
die feste Leistung, die sie vom Fronhofe zu entrichten hatten, die Be-
deutung einer Pacht (pensio) habe. Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts
sitzen sie auf den Fronhöfen zu einem Rechte, das man als Villikations-
pacht bezeichnen kann; sogar ausdrückliche Vergabung zu Erbpacht
kommt vor. Das alte Fronhofsamt ist somit selbständig geworden und
gleichsam in die Sphäre eigenen Rechtes erhoben worden; den ab-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 539
hängigen Bauerngütern gegenüber dient es immer noch als Hebestelle
für die grundherrlichen Gefälle wie ihm auch weiterhin die Ausübung
der Hofgerichtsbarkeit zusteht. Dies ist die Entwickelung, wie sie sich
hinsichtlich der Fronhöfe des Abteigutes und einiger Fronhöfe des
Probsteigutes in Westfalen abgespielt hat. Mit den von ihnen abhängigen
Bauernhöfen sind sie schließlich in den Lehns- oder sonst irgendwie
erblichen Besitz der ritterlichen Amtsleute gelangt, und zwar so voll-
ständig, daß z. B. die Einkünfte aus dem Todfalle der Hörigen nicht mehr
an den Herrn, sondern an den Schulten fielen. Sie wurden mit den
zu ihnen gehörigen Bauernhöfen einfach Dienstmannslehen mit vorbe-
haltener Pachtzahlung, und so blieb es bis in die Neuzeit hinein. Nur
ein Teil des Probsteigutes, und zwar der größere, blieb vor diesem Ge-
schicke bewahrt. Es war hier vielmehr die Regel, daß der Hof einem
bäuerlichen villicus gegen Abgabenpflicht nach denselben Normen, wie
sie bei den übrigen bäuerlichen Besitzern galten, überlassen wurden.
Doch hatte dieser villicus nichts mit der Einhebuug der bäuerlichen
Gefälle zu thun, sondern diese wurden von probsteilichen Rentbeamten
eingenommen und direkt an die Probsteikasse abgeführt. Nach der
Aufhebung der Trennung zwischen Abtei- und Probsteigute wurde für
das gesamte noch übrig gebliebene Klostergut in Westfalen wieder
eine einheitliche Centralverwaltung begründet und für die Lokalver-
waltung eine Einteilung in drei Bezirke geschaffen, deren Mittelpunkte
Recklinghausen, Unna und Iserlohn waren; in jedem von ihnen wurde
ein Rentmeister bürgerlichen oder geistlichen Standes angestellt.
Das sind die Hauptergebnisse der Kötzschke’schen Schrift. Sorgsam
und umsichtig gearbeitet, gewährt sie uns eine willkommene Ergänzung
und Vertiefung unserer Kenntnis von der Fronhofsverfassung. Nur
selten sieht sich der Leser und Beurteiler zu kritischen Bedenken oder
Widersprüchen veranlaßt. Auf S. 65 bemerkt Kötzschke, nachdem er
die Standesverhältnisse der westfälischen Hintersassen zum Ausgange
des 9. Jahrhunderts geschildert hat, in der Folgezeit seien innerhalb
zwei bis drei Menschenalter Freie und Laten „miteinander verwachsen“.
Zum Beweise dafür führt er aus: „Das Heberegister aus der Mitte
des 10. Jahrhunderts kennt diesen Unterschied nicht mehr; und auch
in den jüngeren sind nur Spuren davon auffindbar: als Fronhofshörige
erscheint später die Menge der westfälischen Klosterleute Werdens.“
Der Ausdruck „miteinander verwachsen“ oder „ineinander überge-
gangen“ erscheint, vom rechtsgeschichtlichen Standpunkte aus betrachtet,
wenig präcis. Wenn damit etwa gesagt werden sollte, daß die alte
geburtständische Gliederung damals bereits für die bäuerliche Bevölkerung
ihre Geltung verloren hätte, so könnte man sich schwerlich einver-
standen erklären. Wenn in den Heberegistern später nicht mehr ver-
merkt wird, ob der einzelne Hintersasse Freier oder Late sei, so beweist
das doch noch keineswegs, daß dieser Unterschied nicht mehr existierte,
Giebt doch Kötzschke selbst an, daß sich immerhin in den jüngeren
Heberegistern „Spuren“ der alten geburtsständischen Scheidung finden.
Auch in der späteren Zeit gab es noch freie bäuerliche Hintersassen
des Klosters; bemerkt Kötzschke doch (S. 97), daß auf einzelnen Bauern-
540 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
gütern des Klosters „nicht hörige und huldige Leute“ angesetzt waren.
Allerdings gehören diese Fragen nach der Entwickelung der Standes-
verhältnisse auf dem Werdener Herrschaftsbezirke in ein Gebiet, das
der Verfasser in der Vorrede ausdrücklich als außerhalb seines Themas
liegend bezeichnet hat. Eine gründliche Untersuchung über diesen
Punkt ist ein dringendes Bedürfnis.
Mit Spannung sehen wir der von Kötzschke angekündigten Ausgabe
der Werdener Urbare entgegen. Die vorliegende Schrift, durch die er
inzwischen die Wissenschaft bereichert hat, ist, um es nochmals hervor-
zuheben, als ein ebenso lehrreicher wie auch verdienstvoller Beitrag
zur Wirtschaftsgeschichte Deutschlands und speciell der Kirche im
Mittelalter zu bezeichnen, der durch solche Monographien untersuchenden
Charakters bei dem heutigen Stande der Forschung unzweifelhaft am
meisten genützt wird.
Halle a. S. Felix Rachfahl.
Wörterbuch der Rechts- und Staatswissenschaften. Redigiert von
A. F. Wolkow und S, D. Filipow. Herausgegeben von der Gesell-
schaft „Obschestwennaja Polsa“, St. Petersburg. (Russisch.)
Diesem bedeutsamen Werke dürfte eine größere Verbreitung voraus-
zusagen sein. Die Redakteure sind bereits durch die Herausgabe der
Reichsgesetze und andere größere Editionen bekannt. Unter den Mit-
arbeitern treffen wir eine Reihe namhafter Professoren und Privatdozenten
an, die meist auch die Redaktion der Artikel einzelner Fächer über-
nommen haben. Auch ein deutscher Gelehrter und zwar Prof. Oertmann
(Berlin) ist an der Mitarbeit beteiligt. Das Unternehmen begegnet einem
ausgesprochenen Bedürfnisse und ist ein sehr dankenswertes, da unsere
Lehrbücher, Encyklopädien u. dergl. vielfach dem neuesten Stande der
Wissenschaft nicht mehr entsprechen.
Aus dem Inhalte des uns vorliegenden ersten Heftes des Wörter-
buches sind unter anderem besonders die Artikel Actis, Accise, Oesterreich-
Ungarn und die Artikel über Agrarwesen u. dergl. hervorzuheben.
Eine besonders wichtige Stellung nimmt die politische Oekonomie,
die Sozialpolitik u. dergl. im neuen Werke ein.
Der Eindruck, den das erste Heft hervorruft, ist ein günstiger.
Das dort Gebotene ist recht belehrend und gründlich, Bei dem Bestande
der Mitarbeiter und Redakteure sind auch weiterhin tüchtige Leistungen
zu erwarten.
Das neue Werk sei daher hierdurch bestens empfohlen. Was unter
anderem auch zur Verbreitung desselben beitragen wird, ist sein relativ
niedriger Preis, nämlich 15 Rbl. für alle drei Bände, von denen jeder ca.
2400 Seiten in Petitsatz umfaßt und in welchem ca. 6000 Stichwörter zur
Behandlung gelangen werden. Gustav Sodoffsky.
Abhandlungen, volkswirtsch aftliche, der Badischen Hochschulen. Bd. V, Heft 4:
Das Postwesen in der Kurpfalz im 17. u. 18. Jahrhundert, von R. Grosse. Tübingen,
J. C. B. Mohr, 1902, gr. 8. VII- 65 SS. Einzelverkaufspreis. M. 3.—.
P Conrad, J. (Prof., Halle a/S.), Grundriß zum Studium der politischen Oekonomie.
Teil II: Volkswirtschaftspolitik. 3. wesentlich erweiterte Aufl. Jena, G. Fischer, 1902.
gr. 8. XVI—544 SS. M. 11.—.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 541
Forschungen, staats- und sozialwissenschaftliche, herausgeg. von Gustav Schmoller.
Band XX, Heft 2. Leipzig, Duncker & Humblot, 1902. gr. 8. VI—72 SS. M. 1,60.
(Inhalt: Ueber Wandlungen in der Volksernährung, von Ur. med.) A. Grotjahn (Berlin).
Hacks, J. (Realschuldirektor), Kritik der Marx’schen Werttheorie. I. Teil. Katto-
witz, G. Siwinna, o. J. (1902). 8. 42 SS. M. 0,80.
Sammlung nationalökonomischer und statistischer Abhandlungen des staatswissen-
schaftlichen Seminars zu Halle a/S., herausgeg. von (Prof. D') Conrad. Band 31 u. 32.
Jena, G. Fischer, 1902. gr. 8. (Inhalt: Bd. 31. G. Brodnitz, Bismarks nationalükono-
mische Anschauungen. 155 SS. — Bd. 32. A. Rothe, Das deutsche Fleischergewerbe.
216 SS.)
Schriften des Vereins für Sozialpolitik. Heft 103: Die Lage der in der See-
schiffahrt beschäftigten Arbeiter. I. Abteilung: Die wirtschaftliche und technische Ent-
wickelung der Seeschiffahrt von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis auf die Gegenwart,
von E. Fitger. Mit einer Vorbemerkung von (Prof.) E. Francke. Leipzig, Duncker &
Humblot, 1902. gr. 8. XI—142 SS. M. 3.—.
Sombart, W., Der moderne Kapitalismus. 2 Bände. Leipzig, Duncker & Hum-
blot, 1902. gr. 8. M. 20.—. (Inhalt. Bd. I. Die Genesis des Kapitalismus. XXXIV—
669 SS.: Die Organisation der wirtschaftlichen Arbeit. — Die Wirtschaft als Handwerk.
— Die Genesis des modernen Kapitalismus. — Bd. II. Die Theorie der kapitalistischen
Entwickerung. VIII—646 SS.: Die treibenden Kräfte. — Die Neubegründung des Wirt-
schaftslebens. — Die Neugestaltung des Wirtschaftslebens. — Die Theorie der gewerb-
lichen Konkurrenz.)
L'année scientifique et industrielle. Fondée par Louis Figuier. XLV'" année
(1901), par Em. Gautier. Paris, Hachette & C", 1902. 8. VI—438 pag. av. 112 fig.
fr. 3,50.
Jaurès, Jean, Etudes socialistes. Paris, Guillaumin & C", 1902. 8. 270 pag.
fr. 3,50.
3apa. Couiars-1cMokparuucckif Hayuuo normrauccKkit ÆypHaz. Hanacrca npa
Gauxaïñremes yuacriu T. B. Ilrexauoga, B. M. 3acyauus u B. Akccrppoa. No. 1. Anpt.rb
1901—ro. r. Stuttgart, J. H. W. Dietz Nacht, 1901. 8. 8; 288 pp. r. 2.—. („Die
Morgenröte“. Sozialdemokratische Revue, herausgeg. von G. Plechanow. Wera Sassu-
litsch und P. B. Axelrod. Heft 1, April 1901.)
Wicksell, K., Föreläsningar i nationalekonomi. I. delen, Stockholm, C. E.
Fritze, 1901. 8. kr. 4,50.
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Alfred Ritter v. Wretschko, Das österreichische Marschall-
amt im Mittelalter. Ein Beitrag zur Geschichte der Verwaltung ın den
Territorien des Deutschen Reiches. Wien (Manz) 1897. 263 SS.
Dieses Buch, das hier durch die Schuld des Ref. verspätet zur An-
zeige gelangt, bildet einen willkommenen Beitrag zur mittelalterlichen
Verwaltungsgeschichte. Bisher konnte man sich über die Haus- und Hof-
ämter der mittelalterlichen Landesherren meistens nur aus allgemeineren
Werken unterrichteu. Es ist erfreulich, daß man allmählich auch zu
monographischer Behandlung übergeht. In dieser Hinsicht ist z. B.
Seeliger’s Arbeit über das Hofmeisteramt (1885) zu nennen. Mit dem
vorliegenden Buch kommen wir einen Schritt weiter. Mit den mittel-
alterlichen Hofämtern hat es eine eigentümliche Bewandtnis: ihre Kom-
petenzen sind außerordentlich dehnbar. Dasselbe Hofamt ist in einem
Territorium mit Befugnissen ausgestattet, die ihm in einem anderen
ganz oder fast ganz fehlen. So hat der Marschall in Oesterreich einen
auffallend großen Anteil an dem Gerichtswesen, während er anderswo
weniger damit zu thun hat. In Oesterreich hat ferner der Landmarschall
die Oberaufsicht über das Geleitwesen (Wretschko S. 107), während
542 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
diese Funktion z. B. im niederrheinischen Herzogtum Jülich dem Land-
drosten zusteht. Andere Beispiele abweichender Kompetenzbestimmung
führt Wretschko selbst an, der sich überhaupt gut in der allgemeinen
Litteratur umgesehen hat. Wenn nun einerseits die Hofämter in jener Hin-
sicht ein buntes Bild gewähren, so lassen sich doch andererseits auch
gemeinsame Züge in ihrer Entwickelung konstatieren. Von diesen sei
hier namentlich einer hervorgehoben. Die Hofämter neigen zur Erb-
lichkeit: sowie aber diese Tendenz stärker und erfolgreicher wird, suchen
die Landesherren die für den Staat wichtigeren Funktionen auf absetz-
bare Organe zu übertragen (vergl. darüber A. v. Wretschko S. 31 ff.).
Seit dem Erscheinen des Wretschko’schen Buches ist eine ganze
Anzahl bemerkenswerter Rezensionen über dasselbe erschienen; auf sie
mag hier verwiesen werden. Ich notiere: Rachfahl, Histor. Ztschr.,
Bd. 81, S. 529 f. (der namentlich auf einige Fehler der Form hinweist),
Luschin v. Ebengreuth, Mitteilungen des Instituts für österreichische
Geschichtsforschung 1898, S. 715 ff, Werunsky, Histor. Vierteljahrs-
schrift 1898, S. 116 ff.; Hintze, Forschungen zur brandenburgischen
und preußischen Geschichte, Bd. 10, S. 411 ff.; G. Winter, Blätter des
Vereins für Landeskunde von Niederösterreich 1897, S. 189 ff.; Schreuer,
Deutsche Litteraturzeitung 1898 Sp. 1975 f.; vergl. auch Dopsch, Mit-
teilungen des Instituts, Bd. 19, S. 160 ff. und Spangenberg, Beiträge zur
älteren Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte des Fürstentums Osna-
brück, S. 117 Anm. Luschin meint (a. a. O.), Wretschko hätte den Ueber-
gang von den vier germanischen Hausämtern, denen eine Anzahl von un-
freien Familien zur Dienstleistung zugewiesen war, zu einem in einzelnen
Geschlechtern vererblichen Landesamt noch schärfer, als es geschehen,
herausarbeiten sollen. Auch Ref. ist der Ansicht, daß hier und an
anderen Stellen (vgl. S. 22 ff.) etwas mehr Beweisführung am Platze
gewesen wäre. Indessen ist es doch fraglich, ob wirklich überall ein
Uebergang in dem Sinne, wie es Luschin anzunehmen scheint, statt-
gefunden hat. Ist nicht mitunter eine Lücke zwischen den beiden Zu-
ständen vorhanden? S. 22 (oben) hätte Wretschko wohl die Möglichkeit
des Eintritts Freier in die Ministerialität in Erwägung ziehen können.
S. 33 f. wird der Amtsbegriff mit der Existenz der Geldwirtschaft in
einen zu engen Zusammenhang gebracht. S. 40 (Anm. 62) spricht W.
über die Entstehung der Landeshoheit, bezw. über die Ausbildung eines
landesherrlichen Steuerrechts. Im großen und ganzen bekennt er sich
zu der von Zeumer, dem Ref. und überhaupt den meisten Historikern
vertretenen Ansicht (Anschluß an die Grafengewalt). Lokal aber will er
in Uebereinstimmung mit Al. Schulte auch eine andere Auffassung gelten
lassen. Dazu ist zu bemerken, daß erstens die bezüglichen Ausführungen
Schulte’s der Nachprüfung bedürfen und zweitens dieser Autor selbst
die Niedergerichtsbarkeit erst „nach Sprengung der Grafschaftsver-
fassung“ zur Territorialgewalt werden läßt. Nun also: neben der Graf-
schaft kann sich die Territorialgewalt nicht entwickeln, sondern sie
entsteht durch Aufsaugung der gräflichen Gewalt — quod erat de mon-
strandum. Es liegt hier lediglich eine begriffliche Inkorrektheit auf
seiten Schultes vor. S. 163 (Anm. 346) äußert sich W. zu der für die
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 543
Verwaltungsgeschichte sehr wichtigen Frage der Subskriptionen der
Urkunden. Zu S. 152 vergl. mein Territorium und Stadt S. 261.
Tübingen. G. v. Below.
Grosse, Hugo, Historische Rechenbücher des 16. und 17. Jahr-
hunderts und die Entwickelung ihrer Grundgedanken bis zur Neuzeit.
Ein Beitrag zur Geschichte der Methodik des Rechenunterrichts. Mit
fünf Titelabbildungen. Leipzig 1901, Verlag der Dürr’schen Buchhand-
lung. 183 SS.
Der Verfasser dieses Buches geht von einem pädagogischen Gesichts-
punkt aus. Er huldigt der Ansicht, daß das Rechnen die Sachgebiete
zu bearbeiten hat, welche im Leben oder im anderweitigen Unterrichte
des Kindes vorkommen. Er will nun an der Hand der Lehrbücher
früherer Zeiten zeigen, „wie alt der Gedanke schon ist, das Rechnen
und die Realien zu verbinden.“ Die „historischen Rechenbücher“, die
im Titel des Buches in den Vordergrund gestellt werden, sind eine
eigentümliche Erscheinung des 16. und 17. Jahrhunderts. Sie entnehmen
ihre Aufgaben in der Hauptsache der biblischen und der Profangeschichte.
Es werden Geschichtchen mitgeteilt und daran ein Rechenexempel ge-
knüpft. Diese Rechenbücher beschreibt der Verfasser und teilt Proben
aus ihnen mit. Er hat aber auch noch weiteres Material hinzugebracht,
wie er denn überhaupt mit großem Fleiß gearbeitet hat. Sein Buch
dient, wie angedeutet, zunächst einem pädagogischen Zweck. Indessen
liefert es zugleich einen Beitrag zur Kulturgeschichte. Der Wirtschafts-
historiker z. B., der mit alten Rechnungen zu thun hat, wird mit Inter-
esse von den Hilfsmitteln Kenntnis nehmen, die die früheren Jahr-
hunderte für den Erwerb der Rechenkunst zur Verfügung stellten.
G. v. Below.
Bernstein, Ed., Die heutige Einkommensbewegung und die Aufgabe der Volks-
wirtschaft. Berlin, Verlag der Sozialistischen Monatshefte, 1902. gr. 8. 41 SS. M. 0,50.
Beschreibung des Oberamts Heilbronn. Herausgeg. von dem k. statistischen
Landesamt. I. Teil: Stuttgart, W. Kohlhammer, 1901. gr. 8. VI—304; 308 u. 82 SS.
Mit Karte, Kartenskizze der Altertümer und Abbildgn.
Futterer, K. (Prof., techn. Hochschule, Karlsruhe), Durch Asien. Erfahrungen,
Forschungen und Sammlungen während der von Amtmann Ir Holderer unternommenen
teise. Bd. I. Geographische Charakterbilder. Berlin, D. Reimer, 1901. gr. 8. XXII—
545 SS. mit 203 Illustrationen im Texte, 40 Taf., Panoramen u. Profilen, 2 bunten
Tafeln u. 1 Uebersichtskarte von Asien, geb. M. 20.—. (Mit zahlreichen montanindu-
striellen Mitteilungen.)
Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in Hamburg. Bd. XVIl. Ham-
burg, L. Friederichsen & C°, 1901. gr. 8. 266 SS. mit 6 Originalkarten. M. 16.—.
(Aus dem Inhalt: Die Karolinen, von Max Friederichsen. — Korea, einst und jetzt,
von ©. Wolter. — Die Alta Verapaz (Guatemala). Eine landeskundliche Skizze.)
Much, Matth., Die Heimat der Indogermanen im Lichte der urgeschichtlichen
Forschung. Berlin, H. Costenoble, 1902, gr. 8. 311 SS. M. 7.—.
Rasche, E. (Schuldirektor), Produktion und Handel mit besonderer Berücksichti-
gung der Verhältnisse des Deutschen Reiches. Materialien zu einer vaterländischen
Kultur- und Wirtschaftsgeographie. Leipzig und Frankfurt a/M., Kesselring, o. J. (1902).
8. 85 SS. M. 1,20.
Sapper, K. (Privdoz. für Erd- u. Völkerkunde an der Univ. Leipzig), Mittel-
amerikanische Reisen und Studien aus den Jahren 1888 bis 1900. Braunschweig,
Vieweg & Sohn, 1902. gr. 8. Mit Titelbilde, 60 Abbildgn. u. 4 Karten. M. 10.—.
544 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Steinberg, Jul., Die Wirtschaftskrisis 1901, ihre Ursachen, Lehren und Folgen.
Bonn, Fr. Cohen, 1902. gr. 8. IV—D4 SS.
Stutzer, A. (o. ö. Prof., Univ. Königsberg), Zucker und Alkohol. Die Eigen-
schaften von Zucker und Alkohol in physiologischer, sozialer und volkswirtschaft-
licher Beziehung. Berlin, Parey, 1902. gr. 8. 60 SS. M. 1,50,
Aulagnon, CI, La Sibérie économique. Consider&e plus spécialement dans sa
partie Cisbaikalienne. Paris, Guillaumin & C*, 1901. gr. in-8. XII—230 pag. av. gr-
vures et cartes. fr. 6.—. (Table des matières: Voies de communications. — Agricul-
ture. — Elevage. — Forêts. — Chasse et pêche. — Industries minières. — Industries
de transformation, — Commerce, etc.)
Lafargue, P., The evolution of property from savagery to civilisation. New
edition. London, Sonnenschein, 1902. 8. 182 pp. 2,.6.
New Zealand (the) official year-book 1901. (X year of issue.) Prepared under
instructions from R. J. Seddon (Premier) by J. E. von Dadelszen (Registrar-General).
Wellington, J. Mackay printed, 1901. gr. 8. 640 pp. with map, diagrams and illustru-
tions.
Queensland (the) official year book, 1901. Compiled from official sources, and
published under government authority by J. Hughes (Registrar-General). Brisbane,
G. A. Vaughan printed, 23" XII. 1901. 8. 424 pp. with 42 illustrations. (Contents:
Population and vital statistics. — Immigration. — Factories and shops. — Crown lands.
— Pastoral and agricultural. — Mineral wealth. — Fisheries. — Secondary production.
— Public charities. Orphanages. — Friendly societies. — Commerce. — Finance —
Railways. Pots and telegraph. — Ports, harbours, and lights. — Aboriginal natives.)
3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung
und Kolonisation.
Hindorf, R., Der landwirtschaftliche Wert und die Besiedelungsfähigkeit Deutsch-
südwestafrikas. 3. Aufl. Berlin, Mittler & Sohn, 1902. Folio. 88 SS. M. 2.—.
Jahresbericht über die Entwickelung der deutschen Schutzgebiete in Afrika
und der Südsee im Jahre 1900/1901. Berlin, Mittler & Sohn, 1902. Folio. 111 S5.
— Anlagen zum Jahresbericht ete. Ebd. 352 SS.
Sparig, Osk. (Mathematiker), Gedanken über Sterblichkeit und Sterblichkeits-
tafeln. Dresden, G. Schmidt, o. J., (1901). gr. 8. 32 SS. M. 0,80.
de Cordemoy, H. J. (prof. à l’Ecole de médecine, charge d’un cours de pro-
duits coloniaux à la Chambre de commerce de Marseille), Les soies dans l'extrême
Orient et dans les colonies françaises. Les vers A soie et leurs similaires. Paris, A.
Challamel, 1902. gr. in-8. 105 pag. av. 1 planche en couleurs. fr. 5.—.
Flour de Saint-Genis, La propriété rurale en France. Paris, Arm. Colin,
1902. 8. XVIII—445 pag. fr. 6.—. (Table des matières: Ii‘ partie. Origines histo-
riques et sociales de la distribution de la propriété du sol entre les familles françaises.
— II partie: Avenir de la propriété territoriale en France, d’après les tendances que
marquent les lois et l'esprit de la philosophie sociale.) [Ouvrage couronné par l’Aca-
demie des sciences morales et politiques, précédé d’un rapportde Foville servant d’intro-
duction.]
Fanno, M., Brevi cenni storici sulla colonizzacione Britannica. Treviso, Nardi,
1902. 8. 118 pp.
4&. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Baltisches Stammbuch edlen Rindvichs, herausgeg. von der Kais. Livländischen
gemeinnützigen und ökonomischen Sozietät. Jahrg. XVII: 1901. Dorpat (Jurjew), Druck
von H. Laakmann, 1902. 8. 125 SS. mit 1 Taf.
Bericht über die II. Hauptversammlung des deutschen Forstvereins (29. Ver-
sammlung deutscher Forstmänner) zu Regensburg vom 26. bis 31. VIII. 1901. Berlin,
J. Springer, 1902. gr. 8. 202 SS. M. 3.—.
Fischer, Max (Prof.), Zunftgemäße Mahl- und Backversuche mit inländischen
und ausländischen Weizensorten. Prenzlau, Druck von A. Mieck, 1902. gr. 8. 46 SS.
mit statistischen Tabellen in größt. Imp.-Folio (Sonderabdruck aus „der Landbote‘).
Hübel, L. (aus Sachsendorf), Die Gestaltung des landwirtschaftlichen Betriebes
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 545
mit Rücksicht auf den herrschenden Arbeitermangel. Dresden, von Zahn & Jaensch,
1902. gr. 8. 128 SS. mit 1 Taf. M. 3.—. (Mit dem Reuning-Preise gekrönte Preis-
schrift.)
Jahresbericht des Vereins für die bergbaulichen Interessen im Oberbergamts-
bezirk Dortmund für das Jahr 1901. I. Allgemeiner Teil. Essen, Druck von Thaden
& Schmemann, 1902. gr. 4. 59 SS. mit 5 Taf. Diagrammen.
Laschke, C., Geschichtliche Entwickelung des Durehforstungsbetriebes in Wissen-
schaft und Praxis bis zur Gründung der deutschen forstlichen Versuchsanstalten. Neu-
damm, J. Neumann, 1902. gr. 8. VI—114 SS. M. 6.—.
Pudor, H., Die Selbsthilfe der Landwirtschaft. Ein Beitrag zur Zolltarifvorlage.
Berlin-Schöneberg, Buchverlag der „Hilfe“, 1902. gr. 8. 151 SS. M. 1,80.
Stammbuch der livländischen Holländerfriesenviehzucht. I. Jahrg. 1901. Dorpat
(Jurjew), Druck von H. Laakmanns Buchdruckerei, 1902. 8. 96 SS. (Herausgeg. durch
den bei der kais. Livländischen gemeinnützigen und ökonomischen Sozietät bestehenden
Verband livländischer Holländer-Friesenviehzüchter.)
Wiedfeldt, Genossenschaftliche Getreideverwertung im Königreich Sachsen. Eine
agrarpolitische Untersuchung. Berlin, Parey, 1902. gr. 8. 47 SS.
Agricultural returns, 1901. Produce of erops. Tables showing the estimated
total produce and average yield per acre of the principal crops with partieulars for
each county of Great Britain and a summary for the United Kingdom. London, 1902.
gr. 8. 27 pp. (Parl. pap.) [Publication of the Board of Agriculture.]
Annali di agricoltura 1901. N° 226. Atti del Consiglio zootecnico e delle epizoozie.
Roma, tip. di Bertero & C., 1901. gr. 8. 285 pp. (Pubblicazione del Ministero di
agricoltura, industria e commercio.)
5. Gewerbe und Industrie.
Recensement général des industries et de 3 métiers
en Belgique le 31 Octobre 1896. 5 Volumes de lOffice du
Travail, Section de la Statistique.
Von der am 31. Oktober 1896 in Belgien veranstalteten Industrie-
und Gewerbezählung sind inzwischen seitens des dortigen Arbeitsamts
in 5 Bänden Ergebnisse veröffentlicht worden. Die erste Mitteilung
von Ergebnissen überhaupt erfolgte im Dezember 1898 und bezog sich
auf die Provinz Luxemburg. Für das gesamte Königreich konnten
Resultate erst im Jahre 1900 zur Verfügung gestellt werden. Die bis-
her veröffentlichten 5 Bände bedeuten noch keineswegs den Abschluß
der Erhebung, sondern stellen nur einen Teil der geplanten Veröffent-
lichungen dar, Auf den ersten Blick nimmt dieser nicht gerade
schnelle Gang der Aufbereitung einer Specialerhebung für ein Land,
welches nach Umfang und Einwohnerzahl mit der Rheinprovinz sich ver-
gleichen läßt, einigermaßen wunder. Die Erklärung findet man bei Be-
trachtung der eigenartigen Methode, die der Erhebung zu Grunde ge-
legt ist.
Die Erhebung, die sich auf Industrie und Gewerbe, mit Ausschluß
der Handelsgewerbe, beschränkt, war einerseits eine industrielle Be-
triebszählung, beruhend auf den Angaben der industriellen Unternehmer
(denombrement A), andererseits eine Zählung der gewerblichen Arbeiter-
schaft, beruhend auf Angaben der Arbeiter (dénombrement B). Für
beide Zählungen bildeten die Bevölkerungsregister die Grundlage, mittels
ihrer wurden die Erhebungslisten aufgestellt. Allein da diese Register
auf einer schon 6 Jahre zurückliegenden Erhebung basierten, so er-
wiesen sie sich ziemlich unzuverlässig. Infolgedessen mußten zur Richtig-
Dritte Folge Bd. XXIII (LXXVIII). 35
546 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
stellung und Vervollständigung des Zählungsmateriels nachträglich noch
alle möglichen anderen Quellen, wie Adreßbücher, industielle Jahrbücher,
sonstige Verzeichnisse, seitens des Arbeitsamts herangezogen werden:
mit unsäglicher Mühe wurden so sämtliche 250 800 Zählbogen der
Unternehmer und 680 000 der Arbeiterfamilien durchgeprüft, eine Arbeit,
die für sich allein über 11|, Jahre Zeit in Anspruch nahm. Ein der-
artiges Verfahren mag des Beispiels halber einmal in einem kleinen Lande
riskiert worden, die hierbei gemachten Erfahrungen machen es aber
wenig empfehlenswert für einen Großstaat; hier wird man im Interesse
der Zuverlässigkeit der Erhebung und der raschen Bereitstellung der Er-
gebnisse besser thun, wenn man, wie in Deutschland, Gewerbezählungen
im Zusammenhang mit einer Volks- oder Berufszählung vornimmt.
Die Bearbeitung erlitt noch weitere Verzögerung dadurch, dal
man die Auskünfte der Arbeitgeber und Arbeitnehmer eingehend mit-
einander verglich, wozu die Antworten der Arbeiter bezüglich des
Namens und Industriezweigs der Unternehmung, resp. des Arbeitgebers
und der Adresse des Betriebes, in dem sie beschäftigt waren, die Mög-
lichkeit boten. Zweifellos wurde auf diese Weise zugleich eine ge-
nauere Kenntnis der einzelnen Unternehmungen beschafft. Indessen zur
Nachahmung in einem größeren Staat kann meines Erachtens auch diese
Methode nicht empfohlen werden. Wie die Erfahrungen in Belgien
und auch in Frankreich, wo man bei der 1896er Gewerbezählung ähn-
lich verfuhr, lehren, verursacht das Zusammenfinden der verschiedenen
Arbeiter des einzelnen Betriebs an der Hand der einschlägigen Zähl-
bogen an sich große Schwierigkeiten und fällt mit der heutigen Ver-
kehrsentwickelung, die eine immer häufigere Verschiedenheit von Arbeits-
und Wohnort im Gefolge hat, fortgesetzt schwerer.
Was nun den Inhalt der Verüffentlichungen über die belgische
Industriezählung anlangt, so sollen sie nach dem aufgestellten Plane
außer den Nachweisen über die Betriebe und Betriebsarten, über das
Personal nach Geschlecht, Alter, Civilstand, Beruf, Geburtsort, Arbeits-
ort etc. sich auch erstrecken auf die Unternehinungsform, Frauen- und
Kinderarbeit, Arbeitstunden, Tag- und Nachtarbeit, Löhne, etc.: ein als
Schluß in Aussicht gestelltes Exposé général soll eine übersichtliche
Zusammenfassung der Ergebnisse mit Karten und Diagrammen, sowie
eine Beschreibung der Kritik der Erhebungs- und Bearbeitungsmethode
geben.
Die eingangs erwähnten 5 Bände behandeln lediglich -das denom-
brement A, also die Betriebszähluug. Die Nachweise sind sehr detail-
Iert, für jede einzelne Gemeinde, angelegt, so daß man meist die in-
dividuellen Betriebe erkennen kann, sie sind vielfach eine fürmliche
statistische Abschrift der Zählungsformulare. Und zwar enthalten Band
I und II, für welche der Leiter der Erhebung M. E. Waxweiler, Chef
des belgischen Arbeitsamts, ebenso wie für Band IV und V ein be-
besonderes Resumee veröffentlichte, die Verteilung der industriellen und
handwerksmäßigen Betriebe nach Provinzen und Arrondissements mit Unter-
scheidung der überhaupt vorhandenen und der in Thätigkeit befindlichen
Betriebe, der Zahl der Arbeiter und des übrigen Personals sowie der
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 547
verwendeten motorischen Kräfte. Band III bietet zahlreiche alphabetische
Verzeichnisse, um die Resultate nach den verschiedensten Gesichtspunkten
rasch gruppieren zu können. Band IV behandelt die Betriebe nach ihrer
Unternehmungsform und ihren Leitern, Band V endlich die Größe der
Betriebe nach der Zahl der in ihnen beschäftigten Arbeiter.
Als besonderer Vorzug muß hervorgehoben werden, daß die Klassifika-
tion der Betriebe nicht weniger als 858 Positionen unterscheidet Die
statistischen Daten sind so für den praktischen Gebrauch noch besser
verwendbar als die der deutschen Gewerbestatistik, die sich in Interesse
einer übersichtlichen und in nicht zu langer Zeit zu liefernden Darstellung
der Ergebnisse auf 320 Gewerbearten beschränkte. Voraussichtlich
wird man aber auch in Deutschland bei einer neuen Gewerbestatistik
wenigstens eine Tabelle mit einer reicheren Gliederung der Gewerbe-
zweige aufmachenund für die so detaillierten Gewerbearten wenigstens
einige Hauptdaten, wie Zahl der Betriebe, Personen und Pferdestärken,
nachweisen.
Ein anderer Vorzug der belgischen Industristatistik liegt darin,
daß die thatsächliche Ausdehnung der Betriebe auch zur Geltung
kommt. Es sind nämlich nicht nur die Teilbetriebe, sondern auch die
Gesamtbetiebe dargestellt. Als Gesamtbetriebe sind dabei die in einem
Hause oder in mehreren zusammenliegenden Gebäudekomplexe befindlichen
Betriebe der gleichen Unternehmung betrachtet. Bekanntlich hat anch
die deutsche Gewerbestatistik von 1895 eine Darstellung der Gesamt-
betriebe als Ganzes (nicht bloß als zerlegte Einzelbetriebe) angebahnt —
vergl. Bd. 113 der Statistik des Deutschen Reichs, S. 528 fg., Bd. 119,
S.153 fg — nur hat man diese Darstellung lediglich nach Gewerbegruppen
und Gewerbeklassen, nicht auch nach Gewerbearten gegeben. Künftighin
wird sich auch diese letztere Ausdehnung noch empfehlen; ferner er-
scheint es zweckmälig, soweit die Großbetriebe Filialen unterhalten
und diese spielen heute für viele Geschäfte eine große Rolle —, diese
— Betriebe auch im Zusammenhang mit ihren Filialen nachzuweisen, da-
mit auf diese Weise eine richtige Vorstellung über den thatsächlichen
Umfang jener Geschäfte gewonnen wird.
So viel über die jüngste belgische Industriezählung. Auf eine
weitere Kritik der Methode kann erst nach Erscheinen des Exposé
general eingegangen werden. Von einer Schilderung der Zahlenergeb-
nisse muß mit Rücksicht auf den hier zur Verfügung stehenden Raum
Abstand genommen werden.
Berlin. Friedrich Zahn.
Albrecht, H. (Prof., Groß-Lichterfelde), Handbuch der sozialen Wohlfahrtspflege
in Deutschland. Auf Grund des Materials der Centralstelle für Arbeiterwohlfahrtsein-
richtungen bearbeitet. Berlin, C. Heymanns Verlag, 1902. gr. 8. XIII—496 SS. Mit
111 Textabbildgn. und einer Mappe mit 87 Taf. Hfzbd. und Lwdbd. in qu.-Folio.
M. 39.—.
Bericht der Centralanstalt für unentgeltlichen Arbeitsnachweis in Mannheim über
das Geschäftsjahr 1901. Mannheim, Hofbuchdruckerei Hahn & C°, 1902. gr. 4. 21 SS.
mit 2 Blatt graphischer Darstellungen.
Harms, B., Die Entwickelungsgeschichte der deutschen Buchbinderei in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Technisch-statistisch-volkswirtschaftlich. Tübingen
35*
548 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
und Leipzig, J. C. B. Mohr, 1902. Lex.-8. VIII—184 SS. mit 6 Tabellen in Imp.-
qu.-Folio. M. 7,60.
v. Heckel, Max (Drot, Münster i. W.), Das Problem der Warenhäuser und der
Warenhaussteuer. Dresden, v. Zahn & Jaensch, 1902. gr. 8. 46 SS. M. 1.—. (A. u.
d. T.: Jahrbuch der Gehestiftung, Bd. VIII, Heft 3.)
Jahresbericht des Bundes der Industriellen E. V. für das Geschäftsjahr 1900/1901.
Im Auftrage des Vorstandes herausgeg. vom (Generalsekretär) Wilhelm Wendlandt. Berlin,
Druck von H. Klokow, 1901. 8. 11I—134 SS.
Jahresberichte der kgl. bayerischen Fabriken- und Gewerbeinspektoren, dann
der kgl. bayerischen Bergbehörden für das Jahr 1901. Mit einem Anhange betreffend
das Müllergewerbe. München, Th. Ackermann, 1902. gr. 8 XXIII—300; 93 SS.
M. 5.—.
Röpke, Fr. (D' med., Solingen), Die Berufskrankheiten des Ohres und der oberen
Luftwege. Wiesbaden, J. F. Bergmann, 1902. gr. 8. X—147 SS. M. 5.—. (Inhalt:
Bergbau; Chemische Großindustrie; Metallurgische Industrie; Industrie der Steine und
Erden; Baugewerbe; Holzbearbeitung und verwandte Gewerbe; Polygraphische Gewerbe;
Industrie der Farbenmaterialien ; Industrie der Explosivstoffe und Zündwaren; Dünger-
fabriken, Gerbereien, Leimfabriken ; Industrie der Oele, Fette, Firnisse und Harze;
Industrie der Heiz- und Leuchtstoffe; Textilindustrie; Papierindustrie; Bekleidungs-
und Reinigungsindustrie; Industrie der Nahrungs- und Genußmittel. — etc.)
Schomerus, Fr., Das Kleingewerbe insonderheit das Bücker-, Konditor- und
Fleischergewerbe monographisch und statistisch bearbeitet. Stuttgart, Kohlhammer, 1902.
gr. 8. VIII—9Y4 SS. M. 2.—.
Bouloc, E., Les grèves. Paris, Guillaumin & Ce, 1902. fr. 2.—. (Sommaire:
Droit de coalition. — Il n’y a pas de droit de grève, — Le contrat de travail. — Le
projet Millerand.)
Bureau, P., Le contrat de travail. Le röle des syndicats professionnels. Paris,
F. Alcan, 1902. 8. 276 pag. fr. 6.—.
Dupin, André, Du mouvement social ouvrier dans l'industrie allemande. Paris,
A. Rousseau, 1902. gr. in-8. XII—404 pag. fr. 10.—. (Table des matières: Histoire
du mouvement syndical ouvrier, — Statistique et détails d’organisation des syndicats. —
Oeuvres et programmes.)
Pelloutier, F.. Histoire des bourses du travail. Origine, institutions, avenir,
Ouvrage posthume. Préface par G. Sorel. Notice biographique par V. Dave. Paris,
Schleicher, 1902. 8. 282 pag. fr. 3,50.
Clark, John Bates (Prof. in Columbia University), The control of trusts. An
argument in favor of curbing the power of monopoly by a natural method. New York,
the Macmillan Cr, 1901. 8. X—88 pp, cloth. 2/.6. (Contents: The people and the
problem. — Early experiments and present facts. — How not to deal with trusts. —
Monopolies and the law. — Conclusions.)
Labor and industrial chronology of the commonwealth of Massachusetts for the nine
months ending September 30, 1901. Boston, Wright & Potter printed, 1902. gr. 8.
Scott, W. R., The Kings and Queen’s corporation for the linen manufacture in
Ireland. (Dublin) 1901. 8. 8 pp. (from the „Journal of the Royal Society of antiquaries
of Ireland“).
6. Handel und Verkehr.
Van der Borght, R. Dr, Handel und Handelspolitik. Leipzig
ı Hirschfeld) 1900. 82, 570 SS.
Vor mir liegt das oben angegebene Werk, das um so spannender
und interessanter wird, je mehr ich mich darein vertiefe. Die Verlags-
buchhandlung ©. L. Hirschfeld in Leipzig, die bekanntlich unter Mit-
wirkung von namhaften Gelehrten durch Kuno Frankenstein und nun-
mehr durch Max von Heckel in selbständigen Bänden ein Gesamt-
Hand- und Lehrbuch der Staatswissenschaften herausgiebt, hat sich
ein großes Verdienst erworben, gerade in der Gegenwart zu den bereits
bezüglich der Volkswirtschaftslehre erschienenen 10 Bänden dieses
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 549
neue, umfangreiche Lehrbuch — denn ein solches soll die Arbeit van
der Borght’s sein in die Oeffentlichkeit zu bringen.
Von langer Hand vorbereitet, ist dieses Buch — wie der Verfasser
selbst sagt — nach Form und Inhalt dem Zwecke eines Lehrbuches
angepaßt, weshalb auch die Sprache sich der müglichsten Gemeinver-
ständlichkeit befleiligt, obwohl der sogenannte „wissenschaftliche Stil“
dem Verfasser bequemer gelegen hätte.
Wer sich zur Zeit, da wegen der Erneuerung unserer Handelsver-
träge, der Neuausarbeitung des Zolltarifes und des Zolltarifgesetzes die
handelspolitischen Fragen im Vordergrund stehen, darüber eingehend
informieren will, wird dieses Buch lesen und studieren müssen. Von
dem reichen Inhalt seien nur einige Hauptabschnitte hier aufgezählt.
Das Buch zerfällt in zwei Teile, wovon der erste den Handel und
der zweite die Handelspolitik behandelt. Es wird der Begriff
und die Gliederung des Handels — Großhandel, Kleinhandel, Welt-
handel (Aktiv- und Passivhandel), Spekulationshandel erörtert, das
zweite Kapitel handelt von der volkswirtschaftlichen Bedeutung des
Handels, von der „produktiven“ Thätigkeit desselben und von der Be-
deutung der Warenhäuser (der Großbazare). Die Entwickelung des
Handels und die Gegenstände des Handelsverkehrs, die menschliche
Arbeit und das Kapital im Handel, der Kredit und die Konkurrenz
werden näher beschrieben. Ein eigenes Kapitel handelt vom Betrieb
des Warenhandels, darunter auch von der Bedeutung der Reklame. Der
Betrieb des Buchhandels und der gesamte Börsenhandel nach
allen Arten der Börsengeschäfte unter Beleuchtung der Börsenkurse
und der wirtschaftlichen Bedeutung der Börse erfahren sachgemäße und
eingehende Darstellung.
Der erste Teil des Buches umfaßt von den 570 Seiten Großoktav
allein 310 Seiten.
Der zweite Teil: „Handelspolitik“ ist noch interessanter als
der erste Teil.
Es wird die innere und die äußere Handelspolitik einer sorg-
fältigen Darstellung unterzogen, Hausierhandel und unlauterer Wett-
bewerb werden ebenso sachgemäß behandelt wie die Börsenpolitik und
die Verleitung zum Börsenspiel, sowie die unmittelbare Förderung des
Handels seitens des Staates.
Bei der äußeren Handelspolitik kommt der Verfasser sodann zu
den Aufgaben derselben, er bespricht die Zölle als Mittel der äußeren
Handelspolitik; die Handelsverträge und die Schiffahrtspolitik werden
zum Schluß behandelt. Von höchster Wichtigkeit ist auch das von
Dr. P. Lippert, Bibliothekar des Kgl. preuß. statist. Bureaus in Berlin
bearbeitete Inhaltsverzeichnis der Bibliographie und die Bibliographie
selbst, welche allein fast 100 Seiten (S. 477—570) umfaßt.
Den Schluß bilden die Darstellungen berühmter Kaufleute, z. B.
des Kunz, genannt der Spinnerkönig, der Kautmannsfamilie Behaim,
Piepenstock Vater und Sohn, des Hauses Raschle, v. Clausbruch und.
Rothschild.
Endlich ist noch die ganz ausgedehnte Litteratur über die Gegen-
550 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
stände des Handelsverkehrs, über Kredit und Konkurrenz im Handel,
über Börsen- und Buchhandel und namentlich über die Handels-
politik angegeben.
Das Buch verdient die Aufmerksamkeit aller, die sich mit Handel
und Handelspolitik beschäftigen, in vollstem Maße. Wiesinger.
Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für das Jahr 1901. I. Teil. Bielefeld,
Druck von F. Eilers, 1902. 8. 25 SS.
Bericht der Handelskammer Dresden über das Jahr 1901. L Teil. Thätigkeit
der Kammer. Dresden, C. Heinrich, 1902. gr. 8. VI--69 SS.
Bericht der Handelskammer zu Düsseldorf über das Jahr 1901. I. Teil, mit einem
Anhange: Zur Geschichte der Düsseldorfer Handelskammer. Düsseldorf, Druck von
L. Voß & C", 1902. gr. 8. 157 SS.
Bericht der Handelskammer für die östliche Niederlausitz in Sorau N.L. über
das 2. Halbjahr 1901. Sorau, Druck von Rauert & Pittius, 1902. gr. 8. 102 SS.
Bericht, LXXI., der beiden Verwaltungskörper der Ludwigs-Eisenbahngesell-
schaft in Nürnberg. Nürnberg, Druck von J. L. Stich, 1902. gr. 4. 37 SS.
Bubendey (zeitiger Rektor der k. technischen Hochschule, Berlin), Die Grenzen
der Seeschiffahrt. Berlin, 1902. 4. 20 SS. (Rede am 26. I. 1902.)
v. Bülow, H., Oesterreich-Ungarn. Handels- und Industriepolitik. Mit besonderer
Rücksichtsnahme auf das in der Monarchie zutage tretende Bestreben nach überseeischer
Kulturarbeit. Berlin, W. Süsserott, 1902. gr. 8. XXI—300 SS. geb. M. 8.—.
v. Chlumeeky, L. (Frh.), Die österreichische Handelsmarine und ihre Ansprüche
auf staatliche Unterstützung. Eine Studie., Wien, C. Gerold’s Sohn, 1902. gr. 8. 66 SS.
M. 2.—.
Festschrift der Handelskammer für die westliche Niederlausitz in Kottbus aus
Anlaß ihres 50-jährigen Bestehens 1852—1902. Im Auftrage der Kammer verfaßt von
deren Sekretär W. Fechner. Kottbus, Druck von A. Heine, 1902. gr. 4. VI—135 Ss.
Mit Karte der Bezirke der Kammer in größt. Imp.-quer-Folio,
Gensel, Jul. (vorm. Syndikus der Handelskammer Leipzig), Der deutsche Han-
delstag in seiner Entwickelung und Thätigkeit 1861—1901. Berlin, €. Heymanns Verlag,
1902. gr. 8.
Große Berliner Straßenbahn. Geschäftsbericht für 1901 zur Generalversammlung
am 15. Ill. 1902. Berlin, H. S. Hermann, 1901. Imp.-4. 26 SS. mit Plan von Berlin.
Häfen, die dänischen. 2. Aufl. Berlin, D. Reimer, 1902. gr. 8. 86 SS. und
17 Blatt Karten. geb. M. 3.—.
Handelskammer zu Frankfurt a/M. Jahresbericht für 1901. I. Teil mit Er-
gänzungen bis 1. 3. 1902. Frankfurt a/M., Selbstverlag der Kammer, 1902, gr. 8.
VI—134 SS.
Handelspolitische Bedeutung des Gerstenzolles. Eingabe der Handelskammer
für das Herzogtum Oldenburg an den Deutschen Reichstag. Oldenburg, Druck von
G. Stalling, 1902. Folio. 12--IV SS. (Nieht im Handel.)
Hutter, A. (k. OExpeditor bei der Generaldirektion der k. bayerischen Staats-
eisenbahnen), Kilometer-Markensystem und Tarifreform im Personenverkehr der Eisen-
bahnen. München, Max Kellerer, 1902, gr. 5. 45 SS. mit 1 Taf. M. 0,60.
Jahresbericht der Handelskammer für den Kreis Mannheim für das Jahr 1901.
I. Teil. Mannheim, Verlag der Kammer, 1902. gr. 8. 40; 354 SS.
Jahresberichte der Handelskammern in Württemberg für das Jahr 1900, Syste-
matisch zusammengestellt von der k. Centralstelle für Gewerbe und Handel. Stuttgart,
k. Hofbuchdruckerei zu Guttenberg, 1902, gr, 8 XVI—42S SS.
Lill, J., Die Flotte und Schiffahrt auf dem Rhein. Frankfurt a/M., Gebr. Knauer,
o. J. (1901). 8. 36 SS. M.1.—.
Mitteilungen der Centralstelle der vereinigten Handels- und Gewerbekammern
und des Centralverbandes der Industriellen Oesterreichs zur Vorbereitung von Handels-
verträgen. N’ 1 u. N’ 2. Wien, Verlag der Centralstelle, 1902. 4. (Inhalt. Heft 1:
Die Ein- und Ausfuhr von Papier und Papierwaren in den wichtigsten Staaten samt
den einschlägigen Zolltarifen. NXNII—105 SS. — Heft 2: Die Ein- und Ausfuhr von
Häuten, Leder und Lederwaren, sowie von Kürschnerwaren in den wichtigsten Staaten
samt den einschlägigen Zolltarifen. XNXIV—136 SS.) [Zur Vorbereitung der künf-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 551
tigen Handelsverträge zusammengestellt von der Nieder-Oesterr. Handels- und Ge-
werbekammer.]
Pohle, L. (Prof. an d. Akademie für Sozial- und Handelswissensch. zu Frankf. a/M.),
Deutschland am Scheidewege. Betrachtungen über die gegenwärtige volkswirtschaftliche
Verfassung und die zukünftige Handelspolitik Deutschlands. Leipzig, B. G. Teubner,
1902. gr. 8. XII—242 SS. M. 4,80.
Schriften der Centralstelle für Vorbereitung von Handelsverträgen. Heft 18
und 19. Berlin, J. Guttentag, 1902. gr. 8. (Inhalt: Heft 18. Die Zolltarifvorlage und
ihre Begründung, von Vosberg-Rekow. VII—62 SS. — Heft 19: Bericht über die
IV. ordentliche Generalversammlung der Centralstelle für Vorbereitung von Handels-
verträgen zu Berlin am 22. II. 1902. 148 SS.
Verwaltungsbericht der k. Württembergischen Verkehrsanstalten für das Etats-
jahr 1900 (1. IV. 1900—31. III. 1901). Stuttgart, Verlag der Metzlerschen Buchhandl.
1902. gr. 8. VI—437 SS.
Guyot, Yves, 500 millions à l’eau. Les voies navigables et le programme Baudin.
Paris, Guillaumin & C", 1902. 8. 60 pag. fr. 1.—.
Bradshaw’s Raiway manual, 1902. London, Office, 1902. 8. 12/.—.
Monthly summary of commerce and finance of the United States. December
1901. (N° 6, series 1901/1902.) Washington, Government Printing Office, 1902. 4.
pp. 2136-2572. (Prepared by the Bureau of Statistics, Treasury Department. Contents:
Commercial notes. — Great canals of the world. — Commercial Japan in 1900. —
Internal commerce. — Financial tables. — Prices of leading articles. — Foreign com-
merce of the United States. — Calendar year statements.)
Navy estimates for the year 1902/1903. London, printed by Wyman & Sons, 1902.
Folio. VI—299 pp. 4/.4.—. Statement of first Lord of the Admiralty explanatory of
the navy estimates, 1902/1903. Folio. 18 pp. /.0,3.
Railway returns for England and Wales, Scotland and Ireland for the year 1900.
With summary tables for United Kingdom from 1850 to 1900, ete. London, printed by
Wyman & Sons, 1901. Folio. XXI—93 pp.
Shipping world year book, the. A desk manual in trade, commerce, and navi-
gation. Edited by Evan Rowland Jones. 1902. London, printed and published at the
„Shipping world Office‘, 1902. 8. 1184 pp. with new map specially prepared by
J. G. Bartholomew, cloth. 5/. (Contents: Port directory of the world. — Tariffs of
all nations, etc.)
Koefoed, O., Danske Postfrimærker 1851—1901. Kopenhagen, A. Jacobsen,
1901. 4. kr. 10.—.
de Alessôn y Löpez, L., La España maritima. Madrid, Los Hijos de M. Ginés
Hermandez, 1901. 4. pes. 10.—.
Estrada, R. y E. Agacino, Tratado de navegación. Tomo I y IH. Madrid,
F. Fé, 1901. 8. pes. 15.—.
7. Finanzwesen.
Roscher, System der Finanzwissenschaft. 5. vermehrte Auflage,
bearbeitet von Otto Gerlach. 2 Halbbände. Stuttgart (Cotta) 1901.
80 gr. XII u. 511 SS. u. VI. u. 523 SS.
Nach dem Tode Wilhelm Roscher’s haben seine Familie und die
Verlagsbuchhandlung Sorge getragen, das grundlegende Werk des Alt-
meisters deutscher Nationalökonomie „System der Volkswirtschaft“ dem
Besitzstande unserer Fachlitteratur zu erhalten. Von den fünf Bänden
sind bereits zwei, die Grundlagen der Nationalökonomie (bearbeitet von
Robert Poehlmann) und die Nationalökonomik des Handels und Gewerbe-
tleißes (bearbeitet von Wilhelm Stieda) in neuem Gewande erschienen.
Zu beiden gesellt sich nun auch die Bearbeitung der Finanzwissenschaft,
für deren Herausgabe Otto Gerlach gewonnen wurde.
Kein Sachkenner wird die ungeheuren Schwierigkeiten, die an sich
mit der Neubearbeitung von glänzenden Werken heimgegangener Autoren
552 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
verbunden sind, verkennen oder unterschätzen. Sie steigern sich noch
in nicht unerheblichem Maße überall da, wo es sich nicht um die Wieder-
erweckung rein theoretischer Auffassungen über allgemeine Wirtschafts-
phänomene handelt, sondern um die wissentschaftliche Bearbeitung von
Gegenständen, deren Lebensnerv die nie ruhende Entwickelung der
konkreten Thatsachen in Gesetzgebung und Verwaltung ist. Dort
beschränkt sich die Aufgabe des Herausgebers auf die Erneuerung
der individuellen, theoretischen Gestaltung, die nur ergänzt und er-
weitert werden kann, während der Gedankengehalt unverändert erhalten
bleiben muß. Hier aber harrt ein ganzes Arsenal von stets wechseln-
den, von Epoche zu Epoche wandelbaren Ereignissen und Thatsachen
der einheitlichen und systematischen Zusammenfassung. Und gerade
bei einer so scharf ausgeprägten Eigenart, wie die Wilhelm Roscher's
ist, fällt dies ganz besonders in die Wagschale.
Diese Erwägungen zeigen sich vor allem in der Finanzwissen-
schaft. Die ältere Finanztheorie war im wesentlichen — gleich ihren
Geschwistern der nationalökonomisehen Wissenschaft — eine räson-
nierende, sie stellte Vorteile und Nachteile bestimmter Lösungen zu-
sammen, zog gleichsam die Bilanz zwischen beiden und begnügte sich,
nebenbei zur weiteren Belehrung und Ergänzung die Thatsachen der
Finanzgesetzgebung und Finanzverwaltuug als schmückendes Beiwerk
beizugeben. Das Thatsachenmaterial nahm aber keine selbständige
Stellung im System der Finanzwissenschaft ein. Und aus diesem Ge-
sichtskreis heraus hat Roscher seine Finanzwissenschaft geschrieben.
Die neue Ausgabe von Gerlach hat daran nicht gerüttelt, er war be-
strebt, wie er sagt, „Eigenart und Charakter des Werkes zu wahren“
und hat seinen kurz gefaßten Endurteilen den wissenschaftlichen Hinter-
grund gegeben. Der Text ist daher in der Hauptsache, die erwähnten
Ergänzungen und Hinzufügungen abgerechnet, der alte Roscher’sche ge-
blieben. Maßgebend war dabei die Erwägung, die „Grenze streng ein-
zuhalten, welche sich der Bearbeiter eines fremden Werks von der Be-
deutung der Roscher’schen Finanzwissenschaft ziehen muß“. Gleiche
Grundsätze haben den Herausgeber veranlaßt, die Anordnung des
Stoffes unverändert zu lassen, abgesehen von einer andersartigen Ein-
gliederung des Tabak- und Salzregals.
Das Verdienst des Verfassers liegt demgemäß auf einem anderen
Gebiete, auf der Ergänzung und Erweiterung des in den Anmerkungen
aufgespeicherten Materials. Er war hier mit großem Fleiße bemüht,
die neuen Erscheinungen und Thatsachen der Finanzgesetzgebung und
Finanzstatistik nachzutragen. Auch die Fortschritte der wissenschaft-
lichen Forschung sind in den beigegebenen Litteraturnachweisen em-
gehend und verständnisvoll berücksichtigt worden. Insbesondere ist in
einem besonderen Abschnitt eine gedrängte Zusammenstellung der Steuer-
systeme und eine kurze Uebersicht über die neueren Steuerreformen der
verschiedenen Länder geboten. Leider sind die finanzstatistischen An-
gaben nicht bis auf die neueste Zeit fortgeführt, sondern meist nach
litterarischen Quellen wiedergegeben. Die Arbeit, die der Verfasser
hier geleistet hat, war keine geringe und ungemein mühevolle.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 553
Trotz alledem kann ich mich des Gefühles nicht erwehren, daß
zwei Seelen in der 5. Autlage der Roscher’schen Finanzwissenschaft
wohnen. Die alte und die neue Zeit treten hier einander gegenüber,
freilich nicht feindlich, aber doch mit vielfach andersartigen Anschau-
ungen und wissenschaftlichen Bedürfnissen. Die Einheitlichkeit der
Durchführung konnte deshalb nicht erreicht werden; denn die Abweich-
ungen in den Lehrmeinungen sind an vielen Punkten doch zu beträchtlich.
Und diese Klippe hat an mehr denn einer Stelle Gerlach trotz aller
Pietät nicht vermeiden können. Damit soll aber kein Vorwurf gegen
den Neubearbeiter ausgesprochen sein, das liegt in der Natur der Sache
und auch in der Eigenart der Roscher’schen Geistesarbeit. Roscher müßte
eben nicht Roscher sein, wenn dieser Zwiespalt nicht in Erscheinung
treten würde. Die Wiederherausgabe des Textes bleibt aber unter
allen Umständen eine erwünschte Gabe für die Fachlitteratur, selbst
für jene, die in finanzwissenschaftlichen Dingen auf einem anderen Stand-
punkt stehen.
Ob man aber den Manen des Altmeisters deutscher Nationalökonomie
selbst einen besonderen Dienst mit der teilweisen Modernisierung seines :
groß angelegten Systems erwiesen hat, darüber werden die Ansichten
doch geteilt sein. Ich wenigstens habe meine Zweifel darüber.
Münster. Max von Heckel.
Wagner, Adolf, Finanzwissenschaft. IV. Teil: Specielle Steuer-
lehre: Die deutsche Besteuerung des 19. Jahrhunderts. 2. Halbband:
Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen, Mecklenburg. Sämtliche Kleinstaaten.
Deutsches Reich. — Nachträge. Leipzig 1901. gr. 8° XXIII u. SS.
245—852. à
Mit der uns vorliegenden zweiten Abteilung, die im Sommer 1901
zur Ausgabe gelangt ist, hat Adolf Wagner den IV. Teil seiner groß
angelegten Finanzwissenschaft abgeschlossen. Wir haben damit den
Schluß der „Speciellen Steuerlehre“, die Praxis der Besteuerung, erhalten,
soweit der Verfasser die Heranziehung des steuertechnischen Details
beabsichtigt hat. Der gegenwärtige Halbband bringt die Steuerver-
fassungen einer Reihe von mittleren und kleinen Bundesstaaten in den
Grundzügen ihrer Entwickelung im 19. Jahrhundert, sowie die Be-
steuerung im Deutschen Reiche mit besonderer Rücksicht auf ihre Be-
ziehungen zur Landesbesteuerung. Mit dem 1. Halbbande zusammen,
der über die Steuerverhältnisse in Preußen, Bayern, Sachsen und
Württemberg unterrichtet, haben wir jetzt endlich die systematische
Darstellung der Reichs- und Landesbesteuerung in sämtlichen
deutschen Einzelstaaten und damit einen orientierenden Ueberblick über
die deutsche Besteuerung überhaupt.
Wagners Werk füllt somit eine längst empfundene Lücke in der
deutschen Finanzlitteratur aus. Denn was wir bisher hatten, beschränkte
sich entweder auf ganz allgemein gehaltene Gelegenheitsangaben und
entbehrte einer festen, übersichtlichen, systematischen Grundlage oder
die Darbietungen waren als einzelne Aufsätze und Bearbeitungen spe-
zieller gesetzgeberischer Vorgänge in Fachzeitschriften zerstreut und be-
554 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
durften erst einer mühevollen Sichtung und Zusammenstellung. Auf
Vollständigkeit in allen Punkten macht die Darstellung keinen Anspruch,
was auch ihrem Zwecke fremd wäre. Denn Wagner wollte keine mono-
graphische Beschreibung des Steuerwesens darbieten, sondern die Ent-
wickelung der deutschen Besteuerung aus dem Gesichtspunkte des
Finanztheorikers und der Finanzwissenschaft, während eine eigent-
liche historische Bearbeitung nicht beabsichtigt war. Wie immer
und überall bei Wagner ist es das Typische und Generelle der Ent-
wickelung, das er verfolgt, er sucht die großen steuerpolitischen und
und steuertechnischen Prinzipienfragen in ihrem geschichtlichen Ent-
wickelungsgange auf, begnügt sich nicht mit einer Materialsammlung
und Stoffanhäufung nach chronologischen Gesichtspunkten, mit einer
Aneinanderreihung von Thatsachen, sondern er sucht stets in das Innere,
in das Wesen vorzudringen und die organischen Zusammenhänge auf-
zubellen. Un dieses dem Prinzipiellen und Typischen zugewendete Be-
streben, der theoretische Aufbau der Finanzwissenschaft bleibt hier bei
ihm das Entscheidende.
Den Schlus des Bandes (S. 822—852) bilden Nachträge über neu-
gesetzgeberische Vorgänge in Preußen, Sachsen, Bayern, Württemberg,
Baden und Elsaß-Lothringen, über die seit dem Erscheinen des 1. Halb-
bandes im März 1899 zu berichten war.
Wir dürfen wohl am Schlusse dieser kurzen Anzeige die Hotfinung
aussprechen, daß Adolf Wagner die deutsche Finanzwissenschatt recht
bald mit der Fortsetzung seines großen Werkes beschenken möge. Nach
seinen eigenen Angaben in den „Vorbemerkungen“ ist zunächst die
Fortsetzung der „speciellen Steuerlehre“, die sogen. direkte und indirekte
Besteuerung zu erwarten, während die Lehre von den „öffentlichen
Schulden“ den Schluß des Gesamtwerkes bilden wird.
Münster i. W. Max von Heckel.
Bericht des schlesischen Landesausschusses über die finanzielle Rückwirkung der
Schulgesetzvorlagen auf den Haushalt des Landes und der Gemeinden. o. O. u. J.
(Troppau, 1901.) = =
Allgemeine Rechnung über den Reichshaushalt für das Rechnungsjahr 159.
Potsdam, den 15. I. 1902. Roy.-4. 524 SS. (Veröffentlichung des Rechnungshofes des
Deutschen Reichs.) }
Ulrich, A. (ORevisor a. D., Dessau), Die Reichseinkommensteuer. Möglichkeit
und Notwendigkeit einer solchen. Dessau, Anhaltische Verlagsanstalt, 1902. gr. 5.
35 SS. M. 0,60.
Piperoff, N., Les impöts en Bulgarie. Sophia, 1901.
Règlement définitif du budget de l'Empire pour l’exercice 1900. Mémoire et
plicatif annexé au comte-rendu du contrôle de l'Empire présenté au Conseil de l'Empire.
St-Pétersbourg, 1901. gr. in-8. 102 pag.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
v. Altrock, W. (Assistent beim kgl. Landesökonomiekollegium), Die Thätigkeit
der öffentlichen Sparkassen in der Provinz Brandenburg für die Landwirtschaft. Berlin,
Puttkammer & M., 1901. gr. 8. VII—131 SS. mit Tabelle. M. 3.—.
Bericht des Vorstandes über die Verwaltung der Landesversicherungsanstalt Elsaß-
Lothringen für das Jahr 1900. Straßburg, St—ger Druckerei u. Verlagsanstalt, 1901. 4.
Denkschrift zum 50-jährigen Bestehen der städtischen Sparkasse zu Görlitz.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 555
Görlitz, o. J. (1901). gr. 4. 21 SS. (Anlage zum Verwaltungsbericht der Stadt Görlitz
pro Etatsjahr 1900.)
Ebering, A., Die Magdeburger Zuckerbürse seit 1896. Entwickelung und Technik
des Magdeburger Zuckerhandels sowie die Zuckerterminbörse und der Zuckertermin-
handel unter dem Einfluß des Bürsengesetzes. Berlin, E. Ebering, 1902. 8. VI—
123 SS. M. 2,50.
Geschäftsbericht des Vorstandes der Landesversicherungsanstalt Ostpreußen.
Königsberg i. Pr., OstpreuB. Druckerei und Verlagsanstalt, 1901. gr. 4. 25 SS.
Gmünd, W. (Rechtsanw.) u. (Redakteur) Fz. Knödgen, Wie kann unser Aktien-
wesen gesunden? Mängel im deutschen Aktienrecht und Vorschläge zu ihrer Beseiti-
gung. Köln, P. Neubner, o. J. (1901). gr. 8. 63 SS. M. 1,50.
Jahressitzung, XXIV. regelmäßige, der Generalversammlung der österreichisch-
ungarischen Bank am 3. II. 1902. Wien, Selbstverlag der Bank, 1902. gr. 4. XXIV—
136 SS.
v. Körösi, Jos. (Direktor des kommunal-statistischen Bureaus der Haupt- und
Residenzstadt Budapest), Die finanzielllen Ergebnisse der Aktiengesellschaften (Buda-
pests) während des letzten Vierteljahrhunderts (1874—1898). Heft 2. Berlin, Putt-
kammer & Mühlbrecht, 1901. gr. 8. Mit 2 Diagrammen. (Publikation des statistischen
Bureaus der Haupt- und Residenzstadt Budapest, Bd. XXIX, Heft 2.)
Müller-Fürer, Th., Die Hypothekenbanken und die Sicherheit der Hypotheken-
pfandbriefe. Berlin, H. Walther, 1902. gr. 8. 147 SS. M. 2.—.
Preischer, E., Gewinnvortrag und Tantièmeberechnung für Vorstand und Auf-
sichtsrat deutscher Aktiengesellschaften. Berlin, Haude & Spener, 1902. 8. 46 SS.
M. 1.—.
Sparkasse, die, in Bremen. Jahresbericht über 1901. Bremen, Druck von C.
Schünemann, 1902. gr. 4. 13 SS.
Verwaltungsbericht der Reichsbank für das Jahr 1901. Vorgelegt in der
Generalversammlung am 8. März 1902. Berlin, Druck der Reichsdruckerei, 1902. 4.
79 SS.
Wagner, Karl, Ein Besuch beim Versicherungstechniker. Plaudereien für jeder-
mann über Grundlage und Bedeutung der Lebensversicherung. Stuttgart, A. Berg-
sträßer, 1902. gr. 8. 64 SS. mit 4 Taf. M. 1.—.
Barberet, J. (chef du Bureau des institutions de prévoyance au Ministère de
l’intérieur), Les sociétés de secours mutuels. Commentaire de la loi du 1” avril 1898.
3m édition. Paris, Berger-Levrault & Ci, 1902. gr. in-8. X—490 pag. fr. 6.—.
Courtois, A., Traité des opérations de bourse et de change. 12° édition entière-
ment revue et mise à jour par E. Vidal. Paris, Guillaumin & Or, 1902. 8. 706 pag.
fr. 5.—.
Kaffir, Facts and figures, 1895 to 1901. Highest and lowest dividends, etc.
London, E. Wilson, 1901. 12. 1/.—.
Trustee savings banks. Returns 1) from each savings bank in England and
Wales, Scotland, Ireland, and the Channel islands etc., 2) for the year ending the
20% day of November 1900, showing the total number of depositors in trustee savings
banks; the total number of deposits, the average amout of each deposit account, etc.
London, printed by Eyre & Spottiswoode, 21 June 1901. 88 pp. Folio.
Wall, Walter W., British railway finance: a guide to investors. London,
G. Richards, 1902. 8. 442 pp. 6/.—.
Annali del credito e della previdenza anno 1901: Atti della Commissione con-
sultiva per il credito agrario. I" Sessione del 1901. Roma, tip. di G. Bertero & C°,
1902. 8. 154 pp. (Annali del credito, n° 45. Pubblicazione del Ministero di agri-
coltura, industria e commercio. Divisione credito e previdenza.)
9. Soziale Frage.
Kulemann, Wilhelm, Die Gewerkschaftsbewegung. Darstellung
der gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiter und der Arbeitgeber
aller Länder. Jena 1900. 731 SS.
Kulemann hat einst zu den Männern gehört, welche vor der end-
gültigen Beseitigung des Sozialistengesetzes ihre warnende Stimme er-
556 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
hoben, weil sie ohne das Vorhandensein besonderer Machtmittel zur
Eindämmung der sozialdemokratischen Agitation die ernstesten Gefahren
für den Staat herautziehen sahen!). Bei seiner Ausarbeitung eines bleiben-
den Spezialgesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der
Sozialdemokratie und verwandter Richtungen im Jahre 1890 hatte K.
jedoch bereits im Auge, Hand in Hand mit der Zurückdrängung der
Sozialdemokratie den als berechtigt anzuerkennenden Bestrebungen inner-
halb der Arbeiterbewegung, nämlich den auf Verbesserung der mate-
riellen und geistigen Lage der Arbeiter gerichteten, nur um so freieren
Spielraum zu verschaften. Er setzte dabei voraus, daß nicht nur die
sozialpolitische Gesetzgebung energisch fortgeführt werden würde,
sondern daß die Staatsgewalt ihrerseits der Arbeiterschatt sogar die
Hand bieten müsse zur Begründung von Organisationen, welche den
anzuerkennenden Forderungen und Beschwerden der Arbeiter Geltung
zu verschaffen vermöchten.
Inzwischen hat sich bekanntlich das Unbegründete jener Befürch-
tungen erwiesen. Hingegen läßt ein spontan entstandenes und immer
dichter werdendes Netz gewerkschaftlicher Organisationen mit ihren
Kassen und Unterstützungseinrichtungen die Arbeiter den Unternehmern
und den Wechselfällen des Daseins gegenüber lange nicht mehr so hilflos
erscheinen, wie es noch vor einem Jahrzehnt der Fall gewesen ist,
Ein genaueres Bekanntwerden mit der behördlichen Handhabnng (les
Reichsgesetzes vom 21. Okt. 1878 gegenüber den Berufsorganisationen,
mit den Schwierigkeiten ferner, welche der gewerkschaftlichen Organi-
sation noch sonst in den Weg gelegt worden sind und überdies die
veränderte Haltung der Reichsregierung in Fragen der Sozialpolitik
haben in K. ernste Zweifel auftauchen lassen, ob wirklich diejenigen
staatlichen Organe, auf deren eifrige Mitwirkung in seinen früheren
Vorschlägen zur Hebung der Arbeiterklasse gebaut worden war, der
ihnen zugetrauten Mithilfe gewachsen sein möchten. Die Folge dieser
Bedenken bei K. war eine wesentlich veränderte Beurteilung der staat-
lichen Aufgaben der Arbeiterbewegung gegenüber.
Um so mehr war jetzt die auch ohne jede staatliche Förderung und
selbst vielfachen störenden Eingriffen der Behörden zum Trotz vor sich
gehende Ausbreitung der Gewerkschaftsbewegung in Deutsch-
land dazu angethan, die Aufmerksamkeit unseres Autor auf sich zu
lenken. War von ihm doch noch in den Vorschlägen von 1890 die
Notwendigkeit staatlicher Beihilfe bei der Organisierung der Arbeiter
mit der mangelnden Erziehung der Deutschen zur Selbständigkeit und
der den unseren noch auf lange Zeit abgehenden Fähigkeit der eng-
lischen Arbeiter zu vereinter Wahrung ihrer materiellen Interessen be-
gründet worden.
Nachdem K. für ein übernommenes Referat über die Gewerkschaften
vergeblich nach einer zusammenfassenden Darstellung der Gewerkschafts-
bewegung gesucht hatte, hat er sich selbst an diese Aufgabe gemacht
1) S. Kulemann, Die Sozialdemokratie und «deren Bekämpfung. Eine Studie zur
Reform des Sozialistengesetzes. Berlin 1890.
!
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 557
und sich ihrer Lösung mit nicht genug anzuerkennender Energie in
Jahre anhaltender, mühsamer Arbeit gewidmet. Sein Werk beschränkt
sich nicht etwa darauf, die deutschen Arbeiterorganisationen zu
schildern, sondern die Gewerkschaftsbewegung aller Länder soll als ein
einheitliches Ganzes verständlich gemacht werden, als die Verwirk-
lichung der die ganze moderne Kulturentwickelung durchdringenden
Idee, daß sich an Stelle der zerfallenen Organisationen des älteren Staates
allerwärts ein neuer korporativer Zusammenschluß der Arbeit aus einer
inneren Notwendigkeit heraus vollziehen müsse. In der gleichzeitigen
Ausbreitung nicht nur von Arbeiter-, sondern auch von Unternehmer-
organisationen in allen Kulturstaaten, in den (vorerst freilich noch auf
wenige Berufe beschränkten) gemeinsamen Organisationen von Arbeit-
gebern und -nehmern erkennt K. den nämlichen Drang nach organischer
Verbindung der durch die Gemeinsamkeit ihrer Interessen Zusammen-
geführten. Ein Buch, welches diese Bestrebungen in ihrem Zusammen-
hange darstellt, welches, wie das Kache thut, gleich den Begriff
„Gewerkschaft“ abweichend vom seitherigen deutschen Sprachgebrauch
auf die Verbände der Arbeitgeber, wenigstens soweit sie die Interessen
der letzteren den Arbeitnehmern gegenüber wahren sollen, ausdehnt
und auch die eben erwähnten gemeinsamen Organisationen mit erfaßt
— ein solches Buch nötigt den Leser schon durch diese seine ganze
Anlage dazu, die Gewerkschaftsbewegung der Arbeiter als
ein notwendiges Glied einer ganzen Kette in sich zu-
sammenhängender Erscheinungen aufzufassen.
Gemäß diesem Hauptzwecke des Buches nimmt der erste Teil,
die Schilderung der gewerkschaftlichen Arbeiterverbände räumlich
nahezu ®/, des Buches ein. Er beginnt mit der Entwickelung im Aus-
lande, da sie zugleich als Unterlage für die Beurteilung der deutschen
Organisationen dienen soll. Soweit K. aus der vorhandenen Litteratur
schöpfen konnte, hat er es in recht geschickter Weise gethan, allein es
blieb ihm darüber eine gewaltige Sammelarbeit zu bewältigen.
Durch das ganze weite Gebiet der gewerkschaftlichen und politischen
Arbeiterbewegung mit allen ihren Wirrnissen ist K. ein sicherer Führer,
der auch inmitten des stärksten Drängens der Geschehnisse den verfolgten
Weg nicht aus dem Auge verliert. Wer sich seiner Führung anschließt,
lernt eine außerordentliche Fülle oft recht verwickelter Vorgänge und
Thatsachen in ihrer Aufeinanderfolge übersehen. Nur mag der also
Geführte vielleicht eines auszusetzen haben: Er lernt die Bewegung nur
von außen kennen, er dringt dagegen nicht sonderlich tief in die inneren
Zusammenhänge ein, ungeachtet der geschickten Darstellung unseres
Autors.
Am meisten fällt das auf bei der Schilderung der einzelnen Zweige
der gewerkschaftlichen Bewegung in Deutschland, denen eine sehr un-
gleiche Berücksichtigung zu Teil wird. Außer jedem Verhältnis kurz
kommt K. über die unter sozialdemokratischem Einflusse stehenden Ge-
werkschaften hinweg, den einzelnen Organisationen wird hier kaum Be-
achtung geschenkt, obschon sich doch das gewerkschaftliche Leben in
Deutschland vorwiegend in ihnen abspielt und sich auch nur recht un-
558 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
vollkommen in den ausführlicher besprochenen Gewerkschaftskongressen
spiegelt. Dagegen ist ein breiter Raum gerade Organisationen gewidmet,
welche gar nicht als Gewerkschaften im landläufigen Sinne aufzufassen
sind, den Verbänden der Post-, Eisenbahn- und Privatbeamten, den
kaufmännischen Vereinigungen und anderen mehr.
Es geschieht das keineswegs ohne gute Gründe. Zunächst einem
mehr äußerlichen, indem gerade diese Ausführungen vollständig auf
eigenen Ermittelungen beruhen und angesichts des seitherigen Feblens
jeder zusammenhängenden Bearbeitung gewiß sehr willkommen sind.
Aehnlich eingehende Ermittelungen über dıe unter sozialdemokratischem
Einflusse stehenden Gewerkschaften würden aber noch unvergleichbar
größere Anforderungen an die Arbeitskraft des Autors gestellt haben.
Rechtfertigen kann der Vert. die eingehendere Berücksichtigung dieser
Organisationen aber gleichzeitig damit, daß der Hinweis auf unent-
wickelte Ansätze zur gewerkschaftlichen Vereinigung selbst in solchen
Kreisen von Angestellten, welche sich noch durchaus nicht als Arbeiter
fühlen, mehr als vieles andere geeignet ist, die ganze Breite und Tiefe
der gewerkschaftlichen Strömung erkennen zu lassen.
Indessen, die weitgehende Berücksichtigung dieser und einiger
anderer gleich zu erwähnender Organisationen hat doch auch ihre be-
denkliche Seite. Allein schon die Voranstellung der ausländischen und
namentlich der englischen Gewerkschaftsentwickelung ist dazu angethun,
den mit den deutschen Gewerkschaften nicht näher bekannten Leser
trotz gelegentlicher Hinweise darüber hinwegsehen zu lassen, in wie
innigem Zusammenhang der wichtigste Zweig der Gewerkschaftsbewegung
in Deutschland mit der sozialdemokratischen Agitation zu allen Zeiten
gestanden hat und noch heute steht und in wie hohem Maße diese beiden
sich immer gegenseitig gefördert haben. Aber noch leichter wird über-
sehen, wie weit die große Mehrzahl der gewerkschaftlichen Führer in
Deutschland es von jeher von sich gewiesen hat, auf dem Boden der
vorhandenen Gesellschaftsordnung fortzubauen, wenn eine lange Reihe
der Sozialdemokratie fernstehender Organisationen, wie außer den ge
nannten die kontessionellen Arbeitervereine und der stets ziemlich ab-
gesondert verbliebene deutsche Buchdruckerverband, derartig breit be-
handelt sind. Ohne eine ausreichende Würdiguug auch der überwiegend
aus sozialdemokratischen Arbeitern zusammengesetzten Gewerkschatten
sind sowohl das uneingeschränkte Lob der Wirksamkeit der Berufs-
organisationen in Deutschland, als auch der sehr scharfe Tadel des Ver-
haltens der Behörden ihnen gegenüber schon um deswillen geeignet, eine
Kritik herauszufordern, weil sie erhoben werden von einem Man ne, der
selbst bei so vielen Gelegenheiten schon mit allem Nachdruck für die
direkte Bekämpfung der Sozialdemokratie eingetreten ist. Denn aul
keinen Fall läßt sich aus den bisherigen Ausführungen Ks bereits em
sicherer Beweis für die im Vorwort aufgestellte These erbringen, dab
in der Gewerkschaftsbewegung der Todfeind der Sozial-
demokratie erblickt werden müsse. —
Den Abschluß des ersten Teiles bildet eine Darstellung der von
den Arbeiterorganisationen angeknüpfteninternationalen Beziehungen.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 559
Wie wenig Bedeutsames bei diesen Vereinbarungen auch seither heraus-
gekommen ist, so kann man dem Verfasser doch sehr dankbar sein,
daß er das über sie durch Umfragen gewonnene reichhaltige Material
übersichtlich zusammengestellt hat. Würde seine Schilderung auch nur
darthun, welche Schwierigkeiten bei derartigen Abmachungen zu über-
winden sind und wie wenig selbst von Beschlüssen der veranstalteten
Kongresse in die Wirklichkeit übergeführten zu werden pflegt, so wäre
sie wichtig genug, weil sie geeignet ist, eine öfters gegen die Gewerk-
schaften ausgespielte Mythe zu zerstören.
Zum 2. und 3. Teil des Buches muß ich mich auf wenige Bemer-
kungen beschränken.
Der erstere giebt zunächst einen Ueberblick über diejenigen Unter-
nehmerverbände in Deutschland, welche sich die Regelung der Bezie-
hungen zu den Arbeitern zur Aufgabe haben; die eigentlichen „Kartelle“
fallen als solche meistens nicht in den Rahmen der Zusammenstellung,
obschon sie weit über die „Arbeitgeber-Schutzverbände“ im engeren
Sinne hinausgreift. Eine größere Anzahl dieser Organisationen im In-
und Auslande ist alsdann näher charakterisiert, so gut es das hier be-
sonders schwer beschaffbare Material gestattet hatte. Jedenfalls reicht
das Gebotene vollkommen aus, um erkennen zu lassen, wieviel ungünstiger
die Position der Arbeiterorganisationen seit der mächtigen Entwickelung
der Arbeitgeberverbände geworden ist.
Einen sehr glücklichen Abschluß findet das kache Werk durch
die reichen Angaben über die in der Litteratur bisher noch beinahe
gänzlich vernachlässigten gemeinsamen Organisationen der Arbeitgeber,
von denen vorher nur die Tarifgemeinschaft bei den Buchdruckern und
neuerdings die Smith’sche Trade-alliance in England in weiteren Kreisen
bekannt geworden sein dürften. Auch die durch die neuere Arbeiter-
versicherungs- und Handwerkergesetzgebung geschaffenen gemeinsamen
Organisationen werden in diesem Zusammenhange berührt. —
Schon die hier gegebene kurze Uebersicht wird dargethan haben,
daß in dem K.’schen Buche eine höchst schätzenswerte Bereicherung
der Litteratur zur Arbeiterfrage vorliegt. Diese ganz ungewöhnliche
Arbeitsleistung ist obendrein einem Manne zu danken, der ihr nur die
Freistunden neben einer richterlichen Thätigkeit widmen konnte. Wer
dürfte unter solchen Umständen und angesichts der Fülle des Gebotenen
einen Tadel wagen, weil hier und da wichtige Gebiete nur flüchtig
gestreift oder ganz unberührt geblieben sind? Auf Jahre hinaus bildet
dieses Werk einen Schatz, in dem eine große Menge wichtigen und früher
schwer beschaffbaren Materials wohlgeordnet bereit liegt. Nur eines darf
man von ihm nicht erwarten: Eine bereits völlig zum Abschluß gelangte
Arbeit. Der starke Band ist ein Nachschlagwerk und eine Sammlung
thatsächlichen Stoffes, während der ruhige Ueberblick über die gewon-
nenen Resultate und die deutliche Hervorhebung der Hauptlinien noch
fehlt. Nach dem Vorworte soll das eben Vermißte in einem zweiten
Bande folgen. Aber selbst den Fall angenommen, eine solche Fort-
setzung würde ausbleiben, so ist bestimmt darauf zu rechnen, dal es
sich bald an vielen Stellen regen wird, um das nun in seinem ganzen
560 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Umfang- einigermaßen übersehbar gewordene Gebiet noch gründlicher
aufzuklären. Und damit ist noch auf einen wichtigen Vorzug des
kachen Werkes hingewiesen. Es rückt den derzeitigen Stand der
Gewerkschaftslitteratur in ein so helles Licht, daß die in ihr vorhan-
denen Lücken für jeden klar erkennbar geworden sind.
Josef Schmöle.
Troisième Congrès général des Organisations socia-
listes françaises, tenu à Lyon du 26 au 28 mai 1901,
Compte rendu sténographique officiel. Paris (G. Bellais) 1901. 58158.
Der Lyoner Kongreß galt in erster Reihe der Vereinigung aller
sozialistisch revolutionären Gruppen in Frankreich zu einer einheitlichen
Partei und der Autstellung der Statuten für dieselbe; dabei wurde auch
der Eintritt Millerand’s in das Ministerium kritisiert und die Frage, ob
die Syndikate und die Arbeitergenossenschaften in die Partei autge-
nommen werden können, sowie die Bedingungen hierfür besprochen und
darüber Beschlüsse gefaßt. — Die bei den Beratungen zu Tage getre-
tenen, zum Teil nachwirkenden und weitgehenden Meinungsverschieden-
beiten können hier nicht hervorgehoben werden. Aus dem Wortlaute
des Statutes für die Gesamtpartei sei auf den Art. I. verwiesen, der
besagt: „Die französische sozialistische Partei beruht auf folgenden
Grundsätzen: internationaler Zusammenschluß und internationales Auf-
treten der Arbeiter; politische und wirtschaftliche Organisation des
Proletariates als Klassenpartei zum Zwecke der Eroberung der Macht
und der Sozialisierung der Produktions- und Tauschmittel, d. h. der
Umwandlung der kapitalistischen in eine kollektivistische oder kommu-
nistische Gesellschaft.“
Alle anderen Artikel des Statutes sind rein organisatorischer Natur
und können hier nicht erörtert werden, um so weniger, als specifisch
französische Verhältnisse und konkrete Parteibedürfnisse für ihren Inhalt
vielfach bestimmend waren. Schullern.
Carnegie, Andr., Die Pflichten des Reichtums. 2 Aufsätze. Stuttgart, Hobbing
& Büchle, 1902. gr. 8. 46 SS. mit dem Bildnis des Verfassers. M. 0,50. (Carnegie’s
Wohlthätigkeitsprogramm.) >
Jahresbericht des Berliner Asylvereins für Obdachlose. Jahrg. XXXIII: 1901.
Berlin, Verlag des Vereins, 1902. 8, 15 SS.
Joachim, H. (Wissenschaftl. Assistent im Hamburger Staatsarchiv), Handbuch
für Wohlthätigkeit in Hamburg. Herausgeg. vom Armenkollegium und in dessen Auf-
trage bearbeitet von H. J. Hamburg, L. Gräfe, 1901. gr. 8. XXXI—513 SS. geb.
M. 3.—.
Lombroso, Ces. (Prof), Die Ursachen und Bekämpfung des Verbrechens. Auto-
risierte Uebersetzung von Hans Kurella und E. Jentsch, Berlin, H. Bermühler, 1902.
gr. 8. IV—403 SS. M. 8.—.
Wohlfahrtseinrichtungen, die, Wiesbadens im Auftrage des Magistrats zu-
sammengestellt von (StadtR. Prof.) Kalle und (Beigeordneten), Mangold (Wiesbaden).
Wiesbaden, J. F. Bergmann, 1902. 8. 138 SS.
Ileart of the Empire, the, Discussions of problems of modern city life in Eng»
land. Popular edition. London, T. Fisher Unwin, 1902. 8. 442 pp. 2/.6.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 561
10. Gesetzgebung.
Born, A. (k. PolizeiAss., Königsberg i. Pr.), Das preußische Baupolizeirecht nebst
den einschlägigen Bestimmungen des Ansiedelungs-, Feld- und Forstpolizei-, Waldschutz-
und Deichgesetzes, sowie dem Fluchtlinien-, Rayongesetz und dem Gesetz über die Zu-
lässigkeit des Rechtsweges gegen polizeiliche Verfügungen. Kommentar. Berlin, J. Gutten-
tag, 1902. gr. 8. VI-491 SS. M. 10.—.
Burkas, H. I. (Rechtsanw., Leipzig), Aktionär und Gläubiger im Konkurse der
Aktiengesellschaft. Eine Abhandlung über Reservefonds und Regreßanspruch. Leipzig,
F. Reinboth, 1902, gr. 8. 75 SS. M. 1,50.
Grotefend, G. A. (GehRegR.), Die Erlasse zur Ausführung und Erläuterung der
Gesetze des preußischen Staates und des Deutschen Reichs. Aus den amtlichen Ver-
üffentlichungen der preußischen und der Reichszentralbehörden zusammengestellt und
herausgeg. von G. A. G. Bd. III (Ergänzungsbd.) 1896—1901. Düsseldorf, L. Schwann,
1902. gr. 8. 733 SS. M. 10.—.
Layer, Max, Prinzipien des Enteignungsrechtes. Leipzig, Duncker & Humblot,
1902. gr. 8. XVIII—660 SS. M. 14.—. (A. u. d. T.: Staats- und völkerrechtliche
Abhandlungen, herausgeg. von (Proff.) G. Jellinek u. G. Anschütz (Univers. Heidelberg)
Bd. III.)
Materialien zu einer Neugestaltung des Gesetzes betr. das Urheberrecht an den
Werken der bildenden Künste. München, Verlag der „Werkstatt der Kunst“, G. m.
b. H., 1902. 8. 92 SS. M. 0,80.
Sammlung der württembergischen Staatssteuergesetze sowie der wichtigeren Voll-
zugsvorschriften. I. Teil. Verbrauchs- und Verkehrssteuern. Nach dem Stande vom
1. X. 1901, neu bearbeitet im Auftrage des k. württemberg. Finanzministeriums. Stutt-
gart, W. Kohlhammer, 1901. gr. 8. IV—397 SS. M. 3,80.
Wolff, E. (Vorsitzender des Gewerbegerichts, Offenbach a. M.), Die deutschen
Gewerbegerichte und Innungsschiedsgerichte. Leipzig, H. Klasing, 1902. gr. 8. VI—
147 SS. geb. M. 2,80.
Zorn, Ph (GehJustR. u. Prof., Bonn), Deutsche Kolonialgesetzgebung. Textaus-
gabe mit Anmerkungen und Sachregister. Berlin, Guttentag, 1901. 12. XXVI—
770 SS. geb. M. 4,50. (Guttentagsche Sammlung deutscher Reichsgesetze. N” 49.)
Martin, L. (prof. libre de droit), Droit commercial et législation industrielle.
Paris, V“ Dunod, 1901. gr. in-8. 671 pag. fr. 10.—. (Table: I. Le travail industriel.
Législation du travail: Notions générales. — Syndicats professionnels. — Corps consul-
tatifs de l’industrie. — Réglementation particulière du travail. — Travail industriel des
adultes. — Travail dans les mines. — Responsabilité des accidents. — II. Des contrats
industriels: Du contrat d’apprentissage. — Contrat de louage de services. — Contrat
de louage d’ouvrage ou d'industrie. — III. La propriété industrielle.)
Fulton, Dav., The law and practice relating to patents, trade marks, and designs.
With a digest of colonial and foreign patent laws. London, Gordon, 1902. 8. 830 pp.
15/.—.
Código di comercio español, profusamente anotado y comentado di A. Martinez.
Madrid, Góngora, 1901. 8. pes. 10.—.
Conde y Luque, R., Oficios del derecho internacional privado. Madrid, R.
Alvarez, 1901. 4. pes. 11,50.
Del Campo, H., Novísima legislación forestal. Madrid, R. Rojas, 1901. 4.
pes. 15.—.
del Castillo y Soriano, J., Manual legislativo de la propiedad literaria y
artistica. Madrid, Murillo, 1901. 8. pes. 5.—.
Garcia Moreno, A. y G., La Iglesia. Manual de la legislación y jurisprendcia
menera. Madrid, A. Marzo, 1901. 4. pes. 10.—.
Scævola, Q. M., Legislación española. Tomo XVIII Madrid, R. Rozas, 1901.
4. pes. 7.—.
11. Staats- und Verwaltungsrecht.
v. Below, Georg, Territorium und Stadt. Aufsätze zur deutschen
Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte. München und
Leipzig (R. Oldenbourg) 1900. XXI, 342 SS. 80% geb. 7 M.
Dritte Folge Bd. XXII (LXXVIII). 36
562 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Auch unter dem Titel: Historische Bibliothek. Hrsgg. von der
Redaktion der Historischen Zeitschrift, Bd. 11.
„Mehr eine Vereinigung neuer Beiträge als eine Sammlung alter
Aufsätze“ nennt der Verf. das vorliegende Buch, obwohl unter dessen
6 Nummern nur 2 neue Abhandlungen sich finden, die allerdings nahezu
2/, des Ganzen einnehmen. Einen erheblichen Teil seiner älteren Auf-
sätze hat der Verf. für eine spätere Sammlung zurückgestellt. Das ist
eigentlich in seinem eigenen Interesse zu bedauern. Denn bei einer
solchen Sammlung früher erschienener Arbeiten möchte man einerseits
doch auch gern den Fortschritt verfolgen, den die Studien eines für
bestimmte Forschungsgebiete maßgebenden Verf. und mit und an ihnen
die Wissenschaft gemacht haben. Andererseits aber verlangt man dabei
ein „zusammenhängendes Ganze“, wie es der Verf. durch seine Aus-
wahl hat herstellen wollen, wenigstens im strengen Sinne nicht, und
genau besehen ist auch im vorliegenden Buche das Städtewesen, dessen
Erforschung von Below so eminent gefördert hat, doch recht schlecht
weggekommen. Wir vermissen hier z. B. manche seiner inhaltsreichen
Rezensionen, und nicht einmal die für die ganze neuere Stadtgeschichts-
forschung bahnbrechenden Aufsätze „Zur Entstehung der deutschen
Stadtverfassung, I und II“ (Histor. Ztschr. Bd. 58 u. 59, 1887/8) werden
uns ganz geboten, sondern nur ein Teil des ersten derselben als „Kritik
der hofrechtlichen Theorie“, freilich in vielfach neuer Form. Der andere,
gegen Bücher gerichtete stadtgeschichtliche Aufsatz der Sammlung über
„die historische Stellung des Lohnwerks“ erschien in der Ztschr. für
Soz.- u. Wirtschaftsgeschichte, Bd. 5 (1897). Vorbemerkungen über die
sinkende Bedeutung der Unfreiheit in den Städten überhaupt gehen
beiden Aufsätzen als neue Beigabe voran. Wir sind der Ansicht, daß
der Verf. seine Aufsätze über das Städtewesen einem besonderen Band
hätte vorbehalten und dann innerhalb beider Bände die chronologische
Reihenfolge hätte herstellen sollen. Damit würde sowohl dem histo-
risch-genetischen wie dem systematisch-inhaltlichen Bedürfnis Genüge
geschehen sein.
Doch vor diesen pia desideria wollen wir das, was nun wirklich,
und namentlich an Neuem vorliegt, nicht zurücktreten lassen.
Neu sind von den der Territorialverfassung gewidmeten 4 Abhand-
lungen die erste („Der Ursprung der Gutsherrschaft“ (und dritte (Sy-
stem und Bedeutung der landständischen Verfassung“), während der
zweite („Zur Entstehung der Rittergüter“) in diesen Jahrbüchern (Bd. 64,
S. 526 ff. u. 837 Di der vierte, der brillante Essay über „die Neu-
organisation der Verwaltung den deutschen Territorien des 16. Jahr-
hunderts“, im Historischen Taschenbuch von 1887 erschienen ist. Die
Serie steht insofern in einem inneren Zusammenhang, als sie von der
Gutsherrschaft des Ostens zur wirtschaftlich weit bedeutungsloseren
Grundherrschaft des Westens mit ihrem öffentlich-rechtlichen Charakter
und von da zu den inneren Verhältnissen der Territorien überführt.
Die beiden neuen Abhandlungen sind nicht nur die umfangreichsten,
sondern auch die methodisch interessantesten der ganzen Sammlung;
und der Aufsatz über die den Osten wirtschaftlich beherrschende Guts-
herrschaft entbehrt nicht der bewußten Beziehung zum politischen Leben
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 563
der Gegenwart, während der dritte Aufsatz zum erstenmal die land-
ständische Verfassung (mit einer später anzugebenden Beschränkung)
im Zusammenhang unter rechtlichem wie historischem Gesichtspunkt
und im Vergleich mit der modernen konstitutionellen Verfassung darstellt.
Die dem ersten Aufsatz vorangesetzte Ueberschrift („Der Osten und
Westen Deutschlands“) ist nicht ganz genau. Mit dem „Osten“ Deutsch-
lands ist weder Hinterpommern noch das Ordensland noch auch Schlesien
gemeint, sondern Brandenburg und Sachsen und allenfalls noch Mecklen-
burg und Vorpommern. Nur mit dieser Beschränkung also sind auch
die vor der Kritik im einzelnen standhaltenden Feststellungen der Arbeit
anzunehmen. Wenn sich der Verf. daher als Ziel seiner Untersuchungen
die Aufspürung der Motive der Institutionen gesetzt hat und das Haupt-
ergebnis mit Recht in der Erkenntnis sieht, daß die historischen Vor-
gänge auf außerordentlich verwickelte Ursachen zurückführen, so muß
weiter doch auch noch auf die landschaftlichen Verschiedenheiten hin-
gewiesen werden, die es nicht gestatten, was von Einzelerscheinungen
für ein paar Territorien des Ostens gilt, ohne weiteres für den Osten
überhaupt in Anspruch nehmen.
Noch größer ist die Gefahr des Generalisierens da, wo es sich
nicht sowohl um wirtschaftliche, als um politische Fragen handelt, wie
beim Verf. bezüglich der anderen Gebietsgruppe „Westen Deutschlands“.
Auch hier ist im Grunde nur das dem Verf. ja allerdings gründlich
vertraute Herzogtum Jülich-Berg gemeint, während für die übrigen
Landschaften nur ein „es scheint“, daß es dort ebenso war (S. 159/160),
abfällt. Die hier angeführten Beispiele aber werden uns nicht abhalten,
hinter jenes „es scheint“ ein großes Fragezeichen zu setzen.
Daß sich der Verf. gegen die Ueberschätzung der grundherrlichen
Beziehungen und gegen die Unterschätzung von Staat und Gemeinde
im Mittelalter wendet, daß er an den von ihm behandelten Institutionen
dem ökonomischen Materialismus zu Leibe geht und das Recht der
Persönlichkeit auch in den Fragen der Verfassungsgeschichte gewahrt
wissen will, hat unseren vollen Beifall. Nur fürchten wir, wird sich
im einzelnen Falle selten das Maß des persönlichen Einflusses aus dem
gerade auf unserem Gebiet besonders lückenhaften Quellenmaterial des
Mittelalters mathematisch nachweisen lassen. Aber der Versuch muß
darum doch stets gemacht werden, und daß er nicht absolut aussichts-
los ist, zeigten uns die vorliegenden Aufsätze v. Below’s greifbar.
Halle a. S. K. Heldmann.
Abhandlungen aus dem Staats- und Verwaltungsrecht, herausgeg. von S. Brie
(o. Prof., Breslau). Heft 4 u. 5. Breslau, M. & H. Marcus, 1901. gr. 8. (Inhalt: Hef 4.
Jul. Steinitz, Dispensationsbegriff und Dispensationsgewalt auf dem Gebiete des deut-
schen Staatsrechts. VIII —88 SS, M. 2,60. — Heft 5. Geo. Hamburger, Die staats-
rechtlichen Besonderheiten der Stellung des Reichslandes Elsaß-Lothringen im Deutschen
Reiche. VI—103 SS. M. 3,20.)
Angerburg. — Kreishaushaltsetat des Kreises Angerburg für das Rechnungsjahr
1902. Angerburg, Druck der MWerda schen Buchdruckerei, 1902. Folio. 13 SS. — Ver-
waltungsbericht des Kreises Angerburg für 1901/1902. Ebd. 1902. Folio. 14 SS.
Bericht über die Gemeindeangelegenheiten der Stadt Paderborn für das Geschäfts-
jahr 1900. Paderborn, Schöningh’sche Buchdruckerei, 1901. 4. 18 SS.
36*
564 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Berlin. — Jahresabschlüsse der Hauptkassen der Stadt Berlin für das Etatsjahr
1900. Berlin, Druck von W. & S. Loewenthal, 1901. Quer-Folio.
Bochum. Bericht des Magistrats der Stadt Bochum über die Verwaltung und
den Stand der Gemeindeangelegenheiten für das Rechnungsjahr 1900. Bochum, Rhein.-
Westf. Verlagsanstalt, 1901. gr. 4. 163 SS. — Städtische Beleuchtungs- und Wasser-
werke Bochum. Verwaltungsbericht für die Zeit vom 1. IV. 1900 bis 31. III. 1901. Ebd.,
Druck von J. W. Fasbender, 1901. gr. 4. 49 SS.
Bonn. — Bericht über Stand und Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten der
Stadt Bonn 1./IV. 1900—31./III. 1901. Bonn, Druck von J. F. Carthaus, 1902. gr. 4.
160 SS.
Breslau. — Stadthaushaltsetat für Breslau für das Rechnungsjahr 1902. Breslau,
Druck von Graß, Barth & C°, 1902. 4. 1514 SS.
Düsseldorf. — Haushaltsetat für das Etatsjahr 1902. 2 Hefte. Düsseldorf o. J.
(1901). 4. 281 u. 84 SS.
Duisburg. — Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten
für das Etatsjahr 1900. Duisburg, Druck der D—ger Verlagsanstalt, 1901. 4. 247 SS.
mit Plan. — Haushaltsetat für das Etatsjahr 1901. Ebd. Mit XV Anlagen. 4.
Gelpke, Frz (Referend.), Die geschichtliche Entwickelung des Landratsamtes
der preußischen Monarchie unter besonderer Berücksichtigung der Provinzen Branden-
burg, Pommern und Sachsen. Berlin, C. Heymann, 1902. gr. 8. 122 SS. M. 2.—.
Geschäftsbericht des schlesischen Landesausschusses für den Zeitraum vom
1. X. 1900 bis Ende September 1901. Troppau, Selbstverlag des Landesausschusses,
1901. kl. 4. 113; 62 SS.
Granier, H., Preußen und die katholische Kirche seit 1640. VIII. Teil. Leipzig,
S. Hirzel, 1902. gr. 8. VIII—863 SS. M. 28.—. (Publikationen aus den kgl. preußi-
schen Staatsarchiven, Band 76.)
Jahrbuch, politisches, der schweizerischen Eidgenossenschaft. Herausgeg. von
C. Hilty (Prof. des Bundesstaatsrechts an der Univers. Bern). Jahrg. XV: 1901. Bern,
K. J. Wyss, 1901. 8. VIII—790 SS. M. 9.—. (Inhalt: Die Schweiz und die Haager
Verträge, vom Herausgeber. — Der Bodenkredit in seinem Zusammenhang mit anderen
volkswirtschaftlichen Erscheinungen, von Gust. Schmidt (Abteilungschef im eidgenëss.
Departement des Handels und der Landwirtschaft). — Traite blanche, vom Herausgeber.
— Jahresbericht für das Jahr 1901, mit 6 Beilagen.)
Jahresbericht, XXXII., des Landesmedizinalkollegiums über das Medizinal-
wesen im Königreiche Sachsen auf das Jahr 1900. Leipzig, F. C. W. Vogel, 1901.
gr. 8. 377 SS,
Jahresbericht, LXXIV. der Rheinisch-Westfälischen Gefängnisgesellschaft über
das Vereinsjahr 1900/1901. Im Auftrage des Ausschusses zusammengestellt von dem
Geschäftsführer v. Rohden (Gefängnisgeistlicher in Düsseldorf). Düsseldorf, L. Voß &
Or (1901). 8. 219 SS.
Kassel. — Bericht über die wichtigsten Zweige der Verwaltung der Residenzstadt
Kassel im Etatsjahre 1900. Kassel, Druck von Weber & Weidemeyer, 1902. gr. 4.
242 SS.
Keßler (Armensckr.), Stadt Siegen. Die städtische Armenpflege vom 15. Jahr-
hundert bis 1902 und der Armenunterstützungsverein von 1877 bis 1902. 25 Jahre
öffentlicher und privater Armenpflege nach dem Elberfelder Systeme, 1877—1902. Fest-
schrift zum 1. III. 1902. Siegen, gedr. bei W. Vorländer, 1902. 8. IV—96 SS.
Knischewsky, Das preußische Gesamtministerium. Eine staatsrechtliche Studie.
Berlin, Struppe & Winckler, 1902. gr. 8. 66 SS. M. 1,60.
Königsberg i. Pr. — Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegen-
heiten der k. Residenzstadt Königsberg i. Pr. während des Rechnungsjahres 1. IV.
1900 bis dahin 1901. Königsberg, K—ger allgemeine Zeitungsdruckerei, 1901. gr. 4.
XI—319 SS. — Hauptübersicht über die der Stadthauptkasse zu Königsberg i. Pr. zu-
gewiesenen Verwaltungszweige pro 1. IV. 1900/1901. Ebd. gr. 4. 104 SS.
Mühlhausen i. Th. — Haushaltsplan für die Verwaltung der Stadt M. i. Thü-
ringen auf das Rechnungsjahr 1902. Mühlhausen i. Th., Druck von Röth & Köhler,
1902. gr. 4 95 SS.
München. — Haushaltsplan der Stadtgemeinde München und der von ihr ver-
walteten Stiftungen für das Jahr 1902. München, Druck von G. Franz und E. Mühl-
thaler, 1902. gr. 4. IV—568 SS.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 565
M. Gladbach. — Haushaltspläne der Stadt M. Gladbach für das Rechnungsjahr
1902. M. Gladbach, Druck von E. Schellmann, 1902. gr. 4. 71 SS.
Sanitätsbericht über die königlich preußische Armee, das XII. und XIX.
(1. u. 2. kgl. sächsische) und das XIII. (kgl. württembergische) Armeekorps für den
Berichtszeitraum vom 1. X. 1898 bis 30. IX. 1809. Bearbeitet von der Medizinalab-
teilung des k. preußischen Kriegsministeriums. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1901.
gr. 4. 205 u. 167 SS. mit 31 Karten und 8 graphischen Darstellungen.
Seelig, Geert, Hamburgisches Staatsrecht auf geschichtlicher Grundlage. Ham-
burg, Gräfe & Sillem, 1902. gr. 8 VIII—141 SS. M. 3.—.
Staatshandbuch, Hamburgisches, 1902. Amtliche Ausgabe. Hamburg, ge-
druckt bei Lüteke & Wulff, 1902. kl. 4. 405 SS.
Stettin. — Verwaltungsbericht der Stadt Stettin vom 1. IV. 1900 bis dahin 1901.
II. Spezialberichte. Stettin, Druck von F. Hessenland, 1902. gr. 4. 159 SS.
Verwaltungsbericht des Generaldirektors der Provinzialstädtefeuersozietät der
Provinz Sachsen für das Jahr 1900. Merseburg, Druck von Fr. Stollberg, 1901. gr. 4.
40 SS.
Verwaltungsbericht, HI., des kgl. Polizeipräsidiums von Berlin für die Jahre
1891 bis 1900. Berlin, C. Heymanns Verlag, 1902. gr. 4. VIII—963 SS. mit 2 Karten,
5 Plänen und 1 graphischen Tabelle über die Zahl der verschiedenen Feuer, der Ver-
sicherungssummen und gezahlten Entschädigungen.
Zorn, Ph. (o. ö. Prof. der Rechte), Im neuen Reich. Reden und Aufsätze zur
preußisch-deutschen Staats- und Rechtsgeschichte. Bonn, Cohen, 1902. gr. 8. VI—
42 SS. M. 9.—.
Roux, Roger (ancien avocat A la Cour d’appel de Paris), Le travail dans les
prisons et en particulier dans les maisons centrales. Paris, A. Rousseau, 1902. gr. in-8.
201 pag. fr. 4.—. (Table: Notions générales sour le travail pénal. — Organisation admi-
nistrative du travail pénal. — Concurrence du travail pénal au travail libre.)
Boston. — City of Boston statistics department. Special publications n° 8: Re-
ceipts and expenditures of ordinary revenue 1896—1900. Boston, Municipal Printing
Office, 1901. gr. 4. 149 pp.
Clow, F. R., A comparative study of the administration of city finances in the
United States. New York, Macmillan, 1901. 8. 148 pp.
Report made to the Fire Brigade Committee of the London County Council by the
Chief officer of the fire brigade on the fires in London and the work of the brigade
during the year 1901. London, printed by J. Truscott & Son, 1902. gr. Folio. 47 pp.
UA
i Report of the Secretary of the Interior for the fiscal year ended June 30, 1901.
Washington, Government Printing Office, 1901. gr. 8. 267 pp. (Contents: Indian affairs.
— General Land Office. — Pensions. — Patent Office. — The XII" and prior cen-
suses. — The geological survey. — Education. — Office of railroad affairs. — The
territories. — Eleemosynary institutions. — Annual report of the Commission to the
five civilized tribes. — Annual report of the Maritime Canal Company of Nicaragua.
— ete.)
CuBTa roxonoBL M pacxonopp r. Moernu ma 1902 rout, Mocksa 1901. gr. 8.
313 pp. (Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben der Stadt Moskau im Jahre 1902.)
Fernández Prida, J., Estudios de derecho internacional público y privado.
Madrid, E. Royas, 1901. 8. pes. 3.—.
Jiménez Aquino, M., La responsabilidad ante el parlamento. Madrid, Los
Hijos de la Garcia, 1901. 8. pes. 6.—.
12. Statistik.
Allgemeines.
Union postale universelle. Statistique générale du service postal publiée par le
Bureau international. Année 1900. Berne, impr. Suter & Lierow, 1902. gr. Imp. in-
Folio. 34 pag.
Statesman’s year-book, the. Statistical and historical annual of the States of
the world for the year 1902 edited by J. Scott Keltie, with the assistance of J. P. A.
Renwick. XXXIX'" annual publication. London, Macmillan & C°, 1902. 8. XL—
1132 pp. with 8 maps, eloth. 11/.—.
566 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Statistik des Deutschen Reichs.
Beiträge zur Forststatistik von Elsaß-Lothringen. Herausgegeb. vom Ministerium
für Elsaß-Lothringen, Abteilung für Finanzen, Gewerbe und Domänen. Heft XIX.
Wirtschafts- und Rechnungsjahr 1900. Straßburg, Str.—ger Druckerei und Verlags-
anstalt, 1902. gr. 8. 129 SS.
Beiträge zur Statistik der Stadt Essen. Heft 3: Die Bauthätigkeit und der Woh-
nungsmarkt in der Stadt Essen im Jahre 1901. Essen, Druck von Chaden & Schme-
mann, 1902. 4, 29 SS. (Im Auftrage des OBürgermeisters herausgeg. durch das stati-
stische Amt.)
Bericht über die Bewegung der Bevölkerung in Plauen i. V. im Jahre 1901.
12 Monatsnummern. Plauen, Druck von M. Wieprecht, 1902. quer-Folio. (Herausgeg.
vom statistischen Amt in Plauen.)
Bericht, statistischer, über den Betrieb der unter kgl. sächsischer Staatsverwal-
tung stehenden Staats- und Privateisenbahnen mit Nachrichten über Eisenbahnneubau
im Jahre 1900. Dresden, Druck von C. Heinrich, 1901. gr. 4. IV—169 SS. Nebst
1 Uebersichtskarte vom Bahnnetz. (Herausgeg. vom k. sächsischen Finanzministerium.)
Bonhard, Ph. (Amtsrichter), Was lehren uns die Ergebnisse der Reichstagswahlen ?
Wahlstatistische Betrachtungen. Heidelberg, 1902. gr. 8. 110 SS. M. 1,20.
Ergebnisse, die, der am 1. XII. 1900 erfolgten statistischen Erhebung über die
im Gebiete der Stadt Hamburg in offener Armenpflege unterstützten Personen unter
besonderer Berücksichtigung der Wohnungsverhältnisse. Hamburg, gedruckt bei Lütcke
& Wulff, 1902. gr. 8. 169 SS.
. Jahrbuch, statistisches, für das Königreich Bayern. Herausgeg. vom k. stati-
stischen Bureau. Jahrg. VI, 1901. München, J. Lindauer, 1901. gr. 8. XV—304 SS.
Mayet, P. (RegR., Prof.), Vortrag über die Verwandtenehe und die Statistik.
Geh. am 29. I. 1902 in der „Internationalen Vereinigung für vergleichende Rechts-
wissenschaft“ ete. zu Berlin. Berlin, Deutsche Buch- und Kunstdruckerei, 1902. 38.
4 SS. u. statistische Tabellen dazu 14 SS. (Nicht im Handel.)
Mitteilungen des statistischen Bureaus des herzogl. Staatsministeriums zu Gotha.
Jahrg. 1901. Gotha, zu beziehen durch E. F. Thienemann (1901). gr. 4. 67 SS. (Aus
dem Inhalt: Art der Bodenbenutzung und Anbau auf Acker- und Gartenländereien im
Jahre 1900 in den Herzogtümern Sachsen-Koburg und Gotha. — Die Ernteerträgnisse
der wichtigsten Feldfrüchte und der Wiesen in den Herzogtümern Sachsen-Koburg und
Gotha im Jahre 1900. — Viehzählung in den Herzogtümern Sachsen-Koburg und Gotha
vom 1. XII. 1897.)
Monatsberichte des statistischen Amts der Stadt Hannover für das Jahr 1901.
Jahrg. VII. Hannover, B. Pokrantz, 1902. gr. 8. 122 SS.
Preußische Statistik. (Statistisches Quellenwerk.) Heft 167: Statistik der preußi-
schen Landesuniversitäten mit Einschluß der theologisch-philosophischen Akademie zu
Münster und des Lyceum Hosianum zu Braunsberg, der bischöflichen Klerikalseminare
und der Kaiser Wilhelmsakademie für das militärärztliche Bildungswesen zu Berlin für
das Studienjahr Ostern 1899/1900. Berlin, Verlag des kgl. statistischen Bureaus, 1901.
Folio. VIII—198 u. 213 SS. (Im Auftrage des Kultusministers bearbeitet vom kgl.
statistischen Bureau.)
Statistik des Deutschen Reichs, N. Folge, Bd. 132: Kriminalstatistik für das
Jahr 1899: Erläuterungen, bearbeitet im Reichsjustizamt und im kais. statistischen Amt.
Berlin, Puttkammer & Mühlbreeht, 1902. Imp.-4. 72; 65 u. 42 SS.
Statistik der im Betriebe befindlichen Eisenbahnen Deutschlands nach den An-
gaben der Eisenbahnverwaltungen bearbeitet im Reichseisenbahnamt. Band XXI
(Rechnungsjahr 1900). Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1902. Imp.-Folio. 43 SS. mit
XXXII Tabellen und 2 Anhängen (Insges. gegen 390 SS.). Nebst Karte in größtem
Imper.-Folio.
Statistik der Knappschaftsvereine des preußischen Staates im Jahre 1900. Berlin,
W. Ernst & Sohn, 1901, gr. 4. 56 SS.
Frankreich.
Annuaire statistique de la ville de Paris. XX* année, 1399. Paris, G. Masson,
1901. gr. in-8. XXXII—860 pag. fr. 6.—. (Publication de la préfecture de la Seine,
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 567
direction des affaires municipales, service de la statistique municipale: M. le d" Jacques
Bertillon, chef des travaux de la statistique.)
Renseignements statistiques relatives aux contributions directes et aux taxes
assimilées. 12° année. Paris, imprimerie nationale, 1902. 8. 196 pag. (Publication du
Ministère des finances. Direction générale des contributions directes.)
Statistique de l’industrie minérale et des appareils à vapeur en France et en
Algérie pour l’année 1900. Paris, imprim. nationale, 1901. gr. in-4. XXVIII—124;
266 pag. av. 24 diagrammes. Fr. 10.—.
England.
Statistical tables relating to the colonial and other possessions of the United
Kingdom. Part XXIV. 1899. London, printed by Darling & Son, 1902. Roy-Folio.
XIV—699 pp. 6/.—. (Parl. pap.)
Oesterreich-Ungarn.
Gebarung, die, und die Ergebnisse der Krankheitsstatistik der nach dem Gesetze
vom 30. III. 1858 errichteten Krankenkassen im Jahre 1899. Wien, k. k. Hof- und
Staatsdruckerei, 1901. 4. IV—201 SS.
Gebarung, die, und die Ergebnisse der Unfallstatistik der im Grunde des Ge-
setzes vom 28. XII. 1887 errichteten Arbeiterunfallversicherungsanstalten im Jahre 1899
Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1901. 4. 233 SS.
Handbuch, statistisches, für die Selbstverwaltung in Schlesien. III. Jahrg. 1901.
Troppau, Selbstverlag des schlesischen Landesausschusses, 1902. 4. XII—479 SS.
(Herausgeg. vom landesstatistischen Amte des schles. Landesausschusses.)
v. Twardowski, J. (Ministerialkonzipist im k. k. Handelsministerium), Statistische
Skizzen über Oesterreich. (Mit einem Anhang über Ungarn.) Nach amtlichen Quellen
zusammengestellt. Wien, Frz. Deuticke, 1902. gr. 8. 125 SS. M. 2,50.
Wiadomösei statystyezne o stosunkach Krajowych. Wydane przez Krajowe Biuro
Statystyezne pod redakeya (Prof.) Tadeusza Pilata. Tom XVIII, zeszyt 1 & 2. (Stati-
stische Mitteilungen über die Verhältnisse Galiziens, herausgeg. v. d. statistischen Bureau
des Galizischen Landesausschusses. Redig. von (Prof.) Thaddäus Pilat. Bd. XVII.
Heft 1 u. 2. Lwöw (Lemberg), 1901. gr. 4 (Inhalt: Heft 1. Opieka nad ubogimi w
Galieyi, Opracował Joach. Bartoszewicz. (Die Armenpflege in Galizien, dargestellt von
J. B.) 91 pp. — Heft 2. Pisarze gminni, opracowal Zbigniew Pazdro. (Die Ge-
meindeschreiber in Galizien in den dem Gemeindegesetz vom J. 1866 unterliegenden
Gemeinden. Auf Grund der durch die Bezirksausschüsse eingesendeten Materialien be-
arbeitet von Z. P.) 96 pp.
Rußland.
CGrarucrura Poccifcko“ wunepiv LIII. Ypoxaïñ 1901 roxa. I. Osumsıe x.rh6a
u cuo. — II. Apospie to u kaprose.ıs. Or.-Herepöypr» 1901. Lex.-8. XXVII
—116 pp. u XXXVIII—165; 190 pp. (Statistique de l'Empire de Russie LIII. La
récolte en 1901. T. Céréales d'hiver et foin. Avec 6 cartogrammes. II. Céréales d'été
et pommes de terre. Avec 8 cartogrammes.) [Publication du Comité central de statistique,
Ministère de l’intérieur.| `
Bidrag till Finlands officiela Statistik. VI. Befolkningsstatistik. 32. Ofversigt af
folkmängdsförändringarna i Finland, àr 1899 (Bevülkerungsbewegung). 88 pp. XII.
Fängvärden. N° 16, 17 och 18: Fängvärdsstyrelsens berättelse för Aren 1897, 1898
och 1899. 71 pp. och XIII tabeller; 71 pp. och XIII tabeller; 72 pp. och XIII tabeller.
— XXI. Fattigvärdsstatistik. B. Fattigvärdsinspektorens ärsberättelser. 8: är 1900
(Gefängnisinspektorenberichte für das Jahr 1900). 36 pp. Zusammen 5 Hefte. Hel-
singfors, 1901. Lex.-S.
Italien.
Censimento della popolazione del Regno al 10 Febbraio 1901. Popolazione
legale dei singoli comuni del Regno à termini del Regio deereto 29 dicembre 1901 e
popolazione di fatto. Roma, stamperia Dom. Ripamonti, 1901. gr. in-8. 176 pp.
(Pubblicazione del Ministero di agricoltura, industria e commercio, Direzione generale
della statistica.)
Dizionario dei comuni del Regno d’ Italia, secondo il censimento del 10 Febbraio
1901. Compilato da B. Santi, 1902. 12. XLIII—176 pp. geb. M. 3.—.
568 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Holland.
Bijdragen tot de statistiek van Nederland. Nieuwe volgreeks V. Statistiek der
spaar- en leenbanken in Nederland, over hat jaar 1898. ’s Gravenhage, Gebr. Belinfante,
1901. gr. in-4. 1V—277 blz. Fl. 1,25.
Bijdragen tot de statistiek van Nederland. Niewe volgreeks. XIV. Geschiedenis
van de statistiek in het Koninkrijk der Nederlanden. ’s Gravenhage, Gebr. Belinfante,
1902. 4. XXXIII—224 blz. (Uitgegeven door het Central Bureau voor de Statistiek.)
Schweiz.
Schweizerische Statistik. Lieferung 133: Die Bewegung der Bevölkerung in
der Schweiz im Jahre 1900. Herausgeg. vom statistischen Bureau des eidgenössischen
Departements des Innern. Bern, Kommissionsverlag Schmid & Francke, 1902. 4. 32 SS.
Schweden,
Bidrag till Sveriges offieiela Statistik. D. Fabriker och handtverk. Kommers-
kollegii berättelse för är 1900. Stockholm, J. Haeggströms boktryckeri, 1902. gr. 4.
XXVIII—104 pp.
Norwegen.
Norges officielle Statistik. IV Række (Serie) N° 18. Tabeller vedkommende
Skiftevisenet; Norge i Aarenne 1896, 1897 og 1898. (Tabellen über Nachlasse, Konkurse
und Pupillengelderverwaltung.) 85 pp. — N° 19. Tabeller vedkommende Norges al-
mindelige Brandforsikrings-Indretning for Bygninger. (Assekuranzstatistik der Gebäude
gegen Feuersgefahr für die Jahre 1595 und 1809.) X—151 pp. — N’ 20. Beretning om
Skolevæsenets Tilstand i Kongeriget Norge for Aaret 1898. (Oeffentlicehe Unterrichts-
statistik für 1898.) 113 pp. — N° 21. Tabeller vedkommende Norges Fiskerier i Aaret
1900. (Norwegische Fischereistatistik für 1900.) 16; 36 pp. — N° 22. De offentlige
Jernbaner. (Norwegische Eisenbahnstatistik pro 1. IV. 1900 — 31. III. 1901.) LXVU
— 362 pp. — N° 23. Private Aktiebanker i Aaret 1900. 31 pp. — 6 Hefte. Kristiania,
H. Aschehoug & C°, 1901. gr. 5. [Udgivet af det Statistiske Centralbureau.|
Statistisk Aarbog for Kongeriget Norge. Enogtyvende (XXI.) Aargang: 1901.
Kristiania, H. Aschehoug & C°, 1901. gr. 5. 24; 154 pp. (Udgivet af det Statistiske
Centralbureau.)
Spanien.
Anuario de la Dirección general de estadística de la provincia de Cordoba corre-
spondiente al ano 1900. Cordoba, F. Domeniei, 1901. 8. 267 pp.
Serbien.
Ilpu.ıosu 3a crarucruky kpazerume Cpôuie. Merppra cBecka: ÜTATUCTHKa iapuux
nponaia, ete. beorpaa (Belgrad) k. serbische Staatsdruckerei, 1901. gr. 4. (Materialien
zur Statistik des Königreichs Serbien. Lieferung 4: Statistik der gerichtlichen (Zwangs-
bezw. Nachlass)-Verkäufe im Königreich Serbien in dem Jahrfünft 1891 bis 1895.)
[ITerausgeg. vom Ministerium des Handels, des Ackerbaus und der Industrie, Direktion
der amtlichen serbischen Statistik.)
Amerika (Vereinigte Staaten).
Annual report, XXXI*, of the Bureau of Statistics of Labor (commonwealth of
Massachusetts). March 1901. Boston, Wright & Potter printed, 1901. gr. 8. XVI
— 792 pp. (Contents: Population of Massachusetts, 1900. From th XII® United States
Census — The insurance of workingmen. — Graded prices: Massachusetts, other United
States, and foreign countries, 1816—1891.)
— (Argentinien).
Bulletin mensuel de statistique municipale de la ville de Buénos Ayres, AN"
année, 1901. Bu&nos Ayres. gr. in-Folio. (Publication du directeur général honoraire
de la statistique municipale Albert A. Martinez.)
Asien (Japan).
Annuaire statistique du l’Empire de Japon, année XX: 1900. Tokio 1901.
gr. in-8. 1135 pag. (Vollständig in japanischer Sprache.)
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 569
Australien (Süd-Australien).
South Australia. Statistical register, 7 parts. Adelaide, C. E. Bristow printed,
1901. gr. Folio. (Compiled from official records. Contents: Part I. Population. —
Part II. Vital statistics. — Part III. Production, — Part IV. Interchange. Part V. Law,
crime, ete. — Part VI. Revenue and expenditure. — Part VII. Religious, educational,
and charitable institutions.)
South Australia. Australasian statistics, for the year 1899. Adelaide, C. E. Bristow
printed, 1901. Folio. 78 pp. (Compiled by the Government statist of Victoria.)
— (Victoria.)
Victorian year-book, 1895—8. Containing a digest of the statistics of Victoria,
with references to the statistics of the other Australasian colonies and other countries.
by James J. Fenton (Government statist of Victoria.) XXII" issue. Melbourne, R. S.
Brain printed, and London, Trübner & C°, 1901. 8. XVIII—1132, CCXXXV pp.
with map of Victoria in max.-obl.-folio.
13. Verschiedenes.
Beiträge zur Landes- und Volkskunde von Elsaß-Lothringen. Heft XXVIII: Die
Fahnen der Straßburger Bürgerwehr im 17. Jahrhundert, von Jos. Geny. Straßburg,
J. H. E. Heitz, 1902. 8. VIII—47 SS. mit 17 Tafeln farbiger Wappenabbildungen.
M. 4.—.
Ehrhard, Alb. (o. ö. Prof. Univ. Wien), Der Katholizismus und das zwanzigste
Jahrhundert im Lichte der kirchlichen Entwickelung der Neuzeit. 4. bis 8., revidierte
Aufl. Stuttgart u. Wien, Jos. Roth’sche Verlagsbhdl., 1902. 8. X—416 SS. M. 6,20.
Frank, Fr. (kathol. Pfarrer), Nachträge zu ‚der Ritualmord vor den Gerichtshöfen
der Wahrheit und der Gerechtigkeit“. Regensburg, G. J. Manz, 1902, gr. 8. 100 SS.
M. 1.
Göhre, P., Vom Sozialismus zum Liberalismus. Wandlungen der Nationalsozialen.
Berlin, Verlag der Sozialistischen Monatshefte, 1902. gr. 8. 39 SS. M. 0,75.
Haufe, Ew., Die Prinzipien der natürlichen Erziehung. Stuttgart, R. Lutz, 1902.
gr. 8. 110 SS. M. 1,50.
Häger, A. (Oberst a. DÄ Meine Erlebnisse in der Militär-, Rechts-, Offizier-,
Ehren-, Gerichtspflege. Eine aktenmäßige Darstellung. Berlin, H. Walther, 1902.
gr. 3. VIII—114 SS. M. 1,80.
Kinderbewahranstalten, die, auf dem Lande, von Schwester Henriette. Jena,
G. Fischer, 1902. gr. 8. IV—220 SS. M. 2.—.
Lowell-v. Verschuer, Die Hessen und die anderen deutschen Hilfstruppen
im Kriege Großbritanniens gegen Amerika 1776—1783. Nach dem Englischen von
Edw. J. Lowell herausgeg. von O. C. v. V. Braunschweig, R. Sattler, 1901. gr. 8.
XI—250 SS. mit 8 Plänen. M. 5.—.
Nicolai, H. F. GeneralOArzt Neisse), Der Kaffee und seine Ersatzmittel.
Volkshygienische Studie. Braunschweig, Vieweg & Sohn, 1901. gr. 8. VIII—93 SS.
M. 2.—.
Olberg, Oda, Das Weib und der Intellektualismus. Berlin-Bern, J. Edelheim,
1902. gr. 8. 118 SS. M. 2.—.
Petersen, J. (ReichsgerR. a. D.), Das Deutschtum in Elsaß-Lothringen. München,
J. F. Lehmanns Verlag, 1982. gr. 8. 138 SS. M. 2,40. (Der Kampf um das Deutsch-
tum, Heft 5.)
Philippson, Martin, Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg.
I. Teil: 1660—1679. Berlin, S. Cronbach. 1902. gr. 8. 441 SS. M. 7,50.
Pudor, H., Die neue Erziehung. Essays über die Erziehung zur Kunst und zum
Leben. Leipzig, H. Seemann Nachf., 1902. gr. 8. IV—339 SS. M. 4.—.
Sanitätswesen, das, des preußischen Staates während der Jahre 1895, 1896
und 1897. Im Auftrage Sr. Excellenz des Herrn Ministers der geistlichen, Unterrichts-
und Medizinalangelegenheiten bearbeitet von der Medizinalabteilung des Ministeriums.
Berlin, R. Schuetz, 1902. gr. 8. VIII—-632 u. 176 SS.
Schmatolla, E. (dipl. Hütteningen. u. Patentanw.), Rauchplage und Brennstoff-
verschwendung und deren Verhütung. Hannover, Gebr. Jänecke, 1902. gr. 8. 84 SS.
mit 68 in den Text gedr. Fig. M. 2,50.
570 Die periodische Presse des Auslandes.
Schreiber, C. (ORegR. a. Di Die Neuregelung der Schulunterhaltungspflicht.
Stettin, P. Niekammer, 1902. gr. 8. 49 SS. M. 0,75.
Schultheß’ Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. XVII. Jahrg. (1901).
Herausgeg. von G. Roloff. München, C. H. Beck’sche Verlagsbhdl., 1902. gr. 8. VII
372 SS. M. 8.—.
Schutz der Ehre und Bekämpfung des Duells. Leipziger Besprechung am 19. X.
1901. Köln a. Rhein, J. P. Bachen, 1902. gr. 8. 46 SS.
Scheffer, Th., Die preußische Publizistik im Jahre 1859 unter dem Einfluß des
italienischen Krieges. Ein Beitrag zur Geschichte der öffentlichen Meinung in Deutsch-
land. Leipzig, B. G. Teubner, 1902. gr. 8. VI—182 SS. M. 6.—.
Tetzner, Frz, Die Slaven in Deutschland. Beiträge zur Volkskunde der
Preußen, Litauer und Letten, der Masuren und Philipponen, der Tschechen, Mähren
und Serben, Polaben und Slowinzen, Kaschuben und Polen. Braunschweig, Vieweg
& Sohn, 1902. gr. 8 XX—520 SS. mit Abbildgn., Karten und Plänen, Sprach-
proben etc. M. 15.—.
Annuaire de l'instruction publique et des beaux-arts pour l’année 1902, rédigé
et publié par MM. Delalain (imprimeurs de l’Université). Paris, Delalain frères, 1902,
gr. in-8. 887 pag. et carte: France universitaire. Fr. 5.—. (Publication du Ministère
de l'instruction publique ete.).
Apert, E. (chef de clinique médicale à la faculté de médecine de Paris). Les
enfants retardataires. Arrêts de la croissance et troubles du développement. Paris,
Bailliere & fils, 1902. 12. 95 pag. relié. fr. 1,50.
Société, la, de secours aux blessés militaires des armées de terre et de mer en
Chine 1900—1901. (Croix-rouge française fondée en 1864.) Paris, Hachette & C", s.
a. (1901). gr. in-3. X—136 pag. av. fig. Fr. 2.—.
Allen, H. B. (Prof.), Cancer: An introductory address. — Statistics concerning
cancer in Australasia. (2 parts.) Hobart, J. Vail printed, 1902. gr. 8. 16 and 43 pp.
(Intereolonial Medical Congress of Australasia, VI‘ session, Hobart, February 1902.)
Hensman, How., Cecil Rhodes. A study of a career. London, W. Blackwood,
1902. Roy.-8, 394 pp. with illustr. 12/.6.—.
Hoffman, Fred. L. (Newark, N. Jersey, Statistician of the Prudential Insu-
rance C*, of America), Industrial insurance and the prevention of tubereulosis: The
Medical Examiner and Practitioner“, vol. XI, N° 12. pp. 692—720, with numerous
graphics. New York, December, 1901.
Smeaton, O., The Medici and the Italian renaissance, Edinburgh, T. & T. Clark,
1902. 8.296 pp. 3/.—.
Bollettino sanitario (delle provincie, eireondarie e dei comuni capoluoghi di pro-
vincia e di circondario o distretto del Regno d'Italia). Anno 1901. Roma, tip. delle
Mantellate, 1902. gr. in-4.
Die periodische Presse des Auslandes.
A. Frankreich.
Annales des sciences politiques. Année 1901, Septembre et Novembre: I’associa-
tion et l’agriculture, par D. Zolla. — Anvers autrefois et aujourd’hui: le passée, par
F. Maury. — A la conquête d’un isthme: Les Etats-Unis et l'Europe, par P. Lefébure.
— La marine de guerre allemande, par Z. — La marine marchande allemande, par A.
Poisson. — L’evolution du régime légal du travail en Belgique, par E. Cailleux. — Les
rivalités politiques autour du golf Persique, par E. Payen. — etc. Année 1902, Jan-
vier: Les Etats-Unis et l'impérialisme, par E. Boutmy. — Les entreprises belge et
l'étranger, par P. de Laveleye (art. 1). — Les aliénés criminels, par P. Matter. — Anvers
autrefois et aujourd’hui: Le présent, par F. Maury. — Chronique des questions agricoles,
1901, par D. Zolla. — ete.
Die periodische Presse des Auslandes. 571
Bulletin de statistique et de législation comparée. XXVI" année, 1902, Février:
A. France et colonies: Loi portant modification de la loi du 5 juin 1872 sur les titres
au porteur. — Les revenus de l'Etat, exercice 1901 et janvier 1902. — Le commerce
extérieur, mois de Janvier 1902. — Les contributions directes et les taxes assimilées
depuis 1880. — L’exploitation du monopole des tabacs en 1900. — L'exploitation du
monopole des allumettes chimiques en 1900. — L’encaisse, la circulation et les opérations
de la Banque de France en 1901. — Situations hebdomadaires des principaux comptes
de la Banque de France en 1901. — B. Pays étrangers: Pays divers: Le taux de l’es-
compte en Europe. Les émissions publiques en 1901. La production des vins. — Alsace-
Lorraine: L’impöt sur les successions, loi du 17. VI. 1900. — Angleterre: Le rapport
du Postmaster général pour l’année 1900—1901. Le mouvement des prix. — Belgique:
Le commerce extérieur 1899 à 1901. — etc.
Journal de la Société de statistique de Paris. 43° année, 1902, N° 3, Mars:
Procès-verbal de la séance du 19 Février 1902. — Annexes au procès-verbal: Discussion
sur la loi qui règle les naissances, d’après G. Cauderlier; Observations de MM. Cl. Juglar,
Lucien March, Arsène Dumont, Alf. Neymarck, Chervin, Limousin. — La statistique et
l'opinion, par A. de Foville (art. 1). — Le coût de la vie à Paris à diverses époques,
par G. Bienayme (suite 8). — Chronique de statistique judiciaire, par Maur. Yvernès.
— etc.
Revue d'économie politique. XVI* année, 1902, N° 2, Février: Des méthodes
proposées pour régulariser la valeur de la monnaie, per Ach. Loria. — La coopération
rurale en Belgique, par Em. Vandervelde. — La protection légale des travailleurs est-
elle nécessaire? par R. Jay. — L'élevage en Australie, par L. Vigouroux. — Revue
des revues françaises d'économie politique, par H. Truchy. — ete. Revue d’économie
politique, 1902, N° 3, Mars: Les origines du capitalisme moderne en France, par H.
Hauser. — Le mouvement coopératif en Suisse, par C. Mutschler. — Les cartels des
sucres en Autriche-Hongrie, par Hotowetz. — etc.
Réforme sociale, la. Année 1901. N” 18 à 23: La travail des femmes belges
dans la grande et la petite industrie, par A. Julin. — La femme et la lutte contre
l'alcoolisme, par J. Keelhoff. — Les settlements sociaux, par P. Escard. — Le contrat
de mariage et le régime normal des biens à établir entre époux, par E. Thaller. -—
L'union internationale pour la protection de la jeune fille, par (la baronne) de Montenach.
— Les associations et la répression des crimes et délits, par L. Rivière. — La domesti-
cité féminine dans les grandes villes de France, par A. des Cilleuls. — Les revendica-
tions des mineurs: la journée de huit heures; la retraite des mineurs; le minimum de
salaire ` la referendum et la grève général, par Deleourt-Haillot. — La mutalité familiale,
par E. Cheysson. — Les syndicats professionnels de femme, par E. Flornoy. — Les
sociétés de secours mutuels et de retraites pour femmes en Belgique, par P. Berryer. —
La condition juridique de la femme dans le nouveau code civil allemand, par R. Saleilles.
— Le travail des femmes aux Etats-Unis, par F. Lepelletier. — Le mineur belge: sa
situation matérielle et morale, par R. P. C. Rutten. — Les métiers de famille, par
P. Vigneron.
Revue internationale de sociologie publiée par René Worms. X° année, 1902,
N° 1, Janvier: Les études sociales sous la Restauration, par E. Levasseur. — Essai
d’une définition et d’une classification des sciences sociales, par H. Hauser. — La
natalité A Saint-Pierre-de Clairac (Lot-et-Garonne): essai de sociologie concrète. — Société
de sociologie de Paris, seance du 11 XII 1901: Le moteur de l’évolution sociale: com-
munication de Maur. Le Gouix, avee discussion. — Mouvement social: Suisse (1901),
par Virg. Rossel. — etc.
Revue internationale de sociologie, X° année, 1902, N° 2, Février: Charles Le-
tourneau (nécrologue). — Les études sociales sous la Restauration (suite et fin):
Fourier et le Fouriérisme, par E. Levasseur. — A propos de la lei sur le „contrat
d'association“. — Société de sociologie de Paris, séance du 8 janvier 1902: La popu-
lation comme moteur de l’évolution sociale. (Discussion par L. Arréat, G. Tarde, A. Fir-
min, Ch. Limousin, H. Monin). — etc.
B. England.
Board of Trade Journal. Vol. XXXVI, N° 270—280, January 30—April 10,
1902: Emigration from British India. — Trade of Abyssinia in 1900. — Production of
cork in the world. — The gold mining industry of Siberia. — China and earthenware
572 Die periodische Presse des Auslandes.
trade of Smyrna. — The commercial intelligence branch of the Board of trade. —
Foreign trade of the United Kingdom in January, 1902. — Trade of the United States
of America in 1901. — Gold in the Ivory Coast. — The development of Uganda. —
The Baghdad railway. — Trade of St. Domingo in 1900. — The trade of Vladivostock,
— The proposed railway through Indo-China to Yunnan-Fu. — The development of
Galveston. — The Sugar Conference. — The means of communication and cost of trans-
port in Persia. — Trade of British South Africa in 1901: A. Cape Colony; B. Natal:
C. Transvaal. — Roads and transport systems in Madagascar, — Hints to traders with
Siam. — Openings for British trade. — British trade abroad. — Trade and commerce
in Abyssinia. — Foreign trade of the United Kingdom in March, 1902. — Comparative
merits of British and foreign locomotives in Egypt. — Tariff changes and customs re-
gulations. — Shipping and transport. — Minerals, metals, and machinery. — Agricul-
ture. — Yarns and textiles. — Statistical tables. — Government publications. — ete,
Economie Journal. Vol. XI, N° 4, December 1901: The theory of progressive
taxation, by G. Cassel. — Equity and economy in taxation, by E. Cannan. — The eco-
nomie effects of the Tramways Act of 1870, by V. Knox. — The Dutch Dwelling
Houses Act, by N. G. Pierson. — Economics and commercial education, by L. L. Price,
— Germany’s commercial progress, by W. H. Dawson. — The Moujik, by E. A. Cazalet,
— Disputed points in the theory of international trade, by F. Y. Edgeworth. — The
census of Canada, by J. Davidson.
Journal of the Royal Statistical Society. Vol. LXIV, part 4, December 1901:
Local and imperial burdens. Inaugural address of (Lord) Avebury (President of the
Society), session 1901/02. — The suspension of the Berlin produce exchange, and its
effeet on corn prices, by Reg. H. Hooker. Miscellanea : Facts disclosed in the pre-
liminary report as to the populations of England and Wales in 1901, by T. A. Welton;
A series of life-tables for England and Wales calculated by an abbreviated method, by
T. E Hayward; A civil service examination in statistics: Report of the proceedings of
the VIII" Congress of the Internat. Statistical Institute at Budapest, by (Major) P. G.
Craigie; La statistique et l’opinion, par A. de Foville; Changes in average prices in New
South Wales 1820—98, by G. H. Wood; Agricultural returns 1901. — ete.
Journal of the Statistical and Social Inquiry of Ireland. August 1901 : The
bearing on industry of the impending changes in Irish education, by C. H. Oldham. —
Educational value of co-operation among Irish farmers, by P. J. Hannon, — The
financial aspect of Parliamentary Private Bill procedure, by €. A. Stannell. — The pro
gress of sanitary science in Belfast, by H. O’Neill. — The housing of the people, with
special reference to Dublin, by C. Dawson. - The tourist movement in Ireland, by D.
J. Wilson. — Salmon fisheries in Ireland and the report of the Irish Inland Fisheries
Commission, by H. D. Conner.
C. Oesterreich-Ungarn.
Soziale Rundschau. Herausgeg. vom k. k. arbeitsstatistischen Amte im H andels-
ministerium. III. Jahrg. Januar 1902: Gesetzliche Regelung der Arbeitszeit in den Ver.
Staaten von Amerika. — Arbeiterschutz: Regelung der Arbeits- und privatrechtlichen
Verhältnisse zwischen Dienstgebern und Dienstnehmern in Oesterreich. — Neuregelung
der Beschäftigungsdauer von Angestellten in Gast- und Schankwirtschaften im Deutschen
Reich. — Arbeiterorganisationen: Die englischen Gewerkvereine im Jahre 1900. — Die
Gewerkvereine im Staate New York im Jahre 1900. — Ständiger Ausschuß zur x er
hütung und Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten in den Ver. Staaten. — Berufsst żin dische
Organisation der Landwirte in Oesterreich. — Soziale Versicherung: Ergebnisse der In-
validitäts- und Mortalitätsstatistik, sowie der Gebarung der Provisionskassen der öster-
reichischen Bergwerksbruderladen im Jahren 1898. — Unfälle in der Fabriksimdustrie
Ungarns im Jahre 1900. Enquete, betreffend die Produktions- und Arbeitsverh ältnisse
im Schuhmachergewerbe in Oesterreich. — Arbeitsmarkt: Berichte der Handels- und
Gewerbekammern Budweis, Reichenberg und Bozen über die Lage des Arbeitsmarktes.
Gablonzer Glaswarenindustrie. — Einwanderung nach den Ver. Staaten von Amerika
in dem Fiskaljahre 1900/1901. — Arbeitseinstellungen und Aussperrungen: Die Streik-
bewegung in Oesterreich im Monat Dezember 1901. Die Arbeitskonflikte im Bergbau
Oesterreichs im IV. Quartale 1901. Die Streikbewegung in Oesterreich im Jahre 1901.
Streikbewegung im Auslande (England, Frankreich, Belgien, Dänemark), — Arbeits
Die periodische Presse des Auslandes. 573
vermittelung: Ergebnisse der Arbeitsvermittelung in Oesterreich im Monat Dezember
1901. Centralanstalt für unentgeltlichen Arbeitsnachweis in Mannheim 1900. — Arbeits-
losenunterstützung und Arbeitsnachweis in der Schweiz. — Wohnungswesen. — Sozial-
statistik: Ergebnisse der belgischen Gewerbezählung vom 31. X. 1896. Statistik der
industriellen Arbeiterschaft in England. — Bekämpfung des Alkoholismus in Schweden.
— Verschiedenes: Arbeiterverhältnisse in der mährischen Landwirtschaft. Maßnahmen zur
Unterstützung der Landwirtschaft in Bulgarien. — etc.
E. Italien.
Giornale degli Economisti. Gennaio 1902: La situazione del mercato monetario.
— L'ultima fase dell’industria laniera, per E. Sella. — Cenno necrologico su Carlo A.
Conigliani, per A. Loria. — L’ottava sessione dell Istituto internazionale di statistica,
per R. Benini. — I mezzadri e la cassa nazionale di previdenza, per F. Coletti. — Previ-
denza (pensioni per operai e per non operai) per C. Bottoni. — Municipalizzazione dei
pubbliei servigi, per G. Montemartini. — Cronaca (un occhiata fuori di casa) per C. Papa-
fava. — etc.
G. Holland.
de Economist opgericht door J. L. de Bruyn Kops. LI“ jaargang, 1902, Fe-
bruari: Nederland en Duitschland aan de Eems (I. art.) door G. Mesdag Jacz. — De
praktijk der ongevallenwet, door L. del Baere. — De internationale geldmarkt, door C.
Rozenraad. — Economische kroniek: Die Brüsseler Zuckerkonferenz; Statistische Notiz
über den Umfang der Arbeitslosigkeit in den niederländischen Provinzen; Englische
industriestatistische Daten; Preußische Einkommensteuern. — Handelskroniek. — Eco-
nomische nalezingen en berichten.
H. Schweiz.
Monatsschrift für christliche Sozialreform. Begründet von weiland Frh. Karl
v. Vogelsang, redigiert seit Februar 1902 von (Prof.) Jos. Beck (an der Univers. Freiburg).
Jahrg. XXIV, 1902, Heft 2: Die Raiffeisengenossenschaften vom Standpunkte ethisch
sozialer Grundlage aus beleuchtet, von Eug. Cremer (2. Art.). — Wirtschaftliche Tages-
fragen, von Sempronius, Wien, 6. II. 1902: Die Jahresbilanz des Kapitalismus; Die
Revue der Milliarden; Bedenken über den Aufschwung in den Ver. Staaten; Der
Kampf der Giganten (die Wertziffern des Weltmarktes) gegen die Mikroben (die Zucker-
rüben); Die Bedeutung des Zuckers für europäische Finanzen und Landwirtschaft. —
Sozialolpitisches und Wirtschaftliches aus der Schweiz, von A. Hättenschwiller. — Sozi-
aler Rückblick, von Walther von Quarten. — etc.
Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Halbmonatsschrift.
Jahrg. X, 1902, Heft 3: Die Stellung des Deutschen Reiches zur Schweiz betreffend die
Verfolgung des unlauteren Wettbewerbes, von F. Meili (Prof., Univ. Zürich). — Auf-
richtige Arbeiterfreundlichkeit, von Leop. Katscher (Budapest) — Soziale Chronik, —
Statistische Notizen: Die Leistungen der Naturalverpflegung. — ete.
Zeitschrift für schweizerische Statistik. Jahrg. XXXVIII, 1902, Lieferung 1:
Protokoll der Jahresversammlung des Verbandes schweizerischer amtlicher Statistiker und
der schweizerischen statistischen Gesellschaft den 21. u. 22. X. 1901 in Freiburg. —
Protokoll der Jahressitzung der schweizerischen statistischen Gesellschaft, abgeh. den
21. X. 1901 in Freiburg. — Biographie von Professor Dr. Gustav Vogt. — etc.
M. Amerika.
Bulletin of the Department of Labor. N° 38, January 1902: Labor conditions
in Mexico, by W. E. Weyl (of the University of Pennsylvania). — The negroes of
Cinclare Central Factory and Calumet Plantation, Louisiana, by J. Bradford Laws. —
Charts exhibited at the Pan-American Exposition. — The Quebec Trade Disputes Act.
— Digest of recent reports of State bureaus of statisties: Kansas; Rhode Islands; Vir-
ginia. — Digest of recent foreign statistical publications. — Decisions of courts affect-
ing labor. — Laws of various States relating to labor enacted since January 1, 1896.
Journal, the, of Political Economy. Edited by the Department of Political Eco-
nomy in the University of Chicago. December, 1901: Index numbers and the standard
of value, by T. S. Adams (art. I). — Iron and steel in England and America, by Jac.
514 Die periodische Presse Deutschlands.
Schoenhof. — Value in its relation to interest, by R. S. Padan. — Credit curreney
and population, by Dav. Kinley. — Iron are mining in Minnesota, by J. Moersch.
— etc.
