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Full text of "Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft"

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Jenaisclie  Zeitselmft 


für  ■      »  s   *** 


MEDICIN 


und 


NATURWISSENSCHAFT 


herausgegeben 
von  der 

f 

medicinlsch  -  naturwissenschaftlichen  Gesellschaft 

zu  Jena. 


Fünfter  Band. 


Mit  aohtiehn  Tafeln. 


Leipzig, 

Verlag  von  W  ilh  elm    K  n  « '•  1  ">  "  »  »>• 

1870, 


Inhalt. 


Seite 
Jaeger,   Dr.  Oust,    Ueber   das  Längenwachsthum   der  Knochen.    (Mit 

2  HolMchnitten) 1 

Oegenbaur^C,  Ueber  das  Skeletgewebe  der  Cyclostomen.  (Taf .  I)    ...     43 
Dohrn,  Dr.  A.,  Untersuchungen  über  Bau  und  Entwickelung  der  Arthro- 
poden.    1.   Ueber   den   Bau    und    die    Entwickelung  der    Cumaceen. 

(Taf.  n  u.  ni) 54 

Fr oel ich,  Dr.  Otto,  Ueber  die  Monochlocrotonsäure  und  ihre  Salze    ...     82 
B es 8 eis,  Emil,  Einige  Worte  Ober  die  Entwickelungsgeschichte  und  den 
morpholog.  Werth  des  kugelförmigen  Organes  der  Amphipoden.    (Mit 

2  Hollschnitten) .     91 

Pocke,  Dr.  W.  O.,  Die  synthetische  Methode  erläutert  an  den  Blattformen 

des  Kubus  Id&us  L 102 

Harting,  Prof.  P.,  Ueber  eine  sich  durch  Vererbung  fortpflanzende  Asym- 

metrie  des  menschlichen  Skelets HO 

Schnitze,  B.  S.,  Ueber  Palpation  der  Beckenorgane  und  über  graph.  No- 

tirung  des  Resultats  derselben.  (Taf.  IV) 113 

Maller,  Fr.,  Die  Bewegung  des  Blüthenstieles  von  Alisma 133 

Dohrn ,  Dr.  Ant.,  Untersuchungen  Ober  Bau  und  Entwickelung  der  Arthro- 
poden.  2.  Ueber  Entwickelung  und  Bau  der  Pycnogoniden.   (Taf.  V  u. 

VI) 138 

Mahn,  Dr.  R.,  Ueber  einige  Zersetsungsproducte  des  Phosphorwasserstuffs, 

des  Antimonwasserstoffs  und  des  Silicium Wasserstoffs 158 

Maller,  Wilh.,  Beobachtimgen  des  pathologischen  Instituts  zu  Jena  im 

Jahre  1868.    (Taf.  VD) 167 

Haeckel,  Ernst,   Ueber  den  Organismus   der  Schw&mme  und  ihre  Ver- 
wandtschaft mit  den  Corallen 2U7 

—  Prodromus  eines  Systems  der  Kalkschwftmme 236 

Müller,  Fr.,  Bemerkungen  über  Cypridina.    (Taf.  VUI  u.  IX) 255 

Dohrn,  Dr.  Anton,    Untersuchungen    über  Bau  und  Entwickelung   der 
Arthropoden.    3.   Die  Schalendrüse  und  die  embryonale  Entwickelung 

der  Daphnien.    (Taf.  X) 277 

Untersuchungen  über  Bau  und  Entwickelung  der  Arthropoden.    7.  Zur 

Kenntniss  vom  Bau  und  der  Entwickelung  von  Tanais.  (Taf.  XI  u.  XII)  .  293 
Reichardt,  Dr.  H.,   Ueber  die  Zersetzungsproducte  des  Traubenzuckers 
bei  Einwirkung  starker  Basen 307 


lY  iDhalt. 

Gegenbaur,  C,   Ueber  das  Gliedmaassenskelet  der  Enaliosaurier.     (Taf. 

XIII) 332 

Schultze,  B.  S.,  Eine  Gebärmutter  mit  mindestens  fünfzig  Fibroiden.  (Taf. 

XIV) 350 

Ha e ekel,  Ernst,  Ueber  Entwickelungsgang  und  Aufgabe  der  Zoologie. 
Rede,  gehalten  beim  Eintritt  in  die  philosophische  Facultät  zu  Jena  am 
12./I.  1869 353 

Schreiber,  Dr.  A.,  Ueber  Diäthglyoxylsäure-Aether 371 

Frey  er,  W.,  Die  Verwandtschaft  der  Töne  und  Farben 376 

Qegenbaur,  C,  Ueber  das  Skelet  der  Gliedmaassen  der  Wirbelthiere  im 
Allgemeinen  und  der  Hintergliedmaassen  der  Selachier  insbesondere. 
(Taf.  XV  u.  XVI  und  7  Holzschnittfiguren) 397 

Ueber  die  Modificationen  des  Skelets  der  Hintergliedmaassen  bei  den 

Männchen  der  Selachier  und  Chimären     (Fig.  15—24  auf  Taf.  XVI)    .    .  448 

.Vbbe,  E.,  Ueber  einen  Spectralapparat  am  Mikroskop.  (Mit  1  Holzschnitt.)  459 

J)  ührn ,  Dr.  Anton,  Untersuchungen  über  Bau  und  Entwickelung  der  Arthro- 
poden. S.  Die  Ueberreste  des  Zoea-Stadiums  in  der  ontogenetischen 
Entwickelung  der  verschiedenen  Crustaceen-Familien 471 

Haeckel,   Ernst,   Beiträge  zur  Flastidentheorie. 

1 .  Die  Flastidentheorie  und  die  Zellentheorie 492 

2.  Bathybius  und  das  freie  Frotoplasma  der  Meerestiefen.  (Taf.  XVII) :  499 

3.  Myxobrachia  von  Lanzerote.    (Taf.  XVIII) 519 

4.  Die  Flastiden  und  das  Frotoplasma  der  Rhizopoden 527 

5.  Amylum  in  den  gelben  Zellen  der  Kadiolarien 532 

6.  Die  Identität  der  Flimmerbewegung  und  der  amoeboiden  Froto- 
plasmabewegung 540 

7.  Die  Flastidentheorie  und  die  Kohlenstofftheorie 544 


Kleinere  Mittheilungen. 

Kocke,I)r.  O.  W..  Uober  Kulms  Leesii  Babingt 127 

Seh  ult7.e,  B.  S.,  Pi'ssarien  aus  weichem  Kupfcrdraht  und  vulcaniäirtem  Gummi  .   .    .  1.30 

Mikluch  o- Muülay  f  Ueber  das  Gehirn  der  Chimära l.']2 

Reichard  t ,  ß.,  ZoiM^hemischc  Mittheilungen :iH\i 

Hurckhard,  Dr.  Paul,    Electroly tische   Versuche 'MV.\ 

Analyse  eines  Bronce-Riogcs  aus    einem    heidnischen  Grabe  bei  Tirschneck,  nahe 

Cawihurg :i»5 


lieber  das  Längeiwaclistliiuii  der  KiodieM 


von 


Dr.  Gustav  Jaeger, 

Docent  für  Anthropologie  und  Zoologie  in  Stuttgart  und  Hohenheim. 


Mit  2  Figuren  in  Holzschnitt. 

Wenn  man  von  der  Ansicht  ausgeht,  dass  die  verschiedenen  For- 
men des  Thierreiches  eine  Entwicklung  aus  anderen,  ihnen  vorangegan- 
genen seien,  so  wird  man  genöthigt,  sich  nach  den  Ursachen  umzu- 
sehen, die  abändernd  einwirken  auf  den  Körperbau.  Lamargk  war  der 
erste,  der  auf  eine  morphologische  Kraft  hinwies,  von  der  wir  experi- 
mental  constatiren  können,  dass  sie  selbst  noch  auf  das  erwachsene 
Thier  abändernd  einwirken  kann,  nämlich  Steigerung  des  Gebrauches; 
und  er  baute  darauf  seine  bekannte  Lehre  von  der  Entwicklung  der 
Thierwelt. 

Seit  Lamarge  seinen  Gegnern  unterlag,  hat  man  dieser  morpholo- 
gischen Kraft  fast  nur  noch  von  Seite  der  ThierzUchter  (Natrcsius,  über 
den  Schweinsschädel)  und  in  neuerer  Zeit  von  Seite  der  Vertreter  der 
Gymnastik  einige  Aufmerksamkeit  zugewendet.  Auf  diesen  beiden 
Gebieten  macht  man  praktischen  Gebrauch  von  dem  Umstand,  dass 
gesteigerter  Gebrauch  eines  Körpertheiles  dessen  anatomische  Beschaf- 
fenheit ändert.  —  Einige  Untersuchungen ,  die  ich  anstellte ,  um  die 
Wirkungen  des  aufrechten  Ganges  auf  den  Körperbau  des  Menschen 
präciser  kennen  zu  lernen ,  sind  die  Veranlassung  geworden ,  der  ge- 
nannten morphologischen  Kraft  etwas  weiter  nachzuspüren,  als  man  es 
seither  gethan  hat,  und  ich  fand  hiebei,  dass  selbst  solche  kör- 
perliche Verhältnisse  des  Menschenleibes,  die  manbis- 
her  nicht  in  den  Bereich  der  veränderlichen  Merkmale 
hereinzuziehen  wagte,  offenbar  das  Resultat  dieser  Kraft 
sind.  Diese  Wahrnehmung  veranlasste  mich,  meine  Untersuchungen 
auch  auf  das  Thierreich  auszudehnen,  um  zu  sehen,  ob  hier  ein  allge- 
meines Gesetz  vorliege.  Die  reiche  Skeletsammlung  des  Stuttgarter 
Naturaliencabinets ,  deren  Benutzung  Herr  Oberstudienrath  Dr.  Krauss 
IM.  \.  t.  i 


2  Dr.  Gostav  Jaeger, 

mir  mit  der  grössten  Liberalitat  gestattete ,  bot  mir  hiezu  Gelegenheit, 
und  der  Güte  des  Vorstandes  der  hiesigen  Thierarzneischule,  Herrn 
Ober-Medicinalrath  Dr.  v.  Hering,  verdanke  ich  die  Möglichkeit,  auch 
Hausthiere  in  den  Bereich  meiner  Untersuchungen  zu  ziehen.  Bei  der 
mir  kärglich  zugemessenen  Zeit  musste  ich  mir  jedoch  manche  Beschrän- 
kung auferlegen.  Einmal  untersuchte  ich  nur  die  Wirbelsäule  und  die 
Hauptabschnitte  der  Extremitäten,  und  für^s  zweite  ist  die  Zahl  der  ge- 
messenen Thierarten  eine  nur  geringe ;  immerhin  aber  glaube  ich,  dass 
das  beigebrachte  Material  hinreichend  gross  ist,  um  mit  annähernder 
Sicherheit  allgemeine  Schlüsse  daraus  ziehen  zu  können.  Eine  Fort- 
setzung meiner  Messungen  wird  mich  wohl  in  den  Stand  setzen,  die- 
sem Bericht,  den  ich  als  eine  vorläufige  Mittbeilung  betrachte, 
weitere  folgen  zu  lassen.  In  diesen  werde  ich  dann  auch  ausführlicher 
über  bisher  in  dieser  Richtung  von  Andern  gemachte  Beobachtungen 
berichten  können.  Besonders  wichtig  dürften  in  dieser  Beziehung  die 
Untersuchungen  von  Herrn  Professor  M|tbr  in  Zürich  sein.  Die  kurze 
Notiz  in  dem  Tageblatt  der  Frankfurter  Naturforscher-Yersammlung  ist 
zu  unvollständig,  um  eine  voUe  Einsicht  zu  gewinnen^  es  ist  nur  so 
viel  ersichtlich,  dass  er  auf  einem  ganz  andern  Wege  zu  dem  Resultate 
kam,  dass  Zug  und  Druck  an  der  Formung  des  Skelets  theilnehmen. 

Für  die  Mittheiiung  meiner  Messungen  habe  ich  den  gleichen  Weg 
gewählt,  den  ich  bei  der  Untersuchung  ging. 


I.  Abschnitt. 
Knochenwachsthnm  des  Xansohan. 

Meine  Untersuchungen  begannen  mit  dem  Knochengerüste  des 
menschlichen  Vorderfusses.  Diess  unterscheidet  sich  bekanntlich  von 
dem  der  vierfüssigen  Sohlengänger  durch  einige  wesentliche  Merkmale: 

i)  die  Schiefstellung  der  Fusswurzel  in  der  Art,  dass  sie 
nur  mit  ihrem  äusseren  Rande  den  Fussboden  berührt.  Unter  den  Thie- 
ren  scheinen  nur  die  Menschenafifen  «ine  ähnliche  Stellung  der  Fuss- 
wurzel zu  besitzen.  Ausser  Stande,  ein  Skelet  zu  vergleichen,  scfaliesse 
ich  diess  aus  den  übereinstimmenden  Schilderungen  und  Abbildungen 
der  Gangart  dieser  Thiere.  Es  wird  nämlich  ausdrücklich  gesagt,  dass 
sie  nur  mit  dem  äusseren  Fussrand  auftreten ,  die  vier  äusseren  Zehen 
faustartig  einkrümmen  und  die  abgestellte  grosse  Zehe  als  zweiten 
Stützpunct  gebrauchen.  Diese  Gangart  setzt  mit  Nothwendigkeit  eine 
schiefgestellte  Fusswuj*zel  voraus  ^  und  wenn  ein  Präparator  einem 
Orangfusse  eine  andere  Stellung  gegeben  hat,  so  liegt  «eher  ein  gegen 


Ueber  das  Ltogß&wftcbstbnm  der  Knochen.  3 

die  Watarbeii  verstossendes  Artetact  vor.  Da  der  Mensch  die  schiefe 
Stellung  der  Fusswurzel  bereits  mit  auf  die  Welt  bringt,  wovon  man 
sich  sehr  leicht  am  Lebenden  überzeugen  kann ,  so  müssen  wir  dieses 
anatomische  Merkmal  des  Fussskelets  ein  ererbtes  nennen. 

i)  Die  zwei  anderen  specifischen  Merkmale  des  Menschenvorder- 
fusses  sind  die  Niederrollung  der  Mittelfussknochen  und  die 
Verstärkung  des  ersten  und  fünften  I^etatarsvts. 

Da  beides  im  Thierreich  nicht  vorkommt,  auch  nicht  beim  Men- 
schenaffen, so  lag  es  nahe,  diese  Merkmale  als  erworbene,  dem 
zuerst  genannten  als  dem  ererbten  gegenüber  zu  stellen.  Zunächst 
wollte  ich  mit  dem  Ausdrack  »erworben«  einen  Vorgang  bezeichnen, 
der  zeitlich  zusammenfiele  mit  der -Entstehung  des  Menschengeschlech- 
tes ;  als  idi  aber  einen  Blick  auf  den  Fuss  des  Säuglings  warf,  sah  ich, 
dass  das  Wort  »erwerben«  eine  viel  näher  liegende  Bedeutung  habe. 

Von  einer  Niederrollung  der  MitTtel- 
fussknochen  ist  nämlich  beim  Kinde  nichts 
zu  sehen,  sie  liegen  parallel  neben  einander ;  der 
Sohle  mangelt  deshalb  die  charakteristische  GewOlbe- 
bildung,  sie  ist  fladi  und  liegt  nicht  horizontal,  son- 
dern bildet  einen  Winkel  von  nahezu  einem  halben 
Rechten  mit  dem  Horizonte  (siehe  Fig.  4 ) . 

Aebnlich  verhält  es  sich  mit  der  Verstär- 
kung des  inneren  und  äusseren  Mittelfuss- 
knochen s.  Der  der  grossen  Zehe  ist  zwar  bereits 
etwas  stärker  als  die  mittleren^  der  äussere  dagegen 
zeigt  noch  keine  Spur  jener  beträchtlichen  Verstär-  ^^^'  ^  * 

kung  seines  Fusswurzelendes  und  der  geringeren 
des  Gapitulums. 

Nach  diesem  Befund  lag  es  auf  der  Hand,  zu  sagen:  diese  beiden 
anatomischen  Merkmale  der  Fusswurzelknochen  müsse  sich  jeder  ein- 
zelne Mensch  erst  nach  seiner  Geburt  erwerben.  Zufälligerweise  war 
mein  jüngstes  Kind  gerade  in  dem  Alter,  wo  es  anfing ,  das  Laufen  zu 
lernen  und  so  konnte  ich  mich  zunächst  davon  überzeugen,  dass  die 
Niederrollung  der  Mittelfussknochen  zuerst  eine  ganz 
vorübergehende  ist.  Sitzt  oder  liegt  das  Kind,  so  fehlt  sie  gänz- 
lich, erst  in  dem  Moment,  wo  es  sich  auf  die  Füsse  stellt,  nimmt  es  sie 
durch  einen  Act  freiwilliger  Muskelbewegung*  vor  und  je  häufigei^  es 
diess  tbut,  um  so  unvollkommener  kehren  die  Knochen  in  die  ange- 
bome  parallele  Stellung  zurück;  dieses  körperliche  Merkmal 
des  Fussskelets  erwirbt  sich  also  das  Kind  durch  den 
Gebrauch,  den  es  von  diesen  Knochen  macht.    Wenigstens 

4* 


4  Dr.  GosUy  Jaeger, 

däuchte  mir  diese  Erklärung  natürlicber,  als  die  bisherige  Anschauung: 
Prädestination  sei  es,  welche  das  Auftreten  der  Sohlenwölbung  verur- 
Sache  und  der  aufrechte  Gang  sei  erst  die  Folge  dieser  günstigen  Fuss- 
gestaltung.  Offenbar  ist  das  Verhäitniss  umgekehrt:  dadurch,  dass  das 
Kind  auf  zwei  Füssen  sich  erhebt,  und  zwar  mit  Hilfe  der  Klam- 
merkraft seiner  Hände  und  der  Zugkraft  seiner  Arme, 
nöthigt  es  seine  noch  frei  beweglichen  Mittelfussknochen  mittelst  Mus- 
keizug  sich  mit  ihren  vorderen  Enden  an  den  Fussboden  anzudrücken, 
ein  Act,  ebenso  willkürlich  wie  das  Anschmiegen  derMetacarpaiknochen, 
wenn  die  Hand  einen  Gegenstand  erfasst.  Dass  mit  der  Zeit  die  Mittel- 
fussknochen diese  Stellung  dauernd  einnehmen,  hat  dann  dieselben 
bekannten  Ursachen  wie  die  Fixirung  irgend  eines  anderen  Gelenkes, 
wenn  es  längere  Zeit  in  der  betreffenden  Stellung  unthätig  verharrt. 
Hiebet  mache  ich  die  gelegentliche  Bemerkung :  die  Vorbedingung  des 
aufrechten  Ganges  ist  der  Besitz  einer  Greif  band ,  deshalb  konnte  sich 
der  Mensch  nur  aus  den  Greifhändem  entwickeln. 

Hatte  sich  nun  für  dieses  Merkmal  nicht  nur  klar  herausgestellt, 
dass  es  überhaupt  erworben  werden  muss,  sondern  war  auch  das  Mit- 
tel dieser  Erwerbung,  »der  Gebraucha  an  den  Tag  gekommen,  so 
lag  es  nahe,  auch  rücksichtlich  des  dritten  Merkmales:  der  Verstär- 
kung der  äusseren  Mittelfussknochen  ähnliches  zuver- 
muthen:  nämlich  dass  der  Gebrauch  es  sei,  der  sie  herbei- 
führe. 

Das,  was  wir  über  das  Wachsthum  des  Knochens  wissen,  begün- 
stigt offenbar  diese  Vermuthung ;  das  Dickenwachsthum  geht  aus  von 
der  Beinhaut,  das  Längenwachsthum  von  den  zwischen  Epi-  und  Dia- 
physe  eingeschalteten  Knorpelscheiben.  Jede  Reizung  dieser  zwei 
Knochen  producirenden  Gewebe  wird  nun  voraussichtlich  eine  ver- 
mehrte Knochenbildung  einleiten  können :  Zerrung  der  Beinhaut  durch 
die  an  sie  sich  heftenden  Muskeln  und  Gelenkbänder  wird  das  Dicke- 
wachsthum  befördern ,  der  Druck  auf  die  Endknorpel  und  Zwischen- 
knorpelscheiben das  Länge  wachsthum. 

Diese  allgemeine  Erwägung  legte  also  die  Vermuthung  nahe ,  dass 
auch  bei  der  Verstärkung  des  äusseren  und  inneren  Mitteifussknochens 
der  Gebrauch  die  eigentliche  Ursache  sei ,  zumal  da  auf  der  Hand  lag, 
dass  bei  der  aufrechten  Stellung  diesen  beiden  Knochen  die  grösste 
Arbeit  auferlegt  ist.  Um  diese  Vermuthung  zur  Gewissheit  zu  erheben, 
nahm  ich  eine  Reihe  von  Messungen  vor.  Da  mir  leider  nicht  das  ge- 
nügende Material  von  Skeleten  verschiedener  Altersstufen  zu  Gebote 
stand,  so  war  ich  genöthigt,  die  Messungen  an  Lebenden  vorzunehmen. 
Ich  stellto  sie  in  folgender  Weise  an :  es  wurde  auf  den  Fussrücken 


Ueber  dM  LlngenwaehsthiuD  der  KDOohen. 


.    5 


quer  über  die  vordern  Enden  der  Mittelfu  ssknochen  ein  Papierstreifen 
gelegt.  Auf  ihm  markirte  ich  die  Enden  der  Zehenspalten  und  den 
innern  und  äussern  Pussrand.  So  bekam  ich  einen  Einblick  in  die  re- 
lative Breite  der  vorderen  Enden  der  Mittelfussknochen. 

Für  den  inneren  Hetatarsus  ist  diese  Messmethode  ziemlich  genü- 
gend ,  für  den  Metatarsus  der  fünften  Zehe  leidet  sie  an  zwei  Unvoll- 
kommenheiten.  Einmal  verdickt  dieser  sich  an  seinem  vorderen  Ende 
weit  weniger  als  an  seinem  hinteren ;  insofern  wären  die  erhaltenen 
Maasse  zu  klein,  andererseits  bekam  ich  bei  der  Messung  am  vorderen 
Ende  die  mit  der  Zeit  eintretende  Verdickung  der  Weichtheile  mit  in 
den  Kauf  und  somit  wären  die  erhaltenen  Maasse  zu  gross.  Da  sich 
nun  aber  beides  oompensirtj  so  glaubte  ich  es  doch  bei  dieser  Messung 
vorläufig  bewenden  lassen  zu  können. 

*    Ich  gebe  im  Polgenden  eine  Tabelle  der  gewonnenen  Maasse  in 
Millimetern,  und  zwar  zusammengestellt  nach  Familien. 


1.  Familie. 


Geschlecht 

4.  Meta- 
tarsus 

No. 

Alter 

resp.  Beschäf- 
tigung 

2ter 

8ter 

4ter 

5ter 

4. 

8  Monate .  . 

Knabe 

46 

44 

8V2 

8V2 

40 

t. 

^VsJahr  . 

Mädchen 

46 

9 

8 

8 

40 

8. 

sVaJahr  . 

Mädchen 

48 

44 

9 

9 

42 

4. 

5  Jahre  .  . 

Mädchen 

491/, 

421/, 

9 

9 

42 

5. 

6  Jahre  .  . 

Knabe 

20 

48 

40 

44 

48 

6. 

85  Jahre  .  . 

Biann, 

sitzende 

Lebensart 

88 

44 

45 

48 

25 

7. 

82  Jahre  .  . 

Frau 

29 

45 

45 

42 

49 

S. 

26  Jahre  .  . 

Magd 

80 

44 

45 

45 

24 

9. 
40. 


9  Jahre  .  . 
4  8  Va  Jahre. 


8.  Familie. 


Knabe 

22 

44 

»V2 

401/2 

Mechaniker, 

86 

44 

42 

42 

steht  viel 

46 
26 


3.  Familie. 


44. 

42. 
48. 
44. 
45. 

46. 

47. 


5Vs  Jahre 
9  Jahre  . 

4  0  Jahre  . 

42  Jahre  . 

44  Jahre  . 

89  Jahre  . 


89  Jahre  .  . 


Mädchen 
Mädchen 
Mttdchen 
Mädchen 
Knabe 
turnt  von 
Jugend  auf 
Frau  unge- 
wöhnlich 
gross 


24 

48 

42 

44 

26 

42 

40 

44 

82 

44 

42 

44 

30 

48 

44 

42 

89 

49 

44 

45 

88 

44 

45 

48 

40 

49 

48 

45 

45 
46 
48 
47 
25 
25 

26 


6 


Dr.  Gostav  Jaeger, 


4.  Familie. 


No. 

Alter 

Geschlecht 

resp.Besphäf- 

tigung 

4.  Heta- 
tarsus. 

2ter 

8ter 

4ter 

5ter 

48. 

49. 
20. 

4  8  Monate  . 

5  Jahre  .  . 
33  Jahre  .  . 

Knabe,  läuft 
noch  nicht 

Knabe 
läuft  viel  und 
arbeitet  ste- 
hend 

45 

20 
44 

44 

44 
44 

40 

9 
43 

44 

401/, 
44 

42 

«♦V2 
26 

24. 

2  Jahre  .  . 

Mädchen 

22. 

48/4  Jahre . 

Mädchen 

23. 

39  Jahre  .  . 

Mann 

5.  Pami 

lie. 

48 

44 

44 

40 

20 

42 

40 

40 

86 

45 

43 

47 

44 
46 
24 


Aus  diesen  Tabellen  geht  hervor,  dass  die  grosse  und  kleine 
Zehe,  resp.  das  Ende  ihrer  Metaiarsen,  mit  zunehmendem  Alter 
stetig  im  Verhältniss  zu  den  andern  Metatarsen  anDicke 
gewinnen  und  die  wenigen  Messungen  geben  auch  schon  deutliche 
Anzeichen,  dass  bei  Individuen,  die  mehr  stehen  und  gehen,  die  Diffe- 
renz zwischen  den  mittleren  und  äusseren  Metatarsalknochen  eine 
grössere  ist  als  bei  Leuten  von  sitzender  Lebensweise.  Man  vergleiche 
z.  B.  No.  7  u.  8.  Femer  bei  mir,  der  ich  von  Jugend  auf  eine  sitzende 
Lebensweise  führte ,  beträgt  der  Unterschied  zwischen  dem  Mittel  der 
drei  mittleren  (16)  und  der  grossen  Zehe  22,  bei  meinem  Freunde 
No.  20,  der  viel  auf  die  Jagd  geht  und  stehend  arbeitet,  29  Millimeter. 
Freilich  sind  in  dieser  Beziehung  die  vorliegenden  Messungen  absolut 
ungenügend ;  ich  muss  mir  deshalb  vorbehalten,  sie  nachzuholen  resp. 
Andere,  denen  reichliches  Material  zu  Gebote  steht,  auffordern,  solche 
Messungen  vorzunehmen.  Abgesehen  von  der  theoretischen  Wichtig- 
keit wäre  es  von  praktischem  Interesse ,  das  Maximum  und  Minimum 
dieser  Veränderlichkeit  des  Metatarsus  unter  dem  Einfluss  verschiede- 
ner Beschäftigungsweisen  kennen  zu  lernen;  Einerseits  zu  wissen,  bis 
zu  welcher  Stärke  Gymnastiker,  Akrobaten  und  Fussgänger  ihre  Meta- 
tarsen hinaufschrauben  können  und  andererseits  wie  tief  unter  dem 
Normalmaasse  sie  zurückbleiben  bei  Menschen ,  welche  niemals  in  die 
Lage  kamen,  durch  den  aufrechten  Gang  ihre  Metatarsen  zu  stärken. 

Nachdem  ich  diese  Erfahrungen  gewonnen,  lag  es  nahe,  zu  unter- 
suchen, ob  nicht  auch  an  den  übrigen  Skelettheilen  sich 
Anzeichen  dafür  finden  lassen,  dass  erhöhter  Gebrauch 
ein  stärkeres  Wachsthum  bedinge.  Da  die  Untersuchung  der 
Dickeverhältnisse  der  Knochen  am  Lebenden  nicht  auszuführen  ist,  so 
beschränkte  ich  mich,  die  Längenausdehnung  zu  messen.   Ich  sah 


Dcbtr  du  UigMWwluttiuD  dir  KdiwImd.  7 

hiebei  sUD&chst  ab  voa  dem  durch  Mufikelzusammeazi^utig  auf  den 
KDOcheD  ausgeübten  Drook  iD  der  Läogenaxe  und  richtete  meio  Augen- 
merk nur  darauf,  ob  diejenigen  Knochen,  welche  in  Folge 
der  natürlichen  Haltung  des  Körpers  unter  dem  Druck 
einer  grosseren  Last  stehen,  beim  Erwachsenen  relativ 
länger  sind  als  beim  Neugebornen. 

Der  erste  Pnnct,  in  Bezug  auf  welchen  sich  diese  Vermuthung  be- 
■tUtigte,  ist  das  Langenverhältniss  von  Bein  und  Bunpf. 
Beim  Neugebornen  kommen  von  der  TotalkSrperUnge  im  Betrag  von 
90  Ctm.  nach  der  Angabe  von  Louazic,  mit  der  einige  Messungen,  die 
ich  selbst  madite,  ziemlich  genau  stimmen,  30  Ctm.  auf  den  Rumpf, 
20  auf  das  Bein.  BeimErwachsenen  kommen  nach  Luarmc  von  175  Ctm. 
Totallange  87  auf  den  Humpf,  94  auf  das  Bein.  Hiebei  würde  die 
Schosstuge  als  Punctum  ßzum  angenommen.  Ich  fUge  dem  noch  foei 
die  Liste  meiner  eigenen  Familie. 


Aller 

Geschlecht 

Rompt 

Bein 

S  Honets.  . 

i'/j  Jahr  ■  . 

|i/,Jal>r.  . 

SJabr  .  .  . 

•  Jahr  .  .  . 
SB  Jahr  .  .  . 
Sl  Jahr  .  .  . 

Knabe 
MBdcfaen 
Mädchen 
Hadcben 

Knabe 

USDD 

Frau 

S8  Clm. 
1,9     - 
51      - 
55     - 
BS     - 
8(     - 
77     - 

SOCttn. 
17     - 

(3      - 

«8      - 
BS     - 
SS     - 
81     - 

Beinttg   der  Totallange 

-  *s'g    l         - 

-  *6,6«    -            - 

Ulli     : 

Das  Bein  nimmt  also  bei  fortschreitendem  Alter  an  Länge  gegen- 
über dem  Rumpfe  zu;  d.  h.  der  tragende  Kürpertheil  wachst  starker 
in  die  Länge  als  der  getragene. 

Hierauf  mass  ich  dasVerhältniss  von  Arm  und  Bein;  der 
Fuss  ist  gemessen  von  der  Schossfuge  bis  zur  Sohle,  der  Arm  bei  wsg- 
rechter  Streckung  vom  Akromion  bis  zur  Fingerspitze.  Die  dritte  Bubrik 
giebt  die  Differenz  des  Wacbsthumsbetrags.  Die  Haasse  sind  Genti- 
meter. 


AHer 

Gesohlecfat 

Arm 

Bein 

Di  Heren X 

»  MoiMte.  . 

Kuabc 

ä9  Clni- 

SO  Ctm, 

1   Ctm. 

Madcben 

37      - 

H  Jal.r.   ,   . 

Mädchen 

37       - 

*S      - 

s      - 

S  Jahre.  .  , 

tu  ->  . 

ii     - 

5i      - 

«Jahre.   , 

Ktiaho 

ntthn.  .  . 

n  übn.  .  . 

Krau     . 

7        - 

8 


Dr.  Gusta?  Ja^r, 


.  Aus  diesen  Messungen  ging  der  Satz  hervor:  das  stärker  be- 
lastete Gliedmaassenpaar  wächst  stärker  in  die  Länge 
als  das  minder  belastete. 

Begreiflicherweise  ging  ich  mit  gespannter  Erwartung  an  die  Yer- 
gleichung  von  Ober-  und  Unterschenkel.  Denkt  man  sich  den 
Menschen  in  aufrechter  Stellung,  so  lastet  auf  dem  letztern  ein  grösse- 
rer Druck  als  auf  dem  ersteren ,  und  ich  vermuthete  demgemäss  ein 
stärkeres  Wachsthum  des  Unterschenkels  zu  finden.  Sehen  wir  nun, 
in  wieweit  die  folgende  Tabelle  hiemit  stimmt.  Ich  gewann  sie  durch 
Messung  meiner  eigenen  Familienmitglieder,  denen  ich  in  No.  i  die 
eines  Skeletes  vom  Neugeborenen  und  in  No.  9  die  eines  erwachsenen 
männlichen  Skeletes  beigesellte.  Die  Art  des  Wachsthums  stellte  ich 
dadurch  fest ,  dass  ich  für  jeden  Gliedmassenabschnitt  die  Differenz 
zwischen  den  zwei  im  Alter  nächstliegenden  Individuen  suchte. 

Oberschenkel.  Unterschenkel. 


No. 

Alter  u.  Geschlecht 

Ctm. 

Differenz 

Ctm. 

Ctm. 

Differenz 

Ctm. 

4. 

Neugeb.  Skelet  .  . 

8,5 

7,3 

2. 

8  Monate,  Knabe  . 

15,3 

von  4  u.  2 

6,8 

43,2 

von  4  u.  2 

5,9 

3. 

2V2  Jahr,  Mädchen 

49,0 

von  2  u.  3 

3,7 

46,5 

von  2  u.  3 

3,3 

4. 

3  Va  Jahr,  Mädchen 

24,9 

von  3  u.  4 

2,9 

49,7 

von  3  u.  4 

3,2 

5. 

5  Jahre,  Mädchen 

24,7 

von  4  u.  5 

2,8 

22,9 

von  4  u.  5 

3,2 

6. 

6  Jahre,  Knabe.  . 

23,5 

von  6  u.  3 

4,5 

24,9 

von  6  u.  3 

&,4 

7. 

85  Jahre,  Mann  .  . 

43,2 

von  6  u.  7 

49,7 

38,0. 

von  6  u.  7 

46,4 

8. 

82  Jahre,  Frau    .  . 

44,8 

von  5  u.  8 

47,4 

38,7 

von  5  u.  8 

45,8 

9. 

Erwachs.  Skelet    . 

43,0 

von  6  u.  9 

49,5 

39,5 

von  6  u.  9 

47,6 

Aus  dieser  Tabelle  geht,  wenn  man  überhaupt  aus  so  wenig  Mes- 
sungen allgemeine  Schlüsse  ziehen  darf,  hervor,  dass  das  Tempo  des 
Wachsthums  dieser  beiden  Knochen  in  verschiedenen  Lebensabschnit- 
ten ein  verschiedenes  ist.  In  den  ersten  Lebensjahren  wächst 
der  Oberschenkel  stärker  als  der  Unterschenkel,  dann 
folgt  eine  mindestens  bis  zum  6.  Lebensjahre  reichende 
Periode,  während  welcher  das  entgegengesetzte  statt- 
findet, d.  h.  der  Unterschenkel  stärker  wächst  als  der  Oberschenkel; 
endlich  ändert  sich  das  Yerhältniss  noch  einmal:  der  Oberschenkel  er- 
langt den  Yorsprung  über  den  Unterschenkel. 

Diess  Verhalten  ist  auf  den  ersten  Blick  ein  höchst  eigenthümliches 
und  doch  löst  es  sich  in  befriedigender  Weise.  In  der  ersten  Lebens- 
periode rutschen  die  Kinder  nicht  blos  viel  auf  den  Knien,  sondern  zie- 
hen auch  beim  Stillsitzen  die  Kniestellung  der  Platznahme  auf  dem 
Gesässe  vor,  hiebei  ist  der  Oberschenkel  allein  belastet  und  der  Unter- 
schenkel in  Ruhezustand  versetzt;  es  darf  uns  also  nicht  wundem, 
dass  in  dieser  Zeit  der  Oberschenkel  stärker  wächst, 


Oeber  das  LlngeDwa^sthuiii  der  Knochen.  9 

Ebenso  natürlich  ist  die  Umkehrung  in  der  nächsten  Lebens- 
periode, in  welcher  das  des  Laufens  vollständig  mächtige  Kind  mehr 
steht  und  läuft  als  rutscht  und  kniet.  Diese  Periode  beginnt  zwischen 
dem  zweiten  und  dritten  Lebensjahre  und  endet  wahrscheinlich  — 
denn  ihre  Grenze  nach  oben  ist  aus  unserer  Tabelle  nicht  ersichtlich  — 
mit  dem  Augenblick ,  wo  die  sitzende  Lebensweise  beginnt  (mit  dem 
schulpflichtigen  Älter).  Dass  von  jetzt  an  Ober-  und  Unterschenkel 
nahezu  gleich  wachsen,  möchte  ich  weniger  in  dem  Schwinden  der 
Belastungsdifferenzen  suchen  als  in  den  Unterschieden  im  Muskeldrucke. 
Es  lässt  sich  nicht  blos  aus  der  Masse  der  Muskeln ,  sondern  auch  aus 
den  bestehenden  Änsatzverhältnissen  [siehe  hierüber  später)  darthun, 
dass  der  Oberschenkel  durch  die  Muskelthätigkeit  einen 
stärkeren  Druck  in  seiner  Längsaxe  erfährt  als  der  Unter- 
schenkel; und  das  compensirt  sich  mit  der  grösseren  Belastung  des 
Unterschenkels  beim  Stehen,  somit  widersprechen  die  gefundenen 
Maassverhältnisse  unserem  supponirten  Satze  in  keiner  Weise.  Ich 
werde  im  zweiten  Abschnitte  dieser  Abhandlung  auf  den  Muskeldruck 
noch  einmal  zurückkommen,  weil  die  Messungen  an  den  Thieren  diese 
Anschauung  noch  unmittelbarer  einem  aufdrängen. 

Das  nächste  Object  meiner  Messungen  war  die  Wirbelsäule. 
Hier  liest  sich  schon  ohne  Yergleichung  mit  dem  Neugebomen  auf  den 
ersten  Blick  das  Gesetz  ab:  »vermehrter  Druck  steigert  das 
Län  g  en  wachst  hu  ma. 

Ich  gebe  nebenanstehend  die  Höhen  Verhältnisse  der  einzelnen  Wir- 
belkörper vom  Neugebomen  und  Erwachsenen.  Die  zwei  ersten  Hals- 
wirbel habe  ich  weggelassen ,  weil  die  Verwachsung  des  Körpers  des 
Atlas  mit  dem  Epistropheus  und  die  anderweitige  Function  dieser  bei- 
den Wirbel  eine  Yergleichung  mit  den  übrigen  nicht  zulässt.  Aehnliche 
Gründe  hinderten  mich  auch ,  das  Kreuzbein  in  den  Bereich  der  Mes- 
sungen aufzunehmen. 


Bezeichnung 

Erwachsener 

Neugeborner 

Differenz 

8.  Halswirbel 

«oVsMm. 

6    Mm. 

4Vs  Mm. 

4. 

^MU   - 

6       - 

A  - 

5. 

48 

6      - 

6 

6. 

h% 

6       - 

6 

7. 

15 

6       - 

9 

«.  Bro8twirl)el 

47 

6       - 

44 

2. 

49 

6       - 

48 

8. 

«4 

7 

44 

4. 

SO 

8       - 

4« 

5. 

48 

8       - 

40 

6. 

49 

8       - 

44 

7. 

«0 

8       • 

^%      - 

10 


Dr.  GoflU?  hdgju^ 


Bezeichnung 

Erwachsener 

Neugeborner 

Differenz 

8.  Brustwirbel 

24    Mm. 

8    Mm. 

43    Mm. 

9. 

24 

8       - 

43      - 

40. 

24 

8       - 

43 

ii. 

24 

»       - 

42       - 

42. 

24 

9       - 

42       - 

4.  Lendenwirbel 

22V«  - 

9       - 

48V2  - 

2. 

27       - 

91/2  - 

471/8  - 

3. 

27 

91/2- 

4  7V2  - 

4. 

28       - 

40        - 

48       - 

5. 

30       - 

40 

20       - 

Die  Tabelle  enthält  eine  doppelte  Bestätigung  unserer  Vermu- 
thung.  Mit  Ausnahme  der  sehr  geringen  Schwankung  zwischen  Stern 
und  6tcm  Brustwirbel ,  auf  die  ich  weiter  unten  zurückkommen  will, 
ist  jeder  Wirbelkörper  länger  als  sein  Nachbar  nach  oben  und  kurzer 
als  sein  Nachbar  nach  unten,  d.h.  der  getragene  kürzer  als  der 
tragende;  fürs  zweite  sehen  wir  aus  der  zweiten  Rubrik ,  dassder 
Neugeborne  zwar  auch  am  untern  Ende  seiner  Wirbelsäule  längere 
Wirbel  besitzt  als  am  oberen,  allein  die  Differenz  ist  eine  weit 
geringere.  Am  klarsten  springt  diess  aus  der  dritten  Rubrik  in  die 
Augen;  nur  4Y2  Millimeter  ist  die  Differenz  zwischen  dem  ßten  Hals- 
wirbel des  Erwachsenen  und  dem  des  Neugebornen ,  wähk*end  beim 
letzten  Lendenwirbel  nahezu  der  fünffache  Betrag  vom  Längenwacbs- 
thum  erscheint,  nämlich  20  Millimeter. 

Nicht  minder  bezeichnend  für  die  supponirte  morphologische  Kraft 
ist  das  stärkere  Längenwachsthum  der  4  ersten  Brustwirbel.  Beim 
Neugeborenen  findet  sich  nichts,  was  auf  ein  Angeborensein  dieses  Verr- 
hältnisses  hinweist.  Es  bildet  sich  erst  nach  der  Geburt  aus  und  da 
diese  Wirbel  es  vorzugsweise  sind,  die  bei  dem  Gebrauch  der  Arme  in 
Qlitleidenschaft  gezogen  werden,'  so  liegt  es  nahe,  die  damit  verbunde- 
nen Zerrungen  und  Compressionen  für  die  Ursache  dieses  gesteigerten 
Wachsthumcs  zu  halten.  Wir  werden  später  bei  der  Untersuchung  der 
Wirbelsäule  der  Thiero  diese  Auffassung  weiter  bestätigt  finden. 

Mit  den  im  Bisherigen  gegebenen  Messungen  ist  natürlich  die  Un- 
tersuchung des  menschlichen  Skeletes  nicht  beendet ;  einmal  müssen 
über  die  bisher  besprochenen  Verhältnisse  zahlreichere  Messungen  un- 
umstössliche  Gewissheit  verbreiten,  fürs  zweite  müssen  auch  die  übri- 
gen Knochen  die  gleiche  Behandlung  erfahren  und  namentlich  sind  in 
Bezug  auf  die  Gymnastik,  die  durch  die  vorliegende  Untersuchung  eine 
bis  jetzt  nicht  vermuthete  Bedeutung  gewinnt,  zahlreiche  Messungen 
nöthig,  um  zu  wissen,  in  wieweit  das  menschliche  Skelet  plastisch  ist. 
AUein  ehe  ich  mich  dieser  Aufgabe  unterzog,  war  es  mir  Bedürfhiss, 
zu  untersuchen ,  in  wieweit  die  Skeletverhältnisse  der  Thiere  mit  der 


üeber  das  LänieiWadisyinni  der  Kooehen.  1 1 

von  mir  beim  Menschen  vermutiieten  skeleibildenden  Kraft  harmoni- 
ren,  ob  wir  es  mit  einem  allgemeinen  Gesetz  zu  tbun  haben  oder  nicht. 
Das  Resultat  dieser  Untersuchung  habe  ich  in  dem  folgenden  Abschnitt 
zusammengesteUt. 


IL  Abschnitt, 
üeber  das  Knochenwachsthnm  Aer  TUere  nach  der  Geburt. 

An  der  menschlichen  Wirbelsäule  hatten  die  Verhältnisse  den  klar- 
sten Einblick  in  die  Ursache  des  Längen wachsthums  gewährt .  sicher 
in  Folge  der  Gleichartigkeit  aller  Übrigen  hier  in  Betracht  kommenden 
Einflüsse.  Ich  zog  es  deshalb  vor,  bei  meinen  Messungen  an  den  Thie- 
ren  mit  der  Wirbelsäule  zu  beiginnen. 

Da  ich  anfangs  keine  neugeborenen  Thiere  mit  erwachsenen  ver- 
gleichen konnte ,  so  griff  ich  zu  folgender  Methode.  Iq|^  mass  die  Höhe 
der  WirbelkOrper  vom  dritten  Halswirbel  angefangen  bis  zum  letzten 
Lendenwirbel.  Die  Schwanzwirbelsäule  Hess  ich  bei  all  den,  mit  einem 
Decken  ausgestatteten  Thieren  unberücksichtigt,  nur  bei  Fisch  und 
Delphin  erstreckt  sich  die  Messung  auch  über  sie.  Dann  setzte  ich  den 
niedrigsten  Wirbel  =  100  und  rechnete  die  Höhe  der  andern  dem  ent- 
sprechend um.  So  entstand  folgende  Tabelle,  zu  der  ich  nur  bemerke, 
dass  der  obere  Strich  Hals  und  Brust,  der  untere  Brust  und  Lende 
trennt.  Beim  Seewolf  steht  der  Strich  an  der  Grenze  zwischen  Rumpf 
und  Schwanz,  und  bei  der  grossen  Wirbelzahl  dieses  Thieres  habe  ich 
die  gleichlangen  nur  einmal  aufgeführt  unter  Versetzung  ihrer  Anzahl. 

Aus  dieser  Tabelle  ergeben  dch  vier  Gruppen  von  Thieren. 

4.  Gruppe.  Den  niedrigsten  Körper  hat  der  oberste  (dritte]  Hals- 
wirbel bei  Mensch ,  Känguruh,  Springmaus,  Seh uppenthier  und  Affe, 
also  bei  4  Thieren,  die  sich  vorzugsweise  mit  den  Hinterbeinen  bewe- 
gen und  einem  kletternden  Thiere.  (Ich  bemerke,  dass  nach  dem  Zeug- 
niss  Hbcglin's  das  Schuppenthier  auf  den  Hinterbeinen  geht,  siehe 
Brbui's  Thierleben  II.  pag.  3H.  Abbild,  pag.  316.)  Bei« den  zweifüssig 
gehenden  Thieren  ist  nun  offenbar  der  oberste  Halswirbel  im 
Verhältniss  zu  den  andern  der  getragene,  und  der  Affe  trägt  sowohl 
beim  Klettern  als  beim  Sitzen  gleichfalls  den  Bumpf  aufrecht. 

2.  Gruppe.  Der  Wirbel  mit  dem  niedrigsten  Körper  liegt  nahezu 
in  der  Mitte  der  Rumpfwirbelsäule  bei  Hirsch ,  Esel ,  Dachshund  und 
Wildkatze,  also  bei  Thieren,  die  sieh  gleichmässig  beider 
•Gliedmaassenpaare  bedienen.  Da  die  Wirbelsäule  der  Vierfüsser 
zwischen  Schulter  und  Becken  einen  B#gen  mit  der  Goncavität  nach 


12 


Dr.  Gasia?  Jaeger, 


Lendenwirbel 

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Deber  das  LüogeDwacliathain  der  Knochen.  1 3 

abwärts  bildet,  so  fst  bei  der  vierfttssigen  Aufstellung  der  den  Schluss- 
stein des  Bogens  bildende  Wirbel  im  Gegensatz  zu  allen  andern  der 
getragene  und  folgerichtig  der  kleinste.  Von  hier  aus  nehmen  die  Wir- 
belkörper nach  vorn  und  hinten  an  Grösse  zu,  entsprechend  ihrer  stär- 
keren Belastung. 

3.  Gruppe.  Bei  Iltis,  Fischotter  und  Hase  liegt  der  Wirbel  mit 
dem  niedrigsten  Körper  weiter  nach  vorn  als  bei  der  zweiten  Gruppe ; 
war  es  bei  den  vorigen  der  7.  Brustwirbel,  so  ist  es  hier  etwa  der  erste. 
Dieses  Verhalten  wird  verständlich,  wenn  man  in  Rechnung  nimmt, 
class  die  genannten  Thiere  sich  häufig  mit  eingeknickten  Hinterbeinen 
aufs  Gesäss  setzen.  Bei  dieser  Aufstellung  des  Körpers  nimmt  der  erste 
Brustwirbel  eine  höhere  Stellung  ein  als  die  andern ,  er  ist  also  ihnen 
gegenttber  der  getragene. 

4.  Gruppe.  Bei  den  schwimmenden  Thieren  Delphin  und 
Fisch  liegen  die  kürzesten  Wirbel  an  beiden  Enden  und  von  hier  aus 
nehmen  sie  gegen  die  Mitte  hin  stätig  an  Länge  zu.  Da  man  beim 
schwimmenden  Thiere  nicht  von  Belastung  durch  das  Körpergewicht 
sprechen  kann,  so  bleibt  hier  nur  der  Druck  der  Längsmusculatur 
ttbrig,  der  Fallt  nun  offenbar  in  der  Mitte  der  Wirbelsäule  stärker  aus 
als  an  ihren  Enden  und  das  Verhältniss  lässt  also  den  schon  einmal 
gewonnenen  Satz  ableiten:  die  Länge  des  Knochens  steht  in 
geradem  Verhältniss  zur  Stärke  des  Muskeldruckes,  un- 
ter dem  er  steht. 

Wie  legt  sich  aber  der  grosse  Unterschied  zwischen  Fisch 
und  Seesäugethier  in  Bezug  auf  den  Betrag  der  Verstärkung  der 
mittleren  Wirbel  zurecht?  Der  grös9te  Wirbel  des  Delphins  ist  mehr 
als  zehnmal  länger  als  der  kürzeste,  während  beim  Fisch  die  höchste 
Differenz  etwa  wie  7 :  4  ist.  Die  Ursache  liegt  sicher  in  dem  verschie- 
denartigen Bau  der  Längsmusculatur.  —  Da  beim  Fische  die  Rücken- 
muskeln in  lauter  Myocommata  zerßlllt  sind  und  keine  Sehnen  Muskel 
und  Wirbel  in  der  Zugsrichtung  verbinden ,  so  ist  offenbar  bei  ihnen 
der  Drudk  auf  die  Wirbel  gleichmässiger  vertheilt.  Bei  den  Säugethie- 
ren  ist  bekanntlich  der  Extensor  dorsi  communis,  der  beim  Delphin  in 
Folge  der  Abwesenheit  des  Beckens  sich  ununterbrochen  bis  zum 
Schwanzende  fortsetzt,  so  gebaut,  dass  die  mittleren  Wirbel  unter  weit 
höherem  Drucke  stehen  als  die  Endwirbel.  Die  tiefste  Schichte  spannt 
sich  zwar  nur  von  Wirbel  zu  Wirbel ,  in  der  zweiten  dagegen  finden 
sich  bereits  Muskeln,  die  einzelne  Wirbel  überspringen  und  endlich  hat 
der  Lumbooostalis ,  Iliocostalis ,  Costaiis  dorsi  Faserzüge,  die  viele 
Wirbel  überspringen.  Am  besten  wird  diese  Wirkung  der  übersprin- 
genden Fasern  ersichtlich  aus  der  beigefügten  Fig.  9,  welche  den  Longus 


14 


ht,  €a8ta?  J«flg0r, 


colli  des  Manscben  schemaliscli  darstellt.  Bei  der 
Contraction  dieses  MuskeU  werden  die  Wirbel 
No.  4.  5.  6.  7  den  Druck  von  sämmilichen  Mus- 
kelfasern auszuhallen  haben,  No.  \  4  nur  den  der 
Fasern  a,  No.  10  den  der  Fasern  a  und  b^  No.  9 
den  von  a,  b  und  c,  Nor  8  den  von  a,  b,  c  und  dy 
und  dasselbe  gilt  fttr  die  Wirbel  i .  2  und  3.  Die- 
selbe Anordnung  hal  die  Husculatur  der  Wirbel- 
säule im  Ganzen  und  es  ist  deshalb  klar,  dass 
die  miuleren  Wirbel  einem  weit  höheren  Muskel— 
drucke  unterworfen  sind  als  die  an  den  Enden. 

Ob  diese  Lösung  die  richtige  ist,  kann  na- 
türlich nur  eine  sorgsame  Zergliederung  der 
Längsmusculatur  des  Delphins  endgültig  ent- 
scheiden; sie  geht  von  der  Voraussetzung  aus, 
dass  die  Delphine  den  gleichen  Bau  der  geraden 
Rückenmusketln  haben  wie  die  andern  Säuger, 
und  diese  Annahme  sUltjEt  sich  auf  die  von  mei- 
nem verehrten  Lehrer,  Herrn  Prof.  Rapp,  gege- 
bene Darstellung.   (Bapp,  Getaceen  pag.  79.) 

Bei  der Wii4)elsäu)e  des  Fisches  füllt  noch 
auf,  dass,  nachdem  betreits  im  Bereich  der  Rumpf- 
wirbelsäule und  am  vorderen  Theil  der  Schwanzwirbelsäule  die  Höhe 
der  Wirbelkörper  abgenommen  hat,  am  siebenten  Wirbel  wieder  eine. 
Zunahme  erscheint,  die  sich  über  vier  Wirbelkörper  erstreckt.  Ich 
kenne  nun  die  Bewegungsart  des  Seewolfes  nicht,  wohl  aber  habe  ich 
seinen  nahen  Verwandten,  den  Blennius,  jahrelang  in  Aquarien  beob- 
achtet und  gesehen,  wie  gerade  an  dieser  Stelle  des  Schwanzes  die 
grösste  Beugungsfähigkeit  ist.  Diese  Thiere  können  mit  ihrem  Schweif 
die  Flanken  ihres  Leibes  peitschen  gerade  wie  die  Katsen.  Bei  dieser 
Operation  werden  die  an  der  Umbeugungsstelle  liegenden  Wirbel  eine 
stärkere  Pressung  erfahren  als  die  übrigen.  So  lässt  sich  also  auch 
dieses  Verh&ltniss  auf  die  oben  gewonnenen  Sütze  zurückführen. 

Obwohl  ich  weiter  unten  speciell  auf  die  Differenzen  eingehen 
werde,  die  innerhalb  der  andern  drei  Gruppen  sich  finden,  so  will  ich 
an  die  Betrachtung  der  schwimmenden  Thiere  die  Besprechung  der 
Differenz  zwischen  Iltis  und  Fischotter  anreihen.  Die  Wir- 
belkörper der  letztem  zeigen  nttmlich  geringere  Längenuntersdiiede 
als  die  des  ersteren.  Diess  löst  sich  in  folgender  Weise.  Die  vierfüssige 
Gangart  steigert  die  Differenz  zwischen  den  mittleren  und  den  End- 
wirbeln zu  Gunsten  der  letzteren ,  die  schwimmende  Lebensweise  da- 


Fig.  2. 


üeber  das  LlhigmiwMlistlimn  der  Knofhen.  ]  5 

gegen  tn  Gansten  der  ersteren ,  es  muss  also  bei  gemischter  Lebens- 
weise die  Differenz  geringer  ausfallen. 

Den  Schluss  der  Betrachtung  der  obigen  Tabelle  bildet  die  Erörte- 
rung eines  scheinbar  auffälligen  Umstandes;    es  ist  folgender:    der 
Mensch  ist  das  einzige  Geschöpf,  bei  dem  der  letzte  Lendenwirbel  die 
grttssle  Länge  besitzt.   Bei  allen  anderen  Thieren  ist  der  dritt-  oder 
viertletzte  der  längste.    Als  Erklärung  möchte  ich  Folgendes  anführen. 
Der  Mensch  ist  das  einzige  Thier,  das  seine  Wirbelsäule  vollständig 
aufgerichtet  hat.    Er  darf  somit  fast  keinerlei  Muskelzug  aufwenden, 
um  den  Rumpf  in  seiner  Lage  zu  erhalten ,  während  bei  allen  anderen 
Thieren  der  Zug  der  Rückenmusculatur  eine  nicht  unbeträchtliche  Rolle 
spielt.   Springhase,  Affe  und  Känguruh  müssen  ihre  Lendenmuseulatur 
spannen,  um  ihre  Wirbelsäule  in  der  schiefgeneigten  Stellung  zu  er- 
halten, und  auch  beim  vierftLssigen  Thiere  ist  der  Lendenmuseulatur 
eine  grössere  Aufgabe  gestellt  als  beim  Menschen.    In  Folge  der  eigen- 
thümlichen  Anordnung  der  Lendenmuseulatur  fällt  nun  das  Druck- 
maximum des  Muskelzuges  nicht  auf  den  letzten  Lendenwirbel ,  son- 
dern auf  die  Mittelregion  der  Lende  und  —  was  weiter  in  Betracht 
kommt  —  auch  das  Maximum  der  Bewegung  fUUt  auf  die  mittleren 
Lendenwirbel.   Es  stimmt  also  auch  diese ,  auf  den  ersten  Blick  auf- 
fallende Differenz  in  der  Lendenwirbelsäule  von  Mensch  und  Thier  mit 
dem  aufgestellten  Satze ,  dass  das  Längenwachsthum  der  Knochen  mit 
der  Höhe -des  Muskeldrucks,   unter  dem  sie  stehen,    zunehme.    Die 
grossen  Unterschiede,  welche  trotz  der  oben  vorgenommenen  Auflösung 
noch  innerhalb  der  einzelnen  Gruppen  übrig  blieben,  spornten  zu  wei- 
teren Messungen  an.   Da  aber  die  Messung  der  Länge  der  einzelnen 
Wirbelkörper  nicht  nur  zeitraubend ,  sondern  auch  bei  aufgestellten 
Skeleten  schwierig  ist,  so  schritt  ich  zu  anderen  Messungsmethoden, 
die  rascheren  Aufschluss  gaben  über  den  Zusammenhang  zwischen  Be- 
schäftigungsgrad und  Wirbelkörperlänge.     Hiebei  war  es  mir  nicht 
allein  darum  tu  thun,  das  relative  Wachsthum  der  einzelnen  Wirbel- 
sHuleabschnitte  festzustellen,  sondern  auch  das  absolute  Wachsthum 
der  ganzen  Rumpfwirbelsflule,  denn  dass  diess  nicht  überall  gleich  sei, 
dafür  sprachen  die  in  der  Tabelle  enthaltenen  Messungen. 

Um  das  letztere  zu  erreichen ,  stellte  ich  eine  Berechnung  an ,  die 
von  folgender  Voraussetzung  ausging : 

Bei  Thieren,  welche  ihre  Wirbelsäule  angestrengt  gebrauchen, 
wird  sich  keiner  der  Wirbel  in  solcher  Weise  der  Arbeitsleistung  ent- 
ziehen können ,  dass  es  ihm  gestattet  wäre ,  auf  geringerer  Stufe  des 
Wachsthums  stehen  zu  bleiben;  m.  a.  W. :  die  Wirbel  werden  unter 
sich  wenig  Grösseunterschied  aufweisen.   Wo  dagegen  die  Wirbelsäule 


16 


Dr.  Gastav-Jaef^er, 


weniger  Arbeit  zu  verrichten  hat,  wo  also  die  Länge  derselben  weniger 
abhängt  vom  Muskelzug ,  sondern  mehr  nur  von  den  Belastungsdiffe— 
renzen,  werden  die  Unterschiede  der  Wirbelkörper  grösser  sein.  Eine 
darüber  belehrende  Ziffer  erhielt  ich,  indem  ich  mit  der  Länge  des  kür- 
zesten Wirbelkörpers  in  die  Gesammtlänge  der  Rumpfwirbelsäule  di— 
vidirte,  vorausgesetzt,  dass  ich  diese  bei  allen  Thieren  auf  die  gleiche 
Wirbelzahl  reducirte.  Diess  ist  in  der  folgenden  Tabelle  geschehen  und 
der  erhaltene  Quotient  als  Nenner  eines  Bruches  eingetragen. 


Thierart 


Kürzester 
Wirbel 


TotalläDge 

der 
Wirbelsäule 


Nach  Ab- 
zug von 


Bleibt 


Quotient. 


Springmaus 

Mensch 

Affe    . 

Hase  . 

Hyäne 

Pferd  . 

Dachshund 

Dromedar 

Wolf  . 

Esel    . 

Dachs. 

Hirsch 

Bär     . 

Känguruh 

Schaf . 

Löwe. 

ntis    . 

Ochse. 

Wildschwein 

Auerochse 

Fischotter 


4% 
40 

8 

6 
45 
87 
44 
65 
24 
25 
43 
35 
26 
20 
20 
26 

62 
25 
55 
45 


405 
640 
879 
265 
660 

4660 
435 

2300 
775 

4  000 
460 

4200 
935 
675 
670 
885 
300 

4870 
740 

4590 
475 


0  Wirbel 

0 

2 

2 

3 

7 

3 

2 

3 

6 

3 

2   ^ 

3 

2 

2 

3 

3 

2 

2 

2 

3 


405 
540 
336 
242 
597 

4330 
389 

2463 
693 
800 
442 

4400 
890 
625 
620 
764 
267 

4720 
678 

4455 
425 


Vto 
V« 
V42 
V40 
V40 

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Vsi 
Vst 
Vsi 
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V» 
Vas 
V« 
V» 


Vi 


25 


\)  Die  Reihe  eröffnen,  wie  zu  erwarten  war,  zweifttssig  gehende 
Thiere ,  nur  fällt  auf,  dass  das  Känguruh  weit  unten  steht  unter  den 
vierfüssigen  Thieren.  Ich  habe  nahezu  drei  Jahre  Gelegenheit  gehabt, 
das  Känguruh  in  der  Gefangenschaft  zu  beobachten  und  mich  hiebei 
überzeugt,  dass  es  seinen  Rumpf  beim  ruhigen  Hüpfen  und  Aesen 
nahezu  wagrecht  hält,  also  keineswegs  so,  wie  Mensch  und  Springmaus 
(letztere  sieht  man  immer  mit  fast  senkrechtem  Rumpfe  abgebildet). 
Um  sich  in  dieser  Stellung  zu  erhalten ,  bedarf  das  Känguruh  offenbar 
eines  grossen  Aufwandes  von  Muskelkraft,  auch  wenn  wir  in  Rechnung 
nehmen ,  dass  der  wuchtige  Schweif  eine  Art  Gontrebdlance  für  den 
Rumpf  bildet;  seine  Wirbelsäule  steht  also  unter  hohem  Muskeldruck 
und  damit  stimmt  die  geringere  Differenz  der  Wirbelkörper. 

%)  Auf  die  ZweifUsser  folgt  Affe,  Hase  und  Hyäne.  Für  den  erste- 
ren  ist  diese  Nachfolge  zu  erwarten :  ob  der  Rumpf  aufrecht  steht,  oder 
aufrecht  hängt,  oder  aufrecht  sitzt,  immer  ist  dabei  die  Halswirbelsäule 


Ueber  das  LSogenwachsthttin  der  Knochen.  17 

geringer  belastet  und  ihr  kleinster  Wirbel  wird  somit  ziemlich  niedrig 
sein.  Vom  Hasen  kann  man  nun  zwar  nicht  sagen,  dass  ein  Theil 
seiner  Wirbelsaule  wenig  beschäftigt  sei ,  wohl  aber,  dass  ein  Theil 
derselben  ganz  ausserordentlich  stark  in  Anspruch  genommen  ist, 
wie  ich  später  ausführen  werde.  Es  hat  diess  natürlich  das  gleiche 
Missverhältniss ,  d.  h.  die  gleiche  Herabsetzung  des  Bruchtheiles  zur 
Folge.  Auffallend  dagegen  wSre  die  Stellung  der  Hyäne ,  stünde  nicht 
auf  der  betreffenden  Etikette  des  Skeletes:  »Menagerie -Exemplar«. 
Nun  werden ,  wie  ich  von  einem  Hyänenhfindler  weiss ,  diese  Thiere 
immer  ganz  jung  eingefangen  und  im  Käfig  gross  gezogen ,  sie  haben 
also  in  eminentem  Sinne  das,  was  man  eine  unbeschäftigte  Wir- 
belsäule nenniy  und  daher  der  kleine  Bruch. 

3)  Nun  folgen  in  der  Tabelle  mit  Ausnahme  des  schon  besproche- 
nen Känguruh  vierbeinig  gehende  Thiere.  Die  Reihe  eröffnet 
Pferd,  Dachshund  und  Dromedar,  eine  etwas  auffallende  Zu- 
sammenstellung. Die  Kleinheit  des  schwächsten  Wirbels  beim  Hunde 
wi'rd  erklärlich,  wenn  wir  ihn  mit  dem  Wolfe  zusammenhalten  und 
wissen ,  dass  er  ein  Zimmerhund  war  (zuerst  im  Besitz  meines  Freun- 
des H.,  dann  in  meinem},  für  Pferd  und  Dromedar  müssen  wir  uns 
nach  andern  Ursachen  umsehen.  Offenbar  rührt  die  Kleinheit  des 
Bruches  wesentlich  von  der  ausserordentlichen  Länge  der  Halswirbel 
her  (darüber  werde  ich  weiter  unten  zu  sprechen  haben).  Den  klein- 
sten Bruch  besitzen  Ochse,  Wildschwein,  Auerochse  und  Fisch- 
otter. Für  die  letztere  ist  die  nOthige  Erklärung  schon  oben  gegeben 
worden.  Das  Wildschwein  besitzt  als  Wühler  gleichfalls  eine  stark 
beschäftigte  Wirbelsäule.  Ueber  Auerochse  und  Ochse  giebt  eine  spä- 
tere Tabelle  bessern  Aufschluss. 

Ich  ging  nämlich  zu  einer  neuen  Zusammenstellung  über,  weil 
auch  die  voranstehende  Methode  manche  Verhältnisse  nicht  klar  hervor- 
treten Hess.  Die  nächste  Tabelle  giebt  das  Längenverhältniss 
der  vordem  und  hintern  Hälfte  der  Rumpfwirbelsäule. 
Nach  Abzug  der  zwei  ersten  Wirbel  theilte  ich  Hals,  Brust  und  Lende 
zusammen  in  zwei  Abschnitte  von  gleicher  Wirbelzahl.  Unter  der  Ueber- 
Schrift  »natürliches  Maass«  findet  der  Leser  die  absolute  Länge  dieser 
Abschnitte  in  Millimetern.  Unter  der  Rubrik  »Procentsatz«  ist  die  Ge-* 
sammtlänge  der  Abschnitte  gleich  4  00  gesetzt  und  nun  bei  jedem  an- 
gegeben, wie  viel  Procent  dieser  Gesammtlänge  er  misst. 


iU  V.  i. 


18 


Pr.  GasUv  Jaeger« 


« 

Naettritohes  llaftss. 

DieTote11änge='r460. 

Thierart 

Vorder- 

Hinför- 

Vorder- 

Htnler- 

hälfte 

hälfte 

häifte 

b^fte 

Springhase 

24 

70 

25,6  0/0 

74,40/0 

Affe     .     .     . 

4  06Va 

257 

29,4 

70,6 

Ha^e  .     . 

89 

462 

35,4 

64,6 

Wildkatze 

425 

244 

36,8 

63,2 

Mensch    . 

474 

2MV2 

40,0 

60,0 

Löwe  .     . 

3S7 

492 

40,6 

59,4 

Känguruh 

263 

364  Vs 

42,0 

58,0 

Iltis    .     .     . 

449 

454 

44,0 

56,0 

Fischotter 

494 

229 

45,6 

54,5 

Bär     .     . 

385 

460 

45,5 

54,5 

Averoohse 

705 

840 

45,6 

54,4 

Wolf  .     . 

323 

384 

45,7 

54,3 

Wildschweit 

1          340 

375 

46,7 

58,3 

Dachshund 

484Vs 

(l96Vt 

48,0 

52,0 

Ochse .     . 

822 

845 

50,2 

49,8 

Schaf .     . 

824 

346 

50,3 

49,7 

Hyäne 

295 

270 

52,2 

47,ft 

Dachs. .  . 

205 

1     485 

52,5 

47,5 

Esel    .     .     . 

4661/2 

4441/2 

53,0 

47,0 

Hirseii     . 

596 

48« 

55,0 

45,0 

Pferd  .     . 

'865 

673 

56,2 

43,8 

Dromedar 

4240 

820 

59,5 

40,5 

Dicise  Tabelle  lehrt  Folgendem :  |)  Bei  den  kletternden  und 
zweibeipig  gehenden  Säugern  ist  die  vordere  Hälfte  der 
WirbelaHule  kttrster  als  die  hintere.  Nur  Einep  Fremdling  finden 
wir  in  dieser  Äbtheilung :  den  Hasen,  dß99en  hintere  Hälfte  sogar  no4^ 
stärker  entwickelt  ist  als  die  des  Känguruhs  Hier  ^omm^  ofienbar  der 
Muskelzug  in  Betracht ;  der  Hase  ist  unter  alF  den  hier  aufgeführten 
Thieren  das  gehetztestQ,  und  wenn  es  audb  nicht  ziyeifttssig  springt 
wie  das  Känguruh,  so  ist  doch  beim  Springen  die  Musculatur  der  Lende 
diejenige  df  s  Eui^pfes,  die  am  meisten  zu  arbeitep  hat  und  die  Häufig- 
keit des  Qehetztwerdeps  thut  hier  offenbar  die  gleichen  Dienste  wie  die 
stärkere  Spannung  beim  Känguruh.  Wir  dürfen  also  darin,  dass  der 
Hase  ähnliche  VerhälU^isse  zwischen  vorderem  und  hinterem  Wirbel- 
säulenabschnitt zeigt  wie  das  Känguruh,  nichts  unserem  allgemeinen 
Satze  Widersprechendes .  enblieken.  Leider  konnte  ich  das  Skelet  des 
wilden  Kaninchens  nicht  vergleichen ;  aus  seiner  Lebensweise,  und  sei- 
nen kürzeren  Beinen  nd^chte  ich  auf  eine  geringere  Entwicklung  seiner 
Lenden  Wirbelsäule  schliessen.  Ein  zweiter  Frepidllng  in  dieser  Abtbei- 
lung  ist  der  Löwe^  der  merkwürdigerweise  dam  Menschen  am  nächsten 
steht.  Aus  dem ,  was  über  die  Lebensweise  dieses  Thieres  berichtet 
wird,  lässt  sich  nichts  entnehmen,  was  auf  eine  stärkere  Beschäftigung 
der  hinteren  Körperhälfte  schliessen  Hesse,  auch  an  abändernde  Ein- 
Süsse  der  Gefangenschaft  kann  nicht  appellirt  werden ;  das  gemessene 


Ueber  dM  UngeiiWMhsthiiiii  4er  Knocben.  19 

Exemplar  stammt  nach  der  Etikette  ans  der  Freiheit  uod  so  müsstan 
wir  hier  das  Verbältniss  als  ein  ererbtes  betrachten ,  d.  h.  annehmen, 
der  Löwe  stamme  ab  von  einer  kletternden  Katzenart ;  wir  hätten  also 
seine  Wirbelsäule  zu  vei^leichen  mit  der  der  Wildkatze ,  und  da  ent- 
spricht dann  das  Verhältniss  seiner  Wirbelsäule  dem  Uebergang  zur 
vierbeinigen  Gangart,  durch  welche  das  Mis$yerhältnis$  zwischen  vor- 
derem und  hinterem  Wirbelsäuleabschnitt,  das  durch  die  kletternde 
Lebensweise  hervorgebracht  wird,  gemildert  wurde. 

2)  Bei  den  vierbeinig  gehenden  Thieren  ist  die  Län- 
gend! ff  erenz  zwischen  vorderer  und  hinterer  Hälfte  ge- 
ringer als  bei  den  Zweibeinern.  Doch  scheiden  sich  hier  noch 
3  Untergruppen. 

a)  Bei  Thieren,  welche  sich  noch  häufig  auf^s  Gesäss 
setzen,  wie  Iltis,  Fischotter,  Bär,  Wolf  und  Hund  ist  die 
hintere  Hälfte  länger  als  die  vordere;  wir  ünden  nur  zwei 
Thiere  unter  ihnen,  deren  Stellung  aufßlllig  scheint:  Auerochse  und 
Wildschwein.  Wie  wir  später  finden  werden,  rührt  diess  von  der 
Kürze  ihres  Halses  her. 

b)  In  fast  vollständigem  Gleichgewicht  steht  vordere  und 
hintere  Rumpf hälfte  bei  Ochse  und  Schaf.  Vergleichen  wir  den  er- 
steren  mit  dem  Auerochsen,  so  dürfen  wir  wohl  die  Ansicht  aussprechen, 
dass  beim  Ochsen  eine  Verlängerung  der  vordem  Hälfte  eingetreten  ist 
durch  seine  Beschäftigung  als  Zugthier.  Beim  Schaf  ist  das  Gleich- 
gewicht sicher  der  Ausdruck  seiner  monotonen  Beschäftigung,  bei  der 
kein  Abschnitt  des  Rumpfes  eine  hervorragende  Thätjgkeit  entfaltet  und 
somit  rein  nur  die  BelastungsverhUltnisse  sich  geltend  machen. 

c)  Das  Uebergewicht  hajt  der  vordere  Tbeil  der  Wir- 
belsäule über  den  hinteren  bei  zoologisch  ziemlich  verschiede- 
nen Thieren :  bei  Hyäne  und  Dachs  wohl ,  weil  sie  grabende  Thiere 
sind,  eine  Beschäftigung,  bei  der  der  vordere  Leibesabschnitt  jedenfalls 
mehr  angestrengt  ist  Der  grosse  Unterschied  zwischen  Hirsch  und 
Schaf  mildert  sich ,  wenn  wir  in  Rechnung  nehmen ,  dass  das  Schaf- 
skelet  ein  weibliches  Thier  und  das  des  Hirsches  männlichen  Geschlechts 
ist.  In  Betreff  des  Uebergewichts  der  vorderen  Rumpfhälfte  bei  Esel, 
Pferd  und  Dromedar  ist  auf  das  zu  verweisen,  was  ich  nachher  über 
die  Länge  ihres  IMses  sagen  werde. 

Die  nXcbste  Tabelle  giebi  in  gleicher  Behandlung  ^ie  die  voran-* 
gehende  die  Verbältnisse  von  3  Wirbel5äule**Abschnitten, 
die  ich  korsweg  Hals,  Brust  und  Lende  nennen  will,  obwohl  der 
zweite  und  dritte  Abschnitt  einige  Bi*ti6twirbel  in  sich  begreift ,  denn 


20 


Dr.  (tnstur  Jat^r, 


eine  Vergleichung  ist  ja  nur  mdglich,  wenn  jeder  Abschnitt  gleich  viel 
Wirbelkdrper  enthält. 


Natürliches  Maass. 

Die  Totallünge  = 

=  400. 

Tliierart 

Vorderes 

Mittleres 

Hinteres 

Vorderes 

Mittleres 

Hinteres 

Drittel 

Drittel 

•Drittel 

Drittel 

Drittel 

Drittel 

Springhase  . 

44 

29 

54 

<^7% 

80,70/0 

57,6  0/0 

Affe    .     . 

74  Va 

4O6V2 

49SV2 

20,5 

29,8 

50,2 

Mensch    . 

403 

447 

483Va 

23,8 

34,0 

42,2 

Wildkatze    . 

86 

94 

462 

25,8 

26,8 

47,9 

Hase  .     . 

68Vt 

n% 

448 

25,5 

29,6 

44,9 

Löwe  .     . 

220 

245 

364 

26,5 

29,6 

43,9 

Kttngnruh 

474 

490V2 

266 

27,2 

82,0 

40,8 

Wildschweit 

1  ,     495 

220 

270 

28,4 

82,4 

89,5 

Auerochse 

450 

505 

590 

29,0 

88,0 

88,0 

litis     .     . 

80 

80 

4091/2 

29,7 

29,7 

40,6 

Dachs.     . 

448 

445 

457 

80,2 

29,6 

40,2 

Fischotter 

428 

4  34 

464 

80,5 

84,2 

88,3 

Btfr     .     . 

268 

287 

840 

84,7 

28,0 

40,3 

Wolf  .     .     . 

224 

248 

270 

34,7 

30,4 

88,2 

Ochse.     .     . 

568 

589 

555 

84,4 

82,8 

33,8 

Dachshund  . 

488 

99 

444 

85,2 

26,2 

88,6 

Schaf .     .     . 

234 

474 

229 

86,7 

27,8 

86,6 

Hyfine     .     . 

245 

455 

495 

88,0 

27,4 

84,6 

Esel   .     .     . 

8471/2 

247 

286V2 

89,4 

28,0 

32,6 

Hirsch     .     . 

447 

290 

345 

44,3 

26,8 

34,9 

Pferd  .     .     . 

670 

404 

467 

48,6 

26,0 

80,5 

Dromedar    . 

980 

548 

557 

45,8 

26,2 

27,9 

Betrachte  man  zuerst  die  Lange  des  Halses. 

4)  Den  kürzesten  Hals  haben  die  Thiere,  die  den  Rumpf  auf- 
recht oder  auf  zwei  Beinen  halten;  hier  kann  einfach  verwiesen 
werden  auf  früher  Gesagtes  und  das  gleiche  gilt  von  Hase  und  Löwe. 

2)  Den  längsten  Hals  haben  Esel,  Hirsch,  Pferd  und  Dro- 
medar. Diess  stimmt  zu  dem  Satze,  dass  stärkere  Beschäftigung  das 
Längenwachsthum  steigert ;  doch  dürfen  wir  hier  zunächst  nicht  an  die 
gegenwärtige  Beschäftigung  denken ,  sondern  müssen  auf  die  Lebens- 
weise dieser  Thiere  im  wilden  Zustand  zurückgreifen.  Bei  der  Nah*- 
rungsaufnahme  vom  Boden  müssen  hochbeinige  Thiere  —  und  alle  die 
genannten  sind  solche  —  ausgiebige  Bewegungen  mit  der  Halswirbel- 
säule ausführen ,  und  nicht  nur  das,  alle  die  freilebenden,  heerden- 
weise  weidenden  Thiere  sind  äusserst  furchtsam  und  erheben  alle  Au- 
genblicke den  Kopf,  um  zu  winden  und  zu  horchen.  Die  Halsbewe- 
gungen  sind  also  nicht  nur  ausgiebig,  sondern  auch  häufig  und  so 
erklärt  sich  die  Länge  ihres  Halses  befriedigend.  Dass  diese  Auffassung 
die  richtige  sein  dürfte,  zeigt  die  Kürze  des  Halses  von  Auerochs 
und  Wildschwein.  Das  erstere  Thier  weidet  nach  den  Angaben 
der  Kenner  (Bmbhh,  Tbierleben  U.  pag.  644)  vorzugsweise  Baumrinde, 


Ueber  dds  LliigeiiwMhstbiim  der  Knochen.  2 1 

Blatter  und  Knospen;  das  erfordert  offenbar  geringere  Halsbewegungen 
als  die  Nahrungsaufnahme  vom  Boden.  (Beim  amerikanischen  Bison 
dürfen  wir  demnach  einen  längeren  Hals  erwarten,  doch  kann  ich  hier- 
über keine  Messungen  anstellen.)  Die  Kürze  des  Halses  beim  Wild- 
schwein hat  offenbar  ähnliche  Gründe,  dies«  Thiere  führen  auffallend 
geringe  Bewegungen  mit  ihrem  Halse  aus,  namentlich  fast  gar  keine 
drehenden. 

Für  die  Vergleichung  der  zwei  andern  Bumpfabschnitte  habe  ich 
eine  eigene  Tabelle  berechnet,  deshalb  soll  hier  nur  noch  etwas  gesagt 
werden  über  das  Verhältnis s  der  drei  Abschnitte  bei  einem 
und  demselben  Thiere. 

4)  Bei  den  kletternden  und  zweibeinig  gehendenThie- 
ren  ist  der  Hals  der  kürzeste,  die  Lende  der  längsteTheil, 
—  ganz  entsprechend  der  Vertheilung  des  Drucks.  Dafür,  dass  beim 
Menschen  Hals  und  Brust  stärker  ist  als  beim  Affen  und  beim  Spring- 
hasen, kann  nur  angeführt  werden,  dass  der  Kopf  des  Menschen  rela- 
tiv schwerer  ist  als  der  des  Affen,  und  wenn  auch  dieser  Umstand  zur 
Erklärung  des  Unterschieds  zwischen  Affe  und  Springmaus  nicht  hin- 
reicht, so  verschwindet  das  Auflf^llige,  wenn  man  hinzurechnet,  dass 
Affe  und  Mensch  einmal  ihre  vorderen  Extremitäten  mannigfach  und 
häufig  gebrauchen ,  was  immerhin  eine  Strapazirung  der  zwei  ersten 
Rumpfabschnitte  mit  sich  führt,  und  dann  stehen  die  Hälse  von  Affe 
und  Mensch  dem  erwähnten  Nager  an  Beweglichkeit  vor,  diess  deutet 
auf  einen  stärkeren  Gebrauch  in  Folge  höherer  Intelligenz.  —  Die  Un- 
terschiede in  Bezug  auf  die  Lende  sind  nur  scheinbare,  wie  die  nächste 
Tabelle  zeigen  wird. 

2)  Am  gleichmässigsten  vertheilt  ist  die  Wirbelsäule  des  Ochsen. 
Diess  ist  wieder  ein  Beweis  für  die  Einwirkung  der  Beschäftigung  auf 
das  Längenwachsthum,  denn  beim  Ziehen  werden  die  durch  Belastungs- 
unterschiede bewirkten  Differenzen,  wie  ich  schon  früher  ausführte, 
vermindert. 

3)  Ist  interessant,  dass  drei  Faullenzer:  Dachshund,  Schaf 
und  Menagerie -Hyäne  ziemlich  Übereinstimmende  Verhältnisse  zeigen, 
nämlich  nahezu  gloichlange  Lende  und  Hals,  und  dem  gegen- 
über kurzen  Brustabschnitt.  Hier  sind  jedenfalls  die  Belastungs- 
verhältnisse am  ungetrübtesten  zum  Ausdruck  gekommen,  weil  der 
Muskeldruck  eine  geringere  Rolle  spielte. 

Wenden  wir  uns  zur  nächsten  Tabelle,  bei  der  die  Länge  von 
Brust  und  Lende  zusammen  gleich  400  gesetzt  und  der  Anthcil  jedes 
dieser  zwei  Drittel  im  Procentsatz  angegeben  ist. 


22 


Dr.  6u8t*T  .laeger, 


Thierart 

Mittieres 
Drittel 

Hinteres 
DrHtel 

Springhase  . 

85 

65 

Affe    .     .     . 

83,5 

64,5 

Wildkatze    . 

36,0 

64,0 

Hase  .     .     . 

88,5 

!l4,5 

LöWe .     .     . 

40,2 

59,8 

Bär     .     .     . 

44,0 

59,0 

Dachs.     .     . 

42,2 

57,8 

Iltis    ..     . 

42,8 

57,7 

Dachshund  . 

40,8 

59,2 

Känguruh     . 

44,7 

58,3 

Schaf .     .     . 

48,2 

56,8 

Thierart 

Mittleres 
Drittel 

Hinteres 
BrHtel 

Wolf  .     .     . 

44.4 

55,9 

Hy&ne     .     . 

44,2    • 

55,8 

Mensch    .     . 

44,5 

55,5 

Fischotter    . 

44,8 

55,2 

Wildsehwein 

44,9      ^ 

55,4 

Hirsch     .     . 

45,6 

54^4 

Auerochse    . 

46,4 

53,9 

Pferd  .     .     . 

46,2 

53,8 

Esel    .     .     . 

46,3 

53,7 

Ochse.     .     . 

49,2 

50,8 

Dromedar    . 

49,8 

5D,7 

Die  Reihenfolge  bei  dieser  Tabelle  ist  ziemlich  umgeändert,  im  Ali- 
gemeinen  aber  übertrifft  bei  keinem  der  Thiere  die  Brust  an  Länge  die 
Lende.  Die  grösste  Differenz  zeigen  auch  hier  ZweifÜsser 
und  Kletterer,  mit  Hase  und  Löwen  im  Bunde.  Auffallend  ist,  dass 
der  Mensch  in  der  Liste  so  weit  hinabgcrUckt  ist.  Seine  Brust  ist  rela- 
tiv sehr  lang  und  er  nähert  sich  in  dieser  Beziehung  dem  VierfUsser. 
Als  Grund  kann  hier  der  Druck  der  Schultermuskeln  bei  dem  mannig- 
faltigen Gebrauch  der  Arme  angeführt  werden. 

Sonst  wäre  bei  dieser  Tabelle  zu  bemerken,  dass  Pferd,  Esel, 
Ochse  und  Dromedar,  also  alle  die  vier  Hausthiere,  die  mit 
ihrer  Wirbelsäule  stärker  arbeiten  müssen,  die  relativ 
längste  Brust  besitzen.  Hier  tritt  also  klar  hervor,  was  ich  über 
den  Einfluss  der  Beschäftigung  sagte.  Das  gleiche  tritt  zu  Tage  bei  der 
Vergleichung  von  Schaf  einerseits,  Hirsch  und  Auerochse  andererseits. 


Nachdem  die  vorliegenden  Messungen  der  Wirbelsäule,  von  denen 
ich  übrigens  bemerke,  dass  ihre  Zahl  noch  keineswegs  ausreicht,  nichts 
nachgewiesen  haben ,  was  sich  nicht  auf  Muskeldruck  oder  Belastung 
zurückführen  liesse,  interessirte  es  mich,  auch  die  Extremitätenknochen 
der  Thiere  zu  durchmustern ,  um  zu  sehen ,  in  wieweit  auch  hier  die 
Wirkungen  dieser  morphologischen  Kräfte  sich  verfolgen  lassen.  Hier 
ergab  sich  nun  sogleich  eine  Schwierigkeit.  Wohl  konnte  man  die  Ex- 
tremitäten utiter  einander  und  ihre  einzelnem  Abschnitte  vergleichen, 
nicht  aber  die  Vergleichung  der  Extremitäten  mit  dem  Rumpfe  vorneh- 
men, ehe  nicht  dieser  einer  anderweitigen  Betrachtung  unterworfen 
war.  Zu  dieser  Ueberzcugung  kam  ich  durch  folgenden  Umstand.  Man 
sdlte  glauben,  nach  der  GebuH  werden  auch  beim  vierfüssigen  Thiere 
ebenso  wie  beim  Menschen  die  Beine  stärker  in  die  Länge'  wadisen  al^ 
der  Rumpf,  da  ihnen  (toob  eine  grössere  Ai*bait  auferlegt  ist.   Gleich 


Ueber  das  Lllii|e«WMli8tlraii  der  Knoeheo.  23 

die  erste  Measong  bei  Kalb  und  Ochse  wies  das  Gegentheil  nach.  Setzte 
ich  die  Wirbelsaule  s  400,  so  bildeten  Femur  und  Tibia  zusammen- 
genommen beim  Ochsen  44%,  beim  Kalbe  60  ^o^  d.  h.  bei  diesen 
Thieren  wächst  die  Wirbelsäule  stärker  als  dießeine. 

Dieses  unerwartete  Factum  löste  sich  in  folgender  Weise  befrie- 
digend auf. 

Femur  und  Tibia  haben  zusammengenommen  nur  acht  Stellen^  an 
denen  das  Längen wachsthum  vor  sich  geht,  die  vier  Gelenkknorpel 
und  die  vier  Knorpelscheiben  zwischen  Epi-  und  Diaphyse,  während 
eine  Wirbelsäule  viermal  so  viel  Ossificationsstellen  hat  als  es  Wirbel 
sind.  Es  muss  also  selbst  ein  kleiner  Gewinn  an  jeder  Ossiöcations- 
stelle  der  Wirbelsäule  zu  einer  beträchtlichen  Verlängerung  derselben 
fuhren ,  während  die  Beine  durch  die  geringe  Zahl  ihrer  Ossifications- 
steHen  in  beträchtlichem  Nachtheil  sich  befinden ,  mit  andern  Worten  : 
die  Längenausdehnung  der  Wirbelsäule  wird  ceteris 
paribus  viel  mehr  schwanken,  als  die  der  Beine. 

Um  mich  über  diese  Verhältnisse  zu  orientiren,  stellte  ich  folgende 
Tabelle  (siehe  S.  24)  zusammen.  Sie  giebt  nebeneinander  von  Rind, 
Schaf,  Hirsch  und  Mensch  die  Längen  der  Wirbel-  und  wichtigsten 
Extremitäten-Knochen  bei  Erwachsenen  und  Neugebornen.  Eine  dritte 
Rubrik  enthält  bei  jedem  Thiere  die  Differenz  der  betreffenden  Knochen, 
die  das  Maass  des  Wachsthums  nach  der  Geburt  angiebt.  Die  Uaasse 
sind  Millimeter. 

Aus  dieser  Tabelle  ist  zu  entnehmen : 

1]  Jeder  einzelne  Wirbelkörper  besitzt  ein  weit  ge- 
ringeres Längen  wachsthum  als  der  einzelne  Knochen  der 
Gliedmaassen.  Es  wäre  nun  zwar  gewiss  gewagt,  zu  behaupten, 
der  gsipze  Betrag  dieser  Wachsthumsdifferenz  falle  auf  Rechnung  der 
in  Rede  stehenden  Kraft,  hier  mögen  noch  Differenzen  in  der  BlutzuAihr 
etc.  mitwirken,  allein  wenn  wir  von  der  Grösse  der  Differenz  ab- 
sehen, dürfen  wir  sicher  unsere  morphologische  Knaft  als  einen  Erklä- 
rungsgrund  anrufen.  An  den  Extremitäten  haben  die  Knochen  fast 
ausschliesslich  die  Last  zu  tragen,  die  Wirbel  werden  in  dieser  Aufgabe 
bedeutend  durch  die  massigen  sie  umgebenden  Weichtheile  gestützt. 
Ausserdem  ruht  auf  keinem  Wirbel  eine  so  grosse  Last  wie  auf  den 
Extremitätenknochen,  die  letzteren  sind  immer  die  Träger,  die  ersteren 
die  Getragenen.  Weiter  ist  die  Bewegung  in  den  Gelenken  der  Wirbel- 
säule eine  höchst  geringe  gegen  die  Bewegung  an  den  Gfiedmaassen- 
gelenken ,  somit  ist  auch  der  wachsthumförderndc  Reiz  ein  weit  ge- 
ringerer.    Femer  kommt  noch  dazu;   die  Glicdtnnasscn  werden  viel 


24 


1 

)r.  GqsUv  JHeger, 

• 

M 

ensch 

Rind 

Schaf 

Hirsch 

"  W  ' 

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N 

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Knochen 

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0 

(CS 

s 

S.Halswirbel 

40i 

6 

*i 

80 

30 

50 

40 

481 

24i 

74 

20 

54 

4. 

^H 

6 

H 

76 

83 

43 

87 

47 

20 

74 

48 

5« 

5. 

'4  a 

6 

1 

6 

74 

30 

44 

34 

46 

48 

69 

47 

52 

6. 

42 

6 

6 

72 

30 

42 

32 

45 

47 

60 

46 

44 

7. 

45 

6 

9 

62 

26 

86 

25 

48 

42 

50 

43 

37 

I.Bruslwirb. 

47 

6 

44 

70 

25 

45 

22 

44 

44 

40 

421 

27U 

2. 

49 

6 

43 

64 

24 

40 

22 

44 

44 

40 

^n 

%1\ 

8. 

24 

7 

44 

65 

23 

42 

22 

44 

44 

40 

42]^ 

27- 
26] 

4.  ,  - 

20 

8 

42 

70 

24 

46 

22 

44 

44 

39 

421 

5. 

48 

8 

40 

65 

24 

44 

22 

44 

44 

39 

42I 

26^ 

8. 

49 

8 

44 

62 

24 

38 

22 

44 

44 

36 

421 

23i 

7. 

20 

8 

42 

62 

24 

38 

24 

44 

40 

35 

42| 

22i: 

8. 

24 

8 

48 

65 

25 

40 

20 

44 

9 

85 

421 

22: 

9. 

24 

8 

48 

65 

25 

40 

24 

42 

9 

35 

22; 

40. 

24 

8 

43 

65 

25 

40 

22 

42 

40 

35 

<H 

22! 

44. 

24 

9 

42 

65 

25 

40 

24 

42 

42 

86 

^H 

23i 

4J. 

24 

9 

42 

65 

26 

39 

25 

42 

48 

39 

42i 

26 

48. 

65 

27 

38 

26 

42 

44 

4 .  Lendenw. 

22^ 

9 

481 

66 

27 

89 

28 

42 

46 

44 

42J 

28; 

a. 

27 

H 

47, 
47 

70 

27 

43 

SO 

434 

46i 

43 

44 

29 

8. 

27 

H 

72 

27 

45 

80 

45 

45 

44 

44 

80 

4. 

28 

40 

48 

72 

27 

45 

84 

45 

46 

45 

44 

84 

5. 

80 

40 

20 

73 

27 

46 

34 

46 

45 

45 

44 

34 

6. 

72 

27 

45 

28 

47 

42 

45 

44 

34 

7. 

43 

44 

29 

Humerus.  . 

847 

75 

242 

860 

465 

495 

452 

87 

65 

228 

4  05 

423 

Radius  .  . 

247 

65 

482 

800 

463 

437 

465 

87 

78 

245 

445 

430 

Metacarpus  . 

69 

46 

58 

220 

458 

62 

440 

90 

50 

240 

442 

98 

Femur  .  . 

440 

85 

855 

450 

205 

245 

475 

92 

88 

275 

433 

442 

Tibia  .  .  . 

383 

78 

340 

885 

205 

480 

230 

422 

408 

800 

457 

448 

Metatarsus  . 

79 

46 

63 

265 

480 

85 

445 

93 

52 

267 

456 

444 

häufiger  bewegt  als  die  Wirbelsäule  und  endlich  wirkt  sicher  die  Be- 
wegung auch  auf  die  Lebhaftigkeit  der  Nahrungs^ufuhr ; 

2)  ist  die  Differenz  im  Wachsthum  der  Wirbelkörper  zwischen 
Rind  einerseits,  Hirsch  und  Schaf  andrerseits  belehrend.  Beim  erste- 
ren  sind  alle  Wirbelkörper  nahezu  gleich  stark  in  die  Länge  gewachsen, 
das  Minimum  (6.  und  7.  Brustwirbel)  ist  38,  das  Maximum  50.  Beim 
Hirsch  ist  das  Minimum  S^Va?  ^^^  Maximum  54 ;  beim  Schaf  das  Mini- 
mum 9,  das  Maximum  24 .  Offenbar  steht  dicss  im  Zusammenhang  mit 
^der  Beschäftigung  des  Ochsen;  beim  Ziehen  wird  ein  Druck  in  der 
Längsaxe  der  Wirbelsäule  ausgeübt,  der  am  stärksten  ist  in  der  Mitte 
der  Brust,  wo  der  Scheitel  des  Bogens  liegt,  den  die  Wirbelsäule  zwi- 
schen Schulter  und  Hüfte  bildet.  Also  gerade  dort,  wo  beim  unbeschäf- 
tigten Vierfüsser  nach  unseren  früheren  Auseinandersetzungen  die 
Wirbelkörper  den  geringsten  Druck  erleiden  und  somit,  wie  die  Tabelle 
zeigt,  auch  das  geringste  Wachsthum  vorhanden  ist. 


Ueber  das  Lloggiwiielratliiiiii  der  Knochen. 


25 


3)  Fttlltauf:  das  geringe  Wachsihum  der  Wirbelkörper 
beiro  Schafe.  Ich  habe  dieses  Tbier  schon  einmal  einen  Faullenzer 
genannt  und  schulde  darttber  noch  eine  Auseinandersetzung.  Das  Schaf 
ist  weder  Zug-  noch  Lasttbier,  seine  Wirbelsäule  darf  also  im  Verhält- 
niss  zu  der  der  andern  Hausihiere  eine  unbeschäftigte  genannt  werden 
mit  demselben  Recht,  wie  die  eines  Dachshundes  und  eines  in  der 
Menagerie  aufgewachsenen  Thieres.  Man  wird  einwenden ,  das  Sdiaf 
gehe  den  ganzen  Tag  weidend  umher ;  allein  bei  diesem  schriltwcisen 
Gehen  sind  die  aufgewendeten  Muskelkräfte  gering,  und  namentlich 
gering  sind  die  der  Längsmusculatur  der  Wirbelsäule.  Diess  letztere 
ist  ganz  anders  beim  Galopp-  und  Carriersprung ;  hier  werden  weit 
kräftigere  Gontractionen  der  RUckenmusculatur  erfordert,  einerseits  um 
der  Fallwirkung  der  Körperlast  auf  die  Wirbelsäule  entgegenzuwirken 
und  andererseits  um  die  bei  diesen  Gangarten  (besonders  beim  Galopp) 
stattfindende  active  Bewegung  der  Wirbelsäule  auszuführen ;  ich  erin- 
nere in  dieser  Beziehung  an  die  lange  Lende  des  Hasen  und  den  langen 
Rumpf  der  englischen  Rennpferde. 

4)  Geht  aus  dem  sub  3.  Angegebenen  unwiderleglich  hervor,  dass 
das  totale  Wachsthum  der  Wirbelsäule  bei  verschiedenen 
Thieren  verschieden  gross  ist,  und  daraus  folgt,  dass  Mes- 
sungen, welche  nur  das  Verhältniss  von  Rumpf  und  Bein  beim  erwach- 
senen Tbicre  feststellen,  nicht  im  Stande  sind,  Klarheit  über  den  Zu- 
sammenhang von  Lebensweise  und  Körperproportionen  zu  verbreiten  ^) . 
Um  diess  zu  illustriren,  habe  ich  die  folgende  Tabelle  gerechnet;  ich 
setzte  die  Länge  der  Rumpfwirbelsäule  zu  4  00 ,  berechnete  mit  Bezug 
darauf  die  Länge  von  Femur  und  Tibia ,  und  diess  sowohl  befm  Neu- 
geborenen als  beim  Erwachsenen. 

liege  TM  ttwm  ni  TlUt  Im  TerkiKiln  §■■  RiMpf. 


Mensch 

Rind 

Schaf 

Hirsch 

Neu- 
geboren 

Erwach- 
sen 

Neu- 
geboren 

Erwach- 
sen 

Neu- 
geboren 

Erwach- 
sen 

Neu- 
geboren 

Erwach- 
sen 

86% 

45«% 

5«% 

440/0 

430/0 

60  0/0 

8J% 

480/0 

Diese  Tabelle  ist  auf  den  ersten  Blick  ebenso  unerwartet ,  als  sie 
bei  genauer  Betrachtung  zu  einem  der  schönsten  Beweismittel  für  un- 


I)  Anm.  An  dieser  Steile  merice  ich  an,  dass  das  ganze  System  der  Körper- 
messungen für  ethnologische  Zwecice  umgeändert  werden  muss,  soll  man  nicht 
Gefahr  laufen,  Differenzen,  die  durch  die  Lebens-  und  Beschäfligungswcise  erzeugt 
sind,  fiir  RaccndiflTcrcnzen  zu  halten;  namentlich  taugen  alle  Messungen 
nichts,  welche  die  RumpflUnge  als  das  Einheitsmaass  benutzen, 
den n  gerade  de r  Ru mpf  besitz t  den  variabelste n  Wach sthumsbetrag. 


26 


Dr»  Gtrstur  JMser^ 


sere  allgemeiDe  Aufstellung  und  einige  im  Bisherigen  gemachten  beson- 
deren Angaben  wird. 

Das  AufiEallende  liegt  darin,  dass  bei  Mensch  und  Schaf  im 
erwachsenen  Zustand  das  Bein  relativ  länger  ist  als  nach 
der  Geburt,  während  bei  Hirsch  und  Bind  das  Gogentheil 
eintritt.  Würde  man  diess  Verhältniss  einer  ungleichen  Längen- 
zunahme des  Beines  in  die  Schuhe  schieben,  so  bliebe  es  sicher  unver- 
ständlich. Könnte  man  auch  einsehen,  warum  beim  erwachsenen  Men- 
schen das  Bein  relativ  länger  ist  als  beim  Nei:^ebornen ,  so  wäre  doch 
nicht  einzusehen,  warum  das  Schaf  längere  Beine  bekommen  sollte  als 
Hirsch  und  Ochse. 

Eine  vollständige  Lösung  erhalten  wir,  wenn  wir  das  Wachsthuin 
der  Wirbelsäule  und  das  des  Beins  gesondert  vergleichen;  oben 
stehen  die  natttrlichen  Maasse,  unten  sind  sie  prooen tisch  reducirt  {die 
Wirbelsäulenlänge  des  Erwachsenen  s  100.). 


Mensch 

Rind 

S«haf 

Hirsch 

Wirbel- 
säule 

Hinter- 
bein 

Wirbel- 
säule 

Hinter- 
bein 

Wirbel- 
säule 

Htoter- 
bein 

1 

Wirbef- 
säuie 

Hinter- 
bein 

• 

g 

a 

• 

• 

s 

s 

6 

1 

• 

6 

S 

a 

• 

1 

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0 

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1 

« 

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0) 

c 

• 

1 

es 

188: 
83,7: 

540 

t 
100 

158: 
49,8: 

848 
400 

680: 
86,3. 

4870 
400 

440: 
49: 

835 

8 

400 

490:670 
73,4:400 

244: 

s 
52,8: 

405 

s 

4  00 

855 : 
29,5: 

4200 
400 

290: 
50,4: 

575 
400 

Wie  ersiditlidi ,  haben  Mensch ,  Rind  und  Hirsch  als  neugeboren 
eine  relativ  sehr  kurze  Wirbelsäule ;  sie  ist  mit  geringen  Abweichun- 
gen etwa  Y3  von  der  Länge  der  erwachsenen  Wirbelsäule  (Mensdi 
33,7%,  Rind  36,3  Vo>  Hirsch  29,B%>,  d.  h.  diese  Geschöpfe  haben 
ein  sehr  ausgiebiges  Wirbelsäulewachsthum  im  Vergleich  mit  dem 
Schafe ;  beim  letztem  ist  die  Wirbelsäule  des  Neugeborenen  über  2/3 
von  der  des  Erwachsenen  (73%).  Die  Hochbeinigkeit  des  Schafes  im 
Gegensatz  zu  den  zwei  andern  Wiederkäuern  hat  also  ihren  Grund  in 
dem  geringen  Retrage  des  Wirbelsäulewachsthums. 

Ganz  entgegengesetzt  stellt  sich  die  Sache  beim  Menschen  heraus, 
dessen  Wirbelsäule  hält  im  Wachsthum  ziemlich  gleichen  Schritt  mit 
der  von  Hirsch  und  Rind,  allein  seine  Hinterbeine  übertreffen  an  Wachs- 
thum weit  die  aller  drei  andern  Thiere ;  bei  den  letzteren  ist  das  Rein 
des  Neugeborenen  etwa  die  Hälfte  so  lang  wie  das  des  Erwachsenen 
(Rind  49%,  Hirsch  50,4%,  Schaf  52,8%) ,  beim  Menschen  dagegen 
hat  das  Rein  des  Neugeborenen  nicht  ganz  75  von  der  Länge  des  fer- 
tigen Reines;   die  Hochbeinigkeit  des  Menschen  rtthrt  also 


Ueber  dns  Lliis«nw«cli0tlinn  der  Knoeben.  27 

von  dem  beirächtlicheren  Wacbsihaoi  des  Beineis,  die 
des  Schafes  von  dem  geringen  Wacbsthuni  der  Wirbel- 
sttale  her. 

Darin  liegt  offenbar  eine  Bestätigung  unserer  Sätze : 

4)  Die  Wirbelsaule  des  Schafes  wachst  deshalb  so  gering.,  weil 
dieses  Organ  lange  nidit  in  der  Weise  beschäftigt  ist,  wie  bei  den  an*^ 
deren  Thieren  (siehe  oben) . 

2)  Das  Hinterbein  des  Menschen  wächst  deshalb  so  ausserordent- 
lich ,  weil  der  Mensch  zweifUssig  geht ,  also  das  Bein  die  Hälfte ,  beim 
Vierfttsser  nur  ^4  der  KOrperiast  trägt. 

Uebrigens  knüpfen  sich  an  die  obige  Tabelle  noch  einige  Bcmer- 
kMngen  Über  die  Wirbelsäule.  So  natürlich  der  grosse  Unterschied 
zwischen  Schaf  einerseits,  Rind  und  Hirsch  andererseits  aus  der  Lebens- 
art dieser  Thiere  sich  erklärt,  so  natürlich  es  uns  weiter  erscheint, 
dass  die  Wirbelsäule  des  Hirsches  stärker  wächst  als  die  des  Rindes, 
da  der  Hirsch  schon  in  der  Jugend  rennen  und  laufen  muss ,  das  Rind 
erst  später  zum  Ziehen  verwendet  wird ,  so  befremdlich  erscheint  uns 
das  starke  Totalwachsthum  der  menschlichen  Wirbelsäule,  wodurch  sie 
zwischen  Hirsch  und  Rind  zu  stehen  kommt;  es  ist  diess  um  so  be- 
fremdlicher ,  als  wir  in  der  TabeUe  pag.  20  das  geringe  Wachsthum 
des  menschlichen  Halses  constatirten.  Hierüber  klärt  uns  eine  Verglei- 
chung  des  Wachsthumsbetrags  der  einzelnen  WirbelkOrper  auf. 

Nehmen  wir  den  längsten  Wirbel  (beim  Menschen  den  letzten 
Lenden-,  bei  Rind  und  Hirsch  den  3.  Halswirbel,  siehe  Tabelle  p.  24), 
setzen  die  Länge  desselben  beim  Erwachsenen  =  1 00  und  bestimmen 
den  Procentsatz  desselben  beim  Neugebornen,  so  erhalten  wir  für 

Mensch  Rind  Hirsch 

^      33,3%  37,50/,  28,90/^. 

Die  hohe  Belastung  bringt  also  bei  dem  Lendenwirbel  des  Menschen 
denselben  Effect  hervor,  wie  der  Muskelzug  bei  den  Halswirbeln  der 
Wiederkäuer.  Weiter  sehen  wir  aus  der  Tabelle  pag.  24,  dass  sieh 
die  WiriLung  der  grösseren  Belastung  schon  an  dem  starken  Waobs- 
thume  der  Bmsiwirtiel  bemerklich  macht,  und  so  ersetzt  der  Umstand, 
dass  eine  verhältnisemässig  grosse  Zahl  von  Wirbeln  relativ  stärker  be- 
lastet ist  als  beim  Vierfüsser,  und  der  vielseitige  Gebrauch  der  Arme 
auch  auf  die  Brust  verUlngernd  wirkt,  den  Naebtheil,  den  ihm  der  min- 
der energisdie  Kampf  ums  Dasein  l>ringen  wtlrde ;  denn  man  vergesse 
nicht,  dass  diese  stärkere  Belastung  der  Loodenwirbelsäulc  beim  Still- 
sitzen nicht  minder  besteht  als  beim  Gehen. 

Werfen  wir  einen  Blick  auf  die  Untersohtode  im  Waohstbuip  der 


28 


Dr.  Gustav  J«e^, 


Beine  bei  den  drei  VicrfUssern,  so  stimmt  auch  hier  die  gefundene 
Scala  mit  der  Beschäftigung.  Det*  Hirsch ,  der  offenbar  seine  Beine  am 
meisten  gebraucht,  hat  das  stärkste  Wachsthum  (29,5%),  das  Rind 
folgt  mit  36,3;  seine  Beschäftigung  als  Zugtbier  kommt  dem  LiSngc- 
wachsthum  des  Beines  zu  gut,  allein  doch  erreicht  es  nicht  das  des 
Hirsches.  Diesen  beiden  steht  gegenüber  das  Schaf  mit  dem  ge- 
ringsten Beinwachsthum  (52,8%),  wie  diess  bei  der  Beschaff 
tigungslosigkeit  dieses  Thieres  nicht  anders  zu  erwarten  ist. 

An  die  vorstehende  Betrachtung  schiiosse  ich  eine  Tabelle  an  ,  die 
das  Verhnltniss  von  Wirbelsäule  und  Hinterbein  (Tibia  plus  femur)  hei 
einer  Reihe  von  andern  Thieren  darstellt,  bei  denen  es  mir  vorläufi|z 
nicht  möglich  war,  Neugebornes  und  Erwachsenes  zu  vergleichen. 
Unter  Wirbelsäule  verstehe  ich  wie  oben  nur  Hals,  Brust  und  Lende 
zusammengenommen.  In  der  Tabelle  ist  diese  Länge  überall  gleich  1 00 
gesetzt  und  procentisch  die  Länge  des  Beins  angegeben. 

Verhältniss  von  Rumpf  und  Hinterbein 

(Tibia  und  Femur) . 


Mensch  .  . 

1520/^, 

Wildschwein  51  % 

Springhase 

438- 

Hirsch   ...  48  - 

Känguruh  . 

104- 

Dachs.  ...  47  - 

Affe  .... 

80- 

Ochse.  ...  44  - 

Hase    .  .  . 

75- 

Esel    ....  43,5 7o 

Löwe  .  .  . 

66- 

Dachshund  .  43% 

Bär  ...  . 

66- 

Pferd  ....  42  - 

Schaf  .  .  . 

.   60- 

Dromedar .  .  39  - 

Wolf   .  .  . 

60- 

Iltis 37- 

Hyäne.  .  . 

58- 

Fischotter.  .  36  - 

Auerochs    . 

54- 

Nach  dem  früher  Auseinandergesetzten  dürfen  wir  diese  Liste 
nicht  einseitig  auffassen  als  Aufschluss  gebend  über  die  Länge  der 
Beine;  wir  haben  immer  die  doppelte  Frage  uns  vorzulegen,  ob  Diffe- 
renzen im  Wachsthum  der  Wirbelsäule  oder  solche  im  Wachsthum  der 
Beine  vorliegen.  Von  diesem  Gesichtspuncte  ausgehend  müssen  wir 
sagen:  die  Liste  eröffnet  mit  den  langbeinigen  Thieren 
und  schliesst  mit  den  langrumpfigen,  und  wenn  diess  zu 
unserem  supponirten  Gesetze  passen  soll ,  so  müssen  die  erstem  eine 
Lebensweise  zeigen,  welche  die  Trag-  und  Sprungkraft  der  Beine  mehr 
in  Anspruch  nimmt,  während  bei  den  letzteren  an  die  Wirbelsäule  ge- 
steigerte Anforderungen  gestellt  werden.  Dass  diess  zutrifft,  lehrt  die 
Vergleichung  dieser  Tabelle  mit  den  vorangehenden  Untersuchungen 


'  Ueber  das  Uiigeiiwachstliom  der  Knoehen.  29 

über  das  Wachsthum  der  Wirbelsäule ,  sowie  die  Betrachtung  der  Ta- 
belle an  und  für  sich.  Die  drei  Zweibeiner  eröffnen  die  Liste  mit  dem 
längsten  Fuss;  ihre  Langbeinigkeit  rührt  unstreitig  von  stärkerem 
>Vachsthum  der  Beine  her  und  mag  noch  gesteigert  sein  durch  das 
kümmerlichere  Wachsthum  des  Halsabschnitte^  der  Wirbelsäule. 

Schwieriger  ist  zu  beurtheilen ,  warum  der  Affe  langbeiniger  ist 
als  die  übrigen,  ihre  Extremitäten  gleicbmässig  gebrauchenden  Thiere ; 
jedenfalls  trägt  hier,  wie  aus  der  Tabelle  pag.  20  hervorgeht,  das  ge- 
ringere Wachsthum  der  Halswirbelsäule  dazu  bei ,  das  Bein  länger  er- 
scheinen zu  lassen.  Fürs  Zweite  dürfen  wir  aber  wohl  an  ein  gestei- 
gertes Wachsthum  der  Beine  denken,  da  die  Affen  von  einer 
ausserordentlichen  Beweglichkeit  sind;  es  giebt  ja  wenig 
Thiere,  welche  ein  unsteteres  und  unruhigeres  Gebahren  aufweisen  als 
sie  und  so  darf  uns  die  Langbeinigkeit  derselben  nicht  überraschen. 
Von  dem  Hasen  gilt  fast  genau  dasselbe;  er  ist  langbeinig,  weil  er  viel 
läuft. 

Betrachten  wir  das  Ende  der  Tabelle ,  so  treffen  wir  hier  alle  die 
Thiere  beisammen,  von  denen  wir  schon  aus  anderweitigea  Messungen 
feststellen  konnten,  dass  sie  ihre  Wirbelsäule  mehr  Strapa- 
ziren als  andere  Vierfüsser;  es  sind  einmal  die  Hausthiere, 
Ochse,  Esel,  Pferd  und  Dromedar,  dann  die  zwei  marderartigen  Thiere: 
Iltis  und  Fischotter,  unci  unter  ihnen  figuHrt  nur  Ein  Thier,  dessen 
Kurzbeinigkeit  vielleicht  anders  angesehen  werden  muss ,  nämlich  der 
Dachshund.  Hier  liegt  kein  Grund  vor,  ein  stärkeres  Wachsthum  der 
Wirbelsäule  anzunehmen,  um  so  mehr,  als  die  Dachshunde  zu  den  klei- 
neren Hunderacen  gehören.  Man  kann  die  Sache  wohl  nur  so  auffas- 
sen, ohne  sich  in  gewagte  Vermuihungen  zu  verirren,  dass  beim  Dachs- 
hunde Rumpf  und  Bein  gleicbmässig  im  Wachsthum  zurückbleiben, 
denn  soweit  ich  ohne  Messungen,  zu  denen  ich  noch  keine  Gelegenlieit 
hatte,  aus  Erinnerung  und  Augenmaass  entnehmen  kann,  kommen 
selbst  die  langbdnigen^Hunderacen  mit  relativ  kurzen  Beinen  auf  die 
Welt. 

lieber  die  Thiere ,  welche  die  Mitte  der  Tabelle  einnehmen ,  lässt 
sich  Folgendes  sagen : .  die  Kurzbeinigkeit  des  Dachses  dürfte  auf  ein 
geringeres  Beinwacbsthum  zu  setzen  sein,  da.  diese  Thiere,  namentlich 
zur  Winterszeit,  viel  schlafen,  überhaupt  keine  Freunde  vpn  unstetem 
l^benswandel  sind.  Weiter  ist  interessant  Wolf  und  Schaf  mit  gleichen 
Procentverhältnissen  neben  einander  stehen  zu  sehen.  Die  Wulfe  kom- 
men, wie  ich  aus  eigeaer  Anschauung  weiss,  so  kurzbeinig  auf  die 
Welt  wie  die  Humle,  während  das  Schaf  sehr  lange  Beine  zur  Welt 
bringt.     DasSchaf*^*"  '- ^  wir  früher  ^eigien  konnten, 


90 


Dt«  uNOiiHr  Jifpcff 


langbeinig  in  Folge  des  geringen  Wachsthums  fteiner 
Wirbelsäule,  der  Wolf  wird  langbeinig  inFolge  des  ge- 
steigerten Wachsthums  seiner  Beine,  das  er  seiner  unsteten 
Lebensweise  verdankt.  Die  Langbeinigkeit  der  Hyfine  dftrfte  bei  dem 
Umstände,  dass  sie  in  einer  Menagerie  aufwuchs,  wo  weder  Fuss  Bocdi 
Wirbelsäule  Gelegenheit  sur  Uebung  haUen,  darauf  htnweifleB,  dass  die 
Hyänen  bereits  langbeinig  zur  Welt  k^^mmen.  ~  Erfahrungen  mangeln 
mir  hierüber. 

Diese  Betrachtungen,  die  natürlich  ohne  vergleichende  Messungen 
des  neugebomen  Thieres  mehr  hypothetischer  Natur  sind,  werden 
jedenfalls  genfigen,  um  dartutbun,  dass  auch  diese  Tabelle  als  eine 
Bestätigung  des  vermutheten  Knochenwaehsthums-r  Gesetzes  aufzufas- 
sen ist. 

Die  nächste  Tabelle  vergleicht  bei  vier  Säugern  dasVerhältniss 
von  Vorder-  und  Hinterbein  des  neugebomen  und  erwachsenen 
Thieres.  Ich  habe  hiebei  die  Länge  von  Femur  plus  Tibia  gleich  4  00 
gesetst.  Die  Zahl  der  Tabelle  giebt  nun  an,  wie  sieh  die  sunmirte 
Länge  von  Humerus  und  Radius  zu  der  von  Femur  plus  Tibia  verhält. 

Yerhältniss  von  Vorderbein  zu  Hinterbein 

(letzteres  Überall  ^  400). 


Mensch 

Rind 

Schaf 

Hirsch 

neu- 
geboren 

erwach- 
sen 

neu- 
geboren 

erwach- 
sen 

nen- 
g^oren 

erwach- 
sen 

neu- 
geboren 

erwach- 
sen 

SSV« 

1  ■  ii' '  ' 

bei  3  Ind. 

gemeM. 

49P 

80 

* 

78 

78 

76 

8i 

Hieraus  ist  ersichtlich,  dass  beim  Menschen  die  Beine  stär-^ 
ker  wachsen  als  die  Ar m  e ,  Übereinstimmend  mit  den  Unierscbie- 
den  ihrei^  Belastung,  wovon  schon  frtther  die  Rede  war.  Beim  Rinde 
wächst  das  Hinterbein  länger  als  das  Vurderbein.  Diess 
stimmt  damit,  dass  das  Ziehen  eine  grössere  Anstrengung  seitens  der 
Hinterbeine  erfordert  als  Iseitens  der  Verderbeine.  Dass  diese  Vertnu- 
thung  nicht  ohne  Grufid  ist,  lehrt  die  Vergleichung  des  Rindes  mit  dem 
Auerochsen ;  bei  ihm  verhall  sich  Vorderbein  zu  Hinierbein  wie  83 :  400. 
Bei  ihm  ist  also,  wie  unser  Gesetz  erwarten  lässt,  die  Differenz  zwischen 
Hinter-^  und  Verderbein  geringer  als  beim  Ochsen.  Beim  Schaf  sind 
die  Verhältnisse  im  neugebomen  und  erwachsenen  Zu* 
Stande  gleich;  es  lässt  sich  a«ch  in  der  That  bei  der  monotonen 
Lebensweise  des  Schafes  nicht  anders  erwarten.  Sobald  ich  Übrigens 
Gefegetiheit  finde,  werde  ich  die  betreffenden  Verhältnisse  bei  dem 


Ueber  das  Unf^MrAelistliaiii  der  Koocben. 


31 


Widder  uniersudien,  (das  Scbaf  uoserer  Tabellen  iat  ein  weibliches) . 
Bei  iboi  lässt  nämlich  die  grössere  Belastung  der  Vorderbeine  durch 
den  gewiehiigen  Kopf  vermuthen,  dass  die  VorderbeiiLe  sUIrker  wach- 
sten als  die  HinterbeiBe,  und  schwerlich  wird  diess  dadurch  ausgeglichen 
werden,  dass  das  Hinterbein  beim  Stossen  stärker  in  Anspruch  genom- 
men wird  als  das  Vorderbein. 

Beim  Hirsch  treffen  wir  im  Gegensatz  zu  allen  andern  ein  ge- 
steigertes Wachsthum  der  Vorderbeine^  es  musste  erst  eine 
vergleichende  Messung  beim  weiblichen  Thiere  (das  gemessene  ist  ein 
männlicher  Hirsch)  voi^enpmmen  werden,  um  entscheiden  zu  können, 
ob  die  st$lrkere  Belastung  der  Vorderbeine  durch  das  Geweih  und  den 
mi^siveren  Sefcddel  diesen  Wacbstburosunterschied  hervorbringt,  und 
zwar,  idt»  dieser  Umstand  die  alleinige  Ursache  ist  oder  nur  eine  der- 
selben» denn  ich.wagiB  nicht  zu  entscheiden,  ob  beim  Scbnelllauf  eine. 
Ungleichheit  in  der  Arbeitsleistung  zwischen  Vorder-  und  Hinterbein 
besteht. 

In  d^  folgenden  Tabdle  habe  ich  nadi  dem  gleichen  Princip 
Vorder-  und  Hinterbein  von  einer  Reihe  erwachsener  Thiere  ver^ 
glichen,  um  zu  sehen,,  in  wieweit  die  bestehenden  Verhttltnisse  mit  der 
Lebensweise  der  Thiere  Übereinstimmen. 

Verhältniss  von  Vorder-  und  Hinterbein 
(letzteres  unverändert  =  100). 

Springmaujs 
Känguruh  . 
Mensch  .  . 
Hase.  .  ,  f 
Uüs  .... 
Schaf  .  .  . 
Fischotter  . 

■ 

Ochse  .  .  . 
Hirsch .  .  . 
Auerochse  . 
Wildschweii 
Affe  ....    87  - 

Wie  zu  erwarten  war,  er(vtben  die  zweifOsaig  g^enden  die  Reihe 
mit  dem  längsten  Hinterbein  und  dem  kürzesten  Ära.  Die  groasan  Dif- 
ferenzen, die  trotzdem  unter  diesen  Zweibaioem  besteben,  lege  lob  mir 
auf  folgende  Weise  zurecht.  Die  Springmaus  steht  auf  den  zwei  Hin- 
terfüssen  allein,  das  Känguruh  stützt  sich  ausserdem  noch  auf  seinen 
mächtig  entwickelten  Schwanz,  darum  sind  die  Hinterbeine  der  Spring- 


35% 

Dad»  .  .  . 

90  o/o 

60- 

Esel .... 

90- 

68,5»/« 

WildkaUe  . 

94  - 

75%   , 

Wolf    .  .  . 

9«,  4% 

75- 

.  Him4  .  .  . 

9<,5- 

78- 

Dromedar  . 

94,7- 

79- 

Lowe    .  .  . 

92«/, 

80- 

Pfend   .  .  . 

92- 

82- 

Bar  ...  . 

96- 

83- 

Uyttne .... 

400- 

85- 

Elepbant.  . 

403- 

32  '    ^r«  Custav  Jaeger, 

maus  grösser  als  die  des  Kanguruh's.  Ausserdem  sind  auch  die  Vorder^ 
beine  der  Springmaus  im  Verhallniss  zum  Köi*per  kleiner  als  die  beim 
Känguruh;  in  dieser  Beziehung  weiss  ich  nur,  dass  das  Känguruh  nicht 
ausschliesslich  auf  den  Hinterbeinen  geht,  sondern  zuweilen  auch  auf 
allen  vieren ,  und  dass  es  seine  Vorderbeine  beim  Kämpfen  als  Waffe 
gebraucht.  Springmäuse  habe  ich  lebend  noch  nicht  beobachtet  und 
finde  auch  nichts  darüber  angegeben.  —  Dass  der  Mensch,  der  in  Bezug 
auf  die  Gangart  auf  zwei  Füssen  der  Springmaus  näher  steht  als  dem 
Känguruh,  doch  erst  nach  diesem  kommt,  erklärt  sich  einfach  durch 
den  ausgedehnten  Gebrauch,  den  er  von  seinen  Armen  macht,  sie  sind 
deshalb  verhällnissmässig  länger  als  bei  den  andern  Zweifüssern. 

Weiter  zeigt  die  hohe  Zahl  des  Elephanten  auf  einen  Einfluss  der 
Belastung  durch  den  mächtigen  Kopf.  Die  geringe  Armlänge  bei  Hase, 
litis  und  Fischotter  steht  im  Zusammenhang  mit  dem  häußgen  Aufrich- 
ten dieser  Thiere  auf  die  Hinterbeine,  über  das  uns  schon  die  Verhält- 
nisse der  Wirbelsäule  dieser  Thiere  belehrten. 

Im  Allgemeinen  geht  aus  <ler  Tabelle  hervor,  dass  beidenmei- 
s'ten  Yierfüssern  das  Hinterbein  länger  ist  als  das  Vor- 
derbein, allein  es  wird,  wie  uns  die  Tabelle  S.  30  zeigt,  ohne  Ver- 
gleichung  von  Neugebornem  und  Erwachsenem  schwierig  sein,  zu  be- 
stimmen, wie  wir  diess  Verhältniss  aufzufassen  haben,  da  eine  so 
grosse  Differenz  schon  bei  der  Geburt  vorhanden  ist.  Während  das 
Rind  mit  gleich  langen  Armen  und  Beinen  geboren  wird,  kommt  Scha 
und  Hirsch  kurzarmig  zur  Welt,  und  trotz  dieser  Differenz  treffen  wir 
im  erwachsenen  Zustande  Hirsch  und  Ochse  neben  einander;  beim 
Ochsen  musste  also  das  Hinterbein  länger  wachsen ,  beim  Hirsch  das 
Vorderbein.  Um  nun  zu  entscheiden,  ob  bei  den  Thieren  unserer  Liste 
das  Eine  oder  das  Andere  erngeti'eten  ist,  müssten  wir  zu  den  gewag- 
testen Vermuthungen  schreiten.*  Wir  haben  uns  also  voriäufig  mit  dem 
Resultate  zu  begnügen,  dass  bei  den  vierfüssig  gehenden  Thieren  die 
Differenz  zwischen  Vorder-  und  Hinterbein  eine  geringere  ist,  als  bei 
den  zweifttssigen,  was  mit  unserer  Vermuthung  über  die  Ursache  des 
Knochenwachsthums  übereinstimmt. 

Auf  ähnliche  verwickelte  Verhältnisse  stossen  wir  bei  der  Verglei- 
chung  von  Oberarm  und  Vorderarm,  Oberschenkel  und  Unterschenkel. 

Die  foigende  Liste  giebt  das  Verhältniss  von  Femur  und 
Tibia  in  neugebornem  und  erwachsenem  Zustande,  wobei  die  Tibia 
überall  gleich  4  00  gesetzt  ist. 


Ueber  das  LAngMiwiielisihiim  der  Knochen. 


33 


Verhftlliiiss  von  Femor  and  Tibia 
(letztere  Überall  s  400). 


Mensch 

Rind 

Schaf 

Hirsch 

neo- 

erwach- 

neo* 

erwach- 

neu-* 

erwach- 

neu- 

erwach- 

geboren 

sen 

geboren 

sen 

geboren 

sen 

geboren 

sen 

u 

u 

b 

b 

u 

(s 

b 

u 

es 

a 

es 

0 

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S3 

es 

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a 

a 

Xi 

M 

3 

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H 

H 

0) 

H 

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H 

H 

H 

0) 

400 


446 

400 

440 

400 

44H) 

400 

447 

4  00 

97 

400 

84,7 

400 

85 

400 

94 


Bei  Mensch  und  Schaf  ist  also  dieTibia  rascher  ge- 
wachsen als  der  Oberschenkel;  bei  Rind  und  Hirsch  ist 
es  umgekehrt.  Diesen  Befund  glaube  ich  in  folgender  Weise  zu- 
recht legen  zu  können.  Wenn  einfach  die  Belastung  wirksam  ist,  so 
muss  die  Tibia ,  weil  stärker  belastet  als  der  Schenkel ,  ein  rascheres 
Wachsthum  zeigen;  in  diesem  Falle  sind  Mensch  und  Schaf,  weil  kei- 
nes dieser  Geschöpfe  zu  seinem  Lebenswandel  eine  grössere  Thatigkeit 
der  Beinmuskeln  bedarf,  der  Mensch  deshalb  nicht,  weil  Ober-  und 
Unterschenkel  senkrecht  aufeinanderstehen,  eine  Lage,  zu  deren  Erhal- 
lung weniger  Muskelkraft  erforderlich  ist,  als  wenn  Ober-  und  Unter- 
schenkel wie  beim  Vierfttsser  in  winkliger  Knickung  festgehalten  wer- 
den sollen.  Damit  erklart  sich  zugleich  der  geringere  Betrag  der  Diffe- 
renz beim  schlecht  arbeitenden  Schafe,  vorausgesetzt,  dass  wirklich 
gezeigt  werden  kann,  wie  die  Wirkung  des  Muskelzugs  auf  den 
Oberschenkel  starker  ist  als  die  auf  den  Unterschenkel. 
Ohne  naher  die  Kräfte  der  Ober-  und  Unterscbenkelmuskeln  einzeln 
zu  analysiren  und  zu  vergleichen ,  geht  diess  schon  einfach  aus  dem 
grösseren  Querschnitt  der  Schenkelmusculatur  hervor  und  so  werden 
wir  es  ganz  natürlich  finden,  dass  bei  Thieren,  die  ihre  Beine 
viel  gebrauchen,  das  Prae  an  Wachsthum,  das  die  Tibia 
durch  ihre  grössere  Belastung  besitzt,  nicht  nur  com- 
pen'sirt,  sondern  ins  Gegentheil  verwandelt  wird,  d.  h.  in 
ein  gesteigertes  Wachsthum  des  Oberschenkels,  und  das  ist  der  Fall  bei 
Bind  und  Hirsch. 

Die  folgende  Tabelle  giebt  in  gleicher  Weise  das 


M  v.  1. 


3 


34 


Dr.  (kaUf  Jaifit, 


Verhältniss  von  Radius  und  Humerus 
(letzterer  Überall  »  1 60) . 


Mensch 

Rind 

Schaf 

Hirsch 

nea- 

erwach- 

neu- 

erwach- 

neu- 

erwach- 

neu-   J  erwach- 

geboren 

sen 

geboren 

sen 

geboren 

sen 

geboren 

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CO 

E 

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0 

06 

B 

p 

•T3 

Humi 

4  00 

445 

4  00 

424 

4  00 

4  00 

400 

420 

400 

97 

4  00 

92 

400 

94 

4  00 

93 

Es  ist  höchst  bezeichnend  und  bestätigend  für  unsere  AuflEassung, 
dass  in  dieser  Tabelle  der  Mensch  aus  der  bisher  mehrfach  getroffeneo 
Verbindung  mit  dem  Schafe  heraustritt  und  Rind  und  Hirsch  sich  bei- 
gesellt.   Das  Schaf  ist  das  einzige  unserer  vier  gemessenen  Geschöpfe, 
bei  dem  der  Oberarm  ebenso  im  Wachsthum  hinter  dem  Vorderarme 
zurückbleibt,  wie  wir  diess  rücksiclitlich  der  hintern  Extremität  bereits 
gefunden ;  bei  Mensch,  Rind  und  Hirsch  wächst  der  Oberarm  stärker 
als  der  Vorderarm.    Diess  zeigt,   dass  Schaf  und  Mensch   zwar 
gemeinschaftlich  mit  den  Hinterbeinen  faullenzen,   bei 
der  vordem  Extremität  aber  das  Schaf  allein  dies  es  Vor- 
recht geniesst,  der  Mensch  sich  dagegen  den  arbeitenden  Geschö- 
pfen anschiiesst.   Eine  ähnliche  Betrachtung  der  Musculatur  zeigt  uns 
nämlich,  dass  auch  der  Oberarm  unter  stärkerem  Muskeldruck  steht 
ais  der  Vorderarm. 

Ich  habe  versuchsweise  bei  einer  grösseren  Anzahl  von  Thieren 
die  in  Rede  stehenden  zwei  Hauptabschnitte  der  Gh'edmaassen  gemes- 
sen, allein  mich  überzeugt^  dass  ohne  Vergleichung  mit  dem  Neugebo- 
renen keine  Auflösung  der  Liste  möglich  ist;  ich  will  deshalb  nur  einen 
Irrthum  berichtigen,  der  sich  bis  in  die  neuesten  Handbücher  forlzielu 
(Hthtl,  Anatomie  des  Menschen  4863],  dass  nur  bei  Mensch  und  eini- 
gen Affen  der  Oberschenkel  länger  sei  als  der  Unterschenkel.  Von  22 
gemessenen  Thieren  besitzen  1 4  also  %  ^inen  längeren  Oberschenkel, 

Durchsichtiger  sind  die  Verhältnisse  des  Metatarsus  und 
Metacarpus.  Ich  setzte  hiebei  die  summirte  Länge  von  Tibia  und 
Femur  einerseits ,  die  von  Humerus  und  Radius  anderseits  gleich  4  00 
und  rechnete  die  betreffenden  Zahlen  von  Metatarsus  und  Metacarpus  um. 


Ueber  das  Llbi^wiidiBilioiii  der  KnoebeD. 


as 


VerhdItnisB  von  Metatarsus  zu  Femur  und  Tibid 

(die  Sumsie  überall  »400). 


Mensch 

Kind 

Schaf 

Hirsch 

neu- 
geboren 

erwach- 

neu- 
«8boi»w, 

efwach- 
seiB 

neu- 
geboren 

erwach- 
sen 

neu- 
geboren 

erwach- 
sen 

Meta- 
tarsos 

s 

U*    ■ 

S5 

0 

Ca« 

Meta- 
tarsus 

m 

Cß 

0 

Meta- 
tarsus 

Fuss 

Meta- 
tarsus 

oo 

Meta- 
tarsus 

bm 

A3 

«o 

Meta- 
tarsus 

CO 

40,4:400 

9,4:  400 

48  :  400 

3»  :  in 

44  : 

400 

86,8: 

400 

54  :  400 

46  :  400 

Hier  zeigt  sidi ,  dass  überall  der  Hetatarsus  beim  neugeborenen 
relativ  langer  ist  als  beim  erwachsenen  Thiere.  Diess  ist  wohl  60  auf- 
zufassen |  dass  Ober-  und  Unterschenkel  zusammengenommen  starker 
waebsen  als  der  Metatarsus  und  diess  hat  offenbar  seinen  Grund  in  der 
Vertheilung  des  Muskelzuges.  Die  Musculatur  des  Vorderfusses  ist  eine 
äusserst  geringe,  und  da  die  Muskeln,  welche  die  Zehen  bewegen,  am 
Unterschenkel  liegen,  somit  bei  ihrer  Contraction  auch  eine  Verlänge- 
rung des  Unterschenkels  anstreben ,  so  erklärt  sich  das  Uebergewicht 
im  Wachsthura  seitens  des  Ober-  und  Unterschenkels  vollkommen. 
Diess  springt  um  so  deutlicher  in  die  Augen,  wenn  wir  uns  zum  Meta- 
carpus  wenden. 

Verhaltniss  von  Metaearpus  zu  Humerus  und  Radius 

(die  Summe  überall  =  400). 


Mensch 

Rind 

Schaf 

Hirsch 

neu- 
geboren 

erwach- 
sen 

neu- 
geboren 

erwach- 
sen 

neui- 
geboren 

erwach- 
sen 

1 

neu- 
geboren 

erwach* 
sen 

Meta- 
carpus 

< 

Meta- 
oarpus 

< 

1  Meta- 
.  carpus 

'  Arm 

83  :'t00 

iMeta- 
carpus 

Arm 

iMeta- 
carpus 

S 

u 

< 

Meta- 
carpus 

1 

Meta- 
carpus 

g 

< 

44,4: 

400 

4S,5: 

400 

48  :  4t€ 

5a  :  400 

44  :  400 

64  :  400 

50 :40l 

Während  bei  Rind,  Schaf  und  Hirsch  der  Meiacarpua 
sich  gerade  so  verhalt  wie  der  Metatarsus,  macht  der 
Mensch  eine  Ausnahme.  Der  Metacarpus  des  Erwachsenen  ist 
relativ  langer  als  der  des  Neugeboreen.  Diess  hangt  offenbar  ab  von 
der  reicheren  Muskelentwicklung  der  mensohiichen  Hand  und  dem  aus- 
gedehnten Gebrauch,  den  der  Mensch  von  diesen  Werkzeug  macht. 

Dieser  Unterschied  fällt  um  ao  grösser  aus ,  wenn  wir  die  Liste 
pag.  34  zu  Bathe  ziehen,  die  uns  zeigte,  dass  auch  Oberarm  und  Vor- 
derarm des  Menschen  ein  beträchtliches  Wachsthum  aufweisen. 

Höchst  charakteristisch  ist  die  vergleichende  Messung  von  Thieren, 


36 


Br.  GnstftY  Juegw, 


die  ich  in  der  folgenden  Liste  zttsaniinengestellt  habe.    Unter  der 
Zeichnung  »Arma  versiehe  ich  wieder  Humerus  plus  Radius,  unter  der 
Bezeichnung  »Fussa  Femur  plus  Tibia. 

Verhältniss  von  Melacarpus  zu  Humerus  +  Raclius,  und  Yerhältniss  vou 
Metatarsus  zu  Femur  +  Tibia  (die  Summe  überall  sss  100). 


Meta- 
carpus 


Känguruh 
Elephant 
Affe  .  .  . 
Mensch  . 
Bär  .  .  . 
Hase    .  . 
Pachs .  . 
Fischotter 
Löwe  .  . 
Iltis  .  .  . 
Hyäne.  . 
Wolf  .  . 
Dachshund 
Rhinoceros 
Schwein 
Auerochse 
Ochse .  . 
Esel.  .  . 
Pferd  .  . 
Dromedar 
Schaf  .  . 
Hirsch.  . 


8,6 
H,5 
42,6 
42,5 
42,6 
45,4 
45,5 
47,6 
48,5 
20 
24 
24 
23 
23 
28 
28,8 
83,0 
35,7 
86,4 
39,5 
44 
50 


Arm 


400 
4  00 
4  00 
400 
400 
400 
400 
400 
400 
400 
400 
fOO 
400 
400 
4  00 
400 
400 
400 
400 
400 
4  00 
400 


Elephant 
Mensch 
Bär  .  . 
Affe  .  . 
Dachs . 
Hase    . 
Löwe  . 
Iltis.  . 
Rhinoceros 
Wolf  .  . 
Schwein 
Känguruh 
Hyäne    . 
Fischotter 
Dachshund 
Auerochse 
Ochse .  . 
Schaf  .  . 
Dromedar 
Pferd  .  . 
Esel.  .  . 
Hirsch.  . 


Meta- 
tarsus 


8,6 
9,4 
42 
44,7 
46,7 
49,0 
49,6 
20,0 
20,0 
34,0 
24,7 
22,0 
2St,0 
22,0 
22,0 
28,7 
32,0 
36,8 
88,4 
38,6 
44,0 
46,0 


Fuss 


4  00 
400 
400 
400 
400 
400 
400 
400 
400 
4  00 
400 
400 
400 
400 
400 
400 
4  00 
400 
400 
400 
400 
400 


Betrachten  wir  zuerst  die  Verhältnisse  des  Metatarsus. 
Wenn  ^ir  vom  Elephanten  absehen,  so  besitzen  den  kürzesten  Me- 
tatarsus  die  Sohlengänger:  Mensch,  Bär,  Affe  und  Dachs.  Auf 
sie  folgen  die  Zehengänger,  und  zwar  die,  welche  mehrere 
Metatarsalknochen  besitzen;  zuletzt  konnmen  die  Wie- 
derkäuerund Einhufer,  die  auf  einem  Metatarsalknochen 
gehen  ,  und  zwar  trennt  ein  scharfer  Sprung  diese  letztern  von  den- 
jenigen Thieren,  die  mehrere  Metatarsen  besitzen.  —  Diese  Reihenfolge 
stimmt  ganz  genau  mit  den  obwaltenden  Belastungsverhältnissen  über- 
ein.  Bei  den  Plantigraden  sind  die  Metatarsalknochen  am  wenigsten 
belastet,  weil  das  Körpergewicht  auf  der  Fusswurzel  ruht  und  der  Un- 
terschied zwischen  den  Digitigraden  und  den  Ein-  und  Zweihufern 
rührt  einfach  daher,  dass,  wo  vier  und  fünf  Knochen  an  jedem  Fuss 
sich  in  die  Last  theilen ,  auf  einen  Knochen  weniger  Gewicht  fällt  als 
da,  wo  nur  ein  Knochen  die  Last  trägt.  Dass  diese  Auffassung  die  ridi- 
tige  ist,  lehrt  namentlich  schön  die  Vergleichung  von  Elephant  und 
Rhinoceros;  der  erstere,  derauf  5  Metatarsalknochen  geht^ 


Uei)er  das  L&BgeiivaclistlHim  der  Kuocbeu.  37 

bal  einen  kürzeren  Metatarsus  als  das  Rhinoceros,  des- 
sen Meiatarsus  aus  3  Knochen  besteht.  Dass  übrigens  der 
Elephant  einen  kürzeren  Metatarsus  besitzt  als  selbst  die  Sohlengänger, 
weist  darauf  hin,  dass  noch  andere  Umstände  hier  in  Betracht  kommen, 
vor  allem  die  längere  Tragzeit  dieser  Thiere  (siehe  hierüber  später) .  — 
Weiter  wäre  aus  der  Liste  noch  herauszuheben  der  Unterschied  zwi- 
schen Auerochse  und  Ochse ;  entweder  deutet  diess  auf  ein  stärkeres 
Wachsthum  von  Ober-  und  Unterschenkel  beim  Auerochsen,  was  übri- 
gens nach  unserer  Tabelle  p.  33  unwahrscheinlich  ist,  oder  darauf,  dass 
beim  Ochsen  der  Metatarsus  wirklich  stärker  wächst;  ohne  Unter- 
suchung des  neugcbomen  Auerochsen  wird  sich  diese  Alternative  nicht 
entscheiden  lassen. 

Die  hohe  Zahl  des  Schafes  findet  wohl  darin  ihre  Erklärung ,  dass 
Ober-  und  Unterschenkel  nicht  in  dem  Maasse  wachsen  ,  wie  bei  den 
andern  Wiederkäuern.  «Wie  wir  aus  der  Tabelle  pag.  35  enioehmen, 
beträgt  der  Unterschied  zwischen  Metatarsus  des  Erwachsenen  und 
Neugebornen  beim  Rind  16%»  b«im  Schaf  nur  8,2%.  —  Die  hohe 
Ziffer  beim  Hirsch  ist,  wie  aus  Tabelle  pag.  35  hervorgeht,  schon  daraus 
erklärt,  dass  der  Hirsch  einen  sehr  langen  Metatarsus  zur  Welt  bringt, 
allein  auch  hierin  könnte  man  eine  Fortvererbung  eines  erworbenen 
Charakters  erblicken ;  der  Hirsch  hat  nämlich  einen  sehr  dünnen  Meta- 
tarsus im  Verhältniss  zu  dem  der  andern  hier  angeführten  Wieder- 
käuer; jekleiner  aber  der  Querschnitt  eines  Knochen,  um 
so'grösser  ist  die  Last,  die  auf  der  Flächeneinheit  dessel- 
ben ruht.  Voraussichtlich  werden  die  schlankbeinigen  Antilopen  ähn- 
lich lange  Metatarsen  aufweisen. 

Wenden  wir  uns  zu  den  Verhältnissen  des  Metacarpus,  so  fin- 
den wir  bei  den  vierfüssig  gehenden  Thieren  eine  fast  minutiöse  Ueber- 
einstimmung  mit  denen  des  Metatarsus.  Grössere  Differenzen  weisen 
die  Thiere  auf,  welche  Vorder-  und  Hinterbein  in  heterogener  Weise 
benutzen :  Mensch,  Känguruh,  Affe  und  Hase.  Den  grösslen  Unter- 
schied zeigt  das  Känguruh;  sein  Metatarsus  hat  die  Verhältnisse  der 
Digitigraden ,  sein  Metacarpus  die  der  Plantigraden ;  diess  entspricht 
genau  dem  verschiedenartigen  Gebrauch ,  den  es  von  seinen  Extremi- 
täten macht.  Es  wäre  nur  das  Eine  auffallend ,  dass  der  Metatarsus, 
von  dem  nur  ein  Knochen  functionirt ,  nicht  die  Verhältnisse  der  Ein- 
und  Zweihufer  zeigt,  sondern  die  der  Vierhufer,  wenn  wir  nicht  wüss- 
ten,  dass  das  Känguruh  nur  im  Sprung  Digitigrad  ist,  in  der 
Ruhe  dagegen  Plantigrad. 


III.  Abschnitt 

U^ber  das  L&ngdnwaehflthnm  vor  der  Oebtirt  und  Schlnss- 

folgeningen. 

Die  bisher  initgeiheiHeD  HessuDgen  dürften  hinreichend  sei» ,   uni 
einige  allgemeine  Sätze  über  das  Längenwachsthum  zu  formuliren. 
Der  Hauptsatz  lautet: 

Unter  sonst  gleichen  Umständen  steht  das  Längen- 
wachsthum  eines  Knochens  in  geradem  Verhältniss  zu 
seiner  mechanischen  Leistung. 

Aus  dem  leiten  sich  folgende  secundäre  Sätze  ab : 

1)  Das  Längenwachsthum  steht  (unter  sonst  gleichen  Um- 
ständen) in  geradem  Yerhältniss  zur  Höhe  derBela- 
stung  des  Knochens  durch  c^as  Körpergewicht. 

2]  Das  Längenwachsthum  steht  (unter  sonst  gleichen  Um- 
ständen) in  geradem  Yerhältniss  zur  Stärke  und  Häu- 
figkeit des  in  der  Längsaxe  geübten  Muskeldruckes. 

3)  Steht  das  Totalwachsthum  des  Skeletes  in  geradem 
Yerhä.ltniss  zur  Höhe  der  Muskelarbeit. 

Yon  diesen  Sätzen  aus  können  die  Untersuchungen  auch  ausge- 
dehnt werden  auf  die  Wachsthumsvorgänge  vor  der  Geburt. 
Bekanntlich  bewegt  sich  der  Fötus  in  der  zweiten  Hälfte  der  Schwan- 
gerschafty  und  wenn  die  Muskelarbeit  das  Längenwachsthum  nach  der 
Geburt  fördert,  so  ist  kein  Grund  abzusehen,  warum  die  Muskelarbeit 
des  Fötus  nicht  die  gleiche  Wirkung  haben  sollte. 

Bekanntlich  werden  die  Fötalbewegungen  vorzugsweise  von  den 
Gliedmassen  ausgeübt,  während  der  Bumpf,  wenn  auch  sicher 
nicht  ganz  unbeweglich,  so  doch  mindestens  seltenere  und  weniger 
ausgiebige  Bewegungen  vollführt.  Damit  stimmt,  dass  die  Glied- 
massenknochen beim  Neugebornen  bereits  alle  andern 
an  Länge  übertreffen.  Es  wäre  gewiss  eine  voreilige  Behaup- 
tung, dass  die  Ausgiebigkeit  und  Häufigkeit  der  Gliedmassenbewegun- 
gen gegenüber  den  Bewegungen  des  Rumpfes  die  alleinige  Ursache 
des  stärkeren  Wachsthums  der  Gliedmassenknochen  seien.  AUein  an- 
dererseits ist  doch  auch  folgende  Erwägung  gerechtfertigt.  Wenn  Mus- 
kelarbeit das  Längenwachsthum  steigert,, so  kann  sie  dasselbe  auch  ver- 
anlassen. Wir  hätten  nur  dann  uns  nach  andern  Ursachen  umzusehen, 
wenn  durch  Beobachtung  ausser  Zweifel  gestellt  wäre,  dass  die  Glied- 
massenknochen beim  Fötus  bereits  ein  vorgeschrittenes  Längenwachs- 


Ueber  das  LäBgeawftcMhuni  der  Koocheii.  39 

thum  I6q;en,   bevor  die  Gliedmassen  irgendwelche  aclive 
oder  passive  Bewegungen  ausgeführt  haben.   Daraus,  dam 
die  activen  Bewegungen  des  Fötus  beim  Menschen  erst  awisehen  dem 
vierten  und  fünften  Monat  von  der  Mutter  gefüUt  werden,  folgt  jeden*^ 
falls  nicht,  dass  vor  dieser  Zeit  keine  derartigen  vorhanden  sind.  Doch 
dem  sei  wie  ihm  wolle.    Da  nach  den  übereinstimmenden  Zeugnissen 
der  Embryologen  die  Pdtalbewegungen  vorzugsweise  von  den  Glied- 
massen ausgeführt  werden,   so  erklärt  sich  aus  unsern  allgemeinen 
Sätisen  mindestens  der  Umstand,  dass  Thiere  von  kurzer  Träch- 
tigkeitsdauer  kurzbeinige   Junge  gebüren,    solche   mit 
langer  Trächtigkeitsdauer  dagegen  hochbeinige.  Die  Ratze 
gebt  55  Tage  trächtig,  der  Hund  63  und  ihre  Jungen  sind^kurzbeinig ; 
das  Schiff  geht  450,  das  Rind  285,  der  Hirsch  c.  240  Tage  trächtig  und 
ibrO  Jungen  kommen  hochbeinig  zur  Welt.  Selbst  innerhalb  dieser  drei 
Wiederkäuer  stimmt  die  Beinlänge  des  Neugebornen  mit  der  Trächtig- 
keitsdauer des  Schafes,  das  die  kürzeste  hat,  bringt  laut  Tabelle  pag.  25' 
unter  den  genannten  Thicren  das  kürzeste  Bein  zur  Welt  (43%  ^^^ 
Rumpflänge,  bei  Rind  59%,  bei  Hirsch  82%).   Dass  das  Rind  trotjB 
seiner  längeren  Tragzeit  ein  kurzbeinigeres  Junges  wirft  als  der  Hirsch, 
leitet  uns  auf  einen  neuen  Umstand.    Der  Effect  der  P^^talbewegungen 
auf  das  Längenwachsthum  hängt  ja  nicht  allein  von  der  Dauer  der 
Trächtigkeit  ab,  sondern  auch  von  ihrer  Häufigkeit  und  Heftigkeit.  Jede 
Frau  wird  es  nun  bezeugen  können,  dass  in  dieser  Beziehung  die  FdValr^ 
bewegungen  Hand  in  Hand  gehen  mit  Häufigkeit  und  Heftigkeit  der 
Bewegungen  der  Mutter.    Es  fände  also  auch  der  genannte  Unterschied 
zwischen  neugebomem  Hirsch  und  Bind  aus  unsern  allgemeinen  Sätzen 
seine  befriedigende  Lösung.   Der  gleiche  Umstand  trägt  wohl  auch  die 
Schuld,  dass  die  Differenz  zwischen  Rind  und  Schaf  trotz  dem  .grossen 
Unterschied  in  der  Dauer  der  Trächtigkeit  in  Bezug  auf  die  Beinlänge 
keine  grössere  ist.    Denn  das  trächtige  Schaf,  das  auf  die  Weide  geht, 
hat  offenbar  mehr  Muskelarbeit  zu  leisten  als  die  trächtige  Kuh ,  die 
man  in  den  Stall  stellt. 

Wir  hätten  also  aus  dieser  Vergleichung  der  Beinlänge  neugebore- 
ner Thiere  weitere  allgemeine  Sätze  über  das  Längenwachsthum  der 
Knochen  gewonnen. 

1)  Die  fötalen  Bewegungen  sind  derartig,  dass  sie  das 
Längcnvcrhältniss  von  Rumpf  und  Glied niassen  zu  Gun- 
sten der  letzteren  verändern. 

Daraus  leiten  sich  folgende  Sätze  ab : 

2)  Bei  gleiob  langer  Trächtigkeitsdauer  und  sonatglei^ 


3S  Dr.  GuslftT  JMgert 

eben  Umständen  siebt  die  Hochbeinigkeii  des  Neugebornen 
in  geradem  Verhaltniss  zur  fötalen  Muskelarbeit. 

3)  Die  Fötal bewegungen  stehen  unter  sonst  gleichen  Um- 
ständen in  geradem  Verhaltniss  zur  Muskelarbeit  der 
trächtig  gehenden  Mutter. 

i]  Bei  sonst  gleichem  Tempo  der  Fötalbewegungen 
steht  die  Hochbeinigkeit  des  Neugebornen  in  geradem 
Verhaltniss  zur  Trächtigkeitsdauer. 

Mit  diesen  Sätzen,  die  freilich,  um  zur  UnumstössUchkeit  zu  ge- 
langen, weiterer  vergleichender  Messungen  bedürfen,  haben  wir  an  das 
Gebiet  getastet,  auf  welchem  bisher  die  Lehre  von  der  Fortvererbunt: 
fasV  ausschliesslich  das  Feld  behauptete.  Der  würde  durch  diese  Sätze 
ein  gut  Stück  entzogen.  Die  Fortvererbung  eines  bestimmten  Veiiialt- 
nisses  zwischen  Bein  und  Rumpf  beruhte  somit  wesentlich  da^auf,  dass 
die  Mutter  während  der  Trächtigkeitsdauer  die  gleiche  Summe  von  Mus- 
kelarbeit leistet,  die  ihre  eigene  Mutter  leistete,  als  sie  mit  ihr  trächtig 
ging.  Wo  Elun  eine  Abweichung  von  der  Beinlänge  der  Vorfahren  ein- 
tritt, hätten  wir  —  andere  Ursachen  sollen  natürlich  nicht  ausgeschlos- 
sen sein  —  an  die  Möglichkeit  zu  denken,  dass  das  trächtig  gehende 
Thier  aus  irgend  einer  mit  dem  Kampf  um^s  Dasein  zusammenhängen- 
den Ursache  ein  Plus  oder  Minus  von  Muskelarbeit  leistet  gegenüber  der 
Grossmutter.  Setzen  wir  den  Fall,  dass  es  ein  Plus  ist,  so  wird  das 
Junge  langbeiniger  zur  Welt  kommen  als  es  bei  seiner  Mutter  der  Fall 
war.  Dieser  Gewinn  erleichtert  dem  Thiere  die  Ortsbewegung ;  und 
wenn  es  Veranlassung  dazu  findet,  so  wird  es  der  Anregung,  die  seine 
Mutter  empfing,  nicht  nur  leichter  Folge  geben  können,  sondern  es 
auch  in  ausgedehnterem  Masse  thun,  und  diess  wird  wiederum  ein  Plus 
von  Beinlänge  bei  der  nächsten  Generation  erzeugen. 

Es  wird  nun  nicht  geläugnet  werden  können,  dass  auf  diese  Weise 
eine  Gumulation  zu  Stande  kommt  und  eine  solche  Thierrace  von  Gene- 
ration zu  Generation  langbeiniger  werden  muss.  Umgekehrt  wird  ein 
Thier,  welches  durch  viele  Generationen  während  der  Tragzeit  zur 
Unthätigkeit  verdammt  ist,  immer  kurzbeinigere  Jungen  zur  Welt 
bringen.  Ich  wiederhole,  dass  hierait  nicht  gesagt  ist,  es  sei  die  Mus- 
kelarbeit während  der  Trächtigkeitsdauer  und  diese  selbst  die  aliei- 
nige Ursache  solcher  Racenbildungsvorgänge.  Sicher  aber  wird  ein 
Theil  derselben  daraus  seine  Erklärung  finden  können,  z.  B.  die  Lang- 
beinigkeit der  Windhunde  und  die  Kurzbeinigkeit  der  englischen 
Schweine  gegenüber  den  polnischen  und  ungarischen.  Als  weitere 
Bestätigung  des  Gesagten  bemerke  ich,  dass  bei  den  kurzbeinigen 
Southdownschafen  die  Tragzeit  um  einige  Tage  kürzer  ist  als  bei  den 


lieber  das  Lüngeuwiichsthiiai  der  KNOcbeii.  4  ] 

hochbeinigen  Schafracen,  und  das  gleiche  VerbdHniss  besteht  zwischen 
<i  rabischem  und  dem  hochbeinigen  eagtischen  Pferd. 


Indem  ich  zunächst  darauf  verzichte,  durch  eine  Analyse  der  be- 
kannten Abweichungen  unserer  Hausthiere  von  der  wilden  Race  neuen 
Beweisstoff  für  das  aufgestellte  Längen wachslhumsgesetz  beizubringen, 
möchte  ich  durch  einige  Bemerkungen  die  Aufmerksamkeit  der  Fach- 
physiologen auf  den  vorliegenden  Gegenstand  lenken.    Es  ist  aus  der 
Literatur  der  letzten  Jahre  klar  ersichtlich,  dass  fast  nur  Zoologen,  ver- 
gleichende Analomen  und  Botaniker  sich  auf  das  durch  die  DARwiN^sche 
Theorie  aufgeschlossene  Beobachtungsgebiet  bogeben  haben ,  und  mit 
welchem  Erfolg,  beweisen  die  sich  häufenden  Entdeckungen  der  über- 
raschendsten Art.  Die  eigentlichen  Physiologen  verhalten  sich  vorläufig 
noch  gänzlich  cxspectativ  und  doch  liegen  für  sie  auf  dem  erschlosse- 
nen Gebiete  nicht  minder  reiche  Schätze  begraben  als  für  die  andern 
Disciplinen,  die  sich  mit  den  Organismen  beschäftigen;   ja  es  muss 
geradezu  behauptet  werden ,  so  lange  sich  nicht  die  Expertmentalphy- 
siologie  ernstlich  damit  beschäftigt,  den  Ursachen  der  indivi- 
duellen Variation  nachzuspüren,  können  die  Bemühungen  der 
Zoologen  nur  von  halbem  Erfolg  begleitet  sein,  und  doch  haben  diese 
Fragen  nicht  nur  eine  hohe  wissenschaftliche  Bedeutung,  sondern  sie 
sind  bestimmt,  zur  Richtschnur  für  den  Thierzüchter  und  die  zweck- 
mässige Erziehung  des  Menschenleibes  zu  werden. 

Vor  allem  ist  es  das  zuletzt  genannte  praktische  Gebiet ,  das  das 
grösste  Interesse  an  dem  Nachweis  der  genannten  Ursachen  hat.  Der 
Thierzüchter  besitzt  an  der  Zuchtwahl ,  d.  h.  an  der  Benutzung  der 
ohne  sein  Zuthun  entstandenen  individuellen  Variation  ein  ausseror- 
dentlich wirksames  Mittel  zur  zweckmässigen  Umgestaltung  des  Thier- 
körpers;  allein  auf  den  menschlichen  Leib  kann  dieses  Mittel  nicht  an- 
gewendet werden.  Gelingt  es  nun,  die  Ursachen  der  individuellen 
Variation  festzustellen,  so  werden  zum  erstenmal  Mittel  gewonnen,  um 
eine  systematische  Erhöhung  der  physischen  Leistungsfähigkeit  des 
Menschenleibes  anzustreben. 

Im  vorliegenden  Falle  handelt  es  sich  von  Seite  der  Experimental- 
Physiologie  um  die  Analyse  des  wachsthumfOrdernden  Einflusses  der 
Bewegung  und  Belastung  auf  das  Knochengerüste.  Wenn  ich  mich 
unterfange,  einiges  darüber  zu  bemerken,  so  geschieht  es  mehr  in  der 
Absicht  anzuregen,  als  in  dem  Glauben,  es  lasse  sich  hierüber  Er- 
schöpfendes sagen. 


42  I^r.  Gostav  J«^ger,  Ueber  daa  Llogeuwachsthan  der  Kuoohen. 

1]  denke  ich,  die  Wirkung  der  Belastung  und  des  MuskeldrucLe-^ 
auf  das  Längenwachsthum  der  Knochen  sei  ein  gans  ähnlicher  Vorgans, 
wie  die  Schwielenbildung  an  der  Epidermis.    Es  liegt  Id  beiden 
Fällen  ein  mechanischer  Reiz  vor,  der  die  Zellen  zu  Vermehrung  durch      : 
Theilung  veranlasst ; 

2)  dürfte  wohl  der  Wechsel  zwischen  Gompression  und  Re-      ', 
laxation  ein  wesentliches  Moment  sein,  denn  eine  Reihe  von  paihokn 
gischen  Processen   thut  dar,    dass  anhaltende  Gompression   zun     j 
Schwund  der  organischen  Gewebe  führt;  * 

3)  muss  untersucht  werden,  wie  sich  bei  einem  solchen  Wechsel  : 
von  Gompression  und  Relaxation  der  Gewebe  dieBxnährungsver-  | 
häl  tnisse  gestalten,  vor  allem  die  Blutzufuhr.  Hiebet  ist  wieder  wei-  ; 
ter  zu  untersuchen,  ob  die  gesteigerte  Blutzufuhr  nur  zurttokzuftthren  \ 
ist  auf  den  Rhythmus  des  Herzschlages  oder  die  erhöhte  Blul-*  luid  | 
Lymphcirculation,  ob  man  es  weiter  mit  einer  bleibenden  Erweileruni; 
der  zuführenden  Arterien  und  einor  reicheren  Entwicklung  von  Capil- 
largefdssen  zu  thun  hat  etc. ; 

4)  wären  Experimente  darüber  anzustellen,  ob  neben  dem  phy- 
siologischen Effect  von  Druck  und  Belastung  nicht  auch  ein  einfach 
mechanischer  vorliegt.  Der  Umstand,  dass  in  alten  Hühneraugen 
phosphorsaure  Kalkerde  sich  niederschlugt  (Hyrtl,  Handbuch  der  Ana- 
tomie 1863.  pag.  521),  dass  die  Knochen  wilder  Thiere  mehr  Kalk  im 
Verhältniss  zur  leimgebenden  Substanz  haben  als  die  der  unbesdiäf- 
tigteren  Hausthiere  (siehe  Rütiheyer),  lässt  immerhin  den  Gedanken 
aufkommen ,  die  Verknöcherung  des  osteogenen  Gewebes  sei  ein  che- 
misch-mechanischer  Vorgang.  Ein  Versuch,  den  Herr  Professor 
Marx  in  seinem  Laboratorium  anzustellen  die  Güte  hatte  (es  wurde  eine 
salzsaure  Lösung  von  phospborsaurem  Kalk  durch  eine  Schweinsblase 
gepresst  und  die  Goncentration  der  durchpassirten  Flüssigkeit  mit  der 
in  der  Blase  zurückgebliebenen  verglichen),  gab  zwar  ein  negatives 
Resultat,  allein  daraus  ist  noch  nichts  zu  schliessen. 

Mit  diesen  Bemerkungen  glaube  ich  meine  Mittheilungen  vorläufig 
abschliessen  zu  sollen ,  indem  ich  mir  vorbehalte ,  die  Ergebnisse  der 
Fortsetzung  meiner  Untersuchungen  später  zur  Kenntniss  zu  bringen, 
sowie  ein  für  alle  Organismen  und  Gewebe  gültiges  morphologisches 
Gesetz  zu  begründen,  welches  ich  vorläufig  so  formulire: 

Während  auf  unorganische  Körper  derReiz  verklei- 
nernd wirkt,  wächst  der  organische  dem  Reiz  entgegen, 
indem  an  der  von  ihm  getroffenen  Steile  Zellvermehrung 
eintritt. 


Heber  das  Skeletgewebe  der  Cyclostomen. 

Von 

C.  Oegenbaur* 


Mit  Tafel  I. 


Die  durch  das  Fortbestehen  einer  mächtigen  Chorda  dorsalis  aus- 
gezeichneten Axenskelete  der  Cyclostomen  werden  stets  an  den  Anfang 
einer  Entwickelungsreihe  gesetzt,  an  die  sich  die  Axenskelette  der 
Chimären  und  Dipnoi,  auch  jene  der  Störe,  anschliessen.  Sie  begrün- 
den ein  Recht  auf  diese  Stelle  nicht  nur  durch  das  Verhalten  der  Chorda, 
sondern  auch  durch  die  Beziehungen  der  skeletbildendetf  Schichte. 
Indem  bei  Myxinoiden  eine  Gliederung  in  Wirbelabschnitte  am  Skelete 
selbst  gänzlich  fehlt,  indess  sie  bei  den  Petromyzonten  durch  knorpelige 
Bogensttlcke  angedeutet  wird ,  sondern  sich  die  beiden  Abtheilungen 
der  Cyclostomen  wieder  auf  zwei  Stufen ,  von  denen  eine  an  höhere, 
die  andere  an  niedere  Verhältnisse  den  Anschluss  bietet.  Ungeachtet 
dieser  Verbindung ,  welche  das  Verhalten  des  Rückgrates  der  Cyclo- 
stomen zu  gestatten  scheint,  bestehen  an  ihm  doch  so  manche  und 
nicht  unwichtige  Eigenthümlichkeiten ,  dass  die  Erwägung  derselben 
uns  darin  nur  der  Besonderheit  der  übrigen  Organisation  entsprechende 
Verhältnisse  sehen  lehrt. 

Sehen  wir  zunächst  nach  den  verschiedenen  Auflassungen,  welche 
dieTbeile  des  Axenskeletcs  bei  verschiedenen  Autoren  gefunden  haben. 
Nach  C.  S.  ScBULTZB  ^)  ist  bei  Petromyzon  fluviatilis  die  Bildung  fol- 
gende: »Eingesenkt  in  eine  gallertige  Masse  verläuft  der  Länge  nach 
durch  den  ganzen  Körper  ein  aus  Faserknorpel  bestehendes  Rohr, 
dessen  Höhle  mit  derselben  Gallerte  ausgefüllt  ist.    Auf  diesem  Rohre 

1)  D^  Physiologie.  Bd.  IV.  4648.  p.  Bift. 


44  C*  GegMbaw, 

liegt  das  bandförmige  Rückenmark  in  einem  Ganale,    der  durch  (k 
nngsumliegende  feste  Galle rtc  gebildet  wird,   in  welcher  sich  su  bei- 
den Seiten  des  Rohres  convergirende  Knorpelstreifen ,  um  es  zu  be- 
decken ,  erheben.   Diese  Streifen  sind  milchweiss ,  spröde ,    undurcb- 
sichtig,  wodurch  sie  sich  von  dem  elastischen  durchsidiligen  Robit. 
an  welches  sie  durch  kurzes  Zellgewebe  geheftet  sind ,   unterscheidee. 
Sie  stehen  in  der  Nahe  des  Schädels  ziemlich  weitläufig,    senkred 
auf  dem  Rohre,    und  haben  eine  zweigespaltene  Wurzel.    Nach  dtv 
vorderen  Spitzlhcil  des  Körpers  verändern  sie  ihre  Richtung,    indec 
sie  sich  etwas  nach  hinten  legen,   und  werden  zugleich   zahlreicher 
aber  kürzer,   so  dass  sie  fast  verschwinden.    Im  hinteren  Theile  end- 
lich ,   besonders  da  wo  die  Rückenflossen  entspringen ,  liegen  sie  didi» 
neben  einander,    sind  am  längsten  und  berühren  sich  von    beideii 
Seiten  unter  einem    spitzen    Winkel,    von   wo  sich  die  knorpliges 
Flossen  strahlen,  jedoch  ohne  mit  ihnen  verbunden  zu  sein ,    erheben 
Diesen  entspricht  im  vorderen  Theile  der  W^irbclsäule ,  da  sie  zugleich 
die  Dornfortsätze  darstellen,  eine  in  der  Mittellinie  des  Rückens  zwischen 
den  Muskeln  verlaufende  Gallertschicht.    In   der  Schwanzspitze  ver- 
schwinden die  Knorpelstreifen ,   der  Ganal  und  das  Rückenmark  ganz-  \ 
lieh,  und  das  Knorpelrohr  endet  fadenförmig. 

»Dass  das  Knorpelrohr  den  Körpertheil  der  Wirbel,  die  hier  noch 
nicht  als  einzelne  Knochen  vorhanden  sind,  darstellt,  wird  auch  da- 
durch bewiesen ,  dass  sich  schon  eine  Spur  der  Eintheilung  findet ,  in- 
dem das  ganze  Rohr  aus  einer  unzähligen  Menge  dicht  aneinander 
liegender  Ringe  besteht,  die  besonders  im  trockenen  Zustande,  und  an 
der  inneren  Fläche  deutlich  zu  sehen  sind.« 

Rathke  1)  äussert  sich  für  die  Pricke  folgendermaassen :  i>An  das  ■ 
Schädelende  setzt  sich  ein  massig  dickwandiges ,  anfänglich  von  oben 
nach  unten  etwas  plattes,  bald  aber  in  die  Cylinderform  übergehendes 
Rohr,  welches  eine  Strecke  an  Weite  zunehmend,  als  der  hauptsäch-*  }| 
liebste  Tbeil  des  Rückgrates  in  gerader  Linie  nach  hinten  verläuft.  I| 
Die  Wand  desselben  besteht  aus  einem  Faserknorpel,  dessen  dUnnc  j| 
aber  feste  Fibern  dicht  an  und  übereinander  liegende  Ringe  bilden. 
Sehr  deutlich  erscheinen  diese  Ringe  auf  der  Rinnenfläche  des  Rohres, 
undeutlich  aber  auf  der  Aussenfläche.  Die  Höhle  des  Rohres  ist  mit 
einer  bläulichweissen  und  festen  Gallerte  erfüllt.  Diese  Gallerte  nun 
füllt  das  ganze  Rohr  vollständig  aus,  scheint  aber  von  aussen  nach 
innen  immer  weicher,  zu  werden,  ganz  in  der  Mitte  aber  wiederum 
eine  etwas  grössere  Härte  anzunehmen.« 

1)  Bemerkungen  über  den  inneren  Bau  der  Pricke.    Oanzig,  4815. 


Geber  das  Sketetgewebe  der  Cyclosiomen.  45 

»An  die  Seilen  des  beschriebenen  Rohres ,  jedoch  nur  an  den  vor- 
leren platten  Theii  desselben ,  legen  sieh  vier  Paar  kleine  Knochen- 
Stuck chen,   und  das  in  einiget  Entfernungen  von  einander,  platt  an, 
sind  mehr  oder  weniger  glasartig  spröde,  nehmen  einzeln  von  vorne 
nach  hinten  an  Grösse  immer  mehr  ab ,   ragen  mit  ihren)  oberen  Ende 
eine  grössere  Strecke  als  sie  dem  Rohre  ansitzen  über  diesem  hervor, 
gehen  etwas  convergirend  paarweise  gegen  einander,  und  nehmen  den 
fibrös   häutigen  Ganal  des  Rückenmarkes  zwischen  sich.    Das  erste 
dieser  Stücke  jedweder  Seite  ist  am  breitesten  und  befindet  sich  dicht 
hinter  der  Ohrkapsel.    Diefalgenden  Stücke  haben  ungefähr  die  Gestalt 
der  vordersten  Fingerphalangen.    Auf  diese  Knochenstückchen  folgen 
Mreiter  nach  hinten ,  und  gleichfalls  in  massigen  Abständen  von  einan- 
der,  eine  Menge  fester  und  nur  schmaler  Rnorpelstücke ,   welche  zwar 
dieselbe  Stellung  als  die  vorderen  Rnochenstücke  haben ,   jedoch  fast 
nur  allein  dem  fibrös  häutigen  Ganale  des  Rückenmarkes,  dorn  sie  innig 
angewachsen  sind,  angehören,  und  nur  ein  wenig  nach  aussen  hervor- 
treten.   Bis  auf  die  Mitte  des  Rumpfes  nimmt  die  Höhe  desselben  mehr 
%u  als  ab.    Darüber  aber  hinaus  werden  sie  immer  kürzer,  rücken  zu- 
gleich immer  dichter  bei  einander,    und  verschwinden  zuletzt,    gegen 
das  Ende  des  Schwanzes  gänzlich.« 

»Diese  beschriebenen  Knorpel  und  Knochenstückchen  nun,  die 
den  fibrös  häutigen  Ganal,  in  welchem  das  Rückenmark  eingeschlossen 
liegt,  zwischen  sich  nehmen ,  und  eben  noch  nicht,  je  Paar  für  Paar, 
mit  einander  zur  Vereinigung  gelangt  sind ,  stellen  die  halben  Wirbel- 
bogen am  RUckgrate  höherer  Thiere  dar.  Auf  ihre  Enden  endlich  und 
jenen  Ganal  sieht  man  eine  senkrecht  stehende,  halb  gallert-  und  halb 
zellgewebartige  Platte  aufgesetzt,  die  schmal  und  dünn  hinter  dem 
Kopf  beginnt,  gegen  die  Mitte  des  Rumpfes  aber  allmählich  höher  und 
dicker  wird.a 

»Die  Schenkel  der  Rttckgnitshöhle ,  die  in  dem  Brusttheile  noch 
ziemlich  weit  von  einander  standen ,  rücken  allmählich  immer  näher 
zusammen ,  werden  etwas  höher  und  stellen  jetzt  nur  dünne ,  gerade 
Streifen  vor,  die  immer  mehr  die  knochenartige  Beschaffenheit  ver- 
lieren, indem  sie  immer  knorpelartiger  werden.  Zugleich  rücken  sie 
mehr  hineuf,  so  dass  sie  in  dem  Bauch-  und  Schwanzlheile  der  Pricken 
weniger  als  in  dem  Brusttheile ,  dem  Hauptstücke  des  Rückgrates  an- 
liegen, sondern  nur  aHein  dem  faserknorpeligen  Rohre  angehören, 
welches  das  Rückenmark  umgiebt,  und  in  dessen  Settenwände  sie 
immer  mehr  hineintreten ,  so  dass  sie  (schon  in  der  hinteren  Hälfte  des 
Bauchstückes)  in  diese  Wände  ganz  eingesenkt  sind ,  anstatt  dass  sie 
im  B  ^igslens  die  vordersten  derselben ,   ihnen  nur  an- 


46  C.  Giigeftkatir, 

lagen.  Die  gallertariige  Platte^  welche  dexk  Schenkeln,  des  Rflekgrau^ 
aufgesetzt  ist ,  behielt  bis  fast  dicht  vor  dem  Schwänzende  ^ne  noc^ 
ziemliche  Höhe ,  scheint  aber ,  je  weiter  nach  hinten ,  sich  desto  meiif 
zu  verdünnen.  In  ihr  nun  sind  die  Anfiinge  derSUrablen  em^e^vBchBcn 
welche' die  beiden  Rückenflossen  unterstüUen»« 

Hören  wir  ferner  J.  Müllbr  ^) :    »Bei  d^  Petroinyzen  besieht  d»s 
Rückgrat  aus  dem  Gallertrohr  und  dem  fibrösen  Ueberzug,    mreichf 
über  der  Säule  in  das  Dach  für  das  Rückenmark  und  für  das  über  des 
letzteren  liegende ,  zellgewebartige ,  schwärzliche  Fettzellgewebe  über- 
geht.   Es  besteht  ferner  aus  den  am  häutigen  Bogentheil  des  Rück- 
grates anliegenden  niedrigen,   knorpeligen  Schenkebi,    die  bis  zuoi 
Schwanzende  des  Thieres  Vorkommen ,   den  Canal  d^  RüdLenmarke 
seitlich  schützen ,  ohne  am  vorderen  und  mittleren  Theit  4es  Körpern 
ganz  an  dem  Dach  hinauf  zu  reichen  oder  sich  an  beiden   Seiteo  zu 
vereinigen.    Die  Knorpelschenkel  liegen  in  der  fibrösen  oder  Skelet- 
Schicht.    Merkwürdig  ist,  was  ich  noch  von  Niemand  angegeben  Gnde. 
(Jass  ihre  Zahl  nicht  mit  derjenigen  der  Ligamenta  inteitnuscularia  des 
Rumpfes,   die  sich  an  das  Rückgrat  ansetzen,  übereinstimmt,    indem 
mit  Ausnahme  des  Anfangs  des  Rückgrates  auf  zwei  Knorpelschcnkei 
nur  ein  Ligamentum  intermusculare  kommt.    Da  nun  bei  den  übrigen 
Cyclostomen  auf  ein  Ligam^tum  intermusculare  immer  ein  Rücken- 
marksnerv kommt,   so  sollte  man  schon  hieraus  vermuthen,   dass  die 
Zahl  der  Knorpelschenkel  auch  nicht  mit  der  Zahl  der  Spinalnerven  bei 
den  Petromyzen  übereinstimmt.    So  viel  ich  an  in  Weingeist  aufbe- 
wahrten Exemplaren  von  Petromyzon  marinus  sehen  konnte,  ist  dies  in 
der  That  der  FalL  Die  Zahl  der  Spinalnerven  stimmt  mit  den  Ligamenta 
intermuscularia ,    aber   nicht    mit   den  dicht  aufeinander  folgenden 
Kaorpelschenkeln  am  Rüokenmarksrohr ,  indem  auch  wieder  zwischen 
den  Austrittsstellen  von  zwei  Spinalnerven  zwei  Bogenschenkel  liegen. 
Diese  erinnert  an  die  Wirbelsäule  der  Haifische ,  wo  auf  jeden  Wirbel- 
körper zwei  hintereinander«  liegende  Bogen   kommen ,   and  an  jene 
überzähligen  Stücke ,  welche  an  dem  Rückgrat  der  Chimären  und  der 
Störe  vorkommen.    Bei  Petromyzon  fehlen  die  Basilarstücke  der  Wirbel 
am  unteren  Umfang  der  Gallertsäule,  jene  Rudimente,   die  wir  bei 
Accipenser  und  Chimära  antrefien,  ganz,  bis  auf  einen  dUniicn,  hinten 
verschmälerten ,  zuletzt  etwas  zerstückelten ,  doppelten ,  kooipeligon 
Streifen  an  der  unteren  Fläche  des  vorderen  Theiles  der  Wirbelsäule.« 
Alm  übrigen  Theile  der  Wirbelsäule  bildet  die  fibröse  Haut ,  welche  die 
äussere  Schichte  des  Rückgrates  ausmacht,  nur  an  den  Seiten  einen 


i)  yerigletchende  Anatomie  der  Myxinoidea.     I.  Theil.  p.  88. 


üeber  das  SkeMgev^  der  Cyclostomen.  47 

kantigen  Längsstreifen ,  wo  die  Seitenwände  des  Leibes  abgehen ;  eine 

Art  zusammenhängenden  fibrösen  Querfortsatzes  in  der  ganzen  Länge 

des  RUekgrates.    Am  Schwänze  nähern  sich  beide  Kanten ,   und  bilden 

durch  Vereinigung  einen  untieren  Bogen  für  die  Arteria  und  Vena  cau- 

dalis ,    gerade  wie  sonst  die  unteren  Dornfortsätze  der  SchwaDzwirbel 

der  Fische  thun.   Am  Rumpftheile  des  Körpers  stellt  die  Kante  offenbar 

die  noch  ungetlieilten  Querfortsälze  dar.    Diese  Kante,  die  schon  Megkel 

kannte ,   enttiält  keine  Knorpel ,   ist  aber  sehr  fest  und  dem  Zustande 

der  Verknorpelung  sehr  nahe.    Am  Sohwanztheile  des  Rtlckgrates  sehr 

grosser  Petromyzon  mamius  bemerkt  man  schon  eine  unregelmässig 

eingesprengte,  knorpelige  Substanz  an  diesen  fibrösen  Kanten,  nämlich 

an  der  unteren  Fläche  der  Gallertsäule  in  der  äusseren  fibrösen  Scheide 

derselben^  da  wo  die  Kanten  abgehen.« 

Diese  Darstellungen,  an  welche  sich  mehr  oder  minder  genau  auch 
noch  spätere  anschliessen ,  vereinigen  sich  sämmtlich  in  der  Angabe 
oiner  die  Chorda  dorsalis  umsdiliessenden ,  von  da  alsdann  den  Rück- 
gratcanal  umfassenden,  Oewebschichte ,  die  bald  als  i^fesleGallerte«, 
bald  als  »fibrös«  bezeichnet  wird.  Diese  skeletogene  Schichte  ist  es, 
welche  ihres  Gewebes  wegen  genauere  Beachtung  verdient,  zuvor  aber 
seien  bezüglich  der  Chorda  und  der  Chordascheide  von  Petromyzon 
einige  kurze  Bemerkungen  gemacht. 

Was  die  Chorda  betriA,   so  finde  idi  dieselbe  bei  Petromyzon 
marinus   mit  ziemlich    reichlicher  Intercellularsubstanz    ausgestattet, 
welche  bei  der  langgestreckten  Zelleuform  ansehnliche  mit  der  Längsaxe 
radial  gestellte  Maschen  darbietet.    Die  Zellen  sind  meist  geschrumpft, 
überhaupt  schwer  wahrnehmbar.    Nach  aussen  zu  folgt  eine  kleinzellige 
Schichte,  mit  spärlicher  Interceliularsubstanc  (Fig.  4  Chb),    In  dieser 
Schichte,  die  in  die  grosszellige  continuirlich  übergeht,  sind  die  Zellen 
viel  leichter  unterscheidbar.    Daran  sdiliesst  sich  wieder  ohne  scharfe 
Abgrenzung  eine   dritte  Schichte   {Che) ,   die   ich    bereits  früher  als 
Chorda-^Epithei  bezeichnet  habe  und  der  ich  die  Abscheidung  der 
Chordascheide  zuschrieb  ^).    Ich  habe  keine  Ursache,  diese  Deutung  zu 
imdem,    finde  sogar  bei   Peitromyzon   Bestätigung.     Die  Zellen   der 
Fipitheiscfaicbte  sind  von  der  Form ,  die  man  gewöhnlich  cylindrisch  zu 
nennen  pflegt,  denn  sie  stellen  langgestreckte  Kegel  oder  Pyramiden 
vor,  die  breitere  Basis  gegen  die  Oberfläche  geriditel,  die  Spitze  nach 
innen.   Nicht  unschwer  ist ,  zu  sehen ,  wie  diese  Spitze  zwischen  zwei 
andere  Zellen  ragt,   <iie  theilweise  eine  dttnne  Lamelle  Intercellular- 
substanz zwischen  sich  besitzen  und  diese  im  Zusammenhang  mit  der 


4)  Di«M  Zeitschrift.  Bd.  ni.  p.  n%. 


48  ^  GegenbMir^ 

oben  erwähnten  kleinmaschigen  likieroelluiarsubstaoz  genau  nach 
weisen.  Nach  innen  von  der  Epiihelschiobte  endigi  also  das  iuU: 
cellulare  Siülzwerk  des  Gbordagewebes.  Jene  äussere  kleinzelii^ 
Schichte  stellt  sich  als  indifferent  dar,  von  der  die  Volumszunahme  d^ 
Chorda  ausgehen  muss.  Durch  sie  werden  an  der  Peripherie  n«^ 
Massen  von  Chordazellen  angesetzt. 

Von  der  Epithelschichte  ist  die  Gbordascbeide  sehr   deuttiu 
und  scharf  abgesetzt.    Zu  den   bereits  bekannten   Zuständen    dirs^ 
starken,  als  Cuticularbildung  aufzufassenden  Rohres  erwähne  ich  nof' 
eine  eigen thümliche  radiale  Faserung  oder  Streifung  (Fig.  4  Chs) ,   df^ 
nach  innen  zu  am  deutlichsten  ist.   Die  Entfernung  der  in  Curven  ver- 
lautenden Streifen  von   einander   entspricht  neben   dam   Innenrandr 
ziemlich  der  Breite ,   resp.  Dicke  der  Zellen  des  Chordaepith^s ,    da  dk 
Streifen  von  da  ausgehen,    wird  man  sie  zu  letzterem  in  BeKiehunL 
bringen  dürfen ,  und  wird  für  nicht  unwahrscheinlich  halten  .    dass  sk 
bei  der  Differenzirung  der  CLordascheide  entstandene  Bildungen  sind. 
Die  Verbreiterung  nach  aussen  zu,  die  mehr  unregclmüssigeÄnordnunL' 
daselbst,  sowie  das  Interferiren  der  Streifen,  mag  daher  rühren ,  das« 
hier  die  ältesten  Schichten  der  Chordascheide  zu  suchen  sind ,    die  bei 
dem   mit  der  Chordascheide   zunehmenden  Wachsthume  der  Chorda 
unmöglich  in  ihren  früheren  Verhältnissen  bleiben  konnten ,    sondern 
gleichfalls  ein  Wachsthum  (da  man  doch  nicht  blos  von  einer  Dehnung 
wird  sprechen  dürfen)  eingehen  mussten. 

Was  die  skeletogene  Schichte  betrifft,  so  haben  wir  zunäcbsl 
deren  Ausdehnung  etwas  anders  zu  bestimmen ,   als  dies  von  Seile  der 
früheren  Untersucher  geschehen.    Sie  umschliesst  nicht  nur  die  Chorda- 
scheide (Fig.  \  Chs)  und  setzt  sich  in  zwei  ventrale  leistenartige  Vor- 
sprünge (v)  fort,  (dieselben  »kantigen  Längsstreifen«,  die  am  Caudalen- 
abschnitte  convergiren  und  den  Caudalcanal  umschliessen) ,   sondern 
sie  streckt  sich  auch  aufwärts  (a)  den  Bückgratcanal  (c)  seitlich  uoi- 
schliessend  und  über  demselben  ein  hohes ,  aber  solides  Dach  (/)  vor- 
steUend.    Von  diesem  Dache,  aus  erhebt  sieh  noch  eine  senkrechte  Leiste 
[s]  die  zwischen  die  lateralen  Muskelniassen   trennend  sich  fortsetzt. 
Die  äussere  Schichte  dieses  Gewebes  ist  durch  dunkles  Pigment  aus- 
gezeichnet, 30  dass  die  Contourlinie  der  skeletogenen  Schichte  sieb 
auf  dem  Querschnitte  im  Zusammenhange  verfolgen  lässt  (Fig.  4  p). 
Ausser  dieser  Continuität  ist  noch  Folgendes  «hervorzuheben :   das  über 
dem  Bückgratcanal  liegende  massive  Dach  bildet  nur  einen  Ab- 
schnitt der  skeletogenen  Schichte,  eine  Verdickung  der- 
selben,   und  das  von  J.  Müller  als  schwärzliches  Fettgewebe  be- 
zeichnete Gewebe  hängt  continuirlicli   mit  den   übrigen   zusammen. 


Ueber  das  Sketelgewebo  dor  Cyclostomen.  49 

^Wenn  dither  Megkbi  ^)  in  dem  Bogentheile  des  Rückgrates  »zwei  über- 
einanderliegende GUnge«  anniiDiht ,   einen  unleren  zur  Aufnahme  des 
Rückenmarks  dienenden,  und  einen  zweiten  über  diesem  verläufenden, 
so  isl  er  sicher  im  Irrthume.   Dasselbe  gilt  voii  SxAimios  *) .    Wenn  er 
anfuhrt:  »Diese  Schicht  —  höufig  als  äussere  Scheide  der  Chorda  be- 
zeichnet —  verlängert  sich  jederseits  aufwärts  zur  Bildung  eines  das 
Rückenmark  umsohliessenden  Rohres ,   worauf  sie  einen  zweiten  über 
jenem  gelegenen,  mit  fetthaltigen  Gewebslheilen  erfüllten  Canal  bildet«, 
so    ist  unter  »Canak  keineswegs  ein   bestimmt  abgegrenzter  Hohl- 
raum zu  denke»,    sondern  nur  eine  Binnenstrecke  der  skeletogenen 
Schichte,  an  der  das  Gewebe  etwas  modificirt  erscheint.    Die  genauere 
Untersuchung'dteses  Gewebes  ist  am  besten  im  Stande ,   sowohl  diese 
Beziehungen  klar  zu  machen ,  als  auch  die  verschiedenartigen  Angaben 
über  darin  vorkommende  Knochen-  oder  Knorpelstttcke  aufzuhellen. 

Auf  feinen  Schnitten  der  skeletogenen  Substanz  bemerkt  man  ein 
grossblasiges  Gewebe,   an  dem  man  sehr  bald  Räume  unterscheidet, 
die  mit  Zellen  erfüllt  sind,   sowie  eine  diese  Räume,   somit  auch  die 
Zellen  von  einander  scheidende ,   festere  Masse ,   Intercellularsubstanz. 
Die  Zellen   sind   von   sehr   verschiedener  Grösse.    Sie  bestehen  aus 
gleichartigem,   nur  wenig  Molekel  umschliessenden  Protoplasma.    In 
den  grossen  Räumen  füllt  das  letztere  nur  einen  Theil  aus ,   so  dass  ich 
annehmen  muss,  dass  die  Zellen,  vielleicht  durch  Austritt  einer  Flüssig- 
keit collabirt  seien.    Vollständig  werden  die  kleinen  Räume  ausgefüllt. 
Die  meisten  besitzen  mehr  oder  minder  sphärische  Oberflächen,  wodurch 
die  Intercellularsubstanz  an  den  Puncten ,  wo  mehrere  Zellen  sich  nahe 
kommen,    reichlicher   vorhanden   sein   muss.    Die   Kerne  der  Zellen 
messen  gegen  0,0025—0,0036"'.    Wenn  die  Zellen  ausser  den  Grösse- 
verschiedenheiten  keine  Differenzen  aufweisen ,   so  ergeben  sich  solche 
an  der  Intercellularsubstanz.    Diese  erscheint  bald  nur  in  der  Form 
von  untereinander  zusammenhängenden  Zellmembranen  (Fig.  3^),  bald 
wird  sie  durch  breitere  Züge  gebildet  (Fig.  3  a).    Die  letzteren  sind  auf 
Durchschnittsbildern  häufig  auf  grosse  Strecken  hin  verfolgbar,   geben 
seitliche,  schmälere  Zweige  ab,  die  dann  in  noch  feinere  intercellulare 
Ramificationen  übergehen.    Die  breiten  Züge  bieten   im  Bilde  einer 
LäDgsstreifung  den  Ausdruck  einer  Faserung  dar.    Nicht  selten  gaben 
concentrische  Schichten  ein  Bild  von  Dickwachsthum  der  Substanz. 
Sowohl  gegen  Säuren  als  gegen  Alkalien  leistet  diese  Intercellular- 
substanz Widerstand.    Im  Ganzen  macht  dieses  Gewebe  den  Eindruck 

U  System  der  vergl.  Anat.  11.  p.  472. 

t,  Handbuch  der  Zooloinic.  2.  Aufl.  p.  15. 

Bd.  V.    1.  ♦ 


50  ^-  GegenlMiir, 

eines  pflanzlichen  Gewebes.  Nach  unten  hin  lagert  sich  Ober  dics«^ 
Gewebe  ein  faseriges  Bindegewebe ,  in  welchem  zagleich  die  dunit^ 
gefärbte  Lage  vorkommt. 

An  dem  Dache  des  Rttckgratcanaby  d.  h.  des  einsig  bestebendec 
das  Rückenmark  umschliessenden ,  geht  jenes  Gewebe  VeräDderun^ 
ein.    Man  sieht  zwar  das  intercellulare  Gerüste  unverändert  in  die  a* 
»Fettgewebe«  bezeichnete  Substanz  sich  fortsetzen  ^   allein   der  Inlu^ 
der  Hohlräume  ist  ein  anderer  geworden.    Die  blasigen  Rdume  uis- 
schliessen  gelblich  gefärbte  Fetttropfen.    An  jungen  Exemplaren  voc 
Ammocoetes  ist  dieses  ganze  Dach  aus  Zellen  gebildet ,   die  von  den» 
anderer  Theile  der   skeletogenen   Schiebte    nicht  verschieden    sind- 
Aeltere  Exemplare  lassen  einen  Grössenunterschied  dieser  Zellen  wahr- 
nehmen ,   sie  sind  viel  umfänglicher  als  die  anderen ,   und  zugleich  bt 
sich  in  ihnen  Fett  zu  entwickeln  begonnen,   welches  in  Form  vor 
kleinen  Tröpfchen  bemerkbar  ist.    Von  da  an  findet  man  leicht  An- 
schlüsse an  das  Verhalten  der  ausgewachsenen  Petromyzonten ,    bei 
denen  übrigens  das  intercellulare  Gerüste  sehr  leicht  nach  den  periphe- 
rischen Theilen  in  continuo  verfolgt  werden  kann.     Der  als   supra- 
spinales Fettgewebe  bezeichnete  Strang  ist  also   nur  ein  Theil   der 
skelelbildenden  Schichte,  die  in  ihren  Formelementen  verändert  ist. 

Diese  skelelogene  Schichte  rechtfertigt  ihren  Namen  auch  bei  deo 
Gyclostomen,  indem  bei  Petromyzon  festere  Skelettheile  aus  ihr  hervor- 
gehen,  und  dann  noch  in  sie  eingebettet  bleiben.    Es  sind  die  von 
C.  S.  ScHULTZB ,  Rathks  u.  a.  geschilderten  Rudimente  oberer  Bogen, 
die  bald  als  knöcherne,  bald  als  knorpelige  Theile  aufgefasst  worden 
sind.    Ich  habe  das  erste  Auftreten  dieser  Gebilde  bei  der  Querderform 
beobachtet,   und  will  den  Befund  vor  jedem  Urtheü  über  den  histiolo- 
gischen  Werth  dieser  Gebilde  mittheilen.   Auf  Querschnitten  durch  das 
Rückgrat  jener  jungen  Petromyzonten  bemerkt  man  an  bestimmten 
Stellen  der  skeletogenen  Schichte  hin  und  wieder  eine  Veränderung 
der  Intercellularsubstanz.  Die  Stellen  liegen  unmittelbar  an  der  Chorda- 
scheide ;    da ,    wo  spater  die  fraglichen  Bogenrudimente  vorkommen. 
Man  sieht  da  die  Intercellularsubstanz  gelblich  tingirt,    und  stärkere 
Massen  zwischen  relativ  kleinen  Zellen  vorstellen ,  als  dies  am  Gewebe 
der  übrigen  skeletogenen  Schichte  der  Fall  ist.   Längsschnitte  im  Niveau 
dieser  Stellen  zeigen ,   dass  man  es  hier  mit  den  Anfängen  der  Bogen- 
bildungen  zu  thun  hat.    Aus  der  Yergleicbung  dieser  Anfänge  mit 
älteren  Zuständen  oder  mit  dem  Befunde  an  ausgewachsenen  Lampreten 
geht  hervor,   dass  jene  Bogenbildung  durch  eine  von  be- 
stimmten  Stellen   ausgehende  Veränderung  der  Inter- 
cellularsubstanz  der  skeletogenen   Schichte  ihre  Ent- 


lieber  das  Skelet^webe  der  Cyelostomeii.  51 

.  siehung  nimmt,    die  Intercellularsubstanx  wird  allmählich  dicker, 
,  und  indem  der  Process  von  der  Ursprungsslelle  aus  allmählich  peri- 
pherisch fortschreitet,  ergreift  er  immer  neue  Parthien  des  skeletogenen 
..   Gewebes  und  lässt  es  in  die  fiogenanfilnge  übergehen.    In  Fig.  2  ist 
dieses  Verhalten  dargestellt.    Es  betrifft  das  Object  ein  Stück  eines 
auf  der  Scheide  der  Chorda  aufsitzenden  Bogentheiles  von  Petromyzon 
marinus.     Die  Intercellularsubstanz  gewinnt  ausser  der  Verdickung 
noch   andere  Eigenschaften.    Sie  wird  nämlich  fester,  derber,   ohne 
dass   eine   Kalkimprägnalion    daran   betheiligt   wäre,    und   übertriSl 
damit   vielfach   das   gewöhnliche   hyaline  Rnorpelgewebe.    Ihr  Aus- 
sehen  ist  dabei  glänzend,    nicht   selten   mit  Andeutungen   concen- 
irischer  Verdiokungsschichten.    Ausser  den  oberen  Bogonstücken  ,  die 
von  den  früheren  Autoren  bereits  genau  beschrieben  sind,    giebt  es 
aber  auch  noch  untere.    Sie  liegen  in  der  unteren  seitliehen  Längs- 
kante (von  der  J.  Müller  besonders  erwähnt,  dass  sie  keinen  Knorpel 
enthielte),  da  wo  dieselbe  zur  Begrenzung  des  Gaudalcanals  dient,  und 
liier  trifft  man  die  erwähnten  Stücke  wieder  dicht  an   der  Chorda- 
scheide, zur  unmittelbaren  Begrenzung  jenes  Canals  beitragend^).    Ich 
habe  das  Gewebe  dieser  Stücke  bis  jetzt  als  Knorpel  gelten   lassen, 
muss   aber,    auf  die   oben   erwähnten  EigenthUmlichkeiten  zurück- 
kommend,   es,   von ^ dem  sonst  die   knorpeligen  Theile  der  Wirbel- 
Segmente  zusammensetzenden  Knorpelgewebe,    sehr  verschieden  er- 
klären.   Seine  Festigkeit  macht  verständlich,   dass  man  jene  Bogen- 
rudimente,  da  wo  sie  etwas  stärker  entwickelt  sind ,  für  i>Knochena  hat 
ansehen  können.    Aber  auch  in   der  Entstehungsweise  bieten  diese 
Bogenstttcke  von  jener  bei  anderen  Wirbelthieren  EigenthUmlichkeiten. 
Die  knorpelige  Anlage  dorsaler  Bogen  ist  viel  schärfer  gegen  die  be- 
nachbarten Gewebe  der  skeletogenen  Schichte  abgegrenzt.    Es  besteht 
eine  perichondrische  Grenzschichte,  die  einerseits  in  Knorpel,  anderer- 
seits in  Bindegewebe  übergeht.    Indem  von  letzterem  in  die  Grenz- 
schichte eingeht,  und  in  Knorpelgewebe  sich  umwandelt,  andererseits 
aber  auch  eine  Vermehrung  der  Knorpelzellen  und  der  bezüglichen 
Intercellularsubstanz  stattfindet,, wächst  der  knorpelige  Bogen.   Anders 
ist  es  bei  Petromyzon  der  Fall.    Eine  Grenzschichte  fehlt,   und  ebenso 
fehlt  bei  Volumzunahme  der  Bogenstücke  jegliche  Betheiligung  der  be- 
reits ihm  angehOrigen   Zellen.     Diese  bieten  beim  Wachsthumc  des 

4)  Dass  Mbciel  diese  Theile  nicht  meint,  wenn  er  von  »deutlich  vorhandenen 
Rndtmonten  der  QuerfortsKtze«  spricht  (System  der  vergl.  Anat.  Bd.  11.  p.  4  74), 
ist  kaum  zweifelhaft.  Auch  Job.  MtJLLcn  bezieht  die  Aeusserung  Meceel's  auf  die 
seitlichen  unteren  I^ngskanten  der  skeletogenen  Gewebsschifhte.  (Siehe  das  oben 
gpgel)eiie  Cilat.) 

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lieber  das  Skeletgewebe  der  Cyclostomen.  53 

*^^igkeit  des  Aufslellens  eines  Kriteriums  zu  erkennen,  für  welches 

YerhäUnisse  zum  Umfange  der  Zellen  geringe  Intercellular- 

'^^z    noch   am   passendsten   in   Betracht  gezogen   werden   mag. 

-''=  darin  auch  nur  ein  quantitativer  Unterschied  liegt ,    so  werden 

™  '  doch  Eigenthttmlichkeiten  sich  begründen ,   die  besonders  be- 

-  zu  ^Verden  werth  sind. 

-  ^ne  Form  des  skeletbildenden  Gewebes  hat  aber  noch  eine  an- 
1=^  vicbtige  Beziehung.    Sie  drückt  eine  Form  der  Bindesubstanz  aus, 

i  Wirbellosen  in, grosser  Verbreitung,  und  in  mannigfacher  Ver- 
:.  ing  vorkommt.  Ihr  Bestehen  bei  den  Cyclostomen  zeigt  uns,  dass 
1  der  niederen  Form  der  peripherischen  Elemente  des  Nerven- 
Q^  auoh  in  den  Skeletgeweben  sich  ein  niederer  Zustand  erhalten 
*4r  den  bei  den  übrigen  Wirbeithieren  nichts  ähnliches  besteht. 


IrkUiUDg  der  Abbildnagen. 

Tafsl  L 

'  I.  Querschnitt  durch  das  Rückgrat  von  Am mocoetes. 
CA  Chorda  dorsalis. 
Chs  Ghordascheide. 

V  ventrale  \  portsÄtxe  der  skeletogenen  Schichte. 
d  dorsale   j 

p  dunkles  Pigment. 

c  Rttckgratcanal. 

N  Rückenmark. 

f  Fettmasse. 

s  Septum  Ewiscben  den  Muskeln. 

b  Blutgefäss. 
.  S.  Verhalten  der  skeletogenen  Schichte  Ä.  zum  Knorpel  der  Bogen  B.  von 

Petromyzon  marinus. 
.  3.  Gewebe  der  skeletogenen  Schichte  von  demselben. 

a  Breiter  Zug  von  Intercellularsubstanz. 

6  Feinere,  von  den  breiteren  Streifen  abgebende  Verzweigung  der 
Intercellularsubstanz  zwischen  Zellen. 

c  Kerne  von  Protoplasma  umgeben. 
{.  4.  Stück  eines  Querschnittes  der  Chorda  von  Petromyzon. 

CA  Chorda  dorsalis. 

a  Grossmaschige  Intercellularsubstanz.    Von  den  Zellen  sind  nur 
noch  Reste  bemerkbar. 

b  engmaschige  Rindenschichte  der  Chorda. 

c  Epitbelscbichte. 

Chs  Chordaiicbeide. 


llntersHrhnngm  aber  Bas  nn^  EntifklMhog  4er  kttkropmin. 

Von 

Dr.  A.  Dohrn. 

Mit  Taf.  II.  u.  III. 


1.  üeber  den  Bau  und  die  Entwickelang  der  Cnmaceen.  <) 

Durch   die   freundliche  Unterstützung   der  Faunisten   der  Kieler 
Bucht,   Dr.  Meykr  und  Prof.  Möbius,   kam  ich  während  meiner  An- 
wesenheit in  Kiel  und  Hamburg  in  den  Besitz  zahlreicher  Exemplare 
der  schönen  Guma  Rathkei  Kröyer.     Da  ich  bisher  keinen  Ver- 
treter dieser  problematischen  kleinen  Familie  gekannt  hatte ,   aus  den 
verschiedenen  Angaben   und  Meinungen  der  Zoologen   über  dieselbe 
aber  keine  feste  Anschauung  zu  gewinnen  war,   machte  mir  die  erste 
Untersuchung  der  Anatomie  und  Embryologie  grosse  Schwierigkeiten 
und  ich  gelangte  zu  keinem  erspriasslichen  Resultat,  da  die  Embryonen 
der  Guma  Rathkei   schon  im  Mai  den  Brutsack  verlassen  und  ich 


i)  Diese  Abhandlung  ward  gleich  nach  den  Beobachtungen  an  Ort  und  Stelle 
niedergeschrieben.   Ich  kannte  damals  noch  nicht  die  ausgezeichnete  Arbeit  von 
G.  0.  Sabs  über  die  Cumaceen  (Om  den  aberrante  Krebsdyrgruppe  Cumacea  op 
detis  nordiske  Arter.  Vid.-Selskab.  Forhandlinger  for  4864).  Als  ich  sie  spttter  durch 
die  zuvorkommende  Freundlichkeit  des  Verfassers  erhielt,   machte  es  mir  viel 
Mühe,   sie  des  fremden  Idioms  halber  zu  lesen.    Da  ich  aber  ausserdem  meine  Be- 
obachtungen nicht  noch  einmal  anstellen  konnte ,  zqg  ich  es  vor,  sie  so  zu  geben, 
wie  ich  sie  vorher  gemacht  hatte.   Es  finden  sich  nur  einige  Abweichungen  in  den 
Angaben  des  norwegischen  Forschers,  die  nicht  unwichtig  sind,  so  besonders  über 
die  Auffassung  der  Kieme  und  ihrer  Function,  sowie  über  den  Blutlauf.   Da  ich  aber 
hierauf  meine  Beobachtung  sehr  speciell  gerichtet  halle,  glaubte  ich  um  so  weniger, 
mit  meinen  Angaben   zurückhalten   zu  dürfen,   als  vielleicht  durch  diese  Ab> 
weichungen  ein  dritter  Forscher  bew  ogen  werden  könnte ,  die  fraglichen  Puucle  zu 
unterscheiden. 


1 


Uiitersucbungen  Qber  Bau  und  EiKwickelnug  der  Arthropoden.  55 

später  vergeblich  nach  trächtigen  Weibchen  sachte.  Ich  verschob  die 
Vollendung  meiner  {begonnenen  Untersuchung  der  merkwürdigen 
Thiercben  auf  den  nächsten  Frühling  und  verliessKiel  im  Juli,  um  nach 
Schoitland  zu  gehen  und  dort  meine  Arbeiten  über  die  Embryologie 
der  Crustaceen  fortzusetzen.  Dem  freundlichen  Rath  des  Dr.  Baihd  vom 
British  Museum  in  London  folgend ,  ging  ich  nach  Millport,  dem  auf 
der  Insel  Great  Cumbrae  in  dem  Firth  of  Clyde  gelegenen  Bade- 
Orte  an  der  Westküste  Schottlands  in  der  Nahe  Glasgow^s. 

*  Dr.  YouNO,  Professor  of  Natural  History  an  der  Glasgower  Univer- 
sität, verpflichtete  mich  durch  seine  freundliche  Einführung  bei  Mr. 
RoBBKTSON,  dem  durch  seine  unermüdlichen  faunistischen  Nach- 
forschungen bekannten  Zoologen. 

Zq  meiner  grossen  Freude  zeigte  mir  Mr.  Robertson  gleich  bei 
oi^hiem  ersten  Besuche  eine  Anzahl  von  Cumaarten,  die  er  alle  in 
M  i  1 1  p  o  r  t  gefangen  hatte.  Er  versicherte  mich  zugleich ,  dass  ich  sie 
in  Menge  selbst  fangen  konnte ,  und  dass  die  meisten  Weibchen  gerade 
jetzt  Eier  haben  würden.  In  der  That  war  das  auch  der  Fall ;  ich  habe 
nidit  weniger  als  sieben  verschiedene  Arten  G  u  m  a  und  mehrere  der 
sogenannten  Gattung  Bodotria  gefangen;  sämmtliche  Cuma arten 
waren  trächtig ,  —  dagegen  keine  Bodotria,  —  aus  Gründen,  die 
dem  Leser  sehr  bald  einleucAiten  werden. 

Die  Stellung  der  kleinen  Familie  im  System  ist  bisher  so  schwan- 
kend gewesen,   dass  ich  grosses  Verlangen  trug,   zur  Aufklärung  und 
Feststellung  derselben  das  meinige  beizutragen.   Die  gewöhnliche  An- 
sicht ist,  dass  wir  in  Cuma  einen» sehr  niedrig  organisirten  Zweig  der 
Decapoden  vor  uns  haben,  der  in  gewissen  Beziehungen  zu  Mysis 
steht.   Die  auffallende  Stellung  des  einen  Auges  vom  auf  der  Stirn 
und  die  Abwesenweit  eines  Augenstieles  Hessen  femer  Yermuthungen 
über  grossere  oder  geringere  Verwandtschaft  mit  den  Edriophthal- 
men  und  den  Gopepoden  aufkommen,  aber  nur  ein  Forscher  kam 
dicht  an  die  Wahrheit  der  thatsächlich  bestehenden  Verwandtschaft  der 
Cumaceen  heran,  —  Fritz  Müller^),  derselbe  sichere  Beobachter 
und  fruchdoare  Denker,  der  uns  schon  früher  in  seiner  Abhandlung 
vPttr  DARwm«  den  Weg  gewiesen,  den  die  Crustaceenkunde  von  nun  an 
zu  gehen  hat.   Fritz  Müller  spricht  es  in  seinem  Aufsatz  aus,  dass  die 
ersten  Stände  der  Guma^enembryonen  den  Isopoden  gleichen.   Es  ist 
mir  eine  grosse  Genugthuung,    dass  ich  dieser  Meinung  des  hoch- 
geachteten Forschers  völlig  beistimmen  kann.  Die  nähere  Auseinander- 
setzung und  Begründung  dieser  Ansicht  schliesse  ich  hieran. 


4)  Archiv  fttr  Naturgeschichte  4865  p.  144. 


56  ^r.  Ä,  DohrD, 

Meine  Beobachtungen  machte  ich  an  folgenden  ArteD:  Cum  3 
Ratbkei,  Cuma  trispinosa,  Cuma  plicata,  Gutna  Goodsiri  ^) 
und  drei  anderen  Arten ,  deren  Namen  ich  nicht  feststellen  konnte ,  da 
mir  ein  Theil  der  nothwesdigen  Literatur  fehlte.  loh  war  fernerhin  so 
glücklich ,  alle  Stadien  der  Entwickelung  und  sogar  den  Act  des  Et- 
legens  einer  Cuma  Goodsiri  unter  dem  Mikroskop  verfolgen  zu 
können. 

Die  Eier  der  Cumaceen  sind  von  derselben  Grösse  udcL  Be- 
schaffenheit  wie  die  Eier  der  Amphipoden  und  Isopodeo.     Das 
Chorion  ist  völlig  durchsichtig.    Ob  eine  inaere  Eihaut  vorhancien  ist, 
kann  ich  leider  nicht  mehr  entscheiden,  da  ich  früher,  in  der  MemuDg, 
die  beim  Asellus  von  mir  als  Larvenhaut  beschriebene  Metnbraa  sei  die 
von  Fritz  MütLEA  gemeinte  Larvenhaut,    dieselbe  Bildung  axuih   bei 
Cuma  als  Larvenhaut  in  meinem  Manuscript  beschrieben  habe;    seit 
aber  durch  Clapar^db  und  Andere  als  Larvenhaut  richtiger  die  noch 
vor  dem  Entstehen  des  sogenannten  Mikropylapparates  gebildete  Mem- 
bran angesehen  wird,  die  ich  bei  Asellus  als  innere  Eihaut,   bei  den 
Amphipoden  aber  als  Larvenhaut  beschrieben  habe,    muss  auch  bei 
den  Cumaceen  das  entsprechende  Gebilde  als  Larvenhaut,  jene  spätere 
Membran  dagegen  anders  benannt  werden. 

Die  Furchung  habe  ich  an  den  Cumaeiern  nicht  beobadiitet. 

Die  Aehnlichkeit  mit  den  Eiern  der  Isopoden  und  Amphipoden 
zeigt  sich  nun  schon  bei  der  ersten  Bildung  des  Keimstreifs.   Der- 
selbe Apparat,    dessen   Anlage   und  Ausbildung  ich  in 
einem  früheren  Aufsätze^}  geschi  Idert  habe,  der  fälsch- 
lich   sogenannte  Mikropylapparat,    erscheint  auch   als 
eine  derersten  Bildungen   des  Cumaeies.    Umgeben  ist  er 
von  den  Keimzellen ,   welche  sich  auf  der  ihm  entgegengesetzten  Peri- 
pherie des  Eies  und  um  die  grössrere  U£llfte  des  ganzen  Ovales  herum 
theilen,    stark   vermehren   und   dadurch   den   Embryo  anlegen.    Die 
Schicht  der  Keimzellen  bleibt  einfach  in  der  Umgebung  des  genannten 
Organes,   so  dass  hier  dieselbe  Formation  zu  Stande  kommt,   wie  ich 
sie  von  Idothea  beschrieb,  nämlich  der  Verschluss  des  Dotters  durch 
eine  einfache  Lage  von  Zellen  und  den  rätbselhaften  Apparat.   Kopf- 


4)  Das  Männchen  dieser  Art  Ist  als  Bodoiria  6oodsiri  von  var  Bbreder 
(Mdmoires  de  l'Acad^mie  des  Sciences  de  Belgique  Tom.  XXXIII.  p.  76.  tab.  XIII. 
Fig.  4—16.)  beschrieben I  da  aber  die  Gattung  Bodo  tria  eingehen  n>uss,  weil  sfe 
nur  die  Männchen  der  Gattung  Cuma  umfasst,  übertrug  ich  den  Speciesnamen 
des  Männchens  auch  auf  das  Weibchen ,  dessen  Beschreibung  ich  an  anderer  Stelle 
zu  geben  beabsichtige. 

2}  Zur  Embryologie  der  Arthropoden.   Habilitationsschrift  4868. 


Uiitersuchiingeii  fiber  Bau  und  Eutwickeluog  der  Artbropodcn.  57 

ind  Scbwancende.des  Reimstreifes  sind  von  gleicher  DicJLe  und  ebenso 
liek  wie  das  HiiCelstück.    Nach  einiger  Zeit  erfolgt  ein  Vorgang,   der 
las  Cumaoeenei  vollkommen  zu  einem  Isopodenei  stempelt:  die  Ein- 
renkung eiaer  Falte  dicht  hinter  dem  Haftapparat  der 
[\ tlokenkeimhaut   bis    ungefähr    zur    Mitte    des   Dotters 
(Taf.  II.  Fig.  4  u.  2),   Wir  kennen  diese  Falte  an  den  Embryonen  des 
A^sellus  aquaticus  und  der  meisten  andern  Isopoden  und  wissen ,   dass 
ihre  Bildung.  gleidiBeitig  oder  wenigstens  in  naher  Aufeinanderfolge  mit  * 
der  Bildung  einer  neuen  UmhttUungshaut  geschieht.   Auch  bei  Cuma 
beoaerken  wir  sofort  nach  der  Einrenkung  dieser  Falte 
diese  Haut,    welche  sich  deutlich  überall  von  der  Peri- 
pherie des  Keimst  reifes  abhebt,  undnuranfdem  Rücken 
in   enger  Berührung  mit  dem  Dotter  und  der  ihn  bedecken- 
den^Schicht  der  Keimhautzellen  bleibt,    ja  möglicher- 
weise, —  dieBeobachtungerlaubtmirhier  keine  Sicher- 
heit, —  noch  gar  nicht  gebildet  ist.     Diese  beiden  Thatsachen 
allein  würden  genügen,   die  nahe  Verwandtschaft  von  Cuma  mit  den 
£  driophthalmen  nachzuweisen.   Aber  die  Anlage  der  Gliedmaassen 
setzt  die  Aehnlichkeiten  fort. 