Quarterly Journal of Economics. February, 1902: The fecundity of the native
and foreign-born population in Massachusetts, by R. R. Kuczynski (II. art.) — Excise
taxation in Porto Rico, by J. H. Hollander. — Capitalization of the United States Steel
Corporation, by E. S. Meade. — A positive theory of economies, by F. B. Hawley. —
The rise and supremacy of the Standard Oil Company, by G. H. Montague. — Trade
cycles and the effort to anticipate, by G. C. Selden.
Yale Review, the. (New Haven, Connectieut.) Vol. X, N° 4, February 1902:
Comment: The American Economic Association; Classes in the United States; The
German tariff controversy. — Constitutional interpretation, by John T. Bascom. — Some
economie aspects of legal tender, by J. Laurence Laughlin. — Colonial poliey of the
Germans, by Alb. G. Keller. — Physical vigor of publie employees, by John R. Com-
mons. — Notes: Restriction of municipal earuings, by Alton D. Adams; Movement of
the negro population; The immigrant population; The School of social sciences and
Institute of sociology. — ete.
Die periodische Presse Deutschlands.
Alkoholismus, der. Eine Vierteljahrsschrift zur wissenschaftlichen Erörterung
der Alkoholfrage. Jahrg. III, 1902, Heft 1: Die Folgen des Alkoholmißbrauches und
die zur Bekämpfung desselben erforderlichen Maßnahmen, von (Dr. med.) Max Kötscher
(Forts.). — Alkohol und Unfall, von (Ur med.) Waldschmidt. — Aus der russischen
Gesellschaft zum Schutze der Volksgesundheit, von (Ur med.) A. v. Rothe. — Zur
Suggestivbehandlung der Trinker, von (SanitätsR.) A. Erlenmeyer, — Mitteilungen.
— etc.
Annalen des Deutschen Reiches für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirt-
schaft. Jahrg. XXXV, 1902, N°3: Die Revision der Grund- und Haussteuer in Bayern,
von (Prof.) K. Th. Eheberg (Erlangen) [I. Art.) — Bankbrüche und Bankkontrollen,
von R. Rosendorff (Berlin). — Die Organisation der inneren Verwaltung auf rechtsver-
gleichender Grundlage, von (Prof.) C. Bornhak (Berlin) |Forts.]. — etc.
Archiv für Eisenbahnwesen. Herausgeg. vom k. preuß. Ministerium der öffent-
lichen Arbeiten. Jahrg. 1902, Heft 2, März u. April: Erweiterung und Veryollstän-
digung des preußischen Staatseisenbahnnetzes im Jahre 1902. — Einige Bemerkungen
über die Personentarife und den Personenverkehr auf den englischen Eisenbahnen, von
(RegBauMstr.) F. Heinrich. — Die Eisenbahnen Deutschlands, Englands und Yrank-
reichs in den Jahren 1897—1899. — Deutschlands Getreideernte in 1900 und die Eisen-
bahnen, von C. Thamer. — Die Reichseisenbahnen in Elsaß-Lothringen und die Wilhelm-
Luxemburgbahnen im Rechnungsjahre 1900. — Die vereinigten preußischen und
hessischen Staatseisenbahnen im Rechnungsjahre 1900, von (RechngsR.) Tolsdorff. — Die
ungarischen Staatsbahnen im Jahre 1900, von (Olngen.) R. Nagel. — Die Betriebs-
ergebnisse der Staatseisenbahnen und der 6 großen Eisenbahngesellschaften in Frank-
reich 1900. — ete.
Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik. Herausgeg. von Heinrich Briw.
Bd. XVII, 1902, Heft 3 u. 4: Die Trusts in Amerika von Henry W. Macrosty (London).
— Einige Reformversuche im Lohnsystem, von Ed. Bernstein (Berlin). — Die Lzage der
ungarischen Landarbeiter, von Jul. Bunzel (Graz). — Weibliche Fabrikinspektoren m
der Schweiz, von F. Schuler (eidgenöss. Fabrikinsp., Mollis). — Sozialpolitik und
Rassenhygiene in ihrem prinzipiellen Verhältnis, von A. Ploetz (Berlin-Schlach tenset}.
— Miszellen: Ein Arbeiterwohnungsviertel in einer süddeutschen Provinzstadt (Bayreuth),
von E. Cahn (Baireuth). Die österreichische Gewerbeinspektion im Jahre 1900, von
(Prof.) E. Mischler (Graz). Der Vollzug des schweizerischen Fabrikgesetzes, Von "
Hofmann (NationalR. Frauenfeld). — ete. J
Archiv für Bürgerliches Recht. Band X, Heft 3, März 1902: Letztwillige Zu-
Die periodische Presse Deutschlands. 5
wendungen an Vereine ohne Rechtsfähigkeit, von (Rechtsanw.) E. Josef (Freiburg i. B.).
— Ist der Veräußerer einer beweglichen Sache, die er dem Erwerber unter Eigentums-
vorbehalt übergeben hat, mittelbarer Besitzer? von (GerAss.) Thiesing (Göttingen). —
Die neuen Gesetzentwürfe zur Sicherung der Bauhandwerker, von P. Oertmann. — Ver-
hältnis des preußischen Fürsorgeerziehungsgesetzes zu den reichsgesetzlichen Vorschriften.
Zugleich ein Beitrag zur Geschichte des preußischen Zwangserziehungsrechtes, von
(AGerR.) Muskat (Waldenburg i. Schl.). — Landwirtschaftliches Nebengewerbe, von R.
Ritter (Rat in der Hamburgischen Justizverwaltung). — Kaufmännische Schiedsgerichte,
von (Landricht. a. D.) E. Mumm (Assistent an der Handelskammer in Chemnitz).
— etc.
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Herausgeg. von A. Osterrieth.
Jahrg. VII, 1902, N’ 2, Februar: Die Rechtsunsicherheit im Verkehr mit Patenten, von
(JustizR.) Seligsohn. — Die gesetzliche Quellenangabepflicht 1) bei ganzer oder teilweiser
Vervielfältigung bereits veröffentlichter Zeichnungen, kunstgewerblicher, technischer,
wissenschaftlicher Abbildungen und Geisteswerke des Inlandes; 2) bei Entnahme aus
Zeitungen, Zeitschriften des Verbandsauslandes, von Karl Schaefer (München). — Ver-
sammlungen des Deutschen Vereins für den Schutz des gewerblichen Eigentums vom
19. XII. 1901, vom 23. I. und 13. II. 1902. — ete.
Masius’ Rundschau. Blätter für Versicherungswissenschaft etc. Neue Folge,
Jahrg. XIV, 1902, Heft 2/3: Der Geschäftsbetrieb der ausländischen Lebensversiche-
rungsgesellschaften nach deutschem Reichsrecht. — Die Strafvorschriften des Reichsver-
sicherungsgesetzes. — Der II. internationale Kongreß der Versicherungsärzte. — Bemer-
kungen zum Marckschen Entwurf der Satzung eines Versicherungsvereins auf Gegen-
seitigkeit. — Die Todesursachenstatistik in Deutschland. — Die Negligenceklausel. —
Die Mobiliarversicherung in Baden. — Die Ergebnisse der Invalidenversicherung im
Jahre 1900. — Prometheus. — Die Entvölkerung Frankreichs. — ete. Heft 4:
Das Versicherungsvertragsrecht. — Die Rolle der Erblichkeit und der Disposition
in der Aetiologie der Tuberkulose. — Die Zillmer’sche Methode vor dem Reichstag. —
Die Lebensversicherung zu Gunsten der Hinterbliebenen. — Seeversicherung. — Inter-
nationaler Seerechtkongreß in Hamburg. — Das Feuerversicherungsgeschäft in den Ver.
Staaten. — etc.
Mitteilungen vom Verband deutscher Patentanwälte. Jahrg. I, N° 10, Februar
1902: Auflösung von Gesellschaftsverhältnissen, von Landgraf. — Kann ein Einspruch
erhoben werden auf Grund einer Anmeldung, welche sich noch im Erteilungsverfahren
befindet? von (PatAnw.) Th. Stort. — Stellungnahme der Ver. Staaten von Nordamerika
zur Union, von (PatAnw.) G. Loubier.
Neue Zeit, die. Jahrg. XX, I. Bd., 1901/1902, N" 23—26, vom 8. III. bis 29.
III. 1902: Karl Marx über die Pariser Kommune. — Der Abschluß der sozialistischen
Krise in Frankreich, von Rosa Luxemburg. — Die Lage der Buchbindereiarbeiterinnen
in Wien, von Therese Schlesinger-Eckstein. — Wirtschaftliche Umschau, von H. Cunow.
— Die ökonomischen Faktoren des Alkoholismus, von Emil Vandervelde. — Die ameri-
kanischen Gesetze gegen die Trusts, von M. Beer. — Die Lage der weiblichen Dienst-
boten in Berlin, von Helene Simon. — Taktisches zum Brotwucher, von K. Kautsky.
— Ein Blick in den württembergischen Landtag, von Wilh. Keil. — Der preußische
Staat als Bergwerksbesitzer, von O. Hué. — Ein französischer Sombart, von Frz. Meh-
ring. — Unsere höheren Schulen, von Akademikus. — Die jüdische Sozialdemokratie
in Rußland, von E. Sorow. — Die Gemeindewahlen in Norwegen. — Der Fall Fischer,
von James Broh. — ete.
Preußische Jahrbücher. Herausgeg. von Hans Delbrück, Bd. 107, Heft 3,
März 1902: Zur religiösen Entwiekelung Bismarcks, von E. Müsebeck (Metz). — Die
Barbarisierung Rußlands. — Ein Werk über das Strafrecht aller Kulturvölker, von
(Wirkl. AdmiralitätsR.) Felisch (Berlin). — Die ländliche Wasserversorgung der alten
Zeit, die Pfahlbauten und die Cisternen, von Hans Staats Bouchholtz (kais. Forst-
beamter a. D., Marlenheim: Els.). Politische Korrespondenz. — ete.
Soziale Revue. Zeitschrift für die sozialen Fragen der Gegenwart. Herausgeg.
von Jos. Burg (Essen). Jahrg. II, 1902, 1. Quartalsheft: Der Streit um den gerechten Ar-
beitslohn : 1. Einleitendes; 2. Geschichtliches; 3. Der Arbeitsvertrag als Gesellschafts-
vertrag mit Gewinnbeteiligung, von (Privdoz.) F. Walter (München). — Sozialismus und
moderne Wissenschaft: 1. Darwinismus und Sozialismus; 2. Darwinismus und Sozial-
politik, von Frz. Meffert (Premich bei Bad Kissingen). — Ueber Ursachen, Folgen und
576 Die periodische Presse Deutschlands.
Ausgleichung der numerischen Ungleichheit der Geschlechter, von Hans Rost (Bamberg).
— Kardinal Manning’s soziales Wirken. I. Art.: Aus seinem Leben. — Belgiens soziale
Gesetzgebung, von Peter Wirtz (Brüssel). — Schutz der Freiheit im gewerblichen Ar-
beitsvertrag. (II. Art.): Auszahlung des Arbeitslohnes; Sicherung und Verjährung des
Arbeitslohnes; Kritik, von Dionys. Will (Straßburg i. Elsaß). — Der Katholizismus und
das 20. Jahrhundert, von (Prof. Msgr.) Weinand (Aachen). — Aus der sozialen Welt.
Vereinsblatt für deutsches Versicherungswesen. Jahrg. XXX, 1902, N° 1 bis
4: Eingabe der Vereinigung der in Deutschland arbeitenden Privatfeuerversicherungs-
gesellschaften, betreffend das bevorstehende Reichsgesetz über den Versichernngsvertrag.
— Eingabe des Verbandes Deutscher Lebensversicherungsgesellschaften , betreffend das
bevorstehende Reichsgesetz über den Versicherungsvertrag. — Zur Statistik der Brände
während der Jahre 1599 und 1900.
Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. Jahrg. XI, 1902, Heft 1.
Mit 7 Tafeln graphischer Darstellungen: Anordnungen für die Reichsstatistik aus dem
Jahre 1901. — Zur Statistik der Preise: A. Großhandelspreise wichtiger Waren an
deutschen Plätzen 1901 und in den 20 Jahren 1882/1901, nebst 6 Tabellen; B. Roggen-
und Weizenpreise an deutschen und fremden Börsenplätzen im 4. Vierteljahr 1901;
C. Viehpreise in zehn deutschen Städten im 4. Vierteljahr 1901. — Beiträge zur
Statistik der Fruchtmarktpreise. — Die überseeische Auswanderung 1901. — Die Selbst-
morde 1898 bis 1900. — Die Eheschließungen, Geburten und Sterbefälle 1900. —
Weitere Ergebnisse der Volkszählung 1900: 1. Die Ausländer im Deutschen Reich;
2. Die Haushaltungen im Deutschen Reich; 3. Gemeinden und Wohnplätze von min-
destens 2000 Einwohnern. — Die Bevölkerung des Deutschen Reichs im 19. Jahrhun-
dert. — Der Verkehr auf den deutschen Wasserstraßen 1872—1900. — Bestand der
deutschen Kauffahrteischiffe am 1. I. 1901. — Verunglückungen deutscher Seeschiffe
1899 und 1900. — Die Schiffsunfälle an der deutschen Küste 1900. — Konkurse im
4. Vierteljahr 1901. Vorläufige Mitteilung. — Zur Statistik der Streiks und Aussper-
rungen im 4. Vierteljahr 1901. — Bei den deutschen Börsen zugelassene Wertpapiere
1901. — Branntweinbrennerei und -Besteuerung 1900/1901. — Erntestatistik für das
Jahr 1901.
Zeitschrift für Kleinbahnen. Herausgeg. im Ministerium der öffemtlichen Ar-
beiten. Jahrg. IX, 1902, März: Der Stadtverkehr New Yorks (mit 1 Taf.). — Die Ent-
wickelung der französischen im Vergleich zu den deutschen Straßenbahnem. — Kleine
Mitteilungen: Die Schmalspurbahnen Ungarns im Jahre 1899; Die Straßen- und Hoch-
bahnen in Nordamerika (d. h. Ver. Staaten von Amerika und Canada). — etc.
Zeitschrift des k. preußischen statistischen Bureaus. Herausgeg. von dessen
Direktor E. Blenck. Jahrg. XLI, 1901, 4. Vierteljahrsheft: Mitteilungen zwr Genossen-
schaftsstatistik, von (GehRegR., Prof.) Petersilie. — Bücheranzeigen. — Statistische Kor-
respondenz.
Zeitsehrift für Sozialwissenschaft. Jahrg. V, 1902, Heft 3: Die Krisis in der eng-
lischen Industrie, von M. v. Brandt (Gesandter a. D., Weimar). [l. Art.) — Ueber Vermeh-
rungstendenz bei den Naturvölkern und ihre Gegenwirkungen, von Rich. Lasch (II. Art.).
— Zur griechischen Wirtschaftsgeschichte, von (Prof.) Jul. Beloch (II. Art., Schluß). —
Staatliche Gewerbeförderung in Oesterreich, von W. Exner (k. k. Sektionschef). — Die
Fabrikgesetzgebung in Rußland. (Gleichzeitig ein Beitrag zur Geschichte der Industrie
daselbst.) Aus dem Russischen des Dementjew (I. Art.). — ete.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena,
Paul Kollmann, Hans von Scheel. 571
Nachdruck verboten,
VII.
Hans von Scheel.
Von
Dr. Paul Kollmann.
In dem kürzlich verschiedenen Geheimen Oberregierungsrat
Dr. Hans von Scheel hat sowohl die volkswirtschaftliche und
die statistische Wissenschaft, als ganz besonders die amtliche Statistik
des Deutschen Reiches einen ihrer angesehensten Vertreter verloren.
Vor den Jahren ist er aus einem Wirkungskreise abberufen worden,
auf dem er vermöge seiner umfassenden und tiefen Bildung wie
seiner seltenen Begabung sich in hervorragender Weise zu behaupten
verstanden hat. Was auf seine Veranlassung und seine maßgebende
Mitwirkung zur Erkenntnis der gesellschaftlichen Lebensvorgänge
gesammelt, gesichtet und zur Darstellung gebracht ist, wird noch
auf lange Zeit hinaus als schätzbarste Quelle der Belehrung zu be-
trachten sein.
Friedrich Wilhelm Hans von Scheel ist einer preußi-
schen Beamtenfamilie entsprossen. Als ihn am 29. Dezember 1839
die Wiege aufnahm, war sein mit des Staatsministers Grafen von
Bülow Tochter Mathilde Luise vermählter Vater Rat bei der
Bezirksregierung in Potsdam, später Oberregierungsrat und Direktor
der Provinzialrentenbank in Posen. Diese Abstammung mochte wohl
für den jungen Scheel entscheidend gewesen sein, zunächst die
Laufbahn eines Juristen im preußischen Staatsdienst ins Auge zu
fassen. Denn nach dem Besuch der Landesschule Pforta und des
Gymnasiums in Hirschberg, wo er die Reifeprüfung ablegte, widmete
er sich in Halle dem Rechtsstudium — freilich nur auf ein Semester.
Vorderhand nämlich gab er einer augenblicklichen Wallung nach,
um in den Militärdienst als Berufssoldat einzutreten. Doch hielt es
ihn hierin kaum 2 Jahre, in welchem er es bald zum Offizier ge-
bracht hatte. Wer Scheel gekannt hat, wird es begreiflich finden,
daß seiner regen, zwanglosen Art die Einfügung in stramme Zucht
und streng gemessene Formen wie die vielfach eintönigen Aufgaben
des Leutnantsdienstes nicht behagten. Er kehrte darum abermals
Dritte Folge Bd. XXIII (LXXVIII). 37
578 Paul Kollmann,
zur Universität zurück, um in Jena, Berlin und Halle sowohl sich
mit Rechts- wie mit Staatswissenschaft zu befassen. Einen Abschluß
erreichten diese Studien vorerst 1864 durch die juristische Doktor-
promotion in Halle auf Grund einer Abhandlung de pecuniae nomine
ac natura quid senserint Romani et imprimis juris consulti (1866
unter dem Titel: Der Begriff des Geldes in seiner historisch-ökono-
mischen Entwickelung in Hildebrand 's Jahrbüchern für National-
ökonomie und Statistik erschienen). Indessen sollte der akademische
Lehrgang hiermit noch nicht beendet sein; sei es, daß Scheel
schon damals sein Absehen auf den Lehrstuhl richtete, sei es,
daß er sich in den volkswirtschaftlichen Fächern vertiefen wollte;
jedenfalls unterließ er den Eintritt in den juristischen Vorbereitungs-
dienst und widmete sich weiteren staatswissenschaftlichen Studien
in Jena. Hier war es, wo Bruno Hildebrand, jener scharfsinnise
und geistvolle, dabei von glühendem Eifer für seine Wissenschaft
erfüllte Lehrer den jungen Gelehrten für sich zu gewinnen verstand.
Wie Hildebrand, dem es nach dem Ausspruche Conrad’s kein
höheres Ziel gab als das Katheder, auch seine begabteren Schüler
gerne auf dieses hinwies, so wird er, wenn nicht den Gedanken an-
geregt, so doch bei Scheel gestärkt haben, sich der akademischen
Lehrthätigkeit zu widmen.
Die Teilnahme Scheel’s an dem von Hildebrand geleiteten
staatswissenschaftlichen Seminar und die Lösung der in diesem ge-
stellten, übrigens nicht im Druck erschienenen Preisaufgabe: „einer ver-
gleichenden Darstellung der nationalökonomischen Ansichten Simonde
de Sismondi’s aus seinen Hauptwerken“ hatten die Ueberzeugung
von der Begabung des ersteren bei dem letzteren namentlich begründet.
Aber auch -umgekehrt ist Hildebrand’s wissenschaftliche Auffas-
sung nicht ohne Einfluß auf die nationalökonomische RichtungScheel's
geblieben. War es gleich Hildebrand’s Ueberzeugung, daß im
wirtschaftlichen Daseinskampfe den ringenden Teilen möglichst freier
Spielraum zur Entfaltung ihrer Kräfte zu gewähren sei und die Selbst-
hilfe durch geeignete Organisationen sich zur Hebung ihrer Lage zu
bethätigen habe, war er doch kein Anhänger der manchesterlichen
Lehre des unbedingten laisser faire et laisser passer. Vielmehr be-
kannte er sich dazu, daß auf unserer Gesittungsstufe der Staat so
wenig ein Polizeistaat sei, der die wirtschaftliche Bevormundung des
Volkes anzustreben habe, als eine bloße Rechts- und Schutzanstalt,
der seine Aufgabe allein in der Aufstellung der gesetzlichen Nor-
men zu erkennen und es im übrigen den einzelnen zu über-
lassen habe, sich innerhalb dieser Grenzen mit der Befriedigung ihrer
Bedürfnisse abzufinden ; sondern daß der Staat seinem ganzen Wesen
nach Kulturstaat sei, dem es obliege, die Kultur der Nation zu schützen,
zu fördern und fortzuentwickeln, die Harmonie des Ganzen zu er-
halten, die Unterdrückung einzelner Glieder des Nationalkörpers zu
verhindern und durch seine Gesetzgebung wie durch seine Verwal-
tung dahin zu wirken, daß die Verbindung der einzelnen Glieder
solidarisch sei, in der einer für alle und "alle für einen wirken.
Hans von Scheel. 579
Freilich die planmäßige Sorge für die sozial tiefer stehenden Klassen,
das Eingreifen und die Mitwirkung der Staatsgewalt zur Abwendung
von Notständen dieser Schichten und zur Sicherung ihrer Lebens-
lage hatten die Vorlesungen und die wissenschaftlichen Bestrebungen
Hildebrand’s, als in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts
Scheel sein Hörer war, noch nicht näher zum Ziel genommen.
Und gerade nach dieser Richtung sollte später der Schüler den ein-
stigen Lehrer überflügeln. Aber den stets von jenem betonten Grund-
gedanken der verwerflichen Anschauungen des reinen Manchestertums
und der daraus sich ergebenden ungehinderten Ausbeutung der
Schwachen durch die wirtschaftlich Stärkeren hat auch Scheel sich
angeeignet.
Uebrigens war Hildebrand nicht bloß Nationalökonom, son-
dern auch mit besonderer Vorliebe Statistiker, und gerade für dieses
Fach suchte er seine Schüler zu interessieren. So hat Scheel auch
mit der Statistik durch ihn zuerst nähere Bekanntschaft gewonnen
und nicht bloß mit der Lehre, sondern auch vermöge des von Hilde-
brand gleichzeitig geleiteten und den Studenten zu Uebungen offen
stehenden statistischen Bureaus der vereinigten Thüringer Staaten mit
der praktischen Arbeitsweise. Die hierdurch empfangenen Anregungen
bestimmten Scheel zu einer Forschung über „die bisherigen stati-
stischen Leistungen über die Verteilung des Grundeigentums in Deutsch-
land“ (Hildebrand’s Jahrbücher für Nationalökonomie und Stati-
stik, 1865) und ferner, als er dann ebenfalls in den staatswissenschaft-
lichen Fächern den Doktorgrad zu erwerben sich entschlossen hatte,
eine Promotionsschrift aus dem Gebiete der Statistik und zwar „Unter-
suchungen über den Einfluß der Fruchtpreise auf die Bevölkerungs-
bewegung“ der philosophischen Fakultät (ebendaselbst 1866) vorzu-
legen. Damit hatte er sich den Weg zum akademischen Lehrstuhl
für Nationalökonomie und Statistik gebahnt. Ein Jahr hernach wurde
er, nachdem er inzwischen noch einen Beitrag „zur Geschichte und
Kritik der Lehre vom Arbeitslohn“ (ebenfalls Hildebrand's Jahr-
bücher, 1867) veröffentlicht hatte, auf Unterbreitung einer Abhand-
lung hin über „die wirtschaftlichen Grundbegriffe im corpus iuris
civilis“ als Privatdocent jener Zweige in Halle zugelassen. Indessen
blieb er in diesem Wirkungskreis nur kurz; bereits 1868 veranlaßte
ihn Hildebrand wieder nach Jena zu kommen, um ihm bei der
durch ihn ins Werk gesetzten Bewegung zur Begründung der Saal-
bahn zur Seite zu stehen.
Scheel fiel dabei als nächste Aufgabe zu, die Bedeutung dieser
Linie insbesondere auch für die immer noch abseits der großen
Verkehrsstraßen gelegene Universitätsstadt und ihre Ertragsfähigkeit
mit Hilfe statistischen Beweismaterials ins Licht zu setzen. Die ge-
schickte Art, in der er sich dieses Auftrages entledigte („Bericht
über Anlage und Rentabilität der projektierten Saalbahn Saalfeld-
Kleinheringen“, 1866), hat anerkanntermaßen nicht wenig dazu bei-
getragen, die erheblichen Schwierigkeiten, welche von vornherein dem
Unternehmen entgegengestanden hatten, zu zerstreuen. Neben dieser
37*
580 Paul Kollmann,
Beschäftigung beteiligte sich Scheel auch an den Arbeiten des stati-
stischen Bureaus, namentlich an denen der Volkszählung von 1867,
deren Ergebnisse er bezüglich der an jenem beteiligten Staaten zur Dar-
stellung brachte. Auch ein Aufsatz „zur Technik der Volkszählungen“,
ein weiterer über „die Organisation der amtlichen Statistik“, beide er-
schienen in Hildebrand’s Jahrbüchern 1869, endlich ein solcher
über „Turgot als Nationalökonom“ (Zeitschrift für die gesamte Staats-
wissenschaft, 1868) fallen in diese Jenenser Zeit. Doch auch sie
dauerte nicht länger als ein Jahr. Denn im Sommersemester 1869
trat er in die akademische Lehrthätigkeit zurück, welche ihn an die
landwirtschaftliche Akademie in Proskau führte. Hier jedoch, wo
die Nationalökonomie nur ein Nebenfach ausmachte, wo Studienziele
und Vorbildung der Hörer im allgemeinen hinter denen der Uni-
versitäten zurückstanden, fühlte er sich nicht in seinem Fahrwasser.
Wohl aber hatte er und benutzte die Gelegenheit, sich in seinen
Forschungen zu vertiefen und den Grund für seine später der Oetfent-
lichkeit übergebenen Arbeiten zu legen. Bereitwillig folgte er daher
dem Rufe, der 1571, als er gerade nach dem beendigten Kriege gegen
Frankreich seiner militärischen Dienstpflicht als Reserveoffizier genügt
hatte, an ihn von Bern aus erging, um die. ordentliche Professur für
Nationalökonomie, Finanzwissenschaft und Statistik in der dortigen
rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät einzunehmen. In dem
nun anhebenden Lebensabschnitte hat er sich als fruchtbarer und
klarer nationalökonomischer Denker und Schriftsteller bethätigt.
Fast ausschließlich bewegte sich in dieser neuen lehramtlichen
Stellung Scheel's litterarische Thätigkeit auf einem begrenzten
Felde, welche ihn aber als einen der hervorragendsten Vertreter jener
wissenschaftlichen Richtung kennzeichnete, der man den Namen der
Kathedersozialisten angehängt hat. Denn abgesehen von einigen Gut-
achten über Steuerreformen im Kanton Bern (1876) und über Gesetzes-
vorlagen hinsichtlich der gewerblichen Beschäftigung von Kindern
und jugendlichen Arbeitern in der Eidgenossenschaft (Schriften des
Vereins für Sozialpolitik, 1875, Bd. 11, S. 91 ff), sowie über die
Fabrikgesetzgebung der Kantone der Schweiz nach dem Stande vom
Februar 1873 (in Hildebrand'’s Jahrbüchern 1873) gelten seine
Untersuchungen und Erörterungen der großen sozialen Bewegung
der Neuzeit und im Zusammenhange damit dem Erbrecht und der
Erbschaftssteuer. So entstammen dem Berner Lebensabschnitte die
Schriften und Aufsätze: „Die Theorie der sozialen Frage* (1871),
„Frauenfrage und Frauenstudium“ (Rektorratsrede 1874), „Die Erb-
schaftssteuer“ (1875) (letztere beide in Hildebrand’s Jahrbüchern)
„Eigentum und Erbrecht“ (Deutsche Zeit- und Streitfragen No. 96,
1877), „Erbschaftssteuer und Erbrechtsreform* (2. Auflage 1877),
„Volkswirtschaftliche Bemerkungen zur Reform des Erbrechtes
(Hirth’s Annalen des Deutschen Reiches 1877), „Die progressive
Besteuerung“ (Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 1875),
auch die Abhandlung über „Unsere sozialistischen Parteien“ (1878),
wenn sie schon nach Niederlegung der Professur erschienen ist, ge-
Hans von Scheel. 581
hört noch ihrem Inhalte nach zu den Gegenständen, welche Scheel
als akademischen Lehrer vorzugsweise anzogen. Die beiden Schriften :
„Die Theorie der sozialen Frage* und „Eigentum und Erbrecht“
lassen am deutlichsten die sozialpolitischen Auffassungen des Ver-
fassers erkennen.
Der moderne Kulturstaat, so sagt Scheel, stellt die Gleichheit
aller vor dem Gesetze und die Freiheit des einzelnen, soweit die
Sicherheit von Leben und Eigentum der anderen bewahrt bleibt, als
Grundbedingungen der geistigen und materiellen Entwickelung des
Volkes hin, was auf politischem Gebiete zum allgemeinen Staats-
bürgertum, auf wirtschaftlichem Gebiete zum Verzicht auf staatliche
Bevorzugung einzelner oder ganzer Klassen und auf Einmischung in
das Erwerbsleben führt, indem jedem nach Maßgabe der zur Auf-
rechthaltung von Sicherheit und Ordnung im Staate gegebenen Ge-
setze die Freiheit in der Verwertung seiner wirtschaftlichen Kräfte
und Fähigkeiten überlassen bleibt. Während aber der Grundsatz
der Freiheit und Gleichheit in politischer Hinsicht unschwer sich
Eingang verschafft durch die Umbildung der politischen Fundamental-
gesetze, ist seine Einführung in volkswirtschaftlicher Hinsicht dadurch
behindert, daß die früheren, geschichtlich gewordenen Grundlagen der
Eigentumsverfassung in den thatsächlichen Besitzverhältnissen be-
stehen bleiben. Indessen geht die ehedem vorhandene Verbindung
von Besitz und Arbeit verloren. Zwar darf auch der Arbeiter Be-
sitz erwerben; wer aber besitzlos und nur mit seiner Arbeitskraft
versehen, in dieser neuen Ordnung der Dinge Arbeit sucht, findet
den Arbeitsstoff nach den alten Verhältnissen in den Händen der
Besitzenden, er sieht sich also im Gebrauche seiner Arbeitskraft von
diesen abhängig. Es beginnt daher die nach dem Prinzip der Gleich-
heit und Freiheit sich selbst überlassene Volkswirtschaft ein in ihr
liegendes Moment der Ungleichheit und Unfreiheit zu entwickeln.
Somit birgt die moderne Gesellschaft einen ihr eigentümlichen Wider-
spruch: Der Widerspruch der volkswirtschaftlichen Entwickelung mit
dem als Ideal vorschwebenden und im politischen Leben sich ver-
wirklichenden gesellschaftlichen Entwickelungsgang der Freiheit und
Gleichheit. In diesem Widerspruche besteht die soziale Frage.
Die ursächlichen Wirkungen des dem modernen Kulturprinzip
feindlichen Mißverhältnisses, welches die soziale Frage schafft, sind
auf zwei genau zu bezeichnende Momente zurückzuführen: auf die
Uebermacht des geschichtlich konstituierten Besitzverhältnisses über
die besitzlose Arbeit und auf die Uebermacht des Großbesitzes über
den Kleinbesitz. Die Ursachen und Wirkungen, welche die frei,
d. h. organisationslos waltenden wirtschaftlichen Kräfte der Freiheit
und Gleichheit entgegenwirkend erscheinen lassen, sind aber augen-
scheinlich nur da zu suchen, wo die Schaffung der Güter und An-
eignung der Werte sich unmittelbar herleiten läßt aus dem Anteil
der Besitz- und Herrschaftsverhältnisse, des Kapitals und der Arbeit;
wohingegen die übrige Gesellschaftsschicht, bei der es sich um frei-
willige Dienstverhältnisse handelt und welche „vom Minister bis
582 Paul Kollmann,
zum Dienstmädchen“ außerhalb des Mechanismus der Güterproduktion
steht, von jenem feindlichen Mißverhältnisse frei bleibt. Die Miß-
verhältnisse ergeben sich aber aus dem Prinzip der rein technischen
Arbeitsteilung mit ihrer Begünstigung der Massenerzeugung und des
Großkapitals, welche eine Teilung von Kapital und Arbeit derart
mit sich bringt, daß der Arbeiter für seine Arbeit nicht durch einen
Anteil am Produkte, sondern mit Hilfe der (Geldwirtschaft durch
einen zum Produkt in gar keinem Verhältnisse stehenden Lohn ein
für allemal abgefunden werden kann; zudem ermöglicht der unbe-
schränkte Gebrauch der materiellen Herrschaft die Ausübung einer
vernichtenden Spekulation auf das Eigentum anderer, die schranken-
lose Wertaneignung durch den Stärkeren. Hierdurch ist einmal die
Führung der Volkswirtschaft zum Nutzen wie zum Schaden der
Gesamtheit in die Hand des Großkapitals gegeben, sodann die Lage
der kleinen Besitzer vermöge des Fortschrittes der wirtschaftlichen
Technik und der willkürlichen Spekulation der größeren beständig in
Frage gestellt, endlich ist durch das Lohnsystem ein Stand von Ar-
beitern im Solde des Kapitals geschaffen, der je länger je mehr eine
homogene Klasse und ein eigentümliches Ferment der Gesellschaft
bildet. So stellen sich die großen allgemein zu formulierenden Fragen
heraus: Erstens, welcher Schranken bedarf die Herrschaft des Groß-
kapitals, um eine kulturfeindliche Unterjochung der wirtschaftlichen
Gesellschaft unter dasselbe zu verhindern? Zweitens, wie ist der
Kleinbesitz in seinem Besitzstande zu sichern? und Drittens, welcher
Organisation bedarf der Lohnarbeiterstand, um als ein gesundes
Glied in den Gesellschaftsorganismus eingeführt zu werden?
Dadurch, daß bei der Lösung der sozialen Frage verschiedene
Teile der Gesellschaft eine verschiedene Stellung einnehmen, wird
sie zugleich zu einer Klassenfrage und artet, sofern keine höhere
Macht vermittelt, zu einem Klassenkampfe aus. Darum hat von
den drei überhaupt in Betracht kommenden Mächten, der religiösen
(der Kirche), der moralischen (der Selbsthilfe), der politischen (der
Staatshilfe) die letztere, der Staat, insofern er die Organisation der
wirtschaftlichen und politischen Gesellschaft gleichberechtigter Mit-
glieder bildet, die Initiative sozialer Reformen vermittelst ‚seiner Ge-
setzgebung, Oberaufsicht und Verwaltung zu ergreifen. Während
hierbei die Lösung der beiden ersten Teile der sozialen Frage ver-
hältnismäßig einfach liegen und leicht zu lösen sein werden, bietet die
Organisation des Lohnarbeiterstandes, bei dem es sich um eine neue, in
alle Wirtschaftszweige eindringenden Schicht der Gesellschaft handelt,
ernste Schwierigkeiten. Die Arbeiterfrage ist keine blaße Lohnfrage,
sondern vor allen Dingen eine Frage nach den Garantien der Stel-
lung der Arbeiterklasse innerhalb der Gesellschaft, sie erheischt also
Maßregeln, welche auf die Sicherung und Befestigung dieser Stellung
direkt abzielen. Und zu dem Ende fordert Scheel: die Festsetzung
eines Normalarbeitstages einschließlich des Verbotes der Sonntags-
arbeit, die Einführung einer Alters- und Invalidenversicherung der
Hans von Scheel. 583
Arbeiter (schon 1871!) und die Regelung bezw. das Verbot der Ar-
beit von verheirateten Frauen und Kindern.
Hierneben legte Scheel aus sozialen Gründen besonderen Nach-
druck auf eine Reform der direkten Besteuerung teils durch eine
progressive Einkommensteuer zur stärkeren Belastung der wohl-
habenderen Volksschichten, teils durch eine umfassendere Ausge-
staltung der Erbschäftssteuer als Ausgleichungsmittel gegen die all-
zugroße Anschwellung von Vermögen und gegen eine zu ungleiche
Güterverteilung. Er geht davon aus, daß auch die beiden Säulen
der heutigen gesellschaftlichen Verfassung: Eigentum und Erb-
recht etwas geschichtlich Entwickeltes und Entwickelungsfähiges,
daher nicht bloß in ihrer gegenwärtigen Gestalt berechtigt seien, daß
ihre Reformbedürftigkeit im Sinne der individuellen Willkür, einer
Verengerung des Privateigentums, in dem das Privaterbrecht inbe-
griffen ist, zu Gunsten des Gesamteigentums auch bereits vielfach
— und nicht etwa bloß von sogenannten Kommunisten und Sozialisten
— gefordert ist.
Die Reformbedürftigkeit des rechtlichen Zustandes des Privat-
eigentums ergiebt sich schon daraus, daß mit seiner Ausbildung,
der zunehmenden Unumschränktheit desselben die Möglichkeit der
Vernichtung, aber auch der Vergrößerung und zugleich der Konzen-
trierung des Eigentums wächst, wodurch dann eben die Unter-
schiede in der wirtschaftlichen und deshalb auch in der allge-
meinen gesellschaftlichen Lage der Bevölkerung zunehmen. Es läßt
sich übrigens aus den gegenwärtigen Zuständen keine Begründung
dafür finden, daß zur Erhaltung unserer Kulturerrungenschaften ein
starres Festhalten an den gegenwärtigen Formen von Eigentum und
Erbrecht notwendig sei; zumal wenn man die Fortentwickelung der
Eigentumsordnung in der Richtung sucht, daß einem möglichst
großen Bruchteil der Bevölkerung Anteil am Nationalkapital, sei es
in der Form des Gesamt- oder des Privateigentums gewährt werde.
Daß durch die Verfolgung dieser Richtung wirkliche Kulturerrungen-
schaften nicht in Frage gestellt werden würden, läßt sich in einzelnen
Punkten mit genügender Bestimmtheit nachweisen. So geben uns
hinsichtlich des Eigentums an Grund und Boden gegenwärtig be-
stehende Zustände den Beweis an die Hand, daß die Aufhebung des
Privateigentums daran und die Ueberführung desselben in Staats-,
Gemeinde, oder sonstigen Gesamtbesitz einen volkswirtschaftlichen
Schaden, eine Hemmung und Verminderung der Gütererzeugung
keineswegs zur Folge zu haben braucht. Ebenso steht es hinsichtlich
des Intestaterbrechtes, das jetzt in Bezug auf die weiteren Ver-
wandtschaftsgrade auf einer rein logisch konstruierten Erbfolgeordnung
beruht, die nichts zu thun hat mit dem wirklichen Zwecke des Erbrechtes
— der Erhaltung und Förderung der wirtschaftlichen Existenz der
Familie, vor allem des überlebenden Ehegatten und hier namentlich
der Ehefrau und der noch unselbständigen Kinder, für die ein
ausgedehntes Intestats- und Pflichtteilserbrecht eingesetzt werden
müßte.
584 Paul Kollmann,
Die an diesen Vorstellungskreis anknüpfenden Ausführungen
über die Berechtigung und die Ausgestaltung von Erbschafts-
steuern, die Scheel als eine Beschränkung des Privateigentums
zu Gunsten des gemeinen Besten darstellt, und die geboten ist,
soweit nicht die — durch die gegenwärtige wirtschaftliche Entfaltung
noch dazu bedrohte — engere Familie, d. h. die bei Lebzeiten des
Erblassers wirtschaftlich von ihm abhängigen Verwandten in Frage
kommt, haben in ihrer fein durchdachten Anlage die weiteste Auf-
merksamkeit auf sich gelenkt und zum Verständnisse des Gegen-
standes einen bemerkenswerten Beitrag gewährt. Die Erbschafts-
steuer erschien Scheel übrigens auch berufen, die von ihm als
notwendig anerkannte Reform der Reichsfinanzen durchzuführen.
Das hat er bald nach seinem Fortgange aus Bern, aber im Zu-
sammenhange mit den Studien, die ihn dort vornehmlich beschäftig-
ten, in den Aufsätzen; „Die Erbschaftssteuer als Reichssteuer*
(Lindaus Gegenwart, 1877) und „Wie sind die Matrikularbeiträge
im Deutschen Reiche zu beseitigen?“ (Schmoller’s Jahrbuch für
Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, 1878) darzuthun ver-
sucht. Gleichzeitig hat er damit in der Abhandlung: „Die Volkszahl
als Maßstab für Leistungen der Staaten an das Reich“ (Hildebrand s
Jahrbücher, 1878) sich dahin ausgesprochen, daß in Bezug auf die
wesentlichsten finanziellen Leistungen, die Matrikularbeiträge. die ver-
wendete Gesamtbevölkerung den am wenigsten gerechten Ver-
teilungsmaßstab angebe, da sie nicht bloß die erwerbenden, sondern
auch die aus dem Erwerb anderer enthaltene Bevölkerung begreife.
Gerechterweise hätte man sich an die steuerfähige Bevölkerung zu
halten. Weil aber diese sich nicht genügend durch Zählungen fest-
stellen lasse, würde es darauf ankommen, die ihr näherstehende,
sog. produktive, d. h. die Bevölkerung im Alter von etwa 15 bis
70 Jahren oder, sofern die — damals noch unzulängliche Technik
des Zählungswesens die erforderliche, inzwischen erlangte — Aus-
bildung erhalte, die erwerbsthätige Bevölkerung. Bei Anwendung
einer dieser beiden Arten hat Scheel gegen die Matrikularbeiträge
insoweit nichts einzuwenden, als sie sich in mäßiger Höhe bewegen.
Denn sie entsprechen nach seiner Meinung am meisten dem Charak-
ter des Reiches als Bundesstaat und gewähren den Einzelstaaten
ihre finanzielle Selbständigkeit, sind auch bei bescheidener Ausdehnung
nicht für deren Haushalt bedenklich. Wohl aber, wenn die Reichs-
bedürfnisse zur Deckung der aus der eigenen Einnahme verbleiben-
den Fehlbeträge erhebliche Rückgriffe auf die Einzelstaaten nötig
machen, erzeugen die Matrikularbeiträge eine drückende Last bei
den Einzelstaaten und werden für deren Finanzverwaltungen gerade-
zu unerträglich. Und je mehr die Reichserfordernisse an Ausdehnung
zunehmen, um so mehr ist eine Finanzreform auf anderer zweckmäßiger
Grundlage geboten, doch mit der Maßgabe, daß die Matrikulärbeiträge
nicht ganz beseitigt werden, da das Reich beweglicher Einnalıme be-
darf; vielmehr sind sie als Ergänzungseinnahmen zu behalten und ist
nur für den größeren Bedarf Ersatz zu schaffen. Als Grundlage hierfür
Hans von Scheel. 585
kann aber die Reichseinkommensteuer nicht angesehen werden : sie
greift zu sehr ein ins Steuersystem der Einzelstaaten, gefährdet ihre
Selbständigkeit und vermehrt noch den Steuerdruck, der schon bei
dem Nebeneinanderbestehen von staatlichen und kommunalen Ein-
kommensteuern sich geltend macht. Dagegen empfiehlt sich die
Reichserbschaftssteuer als geeignetes Auskunftsmittel, schon weil sie
bisher in den Einzelstaaten wenig entwickelt ist und sich leicht aus
dem landesstaatlichen Steuersystem ausscheiden läßt, dann aber
auch, weil sie bei geeigneter Anlage und namentlich bei — wenn
auch selbstverständlich nur ganz geringfügiger — Belastung der
Descendenten in hohem Grade ertragsfähig ist.
So gedeihlich die schriftstellerische wie die lehramtliche Wirk-
samkeit Scheels in Bern war, sehnte er sich doch in die deutsche
Heimat zurück und ergriff bereitwillig die sich ihm darbietende
Gelegenheit, im Frühjahr 1877 als Regierungsrat und Mitglied in
das kaiserliche statistische Amt zu Berlin und damit in die praktische
Dienstthätigkeit einzutreten. Er hat diesem Amte seit 1882 als
Geheimer Regierungsrat und seit 1891 nach Beckers Abschied als
dessen Direktor, von 1894 an unter Beförderung zum Geheimen
Oberregierungsrat, bis zu seinem Lebensende angehört. Nur
einmal drohte sein Fortgang. Als nämlich Georg Mayr, der
Leiter des königlich bayerischen statistischen Bureaus, zum Unter-
staatssekretär von Elsaß-Lothringen ausersehen war, wurden für
dessen Nachfolgerschaft Verhandlungen mit Scheel angeknüpft.
Diese zerschlugen sich indessen, als infolge vorzeitiger Verlaut-
barungen sich entrüstete Stimmen gegen die beabsichtigte Berufung
des Kathedersozialisten nach Bayern erhoben. So blieb der tüchtige
Mann, nicht zum Schaden der Sache, seinem größeren Wirkungskreise
erhalten.
Auch in Berlin lag Scheel, zumal in den ersten Jahren, trotz
der größeren Anforderungen des Amtes, eifrig der privaten schrift-
stellerischen Thätigkeit ob. Einmal gab er Uebersetzungen heraus:
Aus dem Französischen: von Maurice Block’s „Handbuch der
Statistik“, erweitert zugleich als Handbuch der Statistik des
Deutschen Reiches (1879), aus dem Englischen: John Ingrams
„Die notwendige Reform der Volkswirtschaftslehre“ (1879), aus dem
Italienischen : Heinrich Morsellis „Der Selbstmord“ (1881).
Für Schönberg’s Handbuch der politischen Oekonomie (4. Auf-
lage, 1896—98) lieferte er: „Die politische Oekonomie als Wissen-
schaft“, „Sozialismus und Kommunismus“, „Die Statistik als Teil
der Verwaltung“, „Die Erwerbseinkünfte des Staates“, „Die Be-
völkerungslehre; für das Handwörterbuch der Staatswissenschaften
(2. Auflage, 1898—1901) die Artikel: Brotpreise, Eigentum, Erbrecht,
Handelsbilanz, Handelsstatistik, Kriminalstatistik, Persönliche Dienst-
leistungen, Volkszählungen. Auch in der Biblioteca economista (Rom)
sind — übersetzt durch L. Eusebio — von ihm an Beiträgen
erschienen: „Storia della economica politica, Socialismo e communismo“
(1884); „Le entrate acquisizionale dello Stato“ (1887); „Statistica
586 | Paul Kollmann,
del commercio estera de territorio doganale tedesco dal 1880. Vor-
nehmlich lehnten sich jetzt aber seine Veröffentlichungen mehr oder
minder an das an, was mit seinen dienstlichen Arbeiten im Zu-
sammenhange stand. Sie betrafen: „Gesetz über die Statistik des
Warenverkehrs des deutschen Zollgebietes mit dem Auslande vom
20. Juli 1879* (1890), „Hauptzahlen der deutschen Handelsstatistik
für das Jahr 1880“ (1881) und für die Jahre 1880/87 (1859),
„Bemerkungen zur landwirtschaftlichen Statistik, insbesondere zur
Verschuldungsstatistik* (1884), „Die Bevölkerung des deutschen
Reiches nach dem Berufe“ (1886), „Zur Statistik der Brotpreise*
(1887), „Die deutsche Berufs- und Betriebszählung vom 14. Juni
1895“ (1898), „Die Ergebnisse der deutschen Kriminalstatistik,
1882—1899“ (1901) — sämtlich in Hildebrand’s Jahrbüchern
für Nationalökonomie und Statistik, „Die deutsche Handelsstatistik“
(1882), „Die landwirtschaftlichen Betriebe im Deutschen Reiche“ (1887),
„Die Berechnung der Handelsbilanzen“ (1889), „Die amtliche Arbeiter-
statistik im Deutschen Reiche“ (1899) — in der Zeitschrift für die
gesamte Staatswissenschaft, „Die Volkszälung im Deutschen Reiche
am 1. Dezember 1880“ (1880), „Der Selbstmord und die moderne
Civilisation“ (1881), „Die Frage der Handelsbilanz“ (1883), „Das
Recht auf Arbeit“ (1555), „Die neue Sozialgesetzgebung des Deut-
schen Reiches“ (1587), „Die Alters- und Invaliditätsversicherung der
Arbeitnehmer in Deutschland: (1888) — in „Unsere Zeit“, „Zur
Einführung in die Kriminalstatistik, insbesondere diejenige des
Deutschen” Reiches“ (1890), „Zur Technik der Kriminalstatistik in
Deutschland und Italien“ (1890) in Mayr’s Allgemeinem Statistischen
Archiv, „Das Wachstum der Städte im Deutschen Reiche* (1879), „Wie
wird Statistik gemacht?“ (1877), „Die Krisis und die Bevölkerungs-
bewegung in Deutschland“ (1878) — in Lindau’s „Gegenwart“,
„Das Recht und die Pflichten des ländlichen Grundeigentums*
in Thiel’s landwirtschaftlichen Jahrbüchern, „Die Waldschutzfrage
vom Standpunkte der Volkswirtschaftspolitik* (1876) — in Grunert
und Leos forstlichen Blättern. Dazu kommt noch als letzte
größere — auf Veranlassung des Kaisers wie auf Wunsch des
Reichstages unternommene amtliche — Veröffentlichung: „Die
deutsche Volkswirtschaft am Schlusse des 19. Jahrhunderts“ (1900).
In allem, was Scheel herausgab, tritt eine scharfsinnige,
überzeugende Klarheit entgegen. Er wußte stets den springenden
Punkt in den Vordergrund zu stellen, ging geraden Weges auf sein
Ziel los, ohne sich viel um Nebendinge zu kümmern. Einen großen
gelehrten Apparat anzubringen, verschmähte er. Dabei besaß er
eine bewundernswerte Knappheit der Darstellung. Und wenn er
auch keineswegs immer eine elegante Ausdrucksweise hatte, ja
mitunter sich in burschikosen Wendungen gefiel, verstand er zu
packen und einen leichten Ueberblick zu gewähren. So hat er denn
auch niemals dickleibige Bücher verfaßt; selbst seine inhaltsreichen,
tief durchdachten Entwickelungen der sozialen Frage sind nur von
ganz bescheidenem Umfange, Wohl gerade deshalb hat er den
Hans von Scheel. 587
Erfolg gehabt, daß seine Schriften einen weiten Leserkreis gefunden
haben und gerne studiert wurden. Wie er auch in der Beurteilung
der litterarischen Leistungen anderer sich an das Wesentliche hielt,
haben besonders seine Recensionen gezeigt, welche er in jüngeren
Jahren häufig schrieb und welche dazu beitrugen, nicht nur seinen Namen
bald bekannt zu machen, sondern ihn auch wegen seiner scharfen
Feder als einen zu beachtenden Kritiker erkennen ließen. Diese
Eigenschaften einer klaren, gedrungenen Darstellung, einer scharfen
Beurteilungsgabe, eines leichten Orientierungsvermügens in Ver-
bindung mit einer ausgezeichneten staatswissenschaftlichen Schulung
ließen ihn für den Beruf eines amtlichen Statistikers hervorragend
befähigt erscheinen.
Als Scheel 1877 in das Kaiserliche statistische Amt eintrat,
hatte dieses seine anfängliche Entwickelungsstufe überschritten und
schickte sich an, den Kreis seiner Thätigkeit in erheblichem Umfange
zu erweitern, zu welchem Ende den bisherigen beiden eine dritte
Ratsstelle hinzugefügt war. Namentlich galt es, der Handelsstatistik
durch unmittelbare Bearbeitung der von den Grenzzollämtern be-
wirkten Anschreibungen eine umfänglichere und zugleich für das
beteiligte Geschäftspublikum nutzbringendere und schneller die Ver-
öffentlichung der Ergebnisse zulassende Einrichtung zu geben, wo-
durch ein Personalbestand von mehr denn hundert rechnerischen
Kräften geboten war. Im Zusammenhang hiermit, insbesondere
zwecks Ermittelung der Handelswerte, stand die Erhebung der Waren-
preise. Diese wichtigen Aufgaben vorzubereiten und fernerhin zu
bearbeiten, fiel als nächster Zweig Scheel zu, dem hierbei
von vornherein möglichste Selbständigkeit gelassen war. Außer-
dem gehörte als erheblichster Gegenstand zu seinem Decernat die
landwirtschaftliche Statistik, bis er darin später durch Schumann
abgelöst wurde. Sie brachte ihm die Bearbeitung der — bereits vor ihm
entworfenen — beiden großen Aufnahmen über die landwirtschaft-
liche Bodenbenutzung von 1878 und 1883 und der Ernteermittelungen,
ferner der nach seinen Vorschlägen umgestalteten Viehzählung von
1883. Beteiligt war er auch an der Einführung der dem Dienst-
bereiche des Kaiserlichen Gesundheitsamtes angehörigen Viehseuchen-
statistik. Daneben lief noch eine Reihe von Gegenständen her, die
teils, wie die Statistik der Auswanderungen und der natürlichen Be-
völkerungsbewegung von geringerem Umfange waren, teils sich auf
vorübergehende Obliegenheiten erstreckten. So wurde Scheel mit
dem Entwurfe für die Volkszählung von 1880 betraut und zu der
Darstellung einzelner Abschnitte der großen Berufs- und Gewerbe-
zählung, welche in erster Linie von dem Direktor Becker behandelt
ward, hinzugezogen. Ganz besonders aber waren es zwei Gebiete,
die infolge neuer gesetzgeberischer Reformen unter Scheel’s her-
vorragender Mitwirkung in den Kreis der Reichsstatistik eingefügt
und von ihm als Referenten nachgehends bearbeitet wurden: die
Krankenversicherungs- und die Kriminalstatistik; bezüglich der letz-
588 Paul Kollmann,
teren zumal hat Scheel Tüchtiges geleistet und die Fortbildung der
schwierigen Materie in anerkannter Weise gefördert.
Das große Geschick, mit dem Scheel seinen Obliegenheiten ge-
recht wurde und dadurch an seinem Teile zur Erhöhung des An-
sehens der Leistungen des statistischen Amtes beitrug, dazu die ihm
eigene ungewöhnliche Arbeitskraft ließen ihn bald als das hervor-
ragendste und einflußreichste Mitglied erkennen und machten ihn
mehr und mehr zur Stütze des später auch leidenden Direktors.
Als diesen dann 1891 sein Gesundheitszustand zum Rücktritt nötigte,
konnte als Nachfolger, wofern solcher dem statistischen Amte selbst
entnommen werden sollte, wohl kaum jemand anders als Scheel in
Betracht kommen. Es trat denn auch von vornherein zu Tage, daß
mit ihm die richtige, den großen Aufgaben der Reichsstatistik ge-
wachsene Persönlichkeit berufen war. Nicht nur harrte seiner die
Lösung neuer Aufgaben, auch für die bereits bestehenden kam es
darauf an, sie den Forderungen der Zeit in höherem Grade nutzbar
zu machen. Namentlich mußte man erwarten, daß die publizistische
Behandlungsweise seines Vorgängers, wie sie mit dessen ganzer Auf-
fassungsweise von den Erfordernissen und Zielen der statistischen Thätig-
keit zusammenhing, mehr den praktischen Bedürfnissen der Oeftent-
lichkeit Rechnung trugen. Eine gewisse Einseitigkeit in dieser Be-
handlung war bei Becker nicht abzuleugnen. So Treflliches er ge-
schaffen, soviel er zumal zur Ausgestaltung des Volkszählungswesens
beigetragen und so geeignet er sich erwiesen hat, dem verzweigten
Wirkungsbereiche einer statistischen Reichscentrale vorzusteben,
trugen seine Veröffentlichungen doch zu sehr etwas Schulmäfiges
an sich, waren auf ganz bestimmte, mehr formale Ziele zugeschnitten
und entbehrten oftmals der lebensvollen Darlegung,. welche die auf
die Vermittelung der Erkenntnis der gesellschaftlichen Vorgänge
berechneten statistischen Mitteilungen und Untersuchungen wünschen
lassen. Nach seinem wissenschaftlichen Lehrgange von Haus aus
Mathematiker, war ihm vorzugsweise daran gelegen, die Zahlengrößen
als solche ins Auge zu fassen, ihren regelmäßigen oder abweichenden
Verlauf. ihre Entstehung und äußeren Werte abzuwägen. Dahin-
gegen vermochte er sich mit der sachlichen Bedeutung der ermittelten
Erscheinungen, mit den Ursachen, welche sie gezeitigt hatten, weniger
zu befreunden. Insbesondere lag ihm, schon vermöge unzulänglicher
Durchbildung, die mehr und mehr Berücksichtigung erfordernde Be-
urteilung der volkswirtschaftlichen Vorgänge ferner. So ließ in dieser
Hinsicht die schließliche Bearbeitung der von ihm vortrefflich vor-
bereiteten und zusammengestellten Berufs- und Gewerbezählung von
1882, soweit sie von ihm selbst herrührte, die feinere Ausbeutung
der zahlenmäßigen Ergebnisse vermissen. Nach dieser Seite Abhilfe
zu schaflen, erkannte aber Scheel als seine nächste Aufgabe, und
er hat von Anfang an darauf hingewirkt, daß auch die sachliche
Würdigung der erhobenen Thatsachen in einer dem Stande der
Wissenschaft entsprechenden Gestalt zu ihrem Rechte kam. Dazu
Hans von Scheel. 589
bestimmte ihn schon seine Anschauung, welche er vor dem Wesen
und der Aufgabe der amtlichen Statistik hatte.
Die Statistik als Aeußerung der Verwaltungsthätigkeit hat nach
ihm den Zweck, Erscheinungen des Volkslebens, seien sie wirt-
schaftlicher oder sonst bedeutsamer Natur, welche von den Organen
der öffentlichen Verwaltung nicht durch persönliche Kenntnisnahme
zu übersehen sind, durch ziffermäßige Darstellung auf Grund von
Zählungen zur Anschauung zu bringen. In der Unzulänglichkeit
persönlicher Wahrnehmungen liegt die Rechtfertigung der statistischen
Aufnahmen (Zählungen) zu Verwaltungszwecken. Die schon der all-
gemeinen und gleichmäßigen Durchführung wegen fast ausschließlich
von den Trägern der öffentlichen Gewalt ausgehenden Aufnahmen
werden auch in erster Linie um deren eigener Bedürfnisse willen in
Reich, Staat, Bezirk, Gemeinde beschafft. So handelt es sich, wie
es wenigstens bei uns in Deutschland oftmals zum Schaden der
Sache hingestellt ist, bei den statistischen Erhebungen keineswegs
um ganz besondere Ziele, um Entdeckung unbekannter Wahrheiten,
um Zwecke der Statistik an und für sich. Vielmehr hat diese keinen
eigenen Zweck, für welche Bevölkerung und Behörden herangezogen
werden dürfen, sondern sie ist ein notwendiges Glied der Verwaltung
und in zweiter Linie erst Hilfsmittel der Wissenschaft. Darum hat
ihr nächstes Ziel zu sein: durch systematisch richtig geordnete Auf-
zeichnungen und Zusammenstellungen Zahlenreihen zu erlangen,
welche das Bedürfnis der Verwaltung nach objektiver Kenntnis der
betreffenden Verhältnisse befriedigen, und die Kunst des Verwaltungs-
statistikers besteht darin, daß dies Ziel mit dem kleinsten Aufwand
von Arbeit aller mitwirkenden Faktoren und von Kosten erreicht wird.
Von den beiden hauptsächlichen Seiten der amtlichen statistischen
Thätigkeit, der Erhebung des Urmaterials und der Gewinnung der That-
sachen aus jenem gab Scheel in ersterer Beziehung, soweit es sich um
allgemeine, die ganze oder gewisse Teile der Bevölkerung gerichtete Auf-
nahmen sich handelte, bezahlten Agenten den Vorzug, welche unmittel-
bar unter und mit der statistischen Sammelstelle verantwortlich arbeiten,
auch deshalb, weil bei ihrer Mitwirkung die Einrichtung am ehesten
so getroffen werden kann, daß das Publikum möglichst wenig in An-
spruch genommen wird. Das letztere erschien ihm um so bedeutungs-
voller, je mehr gegenwärtig das Erfordernis solcher allgemeinen Auf-
nahmen vorliegt. Aus diesem Grunde verwarf er auch die Individual-
zählkarte bei Volkszählungen, weil er sie als eine Abwälzung von
Arbeiten, die den statistischen Stellen zukommen, auf das Publikum
ansah, insofern nämlich dadurch aus der für die Ausmittelung un-
gezeignete Zählungsliste die Abschriften der Eintragungen auf leichter
verwendbare Blättchen erspart wurden — eine Auffassung, die aber
gerade im Hinblick auf die Häufigkeit größerer Zählungen und die
dadurch an die statistischen Aemter herantretenden umfänglichen Auf-
gaben schon wegen der Verzögerung, welche die Herstellung der
Ergebnisse erleidet, keineswegs überall geteilt wird. An die sogen.
Aufbereitung des Urmaterials und die darauf sich gründenden Nach-
590 Paul Kollmann,
weisungen der Thatsachen stellte Scheel weitgehende Anforderungen.
Nicht bloß verlangte er für die Quellenwerke eine übersichtliche,
leicht faßliche Darstellung durch tabellarische Uebersichten und durch
Ausführungen über die Entstehung und den formalen Wert ihres
Inhaltes, sondern auch auf die sachliche Bedeutung der Ergebnisse,
auf das Bezeichnende an den beobachteten Erscheinungen für das
gesamte Kulturleben und zumal, seiner besonderen Neigung ent-
sprechend, für die volkswirtschaftliche und soziale Entfaltung, endlich
auf die ursächlichen Kräfte, die die Erscheinungen hervorgerufen
haben, sollte tiefer eingegangen und in einer Weise zur Anschauung
gebracht werden, daß ebenso sehr die Öffentliche Verwaltung als die
praktische Verkehrswelt und die Wissenschaft daraus den größt-
möglichsten Nutzen ziehen können. Und weil das Studium der
Quellenwerke wegen ihrer etwas schwerfälligen Art immer bloß
einem beschränkten Kreise von Interessenten zugänglich bleibt, er-
schien es ihm von Belang, daß auch dem weiteren Publikum die
wichtigsten Ergebnisse in geeigneter Gestalt durch die Tagespresse
zugänglich gemacht werde; daher er denn auch dafür sorgte, dal
jeder seiner Referenten, welcher einen Gegenstand zum Druck in
dem amtlichen Veröffentlichungsorgan fertiggestellt hatte, daraus
einen kurzen, beredten Auszug für die Zeitungen vornahm. Von
allen Mitteilungen der amtlichen Statistik und so bei denen seines
Amtes verlangte Scheel an erster Stelle, als die unerläßliche Vor-
aussetzung einwandsfreie Vorführung der erhobenen Thatsachen, rein
sachliche Darstellung, welche jede persönliche Färbung ausschloß.
Weil nun die nutzbringende Erfüllung aller der Aufgaben, die der
amtlichen Statistik zufallen, eine enge Fühlung mit dem Volksleben
wie eigenartige, vielseitige Kenntnisse und Befähigung voraussetzen,
so trat Scheel einerseits für die Errichtung von statistischen
Aemtern auch für kleinere Gebietsabschnitte größerer Staaten ein,
welche dem zu beachtenden Gebiete für die Erhebung wie für die
Darstellung der Thatsachen näherstehen, andererseits stellte er an
die Leiter und oberen Beamten eine das gewöhnliche Maß über-
steigende volkswirtschaftliche Bildung, umfassende sprachliche Kennt-
nisse und schriftstellerische Veranlagung.
Hat sich in diesem Sinne Scheel über „die Statistik als Teil
der Verwaltung“ theoretisch geäußert, zielte auch sein Absehen dahin,
den ausgesprochenen Grundsätzen gemäß die praktische Handhabung
des Dienstes der ersten und größten statistischen Stelle Deutsch-
lands zu gestalten. Durch ein feines Verständnis für die An-
forderungen seiner Zeit hat er unablässig auf eine von Reichswegen
vorzunehmende entsprechende Erweiterung des Erhebungsgebietes
hingewirkt, dabei für eine gründliche Vorbereitung und Anlage des
Erhebungswerkes gesorgt und zu oberst die möglichst vielseitige und
erschöpfende Schilderung und Würdigung der erhobenen Größen ver-
anlaßt. Gewiß zeichneten sich auch bereits unter Karl Becker die
Leistungen des Kaiserlichen statistischen Amtes durch äußerste
Gründlichkeit und Sorgfalt der Behandlung aus. Wie aber bei ihm
Hans von Scheel. s 591
die Arbeiten ihren Höhepunkt vornehmlich in der mathematischer
Untersuchung besonders zugänglichen Bevölkerungsstatistik und so
in der schwierigen Berechnung von Sterbetafeln fanden, wies den
einstigen nationalökonomischen Hochschullehrer Scheel seine wissen-
schaftliche Ausbildung an erster Stelle auf die volkswirtschaftliche
und sozialpolitische Beurteilung der Erscheinungen hin. Damit aber
ist er gegenüber den bewegenden Zeitfragen den Bedürfnissen der
großen, an der Statistik interessierten Menge mehr entgegengekommen
und hat in erhöhtem Maße die Aufmerksamkeit auf die Forderungen
der Reichsstatistik hingelenkt, hat er zugleich das Verständnis und damit
die Verwendung ihrer Ergebnisse für die Zwecke der Verwaltung, der
Wissenschaft und des geschäftlichen Lebens in einem bisher unbekannten
Grade verallgemeinert. Dagegen stand er dem, was sein Vorgänger
mit Vorliebe gepflegt hatte, also besonders der Bevölkerungsstatistik
und ihrem feineren Ausbau mit Hilfe der politischen Arithmetik kühl
gegenüber. Sind sonach Becker und Scheel in der Art ihrer Be-
thätigung wie in der Richtung ihrer Ziele verschieden : angesehene,
verdienstvolle Statistiker waren beide, nur daß der jüngere besser
die Anforderungen seiner Zeit begriff und als der umfassender ge-
bildete auch den Schöpfungen seines Amtes einen noch volleren und
ausgiebigeren Gehalt zu verleihen wußte. Doch auch, wie bereits
Friedrich Zahn in seinem anziehenden Vortrage über „Hans
v. Scheel und die Reichsstatistik“ hervorgehoben hat, steht dieser
einem weiteren unzweifelhaft ausgezeichneten Fachgenossen, Ernst
Engel, mit dem er noch gleichzeitig in Berlin wirkte, ebenbürtig
zur Seite. Aber ebenfalls von ihm unterschied er sich in bemerkens-
werter Weise. War Engel, wie es einst Scheel selbst dem Ver-
fasser dieser Zeilen gegenüber anerkannt hat, ohne Frage der geist-
vollste unter den zeitgenössischen Statistikern, der durch sein glän-
zendes Organisationstalent wie durch seine geistige Regsamkeit nicht
nur eine nachhaltige Anregung gegeben, sondern auch das statistische
Arbeitsfeld außerordentlich erweitert und ergiebiger bestellt hat, so
besaß er doch die einem amtlichen Statistiker leicht bedrohlich wer-
dende Gabe einer überreichen Einbildungskraft, die ihn oftmals ver-
leitete, statt die Ergebnisse aus den gegebenen zahlenmäßigen Unter-
lagen herauszulesen und zu deuten, sie aus seinem Vorstellungskreise
in bestechender Gestalt auszumalen. Scheel hingegen befleißigte sich
jener nüchternen und objektiven analytischen Betrachtung, die sich
eng an die erhobenen Thatsachen hielt und die darum zu einer ver-
trauenswürdigeren und lehrreicheren, wenn auch wohl minder an-
mutigen Verwertung des Stoffes führte. Diese strenge Sachlichkeit in
der Behandlung der statistischen Arbeiten, die Scheel’s ganzer
Natur eigen war, hat vornehmlich dazu beigetragen, die öffentliche
Achtung vor der Thätigkeit des statistischen Reichsamtes und seines
Leiters zu befestigen.
Allerdings ließ es der außerordentlich angeschwollene Aufgaben-
kreis der statistischen Centrale des Reiches nicht mehr zu, daß der
Direktor selbst die Bearbeitung einzelner Zweige persönlich über-
592 Paul Kollmann,
nahm. Er mußte sich in der Hauptsache auf die obere Aufsicht
über den ausgedehnten Dienstbetrieb beschränken. Dabei wurde
sein entschiedenes, aber zugleich wohlwollendes Wesen, das den
Anliegen und Vorstellungen Untergebener wie Außenstehender be-
reitwillig entgegenkam, angenehm empfunden. Scheel war eben
durchaus keine bureaukratisch-zugeknöpfte Natur und stach darin
vorteilhaft von der kurz angebundenen, dazu leicht aufbrausenden
Art Becker's ab, in dem sich immer der einstige Berufsoffizier offen-
barte. Seinen Mitarbeitern ließ er möglichst freien Spielraum und
hob dadurch ihre Arbeitsfreudigkeit und die Neigung, daß sie sich
in den zu behandelnden Stoff vertieften. Immer aber behielt er den
Zügel in der Hand und nahm oftmals und namentlich bei schwierigeren
und größeren Aufgaben an deren Fortgang eingehenden Anteil, indem
er ihre Lösung durch seinen bewährten Scharfblick und seine um-
fassenden Kenntnisse unterstützte. Viel hielt er auf die nutzbringende
Verwertung des verfügbaren statistischen Materials, ließ darum be-
reitwilligst Ansuchenden, waren dies nun einzelne Personen oder Be-
hörden des In- wie des Auslandes, die gewünschten Nachweisungen
zugehen. Namentlich war er aber darauf bedacht, die amtlichen
Mitteilungen in prompter Weise der Oeffentlichkeit zugänglich zu
machen. Von besonderer Bedeutung für die Geschäftswelt war in
dieser Beziehung die Veranstaltung „der monatlichen Nachweise über
den auswärtigen Handel des deutschen Zollgebietes“, welche in der
erreichbar frühesten Zeit die Ein- und Ausfuhrverhältnisse in zweck-
mäßiger Uebersicht zur allgemeinen Kenntnis brachten. Ebenso
sind von ihm die halbmonatlichen Nachrichten über den deutschen
Getreide- und Mehlverkehr mit dem Auslande und die Monatsberichte
über den Saatenstand, welche beide im „Reichsanzeiger“ erscheinen,
ausgegangen. Endlich begründete er für die kleineren Veröftent-
lichungen die „Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reiches“.
Auch für die Vervollständigung des schon vor seinem Direktorat
ins Leben gerufenen „Jahrbuchs“, welches zur Aufnahme der Haupt-
ergebnisse aller zur Darstellung geeigneten Gegenstände der Reichs-
statistik bestimmt ist, war er eifrig bestrebt. So hat er noch kurz
vor seinem Ende durch Verständigung mit den landesstatistischen
Aemtern sich bemüht, noch gewisse außerhalb des Bereiches der
Reichsstatistik liegenden Gebiete, wie die Finanzlage der Einzel-
staaten, das Volksschul- und das Sparkassenwesen, nach einheitlichen
Gesichtspunkten für das „Jahrbuch“ heranzuziehen und damit wieder-
holt in der Presse geäußerten Wünschen zu entsprechen. Die Durch-
führung der noch in der Schwebe befindlichen Angelegenheit hat er
jedoch seinem Nachfolger überlassen müssen.
Von den einzelnen Zweigen der Reichsstatistik, welche unter
Scheel’s Leitung eine bemerkenswerte Ausbildung erfahren haben
oder neu hinzugekommen sind, ist, soweit im Kaiserlichen statisti-
schen Amt unmittelbar das Urmaterial einläuft und bearbeitet wird
vor allen Dingen der Handelsstatistik Erwähnung zu thun. Auf
deren brauchbare Ausbildung war Scheel eifrig bedacht zumal in
Hans von Scheel. 593
der Richtung, daß die aus den Nachweisungen der Grenzzollstellen
nach Warengattungen, Menge oder Gewicht, Herkunfts- und Be-
stimmungsländern zu beschaffenden Uebersichten der Ein- und Aus-
fuhr in richtiger Weise die Freihafengebiete einbezogen und deren
Verkehr bloß auf die in ihnen erzeugten Waren beschränkt, im
übrigen aber auf die Ein- und Ausfuhrländer verteilt wird. Auch
lieh er gern seine Hand, das statistische Warenverzeichnis mehr
den geäußerten Bedürfnissen des Geschäftslebens anzupassen und
befaßte sich eingehend mit der zutreffenden Feststellung der
Handelswerte, namentlich ob statt oder neben der jetzigen Ermitte-
lung von Einheitswerten durch Sachverständige eine allgemeine
Wertsangabe bei der Versendung über die Grenze einzutreten habe.
Die handelsstatistische Thätigkeit des Reichsamtes wurde während
seiner Geschäftsführung wiederholt zu den vorbereitenden Arbeiten
für den Abschluß neuer Handelsverträge verwertet. Für diese Zwecke
ließ er als bedeutsame Erkenntnisquelle das „der auswärtige Handel
des deutschen Zollgebietes nach Herkunfts- und Bestimmungsländern
in den Jahren 1880—1896* betitelte Werk und als Ergänzung dazu
eine Statistik herstellen, welche die gleichen Erscheinungen für die
ausländischen Vertragsstaaten darzuthun hatte. Weiter verbesserte
er die bestehenden Einrichtungen der Branntwein- und Zuckerstatistik.
Dann aber wurde unter seiner Leitung und auf Vorschlag des Reichs-
amtes die Konkursstatistik begründet und weiter eine Strikestatistik
veranstaltet. Ebenfalls an den Vorarbeiten für die Reform des
Handwerks hatte das Kaiserliche statistische Amt mitzuwirken da-
durch, daß es 1895 mit der Anlage und Aufbereitung einer Stich-
probenerhebung der Handwerkerverhältnisse beauftragt wurde.
Weitreichend war der Anteil, den Scheel an der Begründung
wie an der fortlaufenden Thätigkeit der Reichskommission für Ar-
beiterstatistik hatte. Denn die durch jene zur Erkenntnis der Lage
der Arbeitsnehmer und zur Herbeiführung von Schutzvorkehrungen
gesammelten Unterlagen wurden unter persönlicher Beteiligung des
Direktors im reichsstatistischen Amte zusammengestellt. Je mehr
er nach seiner ganzen wissenschaftlichen Richtung von der Bedeutung
einer derartigen, im Interesse der sozial tieferstehenden Klassen
geschaffenen Einrichtung erfüllt war, um so mehr widmete er sich
ihren Aufgaben, um so mehr lag ihm aber auch ihre Ausbildung zu
einem mit den Bürgschaften wirklich gedeihlicher Entfaltung aus-
gerüsteten Organs am Herzen. Allerdings wünschte er nicht nach
dem Vorbilde anderer Kulturstaaten ein schon wegen des bundes-
staatlichen Charakters des Reiches unzuträgliches Reichsarbeitsamt als
politische Aufsichtsbehörde, als vielmehr ein eigenes Amt für Arbeiter-
statistik, dem die gesamte Materialbeschaffung für die Arbeitergesetz-
gebung, die Beobachtung ihrer Wirkungen und Vorschläge für Re-
formen zuzufallen habe. In einem, wenigstens einstweilen noch, be-
schränkten Maße ist das, was er empfahl, unmittelbar nach seinem
Tode zur That geworden, insofern die bisherige Kommission für
Arbeiterstatistik als „Beirat“ in organische Verbindung mit dem
Dritte Folge Bd. XXIII (LXXVIII). 38
594 Paul Kollmann,
statistischen Reichsamte gebracht und hierfür eine besondere Ab-
teilung unter seinem Nachfolger errichtet ist.
Außer denjenigen Gegenständen statistischer Feststellung, welche
in der Reichscentrale von Anfang bis zu Ende ihre Behandlung finden,
gehörte zu deren Obliegenheiten — und ihrer Zahl nach in der Mehr-
heit — die schließliche Bearbeitung solcher, deren Erhebung, Auf-
bereitung und Zusammentragung nach einheitlichem, vom Bundesrate
vorgeschriebenen Verfahren von den Einzelstaaten zu geschehen hat.
Einen wesentlichen Teil dieser Veranstaltungen machen die großen
Aufnahmen aus, welche sich unter Aufgebot eines zahlreichen Zähler-
personals an die ganze Bevölkerung oder an gewisse ihrer Klassen
wenden. Selbstverständlich erheischen sie stets eine besonders sorg-
fältige Vorbereitung, um sowohl die thunlichst vollkommene Erhe-
bung der zu sammelnden Thatsachen als die übereinstimmende Durch-
führung des Verfahrens in den einzelnen Bundesstaaten zu erreichen.
Regelmäßig geschah das durch Konferenzen von Vertretern der Reichs-
statistik und der landesstatistischen Aemter unter dem Vorsitze des
Direktors der ersteren. Gerade bei dem, was es hierbei zu erledigen
galt, hat sich Scheel als die geeignete Kraft erwiesen. Die Vor-
lagen des Kaiserlichen statistischen Amtes waren stets mit gründ-
licher Beherrschung des Gegenstandes und in richtiger Erkenntnis
der zu bewältigenden Schwierigkeiten ausgearbeitet, und gaben einen
geeigneten Boden für die Beratung ab. Daß dabei, wenn auch weniger
grundsätzlich als um der verschiedenen Einrichtungen und Bedürf-
nisse der Einzelstaaten willen, die Ansichten weit auseinander gingen,
daß insbesondere die Wünsche der Reichsstatistik nach eingehenderen
Feststellungen mit den vielfach spärlich bemessenen Mitteln der landes-
statistischen Aemter in Widerspruch gerieten, war unausbleiblich.
Da aber bemühte sich das seltene Geschick des Vorsitzenden, die
bestehenden Gegensätze auszugleichen. Ohne das oftmals herrische
und schroffe Auftreten seines Vorgängers Becker hervorzukehren,
kam es ihm nicht darauf an, durchaus auf seiner Meinung zu be-
stehen. Wo er sich von den entgegenstehenden Hindernissen oder
Unzuträglichkeiten überzeugte, gab er bereitwillig nach und verband
sich damit seine Kollegen, die, je mehr sie mit ihm tagten, um so
mehr sich auch bereit zeigten, den berechtigten Anforderungen der
Reichsstatistik zu entsprechen.
Obgleich Scheel kein Redner war, vertrat er doch seine Sache
mit Umsicht und leitete die Verhandlung in förderlicher Weise. Be-
sonders glücklich war er, im Augenblick den richtigen Ausdruck zu
finden und einem in der Debatte aufgetauchten verwertbaren Ge-
danken die geeignete Form zu geben. So konnte es nicht ausbleiben,
daß aus der sachlich gründlichen wie persönlich wohlwollenden Be-
handlung der Konferenzberatungen von seiten Scheel’s nicht allein
für ihn, sondern auch für die Ausbildung der gemeinsamen deutschen
Statistik schöne Erfolge sich ergaben.
Aus den zahlreichen Errungenschaften, die ihm in erster Linie
zu danken sind, seien hier nur einige besonders wichtige hervor-
Hans von Scheel. 595
gehoben. Die Bevölkerungsstatistik ist in der Richtung ausgebaut
worden, daß die im Hinblick auf die meisten europäischen Staaten
stark zurückgebliebenen Ermittelungen der Bevölkerungsbewegung
(Eheschließungen, Geburten, Sterbefälle) auf breiterer Grundlage an-
gelegt wurden. Auch die Volkszählungen, wenn schon ihre Anlage
keine wesentlichen Aenderungen erfuhren, sind durch eingehendere
Verwertung des erhobenen Materials, so noch zuletzt in Bezug auf
den Zusammenhang von Wohn- und Arbeitsort der berufsthätigen
Bevölkerung, auf den Geburtsort, auf die Zusammensetzung der
Haushaltungen gründlicher ausgenutzt worden. Viel ist für die zweck-
mäßigere Gestaltung der landwirtschaftlichen Statistik erzielt worden:
zumal durch die Einführung von Saatenstands- und Ernteermitte-
lungen im Dienste des praktischen Verkehrslebens mittels Einrich-
tungen, welche die schnellste Veröffentlichung der Ergebnisse ge-
statten, durch häufigere Vornahme der Viehzählungen wie durch um-
fassendere Gestaltung einzelner von ihnen, auch durch Veranstaltung
einer die Bestandes- und Ertragsverhältnisse berücksichtigenden forst-
lichen Aufnahme. Die zweifellos aber bedeutendste That, welche
gleichsehr den Glanzpunkt in der Geschichte der deutschen Reichs-
statistik wie in der Amtsführung des daran hervorragend beteiligten
Leiters bildet, war die Organisation und Bearbeitung der großartig
angelegten und glänzend durchgeführten und zur Darstellung ge-
brachten Berufs- und Gewerbezählung von 1895. Schon einmal war
ein solches gewaltiges Unternehmen unter Scheel’s Beihilfe 1882
von Becker ins Werk gesetzt worden und hatte mit Recht die
weiteste Anerkennung erfahren. Was aber 1895 wiederholt wurde,
hob sich doch durch die ausführlichere, treffendere Erfragung, mehr
noch durch die vielseitigere und tiefere Ausbeutung des Materials,
vor allen Dingen durch die ausgezeichnete, inhaltsreiche wie anschau-
liche tabellarische und textliche Darstellung über den ersten Versuch
beträchtlich hinaus. Allerdings bediente sich Scheel hierbei be-
währter Mitarbeiter: für die vorbereitende Herstellung des gründ-
lichen, kritisch veranlagten Matthias Schumann, der auf seine
Empfehlung aus Oldenburg ins statistische Reichsamt gekommen
war, für die schließliche Ausführung und textliche Behandlung des
jungen kenntnisreichen und hochbefähigten Friedrich Zahn, den
er sich aus München geholt hatte und der hier seine Sporen rühmlich
sich erwarb. Aber der Plan ging doch von Scheel aus und ebenso
lag die ihn jahrelang beschäftigende Ueberwachung der Bearbeitung
in seinen Händen, so daß unstreitig ihm zu oberst das Verdienst
gebührt, was im In- wie Auslande reichlich diesem großen nicht
weniger als 18 Quartbände und 9680 Seiten fassenden, die Berufs-
und Betriebsverhältnisse der deutschen Bevölkerung in bisher uner-
reichter Gründlichkeit und Ausgiebigkeit behandelndem Zählwerke
nachgerühmt ist. Scheel selbst hat auch als seine letzte größere,
- für die Oeffentlichkeit bestimmte Arbeit, die Hauptergebnisse der
Zählung zusammengefaßt und mit anderen, die wirtschaftliche Ent-
wickelung kennzeichnenden Vorgängen in der schon erwähnten Schrift:
38*
596 Paul Kollmann,
„Die deutsche Volkswirtschaft am Schlusse des 19. Jahrhunderts‘
weiteren Kreisen dargeboten und damit das hochbedeutsame Unter-
nehmen zum würdigen Abschluß gebracht.
Mit wie unablässigem Bemühen Scheel darauf bedacht war, die
nationale deutsche Statistik zur Entfaltung zu bringen und die
vielseitigen Anforderungen daran für Leben und Wissenschaft zu
befriedigen, konnte er doch an den Bestrebungen nach internationalen,
d. h. nach übereinstimmender und demgemäß vergleichbarer Her-
stellung der Statistik keinen rechten Geschmack abgewinnen. Nicht
daß er die Thätigkeit der ausländischen Statistik unbeachtet ließ;
vielmehr legte er sowohl hohen Wert darauf, ihre Fortschritte, zumal
nach der technischen Seite hin, zu verfolgen und daraus für die
deutsche Nutzen zu ziehen, als er auch viel davon hielt, durch geeig-
nete Nebeneinanderstellungen der Ergebnisse die heimischen an den
fremden zu messen. Aber er verhehlte sich auch nicht, daß die
statistischen Erhebungen naturgemäß den durchaus abweichenden
Einrichtungen und Empfindungen wie den Bedürfnissen der einzelnen
Staaten anzupassen sind, daß deshalb die unverkennbar so wünschens-
werte Uebereinstimmung der Aufnahmen nach Anlage und Bearbeitung
in den weitaus meisten Fällen aussichtslos bleiben wird und daß die
Vereinigungen, die diesen Zwecken dienen sollen, im großen und
ganzen nur erst geringe Erfolge aufzuweisen gehabt haben. So hät
er denn auch nur selten die Versammlungen des „Internationalen stati-
stischen Instituts“ und des „Hygienisch-demographischen Kongresses“
besucht, noch ist er dort irgendwie hervorgetreten. Wohl aber hat
er die Arbeiten dieser gelehrten Veranstaltungen ebenso wie die
anderen auswärtigen Veröffentlichungen der amtlichen Statistik durch
Mitteilung von Nachweisungen aus seinem Geschäftsbereich fördern
lassen. Ebenso nahm er die vielen fremden Fachgenossen, die in
Berlin vorsprachen, bereitwillig auf, machte sie mit der Arbeitsweise
der Reichscentrale bekannt und suchte auch von ihnen Belehrung
zu gewinnen. Dieses wohlthuende Entgegenkommen neben der Wert-
schätzung der Leistungen der deutschen Reichsstatistik hat nicht
wenig dazu beigetragen, daß eine Reihe angesehener Körperschaften
Scheel durch die Ernennung zu ihrem Ehrenmitgliede auszeich-
neten, so die Royal Statistical Society in London, die Statistical and
Social Inquiry Society of Ireland, der Ungarische Verein der öffent-
lichen Gesundheitspflege, die statistische Gesellschaft von Griechen-
land. In Deutschland war man mit äußerer Anerkennung zurück-
haltender. Doch hat auch hier der Verein für Geographie und
Statistik in Frankfurt a. M. ihm seine Ehrenmitgliedschaft angetragen
und, was ihm besondere Genugthuung bereitete, aus Anlaß der be-
endeten Herausgabe der Ergebnisse der Berufs- und Gewerbezählung
ihm 1900 die staatswirtschaftliche Fakultät der Universität Tübingen
das Doktordiplom honoris causa zuerkannt.
Die hohen Ansprüche, welche Dienst und Studium an Scheel
stellten, mochten wohl dazu beigetragen haben, daß seine Gesundheit
schon seit Jahren durch ein Nierenleiden beeinträchtigt wurde. Der
Hans von Scheel, 597
wiederholte Besuch eines Bades und der längere Aufenthalt in den
bayerischen Bergen waren aber stets von günstigem Erfolge begleitet
gewesen, sodaß Scheel mit frischen Kräften sich von neuem seinen
anstrengenden Aufgaben überlassen konnte. Zu Anfang des Jahres
1901 trat indessen eine bedenkliche Wendung des Leidens ein, von
der weder der erneute Gebrauch des Brunnens noch eine aus-
gedehntere Nachkur Heilung brachte. Obschon elend im August
nach Berlin zurückgekehrt, nahm er nochmals die Dienstgeschäfte
wieder auf. Doch war ihm nur noch eine kurze Spanne beschieden:
am 27. September bereits machte inmitten der amtlichen Thätigkeit
eine Herzlähmung seinem Leben — im noch nicht ganz vollendeten
62. Altersjahre — ein Ende.
Ein angesehener nationalökonomischer Forscher, ein einsichts-
voller, mit glücklicher Begabung ausgestatteter Statistiker, ein uner-
müdlicher, pflichttreuer Beamter, ein wohlwollender Mensch hat Hans
von Scheel unvergängliche Spuren seines Erdenwallens hinterlassen
und zumal während seiner 25-jährigen Wirksamkeit im Reichsdienst
für die Entfaltung der deutschen Statistik sich Verdienste erworben,
welche ihm über die engeren fachgenössischen Kreise hinaus ein ehren-
volles Andenken sichern. — (Vergl. Vierteljahrshefte zur Statistik des
Deutschen Reiches, Berlin 1901, Heft 4: Nachruf; Schmoller’s
Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im
Deutschen Reiche, 26. Jahrgang, Berlin 1902, S. 825—393: Fried-
rich Zahn, Hans von Scheel und die Reichsstatistik.)
F98 Alexander Horovitz,
Nachdruck verboten,
VIII.
„Begriff“ des börsenmässigen Getreide-
termingeschäftes.
Nach dem Ergebnisse der Wiener Terminhandelsenquete.
Von
Dr. Alexander Horovitz,
Generalsekretär der Wiener Produktenbörse.
Gemäß $ 57 der Usancen der Börse für landwirtschaftliche Pro-
dukte in Wien finden die Bestimmungen für den Terminhandel
Anwendung auf ab Wien, in vertragsgemäß bezeichneten Monaten,
pro Frühjahr oder Herbst, lieferbare Waren, vorausgesetzt, daß der
Verkauf sich bei Getreide auf ein Quantum von 500 oder eine durch
500 teilbare Zahl von metrischen Centnern bezieht. Diese Usancen-
bestimmung hebt daher als „kennzeichnende Merkmale“ des börsen-
mäßigen Termingeschäftes hervor: Die Lieferbarkeit der Ware ab
Wien, zu usancegemäß, im voraus bestimmten oder vertragsgemäl
näher bezeichneten Lieferterminen und in festgesetzten, abgerundeten
Mengen. Daß diesen Geschäften auch der Austausch von Schlul-
briefen zu Grunde gelegt werden muß!), ist ein Irrtum, denn für die
an der Börse geschlossenen, für die sogenannten technischen
Börsentermingeschäfte bildet beispielsweise dieser Schlußbriefwechsel
lediglich ein beweissicherndes Merkmal.
In dem vom österreichischen Ackerbauministerium den Experten
vorgelegten Fragebogen wurden folgende Merkmale, als den börsen-
mäßigen Terminhandel kennzeichnend, zur Diskussion gestellt: Der
in irgend einem Stadium der Geschäftseingehung oder der im Zeit-
punkte der Geschäftsabwickelung feststellbare Umstand, daß dem Ge-
schäfte keine wirkliche Warenbewegung entspreche; das Zu-
standekommen des Geschäftes auf Grund gewisser Bürsenusancen,
insbesondere nach Usancegewicht, Schlußeinheit und usancemäßigen
Kündigungs- und Lieferungsterminen; der Geschäftsabschluß ohne
1) Vgl. Experte Dr. Weishut, Bd. 3 der Enquete-Protokolle, S. 298.
„Begriff“ des börsenmäßigen Getreidetermingeschäftes. 599
ausdrückliche Anführung des Qualitätsgewichtes oder der
Provenienz, ohne Bescheinigung des Besitzes der ver-
kauften Ware oder der Anwartschaft auf dieselbe durch den Ver-
käufer oder deren Verwendung durch den Käufer.
Die Experten haben mit einer geradezu verblüffenden Meinungs-
verschiedenheit begriffsbestimmende Merkmale des Getreidetermin-
handels angegeben. Während einzelne einen generellen Unter-
schied zwischen börsenmäßigem Terminhandel und handelsrechtlichem
Lieferungsgeschäfte überhaupt nicht anerkannten, haben andere, und
zwar wieder in der abweichendsten Weise, den Begriff des Termin-
handels haarscharf gekennzeichnet.
Einzelne der im Fragebogen angeführten Merkmale sind wohl
regelmäßig in Erscheinung tretende, aber keineswegs kennzeichnende,
im Sinne von begriffsbestimmend, dem börsenmäßigen Getreide-
terminhandel ausschließlich anhaftende Merkmale, diesen vom Effektiv-
geschäfte unterscheidende Besonderheiten; einige wieder nur regel-
mäßige, aber durchaus nicht unerläßliche Begleiterscheinungen des
börsenmäßigen Getreideterminhandels, andere aber weder kenn-
zeichnende Merkmale des Termin- noch solche des effektiven Ge-
treidehandels.
So kann jedes Geschäft sowohl im beiderseitigen Einverständ-
nisse der Vertragsteile, wie im Falle des Vertragsbruches eines
Kontrahenten, ohne wirkliche Warenbewegung abgewickelt werden
und in diesen Fällen wird die mangelnde bezw. unter-
bliebene Warenbewegung ebensowenig zur Konstruierung
eines börsenmäßigen Termingeschäftes verwertet werden können, wie
umgekehrt eine thatsächlich stattgefundene Warenbewegung das Vor-
handensein eines börsenmäßigen Getreidetermingeschäftes ausschließt.
Jeder Kaufvertrag kann, muß aber nicht ohne Warenbewegung, d. h.
lediglich durch Differenzregulierung erledigt werden.
Zu den kennzeichnenden Merkmalen eines börsenmäßigen Ter-
mingeschäftes gehört auch nicht der Geschäftsabschluß mit Zugrunde-
legung von Börsenusancen, mit der Ausbedingung eines Usancege-
wichtes oder die Vereinbarung der im Terminhandel üblichen Schluß-
einheit. Denn mit Zugrundelegung einzelner und auch aller dieser
Bedingungen, in Verbindung mit den für den börsenmäßigen Termin-
handel geltenden Kündigungs- und Lieferfristen, werden täglich Ge-
schäfte geschlossen, welche unbestreitbar effektive Zeit- oder Prompt-
geschäfte sind. So wurde in der Terminhandelsenquete an der Hand
von Originalschlußbriefen die, übrigens jedem Geschäftskundigen be-
kannte, Thatsache nachgewiesen, daß mit Berufung auf die Börsen-
usancen, Produzenten schon im Monate April ein bestimmtes Quantum
ihrer anzuhoffenden Ernte auf Lieferung im Herbste verkaufen ; daß
Transportunternehmungen im Juli ihren Fouragebedarf auf Lieferung
bis zum April und noch auf spätere Monate des nächsten Jahres
decken, ohne daß diesen und ähnlichen Geschäften der Charakter
von börsenmäßigen Termingeschäften anhaften würde.
Zu diesen kennzeichnenden Merkmalen zählt ferner weder der
600 Alexander Horovitz,
mangelnde Provenienznachweis noch die fehlende Angabe des
Qualitätsgewichtes, denn in sehr zahlreichen Fällen legt der
Käufer der verschiedensten Getreidearten, besonders aber bei Hafer,
Mais und Reps, überhaupt gar kein Gewicht auf diese beiden Eigen-
schaften, und ein nicht unbeträchtlicher Teil des gesamten Börsen-
verkehres der Wiener Produktenbörse wickelt sich auf der Grundlage ab,
daß lediglich „Usanceware* ohne Muster gehandelt, gekauft und
verkauft wird. In diesem Falle muß die Ware in usancegemäß um-
schriebener Beschaffenheit, das heißt: gesund, zeitgemäß trocken, den
Handelserfordernissen entsprechend gereutert, in letzter Fechsung,
jeder Provenienz mit dem usancegemäß umschriebenen Mindestgewichte
geliefert werden. Die gelieferte Ware repräsentiert daher in solchen
Fällen ein Handelsgut mittlerer Art und Güte. So decken die großen
Fuhrwerksbesitzer, Transportanstalten mit Pferdebetrieb ihren Bedarf
an Hafer lediglich in der Weise, daß sie „Usancehafer“ kaufen ; Spiritus-
und Stärkefabriken, Brennereien decken ihren Hunderttausende Meter-
centner betragenden Maisbedarf dadurch, daß sie auf dem Markte
lediglich „Usancemais* kaufen. Auch das Aerar bedingt sich bei
seinen Korn- und Hafergeschäften in der Regel weder Qualitätsge-
wicht noch Provenienz aus und bei den Geschäften über die be-
deutendsten Massenartikel, wie Zucker, Spiritus, Garne, Holz,
Petroleum u. s. w. wird weder Qualität noch Provenienz erwähnt,
sondern lediglich auf die Usancen der Warenbörse Bezug genommen.
Andererseits kann wieder Ware mit Provenienzbezeichnung, sofern
unter Provenienz ein ganzes Produktionsgebiet verstanden wird,
Gegenstand des Terminhandels sein. Beim Kammzug-Terminhandel
war nur La Platawolle vollständig lieferfähige Ware, beim Kaflee-
terminhandel Santos (brasilianischer) Kaffee, im Pariser Zuckerge-
schäfte Blancs- (weißer) Zucker, französisches Produkt.
Jeder im Geschäftsverkehr Bewanderte muß daher erstaunt sein,
wenn er vernimmt!), daß wer beim Kaufe einer Ware es unterläßt,
sich von der Qualität, Provenienz und Brauchbarkeit der Ware zu
überzeugen und schon beim Geschäftsabschlusse die Ware zu be-
mustern, vom kaufmännischen Standpunkte von vornherein in den
Verdacht gerät, auf die Lieferung der Ware nicht zu reflektieren,
da er sich hierdurch der Gefahr aussetzt, am Erfüllungstage eine
minderwertige, für Approvisionierungszwecke unverwendbare Ware
zu erhalten; daß solche Geschäfte keine kaufmännischen, sondern
Differenzgeschäfte, Spiel und Wettverträge um den Preisstand am
Erfüllungsorte sind. Es ist ja im legitimsten Lieferungsgeschäfte
ein tägliches Vorkommnis, daß Produzenten an Händler Ware nur
mit Qualitätsgewicht, ohne jede Provenienzangabe, oder Provenienz-
ware ohne Qualitätsgewicht, häufig Ware auch ohne Provenienz-
angabe und ohne Qualitätsgewicht verkaufen. Die Macht des Welt-
verkehres und der Einfluß der Weltkonjunktur haben den modernen
Großhandel dazu gezwungen, seinen Geschäftsabschlüssen auch
1) Vergl. Experte Sand I, 53.
„Begriff“ des börsenmäßigen Getreidetermingeschäftes. 601
vertretbare Waren zu Grunde zu legen, welche in beliebigen Mengen,
Entfernungen und Terminen angeschafft und weiterveräußert werden
können. Diese hierdurch herbeigeführte Fungibilität der Ware in
objektivem Sinne ist aber kein begriffsbestimmendes Merkmal des
börsenmäßigen Termingeschäftes, sondern dem modernen Großhandel
und dem gesamten Börsenverkehre eigentümlich, ohne Unterschied,
ob derselbe an oder außerhalb der Börse, in prompten oder
Lieferungsgeschäften, sich abwickelt.
Aus der fehlenden „Bescheinigung über den Besitz oder die
Anwartschaft der verkauften, bezw. über die Verwendungs-
möglichkeit der gekauften Ware“ auf den Charakter des Geschäftes
zu schließen, ist überhaupt unmöglich, und bestimmte Rechtsfolgen
daraus zu ziehen, würde bei den heutigen Transportverhältnissen,
der Entwickelung des Nachrichtenwesens und der modernen Aus-
gestaltung des Güteraustausches jeden geregelten Geschäftsverkehr
über den Haufen werfen. Die volkswirtschaftliche Funktion des
Kaufmannes besteht ja darin, daß er durch den Kauf und Verkauf
von Waren den Umsatz erleichtert, beschleunigt, und die Grund-
lage des Großhandels bildet jene Thätigkeit des Händlers, durch
welche dieser einen ihm günstig erscheinenden Augenblick zum
Einkaufe benützt, ohne noch zu wissen, wo, wann und an wen er
verkaufen werde, und daß er jeden passenden Moment zum Ver-
kaufe einer Ware verwendet, von welcher er lediglich die Ueber-
zeugung hat, daß er sich sie bis zum Zeitpunkte der Ablieferung
nutzbringend werde beschaffen können. Auch im effektiven Ver-
kehre kauft der Konsument nicht gerade die zur Aufrechthaltung
seines regelmäßigen Betriebes unumgänglich erforderliche Waren-
menge, somdern, bei ihm günstig scheinender Preislage, Quantitäten,
über deren Verwendung er sich im Augenblicke der Anschaffung
vielleicht noch nicht klar ist. Nehmen wir den Fall, ein Wiener
Getreidehändler hat entweder in den Balkanländern, in Ungarn
oder Rußland ein bestimmtes Quantum Getreide, welches zu ver-
kaufen er mit Rücksicht auf den momentanen Preis für wünschens-
wert hält. Er offeriert dieses Getreide verschiedenen böhmischen
und mährischen Müllern gegen Drahtzusage. Einem dieser Müller
würde es konvenieren, das Getreide zu dem offerierten Preise anzu-
nehmen, er kann es aber nicht, da er doch nicht telegraphisch dem
Händler nachweisen kann, daß er und welche Verwendung er für
diese Ware hat. Und selbst wenn er das könnte, der Händler
kann doch wieder dem Müller telegraphisch keine Bescheinigung,
keinen Nachweis liefern, daß er thatsächlich im Besitze dieser
Ware ist. Und wenn schon alle diese Nachweise geliefert werden
könnten, würde noch immer die Gefahr bestehen für den einen oder
den anderen, daß sie ein gesetzlich verbotenes Geschäft geschlossen
hätten, wenn sie sich zufällig in der Prüfung dieser Bescheinigung
geirrt hätten. Und wer bürgt schießlich dafür, daß nicht auf Grund
einer Bescheinigung hundert und tausend Geschäfte geschlossen
werden? Die Wahrung des Geschäftsgeheimnisses wäre sodann ein
602 Alexander Horovitz,
illusorisches Ding. Die Absicht eines jeden Kaufmannes ist auf
den Erwerb einer Ware gerichtet, durch deren Weiterveräußerung
er einen Gewinn erzielen will. Kann er ihn erzielen, ohne und
bevor er in den physischen Besitz der Ware gelangt, so ist sein
Gewinn deshalb doch nicht weniger legitim, als wenn er in den
physischen Besitz gelangt wäre. Das Recht zur Uebertragung einer
Lieferungs- und Uebernahmsverbindlichkeit ist doch keineswegs
eine Folgeerscheinung des entstandenen Terminhandels.
Die Ansicht ') daß die im Fragebogen als charakteristisch
bezeichneten Merkmale nur konstruierte Normen sind, welche dazu
dienen sollen, dem Getreide die diesem von Natur aus fehlende
Fungibilität künstlich zu verleihen und daß das einzige und begriffs-
bestimmende Merkmal des börsenmäßigen Terminhandels, die durch
diesen gebotene Möglichkeit einer Baissespekulation durch Aus-
führung von Biancoverkäufen in einem von Natur aus nicht
fungiblen Artikel sei, halte ich für verfehlt, ebenso wie die daran-
geknüpfte Bemerkung, daß nur durch solche Biancoverkäufe der
Ausbeutung der Bevölkerung durch übertriebene Preise in Not-
zeiten vorgebeugt werden konnte Denn es wird wohl wenig
Massenartikel geben, in welchen nicht auch ohne börsenmälßigen
Terminhandel eine Baissespekulation, Leerverkäufe durchgeführt
wurden oder doch durchgeführt werden könnten.
In Mehl beispielsweise besteht in Oesterreich-Ungarn kein
börsenmäßiger Terminhandel, und die Fälle sind durchaus nicht
selten, daß in sehr großen Mengen Biancoverkäufe in der An-
hoffnung einer künftigen billigen Beschaffung des Rohproduktes
geschlossen werden. Der Produzent verkauft nicht selten noch
nicht gefechstes, der Händler noch nicht erstandenes Getreide; es
sind dies Biancoverkäufe, welche mit effektiver Lieferung abge-
wickelt werden können, aber nicht müssen, ebenso wie es dem
Biancoverkaufe im börsenmäßigen Terminhandel durchaus nicht
eigentümlich ist, daß er mit Differenzzahlung, statt mit effektiver
Warenlieferung abgewickelt wird. Von einer volkswirtschaftlich
nützlichen Wirkung solcher Leerverkäufe kann jedoch auch nur
dann gesprochen werden, wenn diese eine wirtschaftlich gerecht-
fertigte Spekulation zur Grundlage haben, welche den gegenwärtigen
Bedarf und das voraussichtliche künftige Angebot, die Vorrats-
und Gebrauchsmengen anderer, in Betracht kommenden Kulturländer,
überhaupt alle für den Ausfall und die Bewertung der Ernte maß-
gebenden Momente mit kaufmännischer Vorausberechnung ins Auge
faßt. Für unrichtig halte ich es auch, wenn als Voraussetzung
jedes Biancoverkaufes die Warenfungibilitäit angenommen wird,
denn jeder Artikel eignet sich zum Biancoverkaufe, die Fungibili-
tät erleichtert solche nur.
Eine andere Seite °) erblickt das wesentliche Merkmal des börsen-
1) Vergl. Experte Offermann T, 498, 509.
2) Experte Prof. Adler, I, 526, II, 491.
„Begriff“ des börsenmäßigen Getreidetermingeschäftes. 603
mäßigen Terminhandels in der bei demselben im Wege von Lager-
häusern, Arrangementbureaux, durch Banken oder durch das Börsen-
sekretariat stattfindenden Geld- und Warenskontration. Diese bei
großen Umsätzen geradezu selbstverständliche Warenskontration setze
gleich der geldersparenden Wirkung des Zettelbankwesens, den
Warenbedarf herab und wenn auch in dieser Thatsache selbst nichts
Illegitimes erblickt werden könne, so enthalte sie dennoch das be-
dauerliche Moment, daß sie illegitime, unverhältnismäßig große Um-
sätze herbeiführe.
Aus der warenersparenden eine preisherabsetzende Wirkung
der Skontration zu folgern, ähnlich der Geldersparnis im Clearing-
verkehr, ist aber verfehlt, denn wie der Hauptzweck des letzteren
darin besteht, eine unnötige Dirigierung des Geldes zu verhüten
und auch zu vermeiden, daß irgendwo der Schein eines thatsächlich
nicht bestehenden Geldmangels entstehe, so verhindert die Waren-
skontration eine überflüssige Warendirigierung und beseitigt un-
gerechtfertigte Preisfluktuationen, indem sie den Schein starker
Vorräte oder eines großen Mangels an Vorräten aus der Welt
schafft!). Unrichtig erscheint mir auch die aus dieser Begriffs-
bestimmung gezogene Schlußfolgerung, wonach alle anderen, das
heutige börsenmäßige Termingeschäft schildernden Merkmale, von
diesem einzigen begriffsbestimmenden Merkmale, nämlich von der
Warenskontration abhängig sind, da die Typen, Usancen, Schluß-
einheiten, die ganze Form des Geschäftes lediglich deshalb heran-
gezogen werden, um das Geschäft durch die bewerkstelligte Fun-
gibilität der Schlüsse, für die Skontration herzurichten. Sicherlich
sind börsenmäßige Termingeschäfte wegen ihres schablonenhaften,
stereotypen Vertragsinhaltes zu einer Skontration besonders geeignet.
Aber diese erleichterte Abwickelung im Wege der Skontration ist
für das Wesen und den Begriff des Termingeschäftes juristisch be-
langlos?), denn die Warenskontration fügte lediglich das Termin-
geschäft in den Rahmen des modernen Weltverkehres ein, dessen
Bestreben darauf gerichtet ist, alle Vermögenswerte von ihrer sinn-
fälligen Schwerfälligkeit zu befreien, um sie für den leichteren Ver-
kehrsumlauf geeignet zu machen. Die Warenskontration bei börsen-
mäßigen Termingeschäften ist nur ein hochentwickelter Behelf des
modernen Weltverkehres, eine Folge der leichteren Vertretbarkeit,
Uebertragbarkeit und Realisierbarkeit der Lieferungs- und Ueber-
nahmsansprüche aus Geschäften, deren Gegenstand eine fungible
Ware bildet, und diese Eigenschaften bilden nur Unterschiede gra-
dueller, nicht aber auch genereller Art von sonstigen Zeit- und ins-
besondere börsenmäßigen Zeitgeschäften mit hinausgeschobener
Lieferungsfrist®). Die Skontration und insbesondere die organisierte
Skontration, fördert die Wirksamkeit der Fungibilität, führt aber
1) Vergl. Experte Dr. v. Weiss, II, 463.
2) Vergl. auch Experte Prof. Grünhut, III, 625.
3) Vergl. Experte Dr. Fischl, II, 11; Dr. Weishut, III, 298,
604 Alexander Horovitz,
diese selbst nicht herbei, kann daher wohl ein qualifizierendes, aber
keineswegs das ausschließlich charakteristische Element des börsen-
mäßigen Terminhandels sein!). Die Tilgung einer Warenschuld
mittelst dieses Verkehrsbehelfes kommt der Zahlung einer Geld-
schuld im Wege der Skontration gleich. Neben diesem einfachen
und „zwingenden“ Merkmale findet Professor Adler ?) aber auch noch
das „kompromittierendste“ Kennzeichen des börsenmäßigen Termin-
handels darin, daß beide Parteien sich an der Erfüllung ihrer gegen-
seitigen Verpflichtung zu behindern trachten; daß die vertrag-
schließenden Teile nicht, wie im sonstigen Verkehrsleben, Geschäfts-
freunde, sondern Kämpfer, Feinde sind, weil im Gegensatze zum
produktiven Geschäfte der Gewinn des einen in dem Verluste des
anderen besteht.
Dieses „kompromittierendste“ Kennzeichen des Terminhandels
wird hier, aus den gewiß auch vom Standpunkte jedes anständigen
Kaufmannes verwerflichen Quertreibereien eines Ringes heraus-
gegriffen und, wie ich wohl auch sagen kann, mit einer voll-
ständigen Verkennung des regelmäßigen Vorganges im praktischen
Geschäftsverkehre, zumindest an der in Rede stehenden Wiener Pro-
duktenbörse, wahllos auf alle daselbst geschlossenen börsenmäßigen
Termingeschäfte angewendet. Der Produzent, der bei einem ihn
als nutzbringend erscheinenden Marktpreise seine anzuhoffende Fech-
sung oder einen Teil derselben veräußert; der Händler, der sich
den Preis einer Donau aufwärts schwimmenden Schiffsladung Getreide
durch Verkauf auf dem Terminmarkte sichert; der Müller, der sich
aus Anlaß eines bedeutenden Mehlabschlusses die Erstehungskosten
und den Mahllohn durch einen Deckungskauf auf dem Terminmarkte
festlegt; sie alle können doch an den weiteren Preisfluktuationen kein
derartiges Interesse mehr besitzen, daß man behaupten könnte, sie
müssen nunmehr ihren Kontrahenten als Widersacher gegenüber-
stehen.
Nach Dr. Landesberger ®) ist das wirtschaftlich wichtigste Merk-
mal des Terminhandels die Entkleidung des einzelnen Geschäftes
von seiner individuellen Gestaltung durch Festlegung einer Type,
Schlußeinheit, eines gemeinsamen Liefertermines und gemeinsamen
Erfüllungsortes, aus welchen Besonderheiten sich als technische
Hilfsmittel die an der Börse selbst oder von Bureau zu Bureau
sich vollziehende Skontration, das Arrangement ergeben, ebenso wie
die Publieität der im Terminhandel erzielten Preise, durch welche
die Konjunktur zum Ausdrucke gebracht wird.
Sehr zutreffend halte ich die Anschauung Dr. Kienböck’s t), daß
die als charakteristisches Merkmal des Terminhandels hervorgehobene
Fungibilität des Geschäftes, die Gleichartigkeit einer ganzen Reihe
von Geschäften zur notwendigen Voraussetzung hat und daß diese
1) Vergl. auch Experte Prof. v. Schullern, III, 134.
2) Vergl. I, 528.
3) I, 72.
„Begriff“ des börsenmäßigen Getreidetermingeschäftes. 605
Gleichartigkeit in mehreren Formen zu finden ist, so daß es un-
möglich ist, eine bestimmte, mit der Eigenschaft der Fungibilität
versehene Geschäftsform mit dem Erfolge festzusetzen, daß es dem
Händler nicht gelingen würde, eine andere Form zur Erreichung des
angestrebten Zweckes zu finden. Die von dem Genannten „für den
gegenwärtig bestehenden Terminhandel“ gegebene Definition, wo-
nach börsenmäßige Termingeschäfte in landwirtschaftlichen Erzeug-
nissen befristete Käufe sind, bei welchen sich die Vertragsschließen-
den hinsichtlich der Qualität, Lieferungsfrist und Zahlung sowie der
gesamten Modalitäten der Vertragserfüllung auf die für Terminge-
schäfte bestehenden Usancen beziehen, auch in usancegemäß fest-
gesetzten Schlußeinheiten handeln und sich für Streitfälle dem
Börsenschiedsgerichte unterwerfen, stimmt gleichfalls. Nur handelt
es sich nicht um die Begriffsbestimmung des „gegenwärtig bestehen-
den“, sondern um jene des börsenmäßigen Termingeschäftes „über-
haupt“ und für diesen allgemeinen Begriff paßt die Definition, wie
bereits an verschiedenen Stellen ausgeführt, meines Erachtens nicht.
Denn für den Fall des Verbotes oder der Beschränkung des börsen-
mäßigen Terminhandels entsteht ja die vorläufig noch unüberwundene
und anläßlich der Einführung der Warenumsatzsteuer in Deutsch-
land auch ausdrücklich zugestandene Schwierigkeit, durch Aufstellung
genau bestimmter Merkmale eine scharfe Grenzlinie zu ziehen
zwischen jener Geschäftsart, welche als börsenmäßiger Terminhandel
bezeichnet wird, und allen anderen ähnlichen Geschäftsarten.
Die meisten der für den „gegenwärtigen“ börsenmäßigen Termin-
handel als wesentlich angeführten Kennzeichen sind in vielen Zweigen
des Großhandels verkehrsüblich. Auch dort werden der Verein-
fachung wegen Schlußeinheiten als Verkehrseinheiten gehandelt, auch
dort ist gewöhnlich der Lieferort der Stapelplatz, ab welchen sich
der Verkehr abwickelt und wird das Qualitätsgewicht nur subsidiär
festgesetzt.
Dr. Lecher !) unterscheidet die den börsenmäßigen Terminhandel
charakterisierenden Merkmale in juristische und wirtschaftliche.
Als juristisches bezeichnet er die Festsetzung der Qualität, der
Einheitsgröße der Ware, sowie der Lieferzeit durch Aufstellung
einer Anzahl von Terminen und Festsetzung des Börsenplatzes als
Erfüllungsort und zwar mit Hilfe der Börsenusancen, in einer dem
Bestimmungsrecht der Parteien entrückten Weise, so daß nur mehr
die Preisbestimmung dem freien Parteienübereinkommen unterliegt.
Dem in der Ausgleichung der Differenz durch Skontration, Liqui-
dierung, und nicht in der Vertragserfüllung durch Warenlieferung
bestehenden Zwecke des börsenmäßigen Biancoterminhandels ent-
sprechend, handle es sich hierbei in wirtschaftlicher Beziehung um
ein warenloses, abstraktes, lediglich rechnungsmäßiges Geschäft,
dessen Hauptmerkmale in den bedeutenden Umsätzen mit landwirt-
schaftlichen Massenartikeln, in der Möglichkeit der Beteiligung von
1) III, 53—56.
606 Alexander Horovitz,
berufsfremden Personen und in der Ausschließung einer großen An-
zahl von Produzenten und Konsumenten, demnach der Haupt-
interessenten, von der Teilnahme an diesen Geschäften bestehen.
Diese Fernhaltung habe wieder ihren Grund in der den normalen
Geschäftsbetrieb übersteigenden Größe der Schlußeinheit, in der
unterwertigen, den realen Verhältnissen nicht entsprechenden Qualität
der im Terminhandelsverkehr geltenden Ware, in dem fehlenden
Einflusse der Hauptbeteiligten auf die Börsenorganisation, und in
dem hierdurch gezeitigten mangelnden Vertrauen in dieselbe.
Die in juristischer Hinsicht, als das börsenmäßige Terminge-
schäft kennzeichnend, angeführten Merkmale werden aber von dem
Experten selbst!) und zwar meiner Ansicht nach vollkommen richtig,
als zu den übrigen Zeitgeschäften nicht in grundlegendem Unter-
schiede stehend, erklärt, weil auch im Effektivgeschäfte häufig die
börsenusancemäfßig festgesetzten Bestimmungen über Mindestqualität,
Schlußeinheit, Kündigungs- und Lieferungstermin benützt und diese
Geschäfte auch ohne Provenienzangaben der zu liefernden Ware
geschlossen werden.
Der in der wirtschaftlichen Zweckbestimmung gesuchte grund-
legende Unterschied zwischen Effektiv- und Biancotermingeschäft
leidet vor allem an dem Gebrechen, daß die Antwort nicht die Be-
antwortung der gestellten Frage ist, denn diese handelt von dem
„börsenmäßigen Termingeschäfte“ während die Antwort sich immer
auf Biancotermingeschäfte beschränkt und darunter das Differenz-
spiel, jenen geschäftlichen Zweck versteht, welcher ausschließlich
in der Gewinnstrealisierung besteht. Daß dieser Zweck nicht allen
börsenmäßigen Termingeschäften innewohnt, giebt ja der genannte
Experte zu, er glaubt aber, den beide Geschäftsformen trennenden
Unterschied bei der Personenfrage finden und erfassen zu können,
und zwar derart, daß er alle von berufsfremden direkt oder indirekt
geschlossenen Termingeschäfte als Differenzspiel bezeichnet, hin-
sichtlich der von legitimen Terminhändlern geschlossenen Geschäfte
aber es dem richterlichen Ermessen überläßt, von Fall zu Fall zu ent-
scheiden, ob ein Effektivgeschäft oder Differenzspiel beabsichtigt war.
Professor von Schullern?) geht bei der Begriffsbestimmung
des Terminhandels von dem Grundsatze aus, daß in diesen Begriff
alle jene Geschäftsarten einbezogen werden, welchen man die Wirkung
zuschreibt, daß sie die Preise unter das Niveau der Produktions-
kosten drücken. Diese preisdrückende Tendenz werde aber hervor-
gerufen einerseits durch die, besonders kraft der Versicherungs-
funktion des Terminhandels thatsächlich oder nominell auf den
heimischen Markt geworfenen ungeheueren Getreidemengen, anderer-
seits durch die niedrige Standardqualität. Demzufolge bilde das
entscheidende Element in der Begriffsbestimmung des Terminhandels
die Fungibilität nicht nur der Ware durch Festsetzung einer Usance-
1) III, 55.
2) Ill, 134 ff.
„Begriff“ des börsenmäßigen Getreidetermingeschiäftes. 607
qualität, sondern auch die Fungibilität des Geschäftes selbst, welche
durch die amtliche oder inoffizielle Preisnotierung gewissermaßen
zum Gemeingute gemacht wird, während die organisierte Skontration
durch Feststellung von Schlußeinheit, Lieferungstermin u. s. w. nur
qualifizierte Elemente sein können. Dementsprechend kennzeichnet
Schullern den Terminhandel als „ein Lieferungsgeschäft, welches
kraft seiner Natur und auf Basis der Usancen fungible Ware durch
ein fungibles Geschäft wirksam macht für den allgemeinen Markt,
auf dem Umwege über die Preisnotierung*“.
Dr. Weishut!) findet in dem wirtschaftlichen Charakter des
Geschäftes und zwar in dessen Vertragsgegenstand, in dem Usance-
getreide, das einzig wesentliche und maßgebende Merkmal des
börsenmäßigen Termingeschäftes, aus welchem alle anderen, dem
Börsentermingeschäfte eigentümlichen Erscheinungen fließen. Dieser
jederzeit und allerorts vorhandene Vertragsgegenstand könne durch
bloße Erklärung übertragen, sowohl effektiv geliefert und über-
nommen, wie durch Vornahme eines Deckungsgeschäftes mit Differenz-
ausgleich abgewickelt werden. Die Bildung eines Weltpreises er-
mögliche den Unterschied zwischen dem börsenmäßigen Terminge-
schäfte und Effektivgeschäfte ausschließlich auf den Vertragsgegen-
stand, nämlich darauf zu stützen, daß bei letzterem immer eine be-
stimmte, bei ersterem dagegen nur eine ideale Ware gehandelt
werde Auch diese Begriffsbestimmung halte ich für nicht aus-
reichend, denn ein großer Teil des Weltverkehres in Getreide und
auch ein namhafter Teil des österreichischen Getreidehandels hat
keine individuell bestimmte, sondern nur eine generell umschriebene
Ware zur Grundlage. Der Irrtum liegt eben in der Annahme, daß
diese „Usanceware“ nur eine „ideale Nahrungseinheit“, einen „Wert-
extrakt“, den „allgemeinen Wertmesser für eine gewisse Getreide-
gattung“ bildet. Der Handel „nach Muster“, also mit Zugrunde-
legung einer bei jedem einzelnen Geschäftsabschluß individuell be-
stimmten Ware, bildet ja zumeist nur eine Specialität des öster-
reichisch-ungarischen Getreidehandels, aber auch hier nur die sehr
oft und in manchen Zweigen des Getreidehandels nahezu immer
durchbrochene Regel. In Deutschland z. B. ist dieser Handel nach
Muster schon im Verschwinden‘; dort wird Sheriffweizen, polnischer
Weizen, pommerischer Weizen, Gelb- und Weißweizen, schlesischer
Gelb- und Rotweizen, ferner Posener, schlesisches Korn und zwar
Herrschafts- oder Marktkorn in bedeutenden Quantitäten ohne nähere
Qualitätsbezeichnung und ohne Muster gehandelt. Auch der kleine
Konsument kauft norddeutsches und süddeutsches Korn nach Qualitäts-
gewicht, Weizen ohne Muster ?). Und dieser Handel ist nicht mehr
weit entfernt von jenem Handel, mit welchem lediglich „Usance-
weizen, Usancehafer, Usancemais“ gehandelt wird, denn auch das
nord- oder süddeutsche, russische Korn stellt nur eine auf ein
1) III, 298, 299.
2) Vergl. Experte Pollak, III, 697.
608 Alexander Horovitz,
engeres Gebiet beschränkte Type dar, sobald bei dem Geschäfts-
abschlusse weder von einer Lieferung nach Muster noch von einem
Qualitätsgewichte, einem Reinheitsgrade oder von sonstigen wesent-
lichen Eigenschaften des Kornes die Rede ist.
Nun taucht aber die Frage auf, giebt es überhaupt äußerlich
faßbare, begriffsbestimmende Merkmale des börsenmäßigen Getreide-
terminhandels, und welches sind diese?
Ich finde deren zwei und zwar 1) einen aufnahmsfähigen, mit
börsentechnischen Einrichtungen versehenen Markt, welcher den
Abschluß, die Uebertragung und Abwickelung einer typischen Art
von Geschäften in einer typischen Form ermöglicht und 2) in feste
Normen gebrachte oder auch nur thatsächlich geübte Geschäftsge-
bräuche, welche übereinstimmend von den geschäftsschließenden
Teilen, ohne jede Abweichung, für diese Geschäftsart und Geschäfts-
form angewendet werden. Denn sowohl der fehlende Markt mit
den erforderlichen börsentechnischen Einrichtungen, wie von den
allgemein geltenden oder allgemein geübten Geschäftsgebräuchen
abweichende Verkehrsbestimmungen verhindern oder erschweren den
Abschluß, die Uebertragung und Abwickelung von Geschäften auf
dem Terminmarkte und machen diese zu börsenmäfigen Zeit- oder
handelsrechtlichen Lieferungsgeschäften.
Alle anderen, als charakteristisch angeführten Merkmale sind
nicht begriffsstimmend in dem Sinne, daß ihr Vorhandensein das
Geschäft zu einem börsenmäßigen Termingeschäfte stempeln und ihr
Fehlen einem börsenmäßigen Termingeschäfte diesen Charakter be-
nehmen würde. Sie sind nur accessorische Begleiterscheinungen des
börsenmäßigen Terminhandels, hervorgerufen durch das Bestreben,
der typischen Vertragsform auch einen typischen Vertragsinhalt zu
verleihen, können aber ebenso in Begleitung eines Effektivgeschäftes
vorkommen. Ich kann daher die das börsenmäßige Termingeschäft
von dem börsenmäßigen Zeit- und dem handelsrechtlichen Liefe-
rungsgeschäfte unterscheidenden charakteristischen Kennzeichen nicht
in der typischen usancegemäßen Festsetzung des Geschäftes nach
Qualität, Quantum, Lieferzeit und Lieferort, in der hierdurch be-
gründeten größtmöglichen Vertretbarkeit des Vertragsgegenstandes
und der wieder durch diese bewirkten höchstentwickelten Cedier-
barkeit der Ansprüche erblicken !). Das erweist sich ja immer wieder,
wenn diese Merkmale als begriffsbestimmend in eine Legaldefinition
aufgenommen werden und auf Grund einer solchen der börsen-
mäßige Terminhandel beschränkt oder verboten wird. Es verschwin-
den dann nämlich im praktischen Geschäftsverkehre alle diese als
wesentlich bezeichneten Merkmale und der börsenmäßige Termin-
handel wird nach wie vor, auf einer anderen Grundlage, betrieben.
Zu bemerken ist hierbei, daß „Markt“ im weitesten Sinne und
keinesfalls beschränkt auf öffentliche Versammlungen gedacht ist:
so bestimmen z. B. die Usancen der Wiener Produktenbörse, daß
1) Wie Experte Dr. Fischl I, 10.
„Begriff“ des börsenmäßigen Getreidetermingeschäftes. 609
die im Terminhandel verschlossene Ware ab Wien zu liefern ist.
Wird bei einem konkreten Geschäfte dieser Lieferort verändert, so
wird das Geschäft trotz Beibehaltung aller sonstigen, für den Termin-
handel festgesetzten Normen, zum börsenmäßigen Zeitgeschäfte, aber
nicht wegen Abänderung dieses Lieferortes, sondern, weil diese Ab-
änderung den Verkäufer hindert, den Schluß im Kündigungswege
weiter ‘zu girieren. Würde der findige kaufmännische Geist eine
Form ausfindig machen, diese leichte Uebertragung und Abwicke-
lung, trotz Abänderung des Lieferortes durchzuführen, so bliebe
auch das Wesen des börsenmäßigen Termingeschäftes unberührt.
So ist das Recht zur Kündigung und Lieferung der Ware inner-
halb des zweimonatlichen Termines dem Verkäufer freigegeben;
wird es in einem konkreten Falle, wie dies im Effektivgeschäfte oft
der Fall ist, dem Käufer anheimgestellt, so hat das Geschäft wohl
unter den jetzigen Verhältnissen seinen Charakter als börsenmäßiges
Termingeschäft verloren, aber nicht unbedingt und unter allen Um-
ständen, weil es durchaus nicht ausgeschlossen ist, daß eine Form
gefunden werden kann, welche trotz Ueberwälzung dieses Wahl-
rechtes, das börsenmäßige Termingeschäft unverändert beläßt.
Thatsächlich werden ja auch Geschäfte mit Zugrundelegung aller,
für den börsenmäßigen Terminhandel geltenden Bestimmungen und
mit Benützung der für diesen in Verwendung stehenden Schluß-
briefformularien, aber trotzdem mit irgendeiner, oft ganz unwesent-
lichen, die Lieferzeit, die Uebernahmsspesen, den Lieferort, das Mindest-
qualitätsgewicht betreffenden Abänderung in großer Anzahl geschlossen.
Die Folge einer dieser geringfügigen Abänderung ist aber, daß die
Kontrahenten den Schluß bis zur vollständigen Abwickelung in ihrem
Besitze behalten, die Ware direkt, ohne Ueberweisung liefern und
übernehmen und daß eine Kündigung auf Grund eines solchen
Schlusses im Wege einer Weiterbegebung des Kündigungsscheines
nicht erfolgen kann.
Es können daher, meiner Ansicht nach, auch die von der Lon-
doner Börse für den Seeverkehr ausgefertigten Kontrakte, welche
nur mehr die Festsetzung des, ganze Schiffsladungen, das Einfache
oder Mehrfache einer Schlußeinheit umfassenden Quantums, des Ver-
lademonates und Preises erfordern, weil sie alle sonstigen typisch
festgesetzten Vertragsbedingungen bereits enthalten, unseren im Ter-
minhandel verwendeten Schlußbriefformularien gleichgestellt werden,
da jeder Händler in London, Antwerpen, Liverpool oder Genua einen
stets offenen, aufnahmsfähigen Markt zur Deckung seiner in Argen-
tinien, Nordamerika oder am Schwarzen Meere vollzogenen Käufe ganz
unter denselben Bedingungen besitzt und die Uebernabms- sowie
Lieferpflicht stets auf einen anderen übertragen kann. Es ist daher
auch zwischen dieser Geschäftsform und dem börsenmäßigen Termin-
handel in Wien ein wesentlicher Unterschied nicht herauszufinden.
Der gegenüber dem Wiener börsenmäßigen Terminhandel sich äußernde
Unterschied, daß die auf Grund solcher Seekontrakte verkaufte und
abgelieferte Ware, gegen im voraus festgesetzte Preisnachlässe auch
Dritte Folge Bd. XXIII (LXXVIII). 39
610 Alexander Horovitz,
. dann übernommen werden muß, wenn sie der kontraktlich genau
umschriebenen Qualitätsbedingung nicht entspricht, berührt das Wesen
des Termingeschäftes nicht. Eine derartige Verkehrsbestimmung ist
sogar sehr zweckentsprechend und deren Einführung auch für den
Wiener börsenmäßigen Getreideterminhandel empfehlenswert.
Unter diesen Gesichtspunkten kann ein börsenmäßiges Getreide-
termingeschäft 5 verschiedene Arten aufweisen:
1) giebt es börsenmäßige Getreidetermingeschäfte, welche auch
thatsächlich den Charakter von Effektivgeschäften besitzen, bei
welchen die vertragsgemäß vereinbarte Absicht zu liefern und zu
übernehmen, zur Thatsache, das Geschäft durch Kündigung der ver-
kauften und Uebernahme der gekauften Ware effektiv abgewickelt
wird. Dazu zählen jene Geschäfte, bei welchen innerhalb des zwei-
monatlichen Erfüllungstermines die verschlossene Ware vom Ver-
käufer dem Käufer durch das Börsensekretariat gekündigt, sohin
zur Uebernahme vorgelegt und effektiv bezogen wird;
2) börsenmäßige Getreidetermingeschäfte, welche wohl nicht
wirtschaftlich, aber thatsächlich Differenzgeschäfte sind, welche
nämlich in der Absicht der effektiven Vertragserfüllung geschlossen,
aber zufolge eintretender, beim Geschäftsabschlusse nicht voraus-
gesehener Zwischenumstände, mittelst Differenzzahlung abgewickelt
werden.
Ein Getreidehändler kauft beispielsweise in Ungarn oder den
Balkanländern eine Ladung Mais, weil dieses Geschäft mit Rücksicht
auf die Transportkosten, Zinsen des investierten Kapitales u. s. w.
einen bürgerlichen Nutzen bei der Warenankunft in Wien dann ge-
währleistet, wenn er diese Maisladung als Erfüllung eines sofort ab-
geschlossenen Verkaufes auf dem Terminmarkte abliefert. Der Mais-
schlepp wird verladen. Während des Transportes macht sich jedoch
in den Alpenländern ein regerer Bedarf nach Mais geltend und der
Getreidehändler kommt in die Lage, den unterwegs befindlichen Mais
dort besser zu verwerten, als durch eine Ablieferung auf dem Wiener
Terminmarkte. Der Getreidehänder dirigiert daher den Maisschlepp
nach den Alpenländern und bringt ihn dort mit Nutzen an den Mann,
kauft dagegen den seiner Zeit auf dem Wiener Terminmarkte ver-
kauften Mais zum Tagespreise wieder zurück, um seiner Ablieferungs-
pflicht hier enthoben zu sein. Die hier zufolge eingetretener Preis-
erhöhung etwa zu seinen Lasten entstandene Preisdifferenz kann er
aus dem in den Alpenländern erzielten Mehrerlös für seine effektive
Ware tilgen. Hier war demnach zur Zeit der Geschäftseingehung
eine Warenbewegung beabsichtigt, ist jedoch unterblieben.
Diese Abwickelung mittels Differenzregulierung im Gegensatze
zu jener durch effektive Vertragserfüllung, zu einem wesentlichen,
etwa ausschlaggebenden Kriterium des börsenmäßigen Termin-
geschäftes zu erheben, ist daher unbedingt verfehlt und auch das
vom Experten Schrödter 1) angeführte Beispiel aus dem Geschäfts-
1) III, S. 107 ff.
„Begriff“ des börsenmäßigen Getreidetermingeschäftes. 611
betriebe der Kunstdüngerfabriken spricht meines Erachtens viel
eher dafür, daß auch in anderen Artikeln als Getreide sich ein
dem börsenmäßigen Terminverkehr ganz gleicher Verkehr mit
Naturnotwendigkeit herausgebildet hat und nur wegen des eng be-
grenzten Geschäftsverkehres nicht jene Formen besitzt, in welchen
sich der Getreideterminhandel heute abwickelt. Es werden nämlich
in den Kunstdüngerfabriken aus überseeischen Ländern Chilisalpeter,
ferner als Rohprodukte die mineralischen Phosphate bezogen. Nun
ist auch Chilisalpeter, gleich dem Getreide, ein vertretbarer,
fungibler Artikel, welcher in einer Type, nämlich auf Grund von
95 Proz. salpetersauren Natrons in bestimmten Einheitsmengen
(50 Tonnen oder deren Vielfaches) auf längere, oft auf '/, Jahr
sich erstreckende Termine und in regelmäßigen, zweimonatlichen
Lieferzeiten, in Verkäufers Wahl gehandelt wird. Um die Kalkula-
tion auf eine vollkommen sichere Grundlage zu stellen, wird auch
der Frachtvertrag auf ein ganzes Jahr abgeschlossen, und solange
die Valutadifferenz zwischen Oesterreich und Deutschland noch sehr
schwankte, mußte man sich bei jedem einzelnen Geschäftsabschlusse
die Valuta für jenen Zeitpunkt sichern, auf welchen der Chilisalpeter
geschlossen wurde. Der Unterschied zwischen dieser Geschäftsart
und dem börsenmäßigen Terminhandel in Getreide kann daher nur
darin bestehen, daß Chilisalpeter kein Massengut ist, welches einen
Gegenstand des Weltverkehres bildet und demgemäß auch nicht die
geschäftliche Notwendigkeit gezeitigt hat, eine dem Weltverkehre ept-
sprechende Handelsform einzuführen. Der von demselben Experten !)
hervorgehobene Umstand, daß Chilisalpeter, ohne Rücksicht auf die
Preis- und Transportverhältnisse, stets effektiv geliefert und über-
nommen werden muß und daß in diesem Geschäftszweige auch bei
Verkehrsstörungen „Schiebungen“ zum Zwecke einer späteren Ver-
tragserfüllung nicht üblich sind, unterscheidet diese Gehäftsart
durchans nicht von jener des börsenmäßigen Terminhandels im
Getreide. Denn auch im Handel mit Chilisalpeter kann eine
effektive Ablieferung und Uebernahme immer dann unterbleiben
und eine Abwickelung mit Differenzzahlung, und ebenso eine Hinaus-
schiebung des ursprünglich festgesetzten Erfüllungstermines dann
erfolgen, wenn beide Vertragsteile hiermit einverstanden sind. Daß
eine derartige Einigung selten oder niemals herbeizuführen versucht
wird, oder daß derartige Versuche scheitern, ist noch kein Beweis,
daß der Vertrag effektiv abgewickelt werden muß, wie denn auch
die etwaige Abwicklung eines Chilisalpetergeschäftes mit Differenz-
zahlung, diesem Geschäfte keinen anderen Charakter aufdrücken
würde, als es jetzt besitzt.
3. Börsenmäßige Getreidetermingeschäfte, welche juristisch,
aber nicht auch wirtschaftlich als Differenzgeschäfte erklärt werden
können, welche nämlich mit der Absicht der Abwicklung durch
1) Vgl, Exp. Schrödter a. ae Os
39%
612 Alexander Horovitz,
Differenzzahlung, aber mit der wirtschaftlichen Unterlage einer
Deckung für ein Effektivgeschäft eingegangen werden.
Eine mährische Zuckerfabrik will zum Beispiel von einem
Wiener Getreidehändler telegraphisch ein größeres, in monatlichen
Zeitabschnitten abzulieferndes Maisquantum kaufen. Obschon der
Getreidehändler den Mais nicht besitzt, und auch noch gar nicht
weiß, woher er sich denselben beschaffen wird, ist er in der Lage,
das Geschäft telegraphisch abzuschließen, weil er mit Berück-
sichtigung der Erstehungskosten am Produktionsorte, in Verbindung
mit dem entsprechenden Preise auf dem Wiener Terminmarkte,
sowie mit Ausrechnung seines Geschäftsnutzens, einen entsprechen-
den Verkaufspreis anlegen kann. Zur Sicherstellung seines Nutzens
und Begrenzung seines Risikos wird er ein angemessenes Maisquan-
tum auf dem Wiener Terminmarkte kaufen, sodann die Produktions-
orte aufsuchen und in jenen Richtungen, welche in der Frachtlage
der betreffenden Zuckerfabrik am günstigsten situiert sind, den
dieser verkauften Mais erwerben. Den erworbenen Mais wird der
Getreidehändler der Zuckerfabrik vertragsgemäß abliefern und sich
nach Maßgabe dieser Ablieferungen den auf dem Terminmarkte
seiner Zeit zur Deckung und Preissicherung gekauften Mais wieder
veräußern.
Zahlreiche, insbesondere an schiffbaren Flüssen gelegene Handels-
müller müssen in bestimmten Zeiten einen reichlich beschickten
Magkt aufsuchen und das dort vorfindliche reiche Sortiment zur An-
schaffung ihres Bedarfes für einen längeren Zeitraum ausnützen.
Ein von richtigen kaufmännischen Gesichtspunkten geleiteter Müller
wird es zuweilen in seinem Geschäftsinteresse gelegen finden, ein
dem nicht sofort verwendbaren Teil des effektiv angeschafften Roh-
produktes entsprechendes Getreidequantum auf dem Terminmarkte
zu veräußern, um nicht der Gefahr eines Preisrückganges seiner
effektiv eingelagerten Ware und hierdurch auch dem Verluste seines
Geschäftsnutzens ausgesetzt zu sein. Im Zeitpunkte der Vermahlung
des effektiv angeschafften Getreides kauft er wieder das seiner Zeit
auf dem Terminmarkte verkaufte Getreidequantum zurück, für die
etwa inzwischen eingetretene Preiserhöhung findet er seinen Regreß
in dem gleichfalls eingetretenen Mehrwerte seines effektiven, nun-
mehr zur Vermahlung gelangenden Getreides.
Auch der Provinzhändler, der allmählich kleinere Getreidequan-
titäten auf einzelnen Stationen aufkauft, um sie dann als größere,
egalisierte und manipulierte, auf ein gleichmäßiges Gewicht und
eine gleiche Qualität gebrachte Post an den Mann zu bringen, ist
zuweilen aus kaufmännischen Gründen genötigt, behufs Sicherung
gegen die vom Zeitpunkte des Einkaufes bis zur möglichen Weiter-
veräußerung eintretenden Preisrückgänge, schon zur Zeit des Ein-
kaufsbeginnes diesen Posten Getreide auf dem Terminmarkte zu
verkaufen. Hat er dann auf dem Effektivmarkte keine günstigere
Verkaufsgelegenheit, so liefert er die Ware auf dem Terminmarkte
ab, sonst aber benützt er eine sich ihm darbietende bessere Ver-
„Begriff“ des börsenmäßigen Getreidetermingeschäftes. 613
kaufsgelegenheit auf dem Effektivmarkte in der Provinz oder wäh-
rend des Transportes und kauft dann das Termingetreide zurück.
Auch bei den Termingeschäften in anderen Waren ist ein ähn-
licher geschäftlicher Vorgang zu beobachten. So wird z. B. der
Zuckerraffineur, wenn sich der Absatz in weißem Zucker im Früh-
jahre schleppend gestaltet und es unmöglich erscheint, ein großes
Quantum in granuliertem Zucker abzustoßen, ein entsprechendes
Quantum auf dem Terminmarkte in Hamburg per Oktober-November
lediglich deshalb verkaufen, um sich den Preis für seine vorhandene
effektive Ware bis zur Verkaufsmöglichkeit zu sichern; ändert sich
nun inzwischen die Konjunktur, wird der Zuckerabsatz flotter, so
veräußert er den Vorrat und deckt den seiner Zeit auf dem Ham-
burger Terminmarkte erworbenen Zucker wieder zurück.
4) Börsenmäßige Termingeschäfte, welche von vornherein nur
als einem Deckungs- und Sicherungszwecke dienende Termingeschäfte,
daher als Differenzgeschäfte gedacht, aber trotzdem effektiv erfüllt
werden. S
Die praktischen Beispiele für diese Möglichkeit ergeben sich aus
den unter Punkt 3 aufgezählten Fällen, in welchen der Getreide-
händler das ursprünglich zum Zwecke der Deckung auf dem Termin-
markte gekaufte Maisquantum effektiv übernehmen und seinem Käufer,
dem Zuckerfabrikanten, abliefern wird, wenn ihm dies im Vergleiche
zu einem Einkaufe an dem Produktionsorte gewinnbringender er-
scheint; der Handelsmüller das auf dem Terminmarkte verkaufte
Getreide thatsächlich abliefern wird, wenn er für seinen überflüssigen
Getreidevorrat keine nutzbringendere Verwendung durch Vermahlung
besitzt oder zur Vermahlung gerade eine andere als die vorrätige
Qualität benötigt; der Provinzhändler das auf den Provinzmärkten
allmählich zusammengekaufte Getreide zur Erfüllung seiner Liefer-
verbindlichkeit auf dem Terminmarkte verwenden wird, wenn die
Geschäftslage des effektiven Marktes keine bessere Verwertung seiner
Ware verspricht; der Zuckerraffineur den auf dem Hamburger
Terminmarkt lediglich zur Sicherung gegen Preisrückgänge des
effektiven Zuckervorrates verkauften granulierten Zucker, effektiv
zur Ablieferung bringen wird, wenn die allgemeine Marktlage im
inländischen Zuckergeschäfte keine bessere Verkaufsmöglichkeit bietet.
Wir sehen demnach hier alle möglichen Arten von im täglichen
Verkehrsleben sich wiederholenden Geschäften, bei welchen weder
zur Zeit der Geschäftseingehung, noch der Geschäftsabwickelung fest-
zustellen ist, ob eine effektive Warenbewegung stattfinden wird oder
nicht. Es scheint mir daher ein vollständiges Verkennen des Wesens
des Deckungsgeschäftes zu sein. wenn wegen der Möglichkeit der
effektiven Erfüllung, von einer Gefahr gesprochen wird, welcher
der das Deckungsgeschäft schließende Teil dadurch gegenübersteht,
daß sich das Deckungsgeschäft in ein effektives verwandeln könne).
5) Schließlich giebt es börsenmäßige Termingeschäfte, welche in
1) Vergl. Experte von Schullern, III, 136.
Aexander Horovitz, „Begriff“ des börsenmäßigen Getreidetermingeschäftes.
3 5 > D
die Kategorie der einem Spielvertrage gleichzustellenden Differenz-
geschäfte eingereiht werden können.
Zu diesen zählen alle jene Geschäfte, bei welchen schon der
Beruf eines Vertragsteiles klar darauf hinweist, daß er nicht in der
Lage sei, die Tragweite einer derartigen spekulativen geschäftlichen
Operation zu ermessen, oder daß er, obschon im Besitze dieser in-
tellektuellen Fähigkeit, keine wirtschaftliche Berechtigung zur Be-
nützung des Getreideterminhandels zur Ausführung einer rein kauf-
männischen Spekulation besitzt.
Dies wird beispielsweise stets der Fall sein, wenn ein Hotelier,
Handwerker, Arzt, Beamter, Offizier u. s. w. Getreide kauft oder
verkauft.
In solchen Fällen artet die aus volkswirtschaftlichen Gründen
unbedingt erforderliche und zweckdienliche Spekulation in ein Spiel
eines Berufsspielers aus, der die Form des Getreidetermingeschäftes
zum Spielobjekte benützt. Dieses Spiel entspringt aber nicht der
Natur des Getreidetermingeschäftes, sondern der Berufsstellung des
daran Beteiligten. Während das Hazardspiel Spiel bleibt, wer immer
daran teilnimmt.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 615
Nachdruck verboten.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
V.
Die soziale Gesetzgebung Dänemarks.
Von Michael Koefoed, Sektionschef des Königl. statistischen Amtes in Kopenhagen.
Als die unfruchtbare Periode des politischen Streites hier zu Lande
im letzten Decennium des 19. Jahrhunderts einem fruchtbareren gemein-
schaftlichen Arbeiten der verschiedenen politischen Parteien Platz ge-
macht hatte, begab sich auch Dänemark auf die Bahn der sozialen
Reformen, welche mehr und mehr in der modernen europäischen Gesetz-
gebung zur Geltung kommt. Hier wie anderwärts ist es namentlich
die Versorgung der Arbeiter unter gewissen Umständen, welche man
sich zum Ziel gesetzt hat. Auch bei uns hat die bestehende Ordnung
der Produktion es notwendig gemacht, dem unbemittelten Teil der Be-
völkerung auf dem Wege der Gesetzgebung zu Hilfe zu kommen, aber
die Art und Weise, in welcher dies geschehen ist, trägt den besonderen
Verhältnissen des Landes Rechnung. So wie man vergebens nach einem
einheitlichen Prinzip in dieser Gesetzgebung suchen würde, so wenig
wird man finden, daß Dänemark blindlings den vom Auslande gegebenen
Mustern gefolgt ist. Im Gegenteil hat man sorgfältig die vorliegenden
Verhältnisse beachtet und insbesondere von der geringen Größe des
Landes und der ziemlich weitreichenden gegenseitigen Kenntnis der Be-
völkerung Vorteil zu ziehen versucht; dies im Verein mit der allgemein
durchgeführten kommunalen Selbstverwaltung hat dazu geführt, daß
man sich neue Bahnen gebrochen hat und besondere Wege gegangen ist.
Die betr. Gesetzgebung, von deren Hauptzügen und Ergebnissen
im folgenden eine kurze Darstellung gegeben wird, umfaßt das Gesetz
über Altersunterstützung (9. IV. 1891), das Gesetz über Krankenkassen
(12. IV. 1892) und das Gesetz betr. die Versicherung der Arbeiter gegen
die Folgen von Unfällen (7. I. 1898), ergänzt durch ein Gesetz betr.
die Versicherung der dänischen Fischer bei Unfällen (3. IV. 1900).
Nach dem Gesetz betr. die Altersunterstützung würdiger
Hilfsbedürftiger (9. IV. 1891), welche nicht der öffentlichen Armen-
pflege verfallen sind, hat jeder, der nach seinem 60. Lebensjahre außer
stande ist, für sich selbst oder seine Versorgungsberechtigten den not-
wendigen Lebensunterhalt sowie Kur und Pflege in Krankheitsfällen zu
616 Nationalökonomische Gesetzgebung.
beschaffen, Anspruch auf Altersunterstützung, insofern er das Heimat-
recht!) besitzt.
Doch muß der Betreffende überdies noch folgenden Bedingungen
genügen: a) er darf nicht durch rechtskräftiges Urteil einer in der
öffentlichen Meinung für schimpflich gehaltenen Handlung schuldig be-
funden sein, b) das Bedürfnis zur Unterstützung darf nicht durch Hand-
lungen hervorgerufen sein, durch welche er sich selbst zu Gunsten von
Kindern oder anderen der Mittel zu seinem Unterhalt beraubt hat, auch
darf dasselbe nicht durch unordentliches und verschwenderisches Leben
oder in anderer ähnlicher Weise selbstverschuldet sein, c) der Betref-
fende muß im Laufe der letzten 10 Jahre festen Aufenthalt in Däne-
mark gehabt haben, bevor er Altersunterstützung beanspruchen kann,
auch darf er in demselben Zeitraum keine Armenunterstützung empfangen
oder sich des Bettelns oder Landstreichens schuldig gemacht haben.
Aus diesen Bestimmungen wird man ersehen, daß die Altersunter-
stützung nicht bestimmten Schichten oder Klassen der Bevölkerung
vorbehalten ist, sondern daß das Gesetz jedem Bürger des Landes das
Recht auf dieselbe verleiht. Diese Hilfe wird von der Gemeinde ge-
leistet, die dadurch veranlaßten Kosten werden aber vom Staate und
der Gemeinde, je zur Hälfte getragen. Sobald jemand das 60. Lebens-
jahr erreicht hat und die sonstigen vorgenannten Bedingungen erfüllt,
ist er unterstützungsberechtigt, ohne daß er vorher irgendwelche Aus-
lagen für den Zweck gehabt hat. Hier ist also nicht die Rede von
irgendwelchem Versicherungsprinzip, die Hilfe wird vielmehr aus öffent-
lichen Mitteln gewährt und ihre Höhe richtet sich nach jedem einzelnen
Fall. Der geringe Umfang des Landes und dessen eigenartige Verhält-
nisse machen ein derartiges Verfahren zulässig. Gesuche um Unter-
stützung sind übrigens an die kommunalen Behörden zu richten.
Diese haben die Anträge zu prüfen und zu entscheiden, ob der Be-
treffende Anspruch auf Unterstützung hat. Wenn letzteres der Fall
ist, bestimmen sie, in welcher Form die Hilfe zu leisten ist — ob in
Geld, in Naturalleistungen, in Anstaltspflege u. s. w. — und in welchen
Umfang etc. Hat die Hilfsbedürftigkeit keine auf absehbare Zeit be-
schränkten Ursachen, so bleibt die einmal bewilligte Unterstützung
bestehen, so lange die Verhältnisse unverändert bleiben.
Die Durchführung des Gesetzes ist also ausschließlich in die Hände
der einzelnen Kommunalvorstände gelegt, auch können Beschwerden der
Hilfsbedürftigen über die getroffenen Entscheidungen nicht vor Gericht
anhängig gemacht werden, sondern sind den übergeordneten Verwal-
tungsbehörden zu unterbreiten, die sie eventuell dem Minister des Innern
vorlegen. Das Gesetz hatte keine Ernennung von Staatsbeamten zur
1) Das Heimatrecht haben laut Gesetz vom 19. III. 1898 in Dänemark die ehe-
lichen Kinder von Vätern und die unehelichen Kinder von Müttern, wenn der betr.