Das  nächste  Stadium,  das  ich  beobachten  konnte,  zeigte  folgenden 
Befund.   Der  Keimstreif  hatte  sich  an  der  vorderen  und  unteren  Peri- 
pherie verdickt  und  dadurch  Kopf-  und  Schwanzende  deutlich  gemacht. 
Das  Kopfende  legt  sich,   wie  bei  Asellus',   mit  zwei  verbreiterten, 
scbmetterlingsflügelfOrmigen  Kopf  Wülsten  um  dei^  Dotter,  ist  aber  von 
oben  (dem  Rücken  aus)  betrachtet,   keilförmig  durch  den  dazwischen 
tretenden  Dotter  getrennt.    Der  Schwanztheil  oder  das  Postabdomen 
schlägt  sich  auf  den  Rücken  hinüber ,  kommt  aber  nicht  in  so  nahe 
Berührung  mit  dem  Kopfende  wie  bei  Asellus    An  seiner  inneren 
Seite ,   ziemlich  auf  der  Spitze  des  von  ihm  gebildeten  Ovales  entsteht 
eine  Einsenkung  der  Keimhaut.    Derselbe  Vorgang  erfolgt  am  Kopf- 
ende, ebenfalls  an  der  vorderen  Spitze,  es  ist  unschwer,   in  beiden 
Einstülpungen  die  Anlage  des  Afters  und  der  Hundöffnung 
zu  gewahren. 

Die  Anlage  der  Gliedmaassen  ist  gleichfalls  schon  zu  einem 
g.  wissen  Stadium  fortgeschritten.  Man  gewahrt  8  Paar  Antennen, 
3  Paar  Mundwerkzeuge  und  7  Beinpaare  (Taf.  II.  Fig.  4). 

Das  erste  Paar  der  Antennen  ist  weitaus  die  grtfsste  Extre- 
mität, die  der  Embryo  aufweist.  Ihre  Insertion  ist  dicht  über  der  Ein- 
stülpung der  Mundtfffnungy  die  Richtung  ihrer  Längsaxe  ist  schräg 
nach  unten  und  hinten.  Das  zweite  Paar  der  Antennen  ist  viel 
kleiner;   seine  Insert*  -    «  •  «.^^  H^l^^  ^^^  ^^^  MundOffnung, 


5S  ^r*  A.  Dohrii) 

eher  ein  wenig  unterhalb  derselben.  Es  wird  zum  Theil  von  det 
oberen  Paare  verdeckt.  Seine  Richtung  ist  die  gleiche.  Dicht  neb«c 
und  unterhalb  desselben  ist  die  Anlage  der  spateren  Mandibelo 
Diese  drei  Extremitätenpaare  stimmen  in  einer  charaklerisiiscbeB 
Eigenschaft  überein :  sie  lösen  sieh  sämmtiich  an  ihrer  äusseren ,  d.  l 
an  der  nach  der  Seitenwand  des  Embryo's  zu  gewendeten  Seite  \oc 
Keimstreif  ab  und  ihr  Wacbstbum  geht  anfängiidi  auch  nur  na(Si  dieser 
Richtung.  Ich  machte  auf  die  gleiche  Thatsache  aufmerksam  in  der 
Entwickelungsgeschichte  des  Aseiius  (1.  c.  p.  SS9). 

Die  folgenden  beiden  Extremitätenpaare  sind  einfache,  abgerundetf 
Platten;  das  erste  ist  bis  auf  einen  geringen  Raum  von  dem  Keimstreif 
abgesetzt,  die  Verbindung  besteht  an  dem  oberen  Rande.  Das  Wachs- 
thum  geht  nach  der  Mittellinie  des  Reimstreifes  zu.  Wir  ei^enneo 
darin  das  erste  Maxillenpaar  des  Asellus.  Das  zweite  Ma xi II en- 
paar  ist  ebenfalls  nur  mit  schmalem  Stücke  an  der  oberen  Seite  io 
Zusammenhang  mit  dem  Keimstreif,  der  weitaus  grösste  Theii  ist  ab- 
gesetzt, das  Wachsthum  folgt  der  Richtung  der  ersten  Maxillen.  Bis 
dahin  ist  Alles  im  Einklang  mit  den  gleichen  Verhältnissen  4es 
Asellus. 

Mit  der  Bildung  des  folgenden  Extremitätenpaares  beginnt  aber 
die  Abweichung.  Während  bei  der  Assel  das  dritte  Maxillenpaar 
in  der  ursprünglichen  Anlage  völlig  den  beiden  andern  gleicht, 
gehört  die  Bildung  der  homologen  Extremität  bei  Guma  zu  dem  Typus 
der  Beinbildung.  Wie  sämmtliche  folgenden  6  Extremitätenpaare  wird 
es  gleich  anfangs  an  seinem  äusseren ,  hinteren  Bande  gespalten  und 
lässt  einen  inneren  grösseren  und  einen  äusseren  kleineren  Ast  wahr- 
nehmen.  Bei  Aseiius  kommt  die  Anlage  des  Tastertheils  später  zum 
Vorschein  und  erinnert  dann  an  das  hier  geschilderte  Verhältniss 
(vergl.  1.  c.  p.  237). 

Die  Anlage  der  Oberlippe  und  der  Unterlippe  in  meiner  Be- 
schreibung der  Aseliusembryologie  als  accessorische  Mundtheile  i>e- 
zeichnet)  erfolgt  völlig  in  der  gleichen  Weise  wie  bei  Asellus. 

Die  Segmentation  des  Körpers  ist  gleichfalls  deutlich  wahr- 
zunehmen. Jeder  Extremität,  mit  Ausnahme  der  Antennen ,  entspricht 
ein  Segmentabschnitt ,  die  Profiliinie  des  Keimstreifs  zeigt  somit  zehn 
Wölbungen ,  deren  erste  drei  bedeutend  grösser  sind  als  die  folgenden. 
Auf  das  letzte  Segment  folgt  ein  grosser  Abschnitt  des  Keimstreifs, 
ohne  irgend  welche  Andeutung  von  Segmenten  oder  Giiedmaassen. 
Es  ist  das  Postabdomen.  Es  krümmt  sich  in  das  Innere  des  Dotters 
hinein  und  zeigt  an  der  Spitze  die  schon  beschriebene  After- 
öffnung. 


UnteraacbuuijreD  über  ßan  oiid  Eutwi«keloug  der  Artbropoden.  59 

Oberhalb  des  ersten  Blaxillenpaares  ist  die  Anlage  derLeber 
eu  erkennen*  Sie  gleicht  bis  auf  das  Kleinste  der  gleichen  Bildung  bei 
^  sellus,  und  besteht  aus  einer  mfissig  gewölbten  kuppelförniigen  Er- 
h<»buDg,  deren  Basis  ringformig  eine  Oeffnung  umschliesst,  durch 
'welche  die  Gomniunication  des  Lebersackes  mit  dem  Dotter ,  —  später 
mit  dem  Darme  stattfindet. 

Dicht  anter  der  Anlage  des  Lebersackes  gewahrt  man  bei  vor- 
sichtiger Hebung  des  Tubus  einrxarte  Contour,  die  sich  an  der  den 
Beinen  zugewendeten  Seite  leicht  nach  oben  krümmt  und  dann  ver- 
schwindet. Auf  der  anderen  Seile  bildet  sie  einen  etwas  spitzeren 
>ViDkeI  y  krümmt  sich  um  denselben  gleichfalls  nach  oben  und  ver- 
schwindet in  gleicher  Höhe  auch  hier.  Diese  Contour  ist  die  erste  An- 
deutung des  seitlichen  Panzers  des  Gephalothorax. 

Der  Embryo  in  diesem  Stadium  ist  noch  umhüllt  von  der  Larven- 
haut; das  Chorion  ist-schon  entfernt. 

Das  folgende  Stadium,  das  ich  zu  beschreiben  habe,  entbehrt  auch 
der  Larvenhaut  I  ist^aber  noch  von  der  dicken  Haut  umschlossen.  Es 
zeigt  noch  ebenso  wie  das  vorige  den  Isopodentypus ,  freilich  mit  be- 
deutsamen Abweichungen  (Taf.  U.  Fig.  3). 

Die  Rückenfalte  hat  sich  weiter  in  den  Dotter  hineingeschlagen 
und  zu  gleicher  Zeit  nach  hinten  zu  mehr  gerundet.  Dadurch  ist  die 
Bildung  des  Rückens  vollendet.  Das  Rückenorgan  hat  sich  scheiben- 
förmig ausgebreitet,  seine  Fortsetzung  bildet  die  Hypodermis  des 
Rückens ,  welche  sich  bereits  vom  Dotter  abgehoben  hat  und  auf  der 
einen  Seite  an  die  KopCscbeiben ,  auf  der  anderen  an  die  Wülste  von 
embryonalen  Zellen  anschliesst,  welche  zum  Aufbau  des  Darmrohres 
dicht  unter  der  BückenzeUschidit  liegen. 

Die  Kopfscheiben  haben  sich  stark  verdickt,  mehrere  buckel- 
artige Abschnitte  sind  in  ihnen  zu  unterscheiden.  Yersebiedene  braune 
Pigmentflecke  deuten  die  erste  Anlage  der  Augen  an,  welche, 
wie  die  Augen  der  Edriophthaknen  seitlich  sich  befinden. 

Die  oberen  Antennen  haben  ihre  Lage  und  Gestalt  im  Ganzen 
nicht  verändert.  Nur  an  der  unteren  Seite  ist  ein  Vorgang  von  Be- 
deutung zu  bemerken.  Die  Gliederung  sämmtlicher  Gliedmaassen  ist 
bereits  angedeutet;  so  auch  bei  den  Antennen.  An  dem  solchergestalt 
angedeuteten  vorletzten  Gliede  derselben  findet  sidi  nun  eine  Auf- 
treibung, welche  die  erste  Spur  der  spiteren  Nebengeissel  bildet. 

An  den  unteren  Antennen  ist  keine  Neubildung  von  Bedeutung 
wahrzunehmen. 

Die  Mandibeln  haben  die  Richtung  ihres  Wachstknms  völlig 
verändert  und  folgen  derselben  Bildung^ weise ,   wie  die  Maxillen.   An 


60  ^^  A.  Dobrn, 

ihrem  äusseren,  der  Hundöffnung  zugekehrten  Rande  haben  sie  sich  i: 
zwei  gleich  grosse  Kuppeln  geschieden  und  bedecken  von  deo  Sdlei 
her  die  Mundöffnung  und  die  Unterlippe. 

Die  Maxillen  haben  sich  ebenfalls  stark  verändert.  Das  erst: 
Paar  hat  einen  Fortsatz  an  der  inneren  Seite  getrieben  und  gleicht  der 
Gestalt  der  Mandibeln.  Das  zweite  Paar  hat  an  seinem  hinterec 
Rande  sogar  zwei  kuppeiförmige  Fortsätze ,  die  beide  aber  kleiner  sim 
als  die  vordere  Kuppel.  Das  drrtte  Paar  endlich  bat  sich  völlk 
ebenso  entwickelt,  wie  die  gleiche  Extremität  der  Asellusembryonen. 
der  äussere  Ast  hat  sich  zu  einer  langen,  nach  hinten  gerichteten  bein- 
förmigen  Walze  umgewandelt ,  der  innere  ist  nach  Vom  gerichtet  udq 
ist  im  Wachsthum  zurückgeblieben.  Sämmtliche  Gliedaieassen  sinu 
nun  schon  weit  über  die  Rauchfläche  des  Embryo  herUbergewachsec 
und  begegnen  sich  in  der  Mitte  derselben. 

Die  Oberlippe  und  die  Unterlippe  haben  sich  v^ie  hei 
Asellu^  gestaltet;  zwischen  ihnen  steigt  der  Vorderdarm  in  die  Höhe. 

In  der  Bildung  der  Beine  haben  wir  nun  schon  jetzt  zwiscbcD 
generellen,   speciellen  und  sexuellen  Bildungen  zu  unterscheiden.    Da 
das  vorderste  Beinpaar  bereits  deutlich  sich  zu  einer  Maxille  um- 
zugestalten beginnt,   will  ich  fortan  die  Betrachtung  desselben,   wie 
bereits  geschehen,    bei  den  Mundwerkzeugen  vornehmen,    dasselbe 
wird  der  Fall  sein  mit  dem  zweiten  Beinpaare  im  nächsten  Stadium 
der  Entwickelung.   Die  Unterschiede  in  der  Bildung  der  Beine  betreffen 
die  Ausbildung  des  äusseren  Astes,    der  bei   dem   ersten 
Beinpaare,  —  der  dritten  Maxille,  —  wie  bereits  erwähnt,   zu  einer 
langen,    beinförmigen  Walze  sich  ausbildet,   bei  dem  zweiten  Paare 
völlig  in  seiner  ursprünglichen  geringen  Entwickelung  beharrt,    bei 
dem  dritten  und  vierten  wie  bei  dem  ersten  sich  zu  einer  langen 
Walze  entwickelt  und  bei  dem  fOnften,  sechsten  und  siebenten 
nur  geringe  Vergrösserung  über  die  ursprüngliche  Anlage  hinaus  er- 
fährt.  Die  inneren  Aeste  sämmtlicher  Paare,  —  mit  der  erwähnten 
Ausnahme  des  ersten  Paares  —  wachsen  in  lange  Walzen  aus  und 
bilden  den  Hauptast  der  Beine,    während  die  äusseren  Aeste  theils 
völlig   verschwinden,    theils   rudimentär  werden,    theils  zu  starken 
Schwimmbeinen  sich  entwickeln.    Bei  der  Beschreibung  des  ausge- 
wachsenen Thieres  werden  wir  sehen,  dass  in  der  Entwickelung  dieser 
äusseren  Aeste  sexuelle  Verschiedenheiten   existiren,    die  auf  ver- 
schiedene Lebensweise  des  Geschlechtes  schliessen  lassen. 

Die  Segmentation  des  Körpers  ist  weit  vorgeschritten.  Man 
kann  die  Zahl  der  Segmente  am  leichtesten  erkennen ,  wenn  man  die 
in  abgerundete  Kuben  eingetheilten  Bauchwülste  zählt,  welche  in  ihrer 


Dutersochnngeii  Aber  ßan  nud  Gntwiekelang  der  Arthropoden.  61 

dicken  Masse  von  Embryonal zeUen  das  Nervensystem  und  viele  Mus-* 
kein  und  andere  Bildungen  implicite  enthalten.  Ich  zähle,  den  Kopf 
vor  dem  Vorderdann  als  ein  Segment  gerechnet,  —  48  Segmente,  — 
Ilmenau  dieselbe  Zahl  wie  bei  Asellus«  Die  letzten  W  Segmente  zeigen 
bereits  die  Segmentation  am  Rücken  und  den  Seitenwänden  des 
EmbryonalkdrperSy  —  die  letzten  7  sind  ohne  Extremitäten  mit  Aus- 
nahme des  letzen  Segmentes.  An  diesem  finden  wir  jederseits 
ein  Paar  mächtige  Anhänge ,  deren  jeder  in  zwei  lange  Aeste  gespalten 
ist  und  über  die  Seitenwandungen  des  Postabdomens  hinweghängt. 
Es  sind  dies  die  sogenanAten  Sbhwanzanhänge,  —  caudal  appen- 
dages  der  englischen-  Beschreiber. 

Das  Postabdomen  ist  stark  nach  innen,  fast  Schneckenhaus- 
förmig  eingerollt,  so  dass  die  Afterdffnung  nicht  zu  erkennen  und 
überdies  völlig  von  dem  Busalgliede  der  Schwanzanhänge  verdeckt  ist. 
Die  Anlage  des  Hinterdarms  ist  noch  nicht  von  dem  Zellenwulst 
differenzirt,  der  die  Rücken wandung  des  Postabdomen  ausmacht. 
Wohl  aber  ist  der  Dotter  bereits  im  Zurückweichen  aus  diesem 
Körpertheil  begriffen,  —  ein  Vorgang,  der  nicht  in  völliger  Analogie 
mit  den  gleichen  Verhältnissen  bei  Asellus  steht.  Dort  weicht  der 
Dotter  zurück,  indem  er  die  bereits  ausgebildeten  Darmwandungen 
frei  macht ,  —  hier  weicht  er  zurück  und  lässt  nur  einen  leeren ,  — 
mit  gelblicher  Flüssigkeit  gefüllten  länglich  dreieckigen  Raum  zwischen 
der  Spitze ,  Bauch-  und  Rückenfläche  des  Postabdomen  zurück. 

Die  Leber  hat  sich,  wie  bei  Asellus,  zu  einem  Schlauch  umge- 
wandelt; die  histologischen  Verhältnisse  scheinen  völlig  die  gleichen. 
Bemerkenswerth  ist,  dass  schon  sehr  früh  das  Auswachsen  eines 
unteren,  kleineren  Schlauches  stattfindet,  —  später  entsteht  auf  der 
Oberseite  ein  dritter  noch  kleinerer. 

Zwischen  dem  Dotter  und  der  Rückenwand,  —  natürlich  auch 
dem  Zellenapparat  des  Rückens ,  —  hat  sich  ein  freier  Zwischenraum 
gebildet,  in  dem  freie  Zellen  flottiren,  —offenbar  bestimmt  zur  Bildung 
der  Bluträume  und  Blutkörperchen.  Da  mich  aber  die  wichtigen 
morphologischen  VerlUtltnisse  der  Cumaceen  fast  ausschliesslich  in 
Anspruch  nahmen ,  habe  ich  in  histogenelischer  Beziehung  fast  keine 
nennenswerthen  Aufklärungen  gewonnen,  kann  also  auch  über  die 
Bildungsweise  der  Girculationsorgane  keine  bei  Cuma  gewonnenen 
Angaben  machen. 

Der  Dotter  selbst  besteht  aus  den  gewöhnlichen  Dotterkugeln, 
die  bei  der  vorliegenden  Art,  —  Cuma  Goodsiri  van  Bknedbic ,  — 
gelb  gefUrbi  sind.  (Bei  Cuma  Ralhkei  ist  der  Dotter  rosenroth ,  bei 
Cuma  plicata  hellgrün,  bei  allr  '  *  untersuchten  gelb.) 


g2  Dr«  A.  Dohrn, 

Die  weitere  Ausbildang  des  Cephalolhorax  macht  uns  im 
einer  höchst  bemerkenswerthen  Neubildung  bdcannt.  Unter  der  nws 
nach  vorn  zu  auswachsenden  vorderen  Spitze  entst^t  nUmlich  ?<' 
kleiner  Anhang,  der  dem  Unterrand  des  Gephalothorax  paraü 
gerichtet  ist.  Dieser  Anhang  ist  die  erste  Andeutung  des  grosso' 
Kiemenapparates,  der  unter  dem  Gephalothorax  sich  jetzt  eci- 
wickelt.  Leider  entzieht  sich  diese  Entwickelung  völlig  der  Beobadh 
tung ,  es  sind  nur  histologische  Vorgänge  zu  beschreiben ,  Vielehe  es 
Licht  auf  jene  werfen.  Dieselben  bestehen  in  einer  Trennung  d?' 
Gephalothorax  wände  und  einer  gitterartigen  Verknöpf  ud: 
derselben  durch  die  einzelnen  auswachsenden  Zellen. 

Das  eben  beschriebene  Stadium  des  Gumaerobryo  hat  im  Habiu 
durchaus  die  grösste  Verwandtschaft  mit  den  Isopoden-enibryonen. 
obschon  eine  bedeutende  Zahl  einzelner  Abweichungen  nachgewiese? 
worden  sind.  Das  nächste  Stadium  dagegen  gleicht  den  Isopoder 
gar  nicht,  —  es  hat  vielmehr  das  Aussehen  eines  Decapoden- 
embryo's. 

Sobald  die  dritte  Haut  gleichfalls  von  dem  heranwachsender. 
Embryo  durchbrochen  wird,  erfolgt  die  Streckung  des  Post- 
abdomen. Dasselbe  bleibt  aber  nicht  in  gestreckter  Lage  stehen, 
sondern  schlägt  sich  langsam  unter  den  Bauch  des  Embryo.  0ie  Ab- 
bildung zeigt  den  Embryo  gerade  im  Begriff,  diese  Umwandlung  vor- 
zunehmen (Taf.  IL  Fig.  4). 

In  der  ganzen  ferneren  Entwickelung  finden  sich  nun  bedeutende 
Unterschiede   von    der    Asellusentwickelung.     Die    Streckung    des 
Rückens  geht  Hand  in  Hand  mit  der  gewöhnlichen  Verkürzung  und 
Verringerung  des  Zellenmaterials ,  das  den  Kopf  zusammensetzt.    Der- 
selbe kehrt  sich  mehr  nach  oben^  und  zwischen  den  Kopfplatten  und 
dem  Rücken ,   an  dem  vom  »Mikropylapparat«  fast  nichts  mehr  wahr- 
zunehmen ist,  bildet  sich  eine  tiefe  Furche.    Die  Segmentation  des 
Körpers  hinter  dieser  Furche  ist  nicht  eher  wahrzunehmen,  als  bei 
dem  siebenten  Segment  hinter  der  Mundöffnung.   Dasselbe  ist  von  dem 
vorhergehenden  Theil  durch  eine  leichte  Furcht  getrennt,   und  man 
kann  auch  in  den  Seitenwandungen  die  Trennungslinie  bis  auf  die 
halbe  Höhe  der  Wandung  verfolgen.   Dann  tritt  der  Gephalothorax  ein 
und  verdeckt  die  weitere  Gliederung.    Die  nachfolgenden  zehn  Seg- 
mente  sind   deutlich   in   ihrem   ganzen  Umfange   von   einander  ge- 
schieden. 

Der  Dotter  ist  aus  dem  Postabdomen  völlig  zuiilckgetreten ,  das 
Darmrohr  hat  sich  bereits  entwickelt,  Muskelbildungen  sind 
aufgetreten,  das  Herz  ist  gebildet,   bewegt  sich  aber  noch  nicht,  die 


Untersnchungen  ilber  Bau  nnd  Entwickelanft  der  Arthropoden.  63 

L.eberii  wachsen  immer  weiter  aus  nnd  in  den  Bauchzellwttlsten 
machen  sich  Dififerenziningen  bemerkbar,  die  zur  Ausbildung  des 
Nervensystems  zu  führen  geeignet  sind. 

Mit  den  Gliedmaassen  sind  grosse  Veränderungen  vor  sich 
gegangen. 

Die  oberen  Antennen  haben  sich  nach  vom  gekehrt  und 
zeigen  eine  deutliche  Gliederung.  Die  Nebengeissel  auf  dem  vor- 
letzten Gliede  ist  sehr  klein,  und  zeigt  schon  jetzt  die  Tendenz,  rudi- 
mentär zu  werden  ^).  Die  unteren  Antennen  bleiben  nach  wie  vor 
ohne  Irgend  eine  auffallendere  Veränderung. 

Die  Mandibeln  haben  sich  stark  verlängert,  der  hintere  Ast  ist 
dünner  geworden  und  hängt  sich  hinunter. 

Die  Maxiiien  haben  sich  sämmtlich  ansehnlich  vergrtfssert.   Das 
erste  Paar  zeigt  keine  bemerkenswerthe  Veränderung,   wenigstens 
gelang  es  mir  nicht ,   eine  solche  wahrzunehmen.    Das  zweite  Paar 
ist  bemerkenswerth  wegen  der  verschiedenen  Ausbildung ,  welche  die 
beiden  hinteren  kuppelfOrmigen  Fortsätze  erlangt  haben.  Während  der 
vordere  derselben  wie  der  Hauptast  abgerundet  ist,  sprossen  aus 
dem  hinteren  zwei  Borsten  hervor,  eine  Tbatsache,   die  um 
so  auffallender  ist,   als  noch  kein  anderer  der  Mundtheile  sich  mit 
irgend  einem  Dom  oder  einer  Borste  ausgerüstet  zeigt.    Wir  werden 
später  sehen,    dass  diese  Borsten  und  der  sie  tragende  Forlsatz  auch 
zu  ganz  eigen Ihümlichem   Zweck   verwendet  werden.    Das  dritte 
Maxillenpaar  hat  äusserlich  völlig  die  Gestalt  eines  Beines  ange- 
nommen ;    es  entspricht  aber ,  wie  ich  vorher  schon  erwähnte ,  nicht 
dem  inneren,   sondern  dem  äusseren  Aste  der  Übrigen  Extremitäten 
von  Cuma,   oder  dem  Taster  desselben  Organs  bei  Asellus.    Nur 
das  Basalglied  begreift  den  inneren  Ast  der  beiden  ursprünglich  im 
Embryo  angelegten  Aeste  in  sich  und,  wenn  man  will,  kann  man  das 
Basalglied  auch   als  den  wirklichen  Stamm  der  Maxille 
und  die  übrigen  Glieder  als  den  Tastertheil   ansehen,   — 
ja  die  nach  Homologieen  suchende  strenge  Morphologie  muss  das  so- 
gar thun.  ^ 

Genau  entgegengesetzt  ist  der  Entwickelungsgang  *der  nächsten 
Extremität.  Da  sie  schon  jetzt  beginnt  in  ihrer  Entwickelung  sich  als 
JMundlheil  zu  benehmen ,  so  wollen  wir  sie  auch  von  den  Beinen  los- 
machen und  ihr  einen  neutralen  Platz  zwischen  diesen  und  den 
MaxtUen  anweisen.    In  ihr  gelangt  ausschliesslich  der  innere 

4)  In  Cuma  Goodsiri  erlangt  die  Nebengeissel  tiberbaupt  nicht  eine  solche 
Grösse,  wie  z.  B.  in  den  Embryonen  von  C.  Rathkei  oder  C.  plicata,  wo  sie 
beinahe  ebenso  lang  ist,  als  das  letzte  Glied  der  Antennen. 


64  ^r«  A.  Hohrn, 

Ast  zur  Forlbildung,  der  äussere  verschwindet  völlig,  nachdem  er  eine 
Zeitlang  auf  der  ursprünglichen  Grösse  und  Ausbildung  verharrt  hat. 
In  der  äusseren  Conformation  gleicht  diese  Extremität  völlig  der  vor- 
hergehenden und  beweist  somit  die  Gleichwerthigkeit  der 
beiden  Aeste,  da  aus  beiden  dieselben  Gestalten  hervorgehen 
können.  Später  machen  sich  freilich  Unterschiede  bemerkbar,  die- 
selben sind  aber  mehr  specieller  Natur  als  genereller. 

Die  beiden  folgenden  Extremitätenpaare  sind  ebenfalls 
nach  ein  und  demselben  Typus  weher  gebildet.    Ihr  innerer  Asi 
entwickelt  sich  zu  einem  langen  Bein,    dessen  Eigenthttmlichkeit   aber 
in  der  unverhältnissmässigen  Länge  des  Basalgliedes  im  Vergleich  zu 
den  folgenden  fünf  kleineren  Gliedern  zu  finden  ist.   Diese  Ausbildung 
und  die  spätere  Lage  unter  dem  Leibe,  —  sie  sind  im-«rwachsenon 
Thiere  ganz  horizontal  nach  vorn  gerichtet  und  bedecken  sämminche 
vor  ihnen  liegenden  Gliedmaassen  von  unten  her,  —  unterscheiden  sie 
wesentlich   von   den  folgenden  Beinpaaren.     Ihr  äusserer  Ast  ist 
wesentlich  kürzer,   erlangt  aber  dennoch  seine  volle  Ausgestaltung  als 
Schwimmanhang.     Sein  Basalglied  ist  von  nicht  ungewöhnlicher 
Grösse,   aber  etwas  stärker  als  man  es  erwarten  dürfte,  —  sichtlich 
aus  dem  Grunde,    um  eine  reichere  Musculatur  für  das  ihm  obliegende 
Geschäft  des  Schwimmens  aufnehmen  zu  können.    Die  folgenden  Glie- 
der sind  sehr  ungleich;  das  nächste  ist  länger  als  die  andern  zusammen 
genommen ,   aber  man  bemerkt  an  seiner  Spitze  schon  die  Ausbildung 
fernerer  Glieder ,   die  sich  also  hier  als  Abschnürungen  mitten  in  der 
Extremität  bilden.    Zugleich  wird  man  gewahr,   dass  aus  der  Spitze 
jedes  Gliedes  vom  und  hinten  je  eine  Borste  hervorspriesst ,  —  be- 
stimmt,  später  eine  grosse  Länge  zu  erreichen  und  als  Schwimm- 
borste zu  dienen. 

Die  drei  letzten  Extremitätenpaare  könnte  ich  nun  dreist 
Beine  nennen,  wenn  nicht  auch  hier  wieder  Verschiedenheiten  ent- 
ständen, die  zu  Missverständnissen  und  Unklarheiten  Anlass  gehen 
könnten.  Jedenfalls  haben  sie  aber  in  dem  vorliegenden  Stadium  das 
gemein,  dass  ihr  innerer  Ast  zu  einem  Bein^von  ähnlicher  Gestall 
wie  das  erst^ Beinpaar  entwickelt  ist,  dessen  spätere  functionelle  Um- 
wandlung mich  bewog ,  es  zwischen  Mundtheile  und  Bewegungswerk- 
zeuge zu  stellen.  Die  Gliederung  dieser  inneren  Aeste  der  drei  letzten 
Extremitätenpaare  ist  noch  nicht  völlig  ausgebildet,  doch  erkennt  man 
an  ihnen  schon  ziemlich  gut,  dass  das  vorderste  Paar  um  ein  Glied 
zurückbleibt ,  —  eine  Thatsache ,  die  vielleicht  in  Zusammenhang  mit 
seiner  späteren  Annäherung  an  die  Bildung  und  Function  der  beiden 
vorhergehenden  Gliedmaassenpaare  steht.    Die  äusseren  Aeslc  er- 


üiitersncbnngen  über  Baa  an4  Cntwiekeloag  der  Arthropoden.  65 

leiden  aber  das  Geschick ,  theils  vOUig  zu  verschwinden,  —  wie  an 
dem  letzten  Beinpaare ,  an  dem  auch  keine  Spur  derselben  mehr  nach- 
zuweisen ist,  —  theils  zu  liliputanischen  Dimensionen  zusammenzu- 
schrumpfen und  in  dieser  winzigen  Gestalt  ein  völlig  nutzloses  Dasein 
an  der  Aussenseite  des  zweiten ,  grössten  Segmentes  der  inneren  Aeste 
zu  fuhren.  (Ich  muss  aber  sofort  hinzusetzen ,  dass  dies  Zusammen- 
schrumpfen nicht  die  ausnahmslose  Regel  bei  allen  Cumaarten  ist; 
bei  Guma  Rathkei  z.  B.  bildet  sich  der  äussere  Ast  des  vordersten 
dieser  drei  letzten  Extremtt&tenpaare  zu  einem  d)enso  grossen 
Schwimmanhang  aus ,  wie  bei  den  beiden  vorhergebenden  Extremi- 
täten; dasselbe  ist  der  Fall  bei  zwei  Arten,  die  ich  noch  nicht  be-, 
nennen  konnte,  da  sie  wahrscheinlich  unbeschrieben  sind.  Bei  den- 
selben Arten  ist  auch  der  äussere  Ast  des  letzten  Extremitätenpaares 
nicht  völlig  verschwunden,  sondern  in  rudimentärer  Gestalt  durch  das 
ganze  Leben  erhalten.) 

Es  bleibt  mir  noch  die  Schilderung  der  Oberlippe,  der  Unterlippe 
und  der  Schwanzanhänge  in  diesem  Stadium  des  Embryo  übrig. 

Die  Oberlippe  und  die  Unterlippe  verlängern  sich,  werden 
aber  zugleich  in  dem  Dickendurchmesser  kleiner.  Die  Oberlippe 
krttmmt  sich  nach  oben ,  die  Unterlippe  nach  unten. 

Die  Schwanzanhänge  verändern  ihre  Richtung  mit  dem  sich 
abwärts  wendenden  Postabdonien ,  und  stehen  nach  hinten  ab  von 
dem  letzten  Postabdominalsegroent. 

Das  seitliche  Cephalothoraxschild  bat  sich  nach  unten 
und  vom  verlängert,  es  ragt  mit  seiner  vorderen  Spitze  über  die 
Mundspalte  hinweg  und  sein  unterer  Rand  bedeckt  beinahe  die  Spitzen 
der  Mundtheile.  Der  kleine  Anhang,  den  ich  im  vorigen  Stadium 
als  erste  Andeutung  der  Kieme  beschrieb ,  hat  sich  vOUig  abgelöst  von 
dem  Schilde  und  ist  zur  äussersten  Spitze  |des  langen  Ganais 
geworden ,  der  sich  an  die  mittlerweile  unter  dem  Schilde  entstandene 
nRiemec  anschliesst  und  als  Egestionscanal  des  Wasserstromes  dient, 
der  durch  die  Bewegung  der  spater  zu  beschreibenden  Kieme  unter 
dem  Schilde  erregt  Vird.  Dieser  Canal  oder  Kiemenstiel  hängt  in 
diesem  Stadium  aus  dem  Rande  des  Gephalothoraxscbildes  hervor, 
völlig  den  Sdiein  erweckend,  als  hätten  wir  es  mit  einem  Gliedmaassen- 
paare  zu  thun.  Seine  Insertion  oder  Verknüpfung  mit  der  sogenannten 
Kieme  oder  mit  dem  Cephalothoraxschild  ist  nicht  zu  erkennen,  — 
wie  denn  überhaupt  die  Bildung  der  Kieme  sich  gänzlich  der  Beobach- 
tung entzieht. 

Von  grosser  Bedeutung  ist  femer,   da^'^  Stadium  die 

Verschmelzung  der  Augen  stattfindr  rossen  Ver- 

I.  v.  1. 


gg  Ür.  A.  Dohrn, 

kttrzung  und  Verschiebung,   welche  die  einseinen  Theile  des  Kopfes 
erfahren,  nach  vom  zusammengeschoben  werden  und  durch  Ihre  Ver- 
wachsung das  eine  Äuge  hersielleh , .  über  das  schon  so  viel  gesiritten 
ist.   Von  mehreren  Seiten  ist  nämlich  behauptet ,  das  Auge  sei  gestielt, 
während  Andere  gerade  in  dem  Mangel  des  Augenstieles  den  grossen 
Unterschied  zwischen   Guma    und    den   Podophthalmen     sehen 
wollen.    Sonderbarerweise  haben  beide  Parteien  Recht,  —  wie  bereiu 
vor  mir  Hbnht  Goodsir  es  aussprach  »the  eyes  are  pedunculated  bm 
sessile.a  In  der  That  ist  das  Auge  getragen  von  einem  kleinen  abwärts 
gebogenen  Stiel,  der  besonders  deutlich  bei  den  Embryonen  von  Cnma 
Rathkei  von  mir  wahrgenommen  wurde.    Später  iimgiebt  aber  das 
Kopfschild  das  Auge  und  schliesst  es  valiig  bis  zu  einem  Grade  ein, 
der  sogar  manche  Autoren  bewog,  den  Mangel  der  Augen  alsCharacte- 
risticum  der  Cumaceen  anzusehen.   Da  aber  meine  UntersuchuBgea 
über  die  Bildung  und  Umbildung  der  Augen  noch  zu  keinem  Abscbluss 
gekommen  sind,   so  übergehe  ich  fernerhin  diese  Organe  in   meiner 
Darstellung. 

Das  folgende  Stadium  des  Embryo  (Taf.  H.  Fig.  5)  hat  vollständig 
den  Habitus  eines  Decapoden.  Das  Postabdomen  ist  vttllig  unter 
den  Vorderleib  geschlagen,  die  Schwanzanhänge  sind  in  derselben 
Richtung  lang  ausgestreckt,  Kopf  und  Vorderleib  ist  bis  zu  dem 
achten  Segment  von  dem  Gephalothoraxschild  bedeckt,  die 
Gl ie dm aa SS en  zeigen  alle  deutliche  Gliederung,  an  mehreren  der- 
selben sind  Zahn-  und  Haarbildungen  zu  erkennen ,  die  beiden  Aeste 
der  Schwanzanhänge  haben  sich  ebenfalls  gegliedert;  der  Ge- 
phalothorax  zeigt  eine  Bildung,  die  durchaus  an  Decapoden  er- 
innert; seine  seitlichen  Stücke  haben  sich  höher  gerichtet,  ihre  vordere 
Spitze  ist  in  einer  Hdhe  mit  der  Insertion  der  oberen  Antennen ,  der 
untere  Rand  dieser  Stücke  ist  gerundeter.  Die  Kieme  ist  der  ver- 
änderten Lage  dieser  Theile  gefolgt  und  ihr  langer  Stiel  ist  horizontal 
nach  vom  gerichtet. 

Die  Ausbildung  der  inneren  Organe  ist  gleicherweise  vorge- 
schritten. Die  Darmwandungen  sind  jetzt  tleutlich  zu  erkennen 
von  der  Mundöffnung  bis  zur  Afterspalte.  Mitten  im  Gephalothorax  in 
seinem  oberen  Theile  bemerkt  man  den  letzten  Ueberrest  des  Dotters, 
umgeben  von  den  Darmwandungen.  Auf  letzteren  erkennt  man  deut- 
lich die  kleinen  cubischen  Zellen ,  deren  Umwadisen  des  Darmrohres 
die  Ringmusculatur  hervorbringt ,  ein  Vorgang ,  der  absolut  identisch 
bei  As e Uns  erfolgt  (vergl.  1.  c.  p.  269).  Der  Zerfall  der  Bauch- 
wttlste  ist  fernerhin  bemerkenswerth ;  es  bilden  sich  Muskelstränge 
und  Ganglien  aus;    um  den  Darm  entstehen  Hohlräume  für  die-Be* 


üiitersnchmigen  Aber  Bau  nnd  Eutwiekelung  der  Arthropoden.  67 

wegUDg  des  Blutes  und  in  dem  7.  und  8.  Segment  liegt  das  Herz, 
dessen  Pulsationen  das  Blut,  in  dem  man  aber  noch  keine  Blutkörper- 
chen unterscheiden  kann ,  umhertreibt.  Auch  Blutgefässe  sind  zu 
erkennen;  eine  Aorta,  die  über  dem  Darm  sich  zu  den  Zell  Wülsten 
des  Kopfes,  — der  späteren  Gebirnganglien  begiebt  und  sich  dort  theilt. 
Una  das  Hers  herum  bildet  sich  ein  deutlicher  Pericardialsinus; 
umgeben  wird  derselbe  von  einer  grossen  Zahl  kugeliger  Fettzellen,  — 
die  vielleicht  ein  ähnliches  Gewebe  herstellen ,  wie  wir  es  um  das  Herz 
eines  Palaemonerobryo  vortrefflich  erkennen  können. 

Da  es  nicht  meine  Absicht  ist,  an  dieser  Stelle  eine  genaue,   in 
das   histogenetisdie  Detail  eingehende  Entwickelungsgeschichte    der 
Cumaceenzu  geben ,   sondern  nur  die  morphologischen  Beziehungen 
dieser  Tbierchen  zu  den  anderen  Grustaoeen  ins  rechte  Licht  zu  setzen, 
so  kann  ich  mit  der  Bemerkung  meine  Auseinandersetzung  der  Embryo- 
logie  schliessen,   dass  das  nächste  wichtigere  Veränderungen  auf- 
weisende Stadium   bereits  völlig  den  erwachsenen   Thieren  gleicht 
(Taf.  H.  Fig.  6) ;  und  dass  die  Unterschiede,  die  es  als  unausgewachsenes 
Junge  nothwendig  von  dem  Erwachsenen  scheidet,   solcher  Art  sind, 
wie  sie  bei  den  meisten  Grustaceen  bestehen ,  —  somit  also  am  besten 
der  anatomischen  Beschreibung  eines  ausgewachsenen  Thieres  beigefügt 
werden. 

Die  Angaben,  die  ich  über  die  Anatomie  zu  machen  habe,  wurden 
theils  an  Cuma  trispinosa  theils  an  Cuma  Goodsiri  gewonnen; 
auch  in  ihrer  Darstellung  werde  ich  mich  grOsstentheils  nur  an  das 
morphologisohe  Element  halten. 

Die  Körpergestalt  des  erwachsenen  Thieres  gleicht  durchaus  mehr 
den  Decapoden  als  irgend  einer  anderen  Glasse  der  Grustaceen,  und 
so  wurden  sie  in  der  systematischen  Eintheilung  auch  immer  zu  diesen 
gerechnet. 

Der  Erste,  den  wir  als  Beschreiber  einer  G um a  finden,  ist  La- 
TBBaLB.  Er  beschreibt  sie  unter  dem  Namen  Gondylurus  D'Or- 
bigny  i.  Muni-Edwaids,  der  in  seiner  »Histoire  naturelle  des  Grustaoes« 
Tom.lU.  p.  554  diese  Beschreibung  reproducirt,  macht  mit  Recht  darauf 
aufmerksam,  dass  der  Name  Gondylurus  bereits  bei  den  Mammalien 
angewandt  ist  und  somit  der  von  ihm  selbst  gegebene  und  allgemein 
angenommene  G  u  m  a  das  Vorrecht  hat.  Latrbillb's  Beschreibung  lässt 
mit  Sicherheit  erkennen,  dass  er  eine  Guma  vor  sich  hatte,  —  welcher 
Art  aber  jetzt  der  Nar^*'  -i'rk-Kx-^vi  mit  Recht  zugesprochen  werden 
muss ,  lässt  $ich  wo)  eilen ,  als  bis  die  Küste  von  L  a 

Rochelle  nach  G  htist. 

Ham  EnwAur  eigenüiche  Begründer  der  Fa- 

5* 


68  Dr.  A.  Dohni« 

milie  anzusehen  ist,  missverstand  aber  die  Natur  derselben.  Die  Epoche 
der  Zoologie ,  in  der  sein  grosses  Werk  entstand ,  nahm  nar  geringe 
Notiz  von  denOrganisations-undLebenseigenthUmlichkeilen  derThiere, 
und ,  wennschon  in  Deutschland  die  Embryologie  ihr  reformatorisches 
Werk  begann,  so  konnte  diese  neue  Bahn  doch  nicht  so  schnell  und 
allseitig  beschritten  werden ,  tim  der  Zoologie  durch  und  dorc^  eine 
neue  Gestalt  zu  geben.  So  ist  es  also  leicht  erklärlich,  dass  der  be- 
rühmte  Monograph  mit  den  Worten  »et  je  soupfonne  m^me  qne  cel 
animal  n'est  autre  chose  que  quelque  Larve  de  Grustac^  D^capodea, 
das  Interesse ,  das  man  vielleicht  an  der  Aufhellung  der  Organisation 
hätte  nehmen  können ,  beseitigte ,  denn  Larven  waren  eben  nicht  sehr 
angesehen  unter  den  damaligen  Forschern. 

Nach  wenigen  Jahren  veröflentlichte  aber  Heitrt  Goodsir  im  »Edin- 
burgh New  Philosophical  Journal«  einen  Aufsatz  über  dieselbe  FamiHe, 
in  welchem  er  vor  allen  Dingen  feststellte,  dass  sie  keine  Larven  seien, 
sondern  wahrscheinlich  »niedere«  Decapoden.  Er  stellte  neben  Guma 
noch  Bodotria  und  Alauna  als  neue  Gattungen  auf  und  gab  von 
Guma  Edwardsi  eine  ziemlich  ausführliche  Beschreibung. 

Zu  gleicher  Zeit  hatte  KrOtbr  in  »Naturhistorisk  Tidskrift«  HL  p. 
503.  tab.  y.  und  VI.  mit  seiner  ausgezeichneten  Scharfe  und  Genauig- 
keit vier  neue  Arten  Guma  beschrieben.  In  demselben  Aufsatze  ver- 
sprach er,  demnächst  die  Ehtwickelungsgeschichte  der  Gattung  zu 
veröffentlichen. 

Danach  ruhte  die  Theilnahme  an  den  merkwürdigen ,  kleinen  Ge- 
schöpfen und,  -^  wie  van  Brnbdbn  in  seiner  historischen  Uebersicht 
(Recherches  sur  les  Crustac6s  du  Littoral  de  Belgique ,   dans  M6moires 
de  FAcad.  roy.  de  Belgique  tom.  XXXIII.  p.  25)  mit  Beoht  bemerkt, 
»il  semblerait  que  la  question  des  Guma  düt  ^tre  tranch6e  apr^s  cela.« 
Allein  wunderbarer  Weise  behauptet  Agassiz,   selbst  nach  Krötbr's 
entscheidenden  Arbeiten,  dass  Guma  die  Jugendform  einer  Hippolyto 
oder  eines  Palaemon  sei,  Dana  folgt  ihm  darin,  Milnb-Edwards  des- 
gleichen.   Spbngb-Batb,    Lilljbborg  und  van  Bbnbdbn  widersprechen, 
—  aber  leider  beschrdnken  sich  die  Erstgenannten  in  ihren  Arbeiten 
nur  auf  das  systematische  Feld  und  Letzterer  giebt  in  seinem  schon 
citirten  Aufsatz  zwar  anatomische  Details ,  aber  zum  Theil  unrichtige, 
so  dass  durch  sie  die  Verwirrung  nicht  gehoben  wurde. 

Es  ist  nicht  zu  verwundern ,  dass  bei  diesem  Stande  der  Dinge 
die  zoologischen  Handbücher  mit  Guma  nichts  anzufangen  wussten; 
so  finden  wir  sie  also  gar  nicht  erwähnt  in  Troscrbl^s  Handbuch  der 
Zoologie,  GbrstXgkbr  giebt  zum  Theil  richtige,  zum  Theil  schwankende 
und  unrichtige  Notizen,  und  Glaus  bemerkt  nur,  dass  die  Cumaceen 


UiitersocliuDgen  fiber  Bau  und  Entwiekcluug  der  Artliropodcii.  69 

eine  vermitlelnde  Stellung  zwischen  Gopepoden  und  Garneelen 
einnebmen,  was  indess  von  der  Wahrheit  ziemlich  weit  entfernt  ist. 

Nur  Fritz  Müllbr  sprach  in  der  immer  wieder  anzuführenden 
Schrift  »Für  DARwm«  p.  54,  55  einige  Worte  ttber  die  Gumaceen, 
welche  auf  ein  richtige»  Yerständniss  derselben,  —  soweit  es  ohne 
genaue  Kennlniss  der  Embryologie  möglich  war,  —  hindeuteten. 

Welche  Stellung  die  Gumaceen  aber  in  unserem  System,  — 
das  in  meinen  Augen  mit  dem  Stammbaum  der  Thiere  identisch  ist, 
oder  sein  soUte,  —  einnehmen  müssen,  wird  klar  werden,  wenn  ich 
zu  den  bisherigen  Angaben  der  Entwickelung  noch  einige  anatomische 
Details  hinzufüge« 

Vor  allen  Dingen  habe  ich  zu  bemerken,  dass  die  Meinung  sämmt- 
licher  IrQheren  Autoren  über  die  Scheidung  von  Männchen  und  Weib- 
chen innerhalb  der  kleinen  Familie  irrthümlich  ist.  Der  verzeihliche 
Irrthum  Goonsn^s,  der  das  Männchen  einer  G  u  m  a  unter  dem  Gattungs* 
namen  Bodo tria  beschrieb,  scheint  die  Erkenntniss  der  wirklichen 
Geschlechtsunterschiede  erschwert  zu  haben.  Der  günstige  Umstand, 
dass  ich  in  Millport  eine  der  best  gekannten  Grustaceenfaunen  traf, 
und  in  meinem  verehrten  Freunde  Robertson  einen  ganz  besonders 
eifrigen  und  unterrichteten  Grustaceologen  zur  Hilfe  gewann,  ermöglicht 
es  mir  mit  grösster  Bestimmtheit  zu  erklären,  dass  sämmtlicbe,  unter 
dem  Namen  Bodo  tria  beschriebenen  Gumaceen  nichts  als  die 
Männchen  der  Gattung  G  u  m  a  sind,  die,  in  mehrere  Gattungen  zu  zer- 
spalten, ich,  vorläufig  wenigstens,  gar  keinen  Grund  sehe. 

Der  Charakter,  auf  welchen  Goonsn  die  Gattung  Bodotria  grün- 
dete, ist  einzig  und  allein  die  Anwesenheit  von  gespaltenen  Schwimm- 
fttssen  an  den  Segmenten  des  Postabdomen.  Das  Vorhandensein  von 
Schwimmanhängen  an  den  drei  Paaren  der  vorderen  Beine  bewog  ihn, 
die  Species  rostrata  von  Guma  abzutrennen  und  daraus  die  Gattung 
AI  au  na  zu  bilden.  Aehnliche  Charaktere  benutzt  Spbugs  Batb  und 
die  übrigen  Beschreiber  bei  der  Aufstellung  der  neuen  Gattungen. 

Es  ist  aber  nadi  meinen  Erfahrungen  und  Untersuchungen  eine 
Thatsache ,  dass  die  beiden  Geschlechter  bei  G  u  m  a  sich  durch  nichts 
leichter  unterscheiden  lassen ,  als  durch  die  langen  unteren  Antennen 
der  Männchen,  durch  den  Mangel  der  Schwimmfüsse  an  dem  Post- 
abdomen der  Weibchen  und  die  immer  bedeutendere  Zahl  von  Abdo- 
roinalfüssen  mit  Schwimmanhängen  bei  den  Männchen. 

Wenn  somit  diese  Charaktere  nicht  einmal  in  Männchen  und 
Weibchen  die  gleichen  sind,  so  ^'  wiss  nicht  zur  Aufstellung 

von  Gattungen  verwandt  werr' 

Es  ist  wesentlich  das  ^  i  Cephalothoraxschildes 


70  Dr-  A*  Dobn», 

und  des  lang  ausgezogenen  Postabdomens ,  das  die  Meinung  erweckt 
bat,  dieCumaceen  seien  den  Decapoden  am  nächsten  verwandt. 
Allein  bei  den  Decapoden  bedeckt  das  Rttckenschild  sämmtliche 
Segmente  bis  zum  Beginn  des  Postabdomens ,  bei  Guma  ersiredLt  es 
sich  nur  bis  zum  siebenten  Segment  und  lässt  fttnf  Segmente  vor  dem 
Beginn  des  Postabdomens  völlig  frei.  Die  Sch-vianzanhänge  zeigen 
ferner  eine  weit  grössere  Uebereinstimmung  mit  den  gabelförmigen 
Anhängen  der  Isopoden  und  Amphipoden,  als  mit  irgend  einer 
Gestaltung  dei*  homologen  Theile  im  Bereich  der  Decapoden. 

Die  Bildung  der  inneren  Organe  deutet  aber  mit  grösster  Be- 
stimmtheit auf  die  nächste  Verwandtschaft  mit  den  Edriophthalnien 
hin.  So  ist  vor  allem  die  Bildung  der  Lebern  verschieden  von  denen 
der  Podophthalmen ,  und  ahmt  die  Schlauchform  der  Isopoden  und 
Amphipoden  nach.  So  zeigt  das  Herz  keinerlei  Balkenbildung,  son- 
dern besteht  aus  einem  muscultfsen  Sack  mit  einem  Spaitenpaar.  Und 
so  ist  vor  Allem  die  Bildung  einer  Bruttasche  an  den  Beinen  des 
Abdomens  durdiaus  abweichend  von  der  Organisation  der  Decapoden 
und  hat  ausser  den  Edriophtbalmen  nur  in  Mysis  und  Lophogastcr 
ein  Homologen. 

Ich  habe  bereits  in  der  Darstellung  der  Entwickelung  von  der 
Kieme  gesprochen,  nicht  von  den  Kiemen,  denn  Guma  besitzt  jeder— 
seits  nur  eine  Kieme  oder  vielmehr  eine  sogenannte  Kieme.  Es  ist 
ausserordentlich  schwer,  die  Structur  derselben  zu  erkennen,  denn 
während  des  Lebens  ist  sie  in  fast  beständiger  Bewegung,  und  ausser- 
dem lässt  die  Undurchsichtigkeit  des  Gephalothoraxschildes  kaum  die 
äusseren  Umrisse  des  ganzen  Organs  erkennen.  Bei  der  Präparation 
wird  aber  der  Zusammenhang ,  in  dem  das  Gebilde  mit  der  Körper- 
wand und  der  inneren  Wandung  des  Gephalothoraxschildes  steht,  zer- 
rissen und  dadurch  gerade  die  Möglichkeit  abgeschnitten,  völlig  klar 
ttber  diesen  Zusammenhang  zu  werden.  Ja,  was  sehr  zu  bedauern  ist, 
—  ich  habe  nicht  bis  zur  Evidenz  constatiren  können ,  ob  innerhalb 
der  sogenannten  Kieme  und  ihrer  zwanzig  oder  mehr  Blätter  auch  in 
der  That  kein  Gasaustausch  des  Blutes  bewirkt  wird ,  und  ob  das 
Ganze  blos  ein  mächtiger  Apparat  zur  Erneuerung  und  Bewegung  des 
Wassers  unterhalb  des  Gephalothoraxschildes  ist. 

Die  Gestalt  der  Kieme  (Taf.  III.  Fig.  H)  gleicht  einem  langen 
schmalen  Kahn ,  dessen  vorderes  Ende  weit  nach  vom  ausgezogen  und 
allmählich  in  die  Höhe  gebogen  ist.  Das  hintere  Ende  ist  weniger  lang 
ausgezogen,  aber  stärker  in  'die  Höhe  gekrümmt.  Die  Wände  des 
kahnfbrmigen  Gebildes  sind  völlig  durchsichtig  und  steil  in  die  Höhe 
gebogen.   Die  Aussen  wand ,   welche  dem  Cephalothoraxschild  zunächst 


Cnlersuchuiigeii  Ober  Bau  niid  F^ntwiekeluiig  der  Aitliropoden.  7 1 

liegt,  trägt  eine  Anzahl  einzelner ,  ovaler  Blätter  (bei  Cuma  trispi- 
nosa  22 — 24) ,  welche  schräg  gestdlt  sind  und  einander  dachziegel- 
formig  decken.  Die  Structur  dieser  Blätter  lässt  es  möglich  erscheinen, 
dass  in  ihnen  in  der  That  eine  Gireulation  des  Blutes  stalt6ndet,  denn 
ich  glaube  an  ihnen  dasselbe  Auswachsen  der  Zellen  beider  Wände 
bemerken  zu  können,  was  den  Riemen  der  Amphipoden  und  iso- 
poden  die  zu  ihrer  Function  nothwendige  Bildung  verleibt.  Den 
juugen  Thieren  fehlt  übrigens  die  Ausbildung  dieser  grossen  Zahl  von 
Kiemeoblättern;  bei  den  Jungen  derC.  trispinosa  undG.  Goodsiri 
erkannte  ich  nur  drei  kurze  abgerundete  Lappen  an  der  Stelle,  wo 
später  die  Blätter 4»eginnen. 

Die  Befestigung   der  Kieme  an   der  Leibeswandung   scheint 
durch  einen  kürzeren  Strang  bewirkt  zu  werden ,    welcher  aus  einer 
runden  Oeffnung  der  Leibeswand  oberhalb  des  vorderen  Paares  der 
beiden  grossen  Extremitäten  hervortritt  und  sich  an  einen  ringartigen 
Wulst  der  Kieme  begiebt,    den  man  durch  das  Gephalothoraxschild 
hindurch  erkennen  kann.    Dieser  Strang  gleitet  bei  den  Bewegungen 
der  Kieme  hin  und  her,   aber  sein  unteres  Ende  bleibt  in  der  Leibes- 
Öffnung  fixirt.    Ich  wage  nicht  zu  entscheiden ,  ob  eine  doppelt  con- 
lourirte  Rühre ,   die  ich  im  oberen  Theile  dieses  Stranges  zu  bemerken 
glaubte,  ein  Blu^efttss  darstellt,  ja,   ich  bin  sogar  unsicher  darüber, 
ob  ich  in  der  That  jene  doppelten  Contouren  auf  eine  Röhre  zurück- 
führen darL    Ich  glaubte  freilich ,  beobachtet  und  erkannt  zu  haben, 
dass  an  dem  Strange  vorbei ,  innerhalb  der  Leibeswand ,  ein  breites 
Blutgefäss  verliefe,  weiches  einen  kleineren  Ast  in  den  Strang  abgäbe. 
Ebenso  glaubte  ich  auch  in  dem  oberen  Gefässe  ein  unteres  in  dem 
Strange  unterscheiden  zu  können,    das  gleichfalls  durch  die  runde 
Leibesöffnung  austrete,  —  ich  würde  aber  der  Glaubwürdigkeit  der 
übrigen  von  mir  gemachten  Angaben  schaden ,  wenn  ich  diese  Notizen 
für  gleich  gesichert  mit  den  übrigen  hielte;    Vielleicht  gelingt  es  bei 
wiederholten  Versuchen ,  klarer  über  diese  wichtigen  Puncte  zu  wer«^ 
den,   oder  aber  geschicktere  Hände  und  schärfere  Augen  vollenden, 
was  mir  bisher  unmöglich  gewesen  ist. 

Ausser  dieser  Befestigung  findet  sich  aber  noch  eine  andere ,  sehr 
wesentliche.  Mittelst  mehrerer  Chitinleisten  ist  der  Apparat  nämlich 
an  das  dritte  Maxillenpaar,  —  oder  wenn  man  des  ersten  Embryonal- 
stadiums gedenkt,  —  an  das  erste  Beinpaar  befestigt.  Durch  die  Be- 
wegungen dieser  Extremität  wird  der  ganze  Apparat  in  Bewegung 
gesetzt  und  schläfl^^»  '*«*>*  ^Ctemenhöhle  auf  und  ab,  was  man  ganz 
deutlich  schon  nn  erkennen  kann.   Die  Kiemenblätter 

scheinen  nun  >ben,    bei  dem  Sichemporrichten  des 


72  ^f'  A.  Dohru, 

Apparates  das  Wasser  vorwärts  zu  bewegen,  so  dass  es  von  hmten  io 
die  Cephalothoraxspalte  unter  das  Schild  eintritt;  bei  dem  Niedergang 
der  Kieme  legen  sich  die  schräg  gestellten  Blätter  dann  mit  d^i  breiten 
Flachen  dicht  an  einander ,  so  dass  sie  dem  Wasser  keinen  Widerstand 
bieten  und  den  von  hinten  nach  vorn  gebenden  Strom  nicht  uoter- 
brechen. 

Diesen  Bewegungen  des  hinteren  grösseren  Stfkckes  des  ganzen 
Organes  und  seiner  einzelnen  Blätter,  —  die  ich  nun  einmal  nicbl 
besser  bezeidinen  kann ,  als  durd^  den  Namen  der  Kiemenbläiter,  — 
entspricht  vom  an  dem  äossersten  Ende  des  langen  Schnabel»,    — 
wenn  ich  das  Bild  eines  Kahnes  oder  Schiffes  beibeiialte,  —  das  Auf- 
und  Zuklappen  eines  kleinen  gerundeten  GhitinstOck- 
chens  (Taf.  III.  Fig.  4  5],  das  gerade  unter  der  vordersten  Spitze  der 
seitlichen  Verlängerungen  oder  Vorragungen  des  Cephalothoraxschildes 
gelegen  ist.    Um  es  zum  Zweck  des  vollständigen  Yerschltessens  der 
Ausgangsöffnung  noch  besser  auszurüsten ,  bat  sidi  von  dem  inneren 
Rande  des  lanzettförmigen  Stückchens  eine  —  anscheinend  —  strac- 
turlose  Membran  gebildet ,  welche  die  Wölbung  jenes  Stückchens  fort- 
setzt und  zu  gleicher  Zeit  nach  vom  vorragt.   Etwas  verdickte  Ränder 
und  oben  und  unten  je  ein  verdickter,  das  Licht  stark  brechender,  wie 
ein  spitzer  Dorn  aussehender  Pfeiler  in  dieser  Membran  geben  der- 
selben mehr  Halt,    so  dass  sie  sich  vollkommen  aasstreckt  und  die 
Rinne  des  Kiemenschnabels  fortsetzt,  wenn  die  Bewegung  des  hinleren 
Theils  das  Wasser  nach  vorn  hinaustreibt,  —  sidi  aber  in  dichte  Falten 
zusammenschlägt  und  vollständig  unter  die  Spitzen  des  Cepbalothorax- 
Schildes  zurückkehrt,  wenn  der  hintere  Theil  wieder  niedergeht  und 
in  Folge  dessen  das  kleine  lanzettförmige  Stückchen  vorn  am  Kiemen- 
schnabel sich  eng  vor  die  Ausgangsöffnung  legt  «und  einen  festen  und 
dichten  Verschluss  derselben  bildet. 

In  diesem  kleinen  Yerschlussstückchen  erkennen  wir  einen  alten 
Bekannten,  —  den  bereits  erwähnten  kleinen  Anhang  des  Gephalo- 
thorax  im  zweiten  Stadium  des  Embryo. 

Ausser  dem  bisher  beschriebenen ,  complicirten  Apparat  birgt  die 
Höhle  unter  dem  Gephalothoraxschilde  aber  noch  einen  beweglichen 
Anhang  des  zweiten  Maxillenpaares  (Taf.  III.  Fig.  7  o). 
Wenn  wir  uns  an  die  Entwickelung  dieses  Extremitätenpaares  erin- 
nern und  seine  erste  Anlage  mit  der  ausgebildeten  Gestalt  in  dem 
erwachsenen  Thiere  vergleichen,  muss  es  uns  auffallen,  dass,  während 
dort  drei  abgerundete  Kuppeln  existiren,  hier  nur  zwei  mit  Zähnen 
bewafihete  Platten  an  dem  Geschäft  des  Kauens  sich  betheiligen.  In 
der  That  hat  mich  die  Schwierigkeit ,  die  richtige  Lösung  hierfür  zu 


HiitersucboDgeD  Aber  Ban  uud  Entwickeloog  der  ArthrO|Mkleu.  73 

Gnden,  lange  Zeit  von  dem  Versiändniss  der  Extremitäten  und  ihrer 
lilniwickelung  zurückgehalten.   Da  bemerkte  ich  aber  in  dem  dritten 
Stadinm  des  Embryo  an  der  unteren  Kuppel  des  in  Rede  stehenden 
MaxiUenpaares  das  Auswachsen  zweier  haarartiger  Fortsätze  zugleich 
mit  einer  grosseren  Schmächtigkeit  des  sie  tragenden  Astes  der  Extre- 
Diitüt ,  —  und  ich  wusste  nun ,   wie  die  Schwierigkeit  zu  lösen  war. 
In  derThat  befindet  sich  ein  langer,  schmaler  Anhang  als  Verlängerung, 
wie  ich  anfimgüch  annahm ,  des  oberen  Astes  der  zweiten  Maxille  an 
der  Wurzd  dieser  Extremität.    An  seiner  Spitze  trägt  dieser  Anhang 
ein  Iflngei'es  und  ein  ktlrzeres  Haar,   die  beide  mit  kleineren  Härchen 
besetzt  sind.    Merkwürdigerweise  sind  diese  kleineren  Härchen  auf 
der  basalen  Etttfte  der  beiden  Haare  nach  unten ,  auf  der  andern  Hälfte 
nach  oben  gerichtet.   Dieser  Anhang  ist  nun  jener  dritte  Ast  des 
Eodyryo,   aus  dem  die  beiden  haarartigen  Fortsätze  auswachsen;   er 
ist  somit  nicht  eine  Verlängerung  des  oberen  Astes ,  wie  ich  anfänglich 
glaubte,    sondern  den  beiden  andern  Aesten  morphologisch  gleich- 
werthig  und  wie  sie  frei  an  dem  gemeinschaftlichen  Basalstück  durch 
einen   eigenen  Muskel  beweglich.   Die  Function   dieses  Anhangs  ist 
aber,  wie  mir  scheint,  die  Reinigung ,  und  wenn  ich  so  sagen  darf,  die 
Oberaufsicht  über  den  complicirten  grossen  Kiemenapparat ,  denn  ich 
sah  ihn  niemals  in  rhythmischer  Bewegung  wie  diesen,  sondern  nur 
bin  und   wieder  damit  beschäftigt,    mittelst  der  beiden   Haare  die 
Kiemenplatten  förmlich  zu  fegen  und  sie,  sobald  sie  in  Unordnung  ge- 
riethen,   was  oft  vorkommt,   wieder  in  die  richtige  Lage  zu  bringen. 
Er  war  fast  immer  in  Thätigkeit,  wenn  der  grosse  Apparat  ruhte ;  man 
konnte  deutlich  erkennen ,   wie  der  dünne  Anhang  sich  dann  in  der 
Mitte  völlig  zurückbog,   wie  ein  Fischbein,   und  mittelst  der  beiden 
Haare  die  Kiemenblätter  reinigte ,   bei  welchem  Geschäft  sicherlich  die 
zwiefache  Richtung  der  kleinen   Härchen   von  Nutzen  und  Bedeu- 
tung ist. 

Wie  dieser  Apparat  zur  Bewegung  und  Erneuerung  des  Wassers 
nun  zu  einer  hohen  Stufe  der  Vollkommenheit  gelangt  ist,  so  entspricht 
ihm  nicht  minder  die  Einrichtung,  welche  bestimmt  ist,  das  Blut  in 
Contact  mit  dem  so  immer  erneuerten  Wasser  zu  bringen.  Das  Ver- 
ständniss  des  Blutlaufs  ward  mir  erst  möglich,  als  ich  es  an  einem 
trächtigen  Weibchen  versuchte,  durch  die  stark  ausgedehnten  KOrper- 
wandungen  bindurchzusehen. 

Au9  dem  Herzen  geht  jederseits  eine  breite  Arterie  rechtwinkelig 
nach  den  Seiten  des  Körpers  ab  (Taf .  II.  Fig.  7) .  Nach  kurzem  Lauf 
giebt  dieser  Stamm  einen  nach  *en   grossen  Ast  ab, 

dessen  Lauf  ich  nicht  weiter  a^  ^chsten  beiden  Seg- 


74  t^r»  A.  Dobrn, 

niente  verfolgte.  Dann  geht  der  Stamm  in  gerader  Richtung  weiter 
nach  der  Bauchseite  zu.  Hier,  oberhalb  der  Insertion  derOliedmaassen 
tbeilt  er  sich  von  Neuem ,  —  der  eine  Ast  geht  nach  unten  und  hinten, 

—  der  andere  grössere  nach  vorn  an  den  Rand  des  Gephalothorax^ 
Schildes.  Dicht  vor  diesem  Rande  erfolgt  wieder  eine  Rifurcation  dieses 
grösseren  Astes.  Der  obere  Ast  setzt  den  Lauf  des  Stammes  fort,  der 
untere  grössere  geht  nach  unten ,  folgt  der  Krümmung  des  Cephalo- 
thoraxschildes  und  spaltet  sich  in  eine  Anzahl  grösserer  und  kleinerer 
Zweige,  welche  sich  durch  den  Cephalothoraischild  in  Anastomosen 
und  vielfach  geschiängeltem  Lauf  hindurchwinden  und,  —  darin  öffnen. 
Dasselbe  thut  der  obere  Ast  in  noch  reicherem  Maasse.  Ich  konnte 
sogar  deutlich  schmale  Gefässe  erkennen ,  welche  von  fbm  aus  bis  auf 
die  Rttckenhöhe  sich  zogen  und  dort  den  Blulstrom  frei  in  die  Hohl- 
räume des  Cephalothoraxschildes  ergossen. 

Aus  dem  Herzen  geht  nach  vorn  zu  die  Aorta  ab.  Sie  theilt  sich 
über  dem  Magen  und  bildet  mehrere  Ringe  um  einzelne  Theile  des 
Gehirns ,  sendet  Ströme ,  —  ob  wandungslos ,  konnte  ich  nicht  genau 
feststellen ,  —  in  die  Antennen ,  und  mündet  mit  ihrem  grossen  Blut- 
strom von  der  anderen  Seite  und  durch  eine  gleiche  Zahl  enger  Blut- 
räume ,  —  deren  Wandungen  ich  nicht  erkennen  konnte ,  und  somit 
auch  nicht  behaupten  kann,  dass  überhaupt  welche  vorhanden  waren, 

—  in  das  Gephalothoraxschild. 

Dies  bildet  sonach  den  Sammelpunct  des  sauerstofflosen  Blutes. 
Seine  Structur  befähigt  es  aber  in  ganz  vorzüglicher  Weise,  für  die 
Erneuerung  des  Sauerstoffs  zu  sorgen.  Zwei  dünne  Wände ,  verbun- 
den durch  zahlreiche  Querbaiken ,  —  die  erhärteten  Fortsätze  ausge- 
wachsener Zellen ,  —  und  ein  grosser,  breiter  Ganal  am  Aussenrande, 
der  oben  an  der  Einfügung  des  ganzen  Sdiildes  mit  runder  Oeffnung 
direct  in  den  Pericardialsinus  mündet,  —  beweisen  uns,  dass  die 
cellulare  Structur  der  Kiemen  bei  den  Crustaceen  überall  dieselbe  ist 
und  dass  nur  Ort  und  Befestigung  derselben  wandelbar  sind. 

Und  so  sehen  wir  das  Blut  durch  einen  reichen  GefUssapparat 
vom  Herzen  durch  den  Körper  in  die  gegitterten  Schilde  befördert. 
Schon  in  den  letzten  engen ,  an  die  Gapillaren  der  Vertebraten  erin- 
nernden Gefässe  wird  der  Lauf  des  Blutes  verlangsamt,  noch  mehr 
aber  durch  die  gegitterte  Structur  der  Kieme;  dadurch  werden  die 
Blutkörperchen  befähigt,  den  Gasaustausch  zu  vollenden.  Das  Pump- 
werk des  Herzens  steht  aber  nicht  still;  rastlos  saugt  es  dieselbe 
Flüssigkeit  wieder  ein,  die  es  vor  wenigen  Augenblicken  erst  ausstiess 
und  so  bringt  es  einen  neuen  Strom  hervor,  welcher  die  absterbende 
Bewegung  des  Blutes  wieder  belebt  und  die  Blutkörperchen  alle  in  deu 


Uulersocltuiigeu  ßber  Bau  und  Eiitwieloilaiig  der  Arthropoden.  75 

grossen  Randcanal  des  Gephalothorauefaildes  lockt;  dann  fassl  sie  der 
nun  ohne  Hmdernisse  fliessende  Sirom  und  führt  sie,  neu  gestärkt  zu 
der  immer  gleidien  und  immer  weohselnden  Thfttigkeit  zurück.  — 

B^  den  Männchen  der  Cumaceen  finden  sich,   sobald  sie  aus- 
gewachsen sind,  sehr  häufig  gespaltene  Schwimmfüsse  an  jedem  Seg- 
ment.   Die  Gattung  Bodotria  wurde  auf  diesen  Charakter  gegründet. 
Die  B^iwiekelung  dieser  Extremitäten  erfolgt  erst,   wenn  das  Thier 
lange  Zeit  (vielleicht  Wochen  oder  Monate?)   aus  dem  Brutsack  der 
Mutter  ausgeschlüpft  ist  und  steht  möglicherweise  in  Zusammenhang 
uiit  der  Geschlechtsreife^    Ich  beobachtete  öfter  junge  Männchen  ton 
G  uma  Goodsiri ,  die  noch  keine  Spur  von  Anhängen. ausserhalb  der 
Segmentwandungen  erkennen  Hessen ,   wohl  aber  ganz  deutUch  ihre 
Anlage  innerhalb  derselben.   Die  Unterseite  der  Segmente  solcher  un- 
erwachsenen Männchen  war  dann  sehr  stark  gewölbt  und  liess  im 
Innern  bereits  die  Formation  des  neuen  Segments  erkennen,  das  nicht 
so  gewölbt,   im  Gegentheil  in  der  Mitte  concav  war.    Zwischen  dieser 
Concavität  des  inneren  neuen  Segments  und  dem  gewölbten  Theil  des 
alten  Hegen  dann  die  bereits  gespaltenen  Extremitäten  (siehe  Taf.  III. 
Fig.  17).    Bei  der  nächsten  Häutung  werden  diese  neu  angelegten 
Thelle  frei  und  man  erkennt  deutlich ,   da'ss  die  so  gewonnenen  Extre- 
mitäten der  Locomotion  dienen.   Sie  haben  aber  noch  nicht  die  volle 
Ausbildung  zu  diesem  Geschäft  erreicht,  denn  noch  ist  keine  Spur  von 
Schwinimhaaren  an  ihnen  zu  erkennen.   Bei  einer  der  nächsten  Häu- 
tungen, —  welche  ausserordentlich  oft  erfolgen,  —  ist  es  aber  schon 
mögHch,  die  Anlage  der  Schwimmhaare  unter  der  alten  Cuticula  zu 
entdecken.    Wird  diese  dann  abgestreift,  so  haben  wir  das  vollständig 
ausgebildete    Cumamännchen   vor  uns.     Die    Unbekanntschaft   mit 
diesem  Entwickelungsmodus  hat  manche  Zoologen  veranlasst,  die  mit 
Schwimmliaaren  versehenen  Cumamännchen  als  Bodotriamännchen 
anzusehen  und  den  vorhergehenden  Entwickelungszusland ,  der  diese 
Theile  noch  entbehrte,  als  die  Bodotria  weibchen  zu  betrachten  und 
hat  sie  dadurch  gehindert,    die  wahren  Beziehungen  von  Bodotria 
und  C uma  zu  erkennen.   Bestärkt  wurden  sie  noch  in  diesem  Irrthum 
durch  die  grosse  Verschiedenheit  der  Antennenentwickelung  bei  Männ- 
chen und  Weibchen^  von  Cuma.    Wahrend  letztere  nur  ein  ganz  rudi- 
mentäres unteres  Antennenpaar  erkennen  lassen ,   das  bei  oberfläch- 
licher Untersuchung  überhaupt  kaum  wahrzunehmen  ist,   entwickelt 
sich  dieselbe   Extremität   bei  den  Männchen    zu    ausserordentlicher 
Lunge,  die  manchmal  (z.  B.  Cuma  anomala  mihi  i.  1.),  sogar  die 
Llnge  des  Körpers  übertrifilt.     Da   aber  diese  Entwickelung  ebenso 
stufenweise  erfolgt ,  wie  die  Entwickelung  der  Extremitäten  des  Post- 


76  Dr.  A.  Dobm, 

abdomen ,  so  hielt  man  das  Stadium ,  welches  den  schwiminhaarlosrr 
Gliedmaassen  des  Postabdomen  entspricht,  ebenfalls  für  die  ^^eiblicb 
Ausbildung  der  Antennen,  in  diesem  Stadium  sind  die  Antenn'>£ 
kürzer  und  breiter  als  später,  und  die  charakteristische  Behaarung: 
wahrscheinlich  im  Zusammenhang  mit  nervösen  Bildungen ,  —  febu 
gänzlich  und  wird  erst  im  letzten  Stadium  entwickelt. 

Sämmtliche  Gumaceen  leben  auf  dem  Gmnde  des  Meeres,  d» 
meisten  nahe  am  Strande ,  eine  nicht  unbedeutende  Zahl  aber  auch  \t 
grösseren  Tiefen.  Am  Tage  liegen  sie  bewegungslos  wenige  Linier 
tief  im  Sande  oder  im  Slick  (holsteinischer  Ausdruck  fttr  ein  Compi^ 
situm  aus  Morast ,  Seepflanzen ,  Muschelschalen  und  kleinen  Sleinen. 
—  der  englische  Ausdruck  ist  Mudd).  Höchst  auffallend  ist  die  merk- 
würdige Abgrenzung  der  einzelnen  Arten  in  ihren  Aufenthaltsorten. 
Mr.  Robertson  beobachtete  das  folgende  Factum  bereits  jahrelang ,  und 
ich  hatte  ausreichende  Gelegenheit ,  mich  von  der  völligen  Richtigkeit 
seiner  mir  erst  sehr  problematisch  erscheinenden  Angaben  zu  über- 
zeugen. 

An  dem  inneren  Strande  der  kleinen  Ramesbai,  welche  einen 
Halbkreis  aus  dem  südlichen  Theil  von  Great  Gambrae  berau^»- 
schneidet,  tritt  die  See  bei  der  Fluth  auf  ungeföhr  150  Schritt  Ent- 
fernung von  dem  Hause  meines  Freundes  hinauf  auf  den  sandigen 
Strand.  Bei  niedriger  Ebbe  legt  sie  dann  einen  Raum  von  vieliciciii 
200  Schritten  bloss,  —  gleichfalls  sehr  feinen  Sand,  auf  dem  nur  wenip 
grössere  Steine  sich  finden.  Die  ersten  100  Schritte  dieses  Räume» 
werden  bewohnt  von  Guma  Goodsiri,  die  binnen  einer  Viertel- 
stunde  zu  Dutzenden  gefangen  werden  können  ^) .  Dann  folgte  auf  der 
nächsten  Zone,  deren  Breite  gleichfalls  nicht  bedeutender  ist,  in  ebenso 
zahlreicher  Menge  Guma  anomala  mihi  i.  1.    Darauf  in  weiter  Aus- 


4)  Die  Fangmethode,  welche  Mr.  Robertson  anwendet,  ist  ebenso  einfach  wie 
sinnreich.  Er  nimmt  eine  gewöhnliche  weisse  Untertasse ,  sucht  hinter  einem  der 
Steine  oder  mitten  auf  dem  freien  Sande  irgend  eine  kleine  Vertiefung ,  in  der  nocii 
etwas  Seewasser  stehen  geblieben  ist,  und  schöpft  mittelst  der  Untertasse  eine 
geringe  Quantität,  —  etwa  so  viel,  um  die  Hälfte  der  Untertasse  damit  zu  bedecken 
—  des  oberflächlichen  Sandes  zugleich  mit  etwas  Wasser  in  die  Tasse.  Dadurth 
werden  die  im  Sande  befindlichen  Cuma's  (auch  eine  Anzahl  seltener  Ampbi- 
poden)  aus  ihrer  Ruhe  aufgestört  und  schwimmen  in  der  geringen  Quantität  des 
Wassers  auf  der  Tasse  herum.  Mit  einem  Pinsel  kann  man  sie  dann  leicht  nuf- 
lischen  und  in  kleine  Fläschchen  bringen  ,  die  mit  Seewasser  gefüllt  sind.  Bringt 
man  die  Thierchen  dann  auf  einen  flachen  Teller,  dessen  Boden  2  Linien  hoch 
mit  Seesand  bedeckt  ist ,  so  kann  man  sie  bei  kühl  erhaltener  Temperatur  — 
vor  Allem  ausserhalb  des  Sonnenscheins,  —  leicht  8  —  40  Tage  lebendig  er- 
bdltcu. 


Uiitcrsnctiiingen  über  Bau  nnd  Eutwickelang  der  Arthropoden.  77 

>reitung  C  uma  Irispinosa  ^).  An  einer  ähnlichen  kleinen  sandigen 
)achi,  auf  der  kaum  eine  Yiertelmeile  entfernten  Insel  Liiile  Cum- 
>  ra  e  fanden  wir  nur  Guma  plicata  in  grosser  Zahl;  Mr.  Robbetson 
versichert  mich  indess ,  dass  sie  auch  an  anderen  Platzen  am  Strande 
von  Great  Cumbrae  und  an  der  gegenüber  liegenden  schottischen  Küste 
von  ihm  zahlreich  gefunden  sei,  niemals  aber  auch  nur  ein  einziges 
Exemplar  dieser  Art  in  der  Kamesbai.  An  den  Wurzeln  der  L a m i - 
naria  saccharina  fanden  wir  femer  zwei  Gumaarten,  Guma 
unguiculata  und  eine  neue  Art;  diese  sind  immer  mit  Schmutz  be- 
laden y  leben  mithin  im  »Hndd.«  Wir  fingen  sie  mittelst  des  Grund* 
netzes.  ßbenso  erhielt  ich  eine  reichliche  Zahl  von  Guma  Rathkei 
in  Kiel ,  die  im  «Siicka  vielleicht  45 — 20  Faden  tief  vorkommt. 

Guma  longipes  dagegen  habe  ich  nie  anders  als  Nachts  mittelst 
OberflSchenfischerei  mitten  auf  der  Kamesbai  und  ausserhalb  derselben 
{gefangen.  Sie  mag  vielleicht  am  Tage  in  Strichen  residiren ,  welche 
unsere  Grundnetze  nicht  durchfurcht  haben. 

Die  Thatsache  aber,   dass  Guma  Nachts,  —  wie  so  viele  andere 
Crustaceen,  —  äusserst  lebhaft  herumschwimmt,   erklärt  das  Vor- 
handensein der  zahlreichen  Schwimmanhange,  erklärt  ferner  auf  mög- 
licher Weise  die  bessere  Schwimmausrüstung  und  die  langen  Antennen 
der  Mannchen.   Das  Stillliegen  der  Weibchen  im  Sande  zwingt  offen- 
bar die  Mannchen,  sie  erst  auszuspüren,  —  mittelst  der  Antennen.   Je 
langer  und  nervenreicher  diese  sind,  —  falls  wir  mit  Recht  annehmen, 
dass  sie  einen  näheren  Bezug  zu  den  Surrogaten  derGeruohsorgane  bei 
den  Arthropoden  haben ,  —  desto  besser  werden  sie  ihren  Träger  zur 
erfolgreichen  Anwendung  befähigen ,  —  und  je  stärker  und  zahlreicher 
seine  Schwimmapparate  sind^  um  so  schneller  wird  er  das  gesuchte 
Weibeben  erreichen  können. 

Auf  der  anderen  Seite  erklärt  aber  das  Stillliegen  am  Tage,  wess- 
haib  bei  den  Weibchen ,  —  und  auch  bei  den  Männchen  jener  Arten, 
welche  Nachts  sich  nicht  herumtummeln,  —  die  Ausbildung  der 
Schwimmbeine  am  Postabdomen  unterblieben  ist«  Zwar  ist  die  Schizo- 


4)  Diese  grössere  Art  kommt  niemals ,  —  oder  nur  sehr  vereinzelt ,  —  in  den 
Strichen  vor,  weiche  bei  der  Ebbe  blossgelegt  werden.  Zu  ihrem  Fange  benutzt 
Mr.  RoftüTSOir  einen  leinenen  Sack ,  —  einen  etwas  derber  construirten  Schmetter- 
Imgssack,  -«•  der  mittelst  eines  sehr  langen  Stieles  von  ihm  zur  Abschöpfung  eines 
Theiles  des  feinen  aber  unter  Wasser  befindlichen  oberflächlichen  Sandes  benutzt 
wird.  Es  geschieht  das  natürlich  im  Boot.  Der  in  den  Sack  gleitende  Sand  wird 
dann  in  ein  feinmaschiges  Sieb  gethan  und  so  lange  im  Wasser  geschüttelt ,  bis  alle 
Sandkörner  ans  dem  Siebe  heraosgeglitten  sind.  Dann  werden  wieder  mittelst 
eines  Pinsels  die  zurückgebliebenen  Cuma  ^  Q  aufgelesen  und  wie  die  übrigen 
behandelt. 


7S  Or*  A.  DAtirnt 

podennatur  der  Familie  durch  die  Anlage  der  Gliedmaassen  ain  M iUei- 
leibe  hinreicbend  deutlich  in  den  ersten  Embryonaistadien  aosgebilde 
und  dadurch  ihre  Yetterschaft  mit  M  y  s  i  s  klar  ausgedrückt ;  doch  abf ' 
leigt  die  Respirationsweise  und  ein  sonderbares  Factum ,  das  sich  au* 
die  Bruttasche  und  ihren  Inhalt  bezieht,  wie  schon  in  sehr  frttfaer  It 
Guma  und  ihre  Vorfahren  den  behaglichen  und  sichern  Aufenthalt  in 
Sande  dem  immer  mühsamen  und  gar  so  gefährlichen  Uniher- 
schwimmen  vorzogen.  Beobachtet  man  nämlich  ein  trächtiges  Weib- 
chen unter  schwacher  Vergrösserung ,  so  fällt  es  augenblicklich  auf  i 
dass  die  Eier  in  ihrer  Bruttasche  in  beständiger,  unregelmässig  rotirec- 
der  Bewegung  sind.  Es  ist  jedem  Embryologen ,  der  sich  mit  Crusta- 
ceenembryologie  beschäftigt  hat,  bekannt,  wie  fast  älk»  Bier ,  die  am 
der  Bruttasche  genommen  sind,  oder  von  den  Hinterleibsanhanger 
der  Krabben  entfernt  wurden ,  sehr  schnell  verderben ,  weil  ihnen  der 
Strom  frischen  Wassers  fehlt,  der  sie  in  ihrer  normalen  Situation  ic 
Folge  der  Bewegung  des  Mutterthieres  mit  frischem ,  w*echselnden; 
Wasser  bespült  ^) .  Nun  ruht  aber  der  Körper  des  Thieres  im  Sande. 
wo  wohl  nur  geringe  Veränderung  des  Wassers  eintreten  würde,  wenr 
nicht  durch  die  Bewegung  des  Strudelapparates  das  Wasser  unter  den 
Gephalothoraxschilde  fortwährend  erneuert  würde.  Ob  nun  die  Be- 
wegungen dieses  Apparates  die  Botation  der  Eier  hervorbringt,  oder 
ob  es  auf  andere  Weise  geschieht,  vermag  ich  gegenwärtig  nicht  fest- 
zustellen ;  ich  möchte  es  aber  fast  bezweifeln ,  da  ich  glaube ,  dass  die 
Bruttasche  mit  einer  fettigen  Flüssigkeit  erfüllt  ist,  die  bei  ihrer  Ver- 
letzung ausströmt  und  sich  nicht  mit  dem  Wasser  vermischt.  Vielleicht 
werden  die  Eier  durch  die  Botation  irgend  einer  Stelle  der  Bruttaschc 
genähert,  die  besonders  geeignet  zur  Bespiration  ist,  —  möglicher- 
weise steht  auch  die  Botation  ganz  still,  wenn  das  Thierchen  schwimmt. 
—  ähnlich  wie  bei  Mysis  die  beiden  Klappen  der  Bruttasche  sich 
rhythmisch  auf-  und  abbewegen,  wenn  sie  ruht,  dagegen  stille  stehen^ 
wenn  sie  ihr  pfeilschnelles  Schwimmen  ausübt.  Jedenfalls  habe  ich 
bei  keinem  Isopoden  oder  Amphipoden  eine  ähnliche  Bewegunc; 
wahrgenommen ,  —  obschon  sie  doch  zahlreich  genug  im  Sande  leben 
und  auch  nicht  alle  sehr  muntere  Schwimmer  sind.  ^) 

In  Bezug  auf  die  Generationsorgaae  der  Gumaceen  habe 
ich  folgende  Beobachtungen  gemacht.  Sowohl  Hoden  als  Ovarien  liegen 
in  dem  8.  und  9.  Segment,    in  letzterem  münden  sie  beide  an  der 

4)  Merkwürdigerweise  entwickeln  sich  die  Eier  des  Asellus  aquaticus  so- 
gar auf  dem  ObjecUräger  ungestört  weiter,  sobald  sie  von  einem  Tropfen  Wasser 
umgeben  sind. 

i)  An  Neba  I ia  beobachtete  ich  eine  ähnliche  Rotation  der  Eier. 


niitorsnchnngcn  flbf r  ßaii  nud  Hiitwickeluiig  der  Arlbro|iodpn.  79 

Unterseite  des  Segments ,  erstere  in  kleine,  chitinOse  sackartige  Penis, 
letitere  frei  in  die  Brattascbe.  Beidier  Gestalt  und  histologische  Structnr 
ist  einfach  nnd  durchaas  nicht  abweichend  von  der  der  Edrioph- 
tbalmen.  Die  Ovarien  sind  einfache  Sacke,  deren  feine  Wandungen 
innen  von  grossen  Epithelzellen  ausgekleidet  sind ,  die ,  —  soviel  ich 
zu  sehen  vermag,  —  sich  aiimnhlicb  in  die  Eier  umwandeln.  Das  Ab- 
legen der  Eier  geht  anscheinend  sehr  langsam  vor  sich ;  ich  beobachtete 
ein  Weibchen  von  Guroa  Goodsiri  wahrend  dieses  Processes  und 
fand ,  dass  fast  20—30  Minuten  vergehen ,  ehe  ein  Ei  glücklich  in  die 
Bruttasche  gelangt.  Das  kleine  Geschöpf  liegt  dabei  ganz  still.  Ich 
nahm  die  Eier  sofort  aus  der  Bruttasche  und  untersuchte  sie  auf  das 
Keimbläschen,  fand  aber  keines.  Merkwürdig  ist  es,  dass  ich  unter 
sümrotUehen  20 — 30  Embryonen,  die  gewöhnlich  in  der  Brutlasche  zu 
ßnden  sind,  fast  regelmassig  2  oder  3  antraf,  die  den  Uebrigen  in  der 
Entwickelung  ^eit  voraus  waren.  Ob  sie  eher  aus  den  Ovarien  ent- 
l«issen  wurden,  oder  in  günstigere  Emahrungs-  und  Wärmebedingun- 
gen geriethen,  vermag  ich  natürlich  nicht  zu  entscheiden. 

Die  Hoden  sind  Säcke  mit  drei  bis  vier  kleineren  Aussackungen 
an  dem  oberen  Ende  (so  fand  ich  sie  wenigstens  bei  Cuma  trispi- 
nosa).  Sie  waren  von  oben  bis  unten  gefüllt  mit  Samenzellen  und 
Spermatozoon  in  verschiedenen  Entwickelungsstadien.  Die  reifen  Sper- 
matozoon bilden  einen  langen  dünnen  Faden. 

Mehrfach  hatte  ich  Gelegenheit  Cuma  nnomalain  Copula  anzu- 
treffen ,  und  ich  konnte  sogar  durch  das  Mikroskop  untersuchen ,  in 
welcher  Weise  das  Männchen  das  Weibchen  festhält.  Es  geschieht 
mitteist  der  beiden  grossen  Extremitäten  des  6.  und  7.  Segments.  Die 
Klauen  dieser  Gliedmaassen  heften  sich  fest  unter  die  Einbuchtungen 
des  Gephalothoraxschildes  der  Weibchen;  mit  den  übrigen  Extremitäten 
sucht  das  Männchen  das  Postabdomen  des  Weibchens  festzuhalten. 
Bei  alledem  ist  nicht  zu  begreifen,  wie  eine  Befruchtung  stattfinden 
kann,  wenn  das  Männchen  auf  dem  Rücken  des  Weibchens  sitzt;  die 
kleinen  Penis  sind  nicht  verlängerbar  und  würden  niemals  dieOvarial- 
Öffnung  erreichen,  wenn  nicht  das  Männchen  mit  seiner  Bauchseite  die 
Bauchseite  des  Weibchens  berühren  könnte.  In  der  That  habe  ich 
auch  einmal  gesehen ,  dass  ein  Männchen  sich  langsam  um  das  Weib- 
chen herum  schlich  und  endlich  Bauch  gegen  Bauch  lag.  Leider  war 
diese  Beobachtung  nicht  unter  dem  Mikroskop,  sondern  auf  einer 
weissen  Untertasse  gemacht,  so  dass  ich  nicht  bemerken  konnte,  ob 
etwa  Anstrengungen  folgten ,  die  Ovarialöffnung  mit  dem  Penis  zu  er- 
reichen ,  oder  ob  etwa  gar  eine  Ejaculation  erfolgte.  Ich  bin  durchaus 
abgeneigt,  an  eine  Ausstreuung  des  Samens  zu  glauben ,  der  sicherlich 


gQ  Dr.  A.  Dohrn« 

im  Wasser  nicht  seine  Bestimmung  erreichen  würde,  —  mir  scheint  €> 
ein  unumgängliches  Postulat  zu  sein,  dass  die  Einführung  oder  i^enis- 
stens  eine  grosse  Annäherung  der  PenisOffnung  an  die  Mündung  der 
Ovarien  stattfände. 

Ich  darf  noch  als  eine  möglicherweise  zur  Geschlechtsfunction  ge> 
hörende  Bildung  die  sonderbare  Gestaltung  der  Seitentheile  des  ffl. 
Segments  bei  den  Cumamännchen  betrachten.  Dieselben  sind  häutif 
an  ihrem  unteren  vorderen  Winkel  in  lange  Fortsätze  ausgezogen ,  dK 
Seiten  abgerundet,  abwechselnd  convex  und  concav.  Ich  habe  keiot 
Muthmaassung  über  die  Bedeutung  dieser  Gestaltung.  Bei  Cum^ 
an 0 mala  bemerkte  ich  nichts  der  Art;  die  Art  scheint  überhaupt  für 
Ausnahmen  gesorgt  zu  haben  und  verdient  den  ihr  von  mir  vorläufig 
gegebenen  Namen  durchaus.  — 


ErkUmng  der  Abbildungen. 

Tafel  n. 

4^7  Curoa  GoodsirL 
Fig.  1  und  2.   Frühes  Stadium.    Isopodengestalt.    Zahlen  und  Buchstaben  gelU^n 

überall  gleich.   I ,  H  und  HI  sind  erste  und  zweite  Antenne  und  Maqdibel. 

Sie  sind  braun  und  repräsentiren  als  Einheit  die  Naupliusgliedmaassen. 

IV  und  V  sind  die  beiden  Maxillen,    sie  sind  mennigroth.    VI  —  XU  die 

sieben  typischen  zweiästigen  Gliedmaassen  des  mittleren  Körperabschnittes. 

Sie  sind  g  rü  n  >  der  Schwimmast  ist  ca  rm  inro  th.   a  und  b  sind  Oberlippt^ 

und  Unterlippe.   Sie  sind  wie  die  Körpercon teuren  und  der  Darmcanal  blau. 

c  ist  das  rudimentäre  Rückenorgan,  gelb;  d  ist  .die  Leberanlage,  0  die  erste 

Andeutung  des  Zoönschildes ,  gleichfalls  gelb.    Der  Embryo  ist  zunächst 

von  einer  orangegelben  Linie  umschlossen,   welche  die  Larvenhant. 

dann  von  einer  dunkelrothen,  welche  das  Chorion  repräsentirt. 
Fig.  3.  Späteres  Stadium.   Bezeichnung  dieselbe.  Neu  sind  XIX,  die  gabelförmigen 

Anhänge  des  letzten  Postabdominalsegments,    f  der  kleine  Anhang  des 

Kiemenapparates.   Das  Chorion  ist  bereits  abgestreift. 

(NB.   Gliedmaasse  VI  ist  unrichtigerweise  ganz  grün  angegeben.   Es 
hätte  vielmehr  der  lange  äussere  Ast  roth  sein  müssen ,  da  er 
dem  Schwimmast  homolog  ist.) 
Fig.  4  und  5.  Spätere  Stadien,  in  denen  die  Lagerung  des  Embryo  sich  wesentlich 

dem  Decapodentypus  genähert  hat.   h  Herz,  t  Darmcanal.  k  Auge,  l  Drüse 

an  der  Basis  der  unteren  Antennen.    Die  Larvenhaut  ist  gesprengt,  das 

Rückenorgan  verschwunden. 
Fig.  6.  Zum  Verlassen  des  Brutsackes  reifer  Embryo,   g  bedeutet  die  Stelle,  wo 

der  grosse  Kiemenapparat  am  Körper  mittelst  eines  Stranges  befestigt  ist. 
Fig.  7.  Herz  und  Gefässe  einer  Cuma.  Q 


Uiitersaeliuiigeii  fiber  Bau  und  Eutwiekelong  der  Arthropoden.  81 


TaM  m. 

Fig.  1.  Cluina  (Bodotria)  longipes  (J. 
Flg.  %  bis  45.  Cuma  trispinosa  Q. 

9  erste ,  8  zweite  Antenne ,  4  Unterlippe ,  5  Mandtbel ,  6  und  7  erste 
and  zweite  Maxille ,  letztere  mit  dem  nach  hinten  gerichteten  und  als 
Kiemenfeger  wirl^endea  Aste  a.  fl  und  9  erste  und  zweite  Maxilli- 
peden ,  4  0  und  4  4  die  beiden  grossen  nach  vorn  gerichteten  und  in 
den  Dienst  des  Mundes  gezogenen  Gnathopoden.  42  und  48  die  bei- 
den nKchsten  Extremiftftten  mit  den  dazugehörigen  Segmenten.  44  der 
grosse  Kiemen-  oder  Strudelapparat.  45  Das  kleine,  bewegliche  Stück 
desselben  an  der  Spitze  des  langen  Canals.  b  harte  Wandung, 
a  fonenrand,  c  und  d  zusammenzuhaltende  Membranen. 

Fig.  46.  Die  unteren  Antennen  von  Cuma  Goodsiri  Q. 

Fig.  47.  Postabdominalsegment   von  Cuma    Goodsiri    ^,    mit   der    Anlage    der 
Schwimmbeine. 

a  Die  beiden  Aoste  der  Schwimmbeine,  c  die  alte  Guticula,  b  die  neue 
Hypodermis. 


Bd.  V.  !.  6 


Heber  die  HonoehlorcrotoHsfture  and  ihre  Salze« 

Von 

Dr.  Otto  Froelich. 


Das  bei  der  Einwirkung  von  Phosphorsupercblorid  (2  Mgt.]  auf 
Aethyidiacetsäure  (1  Mgt.)  entstehende  Product  liefert  —  in  kalt  se- 
haltenes  Wasser  gegossen  —  zwei  neue  chlorhaltige  Säuren ,  beide 
krystallisirt  und  unter  sich  isomer,  und  ausserdem  ein  Oel,  das  sich 
der  Hauptsache  nach  als  der  Aethyläther  jener  erweist.  Die  eine  de: 
SSiuren  besitzt  den  Schmelzpunkt  94<),  ist  in  Wasser  sehr  leicht  löslich 
und  destillitt  mit  Wasserdampfen  nur  schwer  über;  die  andere  schmil^i 
bei  59^,5,  ist  in  Wasser  nur  wenig  löslich  und  geht  mit  Wasserdämpfen 
sehr  leicht  über. 

Die  letztere  Säure,  welche  allein  bis  jetzt  einer  eingehenderen 
Untersuchung  unterworfen  worden  ist ,  hat  Herr  Professor  Gbother  mii 
dem  Namen  »Monochlorcrotonsäurea  belegt,  da  dieselbe  die  empirische 
Zusammensetzung  C^HHÜlO^  ^)  besitzt  und  mit  Natrium-Amalgam  he- 
handelt,  die  von  Schlippe  aus  CrotonOl  erhaltene  Crotonsäure  liefert. 

Durch  wiederholte  Destillation  mit  Wasser  wird  die  rohe  Mono- 
chlorcrotonsäure  von  anhängendem  Farbstoff  befreit  und  stellt  dann 
weisse,  sehr  leichte,  nadelfbrmige  Krystalle  dar.  Aus  cpncentrirter. 
wässeriger  Lösung  scheidet  sie  sich  in  farblosen ,  durchsichtigen ,  vier- 
seitigen Prismen  mit  schief  angesetzter  Endfläche  aus.  Vollständig  rein 
wird  sie  durch  Destillation  für  sich  erhalten ,  wobei  sie  nicht  im  Min- 
desten eine  Zersetzung  erleidet  und  geringe  Spuren  von  einem  harz- 
artigen Körper  hinterlässt. 

4)  G  a  42,  Oa  46. 


Ueber  die  Monoehlorcrotonsliore  niid  ihre  Salze.  S3 

I.  Analyse  der  mit  Wasserdanipfen  wiederholt  destillirlen  Saure. 

0,2140  Grm.  der  über  Schwefelsäure  getrockneten  Rrystaiie 
lieferten  bei  der  Verbrennung  mit  Kupferoxyd  0,3061  Grm. 
Kohlensäure,  entsp.  0,083482  Grm.  ==  39,0  Proc.  Kohlenstoff 
und  0,0864  Grm.  Wasser,  entspr.  0,0096  Grm.  =  4,5  Proc. 
Wasserstoff. 
Ferner  gaben  0,2028  Grm.  der  über  Schwefelsaure  getrockneten 
Säure  mit  Aetzkalk  verbrannt  und  in  salpelersaurer  Lösung  mit  Silber- 
nitrat gefällt  e,2426  Grm.  Chlorsilber,  entspr.  0,060016  Grm.  =  29,5 
Proc.  Chlor. 

II.  Analyse  der  durch  Destillation  für  sich  gereinigten  Säure. 

0,S7S4  Grm.  der  über  Schwefelsäure  getrockneten  Saure 
gaben  0,4010  Grm.  Kohlensäure,  entspr.  0,409364  Grm.  =r 
39,7  Proc.  Kohlenstoff  und  0,1072  Grm.  Wasser,  entspr. 
0,0H9i<  Grm.  =  4,3  Proc.  Wasserstoff. 

her.  gef. 


I 

II 

C<  — 48 

39,8 

39,0 

39,7 

H&—    5 

4,4 

4,5 

4,3 

Gl  =  35,5 

29,5 

29,5 

02=32 

26,6 



420,5  400,0 

Die  reine  Monochlorcrotonsäure  schmilzt  bei  59^5  zu  einer  farb-^ 
losen  Flüssigkeit,  die  bei  55<>, 5  wieder  krystallinisch  erstarrt.  Ve^t 
ihren  Schmelzpunkt  erhitzt,  sublimirt  sie  zum  Theil  und  geräth  ini 
Sieden  bei  194<),8  (corr.) ;  das  flüssige  Destillat  erstarrt  sehr  rasch  zti 
einer  weissen,  dichten  Masse  von  krystallinischer  Structur.  Sie  besitzt 
einen  schwachen,  etwas  stechenden  Geruch  und  sauren  Geschmack; 
der  anfangs  angenehm,  aber  schliesslich  kratzend  und  widerlich  ist; 
Fluchtig  ist'  sie  in  bedeutendem  Maasse :  in  verschlossenen  Gef^ssen 
aufbewahrt,  sublimirt  sie  schon  bei  Zimmertemperatur.  In  Wasser  ist 
sie  in  nicht  grosser  Menge  löslich:  bei  7^  lösen  79  Gewichtstheile» 
Wasser  4  Gew.  Säure.  Dagegen  von  Alkohol  und  Aether  wird  sie  sehr 
leicht  und  in  bedeutender  Quantität  aufgenommen. 

Sie  ist  eine  ziemlich  starke  Säure:  die  kohlensauren  Salze  zersetzt 
sie  sehr  rasch,  meist  schon  in  der  Kälte,  doch  ist  sie  schwächer  als 
Essigsäure,  wie  der  Umstand  beweist ,  dass  das  in  Wasser  sehr  schwer 
lösliche  Kupfersalz  der  Monochlorcrotonsäure  von  Essigsäure  leicht  ge- 
lost wird  und  dann  beim  Abdunsten  die  erstere  Säure  neben  Kupfer- 
iskrystallisirt.   Ihrer  Basicität  nach  ist  sie  unter  die  einbasische^ 

6* 


.g4  ^^*  OttoFroelicb, 

Säuren  zu  stellen ,  denn  sie  giebt  mit  derselben  Basis  im  AUgemeincn 
nur  ein  Salz.  Ein  saures  Natronsalz  konnte  wenigstens  nicht  erhalten 
werden,  da  die  zu  der  Auflösung  des  neutralen  Natronsalzes  gefugte, 
sich  dafür  berechnende  Menge  Säure  beim  allmählichen  Abdunsten  der 
Lösung  über  Schwefelsäure  allein  auskrystallisirte.  Dagegen  scheirit 
das  Ammoniak  den  unten  angeführten  analytischen  Resultaten  gemäss 
ein  saures,  also  richtiger  bezeichnet:  ein  sogenanntes  übersaures  Salz 
zu  bilden. 

Die  Salze  der  Monochlorcrotonsäure  sind  meist  beständig  und 
krystallisirbar  und  enthalten  alle  bis  auf  das  Silbersalz  Erystallwasser; 
sie  lösen  sich  fast  sämmtlich  in  Wasser,  grossentheils  auch  in  Alkohol 
Zu  ihrer  Darstellung  kann  ohne  Weiteres  die  mehrmals  mit  Wasser- 
dämpfen destillirte  Säure  angewendet  werden,  da  der  beigemen^tt' 
harzartige  Körper  sich  beim  Neutralisiren  mit  irgend  welchem  Carbonai 
abscheidet. 

Monochlorcrotonsaures  Kali,  C*H^C102,K  +  H2O. 

Wird  durch  Neutralisiren  der  Säure  mit  kohlensaurem  Kali  um! 
durch  allmähliches  Abdunsten  der  Lösung  über  Schwefelsäure  in 
kleinen  farblosen  Tafeln  und  Nadeln  erhalten ,  die  dem  rhombischen 
System  anzugehören  scheinen.  Die  Krystalle  sind  sehr  leicht  löslich 
und  werden  bei  längerem  Liegen  an  der  Luft  feucht ;  andererseits  ver- 
wittern sie  im  Exsiccator  über  Schwefelsäure  sehr  rasch. 

0,3363  Grm.  der  auf  Fliesspapier  an  der  Luft  getrockneten 
Krystalle  verloren  über  Schwefelsäure  0,034  6  Grm.  =  9,5  Proc.  unJ 
im  Luftbad  bei  4  00 — 4  OS^  im  Ganzen  0,0345  Grm.  s:  i  0,3  Proc.  Wasser. 
Die  getrocknete  Salzmasse  gab  0,4663  Grm.  Kaliumsulfat,  entspr. 
0,074759  Grm.  =  22,2  Proc.  Kalium. 

Die  Formel  verlangt  10,2  Proc.  Krystallwasser  und  22,2  Proc. 
Kalium.  Für  das  entwässerte  Salz  berechnet  sich  der  Kaliumgehalt  auf 
24,7  Proc.  [gef.  24,6  Proc.]. 

Monochlorcrotonsaures   Natron,   2[C*H*C102,Na]  -«- H^. 

Analog  dem  Kalisalz  dargestellt,  bildet  dasselbe  atlasglänzende, 
concentrisch  gruppirte,  oder  auch  federförmig  an  einander  gereihte 
Krystalle  von  weisser  Farbe,  ebenfalls  in  Wasser  und  Alkohol  sehr 
leicht  löslich ,  Über  Schwefelsäure  langsam  verwitternd. 

0,3772  Grm.  der  lufttrockenen  Krystalle  verloren  im  Luftbad 
bei  4  00— 1030  0,0253  Grm.  =6,7  Proc.  Wasser  und  lieferten 
0,1764  Grm.  Natriumsulfat,  entspr.  0,057441  Grm.s=15,{ 
Proc.  Natrium. 

Die  Formel  verlangt  45,2  Proc.  Natrium  und  6,0  Proc.  Krystall- 
wasser. 


Ueber  die  MoiioehtorcrotonsÜiire  und  ibre  Salze,  g5 

Monochlorcrotonsaures  Ammoniak,  C^H^CIO^ (H^N) -i- 
C4H4C102,H  -^H20. 

Die  Lösung  der  Säure  in  überschüssigem  Ammoniak  scheidet, 
tlber  Schwefelsäure  gestellt,  nach  und*nach  ein  Salz  in  weissen, 
krystaHinischen  Krusten  ab. 