Vater oder die betr. Mutter selbst das Heimatrecht haben, ob die Geburt nun in oder
außerhalb Dänemarks erfolgt ist; ferner die Kinder, welche in Dänemark geboren sind,
gleichgiltig, wo die Eltern ihr Heim haben, wenn sie bis zu ihrem 19. Lebensjahre
ihren Wohnsitz in Dänemark gehabt haben, es sei denn, daß sie sich als Staatsbürger
eines anderen Landes erklären ; schließlich kann das Heimatrecht Personen zugestanden
werden durch die besonderen jährlichen Heimatgesetze.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 617
Folge, seine Ausführung wurde vielmehr ganz und gar der kommunalen
Selbstverwaltung anvertraut. Und man kann behaupten, daß im großen
und ganzen das Experiment geglückt ist; im allgemeinen sind die Ge-
meinden — ca. 1100 Landgemeinden mit 1 490 635 und 75 Stadtgemeinden
mit 958905 Einwohnern i. J. 1901 — in Dänemark, abgesehen von der
Hauptstadt mit ihrer nächstliegenden Umgegend und einigen größeren
Städten, wo das Gesetz daher auch die Ernennung besonderer Beamten
mit sich geführt hat, nicht von so großer Ausdehnung und Bevölke-
rungsdichtigkeit, daß die aus dem allgemeinen Stimmrecht (doch so, daß
den Höchstbesteuerten ein größerer Einfluß als den übrigen Wählern
gesichert ist) hervorgegangenen Gemeindevorstände keinen tieferen Ein-
blick in die Verhältnisse der einzelnen Ortsangehörigen haben können.
Es fällt daher im allgemeinen dem Ausschuß, welcher über die Gewäh-
rung der Hilfe und deren Höhe beschließt (auf dem Lande ist es ge-
wöhnlich der ganze Gemeindevorstand), nicht schwer, die richtige Ent-
scheidung zu treffen und die Hilfe dem Bedürfnis des einzelnen anzu-
passen, welches sich sowohl nach den individuellen wie nach den lokalen
Verhältnissen außerordentlich verschieden gestaltet. Daß auf möglichst
große Sparsamkeit Gewicht gelegt wird, liegt in der Natur der Sache,
da es die Aufeuthaltsgemeinde ist, welche die Hälfte der Ausgaben trägt
(allerdings eventuell unter Ueberwälzung von 3 Vierteln auf die Ver-
sorgungsgemeinde). Daß der Staat die andere Hälfte bestreitet, wurde
schon erwähnt. In manchen kleineren Gemeinden, wo man vielleicht
besonders bestrebt ist, die Kommunalausgaben so niedrig wie möglich zu
stellen, hat das Verfahren freilich öfters zur Folge gehabt, daß die
Unterstützung allzu knapp bemessen wurde.
Unter den Einwänden, welche am häufigsten gegen das Gesetz
erhoben werden, sind folgende zu nennen: Man macht geltend, daß der
Forderung „Hilfe zur Selbsthilfe“ nur in sehr geringem Maße genügt wird
durch die, wie man sagen könnte, negative Selbsthilfebestimmung, daß der
Betreffende erst Altersunterstützung erlangen kann, nachdem er 10 Jahre
hindurch keine Armenhilfe beansprucht hat. Es gilt jedoch hier zu
Lande wie überall, daß die Forderung der Selbsthilfe gegenüber dem
Alter nur geringe Aussichten auf Erfolg hat. Das Alter ist eine zu
fernliegende Eventualität und zwar besonders für den unbemittelten
Teil der Bevölkerung mit seiner durchschnittlich kürzeren Lebensdauer;
dies konnte man auch vor der Emanation des Gesetzes beobachten, wo
es nur in geringem Male geglückt war, durch freiwillige Association
etwas in Rücksicht der Altersversorgung zu erreichen, obgleich es einige
Kassen und Versicherungsgesellschaften für Altersunterstützung gab,
auch einige Gemeinden sich schon der Sache angenommen hatten; die
Bestrebungen der letzteren machte das Gesetz nun im wesentlichen
überflüssig.
Ferner wird eingewendet, daß die Hilfe an Alte und Hilfsbedürftige
jetzt nicht mehr von den früheren Arbeitgebern, von Verwandten u. dergl.
geleistet wird, von diesen vielmehr auf die Schultern der bürgerlichen
Gesellschaft überwälzt ist, d. h. im großen und ganzen durch die obli-
gatorischen Steuerabgaben aufgebracht werden mul. Die teilweise
Berechtigung dieses Einwands kann nicht geleugnet werden, indessen
618 Nationalökonomische Gesetzgebung.
werden die betr. Nachteile in nicht geringem Umfange in letzter Instanz
durch die Ausführungsbestimmungen der Staatsregierung beseitigt; auch
ist es offenbar für die Hilfsbedürftigen angenehmer, wenn ihnen die Hilfe
als ein Recht zusteht, ohne daß damit Einschränkungen irgendwelcher Art
verknüpft sind, als wenn sie ihnen in Gestalt eines mehr oder weniger
verschleierten Almosens zu teil wird. Hierzu kommt, daß der privaten
Wohlthätigkeit durch das Gesetz eine neue und nicht wenig bedeutungs-
volle Aufgabe erwachsen ist, indem sie Hilfsbedürftige unter 60 Jahren
durch Unterstützung davor schützen kann, daß sie der öffentlichen
Armenpflege verfallen und dadurch das Anrecht auf Altersunterstützung
verlieren. Solche Bestrebungen verfolgt z. B. der große Kopenhagener
Wobhlthätigkeitsverein, auch wird ringsumher in den Gemeinden aus der
sogenannten „Kasse der Armen“ immer ausgiebiger Unterstützung ge-
geben, da diese nicht die Wirkungen der Armenhilfe hat. Dement-
sprechend ist der Beitrag der Gemeinden zu dieser Kasse in den letzten
10 Jahren recht bedeutend gewachsen. Es liegt das offenbar im eigenen
Interesse der Gemeinden — wenngleich dies nicht der Endzweck für
die Begründung und die Wirksamkeit der Armenkassen war —, da die
Gemeinden auf diese Weise ihre Ausgaben für das Armenwesen ver-
kleinern. Denn die Armenpflege ist fast ausschließlich der kommu-
nalen Fürsorge anheimgestellt, während die Altersunterstützung zur
Hälfte von der Staatskasse getragen wird. ‘Natürlich kann auf diese
Weise den Absichten des Gesetzgebers auch zuwidergehandelt werden,
indem Personen unterstützt werden, welche eigentlich der Armenpflege
anheimfallen sollten.
Weiter wird geltend gemacht, daß der Spartrieb in den weniger
bemittelten Kreisen der Bevölkerung durch das Gesetz geschwächt werde,
weil diese wissen, daß, sobald sie das 60. Lebensjahr erreicht haben
— welches ja keine hohe Altersgrenze ist — für sie gesorgt wird, und
weiter, daß, während sie sich vordem im Alter die eine oder andere
Art von Beschäftigung suchten, welche ihnen einen, wenn auch nur
notdürftigen Unterhalt gewährte, sie sich jetzt alsbald an die Oeffent-
lichkeit wendeten und ihre Forderungen um Hilfe geltend machten. —
Diese Hilfe könne ihnen auch infolge der unklaren Kriterien des Ge-
setzes, betr. die Bedürftigkeit, in der Regel nicht versagt werden. Manches
könnte nun wohl gegen die Schwächung des Spartriebes geschehen, und
geschieht auch, indem die Gemeinden — wie z. B. die Hauptstadt —
nicht allzu einseitig dem Buchstaben des Gesetzes folgen und nicht
immer die Unterstützung erst dann gewähren, wenn der Betreffende
sein eventuelles Kapital aufgezehrt hat, vorausgesetzt allerdings, dab
dieses Kapital ein selbsterworbenes ist. Der Unlust zum weiteren Ar-
beiten nach dem 60. Lebensjahre wird auch dadurch wirksam begegnet,
daß die genaue persönliche Kenntnis der Verhältnisse der Antragsteller,
namentlich in den kleinen Gemeinden, es ermöglicht, die Höhe der zu
leistenden Hilfe einzuschränken, wenn man findet, daß der Betreffende
noch arbeitsfähig ist. Man darf auch nicht vergessen, daß die Hilfe,
welche auf Grund des Gesetzes geleistet wird, sich auf das absolut
Notwendige beschränkt, so daß kaum jemand, der sich durch eigene
Arbeit noch einen einigermaßen zureichenden Arbeitsverdienst verschaffen
Nationalökonomische Gesetzgebung. 619
kann, dieses unterlassen wird, um sich mit der vom Gesetz spärlich
zugemessenen Unterstützung zu begnügen. Die Höhe der Hilfe — vergl.
unten — zeigt auch, daß die Unterstützten thatsächlich andere Ein-
nahmen in nicht geringem Umfang haben müssen.
Die seit Inkrafttreten des Gesetzes gemachten Vorschläge zu Ver-
besserungen desselben haben namentlich, was auch angemessen er-
scheint, zum Ziel, die oben berührten Uebelstände zu beseitigen. Es
kann diesbezüglich besonders auf einen in der Reichstagsversammlung
von 1899/1900 erstatteten Bericht der Folkethingskommission hinge-
wiesen werden (vergl. die Reichstagszeitung von diesem Jahre), welche
zur Beratung der von seiten der Sozialdemokraten eingebrachten Aende-
rungsvorschläge betr. das Altersunterstützungsgesetz eingesetzt worden
war. In diesem Bericht findet man unter anderem auch eine Aeuße-
rung des Kopenhagener Magistrats !), von dem die Verwaltung der
Altersunterstützung in Kopenhagen ressortiert, bezüglich der Richtungen,
in denen nach seinem Ermessen die Aenderung des jetzt geltenden
Gesetzes erfolgen müsse. Er verlangt in der Hauptsache: 1) schärfere
Bestimmungen betr. die Würdigkeit, als die jetzt geltenden, 2) Fest-
setzung einer Bedarfsstufe, d. h. Angabe dessen, was zum Unterhalt
notwendig ist, sowie Anleitung zur Berechnung des jährlichen Einkom-
mens, so daß der Antragsteller keine Unterstützung erhalten würde,
wenn sein Einkommen die Bedarfsstufe überschreitet, und schließlich
3) die Einführung fester Taxen für die Höhe der Hilfe, unterschieden
nach dem Alter und Aufenthaltsorte des Unterstützten (Berücksichtigung
der variierenden Lebensmittelpreise in den verschiedenen Teilen des
Landes). Es darf aber hierbei nicht übersehen werden, daß diese Vor-
schläge die Uebelstände betonen, welche die Anwendung des Gesetzes
in der bei weitem größten Kommune des Landes hervorgerufen hat,
und daß in dem Gutachten, zu welchen der allen Gemeinden des Landes,
zur Erwägung übersandte Bericht Veranlassung gegeben hat, teils der
Zufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen, teils und namentlich
der Befürchtung Ausdruck gegeben worden ist, daß die Einführung
fester Taxen zu einer rapiden Steigerung der Ausgaben für die Alters-
unterstützung führen würde. Es läßt sich also behaupten, daß bis jetzt
noch keine Einstimmigkeit über die Mängel des bestehenden Gesetzes
besteht und noch weniger über die Hauptrichtung, in welcher die Reform
sich bewegen sollte.
Das Folkething erachtete es daher für richtig, das bestehende Gesetz
nur an einzelnen Punkten zu ändern, ohne das eigentliche Hauptprinzip
desselben anzutasten. Die dementsprechenden Anträge wurden ange-
nommen. In der gegenwärtigen Reichstagssession 1901/02 ist daher’
von der im letzten Sommer im Sinne der Majorität des Folkethings ge-
bildeten Regierung dem Landsthing eine Novelle über Aenderungen im
Altersunterstützungsgesetz vorgelegt worden, welche sich im wesent-
lichen an die Beschlüsse des Folkethings vom vorangegangenen Jahre
anschließt; die hauptsächlichsten Vorschläge zielen darauf ab, die Be-
simmungen des bestehenden Gesetzes zu mildern, nach welchen die
1) Vergl. auch J. G. F. Ræder: Ueber Altersunterstützung. Kopenhagen 1899.
620 Nationulükonomische Gesetzgebung.
Armenunterstützung ein Hindernis zur Erlangung der Altersunterstützung
bildet, indem die Frist, in welcher Armenhilfe nicht bezogen sein darí,
von 10 auf 5 Jahre herabgesetzt wird und Beihilfe zur Krankenbehand-
lung (Medizin und Hospitalbehandlung einbegriffen), nicht als Hindernis
zur Erlangung der Altersunterstützung gelten soll. Ferner wird vor-
geschlagen, daß Einnahmen, welche der Ansucher aus privater Unter-
stützung, Leibrente, Legat, Pension oder dergleichen eventuell bezieht,
bis zu einem Betrage von 100 Kronen jährlich ebenso wie der Wert
freier Wohnung im eigenen oder fremden Hause, bei Beurteilung der
Hilfsbedürftigkeit nicht in Rechnung gezogen werden soll. Hierdurch
soll dem Uebelstande abgeholfen werden. daß kleinere Einnahmen, die
man vielleicht dem Fleiß und der Sparsamkeit verdankt, auf die Höhe
der Altersunterstützung einwirken. Dieser letztere Vorschlag wurde
teilweise mit Wohlwollen vom Landsthing aufgenommen, und es machten
sich sogar Stimmen geltend, welche die Bestimmung dahin erweitert
wissen wollten, daß auch die Einnahmen durch Selbsterwerb innerhalb
derselben Grenze außer Betracht bleiben sollen.
Ueber die Wirkungen des Gesetzes lassen sich aus den Veröffent-
lichungen des statistischen Amtes folgende Angaben entnehmen (vergl.
Statistische Mitteilungen, 3. Folge, Bd. 15 und 17, und 4. Folge, Bd.},
außerdem Statistisches Jahrbuch).
h ` Durchschnittlich
Ko EE | jährliche Unter- , Gesamte
i 3 ARTE | | stützung ‚ Ausgabe | Davon
| Zu- zur Alters-| Zuschuß
Jahr Lë, pro unter- des Staates
|” pro Selbst- | stutzung
Selbstunterstützte nt | Person unter- |
i S F stutzten
Männer | Frauen | stützte Kr. Kr. | Kr. Kr.
1892 | 13 311 | 15646 | 12 869 l 43 826 | 58,32 82,62 | 2557 961 | 1 014 278
1893 | 16207 | 16722 | 13652 | 46581 | 63,61 90,00 | 2 903 086 | 1 392 154
1894 | 16847 | 17856 | 13706 | 48409 | 68,77 95,82 |3 249 454 , 1618724
1895 | 17447 | 18799 | 14223 50469 | 72,91 | 101,61 | 3 597 085 | 1796913
1896 | 18 165 | 19810 | 14955 52930 | 75,82 | 105,62 | 3 893 699 | 1 950 134
1897 | 18461 | 20587 | 15240 | 54288 | 78,78 | 109,58 | 4 189 448 | 2 109902
1898 | 19198 | 21561 | 15897 | 56656 | 82,24 | 114,47 | 4 551 340 | 2 275 673
1899 | 19560 | 22254 | 15895 | 57709 | 85,32 | 118,03 |4 851 746 | 2427 43?
1 Krone à 100 Øre = 1,12 Mark.
Die Tabelle zeigt einen steten, obwohl in den letzten Jahren ab-
nehmenden Zuwachs in der Anzahl der unterstützten Personen, teils
infolge dieses Umstandes, teils weil die durchschnittliche Höhe der
zugestandenen Unterstützungen mehr und mehr gewachsen ist, sind die
gesamten Ausgaben der Altersunterstützung von reichlich 21/, Mill. Kr.
im Jahre 1892 bis nahe auf 5 Mill. Kr. im Jahre 1899 gestiegen. In
den obengenannten Zahlen sind die vorbehaltlich Unterstützten nicht
mitgerechnet, die Anzahl derselben ist jedoch nicht bedeutend, in den
letzten Jahren ca. 400 jährlich.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
621
Die absolute und relative Altersverteilung der Selbstunterstützten
in den Hauptteilen des Landes geht aus der folgenden Tabelle hervor.
Hauptstadt
Also über ein Fünftel der Bevölkerung des Landes
Kopenhagen re Städte!) Landbezirke Dänemark
1899 | Proz.?)| 1899 | Proz.?)| 1899 | Proz.?)| 1899 | Proz.*)| 1899 | Proz.’
— 5 ` a = el’ Sch
60—65 Jahre Miner 288 7,7 308 5,4 49 4,0 | 1863 7,0 2508| 6,8
rauen 742 | 19,5 586 | 16,2 117 14,3 | 1479| 14,8 2924| 16,0
65—70 Jahre J Männer | 514 | 17,4 645 | 12,9 64 7,9 | 3572| 14,8 | 4795| 14,6
Frauen | 1098 | 32,2 989 | 24,5 164 18,8 | 2643| 22,2 4894| 24,2
70 Jahre Männer 926 | 26,3 | 1669| 29,7 137 13,4 | 9134 | 27,7 |11 866| 27,5
und darüber | Frauen | 2270| 35,9 | 2719| 37,5 370 23,1 | 8361| 32,4 |13720| 33,4
In allem | 5838| 24,4 | 6916 | 22,0 901 14,6 |27 052| 20,5 |40 707| 21,0
im Alter von
60 Jahren und darüber erhält Altersunterstützung. Die bei weitem am
meisten vorkommende Unterstützungsform besteht in Bargeld; in Asylen
waren im Jahre 1899: 927 Personen (davon 479 in Kopenhagen) unter-
gebracht.
In der folgenden Tabelle sind die Unterstützten des Jahres 1899
in den Hauptteilen des Landes nach der Höhe des Unterstützungs-
betrages prozentweise angegeben und zugleich die durchschnittliche
Höhe des Unterstützungsbetrages pro Selbstunterstützten.
EE Finn Städte Landbezirke Dänemark
Kopenhagen städte
ZS E E £ ZS £ E E | S g
À | P E f E fa À G = fa
Proz. | Proz. | Proz. | Proz. | Proz. | Proz Proz. | Proz. | Proz. | Proz
Familienversorger
Unter 50 Kx. 5,8 6,1 2,8 7,4 — — 13,7 | 13,0 | II,4 | 10,8
50—100 ,, 7,9 | 57,6 20,3 29,6 11,6 — 37,3 | 54,5 | 32,4 50,8
100—150 ,, 24,0 | 30,3 | 25,8 | 48,2 | 21,0 — 25,9 | 25,2 | 25,6 | 29,2
150—200 ,, 23,9 6,0 | 21,2 14,8 18,8 | 100,0 | 13,8 4,9 15,7 7,6
200 Kr. und dar- |
über 38,4 29,9 — | 48,6 _ 9,3 2,4 | 14,9 1,6
Alleinstehende Per- |
sonen |
Unter 50 Kr. 8,7 5,7 3,8 4,7 0,7 3,6 | 15,8 | 16,1 | 13,1 | 11,5
50—100 , 17,6 | 31,6 | 25,5 | 33,5 | 19,0 | 23,0 | 40,0 | 46,2 | 35,3 | 40,2
100—150 „ 32,6 | 38,6 | 33,4 | 39.1 | 27,7 | 32,6 | 30,0 | 29,8 | 30,7 | 33,4
150—200 ,, 25,6 | 21,4 | 23,5 | 17,8 | 19,7 | 31,2 | 10,9 | 6,3 | 14,3 | 12,1
200 Kr. und dar- |
über 15,5 2,7 | 13,8 4,9 | 32,9 9,6 3,3 | 16 6,6 2,8
—— —— |,
Durchschnittlicher ë 2 s | r
Unterstützungsbetrag 161,76 Kr. | 138,54 Kr. | 175,42 Kr. 101,28 Kr. || 118,03 Kr.
1) Hierunter namentlich Frederiksberg, Vorstadt Kopenhagens.
2) d. i. die durchschnittlich jährliche Anzahl der Unterstützten in den 3 Jahren
an im Proz. der berechneten Bevölkerung der betreffenden Altersklasse im
ahre 1898.
622 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Hinsichtlich der Steigerung in der gesamten Ausgabe für die Alters-
unterstützung muß bemerkt werden, daß diese Ausgabe doch nicht in
ihrem ganzen Umfange eine neue Last für das Land bedeutet, denn
gleichzeitig haben sich die Ausgaben für die öffentliche Armenpflege,
die in der Hauptsache den Kommunen obliegt, gemindert. Nachstehend
findet sich eine Uebersicht über die Ausgaben der Kommunen für das
Armenwesen und für die Altersunterstützung für die Jahre 1890 und
1899.
1890 1899 |
\ Alters- Alters- |
Armen- Armen- |
- unter We unter: Zusammen
wesen peA | wesen pe |
stützung stützung |
Bes Kr. Rie JL RE. 2 Ke | Kr _\
Kopenhagen 1 639 268 — 11413886 460081 |1873 967
Provinzialstädte] 1 183 482 — 1 209 988| 452037 |1 662025
Städte 207 363 -— 234 717 60220 || 294937
Landbezirke 5 177 249 — 4 168 604 |I 451 976 |5 620 580
In allem |8 207 362 | — 7 027 195 |2 424 314!) lo 451 509 ')
Man ersieht hieraus, daß, obgleich die gesamte Ausgabe der Oeffent-
lichkeit zur Fürsorge für die Unbemittelten durch Armen- und Alters-
unterstützung im Laufe von 10 Jahren von 8,21 bis zu 11,88 Mill. Kr.
gestiegen ist, die der Kommunen für dieselben Zwecke nur ein Wachs-
tum von 8,21 auf 9,45 Mill. Kr., d. h. um 1,24 Mill. Kr. erfahren hat.
Das ist eine keineswegs große Summe, wenn man die stete Zunahme
der Ausgaben für Armenpflege in den Jahren vor Inkrafttreten des
Altersgesetzes sowie den Zuwachs der Bevölkerung im Laufe der be-
treffenden 10 Jahre (von 1890—1901 nahm die Bevölkerung Däne
marks um 12,8 Proz. zu) in Betracht zieht. Thatsächlich läßt sich also
behaupten, daß das Gesetz über Altersunterstützung keine neue Be-
lastung von Bedeutung für die Kommunen im großen und ganzen mit
sich geführt hat; im Gegenteil hat ein großer Teil der Gemeinden —
und namentlich des platten Landes — vermittelst des Gesetzes einige
der Ausgaben, welche sonst in der Form von Armenhilfe ihnen selbst
zur Last gefallen wären, auf die Staatskasse abgewälzt. Eine nähere
Untersuchung dieser Verhältnisse ist nicht angängig, weil es hierfür
an der dazu erforderlichen Grundlage gebricht: einer eigentlichen Armen-
statistik für das Land im großen und ganzen.
Wenden wir uns nunmehr zu dem Gesetz über die autori-
sierten Krankenkassen (12. IV. 1892), so finden wir dabei in
Dänemark das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ ohne Zwang irgend-
welcher Art, durchgeführt, und, wie es scheint, mit Erfolg. Zu letzterem
dürfte der Umstand beigetragen haben, daß man auf diesem Gebiet mit
einer Eventualität zu thun hat, welche den meisten deutlich vor Augen
1) Hierin ist der Anteil des Staates an der Ausgabe zur Altersunterstützung,
welche 2 427 432 Kr. beträgt, nicht einbegriffen,
Nationalökonomische Gesetzgebung. 623
schwebt und die zu mildern sie auch opferbereit sind, dementsprechend
stand man hier bei Emanation des Gesetzes einer lebenskräftigen Orga-
nisation gegenüber, auf der man weiterbauen konnte,
Während vordem die Innungen Verbände unterhielten, welche den
Mitgliedern im Falle von Krankheit, Invalidität, Unfall und Beerdigung
Beihilfe leisteten, waren diese Aufgaben nach Aufhebung der Innungen
(von 1862 an mit Bezug auf das Gewerbegesetz vom 29. XII. 1857)
eine Zeitlang wesentlich auf private Initiative angewiesen. Alsdann
erstanden bald nach 1862 hier zu Lande Kranken- und Begräbniskassen,
welche bald selbständig, bald in Verbindung mit anderen wirkten. Die-
selben wuchsen allmählich heran und bildeten sehr bedeutende Insti-
tutionen mit großer Mitgliederzahl, erst in den Städten, später auch auf
dem Lande, sie wurden durch die Gewerkschaften gefördert, als diese
von 1870 an sich nach und nach entwickelten, indem dieselben gewöhn-
lich ihren Mitgliedern die Pflicht auferlegten, einer Krankenkasse anzu-
gehören, und keine Unterstützungspflicht in Krankheitsfällen auf sich
nahmen. Die Krankenkassen verfügten auf diese Weise allmählich über
bedeutende Summen und verwalteten im großen und ganzen billig.
Der Boden war daher gut vorbereitet — wozu im übrigen auch
die große Aufklärung des gemeinen Volkes hier zu Lande das ihrige
beigetragen hat — als der Staat fördernd eingriff und jene freiwilligen
Institutionen unterstützte. Der Beitritt zu den Krankenkassen ist nicht
obligatorisch, was den Uebelstand mit sich führt, daß die besonders
schlecht gestellten Personen, welche nicht die Mittel haben, die nötigen
Krankenkassenbeiträge aufzubringen, sowie die weniger Fürsorglichen
der Hilfe nicht teilhaftig werden, welche der Staat auf dem Gebiete
des Krankenkassenwesens leistet. In diesem Zusammenhang muß übrigens
erwähnt werden, daß infolge des Armengesetzes (9. IV. 1891) unter
anderem die Ausgaben für Arzt und Hebamme dem damit Unterstützten
nicht als Armenunterstützung angerechnet werden. Dasselbe gilt für
die Unkosten, welche der Oeffentlichkeit aus Erziehung, Unterhalt und
Versorgung, Kur und Pflege der Blinden, Taubstummen, Idioten, Geistes-
kranken, Epileptiker, Siechen, Tuberkulösen und Lupuskranken erwach-
sen, doch nur sofern die betreffenden in staatlichen oder in dazu vom Staat
berechtigten Anstalten untergebracht sind, ebenso wenig für Ausgaben,
welche durch besonders ansteckende Krankheiten veranlaßt sind. —
Als Aufmunterung für den Beitritt zu Krankenkassen enthält anderer-
seits das Armengesetz die Bestimmung, daß den Krankenkassenmit-
gliedern unter gewissen näheren Bedingungen das Recht zusteht — je-
doch nur insofern sie hier im Lande versorgungsberechtigt sind — nach
Aufhören der Krankenkassenunterstützung die zur Fortsetzung der Kur
und Pflege oder zu ihrem und ihrer Familie notwendigen Lebensunter-
halt erforderlichen Mittel von der Kommune zu erhalten, ohne daß dies
die Folgen der Armenunterstützung nach sich zieht. Letzteres freilich
nur, sofern und solange diese Unterstützung die bezogene Krankenkassen-
hilfe nicht nach Dauer und Umfang übersteigt.
Aus den Bestimmungen des Gesetzes ist hervorzuheben, daß jeder
Krankenkasse bezw. Verbande von Personen, die sich zusammengeschlossen
624 Nationalökonomische Gesetzgebung.
haben, um gegen bestimmte Beiträge sich gegenseitig Hilfe in Krank-
heitsfällen zu sichern, das Recht zusteht, autorisiert zu werden (letzteres
geschieht durch das Ministerium des Innern nach Begutachtung durch
den Inspektor der Krankenkassen) und damit Unterstützung von der
Oeffentlichkeit zu erlangen, wenn sie die erforderlichen Bedingungen
erfüllt. Dazu gehört, daß die Kasse aus mindestens 50 Mitgliedern
besteht — im Gegensatz zum Altersgesetz ist es hier gleichgiltig, ob
die betreffenden In- oder Ausländer sind — und daß dieselbe auf ein
bestimmtes Fach (Handel, Industrie oder Handwerk) oder auf ein be-
stimmtes Territorium, in der Regel die Kommune, beschränkt ist. Die
Mitglieder müssen den weniger bemittelten Bevölkerungsschichten an-
gehören (Arbeiter, Häusler, Handwerker und Gewerbetreibende, Beamte
mit geringem Lohn und andere mit obengenannten in ökonomischer
Hinsicht gleichgestellte Männer und Frauen); niemand darf vor voll-
endetem 15. Lebensjahre als Mitglied aufgenommen werden, und Per-
sonen, welche an einer chronischen oder unheilbaren Krankheit leiden,
die eine wesentliche Beschränkung der Arbeitsfähigkeit mit sich führt
oder mit sich führen könnte, dürfen nur aufgenommen werden, wenn
dies in den Statuten der Krankenkasse besonders angegeben ist, auch
darf diesen kein Anrecht auf Hilfe für die betreffende Krankheit zuge-
standen werden. Der Beitritt muß jedem freistehen, welcher die Be-
dingungen der für die Kasse genehmigten Statuten erfüllt. Sollten
Zweifel betreffend die Aufnahmefähigkeit von Mitgliedern bestehen, so
wird die Entscheidung von einer Kommission getroffen, die sich aus
einem von dem lokalen Gemeindevorstand, aus einem von dem Vorstand
der Kasse erwählten Mitglied und aus dem Kassenarzt zusammensetzt;
die von der Kommission getroffene Entscheidung kann unter gewissen
Einschränkungen beanstandet und dem Ministerium des Innern vom
Krankenkasseninspektor oder der abgelehnten Person unterbreitet werden.
Niemand darf gleichzeitig Mitglied von mehr als einer autorisierten
Krankenkasse sein.
Die Höhe des Mitgliederbeitrages bei den autorisierten Kranken-
kassen wird so festgestellt, daß derselbe zusammen mit den übrigen
ordinären Einnahmen der Kasse und dem Zuschuß des Staates nach
den vorhandenen Erfahrungen vermutlich zur Erfüllung der Verpflich-
tungen der Kasse hinreicht. Der jährliche Zuschuß des Staates an die
autorisierten Krankenkassen wird teils im Verhältnis zu ihrem Mitglieder-
bestand am Schluß des Jahres, teils im Verhältnis zum Mitgliederbei-
trag in dem betreffenden Jahre verteilt und beträgt gewöhnlich 2 Kr.
pro Mitglied und 1/, vom Mitgliederbeitrag; der Krankenkasseninspektor
berechnet und verteilt den Staatszuschuß unter die Kassen, deren Pflicht
es ist, die hierzu erforderlichen Angaben zu machen.
Im übrigen bestimmt das Gesetz, daß der Krankenkasse ermäligt®
Gebühren bei Aufnahme ihrer Mitglieder (und deren Kinder unter
15 Jahren) in öffentliche Krankenhäuser zustehen, solange diese be-
rechtigt sind, Hilfe von der Kasse zu beanspruchen, ebenso können
auch auf dem Lande die Krankenkassenmitglieder von der betreffenden
Nationalökonomische Gesetzgebung. 625
Kommune freie Beförderung zum Arzte u. dergl. unter gewissen näheren
Bedingungen beanspruchen.
In Krankheitsfällen sollen die autorisierten Krankenkassen den Mit-
gliedern und ihren Kindern unter 15 Jahren — insofern letztere sich
zu Hause aufhalten — freie ärztliche Hilfe und Krankenhausverpflegung
leisten, ferner den Mitgliedern ein tägliches Krankengeld, welches in
gewissem Verhältnis zum Arbeitsverdienst steht, jedoch nicht über */,
vom Arbeitsverdienst, mindestens aber ?/, Kr. täglich betragen mul.
Krankengeld wird nicht geleistet bei nur dreitägiger Krankheit. Das
Recht auf Krankengeld soll sich auf einen Zeitraum von mindestens
13 Wochen im Laufe von 12 aufeinander folgenden Monaten erstrecken,
und hat ein Mitglied im Laufe von 3 aufeinander folgenden Rechnungs-
jahren 60 Wochen hindurch Krankenunterstützung genossen, soll der
Betreffende keinen Anspruch mehr auf weitere Hilfe seitens der Kasse
haben, es sei denn, daß die Statuten es anders bestimmen, doch kann
er mit Beginn des folgenden Rechnungsjahres wieder aufgenommen
werden, wenn er durch ärztliches Attest nachweisen kann, daß sein
Gesundheitszustand ihn nicht von dem Beitritt zu einer autorisierten
Krankenkasse ausschließt.
Der Krankenkasseninspektor, von dem die Krankenkassen ressor-
tieren, wird vom König ernannt. Er veranstaltet jährliche Sitzungen
von Vertrauensmännern der autorisierten Krankenkassen des ganzen
Landes oder der einzelnen Provinzen, besonders in der Absicht, die
Kassen gegenüber Fragen, bei denen sich ihre Interessen berühren, zu
einheitlichem Verfahren zu veranlassen. Aus den Vorständen sämt-
licher Krankenkassen wird ein Ausschuß erwählt, dessen Vorsitzender
der Krankenkasseninspektor ist. Letzterer kann den Ausschuß zur Er-
örterung jeder Frage betreffend die Krankenkasseninstitution zusammen-
rufen. Die Wahl und Bestallung des Kassenarztes ist Sache der Kassen
selbst, die dazu mit dem Arzte bezw. den Aerzten des betreffenden Ortes
Vereinbarung treffen; bald wird nur einer, bald werden alle berufen.
Im größten Teil des Landes fungiert dieses System gut, in einigen
Gegenden sind jedoch neuerdings von seiten der Aerzte höhere An-
sprüche geltend gemacht worden, als die Kassen, welche die Bezahlung
der Aerzte für die unbemittelten Klassen übernommen haben — die
Aerzte würden sonst oft das ihnen zustehende Honorar nicht erlangen —
glauben aufbringen zu können, während die Aerzte darüber klagen, daß
die Krankenkassen den Begriff „unbemittelt“ zu weit ausdehnen. Des-
halb sind auch namentlich von seiten der Sozialdemokratie Ansprüche
dahin geltend gemacht worden, daß die Krankenkassenärzte vom Staate
angestellt werden sollen, doch scheinen jene Differenzen beglichen zu
sein.
Das Gesetz hat gut gewirkt, und die Krankenkassen sind seit dem
Inkrafttreten des Gesetzes weiter aufgeblüht; die nachstehenden stati-
stischen Angaben, welche teils dem statistischen Jahrbuch, teils den
jährlichen Berichten des Krankenkasseninspektors entnommen sind, werden
dies beweisen.
Dritte Folge Bd. XXIII (LXXVIII). 40
626 Nationalökonomische Gesetzgebung.
| 1893 1895 `
1898 “j 1900
Am 31. Dezember war
die Anzahl der autorisierten
Kassen 457 628 902 Il
die Anzahl der Mitglieder 116 763 154 882 231653 302 098
das Vermögen der Kassen in
Kronen e 605 275 1 064 266 1 899 806 2 367 129
Einnahme in Kronen
Mitgliederbeiträge 721 828 969 083 1431049 1 957 957
Zuschuß des Staates!) — 410641 621 568 833 745
ZuschuB der Kommunen 24 580 34 707 47 618 64 290
Andere Einnahmen 83 517 114 078 160 384 240 747
Zusammen | 829 925 1 528 509 2 260 619 3 096 739
Ausgabe in Kronen
Krankengeld, Wöchnerinnen-
unterstützung 439 312 585 998 802 029 1175 172
Krankenhausverpflegung 51031 79 097 130 466 185 566
Aerztliche Hilfe, Transport 266 286 443 400 710 442 990 153
Arznei u. dgl. 122 161 165 217 235 852 354 082
Honorar des Vorstandes,
Drucksachen 84 190 98 280 149 622 219 398
Zusammen | 962 980 | 1371992 | 2028411 | 2924371
Die durchschnittliche Anzahl von Krankentagen belief sich im Jahre
1900 auf 5,6 Tage für Männer, 5,1 für Frauen; sie ist für beide Ge-
schlechter, namentlich aber für Männer weit geringer auf dem Lande
als in den Städten. Von den 1104 Kassen waren im Jahre 1900
1037 territorial begrenzt, 47 waren Fach- und 20 Fabrikkrankenkassen.
Von den Mitgliedern des Jahres 1900 waren 51 Proz. Männer und
49 Proz. Frauen. Daß man übrigens durch diese freiwillige Organi-
sation einen großen Teil der Bevölkerung erfaßt hat, läßt sich daraus
ersehen, daß den Krankenkassen im Jahre 1900 ca. 1/, der erwachsenen
Bevölkerung Dänemarks angehörte. Dabei ist zu beachten, daß nur
der weniger bemittelte Teil der Bevölkerung berechtigt ist, den autori-
sierten Krankenkassen beizutreten, und daß diese Kassen auch den
Kindern unter 15 Jahren, soweit sie im elterlichen Haushalt leben,
Unterstützung im Krankheitsfall gewähren.
Mehrere der autorisierten Krankenkassen wirken zugleich alsSterbe-
kassen; vom 1. Januar 1900 ist daher in Dänemark ein „Rückver-
sicherungsverband für Sterbekassen“ ins Leben getreten, welcher am
Schluß des Jahres 208 Kassen mit 43 193 Mitgliedern umfaßte, und bei
welchem ein Sterbegeld von 3698285 Kr. zurückversichert war. Der
Staat hat diesem Verband 5 Jahre hindurch einen Zuschuß von 5000 Er.
jährlich bewilligt; seine gesamte Einnahme im ersten Jahre seines Be-
stehens war 69884 Kr., die Ausgabe 38639 Kr. (hiervon 36 775 Kr.
1) Der Zuschuß des Staates für 1893 (345 127 Kr.) ist erst 1894 ausgezahlt worden
und daher in der Einnahme des letzteren Jahres enthalten u. s. w.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 627
für Begräbnisbeihilfe), so daß der Verband im ersten Wirkungsjahr ein
Vermögen von 31245 Kr. angesammelt hat.
Versicherung gegen die Folgen von Unfällen genießen in
Dänemark die Arbeiter gewisser Betriebsarten (7. I. 1898) und die
Fischer (3. IV. 1900). Die Unfallversicherung war früher im wesent-
lichen außerhalb des Wirkungskreises der freiwilligen Associationen
geblieben; der Unfall gehörte nicht zu den Eventualitäten, gegen
deren Folgen die Arbeiter sich in erster Linie sicherten. Aller-
dings erkannten es die Arbeitgeber oft als moralische Pflicht, ihren
Arbeitern für die Unfälle, welche ihnen während der Arbeit zustießen,
Entschädigung zu leisten, aber irgendwelche gesetzliche Verpflichtung
dazu hatten sie nur nach den geltenden Regeln betreffend die Ver-
antwortung für gesetzwidrige Schädigung. Nach und nach war es
jedoch recht allgemein geworden, daß Arbeitgeber ihre Arbeiter bei
in- oder ausländischen Versicherungsgesellschaften einkauften, doch
galt dies nicht für alle und war eben eine freiwillige Sache. Nach
Inkrafttreten des obengenannten Gesetzes vom 15. Januar 1899 ist
hierin jedoch eine bedeutende Wandlung eingetreten. Das Gesetz
legt eine Haftpflicht für gewisse Gruppen von Arbeitern fest und
bürdet den Arbeitgebern allein die damit verbundenen Lasten auf, ohne
daß die Arbeiter Beiträge oder die Oeffentlichkeit Zuschüsse leistet.
Der Staat beschränkt sich darauf, die Kosten des Arbeiterversicherungs-
rats zu tragen, welchem die Durchführung des Gesetzes obliegt, der
alle Berichte entgegennimmt und alle Entscheidungen trifft, in gewissen
Fällen allerdings unter Rekurs an das Ministerium des Innern. In die
Hände dieses Rates ist übrigens eine große Machtfülle gelegt, weil ein
Gesetz wie das in Rede stehende der Behörde selbstverständlich viele
Entscheidungen überlassen muß und viele zweifelhafte Fälle mit sich
bringt, wo die Entscheidung von der Deutung des Gesetzes abhängt.
Es haben sich denn auch auf seiten der Arbeitgeber Stimmen geltend
gemacht, welche den Rat beschuldigen, daß er — unter Beihilfe des
Ministeriums des Innern — das Gesetz mit mehr Rücksichtnahme auf
die Arbeiter als auf die Arbeitgeber ausgelegt habe. Es darf aber
andererseits nicht außer Betracht gelassen werden, daß es für eine er-
folgreiche Durchführung der Bestimmungen des Gesetzes notwendig ist,
der Obrigkeit, welche es ins Leben führen soll, die erforderlichen Macht-
mittel zu übertragen, sonst würde die Sache leicht ins Stocken geraten
und zu unabsehbaren Weiterungen führen. Es ist der einzelne Arbeit-
geber, der für die durch jeden Unfall in seinem Betriebe verursachten
Kosten haftet sobald die Größe des Schadens festgestellt ist (vergl. unten).
Das Gesetz bezieht sich hauptsächlich auf Unfälle in der Industrie
und im Maschinenbetrieb der Landwirtschaft, mag nun der Arbeitgeber
eine Einzelperson, eine Gesellschaft, der Staat oder die Kommune sein.
Vom Gesetz werden alle solche Fabriken und fabrikmäßig betriebenen
Werkstätten getroffen, welche kraft des Gesetzes betr. Veranstaltungen
zur Verhütung von Unfällen beim Gebrauch von Maschinen (12. IV. 1889)
40*
628 Nationalökonomische Gesetzgebung.
der Fabrikinspektion unterstellt sind D: ferner die Herstellung von Spreng-
stoffen, Arbeiten in Stein- und Kalkbrüchen, Ausführung von Maurer-,
Zimmer-, Dachdecker-, Steinhauer- und Brunnenarbeit, Schiffsbau, Bau
und Betrieb von Eisen- und Straßenbahnen, Kanalisations-, Gas- und
Wasserleitungsarbeiten, Drainage, Spedition, Taucherarbeit, Mühlen-
betrieb u. s. w. In allen diesen Betrieben kommt das Gesetz zur An-
wendung bei Unfällen, verursacht durch den Betrieb selbst oder durch
die Verhältnisse, unter denen derselbe vor sich geht, jedoch nur inso-
weit die genannten Arbeiten als Gewerbe betrieben oder vom Staat
oder von der Kommune ausgeübt werden. Außerdem betrifft das Gesetz
jeden Betrieb, welcher Maschinen solcher Art benutzt, daß er kraft des
Maschinenschutzgesetzes der Fabrikinspektion unterstellt ist. Hier er-
streckt sich das Gesetz jedoch nur auf die Unfälle, welche bei der Be-
dienung solcher Maschinen erfolgen. Die Haftpflicht umfaßt alle Insowohl
als Ausländer, welche gegen Lohn oder als ungelohnte Lehrlinge (Ge-
hilfen) vom Arbeitgeber in dem technisch-mechanischen Teil des Betriebes
beschäftigt werden oder denselben beaufsichtigen (letztere jedoch nur,
wenn sie weniger als 2400 Kr. Jahreslohn beziehen).
Für die genannten Unfälle liegt den Arbeitgebern — insofern der
Unfall nicht vorsätzlich herbeigeführt oder durch grobe Unachtsamkeit
des Betreffenden verschuldet ist, in welchem Falle jeder Anspruch an
den Arbeitgeber wegfällt — eine Ersatzpflicht ob; die Entschädigung wird
als Tagegeld entrichtet und beträgt 8/; vom bezogenen Lohn (minde-
stens 1 Kr., höchstens 2 Kr. täglich), bis die Krankenbehandlung be-
endet ist — insofern dieselbe mit der Heilung endet — aber sonst
nur bis andauernde Arbeitsunfähigkeit festgestellt ist oder bis zum Tode;
für die ersten 13 Wochen bestehen keine Verpflichtungen, indem ange-
nommen wird, daß der Arbeiter als Mitglied einer autorisierten Kranken-
kasse durch diese versorgt wird. Ist die Arbeitsunfähigkeit von dauernder
Art, so ist alsdann zu zahlen — im Falle vollständiger Erwerbsunfähig-
keit — eine Geldsumme, welche das 6-fache des Jahreslohns beträgt,
jedoch nicht unter 1800 Kr. und nicht über 4800 Kr., sowie Tagegeld
für einen Zeitraum von 13 Wochen; von dem letztgenannten Betrag
wird jedoch das Tagegeld abgezogen, welches der Verletzte in der Zeıt
bis zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bezogen hat. Hat die Ar-
beitsunfähigkeit nur eine Verminderung erfahren, so soll die Höhe der
Geldsumme im Verhältnis zu derselben festgesetzt werden. Falls der
Unfall den Tod zur Folge hat, ist eine Begräbnisbeihilfe von 50 Kr.
zu entrichten, und wofern der Verletzte eine Witwe, Kinder oder andere
von ihm Versorgte hinterläßt, eine Geldsumme, welche das 4-fache des
Jahreslohnes beträgt (1200—3200 Kr.). Die Bestimmungen des Gesetzes
kommen jedoch nicht zur Anwendung, sofern der Verletzte oder seine
Hinterbliebenen Pension oder sonstige Unterstützung vom Staate gemäß
einem anderen Gesetz oder von einer Kommune gemäß einem vom
1) Die Bestimmungen des Gesetzes finden auf jede Maschine Anwendung, deren
Gebrauch das Leben oder die Gesundheit der dabei beschäftigten Personen geführden
kann, und bei welcher ein durch Dampf, Gas, Wasser, Wind u. dergl. oder durch
tierische Kraft (Pferdegang) bewegtes Triebwerk benutzt wird.
EE
Nationalökonomische Gesetzgebung. 629
Ministerium des Innern nach Inkrafttreten des Unfallversicherungs-
gesetzes genehmigten Pensionsreglement beziehen. Sowohl der Staat
als die Kommune oder der private Arbeitgeber sind berechtigt, von
den gesetzpflichtigen Leistungen dasjenige abzuziehen, was ihrerseits
nach Uebereinkunft dem betreffenden Verletzten oder den Hinterblie-
benen desselben geleistet worden ist.
Für die Erfüllung der hier genannten Ansprüche haftet der Arbeit-
geber, es sei denn, daß er sich gegen dieselben bei einer dazu autori-
sierten Versicherungsgesellschaft versichert hat; im Gesetz ist nämlich
bestimmt, daß die Arbeitgeber sich von dem durch die Haftpflicht auf-
erlegten Risiko befreien können, indem sie dasselbe auf Versicherungs-
gesellschaften (Gesellschaften von Arbeitgebern mit beschränkter oder
unbeschränkter Haftung) übertragen; diese Gesellschaften müssen dazu
aber vom Ministerium des Innern autorisiert sein und zu diesem Zweck die
erforderlichen Sicherheitsmaßregeln getroffen haben. Entsprechend dieser
Bestimmung sind nach und nach mehrere Versicherungsgesellschaften
auf Gegenseitigkeit autorisiert worden, welche teils Arbeitgeber aller
Art, teils Arbeitgeber bestimmter Branchen (Privatbahnen, Molkereien,
Brauereien, Schlächtereien, Eisenindustrie) umfassen; außerdem haben
auch mehrere größere in- und ausländische Versicherungsaktiengesell-
schaften vom Staate jene Berechtigung erhalten.
Zur Begehung der durch das Haftpflichtgesetz herbeigeführten Ver-
hältnisse ist, wie bereits erwähnt, ein Arbeiterversicherungsrat einge-
setzt worden. Derselbe hat seinen Sitz in der Hauptstadt, besteht für
das ganze Land und setzt sich zusammen aus einem vom König ernannten
Vorsitzenden, 2 vom König ernannten Mitgliedern, von denen der eine
Arzt sein muß, 2 Arbeitgebern, die vom Minister des Innern, und 2 Ar-
beitern, die vom Ausschuß der Krankenkassen zu wählen sind (vergl.
oben). Außerdem sind der Krankenkasseninspektor und der Direktor
der Arbeits- und Fabrikinspektion des Landes dem Rate beigeordnet.
(In den späteren Gesetzen betreffend Zeugenvernehmungen für Arbeits-
und Einigungsgerichte vom 3. IV. 1900 und in dem neuen Fabrikgesetz
vom 11. IV. 1901 wird bestimmt, daß die infolge derselben stattfinden-
den Wahlen von Arbeitgebern und Arbeitern durch die bestehenden
Centralvereine der Arbeitgeber und der Arbeiter vorgenommen werden;
diese Organisationen waren zu der Zeit, als über das Haftpflichtgesetz
verhandelt wurde, noch nicht so allgemein anerkannt und hatten auch
noch nicht die erforderliche Autorität, welche ihnen unter den heutigen
Verhältnissen ganz gewiß die Berechtigung zur Wahl der Repräsentanten
für Arbeitgeber und Arbeiter gesichert hätte.) Die Mitglieder des Rates
werden auf 6 Jahre ernannt und werden gelohnt. Der Rat entscheidet, wenn
er alle erforderlichen Aufklärungen eingezogen und der Versicherungs-
gesellschaft oder dem Arbeitgeber Gelegenheit gegeben hat, sich mit
denselben bekannt zu machen, folgende Fragen, 1) ob die angemeldeten
Fälle kraft des Gesetzes Ansprüche begründen, 2) ob Thatsachen vor-
liegen, welche die Art der Leistung bestimmen, und 3) in welcher Höhe
dem Arbeiter oder seinen Hinterbliebenen Entschädigung zu leisten ist.
Hat der Rat versäumt das vorgeschriebene Verfahren wahrzunehmen
630 Nationalökonomische Gesetzgebung.
so können seine Entscheidungen angefochten und an das Ministerium
des Innern appelliert werden, welches die Beschlüsse annullieren und
die Angelegenheit aufs neue zur Behandlung und Entscheidung über-
weisen kann. Außerdem hat man auch das Recht, gegen die unter
1) genannte Entscheidung beim Ministerium des Innern vorstellig zu
werden.
Wer auf Grundlage des in Rede stehenden Gesetzes Geld-
beträge beansprucht und annimmt, geht damit des Rechts verlustig,
gleichzeitig oder später rechtliche Ansprüche gegen die Arbeitgeber
unter Berufung auf die geltenden Regeln betreffend die Verantwortlich-
keit für gesetzwidrige Schädigung geltend zu machen, und wer anderer-
seits Ansprüche vor Gericht geltend macht, kann sich nicht gleichzeitig
auf das vorliegende Gesetz beziehen oder die Entscheidung des Rates
anrufen.
Die Geldsumme, welche der Rat für Invalidität feststellt, kann der
Unfallverletzte, falls er ein Mann von 30—55 Jahren ist, sich nach
eigener Wahl entweder auszahlen oder in eine Leibrente umsetzen lassen;
für jüngere oder ältere Personen ist der Rat berechtigt, Leibrenten zu
kaufen, selbst wenn die betreffenden die Auszahlung der Summe vor-
zögen. Die Frauen und unmündigen Personen zustehende Summe wird
denselben in einer vom Rate für zweckmälig befundenen Weise aus-
gezahlt. Der Arbeiterversicherungsrat hat Berichte für die Jahre 1819
und 1900 herausgegeben; hinsichtlich des ersteren ist jedoch zu be-
merken, einmal, daß das Gesetz noch nicht das ganze Jahr in Wirk-
samkeit war — erst von Mitte Januar an — sodann, daß die Industrie
in diesem Jahre 3 Monate hindurch von einer sehr ausgedehnten Arbeits-
einstellung heimgesucht wurde, welche selbstverständlich die Zahl der
Unfälle verringerte. Den Berichten können für die 2 Jahre folgende
Daten entnommen werden:
1899 1900
Anzahl angemeldeter Unfälle 1906 2280
Sachen, welche am Schlusse des Jahres noch nicht entschieden waren 435 481
Sachen, welche im Laufe des Jahres zur Verabschiedung gekommen sind 1471 2237)
Das Ergebnis der Sache:
Abweisung einer Entschädigung ?) 229 473
Heilung ohne andauernde Folgen der Verletzung 950 1182
Dauernde Verringerung der Arbeitsfähigkeit 243 529
Tod 49 53
Von den 243 Fällen, welche im Jahre 1899 andauernde Ver-
ringerung der Arbeitsfähigkeit mit sich führten, brachten 203 Fälle bis
1/, Invalidität mit sich, 40 eine höhere, und die dafür entrichteten
Entschädigungssummen betrugen außer dem Taggelde 99415 bezw.
74772 Kronen. Im Jahre 1900 waren die Zahlen 404 (220 184 Kr.)
und 125 (228981 Kronen). Bei den tödlichen Unfällen wurde durchweg
1) Hiervon 3 wiederaufgenommene.
2) Entweder weil die betreffende Beschäftigung nicht unter das Gesetz fiel, oder
weil der Unfall nicht unter Verhältnissen eingetreten war, welche zur Entschädigung
berechtigen, oder weil keine andauernde Verringerung der Arbeitsfähigkeit vorlag.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 631
Begräbnisbeihilfe geleistet, da aber im Jahre 1899 18 und im Jahre
1900 13 der Gestorbenen keine Versorgungsberechtigten hinterließen und
im Jahre 1899 1 Pension bezog, die vom Arbeitgeber gesichert war, so
wurde nur in 30 bezw. 40 Fällen eine Entschädigungssumme an die
Hinterbliebenen mit 87897 bezw. 126092 Kr. ausgezahlt (gewöhn-
lich in Portionen à 3200 Kr.) Wie groß die Ausgaben in den
Fällen waren, welche unter geheilt ohne andauernde Folgen der Ver-
letzung aufgeführt sind, ist nicht in Erfahrung gebracht; in der großen
Mehrzahl trat die Heilung binnen der ersten 13 Wochen ein, und die
betreffende Ausgabe wird man also in den Krankenkassenausgaben für
dieses Jahr suchen müssen. Die Gesamtzahl der Fälle, die unter das
Gesetz fielen und im Jahre 1900 behandelt wurden — also abgesehen
von den 342, wo die Beschäftigung nicht unter das Gesetz fiel oder wo
der Unfall nicht unter Verhältnissen eingetreten war, welche zur Ent-
schädigung berechtigten — betrug 1895. Von den betreffenden Per-
sonen waren 988 Krankenkassenmitglieder, 747 jedoch nicht, für die
übrigen fehlte die diesbezügliche Angabe. Der größte Teil — 1729 —
war bei autorisierten Versicherungsgesellschaften, 22 in nicht autorisierten
versichert. In 144 Fällen war keine Versicherung gezeichnet, was sich
daraus erklärt, daß der Staat, größere Kommunen, sowie einige größere
industrielle Etablissements ihre eigenen Assekuranten sind. In einem
Fall war trotz Exekution nichts vom Arbeitgeber zu erlangen, so daß
der Verletzte leer ausging. Der Rat rät daher den gewöhnlichen pri-
vaten Arbeitgebern eindringlichst, ihre Arbeiter gegen Unfälle zu ver-
sichern, da diese in ihren Folgen ebenso verhängnisvoll für ihre eigenen
wie für die wirtschaftlichen Verhältnisse der Arbeiter werden können.
In dem Gesetz über die Versicherung dänischer Fischer gegen Un-
fälle, welches am 1. Oktober 1900 in Kraft getreten ist, wird jedem hier
zu Lande heimatberechtigten Fischer das Recht zugestanden, gegen eine
jährliche Zahlung von 5 Kronen — insofern er für andere arbeitet,
unter Schadloshaltung durch diese — Mitglied eines vom Ministerium
des Innern autorisierten Unfallversicherungsvereines für dänische Fischer
zu werden, dessen Vorstand vom Ministerium des Innern ernannt wird.
Wird der Versicherte bei Ausübung des Fischfangbetriebes, bei dem
Versuch, Menschen auf der See zu retten, sowie auch während des
Segelns in Fischerboten (jedoch nur insofern dieselben dänisch sind),
von einem Unfall betroffen, so ist er gegen die Folgen desselben gesichert
ganz so, wie nach dem Obigen die industriellen Arbeiter; ist der
Unfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt, so
wird keine Entschädigung geleistet. Sollte der Verein nicht selbst im-
stande sein, die Versicherungsbeträge aufzubringen, so wird der Staat
das Fehlende zuschießen. Hier besteht also kein Versicherungszwang,
wie bei der Industrie, das Prinzip kann mit „Hilfe zur Selbsthilfe“ be-
zeichnet werden, weil der Staat alle Verpflichtungen übernimmt, ohne
daß aller Wahrscheinlichkeit nach die geringe Selbsthilfe von 5 Kr.
jährlich für jeden Fischer zur Erfüllung dieser Pflichten ausreichen
wird, andererseits ist die Hilfe ausdrücklich davon abhängig, daß der
632 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Betreffende durch jenen Jahresbeitrag Mitglied des autorisierten Fischer-
vereins geworden ist.
Für die Berechnung der Entschädigung 'sind die Beträge etwas
niedriger angesetzt, als für die industriellen Arbeiter (der Jahresver-
dienst zu 600 Kr. und der tägliche Arbeitsverdienst zu 21/, Kr.).
Sollte der Unfall den Tod zur Folge haben, so werden 2500 Kr.
ausbezahlt ohne Begräbnisbeihilfe.e Die Verwaltung der betreffenden
Angelegenheiten liegt in den Händen des Arbeiterversicherungsrates,
doch kann dafür vom Minister des Innern auch eine besondere Abteilung
errichtet werden.
Der in Bezug auf das Gesetz gebildete Unfallversicherungsverein
für dänische Fischer zählte am Ende des Jahres 1901: 5029 Mitglieder,
wovon die Hälfte im Alter von 31—50 Jahren, ein Drittel war 30 Jahre
und darunter, und ein Sechstel im Alter von 51 Jahren und darüber.
In der Rechenschaftsperiode vom 1./X. 1900—31./XII. 1901 betrug der
Mitgliedsbeitrag 30 476 Kr., während die Unterbilance, welche der Staat
tragen soll, sich auf 20 722 Kr. belief. Es wurden 47 Entschädigungs-
sachen angemeldet, wovon 8 nicht unter die Versicherung gehörten,
8 Sachen kamen nicht in Betracht, weil vollständige Heilung er-
folgte, während 9 am Ende des Jahres noch nicht entschieden waren.
Von den 22 zu Ende geführten Sachen hatten 12 den Tod zur Folge
(3 hinterließen nicht Versicherungsberechtigte, an die 9 Hinter-
bliebenen wurden 2500 Kr. an jeden ausgezahlt), während der Unfall
für 10 andauernde Verringerung der Arbeitsfähigkeit mit sich führte
(an diese wurden in allem 10980 Kr. ausgezahlt); als Taggeld wurden
außerdem im ganzen 2808 Kr. ausgezahlt. Von der gesamten Ent-
schädigungssumme fielen also 38 Proz. auf die Entschädigung für
Invalidität + Taggeld, welches bei weitem die erwartete Summe
überstieg.
Aus der hier gegebenen Darstellung der dänischen Gesetzgebung
zu gunsten der unbemittelten Bevölkerungsschichten geht hervor, dal
dabei nach keinem einheitlichen Prinzip verfahren worden ist. Auch
läßt sich nicht behaupten, daß sie bereits ein abgeschlossenes Ganze
bilde. Bei der Altersversorgung hat man sich von dem Grundsatz
leiten lassen, daß gegenüber den Hilfsbedürftigsten innerhalb der bürger-
lichen Gesellschaft, die sich auch am wenigsten selbst helfen können,
die Oeffentlichkeit allein die Lasten zu tragen hat. Es läßt sich hier
weder von einer Zwangsversicherung noch von einer Selbsthilfe im eigent-
lichen Sinne reden; jedoch erhalten alle, welche nach vollendetem
60. Lebensjahre unterstützungsbedürftig sind, den notwendigen Lebens-
unterhalt u. dergl. Die Oeffentlichkeit, welche die damit verbun-
denen Lasten trägt, bestimmt auch die Höhe der Unterstützung. Das
Krankenkassengesetz findet dagegen hauptsächlich auf die arbeits-
fähige Bevölkerung Anwendung und .hier kommt daher das Prinzip
„Hilfe zur Selbsthilfe“ zur Anwendung; die Hilfe wird in Form eines
recht bedeutenden Staatszuschusses geleistet, und die Krankenkassen,
welche denselben in Anspruch nehmen wollen, müssen dafür auf die vom
Nationalökonomische Gesetzgebung. 633
Staat festgestellten Bedingungen eingehen. Das Gesetz kann allen Un-
bemittelten zu gute kommen, es existiert aber kein Versicherungszwang,
und das Gesetz hilft daher denen nicht, welche wegen mangelnder
Fürsorglichkeit oder wegen Mittellosigkeit versäumen, einer Kranken-
kasse beizutreten.
Schließlich haben wir ein Haftpflichtgesetz, durch welches
den Arbeitgebern die Haftung für Unfälle auferlegt wird, und zwar
nicht bloß für solche, welche durch Fehler oder Versäumnisse ihrer
selbst oder ihrer Aufseher herbeigeführt sind, sondern überhaupt für
das durch ihren Betrieb gegebene professionelle Risiko, oder doch für
den größten Teil desselben. Bei Unfällen der Arbeiter in der Industrie
und in gewissen landwirtschaftlichen Betrieben tragen die einzelnen
Arbeitgeber selbst oder durch Versicherungsgesellschaften die durch
jeden einzelnen Unfall veranlaßten Kosten; was die Fischer betrifft, so
konnte sich der Staat wegen des geringen Ertrages des Fischfangs der
Erkenntnis nicht verschließen, daß er der Versicherung zu Hilfe kommen
müsse, mag der Fischer für eigene oder fremde Rechnung arbeiten.
Zu dem Zweck ist eine Staatsversicherungsanstalt errichtet worden, der
jeder Fischer gegen einen geringen jährlichen Beitrag angehören kann,
während der Staat alle Lasten der Anstalt trägt, die durch jene Bei-
träge nicht gedeckt werden. Gleichzeitig hat man jedoch an dem durch
das Haftpflichtgesetz von 1898 eingeführten Prinzip festgehalten, daß
der betreffende Arbeitgeber — abgesehen vom Zuschuß des Staates —
die Ausgaben der Versicherung der von ihm beschäftigten Arbeiter zu
tragen hat, indem die letzteren vom Arbeitgeber Ersatz für die aus-
gelegte Prämie beanspruchen können. Es sind aber nicht alle Arbeiter
des Landes gegen die Folgen von Unfällen gesichert, und an einer
Unterstützung im Fall von Arbeitsinvalidität fehlt es gänzlich, auch ist
für Witwen (unter 60 Jahren) und Waisen bisher nur und zwar in
begrenztem Maße, durch das Unfallgesetz gesorgt. Im großen und ganzen
aber herrscht Zufriedenheit mit den Fortschritten, welche die Gesetz-
gebung des letzten Decenniums gemacht hat, und es ist kaum zweifel-
haft, daß man auf der jetzt betretenen Bahn weiter vorwärts schreiten
wird.
634 Nationalükonomische Gesetzgebung.
Nachdruck verboten,
VI.
Die wirtschaftliche Gesetzgebung der deutschen Bundes-
staaten im Jahre 1900.
Von Dr. jur. et phil. Albert Hesse (Halle a. s.)
(Fortsetzung !).
Baden.
Gesetzes- und Verordnungsblatt für das Großherzogtum
Baden. Jahrgang 1900.
Verordnung, die geschlossenen Hofgüter betr. Vom 6. Juni 1900,
S. 791:
Betrifft die Gesuche im Sinne der 22 2 und 8 des Gesetzes vom 20. August 1898.
Gesetz, die Unteilbarkeit der Grundstücke betr. Vom 16. August
1900, S. 935.
I. In das Gesetz vom 17. Juni 1899, die Ausführung des B.G.B. betrefjend, werden
folgende Bestimmungen eingestellt:
Art. 25a: Die Teilung von Wald, Reutfeld und Weiden in Stücke unter 360%
von Ackerland und Wiesen in Stücke unter 9a ist verboten. Dieses Verbot findet keint
Anwendung, wenn die bei der Teilung sich ergebenden Teilstücke, soweit sie das ge
setzliche Mindestmafs nicht haben, gemäfs Art. 25d mit anderen Grundstücken ver
einigt werden, wenn die Teilung zufolge Enteignung geschieht, oder wenn ein Grund:
stücksteil durch eine nach 2 25 des Enteignungsgesetzes zustandegekommene Verein
barung abgetreten wird.
Art. 25b. Die Verwaltungsbehörde kann im einzelnen Fall von dem Verbot Be
Sreiung bewilligen. Diese ist dem Grundbuchamt nachzuweisen und in dem Grundbuch
zu vermerken.
Art. 25c. Teilungen, welche gegen das Verbot versto/sen, sind nichtig und dürfe
in das Grundbuch nicht eingetragen werden. Doch Schutz des gutgläubigen Erwerbers
gemäüfs 2 892 B.G.B. |
Art. 25d. Die Vereinigung mehrerer Grundstücke zu einem Grundstück und di
Zuschreibung eines Grundstückes zu einem anderen nach 2 890 I und II B.G.B. ist n!"
statthaft, wenn die Grundstücke in demselben Grundbuchbezirk belegen sind, wenn sie
unmittelbar aneinander grenzen und wenn sie nicht in verschiedener Weise mit Pfand-
rechten belastet sind.
II. Ersatz des Z 19 des A.G. z. B.G.B. durch neue Bestimmungen.
III. IV. Aenderungen des Gesetzes, betr. die Organisation der inneren Verwaltung,
vom 5. Oktober 1868, und Erweiterung von Z 20 des Gebührengesetzes vom 4. Juni 1888.
1) Vor dem letzten Absatz des letzten Berichts (Bd. 22 N. F. S. 676 dieser Jahr-
bücher) ist einzufügen: Wassergesetz. Vom 1. Dezember 1900, S. 921.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 635
V. VI. Schlufsbestimmungen. Die Bestimmungen ad I und II treten mit dem
Zeitpunkt in Kraft, in welchem das Grundbuch als angelegt anzusehen ist; in diesem
Zeitpunkt tritt aufser Kraft besonders das Gesetz vom 6. April 1854, die gesetzliche
Unteilbarkeit der Liegenschaften betr.
Verordnung, die Ausführung des Reichsgesetzes vom 26. Juli 1897
über die Abänderang der Gewerbeordnung betr. Vom 9. April 1900,
S. 551.
Zuständigkeit der Behörden. Organisation der Handwerkskammern. Zusammen-
setzung und Wahl. Gesellenausschufs. Kosten der Handwerkskammern. Statut. Leistung
von Rechtshilfe scitens der Handwerkskammern.
Verordnung, den Vollzug der Gewerbeordnung betr. Vom 29.
September 1900, S. 1003. à
I. Zuständigkeit der Behörden hinsichtlich der gemüfs einzelner Paragraphen
der G.O. wahrzunehmenden Verrichtungen.
II. Abänderung bezw. Ergänzung von Bestimmungen der Verordnung vom 23.
Dezember 1883, den Vollzug der Gewerbeordnung betr.
Verordnung, den Vollzug der Gewerbeordnung betr. Vom 15. De-
zember 1900, S. 1110.
Betrifft die Arbeitsbücher.
Verordnung, die Werkstätten mit Motorbetrieb betr. Vom 18. De-
zember 1900, S. 1121.
Verordnung, das Gewerbe der Pfandleiher und Trödler betr. Vom
20. März 1900, S. 533.
Verordnung, das Abdeckereiwesen betr. Vom 3. Mai 1900, S. 603.
Verordnung, die Einrichtung und den Betrieb von Bäckereien und
Konditoreien betr. Vom 29. Juni 1900, S. 847.
Gesetz, die Abänderung des Berggesetzes vom 22. Juni 1890 betr.
Vom 18. August 1900, S. 945.
1) Eintragung der Verleihung in das Grundbuch.
2) Soweit nicht Sonderbestimmungen Platz greifen, finden auf das Bergqwerks-
eigentum die sich auf Grundstücke beziehenden Vorschriften des Bürgerlichen Rechts
entsprechende Anwendung.
5) Von den Bestimmungen der 22 82—118 für die Gewerkschaften sind die Z2 82—
94, 98, II, 99, 104—110 zwingenden Rechts, die übrigen dispositiv.
8) Durch Statut kann die Zahl der Kuxe auf 1000 bestimmt werden, insofern
es sich nicht um einen Bergwerksbesitz von nur geringfügigem Wert handelt. Die
Kuxe sind unteilbar und gehören zum beweglichen Vermögen.
9) Die Gewerkenversammlung fafst ihre Beschlüsse, soweit nicht Z2 80, III und
98 Anwendung finden, mit einfacher Stimmenmehrheit.
Verordnung, den Uebergangsverkehr mit Württemberg betr. Vom
18. September 1900, S. 955.
Bekanntmachung, die Transportkontrolle und die Buchkontrolle im
Grenzbezirk betr. Vom 10. April 1900, S. 587.
Verordnung, die Aichung der Rheinschiffe betr. Vom 18. Juni 1900,
S. 793.
Verordnung, die Schiffahrt auf dem Untersee und auf dem Rhein
zwischen Konstanz und Schaffhausen betr. Vom 2. Februar 1900, S. 395.
Verordnung, die Beförderung ätzender und giftiger Stoffe auf dem
Rhein betr. Vom 6. Juni 1900, S. 828.
Bekanntmachung, die Rheinschiffahrts-Polizeiordnung betr. Vom
18. Juli 1900, S. 855.
636 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Verordnung, die Vornahme außerordentlicher Fahrtrevisionen hin-
sichtlich der Schiffsdampfkessel auf dem Rhein betr. Vom 19. Juli 1900,
S. 857.
Landesherrliche Verordnung, die weltliche Feier der Sonn- und
Festtage betr. Vom 22. Februar 1900, S. 461.
Durch ortspolizeiliche Vorschriften kann an diesen Tagen der Wirtschajtsbetrieh
in öffentlichen Wirtschaftsräumen vor dem Schlusse des Vormittagshauptgottesdienstes
untersagt werden.
Verordnung, die Befreiung von der Versicherungspflicht auf Grund
des $ 6, II des Invalidenversicherungsgesetzes betr. Vom 6. Januar 1900,
S. 204.
Verordnung, das Verwaltungsstreitverfahren nach dem Bauunfall-
und nach dem land- und forstwirtschaftlichen Unfallversicherungsgesetze
betr. Vom 5. Februar 1900, S. 393.
Verordnung, den Vollzug des Unfallversicherungsgesetzes betr. Vom
27. September 1900, S. 977.
Gesetz, die Aufhebung der Witwenkassenbeiträge betr. Vom
9. Juni, S. 789.
1) Von den im Dienst der Staatsverwaltung angestellten Beamten und den Volks-
schullehrern, einschliefslich derjenigen, die in den Ruhestand versetzt sind, werden Witwen
kassenbeüträge mit Wirkung vom 1. Januar 1900 an nicht mehr erhoben.
2) Die Ansprüche der genannten Beamten und Lehrer auf Gewährung von Ver
sorgungsgehalt an ihre Hinterbliebenen werden durch den Fortfall der Witwenkassenhei-
träge nicht berührt. Dies gilt auch dann, wenn die Gewährung von Versorgungsgehalt
nach den bisherigen Vorschriften von der Zahlung des Witwenkassenbeitrages abhängig
gemacht ist.
3) Die von der Beamtenwitwenkasse zu zahlenden Versorgungsgehalte der Hinter
bliebenen der im Hofdienst beschäftigten Personen sind von der Hofkasse zu übernehmen,
Gesetz, die Feststellung des Staatshaushaltsetats für die Jahre 1900
und 1901. Vom 30. Mai 1900, S. 711.
Die ordentlichen Ausgaben für 1900 betragen 74 994 023 M.
Die ordentlichen Einnahmen für 1900 betragen 74 804952 »
Teberschufs der ordentlichen Ausgaben für 1900 189 071 M.
Die ordentlichen Ausgaben für 1901 betragen 75 855703 „
Die ordentlichen Einnahmen für 1901 betragen 75 501756 „
Ueberschu/s der ordentlichen Ausgaben für 1901 354 007 M.
Die aufserordentlichen Ausgaben für 1901/1901 betragen 15 023 927 „
Die aujserordentlichen Einnahmen für 1900/1901 betragen 1 565 207 p
Ueberschufs der aufserordentlichen Ausgaben für 1900 1901 13 458 720 M.
Unter Zurechnung der Ueberschüsse der ordentlichen Ausgaben für
1900/1901 mit zusammen 543078 »
ergiebt sich ein Fehlbetrag in Höhe von 14 001798 M.
Dieser ist durch einen aufserordentlichen, in den folgenden Etatsperioden wieder
zu ersetzenden Zuschu/s aus der Amortisationskasse zu beschaffen.
Verordnung, die Gemeindevoranschlagsanweisung und die Voran-
schlagsanweisung für die Städte der Städteordnung betr. Vom 16. No-
vember 1900, S. 1066.
Verordnung, die Steuererhebung für die Jahre 1900 und 1901 betr.
Vom 31. Mai 1900, S. 763.
2 1) Für die Jahre 1900 und 1901 sind an direkten Steuern von je 100 M. Steuer-
kapital bezw. Steueranschlag zu entrichten:
Nationalökonomische Gesetzgebung. 8 637
1) An Grund-, Häuser- und Gewerbesteuer 15 Prg.
2) An Kapitalrentensteuer 10 Pjg.
8) Einkommensteuer:
a) Von steuerbaren Einkommen, deren Steueranschlag den Betrag von 200 M. nicht
übersteigt 2 M.,
b) von den steuerbaren Einkommen, deren Steueranschlag 250 M. und mehr be-
trägt 2,50 M. Dieser Steuerfufs wird erhöht bei Steueranschlägen von 25 000 M. bis zu
80000 M. um 15 Proz., bei solchen von 30 000—40000 M. um 10 Proz., 40 000—50 000 M.
um 15 Proz., 50 000—75 000 M. um 20 Proz.. 75 000—100 000 M. um 25 Proz., 100 000—
150000 M. um 30 Proz., 150000—200000 M. um 85 Proz., bei Steueranschlägen von
200000 M. und mehr um 40 Proz.
4) An Befürsterungssteuer 10 Pjg.
$ 2) Weinsteuer.
1) Accise: a) 8 Pfg. vom l. Traubenwein, b) 0,9 Pfg. vom l. Obstwein.
2) Ohmgeld, a) 2 Pfg., b) 0,6 Pfg.
3) Aversum für die Accise vom eigenen Weinverbrauch der Weinhandlungskeller-
besitzer: jährlich 18 M. für den Weinhändler selbst, 8,60 M. für jeden männlichen,
1,80 M. für jeden weiblichen Tischgenossen über 18 Jahren.
4) Gebühr für ein Weinlagerpatent: jührlich 50 M.
ZS Biersteuer. I. Es sind zu entrichten:
1) Von dem im Grofsherzogtum gebrauten Bier für je 100 kg ungebrochenen oder
gebrochenen Malzes, die in einem Brauereigeschäft in einem Kalenderjahr steuerbar
werden, bei einem jährlichen Gesamtmalzverbrauch a) bis zu 1500 Doppelcentner für die
ersten 250 8 M., für die folgenden 1250 10 M., b) von mehr als 1500—5000 Doppel-
centner 11 M., c) von mehr als 5000 Doppelcentner 12 M. Für diejenigen, die ober-
gäriges Bier nur zum eigenen Bedarf ım Haushalt bereiten und hierzu in einem
Kalenderjahr nicht mehr als 5 Doppelzentner Malz verwenden, beträgt die Steuer für
je 100 kg 2 M.
2) Von dem bei der Einfuhr der Uebergangssteuer unterliegenden Bier 8,20 M.
pro hl.
II. Die gemäfs Art. 9 des Gesetzes vom 30. Juni 1896 zu leistende Steuerrückver-
gütung beträgt:
1) für im Grofsherzogtum gebrautes Braunbier, wenn nachgewiesen wird, dafs das
zur Herstellung verwendete Malz versteuert worden ist: a) nach I, 1,b 2,60 M., b) nach
I, 1, c 2,75 M., c) in allen anderen Füllen 2,30 M.;
2) für im Grofsherzogtum in gewerbsmäfsig betriebenen Brauereigeschäften ge-
brautes Weifsbier: 1 AL;
3) für Bier, das gegen Entrichtung der Uebergangssteuer eingeführt ist, 2,30 M.
2 4. Die Fleischsteuer beträgt:
1) bei Schlachtungen innerhalb des Grofsherzogtums für jedes Stück Rindvieh —
mit Ausnahme der Milchkälber — bei einem Schlachtgewicht von weniger als 200 kg
4 M., von 200 bis ausschl. 250 kg 6 M., von 250 kg und mehr für Kühe und Fürsen
6 M., sonst 11 M.;
2) für eingeführtes Fleisch vom kg 8 Pfg.
25. 1) Die Liegenschaftsaccise beträgt 2], des Preises bezw. Wertes des
übergehenden Eigentums. An ihrer Stelle gelangt gemäfs Gesetz vom 6. Mai 1899 von
dessen Inkrafttreten ab eine Verkehrssteuer von 2'/, Proz. des gemeinen Wertes zur
Erhebung.
2) An Erbschaftssteuer haben zu entrichten vom Wert des Anfalles: 1) die
Eltern des Erblassers 1 Proz.; 2. Voreltern für Beträge bis 5000 M. 1 Proz., darüber
2 Proz.; 3) Geschwister und Abkömmlinge derselben für Beträge bis 8000 M. 8 Proz.,
darüber 4 Proz.; 4) a) Seitenverwandte bis zum 4. Grad einschl, b) Stiefkinder und
deren Abkömmlinge, Stiefeltern, c) Schwiegerkinder und Schwiegereltern 6 Proz. Der
gleiche Satz ist zu entrichten von Anfällen, die ausschliefslich zu öffentlichen Zwecken
bestimmt sind. 5) Von Anjüllen an sonstige Personen sind 10 Proz. zu entrichten.
3) Die Schenkungssteuer bemij/st sich nach den gleichen Verhältnissen.
Gesetz, das Verfahren bei der Veranlagung zu den direkten Steuern
betr. (Veranlagungsgesetz). Vom 6. August 1900, S. 923.
638 y Nationalökonomische Gesetzgebung.
Die alljährliche Feststellung der direkten Steuern erfolgt, soweit nicht für ein-
zelne Steuergattungen etwas anderes bestimmt ist, durch den Steuerkommissär oder den
mit seiner Stellvertretung betrauten Beamten und den in jeder Gemeinde bestehenden
Schatzungsrat, der durch den Bürgermeister oder dessen Stellvertreter und, je nach der
Gröfse der Gemeinde, durch 3—18 Mitglieder gebildet wird (22 1, 2). Die Mitglieder
des Schatzungsrates sind aus der Zahl der in der Gemeinde zu den direkten Steuern
veranlagten Ortseinwohner in der Art zu entnehmen, dafs die verschiedenen Besitz- und
Berufsklassen nach Thunlichkeit in angemessener Weise vertreten sind. Sie werden
durch den Bezirksrat auf je 6 Jahre ernannt und vom Bezirksrat verpflichtet (22 3,4).
Dem Schatzungsrat liegt gemeinschaftlich mit dem Steuerkommissär die Sorge für mög-
lichst vollständige und genaue Aufstellung der Kataster ob (2 10). Der Steuerkommissär
hat die Beschlufsfassung des Schatzungsrats vorzubereiten (2 11). Sonstige Aufgaben
des Steuerkommissärs (77 12—15). Dem Schatzungsrat liegt die endgültige Feststellung
der Steuerveranlagung ob; er beschliefst über Steuernachträge und Steuerabgänge, sowie
über den Zeitraum und den Steueranschlag, für welchen solche zu berechnen sind (2 16).
Zu diesem Behufe kann er von dem Pflichtigen nähere Aufschlüsse verlangen, sie zur
Auskunftserteilung in Person oder durch einen Vertreter vorladen. Ebenso kann er
durch seine Mitglieder oder den Steuerkommissär oder urkundlich Beauftragte von Grund-
sticken, Gebäuden, gewerblichen Anlagen und Einrichtungen Einsicht nehmen, Sachrer-
ständige hören oder durch solche Einsichtnahmen und Abschätzungen vornehmen lassen,
sowie sonstige sachthunliche Erhebungen veranstalten. Er ist berechligt, die Vorlage der von
den Pflichtigen aufgestellten Inventuren und Bilanzen zu verlangen. Der Steuerkommissür
ist auf sein Verlangen zuzuziehen. Hierbei darf in die Gewerbs- und sonstigen Verhältnisse
der Steuerpflichtigen nicht weiter eingedrungen werden, als es der Zweck der Herbeirührung
einer dem Gesetze entsprechenden Steuerveranlagung erfordert (2 16). Alle Staats- und
Gemeindebehörden sind verpflichtet, den Steuerbehörden unentgeltlich über Vermögens-
und Erwerbsverhältnisse der Pflichtigen sachdienliche Auskunft zu erteilen und ihnen
auf Verlangen Einsicht in die betreffenden Akten und Urkunden zu gewähren @ 1.
Die von dem Pflichtigen eingereichte Steuererklärung ist zu Grunde zu legen, sofern
Bedenken gegen deren Richtigkeit nicht bestehen. Im Fall der Beanstandung, Ersuchen
um nähere Auftschlüsse und um Berichtigung. Erfolgen diese nicht oder nicht in ge-
nügender Weise, so wird die Steueranlage von Amtswegen durch den Schatzungsrat bewirkt
(8 18). Entsprechend in dem Fall, da/s der Pflichtige die Abgabe der Erklärung unter-
läfst (doch hier event. Aufforderung), Aufforderungen und Vorladungen des Stewr-
kommissärs oder Schatzungsrats keine Folge leistet, obwohl er dazu in der Lage ist,
oder Einsichtnahmen, Abschätzungen und Vorlagen verweigert (ZZ 19, 20). In allen
Fällen, in welchen die Steueranlage von Amtswegen zu bewirken ist, setzt der Schatzungs-
rat dieselbe nach seiner Kenntnis der Verhältnisse und den Ergebnissen der etwa statt-
gehabten Ermittelungen fest. Sofern die thatsächlichen Grundlagen für die Veranlagung
nach den Vorschriften der einschlägigen Steuergesetze nicht in ausreichender Weise er-
mittelt werden können, ist der Schatzungsrat befugt, auch aus anderen Thatsachen auf
die Höhe des Einkommens bezw. auf die Gröfse und den Wert der gewerblichen An-
lage- und Betriebskapitalien oder des Kapitalvermögens eines Steuerpflichtigen zu
schliefsen ($ 21). Beschlufsfassung des Schatzungsrats: 23 22—24. Nach Beendigung
des Steuer-Ab- und Zuschreibens hat der Steuerkommissär alljährlich das Kataster, das
darauf gegründete Steuerregister, sowie die Steuernachtrags- und Abgangsverzeichnise
aufzustellen ( 25). Rechtsmittel: 35 26—28. Im der Regel Beschwerde, einzulegen bei
der Steuerdirektion; gegen deren Entscheidung unter bestimmten Voraussetzungen Klage
beim Verwaltungsgerichtshof. 2 29: Pflicht der Geheimhaltung. 3 80—81: Kosten der
Steuerveranlagung. 2 32: Kontrolle durch die Steuerdirektion. 8 83: Uebergangs-
bestimmungen.
Verordnung, den Vollzug des Veranlagungsgesetzes betr. Vom
3. November 1900, S. 1030.
Bekanntmachung, den Vollzug des Gesetzes über die Besteuerung
für allgemeine kirchliche Bedürfnisse für den katholischen Religionsteil
betr. Vom 5. Januar 1900, S. 113.
Verordnung, die Kirchensteuer aus Kapitalrentensteuerkapitalien
betr. Vom 19. Januar 1400, S. 335.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 639
Verordnung, den Vollzug des Gesetzes über die Besteuerung des
Grundstücksverkehrs (Verkehrssteuer) vom 6. Mai 1899 betr. Vom
19. Februar 1900, S. 427.
I. Gegenstand und Voraussetzung der Steuer. II. Eintritt der Steuerpflicht und
Zeitpunkt der Festsetzung der Steuer. III. Zuständigkeit zur Festsetzung, Erhebung
und Rückerstattung der Steuer. IV. Verfahren zum Zweck der Festsetzung der Steuer.
1) Anzeigepflicht .des Erwerbers. 2) Anzeigepflicht und sonstige Mitwirkung der Be-
hörden bei Festsetzung der Verkehrssteuer. 3) Feststellung der für die Besteuerung mafs-
gebenden Verhältnisse. 4) Berechnung der Steuer. 5) Steuerpflichtige Personen.
6) Festsetzung der Steuer und Eröffnung der Steuerfestsetzung. 7) Kosten. 8) Be-
steuerung in einigen besonderen Fällen. 9) Steuerbefreiung. V. Verfahren bei An-
sprüchen auf Rückerstattung und bei Gesuchen um Nachlafs von Verkehrssteuer.
VI. Rechtsmittel. VII. Verfahren bei Erhebung der Verkehrssteuer. VIII. Verfahren
bei Rückerstattung von Verkehrssteuer. IX. Verjährung. X. Dienstaufsicht und Dienst-
polizei. XI. Prüfung der Steuerfestsetzung. XII. Allgemeine Bestimmungen. XIII. Ueber-
gangsbestimmungen.
Verordnung, die Erhebung der Grund- und Häusersteuer betr.
Vom 7. März 1900, S. 465.
Gesetz, die Einschätzung der Grundstücke und Gebäude betr. Vom
8. August 1900, S. 887.
I. Allgemeine Bestimmungen.
II. Die Einschätzung der Waldungen.
III. Die Einschätzung der sonstigen Grundstücke. Die Veranlagung
der steuerpflichtigen Grundstücke erfolgt für das Gelände einer jeden Gemarkung be-
sonders. Das in Gartenland, Ackerfeld, Wiesen, Weinbergen, Kastanienpflanzungen,
Reutfeldern oder Weidland bestehende Gelände wird in Klassen eingeteilt. Für jede
Kulturart und Klasse dieser Grundstücksarten wird der laufende Wert des ha zur Zeit
der Veranlagung durch Schätzung bestimmt. Als Steuerwert aller übrigen nicht in
Klassen einzuteilenden Grundstücke einer Gemarkung gilt deren laufender Wert zur Zeit
der Veranlagung; derselbe wird in besonderem Verfahren durch Schätzung festgestellt
(2 4). Die Schätzung erfolgt durch eine aus vier gewählten Sachverständigen bestehende
Kommission unter Leitung eines von der Steuerdirektion ernannten Beamten ohne Rück-
sicht auf etwaige Grundlasten unter Berücksichtigung der in der Gemarkung in den
5 Jahren 1895/99 erzielten durchschnittlichen Kaufpreise, der üblichen Pachtzinsen, der
Lage und Ertragsfühigkeit der Grundstücke und überhaupt aller derjenigen Umstände,
welche geeignete Anhaltspunkte für die Feststellung des laufenden Wertes zu bieten
imstande sind (2 15).
IV. Die Einschätzung der Gebäude. Alle steuerpflichtigen Gebäude und
deren wesentliche Bestandteile (ÿ2 20, 21) werden durch Sachverständige (Z 24) hin-
sichtlich ihres Wertes nach der Einschätzung der Grundstücke entsprechenden Grund-
sätzen eingeschätzt (Z 24).
V. Schlußbestimmungen.
Verordnung, die Neueinschätzung der Grundstücke betr. Vom
7. November 1900, S. 1043.
Verordnung, die Neueinschätzung der Waldungen betr. Vom
7. November 1900, S. 1051.
Verordnung, die Neueinschätzung der Gebäude betr. Vom 1. Dezem-
ber 1900, S. 1069.
Gesetz, die Abänderung des Einkommen-, Gewerbe-, Wander-
gewerbe- und Kapitalrentensteuergesetzes betr. Vom 9. August 1900,
S. 877.
I. Einkommensteuergesetz vom 20. Juni 1884. 1. Aenderung der
Fassung von Art. 2, Z. 8. 2. An Stelle des Art. 3, I: Als steuerbares Einkommen
gilt das Einkommen nach Abzug a) der zum Erwerb und zur Erhaltung desselben zu
640 Nationalökonomische Gesetzgebung.
bestreitenden Auslagen, b) der auf dem Einkommen ruhenden dauernden privatrechtlichen
und öffentlich rechtlichen Lasten (mit Ausnahme der Einkommensteuer und der sich un-
mittelbar daran knüpfenden Abgaben), c) etwaiger von den Steuerpflichtigen nachgewiesener-
majsen zu entrichtenden Schuldzinsen. Besondere Bestimmungen für die Fälle des Art. 5,
II und Art. 6, Z. 1. 8. Für Art. 4. Dem Einkommen eines Steuerpflichtigen wird das Ein-
kommen seiner Ehefrau, sowie das aus dem Gesamtgut einer von ihm eingegangenen
ehelichen Gütergemeinschaft fliefsende Einkommen, ferner dasjenige aus dem Vermögen
seiner Kinder, soweit ihm an deren Vermögen die Nutznie/sung zusteht, zugerechnet.
Die Hinzurechnung des aus eigener Erwerbsthätigkeit fliefsenden Einkommens der Ehe-
frau findet jedoch nur statt, wenn dieses den Betrag von 500 Mk. jährlich erreicht.
Für das hiernach dem Einkommen eines Steuerpflichtigen hinzugerechnete Einkommen
sind die Ehefrau und die Kinder für ihre Person nicht steuerpflichtig; die Ehefrau
haftet jedoch für die Steuer bis zu dem Betrage samtverbindlich, welchen sie bei aelb-
ständiger Veranlagung für ihr eigenes Einkommen zu entrichten hätte. Lebt die Ehe-
frau dauernd von dem Manne getrennt, so ist sie mit ihrem Einkommen selbständig
zu veranlagen. Das aus dem Gesamtgut einer fortgesetzten Gütergemeinschaft fliefsende
Einkommen wird als Einkommen des überlebenden Ehegatten versteuert. 4. Aenderung
der Fassung von Art. 5. 5. Ausdehnung von Art. 6, Z. 1 auf das Einkommen, das
aus der Kasse eines ausländischen Staates bezogen wird. 6. Art. 6, Z. 7: Erhöhung
des steuerfreien Einkommens von 500 M. auf 900 M. 7. Für Art. 7: Das Ein
kommen aus dem Wandergewerbebetriebe von Personen, welche nach Z2 1 und 18, II
des Gesetzes vom 8. Mai 1899 steuerpflichtig sind, unterliegt der Einkommensteuer nicht,
8. Zusatz zu Art. 8, I. 9. Aenderung der Fassung von Art. 9, II. 10. Zusatz zu
Art. 9. 11., 12., 18., 14. Aenderungen der Fassung von Art. 10, 11, 12, I, II. 15,
16. Ersatz von Art. 12, IV durch neue Bestimmungen; Zusätze zu Art. 12, VI und II.
17. Aenderung von Art. 13 wegen der Bestimmung oben sub 6. 18., 19., 20. Ersatz
der Art. 14, 15, 16 durch neue Bestimmungen. 21., 28., 26., 29. Aenderung der
Fassung der Art. 17, I, IL, 19, 25, I, 26, I. II. 22., 24. Ersatz der Bestimmungen
des Art. 18, I und 20 durch neue Vorschriften. 25. Die Art. 21, 22 und 28 werden
gestrichen. 27., 28. Zusätze zu Art. 25.
II. Gewerbsteuergesetz. 1. Zusatz zu Art. 1: Ein Gewerbe gilt als in
Grofsherzoytum betrieben, wenn daselbst eine gewerbliche Niederlassung, ein Geschäfte
sitz, oder in deren Ermangelung der Wohnsitz des Unternehmers oder eines Geschäfts
Jührers vorhanden ist. Ist zugleich eine gewerbliche Niederlassung, eine besondere
Geschäftsleitung oder ein besonderer Geschäftssitz aufserhalb des Grofsherzogtums vor-
handen, so gilt das Gewerbe insoweit, als es an diesen Mittelpunkten oder von diesen
aus betrieben wird, als nicht im Grojsherzogtum betrieben. 2. 6. Aenderung der
Fassung von Art. 5, 20. 8. Einfügung eines neuen Art. 9. 4, 5, 7. Einzelne
Bestimmungen der Art. 15, 17, III und IV, 21, 81, 82 und 88 werden gestrichen.
8. Ersatz des Art. 38 durch neue Bestimmungen.
III. Gesetz über die Besteuerung des Wandergewerbebetriebes
1. Aenderung von 2 12, I. 2. An Stelle des. 18, II: Personen, welche im Grofe
herzogtum gewerbliche Leistungen anbieten, ausführen oder ausführen lassen, ohne
daselbst eine gewerbliche Niederlassung, einen Geschäftssitz, einen Wohnsitz oder einen
ansässigen Geschäftsführer zu haben, können, sofern sie der Wandergewerbesteuer nicht
unterliegen, mit einer im Verordnungswege nach der Dauer des Geschäftsbetriebes fet
zuselzenden Steuertaze belegt werden. Strafbestimmungen bei Beginn oder Fortsetzung
eines zur Steuer verpflichtenden Gewerbebetriebes vor Bezahlung der Tare.
IV. Kapitalrentensteuergesetz. 1. Für Art. 4: Reichsausländer, welch,
ohne einen Wohnsitz und eine entsprechende Besteuerung in ihrem Heimatsstaat nach-
weisen zu können, einen Wohnsitz — Aufenthalt — im Grofsherzogtum haben, unterliegen
der Kapitalrentensteuer in demselben Umfang wie die im Art. 8 genannten
Personen. 2. Aenderung der Fassung von Art. 5, Z. 8. 3. Wegfall von Bestimmungen
der Art. 16, V, 22, 28, 24, II, 88 und 84. Diesbezügliche Aenderungen in Art. 17
und 27.
Bekanntmachung, das Einkommensteuergesetz betr. Vom 20. Sep-
tember 1900, S. 991.
Verordnung, den Vollzug des Gesetzes über die Besteuerung des
Wandergewerbebetriebes betr. Vom 6. Oktober 1900, S. 1028.
Nationalökonomische Gesetzgebung, 641
verichtskostenordnung. Vom 10. Januar 1900, S. 207.
Verordnung, die Gebühren für Eheverträge und Güterrechtsein-
tragungen betr. Vom 18. Januar 1900, S. 334.
Verordnung, Ergänzung der Gebührenordnung für die Gemeinde-
beamten und die Gemeindebediensteten betr. Vom 24. März 1900,
S. 539.
Verordnung, die Umschreibungsgebühren betr. Vom 17. Novem-
ber 1900, S. 1061.
Verordnung, die von den Gemeinden für Geschäftsverrichtung der
Steuerkommissäre zu zahlenden Gebühren betr. Vom 28. November
1900, S. 1067.
Gesetz, die Versicherung gegen Hagelschaden betr. Vom 11. April
1900, S. 547.
81. Die von den Kreisen angesammelten Hagelversicherungsfonds sind, soweit
sie aus allgemeinen Staatsmitteln herrühren, an die Amortisationskasse abzuliefern und
zu einem „Hagelversicherungsfonds“ zu vereinigen, welcher durch Zuweisung einer
entsprechenden, den allgemeinen Staatsmitteln zu entnehmenden Summe auf den Betrag
von einer und einer halben Million zu erhöhen ist. Die Bestände des Hagelver-
sicherungsfonds werden von der Amortisationskasse mit 21 Proz. verzinst.
g 2. In den Hagelversicherungsfonds haben die Versicherten einen Beitrag in
Höhe von 10 Proz. des von ihnen in dem betreffenden Jahr an die Norddeutsche
Hagelversicherungsgesellschaft zu entrichtenden Nettoprümienbetrages, insoweit solcher
nicht etwa von den Kreisen übernommen wird, einzubezahlen. In diesen Fonds fliefsen
aufserdem die Gewinnanteile, welche gemäjs 5 des von der Grojsherzoglichen Regierung
mit der Gesellschaft abgeschlossenen Uebereinkommens von dieser zu entrichten sind.
g 3. Aus dem Hagelversicherungsfonds hat auf Anordnung des Finanzministeriums
die Amortisationskasse zu bestreiten: 1. die Schadensbeträge, die auf Grund des im
à 2 erwähnten Uebereinkommens künftig der Staatskasse zur Last fallen, 2. die Nach-
schufsprämienbeträge, welche nach dem jeweiligen Ausschreiben der Norddeutschen
Hagelversicherungsgesellschaft auf deren im Grofsherzogtum Baden versicherte Mitglieder
entfallen. Reichen die Zinsen des Fonds nicht aus, so sind die weiter erforderlichen
Mittel dem Fonds selbst zu entnehmen. Im Fall der Unzulänglichkeit des Fonds wird
die Amortisationskasse die fehlenden Beträge einstweilen und bis zur erfolgten
Ergänzung des Fonds vorschüjslich ohne Zinsenberechnung bestreiten.
25. Die entstehenden Verwaltungskosten fallen der Amortisationskasse zur Last.
26. Auf Anordnung des Ministeriums des Innern haben die Kreise für ihre
Bezirke die den Hauptagenturen der Norddeutschen Hagelversicherungsgesellschaft zu-
gewiesenen Geschäfte ganz oder teilweise zu übernehmen, die Beiträge der Versicherten
einzuziehen und abzuführen.
Verordnung, das Verfahren der Behörden der inneren Verwaltung
bei der Zwangsvollstreckung wegen öffentlich rechtlicher Geldforderungen
betr. Vom 27. Januar 1900, S. 387.
Landesherrliche Verordnung, die Dienstkautionen der Beamten betr.
Vom 15. September 1900, S. 951.
Aufhebung der Verpflichtung zur Kautionsleistung, insoweit die Kautionen zur
Sicherstellung der vermögensrechtlichen Ansprüche zu dienen bestimmt sind, welche dem
Staat (nicht Dritten) gegenüber den Beamten aus deren Amtsführung zustehen.
Bekanntmachung, die Dienstkautionen der Beamten betr. Vom
27. November 1900, S. 1068.
Verordnung, die amtsgerichtlichen öffentlichen Register betr. Vom
2. Januar 1900, S. 1.
I. Allgemeine Vorschriften. II. Vereins- und Güterrechtsregister. III. Schiffs-
register. IV. Handelsregister. V. Genossenschaftsregister. VI. Berichtigung und Ver-
Dritte Folge Bd, XXII (LXXVII). 41
642 Nationalükonomische Gesetzgebung.
vollständigung der Handels- und Genossenschaftsregister. VII. Musterregister. VIII.
Börsenreyister. IX, Uebergangsvorschriften.
Verordnung, die Führung der Grund- und Pfandbücher in der
Zwischenzeit betr. Vom 4. Mai 1900, S. 619. Entsprechende Ver-
ordnungen vom 6. Juni 1900, S. 767; 3. Juli 1900, S. 831; 8. August
1900, S. 876; 12. November 1900, S. 1060.
Landesherrliche Verordnung, das Verfahren bei Zwangsvoll-
streckungen in Liegenschaften betr. Vom 13. Juli 1900, S. 845.
Landesherrliche Verordnung, die Ausführung der Grundbuchordnung
betr. Vom 13. Dezember 1400, S. 1077.
Gesetz, die Zwangserziehung und die Bevormundung durch Beamte
der Armenverwaltung betr. Vom 16. August 1900, S. 938.
A. Zwangserziehung. Art. I. Soweit in dem Gesetze vom 4. Mai 1886, die
staatliche Fürsorge für die Erziehung verwahrloster jugendlicher Personen betr., dem
Amtsgericht eine Mitwirkung bei der Zwangserziehung übertragen ist, tritt an dessen
Stelle das Vormundschajtsgericht. Art. II. Einzelabänderungen und Zusütze zu dem
Gesetz vom 4. Mai 1886.
B) Bevormundung durch Beamte der Armenverwaltung. Art, II
Gemeinden oder Kreise können mit Genehmigung der Ministerien der Justiz und des
Innern durch statutarische Bestimmung beschliejsen, da/s Beamten der Gemeindearmen-
verwaltung alle oder einzelne Rechte und Pilichten eines Vormundes für diejenigen
Minderjährigen übertragen werden, welche im Wege der öffentlichen Armenpflege unter-
stützt und unter Aufsicht der Beamten entweder in einer von diesen ausgewählten
Familie oder Anstalt oder, sofern es sich um uneheliche Minderjährige handelt, in der
mäütterlichen Familie erzogen oder verpilegt werden. Der Beamte behält die Rechte und
Pflichten des Vormundes auch nach Beendigung der Erziehung oder Verpilequng bis zur
Volljährigkeit des Mündels. Die Befugnis des Vormundschaftsgerichts, einen anderen
Vormund zu bestellen, bleibt unberührt. Auf Antray der Armenverwaltung ist ein
anderer Vormund zu bestellen. Art. IV. Werden in den Füllen des Art. III dem
Beamten alle Rechte und Pilichten eines Vormundes übertragen, so gelten für diese
Vormundschaft aufserdem noch folgende Bestimmungen: 1) Mit dem Zeitpunkt, in
welchem alle Rechte und Pflichten des Vormundes auf den Beamten übergehen, endigt
das Amt des bisherigen Vormundes. 2) Neben dem Beamten ist ein Gegenvormund
nicht zu bestellen. 3) Dem Beamten stehen die nach £ 1852, II B.G.B. zulässigen Be
Jreiungen zu.
Bekanntmachung, die Zwangserziehung betr. Vom 31. August 1900,
S. 1022.
Bekanntmachung des Gesetzes vom 4. Mai 1836 in der neuen Fassung.
Verordnung, die am 1. Dezember 1900 vorzunehmende Volkszählung
betr. Vom 14. September 1900, S. 952.
Hessen.
Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt für das
Jahr 1900.
Verordnung, die Instruktion der Feldgeschworenen betr. Vom
3. Januar 1900, S. 11. Bekanntmachung dazu vom 8. Juni 1900 S. 382.
Verordnung zur Ausführung des Gesetzes vom 24. Juli 1899, die
Umwandlung und Ablösung von Reallasten und Dienstbarkeiten betr.
Vom 25. August 1900, S. 495.
Pferdeaushebungsvorschrift. Vom 17. Juli 1900, S. 511. ;
Gesetz, betr. die Abänderung des Gesetzes vom 7. Juli 1896, die
Nationalükonomische Gesetzgebung. 643
Entschädigung für an Milzbrand und Rauschbrand gefallene Tiere betr.
Vom 24. September 1900, S. 933. Dazu Bekanntmachung vom 12. Ok-
tober 1900, S. 935.
Ausdehnung des Gesetzes auf gefallene oder getötete, mit Rotlauf behaftete Schweine.
Maximalbetrag der Entschädigung 80 M.
Verordnung zur Ausführung des Reichsgesetzes vom 26. Juli 1897,
die Abänderung der Gewerbeordnung betr. Vom 30. März 1900, S. 269.
Entsprechende Bekanntmachung vom 31. März 1900, S. 271.
Verordnung, den Vollzug der Gewerbeordnung für das Deutsche
Reich in der Fassung des Abänderungsgesetzes vom 30. Juni 1900
betr. Vom 22. September 1900, S. 845.
Bekanntmachung, Gebührenordnung für approbierte Aerzte und
Zahnärzte betr. Vom 30. Dezember 1899, S. 13.
Bekanntmachung, Erlaß einer Gebührenordnung für approbierte
Tierärzte betr. Vom 19. Januar 1900, S. 83.
Bekanntmachung, die Gebühren der Großherzoglichen Kreisärzte und
Kreisassistenzärzte betr. Vom 22. Januar 1900, S. 115.
Verordnung, die Prüfung für die Stellen der Werkmeister an den
Strafanstalten betr. Vom 8. Dezember 1900, S. 1005.
Bekanntmachung, Bestimmungen über die Beförderung ätzender und
giftiger Stoffe auf dem Rhein betr. Vom 14. Juli 1900, S. 431.
Bekanntmachung, den Erlaß einer neuen Aichordnung für die Rhein-
schiffe betr. Vom 27. Juni 1900, S. 439.
Bekanntmachung, die Ausführung des Telegraphenwegegesetzes vom
18. Dezember 1899 betr. Vom 4. Januar 1900, S. 48.
Verordnung, die amtliche Benennung des auf Grund des Invaliden-
versicherungsgesetzes errichteten Schiedsgerichts und die Zuständigkeit
der Landesbehörden in dem Verfahren vor demselben betr. Vom
13. Januar 1900, S. 76.
Vorschriften für das Verfahren vor den Ausschüssen für Invaliden-
versicherung bei den unteren Verwaltungsbehörden. Vom 12. Februar
1900, S. 141.
Bekanntmachung zur Ausführung des Krankenversicherungsgesetzes
15. Juni 1883
vom =, Vom 7. März 1900, S. 257.
10. April 1892 d
Bekanntmachung, die Ausführung des Invalidenversicherungsgesetzes,
hier: die Verleihung der Rechte und Pflichten von Staatsbeamten an
die Beamten der Versicherungsanstalt betr. Vom 1. Mai 1900, S. 367.
Gesetz, die Witwen- und Waisenkasse der Volksschullehrer betr.
Vom 21. Juni 1900, S. 478.
Aufhebung der bisherigen Eintrittsgelder und Beiträge (Art. 1). Höhe der Witwen-
pension: 450—600 M. Waisengeld: a) wenn die Mutter lebt und zum Bezug von
Witwengeld berechtigt ist, 1/; desselben für jedes Kind; b) wenn die Mutter nicht lebt
oder kein Witwengeld bezieht: 1) wenn ein Kind vorhanden ist: ?/, des Witwengeldes,
2) wenn zwei Kinder vorhanden sind, je !/,, 3) drei oder mehr, je 1/,. Das Waisengeld
für sich und Witwen- und Wuisengeld zusammen dürfen den Betrag von 1200 M. nicht
übersteigen; sonst entsprechende Reduktion des Waisengeldes (Art. 6-8).
Bekanntmachung, die Ausführung der Unfallversicherungsgesetze
betr. Vom 21. September 1900, S. 922.
41*
644 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Verordnung, die Schiedsgerichte für Arbeiterversicherung betr.
Vom 1. Dezember 1900, S. 995. Diesbezügliche Bekanntmachung vom
3. Dezember 1900, S. 996.
Gesetz, die Verlängerung des Finanzgesetzes betr. Vom 29. März
1900, S. 263.
Die Zeit vom 1. April 1900 bis 81. März 1901 bildet eine besondere Etatsperiode,
Das Finanzgesetz vom 21. Mai 1899 wird auf diese ausgedehnt.
Bekanntmachung, den Ausschlag der direkten Steuern für das Etats-
jahr 1900/1901 betr. Vom 30. März 1900, S. 264.
Je 16 Pfg. auf die Mark Gewerbe- und Einkommensteuerkapital, 14 Pfg. auf die
Mark Grundsteuerkapital, 17 Pfg. auf die Mark Kapitalrentensteuerkapital.
Bekanntmachung, den Ausschlag der direkten Steuern betr. Vom
6. April 1900, S. 287.
Die Gesamtsumme der direkten Steuern wird auf 11898 531,20 M. berechnet und
auf die einzelnen Steuerkommissariate verteilt.
Gesetz, die Festsetzung der Staatshaushaltsperiode betr. Vom
27. Juni 1900, S. 425.
An Stelle der Finanzperiode tritt als Wirtschaftsperiode im Staatshaushalt das
Etatsjahr.
Verordnung, die allgemeine Einkommensteuer und die Vermögens-
steuer betr. Vom 28. März 1900, S. 271.
Bestimmungen zur Vollziehung der Gesetze vom 12. August 1899 unter Aufhebung
der Verordnung vom 30. Juli 1895.
Bekanntmachung, die Erhebung einer allgemeinen katholischen
Kirchensteuer betr. Vom 30. Januar 1900, S. 123.
Bekanntmachung, das Verwaltungsstrafverfahren und den Erlaß des
Strafbescheides bei Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über die
Erhebung des Urkundenstempels im Geschäftskreise des großherzoglichen
Ministeriums des Innern betr. Vom 10. Februar 1900, S. 139.
Bekanntmachung, die Ausführung des Gesetzes über den Urkunden-
stempel betr. Vom 13. Juni 1900, S. 404.
Bekanntmachung, die Ausführung des Reichsstempelgesetzes vom
14. Juni 1900 betr. Vom 23. Juli 1900, S. 480.
Bekanntmachung, die Vergütung beim Bezuge von Stempelmarken
betr. Vom 22. Dezember 1900, S. 1032.
Gesetz, die Aufhebung des Gesetzes vom 9. Dezember 1876, die
Besteuerung des Weines betr. Vom 21. Juli 1900, S. 479.
Bekanntmachung, die Ausführung der Branntweinsteuergesetze, hier
die Befugnisse der Hebestellen betr. Vom 13. September 1900, S. 924.
Entsprechende Bekanntmachung vom 12. Dezember 1900, S. 1010.
Gesetz, die Abänderung des Hundesteuergesetzes vom 12. August
1899 betr. Vom 22. Dezember 1900, S. 1031.
Zusatz zu Art. 8: Von der Hundesteuer für je einen Hund sind ferner befreit
alle diejenigen Personen, die infolge ihres Berujes oder Gewerbes einsam wohnen und
ein Einkommen von weniger als 2600 M. versteuern.
Gesetz, betr. die Abänderung des Gesetzes, die Erbschafts- und
Schenkungssteuer betr., vom 30. August 1884. Vom 22. Dezember 190),
S. 1035.
Nationalükonomische Gesetzgebung. 645
Eine Reihe von Artikeln werden ihrer Fassung nach geändert in der Hauptsache
aus Rücksicht auf die Normen und den Sprachgebrauch des B.G.B.
Gesetz, die Besteuerung des Gewerbebetriebes im Umherziehen
betr. Vom 22. Dezember 1900, S. 1013.
Steuerpflichtig sind Personen, welche im Grofsherzogtum ein Gewerbe im Umher-
ziehen betreiben, zu dem sie eines Wandergewerbescheines bedürfen. Befreiung von der
Veranlagung zur Gemeindegewerbesteuer für die der Wandergewerbesteuer unterliegenden
Geschäftsbetriebe (Art. 1). — Anmeldepflicht vor Eröffnung des Betriebes und alljährlich
(Art. 2). Entrichtung der Steuer in dem ganzen angesetzten Betrage vor Beginn des
Gewerbes (Art. 5). — Befreiung und Ermäfsigung möglich durch das Finanzministerium
(Art. 4). — Betrag der Wandergewerbesteuer : siehe Tarif. Betreibt der Steuerpflichtige
mehrere unter verschiedene Tarifnummern fallende Wandergewerbe, so ist er mit jedem
derselben besonders zur Steuer heranzuziehen. Fällt jedoch der Betrieb unter verschie-
dene Klassen der nämlichen Tarifnummern, so kommt nur der Steuersatz der höheren
Klasse zur Anwendung. Die Steuer wird für solche Wandergewerbe, die im Tarif nicht
genannt sind, nach demjenigen Steuersatz bemessen, der für das nüchstverwandte im
Tarif bezeichnete Gewerbe bestimmt ist. — Rückerstattung der bezahlten Steuer im Fall
der Abstandnahme vom Beginn, der Einstellung, Unterbrechung oder Verminderung des
Gewerbebetriebes findet nicht statt, aufser bei Nachweis, dafs der Beginn unterblieben
oder die Einstellung erfolgt ist wegen solcher Ereignisse, die von dem Willen des
Steuerpflichtigen unabhängig sind (Art. 6). — Anzeigepflicht von Betriebsünderungen,
sofern durch diese der Betrieb in höherem Grade steuerpflichtig wird (Art. 7). — Wander-
lager, Unternehmungen, in welchen aufserhalb des Gemeindebezirks des Wohnorts des
Unternehmers ohne Begründung einer gewerblichen Niederlassung und aufserhalb des
Mejs- und Marktverkehrs von einer festen Verkaufsstelle aus vorübergehend Waren —
gleichviel ob zum Verkauf aus freier Hand oder im Wege der Versteigerung — feil-
geboten werden, sind für jede Verkaufsstelle, auch wenn mehrere derselben innerhalb
des gleichen Ortes belegen sind, gesondert der Besteuerung zu unterziehen (Art. 9, I,
10, D. — Der Besteuerung als Wanderlager unterliegen nicht der Verkauf von Aus-
stellungsgegenständen auf üfentlichen Ausstellungen und der Verkauf im Wege der
Zwangsvollstreckung, aufser wenn letztere lediglich zur Umgehung der Steuer gewählt
wird (Art. 10). — Rechtsmittel: Art. 12. Strafbestimmungen: Art. 18—21. Schlufs-
bestimmungen: Art. 22.
Tarif.
I. Hausiergewerbe.
Klasse A. Gewerbe geringerer Art. 2—8 M. für das Kalenderjahr. Be-
gleiter Ja bezw. 1], dieses Satzes.
Ausnahmesatz: Reduktion bis zu 1 M. bei erheblicher Behinderung in der
Ausübung durch Gebrechlichkeit oder hohes Alter, bei geringer räumlicher Ausdehnung
des Betriebes oder Ausübung nur während eines kleinen Teils des Jahres.
Ermäfsigung des Satzes bis zur Hälfte bei aufsergewühnlich geringem Um-
Jang des Betriebes.
Erhöhung des Satzes auf den der Klasse B bei bedeutendem Umfang und er-
heblichem Betriebskapital.
Klasse B. Alle anderen Hausiergewerbe: 20—80 M. für das Kalender-
jahr. Begleiter entsprechend Klasse A.
Ausnahmesatz 2—4 M. in den Fällen sub A, bei aufsergewöhnlich geringem
Umfang und ganz kleinem Betriebskapital.
Ermäjsigung bis zu 8 M. bei geringem Umfang, sowie Verkauf von Waren der
Klasse A in erheblicher Ausdehnung.
Erhöhung bis zu 200 M.: wie sub A.
II. Detailreisende: 15—100 M. für das Kalenderjahr.
Ausnahmesatz: 5—10 M.
Ermäfsigung bis auf 10 M.
Erhöhung bis auf 400 M.
III. Lustbarkeiten, bei denen kein höheres künstlerisches oder wissenschaft-
liches Interesse obwaltet.
Klasse A: Untergeordneter Art 2—80 M., für das Kalender-
Klasse B: Besserer Art, gröjserer Ausdehnung 12—120 M. jahr.
646 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Hilfspersonen, Gesellschaftsmitglieder !/,. Ermäjsigung bis 1 M. entsprechend
Ausnahmesatz oben I, A.
IV. Wanderlager.
Klasse A. Gewerbe geringerer Art 2—4 M. \ für je 7 aufeinanderfolgende Tuge
Klasse B. Alle anderen Gewerbe 40—80 M. } und weniger.
Verordnung zur Ausführung des Gesetzes, die Besteuerung des Ge-
werbebetriebes im Umherziehen betr., vom 22. Dezember 1900. Vom
22. Dezember 1900, S. 1027.
Verordnung, die Organisation der Verwaltung der Staatsschulden-
kasse betr. Vom 12. September 1900, S. 920.
Verordnung, die Aufhebung der oberen landwirtschaftlichen Behörde
und die Bildung einer Ministerialabteilung für Landwirtschaft, Handel
und Gewerbe im Ministerium des Innern betr. Vom 17. Januar 1900,
S. 135.
Verordnung, die Errichtung einer Ministerialabteilung für Finanz-
wirtschaft und Eisenbahnwesen im Ministerium der Finanzen betr. Vom
30. Mai 1900, S. 375.
Bekanntmachung, die Neugestaltung des Kassenwesens betr. Vom
8. September 1900, S. 551.
Bekanntmachung, die Besetzung der Subaltern- und Unterbeamten-
stellen bei den Staatsbehörden mit Militäranwärtern betr. Vom 22. Januar
1900, S. 127.
Bekanntmachung, die Besetzung der Subaltern- und Unterbeamten-
stellen bei den Kommunalbehörden u. s. w. mit Militäranwärtern betr.
Vom 3. Februar 1900, S. 201.
Verordnung zur Ausführung des Deutschen Gerichtsverfassungs-
gesetzes und des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetze.
Vom 6. Januar 1900, S. 10.
Verordnung, die Anlegung des Grundbuches und die Ausführung
der Grundbuchordnung betr. Vom 13. Januar 1900, S. 51.
Verordnung, die Hypothekenämter und die Hypothekenbewahrer in
der Provinz Rheinhessen betr. Vom 23. Dezember 1899, S. 81.
Anorduungen, die Ausführung der Grundbuchordnung betr. Vom
14. Januar 1900, S. 151.
Anweisung für die großherzoglichen Gerichte, die Anlegung des
Grundbuches betr. Vom 1. Februar 1900, S. 221.
Verordnung, die Eintragung der Grunddienstbarkeiten betr. Vom
20. Juni 1900, S. 407.
Gesetz, die Fortführung der Grundbuchkarten und der bisherigen
Grundbücher betr. Vom 14. Juli 1900, S. 435.
Verordnung, den Ansatz, die Erhebung und die Beitreibung der
Gerichtskosten betr. Vom 8. September 1900, S. 882.
Mecklenburg-Schwerin.
Regierungsblatt für das Großherzogtum Mecklenburg-
: Schwerin, Jahrgang 1900.
Bekanntmachung, betr. die Getreidedurchschnittspreise, nach welchen
der Geldkanon der Erbpächter u. s. w. im Domanium für die nächste
Zahlungsperiode zu berechnen ist. Vom 10. März 1900, S. 128.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 647
Bekanntmachung, betr. die der Berechnung der Landeskontribution
im Steuerjahre 1900/01 zu Grunde zu legenden Getreidepreise. Vom
9. Juni 1900, S. 296.
Bekanntmachung, betr. die Feststellung des Reinertrags und des
Ertragswertes eines Landguts. Vom 18. April 1900, S. 204.
Verordnung, betr. die land- und forstwirtschaftlichen statistischen
Erhebungen im Jahre 1900. Vom 21. Mai 1900, S. 270.
Verordnung, betr. die am 1. Dezember 1900 vorzunehmende Vieh-
zählung. Vom 25. September 1900, S. 339.
Verordnung zur Ergänzung des $ 3 der Verordnung vom 20. Januar
1882, betr. die Aufbringung der Entschädigungsgelder und Abschätzungs-
kosten für die auf Grund des Viehseuchengesetzes getöteten oder nach
Anordnung der Tötung gefallenen Tiere, und des $ 13 der Verordnung
vom 19. Juni 1896, betr. die Abwehr und Unterdrückung der Faulbrut
unter den Bienen. Vom 5. April 1900, S. 203.
Bekanntmachung, betr. die Satzungen und die Wahlordnung für
die Handwerkskammer in Schwerin. Vom 6. Februar 1900, S. 73.
Bekanntmachung, betr. Bestimmungen über den Geschäftsbetrieb
der Auswanderungsunternehmer und Agenten. Vom 1. Februar 1900, S. 97.
Verordnung, betr. den Betrieb und die Beaufsichtigung des Salz-
bergbaues. Vom 22. Juni 1900, S. 285. Dazu Ausführungsbestimmungen
vom 29. Juni 1900, S. 312.
Verordnung zur Ausführung des Telegraphenwegegesetzes vom
18. Dezember 1899. Vom 30. Januar 1900, S. 93.
Bekanntmachung, betr. Ersatzansprüche auf Grund der Vorschrift
in $ 13, II des Telegraphenwegegesetzes vom 18. Dezember 1899, und
der Verordnung zur Ausführung dieses Gesetzes vom 30. Januar 1900.
Vom 26. Februar 1900, S. 111.
Bekanntmachung, betr. den Auslieferungsverkehr zwischen dem
Deutschen Reiche und Oesterreich. Vom 30. Januar 1900, S. 97.
Neue Verordnung zur Ausführung des Reichsgesetzes über die
Freizügigkeit vom 1. November 1867. Vom 18. Mai 1900, S. 265.
Verordnung zur Ausführung des Invalidenversicherungsgesetzes vom
13. Juli 1899. Vom 30. Dezember 1899, S. 52. Ergänzung dieser
Verordnung durch Verordnung vom 10. April 1900, S. 197.
Verordnung zur Ausführung der Unfallversicherungsgesetze vom
30. Juni 1900 in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Juli 1900.
Vom 1. Oktober 1900, S. 361.
Bekanntmachung, betr. Ausführung des $ 35 des Gewerbeunfall-
versicherungsgesetzes vom 30. Juni 1900. Vom 9. Oktober 1900, S. 371.
Bekanntmachung, betr. Festsetzung des Wertes der Naturalbezüge
für die Zwecke der Unfallversicherungsgesetze und des Invalidenver-
sicherungsgesetzes vom 13. Juli 1900. Vom 16. Oktober 1900, S. 378.
Zusatzverordnung zu der Ausführungsverordnung vom 20. Februar
1871 zum Bundesgesetz über den Unterstützungswohnsitz. Vom 26. Mai
1900, S. 281.
Bekanntmachung, betr. Aenderung der Wahlordnung vom 8. No-
vember 1899 für die für den Ausschuß bei der Versicherungsanstalt
Mecklenburg zu wählenden Mitglieder. Vom 3. März 1900, S. 112.
648 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Verordnung zur Ergänzung der Verordnung vom 20. Januar 1888,
betr. die Formen des Verfahrens und den Geschäftsgang bei dem Landes-
versicherungsamte. Vom 12. Oktober 1900, S. 377.
Kontributionsedikt für das Jahr 1900/1901. Vom 5. Januar 190,
I. Ordentliche Kontribution.
a) Die ordentliche Domanialhufensteuer im Betrage von 77 M. für die Hufe.
b) Die ordentliche ritterschaftliche Hufensteuer im Betrage von 77 M. für die
Hufe, zuzüglich der ordentlichen Necessarien mit 9 M., zusammen also 86 M. Die ritter-
schaftlichen Bauern tragen für die Hufe 88 M. bei. — Es folgen weitere Sonderbe-
stimmungen.
c) Die erbvergleichsmäjsige landstädtische Steuer von Häusern und Ländereien,
II. Erhebung der Kontribution nach dem Kontributionsedikt vom 11. Mai 1897
im vollen ediktmäfsigen Betrage.
Verordnung, betr. Abänderung des Stempeltarifs in Anlage A der
Verordnung vom 22. Dezember 1899, betr. die Stempelsteuer. Vom
7. Dezember 1900, S. 403.
Verordnung, betr. die Emeritierung der evangelisch-lutherischen
Geistlichen. Vom 4. Januar 1900, S. 57.
Satzung für die Emeritierungskasse. Vom 21. Juni 1900, S. 293.
Verordnung, betr. die Aufhebung der Kommunalsteuerfreiheit der
Geistlichen und Kirchendiener in den Städten. Vom 4. Januar 1900, S. 65.
Bekanntmachung, betr. die Grundsätze für die billigmäßige Veran-
schlagung der Pfarreinkommen der evangelisch-lutherischen Geistlichen.
Vom 16. Mai 1900, S. 273.
Verordnung über die Tagegelder und Reisekosten, sowie über die
Umzugskosten der im Großherzoglichen Eisenbahndienste angestellten
Beamten. Vom 9. Februar 1900, S. 115. Bekanntmachung, betr. In-
krafttreten dieser Verordnung vom 3. März 1900, S. 126.
Verordnung, betr. die Pensionierung der an den Landschulen im
Domanium angestellten Lehrer. Vom 1. Mai 1900, S. 250.
Verordnung, betr. die Errichtung einer Domanialhauptschulkasse,
die Zahlungen aus derselben und die Aufbringung der für die Ausgaben
erforderlichen Geldmittel. Vom 1. Mai 1900, S. 257.
Verordnung, betr. die am 1. Dezember 1900 vorzunehmende Volks-
zählung und Obstbaumzählung. Vom 29. September 1900, S. 341.
Weimar.
Regierungsblattfürdas@roßherzogtumSachsen-Weimar-
Eisenach auf das Jahr 1900.
Ministerialbekanntmachung, betr. der Viehzählung am 1. Dezember
1900. Vom 27. September 1900, S. 455.
Ministerialbekanntmachung, betr. die Obstbaumzählung am 1. De-
zember 1900. Vom 29. September 1900, S. 459.
Pferdeaushebungsvorschrift für das Großherzogtum Sachsen. Vom
29. September 1900, S. 469.
Ministerialverordnung, betr. Festsetzungder Landescentralbehörde, der
höheren und der unteren Verwaltungsbehörde zur Ausführung des
Reichsgesetzes über die Abänderung der Gewerbeordnung vom 26. Juli
1897. Vom 24. März 1900, S. 297.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 649
Ministerialverordnung, betr. die Errichtung der Handwerkskammer
für das Großherzogtum. Vom 30. März 1900, S. 298.
Ministerialbekanntmachung, betr. die Wahlordnung für die Hand-
werkskammer und den Gesellenausschuß derselben. Vom 31. März
1900, S. 315.
Ministerialverordnung, betr. die Aufhebung der Gewerbekammer
(Verordnung vom 5. Mai 1877). Vom 17. November 1900, S. 549.
Ministerialverordnung, betr. die Abänderung der Verordnung zur
Regelung des Verkehrs auf den Chausseen und anderen öffentlichen
Wegen vom 17. August 1882. Vom 16. Februar 1900, S. 127. Ent-
sprechende Verordnungen vom 17. Februar 1900, S. 131 und vom
18. Februar 1900, S. 140,
Ministerialbekanntmachung, betr. die Ersatzansprüche aus den
$$ 2, 4, 5 und 6 des Reichstelegraphenwegegesetzes vom 18. Dezember
1899. Vom 24. März 1900, S. 295.
Gesetz, betr. die Errichtung einer Handelskammer. Vom 25. September
1900, S.533. Dazu Ausführungsverordnung vom 8. November 1900, S. 537.
Ministerialbekanntmachung, betr. die Wahlordnung für die Wahl
der Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten zum Ausschuß der
Thüringischen Landesversicherungsanstalt. Vom 23. Mai 1900, S. 393.
Ministerialbekanntmachung, betr. die Befreiung von der Versiche-
rungspflicht auf Grund des $ 6, II des Invalidenversicherungsgesetzes.
Vom 10. Januar 1900, 8. 54.
Ministerialbekanntmachung, betr. die Ausführung des $ 98 des
Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899. Vom 30. Januar
1900, S. 116.
Ministerialbekanntmachung, betr. §§ 131 ff, 158, 160 des Invaliden-
versicherungsgesetzes. Vom 15. Februar 1900, S. 169.
Ministerialbekanntmachung, betr. die Ausführung der Unfallver-
sicherungsgesetze. Vom 30. Juli 1900, S. 465.
Gesetz über die Fürsorge für Idioten. Vom 8. Oktober 1900, S. 511.
In eine Idiotenanstalt werden, soweit der Raum es zuläfst, idiotische Kinder
beiderlei Geschlechts und aller Bekenntnisse, welche in der Regel nicht unter 6 und
nicht über 16 Jahre alt sind, aufgenommen (2 1). Die Aufnahme kann beantragt
werden von derjenigen Person, welcher die elterliche Gewalt oder die sonstige gesetzliche
Vertretung zusteht (2 2), in den Fällen des 2 1666, 8 1838 B.G.B. durch das Vormund-
schaftsgericht und, wenn der Idiot für sich oder andere gefährlich ist, oder die Auf-
nahme aus Gründen des üffenllichen Wohls geboten erscheint, durch die Verwaltungs-
behörde angeordnet werden. Dagegen Berufung mit aufschiebender Wirkung (2 3). Die
Aufnahme verfügt das Staatsministerium (2 4). Die Entlassung erfolgt a) auf Antrag
der Personen oder Behörden des Z 8, b) auf Verfügung des Staatsministeriums (2 5).
Die Kosten tragen die aufgenommene Person bezw. die nach B.G.B. unterhaltspjlichtigen
Personen, unbeschadet einer etwaigen vorschufsweisen Zahlung durch die Staatskasse.
Bei Unvermögen werden die Kosten des Unterhalts in der Anstalt aus der Staatskasse
bestritten; der dritte Teil der Verpfleyungskosten ist jedoch von dem gemäjs Unter-
stützungswohnsitzgesetz verpflichteten Ortsarmenverband zu erstatten. Ist ein Unter-
stützungswohnsitz nicht zu ermitteln, so hat der Landarmenverband die gesamten Kosten
der Unterbringung in der Idiotenanstalt zu erstatten (2 6).
Fünfter Nachtrag zu dem Statut über die Gründung einer allge-
meinen Waisenversorgungsanstalt des Großherzogtums Sachsen-Weimar-
Eisenach vom 14. November 1843. Vom 25. Oktober 1900, S. 52 .
650 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Neue Fassung von Z 9: Die Waisenanstalt hat jedem ihrer Zöglinge gleichmäjkig
zu gewähren: 1. ein in vierteljährlichen Teilbeträgen vorauszuzahlendes jührliches Ver-
pflegungsgeld von 50 M.; 2. zur Anschaffung der zum Schulunterricht nötigen Bücher
und Schreibmaterialien den Betrag von 10 Mk.; 8. bei der Konfirmation 20 M.; 4. in
Krankheitsfällen die nötigen Arzeneien auf Grund gehörig beglaubigter Rezepte. Zur
unentgeltlichen ärztlichen Behandlung der kranken Wuisen in der Anstalt sind die
Bezirksürzte verpjlichtet. Stirbt ein Zögling der Anstalt, so sind von dieser die Kosten
der Beerdigung nach den billigsten Ansätzen zu tragen oder zu vergüten.
Nachtrag zur Ausführungsverordnung zu dem Gesetze über die
Landeskreditkasse vom 16. September 1897. Vom 28. Februar 190),
S. 161.
Gesetz, betr. die Einrichtung eines Schuldbuches bei der Grol-
herzoglichen Landeskreditkasse. Vom 20. Januar 1900, S. 57.
Ausführungsverordnung zum Gesetz vom 20. Januar 1900. Vom
30. Juli 1900, S. 421.
Besoldungsordnung für die Grofherzoglich Sächsischen Staats-
beamten. Vom 7. März 1900, S. 163.
Ministerialverordnung, die Besetzung der Subaltern- und Unter-
beamtenstellen bei den Kommunalbehörden etc. mit Militäranwärtern
betr. Vom 27. Februar 1900, S. 143.
Ministerialverordnung, betr. Ausführungsvorschriften zum Gesetz
über das Volksschulwesen. Vom 28. März 1900, S. 294.
Ministerialbekanntmachung, betr. Ausschreibung eines ordentlichen
Beitrages zur Landesbrandversicherungsanstalt. Vom 20. April 19%,
S. 385.
Verordnung zur Ausführung des $ 1, III des Gesetzes vom 8. De-
zember 1899 über die Zwangsvollstreckung im Verwaltungswege. Vom
10. Januar 1900, S. 49,
Ministerialverordnung zur Ausführung des Gesetzes vom 9. Mirz
1875, betr. die Einführung von Friedensrichtern, nebst Nachträgen. Von
22. Januar 1900, S. 101. :
Ministerialbekanntmachung und Gesetz über das Kostenwesen ım
Gerichts- und Verwaltungssachen. Vom 28. Februar 1900, S. 191.
Ministerialbekanntmachung, betr. die Volkszählung am 1. Dezember
1900. Vom 20. September 1900, S. 449.
Mecklenburg-Strelitz.
Großherzoglich Mecklenburg-Strelitzscher Offizieller
Anzeiger für Gesetzgebung und Staatsverwaltung.
Bekanntmachung, betr. die Feststellung des Reinertrages und des
Ertragwertes eines Landguts. Vom 3. Dezember 1900, S. 409.
Verordnung, betr. die land- und forstwirtschaftlichen Erhebungen
im Jahre 1900. Vom 28. Mai 1900, S. 2691).
Verordnung zur Ergänzung des $ 3 der Verordnung von
20. Januar 1882, betr. die Aufbringung der Entschädigungsgelder und
Abschätzungskosten für die auf Grund des Viehseuchengesetzes 8%
töteten oder nach Anordnung der Tötung gefallenen Tiere, und des
1) Erlassen nach hausvertragsmäßiger Kommunikation mit dem Regenten von
Mecklenburg-Schwerin.
Nationalükonomische Gesetzgebung. 651
13 der Verordnung vom 19. Juni 1896. Vom 5. April 1900,
a 2551)
Verordnung, betr. die Vertilgung der Hamster. Vom 12. Mai 1900,
a 2641).
Bekanntmachung, betr. die Satzungen und die Wahlordnung für
die Mecklenburgische Handwerkskammer in Schwerin. Vom 17. Feb-
ruar 1 900, S. 97.
Bekanntmachung, betr. die Wahl der Mitglieder der Handwerks-
kammer in Schwerin. Vom 17. Februar 1900, S. 114. Diesbezügliche
Bekanntmachungen vom 5. März 1900, S. 130, und vom 16. März 1900,
S. 138.
Verordnung zur Ausführung des Telegraphenwegegesetzes vom
18. Dezember 1899. Vom 30. Januar 1900, S. 93 1).
Bekanntmachung, betr. die Ersatzansprüche auf Grund des $ 13,
II dieses Gesetzes und dieser Verordnung. Vom 26. Februar 1900,
S. 227.
Neue Verordnung zur Ausführung des Reichsgesetzes über die
Freizügigkeit vom 1. November 1867. Vom 18. Mai 1900, S. 275 1).
Verordnung zur Ausführung des Invalidenversicherungsgesetzes
vom 13. Juli 1899. Vom 30. Dezember 1899, S. 17 1). Entsprechende
Verordnung vom 10. April 1900, S. 2481). Entsprechende Bekannt-
machung vom 19. Januar 1900, S. 78.
Verordnung zur Ausführung der Unfallversicherungsgesetze vom
30. Juni 1900 in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Juli 1900.
Vom 10. Oktober 1900, S. 3691). Ergänzung derselben durch Ver-
ordnung vom 25. Oktober 1900, S. 386. Entsprechende Verordnung
vom 8. November 1900, S. 397. Diesbezügliche Bekanntmachungen
vom 15. Oktober 1900, S. 378, und 25. Oktober 1900, S. 388.
Bekanntmachung, betr. die Errichtung eines Schiedsgerichts für
Arbeiterversicherung. Vom 11. Oktober 1900, S. 386.
Bekanntmachung zur Ergänzung der Vorschrift vom 31. Januar
1888, betr. die Formen des Verfahrens und den Geschäftsgang bei dem
Landesversicherungsamt. Vom 12. Oktober 1900, S. 387. `
Zusatzverordnung zu der Ausführungsverordnung vom 20. Feb-
ruar 1871 zum Bundesgesetz über den Unterstützungswohnsitz. Vom
14. Juni 1900, S. 2831).
Zusatzverordnung zu der Verordnung vom 3. August 1892, betr.
die Bestrafung der Dienstvergehen. Vom 24. April 1900, S. 263 1).
Steueredikt für das Jahr 1901/1902. Vom 19. Dezember 1900,
S. 467.
Verordnung zur Ausführung des Artikels 57 des E.G. zum
B.G.B. und des $ 189 des Gesetzes über die Angelegenheiten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Mai 1898. Vom 22. Dezember
1899, S. 1.
Verordnung, betr. die am 1. Dezember 1900 vorzunehmende Volks-
zählung und Obstbaumzählung. Vom 29. September 1900, S. 361).
1) Erlassen nach hausvertragsmäßiger Kommunikation mit dem Regenten von
Mecklenburg-Schwerin.
652 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Verordnung, betr. die am 1. Dezember 1900 vorzunehmende Vieh-
zählung. Vom 25. September 1900, S. 363 1).
Oldenburg.
Gesetzblatt für das Herzogtum Oldenburg vom Jahre
1900.
Gesetz für das Herzogtum Oldenburg, betr. die Errichtung einer
Landwirtschaftskammer. Vom 25. Januar 1900, S. 81. Verordnung
zur Inkraftsetzung dieses Gesetzes. Vom 28. Mai 1900, S. 457. Bekamt-
machung des Staatsministeriums über die Ausführung des Gesetzes.
Vom 28. Mai 1900, S. 458.
Gesetz für das Herzogtum Oldenburg, betr. Zusatz zum Gesetze
vom 14. Februar 1883 wegen Errichtung einer Bodenkreditanstalt für
das Herzogtum Oldenburg. Vom 18. März 1900, S. 145. Bekannt-
machung des Staatsministeriums, betr. Ausführung beider Gesetze. Vom
18. März 1900, S. 146.
Bekanntmachung des Staatsministeriums über die Ausführung des
Gesetzes für das Herzogtum Oldenburg vom 9. April 1897, betr. die
Förderung der Pferdezucht. Vom 16. Mai 1900, S. 450.
Bekanntmachung des Staatsministeriums, betr. Pferdeaushebungs-
vorschrift. Vom 13. Dezember 1900, S. 787.
Gesetz, betr. Abänderung des Art. 14 $ 3 des Gesetzes für das
Herzogtum Oldenburg vom 17. April 1897, betr. die Ausübung der
Jagd. Vom 12. Februar 1900, S. 99.
Bekanntmachung des Staatsministeriums, betr. den Fischerei-
aufsichtsdienst an der Unterweser. Vom 16. Mai 1900, S. 452.
Gesetz für das Herzogtum Oldenburg, betr. Abänderung des
Gewerbegesetzes vom 11. Juli 1861. Vom 20. Mai 1900, S. 195.
Verordnung, betr. die Ausführung des Gesetzes wegen Abänderung
der Gewerbeordnung vom 30. Juni 1900. Vom 10. September 1900,
S. 715.
Bekanntmachung des Staatsministeriums, betr. Ergänzung des
Getreidelager-Regulativs und des Regulativs für Getreidemühlen und
Mälzereien. Vom 30. Mai 1900, S. 485.
Gesetz, betr. Abänderung der Wegeordnung für das Herzogtum
Oldenburg vom 16. Februar 1895. Vom 7. Februar 1900, S. 95. Ent-
sprechendes Gesetz vom 20. März 1900, S. 159. Diesbezügliche Ver-
ordnung vom 20. März 1900, S. 161.
Bekanntmachung des Staatsministeriums, betr. die Ausführung des
Telegraphenwegegesetzes. Vom 12. Februar 1900, S. 100.
Gesetz für das Herzogtum Oldenburg, betr. die Errichtung einer
Handelskammer. Vom 19. Februar 1900, S. 115. ,
Verordnung zur Inkraftsetzung dieses Gesetzes. Vom 23. April
1900, S. 295.
Bekanntmachung des Staatsministeriums für das Herzogtum Olden-
1) Erlassen nach hausvertragsmäßiger Kommunikation mit dem Regenten Yon
Mecklenburg-Schwerin.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 653
burg, betr. die Ausführung der Bundesratsbekanntmachung vom
24. Dezember 1899, betr. die Befreiung von der Versicherungspflicht
auf Grund des $ 6, II des Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli
1899. Vom 13. Januar 1900, S. 77.
Verordnung für das Herzogtum Oldenburg, betr. die Ausführung
des $ 98 des Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899. Vom
23. Oktober 1900, S. 733.
Verordnung für das Herzogtum Oldenburg, betr. die Ausführung
der Unfallversicherungsgesetze vom 30. Juni 1900. Vom 16. Oktober
1900, S. 725.
Finanzgesetz für die Jahre 1900, 1901 und 1902. Vom 23. März
1900, S. 243.
Einnahme und Ausgabe balancieren für das Jahr 1900 mit: 8787 500 M., für
1901 mit; 8802500 M. und für 1902 mit: 8 847 500 M.
Bekanntmachung des Staatsministeriums, betr. Ergänzung der
Ausführungsbestimmungen zum Salzsteuergesetzee Vom 11. Januar
1900, S. 76.
Gesetz für das Herzogtum Oldenburg wegen Abänderung des Ge-
setzes vom 16. Juli 1868, betr. die Erhebung einer Abgabe von Erb-
schaften, Vermächtnissen und Schenkungen. Vom 21. März 1900,
8.197.
1) In Art. 4 werden die als Abgabe zu entrichtenden Prozentsätze von 8 auf 4,
von 5 auf 7 und von 8 auf 10 erhöht. 2) Neue Bestimmungen für die Veranschlagung
von Nutzungen.
Bekanntmachung des Staatsministeriums, betr. die Ausführung des
Reichsstempelgesetzes. Vom 5. Juli 1900, S. 49. Entsprechende Be-
kanntmachung vom 16. August 1900, S. 671.
Bekanntmachung des Staatsministeriums, betr. Ergänzung der Aus-
führungsbestimmungen zu dem Gesetze vom 22. April 1892, betr. die
Vergütung des Kakaozolls bei der Ausfuhr von Kakaowaren. Vom
6. August 1900, S. 667.
Gesetz für das Herzogtum Oldenburg und das Fürstentum Birken-
feld, betr. die Gerichtskosten sowie die Gebühren der Zeugen und
Sachverständigen. Vom 30. Dezember 1899, S. 3.
Gesetz für das Herzogtum Oldenburg und das Fürstentum Birken-
feld, betr. die landesgesetzlichen Vorschriften über die Gebühren der
Rechtsanwälte und Gerichtsvollzieher. Vom 12. Februar 1900, S. 103.
Bekanntmachung des Staatsministeriums, betr. Erlaß einer neuen Ge-
bührenordnung für approbierte Aerzte, Zahnärzte und Tierärzte. Vom
17. August 1900, S. 673. Bekanntmachungen betr. die Bezüge in gericht-
lichen und polizeilichen Fällen von demselben Tage, S. 697, 700.
Gesetz für das Herzogtum Oldenburg, betr. Abänderung des Ge-
setzes vom 19. März 1883, betr. die Organisation der Eisenbahnver-
waltung. Vom 20. März 1900, S. 150. Verordnung zur Inkraftsetzung
dieses Gesetzes. Vom 20. März 1900, S. 158.
Gesetz für das Großherzogtum Oldenburg, betr. einen Gehalts-
zuschlag für die Civilstaatsdiener. Vom 21. März 1900, S. 163.
Gesetz für das Großherzogtum Oldenburg, betr. Aenderung der Ge-
haltsregulative. Vom 22. März 1900, S. 166.
nn a
eg
654 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Gesetz für das Großherzogtum Oldenburg wegen Abänderung des
Artikels 58 $ 2 des revidierten Civilstaatsdienergesetzes vom 28. März
1867. Vom 22. März 1900, S. 202.
Gesetz für das Großherzogtum Oldenburg, betr. Aenderung des
Gehaltsregulativs. Vom 10. Mai 1900, S. 445.
Gesetz für das Großherzogtum Oldenburg, betr. die Schließung der
Beamtenwitwen-, der allgemeinen Witwen-, der Waisen- und der Leib-
rentenkassen und die Zahlung von Witwen- und Waisengeldern an die
im öffentlichen Dienste angestellten Beamten. Vom 21. März 1900, S. 203.
Zahlung des Witwen- und Waisengeldes aus öffentlichen Kassen (Art. 8, 5). Fet-
setzung eines bestimmten, nach der Hühe des pensionsfühigen Diensteinkommens des Ehe-
gatten abgestuften Witwengeldes von 90 bis 1200 M.; Waisengeld: wenn die Mutter
lebt und Witwengeld empfängt, ‘|; desselben, mindestens aber 40 M., im anderen Fall
1/, des Witwengeldes, mindestens aber 70 M. für jedes Kind (Art. 4, 5). Maximum
für jede Rente und die Summe beider der Betrag des Ruhegehaltes (Art. 6). Brarün-
dung beider Ansprüche mit dem Tage des Eintritts in den Bezug des Diensteinkommens,
Versetzung in den Ruhestand ist ohne Einjlufs, wenn die Hinterbliebenen aus einer Ehe
stammen, welche vor Versetzung in den Ruhestand abgeschlossen ist. Ausschlujs der
Ansprüche der Hinterbliebenen im Fall der Eheschlie/sung nach Versetzung in den
Ruhestand, bei freiwilligem Austritt, Entlassung ohne Pension und in dem Fall, dafs
dem Angestellten durch gerichtliches Erkenntnis bei Entfernung aus dem Dienst für be-
stimmte Jahre ein Teil des Ruhegehalts belassen ist, und er nach Ablauf dieser Frist
stirbt. Ausschlufs des Anspruchs auf Witwengeld bei gerichtlicher Ehescheidung und
Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft; jedoch Wiederaufleben des Anspruchs bei Wieder-
herstellung der ehelichen Gemeinschaft (2 1589 B.G.B.) und Eintragung derselben in
das Heiratsregister (Art. 46 E.G. z. B.G.B.) /Art. 7]. Witwen- und Waisengeld kann
weder abgetreten noch gyepfändet werden (2 9). Erlöschen des Rechts im Fall des Todes,
der Verheiratung, für jede Waise aufserdem mit Vollendung des 18. Lebensjahrs (2 10).
Bekanntmachung des Staatsministeriums, betr. die Besetzung der
Subaltern- und Unterbeamtenstellen bei den Kommunalbehörden u. 8. w.
mit Militäranwärtern. Vom 17. März 1900, S. 171.
Gesetz für das Großherzogtum Oldenburg, betr. Abänderung der
Geschäftsordnung des Landtags. Vom 17. April 1900, S. 401.
Bekanntmachung des Staatsministeriums, betr. Redaktion der Ge-
schäftsordnung des Landtags. Vom 17. April 1900, S. 409,
Bekanntmachung des Staatsministeriums, Departement des Innern,
betr. ein zwischen dem Großherzogtum Oldenburg und dem Reichslande
Elsaß-Lothringen abgeschlossenes Uebereinkommen zur Regelung der
gegenseitigen armenrechtlichen Beziehungen. Vom 2. Juli 1900, 8. 639.
Braunschweig,
Gesetz- und Verordnungsblatt für die herzoglich Braun-
schweigischen Lande. 1900.
Bekanntmachung des herzoglichen Staatsministeriums, die land- und
forstwirtschaftlichen Aufnahmen im Jahre 1900 betr. Vom 19. April
1900, S. 145.
Bekanntmachung des herzoglichen Staatsministeriums über die Aus-
führung einer Viehzählung am 1. Dezember 1900, verbunden mit einer
Ermittelung der Zahl der Obstbäume. Vom 30. April 1900, S. 163.
Pferdeaushebungsvorschrift. Vom 28. November 1900, S. 399.
Bekanntmachung zur Ausführung der Reichsgewerbeordnung, betr.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 655
die anderweite Klassifikation der Gewerbearten. Vom 6. Januar 1900,
S. 11.
Bekanntmachung des herzoglichen Staatsministeriums wegen Aus-
führung des Reichsgesetzes betr. Abänderung der Reichsgewerbeordnung
vom 30. Juni 1900. Vom 22. September 1900, S. 307. Entsprechende
Bekanntmachung vom 29. Oktober 1900, S. 363.
Bekanntmachung des herzoglichen Staatsministeriums wegen Aus-
führung des Reichstelegraphenwegegesetzes vom 18. Dezember 1899.
Vom 30. Dezember 1899, S. 1.
Bekanntmachung des herzoglichen Staatsministeriums, betr. die Be-
freiung von der Versicherungspflicht auf Grund des $ 6, II des Invaliden-
versicherungsgesetzes. Vom 12. Januar 1900, S. 7.
Verordnung zur Ausführung der Unfallversicherungsgesetze des
Deutschen Reichs, Gesetz vom 30. Juni 1900. Vom 19. September 1900,
S. 299.
Bekanntmachung des herzoglichen Staatsministeriums zur Ausfüh-
rung des Reichsgesetzes, betr. die Abänderung der Unfallversicherungs-
gesetze vom 30. Juni 1900. Vom 14. Dezember 1900, S. 453. Ent-
sprechende Bekanntmachungen von demselben Tage zur Ausführung des
Reichsunfallversicherungsgesetzes für Land- und Forstwirtschaft und
des Bauunfallversicherungsgesetzes, S. 455 und 459.
Gesetz, betr. den Vertragsbruch in landwirtschaftlichen Arbeits-
verhältnissen. Vom 10. Dezember 1900, S. 449.
Vorsützliches und widerrechtliches Verweigern des Antritts oder Verlassen der
Arbeit wird mit Geldstrafe bis 30 M. oder mit Haft bis zu 10 Tagen bestraft. Antrag
des Arbeitgebers nötig, zu stellen innerhalb einer Woche nach Begehung, Zurücknahme
zulässig ( 1). Verleitung zum Verweigern oder Verlassen der Arbeit: Geldstrafe bis
150 M. oder Haft bis zu 6 Wochen. Aufserdem Haftung für den Schaden neben dem
Arbeiter als Gesamtschuldner (2 2). Annahme vertragsbrüchiger Arbeiter trotz Kenntnis
oder bei fahrlässiger Unkenntnis für einen Zeitraum, in dem sie dem anderen Arbeit-
geber verpflichtet sind: Geldstrafe bis 150 M. oder Haft bis zu 6 Wochen (2 8). Vor-
sätzliches und widerrechtliches Verweigern der Anuahme oder Entlassen von landwirt-
schaftlichen Arbeitern ohne Gewährung der vertragsmäjsigen Vergütung: Geldstrafe bis
60 M. oder Haft bis zu 14 Tagen. Antrag wie in Z 1 (2 4).
Bekanntmachung des herzoglichen Staatsministeriums, betr. die
Fristen, innerhalb welcher das Veranlagungsverfahren zur Staatsein-
kommensteuer zu erledigen ist. Vom 11. August 1900, S. 289.
Gesetz, die Abänderung des Gemeindeabgabengesetzes vom 11. März
1899 betr. Vom 10. Dezember 1900, S. 395.
Aenderung der Fassung des 2 19 dieses Gesetzes.
Gesetz, betr. Abänderung der Kreisordnung vom 5. Juni 1871.
Vom 10. Dezember 1900, S. 445.
Verteilung der Kreisabgaben auf die im Kreiskommunalverband befindlichen Ge-
meinden und Gemarkungen — mit Ausnahme der Wegebaukosten — nach dem Ver-
hältnis der an den Staat zu entrichtenden Einkommen-, Grund- und Gewerbesteuer.
Bekanntmachung des herzoglichen Staatsministeriums, die Aus-
führung der am 1. Dezember 1900 vorzunehmenden Volkszählung betr.
Vom 30. Mai 1900, S. 253.
(Fortsetzung folgt.)
656 Miszellen.
Nachdruck verboten.
Miszellen.
VII.
Die Selbsthilfe der Landwirtschaft in Frankreich.
Von Dr. Heinrich Pudor,
Es giebt Leute in Deutschland und England, welche sich dem au-
genehmen Gefühl hingeben, daß Frankreich seit dem Jahre 1870 einem
rapiden Verfall entgegengeht, dessen bezeichnender Ausdruck der Rück-
gang der Bevölkerung sei. Auf diesen letzteren, übrigens neuerdings
strittig gewordenen Punkt wollen wir hier nicht eingehen, dagegen zeigt
eines der im allgemeinen als am meisten notleidend verschrieenen
Erwerbsgebiete, nämlich die Landwirtschaft, in Frankreich einen auber-
ordentlichen Aufschwung, und zwar wesentlich auf Grund der Selbst-
hilfe. In der That ist es staunenerregend und außerordentlich
interessant, diesen stetigen, raschen Fortgang der aus dem französischen
Volk selbst herausgeborenen Neuorganisation der Landwirtschaft zu ver-
folgen. Wir müssen uns, wenn wir hier ein Bild davon geben, kurz
fassen, wollen indessen fünf verschiedene Organisationsgruppen ins Auge
fassen, nämlich die Selbsthilfe der französischen Landwirtschaft aut
dem Gebiete der Getreideverwertung, des gemeinsamen Bezuges und
Absatzes der landwirtschaftlichen Produkte (Aufgabe der landwirtschaft-
lichen Syndikate), der Milchverwertung (Meiereigenossenschaftswesen), der
Verbesserung der ökonomischen Lage, der Geldbeschaffung (Kredit-
genossenschaften) und der Verwertung der Gärtnereiprodukte.
Wir beginnen mit den landwirtschaftlichen Syndikaten, welche der
Graf Chambrun, der Gründer des ,Musée Social“ im Jahre 1897 „le
chef d'oeuvre de la sociologie“ nannte. Der „Vater der Syn-
dikate“ wird M. Deusy, der Vorsitzende des Syndikatsverbandes l'Union
du Centre in Orléans (gegründet 1892; 23 Syndikate, 18000 Mit-
glieder) genannt. Die Organisation ist derartig, daß die Syndikate, ähn-
lich wie die „Granges“ in Nordamerika, ein Netz von konzentrischen
Kreisen darstellen, derart, daß die Union Centrale das ganze Land, les
Unions regionales die Provinzen, les Unions d&partementales die Bezirke,
und les Syndicats locaux die einzelnen Ortschaften umfassen, an die
sich noch die Genossenschaften angliedern, wenngleich einzelne Syn-
Miszellen. 657
dikate selbst nichts anderes als Genossenschaften sind. Die eben ge-
nannte Gliederung ist aber noch nicht wie in Nordamerika einheitlich
durchgeführt, und außerdem kommen zu diesen lokal differenzierten
Syndikaten noch eine Unmasse von Specialsyndikaten hinzu, denn es
giebt kein Specialgebiet der Landwirtschaft, für das es nicht besondere
Syndikate gäbe. Es giebt Syndikate für Rassenverbesserung von Milch-
vieh, Weinbauverbesserung, Gartenbau, Gemüsezucht, Blumenzucht, Tabak-
bau, Apothekerpflanzen, Ernteschäden- und Forstschädenversicherung,
Seidenraupenzucht, ja für Linderung der Maikäferplage, die sogar eine be-
deutende Entwickelung genommen haben. Außerdem giebt es Syndicats
généraux, die über ganz Frankreich verbreitet sind, unter denen z. B. ,Syn-
dicat Central“ im Jahre 1899 einen Umsatz von mehr als 5 Mill. fres. hatte.
Dabei verfolgen alle Syndikate weder Klassen- noch politische Interessen,
sondern sind Vereinigungen zum Schutze der Berufsinteressen
der Landwirte auf Grund eines Gesetzes vom Jahre 1884, bezüg-
lich 1880. Denselben ist es zu verdanken, daß es in Frankreich so
wenig als in Dänemark heute noch ein ländliches Proletariat giebt;
jeder Landarbeiter hat eine eigene Scholle und ein eigenes Heim. Die
Aufgabe der Syndikate läßt sich in die Worte fassen: Gemeinsamer
Einkauf, gemeinsame Produktion und gemeinsamer Absatz; dazu die
Ermôglichung von Tarifermäßigungen, Beschaffung billigen Geldes und
Versicherung. Am 1. Juli 1884 gab es 5 Syndikate, 10 Jahre später
1092 mit 348750 Mitgliedern, im Jahre 1899 2133 und gegenwärtig
dürfte es ca. 2500 Syndikate geben mit etwa 800000 Mitgliedern. Das
Syndikat der Sarthe hat 14000, das centrale Syndikat 10 000 Mitglieder
u.s. f. Der Union Centrale waren am 1. Januar 1900 936 Syndikate an-
gegliedert. Syndicats régionales giebt es 10, deren größtem l’Union des
Syndicats agricoles du Sud-Est 250 Syndikate mit 61280 Mitgliedern
angegliedert sind. Im ganzen sind von den 87 französischen Departe-
ments 72 durch Unions regionales vertreten. Der Geschäftsumsatz be-
trug beim Syndicat Central (10 100 Mitgliedern) 5 Mill. fres. im Jahre
1899, 5 weitere hatten über je 1 Mill. fres., 11 weitere je über
500 000 frcs. und 25 größere zusammen 23 Mill. fres. Umsatz. Noch
bedeutender als dieser materielle Gewinn ist der instruktive: Bauern,
die denken können, haben die Syndikate großgezogen. Der
Kleinlandmann hat sich vermittelst der Syndikate ökonomisch, sozial,
moralisch und geistig geholfen. Die Syndikate haben sämtlich ihre
eigenen Fachzeitschriften, halten Vorträge, veranstalten Ausstellungen,
setzen Prämien aus, sowie Reisestipendien, und haben vor allem eine
gründliche Facherziehung in die Wege geleitet. Sie haben mithin,
alles zusammengenommen, die Vorteile des Großbetriebes und die Wohl-
thaten der Wissenschaft und der Technik dem Bauern zu verschaffen
versucht.
Weiter ein Wort über die Centralgenossenschaften. Diejenige des
südöstlichen Frankreichs wurde im Jahre 1892 gegründet und ver-
mittelte 2 Jahre später bereits 724000 kg Viehfutter, 5 411 800 kg
Düngemittel und im Jahre 1899 7 797 000 kg Düngemittel, 1379000 kg
Dritte Folge Bd. XXII (LXXVIII). 49
658 Miszellen.
Winzereibedürfnisse, 83 000 kg Sämereien, 678000 kg Baumaterialien,
zusammen für 1630 000 fres.
Was die Getreideverwertung betrifft, so steht hierbei Frank-
reich bezüglich des Kornbaues- und Silowesens Deutschland bedeutend
nach, übertrifft es aber im Müller- und Bäckereiwesen. Die Bäckerei-
genossenschaft l’Union in Roubaix, gegründet 1892 durch das Syndicat
mixte de l’Industrie roubaisienne, zählte 1899 13 304 Mitglieder, fabri-
zierte 5222600 kg Brot und verschaffte den ersteren eine Ersparnis
von 291000 fres. Weit wichtiger sind aber die rein ländlichen Müllerei-
und Bäckereigenossenschaften, für die gegenwärtig in Frankreich nach
dem Vorgang des Grafen Rocquigny eine großartige Propaganda be-
trieben wird.
Auch die Gründung der Kreditgenossenschaften und Darlehns-
kassenvereine beginnt mit dem Jahre 1884. Es werden Darlehen ge-
geben in der Höhe bis zu 600 fres. und zwar zum Vieheinkauf, Saat-,
Dünger- und Maschinenkauf. Sowohl Raiffeisenkassen, als auch eigentliche
Kreditkassen, welche also Sämereien, Dünger, Maschinen auf Kredit
liefern, finden sich. Beispielsweise hatte die Genossenschaft „Südost“,
welche erst im Jahre 1893 gegründet wurde, bereits im Jahre 1899
einen Geschäftsumsatz, der 25mal so groß war als das Kapital, mit
dem gearbeitet wurde. Nach 6-jährigem Bestehen betrug die Mitglieder-
anzahl 41 803. Der Geschäftsumsatz zeigte am 30. Juni 1899 einen
Gewinn von 235 722 fres, also 5mal so viel, als das durch-
schnittliche Kapital der ersten Jahre betrug. Von diesen
Gewinn wurden 161 860 frcs. verteilt, der Rest den verschiedenen Reserve-
fonds überwiesen. An Gratifikationen an ihre Angestellten hat die Ge-
sellschaft nicht weniger als 21 756 fres. in fünfmaligen Raten veraus-
gabt, außerdem eine Altersversorgungskasse gegründet, deren Fonds
gegenwärtig 10487 fres. beträgt. Dies ein Beispiel von vielen.
Ferner das Meiereigenossenschaftswesen. Seit Hunderten
von Jahren hatte die wirtschaftliche Not die Gebirgsbewohner der Jura
dazu geführt, sich zusammenzuschließen, um die Verwertung der Milch
ihrer Kühe zur Käsefabrikation gemeinsam vorzunehmen. Auch die
Zerstörung der Weinberge durch die Phylloxera veranlaßte die Land-
wirte der Charente, von Deux-Sèvres und der Vendée, sich zum Zweck
der Butterproduktion, von der man eine Besserung der wirtschaftlichen
Lage erwartete, zusammenzuschließen, während auf der anderen Seite
viele aus Verzweiflung auswanderten.
Im Jahre 1887 wurde das landwirtschaftliche Syndikat von Surgeres
gegründet und im folgenden Jahre die erste Genossenschaftsmeierei in
Chaillé Der Anfang war sehr bescheiden, aber die Fortschritte waren
rapid. Im ersten Jahre (1888) hatte die Genossenschaft nur 88 Mit-
glieder und produzierte 31000 kg Butter. Im Jahre 1899 zählte man
in der Charente und in Poitou 97 Meiereigenossenschaften mit 47 000 Mit-
gliedern, die über eine Anzahl von 113000 Milchkühen verfügten.
Letztere lieferten 156 Mill. 1 Milch und die Butterproduktion erreichte
7500000 kg. Dabei wurde diese Butter auf dem Pariser Markt sehr
bald so sehr geschätzt, daß sie der der Normandie, der Bretagne und
Miszellen. 659
Flanderns vorgezogen wurde. Und als die Vorteile des Genossenschafts-
wesens erst allgemeiner erkennbar wurden, gründete man einen „Üentral-
verband der Meiereigenossenschaften“. Dieser Verband umfaßt 86 Meierei-
wirtschaften und hat viel zur Verbesserung der Produktionsmethoden
beigetragen. Er hat ein eigenes Laboratorium, vermittelt den Trans-
port und Verkauf der Butter und besorgt den gemeinsamen Einkauf
der Betriebsmittel. Zudem hat er eine Anzahl Kühlwagen bauen lassen
für den Transport der Butter nach den Markthallen von Paris; da die
Butter infolgedessen dortselbst in frischem Zustand ankommt, ist sie
auch am meisten gesucht.
Endlich die Gärtnerei und der Obstbau. Auf diesem Gebiete
sind die Erfolge der Selbsthilfe der Landwirtschaft in Frankreich viel-
leicht am großartigsten. In allen Provinzen ausgebreitet, hat sich der
genossenschaftliche Absatz der Gärtnereiprodukte mit größtem Erfolge
selbst des Exports bemächtigt. Auch hier können wir nur Beispiele
anführen. Das Syndikat von Ampuis (Rhöne) verkauft z. B. Früchte
und Gemüse für den Markt von Lyon, das von Appoigny Küchen-
gemüse und Frühgemüse, Spargel und Schoten für die Markthallen von
Paris und Bordeaux, das von Romorantin besonders Spargel und grüne
Bohnen an die Pariser Markthallen, das Syndikat von Gemüsegärtnern
von Dunkerque die von Mitgliedern gebauten Gemüse en gros; ferner
exportieren einige Syndikate der Alpes maritimes Orangen, Citronen
und Frühgemüse nach Paris, und das Gartenbausyndikat von Hyènes
hat für die Pariser Markthallen die Konzession für den Verkauf von
Schnittblumen erhalten — letzteres Syndikat und andere derselben
Gegend, sowie das des mittelländischen Meeres exportieren Schnitt-
blumen nach England, Deutschland und Rußland. Das Syn-
dikat der Berufsgärtner von Nantes läßt große Quantitäten von Früchten
und Gemüsen auf dem Markt von Paris nach London verkaufen: auf
diese Weise hat es im Jahre 1893 1400000 Birnen nach London,
Manchester, Liverpool verkauft, außerdem 130000 Dtzd. Radieschen-
bündel. Ein anderes Syndikat, dasjenige von Toulon, hat zur alleinigen
Aufgabe die Produktion und den gemeinsamen Verkauf von Blumen-
zwiebeln. Ferner haben die Erdbeergärtner von Brest sich zusammen-
geschlossen, um dem Zwischenhandel zu entgehen; sie haben einen
Dampfer für den Transport der Erdbeeren nach England gemietet.
Ebenso haben die Erdbeergärtner der großen Ebene von Comtat, die
früher nur nach den Markthallen von Paris verkauften, seit Mai 1897
den Verkauf nach London begonnen und im Jahre 1898 bereits
350 000 kg abgesetzt.
Weiter giebt es Syndikate für den gemeinsamen Verkauf von
Medizinpflanzen und Apothekenkräutern; z. B. verkauft das der Seine-
et-Oise ca. 200000 kg jährlich nach England, Italien, Rußland und
Amerika; auch hier werden die Preise in der Generalversammlung be-
stimmt. Eine ganz besondere Ausbreitung haben die Capernkultur-
Syndikate, diejenigen für Rübenzucht, sowie die Aepfelwein-Syndikate
gefunden. Für die Aepfelweinfabrikation giebt es ein besonderes, sich
über ganz Frankreich erstreckendes Syndikat, „le Syndicat pomologique
42%
660 Miszellen.
de France“. Einen großen Aufschwung hat in Frankreich die genossen-
schaftliche Produktion, Verwertung und Verkauf der Aprikosen ge-
nommen. Auf diesem Gebiete ist vielleicht die Industrialisierung des
Gartenbaues am weitesten fortgeschritten. So hat z. B. das Syndikat
von Roquewaine im Jahre 1895 nahe an 400 000 kg Aprikosenkonserven
verkauft, den größten Teil nach Belgien, Holland, England, den Vereinigten
Staaten und Brasilien. Man schätzt den Mehrgewinn, den die Obst-
zuchten auf diese Weise haben, auf 30—40 Proz. Zudem haben, um
den Mitgliedern, welche dessen bedürfen, einen Vorschuß zu gewähren,
einige Mitglieder einen Dispositionsfonds geschaffen in der Höhe von
30—35 000 fres.
Man sieht, die Selbsthilfe der Landwirtschaft erstreckt sich in
Frankreich auf alle Gebiete. Man geht nicht zu weit, wenn man sagt,
daß der Bauer in Frankreich ökonomisch, sozial, moralisch und geistig
mit Hilfe des Syndikat- und Genossenschaftswesens sich gewaltig ge-
hoben hat. Er ist selbständig und seßhaft geworden. Leutenot
existiert unter solchen Verhältnissen nicht und die Verschuldung ist
immer weniger zu spüren. An Stelle des Notstandes — ein blühendes
Gedeihen.
Miszellen. 661
Nachdruck verboten,
VIII.
Die Bank der französischen Arbeiterproduktiv-
genossenschaften.
Von Dr. Franz Žižek.
Frankreich ist das Land, welches verhältnismäßig die zahlreichsten
und entwickeltsten gewerblichen Arbeiterproduktivgenossenschaften auf-
weist. Diese zerfallen zwar in mehrere Gruppen, von denen jede einen
anderen Typus und eine andere Entwickelungslinie darstellt; selbst
innerhalb der einzelnen Gruppen giebt es kaum zwei Produktivgenossen-
schaften, die genau dieselbe Struktur aufweisen würden.
Aber trotz dieses Formenreichtums und obwohl sich die franzö-
sischen Produktivgenossenschaften auf die verschiedensten Gewerbs-
zweige insbesondere Handwerke verteilen, haben sie schon frühzeitig die
Nützlichkeit engen Zusammenschlusses erkannt. So weist denn Frank-
reich allein eine einheitliche, auf gemeinsame Centralorganisationen ge-
stützte Produktivgenossenschaftsbewegung auf, die unter den sozialen
Strömungen des beginnenden 20. Jahrhunderts nicht übersehen werden darf.
Zuerst, im Jahre 1883, schufen sich die gewerblichen Arbeiter-
produktivgenossenschaften ihre Chambre consultative, eine gemeinsame
administrative Centralstelle, welche die Interessen der Produktivgenossen-
schaften der Oeffentlichkeit gegenüber vertritt, den neugegründeten
Produktivgenossenschaften mit ihren Erfahrungen zur Seite steht, den
einzelnen Produktivgenossenschaften einen Kundenkreis und insbesondere
Aufträge von Seite der öffentlichen Körperschaften zu verschaffen sucht,
schließlich als gemeinsames Schiedsgericht fungiert und die Zeitschrift
„L'association ouvrière“ 1) herausgiebt.
Im September 1900 waren von circa 200 französischen Arbeiter-
produktivgenossenschaften 146 in der „beratenden Kammer“ vertreten.
Ferner haben die französischen Produktivgenossenschaften gemein-
sam das „Orphelinat de la cooperation de production“ zur Versorgung
der Waisen nach Mitgliedern von Produktivgenossenschaften organisiert.
Eine gemeinsame wechselseitige Lebens-, Unfall- und Brandschaden-
versicherungsanstalt für alle Produktivgenossenschaften eventuell auch
Konsumgenossenschaften wird vorbereitet.
Neben der „beratenden Kammer“ hat die „Bank der französischen
Produktivgenossenschaften“ am erfolgreichsten zu deren Entwickelung
beigetragen.
1) Seit April 1902 als gemeinsames Organ der „Chambre consultative des associa-
tions ouvrières de production und der „Union coopérative des societés françaises de
consommation‘ unter dem Titel ,, L'association coopérative.
662 Miszellen.
Sich möglichst billigen Kredit verschaffen zu könuen, war für die
Produktivgenossenschaften geradezu eine Lebensfrage.
Bei den gewöhnlichen Banken oder bei Privaten bekamen sie je-
döch schwer Darlehen und es wurden ihre Wechsel nicht immer bereit-
willig diskontiert. So gründeten denn im Juni 1893 26 Produktiv-
genossenschaften die Banque cooperative des associations ouvrières de
production de France und zwar mit einem Grundkapital von 10000 fres.
Kurz darauf gewährte der Staat der neugegründeten Bank eine Sub-
vention von 50 000 fres. Ein anonymer Anhänger der produktivgenossen-
schaftlichen Bewegung, ein einstiger Schüler Fourier's, dessen Name
Faustin Moigneu erst nach seinem im Jahre 1900 erfolgten Tode be-
kannt wurde, steuerte 500 000 fres. bei.
Die Bank hat in den letzten Jahren eine beträchtliche Entwicke-
lung genommen und ist zu einer unentbehrlichen Stütze der französischen
Produktivgenossenschaften geworden. Bleibt auch der Umfang ihrer Ge-
schäfte hinter jenem vieler anderer Privatbanken zurück, so ist doch
diese Bank, was die Subjekte ihres Geschäftsverkehres betrifit, einzig
in ihrer Art. Auch die innere Struktur der Genossenschaftsbank und
die Art ihres Geschäftsbetriebes mußten sich der eigenartigen wirt-
schaftlichen Rolle anpassen.
Die Banque cooperative ist eine Kreditgenossenschaft mit be-
schränkter Haftung. Allerdings trennt das französische Recht Genossen-
schaften und Aktiengesellschaften nicht so streng als das deutsche und
österreichische Recht. Der III. Titel des Gesetzes betreffend die Aktien-
gesellschaften vom 24. Juli 1867 stellt lediglich einige Sonderbestin-
mungen für die sociétés à capital variable, die rechtlich unseren Er-
werbs- und Wirtschaftsgenossenschaften entsprechen, auf. Sie haben
auf Namen lautende Aktien, richtiger Geschäftsanteile, welche auf
mindestens 25 fres. lauten müssen (eigentliche Aktien müssen auf
mindestens 100 fres. lauten), zur Gründung einer Genossenschaft genüg!
die Einzahlung eines Zehntels der gezeichneten Beträge, während der
Rest allmählich ergänzt werden kann, der Genossenschafter haftet für
die Schulden der Genossenschaft nach seinem Austritte aus derselben
noch durch weitere 5 Jahre etc.
- Der am 16. Juli 1888 vom Ministerpräsidenten Floquet der
Deputiertenkammer vorgelegte Entwurf eines selbständigen Genossen-
schaftsgesetzes ist wegen seiner den Konsumvereinen günstigen Be-
Stimmungen an der Gegnerschaft einflußreicher kaufmännischer Kreise
gescheitert.
Die Bank der französischen Produktivgenossenschaften schließt nur
mit den eigenen Genossenschaftern Geschäfte ab. Berechtigt, Geschäfts-
anteile der Bank zu erwerben, sind nur: 1) Produktivgenossenschaften,
welche aber zugleich Mitglieder der Chambre consultative sein müssen,
2) Direktoren von Produktivgenossenschaften, welche zu Mitgliedern
des Conseil des Fondateurs, Rates der Gründer, der Bank gewählt
wurden, 3) (seit 1900) Beamte der Bank mit mindestens zweijühriger
Dienstzeit.
Am 30. Juni 1900 bestand die Bank aus 79 Produktivgenossen-
Miszellen. 663
schaften und aus dem Kreise der Direktoren gewählten Mitgliedern des
erwähnten „Rates der Gründer“.
Die Aufnahme in die Chambre consultative bildet, wie erwähnt, für
die Produktivgenossenschaften die Voraussetzung der Aufnahme in die
Bank. Die Chambre consultative nimmt aber nur jene Produktiv-
genossenschaften auf, welche bestimmte, für den wahrhaft genossen-
schaftlichen Charakter bezeichnende Grundsätze insbesondere in Bezug
auf die Gewinnverteilung und das Wahlrecht in den Genossenschafts-
versammlungen befolgen. Von der typischen Arbeiterproduktivgenossen-
schaft führt nämlich eine ununterbrochene Reihe vermittelnder Ueber-
gangsformen zur kapitalistischen Unternehmung hinüber. Daher wird
auch die Zahl der französischen Produktivgenossenschaften in ver-
schiedenen Quellen so verschieden angegeben. Je mehr man bestrebt
ist, nur reine Arbeiterproduktivgenossenschaften mit Ausschluß jener
Uebergangsformen zu zählen, desto mehr schrumpft natürlich die ge-
fundene Zahl zusammen. Die Bank hatte nach den ursprünglichen
Statuten in erster Linie den Produktivgenossenschaften anläßlich bereits
ausgeführter Lieferungen und Arbeiten, deren Bezahlung noch ausstand,
kurzfristige Darlehen zu gewähren. In zweiter Linie hatte sie die
Wechsel der Produktivgenossenschaften zu diskontieren, den Produktiv-
genossenschaften auch bereits anläßlich der Uebernahme von Be-
stellungen Kredit zu gewähren, weiter ihnen langfristigen Investitions-
kredit, jedoch höchstens bis zum Betrage eines Zehntels des Bankkapitales
und der Bankreserven zu geben und schließlich verzinsbare Depots
(insbesondere Kautionen) zu übernehmen. Während der ersten Jahre
nach Gründung der Bank bestand deren Geschäftsbetrieb hauptsächlich
in der Gewährung nominell meist kurzfristiger, thatsächlich sehr oft
langfristiger Darlehen. Die Leiter der Bank kamen jedoch allmählich
zur Ueberzeugung, daß diese Art Geschäftsbetrieb das Kapital der Bank
zu sehr immobilisiere und zugleich gefährde. War die Zahl der
Produktivgenossenschaften, welche den Kredit der Bank in Anspruch
nahmen, bis 1900 auf 80 gestiegen, so war doch das verfügbare Kapital
durchaus nicht in demselben Verhältnisse gewachsen. So fand denn am
9. Juli 1900 eine Statutenänderung statt, welche den Wechselescompte
zum normalen Aktivgeschäfte der Bank machte; allergings blieben neben
dem Escompte unter bestimmten Voraussetzungen die übrigen oben an-
geführten Geschäftszweige sowie Subskription bei öffentlichen Emissionen
und Ein- und Verkauf von Börseneffekten zulässig.
Die zur Bank gebrachten Wechsel dürfen höchstens 90-tägige Lauf-
zeit haben und sollen womöglich acceptiert sein. Der Escomptezins-
fuß der Bank der Produktivgenossenschaften ist jederzeit 1 Proz.
bezw. 2 Proz. höher als jener der Banque de France, je nachdem die
Wechsel auf Bankstädte gezogen sind oder nicht. Der Uebergang der
Bank zur vorwiegenden Pflege des Escomptegeschäftes wurde durch
eine unter Vermittelung des französischen Finanzministers Doumer be-
reits im Jahre 1896 zwischen der Bank und dem Sous-Comptoire des
entrepreneurs getroffene Vereinbarung erleichtert, wonach letzteres
Institut sich verpflichtete, den Produktivgenossenschaften anläßlich von
664 Miszellen.
Lieferungen und Arbeiten Darlehen zu gewähren, die Bank somit nach
dieser Richtung hin entlastet wurde.
Auch der in den ursprünglichen Statuten festgesetzte Gewinn-
verteilungsmodus blieb im Laufe der Entwickelung der Bank nicht un-
verändert.
Nach den ursprünglichen Statuten sollten 10 Proz. des Gewinnes
in den gesetzlich vorgeschriebenen ordentlichen Reservefonds fließen,
50 Proz. in den außerordentlichen Reservefonds, 10 Proz. in die Unter-
stützungskasse, 10 Proz. sollten als Gewinnbeteiligung unter das Personal
der Bank, schließlich 20 Proz. an die Mitglieder der Bank im Verhält-
nisse zu ihren Geschäftsanteilen verteilt werden.
Nun genießen in Frankreich die Arbeitergenossenschaften ver-
schiedene fiskalische Begünstigungen; sie zahlen keine Erwerbssteuer
(Patente) und ihre Aktien und Obligationen sind nach dem Gesetze
vom 10. Dezember 1875 von der 4-proz. Rentensteuer befreit. Im
Jahre 1896 schrieb jedoch die Steueradministration der Bank der
Produktivgenossenschaften die Erwerbssteuer vor und zwar mit folgender
theoretisch interessanten Motivierung: Die Bank mache zwar nur mit
Mitgliedern Geschäfte, sei aber doch keine reine gegenseitige Kooperativ-
gesellschaft, da 20 Proz. des Gewinnes im Verhältnis zu den Geschätts-
anteilen, also im Verhältnisse zum Kapitalbesitze und nicht im Ver-
hältnisse zur Höhe der von den einzelnen Mitgliedern mit der Bank
abgeschlossenen Geschäfte verteilt würden; in einer Gegenseitigkeits-
gesellschaft müsse der Gewinn ausschließlich jenen wieder zuflieben,
durch deren Operationen er entstanden sei. Bei einer Verteilung des
Gewinnes im Verhältnisse zum Kapitalsbesitze partizipierten jedoch auch
Mitglieder am Gewinne, die im betreffenden Zeitraume am genossen-
schaftlichen Geschäftsbetriebe gar keinen Anteil genommen haben.
Die Generalversammlung der Bank vom 16. Mai 1898 beschlol
denn auch die Streichung jener Bestimmung, wonach 20 Proz. des Ge-
winnes im Verhältnisse zu den Geschäftsteilen verteilt würden, und
wies diese 20 Proz. ebenfalls dem außerordentlichen Reservefonds zu
Die ursprüngliche Verwendung der 20 Proz. hatte bezweckt, zur Er-
höhung der Geschäftsanteile anzuspornen. Allein diese werden ohnehin
mit 5 Proz. fest verzinst. Die Vermehrung des außerordentlichen
Reservefonds soll nunmehr der erstarkenden Bank ermöglichen, den
Darlehenszinsfuß allmählich herabzusetzen. Die Verwendung der frag-
lichen 20 Proz. des Gewinnes zur Erhöhung des Reservefonds wurde
daher mit Recht der von der Finanzbehörde nahegelegten alljährlichen
Verteilung derselben unter die Bankkunden im Verhältnis zu den mit
der Bank abgeschlossenen Geschäften vorgezogen.
Die Bank der französischen Produktivgenossenschaften sah sich im
Jahre 1898 veranlaßt, in einem weiteren Punkte ihre ursprünglichen
Statuten zu modifizieren.
Man hatte anfangs von der Bank neu beitretenden Produktivgenossen-
schaften nur die sofortige Einzahlung von 10 fres., nämlich eines Zehntels
eines Geschäftsanteiles ä 100 fres. verlangt, sowie die Uebernahme der
Verpflichtung, successive mindestens 5 Geschäftsanteile zu erwerben.
Im Jahre 1898 wurde behufs Vergrösserung des Genossenschaftskapitales
Miszellen. 665
neu beitretenden Produktivgenossenschaften die Verpflichtung auferlegt,
100 fres. sofort einzuzahlen und 10 Geschäftsanteile allmählich durch
einvierteljährige Einzahlungen von mindestens 25 fres. zu erwerben.
Doch darf ein Mitglied höchstens 100 Anteilscheine im ganzen besitzen ;
anfangs hatten sogar 20 Anteilscheine das Maximum gebildet.
Das einzelne Mitglied haftet nur bis zur Höhe der von ihm ge-
zeichneten Geschäftsanteile. In den Versammlungen hat jedes Mitglied
ohne Rücksicht auf die Zahl seiner Anteile nur eine Stimme.
Als im Jahre 1900 den Angestellten der Bank gestattet wurde,
Geschäftsanteile zu erwerben, eine Reform, welche gewissermaßen einen
produktivgenossenschaftlichen Zug in die Kreditgenossenschaft brachte,
wurde doch zugleich bestimmt, daß von den 7 durch die General-
versammlung zu wählenden Vorstandsmitgliedern nur höchstens 2 An-
gestellte der Bank sein dürften.
Zur Charakterisierung des jetzigen Standes der Bank seien einige
Zahlen angeführt: Der Gesamtbetrag der mit 68 Produktivgenossen-
schaften gemachten Operationen der Bank während des Geschäftsjahres
1900 machte 2 743 494 fres. 52 c. aus gegen 2872 412 fres. 93 e im
Jahre 1899, 1 919 069 fres. 39 e im Jahre 1898 und 1368 604 fres.
Durchschnittsbetrag der vorhergehenden Jahre.
Die gewährten Darlehen betrugen im Jahre 1900 857818 fres.,
ein infolge der gesteigerten Geschäftsthätigkeit zur Ausstellungszeit
etwas höherer Betrag als im Jahre 1899. Am 31. Dezember 1900 waren
an Darlehen 636 530 fres. ausständig, die sich auf 61 Genossenschaften
verteilten.
Der gesamte Wechselescompte des Jahres 1900 betrug 1 520 675 fres.
82 c. gegen 1547716 frcs. 71 c. im Jahre 1899 und einen Durchschnitts-
betrag der vorhergehenden Jahre von 772543 fres. Der Grund, warum
das Escomptegeschäft der Bank im Jahre 1900 nicht entsprechend ge-
wachsen ist, liegt teilweise in der Depression, welche der Weltausstel-
lung folgte, teilweise auch in der größeren Strenge der Wechselcensur.
Die Bank behält nur einen Teil der von ihr diskontierten Wechsel im
eigenen Portefeuille, die meisten Wechsel diskontiert sie nach Maßgabe
ihres Geldbedarfes weiter an vier große Pariser Banken, darunter
die Banque de France. Im Jahre 1899 waren durchschnittlich nur
70150 fres. im Wechselportefeuille der Bank, sowie als Garantiedepots
bei den erwähnten vier großen Banken immobilisiert.
Das Gewinn- und Verlustkonto des Jahres 19001) bezifferte das
Erträgnis mit 46 403 fres. 16 c., hiervon kamen 32776 fres. 77 c. Lasten,
darunter 17761 fres. 98 c. Generalunkosten, in Abzug. Vom Gewinne
per 13626 fres. 39 c. wurden 11990 fres. 55 ce. zur Abschreibung
dubioser Forderungen verwendet, so daß ein Reingewinn von 1635 fres.
84 c. verblieb. Der Gesamtreingewinn der früheren 6 Jahre betrug
11806 fres. 09 c. Der Gewinn ist auffallend gering. Allein der Zweck
der Bank ist ja, ihren Mitgliedern ohne eigene Bereicherung möglichst
billige Dienste zu erweisen.
1) Vergl. den in der ordentlichen Generalversammlung vom 18. Juli 1901 er-
statteten Geschäftsbericht, abgedruckt in der Association ouvrière vom 1. August 1901.
666 Miszellen.
Die Bank hatte bis Ende 1899 Verluste im Betrage von 71281 fres.
70 c. erlitten. Die Bilanz Ende 1900 verzeichnete 56659 fres. 70 c.
dubioser Forderungen. Mehrere Produktivgenossenschaften, denen die
Bank Kredit gewährt hatte, waren gänzlich zu Grunde gegangen, andere
befanden sich in Zahlungsschwieriskeiten. Von nun an soll bei der
Kreditgewährung ausschließlich der kaufmännische Standpunkt mal-
gebend sein.
Produktivgenossenschaften, denen zwar von diesem Standpunkte
aus kein Bankkredit gewährt werden kann, sollen doch in besonders
berücksichtigungswerten Fällen aus der Caisse de secours et d'encou-
ragement unterstützt werden.
Die Produktivgenossenschaften beginnen erfreulicherweise in letzter
Zeit die Bank in wachsendem Maße zur Kassenführung und als Zahlstelle
zu benutzen. Schon machten die auf Sicht fälligen, hauptsächlich behufs
Domicilierung der Wechsel zur Bank gebrachten Depots während des
Jahres 1900 365 000 fres. aus. — Die letzte Bilanz giebt das Genossen-
schaftkapital mit 77 300 frcs. an, hiervon waren aber nur 56046 trcs.
20 c. eingezahlt. Die unveräußerliche Reserve, bestehend aus der Stif-
tung Moigneu’s, per 500000 frcs. und der ursprünglichen Subvention
des Staates per 50000 fres. ist durch eine weitere staatliche Subvention
vom September 1899 per 25000 fres. auf 575 000 fres. gestiegen.
Neben der Pariser „Bank der französischen Produktivgenossen-
schaften“ besteht in Lyon ebenfalls eine ähnlich organisierte Banque
Cooperative des associations ouvrières de production du Sud-Est, welche
jedoch hinter der Pariser Bank weit zurücksteht.
Zum Nachweise der Unentbehrlichkeit der Pariser Bank der Pro-
duktivgenossenschaften sei schließlich auf die geringen eigenen Mittel
der meisten französischen Produktivgenossenschaften hingewiesen. Werfen
wir, um die wirtschaftliche Rolle der Bank vollkommener zu erfassen,
einen raschen Blick auf das gesamte französische produktivgenossen-
schaftliche Milieu. Jene blühenden Produktivgenossenschaften, welche,
wie das Familistère in Guise, das Haus Leclaire, das bekannte Waren-
haus Bon marché in Paris, ihre Entstehung der Initiative eines arbeiter-
freundlichen Unternehmers verdanken, der seinen Arbeitern durch das
Mittel der Gewinnbeteiligung allmählich das Eigentum am Unternehmen
übertrug, können allerdings auf die Unterstützung der Bank leicht ver-
zichten, gehören ihr auch thatsächlich nicht an. Einige derselben würden
auch wegen ihres halbkapitalistischen Charakters von der Bank gar
nicht aufgenommen werden, so z. B. der Bon marché, der mit Rück-
sicht auf seinen Gewinnverteilungsmodus wohl richtiger als Aktien-
gesellschaft bezeichnet wird, deren Aktien sich im Besitze der im Unter-
nehmen angestellten Arbeiter befinden.
Eine zweite Gruppe bilden jene Produktivgenossenschaften, zu deren
Gründung Gewerkschaften, hauptsächlich behufs Unterbringung arbeits-
loser Mitglieder, das nötige Kapital beigestellt haben. Allein dieses
Kapital genügte in der Regel kaum für den Anfang. Ueberdies haben
viele Produktivgenossenschaften dieser Gruppe und zwar alle entwickel-
teren den ursprünglichen Zusammenhang mit den betreffenden Gewerk-
Miszellen. 667
schaften aufgelöst, um ihren Gewinn mit Uebergehung der Gewerk-
schaft allein unter die mitarbeitenden Genossen verteilen zu können.
In den seltenen entgegengesetzten Fällen vollständiger Abhängigkeit
von einer Gewerkschaft handelt es sich überhaupt nicht um eine Ar-
beiterproduktivgenossenschaft im wahren Sinne des Wortes. Die in
den betreffenden Unternehmungen beschäftigten Arbeiter sind nicht
Herren der Produktivgenossenschaft, vielmehr Lohnarbeiter, wenn auch
im Dienste eines Arbeiterverbandes. Dies gilt z. B. von den „Ouvriers
fabricants de voitures“, einer von 5 Gewerkschaften gegründeten Pro-
duktivgenossenschaft, deren Gewinn die 5 Gewerkschaften unter sich
aufteilen. Dies gilt ebenso von der vielgenannten Arbeiterglasfabrik in
Albi, deren Kapital von über ganz Frankreich zerstreuten Arbeiter-
gewerkschaften und Arbeitergenossenschaften gezeichnet wurde, die sich
den Bezug des Gewinnes, sowie die Leitung der Fabrik vorbehalten
haben.
Die Mehrzahl der französischen Produktivgenossenschaften wurde
ohne fremde Unterstützung je durch eine Gruppe unternehmender Elite-
arbeiter mit meist geringen Ersparnissen gegründet, und bezeichnender-
weise finden wir gerade in dieser Kategorie der Produktivgenossen-
schaften die meisten Erfolge. Einige Genossenschaften haben es von
ganz bescheidenen Anfängen zu beträchtlichem Reichtume gebracht, aller-
dings oft nicht ohne den ursprünglichen egalitären Charakter aufzu-
geben. Insbesondere werden in vielen Genossenschaften am Gewinne
nicht beteiligte Hilfsarbeiter beschäftigt, welche beim Eintritt von Ar-
beitsmangel wieder entlassen werden, während die eigentlichen Genossen-
schafter gegen Arbeitslosigkeit so ziemlich geschützt sind. Auch neh-
men manche Genossenschaften neue Mitglieder nur gegen bedeutende
Bareinlagen auf.
Das wachsende Kapitalbedürfnis brachte in allerneuester Zeit einige
Produktivgenossenschaften dazu, auch Nichtarbeiter, Kapitalisten, als
am Gewinne beteiligte Mitglieder aufzunehmen, allerdings unter Auf-
stellung gewisser Kautelen, welche das Uebergewicht der Arbeiter sichern
sollen. H. Buisson, der Direktor der Produktivgenossenschaft von Zimmer-
malern „Le travail“ machte den Anfang und wäre deshalb vor 2 Jahren
nahezu aus der Chambre consultative ausgeschlossen worden. Schien
doch sein Vorgehen der Tradition der französischen Arbeiter-Produktiv-
genossenschaften direkt zu widersprechen. Allein die Macht der That-
sachen, oder richtiger der Zwang der Not erwies sich stärker als alle
theoretischen Bedenken. Der letzte Kongreß der französischen Pro-
duktivgenossenschaften (8.—10. Juli 1900) stellte sich sozusagen ohne
Debatte auf den Standpunkt Buisson’s. Hatte doch Fourier selbst, den
die Anhänger der produktivgenossenschaftlichen Bewegung aufs höchste
verehren, die Vereinigung von Arbeit, Talent und Kapital zur Entste-
hung der „integralen Association“ gefordert und */,, des Ertrages der
Entlohnung des Kapitales gewidmet!) — Während in England die
1) Vergl. die von Prof. Charles Gide vorgenommene Einteilung der französischen
Produktivgenossenschaften in der Revue d’economie politique vom Jänner 1900.
E 1
668 Miszellen.
Produktivgenossenschaften ihre beste Stütze in den Konsumgenossen-
schaften finden, die ihnen sowohl Kapitalien vorstrecken als auch einen
Absatz sichern, bestehen in Frankreich zwischen Produktiv- und Konsum-
genossenschaften nahezu keine Verbindungen. Die französischen Pro-
duktivgenossenschaften gehören zu einem großen Teile den Baugewerben
an, im übrigen erzeugen sie meist Gegenstände, welche die Konsum-
genossenschaften überhaupt nicht beziehen. Andererseits sind die franzö-
sischen Konsumgenossenschaften selbst kapitalschwach, und sammeln
keine großen Reserven an, da sie entweder zum Selbstkostenpreise ver-
kaufen, oder wenn sie die üblichen Detailpreise festhalten, doch ihren
Mitgliedern die Rückvergütungsquoten ausbezahlen. Das Postulat der
Schule von Nimes, welcher de Boyve, Fabre, Charles Gide und andere
angehören, die Konsumgenossenschaften sollten ihre Rückvergütungs-
quoten zur Gründung und Unterstützung von Produktivgenossenschaften
verwenden, hatte bisher nahezu keine praktischen Erfolge.
Die französischen Produktivgenossenschaften blieben deshalb nicht
ausschließlich auf ihre eigenen Kräfte angewiesen. Der Staat und pri-
vate Gönner kamen ihnen zu Hilfe. Die bereits erwähnte Schenkung
Moigneu’s ermöglichte die Entwickelung der Bank der Produktivgenossen-
schaften. Benjamin Rampal stiftete im Jahre 1879 11/, Mill. fres. zur
Unterstützung von Pariser Arbeitergenossenschaften. Der französische
Staat unterstützte nicht nur die Bank der Produktivgenossenschaften,
sondern verteilt auch jährlich ca. 150000 fres. an einzelne notleidende
Produktivgenossenschaften. Als die wichtigsten erwiesen sich aber die
den französischen Arbeiterproduktivgenossenschaften bei Vergebung
öffentlicher Arbeiten und Lieferungen individuellen Offerenten oder Aktien-
gesellschaften gegenüber eingeräumten Privilegien. Manche Pariser Pro-
duktivgenossenschaften leben nahezu ausschließlich von öffentlichen Ar-
beiten und Lieferungen. Der Palast der Kongresse auf der letzten Pariser
Weltausstellung war z. B. ausschließlich von 18 Produktivgenossen-
schaften erbaut. Waldeck-Rousseau ist der Meinung, der Staat sei in
erster Linie berufen, den jungen Produktivgenossenschaften gewisser-
maßen ein Experimentationsfeld einzuräumen und sie durch sein Ver-
trauen auch moralisch zu stützen. Waldeck-Rousseau räumte auch einem
Vorstandsmitgliede der Chambre consultative Sitz und Stimme im franzö-
sischen Arbeitsbeirate ein.
Diese staatlichen Begünstigungen bedeuten ein exceptionelles Mo-
ment, welches auf das rasche Wachstum der französischen Produktiv-
genossenschaftsbewegung gewiß nicht ohne Einfluß blieb. Sind uns des-
halb, wie öfters behauptet wurde, die französischen Produktivgenossen-
schaften den Beweis schuldig geblieben, daß sie aus eigener Kraft
lebens- und entwickelungsfähig sind? Rückständige, dem Untergange
geweihte soziale Gebilde konnten gewiß nie auf die Dauer durch staat-
liche Privilegien lebendig erhalten werden. Bei einer jungen, neu auf-
getauchten sozialen Bewegung hingegen bedeutet schon die Thatsache,
daß sie sich die Anerkennung und werkthätige Sympathie ihres Milieus
zu erringen wußte, einen Beweis von Lebenskraft.
Litteratur. 669
Nachdruck verboten.
Litteratur.
IT.
Heinrich Sieveking, Genueser Finanzwesen, mit besonderer
Berücksichtigung der Casa di S. Giorgio. I. Genueser Fi-
nanzwesen vom 12.—14. Jahrhundert.
80, XV u. 219 SS. Freiburg i. B. (Mohr) 1898.
II. Die Casa di S. Giorgio.
8%. XV u. 259 SS. Freiburg i. B. (Mohr) 1899. (= Volkswirtschaft-
liche Abhandlungen der Badischen Hochschulen, herausg. von Fuchs,
von Schulze-Gävernitz, Weber, I, 3 u. III, 3.)
Besprochen von Dr. Ludwig Schmitz, Münster i. W.
Unter den zahlreichen Arbeiten auf dem in den letzten Jahren
so eifrig gepflegten Gebiete der italienischen Wirtschaftsgeschichte stehe
ich nicht an, diese Darstellung des Genueser Finanzwesens aus der
Feder Sieveking’s als eine der bedeutendsten und zugleich interessan-
testen zu bezeichnen. Allerdings — um sogleich auch ihre Schatten-
seiten hervorzuheben — muß ich ihren Stil als etwas schwerfällig, ihre
Komposition als nicht gerade durchweg gewandt bezeichnen ; die Ueber-
gänge sind häufig gesucht; die Disposition ist nicht immer durchsichtig,
besonders nicht bei den Unterabschnitten der einzelnen Kapitel; die-
selben Persönlichkeiten begegnen unter verschiedenen Namen (z. B. An-
tonius Adornus = Antonio Adorno II, S. 1 u. 3) u. s. w. Infolgedessen
ist die Lektüre des Buches nicht immer leicht, sie stellt vielmehr große
Ansprüche an den Leser. Dies liegt aber, was ich auch gern zugeben
will, zum weitaus größten Teile an der Sprödigkeit und Weitschichtigkeit
des behandelten Stoffes, der in der Hauptsache erst in mühsamer und lang-
wieriger Arbeit den Archiven und Bibliotheken (Genua, Paris) entnommen
werden mußte. Entschädigt für die Mängel nach der formalen Seite hin schon
diese ausgedehnte Heranziehung ungedruckten Quellenmaterials in Ver-
bindung mit einer gewissenhaften Verwertung der umfangreichen, ein-
schlägigen Litteratur, so wird man sie sogar ganz zu übersehen bereit
sein in Anbetracht der Gründlichkeit und Tiefe, mit der Sieveking sein
670 Litteratur,
Thema nach jeder Richtung behandelt, und der Umsicht, welche ihn
bei der Untersuchung der in fast zahlloser Fülle auftauchenden, seinen
Gegenstand irgendwie berührenden Detailfragen leitet, alles Eigenschaften,
durch die das Werk die Bedeutung einer wertvollen, wirklichen Be-
reicherung der wirtschaftsgeschichtlichen Litteratur erhält.
Zweck der Arbeit und ihr Ausgangspunkt war die Absicht, die
von der einen Seite (Goldschmidt) ebenso bestimmt behaupteten wie
von der anderen (Lehmann) verneinten Zusammenhänge der genuvesi-
schen Compere und Maonen, d. h. der Organisationen der Staatsgläubiger,
mit den modernen Aktiengesellschaften auf Grund des gesamten, hand-
schriftlichen und gedruckten Materials eingehend zu untersuchen. Es
sollte die vielerörterte Frage, ob in den Compere und Maonen thatsäch-
lich das Urbild der Aktiengesellschaft zu erblicken ist, endgiltig ent-
schieden werden. S. begnügt sich aber nicht mit der Beantwortung
der Frage, was sind und wie entstanden jene Compere und Maonen;
er verfolgt vielmehr ihre Entwickelung und ihre Stellung innerhalb des
genuesischen Finanzwesens bis ins einzelne und so wird seine Darstel-
lung, indem er alle genuesischen Staatseinkünfte im Zusammenhang be-
trachtet, zu einer Geschichte des genuesischen Finanzwesens überhaupt.
Der I. Band, der dieses Thema bis zur Gründung der Casa di S.
Giorgio im Jahre 1407 behandelt, beginnt im 1. Kapitel (S. 1—49.
nach einer kurzen Skizzierung der politischen Schicksale Genuas von
den ältesten Zeiten bis zur Periode der Visconti, mit der Grundlegung
des genuesischen Finanzwesens, und zeigt des näheren, wie die Stadt
in dieser Epoche der Adelsherrschaft sich allmählich von den feudalen
Fesseln freimachte und ein selbständiges Finanzwesen entwickelte. Am
wichtigsten sind in diesem Abschnitte die Auseinandersetzungen über
die Genueser Compagna, deren Wesen hier — im Gegensatz zu den
bisher darüber geltenden Ansichten — klargelegt wird. Es handelt
sich bei dieser Organisation der Bürgerschaft, wie S. 14 ff. zeigt,
weder um eine kaufmännische Gilde noch um eine Kapitalgenossen-
schaft, um eine Art Aktienverein, sondern die Compagna ist die Orga-
nisation der waffenfähigen Genueser; sie hat zwar keinen eigenen Han-
delsbetrieb, regelt dagegen den Handelsbetrieb ihrer Mitglieder und
sichert diesen besondere Handelsvorteile. Hat sie anfangs nur den unter-
nehmungslustigen Teil der Bürgerschaft, die am Handel interessierten
Kreise umfaßt, so umfalte sie seit dem 12. Jahrhundert die gesamte
Einwohnerschaft, sie war seitdem mit der Kommune identisch geworden
und beanspruchte nun Heerbann, Gerichtsbann und Finanzhoheit. Die Mark-
grafen, die gezwungen wurden, der Compagna beizutreten, verloren ihre
Rechte; nur spärliche Reste, die sich bis ins 13. Jahrhundert verfolgen
lassen, erinnern noch an ihre frühere Finanzhoheit; aber auch die Er-
träge dieser finanziellen markgräflichen Rechte flossen nicht in ihre
eigene Kasse, sondern diese Einkünfte, mit deren verschiedenen Arten
wir genauer bekannt gemacht werden, waren den Vicecomites verlehnt.
Neben ihnen entwickelte nun die Kommune (S. 25 ff.) auf Grund ihrer
zuerst usurpierten, dann 1162 von Friedrich I. bestätigten Finanzhoheit
ein selbständiges Finanzwesen. Je größer aber die Bedeutung Genuas
Litteratur. 671
als Handelsstadt wurde, um so mehr wuchsen auch die finanziellen An-
sprüche, die an den Staat herantreten. Sie ließen sich nicht mehr,
besonders soweit es sich um außergewöhnliche Ausgaben handelte, aus
den regelmäßigen Einkünften, aus den Gabellen, den Einnahmen aus
dem Vermögen und den indirekten Steuern bestreiten; man griff not-
gedrungen zu außerordentlichen Steuern, teils in der Form persönlicher
Leistungen der Bürger, teils in der Form von Umlagen auf das Ver-
mögen, und da auch diese nicht genügten, mußte die Regierung zu
Schulden sich verstehen. Die Schulden spielten fortan in dem genue-
sischen Budget eine gewaltige Rolle, sie treten bei dem ganzen Finanz-
wesen seitdem stets in den Vordergrund. Die Verschuldung des Staats-
haushaltes war auch der Hauptgrund für die Revolution des Jahres
1257, die die Adelsherrschaft stürzte und einen Capitaneus populi an
die Spitze der Regierung stellte. Hiermit hebt das 2. Kapitel (S. 50—
104) an, das der Ausbildung des genuesischen Steuer- und Schulden-
wesens in der Zeit von 1257—1339, bis zur Wahl des ersten popularen
Dogen, nachgeht. Die ersten Mafregeln des neuen Regiments waren
größere Anleihen, die sich als verzinsliche Zwangsanleihen charakteri-
sieren; die Zinsen sollten aus dem Ertrage des Salzmonopols gewonnen
werden. Diese Zwangsanleihen, die in loca, Anteile von 100 Lire, um-
gelegt wurden, waren zwar eine neue Belastung der Staatskasse; sie
wurden aber dadurch erträglicher gemacht, daß dafür mit den aus der
Zeit der feudalen Finanzhoheit noch übrig gebliebenen Belastungen der
Steuerzahler, deren Ertrag nicht der Staatskasse zu gute kam, soweit
als möglich aufgeräumt wurde. Derartige Zwangsanleihen, die wie für
Genua so auch für die anderen italienischen Staaten den Kern der
stehenden Staatsschuld gebildet haben, waren bei dem Schuldenwesen
der italienischen Städte nichts Ungewöhnliches; eigentümlich ist für
Genua, daß hier die Gläubiger Einfluß auf die Schuldenverwaltung er-
halten und daß hier die Regierung, durch eine übermäßige Anspannung
des Kredits gezwungen, ihnen korporative Rechte gewähren muß. Ein
besonderes Amt, das der protectores et defensores comperarum capituli,
hatte seit 1523 die ausschließliche Aufgabe, das Interesse der Staats-
gläubiger wahrzunehmen, der Schutz der Gläubiger drückte seitdem
der ganzen Genueser Finanzverwaltung, die der Schuldverwaltung unter-
geordnet wurde, seinen Stempel auf.
Wie sich diese Gläubigerorganisation in den Compere weiterhin
behauptete und befestigte, zeigt das 3. Kapitel (S. 105—188), das die
Finanzverwaltung Genuas unter den Dogen bis zur Aufrichtung der
Casa di S. Giorgio 1339—1407 schildert. Nicht nur, daß jene Organi-
sation der Staatsgläubiger und ihre bisherigen Rechte, gegen die, weil
sie die Staatsgläubiger gegenüber der großen, unter einem schweren
Steuerdruck leidenden Masse des Volkes allzusehr bevorzugte, sich die
Revolution des Jahres 1339 gewandt hatte, bereits 1340 wieder aner-
kannt wurde, sie erhielt auch noch weitere Rechte, zumal Einfluß auf
die immer zahlreicher und verschiedenartiger werdenden Steuern. Aber
damit verbunden war andererseits auch eine von der Regierung mit
Erfolg angestrebte Regelung und Vereinfachung der Schuldverwaltung.
672 Litteratur.
Hand in Hand damit ging eine formale Ordnung des genuesischen Haus-
halts durch Einführung der doppelten Buchführung, deren Erfindung
S. den Genuesen zuschreibt (S. 118 ff.), während die materielle Ord-
nung desselben aber auch fernerhin noch viel zu wünschen übrig ließ
und an Aeuferlichkeiten haften blieb. Bis zum Ende des 14. Jahr-
hunderts — soweit führt die Darstellung des I. Bandes — haben sich
die Staatsschulden Genuas gegenüber dem Anfange dieser Periode etwa
verdoppelt, trotzdem man durch mehrfache Konsolidation die Schulden-
last zu mäßigen suchte und ebenso durch Einrichtung besonderer staat-
licher Tilgungsfonds, denen solche, die von Privaten gestiftet wurden,
zur Seite traten. — Den letzten Abschnitt dieses Kapitels bildet eine
Auseinandersetzung über die Maonen, die ebenfalls zu den ihnen sehr
ähnlichen genuesischen Comperen zu rechnen sind und deren erstes Bei-
spiel bereits im Jahre 1235 begegnet; ihr Charakter tritt deutlich erst
im 14. Jahrhundert hervor. S. definiert sie (S. 177 ff.) „als Darlehen
an den Staat nicht in Geld, sondern in gerüsteter Mannschaft“ und
bespricht dann genauer die einzelnen bekannten Maonen.
Die Antwort, die S. als Ergebnis der ganzen Untersuchung auf
die eingangs gestellte Frage giebt, „inwieweit die genuesischen Compere
und Maonen Vorläufer der heutigen Aktiengesellschaften waren“, fällt
im großen ganzen negativ aus (S. 186 ff.) Während die Maonen, speciell
die Maona nova von Chios aus dem Jahre 1373, „überhaupt nicht mit
einer Aktiengesellschaft verglichen werden können, lag die Sache anders
bei den Organisationen der Staatsgläubiger, den Compere. Gewil ist
auch hier ein Unterschied von der modernen Aktiengesellschaft erkenn-
bar. Diese ist eine Kapitalvereinigung zum Betriebe irgend einer Unter-
nehmung, die Genueser Compere waren Kapitalvereinigungen, die grülten-
teils aus Zwangsanleihen oder aus zwangsweise fundierten Anleihen
herrührten. Das Kapital der Aktiengesellschaft ist in Aktien, festum-
grenzte Beträge eingeteilt, während der locus der Compere nur eine
ideelle Einheit war. Der Aktionär hofft auf möglichst hohe Dividende, die
Comperisten waren in Genua seit 1257 auf einen festen Zins angewiesen.‘
Aehnlichkeiten liegen aber vor in der Organisation und Verfassung beider
Institute. „Vor allem näherten sich die Compere dadurch der Aktien-
gesellschaft, daß der ausbedungene Zins den Comperisten nicht regel-
mäßig und voll gezahlt wurde, so daß ihnen thatsächlich eine je nach
dem Ertrag der angewiesenen Einkünfte wechselnde Dividende zufel;
gleich der Dividende fiel und stieg auch der Kurs der loca, ja das
Schwanken der Kurse gab Anlaß zu Spekulationen... Unzweifelhaft
liegen hier Merkmale der Aktiengesellschaft vor.“
Der II. Band, bei dessen Besprechung wir uns kürzer fassen wollen,
behandelt „die Casa di S. Giorgio“ von ihrer Begründung bis zur Avf-
lösung im 19. Jahrhundert. Drei Perioden in ihrer Geschichte, die der
Kapiteleinteilung des Bandes entsprechen, stellt S. auf. Die erste geht
von 1407-1444, es ist die Zeit ihrer Begründung und ihres ersten
Bankbetriebs (1. Kapitel, S. 1—75); die zweite von der Mitte des
15. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, in der die Casa als Territorial-
herrin auftritt (2. Kapitel, S. 76—150); die dritte endlich umfaßt die
Litteratur, 673
spätere Zeit bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1815, in der die Casa
nach Aufgabe der Kolonialverwaltung sich zum zweitenmale dem Bank-
betrieb widmet (3. Kapitel, S. 151—231). Auch hier steht zunächst
wieder die Frage im Vordergrund, ob die Georgsbank als Aktiengesell-
schaft zu betrachten sei. S. entscheidet sich für die Ansicht Lehmann’s,
daß dies nicht der Fall sei, daß sie vielmehr eher einem gesetzlichen
Mehrheitsverbande nach Art der Konkursgläubiger zu vergleichen ist.
Die Casa, die im Jahre 1407 aus einer Vereinigung der seit 1340 vom
Genueser Staat eingegangenen, bisher zu 10 Proz. oder 8 Proz. ver-
zinsten Schulden zu einer neuen Compere S. Georgii (zu 7 Proz. Zinsen)
hervorgegangen war und im Jahre 1411 ihre Verfassung erhielt, hatte
als Hauptaufgabe die gesamte Staatsschuldenverwaltung; Bankgeschäfte
betrieb sie nur nebenbei und in begrenztem Umfange: bloß dem Staate
und den Steuerpächtern gewährte sie Kredit, dem großen Publikum
gegenüber beschränkte sie sich auf das Depositen- und Girogeschäft.
In der Zeit von 1444—1586 ruhte auch dieser Bankbetrieb völlig; zu
der Staatsschuldenverwaltung trat jetzt die Verwaltung der ihr vom
Staate übertragenen, bisher genuesischen Kolonien auf Cypern, Korsika
und in der Krim. Dies dauerte bis 1562, wo der Staat wiederum
diesen Territorialbesitz übernahm. Die Bank konnte nun, nachdem
sie diesen ihrem Wesen fremden Geschäftszweig aufgegeben hatte, wieder
innerlich gestärkt, der Durchführung ihres eigentlichen Zweckes, der
Schuldverwaltung sich ganz widmen. Daß sie hierbei das Interesse des
Staates und der Bürger hätte vorwalten lassen, kann man nicht be-
haupten; die Casa war eben eine Institution der Plutokratie, eine poli-
tische Sonderorganisation zu Gunsten der Klasse der Kapitalisten, in
deren Händen sich die Anteile an der Staatsschuld befanden. 1586
beginnt dann die zweite Periode des Bankbetriebs der Casa. Auch
jetzt noch beschränkt sie sich auf den Depositen- und Giroverkehr,
Hauptsache blieb die Schuldenverwaltung, der der Bankbetrieb nur an-
gegliedert war. In ihrer damaligen Verfassung war sie das Vorbild
bei der Gründung der S. Ambrosiusbank in Mailand: nur, daß hier die
Entwickelung einen umgekehrten Verlauf als in Genua nahm. Denn
in Genua schloß sich an die Schuldverwaltung später eine Umschreibe-
bank an; in Mailand dagegen war die Umschreibebank das Ursprüng-
liche, woran sich erst nach Ablauf mehrerer Decennien die Schuldver-
waltung angliederte. Nachdem dies im Jahre 1662 geschehen, ent-
sprach erst die Ambrosiusbank völlig der Georgsbank seit 1586. Die
Georgsbank, wie sie seit 1586 ihren Betrieb eingerichtet, konnte den
Bedürfnissen der Genueser Geschäftswelt nicht genügen, weil sie nur
Depositen in bestimmten Münzsorten, in Goldmünzen und schweren
Silbermünzen annahm. Im 17. Jahrhundert, zumal seit 1675, kam ein
Umschwung durch Neugründung einer Bank, die alle Münzen, deren
Umlauf gestattet war, annahm. Die Protektoren von S. Giorgio erhielten
deren Leitung, wogegen allerdings die bisherigen Bankgeschäfte
der Casa naturgemäß einschrumpften. — Die Auflösung der Casa di S.
Giorgio erfolgte nach vierhundertjährigem Bestehen: zuerst wurden
Dritte Folge Bd. XXIII (LXXVIII). 43
674 Litteratur.
1797 — als Folge der Errichtung der ligurischen Republik — ihre
Vorrechte kassiert und nach mehrmaligen Versuchen zu ihrer Neuauf-
richtung im Jahre 1804 und 1814 wurde sie 1815 bei der Vereinigung
Genuas mit dem Königreich Sardinien endgiltig aufgehoben.
Jeder, der das Buch Sievekings, dessen beide Teile anhangsweise
auch noch einige bemerkenswerte archivalische Beilagen enthalten, bis
zu Ende durchliest oder — richtiger gesagt — durcharbeitet, wird es
mit aufrichtigem Danke für den Verfasser, daß er ihm nicht nur einen
höchst interessanten und in der Hauptsache zweifellos erschöpfenden
Einblick in die Finanzgeschichte Genuas ermöglicht, sondern auch durch
die zahlreichen Hinweise auf parallele oder entgegengesetzte Erschei-
nungen in der Finanzgeschichte anderer Städte und Staaten vielseitige
Anregung gegeben hat, aus der Hand legen.
Münster i/W., 1900.
Litteratur. 675
Nachdruck verboten.
III.
Ashley, W. J., Histoire et Doctrines Economiques de
l’Angleterre.
Traduit sur la 3. édition anglaise rèvue par l’auteur. Par P Boudois,
Professeur d'Histoire au Lycée Buffon. (Bibliothèque Internationale
d'Economie politique, publiée sous la direction de Alfred Bonnet.
Paris 1900. Vol. I: Le Moyen Age, 276 pp. Vol. Il: La Fin du
Moyen Age, 577 pp.
Besprochen von E. von Halle.
Die beiden Bände, in welchen Ashley das wirtschaftliche Leben
mnd Denken Englands bis zum Ausgange des Mittelalters darstellt,
haben nach mehr als einer Richtung einen außerordentlichen Erfolg er-
Zielt 1). Ist es schon an sich ein Seltenes, daß ein rein wissenschaft-
Miches Buch, welches einen nichts weniger als leichten Gegenstand in
exakter Weise behandelt, in kaum 10 Jahren drei Auflagen in der
eigenen Sprache erlebt, so kommt hinzu, daß es daneben, obgleich seinem
Mnhalt nach eine Darstellung englischer Verhältnisse für englische Leser
bbezw. für die internationale wissenschaftliche Gemeinde, in derselben
Zeit eine deutsche und französische Uebersetzung gefunden hat. Größer
æber noch, als aus diesen nach außen sich darthuenden Momenten er-
scheint, ist seine innere Bedeutung speciell für die Entwickelung der
englischen Volkswirtschaftslehre Nicht ist es der erste und einzige
Wersuch, große Epochen englischen Wirtschaftslebens einheitlich dar-
zustellen — die Aufgabe ist angesichts der Abgeschlossenheit des Ge-
biets und eines erheblichen Quellenmaterials in vielen Hinsichten weniger
kompliziert als etwa in dem viel zerstückelten Deutschland oder Italien,
und manche hatten sich bereits daran versucht — wohl aber war die
Art und Weise, wie A. der Aufgabe gegenübertrat, eine für England
neue und angesichts des damaligen Standes des offiziellen englischen
volkswirtschaftlichen Denkens fast revolutionäre gewesen.
Ashley ist ein Schüler und Freund des leider viel zu früh dahin-
gegangenen Arnold Toynbee, dem er in Gemeinschaft mit Bolton
1) Vergl. die Besprechung des 1. Bandes in diesen Jahrbüchern durch Böhm-
Bawerk,
43%
676 Litteratur.
King ein würdiges Denkmal durch die Bearbeitung der „Lectures on the
Industrial Revolution of the XVIIIth Century in England“ gesetzt hat.
Dieser hervorragende Mann und Menschenfreund schien bestimmt, den
Wein neuen Geistes auf die alten Schläuche der englischen Wirtschafts-
lehre und der Art, wie sie an den klassischen Stellen, speciell in Oxford,
gelehrt wurde, zu ziehen. Als Lehrer der Studierenden für den indischen
Verwaltungsdienst „war er sich bewußt“, sagt Jowett in seinem Nach-
ruf, „wie sehr Indien durch die einsichtslose Anwendung Ricardo-
scher und Mill’scher Lehren auf einen Gesellschaftszustand gelitten hatte,
auf welchen sie nicht zugeschnitten waren“. Eine Reform der politischen
Oekonomie unter dem Gesichtspunkt der historischen Prüfung und des
Studiums der gesellschaftlichen Institutionen schwebte ihm vor, soziale
und kirchliche Probleme beschäftigten ihn und die zahlreichen Anhänger,
für deren Kreis er den Mittelpunkt bildete.
Von ihm empfing Ashleya Denken entscheidende Anregungen,
während alsdann das Studium der deutschen wirtschaftshistorischen
Schule ihm die Wege zeigte, die zur Verwirklichung einer neuen Dar-
stellungsweise führen könnten.
Sachlich hat er sich teilweise gegenüber deutschen Resultaten ab-
lehnend verhalten. Er ist ein eifriger Verfechter Fustel de Coulanges
in seiner Bekämpfung der Markgenossenschaftstheorie, wobei er aller-
dings bisher ebensowenig wie jener die Gegner hat überzeugen können.
Methodologisch aber wurde er alsbald zum Schüler und Bekenner der
deutschen wissenschaftlichen Forschungsweise. „Ich fühle, daß ich seit
12 Jahren mehr Anregung und Ermutigung aus Ihren Schriften em-
pfangen habe, als aus denen irgend eines anderen“, schreibt er in der
Widmung seiner „Surveys Historic and Economic“ 1900 an Schmoller,
„Ermutigung in jenem Bestreben, welches durch die akademische und
öffentliche Meinung oft so schwer gemacht wird: ein Nationalökonom
zu bleiben und dabei doch nicht aufzuhören, ein Historiker zu sein‘.
Nur wer die Innenseiten des akademischen Lebens in England kemnt,
kann vollkommen ermessen, was letztere Bemerkung bedeutet. Die
Thatsache, daß Ashley, der, nebenbei gesagt, nie in Deutschland National-
ökonomie studiert hat, die althergebrachten heiligen und daher auch
so bequemen Pfade der orthodoxen Schule in seinen Arbeiten verliel,
hat für lange Zeit auf die äußeren Bedingungen seines Daseins einen
tiefgehenden Einfluß ausgeübt.
In dem englischen Titel seines Buches schon brachte er zum Aus
druck, was die deutsche Uebersetzung eigentümlicherweise nicht wieder-
giebt, daß er die Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte in ihren
Wechseleinflüssen darstellen wolle und nicht gleich den Thorold Rogers
und anderen mehr das Denken und die Leistungen des mittelalterlichen
Mannes an dem Malstabe eines genauen Kenners der Maschinerie von
„Lombard Street“ und der Lehre des Ricardo und John Stuart Mill zu
messen beabsichtigte. Der Versuch, auf Grund des damals erschlossenen
Quellenmaterials den mächtigen Gegenstand einer nicht aprioristischen,
sondern einer jedem Zeitabschnitte und jeder Institution aus sich selbst
heraus gerechtwerdenden Darstellung zu unterziehen, ist es, der dem
Litteratur. 677
Buch eine bedeutsame Stellung in der Geschichte der englischen Wirt-
schaftslehre zuweist. Der Toynbeesche Aufsatz über Ricardo läßt
erkennen, daß hierin das direkte Bestreben liegt, an die gesunde An-
schauungsweise Adam Smiths und seiner Zeit wieder anzuknüpfen.
Die Aufnahme, die das Buch auf dem europäischen Kontinent
ebensowohl wie in Amerika, zunächst mehr als in manchen Kreisen Eng-
lands selbst, fand, ist ein sprechender Beweis für den erzielten wissen-
schaftlichen Erfolg. Manche Einzeldarstellung ist heute von der fort-
schreitenden Detailforschung der letzten Jahre überholt, manches würde
der Verfasser, wie er mir selbst sagte, heute erheblich anders dar-
stellen, derart, daß eine sachliche Revision des Buches für die französische
Uebersetzung thatsächlich eine Umarbeitung großer Teile erfordert haben
würde, und er sich deshalb auf die formale Berichtigung einzelner
Details und Ausdrücke beschränkte. Als Ganzes aber steht das Werk
noch heute in der ersten Reihe der englischen Litteratur, und es ist
wohl keiner unter uns, der aus seiner Lektüre nicht viele und wesent-
liche Anregungen empfangen hat oder empfangen kann.
Sehr dürfte letzteres allerdings in methodologischer Hinsicht noch
immer in Bezug auf das Land gelten, an welches sich die Uebersetzung
wendet. In liebenswürdigem Optimismus erklärt Ashley in seiner Ein-
leitung der französischen Ausgabe sein Vertrauen, „daß die Hoffnung be-
rechtigt sei, Frankreich werde in nicht allzu ferner Zeit in der Bewegung
des europäischen Denkens einen Platz einnehmen, würdig des Landes, in
welchem sich die Entstehung der politischen Oekonomie als systematische
Wissenschaft vollzogen hat, und das hierfür in seiner Sprache ein
Werkzeug von unvergleichlicher Klarheit besitzt“.
Aeußere Umstände dürften die Ursache sein, daß von dem Ashley-
schen Werke bisher weitere Fortsetzungen noch nicht erschienen sind,
und es nunmehr wohl zweifelhaft ist, ob ihm in der jetzigen Form
überhaupt nach einer 10-jährigen Pause eine Weiterführung beschieden
sein wird. Gerade in dem jetzigen Augenblick, wo durch die Rhodes-
sche Stipendienstiftung in Oxford die dortigen Unterrichtsmethoden für
Deutschland ein specielleres Interesse gewinnen, scheint die Erörterung
dieses Punktes nicht ganz ohne praktischen Wert.
Nach Toynbees und seines ihn nur wenige Monate überlebenden
Nachfolgers, Rogers Tode hat Oxford fast aufgehört, eine Lehrstätte der
politischen Oekonomie zu sein. Der Geist jenes Kreises von Historikern
und Sozialpolitikern mit ihren praktischen sozialen und religiösen Be-
strebungen mag dem alten Oxford spirit ein wenig sympathischer ge-
wesen sein, und man hat es jahrelang geschehen lassen, daß die tüchtigen
Männer aus der damaligen Zeit in alle Winde zerstreut wurden.
Cambridge zwar besitzt in Marshall, dem geistvollen und modernisierten
Vertreter der älteren Schule, in dem scharfsinnigen Foxwell Cunning-
ham, bis vor kurzem auch in Sidgwick undanderen mehr einen starken
Lehrkörper für verschiedene Gebiete der politischen und sozialen
Oekonomie. Von Oxford läßt sich ein gleiches nicht sagen. Ashley
selbst, den man sich seiner Art und seinen Leistungen nach zunächst
nicht wohl in einer anderen Umgebung als in der Nähe der „Bodleyan
678 Litteratur.
Library“ in Oxford oder der Bibliothek des Britischen Museums oder des
„Record Office“ in London denken konnte, wurde zunächst an die Universi-
tät Toronto in Canada, dann als Professor der Wirtschaftsgeschichte an die
Harvard Universität zu Cambridge, Massachusetts, verschlagen, und fand
hier zwar vielerlei Gelegenheit, sich mit den modernen Problemen des
Kapitalismus, der Trusts u. dergl., neben englisch-amerikanischen
kolonialen Beziehungen zu beschäftigen, die Möglichkeit der fortgesetzten
Archivarbeit indes fiel sowohl aus geographischer Notwendigkeit weg
wie infolge der eigenartigen Thätigkeit, welche die amerikanische
Universität von ihrem Professor verlangt: daß er zugleich Schullehrer-
dienste thun muß.
Jüngst ist er nunmehr zwar nach England zurückberufen, jedoch
ist dies seitens einer jener Anstalten geschehen, deren Gründung neuer-
dings zu zeigen scheint, daß man in den maßgebenden Kreisen des Landes
nicht erwartet, die bisherigen Universitäten würden den modernen Bedürf-
nissen der Wirtschaftslehre in ausreichendem Maße zu genügen vermögen.
Neben der im vorigen Jahre als Teil der neuen „London University"
aufgenommenen „London School of Economic and Political Science“
ist neuerdings in der University of Birmingham unter Chamberlain-
schen Auspizien eine neue Fakultät begründet, die den Aufgaben der
Handelshochschule im modernsten Stil gerecht werden soll. Beiden
dürfte es vergönnt werden, einem Teil der praktischen Ideen auch auf
sozialpolitischem Gebiet weiter zur Verwirklichung zu helfen, die von
dem Oxforder Kreis Toynbees und der Seinen ausgegangen sind. Bei
beiden aber wird aut lange das praktische Element zu überwiegen be-
stimmt sein, und so wage ich zunächst nicht der Hoffnung Ausdruck
zu geben, daß Ashley, der zum Studiendirektor in Birmingham ernannt
ist, sehr bald die Muße haben wird, neben modernen und praktischen
Aufgaben seine wirtschaftshistorischen Arbeiten in großem Stil wieder
aufzunehmen. Immerhin ist er den Quellen hierfür wieder um einige
3000 Seemeilen nähergerückt, und der historische Boden wird jedenfalls
das seinige thun, zu den persönlichen Neigungen die nötigen lokalen
Anregungen hinzuzufügen. Einerlei, ob sich die Arbeiten auf die Ge-
schichte der ökonomischen Theorie oder der ökonomischen Entwicke-
lung „die materielle Unterlage oder den ideellen Oberbau“ erstrecken,
es giebt noch gar manche Abschnitte und gar manche Institution in
der Geschichte zwischen dem Zeitalter der Elisabeth und dem Beginn
der „Industrial Revolution“, für welche es recht nötig ist, daß neue
Untersuchungen nach der von Ashley gewählten exakten Methode sie
ins richtige Licht rückten.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. (79
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Weltgeschichte, unter Mitarbeit von Georg Adler, Karl Arendt,
Karl Georg Brandis, Berthold Bretholz, Konrad Haebler, Eduard Heyck,
Julius Jung, Klemens Klein, Arthur Kleinschmidt, Josef Kohler, Felix
von Luschan, Richard Mahrenholtz, Richard Mayr, Wladimir Wilkowicz,
Karl Pauli, Johannes Ranke, Friedrich Ratzel, Rudolf von Scala, Hans
Schjöth, Emil Schmidt, Heinrich Schurtz, Kurth Sethe, Alexander Tille,
Armin Tille, Wilhelm Walther, Karl Weule, 7 Eduard Graf Wilczek,
Hugo Winckler, Heinrich von Wlislocki und Hans von Zwiedineck-
Südenhorst herausgegeben von Hans F. Helmolt. Mit 24 Karten,
46 Farbendrucktafeln und 125 schwarzen Beilagen. 1. Band. Leipzig
und Wien (Bibliographisches Institut) 1899. gr. 8%, X + 630. 4.
Band, Ebend., 1900, X + 574. 7. Band, Ebend., 1900, XII + 573.
Der Herausgeber ist der Ansicht, daß es bei der herkömmlichen
Anordnung des Stoffes nach Zeitaltern unmöglich sei, eine Weltge-
schichte zu schreiben, die die Geschichte der ganzen Menschheit zu
umfassen vermöchte. Daher hat er sich „nach reiflichem Ueberlegen
und nach gewissenhafter Durchprüfung aller Möglichkeiten“ bei dem
unter seiner Leitung stehenden, hier angezeigten neuen Unternehmen
des Bibliographischen Institus für die „Gruppierung nach ethno-geo-
graphischen Gesichtspunkten“ entschieden. Er sucht diese Wahl in
einer als Einleitung vorausgeschickten feuilletonistischen Skizze am An-
fange des 1. Bandes (sie führt den Titel „der Begriff der Weltgeschichte“)
zu rechtfertigen. Wiewohl Helmolt ausdrücklich erklärt, die Lebens-
geschichte der Menschheit sei mehr als die „Summe der Monographieen
über einzelne Völker“, so kann man doch nicht finden, daß sich seine Welt-
geschichte als etwas anderes darstellt, wie eben als eine Sammlung von
Monographieen zur Weltgeschichte auf geographischer Grundlage, von der
wir hoffen wollen, daß sie recht vollständig werden möge. Die Erwähnung
der „Eingriffe von außen“ (nämlich der gegenseitigen Beeinflussung der
Völker) und einige Beiträge allgemeinen Inhaltes vermögen an diesem Ur-
teile nichts zu ändern. Falls sich der Herausgeber damit begnügt hätte,
seine Anordnung des Stoffes mit Erwägungen praktischer Natur zu
motivieren, so könnte man gegen seinen Grundplan kaum etwas einwenden.
Da er sich aber bemüht, diesen als wissenschaftlich durchaus berechtigt,
ja sogar als einzig zulässig hinzustellen, so muß doch betont werden,
daß eine derartige Einteilung die Erkenntnis des Zusammenhanges in
680 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
der weltgeschichtlichen Entwickelung wenigstens nicht gerade zu er-
leichtern geeignet ist. Man sieht: Ueber den „Evolutionismus“ sind
die Jüngsten unter den „Jungen“ in der Geschichtswissenschaft bereits
wieder glücklich hinaus.
Im Vorworte zum 1. Bande wird die zuversichtliche Hoffnung
ausgesprochen, daß man nach Abschluß des Werkes sagen werde: „es
ist aus einem Gusse“. Diese Hoffnung dürfte schon jetzt als ge-
scheitert zu betrachten sein. Schon jetzt stellen sich seine einzelnen
Bestandteile, sowohl was die Stoffverteilung als auch was den Wert
betrifft, als höchst ungleichartig dar. Am höchsten steht wohl bis jetzt
der 1. Band. Die Artikel von Ratzel („Die Menschheit als Lebens-
erscheinung der Erde“) und von Ranke (Die Vorgeschichte der Mensch-
heit) sind zur Belehrung eines größeren Publikums sehr geeignet. Die
Geschichte Amerikas von Haebler gehört zum Besten in dem Buche.
Sie beruht, was die früheren Zeiten anbetrifft, auf gründlicher Sach-
kenntnis und Forschung. Man mag Haebler’s Urteilen nicht überall zu-
stimmen, man mag es weiterhin höchlichst bedauern, daß er, je mehr er
sich dem Ende nähert, um so kompendiöser wird (worauf allerdings die
vorgeschriebene Raumbeschränkung vermutlich Einfluß gehabt hat), immer
wird man jedoch anerkennen müssen, daß hier eine höchst respektable
Leistung vorliegt.
Wie es mit der Stoffverteilung in dem Werke bestellt ist, das zeigt
am deutlichsten eine Inhaltsangabe des 4. Bandes, der den Band.
ländern des Mittelmeers“ gewidmet ist. Zuerst finden wir einen
einleitenden Aufsatz des Grafen Wilczek, von Helmolt über-
arbeitet: „Der innere geschichtliche Zusammenhang der Mittelmeer-
völker“, der eine kurze Rekapitulation der bekanntesten äußeren Ereig-
nisse in der Geschichte der Mittelmeervölker bietet. Dann folgt ein
Abschnitt von Brandis: „Die alten Völker am Schwarzen Meere
und am östlichen Mittelmeere“; er reicht ungefähr bis in das 1. Jahr-
hundert vor Ch. G. und erzählt unter anderem die Geschichte der
hellenistischen Reiche, ehe der Leser etwas von Hellas vernommen
hat. Daran reiht sich eine Abhandlung von Walter über die Ent-
stehung des Christentums und seine östliche Entfaltung, daran ein Ar-
tikel über Nordafrika, der mit der Eroberung Algiers durch die Franzosen
und mit einer Schilderung Marokkos in der Gegenwart schließt. Nun-
mehr kommt auch Griechenland an die Reihe. Es wird (von Scala)
von der Urzeit bis zum Zeitalter Alexander’s des Großen auf ca.
40 Seiten behandelt; davon entfallen auf das Zeitalter der Perser-
kriege ganze 1!/, Seiten, auf das Zeitalter des Perikles etwas mehr
als 4 Seiten!! Kann man es, wenn hier solche Knappheit am Platze
erschien, als eine gerechte Stoffverteilung erklären, wenn der Vorge-
schichte Amerikas vor der Entdeckung 150 Seiten gewidmet sind?
Wir betonen nochmals dabei ausdrücklich, daß diese von Haebler be-
arbeitete Partie alles Lobes würdig ist; die Thatsache des Mißverhält-
nisses in der Zumessung des Raumes bleibt aber trotzdem bestehen.
Darf man unter solchen Umständen anerkennen, daß das Werk wie
„aus einem Gusse“ ist? Weiterhin folgt im 4. Bande ein Essais
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 681
über die Urvölker der Appenninhalbinsel von Pauli, sowie ein Ab-
riß der italisch-römischen Geschichte (von Jung) bis zum Beginne
des Mittelalters, endlich ein Schlußabschnitt über die Pyrenäische Halb-
insel (von Schurtz) von der Urzeit bis zum Friedensschlusse mit
Amerika!! Wie es der Herausgeber aus seinem geographischen Grund-
plane ableiten kann, das er in demselben Bande die Geschichte Griechen-
lands bis zum 4. Jahrhundert vor Ch. (insofern ihrer nicht noch bei
den anderen Abschnitten gelegentlich Erwähnung geschieht), die Roms
und Italiens bis zum 5. Jahrhundert nach Ch. G., die der Pyrenäen-
halbinsel und Nordafrikas bis 1899 führt, übersteigt unsere Einsicht.
Aus Band 7, dessen Gegenstand Westeuropa (wobei zu bemerken
ist, daß die spanische Geschichte sich auch noch im 4. Bande findet)
ungefähr seit dem 14. Jahrhundert bildet, verzeichnen wir als von
Interesse für die Leser dieser Zeitschrift eine Studie von R. Mayr
(Die wirtschaftliche Ausdehnung Westeuropas seit den Kreuzzügen), sowie
den Abriß, den G. Adler von der Geschichte der sozialen Frage giebt.
Auf manche Partien des Werkes kritisch einzugehen und sie in ihren
Einzelheiten gründlich zu beleuchten, könnte man sich versucht fühlen;
aber das würde nicht hierher, sondern in eine historische Fachzeitschrift
gehören.
Für das große Publikum bestimmt, enthält das Unternehmen un-
zweifelhaft treffliche Beiträge, die geeignet sind, unterhaltend und be-
lehrend zu wirken. Als Ganzes und nach seiner Anlage betrachtet,
wird es in Fachkreisen nicht auf ungeteilten Beifall rechnen dürfen.
Die Ausstattung, zumal der Illustrationsschmuck und die beigefügten
Karten, sind tadellos und der Verlagsbuchhandlung durchaus würdig.
Halle a. S. Felix Rachfahl.
. Adolphe Landry, L'utilité sociale de la propriété individuelle,
Etude d'économie politique. Paris, G. Bellais, 1901. 511 p.
Der Verf. will den Nachweis erbringen, daß der Bestand des Privat-
eigentums zu Produktivgütern an sich und seinem Wesen nach dem Ge-
samtinteresse widerspricht, er will jene Konflikte zwischen den indivi-
duellen Interessen und den Interessen der Gesamtheit klarlegen, die sich
unbedingt unter der Herrschaft des Privateigentumsergeben müssen, jene
Verschlechterung im allgemeinen Wohlstande, welche die Folge der durch
das Privateigentum geschaffenen Ungleichheiten sei, nachweisen. Seine
Beweisführung teilt er in drei Abschnitte, welche die Produktion, die Ver-
teilung und den Konsum behandeln; dabei bedient er sich hanptsächlich
der deduktiven Forschungsmethode und verwendet er die Induktion
vorwiegend zu Zwecken der Ueberprüfung. Daran schließt sich ein
Kapitel, welches seine Reformpläne darstellt. Der Gedanke, daß der
Produzent unter den heutigen Verhältnissen nicht immer veranlaßt sei,
sein Gut so auszunützen und seine Produktion so zu regeln, wie es das
gesellschaftliche Interesse verlangen würde, daß ein Gegensatz zwischen
dem privatwirtschaftlichen Prinzip der Rentabilität und dem der Pro-
ductivität zur Geltung kommen müsse, erinnert uns unter anderen an
Wilh. Neurath, der in zahlreichen, den letzten Jahren angehörenden
682 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Schriften auch speciell den letzteren Widerspruch scharf betont, aber
freilich für ihn nicht den Bestand des Privateigentums, sondern andere
Umstände verantwortlich macht; daß der Verf. sich auf Rodbertus,
Dühring, Sismondi und andere bei seinen Untersuchungen speziell über
diesen Punkt beruft und daß er glaubt, deren Ansichten richtig stellen
zu sollen und zu können, sei nur nebenbei als Beleg dafür erwähnt,
daß er eine reiche Kenntnis der einschlägigen und zwar auch der deutschen
Litteratur besitzt.
Es läßt sich nicht bestreiten, daß Landry seinen Gegenstand von
allen Seiten angefaßt und daß er getrachtet hat, überall auf die letzten
Ursachen zurückzugehen; es zeigt sich auch in seinen eingehenden Aus-
führungen im einzelnen oft eine erstaunliche Uebereinstimmuug insbe-
sondere mit Neurath’s Krisenlehre und es muß um so mehr als cha-
rakteristisch betrachtet werden, daß beide Männer trotzdem zu ganz
entgegengesetzten Ergebnissen in Bezug auf die Ursachen der herrschenden
wirtschaftlichen und socialen Mißstände gelangen; sieht doch Landry
in der Herrschaft des Sozialismus einen Zustand, in dem alles so ein-
gerichtet wäre, daß für die Gesamtheit der größte Wohlstandsgrad er-
reicht würde, während Neurath die Aufhebung des Privateigentums an
Produktivgütern für überflüssig und schädlich, die Heilung der sozialen
Uebel anf andere Weise für möglich hält. Es ist zu bedauern, daß Landry
von Neurath’s Schriften keine Kenntnis gehabt hat, denn sonst würde
er sich mit ihm auseinandergesetzt und vielleicht in manchen Punkten
seine Beweisführung anders eingerichtet haben.
Der Verf. ist übrigens an seine Aufgabe mit großer Vorsicht und
Gewissenhaftigkeit herangetreten; ja er geht sogar so weit, anzuerkennen,
daß seine Reformpläne nicht ohne weiteres im vollen Umfang zur An-
werdung kommen können; ja er ist so objektiv, zu gestehen, daß alle
Mißstände, die er als Folgen des Privateigentums nachgewiesen zu haben
glaubt, noch nicht genügen, um definitiv erklären zu dürfen, daß die
sozialistische Organisation besser wäre, als die heutige; auch mit der
ersteren können Mißstände verschiedener Art verbunden sein. Es ist
für ihn mehr ein Gefühl, als eine durch seine Untersuchungen begründete
Ueberzeugung, wenn er für seine Person ein sozialistisches Regime als
die unentbehrliche Voraussetzung für die Heilung der Mißstände in
unserer Gesellschaft erklärt. — Es werden wohl viele andere auch noch
nach dem Studium des Buches seine Bedenken und zwar in noch viel
stärkerem Maße hegen; sie werden aber trotzdem wohl kaum seine
Vorschläge acceptieren, sondern sie ablehnen. Für jedermann aber wird
die Lektüre des Buches von Wert sein. Schullern.
Abhandlungen, volkswirtschaftliche, die Badischen Hochschulen. Bd. VI. Heft 1.
Tübingen, J. C. B. Mohr, 1902. gr. 8. VII—208 SS. M. 7.—. (Inhalt: Die Wirkung
der Handelsverträge auf Landwirtschaft, Weinbau und Gewerbe in Elsaß-Lothringen,
von Leo Berkholz. Mit einer Vorbemerkung von (Prof.) C. J. Fuchs.)
Aus dem litterarischen Nachlaß von Karl Marx, Friedrich Engels und Ferdinand
Lassalle. Herausgeg. von Frz. Mehring. Abteil. II. Stuttgart, J. H. W. Dietz Nachf.,
1902. gr. 8. VIII—482 SS. M. 6.—. (Inhalt: Marx’ und Engels gesammelte Schriften
1841—1850. Bd. II: Von Juli 1844—November 1847.)
Eisler, Rob. (Wien), Studien zur Wertthcorie. Leipzig, Duncker A Humblot,
1902. 8. XII—109 SS. M. 3.—.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 683
Jahrbuch der internationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft
und Volkswirtschaftslehre zu Berlin, hrsg. von (Prof.) Bernhöft und (KammergerR.)
Meyer. Jahrg. V: 1899. II. Abteilung. Berlin, K. Hoffmann, 1902. gr. 8. VII u.
S. 401—1374. M. 24,40.
Schurtz, H., Altersklassen und Männerbünde. Eine Darstellung der Grund-
formen der Gesellschaft. Berlin, G. Reimer, 1902. gr. 8. IX—458 SS. M. 8.—.
Bauer, Arthur (prof. de philos., membre de la Société de sociologie de Paris),
Les classes sociales, Analyse de la vie sociale. Paris, V. Giard & E. Brière, 1902.
gr. in-8. VII—355 pag., toile. fr. 8—. (Bibliothèque sociologique internationale. Publiée
sous la direction de M. René Worms, vol. XXV. Table des matières: L'objet. — Possi-
bilité d’une science sociale: 1. Premières difficultés ; 2. Les faits sociaux sont-ils susceptibles
de connaisscance scientifique? ; La science sociale et possible par l’étude des classes so-
ciales; Autorités (Platon, Taine, Gumplovicz). — Des méthodes. — La méthode: 1. Psy-
chologie des classes sociales; 2. Psychologie sociale. — Classification des faits sociaux:
1. L'Etat; 2. Les puissances morales; 3. Faits économiques; 4. Famille et education;
5. Pathologie sociale.)
Daniel, A., L'année politique 1901. Avec un index alphabétique, une table
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Baldwin, J. A., Social and ethical interpretations in mental development: a study
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Dunning, W. A. (Prof. of history in Columbia University), A history of political
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tional basis of Greek theory. — The political philosophy of Plato. — The polities of
Aristotle. — Political theory of later Greece and of Rome. — The development of
mediaeval institutions. — Political theory in the early church. — Theories during the
development of ecclesiastical hegemony. — St. Thomas Aquinas and his school. —
Theories during the decline of the papal hegemony. — The passing of the middle age.
— Machiavelli.)
Patten, Simon Nelson, The theory of prosperity. New York, Macmillan,
1902. 8. 246 pp., eloth. $ 1,25.
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Antoine , pater C. (S. J.), Corso d’economia sociale. Tradotto dal francese. 2* ediz.
con introduzione del (prof.) G. Toniolo. Siena, tip. s. Bernardino, 1901. 8. XXI—673 pp.
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Loria, Ach., Marx e la sua dottrina. Milano-Palermo, R. Sandron, 1902. 8.
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à Ehrenberg, Rich. (Prof., Rostock), Große Vermögen, ihre Entstehung und ihre
Bedeutung. Die Fugger—Rothschild—Krupp. Jena, G. Fischer, 1902. gr. 8. VII—
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Landgraf, Jos. (vorm. Handelskammersyndikus), Mannheim am Scheidewege ?
Gedankenspäne über die volkswirtschaftliche Entwiekelung von Mannheim unter Groß-
684 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
herzog Friedrich v. Baden 1852—1902. Mannheim, J. Bensheimer’s Verlag, 1902. gr.8.
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Langenhan, A., Liegnitzer plastische Altertümer. Ein Beitrag zur Kultur- und
Kunstgeschichte Niederschlesiens. Liegnitz, E. Scholz Nacht, 1902. Lex.-8. 79 S$.
mit üb. 100 Abbildgn. u. 4 Taf., geb. M. 3.—.
Naumann, Fr., Neudeutsche Wirtschaftspolitik. Berlin-Schöneberg, Buchverlag
der „Hilfe“, 1902. gr. 8. 113 SS. M. 1.—. (Inhalt: Bevölkerungsvermehrung. — Lohn-
quantum und Krisis. — Der Streit um den Brotpreis. — Ansiedelung und Bodenreform.
— Der Kampf der Frauen. — Sozialismus und Sozialreform.)
Rudorff, E., Heimatsschutz (in wirtschaftlicher und ethischer Beziehung). Leipzig,
G. H. Meyer, 1901. kl. 8. 112 SS. M. 1.—.
Zweck, A. (Prof.), Samland, Pregel- und Frischingthal. Eine Landes- und Volks-
kunde. Stuttgart, Hobbing & Büchle, 1902. 8. VIII—160 SS. mit 32 Abbildgn. M. 4.—.
(A. u. d. T.: Deutsches Land und Leben in Einzelschilderungen. Landschaftskunden und
Städtegeschichten.)
Arduin-Dumazet, Voyage en France. 24° série: Haute Bourgogne. Avec
30 cartes au croquis. — 25° série: Basse-Bourgogne et Sénonais. Avec 24 cartes au
croquis. — 26° série: Berry et Poitou oriental. Avec 25 cartes en croquis. Paris,
Berger-Levrault & Ci, 1901. 8. 395; 368 et 365 pag. à fr. 3,50. (Dieses mit dem
Monthyon und Narcisse Michaut-Preise ausgezeichnete Werk enthält eine Fülle agra-
rischer, industrieller und sozialstatistischer Mitteilungen.)
Marignan, A., La tapisserie de Bayeux. (Etude archéologique et critique.) Paris,
Leroux, 1902. 8. XXVI—203 pag. fr. 5.—.
Fortunes made in business: Life struggles of successful people. Illustr. London,
Office of the Fortunes made ete., 1902. Folio. 8/.6.
German Empire, the, of to-day. Outlines of its formation and development. Lon-
don, Longmans, Green & C°, 1902. 8. VII—340 pp. with map, cloth. 6/.60. (Contents:
German history up to 1871. — National progress since 1871. — Commereial poliey. —
Traffie poliey. — Colonial poliey. — Colonial possessions. — German finances, — Im-
perial legislation for improving the condition of the working classes. — etc.)
Stead, Alfr., Japan, our new ally. With preface by (Marquis) Ito. London,
T. Fisher Unwin, 1902. 8. 249 pp. with 12 illustr. 7/.—. (Contents: The opening of
Japan. — Religion and charities. — A philanthropie institution. — The labour problem.
— Education in Japan. — Japan’s commerce. — Industrial Japan. — Patents and
inventions. — Japan’s merchant service — Japan’s financial condition. — Japan and
foreign capital. — The naval power of Japan. — The police of Japan. — Japan pari-
mount in the Far East. — etc.) .
Story, Alfr. T., Swiss life in town and country. New York, Putnam, 1902.
12. 290 pp., cloth. $ 1,20. (Contents: Swizerland and the Swiss. — The sovereignty
of the people. — The Gemeinden und die Landgemeinden. — Philanthropie works. —
National industry. — The culture of the vine. — Life and work in the Alps, — Cu-
tonal life and character. — Swiss women and Swiss homes. — Workingmen’s societies
and co-operation. — etc.)
Homan van der Heide, J., Economische studiën en critieken met betrekking
tot Java. Batavia, G. Kolff & C°, 1902. 8. 403 blz. fl. 4.—. ,
Oncken, A., Wat zegt de staathuishoudkundige wetenschap over de beteekenis
van hooge en lage graanprijzen voor de volkswelvaart? Vertaald en van eene inleiding
voorzien door D. R. Mansholt. Amsterdam, 8. L. van Looy, 1902. gr. 8. 76 bla
fl. 0,90.
3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung
und Kolonisation.
Die Wohnungsverhältnisse Hamburgischer Unter-
beamten im Jahre 1897. Im Auftrage der Hamburgischen Gesell-
schaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe (Patrio-
tische Gesellschaft), bearbeitet von Dr. jur. Karl Pfingsthorn.
Hamburg (Lucas Gräfe u. Sillem) 1900, 41 SS. e
Unsere Kenntnis der städtischen Wohnungsverhältnisse bezieht sich
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. (685
vorzugsweise auf Arbeiterwohnungen, der Mittelstand ist weniger be-
rücksichtigt. Deshalb stellt eine Schrift, wie die Pfingsthorn’sche, die
sich nur mit den Wohnungsverhältnissen des kleineren Mittelstandes
befaßt, eine willkommene Bereicherung dar. Im Jahre 1897 erhob die
Patriotische Gesellschaft in Hamburg die Wohnungsverhältnisse von
2874 Hamburgischen Unterbeamten, in deren Wohnungen eine Wohn-
bevölkerung von insgesamt 12021 Personen gezählt wurde. Die Er-
hebung ist also schon wegen der bedeutenden Zahl der betroffenen
Wohnungen und Bewohner beachtenswert. Sie geschah in der Weise,
daß an die Unterbeamten Fragebogen versandt wurden, die sie selbst
ausfüllten. Der Umstand, daß die große Zahl von 2874 Fragebogen
zur Bearbeitung brauchbar war, obwohl die einzelnen Räume der Woh-
nungen ausgemessen werden mußten u. dergl. m., beweist, daß diese Methode
der Selbstausfüllung unter gewissen Voraussetzungen recht wohl geeignet
sein kann, die Schwierigkeiten zu beseitigen, die sich einer genauen
Erfassung der Wohnungsverhältnisse namentlich der Ausmessung zahl-
reicher Räume, entgegenstellen. Wir setzen dabei freilich voraus, daß
die in Hamburg der Bearbeitung unterzogenen Fragebogen nicht nur
den äußeren Anschein der Brauchbarkeit hatten, sondern auch wirklich
brauchbar waren, was wohl nur durch Nachprüfung in einer Anzahl von
Fällen festgestellt werden konnte. Wir vermissen eine Bemerkung dar-
über, ob eine solche Nachprüfung stattgefunden hat.
Den Gehaltverhältnissen nach müssen die Beamten, deren Woh-
nungen so untersucht wurden, fast durchweg den mittleren und unteren
und fast gar nicht den oberen Schichten der Unterbeamtenschaft —
wenigstens so, wie man dies Wort im allgemeinen versteht — ange-
hört haben. Ebenso finden sich gar keine Hauseigentümer unter ihnen.
Andererseits genoß die überwiegende Mehrzahl den in Bezug auf die
Wohnungsverhältnisse sehr bedeutenden Vorteil der englischen unge-
teilten Arbeitszeit. Dies machte sie in der Wahl ihrer Wohnung von
der Lage der Dienststelle verhältnismäßig unabhängig und ermöglichte
ihnen zum großen Teile in den äußeren Stadtteilen zu wohnen. Leider
ist in der Pfingsthorn’schen Arbeit zwar die Verteilung der 2874 Woh-
nungen über die einzelnen Stadtteile angegeben, nicht aber die Ent-
fernung der Wohnungen von den betr. Dienststellen, was von besonderem
Interesse gewesen wäre.
Die Anlage des Fragebogens entspricht in der Hauptsache den zu
stellenden Anforderungen. Als ein Mangel muß jedoch bezeichnet werden,
daß nicht ausdrücklich nach den Nebenräumen — Keller, Boden u. dergl. —
gefragt worden ist.
Auf die Ergebnisse der Untersuchung kann hier nur durch Stich-
worte hingewiesen werden. Sie giebt Aufschluß der Reihe nach über
die Lage der Wohnungen, das Verhältnis zwischen Miete und Gehalt
der Mieter, die Räume der „Einlogierer“, die Größe der Haushaltungen
und der Wohnungen, die Bewohnerzahl pro Wohnung und pro heiz-
bares Zimmer, die Mietpreise der Wohnungen nach der Zimmerzahl
sowie nach der Bodenfläche und in gewissem Sinne auch nach dem
Kubikinhalte der Wohnungen, die Dichtigkeit der Bewohnung gleichfalls
nach Bodenfläche und Kubikinhalt und ähnliches mehr. Besonders
686 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
wertvoll erscheint uns die Zurückführung der Mietpreise auf 1 qm.
Wohnungsfläche.
Die Verarbeitung und Darstellung der Ergebnisse machen im all-
gemeinen den Eindruck der Klarheit und Sorgfalt. Andererseits ist
freilich die Darstellung etwas reichlich trocken und nüchtern gehalten;
auch ist für den auswärtigen Leser etwas zuviel Hamburgische Lokal-
kenntnis vorausgesetzt. Im ganzen aber muß die Untersuchung als eine
sehr schätzenswerte Bereicherung unserer Kenntnis gelten. —
v. Mangoldt.
Thonnar, Dr. A., Essai sur le système économique des primitifs
d’après les populations de l’état indépendant du Congo. Bruxelles,
P. Weissenbruch, 1901. gr. 89 121 SS.
In der gleichen Richtung, in der bei uns Professor Bücher in
Leipzig und die auf seine Anregung von der Jablonowski’schen Gesell-
schaft gestellten Aufgaben den Kreis der üblichen nationalökonomischen
‚Studien zu erweitern sich bemühen, bewegt sich die vorliegende Arbeit.
Sie verwertet höchst lehrreiches ethnologisches Material für die Zwecke
der nationalökonomischen Doktrin und reiht sich damit den tiefgrün-
digen Untersuchungen über das Wesen der Unternehmung und Arbeits-
teilung an, durch welche schon vor Jahren Gustav Schmoller die auch
neuerdings in seinem „Grundriß“ wieder erwiesene theoretische Ver-
wertbarkeit derartigen Materials für die Nationalökonomie klargelegt hat.
Der Verfasser stellt mit Verständnis und Kritik eine Reihe äulerst
interessanter, von den verschiedensten Reisenden berichteten Thatsachen
aus dem wirtschaftlichen Leben der Völker im Kongostaate zusammen.
In anschaulicher Schilderung werden uns die verschiedenen, dort neben-
einander bestehenden, vom jeweiligen Milieu abhängigen Stadien wirt-
schaftlicher und gesellschaftlicher Entwickelung vorgeführt, von den
gruppenweis nomadisierenden Pygmäen an bis zu den Feudalherrschaften
von Negerfürsten, die über seßhaft gewordene Ackerbaustämme regieren,
und bis zur Herausbildung einer Marktorganisation und des Tausch-
verkehrs, als dessen Träger vorzugsweise in weiterer Arbeitsteilung von
reinen Fischerstämmen sich ablösende Händlergruppen erscheinen.
Wie diese Schilderungen eine Fülle von Analogien mit bekannten
historischen Entwickelungsprozessen darbieten, so auch berühren sie sich
auf das engste mit dem Ritter-Peschel’schen Grundgedanken, nach
welchem die geographische Beschaffenheit der Umgebung von mab-
gebendem Einfluß auf den Kulturzustand ihrer Bewohner ist.
G. K. Anton.
Contzen, L. (Gymnasialdirektor), Goa im Wandel der Jahrhunderte. Beiträge
zur portugiesischen Kolonialgeschichte. Berlin, C. A. Schwetschke & Sohn, 1902. gr. 8.
89 SS. M. 3.—.
Decken, R., Die Aussichten der Kakaokultur auf Somoa. Vortrag gehalten in
den Abteilungen der deutschen Kolonialgesellschaft. Oldenburg, G. Stalling, o. J. (1902).
gr. 8. 16 SS. M. 0,80.
v. Erlanger, €. (Frh.), Meine Reise durch Süd-Schoa, Galla und die Somal-
länder. Vortrag. Berlin, D. Reimer, 1902. gr. 8. Mit 1 Karte. M. 1.—. (Abteilung
SE der deutschen Kolonialgesellschaft. Verhandlungen 1901/02. Bd. VI
Hett 3,
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. (687
Funke, A., Deutsche Siedlung über See. Ein Abriß ihrer Geschichte und ihr
Gedeihen in Rio Grande do Sul. Halle a/S., Gebauer-Schwetschke, 1902. gr. 8. 80 SS.
mit einer Karte der Siedlungen. M. 1,25.
Martin, Friedl (k. bayer. wirkl. Rat, ehemals kommiss. Bezirksamtmann von
Kamerun), Unsere Kolonien, deren Verwaltung und Wert. München, Aug. Schupp,
1902. gr. 8. 52 SS. M. 1.—.
Poultney Bigelow, Die Völker im kolonialen Wettstreit. Deutsche Bearbeitung
des Buches: „The children of the nations“, von (Prof.) Ph. Woker. Berlin, G. Reimer,
1902. 8. VII—431 SS. M. 5.—.
Prallet, F., La dépopulation en France. Ses remèdes, thèse. Lyon, Legendre
& Ci, 1902. 8. 88 pp. avec graph.
%. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Kaerger, Karl, Professor Dr, Landwirtschaftlicher Sachver-
ständiger bei der kaiserl. Gesandtschaft in Buenos Aires, „Landwirtschaft
und Kolonisation im Spanischen Amerika.“ Bd. I. Die La Plata-
Staaten, IX und 939 SS.; Bd. II. Die südamerikanischen Weststaaten
und Mexiko, VII und 743 SS. 89. Leipzig (Duncker & Hum-
blot) 1901. :
Seit dem Jahre 1895 hat man von seiten des Auswärtigen Amtes
des Deutschen Reiches den kaiserlichen Gesandtschaften, bezw. Bot-
schaften, Konsulaten, in London, St. Petersburg, Wien, New York,
Buenos Aires und Sidney sog. landwirtschaftliche Sachverständige
attachiert und dieselben mit der Aufgabe betraut, in den ihnen über-
wiesenen Gebieten die landwirtschaftlichen Verhältnisse zu studieren und
über alles in landwirtschaftlicher Hinsicht Interessierende nach der Heimat,
und zwar direkt an das Auswärtige Amt möglichst ausführlich zu berichten.
Dieses Material soll dann in erster Linie innerhalb der Reichsregierung
selbst Verwendung finden, zugleich aber auch in einer vom Auswärtigen
Amte getroffenen Auswahl veröffentlicht werden. Diese Publikation
geschah in der Form von besonderen Beilagen zu der Zeitschrift, den
sog. „Mitteilungen“, der Deutschen Landwirtschaft-Gesellschaft.
Da diese Stellung eines landwirtschaftlichen Attachees für Deutsch-
land etwas vollständig neu Geschaffenes war, und die Instruktionen für die
damit Betrauten naturgemäß nur sehr allgemein seien und nicht auf Erfah-
rungen beruhen konnten, so mußte jedem die Gestaltung seiner Aufgabe
und Stellung mehr oder weniger überlassen werden und es war der indivi-
duellen Auffassung ein relativ weiter Spielraum gegeben. Einer der
regsten und fruchtbarsten dieser landwirtschaftlich sachverständigen
Berichterstatter ist der Verfasser des oben genannten umfangreichen
Werkes, Karl Kaerger, der schon vor der Uebernahme seines heutigen
Amtes durch zahlreiche Schriften auf sozialem und kolonial-politischem
Gebiete bekannt geworden war. Er hat wie kaum ein anderer das
große ihm zugewiesene Gebiet, besonders das spanische Amerika, durch-
wandert und durchforscht. Seine Berichte haben daher zu einem sehr
großen Teile den wertvollen Vorzug der eigenen Anschauung an Ort
und Stelle, indem er sich in sehr vielen Fragen durch eigene Beob-
achtung sachlich orientieren konnte und indem es ihm fast überall
gelang, Beziehungen zu maßgebenden Persönlichkeiten und auch zu
sonst in Betracht kommenden Einwohnern der verschiedenen Länder
anzuknüpfen. Nachdem ein großer Teil seiner Berichte schon von
688 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
1895 bis 1900 in den erwähnten „Mitteilungen der Deutschen Land-
wirtschafts-Gesellschaft“ abgedruckt war“, hat er nun alle die von ihm
verfaßten Berichte in dem in der Ueberschrift genannten Werke ver-
einigt und der Oeffentlichkeit übergeben.
Karl Kaerger hat nun seine Aufgabe in der Art aufgefaßt, daß er
sich selbst einzelne Themata stellte, welche er, zum Teil in Gestalt von
größeren Monographien, mit außerordentlicher Gründlichkeit und unter
Heranziehung von allem nur irgend erreichbaren Material bearbeitete.
Dadurch besteht die Frucht seiner Thätigkeit nicht aus einer nur lose
zusammenhängenden Reihe von Berichten über Beobachtetes, sondern
er hat diese im Verein mit umfangreichem statistischen Material unter
bestimmten Gesichtspunkten verarbeitet, meist zur Lösung einer be-
stimmten Frage.
Die erste derartige Arbeit hat als Thema den „Ackerbau in den
argentinischen Provinzen Santa F& und Cordoba“, und behandelt zunächst
die natürlichen Bedingungen des Ackerbaues in diesen beiden Provinzen,
welche für den Weizenbau Argentiniens hauptsächlich in Frage kommen.
Ihre Bedeutung in dieser Hinsicht geht aus folgender Uebersicht hervor:
Im Jahre 1895 wurden mit Weizen bebaut
in Argentinien 2049683 ha, davon
„ Santa Fe (Provinz) 1030898 „ und
„ Cördoba i 293700 „ also
„ beiden F rn 1324 598 „ außerdem
„ Buenos Aires = 307 446 „ und
„ Entre Rios = 292 108 „
„ den 4 Provinzen zusammen 1984152 „
Als natürliche Bedingungen des Ackerbaues in den beiden
Provinzen wird eingehend behandelt das Klima, der Boden, die Vege-
tation und die Lage zum Weltmarkte. Im Anschluß daran stellt
Kaerger auf Grund eigener Untersuchungen und amtlicher statistischer
Angaben die bisherigen Erfahrungen mit den verschiedenen in Argen-
tinien versuchten Methoden der Kolonisation zusammen, worauf dann
eine längere Untersuchung folgt über den Einfluß der Valutaschwan-
kungen auf die Löhne und Preise. In dieser wichtigen Frage kommt
er zu folgenden Schlußfolgerungen (Bd. I, S. 105): „Für den rein
einheimischen Verkehr hat der Papierpeso grundsätzlich seine volle
Kaufkraft behalten. Daher haben Güter, die mit dem Weltmarkt nicht
in Berührung kommen, durch die Valutaentwertung in ihrem Preise
nicht die geringste Aenderung erlitten. — Das Steigen der Fleischpreise
ist ausschließlich auf die Verhältnisse des Landes selbst zurückzuführen
und von dem Schwanken des Goldkurses völlig unabhängig. — Aehn-
lich verhält es sich mit dem Grund und Boden. Der Umstand aber,
daß ausländische Kolonisationsgesellschaften, deren Aktionäre die
Gewinne in Gold ausgezahlt haben wollen, sich stellenweise des Grund-
verkehrs bemächtigt haben, hat die Wirkung gehabt, daß gewisser-
maßen zwei Preisreihen nebeneinander hergehen, die sich zwar gegen-
seitig beeinflussen, sich aber bis jetzt nicht völlig ausgeglichen haben.
— Die Löhne sind seit der Zeit des Paristandes sehr gestiegen, die
Erntelöhne ungefähr auf das Dreifache, die Löhne für andere Arbeiten
ungefähr auf das Doppelte. Es ist dies eine Folge der starken Aus-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. (689
dehnung des Ackerbaues und der durch Geldüberfluß und Gründungs-
taumel entstandenen Teuerungstendenz. — Eine Ursache liegt auch in
dem Umstand, daß die von den italienischen Wanderarbeitern gemachten
Ersparnisse in der Heimat nicht mehr die gleiche Kaufkraft hatten
wie früher, was eine Verminderung der Einwanderung und damit eine
Erhöhung der Erntelöhne zur Folge hatte.
Thatsächlich verkaufen alle Arten von Zwischenhändlern ihre
Waren mit geringerem Verdienste bei niedrigem Kurstande des ein-
heimischen Papiergeldes als bei hohem, so daß also die Differenz nicht
vom Konsumenten allein getragen wird. — Die ins Ausland verkauften
Landesprodukte werden mit Gold bezahlt, für welches der Weizen-
bauer bei hohem Goldpreis eine größere Menge Papierpesos erhält als
bei niedrigem, so daß sich bei hohem Goldpreis seine Einnahmen that-
sächlich vermehren, ohne daß sich seine Ausgaben auch nur in
annähernd gleichem Grade erhöhten.“ — „Thatsächlich sind es nur drei
Klassen, die unter der Valutaentwertung zu leiden haben. Einmal die
Arbeiter, und zwar vor allem die, die ihre Ersparnisse an die zu Hause
gebliebenen Familien schicken oder die nur vorübergehend im Lande
sich aufhalten; zweitens die ausländischen Kapitalisten, welche die
Zinsen und Dividenden aus den in Argentinien angelegten Kapitalien
in der Heimat verzehren, und drittens der Handel, besonders der
Importhandel, nicht nur wegen der Unsicherheit aller Geschäftskalkula-
tionen, sondern auch, weil er thatsächlich einen Teil der Differenz
zwischen Goldwert und Papierwert auf sich nehmen muß. Da aber
auch diese Importeure fast ausschließlich anderen Nationalitäten ange-
hören, so sind es in der That fast nur die Fremden, denen die Ent-
wertung des Geldes Nachteil bringt. Für deren Interessen sich zu
erwärmen, fällt dem argentinischen Politiker aber natürlich nicht ein,
und es ist höchstens die Abnahme der Einwanderung, die ihm einige,
aber doch nicht so starke Bedenken erregt, daß er deswegen einen
Paristand der Landeswährung herbeiwünschte“. — Dies eine charak-
teristische Probe für die Art der Behandlung, die Kaerger seinem
Materiale angedeihen läßt. Daran schließt sich ein Kapitel über Technik
und Kosten bei dem Ackerbau der beiden Provinzen Santa Fé und
Cördoba, und ebenso ein solches über den Getreidehandel und die
Rentabilität des Getreidebaues.
In ähnlicher Weise bringt Kaerger als einzelne Kapitel des vor-
liegenden Werkes größere auf eigenen Untersuchungen beruhende
Arbeiten über „Die Landwirtschaft der Republik Uruguay“, über
„Landwirtschaft und Kolonisation in Paraguay“, über „Die argentinische
Zuckerproduktion“, über „den vermutlichen Umfang der argentinischen
Weizenzone“, über „den Ackerbau in der Provinz Entre Rios“, über
„den Ackerbau in der Provinz Buenos Aires“, über „Die argentinische
Viehzucht“, über „Die Viehzucht des Territoriums Pampa Central“,
über „Die Viehzucht des südlichsten Patagoniens und des nördlichen
Feuerlands“, über „Die Weinkultur in Argentinien“, über „Die Ver-
wertung des Quebrachoholzes“, über „Die Einführung des Maté nach
Deutschland“ und über „Die Ergebnisse des Census“. Man lernt in
Dritte Folge Bd. XXIII (LXXVIII). 44
690 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
diesen Einzelarbeiten Argentinien in jeder nur einigermaßen landwirt-
schaftlich und auch allgemein interessierenden Beziehung kennen.
Im zweiten Bande sind nun in derselben gründlichen und zum
größten Teil auf eigener Anschauung fußenden Weise die südameri-
kanischen Weststaaten und Mexiko behandelt. Von besonderem
Interesse für uns ist dabei die Abhandlung über die chilenische
Salpeterindustrie, indem darin verschiedene Punkte, wie „Die Perchlorat-
frage“ und „Die Lage der Salpeterindustrie“, zur Klarheit gebracht
werden, über die nur selten objektive, an Ort und Stelle ausgeführte
Beobachtungen zu uns gelangen. Dann behandeln verschiedene Kapitel
die Landwirtschaft in Chile; dann von Bolivien die natürlichen Ver-
hältnisse, Verkehr und Handel, die Indianer und die Landwirtschaft.
Weiter folgen einige Untersuchungen über die Landwirtschaft in Peru,
über den Plantagenbau in Ecuador und über Mexiko. In dem letzteren
ist die große Zahl von verschiedenen Kulturen von Interesse, die alle
nebeneinander eine nicht geringe Bedeutung haben. Es sind aus der
großen Zahl besonders folgende anzuführen: die Kultur der Sisalagave,
die auch für Deutsch-Ostafrika eine größere Bedeutung hat; dann die
Kakaokultur, der Tabakbau, die Kaffeekultur, die Kultur von Vanille,
Kautschuk, Cochenille und Indigo, die Zuckererzeugung, der Getreide-
bau, der Baumwollenbau und endlich die Viehzucht.
Die ihm gestellte Aufgabe hat Kaerger mit einer außerordentlichen
Gründlichkeit erfaßt, so daß seine Berichte eine sehr wertvolle Bereiche-
rung der geographischen, nationalökonomischen und landwirtschaft-
lichen Litteratur darstellen, und wenn auch die übrigen von Deutsch-
land ausgesandten landwirtschaftlichen Sachverständigen ihre Aufgabe
ebenso gründlich auffassen, so wird Deutschland wie kaum ein anderes
Land über die wichtigsten Teile der Erdoberfläche unterrichtet sein.
Halle. Paul Holdefleiß.
Bauer, der deutsche, und die Getreidezülle. Jena, G. Fischer, 1902. gr. 8.
205 SS. M. 3.—.
Beschreibung des Bergreviers Düren. Herausgeg. mit Genehmigung der Herm
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E. Weber, 1902. gr. 8. 250 SS. mit einer geologischen Karte, einer Flötzkarte des
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Kloepfer (Direktor der landwirtsch. Lehranstalt Hagen) und C. Pflaumer (k. bayer.
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Schweizerbart, 1902, gr. 8. 56 pp. M. 1,20,
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verkaufsgenossenschaften, ihr Nutzen, ihre Gründung und ihre Einrichtungen, nebst
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. (591
Beschreibungen über den Betrieb und die geschäftlichen Resultate einzelner bestehender
Getreideabsatz- und Kornhausgenossenschaften in Deutschland. Ein Ratgeber bei der
Errichtung von Lagerhäusern und Kornhausgenossenschaften. Stuttgart, E. Ulmer, 1902.
gr. 8. XII—352 SS. mit XXVII SS. Anlagen nebst 29 Abbildgn. M. 6,80.
Meeresuntersuchungen, wissenschaftliche, herausgeg. von der Kommission
zur wissenschaftlichen Untersuchung der deutschen Meere in Kiel und der biologischen
Anstalt auf Helgoland. Neue Folge V. Bd.: Abteilung Helgoland. Heft 1. Kiel, Lip-
sius A Tischer, 1902. Größt. Imper.-Folio. 56 SS., mit 3 Taf. (Inhalt: Beiträge zur
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gebnisse einer Untersuchungsfahrt des deutschen Scefischereivereins nach der Bäreninsel
und Westspitzbergen.)
Weiss, Paul (ingénieur au corps des mines), L’exploitation des mines par VEtat.
Mines fiscales de la Prusse et régime minier français. Paris, A. Rousseau, 1901.
gr. in-8. 118 pag. fr. 3.—. (Darin die Kapitel: L'industrie des mines: Les mines en
France. Projets de réforme de la loi des mines. L'intervention économique de l'Etat.
— Régime des mines en Allemagne. Origine et importance du domaine minier de
PEtat prussien. — Les mines de la Sarre avant le XIX* siècle. Les mines sous la
domination française. Cession des mines à PEtat prussien. — La situation minière en
France: Consommation et production. Rôle économique de PEtat en matière d’exploi-
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Annual report, XXI", of the United States geological survey to the Secretary of
the Interior 1899—1900. Ch. D. Walcott, Director. Part VI (in 2 vols.) Washington,
Government Printing Office, 1901. Lex.-8. VIII— 656 & VIII—634; XI pp. (Contents:
Mineral resources of the United States, 1899: Metallic products, coal and coke. —
Nonmetallie products, except coal and coke, by Dav. T. Day (Chief of devision.)
Denny, G. A. (member of the South African Association of Engineers, ete.), The
Deep Level mines of the Rand and their future development considered from the com-
mereial point of view. London, Crosby Lockwood & Son, 1902. 4. 182 pp. with illustr.
25/.—.
i Grimble, A., Shooting and salmon fishing and highland sports. Illustrated by
A. Thornburn. London, Paul, Trübner & C°, 1902. 4. 288 pp. 21/.—.
Mines and quarries. General report and statistics for 1900. Part 4: Colonial and
foreign statisties. London, Parl. pap., issued in March 1902. Folio. 1/.6. (Contents:
Statistics relating to persons employed, output and accidents at mines and quarries in
British colonies and foreign countries.)
van Cappelle, H., Bijdrage tot de kennis der cultures in Suriname. Amster-
dam, J. H. de Bussy, 1902. gr. 4. 67 blz. fl. 1,75.
van Heutsz, P. J. F., Inlandsch landbouw-crediet op Java, 1900—1901. Batavia,
H. M. van Dorp & C°, 1902. gr. 8. 10 en 251 blz. fl. 4.—.
5. Gewerbe und Industrie.
Fürth, H., Die Fabrikarbeit verheirateter Frauen. Frankfurt a/M., Ed. Schnapper,
1902. gr. 8. 66 SS. M. 1.—.
Geschäftsthätigkeit, die, des kaiserl. Patentamts und die Beziehungen des
Patentschutzes zu der Entwickelung der einzelnen Industriezweige Deutschlands in den
Jahren 1891 bis 1900. Bericht an den Staatssekretär des Innern, Staatsminister Grafen
v. Posadowsky-Wehner erstattet von dem Präsidenten des kaiserl. Patentamts. Berlin,
C. Heymanns Verlag, 1902. gr. 8. VII—387 SS. M. 5.—.
Handel und Wandel. Jahresberichte über den Wirtschafts- und Arbeitsmarkt.
Für Volkswirte und Geschäftsmänner, Arbeitgeber und Arbeiterorganisationen. Jahr-
gang 1901, Herausgeg. von Rich. Calwer. Berlin, J. Edelheim, 1902. gr. 8. 350 SS.,
geb. M. 10.—.
Jahrbuch des Vereins für Spiritusfabrikanten in Deutschland, des Vereins der
Stärkeinteressenten in Deutschland und der Brennereiberufsgenossenschaft. Jahrg. II.
Für die Schriftleitung verantwortlich G. Heinzelmann. Berlin, P. Parey, 1902. gr. 8.
XVI—494 SS. (Ergänzungsband zur Zeitschrift für Spiritusindustrie.)
Lenschau, Th., Die amerikanische Gefahr. Berlin, F. Siemenroth, 1902. gr. 8.
58 SS. M. 1,20.
Licbich (Const. Verfasser von „Obtlachlos.“), Das Arbeitsheer, Ein Zukunftsbild
44*
692 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
der staatlichen Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Berlin, Wiegandt & Grieben, 1902. 8.
IV—80 SS. M. 1.—.
Matschoss, C. (Ingenieur), Geschichte der Dampfmaschine. Ihre kulturelle Be-
deutung, technische Entwickelung und ihre großen Männer. Berlin, Jul. Springer, 1901.
gr. 8. XII—451 SS. mit 188 Abbildgn. im Text, 5 Bildnissen u. 2 Taf. in quer-Fol.,
eb. M. 10.—.
e Meyer, C. (Direktor der Zuckerraffinerie Danzig in Neufahrwasser), Ueber die
Lage der Zuckerindustrie zur Zeit des Abschlusses der Brüsseler Konvention im Fe-
bruar/März 1902. Berlin, H. Walther, 1902. 8. 35 SS.
Moritz, E., Eisenindustrie, Zolltarif und Außenhandel. Ein praktischer Beitrag
zur Wirtschaftspolitik und Informationen aus Industrie- und Exportkreisen. Berlin, Fz.
Siemenroth, 1902. gr. 8. 74 SS. M. 1,50.
Prager, M. (München), Die amerikanische Gefahr. Vortrag gehalten in der Münchener
Volkswirtschaftlichen Gesellschaft am 16. I. 1902. Berlin, L. Simion, 1902. gr. 8. 33 SS.
(Mitteilungen des Vereins zur Förderung der Handelsfreiheit, 1902, N" 2.)
Schanze, Osk., Beiträge zur Lehre von der Patentfähigkeit. Eine kritische
Materialiensammlung. Berlin, G. Siemens, 1902. gr. 8. III—94 SS. M. 2.—. (Erwei-
terter Sonderabdruck aus „Glaser’s Annalen für Gewerbe und Bauwesen.‘)
Schutz den Heimarbeitern! Eine Denkschrift des Verbandes der Schneider,
Schneiderinnen und verwandten Berufsgenossen an Bundesrat und Reichstag. Mit einem
Anhang: Sozialstatistik des deutschen Schneidergewerbes. Berlin, Buchhdl. Vorwärts,
1901. gr. 8. 306 SS. M. 1,50.
Seelmann, H. (Stellvertr. Magistratskommissar für die Invalidenversicherung zu
Königsberg i. Pr.), Die beschränkt Erwerbsfähigen und die Arbeitslosigkeit. Ein Beitrag
zur Lösung der Arbeitslosenfrage. Berlin, Verlag der ,,Arbeiterversorgung“, 1902. 8.
48 SS. M. 0,90. (Erweiterter Abdruck aus dem XVIII. Jahrg. der „Arbeiterversorgung.“)
Belgique. Recensement général des industries et des métiers (31 X 189%).
Volume VI— XVIII (fin). Bruxelles, P. Weissenbruch, imprim. du roi, 1901. gr. in-4.
(Publication du Ministère de l’industrie et du travail, Office du travail, section de la
statistique.)
Pelloutier, F. (secrétaire général de la fédération des bourses du travail de
France et des colonies), Histoire des bourses du travail (origine; institutions; avenir).
Ouvrage posthume. Préface par G. Sorel, notice biographique par V. Dave. Poitiers,
impr. Blais, Roy et Oe, 1902, 8. XX—236 pag.
Rapports et documents sur la réglementation du travail dans les bureaux et
magasins et dans les petites industries de l’alimentation. Paris, impr. nationale, 1901.
in-4. LXI—263 pag. (Publication du Ministère du commerce, Conseil supérieur du
travail.)
de Seilhac, Léon, Syndicats ouvriers. Fédérations. Bourses du travail. Paris,
Colin, 1902. 8. XII—341 pag. fr. 3,50. (Sommaire: I" partie. Le syndicat ouvrier. —
Lis: partie: Le syndicat ouvrier tel qu’il existe aujourd’hui. — III®** partie: Fédération
industrielle de syndicats; Les fédérations de métiers. — IN: partie. Fédération locale
de syndicats; La bourse du travail. V* partie. Unification des forces ouvrières.)
Howell, G., Labour legislation, labour movement, and labour leaders. London,
T. Fisher Unwin, 1902. 8. XXIII—499 pp. 10/.6. (Contents: State of the country. —
Population. — Food supplies. — Economic conditions. — Work, wages, hours of
labour, ete. — Enactments, special and general, adverse to labour. — Remedial legis-
lation. — Development of trade unionism. — Labour movements. — The agricultural
labourer. — The story of the Plimsoll movement. — Federation of employers. — Em-
ployers’ liability. — Conciliation and arbitration in labour disputes. — Position, pro-
spects, and aspiration of labour.)
Labour Commissioners of New South Wales. (I* annual report covering the
period ended 31" August, 1901.) Sydney, Gullick printed, 1901. Folio. 60 pp.
Handelingen van het Nationaal Congres voor zondagsrust gehouden te’s Graven-
bage, 19 en 20 September 1901. Groningen, J. B. Wolters, 1902. 204 blz. fl. ia
6. Handel und Verkehr.
Anton, G. K. (Prof., Univ. Jena), Ein Zollbündnis mit den Niederlanden. Vor-
trag, geh. in der Gehe-Stiftung in Dresden am 25. I. 1902. Dresden, v. Zahn & Jaensch,
1902, gr. 8. 35 SS. M. 1.—.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. (693
Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für das Jahr 1901. Teil II. Bielefeld,
Druck von F. Eilers, 1902. 8. 205 SS. Der Bericht erscheint in 3 Teilen.)
Dietzel, H. (Prof, Univ. Bonn), Sozialpolitik und Handelspolitik. Berlin,
L. Simion, 1902. 8. 96 SS. M. 2.—.
Export-Compass 1902 nebst „Adreßbuch der Spediteure“‘. Kommerzielles Jahr-
buch für die Interessenten des österreichisch-ungarischen Ausfuhrhandels. XIV. Jahrg.
Wien, Alex. Dorn, 1902. gr. 8. XVI—218; 286 u. 147 SS. geb. M. 13,50.
Hamburgs Handel im Jahre 1901. Sachverständigenberichte herausgeg. auf Ver-
anlassung der Handelskammer. Hamburg, Ackermann & Wulff Nachf., o. O. (1902).
kl. 4. 131 SS.
Jahrbuch des Handelsvertragsvereins für das Jahr 1901. Im Auftrag des Han-
~- delsvertragsvereins herausgeg. von dessen Geschäftsführer W. Borgius. Berlin, Liebheit
& Thiesen, 1902. gr. 8. 350 SS. M. 4.—.
Jahresbericht, XXX., über die Verwaltung der Breslau-Warschauer Eisenbahn
(preußische Abteilung) für das Jahr 1901. Breslau, Druck von R. Nischkowsky, 1902.
gr. 4. 9 SS. u. IX Anlagen.
Jahresbericht der Handelskammer für Barmen pro 1901. Barmen, Druck von
Söhn & Ackermann, 1902. Folio. 70 SS.
Jahresbericht der Handels- und Gewerbekammer zu Chemnitz, 1901. I. Teil.
Chemnitz, Ed. Focke, 1902. gr. 8. XV—190 SS. (Inhalt: Einrichtungen für Handel
und Industrie (mit Ausnahme der Verkehrsanstalten). — Verkehrseinrichtungen. —
Oeffentliche Lasten und Abgaben.)
Jahresbericht der Handelskammer für das Lennegebiet des Kreises Altena und
für den Kreis Olpe für das Jahr 1901/1902. Altena, Druck der Lenne-Zeitung, 1902.
gr. 8. 68 u. 32 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Nordhausen für das Jahr 1901. Nord-
hausen, Druck von C. Kirchner, 1902. gr. 8. 103 SS.
Jahresbericht der Handelskammer für den Kreis Solingen für das Jahr 1901.
Solingen, Druck von B. Boll, 1902. gr. 8. XV—121 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Wiesbaden für 1901. Wiesbaden, Druck
von C. Schnegelberger & C'", 1902. 8. 163 SS. mit 3 statistischen Tabellen in Imp.
obl. Folio.
Jahresbericht des Vorsteheramtes der Korporation der Kaufmannschaft zu Tilsit,
1901. Tilsit, gedruckt bei Edw. Pawlowski, 1902. 8. 100 SS.
Notizen über die Zuckergesetzgebung (Eingangsabgaben) in verschiedenen
fremden Ländern (in Europa und Außereuropa). o. O. u. J. (Berlin 1902). gr.-Folio.
25 SS. (Amtliche Veröffentlichung. Nicht im Handel.)
Potthoff, H. (Leutn. d. Reserve im k. b. 1. Trainbat.), Handelspolitik und Wehr-
kraft. Berlin, Fz. Siemenroth, 1902. gr. 8. 49 SS. M. 1,20.
Roloff, Max, Elektrische Fernschnellbahnen. Eine kritische Skizze. Halle a/S.,
Gebauer-Schwetschke, 1902. gr. 8. 67 SS. mit 16 Abbildgn. M. 1,35.
Schäffle, A. (k. k. Minister a. D.), Die Gefahren des Agrarismus für Deutsch-
land. Herausgeg. vom Handelsvertragsverein. Greifswald, Druck von F. W. Kunike,
1902. gr. 8. 32 SS.
Stresemann, G., Die Entwickelung des Berliner Flaschenbiergeschäfts. Eine
wirtschaftliche Studie. Berlin, R. F. Funcke, 1902. gr. 8. VII—93 SS. M. 2.—.
Vosberg-Rekow, Der Schutz des industriellen und geistigen Eigentums in den
Handelsverträgen. Berlin, J. Guttentag, 1902. gr. 8. 50 SS. (Schriften der Central-
stelle für Vorbereitung von Handelsverträgen. Heft 20.)
Commerce extérieur de l’Egypte pendant l’année 1901. Alexandrie, imprim.
générale, A. Mourès & Ci°, 1902. Roy. in-8. LI—151 pag. (Publication de la Direction
générale des douanes Egyptiennes.)
Compte rendu des travaux de la chambre de commerce de Saint-Brieuc pendant
l’année 1901. Saint-Brieuc, Guyon, 1901. 8. 284 pag.
Congrès international du commerce et de l'industrie tenu A Paris du 23 au
29 juillet 1900 sous la présidence de M. Moisant (président de la chambre de commerce
de Paris. Discussions, travaux et résolutions du congrès. Publiés sous la direction de
M. Jul. Hayem et de M. Maur. Schloss (secrétaire général adjoint.). Paris, impr. poly-
glotte Hugonis, 1901. gr. in-8. 623 pag. fr. 12.—.
Herod Jos. Rogers, Favored nation treatment: an analysis of the most favored
694 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
nation clause; with commentaries on its uses in treaties of commerce and navigation.
New York, Banks Law publ. C°, 1901. 8. 139 pp. $ 3,50.
Tables relating to the trade of British India with British possessions and foreign
countries, 1896—97 tu 1900—01. London, printed by Wyman & Sons, 1902. gr. Folio.
117 pp. 1/.3. (Blue book.)
Wheeler, W. H., The Sea coast; Destruction, littoral drift, protection, London,
Longmans, 1902. 8. With numerous illustrations. 10/.6. (Contents: The action of shore
waves. — Littoral drift. — Sea walls. — Examples of sea walls. — Groynes. — The
coast of England. — Coasts of North of France, Belgium, and Holland.)
Bernabei, Ettore, Le poste e i viaggi tra Firenze e Roma nei secoli XVII e
XVIII. Firenze, soc. tip. Fiorentina, 1902. 8. 21 pp. e 2 tav.
Molli, Giorg., Le grandi vie di comunicazione. Torino, fratelli Bocca, 1902. 8.
367 pp. 1. 4.—. (Contiene: Il relievo terrestre e l’economia dei trasporti. — Le prime
epoche storiche. — La navigazione del Mediterraneo. — Sorge Roma e cade Cartagine.
— L'epoca imperiale. — I Bizantini e le città marinare italiane. — Il periodo commer-
ciale eroico. — Il blocco continentale ed il periodo velico. — Le ferrovie. — La lotta
fra il veliero e il vapore. — La specializzazione del materiale. — I porti. — La navi-
gazione e i porti interni. — Le linee ferroviarie intercontinentali. — Gli istmi. — La
concorrenza ad oltranza. — La navigazione interna in Italia. — Colonie, emigrazione,
i nuovi mercati e linee sovvenzionate. — Il carbone. — Navigazione veliera. — Le
ricorse dell’ avvenire italiano.)
Picarelli, Luigi, Problemi postali. Fasc. 1. (La tariffa delle lettere.) Roma,
tipogr. G. Bertero, 1901. 8. 53 pp.
Calkoen, W. E., De rechtspositie van den handelsagent. Amsterdam, J. H. de
Bussy, 1902. gr. 8. 202 blz. fl. 1,90.
7. Finanzwesen.
Buchenberger, Ad. (GroBh. Bad. Finanzmin.), Finanzpolitik und Staatshaus-
halt im Großherzogtum Baden in den Jahren 1850—1900. Zugleich ein Beitrag zur
deutschen Finanzpolitik. Heidelberg, C. Winter, 1902. gr. 8 VIII—264 SS. geb.
M. 7.—.
Nitschke, Kurt, Einkommen und Vermögen in Preußen und ihre Entwicke-
lung seit Einführung der neuen Steuern mit Nutzanwendung auf die Theorie der Ein-
kommensentwickelung. Jena, G. Fischer, 1902. gr. 8. IV—122 SS. M. 2,50.
Pion, J. F. J., La ferme générale des droits et domaines du roi, depuis sa création
jusqu’à la fin de l’ancien régime. Paris, Giard & Brière, 1902. 8. 116 pag.
Régime fiscal des valeurs mobilières et l’organisation des bourses en Europe.
Vol. I. Paris, imprim. nationale, 1901. gr. in-8. X—503 pag. pro cplt. fr. 40.—.
(Vol. I et II contenant l'étude des législations fiscales; le IIL*"* vol. comporte la regle-
mentation des principales bourses européennes et les dispositions essentielles en matière
des constitutions de sociétés.) [Publication du Ministère des finances.]
Trelat, Marcel (secrétaire général du Conseil d’Etat) avec la collaboration de
MM. Corneille, Berget et Dessart, Traité de l'impôt direct. 2 vols. Paris, P. Dupont,
1902. 8. fr. 12.—.
Local Taxation. Scotland. Annual returns, 1899—1900. Edinburgh, May, 1902.
Folio. 3/.—. (Contents county couneil-, burgh-, parish and other returns.)
Tabella indicante i valori delle merci nell’ anno 1901 per le statistiche commer-
ciali. Roma, stab. tip. Calzone-Villa, 1902. gr. in-8. 72 pp. (Pubblicazione del Ministero
delle finanze, Direzione generale delle gabelle.)
Jaarboekje voor de ambtenaren der directe belastingen, invoerrechten en accijnzen
van het kadaster, den waarborg, enz. in Nederland. 70* jaarg. (1902). Goringem, J.
Noorduyn & Zoon, 1902. 8. 213, 2 en 8 blz,
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Assekuranzatlas, Graphisch-statistische Darstellung der Ent-
wickelung des Versicherungswesens aller Staaten und aller Branchen.
1855—1895. Von Emil Stefan, französischer Text von Al. Stefan.
Druck und Verlag von G. Freytag und Berndt, Wien 1901. Grob-
folio in Prachteinband 50 M.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. (695
Ein beachtenswertes statistisches Werk liegt hier vor, das auf 164
ausgezeichnet ausgeführten farbigen graphischen Tafeln eine Ver-
sicherungs- Weltstatistik bietet, die von hervorragender Bedeutung für
das Studium der Volkswirtschaft aller Kulturstaaten ist. Der 55 Seiten
zählende Text ist in deutscher und zugleich französischer Sprache ge-
geben. Mehr als 1000 Versicherungsgesellschaften von 22 Staaten sind
berücksichtigt, und deren statistisches Material ebenso übersichtlich wie
erschöpfend verwertet worden. — Innerhalb der einzelnen Länder
werden die einzelnen Branchen nach der Bewegung der Prämien-
einnahmen, der Schadenzahlungen und der versicherten Kapitalien be-
trachtet; und fast allenthalben ist eine energisch wachsende Ausbreitung
aller Versicherungsarten wahrzunehmen.
Am interessantesten dürfte die letzte Tafel sein, die eine verglei-
chende Zusammenstellung der Versicherungsbestände für die Lebens-
versicherung aller Staaten biete. Wir ersehen daraus, in wie
hohem Maße Amerika, das heißt vornehmlich die Vereinigten Staaten,
alle anderen Länder an Ausbreitung der Versicherung in jeder Weise
übertreffen. Deren Versicherungsbestand zählt (in Kronen) beinahe
24 Milliarden in 1895; dann folgt England mit etwa 121/, Milliarden;
an dritter Stelle steht Deutschland mit 6!/, Milliarden; es folgen Frank-
reich mit 31/,, Oesterreich-Ungarn mit 2!/,, die übrigen Staaten mit
weniger als 1 Milliarde Kronen an versicherten Kapitalien. Werden die
Zahlen der Lebensversicherung in Bezug gesetzt zur Bevölkerungszahl,
so tritt Deutschland in 1895 zurück an die 5. Stelle; denn es wird
dann noch übertroffen von der Schweiz und den Niederlanden. Die
Versicherungssumme beträgt pro Kopf der Bevölkerung im Jahre 1895 in
1. Amerika 382,4 Kronen 5. Deutschland 125,4 Kronen
2. England 327,6 » 6. Schweden 108,0 5
3. Schweiz 1022 7. Frankreich 85,2 e
4. Niederlande 126,0 „
1875 stand Deutschland hier an 4. Stelle, während die Niederlande erst
an 7. Stelle rangierten.
Die Versicherungssummen bei der Lebensversicherung in Bezug
gesetzt zum Flächeninhalt ergeben folgendes Bild.
Per Quadratkilometer beträgt diese Summe:
1. in England 39574 Kronen in 4. Deutschland 11493 Kronen
2. „ Niederlande 17 195 ,„, „ 5. Frankreich 6099 a
3. „ Schweiz 13 922 ,,
Amerika kommt hier erst an 9. Stelle mit 2656 Kronen.
Deutschland ist mit nicht weniger als 28 Tafeln vertreten, die das
Anwachsen der einzelnen Arten innerhalb der Personen- und Güterver-
sicherungen beleuchten. Der gesamte Lebensversicherungsbestand ist von
1714 Millionen Mark in 1875 auf 5280 Millionen Mark in 1895 an-
gewachsen, die Prämieneinnahme hierfür von 54 auf 212 Millionen,
während die Schadenzahlungen von 26 auf 92 Millionen Mark gestiegen
sind. Die Geschäftsunkosten sind von 10 auf 32 Millionen Mark empor-
gegangen.
Erwähnung mag hier noch finden, daß auch eine billigere Ausgabe
des Assekuranzatlasses erschienen ist. Alfred Manes.
696 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Assekuranzkompas. Jahrbuch für Versicherungswesen, herausgeg. von (Bank-
kontroleur) G. J. Wischnowsky. Jahrg. X. Wien, M. Perles, 1902. gr. 8 XIl-
783 SS., geb. M. 20.—.
Bericht des Verbandes der Genossenschaftskrankenkassen Wiens samt der Statistik
der Verbandskassen für das Jahr 1900. Wien, Verlag des Verbandes, 1901. gr. 8.
204 SS. M. 2,50.
Bericht des eidgenössischen Versicherungsamtes über die privaten Versicherung,
unternehmungen in der Schweiz im Jahre 1900. Bern, Schmid & Francke, 1902. gr. 4.
LII—136 SS. (Veröffentlicht auf Beschluß des schweizerischen Bundesrates vom 27, II.
1902.)
Jutzi, W. (Leiter des Handelsteils der Kölnischen Zeitung), Deutsches Geld und
deutsche Währung. Leipzig, Duncker & Humblot, 1902. gr. 8. VIII—232 ss.
M. 4,40.
Kopp, Ph. (Stadttierarzt u. Schlachthausinsp., Metz), Die Schlachtviehversicherung,
ihre Bedeutung, Organisation und Verwaltung. Metz, Selbstverlag des Verfassers, 1902.
8. 60 SS. mit 3 Tabellen in qu.-Folio. M. 2.—.
Versicherungsunternehmungen, die privaten, in den im Reichsrate ver-
tretenen Königreichen und Ländern im Jahre 1899. Wien, aus der k. k. Hof- und
Staatsdruckerei, 1902. gr. 4. 335 SS. (Veröffentlichung des k. k. Ministeriums des
Innern.)
Warschauer, Otto (Prof. der Staatswissensch. Berlin), Die Reorganisation des
Aufsichtsratswesens in Deutschland. Berlin, Freier Verlag, 1902. gr. 8. 61SS. M. 1.—.
Coffin, G. M., The ABC of banks and banking. New York, A. Nelson, 1901.
8 11; 136 pp. ill, cloth. $ 1,25.
Crochard, A. (avocat à la Cour d’appel), L’assurance obligatoire contre la maladie
et les sociétés de secours mutuels en France. Paris, V. Giard & E. Brière, 1902.
gr. in-8. 322 pag. Fr. 6.—. (Table des matières: Rôle des sociétés de secours mutuels
et de l’assurance obligatoire. — La législation des sociétés de secours mutuels. — Organi-
sation et fonctionnement des sociétés de secours mutuels. — Les recettes et les dépenses
dans les sociétés approuvées. — Organisation du service médical et du service pharma-
ceutique dans les sociétés approuvés. — Etude de trois sociétés de secours mutuels
prises comme type. — Critique générale des résultats obtenus en France par les sociétés
de secours mutuels dans l'assurance contre la maladie. — Les friendly societies anglaise.
— L'assurance obligatoire contre la maladie en Allemague. — Statistique des caisses
d’assurance allemandes contre la maladie. — Nécessité de l’assurance obligatoire contre
la maladie en France. Les sociétés de secours mutuels organes de l’assurance obligatoire.)
Hayaux du Tilly, J., Du marché financier et de sa réglementation. Paris,
Larose, 1901. 8. 171 pag. (thèse.)
Neymarck, A., Ce qu’on appelle la féodalité financière. Le classement et la
répartition des actions et obligations de chemins de fer de 1860 à 1900. Paris,
Guillaumin & Ci, 1902. gr. in-8. 28 pag.
Friendly societies. Report of Chief Registrar for 1900. Part A. London, Parl.
paper issued in March, 1902. 3/.—. (Contents: List of friendly societies, with sum-
maries of returns, valuations, ete.)
Frost, T. G., Treatise on guarantee insurance. Boston, Little, Brown EC, 1902.
8. 585 pp. $ 5-—.
Atti della cassa nazionale di assicurazione per gli infortuni degli operai sul lavoro:
verbale della seduta del 25. giugno 1901 del consiglio superiore e bilancio consuntivo
del 1900. Milano, tip. E. Reggiani, 1901. 8. 76 pp.
Gaviani, A., La cassa postale di risparmio italiana: studio comparativo colle
casse postali estere. Roma, tip. G. Bertero, 1902. 8. 72 pp. 1. 2.—.
9. Soziale Frage.
Handbuch der Frauenbewegung herausgegeben von Helene Lange und
Gertrud Bäumer. W. Moeser, Berlin, S. 1901, 4 Bd. f
Von dem oben angeführten Handbuch sind zunächst die beiden
Bände „Die Geschichte der Frauenbewegung in den Kulturländern“
und „Frauenbewegung und soziale Frauenthätigkeit in Deutschland nach
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 697
Einzelgebieten“ erschienen. Es ist ein allumfassendes Werk von hervor-
ragender Bedeutung. In dem 1. Bd. wird in erschöpfender Weise die
ganze Frauenbewegung, ihre Kämpfe und ihre Erfolge behandelt, so daß
es jedem, welcher sich für diese Fragen interessiert zur Orientierung
unentbehrlich sein wird und jedem, auch dem Kenner noch neue That-
sachen mitzuteilen hat. Wer sich für einzelne Gebiete der Frauenfür-
sorge und Liebesthätigkeit interessiert, der findet im 2. Bande die
historische Entwickelung derselben in Deutschland, ihre Bedeutung und
Ausdehnung dargestellt.
In objektiver, von großer Sachkenntnis zeugender Weise ist in dem
Handbuch das gesamte Thatsachenmaterial zusammengetragen, in so
übersichtlicher Weise gruppiert und so interessant und anmutend zur
Darstellung gebracht, daß. es wesentlich mehr ist, als ein Handbuch im
engeren Sinne des Wortes, ein trockenes Nachschlagebuch, sondern ein
Buch, das man gern hintereinander liest ohne zu ermüden.
Mit großem Geschick haben die Herausgeberinnen es verstanden
die geeigneten Persönlichkeiten zur Mitarbeit heranzuziehen. In dem
ersten Teil der Geschichte der Frauenbewegung in den Kulturländern
spricht fast stets eine Frau des betreffenden Landes zu uns, im zweiten
Teil solche, welche nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch auf
den behandelten Arbeitsgebieten thätig sind. Wir erwähnen nur Alice
Salomon, Marie Stritt, Anna Pappritz.
Ein hoher Wert des Buches scheint uns darin zu liegen, daß es
denen, welche der Frauenfrage noch fern stehen, welchen die Bedeutung
und das Wesen derselben, wie die Wichtigkeit der Frauenthätigkeit
und Arbeit noch nicht klar geworden ist hier einen Einblick gewinnen
können nicht nur in das unermüdliche Kämpfen gegen Vorurteile und
behördliche Hindernisse und was endlich dadurch erreicht wurde, son-
dern auch in die Leistungen der Frauen auf dem Gebiete der Fürsorge
für Arme und Kranke für Verwahrloste und Gefährdete, für Kinder
und Erwachsene. Das will uns vor allem das Buch zeigen, daß es sich
bei der Frauenbewegung nicht allein und vornehmlich um die Erlangung
von Rechten handelt, sondern im wesentlichen um die Uebernahme von
Pflichten, was beides selbstverständlich Hand in Hand gehen muß. Die
Frauen wollen an der Kulturentwickelung der Menschheit in jeder Be-
ziehung ihren Anteil haben, den Anteil der ihnen zukommt als Mütter,
als Gattinnen, als geborene Pflegerinnen der Kinder, der Bedürftigen, der
Schwachen. Daß dies vor allem das Ziel der ringenden Frau in der
Frauenbewegung ist, das zeigt uns der erste Band des Handbuchs. Er
beweist uns Deutschen ferner, daß wir im Gegensatz zu den meisten
Kulturländern noch recht zurückstehen, daß unsere Frauen noch für das
kämpfen, was die anderer Länder schon lange als ihr selbstverständ-
liches Besitztum ansehen und daß wir noch gegen Vorurteile arbeiten,
die in anderen Ländern längst überwunden sind.
Wie erwähnt führt uns der 2. Teil die Arbeit der Frauen auf den
verschiedensten Gebieten sozialer Hilfsthätigkeit vor Augen. Der Armen-
und Waisenpflege haben sich die Frauen seit Begründung des Christen-
tums angenommen und sich seitdem immer mit den Männern in dieses
698 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Feld geteilt. Fast noch bedeutsamer ist ihr Anteil an der Kranken-
pflege, ja seit etwa einem Jahrhundert ist dieses ihr ureigenstes, unum-
strittenes Gebiet geworden auf dem sie ungeheuer segensreich wirken. Nach
der Berufszählung von 1895 waren 75327 Frauen in Krankendienst und
Gesundheitspflege in Deutschland thätig. In der Gefangenenpflege be-
ginnen die Frauen erst Verwendung zu finden, wichtiger ist ihre Arbeit
auf dem Gebiet der Jugendfürsorge wie aller Art Wohlfahrtsbe-
strebungen. Daß die Frau besonderes Verständnis und Interesse für
die Jugendfürsorge zeigt, liegt in ihrer weiblichen Eigenart und ihrer
Initiative sind die mannigfaltigsten Einrichtungen zu verdanken.