0,3602  Grm.  des  lufttrockenen  Salzes  verloren  im  Exsiccator 
tlber  Schwofelsäure  0,0264  Grm.  =7,3  Proc.  Krystallwasser; 
die  Formel  verlangt  7, 4  Proe. 
Ferner  gaben  0,2970  Grm.  des  entwässerten  Salzes  bei  der  Ver- 
brennung 0,4093  Grm.  Kohlensäure,    entspr.  0,144627  Grm.  =:  37,6 
Proc.  Kohlenstoif  und  0,1395  Grm.  Wasser,   entspr.  0,0155  Grm.  =: 
5,2  Proc.  Wasserstoff. 


ber. 

gef. 

C»   —96 

37,2 

37,6 

H''  — 13 

5,0 

5,2 

CP  —7t 

27,6 

N     — 14 

5,4 

— 

0*  —64 

24,8 



258  100,0 

Monochlorcrotonsaurer  Baryt,  CWClO^jBa-f-H^O.  Wird 
erhalten  durch  genaues  Neutralisiren  mit  Barytwasser  oder  durch  Zer- 
setzen von  kohlensaurem  Baryt:  die  erste  Methode  liefert  bei  Anwen- 
dung der  nur  mit  Wasserdämpfen  destilltrten  Säure  gelb  gefärbte ;  die 
letztere  hingegen  farblose  und  durch  starken  Glanz  ausgezeichnete 
Krystalle.  Dieselben  stellen  meist  vierseitige  Prismen  mit  schief  ange- 
setzter Endfläche  dar,  erscheinen  aber  auch  mitunter  abgeplattet  in 
Tafelform,  in  Wasser  leicht  löslich.  Lassen  über  Schwefelsäure  ge- 
stellt, keine  Verwitterungsstellen  wahrnehmen. 

0,5823  Grm.  des  lufttrockenen  Salzes  verloren  bei  100 — 105® 
0,0534  Grm.  =9,2  Proc.  Wasser  und  gaben  0,3254  Grm. 
Baryumsulfat,  entspr.  0,19133  Grm.  =  32,9  Proc.  Baryum. 

Die  Formel  verlangt  8,8  Proc.  Krystallwasser  und  33,3  Proc. 
Baryum. 

Monochlorcrotonsaurer  Kalk,  2[Cm^ClO^,Ca]  +  SEK^. 
Stellt  mittelst  kohlensauren  Kalks  gewonnen  einfache  tetragonale, 
meist  hohle  Prismen  dar,  die  anfangs  farblos  und  durchsichtig  sind, 
aber  in  Folge  der  Verwitterung  sehr  rasch  matt  und  weiss  werden. 
In  Wasser  leicht  löslich.  Ueber  Schwefelsäure  gestellt,  verlieren  sie 
das  Krystallwasser  vollständig. 


gg  Dr.  Otto  Froelich, 

0,3250  Grm.  der  lufUrockfinen,  nur  an  einigen  wenigen  Stellen 
eben   erst  verwitterten  Krystalle   verloren    bei   400  — 104® 
0,0537  Grm.  =  46,6  Proc.  Wasser  [ber.  4  6,2  Proc.].   Ferner 
lieferten  0,2930  Grth.  des  entwässerten  Salzes  mit  Oxalsäure 
gefällt  und  vor  dem  Gebläsefeuer  geglüht  0,0581  Grm.  Kalk 
entspr.  0,0415  Grm.  =  14,2  Proc.  Calcium  [ber.  14,4  Proc.]. 
Monochlorcrotonsaure  Magnesia,  2[C*H^C102,Mg]  +  5H20. 
Krystallisirt,    dem  Kalksalz  analog  dargestellt,    in  farblosen,    durch- 
sichtigen ,  dünnen  Tafeln ,   die  dem  monoclinen  System  angehören,   bi 
Wasser  sehr  leicht  löslich.    Verwittert  allmählich  selbst  in  gut  ver- 
korkten Gefdssen ,  sehr  rasch  über  Schwefelsäure. 

0,3690  Grm.  der  lufttrockenen,  nur  an  einzelnen  Stellen  eben 

erst  verwitterten  Krystalle  verloren  bei  "100  — 105<>  0,0971 

Grm.  =26,3  Proc.  Wasser  [ber.  25,5  Proc.].    Der  hiertm 

gebliebene  Salzrückstand  löste  sich  bis  auf  eine  geringe  Spur 

schon  in  kaltem  Wasser  auf;    eine  etwa  vor  sich  gegangene 

Zersetzung  —  Verflüchtigung  von  Säure  —  kann  demnach 

nur  unbedeutend  gewesen  sein. 

Vom  Eisen  selbst  konnte  kein  wohl  charakterisirtcs  Salz  erhalten 

werden ,  dagegen  sehr  schön  krystallisirende  von  den  übrigen  Metallen 

der  Eisengruppe  mittelst  der  betr.  Carbonate. 

Monochlorcrotonsaures  Nickeloxydul,  (G^H^GlO^j^NiH- 
6H^0.  Krystallisirt  in  regelmässig  ausgebildeten  rhombischen  Tafein 
von  hellgrüner  Farbe ,  die  sich  in  Wasser  sehr  leicht  lösen  und  über 
Schwefelsäure  rasch  verwittern,  eine  weisslicb  grüne  Färbung  an- 
nehmend. 

0,3157  Grm.  der  lufttrockenen  Krystalle  verloren  bei  100  bis 
103«  0,0856  Grm.  =  27,1  Proc.  Wasser  [ber.  26,6  Proc.]. 
Monochlorcrotonsaures  Kobaltoxydul,  (C^H^CIO^)  ^Co + 
6H^.  Bildet  ebenfalls  einfache  rhombische  Tafeln ,  die  eine  pfirsich- 
blüthrothe  Farbe  und  starken  Glanz  besitzen.  Leicht  löslich  in  Wasser. 
Ueber  Schwefelsäure  verwittern  die  Krystalle  sehr  rasch ,  indem  ihre 
Farbe  in  Violett  und  Blau  übergeht. 

0,3677  Grm.  der  lufttrockenen  Krystalle  verloren  bei  100  bis 
104»  0,0989  Grm.  =  26,8  Proc.  Wasser  [ber.  26,6  Proc.]. 
Monochlorcrotonsaures  Manganoxydul,  (C^H^CIO^) *Mn+ 
2HK).  Scheidet  sich  aus  der  wässerigen  Lösung  in  farblosen ,  rhom- 
bischen Krystallen  aus ;  es  sind  meistens  dicke  Tafeln ,  die  namentlich 
auf  der  Basis  stark  glänzen.  In  Wasser  sehr  leicht  löslich.  Verwittert 
über  Schwefelsäure  sehr  langsam,  einen  schwach  röthlichen  Schein 
annehmend. 


Ueber  die  MouochlortrotoDgiure  und  ihre  Salze.  87 

0^3876  Grm.  der  lufttrockenen  Krystalle  verloren  bei  400  bis 

405»  0,0425*Grm.  =  10,9  Proc.  Wasser  [ber.  4<,0  Proo.]. 

Monochlorcrotonsaures   Zinkoxyd,  ^[(C^H^GlO^j^Zn] + 

bUm,    Stellt  farblose,  glänzende  rhombisAe  Krystalle  dar,  meist  in 

TafeUbrm.    In  Wasser  ziemlich  leicht  löslich.   Verwittert  nicht  an  der 

Luft ,  selbst  nicht  über  Schwefelsäure. 

0,428S  Grm.   des  über  Schwefelsäure  getrockneten   Salzes 
verloren  bei  100  — 4050  0,0550  Grm.  =  «2,8  Proc.  Wasser 
[ber.  12,9  Proc]  und  gaben  0,1010  Grm    Zinkoxyd,   entspr. 
0,081099  Grm.  =  19,0  Proc.  Zink  [ber.  18,7  Proc.]. 
Monochlorcrotonsaures    Thalliumoxydul.     Neutraiisirt 
man  die  mit  Wasser  übergossene  Säure  unter  Erwärmen  mit  kohlen- 
saurem Thalliumoxydul,  so  scheidet  sich  schon  während  des  Erkaltens 
cia  weisses,  fein  krystallinisches  Pulver  aus;  bei  weiterem  Abdunsten 
der  Lösung  schiessen  schliesslich  farblose,  langgestreckte  Tafeln  an, 
die  dem  monoclinen  System  angehören.   Ob  die  beiden  Formen  ver* 
schiedene  Zusammensetzung  haben,    ist  nicht  entschieden   worden; 
der  letzteren  kommt  gemäss  der  vorgenommenen  Wasserbestimmung 
die  Formel :  (C^H^ClO^jaTh  +  H^O  zu. 

0,1952  Grm.   der  lufttrockenen  Krystalle  verloren  nicht  an 

Gewicht  über  Schwefelsäure,  dagegen  im  Luftbad  bei  104<^ 

0,0049  Grm.  =  2,5  Proc.  Wasser  [ber.  2,7  Proc.]. 

Monochlorcrotonsaures  Bleioxyd,   (CWC103)2pb-H4H20. 

Durch  längeres  Digeriren  von  Bleiweiss  mit  den  Säurekrystallen  in 

Wasser  erhalten,  stellt  dasselbe  weisse,  seidenglänzende ,  concentrisch 

gruppirte  Nadeln  dar ,   die  ziemlich  schwer  in  Wasser  sich  lösen  und 

über  Schwefelsäure  allmählich  verwittern. 

0,3212  Grm.  der  lufttrockenen  Krystalle  verloren  bei  100  bis 

1030  0,0407  Grm.  =  12,7  Proc.  Wasser  [ber.  13,9  Proc.]  und 

lieferten  0,1876  Grm.  Bleisulfat,  entspr.  0,128162  Grm.  =^ 

39,9  Proc.  Blei  [ber.  40,0  Proc] 

Monochlorcrotonsaures  Kupferoxyd.    Erwärmt  man  frisch 

gefülltes  kohlensaures  Kupferoxyd  mit  den  Säurekrystallen  in  Wasser, 

so  nimmt  dieses  nur  eine  ganz  schwachbläuliche  Färbung  an,  dagegen 

bildet  sich  ein  sehr  schwer  lösliches,  krystallinisches  Kupfersalz.    Aus 

der  kochend  heiss  filtrirten  Lösung  scheiden  sich  beim  allmählichen 

Abdunsten  über  Schwefelsäure   zweierlei  Arten  von  Krystallen  aus: 

rhombische  Prismen  von  blauer  Farbe  und  tetragonale  Gombinationen 

von  Prisma  und  Pyramide,  dunkelgrün  gefttrbt.   Die  erstere  Art  nimmt 

im  Luftbad  schon  bei  SO^  die  grüne  Farbe  der  anderen  an;  umgekehrt 

wird  letztere,   mit  Wasser  erwärmt,   allmählich  blau:    beide  unter- 


gS  I^.  Otto  Froelich, 

scheiden  sich  demnach  wahrscheinlich  nur  durch  einen  verschiedenen 
Gehalt  an  Krystallwasser.  Die  Entstehung  der  rerschiedenen  Formen 
hängt  —  soweit  die  Untersuchungen  reichen  —  von  der  Temperatur 
allein  ab:  bei  der  einen  Darstellung  im  Frühjahr  krystallisirten  beide 
zusammen ,  bei  der  zweiten  im  Sommer  nur  die  grüne  aus  unter 
gleichen  Bedingungen  bereiteten  Lösungen.  Ueber  Schwefelsäure  ver- 
wittern sie  allmählich. 

0,3035  Grm.  der  lufttrockenen  grünen  Kryslalle  verloren 
bei  100  —  1020  0,0235  Grm.  =  7,7  Proc.  Wasser  und  gaben 
0,0740  Grm.  Kupferoxyd,  entspr.  0,0590S8  Grm.  =  10,5  Proc. 
Kupfer.    Ihnen  kommt  demnach  die  Formel : 

2[(C4H4C102)2Cu]  +  3H20, 
zu,   welche  8,2  Proc.  Krystallwasser  und  19,2  Proe.  Kupfer 
verlangt. 
Beim  Versetzen  einer  Lösung  von  monochlorcrotonsaurem  Natron 
mit  neutraler  Lösung   von   Kupfersulfat  oder  Kupferacetat  entstehen 
krystallinische  Niederschläge,   die,   ausgewaschen  und  getrocknet,  im 
ersteren  Falle  ein  blaugrünes ,   im  letzteren  ein  hellblaues  Pulver  dar- 
stellen.   Ueber  Schwefelsäure  verwittern  beide  Salze,  indem  ihre  Farbe 
immer  lichter  wird;  im  Luftbad  bis  100<*  erwärmt,    nehmen  sie  die 
Farbe  des  Seh weinfurter  Grün  an.    Auf  dem  Platinblech  erhitzt,   zer- 
setzen sie  sich  unter  schwacher  Explosion  und  Ausstossung  eines  sauren 
und  stechend  riechenden  Dampfes.    Im  Röhrchen  schwach  erwärmt, 
geben  sie  Wasser  und  ziemlich  viel  unzersetzte  Säure  ab. 

Die  Quecksilbersalze  derMonochlorcrotonsäure  schei- 
nen ebenfalls  wohl  charakterisirte  Verbindungen  zu  sein.  Die  Säure 
löst  gefälltes  Quecksilberoxyd  allmählich  auf  unter  gleichzeitiger  Ab- 
scheidung eines  weissen,  feinen  Kryslallpulvers ,  das  nur  in  vielem 
heissen  Wasser  löslich  ist.  Beim  Versetzen  einer  neutralen  Lösung  von 
unserem  Natronsalz  mit  einer  solchen  von  salpetersaurem  Quecksilber- 
oxydul föllt  sofort  ein  ebenfalls  fein  krystallinischer  Niederschlag  von 
weisser  Farbe ,  in  heissem  Wasser  nur  wenig  löslich. 

Mono  chlorcro  tonsa  ures  Silberoxyd,  (G^H^CIO^)  2Ag, 
Durch  Fällung  des  Natronsalzes  mit  Silbernitrat  gewonnen ,  stellt  das- 
selbe einen  weissen,  krystallinischen  Niederschlag  dar,  der  in  kaltem 
Wasser  fast  unlöslich  ist.  Beim  allmählichen  Abdunsten  einer  heiss- 
gesättigten  Lösung  setzen  sich  atlasglänzende,  am  Lichte  sich  rasch 
schwärzende  Blättchen ,  meist  federförmig  an  einander  gereiht ,  an  den 
Gefässwandungen  ab.  Das  lufttrockene  Silbersalz  verliert  weder  über 
Schwefelsäure  noch  bei  einer  Temperatur  von  100  — 105*  an  Gewicht; 
es  enthält  demnach  kein  Krystallwasser. 


.  T 


Uebcr  die  Monoeblorerotonsäiire  ntid  ihre  Salze.  89 

Monochlorcrolonsäure-Aelhyläther,  C^H*C10^(C2H*). 
Wird  dargestellt,  indem  man  die  Säurekrystalle  mU  etwa  der  doppelten 
Menge  absolutem  Alkohol ,  der  mit  Salzsäüi  ogas  gesattigt  worden  ist, 
Ubergiesst  und  das  Gemisch  gut  verschlossen  mehrere  Tage  bei  gelin- 
der Wärme  digcrirl.  Nach  mehrmaligem  SchUlteln  löst  sich  die  Säure 
auf  und  es  bildet  sich  eine  homogene  Flüssigkeit,  aus  der  sich  auf 
Zusatz  von  Wasser  ein  ziemlich  schwerflüssiges,  zu  Boden  sinkendes 
Gel  ausscheidet.  Mit  einer  verdünnten  Lösung  von  kohlensaurem 
Natron  gewaschen  und  schliesslich  mit  Chlorcalcium  entwässert, 
destiliirt  dasselbe  fast  vollständig  zwischen  4  58  und  159^  über. 

Von  der  Fraction,   158—1590.  gaben  0,2175  Grm.  bei  der 

Verbrennung  0,3875  Grm.  Kohlensäure,  entspr.  0,1 05656  Grm. 

=  48,6  Proc.  Kohlenstoff  und  0,1198  Grm   Wasser,  entspr. 

0,013311  Grm.  ==  6,1  Proc.  Wasserstoff. 
Ferner  lieferten  0,1558  Grm.  nach  der  Verbrennung  mit 

Aetzkalk  0,1561  Grm.  Chlorsilber,  entspr.  0,03859  Grm.  = 

24,7  Proc.  Chlor. 


ber. 

gef. 

C»  =  72 

48,5 

48,6 

H9=r     9 

6,1 

6,1 

Gl  —  35,5 

23,9 

24,7 

02—32 

21,5 

148,5  100,0 

Der  Monochlorcrotonsäure ' Aethyläther  ist  eine  farblose,  ölige 
Flüssigkeit  von  angenehm  aromatischem  Geruch  und  kühlendem  Ge- 
schmack. Er  besitzt  den  corr.  Siedepunkt  161^,4  und  bei  15^  das 
specifische  Gewicht  1,113.  in  Wasser  nur  wenig  löslich,  dagegen 
leicht  in  Alkohol  und  Aether.  Reagirt  nicht  auf  Pflanzenfarben ,  weder 
für  sich,  noch  mit  Wasser.  Mit  einer  Lösung  von  kohlensaurem  Natron 
wird  er  beim  Erwärmen  umgesetzt  in  Natronsalz  und  Alkohol. 

Monochlorcrotonsäure-Methyläther,  G*H4C102(CH3). 
Analog  dem  vorigen  erhält  man  beim  längeren  Stehenlassen  von  Säure- 
krystallen  und  von  mit  Salzsäuregas  gesättigtem  Methylalkohol  eine 
ölige  Verbindung,  die  bis  auf  unbedeutende  Mengen  zwischen  1 39  und 
1 4 1 0  überdestillirt. 

Von  dieser  Fraction  lieferten  0,2848  Grm.  bei  der  Verbren- 
nung 0,4642  Grm.  Kohlensäure,  entspr.  0,1266  Girm.  = 
44,4  Proc.  Kohlenstoff  und  0,1403  Grm.  Wasser,  entspr. 
0,015589  Grm.  =5,5  Proc.  Wasserstoff. 


90  Dr.  Otto  Froelich,  Ueber  die  Moiiocbiorcrotons&ure  und  ihre  Salze. 

Die  analysirte  Verbindung  ist  also  der  reine  Metbyläther  unserer 
Säure : 


ber. 

gef. 

C*— 60 

44,6 

44,4 

H'—    7 

5,2 

5,5 

Gl  —  35,5 

26,4 



0'  —  32 

23,8 

134,5  100,0 

Der  Monochlorcrotonsäure-Methyläther  i'^  ebenfalls  eine  farblose, 
ölige  Flüssigkeit  von  durchdringendem  ätherischen  Geruch  und  stark 
kühlendem  Geschmack;  er  siedet  bei  142^,4  (corr.)  und  hat  bei  15^ 
das  specifische  Gewicht  1,143.  In  Alkohol  weniger  löslich  als  der 
Aethyläther ,  in  Wasser  fast  unlöslich. 

Jena,  22.  Decbr.  1868. 


Einige  Worte   über    die  Entwidieluiigsgeschielite  uiid  den 
morpliologischeii  Werth  des  Imgelförmigeii  Organes  der 

Amphipoden« 


Von 

Emil  Bessels. 


Eine  der  Anforderungen,  welche  die  Descendenztheorie  an  die 
Entwickelungsgeschichte  stellt,  besteht  darin,  zu  untersuchen,  ob  sich 
bei  Mitgliedern  einer  Thierclasse ,  die  das  Ei  dem  Mutterthiere  an  Ge- 
stalt ähnlich  verlassen,  während  andere  eine  Metamorphose  durch- 
machen ,  nicht  noch  Spuren  einer  ehemals  stattgehabten  Metamorphose 
aufOnden  lassen,  um  auf  diese  Weise  die  Abstammung  von  einem  ge- 
meinsamen Urahnen  festzustellen. 

Beim  Studium  der  Embryologie  der  Amphipoden,  drängte  sich 
mir  die  Vermuthung  auf,  ob  nicht  etwa  das  seit  längerer  Zeit  bekannte 
kugelförmige  Organ  ein  solches  Residuum  sei,  indem  z.  B.  während 
der  ersten  Zeit  der  embryonalen  Entwickelung  der  Spinnen  ein  ähn- 
liches Gebilde  auftritt,  das  gleichfalls  nur  kurze  Zeit  persistirt.  ^) 
Während  eines  kurzen  Besuches  in  Jena  theilte  ich  Herrn  Dr.  Dohrn 
diese  Ansicht  mit.  Ich  war  in  hohem  Grade  erfreut,  als  mir  derselbe 
sagte,  er  sei  zu  einer  ähnlichen  Auffassung  gelangt,  die  ich  in  Folgen- 
dem mittheilen  will,  und  habe  bereits  über  diesen  und  andere  Puncto 
einen   kleinen   Aufsatz   veröffentlicht.  ^     Diese   Publication   war  mir 


4)  In  seinen:  »Recherches  sur  rövolution  des  Araignöes«  sagt  Clapabbde :  »Je 
u'ai  pu  lire  le  travail  de  Mr.  oe  la  Valette  sans  ötre  frappö  de  Tidentil^  de  position 
de  cet  Organe  (kugelf.  Organ)  avec  le  cumulus  primitiv  des  araign^es«.  —  Und 
welter :  »II  serait  interessant  de  rechercher  jusqu'  ä  quel  point  le  cumulus  primitiv 
des  Araign^es  ne  pourrait  pas  6tre  considerö  comme  le  nidiment  d'un  organe  bien 
plus  döveloppä  chez  les  Amphipodes«  (p.  U). 

2)  On  the  morphology  of  ^he  Arthropoda  im  Journal  of  anatomy  and  physiology. 
Vol.  II.  p.  80. 


92  Binil  Bessels, 

entgangen ;  auch  war  ich  nur  kurze  Zeit  nach  dem  Erscheinen  dieser 
geistvollen  Arbeit  in  Jena.   — 

Dass  ich  diese  Zeilen  erst  jetzt  publicire,  hat  seinen  Grund  darin ^ 
dass  mir  vor  etwa  8  Monaten ,  wahrend  meiner  Rückkehr  von  der 
Nordsee,  eine  Mappe  gestohlen  wurde,  die  meine  ganze  wissenschaft- 
liche Ausbeute  enthielt,  worunter  sich  auch  dieser  Aufsatz,  fertig 
niedergeschrieben,  in  etw^as  erweiterter  Form  und  die  betreffenden 
Abbildungen  befanden.  Während  des  Sommers  erlaubte  mir  meine 
Zeit  nicht,  die  Untersuchung  über  diesen  Gegenstand  an  unseren 
Süsswasser-Amphipoden  wieder  aufzunehmen.  Jetzt,  wo  mir  dies 
vergönnt  wäre,  fehlt  es  mir  an  Material,  indem  sonderbarerweise 
sämmtlicheGammarusarten  das  Fortpflanzungsgeschäft  eingestellt  haben. 
Um  nun  die  Veröffentlichung  dieses  Aufsatzes  nicht  noch  weiter  hinaus- 
zuschieben, sehe  ich  mich  genöthigt,  denselben  ohne  die  zur  Erlllitte- 
rung  dienenden  Abbildungen  zu  publiciren.  Nur  zwei  Figuren  in 
Holzschnitt,  die  unbedingt  nothwendig  sind,  wurden  beigegeben. 

Um  mich  dem  gewohnten  Herkommen  zu  fügen,  will  ich  nun  kurz 
den  geschichtlichen  Theil  unseres  Gegenstandes  zu  entwickeln  suchen. 


Rathke,  1}  dem  wir  die  erste  und  bis  jetzt  einzige  Arbeit  über 
die  Embryologie  der  Amphipoden  verdanken,  hat  das  in  Rede  stehende 
Organ  nicht  gekannt,  was  wohl  den  mangelhaften  optischen  Hülfs- 
mitteln  der  damaligen  Zeit  zuzuschreiben  ist. 

Erst  Meissner  thut  dessen  Erwähnung,  bei  Gelegenheit  seiner 
hübschen  Arbeit  »über  das  Eindringen  der  Samenelemente 
in  den  Dottera^),  und  glaubt  dasselbe  als  Micropyle  beanspruchei^ 
zu  müssen,  obschon  er  sagt,  dass  »das  Chorion  überall  ge- 
schlossen sei  und  sich  die  Micropyle  nur  in  der  Dotter- 
haut befinde.«  Er  vermeint  aus  diesem  Umstände  folgern  zu  dürfen, 
dass  »das  Eindringen  der  Samenelemente  früher  ge- 
schehen muss,  als  sich  das  Chorion  bildet.«  Wenn  unser 
Autor  die  Micropyle  »an  einen  der  Pole  (wahrscheinlich  den 
unteren]  des  ovalen  Eies«  verlegt,  so  beruht  dies  auf  einem 
Missversiändniss. 

'  DB  LA  Valette  machte  hierauf  zuerst  aufmerksam  in  seinen  »Stu- 
dien über  die  Entwickelung  der  Amphipoden«^),  in  wel- 


4)  Zur  Morphologie,  Reisebemerkungen  aus  Taurien,  p.  72. 
%)  Zeitschrift  für  wissenschaftliche  Zoologie.  Bd.  Vi.  p.  S84. 

5)  Abhandlungen  der  naturforschenden  Gesellschaft  zu  Halle.  Bd.  V.  p.  163. 


Eiaige  Worte  Ober  EntwickelniijErsgeschicIite  und  morphologischen  Werth  etc.        93 

eher  Abhandlung  er  dem  kugelförmigen  Organ  eine  grössere  Aufmerk- 
samkeit schenkt,  das  er  indessen,  ebenso  wie  sein  Vorgilnger,  als 
Mieropylapparat  anspricht.  —  Weiter  unten  werden  wir  noch  mehr- 
mals von  dieser  Arbeil  zu  reden  haben. 

In  seiner  geistreichen  Schrift  »Für  Darwin«  macht  Fritz  Müller 
auf  den  Unterschied  aufmerksam,  der  zwischen  genanntem  Organ  und 
einem  Micropylapparate  besteht,  sich  namentlich  auf  die  Thatsache 
stützend,  dass  bei  dem  Amphipodenei  das  Chorion  keinerlei  Durch- 
bohrung zeige.  Auch  »vermochte  er  sich  nicht  zu  Überzeugen, 
dass  überhaupt  die  sogenannte  »innere  Eihaut«  wirklich 
eine  solche  sei  und  nicht  etwa  eine  erst  nach  der  Be- 
fruchtung gebildete  früheste  Laryenhaut,  wie  man  im 
HinbHek  auf  Ligia,  Cassidina  und  Philoscia  annehmen 
Diöchte«  (p.  50).  Ich  glaube  nun,  dass  van  Benbdbn  und  ich  hierzu 
den  Beweis  lieferten ,  indem  wir  zeigten ,  dass  das  in  der  Furchung 
begriffene  Ei  von  Gammarus  locusta  nur  von  einer  einzigen  Mem- 
bran,   vom  Chorion  umgeben  ist.  *) 

Das  ganze  Organ  erinnerte  unseren  trefflichen  Forscher  an  die 
Verbindung  der  jungen  Asseln  mit  der  Larvenhaut  und  an  das  unpaare 
üaftorgan  in  dem  Nacken  der  Wasserilöhe«  Wir  meinen  indess ,  dass 
man  in  dem  Vergleiche  noch  etwas  weiter  gehen  kann,  und  wollen 
das  jetzt  versuchen.  Dabei  wird  es  freilich  nöthig  sein,  einige  embryö- 
logische  Daten  aus  der  Entwickelung  der  Amphipoden  mit  ins  Augo 
zufassen,  die,  strenggenommen,  nicht  zur  Sache  gehören. 


Wenn  die  Eier  der  Amphipoden  in  das  Marsupium  des  Mutter- 
thieres  gelangt  sind ,  so  beginnen  sie  ihre  Entwickelung.  Bei  einigen 
Arten  nimmt  dieselbe  mit  der  Furchung  ihren  Anfang,  bei  anderen 
wird  dieser  Process  geradezu  übersprungen,  so  dass  die  erste  Ver- 
änderung in  einer  Zerklüftung  des  Dotters  besteht,  der  eine  Theilung 
des  Keimbläschens  in  ebenso  viele  Parthieen  vorangeht,  als  Dotter- 
schollen  vorhanden  sind.  Die  einzelnen  Theile  des  Keimbläschens  ge- 
langen nach  der  Peripherie,  treten  aus  dem  sie  bisher  umgebenden 
Dolter  hervor  und  vermehren  sich  durch  Theilung,  bei  welchem  Process 
sie  sieb  auf  Kosten  des  unterliegenden  Dotters  noch  etwas  vergrössern. 


4)  R^sumö  d'un  memoire  sur  le  mode  de  formation  du  Blastoderme  dans  quel- 
ques groupes  de  cmstacös ;  per  E.  yah  Bbnbdeit  et  E.  Bbssbls.  BulIeUn  de  racademie 
royale  de  Belgique.   Sme  sörie,  tome  XXV,  No.  5,  p.  443.  4868. 


94  EmilBessels. 

Nicht  an  allen  Stellen  der  Eioberfläche  treten  die  Blastodennzellen 
gleichzeitig  hervor,  was  man  sehr  deutlich  bei  Gammarus  pulex, 
Gammarus  puteanus  und  Gammarus  Roeselü  bemerken  kann;  bei 
Gammarus  locusta,  dessen  Entwickelung  eine  totale  Furchung  voran- 
geht, ist  dies  weniger  leicht  ersichtlich.  Wenn  ich  mich  nicht  täusche, 
80  können  wir  wohl  sagen,  dass  da,  wo  die  erten  Blastodermzellen 
auftreten,  sich  das  kugelförmige  Organ  entwickelt.  Wenigstens  glaube 
ich  mich  bei  einem  Ei  hiervon  überzeugt  zu  haben , .  das  ich  vermittelst 
eines  Coconfadens  in  bestimmter  Lage  auf  einem  Objectträger  festhielt. 
Nie  bemerkt  man  das  Auftreten  der  ersten  Eeimhautzellen  an  einem 
der  Pole,  sondern  immer  an  einer  Stelle ,  die  der  ktemen  Axe  des  Eies 
näher  liegt  als  diesen. 

Nachdem  die  Blastodermzellen  in  gedrängt  gelagerter,  Binfacher 
Schichte  den  Dotter  vollständig  umhüllen,  platten  sie  sich  an  ihri»n 
Berührungsstellen  unregelmässig  gegen  einander  ab,  die  halbkugeligen 
Erhebungen,  die  sie  anfangs  darstellten,  werden  undeutlicher,  ihre 
Oberflächen  ebnen  sich. 

Alsbald  gewahrt  man,  wie  sich  von  der  Oberfläche  des  Blastoderm 
eine  Membran  abhebt ,  sich  an  der  Peripherie  des  Eies  als  feine  Linie 
zeigend ,  an  welcher  man  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  noch  die  einzelnen 
Biegungen  der  Keimhaut  bemerken  kann,  die  sich  ihrerseits  nach 
diesem  Vorgänge  etwas  zusammenzieht.  Diese  Membran  ist  die 
Larvenhaut,  die  sogenannte  »innere  Eihaut«  der  Autoren.  Sie  hat,  wie 
dies  LA  Yalettb  schon  bemerkt,  ein  etwas  chagrinirtes  Aussehen, 
hervorgerufen  durch  die  ihr  Ursprung  gebende  Matrix.  Beiläufig  sei 
hier  bemerkt,  dass,  wenn  man  bei  ziemlich  weit  entwickelten  Eiern 
nur  eine  Eihaut  wahrnimmt,  diese  in  allen  Fällen  das  Chorion  dar- 
stellt, wie  dies  Meissner  meint,  und  nicht,  wie  la  Valette  glaubt,  die 
Dotterhaut,  welche  wir,  wie  eben  bemerkt,  als  Larvenhaut  aufzufassen 
haben.  ^) 

Nur  an  einer  Stelle  löst  sich  die  Larvenhaut  nicht  von  ihrer 
Matrix  ab :  da ,  wo  sich  das  kugelförmige  Organ  bildet.  (Beim  Embryo 
kommt  das  Organ  in  das  vierte  vordere  Segment  zu  liegen ;  Kopf  als 
erster  gerechnet) .  Auch  vermehren  sich  hier  die  Blastodermzellen  bis 
jetzt  nicht  so  stark ,  als  an  den  übrigen  Puncten  des  Eies ;  obschon 
sich  dieser  Theil  der  Keimbaut  zuerst  bildet,  persistiren  hier  die 
Primaerzellen  am  längsten.  Nach  und  nach  wird  die  Larvenhaut  glatt, 
wobei  sie  sich  nicht  selten  dem  Chorion  innig  anschmiegt ,  was  wohl 


-  j 

•mivM  Wie  mir  Dohbn  brieflich  inittbeiU,  fand  er  bei  einem  Ampbipoden  der  Kieler 


Bucht  gleichfalls  die  Larvenhaut 


Eioige  Worte  fiber  EntwickelQngsgescbjcbte  und  morpbologiscben  Wertb  etc.        95 

öfter  dazu  beitragen  mag,  ihr  Auffinden  etwas  2u  erschweren.  Geht 
man  Indess  von  der  Bildungsstätte  des  kugelförmigen  Organs  aus^  so 
wird  man  dieselbe  immer  zu  erkennen  vermögen. 

Was  nun  die  Weiterentwickelung  des  Organs  anlangt,  so  nimmt 
dieselbe  einen  so  unregelmSssigen  Gang,  dass  es  schwer  hält,  in 
kurzen  Worten  ein  Bild  davon  zu  entwerfen.  Wir  haben  dieselbe  bei 
verschiedenen  marinen  Amphipoden  verfolgt,  sowie  bei  den  Gammaren 
des  sttssen  Wassers.  Leider  sind  urir,  wie  vorher  schon  bemerkt,  alle 
Zeichnungen  über  diesen  Gegenstand  abhanden  gekommen,  und  einige 
kurze  Bemerkungen y  die  sich  nicht  in  der  Mappe  befanden,  sind  mir 
nocb  geblieben^  ifit  Hülfe  dieser  und  des  Gedächtnisses  will  ich  den 
weiteren  Eatwickelungsgang  nun  schildern.  In  Bezug  auf  die  Be- 
schreibttifg  des  fertig  gebildeten  Organs,  verweisen  wir  auf  la  Yalstte's 
imd  Meissner's  Arbeiten.  ^) 

An  dem  Theile  der  Eioberfläche ,  welcher  zur  ventralen  Seite  des 
Embryo  wird,  verdickt  sich  das  Blastoderm  beträchtlich,  um  den 
Keirostreif  darzustellen,  während  sich  dasselbe  an  allen  übrigen  Stellen 
bedeutend  verjüngt.  Nur  da ,  wo  die  Larvenhaut  noch  mit  der  unter 
ihr  liegenden  Matrix  in  Verbindung  steht,  nehmen  die  Zellen  an  Masse 
nicht  ab ,  sondern  sie  vermehren  sich  im  Gegentheil  durch  Theilung, 
bis  sie  ein  mehr  oder  minder  rundliches  Gebilde  darstellen,  dessen 
untere  Hälfte  in  den  Dotter  hineinragt ,  während  die  obere  etwas  ab- 
geplattet nach  aussen  vorspringt.  Etwas  später  wächst  das  Blastoderm 
an  der  Bauchseite  in  den  Dotter  hinein,  diesen  in  zwei  ungleiche  Theile 
spaltend,  wovon  der  grössere  zum  Kopftheil  des  Embryo  wird,  wäh- 
rend sich  der  andere  zum  Hinterende  heranbildet.  Sobald  die  Extre- 
mitäten als  kleine  Wülste  hervorzusprossen  beginnen,  gewahrt  man  im 
Innern  des  bisher  massiven  Zellenhügels ,  dessen  Emährungsverhält- 
nisse  sich  nun  allem  Anscheine  nach  verändern ,  einen  Zerfall  der  ihn 
zusammensetzenden  Zellen,  indem  sich  dieselben  in  eine  fein  granulirte 
Masse  auflösen ,  die  sich  dann  allmählich  ^terflüssigt.  Auf  diese  Weise 
kommt  ein  mit  Flüssigkeit  erfüllter  Ganal  zu  Stande,  der  sich  schliess- 
lich nach  aussen  öfinet,  indem  die  hier  ihrer  Matrix  noch  aufliegende, 
wenig  derbe  Cutieula  resorbirt  wird.  Im  Lumen  des  Ganais ,  der  die 
Autoren  veranlasste,  das  kugelförmige  Organ  als  Micropyle  zu  be- 
trachten, bildet  sich  jetzt  ebenfalls  eine  Cuticula,  gleichsam  eine  Fort- 
setzung der  Larvenhaut  darstellend,  welche  letztere  um  4.en  Rand  der  so 
entstandenen  Oeffnung  eine  wulstige  Verdickung  erfährt.  Wahrscheifl»^ 
lieh  entsteht  dieser  verdickte  Rand  aus  dem  in  dem  Canaii  cMialtenen 

i)  a.  a.  0.  '»   'J   *•    ' 


96  £mil  fiesseU, 

Plasma,  das  beim  sich  Oeffnen  desselben  hervorquillt  und  hier  ei  bdrlet. 
.  Nicht  selten  bildet  sich  ein  zapfenartig^s  Gebilde  an  der  nach  aussen 
gerichteten  Oeffnung,  dessen  Entstehung  sieh  auf  dieselbe  Weise  er- 
klären lässt.  Das  nach  aussen  gerichtete  Ende  des  Zapfens  variirt 
ungemein  in  seinem  Verhalten.  Bald  ist  dasselbe  biscuitartig  gestaltet, 
von  zwei  oder  mehreren  Ocßhungen  durchsetzt,  bald  bildet  es  eine 
schmale,  kaum  zu  gewahrende  Drücke  über  die  Oeflhung  des  Canals, 
oder  endlich  besitzt  es  eine  unregelmässig  kugelige  Form. 

Häufig  bildet  sich  gar  kein  Canal,  sondern  es  entsteht  auf  der 
ganzen  in  den  Embryo  ragenden  Oberfläche  des  Gebildes  eine  Cuticula, 
worauf  sich  dann  die  im  Innern  befit'.dliche  Zellmasse  in  eine  fein 
granulirte  Substanz  auflöst. 

Ein  anderer  Fall,  der  eintreten  kann,  ist  der,  dass  jedd  der  das 
Organ  constituirenden  Zellen  eine  dicke  Membran  abscheidet.  SpStor 
diffiindirt  der  Zellinhalt  durch  die  Wandung  der  Zellen,  und  die  leeren, 
etwas  geschrumpften  Zellmembranen  sind  dann  in  das  ausgetretene 
Plasma  eingebettet.  Beim  ersten  Anblick  macht  dann  das  Organ  den 
Eindruck  des  reticulären  Bindegewebes.  (Dieser  Fall  wurde  mehrmals 
bei  Gammarus  locusta  beobachtet.) 

Kurze  Zeit  ehe  der  Embryo  das  Ei  verlässt ,  obliterirt  das  ganze 
Organ.  Indess  sieht  man  nicht  seilen  ausgeschlüpfte  Thierchen,  bei 
welchen  dasselbe  noch  sichtbar  ist. 

Es  ist  hier  am  Platze,  noch  eine  weitere  Frage  zu  berühren. 
LA  Valbtte  behauptet,  das  kugelförmige  Organ  rage  ins  Herz  des 
Embryo.  ^)  Ich  muss  gestehen ,  dass  ich  mich  hiervon  nicht  zu  über- 
zeugen vermochte.  Sicherlich  ruht  das  Organ  nur  auf  der  oberen 
Wandung  des  Herzens.  Einmal  konnte  ich  dies  mit  aller  Bestimmtheit 
beobachten,  indem  dasselbe  durch  die  Pulsation  des  Herzschlauchs  be- 
ständig aus  seiner  Lage  verschoben  wurde. 


Wie  wir  am  Schlüsse  zeigen  werden,  sprechen  zwei  Gebilde 
mit  aller  Entschiedenheit  dafür,  dass  die  Amphipoden  eine  bedeu- 
tende Geschichte  hinter  sich  haben.  Es  sind  dies  die  Larven- 
haut  und  das  kugelförmige  Organ. 

Die  Larvenhaut  entspricht  morphologisch  einem  Embryo:  dem 
Nauplius ,  von  welchem  hier  nur  noch  eine  Cuticula  als  einziger  Rest 
übrig  geblieben  ist.  Indess  geht  die  Verkümmerung  nicht  überall  so 
NN  cit,  sondern  die  Larvenhaut  zeigt  dann  und  wann  bei  den  Crustaceen 

4)  a.  a  0. 


Riaige  Worte  über  Eutwickelungsgesoliiehte  und  morphoiogischeu  Werth  etc.         97 

Doch  zellige  Struciuren ,  was  Dohrn  beispielsweise  von  derjenigen  des 
Oniscus  murarius  anführt.  ^) 

Id  weit  höherem  Grade  ist  dies  bei  dem  sogenannten  Dinsecten- 
amnion«  der  Fall,  welches  wir  als  Homologon  der  Larvenhaut  auf- 
fassen müssen.  ^)  Nebenbei  sei  bemerkt,  dass  das  Wort  Amnion  so 
ungltLcklich  gewählt  ist,  als  nur  irgend  denkbar.  Glücklicherweise 
sind  wir  jetzt  der  Zeit  entronnen,  da  man  bemüht  war,  Homologien 
zwischen  den  Vertebraten  und  Arthropoden  herauszuklauben.  Ich 
möchte  mir  hier  erlauben,  statt  dieses  Wortes  ein  anderes  vorzu- 
schlagen, an  welches  steh  kein  so  bestimmter  Begriff  knüpft.  Es  dürfte 
wohl  besser  sein^  dals  Gebilde  Vorschichte  zu  nennen;  wenigstens 
führt  diese  Bezeichnung  zu  keinerlei  Begriffsverwirrung. 

Ich  habe  diese  Yorschichte  bei  verschiedenen  Insectenfamilien 
au%i»fonden,  deren  Embryologie  bis  jetzt  noch  im  Dunkeln  liegt. 
Unter  den  Schmetterlingen  stiess  ich  auf  höchst  eigenthümliche  Ver- 
hältnisse bei  einer  Pyralide,  deren  Name  uns  hier  weiter  nicht  in- 
teressirt.  Hier  bildet  sich  ein  regelrechtes  Blastoderm ,  das  aber  nicht 
dem  Embryo  Ursprung  giebt,  sondern  sich  sehr  bald  vom  Dotter 
cmancipirt,  um  eine  vollständig  geschlossene  Hülle  um  den  später  in 


4)  Die  embryonale  Entwickelung  des  Asellus  aquaticos  in  Zeitschr.  f.  wissensch. 
Zoologie.  Bd.  XVII.  p.  276. 

2)  Diese  Ansicht  sprach  ich  schon  auf  der  41.  Versammlang  deutscher 
Naturforseher  und  Aerzte  zu  Frankfurt  a.  M.  aus..  Leider  ist  aber  in 
dem  etwas  ungeniessbaren  ProtocoU  hierüber  Nichts  erwähnt.  Auch  finden  sich 
dort  noch  andere  Irrthünier,  neben  den  sinnstörendsten  Versetzungen. 

Ich  versuchte  damals  einige  Erklärungen  über  die  Abstammung  der  Insecten 
zugeben,  indem  ich  einen  Vortrag  anzeigte :  »Der  Insectenflügel  und  sein 
Homologon.«  Beim  Einzeichnen  in  die  Liste  hatte  ich  diese  Anzeige  anfangs 
unter  anderem  Titel  eingeschrieben,  nachträglich  aber  abgeändert.  Wie  mir  scheint, 
wurde  dadurch  die  Schrift  etwas  undeutlich  —  woran  ich  freilich  selbst  die  Schuld 
trage  —  und  der  Setzer  schrieb  Analogen  statt  Homologon,  welcher  Fehler  am 
nächsten  Tage  mit  in  das  ProtocoU  überging.  Da  ich  meine  Mittheiluug  in  der 
letzten  Sitzung  gemacht  hatte,  war  es  mir  nicht  mehr  vergönnt,  die  Correctur  zu 
sehen ;  erst  als  die  betreffende  Nummer  schon  gedruckt  war ,  bemerkte  ich  den 
Fehler,  aufweichen  ich  meinen  Freund  Seidlitz  sogleich  aufmerksam  machte,  der 
sich  dessen ,  beim  Lesen  dieser  Zeilen ,  wohl  erinnern  wird. 

Das  ProtocoU  lautet : 

»Dr.  Bbssels  spricht  sich  dahin  aus,  dass  ihm  die  Insecten  aus  den  Crustaceen 
hervorgegangen  zu  sein  scheinen ,  dass  das  Flugvermögen  ein  erworbenes  sei  und 
macht  auf  das  Analogen  (statt  Homologie  1]  zwischen  Flügel  und  Kieme,  aus  wel- 
cher sich  ersteres  entwickelt,  aufmerksam.  Weiter  erwähnt  er,  dass  die  Existenz 
der  Insecten  während  der  Silurzeit  unmöglich  gewesen  sein  müsse  —  diese  Ansicht 
habe  ich  aufgegeben  — «und  dass  sie  sich  in  einem  Zeiträume,  der  zwischen  Silur 
und  Steinkohle  (also  wahrscheinlich  Devon)  liegt,  entwickeln.« 

Bd.  V.  1.  7 


98  ^viW  Bpssels, 

ihm  durch  MetageDesis  entstehenden  Embryo  darzustellen,  dann  aber, 
noch  ehe  die  Raupe  vollständig  entwickelt  ist,  wieder  resorbiit  wird. 
Ein  ähnliches  Gebilde  fand  Wsishann  (nach  einer  brieflichen  Mittheilung 
an  Mbgknikow)  bei  der  Biene.  ^)  Ich'  habe  mich  von  der  Richtigkeit  der 
Beobachtung  unseres  trefflichen  Forschers  überzeugt.  Die  von  mir 
aufgefundene  Vorschichte  ist  von  der  WBisMANN^schen  etwas  verschieden. 
Ich  kann  Megknikow  durchaus  nicht  beistimmen,  wenn  er  sagt,  dass 
sein  »Insectenamnion«  und  die  von  Wbisma^n  entdeckte  Embryonalhüile 
»zwei  ganz  verschiedene  Gebilde  darstellena, ')  Sicherlich  sind  diese 
zwei  Gebilde  vollkommen  identisch!  Bei «inem  anderen  Schmet- 
terling entdeckte  ich  eine  Zwischenform,  die  beide» aufs  Schönste  ver- 
bindet. 

Eine  sich  äusserst  eigenthttmlich  verhaltende  EmbryonaUUlUe  fand 
ich  bei  einigen  Ataxarten  aus  Unio  und  Anodonta.  Ein  solches  Gebilde 
war  bis  jetzt  bei  den  Milben  noch  nicht  bekannt.  Bei  oberflächlicher 
Betrachtung  könnte  man  versucht  sein,  genannte  Hülle,  die  cuticularer 
Natur  ist,  für  eine  Membran  zu  halten,  in  welche  in  unregelmässigen, 
grossen  Abständen  Zellen  eingelagert  sind.  Beobachtet  man  aber  län- 
gere Zeit ,  so  wird  man  finden ,  dass  diese  Zellen  nur  an  der  Innen- 
fläche der  Membran  kleben  und  die  schönsten  amöboiden  Bewegungen 
zeigen.  Die  Entwickelungsgeschichte  zeigt  uns,  dass  diese  zeUigen 
Elemente  Blutkörperchen  sind  (und  zwar  von  ganz  gesetzwidriger 
Abstammung) ,  worüber  ich  bei  der  Embryologie  einiger  Milben  Mit- 
theilung zu  machen  gedenke.  Endlich  sah  ich  noch  eine  Embryonal- 
hülle bei  gelben,  runden  Spinneneiern  unbekannten  Ursprungs,  die  ich 
im  Monat  Juni  unter  Moos  sammelte. 

Es  scheint  mir  nicht  unwahrscheinlich,  nach  Erfahrungen,  die 
ich  bisher  über  die  Vorschichte  gemacht,  dass  man  im  Laufe  der 
Zeit,  wenn  man  die  Embryologie  von  mehr  Insectenfamilien  kennt, 
als  dies  bisher  der  Fall  ist,  solche  Vorschichten  finden  wird,  an  welchen 
vorübergehende  Spuren  von  Extremitäten  oder  anderen 
Organen  auftreten:  Dann  wird  sich  wohl  ein  helleres  Licht  über 
das  so  überaus  interessante  Gebilde  verbreiten. 

Aber  bis  dahin  wollen  wir  einstweilen  wieder  zu  unserem  kugel- 
förmigen Organe  zurückkehren,  das  wir  etwas  aus  den  Augen  ge- 
lassen. 

Bei  Betrachtung  desselben,  müssen  wir  uns,  wie  bei  der  aller 
übrigen  Organe ,  zwei  Fragen  vorlegen  : 


4)  Zeitschrirt  für  ^issf^aschaftliche  Zoologie.  Bd.  XVI.  p.  490. 
2)  a.  a.  0. 


Einigt  Woric  aiwc  F.ntwickeliiiigiiinBehielile  iind  moFptioIciKisnlieii  Werth  elc        9!) 

Ist  daäselbe  ledigÜdi  desh.ilh  vorhanden,  ncil  es  von  ikn  Vof- 
fahreo  sof  die  Nachkommen  vorerbt  wurde?  Oder  ist  es  aucl»  noch 
deshalb  da,  weil  es  nolhwendig  ist  für  die  Existenz  des  Indi- 
vidnums? 

Ist  das  Letztere  der  Fall,  so  wird  durch  den  Kampf  ums  Dasein 
immer  nur  eine,  und  ewar  die  hücbstc  Knlwicketungsform  des  Organs 
übrig  bleiben.  Öas  muss  dahin  führen,  dass  die  individuelle  Variation 
in  tnUgliiAst  enge  Grenzen  gebannt  wird.  Umgekehrt,  wo  das  Organ 
Rieht  mehr  gebraucht  wird,  wo  es  von  keiner  Wichtigkeit  für  die 
Existenz  des  Thieresaiehr  ist,  hat  die  individuelle  Variation  grUsseren 
Spiel  r&mn. 

Doss  nnsw  Organ  grosse  individuelle  Variationen  zeigt,  hdMn  wir 
bereits  frnber  gesagt :  schon  das  deutet  daranf  hin ,  dass  hier  nur  die 
Vererbung  wirksam  sein  kann. 

Es  fragt  sich  nun  weiter,  ob  es  auch  den  Charakter  eines  ver- 
kUmmerten  Organes  trägt? 

Um  das  CesUustellen ,  müssen  wir  uns  bei  andt^ren  Crustaceen 
uiDsehren,  ob  nicht  bei  ihnen  an  der  gleieben  Stelle  des  KOrpers  ein 
Organ  von  häherer  AusbiMung  vorkommt-  und  das  finden  wir 
bei  den  Zofinformen  verschiedener  Krebse  als  BUcken- 
stacbel  (vergl.  Fig.  t). 


Flg.  < . 


r,^.  1 


Halten  wir  das  fest,   so  mUssen  wir  uns  weiter  fragen:    Warum 
verkümmerte  das  Organ  ? 

OSenbar  kann  es  nur  dann  vorkUmmem  wenn  es  ftir  den  Kampf, 


100  ^<Dil  Bessels, 

ums    Dasein    werthlos    wird.  ^)      Solcher    Umstände    sind    mehrere 
denkbar. 

\ .  Geringere  Anzahl  von  Feinden. 

2.  Grössere  Fruchtbarkeit,  wobei  die  Verheerung  seitens  der  Feinde 
weniger  ins  Gewicht  fi&Ut. 

3.  Eine  Lebensweise ,  welche  das  Individuum  vor  der  Nachstellung 
der  Feinde  in  höherem  Grade  sichert. 

Bei  den  Amphipoden  liegt  offenbar  der  letztere  Fall  vor ,  indem 
die  Jungen,  sofort  nach  dem  Verlassen  der  Bruttasche  des  Hutterthieres, 
geschützt  ihr  Leben  zubringen.  Die  Süsswasserformen  leben  unter 
Steinen  oder  zwischen  Laub,  die  Meeresbewohner  setzen  sich  an  See- 
tang fest,  mit  welchem  sie  sich  oft  auf  hoher  See  treiben  lassen, 
klammern  sich  vorübergehend  an  Fische ,  verfertigen  sich'  Gehäuse, 
stecken  in  Steinritzen  u.  s.  w. 


Durch  Vorstehendes  wäre  nun  die  Entwickelungsgeschichte  der 
Amphipoden  in  Verbindung  gebracht  mit  der  anderer  Crustaceen ,  bei 
welchen  noch  heutigen  Tages  eine  doppelte  Metamorphose  vor- 
kommt. 

In  diesem  Falle  haben  wir  es  mit  2  aufeinander  folgenden  Ab- 
hebungen von  Zellenlagen  zu  thun. 

\ .  mit  der  Abhebung  der  Zoöa  vom  Nauplius, 

2.  mit  der  des  definitiven  Crustaceums  von  der  Zoöa. 

Bei  den  Amphipoden  findet  nur  eine  derartige  Abhebung  statt:  es 
wird  sofort  das  definitive  Grustaceum  von  einer  Cuticularschichle  und 
einem  an  ihr*  haftenden  Zellhaufen  abgehoben.  In  diesen  zwei  letzteren 
Gebilden  muss  offenbar  Nauplius  und  Zoöa  enthalten  sein :  nur  dass 
sie  sich  zu  keiner  Zeit  von  einander  trennen.  —  Die  Gelegenheit  dazu 
wäre  geboten ,  da  das  kugelförmige  Organ  aus  mehreren  Zellschichten 
besteht.  —  Fragen  wir  uns  nun ,  warum  nur  an  dieser  Stelle  ein  Rest 
früherer  Scheidungsvorgänge  sich  erhalten  hat,  so  ist  der  Grund  ein- 
fach der :  Es  ist  eine  Folge  der  ursprünglich  dort  etablirten  Tendenz 
zur  Zellvermehrung,  die  in  der  Entwickelung  des  ZoSastachels  gipfelte. 

Ich  kann  diese  Zeilen  nicht  besser  schliessen,  als  mit  den  trefflichen 
Worten  Fritz  Höller^s  :  »Die  in  der  Entwickelungsgeschichte  erhaltene 


K)  Mit  Fritz  Müller  betrachten  wir  den  Stachelfortsatz  der  Zoöa  als  eine  im 
Kampfe  ums  Dasein  erworbene  Waffe.  Auf  dieselbe  Weise  mnss  man  die  Entstehung 
der  Stacheln  der  Raupen  auffassen,  die  z.  B.  bei  einigen  afrikanischen  Bombyciden, 
so  mächtig  auftreten ,  wie  beim  Igel. 


Einige  Worte  Aber  Entwickelnngsgesclüchte  und  morphologischeo  Wertk  etc.       101 

geschichiiiche  Urkunde  wird  allmühlich  verwischt,  indem  die  Eni- 
Wickelung  einen  immer  geraderen  Weg  vom  Ei  zum  ferligen  Thiere 
einscfaUlgt,  und  sie  wird  häufig  gefälscht  durch  den  Kampf  ums  Dasein, 
dea  die  freilebenden  Larven  zu  bestehen  haben«. 

Die  Wahrheit  dieses  Satzes  bewiJbrt  sich  auch  bei  den  Amphi- 
{KKlen.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  wir  es  hier  mit  einer  ab- 
gekürzten Entwickelung  zu  thun  haben : 

Nauplius-  und  Zo6astadium  sind  in  das  Embryonal- 
leben zurückverlegt! 

Stuttgart,  im  November  4 868. 


Die  synthetische  Methode  in  der  Krj^nc^in««!», 

eiiautcrl  an   den    Blallformcn   des   Rubus   Idaeus   L. 

Von 

Dr.  W.  O.  Focke. 

Die  systematische  Botanik  der  LiNNfi^schen  Schule  betrachU;te  es 
als  ihre  höchste  Aufgabe ,  die  Species  von  einander  zu  unterscheiden, 
und  suchte  daher  auf  analytischem  Wege  die  grossen  Gruppen  ahn- 
licher Formen  in  die  componirenden  Elemente  zu  zerlegen.  Als  diese 
Elemente  betrachtete  man  nlimlich  die  Arten  oder  Species ;  alle  Indi- 
viduen einer  und  derselben  Species  hielt  man  für  gleichwerthig.  Bald 
bemerkte  man  indess,  dass  viele  dieser  zunächst  erkannten  Arten  aus 
einer  Reihe  verschiedener  gut  charakterisirter  Formenkreise  bestehen, 
und  glaubte  nun  in  diesen  letzteren  die  eigentlichen  Arten  zu  er- 
kennen. Allmählich  machte  dieser  Process  der  Vermehrung  der  in  den 
systematischen  Werken  aufgezählten  Species  immer  weitere  Fort- 
schritte ;  mit  Schrecken  sahen  die  Conservativen  der  alten  Schule  die 
Zahl  der  Arten  nicht  etwa  durch  wirklich  neu  entdeckte  Typen ,  son- 
dern durch  Spaltung  der  »alten  guten  Species«  sich  gewaltig  vermehren. 
Vergebens  suchten  sie  durch  manch'  wuchtiges  Quos  ego  die  unbe- 
([uemen  Speciesfabrikanten  einzuschüchtern,  vergebens  triumphirtcn 
sie,  wenn  einmal  eine  neu  aufgestellte  Species  bei  näherer  Prüfung  als 
unbeständige  Form  erkannt  wurde.  —  Die  Zahl  der  Arten  wuchs  trotz- 
dem von  Jahr  zu  Jahr  mächtig  an ,  und  es  stellte  sich  in  immer  mehr 
Fällen  heraus,  dass  nicht  allein  der  Ehrgeiz  der  Botaniker,  sondern 
wirklich  die  Natur  selbst  die  »neuen«  Arten  geschaffen  zu  haben  schien. 
Gegenwärtig  gehen  nun  mehrere  Richtungen  in  der  systematischen 
Botanik  neben  einander  her:  die  eine  analysirt  weiter  und  sucht 
innerhalb  der  umfassenderen  Typen  neue  Arten  zu  unterscheiden, 
eine  andere  will  dagegen  die  durch  gar  zu  minutiöse  Unterschiede  ge- 


Die  synthetische  Methode  iu  der  Systematik.  103 

trennten  Arten  nicht  anerkennen,    sondern  subsiunirt  sie  als  Varie- 
täten,  Unterarten  oder  Rassen  unter  die  alten  bewährten  Speciesnamen. 
Es  ist  neuerdings  nicht  ohne  Erfolg  der  Versuch  gemacht ,  beide  Auf- 
fassangsweisen  zu  oombiniren.    Man  lässt  den  Racen  oder  Unterarten 
die  Nomendatur ,    auf  welche   sie  als  selbständige  Species  Anspruch 
haben  wttrden,  vereinigt  aber  die  enger  zusammengehörigen  unter 
einem  Speciesnamen  höherer  Ordnung.    Die  Stieleiche ,   die  Trauben- 
eidie  nnd  die  flaumblättrige  Eiche  bilden  z.  B.  drei  wohlcharakterisirte 
Subspecies,  welche  gemeinschaftlich  den  Typus  der  Quercus  Robur  L. 
darstellen.     Für  den  unbefangenen   Beobachter,    welcher  den   alten 
Speciesbegriff  nicht  als  den  Eckstein  der  systematischen  Wissenschaft 
verehrt,  ist  die  Frage  nach  den  Abgrenzungen,  welche  man  zwischen 
Arten   und   Unterarten   vornimmt,    ziemlich  gleichgültig.    Ob  unsere 
Nachkommen  dermaleinst  in  ihren  systematischen  Werken  eine  Viertel- 
uiillion  oder  eine  Million  oder  auch  5  oder  4  0  Millionen  Pflanzenarten 
aufzählen   werden,   ist  für  die   Wissenschaft  wirklich  ganz   gleich- 
gültig.   Es  handelt  sich  bei  den  vielen  kindischen  Streitigkeiten  über 
das   sogenannte  »Artrecht«  einer   Pflanzenform    in   Wirklichkeit   nur 
darum ,  die  beste  Methode  zu  finden ,  wie  sich  die  Formenkreisc  am 
Übersichtlichsten  ordnen  und  wie  sich  ihre  verwandtschaftlichen  Be- 
ziehungen am   einfachsten  darstellen  und  zum  Bewusstsein  bringen 
lassen. 

Neben  der  Analyse  del*  verschiedenen  natürlichen  Pfianzengruppen 
ging  stets  ein  synthetisches  Verfahren  einher.    Indem  man  die  Species 
als  Einheit,  gleichsam  als  eine  ideelle  Individualität  auffasste,  ordnete 
man  sie  nach  gewissen  übereinstimmenden  Merkmalen  im  Bau  der 
Bittthc  und  der  Frucht  in  Gattungen  ein.    Niemand  zweifelte  daran, 
dass  diese  Gattungen  zum  Theil  völlig  künstlich  und  willkürlich  seien. 
Für  die  weitere  übersichtliche  Ordnung  der  Gattungen  construirte  Linn« 
sein    bekanntes    Sexualsystem,    dessen    Classen    grosscntheils    sehr 
heterogene  Gewächse  voreinigten.   Als  man  nun  natürlichere  Gruppen 
zu  bilden  versuchte,  als  Jussuu  und  D£  Candollb  die  Grundzüge  einer 
auf  den  wirklichen  Verwandtschaftsverhältnissen  der  Gewächse  basirten 
Ueborsicht  des  Pflanzenreiches  entworfen  hatten ,  da  dachte  man  wohl 
mitunter  ernstlich  an  die  Bildung  natürlicher  Gattungen,  entsehloss 
sieb  aber  im  Allgemeinen  sehr  selten  dazu ,  dieselben  nach  andern  als 
den  hergebrachten  Principien  zu  umgrenzen.    Im  Allgemeinen  ist  es 
gewiss  räthlich,  vorläufig  keine  zu  grossen  Aenderungen  in  der  Auf- 
fassung der  Gattungen  vorzunehmen.    Erst  wenn  sämmtliche  wich- 
tigeren vorhandenen  Formen  bekannt  sind ,  wird  es  in  vielen  Füllen 
möglich  sein,  zu  entscheiden,   wo  sich  eine  natürliche  Kluft  zwischen 


1 04  I^r*  ^*  0.  Forke, 

den  verschiedenen  Formenkreisen  findet,  die  man  zur  Abgrenzung  des 
Genus  benulzen  kann. 

Bekanntlich  herrscht  unter  den  Botanikern  der  Gegenwart  ein 
leidliches  Einvernehmen  in  Betreff  der  meisten  Gattungen  und  Familien, 
welche  sie  annehmen.  Auch  die  weitere  Gruppirung  der  Familien  zu 
höhereu  Classen  ist  bei  den  Cryptogämen  und  Gymnospermen ,  zum 
Thcil  selbst  bei  den  Monocotyledonen ,  nicht  besonders  schwierig ;  bei 
den  Dicotyledonen  ist  noch  kein  consequent  durchführbares  natttrliches 
Eintheilungsprincip  gefunden.  Der  Grund  davon  liegt  höchst  wahr- 
scheinlich darin,  dass  bei  den  niederen  Pflanzen  bereits  viel  mehr 
Mittelglieder  in  der  gegenwärtigen  geologischen  Epoche  völlig  aus- 
gefallen sind,  als  bei  den  Dicotyledonen,  unter  welchen  sich  zahlreiche 
Zweige  zum  Theil  in  analoger  Richtung  fortzubilden  streben.  Wenn 
man  nun  auch  ohne  Zweifel  bereits  eine  ganze  Reihe  natürlicher  Gat- 
tungen ,  Familien  und  Classen  richtig  erkannt  und  umgrenzt  hat,  so 
ist  doch  eine  wahrhaft  wissenschaftliche  Begründung  eines  natürlichen 
Systems  in  der  Botanik  erst  dann  möglich,  wenn  vermittelst  des 
synthetischen  Verfahrens  die  wirkliche  Zusammengehörigkeit  und  Ver- 
wandtschaft der  verschiedenen  Typen  einer  Gattung  und  der  verschie- 
denen Genera  einer  Familie  nachgewiesen  ist.  Alle  Arten  einer  natür- 
lichen Gattung  sind  Modificationen  eines  und  desselben  Urtypus, 
welcher  sich  in  concreter  Gestalt  nicht  mehr  reconstruiren  lässt.  Wohl 
aber  ist  es  möglich,  die  Bildungsgesetze  kennen  zu  lernen,  unter  deren 
Einflüsse  die  verschiedenen  Formen  entstanden.  Bei  sUmmtlichen  Arten 
einer  Gattung  müssen  sich  in  allen  Organen  die  wirklich  vorhandenen 
Gestalten  auf  die  gleichen  biegsamen  Grundformen  eines  Urtypus 
zurückführen  lassen.  Ausserordentlich  lehrreich  ist  es  nun,  die 
Wandelbarkeit  der  Formen  innerhalb  der  Grenzen  einer  einzelnen 
Art  zu  untersuchen.  Man  wird  häufig  finden ,  dass  die  wirklich  vor- 
kommenden Variationen  grösser  sind,  als  die  Unterschiede  zwischen 
den  Normaltypen  differenter  Species  einer  und  derselben  Artengruppe. 
Ein  Beispiel  wird  dies  am  besten  klar  machen ,  während  andererseits 
die  wissenschaftliche  Bedeutung  der  Untersuchung  des  zu  besprechen- 
den concreten  Falles  durch  die  vorstehenden  Betrachtungen  hervor- 
gehoben worden  ist. 

Die  Gattung  Rubus  ist  eine  ziemlich  umfangreiche.  Sie  um- 
schliesst  Formen  mit  holzigem  und  solche  mit  krautigem  Stamm, 
mit  ungetheilten,  gelappten,  gefingerten  und  fussförmig 
geschnittenen  Blättern,  mit  eingeschlechtigen  und  zwitte- 
rigen, mit  kronenlosen  und  grosskronigen  Blüthen,  mit  krug- 
förmigen    und  radförmigen   Kelchen,    mit  zahlreichen   und 


Die  synihetische  Nettiode  in  der  Systematik.  )05 

wenigen  Sleoipeln,  mit  saftigen  und  safllosen  Früchten  u.  s.  w. 
Würde  eine  Anzahl  von  intermediären  Arien  ausfallen ,  so  würde  die 
(vattung  bequem  in  mehrere  sehr  natürliche  kleine  Genera  zerlegt  wer- 
den können.  Bia  zum  Jahre  48^6  erschien  eine  ganze  Reihe  von  Dar- 
stellungen der  Gattung  Rubus  namentlich  in  den  grossen  systematischen 
Werken;  das  seitdem  angesammelte  Material  harrt  aber  noch  einer 
wissenscbaftlicben  Bearbeitung.  Jene  früheren  Uebersichten  der  Rubi 
summen  meistens  in  den  wesentlidisten  Eintheilungsprincipien  über- 
ein:  man  unterschied  krautige  und  strauchige  Formen,  unter 
beiden  dann  wieder  solche  mit  einfachen  und  solche  mit  zu- 
sammengesetzten Blättern.  Unter  den  strauchigen  Arten  mit 
!:etheilter  Blattfläche  pflegte  man  dann  die  fingerblätterigen  und 
die  ficd  er  blätterigen  Typen  zu  unterscheiden.  Es  würde  zu  weit 
rubren,  das  Ungenügende  einer  solchen  ^lintheilung  auseinander  zu 
setzen,  aber  es  muss  anerkannt  werden,  dass  einige  natürliche  Gruppen 
l)ei  derselben  ziemlich  deutlich  hervortreten.  Man  wird  sich  überhaupt 
so  lange  an  dieselbe  anlehnen  müssen ,  als  man  Blüthen  und  Früchte 
\  ieler  Arten  noch  nicht  genau  genug  kennt. 

Bei  der  Mannigfaltigkeit  der  Blattformen,  welche  die  Gattung 
Rubus  umfasst,  dürfte  es  zunächst  von  Interesse  sein,  den  Zusammen- 
hang  derselben  untereinander  nachzuweisen. 

Die  Grundform  des  Rubusblattes  ist  die  eiförmige,  mit  ge- 
raden, randläufigen,  unter  einem  Winkel  von  45^  ab- 
gehenden Secundärnerven,  von  denen  die  unteren  Paare 
verästelt  sind.  Diese  Form  findet  sich  insbesondere  an  den  Keim- 
pflanzen der  Rubi. 

Wenn  sich  ein  solches  Blatt  weiter  entwickeln  und  gliedern  soll, 
so  sind  mehrere  Wege  möglich ,  nämlich  1 )  Verlängerung  des  Mittel- 
nerven,  2)  Verstärkung  und  Verlängerung  der  Secundärnerven,  3)  Ver- 
grösserung  der  Winkel,  unter  denen  sich  die  Secundärnerven  ab- 
zweigen. 

Bei  einer  einfachen  Verlängerung  des  Mittelnerven  rücken  die 
Secundärnerven  weiter  auseinander,  bis  endlich  eine  Theilung  der 
Blattsubstanz  zwischen  den  Secundärnerven  zu  Stande  konunt.  Das 
Blatt  kann  nun  auf  der  Stufe  des  fiederschnittigen  stehen  bleiben, 
in  der  Regel  wird  aber  die  Sonderung  der  zu  jedem  Secundärnerven 
gehörigen  Blattflächen  bei  den  Rubusarten  leicht  eine  vollständige ,  so 
dass  gefiederte  Blätter  entstehen,  welche  den  Rosenblättern  ähnlich 
sind.  Solche  gefiederte  Blätter  finden  sich  vorzüglidi  bei  einer  Reihe 
von  Rubusarten ,  welche  in  den  Ländern  heimisch  sind ,  die  den  in- 
dischen Ocean  umgeben. 


\m  Df .  W.  0.  Foeke, 

Ganz  anders  ontwickeU  sich  das  Blatl ,  ^weon  jene  Anlage ,  iwelcho 
durch  Verästelung  des  unteren  Secundärnervenpaares  bei  der  Grund- 
form angedeutet  isl,  zu  weiterer  Ausbildung  gelangt.  Das  untere 
Socundärnervenpaar  erhält  dann  den  Raum  seitlicher  Hauptnerven ,  so 
dass  das  Blatt  strahlnervig  wird.  Die  weitere  Ausbildung  dieses 
strahlnervigen  Typus  führt  zur  Entstehung  5strahliger  und  7strahliger 
Blätter.  Da  die  Seitenstrahlen  des  strahlnervigen  Blattes  sämmtHch  aus 
verstärkten  Secundärnerven  hervorgegangen  sind,  also  ur^rQnglicb 
Winkel  von  45<^  zu  einander  bilden,  so  kann  die  Zahl  der  Hauptnerven 
des  strahlnervigen  Rubusblattes  niemals  7  überschreiten;  denn  8 
Strahlen  würden  schon  den  Kreis  sohliessen. 

Das  einfache  strahlnervige  Rubusblatt  ist  nun  zunächst  halb- 
kreisrund oder  fast  kreisrund  mit  einem  Ausschnitt,  der  den 
Blattstiel  aufnimmt,  oder  es  ist  mehr  oder  weniger  gelappt.  Derartige 
Blätter  finden  sich  bei  sehr  vielen  R üb us arten.  Wird  die  Theilung 
der  Blattfläche  vollständig,  so  dass  jeder  Hauptnerv  einem  isolirtcn 
Blättchen  entspricht,  so  entsteht  das  Fache rblatt,  welches  aus  un- 
gestielten,  strahlig  (fingcrig)  gestellten  Blättchen  besteht.  Dieser  Blatt- 
lypus  scheint  in  der  Gattung  Rubus  nur  auf  den  Sundainseln  vertreten 
zu  sein.  Seine  Entstehung  aus  dem  einfachen,  strahlnervigen  Blatte 
lässt  sieh  vielleicht  auf  eine  Tendenz  zur  Vergrösserung  der  Neigungs- 
winkel zwischen  den  Nerven  zurückführen. 

Ungleich  häufiger  kommt  bei  dem  strahlnervigen  Blatte  eine  Ver- 
längerung des  Mittelnerven  neben  einer  Tendenz  zur  Vergrösserung 
der  Neigungswinkel  der  Hauptnerven  vor.  Beide  Processe  begünstigen 
die  Theilung  der  Blattfläche.  Es  entsteht  aus  dem  3strahligen  Blatte 
zunächst  das  3zählige  mit  langgestieltem  Mittelblättchen. 
Genau  dieselbe  Form  entsteht  als  Uebergangsstufe  vom  einfachen  zum 
gefiederten  Blatte ,  sie  kommt  daher  sehr  häufig  in  der  Gattung  Rubus 
vor.  Bei  der  freien  Bewegliefakeit  isdirterBiätlchen  beträgt  der  Winkel, 
in  den  sich  die  Blättchen  stellen,  gewöhnlich  90^;  er  kann  bei  der 
Tendenz  nach  möglichster  Ausbreitung  noch  grösser  (bis  180^)  werden, 
sobald  der  Blattstiel  nicht  in  der  Ebene  der  Blattfläche  liegt.  Ausser 
dem  3zdbligen  kommt  auch  das  5zahlige  gefingerte  Blatt  mit  gestieltem 
Endbiättchen  häufig  in  der  Gattung  Rubus  vor,  die  Blättchen  stellen 
sich  in  Wt&kehi  von  60<^  (resp.  bis  7%^)  zu  einander.  Da  ohne  Ver- 
grösserung  des  ur^rüngltchen  normalen  Neigungswinkels  (45<^)  kaum 
eine  Theilung  der  Blattfläclie  bei  den  Rubusarten  vorkommen  dürfte, 
so  ist  es  auch  nicht  wahrscheinlich,  dass  es  gefingerte  Blätter  in  dieser 
Gattung  giebt,  welche  mehr  als  5  Blättchen  haben.   Beim  Vorhanden- 


Die  synthetische  Metbede  in  der  Systematik.  ]  07 

sein  von  7  Blälichen  wttrde  keine  Yergröfisening  jenes  Winkels  sUiU 
finden. 

Eine  Cofflbinaiion  des  gefingerten  und  gefiederten  Typus  findet 
sich  bei  einigen  Rubusaiien  nicht  selten;  das  langgesiielte  End- 
hlailchen  des  5fingerigen  Blattes  iM  dann  3zKhlig. 

Vergleichen  wir  nun  die  beschriebenen  Hauptformen  des  Rubus- 
iilat4es  mit  denen,  die  wirklich  an  einer  einzelnen  Art  vorkommen. 
Wir  wählen  dazu  die  gewöhnliche  Himbeere ,  Rübus  Idaeus  L.  Der 
normale  Entwickelungsgang  der  BUitter  dieser  bekannten  Pflanze  ist 
folgender. 

Aus  den  ersten  Blättern  der  Keimpflanze,  welche  dem  Grund- 
typus des  ftubusblattes  entsprechen,  entwickelt  sich  zunilchst  das 
3zäblige  Blatt  mit  langgestieltem  Endblüttchen,  daraus 
das  gefiedert  ozäfalige,  daraus  das  Tzählige  mit  gemischtem 
gefingert- gefiedertem  Typus.  Ausnahmsweise  findet  man 
aber  auch  einzelne  einfach  5fingerige  und  noch  seltener  rein 
^cfiedert-7zählige  Blätter.  Somit  sehen  wir  die  Blattformen  des 
U.  Idaeus  L.  zwischen  dem  gefiederten  und  gefingerten  Typus  schwan- 
ken ;  bald  überwiegt  die  Tendenz  zum  einen ,  bald  zum  andern.  Bei 
vielen  analogen  Arten  sind  die  Blatiformen  freier  in  einer  oder  der 
andern  Richtung  entwickelt,  so  dass  z.  B.  einige  nächst  verwandte 
amerikanische  Arten  gefingerte,  die  asiatischen  dagegen  gefie- 
derte Blätter  haben;  die  Verwandtschaft  dieser  Typen  wird  somit 
durch  unsern  europäischen  R.  Idaeus  L.  vermittelt. 

Die  angeführten  Blattformen  finden  sich  sämmtlich  bei  dem 
Normaltypus  des  Rubus  Idaeus  L. ;  es  giebt  indess  eine  eigen thümliche 
Modtfication  desselben,  welche  wir  mit  Babington  R.  Leesii  nennen 
wollen ,  und  wekfae  sich  einzig  und  allein  in  den  Blättern  vom  nor- 
malen R.  Idaeus  L.  unterscheidet.  Die  Blätter  des  R.  Leesii  am  Blüthcn^ 
zweig  und  am  Grunde  des  Schüsslittgs  sind  in  der  Regd  fast  kreis- 
rund mit  einem  Ausschnitt  für  den  Blattstiel,  meistens  ungetheilt, 
zuweilen  gelappt.  Die  späteren  Schö8slingd[>lätter  sind  3zählig,  mit 
sitseodem  oder  sehr  kurz  gestieltem  EndUättohen.  Der  R.  Leesii  zeigt 
in  diesen  Blattformen  eine  unverkennbare  Annäherung  an  die  strahl-' 
nervigen  Blätter  mit  ungetheilter  Blattfläcbe.  Er  unterscheidet  sich 
von  denselben  durch  die  entschieden  hervortretende  Tendenz  aur  Ver- 
grösserung  der  Neigungswinkel  der  seitKcben  Strahlnerven.  Während 
bei  dem  normalen  Rubus  Idaeus  L.  das  Blatt  sich  in  allen  drei  Rich^ 
tungen  entwickelt,  durch  Verlängerung  des  Mittelnerven ,  durch  Ads- 
biklung  der  seitlichen  Sirabinerven  und  durch  VorgrOsserung  des 
Neigungswinkels  derselben,  ist  bei  R.  Leesii  Bebingi«  die  eine  dieser 


108  Dr.  W.  0.  Focke, 

Tendenzen,  nämlich  die  zur  Verlängerung  des  Miiielnerven ,  völlig 
verschwunden.  Somit  nähert  sich  die  Blattform  des  R.  Leesii  Bab. 
derjenigen ,  welche  weit  entfernten  Verwandten  des  R.  Idaeus  L.  zu- 
kommt ,  allein  sie  behält  doch  in  der  Tendenz  zur  Vergrösserung  der 
Neigungswinkel  ihrer  Nerven  ein  deutliches  Merkmal  ihres  Ursprungs 
aus  einem  besonderen  Typus.  Es  handelt  sich  somit  um  eine  Art  von 
RttdLSchlag,  der  die  Urform  nachahmt,  aber  doch  das  besondere  Ge- 
präge, welches  ihm  durch  eine  lange  Reihe  von  Vorfahren  vererbt  iisl, 
nicht  völlig  verschwinden  lässt. 

Die  Betrachtung  der  Blattformen,  welche  bei  R.  Idaeus  L.  vor- 
kommen ,  weist  somit  auf  einen  bestimmten  Zusammenhang  mit  zahl- 
reichen anderen  Rubusarten  hin,  allein  dieser  Zusammenhang  lässt 
sich  auch  bei  Untersuchung  anderer  Theile  nachweisen.  Man  unter- 
scheidet, wie  vorhin  erwähnt,  die  zwei  Hauptgruppen  der  krautige» 
und  der  strauchigen  Rubi.  Die  krautigen  Arten  treiben  beblätterte 
Blttthenzweige  aus  dem  Rhizom,  die  strauchigen  aus  einem  zwei- 
jährigen oder  perennirenden  Stengel.  Bei  R.  Idaeus  L.  entwickeln  sie 
sich  in  der  Regel  aus  dem  Stamm,  mitunter  aber  auch  aus  dem 
Rhizom,  so  dass  die  Pflanze  also  gelegentlich  in  die  Gruppe  der  krau- 
tigen Species  hinüberspielt.  Femer  kommen  innerhalb  der  Gattung 
Rubusarten  mit  schwarzen ,  mit  rothen  und  mit  gelben  Früchten  vor. 
Die  Früchte  von  R.  Idaeus  L.  sind  in  der  Regel  roth,  doch  giebt  es 
bekanntlich  eine  gelbfrttchtige  Varietät,  die  häufig  cultivirt  wird. 
Nach  Arbheniüs  ist  aber  auch  eine  schwarzfrüchtige  Abänderung  in 
Schweden  beobachtet,  so  dass  bei  dieser  einen  Art  alle  3  Farben  vor- 
kommen. 

Es  nähert  sich  der  Rubus  Idaeus  L.  also  in  seinen  gelegentlichen 
Abänderungen  bald  der  einen ,  bald  der  andern  näher  oder  entfernter 
verwandten  Art.  Durch  die  sorgfältige  Beachtung  dieser  Modificationen 
vermag  man  die  wahren  Beziehungen  zwischen  den  verschiedenen 
Arten  einer  und  derselben  Gruppe  kennen  zu  lernen ,  und  man  wird 
nothwendig  dahin  gelangen ,  jeden  Normaltypus  der  einzelnen  Art  nur 
als  eine  bestimmtere  Erscheinungsform  des  Gattungstypus  aufzufassen. 
Die  Formenkreise  der  einzelnen  Arten  liefern  durch  Synthese  den 
Formenkreis  der  Gattung.  Das  Wesen  der  Gattung  besteht  aber  nicht 
darin ,  dass  alle  Arten  derselben  im  Bau  des  Kelches  und  der  Frucht 
übereinstimmen,  sondern  darin,  dass  in  allen  Organismen,  welche 
einer  Gattung  angehören ,  dieselben  Bildungsgesetze  walten ,  so  dass 
diese  auf  einen  gemeinsamen  Ursprung  aller  einzelnen  Individuen  hin- 
weisen. Nur  durch  Induction  und  Synthese  lässt  sich  die  Idee  der  Art 
aus  den  Individuen ,  die  Idee  der  Gattung  aus  dcr*Artidee  herleiten, 


Die  synthetische  Methode  in  der  Systematik.  1 09 

and  diese  Ideen  werden  von  den  Forschern  nur  dann  klar  und  richtig 
aufgefasst,  wenn  sie  genau  der  Schöpfungsgeschichte  der  betreffenden 
Arten  und  Gattungen  entsprechen.  Der  Artbegriff  ist  ein  anderer 
Ausdruck  für  die  historische  Entwicklung  der  Art  nach  Inhalt  und 
Form;  die  Idee  eines  Organismus  ist  seine  und  seiner  Vorfahren 
Geschichte. 


lieber  eine  sich  Anreh  VererbuHg  fortpflanzeHde  Asyametrie 

des  menschiieheH  Skeiets. 

Von 

Prof.  P.  Harting 

in  Utrecht. 


Es  ist  längst  bekannt,  dass  der  rechte  Ann  gewöhnlich  den  linken 
in  Umfang  übertrifft.  Dieser  Unterschied  wird  ohne  Zweifel  ganz 
richtig  erklärt  durch  den  grösseren  Gebrauch  des  rechten  Arms  bei 
den  meisten  Personen.  Wirklich  finde  ich  denn  auch  bei  solchen ,  die 
gewohnt  sind,  ihren  linken  Arm  am  meisten  zu  benutzen,  gerade  das 
Gegentheil.    Hier  ist  der  linke  Arm  der  dickste. 

Die  Frage  entsteht  jetzt:  ob  diese  grössere  Dicke  des  einen  Arms 
nur  den  musculösen  Theil  oder  auch  den  Knochen  trifft.  Die  folgenden 
Messungen  an  einigen  Skeletten  im  hiesigen  Museum  geben  darauf 
Antwort. 


Umkreis  in  Millimeter 


Männer  . 


Europöer  * 


No. 
i 

8 

4 

5 

6 

7 
Weilier  ^  g 

9 
Männlicher  Neger     4  0 


Clavicula. 

numerus. 

Rad 

ius. 

Ulna. 

d       s 

d 

s 

d 

s 

d      s 

47 

42 

84 

75 

44 

44 

45 

44 

40 

38 

69 

65 

88 

34 

36 

40 

40 

38 

73 

72 

48 

44 

44 

39 

40 

37 

84 

80 

42 

40 

87 

36 

33 

33 

75 

72 

39 

39 

78 

70 

89 

39 

84 

84 

44 

43 

42 

42 

33 

33 

68 

64 

35 

34 

36 

35 

82 

34 

58 

56 

44 

44 

67 

65 

46 

4^ 

39 

39 

Debcr  eine  sieh  durch  Vererbung  fortpflaozeode  Asymmetrie  4^8  meuschl.  SIeletg.    1 1  ] 

Da  diese  Messungen  immer  an  genau  correspondirenden  Puncien 
der  rechten  {d)  und  der  linken  {$)  Knochen  gethan  sind,  so  sind  sie 
unter  sich  vergleichbar.  Bei  No.  5,  6  und  9  könnten  der  Radius  und 
die  Ulna  nicht" gemessen  werden,  wegen  der  Gegenwart  des  Liga- 
mentum interosseum. 

Es  folgt  aus  diesen  Messungen,  dass  in  der  Regel  bei  europaischen 
Männern  und  Frauen,  am  meisten  aber  bei  erstem,  die  Knochen  am 
rechten  Arm  etwas  dicker  sind  als  am  linken.  Das  einzige  Skelet  des 
Negers  zeigte  fast  gar  keinen  Unterschied. 

Diese  Differenz  zwischen  den  beiden  Armen  wird  noch  äugen - 
fälliger,  wenn  man  die  Knochen  wägt,  statt  sie  zu  messen.  Die 
folgenden  Wägungen  betreffen  No.  4  der  vorigen  Tabelle. 


Gewicht  in 

Grammen. 

d 

S 

Scapula 

68,98 

66,45 

Glavicula 

24,34 

23,80 

Humerus 

4  55,32 

U4,30 

Radius 

54,45 

48,93 

Ulna 

57,26 

53,05 

357,29 

336,53 

Das  Yerhältniss  zwischen  dem  Gesammtgewichte  der  Knochen  dos 
rechten  und  des  linken  Arms  (ohne  die  Handknochenj  ist  106,2  :  400. 

Eine  zweite  Frage  bot  sich  jetzt  dar:  ist  diese  Asymmetrie  des 
Skelettes  erst  nach  der  Geburt  entstanden,  oder  ist  sie  erblich? 

Schon  seit  vielen  Jahrhunderten  wird  der  rechte  Arm  von  den 
Europäern  mehr  in  Gebrauch  gezogen  als  der  linke.  Das  Wort  d  e  x  - 
ieritas  in  der  lateinischen  Sprache  zeugt  für  das  Alter  dieser  Ge- 
wohnheit. 

Bei  42  neugeborenen  Kindern  wurden  in  der  Entbindungsanstalt 
auf  meine  Veranlassung  vom  Candidat  Herrn  Bontin  die  Ober-  und 
Unterarme  gemessen.  Die  Resultate  dieser  Messungen  zeigten  aber 
keinen  deutlichen  Unterschied  im  Umkreise  der  beiden  Arme.  Die 
Mittelzahlen  sind  fast  genau  gleich. 

Die  Messungen  des  Humerus  und  des  Radius  an  drei  Skeletten 
von  Neugeborenen  zeigten  wohl  eine  Differenz ,  welche  aber  zu  klein 
war,  um  daraus  mit  Sicherheit  einen  Schluss  zu  ziehen.  Auch  hier 
zeigte  sich  das  Wagen  besser  als  das  Messen.  Von  zwei  dieser  Ske- 
lete  wurden  die  vorderen  Extremitäten ,  mit  Einschluss  der  Clavic|ila 
und  Scapula,  gelöst,  soi^(ältig  gereinigt,  dann  getrocknet  und  gewogen. 
Ihr  Gewicht  war : 


112    Prof.  P.  Harting,  Ueber  eine  sich  dnrcb  Vererbtiii^;  Tortpflanzende  Asymmetrie  ete. 


Fechter 

linker 

No.  4 

4  0,68  Gram. 

4  0,14  Gram. 

»     2 

12,28       » 

12,04       » 

Es  scheint  also,  dass  schon  bei  der  Geburt  die  Knochen  des 
rechten  Arms  etwas  schwerer  sind ,  als  die  des  linken ,  und  dass  man 
Ursache  hat,  diesen  Unterschied  als  einen  vererbten  zu  betrachten. 


lieber  PalpafJM  der  Beekemoi^ane  ud  aber  graphische 

NetiruBg  de»  Resultats  derseihea. 


Von 

B.  S.  Schultse. 


Mit  Tafel  IV. 


Es  ist  von  ziemlich  allen  Gynäkologen  anerkannt,  däss  die  Er- 
kenntniss  der  meisten  für  die  arztliche  Diagnose  wichtigen  Eigen- 
schaften der  im  Becken  des  Weibes  gelegenen  Organe  weit  vollständiger 
zu  erlangen  ist  durch  das  gleichzeitige  Tasten  von  der  Yaglna  und  von 
der  Bauchwand  her  (die  sogenannte  combinirte  Untersuchung) ,  als  da- 
durch, dass  wir  nur  einzeln  zuerst  von  der  Bauchwand  aus,  dann  von 
der  Vagina  aus  tasten;  und  welcher  Arzt  diese  combinirte  Unter- 
suchungsmethode noch  nicht  geübt  hat ,  kann  sich  bei  der  ersten  Pa- 
tientin ,  deren  Beckenorgane  palpirt  werden  sollen ,  von  den  grossen 
Vortheilen  dieser  Untersuchungsmethode  überzeugen. 

In  einer  Recension  meiner  Arbeit:  »Ueber  Palpation  normaler 
Eierstöcke  etc.«  ^]  in  British  and  foreign  medical  review  ^)  wurde  ver- 
misst,  dass  ich  über  die  zweckmässige  Lagerung  der  Patientin  für 
combinirte  Untersuchung  mich  nicht  eingehend  genug  ausgesprochen 
hatte.  Ich  hatte  das  deshalb  nicht  für  nothwendig  gehalten ,  weil  in 
Deutschland  wenigstens  die  Gynäkologen  von  Fach  die  combinirte 
Untersuchung  seit  einer  Reihe  von  Jahren  ziemlich  allgemein  üben  und 
also  die  entsprechende  Lagerung  als  bekannt  vorausgesetzt  werden 
konnte;  in  England  scheint  es  fast,  dass  erst  durch  das  vortreffliche 
Werk  von  Marion  Sims  ^)  die  allgemeine  Aufmerksamkeit  auf  die  .Vor- 
theile  der  combinirten  Untersuchung  gerichtet  worden  sei.    ich  will 


i)  Diese  Zeitschrift.  Bd.  I.  4S64.  p.  S70. 

S)  British  and  foreign  medical  Review.  October  4867. 

8)  Clinical  notes  on  uterine  surgery.  By  J.  llAaioir  Sims.  London  4866. 

B4.  V.   1.  8 


114  B.  S.  Scbtiltze, 

daher  hier  Über  die  Lagerung  der  Patientin  und  über  die  Stellung  des 
Untersuchenden ,  wie  ich  beide  für  am  zweckmässigsten  halte ,  kurz 
das  folgende  bemerken. 

Die  combinirte  Untersuchung  kann  nur  in  der  Rückenlage  der 
Patientin  und  zwar  auf  einer  müssig  festen  Unterlage,  Matratze,  Sopha, 
Tisch,  mit  Vortheil  vorgenommen  werden.  Sras  zieht  einen  eigens 
dazu  construirten  Tisch  als  Unterlage  jeder  andern  vor.  Die  der  P^al- 
pation  häufig  sogleich  nachfolgende  Application  des  Speculum  in 
Seitenlage  wird  in  der  That  auf  dieser  Unterlage  am  besten  vor- 
genommen und  will  man  die  Application  des  SiMs'schen  Speculum  so- 
gleich folgen  lassen,  so  ist  es  natürlich  vortheilhaft,  beide  Unter- 
suchungen auf  demselben  Lager  vorzunehmen.  Nun  bedarf  es  der  Er- 
wähnung kaum ,  dass  mit  Zuziehung  der  nöthigen  Assistenz  auch  auf 
Sopha  oder  Bett  die  Application  des  SiMs'schen  Speculum  sehr  gut 
auszuführen  ist.  Aber  erstens  nehmen  wir  häufig  die  Palpation. vor, 
ohne  dass  wir  die  Application  des  Speculum  wollen  nachfolgen  lassen. 
Zweitens  sind  wir  deutschen  Aerzte,  weil  die  deutschen  Frauen  viel- 
fach einen  entschiedenen  Widerwillen  dagegen  haben,  zu  jeder  Unter- 
suchung Assistenten  zuziehen  zu  lassen ,  sehr  häufig  in  der  Lage ,  mit 
dem  röhrenförmigen  Speculum ,  am  besten  dem  Fbrousson -sehen  voll- 
komn^en  auszukommen ,  und  auch  das  lässt  sich  bei  der  Lagerung  auf 
Bett  oder  Sopha  sehr  gut  appliciren.  Drittens  nehmen  wir  ja  sehr 
häufig  eine  genaue  Palpation  der  Beckenongane  vor  unter  Umständen, 
die  es  vortheilhaft  oder  nothwendig  erscheinen  lassen ,  jede  bedeuten- 
dere active  oder  passive  Bewegung  der  Kranken ,  wie  die  Placirung  auf 
ein  besonderes  Untersuchungslager,  zu  vermeiden.  Aus  diesen  Grün- 
den nehme  ich  die  combinirte  Palpation  der  Beckenorgane  verhäHniss- 
mässig  selten  auf  dem  Tisch,  sehr  viel  häufiger  auf  dem  Bett  oder  Sopha 
vor.  Die  Lagerung  der  Patientin  muss  vor  allen  Dingen  bequem  sein, 
damit  ihre  Musculatur  erschlaffe.  Der  Kopf  und  auch  die  Schultern 
seien  massig  erhöht ,  nur  selten  ist  es  nöthig ,  auch  den  Steiss  duroh 
eine  Unterlage  massig  zu  erhöhen,  nämlich  nur  dann,  wenn  durch 
organische  Bildung  oder  durch  nicht  zu  beseitigende  Willkür  oder  Un- 
künde  der  Patientin  die  Stellung  des  Beckens  zum  Rumpf  eine  allzu 
geneigte  ist.  Die  meisten  Patientinnen  sind  im  Stande,  auf  G^heiss  des 
Arztes  die  Genitalöffnung  durch  Beugung  der  Lendenwirbel  hinreichend 
weit  nach  vorn  und  oben  zu  schieben ,  um  der  palpirenden  Hand  auch 
auf  vollkommen  gerader  Unterlage  freien  Spielraum  zu  bieten,  i)    Durch 

4)  Vergleiche  über  die  Grösse  der  Bijegsamkeit  der  unteren  Wirbelgelcnke 
meinen  Aufsatz  »Erleichterung  der  Geburt  durch  Verminderung  der  im  Becken  ge- 
gebenen Widerstände«  im  III.  Band  dieser  Zeitschrift.  4867.  p.  S73. 


üeber  Palpiücn  der  Becktnorgsuie  etc.  115 

die  genanBte  willkürliche  Stellung  des  Beckens  werden  gleichzeiiig  die 
Ansatiponkte  der  Bauchmuskeln  einander  in  einer  für  die  Erschlafiung 
der  Bauchdecken  höchst  vortheilhaften  Weise  genähert.  Die  Ober- 
und  Unterschenkel  der  zu  Untersuchenden  werden  massig  flectirt  ge- 
sIeHty  so  dasa  die  Fersen  etwa  auf  UnterschenkeUänge  vom  unteren 
Rümpfende  entfernt  auf  dem  Lager  stehen. 

Die  Fersen  müssen  dabei  so  weil  von  einander  entfernt  bleiben, 
dass  der  Arm  des  Untersuchenden  zwischen  denselben  freien  Spiel- 
raum hat.  In  dieser  Stellung  müssen  dann  die  Rniee  einfach  durch 
vollständige  Erschlaffung  der  Oberschenkelmus<»ilatur  auseinander 
fiallen. 

Bei  Untersuchung  auf  einem  Tisch  mag  der  Untersuchende  je  nach 
der  HÖh&dbesselben  vor  den  gespreizten  Schenkeln  der  Patientin  sitzen 
oder  stehen ;  bei  der  Untersuchung  auf  Bett  oder  Sopha  ist  die  dnzig 
richtige  Stellung  des  Untersuchenden  die,  auf  dem  Band  des  Lagers 
oder  wenn  die  Patientin  ganz  am  Band  des  Lagers  liegt,  auf  einem 
daneben  stehenden  dem  Lager  gleich  hohen  Sessel  neben  den  Füssen 
der  Patientin  bequem  zu  sitzen. 

Neben  dem  Bettrand  stehend  zu  untersuchen,  wie  man  es  häufig 
siebt,  nimmt  die  Musculatur  des  gesammten  Körpers  viel  zu  sehr  in 
Anspruch ,  als  dass  diejenige  Feinheit  der  tastenden  Bewegungen  mög- 
lich wäre,  welche  allein  zu  einem  genauen  Besultat  führen  kann. 

Dass  der  Gynäkolog  amphidexter  sein  soll,  ist  eine  alte  Begel,  von 
welcher  eine  Ausnahme  zu  machen  zunächst  höchst  unbequem  ist,  weil 
nicht  jedes  Bett  von  jeder  Seite  zugänglich  ist.  Ich  zi^e  im  Allge- 
meinen vor,  die  linke  Hand  für  die  Vagina^alpation-zu  verwenden, 
weil  die  Finger  der  linken  Hand  etwas  schlanker  zu  sein  pflegen ; 
übrigens  habe  ich  schon  früher  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  nach 
dem  linken  Ovarium  und  überhaupt  gegen  die  linke  Beckenseite  hin 
erfolgreicher  die  linke,  nach  dem  rechten  Ovarium  und  der  rechten 
Beckenseite  erfolgreicher  die  rechte  Hand  per  vaginam  tastet;  während 
die  Fingerspitzen  der  anderen  Hand  von  den  Bauohdecken  her  entgegen 
tasten. 

In  bis  dahin  unbekannte  Genitalien  wird  man  stets  nur  den 
Zeigefinger  der  untersuchenden  Hand  einführen.  Für  den ,  der  massig 
schlanke  Pinger  hat ,  ergiebl  sich  dann  in  der  Mehrzahl  der  FäUe ,  dass 
auch  die  Einführung  des  Zeige-  und  Mittelfingers  ohne  alle  lästige 
Spannung  geschehen  kann,  und  für  das  Resultat  der  Untersuchung  er- 
wäofafit  daraus  für  viele  Fälle  ein  grosser  Vortheil ,  weniger  dadurch, 
dass  wir  mit  dem  Mittelfinger  etwa  einen  Gtm.  weiter  tasten ,  als  mit 
dem  Zeigefinger,    sondern  mehr  noch  dadurch,    dass  zwei 

8* 


116  B.  S.  Scboltze, 

an  auseinanderliegenden  Stellen  gleichzeitig  tastende 
Flächen  die  Lagerung  der  Beckenorgane  zu  einander  weit 
sicherer  erkennen  lassen,  als  ein  einzelner  zuerstida  — 
hin,  dann  dorthin  tastender  Finger.  Dieser  letztgenannte 
Vortheil  tritt  namentlich  dann  ganz  eklatant  hervor,  wenn  wir  die' vier 
Fingerspitzen  der  andern  Hand  vom  Bauch  her  entgegentasten  lassen. 

In  Betreff  ^er  für  richtige  Deutung  des  Palpirten  unerlasslichen 
Cautelen  kann  ich  nur  auf  das  verweisen,  was  ich  an  der  citirten 
Stelle  über  Palpation  der  normalen  Ovarien  gesagt  habe;  ich  halte 
meine  Schüler  in  Betreff  der  Technik  der  Beckenpalpation  dann  für 
ausgelernt,  wenn  sie  unter  nicht  allzu  schwierigen  Verhältnissen 
normale  oder  wenig  vergrösserte  Ovarien  genau  palpiren  können. 
Nur  ein  Httlfsmittel,  welches  ich  dort  nicht  erwähnt  habe,  muss 
ich  als  sehr  wichtig  hier  nennen,  das  ist  die  Palpation  des 
Psoas,  welche  für  die  gesammte  Orientirung  im  Becken  und  speciell 
für  die  Tastung  der  Ovarien  die  vom  Bauch  her  tastende  Hand  erfolg- 
reich leitet.  Bei  der  vorhin  beschriebenen  Lage  der  Kranken  ist  ihr 
Psoas  erschlafft  und  nicht  zu  palpiren.  Man  lasse  die  Patientin  den 
Schenkel  kurze  Zeit  activ  flectiren,  während  der  in  der  Vagina  liegende 
Finger  in  der  Richtung  zum  Eierstock  hin ,  die  von  aussen  tastenden 
Finger  über  die  Stelle ,  wo  der  Psoas  den  Beckeneingang  begrenzt,  ge- 
lagert sind.  Man  fühlt  momentan  den  sich  spannenden  Bauch  des 
Psoas,  unter  dessen  nun  bereits  wieder  erschlafftem  Innenrand  der 
normal  gelagerte  Eierstock  den  gegeneinander  tastenden  Fingern  nicht 
entgehen  kann.  Der  Innenrand  des  Psoas  leitet  auch  den  tastenden 
Finger  in  seinem  oberen  Theil  mit  grosser  Sicherheit  auf  die  sperma- 
tischen Stränge,  längs  deren  Venenplexus  nicht  allein  bei  frischen 
Puerperalaffectionen  wichtige  acute  Krankheitsprooesse  verlaufen,  son- 
dern längs  deren  auch  bei  nachbleibenden  chronischen  Leiden  der 
untersuchende  Finger  diagnostisch  wichtige  Schwellung  und  Schmerz- 
haftigkeit  noch  nach  Jahren  aufzufinden  im  Stande  ist. 

Es  ist  allgemein  bekannt,  dass  die  Digitaluntersuchung  per 
rectum  die  Digitaluntersuchung  per  vaginam,  wo  dieselbe  durch 
irgend  welche  Umstände  sich  verbietet,  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  zu  ersetzen  im  Stande  ist.  Weniger  gebräuchlich  ist  es,  in 
diesen  Fällen  auch  die  Rectumuntersuchung  mit  der  Pal- 
pation von  der  Bauchwand  her  zu  combiniren..  Ich  kann 
versichern,  dass  diese  Combination  unter  nicht  allzu  schwierigen 
Umständen  ziemlich  vollständigen  Ersatz  für  die  combinirte  Vaginal- 
und  Abdominaluntersuchung  zu  geben  im  Stande  ist.  Ich  habe  die- 
selbe namentlich  in  Fällen   von   narbiger  Starrheit  und  theil  weiser 


Ueber  PalpatioQ  der  Beekenorgane  etc.  j|  }7 

UnzugäDglicbkeit  der  Vagina  oder  bei  Mangel  derselben  erfolg- 
reich gefunden.  Ich  erinnere  in  dieser  Beziehung  an  den  Hernia- 
pbrodilen  Hohmann  *) ,  bei  welchem  ich  durch  die  combinirte  Recto- 
Abdominalpalpation  die  Abwesenheit  der  Prostata  und  die  Existenz  des 
ganz  rudimentären  Uterus,  sowie  der  im  Becken  gelegenen  rudimen- 
tären linken  Keimdrüse  zu  constatiren  im  Stande  war. 

Ich  möchte  die  combinirte  Rccto-Abdominaluntersuchung 
auch  fttr  die  Diagnose  krankhafter  Zustände  der  männ- 
lichen Beckenorgaüe  empfehlen,  wo  dieselbe,  so  viel  mir  be- 
kannt, nicht  angewendet  wird.  Es  ist  a  priori  wahrscheinlich,  dass 
die  combinirte  Pdipation  der  Prostata  in  vielen  Fällen  weit  ergiebiger 
sein  wird,  als  die  isolirt  vom  Rectum  aus  vorgenommene. 

Ich  muss  schliesslich  der  combinirten  Recto-Yaginal- 
untersuchung  Erwähnung  thun,  welche  meines  Wissens  bis  dahin 
nicht  geübt  wird ,  und  welche  meiner  Erfahrung  nach  für  Erkennung 
pathologischer  Zustände  des  DouGLAs'schen  Raumes  Resultate  liefert, 
welche  an  Sicherheit  die  durch  isolirte  Untersuchung  per  rectum  oder 
vaginam  gewonnenen  weit  übertreffen.  Wenn  man  den  Zeigefinger 
möglichst  hoch  ins  Rectum  hinauflegt,  reicht  man  bequem  an  die  obere 
Grenze  des  DouGLAs'schen  Raumes  und  kann  daselbst  dieDoucLAs'schen 
Falten  sowohl  im  normalen ,  als  auch  noch  viel  deutlicher  im  Zustand 
exsudativer  Verdickung  palpiren;  selbstverständlich,  dass  es  auch  für 
diese  Palpation  sehr  hülfreich  ist,  den  Uterus  gleichzeitig  vom  Bauch 
her  zu  fixiren.  Wenn  man  nun  den  Daumen  der  per  rectum 
untersuchenden  Hand  über  den  Damm  in  die  Vagina  schiebt,  gelingt 
es  fast  ausnahmslos  bei  gleichzeitig  nicht  unterbrochener  Palpation 
mit  der  andern  Hand  von  aussen  den  DouGLAs'schen  Raum  fast  in 
ganzer  Ausdehnung  zwischen  die  Finger  zu  fassen.  Im  normalen  Zu- 
stande palpirt  man  gewöhnlich  nichts  als  die  aneinanderliegenden 
Wände  des  Rectum  und  der  Vagina ,  aber  nicht  ganz  selten  fassen  die 
Finger  eine  schnell  entschlüpfende  Darmschlinge,  in  andern  Fällen  liegt 
daselbst  für  die  Finger  zugänglich  ein  Ovarium,  in  noch  anderen  Fällen 
ist  es  höchst  wichtig,  daselbst  gelegene,  peritonäale  Exsudate  oder 
Blutergüsse  durch  die  genannte  Art  der  Untersuchung  zu  constatiren 
und  in  ihrem  Verlauf  zu  controliren.  ^) 


i)  ViicHOw'8  Archiv.   Bd.  XUII.  4868.  p.  8t9. 

2)  Dass  im  DouoLAs'schen  Raum ,  d.  h.  in  demjenigen  Theil  der  Peritoneal- 
höhle,  welche,  abwärts  von  den  DouoLAs'schon  Falten  gelegen,  vom  Rectam,  dem 
hinteren  oberen  Theil  der  Vagina  und  einem  kleinen  Theil  der  hinteren  Uterus- 


l\^  B«  S.  Sehultie, 

Ich  habe  im  Vorausgehenden  fast  nur  von  der  combiniiien  Pal- 
pation der  Beckenorgane,  von  der  gleichzeitigen  Palpation  von  der 
Vagina  (oder  dem  Rectum)  und  von  der  Bauchwand  her  gesprochen ; 
es  ist  wohl  kaum  nöthig,  mich  gegen  das  Missverständniss  zu  wahren, 
als  ob  ich  diese  Art  der  Palpation  für  die  einzig  ergiebige  in  Bezug  auf 
den  Befund  der  Beckenorgane  hielte.  Ich  würde  es  im  Gegentheii  für 
sehr  einseitig  und  unzweckmässig  erklären  mttssen ,  in  irgend  einem 
Krankheitsfalle  die  Palpation  ausscWiesslich  combinirt  vorzunehmen. 
Die  isolirl  äussere  sowohl ,  als  die  isolirt  riiDere  Untersuchung  bieten 
jede  ihre  besonderen  Vortheile ,  liefern  jede  ihre  eigenthttmlichen  Re- 
sultate, welche  sich  der  Gynäkolog  nicht  darf  entgegen  lassen.  Ich 
nehme  fast  jedes  Mal ,  ausnahmslos  aber  bei  jeder  ersten  Untersuchung 
eines  Falles ,  zuerst  die  äussere ,  dann  die  innere  und  erst  dann  die 
combinirte  Untersuchung  vor. 

Die  Inspection  des  Unterleibes  darf  man  sich  und  der  Patientin 
in  der  weitaus  grössten  Anzahl  der  Fälle  schenken,  aber  die  Per- 
cussion  des  Unterleibes  halte  ich  im  Gegensatz  zu  Veit  ^)  für  viel  zu 
wichtig  für  die  Diagnose  von  Erkrankung  der  Beckenorgane ,  als  dass 
ich  sie  in  irgend  einem  Falle  als  Einleitung  der  ersten,  in  vielen 
Fällen  auch  einer  jeden  nachfolgenden  Untersuchung  jentbehren 
möchte.  Schon  wegen  Beurtheilung  des  zu  erwartenden  Resultates 
der  nachfolgend  vorzunehmenden  Palpation,  ist  es  nicht  unwichtig, 
zuvor  bekannt  zu  sein  mit  denjenigen  Percussionsbefunden,  welche  uns 
aber  den  Fttllungszustand  des  Darmes  und  der  Blase  einigen  Aufschluss 
geben.  Dann  aber  giebt  es  ja  so  schlaffe,  von  den  Genitalorganen 
ausgebende  Geschwülste ,  dass  dieselben  der  blossen  Palpation  zu  ent- 
gehen im  Stande  sind ,  wenn  wir  nicht  durch  vorausgeschickte  Per- 
cussion  auf  dieselben  besonders  aufmerksam  gemacht  worden  sind, 
und  auch  ob  ein  Tumor ,  den  die  Palpation  nachher  ermittelt,  der  vor- 


wand begrenzt  wird ,  in  der  Melirzah)  der  Fälle  keine  Darmschlinge  gelegen  ist, 
darin  stimme  ich  auf  Grund  meiner  Untersuchungen  an  der  lebenden  Frau  mit 
Claudius  überein.  (Claudius.  Uober  die  Lage  des  Uterus  in  Hbklb  und  Pfeüffek*» 
Zeitschr.  f.  rat.  Med.  III.  XIII.  p.  249).  Den  ebendaselbst  ausgesprochenen  colos- 
salen  Irrthum,  dass  der  Uterus  im  gesunden,  lebenden  Weibe  unbewegt  im  Becken 
ruhe ,  seine  hintere  Wand  dem  Rectum  und  der  Beckenwand  anliegend ,  die  Be- 
hauptung, dass  es  Thatsacbe  sei ,  dass  derselbe  unter  normalen  Verhältnissen  keine 
Locomotionen  ausführen  könne,  will  ich  hier  nicht  und  brauche  ich  Ülferhaupl 
wohl  nicht  zu  widerlegen.  Was  können  Sectionsbefunde  und  Durchschnitte  an 
gefromen  Leichen  für  den  Zustand  im  Leben  da  beweisen,  wo  directe  Sinnes- 
Wahrnehmung  an  der  Lebenden  das  Gegentheii  zeigt? 

i)  VmcHow's  Pathologie  und  Therapie.    Bd.  VI.    Abth.  9.    t.  Heft.    t.  Aufl. 
4867.  p.  t64. 


Deber  Pftlpation  der  Beekenorgane  etc.  119 

deren  fiauc^wand  urspiünglich  anlag  oder  durch  Darmschlingen  von 
derselben  getrennt  war,  idt  in  manchen  Fällen  zu  wissen  wichtig.  Der 
Percussion  hat  dann  in  allen  Fällen  die  Palpation  nachzufolgen. 

Ich  will  die  möglichen  anomalen  Hesultato  derselben  nicht  einzeln 
anfuhren ;  von  grosser  Wichtigkeit  schon  ist  das  in  den  meisten  Fällen 
sich  ergebende  Resultat,  dass  etwaig  Anomales  oberhalb  des  Beckens 
weder  zu  percutiren,  noch  zu  palpiren  ist.  Die  dann  isolirt  vorzu- 
nehmende Vaginalpalpation  informirt  uns  über  den  {nhalt,  über  die 
Gestalt  und  Über  die  Oberfläche  der  Vulva  und  Vagina,  speciell  des 
Scheidengewöibes  und  über  die  Gestalt-  und  Consistenzverhältnisse 
der  VaginalporVkm  viel  vollkommener,  als  wenn  wir  schon  gleichzeitig 
von  aussen  gegenpalpiren.  £s  ist  ein  viel  leiseres  Tasten  erforderlich, 
um  über  die  Beschaffenheit  der  Oberfläche  der  Vagina  und  Vaginal- 
porlton  uns  zu  informiren ,  als  wie  nachher  angewendet  werden  muss, 
um  die  zwischen  Soheidengewölbe  und  Bauchwand  gelegenen  Gebilde 
zu  umtasten.  Weiche  Hervorragungen  an  der  Oberfläche ,  welche  sich 
durch  abweichende  Consistenz  nicht  unterscheiden,  selbst  kleine 
Schleimpolypen  am  Eingang  des  Muttermundes  entgehen  dem  in  der 
Vagina  tastenden  Finger ,  wenn  demselben  von  vornherein  die  andere 
Uand  von  der  Bauchwand  her  entgegentastet. 

Also  erst  nachdem  die  Percussion  und  Palpation  des  Unterleibes 
und  erst  nachdem  die  isolirte  Palpation  von  der  Vagina  aus  vor- 
genommen wurde,  ist  die  combinirte  Untersuchung  nachzuschicken, 
wenn  wir  zu  einem  vollkommenen  Resultat  gelangen  wollen. 

In  manchen  Fällen  reicht  bekanntlich  die  Digitalpalpation  nicht 
aus  zur  Orientirung  über  die  Form-  und  Grössenverhältnisse  der 
Beckenorgane  und  wir  haben  behufs  derselben  noch  die  Höhle  der  Ge- 
bärmutter mit  der  Sonde  zu  palpiren.  Wir  bedürfen  allerdings  der- 
selben um  so  seltener  zur  Gonstatirung  der  Richtung  der  Uterushöhle, 
je  mehr  wir  geübt  sind  in  der  combtnirten  Digitalpalpation ,  aber  es 
giebt  in  der  That  auch  für  den  Geübten  noch  zahlreiche  Fälle ,  wo, 
namentlich  bei  Anwesenheit  von  Tumoren  neben  dem  Uterus,  der 
Fundus  uteri  als  solcher  nur  durch  Betretung  seiner  Höhle  mit  der 
Sonde  zwischen  den  Tumoren  herausgekannt  werden  kann ;  dann  aber 
ist  es  uns  oft  von  Wichtigkeit,  auch  wo  wir  über  die  Richtung  des 
Uterus  durch  die  Digitalpalpation  vollständig  im  Klaren  sind,  die  Länge 
und  die  Weite  und  andere  Eigenschaften  seiner  Höhle  genau  zu  con- 
statifen,  und  dazu  besitzen  wir  in  der  Sonde  das  einzige  Mittel. 

Ich  bemerke  bei  der  Gelegenheit,  dass  ich  die  Sonde  ausschliesslich 
als  diagnostisches  Instrument  anwende  und  dass  ich  es  für  durchaus 
falsch  halte,  unter  irgend  welchen  Umständen  den  Uterus  mittelst  der 


1 


1 20  B.  S.  ScbalUe, 

Sonde  zu  reponiren.  Wo  es  zur  Reposition  des  Uterus  in  seine  normale 
Stellung  einiger  Kraft  überhaupt  nicht  hedarf ,  reichen  die  Finger  stets 
aus ,  und  wo  die  von  der  Vagina  oder  selbst  vom  Rectum  aus  ange- 
setzten Finger  (stets  controlirt  durch  die  vom  Abdomen  her  palpirende 
andere  Hand)  zur  Reposition  nicht  ausreichen ,  ist  es  absolut  ver- 
werflich, selbst  wenn  die  Reposition  unter  diesen  Umständen  noch 
indicirt  wäre ,  die  Uterusschleimhaut ,  auch  die  gesunde ,  zum  Ansatz- 
punkt für  die  reponirende  Kraft  zu  wählen. 

Wenn  wir,  nach  möglichst  genau  zuvor  durch  die  Digitalunter- 
suchung gestellter  Diagnose ,  über  die  Richtung  y  Länge  und  Weite  der 
Uterushöhle  uns  Gewissheit  verschaffen  wollen ,  ist  es  -von  Wichtigkeit, 
dass  wir  nicht  einer  starren,  auch  nicht  einer  elastischen,  sondern 
einer  biegsamen  und  in  jeder  Biegung,  die  wir  ihr  geben,  stehen 
bleibenden  Sonde  uns  bedienen.  Ich  habe  seit  länger  als  4  0  Jahiea 
mich  keiner  anderen  als  ausgeglühter  eiserner  und  weicher  neu- 
silberner  Sonden  bedient,  und  habe  jetzt  mir  dieselben  nach  dem  Vor- 
gänge von  SiHS  aus  dem  noch  biegsameren  Kupferdraht  fertigen  lassen. 

Es  ist  ein  grosser  Vortheil,  eine  derartige  Sonde  zur  Hand  zu 
haben ,  welcher  man ,  selbst  ohne  die  Vaginaluntersuchung  zu  unter- 
brechen ,  mit  der  anderen  Hand  sofort  diejenige  Biegung  geben  kann, 
die  man  durch  die  eben  vorgenommene  combinirte  Palpation  als 
die  diesem  Uterus  entsprechende  erkannt  hat.  Man  vermeidet  da- 
durch jede  geringste  Schleimhautverletzung,  ganz  sicher  namentlich  in 
allen  denjenigen  Fällen,  wo  es  sich  nur  noch  darum  handelt,  den 
Längs-  unä  den  Querdurchmesser  der  Uterushöhle  zu  constatiren.  Für 
diesen,  mir  den  häuOgsten  Gebrauch  der  Uterussonde ,  habe  ich  meine 
ßonden  so  construirt,  dass  erstens  ihr  Caliber  eine  bestimmte  Scala 
darstellt,  ich  habe  sie  zu  S,  3,  4,  5  und  6  Mm.  Durchmesser,  und  dass 
zweitens  eine  jede  auf  ihrer  Hinterseite  einen  Maassstab  trägt,  an  wel- 
chem der  am  Muttermund  liegende  Finger  beim  Einführen  wie  beim 
Ausführen  der  Sonde  die  Tiefe  der  Uterushöhle  leicht  ables^i  kann. 
Die  Entfernung  von  4  Ctm.  von  der  Spitze  ist  durch  einen  seichten, 
dem  Finger  eben  fühlbaren  Kerb  bezeichnet ,  wenn  dieser  den  Finger 
passirt,  passirt  der  Knopf  der  Sonde  den  inneren  Muttermund ;  7  Ctm. 
von  der  Spitze  des  Knopfs  ist  an  der  Rückseite  der  Sonde  ein  etwas 
vorspringender  Höcker,  die  mittlere  Gesammüänge  des  Uterus  einer 
Frau,  die  geboren  hat,  bezeichnend.  Die  folgenden  2  .Gentimeter  sind 
durch  Kerben,  der  4  Ote  wieder  durch  einen  Knopf,  die  folgenden  wieder 
durch  Kerben  bezeichnet.  Diese  Knöpfe  und  Kerben,  um  die  Länge 
des  eingeführten  Endes  der  Sonde  abzulesen ,  wie  sie  ganz  ähnlich  ja 
an  den  ursprünglichen  Smpsoü'schen,  an  derKiwiscH^schen  und  anderen 


(Jeber  PAlpition  der  BeekeDorgane  etc.  121 

Sonden  angebracht  waren»  halte  ich  nicht  wohl  fttr  entbehrlich.  Sivfi, 
der  doch  auch  die  Sonde  ganz  vornehmlich  zur  Messung  der  Uterus- 
höhle gebraucht»  hat  die  Einkerbungen  und  Buckel  an  seiner  Sonde 
abgeschafifl»  wie  er  sagt,  um  sie  besser  reinigen  zu  kennen.  Sims  führt 
in  vielen  Fällen  die  Sonde  durch  das  Speculum  ein ;  schon  da  ist  es 
jedenfalls  schwer ,  ohne  jede  Bezeichnung  an  der  Sonde ,  die  Tiefe  der 
Uterushöhle  abzulesen ;  bei  Einftthnmg  der  Sonde  auf  dem  leitenden 
Finger,  welche  Methode  ich  vorziehe,  ist  es  aber  geradezu  unmöglich, 
ohne  fühlbare  Marken  au  der  Sonde,  die  Entfernung  vom  Knopf  abzu- 
lesen. Ich  habe  gesehen,  dass  Gynäkologen  die  Sonde  ganz  kunstgemäss 
auf  dem  leitenden  Finger  einführten ,  sie  dann  aber,  um  die  Lage  des 
Uterus  abzulesen ,  mit  diesem  Finger  zugleich ,  die  Stelle  des  Mutter- 
mundes mit  dem  Finger  an  der  Sonde  markirend,  aus  der  Vagina 
ausführten.  Bei  solchem  Verfahren  sind  Verletzungen  der  Utcrus- 
schleimhaut  kaum  zu  vermeiden. 

Ich  halte  es  für  gleich  wichtig ,  sowohl  die  Länge  der  Uterushöhle 
constatiren  zu  können,  als  auch  die  Leitung  des  Fingers  der  Sonde 
weder  beim  Einführen  noch  beim  Ausführen  zu  entziehen ,  und  ich 
halte,  um  beides  zu  erreichen,  die  genannte  Vorrichtung  für  erforder- 
lich, ich  halte  sie  für  jeden  einigermaassen  geübten  Fingerauch  für 
ausreichend,  die  oomplicirten  Stellvorrichtungen  aber,  welche  zu 
gleichem  Zwecke  angegeben  worden  sind ,  für  eben  so  hinderlich ,  wici 
überflüssig. 

Sims  ,  der  sich  über  den  Werth  der  Sonde  und  über  ihren  Miss- 
brauch namentlich  zu  therapeutischen  Zwecken  sehr  richtig  aus- 
spricht, fürchtet  In  der  Hand  des  minder  Geübten  besonders  die  zu 
starken  Sonden.  Ich  führe,  ganz  abgesehen  davon,  dass  daran  gelegen 
sein  kann,  zu  wissen,  wie  weit  die  engste  Stelle  des  Cervicalcanals 
ist ,  stets  lieber  diejenigen  Sonden  ein ,  welche  dem  Kaliber  des  Cer- 
vicalcanals möglichst  entsprechen ,  weil  man  mit  ihnen  Unebenheiten 
im  Cervicalcanal  sicherer  auffindet  und  doch  weniger  leicht  in  Schleim- 
bautfalten  sich  verfangen ,  also  weniger  leicht  verletzen  kann.  In  den 
Händen  des  Ungeübten,  also  besonders  des  Schülers,  ist  auch  ohne 
Zweifei  eine  feine  Sonde  weit  gefährlicher  als  eine  starke.  Es  gehört 
weit  mehr  Plumpheit  dazu,  mit  einer  starken  Sonde  den  Uterus  zu 
verletzen,  als  mit  einer  feinen. 


Je  vollständiger  das  Resultat  der  Palpation  der  Beckenorgane  in 
einem  bestimmten ,  unserer  Beobachtung  unterliegenden  Falle  ausfiel, 
desto  wichtiger  ist  es,  die  normalen  sowohl  als  auch  die  anomalen 


121  B.  S.  SebnttM, 

Befunde  für  die  EriDnerung  2u  fixireD,  dte  Dormalen  deshalb ,  weil  bei 
späteren,  im  weiteren  Verlauf  stattgehabten  Veränderungen  es  von  grosser 
Bedeutung  sein  kann,  zu  wissen ,  dass  die  jezt  neu  zur  Beobachtung 
kommenden  anomalen  Befunde  nicht  etwa  früher  übersehen ,  sondern 
wirklich  neu  hinzugekommen  «ind.  Mit  Worten  frisch  aus  der  Erinne- 
rung alle  Einzelheiten  des  Palpationsresultates  genau  zu  notiren ,  fehlt 
uns  in  sehr  vielen  Fällen  Zeit  und  Gelegenheit,  und  wenn  man  erst  nach 
Verlauf  von  Stunden )  nachdem  man  inzwischen  eine  Anzahl  Patien- 
tinnen untersucht  hat ,  daran  geht ,  die  Befunde  zu  notiren ,  so  dürften 
sich  wohl  die  Wenigsten  ein  so  scharfes  GedächUüss  zutrauen  können, 
um  alle  Einzelheiten  der  Befunde  mit  voller  Sicherheit  zu  Papier,  zu 
bringen;  und  doch  ist  es  von  grosser  Wichtigkeit,  den  früheren  Be- 
fund genau  im  Gedächtniss  zu  haben ,  wenn ,  vielleicht  nach  Wochen 
oder  Monaten  erst,  die  Patientin  sich  wieder  zur  Beobachtung  stelk. 
Durch  eine  ganz  skizzenhafte  graphische  Darstellung  können  wir  den 
Befund  der  Untersuchung  in  sehr  viel  kürzerer  Zeit  und  sehr  viel  ge- 
nauer zu  Papier  bringen ,  als  durch  Worte  und ,  was  nicht  minder 
wichtig  ist,  wir  können,  wenn  die  Patientin  sich  wieder  stellt,  uns  aus 
einer  solchen  graphischen  Notiz  viel  schneller  und  viel  vollständiger 
des  früheren  Befundes  erinnern.  Ich  habe  den  Werth  der  graphischen 
Notirung  des  Befundes  der  Beckenorgane  zunächst  kennen  gelernt, 
wenn  ich  für  die  klinische  Demonstration  oder  behufs  Mittheilung  an 
Collegen  diese  graphischen  Notizen  gemacht  hatte.  Ich  fand  dann, 
dass  durch  dieselben  auch  mir  die  factische  Basis  für  die  fernere  Be- 
urtheilung  des  Falles  viel  anschaulicher  vorlag,  dass  ich  Veränderungen 
des  Befundes  im  weiteren  Verlauf  des  Falles  viel  bestimmter  und 
schneller  zu  beurtheilen  im  Stande  war,  und  ich  fand  endlich,  dass  ich 
viel  besser  untersuchte,  wenn  ich  die  Absicht  hatte,  den  Unter- 
suchungsbefund aufzuzeichnen,  ich  kann  auch  versichern,  dass  ich 
durch  die  Gewohnheit  des  Aufzeichnens  der  Befunde  meine  Fähigkeit 
zu  palpiren  nicht  unerheblich  geschärft  habe. 

loh  notirte  mir  anfangs  die  Befunde  nur  im  Medianschnitt  des 
Beckens  in  Schemata,  welche  ich  mir  mit  einer  Kupferschablone  in 
mein  Notizbuch  aufgezeichnet  hatte;  für  viele  Fälle  genügt  die  alleinige 
Aufzeichnung  im  Hedianschnitt,  wenn  nämlich  d^r  Uterus  median  ge- 
legen ist  und  die  Eierstöcke  nichts  zu  bemerken  bieten ;  ist  aber  eine 
seitliche  Asymmetrie  des  Uterus  und  sind  Form-  und  Lageabweichungen 
der  Ovarien  zu  notiren,  so  muss  man  ausser  der  Medianansicht  auch  noch 
eine  Ansicht  von  vom  und  von  oben  aufzeichnen.  Von  Wichtigkeit  ist 
es ,  die  Ansichten  für  jeden  Fall  in  gleicher  Richtung  zu  nehmen ,  man 
müsste  sonst  jedes  Mal  die  Richtung  besonders  notirt^n,  und  da  es  sehr 


lieber  Palpatioo  4er  Beekenorgane  etc.  1 2S 

aufhaiten,  auch  nicht  correct  genug  ausfallen  würde,  die  Beckenwan- 
dungen in  jedem  Fall  besonders  aufsuzeichfien ,  so  führe  ich  jetzt 
Schemata,  welche  in  Y^  der  natttrlichen  Grösse  drei  Ansichten  des 
weiblidien  Beckens  in  den  drei  Dimensionen  des  Baumes  darsteilen, 
eine  Profilansicht,  eine  Ansicht  in  der  Richtung  der  Axe  des  Becken- 
eingangs, eine  dritte  in  der  Richtung  der  Gonjugata  des  Becken- 
eingangs. 

Die  Aufzeichnung  der  Schemata  mittelst  Schablonen  hatte  allerdings 
den  Yortheil,  dass  man  erstens  an  jeder  Stelle  des  Krankenjournals  die 
Bcekenzeichnung  einCttgen  konnte  und  zweitens,  dass  man  je  nach 
Bedttrfhiss  einzelne  Theile  des  Schema  weglassen  konnte,  dass  man 
z.  B.,  wo  d^  Befund  in  einem  anomalen  Becken  zu  notiren  war,  z.  B. 
der  Befund  einer  Blasenscheidenfistel ,  die  vordere  Beckenwand  nicht 
nach  dem  Schema ,  sondern  abweichend  von  demselben  nach  der  ge- 
nauen Messung  notiren  konnte.  Aber  die  genannten  Yortheile  über- 
wogen nicht  die  Umständlichkeit  der  genannten  Art  der  Notirung  und 
so  bediene  ich  mich  jetzt  seit  längerer  Zeit  lithographirter  Schemata. 

In  einer  grossen  Zahl  der  Fälle  genügt  es  natürlich ,  je  zwei  der 
gegebenen  Beckenansichten  auszufüllen ,  aber  in  allen  oomplicirteren 
Fällen  ist  es  wichtig,  den  Befund  in  allen  drei  Dimensionen  aufisu- 
zeichnen. 

Auf  der  beigegebenen  Tafel  ist  in  Fig.  1  —  3  das  leere  Schema 
der  drei  Beckenansichten ,  in  Fig.  4 — 6  und  7 — 9  die  graphische  Notiz 
über  den  einmaligen  Untersuchungsbefund  zweier  in  meiner  Beobach- 
tung befindlichen  Fälle  wiedergegeben.  Ich  gebe  nachfolgend  die  Be- 
schreibung des  Befundes  in  Worten. 

Fall  I.  Fig.  4,  5,  6.  Frau  S.  aus  L.,  einige  30  Jahre  alt,  hat 
mehrmals  geboren ,  ist  seit  der  letzten  Geburt ,  vor  drei  Jahren ,  nicht 
wieder  menstruirt,  klagt  über  Magenbeschwerden  und  Stuhlverstopfung. 
Percussion  und  Palpation  des  Unterleibes  ergaben  normalen  Befund 
bis  auf  eine  Dämpfung  vor  der  linken  Darmbeinschaufel ,  woselbst  ein 
länglich  runder,  in  continuo  verschiebbarer  gegen  Druck  empfindlicher, 
unebener  Körper  zu  palpiren  ist  (durch  den  weiteren  Verlauf  als  Koth- 
anhäufung  in  der  Flexura  sigmoidea  erwiesen).  Die  innere  Unter- 
suchung zeigt  eine  ziemlich  enge ,  straffe  Vagina  mit  sehr  kurzer  nach 
hinten  gerichteter  Vaginalportion ;  im  vorderen ,  wie  auch  im  hinteren 
Scheidengewölbe  etwas  vermehrte  Resistenz.  Die  combinirte  Unter- 
suchung erweist  die  erstere  als  bedingt  durch  den  stark  antevertirten, 
auch  etwas  flectirten,  sehr  kleinen  Uterus  (Sonde  nicht  ganz  4  Gtm.). 
Rechts  und  nach  hinten  vom  Uterus  ist  ein  rundlicher,  fest-elastischer 
Körper  von  etwa  3  Gtm.  Durchmesser  zu  palpiren,  welcher  schmerz*- 


124  B,  Su  SchiilUe, 

baft  gegea  Druck  und  wenig  beweglich,  gegen  die  rechte  Uierusecke 
hin  durch  einen  ebenfalls  gegen  Druck  schmerzhaften  Strang  fixirt  ist, 
das  rechte  Ovarium.  Gegen  das  hintere  Scheidengewölbe  geht  dasselbe 
in  eine  weniger  genau  zu  begrenzende  Masse  über.  Diese  erweist  sich 
durch  combinirteRecto- Vaginaluntersuchung  als  im  DouGLAs'schen  Raum 
gelegen,  unbeweglich,  auch  gegen  starken  Druck  wenig  empfindlich.  Nach 
reichlichen  Stuhlentleerungen  w^r  das  linke  Ovarium,  auf  weniger  als  die 
Hälfte  seines  normalen  Volums  reducirt,  frei  beweglich  und  schmerzlos 
an  seiner  normalen  Stelle  am  Innenrande  des  Psoas  zu  palpiren. 

Diagnose:  Anteversion  mit  Flexion  des  vorzeitig  atrophirten  Uterus. 
Atrophie  des  linken ,  entzündliche  Schwellung  des  rechten  Ovarium, 
welches  mit  einem  alten  Exsudat  im  DoucLAs'schen  Raum  verlothet  ist. 

Fall  II.  Fig.  7, 8,  9.  Frau  V.  aus  V.,  42  Jahre  alt,  durch  Btaitungen 
aus  dem  Uterus  sehr  heruntergekommen.  Percussion  zeigt  Dämpfong 
einige  Centimeter  hoch  über  der  Symphyse,  die  äussere  Palpation  zeigt 
hinter  der  vorderen  Bauchwand  etwa  6  Gtm.  oberhalb  des  Randes  der 
Symphyse,  die  Medianlinie  nach  links  hin  stärker  als  nach  rechts  über- 
ragend, einen  glatten,  rundlichen  Tumor  nach  vom  prominiren ,  un- 
gefähr von  der  Grösse  und  Form  eines  normalen ,  nicht  vergrössertcn 
Fundus  uteri.  Derselbe  zeigt  keine  Empfindlichkeit  gegen  Druck  und 
eine  geringe  Beweglichkeit  nach  hinten,  ebenfalls  ohne  Schmerz.  Nach 
rechts  und  links  vom  Grunde  des  genannten  Tumor  ausgehend,  er- 
streckt sich,  durch  die  Bauchdecken  deutlich  fühlbar,  ein  etwa  je 
6  Gtm.  langer  Strang ,  welcher  auf  Länge  der  genannten  Entfernung 
in  eine  ovale,  etwa  3  Gtm.  lange  1,5  hohe  Anschwellung  endigt,  von 
welchen  die  rechts  gelegene  gegen  Druck  empfindlich  ist.  Beide  letzt- 
genannte Tumoren  sind  in  der  Richtung  von  vorn  nach  hinten ,  sowie 
in  der  von  oben  nach  unten  frei  beweglich,  ihr  Abstand  von  dem 
mittleren,  muthmaasslich  dem  Fundus  uteri  entsprechenden  Tumor  ist 
ziemlich  unveränderlich.  Ueber  den  letztgenannten  Tumor  hinweg- 
tastend, palpirt  die  Hand  durch  die  Bauchdecken  in  Gontinuität  mit 
genanntem  Tumor  eine  den  Beckeneingang  ziemlich  ausfüllende ,  den- 
selben etwas  überragende,  glatte,  nicht  ganz  unbewegliche,  gegen 
Druck  nicht  empfindliche ,  solide  Masse. 

Bei  der  inneren  Untersuchung  gelangt  der  Finger,  nachdem  er  die 
durch  alte  Zerreissung  des  Dammes  erheblich  verlängerte  Schamspalte 
passirt  hat,  in  der  Hohe  der  Spinae  Ischii  auf  die  runde,  glatte, 
schieimhautbekleidete  Oberfläche  eines  das  Becken  fast  ausfüllenden 
Tumors.  Die  zwischen  demselben  und  der  Vaginalwand  hinauftasten- 
den Finger  erreichen  ringsum  den  scharfen  Saum  des  Muttermundes, 
dessen  Ränder  ringsum  ziemlich  stark  gegen  die  Beckenwand  ange- 


Deber  Pidpation  der  BeckeBorgaoe  ete.  125 

drängt  mit  den  gespreizten  2  Fingern  eben  noch  gleichzeitig  abzu- 
längen sind,  und  also  7 — 8  Ctm.  in  jeder  Richtung  von  einander  ab- 
stehen. Der  vordere  gegen  die  Sy^nphyse  gedrängte  Muitermundssaum 
steht  etwas  näher  dem  unteren  als  dem  oberen  Rand  der  Symphyse, 
die  vordere  Wand  der  Vagina  hängt  in  die  Vulva  herab.  Der  unter- 
suchende Finger  kann  in  der  ganzen  Rreite  der  vorderen  Beckenwand 
zwischen  Tumor  und  vorderer  Uteruswand  in  den  Gervicalcanal  ein- 
dringen. Die  Breite  desselben,  am  Muttermund  circa  7  Ctm.  betragend, 
verjüngt  sich  nach  oben  von  den  Seiten  her  trichterförmig.  Der  unter- 
suchende Finger  passirt  reichlich  6  Ctm.  hoch  über  die  Gircumferenz 
des  Muttermundes  hinauf,  von  welcher  Stelle  an  der  Gebärmuttercanal 
zu  eng  wird,  um  den  Finger  weiter  zuzulassen. 

Die  bis  zur  genannten  Stelle  geführte  Spitze  des  Zeigeßngers  be- 
gegnet deutlich  den  Fingerspitzen  der  von  aussen  entgegentastenden 
anderen  Hand  genau  an  der  Stelle,  wo  der  als  Corpus  uteri  jetzt  klar 
erkannte  mittlere  Tumor  in  die  den  Beckeneingang  füllende  solide 
Masse  übergeht.  Der  hintere  Saum  des  Muttermundes  steht  beträchtlich 
oberhalb  der  Ebene  der  Beckenenge,  etwa  in  der  Höhe  der  Verschmel- 
zung des  3.  mit  dem  4.  Kreuzwirbel.  Er  prominirt  nur  wenige  Milli- 
meter in  die  Vagina  und  geht  ebenso  kurz  wie  nach  hinten  in  das 
Scheidengewölbe  nach  vom  in  die  Schleimhautbekleidung  des  Tumor 
über.  Genau  das  gleiche  Verhalten  zeigt  der  Muttermundssaum  an  der 
rechten  und  linken  Beckenwand ,  so  dass  offenbar  der  in  das  Becken 
prominirende  Tumor  seine  Basis  an  der  ganzen  hinteren  und  den  bei- 
den seitlichen  Wänden  des  durch  ihn  erweiterten  Cervix  uteri  hat. 
Wenn  die  aussen  palpirende  Hand  den  Fundus  uteri  in  der  Richtung 
gegen  die  hintere  Bauch  wand  drängt,  hebt  sich  der  vordere  Mutter- 
mundssaum ,  während  der  hintere  nach  abwärts  rückt  und  der  ganze 
das  Becken  füllende  Tumor  an  der  Bewegung  den  entsprechenden 
Antheil  nimmt.  Die  punktirte  Linie  in  den  drei  Figuren  bezeichnet 
die  muthmaassliche  Grenze  des  Tumor  gegen  die  Uteruswand.  Der 
Pfeil  in  Fig.  7  deutet  die  Richtung  an ,  in  welcher  der  Utei  us  nebst 
Tumor  beweglich  sind. 

Diagnose:  Grosses  interstitielles  Fibroid  der  hinteren  Wand  der 
Cervix  uteri.  (Das  Nähere  über  Diagnose  und  operative  Therapie  dieses 
Falles  ist  jüngst  in  der  Dissertation  des  Dr.  HAUSHAim  ^)  mitgetheilt 
worden. 

Ich  glaube ,  dass  gerade  die  beiden  hier  wiedergegebenen  Fälle 
im  Stande  sind  zu  zeigen ,  wie  sehr  viel  kürzer  und  namentlich  auch 


i)  Beiträge  zur  Casulstik  der  Utenisfibroide  von  Avovst  Haushahh.  Jena,  4868. 


186  B.  S.  Scbiiltae^  Oeker  Mpniion  det  üeekeeofgane  etc. 

genauer  die  graphische  Darstelhing  das  Resultat,  der  Untersuchung 
wiederzugeben  im  Stande  Ist,  gegenüber  der  schriftlichen.  Auch  wird 
er^chüicb  sein ,  wie  sehr  viel  leichter  und  bestimmter  später  erfolgte 
Veränderungen  im  Befunde  nach  der  graphischen  Darstellung  erkannt 
und  beurtbeilt  werden  können. 

Ich  habe  in  den  hier  wiedergegebenen  2  Fällen  die  graphische 
Notiz  absichtlich  mit  möglichst  einfachen  und  groben  Linien  gegeben, 
weil  es  mir  gerade  daran  lag,  zu  zeigen,  dass  nicht  etwa  ein  Aufwand 
von  Zeichenkunst  erforderlich  sei,  um  diejenigen  Yortheile  von  der 
graphischen  Notirung  des  Palpationsbefundes  zu  haben,  welche  ich 
von  derselben  gerühmt  habe. 

Man  kann  natürlich  durch  feinere  Zeichnung  die  pelpirten  Formen 
in  besonderen  Fällen  viel  genauer  zu  Papier  bringen,  man  kann  auch 
ausser  d^n  Formen  andere  Resultate  der  Paipation  mit  Leiditigkeit  in 
die  Zeichnung  eintragen.  So  pflege  ich  mir  z.  B.  die  bei  der  Unter- 
suchung als  schmerzhaft  ermittelten  Partien  mit  Rothstift  zu  bezeichnen. 
So  pflege  ich  ferner  Aenderungen  im  Befunde  mit  irgend  einem  bunten 
Stift  später  einzutragen  und  notire  mir  mit  demselben  Stift  am  Rande 
das  Datum  des  Befundes;  ich  mache  auf  die  Weise  in  gleichviel  Sekun- 
den n^ir  eine  Journalnotiz,  die,  wenn  ich  sie  in  Worten  machen  wollte, 
mindestens  ebenso  viel  Minuten  in  Anspruch  nehmen  würde ;  kurzum 
ich  glaube,  dass,  abgesehen  von  allen  anderen  Yortheilen  dieser  Art 
der  Notirung  des  Palpationsbefundes ,.  so  umständlich  dieselbe  Man- 
chem von  vornherein  erscheinen  mag,  so  compendiös  und  zeit- 
ersparend sie  gerade  dem  vielbeschäftigten  PraeUker  sich  erweisen 
werde. 


Der  Lithograph,  Herr  Giltich  hier,  ist  gern  erbötig,  denjenigen 
meiner  Collegen,  welche  den  Wunsch  aussprechen,  eine  Anzahl  Sche- 
mata abziehen  zu  lassen.  Die  Zeichnungen  befinden  sich  noch  auf  dem 
Stein. 

Jena,   15.  März  1869.  B.  Schultze. 


Kleiaere  Mittheilungen. 


Heber  Rabm  Leesii  Babiigt. 

Von 

Dr.  W.  O.  Fooke 

in  Bremen. 


fn  meinem  Aufsatze  über  die  synthetische  Methode  in  der  Systcmatilc  habe  ich 
den  Rubns  Leesii  Babingt.  erwöhnt.  Wenn  ich  auch  erst  die  Vorbereitungen  zu 
einem  eingehenden  Studium  dieser  merkwürdigen  Pflanze  getroffen  habe,  so  wili 
ich  dieselbe  doch  hi^r  kurz  besprechen ;  vlefleicht  wird  Jemand  dadurch  veranlasst, 
mich  mit  Beobachtungsmaterial  zu  unterstützen. 

Der  Rubus  Leesii  Babingt.  ist  eine  Himbeere,  ein  Rubus  Idaeus  L.,  mit  modi- 
ficirten  Blättern.  Die  Schösslingsblatter  sind  meist  SzShlig ,  mit  fast  völlig  sitzen- 
den BlMtchen,  die  Blätter  der  BlÜthenzweige  meist  ungetheilt;  andere  als  diese 
beiden  Blattformen  kommen  an  der  Pflanze  nicht  vor,  namentlich  nicht  die  dem 
normalen  Rubus  Idaeus  L.  eigenthtimlichen  8-  und  5zählig  gefiederten  Blätter  mit 
langgestieltem  Endblttttchen.  Der  Rubus  Leesii  Bab.  ist  bisher  in  England,  Schwe- 
den und  im  nordöstlichen  Deutschland ,  vielleicht  auch  in  Oesterreich ,  gefunden, 
überall  nur  in  wenigen ,  isolirten  Horsten,  die  offenbar  stets  von  einem  einzelnen 
Individuum  abstammten.  Diese  spärlichen  zerstreuten  Exemplare  des  R.  Leesii 
können  nicht  die  letzten  Repräsentanten  einer  im  Aussterben  begriffenen  Art  sein, 
denn  sie  finden  sich  nicht  an  Localitäten,  die  irgendwie  geeignet  erscheinen  können, 
die  Ueberbleibsel  einer  ursprünglichen ,  einheimischen  Vegetation  zu  erhalten.  In 
mehreren  Fällen  finden  sie  sich  in  unmittelbarer  Nähe  menschlicher  Cultur.  Bei 
der  grossen  Entfernung  der  verschiedenen  Standorte  ist  es  ferner  im  höchsten 
Grade  unwahrscheinlich,  dass  die  Exemplare  des  R.  Leesii  Bab.  direct  von  einander 
abstammen.  Vielmehr  nöthigen  dioThatsachen  zu  der  Annahme,  dass  an  mehreren 
Orten  unabhängig  von  einander  Exemplare  des  R.  Leesii  aus  Samen  des  R.  Idaeus 
L.  hervorgegangen  sind. 

Es  ist  sehr  zweifelhaft,  ob  alle  Exemplare  des  R.  Leesii  Bab.  einander  genau 
gleichen.  Die  schwedischen ,  welche  Arrhehius  unter  dem  Namen  R.  Idaeus  ano- 
malus  beschrieben  hat,,  scheinen  wenigstens  zum  Theil  von  den  englischen  abzu- 
weichen, während  diese  letzten  nach  der  Beschreibung  mit  den  deutschen,  die 


128  Dt«  W,  0.  Pocke, 

mir  allein  vorliegen,  genau  Übereinstimmen.  Erst  wenn  die  Möglichkeit  einer  Ver- 
gleichung  geboten  ist,  lässt  sich  diese  Frage  bestimmt  entscheiden.  Sicher  ist  aber 
so  viel ,  dass  keine  deutlichen  Debergänge  zwischen  Rubus  Idaeus  L.  und  R.  Leesii 
Bab.  vorzukommen  scheinen ,  und  dass  diese ,  selbst  wenn  sie  vorhanden  wären, 
jedenfalls  viel  zu  selten  sind ,  um  den  R.  Leesii  als  ein  extremes  Endglied  einer 
längeren  verbindenden  Reihe  von  Mittelformen  zwischen  ihm  und  R.  Idaeus  L.  zu 
charakterisiren.  Gleich  wie  die  Früchte  des  R.  Idaeus  L.  entweder  roth  oder  gelb, 
nicht  aber  orangefarben  sind,  so  scheint  aus  einem  Samenkorn  entweder  ein  Rubus 
Idaeus  L.  oder  ein  R.  Leesii  Bab.  hervorzugehen,  niemals  eine  Mittelform.  Der 
erstere  Fall  ist  nur  Millionenmal  häufiger. 

Man  kann  den  Rubus  Leesii  Bab.  als  eine  Rüokschlagsform  des  R.  Idaeus  L. 
auffassen ,  welche  Charaktere  uralter  Vorfahren  wieder  hervortreten  lässt ,  die  dem 
modernen  R.  Idaeus  L.  fremd  sind.  Dass  in  den  Blättern  des-R.  Leesii  Bab.  aber 
auch  Elemente  des  R.  Idaeus  L.  stecken ,  die  jenen  Vorfahren  fremd  gewesen  sein 
müssen,  habe  ich  bereits  in  meinem  Eingangs  citirten  Aufsätze  nachgewiesen  Ver- 
muthlich  ist  es  ebenso  richtig  oder  richtiger,  in  dem  Rubus  Leesii  ein  Vorspiel  einer 
neuen  Art  als  einen  Rückschlag  auf  einen  ausgestorbenen  Typus  zu  erbUokea. 
Wenn  alte  verloren  gegangene  Charaktere  mit  einem  lebenskräftigen  modernen 
Organismus  combinirt  werden,  so  können  in  einer  derartigen  Verbindung  die 
Grundbedingungen  fU**  die  Entwickelung  eines  neuen  Typus  gegeben  sein. 

Sind  diese  Anschauungen  richtig',  so  würden  wir  im  R.  Leesii  Bab.  ein  Beispiel 
vor  Augen  haben,  auf  welche  Weise  eine  neue  Species  sich  bilden  kann.  Der 
Rubus  Leesii  Bab.  entsteht,  wie  oben  gezeigt  wurde,  an  verschiedenen  Orten 
gleichzeitig  aus  einer  andern  Art ;  gelingt  es  ihm ,  sich  zu  verbreiten  und  zu  be- 
haupten ,  so  wird  er  sich  leicht  zu  einer  distincten  Species  entwickeln.  Es  ist  nicht 
unmöglich ,  dass  er  bei  Kreuzung  mit  normalem  R.  Idaeus  L.  die  Nachkommen- 
schaft des  letzteren  grossentheils  in  R.  Leesii  umzuwandeln  vermag,  weil  im  Rubus 
Idaeus  L.  die  Tendenz ,  einen  R.  Leesii  zu  erzeugen ,  schon  in  der  Anlage  vorhan- 
den sein  muss.  Beobachtungen  und  Experimente  müssen  über  diese,  wie  über 
andere  damit  zusammenhängende  Fragen  entscheiden ,  wie  denn  auch  die  Constanz 
des  Typus  des  R.  Leesii  bei  der  Aussaat  noch  zu  beweisen  sein  wird. 

Eine  andere  Rubusform,  der  R.  laciniatus  Willd.,  erscheint  ebenso  wie  R.  Leesii 
Bab.  als  ein  plötzlich  neu  entstandener  Typus ,  der  sich  durch  den  Schwund  eines 
grossen  Theils  der  normaler  Weise  die  Nerven  verbindenden  Blattsubstanz  aus- 
zeichnet. Dieser  R.  laciniatus,  der  gewiss  nur  ein  modemer  Abkömmling  einer 
andern  Rubusart  ist,  soll  sich  aus  Samen  völlig  acht  fortpflanzen,  somit  eine  con- 
stante  Race  sein.  Die  Analogie  Ifisst  daher  vermuthen ,  dass  bei  R.  Leesii  Bab.  das 
Gleiche  der  Fall  sein  wird. 

Nach  den  Ergebnissen  meiner  bisherigen  Untersuchungen  ist  es  wahrschein- 
lich ,  dass  sich  innerhalb  der  Gattung  Rubus  auf  drei  verschiedenen  Wegen  neue 
Arten  bilden  können ,  nämlich 

4]  durch  allmähliche  Differenzirung  und  Divergenz  der  Charaktere; 
t)  durch  plötzliche  Entstehung  neuer  erblicher  Eigcnthümlichkeiteni;/ 
8)  durch  Constantwerden  der  Abkömmlinge  von  Hybriden. 

Die  Bedeutung  des  zweiten  Weges  wird  durch  näheres  Studium  des  R.  Leesii 
Bab.  vielleicht  in  ein  helleres  Licht  gesetzt  werden. 

Eine  Analogie  des  Rubus  Leesii  Bab.  ist  in  der  Gattung  Fragaria  beobachtet 
worden.  Die  Fragaria  monophylla  L.  zeichnet  sich  durch  das  häufige  Vorkommen 
ungetheilter  Blätter  an  Stelle  der  normalen  Szähligen  aus.    Im  Uebrigen  scheint  sie 


Ueber  Robus  Leesii  Babiogt.  129 

aber  keinen  constanten  Typus  zu  bilden  ,^  da  sie  ii>  der  Gestalt  von  Kelch ,  Krone 
u.  s.  w.,  sowie  in  der  Anwesenheit  oder  dem  Fehlen  der  Ausläufer  sehr  variabel 
sein  soll.  Sie  scheint  indess  ihre  Charaktere  durch  Samen  zu  vererben  und  ist, 
ebenso  wie  der  Rubus  Leesii  >  an  verschiedenen  Orten  gleichzeitig  und  unabhängig 
von  einander  aufgetreten.  In  seiner  Monographie  der  Rosaceen  erklärte  Trattikkick 
im  Jahre  4  8t 3  diese  Fragaria  monophylla  ganz  unbefangen  für  eine  neu  entstandene 
Art  —  pro  specie  habenda  nostro  aevo  eiiata  (Ros.  monogr.  III,  p.  466)  —  eine  An- 
schauung ,  weiche  offenbar  mit  der  herrschenden  Doctrin  in  Widerspruch  stand, 
aber  sich  aus  der  Betrachtung  der  vorliegenden  Thatsachen  gleichsam  von  selbst 
ergab.  In  ähnlicher  Weise  sind  aueh  Rubus  Leesii  Hab.  und  R.  laciniatus  Willd. 
aufzufassen ;  in  allen  drei  Ty^n  sind  beginnende  neue  Arten  zu  erblicken ,  welche 
sicher  entwickelungstfthig  sind.  Ob  sie  den  Kampf  ums  Dasein  glücklich  durch- 
fechten und  ihrer  liachkommenschaft  eine  bleibende  Existenz  sichern  werden,  ist 
eine  Frage ,  di9  sich  bis  jetzt  unmöglich  beantworten  lässt. 


Bd.  V.  I. 


PessarieB  aus  weichem  Kupferdraht  und  yulkaiiisirtMi  Giumi« 

Von 

B.  S.  Schnitze. 


Die  Zahl  verschiedener  Arten  von  Pessarien ,  sowohl  zu  dem  Zweck ,  die  in- 
vertirte  Vagina  und  den  descendirten  Uterus  zurückzuhalten,  als  auch  um  ver- 
schiedene andere  Lageabweichungen  des  Uterus  zu  corrigiren,  ist  eine  enorme,  und 
jedes  Jahr  vermehrt  ihre  Zahl  zum  deutlichen  Beweis ,  dass  die  vorhandenen  den- 
jenigen Anforderungen,  die  an  sie  gestellt  werden,  nicht  entsprechen.  Sind  die 
Pessarien  schlecht  oder  sind  die  Anforderungen  unrichtig?  Es  ist  wohl  beides  der 
Fall. 

Marioit  Sims  sagt  sehr  richtig :  I  have  seen  the  inside  of  an  immense  number 
of  vaginas ,  and  I  never  sore  two  that  were  in  all  particulars  exactly  alike.  They 
are  as  different  from  each  other  as  our  faces  and  noses.  In  Mr.  Tr^tkrre's  great 
collection  of  palatine  fissure-casts,  numbering  now  some  600  or  more,  each  one  has 
its  peculiar  anomalies,  and  each  its  peculiar  apparatus.  I  would  not  bee  under- 
stood  as  meaning  that  600  cases  of  uterine  displacement  would  need  as  many 
dilferently  constructed  Instruments ;  bot  I  mean  this ,  that  every  individual  case  is 
a  study  of  itself  and  that  its  complicatioas  and  peculiarities  must  be  investigated, 
understood,  and  respected,  if  we  expect  to  treät  them  safely  and  successfully. 

Der  Vergleich  der  Pessarien  mit  dem  künstlichen  Gaumen  ist  ganz  gut.  Es 
ist  ein  bisher  allgemein  verbreitet  gewesener  Irrthum ,  dass  zur  Hebung  der  Be- 
schwerden einer  jeden  ganz  individuell  eigenthümlichen  Lageverttnderung  des 
Uterus  irgend  eines  der  zuvor  ohne  Kenntniss  des  Falles  construirten  Instrumente 
genügen  solle.  Und  wenn  wir  eine  noch  so  grosse  Auswahl  verschiedener  Pessarien 
zur  Hand  haben,  wir  werden  uns  gestehen  müssen,  dass  wir  doch  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  nur  ein  halbwegs  passendes  ausfindig  gemacht  haben.  Die  elastischen 
RingQ  haben  manche  der  Uebelstände,  die  den  festen  Pessarien  anhaften ,  umgehen 
lassen ,  aber  es  geht  ihnen  dafür  wieder  mancher  Vortheil ,  der  gerade  durch  die 
Festigkeit  des  Pessariums  geboten  wird ,  ab.  Ein  festes  Pessarium ,  welches  doch 
gestattet,  seine  Gestalt  nach  den  individuellen  Verhältnissen  leicht  zu  modificiren, 
wird  seinem  Zweck  am  besten  entsprechen. 


Pessarien  aos  weichem  Knpferdraht  aad  Tnlkanisirtem  Gammi  ]  31 

Sims  bedient  sich  ringförmiger  Pessarien  aus  englischem  Blockzinn  mit  etwas 
BleizQsatz ,  deren  Gestalt  er  nach  den  Anforderungen  des  einzelnen  Falles  so  lange 
modificirt,  bis  es  denselben  entspricht,  und  Ittsst  dann  nach  dem  so  gewonnenen 
Modell  ein  festes  Pessarium  aus  Silber  oderVuIcanite  anfertigen,  wenn  die  Patientin 
seiner  Beobachtung  sich  entziehen  will. 

Gegen  den  Bleizusatz  hatte  ich  Bedenken  und  die  Pessarien  aus  reinem  Block- 
zinn lassen  sich  nicht  sehr  oft  biege»  ohne  jiie  Gefahr ,  zd  brechen.  Sims  erwähnt 
auch ,  dass  man  vielfach  Pessarien  aus  gewöhnlichem  Telegraphendraht  verfertigt 
habe ,  dass  dieselben  aber  wegen  der  mangelhaften  Vereinigung  der  Enden  sehr 
unzweckmttssig  seien ;  er  habe  selbsT  Pessarien  aus  Kupferdraht  anfertigen  und 
dann  mit  Guttapercha  überziehen  lassen.  Dieser  Gedanke  schien  mir  sehr  gut. 
Ich  Hess  mir  Ringe  aus  weichem  Kupferdraht  mit  einer  dicken  Lage  vulkanisirtem 
Gummi  in  verschiedener  Grösse  fertigen  und  habe  dieselben  vielfach  angewendet. 
Diese  ftinge  lassen  sich  in  jede  Form  biegen ,  man  kann  die  Umrisse  der  Zwank'- 
schen ,  der  HooGJs'schen  und  ziemlich  aller  anderen  Pessarien  dadurch  nachahmen, 
und  jede  andere,  auch  noch  nicht  dagewesene  Form,  wenn  sie  dem  individuellen 
Fall  angemessen  ist,  herstellen;  man  kann  jederzeit,  wenn  sich  herausstellt,  dass 
das  Pessarium  seinen  Zweck  nicht  ganz  erfüllt,  oder  dass  es  da  oder  dort  drückt, 
die  Form  entsprechend  modificiren. 

Ich  habe  z.  B.  in  FttUen,  wo  irrepouible  Geschwülste  das  Becken  verengen  und 
wo  deshalb  keine  der  gehrfiuchlicben  Formen  Von  Pessarien  zulässig  und  ertröglich 
gewesen  sein  würden ,  solchen  gummiüberzogenen  Kupferringen  schliesslich  eine 
Gestalt  geben  können,  die  es  ermöglichte ,  dass  sie  ohne  allen  lästigen  oder  nach- 
theiligen  Druck  getragen  wurden ,  und  [die  Beschwerden  des  gleichzeitig  bestan- 
denen VorCalles  beseitigten.  In  Fällen  von  Flexionen  und  Versionen  des  Uterus 
kommt  man  mit  solchen  biegsamen  Kupferringen  weit  leichter  und  weit  vollstän- 
diger zu  dem  gewünschten  Ziel,  als  wenn  man  unter  einer  noch  so  mannigfaltigen 
Auswahl  von  Formen  und  Grössen  HoD«B'scher  Hartgummipessarien  das  am  meisten 
passende  aussuchen  will. 

Ich  habe  diese  gummiüberzogenen  Kupferringe  erst  in  ein  paar  Dutzend  Fällen 
angewendet  und  bin  von  ihrer  Zweckmässigkeit  gegenüber  der  Quälerei  mit  den 
üblichen  Pessarien  jedes  Mal  von  Neuem  überrascht.  Ich  wollte  nicht  zögern, 
durch  Mittheilung  dieser  meiner  Erfahrung  die  GoUegen  aufzufordern,  das  Instru- 
ment zu  versuchen.  Ich  Hess  mir  von  Fiahcois  Fohbobbrt  in  Berlin  die  Ringe  in 
4  verschiedenen  Grössen  anfertigen,  von  9,  10,  14  und  12  Centlmeter  äusserem  Um- 
flBiig  und  bin  mit  diesen  Dimensionen  bis  dahin  ausgekommen.  Die  Instrumente 
sind  billiger  als  manche  andere  Pessarien;  der  Preis  von  15  Sgr.  pro  Stück  wird  es 
ermöglichen ,  dieselben  auch  für  die  klinische  und  für  die  Armenpraxis  leicht  ein- 
zuführen. 

Jena,  den  12.  Januar  1899. 


9» 


Das  Gehirn  der  Chimära  monstrosa ,  wie  es  bis  jetzt  nur  laus  einer  von  Va- 
lentin gelieferten  Beschreibung  und  Abbildung  (in  Müllkr's  Archiv  für  Anat.  und 
Phys.  1842)  bekannt  ward,  bietet  so  viel  Eigenthümlichkeiten,  so  dass  es  unmög- 
lich war,  selbes  einer  oder  der  andern  Reihe  der  Fischgehirnformen  anzuschliessen. 
Hr.  MiKLUCHO  fand ,  dass  die  beregte  Darstellung  mit  seinen  bezüglich  des  Gehirns 
der  Selachi^r  gewonnenen  Untersuchungsergebnissen  theilweise  passle ,  theil weise 
aber  auch  gänzlich  abwich.  Jene  Parstellung  Ittsst  ein  Zwischenhim  erkennen, 
welches  jenem  der  Selachier  ähnlich  ist.  YALEirnir  hat  es  als  Vorderhirn hemisphttre 
aufgefasst.  Von  ihm  gehen  ein  paar  Anschwellungen  ab ,  die  als  Lobi  olfactorii  an- 
gesehen werden.  Dann  folgt  ein  Abschnitt,  der  einem  Mittelhim  entspricht,  das 
Valentin  als  Zwischenhirn  ansah;  dann  folgt  ein  Cerebellum  mit  verlängertem 
Mark,  die,  beide  auch  von  Valentin  so  gedeutet,  gerade  die  Eigenthümlichkeiten 
dieses  Theils  bei  den  Selachiern  besitzen.  Somit  passte  also  der  grössle  Theil  des 
Gehirns  mit  dem  Verhalten  bei  Selachier,  wo  sollte  nun  das  Vorderhim  sein?  Hr. 
MiKLUCBO  fand  in  Messina  Gelegenheit  zur  Untersuchung  des  Nervensystems  einer 
Chimäre  und  schreibt  weiter :  »Anfangs  stutzte  ich ,  die  VALENTiN'sche  Darstellung 
schien  vollkommen  richtig,  abgesehen  von  einigen  Kleinigkeiten.  Als  ich  aber  die 
VALENTiN'schen  tractus  nervi  olfactorii  ansah  —  sie  bildeten  zusammen  eine  Rinne 
^  da  fragte  ich  mich:  sollten  diess  nicht  die  Himstiele  sein?  Ich  verlängerte  die 
Oeffnung  der  Schädelhöhle,  und  richtig,  weit  vorne  lagen  die  grossen  schönen 
Vorderhirnhälften  durch  sehr  lange  pedunculi  cerebri  mit  dem  Zwischenhim  in 
Zusammenhang.«  Dieses  Vorderhirn  entspricht  also  dem  von  J.  Müller  (Arch.  für 
Anat.  u.  Phys.  1848,  p.  CCLIII.)  als  hinter  den  Riechfklten  gelegene  Anschwellung 
des  Riechnerven  bezeichneten  Theils.  Da  jedoch  seitlich  an  der  Vorderhim- 
hemisphäre  noch  eine  die  Riechnerven  entsendende  Anschwellung  vorhanden  ist, 
so  kann  kein  Bedenken  gegen  die  oben  gegebene  Deutung  aufkommen.  Die  Eigen- 
thümlichkeit  des  Chimäragehirns  bestände  also  im  Wesentlichen  in  der  bedeuten- 
den Ausdehnung  des  Hirnstieles ,  und  damit  verbundener  Entfernung  des  Vorder- 
hirns vom  Zwischenhim.  In  demselben  Maasse  als  das  Vorderhim  nach  vorne  ge- 
rückt ist,  sind  die  tractus  olfactorii  verkürzt,  und  es  müssen  sich  die  Anschwellungen 
des  Riechnerven  dem  Vorderhirn  selbst  anlagern.  So  ist  es  bei  den  Chimären  der 
Fall,  deren  Gehirn  also  mit  dem  Gehirn  der  Selachier  viel  vollständiger  überein- 
kommt, als  Job.  MitLLER  (1.  c.)  das  annahm,  obgleich  ihm  die  grosse  Aehnlichkeit 
der  hinteren  Abschnitte  keineswegs  unbekannt  blieb. 


1 


1 1 


1 

Heber  das  (rdara  der  Ckuiäm«  ^ 

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Aus  einer  brieflichea  JUittheilung  von  ( 

Mikluoho-lEaolay  an  C.  Geg^baur.  1^ 

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Die  Bew^Bg  des  BlfltheBstieles  vom  Alisma 

von 

Fr.  MüUer. 


An  den  Ufern  des  Itajahy,  dicht  am  Wasser  und  nicht  selten 
überfluthet  von  dem  schwellenden  Flusse,  wächst  in  Menge  ein  statt- 
liches Ausmaß  Der  Blüthenstiel  erhebt  sich  bis  mannshoch  und 
trägt  drei  im  Quirl  stehende  Aeste.  Unterhalb  der  Aeste  ist  der  Blü- 
thenstiel nackt ;  sein  oberer  Theil  trägt  wie  die  Aeste  entfernt  stehende 
Deckblattwirtel ,  in  deren  Achseln  dicht  gedrängt  die  Blüthen  ent- 
springen. 

Betrachtet  man  eine  Gruppe  dieses  Alisma,  so  fällt  es  auf,  dass 
die  oberen  Enden  der  Blüthenstiele  und  ihrer  Aeste  in  höchst  mannig- 
facher Weise  gekrümmt  sind.  Die  einen  stehen  fast  gerade  in  die 
Höhe,  andere  sind  in  einfacher  Krümmung  stärker  oder  schwächer  zur 
Seite  geneigt,  bei  wieder  anderen  sind  die  einzelnen  Stengelglieder  in 
verschiedenen  Ebenen  gebogen.  Die  Aeste  sind  bald  schief  aufwärts 
gerichtet  mit  dem  Hauptstiele  zu-  oder  von  ihm  abgewendeter  Spitze, 
bald  stehen  sie  wagerecht  ab  und  ihre  Spitze  zeigt  seitwärts  oder 
niederwärts.  Die  drei  Aeste  desselben  Blüthenstieles  stimmen  meist 
weder  in  der  Stärke  noch  in  der  Richtung  ihrer  Krümmung  überein. 
—  Und  auch  für  jeden  einzelnen  Blüthenstiel  sind  Grad  und  Richtung 
der  Krümmung  stetem  Wechsel  unterworfen.  Nach  Verlauf  einiger 
Stunden  wird  man  nur  selten  den  einen  oder  anderen  in  seiner  frühe- 
ren Stellung  wiederfinden.  Ein  Blüthenstiel,  der  sich  vorher  etwa 
nach  W  neigte,  wird  jetzt  vielleicht  in  gleicher  Weise  sich  nach  N 
oder  0  biegen,  oder  fast  gerade  sich  emporstrecken,  oder  auch,  indem 
seine  einzelnen  Glieder  nach  verschiedenen  Seiten  sich  krümmen, 
schlangenförmig  oder  fast  schraubenförmig  aufsteigen. 

Alle  diese  nach  Form  und  Richtung  so  wechselvollen  Krümmungen 
beobachtet  man  jedoch  nur  an  den  jüngeren ,  noch  in  raschem  Wachs- 


*  Dasselbe  wurde  mir  in  Kew  als  Alisma  maerophylla  Kth.   (?)   be- 
stimmt. 

Bd.  V.  i.  40 


134 


Fr.  Malier, 


tbum  begriffenen  Gliedern  des  Blttlhenstieles,  namentlich  vor  dem  Auf- 
brechen der  Knospen;  die  älteren,  samentragenden  haben  sich  ge- 
streckt und  stehen  am  Hauptstiele  aufrecht,  an  den  Aesten  ziemlich 
wagerecht. 

Ich  habe  einen  jungen  BlüthensUel  während  dreier  Tage ,  so  oft 
meiüe  Zeit  e»  ^stattete ,  beobachtet  und  jedesmal  die  Riefalung ,  nach 
welcher  seine  Spitze  hinzeigte,  aufgezeichnet  und  die  Entfernung  der 
Spitze  von  der  die  Verlängerung  des  unteren  nackten  Theiles  bilden- 
den Yerticallinie  gemessen.  Ich  will  der  Mittheilung  dieser  Beobach- 
tungsreihe vorausschicken,  dass  in  diesen  drei  Tagen  (8.,  9.  und 
10.  Januar),  der  untere  nackte  Theil  des  Blttthenstieles  von  0,9  zu  4,1 
Meter  Höhe  heranwuchs ,  und  dass  der  obere  Knospen  tragende  Theil 
am  Morgen  des  8.  Januar  0,14,  am  Morgen  des  9.  Januar  0,19,  am 
Morgen  des  10.  Januar  0,25  und  am  Abend  desselben  Tages  0,30  Meter 
lang  war.  I>ie  Aeste  waren  noch  ganz  kurz  und  ihre  Deckblattwirtel 
dicht  zusammengedrängt.  —  Auch  mag  erwähnt  sein ,  dass  die  drei 
Tage  sonnig  und  ungewöhnlich  heiss  waren ;  das  Thermometer  zeigte 
um  6^  45"^  Vormittags  an  jedem  der  drei  Tage  24®  C.  und  um  1  Uhr 
Nachmittags  32®  C.  am  8.  Januar,  34®  G.  am  9.  und  10.  Januar. 


Zeit  der  Beobacbtung 

Richtung  der 

— 

Entfernung  der  Stengel- 

Stengelspitze 

spitze  V.  d.  Verticalen 

4S«8. 

«h  46»  Vm. 

SWgW 

0,044  Meter. 

Januar  S. 

gh 

SSW 

0,064      » 

10b 

SSO 

0,08g      » 

1>»Nm. 

ONO 

0,041      » 

2h  80» 

NOgN 

0,044      » 

4b  46m 

NWgN 

0,044      • 

Januar  9. 

6b  46»  Vm. 

W 

0,0S«  Meter. 

»b  16» 

SOgS 

0,09g      » 

lii" 

NO 

0,086      » 

3b  1 5»  Nm. 

NWgW 

0,180      » 

ÖbSOm 

OgN 

0,076      » 

7h  80» 

NWgN 

0,140      » 

Januar  10. 

5b  46»  Vm. 

0 

0,065  Meter. 

6b  45» 

N 

0,098      » 

gb  5» 

SSW 

0,14i      » 

gb  56in 

SWgS 

0,180      o 

9b  45» 

w 

0,084      » 

IIb 

0 

0,174      B 

lib 

SSO 

0,022      » 

4  b  Nm. 

w 

o,aog    » 

2b  6» 

w 

0,i16      » 

ab  64m 

w 

0,1g6      » 

4b  64» 

OgN 

0,066      » 

6b 

OgS 

0,194      » 

7b 

OgN 

0,186      » 

Die  Bewegung  des  BiMenstielesVon  Alisma.  135 

Am  8.  Januar  beschreibt  also  die  Spitze  des  BlUthenstiels  in 
40  Stunden  drei  Vierte)  eines  Kreises  und  bewegt  sich  dabei  in 
gleicher  Richtung  wie  der  junge  Schtfssling  einer  Winde,  Bohne  oder 
einer  anderen  nach  rechts  sich  windenden  Pflanze.  Die  Krümmung 
des  in  Bewegung  begriffenen  oberen  Theiles  erleidet  dabei  keine  auf- 
fallende Veränderung ;  die  Entfernung  der  Spitze  von  der  Verticallinie 
beträgt  Y4  bis  Y3  von  der  Länge  dieses  oberen  Theiles. 

Am  9.  Januar  wird  in  gleicher  Richtung  fast  die  ganze  Windrose, 
P/32),  in  8V2  Stunde  (von  6^  45»  Vm.  bis  3^  15»  Nm.)  durchlaufen, 
aber  statt  eines  Kreises  beschreibt  die  Spitze  jetzt  eine  langgezogene 
Ellipse,  deren  kleine  Achse  etwa  von  NO  nach  SW  gerichtet  und 
etwa  viermal  in  der  grossen  enthalten  ist.  Bei  der  ersten  Beobachtung 
am  Morgen  und  ebenso  Mittags  steht  der  BlttthensUel  fast  aufrecht, 
während  er  in  der  Mitte  des  Vor-  und  Nachmittags  stark  gekrümmt 
ist.  —  Wahrscheinlich  wurde  von  3^  1 5»  bis  7^  30»  nodi  ein  fast  voll- 
ständiger Umlauf  in  gleicher  Richtung  gemachU  Ich  sage  »wahrschein- 
lich«, denn  es  muss  unentschieden  bleiben,  ob  die  Spitze  des  Blüthen- 
stieles  von  3^  45»  bis  6^  30»  durdi  S,  oder  durch  N  hindurch  von 
NWgW  nach  OgN  gelangte;  da  sie  indess  von  da  in  der  am  vorigen 
und  am  Morgen  dieses  Tages  befolgten  Richtung  weiter  geht,  erscheint 
die  erstere  Annahme,  bei  der  die  Drehungsrichtung  sich  nicht  geändert 
haben  würde,  als  die  bei  weitem  wahrscheinlichere. 

Am  nächsten  Tage  (40.  Januar)  wird  die  Bewegung  eine  weit  un- 
regelroässigere.  Am  frühen  Morgen  macht  das  Ende  des  Blüthenstieles 
von  5^  45»  bis  S^  5»  fast  ^4  ^ii^^  Umgangs  in  der  früheren  Richtung 
von  0  durch  N  bis  nach  SSW;  dann  aber  statt  nach  S  weiter  zu  gehen, 
kehrt  es  nach  W  zurück  und  vollendet  in  etwas  über  vier  Stunden 
einen  ersten  Umlauf  in  entgegengesetzter  Richtung  und  bis  6^  Abends 
fast  ^4  ^ii^^s  zweiten  Umlaufs,  um  sich  dann  von  Neuem  in  die  frü- 
here Richtung  zurückzuwenden ,  indem  es  von  OgS  nach  0  statt  nach 
S  zu  wandert. 

Dass  beim  Umkehren  in  die  entgegengesetzte  Richtung,  sowohl 
am  Morgen  (zwischen  8^5»  und  8^  55»),  als  an  Abend  (zwischen 
4^  54»  und  7^)  eine  sehr  bedeutende  Verlangsamung  der  Bewegung 
sich  zeigt,  hat  nichts  Befremdendes.  Sehr  auffallend  aber  ist  die  fast 
vollständige  Unbeweglichkeit,  in  welcher  der  stark  gebogene  Blüthen- 
stiel  von  4^  bis  i^  54»  Nm.  verharrt,  während  er  vorher  in  einer 
Stunde  mehr  als  einen  Viertelkreis  durchlaufen  hatte  und  nachher  in 
zwei  Stunden  fast  4  80  ^  durchläuft.  Auch  abgesehen  von  diesem  SUll- 
stand  und  von  der  Verlangsamung  in  der  Nähe  der  Wendepunkte  ist 
die  Winkelgeschwindigkeit  eine  sehr  wechselnde ,  bald  so  rasch ,   dass 

40* 


136  Pt.  Hall«. 

ein  Umlauf  kaum  ä'/j  Stuode,  bald  wieder  so  langsam,  dass  er  Obei" 
5  Stunden  erfordert  haben  würde.  —  In  höchst  unregelmassiger  Weise 
wechselt  endlich  an  diesem  Tage  die  Krümmung  des  bew^lichen 
Theiles  des  Blülhenslieles.  Mittags  steht  seine  Spitze  ganz  in  der  Nähe 
der  Verticallinie ,  —  eine  Stunde  später  ist  sie  eine  gute  Spanne  da- 
von entfernt ;  und  wahrend  ihr  Weg  wahrend  der  ersten  Morgenstun- 
den sich  auf  eine  Ellipse  mit  von  N  nach  S  gerichteter  grossen  Achse 
zurückfuhren  ISsst,  beschreibt  sie  spater  eine  ausserordentlich  lang- 
gezogene Ellipse,  deren  grosse  Achse  von  W  nach  0  gerichtet  ist. 

Die  Unregelmässigkeiten  der  Bewegung  wahrend  dieses  dritten 
Tages,  gegenüber  der  regelmassigen  Bewegung  des  ersten  Tages,  mögen 
wenigstens  zum  Theil  ihre  Erklärung  in  dem  Umstände  finden ,  dass 
am  ersten  Tage  nur  ein  einziges  Siengelglied,  das  zwischen  dem  Ur- 
sprung der  Aeste  und  dem  ersten  Deckblatlwirtel  gelegene ,  dass  aber 
am  dritten  Tage  deren  drei  in  Bewegung  waren.  Vielleicht  war  (ab- 
gesehen von  dem  Stillstände  am  Nachmittage  und  dem  zweimaligen 
Bichtungs Wechsel),  die  Bew^ung  jedes  einzelnen  Gliedes  eine  ziemlich 
regelmässige  —  jedenfalls  aber  war  ihre  Winkelgeschwindigkeit  eine 
verschiedene,  denn  bald  waren  sie  alle  drei  nach  gleicher  Richtung 
gebogen  (wie  um  1  Uhr  Nrn.) ,  bald  krUmmten  sie  sich  nach  verschie- 
denen ,  ja ,  das  erste  und  dritte  bisweilen  nach  fast  entgegengesetzten 
Richtungen  (wie  am  Mittag).  Im  ersten  Falle  musste  natürlich  die  Ent- 
fernung der  Spitze  von  der  Verticallinie  vermehrt,  im  zweiten  vermin- 
dert werden  and  ebenso  musste  dadurch  die  Winkelgeschwindigkeit 
des  ganzen  beweglichen  Theiles  [dessen  Richtung  durch  die  einer  vom 
Ursprung  der  drei  Aeste  nach  der  Spitze  gezogenen  Geraden  bestimmt 
wurde]  bald  beschleunigt,  bald  verlangsamt  erscheinen. 

Aehnliche  Bewegungen,  wie  die  Blülbenstiele  unseres  Alisma, 
vollführen  bekanntlich  die  jungen  Schusslinge  aller  windenden  und 
vieler  ranken  tragenden  oder  mittelst  ihrer  Blattstiele  klimmenden  Klet- 
terpflanzen, bei  denen  diese  Bewegungen  durch  Dakwik  so  meisterhaft 
geschildert  worden  sind. 

Dass  bisher  nur  bei  Kletterpflanzen  derartige  Bewegungen  beob- 
achtet wurden,  dass  sie  als  eine  diesen  ausschliesslich  zukom- 
mende EigenthUmlichkeil  erschienen,  war  eine  ernste  Schwierigkeit 
für  Dabwiks  Lehre  von  der  Entstehung  der  Arten. 

Dass  die  Fähigkeit  des  Windens ,  deren  sich  in  einigen  Fallen  fast 
alle  Arten  einer  grossen  Familie  erfreuen ,  in  anderen  auf  vereinzelte 
Gattungen,  oder  selbst  auf  einzelne  Arten  einer  Gattung  (z.  B.  Vale- 
riana] beschrankt  ist,  weist  darauf  hin ,  dass  diese  Fähigkeit  zu  sehr 
verschiedenen  Zeiten  erworben  worden  ist,  und  dass  bis  in  die  jüngste 


Die  Bewegung  des  Blflthenslieles  roii  Alisma.  137 

Zeit  die  Umwandlung  nicht  windender  in  windende  Pflanzen  fortge- 
dauert hat.  Ferner  weist  das  Vorkommen  windender  Pflanzen  in  so 
verschiedenen  Familien,  wie  es  z.  B.  die  Farn,   die  Dioscoreen,   die 

«  

Asclepiadeen ,  die  Dilleniaceen  sind ,  darauf  hin ,  dass  ihre  Entstehung 
sich  an  eine  im  Pflanzenreiche  weit  verbreitete ,  von  der  natürlichen 
Zuchtwahl  benutzte  und  weiter  ausgebildete  Lebenserscheinung  ge- 
knüpft haben  werde.  Da  nun  das  Winden  jene  eigenthümliche  Bewe- 
gung der  jungen  Schösslinge  zur  nothwendigen  Voraussetzung  hat ,  da 
eine  Pflanze  nothwendig  sich  bewegen  musste,  ehe  sie  in  einer 
Schraubenlinie  sich  an  anderen  emporwinden  konnte,  so  durfte  man 
eben  in  jener  Bewegung  diese  die  Entstehung  der  windenden  Pflanzen 
vermittelnde  Lebenserscheinung  suchen ,  und  mit  Bestimmtheit  erwar- 
ten, ähnliche  Bewegungen  an  nicht  kletternden  Pflanzen  auffinden  zu 
können.  Es  ist  zu  verwundem,  dass  Darwins  Gegner  seinen  Freunden 
noch  nicht  diese  Schwierigkeit  vorgehalten ,  an  sie  noch  nicht  die  For- 
derung gestellt  haben ,  solche  Bewegungen  nicht  kletternder  Pflanzen, 
—  als  nothwendige  Vorbedingung  für  die  Möglichkeit  des  Entstehens 
windender  aus  nicht  windenden  Pflanzen  —  nachzuweisen. 

Jetzt  würde  eine  solche  Forderung  zu  spät  kommen.  Unser  A  H s  m a 
zeigt  in  der  That  so  deutlich,  als  ii^end  eine  Kletterpflanze,  dies  »spon- 
taneous  re volving  movementa.  Ich  habe  Grund ,  das  Vorkommen  ähn- 
licher Bewegungen  bei  einigen  anderen  Pflanzen  zu  vermuthen  und 
kann  sogar  meinen  deutschen  Landsleuten  eine  im  alten  Vaterlandc 
häufig  gebaute  Pflanze  bezeichnen,  die  wie  Alisma  kurz  vor  der 
Blüthezeit  die  Stengelspitze  im  Kreise  herumdreht.  Es  ist  der  gemeine 
Lein.  Meine  Kinder  hatten  sich  vor  mehreren  Jahren  eine  Pflanze  die- 
ser ihnen  bis  dahin  nur  dem  Namen  nach  bekannten  Art  gezogen  und 
an  dieser  machte  mich  meine  Tochter  Rosa  auf  die  Bewegung  aufmerk- 
sam. Ich  konnte  mich  mit  Sicherheit  von  deren  Vorhandensein  über- 
zeugen ,  wurde  aber  durch  die  Ungunst  der  Witterung  gehindert ,  sie 
mehrere  Tage  genauer  zu  verfolgen. 

Itajahy,  Februar  4868. 

Fritz  Müller. 


Uitersucliiuigeii  Aber  Ba«  ud  Eitwickdung  der  Arthropode!. 

VOQ 

Dr.  Ant.  Dohm. 


(Mit.Taf.  V  u.  VI.) 


2.    Ueber  Entwicklnng  nnd  Baa  der  Pycnogoniden. 

Das  Hin-  und  Herschieben  einer  Thiergruppe  in  den  Systemen 
deutet  immer  darauf  hin,  dass  in  der  Organisation  solcher  Thiere 
etwas  Aussergewöhnliches  sich  findet,  das  sich  nicht  recht  mit  den 
hergebrachten  Beurtheilungsmaximen  vereinigen  will.  Es  hat  gerade 
bei  solchen  Thiergruppen  der  Embryolog  und  der  Darwinianer  vorzüg- 
lich Gelegenheit  zu  erproben,  ob  seine  Maximen  und  seine  Metboden 
besser  zum  Ziele  führen,  als  die  früheren. 

Die  Pycnogoniden  gehören  vor  Allen  zu  solchen  Gruppen.  Sind 
sie  doch  noch  eigentlich  fortwährend  auf  der  Wanderschaft  von  den 
Cruslaceen  zu  den  Arachnidcn  und  den  Arachniden  zu  den  Crusta- 
ceen.  In  England  zweifelt  kaum  ein  Zoolog  an  ihrer  Krebsnatur,  und 
die  deutschen  Zoologen  zählen  sie  jetzt  einstimmig  den  Spinnen  zu. 
Auch  kann  man  nicht  sagen ,  dass  sich  nur  wenige  Forscher  mit  ihrer 
Untersuchung  abgegeben  hätten ;  ich  nenne  nur  die  Namen  Dujardin, 

GOODSIR,    QUATREFAGES,    KrOTER,    KroHN,    ZeNKER,    HoDGE,  GlAPAR^DE  CtC. 

Wie  Pycnogoniden  fast  jedem  am  Meere  weilenden  Zoologen  in  die 
Hände  fallen ,  so  muss  er  auch  den  sonderbaren  Thieren  eine  Zeit  lang 
Theilnahme  schenken  und  daraus  sind  denn  zahlreiche  Arbeiten  über 
Systematik,  Organisation  und  Verwandlung  hervorgegangen. 

Dennoch  aber  hat  keine  der  bisherigen  Untersuchungen  uns  völlige 
Sicherheit  geboten  über  die  eigentliche  Stellung  im  System,  über  die 
Blutsverwandtschaft  der  Pycnogoniden  entweder  mit  den  Krebsen  oder 


üutersucbuugen  über  Bim  und  fiutwiekluiig  der  Arthropodeu.  139 

den  Spinnen.  Man  argumentirie  mit  allerhand  Analogieen ,  die  sich  ja 
ziemlidi  leicht  zwischen  dem  Bau  gewisser  Arachniden  und  dem  der 
Pycnogoniden  ergeben ,  um  ihre  Zugehörigkeit  zu  denselben  zu  bewei- 
sen: die  sackförmigen  Ausstülpungen  des  Magens,  die  vermeintliche 
Zahl  von  sechs  Gliedmaassenpaaren,  ja  auch  die  Metamorphose,  die 
einige  Aehnlichkeit  mit  der  Milben-Entwickelung  besitzen  sollte ,  —  all 
das  wurde  betont,  konnte  aber  doch  nicht  entscheiden.    Gerade  auf  die 

« 

Natur  der  Larven  legten  aber  die  Gegner  dieser  Betrachtungsweise  ihr 
Hauptgewicht,  und  wollten  die  Pycnogoniden  den  Entomostraken  zu- 
gesellen oder  doch  wenigstens  in  ihre  Nähe  bringen. 

Bei  meinem  zweiten  Aufenthalt  an  der  Westküste  Schottlands  in 
Millport  fand  ich  vortreffliche  Gelegenheit,  midi  der  Aufklärung  die- 
ser streitigen  Verhältnisse  ungehindert  zu  überlassen,  und  ich  darf 
hoffen,  dass  mir  die  Lösung  der  Frage  gelungen  ist.  Was  ich  darüber 
vorzubringen  habe,  findet  sich  in  den  nachstehenden  Mittheilungen. 

4.    Embryonale  Entwicklung  von  Pycnogonum 

littorale. 

Die  Eier  sind  röthlich,  messen  0,42 — 0,46  Mm.  im  Durchmesser, 
sind  vollkommen  rundlich  und  werden  in  einer  bedeutenden  Zahl, 
vielleicht  4  —  500,  unter  dem  Leibe  in  einem  einzigen  Sacke  getragen. 
Der  Inhalt  der  Eier  durchläuft  einen  vollständigen  Furchungsprocess ; 
jeder  Furchungsballen  enthält  eine  centrale  Zelle ,  welche  noch  spät  zu 
erkennen  ist,  wenn  sich  auch  die  Zahl  der  Ballen  stark  vermehrt 
(Taf.  V.  Fig.  4).  Es  ist  wohl  als  sidier  anzunehmen,  dass  aus  diesen 
Zellen  die  Keimhautzellen  hervorgehen.  Eine  vollständige  Keimhaut 
um  den  ganzen  Dotterinhalt  zu  beobachten ,  ist  mir  nicht  gelungen ,  die 
Eier  waren  entweder  vor  oder  hinter  diesem  Stadium.  Es  ist  schwer, 
die  Centralzellen  von  den  Dotterkügelchen  zu  unterscheiden  und  eine 
Grenze  von  beiden  im  Embryo  zu  erkennen. 

Das  Ei  ist  von  zwei  Hüllen  umgeben ,  die  beide  durchsichtig  sind 
und  schon  im  Eierstocke  gebildet  werden.  Wenn  das  Ei  aus  der  Ova- 
rial-Oeffnung  herausgetreten  ist,  erkennt  man  die  innere  Eihaut  schwe- 
rer weil  sie  durch  den  Dotterinhalt  stark  ausgedehnt  wird. 

In  der  später  ventralen  Seite  des  Embryo  entstehen  aUmälig 
Einbuchtungen,  welche  je  drei  Wülste  begrenzen,  —  die  späteren 
Beine  (Taf.  V.  Fig.  2).  Die  vorderen  dieser  Wülste  sind  wesentlich 
breiter,  als  die  mittleren  und  hinteren,  entsprechend  dem  grösseren 
Volum  der  aus  ihnen  zu  bildenden  scheeren tragenden  Extremitäten. 
Die  beiden  hinteren  Paare  verdünnen  sich  aber  stärker  nach  der  Spitze 
zu  und  legen  ^^'^^^  — »-»«-a:«  «k-.-  jj^  untere  Fläche  des  Embryo  von 


140  I)r.  Ant.  Dohrn, 

der  einen  Seite  auf  die  andere  hinüber  (Taf.  V.  Fig.  3).  Die  Klauen, 
welche  an  der  ausgebildeten  Larve  zu  erkennen  sind,  werden  somit 
schon  frtth  im  Embryo  angelegt  und  sind  nicht  Auswüchse  von  Zellen 
des  vorangehenden  Gliedes. 

Zwischen  den  beiden  vorderen  Wülsten  setzt  sich  noch  ein  mitt- 
lerer unpaarer  von  dem  Körper  des  Embryo  ab ,  der  spätere  Schnabel- 
fortsatz. Alle  diese  Theile  bedecken  sich  erst  später  mit  einer  Cuticula ; 
während  dies  geschieht,  entsteht  auf  der  Rückseite  über  dem  Schnabel- 
fortsatz die  erste  Andeutung  der  Augen  in  Form  eines  einzigen  Pig- 
mentfleckes (Taf.  V.  Fig.  4) .  Von  der  Anlage  und  Ausbildung  der  in- 
neren Organe  ist  nichts  zu  erkennen. 

Vor  dem  Durchbrechen  der  Eihäute  liegt  der  Embryo  in  allen 
seinen  Theilen  vollendet,  unbeweglich  in  der  noch  fortdauernd  die 
Kugelgestalt  bewahrenden  Hülle,  alle  äusseren  Theile  sind  deutlich 
erkennbar.  Die  langen ,  fadenartig  ausgedehnten  Domen  der  vorderen 
Extremitäten  umschlingen  den  Körper  des  Embryo  vollständig,  die 
Klauen  der  beiden  hinteren  Extremitätenpaare  sind  über  dem  Bauche 
gekreuzt  (Taf.  V.  Fig.  5). 

Mit  den  scheerentragenden  Beinen  voran  verlässt  dann  der  Em- 
bryo die  Hülle  des  Eies  und  beginnt  sofort  seine  Extremitäten  zu 
gebrauchen,  die  langsam  auf  und  abgebeugt  werden. 

Die  ausgekrochene  Larve  (Taf.  V.  Fig.  6)  ist  von  kurzer,  gedrun- 
gener Gestalt.  Der  Körper  ist  beinahe  gleich  lang  und  breit,  die  hinte- 
ren Ecken  sind  etwas  abgerundet.  Er  ist  überall  ziemlich  stark  ge- 
wölbt; die  Consistenz  der  Haut  ist  beträchtlich ,  beim  Zerdrücken  des 
Thieres  platzt  sie  mit  hörbarem  Geräusch.  Nach  unten  zu  setzt  sich 
der  Leib  in  den  Schnabeltheil  fort,  welcher  mit  breiter  Basis  sich  von 
dem  Bauch  absetzt.  Auf  beiden  Seiten  desselben  befinden  sich  die 
breiten,  muskulösen  vorderen  Extremitäten,  die  wie  die  übrigen  zwei- 
gliedrig sind.  Das  erste  Glied  ist  indess  nur  eine  einfache  Aussackung 
der  Körperwand ,  durch  keine  deutlichere  Articulation  von  derselben 
abgetrennt.  Das  zweite,  wesentlich  kleinere  Glied  ist  dagegen  deutlich 
abgesetzt  vom  ersten;  starke  Muskeln,  welche  den  Innenraum  des 
ersten  ausfüllen,  inseriren  sich  an  beiden  Winkeln.  Auf  dem  rechten, 
äusseren  Winkel  des  ersten  Gliedes  befindet  sich  ein  sehr  langer,  ran- 
kenartig verlängerter  Dorn ,  dessen  erstes  Viertel  breiter  und  beider- 
seits mit  Haaren  besetzt  ist.  Dieser  Theil  scheint  starr  zu  sein ,  wäh- 
rend der  längere  Theil  sich  in  sanften  Biegungen  ausstreckt.  Da  ich 
die  Larven  von  Pycnogonum  littorale  niemals  auf  Polypen  beob- 
achtet habe,  so  weiss  ich  nicht  anzugeben,  zu  welchen  Zwecken  dieser 
lange  Rankensatz  dient ,  glaube  aber  nicht  zu  irren ,  wenn  ich  ihn  für 


üntersnchnngen  aber  Bau  and  Entwickelung  der  Arthropoden.  141 

ein  Mittel  ansehe,  das  Thier  an  dem  Polypen  zu  befestigen,  da  zu  ähn- 
lichem Zwecke  ein  anderer  Apparat  voi\  der  Larve  von  Achelia  lae- 
V  i  s  benutzt  wird,  der  an  derselben  Steile  gelegen  ist.  Auf  der  Spitze 
des  kleineren  Gliedes  findet  sich  die  Scheere  eingefügt.  Der  innere 
"kleinere  und  staii^er  gekrümmte  Zahn  ist  unbeweglich  befestigt;  gegen 
ihn  wird  durch  starke  Muskeln  der  äussere  längere  gebeugt.  Die  In- 
nenfläche des  letzteren  weist  neben  einigen  Zähnen  noch  eine  Anzahl 
von  Haaren  auf,  wogegen  der  kleinere  Zahn  auf  der  Innen-  und 
Aussenseite  nur  mit  einigen  Zähnchen  besetzt  ist.  Die  vorderen  Extre- 
mitäten werden  oft  gegen  einander,  wohl  auch  über  einander  gebeugt ; 
die  Musculatur,  welche  die  Zähne  bewegt,  ist  so  stark,  dass  oft  das 
ganze  Thier  sich  daran  festhält,  und  es  schwer  wird,  dasselbe  von 
dem  Polypen,  auf  dem  es  sitzt,  zu  entfernen.  Die  beiden  hinteren 
Beinpaare  sind  in  demselben  Sinne  zweigliedrig,  als  das  vordere, 
wenn  man  die  Ausstülpung  des  Körpers  fttr  das  erste  Glied  nimmt. 
Das  zweite  Glied  hat  conische  Gestalt  und  ist  länger  als  das  erste ,  die 
Endklaue  ihrerseits  ist  wieder  länger  als  das  vorhergehende  Glied ,  hat 
auf  der  Innenseite  auf  zwei  Drittel  der  Länge  einen  kleinen  Dom  und 
ist  wie  die  Basis  der  rankenfdrmigen  Domen  beiderseits  behaart.  Der 
Schnabelfortsatz  ist  conisch  mit  ziemlich  geraden  Seiten.  Die  Mund- 
öffnung ist  ohne  äussere  Leisten. 

Von  den  inneren  Organen  kann  ich  nichts  berichten ,  da  ich  die 
Larven  von  Pycnogonum  littorale  nicht  so  genau  studirt  habe, 
als  die  von  Achelia  lae  vis.  Ich  verlasse  somit  die  erstere  und  wende 
mich  zur  Beschreibung  der  letzteren,  deren  Anatomie  und  Entwickelung 
ich  vollständiger  untersucht  habe. 

8.    Die  Larve  von  Achelia  laevis. 

Die  Larve  (Taf.  V.  Fig.  7)  weicht  wesentlich  von  der  eben  be- 
schriebenen ab.  Vor  allen  Dingen  fehlt  ihr  der  charakteristische  ran- 
kenartige Dom ;  statt  dessen  besitzt  sie  einen  kürzeren  aber  stärkeren 
Dom  an  derselben  Stelle  (Fig.  7  /*).  An  diesem  letzteren  sieht  man 
fast  immer  einen  sehr  feinen  Faden  (Fig.  7  t]  befestigt  und  erkennt 
bei  näherer  Untersuchung,  dass  dieser  Faden  aus  dem  Dom  heraus- 
kommt. Der  Dom  ist  nämlich  hohl ,  seine  Spitze  durchbohrt  und  im 
Innem  sieht  man  einen  zweiten  feinen  Canal,  der  von  einem  merkwür- 
dig gestalteten  Organ  (Figur  7  g)  ausgeht,  das  in  der  Basis  des  ersten 
Gliedes  der  Scheerenftlsse  liegt.  Das  Organ  hat  die  Gestalt  eines  Kar- 
tenherzens, die  Spitze  ist  verlängert  in  den  eben  erwähnten  Canal,  der 
anfänglich  etwas  breiter  sich  bald  verschmälert  und  quer  durch  den 
Innenraum  des  Beines  sich  zu  dem  Dom  beiriebt.    Der  Canal  ist  nicht 


142  Dr.  A&t.  DofarD, 

häutig,  soodern  hornig,  dennoch  beugt  er  sich  in  massiger  Krümmung, 
ehe  er  den  Dom  erreicht.  Die  Structur  der  Drüse  —  denn  fttr  eine 
solche  muss  ich  das  sonderbare  Organ  halten  —  habe  ich  nicht  ermit- 
teln können,  nur  so  viel  vermag  ich  anzugeben,  dass  die  hintere  Hälfte 
aus  kleinen  Zellen  bestand ,  die  dem  Organ  eine  gewisse  Aehnliohkeit 
mit  einem  Nervenganglion  verliehen ,  während  die  vordere  Hälfte  von 
zwei  merkwürdigen  blassen  Flecken  eingenommen  wurde,  die  Kugel- 
gestalt besitzen ,  aber  nicht  erkennen  Hessen ,  ob  sie  mit  irgend  einer 
Substanz  gefüllt  waren,  oder  Hohlkugeln  darstellten,  lieber  und  unter 
dieser  Drüse  liegen  Muskeln ,  welche  zur  Bewegung  des  zweiten  Glie- 
des der  Extremität  dienen.  Die  Domen  der  Scheeren  sind  jenen  der 
Pycnogonum- Larve  sehr  ähnlich,  der  äussere  Zahn  entbehrt  aber 
auf  der  Innenseite  der  Haare. 

Die  beiden  hinteren  Extremitätenpaare  zeichnen  sich  vor  denen 
der  Pycnogon um -Larve  durch  den  Besitz  von  Stacheln  aus,  welche 
von  dem  Basalgliede  entspringen  und  bis  zur  Spitze  des  zweiten  Glie- 
des reichen.  Die  Klaue  trägt  mehrere  kurze  und  einen  längeren  cylin- 
drischen  Zahn  auf  der  Innenseite  nahe  dem  oberen  Drittel  der  Länge. 
Der  Schnabelfortsatz  ist  conisch  mit  convexen  Seiten;  seine  vordere 
Fläche  ist  fast  senkrecht  nach  unten  gerichtet,  während  die  hintere 
fast  unmerklich  von  der  Richtung  der  Bauchwand  abweicht  (Taf.  V. 
Fig.  4  0) .  Die  Mundöffnung  ist  umgeben  von  einer  kragenartigen  Chi- 
tinleiste ,  welche  auf  der  Unterseite  sidi  in  eine  Leiste  verliert ,  die  auf 
der  Mittellinie  nach  der  Basis  zu  geht.  Unter  dem  oberen  Rande  dieses 
Kragens  ragt  eine  sehr  scharfe  Chitinspitze  vor,  welche  durch  zwei 
convergirende  Leisten  gebildet  wird.  Zwei  ähnliche  Leisten  ragen  über 
dem  unteren  Theil  des  Chitinkragens  hervor ,  sind  aber  abgemndeter 
und  verschmelzen  nicht  miteinander.  Im  Profil  gesehen  ist  die  Mund- 
öffnung von  nicht  unbeträchtlicher  Weite  und  führt  in  einen  geräu- 
migen Oesophagus ,  der  gestützt  von  drei  hornigen  Leisten  nach  oben 
läuft  und  in  den  Magen  mündet.  Die  Gestalt  des  Oesophagus  ist  läng- 
lich oval ,  auf  seiner  oberen  Wandung  bemerkt  man  im  hinteren  Theile 
eine  Anzahl  hinter  einander  liegender  Chitinringe ,  welche  nach  unten 
zu  gebogen  sind.  An  ihnen  sind  nach  unten  und  vom  gerichtete 
Stacheln  befestigt,  welche  zur  Zermalmung  und  Zerreibung  der  Spei- 
sen dienen.  Die  Innenfläche  der  unteren  Oesphagus -Wandung  ist  mit 
feinen  nach  links  gerichteten  Zähnen  dicht  besetzt,  die  ihrerseits  den 
gleichen  Zweck  erfüllen,  so  dass  durch  Zusammenwirken  der  Zähne 
und  Stacheln  eine  vollkommene  Zerkleinerung  der  Nahmng  bewirkt 
werden  kann. 

In  der  Mitte  des  Körpers  ungefähr  mündet  der  Oesophagus  mit 


_  Dutersucbuiigen  über  Bau  and  finiwicklung  der  Arthropoden.  143 

schmalem  Gange  in  den  Magen  (Fig.  7  k).  Dieser  ist  von  bedeutender 
Ausdehnung  und  nimmt  fast  den  ganzen  Innenraum  des  Leibes  ein. 
Er  ist  nach  vorn  jederseits  in  einen  Blindsack  ausgezogen ,  der  bis  in 
die  Basis  der  ScbeerenfUsse  und  an  die  Spinndrüse  reicht.  Nach  jeder 
Seite  buchtet  sich  ein  zw^eiter  kleinerer  Blindsack  aus ,  nach  hinten  zu 
ist  der  Magen  dagegen  breit  und  abgerundet  ohne  w^eitere  Ausstülpun- 
gen. An  die  hintere  Körperwand  befestigen  ihn  drei  MuskelstrUnge 
(Fig.  7  Ij  y  von  der  Mitte  der  Rückenwand  gehen  nach  vom  und  unten 
zwei  breite  Muskeln  ab  y  welche  sich  an  das  £nde  des  Oesophagus  in- 
seriren.  Eine  Afteröffnung  konnte  ich  bei  keiner  Larve  gewahr  wer- 
den, ebensowenig  irgend  welche  festen  Nahrungspartikel.  Auch  über 
die  Structur  der  Magenwandungen  habe  ich  nichts  weiter  ausbringen 
können,  als  dass  die  Wandung  mit  einer  Anzahl  flacher,  0,028  grosser 
Zellen  bedeckt  ist,  die  aber  nicht  einander  berühren.  Die  Zellen  sind 
mit  FetÜLömchen  angefüllt.    Sie  vermehren  sich  später  sehr  stark. 

Die  Muskeln  sind  zahlreich  vorhanden.  Sie  inseriren  sich  meist 
mit  breiter  Basis  unmittelbar  an  die  Körperwandung ;  in  den  Extremi- 
täten sind  sie  länger  und  breiter.  Sie  zeigen  mit  Reagentien  behandelt 
oder  beim  Absterben  des  Thieres  deutliche  Querstreifung,  die  Zickzack- 
linien bildet. 

Das  Nervensystem  besteht  aus  einem  ovalen,  quer  liegenden 
Gehimganglion  (Fig.  7  m) ,  das  über  dem  Schlünde  und  den  zu  diesem 
laufenden  beiden  breiten  Muskelsträngen  liegt  und  nach  unten  durch 
zwei  Gommissuren  mit  dem  aus  zwei  noch  deutlich  erkennbaren ,  be- 
reits aber  verschmolzenen  Hälften  bestehenden  unteren  Schlund- 
ganglion (Fig.  9  n)  verbunden  ist.  Hinter  diesem  letzteren  liegen  zwei 
Ganglien  (Fig.  9  o)  neben  einander,  von  beträchtlicher  Grösse,  aber 
ohne  Spur  einer  Verbindung  unter  sich.  Dagegen  sind  sie  durch  Com- 
missur  mit  dem  ersten  Ganglion  verbunden.  Während  das  untere 
Schlundganglion  sehr  schwer  erkennbar  ist,  treten  die  beiden  un ver- 
bundenen Kugeln  sehr  deutlich  hervor.  Woher  sie  stammen,  ob  sie 
eine  Abspaltung  vom  Magen  oder  von  der  Haut  sind ,  vermag  ich  nicht 
zu  sagen.  Das  letztere  ist  aber  der  Analogie  nach  wahrscheinlicher. 
Peripherische  Nerven  bemerkte  ich  erst  in  etwas  späterem  Stadium, 
glaube  aber,  dass  sie  schon  in  der  frisch  ausschlüpfenden  Larve  vor- 
handen sind. 

Von  Sinnesorganen  existirt  nur  das  mitten  auf  dem  Gehirn 
sitzende  aus  zwei  mit  einander  verschmolzenen  braunen  Pigment- 
bechem  bestehende  Auge  (Taf.  V.  Fig.  8).  Sicher  ist,  dass  über  und 
in  dem  Pigmentbecher  noch  lichtbrechende  Apparate  sich  befinden ,  da 
eine  bläuliche  Färbung  auf  die  Anwesenheit  anderer  Gebilde ,  als  der 


144  Dr.  Aul.  Vohra, 

blossen  Haul  Über  dem  Pigmenll>echer  schlJesseii  lüsst.  Eine  Linsr 
konnte  ich  aber  nicht  erkennen. 

Die  Circulation  ist  durchaus  unregclmässig.  Ein  Hcti  exisliit 
nicht,  —  und  soweit  meine  bisherigen  Untersuchungen  reichen,  —  bei 
keiner  Pycnogoniden- Larve.  Die  Blutmasse  scheint  aus  sehr  grossen, 
weichen  Zellen  zu  bestehen,  welche  Fetlkönichen  enthalten.  Sic  sii)d 
farblos  und  formlos.  Ihre  Bewegung  ist  bedingt  durch  die  Contraction 
der  Magen  Wandung  und  der  Körper- und  Gliodmaassen-Musculatur: 
somit  also  ohne  jeden  festen  oder  bestimmten  Rhythmus.  Man  erkeunl 
die  Bewegung  der  trägen,  dickflüssigen  Masse  unter  dem  Mikroskop 
aber  sehr  deutlich;  wo  eine  Contraction  der  Magenwand  statlündet,  da 
fliesst  sie  schleunig  zusammen,  um  sogleich  beim  Auseinanderweichen 
der  Wandungen  wieder  wo  anders  hin  zu  flicsson. 

Welcher  Art  das  unter  dem  Panzer  liegende  Hypoderniis-Gewebc 
ist,  vermochte  ich  nicht  zu  eriiennen,  man  sieht  nur,  dass  es  vielfachc 
Zellen  und  Kerne  enthält,  die  nach  innen  vorspringen. 

3.  Metamorphosen  der  Achelia  laevis. 

Die  erste  Veränderung,  welche  in  der  Larve  zu  erkennen  ist,  Irin 
am  hinteren  ESrperende  auf.  Dasselbe  zeigt  ntimlich  an  den  drei  Stel- 
len, wo  der  Dann  an  die  KOrperwand  durch  Muske  Ist  ränge  befestigt 
war,  Verdickung  und  und  Aussackung  der  Hypodermis,  so  dass  eine 
terminale  und  zwei  seitliche  conische  HervorraguDgcn  entstehen.  Zu- 
^eich  erkennt  man  an  den  beiden  seitlichen  Ausstülpungen  eine  ver- 
grBsserte  Zahl  von  Huskelsträngen  von  der  Hypodermis  an  den  Darm 
gehend,  wahrend  nur  zwei  Stränge,  die  dicht  neben  einander  liegen, 
die  mehr  ausgezogene  Darmspitze  an  die  äusserslc  Spitze  der  Koi-per- 
wand  heften. 

In  einem  folgenden  Stadium  war  die  Verlängerung  dieser  drei 
Ausstülpungen  schon  weiter  vorgeschritten  und  die  beiden  seitlichen 
von  der  mittleren  terminalen  schon  durch  tiefere  Einsenkungen  ge- 
schieden. Zugleich  ward  auch  der  Hagen  in  alle  drei  mehr  hineingezo- 
gen. Im  Innern  des  KOrpers  ist  zugleich  eine  wichtige  Veränderung 
aufgetreten:  hinter  dem  zweiten  Bauchganglion  -  Paare  bemerkt  man 
ein  kleineres  drittes  Paar  (Taf.  1.  Fig.  9  p].  Auch  über  die  Herkunft 
dieses,  gleichfalls  noch  unverbundenen  Paares  vermag  ich  nichts  aus- 
zusagen. 

Das  nächste  Stadium  liess  nun  deutlich  erkennen,  dass  aus  den 
beiden  seitlichen  Ausstülpungen  ein  neues  Beinpaar  und  aus  der  ter- 
minalen das  sogenannte  Abdomen   mit  der  Afterspalte   hervorgehen 


Dotersnebonfi^n  fiber  Bad  ond  Entwiekelong  der  Arthropoden.  145 

würde.  Die  Aussackungen  werden  immer  tiefer,  der  Magen  bildet  zwei 
Taschen ,  die  in  beide  bis  auf  die  Hälfte  der  Länge  hineinreichen  und 
dort  von  denselben  Muskeln  festgehalten  werden ,  welche  schon  in  den 
früheren  Stadien  diese  Function  erfüllten.  Die  terminale  Aussackung 
ist  nun  schon* breiter  und  grösser  als  der  Schnabelfortsatz;  die  Hypo- 
dermis  sämmtlicher  drei  Ausbildungen  ist  dick  und  wohl  ernährt,  nur 
\ot  der  Spitze  der  mittleren  findet  sich  ein  kurzer  Abschnitt,  wo  sie 
fast  unkenntlich  schmal  ist.  Ebenso  ist  die  Magenwand  überall  von 
beträchtlicher  Stärke,  nur  die  Spitze  der  terminalen  Aussackung  ist 
dünn  und  blass. 

In  dem  nächsten  Stadium  liegen  die  seitlichen  Ausstülpungen  der 
terminalen  nicht  mehr  so  eng  an  und  man  erkennt  auch  an  partieller 
Verdickung  der  Hypodermis,  dass  sich  die  Gliederung  der  ersteren 
vorbereitet.  Zugleich  ist  die  Anlage  eines  neuen  Beinpaares  in  Form 
zweier  seitlicher  Ausstülpungen  an  der  Basis  der  terminalen  zu  erken- 
nen. An  den  inneren  Organen  bestehen  die  erkennbaren  Veränderun- 
gen in  einer  Theilung  des  verschmolzenen  Auges,  so  dass  jetzt  nach 
jeder  Seite  zwei  Pigmentbecher  gerichtet  sind ,  die  aber  alle  vier  noch 
mit  den  Spitzen  zusammenstossen.  Zugleich  verschmelzen  die  beiden 
Kugeln  des  zweiten  Ganglienpaares  und  lassen  seitlich  je  einen  starken 
Nerven  erkennen ,  der  die  Richtung  nach  dem  ersten  neuen  Beinpaare 
einschlägt.  Ein  neues  Ganglienpaar  ist ,  wenn  auch  schwierig ,  in  der 
Anlage  zu  erkennen. 

Die  neue  seitliche  Ausstülpung,  welche  in  derselben  Weise  sich 
ausbildet,  wie  die  erste,  entwickelt  sich  nun  zu  dem  zweiten  neuen 
Beinpaare ,  während  das  erstere  frei  wird  und  nach  beiden  Seiten  von 
dem  Körper  absteht.  Diese  Neubildung  von  Gliedmaassen  findet  im 
Ganzen  viermal  statt,  jedesmal  mit  einer  seitlichen  Verdickung  und 
Ausstülpung  der  Basis  des  After -Vorsprunges  oder  Abdomens  begin- 
nend. Derweil  werden  aber  die  ursprünglichen  drei  Extremitätenpaare 
nicht  abgeworfen,  sondern  bleiben  fortwährend  in  Thätigkeit.  Tafel  1. 
Fig.  U  zeigt  eine  Entwickelungsstufe ,  auf  welcher  zwei  neue  Bein- 
paare, eins  von  8,  das  zweite  von  7  Gliedern,  bereits  in  Thätigkeit  sind, 
das  dritte  schon  einen  ansehnlichen  Blindsack  des  Magens  enthält,  das 
vierte  dagegen  eben  erst  in  der  Bildung  begriffen  ist.  Derweil  sind 
aber  die  ursprünglichen  Extremitäten  in  voller  Function.  Die  einzigen 
Veränderungen  bestehen  in  ein  paar  Domen,  welche  auf  der  Innenseite 
des  zweiten  Gliedes  des  vorderen  Paares  entstanden  sind,  während 
der  Drüsenstachel  des  Scheerenfusspaares  in  der  Rückbildung  begriffen 
scheint. 

Sämmtliche  Ganglien  sind  nun  ausgebildet  und  zu  einer  gemein- 


146  ^r«  Ant.  Dobrn, 

Samen  Masse  verwachsen ,  die  aber  jedes  einzelne  Ganglion  selbststän— 
dig  lässl.  Nur  fehlen  die  Commissuren  in  Folge  der  nahen  Lagerung 
der  Ganglien. 

Der  Schnabelfortsatz  verlängert  sich  in  seiner  Basis,  ebenso  die 
scheerentragenden  Extremitäten  in  ihrem  Basalgliede. 