Etwa die 2. Häfte des 2. Bandes ist anderen Frauenbestrebungen
gewidmet, dem Rechtsschutz und den Rechtskämpfen d. ji. der
Agitation gegen das Familien-, Vereins- und Versammlungsrecht im Ent-
wurf des bürgerlichen Gesetzbuches. Ferner ist ein beträchtlicher
Raum in dem Buch der Teilnahme der Frauen an der Sittlichkeits —
wie an der Antialkoholbewegung gewidmet, für welche die Frauen allmäh-
lich Verständnis gewinnen und deren tiefe, ernste Notwendigkeit sie
mehr und mehr erkennen. Endlich findet auch die Arbeiterinnenbe-
wegung die ihr gebührende Berücksichtigung und wird von kundiger
Hand in die Erörterung gezogen.
Nach allem ist das Handbuch der Frauenbewegung jederman warm
zu empfehlen. Wer der Bewegung nahe steht muß ihm das lebhafteste
Interesse entgegen bringen und wer ihr fern steht kann aus ihm er-
fahren was im Grunde das Agens derselben ist und welche Bedeutung
die Frauenbewegung für das gesamte Leben unseres Volkes hat. Das
dies einmal in so klarer und erschöpfender Weise zur Darstellung ge-
bracht ist dafür schulden wir Helene Lange und Gertrud Bäumer be-
sonderen Dank. E. C.
Cassel, Dr. G. Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag. Eine
Einführung in die theoretische Oekonomie. Göttingen 1900.
Der Zusatz, den der Verf. dem Titel seiner Schrift giebt: „Eine
Einführung in die theoretische Oekonomie“ ist durchaus berechtigt;
denn die Untersuchung, die Cassel über die Möglichkeit der Durch-
führung des Rechtes auf den vollen Arbeitsertrag anstellt, führen ihn
zu einer systematischen Prüfung der Grundsätze der Verteilung des
Nationaleinkommens und damit mitten in die Hauptprobleme der theo-
retischen Nationalökonomie hinein. Die Schrift Cassel’s ist ausgezeichnet
durch gründliche Vertiefung in den Stoff und selbständige Behandlung
der schwierigen Probleme, die der Verf. erörtert und auf welche durch
seine kritischen Bemerkungen manches neue Licht fällt.
In den Mittelpunkt seiner Untersuchungen stellt Cassel die Frage,
ob wirklich, wie Rodbertus annimmt, im sozialistischen Staate das
Recht auf den vollen Arbeitsertrag durchgeführt werden könne — Verf.
weist im einzelnen nach, wie die Durchführung dieses Postulats an der
Notwendigkeit differentieller Löhnung, wegen des Zins- und Rentenab-
zugs sowie wegen der Abzüge für öttentliche Bedürfnisse und für die
Fürsorgebedürftigen scheitern müsse. — Zwar hat Rodbertus selbst
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. (699
dort, wo er die Durchführung seines kommunistischen Staats schildert
(Kapital S. 109: Die Staatswirtschaft ohne Grund- und Kapitaleigen-
tum) die Notwendigkeit vieler derartiger Abzüge geschildert, aber
die Schwierigkeiten der Berechnung dieser Posten doch sehr unter-
schätzt und namentlich — und der Hinweis hierauf scheint mir das
Hauptverdienst der Cassel’schen Schrift — nicht den Widerspruch be-
merkt, der zwischen diesen Ausführungen und seiner Charakterisierung
der Rente und der Zinsen als einer nur auf Grund des Privateigentums
möglichen Ausbeutung besteht. — Oefters geht auch der Verfasser
über sein Ziel hinaus: so z. B. wenn er beweisen will, daß auch in-
sofern eine Schmälerung des Rechtes auf den vollen Arbeitsertrag ein-
treten müsse, als seine Durchführung ganz unmöglich wäre, ohne Fest-
setzung der Löhne nach dem Prinzip der Knappheit d. h. mit Rücksicht
einerseits auf die Bedürfnisse der Gesellschaft, andererseits auf das
Angebot von Arbeitskräften. — Dies wäre doch nur dann der Fall, wie
Verf. selbst zugiebt, wenn die Gesellschaft die freie Wahl des Be-
rufes und der Arbeitsart zuließe — thut sie dies nicht, werden die einzelnen
zu den Arbeiten kommandiert, so ist auch eine derartige Löhnung nach
dem „Knappheits“prinzip nicht nötig. Daß Rodbertus selbst aber eine
so weitgehende Freiheit, wie sie Cassel voraussetzt, gar nicht im Sinne
hat, geht aus folgender Stelle a. a. O., S. 133, hervor: „Ist in dieser
Weise das Nationalbedürfnis ermittelt, so kann die denselben ange-
messene Leitung der Nationalproduktion nicht schwer fallen. Die
Centralbehörde, die die Kenntnis der ganzen Summe der nationalen
Arbeit besitzt, und über das gesamte nationale Kapital allein zu ver-
fügen hat, hat nur nach den ermittelten Bedürfnissen die einzelnen Pro-
duktionen zu eröffnen und danach die Arbeit und das Kapital der Nation
einzuteilen und zu verteilen. Es bedarf nichts weiter, als ihrer ent-
sprechenden Verfügungen dazu“. — Es würde hier zu weit führen,
wollte ich alle die Einwendungen erwähnen, die ich gegen einzelne der
vom Verf. aufgestellten Thesen zu machen habe: nur eine allgemeine
methodologische Bemerkung gegen den Verf. will ich mir noch gestatten.
Cassel betrachtet es als seine Hauptaufgabe nachzuweisen, daß diese
Ausnahmen (d. h. die Ausnahmen, die das Recht auf den vollen Ar-
beitsertrag auch in einer sozialistischen Gesellschaft erleiden müßte)
wesentlich dieselben seien, wie bei der heutigen Gesellschaftsordnung,
daß sie keine isolierten Erscheinungen bilden, sondern als Aeußerungen
allgemeiner Prinzipien aufzufassen seien, die unabhängig von wechseln-
den Gesellschaftsformen eine wirtschaftliche Notwendigkeit
wiederspiegeln — (S. 79). Auch die rein volkswirtschaftlichen That-
sachen seien nichts anderes, „als logische Konsequenzen gewisser That-
sachen, die wir Menschen einfach als gegeben anzusehen haben, und
unter denen die der äußeren Natur immer den ersten Platz einnehmen“
(S. 8). An anderer Stelle sagt der Verf.: „Denn ich bezwecke hier in
erster Linie den Prinzipien der theoretischen Oekonomie näherzutreten,
sie befreit von zufälligen oder doch dem menschlichen Willen unter-
worfenen Elementen, zu betrachten, um so ihre Natur der Not-
wendigkeit zu erkennen“.
700 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Wie mir scheint, hat Verf. hierbei nicht genügend geschieden, was
naturnotwendig und was willkürlich ist — nur letzteres gehört in die
Volkswirtschaftslehre ; die „naturnotwendigen“ Thatsachen gehören in
die Technik. Daß der Volkswirt bei seinen Betrachtungen auf gewisse
Naturthatsachen achten mul, daß jede wie immer geartete volkswirt-
schaftliche Organisation an gewisse natürliche Hemmnisse gebunden ist,
ist zweifellos: aber erst da beginnt die sozialökonomische Untersuchung,
wo wir prüfen, auf welche Weise sich die Menschen mit diesen Natur-
thatsachen innerhalb ihres sozialen Organismus abfinden, z. B. ob die
natürliche Verschiedenheit der Bodenfruchtbarkeit einzelnen zu gute
kommt oder — wie Rodbertus verlangt — nur die Gesamtheit angehen
soll. Wenn Cassel also Prinzipien untersuchen will, die befreit sind
von menschlicher Willkür, so stellt er damit keine volkswirtschaftlichen
Grundsätze auf. Trotzdem mag es verdienstvoll sein, immer wieder
darauf hinzuweisen, daß jede menschliche Gesellschaftsordnung an ge-
wisse Naturschranken gebunden ist und an zahlreichen Hinweisen solcher
Art fehlt es in der vorliegenden Schrift nicht.
Königsberg i. Pr. Karl Diehl.
Bowley, Wages in the United Kingdom in the 19th Century.
Notes for the use of students of social and economic questions. Cam-
bridge 1900.
Bowley hat sich der dankenswerten Aufgabe unterzogen, das um-
fassende lohnstatistische Material, das in den englischen statistischen
Werken aus dem 19. Jahrhundert, wie in den zahlreichen Berichten der
parlamentarischen Körperschaften und der Arbeiterverbände und in
sonstigen offiziellen Publikationen vorliegt, zu sammeln, zu sichten und
das Wichtigste daraus in sehr übersichtlichen Tabellen und graphischen
Darstellungen zusammenzustellen.
Alle wichtigen lohnstatistischen Daten, die in Werken, wie z. B.
Porter, Progress of nations (1851), Me Culloch, Statistical
account of the British empire (1837—1854), Tooke & Newmarcl,
History of Prices — ferner in den zahlreichen Parliamentary Reports
z. B. On agricultural Distress, on Depression of trade etc., namentlich
aber auch die seit 1886 zuerst vorgenommene offizielle Statistik des
Board of Trade (Wage Census) sind verwertet.
Bei der Schwierigkeit der Feststellung von Durchschnittslöhnen für
alle Arbeiter, hat sich der Verfasser namentlich bemüht, über die Ent-
wickelung der Durchschnittslöhne einzelner wichtiger Arbeiter-
kategorien sichere Daten festzustellen: er geht namentlich ausführ-
lich auf die Lohnverhältnisse der Buchdrucker, der Seeleute, der Ar-
beiter der Textil- und der Eisenindustrie ein — doch auch das über die
Löhne der landwirtschaftlichen Arbeiter vorliegende Material ist ver-
arbeitet. Der Verfasser machte auch den Versuch, zu einer Schätzung
der Durchschnittslöhne in England überhaupt zu kommen und er giebt
eine Tabelle, welche die durchschnittlichen Arbeitslöhne in England für
die Jahre 1795, 1807, 1824, 1833, 1867 und 1897 angiebt; es liegt auf
der Hand, daß eine derartige Schätzung nur sehr roh und vag sein
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 701
kann, ebenso wie die früheren Versuche dieser Art von Colquhoun,
Baxter, Giffen und Leone Levi.
Außer dem lohnstatistischen Material bietet die Schrift auch viel
wertvolles Material zur Theorie der Lohnstatistik; die verschiedenen
Methoden werden eingehend kritisiert, die Fehlerquellen aufgewiesen,
dıe großen Schwierigkeiten aller lohnstatistischen Untersuchungen sehr
gut dargestellt.
Es wäre sehr zu wünschen, wenn die treffliche Arbeit Bowley's
auch den deutschen Studierenden zugänglich gemacht würde: sie würde
auch insofern treffliche Dienste leisten, als sie die Irrigkeit mancher
vorschneller Generalisationen über die Tendenzen der Lohnbildung auf
Grund des reichen Thatsachenmaterials schlagend nachweist.
Königsberg i. Pr. Karl Diehl.
Jäger, Eug. (Mitglied des Reichstags und der Bayerischen Kammer), Die Wohnungs-
frage. I. Bd. Berlin, Verlag der „Germania“, 1902. gr. 8. VI-352 SS. M. 5.—.
Richter, P. (Pastor, Liegnitz), Neuere Bestrebungen auf dem Gebiete der weib-
lichen Diakonie. Görlitz, R. Dülfer, 1902. gr. 8. 32 SS. M. 0,50.
Seelig, Jos., Existenzmaximum. Ein steuerpolitischer Vorschlag zur wirklichen
Lösung der sozialen Frage. Salzburg, Mayr, 1902. 8. 38 SS. M. 0,60.
Wegweiser durch die Wohlfahrtseinriehtungen der Stadt Köln für Katholiken.
Herausgeg. von der sozialen Konferenz von Geistlichen der Stadt Köln. Köln, J. P.
Bachem, 1902. 8. 32 SS. M. 0,30.
Freeman, Flora Lucy, Religious and social work amongst girls. New York,
Whittaker, 1902. 12. cloth. $ 1.—.
Social evil, the. With special reference to conditions existing in the eity of
New York. A report prepared under the direction of the Committee of fifteen. New
York, G. P. Putnam’s Sons, 1902. gr. 8. XIII—188 pp., cloth. 6/.—. (Contents:
The problem of prostitution. — Regulation, ancient, mediaeval, and modern. — Regu-
lation of prostitution in Paris. — Regulation in Berlin and in other cities of Europe.
— The sanitary aspect of modern regulation. — The moral aspect of regulation. —
— Fundamental opposition between moral and sanitary control. — Practical diffieulties
in the regulation of prostitution. — The actual effectiveness of sanitary control. —
Probable effectiveness of regulation in New York. — Moral regulation of vice. — The
Raines Law hotel and the social evil. — Recommendations of the Committee. — Present
conditions in New York.)
Walker, John (M. A.), The commonwealth as publican. An examination of the
Gothenburg system. Westminster, A. Constable & C°, 1902. 8. VI—183 pp. with
3 diagrams (Arrests for drunkenness; Consumption of spirits; Pauperism). 2/.6. (Con-
tents: Introductory. — Norway and Sweden: Historical. — Norway and Sweden: Statistics
of arrests, — The „bolag‘“ as a political force. — The profits of the „bolag“ and their
effect. — Application of the system to Bnitain-England. — The experiments in Scotland.
— The causes of non-success in Britain. — The authorities. — Conclusion: Suggested
alternative.)
Ferrari, L. P. (prof.), Il popolo: che cosa fu, che cos’è, che cosa dev’ essere:
saggio intorno alla questione sociale. Genova, Fassicomo & Scotti, 1902. 8. 487 pp.
l. 4.—.
Meynier, E., Problemi sociali contemporanei. Firenze, tip. Claudiana, 1902, 12.
177 pp. l. 1.—. (Contiene: Il socialismo e la questione sociale. — Il cristianesimo e
la questione sociale. — L’evoluzione sociale.)
Zacchetti, L., Per la questione sociale o scuola educativa e socialismo di stato.
Oneglia, tip. G. Ghilini, 1902. 8. 58 pp. l. 1.—.
10. Gesetzgebung.
Agahd, K., Kinderarbeit und Gesetz gegen die Ausnutzung kinderlicher Arbeits-
kraft in Deutschland (unter Berücksichtigung der Gesetzgebung des Auslandes und der
702 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Beschäftigung der Kinder in der Landwirtschaft). Jena, G. Fischer, 1902. gr. 8. XII-
260 SS. M. 2,40.
Codex des Civilrechts (russisches Civilgesetzbuch) aus dem Russischen übertragen
und mit Einleitung versehen von Klibanski (Rechtsanwalt in Berlin). Berlin, Fr. Gott-
heiner, 1902. gr. 8 XX—304 SS. M. 10.—.
Halstenberg, Fritz (Arbeitersekr., Düsseldorf). Katechismus der deutschen Un-
fallversicherungsgesetzgebung. Düsseldorf, Selbstverlag des Rheinisch-Westfälischen Aus-
breitungsverbandes der deutschen Gewerkvereine, 1902. 8. 46 SS. M. 0,50.
Kockerols, C. W. (Notar, Koblenz), Das rheinische Recht, seine zeitliche nnd
räumliche Begrenzung. Hannover, Helwing, 1902. 8. 72 SS. M. 2.—.
Löw, Tibor, Das ungarische Handelsgesetz. (Gesetzartikel XXXVII vom Jahr
1875.) Textausgabe in deutscher Uebersetzung mit Anmerkungen und Sachregister.
Budapest, C. Grill, 1902. gr. 8. VIII—274 SS. M. 5.—.
Maatz, R. (RegR.), Das preußische Einkommensteuergesetz. Systematisch dar-
gestellt nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts. Berlin, C. Heymann,
1902. gr. 8. VIII—184 SS. M. 3.—.
Steuer, L., Die rechtliche Natur des Theaterbillets nach gemeinem und nach dem
Rechte des bürgerlichen Gesetzbuches. Berlin, Struppe & Winckler, 1902. gr. ».
63 SS. M. 2.—.
Wilhelmi, L. Um jur., Präsident des kais. statistischen Amts), Das Handwerker-
gesetz vom 26. VII. 1897. Mit Einleitung und Bemerkungen unter besonderer Berück-
sichtigung der Ausführungsanweisungen der größeren Bundesstaaten. Berlin, J. Gutten-
tag, 1902. 8. XVI—344 SS. M. 5.—.
Grignon, P., Du dessaisissement du débiteur failli, en droit français. Caen, impr.
Valin, 1902. 8. VIII—247 pag.
d’Hooghe, A. (juge de paix du canton oust de Cambrai [Nord]), Du contrat de
louage. Bail A loyer. Commentaire par article du code civil, avec la doctrine des
différents auteurs, ete. Paris, Chevalier-Mareseq & C™, 1902. 8. 328 pag. fr. 6.—.
Loi sur la marine marchande. Votée par la Chambre des députés le 21 mars 1902.
Paris, A. Challamel, 1902. 8. fr. 1.—.
Pipia, U. (avvoe., profess.), Nozioni di diritto industriale. Milano, F. Vallardi,
1902. 8. XVI—381 pp, 1. 10.—.
Ravä, A., I diritti sulla propria persona nella scienza e nella filosofia del diritto.
Torino, fratelli Bocca, 1902. 8. 210 pp.
Snijder van Wissenkerke, F. W. J. G., De drankwet toegelicht uit hare
geschiedenis en uit de administratieve en rechterlijke beslissingen. 3° herz. en tot
November 1901 bijgewerkte druk. Gouda, G. B. van Goor Zonen, 1902. 12. 234 blz.
fl. 1,75.
11. Staats- und Verwaltungsrecht.
Arndt, Adolf, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Berlin
(O. Haering) 1901. 792 SS.
Es giebt wenig juristische Disciplinen, die über eine solche An-
zahl brauchbarer und guter Lehrbücher verfügen, wie das deutsche
Reichsstaatsrecht. Wer daher auf diesem Gebiet mit einem neuen Lehr-
buch auftritt, muß sich klar sein, daß er ein Wagnis unternimmt und
nur dann auf Billigung rechnen darf, wenn sein Werk pädagogisch und
sachlich oder zum mindesten nach einer dieser Richtungen die Wissen-
schaft fördert. Arndt war ein solches Werk nach seinen bisherigen
staatsrechtlichen Leistungen zuzutrauen. Seine eigenen Lehren und
Anschauungen werden zwar nur von einem ganz kleinen Häuflein ge-
teilt, aber niemand, der zu staatsrechtlichen Problemen Stellung nimmt,
kann sie, wie Unfertiges einfach beiseite schieben, sondern ein jeder
muß sich mit ihnen auseinandersetzen. Sie ähneln darin anderen be-
deutsamen Arbeiten von extrem subjektivistischer Art: ihr Gewinn für
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Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 703
die Wissenschaft liegt hauptsächlich in ihrer durchweg Nachdenken
und Kritik anregenden Kraft. Ebensowenig kann Arndt das praktisch-
pädagogische Geschick abgestritten werden: das lehrt in besonderem
Maße gerade seine kleine Textausgabe zur Preußischen Verfassung
(4. Aufl, 1900), so wenig auch Referent den hier vertretenen Lehren
zuzustimmen vermag.
Im Gegensatz dazu muß das vorliegende Werk Arndt’s meines
Erachtens auch bei seinen wissenschaftlichen Freunden eine schwere
Enttäuschung hervorrufen. Ich bin mir wohl der Verantwortlichkeit
für ein solches Urteil bewußt, einer Verantwortlichkeit, die um so
drückender auf mir lastet, als ich den publizistischen Qualitäten Arndt ’s
kein einziges eigenes Werk auf dem Gebiete des geltenden Staatsrechts
entgegenzustellen habe — aber ich kann und muß mein Urteil aufrecht
erhalten. Freilich eine ausführliche Aussprache mit den einzelnen
staatsrechtlichen Lehren Arndt’s ist in den „Jahrbüchern“ nicht am
Platze: sie muß den Fachorganen für Staatsrechtswissenschaft überlassen
bleiben. Wohl aber soll für den Standpunkt aller derer, die an den
Sozialwissenschaften ein theoretisches oder praktisches Interesse nehmen,
genügendes Material zur eigenen Nachprüfung meiner Behauptung ge-
boten werden.
Zunächst wird die Brauchbarkeit des Buches wesentlich beein-
trächtigt durch technische Mängel, Ganz ohne Grund und sehr
zum Schaden der Uebersichtlichkeit sind an den verschiedensten Stellen
die genauen Citate aller, die zu einer Ansicht Stellung genommen
haben, in den Text aufgenommen (z. B. S. 71, 77, 96, 285, 515). Mehr
als irgend ein anderer Staatsrechtslehrer, belastet Arndt die Darstellung
durch die ausführlichsten Reproduktionen von Reden, die Regierungs-
oder Volksvertreter gehalten haben (z. B. S. 100—107, 509—512,
676—680). Einzelne Materien vollends sind mit einer geradezu un-
verständlichen Platzvergeudung behandelt. Dahin gehört die „Ver-
sorgung der Militärpersonen“. Nicht bloß die Naturalverpflegung der
Truppen, sondern auch die Pferderationen sind aufs genaueste aus den
betreffenden Reglements abgeschrieben, ebenso die Tagegelder, Umzugs-
kosten und Wohnungsgeldzuschüsse für alle militärischen Stellungen
(S. 587). In der gleichen Weise werden die „vermögensrechtlichen
Militärlasten“ geschildert: Wir erfahren, wie oft in den militärischen
Quartieren Stroh, Bettwäsche und Handtücher zu erneuern sind (S. 610),
worin die tägliche Feldmundportion für Mannschaften und Pferde besteht
(S. 617), wie viel die Eisenbahn „pro Kopf und Kilometer“ für den
Transport von Offizieren, Mannschaften, Groß- und Kleinvieh, sowie für
die Desinfektion von Wagen berechnen darf (S. 629). Der gleichen
Kategorie gehört schließlich die Darstellung der Reichsbehörden an
(S. 687—702). Hier werden einfach Seiten und Seiten aus dem „Hand-
buch für das Deutsche Reich“ und hinsichtlich des preußischen Kriegs-
ministeriums, das Arndt für eine Reichsbehörde hält, aus dem „preußischen
Staatshandbuch“ abgeschrieben. Wie weit dies geht, dafür ein Beispiel
in der Anmerkung).
1) Bei Angabe der Personalien in den verschiedenen Departements des preußischen
704 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Welchem Zweck dient diese Ausführlichkeit? Arndt erhebt in
der Vorrede gegen seine Vorgänger auf dem Gebiete des Staatsrechts
den Vorwurf, es sei „ihnen nicht in allen Fällen gelungen, das that-
sächlich geltende Recht zur Darstellung zu bringen“ (IV). Soll die
angegebene Art der Darstellung diesem Mangel abhelfen? Ich glaube
es nicht und bin auch überzeugt, daß niemand in der geschilderten
Methode einen Gewinn für die Wissenschaft oder die Handhabung in
praxi erblicken wird. Wer sich lediglich über die einschlägigen Ge-
setzes- oder Verwaltungsvorschriften einer Materie orientieren will, wird
in den meisten Fällen in der Lage sein, diese selbst zu benutzen.
Anderenfalls empfiehlt es sich für ihn, zu den üblichen Material-
sammlungen vom Schlage des „großen“ oder „kleinen“ — Hue de
Grais und Aehnliches zu greifen. Denn — das muß leider Arndt ge-
sagt werden — diese unterrichten zuverlässiger, als sein Buch. Der
Beweis für diese Behauptung ist darin zu finden, daß Arndt mit völlig
ungleichem Maße mißt und eine Reihe wichtiger Materien nur en passant
oder überhaupt gar nicht behandelt, während er, wie wir gesehen haben,
rein technische und für die staatsrechtliche Betrachtung völlig un-
wesentliche Bestimmungen mit breiter Ausführlichkeit zur Darstellung
bringt. Einige Beispiele. Die Rechtsverhältnisse des stehenden Heeres
behandelt Arndt von S. 465—630 und zwar mit einem so unerhört
liebevollen Eingehen auf Einzelheiten, daß man bisweilen glaubt, den
„Dienstunterricht für den Infanteriegemeinen“, nicht ein Lehrbuch des
Staatsrechts zu lesen. Im Gegensatz dazu wird das doch auch nicht
ganz unwesentliche Institut der Kriegsmarine auf 3 Seiten (!) abgehandelt
(S. 630—633). Bei der Darstellung der Reichsbehörden wird uns
weder das Militärreitinstitut zu Hannover noch die Fuß- und Feld-
artillerieschule in Jüterbog erspart (S. 702): Dagegen fehlen die beiden
vom Auswärtigen Amt ressortierenden archäologischen Anstalten
in Rom und Athen (Etat für das auswärtige Amt, 1875 S. 38). Die
schwierige und für die verschiedensten Gebiete praktisch bedeutsame
Untersuchung des Verhältnisses der Einzelstaaten zum Deutschen Reiche
wird auf knapp 2 Seiten (S. 43—45) in gänzlich unzulänglicher Art
erledigt. Schließlich findet sich in dem ganzen Buch überhaupt keine
Ausführung über Gerichtswesen und Gerichtsbarkeit des Reiches!!
Eine Rechtfertigung für diese völlig willkürliche Ausscheidung giebt
Arndt nicht. Er bemerkt zwar, daß er „die zur unmittelbaren Hand-
habung durch die ordentlichen Gerichte bestimmten Gegenstände
grundsätzlich nicht in die Darstellung gezogen habe (Vorrede). Aber
Kriegsministeriums giebt das preußische Staatshandbuch für 1900 S. 129 ff. in Klammern
mit kleinem Druck einzelne Stichworte zur Abgrenzung des Ressorts der verschiedenen
Abteilungen. z. B. III. Kavallerieabteilung des allgemeinen Kriegsdepartements: „Speeielle
Dienstangelegenheiten der Kavallerie, Militärinstitut, Leibgendarmerie, Militärveterinär-
wesen, Militärroßarztschule; Militärlehrschmieden, Pferdegelder, Militärerziehungs- und
-Bildungswesen, Ergänzung der Offiziere des Friedensstandes, Ober-Militär-Examen-
kommission, Kriegsakademie.... Landesschule zu Pforta, Sprachstudienfonds für Offiziere,
Aufstellung und Verwaltung der dem Vorstehenden entsprechenden Teile der Etats-
kapitel“. Solche Aufzählungen druckt Arndt mehrere Seiten lang ohne jeden erläutern-
den Zusatz ab.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 705
eine Begründung für die Beschränkung findet sich nicht. Und zudem
kann aus ihr natürlich nicht die Berechtigung entnommen werden, die
Prinzipien der Gerichtsbarkeit selbst zugleich mit den er-
wähnten Gegenständen“ zu unterdrücken. Angesichts dieses Verhaltens
klingt es wie Ironie, wenn Arndt in der Vorrede an jener Stelle fort-
fährt, er habe Einzelheiten in verschiedener Ausführlichkeit vorgetragen,
„je nachdem sie größeres oder geringeres staatsrechtliches Interesse dar-
bieten“,
Schließlich mag die technische Unzulänglichkeit des Werkes noch
durch den Hinweis auf eine Reihe höchst unerfreulicher Flüchtigkeiten
illustriert werden, die sich durch das ganze Buch verstreut finden.
Auf S. 209, Anm. 1 wird Montesquiens Esprit des lois als — Con-
trat social, auf S. 205 der leider noch nicht erschienene 2. Band von
Binding’s Handbuch des Strafrechts citiert! S. 174 sollen die Gebiete
dargestellt werden, die der ausschließlichen Gesetzgebung des Reiches
überwiesen sind: Die Aufzählung beginnt mit einer Ziffer 1. Dann
aber fällt Arndt eine Reihe von Gedanken ein, und er vergißt darüber
völlig, der Ziffer 1 seiner Aufzählung weitere folgen zu lassen. Ein
ähnliches kurzes Gedächtnis verrät die Darstellung des Eisenbahnwesens.
Hier wird ein (übrigens gänzlich indifferenter) Passus aus einer Rede
Laskers auf 2 Seiten zweimal angeführt (S. 310 u. 311) und nicht etwa
in neuer Beleuchtung, sondern es wird einfach dasselbe wiederholt, was
vor wenigen Zeilen gesagt ist. Ich glaube, daß die angegebenen Aus-
stellungen in ihrer Gesamtheit ein gerechtes Urteil nicht bloß über die
praktische Brauchbarkeit dieses Lehrbuches, sondern auch über seinen
wissenschaftlichen Gehalt ermöglichen. Es sollen aber noch
besondere Belege nach dieser Richtung hin zur Nachprüfung vorgelegt
werden. Und zwar greife ich auch hier nur einzelne Beispiele heraus.
Arndt vertritt den Standpunkt, daß die deutschen Einzelstaaten ihre
Souveränetät auch im Deutschen Reiche behalten haben (S. 39). Die
Begründung hierfür sieht er einmal in dem Art. 78, Abs. 1 der
Reichsverfassung: „Veränderungen der Verfassung erfolgen im Wege
der Gesetzgebung. Sie gelten als abgelehnt, wenn sie im Bundes-
rate 14 Stimmen gegen sich haben.“ Da nun Preußen allein über
17 Stimmen verfügt, so kann ohne seinen Willen „kein Titelchen
von preußischen Hoheitsrechten an das Reich verloren gehen“ (S. 40).
Er behauptet aber zweitens, daß das Reich auch auf Kosten der übrigen
Einzelstaaten seine Zuständigkeit nicht erweitern könne. „Denn wenn
auch einer von ihnen allein — soweit ihm nicht Singularrechte vor-
behalten sind — die Ausdehnung der Reichszuständigkeit nicht hindern
kann, so muß doch jede Ausdehnung der Reichszuständigkeit vom
Bundesrate beschlossen und sanktioniert werden (Art. 78 Abs. 2) vom
Bundesrate, das ist von eben diesen Staaten, welche dort ihren
Willen zum Ausdruck bringen“ (S. 40) Arndt verwechselt hier
zweierlei. Wenn das Reich seine Kompetenz auf dem Gebiete der
Gesetzgebung erweitert, so geschieht dies stets auf Kosten der Einzel-
staaten, aber es liegt nur in einzelnen Fällen der Thatbestand des
Art 78 Abs. 2 vor, dann nämlich wenn durch die Erweiterung in ein
Dritte Folge Bd. XXIII (LXXVINN)- 45
706 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
dem Einzelstaat besonders vorbehaltenes Recht (in jus singulare oder
Reservatrecht) eingegriffen würde z. B. in die Sonderrechte Bayerns auf
dem Gebiet des Post- und Telegraphenwesens. Unter dieser Voraus-
setzung muß allerdings die Zustimmung des beteiligten Einzelstaates
eingeholt werden. Da aber sonst bei einem verfassungsändernden Bundes-
ratsbeschluß jeder Einzelstaat, mit Ausnahme von Preußen, überstimnt
werden kann, wie der Abs. 1 des Art. 78 lehrt, so ist die Behauptung
unzulässig, daß auch der Wille desjenigen Staates, dessen Meinung durch
Majorität des Bundesrates abgelehnt ist, in dem Willen des Reiches
zum Ausdruck komme. Die nach der Verfassung zweifellose Thatsache,
daß die Einzelstaaten auf wesentlichen Gebieten der Gesetzgebung und
Verwaltung durch Gesetzgebungsakte oder Beschlüsse des Reiches trotz
ihres Widerspruchs verpflichtet werden, widerlegt die Annahme ihrer
Souveränetät. Und von diesem Satz darf auch nicht zu Gunsten Preulens
eine Ausnahme gemacht werden. Wenn Preußen auch bei Verfassungs-
änderungen seinen Willen in entscheidender Weise geltend machen
kann (vergl. außerdem Art. 5, 35, 37), so ist das eben nur eine ver-
fassungsmäßig garantierte Ausnahme, im übrigen, d. h. also bei der
überwiegenden Anzahl der gewöhnlichen Gesetzgebungs- und Ver-
waltungsbeschlüsse des Bundesrats kann Preußen in die Lage kommen,
dem Willen der Mehrheit im Bundesrat weichen zu müssen. Wer aber
gegen seinen Willen gebunden werden kann, besitzt nicht die höchste
rechtliche Macht und ist demgemäß nicht souverän.
Freilich wird sich Arndt durch diese Deduktionen nicht getroffen
fühlen, denn nachdem er sich in der angegebenen Art gegen die An-
sicht von Laband, G. Meyer, Hänel u. a. gerichtet hat, daß die Einzel-
staaten ihre Souveränetät verloren haben (S. 39, 40), fährt er mit der
Behauptung fort, daß weder die Einzelstaaten noch das Deutsche Reich
im Sinne einer ausschließlichen und unbeschränkten Herrschaft
Souveränetät besäßen, sondern daß diese Macht teils von den Einzel-
staaten, teils von der Gesamtheit ausgeübt werde. Arndt hat die Kühn-
heit, zu diesem Satz zu bemerken: „Vielleicht meint Hänel das Gleiche‘
(S. 40 und Anm. 1). Er vergißt dabei, daß Hänel in seinen „Studien“
Bd. 1, Hirth’s Annalen 1877 und seinem „Staatsrecht“ höchst tief-
gründige und scharfsinnige Ausführungen macht, daß er seine Auffassung
aus einer, wenn auch meines Erachtens nicht haltbaren, so doch sehr
ernst zu nehmenden Theorie vom Staat und dem Begriff der Souveräne-
tät deduziert. Arndt thut nichts dergleichen, er versucht nicht einmal
eine Begriffsbestimmung der Souveränetät, sondern sagt lediglich, dab
sie nicht mit einer ausschließlichen Herrschaft zu identifizieren sei. Bei
Arndt handelt es sich also, nicht wie bei Hänel, um eine „Theorie“,
sondern um ein einfaches Spielen mit Worten.
In besonders charakteristischer Weise zeigt sich diese Scheu vor
theoretisch, wissenschaftlich exakter Deduktion bei der Lehre von den
„Reichbeamten“. „Es giebt Beamte der allerverschiedensten Art und
mit den allerverschiedensten Rechten und Pflichten, so daß es weder
möglich noch nötig ist, einen allgemein zutreffenden Begriff zu be-
stimmen“ (S. 634). Mit diesem Satz beginnen Arndts Ausführungen.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 707
Daß damit gegen das ABC wissenschaftlicher Forschung verstoßen wird,
daß die verschiedenen Gesetzesvorschriften über Beamte ebenso sinnlos
wie unbrauchbar wären, wenn sich nicht die verschiedenen Arten von
Beamten bestimmten, jedem Beamten eigentümlichen Merkmalen unter-
ordnen ließen, braucht deshalb nicht weiter begründet zu werden, weil
Arndt selbst ungeachtet jener Erklärung den Weg generalisierender
Begriffsbestimmung einschlägt. Freilich zunächst giebt er in bekannter
Ausführlichkeit einen Katalog der verschiedenen Beamtenarten bis
herunter zu den Weichenstellern, Rotten- und Vorarbeitern (S. 633—
634!) dann aber untersucht er die dem Staatsdienst überhaupt
wesentlichen Momente aus dieser Fülle herauszudefinieren. Er
hält die durch die Abhandlung von Rehm herrschend gewordene An-
sicht, daß der Staatsdienst ein staatsrechtliches Gewaltverhältnis zwischen
Staat und Beamten enthalte, für richtig, aber nicht erschüpfend. Nicht
nur dem Staat eine höhere oder eine besondere Gewalt zu geben, sind
in den letzten Jahren Tausende zu Beamten gemacht worden, sondern
umgekehrt, um die Macht des Staates diesen Personen gegenüber zu
beschränken und um dem Staate besondere Pflichten aufzuerlegen ...
Daß jemand Beamter werden soll, bedeutet nicht nur, daß er zu einer
besonderen Treue und nicht bloß zu bestimmt abgegrenzten Diensten
verpflichtet werden soll, sondern auch, daß auf ihn besondere Rück-
sicht genommen werden soll, und daß er, sobald er — was die Regel
ist — endgiltig angestellt ist, nicht mehr beliebig aus Brot und Lohn
gesetzt werden darf, sondern das Recht erhält, was Nichtbeamten fehlt,
nur auf Grund Disciplinarerkenntnisses von seiner Stelle entfernt zu
werden“ (S. 634). Da sich hier keinerlei Einschränkungen finden, so
muß die Stelle so ausgelegt werden, daß damit die für den Beamten
allgemein wesentlichen Eigenschaften angegeben werden sollen. Man
charakterisiert also hiernach einmal das besondere Gewaltverhältnis zum
Staat, andererseits das Recht der Absetzbarkeit lediglich auf Grund
eines „Disciplinarerkenntnisses“. Beide Requisite werden aber von
Arndt selbst preisgegeben. Das zuletztgenannte hinsichtlich derjenigen
Reichsbeamten, die wie der Reichskanzler, die Staatssekretäre der Reichs-
ämter u. s. w. „ohne Angabe von Gründen, nach dem alleinigen dis-
kretionären und uneingeschränkten Ermessen der Reichsregierung jeder-
zeit“ entlassen werden können (Reichsbeamtengesetz $ 25) (S. 650). Wenn
dies aber für eine große Anzahl von Beamten gilt, so darf die von
Arndt an der Rehm’schen Ansicht vorgenommene Ergänzung eben nur
als Regel, nicht als Wesensmerkmal des Beamtencharakters angesehen
werden. Das thut denn Arndt auch auf S. 640 ff, ohne zu merken,
daß er damit im Widerspruch zu den eigenen, oben angegebenen Aus-
führungen steht. Völlig wunderlich ist sodann die Art, wie er das
erste Kriterium: das Gewaltverhältnis des Staates über den Beamten
wieder fallen läßt. Er erklärt die eigene, auf S. 633 und 634 ver-
tretene, Ansicht, daß der Beamte in einem besonderen Gewaltverhältnis
zu dem Staate stehe, auf S. 635(!) für unzutreffend, Denn er könne
„jederzeit und beliebig die Anstellung aufgeben“. „Allerdings soll er
erst die ihm obgelegene(!) Arbeit vollenden; dies gilt auch für den an-
45*
708 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
gestellten Privatmann und folgt aus dem Anstellungsvertrage; erfüllt
er aber diese Pflicht nicht, so kann er dafür ebenso-
wenig bestraft werden, wie der Privatmann(!)... Esist
richtig, daß nach einzelnen Gesetzen das Disciplinar-
verfahren durch die thatsächliche Aufgabe des Amtes
nicht beendet wird; ein Reichsbeamter, der keine An-
sprüche mehr macht, braucht sich dem Disciplinar-
verfahren nicht zu stellen... Daß der Beamte regelmäßig auf
Erfüllung seiner Dienstpflicht vereidet wird, soll hauptsächlich den An-
stellenden nach Möglichkeit dagegen schützen, daß er durch Verleihung
der Beamtenqualität ganz die Gewalt aus den Händen gegeben hat. Der
nicht vereidigte Privatbeamte steht vielmehr (?) in der Gewalt des An-
stellers, da stets das Schwert der Kündigung über ihm schwebt (S. 635).
Gegenüber solchen Widersprüchen und Unklarheiten sachliche Ruhe zu
behalten, ist schwer. Jedenfalls folgt aus ihnen nicht, daß „jede Generali-
sierung auf dem Gebiete des Beamtenrechts von Uebel ist“. Das ist
eine bequeme Selbstentschädigung. Arndt’s Versuch einer Generali-
sierung auf diesem Gebiet ist allerdings „vom Uebel“ und gänzlich
mißglückt. Aber dieser Mißerfolg muß ihm selbst, nicht dem Reichs-
beamtengesetz zur Last gelegt werden. Die Fehler seiner Deduktion
liegen so auf der Hand, daß es fast trivial erscheint, sie besonders
hervorzuheben. Natürlich hat die Frage, ob der Beamte in einem Ge-
waltverhältnis zu dem Anstellenden steht, nicht das geringste damit
zu thun, wie weit eine solche Macht reicht und ob sie sich auch noch
auf die Zeit nch Beendigung des Dienstverhältnisses erstreckt. Daher
sind die nach dieser Richtung vorgebrachten Argumente in jeglicher
Hinsicht beweisunkräftig. Sie sind aber auch ganz abgesehen von der
schiefen, von Arndt übrigens selbst auf S. 641 für falsch erklärten
Analogie mit dem durch einen privatrechtlichen Vertrag ge
bundenen „Privatmann“ unrichtig. Denn der $ 72 des Reichsbeamten-
gesetzes bestimmt kategorisch: „Ein Reichsbeamter, welcher die ihm
obliegenden Pflichten ($ 10) verletzt, begeht ein Dienstvergehen und
hat die Disciplinarbestrafung verwirkt“. Und zwar können die
beiden zulässigen Arten von Disciplinarstrafen: Ordnungsstrafen
(Warnung, Verweis, Geldstrafen) und Entfernung aus dem Amt
(Strafversetzung, Dienstentlassung) prinzipiell auch nach Beendigung
des Dienstverhältnisses verhängt werden. Diese Folgerung muß ge-
zogen werden nach dem argumentum e contrario aus der Bestimmung
des § 100: „Die Einstellung des Verfahrens muß erfolgen, sobald der
Angeschuldigte seine Entlassung aus dem Reichsdienst mit Verzicht
auf Titel, Gehalt und Pensionsanspruch nachsucht, vorausgesetzt, daß
er seine amtlichen Geschäfte bereits erledigt und über eine ihm an-
vertraute Verwaltung von Reichsvermögen vollständige Rechnung ge:
legt hat. Die Verhängung einer Ordnungsstrafe ist in diesem Falle
nicht zulässig. Die Kosten des eingestellten Verfahrens ($ 124) fallen
dem Angeschuldigten zur Last.“ Hieraus ergiebt sich klar und un-
anfechtbar, daß das Disciplinarverfahren nicht bei der Aufgabe des
Amtes Hal* macht, vielmehr auch jetzt noch auf Ordnungsstrafe und
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 709
Entziehung von Titel, Gehalts- und Pensionsanspruch erkannt werden
kann. Die Ausnahme betrifft eben nur den Fall, daß jemand freiwillig
bereits die schwerste zulässige Strafe (Entlassung aus dem Reichsdienst
mit Verzicht auf Titel, Gehalt und Pensionsanspruch) auf sich ge-
nommen hat: Dann — aber auch nur dann — hat die Verhängung
einer Ordnungsstrafe, die als Maximum den Betrag des einmonatlichen
Diensteinkommens oder bei unbesoldeten Beamten 30 Thaler beträgt,
keinen Sinn mehr. Arndt’s Behauptung und seine darauf aufgebaute
Schußfolgerung wird also gerade durch das Gesetz widerlegt.
Und damit breche ich ab. Ich habe nur einige Proben gegeben,
aber ich glaube, sie genügen zur Rechtfertigung meines vorangestellten
Urteils. Der Verfasser übergiebt sein Werk „der Oeffentlichkeit mit
dem Wunsche und in der Hoffnung, daß es nicht minder als seine
früheren Arbeiten gelesen, studiert und benutzt werde, daß es auch
ferner zum Vorteile und jedenfalls nicht zur Unehre der deutschen
Wissenschaft und des deutschen Vaterlandes dienen möge“ (Vorrede S. IV).
Ob diese pathetische Hoffnung angesichts der gebotenen Leistung be-
rechtigt ist, bleibe dem denkenden Leser überlassen.
Halle a. S. M. Liepmann.
Bericht des Landesausschusses an den Kommunallandtag des Regbezirks Wies-
baden über die Ergebnisse der Bezirksverwaltung vom 1. IV. 1901 bis Anfang 1902.
o. O. u. J. (Wiesbaden 1902). kl. 4. 202 SS.
v. Brünneck, W. (Prof.), Zur Geschichte des Kirchenpatronats in Ost- und West-
preußen. Berlin, F. Vahlen, 1902. IV—46 SS. M. 1,20. (Beiträge zur Geschichte des
Kirchenrechts in den deutschen Kolonisationslanden I.)
Dienstlaufbahn der preußischen Richter und Staatsanwälte. Berlin, C. Hey-
mann, 1902. gr. 8. VIII—162 SS., kart. M. 2.—. (Bearbeitet im Bureau des Justiz-
ministeriums.)
Dresden. — Verwaltungsbericht des Rates der kgl. Haupt- und Residenzstadt Dresden
für das Jahr 1900. Dresden, v. Zahn & Jaensch, 1901. gr. 8 VIII—614 SS. mit
2 Tafeln graphischer Darstellungen in Imp.-Folio.
Gemeindeverwaltung, die, der Stadt Wien im Jahre 1899. Bericht des Bürger-
meisters Dr. Karl Lueger. Wien, W. Braumüller, 1902. gr. 8. XXIII—471 SS. mit
8 Abbildgn.
Halle a./Saale. — Haushaltspläne der Stadt Halle a./S. für das Rechnungsjahr
1902. Halle a./S., Druck von Gebauer-Schwetschke, 1902. 4. 716 SS.
Hanau. — Haushaltsplan der Stadt Hanau für das Rechnungsjahr 1902. Hanau,
Druck von G. Heydt Nachf., 1902. gr. 4. 138 SS.
Iserlohn. — Bericht über die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten der Stadt
Iserlohn für das Rechnungsjahr 1900 vom 1. IV. 1900 bis zum 31. III. 1901. Iserlohn,
Druck von C. Klingner, 1901. 4. 87 SS.
Karlsruhe. — Voranschläge für die Haupt- und Residenzstadt Karlsruhe für
das Rechnungsjahr 1902. Karlsruhe, Buchdruckerei von Malsch & Vogel, 1902. Lex.-8.
206; 46; 65 u. 35 SS.
Kassel. — Haushaltsetat für das Etatsjahr 1902. (I. IV. 1902 bis Ende III. 1903.)
Kassel, Druck von Weber & Weidemeyer, 1902. gr. 4. 214 SS.
Kiel. — Uebersicht der Einnahmen und Ausgaben der Stadthauptkasse zu Kiel
für die Zeit vom 1. IV. 1896 bis ult. März 1901. Kiel, Druck von L. Handorff, 1902.
Lex.-8. 265 SS. — Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben der Stadtgemeinde Kiel
für die Zeit vom 1. IV. 1902 bis 31. III. 1903. (Rechnungsjahr 1902.) Ebd., Druck
von Schmidt & Klaunig, 1902. gr. 8. 416 SS.
Köln. Haushaltsetat der Stadtgemeinde Köln für das Etatsjahr vom 1. IV. 1902
bis 31. III. 1803. Köln, Kölner Verlagsanst. u. Druckerei, 1902. gr. 4. 509 SS.
710 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
Königsberg i. Pr. — Stadthaushaltsetat für das Rechnungsjahr 1. IV. 1902/1903.
3 Hefte. Königsberg i. Pr. (1902). gr. 4. 139; 189; 228 u. 7 SS.
‘ Landsberg a. W. — Bericht des Magistrats zu L. a. W. über Verwaltung und Stand
der Gemeindeangelegenheiten für das Rechnungsjahr 1900. Landsberg a. W. 1901.
kl. 4. 63 SS.
München-Gladbach. — Bericht über Stand und Verwaltung der Gemeinde-
angelegenbeiten der Stadt M.-Gl. für die Zeit vom 1. IV. 1900 bis 31. II. 1901.
M.-Gladbach, Druck von A. Korten, 1902. gr. 4. 64 SS.
Schlecht, Jos., Bayerns Kirchenprovinzen. Ein Ueberblick über Geschichte und
gegenwärtigen Bestand der katholischen Kirche im Königreich Bayern. Unter Benutzung
amtlichen Materials bearbeitet. München, Allgem. Verlagsanstalt, 1902. Roy-8. VIII-
169 SS. mit 1 Karte in Buntdruck, 10 Tafelbildern, 158 Abbildgn. im Text und einem
Verzeichnis sämtlicher katholischer Pfarreien Bayerns. Eleg. kart. M. 4,50.
Thümmel, W. (ao. ö. Prof. d. Theolog., Jena), Die Versagung der kirchliche
Bestattungsfeier, ihre geschichtliche Entwickelung und gegenwärtige Bedeutung. Leipzig,
J. C. Hinrichssche Buchhdl., 1902. gr. 8. VIII—196 SS. M. 2,80.
Verhandlungen des schweizerischen Vereins für Straf- und Gefängniswesen
und der interkantonalen Vereinigung der schweizerischen Schutzaufsichtsvereine in Zürich
am 14. u. 15. X. 1901. XXII. Versammlung. 2 Hefte. Aarau, H. R. Sauerländer ¢& C°,
1902.. gr. 8. M. 3,20. (Inhalt: Heft 1. Die Referate. 155 SS.; Heft 2. Verhand-
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vom statistischen Amt. N° 10. Mannheim, Anfang Mai 1902. gr. 4. 11 SS. mit 2 Ta-
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von O. Landsberg (Direktor des statistischen Amts der Stadt Elberfeld). Elberfeld,
Druck von J. H. Born, 1902. 4. 45 SS.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 711
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von H. Silbergleit (Direktor des statistischen Amts der Stadt Magdeburg). Magdeburg,
Druck von R. Zacharias, 1902. gr. 8. 33 SS,
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und den Fürstentümern Schwarzburg-Sondershausen, Schwarzburg-Rudolstadt, Reuß
Aelterer Linie und Reuß Jüngerer Linie auf Grund der Volkszählung vom 1. XII. 1900.
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vom kgl. statistischen Bureau in Berlin. Heft 171: Die Sterblichkeit nach Todesursachen
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LXXIII—263 SS. Kr. 10.—. Oesterreichische Statistik. Bd. LIX, Heft 3: Die Ergeb-
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für das Jahr 1900/01. Ebd. 1902. XXXII—73 SS. Mit 2 Taf. graphischer Darstel-
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fante, 1902. gr. 4. XXIX—862 blz. (Uitgegeven door het Central Bureau voor de
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Danmarks Statistik. Statistisk Tabelværk. Femte Række, litra E N° 1 (5. Serie,
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712 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
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Crarucruxa kparesune Cpômie. Keura XVII. Beorpar (Belgrad) 1902. Roy in-4,
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Census Bulletins. XII* Census of the United States. Manufactures: N° 71.
Arizona, New Mexico, Indian territory, and Oklahoma; N° 73. Idaho, Nevada, and
Wyoming; N° 87. Montana, North Dakota, and South Dakota; N° 93. Rhode Island;
N° 101. Florida; N° 105. Oregon; N° 107. Colorado and Utah; N° 109. Connecticut;
N° 110. Arkansas; N° 111. New Hampshire; N° 112. Vermont; N° 114. Jowa; N° 11).
Kansas; N° 117. Alabama; N° 118. Georgia; N° 119. Mississippi; N° 120. West Vir-
ginia; N° 121. Hawaii; N° 127. Maine; N° 128. Louisiana; N° 130. North Carolina;
N° 131. Maryland; N° 132. Nebraska; N° 134. Kentucky; N° 136. California; N°137.
Minnesota; N° 140. South Carolina; N° 141. Washington; N° 142. Illinois; N° 143,
Indiana; N° 144. Virginia; N° 145. Wisconsin; N° 146. Texas; N° 147. Michigan;
N° 148. Tennessee; N° 150. United States; N° 152. Missouri; N° 154. Ohio; N° 157.
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tins beträgt durchschnittlich 11/, Bogen.)
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1900. William R. Merriam, Director. Washington, United States Census Office, 1901.
gr. in-4. CCXXI—1006 pp. with 25 maps and diagrams. (Contents: Population. Part I.
Prepared under the supervision of W. C. Hunt, Chief Statistician for population. Inder:
Population of Staates and territories. — Density of population. — Center of population
and its median point. — Population of counties. — Population of incorporated place.
— Urban population. — Rural population. — Sex. — General nativity. — Color. —
State or territory of birth. — Country of birth. — Foreign parentage. — Citizensbip
of birth, and years in the United States. — etc.)
Statistical abstract of the United States 1901. XXIV® number. Washington,
Government Printing Office, 1902. gr. 8. XV—488 pp. (Prepared by the Bureau of
Statisties, under the direction of the Secretary of the Treasury. Contents: Population.
— Finance. — Commerce. — Agricultural and other leading products. — Mining. —
Railroads and telegraphs. — Immigration. — Education. — Public lands. — Pensions. —
Postal service. — Prices. — Tonnage, etc.)
Australien (Kolonie Tasmania).
Statisties of the colony of Tasmania for the year 1900. Hobart, J. Vail printed,
1901. Imp.-Folio. VIII—431 and 28 pp. (Compiled in the Office of the Government
Statistician from official records.)
13. Verschiedenes.
Akademie, die, für Sozial- und Handelswissenschaften zu Frankfurt a/M. Jens,
G. Fischer, 1902. gr. 8. 88 SS. on
Bädertag, der 30, schlesische, und seine Verhandlungen nebst dem medizinischen,
statistischen Verwaltungs- und Witterungsberichte für die Saison 1901. Herausgeg. von
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 713
dem Vorsitzenden, k. Badekommissar P. Dengler. Reinerz, Verlag des Bädertages,
1902. gr. 8. 148 SS.
Berg, H. (Referendar), Getreidepreise und Kriminalität in Deutschland seit 1882.
Berlin, J. Guttentag, 1902. gr. 8. M. 1,50. (A. u. d. T.: Abhandlungen des krimi-
nalistischen Seminars an der Univers. Berlin, N. Folge I. Bd., 2. Heft.)
Bericht überdie vom Komitee für Krebsforschung am 15. X. 1900 erhobene Sammel-
forschung, herausgeg. von dem Vorstand (Proff.) E. v. Leyden; Kirchner; (RegR.) Wutz-
dorff; (Proff.) v. Hansemann und G. Meyer. Jena, G. Fischer, 1902. Imper.-Folio.
XVII—76 SS. mit 3 Tafeln farbiger graphischer Darstellungen, 1 Photogr. u. 1 Karte.
M. 8.—. (A. u. d. T.: I. Ergänzungsband vom Klinischen Jahrbuch.)
Drygalski (Rittmeister a. D.), Die Organisation der russischen Armee in ihrer
Eigenart und unter Vergleich mit den Streitkräften Frankreichs, Oesterreich-Ungarns,
Italiens und Deutschlands. Leipzig, Zuckschwerdt & C°, 1902. gr. 8. VIII—343 SS.
mit Karte. M. 8.—.
Friedrich U. — Politische Korrespondenz Friedrich’s des Großen. XXVII. Bd.
Berlin, Alex. Duncker, 1902. gr. 8. 608 SS. M. 15.—.
Holzamer, Wilh., Die Siegesallee. Kunstbriefe an den deutschen Michel. Leipzig,
E. Diederichs, 1902. 8. 46 SS. M. 0,60.
Jahrbuch für Astronomie und Geophysik. Enthaltend die wichtigsten Fortschritte
auf den Gebieten der Astrophysik, Meteorologie und physikalischen Erdkunde. Herausgeg.
von H. J. Klein. XII. Jahrg.: 1901. Leipzig, E. H. Meyer, 1902. gr. 8. VIII—416 SS.
mit 5 Taf. in Schwarz- und Buntdruck. M. 7.—.
Jahrbuch des Unterrichtswesens in der Schweiz 1900. Jahrg. XIV. Bearbeitet
und mit Bundesunterstützung herausgeg. von (Ur jur.) Alb. Huber (Staatsschreiber des
Kantons Zürich). Zürich, Orell Füssli, 1902. gr. 8 XII—356 SS. M. 6.—.
Jellinghaus, H., Die westfälischen Ortsnamen nach ihren Grundwörtern. 2. Aufl.
Kiel, Lipsius & Tischer, 1902. gr. 8. VIII—189 SS. M. 5.—.
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Alkoholismus, mit besonderer Rücksicht auf dessen Ergebnisse für die Schule. Wien,
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1902. gr. 8. 47 SS. M.1.—.
Paulsen, Fr., Die deutschen Universitäten und das Universitätsstudium. Berlin,
A. Asher & C°, 1902. gr. 8. VIII—575 SS. M. 6.—. (Inhalt: I. Buch. Umrisse der
geschichtlichen Entwickelung. — II. Buch. Die gegenwärtige Verfassung der Universität
und ihre Stellung im öffentlichen Leben. — III. Buch. Der Universitätslehrer und der
Universitätsunterricht. — IV. Buch. Die Studierenden und das akademische Studium,
— V. Buch. Die einzelnen Fakultäten.)
Preußens auswärtige Politik 1850 bis 1858. Unveröffentlichte Dokumente aus
dem Nachlasse des Ministerpräsidenten Otto (Frh.) v. Manteuffel. Herausgeg. von H.
v. Poschinger. II. Bd.: 1852—1854. Berlin, Mittler & Sohn, 1902. gr. 8 XIX—
591 SS. M. 12,50. (A. u. d. T.: Die orientalische Frage bis zum Beginn des Krimkrieges.)
Rohleder, Herm., Die Masturbation. Eine Monographie für Aerzte, Pädagogen
und gebildete Eltern. Mit Vorwort von (GehOSchulR., Prof.) H. Schiller (Leipzig).
2. Aufl. Berlin, H. Kornfeld, 1902. gr. 8. XXIII--336 SS. M. 6.—.
Rosenberg, E. (Olngen.), Elektrische Starkstromtechnik. Eine leichtfaßliche
Darstellung als Lehrbuch für Monteure, Techniker, ete. in der Elektrotechnik. Leipzig,
O. Leiner, 1902. gr. 8 IV—296 SS. mit 284 Abbildgn. M. 7.—.
v. Samson-Himmelstjerna, Die gelbe Gefahr als Moralproblem. Berlin,
Deutscher Kolonialverlag (G. Meinecke), 1902. gr. 8. 288 SS. M. 8.—. (Inhalt: Chine-
sische Zustände. — Chinesische Grundsätze. — Das Rassenhaßproblem.)
714 Die periodische Presse des Auslandes.
Schiemann, Th. (Prof., Univ. Berlin), Deutschland und die große Politik anno
1901. Berlin, G. Reimer, 1902. gr. 8. IV—450 SS. M. 6.—.
Suck, H., Die Hygiene der Schulbank. Berlin, Wiegandt & Grieben, 1902. gr. 3.
74 SS. M. 2.—.
Uebersicht über das Fortbildungsschulwesen und die gewerblichen Unterrichts-
anstalten der Stadt Berlin. Jahrg. XIX. Februar 1902. Berlin, Druck von Gebr. Grunert,
1902. gr. 8. VII—218 SS. mit 2 Tabellen in quer-Folio.
Was der preußische Volksschullehrer von Gemeinde, Staat und Kirche gesetzlich
fordern und beanspruchen kann. 6. Aufl. Langensalza, Greßler, 1902. 12. 322 88,
M. 1,80.
Weicker, Hans Ur med., Görbersdorf, Schl.), Beiträge zur Frage der Volks-
heilstätten. Mitteilungen aus Dr Weicker’s ‚„Krankenheim“, Heft V. u. VI. Berlin, A.
Hirschwald, 1901 u. 1902. gr. 8. 70 u. 38 SS.
v. Wiese, H., Graf von Goetzen, Schlesiens Held in der Franzosenzeit 1806—
1807. Berlin, G. S. Mittler & Sohn, 1902. gr. 8. X—286 SS., mit einem Bildnis, einer
Uebersichtskarte und einer Textskizze. M. 6.—.
Andrews, Will., Les chatiments de jadis. Histoire de la torture et des punitions
corporelles en Angleterre. Paris, Ch. Carrington, 1902. 8. 400 pag. avec 73 dessins
reproduisant les instruments de torture. fr. 20.—.
Congrès international, troisième, d'enseignement supérieur, tenu à Paris du 30 juillet
au 4 août 1900. Introduction, rapports préparatoires, communications et discussions publiés
par Franç. Picavet (secrétaire) avec préface de MM. Brouardel (président) et Larmaude
(secrétaire-général). Paris, Chevalier-Mareseq & C", 1902. gr. in-8. LI—591 pag.
fr. 12,50.
Couyba, Ch. Maur., L'art et la démocratie. Paris, E. Flammarion, 1902. 8.
fr. 3,50. (Sommaire: Les écoles ; les théâtres ; les manufactures; les musées, les monu-
ments.)
Recrutement, le, de l’armée. Recueil des lois, décrets et instructions ministé-
rielles relat. au recrutement de l’armée et aux engagements volontaires dans l’armée de
terre, la marine et l’armée coloniale. Tirage mis à jour au 15 janvier 1902. Paris,
Berger-Levrault & Ci, 1902. 8. X—284 pag. fr. 3.—.
e ki F. A., Experimental sociology: Delinquents. London, Macmillan, 1902.
8. 9/.6.
de Montmorency, J. E. G. (of St. Peters College, Cambridge), State inter-
vention in English education. A short history from the earliest times dawn to 1833.
Cambridge, at the University Press, 1902. 8. XXXII--367 pp., cloth. 6/.—.
Pascoe, Ch. Eyre, London of to-day. Handbook for the season. 1902. Coro-
nation edition. London, Simpkin, 1902. erown-8. 534 pp. 6/.—.
Report of the Commissioner of Education forthe year 1899—1900. Vol. II. Washington,
1901. gr. 8. VII; p. 1282—2648. (Contents: Sociology at the Paris Exposition of 1900.
— Report on education in Alaska. — Institutions for higher education. — Professional
schools. — Statistics of secondary schools. — Commercial and business schools. — Schools
for the defective classes. — Current topics. — etc.)
Sykes, John F. J. (Medical Officer of health, St. Pancras), Small-pox in London.
London, King & Son, December 1901. 8. 18 pp. with graphics. 1/.—.
Die periodische Presse des Auslandes.
A. Frankreich.
Bulletin de statistique et de législation comparée. XXVI" année, 1902, Mars:
A. France, colonies: Rapport au Président de la République française sur les résultats
financiers des derniers exercices. — Loi portant fixation du budget général des dépenses
et des recettes de l'exercice 1902, — Produits des contributions indirectes pendant
l’année 1901. — Les revenus de l'Etat, — Le commerce extérieur, mois de Février
Die periodische Presse des Auslandes. 715
1902. — Les recettes des théâtres et spectacles de Paris. — B. Pays étrangers: Alsace-
Lorraine: L’impöt sur les successions (suite et fin). — Angleterre: Les opérations du
Clearing house de Londres depuis 1871. — Belgique: Evaluation de la fortune mobilière.
— Espagne: Le payement en or des droits de douane sur diverses marchandises (loi du
` 22 février 1902). La loi de finances de 1902. Le commerce extérieur en 1901. —
Italie: L'administration des gabelles. Le commerce extérieur en 1901. — Russie: Le
régime d’exportation des sucres. — Suisse: Le contrôle des banques d’&mission. —
Egypte: Le commerce extérieur en 1901. — Etats-Unis: Les opérations de clearing
houses en 1900 et 1901. — etc.
Journal des Economistes. Revue mensuelle. Année 61, 1902, Mars: La pró-
duction et le commerce du travail, par G. de Molinari. — Mouvement scientifique et
industriel, par Dan. Bellet. — Travaux des chambres de commerce, par Rouxel. —-
Revue de l’Académie des sciences morales et politiques (du 1° décembre 1901 au
15 février 1902), par J. Lefort. — Les vrais motifs de l'assurance obligatoire en Al-
lemagne; par A. de Malarce. — Le pain gratuit, par Fréd. Passy. — Lettre de Po-
logne, par Ladislas Domanski. — Lettre du Mexique, par J. Ch. de Courmond. —
Société d'économie politique (réunion du 5 mars 1902): Nécrologie: Mm Clémence
Royer, MM. Bouvet et Chérot. Discussion: Les grands travaux publics peuvent-ils
conjurer ou provoquer des crises. — etc. — Comptes rendus. — Chronique.
Journal de la Société de statistique de Paris. XLIIT*"* année, 1902, n° 4, Avril:
Procès-verbal de la séance du 19 mars 1902. — Annexes aux procès-verbaux: 1* séance
du 19 mars 1902: Situation financière de la Société de statistique de Paris; 2° séance
du 19 février 1902: Réponse de M. G. Cauderlier aux observations de ses collègues,
dans la discussion de son étude: „La loi qui règle les naissances. — La statistique et
l'opinion, par A. de Foville (suite et fin). — Ce qu’on appelle la féodalité financière,
par Alfr. Neymarck (art. 1). — Chronique des transports, par Hertel. — etc.
Messager de la Révolution russe. Organe du parti socialiste révolutionnaire
Russe. Publié sous la direction de K. Tarassoff. (Paris, Société nouvelle de librairie
et d'édition, rue Cujas, 17.) N° 2, 5 mars, 1902: (un volume in 8. de 475 pag., prix
fr. 5) Table des articles: Le développement et la crise du socialisme. — La classe
ouvrière et les intellectuels. — Le mouvement socialiste en Hongrie et en Italie. —
Les événements de Finlande. — La famine et la crise industrielle en Russie. — La
déclaration de Karpovitch à ses juges. — Le rapport officiel des professeurs d’Odessa
sur les troubles universitaires. — etc.)
Moniteur, le, des Assurances. Revue mensuelle n” 400 et 401, Janvier et
Février 1902: Production des compagnies françaises d'assurances sur la vie, en 1901,
par Ed. Olivreau. — Etudes sur les accidents lu travail. Du traitement médical, par
A. Beaumont (art. 1 et suite). Assurances contre l'incendie: Les affaires d’excédents
aux Etats Unis. — De la clause à ordre dans les polices d’assurances sur la vie et
maritimes, par P. Bailly (suite). — Assurances sur la vie. Compagnies françaises et
mutuelles américaines. Prix de revient des affaires de 1895 à 1899, par Sidrac. —
La patente des agents généraux d’assurances. — L'assurance contre l'incendie en Russie.
— Projet de loi scandinave sur les assurances sur la vie. — etc.
Revue générale d'administration. XX Vi" année, 1902, Janvier et Février: Législa-
tion du travail, par Dan. Massé (suite 3 et 4). — Les asiles d’ivrognes en Angleterre,
par H. M. — L'administration des indigènes d'Algérie. — Jurisprudence. — Documents
officiels. — Chronique de l’administration française. — ete.
Revue d'économie politique. XVI* année, 1902, N° 4, Avril: David Ricardo et
la dynamique économique, par H. Denis. — Les origines du capitalisme moderne en
France, par H. Hauser (suite en fin). — Le rôle social de l’alcool, par Aug. Forel. —
Chronique législative, par E. Villes, — Revue des revues anglaises, par P. Reboud. — ete.
Revue internationale de sociologie. X° année, 1902, n° 3, Mars: La troisième
phase de la dissolution du mercantilisme: Mandeville, Law, Melon, Voltaire, Berkeley,
par Alfr. Espinas. — Questions politiques d’autrefois et d’aujourd’hui I. Le citoyen
grec et le citoyen moderne: 1. La cité; 2. Le citoyen grec; 3. La conception du Platon ;
4. Le citoyen d’après Aristote; 5. L’intelleetualisme; 6. La liberté, par G. L. Duprat
(prof. au Collège libre des sciences sociales) [pag. 181/205]. — Société de sociologie de
Paris, séance du 12 février 1902: Le facteur planétaire dans l’évolution humaine: com-
munication de Franz Schrader; diseussion par G. Tarde, L. Philippe, Ch. Limousin et
E. Delbet. — etc.
716 Die periodische Presse des Auslandes.
B. England.
Board of Trade Journal. Vol. XXXVI, N° 281—284, 17. IV. — 8. V. 1902-
Openings for Britsh trade. — Quicksilver production in various countries. — Com-
munication between India and Ceylon. — Trade and industry in Tasmania. — The '
junk shipping trade on the Upper Yangtse, — Trade of Cape colony, January and
February 1902. — British trade abroad (Buenos Ayres). — Railway projeets in British
India. — Sugar consumption in the United States. — Portland cement industry of the
United States. — Production of open-hearth steel in the United States. — Agricultural
machinery in Guatemala. — Foreign trade of the United Kingdom in April, 1902. —
British trade abroad (Stettin, Lombardy, Gijon). — Import trade of Transvaal, January
and February, 1902. — Russian trade via the European frontier in 1901. — Wool trade
of the United States. — Tariff changes and customs regulations. — Shipping and trans-
port. — Yarns and textiles. — Agriculture. — Miscellaneous. — Reports of British
Chambers of Commerce. — Statistical tables. — etc.
Economic Review published quarterly for the Oxford University branch of the
Christian Social Union. Vol. XII. N° 2, April 15, 1902: Co-operation as a factor in the
housing problem, by H. W. Wolff. — Luxury, ancient and modern, by (Miss) E. Simey.
— The small holdings of far forest, Worcestershire, (by Rev.) G. F. Eyre. — The
economic resources and prospects of the Australian commonwealth, by Percy F. Rowland.
— Agricultural co-operation in the United Kingdom, by Alb. Dulac. — The relation
of economics to ethnology, by W. Warrand Carlile. — Legislation, parliamentary in-
quiries, and official returns, by Edw. Cannan. — etc.
Westminster Review. March and April 1902: A reformed House of Commons,
by P. Barry. — With „free trade“ there must be „fair cess“, by W. Chapman Wright.
— Agrieultural distress in Russia, by David Bannerman. — Primitive chronology, by
W. F. Harvey. — The Irish language movement, by Francis A. Fahy. — Represen-
tation, federation, referendum, by Lewis Stockton. — Gladstone’s foreign policy, and
how Lord Rosebery failed to adhere to it, by M. D. O’Brien. — Chamberlain and
Rosebery, by F. A. White. — A national crisis, by H. Hodgson. — The case of
Ireland stated. — The Kings sanatoria, by J. A. Gibson. — etc.
C. Oesterreich-Ungarn.
Deutsche Worte. Monatshefte, herausgeg. von Engelbert Pernerstorfer. Jahr-
gang XXII, 1902, N° 3 u. 4, März- u. Aprilheft: Eine Arbeiterenquete in Krakau, von
Sophie Daszynska-Golinska (Krakau). — Cecil Rhodes, von Fr. Hertz (Wien). — ete.
Handelsmuseum, das. Herausgeg. vom k. k. österreichischen Handelsmuseum.
Bd. XVII, N° 11—18, 13. III.—1. V. 1902: Imperalistische Handelspolitik im britischen
Reiche, von Schilder. — Die Brüsseler Zuckerkonvention (Wortlaut der Konvention). —
Eine russische Handelskammer in Alexandrien. — Winke für den Export von Wol-
waren. — Die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften. — Paris als Exporthandels-
platz. — Der britische Handelskammerkongreß. — Unser Handel mit Singapore. (Aus
dem Bericht des k. k. Konsulats in Singapore.) — Ein Mailänder Konsortium für den
Export nach Montenegro und Albanien. — Russisch-englische Handelsbeziehungen, von
Schilder. — Die ungarische Industrie im Jahre 1901. — Frankreich und der deutsche
Zolltarifentwurf. — Connossemente und Seefrachtrecht. — Die Baumwollkultur in
Centralasien. — Die deutsche Zuckerindustrie und die Brüsseler Konvention. (Magde-
burger Korrespondenz, Mitte April 1902.) — Winke für den Export von landwirt-
schaftlichen Maschinen. — Die Eisenbahnen Deutschlands 1890—1900. — Englische
Zölle, von L. — Der Handel Maltas. (Aus dem Berichte des k. k. Konsulats in Malta
für das Jahr 1901.) — Der Kaffeemarkt. — Der Kampf um die Zollpolitik in Deutsch-
land. — Das japanische Handelsmuseum in Singapore. — etc.
Mitteilungen des k. k. Finanzministeriums. Redigiert im Präsidialbureau des
k. k. Finanzministeriums. Jahrg. VIII, 1902, Heft 1 (Wien 1902. VI—481 SS.):
Oesterreichische Banken im Jahre 1900. — Nettoertrag der direkten Steuern im Jahre
1899. — Statistik der Immobiliargebüren. — Stempel-, Tax- und Gebürengefälle. (Hierzu
1 Graphikon.) — Ergebnisse der Punzierung im Jahre 1900. — Bibliographie der
österreichischen finanzwissenschaftlichen Litteratur.
Soziale Rundschau. Herausgeg. vom k. k. arbeitsstatistischen Amte im Handels-
ministerium. Jahrg. III, 1902, Februarheft: Vorläufige Uebersicht der Veränderungen
Die periodische Presse des Auslande« 717
in den Löhnen und in der Arbeitszeit in England im Jahre 1901. — Internationale
Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz. — Konsumvereine und GroBeinkaufsver-
bände der Schweiz und anderer Länder. — Streikversicherung von Industriellen in
Oesterreich. — Soziale Versicherung: Registrierte Hilfskassen in Oesterreich im Jahre
1899 ; Soziale Versicherung in Dänemark ; Obligatorische Krankenversicherung in Luxem-
burg; Schweizer Gesetz, betr. die Kranken- und Unfallversicherung der Militärpersonen.
— Arbeitsstatistik im Deutschen Reich. — K. k. Staatsbetriebe: Das österreichische
Tabakmonopol im Jahre 1900; Salinen in Oesterreich im Jahre 1899. — Fortschritte
auf dem Gebiete der Gesundheitspflege in Mähren. — Arbeitseinstellungen und Aus-
sperrungen: Arbeitskonflikte in Oesterreich im Monat Jänner 1902; Streikbewegung im
Auslande (Belgien, Frankreich, England); Vorläufige Uebersicht der Arbeitseinstellungen
in England im Jahre 1901; Streiks in Frankreich im Jahre 1901. — Arbeitsvermitt-
lung: in Oesterreich im Januar 1902; in Steiermark ; Arbeitsvermittlung für Reservisten
in Steiermark. — Sozialpolitik : Sozialpolitisches aus dem deutschen Reichstag; Fürsorge
für die schulentlassene, gewerbliche männliche Jugend; Die neuere sozialpolitische Gesetz-
gebung Ungarns. — Soziale Hygiene. — Vereinswesen. — Die öffentliche Armenpflege
in England 1890—1900. — Ferienkolonien und Kindersanatorien in Rußland. — Ver-
schiedenes: Statistik des österreichischen Zahlenlottos; Arbeiterinnen und jugendliche
Arbeiter der Fabrikindustrie in Deutschland im Jahre 1900; Untersuchungen über die
Beziehung der Berufsthätigkeit und der Kindersterblichkeit zur Militärtauglichkeit in
Deutschland ; Verfahren bei Anträgen auf Verlängerung der Ladenschlußzeit in Deutsch-
land; Beschäftigung von Schulkindern in England. — etc.
Soziale Rundschau. Jahrg. III, 1902, Märzheft: Arbeitslohn und Arbeitszeit:
Löhne im mährischen Kohlenbergbau 1901; Ortsübliche Tagelöhne im Deutschen Reich
1902 und 1901. — Arbeiterschutz: Abeiterschutzbestimmungen im Deutschen Reiche.
— Arbeiterschutz bei öffentlichen Arbeiten in Canada. — Genossenschaftswesen: Die
Arbeiterkooperativgenossenschaften in England im Jahre 1900; Die schweizerischen
Konsumvereine als Liegenschaftsbesitzer. — Soziale Versicherung: Die österreichischen
Arbeiterunfallversicherungsanstalten im Jahre 1899; Rechnungsabschlüsse der öster-
reichischen Arbeiterunfallversicherungsanstalten für 1900; Der Provisionsfond der öster-
reichischen Postboten; Knappschaftsvereine in Preußen im Jahre 1900. — Arbeitskon-
flikte in Oesterreich im Monat Februar 1902. — Arbeitsmarkt: Ueber die Lage des
Arbeitsmarktes in der Glasindustrie von Haida-Steinschönau im II. Halbjahr 1901. —
Arbeitsvermittlung: Ergebnisse der Arbeitsvermittlung in Oesterreich im Monat Februar
1902; Städtisches deutsches Arbeitsvermittlungsamt zu Reichenberg im Jahre 1901;
Regelung der Arbeitsvermittlung im Staate Connecticut. — XI. Plenarsitzung des
ständigen Arbeitsbeirates. — Wohnungsfürsorge für Beamte und Arbeiter in den preußi-
schen Staatsbetrieben. — Sozialpolitische Positionen im österreichischen Budget für das
Jahr 1902. — Sozialstatistik: Ergebnisse der Arbeiterzählung in Sachsen in den Jahren
1883—1900; Sozialstatistisches aus dem Königreich Ungarn. Die Verhütung von Blei-
erkrankungen gewerblicher Arbeiter in Sachsen. — Die Gehe-Stiftung zu Dresden
1900/1901. — Verschiedenes: Haushaltungsrechnungen minderbemittelter Bevölkerungs-
klassen in Berlin und Halle a. S.; Studentenorganisationen in Rußland. — etc.
Statistische Monatsschrift. Herausgeg. von der k. k. statistischen Centralkom-
mission. N. Folge VII. Jahrg., 1902, N’ 1 u. 2, (Januar —Februarheft): Ernteergeb-
nisse der wichtigsten Körnerfrüchte im Jahre 1901. Nach amtlichen Quellen im k. k.
Ackerbauministerium zusammengestellt. (Mit 5 Diagrammen.) — Civilprozeß- und Exe-
kutionsverfahren 1898—1900, von Joh. Winkler. — Mitteilungen und Miszellen: Die
Sterblichkeit in den größeren Städten und Gemeinden Oesterreichs im Jahre 1901, von
Bratassevié. — Beiträge zur Statistik der Binnenfischerei in Oesterreich, von J. (I. Art.).
— etc,
Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung. Organ der Gesell-
schaft österreichischer Volkswirte. XI. Bd., 1902, Heft 1: Allgemeine Gedanken über
soziale Politik, von K. Th. v. Inama Sternegg. — Staatsrecht und Steuerrecht, von
E. Lingg. — Die Reform der landwirtschaftlichen Börsen in Oesterreich, von J. Landes-
berger. — Verhandlungen der Gesellschaft österreichischer Volkswirte. — Die Ergeb-
nisse der Revision des Grundsteuerkatasters auf Grund des Gesetzes vom 22. VII. 1896,
von E. v. Plener. — Zur Lohnpolitik der englischen Gewerkvereine, von E. Pl. —
Die moderne Sozialpolitik in Frankreich und in Oesterreich, von F. Zizek. — ete.
718 Die periodische Presse des Auslandes.
E. Italien.
Bollettino di statistica e di legislazione comparata. (Pubblicazione del Ministero
delle Finanze.) Anno II, 1901/1902. Fascicolo 1—4: Situazione al 1° gennaio 1901
delle rendite dei corpi morali e stabilimenti di manomorta (eccettuati i benefici par-
rocchiali) accertate pel triennio 1901—1903. — Tavole statistiche relative alle riscos-
sioni fatte nel 1° trimestre 1901/02 confronto con l’eguale periodo dell’ esercizio prece-
dente. — Italia: legge 23 gennaio 1902 sulle tasse per gli affari. — Spagna: Tasa
sui diritti reali. Legge 2 aprile 1900 e progetto definitivo 8 ottobre 1901; Tassa sul
bollo di Stato. Legge 26 marzo 1900 e progetto definitivo 8 novembre 1901. — Legis-
lazione sulle acque: Italia; Austria; Belgio; Canada; Danimarca; Egitto; Francia;
Germania; Lussemburgo ; Spagna; Stati Uniti d’America: California. Colorado. Kansas;
Svezia; Svizzera (confederazione); Svizzera (cantone): Appenzell, Ginevra, S. Gallo,
Sciafussa, Soletta, Ticino, Vaud, Zurigo; Ungheria. — Debito ipotecario che dai registri
delle conservatorie delle ipoteche appariva sussistente al 31 XII 1900. Parte I. Statistica.
Parte II. Legislazione e notizie riguardanti anche Stati esteri. (pp. 700—793.)
Giornale degli Economisti. Febbraio 1902: La situazione del mercato monetario,
— I fondamenti dell’ economia pura, per P. Boninsegni. — La conversione del debito
pubblico in Ungheria, per G. Crivellari. — Previdenza: Gli scioperi agrari nel Fer-
rarese, per C. Bottoni. — Municipalizzazione dei pubblici servigi: la panificazione muni-
cipale; il caso di Cremona, per G. Montemartini. — Cronaca: Politica di spese, ete.),
per P. Papafava. — Supplemento al Giornale degli Economisti: Indice generale alfa-
betico per nomi d’autori della seconda serie dal 1° luglio 1890 al 31 XII 190
(p. 1—68.)
5 Rivista della beneficenza pubblica. Anno XXX, 1902, N° 3, Marzo: La scuola
samaritana nell’ era novella della croce rossa, per C. Calliano. — La legge 22 XII
1901 sui ragionieri di prefettura in rapporto alla legge 17 luglio 1890 sulle opere pie,
per Ach. De-Bonis. — Cronaca: Una nuova associazione del pubblica assistenza a Mi-
lano; La riforma del brefotrofio di Milano. — L’asilo notturno a Bologna. — ete.
Rivista italiana di sociologia. Anno V, 1901, fase. V—VI, Settembre—Decembre
1901: La teoria della conoscenza come induzione sociologica e l’esigenza critica del posi-
tivismo, par J. Vanni. — La coscienza etica della Grecia primitiva, per R. Schiattarella.
— Ia genesi sociale dei comuni italiani, per E. Loncao. — La popolazione del Pie-
monte nel secolo XVI, per C. Ottolenghi. — La psicologia collettiva della scuola , per
R. Resta de Robertis. — ©. A. Conigliani, per A. Graziani. — Rassegne analitiche:
Intorno al concetto della sociologia, per G. Mazzarella. — ete.
G. Holland.
de Economist, opgericht door J. L. de Bruyn Kops. LI“ jaargang, 19,
Maart: De oorsprong der meerwaarde, door S. van Houten. — Nederland en Duitsch-
land aan de Eems, door Mesdag Jac. — Invoer van meel van tarwe, door de Neder-
landsche Vereeniging van meelfabrikanten. Met naschrift door M. Mees. — De inter-
nationale geldmarkt, door C. Rozenraad. — Economische kroniek: Die Brüsseler Zucker-
konferenz; Das Schicksal der Zuckerprämien. Arbeitseinstellungen in Holland; Ge
treidezollerhöhungen in Deutschland; Deutsche Unfallstatistik. — Handelskroniek.
H. Schweiz.
Monatsschrift für christliche Sozialreform. Redaktion: Prof. J. Beck Freiburg
(Schweiz). Jahrg. XXIX, 1902, Heft 3: Papst und Demokraten in Italien, von (Proi.)
Beck. — Ueber Rechtsgleichheit, von (Prof.) U. Lambert. — Die Raiffeisengenossen-
schaften vom Standpunkte ethisch-sozialer Grundsätze aus beleuchtet, von Eug. Cremer.
— Statistische Streiflichter, von F. Buomberger (Kantonsstatistiker), Freiburg. — et.
Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. X. Jahrg., 1902,
Heft 4 und 5: Die sozialökonomische Lage der schweizerischen Land- und Alpwirtschaft
beim Beginn des XX. Jahrhunderts, von (Prof.) F. Anderegg. — Der gesetzliche Arbeiter-
schutz in Baselstadt, von E. Wullschleger (NationalR. Basel). — Zum fünfundzwanzig-
jährigen Jubiläum des eidgenössischen Fabrikgesetzes, von Max Büchler (Bern). —
Soziale Chronik. — Statistische Notizen. — Sozialpolitisches Archiv N° 1: Der öffent-
liche Arbeitsnachweis in der Schweiz, IV. Zürich; V. Schaffhausen. — Heft 6 und
7: Geschichte und Entwiekelung der bernischen Eisenbahnpolitik 1845—1902, von F.
Die periodische Presse Deutschlands. 719
Volmar (Fürsprecher in Ostermundigen bei Bern). (Art. I u. Forts. 1.) — Zum fünf-
undzwanzigjährigen Jubiläum des eidgenössischen Fabrikgesetzes, von Max Büchler
(Bern). — Zur Frage des Arbeiterschutzes bei öffentlichen Submissionen, von J. Reiches-
berg (Bern). — Statistische Notizen: Die Auswanderung aus der Schweiz im Jahre
1901. — etc.
M. Amerika.
Annals of the American Academy of Political and Social Science. Vol. XIX,
n° 2, March, 1902: The taxation of corporations in the United States, by Francis
Walker. — The manufacturer’s need of reciprocity, by A. B. Farquhar. — The national
pension system as applied to the civil war and the war with Spain, by W. H. Glasson.
— Aristotle as a sociologist, by Ch. A. Ellwood. — Professor Patten’s theory of pro-
sperity, by H. R. Seager. — Communications: What is a constitutional history of the
United States? by Franeis N. Thorpe; Manuscripts in the library of Congress, by C.H.
Lincoln; Meeting of the American Economic Association, by H. R. Seager. — etc.
Die periodische Presse Deutschlands.
Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung ete. Jahrg. XXXV,
1902, N’ 4: Die neuere Spezialgesetzgebung gegen den Vertragsbruch in landwirtschaft-
lichen Arbeitsverhältnissen unter besonderer Berücksichtigung der für das Herzogtum
Braunschweig erfolgten Regelung, von (FinanzR.) F. W. R. Zimmermann (Braunschweig).
— Die Organisation der Industrie in Deutschland, von L. Fuld (Rechtsanw., Mainz). —
Die Revision der Grund- und Haussteuer in Bayern, von (Prof.) K. Eheberg (Forts.). —
Die Organisation der inneren Verwaltung ete., von (Prof.) C. Bornhak (Forts.). — Miszellen.
Bulletin des Internationalen Arbeitsamts. Bd. I, N° 1, 2, 3, Januar—März 1902:
Die Fortschritte der Arbeiterschutzgesetzgebung im Jahre 1901. — Arbeiterschutzgesetze
und Verordnungen: 1. Deutsches Reich; 2. Oesterreich; 3. Belgien; 4. Dänemark;
5. Ver. Staaten; 6. Frankreich; 7. Großbritannien; 8. Niederlande; 9. Schweiz. —
Parlamentarische Arbeiten aus dem Gebiete des Arbeiterschutzes. — Beschlüsse natio-
naler und internationaler Kongresse, welche den Arbeiterschutz betreffen. — Biblio-
graphie.
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Herausgeg. von Alb. Osterrieth.
Jahrg. VII, 1902, N’ 3: Der rechtliche Schutz der Erfinderehre, von Osk. Schanze
(Dresden). — Zur Reform des Geschmacksmusterrechts; die Frage der Vorprüfung, von
Walter Giesecke (Leipzig). — Der internationale gewerbliche Rechtsschutz in den Konsular-
gerichtsbezirken, von (Rechtsanw.) M. Wassermann (Hamburg). — ete.
Mitteilungen vom Verband deutscher Patentanwälte. Jahrg. I, N’ 11, März
1902: Die Prüfung auf Einheitlichkeit von Gebrauchsmustern. Eingabe des Patentan-
walts Wirth. — Bescheid des Präsidenten (auf vorstehende Eingabe). — etc.
Neue Zeit, die. Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie. Jahrg. XX,
Bd. II. N° 1—4, 5. April—26. April 1902: Das große Kesseltreiben. — Die Landar-
beiterfrage in Ostelbien, von A. Hofer. — Die Arbeiterfrage in Spanien, von Ant.
Garcia Quejido. — Sozialpolitische Umschau, von Eman. Wurm. — Krisentheorien, von
K. Kautsky (I u. Forts. 1). — Der achte Parteitag der holländischen Sozialdemokratie,
von J. J. de Roode. — Eine Enquete über die Lage der deutschen Buchbinder und
verwandten Berufsgenossen, von Rob. Albert. — Ein Ausbau des Akkordlohnsystems,
von Ad. Braun. — Belgien. — Die Aufgaben unserer Presse, von Jul. Borchardt. —
Die politische Bewegung in Belgien, von Emilio. — Feuilleton: Briefe von Karl Marx
an D". L. Kugelmann (Art. 1 u. Forts. 1, 2, 3). — Internationalität und Ethik, von
Max Zetterbaum. — Das belgische Experiment, von Rosa Luxemburg. — Der Wahl-
rechtskampf in Schweden, von Erich Brunte. — ete.
Preußische Jahrbücher. Herausgeg. von H. Delbrück. 108. Bd., 1902, Heft 1,
April: Die höhere Mädehenschule und das klassische Altertum, von Ferd. Jak. Schmidt
(Berlin). — Der Katholizismus und das 20. Jahrhundert, von Leop. K. Goetz (Prof. am
720 Die periodische Presse Deutschlands.
altkathol. theologischen Seminar, Bonn). — Zweikampf und Strafrechtspolitik, von Thomsen
(LandgerR., Altona). — Politische Korrespondenz: Deutschlands Stellung in der Welt-
politik; Die neue russische Anleihe und der deutsche Handelsvertrag, vom Heraus-
eber. — etc.
à Preußische Jahrbücher. 108. Bd., Heft 2, Mai 1902: Das Nationalgefühl als
psychologisches Phänomen, von (GymnasOLehrer) H. Richter (Bromberg). — Die Herren
Tschechen, von W. E. Block. — Die Freiheit des Christenmenschen, von K. Trost (Berlin).
— Der Untergang Ludwigs XVI. im Lichte sozialistischer Geschichtsschreibung, von
E. Daniels (Berlin). [I. Art.) — Eisenbahn- und Staatsfinanzen, von O. (Frh.) v. Zed-
litz u. Neukirch. — Ueber Kurpfuscherei und die Sekte der Christlichen Wissenschaft
(Gesundbeter). — Politische Korrespondenz: Die wirtschaftliche Notlage und der Pro-
tektionismus in Rußland, von P. Rohrbach. — etc.
Zeitschrift für Bergrecht. Herausgeg. von Mitgliedern des Kgl. OBergA. in
Bonn. Jahrg. XLIII, 1902, Heft 2: Die Bergregalität des Fürstbischofs von Breslau in
dem Fürstentum Neiße-Grottkau unter der preußischen Herrschaft, von K. Wutke (k.
Archivar, Breslau). — Berggesetzgebung. — Entscheidungen der Gerichtshöfe. — Praxis
der Verwaltungsbehörden.
Zeitschrift für Kleinbahnen. Jahrg. IX, 1902, Heft 4: April: Die Straßen-
bahnen in den Ver. Staaten von Amerika, von (RegBauMstr.) Schimpff (Altona). —
StraBenbahnbremsen. — Sollen elektrische Straßenbahnen vor oder hinter den Straßen-
kreuzungen halten ? — Statistik der deutschen Kleinbahnen für das Vierteljahr Oktober—
Dezember 1901. — Kleine Mitteilungen.
Zeitschrift für Kulturgeschichte. Herausgeg. von G. Steinhausen. IX. Bd., 1902,
Heft 3: Vier Münsterische Hofordnungen des XVI. Jahrhunderts. Mitgeteilt von Reinh.
Lüdicke (Münster). — Alte Gemeinderügen der Dörfer Rudelsdorf und Masten. Mitgeteilt
von Vogel (Leipzig). — Zur Geschichte des Trinkgeldes, von Arth. Kern (Breslau). —
Frau Gottsched über Erziehung, Frauenberuf und Frauenbildung, von (Direktor) Ed. Otto
(Offenbach a. M.). — ete.
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Herausgeg. von Julius Wolf. Jahrg. V, 1902,
Heft 4: Die Todesursachen in früherer Zeit und in der Gegenwart und die Beziehungen
zwischen Krankheit und Sterblichkeit, von A. Gottstein (I. Art.). — Die Krisis in der
englischen Industrie, von M. v. Brandt (II. Art.) — Ueber Vermehrungstendenz bei
den Naturvölkern und ihre Gegenwirkungen, von Rich. Lasch (III. Art., Schluß). —
Die wirtschaftlichen Verhältnisse Australiens, von Em. Jung (Leipzig). — Sozialpolitik:
Aus der Geschichte zweier Gefängnisgesellschaften, von v. Rohden-Düsseldorf); Die Fa-
brikgesetzgebung in Rußland (IL Art.). — Streikversicherung von Industriellen in
Oesterreich. — etc.
Zeitschrift des k. bayerischen statistischen Bureaus. Redigiert von Max Proebst
(k. MinisterialR.). Jahrg. XXXIII, 1901, N’ 3 u. 4: Endgiltige Ergebnisse der Volks-
zählung vom 1. XII. 1900. — Die Bewegung der Bevölkerung im KReich Bayern wäh-
rend des Jahres 1900. — Steuerstatistik. — Ergebnisse der im Jahre 1900 in Bayern
vorgenommenen Tuberkulinimpfungen an Rindern. — Die Ernte des Jahres 1901. —
Die Hagelschläge in Bayern während des Jahres 1901. Mit Rückblicken auf die Er-
hebungen seit 1871. — Die Bewegung der Gewerbe in Bayern im Jahre 1900. — Ge-
burten und Sterbefälle in 25 bayerischen Städten im 4. Vierteljahr 1901.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena,
Die Grundlage der künftigen deutschen Handelsvertragsverhandlungen, 721
Nachdruck verboten,
IX.
Die Grundlage der künftigen deutschen
Handelsvertragsverhandlungen.
Inhalt: I. Vorbemerkungen S. 721. II. Allgemeine Wirkungen eines Scheiterns der
Tarifvorlage S. 722. III. Erneuerung der bestehenden Handelsverträge auf eine bestimmte
längere Zeit S. 727. IV. Unterlassung der Kündigung der bestehenden Handelsverträge
S. 728. V. Verhandlungen über neue Handelsverträge auf Grund des jetzigen autonomen
Tarifs S. VI. Verhandlungen über neue Handelsverträge auf Grund des Tarifent-
wurfs S. 732. VII. Das Verhalten der Parteien S. 736.
=l
1597
>
I. Vorbemerkungen.
Der bisherige Verlauf der Kommissionsberatungen über den
deutschen Zolltarifentwurf hat in weiten Kreisen die Auffassung ent-
stehen lassen, daß es nicht gelingen werde, den Entwurf im Reichs-
tag zur ordnungsmäßigen Erledigung zu bringen, daß also die Tarif-
reform scheitern werde. Ein solcher Ausgang würde verschiedenen
Richtungen nicht unerwünscht sein; sowohl diejenigen, welche in
dem Entwurf das von ihnen angestrebte Ziel einer extrem schutz-
zöllnerischen Gestaltung des Zolltarifs nicht verwirklicht sehen, als
auch die, denen die Sätze des Entwurfs viel zu hoch erscheinen und
die entweder über den heutigen autonomen Tarif nicht hinausgehen
oder noch wesentlich hinter seinen Zollansätzen zurückbleiben wollen,
suchen den Eindruck zu erwecken, als sei ihnen das Nichtzustande-
kommen des Reformwerkes die willkommenste Lösung. Welche
innerpolitischen Wirkungen in diesen Kreisen von einem solchen
Ausgang erwartet, erhofft oder befürchtet werden, kann hier außer
Betracht bleiben. Für den Augenblick interessiert jedenfalls am
meisten die Frage, welche handelspolitischen Wirkungen ein Scheitern
des Entwurfs nach sich ziehen würde. In einem allerdings nur
engen Kreise wird mit Rücksicht auf die dort maßgebenden beson-
deren wirtschaftlichen Interessen den Handelsverträgen keine nennens-
werte Bedeutung beigelegt, und hier steht man deshalb der erwähnten
Frage gleichgiltig gegenüber. Andere Gegner des Entwurfs — und
sie überwiegen durchaus — erachten dagegen Handelsverträge, ins-
besondere Tarifverträge, im Interesse der wirtschaftlichen Weiter-
Dritte Folge Bd. XXII (LXXVII), 46
722 ` Die Grundlage der künftigen deutschen Handelsvertragsverhandlungen.
entwickelung Deutschlands für dringend nötig. Für die Vertreter
dieser Auffassung lag und liegt deshalb der triftigste Anlaß vor,
sich darüber klar zu werden, wie und auf welcher Grundlage beim
Scheitern des Entwurfs die künftigen Vertragsverhandlungen zu
führen sein würden. Nicht anders ist es mit denen, die den Ent-
wurf als eine zweckmäßige Grundlage für die auch von ihnen ange-
strebten Handelsverträge ansehen und ihm deshalb zur Annahme
verhelfen wollen.
Die Anschauungen, die über die aufgeworfene Frage bisher laut
geworden sind, verraten insofern eine optimistische Auffassung, als
man mit verhältnismäßig einfachen Mitteln den Abschluß brauch-
barer Handelsverträge glaubt sichern zu können. Besonders bei
Gegnern des Entwurfs ist eine derartige Auffassung bemerkbar ge-
wesen; aber auch die Verfechter seiner Grundlagen scheinen mehr
und mehr geneigt, sich der gleichen Anschauung anzuschließen und
sich deshalb über ein etwaiges Scheitern des Entwurfs leicht trösten
zu wollen. Optimismus in Fragen, bei denen jede Nation in erster
Linie und mit besonderem Nachdruck ihre eigenen materiellen In-
teressen zu wahren sucht, kann leicht sehr verhängnisvoll werden
und macht sich erfahrungsgemäß gerade dann am stärksten geltend,
wenn man am wenigsten Anlaß dazu hat. Er würde eher verständ-
lich sein, wenn die vorgeschlagenen Mittel im wesentlichen mitein-
ander übereinstimmen würden. Das ist aber keineswegs der Fall.
Die laut gewordenen Vorschläge bewegen sich in so verschiedenen
Richtungen, daß schon hieraus auf die großen Schwierigkeiten der
handelspolitischen Lage geschlossen werden kann, die sich aus dem
Scheitern des Entwurfs ergeben würde. Es ist deshalb dringend
geboten, ohne Leidenschaft und Voreingenommenheit, aber auch ohne
Rückhalt zu prüfen, welche Aussichten die verschiedenen in Vorschlag
gebrachten Wege eröffnen.
Um hierüber zu einem Urteil zu gelangen, bedarf es zunächst
einiger allgemeiner Erwägungen, die sich bei allen noch zu erörtern-
den Vorschlägen mit Notwendigkeit aufdrängen.
II. Allgemeine Wirkungen eines Scheiterns der Zoll-
tarifvorlage.
Von einem Scheitern des Entwurfs erwarten manche, mehr frei-
händlerischen Anschauungen zuneigende Beurteiler, eine wesentliche
Erleichterung und einen günstigeren Ausgangspunkt für die Ver-
tragsverhandlungen. Dieses Urteil wird offenbar stark beeinflußt
durch die Abneigung gegen Schutzzölle überhaupt und nimmt nicht
genügend Rücksicht auf die Anschauungen, die im Auslande herrschen
oder durch das Scheitern des Entwurfs zum Entstehen gebracht
werden können. Gelangt der Entwurf nicht zur Annahme, sei es, daß
der Reichstag ihn ablehnt, sei es, daß die Zersplitterung und Dauer
der Beratungen in der Kommission und im Plenum des Reichstags
die Entscheidung in ungemessene Ferne hinausrückt, so wird man
Die Grundlage der künftigen deutschen Handelsvertragsverhandlungen. 723
darin im Auslande einen Erfolg der amtlichen Politik zu erblicken nur
vereinzelt geneigt sein. Viel eher ist zu befürchten, daß aus diesem
Ausgange der Schluß gezogen wird, die Träger und Organe der
Politik des Reiches befänden sich nicht in genügendem Einklange
mit der Mehrheit der Volksvertretung oder hätten eine zuverlässige
Mehrheit, wie sie für praktische Erfolge der Politik in der Regel
dringend erwünscht ist, überhaupt nicht hinter sich. Die Bedeutung,
die einem solchen Zustande zuzuschreiben ist, stellt sich mit der
wachsenden Entfernung vom Schauplatze der Dinge leicht größer
dar, als es der wirklichen Sachlage entspricht. Es kann deshalb
nicht als ausgeschlossen angesehen werden, daß bei fremden Ländern
die Meinung entsteht, es lasse sich unter solchen Umständen durch
zäheren Widerstand gegen die deutschen Forderungen und durch
schärferes Ausmaß der eigenen Ansprüche mehr erreichen als sonst.
An der nötigen Abweisung wird es gewiß von deutscher Seite nicht
fehlen; aber das erfordert eine Kraftaufwendung, die noch keine
positiven Ergebnisse zeitigen kann, sondern sich zunächst auf die
Beseitigung von Hindernissen richten muß, wie sie sich vermöge
jener Auffassung einem erfolgreichen Verhandeln zeitweilig in den
Weg stellen können. Wäre das nicht nötig, so wäre darin ohne
Frage eine Erleichterung zu erblicken und diese Erleichterung
würde sich von selbst ergeben, wenn über den Entwurf eine Ver-
ständigung mit dem Reichstage rechtzeitig erzielt werden könnte.
Das Scheitern des Entwurfs würde weiterhin im Auslande die
Ansicht entstehen lassen können, als diene ein Entgegenkommen
gegen die deutschen handelspolitischen Anforderungen dazu, den
. leitenden Organen des Reiches über innerpolitische Schwierigkeiten
hinwegzuhelfen, die von dem Scheitern des Entwurfs zu erwarten
seien. Dazu beizutragen, werden die verhandelnden Länder ein wirt-
schaftliches Interesse im allgemeinen nicht haben. Daß ein poli-
tisches Interesse sie dazu bringt, ist möglich, aber durchaus nicht
sicher. Auch hieraus können sich gewisse Hindernisse ergeben, die
erst überwunden werden müssen, ehe sich Aussichten auf materielle
Erfolge der Verhandlungen eröffnen, und die wiederum fehlen würden,
paon die Tarifreform zu einem günstigen Abschluß gebracht werden
önnte.
Es handelt sich vorstehend um Erwägungen, die mehr dem
psychologischen Gebiete angehören. Man darf aber nach allen bis-
herigen Erfahrungen den Einfluß solcher Erwägungen auch auf
handelspolitische Entschließungen nicht unterschätzen. Sie können
sich um so eher Eingang verschaffen, als gleichzeitig auch materielle
Verschiebungen eingetreten sind, die der handelspolitischen Lage
jetzt ein wesentlich anderes Gepräge geben, als im Anfang der
90er Jahre, und deren Schärfe uns beim Scheitern des Entwurfs
ohne jede Abschwächung fühlbar werden muß. Deutschland hat
seine Zölle im autonomen Tarif mit wenigen Ausnahmen auf dem
Stande von 1879 gehalten und einen ansehnlichen Teil derselben in
den Handelsverträgen der 90er Jahre thatsächlich ermäßigt. Die
46*
724 Die Grundlage der künftigen deutschen Handelsvertragsverhandlungen,
Getreidezölle waren zwar 1885 und 1887 erhöht worden, haben aber
durch die Handelsverträge eine beträchtliche Abminderung erfahren.
Im autonomen Tarif ist auch für Getreide seit dem Abschluß der
Handelsverträge keine Erhöhung eingetreten. Von geringen und in
diesem Zusammenhange nicht wichtigen Ausnahmen abgesehen, ist
also das handelspolitische Werkzeug, das der deutsche Zolltarif
bietet, nicht verändert worden. Kommt der Entwurf nicht zur An-
nahme, so wird Deutschland mit denselben Mitteln in die Handels-
vertragsverhandlungen eintreten, wie im Anfang der 9er Jahre.
Anders ist es in wichtigen ausländischen Staaten. Die auto-
nome Zollpolitik des Auslandes hat sich im letzten Jahrzehnt über-
wiegend in der Richtung auf Steigerung des Zollschutzes bewegt.
Der italienische Zolltarif hat gegen den Stand von 1887, der
im wesentlichen die Grundlage der Handelsvertragsverhandlungen
mit Deutschland gebildet hat. wiederholte Erhöhungen seiner auto-
nomen Sätze erfahren, abgesehen von der seit 1893 vorgeschriebenen
Entrichtung der Zölle in Gold, die der Sache nach ebenfalls auf
eine Steigerung der Zollbelastung hinausläuft. Die eingetretenen
Erhöhungen betreffen auch eine Reihe wichtiger deutscher Ausfuhr-
waren. Rußland hatte mit dem Tarif von 1891 eine Periode
rasch sich folgender Zollsteigerungen zu einem vorläufigen formellen
Abschluß gebracht, diesen hohen Tarif aber 1893 als Minimaltarif
proklamiert und zu seinen Sätzen im Maximaltarife fast durchweg
Zuschläge von 15, 20 und 30 Proz. vorgesehen. Am 15. Februar
1899 erfuhr der Tarif, in dessen Einzelheiten inzwischen mehrere
Verschiebungen vorgenommen waren, eine starke allgemeine Er-
höhung durch die Vorschrift, daß die Zölle fortan in Gold zu zahlen
seien. Behufs Umrechnung auf Gold wurden die Sätze des Tarifs
um 50 Proz. gesteigert. Durch das Gesetz vom 21. Juli 1900 sind
alsdann zahlreiche Positionen noch weiter, zum Teil bis um 50 Proz.
erhöht worden, und darunter befinden sich manche, an denen die
deutsche Ausfuhr lebhaft beteiligt ist. Rumänien hat den Tarif
von 1891 seit Januar 1901 in einer anschnlichen Reihe von Posi-
tionen beträchtlich heraufgesetzt, und auch hier betreffen die Er-
höhungen manche für Deutschlands Ausfuhr wichtige Waren. Dab
die Vereinigten Staaten von Amerika mit ihrem Dingley-
Tarif von 1597 im allgemeinen eine Zollhöhe innehalten, die weit
über die Sätze der mitteleuropäischen Staaten hinausgeht, ist be-
kannt. Oesterreich-Ungarn steht nach längeren Vorberei-
tungen im Begriff, seinen Tarif von 1887 in erheblichem Umfange
in die Höhe zu setzen, und es spricht vieles dafür, daß trotz der
Schwierigkeiten, die sich aus dem Verhältnis zu Ungarn ergeben,
die Tarifrevision zeitig genug beendet werden wird, um für die
Vertragsverhandlungen noch wirksam zu werden. Die Schweiz
hatte sich, wie bekannt, im April 1891 im Hinblick auf die bevor-
stehenden Handelsvertragsverhandlungen einen fast durchweg stark
erhöhten autonomen Tarif geschaffen; die Erhöhungen waren zum
Teil so umfangreich, daß auch durch die Tarifzugeständnisse der
Die Grundlage der künftigen deutschen Handelsvertragsverhandlungen. 725
Handelsverträge die früheren Vertragssätze nicht wieder erreicht
worden sind. Für die jetzt bevorstehenden Verhandlungen ist ein
gleiches Vorgehen nicht etwa erst durch den deutschen Entwurf ver-
anlaßt, sondern schon von langer Hand vorbereitet worden. Als
Ergebnis der Vorbereitungen erscheinen die Zolltarifvorschläge des
Bundesratsentwurfs vom 12. Februar 1902. Sie enthalten, und zwar
mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die demnächstigen Vertrags-
verhandlungen, zahlreiche bedeutende Steigerungen der autonomen
Sätze, die im bisherigen Verlaufe der Beratungen im Nationalrat
und dessen Kommission nur vereinzelt ermäßigt, zum Teil noch er-
heblich erhöht und meist beibehalten sind. Fast alle wichtigen
Ausfuhrwaren Deutschlands im Verkehr mit der Schweiz werden von
den Erhöhungen betroffen, wie bestimmte Erzeugnisse der Eisen-,
Woll-, Baumwoll-, Konfektions-, Metall-, Leder-, Kautschuk-, Ma-
schinen- u. s. w. Industrie. Für Maschinen ist meist eine Ver-
doppelung vorgesehen, für gewisse Lederarten eine Verdreifachung,
für Kautschukbänder und Nähmaschinen eine Verfünffachung der
bisherigen autonomen Sätze u. s. w. An dem Zustandekommen der
schweizerischen Tarifreform ist nicht zu zweifeln.
Dieser Gang der Entwickelung bedeutet, daß wichtige Länder,
mit denen zu verhandeln Deutschland in die Lage kommen kann,
ihr handelspolitisches Rüstzeug gegen den Anfang der 90er
Jahre erheblich verstärkt haben oder in nächster Zeit noch ver-
stärken werden, auch dann, wenn die deutsche Tarifreform nicht
zustande kommen sollte. Daß den berufenen Organen des Reiches das
entgangen sei, wird niemand annehmen. Mit dem Zolltarifentwurf ist
der Beweis erbracht, daß sie auch für Deutschland eine Verstärkung
des handelspolitischen Rüstzeuges als notwendig ansehen, um es dem
des Auslandes einigermaßen anzupassen. Man mag über die Auf-
nahme handelspolitischer Zuschläge in den autonomen Tarif theore-
tisch denken, wie man will, das wird man nicht leugnen können und
wollen, daß es für ein Land von der Lage und wirtschaftlichen Ge-
staltung Deutschlands nicht zweckmäßig ist, der Verbesserung der
handelspolitischen Rüstung wichtiger ausländischen Absatzgebiete,
die gleichzeitig auch wichtige Bezugsquellen für Deutschland sind,
unthätig zuzusehen. Gerade diejenigen, welche ernsthaft auf gute
und unserer Ausfuhr wirklich förderliche Handelsverträge hinarbeiten,
müßten die zwingende Logik der erwähnten Thatsachen anerkennen.
Sie müßten, aber sie thun es nur zum Teil, und gerade der Verein,
der sich unter dem Schlachtruf „Fortführung der Handelsvertrags-
politik“ gesammelt hat, ist bisher geflissentlich bemüht gewesen,
eine wirksame Verstärkung unserer Rüstung für die handels-
politischen Aufgaben zu verhindern. Er ladet damit vor der Nation
und der Geschichte eine schwere Verantwortlichkeit auf sich, von
deren Größe die Masse seiner Mitglieder wohl kaum die richtige
Vorstellung hat. Gelingt ihm dieses Streben — und die extremen
Richtungen von rechts und links leisten ja dafür mit großem Eifer Vor-
spanndienste — so wird Deutschland genötigt, in die Verhandlungen
726 Die Grundlage der künftigen deutschen Handelsvertragsverhandlungen.
einzutreten mit einem Werkzeug, das den inzwischen im Auslande
vollzogenen Veränderungen nicht nur nicht angepaßt, sondern weit
hinter ihnen zurückgeblieben ist. Glaubt man im Ernste, daß da-
durch unsere Stellung bei den Verhandlungen gekräftigt wird? Oder
darf man sich etwa der Hoffnung hingeben, daß das Ausland in einer
großmütigen Anwandlung darauf verzichten wird, seine verschärften
Waffen nachdrücklich anzuwenden ? Sentimentalität darf im Kampf
um wirtschaftliche Interessen niemand dem Gegner zutrauen.
Das gilt um so mehr, als die industrielle Entwickelung wichtiger
Absatzländer so erhebliche Fortschritte gemacht hat, daß sie viel
mehr als in den 90er Jahren Anlaß haben, vorsichtig mit Tarifzu-
geständnissen zu Gunsten fremder gewerblicher Erzeugnisse zu sein.
In der Schweiz, in Oesterreich-Ungarn, in Rußland machen sich
längst kräftige Strömungen bemerkbar, die der eigenen, inzwischen
weiter entwickelten Industrie einen wirksameren Zollschutz gegen-
über dem Andrang fremder Waren sichern wollen. In den Ver.
Staaten vollends hat das letzte Jahrzehnt eine gewaltige Steigerung
der industriellen Arbeit gebracht. Nach dem Census von 1900 hat
sich seit 1890 die Zahl der industriellen Unternehmungen von
355415 auf 512726, also um 44,3 Proz., erhöht, das Kapital der-
selben von 6,5 auf 9,9 Milliarden Dollars, also um 51,3 Proz., ihr
jährlicher Produktionswert von 9,4 auf 13,04 Milliarden Dollars, also
um 39,1 Proz. Im einzelnen ist seit 1890 gestiegen in der
das Kapital der Produktionswert
Textilindustrie um 35,4 Proz. um 22,4 Proz.
Eisenindustrie ns da Zeg a 74:56 ap
Fleischindustrie ,, 61,9 „ së ` AE Ss
Papierindustrie „865 „ Kap A
Molkereiindustrie ,, 1195 „ de 100,
us W.
Aus der gesteigerten industriellen Bethätigung werden alle diese
Länder Konsequenzen ziehen, und im ganzen werden dadurch die
Vertragsverhandlungen schwieriger. Auch aus diesem Gesichtspunkt
erscheint eine Verbesserung unseres handelspolitischen Rüstzeuges ge-
boten, und ihr Ausbleiben wird sicherlich die Sachlage nicht erleichtern.
Auf der anderen Seite ist in den Ver. Staaten und in anderen
Ländern das Ausfuhrbedürfnis der Industrie gewachsen. Das ver-
mehrt auf ihrer Seite das Andrängen nach deutschen Tarifzugeständ-
nissen für ihre Erzeugnisse; aber gerade dieser Umstand hätte uns
die Verwertung einer verstärkten handelpolitischen Ausrüstung er-
leichtert und ängstliche Gemüter über etwaige von ihnen befürchtete
ungünstige Rückwirkungen der deutschen Zolltarifreform beruhigen
können und müssen.
Alles in allem wird hiernach ein Scheitern des Entwurfes die
Wirkung haben, daß Deutschland in die Vertragsverhandlungen nicht
unter denselben, oder um es rückhaltlos zu bezeichnen, nicht unter
gleich günstigen Bedingungen eintreten wird, als sie anfangs der
90er Jahre bestanden, und das hätte sich auch — abgesehen von
Die Grundlage der künftigen deutschen Handelsvertragsverhandlungen. 727
den psychologischen Erwägungen, die sich an das Scheitern des
Entwurfes knüpfen können — nicht vermeiden lassen, wenn der
Entwurf nicht eingebracht worden wäre. Das letztere wäre einem
freiwilligen Verzicht auf diejenigen Maßnahmen gleichgekommen,
welche sich aus der veränderten Sachlage als für einen günstigen
Ausgang der Verhandlungen nötig ergeben, und so vorzugehen, wäre
mit den Grundsätzen einer pflichtbewußten und gewissenhaften Re-
gierung nicht vereinbar gewesen.
Mißt man an diesen Erwägungen den praktischen Wert der
Wege, die behufs Erzielung von Handelsverträgen beim Scheitern
des Entwurfes in Vorschlag gebracht sind, so erweisen sie sich bei
weitem nicht als so sicher, wie ihre Befürworter annehmen.
III. Erneuerung der bestehenden Handelsverträge
aufeine bestimmte längere Zeit.
Am häufigsten und eifrigsten wird eine einfache Erneuerung
der bestehenden Verträge auf eine bestimmte längere Zeit em-
pfohlen. Man hält das für so naheliegend, daß der Gedanke gar
nicht auftaucht, ob sich hier nicht etwa unerwartete Schwierigkeiten
ergeben können. In der That drängt sich ein solcher Ausweg von
selbst jedem auf, und es ist durchaus nicht als ausgeschlossen zu
betrachten, daß die Verhältnisse zu seiner Benutzung zwingen. Nur
muß man sich vor dem Glauben hüten, das sei leichter und ein-
facher als ein Verhandeln auf der Grundlage eines neuen gesetz-
lich sanktionierten Zolltarifs. Fast allgemein wird es als selbst-
verständlich angenommen, daß die beteiligten fremden Staaten ohne
weiteres zur Verlängerung der bestehenden Verträge bereit sein
werden. Gewiß giebt es manche triftige Erwägung, die den Ver-
tragsstaaten eine solche Bereitwilligkeit nahe legt. Denn Deutsch-
land ist schließlich doch ein sehr wichtiger Absatzmarkt und eine
große Macht, mit der in wirtschaftlichem Frieden zu leben auch
politisch von Wert ist. Aber es darf nicht übersehen werden, daß
diesen Ländern wegen der Ausweitung ihrer industriellen Thätigkeit
manches Zugeständnis, das sie früher gemacht, nicht mehr zweck-
mäßig und auf der anderen Seite die Erlangung größerer oder
anderer Ermäßigungen des deutschen Tarifs, als sie in den 90er Jahren
erlangt, erwünscht erscheinen kann. Auch die Erwägung kann auf-
tauchen, daß angesichts der bis zum Beginn der Verhandlungen
eingetretenen Erhöhungen der fremden autonomen Zolltarife die in
den 90er Jahren Deutschland gewährten Bindungen und Ermäßigungen
jetzt ein größeres Entgegenkommen bedeuten als gegenüber dem
damaligen niedrigeren Tarifniveau. In diesem Falle wird die Ver-
längerung unserer früheren Zugeständnisse vielleicht nicht als eine
ausreichende Gegenleistung angesehen werden, und deren weiteres
Ausmaß wird unter Umständen mit um so größerem Nachdruck ge-
fordert werden, als sich, wie gezeigt, an ein Scheitern des Entwurfs
auch psychologische Erwägungen knüpfen können, die eine Stärkung
128 Die Grundlage der künftigen deutschen Handelsvertragsverhandlungen.
unserer Stellung bei den Verhandlungen nicht bedeuten. Eine un-
bedingte Sicherheit dafür, daß das Ausland die bestehenden Ver-
träge ohne weiteres auf einen festbegrenzten längeren Zeitraum zu
erneuern bereit sein wird, besteht jedenfalls für die in der Oefent-
lichkeit hervorgetretenen Verfechter dieses Gedankens nicht.
Dazu tritt noch eine andere Schwierigkeit. Eine solche Er-
neuerung der bestehenden Verträge bedarf der Zustimmung des
Reichstags. Wird er sie geben? Vielleicht ist der Druck der
politischen Erwägungen, die ja in solche Fragen stets hineinspielen,
stark genug, um den Reichstag dazu zu veranlassen. Vielleicht sind
aber auch die wirtschaftlichen Bedenken gegen die Fortdauer der
bisherigen deutschen Zugeständnisse so groß, daß selbst eine so
knappe Mehrheit, wie sie seiner Zeit dem deutsch-russischen Handels-
vertrage zu Teil wurde, nicht mehr zu erzielen ist. Mancher tröstet
sich für diesen Fall mit dem Gedanken an einen neuen Reichstag,
der unter der Parole „Für oder gegen Handelsverträge“ gewählt ist.
Aber wer kann sagen, welchen Ausgang Wahlen unter dieser Parole
haben werden ?
IV. Unterlassung der Kündigung der bestehenden
Handelsverträge.
An Schwierigkeiten wird es nach dem Ausgeführten nicht fehlen,
wenn der Weg einer Erneuerung der geltenden Verträge auf be-
stimmte längere Zeit betreten wird. Ein Teil dieser Schwierigkeiten
würde vielleicht vermieden werden, wenn ein anderer, ebenfalls oft
befürworteter Weg gewählt würde, nämlich das bloße Fortlaufen-
lassen der bestehenden Verträge durch Nichtausübung des Kün-
digungsrechtes von deutscher Seite. Nützen würde das nur, wenn
auch die beteiligten fremden Staaten von ihrem Kündigungsrecht
keinen Gebrauch machen. Es ist möglich, daß sie oder einige von
ihnen zwar Bedenken tragen, die geltenden Verträge auf einen
längeren Zeitraum zu erneuern, aber doch behufs Vermeidung eines
vertragslosen Zustandes mit der Nichtsausübung des Kündigungs-
rechtes einverstanden sind. Sie würden dabei doch jederzeit in der
Lage sein, sich durch spätere Kündigung freie Hand für die ihnen
etwa erwünscht erscheinenden Maßnahmen zu verschaffen. Gerade
darin aber liegt der große Nachteil eines solchen Vorgehens. Von
allen an Handelsverträgen interessierten Kreisen wird unausgesetzt
und mit vollem Recht betont, daß für die Ausfuhrthätigkeit sichere
und stetige Verhältnisse unentbehrlich sind. Das Bedürfnis hiernach
ist so groß, daß auch manche Erwerbsgruppen, die in den Verträgen
der 90er Jahre ihr Interesse nicht genügend gewahrt glaubten, sich
mit ihnen aussöhnten, weil sie für eine größere Reihe von Jahren
eine feste Grundlage der wirtschaftlichen Operationen gewährleisteten.
Dieses Bedürfnis würde nicht befriedigt werden, wenn man sich
wichtigen Ländern gegenüber nur auf Verträge zu stützen hätte, die
jeden Tag gekündigt und dadurch in kurzer Frist zum Erlöschen
Die Grundlage der künftigen deutschen Handelsvertragsverhandlungen. 729
gebracht werden können. Der Druck dieser fortwäbrenden Un-
sicherheit würde hart auf der deutschen Volkswirtschaft lasten und
weitausschauende, opferreiche Unternehmerarbeit, soweit sie mit der
Ausfuhr verknüpft ist, auf das äußerste erschweren. Vom Stand-
punkt dieser Interessen aus würde das Vorgehen, das hier in Frage
steht, ein schwacher Notbehelf sein, dem zuzustimmen wäre, wenn
andere Wege nicht mehr zu Gebote stehen, den man aber, wenn es
irgendwie angängig ist, vermeiden müßte. Würde das Versagen des
Reichstags in Bezug auf die Zolltarifvorlage hierzu nötigen, so laden
die Kreise, deren Widerstand einen solchen Ausgang verursacht,
eine schwere Schuld auf sich gegenüber den Erwerbsgruppen —
Unternehmern sowohl wie Arbeitern —, deren Interesse zu wahren
sie sich vorgesetzt hatten.
V. Verhandlungen über neue Handelsverträge
auf Grund des jetzigen autonomen Tarifs.
Eine dritte Richtung läßt den Gedanken einer bloßen Verlänge-
rung oder Erneuerung der bestehenden Tarifverträge fallen. Sie
will neue Verträge, glaubt aber, daß für diese der geltende autonome
Tarif eine völlig ausreichende und geeignete Grundlage sei, daß es
also eines neuen Tarifs gar nicht bedürfe. Das ist anscheinend die
Auffassung, von der sich die Mehrheit der Mitglieder des Handels-
vertragsvereins leiten läßt. In der unlängst veröffentlichten Resolution
des weiteren Ausschusses dieses Vereins vom 28. Mai 1902 wird den ver-
bündeten Regierungen empfohlen, „ohne Rücksicht auf den Fortgang der
Beratungen der Zolltarifkommission mit anderen Staaten in Verhand-
lungen eintreten zu wollen, damit der neue Reichstag dann alsbald über
die Sicherung unserer auswärtigen Handelsbeziehungen Beschluß fassen
kann“. Da in der Resolution kurz vorher erklärt ist, der Zolltarifentwurf
sei „keine geeignete Grundlage für den Abschluß brauchbarer Handels-
verträge“, so darf man annehmen, daß die Resolution den geltenden
autonomen Tarif zur Grundlage der Verhandlungen genommen
sehen will. Dem entspricht auch das Verhalten des Vorsitzenden
des Handelsvertragsvereins, des Abg. Gothein, in der Zolltarif-
kommission. Seine Anträge haben Wochen hindurch ausschließlich
das Ziel verfolgt, die Zollansätze des Entwurfs auf die des gelten-
den autonomen Tarifs zurückzuschrauben, und dasselbe Ziel tritt
auch in der weitaus überwiegenden Zahl seiner neueren Anträge
hervor, wenngleich neuerdings einige Anträge von ihm gestellt sind,
die über die Sätze des jetzigen Tarifs hinausgehen wollen. Gerade
die letzteren Anträge sind aber in verschiedenen Fällen sehr bald
wieder zurückgezogen worden. Gothein hat auch in der Kommission
schon mehrmals den Gedanken ausgesprochen: Er wolle gewiß den
verbündeten Regierungen Kompensationsobjekte im Zolltarif ge-
währen; aber der geltende Tarif enthalte solche Objekte in aus-
reichendem Maße, da es doch gelungen sei, mit diesem Tarif günstige
Handelsverträge abzuschließen.
730 Die Grundlage der künftigen deutschen Handelsvertragsverhandlungen.
Im letzten Satz zeigt sich sofort die Schwäche der Beweis-
führung. Es müßte doch zum mindesten die Frage aufgeworfen
werden, ob gegenwärtig mit dem geltenden Tarif das Gleiche zu
erreichen sei. Ein glattes „Ja“ kann auf diese Frage kaum geant-
wortet werden, wenn man sich der großen Verschiebungen erinnert,
die seit Anfang der 90er Jahre in der Gestaltung der wirtschaft-
lichen Verhältnisse und der autonomen Tarife wichtiger Vertrags-
staaten eingetreten sind.
Die Sachlage ist eben heute, wie oben dargelegt, durchaus nicht
mehr dieselbe, wie damals. Deshalb ist der Zweifel wohl berechtigt,
ob den alten Mitteln in der veränderten Sachlage noch die gleiche
Wirksamkeit zugeschrieben werden könne. Daß in all’ den zahlreichen
Aufsätzen und Preßauslassungen, in denen neue Verhandlungen auf
Grund des alten Tarifs empfohlen werden, der angedeutete Zweifel
entweder gar nicht berührt oder höchstens oberflächlich gestreift,
aber niemals einer gründlichen Widerlegung an der Hand der That-
sachen unterzogen wird, ist ein bemerkenswertes Zeichen für die
optimistische Auffassung mancher Kreise.
Noch ein weiterer Punkt wird regelmäßig übersehen. Das
deutsche wirtschaftliche Interesse erstreckt sich nicht lediglich auf
Verträge mit den bisherigen europäischen Vertragsstaaten, sondern
macht es auch wünschenswert, mit überseeischen Ländern zu Ver-
trägen mit nennenswerten Tarifzugeständnissen oder sonstigen Vor-
teilen zu gelangen. Besonders die amerikanischen Absatzgebiete
kommen dabei in Betracht. Aber es ist unverkennbar, daß sich
diesen Ländern gegenüber der geltende Tarif nicht als besonders
brauchbar erwiesen hat. Von den mittel- und südamerikanischen
Staaten sind verschiedene zur Kündigung der Verträge mit Deutsch-
land übergegangen. Infolgedessen haben die Verträge mit der Do-
minikanischen Republik am 27. Januar 1897, mit Chile am 31. Mai
1897, mit Uruguay am 31. Juli 1897, mit Costarica am 1. Dezember
1897 ihr Ende erreicht. Neuerdings ist am 23. Mai 1902 der Ver-
trag mit Salvador auf den 23. Mai 1902 und am 4. September 1901
der mit Guatemala auf den 22. Juni 1903!) von den dortigen Regie-
rungen gekündigt worden. Ein neues Vertragsverhältnis ist nur mit
Uruguay am 5. Juni 1899 wieder vereinbart worden. Chile gegen-
über wird thatsächlich der Zustand der Meistbegünstigung noch auf-
recht erhalten. Zu einem neuen Vertragsabschluß ist es aber mit
Chile bisher ebensowenig gekommen wie mit der Dominikanischen
Republik, Costarica, Guatemala und Salvador. Man geht schwerlich
fehl mit der Annahme, daß hieran nicht Mangel an Bereitwilligkeit
Deutschlands schuld ist. Vielmehr darf die Nichterneuerung der
Verträge zum guten Teil der Thatsache zugeschrieben werden, daß die
Hauptartikel, die von diesen Ländern nach Deutschland gehen, im
geltenden Zolltarif freigelassen sind und daß ein Streben nach der
Bindung der Zollfreiheit nicht rege ist, weil sie als eine im deutschen
Interesse notwendige Maßregel angesehen wird. Hier hat also der
1) Inzwischen auf 22. Juni 1904 hinausgeschoben.
Die Grundlage der künftigen deutschen Handelsvertragsverhandlungen. 751
jetzige autonome Tarif eine ausreichende handelspolitische Verwert-
barkeit nicht aufzuweisen gehabt.
Mit den Vereinigten Staaten ist das Abkommen vom 10. Juli
1900 geschlossen, in welchem Deutschland den Erzeugnissen der
Vereinigten Staaten die mit Belgien, Italien, Oesterreich-Ungarn,
Rumänien, Rußland, der Schweiz und Serbien 1891—1894 verein-
barten Vertragssätze gewährt, während die Vereinigten Staaten Zoll-
ermäßigungen (nicht Zollfreiheit) auf rohen Weinstein, rohe Wein-
hefe, Branntwein, nicht schäumende Weine und Wermut, und auf
Gemälde in Oel oder Wasserfarben, Pastellmalereien, Feder- und
Tintenzeichnungen sowie Bildhauerarbeiten bei der Einfuhr aus
Deutschland zugestehen.
Die — durchaus nicht zu unterschätzende — politische Bedeu-
tung dieses Vertrages steht hier nicht zur Erörterung. Wirtschaft-
lich betrachtet, zeigt er die an sich erwünschte Uebereinstimmung
von Leistung und Gegenleistung nicht. Die Summe und Bedeutung
der den amerikanischen Waren gewährten Zollermäßigungen ist er-
heblich größer, als die den deutschen Erzeugnissen zufließende.
Roher Weinstein wird aus Deutschland überhaupt nicht ausgeführt.
(Was die Statistik als Weinsteinausfuhr angiebt, ist gereinigter Wein-
stein.) An Weinhefe gingen im ganzen 1900 nur 410 dz und 1901
nur 31 dz aus Deutschland heraus, davon aber nichts nach den
Vereinigten Staaten. Die Zollermäßigungen auf rohen Weinstein
und Weinhefe haben hiernach zur Zeit eine praktische wirtschaftliche
Bedeutung für Deutschland überhaupt nicht. An Gemälden und
Zeichnungen wurden 1900 ausgeführt 3838 dz, davon 341 dz nach
den Vereinigten Staaten; an Statuen aus Stein oder Metall betrug
die Ausfuhr 206 dz, davon 84 dz nach den Vereinigten Staaten.
Eine besondere wirtschaftspolitische Bedeutung kommt diesen Artikeln
nicht zu.
An Spirituosen führte Deutschland aus (1900)
3 Davon nach den
im ganzen
Ver. Staaten
Spiritus in Fässern 142 681 dz 1379 dz
Branntwein in Flaschen 89151 „ 1474 ,,
Liküre 4465 » 1641 „
Arrac, Cognac, Rum ete. 18051 „ 2137 ;,
254348 dz 6631 dz
Von diesem wichtigen Ausfuhrartikel werden also nur geringe
Mengen, im ganzen nur 2,6 Proz., nach den Vereinigten Staaten ge-
sandt, so daß die Zollermäßigung eine durchgreifende Wirkung nicht
hat haben können.
An Wein — außer Schaumwein — betrug die Ausfuhr 1900
Davon nach den
im ganzen Ver. Staaten
in Füssern 141 220 dz 32 933 dz
in Flaschen 80 766 T 16 535 »
221 986 dz 49 468 dz
732 Die Grundlage der künftigen deutschen Handelsvertragsverhandlungen.
Von unserer Weinausfuhr gehen rund 22 Proz. nach den Ver-
einigten Staaten, und bei diesem Artikel hat hiernach das Abkommen
eine erheblich größere wirtschaftliche Bedeutung als bei den übrigen.
Man wird aus den vorgeführten Thatsachen den Schluß ziehen
dürfen, daß die Zugeständnisse, die von den Vereinigten Staaten
auf Grund des jetzigen deutschen Tarifes zu erreichen waren, nicht
das Maß dessen darstellen, was an und für sich vom rein wirt-
schaftlichen Standpunkte aus erstrebenswert erscheint.
Die handelspolitische Verwertbarkeit des geltenden Tarifs darf
nach allem nicht überschätzt werden. Rechnet man dazu noch die
weiter oben erwähnten Verschiebungen in den wirtschaftlichen Ver-
hältnissen und Bedürfnissen und der Ausgestaltung der autonomen
Zolltarife des Auslandes und weiterhin die Hindernisse, die aus einem
Scheitern des Entwurfs erwachsen müssen, dann ist der Zweifel nicht
abzuweisen, ob wir mit dem geltenden Tarif das wünschenswerte
Ergebnis wirklich und durchweg werden erzielen können. Verträge
können auf dieser Grundlage gewiß zustande kommen: aber es ist
nicht unmöglich, daß sie wichtigen Gruppen der Bevölkerung nicht
den genügenden Ausgleich zwischen Leistung und Gegenleistung zu
bieten scheinen. Vielleicht gelingt es, die deutschen Zugeständnisse
auf der bisherigen Höhe zu halten, wenn wir uns dafür mit be-
grenzteren Gegenleistungen begnügen. Vielleicht erreichen wir auch
ein uns erwünschteres Maß fremder Zugeständnisse, müssen aber
vermutlich Opfer dafür bringen, die von den beteiligten Kreisen als
zu hoch empfunden werden. In dem einen wie in dem anderen
Falle würde der Widerstand gegen die betr. Verträge sehr lebhaft
sein, und wenn es gleichwohl gelänge, den Reichstag zu ihrer An-
nahme zu bringen, so würde doch von den in der Minderheit ge-
bliebenen Parteien fortdauernd gegen die Verträge Sturm gelaufen
werden; die erforderliche Beruhigung wird dem Wirtschaftsleben auch
in diesem Falle nicht in ausreichendem Maße zu Teil werden.
Das alles sind Möglichkeiten, die eine gewissenhafte Prüfung
der Frage nicht unbeachtet lassen kann. So einfach und sicher, wie
seine Befürworter glauben, führt der dritte Weg nicht zum Ziel,
und das Scheitern des Entwurfs erscheint auch in diesem Zusammen-
hange als nachteilig für unser handelspolitisches Vorgehen.
VI. Verhandlungen über neue Handelsverträge auf
Grund des Tarifentwurfs.
In allen bisher besprochenen Vorschlägen kehrt der Grund-
gedanke wieder, daß beim Scheitern des Entwurfs der geltende
autonome Tarif die Unterlage der Vertragsverhandlungen bilden
müsse. Es giebt aber noch eine vierte Richtung, die sich von diesem
Gedanken völlig entfernt. Sie nimmt an, daß es möglich sei, mit
fremden Staaten auf der Grundlage des Entwurfs’ zu verhandeln
und günstige Verträge zu erzielen, und sie will erst auf Grund der
Die Grundlage der künftigen deutschen Handelsvertragsverhandlungen. 733
so zustande gekommenen Tarifverträge den neuen autonomen Tarif
festgesetzt sehen. Hier wird mithin die Reihenfolge der Ereignisse
gerade umgekehrt gedacht, als sie bisher bei uns gewesen ist. Der
Vorschlag ist wiederholt in einem Teil der Presse zum Ausdruck ge-
kommen und hat auch in der Bevölkerung viel mehr Anhänger ge-
funden, als man gewöhnlich glaubt. Männer der verschiedensten
Richtungen — von der freisinnigen bis zur agrarischen — halten ein
solches Vorgehen für durchführbar, ja für wünschenswert, weil sie
meinen, daß dadurch die Kämpfe um Gestaltung des autonomen
` Tarifs entweder ganz in Wegfall kommen oder wenigstens erst nach
dem Vertragsabschluß und dann in weniger heftiger und zeit-
raubender Weise einsetzen würden. Der Gedankengang hat etwas
Bestechendes. Man darf auch zugeben, daß man in der ge-
schilderten Weise vorgehen könnte, wenn lediglich das Schema des
Tarifentwurfs festgehalten, bezüglich der Zollhöhe aber ein Ent-
gegenkommen bis unter die heutigen autonomen Sätze bewiesen
wird. Aber die Anhänger des Gedankens stellen sich zumeist die
Sache so vor, daß nicht nur das Schema, sondern auch der Inhalt
des Entwurfs als Grundlage dienen könne und daß es dabei ge-
lingen werde, an den Stellen, an denen unser wirtschaftliches Inter-
esse es erfordert, höhere Sätze zu vereinbaren, als der jetzige auto-
nome Tarif enthält. Wenn das möglich wäre, so wäre allerdings
nicht einzusehen, weshalb man sich die große Last der im Gange
befindlichen Beratungen über den Zolltarifentwurf auferlegt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob ein solches Verfahren unter
besonderen Umständen und bei vereinzelten Tarifstellen mit Aus-
sicht auf Erfolg anwendbar ist. Das eine ist jedenfalls zweifellos,
daß man nicht die gesamten Vertragsverhandlungen auf einen bloßen
Tarifentwurf aufbauen kann.
Verhandlungen, bei denen es sich in ausgedehntem Maße um
Bindung oder Ermäßigung von Zollsätzen dreht, sind der Natur der
Sache nach nur denkbar, wenn die zu bindenden oder zu ermäßi-
genden Zollsätze gesetzlichen Bestand haben, setzen also ihrer Idee
nach einen gesetzlich anerkannten Tarif voraus. Nur dieser, nicht
aber ein lediglich gewollter und angestrebter Tarif kann die Grund-
lage der Verhandlungen bilden. Kein Staat wird bereit sein, einen
Tarifentwurf zu Grunde zu legen, der in der Volksvertretung des
beteiligten Landes auf die größten Schwierigkeiten trifft und dort
möglicherweise überhaupt nicht durchzusetzen ist. Wie soll bei
einer solchen Sachlage dem Gegenkontrahenten die Fiktion glaublich
gemacht werden, daß die Zollansätze des Entwurfes die gleiche
bindende Kraft haben, wie die eines regelrecht zustande ge-
kommenen Gesetzes? Welche Auffassung im Auslande hierüber
besteht, zeigt deutlich die Aeußerung, die der italienische Minister
des Aeußeren unlängst in der Kammer gethan hat: Eine Verhand-
lung (über Handelsverträge) mit den beiden verbündeten Staaten
sei noch nicht möglich, da die neuen Tarife bisher weder in Deutsch-
land noch in Oesterreich-Ungarn festgesetzt seien. Hier wird es
734 Die Grundlage der künftigen deutschen Handelsvertragsverhandlungen.
als ganz selbstverständlich betrachtet, daß die Verhandlungen nur
von einem gesetzlich anerkannten Tarif ausgehen können.
Das ist innerlich auch vollkommen begründet. Wenn der Ent-
wurf als Ausgangspunkt der Verhandlungen dienen sollte, so haben
die fremden Staaten gar kein Interesse daran, in irgend einer Position
einen Zoll mit uns zu vereinbaren, der über den heutigen autonomen
Satz hinausgeht. Es ist schlechterdings unerfindlich, was sie dazu
veranlassen sollte, sich auf einen solchen höheren Satz zu ver-
pflichten. Sie würden sich ja dabei, falls durch die Genehmigung
des Handelsvertrages seitens des Reichstages die Erhebung der ver-
einbarten Zölle den deutschen Behörden ermöglicht wird, schlechter
stehen als die Staaten, die keine Verträge mit bestimmten Tarif-
sätzen abschließen und deshalb nur den niedrigeren autonomen Satz
zu zahlen haben. Ein Staat, der so vorgeht, würde sich selbst ge-
genüber konkurrierenden Ländern in Nachteil bringen. Wenn z.B.
nach unserem autonomen Tarif, der beim Scheitern der Vorlage
doch zunächst noch bestehen bleiben würde, aus allen Ländern, die
keinen Tarifvertrag mit uns abschließen, der Weizen zu 5 M., die
Gerste zu 2,25 M. für 1 dz eingeführt werden kann, welcher wirt-
schaftliche Anlaß könnte dann für Rußland vorliegen, sich im Handels-
vertrage einen Zoll von 5,50 M. für Weizen und von 3 M. für
Gerste auferlegen zu lassen? Rußland würde dadurch eine Dife-
renzierung des Zolles zu seinen Ungunsten und zum Vorteil kon-
kurrierender Länder herbeiführen, während es sich gerade behufs Be-
seitigung eines solchen Zustandes zum Handelsvertrage von 1894
entschlossen hat.
Wenn sich aber wirklich Staaten finden sollten, die bereit sind,
sich auf den höheren Zoll des Entwurfs zu verpflichten, so brauchten
sie sich nur gleichzeitig die allgemeine Meistbegünstigung auszu-
bedingen, um der Vereinbarung jede praktische Bedeutung zu
nehmen. Solange es bei Fortdauer des geltenden autonomen Tarifs
nur noch einen einzigen Staat giebt, der keinen Tarifvertrag mit
uns abgeschlossen hat und deshalb nach dem autonomen Tarif zu
behandeln ist, würden die Tarifvertragsstaaten unter Berufung auf
ihr Meistbegünstigungsrecht beanspruchen können, daß auch ihnen
gegenüber die niedrigeren Sätze des autonomen Tarifs zur An-
wendung kommen. Daß bei solcher Sachlage wertvolle Zugeständ-
nisse fremder Staaten zu Gunsten deutscher Industrieerzeugnisse zu
erzielen sein werden, kann im Ernst niemand annehmen.
Die einzige Form, in der sich Tarifverträge auf Grund des Ent-
wurfes denken ließen, wäre die, daß die vereinbarten Zollsätze nicht
dazu bestimmt werden, wirklich in Kraft zu treten, sondern nur die
obere Grenze für etwaige deutsche Zollerhöhungen während der
Vertragsdauer bezeichnen. So lange der geltende autonome Tarif
in Kraft steht, würde eine solche Vereinbarung ohne jede praktische
Bedeutung bleiben und sie würde auch bei späteren Zollerhöhungen
nur formellen Wert haben, so lange diese die im Vertrag verein-
barte obere Grenze nicht erreichen. Der Nutzen solcher vor-
Die Grundlage der künftigen deutschen Handelsvertragsverhandlungen. 735
beugenden Vereinbarungen würde für die kontrahierenden Staaten
sehr gering sein, zumal sie gar nicht vorhersehen können, welche
Sätze der spätere autonome Tarif enthalten wird. In gewissem
Sinne würde ihnen sogar ein Nachteil erwachsen können, da die
Gefahr besteht, daß die vereinbarte Obergrenze einen Anreiz zur
Einführung einer entsprechenden Zollsteigerung ausübt, also höhere
als die bisherigen Sätze auf ihre Waren gelegt werden. Die Gegen-
leistungen, die auf dieser Grundlage zu erzielen sind, würden des-
halb für unsere Ausfuhrindustrie nur sehr eng begrenzte Vorteile
bieten können.
Bei alledem wird es nicht leicht sein, solche Verträge zur par-
lamentarischen Erledigung zu bringen. Da sie nicht auf Grund
eines bestehenden Tarifes abgeschlossen sind, aber die Grundlage
eines solchen werden müssen, so wird der Reichstag schwerlich
bereit sein, seine Zustimmung ohne sorgfältige und eingehende
Prüfung der einzelnen Zollansätze der Verträge zu geben. Das wird
zum mindesten und bestenfalls einen so großen Zeitverlust zur Folge
haben, daß die drückende Unsicherheit über die Gestaltung der
handelspolitischen Beziehungen in unerträglicher Weise verlängert
werden würde. Kann aber auch nur für einen einzigen Zollsatz
— selbst wenn seine wirtschaftliche Bedeutung nicht besonders groß
ist — die Zustimmung des Reichstages nicht erlangt werden, so
wird die ganze Vereinbarung hinfällig, da der kontrahierende fremde
Staat sich zur Annahme eines veränderten oder zur Streichung eines
vereinbarten Satzes nicht verpflichtet hat. Es müssen dann neue
Verhandlungen eingeleitet werden, deren endgiltiges Ergebnis nicht
vorherzusehen ist, und der Zustand der Unsicherheit wird noch
mehr verlängert.
Wenn die auf Grund des Tarifentwurfs abgeschlossenen Ver-
träge die Grundlage des neuen autonomen Tarifes bilden sollen,
wird eine eingehende Beratung der Einzelheiten der Verträge schon
aus politischen Erwägungen kaum zu vermeiden sein, weil anderen
Falles der Reichstag einem starken moralischen Drucke unterworfen
werden müßte. Die Kämpfe, die sich an eine umfassende Zolltarif-
revision knüpfen, werden also durch die Vorwegnahme des Vertrags-
abschlusses nicht gespart; nur heften sie sich formell an den Inhalt
der Verträge, anstatt an den des Zolltarifentwurfs. Eine nennens-
werte Erleichterung oder Beschleunigung der ganzen Reformarbeit
wird auf diesem Wege nicht erreicht.
Wenn es wahr wäre, was wiederholt in der Oeffentlichkeit be-
hauptet ist, daß schon die große Zahl der Zolltarifpositionen die
rechtzeitige parlamentarische Erledigung ausschließe, so würde nach
dem Gesagten auch bei Vorwegnahme der Vertragsabschlüsse auf
Grund des Entwurfs das gleiche Hindernis fast in unverminderter
Schärfe bestehen. Freilich birgt gerade diese Behauptung eine
wenig hohe Meinung über die Leistungsfähigkeit und Selbstzucht
der deutschen Volksvertretung in sich, zumal aller Voraussicht nach
die nicht minder umfassenden Tarifreformen anderer Länder nicht
736 Die Grundlage der künftigen deutschen Handelsvertragsverhandlungen.
schon an ihrer Ausdehnung scheitern werden. Gerade die liberalen
Kreise des Volkes und seiner Vertretung haben Anlaß, die Einbuße
nicht zu leicht zu nehmen, die der deutsche Parlamentarismus in
der öffentlichen Wertschätzung erleiden müßte, wenn er wirklich
wegen der Größe der ihm gestellten Aufgabe versagen sollte.
VII. Das Verhalten der Parteien.
Die vorstehenden Erwägungen ergeben deutlich, daß alle in Be-
tracht gezogenen Wege sehr große, zum Teil unüberwindliche
Schwierigkeiten bieten und daß deshalb ein Scheitern der Vorlage
mehr als ein parlamentarischer Mißerfolg, daß es ein nationales Un-
glück sein würde, ganz besonders vom Standpunkt derjenigen, welche
ernsten Willens auf den baldigen Abschluß brauchbarer Handels-
verträge hinarbeiten. Gerade sie müssen sich sagen, daß es verkehrt ist,
den Entwurfin Bausch und Bogen zu verwerfen, wie es u. a. der Handels-
vertragsverein auch neuerdings wieder in der Resolution seines weiteren
Ausschusses vom 28. Mai 1902 gethan hat. Eine ruhige Erwägung
der Sachlage sollte und müßte ihnen zeigen, daß, nachdem einmal
der Entwurf eingebracht ist und die Augen der ganzen Kulturwelt
auf sich gezogen hat, sein Scheitern keine Erleichterung, sondern
eine bedeutende und vielleicht verhängnisvolle Erschwerung unseres
handelspolitischen Vorgehens nach sich ziehen muß. Die logische
Konsequenz daraus kann nur die sein, daß die Anhänger einer ver-
nünftigen Handelsvertragspolitik, so sehr sie sich auch bemühen,
die von ihnen empfundenen Lücken und Mängel des Entwurfs zu be-
seitigen, doch ehrlich und eifrig bestrebt sein müssen, die baldige
gesetzliche Verabschiedung des Entwurfs zu befördern. Daß bei
einem Gesetzgebungswerk, welches in die materiellen Interessen
aller Kreise des Volkes eingreift, nicht jedes einzelne Interesse voll
auf seine Rechnung kommen kann, versteht sich von selbst, und der
Kritik an dem, was zustande kommt, ist deshalb ein weiter Spiel-
raum geboten. Aber nirgends gilt mehr als hier der Satz, daß das
Bessere der Feind des Guten sei. Zu einer gedeihlichen Lösung
kann man nur gelangen, wenn man nicht in doktrinärem Starrsinn
auf seinem Sonderstandpunkte beharrt, sondern behufs Vermeidung
größeren und allgemeineren Uebels auch manches hinnimmt, was
nach diesem Sonderstandpunkte nicht erwünscht erscheint.
Hieran gemessen, erscheint das bisherige Verhalten der ver-
schiedenen Richtungen nicht politisch.
Keine der nicht extrem gesinnten bürgerlichen Parteien kann
dauernde Vorteile für sich und für das Land erwarten, wenn der
Entwurf scheitern sollte. Eine reine Freude daran würde nur die
äußerste Linke haben. Sie hat von vornherein erklärt, daß sie alles
daran setzen werde, den Entwurf zu Falle zu bringen. In der Kom-
mission haben ihre Vertreter daraus die Konsequenz abgeleitet, daß
sie fast durchgängig Zollfreiheit beantragen. Sachlich betrachtet,
Die Grundlage der künftigen deutschen Handelsvertragsverhandlungen. 731
läuft das auf eine einseitige, engherzige und kurzsichtige Betonung
des reinen Konsumentenstandpunktes hinaus. Daß dieser Stand-
punkt in einem so wichtigen Produktionsgebiet wie Deutschland nicht
allein maßgebend sein kann, wissen die Führer dieser Richtung
ebenso gut wie andere, Wenn sie sich gleichzeitig als Freunde der
Handelsverträge hinstellen, so ist ihnen sicher nicht unbekannt, daß
Deutschland nach seiner geographischen Lage, nach seiner wirt-
schaftlichen Gestaltung, nach seinen finanziellen Verhältnissen und
nach seinen politischen Beziehungen gegenwärtig eine freihändlerische
Politik nicht treiben kann, ohne jede Möglichkeit brauchbarer Handels-
verträge auszuschließen. Das Verhalten der Vertreter dieser Richtung
ist deshalb nur aus parteitaktischen Gründen zu verstehen. Sie
hoffen, die Erledigung der Vorlage so lange hinzuziehen, daß sie
die Neuwahlen unter dem Schlagwort „Brotwucher“ betreiben können.
Ein solches Schlagwort wirkt auf die große Menge, und es ist ganz
ausgeschlossen, demgegenüber der Masse der Wähler das feine Ge-
webe vernünftiger handelspolitischer Erwägungen klarzumachen,
das von den bürgerlichen Parteien gemäßigter Richtung im Wahl-
kampf verwertet werden müßte. Vielleicht würde ein solcher Aus-
gang auch noch extremen Vertretern der agrarischen Richtung nützen,
die auf die ländlichen Wählermassen mit der Ausführung glauben
wirken zu können, daß der drohenden „Vernichtung des Bauern-
standes‘ vorgebeugt werden müsse. Die beiden extremsten Richtungen
würden also bei Wahlen unter diesem Zeichen gewinnen. Die ge-
mäßigten Elemente aller Schattierungen aber werden nur mit stark
gelichteten Reihen in den Reichstag zurückkehren. Alsdann wird
ein neuer Zolltarif erst recht schwer durchzusetzen sein und, wenn
er durchgesetzt werden sollte, eine Gestalt erhalten, bei welcher
brauchbare, unseren Ausfuhrinteressen dienliche und unsere inneren
wirtschaftlichen Bedürfnisse hinreichend wahrende Handelsverträge
ausgeschlossen sind.