Der  After  ist  nun  vollständig  ausgebildet,  eine  Spalte  an  dem  Ende 
des  kleinen  Abdominalfortsatzes ,  welche  durch  zwei  schräge  Muskel  an 
die  Seiten  wand  desselben  befestigt  wird,  öflnet  den  Darm  nach  aussen. 
Letzterer  erleidet  eine  Einschnürung,  bevor  er  in  den  Afterfortsatz  ein- 
tritt, und  verliert  bei  dieser  Einschnürung  seinen  Durchschnitt.  Nur 
die  Muskelhaut  bleibt  übrig ,  deren  häufige  Contraction  man  wellen- 
artig hinschreiten  sehen  kann  (Taf.  V.  Fig.  11  Q. 

Zur  Beobachtung  brachte  ich  demhächst  ein  Stadium,  das  drei 
entwickelte  hintere  Beinpaare  besass ,  während  das  vierte  erst  in  der 
Anlage  begrißen  war  (Taf.  V.  Fig.  1 2) .  Das  hinterste  Paar  der  Larven- 
füsse  war  bis  auf  einen  kleinen  klauentragenden  Hügel  verschwunden, 
das  mittlere  Paar  hatte  eine  grössere  Zahl  von  Domen  an  der  Spitze  des 
klauentragenden  Gliedes,  die  Scheerenbeine  hatten  den  Stachel  vei^ 
loren ,  welcher  den  Ausführungsgang  der  Spinndrüse  enthielt  und  der 
Schnabelfortsatz  fährt  fort  sich  zu  verlängern. 

Darauf  folgt  ein  Stadium,  in  dem  bereits  alle  vier  hinteren  Bein- 
paare in  voller  Ausbildung  vorhanden  sind  (Taf.  Y.  Fig..  13);  der 
Afterfortsatz  war  verlängert  und  reichte  mit  seiner  Spitze  bis  über  die 
Hälfte  des  dritten  Gliedes  des  letzten  Beinpaares  hinaus;  der  Schnabel- 
fortsatz war  sehr  stark  vergrOssert,  die  MundOflhung  glich  aber  noch 
völlig  der  ersten  Larvenform.  Die  Scheeren- Extremitäten  waren  aber 
weit  in  der  Rückbildung  vorgeschritten.  Zwar  gewahrt  man  noch  die 
Scheere  selber,  doch  ist  das  Glied,  auf  dem  sie  sitzt,  kaum  noch  zu 
erkennen ;  das  erste  Glied  dagegen  ist  verlängert,  zugleich  aber  schmä- 
ler geworden ,  der  Stachel ,  durch  welchen  sich  die  Spinndrüse  OfiEhete, 
ist  völlig  verschwunden ,  ebenso  die  Drüse  selbst.  Die  Länge  der  bei- 
den vordersten  Extremitäten  ist  kaum  bedeutender  als  die  des  Schna- 
belfortsatzes. 

An  der  Stelle  des  ersten  Paares  der  Larvenbeine  befindet  sich  eine 
zweigliedrige  Extremität,  die  aber  die  Klaue  verloren  hat,  welche  im 
vorigen  Stadium  noch  vorhanden  war;  das  Basalglied  ist  kurz,  das 
zweite  um  das  Doppelte  länger  und  an  der  Spitze  mit  Stacheln  besetzt. 
Die  Länge  beider  Glieder  zusammen  ist  noch  nicht  so  bedeutend  als 
die  des  Schnabelfortsatzes. 

An  der  Stelle  des  zweiten  Beinpaares  findet  sich  nur  eine  fauf- 


Untersnchungen  Aber  Baa  und  Botwieklnng  der  Arthropoden.  147 

eisenförmige  Leiste  der  Ghitinhaut,  welche  nur  bezeugt,  dass  einst  hier 
eine  Extremität  bestanden  habe. 

Beide,  die  zweigliedrige  Extremität  und  die  hufeisenförmige  Leiste 
liegen  zwischen  Schnabelfortsatz  und  dem  ersten  Beinpaare. 

In  dem  völlig  ausgewachsenen  weiblichen  Thiere  finden  wir  nun 
diese  neue  zweigliedrige  Extremität  zu  einer  achtgliedrigen  ausgebildet 
(Taf.  Y.  Fig.  44),  und  an  der  Stelle  der  hufeisenförmigen  Leiste  sehen 
wir  eine  neungliedrige  Extremität.  Die  erste  dieser  beiden  neuen  Bil- 
dungen stellt  die  gewöhnlich  als  Taster  beschriebene  Extremität  dar, 
die  zweite  das  accessorische  Füsspaar ,  den  female  foot  der  englischen 
Beschreiber. 

An  dem  Taster  sind  die  vier  letzten,  ungefähr  gleich  grossen  Glie- 
der mit  Stacheln  dicht  besetzt,  das  ihnen  vorangehende  ist  von  gleicher 
Grösse,  wie  sie  alle  zusammen,  das  dritte  beinahe  so  lang  als  das 
vierte,  das  erste  und  zweite  von  gleicher  Länge ,  aber  kürzer  als  das 
dritte. 

Das  accessorische  Füsspaar  besitzt  gleichfalls  vier  Endglieder  von 
fast  gleicher  Grösse;  statt  der  Borsten  tragen  sie  aber  merkwürdige, 
wie  Eichblätter  gestaltete  Fortsätze.  Auf  der  Spitze  des  letzten  Gliedes 
sitzt  ein  ganz  kleines,  halbkugeliges  Glied  noch  auf,  das  zwei  solcher 
Fortsätze  trägt.  Will  man  es  als  besonderes  Glied  zählen ,  so  kommen 
4  0  Glieder  im  Ganzen  für  diese  Extremität  heraus.  Die  ersten  Glieder 
sind  grösser  als  die  letzten,  aber  nicht  so  ungleich,  wie  die  entsprechen- 
den des  Tasterpaares. 

Die  scheerentragenden  vorderen  Extremitäten  sind  bis  auf  kleine 
zweigliedrige  Stümpfe  zusammengeschrumpft,  die  um  das  Doppelte 
ihrer  Länge  von  dem  Schnabelfortsatz  überragt  werden.  Die  Scheere 
ist  völlig  zu  Grunde  gegangen,  man  erkennt  nur  noch  den  einen  Zahn. 
Das  grössere  Basalglied  ist  bedeckt  mit  eigenthUmlichen  zackigen 
Stacheln ;  es  enthält  im  Innern  noch  den  sehr  kurzen  Magensack. 

Der  Schnabelfortsatz  ist  fast  so  lang  als  der  Körper  des  Thieres ; 
er  ist  schräg  nach  unten  gerichtet.  Das  erste  Dritttheil  ist  gegen  die 
beiden  anderen  durch  eine  Einschnürung  etwas  abgesetzt  und  lässt 
den  Schnabelfortsatz  wie  zweigliedrig  erscheinen.  An  der  Spitze  ist 
die  sternförmige ,  dreieckige  Hundöffnung ,  welche  von  drei  wulstigen 
Lippen  beinahe  ganz  geschlossen  wird.  Die  Lippen  scheinen  häutige, 
mit  kurzen  Haaren  besetzte  Fortsetzungen  der  Oesophaguswandung  zu 
sein ,  die  sich  an  die  umgebende  Ghitinhaut  ansetzen  imd  in  gerun- 
deten Wölbungen  vorspringen.  Da  sie  sich  nicht  gegenseitig  berühren, 
ist  die  Mundöfihung  nicht  geschlossen.  Wo  die  Chitinleisten ,  die  ihre 
Basis  ausmachen,  zusammenstossen ,  setzen  sie  sich  fort  in  Leisten, 


148  ^»  Ant  Oohrn, 

welche  an  dem  Oesophagus  nach  hinten  laufen.  Ausser  den  erwähnten 
Leisten  findet  sich  noch  an  jedem  Winkel  der  Mundöffnung  eine  an- 
dere Leiste,  die  über  die  beiden  zusammenstossenden  Lippenränder 
hinübergreift  und  an  beiden  Enden  etwas  nach  innen  vorspringt ,  wo— 
durch  der  Anschein  von  Zähnen  hervorgerufen  wird.  Die  Leisten  sind 
aber  unbeweglich. 

Der  Oesophagus  liegt  im  Innern  des  Schnabelfortsatzes,  wie  dieser 
etwas  aufgebläht  und  erst  eingeschnürt  und  sich  verengernd ,  wo  der 
Rechentheil  beginnt.  Von  allen  Seiten  der  Wandung  des  Schnabel— 
fortsatzes  heften  sich  kurze  Muskeln  an  die  Wandung  des  Oesophagus, 
hauptsächlich  an  die  drei  von  den  Mundwinkeln  herabsteigenden 
Leisten,  die  sich  zu  förmlichen  Cristen  erheben,  wenn  sie  an  das  letzte 
Dritttheil  gelangen,  das  die  zahlreichen  Halbringe  mit  den  Rechen 
trägt.  Solcher  Ringe  sind  30 — 40  vorhanden,  ihre  Zahl  hat  sich  somit 
im  Laufe  der  Entvsdckelung  bedeutend  vermehrt.  Sie  sind  getragen 
und  befestigt  an  jene  Leisten,  die  ihrerseits  wieder  zahlreichen  Muskeln 
zur  Anheftung  dienen,  schliesslich  aber  in  eine  ringförmige  Ghitinleiste 
der  Körperwandung  endigen.  Auf  ihrem  inneren  Rande  tragen  sie  eine 
grosse  Zahl ,  bis  40 ,  verschieden  lange ,  feine  und  spitze  Zähne ,  die 
einer  Insectennadel  gleichen;  so  ist  das  ganze  hintere  Dritttheil  des 
Oesophagus  mit  diesem  Apparat  ausgerüstet,  der  jedenfalls  ganz  vor- 
treffliche Dienste  für  die  minutiöseste  Zerkleinerung  der  Nahrung 
leisten  muss. 

Der  Schnabelfortsatz  sitzt  wie  in  einem  Kragen  in  dem  Abschnitt 
des  Leibes  fest,  welcher  die  Taster  trägt;  dieser  ist  wiederum  durch 
eine  Chitinfurche  abgesetzt  gegen  den  nächsten,  der  die  acces- 
sorischen  Reine  trägt,  und  auch  dieser  gegen  den  nächsten,  mit  wel- 
chem das  erste  Paar  der  langen  Gangbeine  verbunden  ist.  Auf  dem 
Rauch  hat  der  Körper  eine  Art  Schild;  die  Rauchplatten  des  Leibes 
sind  von  stark  verdickten  Chitinrändern  umgeben ,  an  denen  die  Mus- 
keln für  die  Rasalglieder  der  Gangbeine  eine  vortreffliche  Insertion 
finden ,  sie  setzen  den  Mittelraum  des^Rauches  stark  gegen  die  Seiten 
und  gegen  die  Insertion  der  Reine  ab. 

Auf  dem  Rücken  findet  sich  ein  kleiner  Hügel  dicht  hinter  der  In- 
sertion der  vorderen,  rudimentären  Scheeren- Extremitäten,  auf  wel- 
chem die  vier,  jetzt  von  einander  getrennten  Augen  sitzen.  Jedes  Auge 
bildet  einen  Recher,  dessen  abgerundete  Spitze  nach  innen  und  schräg 
nach  unten  gerichtet  ist.  Eine  Membran ,  welche  diesen  Recher  ein- 
schlösse, vermochte  ich  nicht  aufzufinden,  da  bei  der  leisesten  Quet- 
schung sofort  das  Pigment  ausfliesst.  An  einem  derartig  gequetsch- 
ten Auge  bemerkte  ich  eine  grosse  Zahl  von  zarten  0,042  — 0,0S8  Mm. 


—   -^    IT^ 


UntersaeboDgen  ober  Bau  und  Entwickelong  der  Artbropoden.  149 

im  Durchmesser  haltenden  blassen  Zellen,  die  über-,  d.  h.  neben  ein- 
ander liegen.  Ob  sie  einen  zarten,  lieh tbrechenden  Apparat  gebildet 
haben  mochten,  vermag  ich  nicht  zu  sagen,  halte  es  aber  für  sehr 
möglich,  da  über  dem  Pigmentbecher  immer  ein  schillernder,  irisiren- 
der  Glanz  zu  bemerken  ist  und  da  ich  dergleichen  an  Pycnogonum 
littorale  beobachtet  habe  (Taf.  VI.  Fig.  20).  Die  Augen  stehen  ein- 
ander über  Kreuz  entgegen ,  so  dass  das  Thier  ohne  sich  zu  bewegen, 
nach  allen  Himmelsgegenden  zu  gleicher  Zeit  sehen  kann,  worauf  schon 
Zbiyker  hinwies. 

Die  Beine  haben  neun  Glieder ;  das  fünfte  trägt  am  oberen  Rande 
einige  kleine  Domen,  das  sechste  am  unteren,  das  siebente  hat  am 
oberen  einzelne  grossere ,  an  der  Spitze  des  unteren  eine  Anzahl  klei- 
nerer. Das  achte  ganz  kleine  Glied  trägt  auf  der  Unterseite  vier  mittel-  . 
starke  Domen,  die  nach  vorn  gekrümmt  sind,  das  neunte  endlich,  das 
wie  bei  allen  Pycnogoniden  stark  gekrümmt  ist,  hat  auf  der  oberen 
Kante  sieben  gleich  lange  grössere  Domen,  auf  der  unteren  drei  grosse 
und  fünf  kleinere.  An  der  Spitze  über  der  einfachen  Klaue  sitzen 
zwei  lange  Domen,  die  beinahe  so  lang  sind,  als  die  Klaue  selbst. 

Das  Weibchen  hat  in  allen  vier  Beinpaaren  Eierstöcke  (Taf.  VI. 
Fig.  1 6) ,  die  sich  an  der  Unterseite  des  dritten  Gliedes  in  einem  ovalen 
Loche  öffoen  und  bis  in  die  Spitze  des  fünften  Gliedes  reichen.  Die 
Eierstocke  bestehen  aus  einem  einfachen,  zwischen  Magensack  und 
Muskulatur  gelegenen  Sacke ,  dessen  feine  Contouren  durch  die  Wan- 
dung des  Beines  zu  erkennen  sind.  Der  Inhalt  besteht  aus  einer  dich- 
ten Masse  von  Zellen ,  von  denen  einige  allmälig  anwachsen  und  zu 
Eiem  werden.  Man  sieht  die  Eier  von  allen  Stadien  neben  einander, 
die  Zwischenräume  sind  von  den  erwähnten  Zellen  ausgefüllt ,  die  ur- 
sprünglich wahrscheinlich  die  Wandung  des  Eierstockes  nach  aussen 
ausgeschieden  haben.  In  jedem  Ei  erkennt  man  die  centrale  Keimzella 
mit  Keimfleck,  in  den  schon  vorgeschritteneren  einen  trüben  bräun- 
lichen Inhalt,  der  allmälig  mit  dem  Wachsthum  dunkler  und  dichter 
wird ,  und  im  ausgewachsenen  Ei  die  innere  Zelle  dem  Auge  entzieht, 
deren  spätere  Theilung  indess  wahrscheinlich  den  Anlass  zur  totalen 
Purchung  des  Eies  giebt. 

Das  Männchen  unterscheidet  sich  äusserlich  beträchtlich  von  dem 
Weibchen.  Die  vordersten,  scheerentragenden  Extremitäten  sind  zwar 
kürzer  als  bei  noch  unentwickelten  Individuen,  aber  sie  sind  etwas 
länger  als  bei  den  Weibchen  und  haben  noch  eine  vollständige  Scheere 
(Taf.  VI.  Fig.  47).  Die  Taster  sehen  denen  der  Weibchen  sehr  ähnlich, 
die  Grössenverhäitnisse  der  einzelnen  Glieder  sind  aber  ein  wenig  un- 
terschieden (Taf.  VI.  Fig.  48).  Statt  des  ausgebildeten  acc^  ~ 
Bd.  V.  2  I 


V  ^ 


150  Dr.  AdI.  Dolm, 

Fusspaares  findet  sieb  ferner  nur  eine  viergliedr^e  kurze  Extramität, 
deren  letztes  Glied  langer  ist  als  <Ue  übrigen  zusammen  [Taf.  Tl. 
Fig.  19). 

Der  Dann,  oder  der  Hagen,  vrie  man  ihn  nun  nennen  will,  durch- 
liebt  den  KOrper  vollständig;  die  seiüicben  AusatUlpungan  gehen  bis 
an  das  Ende  des  vorletzten  Gliedes  der  einzelnen  Beine.  Die  Strudur 
der  Wandung  scheint,  soweit  ich  erkennen  konnte,  sehr  einfach  und 
besteht  aus  einer  muskultisen  HUlle  und  einer  Epitelscbicht,  deren 
Zellen  sich  abzulösen  und  frei  in  der  DarmhChlung  zu  cursiren  schei- 
nen, getrieben  von  den  Contractionen  der  Wandungen. 

Die  Angaben  der  verschiedenen  Forscher  ttber  das  Gefösssystem 
und  den  Blutlauf  sind  bis  jetzt  noeh  widersprechend.  Von  Einigen 
wird  den  Pycnogoniden  ein  Herz  zu-,  von  Einigen  abgesprochen.  Cu- 
FAB&Dt  beschreibt  ausserdem  noch  eine  Aorta  und  schwingende  Hem- 
branen  in  den  Beinen.  Von  letzteren  habe  ich  nichts  wahrnehmen 
können ;  was  mir  allenfalls  den  Eindruck  machte ,  waren  die  langen 
Nervenstämme,  die  in  den  Beinen  verlaufen,  und  die  durch  die  viel- 
fachen Pulsationen  und  Contractionen  der  Darmwandung  häufig  gleich- 
falls in  Bewegung  kamen.  Die  Anwesenheit  einer  Aorta,  welche  auf 
der  Oberseile  des  Oesophagus  li^en  soll ,  kann  ich  nach  meinen  Un- 
tersuchungen nicht  bestätigen;  so  viel  ich  erkennen  konnte,  läuft  ein 
wandungdos^  Stn»n  zwischen  den  Uuskeln  des  Oesophagus  auf  seiner 
Oberseite  dahin,  der  durch  seine  Pulsation  einen  Nerven  des  Schoabel- 
fort^tzes  zu  rhythmischen  Bewegungen  veranlasst,  und  so  vielleicht 
Anlass  gegeben  hat,  an  eine  eigene  Aortenwandung  zu  denken.  Der 
Strom  theilt  sich  dicht  vor  der  Spitze,  läuft  gleichfalls  in  einer  Lacone 
jederseits  auf  die  Unterseite  und  vermischt  sich  dort  mit  der  allgemei- 
nen CirculatioD  des  Bhites.  Ein  Herz  habe  ich  bei  einer  Art  der 
Gattung  N  ymphon  wahrgenommen.  Es  stellt  einen  Sack,  dar,  dessen 
Spitze  dicht  vor  dem  Afterfortsatz,  dessen  grosse  breite  Oeffiiung  zwi- 
schen dem  ersten  der  vier  Ganglienpaare  li^L  Es  hat  in  der  oberen 
Wandung  vier  quergesohlitzte  Klappenttffbung«) ,  derea  je  zwei  neben 
einander  liegen.  Die  Wandung  des  Herzens  besteht  aus  Muskulatur 
und  vorspringenden  Kernen. 

Was  DQD  dieBlutk&rperchen  anlangt,  so  lassen  sich  zwei  ver- 
schiedene Arten  unterscheiden.  Die  eine  wird  gebildet  von  0,024  Hm. 
im  Durchmesser  haltenden,  hellen,  durchsiohtigon ,  kleinen  Blasen, 
ohne  Kerne,  aber  meist  mit  unregelmUssig  geMteten  Wandungen,  die 
andere  von  0,008  Hm.  messenden,  gewtthnUcb  aber  länglichen  kleinen, 
oft  in  dtlnne  Fortsätze  ausgezogenen  Kürperchen  anscheinend  mit  Fett- 
kfirnchen  gefüllt.    Amoeboide  Bewegungen  habe  ich  an  keiner  von  bei- 


Diitersuchnngen  Ober  Bau  and  Entwickeloiig  der  Arthropoden.  151 

den  wahrgenommen.  Die  letzteren  sind  viel  weniger  zahlreich  als  die 
ersteren;  sie  quellen  beide  in  destillirtem  Wasser  auf,  während  sie  in 
Seewasser  ihre  ursprüngliche  Form  beibehalten. 

Die  Bewegung  des  Blutes  wird  zum  kleinsten  Theile  durch 
das  Herz  bewirkt,  wo  ein  solches  vorhanden  ist.  Die  Mehrzahl  der 
Pycnogoniden  hat  aber  kein  Herz,  sonach  muss  ein  anderes  Agens  ein- 
treten. Dies  Agiens  ist,  wie  bereits  Qoathefagbs  ganz  richtig  feststellte, 
der  Hagen  oder  Darm  mit  seinen  langen  Blindsäcken  in  den  Beinen. 
Und  selbst  da,  wo  wie  auch  bei  Phoxichilus  ein  Herz  vorhanden  ist, 
bestimmt  die  Bewegung  des  Darmes  mehr  die  Girculation  als  die  des 
Herzens.  Des  letzteren  Herrschaft  erstreckt  sich  nicht  über  den  Innen- 
raum des  Körpers  hinaus ;  in  den  Beinen  gehorcht  die  Blutbewegung 
aber  den  Gontractionen  der  Darmblindschlauche,  die  bei  manchen  Ar- 
ten rhythmisch  erfolgt. 

Das  Nervensystem  besteht  aus  einem  oberen  Schlundganglion 
oder  Gehirn  und  einer  Reihe  von  Bauchganglien.  Die  Zahl  der  letz- 
teren variirt  bei  den  verschiedenen  Arten.  Bei  vielen  scheint  das  erste 
und  zweite  zu  verschmelzen,  wenigstens  sieht  man  beiPycnogo- 
num  littorale,  bei  Nymphon  und  bei  Phoxichilus  nur  vier 
Bauchganglien  mit  einem  rudimentären  letzten  Ganglion  für  den  After- 
fortsatz. Bei  Phoxichiiidium  dagegen  und  Achelia  habe  ich  fünf 
Bauchganglien  und  das  rudimentäre  Afterfortsatz -Ganglion  gesehen. 
Die  Nerven,  welche  von  diesen  Ganglien  abgehen,  sind  bereits  von 
Zbnkbh  genau  beschrieben. 

Von  Sinnesorganen  sind  uns  nur  die  Augen  bekannt.  Frühere 
Beobachter  geben  .an,  es  liessen  sich  keinerlei  Linsen  oder  andere 
licfatbrechenden  K(Hper  in  den  einzelnen  Augenbechem  erkennen. 
Mir  ist  es  indess  gelungen ,  mich  vom  Gegentheil  zu  überzeugen.  Bei 
einem  jungen  Pycnogonum  littorale  (Taf.  VI.  Fig.  SO)  unterwarf 
ich  die  Augen  eingehender  Untersuchung  und  fand  in  einem  jeden  der- 
selben acht  bis  zehn  kugelige  Körper,  die  wahrscheinlich  gleich  den 
Krystallkörpem  im  Crustaceen-  und  Insectenauge  zu  dem  dioptrischen 
Apparate  gehören.  Ueber  ihre  Structur  konnte  ich  nichts  Näheres  her- 
ausbringen ;  dennoch  ist  mir  nicht  unwahrscheinlich ,  dass  sie  mit  den 
bei  Achelia  im  zerdrückten  Augenbecher  beobachteten  matten  Zellen 
in  Zusammenhang  stehen,  da  auch  die  Umrisse  dieses  Körpers  bei 
Pycnogonum  sehr  matt  und  nur  bei  sehr  starker  Vergrösserung  und 
mit  gegen  alle  anderen  Lichtquellen  durch  Ueberschattung  mit  der 
Hand  geschütztem  Auge  von  mir  wahrgenommen  werden  konnten. 

44  ♦ 


4.    Entwicklung  von  Pfaoxichilidium  sp. 

Schon  beim  äusseren  Anblick  erkennt  man  zwischen  trächtigen 
Phoxichilidium-Weibcfaen  und  Pyunoganurti-WeibcheD  eiaen 
wesentlichen  Unterschied.  Diese  tragen  die  Eier  in  einem  oder  oieli— 
reren  Sückchen,  jenes  aber  hat  die  einzelnen  Eier  frei  an  dem  dritteis 
oder  accessorischen  Fusspaare  hängen.  Bei  Pycnogonum  findet  man 
einige  Hundert,  bei  Phoxichilidium  nur  zwanzig  bis  dreissig. 
Jene  sind  klein ,  messen  0,48  —  0,16  Hm.  im  Durchmesser,  diese  da- 
gegen sind  mehr  als  doppelt  so  gross  und  ballen  0,ä3S  Hm. -Durch- 
messer. 

Den  äusseren  Unterschieden  entspricht  die  Verschiedenheit  der 
Entwicklungsweise.  Bei  Phoxichilidium  kommt  es  nämlich  nichl 
Eur  Larvenbildung ,  sondern  die  ganze  Hetamorphose  wird  tlber- 
sprungen  und  aus  dem  Ei  kriecht  ein  bis  auf  das  letzte  Fusspaar  fer- 
tiger Pycnogonide  aus.  Wir  haben  somit  in  diesem  Thier  das  beste 
Beispiel  einer  abgektlrzten  Entwicklung  und  können  aus  den  Unter- 
schieden der  embryonalen  Zustände  beurlheilen,  welchen  EinQuss  auf 
gewisse  Vorgänge  im  Ei  diese  Abkürzung  hat. 

Da  ist  es  nun  von  grossem  Interesse,  dass  wir  auf  eine  Embryonal- 
baut in  den  Phoxichilidium-Eiern  treffen,  wahrend  die  übrigen 
Pycnogoniden,  soweit  ich  sie  untersuchen  konnte,  nichts  der  Art 
erkennen  lassen.  Die  noch  nicht  mit  einer  Eeimschicht  versebenen 
Eier  zeigen  deutlich  ein  Chorion  und  eine  feine  Dolterhaut,  die  sich 
auch  bei  den  anderen  Pycnogoniden  -  Eiern  fand.  Presst  man  ein  Ei, 
so  dehnt  sich  das  Chorion  weiter  aus  als  die  Dotierhaut,  und  letztere 
kommt  zur  genauen  Perception,  da  sie  den  Dotter  begrenzt  und 
zwischen  ihm  und  dem  Chorion  ein  freier  Raum  bleibt.  Auch  ia  dem 
weiter  entwickelten  Ei  kann  man  diese  beiden  Haute  noch  wabmeh- 
men,  —  ausser  ihnen  aber  noch  die  Larvenhaut,  welche  den  ganzen 
Embryo  einhüllt  und  nur  an  zwei  Stellen  in  genauer  Verbindung  mit 
demselben  steht;  an  der  Basis  der  beiden  Vorder-Extremitäten,  wo 
sich  ein  kleiner  Fortsatz  findet  (Taf.  VI.  Fig.  2f  o),  der  mit  einem  dop- 
pelt contourirten  Ringe  abschliesst.  Dieser  Portsatz  hat  offenbar  noch 
eine  nach  rückwärts  weisende  Bedeutung :  er  ist  das  letzte  Rudiment 
des  bei  den  als  Nauplioide  auskriechenden  Pycnogoniden  sich  finden- 
den Bankendorns  oder  des  durchbohrten  Stachels,  den  ich  von  der 
Larve  der  Achelia  laevis  beschrieben  habe.  Wie  man  an  jenen 
Larven  siebt,  liegt  die  Insertionsstelle  dieses  Domes  an  dem  Basal- 
gliede  der  vorderen  Extremität  und  wird  schon  zeitig  im  Ei  angelegt. 
Dasselbe  geschieht  an  den  Embryonen  von  Phosichilidium.    Wie 


r  'r 
I.  I 


1.  J 


Untersuchungen  ober  Bau  und  Entwicklung  der  Arthropoden.  153 

aber  von  jenem  Fortsatz  in  den  fertigen  Pycnogoniden  keine  Spur  mehr 
zu  finden  ist ,  da  der  Stachel  während  der  Metamoi*phose  allmälig  zu 
Grunde  geht ,  —  so  ist  auch  dies  Gebilde  bei  Phoxichilidium  nur  wäh- 
rend des  embryonalen  Lebens  von  Dauer  und  hat  als  solches  eine  an- 
dere Function  angenommen ,  nämlich  die  oben  erwähnte ,  als  Befesti- 
gungsstelle für  die  Eihäute  zu  dienen.  Vergleicht  man  nämlich  die 
Abbildung  auf  Taf.  VI.  Fig.  22 ,  so  bemerkt  man ,  dass  nicht  nur  die 
Larvenhaut,  sondern  auch  die  innere  Eihaut  und  das  Chorion  an  dieser 
Stelle  an  den  Embryo  festgeheftet  sind.  Da  man  aber  in  dem  Ei, 
dessen  Keimbaut  noch  nicht  zur  deutlichen  Embryonalbildung  gekom- 
men ist,  keinerlei  Befestigung  der  beiden  Eihäute  an  dem  Eiinhalt 
wahrnehmen  kann,  so  folgt  daraus,  dass  erst  durch  das  Entstehen  die- 
ses Fortsatzes  die  Verbindung  bewirkt  wird.  Es  ist  mir  nicht  gelun- 
(j  gen,  Stadien  zu  beobachten,  in  denen  diese  Verbindung  sich  angebahnt 

p  hätte;  es  muss  aber  zu  einer  Verwachsung  an  dieser  Stelle  kommen, 

ja.         vielleicht  zu  gleicher  Zeit,  wenn  sich  die  Larvenhaut  bildet ,  die  sich 
;  deutlich  um  den  Fortsatz  herumlegt.     Das  Stück,  welches  nun  in  Ver- 

[|:  bindung  mit  all  den  Häuten  steht,  ist  ein  Ring,  der  sich  nach  innen 

verengert  und  wiederum  mit  einem  engeren  Ringe  innerhalb  des  Fort- 
I  Satzes  endigt.    Ob  eine  Durchbohrung  dieses  inneren  Ringes  statthat, 

]!  lässt  sich  nicht  erkennen ;  jedenfalls ,  sollte  es  der  Fall  sein ,  so  wird 

j.  sich  daraus  doch  kein  Schluss  auf  eine  Communication  des  Innenraums 

I  des  Embryo  mit  der  äusseren  Umgebung  schliessen  lassen ,  da  die  Ei- 

häute nicht  durchbohrt  sind. 

Die  Larvenhaut  schliesst  den  ganzen  Embryo  ein ,  ohne  eine  Aus- 
buchtung für  die  Gliedmaassen  zu  zeigen ,  ausgenommen  die  beiden 
eben  erwähnten  Fortsätze. 

Was  nun  die  Bildung  des  Embryo  selber  angeht ,  so  legt  er  sich 
auf  der  späteren  Bauchseite  breit  an ,  bildet  eine  Art  Primitivstreifen, 
wenn  dieser  Ausdruck  noch  zu  brauchen  ist ,  nachdem  die  Lehre  vom 
Reissen  der  Keimhaut  bei  den  Arthropoden  beseitigt  ist.  Allmälig  ent- 
stehen die  vier  Paar  Extremitäten  und  mit  ihnen  vier  Paar  Bauch- 
ganglienpaare, —  in  derselben  Weise,  wie  bei  den  Crustaceen.  Zwi- 
schen den  vorderen  scheerentragenden  Extremitäten  bildet  sich  die 
Mundöffnung  auf  dem  dicken,  wulstigen  Vorsprunge,  in  dessen  binern 
schon  frühzeitig  der  Oesophagus  mit  dem  Rechen -Apparate  angelegt 
wird.  Die  Beine  liegen  anfänglich  in  Schraubenwindung  innerhalb  der 
Larvenhaut ,  nur  das  dritte  Paar  beginnt  frühzeitig  sich  nach  vorn  zu 
strecken  und  bedeckt  von  unten  her  die  Ganglienkette.  Später ,  wenn 
die  Larvonhaut  entfernt  ist,  strecken  sich  die  beiden  anderen  Beinpaare 
ebenfalls  und  man  erkennt  zugleich  die  Bildung  eines  neuen ,  letzten 


154  ^-  All'-  I^bra, 

Ganglions.  Eine  neue  Cuticula  umgiebt  den  Embryo,  die  nber  nichi 
mehr  wie  die  Larvenbaul  sackartig,  sondern  von  allen  Extremitäten  rmi 
abgelöst  isl.  Die  BlindsScke  des  Verdauungslraclus  sind  bis  dicht  an 
die  Klauen  gebildet,  das  Gehirn  mit  seinen  vier  AugeobedierD  ist  voll- 
sländig  fertig,  es  fehlt  nur  noch  das  letzte  Beinpaar,  das  erst  ausser- 
halb  der  Ei-  und  Larven  hüllen  erworben  wird,  um  die  Gestall  de^ 
ausgebildeten  Thieres  herzustellen. 

Diese  Untersuchungen  wurden  an  einer  Art  gemacht,  die  ich 
hSu6g  an  Algen  im  Hafen  von  Messiua  fand,  aber  wegen  maagelnder 
Literatur  nicht  naher  bestimmen  konnte.  Doch  werde  ich  bei  Gel^en- 
beit  ausftlhrlicherer  Hittheilungen  dies  nachholen. 

Die   vorstehenden    Hittheilungen    über   die    Entwickelung    eines 
Pho&ichilidium  weichen  weseutlich  von  den  Angaben  ab ,   die  vdr 
CLAPiRfeDB    verdanken.     Derselbe   schildert  in  » Beobachtungen    über 
Anatomie    und   Entwickelungsgeschichte    wirbelloser  Thiere   an    der 
Küste  der  Normandie  angestellta,  Leipzig,   1863,  pag.  105,  Taf.  XVm. 
Fig.   13,  4i,   was  er  von  der  Entwickelung  des  Phoxichilidluni 
cheliferum  gesehen  hat.    Da  wird  ein  erstes  Stadium  beschrieben, 
in  welchem  das  Junge  vollständig  einer  Larve  von  Pycnogonum 
gleicht,  also  offenbar  nicht  durch  verkUnte  Metamorphose  gleich  in  der 
definitiven  Gestalt  aus  dem  Ei  kommt.     Das  zweite  Stadium  dagegen 
erscheint  durchaus  ähnlich  den  von  mir  beschriebenen  Embryonen ,  isl 
indess  bereits  dem  freien  Leben  Uberantworlet.    In  einer  Gattung  zwei 
so  sehr  verschiedene  Entwickelungstypen  neben  einander  zu  sehen,  ist 
zwar  nicht  ohne  Analogie,  aber  dennoch  mttchte  ich  bezweifeln,  dass 
die  beiden  Entwickelungsstadien ,  welche  CupakKdb  beschrieben  bat, 
zusammengehören.    CLAPAREnE  giebt  an,  die  Larve  des  ersten  Stadiums        ] 
mit  dem  Oberflächennetz  gefischt  zu  haben;  er  vennuthel  ferner,  dass        I 
zwischen  ihr  und  dem  zweiten  Stadium,  das  er  beschreibt,  eine  Zeit 
parasitischer  Existenz,  wie  sie  von  Hodgb  beschrieben  sei,  ISge.    Dazu        ' 
scheint  aber  kein  Grund  voriianden,   um  so  weniger,  als  die  ganze 
Entwickelungsweise,  wie  sie  Hodge  beschreibt,  wohl  noch  einer  neuen 
Durcharbeitung  und  Bestätigung  bedarf.     Vielmehr  glaube  ich,  dass 
das  vermeinUicbe  erste  Stadium  des  Phoxichilidium  cheliferum 
zu  einer  anderen  Pycnogonide  gehört,  und  dass  das  zweite  direct  ohne 
weitere  Verwandlungen  aus  der  Eischale  gekommen  ist. 

Ziehen  wir  nun  das  Resultat  aus  diesen  Untersuchungen  für  die 
Frage  nach  den  Verwandtschaften  der  Pycnogoniden.  Nach  den 
Grundsätzen  der  durch  die  DAaviN'sche  Theorie  reformirten  Uorpho- 
logie  liegt  das  entscheidende  Gewicht  nidtl  in  den  EigenthUmlichieilea 
der  Oi^anisation  des  gescblechtsreifen  Thieres ,   sondern  in  dem  Ent- 


J 


y  <?f<' 


Untersacboogea  Aber  Ban  ond  Eutwioklung  der  Arthropodeo.  155 

v^ickelungsleben ,  das  es  vorher  durchgemaoht  hat.  Wir  wissen  nun 
£j.,.  «war  —  und  die  Pycnogoniden  selbst  haben  uns  soeben  mit  einem 
^  j  1^  neuen  höchst  auffallenden  Beispiele  dieser  Art  bekannt  gemacht  — , 
dass  die  ontogenetisohe  Entwickelung  httufig  bis  zur  Unkenntlichkeit 
den  phyletischen  Entwickelungsgang  entstellt^  meist  durch  Verkürzung 
und  Zusammendrängung  verschiedener  Stadien  in  eines,  mitunter  aber 
auch  wohl  durch  Veränderung  und  Zwischenschiebung  neuer  Gestal- 
tung zur  Anpassung  an  veränderte  Lebensbedingungen.  Dennoch  aber 
beweist  bei  den  Pycnogoniden  die  Jetzt  vom  Ei  an  gekannte  Entwick- 
lung, dass  Interpolationen  nicht  stattgefunden  haben ,  wohl  aber  Ver- 
kürzungen in  dem  Falle  von  Phoxichilidium.  Beide  Entwicklungs- 
typen sind  zu  verwerthen. 

Der  erstere  —  um  es  gleich  kurz  zu  sagen  —  deutet  an,  dass 
die  den  Pycnogoniden  nächstverwandten  Geschöpfe  die 
Grustaceen  sind.  Damit  ist  ausdrücklich  ausgesprochen ,  dass  die 
Pycnogoniden  selber,  wenigstens  nach  meinen  Anschauungen,  nicht 
zu  den  Krebsen  im  herkömmlichen  Sinne  gehören.  Nur  das  glaube  ich, 
dass  ihre  erste  Larvenform  eine  Naupliusform  vorstellt,  und  dass 
sie  insoweit  den  Krebsen  blutsverwandt  sind.  Aber  die  Fortentwick- 
lung des  Nauplius  zur  Zoöa  hin ,  die  nach  später  zu  machenden  Mit- 
theilungen für  die  Krebse  ganz  allgemein  stattgefunden  haben  dürfte, 
—  diese  Fortentwicklung ,  glaube  ich ,  hat  für  die  Pycnogoniden  nicht 
stattgefunden.  Der  Typus,  nach  dem  die  Gliedmassenbildung  am 
Nauplius  der  Pycnogoniden  vorschreitet,  ist  ein  anderer,  als  bei  den 
Krebsen ,  ja ,  es  kommt  niemals  eine  Spur  von  Schwimmorganen  zur 
Erscheinung  und  die  durch  Ausstülpungen  der  Magenwände  und  in 
Folge  dessen  der  Körperwand  hervorgebrachten ,  später  vielfach  ge- 
gliederten Extremitäten  haben  gar  kein  Homologen  bei  den  Krebsen. 

Es  giebt  aber  Eigenthümlichkeiten  in  der  Organisation  und  der 
Entwicklung  der  Pycnogoniden ,  welche  rückwärts  über  ihr  Nauplius- 
stadium  hinausweisen ;  dabin  rechne  ich  die  sackförmigen  Verzweigun- 
gen des  Verdauungstractus,  die  an  verschi^enen  Stellen  der  Darm- 
wandungen  sich  findenden  leberartigen  Zellen,  welche  die  mangelnden 
discreten  Leberorgane  vertreten,  die  auffallende  Lagerung  und  Verthei- 
lung  der  Geschlechtsorgane  etc.  Wohin  diese  Organisationen,  die 
anscheinend  weder  auf  die  Krebse  noch  auf  die  Spinnen  zu  beziehen 
sind ,  weisen ,  das  mag  der  Zukunft  anheimgefttellt  werden ,  —  mög- 
licherweise wird  aber  die  Anschauung ,  die  in  Trematoden  ähnlichen, 
weit  zurückliegenden  Wurmformen  die  Anfänge  der  Naupliusformen 
sehen  will,  hierdurch  unterstützt. 

Nun  wäre  aber  trotz  alledem  die  Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen, 


beiirr- 

e  r. 
dl 

\l 


t56  Dr.  Ant.  Dobro, 

die  Milben  dennoch  in  genealogische  Verbindung  mit  den  Pycnogoniden 
zu  bringen,  und  da  tritt  die  verkürzte  Entwickelungsweise  von  Phoxi- 
chilidium  als  Anhaltspunkt  ein.  Allein  es  bleibt  doch  nur  eine  ausser- 
liehe  Vergleichung  der  erwachsenen  Formen,  die  auf  die  ganze  Be- 
trachtung führt;  wenn  auch  bei  Phoxichilidium  und  bei  den  Milben 
Larvenhäute  vorkommen ,  so  bildet  doch  kein  specielles  Moment  einen 
deutlichen  Fingerzeig  und  man  müsste  nach  wie  vor  erst  Rechenschaft 
geben  von  dem  Mangel  des  siebenten  Extremitäten -Paares,  das  doch 
nun  einmal  typisch  für  die  Pycnogoniden  ist. 

Sonach  stellt  sich  mein  Encjurtheil  folgendermaassen :  Die  Pycno- 
goniden sind  weder  Arachniden  noch  Crustaceen ;  mit  ersteren  haben 
sie  gar  keine  Verwandtschaft ,  mit  letzteren  haben  sie  als  Berührungs- 
punct  den  Nauplius  gemein ,  verlassen  aber  von  diesem  Punct  aus  die 
Entwickelungsreihe  der  Crustaceen,  die  auf  die  ZoSaformen  zustrebt. 


Irkttnug  dar  AbbildoBgen. 

Tafel  ▼. 

Fig.  4— 6.   Pycnogonain  littorale. 

4.   Ei  im  Farchungsprocess.  Jeder  Furchungsballen  enthält  einen  cen- 
tralen Kern. 
3.  Embryonal-Anlage.   a  vorderes,  b  mittleres,  c  hinteres  Bein. 

3.  Weiter  vorgeschrittener  Embryo,  bei  d  der  Schnabelfortsatz  angelegt. 

4.  Weiter  entwickelter  Embryo  in  Profil-Ansicht.  0  Auge, /"  Rankenfort- 
satz der  ersten  Extremität 

5.  Beinahe  vollendeter  Embryo. 

6.  Ausgekrochene  Larve. 
Fig.  7  — 19.   Achelia  laevis. 

7.  Eben  ausgekrochene  Larve.  /"  Dornfortsatz  der  ersten  Extremität,  in 
den  die  Drüse  g  mündet  mittelst  des  hornigen  inneren  Rohres  h, 
i  ein  hervordringender  Faden,  k  Verdauungsorgan,  bei  l  mit  Mus- 
keln an  die  Leibeswand  befestigt,  m  oberes  Schlundganglion. 

8.  Auge  der  Larve,  dem  oberen  Schlundganglion  aufsitzend. 

9.  Weiter  entwickelte  Larve,  nop  Ganglien ,  q  Ausstülpung  der  hin- 
teren Leibes-  und  Darmwand  als  Anlage  eines  neuen  Beinpaares, 
r  Verdickung  der  Leibeswandung  als  erste  Andeutung  des  zweiten 
neuen  Beinpaares. 

10.   Dasselbe  Stadium  im  Profil. 

Tafel  VL 

4 1 .   Mittleres  Stadium  zwischen  Larve  und  ausgebildetem  Thiere.  Sämmt- 
)iche  Larven -Extremitäten  sind  noch  vorhanden,  die  des  ausgebil- 


Uotersuchungen  ober  Bau  und  Entwickelung  der  Arthropoden.  157 

deien  Tbieres  zum  Theil  ausgebildet,  zum  Tbeil  erst  angelegt  (bei  q 
und  r).  «  ein  neues  Ganglion.  Die  alten  sind  bereits  alle  verschmoU 
zen.   ( Mastdarm,   u  Oesophagus  mit  Zahn-  und  Rechen-Apparat. 

\t.  Die  vorderste  Larven -Extremität  hat  den  Fortsatz  f  verloren,  eine 
doppelte  contourirte  kreisförmige  Chitinleiste  deutet  an,  wo  derselbe 
sich  befand.  Die  zweite  Larven-Extremität  h  hat  noch  die  Klaue  und 
am  vorhergehenden  Gliede  zahlreichere  Domen.  Die  dritte  Larven- 
Extremitfit  c  ist  im  Verschwinden  begriffen,  v  ist  ein  neues  —  das 
fünfte  —  Bauch-Ganglion. 

13.  Der  Schnabelfortsatz  vergrössert  sich  im  VerhAltniss  zu  den  vorde- 
ren Larven-Extremitäten.  Das  zweite  Paar  derselben  b  hat  die  Klaue 
abgeworfen.  Das  dritte  c  ist  völlig  verschwunden ,  eine  hufeisen- 
förmige Chitinleisle  deutet  die  frühere  Insertion  an. 

U.   Das  zum  »Taster«  umgewandelte  erste  Larvenbein  Q 

15.  Das  zum  »accessorischen«  oder  »Geschlechts «-Bein  umgewandelte 
zweite  Larvenbein  Q 

h  6.   Ein  ovarium tragendes  Bein  eines  ausgewachsenen  Q 

17.  Scheerenfnss  des  ausgewachsenen  (} 

18.  »Taster«  des  ^ 

19.  »Accessorisches«  Beinpaar  des  (5 

20.  Augenböcker  eines  jungen  Pycnogonum  littorale,  aa  Sculptu- 
ren  und  Höhlungen  der  Körperwand. 

81—24.   Phoxichilidium  sp. 

21.  Embryo  umschlossen  von  Chorion  (roth),  Dotterhaut  (blau),  Larven- 
haut (orange),  a  der  Ring,  mit  welchem  der  Embryo  an  die  Lar- 
venhaut befestigt  ist. 

22.  Diese  Verbindungsstelle  vergrössert. 

23.  Embryo  nur  noch  von  der  Larvenwand  umschlossen. 

24.  Embryo  ohne  Larvenhaut  vor  dem  Auskriechen. 


lieber   einige  ZersetnugspradBcte  de«  PhasphorwuserstoA, 
des  AntüieDwassersttis  nnd  des  Siliciuiwaswrstofls. 


Dr.  B.  Hahn. 


Die  folgenden  Untersuchungen  sind  auf  Veranlassung  des  Herrn 
Professor  Geuthes  im  chemischen  Laboratorium  zu  Jena  ausgeführt 
worden.  Sie  hatten  den  Zweck ,  festzustellen ,  ob  nicht  neue  wasser- 
stofffaaltige  Substilutionsproducle  der  oben  genannten  WasserstefiVer- 
bindungen  dargestellt  werden  kUnnton. 

I. 

Phosphorwasserst  off  gas. 

Das  zu  diesen  Untersuchungen  angewandte  Phosphorwassersloff- 
gas  wurde  auf  die  bekannte  Weise  durch  Erhitzen  von  Natronlauge 
mit  Phosphor  dargestellt  und  zur  Trocknung  über  Cblorcaicium  geleilet. 
Vor  Beginn  der  Enlwidieiung  wurde  der  ganze  Apparat  mit  Wasser- 
sto^as  angefallt. 

1.  Phoiphorwauento^raa  und  Phoiphorchlorid. 

Die  bei  der  Einwirkung  des  PhosphorwasserstoSgases  auf  Phos- 
phorchlorid beobachteten  Erscheinungen  ei^aben  das  Dümlicbe  Resul- 
tat, welches  schon  H.  Rost  beobachtete^,  eine  Substitution  des  sammle 
liehen  Wasserstoffs  im  PbosphorwasserstoSgas  durch  Chlor.  Es  ent- 
wichen hierbei  Salzsäuredämpfe  und  es  bildete  sich  PhosphorchlorUr 
nach  der  Gleichung : 


I  Pose.  AddbI.  Bd.  S4,  p.  107. 


lieber  einige  Zersetsnngsprodocte  des  Pbosphorwasserstoffs  etc.  159 

2.   Phoaphorwasaeratoffgas  und  Phoaphorohlornr. 

Beim  Einleiten  von  Phosphorwasserstoffgas  zu  Phosphorchlorttr 
trttbte  sich  dassdbe ,  indem  sich  ein  rother  Niederschlag  bildete.  Da 
die  Abscheidung  desselben  sehr  langsam  von  statten  ging ,  wurde  sie 
durch  gelindes  Erwärmen  zu  befördern  gesucht.  Erst  nach  achtstün- 
digem Einleiten  hatte  sich  eine  zur  Analyse  genügende  Menge  gebildet. 
Der  grüsste  Theil  des  Wasserstoffgases  hatte  wahrend  dieser  Zeit  den 
Apparat  unzersetzt  passirt.  Vom  Phosphorchlorür  wurde  der  Nieder- 
schlag dadurch  gereinigt,  dass  ei*steres  im  Wasserbade  und  Kohlen- 
säurestrom abdestillirt  wurde ;  der  Niederschlag  selbst  wurde  mit  Wasser 
ausgewaschen  und,  nachdem  er  zwischen  Fiiesspapier  abgepresst  wor- 
den war,  über  Schwefelsäure  vollständig  trocken  erhalten.  Die  Sub- 
stanz bildete  ein  rothgelbes,  lockeres,  amorphes  Pulver.  Eine  Analyse, 
vorgenommen  durch  Verbrennen  im  Ghlorstrom,  ei^ab  einen  Gehalt 
von  94.33  Proc.  Phosphor.  Der  Hauptsache  nach  bestand  die  Substanz 
also  offenbar  aus  amorphem  Phosphor ,  wie  ihr  Verhalten  im  Röhrchen 
zeigte,  wobei  sie  bis  auf  eine  kleine  Menge  glasiger  Pbosphorsäure  wie 
Phosphor  destillirte.  Dass  ihr  etwas  phosphorige  Säure  beigemengt  war, 
wurde  durch  Behandein  derselben  mit  wenig  Wasser  constatirt,  indem 
dieses  die  reducirenden  Eigenschaften  der  phosphorigen  Säure  zeigte. 
Es  stimmt  dies  Verhalten  mit  dem ,  welches  H.  Boss  beobachtete ,  also 
ttberein. 

3.   Phoiphorwaaa0ratoff  und  AntiaioneUorid. 

Die  Einwirkung  des  PhosphorwasserstofiEs  auf  Antimonchlorid 
findet  unter  starker  Erwärmung  statt.  Es  wurde  deshalb  abgekühlt. 
Neben  entweichenden  Salzsäuredämpfen  entstand  Phosphorchlorid  und 
Antimonchlorür.  Letzteres  blieb  im  Antimonchlorid  gelöst,  während 
ersteres  sich  ausschied  und  in  die  Höhe  begab.  Es  blieb ,  nachdem 
das  Antimonchlorür  im  Oelbad  bei  240  Grad  abdestillirt  worden  war, 
völlig  weiss  und  mit  allen  es  charakterisirenden  Eigenschaften  zurück. 
Die  Beaction  verläuft  also  nach  der  Gleichung : 

PH^  +  4  SbCI^  =  4  SbCl^  +  PCl'^  +  3  HCl. 

Eine  Verbindung  des  Phosphorwasserstoffgases  mit  Antimonchlo- 
rid, wie  solche  H.  Boss  erhalten  hal^,  konnte  bei  wiederholt  ange- 
stellten Versuchen  nicht  beobachtet  werden.  Mit  Ausnahme  des  Auft- 
tretens  eines  ganz  als  Nebenerscheinung  sich  zeigenden  gelbrothen 


4  Pdoo.  AuialeD,  Bd.  24,  p.  165. 


160  l>r*  R*  ^^D, 

Beschlages  von  amorphem  Phosphor  verlief  die  Umsetzung  anter  Bil- 
dung der  angegebenen  Verbindungen. 

4.   Fhosphorwaflsersto^gras  und  Antimonehlorar. 

Das  in  durch  Erwärmen  flüssig  gehaltenes  Antimonchlorflr  eingc^— 
leitete  Phosphorwasserstoffgas  erzeugte  einen  schwarzen,  pulverför— 
migen  Niederschlag.     Dieser  wurde  nach  Beendigung  der  Phosphor— 
wasserstoffgas-Entwickelung  durch  Behandeln  mit  Salzsäure  und  Aus- 
waschen mit  Wasser  gereinigt,  lieber  Schwefelsäure  getrocknet  bildete 
diese  Substanz  ein  amorphes ,  lockeres ,  schwarzes  Pulver  und  bestand 
der  Hauptmenge  nach  aus  Antimon ,  Phosphor  und  Chlor.    Da  letzteres 
von  noch    beigemengtem  Antimonchlorür  herzustammen   schien,    so 
wurde  versucht ,  dieses  zu  entfernen.     Dieses  konnte  indessen  weder 
durch  Kochen  des  Pulvers  mit  Salzsäure,  noch  mit  Alkalien  vollständig 
erreicht  werden.    Auch  bei  Versuchen,  durch  im  Oelbade  und  Kohlen- 
säurestrom vorgenommene  Destillation  das  Antimonchlorür  zu  entfer- 
nen, blieb  stets  ein  chlorhaltiger  Körper  zurück.    Die  analytischen  Re- 
sultate sind  folgende : 

a.  Substanz,  die  mit  Salzsäure  und  sodann  durch  Auskochen 
mit  Wasser  gereinigt  worden  war,  enthielt  76,86  Proc.  Antimon, 
12,85  Proc.  Phosphor,  3,45  Proc.  Chlor.    Verlust:  6,84  Proc. 

b.  Substanz  mit  Salzsäure  behandelt,  sodann  mit  kohlensaurem 
Natron  gekocht  und  mit  Wasser  ausgewaschen,  ergab:  77,50  Proc 
Antimon,  12,41  Proc.  Phosphor,  das  Chlor  wurde  nicht  bestimmt. 

c.  Substanz  mit  Salzsäure  behandelt,  sodann  mit  Kalilauge 
gekocht  und  Wasser  ausgewaschen,  ergab:  88,41  Proc.  Antimon, 
6,82  Proc.  Phosphor.  Chlor,  welches  in  geringer  Menge  vorhanden 
war,  wurde  nicht  bestimmt. 

Da  eine  vorgenommene  Wasserstoßbestimmung  keinen  Gehalt 
an  Wasserstoff  ergab ,  so  kann  das  Fehlende  nur  Sauerstoff  sein.  Eine 
einfache  Formel  lässt  sich  daraus  nicht  ableiten ;  die  in  den  beiden 
ersten  Analysen  gefundenen  Mengen  von  Antimon,  Phosphor  und 
Sauerstoff  stehen  nahezu  in  dem  Verhältniss  wie  3:2:2. 

5.   Phosphorwasserstoffgas  und  Zinnchlorid. 

Mit  Zinnchlorid  bildete  das  Phosphorwasserstoffgas  eine  gelbrothe 
Verbindung.  In  dem  Zustande,  wie  solche  nach  erfolgter  Einleitung 
des  Gases  in  Zinnchlorid  erhalten  wurde ,  stellte  sie  eine  an  der  Luft 
stark  rauchende  Masse  dar.    Da  dieser  aber  noch  Zinnchlorid  beige- 


üeber  einige  Zersetzungsprodnf te  des  Fhosphorvasserstoffs  ete-  j  61 

mengt  sein  konnte ,  so  wurde  dasselbe  durch  AbdestiUiren  im  Wasser- 
bade und  Kohlensäurestrom  zu  entfernen  gesucht,  was  in  der  That 
leicht  gelang,  und  nun  ein  an  der  Luft  nicht  mehr  rauchendes  Pulver 
von  etwas  dunklerer  Farbe  erhalten.  Die  Analyse  desselben  wurde  in 
der  Art  ausgeführt ,  dass  nach  der  Oxydation  desselben  mit  Salpeter- 
säure bei  gelinder  Temperatur  und  nach  dem  Uebersättigen  mit  Ammo- 
niak auf  Zusatz  von  Scbwefelammonium  alles  gelöst  wurde.  Aus  die- 
ser Lösung  wurde  dann  das  Zinn  durch  schwaches  Ansäuren  mit  ver- 
dünnter Salpetersäure  gefällt,  in  Oxyd  übergeführt  und  als  solches 
gewogen.  Im  eingedampften  Filtrat  wurde  zunächst  das  Chlor  als 
Chlorsilber  gefällt,  und  nachdem  das  überschüssige  Silber  wieder  ent^ 
fernt  worden  war,  die  Phosphorsäure  als  phosphorsaure  Ammoniak- 
Magnesia  abgeschieden. 

L  0,6598  gr.  Substanz  gaben  0,4758  SnO^  =  0,3743  Sn 
=  56.73  Proc.  Sn;  femer  0,8932  AgCl  «  0,2210  Ci  =  33.49  Proc.  C/; 
femer  0,0933  P^O^Mg^  =  0,0261  P  =  3.96  Proc.  P. 

II.  0,5693  gr.  Substanz  lieferte  0,41  U  gr.  SnO^  =  0,3236  Sn 
=  56.84  Proc.  Sn,  ferner  0,7707  AgCl  =  0,1907  Cl  =  33.50  Proc.  C/, 
ferner  0,1020  gr.  P^O'Mg^  =  0,0285  P  =  5.01  Proc.  P. 

Durch  eine  Verbrennung  wurde  die  Abwesenheit  von  Wasserstoff 
nachgewiesen. 

Da  die  auf  diese  Weise  vorgenommenen  Analysen  einen  zu  gerin- 
gen Gehalt  von  Phosphor  ergaben ,  was  daher  rühren  konnte ,  dass  ein 
Theil  desselben  in  Form  von  Phosphorwasserstoff  entwichen  war ,  so 
wurde  eine  Analyse  der  Substanz  im  Chlorstrom  vorgenommen.  Bei 
Bestimmung  des  Zinns  und  des  Phosphors  wurde,  wie  früher,  verfah- 
ren. Es  ergaben  0,6019  gr.  Substanz  0,4332  Sn(ß  =  0,3407  Sn 
=  56.60  Proc.  Sn ;  femer  0,1 992  P^O'Mg*'  =  0,0556  P  =  9.24  Proc.  P. 

Es  ergab  demnach  Analyse  I.  II.  III. 

Sn  =  56.73,    56.84,  56.60.- 
Cl  =  33.49,    33.50,      — 
P   =    (3.96),   (5.01),  9.24. 

Nehmen  wir  auch  in  Analyse  I  und  II  an  Stelle  der  zu  gering  ge- 
fundenen Phosphormenge  die  der  Analyse  III  an ,  so  entspricht  die  Zu- 
sammensetzung einer  Verbindung:  Sn^CfiP^,  d.  b.  an  die  Stelle  von 
6  Chlor  in  3  Zinnchlorid  sind  2  Phosphor  getreten: 

gef.  ber. 

Sn^  =  56.73  =  56.28. 
C/«  =  33.50  =  33.86. 
P«    »    9.24  =    9.85. 
99.47.       «*"  **" 


162  Dr.  R.  Kahii, 

Die  Zersetzung  lässt  sich  also  durch  die  Gleichung  ausdrücken : 
3SnGU  +  2PH»  «  Sn^CP  P*  +  6iJC/. 

Die  von  H.  Rosi  ^  bei  der  Einwirkung  von  Phosphorwasserstoff  auf 
Zinnchlorid  erhaltene  Verbindung,  welche  an  der  Luft  rauchen  soll, 
ist ,  wenn  sie  überhaupt  ein  chemisches  Individuum  darstellt  und  nicht 
ein  Gemenge  von  Zinnchlorid  mit  der  obigen  Verbindung  ist,  jedenfalls 
dann  bei  4  00  Grad  nicht  beständig,  sondern  zerfällt  in  Chlorwasserstoff 
und  das  untersuchte  nicht  rauchende  Product. 


II. 

Antimonwasserstoff. 

Das  zu  diesen  Versuchen  angewandte  Antimonwasserstoffgas 
wurde  durch  Zersetzung  einer  Antimonzinklegirung  mit  verdünnter 
Schwefelsäure  dargestellt.  Nach  mehreren  Versuchen  wurde  das  Ver- 
httltniss  von  i  Tb.  Antimon  auf  6  Th.  Zink  als  das  Zweckmässigste  er- 
kannt. Bei  grösserem  Antimongehalt  ntfmlich  wird  in  Folge  der  Ab- 
scheidung von  metallischem  Antimon  die  Gasentwickelung  bald  sehr 
gering,  ohne  überhaupt  ein  antimonwasserstoffreicheres  Gas  zu  liefern. 
Zur  Trocknung  wurde  das  Gas,  welches  immerhin  nur  wenig  Antimon- 
wasserstoff ausser  reinem  Wasserstoff  enthielt ,  über  Chiorcalcium  ge- 
leitet.  Die  Einleitung  wurde  stets  längere  Zeit  fortgesetzt. 

1.  Anthnonwasflorstof^B^  und  Antimonchlorür. 

Das  Antimonchlorür  wurde  auf  die  nämliche  Weise,  wie  es  bei 
den  Versuchen  mit  Phosphorwasserstoff  geschehen  war,  durch  gelindes 
Erwärmen  flüssig  erbalten.  Es  fand  hierbei  Abscheidung  von  metal- 
lischem Antimon  und  Bildung  von  Salzsäure  statt. 

8.   Antimonwasserstofll^  und  Phosphorcblorid. 

Die  Einwirkung  des  Gases  war  sehr  gering,  trotzdem  erhitzt 
wurde.  Es  trat  ebenfalls  wieder  eine  einfache  Umsetzung  ein,  nämlich 
zu  Phosphorchlorür  und  Antimonchlorür,  unter  Entweichen  von  Salz- 
säuredämpfen. 

Auf  Phosphorchlorür  und  Zinnchlorid  wirkt  Antimonwasserstoff 
nicht  ein. 


4  PoGO.  Annalen,  Bd.  24,  p.  459. 


lieber  einige  Zeroetzungsprodnete  itä  Phosphorwasseratoffs  ete.  168 

ni. 

Silicium  wasserst  off  gas. 

Das  zu  den  folgenden  Versuchen  verwandte  Siliciumwasserstoff- 
gas  wurde  durch  Zersetzung  der  sogenannten  Siliciummagnesium- 
schlacke  mittelst  Salzsäure  erhalten.  Diese  Schlacke  wurde  auf  die 
von  WoEHLBR  angegebene  Weise  dargestellt  und  in  Gestalt  eines  nicht 
allzufeinen  Pulvers  angewandt.  Es  erwies  sich  als  sehr  zweckmässig, 
dieses  Pulver  zuvor  mit  Wasser  auszulaugen ,  um  das  bei  der  Zer- 
setzung auftretende  heftige  Schäumen  zu  vermeiden. 

Die  Entwickelung  wurde  in  einer  WuLF^schen  Flasche  vorgenom- 
men ,  auf  deren  Boden  das  Pulver  gebracht  und  mit  Wasser  bedeckt 
wurde.  Durch  ein  bis  in  das  Wasser  reichendes  Eingussrohr  wurde 
concentrirte  Salzsäure  zugefügt,  nachdem  zuvor  der  ganze  Apparat  mit 
Wasserstoff  angefüllt  worden  war.  Getrocknet  wurde  das  Gas  eben- 
falls über  Ghlorcalcium. 

1.  SilidamwaMerstol^^aa  and  Phoiphorchlonir. 

Die  Einwirkung  des  zu  Phoaphorehlorür  geleiteten  Silioiumwasser'- 
Stoffgases  war  gering  und  ging  das  eingeleitete  Gas  zum  grdssten  Theil 
unverändert  durch  den  Apparat;  beim  Zuaammenkommen  mit  der 
Luft  sich  entzündend.  Als  das  der  Einwirkung  ausgesetzt  gewesene 
Phosphorchlorür  mit  Wasser  zersetzt  wurde,  zeigten  sich  geringe  Men- 
gen schon  unter  Wasser  heftig  explodirender  Gasbläseben ,  gleichzeitig 
fand  die  Abscheidung  geringer  Mengen  von  weissem  Siliciumoxyd  statt. 
Letzteres  konnte  aus  Spuren  Siliciumchlorür  SiHCl^  entstanden  sein, 
welches  bei  Zersetzung  mit  Wasser  dieses  Siliciumoxyd  bildet. 

Dieses  weisse  Siliciumoxyd ,  welches  auch  bei  den  folgenden  Ver- 
suchen beobachtet  ^^srurde,  zeigte  stets  die  bekannten  Eigenschaften. 
Es  war  nämlich  weiss,  undurchsichtig  und  von  lockerer  Beschaffenheit, 
zersetzte  zieh  in  Wasser  langsam ,  sofort  aber  mit  Alkalien  unter  Was- 
serstoffgasentwickelung.  Seine  wässerige  Losung  mit  salpetersaurem 
Silberoxyd  und  dann  mit  Ammoniak  versetzt,  reducirt  stark  Silber. 
Getrocknet  und  erhitzt  verbrannte  dasselbe  unter  Eiiglimmen  xu  Kie- 
selsäure. 

2.  SiliciumwMforttolKjpu  und  Phoq^hprcUorid. 

Auch  hier  fand  sehr  geringe  Einwirkung  statt  und  erst  bei  stär- 
kerem Erwärmen  bildeten  sich  geringe  Mengen  von  Siliciumchlorür, 


164  Dr.  R.  Mahn,  . 

nachweisbar  durch  Siliciumoxyd ,  von  den  erwähnten  Eigenschaften , 
das  sich  in  dem  vorgelegten  Wasser  abschied.  Ein  Theil  des  Phos- 
phorchlorids war  zu  PhosphorchlorUr  geworden. 

S«   Silioiamwasaeratoffgag  und  Antimonohlorid. 

Bei  Einleitung  des  Gases  zu  diesem  Chlorid  fand  verhliltnissmässig 
stärkere  Einwirkung  statt.  Es  entstand  Antimonchlorttr,  welches  beim 
Abdestilliren  des  Chlorids  zurUckblieb,  sowie  Siliciumchlorür,  eben- 
falls wieder  durch  das  sich  im  vorgeschlagenen  Wasser  bildende  Sili- 
ciumoxyd  nachweisbar. 

4.    8flieiiuawafltento%ai  und  Zinwchlorid, 

Es  findet  die  Bildung  von  Zinnchlorttr  und  Siliciumchlorür  statt, 
wiederum  nachweisbar  durch  gebildetes  Siliciumoxyd. 

6.  Süieinmwaaaerttoflipts  ond  Sohwefelbiehlorid. 

Das  Gas  wirkt  auf  die  bei  0  Grad  mit  Chlor  gesättigte  Schwefel- 
chIorttrl(teung  merkwürdiger  Weise  nur  sehr  wenig  ein  unter  Bildung 
von  SiliciumcUorOr,  auch  beim  Erwarmen. 

6.   SitieiannMMnteil^  vad  Jod. 

Siliciumwasserstoflkas  zu  Jod  geleitet,  zeigte  bei  gewöhnlicher 
Te-mperatur  nur  geringe  Einwirkung.  Vollständige  Zersetzung  des  Ga- 
ses fand  jedoch  beim  Erwärmen  statt,  als  die  sich  bildenden  Joddämpfe 
mit  dem  Gase  zusammentrafen.  Es  entstand  eine  weissliche  Masse,  die 
näher  uniersucht  mit  dem  von  Woeslek  und  Brrv  zuerst  erbaltenen 
und  von  F«rdel  ^  als  ein  Gemisch  von  SiliciumhydrDJodid,  SiHJ^  und 
SiliciumjcHÜd,  Si  J*,  erkanntem  Protiuct  zu  belrachlen  ist.  Den  si 
Ten  Theil  davon  bildete  das  feste  Siliciumjodid.  Ausser  diesen 
düngen  trat  Jodwiissersioff  auf. 

7.  SiKciWiWiMMiinlfcM  »ad  Jailt— rhl 


Wird  bei  sewi*hnlicber  Temperatur  Süiaumwasserst<>f^:3B  in  flos- 
,Ni^'*:s  ChWjod  celeilel,  so  bemerkt  nwn  keine  Einwirkung:,  etrsl  beim 
t  >;r\^ümH*n  tritt  im  vomreJecten  Wasser  eine  kk-ine  llens:e  von  Silidum- 
,,\\d  auf.    F«st  alW  Silioiumw^assersloff  enlweiobl  un^er^iniefl. 


%  Itttatcikr.  t  Cknb    «S'««.  ^  S$4. 


lieber  einige  Zersetzungsprodacte  des  Phosphorwasserstoffs  ete.  165 

8.    Silicinrnwasaerstoffgaa  and  Brom. 

Wird  Siliciumwasserstoffgas  zu  Brom  geleitet ,  so  findet  sofort 
vollständige  Zersetzung  statt.  Beim  Zusammentreffen  des  Gases  mit 
Bromdärapfen  entstehen  weisse  Nebel  unter  Bildung  einer  festen  und 
einer  flüssigen  Verbindung.  Beide  Producle  wurden  bei  gewöhnlicher 
Temperatur  constant  beobachtet,  bei  niederer  Temperatur  jedoch 
scheint  sich  der  feste  Körper  in  grösserer  Menge  zu  bilden.  Die  Ver- 
bindungen konnten  im  Wasserbad^  und  Kohlensäurestrom  vom  über- 
schtlssigen  Brom  befreit  werden  und  es  blieb  dann  die  feste  Verbin- 
dung trocken  und  rein  oder  mit  mehr  oder  weniger  Flüssigkeit  gemengt 
zurück.  Eine  Trennung  der  zwar  leichter  überdestillirenden  Flüssig- 
keit von  dem  festen  Körper  gelang  nur  schwierig,  da  stets  nur  kleine 
Mengen  der  Substanz  entstanden  waren.  Bisweilen  war  nur  so  wenig 
flüssiges  Product  gebildet  worden,  dass  sich  dasselbe  mit  dem  Brom 
verflüchtigte.  Die  dann  im  Kohlensäurestrom  destillirte  reine,  farblose, 
krystallinische  Substanz  zeigte  einen  Schmelzpunkt  von  89  Grad  C. 
Analysirt  wurde  sie  in  der  Art,  dass  sie  durch  ammoniakalisches  Was- 
ser zersetzt  wurde ,  was  unter  Gasentwickelung  und  Bildung  von  Kie- 
selsäure geschah.  Letztere  wurde,  nachdem  im  Wasserbade  zur 
Trockne  eingedampft  und  wieder  mit  Wasser  versetzt  worden  war, 
abfiltrirt  und  im  Filtrat  das  Brom  mit  Silberlösung  gefüllt.  0,0972  gr. 
Substanz  ergab  0,2028  AgBr  =  0,0863  Br  =  88,78  Proc.  Br,  Femer 
0,0246  SiO^  =  0,04  U8  Si  =s  42,84  Proc.  Su  Eine  andere  genauere 
Analyse,  zu  welcher  0,4  577  Gr.  Substanz  angewandt  werden  konnte, 
gab  0,3260  AyBr  =  0,4387  Br  =  87,96  Proc.  Br  und  0,0449  SiO* 
=  0,04955  St  =  42,39  Proc.  St. 

Daraus  leitet  sich  die  Formel  St*Br"  ab,  welche  verlangt :  4  2,3  Proc. 
Silicium  und  87,7  Proc.  Brom. 

Wie  diese  feste  Verbindung  constituirt  ist,  lässt  sich  noch  nicht 
entscheiden.  Ein  Gehalt  an  Wasserstoff,  dessen  Nachweisung  event. 
Bestimmung  bei  Mangel  an  Material  nicht  vorgenommen  werden  konnte, 
aber  sehr  wünschenswerth  erscheint,  ist  wohl  möglich.  Wenn  sie 
wasserstoffhaltig  ist,  wird  sie  aber  auf  keinen  Fall  mehr  als  4  Mgt. 
enthalten  können.  Dann  wäre  sie  der  bekannten  Kohlenstoffverbin- 
dung: C^HCP  analog  zusammengesetzt,  nämlich  S^HBr^,  Diese  For- 
mel verlangt  42,2  Proc.  Silicium,  0,2  Proc.  Wasserstoff  und  87,6  Proc. 
Brom.  Diese  neue  Bromsiliciumverbindung  stellt  also  eine  farblose,  bei 
89  Grad  schmelzende  und  beim  Erstarren  in  schönen  langen  Nadeln 
krystallisirende ,  und  bei  etwa  230  Grad  (bei  Ausschluss  der  Luft)  un- 
verändert destillirende  Substanz  dar,  welche  an  der  Luft  raucht  unter 
Bd.  V.  t  ^i 


1 66  I>r.  R.  Mabn. 

Bildung  von  Bromwasserstoff  und  durch  Wasser  in  dieselbe  Verbin- 
dung und  einen  weissen  amorphen  Körper,  welcher  mi^  Ammoniak 
unter  Wasserstoffentwickelung  in  Kieselsäure  übergeht,  zersetzt  wird. 
Im  Wasserstoff  oder  Kohlensäurestrom  sublimirt  sie  schon  bei  der 
Wärme  des  Wasserbades  langsam  In  schönen  breiten  Nadeln ,  wird  sie 
bei  Zutritt  der  Luft  erhitzt,  so  schmilzt  sie  erst,  entzündet  sich  aber 
gleich  darauf,  einen  völlig  weissen  Dampf  erzeugend ,  dabei  scheidet 
sich  weder  Brom  noch  Silicium  aus.  Dies  Verhalten  unterstützt  viel- 
leicht die  Vermuthung,  dass  sie  wasserstoffhaltig  ist. 

Herr  Prof.  Gbvtbbr  wird  diese  Frage  baldigst  zur  Entscheidung 
bringen  lassen. 

Eine  Analyse  der  mit  fester  Verbindung  zugleich  entstandenen 
und  sie  gelöst  enthaltenden  Flüssigkeit  wurde  auf  die  nämliche  Weise 
ausgeführt.  0,4519  Gr.  Flüssigkeit  lieferten  0,9358  AgBr  =»  0,4067  Br 
=  89.99  Proc.  Br  und  0,0976  SiO*  =  0,04554  Si  =  40,07  Proc.  Su 

Diese  Zusammensetzung  entspricht  einem  Gemenge  von  fester  Ver- 
bindung und  Siliciumbromid  nahe  zu  gleichen  Mischungsgewichten. 
Es  fordert  nämlich  : 

Das  Bromid :  Analysirte  Feste 

St  Är*  Flüssigkeit :         Verbindung : 

ber.  gef.  gef. 

Silicium  8.0  10.1  12.4. 

Brom     92.0  90.0  88.0. 

Eine  vorgenommene  DestiUation  mit  allen  den  bei  verschiedenen 
Darstellungen  gewonnenen  kleinen  Flüssigkeitsmengen  in  einem  klei- 
nen ,  zuvor  mit  Kohlensäuregas  gefilUten  Kölbchen  ergab  ein  bei  dem 
Siedepunkt  des  Siliciumbromids  etwa  ISO  Grad  C.  übergehendes  farb- 
loses, flüssiges  Product  von  den  Eigenschaften  des  Siliciumbromids  und 
eine  erst  bei  ungefähr  230  Grad  C.  überdestillirende  farblose,  in  der 
Kälte  krystallinisch  erstarrende  Verbindung ,  die  noch  von  etwas  Flüs- 
sigkeit durchtränkt  und  nichts  Anderes  als  die  oben  analysirte  Verbin- 
dung war. 

Jena,  Mitte  März  1869. 


BMbacktaigcN  des  |Mtbol^[iMkca  lutitits  n  Jeu 
ui  Jahre  ISIS. 


Wilhelm  Müller. 


Allgemeiner  Thetl. 

Die  Zahl  der  im  Jahre  1 868  vom  palbologischen  Institut  zu  Jena 
geöffneten  Leichen  betragt  163.  Dieselben  vertheilen  sich  in  folgender 
Weise  auf  die  verschiedeneu  Hauptlodeaursachen : 


Ttdainroclia 

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^ 

1 

: 

1 

1 

: 

168 


)Vilhelm  Mflller, 


Todesnrsaclie 


Kr.  des  Circnls. 

Adiposis  cordiB    . 
Endocarditis  ....... 

Endarteritis 

Yariz  haemorrb 

Phlebitis  .  .  ^ 

Lymphadenitis 

Kr.  des  Bespirs. 

Diphtherie   .... 

Bronchopneum 

Croupi^Be  Pnenm.   .  .  • 
Chronische  Pneum.  .  • 

Emphysem 

Asphyxie  ..••••>• 
Kr.  des  Digests. 

Phlegmone  retrophar 

Ulcus  ventric 

>      dnodeni  

Gatarrh.  gastro-intest.  . 
Perfor.  proc.  vermiform. 

Dysenteria 

Incarc.  hem 

Kr.  des  orop.  S. 

Nephrit,  tabnl   .  .  . 
»      interstit. .  .  . 

>      snppnr 

Diabetes  

Kr.  des  Qenits. 

Haemorrh.  placent. 
Kr.  der  Haut. 

Erysipelas 

Kr.  des  Beweggss. 

Bachitis 

Cephalhaemat 

Knochenbrnch 

Periostitis 

Vergiftung  dnrch  Phosphor 


0—1 
H.  W. 


19 
35 


16 


2—10 
M.  W. 


6 


6 


12 


11—20 
M.  W< 


-30 

M.    TT  < 


6 


*— 40 
IM.  W. 


1     1 


9|  5 
14 


11  I  6 
17 


—50 


15 
21 


6 


-60 
M.  W . 


-70 
M .  W. 


-«0 
M.  W^" 


Zusam- 
men 


1 


9|9 
18 


12     7 
19 


10     8 
18 


17 


.  36 


26 


}' 


}• 


9469 
163 


Epitheliale  Neubildungen. 

Das  Epitheliom  wurde  im  Ganzen  in  zehn  Fällen  beobachtet 
SS  6.1  Proc.  Hiervon  waren  drei  Fälle  Pflasterzellenepitheliome.  Bei 
einem  50jährigen  Manne  hatte  sich  auf  ausgedehnten  Narben  der  Haut 
des  linken  Unterschenkels,  von  einer  Verbrennung  herrührend,  ein  fast 
ein  Drittheil  der  ganzen  Vorderfläche  einnehmendes  warziges  Epithe- 
liom entwickelt,  welches  die  Amputation  des  Unterschenkels  erforder- 
lich machte.  Es  zeigte  sich ,  dass  die  Neubildung  in  die  Tibia  einge- 
drungen war,  dieselbe  bis  zur  hinteren  Knochenleiste  substituirend. 
Der  Befund  wird  im  speciellen  Theil  ausführlich  beschrieben  werden. 
Zwei  weitere  Fälle  lieferte  der  Oesophagus.  Bei  einem  59jahrigen 
Mann  zeigte  sich  das  ganze  mittlere  Drittheil  des  Organs  in  ein  stark 
zerklüftetes,  jauchendes  Epitheliomgeschwür  verwandelt,  mit  einer 
3  Cent,  langen  und  1  Cent,  breiten  elliptischen  Communication  zwi- 
schen Oesophagus  und  Trachea  nahe  der  BifurcaUon.  Die  beiden 
Pleurablätter  zeigten  sich  rechterseits  neben  dem  5.  Brustwirbel  im 


Beobai^htungea  des  pathologischeu  losüints  zu  Jena  im  Jahre  1868.  169 

Umfang  eines  Thalers  locker  verklebt.     Nach  Lösung  der  Verklebung 
kam  eine  zweite,  etwa  groschengrosse  Perforation  der  seitlichen  Oeso- 
phaguswand  zum  Vorschein ,  welcher  am  anliegenden  Oberlappen  der 
rechten  Lunge  eine  wallnussgrosse ,    mit  brandigem  Inhalt  versehene 
Caverne  entsprach ,  in  deren  Umkreis  das  Lungengewebe  theils  einfach 
hepatisirt,   theils  durch  fibroide  Bindegewebswucherungen  verdichtet 
war.    Einzelne  Lymphdrüsen  um  den  Oesophagus  epitheliomatös;  eine 
grössere   nahe   der  Trachealbifürcation   vereitert  und  in   den   Unken 
Hauptbronchus  durchgebrochen.    Bei  einem  72  jährigen  Mann  hatte  die 
£ntwickelung  von  Pflasterzellenepitheliom   eine  doppelte  Strictur  des 
Oesophagus  mit  Erweiterung  des  oberhalb  liegenden  Abschnitts  her- 
beigeführt, welch^  letzterer  den  Befund  chronischen  Catarrhs  darbot. 
Es  fand  sich  das  mittlere  Drittheil  in  ganzer  Dicke  der  Wand  epithe- 
liomatös  und  in  eine  zerklüftete  Geschwürsflache  verwandelt;   daran 
schloss  sich ,  durch  einen  2  Cent,  langen  gesunden  Abschnitt  getrennt, 
eine  zweite  flache  Ulceration  der  vorderen  und  seitlichen  Parthien  im 
unteren  Drittheil  an ,  neben  Epitheliomatose  der  anliegenden  Lymph- 
drüsen. 

Das  Cylinderzellenepitheliom  lieferte  sieben  Fälle.  Hiervon  kom- 
men auf  den  Hagen  vier  und  zwar  sass  die  Neubildung  in  der  Mitte  der 
hinteren  Wand  des  Magens  bei  einem  56jährigen  Mann,  im  Pylorus- 
theil  bei  einem  19  jährigen  Mann  und  einer  58  jährigen  Frau,  in  beiden 
Fällen  mit  ausgiebiger  Betheiligung  der  umliegenden  Lymphdrüsen, 
im  letzteren  neben  gleichzeitigem  Auftreten  secundärer  Epitheliomkno- 
ten  in  der  rechten  Niere.  Besonders  interessant  gestaltete  sich  der 
Verlauf  bei  einem  68  jährigen  Manne.  Nach  der  bestimmten  Aussage 
der  Angehörigen  waren  hier  seit  4  4  Jahren  die  Erscheinungen  gestörter 
Function  des  Magens  vorhanden,  wozu  sich  seit  etwa  2  Jahren  soge- 
nannte Lienterie  gesellt  hatte,  bestehend  in  Stuhldrang  bald  nach 
reichlicherer  Nahrungszufuhr  und  Abgang  unverdauter  Ingesta.  Zur 
Erklärung  dieser  Erscheinungen  fand  sich  eine  handtellergrosse ,  mit 
zottiger  Oberfläche  versehene  Neubildung  in  der  Gardiahälfte  des  Ma- 
gens ,  längs  der  hinteren  Wand  von  der  Gardia  zur  grossen  Gurvatur 
sich  erstreckend.  Das  nach  oben  verlagerte  Golon  transversum  war  mit 
der  hinteren  Magenwand  im  Bereich  der  Neubildung  verwachsen ;  an 
der  Verwachsungsstelle  führte  eine  groschengrosse ,  mit  leicht  gewul- 
steten  derben  Rändern  versehene  Oeffnung  aus  der  Höhle  des  Magens 
in  jene  des  Golon. 

Bei  einer  42jährigen  Frau  war  seit  langer  Zeit  Kropf  vorhanden. 
Im  Verlauf  von  6  Jahren  bildeten  sich  umfangreiche  Geschwulst^  am 
Schädel,  dem  linken  Schulterblatt  und  im  oberen  Theil  der 


170  Wilhelffl  MflUer, 

saule.  Bei  der  Section  fand  sich  eine  weiche,  grauröthliche  Neubildung 
im  rechten  Lappen  der  Schilddrüse,  mit  welcher  die  verschiedenen 
Rnochengeschwttlste  ihrer  Beschaffenheit  nach  übereinstimmten.  Die 
mikroskopische  Untersuchung  ergab ,  dass  es  in  allen  diesen  Organen 
um  die  Entwickelung  eines  Cylinderzellenepithelioms  sich  handelte, 
welches  volle  Uebereinstimmung  mit  den  fötalen  Anlagen  der  Schild- 
drüse darbot.  Der  Fall  wird  seiner  Wichtigkeit  wegen  gleich  den  bei- 
den folgenden  im  speciellen  Theil  ausführlich  beschrieben  werden. 

Bei  einem  39jahrigen  Mann  hatte  sich  eine  umfangreiche  Ge- 
schwulst im  rechten  Hoden  entwickelt,  welche  von  Dr.  Stark  in  Weida 
exstirpirt  und  dem  pathologischen  Institut  zur  Untersuchung  übersandt 
wurde.  Ein  halbes  Jahr  darauf  suchte  der  Kranke  in  der  hiesigen  chi- 
rurgischen Klinik  Hülfe  wegen  eines  umfangreichen  Recidivs.  Dieses 
wurde  exstirpirt,  der  Kranke  erlag  jedoch  der  Pyttmie.  Schon  in  der 
ursprünglichen  Geschwulst  war  eine  gleichzeitige  Betheiligung  der  aus 
verschiedenen  embryonalen  Blättern  abstammenden  Gewebe  des  Hoden 
erkennbar  gewesen,  indem  neben  epitheliomatösen  chondromatOse  und 
sarcomatöse  Stellen  in  der  Geschwulst  sich  vorfanden.  Bei  der  Section 
fanden  sich  analoge  secundäre  Geschwülste  nicht  nur  in  den  Lungen, 
sondern  auch  vor  der  Lendenwirbelsdule,  ausgehend  von  den  lumbaren 
Lymphdrüsen.  In  letzteren  hatte  sich  nicht  nur  der  epitheliomatöse 
und  chondromattfse  Bau  der  Neubildung  wiederholt ,  sondern  es  war 
auch  das  Gefkssblatt  in  Form  cavemöser  Angiombildung  betheiligt. 

Ein  71  jahriger  Mann  erlag  nach  mehrjähriger  Erkrankung  einem 
ausgedehnten  Gallertkrebs  des  Colon.  Die  Untersuchung  der  Ge- 
schwulst Hess  auch  hier  zwei  Bestandtheile  erkennen :  einen  epithelio- 
matösen,  der,  wie  eine  Reihe  secundärer  Eruptionen  wahrscheinlich 
machte ,  den  Ausgangspunct  gebildet  hatte  und  einen  bindegewebigen, 
in  welchem  auf  ausgedehnten  Strecken  sämmtliche  capillare  Lymph- 
räume mit  einer  gelblichen,  weichen  Gallerte  erfüllt  waren. 

An  die  Epitheliome  reiht  sich  ein  Fall  jener  chronischen  ulceriren- 
den  Talgdrüsenwucherung,  wie  sie  Porta  und  Thibrsgh  beschrieben 
haben.  Bei  einem  76jährigen  Mann  bestand  seit  4  4  Jahren  ein  refractä- 
res  Geschwür  an  der  linken  Schläfe  mit  glatten ,  theilweise  vernarbten, 
theilweise  wie  ausgenagten  Rändern  und  flach  vertiefter,  mit  kleinen, 
granulationsartigen  Wucherungen  besetzter  Basis.  Auf  dem  Durch- 
schnitt  zeigte  letztere  weisse  Farbe ,  speckigen  Glanz ,  derbes  Gefüge ; 
ihre  Dicke  betrug  nirgends  über  Y2  Cent. ;  sie  erstreckte  sich  bis  zum 
Schädelperiost,  mit  welchem  sie  fest  zusammenhing;  der  unterliegende 
Knochen  erwies  sich  vollständig  intact.  Die  mikroskopische  Unter- 
suchung ergab,    dass   die  Geschwürsbasis  allenthalben  vergrtfsserte 


Beobachtungen  des  pathologischen  Instituts  zu  Jena  im  Jahre  1868.  171 

Talgdrüsen  enthielt,  aus  welchen  junge,  zum  Theil  verästelte  Sprossen 
in  beträchtlicher  Zahl  hervorgewachsen  waren.  Die  zwischeniiegende 
Bindesubstanz  befand  sich  im  Zustand  von  einfachem  Granulations- 
gewebe. Die  zugeh(Higen  Lymphdrüsen  zeigten  ebensowenig  als  die 
inneren  Organe  eine  analoge  Neubildung. 

Vergrösserung  der  Talgdrüsen  zu  umschriebenen  Balggeschwülsten 
fand  sich  bei  drei  Individuen ;  ihr  Sitz  war  zweimal  die  behaarte  Kopf- 
haut, einmal  die  Haut  der  rechten  Hammargegend. 

Unter  den  Adenomen  der  Drüsen,  welche  aus  dem  Darmdrüsen-^ 
blatt  hervorgehen,  nimmt  an  Häufigkeit  die  Struma  wie  gewtfhnlidi 
in  hiesiger  Gegend  den  obersten  Platz  ein.  Nicht  weniger  als  46  Lei- 
chen (22M.,  84  W.)  =  88.2  Proc.  boten  hierher  gehörige  Verän- 
derungen der  Schilddrüse  in  allen  ihren  Modificationen. 

Der  Häufigkeit  nach  reihen  sich  an  die  Struma  die  Adenome  der 
Uterusschleimhaut.  Sie  wurden  in  zwölf  Fällen  »47.4  Proc.  aller 
weiblichen  Leichen  angetroffen.  Das  jüngste  der  hierher  gehörigen  In- 
dividuen zählte  48  Jahre.  Der  Gervix  allein  bot  drei ,  die  Uterushöhie 
aUein  vier  Fälle ,  während  in  fünf  Fällen  gleichzeitig  in  beiden  Höhlen 
Adenome  sich  entwickelt  hatten.  Bemerfeenswerth  ist,  dass  in  einem 
dieser  Fälle  eine  taubeneigrosse,  im  Uterusgrund  gestielt  aufsitzende 
Geschwulst  auf  dem  Durchschnitt  aus  lauter  verschieden  grossen  rund- 
lichen, mit  gelber,  weicher  Gallerte  erfüllten  Cysten  zusammengesetzt 
sich  zeigte,  deren  Entwickelung  aus  den  verlängerten,  schlauchför- 
migen Drüsen  des  Uterus  durch  Abschnürung  sich  verfolgen  liess. 

Vergrösserung  der  Prostata  durch  Adenombildung  wurde  in  sieben 
Leichen  beobachtet  s=  7.4  Proc.  aller  männlichen  Leichen.  In  allen 
Fällen  war  das  Epithelialrohr  der  Prostata  vorwiegend  an  der  Neubil- 
dung betbeiligt. 

Den  erwähnten  Adenomen  reihen  sich  an  zwei  Fälle  von  Hyper- 
plasie der  Thymus  bei  einem  89jährigen  und  einem  51jährigen  Mann. 
Im  ersteren  Fall  waren  von  Jugend  auf  epileptische  Anfälle  vorhanden, 
in  deren  Verlauf  häufig  die  Erscheinungen  heftigen  Glottiskrampfes  sich 
eingestellt  hatten.  Es  fand  sich  die  Thymus  etwa  dreimal  so  gross  als 
bei  dem  zweijährigen  Rind ,  ihr  Bau  vollkommen  dem  des  zweijährigen 
Kindes  entsprechend;  die  einzelnen  Läppchen  wohl  ausgebildet,  im 
Centrum  zum  Theil  mit  concentrischen  Ablagerungen  versehen.  Im 
zweiten  Fall  fand  sich  neben  einer  ganz  analog  beschaffenen  Thymus 
doppelseitige  chronische  Pneumonie  mit  Bronchialerweiterung;  die 
bronchialen  Lymphdrüsen  schwarz  pigmentirt  und  zum  Theil  ge- 
schwunden. In  beiden  Fällen  boten  die  grösseren  im  Mediastinum 
verlaufenden  Nerv««  i"-«—  -'-'"^nnbare  Abnormität. 


]  72  Wilbelm  MfiHer, 

Bei  einer  56  jährigen  Frau  fand  sich  neben  chronischem  Gatarrh 
des  Rachens  und  Oesophagus  ein  kirschengrosser  Schleimhautpolyp 
unmittelbar  über  dem  Pylorus ,  welcher  aus  vergrösserten ,  zum  Theil 
an  der  Basis  knäuelförmig  aufgewundenen  Schleimdrüsen  sich  zusam- 
mensetzte. 

Bei  einem  16jährigen  Mann  fand  sich  dicht  oberhalb  des  Diver- 
ticulum  Vateri  eine  flachrundliche  Geschwulst  vom  Umfang  einer  hal- 
ben Kirsche  und  deutlich  acinösem  Bau  in  der  Submucosa  des  Duo- 
denum. Die  Untersuchung  ergab  vollkommene  Uebereinstimraung  im 
Bau  mit  dem  Pancreas ,  dessen  Anlage  wahrscheinlich  in  frühester  Zeit 
einen  Sprossen  in  die  Duodenalwand  hinein  entsendet  hatte. 

Cystome  der  Nieren  wurden  in  41  Leichen  beobachtet  »6.7  Pro- 
cent, 6  M. ,  5  W. ;  in  6  Fällen  unter  Betheiligung  beider,  in  3  unter 
Betheiligung  der  linken ,  in  2  unter  jener  der  rechten  Niere.  In  einem 
der  Fälle  war  ausgeprägte  Cystomatose  der  linken  Niere  bei  einem 
\  1jährigen  Mädchen  vorhanden. 

Gystome  der  Ovarien  fanden  sich  bei  9  Frauen  =  13.04  Proc. 
aller  weiblichen  Leichen;  in  drei  Fällen  doppelseitig,  in  vier  links,  in 
zwei  rechts.  Bemerkenswerth  ist  das  Auftreten  mehrfacher,  bis  kir- 
schengrossei;  Gystome  in  beiden  Eierstöcken  eines  12 jährigen,  das 
Auftreten  gelatinöser  Gystome  im  rechten  Eierstock  eines  SSjährigen 
Mädchens.  Bei  einer  74  jährigen  Frau  fanden  sich  zahlreiche,  mit  kla- 
rem Serum  gefüllte  Gystome  in  beiden  breiten  Mutterbändern,  dem 
Verlauf  beider  Nebeneierstöcke  entsprechend. 

Neubildungen  der  Bindesubstanzreihe. 

Einfache  Fibrome  wurden  im  serösen  Ueberzug  der  Ovarien  zwei- 
mal, in  der  Schleimhaut  des  Magens,  im  Gervicalcanal  des  Uterus,  auf  dem 
serösen  Ueberzug  des  Ileum,  auf  der  äusseren  Haut  je  einmal  beobach- 
tet, in  allen  den  letzteren  Fällen  in  Form  polypöser  Fibrome.  An  sie 
schliessen  sich  unmittelbar  an  fünf  Fälle  von  Warzen  der  äusseren 
Haut,  welche  einmal  in  grosser  Zahl  beide  Hände  eines  12jährigen 
Mädchens  bedeckten. 

Ein  wallnussgrosses  Lipom  im  subcutanen  Bindegewebe  des  Na- 
bels hatte  bei  einem  60jährigen  Mann  zu  einer  bruchähnlichen  Vor- 
wölbung dieser  Hautstelle  Anlass  gegeben.  Bei  zwei  Männern  fanden 
sich  mehrfache,  zum  Theil  gestielte  Lipome  des  serösen  Ueberzugs  des 
Dickdarms,  bei  einer  81jährigen  Frau  ein  faustgrosses  Lipom  unterhalb 
der  rechten  Brustdrüse. 

Myome  und  Fibromyome  fanden  sich  in  und  am  Uterus  in  neun 
Fällen  =13.04  Procent  der  weiblichen  Leichen ;  in  einem  Fall  war  der 


Beobaehtnugen  des  pathologiseheo  Instituts  su  Jena  im  Jabre  1868.  173 

SiU  der  Neubildung  die  Muskeliage  der  Schleimhaut,  in  drei  Fallen  die 
Dicke  der  Uieruswand ,  während  in  fünf  Fällen  die  subperitonalen 
Muskellagen  den  Ausgangspunkt  gebildet  hatten. 

Eine  erbsengrosse  Ecchondrose  am  Sternalende  der  rechten  Cla- 
vicula  fand  sich  bei  einem  9jährigen  Mädchen,  während  ein  72jähriger 
Mann  zahlreiche  Ecchondrosen  der  Rippenknorpel  darbot. 

Eine  flache  groschcngrosse  Exostose  an  der  Glastafel  des  Stirn- 
beins fand  sich  bei  einem  21  jährigen  Mädchen ;  mehrfache  Exostosen 
der  Rippen  und  Wirbel  waren  bei  einem  42  jähngen  Mann  zugegen. 

Ausgedehntere  Osteombildung  fand  sich  in  der  Dura  eines  59  jäh- 
rigen Mannes,  während  bei  einem  21jährigen  Mann  und  einer  38 jäh- 
rigen Frau  flache,  etwa  sechsergrosse  Osteome  der  Pia  beobachtet  wur- 
den, beide  Male  über  dem  linken  Stirnlappcn,  mit  Verlauf  der  Pia- 
gefässe  über  die  Knochenplatte  hinweg. 

Sarcom  trat  in  sieben  Fällen  auf  =4.29  Proc.  Hiervon  gehörte 
ein  Fall  dem  sogenannten  Rundzellensarcom  an.  Bei  einem  9jährigen 
Mädchen  waren  beide  Ovarien  in  faustgrosse  ellipsoidische ,  mit  nie- 
renartigem Hilus  versehene  Geschwülste  verwandelt  von  ziemlich  wei- 
cher Consistenz  und  gleichförmig  grauweisser,  saftreicher  Schnittfläche. 
Daran  schloss  sich  an  Sarcomatose  fast  aller  Lymphdrüsen  mit  Aus- 
nahme eines  Theiles  der  cervicalen  und  bronchialen,  des  Mesenteriums, 
Darms ,  Magens ,  beider  Nieren  und  Tuben ,  des  Pericard  und  rechten 
Vorhofs,  der  Schilddrüse  und  Thymus.  Sämmtliche  Geschwülste  hat- 
ten sich  in  der  unglaublich  kurzen  Zeit  von  drei  Monaten  entwickelt. 
Der  Fall  wird  wegen  des  Interesses,  das  seine  Vergleichung  mit  den 
frühesten  Entwickelungszuständen  des  Ovarium  gewährt,  im  speciellen 
Tbeil  ausführlicher  beschrieben  werden. 

Die  übrigen  sechs  Fälle  gehörten  dem  Spindeizellensarcom  an. 
Bei  einer  26jährigen  Frau  hatte  sich  von  der  Gefässscheide  der  Achsel- 
arterie aus  eine  rasch  verjauchende  Geschwulst  entwickelt,  welche  zu 
Perforation  der  rechten  Pleurahöhle  mit  nachfolgender  eitriger  Pleuritis 
führte.  Bei  der  Section  fanden  sich  ausser  der  örtlichen  Geschwulst 
Sarcome  in  einem  Theil  der  Achseldrüsen  und  in  den  Lungen. 

Bei  einem  49jährigen  Mann  hatte  sich  im  Anschluss  an  mehrma- 
lige Hamblutungen  seit  einem  Jahr  rasch  fortschreitender  Marasnuis 
gleichzeitig  mit  einer  Geschwulst  in  der  Tiefe  der  linken  Bauchhälfte 
entwickelt.  Es  fand  sich  bei  der  Section  die  linke  Niere  in  ein  manns- 
kopfgrosses  Spindeizellensarcom  verwandelt,  der  Hilus  des  Organs 
wohl  erhalten,  die  Oberfläche  glatt,  das  Parenchym  grauweiss,  elastisch, 
stellenweise  erweicht  und  in  beginnender  Verkäsung,  im  unteren 
Drittheil  zahlreiche  bis  walin ussgrosse,  mit  glatter,  glänzender  Wand 


174  Wilhelm  Malier, 

versehene  Cysten  enthaltend.     Der  Fall  wird  gleich  den  vier  folgenden 
im  speciellen  Theil  seine  eingehendere  Beschreibung  finden. 

Diese  betreffen  ohne  Ausnahme  in  den  zwanziger  Jahren  stehende 
Manner.  Bei  zwei  in  derselben  Werkstatt  arbeitenden  Sattlergesellen 
kam  es  zur  Bildung  von  Lymphdrttsenanschwellungen  am  Halse, 
welche  ziemlich  rasch  auf  die  benachbarten  Drüsenpaquete  sich  weiter 
verbreiteten.  Dazu  gesellte  sich  in  beiden  Fällen  eine  Anschw^ellung 
der  Milz  und,  wenigstens  in  dem  einen,  eine  beträchtliche  Leukocytose. 
Der  Tod  erfolgte  in  dem  einen  Fall  an  Pneumonie ,  im  anderen  an  Dy- 
senterie. Es  fanden  sich  in  beiden  Fällen  enorme  VergrOsserungen  der 
Lymphdrüsenpaquete  in  der  oberen  Körperhälfte ,  bedingt  durch  aus- 
gedehnte Sarcomatose  der  Biutgefässscheiden.  Daneben  fand  sich  in 
dem  einen  Fall  Sarcomatose  der  Muskeln ,  des  Unterhautbindegewebes 
der  Brust  und  beider  Lungen,  die  Milz  durch  einfache  Hyperplasie  ver- 
grössert;  im  anderen  Fall  waren  die  ersteren  Organe  frei  geblie- 
ben, dafür  zeigte  die  Milz  eine  Anzahl  rundlicher  und  verästelter  Kno- 
ten, deren  Bau  mit  jenem  der  vergrösserten  Lymphdrüsen  überein- 
stimmte. 

Noch  merkv\rürdiger  wegen  des  Auftretens  lepraähnlicher  Erscbei- 
nungen  gestaltete  sich  die  Sarcomatose  bei  zwei  anderen,  gleichfalls  in 
den  zwanziger  Jahren  stehenden  Männern.  In  dem  einen  Fall  hatte 
sich  vom  Periost  des  Kreuzbeins  aus  ein  Spindelzellensarcom  ent- 
wickelt ,  welches  exstirpirt  wurde.  Nach  kurzer  Zeit  entwickelte  sich 
ein  umfangreiches  Recidiv  und  daran  schloss  sich  das  Auftreten  mul- 
tipler flacher,  bis  wallnussgrosser  Knoten  in  den  äusseren  Decken  an. 
Zugleich  mit  diesen  Knoten  entwickelte  sich  eine  sehr  auffallende  dun- 
kelbraune Pigmentirung  der  Haut  in  Form  linsen-  bis  doppelthaler- 
grosser,  umschriebener  Flecken,  welche  namentlich  in  der  oberen 
Körperhälfte  ihren  Sitz  hatten  und  im  Verein  mit  den  Knoten  dem 
Manne  das  vollendete  Aussehen  eines  Leprosen  verliehen.  Die  Section 
ergab  ausser  der  örtlichen  Geschwulst  Sarcomatose  der  lumbaren 
Lymphdrüsen ,  beider  Pleuren  und  Lungen ,  der  Haut  und  zwei  sym- 
metrische, mit  wallartig  aufgeworfenem  Rand  versehene  Geschwüre 
von  8  Cent.  Länge  und  i  Cent.  Breite  in  der  seitlichen  Wand  des  Oeso- 
phagusanfangs.  Mit  diesem  Fall  stimmt  ein  zweiter  in  der  Hauptsache 
überein.  Hier  hatte  sich  von  dem  Periost  des  Schambogens  aus  ein 
Spindelzellensarcom  entwickelt,  welches  einerseits  als  rundlicher 
mannskopfgrosser  Tumor  die  Beckenhöhle  erfüllte,  andererseits  als 
faustgrosser  Tumor  unter  der  Fascie  an  der  Innenfläche  des  rechten 
Oberschenkels  sich  ausbreitete.  Auch  hier  war  es  zur  Bildung  mul- 
tipler Knoten  in  der  Haut  und  zu  ganz  analogen  Pigmentirungen  wie 


Beobacbtungen  des  patbolegisehen  lustitats  m  Jena  iai  Jahre  1868.  175 

im  vorigen  Fall  gekommen ;  es  fehlten  ferner  auch  hier  secundäre  Neu- 
bildungen in  den  Lungen  nicht. 

Garcinom  kam  in  zehn  Fällen  zur  Beobachtung  (5  M. ,  5  W.) 
=s  6. 1  Proc.  Von  diesen  boten  ein  Garcinom  der  linken  Brustdrüse 
bei  einer  ßijührigen  Frau,  ein  solches  der  Halslymphdrttsen  und  Leber 
bei  efnem  52  jahrigen  Mann  kein  besondere»  Interesse.  In  sechs  Fdl- 
len  war  der  Magen  Sitz  der  Garcinose  und  zwar  die  Gardia  mit  be- 
trächtiicher  Stenose  des  Mageneingangs  bei  einem  62jährigen  Mann, 
der  Pylorustheil  bei  einem  39jährigen  und  43  jährigen  Mann  und  bei 
drei  Frauen  von  46 ,  74  und  S\  Jahren.  In  dem  ersten  dieser  Fälle 
fand  sich  gleichzeitig  Scirrhus  im  Pylorus  und  Wurmfortsatz  neben 
verbreitetem  Scirrhus  des  Mesenterium  und  der  Lymphdrüsen  am 
Magen,  im  zweiten  Fall  war  die  ganze  Pylorushälfte  des  Magens  von 
Scirrhus  substituirt  ohne  irgend  eine  Ulceration  der  Schleimhaut.  In 
dem  letzten  Fall  hatte  sich  das  Garcinom  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
im  Boden  eines  früheren  Magengeschwürs  entwickelt.  Es  fand  sich  ein 
thalergrosser  kreisrunder  Substanzverlust  der  Schleimhaut ,  der  pilz- 
förmig mit  umgeworfenen  Rändern  über  das  Niveau  der  Umgebung 
prominirte  und  eine  über  i  Gent,  dicke ,  grauweisse  weiche ,  die  ganze 
Magenwand  substituirende  Neubildung  als  Basis  besass. 

Bei  einer  53jährigen  Frau  fanden  sich  beide  Ovarien  in  eine  zu- 
sammenhängende mannskopfgrosse,  das  ganze  kleine  Becken  erfüllende 
Geschwulst  verwandelt,  welche  zahlreiche  glattwandige  erbsen-  bis 
wallnussgrosse  Gysten  einschloss.  Zahlreiche  secundäre  Neubildungen 
hatten  sich  im  Peritonäum  und  Zwerchfell ,  sowie  in  den  rechtsseitigen 
Leistendrüsen  entwickelt,  an  allen  diesen  Orten  gleichfalls  unter  Bil- 
dung rundlicher  mit  milchig  getrübter  Flüssigkeit  erfüllter  cystenar- 
tiger  Hohlräume. 

Endlich  hatte  sich  bei  einem  59jährigen  Mann  unter  der  Haut 
an  der  rechten  Seite  des  Halses  eine  festsitzende  Geschwulst  ent- 
wickelt, welche  frühzeitig  ulcerirte.  Es  zeigte  sich  bei  der  Section  eine 
bis  auf  die  grossen  Gefäss^  und  in  die  Jugularvene  selbst  eindringende 
weiche  carcinomatöse  Geschwulst  neben  ausgedehnter  Garcinose  der 
Lymphdrüsen,  Lungen,  Leber  und  Nieren. 

Angiome. 

Hier  ist  zu  erwähnen  ein  spindelförmiges ,  mit  geschichteten  Fi- 
bringerinnseln ausgefülltes  Aneurysma  der  Lungenarterie  von  etwa 
4  Mm.  Durchmesser  bei  0.75  Gent.  Länge,  in  eine  etwa  wallnussgrosse 
tuberculöse  Gaverne  hineinragend.  Wiederholt  waren  im  Verlauf  der 
Erkrankung  Lungenblutungen  aufgetreten. 


176  Wilhelm  Milller, 

Das  Venensysteni  bot  in  47  Individuen  (23  M.,  U  W.)  =  «8.8  Proc. 
Yarixbildung  in  den  verschiedensten  Graden  dar.  Das  grösste  Goniin- 
gent  stellten  wie  gewöhnlich  die  hämorrhoidalen  Venen  mit  37  Fallen, 
während  die  subcutanen  Venen  der  unteren  Extremität  und  jene  der 
Urethralschleimhaut  je  fünf,  jene  der  Blasenschleimhaut  drei,  die  Pia- 
matervenen nahe  dem  Eintritt  in  den  Längsblutleiter  zwei,  die  Venen 
der  grossen  Schamlippen  einen  Fall  darboten.  Im  Ganzen  zeigte  sich 
bei  neun  Individuen  (3  M. ,  6  W.)  die  Varixbildung  weiter  im  Venen- 
system verbreitet.  Von  den  Folgen  derselben  sind  hervorzuheben  zahl- 
reiche flache,  theils  auf,  theils  unmittelbar  neben  Varixknoten  der  Bla- 
senschleimhaut sitzende  Geschwüre  eines  80jährigen  Hannes  mit  um- 
fangreichem Adenom  der  Prostata. 

Bei  einer  74jährigen  Frau  fanden  sich  mehrere  ganz  analoge  kreis- 
runde Geschwüre  theils  auf,  theils  neben  Varixknoten  des  Rectum 
unmittelbar  über  dem  Sphincter  internus  sitzend.  Ein  etwa  sechser- 
grosses  Geschwür  hatte  die  vordere  Wand  des  Rectum  durchbrochen 
und  zur  Entstehung  diffuser  jauchiger  Phlegmone  des  Bindegewebes 
zwischen  Vagina  und  Rectum  geführt.  Ein  Durchbruch  in  den  Douglas - 
sehen  Raum  hatte  durch  eitrige  Peritonitis  den  Tod  herbeigeführt. 

Cavernöse  Angiome  wurden  in  zwei  Individuen  beobachtet :  bei 
einer  54  jährigen  Frau  ein  kirschengrosses  der  Leber,  bei  einer  58 jäh- 
rigen ein  flaches ,  etwa  bohnengrosses  im  Unterhautbindegewebe  des 
rechten  Ellbogens. 

Hier  ist  endlich  zu  erwähnen  der  seltene  Fall  eines  hühnereigrossen 
dünnwandigen  wahren  Aneurysmas  des  Ductus  thoracicus  einer  47jäh- 
rigen  Frau ,  welche  zwei  Jahre  vor  ihrem  Tode  die  Erscheinungen  des 
Rheumatismus  acutus  dargeboten  hatte.  Der  Fall  wird  seiner  Selten- 
heit wegen  im  speciellen  Theil  ausführlich  beschrieben  werden. 

Syphilis. 

Zehn  Leichen  (7  M.,  3  W.)  =s  6.1  Proc.  boten  die  Erscheinungen 
theils  frischer,  theils  abgelaufener  Syphilis.  In  zwei  Fällen  führte  die- 
selbe den  Tod  herbei.  Bei  einem  neugeborenen ,  eine  halbe  Stunde 
nach  der  Geburt  unter  asphyctischen  Erscheinungen  verstorbenen 
Mädchen  fand  sich  eitriger  Catarrh  der  Scheide,  der  Muttermund  von 
zahlreichen  condylomartigen  Papillen  besetzt,  eitriger  doppelseitiger 
Bronchialcatarrh ,  beide  Lungen  im  Zustande  ausgedehnter  grauröth- 
licher  Hepatisation  mit  dazwischen  eingesprengten  erbsen-  bis  kir- 
schengrossen  gelblichweissen ,  im  Centrum  zum  Theil  mit  verästelten 
gelben  Zeichnungen  versehenen  Knoten. 

Bei  einem  38  jährigen  Mann  hatte  seit  längerer  Zeit  syphilitische 


BeobaehtiiDgen  des  pathologisebeii  Instituts  so  Jena  im  Jahre  1868.  177 

Garies  des  linken  Stirnbeins  bestanden  neben  Verschwörungen  in 
Nase,  Rachen  und  der  Haut.  Im  weiteren  Verlauf  hatte  sich  Anschwel- 
lung des  Halswirbelperiosts  und  eine  Perforation  der  hinteren  Rachen- 
wand durch  Vereiterung  der  Wirbel  hinzugesellt.  Am  letzten  Tag  des 
Lebens  trat  plötzliche  Lähmung  der  oberen  und  unteren  Extremitäten 
ein.  Die  Section  ergab  ausgedehnte  eitrige  Zerstörung  des  linken  Stirn- 
beins, entsprechende  umschriebene  Pachymeningitis  purulenta  externa, 
betrachtliche  Verdickung  der  ganzen  linken  Hälfte  der  Dura ,  an  ihrer 
Innenfläche  eine  etwa  2  Mm.  dicke ,  weiche ,  rostbraune  Pseudomem- 
bran. Arachnoides  und  Pia  über  dem  linken  Stimlappeh  schwartig 
verdickt  und  getrübt,  ohne  Eitergehalt.  Der  knöcherne  Theil  des 
Septum  narium  sowie  ein  Theil  des  weichen  Gaumens  durch  Ulcera- 
tion  zerstört.  Strahlige  Narbe  der  Tracheaischleimhaut  an  der  Bifur- 
cation.  Das  Periost  über  den  vier  ersten  Halswirbeln  schwartig  ver- 
dickt, von  der  Vorderfläche  der  letzteren  durch  dicken,  tlbelriechenden 
Eiter  abgehoben  und  von  einem  kurzen ,  die  hintere  Rachenwand  im 
Niveau  der  Tonsillen  durchsetzenden  Fistelgang  unterbrochen.  Der 
erste  und  vierte  Halswirbel  durchaus  eitrig  infiltrirt ,  der  zweite  und 
dritte  eingeknickt  und  in  eine  buchtige ,  nur  von  spärlichen  Knochen- 
resten durchsetzte  Gaveme  verwandelt.  Das  Rückenmark  im  Niveau 
des  zweiten  Gervicalnervenursprungs  in  seiner  vorderen  Hälfte  er- 
weicht und  mit  zahlreichen  Extravasaten  durchsetzt.  Theils  verkäste, 
theils  vernarbte  Gummiknoten  der  Leber.  Ausserdem  Tuberculose  der 
rechten  Lunge,  Amyloiddegeneration  der  Leber,  Milz  und  Nieren. 

Tuberculose 

blieb  mit  im  Ganzen  20  Fällen  (16  M.  4^.)  s  122  Proc.  erheblich 
hinter  der  bisherigen  Durchschnittszahl.  In  drei  Fällen  war  die  Tuber- 
culose auf  die  Lungen  beschränkt,  in  allen  übrigen  auf  mehrere  Or- 
gane verbreitet.  Von  den  ersteren  Fällen  ist  zu  erwähnen  die  Be- 
schränkung chronischer  Tuberculose  auf  den  Ober-  und  Mittellappen 
der  rechten  Lunge  eines  38  jährigen  an  Syphilis  verstorbenen  Mannes, 
fn  sechs  Fällen  war  neben  der  chronischen  die  acute  Form  der  Tuber- 
culose entwickelt,  dreimal  unter  Betheiligung  der  Meningen  an  der 
Hirnbasis.  In  sieben  Fällen  führten  Gomplicationen  den  Tod  der  Tu- 
berculosen herbei  und  zwar  zweimal  croupöse  Pneumonie ,  je  einmal 
Empyem,  Pericarditis,  Wirbelbruch,  Sinusthrombose  und  Dysenterie. 
In  neun  Fällen  fanden  sich  Processe ,  welche  das  disponirende  Moment 
zur  Entwickelung  der  Tuberlose  abgegeben  haben  konnten ,  nämlich 
Syphilis  in  drei,  chronische  Pneumonie  und  Manie  in  je  zwei,  Diabetes 
und  Magencarcinom  in  je  einem  Fall. 


178  Wilbeliii  MflUer, 

Von  den  einzelnen  Fällen  sind  folgende  hervorzuheben.  Bei  einer 
42  jahrigen  Frau  fand  sich  neben  chronischer  Lungen-  und  Darmtuber- 
culose  ein  kirschengrosser  gelber  Tuberkelknoten  im  Unterwurm  des 
Kleinhirns ;  im  Anschluss  daran  hatte  sich  Tuberculose  der  Meningen 
entwickelt.  Der  Verlauf  hatte  zur  Vermuthung  der  Anwesenheit  einer 
Neubildung  im  Kleinhirn  keinen  Anhalt  gegeben. 

Bei  einem  28  jährigen  Mann  fand  sich  neben  chronischer  Lungen- 
und  Darmtuberculose  ein  kirschengrosser  f  uberkelknoten  im  rechten 
Linsenkem.  Die  einzigen  auffallenden  Erscheinungen,  welche  der 
Kranke  dargeboten  hatte ,  bestanden  in  hartnäckiger  Stuhlverstopfung 
und  heftigen  Schmerzen  im  linken  Kniee ,  beide  etwa  ein  Jahr  vor  dem 
Ende  längere  Zeit  anhaltend. 

Bei  einem  32jährigen  Irren  hatte  im  Ansdiluss  an  ältere  und 
frische  Tuberculose  beider  Lungen  eine  croupöse  Pneumonie  des  rech- 
ten Unterlappens  das  lethale  Ende  herbeigeführt.  Nun  fanden  sich 
mehrere  Geschwüre  an  der  hinteren  Wand  des  Larynx  und  der  Trachea, 
sämmtlich  mit  frischem,  diphtherischen  Beleg  versehen,  die  der 
Trachea  anliegenden  Lymphdrüsen  theils  geschwellt,  und  hyperä- 
misch,  theils  von  Eiterherden  durchsetzt. 

Bei  einem  28jährigen  Tuberculosen  hatte  sich  im  Anschluss  an 
ausgedehnte  Verschwärung  der  Stimmbänder  diffuse  Verknöcherung 
der  Kehlkopfsknorpel  entwickelt  unter  Bildung  einer  Synostose  zwi- 
schen linkem  Ring-  und  Gieskannenknorpel. 

Bei  einem  9jährigen  Knaben  war  seit  längerer  Zeit  neben  den  Er- 
scheinungen fortschreitender  Tuberculose  eitriger  Ausfluss  aus  dem 
linken  Ohre  vorhanden.  Dazu  gesellten  sich  etwa  eine  Woche  vor  dem 
Tod  die  Erscheinungen  unvollkommener  Lähmung  der  Extremitäten 
welche  gegen  das  Ende  des  Lebens  wieder  verschwanden.  Es  fand 
sich  neben  chronischer  Lungen-  und  Lymphdrüsentuberculose  Eiter 
in  der  linken  Paukenhöhle  und  den  Mastoidzellen ,  der  Knochen  an  der 
hinteren  Wand  der  ersteren  missfarbig,  die  Wandung  des  Sinus  trans- 
versus  verdickt  und  gleichfalls  raissfarbig,  letzterer  selbst  bis  zum 
Torcular  mit  einem  wandständigen ,  das  Lumen  obturirenden ,  von  da 
bis  nahe  zur  Mitte  des  oberen  Längsblutlciters  mit  einem  der  linken 
Wand  anhaftenden  das  Lumen  nur  theilweise  erfüllenden  Thrombus 
versehen,  welcher  nach  abwärts  bis  zur  Mitte  der  linken  Vena  jugularis 
int.  sich  fortsetzte.  Grössere  Bruchstücke  des  letzteren  hatten  zu  Em- 
bolie  zahli*eicher  Lungenarterienzweige  geführt.  Im  Gehirn  war  keine 
Folge  der  Kreislaufsstörung  nachweisbar. 

K.  Bei  einem  64jährigen  Mann  waren  seit  mehreren  Jahren  unbestimmte 
Erscheinungen  vorbanden,  welche  einer  Hypochondrie  zugeschrieben 


BeobftehtQDgen  des  patbologisehen  Instituts  zo  Jena  im  Jahre  1868.  17^ 

wurden.  Sechs  Wochen  vor  dem  Tod  gesellten  «ich  »rheumatische« 
Schmerzen  längs  der  Halswirbelsäule  neben  leichter  Anschwellung  des 
Periosts  hinzu.  Den  42.  Juni  bückte  sich  der  Kranke  in  seiner  Woh- 
nung ,  um  etwas  aufzuheben ,  fiel  dabei  und  war  von  diesem  Momente 
an  an  den  oberen  und  unteren  Extremitäten  gelähmt.  Bei  der  Auf- 
nahme in  das  Spital  wurde  eine  Verdichtung  der  oberen  Parthien  bei- 
der Lungen  constatirt.  Keine  Störung  der  Intelligenz  oder  der  Gehim- 
nerven.  Der  Tod  erfolgte  am  Abend  des  1 4.  Juni  unter  den  Erschei- 
nungen des  Lungenödem,  nachdem  noch  Decubitus  am  Kreuzbein 
aufgetreten  war.  Die  Section  ergab  geringe  ältere  und  frische  Tuber- 
culose  beider  Lungen  mit  Höhlenbildung  linkerseits.  Das  Periost  der 
linken  zweiten  Rippe  an  der  Stelle  der  grössten  Convexität  zu  einem 
hUhnereigrossen  weichen  Tumor  aufgetrieben,  welcher  in  einer  schwie- 
ligen Kapsel  gelbe,  käsige  Massen  enthielt.  Die  Rippe  in  der  Länge 
von  einem  Centimeter  von  dieser  Masse  völlig  substituirt.  Das  Periost 
von  der  Vorderfläche  der  unteren  vier  Halswirbel  in  Form  eines  flachen 
Tumors  abgehoben,  beträchtlich  verdickt,  zwischen  ihm  und  den  Wir- 
beln eine  beti^chtliche  Menge  gelben,  dicken  Eiters.  Der  sechste  Hals- 
wirbelkörper gleich  der  sechsten  Intervertebralscheibe  bis  auf  einen 
geringen  Rest  der  hinteren  Wand  durch  Eiterbildung  zerstört  und  ein- 
geknickt. Dura  mater  und  das  vordere  Längsband  der  Wirbelsäule  in- 
tact,  das  Rückenmark  aber  zwischen  dem  5.  und  7.  Cervicalnerven 
breit  gedrückt  und  erweicht ,  von  zahlreichen  capillären  Hämorrhagien 
durchsetzt.  Ausserdem  fand  sich  in  diesem  Fall  eine  horizontal  ver- 
laufende, mit  zackigen  Rändern  versehene  schmale  Ulceration  dicht  un- 
terhalb der  Cardia ;  eine  grössere  dem  Ringumfang  des  Magens  parallel 
verlaufende  dicht  oberhalb  des  Pylorus. 

Typhus 

lieferte  in  der  abdominalen ,  gleichwie  in  der  exanthematischen  Form 
je  drei  Todesfälle.  Die  erst^re  Form  führte  bei  einem  Sijährigen  Mäd- 
chen direct  den  Tod  herbei ;  ausser  frischer  Schwellung  der  solitären 
und  PsTBR'schen  Drüsen  des  Dünndarms,  der  Mesenteriaidrüsen  und 
Milz  fanden  sich  theils  geschwellten  Solitärfollikeln  ähnliche  Bildungen 
theils  rundliche,  kraterfbrmige  Geschwürchen  auf  der  Schleimhaut  der 
Harnblase.  Hymen  und  Scheide  intact,  Schleimhaut  des  Uterusgrunds 
diffus  sugillirt,  im  linken  Ovarium  ein  kirschengrosses  Corpus  luteum. 
In  den  beiden  anderen  Fällen  war  der  Abdominaltyphus  durch  Gom- 
plicationen  tödtlich  geworden;  bei  einem  34jährigen  Mann  durch  einen 
Absoess  der  rechten  Tonsille  neben  difluser  Phlegmone  des  Bindege- 
webes um   den   Pharynx   und   consecutive  Bronchopneumonie;    bei 


f  80  WilbeliD  MAUer, 

« 

einem  35  jährigen  durch  eitrige  Pylephlebitis  mit  Bildung  secundai*er 
Leberabscesse. 

Auch  dem  exanthematischen  Typhus  unterlag  ein  22  jähriger 
Mann  direct.  Bei  einem  42jährigen  und  einem  51jährigen  Mann  erfolgte 
der  Tod  durch  Bronchopneumonie,  welche  in  dem  einen  Fall  im  An- 
schluss  an  symmetrische  Geschwüre  der  hinteren  Larynxwand ,  ent- 
sprechend der  Commissur  beider  Stimm-  und  Taschenbänder,  sich 
entwickelt  hatte ,  in  dem  anderen  Falle  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
durch  das  Hinabgleiten  von  Speisetheilen  in  die  Trachea  während 
des  Schlingactes  bedingt  war. 

Nervensystem. 

In  erster  Linie  ist  unter  den  Veränderungen  dieses  Systems  ein 
Fall  von  Anencephalie  bei  einem  todtgeborenen  Mädchen  zu  erwähnen, 
welcher  von  Dr.  Frankenhabusbr  dem  Institut  zur  Untersuchung  über- 
geben wurde.  Mit  der  Schädelkapsel  fehlte  das  ganze  Gross-  und 
Kleinhirn;  die  Basis  des  Schädels  war  von  einer  ziemlich  dünnen,  ge- 
fässreichen  Bindegewebslage  überzogen ,  in  welcher  die  N.  optici  und 
trigemini  mit  conischen  Enden  sich  inserirten.  Das  verlängerte  Mark 
war  wohl  ausgebildet  und  gleichfalls  mit  conischem  Ende  versehen. 
Das  Rückenmark  in  ganzer  Ausdehnung  von  normalem  Bau  und  nor- 
maler Consistenz.  Augen ,  Nase  und  Ohren  normal  entwickelt.  Spal- 
tung des  weichen  Gaumens  und  Zäpfchens.  Schilddrüse  und  Thymus 
das  Doppelte  des  Normalvolums  zeigend.  Defect  beider  Nebennieren. 
Eitriger  Catarrh  in  Scheide ,  Uterus ,  Blase ,  Uretren  und  beiden  Nie- 
renbecken unter  Erweiterung  der  letzteren  und  Bildung  doppelseitiger 
Hydronephrose. 

Pachymeningitis  interna  lieferte  in  der  acuten  Form  6,  in  der 
chronischen  3  Fälle.  Auf  1 20  Leichen  bezogen ,  deren  Schädel  geöff- 
net werden  durften,  ergiebt  sich  ein  Verhältniss  von  7.5  Proc.  Die 
Hälfte  aller  Fälle  der  ersteren  Kategorie  bildeten  Irre ;  die  chroniscbe 
Form  fand  sich  einmal  neben  syphilitischer  Caries  des  Stirnbeins ,  ein- 
mal neben  Empyem  und  wiederholten  Erysipelen  des  Gesichts,  einmal 
neben  Endarteritis  und  altem  Nierenbeckencatarrh  mit  suppurativer 
Nephritis. 

Eitrige  Leptomeningitis  wurde  in  4  Leichen  beobachtet.  Drei  der- 
selben gehören  einer  kleinen  Epidemie  von  Cerebrospinalmeningitis  an, 
welche  von  Mitte  Mai  bis  Juni  zugegen  war.  Dei)  Reigen  eröffnete  den 
17.  Mai  ein  4  2  jähriges  Bauernmädchen  aus  Slobra,  welches  nach  mehr- 
tägiger Erkrankung  auf  der  medicinischen  Klinik  starb.    Den  8.  Juni 


Beobacbtnngen  des  pathologischen  Instituts  in  Jena  im  Jahre  t868.  181 

wurde  nach  zwölfstttndiger  Erkrankung  das  5  Wochen  alte  Rind  eines 
Tischlers  aus  Jena  obducirt ,  bei  weichem  eitrige  Trübung  der  Arach- 
noidealflttssigkeit  neben  beträchtlicher  Hyperämie  der  Pia  am  Ende 
des  Rückenmarks  und  um  Pons  und  MeduUa  oblongata  sich  vorfand. 
Den  gleichen  Befund ,  aber  in  weiter  Verbreitung  auf  Gonvexität  und 
Basis  des  Gehirns  bot  die  Leiche  eines  am  S3.  Juni  secirten  69  jähri- 
gen Oeconomen  aus  Jena,  bei  welchem  der  Verlauf  zwei  Tage  in 
Anspruch  genommen  hatte. 

Ausserdem  fand  sich  eitrige  Leptomeningitis  der  vorderen  Gehim- 
parthien  bei  einem  66jährigen  Mann,  welcher  durch  das  Eindringen 
eines  Holzsplitters  in  die  rechte  Augenhohle  in  Folge  einer  Explosion 
eine  Fractur  der  Decke  der  Orbita  mit  difiuser  Phlegmone  und  eitriger 
Periostitis  des  Stirnbeins  sich  zugezogen  hatte. 

Hydrocephalus  fand  sich  als  äusserer  in  6,  als  innerer  in  4, 
gleichzeitig  in  beiden  Formen  in  8  Fällen.  5  von  diesen  Fällen  betra- 
fen Irre ;  in  allen  war  das  Ependym  entweder  in  Form  einfacher  Ver- 
dickung oder  in  Form  von  Granulirung  betheiligt. 

In  5  Fällen  war  die  Arachnoidealflüssigkeit  iq  beträchtlicherem 
Grade  bluthaltig.  Zwei  davon  waren  Neugeborene,  bei  welchen  wahr- 
scheinlich in  Folge  von  mechanischen  Einwirkungen  während  der  Ge- 
burt Gefasszerreissungen  der  Pia  stattgefunden  hatten.  Bei  einem 
1 3  Tage  alten  Mädchen  fand  sich  neben  Blutergüssen  in  die  Arachnoi- 
dealräume  beider  Scheitellappen  eine  Reihe  umschriebener  Extrava- 
sate im  Centrum  semiovale  und  beiden  Streifenhügeln.  Die  Recherche 
ergab,  dass  das  Kind  wenige  Tage  zuvor  der  Mutter  während  des 
Schlafes  entfallen  war.  Bei  zwei  63  resp.  74  Jahre  alten  Frauen  fand 
sich  umfangreicher  Bluterguss  in  die  Arachnoidealräume  und  Ventrikel 
des  Gehirns  im  Anschluss  an  hämorrhagische  Herde  einmal  des  linken, 
das  andere  Mal  des  rechten  Linsenkems  und  Sehhügels  mit  Durch- 
hruch  der  Ventrikelwand.  Die  eine  der  beiden  Frauen  war  nach  Tiscji 
auf  das  Feld  gegangen  und  dort  plötzlich  umgefallen ;  als  sie  nach  etwa 
einer  Stunde  in  ihre  Wohnung  gebracht  war,  zeigte  sich  Bewusstlosig- 
keit  und  Lähmung  aller  Extremitäten  neben  stertorOsem  Athmen.  Der 
Tod  erfolgte  etwa  4  6  Stunden  nach  dem  Anfall.  Bei  der  anderen  hatte 
sich  kurz  nach  dem  Frühstück  Schwindel  und  Erbrechen  eingestellt, 
während  des  letzteren  fiel  sie  um ;  Besinnung  war  anfangs  noch  vor- 
handen, verlor  sich  aber  rasch,  der  linke  Arm  erwies  sich  als  gelähmt, 
der  rechte  contrahirt ,  der  Puls  unfühlbar.  Die  Dauer  von  Beginn  des 
Anfalls  bis  zum  Tod  betrug  in  diesem  Fall  etwas  über  eine  Stunde. 

Bei  einem  64  jährigen  Potatar  hatten  sich  ohne  Vorboten  Mitte 
März  4  868  heftige  allgemeine  Convulsionen  eingestellt,  welche  mehrere 

Bd.  V.  j.  iz 


182  Wilhelm  Müner« 

Tage  hindurch  sich  wiederholten  und  Aufhebung  des  Bewussiseins 
herbeiführten.  Der  Kranke  war  im  Anschluss  daran  mehrere  Monate 
geistesabwesend  und  körperlich  sehr  heruntergekommen.  Auch  nach 
dem  Eintritt. der  Besserung  im  körperlichen  Befinden  blieben  Schwin- 
delgefühl, Steifheit  und  Unbeholfenheit  d^r  Glieder  und  immer  wieder- 
kehrende Wahnvorstellungen  zurtlck.  Ende  März  4  863  catalepUsche 
Zufälle  unter  Verschlimmerung  der  bereits  vorhandenen  Erscheinun- 
gen und  dem  zeitweisen  Auftreten  unwillkürlicher  Entleerungen  von 
Harn  und  Roth.  Dieser  Zustand  blieb  wesentlich  der  gleiche  bis  zu 
dem  unter  den  Erscheinungen  eines  vorgeschrittenen  Marasmus  An- 
fangs Januar  1 868  erfolgten  Tod.  Die  Section  ergab  Balken  und  Fomix 
in  ihren  hinteren  zwei  Drittheilen  in  eine  wenige  Millimeter  dicke 
bräunlich  gelbe,  derbe  Gewebslage  verwandelt,  d9S  Ependym  beider 
Hinterhömer  und  des  Anfangsstück^  der  beiden  absteigenden  Homer 
verdickt,  derb  und  gleichfalls  diflEus  braungelb  gefärbt,  b^ide  vorderen 
Gehimarterien  in  gansser  Ausdehnung  durchgängig.  Die  mikroskopische 
Untersuchung  ergab  voll^ndigen  Schwund  der  Nervenprimitivfasem, 
an  ihrer  Stelle  eip  straffes,  allenthalben  körnige  und  krystallinische 
Hämatoidinmassen  einschliessendes  Bindegewebe.  Das  plötzliche  Auf- 
treten der  Erscheinungen ,  der  Mangel  eiper  erhoblichep  Veränderung 
im  linken  Herzen,  endlich  die  Durchgängigkeit  beider  vorderen  Gebirn- 
arterien  lassen  es  sehr  wahrscheinlich  ßrschein^n,  dass  hior  eine  Hä- 
morrhagie  in  Balken  und  Fornix  stattgefunden  hatte ,  in  deren  Gefolge 
der  Schwund  der  specifiscben  Elemente  dieser  Gehimabschnitte  zu 
Stande  gekommen  war. 

Bei  einem  74jährigen,  aq  hochgradigem  Atherom  des  Aorten- 
systems und  der  Herzklappen  leidenden  Mann  fanden  sieh  «ahlreiche 
gelbe  Erweichungsherde  im  Gross--  \ind  Kleinhirn;  einzelne  Gehirn- 
arterienzweige  enthielten  kalkige  Emboli.  Bei  einer  74jährigen  Frau 
hatte  sich  zwei  Tage  vor  dem  Tode  plötzlich  rechtsseitige  Lähmung 
entwiekelt.  Die  Obduction  ergab  als  deren  Ursache  rothe  Erweichung 
der  linken  Iqsel  und  des  vorderen  Theils  des  linken  Schläfenlappens, 
bedingt  durch  embolische  Verstopfung  der  linken  mittleren  Gehirn— 
arterie  im  Anschluss  an  Thrombose  eines  Astes  der  linken  oberen 
Lqingenvene ,  welche  durch  chronische  Pneumonie  mit  Bronchialerwei- 
terung zu  Stande  gekommen  war. 

Zwei  seit  längerer  Zeit  an  Epilepsie  leidende  Männer  starben  wäh- 
rend des  Anfalls.  Bei  dem  einen  derselben  fand  sich  massiger  Blut- 
austritt in  die  Höhlen  der  Seitenventrikel  neben  beträchtlicher  Hy- 
perämie der  Plexuus ;  bei  dem  andern  war  weder  im  Grosshim ,  noch 
im  verlängerten  Mark  eine  Veränderung  aufzufinden ,  welche  mit  dem 


BeobAchinngen  des  pathologischen  Instituts  la  Jeua  im  Jahre  t868.  183 

abnormen  Verhalten  des  Nervensystems  in  Beziehung  halle  gebracht 
werden  können. 

Erweichungsherde  im  Rtlckenmark  fanden  sich  in  5  Fällen.  Sie 
waren  sämmllich  durch  gröbere  mechanische  Einwirkungen  bedingt 
und  zwar  bei  mnem  46 jährigen  Mann  durch  Bruch  des  7.  Halswirbels 
in  Folge  eines  Sturzes  von  der  Locoraotive  während  der  Fahrt,  bei 
einem  38jährigen  und  einem  64jährigen  Mann  durch  Knickung  ver- 
eiterter  Halswirbel  in  Folge  von  Syphilis  resp.  Tuberculose.  Bei  einer 
4S  jährigen  Frau  halle  sich  im  R(H*per  des  ersten  Brustwirbels  ein  Epi- 
Iheliomknolen  entwickelt  und  durch  Di\Lck  Erweichung  des  Rücken- 
marks herbeigeführt. 

Der  merkwürdigste  dieser  Fälle  ist  seiner  Folgen  wegen  jener 
eines  6S jährigen  Mannes.  Früher  stets  gesund,  war  derselbe  zwei 
Jahre  vor  seinem  Tode  von  einer  Leiter  iS  Sprossen  hoch  auf  die 
rechte  Seite  des  Kopfes  herabgefallen.  Ausser  einer  Risswunde  an  der 
Stime  führte  der  Sturz  Schwerbeweglichkeit  des  Halses  und  eine  ver- 
minderte Brauchbarkeit  des  linken  Armes  herbei ,  welche  Erscheinun- 
gen den  Kranken  zu  vierzehntägigem  Damiederliegen  nöthiglen.  Sie 
verschwanden  nach  und  nach  voHsländtg;  dafür  stellte  sich  vier 
Wochen  nach  dem  Sturz  heftiger  Durst  mit  Polyurie  ein,  um  nicht 
wieder  zu  verschwinden.  Dazu  gesellte  sich  im  weiteren  Verlauf  der 
bei  Diabetikern  übliche  Marasmus  neben  den  Erscheinungen  einer 
rasch  fortschreitenden  Lungeninfiltration.  Die  Section  ergab  ausser 
doppelseitiger  Lungentuberculose  eine  geheilte  Infraction  des  7.  Hals- 
wirbels, welcher  durch  Synostose  mit  dem  6.  verbunden  war  und  eine 
umschriebene  Erweichung  der  centralen  Parthien  beider  Vorderhörner 
und  der  Basis  beider  Hinterhüroer  zwischen  sechstem  Gervicalnerven- 
und  erstem  Dorsalnerv^nurspmng.  Die  Nervengeflechte  längs  der  Art. 
vertebralis  ohne  nachweisbare  Veränderung.  Der  Fall  wird  seiner 
Wichtigkeit  wegen  im  speciellen  Theil  ausführlich  besdirieben  werden. 

In  vielen  Beziehungen  dunkel  gestaltete  sich  der  Krankheitsverlauf 
einer  56  jährigen  Bauernfrau.  Bei  derselben  waren  schon  vor  längerer 
Zeit  einzelne  apoplecliforme  Anftllle  vorhanden  gewesen ,  bestehend  tn 
Schwindel  und  Zusammensinken  mit  Bewusstlosigkeit.  Sechs  Jahre 
vor  dem  Tod  stellte  sieh  erst  beträchtliche  Müdigkeit,  später  Schwäche- 
gefühl und  Schwerbeweglichkeit  in  den  unteren  Extremitäten  ein ,  all- 
mälig  auch  die  Arme  ergreifend.  Dazu  gesellte  sich  zwei  Jahre  später 
Abnahme  des  Sehvermögens.  In  den  letzten  Jahren  wiederholten  sich 
hie  und  da  die  apoplectiformen  Anfalle ,  um  rasch  entschiedener  Bes- 
serung Platz  zu  machen,  während  die  Lähmungserscheinungen  fort- 
dauerten.   Bei  der  Aufnahme  in  das  Spital  fand  sich  ausser  Parese 

48» 


1 84  Wiibekn  MflUer, 

sSmmtlicher  Extremitäten  ein  Bruch  des  rechten  Schenkelhalses  und 
ausgebreiteter  Decubitus.    Im  Anschluss  an  letzteren  entwickelte  sich 
im  Spital  ein  wanderndes  Erysipel  neben  den  Erscheinungen  der  Pyä- 
mie ,  welcher  die  Kranke  in  etwa  drei  Wochen  erlag.    Die  Seciion  er- 
gab Bruch  des  rechten  Schenkelhalses ,  purulente  Coxitis ,  Thrombose 
der   rechten  Cruralvene,    Lungenarterienembolie    mit   metastatiscben 
Herden  und  consecutiver  Pleuritis,   Beträchtlicher  innerer  Hydrocepba- 
lus.     Ein  halblinsengrosser  grauer,  ziemlich  resistenter  Herd  im  Cen- 
trum der  rechten  Olive.    Rückenmark  in  ganzer  Ausdehnung  etwas 
atrophisch,  besonders  schmal  im  oberen  Dorsal-  und  im  Halsmark,  wo 
die  Seiten-  und  Hinterstränge  verwaschene  graugelbe  Fleckung,  die 
Yorderstränge  graue  Färbung  bei  vermehrter  Resistenz  zeigten ,   be- 
sonders intensiv  im  Niveau  des  dritten  Cervicalnerven.    Die  mikrosko- 
pische Untersuchung  ergab  an  diesen  Stellen  die  Resultate  der  inter- 
stitiellen Myelitis,  bestehend  in  Bindesubstanzneubildung  mit  partiellem 
Schwund  der  specifischen  Elemente. 

Circulationssystem. 

Wie  im  Jahre  i  866,  so  ist  auch  in  diesem  ein  Fall  von  angeborener 
Missbildung  des  Herzens  zu  registriren,  welcher  auf  der  Clinik  des  Geh. 
Hofraths  Bernhard  Sghultzb  zur  Beobachtung  kam.     Ein  ausgetragenes 
männliches  Kind  bot  unmittelbar  nach  der  Geburt  keinerlei  abnorme 
Erscheinungen  und  starb  im  Verlauf  des  zweiten  Lebenstages  rasch 
unter  den  Symptomen  der  Dyspnoe  K     Die  Section  ergab :   Länge  des 
Körpers  48  Cent. ,  Gewicht  2620  Gramm.     Guter  Ernährungszustand. 
Gelbliches  Colorit  der  Haut.    Beide  Lungen  lufthaltig ,  mehrfache  sub- 
pleurale Ecchymosen  zeigend.    In  Trachea  und  Bronchien  schaumiger 
Schleim.    Starke  Füllung  des  gesammten  Körpervenensystems.    Herz- 
beutel massig  erweitert,  in  seiner  Höhle  etwa  15  CC.  gelblicher  klarer 
Flüssigkeit.     Herz  nahezu  horizontal  liegend,  sein  Umfang  etwa  ein 
Drittel  grösser  als  der  eines  normalen.    Der  rechte  Yorhof  sehr  geräu- 
mig, 25  Mm.  im  Längs-  und  Querdurchmesser  haltend,  wird  durch 
die  stark  entwickelte,  von  der  Mitte  des  vorderen  Randes  des  eirunden 
Loches  zum  unteren  Rand  der  Einmündungsstelle  der  Vena  cava  infe- 
rior sich  erstreckende  EusTAcn'sche  Klappe  in  zwei  Abtheilungen  ge- 
sondert.   Die  oberhalb  und  lateralwärts  liegende  ist  sehr  dünnwandig ; 
sie  entspricht  der  Einmündung  der  Vena  cava  inferior  und  enthält  me- 
dienwärts  die  obere  Hälfte  des  Foramen  ovale.   Die  unterhalb  und  me- 
dienwärts  liegende  geräumigere  Abtheilung  enthält  die  Einmündung 


i  Vergl.  hierzu  die  beiden  Holzschnitte  auf  Taf.  VH. 


Beobachtungen  des  pathologischen  Instiints  m  Jena  im  Jahre  1868.  185 

der  normal  gestallclon  Vena  cava  superior,  die  unlere  Uälfle  des  Fora- 
men  ovale,  dicht  unterhalb  des  letzteren  die  Einmündungssteile  des 
von  der  Valvula  Thebesii  überkleideten  Sinus  magnus  cordis.  Sie  stellt 
einen  Kegel  mit  rasch  sich  verbreiternder  Basis  dar ,  dessen  Spitze  der 
Einmündungsstelle  der  Vena  cava  superior,  dessen  Basis  dem  Ostium 
atrioventriculare  entspricht.  Ihre  Wand  ist  beträchtlich  dicker  als  die  der 
oberen  Abtheilung  und  mit  zahlreichen  Trabekeln  versehen,  das  Volum  so 
beträchtlich,  dass  der  untere  Rand  der  Einmündungsstelle  der  Vena  cava 
inferior  vom  Atrioventricularostium  1 5  Mm.  absteht.  Medienwärts  setzt 
sie  sich  in  ein  sehr  geräumiges  Herzohr  von  4  2  Mm.  Durchmesser  am 
Ursprung  fort,  welches  wie  gewöhnlich  über  dem  Ursprung  der  Lun- 
genarterien  seine  Lagerung  hat.  Das  Foramen  ovale  zeigt  sich  voll- 
kommen rund,  8  Mm.  im  Durchmesser  haltend;  die  Klappe  ist  dünn 
und  durchscheinend,  am  hinteren  und  unteren  Umfang  continuirlich 
befestigt  und  gegen  die  Höhle  des  (rechten)  Vorhofs  in  Form  eines  erb- 
sengrossen  aneurysmatischen  Sackes  vorgebuchtet.  An  dem  inneren 
und  oberen  Theil  ihres  Umfangs  ist  sie  linsengrass  durchbrochen  und 
durch  mehrere  zarte  Sehnenfäden  an  dem  Limbus  fossae  ovalis  be- 
festigt. 

Der  rechte  Vorhof  steht  durch  ein  sehr  geräumiges ,  mit  glattem 
Rand  versehenes ,  40  Mm.  im  Umfang  haltendes  Ostium  atrioventricu- 
lare mit  dem  zugehörigen  Ventrikel  in  Gommunication.  Letzterer  zeigt 
eine  Länge  von  28,  eine  Breite  von  38  Mm.  Er  zerföllt  in  ein  sehr  ge- 
räumiges dickwandiges  Infundibulum  und  einen  gleichfalls  sehr  geräu- 
migen ,  aber  dünnwandigen  Conus.  Ersteres  zeigt  eine  Muskelwand 
von  6  —  8  Mm.  Dicke ,  sein  Endocard  ist  allenthalben  glatt  und  glän- 
zend. An  seiner  Innenwand  entspringen  drei  grössere  Papillarmuskeln, 
welche  eben  so  vielen  Klappensegeln  Sehneirfäden  zusenden:  einem  vor- 
deren und  hinteren  grösseren,  und  einem  mehr  medienwärts  über  einer 
dickeren  Stelle  der  Ventrikelwand  liegenden  kleineren ,  über  welchem 
eine  dreieckige,  leicht  vertiefte,  etwa  2  Mm.  im  Durchmesser  haltende 
Stelle  des  Endocards  sichtbar  ist,  welche  der  Muskelunterlage  entbehrt 
und  ihrer  Form  und  Lage  nach  der  WiivsLow^schen  Stelle  der  Herz- 
scheidewand entspricht.  Sämmtliche  Klappensegel ,  welche  den  drei 
Segeln  einer  normal  entwickelten  Tricuspidalis  entsprechen,  sind  gleich 
den  sich  anheftenden  Sehnenfäden  zart  und  augenscheinlich  schluss- 
fähig. 

Der  Conustheil  dieses  Ventrikels  zeigt  sich  namentlich  in  seiner 
vorderen  Parthie  beträchtlich  erweitert,  seine  Wandung  nur  2  Mm. 
dick,  von  zahlreichen  Trabekeln  besetzt.  Er  setzt  sich  in  die  am  Ur- 
sprung 38  Mm.  im  Umfang  haltende  Pulmonalarterie  fort,  welche  drei 


IS« 

vtAtkammeo  scUnscbbi^,  oorwal  Iwscbaffeoe  fifwiutiarUapfien  zeipt. 
Hie  venwei)^  sid»  It  Hn.  otwHtalb  dn-  Unfwiaipstdle  in  die  heidrp 
Langenlste,  um  sicfa  hteraof  ab  3  >id.  langer,  tO  Ita.  im  Dmbag  hsl- 
tender  mA  iMgs  g^lleter  lotrara  versHtener  Dnctss  arVriasus  in  den 
AorUfUlrageD  fortxasetx«n. 

Her  Kok«  Vorbof  Mit  dem  Herwbr  etwa  äa  DriUei  so  sross  als 
die  enlsprccfaeDdeit  Organe  der  radMen  Herxhalfle,  15  Mm.  bocfa. 
eben  so  viel  im  Ooerdsrcbnesser.  In  den  Vorbef  mOnden  vier 
normal  besebaOeae  nnd  ai^eardnete  Longenven«!.  Mit  dem  reeli- 
len  Vorbof  findet  durch  die  oben  and  vom  dnrcbbrochene  V^vab 
foraniinis  ovalis  direde  CommuBicatioa  statt.  Das  Osttam  atrioventricD- 
lare  Hinistmoi  wird  dnnb  eine  an  der  Basis  dieses  Vorbofe  Kegende 
trv^lerfArmig  vertiefte  Grube  vom  Umfang  eines  Steck oadelknopfes 
vertrelen.  Durch  diese  Grabe  gelangt  man  in  einen  ^ahfbraigen 
7  Mm.  langen ,  dicht  unlerbalb  des  engen  Eingangs  auf  G  Mm.  im  Um- 
fang sieh  erweiternden  Hohlraum ,  welcher  läi^  des  vorderen  Raades 
des  den  Scheide  wand  aipfei  der  Triciispidalis  verargenden  PafMlbr- 
muikels  in  der  bier  snf  8  Mm.  verdickten  Wandung  des  rechten  Ven- 
trikels vcriiluft  und  unter  conischer  Verjüngung  in  der  Herzwand  blind 
endif^t.  Gegen  die  Höhk  des  rechten  Ventrikels  wird  dieser  Hoblraum 
allenthalben  durch  trabekelhaltige  Huskellagen  von  4  —  5  Hm.  Dicke 
abgcBcblossen.  Am  Eingang  in  denselben  findet  sieb  das  Rudiment 
einer  Bicuspidalklapfw  in  Form  einer  in  zwei  kurze  steife  Segel  ge- 
theillen,  durch  eineetoe  steife  bis  8  Hm.  lange  S^nenföden  an  die 
Wund  des  rudimentären  Ventrikels  befestigten,  t  Mm.  gegen  das 
Ostium  proroinireT>deD  Duplicatur.  Medianw^rts  von  der  Klappe  bil- 
dut  diosor  Ventrikel  einen  kurzen  Reeessns,  welcher  an  der  muskel- 
losen  Stelle  der  Herzscfaoide^vand  dicht  ober  dem  Ansatz  des  Scheide- 
wandzipfels  der  Tncuspidalis  Uind  endigl. 

i  Mm.  oberhalb  dieses  blinden  Endes  entspringt  rückwärts  und 
rechts  von  der  Lungonartcrie  die  i  Hm.  im  Umfang  hallende  Aorta. 
Ihre  Wandung  zeigt  sich  unmittelbar  unterhalb  des  Abgangs  der  beiden 
Coronararloi'ien  lltngs  gefaltet  und  zu  einem  kurzen  blind  endigenden 
Trichter  verwachsen,  in  welchem  deutli^c  Spuren  der  Semilunur- 
klnppen  nicht  unterscheidbar  sind.  Die  A<nta  verlanft  von  hier  mit 
gluiclibleihendem  (laliber  bis  zur  Abgangsslelle  des  Truncos  anony- 
nius,  an  welcher  sie  sich  rasch  zu  einem  einzelne  Querfalten  an  der 
Innenwand  zeigenden  Gefdssrobr  von  12  Mm.  Unrfai^  erweitert,  wel- 
ches einen  normal  gestalteten,  10  Hm.  im  Umfang  messenden  Tnincus 
anonymus,  eine  6  Hm.  messende  Carotis  und  Subclavia  sin.  abgiebt. 
Naoh  Abgang  dieser  Aeste  vereinigt  sich  der  Aortenbogen  unter  Bil- 


Beobachtungen  des  pathologischen  liistitots  la  Jena  im  Jahre  t868.  187 

düng  einer  flachen  Querfalte  der  Intima,  welche  an  dieser  Stelle  weiss- 
lieh  getrttbt  und  verdickt  ist ,  mit  dem  Ductus  arteriosus ,  um  als  Aorta 
descendens  mit  einem  Umfang  von  i  7  Mm.  weiter  zu  verlaufen. 

Die  fi^tale  Bndocarditis ,  welche  alier  Wahrscheinlichkeit  nach  in 
diesem  Fall  die  Obliteration  des  Ostium  aorticum  und  die  Stenose  des 
Ostium  atrioventriculare  sin.  mit  Rudimentärbleiben  des  linken  Ven- 
trikels herbeigeführt  hat,  föllt,  wie  der  vollkommene  Verschluss  des 
Septum  ventriculomm  erweist,  jedenfalls  später  als  die  zwölfte  Woche 
des  Pötallebens.  Welche  Ursachen  dieselbe  herbeigeführt  haben ,  ist 
unbekannt,  da  auch  in  diesem  Fall  der  Verlauf  der  Schwangerschaft 
von  abnormen  Erscheinungen  Seitens  der  Mutter  angeblich  nicht  be- 
gleitet war.  Von  Wichtigkeit  ist  der  vorliegende  Fall  aus  dem  Grunde, 
weil  aus  ihm  hervorgeht,  dass.  das  Herz  auch  bei  vollkommen  ent- 
wickeltem Septum  ventriculomm  einkammerig  werden  kann.  Würde 
die  Endocarditis ,  welche  in  diesem  Fall  auf  die  Klappenringe  sich  be- 
schränkte, auf  die  Wandungen  des  Ventrikels  sich  fortgepflanzt  haben, 
unter  Herbeiführung  von  Synechie,  so  würde  das  Resultat  ein  Herz 
gewesen  sein,  welches  auf  zwei  Vorkammern  nur  eine  Kammer  mit 
einem  gemeinsamen  GeCässsystem  gezeigt  hätte ,  ohne  dass  der  Nach- 
weis einer  dem  Septum  ventriculomm  entsprechenden  Stelle  in  der 
Wandung  dieser  einen  Kammer  sich  hätte  führen  lassen. 

Hieran  sohliesst  sidi  die  Beobachtung  eines  Aneurysma  der  mus- 
keüosen  Stelle  des  Septum  ventriculomm.  Bei  einer  46  jährigen  an 
Carcinom  des  Pylorus ,  der  pylorischen  Lymphdrüsen  und  der  Lungen 
verstorbenen  Frau  fand  sich  das  Herz  etwas  atrophisch.  Das  Endocard 
des  rechten  Vorhofs  und  Ventrikels  glatt  und  glänzend.  EusTA^n'sche 
und  THSBBsische  Klappe  stark  entwickelt,  Foramen  ovale  im  Umfang 
einer  Linse  offen.  Die  Semilunaren  der  Art.  pulmonalis  und  die  Tri- 
cuspidalis  ausser  der  gewöhnlichen  Verdickung  an  den  Schliessungs- 
spuren nichts  Abnormes  zeigend.  Das  Endocard  des  Septum  in  dem 
Raum  ober-  und  unterhalb  der  Insertion  des  Scheidewandzipfels 
der  Tricuspidalis  eine  kirschengrosse  seicht  gelappte  Vorwölbung  zei^ 
gend.  Leichte  weissliche  Trübung  des  Endocard  im  linken  Vorhof. 
Der  linke  Ventrikel  normal  dick,  Muskel  braungelb,  fest.  Ostium  ve- 
nosum  sinistnim  gleich  dem  aorticum  nur  für  zwei  Querfinger  durch- 
gängig. Der  Klappenring  in  massigem  Grade  schwielig  verdickt.  Beide 
Segel  der  Bicuspidalis  gelbe  Atheromflecke  zeigend ,  an  den  Rändern 
schwielig  verdickt,  die  Vorhofsflädien  an  den  Schliessungsspuren  ge- 
röthet  und  mit  einer  Anzahl  spitzer  Excrescenzen  besetzt.  Die  Seh- 
nenfäden zu  keulenförmigen  Strängen  verwachsen  und  etwas  verkürzt. 
Leichte  Trübung  und  Verdickung  des  Endocard  am  Conus  aorticus. 


188  Wüheln  «filier, 

Aorta'iflappeD  sohlussfilhig ,  UDveründert.  Dio  hautige  Stelle  des  Wan- 
tricularseptum  in  Form  eines  seicht  gelappten  dünnwandigen,  mit  Oüs— 
sigem  Blut  gefüllt«»  kirschen  grossen  Aneurysmas  g^n  die  Hehle  des 
rechten  Ventrikels  ausgebucht«! ,  die  Ränder  der  ÄusbuchUisg  gleich 
der  Innenfläche  vollkommeD  glatl  und  eben.  Auch  in  diesem  Fall  fehlt 
es  an  einem  genllgenden  Anhalt  zur  Beurtheiluog  der  Ursache),  welche 
die  Anourysmenbildung  am  Septum  venlriculorum  im  Gefolge  hatten, 
da  die  Kranke  zur  Zeit  ihrer  Aufnahme  in  die  Clinik  des  Geh.  Hofralli 
Gbbbardt  bereits  mit  einem  Geräusch  im  Herzen  behaftet  war,  über 
dessen  En ts lehn ngs zeit  die  Anamnese  keinen  Aufschluss  gewährte. 

Pericarditis  fand  sich  im  Ganzen  in  1 4  Leichen  (5  H-,  6  W.)  ^  6.7 
Proc.  In  acht  von  diesen  elf  Fallen  lag  recente  Pericardilis  vor,  sie 
war  stets  secundärer  Process  und  zwar  je  zweimal  im  Anschluss  an 
Pleuropneumonie  und  an  Thrombusbildung  im  rechten  Herzen,  je  ein- 
mal an  Pleuritis,  Lungenluherculose ,  Sarconi  des  Herzens  und  diffuse 
Phlegmone  des  Mediastinum.  Drei  Individuen  boten  die  Residuen 
alterer  Pericardilis  in  Gestalt  von  Verwachsungen  zwisi^en  beiden 
Herzbeutelblattern . 

Höhere  Grade  von  Lipomalose  des  Herzens  wurden  in  7  Fäll«) 
(4  H. ,  3  W.)  beobachtet,  sämmtlich  dem  voi^eschritleneren  Aller  an- 
gehörig.  Stets  war  die  Lipomatose  mit  Adipose  der  Husculatur  (fetti- 
ger Degeneration)  combinirt.  Diese  Combination  war  die  einzige  Ur- 
sache, welcher  der  plötzlich  erfolgte  Tod  eines  63jahrigen,  an  Lungen- 
emphysem mittleren  Grades  leidenden  Hannes  zugeschrieben  werden 
konnte. 

Erweiterung  sSmmtlicher  Herzhöhlen  mit  Verdickung  der  Huscu- 
latur fand  sich  in  \i  Fallen  =  7.3  Proc.  unter  gleichförmiger  Bethei- 
ligung beider  Geschlechter.  Das  veranlassende  Moment  war  in  sechs 
Fallen  die  Combination  von  Lungeneniphysem  mit  allgemeiner  Endar- 
leritis,  in  drei  Fallen  hochgradige  Endarteritis  des  Pulmonalis-  und 
Aortensystems,  zweimal  Klappenfehler,  einmal  interstitielle  Nephritis. 
Auf  die  rechte  Herzhalfte  beschrankt  fand  sich  der  Process  in  acht 
Fallen  =  4.9  Proc.  (2  M.,  6  W.)  fünfmal  im  Anschluss  an  Emphysem, 
zweimal  an  chronische  Pneumonie,  einmal  an  Tuberculosc.  Nur  ein 
Fall,  der  eines  80jährigen  Mannes,  zeigte  Beschi4nkung  des Processes 
auf  das  linke  Herz  im  Anschluss  an  interstitielle  Nephritis. 

Endocarditis  mit  ihren  Folgen  wurde  im  Ganzen  in  27  Fallen 
(H  M.,  16  W.)  =  16.5  Procan.  getroffen.  In  acht  Fallen  war  der  Pro- 
cess in  recenter  Entwickelung.  Das  veranlassende  Moment  bildeten 
in  drei  Fallen  jauchende  Neubildungen,  in  je  einem  tubuläre  Nephritis, 
Rachitis,  PySmie,  Erysipel,  altere  Endocarditis.    Die  Häufigkeit  ist  be- 


BeobAfbtoDgen  des  pathologischen  Instituts  zu  Jena  im  Jahre  1868.  189 

merkenswerth ,  mit  welcher  Endocarditis  mit  'solchen  Processen  sich 
combinirte,  bei  welchen  eine  Beimischung  abnormer  Molecttle  zur  Blut- 
masse des  Körpers  wahrscheinlich  ist. 

Die  Residuen  abgelaufener  Endocarditis  fanden  sich  in  iO  Fällen 
=s  12.2  Proc,  einmal  gleichzeitig  mit  recenter  Endocarditis.  Der  Sitz 
war  in  4  0  Fällen  die  Bicuspidalis  allein ,  in  je  4  Fällen  mit  Stenose  des 
Ostium  resp.  mit  Insufficienz  der  Klappe ;  in  2  Fällen  fanden  sich  die 
Residuen  älterer  Endocarditis  ohne  augenscheinliche  Functionsstörung 
der  Klappe.  Bei  einer  84  jährigen  Frau  fand  sich  das  durch  alte  Endo- 
carditis verdickte  Aortensegel  der  Bicuspidalis  zu  einem  erbsengrossen, 
mit  schmalem  Eingang  versehenen  Aneurysma  gegen  den  Yorhof  hin 
ausgebuchtet. 

Die  Tricuspidalis  allein  war  bei  einer  51jährigen,  an  Emphysem 
leidenden  Frau  durch  Verwachsung  und  Verkürzung  der  Sehnenfäden 
insufficient  geworden. 

Die  Semilunarklappen  der  Aorta  allein  waren  in  drei  Fällen 
schlussunfähig;  bei  einem  69jährigen  Mann  und  einem  64jährigen 
Weib  durch  ausgedehntere  Verwachsung  und  Verkürzung  der  Ränder, 
bei  einem  68  jährigen  Weib  durch  einfache  Relraction  der  letzteren  in 
Folge  narbigen  Schwundes. 

Bi-  und  Tricuspidalis  waren  gleichzeitig  durch  Schrumpfung  der 
Segel  insufficient  bei  einer  66jährigen,  an  hochgradiger  Endarteritis 
leidenden  Frau. 

Gleichzeitige  Affection  der  Bicuspidalis  und  der  Aortaklappen 
wurde  in  vier  Fällen  beobachtet,  dreimal  mit  Stenose  des  linken  Ostium 
venosum,  einmal  mit  Insufficienz  der  Bicuspidalis. 

Gleichzeitige  Affection  sämmtlicher  Herzklappen  mit  Ausnahme 
jener  der  Pulmonalarterie  bot  die  Leiche  einer  58jährigen  Frau, 
in  welcher  Insufficienz  der  Bi-  und  Tricuspidalis  zu  hochgradigen 
Slauungsprocessen  in  Leber,  Milz  und  Niere  geführt  hatte. 

Nur  in  drei  Fällen  Hess  der  Ursprung  der  Endocarditis  mit  Sicher- 
heit auf  Rheumatismus  acutus  sich  zurückführen ;  diesen  stehen  sechs 
Fälle  gegenüber,  in  welchen  den  vorhandenen  Angaben  nach  zu  keiner 
Zeit  Rheumatismus  acutus  bestanden  hatte  und  die  Functionsunfähig- 
keit  der  Klappen  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  dem  Uebergreifen  der 
Endarteritis  auf  Bicuspidalklappe  und  Semilunaren  der  Aorta  zuge- 
schrieben werden  musste. 

Endarteritis  deformans  fand  sich  in  15  Individuen  (24  M.,  21  W.) 
=  27.6  Proc.  In  seohszehn  Fällen  war  gleichzeitig  Atherom  im  Aor- 
ten- und  Lungenarteriengebiet  entwickelt.  Bei  einem  80  jährigen  Mann 
und  einer  80  jährigen  Frau  war  es  im  Anschluss  an  ulceröse  und  petri- 


190  Wilbefan  Möller, 

ßcirende  Endarteritis  zu  Thrombose  der  Art.  iliaca  dextra  resp.  der 
Art.  Poplitea  sin.  gekommen.  Die  Folgen  beschränkten  sich  im  ersteren 
Fall  auf  Blasenbildung  der  Haut  und  Oedem  der  unteren  Extremität,  da  der 
Tod  durch  suppurative  Nephritis  erfolgte,  im  letzteren  hatte  die  Throm- 
bose Gangrän  des  linken  Fusses  und  Unterschenkels  herbeigeführt. 

Bei  einem  54  jährigen  Mann  war  der  Tod  in  Folge  eines  Sturzes 
auf  den  Kopf  eingetreten.  Es  fand  sich  eine  die  ^ anze  Sdiädelbasis 
von  der  einen  Schläfenbeinschuppe  zur  anderen  quer  durchsetzende 
Fractur,  die  linke  Art.  meningea  media  zerrissen,  die  Dura  von  der  In- 
nenfläche des  Schädels  durch  einen  faustgrossen  fesi  geronnenen  Blut- 
erguss  losgewühlt  unter  entsprechender  Gompression  des  Gehirns. 

Purulente  Phlebitis  führte  in  7  Leichen  =  4.2  Proc.  den  Tod  her- 
bei. Bei  einem  68jährigen  Mann  hatte  eine  complioirte  Fractur  der 
Tibia  und  Fibula  sin.  zu  eitriger  Periostitis  und  Endostitis  neben  eitri- 
ger Phlebitis  der  Vena  popIitea  und  Cruralis  geführt.  Der  Eiter  war 
durch  Thrombose  im  oberen  Abschnitt  der  Vena  cruralis  vollständig 
sequestrirt  worden,  so  dass  alle  metastatischen  Herde  fehlten. 

Bei  einer  3Sjährigen  Frau  war  der  Oberschenkel  im  unteren  Drit- 
theile wegen  Fussgeschv^rs ,  bei  einem  50  jährigen  Mann  der  Unter- 
scheokel  im  oberen  Drittheil  wegen  Epithelioms  amputirt  worden.  In 
beiden  Fällen  entwickelte  sich  Diphtherie  der  Wundfläche,  eitrige  Pe- 
riostitis und  Endostitis  neben  eitriger  Osteophlebitis  und  eitrige  Phlebitis 
der  Vena  cruralis.  Im  ersteren  Fall  kam  es,  bevor  metastatische  Herde 
sich  entwickeln  konnten,  zu  einer  tödtlichen  Blutung  durch  Erosion  der 
Art.  profunda  femoris ,  im  anderen  Fall  war  es  wie  gewöhnlich  zu  me- 
tastatischer Abscessbildung  in  den  Lungen  gekommen. 

Bei  einem  12  jährigen  Mädchen  hatte  sich  ohne  nachweisbare  Ver- 
anlassung gleichzeitig  eitrige  Periostitis  und  Endostitis  der  rechten  Gla- 
vicula  und  des  linken  Femur  entwickelt,  an  letztere  hatte  sich  puru- 
lente Osteophlebitis  angeschlossen.  Der  Tod  erfolgte  innerhalb  einer 
Woche  unter  Bildung  metastatischer  Abscesse  in  den  Lungen. 

Bei  einem  46  jährigen  Jüngling  hatte  sich  im  Anschliiss  an  eitrige 
Periostitis  des  rechten  Oberschenkels  und  Sitzbeins  Ankylose  im  rech- 
ten Hüftgelenk  entwickelt,  welche  die  partielle  Resection  des  Schenkel- 
halses erforderlich  machte.  Es  stellte  sich  alsbald  Diphtherie  der  Wund- 
fläche neben  den  Erscheinungen  der  Pyämie  ein ,  welcher  der  Kranke 
erlag,  nachdem  noch  Eitergehalt  des  Urins  aufgetreten  war.  Es  fand 
sich  frische  Endostitis  und  Osteophlebitis  von  der  Sägefiäche  ausge- 
hend am  Femurschaft,  alte  schwielige  Verdickung  des  Periost  und 
intermusculären  Bindegewebes  im  oberen  Drittheil  des  Femur,  um  das 
Hüftgelenk  und  auf  beiden  Flächen  der  rechten  Hälfte  des   kleinen 


Beobachtungen  des  patbologiselMii  hstitnts  zu  Jena  in  Jahre  1868.  ]  91 

Beckens  mii  Bildung  zahlreicher  2um  Theil  auf  rauhen  Knochen  füh- 
render sinuöser  Eiterherde,  welche  einerseils  zu  mehrfachen  Durch- 
brachen der  äusseren  Haut  in  der  rechten  Leiste,  aiidererseits  zu  einer 
groschengrossen  Perforation  der  rechtsseitigen  Blasenwand  geführt 
hatte.  Von  diesen  Fistelgängen  aus  war  es  zu  purulenter  Phlebitis  des 
Plexus  pubictts  impar,  Thrombose  der  rechten  Vena  hypogastrica 
und  Lungenarterienembolie  mit  Bildong  metastaüscher  Eiterherde  ge- 
kommen. 

Bei  einer  32jähri^Ki  Wöchnerin  war  der  Tod  unter  den  Erschei- 
nungen der  Peritonitis  erfolgt.  Die  Section  ergab  Diphtherie  des  puer- 
peralen Uterus,  die  Venen  der  Uteruswand  und  des  Plexus  vesico-ute- 
rinus  fast  allenthalben  mit  gelbem  übelriechenden  Eiter  gefüllt,  ebenso 
ein  Theil  des  rechten  Plexus  ovarii.  Die  Umgebung  der  Uterinalvenen 
zum  Theil  in  eitrigem  Zerfall;  in  der  Mitte  der  Vorderfläcbe  des  Ute- 
ruskörpers rechts  vim  der  Mittellinie  ein  linsengrosser  Durchbrucb 
eines  phlegmonösen  Blerdes  mit  consecutiver  allgemeiner  Peritonitis. 
Ausserdem  metastatische  Eiterherde  in  den  Lungen ,  purulente  Arthro- 
ineningitis  der  linken  Schulter. 

Bei  einem  35 jährigen  Mann,  welcher  wegen  alter  Endostitis  der 
Tibia  mit  Hyperostose  in  Behandlung  kam,  hatte  während  des  Aufent- 
haltes im  Spital  Typhus  sieh  entwickelt.  An  die  Verschwärung  der 
lleumscfaleimkaut  schloss  sich  eitrige  Phlebitis  der  Venae  mesentericae 
an ,  welche  durch  metastalische  Leberabscesse  den  Tod  unter  den  Er- 
scheinungen der  Pyämie  herbeiführte. 

Thrombosen  in  den  versdiiedenen  Absdinitten  des  Venensystems 
fanden  sich  in  38  Fällen  =s  23.3  Proc.  aller  Leichen.  Es  lieferten  der 
Plexus  pubicus  impar  H,  die  Schenkel venen  10,  das  rechte  Herzohr  4, 
beide  Herzobren  zugleich  und  die  Himhautsinus  je  3,  der  Plexus  pam- 
piniformis  2,  beide  Herzventrikel  zugleich,  der  rechte  Ventrikel  allein, 
die  Venen  der  Pia ,  die  Vena  subclavia ,  die  Vena  pulmonalis  je  i  Fall. 
Rechnet  man  hierzu  7  Fälle ,  in  welchen  Thrombose  an  eitrige  Phlebitis 
sich  anscbloss,  so  erhält  man  im  Ganzen  45  Fälle.  In  38  derselben 
Hess  eine  Verschleppung  des  die  Venen  verstopfenden  Materials  sich 
nachweisen;  es  führten  mithin  84.4  Proc.  aller  Fälle  von  Venenthrom- 
bose zur  zugehörigen  EmboKe.  Auch  in  diesem  Jahr  wurde  wiederholt 
eine  Verschiedenheit  der  an  die  Embolie  kleinerer  Gefössäste  sich  an- 
schliessenden Processe  bei  anscheinend  gleichartiger  Beschaffenheit  des 
cingeschwemmten  Materials  constatirt. 

Bei  einem  24  jährigen  Mann,  welcher  ein  Jahr  vor  seinem  Tode 
Abdominaltyphus  überstanden  hatte ,  fanden  ^ich  die  Lymphgefässe  im 
unte^-   *^    •    *  *     -*—  "»um  in  ihren  Wandungen  verdickt,  getrübt 


und  mit  einer  Anzahl  kleiner  l)is  slecknadelknopfgrosser  variköser  Er- 
weileniQgen  versehen,  ohne  Thrombose. 

Eiüigc  Lymphangitis  fand  sich  bei  einer  39  jährigen  Frau  im  An— 
schluss  an  Erysipel  beider  L'n(«rschenkel,  ausgehend  von  einer  Esco- 
rialion  der  üdematösen  Haul.  Bei  einem  1  tjäbrigen  Mädchen  war  aus- 
gedehnte eitrige  Lymphangitis  beider  Lungen  neben  diphtherischer 
Bronchopneumonie  entwickelt.  Bei  einem  1 9  Tage  alten  männlichen 
und  einem  6  Wochen  allen  weiblichen  Kind  fand  sich  eitrige  Periarte- 
ritis  umbilicalis,  im  ersten  Fall  neben  Bronchopneumonie,  im  letzteren 
neben  eitriger  Phlegmone  um  den  Pharynx. 

Eitrige  Lymphadenitis  kam  in  6  Fällen  zur  Beobachtung  =3.6 
Proc.  Bei  einem  50jährigen  Mann  war  es  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  im  Gefolge  einer  Leicheninfection  [derselbe  hatte  mit  Schrunden 
an  der  rechten  Hand  eine  perlsUchtige  Kuh  geschlachtet)  zu  ausgedehn- 
ter Abscedirung  der  rechtsseitigen  Achsel-  und  JugulardrUsen  mit 
diffuser  Phlegmone  am  Hals  und  Perforation  der  rechten  Pleura  ge- 
kommen. 

Bei  einem  17jährigen  Mädchen  hatte  ein  wandernder  Gesichls- 
rothlauf  zu  Abscessbitdung  in  den  linksseitigen  JugulardrUsen  gefUbrt. 
Die  irachealen  und  mediaslinalen  Lymphdrüsen  boten  in  4  Fällen 
Eiterherde:  bei  einem  59 jahrigen  Mann  im  Anschluss  an  verjauchtcs 
Epitheliom  des  Oesophagus,  bei  einem  32 jährigen  Tuberculosen  im 
Anschluss  an  ein  mit  frischem  diphtherischen  Beleg  versehenes  Gc- 
schwtir  der  Trachea,  bei  einem  69jährigen  Mann  im  Anschluss  an  me- 
tastalische  Infarcte  der  Lungen,  bei  einem  4 1jährigen  Mädchen  an  eitrige 
Lymphangitis  derselben. 

Ausgedehntere  Verkalkung  und  Verkäsung  der  mesenterialen 
Lymphdrüsen  fand  sich  bei  einem  8jährigen  an  Dysenterie  verstor- 
benen Mädchen.  Es  waren  vom  4.  bis  6.  Lebensjahr  die  Erscheinun- 
gen der  Scrophulose  vorhanden  gewesen.  Bei  einem  Säjäbrigen  au 
Typhus  exanlh.  verstorbenen  Mann  fand  sich  die  gleiche  Veränderung 
an  den  bronchialen  Lymphdrüsen ,  ohne  dass  das  ursächliche  Moment 
bekannt  gev^orden  wäre.  Im  Anschluss  an  Tuberculose  fand  sich  aus- 
gedehntere Schrumpfung  und  schiefrige  Pigmentirung  der  bronchialen 
Lymphdrusen  bei  einer  2S  jährigen  Frau,  im  Anschluss  an  chronische 
Pneumonie  und  an  Emphysem  in  6  Fällen ,  dreimal  mit  Stenose  ein- 
zelner Lungenarterienzweige ,  in  einem  der  letzleren  Fälle  mit  Throm- 
busbildung an  der  slenosirlen  Stelle. 

Acute  umfangreichere  Hilztumoren  fanden  sich  in  drei  Fällen 
neben  Pyämie,  in  zwei  weiteren  neben  tödtlich  verlaufendem  Erysipel. 
Chronische  Hyperplasien  des  Organs  fanden  sich  in  Form  von  Slauungs- 


Beobaehtongen  des  pat1iologisr,ben  Instituts  su  Jena  im  Jahre  t868.  193 

milz  mit  Vergrösserung  bei  einem  74  jährigen  Mann  und  einer  58jiib- 
rigen  Frau,  in.  Form  einfacher  Hyperplasie  bei  einem  62jährigen  Diabe- 
tiker und  einem  24  jährigen  mit  weit  verbreitetem  Lymphdrüsensarcom 
behafteten  Mann. 

Respirationssystem. 

Fibrinös-eitrige  Pleuritis  höheren  Grades  fand  sich  in  4  9  Leichen 
(42  M.,  7  W.)  SS  14.6  Proc.  Sie  betraf  beide  Pleurahöhlen  in  7,  die 
rechte  allein  in  7,  die  linke  in  5  Fällen.  Nur  in  einem  Falle  gelang  der 
Nachweis  des  ursprünglichen  Momentes  nicht  mit  Sicherheit,  indem  bei 
einem  78  jährigen  an  erabolischen  Herden  im  Gehirn  und  Nieren  von 
einer  Endocarditis  valvulae  bicuspidalis  aus  neben  Empyem  verstor- 
benen Mann  der  Nachweis  einer  Embolie  der  Intercostalarterien  sich 
nicht  führen  Hess.  In  allen  übrigen  Fällen  war  die  Pleuritis  secundä- 
rer  Process  und  bedingt  in  7  Fällen  durch  Embolie  der  Lungenarterien 
und  ihre  Folgen,  in  4  durch  Pneunomie,  je  zweimal  durch  Bronchiecta- 
sie  und  Sarcom  der  Lungen ,  je  einmal  durch  Tuberculose ,  Perforation 
der  Pleura  von  eiternden  Axillardrüsen  aus  und  durch  Uebergreifen 
eitriger  Peritonitis. 

Synechien  der  beiden  Pleurablätter  fanden  sich  in  66  Leichen 
=  40.5  Proc.  Es  waren  betroffen  beide  Pleuren  in  35  (23  M.,  42  W.), 
die  linke  allein  in  42  (7  H. ,  5  W.),  die  rechte  in  49  (15  M. ,  4  W.) 
Fällen.  Wie  gewöhnlich  war  mithin  das  männliche  Geschlecht  über- 
wiegend häufig  Processen  ausgesetzt,  welche  zu  Pleuritis  geführt 
hatten. 

Groupöse  Pneumonie  wurde  in  24  Leichen  constatirt  (46  M.,  8  W.) 
=s  44.7  Proc.  Ihr  Sitz  war  in  sämmtlichen  Lungenlappen  in  3,  in  bei- 
den Unterlappen  in  9,  im  rechten  Ober-  und  Unterlappen  in  4,  im 
rechten  Unterlappen  in  7,  im  linken  in  3,  im  linken  Oberlappen  in 
2  Fällen.  Das  erste  Lebensjahr  lieferte  3  Fälle,  in  allen  war  die  Hepa- 
tisation deutlich  gekörnt  und  gleichförmig  verbreitet.  BemeriLenswerth 
ist,  dass  zwei  von  diesen  drei  Fällen  bei  Kindern  auftraten,  welche 
zwei  Wochen  vor  Beginn  der  Krankheit  geimpft  und  dann  der  kalten 
Abendluft  ausgesetzt  worden  waren.  Den  letzteren  schliesst  sich  ein 
Fall  an  bei  einem  47jährigen ,  sehr  kräftigen  Mann ,  welcher  mit  soge- 
nannter Rubeola  behaftet,  an  einem  kalten  Novembertage  ausgegangen 
war.  Auch  in  allen  übrigen  Leichen  waren  Veränderungen  nachweis- 
bar, welche  entweder  zur  Entwickelung  der  Pneumonie  überhaupt 
disponirt  oder  doch  zu  deren  tödtlichem  Ausgang  beigetragen  hatten. 
Diese  Vei^nderungen  bestanden  je  dreimal  in  Manie  und  Epitheliomen, 
je  zweimal  in  Tuberculose,  Herzfehlern  und  Pyämie,  je  einmal  in  AI- 


194  Wllhdm  Hfilkr, 

cohoiismus,  Wirbelbruch  ,  Endarteritis ,  Lymphangilis ,  Scirrhus,  Per- 
foration dos  ßeclum,  Nephritis,  Dysenterie. 

Bronchopneumonie  Üefert«  31  Fülle  (14  M. ,  17  W.)  =  19.01  Proc. 
In  18  Füllen  zeigten  sich  beide  Lungen  befallen,  in  7  nur  die  rechte, 
in  6  nur  die  linke.  Der  Process  war  in  12  Fcillcn  durch  Hinnbscbreiteii 
intensiver  Broncfaialcatarrhe,  in  S  durch  Diphtherie  bedingt.  In  17  Fül- 
len war  genügender  Grund  vorhanden,  um  denselben  auf  ein  Hinab- 
gelangen  fremder  Körper  durch  die  Trachea  in  die  Bronchial  Verzwei- 
gungen zurückzuführen.  Wie  gewöhnlich  lieferten  die  ersten  fünf 
Lebensjahre  mit  (4  Fällen  das  beträchtlichste  Conlingeut  von  allen 
Altem. 

Chronische  Pneumonie  mit  Broochialerweiterung  lieferte  1 5  Filllc 
(9  M.,  ()  W.)  =  9.8  Proc.  Ihr  Sitz  war  in  beiden  Lungen  gleichzeitig 
in  7,  rechterseits  in  6  (davon  B  in  der  unteren  Parthie  des  Oberlappen), 
links  in  2  Fallen.  In  3  Füllen  erfolgte  der  Tod  an  weit  verbreitetem 
Hydrops;  bei  einer  47jahrigen  Frau  an  Lungenvenenthrombose  mit 
nachfolgender  Gehimarterienembolie,  bei  einem  Säjlthrigen  Mann  war 
e^  von  einer  Bronchiectasie  dos  linken  Oberlappens  aus  zu  Perforation 
der  Pleura  gekommen  mit  Entwickelung  von  linksseitigen  Empyem. 

Höhere  Grade  von  Emphysem  wurden  in  18  Leichen  beobachtet 
[8M.,  10  W.)  =11.04  Proc.  Unter  diesen  Füllen  ist  bemerkenswerth 
die  £nlwickeluag  hochgradigen  Emphysema  neben  cbrunischer  Tnber- 
culose  bei  einem  30  jährigen  Mann,  ferner  die  Entwiekelung  vesiculH- 
ren  Emphysems  der  rechten  Lunge  neben  dtroniscber  PaeumoDie  der 
linken  bei  einer  47  jahrigen  Frau.  In  &  Fällen  ftlbrle  das  Emphysem 
zum  Tod;  derselbe  erfolgte  durch  intensive  Bronchitis  und  Lungenödem 
neben  allgemeinem  Hydrops  und  durch  Erysipel  der  SdematUsen  un- 
teren ExtTMoiUHen  in  je  1,  durch  Venen-  resp.  Herstbrombose  in 
3  Füiien. 

Pigmenthypertrophie  höheren  Grades  fand  sich  bei  einem  17 jah- 
rigen, an  Bicuspidalin&uffloienz  verstorbenen  Hadohen. 

Metastatisdie  Infarole  beider  Lungen  wurden  in  8 ,  metastalische 
Absoesse  in  7  Fällen  oonstaiirt.  Von  den  35  Fallen  von  Lungenarte- 
rienembolie,  welche  constelirt  wurden,  war  demns«^  noch  nicht 
die  Hälfte  von  erheblitdien  Verandeningen  des  Lungenparenchyms 
gefolgt. 

Bei  einem  ftijahrigen  Mann  war  in  Folge  eines  Sturzes  ausser 
Bruoh  der  Schädelbasis  ein  solcher  der  7.  linken  Rippe  erfolgt  mit 
einer  Risswunde  der  linken  Lunge,  Bluterguss  in  die  linke  PleurahlAle 
und  Pneumothorax. 

Atelectase  fand  sich  bei  einem  Neugeborenen  neben  Hamorrhagie 


BeobaehtiingeD  des  pathologischen  IflStHnts  sii  Jen«  im  Jahre  1868.  195 

der  Pia.  Zwei  männliche  Todtgeborene  starben  asphyktisch  durch 
Aspiration  von  Meconium  in  die  Luftwege;  ein  drittes  Kind,  indem 
während  des  Fttttems  Speisetheile  in  die  Trachea  gelangt  waren.  Bei 
einem  50  jährigen  Bfann  war  Asphyxie  durch  Ertränkung  bedingt.  Bei 
einem  42  jährigen  Irren  fand  sich  ein  erbsengrosses  wahres  Divertikel 
des  rechten  Hauptbroachus  in  Form  einer  rundlichen  mit  dünner  glän- 
zender Wand  versehenen  Ausstülpung. 

Diphtherie  wurde  auf  der  Schleimhaut  der  Respirationswege  in 
4  Fällen  constalirt  »*  S.4  Proc.  In  tsvei  Fällen  trat  sie  als  terminaler 
Process  auf;  bei  einer  84jährigen  Frau  auf  die  Trachea  beschränkt 
neben  alter  Endocarditis  und  Herzthrombose;  bei  einer  54 jährigen 
Frau  auf  den  untersten  Theil  der  Trachea  und  den  rechten  Hauptbron- 
chus  beschränkt  neben  einem  umfangreichen  Magengeschwür. 

Bei  einem  5  jährigen  Mädchen  tödtete  epidemische  Diphtherie  wie 
gew&hnlicb  durch  Verbreitung  auf  die  feineren  Broncbial^weige,  Von 
besonderem  Interesse  gestaltete  sich  der  Verlauf  bei  einem  44  jährigen 
Mädchen.  Die  Krankheit  hatte  mit  Schmerzen  im  Halse  und  Schling- 
beschwerden begonnen ;  dazu  gesellten  sich  die  Erscheinungen  heftiger 
Oppression,  hohes  Fieber,  Respirationsnoth ,  Schmerlen  im  Abdomen, 
welchen  die  Kranke  in  wenigen  Tagen  erlag.  Es  fand  sich  bei  der  Section 
ein  grauer  festsitzender  Beleg  der  Uvula,  Eiterung  eines  Theils  der  cer--- 
vicalen  und  bronchialen  Lymphdrüsen ,  diffuse  eitrige  Phlegmone  des 
Mediastinum,  bronchopneumoniscbe  Herde  in  beiden  Lungen  neben 
ausgedehnter  eitriger  Lymphangitis  derselben,  fibrinös -eitrige  Pleu- 
ritis, Pericarditis,  Peritonitis.  Ich  halte  es  für  wahrscheinlich,  dass  die 
rasch  fortschreitende  eitrige  Phlegmone  durch  die  Lymphdrüseneiterung 
und  die  Lymphangitis  der  Lungen  bedingt  war ,  welche  im  Anschluss 
an  diphtherische  Bronchopneumonie  sich  entwickelt  hatte. 

Digestionssystem. 

Von  Bildungsfehlem  des  oberen  Abschnittes  dieses  Systems  ist  zu 
erwähnen  totale  Spaltung  des  weichen  Gaumens  und  Zäpfchens  bei 
einem  todtgeborenen  Hemicephalus. 

Spaltung  des  Zäpfchens  wurde  kurz  nach  einander  und  an  dem- 
selben Ort  (Lobeda)  bei  einem  40  jährigen  Knaben  und  einer  70  jähri- 
gen Frau  constatirt. 

Von  den  erworbenen  Veränderungen  ist  zu  erwähnen  ein  wall- 
nussgrosser  Abscess  der  linken  Parotis  neben  erbsengrossen  Abscessen 
in  beiden  Tonsillen  einer  74  jährigen,  an  Emphysem  verstorbenen 
Frau.     Ausserdem  boten  noch  zwei  34jährige  Männer  Abscesse  in  den 


196  Wilhelm  MOIIer, 

Tonsillen,  bei  einem  derselben,  welcher  gleichzeitig  an  Abdominal- 
typhus  litt,  hatte  sich  Eiterung  der  cerTicalen  Lymphdrüsen  und  diSiise 
Phlegmone  des  peripharyngealen  Bindegewebes  angeschlossen.  Letztere 
fand  sich  neben  purulenter  Periarteritis  umbilicalis  bei  einem  sieben 
Wochen  alten  Ifadcben ;  der  Tod  erfolgte  durch  Bronchopneumonie. 

Hyperplasie  der  Tonsillen  höheren  Grades  wurde  in  6  Leit^en  aD- 
getroffen  (3  M-,  a  W.)  =  3.6  Proc. 

Chronischer  Catarrh  des  Oesophagus  trat  in  8  Leichen  auf  [3  lt., 

5  W.}  ^  i.9  Proc. ,  stets  im  Anscfaluss  an  chronischen  Catarrh  des 
Magens.  Eben  so  oft  wurden  Soorbelage  auf  der  Schleimhaut  des 
Oesophagus  constatirt.  Bei  einem  77 jährigen  Mann  fand  sich  ein  wah- 
res Divertikel  der  vorderen  Oesophaguswand  wie  gewöhnlich  im  An- 
schluss  an  narbigen  Schwund  der  Lymphdrüsen  in  der  Trachea Ibifur- 
cation. 

Von  Biidangsanomalien  des  unteren  Abschnitts  des  Digestions- 
systems ist  zu  erwähnen  ein  wahres  kirschengrosses  Divertikel  der 
Hagenwand  bei  einem  39jahrigen,  ein  solches  des  lleumanfangs  bei 
einem  61  jährigen  Mann. 

Von  LagenBndeningen  fand  sich  Prolapsus  ani  bei  einem  10  jähri- 
gen Mädchen ;  derselbe  hatte  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  das  dispo- 
nirende  Moment  zur  Acquisition  der  Dysenterie  abgegeben,  welcher  die 
Kranke  erlag. 

Hernien  wurden  in  IS  Leichen  beobachtet  (9  M. ,  3  W. )  = 
7.36  Proc.  Das  grOsste  Contingenl  stellte  der  rechtsseitige  Inguinal- 
bruch  mit  5  Fallen,  alle  bei  Männern.  Bei  einem  45 jahrigen  Irren 
halle  die  Incarceration  eines  angeborenen  rechtsseitigen  Leistenbruchs 
den  Tod  herbeigeführt.  Linksseitige  Leistenbruche  fanden  sich  in 
i  Frauen,  rechtsseitiger  Cruralbruch  bei  einer  63  jährigen  Frau.  Ein 
77 jähriger  Mann  hatte  doppelseitigen  Leistenbruch,  eine  64 jährige 
Frau  linksseitigen  Crurat-  und  rechtsseitigen  obturatorischen  Bruch. 
Hieran  schliessen  sich  zwei  Fälle  von  hernienartiger  Verlagerung  des 
Quercolon  in  die  Bursa  omenlatis,  in  beiden  Fallen  mit  Verwachsungen 
zwischen  Colon  und  Hagen,  welche  das  eine  Hai  durch  Epitheliom  im 
Magenfundus,  das  andere  Hai  durch  Ulcus  duodeni  herbeigeführt  waren. 

Purulenle  Peritonitis  fand  sich  in  7  Fallen ,  sie  waren  sämmtlich 
secundarer  Natur  und  bedingt  in  je  1  Fall  durch  Perforation  des  Ma- 
gens, Duodenum,  Wurmformsalz,  Rectum,  Uterus,  durch  Bruchein- 
klemmung und  eitrige  Pleuritis  neben  diBuser  Phlegmone  des  Media- 
stinum. 

Chronischer  Hagencnlarrh  wurde  in  22  Leichen  angetroffen  (16  M., 

6  W.)  =  (5.3  Proc. 


.dS 


Beobachtungen  des  pAthologisehen  Instituts  zu  Jena  im  Jahre  1868.  197 

Acuter  Magen  -  und  Darmcatarrh  lieferte  im  Hochsommer  1 4  To-* 
desföUe  =8.5  Proc.   (5M.,  8  W.).     Sämmtliche  Individuen  waren 
unter  2  Jahren  alt. 

Ulcus  rotundum  fand  sich  in  <8  Leichen  p  M. ,  H  W.)  =  H.04 
Proc.  Der  Sitz  war  in  14  Fällen  im  Magen,  in  4  im  Duodenum, 
stets  in  dessen  oberem  Horizontaltheil.  In  1 0  Fällen  lagen  offene  Ge- 
schwüre ,  in  8  deren  Residuen  in  Form  von  Narben  vor.  Der  Sitz  war 
6  mal  an  der  hinteren  Wand  in  der  Nähe  der  Magenmitte ,  je  3  mal 
an  der  vorderen  Wand  nahe  der  Gardia  und  am  Pylorus;  einmal  waren 
gleichzeitig  3  strahlige  Narben  längs  der  grossen  Curvatur  in  der  Gar- 
diahälfte  zugegen.  Bei  einem  73  jährigen  Mann  endlich  sass  das  Ge- 
schwür hart  am  Pylorus  unter  beträchtlicher  Schwielenbildung  auf  der 
Serosa  mit  Retraction  und  Stenose  des  Pylorus  bis  zum  Umfang  eines 
Kleinfingers;  der  Magen  zeigte  die  gewöhnliche  secundäre  Erweiterung. 
Der  Tod  erfolgte  bei  einer  39jährigen  Frau  durch  Arterienarrosion ,  bei 
einem  Sä  jährigen  Mann  durch  Perforation  der  vorderen  Magen  wand 
nahe  der  Gardia. 

Von  den  Duodenalgeschwüren  wurde  eines  bei  einem  19  jährigen 
Mann  durch  Perforation  tödtlich.  Bei  einem  52  jährigen  Mann  war  dicht 
oberhalb  des  VATSR'schen  Divertikels  ein  groschengrosses  Geschwür 
neben  einer  strahligen  das  Duodenum  bis  zum  Umfang  des  Kleinfin- 
gers constringirenden  Narße ;  es  zeigte  sich  der  obere  Theil  des  Duo- 
denum glockenförmig  erweitert,  der  Pylorus  für  4  Querfinger  bequem 
durchgängig  und  nur  durch  den  queren  Yorsprung  der  Schleimhaut 
über  der  Ringmuskelschichte  angedeutet,  der  Magen  beträchtlich  er- 
weitert, im  Zustande  chronischen  Catarrhs,  welcher  auf  den  Oesopha- 
gus sich  fortsetzte,  in  letzterem  unter  Bildung  von  Erosionsgeschwüren. 
Von  besonderem  Interesse  ist  der  Fall  eines  2jährigen  Knaben.  Der- 
selbe war  im  Jahre  1 868  geimpft  worden  und  war  im  Anschluss  an  die 
Impfung  an  einer  Diarrhoe  erkrankt.  Trotzdem  dieselbe  sistirte ,  war 
gesteigerte  Esslust  bei  auffallender  Blässe  und  leichter  Abmagerung 
zurückgeblieben.  Das  Kind  verbrannte  sich  am  15.  Decerober  mit 
heissem  Wasser,  genau  48  Stunden  nach  der  Verbrennung  trat  eine 
Darmblutung  ein,  welche  binnen  10  Stunden  dem  Leben  ein  Ziel 
setzte.  Es  fand  sich  eine  et^a  ein  Viertel  der  ganzen  Körperfläche 
einnehmende  Verbrennung  der  Haut,  der  ganze  Darm  voll  geronnenen 
schwarzen  Blutes.  Der  Anfangstheil  des  Duodenum  mit  der  Gallenblase 
locker  verwachsen,  seine  Serosa  verdickt,  die  anliegenden  Lymphdrü- 
sen vergrössert,  derb,  in  verdicktes  weisses,  schwieliges  Bindegewebe 
eingelagert.  Im  Duodenum  selbst  zwei  Geschwüre ,  das  eine  zackig, 
vom  Umfang  eines  Fünfgroschenstücks,  hart  am  Pylorus  in  der  hinteren 

Bd.  V.  X  U 


19S  WilhelB  Vüller, 

Wand  silzend,  der  Schleimhautrand  flach  i^ewulslel ,  die  Basis  glall. 
bei  Druck  aus  mehreren  kleinen  GefässOffbungen  Blut  ei^iessend ,  das 
andere  gerade  gegenüber  in  der  vorderen  Wand,  sechsei^ross ,  voll- 
kominen  kreisrund,  die  Serosa  im  Umfang  einer  Linse  biosiegend.  Die 
narbige  BescbaCTenheit  der  Duodenalwand  an  der  Basis  des  grösseren 
Geschwürs,  sowie  die  Hyperplasie  der  anliegenden  Lymphdrüsen  und 
des  sie  umgebenden  Bindegewebes  lassen  keinen  Zweifel,  dass  hier 
seit  längerer  Zeit,  mttglicberweise  seit  der  Impfung,  ein  doj^eltes  Duo- 
denalgeschwür bestand,  in  welchem  48  Stunden  nach  Eintritt  der  aus- 
gedehnten Verbrennung  die  Arrosicn  mehrerer  Gefässe  den  Tod  her- 
beigeführt hatte. 

Bei  einem  Sljabrigen  Mann  fand  sich  betrachtliche  schiefei^raue 
Pigmenlining  der  Schleimbaut  des  lleum  über  den  PeTBR'schen  Drüsen 
als  Residuum  des  ein  Jahr  vorher  überstandenen  Abdominaltypbus. 

In  1 1  Fallen  (6  M.,  5  \V.)  =  6.7  Proc.  fanden  sich  Kothsteine  oder 
wahrscheinlich  von  solchen  herrührende  Veränderungen  im  Wurmfort- 
satz, In  9  Fallen  waren  erstere  zugegen ,  wiederholt  mehrere  giwcl)- 
zeitig,  jedoch  war  nur  in  einem  Fall  Perforation  mit  lodtlichem  Aus- 
gange eingetreten.  Es  fand  sich  ferner  Hydrops  des  Wurnifortsalies 
in  3  Fallen,  einmal  neben  einem  Fäcalconcrement ,  zweimal  ohnt' 
soldie,  stets  mit  Obliteralion  des  dem  COcum  anliegenden  Theils. 

Chronischer  Calarrb  des  Colon  wurde  in  5  Fällen  coostatirt  =  3.06 
Proc.  Er  stand  je  einmal  im  Anschluss  an  Herzfehler,  Perforation 
des  Colon  von  einem  Epitheliom  des  Magens  aus ,  chronische  Pneumo- 
nie und  ioterslitiolle  Nephritis.  Im  fünften  Fall  liess  sich  ausser  dem 
früheren  längeren  Gebrauch  der  Drastica  ein  ursachliches  Moment  nicht 
nachweisen. 

Bei  einem  f  8jährigen  Mann  fand  steh  eine  durch  die  gante  Länge 
des  Darms  sich  erstreckende  Taenia  solium. 

Bei  einem  17jährigen  Hadchen  mit  Herzfehler,  welches  2  Jahre 
vor  seinem  Tode  von  Brasilien  nach  Jena  tibei^esiedelt  war,  fanden 
sich  im  Gocum  fünf  groschengrossc  Dache,  vollkommen  runde,  mit  gol- 
bem  festsitzenden  Beleg  versehene  Geschwüre ,  wahrscheinlich  die  Re- 
siduen einer  an  dem  früheren  Wohnort  überstandenen  Dysenterie. 

Acute  Dysenterie  wurde  im  Verlauf  des  Herbstes  in  6  Fällen  beob- 
achtet (SM.,  l  W.)  =  .3.6  Proc.  Die  Befunde  boten  nichts  vom  Ge- 
wöhnlichen Abweichendes,  stets  enthielt  die  Flüssigkeit  bew^liche 
Pilzläden  und  Sporen  in  colossaler  Menge. 

Bei  zwei  im  28.  resp.  Zt.  Jahre  stehenden  Tuberculosen  waren 
sogenannte  Folliculargeschwüre  tm  Dickdarm  vorhanden,  bestehend  in 


*— »-r-— ^'.--    i^.^ 


Beobachtungen  des  pathologischen  InstUnts  zn  Jena  im  Jahre  1868.  199 

kleinen  rundlichen  Substanz  Verlusten  der  Schleimhaut  mit  umgeben- 
dem schiefergrauen  Pigmenthof. 

Bei  einem  59  jährigen  Rammerjäger  fand  sich  ein  kirschengrosses 
Kalkconcrement  im  Mesenterium  des  Dünndarms.  Bei  Zersetzung  mit 
Salzsäure  blieb  eine  weiche  Körnchenmasse  zurück ,  welche  einen  ge- 
falteten ,  seinen  Reactionen  nach  aus  Chitin  bestehenden  Schlauch  ein- 
schloss.  Von  Hacken  konnte  trotz  sorgfältigen  Suchens  Nichts  gefunden 
werden. 

Zwei  Leichen  =  i.^  Proc.  enthielten  Echinococcen  in  der  Leber, 
und  zwar  ein  50 jähriger  Metzger  und  ein  39jähriger  früherer  Diener 
des  physiologischen  Instituts. 

Mehrfache  Leberabscesse  eines  35jährigen  Mannes  verdankten  ihre 
Entstehung  eitriger  Pylephlebitis  im  Gefolge  des  Typhus. 

Amyloiddegeneration  der  Leber  fand  sich  in  3  Fällen ,  zweimal  im 
Anschluss  an  Syphilis,  einmal  an  Tuberculose. 

7  Individuen  (3  M. ,  4  W.)  =  4.2  Proc.  boten  Gallensteine;  in 
einem  Falle  waren  gleichzeitig  \  90  Stück  vorhanden. 

Bei  einem  1jährigen,  an  Pneumonie  verstorbenen  Kind,  welches 
14  Tage  vor  seinem  Tode  geimpft  worden  war,  fand  sich  eitriger  Ca- 
larrh  der  Gallenblase. 

Uropoetisches  System. 

In  2  Fällen  wurden  Missbildungen  im  Bereich  des  uropoetischen 
Systems  constatirt.  Bei  einem  \  0jährigen ,  an  Tuberculose  verstorbe- 
nen Knaben  Hufeisenniere,  bei  einem  5  Wochen  alten,  an  acutem 
Darmcatarrh  verstorbenen  Knaben  fehlte  jede  Spur  des  linken  Ureter 
und  der  linken  Niere. 

Die  acute  Form  der  tubulären  Nephritis  fand  ich  in  3  Leichen, 
stets  als  secundärer  Process,  zweimal  neben  Pyämie,  einmal  neben 
croupöser  Pneumonie.  Die  chronische  Form  wurde  zweimal  beobach- 
tet: bei  einem  9jährigen  Knaben  neben  chronischer  Pneumonie  und 
Endocarditis,  bei  einer  22  jährigen  Irren  neben  alter  Syphilis  und  run- 
dem Magengeschwür. 

Interstitielle  Nephritis  kam  in  7  Leichen  zur  Beobachtung  =  4.2 
Proc.  (4  M. ,  3  W. ).  Sie  betraf  dreimal  beide,  dreimal  die  rechte, 
einmal  die  linke  Niere.  In  5  Fällen  stand  sie  nachweisbar  im  Anschluss 
an  chronischen,  weit  verbreiteten  Catarrh  der  Harnwege,  bei  einem 
49 jährigen  Mann  und  einer  63  jährigen  Frau  war  sie  als  selbstständiger 
l^'ocess  entwickelt.  Bemerkenswerth  ist  aus  der  ersteren  Gruppe  der 
Fall  eines  02 jährigen  Mannes ,  hei  welchem  die  linke  Niere  durch  in- 


^ 


200  Williplin  MülliT. 

terstilielle  Nephritis  bis  zum  Umfange  eines  flachen  Hühnereies  atro- 
phirt  war,  wahrend  die  rechte  bis  zum  Doppelten  des  Normal voiu ms 
durch  einfache  Hyperplasie  sich  vergrOssert  halle. 

Der  suppurativen  Nephritis  eriagen  ein  iSjähriger  Hano  (Irre, 
mit  ausgedehntem  Catarrb  der  Urogenitalschleimhaut  und  ein  SOjähriger 
Mann  mit  alter  Strictur ,  Adenom  der  Prostata  und  Blasendiphtherie. 
AcuU;  Fettdegeneration  der  Nieren  wurde  zweimal  im  Gefolge  von 
Phosphorintoxication  beobachtet. 

KalKinfarct  wurde  in  den  Pyramiden  eines  7Sjahrigea  Mannes 
neben  vorgeschrittener  Endarteritis  gefunden. 

Fünf  im  ersten  Lebensjahr  siehende  Kinder  (2  H. ,  3  W.)  =  3. 06 
Proc.  boten  stärkeren  Harnsaureinfarct  in  den  Pyramiden;  he- 
merkenswerth  ist,  dass  derselbe  einmal  bei  einem  7  Wochen  alt«n 
Hadchea  neben  eitriger  Phlegmone  um  den  Pharynx,  femer  bei  einem 
1 1  Wochen  alten  Knaben  neben  acutem  Gastroinlestinalcatarrb  ange- 
troflen  wurde. 

Amyloiddegeneraüon  der  Nieren  wurde  in  5  Fallen  constarin 
=  3.1)6  Proc.;  dreimal  im  Anschluss  an  alle  Syphilis,  zweimal  antu- 
berculose,  einmal  an  Epitheliom. ' 

Catarrh  des  Nierenbeckens  und  der  Kelche  fand  sich  in  1 8  Leichen 
(8  H.,  10  W.)  =3  ll.Oi  Proc,  darunter  5 Irre.  In  1i  von  diesen  Fallen 
waren  beide  Nierenbecken  betheiligt,  dreimal  nur  das  rechte ,  einmal 
das  linke.  Der  Process  stand  in  allen  Fallen  im  Anschluss  an  Concre- 
mentbildung  oder  chronischen  Catarrh  der  tieferen  Abschnitte  des  uro- 
poelischen  Systems. 

Beträchtlichere  Erweiterung  der  Nierenbecken  wurde  fünfmal 
beobachtet  ^  3.06  Proc.  Sie  war  zweimal  angeboren,  bei  einem  todt- 
geborenen  Hemicephalus  neben  eitrigem  Catarrh  von  Blase  und  Nie- 
renbecken ,  bei  einem  toiltgeborenen  Knaben  neben  Phimose  und  Er- 
weiterung der  Blase  entwickelt.  Die  erworbenen  Falle  waren  je  einmal 
bedingt  durch  Catarrh  des  Nierenbeckens,  Druck  des  hyperplastiscben 
Uterus  resp.  des  carcinomaUlsen  Ovarium  auf  die  Ureleren. 

Concremente  im  Nierenbecken  fanden  sich  in  5  Fallen  (2H.,  iW.; 
SS  3.6  Proc.  Fünf  dieser  Individuen  gehörien  den  ersten  beiden  Le- 
bensjahren an ,  der  sechste  Fall  betraf  eine  32jabrige  Frau  mit  aus- 
gedehntem Catarrh  des  uropoetischen  und  Genitalsystems. 

Acuter  Catarrh  der  Harnblase  fand  sich  bei  einem  äljahrigen  anAb- 
dominallyphus  verstorbenen  Mädchen  neben  Tj'phusgeschwttren.  Chro- 
nischer Catarrh  war  in  17  Fallen  nachweisbar  =  10.4  Proc.  (10  M., 
7  W.) .  In  3  Fallen  war  es  im  Anschluss  an  chronischen  Caiarrb  zu 
oberflächlichen  UIcerationen  der  Schleimhaut  und  Bildung  diphtherischer 


X 


Beobachtungen  des  pathologischen  Instituts  zu  Jena  im  Jahre  1868.  201 

m 

Belege  auf  denselben  gekommen:  bei  einem  59 jährigen  Mann  mit 
chronischem  Catarrh  der  Genitalschleimliaut  neben  alter  Syphilis,  bei 
einem  80  jährigen  Mann  neben  Adenom  der  Prostata  und  ausgedehnter 
Varixbildung  auf  der  Blasenschleimhaut,  bei  einem  andern  80jährigen 
im  Gefolge  einer  Strictur  der  Pars  membranacea  urethrae. 

Bei  einer  58jährigen,  an  Dysenterie  verstorbenen  Frau  fand  sich 
ein  graugelblicher  diphtherischer  Beleg  auf  der  Blasenschleimhaut  in 
ihrer  ganzen  Ausdehnung. 

Divertikelbildung  wurde  neben  Erweiterung  der  Harnblase  in 
"ä  Fällen  constatirt:  bei  einem  77  jährigen  Mann  neben  Phimose  und 
chronischem  Urethral-  und  Blasencatarrh,  bei  einer  6 8 Jährigen  Frau 
neben  Uterusmyomen  und  chronischem  Catarrh  der  uropoetischen  und 
Genitalschleimhaut. 

Blasensteiüe  fanden  sich  bei  2  Leichen  :  eine  Anzahl  gelber,'  klei- 
ner, theils  runder,  theils  eckiger  Concremente  bei  einem  4jährigen 
Knaben ,  drei  bohnengrosse  Phosphatsteine  bei  einem  71jährigen  Mann 
neben  chronischem  Catarrh  der  Schleimhaut  und  Adenom  der  Prostata. 

Männliches  Genitalsyst^em. 

Angeborene  Phimose  höheren  Grades  fand  sich  bei  6  Männern 
=:  6.3  Proc.  aller  männlichen  Leichen^  einmal  neben  flächenhafter, 
aber  leicht  trennbarer  Verwachsung  der  Vorhaut  mit  der  Eichel. 

Hypospadie  massigen  Grades,  bestehend  in  Ausmttndung  der 
Urethra  an  Stelle  des  Frenulum,  wurde  zweimal  beobachtet. 

Chronischer  Catarrh  der .  männlichen  Urethra  fand  sich  in  4  8  In- 
dividuen =3  1 9. 1  Proc. ,  darunter  7  Irre.  Bei  1 2  dieser  Individuen 
hatte  sich  der  Process  auf  die  Samenblasen  verbreitet,  unter  gelblicher 
Färbung  des  trüben  an  grossen  Körnchenzellen  reichen  Spermas. 

Zweimal  fanden  sich  Absoesse  in  der  Prostata,  bei  einem  80 jäh- 
rigen Mann  im  Anschluss  an  Strictur  der  Pars  membranacea  urethrae, 
hei  einem  24jährigen,  an  allgemeiner  Sarcomatose  verstorbenen  Mann 
im  Anschluss  an  granulöse  Urethritis. 

Angeborene  rechtsseitige  Hydrocele  fand  sich  bei  einem  1jährigen 
Knaben ,  welcher  der  epidemischen  Leptomeningitis  erlegen  war.  Er- 
worbene Hydrocele  derselben  Seite  wurde  bei  einem  77  jährigen  Mann 
nei)en  chronischem  Catarrh  der  Urethra  und  Samenblasen  beobachtet, 
während  linkerseits  Synechie  der  Vaginalhaut  bestand. 


Wcililiches  Genrtals^  &tein. 

Von  GesUll-  und  La^eändemogen  des  L'tenis  landen  sich  Ante— 

vcnionen  und  -Flexionen  iu  i  '5.7  Proc.',  Relro Versionen  untt 
-Flexionen  in  8  Leichen  H.i  Proc.l.  Au^edehoiere  Synechien  zwi- 
•dien  L'terufl  und  Rcclum  wurden  eleichfalls  in  5  Leichen  beobachtet. 

In  einem  Fall  fand  sich  dißuse  fibröse  Perimetritis  in  Form  be- 
nächtlicher  Trübung  und  Verdickung  der  ITlerusserosa  mit  BQduo}: 
zahlreicher  zottiger  Excrescemen. 

Hyperplasie  des  ganzen  Utems  fand  sich  in  ö,  Verlängerung  des 
Cervix  allein  in  1  Fall;  in  allen  6  Füllen  sland  die  Vergrösserung  des 
Organs  im  Anschluss  an  chronischen  Calarrh  der  Sehleimhaut. 

I.clzlercr  fand  sich  in  18  weiblichen  Leichen  auf  der  Genital- 
Hchleimhaul  =  86.0«  Proc.  Er  halte  bei  einer  Stjjihrigen  Frau  zu  Sie- 
nofic  des  g»nien  Cer^icalcanals ,  hei  einer  80jyhrigen  zu  Oblileration 
iteiiOrilicium  uteri  ext.  und  int.  mit  Hydrops  ccrvicis,  bei  einer  Tflj.ih- 
rigcn  XU  denselben  Folge  mit  Hydrops  ccrvicis  und  Hydrometra  unicr 
Kftnduhrform  des  Uterus,  endlich  bei  einer  .'iSjilhrigen  Frau  zu  Ver- 
wnchsung  des  Ccrvical-  und  Uteruscanais  in  ganzer  Ausdehnung  durch 
fibrUso  Bindegcwebsstninge  geführt. 

Diphtherie  dos  puerpealcn  Uterus  fand  sich  bei  einer  -Sijahrigeu 
Frau  neben  Metrophlcbitis  und  eitriger  Phlegmone  dos  Organs  niil 
hurehbruoh  des  Eiters  in  die  Bauchhöhle. 

Oblitoralion  der  Tiibenenden  durch  perilonilische  Pseudomcuibra- 
nou  und  ausgebildeter  Hydrops  tubarum  wurden  in  je  2  Leichen  ge- 
funden. 

Bei  einer  39  jahrigen  und  einer  69  jährigen  Frau  wurden  die  Re- 
itiduon  früherer  poriuleriner  Hamatocelen  in  Form  roslfnrbener  ge- 
flcbichtcler  Beiego  zwischen  beiden  in  ausgedehntem  Maasse  schwarz- 
llcli  pigiocnlirten  Wunden  des  Doiir.LAs'snhcn  linumes  angelraifen. 
Beide  Fülle  holrafon  Individuen  mit  vorgeschrittenen  Stauungsprocessen 
im  Bereich  des  Körper venensyslems. 

Haut. 

Erysipele  fanden  sich  in  7  Leichen  [1  M.,  (i  W.)  =  i.i  Proi,, 
sechsmal  an  den  unleren  Extremilätcn ,  einmal  im  Gesicht.  Conslanl 
fanden  sich  die  zu  der  crysipelsUJsen  Hnulpartie  gehörenden  Lymph- 
drüsen verändert,  entweder  in  Form  acuter  Hyperplasie,  oder  in  Fonu 
von  Eiterung.  Bei  einer  39jshrigcn  Frau  halle  an  ein  Erysipel  des 
UdemaUtscn  linken    Unterschenkels  eitrige   Lymphangilis   sich    nnge- 


■   m 


Beobacbtungeu  des  pathologischen  Instituts  eh  Jena  im  Jahre  1868.  203 

schlössen.  Hervorzuheben  ist  der  Befund  eine^  4  7 jährigen,  an  Erysi- 
pel verstorbenen  Mädchens.  Der  Beginn  der  Krankheit  war  hier  auf 
der  Rachenscbleimhauty  von  wo  das  Ei7sipel  durch  die  Nasenhöhle  auf 
die  Gesichtshaut  ttberwanderte.  Der  Tod  erfolgte  während  der  Ver- 
breitung auf  die  behaarte  Kopfhaut  unter  Coma.  Es  fand  sich  das  Ge- 
hirn und  seine  Hüllen  intact ,  das  Gesicht  an  den  erysipelatösen  Stellen 
geschwollen ,  die  Haut  stellenweise  in  Blasen  erhoben ,  die  Lymphdrü- 
sen an  der  linken  Seite  des  Halses  zum  Theil  in  eitrigem  Zerfall; 
ausserdem  reoente  Endocarditis  der  Bicuspidalis  und  ein  umfang- 
reicher acuter  Milztumor.  Der  Befund  stimmt  mit  der  Annahme,  dass 
während  des  Erysipels  einem  Theil  der  Lymphdrüsen  resp.  der  Ge- 
sammtblutmasse  Moleküle  zugeführt  worden  seien,  welche  das  Endo- 
card  und  die  Milz  zu  Gewebswucherung  anzuregen  vermochten. 

Wunddiphtherie  fand  sich  in  3  Fällen  mit  Bildung  bräunlich  grauer, 
übelriechender  Belege ;  sie  ging  stets  mit  eitriger  PlebiUs  einher. 

Ekzem  wurde  an  den  Unterschenkeln  einer  84jährigen  Frau,  so- 
Nvie  im  Gesicht  eines  4jährigen  Knaben,  im  gleichen  Alter  je  einmal 
Strophulus  und  Intertrigo  beobachtet. 

Eine  ausgedehnte  Verbrennung  der  Haut  bei  einem  2 jährigen 
Knaben  führte,  wie  schon  erwähnt,  durch  Complicatjon  mit  Duodenal- 
geschwür zum  Tod. 

Ausgedehnt  Narben  beider  Unterschenkel  in  Folge  einer  frühereu 
Verbrennung  waren  bei  einem  50  jährigen  Mann  Ausgangspunkt  eines 
bis  in  die  Tibia  eindringenden  Epithelioms  geworden. 

Bei  einem  76jährigen  Mann  und  einem  84jährigen  Weib  fanden 
sich  ausgedehnte  Geschwüre  an  beiden  Unterschenkeln;  bei  einer 
32jährigen  Frau  hatte  ein  solches  des  rechten  Unterschenkels  die  Am- 
putation erforderlich  gemacht  mit  tödtlichem  Ausgang  durch  Pyämie. 
Bei  einer  42jährigen  Frau  fanden  sich  die  Narben  früherer  Geschwüre 
mit  belrüchtlicher  brauner  Pigmentirung.  Bei  einem  80  jahrigen  Mann 
hatte  Arterienthrombose  zu  beginnender,  bei  einer  gleichalterigen  Frau 
zu  ausgebildeter  Gangrän  der  unteren  Extremitäten  geführt. 

Bei  einer  84  jährigen  Frau  fanden  sich  zahlreiche  Furunkel  über 
den  Körper  verbreitet  vor;  da  gleichzeitig  Thrombose  des  linken  Herz- 
ohrcs  bestand,  konnte  die  Möglichkeit  eines  embolischen  Ursprungs  der 
I^iterbildung  nicht  abgewiesen  werden. 

Bewegungs  System. 

Von  Anomalien   der  Muskeln  und  Sehnen  ist  zu  erwähnen  eine 
voUstUndige  Verknöcherung  des  Centrum   tendineum   diaphragmatis, 


2^4  Wilh<!liii  Mfiller, 

welche  sich  neben  hochgradiger  Endaneritis  bei  einem  61jahngen  ,   an 
Dysenlerie  verstorbenen  Manne  fand. 

Bei  einem  6äjahrigen,  an  Scirrhus  der  Cardia  verstorbenen  Hanne 
fand  sich  der  Schleimbeutel  über  der  rechten  Patella  apfelgross  ,  seine 
Wandung  schwielig  verdickt,  über  0,5  Centimeter  im  Durchmesser 
haltend,  die  Innenflache  mit  einer  geschichteten  rostbraun  pigmentlr- 
teo  Pseudomembran  überzogen ,  die  Htthle  erfullt  von  einem  schwarz- 
braunen bruchigen  Blulgerinsel, 

Ein  walloussgrosses  Ganglion  wurde  an  der  Sehnenscheide  des 
linken  Husc.  semimembranosus  einer  ISJahrigen  Frau  angetroffen. 

Bei  einer  38jährigen,  an  Lungenemphysem  und  seinen  Folgen 
verstorbenen  Frau  war  rechterseits  von  der  Milte  der  Trachea  im  Baum 
zwischen  ihr  und  dem  Oesophagus  eine  kirsch engrosse  rundliche  Ge- 
schwulst vorhanden ,  welche  aus  einer  schwieligen  Bindegewebskapscl 
mit  centralem  Hohlraum  bestand.  Letzterer  zeigte  eineglatle,  gliln- 
zende  Wand,  ähnlich  der  eines  Schieimbeutels  und  enthielt  eioe 
schleimigeitrige ,  ziemlich  zähe  Flüssigkeit.  Heber  die  Zeit  der  Entste- 
hung der  Geschwulst  konnte  Nichts  ermittelt  werden. 

Eiterung  der  Gelenkhtlhlen  wurde  in  i  Fallen  constatirt:  zweimal 
im  Anschluss  an  Pyämie,  eben  so  oft  im  Anscbluss  an  diffuse  eitrige 
Periostitis  der  anslossenden  Knochen. 

Knüchemo  Ankylose  des  rechten  Hüftgelenkes  war  bei  einem 
IGjahrigen  JUngling  durch  frühere  Periostitis  am  Femur  und  Becken 
herbeigeführt  worden ;  eben  solche  des  rechten  Kniegelenkes ,  welche 
bei  einem  G3j3hrigeu  Mann  gefunden  wurde,  durch  ein  Trauma,  wel- 
ches in  früher  Jugend  auf  das  Knie  eingewirkt  hatte. 

Von  Entwickeln ngsanomalien  des  Knochensysl«ms  wurde  Rachitis 
in  3  Fallen  (8  M.,  1  W.}  =  1.8  Proc.  beobachtet.  Neben  den  Schade!- 
knocheA  waren  es  constant  die  Bippen,  welche  die  characteristis<^en 
Veränderungen  darboten.  Der  Tod  erfolgte  zweimal  durch  Broncho- 
pneumonie, einmal  durch  acuten  Hagendarmcatarrh. 

Pia gioceph alle  massigen  Grades  wurde  in  16  Leichen  (13  M., 
3  W.) ,  constatirt ;  auf  1 20  geöffnete  Schädel  berechnet  ergeben  sich 
3.3  Proc.  Ein  beträchtlicherer  Grad  von  Scaphocephalie  war  bei  einem 
65  jährigen  Mann  zugegen  bei  vollkommen  elliptischer  Form  des  Sditl- 
delumfangs. 

Bei  einem  3  Wochen  alten  Neugeborenen  fand  sich  eine  he- 
trächtliche  ädematöse  Schwellung  mit  Bttthung  der  Haut  am  Hinter- 
kopf, auf  die  anliegenden  Partien  des  Halses  sich  erstreckend.  Es 
zeigt«  sich  das  Periost  der  Hinlerhauptssc^uppe  im  Umfange  eines 
Doppelthalers  durch   einen   schmutzigbraunrothen ,    mit  Eiler   unter- 


^»^^^F 


Beobachtangen  des  pathologischen  Instituts  zu  Jena  im  Jahre  1868.  205 

mischten  Bluterguss  vom  Knochen  abgelöst,  das  Periost  selbst  und  die 
anliegenden  Weichtfaeile  theils  ödematös  geschwellt,  theils  eitrig  in- 
filtrirt. 

Scoliose  höheren  Grades  fand  sich  in  3  Frauen,  die  primäre  Krüm- 
mung halte  ihren  Sitz  stets  in  der  Dorsalwirbelsäule  und  war  in  zwei 
Fällen  nach  rechts,  in  einem  nach' links  gerichtet. 

Knochenbrüche  wurden  in  6  Leichen  constatirt  und  zwar  Bruch 
des  siebenten  Halswirbels  mit  Zermalmung  des  Rückenmarks  bei  einem 
46  jährigen  Mann,  der  Schädelbasis  mit  Ruptur  der  Art.  meningea  me- 
dia neben  Rippenbruch  bei  einem  54jährigen  Mann,  der  Decke  der 
rechten  Augenhöhle  neben  Leptomeningitis  bei  einem  66  jährigen  Mann, 
des  rechten  Schenkelhalses  mit  eitriger  Coxitis  bei  einer  58  jährigen 
Frau,  Splitterbruch  der  linken  Tibia  und  Fibula  mit  eitriger  Periostitis 
und  Plebitis  bei  einem  68jährigen  Mann;  endlich  wurde  bei  einem 
42  jährigen  Irren  ein  bereits  2  Wochen  alter  Bruch  der  9.  bis  \L  rech- 
ten Rippe' nahe  dem  Winkel  beobachtet;  das  Periost  war  an  der  Bruch- 
stelle geschwellt  und  zeigte  bereits  Knochenneubildung,  die  Bruchstücke 
selbst  erwiesen  sich  noch  als  beweglich.  Als  Residuum  eines  früheren 
Bruches  fand  sich  bei  einem  82  jährigen  Diabetiker  eine  durch  Callus 
unter  Synostose  mit  dem  sechsten  Halswirbel  geheilte  Infraction  des 
siebenten  Halswirbels. 

Diffuse  ossificirende  Periostitis  hatte  bei  einer  74  jährigen  Frau  be- 
trächtliche Hyperostose  des  Hinterhauptbeins  herbeigeführt. 

Acute  eitrige  Periostitis  wurde  in  6  Leichen  constatirt  (4  M. ,  W.) 
=  3.6  Proc.  Sie  stand  in  3  Fällen  im  Anschluss  an  Diphtherie  von  Am- 
putationsflächen der  betreffenden  Knochen ;  alle  diese  Fälle  waren  mit 
purulenter  Endostitis  unter  Bildung  von  Knochenabscessen  combinirt. 
In  2  Fällen  waren  complicirte  Fracturep  das  veranlassende  Moment,  in 
dem  einen  gleichfalls  mit  Entwickelung  eitriger  Endostitis.  Ohne  nach- 
weisbaren Grund  war  der  Process  gleichzeitig  am  rechten  Schlüssel- 
bein und  linken  Femur  eines  bis  dahin  gesunden  12  jährigen  Mädchens 
aufgetreten ;  auch  hier  war  es  an  beiden  Stellen  zur  Bildung  von  Ab- 
szessen in  der  Markhöhle  neben  Ablösung  des  Periost  von  der  Knochen- 
oherfläche  gekommen.  Hervorzuheben  ist,  dass  in  allen  diesen  Fällen 
an  die  eitrige  Peri  -  und  Endostitis  entweder  purulente  oder  thrombo- 
sirende  Phlebitis  sich  anschloss. 

Die  Folgen  abgelaufener  eitriger  Periostitis  und  Endostitis  fanden 
sich  in  weiter  Verbreitung  auf  den  rechten  Femur  und  die  rechte 
Hälfte  des  Beckens  bei  einem  46jährigen  Mann.  Der  Fall  hat  bei  Be- 
sprechung der  eitrigen  Phlebitis  bereits  seine  Erledigung  gefunden. 

Bei  einem  35  jährigen,  an  Typhus  und  consecutiver  Pylephlebitis 


f 


206  Wilhelm  Hflller,  BwbutliKireen  ein. 

vorslorbenen  Mann  fand  sich  die  rechte  Tibia  in  ihren  oberen  zwei 
DrilllheileD  auf  das  Doppelt«  verdickt,  die  Oberflache  durch  ungleich— 
ftirniigo  pen'osteale  KnocheDauflagerungen  uneben,  das  Gewebe  durch- 
aus sclerosirt,  in  der  Mitte  des  oberen  Dritttbeils  eine  huhnereigrosse, 
i^lwas  weiter  aufwärts  eine  kirschengrosse  eiterfUhrende  Höhle  enthal- 
tend, deren  glatte  Wand  von  einer  graurdtblichen  vaseuiarisirten  Mem- 
bran Busgekleidet  war.  Hehrere  Fistelüffnungen  führten  aus  der 
grösseren  Höhle  zur  Oberßfiche  der  Haut  an  der  Innenseite  des  L'd- 
ti.-rscbenkels.  Haut  und  Unterbautbindegewebe  zeigten  sich  in  der 
Dmgcbung  der  Fisteln  verdichtet  und  mit  dem  Periost  des  unterliegen- 
den Knochens  un  verschieb  bar  vervk'achsen.  Ich  halte  es  fUr  wahr- 
schoinlicb,  dass  auch  hier  das  Hesultat  einer  fnihcren,  auf  das  Knochen- 
mark übergreifenden  purulenten  Periostitis  vorlag. 


EikUnutg  der  Abbildnog- 

TaJel  Vn. 

Herz  mit  crwcilcrtcai  rechten  und  rudimentärem  linken  Ventrikel. 
A.  d.  Atrium  dextrum.  A,  s.  Atrium  sinistrum.  V.  p.  Venae  pulmonales. 
F.  o.  Fosaa  ovalis.  Aur.  sin.  Auricula  sinistra.  V.  d.  Vontriculus  dciler. 
V.  sin.  der  rudimentäre  Veniriculus  sinister.  V.  bic.  Valvula  bicuspidalis, 
.  Heri  mit  rudimentärer  Aorla.  V.  d.  Veniriculus  deiler.  A,  d.  Aliium 
dextrum.  Art.  p.  Arterie  putmonalts.  Dnct.  arl.  Ductus  arterioaus.  Ao. 
Aoita.  Are.  ao.  Arcus  aortao.  Die  Aorta  bei  X  durch  Verwachsung  der  Se- 
inilunarklitppcn  obli(«rirt. 


-i-r-  '    •«*  **         ".»-»-asiP^-w"  w 


lieber  den  Oi^anismas  der  Schwämme  und  ihre  Verwandtschaft 

mit  den  Corallen. 


Von 

Ernst  Haeckel. 


Die  Glasse  der  Schwämme  oder  Spongicn  stand  bisher  in  der  Or- 
ganismen-Welt in  mancher  Beziehung  einzig  da.  Keine  andere  Glasse 
des  Thierreichs  und  des  Pflanzenreichs ,  welche  eine  ähnliche  Anzahl 
von  häu6gen,  ansehnlichen  und  mannichfaltigen  Formen  enthält,  hat 
bis  in  die  neueste  Zeit  die  Naturforscher  über  ihre  eigentliche  Natur  so 
in  Zweifel  gelassen  und  eine  solche  Menge  widersprechender  Ansichten 
hervorgerufen.  Wähcend  die  Mehrzahl  der  älteren  Naturforscher  die 
Schwämme  für  Pflanzen ,  die  Mehrzahl  der  neueren  dagegen  für  Thiere 
erklärten ,  machte  sich  dazwischen  auch  die  vermittelnde  Ansicht  gel- 
tend, dass  dieselben  wegen  ihres  indifferenten  Organisations-Charakters 
und  wegen  ihrer  Mischung  von  thierischen  und  pflanzlichen  Eigen- 
schaften in  die  merkwürdige  Gruppe  jener  niedersten  und  einfachsten 
Organismen  zu  stellen  seien ,  welche  ich  in  meiner  generellen  Morpho- 
logie der  Organismen  als  Reich  der  Protisten  zwischen  Thierreich  und 
Pflanzenreich  in  die  Mitte  gestellt  habe.  Ohne  hier  auf  eine  historische 
Darstellung  der  zahlreichen  verschiedenen  Ansichten  einzugehen, 
welche  die  Naturforscher  von  jeher  über  die  Stellung  der  Schwämme 
im  Systeme  der  Organismen  hegten,  mögen  doch  die  entgegengesetzten 
Standpunkte  der  angesehensten  Naturforscher  kurz  angedeutet  werden. 

Um  hergebrachter  Maassen  den  Namen  des  Aristoteles  an  die 
Spitze  zu  stellen,  so  war  schon  dieser  »Vater  der  Naturgeschichte«  über 
die  Natur  der  Schwämme  ganz  zweifelhaft.  Denn  während  er  an  meh- 
reren Stellen  die  ihm  bekannten  Schwämme  als  Thiere  beschreibt  be- 
trachtet er  sie  an  einer  anderen  Stelle  als  Pflanzen,  und  st' 


208  Krnsl  Haeckel, 

einem  dritten  Orte  zu  jenen  iadifferenlen  Organismen ,  welcbe  den  all- 
mäligen  und  unmerklichen  Uebei^ang  vom  Thiere  zur  Pflanze  bilden. 

Linn£,  welcher  alle  ihm  bekannten  Schwämme  als  Species  eines 
einzigen  Genus:  Spongia,  auffassle,  stellte  dieselben  t73fi  in  seioem 
Systems  naturae  an  das  Ende  des  POanzenreichs,  unter  die  niedersten 
Cryplogaaien,  indem  er  sie  mit  den  Corallen  und  den  corallenahnlichen 
Bryozoen  als  Liibophyta  zusammenfassle.  Auch  noch  in  der  zehnten 
Ajsgabe  des  Systema  naturae  (von  (760)  ist  diese  Ansicht  beibehalten. 
In  der  zwölften  Ausgabe  dagegen  (von  <  767)  schliesst  er  sieb  den  An- 
sichten von  EiLis  und  Pallas  an ,  welche  die  Schwämme  inzwischen 
für  Thiere  erklärt  und  neben  die  Corallen  unter  die  Zoophyten  gestellt 
hatten. 

Unter  denjenigen  Naturforschern,  welche  auch  später  noch  die 
Spongien  für  Pflanzen  hiellen,  sind  namentlich  hervorzuheben  Spal- 
LANZAKi,  SrnEnGEL  und  Okbn,  und  noch  bis  in  die  neueste  Zeit  ist  diese 
Ansicht  von  BcaHEisTER  und  Ehrenbkrg  festgehalten  worden.  Doch  gal- 
ten die  Spongien  ziemlich  allgemein  als  Thiere,  nachdem  Gbakt  1836 
eingehend  das  Canalsysiem  der  Schwämme  mit  seinen  »Poriu  und 
nOscula«  beschrieben,  und  auch  die  Fortpflanzung  durch  bewimperte, 
frei  schwimmende  Larven  festgestellt  hatte. 

In  BelrefT  der  Stellung,  welche  die  Schwämme  im  System  der 
Thiere  einnehmen ,  stehen  sich  gcgenwürtig ,  und  schon  seil  mehr  als 
20  Jahren,  vorzüglich  zwei  verschiedene  Ansichten  gegenüber.  Im  An- 
schluss  an  CcviEa  wurden  die  Schwämme  von  den  meisten  Zoologen 
als  nächste  Verwandte  der  Corallen  oder  Polypen  betrachtet  und  mit 
diesen  zusammen  in  die  grosse  Hauptabtheilung  der  Strahllhiere  oder 
ßadiaten  verwiesen.  Jedoch  war  das  bestimmende  Motiv  ftlr  diese 
Stellung  nicht  die  Krkenntniss  von  der  wirklichen  Ueberein Stimmung 
der  Schwämme  und  Corallen  in  den  wesentlichsten  Orgaoisations- 
Charakteren,  sondern  vielmehr  die  äussere  Aehnlichkeit,  welche  zwi- 
schen manchen  Schwümmen  und  vielen  Corallen  im  äusseren  Habitus, 
und  namentlich  in  der  Art  und  Weise  der  Stockbildung  besteht.  Als 
nun  aber  vor  einem  Vieiteljahrhunderl  die  Erkenntniss  sich  Bahn 
brach,  dass  der  sogenannte  »Typusa  der  Strahlthiere  eine  buntgemischte 
Gesellschaft  von  sehr  verschiedenartigen  niederen  Thieren  sei,  und  als 
dann  bei  fortschreitender  Erkenntniss  ihrer  Organisations  -  Differenzen 
die  Strahlthiere  in  die  drei  ganz  verschiedenen  Hauptgruppen  der 
Echinodermen ,  Coelenleraten  und  Protozoen  aufgetflst  wurden,  Hess 
man  die  Schwämme  nicht  neben  den  Corallen  oder  Anthozoen  unter 
den  Coelenteraten  stehen,  sondern  man  degradirte  sie  in  die  nie^N^, 
dersle  Abtbeilung  des  Thierreichs ,   indem  man  ihnen  neben  den  In- 


Heber  den  Organismus  der  Schwftrame  etc.  209 

fusorien  und  Rhizopoden  einen  besonderen  Platz  «unter  den  Protozoen 
anwies. 

Die  genaueren  Untersuchungen  über  die  feinere  Organisation  der 
Schwämme,  welche  mit  den  verbesserten  mikroskopischen  H  Ulfsmitteln 
und  den  Anforderungen  der  neueren  Anatomie  entsprechend,  seit  4848 
angestellt  wurden ,  schienen  zunächst  diese  letzte  Stellung  neu  zu  be- 
festigen. Insbesondere  die  sehr  sorgfältigen  anatomischen  Untersuchung 
gen  von  Carter  in  Ostindien  (seit  i  848)  und  von  Liebbrkühn  in  Berlin 
(seit  1856]  schienen  übereinstimmend  zu  dem  Resultate  zu  führen, 
dass  die  Spongien  echte  Protozoen  seien ,  und  einerseits  zu  den  Rhizo- 
poden und  namentlich  zu  den  Amoeben ,  andererseits  zu  den  echten 
Infusorien  (Ciliaten)  und  zu  den  Flagellaten  nahe  verwandtschaftliche 
Beziehungen  besässen.  Man  verglich  insbesondere  die  Bildung  der 
kieseligen  Skeletttheile  der  Kieselschwämme  mit  den  oft  kaum  zu  un- 
terscheidenden ähnlichen  Kieselbildungen  der  Sphaerozoen  und  anderer 
Radiolarien.  Ferner  waren  gewisse  isolirte  Schwammzellen  nicht  von 
Amoeben  zu  unterscheiden.  Die  isolirten  Flimmerzellen  aus  dem  Ca- 
nalsystem  der  Schwämme,  welche  nur  eine  lange  geisselartige  Wimper 
tragen,  glichen  den  einzelnen  Geisselschwärmem  oder  Flagellaten. 
Während  so  die  verwandtschaftlichen  Beziehungen  der  Spongien  zu 
den  übrigen  Protozoen  nach  verschiedenen  Richtungen  hin  gesucht 
wurden,  musste  doch  andererseits  das  characteristische  Canalsystem 
des  Schwammkörpers  als  eine  höhere  Organisations- Einrichtung  her- 
vortreten, welche  den  übrigen  Protozoen  gänzlich  fehlte  oder  höchstens 
mit  der  contractilen  Blase  der  Infusorien  und  Amoeben  eine  ganz 
entfernte  physiologische  Yergleichung  zuliess.  So  machte  sich  denn, 
je  mehr  man  durch  ausgebreitete  Untersuchungen  mit  den  mannichfal- 
tigen  Modificationen  dieses  Canalsystems  in  den  verschiedenen  Grup- 
pen der  Schwämme  bekannt  wurde,  immer  allgemeiner  die  Ansicht 
geltend,  dass  dasselbe  ein  ganz  eigenthümlicher  Geftssapparat  sei,  und 
dass  die  ganze  Classe  der  Spongien  demzufolge  als  eine  Thierclasse  sui 
generis  zu  betrachten  sei ,  die  in  keinen  näheren  verwandtschaftlichen 
Beziehungen  zu  irgend  einer  anderen  Classe ,  weder  unter  den  Proto-* 
zoen,  noch  unter  den  Coelenteraten  stände* 

Diese  gegenwärtig  herrschende  Ansicht,  dass  das  eigentbümliche 
Canalsystem  der  Schwämme  einen  ganz  specifischen  und  bei  keinen 
anderen  Thieren  vorkommenden  Emährungsapparat  darstelle,  und  dnnn 
demgemäss  die  Spongien  als  eine  ganz  besondere  und  isolirte  Thier« 
classe  »sui  generisa  aufzufassen  seien,  wurde  bereits  von  (iiiaiit  (iHW) 
und  von  Johnston  (1842)  ausgespcochen  und  in  neuenißt  Zeit  nament- 
lich auch  von  denjenigen  Zoologen  festgehalten ,   welche  sich  um  AU* 


210  Emat  «««kPl, 

Systematik  der  Spongien  die  grSssten  Verdienste  erwarben ,  von  Oscii 
Schmidt  und  von  Bovbuank.  Je  weiter  sich  die  systematischen  Unter- 
suchungen der  letzteren  ausdehnten  und  je  mehr  auch  der  feinere  Bau 
der  Schwämme  durch  die  Untersuchungen  von  LtnEKKüHi*  und  von 
Köllher  in  neuester  Zeit  bekannt  wurde ,  desto  mehr  schien  jene  iso- 
lirte  Stellung  der  Schwammclsase  mit  ihrem  specifischeo  »Wasserge- 
fässsystema  befestigt  zu  werden. 

Dieser  herrschenden  Anschauung  gegenüber  haben  in  neuerer 
Zeit  nur  sehr  wenige  Naturforscher  an  der  alleren  Ansicht  festgehalten, 
dass  die  Spongien  unter  allen  Thieren  den  Corallen  am  nächsten  ver- 
wandt seien.  Unter  diesen  Wenigen  ist  namentlich  Ledckart  hervor- 
zuheben, welcher  i  85i  die  Verwandtschaft  der  Schwämme  und  Polypen 
(Corallen)  geradezu  mit  folgenden  Worten  behauptete:  »Denken  wir 
uns  eine  Polypen  -  Colonie  mit  unvollständig  getrennten  Individuen 
ohne  Tentakeln ,  Hagensack  und  Scheidewände  im  Innern,  so  haben 
wir  in  der  That  das  Abbild  einer  Spongie  mit  ihren  nach  aussen 
gettfflielen  grossen  »Wassercanalen«.  Lbuckart  stellte  demgemäss  die 
Schwämme  im  System  neben  die  Corallen  in  die  natürliche  Haupt- 
gruppe der  Coelenteraten,  deren  typische  Organisationseinrichtung  er 
1848  zuerst  in  ihrem  Gastrovascular-Äpparat,  in  dem  »coelen- 
terischen  Canalsystem«  ei^nnt  hatte.  Jedoch  unterliess  er  es,  aucb 
in  der  Folge,  die  nahe  Verwandtschaft  der  Schwämme  und  CoralJen 
näher  zu  begründen  und  im  Einzelnen  die  wiriilich  existirenden  Ho- 
mologien zwischen  beiden  Classen  nachzuweisen. 

Als  ich  im  Winter  1 866/67  drei  Monate  auf  der  canarischen  Insel 
Lanearole  verweilte,  veranlasste  ich  meinen  Reisebegleiter  und  Schü- 
ler, Herrn  Stud.  Hikliicho-Maclat  aus  Petersbui^,  die  ausserordentlich 
rmche  Schwammfanna  eingehend  eu  untersuchen ,  welche  wir  auf  den 
LavablDcken  des  Puerto  del  Arrecife,  der  Hafenstadt  der  Insel  Lanza- 
rote ,  antrafen.  Das  wichtigste  Resultat  dieser  spongiologi sehen  Unter- 
suchungen ,  von  dessen  Richtigkeit  ich  mich  vielfach  durch  eigene 
Beobachtungen  überzeugt  habe ,  war  die  Thatsacbe ,  dass  die  Spongien 
in  einem  viel  näheren  Verwandtsdiafts- Verhältnisse  zu  den  Corallen 
stehen ,  als  man  bisher  angenommen  und  als  auch  Leuciart  geglaubt 
hatte.  Insbesondere  ging  aus  Hklucbo's  Untersuchungen  hervor,  dass 
das  »ganz  eigenthUmlichea  Canalsystem  des  Schwammktlrpers  keines- 
wegs eine  solche  eigenthümlicbe  specißsche  Einrichtung ,  sondern  viel- 
mehr dem  Gastrovitscularsy Stern  oder  dem  coelenterischen  Apparat  der 
Coelenteraten,  und  zunächst  der  Corallen,  im  Allgemeinen  nach  Fomi 
und  Function  gleichwerthig  sei,  dass  dieses  «Ernilhrungssystemu  in 
beiden  Classen  homolog  und  analog  sei.    leb  konnte  diese  horhwichtigf 


■  ^4>»iiiL  "t^      m  <  — ■ — — '  ■   ■  - 


üeber  den  Or^nismas  der  Schwümme  ete.  211 

Thatsache ,  durch  welche  die  wahre  Verwandtschaft  der  Spongien  und 
Goelenteraten  definitiv  begründet  wird ,  um  so  unparteiischer  anerken- 
nen,  als  ich  selbst  früher,  der  herrschenden  Meinung  folgend,  und  na- 
mentlich auf  die  Ansichten  von  Liebsrkühn  und  Oscar  Schmidt  gestützt, 
die  Schwämme  für  eigenthümliche ,  den  Rhizopoden  nächst  verwandte 
Protozoen  gehalten  uüd  sie  in  meiner  generellen  Morphologie  in  das  in- 
differente Reich  der  Protisten  gestellt  hatte. 

Die  wichtigsten  Resultate  seiner  Untersuchungen  hat  Miklugho  in 
seinen  »Reiträgen  zurKenntniss  derSpongiena  veröffentlicht,  welche 
1868  im  vierten  Rande  dieser  Zeitschrift  erschienen  (p.  221 — 240. 
Taf.  IV  u.  V).  Sie  betreffen  vorzugsweise  die  merkwürdige  Guancha 
b  1  a  n  c  a ,  einen  kleinen  Kalkschwamra,  der  zu  den  interessantesten  For- 
men des  ganzen  Thierreiches  zu  rechnen  ist.  Denn  derselbe  bildet 
kleine  Stocke  (Cormen),  deren  constituirende  Individuen  (Personen) 
ihrem  Rau  nach  verschiedenen  Gattungen  und  sogar  verschiedenen 
Familien  der  Kalkschwämme  angehören  und  dennoch  aus  einer  und 
derselben  Wurzel  hervorwachsen. 

Die  merkwürdigen  Reobachtungen  Miklugho^s  an  der  Guancha 
blanca,  von  deren  sicherer  Regründung  ich  mich  auf  Lanzarote  fort- 
dauernd mit  eigenen  Augen  tlberzeugte ,  veranlassten  mich ,  im  letzten 
Winter  die  mancherlei  kleinen  Kalkschwämme  einer  vergleichenden 
Untersuchung  zu  unterziehen,  welche  ich  früher  in  der  Nordsee  bei 
Helgoland  und  im  Mittelmeer  bei  Nizza ,  Neapel  und  Messina  gesammelt 
hatte.  Auch  fand  ich  nachträglich  noch  einige  interessante  kleine  Kalk- 
schwämme an  Steinen ,  Schneckenhäusern  und  Algen ,  welche  ich  auf 
meiner  Rückreise  von  den  canarischen  Inseln  an  der  Nordwestküste 
Africas  bei  Mogador  und  an  der  Meerenge  von  Gibraltar  bei  Algesiras 
gesammelt  und  wohlerhalten  in  Weingeist  mitgebracht  hatte.  Zu  die- 
sem reichen  eigenen  Material  kamen  dann  noch  die  Kalkschwämme 
aus  den  zoologischen  Museen  von  Edinburgh,  Rerlin,  München  und 
Hamburg,  welche  die  Herren  Allman,  Pbters,  von  Sibbold  und  Rolau 
mir  zu  übersenden  die  Güte  hatten.  Durch  Herrn  Sghmbltz  erhielt 
ich  aus  dem  Museum  Godeffroy  eine  Anzahl  von  interessanten  austra- 
lischen Kalkschwämmen  aus  der  Rass-Strasse.  Mein  verehrter  Freund 
und  College,  Herr  Professor  Oscar  Schmidt  in  Gratz,  war  so  freundlictli, 
mir  Exemplare  von  dem  grösseren  Theile  der  im  adriatisclien  MiMtro  von 
ihm  gesammelten  Kalkschwämme  zu  senden.  Wie  reichlwilliK  d/iM  mit 
diese  Weise  mir  zu  Gebote  stehende  Material  war,  ini  am  \umU*u 
daraus  zu  entnehmen,  dass  ich  nicht  weniger  nln  i'i  Oonitni  iifiil 
132  Species  unter  den  Kalkschwämmen  utiUiVHclwUli^u  kontiUt, 

Eine  genaue  Reschreibung  und  Abbildung  i\'wm*r  KhlktkvUwkmuw 


2J2  Efnsl  Hwclicl, 

vennehrt  durch  eine  Anzahl  iiL'uer  Formen,  deren  Zusendung  mir  von 
verschiedenen  Colle^en  in  Aussicht  gestellt  ist,  werde  ich  in  dem  spe- 
ciellen  Tbeiie  meiner,  in  der  Ausführung  begrilFenen  Mo □  ograpbie 
der  Kalkschwümtne  geben,     [n  dem  generellen  Theile  dieser  Mo- 
nographie werde  ich  eine  umfassende  Darstellung  von  der  gesammlen 
Naturgeschichte  der  Calcispongieu  geben ,   von  der  ich  hofle ,   dass  sie 
nicht  blos  die  Erkennlniss  dieser  kleinen  Gruppe,   sonderQ  diejenige 
der  Schwitmme    überhaupt   in  manchen  Beziehungen   fördero   wird. 
Denn  obgleich  die  Legion  der  Küllt  seh  Wümme  unter  allen  Legionen  der 
Schwnmmclasse  eine  der  kleinsten  ist,  und  noch  dazu  in  der  Mehrzahl 
ausnehmend  kleine,  ja  selbst  mikroskopische  Formen  enlbält,    vermag 
sie  doch  in  manchen  Beziehungen  mehr,  als  alle  übrigen  Spongien,  ein 
bedeutendes  allgemeines  Licht  Über  die  Organisation»-  und  Verwandt- 
schaft s-Verhill  In  isse  der  ganzen  Schwammciasse  zu  verbreiten.  Ausser- 
dem sind  aber  die  speciellen  systematischen  und  morphologischen  Ver- 
hältnisse dieser  kleinen  Ordnung  so  einfach  und  klar,    die    genea'i'- 
gisehen   Verwandtschaftsbeziehungen   ihrer    verschiedenen    Gattungen 
und  Arten   so  lehrreich   und   interessant,   dass  eine  eingebende  Er- 
örterung derselben  auch  für  die  organische  Systematik  überhaupt  von 
grosser  Bedeutung  ist. 

Als  das  wichtigste  Resultat  meiner  Untersuchungen  schicke  ich 
folgende  allgemeine  Siitze  voraus:  Die  Schwemme  sind  den  Coralli^D 
unter  allen  Organismen  am  nächsten  verwandt.  Gewisse  Schwürame 
sind  von  gewissen  Corallen  nur  durch  den  geringeren  Grad  der 
histologischen  Differenz irung,  und  namentlich  durch  den  Mangel  der 
Nesselorgane  verschieden.  Die  wesentlichste  Organisations-Eigen- 
thümtichkeit  der  Schwymme  ist  ihr  ernährendes  Canalsystem,  welches 
dem  sogenannten  coelenterischen  Gerdsssyslem,  oder  dem  Gastrovascu- 
lar-Apparat  der  Coeienteratcn ,  und  namentlich  der  Corallen,  sowohl 
homolog  als  analog  ist.  Bei  den  Schwämmen  entstehen,  ebenso  wie  bei 
den  Gorallen  und  wie  bei  den  Goelenteralen  überhaupt ,  alle  verschie- 
denen Theile  des  Körpers  durch  Differenzirung  aus  zwei  ursprüng- 
lichen, einfachen  Bildungshliuten  oder  Keimblättern,  dem  Entoderni 
und  Ectoderm.  Diese  beiden  Blätter  entstehen  durch  DifTerenzirunn 
aus  den  anfangs  gleichartigen  Zellen,  welche  [aus  der  Eifurchung 
hervoi^egangen )  den  kugeligen  Leib  des  flimmernden  Embryo  ode'' 
der  primitiven  Larve  (Planula)  zusammensetzen.  Aus  dem  innorei* 
oder  vegetativen  Keimblatt,  dem  Enloderm,  entsteht  das  ernUhreoiie 
Epithelium  des  Canalsyslems  und  die  ForlpDanzungsorgane.  Aus  dem 
Suasei'en  oder  aninialen  Keimblatt,  dem  Ectoderm,  entsl«hen  »11^ 
übrigen  Theile. 


«■ 


Ueber  den  Organismus  der  Sehwümme  etc.  213 

Bevor  ich  diese  Sätze  durch  kurze  Mittheilung  meiner  Beobach- 
tungs- Resultate  begründe,  mögen  noch  einige  Bemerkungen  über  die 
Stellung  gestattet  sein,  welche  die  Spongien  dem  entsprechend  von 
nun  an  im  System  des  Thierreichs  neben  oder  unter  den  Goelenteraten 
einzunehmen  haben  werden.  Denn  da  aus  der  allgemeinen  Homolo- 
gie, welche  zwischen  allen  Theilen  des  Schwamm -Organismus  und 
des  Gorallen -Organismus  besteht,  nicht  bloss  eine  scheinbare  anato- 
mische Uebereinstimmung,  sondern  eine  wirkliche  Blutsverwandtschaft 
beider  Thierclassen  gefolgert  werden  muss ,  so  drängt  sich  in  systema- 
tischer Beziehung  die  Frage  auf,  welche  besondere  Stellung  die 
Schwämme  in  dem  bisherigen  System  der  Goelenteraten  einzunehmen 
haben  werden. 

In  den  neueren  zoologischen  Systemen  wird  der  Stamm  oder  Ty- 
pus der  Goelenteraten  ziemlich  allgemein  in  drei  Glassen  eingetheilt : 
I.  Go r allen  (Polypen  oder  Anthozoen).  II.  Hydromedusen  (Hy- 
droiden  und  Medusen).  HI.  Gtenophoren  (Giliograden).  Alle 
Thiere  dieser  drei  Glassen  stimmen  überein  nicht  nur  durch  die  cha- 
racteristische  Bildung  des  Emährungsgefässsystems ,  sondern  auch 
durch  den  Besitz  der  Nesselorgane,  weshalb  Hdxlet  dieselben  als  Ne- 
matophora  zusammenfasste.  Diese  characteristischen  Nesselorgane 
fehlen  gänzlich  allen  echten  Schwämmen  oder  Spongien.  Der  abso- 
lute Mangel  der  Nesselorgane  bei  allen  Schwämmen,  die 
beständige  Anwesenheit  derselben  bei  allen  Gorallen ,  Hydromedusen 
und  Gtenophoren  ist  gegenwärtig  der  einzige  morphologische 
Gharacter,  welche  die  erste  Glasse  von  den  drei  letzteren  scharf  und 
durchgreifend  trennt.  Ich  habe  daher  schon  in  meiner  Monographie  der 
Moneren  und  später  in  meiner  natürlichen  Schöpfungsgeschichte  den 
Vorschlag  gemacht ,  die  drei  letztgenannten  Glassen  unter  dem  alten 
Namen  der  Acalephae  oderGnidae  (Nesselthiere)  zusammenzufas- 
sen. Schon  Aristoteles  begriff  unter  dieser  Bezeichnung  die  beiden 
characteristischen  Haupttypen  der  Gruppe,  die  frei  schwimmenden 
Medusen  und  die  festsitzenden  Actinien.  Ausserdem  wird  der  unter- 
scheidende Gharacter  der  Nesselthiere,  der  Besitz  der  Nesselorgane, 
durch  jene  Bezeichnung  eben  so  bestimmt,  wie  durch  Huxlbt^s  Na- 
men Nematophora  ausgedrückt. 

Wir  würden  demgemäss  den  Stamm  oder  das  Phylum  der 
Pflanzenthiere  (Goelenterata  s.  Zoophyta)  in  zwei  Haupt- 
äste (Subphylen  oder  Gladen)  zu  theilen  haben:  I.  Schwämme 
(Spongiae  s.  Porifera)  und  II.  Nesselthiere  (Acalephae  s. 
Gnidae  s.  Nematophora).  Die  letzteren  würden  in  die  drei 
Classen  der  Gorallen,  Hydromedusen  und  Gtenophoren  zerfallen. 
Bd.  V.  2.  45 


214  Brost  UMcktl, 

ÜDter  den  ScbwSmmen  küDnle  man  vorlllufig  als  zwei  Classen  die 
Autospongien  und  die  fossilen  Petrospongien  unterscbeiden ,  da  sich 
diese  beiden  Gruppen  bis  jetit  weder  im  Ganzen  noch  im  Eioxelnen 
in  Däbere  Beziehung  babea  setzen  lassen..  Unter  den  Autospongien 
würden  die  CalcispongieD  eine  besondere  Subclasse  oder  Legioii 
bilden. 

Man  konnte  vielleicht  auch  noch  weiter  gehen,  und  gestttUtaul 
die  sehr  nahen  Verwandtscbafts-Beziehungen  der  ScbwfifDme  und  Co- 
rallen  die  folgende  Etolbeitung  der  Goelenteralen  befürworten : 

I.   Cladus:  Buscbthiere  (Thamnoda). 
4.  Classe:  Schwämme  (Spongiae). 
i.  Classe:  Corallen  (Corallia). 

n.    Glad'us:  Quallen  (Kedosae). 
1.  Classe:  Schirmqualleu  [Hydromedusae] . 
i.  Classe:  Kammquatlen  (Ctenophorae) . 

Eine  Entscheidung,  welche  Gruppining  den  •atflrlichen  V«- 
wandtscbafts -Verhältnissen  mehr  entspricht,  wird  sich  erst  mit  dn 
Zeit  geben  lassen,  wenn  die  Genealogie  der  CoelenterataD  auf  Gnuiit 
ausged^nterer  ontt^enetischer  und  vergleichend-anatomiscber  Un- 
tersuchungen sich  vollständiger  wird  herstellen  lassen. 

Dass  man  die  wesentliche  Uebereinstimmung  in  der  inneren  Or- 
ganisation der  SchwBmme  und  Corallen,  ihre  wii^liche  Uomologii^^ 
bisher  grJJssbeatheils  verkannte,  hat  unter  Anderem  darin  smoef 
Grund,  dass  die  genauesten  anatomischen  Untersuchungen  der  neueren 
Zeit  (wie  namentlich  diejenigen  von  Libbkuühk]  ihren  Ausgang  von 
den  beiden  bekannlesten  und  gemeinsten  Schwammformen  nahmeDi 
nSmKch  dem  SUsswasser  -  Schwamm  (SpongillaJ,  welcher  >ur 
Gruppe  der  echten  Kieselschwamme ,  und  dem  gewöhnlichen  Bade- 
schwamm {Euspongia],  welcher  zur  Gruppe  der  HorDScbwHm'D^ 
gehört.  Gerede  diese  beiden  Schwammformen  weichen  aber  vialfacli 
bedeutend  von  der  ursprünglichen  und  typischen  Bildung  der  ganie" 
Classe  ab,  sind  durch  Anpassung  an  besondere  Existentbedingunge" 
vielfach  modificirt  und  ruckgebildet  worden,  und  verleiten  daher  leichl, 
zumal  da  ihre  Untersuchung  verfaaltnissmassig  schwierig  ist,  tu  irr- 
thumlichen  Auffassungen. 

Dagegen  acheint  keine  Gruppe  unter  allen  Schwammen  geeigneter, 
ycAies  Licht  über  die  typische  Oi^nisation  und  die  wahren  Verwandle 
Schafts -Verhaltnisse  der  ganten  Classe  tu  verbreiten,  als  die  Legi»" 
der  Kalkscbwamme.     Schon  Liebbeköbn  hat  dies  in  seinen  »Beiti^g'" 


■^^^ 


Ueber  den  Organismus  der  Schwämme  etc.  215 

zur  Anatomie  der  Kalkspongien  a  (i865)  ausdrücklich  anerkannt  und 
aus  den  an  den  Calcispongien  gewonnenen  Resultaten  das  Verständniss 
für  die  tlbrigen  Schwämme  zu  gewinnen  versucht  (1.  c.  p.  743). 

Zunächst  gilt  dies  schon  von  der  Individualität  der  Kalk- 
schwämme, welche  in  weit  höheren  Maasse  als  diejenige  der  meisten 
übrigen  Schwämme  geeignet  ist,  die  schwierige  Individualitäts- Lehre 
oder  Tectologie  der  Spongien  zu  erläutern.  Indem  ich  die  ausführliche 
Darlegung  dieser  eben  so  interessanten  als  widitigen  Verhältnisse  mei- 
ner Monographie  der  Ealkschwämme  vorbehalte ,  will  ich  hier  nur  das 
Resultat  meiner  speciell  auf  diesen  Punct  gerichteten  Untersuchungen 
anführen.  Dieses  besteht  wesentlich  (von  einigen  Modi6cationen  abge- 
sehen] in  einer  BesAäligung  der  jüngst  von  0.  Sghviut  aufgestellten 
Ansicht,  dass  jeder  Theil  des  Schwammktfrpers ,  welcher  eine  beson- 
dere Ausströmungs-Oeffnung  (Osculum)  besitzt,  als  ein  besonderes 
» Individuum a  aufzufassen  ist.  Dieses  »eigentliche  Individuum«  des 
Schwammkörpers  bezeichne  ich,  meiner  Individualitäts- Theorie  ent- 
sprechend, als  Person,  und  jeden  Schwammkörper,  der  aiis  zwei 
oder  mehreren  Personen  besteht  (d.  h.  der  zwei  oder  mehr  Oscula  be- 
sitzt), als  Stock  öder  Gormus.  Die  besondere  Begrenzung  dieser  beiden 
Regriffe,  welche  die  eigeothttmlidien  Individualitäts -Verhältnisse  der 
Sehwämme  n(ldiig  machen,  behalte  ich  meiner  Monographie  vor.  Es 
giebt  demnach  einfache  (solitäre  oder  monozoe)  und  zusammengesetzte 
(sociale  oder  polyzoe)  Schwämme.  Einfache  Schwämme  oder  Perso- 
nen sindz.  B.  Sycum  und  Ute  unter  den  Kalkschwämmen,  Ca  mi- 
nus unter  den  Rindenschwämmen,  Euplectella  unter  den  Kiesel- 
schwämmen. Zusammengesetzte  Schwämme  oder  Stöcke  sind  dagegen 
Leucosolenia  und  Nardoa  unter  den  Kalkschwämraen,  Euspon'- 
gia  unter  den  Homschwämmen ,  Spongilla  unter  den  Kiesel- 
sehwämmen. 

Das  oharacteristische  Ca  nal  System  der  Schwämme  halteich 
nicht ,  wie  die  meisten  übrigen  Autoren ,  für  etwas  ganz  Specifisches 
und  dieser  Classe  Eigeathümlicfaes ,  für  eine  Einrichtung  sui  generis, 
sondern  theile  die  Ansichten  von  Lbuckart  und  Miklucho,  dass  dasselbe 
wesentlich  homolog  dem  coelenteri&chen  Gefässsystem  oder 
dem  Gastrovascular- Apparat  der  Corallen  und  Hydromedusen ,  kurz 
aller  Acalephen  oder  Nesselthiere  ist.  Ja ,  ich  bin  von  dieser  Homolor 
gie  so  sehr  überzeugt ,  dass  ich  mit  Miklucho  den  bedeutendsten  Hohl- 
räum,  zu  welchem  sich  jenes  Canalsysiem  im  Schwammkörper  erwei- 
tert, und  welcher  gewöhnlich  als  Ausströmungsröhre  oder 
Schornstein  (Caminus)  bezeichnet  wird ,  als  Hagen  oder  verdauende 
Cavität,   und  seine  äussere  OeflTnung,   welche  meistens  Ausströ- 

45» 


216  Kmsl  HMckH, 

mungslocb    oder   Osculum    geoaiint    wird,    als    AIuodäffnuDg    oder 
Uuod  bezeichne. 

Man  wird  gegen  diese  Auflassung  vornehmlich  zweieriei  Ein- 
wände geltend  machen ,  nämlich  erstens ,  dass  es  auch  Schwämme 
ohne  Schornstein  und  Osculum  giebt,  und  zweitens,  dass  die  Strö- 
mungsricbtung  des  Wassers  im  Schwammkürper  damit  nicht  vereinbar 
sei.  Was  den  ersten  Einwand  betrifft,  so  glaube  ich  denselben  einfach 
durch  Hinweis  auf  die  Entwickeluugsgeschichte  entkräften  zu  können. 
Die  Schwämme  ohne  Schornstein  und  ohne  Osculum  sind  entweder 
primitive  Schwammformen ,  deren  Vorfahren  überhaupt  noch  nicht  bis 
zur  Di  Seren  zirung  dieser  Centraltbeile  des  Canalsyslems  gediehen  wa- 
ren ;  oder  es  sind  rUckgebildel«  Formen,  deren  Vorfahren  durch  phyle- 
tische  Degeneration  Magen  und  Hund  verloren  haben.  Diese  letzteren 
verhellen  sich  zu  den  entwickelteren,  mit  Mund  und  Hagen  versehe- 
nen Schwammen  ebenso ,  wie  die  Bandwürmer  zu  den  Trematodea. 
Auch  die  Cesloden  haben  durch  phyletische  Rüikbildung  (in  folge 
ihrer  stärkeren  Anpassung  an  die  parasitische  Lebensweise)  den  Dinn- 
canal  und  Mund  verloren,  welchen  ihre  trematodenartigen  Vorfahren 
besessen  haben.  Wahrscheinlich  sind  die  meisten  mundlosen  Spon- 
gien,  wie  namentlich  die  Clistosyken  und  Copbosyken  unter  den  Kalk- 
schwämmen ,  als  solche  rückgebildete  und  nicht  als  ursprünglich 
mundlose  Formen  aufzufassen,  und  wenn  die  uns  noch  unbekanolen 
Embryonen  derselben  wirklich,  gleich  den  anderen  Schwamm -Em- 
bryonen ,  Hund  und  Hagen  erhalten ,  so  würde  dieses  onK^enetische 
Factum  unsere  phylogenetische  HypoUiese  auf  das  Bestimmteste  erhär- 
ten. Schon  jetzt  kann  Sycocystis,  deren  Jugendzustand  mit  Hund 
verseben,  die  reife  Form  aber  mundlos  ist,  als  Zeuge  dafür  angeführt 
werden. 

Einen  wesentlicheren  Einwand  gegen  unsere  Deutung  scheinen 
zunächst  die  physiologischen  Verhaltnisse  der  Wasser- 
Circulation  im  SchwammkOrper  lu  bilden.  Bekanntlich  ist 
meistens  (aber  nicht  immer!)  die  StrHmungsrichtung  des  Wassers, 
welches  das  Canalsystem  des  lebenden  Schwammkitrpers  durdizieht, 
folgende :  Das  Wasser  strOmt  von  aussen  ein  durch  sehr  zahlreiche  und 
feine,  meistens  nur  mittelst  des  Mikroskops  wahrnehmbare  Haut- 
poren [sogenannte  nEinstrfimungsItIcherii]  ,  und  gelangt  durch  diese 
feinen  »Einströmungscanale«,  welche  sich  oft  vielfach  verzweigen  und 
anastomosiren ,  in  wenige  grössere  Canale ,  weiche  schliesslich  in  die 
centrale  »Ausströmungshöhle«,  unsere  Hagenhühle,  munden.  Aus  die- 
ser tritt  dann  das  verbrauchte  Wasser  nebst  den  unbrauchbaren  Stoff- 


Geber  den  Organismus  der  Schwämme  eto.  217 

theilen  durch  die  DÄusstrOmungs-Oeffiiung«,  unseren  »Mund a,  nach 
aussen. 

Bei  den  Corallen  oder  Anthozoen  dagegen  —  und  ebenso  bei  den  ' 
übrigen  Nesselihieren  —  scheint  die  Strömungsrichtung  des  Wassers, 
welches  die  Hohlräume  des  Leibes  durchzieht ,  verschieden  und  in  ge- 
wissem Sinne  der  gewöhnlichen  Stromesrichtung  der  Schwämme  ent- 
gegengesetzt zu  sein.  Das  Wasser,  welches  zugleich  die  Nahrung  in 
den  Körper  einführt,  wird  gewöhnlich  bei  den  Nesselihieren,  und  spe- 
ciell  bei  den  Corallen ,  durch  den  Mund  aufgenommen ,  gelangt  durch 
diesen  in  den  Magen ,  und  von  hier  aus  in  die  übrigen  Canäle ,  welche 
den  Körper  durchziehen.  Welche  Rolle  hierbei  die  Hautporen  der 
Corallen  spielen,  ist  leider  noch  so  gut  wie  unbekannt.  Diese  feinen, 
meist  nur  durch  das  Mikroskop  wahrnehmbaren  Löcher  der  Haut, 
durch  welche  sich  die  feinsten  Canäle  des  coelenterischen  Geföss- 
Systems  bei  den  Gorallen  ganz  ebenso  wie  bei  den  Schwämmen  nach 
aussen  öffnen ,  haben  überhaupt  bei  den  ersteren  bei  weitem  nicht  die 
Beachtung  gewonnen,  wie  bei  den  letzteren.  Ja,  sie  sind  überhaupt 
noch  kaum  verglichen  worden I  Während  man  auf  die  Hautporen  der. 
Schwämme  das  grösste  Gewicht  gelegt  hat,  sind  dagegen  die  Hautporen 
der  Corallen,  obwohl  längst  bekannt,  dennoch  fast  allgemein  ignorirt 
worden;  und  dennoch  sind  beide  offenbar  homolog,  sind  eines  und 
desselben  Ursprungs!  Ja,  es  ist  sogar  sehr  möglich  (um  nicht  zu 
sagen  wahrscheinlich ) ,  dass  auch  durch  die  Haut  der  Corallen ,  ganz 
ebenso  wie  durch  die  Haut  der  Schwämme ,  beständig  respiratorische 
Wasserströme  vermittelst  der  Hautporen  in  den  Körper  eindringen, 
welche  die  Canäle  der  Körperwand  durchziehen  und  schliesslich  in  die 
Magenhöhle  ausmünden.  Man  könnte  dann  die  Hautporen  bei  den  Co- 
rallen eben  so  gut,  wie  bei  den  Spongien,  als  »Einströraungslöcher« 
bezeichnen. 

So  viel  steht  jedenfalls  schon  jetzt  fest,  dass  eine  wesentliche 
morphologische  Differenz  zwischen  dem  ernährenden  Gefässsystem 
der  Schwämme  und  der  Corallen  nicht  existirt.  Vergleichen  wir  ein- 
zelne ,  solitäre ,  vollkommen  entwickelte  Personen  aus  beiden  Classen, 
z.  B.  Sycum  und  Actinia,  so  finden  wir  bei  beiden  einen  centralen 
Hohlraum  als  das  eigentliche  Hauptstück  des  ernährenden  Canal- 
systems;  einen  centralen  Hohlraum  (Schornstein  oder  Magen),  welcher 
sich  durch  eine  einzige  grosse  Mündung  [Osculum  oder  Mund)  nach 
aussen  öffnet.  Von  diesem  Hohlraum  gehen  allenthalben  Canäte  aus, 
welche  die  Köi*perwand  durchziehen  und  schliesslich  an  deren  Ober- 
fläche durch  die  HautporAn  «infi  öffnen.  Vergleichen  wir  andererseits 
einen   Schwamr  codendrum,    Spongilla)    und 


21S  Emst  Hneckcl, 

einen  Coro llen stock  (z.  B,  Dendrophyllia,  Gorgonia)  ,  so  fiiKlen 
wir  in  bBiden  gleicherweise  ein  ernährendes  Canalsysteni  des  Coeneii- 
chyms  oder  Cocnoeoms,  welches  die  Hohlräume  der  einzelnen  Perso- 
Don  mit  einander  in  Verbindung  setzt. 

Die  Verschiedenheit  io  der  Richtung  des  Wasserslromes ,  welche 
gewöhnlich  zwischen  beiden  Classen  angenommen  wird  ,  ist  fUr  diese 
nähere  morphologische  Vergleichung  derselben  zunächst  gan^ 
gleichgültig.  Selbst  wenn  diese  Verschieden  heil  wirklich  constani, 
allgemein  und  durchgreifend  wäre,  wUrdo  dieselbe  doch  nicht  im 
Stande  sein ,  unsere  Ansicht  von  der  Homologie  des  Canalsysteras  im 
SchwammkOrper  und  im  Corallenkörper  zu  entkräften.  Die  Verschie- 
denheit in  der  Circuiation  dos  crnührenden  Wasserstromes  in  beiden 
Thierclassen  würde  bloss  beweisen ,  dass  zwischen  den  einzelnen 
Theilen  des  Gefilsssyslems  keine  physiologische  Verglcichunc, 
keine  Analogie  mehr  besteht,  dass  diese  vielmehr  durch  Anpas- 
sung an  verschiedene  Emahiungs -Verhaltnisse  verloren  gegangen  f**. 
Dadurch  würde  aber  unsere  morphologische  Vergleichung  der  ent- 
sprechenden Theile,  ihre  Homologie,  welche  wir  auf  die  Vererbunf! 
von  gemeinsamen  Stammformen  zurückführen  müssen,  in  keiner 
Weise  afßcirt  werden.  Wenn  man  aber  das  wahre  Verwandtschaft.'- 
Verhültniss  zweier  Thiergruppi-n  erfassen  will,  darf  man  nur  ihre 
wirklichen  Homologien  berücksichtigen,  d.  h.  eben  diejenigen,  an' 
gemeinsamer  Vererbung  beruhenden  AehnÜchkeiten ,  welche  allein 
der  wahre  Leitstern  für  jede  vergleichende  Erklyrung  sind.  Da- 
gegen muss  man  gänzlich  ausser  Acht  lassen  die  auf  blosser  Anpas- 
sung beruhenden  Analogien,  weil  diese  viel  eher  geeignet  sind, 
jenes  Verwandtschafls -VerbaUniss  zu  trüben  und  zu  verdecken,  als  m 
beleuchten  und  aufzuklären. 

Nun  ist  aber  ausserdem  hervorzuheben,  dass  jener  Gegensatz  in 
der  Richtung  des  Wasserstromes,  welcher  in  dem  Gefasssystem  der 
Schwömme  und  der  Corallen  fast  allgemein  angenommen  und  als  durch- 
greifend angesehen  wird,  keineswegs  ein  absoluter  und  durchgreifen- 
der ist.  MiKLucao  bat  bereits  gezeigt,  dass  bei  sehr  vielen  Schwiframen 
die  MundülTnung  oder  das  Osculum  keineswegs  bloss  das  Ausströmen, 
sondern  auch  das  Einströmen  von  Wasser  vermittelt.  Ich  selbst  habe 
mich  mehrfach  durch  eigene  Beobachtung  von  der  Richtigkeit  dieser 
Behauptung  überzeugt.  Es  dient  demnach  die  MundtJffnung  bei  vielen 
Schwammen,  ganz  ebenso  wie  bei  den  Corallen,  eben  sowohl  lur 
Aufnahme,  als  zur  Abgabe  des  Wassers  und  der  darin  enthaltenen 
Nafarungsbestandtheile. 

Von  ganz  besonderer  Wichtigkeit  für  das  VersUlndniss  dieser  Ver- 


lieber  den  Orgaaismas  der  Schwämme  etc.  219 

hältnisse  sind  aber  diejenigen  Schwämme,  welche  gar  keine  Hautporen 
besitzen,  und  bei  denen  die  einzige  Oeffnung  der  ganz  einfachen 
Magenhöhle  das  Osculum  oder  die  Mundöffnung  ist.  Einen  solchen 
Schwamm  ohne  Hautporen,  dessen  ganzes  coelenterisches  Ca- 
Dalsystem,  wie  bei  Hydra,  aus  emer  ganz  einfachen  Magenhöhle  mit 
einer  einfachen  Mundöffnung  besteht,  glaubte  Miklucho  in  seiner 
Guancha  blaxica  gefunden  zu  haben.  Indessen  habe  ich  mich 
durch  nachträgliche  genaue  Untersuchung  der  von  Miklucho  selbst  ge- 
sammelten und  mir  ttbergebenen  Formen  der  Guancha  überzeugt, 
dass  diese  Spongie  einfache  Hautporen  besitzt.  Dagegen  habe  ich  selbst 
zwei  andere,  von  mir  in  Neapel  gesammelte,  mikroskopisch  kleine  und 
dabei  vollkommen  entwickelte  (d.  h.  Eier  tragende)  Kalkschwärome 
untersucht,  bei  denen  wirklich  keine  Spur  von  Hautporen  vorhanden 
ist.  Der  ganze  Körper  dieser  primitivsten  Formen  der  Kalkschwömme 
besteht  aus  einem  länglich  runden  Schlauch  (Magen)  mit  einer  ein- 
zigen Oeffnung  (Mund)  an  demjenigen  Körperende ,  welches  der  An- 
heftungsstelle  entgegengesetzt  ist.  Ich  schlage  fUr  diese  höchst  inter- 
essante Urform,  welche  offenbar  die  Reihe  der  Kalkschwämme  eröffnen 
muss,  den  Namen  Pros y cum  vor. 

Das  volle  Licht  aber  fällt  auf  diese,  wie  auf  alle  anderen  orga- 
nischen Verhaltnisse,  erst  durch  die  Entwickelungsgeschichte. 
Die  ersten  Jugendformen  der  Schwämme,  die  bewimperten  Embryonen, 
welche  später  als  Larven  mitteist  ihres  Wimperkleides  frei  umher- 
schwärmen ,  spenden  jenes  Licht  in  der  erwünschtesten  Weise.  Ich 
habe  die  Ontogenie  dieser  jüngsten  Formen ,  welche  unter  den  Kalk- 
schwämmen  bisher  bloss  von  Sycum  und  Dunstervillia  be- 
kannt waren ,  bei  einer  Anzahl  ganz  verschiedener  Gattungen  verfolgt 
und  bin  dabei  zu  folgenden  Resultaten  gelangt,  welche  die  bisherigen 
Beobachtungen  über  die  Ontogenie  der  Schwämme  theils  bestätigen, 
theils  wesentlich  erweitern. 

Nachdem  das  Ei  in  Folge  des  Furchungsprocesses  in  einen  kuge- 
ligen, maulbeerförmigen  Haufen  von  dicht  an  einander  liegenden, 
gleichartigen,  nackten,  kugeligen  Zellen  zerfallen  ist,  erhält  dieser 
maulbeerförmige  Embryo  durch  stärkeres  Wachsthum  in  einer  Rich- 
tung eine  ellipsoide  oder  eiförmige  Gestalt,  und  bedeckt  sich  an  der 
Oberfläche  mit  Cilien.  Sodann  entsteht  im  Inneren  eine  kleine  centrale 
Höhle  (der  Magen),  welche  sich  ausdehnt  und  an  dem  einen  Pole  der 
Längsaxe  durchbrechend  eine  Oeffnung  erhält,  den  Mund. 

Entweder  schon,  bevor  die  Mundöffnung  des  Magens  durch- 
gebrochen ist,  oder  jedenfalls  bald  nachher,  sinkt  die  frei  schwim- 
mende, bewimperte  Larve  der  Kalkschwämme  auf  den  Boden   des 


220  Ernst  Eaeckel, 

Meeres  und  setzt  sich  hier  fest.  Die  Anwachsstelle  liegt  (icwöhnlich 
an  dem  der  HundotTnung  entgegengesetzten  (aboraien)  Pole  der  LäDgs- 
axe.  Der  Eflrper  des  jungen  Schwammes  stellt  nunmehr  einen  ein- 
fachen, länglich  runden,  festsitzenden  Schlauch  dar,  dessen  Höhlung 
nur  durch  eine  einzige  Oeffnung,  durch  den  der  Anheftungsstelle  ent- 
gegengesetzten Hund ,  mit  dem  umgebenden  Heerwasser  communicirl. 
Der  junge  Schwamm  ist  in  diesem  frühen  Jugendzu- 
s lande,  wo  er  einen  einfachen  becherförmigen  Kttrper  mit  soliden 
Wänden  und  einer  einfachen  Oeflnung  darstellt,  gar  nicht  weseol  — 
lieh  von  einer  jungen  Coralle  verschieden,  welche  sich  noch 
in  derselben  frühen  Periode  der  Ontogenesis  befindet.  Gleichwie  aber 
der  gemeine  SUsswasserpoIyp,  die  Hydra,  uns  in  seiner  einfachen 
siickfQnnigen  Eörperhtlfale  zeitlebens  einen  ähnlichen  coelenterisdien 
Urzustand  dauernd  vorfuhrt,  wie  ihn  alle  Corallen  in  ihrer  Jugend 
durchlaufen,  so  bleibt  jener  vorher  erwähnte  einfachste  Kalkschwamm, 
das  Prosycum,  zeitlebens  bis  zur  vollen  Reife  auf  jenem  coelente- 
rischen  Urzustände  stehen ,  welchen  die  übrigen  KatkschwSmme  rasch 
vorübergehend  in  ihrer  ersten  Jugend  durchzumachen  haben.  Einge- 
denk nun  jenes  buchst  wichtigen  und  innigen  Causalnexus,  wel- 
cher überall  zwischen  derOntogenie  und  Phylogenie  existirt  — 
eingedenk  des  morphogcnetischen  Grundgesetzes,  dass  die  Od- 
togenie,  d.  h.  die  individuelle  Entwickelungsgeschichte  des  Organis- 
mus, eine  kurze  und  schnelle  (durch  die  Gesetze  der  Vererbung  und 
Anpassung  causal  bedingte]  Wiederholung  seiner  Pbylogenie, 
d.  h.  der  palaontologischen  Enlwickelungsgescbichte  seiner  Vorfahren, 
seines  ganzen  Stammes  bildet ,  —  eingedenk  dieser  hohen  phylogene- 
tischen Bedeutung  aller  onlogenetischen  Zustände  —  mtlssen  wir  aus 
jenen  einfachen  Thatsachen ,  aus  jener  ontogenetiscbeu  Uebereinstim- 
mung  zwischen  den  Jugendzustanden  der  Schwämme  und  der  Coral- 
len, den  httchst  wichtigen  phylogenetischen  Schluss  ziehen,  dass  die 
Schwämme  und  Corallen  nahe  Blutsverwandte  sind,  welche 
von  einer  und  derselben  ursprünglichen  gemeinsamen  Slammfonn 
ihren  Ursprung  herleiten.  Diese  unbekannt«  Stammform,  von  deren 
specieller  Formbildung  uns  keine  fossilen  Beste  aus  der  archolithischen 
Zeit  der  Erdgeschichte  erhalten  sind,  auf  deren  einstmalige  Existenz 
wir  aber  mit  voller  Sicherheit  aus  den  angeführten  Thalsachen 
schliessen  können  —  ja ,  von  deren  allgemeiner  Formbeschaffenheil 
uns  sogar  heutzutage  noch  das  Prosycum  simplicissimum  ein 
ungeföhres  Bild  giebt!  —  muss  einen  einfachen  becherförmigen  Körper 
mit  einer  einzigen,  der  Anheftungsstelle  entgegengesetzten  Hundöffnung 
besessen  haben.   Wir  wollen  dieselbe  mit  dem  Namen  des  Urscblauchs, 


Ueber  den  Organismus  der  Schwämme  e(e.  221 

Protascus,  —  belegen.  Aus  diesem  hypothetischen  Protascus 
nahmen  vielleicht  als  zwei  divergente  Zweige  Prosycum  (die  Stamm- 
form der  Kalkschwämme)  und  Procorallum  (die  Stammform  der 
Gorallen)  ihren  Ursprung. 

Was  nun  aber  diese  unsere  Deduction  über  den  gemeinsamen  Ur- 
sprung und  die  Stammverwandtschaft  der  Schwämme  und  Gorallen  voll- 
ends zur  Gewissheit  erhebt,  das  ist  die  bisher  gänzlich  übersehene  und 
noch  von  Niemand  beachtete  fundamentale  Uebereinstimmung 
der  Spongien  und  Gorallen  (und  überhaupt  aller  Goelen- 
teraten)  in  dem  ontogenetischen  Aufbau  ihres  Körpers 
aus  zwei  differenten  Zellenschichten  oder  Keimblät- 
tern: Entoderm  und  Ectoderm.  Bei  allen  Spongien  entwickeln 
sich ,  ganz  ebenso  wie  bei  allen  Acalephen  (bei  allen  Gorallen ,  Hydro- 
medusen  und  Gtenophoren) ,  sämmtliche  KOrpertheile  aus  der  Differen- 
zirung  zweier  verschiedener  Zellenschichten ,  einer  inneren  Bildungs- 
haut, dem  Entoderm,  und  einer  äusseren  Bildungshaut,  dem  Ecto- 
derm. Bei  allen  Spongien,  wie  bei  allen  Acalephen,  bildet 
das  innere  Keimblatt  (oder  das  Entoderm)  die  epitheliale  Auskleidung 
des  ernährenden  Ganalsystems,  sowie  die  Sporen  oder  die  Geschlecbts- 
producte  (Eier  und  Zoospermien } ,  welche  weiter  nichts ,  als  sexuell 
differenzirte  Zellen  dieses  Ganal- Epithels  sind ;  das  äussere  Keimblatt 
dagegen  (oder  das  Ectoderm)  bildet  die  gesammte  äussere  Wand  des 
Ganalsystems  und  die  Hauptmasse  des  Körpers  überhaupt,  welche  sich 
bei  den  höheren  Spongien  und  Acalephen  in  Epidermis,  Bindegewebe, 
Skelettheile,  Muskeln  u.  s.  w.  differenzirt.  Die  aus  dem  Ento- 
derm oder  der  inneren  Bildungshaut  hervorgegangenen 
Zellen  vermitteln  bei  den  Spongien  ebenso  wie  bei  den 
Acalephen  die  vegetativen  Functionen  der  Ernährung 
und  Fortpflanzung.  Die  aus  dem  Ectoderm  oder  der 
äusseren  Bildungshaut  entstandenen  Zellen  vermitteln 
dagegen  die  animalen  Functionen  der  Bewegung  und 
Empfindung,  und  dienen  ausserdem  als  schützende  Decken 
und  stützende  Skelettheile  für  den  ganzen  Körper.  Es  dürfte 
daher  nicht  unpassend  erscheinen,  bei  allen  Goelenteraten, 
d.  h.  bei  allen  Spongien  und  Acalephen,  das  Entoderm 
(oder  die  innere  Bildungszellenschicht)  als  vegetatives  Keim- 
blatt, und  das  Ectoderm  (oder  die  äussere  Bildungszellen- 
schicht) als  animales  Keimblatt  zu  bezeichnen.  Die  weite  Per- 
spective, welche  sich  uns  aus  dieser  Auffassung  und  aus  ihrer  Ver- 
gleichung  mit  den  entsprechenden  Verhältnissen  der  Keimblät  r  bei 
den  höheren  Thieren  darbietet,   und  welche  wohl  geeignet  '        die 


222  Firnfll  IlMeh*l. 

primitive  Verwandlscbaft  aller  StHmme  des  Thieireiches ,  d.  h.  die  ge- 
meinsame Abstammung  aller  Ibierischea  Pfaylen  zu  erlSutem ,  werde 
ich  in  meiner  Monographie  der  Kalkschnämme  naher  beleuchten. 

Ich  will  zugeben ,  dass  dieses  wie  mir  scheint  hochwichtige  C^e— 
setz  in  vielen  einzelnen  FälleD  gewisse  Modificationen  erleidet,  und 
dass  vielleicht  hier  und  da,  sowohl  bei  den  Spongien,  wie  bei  den 
Acatephen ,  die  beiden  Keimblatter  oder  Bildungshäate ,  Enloderm  und 
Ectoderm,  einander  durch  locale  Substitution  vertreten  können. 
Nicht  selten  geht  das  Entoderm  auf  weile  Strecken  hin  verloren  und 
wird  dann  durch  das  Ectederin  ersetzt.  In  mancben ,  vielleicht  in  vie- 
len Fallen,  ist  an  einzelnen  KOrperstellen  [sowohl  bei  den  Schwammen 
als  bei  den  Nesseltfaieren}  jene  differente  Bedeutung  der  beiden  diver- 
genten Keimblätter  nicht  so  klar  ersichüich  oder  auch  wirklich  verän- 
dert. Es  können  sich  z.  B.  vielleicht  in  beiden Tbiergruppen  Ge- 
schlechtsproducte  auch  bisweilen  aus  dem  äusseren  Ectoderm ,  und 
Muskeln  aus  dem  inneren  Enloderm  entwickeln.  Allein  dann  sind 
vermuthlich  diese  Abweichungen  und  diese  localen  Substitutionen  der 
beiden  Blätter  als  secundäre,  erst  später  durch  Anpassung 
entstandene  Modificationen  zu  betrachten.  Das  ursprang- 
licbe,  primSre,  von  dergemeinsamen  Stammform  (Prolas- 
cus)  auf  alle  Spongien  undAcalephen  vererbte  Verhall- 
niss  ist  wahrscheinlich  das  oben  angegebene:  Das  Ento- 
derm bildet  als  inneres,  vegetatives  Keimblatt  die  ernährenden 
Zellen  des  Canalepithels  und  die  durch  Arbeitstbeilung  aus  ihnen 
entstandenen,  der  Fortpflanzung  dienenden  Zellen  (Keimzellen  oder 
Sporen,  Eier  und  Zoospermienj ;  das  Ectoderm  dagegen  bildet  als 
äusseres,  animales  Keimblatt  die  Muskeln,  Nerven,  Skelet- 
theile, äusseren  Decken  u.  s.  w. 

Die  stärkste  Stutze  findet  dieses  Gesetz  in  dem  Bau  der  vorher  er- 
drterten  Jugendzu stände  beider  Thiergruppen.  Der  becherförmige,  aus 
der  wimpernden  Larve  berzorgegangene  Jugendzustand ,  welcher  eine 
einfache  Magenbühle  (oder  verdauende  Leibeshofale)  mit  einer  einzigen 
einfachen  Oefinung  (oder  Hund]  besitzt,  und  welcher  uns  in  dem  noch 
lebenden  Prosycum  noch  beute  das  langst  entschwundene  Bild  des 
Protascus  zurückruft,  zeigt  uns  seine  einfache ,  solide  Leibeswand 
(oder  Magenwand)  allgemein  aus  den  beiden,  deutlich  differenzirten 
Bildungshauten,  dem  Entoderm  und  Ectoderm,  zusammengesetzt,  und 
zwar  ganz  ebenso  bei  den  entsprechenden  Jugendzustanden  der  Spon- 
gien ,  wie  bei  denjenigen  der  Corallen  und  der  Acalephen  Überhaupt. 
Die  Kalkscbwämroe  aber  dienen  auch  hier  wieder  als  ganz  vorzüglich 
erläuternde  Objecto,  weil  sie  einerseits  von  allen  Schwammen  den  Co- 


«I 


Ueber  den  Orgauismas  der  Schwämme  etc.  223 

rallen  am  nächsten  stehen,  andererseits  aber  in  der  stufenweisen  Aus- 
bildung ihrer  einfachen  Organisation,  von  den  einfachsten  Prosy- 
cum  undOlynthus  bis  zu  den  höchst  entwickelten  Dunste rvil- 
Ha  und  Gyathiscus,  uns  ganz,  wunderschön  die  fortdauernde 
Trennung  der  beiden  ursprünglich  divergenten  Bildungshäute ,  des 
vegetativen  £ntoderm  und  des  animalen  Ectoderm,  unbeschadet  ihrer 
weiteren  Diflferenzirung  zu  verschiedenen  höheren  Bildungen  vor  Augen 
führen. 

Bei  allen  Caicispongien  ohne  Ausnahme  (obwohl  bei  den  einen 
deutlicher  als  bei  den  anderen)  springt  die  fundamentale  und  ur- 
sprüngliche Verschiedenheit  der  beiden  Bildungshdute  so  deutlich  in 
die  Augen  und  lässt  sich  in  ihrer  weiteren  Divergenz  auch  bis  zu  den 
höchst  entwickelten  Formen  hin  so  leicht  und  klar  verfolgen,  dass  man 
sie  jederzeit  augenblicklich  demonstriren  kann.  Es  ist  daher  dieselbe 
auch  denjenigen  Naturforschern,  welche  den  Bau  der  Caicispongien 
am  genauesten  untersucht  haben,  nicht  entgangen.  Hier  und  da 
sprechen  sie  alle  von  den  verschiedenen  Schichten  der  Körperwand, 
aber  keiner  von  ihnen  hat  ihre  allgemeine  und  genetische  Bedeutung 
hervorgehoben,  und  keiner  hat  erkannt,  dass  das  Entoderm  aus- 
schliesslich das  die  Ernährung  vermittelnde  Epithel  des  Canalsystems 
und  die  zur  Fortpflanzung  dienenden  Zellen ,  das  Ectoderm  dagegen 
alle  übrigen  Zellen  erzeugt.  Aus  diesem  Grunde  möge  es  gestattet  sein, 
hier  noch  einige  specielle  Verhältnisse  flber  den  Körperbau  der  Caici- 
spongien anzuführen ,  deren  ausführliche  Darstellung  und  Erläuterung 
durch  Abbildung  ich  mir  auf  meine  Monographie  verspare. 

Das  Entoderp  der  Caicispongien  oder  die  innere  Bildungs- 
haut, aus  der  inneren  Zellenlage  oder  dem  vegetativen  Keimblatt  des 
Embryo  hervorgegangen,  überkleidet  ursprünglich  die  gesammte  Innen- 
fläche des  ernährenden  Canalsystems  oder  des  Gastrovascularsystems 
in  Gestalt  einer  einzigen  zusammenhängenden  Zellenschicht  von 
Geissel-Epithel.  Unter  dem  Ausdruck  Geissel-Epithel  (Epithe- 
lium  flagellatum)  verstehe  ich  eine  epitheliale  Zellenlage,  deren  Zel- 
len sämmtlich  je  ein  einziges  Flimmerhaar  (Geissei  oder  Fla- 
gellum)  tragen,  zum  Unterschied  von  dem  Wimper- Epithel  (Epi- 
Ihelium  ciliatum) ,  dessen  Zellen  sämmtlich  je  zweiodermehrere 
Flimmerhaare  (Wimpern  oder  Ciliae)  tragen.  Geissel-Epithel  und 
Wimper -Epithel  sind  als  zwei  verschiedene  Modificationen  des  Flim- 
mer-Epithels (Epithelium  vibratorium)  aus  einander  zuhal- 
ten. Bei  allen  Schwämmen  scheint  das  Flimmer-Epithel 
ausschliesslich  in  der  Form  des  Geissel-Epithels,  nie- 
mals in  der  Form  des  Wimper- Epithels  vorzukommen.  Dies 


i 


224  Ernat  Hnei'hel, 

gilt  sowohl  von  den  FlimniLTzellen,  welche  die  innere  Fläch (.■  des  Canal— 
Systems,  als  von  denjenigen,  welche  die  äussere  Flache  der  flimnaem— 
den  und  schwimmenden  Larve  bekleiden.  In  beiden  Fällen  sind  die 
Epilhekelleo  stets  einhasrige  Geisselzellen ,  niemals  mehrhaarige  Wim- 
perzellen. Die  Geisselzellen  der  Spongien  sind  vollkommen  nackt  und 
membranlos;  ihr  Protoplasma  geht  unmittelbar  in  die  lange,  an  der 
Basis  dickere  Geissei  über.  Niemals  habe  ich  an  den  Geisselzellen 
einen  deutlichen  Kern  vermisst.  Derselbe  ist  gewöhnlich  sehr  ansehn- 
lich, halb  oder  zwei  Drittel  so  gross,  als  die  Zelle.  Gewtlhnlicb  kleiden 
die  Geisselzellen  die  Wände  des  Canalsystems  nur  in  einer  ^nEigcn 
Lage  aus;  selten  schichten  sich  mehrere  Lagen  über  einander.  Solches 
geschichtetes  Geisseiepithel  findet  sich  z.  B.  bei  Tarroma  und  Cla- 
thrina. 

Ausser  den  Geisselzellen  erzeugt  das  Entoderm  der  Spongien  nur 
noch  ein  Product,  die  Eier.  Wenn  ich  hier,  dem  Vorgange  aller 
Autoren  folgend,  die  Keimzellen  oder  Reproductionszellen  der 
Schwämme  als  Eier  bezeichne,  so  geschieht  dies  nicht  ohne  grosses 
Bedenken.  Obwohl  ich  nümlich  Hunderte  von  Caicispongien  auf  das 
Genaueste  mikroskopisch  untersucht  habe,  so  ist  es  mir  weder  bei  die- 
sen ,  noch  bei  den  von  mir  untersuchten  übrigen  Schwämmen  jemals 
gelungen,  irgend  eine  Spur  von  befruchtenden  männlichen  Form -Ele- 
menten, von  Zoospermien,  aufzufinden.  Ich  bin  dadurch  gegen  die  all- 
gemein angenommene  sexuelle  Differenzirung  der  Spongien 
Überhaupt  in  hohem  Grade  misstrauisch  geworden.  Die  einzigen  An- 
gaben von  Zoospermien  bei  Schwämmen,  welche  einiges  Vertrauen  ver- 
dienen (indessen  immer  noch  der  Bestätigung  bedürfen),  sind  diejeni- 
gen von  LiBBERKüHN  tlber  Spongilla.  Was  dagegen  Caktbk  als  Zoo- 
spermien der  Spongillen  beschreibt,  sind,  wie  schon  LiEBEBEüaN 
erkannte,  Infusorien,  und  was  Hdilbv  als  Zoospermien  der  The tyen 
abbildet,  sind  höchst  wahrscheinlich  Flimmeriellen.  Nicht  minder 
bedenklich  sind  die  Fäden,  welche  Kölukbh  als  Zoospermien  der 
Esperia  beschreibt.  Das  Hisstrauen  gegen  die  Existenz  von  Zoo- 
spermien bei  den  Spongien  muss  aber  um  so  gerechtfertigter  erschei- 
nen, als  einerseits  die  abgerissenen,  sich  lebhaft  bewegenden  Geissein 
der  Geisselzellen  sehr  leicht  ftlr  bewegliche  Samenßlden  gehalten  wer- 
den können,  andererseits  aber  viele  der  erfahrensten  Beobachter,  wie 
z.  B.  0.  ScHHmT  und  Bowerba-ik,  welche  Tausende  von  Schwammen 
mikroskopisch  untersuchten,  gleich  mir  selbst  ganz  vergeblich  nach 
männlichen  Organen  irgend  welcher  Art  gesucht  haben.  Ich  halte  es 
daher  für  das  Vorsichtigste  und  Gerathensl«,  vorlaufig  tiberhaupt  noch 
die  Sexualität  der  Spongien  zu  bezweifeln.     Dann  dürfen  aber  die  zur 


Ueber  den  Organismus  der  Schwemme  eto.  225 

Fortpflanzung  dienenden  Zellen,  die  Keimzellen  (Gonocyta), 
nicht  als  geschlechtliche  Eier  (Ova),  sondern  sie  müssen  als 
geschlechtslose  Keimzellen  (Sporae)  bezeichnet  werden. 

Die  Sporen  oder  die  sogenannten  Eier  der  Spongien  habe  ich  an 
allen  von  mir  untersuchten  Schwämmen  vollkommen  nackt  und  mem~ 
branlos  gefunden,  eben  so  wie  die  Geisselzellen,  aus  denen  sie  hervor- 
gehen. Ueberhaupt  habe  ich  niemals  in  den  von  mir  un- 
tersuchten Schwämmen  irgend  eine  Spur  von  einer 
Membran  oder  eigentlichen  Zellenhaut  an  den  Zellen 
gefunden.  Alle  Schwammzellen  sind  nackte,  hüllen- 
lose Zellen  (Gymnocyten).  Die  Sporen  der  Calcispongien  sind 
bisher  nur  von  Libberkühn  bei  Sycum  ciliatum,  und  von  Köllikbr 
bei  Tarrus  und  Dunste rvillia  gesehen.  Ich  habe  dieselben  bei 
keinem  einzigen  der  von  mir  untersuchten  reifen  Kalkschwämme  ver- 
misst.  Sie  sind  sehr  leicht  zu  erkennen ,  da  sie  sich  von  den  Geissel- 
zellen  sofort  durch  ihre  sehr  beträchtliche  Grösse  und  den  Mangel  der 
Geissei  unterscheiden,  andere,  selbstständig  bleibende  Zellen  aber 
(ausser  diesen  beiden  Zellenformen  des  Entoderms)  im  Körper  der  Cal- 
cispongien überhaupt  nicht  vorkommen. 

Die  Entstehung  der  Sporen  oder  der  sogenannten  Eier  der 
Schwämme  war  bis  jetzt  unbekannt.  Ich  werde  in  meiner  Monographie 
den  Beweis  führen,  dass  sie  unmittelbar  aus  Geisselzellen  hervorgehen, 
mithin  Differenzirungs-Producte  des  Entoderms  oder  me- 
tamorphosirte  Geisselzellen  sind.  Die  einfache  und  höchst 
bedeutsame  Thatsache,  dass  die  Reproductionszellen  durch  Arbeits- 
theilung  aus  den  ernährenden  Flimmerzellen  des  Entoderms ,  des  ve- 
getativen Keimblattes,  entstehen,  gilt  also  für  die  Schwämme  ganz 
ebenso,  wie  für  die  Nesselthiere.  Nach  Köllikbr  sollen  die  Sporen 
von  Dunstervillia  und  Tarrus  ausserhalb  des  Flimmerepithels, 
im  Ectoderm  liegen.  Indessen  gelangen  sie  dahin  erst,  wenn  sie  bei 
wachsender  Volums  -  Zunahme  zwischen  den  umgebenden  Geissel- 
zellen des  Entoderms  keinen  Platz  mehr  haben.  Sie  ragen  dann  bald 
mehr  in  das  Ectoderm,  bald  mehr  in  das  Lumen  der  Ganäle  hinein. 
Niemals  habe  ich  besondere  Sporenbehälter  bei  den  Kalkschwämmen 
gefunden.  Vielmehr  können  sich  die  Sporen  an  den  verschiedensten 
Stellen  im  Entoderm  aus  dessen  Geisselzellen  entwickeln.  Was  Lie- 
BBRKÜHN  bei  Sycum  als  einen  besonderen  »Behälter  der  Eier  ohne 
nachweisbare  Structura  beschreibt,  habe  ich  nie  gesehen,  und  ver- 
muthe ,  dass  diese  angeblichen  Sporenbehälter  quer  durchschnittene 
Canäle  sind. 

Die  Sporen  der  Schwämme  haben ,  wie  schon  Köllikbr  hervor- 


326  F-riisl  llneck«!. 

bebl,  eine  auffsUende  Aehnlichkeil  mit  grossen  GangUen-ZAlleii-  IHesf 
beruht  darauf,  dass  das  Protoplasma  der  Zellen  an  der  Peripfaeri«- 
formwechselnde ,  verilstello  Ausliiufer  treibt.  Die  Sporen  dpr 
Kalkschwämme  gleichen  grossen  Amoeben  und  ftlhren 
amoeboide  Bewegungen  aus,  indem  sie  solche  verästeile  Fori- 
Sätze  ausstrecken  und  einziehen.  Im  Ruhezustand  sind  sie  kugetruaii 
oder  polyedrisch.  Jede  Spore  besitzt  einen  sehr  grossen,  gewehnlivh 
kugehgeii  und  wasserheüeo  Kern.  Dieser  umscbliessl  einen  grossen, 
runden,  dunkeln  Nucleolus,  und  dieser  letzlere  wiederum  einen  deut- 
lichen Nucleolious. 
,  Dii'Spongien  sind  Iheils  sporen legend   (sporiparal. 

Iheils  lebendiggebärend  (vivipara).  Bei  den'  sporipareu 
Schwämmen  (z.  B.  Leucosolenia,  Cltstolynthus)  fallen  dt<- 
reifen  Sporen  aus  dem  Entoderm  in  die  Magenböhle  oder  in  die  davon 
»usgehenden  Parietal-Canäle,  und  werden  dann  bei  den  mit  Mund 
versehenen  Formen  durch  den  Mund  ausge%vorfen,  wahrend  sie  bei  den 
mundlosen  Spongieu  durch  die  Haulporen  auskriechen.  Dabei  wer- 
den ihnen  ihre  amoebenarligen  Bewegungen  wesentlich  zu  StaUen 
kommen. 

Bei  den  vlviparen  Schwammen  (z.  B.  Olynthus,  Clathrina' 
entsteht  innerhalb  des  SchwammkOrpers  (entweder  im  Usgen  oder  in 
den  davon  ausgehenden  Parielal-Canälen)  aus  der  einlachen  Sporen- 
Zolle  durch  fortgesetzte  Theilunij;  (nFurchungu)  ein  kugeliger,  aus  lauter 
gleichen,  nackten,  kernhaltigen  Zellen  zusammen  gesetzter  Körper  (Em- 
bryo). Die  an  der  Oberfläche  desselben  gelegenen  Zellen  strecken  je 
einen  fadenförmigen  Forlsalz  aus  und  werden  so  zu  Geisse Izell en . 
Sodann  entsteht  im  Innern  dieses  flimmernden  Embryo  eine  centrale 
Htihlung  (Magen),  welche  frUJier  oder  später  nach  aussen  durch- 
brechend eine  Oeifnung  (Muud)  erhUll  Wie  schon  oben  bemerkt, 
differenzirt  sieb  dann  die  Wand  dieser  einfachen  MagenhOhle  (Leibes- 
htihle)  in  zwei  dliferenle  zeUige  Schichten.  [)ie  Zellen  dor  äusseren 
Oberfläche  ziehen,  nachdem  die  flimmernde,  aus  dem  Hultorkörpcr 
ausgetretene  und  umhergeschwärmle  Larve  zur  Kühe  gekommen  ist, 
ihre  Geissein  ein,  verschmelzen  mit  einander  und  bilden  so  das  Eclo- 
derm.  Die  Zellen  dagegen,  welche  die  Magenhühle  umgeben,  streckeo 
umgekehrt  einen  (adenfOrmigea  Forlsatz  aus,  werden  so  zu  Geissel- 
zellen  und  bilden  das  Entoderm.  Ei'st  viel  später,  wenn  dor  Schwamm 
seine  eigenllichc  Reife  erlangt  bal,  gehen  aus  einzelnen  Geisse! Zellen 
des  Entoderms  die  Sporen  hervor. 

Die  Körporwand  oder  Magenwand  der  frei  um  he  rsch  wannenden, 
Gitürmigen,  flimmernden  Larven,  deren  ganzes  Ciinals\stem  aus  einer 


^ 


leber  den  Organismus  der  SehwUmme  etc.  227 

■ 

einfachen  Magenhdhle  mit  Mundöffhung  besteht,  ist  bei  den  kleineren 
Kalksch Wammen  (z.  B.  Olynthus,  Nardoa)  nur  aus  zwei  Zellen- 
schichten zusammengesetzt ,  indem  sowohl  das  Ectoderm  als  das  Ento- 
derm  eine  einfache  Zellenlage  bildet.  Bei  den  grösseren  Kalkschwäm- 
men dagegen  (z.  B.  Dunstervillia,  Clathrina)  kann  jede  der 
beiden  Zellenlagen  in  mehrere  Schichten  zerfallen. 

Das  Ectoderm  der  Galcispongien  oder  die  äussere  Bil- 
dungshaut ,  aus  der  äusseren  Zellenlage  oder  dem  animalen  Keimblatt 
des  Embryo  hervorgegangen,  bildet  immer  die  grössere  Hälfte  des  Kör- 
pervolums, da  dasselbe  stets  dicker  (oft  vielmals  dicker)  als  das  Ento- 
derm  ist.  DasEctoderm  besteht  aus  innigverschmolzenen, 
nackten  Zellen,  deren  Kerne  in  dem  vereinigten,  und  oft  später  viel- 
fadh  diiferenzirten  Protoplasma  anfänglich  immer  und  meist  auch  noch 
später  deutlich  sichtbar  bleiben.  Die  Kerne  sind  meist  länglich  rund 
und  häufig  von  einem  Haufen  feiner  Körnchen  umgeben,  die  sich  nicht 
selten ,  vom  Kern  ausstrahlend ,  nach  verschiedenen  Richtungen  in  das 
Protoplasma  erstrecken.  Obwohl  in  dem  Ectoderm  der  reifen  Kalk- 
schw.ämme  die  fast  homogen  erscheinende,  beinahe  structurlose ,  von 
Kernen  und  Skelet -Nadeln  durchsetzte  Grundsubstanz  keinerlei  Spui* 
von  den  verschmolzenen,  sie  zusammensetzenden  Zellen  mehr  erkennen 
lässt,  ist  dieselbe  dennoch  wirklich  aus  ursprtlngUch  getrenn- 
ten Zellen  durch  nachträgliche  Verschmelzung  dersel- 
ben entstanden,  wie  die  Ontogenie  der  Embryonen  und  Larven 
deutlich  beweist.  Das  Ectoderm  verdient  daher  nicht  den  Namen  eigent- 
licher S  a  r  c  0  d  e,  wenn  man  unter  diesem  Begriff  freies  und  ursprüng- 
liches, noch  nicht  in  Zellen  differenzirtes  Protoplasma 
versteht.  Passender  dürfte  daftlr  vielleicht  die  Benennung  Syncy- 
tium  oder  Sarcodine  erscheinen. 

Das  Ectoderm  der  Kalkschwämme,  welches  durch  die  V  e  r  s  c  h  m  e  1- 
zung  der  ursprünglich  getrennten  Zellen  des  äusseren  oder 
animalen  Keimblattes  sich  zu  der  gewissermassen  rückgebildeten 
Gewebs-Formation  der  Sarcodine  oder  des  Syncytium  gestaltet, 
repräsentirt  in  physiologischer  Beziehung  ein  Gewebe,  welches  die 
sämmtlichen  animalen  Functionen  des  Schwammkörpers  vollzieht:  Be- 
wegung, Empfindung,  Stützung  und  Deckung.  Das  ver- 
schmolzene Protoplasma  der  Sarcodine  ist  contractu,  empfindlich, 
skeletbildead  und  die  Körperoberfläche  deckend.  Es  vereinigt 
daher  gleichsam  in  einer  Person  die  vier  Functionen,  welche  bei 
den  höheren  Thieren  getrennt  und  vertbeilt  sind  auf  die  vier  Gewebs- 
Formationen  der  Muskeln ,  der  Nerven ,  der  skeletbildenden  Bindesub- 
stanzen und  der  epidermoidalen  Decken. 


228  Erust  nuekel, 

In  morphologischer  Beziehung  bewirkt  unler  allen  Functioneo  des 
Ectoderms  seine  skelelbildende  Thytigkeil  unstreitig  das  bedeu- 
lenilstB  BesulUil.  Das  Skelel  der  Ealk schwämme  und  ebenso  allei 
Übrigen  Scbwamme,  ist  reines  Product  des  Ectoderms,  und 
iiwar  niemals  eine  einfache  Ausscheidung,  ein  nSusseres  Plasma -Pro- 
duct«, wie  ich  diesen  Begriff  in  meiner  generellen  Morphologie  um- 
schrieben habe,  sondern  stets  ein  inneres  Plasma-Product.  Die 
vielfach  ventilirte  Streitfrage,  ob  die  Skelettheile  der  Spongien  tm  In- 
nern von  Zellen  entstehen  oder  nicht,  erledigt  sieb  durch  die  Entwicke- 
lungsgeschichte.  Wenn  das  skeletbildende  Protoplasma  noch  in  Form 
einer  selbständigen ,  mit  einem  Kern  versebenen  Zelle  persistirt ,  ent- 
stehen die  Skeletnadeln  im  Innern  dieser  Zelle.  Wenn  aber  die  skelet- 
bildenden  Zellen  bereits  zurSarcodine  verschmolzen  sind,  eotslehen 
die  Skelettheile  im  Innern  dieses  Syncytiums.  Niemals  entstehen 
die  Skeletlheile  der  Spongien  an  der  freien  Oberflache 
des  Ectoderms,  sondern  stets  in  dessen  Innerem. 

An  dem  Kalkskelet  der  Kalkscbwämme,  durch  welches  steh 
diese  Spongien  von  allen  tlbrigen  unterscheiden ,  kann  man  steh  ver- 
ha Itniss massig  leicht  von  dieser  Thatsache  llberzeugen.  Die  Nadeln  des 
Kalkskelets  liegen  nömlich  hier  entweder  gänzlich  versleckt  in  dem 
modificirten  Protoplasma  des  Ectoderm,  oder  wenn  sie  aus  dessen  Ober- 
flache frei  hervoi^egangen,  sind  sie  noch  von  einer  dUnnen  Schiebt  des 
Protoplasma,  wie  von  einer  Scheide  überzogen.  Dieses  zuerst  von  Köl- 
LiKBR  bei  Tarrus  spongiosus  (seiner  Nardoa  spongiosa)  her- 
vorgehobene Verhalten  finde  ich  bei  den  Ealkschwammen  ganz  allge- 
mein mehr  oder  minder  deutlich  vor.  Ausserdem  enthalten  die  Kalk- 
nadeln in  einzelnen  Fallen  auch  einen  centralen,  mit  Protoplasma 
erfüllten  Canal ,  wie  er  bei  den  Kieselnadeln  der  Eieselchw.lmme  fast 
allgemein  vorkommt.  Endlich  scheint  bei  vielen  (vielleicht  allen  1}  Cal- 
cispongien  der  kohlensaure  Kalk  des  Skelets  nicht  ganz  rein  abgelagert, 
sondern  innig  verbunden  zu  sein  mit  einer  mehr  oder  weniger  unbe- 
deutenden Quantität  von  organischer  Substanz  [modificirtem  Proto- 
plasma], Bei  manchen  Kalkscbwammen  ist  der  Antheil  der  Kohlenstoff- 
Verbindung  an  der  Bildung  der  Skelettheile  so  bedeutend,  dass  diesel- 
ben nach  Extraction  des  kohlensauren  Kalks  durch  Salzsaure  in  Form 
und  Grosse  ganz  unverändert  bleiben ,  wahrend  beim  Glühen  nur  ein 
schwacher  Best  von  molekularem  Katkstaub  übrig  bleibt. 

Die  Formen  der  Skelettheile,  der  Nadeln  oder  Spicula,  sind 
bot  den  Kalkschwammen  bekanntlich  bei  weitem  nicht  so  mannichfalti^ 
als  bei  den  Kieselschwammen.  Es  kommen  nur  folgende  vier  Grund- 
formen iu  verschiedenen  Hodificationen  vor :  1 .  Einfache  Nadeln  (lineai-, 


üeber  den  Organismns  der  Schwftmme  ete-  229 

cylindrisch  oder  spindelförmig)  hiiufig.  2.  Zweischenkelige  Nadeln 
(gabelförmig  oder  hakenförmig)  sehr  selten.  3.  Dreischenkelige  oder 
dreisirahlige  Nadeln  (gleichschenkelig  oder  ungieichschenkelig ,  gleich- 
winkelig oder  ungleichwinkelig)  bei  weitem  die  häuGgste,  und  zugleich 
die  für  die  Kalkschwämme  am  meisten  characteristischeForm.  4.  Vier- 
schenkelige  oder  vierstrahlige  Nadeln  (deren  vierter  Strahl  gewöhnlich 
frei  in  das  Canalsystem  hineinragt).  Die  verschiedenen  Modificationen 
dieser  vier  Grundformen ,  welche  die  Beobachter  der  Kalkschwämme 
bisher  mehr  beschäftigt  haben,  als  ihre  ganze  übrige  Organisation, 
werde  ich  in  meiner  Monographie  ausführlich  darstellen. 

Dass  die  Kalkschwämme  unter  allen  lebenden  Schwämmen  den  Co- 
rallen  am  nächsten  verwandt  sind ,  dürfte  zunächst  schon  aus  der  kal- 
kigen Beschaffenheit  des  Skele(s  in  beiden  Gruppen  gefolgert  werden. 
Es  kommen  aber  dazu  noch  sehr  interessante  Homologien  in  der  spe- 
cielleren  Differenzirung  des  Canalsystems  bei  den  höchst  entwickelten 
Formen  der  Kalkschwämme ,  welche  sich  zum  Theil  selbst  durch  Anti- 
nieren-Bildung  unmittelbar  an  die  einfacheren  Gorallenformen  anschlies- 
sen.  Es  mag  daher  schliesslich  noch  gestattet  sein ,  einen  Blick  auf  die 
Ausbildungsstufen  des  Canalsystems  bei  den  Kalkschwäm- 
men zu  werfen.  ' 

An  der  Wurzel  des  ganzen  Systems  der  Kalkschwämme  —  oder 
was  dasselbe  ist,  ihres  Stammbaums  —  steht  das  merkwürdige  Pro- 
sycum,  der  kleine  Kalkschwamm,  dessen  Canalsystem  bloss  aus  Ma- 
genhöhle mit  Mundöffnung  besteht.  An  ihn  schliesst  sich  zunächst 
Olynthus  an,  eine  einfache  Person  mit  Magen  und  Mundöffhung, 
deren  Magenwand  oder  Leibeswand  von  ganz  einfachen  Poren  durch- 
setzt ist.  Diese  Hautporen  sind  einfache  Parenchymlücken ,  welche 
beide  Schichten  der  Leibeswand  (Ectoderm  und  Entoderm)  durchsetzen, 
entstanden  durch  Auseinanderweichen  der  Zellen  an  wechselnden  Stel- 
len. Eine  besondere  Canalwand  fehlt.  Ort  und^Zahl  der  Haut- 
poren sind  bei  Olynthus  und  den  nächststehenden  Calcispongien 
(Leucosolenia,  Clistolynthus)  nicht  constant,  sondern 
wechselnd.  Neue  bilden  sich,  während  die  gebildeten  Poren  durch 
Zusammentritt  der  auseinander  gewichenen  Zellen  wiederum  oblite- 
riren.  So  verhalten  sich  die  Poren  auch  bei  Leucosolenia  (einem 
stockbildenden  Olynthus)  und  bei  Clistolynthus  (einem  Olyn- 
thus, dessen  Mund  zugewachsen  ist). 

Bei  den  grösseren  und  höher  entwickelten  Kalkschwämmen  gestal- 
ten sich  die  einfachen  und  inconstanten  Hautporen  allmählig  zu  blei- 
benden und  Constanten  Canälen,  welche  dadurch  eine  besondere  Wand 
erhalten ,  dass  sich  das  Geisselepithel  der  Mageuhöhle  auf  ihre  innere 
Bd.  V.  2.  46 


230  >i"tal  Hm-^kel, 

OberflSche ,  durch  das  ganze  Ectoderm  hindurcb ,  fordetet  (so  in  dir 
Familie  der  Sycaiiden).  Am  genauesten  untersucht  wnren  unter  diesesi 
bisher  die  Genera  Sycum  und  DunsterviLlia,  bei  denen  sich  dii' 
Hautporen  zu  sehr  ansehnlichen  Ganälen  iHitwickell  haben ,  welche 
ganz  regelmässig  angeordnet  in  radialer  Ricbtui^  die  KorpefwaDiJ 
durchsetzen.  Die  bisherigen  Beobachter  haben  aber  alle  Übersehen, 
dass  diese  radialen  Canäle  nicht  allein  innen  in  den  Hagen ,  aus- 
sen an  der  Körperoberflache  münden,  sondern  auch  alle  unter  ein- 
ander in  directcr  Communication  stehen.  Die  Wände  zwischen  den 
einzelnen,  sich  dicht  berührenden  ßadial-Canälen  sind  nümlich  allent- 
halben siebfttrraig  durchlöchert  und  von  zahlreichen  Gommonications- 
Oeffnungen  oder  Conjunctiv-Foren  durchbrochen,  durch  welche 
jeder  Canal  mit  allen  benachbarten  communicirt.  Bei  einigen  Gattun- 
gen verösleln  sich  die  regulären  Radial  -  Canäle  nach  aussen  hin  in 
ähnlicher  Weise,  wie  die  irregulären  Parietal-Canäle  in  der  Wand  der 
Dyssyciden. 

Die  merkwürdigste  Entwicklung  erreicht  aber  das  Canalsyslem  in 
dem  am  Sycarium  und  Sycum  sich  anschliessenden  Cyathiscus, 
bei  welchem  die  horizontalen  Scheidewände  zwischen  den  über  än- 
and  erliegen  den  Badial-Canälen  resorbirt  werden,  während  die  verti- 
calen  Scheidewände  zwischen  den  neben  einanderliegenden  ßadial- 
Canälen  bestehen  bleiben.  Dadurch  entstehtein  System  von  radia- 
len perigastrischen  Fächern,  welches  sich  ganz  ähnhch  verhält, 
wie  das  entsprechende  System  der  perigastrischen,  strahlig  den  Magen 
umgebenden  Hohlräume  bei  den  Gorallen.  Der  einzige  Unterschied  ist, 
dass  die  directe  Communication  zwischen  der  HagenhBhIe  und  den  sie 
umschliessendea  Fächern  bei  den  Corallen  durch  die  untere  OeffiiUDg 
des  Magens  und  der  perigastrischen  Fächer  in  den  gemeinsamen  dar- 
unter liegenden  Basalraum  der  Leibeshühle  erfolgt,  beiCyathiscus 
dagegen  durch  je  eine  longitudinale  Beihe  von  Lochern  (Hag^tporen), 
welche  die  Scheidewand  zwischen  der  Magenhöhle  und  jedem  peri- 
gastrischen Badialfach  durchbricht.  So  zerfallt  die  Person  vod 
Cyatbiscus  ganz  ebensoin  ein  radiales  System  vonAn- 
timeren,  wie  jede  entwickelte  Corallen-Person. 

DassAntimerenbildung  bei  denSpongienüberbauplschon 
mehrfach  auftritt ,  und  dadurch  ein  noch  engerer  Anschluss  an  die  Co- 
rallen vermittelt  winl,  ist  bisher  glinzlich  übersehen  worden ,  und  erst 
HiKLUCBo  hat  im  vorigen  Jahre  darauf  aufmerksam  gemacht  (1.  c.  p.  S30]. 
Bei  Axinella  polypoides,  beiOsculina  polyslomella  und  bei 
vielen  anderen  Schwilmmon,  unter  den  fossilen  namentlich  bei  Coe- 
loptychium  lobalum,  Siphonia  costata  u.  a.  springen  diesel- 


Uebfr  den  Organismiis  der  Sdiwümme  etc.  231 

ben  sofort  in  die  Augen.  Diese  »radialen«  