Unter solchen Umständen würde es geradezu eine handels-
vertragsfeindliche Politik sein, wenn dauernd — wie bisher — auf
der einen Seite übertrieben hohe Schutzzollforderungen gestellt und
auf der anderen Seite mechanisch die Ansätze des Entwurfs auf den
Stand des heutigen autonomen Tarifs heruntergeschraubt werden
und von noch anderer Seite der Versuch unternommen wird, auch
die Verhandlungsobjekte, die der geltende Tarif noch bietet, dadurch
völlig unwirksam zu machen, daß die bestehenden Vertragssätze in
die künftigen autonomen Sätze verwandelt werden. Das wenigstens
sind, von den äußersten Extremen abgesehen, die Hauptströmungen, die
sich bisher geltend gemacht haben. Dem Zustandekommen einer
Verständigung und Ausgleichung der Gegensätze dient die Schroff-
heit, mit der jede dieser Strömungen bis jetzt aufgetreten ist, keines-
wegs, und ebensowenig einer baldigen Erledigung der Sache, an
der gerade ihnen nach dem Gesagten liegen müßte. Sie tragen da-
durch entschieden zum Scheitern des Entwurfs bei und bringen es
so mit dahin, daß auch ein verständiges Ausmaß des Zollschutzes
Dritte Folge Bd. XXIII (LXXVIII). 47
738 Die Grundlage der künftigen deutschen Handelsvertragsverhandlungen.
verloren geht und daß vorteilhafte sichere Grundlagen unserer handels-
politischen Beziehungen zum Auslande entweder ganz unmöglich
gemacht oder doch in gefahrbringender Weise verzögert werden.
Man kann einwenden, daß die erste Lesung der Kommission
dazu dienen müsse, alle berechtigten Wünsche, die sich geltend
machen lassen, zur Sprache zu bringen; zur Hervorkehrung der
politischen und taktischen Erwägungen und zum Anbahnen einer
Verständigung sei später Zeit genug. Eine gewisse Berechtigung
ist dem Einwand zuzugestehen. Aber man darf auch bei dieser
Auffassung von der Aufgabe der ersten Kommissionsberatung nicht
die Rücksichten beiseite setzen, die sich aus der thatsächlichen
Gestaltung der Dinge ergeben. Wenn wirklich die Bereitwilligkeit
zu einer schließlichen Verständigung aus politischen und handels-
politischen Erwägungen bei einer Mehrheit der Kommissionsmitglieder
besteht — und auch in der bürgerlichen Linken scheint eine solche
Auffassung an Boden zu gewinnen — dann darf man die Brücke
dazu nicht erst durch die schroffe Hervorkehrung einer grund-
sätzlichen Gegnerschaft gegen das Reformwerk als Ganzes zerstören
und muß weiter das Maß der Anfechtung des Entwurfs auch zeit-
lich in solchen Schranken halten, daß die Gelegenheit zu einer
rechtzeitigen Verständigung nicht ausgeschlossen wird. Anderenfalls
könnte es dazu überhaupt zu spät werden, und dies „zu spät"
würde der deutschen Volkswirtschaft verhängnisvolle Nachteile zu-
fügen. Wer wird die Verantwortung dafür übernehmen können und
wollen?
= mmm
Nationalökonomische Gesetzgebung. 739
Nachdruck verboten.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
VII.
Die wirtschaftliche Gesetzgebung der deutschen Bundes-
staaten im Jahre 1900.
Von Dr. jur. et phil. Albert Hesse (Halle a. SL
(Fortsetzung und Schluß.)
Sachsen-Meiningen,
Sammlung der landesherrlichen Verordnungen
im Herzogtum Sachsen-Meiningen. 1900.
Gesetz, betr. die Besoldungsverhältnisse der Lehrer und Lehre-
rinnen der Volksschule. Vom 9. Februar 1900, S. 27.
Gesetz, betr. die Landeskreditanstalt. Vom 12. Februar 1900, S. 48.
T. Festsetzung der Gebühr für die Hinterlegung von Wertpapieren. II. Ertei-
lung der Befugnis, Grundstücke in anderen Bundesstaaten zu beleihen.
Gesetz, betr. die Abgaben für die Finanzjahre 1900, 1901 und 1902.
Vom 19. Februar 1900, S. 54.
I. 1) Erhebung der Einkommensteuer gemiüfs Art. 18 des Gesetzes vom 18. März
1890 am Ersten jedes Monats mit je „I; der Jahressteuer. Die Einkommensteuer der-
jenigen Steuerpflichtigen, deren Jahreseinkommen 700 M. nicht erreicht, bleibt aufser
Hebung, jedoch unter Aufrechterhaltung der Einschränkungen in Art. 6 Z. 5 des Ge-
setzes vom 18. März 1890. 2) Erhebung der Grundsteuer mit 54 Terminen zu je 4 des
Jahresbetrages am Ersten des letzten Monats des Quartals. 3) Erhebung der Gebäude-
steuer mit 12 Terminen zu je de der Jahressteuer am Ersten jedes Monats.
III. Haushaltsetat für die Jahre 1900, 1901 und 1902.
Domiinenkasse: Einnahmen 2 852860 M.
Ausgabe 1996 980 ,
Teberschujs 855 880 M.
(Davon die Hälfte zur Einnahme der Landeskasse.)
Landeskasse: Einnahme und Ausgabe balancieren mit 5 891 618 M.
Gesetz. betr. Abänderung des Gesetzes vom 25. Juni 1885 über
die Besteuerung des Gewerbebetriebes im Umherziehen. Vom 7. März
1900, 8. 63.
Aenderung von Art. 5 I: für Wanderlager ist aufser der im Art. 4 festgesetzten
Steuer für den Gewerbebetrieb im Umherziehen in jedem Ort, an welchem das Geschäft
durch den Inhaber oder durch einheimische Vermittler betrieben wird, und für jede
Verkaufsstätte für jeden Tag eine für die Gemeinde des Betriebsortes zu entrichtende
47*
740 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Steuer von 40 M. zu zahlen. Ermäfsigung in geeigneten Fällen bis auf die Hälfte. —
Art. 5, IV: für die Veranstaltung einer Versteigerung von Waren eines Wanderlager:
wird eine Steuer von 80 M. für den Tag erhoben. — Art. 5, II und III fallen fort.
Gesetz, betr. die Gebühren der Notare. Vom 11. Januar 1900, S. 1.
Gesetz, betr. die Kosten in Verwaltungssachen. Vom 25. Januar
1900, S. 9.
Verordnung, betr. die Umschreibung der auf den Inhaber ausge-
stellten Schuldverschreibungen auf den Namen des Inhabers. Vom
22. Januar 1900, S. 23. Ministerialbekanntmachung dazu. Vom 10, Fe-
bruar 1900, S. 47.
Sachsen-Altenburg.
Gesetzsammlung für das Herzogtum Sachsen-Altenburg
auf das Jahr 1900.
Höchste Verordnung, die weitere Ausführung des Gesetzes über
Zusammenlegung von Grundstücken betr. Vom 20. Februar 1900, S. 88.
Bekanntmachung des herzoglichen Ministeriums, Abteilung des In-
nern, betr. die Sammlung von Saatenstands- und Erntenachrichten. Vom
3. April 1900, S. 206.
| ; 15. September _, 979
Pferdeaushebungsvorschrift. Vom 23. Oktober 1900, S. 279.
Höchste Verordnung zur Ausführung des Telegraphenwegegesetzes
vom 18. Dezember 1899. Vom 13. Januar 1900, S. 13. Entsprechende
Ministerialverordnung vom 20. März 1900, S. 205.
Gesetz, betr. die Vorausleistungen gewerblicher Unternehmungen
zum Wegebau. Vom 13. Januar 1900, S. 14.
Wird ein Vicinal- oder Kommunikationsweg infolge des Betriebs gewerblicher
Unternehmungen dauernd in erheblichem Mafse abgenutzt, so kann auf Antrag der-
jenigen, deren Unterhaltslast durch solche Unternehmungen vermehrt wird, dem Unter-
nehmer nach Verhältnis dieser Mehrbelastung ein angemessener Beitrag als Voraus
leistung zu der Unterhaltung des betr. Weges auferlegt werden. Feststellung durch Fer-
einbarung unter den Beteiligten; kommt diese nicht zu stande, Festsetzung auf Antrag
des Unterhaltspflichtigen durch das Landratsamt nach Vernehmung beider Teile wnd
Begutachtung durch das Bauamt nach billigem Ermessen. Beschwerde binnen 4 Wochen
ohne Suspensivefiekt. Beitreibung ev. im Verwaltungszwangsverfahren.
Gesetz, betr. Errichtung einer Handelskammer. Vom 7. Mai 100,
S. 185. Dazu: Höchste Verordnung vom 25. September 1900, S. 256.
Höchste Verordnung zur Ausführung des Reichsgesetzes vom 30. Juni
1900, betr. die Abänderung der Gewerbeordnung. Vom 6. Oktober 1900,
S. 261. Anweisung zur Ausführung der Artikel 1, 3, V, 5 und 14 des
Gesetzes, betr. die Abänderung der Gewerbeordnung vom 30. Juni 1900.
Vom 6. Oktober 1900, S. 262, ;
Anweisung zur Ausführung der Kaiserlichen Verordnung, betr. die
Inkraftsetzung der im $ 154, III der Gewerbeordnung getroffenen Be-
stimmungen, vom 9. Juli 1900 und der Bekanntmachung, betr. die Aus-
führungsbestimmungen des Bundesrats über die Beschäftigung von jugend-
lichen Arbeitern und von Arbeiterinnen in Werkstätten mit Motorbe-
trieb, vom 13. Juli 1900. Vom 18. Dezember 1900, S. 317.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 741
Verordnung, das Verfahren vor den unteren Verwaltungsbehörden
in Invalidenversicherungssachen betr. Vom 9. Januar 1900, S. 1.
Bekanntmachung, die weitere Ausführung des Invalidenversiche-
rungsgesetzes vom 13. Juli 1899 betr. Vom 20. Februar 1900, S. 65.
Bekanntmachung des Herzoglichen Gesamtministeriums, die Be-
freiung von der Versicherungspflicht auf Grund des $ 6, II des Inva-
lidenversicherungsgesetzes betr. Vom 28. Februar 1900, S. 95.
Gesamtministerialbekanntmachung, betr. die Wahlordnung für die
Wahl der Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten zum Aus-
schuß der Thüringischen Landesversicherungsanstal. Vom 18. Juni
1900, S. 221.
Gesamtministerialbekanntmachung, betr. das Verfahren der $$ 131 ff,
158, 160 des Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899. Vom
20. Juni 1900, S. 227.
Verordnung zur Ausführung des Reichsgesetzes, die Abänderung
der Unfallversicherungsgesetze vom 30. Juni 1900 und der damit im
Zusammenhang stehenden Reichs- und Landesgesetze betr. Vom 24. Sep-
tember 1900, S. 257.
Verordnung, das Schiedsgericht für Arbeiterversicherung betr. Vom
10. Dezember 1900, S. 341.
Verordnung des Herzoglichen Gesamtministeriums, die Besetzung
der Subaltern- und Unterbeamtenstellen bei den Kommunalbehörden etc.
mit Militäranwärtern betr. Vom 18. Februar 1900, S. 39.
Gesetz, betr. die Gewährung von Dienstalterszulagen. Vom 7. Mai
1900, S. 193.
Höchste Verordnung zur Ausführung des Gesetzes, betr. die Stempel-
steuer. Vom 20. Februar 1900, S. 37. Verordnung des Herzoglichen
Ministeriums, Abteilung der Finanzen, zur Ausführung des Gesetzes,
betr. die Stempelsteuer, vom 24. Dezember 1899. Vom 1. März 1900,
S. 69. Abänderung derselben durch Verordnung vom 29. März 1900,
S. 182.
Gesetz, betr. verschiedene Veränderungen in der Organisation der
unteren Verwaltungsbehörden. Vom 13. Januar 1900, S. 12. Dazu:
Höchste Verordnung vom 16. März 1900, S. 96.
Sachsen-Coburg-Gotha.
Gesetzsammlung für das Herzogtum Coburg. Jahrgang
1900.
Gesetzsammlung für das Herzogtum Gotha Jahrgang
1900.
I. Coburg.
Abgabengesetz für das Herzogtum Coburg auf die Zeit von 1. Juli
1899 bis 30. Juni 1901, als den Rest der laufenden Finanzperiode.
Vom 24. Februar 1900, S. 5.
Bestimmungen hinsichtlich der Erhebung der Grundsteuer, der Einkommen- und
Klassensteuer.
742 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Gesetz, den Voranschlag für den Staatshaushalt des Herzogtums
Coburg auf die Zeit vom 1. Juli 1899 bis 30. Juni 1901 betr. Vom
26. Februar 1900, S. 9.
Einnahme und Ausgabe jedes Jahres balancieren mit 1019 120 M.
Gesetz, betr. die Abänderung der Gesetze über die Erhebung einer
Kommunalabgabe vom Bier, vom 23. März 1878 und 17. September
1878. Vom 27. Februar 1900, S. 12.
Festsetzung der von den Stadtkassen zum Bezirksfonds einzuzahlenden Aversal-
vergütungen.
Gesetz, die Fürsorge für die Witwen und Waisen der evangelischen
Geistlichen des Herzogtums Coburg betr. Vom 2. März 1900, 8. 18.
Gesetz, betr. Abänderung des Gesetzes vom 5. Dezember 189,
betr. die Besoldungsverhältnisse der Volksschullehrer, bezw. des Volks-
schulgesetzes für das Herzogtum Coburg vom 27. Oktober 1874. Vom
3. März 1900, S. 21.
Gesetz, die Fürsorge für die Witwen und Waisen der Land- und
Landstadtschullehrer, sowie die Gnadenbezüge betr. Vom 4. März
1900, S. 26.
Gesetz, die Abänderung des Volksschulgesetzes vom 27. Oktober
1874 betr. Vom 6. März 1900, S. 48.
Gesetz, die Abänderung des die Schonzeit des Wildes regelnden
Artikels 1 des Gesetzes vom 12. Juli 1882 betr. Vom 7. März 1900,
S. 52.
Verordnung, betr. den Verkehr mit Milch. Vom 8. September 1900,
S. 231.
Gesetz, betr. die Anwendung des gemeinschaftlichen Gesetzes, betr.
die Errichtung eines Verwaltungsgerichtshofes vom 14. November 1899,
auf das Gesetz, die Einkommen- und Klassensteuer betr., vom 16. Juni
1874. Vom 8. März 1900, S. 53.
II. Gotha.
Gesetz, betr. die Feststellung des Voranschlages für den Staats-
haushalt des Herzogtums Gotha in den Jahren 1899/1900 und 1900/1901.
Vom 10. April 1900, S. 115.
Für jedes der beiden Jahre: Einnahme 2 329 980,78 M.
Ausgabe 2450 782,44 M.
Abgabengesetz für das Herzogtum Gotha auf die beiden Rech-
nungsjahre 1. Juli 1899/1900 und 1900/1901. Vom 10. April 1900,
S. 127.
Bestimmt die Termine für die Erhebung der Grundsteuer, Einkommen- und Klassen-
steuer. Die 16., 17. und 18. Stufe der Klassensteuer werden vom 1. Juli 1900 ab für
weibliche Steuerpflichtige aufser Hebung gesetzt.
Gesetz, die Aufnahme einer Anleihe der Staatskasse des Herzog-
tums Gotha betr. Vom 18. April 1900, S. 129.
Ausgabe von auf den Inhaber lautenden seitens der Gläubiger unkündbaren ver-
zinslichen Schuldverschreibungen im Nennwert von 2 Mill. M.
Verordnung, betr. den Verkehr mit Milch. Vom 4. Mai 1900,
S. 153.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 743
III. Gemeinsame Bestimmungen.
Ministerialbekanntmachung, betr. die Errichtung einer Handwerks-
kammer für die Herzogtümer Coburg und Gotha. Vom 3. August 1900,
S. 202 bezw. 169.
Verordnung zur Ausführung des Reichsgesetzes, betr. die Abände-
rung der Gewerbeordnung vom 30. Juni 1900. Vom 17. Oktober 1900,
S. 242 bezw. 199.
Ministerialverfügung, die Ausführung des Telegraphenwegegesetzes
vom 18. Dezember 1899 betr. Vom 9. Januar 1900, S. 2 bezw. 1.
Ministerialbekanntmachung, die weitere Ausführung des Invaliden-
versicherungsgesetzes vom 19. Juli 1899 betr. Vom 28. Februar 1900,
S. 31 bezw. 3.
Ministerialbekanntmachung, betr. die Wahlordnung für die Wahlen
der Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten zum Ausschuß der
Thüringischen Landesversicherungsanstalt. Vom 14. Juni 1900, S. 177
bezw. 159.
Verordnung zur Ausführung des Reichsgesetzes vom 30. Juni 1900,
betr. die Abänderung der Unfallversicherungsgesetze, in der Fassung
der Bekanntmachung vom 5. Juli 1900. Vom 17. Oktober 1900, S. 238
bezw. 195.
Ministerialbekanntmachung, die Besetzung der Subaltern- und Unter-
beamtenstellen bei den Kommunalbehörden etc. mit Militäranwärtern
betr. Vom 9. März 1900, S. 56 bezw. 19.
Verordnung, betr. die Ausführung der Coburg-Gothaischen Notariats-
ordnung vom 23. Oktober 1899, sowie die Gebührenordnung für Notare
vom 15. Dezember 1899. Vom 1. April 1900, S. 141 bezw. 103.
Anhalt.
Gesetzsammlung für das Herzogtum Anhalt. 16. Bd.
S. 449 bis Ende. 17. Bd. S. 1—111.
Gesetz, betr. die Errichtung einer Landwirtschaftskammer. Vom
2. April 1900, S. 661.
Verordnung, betr. die Einführung einer neuen Pferdeaushebungs-
vorschrift. Vom 11. Oktober 1900, S. 37.
Verordnung, betr. die Abschätzung von Grundstücken. Vom
17. November 1900, S. 99.
Landespolizeiverordnung, betr. den Verkehr mit Butter. Vom 21. De-
zember 1899, S. 449.
Bekanntmachung, betr. die Ausführung des Telegraphenwegegesetzes
vom 18. Dezember 1899. Vom 3. Januar 1900, S. 453.
Gesetz, betr. die äußere Heilighaltung der Sonn- und Festtage.
Vom 2. April 1900, S. 673.
Verordnung, betr. den Transport von schweren, unteilbaren Lasten
auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen. Vom 23. Juli 1900,
S. 23.
Ausführungsverordnung zum Reichsgesetz vom 30. Juni 1900, betr.
Abänderung der Gewerbeordnung. Vom 1. Oktober 1900, S. 35.
744 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Bekanntmachung, betr. die Besetzung der Subaltern- und Unter-
beamtenstellen bei den Kommunalbehörden etc. mit Militäranwärtern.
Vom 13. Januar 1900, S. 457.
Gesetz, betr. die Befreiung der Geistlichen von den Witwenkassen-
leistungen. Vom 13. April 1900, S. 701.
Gesetz, betr. die Abänderung des mit dem Gesetz vom 16. April
1899 erlassenen Normalbesoldungstarifs der etatsmälig angestellten Ver-
waltungs- und Justizbeamten mit Ausschluß der Richter. Vom 27. April
1900, S. 717.
Verordnung, betr. die Abänderung des mit der Verordnung vom
10. Mai 1894 erlassenen Normalbesoldungstarifs für die Beamten der
Verwaltung der direkten Steuern. Vom 31. Mai 1900, S. 1.
Ministerialverordnung, betr. die Ausführung der Unfallversicherungs-
gesetze. Vom 1. Oktober 1900, S. 31.
Gesetz, den Hauptfinanzetat des Herzogtums Anhalt für das Jahr
vom 1. Juli 1900/1901 betr. Vom 13. April 1900, S. 705.
Balanciert in Einnahme und Ausgabe mit 15 487 000 M.
Gesetz, betr. das Verwaltungsstrafverfahren bei Zuwiderhandlungen
gegen die Zollgesetze und die sonstigen Vorschriften über indirekte
Reichsabgaben. Vom 30. März 1900, S. 643.
Gesetz, enthaltend die landesgesetzlichen Vorschriften über die
Gebühren der Rechtsanwälte und der Gerichtsvollzieher. Vom 23. März
1900, S. 631.
Schwarzburg-Sondershausen.
Gesetzsammlung für das Fürstentum Schwarzburg-
Sondershausen vom Jahre 1900.
Pferdeaushebungsvorschrift. Vom 3. September 1900, S. 309.
Ministerialbekanntmachung, betr. die Redaktion des Gesetzes vom
13. April 1881 über das Verfahren in Auseinandersetzungsangelegen-
heiten. Vom 13. Februar 1900, S. 137.
Höchste Verordnung, das Inkrafttreten des Gesetzes, betr. die Er-
richtung einer öffentlichen Schlachtviehversicherungsanstalt für das
Fürstentum, vom 30. Juli 1899 betr. Vom 8. Juli 1900, S. 279. Aus-
führungsverordnung zu dem Gesetz vom 30. Juli 1899. Vom 10. Juli
1900, S. 281.
Gesetz, betr. Abänderung des $ 11 des Gesetzes vom 17. Februar
1870 über Ausübung der Jagd und Erstattung des Wildschadens. Von
19. Dezember 1900, S. 363.
Ministerialbekanntmachung, betr. die Redaktion der Ministerial-
verordnung vom 11. März 1880 über den Umfang der Befugnisse und
Verpflichtungen und den Geschäftsbetrieb der Pfandleiher. Vom 8. März
1900, S. 163.
Gesetz, betr. die Aufhebung der alten Landesverordnungen über
die Feier der Sonn- und Festtage. Vom 18. März 1900, S. 171. `
Höchste Verordnung, die äußere Heilighaltung der Sonn- und Feier-
tage betr, Vom 25. Dezember 1900, S. 387.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 745
Ministerialverordnung, die Errichtung einer Handwerkskammer in
Arnstadt betr. Vom 31. März 1900, S. 235.
Ausführungsverordnung zu dem Reichsgesetz vom 30. Juni 1900,
die Abänderung der Gewerbeordnung betr. Vom 12. September 1900,
S. 345. -
Ministerialverordnung, enthaltend weitere Ausführungsbestimmungen
zum Invalidenversicherungsgesetz vom 13. Juli 1899. Vom 11. Januar
1900, S. 41. Entsprechende Verordnungen vom 18. Januar 1900, S. 93,
und vom 28. Februar 1900, S. 152. Diesbezügliche Bekanntmachungen
vom 31. Januar 1900, S. 107, 22. April 1900, S. 239, und 6. Juni
1900, S. 271.
Ausführungsverordnung zu dem Reichsgesetze vom 30. Juni 1900,
betr. die Abänderung der Unfallversicherungsgesetze in der Fassung
der Bekanntmachung vom 5. Juli 1900. Vom 25. September 1900,
H 346.
Gesetz, betr. den Staatsdienst, Staatsbeamtengesetz. Vom 19. Dezember
1900, S. 365. Verordnung, betr. das Inkrafttreten dieses Gesetzes. Vom
21. Dezember 1900, S. 381.
Gesetz, betr. Aufhebung der Amtskautionen der Staatsdiener. Vom
30. Dezember 1899, S. 14.
Höchste Verordnung betr. Beamtenbesoldung. Vom 2. Mai 1900,
S. 261. Entsprechende Verordnungen vom 4. Mai 1900, S. 267 und
270, vom 16. Dezember 1900, S. 358 und 360.
Gesetz, betr. die Neuregelung des Einkommens der Geistlichen.
Vom 21. Dezember 1900, S. 383.
Gesetz, die Pensionierung der Geistlichen betr. Vom 31. Dezember
1900. S. 399.
Ministerialbekanntmachung, die den Militäranwärtern bei den Kom-
munen des Fürstentums vorbehaltenen Stellen betr. Vom 31. Januar
1900. S. 113. Entsprechende Bekanntmachung hinsichtlich der Staats-
stellen. Vom 27. August 1900, S. 307.
Finanzgesetz für die Finanzperiode 1900—1903. Vom 8. Januar
1900, S. 19.
Ordentlicher Etat: jährlich 8340183 M.
Aujserordentlicher Etat: insgesamt 166 800 M.
Nachtragsgesetz vom 29. Dezember 1900, S. 396.
Für die Jahre 1901—1908 werden dem Ordinarium jeweils 41650 M. in Ein-
nahme und Ausgabe hinzugesetzt.
} Einnahme und Ausgabe.
Verordnung, den Zinssatz für hinterlegte Gelder betr. Vom
9. Januar 1900, S. 15.
Ministerialbekanntmachung, betr. die Redaktion des Gerichtskosten-
gesetzes. Vom 12. Januar 1900, S. 47. Entsprechende Bekanntmachung,
betr. das Notariatskostengesetz. Vom 12. Januar 1900, S. 89.
Verordnung, betr. die Veröffentlichung des Ausführungsgesetzes
zum Reichsgesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichts-
barkeit. Vom 10. Februar 1900, S. 133.
746 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Schwarzburg-Rudolstadt.
Gesetzsammlung für das Fürstentum Schwarzburg-
Rudolstadt 1900.
Ministerialverordnung, betr. die Ermittelung der land- und forst-
wirtschaftlichen Bodenbenutzung im Jahre 1900. Vom 23. Mai 1900,
S. 369.
Ministerialbekanntmachung, die Viehzählung am 1. Dezember 1900
betr. Vom 9. Oktober 1900, S. 398.
Pferdeaushebungsvorschrift. Vom 20. Oktober 1900, S. 407.
Ministerialbekanntmachung, betr. Errichtung einer gemeinsamen
Handwerkskammer. Vom 6. April 1900, S. 271. Dazu: Bekannt-
machung vom 14. Mai 1900, S. 366.
Verordnung zur Ausführung des Reichsgesetzes, betr. die Ab-
änderung der Gewerbeordnung vom 30. Juni 1900. Vom 27. September
1900, S. 383.
Verordnung zur Ausführung des Reichsgesetzes vom 29. Juli 1590,
betr. die Gewerbegerichte. Vom 3. Januar 1900, S. 5
Verordnung zur Ausführung des Telegraphenwegegesetzes vom
18. Dezember 1899. Vom 9. Januar 1900, S. 57
Ministerialbekanntmachung zum Invalidenversicherungsgesetz. Vom
2. Januar 1900, S. 8 (betr. $$ 141, 144, 148, 149, 152, 158, 160, 163,
131, I und 135, II). Entsprechende Bekanntmachungen vom 2. Januar
1900, S. 17 (zu $ 63); vom 3. Januar 1900, S. 31 (§§ 57—64); vom
4. Januar 1900, S. 46 (zu $ 6, II); vom 5. Januar 1900, S. 50 ($ 4, I):
vom 6. Januar 1900, S. 53 (88 31, 191); vom 27. Februar 1900, S. 160
($ 151, TI); vom 26. an ge S. 341 (§§ 131 ff, 158, 160); vom
30. Mai 1900, S. 371 ($$ 76, 77).
Verordnung, betr. die Ausführung der Unfallversicherungsgesetze
vom 30. Juni 1900 in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Juli
1900. Vom 27. September 1900, S. 381.
Verordnung, betr. das Rekursverfahren nach dem Invalidenversiche-
rungsgesetz und den Unfallversicherungsgesetzen. Vom 27. September
1900, S. 382.
Gesetz, die Besoldung der Volksschullehrer betr. Vom 21. Dezember
1899, 8. 1.
Gesetz, betr. Abänderungen der gesetzlichen Bestimmungen über
die Pensionierung der Civilstaatsdiener. Vom 28. Februar 1900, S. 158.
Verordnung, betr. die Besetzung der Subaltern- und Unterbeamten-
stellen bei den Kommunalbehörden mit Militäranwärtern. Vom 23. März
1900, S. 277.
Gesetz, betr. die Feststellung des Prozentsatzes für die zu er-
hebende Grund- und Gebändesteuer. Vom 29. Dezember 1899, S. 3.
8 Proz. des Reinertrages der steuerpflichtige n Liegenschaften und 4 Proz des
Nutzungswertes der steuerpflichtigen Gebäude Jür die Finanzperiode der Jahre 19%,
1901 und 1902.
Gesetz, den Staatshaushaltsetat der Finanzperiode 1900, 1901 und
1902 betr. Vom 5. Februar 1900, S. 83.
Einnahme und Ausgabe jedes Jahres baluncieren mit 8 096 800 M.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 747
Verordnung, betr. das Verfahren über Entschädigung des Wild-
schadens. Vom 19. Februar 1900, S. 89.
Bekanntmachung des Textes des Gesetzes, betr. das Verwaltungs-
zwangsverfahren wegen Beitreibung von Geldbeträgen in der vom
1. Januar 1900 an geltenden Fassung. Vom 19. Februar 1900, S. 93.
Dazu: Ausführungsverordnung vom 19. Februar 1900, S. 113.
Austührungsgesetz zu dem Reichsgesetze über die Zwangsversteige-
rung und die Zwangsverwaltung. Vom 28. Februar 1900, S. 163.
Ausführungsgesetz zur Grundbuchordnung. Vom 28. Februar 1900,
S. 169.
Gesindeordnung. Vom 28. Februar 1900, S. 175.
Ministerialbekanntmachung, betr. die Ausführung der Volkszählung
am 1. Dezember 1900. Vom 20. September 1900, S. 385.
Waldeck.
Fürstlich Waldeckische Regierungsblätter
vom Jahre 1900.
Gesetz, betr. die Verpflichtung der Gemeinden zur Bullenhaltung.
Vom 8. Januar 1900, S. 21.
Pferdeaushebungsvorschrift. Vom 3. September 1900, S. 173.
Polizeiverordnung, betr. die Errichtung und den Betrieb von Dampf-
fässern. Vom 30. August 1900, S. 159.
Höchste Verordnung, betr. die Fürsorge für die Waisen der Fürst-
lichen Domanialbeamten und Mitglieder des engeren Konsistoriums. Vom
30. Dezember 1899, S. 1.
Bekanntmachung, betr. den Tarif der von den Waldeckischen
Armenverbänden einander zu erstattenden Armenpflegekosten. Vom
15. Oktober 1900, S. 199.
Bekanntmachung, betr. die Ausführung des Invalidenversicherungs-
gesetzes vom 19. Juli 1899. Vom 16. Januar 1900, S. 3.
Bekanntmachung, betr. die Unfallversicherungsgesetze vom 30. Juni
1900. Vom 14. November 1900, S. 203.
Kirchengesetz, die Pensionierung der Pfarrer, die Adjunktur und
das Vikariat betr. Vom 19. Dezember 1900, S. 207.
Verordnung, betr. das Verwaltungszwangsverfahren wegen Bei-
treibung von Geldbeträgen. Vom 17. Januar 1900, S. 83.
Landesherrliche Verordnung, betr. das Verfahren in Auseinander-
setzungsangelegenheiten. Vom 25. Juni 1900, S. 135.
Bekanntmachung, betr. die Volkszählung am 1. Dezember 1900.
Vom 7. September 1900, S. 155.
Reufs a L
Gesetzsammlung für das Fürstentum Reuß älterer
Linie 1900.
Pferdeaushebungsvorschrift. Vom 12. September 1900, S. 185.
Regierungsbekanntmachung, die Viehzählung am 1. Dezember 1900
748 Nationalökonomische Gesetzgebung.
betr., zugleich als Anweisung für die Gemeindevorstände, Vom 5. No-
vember 1900, S. 232.
Regierungsverordnung zur Ausführung des Gesetzes vom 26. Juli
1897, betr. die Abänderung der Gewerbeordnung. Vom 17. Februar
1900, S. 18.
Regierungsverordnung zur Ausführung des Reichsgesetzes, betr.
die Abänderung der Gewerbeordnung vom 30. Juni 1900. Vom
20. August 1900, S. 179.
Statut für die Handwerkskammer zu Greiz und Wahlordnung. Vom
27. März 1900, S. 25.
Regierungsverordnung zur Ausführung des Telegraphenwegegesetzes
vom 18. Dezember 1899. Vom 11. Januar 1900, S. 1.
Regierungsbekanntmachung, betr. die Invalidenversicherung. Vom
24. Januar 1900, S. 2. Entsprechende Bekanntmachungen vom 9. Februar
1900, S. 4; vom 16. Februar 1900, S. 18; vom 11. Mai 1900, S. 132;
vom 12. Mai 1900, S. 136; vom 19. Juni 1900, S. 155.
Regierungsbekanntmachung, betr. Veränderung des Namens der
Thüringischen Versicherungsanstalt. Vom 7. Februar 1900, S. 3.
Regierungsverordnung, die Ausführung des Invalidenversicherungs-
gesetzes vom 13. Juli 1899 betr. Vom 21. Dezember 1900, S. 241.
Regierungsbekanntmachung zur Ausführung der Bekanntmachung,
betr. die Ausführungsbestimmungen des Bundesrats über die Be-
schäftigung von jugendlichen Arbeitern und von Arbeiterinnen in Werk-
stätten mit Motorbetrieb, vom 13. Juli 1900. Vom 24. August 1900,
S. 180. Entsprechende Bekanntmachung vom 29. Dezember 1400,
S. 248.
Regierungsverordnung zur Ausführung des Gewerbe- und des Bau-
unfallversicherungsgesetzes vom 30. Juni 1900 in der Fassung der Be-
kanntmachung vom 5. Juli 1900. Vom 27. September 1900, S. 225.
Verordnung zur weiteren Ausführung dieses Gesetzes vom 22. Dezeniber
1900, S. 242. Entsprechende Verordnung zur Ausführung des Unfall-
versicherungsgesetzes für Land- und Forstwirtschaft vom 27. September
1900, S. 225; zur Ausführung des Seeunfallversicherungsgesetzes vom
24. Dezember 1900, S. 244.
Regierungsverordnung, das Schiedsgericht für Arbeiterversiche-
rung und das Landesversicherungsamt betr. Vom 28. Dezember 1900,
S. 245.
Patent, die für das Jahr 1900 zu entrichtende Einkommensteuer
betr. Vom 14. März 1900, S. 21.
Festsetzung der Termine.
Regierungsverordnung bezüglich einiger aus Anlaß des Reichs-
gesetzes vom 14. Juni 1900, betr. Abänderung des Reichsstempelgesetzes
vom 27. April 1894, zu erlassender Bestimmungen. Vom 7. Juli 1900.
S. 175.
Regierungsbekanntmachung, die am 1. Dezember 1900 stattfindende
Volkszählung betr. Vom 3. November 1900.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 749
Reuß j. L.
Gesetzsammlung für das Fürstentum Reuß jüngerer
Linie 1900.
Gesetz, betr. die Bekämpfung des Vertragsbruchs landwirtschaft-
licher Arbeiter und Arbeitgeber. Vom 12. Mai 1900, S. 137.
I. Bei widerrechtlichem Verweigern des Antritts oder Verlassen der Arbeit, auf
Antrag des Arbeitgebers nach dessen Wahl Geldstrafe bis 80 M. oder zwangsweise Zu-
führung. Antragsfrist eine Woche. Zurücknahme zulässig. IL. Widerrechtliches Ver-
weigern der Annahme oder Entlassen: Geldstrafe bis 80 M. TII. Verleiten zur wider-
rechtlichen Verweigerung des Antritts oder zum Verlassen der Arbeit: Geldstrafe bis
zu 150 M.; daneben Haftung für den entstandenen Schaden solidarisch. IV. Wissent-
liche Annahme vertragsbrüchiger Arbeiter: Geldstrafe bis zu 150 M. V. Landwirt-
schaftliche Arbeiter, welche die Arbeitgeber zu gewissen Handlungen oder Zugeständ-
nissen dadurch zu bestimmen suchen, dafs sie eine vertragswidrige Einstellung der
Arbeit oder eine Verhinderung derselben bei einzelnen oder mehreren Arbeitgebern unter-
einander verabreden, werden mit Gejängnis bis zu 6 Monaten bestraft. Die Anstifter
unterliegen der gleichen Strafe, auch wenn sie keine landwirtschaftlichen Arbeiter sind.
Pferdeaushebungsvorschrift. Vom 30. August 1900, S. 167.
Statut, die gemeinsame Handwerkskammer zu Gera betr. Vom
15. März 1900, S. 113.
Ministerialverfügung, betr. die Ausführung des Telegraphenwege-
gesetzes vom 18. Dezember 1899. Vom 4. Januar 1900, S. 1.
Ministerialverfügung, die weitere Ausführung des Invalidenversiche-
rungsgesetzes vom 19. Juli 1899 betr. Vom 5. Januar 1900, S. 3. Ent-
sprechende Verfügungen vom 6. Januar 1900, S. 23; vom 18. Januar
1900, S. 25.
Ministerialverfügung, betr. die Uebersichten der Fabriken, in denen
Arbeiterinnen und jugendliche Arbeiter beschäftigt werden. Vom 2. Ja-
nuar 1900, S. 19.
Ministerialverfügung zur Ausführung der Unfallversicherungsgesetze
vom 30. Juni 1900 in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Juli
1900. Vom 22. September 1900, S. 207.
Ministerialverfügung, die Besetzung der Subaltern- und Unter-
beamtenstellen bei den Kommunalbehörden etc. mit Militäranwärtern
betr. Vom 30. Januar 1900, S. 81.
Volksschulgesetz. Vom 31. Juli 1900, S. 139.
Schaumburg-Lippe.
Schaumburg-Lippische Landesverordnungen.
Jahrgang 1900.
Höhere Bekanntmachung wegen Ausführung des Reichstelegraphen-
wegegesetzes vom 18. Dezember 1899. Vom 6. Februar 1900, S. 7.
Polizeiverordnung, betr. icherheitspolizeiliche Vorschriften beim
Bergwerksbetrieb. Vom 7. Februar 1900, S. 9. Diesbezügliche Ver-
ordnung, betr. den Verkehr mit Sprengstoffen. Vom 24. Februar 1900,
S. 61.
Anweisung zur Ausführung des Gesetzes, betr. die Abänderung der
Gewerbeordnung, vom 30. Juni 1900. Vom 8. Oktober 1900, S. 377.
750 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Verordnung, betr. die Aufbringung der durch die Errichtung und
Thätigkeit der Handwerkskammer erwachsenden Kosten. Vom 15. De-
zember 1900, S. 401.
Bekanntmachung, betr. die Krankenversicherung der Arbeiter. Vom
17. Februar 1900, S. 58.
Verordnung, betr. das Invalidenversicherungsgesetz. Vom 25. Fe-
bruar 1900, S. 75. Anweisung vom 10. März 1900, S. 87.
Verordnung, betr. die Errichtung eines Schiedsgerichts für Arbeiter-
versicherung. Vom 8. November 1900, S. 391.
Höhere Bekanntmachung, betr. die Ausführung des Reichsgesetzes,
die Unfallfürsorge für Gefangene betr. Vom 24. Dezember 1900, S. 427,
. Verordnung, betr. die Bestellung von Waisenräten. Vom 29, De-
zember 1900, S. 429.
Gesetz, betr. die Feststellung des Landeskassenetats für das Rech-
nungsjahr 1900. Vom 25. März 1900, S. 115.
Einnahme und Ausgabe betragen je 1070 612,26 M.
Gesetz, betr. die Aufhebung kirchlicher Abgaben und Leistungen.
Vom 25. März 1900, S. 121.
Bekanntmachung, betr. Ausführung des $ 367 des H.G.B. vom
10. Mai 189% Vom 25. Januar 1900, S. 5.
Gesetz, betr. die Umschreibung von auf den Inhaber lautenden
Schuldverschreibungen auf den Namen der Inhaber. Vom 25. März
1900, S. 124. Ausführungsverordnung dazu vom 7. April 1900, S. 127.
Verordnung, betr. das Verwaltungszwangsverfahren wegen Beitrei-
bung von Geldbeträgen. Vom 15. September 1900, S. 271. Austüh-
rungsanweisung vom 20. September 1900, S. 293. Allgemeine Verfügung,
betr. die zuständigen Behörden. Vom 30. Oktober 1900, S. 387. Ent-
sprechende Verfügung vom 13. Dezember 1900, S. 399.
Lippe.
Gesetzsammlung für das Fürstentum Lippe. 1900.
Gesetz, betr. Ablösung von Holz- und Streuberechtigungen. Vom
14. November 1900, S. 177.
I. Allgemeines. II. Abfindung. III. Berechtigungen Dritter. IV. Wertermite-
lung der Abfindung. a) Landabfindung. b) Waldabfindung. V. Wertermattelung a) der
Holzabyabe 1) bei Waldzulänglichkeit, 2) bei Waldunzulänglichkeit, b) Wertermite-
lung der Streuberechtigungen. VI. Gegenbeträge. VII. Verfahren. VIII. Kosten des
Verfahrens. IX. Zuständigkeit der Behörden. X. Sachverständige. XI. Schlujsbe-
merkung.
Verordnung, die Herstellung von Schornsteinen, Feuerungsstätten
und besonders feuergefährlichen Anlagen betr. Vom 13. Januar 190,
S. 26.
Allgemeine Verfügung, betr. die Herstellung einer Statistik der
Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschalten. Vom 28. Juni 1900, 8.138.
Verordnung über die Ausführung der Lagepläne, welche den Ge-
suchen um Verleihung einer Mutung, $ 36 der Bergordnung vom 30. Sep-
tember 1857, beizufügen sind. Vom 18. Oktober 1900, S. 167.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 751
Verordnung über die Einrichtung, den Betrieb und die Visitation
von Apotheken. Vom 15. November 1900, S. 188.
Ausführungsbestimmungen zu dem Gesetze, betr. die Anlage und
Veränderung von Straßen und Plätzen in Städten und ländlichen Ort-
schaften, vom 13. Dezember 1899. Vom 1. Oktober 1900, S. 161.
Verordnung zur Ausführung des Telegraphenwegegesetzes vom
18. Dezember 1899. Vom 24. Januar 1900, S. 25.
Verordnung zur Ausführung der Unfallversicherungsgesetze vom
30. Juni 1900 in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Juli 1900.
Vom 31. Oktober 1900, S. 171.
Verordnung über die Abänderung der Verordnung vom 29. August
1878, die Pension der Witwen und Waisen der reformierten Pastoren
des Landes betr. Vom 26. September 1900, S. 160.
Verordnung, betr. die Abänderung des Tarifs für die Erstattungs-
forderungen der Armenverbände Vom 22. Mai 1900, S. 129.
Gesetz, die Regelung des Diensteinkommens der Volksschullehrer
und das für den Besuch der Volksschule zu erhebende Schulgeld betr.
Vom 20. Juni 1900, S. 135.
Gesetz, betr. die Abänderung des Gehaltsetats zu dem Gesetz vom
31. März 1898 über die Besoldung der Staatsbeamten. Vom 20. Juni
1900, S. 137.
Gesetz, die Veranlagung zur Einkommensteuer für das Rechnungs-
jahr vom 1. April 1901/1902 betr. Vom 23. März 1900, S. 43.
£ 48 des Gesetzes vom 28. August 1894 tritt für das Rechnungsjahr 1. April
1901/1902 aujser Kraft. Die Veranlagung für das Jahr 1900/1901 bleibt im allgemeinen
mafsgabend; jedoch neue Veranlagung auch bei Vermehrung des Einkommens des
Steuerpflichtigen seit der letzten Veranlagung um mehr als den vierten Teü.
Gesetz, Abänderungen des Ausführungsgesetzes zum B.G.B. betr.
Vom 15. März 1900, S. 40.
Anweisung, betr. die Errichtung von Testamenten vor dem Ge-
meinde- oder Gutsvorsteher. Vom 15. Dezember 1900, S. 195.
Verordnung, die Gründung neuer Kirchengemeinden, neuer Pfarr-
und Hilfspredigerstellen betr. Vom 26. September 1900, S. 156.
Hamburg.
Gesetzsammlung der freien und Hansestadt Hamburg.
1900.
Bekanntmachung, betr. die land- und forstwirtsclhaftlichen Auf-
nahmen im Jahre 1900. Vom 16. Mai 1900, I, S. 203.
Bekanntmachung, betr. das Rekursverfahren in Gewerbesachen. Vom
19. Januar 1900, I, S. 8.
Bekanntmachung, betr. die Uebertragung der Rechte und Pflichten
der Handwerkskammer auf die Gewerbekammer. Vom 2. April 1900,
I, S. 192.
Bekanntmachung, betr. das Regulativ für die von der Gewerbe-
kammer ernannten gewerblichen Sachverständigen. Vom 6. April 1900,
I, S. 192.
752 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Bekanntmachung, betr. die Beschäftigung von jugendlichen Arbeitern
und von Arbeiterinnen in Werkstätten mit Motorbetrieb. Vom 7. Sep-
tember 1900, I, S. 323.
Bekanntmachung, betr. Ausführung des Reichsgesetzes über die
Abänderung der Gewerbeordnung vom 30. Juni 1900. Vom 12. No-
vember 1900, I, 367.
Bekanntmachung, betr. Abänderung des $ 8, I der Börsenordnung.
Vom 19. Februar 1900, I, S. 28. Bekanntmachung, betr. Abänderung
des $ 9, I derselben. Vom 9. Mai 1900, I, S. 201.
Bekanntmachung, betr. Bestimmung der Verwaltungsbehörde nach
$ 13, II des Reichstelegraphenwegegesetzes vom 18. Dezember 1809.
Vom 9. März 1900, I, S. 56.
Bekanntmachungen zum Invalidenversicherungsgesetz vom 15. Januar
1900, I, S. 2 (betr. $ 6, II), vom 15. Januar 1900, I, S. 6 ( 4, II,
vom 29. Januar 1900, I, S. 10 ($ 31), vom 29. Januar 1900, I, S. 14
(SR 57—64), vom 26. März 1900, I, S. 120 ($$ 131 ff., 158, 160), vom
23. Mai 1900, I, S. 204, vom 23. Mai 1900, I, S. 206.
Bekanntmachung, betr. die Unfallversicherung der im Quaibetriebe
und bei der Marine u. s. w. beschäftigten Personen. Vom 28. Dezember
1900, I, S. 379.
Bekanntmachung, betr. die Unfallversicherung für Staatsbetriebe.
Vom 28. Dezember 1900, I, S. 380.
Bekanntmachung, betr. die Ausdehnung der Unfallversicherung in
den Staatsbetrieben der ersten und zweiten Sektion der Baudeputation.
Vom 28. Dezember 1900, I, S. 381.
Bekanntmachung, betr. die Ausführung des Gewerbeunfallversiche-
rungsgesetzes vom 30. Juni 1900. Vom 26. September 1900, I, 8.332.
Entsprechende Bekanntmachungen von demselben Tage zur Ausführung
des Bau-, des Seeunfallversicherungsgesetzes und des Unfallversicherungs-
gesetzes für Land- und Forstwirtschaft, I, S. 333, 334, 335.
Bekanntmachung, betr. die Krankenversicherungspflicht der im
Dienste der Deputation für Handel und Schiffahrt und ihrer Unterver-
waltung beschäftigten Personen. Vom 17. Dezember 1900, I, S. 373.
Gehaltsordnung. Vom 30. März 1900, I, S. 144.
Bekanntmachung, betr. die Grundsätze für die Besetzung der Subal-
tern- und Unterbeamtenstellen bei den Kommunalbehörden etc. mit
Militäranwärtern. Vom 9. März 1900, I, S. 29. Ausführung derselben
durch Bekanntmachung von demselben Tage, I, S. 47.
Bekanntmachung, betr. die Verbesserung der Wohnungsverhältnisse
in einem Teile der südlichen Neustadt. Vom 18. Juli 1900, I, S. 315.
Bekanntmachung, betr. Zahl der für 1900 zur Erhebung kommen-
den Einheitssätze der Einkommensteuer. Vom 30. März 1900, I, 8. 191.
Bekanntmachung, betr. die den Landgemeinden und der Staatskasse
zu gewährenden Zuschüsse Vom 6. Juli 1900, I, S. 301.
Bekanntmachung, betr. Abänderung des $ 10 des Preßgesetzes vom
5. Oktober 1849. Vom 16. Februar 1900, I, S. 28.
Verordnung, betr. das Irrenwesen. Vom 1. Juni 1900, I, S. 213.
Bekanntmachung, betr. Abänderung der gesetzlichen Bestimmungen
über das Landschulwesen. Vom 24. August 1900, I, S. 322.
Nationalükonomische Gesetzgebung. 753
Bekanntmachung, betr. Abänderung des $ 14 des Wahlgesetzes für
die Wahlen zur Bürgerschaft vom 19, Januar 1880. Vom 24. August
1900, I, S. 320.
Bremen.
Gesetzblatt der freien Hansestadt Bremen 1900.
Verordnung, betr. die Abwehr der Maul- und Klauenseuche. Vom
22. März 1900, S. 35. Abänderung durch Verordnung vom 22. April
1900, S. 189. Aufhebung durch Verordnung vom 23. August 1900,
S. 265.
Pferdeaushebungsvorschrift Vom 13. Juni 1900, S. 211.
Bekanntmachung, betr. Ausführung des $ 103 q des Reichsgesetzes
vom 26. Juli 1897, betr. die Abänderung der Gewerbeordnung. Vom
23. März 1900, S. 35.
Verordnung wegen Ausführung des Gesetzes, betr. die Abänderung
der Gewerbeordnung, vom 30. Juni 1900. Vom 2. August 1900, S. 253.
Verordnungen, betr. die Sonntagsruhe vom 21. November 1900,
S. 295, und 8. Dezember 1900, S. 301.
Verordnung, betr. die Zuständigkeit der Behörden nach dem
Telegraphenwegegesetze vom 18. Dezember 1899. Vom 6. Februar
1900, S. 13.
Gesetz, betr. Aenderung des Wegegeldtarifs vom 30. September
1888. Vom 21. Februar 1900, S. 15.
Gesetz, betr. Abänderung des Gesetzes über die Güterdeklaration
für die bremische Handelsstatistik, vom 1. Dezember 1898. Vom
21. Februar 1900, S. 15.
Bekanntmachungen zum Invalidenversicherungsgesetz vom 23. Januar
1900, S. 5 (betr. $ 6, ID, vom 8. März 1900, S. 19, (§§ 57—64), vom
6. April 1900, S. 141.
Verordnung, betr. die Zuständigkeit der Behörden nach dem Ge-
werbeunfallversicherungsgesetze vom 80. Juni 1900. Vom 4. Oktober
1900, S. 281. Entsprechende Verordnungen von demselben Tage hin-
sichtlich des Unfallversicherungsgesetzes für Land- und Forstwirtschaft
S. 282, des Seeunfallversicherungsgesetzes, S. 284. Verordnung, betr.
die Ausführung des Bauunfallversicherungsgesetzes. Vom 4. Oktober
1900, S. 283.
Bekanntmachung des Senats, betr. die Grundsätze für die Be-
setzung der Subaltern- und Unterbeamtenstellen bei den Kommunal-
behörden etc. mit Militäranwärtern. Vom 31. März 1900, S. 49. Dazu
Bekanntmachung vom 2. Mai 1900, S. 197.
Gesetz, betr. die stadtbremische Armenpflege. Vom 25. April 1900,
S. 191.
Die Bestimmungen entsprechen in der Hauptsache den Vorschriften des Gesetzes,
betr. die stadtbremische Armenpflege, vom 18. Juli 1899 und des Gesetzes, betr. die Er-
stattung von Armenunterstützung, von demselben Tage — vgl. 8. F. Bd. 22 8. 108,
109 dieser Jahrbücher. — Zu bemerken ist, dafs neben den Armenpflegern vom Vor-
stand eine nach Anhörung der Bezirksvorsteher zu bestimmende Zahl von Frauen, die
dazu geeignet und bereit sind, zu Armenpflegerinnen ernannt werden, denen der Regel
Dritte Folge Bd, XXII (LXXVIN. 48
754 Nationalökonomische Gesetzgebung.
nach alle Fälle, die auf Haltung gegebene Kinder betreffen, und aufserdem sonstige
geeignete Fülle nach Ermessen des zuständigen Bezirksvorstehers oder des Vorstandes
übertragen werden sollen. Die Armenpjlegerinnen stehen hinsichtlich ihrer Rechte und
Pflichten den Armenpflegern gleich; sie können jedoch auf ihren Antrag von der Teil.
nahme an den Bezirksversammlungen befreit werden.
Gesetz, betr. die Einkommensteuer für das Rechnungsjahr 1900,
Vom 16. März 1900, S. 33.
5 Proz. von Einkommen über 12 000 M., von Einkommen unter 12000 M. die ge-
setzlichen Sülze.
Gesetz, betr. eine Aenderung des Gesetzes über die Einkommen-
steuer vom 17. Dezember 1874, sowie der Anlage A und der No. 2
der Anlage B desselben. Vom 22. Mai 1900, S. 207.
1) An Stelle des 2 8, a: a. — Von der Einkommensteuer sind befreit — die-
jenigen, deren Einkommen weniger als 900 M. beträgt.
2) 2 5, d: — Das steuerpjlichtige Einkommen besteht aus der Gesamtsumme aller
Einnahmen des Steuerpflichtigen „... nach Abzug — derjenigen Einnahmen, für welche
ein Dritter die Einkommensteuer hier zu entrichten hat. „Jedoch sind die Gewinn-
anteile von Aktien für stenerpflichtige Gesellschaften mit dem Betrage dem steuer-
pflichtigen Einkommen hinzuzurechnen, welcher 81/, Proz. des Nennwertes, bezw. des
eingezahlten Kapitals übersteigt.
3) 2 5, a: Befreiung von der Verpflichtung zur Besteuerung von Gewinnanteilen.
4) 8 8, IV wird aufgehoben.
6) In der Skala für die Einkommensteuer Anlage A zum Einkommensteuergezetz
in der Fassung des Gesetzes vom 16. November 1880 tritt an die Stelle der 8 untersten
Stufen die Bestimmung: Einkommen bis 1000 M. einschliefslich: 2 M. Steuer.
7) Aenderung der Fassung von Nr. 2 der Anlage B.
8) Ueberyangsbestimmungen.
Gesetz, betr. Aenderung des Gesetzes über die Einkommensteuer
vom 17. Dezember 1874 und der Anlage B desselben. Vom 19. Juli
1900, S. 233.
Betrifft wieder die Besteuerung von Gewinnanteilen.
Bekanntmachung, betr. die Redaktion des Gesetzes über die Ein-
kommensteuer. Vom 27. Juli 1900, S. 237.
Bekanntmachung, betr. die Armensteuer für die Stadt Bremen im
Jahre 1900. Vom 23. Juni 1900, S. 231.
12 Proz. der Einkommensteuer.
Gesetz, betr. Aenderung des $ 1 des Gesetzes vom 23. Juli 1899
über die Firmensteuer. Vom 24. Juli 1900, S. 235.
Zur Entrichtung der Firmensteuer sind verpflichtet die in das Handelsregister
eines bremischen Amtsgerichts eingetragenen Kaufleute, Handelsgesellschaften und Zweig-
niederlassungen auswärtiger Kaufleute und Handelsgesellschaften, die in das Genossen-
schaftsregister eingetragenen Genossenschaften und Zweigniederlassungen auswärtiger
Genossenschaften, die in das Versicherungsregister eingetragenen bremischen bezw. die
Zweigniederlassungen auswärtiger Versicherungsgesellschaften. Kleine Versicherunge-
gesellschaften auf Gegenseitigkeit, die keinen Gewinn abwerfen, sind befreit.
Gesetz, betr. eine Aenderung des Gesetzes vom 25. Juli 1888 über
Verbrauchsabgaben in Bremen. Vom 21. September 1900, S. 267. Ent-
sprechendes Gesetz vom 24. September 1900, S. 269.
Gesetz, betr. die Wassersteuer. Vom 16. März 1900, S. 33.
Entsprechend Gesetz vom 29. März 1899, vgl. $. F. Bd. 22, S. 107 dieser Jahr-
bücher,
P ep
Nationalökonomische Gesetzgebung. 755
Gesetz wegen Abänderung des Gesetzes, betr. die Hafenkrahn-
abgaben in Bremerhaven, vom 3. Juli 1897. Vom 3. April 1900, S. 137.
Entsprechendes Gesetz vom 25. Dezember 1900, S. 304.
Gesetz, betr. Abänderung der Gebührenordnung für die Verkehrs-
anstalten und Lagereinrichtungen der Bremer Lagerhausgesellschaft im
Freibezirk und dem Sicherheitshafen zu Bremen, vom 1. Juli 1894.
Vom 2. Oktober 1900, S. 277.
Gesetz wegen Abänderung des Gesetzes, betr. die Aufbringung der
Mittel für die Korrektion der Unterweser. Vom 25. Dezember 1900,
a 303, S. 304.
Gesetz, betr. Aenderung des $ 1 des Ausführungsgesetzes zum
H.G.B. vom 18. Juli 1899. Vom 24. Juli 1900, S. 235.
Verordnung, betr. die Volkszählung am 1. Dezember 1900. Vom
28. September 1900, S. 273.
Lübeck.
Sammlung der Lübeckischen Gesetze und Verordnungen.
1900.
Jagdgesetz. Vom 28. Februar 1900, S. 53. Nachtrag dazu vom
25. Juli 1900, S. 254.
I. Einleitende Bestimmungen. II. Jagdbezirke. III. Jagdgemeinde. IV. Jagd-
nutzungsrecht, Recht zum Jagen, Recht auf das Wild. V. Jugdpolizei. 1. Jagdkarten.
2. Jagdschutz. 3. Schonzeit. 4. Sonstige polizeiliche Vorschriften. VI. Jagd- und
Wildschaden. 1. Ersatzpflicht. a) Jagdschaden. b) Wildschaden. 2. Verfahren.
VII. Strafbestimmungen. VIII. Uebergangs- und Schlujsbestimmungen.
Bekanntmachung, die land- und forstwirtschaftlichen Aufnahmen
betr. Vom 30. Mai 1900, S. 179.
Pferdeaushebungsvorschrift. Vom 7. Juli 1900, S. 219.
Bekanntmachung, betr. die Ausführung der Gewerbeordnung. Vom
17. März 1900, S. 75.
Nachtrag zu der Bekanntmachung vom 11. Mai 1898, betr. die
Ausführung der Gewerbeordnung. Vom 15. September 1900, S. 270.
Verordnung, betr. das Verbot des Streikpostenstehens. Vom 21. April
1900, S. 145.
Personen, welche planmäïfsig zum Zwecke der Beobachtung oder Beeinflussung der
Arbeiter einer Arbeitsstelle oder des Zuzugs von Arbeitern zu einer Arbeitsstelle an
einem öfßentlichen Orte sich aufhalten, werden mit Geldstrafe bis zu 150 M. oder mit
Haft bestraft.
Bekanntmachung, betr. des Regulativ für Getreidemühlen und
Mälzereien, sowie die allgemeinen Ausführungsbestimmungen zu $ 7
Z. 1 u. 3 des Zolltarifgesetzes. Vom 26. März 1900, S. 152.
Gesetz, betr. die Zulassung von auswärtigen Lotterien und Aus-
spielungen, sowie den Gewerbebetrieb der Lotteriekollekteure. Vom
17. September 1900, S. 271.
Aichordnung für die Schiffahrt auf den lübeckischen Binnen-
gewässern. Vom 17. Dezember 1900, S. 368. Ausführungsbestimmungen
dazu, S. 373,
48*
756 Nationalükonomische Gesetzgebung.
Verordnung, betr. den Ankauf und Transport von Wild. Vom
21. Februar 1900, S. 51.
Bekanntmachungen zum Invalidenversicherungsgesetz vom 10. Januar
1900, S. 2 (betr. $ 6, II), vom 20. Januar S. 3 ($$ 57—64). Ver-
ordnungen vom 28. Februar 1900 S. 70 ($ 31) und vom 28. Mai 1900,
S. 178 ($ 98).
Bekanntmachung zur Ausführung des Gesetzes vom 30. Juni 190,
betr. die Abänderung der Unfallversicherungsgesetze. Vom 15. September
1900, S. 267. Entsprechende Bekanntmachung vom 15. Dezember 190,
S. 367.
Bekanntmachung zur Ausführung des Gewerbeunfallversicherungs-
gesetzes vom 30. Juni 1900. Vom 15. September 1900, S. 267. Ent-
sprechende Bekanntmachungen von demselben Tage zur Ausführung
des Unfallversicherungsgesetzes für Land und Forstwirtschaft, des
Bauunfallversicherungsgesetzes und des Seeunfallversicherungsgesetzes,
S. 268, 268, 269.
Bekanntmachung, betr. die Unfallversicherung der in Staatsbetrieben,
sowie bei staatsseitig ausgeführten Bauarbeiten beschäftigten Personen.
Vom 22. September 1900, S. 273.
Bekanntmachung, betr. das Schiedsgericht für Arbeiterversicherung.
Vom 20. Oktober 1900, S. 280.
Bekanntmachung, betr. die Besetzung von Subaltern- und Unter-
beamtenstellen mit Militäranwärtern. Vom 12. Dezember 1900, S. 340.
Verordnung, betr. Sicherheitsvorschriften für elektrische Starkstrom-,
Hochspannungs- und Mittelspannungsanlagen im lübeckischen Staats-
gebiete. Vom 17. Februar 1900, S. 50.
Nachtrag zu der Bekanntmachung vom 18. Dezember 1893, betr.
die für die Benutzung des Wollmagazins zu zahlenden Abgaben. Von
5. März 1900, S. 72.
Zweiter Nachtrag zu dem Gesetze vom 24. November 1890, die
Grund- und Gebäudesteuer für die Stadt Lübeck und deren Vorstädte
betr. Vom 19. März 1900, S. 74.
Von je 10 M. jährlichen Nutzungswertes der Gebäude und Grundstücke in der
Stadt Lübeck und im inneren vorstädtischen Wegebezirke 10 Pfg., im äujseren vor
städtischen Wegebezirke 6 Pfg., in den Teilen der Vorstädte, welche selbständige Wege-
bezirke bilden oder benachbarten Wegegemeinden bezw. Wegebezirken angehören, 8 Pia
Nachtrag zu dem Gesetz vom 14. Januar 1893, das Rechnungs-
und Kassenwesen der Verwaltungsbehörde für städtische Gemeinde-
anstalten betr. Vom 19. März 1900, S. 74.
Bekanntmachung, betr. die Abänderung des 6. Nachtrages zur
Stempelordnung vom 10. Juli 1889. Vom 16. Juli 1900, 8. 253.
Siebenter Nachtrag. Vom 25. Juli 1900, S. 255. Achter Nachtrag.
Vom 12. November 1900, S. 324. Bekanntmachung, die Stempelordnung
betr. Vom 22. Dezember 1900, S. 414.
Nachtrag zu dem Gesetze, betr. die Erhebung einer Abgabe von
Lustbarkeiten, vom 19. Dezember 1896. Vom 25. Juli 1900, 8. 255.
Verordnung über die Einrichtung der Grundbücher und über andere
der Landesjustizverwaltung durch die Grundbuchordnung vorbehaltene
Gegenstände. Vom 24. Januar 1900, S. 16.
Nationalükonomische Gesetzgebung. 757
Verordnung, betr. den Zeitpunkt für das Inkrafttreten des Aus-
führungsgesetzes vom 18. Dezember 1899 zur Grundbuchordnung. Vom
17. März 1900, S. 73.
Nachtrag zum Ausführungsgesetz zur Grundbuchordnung vom
18./22. Dezember 1899. Vom 19. März 1900, S. 73. Zweiter Nach-
trag vom 25. Juli 1900, S. 254.
Bekanntmachung, betr. die Bildung der Grundbuchamtsbezirke. Vom
5. Mai 1900, S. 174. Entsprechende Bekanntmachung vom 8. Dezember
1900, S. 340.
Gebührenordnung für Notare. Vom 12. November 1900, S. 327.
Gebührenordnung für Rechtsanwälte. Vom 12. November 1900,
S. 332,
Gesetz, betr. die Gebühren der Rechtsanwälte im Zwangsversteige-
rungs- und im Zwangsverwaltungsverfahren. Vom 28. Mai 1900, S. 175.
Lübeckisches Gerichtskostengesetz. Vom 12. November 1900, S. 285.
Bekanntmachung, die Volkszählung und die Viehzählung betr. Vom
15. August 1900, S. 258.
Elsafs-Lothringen.
Gesetzblatt für Elsaß-Lothringen. 1900.
Verordnung zur Abänderung der Verordnung, betr. die landwirt-
schaftlichen Vereine und den Landwirtschaftsrat. Vom 12. März 1900,
S. 51.
Gesetz, betr. die Haltung der Zuchtstiere. Vom 9. Juli 1900, S. 137.
Die Gemeindeverwaltung hat die Verpflichtung, die Zuchtstierhaltung in der Ge-
meinde zu regeln (2 1). Der Gemeinderat hat zur Erfüllung dieser Verpflichtung dar-
über Beschlufs zu fassen, ob die Zuchtstiere entweder: 1) von einem oder mehreren
Stierhaltern beschafft und unterhalten werden, oder 2) von der Gemeinde beschaft und von
einem oder mehreren Stierhaltern unterhalten werden, oder 8) von der Gemeinde beschafft und
in eigener Verwaltung unterhalten werden. Uebertragung der Zuchtstierhaltung auf dem
Wege der Vergebung an den Mindestfordernden ist nicht gestattet, ebensowenig die abwech-
selnde Uebertragung an alle oder einzelne von Besitzern. Andere Formen der Einrich-
tung der Zuchtstierhaltung auf Antrag des Gemeinderats durch Erlaubnis des Ministe-
riums möglich (2 2). Die Zahl der Zuchtstiere ist derart zu bemessen, da/s in der
Regel auf je 80 Stück sprungjähigen Rindviehs ein Zuchtstier gehalten wird (Z 8). Die
durch die Zuchtstierhaltung entstehenden Kosten sind Pflichtausgaben der Gemeinde.
Der Gemeinderat kann zur ganzen oder teilweisen Bestreitung dieser Kosten die Er-
hebung von Umlagen von den Besitzern von Kühen und Kalbinnen nach dem jeweiligen
Besitzstand am 1. April eines jeden Jahres, sowie die Erhebung von Sprunggeld für
die Benutzung der Zuchtstiere beschliefsen (2 4). Die Gemeinderäte benachbarter Ge-
meinden können die Einrichtung einer gemeinsamen Zuchtstierhaltung für die betref-
Senden Gemeinden oder für Teile derselben beschliefsen (2 7). Die in Angelegenheiten
der Zuchtstierhaltung entstehenden Schriftstiicke sind der Registrierung nicht unterworfen
und sind stempelfrei (Z 10). Erworbene Rechte, die bezüglich der Zuchtstierhaltung
Gemeinden, Gemeindeteilen oder dritten Personen zustehen, werden durch dieses Gesetz
nicht berührt (2 12).
Verordnung, betr. die Ausführung der Gewerbeordnung. Vom 8. Ok-
tober 1900, S. 147.
Allerhöchster Erlaß, betr. die Genehmigung der Vereinbarung über
die Abänderung der Ziffer 4 lit. A des Schlußprotokolls zu Art. 15 der
revidierten Rheinschiffahrtsakte vom 17. Oktober 1868, d.d. Mannheim,
den 4. Juni 1898. Vom 19. April 1899, S. 39.
7158 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Gesetz, betr. die ausnahmsweise Berechnung der Pensionen von
Landesbeamten während der Durchführung des Dienstaltersstufensystems.
Vom 2. April 1900, S. 89.
Gesetz, betr. die Rechtsverhältnisse der Lehrer. Vom 6. Juni 1900,
S. 105.
Gesetz, betr. die Errichtung einer Pensionszuschuß-, Witwen- und
Waisenkasse für die Förster von Gemeinden und öffentlichen Anstalten
und die Hinterbliebenen solcher Beamten. Vom 17. Juni 1900, $. 111.
Gesetz, betr. die Feststellung des Landeshaushaltsetats von Elsaß-
Lothringen für das Rechnungsjahr 1900. Vom 26. März 1900, S. 53.
Ausgabe und Einnahme betragen je 64 401910 M.
Gesetz, betr. Abänderung des $ 25, II des Gesetzes vom 6. April
1892 über die veränderte Fassung des Abschnitts II des Gesetzes über
die Vereinigung des Katasters, die Ausgleichung der Grundsteuer und
die Fortführung des Katasters vom 31. März 1884. Vom 13. Juni 190),
S. 115.
Gesetz, betr. die Abänderung des Gesetzes über die Erbschafts-
steuer. Vom 17. Juni 1900, S. 116. Bekanntmachung der neuen Fas-
sung vom 23. Juni 1900, S. 122.
£ 1. Die Erbschaftssteuer wird erhoben für jeden Erwerb von Eigentum oder
Nutzungsrechten :
a) durch gesetzliche Erbfolge oder infolge des Pflichtteilsanspruchs ;
Er b) durch einseitige oder vertragsmäfsige Verfügung von Todes wegen, einschlieji-
lich der Schenkung unter der Bedingung des Ueberlebens des Beschenkten ;
| {4 el infolge von Lebensversicherungs- und Leibrentenverträgen, sofern die Zuren-
dung vom Tode des Zuwendenden abhängig ist und für den Empfänger unentgeltlich
erfolgt;
d) im Falle des Erlöschens einer Stiftung und des Anfalles des Stiftungsrermögens
an die gesetzlichen Erben des Stifters.
8 la. Die Erbschaftssteuer wird ferner erhoben im Falle der fortgesetzten Güter-
gemeinschaft :
1) beim Eintritt dieser Gemeinschaft von dem Anteil des verstorbenen Ehegatten
an dem in dieselbe übergehenden Gesumtqut,
-= 2) beim Tode eines anteilsberechtigten Abkömmlings von dem Anteil desselben am
Gesamtqut.
Bei Beendigung der fortgesetzten Gütergemeinschaft oder dem Verzicht eines An-
teilsberechtigten kommt eine Erbschaftssteuer nicht zur Erhebung.
2 1b. Zuwendungen, welche ohne registrierungspflichtige Beurkundung oder An-
erkennung innerhalb der letzten 6 Monate vor dem Tode des Erblassers vollzogen sind,
unterliegen der Erbschaftssteuer. Bejreit sind
1) Zuwendungen, welche zur Ausstattung von Abkömmlingen bei der Eheschliefsung
oder bei Ergreifung eines selbständigen Berufs gedient haben;
2) Zuwendungen, welche in regelmäjsig wiederkehrender Weise an Verwandt zur
Bestreitung des standesgemäfsen Lebensunterhalts, oder welche zum Zwecke der Unter-
stützung in Notlage gewährt sind;
3) Zuwendungen, welche für den einzelnen Beschenkten den Gesamtbetrag von
1000 M. nicht überstivqen haben.
In ż 2, I. a) Zu dem Steuersatz von 8 Proz.: Ehegatten neben Abkömmlingen:
1 Proz. soweit der Anfall den gesetzlichen Erbteil nicht übersteigt.
b) 4 Proz. für Zuwendungen seitens des Vaters zu Gunsten eines unehelichen
Kindes, sowie der Abkömmlinge eines solchen, sofern die Vaterschaft erweislich am
erkannt ist.
c) Bei dem Steuersatz von 8 Proz. statt „Seitenverwandte des 5.—12. Gradis“:
„Seitenverwanidlte des 5. und 6. Grades.“
Nationalükonomische Gesetzgebung. 759
d) Bei dem Steuersatz 9 Proz, zuzusetzen: einschliefélich des Anfalles an die
Erben des Stifters.
Der letzte Absatz des Z 2 füllt fort.
£ 2a. Von der Erbschaftssteuer sind befreit: Erbschaften in gerader Linie und
unter Ehegatten, bei welchen das Reinvermögen den Betrag von 1000 M. nicht übersteigt.
£ 3a. Auflagen unterliegen der Erbschaftssteuer, sofern dadurch für den Em-
pfänger der Leistung eine Bereicherung eintritt. Die Steuer ist von dem Beschwerten
zu entrichten und kann von der Auflage abgezogen werden. Auflagen zu öffentlichen
Zwecken werden wie Stiftungen dieser Art behandelt.
g5. Der Erbschaftssteuer unterliegt der gesamte Nachlafs derjenigen Personen,
welche zur Zeit ihres Todes in Elsafs-Lothringen ihren Wohnsitz hatten, mit Ausnahme
der aufserhalb Elsafs-Lothringens belegenen Grundstücke nebst Zubehör und derjenigen
Rechte, welche nach der lex loci als unbeweglich gelten.
2 6. Der Erbschaftssteuer unterliegen, auch wenn der Erblasser seinen Wohnsitz
nicht in Elsafs-Lothringen hatte:
1) in Elsafs-Lothringen belegene Grundstücke mit Zubehör ;
2) Bergwerkseigentum und sonstige Rechte an solchen Grundstücken — mit Aus-
nahme der Hypotheken, Grundschulden und Rentenschulden — sowie Ansprüche auf
Uebertragung des Eigentums oder auf die Begründung oder Uebertragung eines der
bezeichneten Rechte an solchen Grundstücken ;
3) die Kuxe in Elsafs-Lothringen belegener Bergwerke ;
4) in Elsa/s-Lothringen betriebene Apotheken.
In den Fällen sub 8 und 4 Abzug der in einem anderen Bundesstaat gezahlten
Erbschaftsabgabe.
Aujserdem ist der Erbschaftssteuer das in Elsafs-Lothringen befindliche Vermögen
eines Erblassers unterworfen, welcher bei seinem Ableben keinen Wohnsitz hatte.
2 7. Hatte der Erblasser seinen Wohnsitz nicht in Elsafs-Lothringen, und werden
in dem Staate des Wohnsitzes Elsafs-Lothringische Staatsrenten, Aktien, Schuldver-
schreibungen, Rechte, welche in Elsa/s-Lothringischen Grund-, Eigentums- oder Hypo-
thekenbüchern eingetragen sind, Forderungen gegen in Elsafs-Lothringen wohnende
Schuldner und den Landesjiskus, dort befindliche bewegliche Sachen und Anteile an
dort begründeten gewerblichen Unternehmungen einer Erbschaftssteuer nicht unterworfen,
so unterliegen sie auch der Erbschaftssteuer.
Die übrigen Aenderungen sind weniger wichtig und zum Teil nur redaktioneller
Natur aus Rücksicht auf den Sprachgebrauch des B.G.B.
Verordnung, betr. die Vertretung des Landesfiskus vor Gericht.
Vom 6. Februar 1900, S. 47.
Verordnung, betr. die Anlegung von Grundbüchern. Vom 18. April
1900, S. 91.
Verordnung, betr. den Güterstand der zur Zeit des Inkrafttretens
des B.G.B. bestehenden Ehen. Vom 2. Mai 1900, S. 101.
Bekanntmachung des Textes des Ausführungsgesetzes unter Berück-
sichtigung der Aenderungen durch das Gesetz vom 29. November 1899.
Vom 22. Dezember 1899, S. 1.
760 Miszellen.
Nachdruck verboten,
Miszellen.
IX.
Die sozialen Verhältnisse der Juden in Preussen
und Deutschland.
Von Arthur Ruppin in Halle a./S.
(Fortsetzung und Schluß.)
Kapitel 2.
Wechselwirkungenzwischen Judentum und Christentum.
Der hervorragendste Faktor bei der gegenseitigen Beeinflussung
von Juden und Christen sind die zwischen ihnen vorkommenden Misch-
ehen, deren Anzahl in Preußen in den 25 Jahren von 1875 bis 1899
beständig gewachsen ist. Im Jahre 1875 wurden 156 christlich-jüdische
und 121 jüdisch-christliche Mischehen geschlossen, im Jahre 1899 waren
die entsprechenden Zahlen 212 und 271. Am 1. 12. 1885 bestanden
in ganz Preußen 1011 christlich-jüdische und 1100 jüdisch-christliche
Mischehen, am 2. 12. 1895 bereits 1530 und 1757 (davon 684 und 903
in Berlin. Die Mischehen machen einen immer größeren Prozentsatz
aller rein jüdischen Ehen aus und haben, wenigstens absolut, besonders
in Berlin fortwährend stark zugenommen, wie aus Tabelle 18 hervorgeht.
Tabelle 18.
Mischehen in Preußen und Berlin.
Es wurden jährlich geschlossen :
Rein jüdische Ehen | Christl.-jüd. Misch- | Jüd.-christl. Misch- | Mischehen überhaupt
im Durchschnitt der chen im Durchschnittlehen im Durchschnitt! im Durchschnitt der
Jahre | der Jahre der Jahre | Jahre
1875/1879 | 1895/1899 1875/1879! 1895/1899 1875/1879 | 1895/18991 1875/1878) 1895/1509
in PreuBen mit
Berlin 2430 2555 131 202 | 108 231 239 433
in Berlin 280 589 46 77 | 55 124 101 201
Von 100 Ehen
in Preußen
wurden in |
Berlin ge-
schlossen 1059 | 23,05 35,12 38,12 50,93 53,68 42,26 40.42
l
= e,
Miszellen. 761
Von allen Mischehen in Preußen wurde hiernach fast die Hälfte, näm-
lich im Jahrfünft 1875/1879 42,26 Proz. und im Jahrfünft 1898/1899
46,42 Proz. in Berlin geschlossen; insbesondere häufig sind in Berlin
die Ehen zwischen jüdischem Mann und christlicher Frau, die im Jahr-
fünft 1875/79 50,93 Proz. und im Jahrfünft 1895/99 53,68 Proz. aller
jüdisch-christlichen Mischehen in Preußen ausmachten. Diesem An-
wachsen der jüdisch-christlichen Mischehen in Berlin ist es auch haupt-
sächlich zuzuschreiben, daß die Anzahl der neu geschlossenen jüdisch-
christlichen Mischehen in ganz Preußen von 108 jährlich im Durch-
schnitt des Jahrfünfts 1875/79 auf 231 jährlich im Jahrfünft 1895/99
gestiegen ist, während sich die christlich-jüdischen Mischehen im gleichen
Zeitraum nur von 131 auf 202 jährlich vermehrt haben. Die Zahl
aller neu geschlossenen Mischehen in Preußen betrug im Jahrfünft
1875/79 durchschnittlich jährlich 239, im Jahrfünft 1895/99 durch-
schnittlich jährlich 433, hat sich also fast verdoppelt. Das Verhältnis
der Mischehen zu den rein jüdischen Mischehen in Preußen und Berlin
ist in Tabelle 19 angegeben.
Tabelle 19.
Verhältnis der Mischehen zu den rein jüdischen Ehen.
Auf 1000 rein jüdische Eheschließungen kamen neu geschlossene Mischehen:
jüdisch-ehristl.
|
| Anette jdische | Mischehen überhaupt
Mischehen Mischehen
1875—1879 18595 — 1899| 1875— 1879, 1895—1899 1875—1879|1895— 1899
= - en — S = ` | eat —
in Preußen 53,7 79,1 44,6 90,4 98,3 169,5
in Berlin 164,3 130,7 190,4 210,5 360,7 341,3
In ganz Preußen machen also im Jahrfünft 1895/99 die neu ge-
schlossenen christlich - jüdischen Mischehen 791 °},,, die jüdisch-
christlichen 90,4 Mun, die neu geschlossenen Mischehen überhaupt
169,5 °/,, aller rein jüdischen Ehen aus, während die Zahlen für Berlin
fast oder sogar mehr als doppelt so hoch sind, nämlich 130,7 "la bezw.
210,5 °/,, bezw. 341,3 Din, Im Vergleich zum Jahrfünft 1875/79 ist
besonders bemerkenswert, daß damals in Preußen die christlich-jüdischen
Mischeheschließungen mit 53,7 °/,, die jüdisch-christlichen mit 44,6 %/,,
aller rein jüdischen Ehen übertrafen, während sich im Jahrfünft 1895/99
das Verhältnis umgekehrt hat und jetzt die jüdisch-christlichen Misch-
eheschließungen mit 90,4 °/,, die christlich-jüdischen mit 79,1 Die an
Zahl übertreffen. Man kann dies vielleicht nicht ohne Grund darauf zurück-
führen, daß damals die Mischehen mehr aus Rücksicht auf die Mitgift der
Jüdischen Frau geschlossen wurden, während dies Motiv jetzt, wo die
Mischehen zwischen jüdischem Mann und christlicher Frau die Mehrzahl
aller Mischehen bilden, nicht mehr das Ausschlaggebende sein kann. —
In ganz Preußen machen im Jahrfünft 1875/79 die Mischeheschließungen
38,3 fin im Jahrfünft 1895/99 aber 169,5 °/,, aller rein jüdischen
Eheschließungen aus. Das ist eine sehr beträchtliche Steigerung und
beweist, daß die Rassenvermischung in den dazwischen liegenden zwei
762 Miszellen.
Jahrzehnten ganz bedeutende Fortschritte gemacht hat. In Berlin be-
sonders haben sich im Jahrfünft 1895/99 von allen heiratenden Juden
nur noch 82,6 Proz. mit einer Jüdin, nur noch 88,4 Proz. aller Jüdinnen
mit einem Juden verheiratet; die übrigen sind Mischehen eingegangen,
d. h. etwa unter je 5 heiratenden Juden hat einer eine Nichtjüdin, unter
je 9 heiratenden Jüdinnen hat eine einen Nichtjuden geheiratet.
Die starke Vermehrung der Mischeheschließungen und besonders
der Mischehen zwischen jüdischem Mann und christlicher Frau, bei
denen pekuniäre Rücksichten kaum eine Rolle spielen können, ist zugleich
ein Argument gegen die von vielen Seiten aufgestellte Behauptung einer
tiefen instinktiven Rassenabneigung zwischen Christen und Juden.
Indem die Mischehen die Rassenmischung zwischen Christen und
Juden veranlassen, thun sie andererseits dem Judentum wesentlich Ab-
bruch. Die aus den Mischehen hervorgehenden Kinder werden nicht,
wie es das natürliche Verhältnis erheischen würde, je zur Hälfte Jnden
und Christen, sondern das Uebergewicht der christlichen Bevölkerung
zeigt sich darin, daß sie mit centripetaler Kraft die Kinder aus Misch-
ehen an sich zieht und nur wenige dem Judentum zurückläßt. Und
hierdurch gehen die Kinder nicht nur der jüdischen Religion, sondern
auch der jüdischen Rasse verloren, weil sie, einmal getauft, sich
fast ausschließlich mit Christen verheiraten und das jüdische Blut
sich dann in jeder folgenden Generation immer mehr verliert. Eine
am 2/12. 1895 in Preußen vorgenommene Erhebung hat ergeben,
daß in den 3287 bestehenden Mischehen 5202 im Haushalt ihrer Eltern
lebende Kinder vorhanden waren, von denen 3929 (1885 Knaben und
2044 Mädchen) der christlichen und nur 1273 (596 Knaben, 677 Mädchen)
der jüdischen Religion angehörten. Das heißt also, von allen im Haus-
halt ihrer Eltern lebenden Kindern aus Mischehen sind nur 24,47 Proz.
jüdisch, während es nach dem Anteil der Juden und Christen an
den Mischehen 50 Proz. sein müßten. Erleidet also das Judentum
schon dadurch einen beträchtlichen Verlust, daß ihm durch Ent-
schluß der Eltern über die Hälfte der ihm eigentlich gebührenden
Kinder aus Mischehen entzogen werden, so wird dieser Verlust jedenfalls
noch größer dadurch, daß die Kinder selbst nach ihrer Volljährigkeit
auch aus eigenem Entschlusse noch vielfach zum Christentum übertreten
werden, Haben sie einmal durch ihre Eltern unter den Christen Ver-
wandte, so wird ihnen der Uebertritt viel leichter, als einem aus rein
jüdischer Ehe Geborenen. Man wird wohl mit Recht behaupten können,
daß von allen Kindern aus Mischehen kaum 1/,, dem Judentum auf
die Dauer erhalten bleiben. Und hierbei macht es keinen wesentlichen
Unterschied, ob die Mischehe eine christlich-jüdische oder eine jüdisch-
christliche ist. In Preußen steht dem Vater die Bestimmung zu, ın
welcher Religion er seine Kinder erziehen lassen will. Man sollte
deshalb glauben, daß wenigstens in den jüdisch-christlichen Ehen die
Mehrzahl der Kinder jüdisch bleiben würde. Aber dies ist nicht der
Fall. Von 2715 Kindern aus 1757 jüdisch-christlichen Mischehen waren am
2./12. 1895 nur 754 (361 Knaben und 393 Mädchen) = 27,17 Proz.
aller Kinder jüdisch. Der Prozentsatz ist also nicht viel höher als in
Miszellen. 763
den 1530 christlich-jüdischen Mischehen, wo unter 2487 Kindern 519
(235 Knaben, 284 Mädchen) — 20,87 Proz. aller Kinder jüdisch waren.
Man sieht in diesen Zahlen den überragenden Einfluß des Christentums
aufs deutlichste. Einige Einzelheiten über die Mischehen, insbesondere
die genauere Konfession des nichtjüdischen Ehegatten, giebt Tabelle 20,
die keiner weiteren Erläuterung bedarf.
Tabelle 20.
Von den im Haushalt ihrer
Eltern lebenden Kindern aus
diesen Mischehen sind
Es bestanden am 2./12. 1895 in Preußen
Mischehen zwischen
1) evangelischem Mann und jüdischer Frau disel 132 Knaben
(davon kinderlos 398) 1147 men = Mädchen
hristliel f 787 Knaben
sn Ga Mädchen
2) jüdischem Mann und evangelischer Frau (la 12 77 Knaben
(davon kinderlos 519) 1452 ae | 294 Mädchen
hristliel 766 Knaben
ehristlich À gos Mädchen
3) katholischem Mann und jüdischer Frau (al 68 Knaben
(davon kinderlos 81) 251 ES 73 Mädchen
Lors 133 Knaben
christlich | 132 Mädchen
4) jüdischem Mann und katholischer Frau iüdisch 57 Knaben
(davon kinderlos 94) 253 Le 63 Mädchen
130 Knaben
135 Mädchen
35 Knaben
christlich
5) dissidentischem (oder dgl.) Mann u. jüdischer Frau
(davon kinderlos 44) 132 jüdisch 48 Mädchen
hristli g 60 Knaben
SST 64 Mädchen
6) jüdischem Mann u. dissidentischer (oder dgl.) Frau jüdisch 27 Knaben
IIe 36 Mädchen
(davon kinderlos 20) 52
Knaben
Mädchen
er A
Ueber die Ehescheidungen bei Mischehen liegen nur für Berlin
Zahlen vor, die aber so klein sind (in den 6 Jahren 1885, 1886, 1890,
1891, 1895, 1896 wurden 26 christlich-jüdische und 39 jüdisch-christliche
Mischehen geschieden), daß aus ihnen keine sicheren Schlüsse gezogen
werden können. Im allgemeinen scheinen Mischehen etwas häufiger
geschieden zu werden als Ehen religionsgleicher Ehegatten, doch ist
der Unterschied kein bedeutender.
Eine wichtige Frage ist die nach der Fruchtbarkeit der Misch-
ehen, weil hauptsächlich von der größeren oder geringeren Geburten-
häufigkeit in Mischehen der größere oder geringere Einfluß der Rassen-
mischung auf Christentum und Judentum abhängt. Es ist die Behauptung
aufgestellt worden, daß die Mischehen weniger fruchtbar und die aus
ihnen erzeugten Kinder weniger lebensfähig seien. Diese Behauptung
ist unrichtig. Was zuvörderst die Vitalität anlangt, so zeigte schon die
Tabelle 3, daß im Durchschnitt der Jahre 1875—1897 auf 1000 Ge-
burten aus Mischehen 34,54 Totgeburten (und zwar bei christlich-jüdischen
764 Miszellen.
Mischehen 35,76 und bei jüdisch-christlichen Mischehen 33,17 Tot-
geburten) entfallen, während die entsprechende Zahl bei rein jüdischen
Ehen 32,07, bei rein christlichen Ehen 35,88 beträgt. Die Mischehen
halten sich also mit ihrer Totgeburtenziffer annähernd in der Mitte
zwischen rein christlichen und rein jüdischen Ehen und geben für die
Behauptung einer geringeren Lebensfähigkeit der Kinder aus Mischehen
nicht den geringsten Anhalt. .
In Bezug auf die Geburtenhäufigkeit scheinen ja äußere An-
zeichen für eine geringere Fruchtbarkeit der Thatsachen zu sprechen.
Aber dieser Schein verschwindet, wenn man den Mischehen näher auf
den Grund geht. In Tabelle 7 finden sich die auf die Geburtenhäufig-
keit in Mischehen bezüglichen Zahlen. Danach kommen allerdings z. B,
im Jahrfünft 1895/1899 auf 1 Eheschließung bei rein christlichen Ehen
4,21, bei rein jüdischen Ehen 2,98, dagegen bei christlich-jüdischen
Mischehen nur 1,57, bei jüdisch-christlichen Mischehen 1,31, bei Mischehen
überhaupt nur 1,43 Kinder. Aber diese niedrigen Zahlen bei Mischehen
sind nicht in deren geringerer Fruchtbarkeit, sondern darin begründet,
daß hier die Geburtenzifier eines Jahres zur Anzahl der Eheschließungen
desselben Jahres in Beziehung gesetzt ist. Daraus ergiebt sich bei
den Mischehen deshalb ein ganz falsches Bild, weil die Mischehe-
schließungen in den letzten Jahren und Jahrzehnten weit stärker ge-
stiegen sind, als die anderen Eheschließungen. So sind z. B. im Jahre
1899 1162268 Kinder aus rein christlichen Ehen und 663 Kinder aus
Mischehen geboren; natürlich stammen diese Kinder nicht nur aus den
im Jahre 1899 neu geschlossenen Ehen, sondern aus .allen im Laufe der
vorangegangenen 2 oder 3 Jahrzehnte geschlossenen Ehen ab. Deshalb
muß man richtigerweise die Durchschnittsziffer der jährlichen Ehe-
schließungen in diesem Zeitraum zur Geburtenziffer in Beziehung
setzen, und diese Durchschnittsziffer würde bei den christlichen Ehen nur
etwa um 1/,, bei den Mischehen dagegen etwa um 1/ hinter der An-
zahl der im Jahre 1899 neu geschlossenen christlichen bezw. Mischehen
zurückbleiben. Dies ergiebt wenigstens ein Vergleich der Zahlen in
Preußen für 1875/1899 und 1899. Während im Durchschnitt der 25
Jahre 1875/1899 jährlich 234155 christliche und 303 Mischeheu ge-
schlossen sind, betragen im Jahre 1899 die entsprechenden Zahlen
284335 und 483, sind also bei den Mischehen um mehr als !/,, be
den christlichen Ehen nur um etaw !/, gestiegen. Setzt man also, wie es
aus anderen Gründen meist geschieht, die Zahl der Eheschließungen des
Jahres 1899 an Stelle der Durchschnittsziffer aus den letzten 2 oder 3
Jahrzehnten zur Geburtenziffer des Jahres 1899 in Beziehung, so mub
das natürlich für die Fruchtbarkeit der Mischehen ein ungünstiges
Resultat ergeben, weil der Divisor bei den Mischehen hierbei viel größer
angesetzt wird als er richtigerweise anzusetzen ist.
Hierzu kommt noch ein anderer Umstand, nämlich der, daß in
vielen Ehen, die als Mischehen eingegangen worden, der jüdische Ehe-
gatte später zur Religion des christlichen Ehegatten übertritt, so dab
die Kinder, die nach dem Uebertritt geboren werden, nicht mehr als
Kinder aus einer Mischehe zur Anschreibung gelangen. Ueber die
Miszellen. 765
Häufigkeit dieser Uebertritte giebt es keine unmittelbare Erhebung;
wir können sie aber indirekt in der Weise feststellen, wie es in Tabelle
21 für Preußen und in Tabelle 22 für Berlin geschehen ist. Für Berlin
lag die Anzahl der rein jüdischen und rein christlichen Ehepaare am
1. 12. 1885 und 2. 12. 1895 getrennt vor, es war deshalb möglich, in
Tabelle 22 den bei den Mischehen eigentlich zu erwartenden Abgang
noch genauer zu berechnen als für Preußen, wo die am 1. 12. 1885 und
2. 12. 1895 bestehenden reinen Ehen nicht nach jüdischen und christ-
lichen gesondert waren.
Tabelle 21. il Tabelle 22.
Zur Fruchtbarkeit der |ZurFruchtbarkeitder Misch-
Mischehen in Preußen. ehen in Berlin.
a A Mo- a re ap
Mischehen | reine Ehen Misch jüd. rein christl.
ehen Ehen
Ehen
Es bestanden in
Preußen am
1./12. 1885:
Es wurden neu ge-
schlossen im Dez.
1885 = !,,, des
LEs bestanden in) |
Berlin am | | |
2111 4794399 1./12. 1885: 1026| 9720| 209738
(Es wurden neu |
geschl, im Dez. |
! 1885 (= 1/19!
Jahres 1885 28 19206 | d. Jahres 1885 >) 239 33 1112
von 1856—1595 | 3 181 2421870 von 1886—1695 1576| 5120| 158987
5320 | 7235475 | 2012 |14873| 369837
| hiervon ab:
die? im Dez. 1895,
| geschloss. Ehen
| = ı/,, des
hiervon ab:
die im Dezember
1895 neu ge-
schlossenen Ehen
= 1 1g d. Jahres | Jahres 1895 . A: 46| 1376
ee SS OM 21110 ‘also Sollbestand 2 598 114827 | 368 461
also Sollbestand:[ 5 287 7214365 Es bestanden
Es bestanden aber!
nach der Zählung]
| aber nach der!
| Zählung vom
vom 2. 12. 1895 "2, 12, 1895 1587 |13 349 273 036
Ca L3 SS GE ` reit 'h Abgang KC OR 478| 95 425
folglich Abgang 2 000 1772254 |Der Abgang be- |
Der Abgang be- trügt in Prozent
trägt prozentual des Sollbestan-
vom Sollbestande[37,83Proz.| 24,56 Proz. | des 38,91 | 9,97 25,90
Würde der Abgang bei den Mischehen nur Der prozentuale Durchschnitt des Abgangs
ebenso großsein, wie bei den anderen Ehen, || in den jüdischen und christlichen Ehen be-
so hätte der Abgang statt 2000 nur 1299 | trägt 9,97 + 25,90 = 17,94 Proz. Würde
betragen dürfen. | E
der Abgang bei den Mischehen nur ebenso
groß sein, so hätte er statt 1011 nur 466
| betragen dürfen.
Nach Tabelle 21 und 22 ist der Mehrabgang bei den Mischehen gegen-
über den reinen Ehen ganz bedeutend; er ist in Berlin mehr als doppelt
so groß und in ganz Preußen um über 1/, größer als bei reinen Ehen.
Diese Thatsache kann, da der Einfluß der bei Mischehen etwas größeren
Ehescheidungsziffer kaum ins Gewicht füllt, gar nicht anders als durch
766 Miszellen.
Uebertritt des einen Ehegatten zur Religion des anderen erklärt werden,
wodurch die ursprüngliche Mischehe eine reine Ehe wird und die Kinder
aus derselben nicht mehr als Kinder aus einer Mischehe gezählt werden.
Läßt man, wie es vielfach geschehen ist, die hier angeführten beiden
Umstände außer acht, so muß man bezüglich der Fruchtbarkeit der Misch-
ehen zu falschen Resultaten kommen. Es giebt indessen eine Möglichkeit,
richtige Ergebnisse zu erhalten, indem man nämlich die Geburtenziffer
eines kurzen Zeitraums, z. B. von 2 Jahren, zur Gesamtzahl der in
diesem Zeitraum als bestehend gezählten Ehen in Beziehung setzt. So
bestanden am 2. 12. 1895 in Preußen 3287 Mischehen, aus denen in
den Jahren 1895 und 1896 durchschnittlich je 601 Kinder geboren
wurden. Es entfallen also auf 100 bestehende Mischehen 18,27 Geburten
pro Jahr, während dieselbe Verhältniszahl z. B. für die Gesamtbe-
völkerung in Preußen 20,81, in Berlin 14,61 betrug. Da fast die Hälfte
aller preußischen Mischehen, nämlich 1587 unter 3287, am 2. 12. 1805
in Berlin bestanden, so ist also die Geburtenziffer aus Mischehen noch
höher, als nach dem Verhältnis der anderen Ehen zu erwarten gewesen
wäre. Mag man nun auch dabei in Rechnung ziehen, daß die in Misch-
ehen lebenden Ehegatten, weil die Mischehen in den letzten Jahren
stärker gestiegen sind als die reinen Ehen, im Durchschnitt jünger sein
dürften, als die in reinen Ehen lebenden Ehepaare und dadurch die
Geburtenziffer in den Mischehen günstig beeinflußt wird, so kann dies
doch eine entscheidende Rolle nicht spielen.
Das Ergebnis der Untersuchung ist also, daß kein Anlaß zu der
Annahme vorliegt, daß die Mischehen in Bezug auf Fruchtbarkeit hinter
den reinen Ehen zurückbleiben. Unter diesem Gesichtspunkte wird man
aber den Mischehen ein günstiges Prognostikon stellen können. Soweit
darüber bisher Erfahrungen vorliegen, scheint die Rassenmischung
zwischen Christen und Juden auf die Abkömmlinge günstig einzuwirken.
Wir haben, besonders in Deutschland, aber auch in anderen Ländern,
Männer, die durch ihre Vorfahren jüdisches Blut in den Adern haben,
hohe Stellen im Staate mit Erfolg bekleiden, in Kunst und Wissen-
schaft Hervorragendes leisten sehen.
Das Judentum erleidet aber nicht allein dadurch Verluste an seinem
Bestande, daß die Kinder aus Mischehen zum größten Teil dem Christen-
tum zufallen, sondern auch durch den Austritt Erwachsener aus dem
Judentum. Die Gründe, die hierzu führen, liegen zum Teil in der
Rücksicht auf den christlichen Verlobten oder Ehegatten bei Mischehe-
schliefungen, zum Teil sind sie in materiellen und gesellschaftlichen
Rücksichten, zum allergeringsten Teil wohl im Wechsel der religiösen
Ueberzeugung zu suchen. Die Uebertritte vom Judentum haben ja
schon mit der Entstehung des Christentums begonnen und haben seit-
dem nie ganz aufgehört. Aber der Unterschied ist der, daß im Mittel-
alter unter dem Drucke des mehr oder minder unmittelbaren Zwanges
erfolgte, was heute im wesentlichen freiwillig geschieht. Besonders in
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, unter der Herrschaft der Auf-
klärung, griff der Glaubenswechsel unter den Juden außerordentlich um
sich; es giebt, wie wir an Heine, Börne, Benfey, Mendelssohn-Bartholdy,
Miszellen. 767
Marx, Stahl und vielen anderen, in England an Ricardo und d’Israeli
sehen, fast keinen bedeutenden Juden aus jener Zeit, den nicht das
Taufwasser besprengt hätte. Seitdem ist eine Zeit des Stillstandes ein-
getreten, während neuerdings die Anzahl der Austritte aus dem Juden-
tum wieder zuzunehmen scheint. Leider giebt es keine vollständige
Statistik hierüber. Die Austritte derjenigen, die an ihren Austritt nicht
den Uebertritt ins Christentum knüpfen, sondern konfessionslos (dissi-
dentisch) bleiben, sind von der Statistik überhaupt nicht erfaßt worden.
Und doch scheint gerade die Mehrzahl aller Austritte aus dem Juden-
tum in dieser Weise, also ohne Uebertritt zum Christentum, zu erfolgen,
wie man aus der sich ständig vergrößernden Zahl der Konfessionslosen und
ihrem statistisch nachweisbaren großen Wohlstande mit Recht entnehmen
kann. Der Uebertritt zum Christentum bedingt für den Erwachsenen
viele Förmlichkeiten die nicht jeder leicht auf sich nimmt, und wird ihm von
der jüdischen Gesellschaft, in der in dieser Beziehung noch ein ziemlicher
Corpsgeist herrscht, viel mehr verübelt, als der einfache Austritt. Des-
halb zieht es mancher, der sich des Judentums entledigen will, vor,
Dissident zu werden und erst seine Kinder taufen zu lassen. Für das
Judentum ist der Verlust deshalb der gleiche, als wenn der Austretende
sofort Christ geworden wäre, — Ueber Uebertritte von Juden zum Christen-
tum liegen zwar Zahlen vor, aber auch keine umfassenden, da sie sich nicht
auf die katholische Kirche erstrecken. Zur preußischen evangelischen
Landeskirche sind in Preußen von 1889—1895 1960 Juden, also im
Durchschnitt jährlich 280 Juden übergetreten. Das Hauptkontingent
dieser Konvertiten stellt Berlin mit 929 von 1889—1896 oder 133
jährlich. In Berlin ist die Anzahl der Uebertritte zur preußischen
evangelischen Landeskirche im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts
auch besonders stark gestiegen, denn sie betrug durchschnittlich jährlich
von 1881—1887 nur 66, von 1891—1897 aber 124, also beinahe das
Doppelte.
Die geringe Anzahl von Uebertritten Evangelischer zum Judentum
(von 1889—1895 in Preußen zusammen 44, davon 35 in Berlin) kommen
demgegenüber gar nicht in Betracht, zumal die Kinder dieser Konvertiten
meist nicht im Judentume verbleiben.
Kapitel 3.
Die Stellung der Juden im Erwerbsleben.
Vielleicht auf keinem anderen Gebiete zeigt sich der Einfluß des
Mittelalters auf das Judentum so augenfällig wie im gewerblichen Leben.
Während vor der Vernichtung des jüdischen Staates die Juden immer
noch ein vorwiegend ackerbautreibendes Volk waren, ist ihre Beteiligung
am Ackerbau jetzt fast gleich Null geworden; Handel und Industrie
sind als hauptsächliche Erwerbszweige an seine Stelle getreten. Den
Beweis hierfür liefert Tabelle 23, in der die Resultate der letzten
Berufs- und Gewerbezählung in Deutschland vom 14. Juni 1895 zu
Grunde gelegt sind.
768
Religionsbekenntnis
Miszellen.
Tabelle 23.
Erwerbsthätigen nach Berufs-
der
abteilungen, sowie der häuslichen Dienstboten am 14. Juni 1895
in Deutschland.
o Ion 100 Erwerbs- Auf die einzelnen
on den Erwerbs- thätiven jeder Be-| Berufsabteilungen
Erwerbs- thätigen sind ER n jeder Pe ontfallen von 100
Berufsabteilung | thätige j rufsabteilung sind o werbsthätigen
überhaupt —— - —
| Anders- Anders- Anders-
gläubige | Juden gläubige Juden gläubig. Juden
Landwirtschaft 8 292 692| 8 289 321 3371 99,96 0,04 34,53 1,58
Industrie 8 281 220| 8235 227 45993 | 99,45 0,55 34,30 15,80
Handel 2338511) 2205 060 133451 94,29 5,71 9,18 54,56
Lohnarbeit wech- |
selnder Art 432491) 431602) 889 99,79 0,21 1,80 0,36
Oeffentl. Dienst,
freie Berufsarten | 1425 961) 1411320, 14641 98,97 1,03 5,88 5,99
Selbständige ohne
Beruf 2 142 808| 2102938 39870 | 98,14 1,86 8,76 | 16,30
Häusliche Dienst- |
boten 1339 316| 1332 945! 6371 | 99,53 0,47 5,55 2,61
Summa R 252 999 24 008 413| 244 586 98,99 1,01 100,— | 100,—
Die Summe aller jüdischen Erwerbsthätigen (inkl. der Selbständigen
ohne Beruf, z. B. der Rentiers, Pensionäre, Anstaltsinsassen, und der
häuslichen Dienstboten) beträgt hiernach 244586 = 1,01 Proz. der
erwerbsthätigen Christen (d. h. hier aller Nichtjuden), während sie nach
dem Verhältnis der Bevölkerung am 1. Dezember 1890 1,15 Proz. be-
tragen müßte. Im Ackerbau machen die erwerbsthätigen Juden nur
0,04, im Handel dagegen 5,71 Proz. der erwerbsthätigen Christen aus,
d. h. im Handel sind im Verhältnis zur Bevölkerungszahl etwa 5mal
soviel Juden wie Christen thätig, während in der Landwirtschaft die
Juden nur !/,, des auf sie nach dem Verhältnis der Christen ent-
fallenden Kontingents stellen. Noch klarer wird die Sachlage durch das
Verhältnis, in dem sich 100 Juden auf die einzelnen Berufsabteilungen
verteilen. Es entfallen nämlich auf den Handel 54,56 (also über die
Hälfte) aller erwerbsthätigen Juden überhaupt, auf die Industrie
18,80 Proz., so daß also fast 8/, aller erwerbsthätigen Juden in Handel
und Industrie beschäftigt sind. Von den übrigen sind 16,30 Proz. Selb-
ständige ohne Beruf, 5,99 Proz. sind im öffentlichen Dienst und in den
sogen. freien Berufsarten (Gelehrte, Aerzte, Juristen, Kultusbeamte,
Künstler u. s. w.) thätig, während nur 2,61 Proz. als häusliche Dienst-
boten und 0,36 Proz. mit Lohnarbeit wechselnder Art ihren Erwerb
finden. — In Tabelle 24 ist dargestellt, wie sich die Erwerbsthätigen
in einzelnen Berufsabteilungen nach Selbständigen, Angestellten (tech-
nische und kaufmännische Gehilfen, Bureaupersonal, Schreiber u. s. w.)
und Arbeitern gliedern und wie sich das Religionsbekenntnis zu diesen
3 Klassen verhält.
Miszellen. 769
Tabelle 24.
Religionsbekenntnis und Berufsstellung der Erwerbs-
thätigen in Landwirtschaft, Industrie und Handel im Deutschen Reiche
am 14. Juni 1895.
Es waren erwerbsthätig Von 100 erwerbsthätigen
Berufs- __ Andersgläubige Juden Andersgläubigen sind Juden sind
abteilung als ` als als | als | als | Selb- Selb-
Selbe Ëer) Kee Ee janger Ars jmd: elle o ayang stelita Zeg
ständige | stellte | ständig. | stellte | beiter | dige |? ý Ge dige | ee
0,51 | 30,03] 0,88 | 0,04 | 0,92
1,38 |31,71 | 12,91 | 3,05 | 9,20
1,32 | 6,38 | 43,82 8,20 | 20,98
Landwirtschaft |2 567 109| 96 097| 5626 115| 1616 76| 1679| 13,71
Industrie 2038 166,258 179| 5 938 882| 23 598| 5 566 |16 829 | 10,88
Handel 763 452 246 910| 1 194 698| 80 105114 997 138 349 | 4,08
Landwirtschaft,
Handel u. In-
dustrie zus.
5 368 727601 186,12 759 695,105 319,20 639 |56 857 | 28,67 | 3,21 | 68,12 | 57,61 | 11,29 | 31,10
Hierbei zeigt sich die bessere soziale Stellung der Juden in prägnanter
Weise. Im Handel stehen den 4,08 selbständigen Christen 1,32 + 6,38
— 7,10 Angestellte und Arbeiter gegenüber, d h. die Anzahl der An-
gestellten und Arbeiter ist beinahe doppelt so groß als die der Selb-
ständigen; dagegen ist das Verhältnis bei den Juden 43,82: 29,18, d. h.
die Angestellten und Arbeiter machen hier noch nicht 5], der Selb-
ständigen aus. Ebenso ist in der Industrie, obwohl hier die große
Anzahl der kleinen (meist christlichen) Handwerker die Anzahl der
christlichen Selbständigen sehr steigert, und in der Landwirtschaft die
Verhältniszahl der selbständigen Juden zu den jüdischen Angestellten
und Arbeitern viel größer als bei den Christen. In Landwirtschaft,
Industrie und Handel zusammen stehen den 28,67 Proz. selbständigen
Christen 3,21 + 68,12 — 71,33 Proz. Angestellte und Arbeiter, den
57,61 Proz. selbständigen Juden aber nur 11,29 + 31,10 — 42,39 Proz.
Angestellte und Arbeiter gegenüber, d. h. bei den Christen machen die
Selbständigen noch nicht 21, a bei den Juden aber das Doppelte, näm-
lich fast 3/, aller Erwerbsthätigen aus.
Ein Vergleich der letzten Gewerbezählung von 1895 mit der vor-
letzten von 1882 ist für ganz Deutschland leider nicht möglich, weil
bei der Zählung von 1882 die Religionsverhältnisse nicht in ganz
Deutschland ermittelt worden sind. Wohl aber ist ein solcher Ver-
gleich für Preußen möglich und wird in Tabelle 25 gegeben. Es zeigt
sich hierbei, daß die Verteilung der Juden auf die einzelnen Berufs-
abteilungen ziemlich stabil geblieben ist. Einigermaßen bemerkenswert
ist der Rückgang im Handel von 57,92 Proz. auf 53,84 Proz. und
die Steigerung in der Rubrik, öffentlicher Dienst und freie Berufsarten
von 4,63 Proz. auf 6,10 Proz.; es spiegelt sich hierin die Thatsache
wieder, daß die Juden in den letzten 2 Jahrzenten in starkem Maße in
die gelehrten Berufe einströmen und die Söhne wohlhabender jüdischer
Kaufleute zum erheblichen Teile nicht den Beruf des Vaters einschlagen,
sondern Aerzte, Juristen etc. werden. Auf Hebung des Wohlstandes
Dritte Folge Bd. XXIII (LXXVIII). 49
770
Miszellen.
bei den Juden in der Zeit von 1882—1895 deutet die Steigerung der
Zahl der Juden ohne Beruf und Berufsangabe, da zu dieser Rubrik, in
der allerdings auch die Zahl der Christen von 5,94 Proz. auf 8,61 Proz.
gestiegen ist, die Rentiers das Hauptkontingent stellen.
Tabelle 25.
Gewerbezählungen in Preußen 1882 und 1895.
Es waren in den einzelnen
Berufsabteilungen erwerbsthätig
i Auf
die einzelnen Be-
rufsabteilungen ent-
fallen von 100 erwerbs-
| thätigen
Berufsabteilung ll
Christen Juden | Christen Jnden
1882 1895 | 1882 | 1805 | 1882) 1895 1892 1895
j | I
1) Landwirtschaft (Gärtnerei, Tier- |
zucht, Fischerei, Forstwirtschaft)| 4 684 481| 4 766 488) 1708 1650 40,34|34,37| 1,28 1,03
2) Industrie 3613912) 4702 313| 28546 33 246,31,28|33,91|20,82 20,67
3) Handel und Verkehr: | H h
a) Handelsgewerbe einschl. Ver- | | |
sicherungsgewerhe 419941) 628 380! 73 990, 82 069! 3,62| 4,53)53,95 51,04
b) Verkchrsgewerbe einschl. Be- | | |
herbergung und Erquickung 411373) 636421! 4206) 4 506) 3,56) Ann 3,07 2,80
4) Häusliche Dienste und Lohn- | |
arbeit wechselnder Art 1159363| 1131617) 4391! 4791|10,03| 8,16| 3,20, 2,98
5) Oeffentl. Dienst und freie Be- l
rufsarten 579991) 810769 6351| 9804 5,02 5,85 4,69! 6,10
6) Ohne Beruf- und Berufsangabe 685 658| 1 192 885. 17 946| 24 732) 5,94! 8,61/13,09,15,38
7) Angehörige ohne Hauptheruf Is 324 751117 154 535 220 416 201 140, — | — | — —
Summa |26 879 470|31 023 4081357 554 361 944| 100 | 100 "100 100
Tabelle 26 giebt einen Vergleich zwischen 1882 und 1895 für einige
kleinere bemerkenswerte Berufsklassen.
Tabelle 26.
Gewerbezählungen von 1882 und 1895 in Preußen.
Es entfallen auf die einzelnen Berufsklassen von je 100 erwerbsthätigen:
Berufsklassen
Buch- und Kunstdruck
Bekleidungs- und Reinigungseewerbe
Industrie der Nahrungs- und Genußmittel
Beherbergungs- und Schankgewerbe
Heeres- und Kriegsflottendienst
Verwaltung und Rechtspflege
Religionspflege, Unterricht und Erziehung
Gesundheits- und Krankenpflege
Schriftstellerei und ausübende Künste
Sa dee |
Evangelischen
Katholiken Juden
1882 | 1895 | 1882 | 1895 | 1882 | 1595
| wel, .
0,35 | 0,49 | 0,21 | 0,30 | 0,40 | 0,51
6,90 | 6,52 | 6,09 | 5,92 | 7,91 | Bei
3,23 | 3,56 | 2,71 | 3,12 | 6,76 | 5,54
1,34 | 2,15 | 1,05 | 1,72 | 2,66 | 2,45
2,39 | 2,85 | 1,91 | 2,11 | 0,68 | 1,04
1,17 | 1,37 | 0,73 | 0,88 | 0,78 | 1,14
1,13 | 1,21 | 0,91 | 1,11 | 1,89 | 1,69
0,33 | 0,47 | 0,38 | 0,58 | 0,78 | 1,55
0,48 | 0,45 | 0,27 | 0,86 | 0,51 | 0,70
Wir heben daraus die Vermehrung der Juden in der Verwaltung und
Rechtspflege von 0,78 Proz. auf 1,14 Proz. in der Gesundheits- und
Miszellen. 771
Krankenpflege von 0,78 Proz. auf 1,53 Proz. (beinahe Verdoppelung!)
hervor, um dadurch die obige Behauptung von dem verstärkten Zuströmen
der Juden zur Rechtswissenschaft und Medizin zu bekräftigen. Auch
im Heeres- und Kriegsflottendienste haben sich die Juden von 0,68 auf
1,04 vermehrt, was zum Teil durch die deutschen Heeresverstärkungen
erklärt wird, aber deshalb bemerkenswert ist, weil die Juden prozentual
stärker gestiegen sind als Evangelische und Katholiken; vielleicht läßt
dies darauf schließen, daß die körperliche Tauglichkeit der Juden für
den Militärdienst sich seit 1882 gebessert hat.
Zu erwähnen ist noch, daß die Anzahl der erwerbsthätigen Mädchen
und Frauen bei den Juden schr stark, nämlich von 15,94 Proz. aller
weiblichen jüdischen Personen im Jahre 1882 auf 21,97 Proz. im
Jahre 1895 gestiegen ist, bei den evangelischen dagegen nur von 24,02
auf 26,40. Es scheint also auch bei den Juden der jahrhunderte-
lang festgehaltene Grundsatz, daß die Frau in die Familie und nur
der Maun ins Erwerbsleben gehöre, vor den veränderten sozialen Ver-
hältnissen, welche auch der Frau eine Teilnahme am gewerblichen Leben
ermöglichen und oft sogar zur Notwendigkeit machen, völlig umzustürzen.
Zwar bleibt das Verhältnis der erwerbsthätigen Jüdinnen hinter dem
der erwerbsthätigen weiblichen evangelischen Personen noch etwas
zurück ; berücksichtigt man hierbei jedoch die allgemeine bessere soziale
Lage der Juden, so kommt man zu dem Ergebnis, daß auch in so gut
gestellten jüdischen Kreisen die weiblichen Personen noch erwerbs-
thätig sind, in denen sie es in christlichen Kreisen nicht mehr zu sein
pflegen. Vielleicht kann man hierin eine Art horror vacui der Juden,
einen Abscheu vor müßigen Händen, erblicken, der darauf drängt, alle
Arbeitskraft der jüdischen Familienmitglieder auch dem Arbeitsmarkt
zuzuführen und in produktiver Weise zu verwenden. Vielleicht hängt
aber auch die größere Beteiligung der Jüdinnen an der Erwerbsthätig-
keit mit der verhältnismäßigen Abnahme der jüdischen Eheschließungen
zusammen, wodurch manches Mädchen gezwungen wird, sich selbst eine
Existenz zu suchen. Jedenfalls ist es zum großen Teil der Vermehrung
der erwerbsthätigen jüdischen Mädchen und Frauen zuzuschreiben, daß
die Zahl der Angehörigen ohne Hauptberuf bei den Juden von 220416
im Jahre 1882 auf 201146 im Jahre 1895 zurückgegangen ist, während
sie bei den Christen in derselben Zeit von 15324751 auf 17154535
gestiegen ist. Zum Teil liegt dies allerdings wohl auch daran, daß die
Christen sich von 1882 bis 1895 stärker vermehrten als die Juden und
und bei ihnen infolge größerer Kindersterblichkeit weniger Geborene in
das erwerbsfähige Alter gelangen als bei den Juden. Im Jahre 1882
waren unter 100 Juden noch 61,65 Proz, im Jahre 1895 nur noch
55,57 Proz. Angehörige ohne Hanptberuf vorhanden, während bei den
Christen nur eine Abnahme von 56,68 Proz. auf 55,29 Proz. stattfand.
Die Belastung der jüdischen Erwerbsthätigen mit erwerbslosen An-
gehörigen hat also von 1882—1895 weit erheblicher abgenommen als
bei den Christen und sicher hat diese stärkere Heranziehung der
jüdischen Familienmitglieder zur Erwerbsthätigkeit zur Verbesserung
Am
772 Miszellen.
der materiellen Lage der Juden in der Zeit von 1882—1895 bej-
getragen.
In den Tabellen 27 und 28 finden sich zum Schlusse noch einige
detaillierte Angaben über einzelne Berufsklassen, an denen die Juden
in besonders starkem oder besonders geringem Maße beteiligt sind,
und zwar giebt Tabelle 27 Angaben für ganz Deutschland nach der
Zählung vom 14. Juni 1895, Tabelle 28 Angaben für Berlin nach einer
Zählung vom 1. Dez. 1890. Die Tabellen geben einen interessanten
Querschnitt durch die einzelnen Berufsklassen in Bezug auf die Religion
der in ihnen Beschäftigten und bedürfen keines weiteren Kommentars.
Tabelle 27.
Gewerbezählung vom 14. Juni 1895 in Deuschland.
Es waren erwerbsthätig in den einzelnen Berufsklassen :
Prozentual.
Anteil der
Berufsklasse Christen Juden
Juden an der
Gesamtzahl
Selbständige 4 006 | 1977 38,89
Geld- und Kredithandel Angestellte 20 087 2528 11,18
Arbeiter 4974 149 2,91
Waren- u. Produktenhandel im Kiereegse tie 414 202 D 683 13:14
stehenden Geschäftsbetrieb Angestellte 88:718 11135 na
FE TER Arbeiter 385 679 35 322 8,39
Selbständige 32 429 2 882 8,16
Hausierhandel Angestellte 13 2 13,33
Arbeiter 2459 191 7,21
Selbständige 6 666 514 7,16
Versicherungsgewerbe Angestellte 16 487 265 1,58
Arbeiter 1463 19 1,28
Post- und Telegraphenbetrieb 128 824 117 0,09
Eisenbahnbetrieb 262 581 157 0,06
Armee u. Kriegs- T Offiziere, Sanitätsärzte ete. 27 928 38 0,14
flotte und deren | Unteroffiziere u. Gemeine u.
Verwaltung Beamte von gleichem Range 600 172 2 840 0,47
Hofstaat, Diplomatie, Verwal- Höhere Beamte,
tung, Rechtspflege einschl. Richter, Anwälte
Aufsichts- und Dienstper- Notare 38 004 1 900 4,76
sonal in Gefängnissen, Besse- Bureaupersonal 174 489 507 0,32
rungs- und Wohlthätigkeits- Dienstpersonal
anstalten (Boten ete.) 77 806 53 0,07
Aerzte und Tierärzte 25 315 2 880 10,21
.Gesundheitspflege u. } Hebeammen 25 547 93 | 936
Krankendienst Verwaltungspersonal 5 199 31 0,59
Warte- u. Dienstpersonal 35 329 248 0,70
Privatgelehrte, Schriftsteller, Journalisten 5 095 412 7,48
Bildung, Erziehung, Unter- (Direktions- u. Lehr-
richt, Bibliotheken, wis- personal 214 876 3 133 1,44
senschaftliche u. Kunst- | Verwaltungspersonal 2 377 27 1,12
sammlungen Dienstpersonal 12 407 28 0,23
Geistliche, Missionare, Kirchen- u. Anstaltsbeamte 39 249 794 1,98
Direktionspersonal an Theatern ete., Schauspieler, '
Musiker 58 045 835 142
Miszellen. 7173
Tabelle 28.
Am 1. Dez. 1890 waren in Berlin von den gezählten 79286 Juden beschäftigt
(inkl. Angehöriger)
in der Bekleidungs- u. Reinigungs- als Rentiers 6 906
industrie 8650 | als Musiker 286
im Handelsgewerbe 41843 | am Theater 135
in der Textilindustrie 1843 | als Litteraten, Schreiber 593
im Hausiergewerbe 37 | als Geistliche, Kirchenpersonal 269
als Dienstboten 653 | als Verwaltungsbeamte 150
als Arbeiter, ohne Angabe der im diplomatischen Corps 4
Branche 940 | als königliche Hausbeamte 3
als Aerzte, Heilpersonal 1474 | als Richter u. Gerichtsbeamte (Refe-
als Bildhauer 13 rendare) 230
als Maler 60 | als Rechtsanwälte 562
als Gemeindebeamte 57 | als Almosenempfänger 121
Summa 64829
Mit der Stellung der Juden im Erwerbsleben hängt ihre örtliche
Verteilung eng zusammen. Handel und Industrie haben ihren Haupt-
sitz in den Städten und so finden wir denn auch, daß die Juden in viel
stärkerem Maße als die Christen die Städte und insbesondere die großen
Städte bewohnen. Den Beweis dafür erbringen die Tabellen 29 (für Deutsch-
land) und Tabelle 30 (für Preußen). In den Großstädten mit über 50000 Ein-
Tabelle 29.
In Deutschland lebten am 1. Dez. 1895 !) in Städten mit über 50 000 Einwohnern :
RR Ka berechnet auf die
8756927 Andersgläubige — 17,92 Proz. aller Andersgläubigen Kee bg
246 825 Juden = 43,46 Proz. aller Juden Í 1. Dez, 1890
Tabelle 30.'
In Preußen lebten am 2. Dez. 1395:
Andersgläubige Juden
in abso- in Prozent | in abso-
luten aller Anders-| luten in Prozent
Zahlen gläubigen Zahlen | aller Juden
in Berlin 1591 152| 5,05 Proz. 86 152| 22,69 Proz.
in 17 Orten mit mehr als 100 000
Einw. (exkl. Berlin) 2878099| 9,14 Proz. 77 958| 20,53 Proz.
in 15 Orten von 50 000—100 000
Einw. 1001030! 3,18 Proz. 18 051) 4,75 Proz.
in den Orten von 20 000—50 000
Einw. 4 012 107| 12,75 Proz. 37 449! 9,86 Proz,
in den Orten mit weniger als 20 000
Einw. 21993 019| 69,88 Proz. 160 106! 42,17 Proz.
31475 407| 100 Proz. 379719) 100 Proz.
Es lebten also am 2. Dez. 1895 in Preußen:
in Orten mit mehr als 20 000 Einw. 219610 Juden = 57,83 Proz. aller Juden
dagegen hatten am 1. Dez. 1871 in Preußen:
in Orten mit mehr als 20 000 Einw. gelebt 103 705 Juden = 31,85 Proz. aller Juden
1) Für einige Städten waren die Zahlen von 1895 nicht zu erlangen ; es sind des-
halb die für 1590 (Bremen, Lübeck, Mülhausen i. E.) bezw. für 1593 (Hamburg) zu
Grunde gelegt.
774 Miszellen.
wohnern lebten am 2. Dez. 1895 in Deutschland 43,46 Proz. aller Juden
und nur 17,92 Proz. aller Christen, in Preußen sogar 47,97 Proz. aller
Juden und nur 17,37 Proz. aller Christen. Der Zug nach den Städten
hat sich, wie er in der ganzen deutschen Bevölkerung in den letzten
Jahrzehnten zu konstatieren ist, bei den Juden in besonders starkem
Maße geregt; am 1. Dez. 1871 lebten in Preußen erst 31,85 Proz., am
2. Dez. 1895 aber 57,83 Proz. aller Juden in den Städten mit über
20000 Einwohnern!
Ueberhaupt lebten von allen Juden am 1. Dez. 1871 271738 in Ge-
meinschaften von mehr als 50 Juden, 53849 lebten in Orten, wo sich
noch nicht 50 Juden befanden, während am 1. Dez. 1880 die ent-
sprechenden Zahlen 310585 und 53205 betrugen. Beiläufig gesagt,
gab es in Preußen im Jahre 1867 (eine neuere Zählung existiert nicht)
1440 jüdische Synagogen, eine sehr stattliche Zahl, wenn man bedenkt,
daß im Jahre 1871 nur 963 Orte mit mehr als 50 Juden vorhanden
waren. Auf etwa 225 Juden kam also damals eine Synagoge.
Eine besondere Stellung unter den Großstädten nimmt Berlin ein,
dessen Juden sich außerordentlich stark vermehrt haben, wie Tabelle
31 nachweist.
Tabelle 31.
in Berlin waren
Unter Es wohnten in Berlin|Es wohnten in Berlin
N 100000 |von allen in Preußen |von allen in Deutsch-
Pur Juden Ein- gezählten land gezählten
gläubige $
wohnern
{sind Juden) Andersgl. | Juden Andengl.| Juden
1861 478316| 18859 379 |2,62 Proz.| 7,57 Proz. — =
1867 585 054| 24 189 397 247 » 7:72 » ge E
1.12.1871 | 786382| 36 105 439 13,23 „ |11,09 „ 11,94 Proz 7,06 Proz.
1.12.1880 | 1068414 | 53916 480 3,97 a [14,88% 12,88 % 9,60 »
1.12.1885 | 1 250904 | 64 383 490 4,48 » 117,56 „ [2,70 11,48 »
1.12.1890 | 1 499 508 | 79 286 502 5,07 » |21,31 „ 13,07 » |1396 »
2.12.1895 | 1591 152| 86 152 514 5,06 „ [22,69 „ — ES
1.12. 1900 | ı 796 642 | 92 206 488 15,27 „ |23,50 „ — | =
Von 1861—1900 haben sich die Juden in Berlin verfünffacht, und ihr
Anteil an der Gesamtbevülkerung von Berlin ist von 3,79 Proz. auf
5,14 Proz. im Jahre 1895 gestiegen, um dann wieder auf 4,88 Proz. in
Jahre 1900 zurückzugehen. Besonders scharf zeigt sich aber Berlin in seiner
Funktion als Sammelbecken und Assimilationscentrum aller preußischen
Juden in der Thatsache, daß die Juden in Berlin 1861 7,57 Proz,
1900 aber bereits 23,50 Proz. aller Juden in Preußen überhaupt aus
machen. Der vierte Teil aller preußischen Juden wohnt also jetzt bereits
in Berlin, so daß Berlin mit einer jüdischen Bevölkerungsquote von
5,14 Proz. unter den Großstädten nur hinter Frankfurt a/M. mit 9,7 Proz,
Posen mit 8,8 Proz, Mannheim mit 5,7 Proz., Breslau mit 5,3 Proz.
Juden unter der Bevölkerung (am 1. Dez. 1890) zurückbleibt.
Die Anziehungskraft Berlins erstreckt sich übrigens nicht nur auf
Miszellen. 7175
die preußischen uud deutschen Juden, sondern macht sich auch auf die
ausländischen Juden geltend. Tabelle 32 giebt ein Bild über die Ge-
burtsprovinzen und -Länder der Berliner Juden am 1. Dez. 1880. Es
Tabelle 32.
Von den am 1. Dez. 1580 in Berlin gezählten 53916 Juden waren geboren in:
Berlin 18 529 Uebertrag: 48 483
Provinz Posen 9 851 |im übrigen Deutschland 1771
Provinz Oste und Westpreußen 6 540 | in Deutschland überhaupt WEE
Provinz Schlesien 4 631 |in Oesterreich-Ungarn 957
Provinz Brandenburg 3 936 | in Rußland 2.048
Provinz Pommern 2725 |in England nebst Kolonien 172
im übrigen Preußen 2271 |in Nordamerika 215
in Preußen überhaupt 48 483 |in anderen Staaten 259
unbekannt Il
| 53 916
ergiebt sich hieraus das interessante Resultat, daß von den 53 916 Ber-
liner Juden am 1. Dez. 1880 nur 18529 geborene Berliner waren, wäh-
rend 29954 aus Preußen, 1771 aus dem übrigen Deutschland und 3662
aus dem Auslande stammen. Diese Zahl der ausländischen Juden in
Berlin stieg bis zum 1. Dez. 1890 auf 6182, bis zum 2. Dez. 1895 auf
9403 und betrug damit mehr als !/, der gesamten Ausländer in Berlin,
deren es 27103 gab. Die starke Vermehrung scheint besonders durch
Zuzug von Juden aus Oesterreich-Ungarn, deren Zahl sich von 957 im
Jahre 1880 auf 3065 im Jahre 1890 vermehrte, zustande gekommen zu
sein, wogegen die Einwanderung aus Rußland, vielleicht infolge strengerer
Maßregeln an der Grenze, in derselben Zeit ganz minimal war.
Die Zahl der ausländischen Juden in ganz Deutschland und ihre
Geburtsländer giebt Tabelle 33 für den 1. Dez. 1890 an. Die danach
Tabelle 33.
Unter den am 1. Dez. 1890 in Deutschland gezählten 567 884 Juden waren geboren :
in Oesterreich 8 803
in Ungarn 1 688
in den Niederlanden 1340
in Rußland und Finland 9897
in den Vereinigten Staaten 1455
in der Schweiz 499
im anderen Ausland 3 056
Summe aller im Ausland Geborenen 26 738
vorhandenen 26738 ausländischen Juden machten 4,71 Proz. der ge-
samten Juden in Deutschland aus, während unter den Christen nur
481857 — 0,99 Proz. Ausländer vorhanden waren.
Wir finden in diesem verhältnismäßig starken Prozentsatze auslän-
discher (und zum größten Teil österreichisch-ungarischer und russischer)
Juden in Deutschland auch im Judentum den vielberufenen Zug nach
dem Westen ‘wieder. Es ist ein Zurückstauen des starken jüdischen
Einwandererstromes, der im Mittelalter nach Polen, Oesterreich und den
Balkanländern flutete. Die höhere ökonomische Entwickelung Deutsch-
lands, welche die deutschen Juden aus mittelalterlicher Nacht und
776 Miszellen.
Not emporhob, zieht mit großer Kraft auch die Juden in den öko-
nomisch rückständigen Ländern an sich. Aber nicht nur nach Deutsch-
land, sondern noch mehr nach England und Amerika geht der Strom
jüdischer Einwanderer, und der Jude erringt sich auch wirklich im
fernen Lande durch rege Teilnahme am gewerblichen Leben eine bessere
Existenz und eine geachtetere Stellung, als sie ihm in der Heimat be-
schieden war.
So ist dieser Zug nach dem Westen ein hervorragender Faktor
in dem Assimilationsprozesse, den die Juden heute durchmachen.
Mit welchem Erfolge die deutschen Juden im 19. Jahrhundert an
der rapiden Entwickelung von Handel und Industrie teilgenommen haben,
lehrt vielleicht am besten eine Statistik des Einkommens der Berliner
Juden, wie sie in Tabelle 34 nach den Mitteilungen des Berliner Syn-
odalverbandes gegeben ist.
Tabelle 34.
Betrag der Einkommensteuer in Berlin 1898.
Zahl der | Unter 100 Be "Ee sind im
Steuer- Steuer- | Die Steuer- Durch-
GEN RS en | kommen- :
Konfession der Einkommen- plichtigen |pfliehtigen | pflichtigen steuer Stan
GE SH mit mehr | mit mehr 'sind insgesamt , . Kopf zur
steuerpflichtigen mit mehr als o | 6 bringen en
A SS ; als 21 M. als 21 M.| veranlagt zur FR Fin-
21 M, Einkommensteuer Re $ $ auf in Proz. |
Ein- Ein- Einkommen- dere kommen-
kommen- | kommen- |steuer mit M. er steuer Ver:
samt-
anlagt
steuer steuer sind
| summe
106 489 75,00 15 340 352 61,88 144,06
Evangelische
Katholiken 9 381 0,61 1 120 153 4,52 119,41
Andere Christen, Dissidenten 615 0,43 186 340 0,75 302,99
Juden 21 821 15,37 7 432 049 29,98 340,59
Sonstige Religionen 21 0,01 1 420 0,01 07,62
Garnison 3 661 2,58 708 707 | 2,86 193,58
überhaupt 141988 | 100, - | 24789021 | 100, — 174,58
Es geht aus dieser Tabelle hervor, daß die Juden, die am 2, De.
1895 nur 5,14 Proz. der Berliner Bevölkerung ausmachten, im Jahre
1898 15,37 Proz. aller Steuerpflichtigen mit mehr als 21 M. Staats-
einkommensteuer ausmachten und an dem (Gesamtbetrage dieser Ein-
kommensteuer mit 29,98 Proz. participierten, d. h. von dem Gesamt-
einkommen aller wohlhabenden und reichen Berliner fließt etwa /;5
den Juden zu. Leider sind in dieser Tabelle der Berliner Kirchenbehürde
die kleineren Einkommen nicht berücksichtigt, und es läßt sich des-
halb nicht sagen, welchen Anteil die Juden am Gesamteinkommen
der Berliner Bevölkerung haben; aber die Tabelle beweist immerhin,
daß das Durchschnittseinkommen bei den Juden in Berlin (und viel-
leicht noch mehr in Preußen überhaupt) ein weit höheres ist und dab
es unter ihnen mehr reiche Leute giebt, als unter den Christen,
Miszellen. 177
Kapitel 4.
Schulbildung und Universitätsstudium bei Christen
und Juden.
Es ist eine geschichtliche Thatsache, daß die Juden selbst in der
Zeit des schlimmsten mittelalterlichen Druckes den Wert des Wissens
zu schätzen wußten und ihre Kinder so gut unterrichten ließen, als es
ihnen möglich war. So haben auch die Juden, als sich ihnen im Be-
ginn des 19. Jahrhunderts die öffentlichen Schulen zu öffnen begannen,,
sofort die Möglichkeit eines besseren Unterrichts für ihre Kinder er-
griffen und sind heute mit aller Macht bestrebt, ihren Kindern über
den Elementarunterricht hinaus zum Besuch einer höheren Schule zu
verhelfen. In ganz erstaunlichem Maße übertrifft deshalb die Schul-
bildung der jüdischen Kinder die der christlichen, wie aus Tabelle 35
hervorgeht. Nur etwa die Hälfte aller jüdischen Schulkinder in Preußen
erhalten bloß Elementarunterricht, dagegen 94,05 Proz. aller christlichen
Kinder; höhere Schulen besuchen 3,93 Proz. aller christlichen, aber
41,34 Proz., also über 10mal so viel, aller jüdischen Kinder. In einzelnen
Tabelle 35.
Unterrichtswesen in Preußen.
Unter 100
Von je 100
7 LAURE Schülern und | Schülern ent-
Zahl der Schüler, inner | fallen.auf die
u. Schülerinnen
Es besuchten
der einzelnen
Schulen sind
einzelnen
Schulen
bei den |bei den
Christen) Juden Christen| Juden Christen! Juden
Niedere Schulen (Volksschulen und |
besondere Elementarschulen)im Jahre
1896 5264 409| 30 030| 99,428 0,572| 94,05 | 50,84
Mittelschulen (Bürgerschulen, sogen.
Töchterschulen ete. im Jahre 1596| 112974) 4662| 94,056 | 5,944 2,02 7,82
Höhere Mädchenschulen im Jahre 1896] 95 676| 12 225| 88,670 | 11,330 1,71 | 20,74
Höhere Knabenschulen (Gymnasien,
tealschulen , höhere Bürgerschulen
Progymnaæsien ete.) im Durch-
schnitt der Halbjahre von Sommer-
semester 1887 — Wintersemester]
1891/92 124591) 12 167| 91,103 | 8,897 2,22 | 20,60
Summe [5597 650! 59 044 100,— |100,—
Orten ist die Schulbildung der jüdischen Kinder sogar noch günstiger;
in Berlin z. B. besuchten Ende 1894 65,54 Proz. aller jüdischen Schüler
und 58,25 Proz. aller jüdischen Schülerinnen höhere Schulen. Der
Prozeß, der die jüdischen Kinder von den Elementarschuley hinweg an
die höheren Schulen bringt, scheint immer weitere Fortschritte zu machen,
wofür wir auf Tabelle 36 und 37 verweisen. Nach Tabelle 36 hat der
LU U EEE
178 Miszellen.
Tabelle 36.
Es besuchten die üffentlichen Volksschulen
in Preußen:
| | 1856 | ien | 1806
Christen 4 802 827 | 4 886 090 | 5 209 811
Juden 35 420 30 386 27015
Unter 100 Schülern sind Juden 0,732 0,618 0,516
Tabelle 37.
Esbesuchtendiehöheren (Knaben-und Mädchen)-Schulen'
in Preußen:
| Sommerhall-
Winterhalb- | Winterhalb- | Winterhalb- jahr 1887 bis
jahr jahr jahr | Winterhalh-
1559, 1360 1569, 1870 1879,1880 jahr 1891 92
‚durehschnittl.
Christen 59 535 | 99 809 130 018 220 267
Juden 4315 9 504 14055 24 392
Unter 100 Schülern u. Schüle-
riuuen sind Juden 6,8 8,7 10,1 9,97
Besuch der öffentlichen Volksschulen durch jüdische Kinder in dem
Jahrzehnt von 1886—1896 absolut und relativ ganz erheblich abge-
nommen, und dieser Abnahme muß unter der Herrschaft der allgemeinen
Schulpflicht natürlich eine Zunahme im Besuch der höheren Schulen
durch jüdische Kinder entsprechen, wie sie durch Tabelle 37 auch
belegt wird. Die kleine relative Abnahme in dem Zeitraum von 1879/80—
1887/92 von 10,1 Proz. auf 9,97 Proz. bei starker absoluter Zunahne
der jüdischen Kinder (von 14655 auf 24392) bei den höheren Schulen
erklärt sich durch die geringere Geburtenziffer ünd die geringere Zahl
vorhandener schulpflichtiger Kinder bei den Juden in den letzten 3 Jahr-
zehnten des 19. Jahrhunderts. Daß die Beteiligung der Juden am
Besuch der höheren Schulen keine geringere geworden ist, beweist der
Umstand, daß im Winterhalbjahr 1879/1850 auf 100 Juden (nach der
Volkszählung vom 1. Dez. 1880) 4,03 Schulkinder kamen, die höhere
Schulen besuchten, bei den Christen nur 0,48; im Durchschnitt der
Halbjahre vom Sommerhalbjahr 1887 bis zum Winterhalbjahr 1891/92
betrugen diese Ziffern dagegen (berechnet auf die Volkszählung vom
1. Dez. 1890) bei den Juden 6,56, bei den Christen 0,74, so dat die
Juden zu beiden Zeiten im Verhältnis etwa Ymal so viel Kinder auf
die höheren Schulen brachten als die Christen. Natürlich hat zu diesem
Prozeß nicht nur die Schätzung der höheren Bildung, sondern wohl
noch mehr der höhere Wohlstand beigetragen, den die Juden in den
letzten Decennien erreichten.
Im Einklang mit dem stärkeren Besuch der höheren Schulen steht
auch der Besuch der preußischen Universitäten durch Juden, wie die
Miszellen. 779
Tabellen 38, 39, 40 und 41 beweisen. Tabelle 38 giebt die absoluten,
Tabelle 39 die relativen Besuchsziffern der preußischen Universitäten
durch Juden und Christen und ihre Verteilung auf die 4 Fakultäten
Theologie, Rechtswissenschaft, Medizin und Philosophie an. (Hierbei
ist zu berücksichtigen, daß die jüdischen Studierenden der Theologie
nicht in der theologischen, sondern in der philosophischen Fakultät
inskribiert sind.) Die jüdischen Studierenden preußischer Staatsange-
hörigkeit machen, alle Fakultäten zusammengenommen, 9,32 Proz. aller
preußischen Studierenden aus. Unter den einzelnen Fakultäten wird
diese Durchschnittsziffer nicht ganz erreicht in der juristischen (8,19 Proz.)
Tabelle 38.
Besuch der preußischen Universitäten durch Christen
und Juden.
Es studierten im Sommerhalbjahr 1895
christliche jüdische
Fakultät [Preußen | andere | Aus- Christen | Preußen | dere | Aus- | Juden
Deutsche] länder | überh. | ‚Deutsche, länder | überh.
theologische 2 291 215 83 2 589 | — = ie =
juristische 2514 314 SI 2 879 206 39 8 253
medizinische 2385 264 153 2802 | 475 35 59 569
philosophische | 2 714 404 406 3524 | 242 | 29 | 127 398 j
in allen Fakul- |
täten 9 904 1197 693 11794 | 923 | 103 | 194 1 220
Tabelle 39.
Von 100 im Sommerhalbjahr 1895 auf preußischen Universitäten Studierenden waren:
| 5 | 25
in ev. u. kath.|. d ..: lin der Rechts- in der Philo- lin allen Fakul-
x in der Medizin re S (ën
Theologie | wissenschaft | sophie täten zus.
unter unter | unter | unter | unter unter, unter unter
allen allen | allen ” | allen
den Stu- | den Stu- | den Stu- den Stu-
Preu- |. | Preu- |. | Preu- |. Preu- |}.
Be dieren-| Be dieren- | B dieren- | B dieren-
en | Ben | Ben e
den den | den den
Christen 100 80,08 | 83,12 | 91,81 91,92 | 91,08 | 89,85 | 90,68 | 90,63
Juden — 19,92 | 16,88| 8,19| 8,08 | 8,92 | 10,15 | 9,32| 9,37
) I
Tabelle 40.
Auf 100000 Christen bezw. Juden nach der Volkszählung vom 2. Dez. 1895 kommen
Studierende preußischer Staatsangehörigkeit auf preußischen Universitäten im Sommer-
halbjahr 1895:
in christlicher in der in Rechts- in in allen
Theologie Medizin wissenschaft | Philosophie | Fakultäten
bei den Christen 7,28 7,58 7,99 8,62 31,47
bei den Juden — 125,09 54,25 63,73 243,07
780 Miszellen.
Tabelle 41.
Verteilung der Studierende auf die einzelnen Fakultäten (Sommerhalbjahr 1805):
Theologie u. Philosophie Rechtswissenschaft Medizin
Es studierten | — i s
unter 100 f unter den | unter allen | unter den | unter allen | unter den | unter allen
Preußen ‚Studierenden Preußen ‚Studierenden Preußen [Studierenden
Christen 50,53 51,83 25,38 | 24,41 24,09 | 23,1
Juden 26,22 32,62 22,32 | 51,46 40,64
und philosophischen (8,92 Proz.) dagegen in der medizinischen Fakultät
mit 19,92 Proz. weit übertroffen. Aehnlich ist das Ergebnis nach
Tabelle 40. Auf 100000 Juden in Preußen kommen 243,07, auf
100000 Christen 31,47 Studierende (preußischer Staatsangehörigkeit) über-
haupt; aber während sich bei den Christen die Studierenden auf 4 Fa-
kultäten ziemlich gleichmäßig verteilen, kommen auf 100000 Juden nur
54,25 Studierende der Rechtswissenschaft, 63,73 Studierende der Philo-
sophie, aber 125,09 Studierende der Medizin. Diese entschiedene Be-
vorzugung des medizinischen Studiums durch die Juden tritt besonders
scharf auch in Tabelle 41 hervor, wonach von 100 jüdischen Studierenden
preußischer Staatsangehörigkeit 51,46, also mehr als die Hälfte, auf die
medizinische, 22,32 auf die juristische und 26,22 auf die philosophische
(und theologische) Fakultät entfallen. Zu den Studierenden der Medizin
stellen die Juden ein 17mal so großes, zu allen Studierenden überhaupt
ein etwa Smal so großes Kontingent, als ihrem Verhältnis zur Ge-
samtbevölkerung entspräche. Unter den Studierenden der Medizin sind
etwa 1/,, unter allen Studierenden etwa !/,, Juden.
Kapitel 5.
Kriminalität und Moralität.
Der Anteil der Juden unter den wegen Verbrechens und Ver-
gehens verurteilten Personen war früher geringer als heute. Die kri-
minalitätsziffer der Juden ist seit dem Jahre 1892 beständig gestiegen,
und wenn sie auch immer noch günstiger ist als die der Christen, so stehen
in Deutschland im Jahre 1895 doch schon je 1175 verurteilte Juden
je 1239 verurteilten Christen gegenüber, während das Verhältnis 1891
erst 799:1074 betrug, wie aus Tabelle 42 hervorgeht. Die starke Zu-
nahme der Juden unter den Verurteilten beruht nun freilich nicht auf
einer Zunahme des verbrecherischen Hanges bei den Juden, sondern
dürfte fast ausschließlich auf die Erweiterung der Strafgesetzgebung
zurückzuführen sein. Durch neue Gesetze über Bank- und Börsenwesen,
durch die Arbeiterschutzgesetzgebung und durch viele andere Gesetze,
welche den Schutz der Handelsangestellten und der kleineren Gewerbe-
treibenden bezwecken, sind die Juden infolge ihres starken Anteils an
den Selbständigen in Handel und Industrie (besonders dem Großhandel
und der Großindustrie) von diesen neuen Strafbestimmungen verhältnis-
mälig in viel größerer Anzahl betroffen worden als die Christen, und
Miszellen. 781
Tabelle 42.
Kriminalität der Christen und Juden im Deutschen Reich.
Anzahl der von deutschen Gerichten wegen | Auf 1 00 000 strafmündige Personen
Verbrechens und Vergehens gegen Reichsgesetze') | der Civilbevölkerung derselben Re-
verurteilten ligion kommen verurteilte
im Jahre nl — = >=.
Christen Juden Christen Juden
1882 309 930 3212 991 844
1883 308 986 3098 982 809
1884 323 804 3085 1021 799
1885 320 944 2879 1003 740
1886 329 473 3009 1022 767
1887 332 298 2997 1023 762
1888 325 446 3018 992 764
1889 346 049 3142 1044 792
1890 358 339 3160 1066 794
1891 369 322 3194 1074 79
1892 413 142 3801 1187 939
1893 420 712 4260 1197 1043
1894 435 810 4587 1230 1113
1895 444 800 4767 1239 1175
dadurch ist auch die gesamte jüdische Bevölkerung an diesen Vergehen
viel stärker beteiligt, als die christliche Gesamtbevölkerung. So sind
z. B. im Jahre 1895 wegen Vergehen gegen das Gesetz über die Sonn-
tagsruhe 587 Juden — 1,447 op und 7425 Christen — 0,207 aller
Christen verurteilt worden, d. h. die Juden sind wegen Zuwiderhand-
lungen gegen dies Gesetz im Verhältnis 7mal häufiger bestraft als die
Christen.
Die Beteiligung der Christen und Juden an den einzelnen Delikts-
arten im Jahre 1895 zeigt Tabelle 43. Bemerkenswert gering ist da-
nach der Anteil der Juden in den Rubriken Widerstand gegen die
Staatsgewalt, Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Diebstahl und Sach-
beschädigung. Man wird wohl die Gründe hierfür in den ersten 3 Fällen
mit Recht in dem Gefühl der eigenen Schwäche suchen, welches die
Juden noch aus dem Mittelalter ererbt haben, und das sie von Wider-
stand gegen die Autorität des Staates und von Angriffen gegen an-
dere Personen zurückhält, ihnen andererseits aber den Vorwurf der
Feigheit eingebracht hat. Ein Jude, der einen Mord oder Totschlag
begeht, gehört zu den allergrößten Seltenheiten, und es ist ja auch
wegen Mordes, Totschlag, Tötung auf Verlangen des Getöteten, Kindes-
mord, Aussetzung im Jahre 1895 kein einziger Jude verurteilt worden.
Nur bei Abtreibung finden sich 5 Verurteilungen, und es scheint, als
ob diese Verbrechen gegen keimendes Leben auf dieselbe Ursache
zurückgehen, auf die wir in Kapitel 1 die häufigen Selbstmorde der
Jüdinnen zurückgeführt haben: auf die ihnen besonders große Furcht
vor der Schande und der strengen Verurteilung durch die jüdische
1) Von 1882—1891 verstehen sich die Zahlen ausschließlich der Verletzungen der
Wehrpflicht (in diesen Fällen ist die Religion der Verurteilten sehr häufig nicht zu
ermitteln) von 1892—1895 einschließlich der Verletzungen der Wehrpflicht.
eg
782
Miszellen.
Tabelle 43.
KriminalitätderChristenund Juden inDeutschland im Jahre 1895
„Auf 100 000 Per-
Es wurden verurteilt wegen folgender Verbrechen und Vergehen | sonen der straf-
gegen Reichsgesetze |mündig. Civilbe-
\völkerung gleicher
| Religion kommen
Deliktsart GE Juden | Kee ee
1) Hochverrat, Tnndäsyersat, M: netna Je Mee, etc. 619 | —| 0,17) 0
2) Widerstand gegen die Staatsgewalt 17754 | 59 4,95 | 145
3) a) Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz über Sonntagsruhe 7 425 587 2,07 Ka
b) Zuwiderhandlungen gegen die Gewerbeordnung 7 809 137 2,18 | 3,58
cl Andere Verbrechen u. Vergehen gegen die öffentl. Ordnung] 22 633 108 6,51 4u
4) Verletzung der Wehrpflicht 13 807 335 3,85 | Ba
5) Münzverbrechen und -Vergehen 289 3 0,08 | 0,07
6) Verletzungen der Eidespflicht (Meineid, Falseheid ete.) 1716 30 | 0,48 | 0,4
7) Falsche Anschuldigung 647 7 | 0.18 | o
8) Vergehen, welche sieh auf die Religion beziehen 374 | 9 0,10 0%
9) Verbrechen und Vergehen in Bezug auf den Personenstand 92 ı | 0,03 Ou
10) Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit 10324 | 110 || 2,88 2,11
sl Beleidigung 52021 ı 886} 14.49 218
12) Zweikampf IOI | 6 || 0,04 015
13) a) Mord, Totschlag, Bee: Aussetzung 481 | -- 0,13: 0
b) Abtreibung 356 | 5 0,10 012
c) fahrlässige Tötung 656 | 2 0,18 | 005
11) Körperverletzung 110475 | 598 30,78 | 14.74
15) Verbrechen und Vergehen wider die persönliche Freiheit 11315 41 3,15 11
16) Diebstahl 92618 | 345 25,80 | 851
7) Unterschlagung 19 079 179 5,32 Au
48) Raub und räuberische Erpressung 413 | 2 | 0,1% 0,05
19) Erpressung 673 | 19 | 0,19 0,47
20) Begünstigung und Hehlerei 8 443 93 | Sak 394
21) Betrug 21893 | 481 6,01 ‘11.86
22) Untreue und Pflichtwidrigkeiten des Vorstandes einer Aktien- | |
gesellschaft ete, 754! 35 0,21 0,86
23) Verfälsehung von Nahrungs- und Genußmitteln 1219 29 0,34 | Dil
24) Urkundenfälschung 4874 107 1,36 | 2,64
25) a) Betrüglicher Bankerott 146 16 0,04 | 0,8
b) Einfacher Bankerott 708 134 o,o | 330
€) Andere Verbrechen und Vergehen in Bezug auf ein Kon- |
kursverfabren 114 o | 0,08 | 022
26) Strafbarer Eigennutz und Verletzung fremder Geheimnisse 13 119 132 3,65 | 325
27) Wucher 47 10 0,01 025
28) Sachbeschädigung 16 193 55 | 4511 1355
29) Gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen; Verletzung der SE?
Vorschriften gegen Viehseuchengefahr | 3 063 79 | 0,85 1.33
30) Verbrechen und Vergehen im Amte 1440 13 | 0,40 , 0.32
31) Vergehen gegen verschiedene Einzelgesetze öffentlich - recht- |
lichen Inhalts ` rroj 45) aart
444 800 | 4 707 ` 123,9 117,5
Zusammenfassung der obigen Delikte unter 4 Hauptkategorien
I. Verbreehen u. Vergehen gegen Staat, öffentl. Ordnung u. Religion] 74 183 | 1 380 20,67 3401
Il. Verbrechen und Vergehen gegen die Person 185 822 1640 51,76 40,64
HT Verbrechen und Vergehen gegen das Vermögen 183 355 | 1725 51,08 42.52
IV. Verbrechen und Vergehen im Amte 1 440 13 0,40 088
"ou 800 |4767 1230 1175
Miszellen. 783
Gesellschaft. — Der Diebstahl ist heute in Deutschland, wo Polizei und
Gerichte tadellos funktionieren, ein recht unrentables Gewerbe geworden
und stößt die Juden sowohl aus diesem Grunde als auch deshalb zurück,
weil es sich zu offenbar als Verletzung des fremden Eigentums darstellt.
In den anderen Verbrechen und Vergehen gegen fremdes Vermögen
(Betrug, Erpressung, Hehlerei etc.) tritt das Vergehen als solches bei
weitem nicht so flagrant hervor; diese Vergehen stehen außerdem mit
den jüdischen Hauptberufen Handel und Industrie in viel engerer Be-
ziehung, als der Diebstalh und liegen auch deshalb den Juden viel
näher, weil sie durch den Intellekt, der Diebstahl aber durch manuelle
Thätigkeit und Geschicklichkeit vermittelt werden. In letzterer sind
die Juden meist aber ebenso untüchtig, als sie durch intellektuelle
Fähigkeiten hervorragen. Schließlich ist auch die bessere soziale Lage
der Juden für sie das beste Schutzmittel gegen die Verlockung zum
Stehlen. — Die geringere Beteiligung der Juden an der Sachbeschä-
digung endlich läßt sich durch ihre Abneigung gegen unnütze Zer-
störung von Werten und vielleicht auch durch ihre größere Selbst-
beherrschung gegenüber germanischem Jähzorn erklären.
Die Verbrechen und Vergehen, an welchen die Juden in stärkerem
Maße als die Christen beteiligt sind, lassen sich (wenn wir die Delikts-
arten, wegen welcher im Jahre 1895 weniger als 10 Juden beteiligt
sind, wegen der Ungeeisnetheit solch kleiner Zahlen für statistische
Berechnungen fortlassen) auf drei Gründe zurückführen:
1) Die exponierte Stellung der Juden als Angehörige einer vielfach
sehaften Minderheit; hieraus entspringt ihre größere Beteiligung an Be-
leidigung (und Zweikampf);
2) ihre geringere Neigung für den Dienst im Heere, hervorgerufen
durch Scheu vor der Strenge des Militärdienstes und vielleicht auch
aus Furcht vor Hänseleien wegen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum :
daher die vielen Verletzungen der Wehrpflicht durch unerlaubtes Aus-
wandern etc.;
3) ihre starke Beteiligung an Handel und Industrie. —
Dieser letzte Grund ist die Erklärung für ihren größeren Anteil an allen
anderen Delikten, die eine größere Beteiligung der Juden aufweisen. Der
ziifermäßige Nachweis hierfür ist in Tabelle 44 versucht!). Es ergiebt
sich aus dieser Tabelle zunächst, daß bei allen diesen Deliktsarten die
Verurteilten zu mehr als zur Hälfte, meist sogar zu 3/, nnd noch dar-
über, in Handel und Industrie erwerbsthätig sind. Es ist schon hier-
durch bewiesen, daß Handel und Industrie diese Delelikte besonders
begünstigen, da die in Handel und Industrie Erwerbsthätigen nach der
Gewerbezählung vom 14. Juni 1895 nur 43,79 Proz. aller Erwerbsthätigen
ausmachen und also eigentlich auch nur mit diesem Prozentsatz unter
den Verurteilten vertreten sein dürtten. Welch gewaltigen Einfluß
1) Rubrik 29 der Tabelle 43 (gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen und
Verletzungen der Vorschriften gegen Vichseuchengefahr) ist in Tabelle 44 nicht mit
aufgenommen, weil hier ein specielles Moment, nämlich die große Anzahl von Juden
unter den Viehhändlern, den größeren Prozentsatz der Verurteilungen von Juden ver-
ursacht. Unter den 79 verurteilten Juden der Rubrik 29 sind 75 wegen Verletzung
der viehpolizeilichen Vorschriften verurteilt,
784 Miszellen.
Tabelle 44.
Von den Së DA re
Verurteilten = EK S £ 35 HE
Zahl | waren erwerbs-| 2 335 è Ze Zë
Im Jahre 1895 wurden im Deutschen aller thätig ES Hajy ER eg
Reiche verurteilt wegen folgender Delikte: | Verur- x ke SS a S së?) Ei ER
teilten H M lin der| 2 «2 E | SAT lue
andel = 2% E E
u. Ver-|; pA PEE- ER E
kehr |“ ustrie 5 S S pag ER
1) Betrüglicher Bankrott 162 76 62| 85,18
2) Einfacher Bankrott 842 652 175|) 98,22 a
3) Andere Verbrechen und Vergehen in 950%) | (a
Bezug auf ein Konkursverfahren 123 59 44 83,74
4) Vergehen gegen die Gewerbeordnung 15881| 977 5205| 94,34 3517 | AN
5) Untreue und Pflichtwidrigkeiten des
Vorstandes einer Aktiengesellschaft etc. 789| 328 282| 77,31 3,57?) Au
6) Verfälschung von Nahrungs- und Ge-
nuBmitteln 1 248 568 376, 75,64 3,579 2,49
7) Verletzungen der Eidespflicht 1 746 250 662, 52,23 1,69 11
8) Erpressung 692 155 288| 64,02 1,695) OI
9) Betrug 22374| 4817| 8916, 61,38 1,694) 2,15
10) Urkundenfälschung 5072| 1311| 1902| 63,35 1,69?) 2,15
11) Wucher 57 39 o 84,21 1,693) | CA
alle Delikte zu 1—11 zusammen | 48 986 | 18 033 | 17 921| 73,40 — |-
Beruf und Berufsstellung auf einzelne Delikte haben, zeigen z. B. die
Konkursvergehen, bei denen die Juden im Verhältnis zur stratmündigen
Bevölkerung etwa 15mal, im Verhältnis zu den Selbständigen im Handel
aber nur etwa 1!/,mal so stark beteiligt sind als die Christen. Ebenso
ist es bei den anderen in Tabelle 44 aufgeführten Delikten; die Juden
bleiben zwar an ihnen allen (mit Ausnahme der Verfälschung von Nah-
rungsmitteln) noch immer etwas stärker beteiligt, als es ihrem Anteil
an Handel und Industrie entspräche, aber der Unterschied ist kein sehr
großer und dürfte zum überwiegenden Teile darin seine Erklärung
finden, daß die Juden mehr als die Christen in größeren und großen
Betrieben erwerbsthätig sind, in denen das größere Risiko und Speku-
lationen lebhafte Anreize zu Delikten (z. B. Konkursvergehen , Untreue
und Pflichtwidrigkeiten) bieten und daß andererseits auch gerade die
großen Betriebe den Strafvorschriften der Gewerbeordnung besonders
ausgesetzt sind. Bei einzelnen Delikten aber, und zwar besonders bei
Erpressung, Betrug und Urkundenfälschung, wird man mit diesen Gründen
nicht auskommen und wird den Juden eine größere Disposition zu diesen
Delikten zuschreiben müssen, die in ihrer mittelalterlichen Geschäfts-
führung ihre Wurzel hat und durch ihre intellektuelle Ueberlegenheit
1) Da hier in der großen Mehrzahl für die Bestrafung nur selbständige Kaufleute
in Betracht kommen, so ist die Zahl der im Handel selbständig erwerbsthätigen Juden
zu der Zahl der im Handel selbständig erwerbsthätigen Christen in Beziehung gesetzt.
2) Hier sind die Zahlen der in Handel und Industrie selbständig erwerbs-
thätigen Christen und Juden verglichen, da diese Delikte in der übergroßen Mehrzahl
nur von Selbständigen begangen werden bezw. begangen werden können.
3) Hier sind die Zahlen aller in Handel uud Industrie Erwerbsthätigen (Selb-
ständigen, Angestellten und Arbeiter) zur Verhältnisberechnung herangezogen,
m ——
Miszellen. 785
gegenüber den Christen begünstigt wird. Besonders scharf äußert sich
der Einfluß des Mittelalters auch beim Wucher, der ja damals die
Haupterwerbsquelle der Juden bildete, und zu dem sie heute etwa
10mal so viel Verurteilte stellen als es ihrem Anteil an den in Handel
und Industrie Erwerbsthätigen entspräche. Allerdings sind im Jahre
1895 nur 10 Juden (und 47 Christen) wegen Wuchers bestraft, indessen
wird diese geringe Anzahl der Verurteilungen zum größten Teil der
Fassung der betreffenden Strafparagraphen zuzuschreiben sein, die so
stark verklausuliert sind (cfr. besonders $ 302a St.G.B.), daß eine Ver-
urteilung wegen Wuchers nur in wenigen ganz klaren Fällen ermöglicht
wird. — Der den Juden so oft gemachte Vorwurf, daßihnen der Eid weniger
heilig sei als den Christen, wird durch Tabelle 44 nicht bestätigt, da
ihr Anteil an den Verurteilten (1,72 Proz.) ihrem Anteil an den in Handel
und Industrie Erwerbsthätigen (1,69 Proz.) fast vollkommen entspricht.
Als Resultat erhalten wir also, daß die Zunahme in der Krimi-
nalität der Juden von 1892—1895 in der Hauptsache in der Tendenz
der modernen Gesetzgebung zu größerem Schutze der Angestellten und
und Arbeiter und der Kleingewerbetreibenden in Handel und Industrie
(Arbeiterschutzgesetzgebung und sogenannten Mittelstandspolitik) be-
gründet ist, wodurch die Juden deshalb verhältnismäßig stärker dem
Strafrichter verfallen, weil sie in hervorragendem Maße als Selbständige
und zwar als Selbständige in Großbetrieben thätig sind. Hieraus er-
klärt sich der größere Prozentsatz der verurteilten Juden bei den so-
genannten Verbrechen und Vergehen gegen Staat, öffentliche Ordnung
und Religion (siehe Tabelle 43 am Ende). Bei den Verbrechen und
Vergehen gegen die Person stehen die Juden (mit Ausnahme von Be-
leidigung und Zweikampf) durchweg günstiger da als die Christen,
ebenso bei den Verbrechen und Vergehen im Amte. Bei den Ver-
brechen und Vergehen gegen das Vermögen sind die Juden, soweit
Sachbeschädigung, Nahrungsmittelverfälschung und offensichtliche Eigen-
tumsverletzungen (Raub, Diebstahl) in Frage kommen, geringer beteiligt,
übertreffen aber die Christen bei den meisten anderen Vergehen gegen
das Eigentum, insbesondere bei Betrug, Erpressung, Urkundenfälschung,
Konkursvergehen und Wucher.
Uebrigens muß zu Tabelle 43 noch eins angeführt werden. Die
strafmündige (d. h. über 12 Jahre alte) Civilbevölkerung Deutschlands
ist bisher noch nie für Juden und Andersgläubige getrennt ausgezählt,
sondern stets nur für die Gesamtbevölkerung festgestellt worden. Ob-
wohl nun bei den Juden infolge geringerer Kindersterblichkeit und
längerer Lebensdauer der Prozentsatz der Strafunmündigen geringer
sein dürfte als bei den Andersgläubigen, so mußte doch mangels zuver-
lässiger Zahlennachweise hierüber der Prozentsatz der Strafmündigen
bei Juden und Andersgläubigen gleich hoch angenommen werden, wo-
durch die Juden bei Berechnung der prozentualen Kriminalität in Ta-
belle 43 ungünstiger stehen, als es der Wirklichkeit entsprechen würde.
Die Zahl der Strafmündigen ist in Tabelle 43 für den 1. Jan. 1895 auf
405 636 Juden und 35 896 864 Andersgläubige angenommen.
Dritte Folge Bd. XXIII (LXXVIII). 50
786 Miszellen.
Nachdruck verboten.
A.
Die Bevölkerungsbewegung in den letzten Decennien.
Geburtenziffer.
Auf 1000 Bewohner entfielen jährlich Lebendgeborene
Staaten = : S n =F] =
1841/50| 1851/60 1861/70) 1871/75) 1876/80, 1881/85| 1886/90 1891/95, 1896,00
Deutsches Reich 36,1 | 35,3 | 37,2 | 39,0 | 39,3 | 37,0 | 36,5 | 36,3 | 360
davon Preußen 37,8 | 37,6 38,3 | 38,8 | 39,2 37,4 37,5 | 37,0 365
„ Bayern 34,2 33,3 36,9 | 40,1 | 40,6 37,6 | 39,6 | 36,5 | 30:
» Sachsen 39,4 | 39,2 | 40,4 | 42,3 | 43,3 | 41,9 | 42,1 | 39,9 | 300
» Württemberg 40,8 | 35,9 | 40,8 | 43,7 | 42,5 | 37,4 34,2 | 341 | 343
» Baden 37,9 33,0 37,0 | 39,1 | 37,9 33,9 32,4 32,7 | 3hi
Oesterreich 38,7 38,2 38,5 39,5 | 38,9 38,3 37,7 : 37,8 | 370
Ungarn — 42,0 43,5 | 42,7 | 44,1 44,4 43,5 41,6 —
Bulgarien -— — — — == — 36,1 36,8 -
Serbien = — 44,7 | 42,8 | 38,8 | 46,2 | 440 | 41, =
Italien — — 37,5 | 36,8 36,8 37,9 37,6 36,3 _
Schweiz = — — 30,3 31,5 28,9 27,7 28,2 | 289
Frankreich 27,3 | 26,1 26,8 25,5 25,3 24,7 23,1 22,4 | 220
Großbritannien u. Irland — — — 34,1 33,8 32,1 30,3 29,9 | 296
davon England u. Wales] 32,6 34,1 35,2 | 35,5 35,4 33,5 31,4 30,5 : 294
, ` Schottland — 33,9 35,0 35,0 34.7 33,3 31,4 30,6 | 30%
„ Irland — — 26,2 27,1 25,5 23,9 22,8 22,9 , 231
Belgien 30,5 30,4 31,6 32,2 | 31,9 | 30,9 29,3 28,9 | —
Niederlande 33,0 33,3 35,3 36,1 36,4 34,8 33,6 32,9 324
Dänemark 30,5 32,5 31,0 30,8 32,0 32,5 31,6 30,3 | =
Norwegen 30,7 33,0 30,9 30,1 31,5 30,8 30,5 | 30,8 =
Schweden 31,1 32,8 31,4 30,7 30,3 29,4 28,8 275 | —
Finnland 355 | 35,9 | 34,7 | 37,1 | 36,9 | 35,5 | 34,6 | 316 | —
Europ. Rußland — — 50,0 | 50,8 47,8 48,5 48,5 48,2 =
Japan — — — 23,0 25,2 | 27,7 28,5 | 29,8 | =
Aegypten — | — "en 42,5 42,5 42,5 | 42,5 | 427 | —
Uruguay — — — — — | 38,0 40,2 40,8 | Es
Miszellen. 787
Sterbeziffer.
ZE Auf 1000 Bewohner entfielen jährlich Gestorbene (ohne Totgeburten)
€!
G 1841/50| 1851/60| 1861,70 1871/75|1876/80| 1881/85) 1886/90| 1891/95| 1896,00
Deutsches Reich 26,8 26,4 26,9 28,2 26,1 25,8 | 24,4 23,8 21,2
davon PreuBen 26,8 26,6 -| 27,0 27,7 25,4 25,4 24,0 22,8 21,0
Bayern 27,8 27,6 29,8 31,5 29,8 28,7 26,4 26,5 24,2
„ Sachsen 28,4 27,1 28,1 29,6 28,5 28.9 26,2 25,2 22,7
„ Württemberg 31,1 29,5 31,4 31,9 29,9 26,7 24,0 24,8 22,0
„ Baden 27,8 25,9 27,4 28,6 26,4 24,0 22,5 23,0 21,1
Oesterreich 33,3 30,8 30,6 32,7 36,5 30,2 28,8 27,8 25,4
Ungarn _ — 34,0 45,4 36,3 32,9 30,1 31,8 —
Bulgarien — = — — — — 27,8 27,2 —
Serbien — 31,0 33,0 32,3 31,7 31,9 30,8 —
Italien — — 31,0 30,3 29,4 27,3 27,3 25,7 —
Schweiz — — — 23,9 23,2 21,4 20,5 20,0 18,7
Frankreich 23,2 23,1 23,6 24,9 22,4 22,2 21,9 22,3 20,7
Großbritannien u. Irland =- — 21,6 21,3 20,5 19,2 18,8 187 17,8
davon England u. Wales] 22,4 22,2 22,5 20,0 20,8 19,4 18,9 18,7 17,8
Schottland — — 22,1 22,7 20,6 19,6 18,8 19,1 18,4
Irland — — 16,6 17,7 18,6 18,0 17,9 18,4 18,0
Belgien 24,4 22,6 23,8 23,9 22,0 20,6 20,0 20,1 —
Niederlande 26,2 25,6 25,4 25,6 22,9 21,4 20,5 19,6 17,2
Dänemark 20,5 20,5 19,9 19,5 19,4 18,5 18,8 18,5 —
Norwegen 18,2 17,1 18,0 17.5 16,6 17,1 16,9 16,7 =
Schweden 20,6 21,7 20,2 18,3 18,3 17,9 16,4 16,6 —
Finnland 23,5 28,6 32,6 21,7 22,7 22,2 20,3 20,4 —
Europ. Rußland = S 37,5 | 36,5 | 34,9 | 35,6 | 33,4 | 35,7 —
Japan — — — 18,0 18,0 19,5 20,7 21,2 —
Aegypten — = | — 32,5 32,5 32,4 32,3 32,0 —
Uruguay =- — — — — | 17.1 19,1 18,1 —
|
Heiratsziffer.
TR Auf 1000 Einwohner fielen jährlich Neuvermählte
ah 1841/50] 1851/60| 1861/70] 1871/75| 1876/80] 1881/85] 1886/90] 1891/95] 1896/00
Deutsches Reich 16,10 | 15,64 | 17,04 | 18,84 | 15,68 | 15,40 | 15,68 16,0 16,8
davon Preußen 17,21 | 16,86 | 17,08 | 18,88 | 15,86 | 16,92 | 16,32 16,2 16,8
„ Bayern 13,17 | 12,76 | 17,34 | 18,92 | 14,65 | 13,64 13,96 14,8 16,0
» Sachsen 17,11 17,00 17,86 19,96 17,70 17,92 18,64 17,6 18,8
» Württemberg 14,55 | 11,84 16,75 | 19,93 | 14,26 | 12,65 | 13,20 14,2 15,4
„ Baden 14,43 | 11,99 | 16,59 | 18,14 | 14,29 | 12,96 | 14,08 14,8 16,2
Oesterreich 17,25 15,80 | 17,36 18,30 | 15,62 | 15,88 | 15,40 15,6 16,0
Ungarn — — | 18,60 | 21,50 | 19,30 | 20,24 | 17,72 18,0 —
Bulgarien — — | — — — 18,04 | 17,24 | 16,0 —
Serbien — — 23,50 | 22,80 | 23,32 | 22,14 21,76 19,8 a
Italien — — 15,20 | 15,54 | 15,06 | 14,08 | 17,64 15,0 —
Schweiz — — | — 16,06 | 14,90 | 13,80 14,00 14,8 15,6
Frankreich 15,88 | 15,76 | 15,62 | 16,96 | 15,16 | 15,04 14,48 15,0 15,2
Großbritannien u. Irland — _ 13,45 | 15,64 | 14,18 | 14,10 | 13,78 15,0 16,0
davon England u. Wales] 16,10 | 16,90 | 16,69 | 17,08 | 15,34 | 15,14 | 14,70 15,2 16,2
„ Schottland -— — 13,98 | 14,98 | 13,76 | 13,76 | 13,02 13,6 15,0
Irland — — 10,50 9,72 9,04 8,66 8,66 9,4 9,8
Belgien 13,58 | 14,82 | 15,04 | 15,44 | 13,94 | 13,94 | 14,34 15,2 —
Niederlande 14,82 | 15,80 | 16,44 | 16,64 | 15,76 | 14,28 | 14,04 14,4 14,8
Dänemark 15,74 17,70 14,90 | 15,88 | 15,54 15,38 13,94 13,8 —
Norwegen 15,56 | 15,38 | 13,28 | 14,58 | 14,40 | 13,32 | 12,76 12,8 —
Schweden 14,54 | 15,22 | 13,08 | 14,04 | 13,20 | 12,84 | 12,20 11,4 —
Finnland 16,30 | 15,64 | 15,50 ! 17,68 | 15,72 | 14,90 | 14,40 13,0 =
Europ. Rußland — — 20,40 | 19,62 | 17,62 | 18,06 | 17,94 17,6 —
Japan — — — — — 15,60 | 16,64 17,0 —
Uruguay — — — — = — 11,52 10,4 =
50*
188
Miszellen.
AL
Die Zunahme der Bevölkerung in den hauptsächlichsten
(Nach am-
Jahres-
zahl
1857
1569
1530
1885
1590
1900
1829
1839
1549
1859
1869
1879
1855
1889
1896
1899
1857
1869
1850
1890
1900
| ER ER Ss,
SA? ro |Z5 I jJahres-, 8 pro |25 SWahres-| Aa. GE:
Volkszahl | dree E S £ zak Volkszahl akm | u £ zahl Volkszahl din
| $ à ER |
Deutschland Preußen Sachsen
24 831 396| 46,3 1816 | 10349031 | 35,8 1815 1 178802! "Bel
26 291 606| 49,1| 1,43 |1822 |11604133 | 39,8 2,11 |1821 1 261 602| 84 | Lu
28 111 269| 52,5| 1,34 [1831 | 13 038 960 | 44,5 1,31 | 1830 1402066! 93,5| Lon
|29518 125| 55,1) 0,98 | 1810 | 14 928 501 | 50,9 1,61 | 1840 1706 276! 113,9| 2,1:
30935648! 57,7 | 0,94 |1849 | 16 331 187 | 55,9 1,04 | 1849 1 894 431| 126,4 1,32
32785 ı50| 61,2 | 1,16 |1858 |17739913 | 60,5 0,95 | 1858 2122902, 132,9 La
35395496, 66,0 | 0,76 | 1867) 19 671 841 | 1,21 [1867 2426 300 161,9 | Lis
37 745 187| 70,4 | 0,64 | 1867 | 24 047 934 | 69,1 l
40 816 249! 76,1 | 0,79 |1875 |25 693 634 | 73,8 0,85 | 1875 2760586 184,3| Li:
45234061! 83,7| 1,08 |1880 |27 279 111 | 78,4 1,20 | 1880 2972805 198,3! Li
46855 "ou 86,7| 0,70 |1885 |28 318 470 | 81,8 0,75 | 1585 3182003 212,21 Li
49428470 91,4| 1,07 |1890 | 29 955 281 | 86,0 1,12 | 1890 3 502 684, 233,6! La
52279901. 96,7| 1,12 [1595 31855 123 91,4 1,23 | 1895 3 787 688| 252,5 1,5
156367 178 104.3 | 1,15 [1900 |34472509 | 98,9 1,58 | 1900 4 202 216| 280,3 24
Oesterreich Frankreich England und Wale
| | | 1501 8892536! 59,0 |
1806 |29 107 425 | 53,1 1811 | 10164256 673| 14
1821 [30471875 | 55,6 0,31 |1521 12 000236 799| 181
1531 |32569 223 | 59,4 0,69 | 1531 13 806 797| 92.0) Lin
| 1841 !34 230 178 62,4 0,51 [1541 15 914 1481 105,5 | 14
118 224 500, 60,7 1851 |35 783 170 | 65,3 0,45 | 1551 17 927 609 118,7 | 19
20 394 980, 67,9 | 0,97 |1861?) 36 713 166 | 67,0 0,26 | 1861 20 066 224| 132,8, 1,1
| | 1372®)| 36 102 921 | 67,7 1871 ! 22712266! 1504 1,5:
22144 244 73,7| 0,78 | 1576 |36 905 788 | 68,8 0,55 |1881 | 25968 286) 171,4 Lu
22 868 825: 74,0| 0,63 |1586 |37 930 759 | 70,7 0,27 [1886 | 27 870586! 184,3 13
123 895 413 79,0 | 0,89 [1891 |38 133 385 | 71,1 0,11 |1891 | 29001 018) 192,0 Din
26 107 304 87,0| 0,88 | 1896 | 38 269 011 | 71,3 0,07 [1596 ' 30646 480| 202,9 11
i 1901 1380641333 |72,0 | 0,20 [1901 | 32526075| 2154 Li:
Niederlande Spanien Schweden
1787 | 10409 879 | 20,5 1751 1785 727| 39)
1800 2347303, 52| 9m
0,16 | 1810 2 377 851 5,3! 0.13
1820 | 2584690 57| O8
2613487| 79,2 1832 |11 158 264 | 21,9 1830 2888082] 64! 1:
2860 450| 86,6 | 0,94 |1846 |12 162872 | 23,9 0,64 | 1840 3138887] 6,9] Gë
3056879) 92,6| o,69 |1857 |15 464 340 | 30,4 2,47 | 1850 3482541 7,6| 10%
3 293 577| 100,0! 0,77 | 1560 | 15 673 536 | 30,8 0,45 | 1560 3859728] Bal Los
| 3579529| 108,5 | 0,87 | 1870 4108525 ,2| 0,80
40120693, 122,0 | 1,24 [1877 |16 625 860 | 32,7 0,85 | 1880 4565 668| 10,1! 0,1
4336012! 135,0! 1,24 | 1884 |16 958 178 | 33,4 0,25 | 1585 4642769! 102 0.1
4511415] 136,7, 1,01 |1887 |17 505623 35,0 | 1,19 [1890 | 4.784981] 11,0| 0
4928 658; ı51,4 | 1,32 |1597 |18 089 500 35,9 0,27 |1896 | 4919260! 11,1, 0,55
5103 353| 156,8 | 1,16 | 1900 | 5136441, 12,5] 1,0%
Ungarn Schweiz RuBland (europ.)
13 768 443| 42,6 1860 2510494 60,6 | 1858 61.891.493] |
15 509455, 48,0! 1,05 | 1870 2669147 64,4 | 0,63 | 1867 72195494! 140! 0,5%
15 725 710 48,7| 0,13 | 1880 2 846 102 | 69,0 0,66 |1879 | 83 626 590| 15,0, 1,5:
17 463 473| 54,0 | 1,04 | 1888 2917754 71,0 0,37 |1883%)| 87 850490] 16,7| 1%
19 203 531| 59,6 | 0,95 |1900 | 3325023 83,1 1,09 |18855)| 99 178 554| 16,9!
| | 18975)|115 882 694| 19,7 1L%
1) Alte Provinzen. 2) Ohne die 1860 erworbenen Provinzen. 3) Ohne Elsaß-
Lothringen. 4) Einschl. Polen. 5) Einschl. Polen, Kaukasien und Finland.
mmm. mm
Miszellen.
Kulturstaaten während des 19. Jahrhunderts.
hchen Quellen.)
789
Jahres-
zahl
at)
1527
1830
1540
1549
1358
1567
1575
1580
1885
1590
1595
1900
1301
1511
1321
1831
1841
1551
1361
1871
1881
1556
1891
1896
1901
1815
1825
1535
1845
1855
1865
1875
1880
1891
1895
|
|
|
|
|
© = © = |e Le
53 s (Jahres LEE s |a EK
Volkszahl| P"O ES ET Volkszahl | PO (85 SPS Volkszahl | DÉI 27 à
qkın Soa zahl | qkm = eh zahl qkm |S >&
S & GE IS &
Bayern Württemberg Baden
3707 966| 48,5 | 1816 | 1410684! 72,3 1816 | 1005 899 | 66,3
4044509! 52,9 | 1,01 | 1822 | 1459250, 74,8 0,57] 1822 | 1090910! 72,2 1,41
4133700! 54,1 , 0,73 | 1831 1580785. 81,4 0,97] 1830 | 1 200 471 79,61 1,25
4370977 | 57,3 0,57 | 1810 | 1646136, 84,4 0,42] 1840 | 1296464 | 85,2, 0,79
|4520751| 59,2 | 0,38 | 1849 | 1744595 | 89,4 0,66] 1549 | 1362774 | 90,2| 0,57
14615748) 60,4 | 0,23 | 1858 | 1690898 | 86,7 —0,34| 1858 | 1340735 | 88,7 | —0,18
4824 421 | 63,6 | 0,50 | 1867 | 1778396 | 91,2| 0,57| 1867 | 1434 970| 95,0 0,78
'5022390| 66,2 0,51 | 1875 | 1881 505 | 96,5 0,72| 1875 | 1507 179 | 99,8 0,63
5 284 778 | 69,7 | 1,04 | 1880 | 1971 118| 101,1 0,95] 1880 | 1570254 | 104,0 0,88
5420199! 71,5 | 0,51 | 1855 | 1995 ı85 | 102,3 0,24] 1885 | 1601 255 | 106,2 0,39
5594 982 | 73,7 | 0,63 | 1890 | 2036522 | 104,4 0,41] 1590 | 1657 867 | 109,9 0,69
15818544 | 76,7 | 0,78 | 1895 | 2081 151| 106,6 0,43] 1895 | 1725 464 | 114,4 0,80
6176057 | 81,4 | 1,19 | 1900 | 2169480| 111,2 0,83] 1900 | 1 867 944 | 123,8 1,59
Schottland Irland Belgien
1 608 420 | 20,3 | 1801 | 5226331| 61,8
1805 864 | 21,8 | 1,23 | 1811 | 5956460! 70,6 1,42
2091521! 26,5 | 1,58 | 1821 | 6801827 | 86,8 1,44
2364 386| 30,0 | 1,80 | 1831 | 7 7674o1| 92,1 1,42] 1831 | 3785 814 | 122,9
2620184 | 33,2 | 1,08 | 1841 | 8175124| 96,9! 0,52] 1846 | 4 337 196 | 140,8 0,97
2888 742| 36,6 | 1,02 | 1851 | 6552385 | 77,5 |—1,98] 1856 | 4 529 560 | 147,0 0,44
3062294| 38,8 | 0,60 | 1861 | 5798967 | 68,8 | —1,15] 1860 | 4671 183| 151,6 0,78
3360018| 42,6 | 0,97 | 1871 | 5412377 | 64,2 |—o,6é] 1870 | 5087 105 | 165,1 0,89
3734370! 47,3 | 1,11 | 1881 | 5 159839 | 61,2 | - 0,47| 1879 | 5 536654 | 179,7 0,98
3949393 | 50,1 | 1,09 | 1886 | 4887439 | 58,0 |—1,11] 1885 | 5 853 278 | 198,0 1,14
4025647| 51,0 | 0,36 | 1891 | 4704 750| 56,0 |—0,75| 1891 | 6136444 | 209,0 0,97
4179025 | 54,2 | 0,73 | 1896 | 4585 973 | 54,9 | —o,us] 1901 | 6 693 810 | 229,0 0,98
4471957 | 58,0 | 1,385 | 1901 | 4456546| 54,5 | —0,57
N Italie Vereinigte Staaten von N.-A.
Norwegen SE Flächeninhalt 9 212 300 qkm
1788 |17 700000! 61,3 1790 | 3 929 827 |
1800 | 5 305 925 3,50
855 467 2,9 1812 | 19 800000, 68,6 0,56! 1810 | 7 239 814 3,64
1051318 3,4 | 1,87 1820 | 9638131 3,31
1 194 812 4,0 | 1,36 1830 | 12 866 020 3,31
1328471 4,4 | 1,12 1840 | 17 096 453 3,26
1490786! 4,9 | 1,22 | 1861 | 25023810! 86,7 0,541 1850 | 23 191 876 3,58
1 701 478 5,6 | 1,41 | 1871 |26801 154| 92,4 0,72] 1860 | 31 443 321 3,55
1806 900 | 6,0 | 0,62 | 1879 | 28437 091 | 98,6! 0,16] 1870 38 558 371 | 287
1 925 000 6,1 | 1,23 | 1855 | 29 699 785 | 100,0 0,85| 1880 50 155 783 2,96
2 001 000 6,2 | 0,35 | 1891 |30 347 291 | 106,0! 0,36| 1890 | 62 982 244 7,0 2,55
2041600| 6,3 | 0,63 | 1896 | 31 290 490 | 109,2 0,60] 1900 | 76 303 387 8,5 1,91
2231 395 6,9 | 1,21 | 1901 | 32449754] 109,5| 0,73
1900
790 Miszellen.
Nachdruck verboten.
XII.
Thünen-Archiv.
Herr Alexander von Thünen, der Enkel des großen National-
ökonomen Johann Heinrich von Thünen, hat dessen gesamten
handschriftlichen Nachlaß dem Staatswissenschaftlichen Seni-
nar der Universität Rostock als Grundstock eines mit demselben
zu verbindenden „Thünen-Archives“ gestiftet unter der Bedingung, dal
dieses Archiv auf eine, des großen Nationalökonomen würdige Weise
aufbewahrt, geordnet, übersichtlich registriert und der wissenschaftlichen
Benutzung bequem zugänglich gemacht wird. — Dieser Erwerb ermög-
licht es, die für die Staatswissenschaften wichtige Forschungsmethode
Thünen’s genauer als bisher kennen zu lernen; und wird auch hoffent-
lich sich zu einem Krystallisationspunkt für die Weiterbildung dieser
Methode entwickeln, namentlich um deren praktische Verwertbarkeit zu
erhöhen. — Das Großherzogliche Ministerium hat Mittel gewährt, um
das „Thünen-Archiv“, den Absichten des Stifters gemäß, auszugestalten,
und das Staatswissenschaftliche Seminar hat bereits in diesem Sinne
weitere Materialien erworben. Insbesondere hat der verdiente Biograph
Thünen’s, der Oekonomierat Schumacher, dem „Thünen-Archiv“ zahl-
reiche von Thünen herrührende und auf ihn bezügliche Schriftstücke,
wie auch eine größere Anzahl von Druckwerken überlassen. Fernere
Erwerbungen stehen in Aussicht. — Die Ordnung des „Thünen-Archi-
ves“ ist dem Dr. Richard Passow übertragen worden, der vor kurzem
„Ueber die Methode der nationalökonomischen Forschung Johann Heinrich
von Thünen’s in der „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft*
eine Abhandlung veröffentlicht hat.
Miszellen. 791
Nachdruck verboten.
XIII.
Der Stand der deutschen Erwerbs- und Wirtschafts-
genossenschaften.
Von Dr. Hans Crüger, Anwalt des Allgemeinen Verbandes deutscher Erwerbs- und
Wirtschaftsgenossenschaften.
„Mitteilungen zur Genossenschaftsstatistik“ hat kürzlich Geheimer
Regierungsrat Professor Dr. Petersilie, der Leiter des statistischen
Bureaus der Preußischen Central-Genossenschafts-Kasse, herausgegeben.
Es ist dem Herausgeber gelungen, das recht dürftige Urmaterial in
einer Weise zu verarbeiten, daß interessante und wichtige Schluß-
folgerungen möglich sind. Die Preußische Central-Genossenschafts-Kasse
hat sich neben ihrer Thätigkeit als Kreditinstitut auch die Pflege der
Genossenschaftsstatistik zur Aufgabe gestellt. Die statistischen Ver-
öffentlichungen derselben beruhen auf dem ihr von den preußischen
Amtgerichten zur Verfügung gestellten Material; am 1. Mai 1896 hatte
der preußische Justizminister eine Verfügung erlassen betreffend die
Herstellung einer Statistik über die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossen-
schaften, nach der die Gerichte verpflichtet sind, regelmäßig Zählkarten
und Zähllisten mit bestimmten Angaben der preußischen Central-Ge-
nossenschafts-Kasse abzuliefern. Auf Grund dieses Materials gab die
Preußische Central-Genossenschafts-Kasse zunächst ein Kataster der im
Darunter befanden sich :
i ER e [mi eschr.|| _. e
Es bestanden pe mit beschrünk- | ee | nicht einge-
Art der Genossenschaften Haftpflicht ter Haftpflicht | pflicht tragene
am am | am am | am am am am | am am
31. 3.131. 3.31. 3. 1 31. 8. | 31. 3.131. 3.131. 3.131. 3.181. 3.| 31. 3.
1900 | 1901 || 1900 | 1901 | 1900 | 1901 | 1900 | 1901 | 1900 | 1901
Kreditgenossenschaften 11 477| 12 140| 10 297| 10877| 1032| 1115| 45 46 103 102
Rohstoffgenossenschaften : | | |
gewerbliche 95) 145| 26 24) 54| ı06| 3 12 12
landwirtschaftliche 1237| 1394 874 929, 235 335 5 123 124
Werkgenossenschaften : |
gewerbliche 53 66| 17 16 34 48 2 — —
landwirtschaftliche 501 547 90 104| 214 246| — — 197 197
Magazingenossenschaften :
gewerbliche 73 79 26 EE 39 46 7 7
landwirtschaftliche 127 154| 22 30! 98 117| — — 7 7
Produktivgenossenschaften |
gewerbliche 203 255 51 60, 145 188 3 3 4 4
landwirtschaftliche 2186 2507| 1442| 1543| 602 822| 67 6 75 75
Verschiedene Arten von |
Genossenschaften 310 357 71 71| 231 278 5 5 3 3
Konsumvereine 1404| 1528 263 249| 1040| 1178 | 6 6 95 95
Baugenossenschaften 322 385 13 12) 309 373 — —| — =
|
Zusammen | 17 988| 195571 13 192| 13 940| 4033| 4852| 137 139 | 626 | 626
792 Miszellen.
Königreich Preußen bestehenden eingetragenen Genossenschaften heraus,
in weiteren „Mitteilungen“ wurden die Angaben des Katasters lediglich
ergänzt.
Am 1. Oktober 1901 ist nun der statistischen Abteilung der
Preußischen Central-Genossenschafts-Kasse durch den Finanzminister ein
statistisch geschulter Leiter gegeben, es ist dies Geheimer Regierungs-
rat Professor Dr. Petersilie.
Die neuesten „Mitteilungen“ schließen sich an die bereits heraus-
gegebenen beiden Hefte „Mitteilungen“ inhaltlich an und behandeln
das statistische Material nach dem Stand der Genossenschaften vom
30. Juni 1899 und 1900. Ein neues Kataster der eingetragenen Ge-
nossenschaften ist in Arbeit; dasselbe wird nicht nur die in Preußen,
sondern auch die in den übrigen deutschen Bundesstaaten, mit Aus-
schluß von Bayern, Württemberg und Hessen, bestehenden Genossen-
schaften umfassen. Die jetzt zur Veröffentlichung gelangten „Mit-
teilungen“ umfassen folgende Abschnitte:
Die Geschäftsresultate von 14033 Genossenschaften ergeben
die folgenden beiden Tabellen.
A. Statistik de
Zahl
Umsatz
der ‚der be- (Einnahmen
Verbände Verbands- richtenden der Mit- | und Ausgaben
Kredit- Kredit- glieder zusammen)
genossen- genossen-
schaften schaften M
1. Allgemeiner Verband der deutschen
Erwerbs- und Wirtschaftsgenossen-
schaften, Kreditgenossenschaften 936 870 511 o6t ?
2. Allgemeiner Verband der deutschen
landwirtschaftlichen Genossenschaften,
Spar- und Darlehnskassen!) (s. auch
B. 9) 4440 4077 290367 | 653978488
3. Generalverband ländlicher Genossen- 7
schaften für Deutschland in Neuwied.
Darlehnskassen !) (s. auch B. 10) 3288 2739 236 721 357 277 365
4. Verband rheinischer Genossenschaften
in Küln ? 237 15 758 38 090 437
5. Verband landwirtschaftlicher Genossen-
schaften in Württemberg, Darlehns-
kassenvereine!) (s. auch B. 13) 882 860 82 310 93 653 076
6. Verband schlesischer ländlicher Ge-
nossenschaften in Neisse ? 134 15 229 24 245 488
7. Revisionsverband schlesisch. Genossen-
schaften in Breslau 8 8 6 342 105 814 821
8. Trierischer Revisionsverband ? 117 9 372 16418 534
9. Kreditgenossenschaften i. Württemberg — 99 39 377 ?
10. Verband hannoverscher gewerblicher
Genossenschaften zu Osnabrück ? 43 4705 33414774
11. Oberschlesische Genossenschaftsbank, e.
G. m. b. H. zu Beuthen 12 7 1 389 10 283 999
1) Haben auch die Beschaffung der Rohstoffe im landwirtschaftlichen Betriebe ihrer Mit-
2) 3215473 M. Stiftungsfonds. 883945 M. Reservefonds.
Miszellen. 793
1. Revisionsverbände und Revisionsverhältnis der Genossenschaften.
2. Die Centralgenossenschaften.
3. Stand der eingetragenen Genossenschaften am 30. Juni 1899
und 1900.
4. Bewegung im Bestande der Genossenschaften 1898—1900.
5. Abstufung der Geschäftsanteile und der Haftsummen.
Beigefügt ist eine kartographische Darstellung, die ein Bild von
der Verteilung der Mitglieder der Genossenschaften über die Kreise
des preußischen Staates giebt.
An einer Statistik der Geschäftsresultate der sämtlichen deutschen Ge-
nossenschaften fehlt es bisher, und die Behörden werden sich schwerlich
der Arbeit unterziehen können, eine solche Statistik aufzustellen. Denn
wenn auch bei den Amtsgerichten die Blätter liegen, in denen die
Bilanzen der Genossenschaften bekannt gemacht sind, so wird doch
weder die Preußische Central-Genossenschafts-Kasse noch ein statistisches
Amt den Versuch machen, auf Grund dieser Bekanntmachungen eine
Statistik der Geschäftsresultate der Genossenschaften aufzustellen. Es
ist notorisch, daß die veröffentlichten Bilanzen vielfach zum mindesten
Kreditgenossenschaften.
Betrag der $
Betrag Ee . Geschäfts- Angeliehene An-
der Jahresschlnß Aktiva, guthaben Reserve- kende gaben
gewährten PE Summe der fonds Gelder für
Kredite | Kredite Mitglieder das
Jahr
M. M. M. M. _ M M.
2276 855 864 | 672 231 131 | 805 843 108 | 133 264449 | 44 987 176 | 609 926 058 1900
142 329 333 | 256 956 562 | 292 449 690 8 083 008 6 136 589 276 625 828 1899
? 138 589 231 | 175 294 077 1 847 765 4 099 418 ?)| 168 181 536 1899
? 12 209 265 15 802 723 2 198 034 ? 1899
? ? 42 333 817 1 288 699 1252 373 ? 1900
? 12 037 843 14 250 454 ? 306 703 11 525 305 1900
17 788 135 3 873 915 4 191 356 997 662 | 148 186 2 906 905 | 1900
4 448 965 7 065 494 8 761476 66575 | 129 423 6 590 050 1900
40750654| 52 239 609 60 026 636 15 086 716 4015 582 40 267 640 1900
? ? ? ? 104 547 ? 1901/02
? 992 887 1084 771 240614 | 24 646 781 784 1901
nn
glieder zur Aufgabe,
194
Miszellen.
B. Statistik von Konsumvereinen, Bau-, Magazin-, Produktiv-,
landwirschaftlichen
Beschaffung von Lebensmitteln, von gewerblichen und
LA
= A Wert der
Kë IR Eingelieferte Milch durch die
© O| „8 Genossen-
Verbände E ZS ER: schaft
S S = Ki verkauften
= g| S S dafür bezahlt | Waren
= 5 in L.
N M. M.
1. Allgemeiner Verband der deut- |
schen Erwerbs- und Wirtschafts- |
genossenschaften, Konsumvereine | 618| 568/522 116| — — —
2. — — Rohstoffgenossenschaften J7| “ 47 991 = — —
3. — — Baugenossenschaften 79| 100| 27 880| - — —
4. — — Magazingenossenschaften 5 4 163| = - 210917
5. — — Produktivgenossenschaften 18, 14| 1 990! - _ 2 071 000
6. Allgemeiner Verband der deut-
schen landwirtschaftl. Genossen- |
schaften, Bezugsgenossenschaften |1379/1055| 83 442 — — _
7. — -— Molkereigenossenschaften |1034| 859| 74 304| 1 039 424 269| 78 031 780 -
f.987 1618741
8. — — Winzergenossenschaften 20 18 949| — — 369 692
9. — — Spar- und Darlehnskassen |4440 1579 ? = — —
10. Generalverband ländlicher Ge- |
nossenschaften für Deutschland in
Neuwied, Darlehnskassen 3288| ? ? — = à:
11. Verband rheinischer Genossen-
schaften i. Köln, Molkereigenossen-
schaften ? 45) 4638| 56994150! 4456464 ==
12. Verband landwirtschaftlicher Ge-
nossenschaften in Württemberg,
Molkereigenossenschaften 54 49| 4348| ? 1 115 664 =
13. — — Darlehnskassenvereine 882| 465 ët — — +
14. Molkerei-Revisionsverband für d.
Provinzen Brandenburg, Pom-
mern, Sachsen u. die Großherzog- |
tümer Mecklenburg in Prenzlau | ? 69| 3317| 118 147 405| 10 169 893 a
im höchsten Grade unvollständig sind. Seitens der Genossenschaften
des Neuwieder Verbandes wurden z. B. bis vor kurzer Zeit stets nur
die Summen der Aktiven und Passiven veröffentlicht, und erst nachdem
durch Entscheidung des Kammergerichts festgestellt ist, daß derartige
Veröffentlichungen als Bilanz im Sinne des Gesetzes nicht anzusehen
sind, scheint eine kleine Besserung einzutreten. Wer aber wollte für
die Richtigkeit aller Veröffentlichungen die Verantwortung über-
nehmen! Wer die Schwierigkeiten kennt, die sich der Bearbeitung der
Bilanzen und Geschäftsberichte für die von den großen Genossen-
schaftsverbänden herausgegebenen Jahrbücher entgegenstellen, weiß auch,
daß eine Statistik der Geschäftsresultate der Genossenschaften nur zu
erzielen ist mit Hilfe der freiwilligen Mitarbeit der Genossenschaften.
Eine Anzahl der Genossenschaftsverbände veröffentlicht die Ge-
schäftsresultate der ihnen zugehörigen Genossenschaften, und diese Ver-
öffentlichungen bieten wichtiges Material nicht nur für die Beurteilung
Miszellen. 795
Molkerei- und Winzergenossenschaften, sowie von gewerblichen und
Rohstoffgenossenschaften.
landwirtschaftlichen Rohstoffen, von Wohnungen.
Verkaufserlüs| An- Rn à
Verkaufs- | f. gewerbl. u. | zahl |” SEH Ge- A
erlüs landwirtsch. pre schäfts- | Reserve- |g li a? An-
für Rohstoffe ` der seit Bestehen) Aktiva ‘| guthaben ege s en Wee gaben
Lebens- | bezw. Bezüge | der Genossen- der Mit- a Geld e [für das
mittel landwirtsch. | schaften er- glieder See Jahr
Rohstoffe | bauten Häuser
M. M. À DRM | CMS Are NM M, -
126 970 187 — — — 43 536 368 |10 842 265 | 4 856 624 12 335 707 | 1900
— 2 009 882 — — 1 668 828 516 338 153440, 768 234| 1900
= > 8817133 719 444|37 160 208 | 5499 122| 995 068 30 375 719 | 1900
= 2019 | — = 499 442 83 674 79376 272557 1900
= 51583 | — — 2457384| 488557] 221 346| 1301540, 1900
— 24 055 352 — — 12 066 356| 924 269| 1 147 076! 9610 507 | 1899
? — — — 38711 431| 4257 973| 5 262 238 |27 400 461 | 1899
_ — — — 1 427 462 30411 152271 ? 1899
— 9 022 904 — — ? ? ? ? 1899
— 14 321 097 — — ? ? ? ? 1899
? Ce = — 3050799| 33373 | 129 200 ? 1899
? ? = = ? 19818 40046 ? 1900
= 950 177 = ? ? ? ? 1900
? — — — 3 007 204 133 511 313 288 ? 1900
der Leistungen der Genossenschaften, sondern auch für die Prüfung
der Grundsätze, nach denen die Genossenschaften arbeiten. Aus der
Statistik der Genossenschaften ist das Material gewonnen für die ge-
schäftlichen Grundsätze, die für die Genossenschaften maßgebend sind.
Nachstehende Tabellen, die verschiedenen Publikationen einzelner
Genossenschaftsverbände entnommen sind, bieten ein Bild über Aus-
breitung und Thätigkeit der Genossenschaften. Es war nicht möglich,
eine vollständige Statistik zu gewinnen, doch das nachstehend gebotene
Bild reicht aus, um den Umfang der Leistungen der deutschen Erwerbs-
und Wirtschaftsgenossenschaften beurteilen zu können — das heißt der
Leistungen der Genossenschaften als Gesamtheit.
Wir beginnen mit einer Tabelle, die dem Jahrbuch des Allgemeinen
Verbandes der deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften ent-
nommen ist und den Stand der Genossenschaften am 31. März 1901
wiedergiebt. (Siehe Tabelle auf S. 791.)
796 Miszellen.
Eine erhebliche Anzahl der Genossenschaften hat sich für den ge-
schäftlichen Betrieb zu Centralkassen, Einkaufsgenossenschaften u. s.w.
vereinigt. Die folgende Tabelle bietet ein Bild der Leistungen von 37
Verbandskassen, sowie 26 Ein- und Verkaufsgenossenschaften.
A. Centralkassen!).
| : Geschäfts- |
zZ E Betrag der guthaben der
= Umsatz (Ein- Set V
> = |Einzel-| nahmen und Betrag ebe er Aktiva, Mitglieder | Reserve- Angeliehene| An-
ER PE kees zu. gewährten schluß aus- Some bezw. ein- | bhd: fremde | gaben
EE ei g Kredite | stehenden gezahltes Gelder | für des
EIS glieder| sammen) Kredite Aktien- Jahr
= kapital |
| M. M. M. M. M. M. M. 4
— | 460 000 000 ?) 37 539 528 8)|41 181 989| 5236750 | 301 824 | 35 3438114) 19)
— 8 059 348 1142411 | 1354617 35500 | 60635| 1316909 | 10 |.
— 10 440 364 340 685 342 142 8750 1371 329 803 | 180
8 | 21533 338 3025 581 | 3025981 127 393 21000 | 2861835 | 180 |:
2 30 321 531 2401835 | 2415 576 136 400 11530| 2260110 | 10 |.
| 4 | 30937 658 3303544 | 3412187| 236740 8809 | 3159241 | 1% |:
6 | 32323 328 4042973 | 4.097 442 187 320 | 26363 | 3864582 | 189
12 |100 761 654 5731352 | 5 806 132 148 770 | 27122| 5604502 | 18
27 50 190 228 1620870 | 2 002 899 74 435 146 | 1922470 | 189 |.
| 24 | 33 692 997 2648812 | 3784 237 45 168 = 3775470 | 180
10 9 477 704 802 053 858 703 26 240 361 833 347 10 |.
3 | 4528 462 665 401 718635 33 320 2 466 681488 | 189
6 | 19 342 684 1381674 | 1476 992 60 898 10 000 | 1398004 | 1890
8 |123 189 544 5993642 | 9122 347 127 720 18| 9022383 | 189 j-
8 38 355 898 2401636 | 6341 814 27 000 4030| 6308299 | 1 |.
5 | 12738230 | 2017 520 | 2049402) 81 670 2364 | -1957598 | 184
141 | 85539 740 2768839 | 3555814] 500000 | 49171| 2979855 | IM |.
16 | 1513 880 255 272 261 341 11 180 752| 247797 | IM |.
6 1612225 | 136 212 164 599 2275 _ 162098 | IM |.
— | 36770642 2416666 | 3 200 841 26 040 — 3174684 | 189
— | 15 891328 1926627 | 1926627 — — 1926627 | 18
— I 815 500 122411 122 463 32 000 3 029 87434 | 19)
_ ? | 1 149501| 216584 368 988 59613 2360) 298245 [1900
= ? | 236 896 237 196 24 180 1862| 208449 [10001
5 | 25 279 880 982345 | 3425839] 86294 | 83227 | 3256317 | I
— | 24058424 51878 | 713459] 167000 | 3766| 533558 JM!
r ? | 490 907 506 653| 267 456 670| 231220 | II
| ? 131 265 131 688 16 651 128| 113846 | 190
— | ? 233658 | 1153928) 39379 | 25770| 1074363 MN
= 4 173 000 171 367 190 135 ? 3095! 18524 | 189
= 12 494 000 371 423 381 228 58 200 4 403 316131 | 189
— ? 2315 196 | 2315 196| 308000 | 24468 | 1980900 | 1%
| — | 58765616 4219768 | 7935335| 200000 | 8419| 7721511 | IM
? 32 418 390 6176688 | 6203682] 752600 | 52466| 5357557 | I
— | 10307570 | 410546 | 458057 9630 | 2000) 443720 =
6 | 13 336 683 1152725 | 1154075 78660 | 3726| 106461 | 1%
= ? 209 101 209 582 67000 | 1314| 140849 | 1%!
1) Mit Rücksicht auf den Raum sind entsprechend dem Wunsche des Herrn
Herausgebers die Firmen fortgelassen.
2) Gesamtumsatz auf allen Konten der Geld- und Warenabteilung. Der Umschlag
in der Geldabteilung betrug 405 000000 M., der Verkaufserlös der Warenabteilung
28 190 000 M. — Siehe auch unter B. 1.
3) Darunter M. 2986 668 der Warenabteilung. !
+) Darunter M. 701 941 der Warenabteilung. `
Miszellen. 797
B. Centraleinkaufs- und Centralabsatz-Genossen-
schaften!).
Verkaufserlös
für gewerb-
N Verkaufs- liche u. land- Geschäfts- An-
age _ |Einzel-| erlös für Verkaufe wirtschaftliche gti guthaben | Reserve-| geliehene 2
g ai mit- | Lebens- soo ar Rohstoffe tiva | ger Mit- | fonds fremde Keng
am ine glieder| mittel uer | bezw, Bezüge glieder Gelder T e
s landw. Roh- RE
stoffe
| M. M. M. M. M TM M.
1 28 190 000°)
2 15 | 347 I 193 704 880 134 | 190121 | 60071| 605078 | 1599
3 — 618 280 000 257 526 12652 | 28 842| 209136 | 1899
4 224 — 410 850 ? ? ? ? 1899
5 24 3 | 4672130 |1382559| 28050 | 59561|1210618 | 1899
6 7 88 1 433 486 216669 | 63865 | 43 084 73 197 | 1899
7 2 101 | 2301 181 991 136| 177500 | 53740| 695 553 | 1899
8 292 3 4163510 |1001 277 4711 | 54185 | 922718 | 1899
9 59 7 840 245 67 836 8 400 7 866 23 559 | 1899
10 53 — 485 000 226 155 530 | 67 128| 145 890| 1899
11 48 196 1 472 676 386 068 8940 | 35000| 320481 | 1899
12 15 3 42 000 21764 480 501 19 894 | 1899
13 57 ER 293 209 41512 3 700 6 34 862 | 1899
14 41 13 1 688 616 185 363 3 850 — 127 105 | 1899
15] 1762 — | 1226715 ? ? ? ? 1899
16 196 8 | | 351195 |6341 811 27 000 | 15 108 | 6 293 191 | 1899
17 124 5 1 166 177 490 199 34 000 | 35480! 410987 | 1899
15 60 IT | 794 735 112 739 14 200 4 100 91 381 | 1899
19 470 — 1 575 000 250 163 | 1511 | 59825 | 183756! 1899
20 or 5 | 1 075 606 188 902 14407 | 55500| 75207 | 1899
21 44 3 489 o18 226 489 1980 | 13500 208 935 | 1899
22| 2216 — 151 599 43 023 12 603 1 166 27 052 | 1899
23 42 — | 707 621 458 057 9 630 2000| 443720 | 1899
24 2 48 — 582 728 — 13 224 8 419 4 509 | 450 | 1899
25 15 5 — 716031 | — 9 103 3 800 3 535 | 200 | 1899
26 104 — |7956334 — | — 994 647 | 200000 | 19500| 695 265 | 1900
Als Centralkasse ist auch gewissermaßen die Deutsche Genossen-
schafts-Bank von Soergel, Parisius & Co., Kommanditgesellschaft auf
Aktien, zu betrachten. Hier einige Zahlen des von dieser Bank im
Jahre 1867 errichteten Giroverbandes, der den Zweck hat, den Geld-
verkehr der Mitglieder untereinander zu erleichtern, indem sie Schulden
und Forderungen an einem gemeinsamen Mittelpunkte — Berlin oder
Frankfurt a. M. — durch Uebertragung ausgleichen und das Inkasso
von Wechseln am Orte, an denen Mitglieder eines Giroverbandes
wohnen, zu vereinfachen, zu sichern und die Kosten auf das möglichst
kleinste Maß zu vermindern.
1) Mit Rücksicht auf den Raum sind entsprechend dem Wunsche des Herrn
Herausgebers die Firmen fortgelassen.
2) Die Geld- und Warenabteilung dieses Verbandes wird in gemeinschaftlicher
Rechnung geführt. — Siehe A. 1.
798 Miszellen,
Entwickelung des Giroverbandes seit 1874.
g
ez 2 L 3 4 5 6 | 7 Bi
[Berli Frank- | g g |
Kanal a| tar | ES | Berlin |Frankfart! 3 SS, Berlin | Frankfurt
| gn S + Il
| Anzahl | 5% CEO >
Jahr | der Giro- und © 2 B Saa |
N ä & © Gesamtbetrag
| Inkasso- N = K Stückzahl | EE der
| en | E z der Keen | $ > E eingegangenen Wechsel
H FA © |
| des Jahres | É S |7 SÈ | in Mark
Ds e — T — SÉ = ee => ri =
1874 212 113 270 | 39251 28 005 | 67 256 | 12601 175 | | 9771363
1879 || 336 307 554 | 71113 | 63810 | 134923 | 16681094 | 14676912
1884 | 317 397 629 | 106068 | 104 198 | 210 266 | 28 082 596 | 25 306631
1889 | 397 | 555 | 839 | 156402 | 156 295 | 312697 | 44 456 227 | 38 380 302
1894 | qıı 491 814 | 189140 | 173413 | 362553 | 49160 161 | 41177066
1895 | 414 | 505 | 837 | 191936 | 183098 | 375034 | 52019 743 | 43 580 440
1596 | 405 504 825 | 194621 | 191 278 | 385 899 | 51072235 | 45 549 289
1897 421 493 | 814 | 212 782 | 201 802 | 414 584 | 55 121 160 | 52 346 912
1898 437 510 845 | 228 271 | 198955 | 427 226 | 61 817 659 | 55 523811
1899 | 470 725 1088 235 210 | 200 844 | 436054 | 69740724 | 58102553
1900 | 485 721 | 1093 | 260 405 | 216448 | 476 853 | 81 207 966 | 68 436 190
D 10 11 12 13 14
l Berlin TR P y
Gesamt- | fur! Berlin Frankfurt
summe der | Dure 8 Totalumsatz
Jahr | Wechsel | Mets | Summe
‚ überhaupt | Beträg Sue | Gesamtumsatz im "von 12 und 13
KEN Wechsels | Girokonto |
| |
in Mark | in Mark | in Mark | un Mark
1874 22372238 | 321 359 18844272 | 15584 bag | A4 1428 897
1879 31358007 | 234 | 230 24 342 100 22007837 | 46349938
1854 53 389 228 264 242 | 41403793 40 109 764 81513557
1889 82836589 | 284 245 | 65 829819 58263762 | 124093 581
1894 90337227 | 259 | 238 | 73098752 63 862635 | 136 961 387
1895 95 600 183 | 271 238 | 81001522 69 588 937 150 590 459
1896 96621524 | 263 238 81676452 72181204 | 153857656
1897 107 468072 | 259 | 259 | 89049115 86600 223 | 175649 338
1898 117 341 470 | 271 279 103 177 005 95421485 | 198 598 490
1899 | 127 843 277 297 289 | 121 541 948 103 635 706 225 177655
1900 || 149644156 | 312 | 316 | 141719 227 117 948 231 | 259667 458
Dem Giroverbande ist auch jetzt der Checkverband, dem zur
Zeit 132 Genossenschaften angehören, angegliedert.
Miszellen, 799
Nachdruck verboten.
XIV.
Ein neues Volkszählungsverfahren für die Vereinigten
Staaten von Nordamerika.
Von Dr. F. W, R. Zimmermann, Finanzrat (Braunschweig).
Die Statistik, welche sich eine allgemeine Anerkennung als Wissen-
schaft erst in verhältnismäßig neuerer Zeit erworben hat, muß vielleicht
gerade wegen ihrer wissenschaftlichen Jugend, zum Teil allerdings
wohl auch wegen ihres besonderen inneren Charakters, das eigene Ge-
schick erleiden, daß vielfach diejenigen, welche nur in einer gewissen
Beziehung sich mit Zahlen zu beschäftigen oder aus bestimmten Be-
obachtungen Schlüsse zu ziehen haben, sich gleicherzeit auch schon als
Statistiker fühlen und der Statistik mit Rat und That aushelfen zu
müssen glauben. Diese an und für sich meist wohlgemeinten Ratschläge
und Eingriffe haben, abgesehen von vereinzelten wirklich nutzbringenden
Anregungen, durchweg wohl nur den thatsächlichen Vorteil, daß sie die
eigentliche specifische Wissenschaft zu einer Entgegnung herausfordern
und so eine nähere wissenschaftliche Klarlegung des besonderen Falles
veranlassen. Ein nicht zu den vereinzelten Ausnahmen, sondern zu der
großen Hauptmasse sich zählendes praktisches Beispiel der fraglichen
Art soll uns hier kurz beschäftigen.
Es handelt sich dabei um ein angeblich neues System für die Aus-
führung der Volkszählungen, welches aus den Vereinigten Staaten von
Nordamerika und zwar aus dem fernen Westen derselben, aus Colifornien,
nach entsprechender Erprobung empfohlen wird und sich in einer dem
amerikanischen Gebrauch entsprechend etwas pomphaften Weise als
„The City of Stocktons Unique Census Experiment“ ankündigt. Da
aber dieses neue Volkszählungssystem im übrigen in einer durchaus
entsprechenden Weise und auch mit einem gewissen Antlug von Wissen-
schaftlichkeit begründet wird und sich dabei auch schon auf praktische Er-
fahrungen stützen konnte, die in der Begründung angemessen verwertet
sind, und da endlich die Begründung selbst in einer der ersten, sich dnrch
Gediegenheit und Wissenschaftlichkeit des Inhalts besonders auszeichnen-
den Monatsschriften der Vereinigten Staaten — The Century Illustrated
Monthly Magazine, Vol. LXII, No. 3, Juli 1901 — erschienen ist, so
dürfte eine wissenschaftliche Erörterung der ganzen Frage auch für uns
gerechtfertigt sein, zumal das sogenannte neue System in gewisser Weise
auch unsere eigenen bezüglichen Verhältnisse nicht unberührt läßt. Um
aber das Experiment der Stadt Stockton mit Gerechtigkeit und Billig-
800 Miszellen.
keit würdigen zu kënnen, müssen wir von den besonderen Verhältnisse
des Census der Vereinigten Staaten von Nordamerika ausgehen, die des
Näheren in Band XX, 8. Folge, S. 674 ff. zur Darstellung gebracht wurde.
Man hält die ganze Aufmachung des 10-jährigen Census in den
Vereinigten Staaten für veraltet, die Methode für zu schwerfällig und
zu kostspielig, deshalb soll eine Veränderung des ganzen Verfahrens
dringend wünschenswert erscheinen. Der Plan zu einem neuen Ver-
fahren ging von John M. Eddy aus und wurde von der Handelskammer
der Stadt Stockton aufgenommen, welche nunmehr seit 10 Jahren die
Bevölkerung der Stadt Stockton und der Grafschaft San Joaquin, zu
welcher die Stadt gehört, alljährlich in der fraglichen Weise gezählt
hat und damit das Verfahren auch für den Gesamtbezirk der Ver-
einigten Staaten für voll erprobt erachtet. Das Verfahren schließt sich
an die jährlich stattfindenden Zählungen der Schulkinder an und be-
steht in einer Erweiterung dieser Zählung zu einer allgemeinen Volks-
zählung. Nach einem für den Staat Californien erlassenen Gesetz wird
für jeden Schuldistrikt alljährlich ein Zählungsbeamter (Census Marshal)
ernannt, welcher in der zweiten Hälfte des April alle Kinder in dem
in Alter von 5—17 Jahren und daneben auch alle Kinder unter 5 Jahren
einer bestimmt vorgeschriebenen Liste aufführen muß, zu welchem Zwecke
er jedes einzelne Wohngebäude zu besuchen hat. Eine Garantie für eine
sorgfältige Ausführnng der Zählung liegt namentlich in dem Umstande,
daß das Ergebnis die Grundlage für die Verteilung der staatlichen Zu-
schüsse zu den Schulkosten bildet. Der Zählungsbeamte wird besoldet
und ist aus den im Distrikt Ansässigen zu wählen; da regelmälig die-
selbe Person für eine Reihe von Jahren wiedergewählt zu werden
pflegt, so ist dadurch des weiteren eine sachgemäße Ausfüllung der
Listen verbürgt; ebenmäßig muß der Zählungsbeamte sich eine besondere
nutzbringende Lokalkenntnis erwerben. Die Formulare für diese Schul-
zählungen sind einheitlich für den ganzen Staat und werden auch von
diesem geliefert; ausgefüllt gehen sie an den Schulvorsteher der Graf-
schaft. Die Idee, diese Schulzählung zu einer allgemeinen Volkszählung
auszugestalten, wurde von der Handelskammer, obwohl die Sache an und
für sich über deren eigentlichen Wirkungskreis hinausging, lebhaft auf-
gegriffen, und da verschiedene Mitglieder der Handelskammer gleich-
zeitig auch als städtische oder Grafschaftsschulvorstände fungierten, auch
die Stadtbehörden sich willfährig zeigten, so gelang es verhältnismälig
leicht, die Sache auszuführen. Die städtischen Behörden von Stockton
genehmigten ausdrücklich die Ausdehnung der Schulzählung auch
auf die Personen über 17 Jahre; demgemäß wurde das Zählungs-
formular mit einem entsprechenden Zusatzbogen für die erwachsene Be-
völkerung versehen, die Zählungsbeamten wurden bezüglich der Aus-
füllung noch einmal besonders instruiert und angewiesen, namentlich
hatten dieselben darauf zu sehen, daß sämtliche Wohngebäude und
Außenthaltsstätten berücksichtigt und die Bevölkerung des Gebiets in
vollem Umfang erfaßt wurde. Die an sich nur von der Handelskammer
ausgehende Zählung erhält auf diese Weise die völlige öffentliche
Autorität wie die Schulzählung. Für die weiteren Gemeindebezirke der
Miszellen. 801
Grafschaft San Joaquin außer Stockton konnte man formell nicht ganz
in der gleichen Art vorgehen, da man nicht mit allen den einzelnen, etwa
80 Schul- und Gemeindevorständen verhandeln und ein gleichförmiges
Verfahren dieser veranlassen konnte. Man wandte sich deshalb hier
direkt an die Zählungsbeamten und nahm deren freiwillige Thätigkeit
in Anspruch; der Appell an den Bürgersinn für eine Thätigkeit im öffent-
lichen und allgemeinen Interesse hatte auch überall den besten Erfolg.
Die Handelskammer teilte die gleichen Ergänzungen zu dem generellen
Formular der Schulzählung den sämtlichen Distriktszählungsbeamten in
der Grafschaft unter näherer Anweisung zur Ausfüllung etc. mit und
erhielt das ausgefüllte Formular von sämtlichen pünktlich wieder zurück.
Dieses Verfahren wurde 10 Jahre hindurch zu voller Zufriedenheit und
ohne Schwierigkeit durchgeführt und damit zu einer ständigen Einrichtung
ausgebildet. Nunmehr schlägt man vor, dieses Verfahren an die Stelle
des bisherigen Censusverfahrens zu setzen.
Wenn wir zunächst vorweg die charakteristischen Eigenheiten dieses
als neu angepriesenen Verfahrens herausgreifen, so haben wir diese
gegenüber der derzeitigen Einrichtung des amerikanischen Census im
wesentlichen darin zu sehen, daß die gesamte Censusbehörde nicht mehr
als vollkommen in sich abgeschlossen und lediglich für den einen Zweck
bestimmt hingestellt werden soll, sondern daß eine mehr oder weniger
starke Anlehnung des Zählungsapparates an schon vorhandene staatliche
und zwar einzelstaatlichen Einrichtungen unter Benutzung dieser herbei-
geführt werden soll; dabei wird dann den Einzelstaaten und den Ver-
waltungsabstufungen derselben bis in die unterste hinein nicht nur ein
gewisser Einfluß auf die persönliche Zusammensetzung des ganzen Ver-
waltungskörpers des Census eingeräumt, sondern gleicherzeit werden
ihnen auch bestimmte Funktionen bei der Aufarbeitung etc. des Census-
materials zugewiesen, denn bei dem Stockton Experiment geschieht die
erste Feststellung wenigstens des allgemeinen Ergebnisses in den kleineren
Bezirken und wird dadurch gerade die Feststellung in einer wesentlich
kürzeren Frist erzielt, die als einer der Vorteile des neuen Verfahrens
gerühmt wird. Dazu kommt dann ferner, daß die bisherige jedesmalige
Neueinsetzung der Behörde für jeden einzelnen Census in Wegfall kommt,
daß vielmehr statt dessen eine bleibende und ständige Einrichtung ge-
schaffen wird, die es wiederum ermöglichen würde, die Aufnahmen über
die Bevölkerung sogar alljährlich vorzunehmen. Nun aber fragen wir,
was ist denn eigenartig und neu an diesem Verfahren ? Entspricht das-
selbe denn nicht genau demjenigen, welches wir zur Zeit und seit lange
in der Mehrzahl der europäischen Staaten und speciell bei uns in Deutsch-
land finden? Bei einer vollen Durchführung des neuen Verfahrens von
Stockton würde sich in den Vereinigten Staaten im wesentlichen ein
gleicher Stand des Zählungswesens wie der unserer Statistik heraus-
bilden: Inanspruchnahme der einzelnen Staaten für die Ausführung der
Zählung, weitergehende und unmittelbare Anlehnung der Zählung selbst
an die kleineren Verwaltungsbezirke der einzelnen Staaten, Ständigkeit
des eigentlichen Mittelpunktes des Zählungsverfahrens. Die scharfe
Centralisation bei der Durchführung der Zählung und die besondere
Dritte Folge Bd. XXIII (LXXVII). 51
802 Miszellen.
Organisation des ganzen Zählungsapparates für jede einzelne Zählung,
welche wir als charakteristisch für den bezüglichen Stand in den
Vereinigten Staaten zu betrachten haben, würden lediglich beseitigt
werden und an die Stelle würde in der Hauptsache diejenige Einrich-
tung und Organisation treten, welche die meisten Staaten der alten Welt
schon von jeher haben; im großen und ganzen handelt es sich also
lediglich um eine Decentralisation in der Ausführung der Zählung unter
Ständigmachung des Mittelpunktes derselben, ein Stand, wie er sich von
altersher in anderen Kulturstaaten findet. Einen derartigen System-
wechsel in dem Zählungsverfahren unter der Marke eines eigenartigen
neuen Zählungsverfahrens in Vorschlag gebracht zu sehen, muß jeden-
falls denjenigen, der einige Sachkenntnis hat, eigentümlich berühren, es
ist ein Beleg von unendlicher Deutlichkeit für unsere im Eingange auf-
gestellte Behauptung, daß gerade die Wissenschaft der Statistik mit
solchen unwissenschaftlichen Eingriffen bedacht wird, denen selbst eine
Vertrautheit mit den ersten wissenschaftlichen Anfangsgründen fehlt.
Bezüglich unseres besonderen Falles müssen wir aber noch hervorheben,
daß es sich dabei nicht nur um die Idee einer einzelnen beliebigen
Person handelt, sondern daß vielmehr ein weiter angelegter Plan der
Handelskammer eines im Aufblühen begriffenen Ortes in Frage kommt,
bezüglich dessen unter behördlicher Beihilfe durch 10 Jahre hindurch
wesentlich des idealen Zweckes wegen praktische Versuche angestellt
worden sind.
Daß bei der Begründung des vorgeschlagenen Systemwechsels, bei
der Empfehlung des sogenannten neuen Verfahrens die in erster Linie
malgebende Frage nach den beiderseitigen Vorteilen und Nachteilen
einer Centralisation oder Decentralisation bei der Ausführung der Zählungen
nicht weiter zur Erörterung gebracht ist, kann wohl nach dem Voraus-
geführten kaum noch Wunder nehmen. Ob aber eine derartige gründ-
liche Erörterung zum Vorteil des sogenannten neuen Verfahrens ausge-
fallen sein würde, muß immerhin als recht zweifelhaft angesehen werden.
Wir können auf diese theoretisch interessante Frage hier nicht näher
eingehen, wollen aber doch den Ausspruch einer erstklassigen Autorität
für die Frage, des langjährigen erfolgreichen Leiters unseres Kaiser-
lichen Statistischen Amtes, den uns das Vorjahr leider viel zu früh
entrissen, Dr. Hans von Scheel anführen, welcher in dem Handwörter-
buch der Staatswissenschaften von Conrad etc. Bd. 7, S. 585 (2. Aufl.)
dazu folgendes schreibt: „Die Centralisation der Ausführung der Volks-
zählung unter thunlichster Beiseitelassung der politischen Behörden und
die Anwendung besoldeter Zähler, die sorgfältig vorbereitet und energisch
verantwortlich gemacht werden, empfiehlt sich um so mehr, je umfang-
reicher die Zählungen und schwieriger die Fragen werden.“ Nach der
praktischen Seite müssen wir aber noch bemerken, wie durch den
amerikanischen Census unter seiner bisherigen centralisierten Organisation
vorzügliche und wissenschaftlich unumwunden anerkannte Ergebnisse
erzielt worden sind und wie dieser Census nicht nur eine nach jeder
Richtung hin ausgedehnte Bevölkerungszählung. sondern gleicherzeit eine
große eingehende wirtschaftliche etc. Erhebung umfaßt, welche sich auf
Miszellen. 803
die Specialverhältnisse von Landwirtschaft, Industrie, Handel und Ver-
kehr, sowie ferner auch auf Schule, Kirche etc. bezieht, so daß also die
von Scheel'schen Voraussetzungen für eine Bevorzugung der Centralisation
des Verfahrens hier voll zutreffen.
Wenn wir nunmehr auf dasjenige kommen, was thatsächlich als das
Vorteilhafte des Stockton’schen Verfahrens der bisherigen Censusorgani-
sation gegenüber angeführt wird, so begegnet uns dabei wiederum trotz
der versuchten Einkleidung in eine gewisse wissenschaftliche Umhüllung
ein vollkommenes Verkennen der elementarsten Grundsätze einer wissen-
schaftlichen Statistik, welches das Vorgerügte womöglich noch zu über-
treffen scheint. Weil aber dieselben wissenschattlichen Prinzipien,
welche hier außer Acht gelassen sind, auch bei uns und zwar nicht nur
von den überhaupt jeder Wissenschaft ferner Stehenden, sondern auch
von Vertretern anderer Wissenschaften, die sich der Statistik als
Hilfswissenschaft bedienen, bezw. sie als solche in Anspruch nehmen,
vielfach nicht genügend gewürdigt werden, müssen wir dieselben hier
ganz besonders hervorheben und ist dieses wiederum der Hauptgrund
dafür, daß wir die ganze in erster Linie ja nur die Vereinigten Staaten
interessierende Sache überhaupt zur Sprache bringen. Zwei Vor-
teile sind es, die vorzugsweise geltend gemacht werden: das einfachere
und schnellere Erzielen eines Endergebnisses und die geringere finanzielle
Belastung; beide Vorteile, wenn sie thatsächlich und namentlich vereint
vorhanden wären, müßten ja allerdings immerhin von ausschlaggebender
Bedeutung sein.
Das Vorhandensein des ersteren Vorteils wird speciell damit be-
legt, daß das Resultat der Volkszählung der Handelskammer von Stockton,
welche sich für die Stadt Stockton und die Grafschaft San Joaquin auf
den Stand vom 1. April 1900 bezog und bei welcher 86 Zähler mit-
wirkten, am 11. Mai 1900 veröffentlicht wurde, also einen Tag später,
wie gesetzlich der Ablieferungstermin für die Formulare der Schuler-
hebung festgesetzt war, während andererseits bezüglich des allgemeinen
Census der Vereinigten Staaten, welcher auf den 1. Juni 1900 gestellt
war, ein Ergebnis erst am 24. Oktober 1900 nach Stockton gelangte.
Das ist ja allerdings ein sehr in die Augen fallender Unterschied, im
ersten Fall haben wir das Ergebnis nach 1 Monat 11 Tagen, im zweiten
erst nach 5 Monaten 24 Tagen. Dabei muß man aber zunächst den
weiteren, inneren Unterschied zwischen den beiden Resultaten in Rech-
nung ziehen, das Ergebnis der Handelskammer von Stockton kann nur
als das der vorläufigen Feststellung angesehen werden, wogegen das des
allgemeinen Census schon das endgiltig festgestellte ist. Ein Ergebnis,
welches am ersten Tage nach dem schließlichen Ablieferungstermin für
die ausgefüllten Formulare veröffentlicht worden ist, kann selbstredend
nur durch Zusammenziehung der einzelnen Daten ohne weitere Prüfung
der Formulare erzielt sein, es ist mithin als ein solches anzusehen,
welches statistisch-technisch als „vorläufiges“ bezeichnet wird. Diese
vorläufigen Ergebnisse werden ja bei größeren Zählungen, da man auf
das schnelle Erscheinen einer ersten Publikation in der Regel Gewicht
legen mul, vielfach vorweg veröffentlicht, aber dann durchweg nur für
51%
804 Miszellen.
das gesamte (Gebiet, die größeren Gebietsabschnitte, besonders vor-
tretende Distrikte, die Großstädte ete., nicht aber für die kleinen Ver-
waltungsbezirke, wie ein solcher — die Graftschaft San Joaquin um-
faßt nach dem Census von 1900 insgesamt 35452 Einwohner, von denen
17 506 auf die Stadt Stockton entfallen — hier lediglich in Frage kommt.
Der allgemeine Census brachte daher nur das endgiltige Resultat, d. h,
das Resultat nach vollständiger Prüfung und eventueller Ergänzung
des Materials offiziell zur Veröffentlichung, ein Umstand, den man an
sich keineswegs als einen Fehler oder Mangel ansehen kann, der aber auch
mit der Organisation und dem Verfahren der Zählung in gar keinem
Zusammenhange steht; bei jedem Zählungsverfahren würde voraussicht-
lich ein Gleiches der Fall gewesen sein. Würde nun aber die Handels-
kammer von Stockton das Ergebnis ihrer Zählung erst nach der ein-
gehenden Prüfung des Materials als endgiltiges veröffentlicht haben, so
würde sie immer doch dem allgemeinen Census weit vorausgekommen
sein, denn sie hätte die Prüfung vielleicht schon bis zum Ablauf des
zweiten Monats nach dem Zählungstermin vollenden können und wäre
sonach 3—4 Monaten schneller gewesen als der allgemeine Census.
Doch hierfür besteht dann ferner ein innerer Grund, den die statistische
Wissenschaft festlegen kann, der aber mit dem Zählungsverfahren an
und für sich nichts zu schaffen hat.
Daß die Feststellung der Bevölkerung für einen enger begrenzten
Distrikt mit etwas über 35000 Einwohnern sich im allgemeinen schon
leichter und einfacher und damit schneller vollziehen muß, als für em
weites und verschieden geartetes Gebiet wie das der Vereinigten Staaten
mit einer Einwohnerschaft von mehr als 75 Mill, sollte eigentlich all-
seits als auf der Hand liegend angesehen werden. Es wird dieses aller-
dings sowohl hier wie auch in anderen ähnlich liegenden Füllen bis
zu einem gewissen Grade anerkannt, aber durchweg weitaus zu gering
und ungenügend; die zahlreichen und wesentlichen Einzelumstände,
welche durch eine größere Erweiterung des Aufnahmegegenstandes not-
wendig nach Maßgabe der Grundzüge und Anforderungen der besonderen
wissenschaftlichen Statistik und speciell auch der statistischen Technik
als Teil jener Wissenschaft auf eine Erschwerung und damit auch Ver-
zögerung des ganzen Aufnahmewerkes einwirken müssen, pflegen in der
Regel gar nicht oder jedenfalls bei weitem nicht nach ihrer thatsäch-
lichen Tragweite berücksichtigt zu werden und das hat wiederum zur
unumgänglichen weiteren Folge, daß die für specielle statistische Auf-
nahmen von Nichtstatistikern gemachten Vorschläge, obwohl sie auf den
ersten Blick und für das große Publikum ‘sehr einleuchtend erscheinen,
vor der statistischen Wissenschaft nicht bestehen können. Um zunächst
bei unserem Specialfall zu bleiben, so ist es wohl selbstredend, daß eine
Volkszählung für einen Distrikt mit nur 35000 Einwohnern sich mit
großer Leichtigkeit ohne jedwede Komplikationen und daher auch sehr
schnell durchführen läßt; die Zähler sind ohne Schwierigkeit zu in-
struieren, die Durchführung der Instruktion ist ebenfalls eine einfache, .
abgesehen von dem gewissen Unterschied von Stadt und Land kommen
weittragendere Verschiedenheiten nicht in Frage, demgemäß vollzieht sich
Miszellen., 805
auch die Nachprüfung des Zählungsmaterials schnell und kann keinen
großen Zeitaufwand erfordern; das definitive Endergebnis wird daher
nach kurzer Frist schon veröffentlicht werden können. Setzen wir da-
gegen das Gesamtgebiet der Vereinigten Staaten mit seiner Einwohner-
schaft von 75 Mill, so haben wir, wenn wir lediglich die Seelenzahl
berücksichtigen, es mit rund 2100mal so viel Distrikten, wie der von San
Joaquin mit Stockton ist, zu thun. Das bedeutet ja zwar in erster Linie, daß
die gleiche Arbeitslast wie in dem Einzeldistrikt insgesamt 2100mal zu be-
wältigen ist; ferner ist auch nicht zu verkennen, daß für jeden der 2100
Distrikte die Arbeitslast in Anbetracht der gleichartigen Arbeitsorgane im
wesentlichen in der gleichen Frist zu erledigen steht. Demgemäß würde es
sich nach der ohne Rücksicht auf die wissenschaftlichen Grundsätze erfol-
genden, aber allgemein üblichen Annahme behufs Erzielung des Gesamtergeb-
nisses nur noch darum handeln, an einer entsprechend ausgestalteten Cen-
tralstelle die in den 2100 Distrikten festgelegten Einzeldaten nach den
einzelnen Richtungen hin zusammenzuziehen, woran sich dann die weitere
Verarbeitung des ursprünglichen Datenmaterials, das Berechnen von Ver-
hältniszahlen, der Vergleich mit früheren Feststellungen und Feststellungen
anderer Länder, das nähere Verfolgen und Erörtern der in den einzelnen
Distrikten hervortretenden Verschiedenheiten etc. anschließen würde. In
der gleichen, lediglich laienhaften Weise ist man auch bei der Empfehlung
des neuen Experiments von Stockton verfahren, indem man dabei annahm,
daß wenigstens das einfachste Ergebnis die Bevölkerungszahl insgesamt
und für die einzelnen auszuscheidenden Gebietsabschnitte sich unter
Zuhilfenahme aller modernen Verkehrsmittel, der Telegraphen etc. inner-
halb 3 Tagen bis höchstens einer Woche werde definitiv feststellen
lassen. Hierin liegt aber gerade der Fehler; wie uns die Statistik als
Wissenschaft lehrt, kommen dabei noch verschiedene Einzelumstände
von wesentlichem Einfluß in Betracht, welche nicht außer Acht gelassen
werden dürfen. Diese Einzelumstände laufen, zusammengefaßt, in der
Hauptsache darauf hinaus, daß behufs Erzielung eines einheitlichen Ge-
samtergebnisses für ein großes Gebiet nicht lediglich nur eine Kumulierung
der Einzelergebnisse in den Distrikten in Frage kommt, sondern daß
ebenmäßig in erster Linie und wesentlich auf Erzielung einer Einheit-
lichkeit und vollen inneren Uebereinstimmung unter den Einzelergebnissen
der Distrikte zu sehen ist, damit auf diese Weise auch das Gesamt-
resultat im ganzen und im einzelnen zu einem einheitlichen und dadurch
erst wirklich brauchbaren und wirklich wertvollen gemacht wird.
Wenn aber gesagt ist, die Arbeitslast behuf Beschaffung des Zäh-
lungsmaterials sei für die einzelnen Distrikte im großen und ganzen die
gleiche, so bezieht sich dieses doch ausschließlich nur aut den äußeren
Umfang dieser Arbeit, eine volle innere Gleichförmigkeit in derselben
besteht nicht. Die letztere ist eben dadurch ausgeschlossen, daß die
Erhebungen in den einzelnen Distrikten nicht selbständige, nur für sich
bestehende sind, sondern daß sie als Teile einer großen Erhebung für
eine Gesamtheit von Distrikten erscheinen. Die einzelnen Distrikte eines
Staatsgebiets bergen stets eine größere Anzahl mehr oder weniger
wesentlicher Verschiedenheiten in sich, welche bei einer gleichmäßigen
806 Miszellen.
und übereinstimmenden statistischen Erhebung für das ganze Gebiet
sich in einer sehr bedeutungsvollen Weise geltend machen müssen.
Je nach den besonderen Verhältnissen und dem ganzen Entwickelungs-
stand des in Frage kommenden Staates können sich diese Verschieden-
heiten für den einzelnen Fall häufen oder auch mindern, ebenso pflegen
sie sich in der Regel zu vermehren, je kleiner die Distrikte selbst ge-
griffen werden und je größer das Staatsgebiet, welches in Frage kommt,
ist; daß in unserem Specialfall bei den Vereinigten Staaten diese Ver-
schiedenheiten in einem besonders hohen Maße sich bemerkbar machen
werden, wird niemand bezweiteln können, der die ganze Sachlage be-
rücksichtigt, nämlich einerseits die große Mannigfaltigkeit in den wirt-
schaftlichen und sonstigen Grundbedingungen der einzelnen Gebietsteile
und in den speciellen Entwickelungsphasen, in welchen sich dieselben
zur Zeit befinden, sowie andererseits die ungemein weite Fläche des Ge-
samtgebietes und die große Zahl der Distrikte, mit welchen wir nach
den gegebenen Unterlagen hier rechnen müssen. Auf diese Weise
kommt es naturgemäß, daß unter den ausgeschiedenen Teilen eines
Ganzen (Distrikte des Staates) sich nur verhältnismäßig sehr wenige in
einer vollkommenen Uebereinstimmung befinden, daß vielmehr die einen
nach dieser, die anderen nach jener Richtung hin abweichen, wobei die
Abweichung im einzelnen sich wiederum bald größer bald geringer zeigt.
Wenn nun aber eine statistische Aufnahme für das Ganze in einheit-
licher Weise veranstaltet werden soll, so muß mit diesen Verschieden-
heiten, mit alle den sozusagen lokalen Eigentümlichkeiten der einzelnen
Teile von vornherein gerechnet werden. Einer Specialerhebung für einen
einzelnen Teil (z. B. Volkszählung nur für die Grafschaft San Joaquin,
wie sie die Handelskammer von Stockton angestellt) kann aus den
Lokaleigentümlichkeiten niemals eine Schwierigkeit erwachsen, sie über-
sieht dieselben vollkommen und kann sie ohne weiteres leicht in Rück-
sicht ziehen. Bezüglich einer Erhebung für das Ganze, welche die ge-
samte Menge der verschiedenen Lokaleigentümlichkeiten zu berück-
sichtigen hat, liegt die Sache doch ganz wesentlich anders; hier ist es
für die Centralbehörde schon schwer, sich überhaupt Kenntnis von alle
den bestehenden Verschiedenheiten zu verschaffen, nach Erlangung
solcher hat sie dann aber die Verschiedenheiten fortgesetzt bei dem
weiteren Verfahren zu betrachten und alle Einzelheiten dementsprechend
einzurichten, wodurch aber wiederum eine reiche Fülle von Schwierig-
keiten und gleicherzeit auch von weiteren Komplikationen gegeben ist.
Schon bei dem Erlaß der Vorschriften über die Erhebung und bei
der Feststellung der Erhebungsformulare zeigt sich dieses. Da es sich
um ein und dieselbe von einer Centralbehörde geleitete und durchzu-
führende Erhebung für das ganze Gebiet handelt, so müssen Formulare
und Ausführungsvorschriften für sämtliche Distrikte selbstredend ein-
heitlich und übereinstimmend von jener Centralbehürde entworfen und
aufgestellt werden. Dabei sind wiederum alle jene Sonderheiten und
Lokaleigentümlichkeiten, über welche man vorher im allgemeinen Kennt-
nis gewonnen haben muß, zu berücksichtigen. Diese Berücksichtigung
kann sich aber nicht in der Weise vollziehen, daß die Sonderheiten etc.
Miszellen. 807
alle ausdrücklich in speciellen Fragen und Abschnitten behandelt werden,
denn dann würden Formulare und Ausfülrungsvorschriften eine der-
artige Ausdehnung und Breite erhalten müssen, daß das für alle Distrikte
Notwendige in der Masse des immer nur für einzelne Distrikte zur
Geltung Kommende vollkommen verschwinden würde und daß dadurch
das Ganze für den eigentlichen Zweck der allgemeinen Erhebung mehr
oder weniger unbrauchbar werden würde. Die Berücksichtigung darf
daher im wesentlichen, namentlich was die Formulare anlangt, nur in-
sofern stattfinden, daß der Ausdruck in den einzelnen Fragen und Ab-
schnitten so gewählt wird, daß danach die Eingliederung der Sonder-
heiten in das Gesamtbild in einer sachgemäßen und gleichförmigen Weise
geschehen muß und damit die Einheitlichkeit des Ganzen entsprechend
gewahrt wird. Die kurze und präcise Aufstellung der Formulare und
Ausführungsvorschriften für eine ein weiteres Gebiet umfassende Er-
hebung birgt daher regelmäßig schon an und für sich eine Reihe von
Schwierigkeiten in sich, die wiederum auf die ganze Durchführung der
Erhebung ihre weitere Wirkung äußern müssen und durchweg auch
thatsächlich äußern. Speciell kommt dabei in Frage, daß der Ausdruck
in den Formularen, um alle die vielen Sonderheiten entsprechend mit
einzubegreifen, häufig etwas weiter gefaßt werden muß und so für jeden,
der die Erhebuug als Ganzes nicht vollständig in sich aufgenommen hat
und stetig im Auge behält — und für wie viele aus der großen Zahl
der Zähler wird solches in Frage kommen? — eine Quelle für Zweitel
und damit gleicherzeit auch für unrichtige Eintragungen bilden kann;
trotz aller Sorgfalt bei der Ausarbeitung der Zählpapiere wird sich
dieses niemals ganz vermeiden lassen. Sodann wird es der Centralbe-
hörde bei eifrigstem Bestreben doch nicht möglich sein, sich über alle
die verschiedenen Sonderheiten und Lokaleigentümlichkeiten vorher voll-
kommen zu unterrichten und sie dementsprechend in den Formularen etc.
zu berücksichtigen; dann machen dieselben sich erst nach der Zählung
selbst geltend und bereiten dadurch noch größere Schwierigkeiten und
Weiterungen. Ebenso ist es nicht selten, daß eine richtige Beurteilung
der Sonderheit von vornherein nicht gegeben ist, sondern erst durch
die Zählung ermöglicht werden soll, oder auch daß die von vornherein
angenommene Beurteilung und dementsprechende Eingliederung sich
nachträglich als unhaltbar erweist; für alle diese Fälle kommen sodann
die gleichen Weiterungen in Betracht. Aufgabe des so überaus wichtigen
Prüfungsverfahrens des Zählungsmaterials “ist es, für alle dieses Aus-
gleichung und damit eine Einheitlichkeit des Ganzen zu schaffen. Das
Prüfungsverfahren bei einer größeren Erhebung muß deshalb zu einem
umfangreicheren und demgemäß auch längere Zeit in Anspruch nehmenden
werden; die wesentliche Thätigkoit dabei muß immer, um eben die volle
Einheitlichkeit zu erreichen, in der Centralbehürde auslaufen, mag man
zwischen Centralbehörde und Zähler noch eine oder mehrere Zwischen-
instanzen einschieben, mag man das Zählungsverfahren an die Lokal-
behörden und sonstigen Verwaltungsgliederungen anschließen oder nicht;
die Zeitdauer, welche für die Thätigkeit in Anspruch zu nehmen ist,
wird dadurch selbstredend verlängert, auch wenn man für das Einzelne
808 Miszellen.
ein noch so ausgedehntes Personal verfügbar macht. Bei unbefangener
Berücksichtigung dieser Sachlage in ihrem vollen Umfange wird es
wohl ohne weiteres zugegeben werden, daß die Prüfung des Zählungs-
materials bei einer einheitlichen Erhebung für ein großes Gebiet eine
ganz andere ist, wie bei einer solchen für einen kleinen Distrikt und
daß diese Prüfung bei der großen Erhebung ganz unverhältnismälig
mehr Arbeit wie bei der kleinen erfordert und zwar Arbeit, welche sich
nicht räumlich und zeitlich nebeneinander von einer größeren Anzahl
von Organen bewältigen läßt, sondern in der Hauptsache nur von einem
einzigen entscheidenden Organ, also ohne Trennung und Verteilung nach
Raum und Zeit, womit eine längere Dauer der Arbeit schon so wie so
gegeben ist. Daß es sich dabei regelmälig um einen größeren Arbeits-
zeitraum handeln muß, der sich je nach der Ausdehnung und der Ver-
schiedenartigkeit des Erhebungsgebietes, sowie je nach den Special-
eigenschaften und dem Umfang des Erhebungsgegenstandes noch er-
weitern wird, kann ebenmälig wohl kaum jemand, der etwas tiefer in
die Sache eindringt, verkennen; es kann nicht etwa von Tagen und
Wochen, sondern es muß von Monaten die Rede sein, die hierzu er-
forderlich sind.
Als ein weiteres kommt dann aber hinzu, daß bei der Erhebung
für ein großes Gebiet der von vornherein für die Durchführung der
Erhebung aufzustellende Plan auf das schärfste innegehalten werden
muß, wenn nicht das ganze Zählungswerk in seiner Gesamtheit in
Frage gestellt oder doch wesentlich verzögert werden soll. Es ist
dieses von einer ganz besonderen Bedeutung, wird aber von denjenigen,
welche sich nicht unmittelbar mit größeren und specieller durchzu-
führenden statistischen Erhebungen zu befassen haben, gerade meist ver-
kannt und nicht entsprechend berücksichtigt. Nach der Prüfung und
endgiltigen Richtigstellung des Zählungsmaterials, welche stets zunächst
und vor jeder weiteren Manipulation mit dem Material vollständig er-
ledigt sein muß, wird dasselbe bei jeder großen Zählung behuf Erzielung
der Ergebnisse nach den verschiedenen Richtungen hin einer Reihe von
Durcharbeitungen und Auszählungen unter gewissen Kombinationen unter-
zogen. Alle diese einzelnen Auszählungen etc. müssen aber, um keine
überflüssige Arbeit und damit wiederum eine Verzögerung des Ganzen
zu verursachen, genau ineinander greifen und sofort in dem Durch-
führungsplan dementsprechend geordnet sein. Eine sachgemäße und ge-
schickte Ordnung ist für das ganze Zählungswerk und namentlich auch
für seine schnelle Erledigung in einer ganz hervorragenden Weise
wesentlich und in seiner Bedeutung kaum hoch genug anzuschlagen.
Bei den ungemeinen Massen einzelner Zählpapiere, welche jede grobe
Erhebung umfaßt, erfordert die einzelne Auszählung natürlich auch eine
größere Aufwendung an Arbeit und Zeit, welche sich aber nicht uner-
heblich verringert, wenn die Zählpapiere schon bei Beginn der Aus-
zählung in einer Weise geordnet liegen, daß sich die Auszählung leichter
bewerkstelligen läßt. Bei der Bestimmung der Auszählungen und
speciell der Reihenfolge derselben ist diesem Umstand in erster Linie
Rechnung zu tragen; es ist stets darauf zu sehen, daß sich nach Thun-
Miszellen. 809
lichkeit jede Auszählung an eine solche anschließt, welche das Zählungs-
material in einer Weise verläßt, die für die nächste Ausführung eine
Erleichterung der Arbeit bedeutet. In ähnlichem Maße kommt das auch
bei Kombinationen sehr in Frage. Weil aber der ganzen planmäligen
Anordnung ein so bedeutender Wert beizumessen ist, so muß sie aber
auch streng eingehalten werden, es darf behuf specieller Festlegung
einer einzelnen Frage keine Durchbrechung stattfinden. Daß bei diesem
durch das Ganze der Erhebung gebotene, strengere Einhalten einer be-
stimmten Reihenfolge in der Feststellung der Einzelergebnisse eine An-
zahl der letzteren, von denen dieses oder jenes manchem gerade be-
sonders interessieren wird, erst später und eventuell sogar nach längerer
Frist zahlenmäßig klargelegt werden kann, liegt auf der Hand; es wird
sich dieses nach der ganzen Lage der Sache niemals vermeiden lassen
und ist eine notwendige Folge und unerläßliche Begleiterscheinung
der großen Erhebung, bei der stets die Festlegung der sämtlichen Er-
gebnisse eine verhältnismälig längere Zeit umfassen muß. Bei einer
Erhebung für einen kleinen Bezirk wird dieses längst nicht in dem
Maße vorkommen. Die viel geringere Menge der Zählungspapiere macht
jede einzelne Auszählung schon zu einer ungleich einfacheren und un-
verhältnismäßig leichter durchzuführenden; das Ganze läßt sich von vorn-
herein weit besser übersehen und ebenmäßig ergeben sich auch für die
ganze Durchführung der Auszählung weniger Schwierigkeiten als allein
durch die Verschiedenheit in der zu verarbeitenden Masse bedingt sein
würden: das Herausgreifen einer Einzelfrage behuf einer vorzeitigen
Feststellung läßt sich auch eher ermöglichen und wird in der Regel
ohne weitere nennenswerte Nachteile für das Ganze durchzuführen sein.
Bei der kleinen Erhebung kommt dann auch hier wieder in Betracht,
daß die Zahl der zu berücksichtigenden Sondereigentümlichkeiten eine
unverhältnismälige geringere ist und daß auch dadurch die einzelne
Auszählung sich wesentlich vereinfachen und verkürzen muß. Aus alle
diesem ergiebt sich aber, daß auch bezüglich der Auszählungen die
große und die kleine Erhebung nicht nach der Verschiedenheit des
zahlenmäfigen Umfanges, welchen beide haben, gegeneinander abgemessen
werden können, was die zu verwendende Zeit und Arbeit anbelangt,
sondern daß in dieser Richtung gleichlalls für die große Erhebung ein
ganz wesentliches Plus daneben in Rechnung zu stellen ist.
Endlich kommt dann aber in der gleichen Weise auch noch die
Ausarbeitung und Veröffentlichung der Ergebnisse und was unmittelbar
damit zusammenhängt in Betracht; auch hierbei muß die Erhebung für
das grole Gebiet ganz unverhältnismäßig mehr Arbeit und Zeit er-
fordern, wie eine solche für einen kleinen Distrikt. Giebt es doch
schon eine große Anzahl von Fragen, welche sich in sachgemäßer Weise
überhaupt nur für ein großes Gebiet aufwerfen und zahlenmäßig belegen
lassen, Fragen, die aber auch bei der großen Erhebung notwendig ge-
löst werden müssen, während sie für den kleinen Distrikt einfach in
Wegfall kommen. Aber auch diejenigen Umstände, welche von der
kleinen Erhebung ebenmälig klargestellt werden, erhalten bei der großen
Erhebung eine weitergehende Specialisierung und eine innere Vertiefung,
810 Miszellen.
wie sie eben wiederum nur bei den gewaltigen Zahlenmengen der
Massenbeobachtungen der großen Erhebung möglich ist. Es bezieht
sich dieses namentlich auf jene feineren Seiten jeder Erhebung, welche
neben dem in erster Linie zu ziehenden allgemeinen und hauptsächlichen
Ergebnis in Betracht kommen, welche aber gerade der Erhebung, sei
es in wirtschaftlicher, sei es in sozialer, sei es in sonstiger Beziehung,
einen wesentlichen Wert verleihen und deshalb notwendig berührt
werden müssen. In Frage kommen auch alle diejenigen Specialumstände,
für welche an und für sich Beobachtungseinheiten seltener sind und welche
deshalb erst bei der Beobachtung großer Massen, wie sie nur das große
Gebiet giebt, in sachgemäßer und zu Schlüssen berechtigender Weise
zahlenmäßig festgelegt werden können. Daß mit Rücksicht hierauf
einer großen Erhebung eine ganz andere und ungleich weitergehende
Arbeitslast bei der wissenschaftlichen Ausbeutung und Ausarbeitung
des Erhebungsmaterials erwachsen muß, liegt wohl auf der Hand. Es
setzt sich dieses in derselben, wenn nicht noch stärkeren Weise bei
den Veröffentlichungsarbeiten fort, wie solches zum Teil ja schon aus
der erweiterten Bearbeitung des Materials mit Notwendigkeit erfolgen
muß, desgleichen auch aus jenen oben berührten Lokaleigentümlichkeiten,
welche doch in den Veröffentlichungen speciell nachzuweisen und näher
zu erörtern sind. Aber auch sonst treten in den Ergebnissen einer
großen Erhebung in einer großen Anzahl Specialerscheinungen, Ab-
weichungen von einem gewissen Durchschnittsmaß nach oben und nach
unten, ganz besondere Zablengrößen etc. sehr hervor, mit denen sich die
Veröffentlichung der Ergebnisse näher zu beschäftigen, auf deren Ur-
sachen sie nach Thunlichkeit zurückzugehen hat. Auch hierdurch wird
wiederum die Arbeit für die große Erhebung gegenüber der für eine
kleine Erhebung zu einer unverhältnismäßig ausgedehnteren.
Aus diesen Ausführungen, die sich im einzelnen leicht noch weiter
ergänzen ließen, ergiebt sich gewiß für jeden mit großer Deutlichkeit,
wie bei der Erhebung für ein großes Gebiet die Arbeitslast und damit
gleicherweise auch der Aufwand an Zeit eine eigenartig und damit
wesentlich erweiterte sein muß, und wie diese Arbeitslast lediglich aus
der Art und dem Charakter der großen Erhebung selber sich feststellen
läßt, nicht aber etwa durch einen Vergleich mit einer entsprechenden
Erhebung für einen kleinen Distrikt in der Weise, daß lediglich aus
der feststehenden Arbeitslast der kleinen Erhebung die für die große
nach dem allgemeinen Größenverhältnis der Erhebungsgebiete ermittelt
wird. Auf den praktischen Fall, von dem wir ausgingen, bezogen, be-
deutet dieses, daß der erste Vorteil, welcher sich bei der Ersetzung des
bisherigen Censusverfahrens in den Vereinigten Staaten durch das
Stocktonsche Verfahren ergeben sollte, das einfachere und schnellere
Erzielen eines Endergebnisses, vollständig hinfällig wird, denn jener
Vorteil konnte von den das Stocktonsche Verfahren Empfehlenden, wie
oben gezeigt, lediglich auf Grund dessen herausgerechnet werden, was
wir soeben als unrichtig nachgewiesen haben.
Der zweite wesentliche Vorteil, der aus der Annahme des Stockton-
schen Verfahrens gegenüber der bisherigen Censusorganisation folgen
Miszellen. 811
sollte, war die ungleich geringere finanzielle Aufwendung, welche jenes
erstere Verfahren erfordern würde. Dieser Vorteil wird nun aber auch
in ganz der gleichen Weise wie der erstere Vorteil rechnungsmälig
nachgewiesen. Den Ausgangspunkt bilden die feststehenden Kosten,
welche durch die Sondererhebung über die Bevölkerung der Grafschaft
San Joaquin mit der Stadt Stockton nach dem neuen Verfahren ent-
standen sind, Kosten, welche verhältnismäßig nur sehr gering sind und
der ganzen Lage der Sache nach auch nur sehr gering sein können.
Aus dieser Kostensumme wird nach der Gesamtbevölkerung der Graf-
schaft der auf den Kopf des einzelnen entfallende Kostensatz be-
rechnet, und aus diesem Kopfsatz wieder durch Multiplikation mit der
gesamten Einwohnerzahl der Vereinigten Staaten der ungefähre Kosten-
satz für die ganze Erhebung bezüglich der Vereinigten Staaten fest-
gestellt; die einzelnen Zahlen, welche für uns kein Interesse bieten,
lassen wir fort, nur wollen wir bemerken, daß der Betrag, welcher für
die Kosten nach dem neuen Verfahren ermittelt wurde, sehr bedeutend
hinter den bisherigen Censusaufwendungen zurückbleibt. Aus dem, was
wir bezüglich des ersten angeblichen Vorteils gesagt haben, ergiebt
sich ohne weiteres schon, daß auch dieser zweite behauptete Vorteil
des neuen Verfahrens nach Maßgabe der Art und Weise, wie er be-
gründet worden ist, sich thatsächlich als unmöglich erweisen muß.
Es bedarf dieses wohl nur einer kürzeren Ausführung. Wenn, wie wir
eingehend nachgewiesen, die Erhebung für ein größeres Gebiet einen
ungleich größeren Aufwand an Arbeit und Zeit wie die für einen kleinen
Distrikt erfordert, so ist daraus schon, da hier jeder Mehraufwand an
Arbeit und Zeit auch einen entsprechenden finanziellen Mehraufwand
nach sich ziehen muĝ, an und für sich gegeben, daß auch die Kosten
der großen Erhebung ebenmälig größere sein müssn, daß nicht der auf
den Kopf entfallende Durchschnittssatz der großen Erhebung mit dem
der kleinen Erhebung übereinstimmend sein kann, wie solches die Be-
rechnung zu Gunsten des Stocktonschen Verfahrens annimmt. Die-
jenigen Kosten, welche für das Stocktonsche Verfahren in Betracht
gezogen und dann ausschließlich zur Berechnung "der Gesamtkosten
einer danach vorzunehmenden, großen Erhebung benutzt sind, bedeuten
für die große Erhebung gewissermaßen nur die Anfangskosten, welche
bis zu einem gewissen Stadium der Erhebung entstehen müssen, aber
auch diese nicht einmal vollständig, denn die Aufwendungen für die
Vorarbeiten der großen Zählung, welche sich ja nach unseren obigen
Ausführungen mit Rücksicht auf die zahlreichen, vorher bis zu einem
bestimmten Grade klarzulegenden Sonderheiten zu umfangreicheren ge-
stalten müssen, sind schon im Verhältnis wesentlich größere als bei
der kleinen Erhebung. Wo dann aber die Kosten für die Stocktonsche
Distrikserhebung mehr oder weniger authören, da setzen die haupt-
sächlichsten Kosten für die große Erhebung eigentlich erst ein. Es
kommt nunmehr in Frage alles dasjenige, was für das so wichtige und
ausgedehnte Prüfungsverfahren, für die umfangreichere Verarbeitung
des Zählungsmaterials, die Veröffentlichungen etc. aufzuwenden ist; im
großen und ganzen sind dieses ewa die Kosten, welche bei der
812 Miszellen.
Centralbehörde, der die Hauptarbeit obliegt, entstehen, welche eben
verursacht werden, um das Ergebnis der großen Erhebung zu einem
einheitlichen zu machen, um dasselbe im einzelnen nach allen Rich-
tungen hin auszugestalten und zweckentsprechend zu verwerten, um
der großen Erhebung überhaupt erst ihre eigentliche wissenschaftliche
Bedeutung zu verleihen. Demgemäß handelt es sich also um einen
finanziellen Aufwand, wie er notwendig mit einer nach wissenschaft-
lichen Grundsätzen durchgeführten und wirklich nutzbringenden großen
Erhebung verbunden sein muß, wie er niemals in Wegfall kommen
kann. Daß die hierdurch entstehenden finanziellen Anforderungen keine
geringfügigen sein können, daß sie im Gegenteil recht bedeutende sein
müssen, wird nicht verkannt werden, wenn man den ganz besonders
großen Umfang jener Arbeiten, wie wir ihn oben nachgewiesen, in
Rechnung zieht. Damit ist aber wohl vollkommen bewiesen, dal die
Kosten für ein großes Gebiet zu denen einer kleinen Distriktserhebung
nicht im Verhältnis stehen, daß daher aus letzteren erstere nicht zu
berechnen sind; der zweite Vorteil, der für das Stocktonsche Ver-
fahren geltend gemacht wird, die besondere Billigkeit, beruht, so wie
er nachzuweisen versucht ist, auf vollkommen unzutreffenden Voraus-
setzungen, und ist in der gleichen Weise wie der erste als illusorisch
anzusehen.
Wenn aber so dasjenige, was in der Hauptsache als der Vorzug
des sogenannten neuen Verfahren gegenüber dem bisherigen angeführt
werden konnte, in Wegfall kommt, so fällt damit auch wohl schon das
neue Verfahren selbst. Es ließe sich ja immer noch erwägen, ob der
engere Anschluß der ganzen Zählung an die allgemeine Verwaltungs-
organisation, wie ihn das Stocktonsche Verfahren bietet, nicht von
Nutzen sein könnte oder ob die bisherige, streng durchgeführte Centrali-
sation des ganzen Zählungsverfahrens als das Bessere und Höhere an-
zusehen sei, auch wäre noch zu prüfen, ob und wie sich eine Ausführung
des Stocktonschen Verfahrens für das ganze weite und verschieden ge-
artete Gebiet der Vereinigten Staaten ermöglichen lassen würde und ob
sich denn dabei nicht doch noch dieser oder jener kleinere Vorteil zeigen
würde, und Aehnliches. Hierauf wollen wir aber nicht näher eingehen,
denn wir hatten von vornherein keineswegs die Absicht, im einzelnen
festzustellen, welches System für die Volkszählungen in den Vereinigten
Staaten als das Praktischste und Beste zu betrachten ist; das zu prüfen,
überlassen wir wohl zweckmäliger den Amerikanern selbst. Uns inter-
essierten wesentlich nur die groben Verstöße gegen die Grundsätze der
statistischen Wissenschaft, welche bei der Klarlegung und Begründung
des Stocktonschen Verfahrens hervortreten, und zwar namentlich wiederum
nur deshalb, weil derartige Verstöße auch sonst sich zu zeigen pflegen
und keineswegs nur vereinzelte Erscheinungen bilden. Ein Hinweis
auf diese Verstöße unter einer allgemeinen Darstellung der an und für
sich einfachen Grundsätze erschien uns deshalb angebracht; damit ist
aber unsere Autgabe erfüllt.
Miszellen. 813
Nachdruck verboten.
XIV.
Zur Geschichte und Organisation der dänischen Meierei-
genossenschaften und der dänischen Meiereiwirtschaft.
Von Dr. Heinrich Pudor, Berlin.
Stilling Andersen ist der Name dessen, der im Jahre 1882 im
Westen Jütlands die erste dänische Molkereigenossenschaft gründete.
In den Jahren 1886/87 wurde alsdann im ganzen Lande eine große
Anzahl Meiereigenossenschaften errichtet, so daß ihre Anzahl im Jahre
1897 bereits 968, im Jahre 1898 1013 mit 125000 Mitgliedern betrug.
Die Mitgliederanzahl ist durchschnittlich 120; die Anzahl der Kühe
einer und derselben Genossenschaft wechselt von 200—400 im west-
lichen Jütland, bis zu 1000—1400 im östlichen Jütland und auf den
Inseln. Die Milchlieferung pro einzelne Kuh ist jährlich mindestens
2500 kg, im Durchschnitt 3500—4000 kg und in einzelnen Fällen 5—
6000 kg. Die Mitglieder müssen die Milchabfälle zurücknehmen im
Verhältnis zu der gelieferten Milch — nach dem Gesetz vom 26. März
1898 sind sie dabei verpflichtet, zum Zwecke der Bekämpfung der
Tuberkulose die Milch vor der Verwendung bis auf 68 Grad Reaumur
zu erhitzen. Die Bestimmung des Fettgehaltes der Milch wird entweder
mit Hilfe von Dr. Gerber’s Milchprobeapparat, des Kolibributyrometers
oder des Kontrollapparates des Docenten Fjord — derselbe, dem Däne-
mark die Organisation des landwirtschaftlichen Unterrichts verdankt —
besorgt. Nach dem Prozentsatz des Fettgehaltes wird die Milch bezahlt
und zwar mit Hilfe besonderer vom Docenten Fjord zu diesem Zwecke
bearbeiteter Tabellen. Immerhin giebt es aber auch heute noch einige
Molkereien, die nur nach dem Gewichte bezahlen. Die Abrechnung
geschieht monatlich. Die Verwaltungsunkosten sind niedrig, indem die
Verwaltungsämter nicht doppelt bezahlt werden und jedes Mitglied ver-
pflichtet ist, die Wahl zu einem Verwaltungsamt anzunehmen. ‘Dasselbe
gilt für die Wahl der Revisoren !). Die Anlage der Meiereien vollzieht
sich gewöhnlich mit Hilfe einer Anleihe, für welche sämtliche Mitglieder,
jedes im Verhältnis zu der Anzahl der beeigneten Kühe, solidarisch ver-
antwortlich sind. Die Anleihe wird meistens innerhalb 10 Jahren amor-
1) Vergl. die eben veröffentlichte Schrift „Det Europäiske Landbosamvirke‘ von
J. Bull. Tornoe & Ebbe Hertzberg, Christiania.
814 Miszellen.
tisiert, derart, daß heute bereits die meisten Molkereigenossenschaften
schuldenfrei sind. In Jütland und auf der Insel Fyen haben die Molke-
reigenossenschaften Molkereivereine gegründet, welche Butterausstel-
Jungen veranstalten, Butterprüfungen vornehmen, Butterstatistik auf-
stellen, kritische Z/usammenstellungen von Meiereibilanzen aufstellen,
und sich auch mit dem gemeinsamen Einkauf von Meiereigerätschaften
befassen. Zu ihren Mitgliedern zählen aber auch nicht-kooperative
Meiereien. Die jütländischen Molkereivereine haben im Jahre 1895
einen Verband „De samvirkende jydske Meieriforeninger“ gegründet,
welcher 10 Meiereivereine umfaßt und als Mitgliedsbeitrag 1/, Oer, das
ist ca. 0,6 Pig., pro 100 Pfd. Butter berechnet. Außer dem Einkauf
von Meiereigeräten ist das Bestreben des Verbandes, die größtmögliche
Einheit in der Buchführung herzustellen und das Verhalten zwischen
den Preisen und der Qualität der Butter passend zu beeinflussen ver-
möge Butterpreisstatistik und Butterausstellungen. Vermutlich wird
mit der Zeit aus diesem Bund ein Landesverband hervorgehen. In-
zwischen arbeitet Hand in Hand mit demselben der dänische Meierei-
beamtenverein (Dansk Meieristforening). Letzterer wurde im Jahre 1881
gegründet und umfaßt den größten Teil von Dänemarks Meiereibeanten;
ihr Ziel ist, ein Zusammengehen und Zusammenwirken zwischen den
dänischen Meiereibeamten herzustellen. Die bekannte „Mälkeritidende“
ist das Organ des Vereines. Die Mitglieder, deren Anzahl im Jahre
1897 1300 betrug, verteilen sich auf 21 Kreise, deren jeder seine be-
sondere Verwaltung hat. Für die Förderung der Interessen des Butter-
handels hat der Verein viel gethan.
In engem Zusammenhange mit diesen Organisationen stehen die
Kontrollvereine, die zur Einleitung und Aufrechterhaltung einer
genossenschaftlichen Disciplin außerordentlich viel gethan
haben und ein wichtiges Organ des demokratischen, decentralisierenden
Prinzips der Selbsthilfe bilden. Die Organisation dieser Kontrollvereine
ist folgende: Der Verein stellt einen Kontrollassistenten an, welcher die
Wirtschaften der Vereinsmitglieder besucht, die Melkung inspiziert, die
Milch wiegt, Milchproben nimmt und den Fettgehalt der Milch jeder
einzelnen Kuh bestimmt mit Hilfe eines dem Verein gehörenden Kontroll-
apparates. Endlich ist es Aufgabe dieses Beamten, die Fütterung 2
inspizieren und -Vergleiche zu ziehen zwischen dieser und der Qualität
von Milch und Butter. Man verlangt von ihm, daß er sowohl theore-
tische als praktische Kenntnis von der Vichwirtschaft Fütterung und
Milchwirtschaft hat; er muß also einmal die Landwirtschaft praktise
erlernt haben, weiter die landwirtschaftliche Hochschule absolviert und
darnach einen besonderen Kursus in der Anwendung der Milchprüfungs-
apparate durchgemacht haben, und endlich muß er die Buchführung ver
stehen, die Kontrolle selbst wird zweimal im Monat ausgeführt; das
macht etwa 20 Untersuchungen pro Kuh und pro Jahr. Dreizehn bis
vierzehn Wirtschaften werden als genügend zu dem zweimaligen Besut
des Kontrollbeamten pro Monat angesehen; in diesem Fall verbleiben
demselben noch ein paar freie Tage. In Dänemark schwankt die Zahl
der Kühe eines Kontrollvereines zwischen 200 und 1000, auch die Anzahl
Miszellen. 815
der Wirtschaften ist verschieden, je nach ihrer Größe und Entfernung.
In Finland wird übrigens diese Arbeit auch wohl von Staatsmeieristen
und 2 Agronomen vorgenommen, welche im Sommer in dem ihnen unter-
stellten Bezirk von Ort zu Ort reisen und gegen freie Verpflegung nach
jeder Richtung hin Rat erteilen und Aufklärung geben.
Was den Butterhandel selbst betrifft, so ist die wichtigste Frage
die der Preisfestsetzung; dieselbe wird von der „Grosserer Societet“ in
Kopenhagen bewirkt. Indessen sind in der letzten Zeit ca. 20 be-
sondere „Exportforeninger“ gegründet worden, welche eine tüchtige
kaufmännische Organisation haben und direkt nach dem englischen
Markt absetzen. Ihr besonderes Bestreben ist, die Qualität der Butter
zu verbessern, indem sie sagen, daß die bisherige Handelsorganisation
mehr die Quantität als die Qualität gehoben haben. Sie setzen aus
diesem Grunde vier verschiedene Preise fest, von denen der höchste
von dem niedrigen bis zu 10 Oer, das ist 11,2 Pfg. abweicht. Be-
sonders in Jütland (Ausfuhr über Veile, Randers, Aalborg) haben
derartige Zusammenschließungen stattgefunden — außerdem giebt es
einen Exportverein im Süden der Insel Fyen.
Auf den östlichen Inseln Själland, Lolland, Falster und Bornholm
ist die genossenschaftliche Organisation auf eine andere Weise erfolgt.
Mit Unterstützung der dänischen Bauernstandssparkasse haben sich hier
die Meiereigenossenschaften zu einer einzigen großen Butterexportver-
einigung „the Farmers of Denmark Butterexportassociation“ zusammen-
geschlossen, die im Jahre 1897 120 Meiereien zählte, während der
Umsatz 131/, Mill. Kr. betrug, Der Verein befaßt sich -übrigens
auch mit dem Einkauf von Futtermitteln. Den Butterexport vollzieht
dieser Verein meistens direkt mit Umgehung des Zwischenhandels der
Kopenhagener Großhändler auf eigene Rechnung. Die Meiereien haften
solidarisch für ihre Verpflichtungen und müssen alle von ihnen produ-
zierte Butter, soweit dieselbe nicht entweder von ihnen selbst oder
innerhalb einer Meile Abstand von dem Meiereigebäude konsumiert wird,
an die Vereinsleitung abführen. Die Ware wird ein- oder zweimal in
der Woche geliefert — für die Qualitäts- und Preisbestimmung ist ein
besonderes Komitee eingesetzt. Die Bezahlung geschieht entweden contant
oder mit Bankanweisungen. In besonderen Fällen darf die Verwaltung
die Butter auch innerhalb des Landes verkaufen. Natürlich ist dieser
bemerkenswerte Versuch, den Butterhandel von dem Zwischenhandel
zu emanzipieren, nicht frei von heftigen Angriffen geblieben; aber die
Hauptsache war, dal bessere Preise erzielt wurden.
Von großem Interesse ist auch die im Jahre 1895 gegründete dänische
Butterverpackungsgenossenschaft („Dansk Andelssmörpakkeri* oder
„Danish Cooperative Butter Factory“), welche in Esbjerg an der West-
küste Jütlands ihren Sitz hat und im Jahre 1897 20 Meiereien als
Mitglieder zählte. Außer dem Export nach England ist es ihr geglückt,
eine regelmäßige Ausfuhr nach Paris einzuleiten, wo bekanntlich unge-
salzene Butter — und solche allein produziert die Genossenschaft — am
beliebtesten und am höchsten bezahlt ist. Während nämlich die franzö-
sische Butter bloß 2—3 Tage haltbar ist und daher künstlich präserviert
816 Miszellen.
wird, bleibt die Butter dieser dänischen Genossenschaft ohne Präser-
vierungsmittel eine Woche lang frisch — das vortreffliche dänische
Kontrollsystem hat hier wieder die besten Früchte gezeitigt, und zwar
ist die Kontrolle bei der in Rede stehenden Genossenschaft eine beson-
ders strenge. Die Lieferung beträgt seitens jeder der 20 Meiereien
etwa 3000 Did. wöchentlich. Der Preis ist durchschnittlich 11 Pfg.
pro kg höher als der für gewöhnliche gesalzene Butter. Uebrigens ist
die genannte Genossenschaft mehr als eine bloße Verkaufsgenossenschaft,
indem sie nämlich der Butter eine Nachbehandlung zu teil werden läßt,
um die Ware zu verbessern und zu egalisieren. Zu diesem Behufe giebt
es in dem Hause der Genossenschaft besondere Räume für die Erwär-
mung und Abkühlung der Butter. Die Unkosten werden durch eine
Anleihe gedeckt, für welche die Mitglieder solidarisch verantwortlich
sind.
Nachdem wir im Vorherhebenden die Organisation des dänischen
Genossenschaftswesens teilweise in Anlehnung an das obengenannte
kompetente Buch geschildert haben, wollen wir in folgendem die Orga-
nisation des dänischen Meiereiwesens selbst einer Betrachtung unter-
ziehen, wobei wir uns zum Teil an die Ausführungen eines kürzlich in
„le Temps“ erschienenen Artikels über die Milchindustrie in Dänemark
halten.
Von der gesamten Bodenfläche Dänemarks, die sich auf 3 800 000 ha
beläuft, sind 1 400 000 ha der Produktion von Futtermitteln gewidmet. Die
Anzahl von Hornvieh rechnete man im Jahre 1898 auf 1 700 000 Köpfe !),
von denen weitaus die meisten Milchkühe sind. Von 1861—1898 hat
sich die Anzahl des Viehes um 56 Proz. vermehrt; die Zahl der Vieh-
ställe schätzte man auf 180000, von denen nur 7544, also 4 Proz,
mehr als 30 Tiere beherbergen. Im übrigen ist die Verteilung folgen-
dermalen
Viehställe mit Anzahl der Ställe
1— 3 Stück Vieh 70218 das sind 39,85 Proz. sämtlicher Ställe
Ges, ZE." 2 D 52371 » m 2912 p n „
10— 29 „ D 49067 » m 27,82 a ú »
30— 49 „ D 5335 + » 2,95 y D D
50— 99 n Hi 1 447 HI n 0,81 DI n
über 100 » D 702 HI Hi 0,45 DH nm D
179 740 100 Proz.
Gerade dieser Decentralisierung des dänischen Viehbestandes und der
Viehwirtschaft ist der kollosale Aufschwung der dänischen Milchwirt-
schaft zu danken, wie auch dieser Umstand allein die Ausbreitung des
Genossenschaftsgedankens ?) bedingt und erklärt. Hierzu kam aber nun
die Anwendung der neuesten Errungenschaften der Technik und Wissen-
schaft, im besonderen der Agrikulturchemie, Es war im Jahre 1588,
1) Zum Vergleiche sei angeführt, daß z. B. Frankreich 9 Mill. ha Kulturland
und 6500 000 Milchkühe besitzt, mehr als 84 Mill. hl Milch und 18—20 Mill. kg
Butter jährlich produziert, das ist ea. ein Drittel von dem, was Dünemark ins Ausland
schickt.
2) Nichtgenossenschaftliche Molkereien gab es im Jahre 1898 260 private und
271 Schloßmulkereien.
Miszellen. 817
als der dänische Staat die Zeit für gekommen erachtete, im Anschluß
an das Königliche tierärztliche und landwirtschaftliche Institut ein
Laboratorium und eine 'specielle Sektion zu begründen zur Ausführung
von Analysen der Milch, der Butter und der Futtermittel. Die Errich-
tung dieses Laboratoriums kostete 280 000 M. die Unterhaltung verlangt
einen jährlichen Zuschuß von 144000 M. — Diese Ausgaben sind
minimal im Verhältnis zu dem Guten, daß sie stiften, aber sie zeugen
von dem Interesse und der Teilnahme des Staates an der intensiven
Landwirtschaft in Dänemark. Dabei wird den Beamten dieses Labo-
ratoriums eine Reihe von großen Farmen von ihren Besitzern als Ver-
suchsstationen zur Verfügung gestellt. Die Art, in der diese Experi-
mente gemacht werden, wollen wir etwas näher ausführen.
Jede Serie von Versuchen umfaßt drei verschiedene Perioden: die
Vorbereitungsperiode, die eigentliche Versuchsperiode und die abschließende
Periode — das Ganze über eine Zeit von 4—6 Monaten sich erstreckend,
an deren Ende man im Laboratorium zur genauen Analyse aller Proben,
die man während der ganzen Dauer der Versuche alle 10 Tage Sorge
getragen hat zu entnehmen, übergeht. Ein Versuch ist nur dann als
abschließend angesehen, wenn er unter besonderen, genau abgewägten Be-
dingungen 2 Jahre lang vorgenommen, resp. wiederholt ist. In dem
Durchschnittsresultat aller Versuche auf allen Farmen während der
2 Jahre besteht alsdann das definitive Resultat der Versuche. Seit
dem Jahre 1887 wurden diese Versuche über das Verhältnis von Fütte-
rung zur Milch auf über 30 dänischen Farmen vorgenommen und mehr
als 2000 Kühe wurden zu den Versuchen verwendet. Als Fütterung
ist der Vergleichung unterstellt: 1) Korn und Rüben; 2) Korn und
Oelkuchen; 3) Korn und Kleie; 4) Korn und Mais; 5) Korn und Heu;
6) Korn und Melasse. Die genaueren Resultate dieser Versuche findet
man in dem Schou’schen Werk: „Die Landwirtschaft in Dänemark“
— wir beschränken uns hier auf folgende kurze Wiedergabe: 1) Die
Fütterung hat keinen nennenswerten Einfluß auf die chemische Zusam-
mensetzung der Milch, besonders was ihre Verwendbarkeit zu Butter
betrifft. Die in den fetten Substanzen, die in der Milch enthalten sind,
konstatierten Verschiedenheiten sind weit mehr auf die besondere Ver-
anlagung der Kuh als auf die Art der Fütterung zurückzuführen. Viel-
mehr beeinflußt die Fütterung weit mehr die Fettbildung
des Fleisches als dieZusammensetzung der Milch. 2) Der
Nährwert der verschiedenen Futtermittel ist folgender: 1 kg Getreide
ist gleich 10 kg Rüben und 2!/, kg Heu. Von besonderer Wichtigkeit
sind die Versuche gewesen dadurch, daß die Landwirte nunmehr ihren
Viehbestand gemäß dem Ergebnis der Milchuntersuchung ergänzen konnten,
da es eben weit mehr auf Rasse und individuelle Veranlagung der Kuh
ankommt, als auf die Art der Fütterung. Gewisse Tiere waren also
auszuschalten und andere dagegen zu konservieren je nach Quantität
und Qualität, im besonderen Fettgehalt, der Milch. Dies einige Jahre
fortgesetzt, ergab Musterställe mit Milchkühen, deren Milch den größten
Fettgehalt hatte. Und der Fettgehalt ist bei der Butterfabrikation
maßgebend und die Milch wird nach dem Fettgehalt bezahlt. Ehemals
Dritte Folge Bd. XXIII (LXXVIII). 52
818 Miszellen.
gebrauchte der dänische Bauer zur Fabrikation von einem 1 kg Butter
30—40 1 Milch; gegenwärtig reichen 27—28 ] Milch zur Fabrikation
eines Kilogramm Butter erster Qualität hin.
In ähnlicher Weise wurden die Versuche bezüglich der Schweine-
fütterung angestellt. Sie wurden im Jahre 1884 begonnen und seit
dieser Zeit auf 29 Gütern fortgesetzt.
Endlich hat das Kopenhagener Institut permanente Ausstellungen
eingerichtet, um die Qualität der Butter der Molkereien des Landes
einer fortgesetzten Prüfung zu unterziehen. Die 800 Molkereien, welche
daran teilnehmen, sind verpflichtet, sobald als das Laboratorium es
wünscht, umgehend 50 kg Butter zur Ausstellung zu senden. Infolge-
dessen hat das Institut die tägliche Ueberwachung der Butterproduktion
an der Hand, nicht etwa nur die Prüfung von einer zur besonderen
Veranlassung einer Ausstellung gesendeten Butter. Die Jury ist zu-
sammengesetzt aus 40 Vertretern der bedeutendsten Butterhandelshäuser
Dänemarks und aus den Staatsıneieristen. Jede Molkerei erhält da
nach einen Bericht von der Jury, welcher ihr gestattet, sich Rechen-
schaft zu geben von dem Platz, den sie unter den Molkereien des
Landes einnimmt. Man kann sich denken, wie diese Einrichtung dazı
angethan ist, den Wettstreit unter den Molkereien zu entfachen, und
wie das schließliche Ergebnis eine fortgesetzte Qualitätsverbesserung
der dänischen Butter ist, wie dieselbe ja auch auf dem Londoner Welt-
markt nicht nur den höchsten Preis erzielt, sondern einen ganz bedeu-
tend höheren als die Butter aller anderen Länder. Jede der genannten
Ausstellungen umfaßt 100 Molkereien: die Namen der Lieferanten der
Produkte werden veröffentlicht und am Ende des Jahres wird der
Molkerei, welche während der 3 letzten Jahre die beste Butter ge-
liefert hat, ein Diplom zugesprochen. Jede Molkerei muß dreimal in
Jahre ausstellen und jährlich werden 20—30 Diplome verteilt. Die
erste Ausstellung fand im Jahre 1889 statt; da jährlich 20 Ausstel-
lungen stattgefunden haben, sind demnach 150000 kg Butter bisher
von der Jury beurteilt worden.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 819
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Bücher, Karl, Arbeit und Rhythmus. 3. Aufl. Leipzig (Teubner)
1902. VIII u. 455 SS.
Bereits in der 3. Auflage liegt Bücher’s „Arbeit und Rhythmus“
vor. Aus der gedrängten Abhandlung der sächsischen Akademie ist
ein stattlicher Band geworden; was ursprünglich ein Programm für
künftige Sammler- und Forscherthätigkeit war, und nur die Richtung
dieser Thätigkeit durch ausgewählte Stücke bezeichnete, ist nun selbst
eine umfassende Sammlung und Darstellung geworden. Trotzdem ist
der ursprüngliche Reiz dieses originellen Werkes nirgends verblaßt: Die
drei verschiedenartigen Dinge, die meistens einer Verbindung wider-
streiten, Stoffmitteilung, Untersuchung und Darstellung, schließen sich
hier nicht aus; denn Bücher versteht es, dem Leser jeden Schritt seiner
Arbeit interessant zu machen. Nach drei Seiten liegen die Verdienste
dieses Buches, nach der Methode, der genetischen Wirtschaftslehre und
der vergleichenden Aesthetik. Die Richtung unserer deutschen Volks-
wirtschaftslehre war stets, statt der abstrahierenden Isolierung des
Wirtschaftslebens zu huldigen, vielmehr die Bindeglieder mit allen
anderen Gebieten des geistigen Lebens aufzusuchen; sie hat sich in
diesem Werke ein neues Gebiet erobert; ein Gedanke, der wohl bisher
als Einzelbeobachtung gelegentlich von Ethnographen oder Medizinern
ausgesprochen war, ist hier in seiner allgemeinen Bedeutung für Wirt-
schaft und Kunst erfaßt und konsequent durchgeführt. Bei der Lektüre
dieses Buches wird uns aber auch der Fortschritt von der älteren
historischen Methode, die man etwa die der historischen Illustration ge-
gebener Theorien nennen könnte, zu der neueren, die es mit der Ent-
wickelung ernst nimmt, wieder einmal recht klar. Die Voraussetzung
für ihre Anwendung ist stets die Vollständigkeit des Materials; voll-
ständig aber heißt hier: Lückenlosigkeit, nicht aber Häufung der Be-
lege für das regelmäßig sich Widerholende Darum hat Bücher auch
scharf gesondert, und nicht nur neueres Material zugefügt, sondern
52*
820 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
auch manches weniger Charakteristische und deshalb jetzt Entbehrliche
weggelassen. R
Die Identität der historischen und der vergleichenden Methode, die
jetzt öfters bestritten worden ist, tritt bei B. klar hervor; je einfacher
die Erscheinungen sind und je regelmäßiger sie sich wiederholen, um
so mehr wird freilich die Vergleichung vor der genetischen Entwicke-
lung des Einzelnen in den Vordergrund treten. So einfach sind diese
Erscheinungen der rhythmischen Belebung der Arbeit nicht, daß nicht
eine beträchtliche Kunst der Analyse zu ihrer Deutung nötig wäre.
B. selbst betont öfters die Methode, die dabei einzuschlagen ist, die er
ja auch in seinen Studien über die Entstehung der Volkswirtschaft mit
gleichem Geschick, wenn auch nicht überall mit gleich durchschlagenden
Erfolg, zur Anwendung gebracht hat. Sie besteht darin, aus komplizierten
Erscheinungen einen einfachen, gleichbleibenden Faktor herauszuheben.
Ueber die bloße Konstatierung solcher Grundelemente führt dann noch
die Hypothese hinaus, die die Möglichkeit, wie diese Elemente selber
zustande gekommen sind, erörtert. B. scheidet hier sehr scharf: er be-
tont ausdrücklich, daß seine Erklärung des Ursprungs der Kunst nur
Hypothese sei, aber der Wert einer solchen liege darin, fruchtbar zu
sein, eine möglichst große Anzahl von Vorgängen ungezwungen zu er-
klären. Diese kritische Selbstbescheidung wiederholt sich bei jedem
Schritt seiner Arbeit, es ist die Sparsamkeit eines reichen Mannes.
Wenn aber die Haupthypothese B.s, die doch sehr viel mehr als blol
subjektive Ueberzeugungskraft besitzt, stimmt, so würde in ihr zum
erstenmal eine wirklich vollständige Reihe der Erscheinungen im Sinne
A. Comte’s vorliegen: Aus einem physiologischen Vorgang, der selber
in einer streng mathematisch-mechanischen Weise verläuft, würde sich
eine psychologische Thatsache ergeben, nämlich die der rhythmischen
Gestaltung der Arbeit, die, so einfach sie ist, bereits die Grundelemente
höchst verschiedenartiger geistiger Thätigkeiten in sich enthält. Wie
sich diese weiter differenzieren, d. h. voneinander ablösen und eine
selbständige Entwickelung erlangen — ein Prozeß, der sich nicht nur
bei den einzelnen Völkern, sondern noch mehr auf den einzelnen Ge-
bieten der Arbeit und Kunst in sehr verschiedenem Tempo vollzieht
und bei dem beträchtliche Rückschläge öfters zu verzeichnen sind —
das hat B. mehr andeuten als im einzelnen ausführen können. Ethno-
graphie und Aesthetik werden nicht säumen, die Gesichtspunkte, die
ihnen hier gegeben sind, weiter zu verfolgen; ob auch die National-
ökonomie weitere Früchte aus ihnen ziehen wird, das wird wohl zu-
nächst von B. selbst abhängen.
Nur einiges, was die Nationalökonomie schon jetzt als festes Er-
gebnis der Untersuchungen Bis verwerten kann, sei hier hervorgehoben:
zunächst die klare Einsicht in das Wesen der Arbeit der Naturvölker,
d. h. der ersten Stufen der Arbeit überhaupt. Falsch aufgefaßte That-
sachen, wie der Gemeinplatz von der Faulheit der Wilden, falsche Er-
klärungen, die man eher Ausflüchte nennen könnte, wie der „eingeborene
Thätigkeitstrieb“, Uebertreibungen, bei denen die Nebensache für die
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 821
Hauptsache genommen wird, wie die bekanntlich auch von den sozial-
demokratischen Forschern stark vertretene Ansicht vom erziehlichen
Wert der Sklaverei, werden hier beseitigt. Aus den gegebenen wirt-
schaftlichen Aufgaben werden die Formen der verschiedenen Einzel-
arbeiten und der Gruppen- und Gesamtarbeiten hergeleitet, wie schon
in seiner Entstehung der Volkswirtschaft, nur daß hier überall der
Rhythmus als das belebende und erleichternde Moment erscheint. Gerade
die vielgescholtene Gleichförmigkeit der Arbeit erscheint hier als eine
Wohlthat, soweit das Gleichmaß auch den Gleichtakt in sich schließt.
Namentlich aber stellt sich der Rhythmus als der Regulator der Massen-
arbeit heraus, handle sich nun um die Bittarbeit deren Bedeutung für
frühe Stufen der Volkswirtschaft B. hier wiederum aufweist, oder um
die ursprünglich jenen nah verwandten Fronden, oder um Sklaven-
arbeit. Besonders interessant ist der Nachweis, wie der Arbeitsgesang
und die rhythmische Arbeitsweise auch den früheren Sklaven bleibt.
Die neue Auflage bietet eine ganze Sammlung von Negergesängen dieser
Art aus den Südstaaten der Union — die einzigen Volkslieder, die
bisher in diesem Lande moderner Arbeit entstanden sind. Mit dem
Zurücktreten der Frauenarbeit, der ein großer Teil der Arbeitsgesänge
entstammt, mindert sich auch der Anteil der Frauen an der Volks-
dichtung, namentlich aber hört in der Werkstatt der meisten Hand-
werke die rhythmische Arbeit und mit ihr der eigentliche aus der Arbeit
entspringende Arbeitsgesang auf; in der Hausindustrie ist überhanpt
nur ein Beispiel aus der Spitzenklöppelei des Erzgebirges anzuführen,
Im Uebergang der Fabriken zu kontinuierlich wirkenden Maschinen ist
dann der letzte Zug des Rhythmus in der Arbeit verwischt. Man könnte
wohl sagen, die militärische Pünktlichkeit und Sicherheit, die für die
Arbeitsordnung des Großbetriebes nötig ist, ersetzt alsdann auf einer
höheren Stufe das, was der Rhythmus auf einer niederen leistet.
Die wirtschaftliche Arbeit erscheint also nicht als isolierte Thätig-
keit, sondern vielmehr in ursprünglicher Einheit mit den Kunstübungen
des Tanzes, der Musik, der Dichtung, mit denen sie insgesamt durch
den Rhythmus verbunden wird. Es wurde oben schon darauf hin-
gewiesen, daß für die Erkenntnis der Entstehung und der fortschreiten-
den Verselbständigung der Künste Bücher das Bedeutendste in seinem
Buch geleistet hat. Es sei an dieser Stelle nur hervorgehoben, wie die
Entstehung der Musikinstrumente aus den Werkzeugen selber, die der
Musik aus dem rhythmischen Arbeitsschall, des Tanzes, wenigstens im
wesentlichen aus der Arbeitsnachahmung, der Versmaße aus den Arbeits-
takten wahrscheinlich gemacht wird. Und wenn auch die Frage nach
der allmählichen Loslösung der Künste nur skizzenhaft und hypothetisch
behandelt, werden konnte, so bietet sie des Anregenden und Ueber-
raschenden um so mehr, z. B. die späte Ansetzung der epischen Dicht-
kunst. B. kann darauf hinweisen, daß gerade in der neuesten Kunst-
epoche, der des „Gesamtkunstwerkes“ wieder eine bewulte Rückkehr
zu der ursprünglichen Einheit vorliegt; die Aussicht, die er in seinen
Schlußworten eröffnete, daß es doch vielleicht einst noch gelingen werde.
822 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Technik und Kunst in einer höheren rhythmischen Einheit zusammen-
zufassen, die dem Geiste die glückliche Heiterkeit und dem Körper
die harmonische Ausbildung wiedergiebt, durch welche sich die besten
unter den Naturvölkern auszeichnen, ist freilich selber „Zukunftsmusik*,
aber vielleicht liegt in diesem kleinen Tropfen Idealismus, der so vieler
skeptischen Kritik, die sich nur an das Thatsächliche hält, beigemischt ist,
die rhythmische Stimmung ausgesprochen, die den Verf. bei der Kon-
zeption wie bei der Ausführung und der immer gleich liebevollen Er-
weiterung seines Themas begleitet hat. E. Gothein.
Dr. Carl Freiherr v. Manteuffel gen. Szöge, Das Sparen.
Sein Wesen und seine volkswirtschaftliche Wirkung. Jena (Gustav
Fischer) 1900. 147 SS.
Der nationalökonomischen Litteratur fehlt gegenwärtig noch eine
umfassende Untersuchung über die volkswirtschaftliche Bedeutung des
Sparens. Wenn die Schrift von M. auch nicht imstande ist, diese
Lücke vollständig auszufüllen, so liefert sie doch immerhin einen wert-
vollen Beitrag zur Lehre von der Kapitalbildung. Sie zerfällt in
4 Kapitel. In Kapitel I wird der Begriff des Sparens untersucht und
als Ersparnis jede durch Konsumbeschränkung entstandene Vermögens-
bildung bezeichnet. An einer Reihe von Fällen wird der Unterschied
zwischen privatwirtschaftlicher und volkswirtschaftlicher Kapitalbildung
erläutert. Sehr kurz nur wird zum Schluß die produktive Verwendung
des ersparten Einkommens behandelt. Dieser wichtige Punkt hätte im
Anschluß an die betreffenden Ausführungen von Böhm-Bawerk eine aus-
führlichere Erörterung verdient. Kapitel II handelt von den Spar-
motiven und Sparbedingungen. M. unterscheidet drei Motive des frei
willigen Sparens: Das Sparen aus Mäligkeit (ethisches Motiv), dasjenige
aus angeborenem Sparinstinkte und das aus Gewinnabsichten (wirtschaft-
liches Motiv). Als Sparbedingungen werden der Reihe nach angeführt und
besprochen: Der angeborene Sparsinn; die indirekte oder direkte Er-
ziebung zum Sparen; die wirtschaftliche Lage der Sparer; die Sicher-
heit der Kapitalanlage; die Höhe des Zinsfules. Kapitel III, das
fast die Hälfte der Schrift umfaßt, ist der Untersuchung des Ein-
flusses des Sparens auf die Volkswirtschaft gewidmet. In der Haupt-
sache handelt es sich hier um die Frage, ob und inwiefern die
Sparthätigkeit für die periodischen Krisen in der modernen Volks-
wirtschaft verantwortlich zu machen ist. M. setzt sich hierbei ins-
besondere mit der von Herkner im Handwörterbuche der Staatswissen-
schaften entwickelten Krisentheorie auseinander. Herkner nimmt zur
Erklärung der periodischen Krisen eine beständige volkswirtschaftliche
Ueberkapitalisation an; nach ihm übersteigen in den hochentwickelten
Industriestaaten „in der Regel die zur Kapitalisierung bestimmten Teile
des Volkseinkommens den Kapitalbedarf der Volkswirtschaft ganz er-
heblich“. M. weist dagegen überzeugend nach, daß ein Zustand
dauernder Ueberkapitalisation unmöglich ist. Die einfache Thatsache,
daß überall für freies Leihkapital Zinsen geboten werden, ist, wie M.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 893
richtig bemerkt, der beste Beweis, daß noch in keinem Lande der Kapital-
bedarf voll befriedigt ist. So gelungen mir die Widerlegung Herkner’s
und anderer Krisentheoretiker durch M. erscheint, so wenig kann ich
ihm in dem Momente zustimmen, in dem er selbst den Zusammenhang
zwischen Sparthätigkeit und Krisen erblickt: Das Mißverhältnis, das in
der modernen Volkswirtschaft periodisch zwischen Produktion und Be-
darf eintritt, will M. zwar nicht aus der Höhe, aber aus der Un-
berechenbarkeit der Sparquote ableiten. Der Produzent könne nicht
vorausbestimmen, wie hoch die jedesmalige Sparquote sein werde, und
dadurch komme es leicht zu einer Ueberproduktion. Ich babe im Gegen-
satz hierzu in meinem Vortrag auf dem letzten evangelisch-sozialen
Kongresse nachzuweisen gesucht, daß die periodischen Krisen ihren Ur-
sprung darin haben, daß in der heutigen Wirtschaftsverfassung oft
längere Zeit hindurch die quantitative Uebereinstimmung zwischen den
Jährlich gesparten und den gleichzeitig neu produktiv angelegten Summen
fehlt, die zur Aufrechterhaltung des volkswirtschaftlichen Gleichgewichts
erforderlich ist.
Da M. bei der Untersuchung der volkswirtschaftlichen Wirkung
des Sparens zu dem Schlufergebnis kommt, daß eigentlich nie genug
gespart werden kann, erörtert er im letzten Kapitel noch die ver-
schiedenen Mittel, das Sparen zu fördern. Er hebt dabei die Vorteile
der Einführung eines staatlichen Sparzwangs hervor, ohne indessen
konkrete Vorschläge für die Ausgestaltung einer solchen schweren
prinzipiellen Bedenken begegnenden Einrichtung zu machen, und be-
schäftigt sich dann mit dem Sparkassenwesen und den Grundsätzen
einer guten Sparkassenpolitik, wobei er sich aber meist mit einer nur
andeutungsweisen Erörterung der in Betracht kommenden Streitfragen
begnügt. L. Pohle.
Mühlbrecht, Otto, Wegweiser durch die neuere Litteratur
der Rechts- und Staatswissenschaften. Für die Praxis bearbeitet. Bd. II
enthaltend die Litteratur der Jahre 1898—1900 nebst Nachträgen und
Ergänzungen zu Bd. I (die Litteratur bis 1892). Berlin 1901. Putt-
kammer und Mühlbrecht. 651 SS. Preis 28 M.
Die vorliegende umfangreiche Veröffentlichung des bekannten Buch-
händlers und Bibliographen beruht auf seinen regelmäßig erscheinenden
Uebersichten über die rechts- und staatswissenschaftliche Litteratur des
In- und Auslandes, die wir mehrfach schon an dieser Stelle (z. B. III. F.
Bd. 18., S. 680) anerkennend erwähnt haben. Diese zusammenfassende
Uebersicht des genannten 8-jährigen Zeitraumes ist nun nicht ein ein-
facher Abdruck seiner Einzelveröftentlichungen, sondern eine Auswahl
aus ihnen. Der Verf. erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit,
sondern will „die besseren Erscheinungen“ aus der von ihm regelmälig
registrierten Fülle der Werke herausheben. Daß dieser Maßstab ein
für die wissenschaftliche Beurteilung völlig unzureichender ist, braucht
nicht hervorgehoben zu werden. Aber der Verf. hat ja seine Arbeit
auch nicht in erster Linie für die Wissenschaft, sondern für die Praxis,
824 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
für den Buchhandel und die Bibliotheken bestimmt, ein Gesichtspunkt,
der auch darin zum Ausdruck kommt, daß jedem Buch eine Preisangabe,
soweit möglich, beigefügt ist. Indessen hat die Wissenschaft auch einen
wesentlichen Nutzen von solchen Veröffentlichungen, auch wenn in letzter
Zeit die einmal oder periodisch die Speziallitteratur zusammenfassenden
rein wissenschaftlichen Arbeiten sich erheblich vermehrt haben; ich
erinnere nur an die in diesen Jahrbüchern regelmälig erscheinende
„Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Aus-
landes“, an die Lippert’schen Bibliographien in Frankenstein — von Deckel e
Hand- und Lehrbuch der Staatswissenschaften, an die sehr ausgiebigen
Litteraturnachweise des Handwörterbuches der Staatswissenschaften.
In Ergänzung, Fortführung und Zusammenfassung des hier gebotenen
Materials ist der Mühlbrecht'sche Wegweiser zweifellos willkommen.
Für die Brauchbarkeit solcher zusammenfassenden Arbeiten sind
nun zwei Punkte von ausschlaggebender Bedeutung, einmal die Gesamt-
anlage des Werkes und seine Systematik; ferner die thatsächliche Aus-
führung des Planes. Was den ersten Punkt anlangt, so handelt es sich
hier um die Fortsetzung einer schon früher begonnenen Arbeit; es ist
daher einfach die Anlage von dem ersten Band übernommen, und man
kann sich damit einverstanden erklären, daß sie als praktisch anerkannt
worden ist. Das System enthält zunächst in 9 Abschnitten die deutsche
juristische Litteratur. Es folgen dann 7 Abschnitte, die etwa die Ver-
waltungslehre behandeln; dann wird in 5 Abschnitten das Gebiet der
theoretischen und praktischen Nationalökonomie, der Finanzwissenschaft
und Statistik behandelt. Weiter folgt ein Abschnitt über Völkerrecht,
und endlich in 12 weiteren Abschnitten die nationale rechtswissenschaft-
liche Litteratur der größeren Kulturstaaten. Diesem systematischen
Teil schließt sich dann auf 120 Seiten ein alphabetisches Register an,
in welchem jedes im ersten Teil verzeichnete Werk, einmal mit dem
Autornamen, ferner mit dem Schlagwort der Materie und endlich mit
dem Namen des Landes, auf das es sich bezieht, aufgeführt sein soll.
Auf diese Weise wird sicher, wie der Verf. erwartet, das Auffinden
eines Buches, auch wenn der Titel dem Nachschlagenden nur teilweise
oder ungenau bekannt ist, wesentlich erleichtert, ja meist mit Sicherheit
ermöglicht werden.
Bezüglich der zweiten Frage, wie nun dieser Arbeitsplan auch
thatsächlich inne gehalten und zur praktischen Ausführung gebracht ist,
würde ein abschließendes Urteil erst nach längerem Gebrauch möglich
sein. Denn auf Stichproben kann man weder ein günstiges noch ein
ungünstiges Urteil aufbauen. Das kommt daher, daß Fehler natürlich
in jedem solchen Werk enthalten sein müssen, und daß man allein aus
dem Vorhandensein von Fehlern, die man bei einigen Stichworten ge-
funden, noch nicht einen Vorwurf gegen das Buch im ganzen erheben
darf. Es wird begreiflich erscheinen, daß Ref. zunächst nach seinen
eigenen Publikationen im Register suchte, und dabei stellten sich sowohl
richtige als falsche Angaben heraus: z. B. sein Buch über Gesinde-
wesen und Gesinderecht in Deutschland ist zwar in der Aufzählung der
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 895
nationalökonomischen Abhandlungen des staatswissenschaftlichen Semi-
nars zu Halle mit seinem vollen Titel richtig angeführt; aber im Re-
gister ist es weder unter Deutschland noch unter Gesindewesen oder
Gesinderecht noch unter Kähler zu finden, sondern steht unter Köhler.
— Obwohl natürlich solche Erfahrungen ein gewisses Mißtrauen gegen
die absolute Genauigkeit der auf das Register verwandten Arbeit er-
wecken, stehe ich doch nicht an, das Buch trotzdem wie die anderen
Arbeiten des Verf. als ein brauchbares Hilfsmittel auch für die wissen-
schaftliche Arbeit zu empfehlen.
Aachen. W. Kähler.
Gibson, Arthur H., Natural economy, an introduction to poli-
tical economy. Birmingham (Cornish brothers) 1900. 135 SS.
Der vorliegende Band ist der erste Teil eines geplanten Werkes,
dessen Fertigstellung dem Autor aber noch sehr ferne liegend erscheint.
In dem ersten Kapitel giebt Gibson eine Abhandlung über Zweck und
Einteilung der politischen Oekonomie: aus ihr gewinnen wir eine Vor-
stellung über dasjenige, was uns seinerzeit das abgeschlossene Werk
bieten wird. Auf Grundlage der üblichen Begriffsbestimmung der poli-
tischen Oekonomie, wonach sie die gesamte Wissenschaft des mensch-
lichen Wirtschaftslebens umschließt, teilt er den Gegenstand in folgende
Teile: 1) Natürliche objektive und subjektive Wirtschaft; die erstere
bezieht sich auf die Wirksamkeit der menschlichen Fähigkeiten bei
Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse und zwar unter der Vor-
aussetzung, daß menschliche Ziele und soziale Einrichtungen welcher
Art immer außer Betracht bleiben ; in der letzteren gelangt das menschliche
Zweckbewußtsein zur Geltung. 2) Die kosmopolitische Oekonomie; bier
werden auch die menschlichen Einrichtungen: Privateigentum und Tausch-
verkehr in ihrer Bedeutung berücksichtigt, auf die Unterschiede zwischen
den Rassen und Sprachen und die Interessengegensätze der Staaten wird
aber kein Bedacht genommen. 3) Die besondere Wirtschaft einzelner
Gemeinschaften (Staaten, Gemeinden u. s. w.), bei der die Relativität
der Wirtschaftspolitik zu Tage tritt. 4) Die Individualwirtschaft, die
einer Betrachtung von Fall zu Fall bedarf. — Es ist aus dem Gesagten
klar zu ersehen, daß Gibson bei Abgrenzung seiner Beobachtungsgegen-
stände mit größter Schärfe zu Werke geht und daß er in den ersten
zwei Teilen, vor allem aber im ersten, eine überaus strenge Abstraktion
durchführt, über deren Berechtigung wohl gewisse Zweifel auftauchen
können. Insbesondere die „objektive natürliche Wirtschaft“ des Menschen,
in der nur physische Gesetze der Produktion und Konsumtion wirksam
gedacht werden, scheint uns in den Thatsachen des Menschenlebens kaum
zu existieren und ein reines Produkt wissenschaftlicher Spekulation zu
sein; insoweit sie aber abstrakt konstruiert werden kann, würde ihre
Untersuchung wohl ganz in das Gebiet der Naturwissenschaften und
nicht in das unseres Faches gehören.
Nur den ersten Teil, die natürliche, objektive (6 Kapitel) und sub-
jektive Wirtschaft (1 Kapitel) behandelt der bisher erschienene erste
826 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Teil des Werkes; in der ersteren Richtung werden als Produktions-
elemente betrachtet Naturstoffe, Kraft und Intelligenz; ihre Wirkungs-
weise und deren Grenzen werden durchforscht und zwar unter häufiger
Bezugnahme auf ein -Vergleichsobjekt: die Wirtschaft der Bienen; in
der letzteren Richtung wird die Frage beantwortet, für welche be-
sonderen Produkte die beschränkte Produktivkraft der Menschen that-
sächlich Verwendung finden wird unter dem Einflusse des wirtschaft-
lichen Strebens (s. hierüber S. 184—135). Schullern.
Abhandlungen, volkswirtschaftliche, der Badischen Hochschulen. Bd. V, Heft 5:
Die Allmenden im Großherzogtum Baden. Eine historische, statistische und wirtschaft-
liche Studie, von Bernhard Ellering. Tübingen, J. C. B. Mohr, 1902. gr. 8. VIII-
97 SS. 5 Tabellen und 1 Karte. M. 3.—. (Abonnementspreis.)
Conrad, J. (Prof.), Leitfaden zum Studium der Nationalökonomie. 2. ergänzte
Aufl. Jena, G. Fischer, 1902. gr. 8. VII—91 SS. M. 1,80.
Forschungen, staats- und sozialwissenschaftliche, herausgeg. von Gustav Schmoller.
Bd. XX, Heft 3: Gutsherrlich-bäuerliche Verhältnisse in Ostpreußen während der Re-
formzeit von 1770 bis 1530. Gefertigt nach den Akten der Gutsarchive zu Angerapp
und Gr.-Steinort, von Karl Böhme. VII—107 SS. M. 2,60. Bd. XX, Heft 4: Unter-
suchungen zur Verfassungsgeschichte der böhmischen Sagenzeit, von H. Schreuer (Prof.
an der deutschen Universität Prag). XXI—108 SS. M. 3.—. Bd. XX, Heft 5: Die
soziale Bedeutung der Maschinen in der Landwirtschaft, von Gustav Fischer. 66 88.
M. 1,60. Leipzig, Duncker & Humblot, 1902. gr. 8. KR
Hand- und Lehrbuch der Staatswissenschaften in selbständigen Bänden. Begründet
von Kuno Frankenstein, fortges. von Max v. Heckel. I. Abteilung: Volkswirtschafts-
lehre. 2. Band. Leipzig, C. L. Hirschfeld, 1902. gr. 8 X—516 SS. mit 2 Taf.
M. 16,50. (Inhalt: Geschichte der Nationalökonomie (in 2 Teilen). I. Teil: Die Zeit
vor Adam Smith, von (Prof.) Aug. Oncken.)
Kleinwächter, Fr. (k. k. österr. HofR. u. Prof. d. Staatsw., Univ. Czernowitz),
Lehrbuch der Nationalökonomie. Leipzig, C. L. Hirschfeld, 1902. gr. 8. XIV—477 88.
M. 8,40.
Liebknecht, W., Zur Geschichte der Werttheorie in England. Jena, G. Fischer,
1902, gr. 8 IV—112 SS. M. 2,80.
Ruskin, John, Vier Abhandlungen über die ersten Grundsätze der Volkswirt-
schaft. Aus dem Englischen von Anna v. Przychowski. Leipzig, E. Diederichs, 1902.
gr. 8. 197 SS. M. 2,50. (A. u. d. T.: Ruskin’s Ausgewählte Werke. Bd. V.)
Volkswirtschaftliche und wirtschaftliche Abhandlungen, herausgeg. von (Prof.
W. Stieda. Heft 2 und 3. Leipzig, Jäh & Schunke, 1902. gr. 8. (Inhalt. Heft 2: Die
Hollandgänger in Hannover und Oldenburg: Ein Beitrag zur Geschichte der Arbeiter-
wanderung, von Johannes Tack. XV—217 SS. M. 6.—. Heft 3: Ein deutsches Reichs-
arbeitsamt. Geschichte und Organisation der Arbeitsstatistik im In- und Ausland. 16688.
M. 4.—.)
Béchaux, A. (prof. d'économie polit. à la faculté libre de droit de Lille), L'école
économique française. Paris, Guillaumin & C", 1902. gr. in-8. 152 pag. fr. 4.—. (Table
des matières: La méthode de l’école française, — L’enseignement de l’école française:
1. Les lois économiques naturelles ou les forces primaires de l’ordre économique; 2, Les
coutumes économiques ou les forces secondaires de l’ordre économique; 3. Les attri-
butions économiques de PEtat ou les forces tertiaires de l’ordre économique. — L'action
de l’école française: 1. L'école francaise et la politique financière; 2. L'école française
et la politique commerciale; 3. L'école française et la politique sociale.)
Drault, J., Alcide Chanteau, socialiste. Paris, Gautier, 1902. 8. 299 pag. avec
grav. fr. 3.—.
Faguet, Em. (de l'Académie française), La politique comparée de Montesquieu,
Rousseau et Voltaire. Paris, Oudin & C", 1902. 8. fr. 3,50.
Guérin, Jul., La faillite du socialisme, Paris, Guillaumin & C", 1902. 3.
270 pag. fr. 3,50.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 897
Nicolas, Histoire du developpement économique de la Russie depuis l’affranchisse-
ment des serft, traduit par Gg. Paris, Giard & Brière, 1902. 8. 623 pag. fr. 12.—.
Pareto, Vilfredo, Les systèmes socialistes. Tome I. Cours professé à l’Univer-
sité de Lausanne. Paris, Giard & Brière, 1902. 406 pag. Prix pro tome 1 et 2 fr. 14.—.
Ripert, H., Le marquis de Mirabeau (L’ami des hommes). Ses théories politiques
et économiques. Paris, A. Rousseau, 1901. 8.
Travaux du deuxième congrès du christianisme social et les solidarités, réuni à
Rouen les 22 et 23 octobre 1901. Vals-les-Bains, Aberlen & C", 1902. 8. 120 pag.
Vavasseur, A., Mélanges politiques, économiques et juridiques, (Préface de Léon
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American Economie Association: papers and proceedings of the XIV" annual
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$ 1,50. (American Economic Association publications, vol. III n° 1.)
Annual register, the. A review of publie events at home and abroad for the year
1901. New series. 2 parts. London, Longmans, Green & C°, 1902, gr. 8. 464 and
166 pp., cloth. 18/.—. (Contents: Part I, chapter 1—6. English history. — Supple-
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Brinton, Dan. G., The basis of social relations. A study in ethnie psychology.
Edited by Livingst, Farrand. London, J. Murray, 1902. 8. 220 pp. 8/.—.
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labor. St. Louis, B. Herder, 1902. 8. 250 pp. cloth. $ 1.—.
Lafarque, P., The religion of capital; (also) Social effect of machinery, by
Frank W. Cotton. New York, Socialistie Co-operative Publication Association, 1902. 8.
26 pp. $ 0,10.
Lane, Michael A., The level of social motion. An inquiry into the future
conditions of human society. New York, The Macmillan Comp., 1902. gr. 8. VII
577 pp., cloth. 8/.6. (Contents: The flow of moral energy. — Basic forces and func-
tions. — Organism and environment. — The increment of psychie capacity. — The
inerement and the social scale. — Social kineties. — The law of capitalization. — Methods
of communication. — Social equilibrium. — Moral equilibrium and conclusion.)
Patten, Simon N. (Prof. of political economy, Wharton School of Finance &
Economy, Univers. of Pennsylvania), The theory of prosperity. New York, The Mac-
millan Cr, 1902. gr. 8. IX—237 pp., cloth. 6/.—. (Contents: I. Income as determined
by existing conditions: Work and pay: (Utility, cost and value; The social surplus;
The origin of value; Cost and expense; The normal working day; False measurements
of costs; The conservation of the social surplus; The wages of mobile labor.) —
Monopoly advantage: (Market prices; The limits to priee movements; The elements of
market price; Speculation; Competition through monopoly; Differential advantage ;
Price-determining units of supply; The monopoly fund; The burden of monopoly.) —
Investments: (Surplus value; The cause of interest; Funded income ; Unearned income ;
The static equilibrium; Income as equalized by natural law.) — II. Income as deter-
mined by heredity: Income as fixed by struggle: (Economic freedom; Exploitation ;
Adhesive adjustment; Cohesive morality; Decline of exploitation; Social integration. —
Income as increased by adjustment: (Mental adaptation; Impulse; Idealism ; Selection ;
Social-reasoning.) — Income as modified by economic rights: The Source of rights:
(Publie or market rights; Social rights; Rights of leisure; Exceptional rights.) — etc.)
Sewall, H. Robie, The theory of value before Adam Smith. New York, Mac-
millan 1901. 8.
Chiaudano, Gius. (sacerd.), Il socialismo e l’efficacia della religione. Fossano,
tip. Rossetti, 1901. 8. 32 pp.
Loria, Ach., Le bast economiche della costituzione sociale. 3° edizione indera-
mente rifatta. Torino, fratelli Bocca, 1902. 8. VIII—479 pp. 1. 10.—. (Indice:
Le basi economiche dei fenomeni sociali. — Le basi economiche della morale. — Le
basi economiche del diritto. — Le basi economiche della costituzione politica. — Con-
clusione: La teoria economica della costituzione sociale.)
Troelstra, P. J., Theorie en beweging. Een sociaal-demokratische studie. Rede-
voering in eenigszins verkorten vorm gehouden in het socialistisch leesgezelschap te
Amsterdam. Amsterdam, J. A. Fortuyn, 1902. gr. 8. 42 blz.
828 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Liebenam, W., Städteverwaltung im Römischen Kaiserreiche.
Leipzig (Duncker & Humblot) 1900. 8%. 577 SS.
Das Buch ist, wie ich an anderer Stelle (Wochenschrift für klass
Philologie, 1901 No. 46) dargethan habe, in seiner Anlage nicht einwandfrei,
da eine specielle Frage aus derrömischen Städtverwaltung, nämlich „ia-
wiefern und ob der städtische Haushalt gegenüber den von Kommune
und Staat gestellten Anforderungen in Ordnung gehalten werden konnte“,
ausdrücklich zwar in den Vordergrund gerückt, ihre Beantwortung aber
durch die schon im ersten Abschnitt (über die Einnahmen und Aus-
gaben der Städte) sich ergebenden negativen Resultate der Untersuchung
als derzeit unmöglich erwiesen wird. Es folgen dann, ohne dal der
Verfasser die gestellte Frage weiter berücksichtigt, zwei umtangreiche
Abschnitte, über die städtische Vermögensverwaltung und über die
Wandlungen des Verhältnisses von Staat und Stadt in der Kaiserzeit,
aufgebaut auf breitester Grundlage mit zahlreichen Abschweifungen,
von denen die bedeutendste der Schluß des Buches selbst ist: ein Referat
über das neuerdings so beliebte Thema vom Untergang der antiken
Welt. Aber ebensowenig wie die berührte Specialfrage im ersten Ab-
schnitt beantwortet wird, erhalten wir durch das Ganze ein Bild von
der gesamten römischen Stadtverwaltung. Nur ein.Zweig derselben,
die städtische Vermögensverwaltung, wird erschöpfend behandelt, und
für dieses Gebiet werden sehr umfangreiche Zusammenstellungen aus
dem Quellenmaterial, vor allem aus dem teilweise sehr zerstrauten epi-
graphischen Material und der modernen Speciallitteratur gegeben. Der erste,
den kommunalen Haushalt in Bezug auf Einnahmen und Ausgaben be-
handelnde Teil, unstreitig die am besten gelungene Partie des Buches,
beginnt mit der wichtigsten Ertragsquelle der meist auf dem Ackerbau
basierten antiken Kommunen, dem städtischen Grundbesitz und der Ver-
wertung der einzelnen Teile desselben, der Gemeindeweide, der Fischerei,
des Gemeindeforstes; dann werden der Reihe nach besprochen die wohl
nicht bedeutenden Einnahmen aus der Benutzung kommunaler Ein-
richtungen, wie der Wasserzins, das Badegeld, der Mietzins aus der
Verpachtung städtischer Plätze und Baulichkeiten, die städtischen Steuern,
wohl nur indirekte, und die Gefälle verschiedenster Art, wobei die Be-
stimmungen des bekannten Zolltarifs von Palmyra im Anschluß an
Dessau und andere städtische Reglements der Art vorgeführt werden,
weiter die Einkünfte aus den meist beträchtlich hohen Polizeistrafen,
die Zahlungen in die Gemeindekasse beim Amtsantritt (summae honorariae),
der Ertrag aus der Arbeit der Gemeindesklaven, endlich die Einnahmen
aus der Verwertung der städtischen Kapitalien und die außerordentlichen
Einkünfte aus Schenkungen, Legaten und Erbschaften. Die Ausgaben
erstrecken sich in nur geringem Umfang auf Kultus- und sakrale Zwecke,
da dafür in den meisten Fällen das den Kultstätten gehörige Ver-
mögen an Liegenschaften und barem Geld sowie die freiwilligen Gaben
der Gläubigen genügten, ebenso nur in wenig Städten, vornehmlich
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 8929
des Ostens, auf Erziehung und öffentlichen Unterricht; dagegen wurde
recht viel Geld überflüssigerweise ausgegeben für Gesandtschaften und
Deputationen aller Art, nach Rom an den Kaiser, an die Statthalter,
die Landtage und an Privatpersonen, mit mehr praktischem Nutzen für
die Kosten der kaiserlichen Post und die Einquartierung durchreisender
Beamten, sonstiger hoher Persönlichkeiten, besonders des Kaisers, und
der Truppen, weiter für die dem leiblichen Wohl der Bürger dienenden
kommunalen Unternehmungen, vor allem den Bau der nirgends fehlenden
städtischen Thermen, in ganz wenig Fällen auch für die Pflege der
öffentlichen Wohlthätigkeit, häufiger für die Krankenpflege durch die
Anstellung von Gemeindeärzten, in umfangreichstem Maße für die nach dem
Muster der hauptstädtischen eingerichtete kommunale Getreidever-
sorgung der niederen Klassen, sowie für Veranstaltung von Spielen und
Volksbelustigungen, für Ehrenerweisungen der verschiedensten Art an
verdiente Mitbürger und hohe Beamte, und last not least für die
städtischen Bauten, die Stadtmauer, den Straßenbau, die Kloakenanlagen,
Wasserleitungen u. s. w. Es fehlen also den antiken Städten wesent-
liche Einküntte der modernen, die direkten Steuern, dafür kommen
aber auch große Ausgaben in Wegfall, die moderne kommunale Budgets
oft erheblich belasten, wie die Gehälter der Beamten, die Ausgaben für
das Schulwesen, die öffentliche Armenpflege, die Polizei etc. Sodann
wurden die Ausgaben für die kommunale Verwaltung im Altertum stark
reduziert durch das in alle Verhältnisse tief eingreifende System der
Ehrenauflagen, der sogenannten Munera, zu denen Personen und Ver-
mögen verpflichtet waren, weiter durch die Munificenz einzelner reicher
Bürger, die allerdings meist der persönlichen Eitelkeit oder dem Lokal-
patriotismus entsprang, endlich durch das Eingreifen der kaiserlichen
Regierung, vornehmlich bei großen Katastrophen, wie Bränden, Erdbeben
und Epidemien.
Hatte sich so der erste Abschnitt mit den einzelnen Titeln des
städtischen Budgets beschäftigt, so gilt der zweite den Personen, die
an der Vermögensverwaltung im allgemeinen und an den speciellen
Zweigen derselben beteiligt waren. Zur Einleitung dient ein Kapitel
allgemein orientierender Art, über „die vermögensrechtliche Stellung
der Gemeinden“, in dem die Entwickelung des Begriffs der juristischen
Person an der Stadtgemeinde auf Grund der Schriften der antiken und
modernen Juristen kurz skizziert wird. Der Kernpunkt der ganzen
Erörterung ruht in dem zwar nicht neuen, aber gut formulierten Satz
(S. 189), „daß die Legatfähigkeit der Städte nicht auf einen Wechsel
in der Auffassung ihrer juristischen Natur zurückzuführen ist, sondern
erklärt werden muß durch Wandlungen in der Reichspolitik gegenüber
den Städten“, Wandlungen, die seit dem Ende des ersten Jahrhunderts
sich bemerkbar zu machen beginnen, aber erst mit Hadrian, dessen
Regierung auf allen Gebieten Epoche macht, in der Gesetzgebung all-
gemein zu Tage treten. Auch das zweite Kapitel, das von den Stadt-
rechten, der Bürgerschaft, dem Gemeinderat und den Beamten im all-
gemeinen handelt, ist noch mehr einleitender Natur und im Grunde
überflüssig, da der Verfasser, wie er selbst zugiebt (S. 205), „keineswegs
830 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
eine systematische Darstellung der municipalen Verfassung“ in dem
engen Rahmen seines Buches zu geben vermag, vielmehr nur eine Zu-
sammenstellung des einschlägigen -Materials bietet. Erst das dritte
Kapitel kommt auf das eigentliche Thema des ganzen Abschnittes und
handelt zunächst von der Verwaltung des Gemeindevermögens im all-
gemeinen, sowie der des städtischen Grundbesitzes und der Kapitalien,
beginnend mit der Vorführung der Terminologie für das städtische
Gut, die Stadtkasse und den Kassenbeamten. Dann wird die Stellung
aller in der Vermögensverwaltung thätigen Beamten, der eigentlichen
Kassenbeamten und der als Geschäftsführer der Gemeinden fungierenden
Anwälte (actores, defensores, auch advocati, causidici, in den griechischen
Städten oUvdızor, &xdızor) besprochen, sowie das System der Verpachtung
im städtischen Haushalt untersucht. Daran schließen sich Erörterungen
über die Verwaltung und Verwertung des städtischen Grundbesitzes,
sowie über die Finanzgebahrung der Städte bezüglich der Anlage
städtischer Kapitalien und Aufnahme von Anleihen. Das vierte Kapitel
wendet sich zu den einzelnen Zweigen der städtischen Vermögens-
verwaltung und führt das Beamtenpersonal in diesen in derselben
Reihenfolge vor, wie im ersten Abschnitt die einzelnen Titel des Aus-
gabe-Etats von dem Kultpersonal bis hin zu den Beamten des städtischen
Bauamtes, um seltsamerweise wieder zu schließen mit der Betrachtung
der den Bürgern aufgebürdeten Munera.
Der dritte, „Staat und Stadt“ überschriebene Abschnitt beginnt
ebenfalls mit einem höchst überflüssigen Kapitel, einer Aufzählung der
wichtigsten Städte des Reiches nach Provinzen und einer flüchtigen
Skizzierung ihrer Bedeutung, wovon der Verfasser selbst sagt, dab sie
weder Neues biete noch erschöpfend sei (S. 431, Anm. 2). Die zwei
folgenden Kapitel handeln von dem Verhältnis der staatlichen Ober-
gewalt zu der städtischen Selbstverwaltung in der besseren Kaiserzeit,
von dem stetigen Wachsen des staatlichen Einflusses und den
fortwährend sich mehrenden Eingriffen der Reichsregierung in die
kommunale Sphäre auf dem Gebiet der Finanzverwaltung und in der
Handhabung der Jurisdiktion etwa seit der Wende des ersten zum
zweiten Jahrhunderts, wodurch schließlich der Ruin der Städte herbei-
geführt wurde. In dem „Rückblick“ betitelten Schlußkapitel mit seiner
Hervorhebung der Hauptmomente, die neben dem Niedergang des
Städtewesens angeblich den Untergang der antiken Welt herbeigeführt
haben, verläßt der Verfasser vollkommen den Boden seiner Untersuchung
und ergeht sich in Betrachtungen über alles Mögliche. So ist das
Buch eine gewaltige Aufspeicherung von Material für eine antike Stadt-
und Wirtschaftsgeschichte, aber nicht das, was man dem Titel nach
zu erwarten berechtigt ist.
Gießen. Ernst Kornemanı.
Förderreuther, Max, Die Stadt Kempten und ihre Umgebung. Ein Beitrag
zur Heimatkunde. Kempten, J. Koselsche Bhdl., 1901. 12. 198 SS. mit Abbildgn.,
geb. M. 2,50.
Merker, M. (OLentn.), Rechtsverhältnisse der Sitten der Wadschagga. Gotha,
J. Perthes, 1902. Lex.-8. Mit Taf. u. 26 Fig. im Text. III—41 SS. M. 4.—. (Mitiei-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 831
lungen aus Justus Perthes’ geographischer Anstalt, herausgeg. von (Prof.) A. Supan.
Ergänzungsheft N" 138.)
v. Raab, C., Das Amt Plauen im Anfang des 16. Jahrhunderts und das Erbbuch
vom Jahre 1506. Plauen, R. Neupert jr., 1902. gr. 8. V—332 SS. M. 6.—. (Beilage
zur XV. Jahresschrift der Mitteilungen des Altertumsvereins zu Plauen i. V.)
Bérard, A., Cypris. Chronique de lile de Chypre au moyen âge. Lyon, impr.
Storck & C", 1902. 8. 287 pag. fr. 3,50.
Combanaire, Ad., Au pays des coupeurs de têtes. A travers Bornéo. Paris,
Plon, Nourrit & Ci, 1902. 8. 388 pag. av. carte.
Darblay, A., Villeroy. Son passé; sa fabrique de porcelaine; son état actuel.
Corbeil, impr. Crété, 1901. in-4. 103 pag. av. grav.
Lair, Maur., L'impérialisme allemand. Paris, Colin, 1902. 8. VII—341 pag. fr. 3,50.
(Table des matière: Impérialisme et impérialistes : Les Etats-Unis. La lutte pour la supré-
matie commerciale. Le monde aux Américains; L'Empire allemand. La politique mondiale.
Weltwirtschaft und Weltpolitik. — Les origines de l'impérialisme allemand: L'Allemagne
après 1870. Les Schwindeljahre. Libre-échange et protectionnisme; L'Allemagne agricole,
la crise, le parti agrarien ; L'industrie allemande, son organisation scientifique et ses progrès;
Les debouchés nécessaires, la politique coloniale et ses désillusions, la doctrine nouvelle.
— L’ame de l'Allemagne impérialiste. — La politique impérialiste. — Hier: Les vertus
économiques du peuple allemand; L’outillage, vois ferrées et canaux, navigation mari-
time; L'Allemagne et les grandes puissances commerciales; L'Allemagne et PAutriche
Hongrie, enchevêtrement de leurs intérêts économiques ` L'influence allemande en Europe;
L'Allemagne en Afrique, en Asie, en Océanie; L'Empire allemand et les Etats Unis;
l'Empire allemand et l'Amérique latine. — Aujourd’hui: La politique commerciale de
l'Allemagne; Le Bund der Landwirte et les chambres de commerce; Le nouveau projet
de tarif douanier et ses conséquences; La surproduetion et la concurrence internationale;
La crise industrielle et commerciale. — Demain. — etc.)
Neymarck, Alfr., La richesse de la France. Paris, Guillaumin & Or, 1902.
gr. in-8. 64 pag. fr. 2.—.
Padaran, P., Les possibilités économiques de l’Indo-Chine. Paris, Comité de
l'Asie française, 1902. 8. 124 pag.
de Rousiers, Paul, Hambourg et l'Allemagne contemporaine. Paris, Arm. Colin,
1902. 8. XX—321 pag. fr. 3,50. (Table des matières: Hambourg et les forces pro-
ductrices de (Allemagne, — La culture sucrière et l’industrie du sucre. — Les mines
et les industries chimiques. — La métallurgie, les transports et l’électricité. — L’in-
dustrie textile. — Le port de Hambourg: 1. Ce que l'Allemagne fournit à Hambourg ;
2. Ce que l’Allemagne demande à Hambourg; 3. L’échange de fret; 4. Comment Ham-
bourg est devenue un grand port; 5. L’armement et les grandes compagnies de navigation ;
6. L’esprit d'entreprise de Hambourg; 7. L'avenir industrial de Hambourg. — Les
ouvriers du port de Hambourg et le mouvement syndical allemand.) "`
Ballagh, Ja. Curtis, A history of slavery in Virginia. Baltimore, Johns Hopkins
press, 1902. 8. 168 pp., cloth. $ 1,50.
Campbell, J. G. D., Siam in the 20% century. Being the experiences and im-
pressions of a British official. London, E. Arnold, 1902. Roy.-8. 344 pp. 16/.—.
Carnegie, Andrew, The empire of business. New York, Doubleday, Page & C°
1902. 8. X—345 pp., cloth. $ 3.—. (Contents: The road to business success. — The
ABC of money. — The common interest of labor and capital. — Wealth and its uses.
— The bugaboo of trusts. — Anglo-American trade relations. — Steel manufacture in
the United States. — The cost of living in Britain. — Oil and gas wells. — Railroads
past and present. — Iron and steel at home and abroad. — The Manchester school
and to-day. — etc.)
Cust, A. M., The ivory workers of the Middle Ages. New York, Macmillan
1902. 8. 169 pp. illustr. $ 2.—.
Macdonald, Kenneth, Social and religious life in the highlands. From the
earliest times to the reign of Edward VII. London, Allenson, 1902. 8. 320 pp. 3/.6.
Mitchell, Fr. Letcher, Georgia land and people. Atlanta (Georgia), F. L.
Mitchell, 1902, 12. 522 pp., eloth. $ 1,25.
Brambilla, G., Le società cooperative. Torino, Roux & Viarengo, 1902. 8.
77 pp. 1. 0,50.
832 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Guida generale di Napoli: annuario industriale, commerciale, professionale, ammi-
nistrativo 1902 (anno III). Napoli, tip. Muca, 1902. 8. 1168; 116 pp. l. 10.—.
3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung
und Kolonisation.
Hackel, Alfr. (k. k. Realschullehrer Steyr, OOesterr.), Die Besiedlungsver-
hältnisse des oberösterreichischen Mühlviertels in ihrer Abhängigkeit von natürlichen
und geschichtlichen Bedingungen. Stuttgart, J. Engelmann, 1902. gr. 8. 77 SS. mit
2 Karten. M. 7,50. (A. u. d. T.: Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde,
herausgeg. von A. Kirchhoff. Bd. XIV, Heft 1.)
Chailley-Bert, J., Dix années de politique coloniale. Paris, A. Colin, 1902.
8. fr. 2.—. (Table des matières: Théorie du „bloc“. — Pénurie de documents francais.
— La France a-t-elle trop de colonies. — La politique indigène, — Politique écono-
mique: finances, outillage, commerce. — Colonisations. Les colons. — Les capitaux. —
Les fonctionnaires. — Le Parlement. — Li opinion. — Les réformes.)
Maurel, E. (médecin principal de réserve de la marine, chargé de cours à la
faculté de médecine de Toulouse), Causes de notre dépopulation; Relèvement de notre
natalité; Secours à la vieillesse. Paris, Doin, 1902. 8. 111 pag.
Turqu an, V. (membre du conseil supérieur de statistique), Contribution à l'étude
de la population. Lyon, impr. Rey & Ce, 1902. 8. 170 pag. avec 42 graphiques.
George, CL, The rise of British West Africa, comprising the early history of
the colony of Sierra Leone, the Gambia, Lagos, Gold Coast, ete. Part II. London,
Houlston, 1902. 8. 2/.—
Ajello, Gugliel., Vade-meeum dell’ emigrante. Milano, società editrice Son-
zogno, 1902. 12. 61 pp. 1. 0,15.
Relatorio, propostas de lei e documentos relativos äs possessües ultramarinas
apresentados na Camara dos senhores deputados da nação Portuguesa na sessão legis-
lativa de 1902 pelo Ministro e Secretario de Estado dos negocios da marina e ultramar
A. Teixeira de Sousa. Lisboa, imprensa nacional, 1902. Folio. X—499 pp. e 26 quadros
graphicos.
4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Dahlen, H. W. (Generalsekretär des Deutschen Weinbauvereins in Wiesbaden),
Die dermaligen Verhältnisse des italienischen Weinbaues und der Verwertung seiner
Ergebnisse. Berlin, Druck von Haasenstein & Vogler, 1902. 4. 30 2spalt. SS. (Sonder-
abzug aus den „Mitteilungen der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft.“)
Damaschke, A., Die Bodenreform. Grundsätzliches und Geschichtliches. Vor-
träge. Berlin, J. Räde, 1902. 8. IX—239 SS. M. 2.—. (A. u. d. T.: Kulturprobleme
der Gegenwart. Bd. Il.)
Goldsehmidt, Fritz (Redakteur der Deutschen Weinzeitung, Mainz), Der Wein
von der Rebe bis zum Konsum, nebst einer Beschreibung der Weine aller Länder.
2. Aufl. Mainz a. Rhein, Verlag der Deutschen Weinzeitung, 1901. gr. 8. IX—
500 SS. mit vielen Abbildgn. u. 7 Taf., geb. M. 10.—.
Jahrbuch, landwirtschaftliches, der Schweiz. Jahrg. XV, 1901. Bern, K. J.
Wyss, 1902. Lex.-8. III—533 SS. mit 1 Taf. u. 11 Tabellen. M. 5.—.
Lemberg, H., Die Steinkohlenzechen des niederrheinisch-westfälischen Industrie-
bezirks. Nach zuverlässigen Quellen bearbeitet und herausgeg. 8. Aufl. Dortmund,
C. L. Krüger, 1902. 8. IV—117 SS. M. 3.—.
Lustig, H., Südafrikanische Minenwerte. Handbuch für Banquiers und Kapita-
listen. Berlin, Minervaverlag, 1902. gr. 8. VI—600 SS., geb. M. 12.—
v. Rechenberg, E., Ueber Einschränkung des Getreidebaues zu Gunsten der Vieh-
haltung. Neiße (Dresden, v. Zahn & Jaensch), 1902. gr. 8. III—77 SS. M.3—.
(Dissertation.)
Annuaire du Ministère de l’agriculture pour l’année 1902. Paris, imprim. natio-
nale, 1902. 8. 609 pag.
Bernard, P., Le lin en France. Son passé, son présent, son avenir, sa culture.
Amiens, chez l’auteur, 1902. 8. 41 pag. fr. 0,75. (Extrait du „progrès agricole“)
Dybowski, J. (prof. à l’Institut national agronomique), Traité pratique de cultures
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 833
tropicales. Préface de M. E. Tisserand (directeur honoraire de l’agriculture). Tome I.
Paris, Aug. Challamel, 1902. 8. av. gravures. fr. 12.—. (Sommaire: Conditions géné-
rales de la culture tropicale, — Mise en valeur du sol. — Multiplication des végétaux.
— Les plantes vivrières: Culture potagère; culture fruitière.)
Goret, Jos., Les associations agricoles dans les pays de langue flamande de
France et de Belgique. Paris, A. Rousseau, 1902. gr. in-8. 386 pag. fr. 7.—. (Table
des matières: I. Les associations agricoles des Flandres françaises: 1. Législation fran-
çaise concernant les associations agricoles; 2. Associations agricoles des arrondissements
de Dunkerque et d’Hazebrouck. — II. Les associations agricoles des Flandres belges:
1. Législation belge concernant les associations agricoles; 2. Les institutions agricoles
des Flandres belges (Les associations agricoles officielles ; les syndicats agricoles; les
sociétés de crédit; les sociétes mutualistes; les laiteries coopératives. — III. Conclusion.)
Annual report, XV.II", of the Bureau of animal industry for the year 1900.
Washington, Government Printing Office, 1901. gr. 8. 642 pp. with numerous plates
and figures, etc. (Contents: Report of the Chief of the Bureau. — The free distribution
of blackleg vaccine: Results, prospects, and cost. — International live stock exposition
of 1900. — The work against sheep seab. — Ocean transportation of cattle and horses.
— Market milk: a plan for its improvement. — Dairy products at the Paris Exposition
of 1900. — Meats and ment products at the Paris Exposition of 1900. — The cattle
ticks of the United Staates. — Imports and exports of animals and animal products. —
Statisties of the animal industry of Australasia. — Live stock and the markets. — etc.)
{Publication of the United States Department of Agriculture.)
Cape of Good Hope gold, silver, and platinum. Selections from the Precious
Minerals Act N° 31 of 1898. London, E. Wilson, 1902. 8. 1/.—.
Church, A. H., Food-grains of India. With supplement for 1901. London, Chap-
man & Hall, 1902. 4. 6).—.
Field operations of the division of soils, 1900. Uri report, by Milton Whitney
(Chief) with accompanying papers by Th. H. Means, Fr. D. Gardner, Cl. W. Dorsey,
J. A. Bonsteel, J. G. Holmes, Fr. K. Cameron, L. J. Briggs, M. L. Floyd; W. G.
Smith. Washington, Government Printing Office, 1901. gr. 8. 473 pp. with LI plates,
47 text figures and 24 maps (in separate portfolio), [Publication of the Unit. States
Department of Agriculture.]
Pott’s Mining register and directory for the coal and ironstone trades of Great
Britain and Ireland, 1902. London, Simpkin, 1902. 8. 10/.6.
Report of irrigation investigations for 1900 under the supervision of Elwood
Mead. (Expert in charge of irrigation investigation.) Washington, Government Prin-
ting Office, 1902. gr. 8 334 pp. with 25 plates. (Publication of Un. States Depart-
ment of Agriculture, Office of experimental stations, bulletin n° 104.)
5. Gewerbe und Industrie.
Bericht der Bremischen Gewerbekammer über ihre Thätigkeit in der Zeit von
Anfang Mai 1901 bis dahin 1902 erstattet an den Gewerbekonvent am 22. V. 1902.
Bremen, Buchdruckerei A. Guthe, 1902. 8. 103 SS.
Hartleib, O., Kalkulationspreise für die Industrie, mit besonderer Rücksicht auf
den Maschinenbau. Handbuch für Kalkulationsbeamte, Techniker, Gewerbetreibende
u. A. Berlin, G. Siemens, 1902. 8. VI—387 SS. geb. M. 9.—.
Herse, E. (Patentanw.), Der gewerbliche Rechtsschutz (Patent-, Muster- und Waren-
zeichenschutz) in Frage und Antwort. I. Teil: Deutsches Reich. Berlin, H. W. Müller,
1902. 8. XII—366 SS., kart. M. 4.—.
Jahresbericht der Gewerbekammer zu Leipzig. 1901. Leipzig, Druck von W.
Fugmann, Leipzig-Reudnitz, 1902. gr. 8. 331 SS. (Aus dem Inhalt: Allgemeine wirt-
schaftliche Lage des Gewerbestandes und des Kleinhandels. — Gewerbegesetzgebungen.
— Innungen.)
Kamp (Prof.), Unsere jugendlichen Lohnarbeiterinnen in Arbeit, Unterricht und
Mußestunden. Leipzig, H. Klasing, 1902. gr. 8. VIII—136 SS., geb. M. 3.—.
Neuhauss, G. (Handwerkskammersyndikus), Die Handwerkskammer, ihre Orga-
nisation und ihre Aufgaben. Leipzig, H. Klasing, 1902. gr. 8. VIII—104 SS., geb.
M. 3.—.
Otto, Berth., Das Recht auf Arbeit und die Arbeiterinteressen. Sozialpolitische
Dritte Folge Bd. XXII (LXXVIII). 53
834 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Skizzen mit einem einleitenden Artikel über Bismarck und das Recht auf Arbeit, von
Scheffer. 2. Aufl. Leipzig, K. G. Th. Scheffer, 1902. gr. 8. 60 SS. M. 0,75.
Schwarz, T. (MarineOBauR.) u. E. v. Halle (UnivProf.), Die Schiffbauindustrie
in Deutschland und im Auslande. Unter Benutzung amtlicher Quellen herausgeg.
2 Bde. Berlin, E. S. Mittler, 1902. Lex.-8. V—295 u. VIIT—309 SS. mit zahlreichen
Tabellen, 5 Schiffstafeln u. 17 Werftplänen. M. 20.—.
Stieda, W. (Prof., Univ. Leipzig), Die Anfänge der Porzellanfabrikation auf dem
Thüringerwalde. Volkswirtschaftlich-historische Studien. Jena, G. Fischer, 1902. gr. 8.
vIII—425 SS. Mit 24 Figuren im Text. M. 8.—.
Weiss, A. (Handelsschuldirektor), Der Handwerker sonst und jetzt. Leipzig,
H. Klasing, 1902. gr. 8. VIII—109 SS., geb. M. 2,50.
Schloss, D., Les modes de rémunération du travail, traduit par Ch. Rist. Paris,
Giard & Brière, 1902. 8. 381 pag. Fr. 7,50.
Annual report, XVI“, of the Commissioner of Labor. 1901. Strikes and lockouts.
Washington, Government Printing Office, 1901. gr. 8. 1053 pp. (Contents: Analysis
of tables. — General tables of strikes and lockouts. — Strikes and lockouts occurring
in the United States prior to 1851. — Strikes and lockouts in foreign countries. —
Decisions of courts and laws relating to strikes, combinations, conspiracies. boycotts, ete.)
Dos Passos, John R., Commercial trusts: The growth and rights of aggregated
capital. London, Putnam, 1902. 8. 5/.—.
van Zanten, J. H. Gids voor werkgevers. Zwolle, W. E. J. Tjeenk Willink,
1902. 8. 8; 158 en 6 blz. geb. fl. 1,50.
6. Handel und Verkehr.
SystematischeZusammenstellung der Zolltarife des
In- und Auslandes. E. Landwirtschaft, Nahrungs- und Genußmittel.
Herausgegeben im Reichsamt des Innern. 2. Auf. Berlin, Dez. 1901.
Die Beweglichkeit der Zollgesetzgebung hat bald nach dem Er-
scheinen der ersten Auflage der Zusammenstellungen des Zolltarifs Er-
gänzungen oder neue Auflagen der einzelnen Abteilungen notwendig ge-
macht. Der Band E, der die Landwirtschaft mit Einschluß des Garten-
und Weinbaues, der Forstwirschaft und damit zusammenhängend die
Nahrungs- und Genußmittel umfaßt, liegt in zweiter, bis zum jetzigen
Stande der Gesetzgebung ergänzter Auflage vor. Um eine Vergleichung
der Zollsätze der verschiedenen Länder mit den deutschen und unter-
einander zu erleichtern, sind der eigentlichen Zusammenstellung allge-
meine Bestimmungen über Münzen, Maße und Gewichte und über die
Tara vorausgeschickt; daran schließt sich eine Uebersicht über die Er-
gebnisse der Berufs- und Gewerbezählung vom 14. Juni 1895, soweit
die in diesem Bande behandelten Gewerbe in Betracht kommen. Auch
diese zweite Auflage kann den Interessenten empfohlen werden.
Halle. Dochow.
Busching, P., Die Entwickelung der handelspolitischen Beziehungen zwischen
England und seinen Kolonien bis zum Jahre 1860. Mit Anhang: Tabellarische Ueber-
sicht über den Kolonialhandel 1826—1900. Stuttgart und Berlin, J. G. Cotta, 1902.
gr. 8. VIII—244 und 5 Tabellen in 8 u. größt. Imp.-Folio. M. 7.—. (A. u. d. T.:
Münchener volkswirtschaftliche Studien. Herausgeg. von L. Brentano und W. Lotz.
Stück 48.)
E vert, G. (ORegR.), Reichspolitik oder „Freihandelsargument‘‘? München, R. Olden-
bourg, 1902. gr. 8. IV—91 SS. M. 2,50.
Gezeitentafeln für das Jahr 1893. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1902. kl.8.
XII—267 SS. u. XIV Stromkarten. (Herausgeg. vom Reichsmarineamt.)
Handelskammer zu Frankfurt a. M. Jahresbericht für 1901. II. Teil mit
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 835
Ergänzungen bis Ende April 1902. Frankfurt a. M., Selbstverlag der Kammer, 1902.
gr. 8 X— 279 SS.
Jahresbericht der Handelskammer für das Herzogtum Anhalt zu Dessau für
1901. I. Teil. Dessau, Hofbuchdruckerei C. Dünnhaupt, 1902. gr. 8. 59 SS.
Jahresbericht der Handelskammer für die Kreise Arnsberg, Brilon und
Mescheda für das Jahr 1901. Arnsberg, Druck der Stein’schen Buchdruckerei, 1902.
gr. Folio. 19 SS.
Jahresbericht der Bergischen Handelskammer zu Lennep. Umfassend die
Kreise Gummersbach, Lennep, Remscheid, Wipperfürth und die Bürgermeistereien
Kronenberg, Heiligenhaus, Velbert, Wülfrath. 1901. Gummersbach, Druck von Fr.
Luyken, 1902. gr. 8. XII—111 SS.
Jahresbericht der Handelskammer für Elberfeld pro 1901. I. Teil. Elberfeld,
Druck von S. Lucas, 1902. gr. Folio. 23 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Gera für 1901. Gera, Druck der Geraer
Verlagsanstalt und Druckerei, 1902. gr. 8. 98 SS. e
Jahresbericht der Handelskammer zu Hannover für das Jahr 1901. Teil IL:
Uebersicht über die Lage und den Gang von Handel und Gewerbe im Berichtsjahre.
Hannover, Druck von W. Riemschneider, 1902. gr. 8. 348 SS. mit 2 graphischen Dar-
stellungen.
Jahresbericht der Handelskammer zu Koblenz für 1901 mit Ergänzungen bis
Ende März 1902. I. Teil. Koblenz, Druck der Krabben’schen Druckerei, 1902. gr. 8.
IV—47 SS.
Jahresbericht der Handels- und Gewerbekammer für Oberfranken pro 1901.
Bayreuth, Druck von L. Ellwanger, 1902. gr. 8. 216 SS.
Jahresbericht der grossherzogl. Handelskammer zu Offenbach a. M. für das
Jahr 1901. Offenbach a. M., Seibold’sche Buchdruckerei, 1902. gr. 8. 119 SS.
Jahresbericht der Korporation der Kaufmannschaft zu Rostock über das Jahr
1901. Rostock, Druck von Adler’s Erben, 1902. 8. 40 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Saarbrücken für 1901. St. Johann a. d.
Saar, Druck der Saardruckerei, 1902. 4. 39 u. 54 SS.
Jahresbericht der großh. Handelskammer Worms für das Jahr 1901. Worms a. Rh.,
Buchdruckerei E. Kranzbühler, 1902. 8. 240 SS.
Jahresbericht, LII., der Direktion der Lübeck-Büchener Eisenbahngesellschaft
für das Jahr 1901. Lübeck, Druck von Gebr. Borchers, 1902. gr. 4. 14 SS. u. An-
lagen A—0.
Chemins de fer, postes, télégraphes, téléphones et marine. Compte rendu des
opérations pendant l’année 1900. Rapport présenté aux Chambres législatives par le
Ministre des chemins de fer, postes et télégraphes. Bruxelles, impr. J. Gemaere, 1901.
Folio. 179; 24; 31; 12; X pag. avec 2 cartes.
Mirabaud, P. et A. de Reuterskiold, Les timbres-poste suisses (1843—1862).
Paris, Motteroz, 1898 (1902). in-4. XIII—277 pag. av. fig. et planches en couleur.
fr. 150.—.
v. Pressel, W. (ingénieur), Les chemins de fer en Turquie d’Asie. Projet d’un
réseau complet. Zurich, Orell Füssli, 1902. gr. in-8. 90 pag. et carte coloriée.
fr. 2,50.
China. Imperial Maritime Customs. III. Miscellaneous series. N° 6: List of the
lighthouses, light-vessels, buoys, and beacons on the coast and rivers of China for 1902
(corrected to 1* december 1901). XIII® issue. Shanghai, Kelly & Walsh, 1902. 4.
55 pp. and IX charts. (Published by order of the Inspector General of Customs.)
Chittenden, Hiram Martin, The American fur trade of the far West: a history
of the pioneer trading posts and early fur companies of the Missouri Valley, and the
Rocky Mountains, and of the overland commerce with Santa Fe. 3 vols New York,
Francis P. Harper, 1902. 8. 1056 pp., cloth, $ 10.—. (Contents: Historical of the fur
trade. — Contemporary events connected with the fur trade. — Notable incidents and
characters in the history of the fur trade. — The country and its inhabitants. — A large
folding map of the trans-Mississippi country as it was in 1843.)
Foreign commerce, the, and navigation of the United States for the year ending
June 30, 1901. Vol. I. Prepared in the Bureau of Statistics, O. P. Austin (Chef of
Bureau). Washington, Government Printing Office, 1902. Imp.-4. 1420 pp. Publication
53*
836 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
of the Treasury Department. (Contents: Review of the foreign commerce of the United
States, 1901. — Summary tables. — Wholesale prices. — General tables of commerce:
Import and exports; in transit; without appraisement; and warehouse. Imported
merchandise entered for consumption, — Miscellaneous tables of commerce. — General
tables of tonnage movement. — (General tables of commerce of Porto Rico and of the
United States with Porto Rico.)
Kelly’s Directory of merchants, manufacturers, and shippers of the world, 1902.
London, Kelly, 1902. Imp.-8. 30/.—.
Monthly summary of commerce and finance of the United States. February,
1902. Washington, Government Printing Office, 1902. gr. 4. pp. 3085—3365. (Contents:
Commercial notes. — Modern tariff systems. — Internal commerce. — Financial tables.
— Prices of leading artieles. — Foreign commerce of the United States.)
Naval annual, the. 1902. Edited by T. A. Brassey. 4 parts. Porthsmouth,
A. Griffin & C°, 1902. gr. 8. 453 pp. with 87 plates: plans of British and foreign
ships, 7 illustrations and 1 diagram, cloth. 16/.6. (Contents: Progress of British navy.
— Progress of foreign navies. — Comparative strength. — Marine ingineering. — Tables
of British and foreign ships. — British, French, German, Italian, Russian, United States
navy estimates. — etc.)
Lista dos navios de guerra e mercantes da marinha Portuguesa referida ao 1° de
Janeiro de 1901 com as respectivas designações para uso do codigo internacional de
signaes. Lisboa, imprensa nacional, 1901. 8. 50 pp. (Publicação da Direccäo geral da
marinha.)
7. Finanzwesen.
Wieser, Friedrich Freiherr von, Professor Dr., Die Ergebnisse
und die Aussichten der Personaleinkommensteuer in Oesterreich. Leipzig
(Duncker & Humblot) 1901. 147 SS.
Die Wieser’sche Untersuchung richtet ihre Spitze auf österreichi-
sche Besteuerungsprobleme. Gleichzeitig bietet sie aber einen Beitrag
zur Einkommensteuerlehre, im besondern nach der Richtung, daß die
empirischen Bedingungen für die Durchführung einer nach dem Ein-
kommen umzulegenden Personalsteuer in ihr hervortreten.
Die Veranlagung der neuen Personaleinkommensteuer bedeutet,
wenn man die großen Schwierigkeiten, unter denen sie stattfinden mußte,
in Rechnung setzt, einen schönen Erfolg. In breiten Schichten der
Bevölkerung scheint das Einkommen ehrlich bekannt zu sein, und da-
durch ist das bisherige Lügensystem der österreichischen Steuerveran-
lagung durchbrochen worden. Daß auf diesem Wege fortgeschritten
wird, daß nicht ein Rückfall eintrete, dem gilt die ernste Sorge des
Verfassers, welche ihn zu seiner Untersuchung veranlaßt hat. Denn:
so sehr die Leistungen der erstmaligen Veranlagung anerkannt werden,
das Gesamtergebnis hat doch eine große Enttäuschung hervorgerufen.
Zwar hat dasselbe die vorsichtigen Schätzungen, welche dem „Finanz-
plan“ der Reform zu Grunde gelegt waren, erfüllt, aber man hatte doch
viel mehr erwarte. Und wirklich wird wohl ein jeder überrascht
werden, wenn erfährt, daß in Oesterreich auf 1000 Einwohner 29,56 Cen-
siten kommen, gegen 93,96 in Preußen (1899); daß dort 18417 Personen
ein Einkommen von mehr als 6000 fl., während hier 71202 Personen
mehr als 9000 M. hatten; daß von diesen auf Wien 8143, auf Berlin
13 147 entfielen, so daß auf das ganze übrige Oesterreich nur 10 274
kamen, auf das übrige Preußen aber 58055! (S. 5 f.)
Will man zu besseren Resultaten gelangen, so muß man wissen,
wo das Veranlagungsverfahren versagt hat: gleichmäßig in Stadt und
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 837
Land und in allen Schichten der Bevölkerung oder nur teilweise? Es
ist ein großes Verdienst, dab Wieser diese Frage aufgenommen hat. Die
Beantwortung versucht er, indem er die Ergebnisse der preußischen
Veranlagung zum Vergleich heranzieht und dabei nicht die Ziffern für
das ganze preußische Staatsgebiet, sondern für den „armen preußischen
Osten“ benutzt, in der Annahme, daß der österreichische Durchschnitt
mindestens dem Maßstab der schlechtesten preußischen Provinzen ent-
sprechen müßte. Ob die Annahme berechtigt ist, vermag ich nicht zu
beurteilen. Als ein Symptom dafür sieht es Wieser an, daß der Aufbau
der städtischen Bevölkerung in Größenklassen hüben wie drüben an-
nähernd der gleiche sei (S. 23 f.). Er übersieht dabei aber, daß, wenn
man in Oesterreich Wien außer Rechnung läßt, wie er Berlin beim
preußischen Osten nicht mitzählt, im preußischen Osten 1/,, in Oester-
reich aber nur !/, der Gesamtbevölkerung auf die Städte entfällt. Bei
der Vergleichung stellt Wieser gegenüber: Wien und Berlin, die übrigen
Städte, in Gruppen nach der Einwohnerzahl zerlegt, und das platte
Land. Dabei bereiten ihm Schritt für Schritt die empfindlichen Lücken
im vorliegenden Material Schwierigkeiten, deren er durch Schätzungen
und Berechnungen mannigfachster Art Herr zu werden versucht. Er
macht ständig auf die Unsicherheit der Grundlagen aufmerksam; es
dürften aber die Resultate seiner mühsamen und sorgfältigen Arbeit im
großen und ganzen den thatsächlichen Verhältnissen entsprechen und
ein zutreffendes Gesamtbild von dem Werte der Veranlagung geben.
Seine Ergebnisse seien hier zunächst mitgeteilt: In Wien ist die
Aufnahme der Censiten vollständig durchgeführt worden, wenn auch
eine gewisse Zahl kleinster Censiten vernachlässigt wurde; die Ein-
schätzung ist für die große Masse der Censiten richtig vollzogen, nur
in der oberen Mittelstufe von 3600—6000 fl. ist sie etwas, bei den
höheren Einkommen über 6000 fl. aber ist sie beträchtlich und nach
oben zunehmend hinter der Wirklichkeit zurückgeblieben (S. 38). Der
Fehler in der Wiener Veranlagung wird insgesamt auf ungefähr 15 Proz.
geschätzt (S. 40 f.). Bei den übrigen Städten scheint die Einschätzung
der mittleren Einkommen bis herab zu den Einkommen über 1800 fl.
minder gut gelungen zu sein (S. 58 f.). Diese Erscheinungen führt
Wieser darauf zurück, daß es schwieriger ist, das seltnere hohe als das
verbreitete mittlere Einkommen richtig zu schätzen, und daß es in
kleineren Städten, wo das mittlere Einkommen wie ein hohes gilt,
schwieriger als in der Großstadt ist, jenes richtig zu erfassen (S. 59).
Im ganzen ist aber die Einschätzung in den Städten sehr viel voll-
kommener gewesen als die Veranlagung auf dem Lande. Während die
städtische Bevölkerung Oesterreichs (einschließlich Wiens) ein Drittel
der ländlichen beträgt, stellen die Städte weit mehr als dreimal so viel
Censiten und versteuern ein fünfmal so großes Einkommen wie das
Land (S. 62). Auf dem platten Lande ist die Veranlagung nicht nur
im großen Ganzen, sondern auch auf allen einzelnen Einkommensstufen,
insbesondere für die untersten Schichten des Mitteleinkommens und für
jene Schichten der kleinen Censiten mißlungen, für welche sie in den
Städten so ziemlich zutreffend vollzogen wurde; auf dem Lande ist in
838 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
größtem Maßstabe auch die Aufnahme steuerpflichtiger Personen in die
Censitenliste unterblieben (S. 67). Die Lücken der Censiten werden
hauptsächlich von der bäuerlichen Bevölkerung veranlaßt (S. 70). Ins-
besondere ist das landwirtschaftliche Einkommen um vieles zu niedrig
eingeschätzt (S. 71 ff.).
Ein Bild von dem Urteile des Verfassers über den Sitz und die
Bedeutung der Veranlagungsfehler ergiebt sich aus der nachstehenden
Gegenüberstellung (S. 138):
Veranlagung 1899 in Schätzung in
Millionen Gulden Millionen Gulden
Wien 9,61 10,9
Andere Städte mit mehr als 100 000 Einw. 3,32 4,0
Städte mit 50—100 000 Einw. 0,66 0,8
Städte mit 20—50 000 Einw. 1,75 2,1
Städte mit 10—20 000 Einw. 1,34 U:
Städte unter 10 000 Einw. (3226; Í E
Plattes Land (3,32)f >? 11,5
Zusammen 23,18 34,7
Die Einkommensteuer ist gerecht gedacht, aber nur halb gerecht
ausgeführt. Die Unvollständigkeit und die Fehler der Veranlagung
rauben ihr die Entwickelungsfähigkeit (S. 139). Solange sie sich aus
dem embryonenhaften Zustande, welchen sie auf dem platten Lande
erst erreicht hat, nicht entwickelt haben wird, ist sie überhaupt nicht
imstande, einen nennenswerten Fortschritt zu machen. Das Land sollte
es bedenken, daß die Einkommensteuer als ausgesprochen geldwirtschaft-
liche Steuerreform die Städter und die industrielle Bevölkerung aus-
giebig trifft und die ländliche schont; daß ein direktes Steuersystem,
welches die Ertragsteuern abstößt und die Einkommensteuer voranstellt,
das Ziel der agrarischen Partei sein müßte (S. 87). Die zweite Ver-
anlagung, für 1899, weist gegenüber der ersten Ziffern auf, welche ent-
mutigend sind (S. 134). Je länger man diese Umstände bestehen läßt,
um so schwerer wird man ihrer Herr werden. Es wird denn so kommen,
wie es in Oesterreich schon oft gekommen ist, der aufkeimende frucht-
bare Gedanke wird verkümmern, niemand wird mehr den Mut des
Handelns haben, die Steuerbekenntnisse werden immer schlechter werden,
die allgemeine Stimmung wird dem Gesetz feindlich, die Steuerbeamten
werden machtlos sein, und die klugen Leute werden sagen, Oesterreich
sei für eine solche Idee noch nicht reif. Die Landwirte, welche die
Personaleinkommensteuer von sich abwehren, werden die drückende
Grundsteuer weiter zahlen, die Aemter werden die Mühe sparen, die
kleinsten Censiten aufzustöbern, und man wird sich mit dem Gedanken
trösten, daß sie ohnedies an den indirekten Steuern genug zu tragen
haben. Den eigentlichen Vorteil werden die niedrig veranlagten Personen
unter den großen Censiten haben, deren viele weder von direkten noch
indirekten Steuern genügend getroffen sind, die aber auch dem Ein-
kommensteuergesetz nicht voll unterworfen werden können, solange
dieses nicht von der öffentlichen Meinung getragen wird. Die modernen
direkten Steuergesetze bedürfen der thätigen Mitwirkung und inner-
lichen Zustimmung der Wähler und Bürger, um volle Wirksamkeit zu
erlangen (S. 140 f.).
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 839
Die Ungleichmäßigkeit der Veranlagung ist groß genug, sollte man
denken, um in der Bevölkerung selbst die mächtigsten Antriebe zur
ausgleichenden Steuergerechtigkeit zu erwecken. Um diese Instinkte
zu reizen und auszunutzen, sollte die Steuerverwaltung in erster Linie
für eine möglichst umfassende und durchsichtige Veröffentlichung der
Veranlagungsergebnisse sorgen, um die Unvollkommenheiten der Ver-
anlagung aufzudecken (S. 143). Der Mißerfolg auf dem Lande beruht
zum Teil auf der von den agrarischen Vertretern im Abgeordneten-
hause durchgesetzten Anweisung, daß jene bäuerlichen Grundbesitzer,
denen kein anderes Einkommen als aus ihrem selbstbewirtschafteten
Grundbesitze zusteht, falls der Katastralreinertrag ihrer Grundstücke
den Gesamtbetrag von 250 fl. nicht übersteigt, in das Verzeichnis der
als steuerpflichtig vermuteten Personen nicht aufzunehmen sind, außer
wenn die Steuerbelörde besondere Anhaltspunkte für das Vorhandensein
eines Einkommens von steuerpflichtiger Höhe besitzt. Obwohl nach der
Vollzugsverordnung ein derartiger „Anhaltspunkt“ vorliegt, wenn einer
oder mehrere Vertrauensmänner der Meinung sind, daß das Einkommen
eines solchen Grundbesitzers die steuerpflichtige Höhe erreicht, und ob-
wohl die Verordnung noch besonders auf die Unterschiede des Katastral-
reinertrages und des Einkommens hinweist, scheint man sich, wo nicht
ganz besondere Umstände dawidersprachen, mechanisch an die gegebene
Ziffer gehalten und auf diesem Wege viele reiche Bauern übergangen
zu haben, welche in die Censitenliste hineingehören (S. 83 fg... Den
entscheidenden Grund für das Fehlschlagen der Veranlagung auf dem
Lande scheint Wieser aber darin zu erblicken, daß die in Preußen be-
stehende Vorarbeitung der Veranlagung durch die Gemeindevorsteher
und die in allen Gemeinden gebildeten Voreinschätzungskommissionen
in Oesterreich fehlt. Aus politischen und anderen guten Gründen hat man
den Gemeinden diese Thätigkeit nicht anvertraut. Statt dessen sollten vom
Minister ernannte „Vertrauensmänner“ die Beamten informieren: dies
System scheint sich wenig bewährt zu haben. Dabei sind die öster-
reichischen Veranlagungsbezirke durchschnittlich volksreicher und räum-
lich ausgedehnter, als die preußischen! Wieser sieht kein anderes
Abhilfemittel für das platte Land, als eine Vermehrung des staatlichen
Personals: eine genügende Anzahl besonders tüchtiger Beamter sollen
von Gemeinde zu Gemeinde durch persönliches Eingreifen das Werk der
Personenstandsaufnahme und der Voreinschätzung fertig stellen. Für
die Zukunft werde man freilich auf die Mitwirkung der Gemeinden
nicht ganz verzichten dürfen; wenn die Gemeinden auch nicht überall
einer solchen Aufgabe gewachsen seien, so seien sie es doch in vielen
Ländern und an vielen und gerade den wichtigsten Plätzen; wenn ihr
Interesse durch eine Beteiligung am Erfolg der Steuer gemerkt werde,
so würden sie auch für die Mitwirkung zu gewinnen sein (S. 128 f.).
Des weiteren wünscht Wieser vollkommenere Veranlagungsmittel für
die Einschätzungsorgane und die thatsächliche Handhabung der Straf-
bestimmungen (S. 131, 144). Schließlich empfiehlt er eine Fortführung
der Reform in der Richtung, daß die Steuer mehr den anderen Um-
ständen, welche neben dem Einkommen die Steuerkraft bedingen, ange-
840 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
paßt werde; auch solle der Grundsatz, daß die Steuerreform keine Mehr-
erträge, sondern nur eine gerechtere Verteilung der Last bezwecke,
strenger durchgeführt werden.
Die vortreffliche Untersuchung Wiesers dürfte es klargestellt haben,
wo die Einkommensteuerveranlagung versagt hat, und welches die Gründe
für das Fehlschlagen sind. Seinen Reformvorschlägen vermag ich aber
nur teilweise zuzustimmen. Es scheint mir doch eine unerläßliche Vor-
frage der Erörterung zu bedürfen: ob die personale Einkommensteuer
in ihrer modernen feineren Ausgestaltung sich bei den eigenartigen Ver-
hältnissen Oesterreichs als allgemeine, Stadt und Land umfassende
Steuer eignet. Sagt Wieser doch selbst: Ein Werk, wie die Umsetzung
der eingerosteten Grundsteuer in eine individualisierte Einkommensteuer
für eine Bevölkerung von so vielen Millionen Menschen und für so viele
Hunderttausende von Censiten, ohne Beihilfe der Bevölkerung, ja unter
dem Widerstand derselben, von Grund aus neu herauszuarbeiten, kann
einer Beamtenschaft nicht gelingen, die durch anderweitigen Dienst voll-
auf in Anspruch genommen ist (S. 130). Ich gehe einen Schritt weiter
und möchte den +etzten Relativsatz streichen. Ohne Mitwirkung der
Bevölkerung läßt sich eine fein ausgebildete Einkommensteuer von Be-
amten überhaupt nicht veranlagen. Die Mitwirkung der Steuerpflich-
tigen in den Schätzungskommissionen für weite Bezirke genügt nicht
entfernt; sie muß in der Gemeinde erfolgen, wo der Nachbar die
Verhältnisse des Nachbarn übersieht und beurteilt. Wenn eine Ver-
mehrung des Beamtenpersonals auch manche Lücken ausfüllen, manche
Fehler verbessern wird, so vermag ich mir doch keine Vorstellung
davon zu machen, wie ein Beamtenheer die Gesamtheit der steuerpflich-
tigen Personen in den Gemeinden auffinden und auch nur halbwegs
richtig einschätzen soll, wenn es nicht von ortseingesessenen Personen
dabei willig und gewissenhaft unterstützt wird. Soweit in Oesterreich
auf dem Lande die Bedingungen für ein Mitwirken der Gemeindean-
gehörigen für die Vorbereitung der Einschätzung nicht gegeben sind,
ist die moderne Einkommensteuer eine ungeeignete Steuerform: man
muß dort zu Surrogaten greifen. Noch eine andere Erwägung drängt
zu dieser Folgerung. Wenn Wieser die Einkommensteuer der agrari-
schen Partei empfiehlt, weil sie kraft ihrer natürlichen Anlage die Städter
und die industrielle Bevölkerung ausgiebig trifft und die ländliche schont,
so liegt hierin eine Verurteilung der Steuer vom Standpunkt der Steuer-
gerechtigkeit. Es ist zweifellos richtig, daß die Einkommensteuer sich
auf Erscheinungen der Verkehrswirtschaft stützt und daß alle natural-
wirtschaftlichen Verhältnisse sich ihr gegenüber spröde verhalten. Daher
stößt die Veranlagung des landwirtschaftlichen Einkommens überall auf
große Schwierigkeiten. Bekannt ist es, wie die Herausbildung von
Schätzungsnormen für das landwirtschaftliche Einkommen zur Kontrolle
der Einschätzung in Preußen sich nur langsam und mühsam entwickelt.
(Vergl. Ausführungsanweisung von 1891 zum Einkommensteuergesetz
Art. 42 II, III; Verfügungen vom 29. August 1892 und 5. Oktober
1899; Ausführungsanweisung vom 6. Juli 1900, Art. 42 II, III; über
das erste Stadium der Entwickelung: Neumann, Die persönlichen Steuern
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 84]
vom Einkommen, 1896, S. 243 und 191, dessen Ausführungen durch
die Verfügung von 1899, abgedruckt in der Ausführungsanweisung von
1900 Anhang No. 10, ergänzt werden.) Die sachlichen Widerstände
gegen eine zutreffende Erfassung des landwirtschaftlichen Einkommens
werden um so größer sein, je weniger die Verkehrswirtschaft in die
Landwirtschaft eingedrungen ist. Man darf nicht übersehen, daß selbst
im östlichen Preußen ein Drittel, in Oesterreich (ohne Wien) dagegen
nur ein Fünftel der Bevölkerung auf die Städte entfällt. Ich glaube
daher, daß es in Oesterreich, ganz abgesehen von der empfindlichen
Lücke im Aufbau der Veranlagungsorgane, um vieles schwerer sein
wird, das landwirtschaftliche Einkommen zu bestimmen, als in Preußen.
Wenn es hier in harter Arbeit mehr und mehr gelingt, die Aufgabe zu
lösen, so vermag ich mir für Oesterreich einen auch nur annähernd
gleichen Fortschritt nicht zu versprechen. Daher dürfte es im beson-
deren für Oesterreich richtiger sein, den von Neumann a. a. O. S. 97
und 186 gemachten Vorschlägen zu folgen und die Steuer wenigstens
für die mittleren und kleinen ländlichen Besitzer mit Durchschnitts-
ermittelungen nach Klassentafeln und Normalsätzen zu veranlagen, sie
zu einem Mittelding zwischen Ertrag- und Einkommensteuer auszubauen.
Von einer solchen Reform könnte man sich in Oesterreich mehr ver-
sprechen als von der Vermehrung des staatlichen Veranlagungspersonals
unter starrem Festhalten am Einkommensprinzip.
Königsberg i. Pr., im April 1902. Otto Gerlach.
Finanzwirtschaft, die, Rußlands.. Aus dem Russischen von E. Davidson.
Leipzig, O. Wigand, 1902. gr. 8. III—85 SS. M. 1,50. (Aus, Efron u. Brockhaus,
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Grundzüge der Steuerlehre. Berlin, Heymann, 1902. gr. 8. XVI—415 SS., geb.
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Rumänischen Finanzen, die. Zahlen und Thatsachen für die Besitzer rumänischer
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Schwarz, O. (GehOFinzR.) und G. Strutz (GehOFinzR.), Der Staatshaushalt
und die Finanzen Preußens. Unter Benutzung amtlicher Quellen bearbeitet. Bd. I.
Die Zuschußverwaltungen. II. u. III. Buch: Landwirtschaftliche Verwaltung und Gestüts-
verwaltung. Berlin, J. Guttentag, 1902. gr. 8. M. 18.—
Commission financière internationale. Compte rendu des opérations de la com-
mission financière internationale pour l’année 1901. 4" exercise. Athènes, imprim.
Sakellarios, 1902. in-4. 36 pag.
Deschamps, Ph., Les finances d'autrefois et celles d’aujourd’hui. Les budgets
de la France 1870 à 1902. Paris, Guillaumin & C", 1902. gr. in-8. 117 pag. fr. 3,50.
d’Eiehthal, E., La justice dans l'impôt. Paris, Guillaumin & C', 1902. 8.
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Raffalovich, A., La revision du tarif douanier en Allemagne. Paris, Guillaumin
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Labriola, A., Sul principio regolatore della finanza pubblica. Napoli, E. Croce,
1902. 8. 165 pp.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Landr& Corneille, L., Mathematisch-technische Kapitel zur
Lebensversicherung. Zweite verbesserte und vermehrte Auflage. Jena
(Verlag von Gustav Fischer) 1901.
842 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Die zweite Auflage dieses versicherungstechnischen Handbuches
hat den Charakter der ersten völlig gewahrt, selbst die Anordnung des
Stoffes in die einzelnen Kapitel ist unverändert geblieben, so daß im
allgemeinen die Besprechung der ersten Auflage in dieser Zeitschrift,
(III. F. Bd. 11, S. 920) für die neue Ausgabe giltig bleibt.
Die Fortschritte, welche auf dem Gebiete der „Actuar- Wissenschaft“
in den letzten Jahren gemacht sind, kommen sämtlich zur Darstellung,
doch in der Weise, daß diese in den Rahmen des Buches hineinpalt.
Was die sachlichen Aenderungen betrifft, so hat die neue Auflage manche
Erweiterungen und Bereicherungen gegenüber der ersten aufzuweisen,
und ist infolgedessen von 387 auf 462 Seiten angewachsen. Erwähnt
sei vor allem Kap. III: Sterblichkeit. Hier ist neu eingefügt das
centrale Sterbeverhältnis, die Auflösungsintensität eines Paares und ein
Abschnitt über die verschiedenen Ursachen der Sterblichkeit; dankens-
wert ist namentlich die ausführlichere Behandlung der Ausgleichung
der Sterblichkeitstafeln. Auch die Berechnung der Prämien ist auf
mehrere Versicherungsarten erweitert, genannt seien u. a. die jährliche
Prämie für temporäre Versicherung auf den Todesfall, Ueberlebensrente
bis zum Tage des Ablebens, verschiedene Formen der Leibrente auf
mehrere Personen, Pension in Raten. Kapitel XIII enthält jetzt auch
einen Hinweis auf die gesetzlich vorgeschriebene Oeffentlichkeit und
giebt als Beispiel die in Oesterreich verlangten Veröffentlichungen
soweit sie „einen speciell mathematisch-aktuariellen Charakter tragen“.
Das letzte Kapitel ist vermehrt um „annähernde Berechnung bei
Aenderung des Zinsfußes“. Als größte Aenderung aber, und die ist
formaler Natur, bezeichnet der Verfasser selbst die Einführung der ge-
meinsamen Bezeichnungsweise (notation universelle). Läßt diese auch
im einzelnen manches zu wünschen, so ist es doch dem Verfasser
sehr zu danken, dal er von ihr in der neuen Ausgabe seiner mathe-
matisch-technischen Kapitel Gebrauch macht: sein Buch ist am ehesten
geeignet die Verbreitung der gemeinsamen Bezeichnungsweise zu fördern,
und wenn sie erst die allgemeine Bezeichnungsweise ist, werden wir
trotz ihrer Mängel einen Schritt weiter sein gegen jetzt, wo bei uns fast
jeder Autor noch seine eigene Bezeichnungsweise hat. Die am Schlusse
des Buches gegebene Zusammenstellung der angewandten Bezeich-
nungen wird die Gewöhnung an dieselben erheblich erleichtern.
Die Litteraturnachweise sind zahlreicher als in der ersten Auflage
machen aber auch hier keinen Anspruch auf Vollständigkeit, vielmehr
verweist der Verfasser auf den Artikel „Versicherungs-Mathematik“ von
G. Bohlmann in der „Encyclopädie der mathematischen Wissenschaften“
Bd. 1.
Göttingen. Paul Radtke.
Allan H. Willett, The Economic Theory of Risk and Insurance
(Columbia University Studies in Political Science) New York 1901.
Es ist ein richtiger Gedanke, das Risiko im wirtschaftlichen Leben
einer näheren Betrachtung zu unterwerfen. Es gilt nicht nur zu unter-
suchen, welchen Einfluß das Risiko auf die Verteilung übt, und welche
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 843
Prämie ein Kapitalist bei Anlegung eines Kapitals in irgend einem mehr
oder weniger risikablen Unternehmen erheischen will, sondern auch wie
man sich gegen das Risiko decken kann, eventuell durch Versicherung.
Der Verfasser erblickt in vielen Zeitgeschäften eine Art von Versicherung,
durch welche man sich von einem sonst lästigen Risiko befreien kann,
er behandelt aber auch die Versicherungen im gewöhnlichen Sinne des
Wortes, und macht einen Versuch, auf diesem Gebiete zu richtigen Be-
griffsbestimmungen zu gelangen. Freilich werden kaum alle Versiche-
rungstechniker seine Betrachtungen gutheißen. Wenn thatsächlich ein
großer, vielleicht der größere Teil aller Versicherung als gegenseitige
betrieben wird, ist eine Definition ungenügend, die wesentlich nur für
Aktiengesellschaften paßt. Ganz klar ist auch nicht die Untersuchung
betreffend das Risiko der kleinen-und großen Versicherungsgesellschaften
(vgl. S. 108 f.) Im ganzen wird man jedoch in dieser Schrift viele
treffende Bemerkungen mit Rücksicht auf das Risikoproblem finden.
H. Westergaard.
Braune, H. (Generalinspektor d. Verbandes öffentlicher Feuerversicherungsanstalten
in Deutschland), Rechnungsergebnisse der deutschen Privatfenerversicherungsgesellschaften
im Jahre 1900. Merseburg, gedruckt in der Kreisblattdruckerei, 1902. gr. 8. 35 SS.
Bresgen, Maximil. (Nasen-, Ohren-, Lungen- u. Halsarzt, Wiesbaden), Lebens-
versicherung und Krankheiten der Nasen- und Rachenhöhle. Halle a./S., C. Marhold,
1902. gr. 8. 15 SS. M. 0,50.
Centralgenossenschaftskasse, preußische. Bericht über das VII. Geschäfts-
jahr vom 1. IV. 1901 bis 31. III. 1902. (Etatsjahr 1901.) Berlin, Druck von Bernh.
Paul, 1902. 4. 66 SS.
Manes, Alfr., Die Haftpflichtversicherung. Ihre Geschichte, wirtschaftliche Be-
deutung und Technik, insbesondere in Deutschland. Leipzig, C. L. Hirschfeld, 1902.
gr. 8 VIII—272 SS. M. 7,20.
Schumacher, H. (Prof., Studiendirekt. d. Handelshochschule, Köln), Zur Frage
der Pensionsversicherung der Privatbeamten. Vortrag Brühl-Köln, König & C°, 1902.
gr. 8. 30 SS. (Mit Portr. von Ernst Leyendecker, + 1902.)
Spangenthal’s Finanzielles Jahrbuch. Praktisches Hand- und Nachschlagebuch
für alle Wertpapierinteressenten. Jahrg. I. (1902.) Berlin, NW., 52. 682 SS., geb.
M. 5.—.
Ponnet, Ant., Les droits et les devoirs des actionnaires. Paris, Guillaumin & C',
1902. gr. in-8. 105 pag. fr. 3.—.
Rapport sur les opérations des sociétés de secours mutuels pendant l’année 1899,
présenté à M. le président de la République par M. Waldeck-Rousseau, président du
conseil, ministre de l’intérieur et des cultes. Melun, imprim. administrative, 1902.
in-4. XIV—972 pag. (Publication du Ministère de l’intérieur et des cultes.)
Vidal, E., Les marchés à terme sur marchandises. Quelques observations. Paris,
Cote de la bourse et de la banque, 1902. 8. 63 pag.
Barnett, G. E., State banking in the United States since the passage of the
National Bank Act. Baltimore, Johns Hopkins Press, 1902. 8. 120 pp. $ 0,50.
(J. Hopkins Univ. studies in historical and political science, series 20, N° 2/3. Contents:
Part I. State bank legislation; Part II. The State bank as a credit agency.)
Davis, A. Macfarland, Currency and banking in the province of Massachusetts
Bay. 2 vols New York, Macmillan, 1901. 8. (Publication of the American Economic
Association.)
Elliott, C. B. The law of insurance: treatise on the law of insurance, including
fire, life, accident, casualty, title, credit and guaranty insurance in every form. Indiana-
polis, Bowen-Merrill C°, 1902. 8. 56; 531 pp. $ 4.—.
Hinds, W. A., American communities; rev. ed., enlarged to include additional
societies, new and old, communistie, semicommunistic and co-operative. Chicago, H. Kerr
& °, 1902. 12. 433 pp., cloth. $ 1.—.
844 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
Italian bankers, the, in England, and their loans to Edward I. and Edward II.
(enthalten in Historical essays, by members of the Owens College, Manchester, edit. by
T. F. Tout and Ja. Tait. New York, Longmans, Green & C°, 1902. 8., cloth. $ 5.—.)
Strenna dell’ assicurazione, 1901, a cura di Vitt. Bario. Roma, tip. Tiberina di
F. Setth, 1902. 8. 160 pp. `
9. Soziale Frage.
Gibsone, J. (Stadtverordn.), Bodenwucher und Wohnungsnot. Vortrag. Danzig,
A. W. Kafemann, 1902. gr. 8. 16 SS. M. 0,50.
Debrouwer, G. (avocat à la Cour d’appel), Des monts-de-piété en France et des
organisations qui en tiennent lieu à Pétranger. Angoulême, impr. Coquemard & C",
1902. 8. 205 pag.
Enquête, seconde, sur le placement des employés, des ouvriers et des domesti-
ques. Paris, imprim. nationale, 1901. 8. 186 pag.
Lallemand, L., Histoire de la charité. Tome I": l'antiquité (les civilisations
disparues). Paris, Picard & fils, 1902. 8. X—193 pag.
Gladden, Wash., Social salvation. Boston, Houghton, Mifflin & C°, 1902. 8.
247 pp. $ 1.—. (Contents: Religion and the social question. — The care of the
poor. — The State and the unemployed. — Our brothers in bonds. — Social vices, ete.)
Jonathan, De handel in vrouwen en meisjes en het middel ter bestrijding.
Amsterdam, C. Daniels, 1902. 8. 100 blz. fl. 0,60.
Polak, Anna, Vrouwenwerk in Nederland. Beschouwingen over eenige zijden
der vrouwenbeweging. Groningen, J. Römelingh, 1902. gr. 8. 239 blz. fl. 2,25.
Potier, Edm., De publieke vrouwen te Parijs en de zedenpolitie. Naar het
Fransch door B. P. van der Voo. Amsterdam, J. Sterringa, 1902. gr. 8. 18 blz.
fl. 0,30.
10. Gesetzgebung. ,
Das Reichsgesetz betreffend die Patentanwälte vom
21. Mai 1900. Für den praktischen Gebrauch systema-
tisch dargestellt von Dr. jur. Damme, Regierungsratund
Abteilungsvorsitzender im kaiserlichen Patentamt. Ber-
lin 1900. Verlag von Otto von Liebmann. 196 S.
Der erste Teil des Werkes bringt den Wortlaut des Gesetzes, be-
treffend die Patentanwälte, vom 21. Mai 1900. Es folgt eine Darstellung
der Entwickelung des Patentanwaltberufs und der Vorgeschichte des
Gesetzes. Den Hauptteil bildet eine systematische Darstellung der
durch das Gesetz vom 21. Mai 1900 geschaffenen Rechtsverhältnisse.
In einem Anhang endlich sind die Bestimmungen der G.O., St.P.O. und
des G.V.G., auf welche das Gesetz vom 21. Mai 1900 Bezug nimmt,
und eine Reihe anderer für die Beurteilung der Rechtsverhältnisse des
Patentanwalts wichtiger Vorschriften wörtlich aufgeführt. Der Herr
Verfasser hat mit Recht die systematische Behandlung der kommen-
tatorischen vorgezogen. Die Einführung in einen Rechtsstoff, zumal
einen solchen, der von der Gesetzgebung zum ersten Male ergriffen ist,
erfordert eine übersichtliche zusammenfassende Darstellung, die ein
Kommentar schon wegen der vielen Verweisungen der einzelnen Para-
graphen aufeinander nicht zu geben vermag. Zudem| ermöglicht} diese
Art der Behandlung des Stoffes ein näheres Eingehen auch auf die-
jenigen Rechtsverhältnisse, welche vom Gesetz selbst nicht geregelt sind.
So bietet das Werk, über die Angabe des Inhaltsverzeichnisses hinaus-
gehend, einen Ueberblick über die Gesamtheit der Rechtsverhältnisse,
welche für den Beruf des Patentanwalts in Betracht kommen. Dazu
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 845
giebt es die Grundlagen für deren Entscheidung durch eingehende Er-
örterung und Auslegung der Vorschriften des Gesetzes vom 21. Mai 1900,
Heranziehung der Materialien, der Motive, der Kommissionsberichte und
der Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, durch Hinweise
auf die Litteratur und Bezugnahme auf die aus anderen Rechtsgebieten
zu berücksichtigenden gesetzlichen Bestimmungen. Das Werk ist für
alle, die mit diesem Rechtsstoff sich zu befassen haben, von hohen Wert
und von ihnen mit Freude begrüßt worden.
Halle a. S. A. Hesse.
v. Schicker, Die Gewerbeordnung für das deutsche Reich nach
dem neuesten Stand mit Erläuterungen und den Ausführungsvorschriften
des Reiches. 4. Auflage. 3. Lieferung (Schluß). Inhalt: 2, Bd. Stutt-
gart (Kohlhammer) 1901. 423 SS.
Der Schwierigkeiten, welche diese neue Auflegung des v. Schicker-
schen Kommentars zur Gewerbeordnung zu überwinden hatte, habe ich
in der Anzeige der zweiten Lieferung (Bd. 22, S. 292) gedacht. Nun
ist das Werk allen Hemmungen zum Trotz zu Ende geführt, und mit
Hilfe der S. 1303—1326 gegebenen Nachträge und Berichtigungen sowie
des ausführlichen Sachregisters wird es seine Brauchbarkeit behaupten,
auch wenn die Handhabung infolge der langen Dauer der Herstellung
.in manchen Punkten erschwert ist. Diese letzte Lieferung enthält die
wörtliche Wiedergabe der Vollzugsvorschriften des Reiches nach der
Zeitfolge ihres Erscheinens geordnet.
Aachen. W. Kähler.
Freund, R., Der Eingriff in fremde Rechte als Grund des Bereicherungsanspruches.
Breslau, M. & H. Marcus, 1902. gr. 8. VII—68 SS. M. 2.—. (Studien zur Erläute-
rung des bürgerlichen Rechtes, hrsg. von (Prof.) Rud. Leonhard. Heft 7.)
Mugdan, ©. (Arzt, Berlin), Kommentar für Aerzte zum Gewerbeunfallversicherungs-
gesetze nebst dem Gesetze, betr. die Abänderung der Unfallversicherungsgesetze vom
30. VI. 1900. Berlin, G. Reimer, 1902. gr. 8 VIII—215 SS. M. 5.—.
Schippel, Max, Sozialdemokratisches Reichstagshandbuch. Ein Führer durch
die Zeit- und Streitfragen der Reichsgesetzgebung. Berlin, Buchhdl. Vorwärts, 1902.
gr. 8 X—1174 SS., geb. M. 9.—.
Courcelle, L. (avocat), Code annoté des lois ouvrières. Paris, Marchal & Billard
1902. 8. XXIV—325 pag. fr. 5.—.
Dangoise, A., Code des concierges. Droits et devoirs des concierges; leur respon-
sabilité et celle des propriétaires. Paris, Marchal & Billard, 1902. 8. 62 pag. fr. 2.—.
Lambert, E., Dictionnaire pratique de législation et de jurisprudence sur les
opérations de bourse, la négociation, la transmission et la revendication des valeurs
mobilières, les agents de change, la banque et la coulisse. Paris, Giard & Brière, 1902.
8. 425 pag. fr. 8.—.
Curtis, Ch. E., Valuation of tenant right. A monograph. London, H. Cox, 1902.
8. 124 pp. 3/.6.
Kerr, W. A., The law of insurance; fire, life, accident, guarantee. St. Paul,
Keefe-Davidson C°, 1902. 8. XI—917 pp. $ 6.—.
Azzariti, Francesco Saverio, La cessione dell ipoteca nel diritto italiano e
nel diritto romano. Napoli. tip. Priore, 1902. 8. XVI—558 pp. i
Marghieri, Alb., Manuale di diritto commerciale italiano. 2* ediz. Napoli
E. Marghieri, 1902. 8. VII—781 pp. 1. 12.—.
846 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
11. Staats- und Verwaltungsrecht.
Braunschweig. — Haushaltsplan der Stadt Braunschweig für das Jahr 1902/1903.
Braunschweig, Druck der herzogl. Waisenhausdruckerei, 1902. gr. 4. 257 SS. nebst
Anhang. 17 SS.
Beyerle. K. (Prof.), Grundeigentumsverhältnisse und Bürgerrecht im mittelalter-
lichen Konstanz. Eine rechts- und verfassungsgeschichtliche Studie, mit einem Urkunden-
buche und einer topogr. Karte. Bd. II. Die Konstanzer Grundeigentumsurkunden der
Jahre 1152—1371. Heidelberg, C. Winter, 1902. gr. 8. VII— 536 SS. M. 16.—.
Brandenburgischer Provinziallandtag. XXVIII. Sitzungsperiode 1902. N'I
Protokolle des Brandenburgischen Provinziallandtages. XXVIII. Sitzungsperiode vom
16. II. bis einschließlich 25.11.1902. Berlin, Deutscher Verlag, 1902. gr. Folio. 104 SS. —
N" II. Verwaltungsbericht des Provinzialausschusses, datiert vom 25. I. 1902. Ebd.
gr. Folio. 80 SS. mit gegen 200 SS. Anlagen.
Caspary, Anna, Rudolf Camphausens Leben. Nach seinem schriftlichen Nach-
laß. Stuttgart, J. G. Cotta, Nachf., 1902. gr. 8. XII—465 SS. mit Camphausens
Portr. M. 8.—.
Danzig. — Bericht des Magistrats der Stadt Danzig über den Stand der dortigen
Gemeindeangelegenheiten bei Ablauf des Verwaltungsjahres 1901. Danzig, Druck von
A. Schroth, 1902. gr. 4. 68 SS. — Haushaltsetat der Stadtgemeinde Danzig für das
Etatsjahr 1902. Ebd. 1902. gr. Folio.
Dortmund. — Bericht über den Stand und die Verwaltung der Gemeinde-
angelegenheiten der Stadt Dortmund für das Jahr 1899/1900. — Haushaltspläne der
städtischen Verwaltung zu Dortmund für das Rechnungsjahr 1902 (1. IV. 1902- 1905).
Dortmund, Druck von Ruhfus, 1902. 4. (Bericht) VII—339 SS. mit Plan der Stadt
Dortmund u. 1 graph. Tableau in gr. Folio; (Haushaltspläne) 411 SS.
Flensburg. — Haushaltungsplan der Stadt Flensburg für das Rechnungsjahr vom
1. IV. 1902 bis Ende März 1903. Flensburg, Druck von L. P. H. Maaß, 1902. kl. 4.
175 SS.
Generalbericht über die Sanitätsverwaltung des Königreichs Bayern. Herausgeg.
vom k. Staatsministerium des Innern. Bd. XXXI (N. Folge Bd. XX) das Jahr 1900
umfassend. München, Fr. Bassermann, 1902. gr. 8. V—360 u. 54 SS. mit 22 Tabellen,
7 Karto- und 6 Diagrammen.
Lüneburg. — Haushaltsplan der Stadt Lüneburg für 1902. Lüneburg, Druck der
v. Sternschen Buchdruckerei, 1902. gr. 4. 173 SS.
Nürnberg. — Verwaltungsbericht der Stadt Nürnberg für die Jahre 1899 und
1899. Mit den Gemeinderechnungen in summarischer Fassung. Nürnberg, Druck von
U. E. Sebald, 1902. gr. 8 XV—944 SS. mit Abbildg. u. graph. Darstellungen.
Schücking, W. (ao. Prof. d. Rechte, Univ. Breslau), Der Staat und die Agnaten.
Jena, G. Fischer, 1902. gr. 8. 50 SS. M. 1,50.
Springer, Rud., Der Kampf der österreichischen Nationen um den Staat. I. Teil:
Das nationale Problem als Verfassungs- und Verwaltungsfrage. Leipzig, F. Deuticke,
1902. gr. 8. IV—252 SS. M. 5.—.
Wiesbaden. — Haushaltsetats der Stadt Wiesbaden für die Zeit vom 1. IV.
1902 bis 31. III. 1903. (Rechnurgsjahr 1902.) Wiesbaden, Druck von O. Plaum, 1902.
4. 191 SS. — Haushaltsetats für die städtischen Zweigverwaltungen der Stadtgemeinde
Wiesbaden. Ebd., Druck von K. Schwab. 4. 127 SS.
Administration des monnaies de Belgique. Rapport du commissaire des mon-
naies au Ministre des finances et des travaux publics. 2° année: 1901. Bruxelles,
impr. Vaubugenhoudt, 1902. 8. 96 pag.
Ducoudray, G., Les origines du Parlement de Paris et la justice aux XIII et
XIV” siècles. Paris, Hachette & C", 1902. 8. XVII—1059 pag. fr. 15.—.
Lavy, A., L'oeuvre de Millerand. Un ministre socialiste (juin 1899-—janvier 1902).
Faits et documents. Paris, Bellais, 1902. 8. fr. 3,50.
Magné de la Londe, E., Les attributions du préfet de la Seine, Paris
A. Rousseau, 1902. 8. 184 pag. fr. 4.—.
Situation, la, financière des communes de France et d'Algérie en 1901. XXIV'
publication. Melun, imprim. administrative, 1902. in-4. XIX—653 pag. (Publication
du Ministère de l’intérieur et des cultes.)
Annual report of the executive Department of the city of Boston for the year
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 847
1900. 2 vols. Boston, Municipal Printing Office, 1901. gr. 8. 3000 pp. with numerous
plates, tables, charts etc,
Ellero, Umb., La riforma della pubblica sicurezza. Cagli, tip. Balloni, 1901. 8.
X—136 pp. l. 1,50.
Relatorio, propostas de lei e documentos apresentados na Camara dos Senhores
Deputados da nação Portuguesa na sessão de 28 de Fevereiro de 1902 pelo (Ministro
e Secretario de Estado dos negocios de facenda) Fernando Mattozo Santos. 2 partes.
Lisboa, imprensa nacional, 1902. Filio-minor. (Parte I. Relatorio e propostas; Parte Il.
Documentos.)
12. Statistik.
Deutsches Reich.
Richard Böckh und Max Klatt, Die Alters und Sterblichkeits-
verhältnisse der Direktoren und Oberlehrer in Preußen. Halle a. S. 1901.
Wie bekannt waren die Alters- und Sterblichkeitsverhältnisse der
Lehrer an höheren Unterrichtsanstalten Preußens in den letzten Jahren
wiederholt zum Gegenstande einer lebhaften Discussion gemacht worden,
ohne daß man über ganz einwandfreie Beobachtungen verfügte, selbst
nicht nach Erscheinen der Denkschrift des kgl. preul. statistischen Ab-
geordnetenhauses (1900). Im Juni 1900 wurde dann vom Kultusminister
zur Prüfung dieser Frage eine besondere Kommision berufen. Als Vor-
sitzender wurde Freiherr v. Fircks bestellt, und nach dessen Tode
R. Böckh; übrigens zählte die Kommission Mitglieder wie van der Borght
und W. Kruse. Schon im Februar 1901 konnte die Denkschrift dem
Kultusministerium überreicht werden, welche kurz nachher der Oeffent-
lichkeit zugänglich gemacht wurde.
Wer mit Böckh’s Arbeiten vertraut ist, wird seine Behandlung und
Verwaltung der statistischen Beobachtungen in der vorliegenden Denk-
schrift leicht wiedererkennen; sein Anteil an der Untersuchung scheint.
ein sehr bedeutender gewesen zu sein. Nicht am wenigsten wird: man
für die vielen Beilagen dankbar sein, die genaue Zugangs- und Ab-
gangslisten über Oberlehrer und Direktoren im Amte wie im Ruhestand
enthalten und eine eingehende Behandlung der Beobachtungen gestatten,
die gewiß auch nicht ausbleiben wird. Denn außer dem speziellen In-
teresse für den preußischen Lehrerstand werden diese Tafeln eine weit-
tragende Bedeutung für die Lebensversicherungsgesellschaften haben
können, die immer die Invalidität in ihr Geschäftgebiet aufnehmen,
und bis jetzt nur lückenhafte Beobachtungen darüber zur Verfügung
haben, so daß eine jede Ergänzung derselben äußerst willkommen sein
wird.
Wie gewöhnlich erkennt man aus den Beobachtungen, daß die
Pensionierten eine außerordentlich viel größere Sterblichkeit haben als
die in Aktivität lebenden. Eine lange Altersperiode hindurch starben
6—7 Proz. der Pensionierten (ohne die gewöhnliche Zunahme in der
Sterblichkeit mit dem Alter, die erst in den Greisenjahren eintrifft).
Diesen Ergebnissen gegenüber ist die Sterblichkeit der Lehrer im Amte
eine unbedeutende. Vergleicht man die Lebenserwerbung der aktiven
und pensionierten Oberlehrer und Direktoren mit der für die allgemeine
Bevölkerung Preußens, wird man aus naheliegenden Ursachen einen
großen Unterschied zu Gunsten der Lehrer finden; namentlich sind
848 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslan des.
die Gesundheitsverhältnisse in den jüngeren Jahren (wo auch teilweise
eine ärztliche Auslese wirkt) auffallend günstig; wenn man früher ge-
meint hat, daß mit dem 60. Jahr ein Umschlag einträte, welcher durch
eine ungemein große Sterblichkeit bezeichnet werden sollte, so wird
dieses nicht die vorliegende Schrift bestätigen: im ganzen behaupten
sich die günstigeren Gesundheitsverhältnisse der Lehrer auch in den
älteren Jahren, wenngleich nicht in demselben Maße wie in der Jugend.
Es ist interessant, daß die Oberlehrer verhältnismäßig viel häufiger
in den Ruhestand treten als Direktoren. Man sollte dann erwarten,
daß dann auch die pensionierten Oberlehrer eine geringere Sterblichkeit
als die pensionierten Direktoren haben würden. Das stimmt allerdings
mit den Thatsachen, doch ist der Unterschied nicht so groß, daß man
denselben nicht aus zufälligen Ursachen erklären könnte, dasselbe gilt für
die in die entgegengesetzte Richtung gehende Differenz beiden Aktiven;
für Aktive und Pensionierte zusammen ist die Sterblichkeit der Lehrer
und der Direktoren etwa dieselbe gewesen. Für die meisten praktischen
Zwecke wird man sich aller Wahrscheinlichkeit nach darauf beschränken
können, für die ganze 15-jährige Beobachtungsperiode (1884—98) beide
Klassen zusammenzufassen. H. Westergaard.
Jahrbuch für den Oberbergamtsbezirk Dortmund.
5. Jahrgang. Essen (G. D. Baedeker) 1901.
Das Jahrbuch beginnt mit einer vergleichenden Zusammenstellung
der Bergwerke des Oberbergamtsbezirks Dortmund, ihres Bergwerks-
eigentums, ihres Anlagekapitals, ihrer Grundschuld, ihrer Beteiligungs-
ziffer am rheinisch-westfälischen Kohlensyndikat und ihrer Förderung.
Der Hauptteil bietet eine Beschreibung der Steinkohlen- und Erzberg-
werke, Eisen- und Stahlwerke, Salinen und Bankhäuser im nieder-
rheinisch-westfälischen Industriebezirk bezw. Lothringen ; er enthält sehr
übersichtliche Angaben, betr. die Verwaltungsorganisation der Unter-
nehmungen, die Kapitalien, etwaige Anleihen, über die finanziellen Er-
gebnisse, Börsennotierungen und die letzte Bilanz, sowie über die Lage,
die technischen Anlagen und die Ausbeute der einzelnen Werke. Der
folgende Abschnitt behandelt unter anderem die bergmännischen Körper-
schaften im Oberbergamtsbezirk, die unter der Aufsicht des Oberberg-
amts stehenden Anstalten, das rheinisch-westfälische Kohlensyndikat, das
westfälische Kokssyndikat und den Brikettverkaufsverein. Den letzten
Teil bilden reichhaltige statistische Mitteilungen über den Bergbau im
Oberbergamtsbezirk Dortmund während der letzten Jahrzehnte, die
Kohlenförderung sämtlicher preußischen Oberbergamtsbezirke in den
Jahren 1852—1899, den Wert der in Preußen geförderten Steinkohlen,
die deutsche Steinkohlenerzeugung von 1892—1899, die deutsche Koks-
erzeugung von 1891—1899, über Ein- und Ausfuhr von Steinkohlen,
Koks und Braunkohlen in den Jahren 1890—1900, über Kohlenförderung,
Ein- und Ausfuhr ausländischer Steinkohlenreviere, über Deutschlands
Eisenerzförderung, Eisenerzeugung, Ein- und Ausfuhr und Preise von
Roheisen, Eisen- und Stahlwaren. Es folgen weiter Produktions-, Ein-
und Ausfuhrtabellen ausländischer Eisen erzeugender Länder, statistische
Angaben über Kupfer, Zink, Blei, Nickel, Zinn, Silber und Gold und
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 849
interessante Nachrichten über die Löhne der Bergarbeiter. Auch diese
Tabellen beschränken sich nicht auf das letzte Jahr, sondern begreifen
auch die früheren Jahre mit in sich, so eine Vergleichung ermöglichend.
Halle a. S. A. Hesse.
Beiträge zur Statistik der Stadt Mannheim. N° 10. Mannheim, Anfang Mai
1902. 4. 12 SS. mit 2 graphischen Darstellungen. (Im Auftrage des Stadtrats herausgeg.
vom statistischen Amt. Inhalt: Die Mannheimer Brotpreise seit Aufhebung des Oktrois
auf Mehl und Brot.)
Jahrbuch für Bremische Statistik. Herausgeg. vom Bremisehen statistischen Amt.
Jahrg. 1901, Heft 1: Zur Statistik des Schiffs- und Warenverkehrs im Jahre 1901.
Bremen, G. A. v. Halem, 1902. gr. 8. VIII—322 SS.
Statistik des Hamburgischen Staates. Bearbeitet und herausgeg. von dem
Bureau der Steuerdeputation. Heft 20. Hamburg, O. Meißner, 1902. gr. 4. 134 SS.
(Inhalt: Die Bewegung der Bevölkerung in den Jahren 1892 bis 1899. — Statistik der
Wahlen in den Jahren 1887 bis 1901. — Die Einkommensteuer in den Jahren 1893
bis 1899.)
Statistik der Oberschlesischen Berg- und Hüttenwerke für das Jahr 1901. Zu-
sammengestellt von H. Voltz. Kattowitz, Selbstverlag des Oberschlesischen Berg- u.
Hüttenmännischen Vereins, 1902. gr. 4. 90 SS.
Statistik über den Verkehr auf den Kanälen, auf der Mosel und dem Rhein in
Elsaß-Lothringen während der Jahre 1896 bis 1900. Aufgestellt im Ministerium für
Elsaß-Lothringen, Abteilung für Landwirtschaft und öffentliche Arbeiten. IV. Band.
Straßburg, Elsässische Druckerei, vormals G. Fischbach, 1901. gr. Folio. SS. XXXV—
XLIX u. 108—185 mit 3 Tafeln graphischer Beilagen.
Frankreich.
Statistique des pêches maritimes, année 1900. Paris, imprim. nationale, 1902.
8. 182 pag. (Publication du Ministère de la marine.)
England.
Fishery statistics. Report of Inter-Departmental Committee; evidence, appendix
and index. London, 1902. Folio. 1/.—. (Parl. paper. Contents: On the system of
collecting sea fishery statistics and how it could be improved and extended. — Trade
and circumstances ef the principal fishing ports throughout the country. — Compulsory
returns. — Special inquiries. — Value of reliable and accurate statistics.)
Oesterreich.
Bericht über die Thätigkeit des k. k. arbeitsstatistischen Amtes im Handels-
ministerium während des Jahres 1901. Wien, Druck der k. k. Hof- und Staatsdruckerei,
1902. Lex.-8. 33 SS.
Jahrbuch, statistisches, der autonomen Landesverwaltung in den im Reichsrate
vertretenen Königreichen und Ländern. Herausgeg. durch die k. k. statistische Central-
kommission auf Grund der von den Ländern gelieferten statistischen Tabellen und
Materialien. Jahrg. II. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1902. gr. 8. XLIV—
575 SS.
Rußland.
Kupezanko, Greg. Iwan, Rußland in Zahlen. Statistisches Sammelwerk. Leip-
zig, O. Wigand, 1902. gr. 8. VII—148 SS. mit einer (farb.) Eisenbahnkarte. M. 3.—.,
Belgien und Holland.
Statistique médicale de l’armée Belge, année 1900. Bruxelles, imprim. J. Goe-
maere, 1901. gr. in-8. XX—49 pag.
Bijdragen tot de statistiek van Nederland. Nieuwe volgreeks. XIV. Geschie-
denis van de statistiek in het koninkrijk der Nederlanden. ’s Gravenhage, Gebr. Belin-
fante, 1902. gr. 4. 34 en 224 blz. fl. 2,50. (Uitgegeven door het Centraal Bureau voor
de statistiek.)
Bijdragen tot de statistiek van Nederland. Nieuwe volgreeks. XV. Statistiek
Dritte Folge Bd. XXII (LXXVIII). 54
850 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
der gemeentefinaneien in 1899. ’s Gravenhage, Gebr. Belinfante, 1902. gr. 8. XII—
145 pp. (Uitgegeven door het Central Bureau voor the statistiek.)
Maandcijfers en andere periodieke opgaven betreffende Nederland in Neder-
landsch Oost-Indie. Nieuwe volgreeks N° 7: Jaar 1902 benevens enkele opgaven over
de eerste maanden van 1902. ’s Gravenhage 1902. (Uitgegeven door het Central Bureau
voor de statistiek.)
Italien.
Annali di statistica. Serie IV, n° 99: Atti della Commissione per la statistica
giudiziaria e notarile. Sessione del Marzo 1901. Roma, tipogr. di G. Bertero, 1902. 8.
LII—515 pp. l. 4—.
Schweiz.
Statistisches Jahrbuch der Schweiz. Herausgegeben vom
statistischen Bureau des eidg. Departements des Innern. 9. Jahrgang.
1900.
Der 9. Band des statistischen Jahrbuchs der Schweiz stimmt hin-
sichtlich der Einteilung vollkommen und bezüglich des Inhalts größten-
teils mit den früheren Jahrgängen überein. Soweit es sich um wieder-
kehrende Erhebungen handelt, entsprechen die Uebersichten den früheren,
so eine Vergleichung ermöglichend. In den Tabellen sind die früheren
Jahre weniger berücksichtigt, auch die Zahlen für andere Staaten seltener
herangezogen. Zudem ist eine Reihe von Uebersichten nicht fortgesetzt
worden, unter ihnen unnötige Angaben wie solche über Areal und Be-
völkerung der Erde, der Staaten Europas, Höhe der Schneegrenze u. s. W.,
aber auch wichtige Zusammenstellungen, wie die über die Sterblichkeit
infolge Lungenschwindsucht, die Entwickelung des Sparkassenwesens,
den Stand der Maul- und Klauenseuche u. a. m. Doch ist anderer-
seits auch der vorliegende Band um mehrere interessante Darstellungen
erweitert worden. So bringt er unter anderem neu die schweizerische
Sterbetafel, enthaltend die Absterbeordnung, die Sterbewahrscheinlich-
keit und die mittlere Lebensdauer, nach dem Geschlechte, den Versuch
einer Scheidung des schweizerischen Rindviehbestandes nach Haupt-
rassen, Uebersichten über das Telegraphenwesen, über die Entwickelung
der Eisenbahnen in verschiedenen Staaten, über Ein- und Ausfuhr ver-
schiedener Länder und einige Tabellen aus dem Gebiet des Militär-
wesens und der politischen Statistik,
Halle a. S. A. Hesse.
Portugal.
Com mercio e navegação. Estatistica especial, anno de 1900. Lisboa, imprensa
nacional, 1901. Lex.-in-8. CXXXIX—603 pp. com 10 quadros graphicos. (Publicação
da Direcção geral da estatistica e dos proprios nacionaes.)
Elementos estatisticos dos caminhos de ferro do continente de Portugal de 1877—
1900. Lisboa, imprensa nacional, 1902. gr. in-Fol. 43 pp-
Estatistica criminal e disciplinar do exercito relativa no anno de 1900. Lisboa,
imprensa nacional, 1901. gr. 8. 82 pp. (Publicação da Secretaria d’Estado dos negocios
da guerra.) [Portugiesische Militärkriminal- und Disziplinarstatistik für das Jahr 1900.
Estatistica das contribuições directas. Liquidação e cobrança de impostos. Annos
civis de 1895—1899 e annos economicos de 1895/96—1899/1900. Lisboa, imprensa
nacional, 1901. gr. in-8. VIII—467 pp. (Publicação da Direcção geral da estatistica €
dos proprios nacionaes.)
Estatistica das pescas maritimas no continente do Reino e ilhas adjacentes no
anno de 1899 comparada com a. de 1896, 1897 e 1898, coordenada pela Commissão
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 851
central de pescarias. Lisboa, imprensa nacional, 1901. Imp. in-8. 104 pp. com XXXVIII
mappas e XIV quadros graphicos. (Publicação da Ministerio da Marinha.)
Asien (China).
China. Imperial Maritime Customs. I. statistical series, n° 2: Customs Gazette,
N° CXXXII: October —December 1901. Shanghai, Kelly & Walsh, and London, King
& Son, 1902. 4. 284 pp. (Published by order of the Inspector General of Customs.)
China. Imperial Maritime Customs. I. Statistical series, n°* 3 and 4: Returns of
trade and trade reports for the year 1901. Part 1. Report on the trade of China (437 issue),
and abstract of statistics (37% issue). Shanghai & London 1902. 4. 33 pp. (Published
by order of the Inspector General of Customs.)
— (Japan).
Résumé statistique de l’Empire du Japon. (Traduction française.) XVI* année,
1902. Tokio, au Bureau de la Société de statistique, 1902, gr. in-8. XIV—154 pag.
Av. diagramme et carte du Japon. (Table des matières: Territoire et population. —
Agriculture et industrie. — Commerce extérieur et prix. — Postes et télégraphes. —
Transports par terre. — Navigation. — Banques et sociétés. — Assurances. — Instruction
publique. — Cultes. — Hygiène publique. — Assistance publique et prévoyance. —
Police. Etablissements pénitentiaires, — Justice civile et criminelle. — Marine. — Fi-
nances. — Administration et politique.)
Afrika (Aegypten).
Statistique sanitaire des villes de l’Egypte. Résumé de la période décennale de
1891 à 1900, par le Dr. Engel Bey (Medecin-chef de la statistique). I. Population,
naissances et décès des principales villes de la Basse-Egypte et de la Haute-Egypte.
Le Caire, imprim. nationale, 1901. gr.in-Folio. 50 pag. texte et 42 tables de diagrammes.
(Publication du Ministère de l’intérieur, administration des services sanitaires et d’hy-
giène publique.)
— (Algier).
Statistique générale de l’Algérie. Année 1900. Alger, impr. Fontana, 1902.
in-4. 263 pag. (Publication du gouvernement général de l’Algérie.)
Australien (Neusüdwales).
New South Wales statistical register for 1900 and previous years. Compiled
from official returns by T. A. Coghlan (Government Statistician). Sydney, W. A. Gullick,
1902. gr. 8. VIII—1053 pp.
13. Verschiedenes.
König, Fr. (Ingenieur u. Hydrotekt), Anlage und Ausführung von Städtekanali-
sationen. Leitfaden und Handbuch für Ingenieure, Architekten, Verwaltungsbeamte und
andere Berufskreise in allen Wasserversorguugsfragen. Leipzig, O. Wigand, 1902. gr. 8.
XVI-303 SS. mit 126 Abbildgn. M. 9.—.
Geschichtskalender, deutscher, für 1901. Sachlich geordnete Zusammenstel-
lung der politisch wichtigsten Vorgänge im In- und Auslande von (Prof.) Karl Wipper-
mann. Il. Band: (Das Deutsche Reich und Preußen. — Die übrigen deutschen Bundes-
staaten. — Oesterreich-Ungarn, ete.) Leipzig, F. W. Grunow, 1902. gr. 8. 407 SS.,
geb. M. 6.—.
Paulsen, Fr. (Prof., Univ. Berlin), Der höhere Lehrerstand und seine Stellung
in der gelehrten Welt. Braunschweig, Vieweg & Sohn, 1902. gr. 8. 16 SS. M. 0,40.
Bois, Jul., Le monde invisible. Préface de M. Sully-Prudhomme (de l’Académie
française). Paris, E. Flammarion, 1902. 8. fr. 3,50. (Sommaire: Les occultistes. — Les
théosophes. — Le luciférisme. — Le satanisme. — Les deux envoûtements. — Les
marchands d’espoir. — L'église spirite. — Les recherches psychiques.)
Dessoye, A. (vice-président de la Ligue franç. de l’enseignement), L'enseignement
secondaire et la République. Paris, Picard & Kaan, 1902. 8. XVI—72 pag.
d’Hauterive, E., Le merveilleux au XVIII* siècle. Paris, F. Juven, 1902. 8.
270 pag. fr. 3,50. (Sommaire: Les convulsionnaires. — La sorcellerie. — La magie. —
Les empiriques. — La franc-maçonnerie. — Les illuminés. — Le magnétisme, — etc.)
54%
852 Die periodische Presse des Auslandes.
Petit, A. L. (médecin-major de première classe), Conférences sur l'alcoolisme,
Avec une préface de M. E. Vallin (ancien médecin-inspecteur des armées. (Paris, Société
d'éditions scientifiques, 1901. 8. XIX—228 pag. fr. 3.—.
China. Imperial Maritime Customs. II. Special series, n° 2: Medical reports for
the half-year ended 30% September 1900. 60% issue. Shanghai, Kelly & Walsh, 1902.
4. VI—43 pp. with 6 graphics and 3 fig.
Dixon, W. Macneill, Trinity College, Dublin. London, F. E. Robinson, 1902.
8. 316 pp. 5/.—. (College histories.)
Edwardes, Edw. J., A complete history of small-pox and vaccination in Europe.
London, H. K. Lewis, 1902. 8. 150 pp. 2/.6.
De Montmoreney, J. E. G., State intervention in English education. A short
history from the earliest times down to 1833. London, Cambr. Univers. Press, 1902. 8,
398 pp. 5/.—.
Newell, F. Haynes, Irrigation in the United States. New York, Crowell KC,
1902. 8. 436 pp., cloth. $ 2.—. (Contents: Reclamation of the public lands. — Sur-
face waters. — Conveying and dividing stream waters. — Reservoirs. — Methods of
irrigation. — Underground waters. — Advantages and disadvantages of irrigation. —
Irrigation law. — States and territories of the arid regions. — Humid regions. — etc.)
Report of the librarian of Congress for the fiscal year ending June 30, 1901.
Washington, Government Printing Office, 1901. gr. 8. 380 pp. with 36 illustrations
and 7 facsimiles.
Billia, Lor. M., Difendiamo la famiglia saggio contro il divorzio e specialemente
contro la proposta di introdurlo in Italia. 2% edizione. Paris Guillaumin & C", 1902.
8. 271 pp. 1. 3,50.
Die periodische Presse des Auslandes.
A. Frankreich.
Annales des sciences politiques. 1902, Janvier: Les Etats-Unis et l'impérialisme,
par E. Boutmy. — Les entreprises belges et l'étranger, par P. de Laveleye (l.). —
L'armée russe, par M. B. (L). — Les aliénés criminels, par P. Matter. — Anver
autrefois et aujourd’hui. Le présent, par F. Maury. — Chronique des questions agri-
coles, 1901, par D. Zolla.
Journal des Economistes. Revue mensuelle. 61° année, 1902, Avril: L’impöt
progressif et l'impôt arbitraire en 1793, par Ch. Gomel. — L'acte Forrens aux délé-
gations financières de l'Algérie, par D. Peyrot. — Le mouvement financier et commercial,
par Maurice Zablet. — Revue des principales publications économiques de l'étranger,
par Em. Macquart. -— Lettres des Etats-Unis, par G. Nestler Tricoche. — La décadence
du protectionnisme aux Etats Unis. — Une émule de la Société d’économie politique,
par Fred. Passy. — Adresse de la section française de la fédération libre-échangiste
international aux électeurs. — Société d'économie politique (réunion du 5 avril 1902).
Discussion: Les primes à l'exportation ne constituent-elles pas un acte international de
concurrence déloyale? — Chronique. — ete.
Journal des Economistes, 1902, Mai: L’impöt progressif et l'impôt arbitraire en
1793, par Ch. Gomel (suite et fin). — La concurrence des syndicats, par Ch. M. Li-
mousin. — Le mouvement agricole. L'industrie sucrière dans le monde, par L. Grandeau.
— Revue des principales publications économiques en langue française, par Rouxel. —
La crise finlandaise, ses causes et ses effets, par Dan. Bellet. — Notes sur le Japon,
par G. François. — Correspondance: La langue internationale. — Société d’économie
politique (réunion dn 5 mai 1902). Discussion: De l'intervention de PEtat en matière
d'hygiène. — Chronique. — etc.
Journal de la Société de statistique de Paris. 43° année. N° 5, Mai 1902: Procès-
verbal de la séance du 16 avril 1902. — Ce qu’on appelle la féodalité financière, par
Alfr. Neymarck (art. 1). — La statistique sanitaire dans les villes de France et d’Al-
gérie, par (le d') Lowenthal. — Note de M. Levasseur. —- Chronique trimestrielle des
banques, changes et métaux précieux, par Pierre des Essars. — etc.
Die periodische Presse des Auslandes. 853
Réforme sociale. N° 24, année 1901 et N*1 à 5, année 1902: La femme et la
réforme sociale. L’enseignement supérieur des jeunes filles, par Amédée de Margerie. —
Des limites à apporter aux pouvoirs du mari dans l'administration de la communauté,
par A. Boistel, — Sur les origines du socialisme, par A. des Cilleuls. — L’aleoolisme
et les classes dirigeantes, par L. Jacquet. — Le travail des femmes mariées dans la
grande industrie allemande, par E. Dubois. — Comment sont gerées nos finances, d’après
un rapport de la cour de comptes, par H. Valleroux. — L/enseignement supérieur des
jeunes filles à l'étranger, par R. P. Berthier. — La corporation sous le consulat, l'Empire
et la Restauration, par E. Levasseur. — L’enseignement ménager en Belgique, par
(M"°) A. Godefroy. — Un organisme de la vie moderne dans la petite industrie. Les
sociétés économiques, par V. Brants. — Les revendications des mineurs jaunes, par D.
Haillot. — Comment un ouvrier s'élève, par G. Deviolaine. etc.
Revue générale d'administration. XXV'=* année, 1902, Mars: La récusation et
la suspicion légitime devant la juridiction administrative, par Jos. Crémieux (ancien
rédacteur au Ministère de l'intérieur). — L'administration des indigènes d'Algérie
(suite 1). — Chronique d’administration française. — etc.
Revue d'économie politique. XVI’ année, N° 5, Mai 1902: Francesco Ferrara et
son oeuvre economique, par Rice. Dalla Volta. — La loi des dix heures en Angleterre,
par Raoul Jay. — Quelques considérations sur le privilège des bouilleurs de cru et la
loi du 29 décembre 1900, par André Korn. — Chronique législative. — etc.
Revue internationale de Sociologie. X* année, n° 4, Avril 1902: La sociologie
dans le cours de philosophie positive d’Auguste Comte, par Eug, Rignano. — Les Uni-
versités populaires: origine, destination, avenir, par Roussy. — Société de sociologie
de Paris, séance du 12 mars 1902: Le facteur planétaire de l’évolution humaine. Dis-
eussion par Ch. Limousin, Fz. Schrader, E. Delbet, G. Lafargue, W. N. Tenichef, R.
Worms. — etc.
B. England.
Journal of the Institute of Actuaries. N° CCVII, April 1902: Regarding the
mortality investigation, instituted by the Actuarial Society of America and now in
progress, by Dav. Parks Fackler (Ex-President of the Society). — An enquiry into the
methods and general principles to be adopted in calculating the rates of contribution,
or percentage deduction from salary, in the case superannuation funds and pension
funds generally, by James MeGowan (Actuary of the Cap of Good Hope government).
— A few notes upon certain methods of allotting surplus, by Th. Eml. Young. (Past-
President of the Institute of Actuaries. — On life insurance legislation in Denmark, by
(Prof.) T. N. Thiele (Copenhagen). — Some notes on the net premium method of
valuation, as affected by recent tendencies and developments, by Sam. G. Warner
(Fellow of the Institute of Actuaries). — American valuation table, by W. Anderson
Hutcheson. — etc.
Journal of the Royal Statistical Society. Vol. LXV, part 1, 31* March 1902:
Tonnage statistics of the decade, 1891—1900, by (Sir) J. Glower. — A financial retro-
spect, 1861—1901, by (Sir) Rob. Giffen. — Miscellanea: Prices of commodities in 1901,
by A. Sauerbeck. The statistics of wages in the United Kingdom during the last 100
years. Part IX. Wages in the worsted and woollen trades of the west riding of York-
shire, by A. L. Bowley. The suspension of the Berlin produce exchange. A correction,
by R. H. Hooker. Commercial history and review of 1901. Fires in London and the
metropolitan fire brigade in 1901. — etc. ;
Nineteenth Century, the, and after. Year 1902. March N°, April N°, May N°
and June N°: The treatment of untried prisoners, by (Sir) R. Anderson. — The apostle
of mediocrity, by W. Frewen Lord. — The increasing export of England’s art treasures,
by Claude Phillipps. — Famine and controversy, by G. M. Chesney. — The case
against hospital nurses, by (Miss) M. F. Johnston. — Colour blindness, by F. W.
Edridge-Green. — The needs of South Africa. 1. Capital and population, by J. W.
Cross; 2. Female emigration, by (Mrs.) Ceeil. — The dream of a British Zollverein,
by (Sir) Rob. Giffen. — South Africa and India, by (Sir) Lepel Griffin. — The land
war in the West of Ireland, by O’Connor Morris. — The case for hospital nurses, by S.
Holland and (Miss) Isla Stewart. — The great Irish epie, by W. Scawen Blunt. —
Personal recollections of Cecil Rhodes. — A few words on the New Education Bill, by
Jam. Bryce. — The navigation laws, by Hugh R. E. Childers. — Preferential tariffs
854 Die periodische Presse des Auslandes.
within the Empire, a reply to (Sir) Rob. Giffen, by H. Birchenough. — Canada and
the imperial conference, by G. T. Denison. — London University: a policy and a
forecast, by Sidney Webb. — Some possible amendments to the Education Bill, by
(Sir) Joshua Fitch. — The Chinese drama, by A. Little. — England and little States,
by Demets. C. Boulger. — ete.
Westminster Review, the. May and June 1902: The evolutionary trend of
British politics, by R. Gunn Davis. — The doom of American democracy, by Francis
Grierson. — The next depression in America, by Henry George. — English public
schools and their head-masters. — Tory finance exposed: Taxation of the people by
the landlords for the landlords. — The West Indies, limited, by Har. H. Smith. — The
first Edinburgh School of literary critics, by J. M. Attenborough. — The training of
the secondary teacher, by J. S. Lawson. — The „Good Old Times“. From the Swedish
of G. Fröding, by W. Fr. Harvey. — Human life, by W. Fr. Harvey. — Independent
section: a plea for Ireland, by Lydston 8. M. Newman. — ete.
C. Oesterreich,
Deutsche Worte. Monatshefte, herausgeg. von E. Pernerstorfer. Jahrg. XXII,
1902, Heft 5, Mai: Die gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen Deutschlands und
Oesterreichs. Vortrag von Alfr. Weber (Berlin). — ete.
Handelsmuseum, das. Herausgeg. vom k. k. österr. Handelsmuseum. Bd. XVII.
Wien 1902, N° 19—23 vom 8. V.—5. VI.: Die deutschen Agrarzölle in der Zolltarif-
kommission (Berliner Korrespondenz. v. 30. IV. 02). — Die Brüsseler Konvention und
die deutsche Zuckersteuer. — Die handelspolitische Lage im Deutschen Reiche, von
(Prof.) W. Lotz (München). — Die Zolltarifreform in Deutschland. — Die Lederwaren-
industrie von Offenbach. — Panama- und Nicaraguakanal, von (Prof.) R. Sieger. —
Winke für den Export von Leder und Lederwaren. — Die Betriebszählung vom 3. VI.
1902, von (Universitätsdozent) Walter Schiff. — Die Wirtschaftslage in Südafrika. —
Handel und Strafrecht, von Rud. Pollak (Prof. d. Exportakademie). — Winke für den
Export von Baumwollwaren. — etc.
Soziale Rundschau, herausgeg. vom k. k. Arbeitsstatistischen Amte im Handels-
ministerium. Jahrg. III, 1902, Aprilheft: Arbeiterschutz: Regelung der gewerblichen
Kinderarbeit in Deutschland; Gesetz, betreffend das schiedsgerichtliche Verfahren bei
Arbeitsstreitigkeiten in Neu-Südwales. — Soziale Versicherung: Unfall-, Invaliditäts-
und Altersversicherung im Deutschen Reich 1900; Anlegung des Vermögens der Ver-
sicherungsanstalten und der auf Grund des Invalidenversicherungsgesetzes zugelassenen
Kasseneinrichtungen des Deutschen Reichs zu gemeinnützigen Zwecken. — Arbeitsein-
stellungen und Aussperrungen: Arbeitskonflikte in Oesterreich im Monat März 1902;
Die Arbeitskonflikte im Bergbau Oesterreichs im I. Quartale 1902; Streiks und Aussper-
rungen im Deutschen Reiche während des IV. Quartals 1901.— Arbeitsmarkt: Internatio-
naler Arbeitsmarkt (Belgien, Deutsches Reich, England, Frankreich); Der Arbeitsmarkt
in Deutschland im Jahre 1901. — Arbeitsvermittlung: Ergebnisse der Arbeitsvermitt-
lung in Oesterreich im Monate März 1902; Arbeitsvermittlungsamt der Stadt Wien im
Jahre 1901; Ergebnisse der Arbeitsvermittlung in Bayern für das Jahr 1901; Arbeits-
vermittlungsamt der Stadt Budapest im I. Quartale 1902. — Arbeitsbeirat: Die X. Session
des obersten französischen Arbeitsrates, Juni 1901; Organisationsstatut des landwirtschaft-
lichen Arbeitsbeirates in Ungarn. — Sozialstatistik: Die Kohlenbergwerke Großbritan-
niens im Jahre 1901; Arbeitsverhältnisse in den mechanischen Werkstätten Schwedens.
— Wohnungswesen: Spar- und Bauvereine bei den k. k. österreichischen Staatsbahnen ;
Kaiser Franz Josef-Jubiläumsstiftung für Volkswohnungen und Wohlfahrtseinrichtungen in
Wien im Jahre 1901. — Autonome Verwaltung: Die Gemeindeverwaltung Wiens im
Jahre 1899; Aus dem Verwaltungsberichte der Landeshauptstadt Brünn für das Jahr
1900; Sanitäre und soziale Fürsorge in Salzburg und Schlesien. — Vereinswesen. —
Unternehmungsformen und Arbeitsverhältnisse der Landwirtschaft in Belgien. — etc.
Statistische Monatsschrift. Herausgeg. von der k. k. statistischen Centralkom-
mission. N. Folge, Jahrg. VII, 1902, Märzheft und April-Maiheft: Beiträge zur Statistik
des österreichischen Mittelschulwesens, von Casimir Max. — Die Unternehmungsformen
im Bergbaubetriebe in Oesterreich, von Raoul Braun v. Fernwald. — Beiträge zur
Statistik der Binnenfischerei in Oesterreich (Art. II u. III). — Der Personalaufwand
der Justizbehörden in Oesterreich im Jahre 1902, von Fuhrmann. — Die Durchführung
der ersten allgemeinen Betriebszählung in Oesterreich. — Oesterreichs Bank- und Kredit-
Die periodische Presse des Auslandes. 855
institute im Jahre 1900, von H. Ehrenberger. — Von der ersten allgemeinen Volks-
zählung in Rußland. — Die Ausführung landwirtschaftlicher Produkte der Ver. Staaten
von Amerika nach Oesterreich-Ungarn in den Jahren 1896—1900. — etc.
E. Italien.
Giornale degli Economisti, Marzo e Aprile 1902: La crisi del Ministero e i
liberali, per la Direzione. — Le importazioni e esportazioni temporanee, par L. Clerici.
— Note sulla statistica internazionale dei debiti ipotecari, per L. Perozzo, — Rapport
au Ministre des finances de administration des monnaies etc. (VI° année, 1901.) [Aus-
zug aus diesem Bericht von G. B. Salvioni.] — Previdenza: (La storia della cassa di
risparmio di Marsiglia), per C. Bottoni. — Municipalizzazione dei pubblici servigi: (Il
progetto Giolitti sulle municipalizzazionij, per G. Montemartini. — Cronaca: (Crisi e
militarizzazione), per Papafava. — Osservazioni sulla teoria del baratto secondo il Prof.
Walras, per G. Scorza. — La questione del pane e buon mercato, per E. Giretti. —
Previdenza: (Risultati finanziari delle casse di risparmio ordinarie nel 1900), per C.
Bottoni. — Municipalizzazione dei pubblici servigi: (Municipalizzazione delle farmacie),
per G. Montemartini. — Cronaca: (La risurrezione del Ministero), per F. Papafava. —
La situazione del mercato monetario. — Supplemento al Giornale degli Economisti,
Marzo 1902: Indice alfabetico per nomi d’autori della seconda serie dal 1° gennaio
al 31 dicembre 1901.
Rivista della beneficenza pubblica, delle istituzioni di previdenza e di igiene
sociale. Anno XXX, N° 4, Aprile 1902: Sulla legge contro la pellagra, per Paoli
Donati. — Le riforme dei brefotrofi in Italia, per A. Castiglione. — Cronaca: La con-
gregazione di carità di Firenze nel 1900; Il nuovo regolamento organico del brefotrofio
provinciale di Milano ; Gli asili infantili di Bologna, etc. — Massime de giurispru-
denza. — Atti ufficiali. — etc.
Rivista Italiana di Sociologia. Anno VI, fasc. 1., Gennaio-Febbraio 1902: La
progressiva diversificazione del diritto pubblico e privato, per P. Bonfante. — La storia
considerata come scienza, per G. Salvemini. — Le istituzioni giuridiche di una tribù
dell’ America settentrionale, per G. Mazzarella. — Rassegne analitiche : L’applicazione
dei medoti statistici alle scienze biologiche e sociali, per G. Vailati; Le condizioni
sociali della China, per G. B. de Martini. — Rassegna delle pubblicazioni. — etc.
G. Holland.
de Economist opgericht door J. L, de Bruyn Kops. Lis jaargang, 1902. April:
Jhr. Mr. J. K. W. Quarles van Ufford, door N. P. van den Berg. — Het Liernurstelsel
in Nederland, door A. S. van Reesema (art. I). — De internationale geldmarkt, door
C. Rozenraad. — Economische kroniek: Arbeitslosigkeit, Arbeitsnachfrage und Arbeits-
nachweis in Holland und den einzelnen deutschen Staaten 1900 und 1901; Osterkon-
gresse (1902) der sozialdemokratischen Arbeiterpartei zu Groningen und des Allgemeinen
Holländischen Arbeiterverbandes zu Amsterdam; Der Verlauf des Ausstandes des „al-
gemeenen Nederlandschen Diamantwerkersbond“; Entwickelung der Kooperativgenossen-
schaften in England; Versicherung gegen Arbeitslosigkeit in Oesterreich. — ete. Han-
delskroniek: Subventionierte Dampferlinien in Java, China und Japan; Deutsche, hol-
ländische und belgische Eisenbahnpolitik. — etc.
H. Schweiz
Monatsschrift für christliche Sozialreform. Redaktion : Prof. J. Beck, Freiburg
(Schweiz). Jahrg. XXIV, 1902, Heft 4: Die Raiffeisen-Genossenschaften vom Stand-
punkte ethisch-sozialer Grundsätze aus beleuchtet, von Eug. Cremer (IV. Art.) —
Statistische Streiflichter, von F. Buomberger (Kantonsstatistiker in Freiburg): Die Misch-
ehen in der Diaspora (in der Schweiz); Die Eltern unehelicher Kinder (in der Schweiz) ;
Wirtschaft und Mode. — Wirtschaftliche Tagesfragen, von Sempronius: Die Freihandels-
idee in ihrem Aufschwunge und Niedergange; Ungarische Industrieförderung ; Die Mühlen-
industrie Ungarns. — Sozialpolitisches und Wirtschaftliches aus der Schweiz; von A.
Hättenschwiller: Schweizerischer Arbeitertag ; Gewerkschaftsneutralität; Zollfrage — etc.
Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Halbmonatsschrift.
Jahrg. X, 1902, Heft 8: Die Frauenfrage und das Christentum. Vortrag von F. Barth
(ord. Prof. d. Theol., Univers. Bern). — Zur Frage des Arbeiterschutzes bei öffentlichen
Submissionen, von J. Reichesberg (Bern). [Forts.] — Soziale Chronik. — Statistische
Notizen. — etc.
856 - Die periodische Presse Deutschlands.
M. Amerika.
Bulletin of the Department of Labor (Washington). N° 39, March 1902: Course
of whelesale prices 1890 to 1901. — Digest of recent reports of State bureaus of labor
statistics: Wisconsin. — Digest of recent foreign’ statistical publications. — Decisions of
courts affecting labor. — Laws of various States relating to labor enacted since January 1,
1896.
Political Science Quarterly. Edited by the Faculty of Political Science of Co-
lumbia University. Volume XVII, N° 1, March 1902: The charter of New York city,
by E. J. Goodnow. — The political theory of Jefferson, by C. E. Merriam, jr. — Crom-
well’s economie policy, by G. L. Beer. (II. art.) — The economie interpretation of
history, by E. R. A. Seligman. (II. art.) — The economy of Russia, by W. C. Ford.
— Taxation in the Philippines, by C. C. Plehn. (I. art.) — ete.
Quarterly Publications of the American Statistical Association. New series, n° 57
(vol. VIII). March 1902: Notes on the fraternal beneficiary corporations doing business
in Massachusetts, by Francis B. Forbes. — Reviews and miscellany: Notes on the Census;
The preservation of the printed records by the nation; Municipal statistical bulletins;
The upper million of England’s industrial army.
Yale Review, the. A quarterly journal. (New Haven, Connecticut). Vol. XI,
n° 1, May, 1902: Comment: The Cuban question; Taxation of corporations; Economies
and education. — The economic crisis in Germany, by Ad. Braun. — The anthracite
coal situation, by Peter Roberts. — The Frye Subsidy Bill, by Frank L. Me Ver, —
Colonial policy of the Germans, by Alb. G. Keller (IT). — Occupation and manu-
facturing censuses, by Rob. R. Kuczynski. — Notes: Sterility of American women, by
H. W. F.; Trade Unions in Denmark, by A. G. K. — etc.
Die periodische Presse Deutschlands.
Arbeiterfreund, der. Zeitschrift für die Arbeiterfrage. Herausgeg. von (Prof.)
V. Böhmert (Dresden). Jahrg. XL, 1902, 1. Vierteljahrsheft: Dr Karl Herzog, geb.
20. III. 1827, gest. 23. IH. 1902. — Die Arbeiterfrage als Gemütsfrage und die christ-
liche Ethik, von (Prof.) V. Böhmert. — Die weibliche Fabrikinspektion, von (Ur phil.)
Elisabeth v. Richthofen. — Der österreichische Volkswirth Wilhelm Neurath und seine
neue Lehre über die Lösung sozialer Probleme, vom Herausgeber. — Ueber den Anteil
des Arbeitslohnes an den Herstellungskosten der Produkte, von Herm. Beck. — Die
Gewinnbeteiligung der Arbeiter in Deutschland; in Oesterreich; in der Schweiz, vom
Herausgeber. — etc. Beiheft: Bibliographie der Arbeiterfrage für 1901. Zusammen-
gestellt von Peter Schmidt.
Archiv für Bürgerliches Recht. Herausgeg. von (Prof.) J. Kohler (Berlin),
(KammergerR.) V. Ring (Berlin), (Brot) P. Oertmann (Erlangen), Bd. XXI, 1903,
Heft 1: Ueber die Gültigkeit der landesgesetzlichen Vorschriften für Rechtsgeschäfte
öffentlichrechtlicher Körperschaften, von A. Nußbaum (Berlin). — Die Aufrechnung auf
eine Forderung, die aus Hauptleistung, Zinsen und Kosten besteht ($ 396? B.G.B.), von
(GerAss.) Sontag (Breslau). — Ist der im Verwenden von Beiträgen auf Grund des In-
validenversicherungsgesetzes säumige Arbeitgeber dem Versicherten gegenüber schadens-
ersatzpflichtig? von (LandesR.) Appelius (Düsseldorf). — Die exceptio plurium coneum-
bentium mit besonderer Berücksichtigung der Beweisfrage, von (Justizrefer.) R. Weid-
lich (Stuttgart). — Der Verzicht auf die Approbation als Arzt und seine Bedeutung für
das preußische Gesetz, betreffend die ärztlichen Ehrengerichte, das Umlagerecht und die
Kassen der Aerztekammern, vom 25. XI. 1899, von (Prof.) Ed. Hubrich (Königsberg
i. Pr). — Fürsorgeerziehung und Reichsrecht, von (LandgerR.) Noelle (Berlin). —
Civilistische Rundschau, von P. Oertmann.
Archiv, allgemeines statistisches, herausgeg. von Georg v. Mayr. VI Bd.
1. Halbbd. (Tübingen 1902:) Die mannigfachen Beziehungen zwischen Statistik und
Medizin, von Fr. Prinzing. — Ein moderner Statist (J. Rich. Mucke), von G. v. Mayr.
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Die periodische Presse Deutschlands. 857
— Ueber die Notwendigkeit systematischer Arbeitsteilung auf dem Gebiete der Bevölke-
rungs-(Sozial-)Statistik, von H. Bleicher. — Aus der Geschichte der schwedisch-finlän-
dischen Bevölkerungsstatistik, von August Hjelt. — Die Lohnstatistik in der Theorie
und in der Praxis, von Roland F. Falkner. — Die belgische Industrie- und Gewerbe-
statistik von 1896, von E. Maxweiler. — Das Zählblättehen und der britisch-indische
Census von 1901, von G. v. Mayr. — Die neuen Zählkarten für die Statistik der öster-
reichischen Arbeiterunfallversicherung, von K. Kögler. — Die Kindersterblichkeit in
Oesterreich, von Fr. Prinzing. — Bevölkerungsbewegung im Hällischen seit Mitte des
16. Jahrhunderts, von Jul. Gmelin. — etc.
Finanzarchiv. Zeitschrift für das gesamte Finanzwesen. Herausgeg. von Georg
Schanz (Prof., Würzburg). Jahrg. XIX, 1902, I. Bd.: Ueber Steuervergehen. Eine
Studie von Joseph v. Bauer (k. k. OFinzR., Wien). — Das Problem der Straßenreform
in Bayern. Ein Beitrag zur Frage der Lastenverteilung zwischen Staat und Selbstver-
waltungskörpern, von G. Schanz. — Die Schulden des Deutschen Reiches in rechtlicher
Beziehung, von Kayser. — Der Abschluß der Steuerreform in Elsaß-Lothringen, von
G. Schanz. — Elsaß-Lothringische Gesetze, betr. die Kapitalsteuer vom 13. VII. 1901;
betr. die Lohn- und Besoldungssteuer vom 13. VII. 1901; betr. die Verwendung der
Erträge der zwei vorgenannten Steuern, sowie die Erhebung der Bezirkszuschläge, vom
13. VII. 1901. — Denkschrift, betreffend die Neueinschätzung der nicht bebauten
Liegenschaften gemäß Gesetzes vom 6. III. 1892 in Elsaß-Lothringen. — Denkschrift
betr. Ermittelung der Erträge aus Kapital, Lohn und Besoldung auf Grund des Gesetzes
vom 2. VII. 1898 in Elsaß-Lothringen. — Denkschrift des kgl. sächsischen Finanz-
ministeriums, die Weiterführung der Reform der direkten Steuern betreffend, vom 12. XI.
1901. — Schaumburg-Lippisches Einkommensteuergesetz vom 3. V. 1901. — Schaum-
burg-Lippische Gesetze vom 20. I. 1885, betreffend die Einführung einer gleichmäßigen
Grundsteuer, ferner die Einführung einer gleichmäßigen Gebäudesteuer und drittens die
Einführung einer Gewerbesteuer, nebst Novellen zur letzteren v. 9. III. 1885 u. 28. IV.
1897. — Hessische Gesetze, die Gemeindeumlagen betreffend, v. 30. III. 1901 und die
Besteuerung des Gewerbebetriebs im Umherziehen betreffend v. 22. XII. 1900. — Die
Kartellorganisation der russischen Zuckerindustrie auf Grund des Steuergesetzes von
1595, von H. Sacher. — Das russische Stempelsteuergesetz vom 10. VI. (a. St.) 1900,
von G. Sodoffsky (St. Petersburg). — Die Personalsteuer in den Niederlanden, von
G. Sodoffsky. — Die direkten Steuern Belgiens, von G. Sodoffsky. — Schweizerisches
Alkoholgesetz vom 29. VI. 1900. — etc.
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Herausgeg. von Albert Osterrieth.
Jahrg. VII, 1902, N° 4, April: Rechtliche Wirkungen des Anschlusses des Deutschen
Reiches an die ‚Internationale Union zum Schutze des gewerblichen Eigentums“ in
Bezug auf das Warenbezeichnungsrecht im Gebiete des Deutschen Reichs, von (Land-
richter) Lau (Hamburg). — Die rechtlichen Wirkungen des Anschlusses an die inter-
nationale Union hinsichtlich des Musterschutzes, von A. Osterrieth. — Vorschläge zur
Reform unseres Patentgesetzes, von F. v. Hefner-Alteneck. — Der unlautere Wettbewerb
in den kantonalen Gesetzgebungen der Schweiz, von Hans Schuler. — Die Erfindungs-
einheit im Sinne des Patentgesetzes, von Erich v. Boehmer (Groß-Lichterfelde). — ete.
Journal für Landwirtschaft. Im Auftrage der Landwirtschaftskammer für die
Provinz Hannover, herausgeg. und redigiert von (GehRegR., Prof.) B. Tollens (Göttingen).
Bd. 50, 1902, Heft 1: Zum Erscheinen des L. Jahrgangs des Journal für Landwirt-
schaft, von (Prof.) B. Tollens (Mit 4 Port.). — Landwirtschaftliche Bodenstudien, von
H. Dubbers (Würzburg). — Die Verdauung des Mais bei Hühnern, von S. Parascht-
schuk. — Ueber die spezifische Wärme der Milch, von (Prof.) W. Fleischmann. —
Düngungsversuche des Schwedischen Moorkulturvereins 1887—1899. — ete.
Masius’ Rundschau. Blätter für Versicherungswissenschaft, Versicherungsrecht.
Neue Folge. Jahrg. XIV, 1902, Heft 5: Das Versicherungsvertragsrecht. — Die Zill-
mer’sche Methode vor dem Reichstag. — Internationale Vereinigung der Versicherungs-
ärzte. — Zur Lage des Versicherungsgeschäfts im Jahre 1901. — Die Versicherung von
Sturmschäden. — Das Deckungsverfahren bei den Sterbekassen. — Die Verbreitung der
Krebskrankheit. — ete.
Masius’ Rundschau. Jahrg. XIV, Heft 6: Aus dem Berichte des schweizerischen
Versicherungsamts für das Jahr 1900. — Die privaten Versicherungsunternehmungen in
Oesterreich im Jahre 1899. — Die traumatische Neurose. — Art. VII der York and
Antwerp rules. — Vermischtes.
858 Die periodische Presse Deutschlands.
Mitteilungen vom Verband deutscher Patentanwälte. Herausgeg. vom Vorstand.
Jahrg. U, N’ 1, April 1902: Sind Patentanwälte verpflichtet, ihre Handakten auszu-
liefern? (Berliner Korrespondenz vom 29. I. 1902.) — Beschlußfassung des Verbandes
deutscher Patentanwälte zur Reform der Gewerbeschutzgesetze. — etc.
Die Neue Zeit. Jahrg. XX, Bd. II, N’ 5 bis 8, 3. Mai—24. Mai 1902: Krisen-
theorien, von K. Kautsky (Schluß). — Rentabilität im Ruhrbergbau, von Wilh. Düwell.
— Die Streiks in Italien in den Jahren 1900 und 1901, von Aless. Schiavi (Rom). —
Zehn Jahre Unfallversicherung in Oesterreich. — Sozialpolitische Umschau, von Eman.
Wurm. — Der Tanz auf Rhodus. — Nochmals das belgische Experiment, von Emil
Vandervelde. — Die Volksschule in der Manufakturperiode, von Heinr. Schulz (I. Art.).
— Die neue Seemannsordnung, von Wilh. Metzger. — Neues von Maxim Gorki. Eine
Betrachtung von Ernst Kreowski (Berlin). — Das belgische und das preußische Wahl-
system, von Leo Arons. — Und zum dritten Male das belgische Experiment, von Rosa
Luxemburg. — Die Gerichtsurteile des Herrn Paul Magnaud, von Jakob Brod. — Aus
den Vereinigten Staaten, von J. L. Franz. — Die Negerfrage in Amerika, von Jul.
Vahlteich (Chicago). — Die Zollpolitik und die Landwirtschaft, von (Gutsbesitzer) E.
Ebhard (Kommorowen). — Kunst und Volk, von Fr. Stampfer. — Die österreichische
Gemeindeverwaltung und die Sozialdemokratie, von Hans Resel. — 16 Briefe von Karl
Marx an DL Kugelmann (Forts.). —
Preußische Jahrbücher. Hrsg. von Hans Delbrück. 108. Band, Heft 3 (Juni
1902): Eduard von Hartmann und das Christentum, von Max Christlieb (Pastor, Frei-
stett i. Baden). — Die Getreidezollfrage, von (Prof.) C. v. Seelhorst (Göttingen). — Der
Untergang Ludwigs XVI. im Lichte sozialistischer Geschichtsschreibung, von Emil Daniels
(Berlin). — 70 Jahre in der Provinz Posen. Betrachtungen eines alten Staatsbeamten.
— Politische Korrespondenz: Persien, Arabien und die internationale Politik, von P.
Rohrbach; Der nordatlantische Schiffahrtstrust, von K. Wiedenfeld; 250 Millionen für
die Ostmarken, von Delbrück ; Die polnische Frage, von Teutonieus. — etc.
Zeitschrift für Kleinbahnen. Jahrg. IX, Heft 5, Mai 1902: Die Entwickelung
von Straßenbahnbetrieben in bildlicher Darstellung, von (RegBauf. a. D.) W. Matters-
dorf (Berlin). Mit 4 Tafeln. — Staatsbeihilfen für Kleinbahnen. — Die Große Berliner
Straßenbahn im Jahre 1901. — Ein oldenburgisches Kleinbahngesetz. — Gesetzgebung.
— Kleine Mitteilungen. — etc.
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Herausgeg. von (Prof.) Julius Wolf. Jahrg. V,
1902, Heft 5: Ueber den Ursprung des Adels, an der Hand der Geschichte des Adels in
Böhmen, von Jul. Lippert (Aussig). — Die Todesursachen in früherer Zeit und in der
Gegenwart etc., von A. Gottstein (Art. 2, Schluß). — Die Krisis in der englischen In-
dustrie, von M. v. Brandt (Art. 3, Schluß). — Die Fruchtbarkeit in der Tierwelt, von
Heinr. Schmidt (Jena). |I. Art.] — Sozialpolitik: Die neueste Phase in der Entwicke-
lung der Arbeitsvermittlung in Oesterreich, von (Prof.) E. Mischler (Graz). (I. Art.) — ete.
Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft. Herausgeg. von A. Schäffle und
(Prof.) K. Bücher. Jahrg. LVIII, 1902, Heft 2: Ueber den volkswirtschaftlichen und
rechtlichen Begriff der Börse, von Georg Wermert. — Zur Regelung der Landfrage in
den Kolonien, von Rud. A. Hermann. — Die Notwendigkeit exakt entwickelungsgeschicht-
licher Erklärung und exakt entwickelungsgesetzlicher Behandlung unserer chronischen
Landwirtschaftsbedrängnis, von A. Schäffle. (I. Art.) — Miszellen: Eine tendenziüse
Wohnungsstatistik, von Sigm. Schott; Der Verkehr zwischen den österreichischen Reichs-
ratsländern und Ungarn 1900. — etc.
Berichtigung.
In der Anzeige von Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, muß es Seite 708
Zeile 17 statt Selbstentschädigung Selbstentschuldigung heißen, und sind Seite 708
Zeile 33 in dem Satz: „und zwar können die beiden u. s. w.“ die Worte „die beiden
zulässigen Arten von“ sowie die Worte: „(Ordnungsstrafen, Warnung, Verweis, Geld-
strafen) und Entfernung aus dem Amt (Strafversetzung, Dienstentlassung)“ zu streichen.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena,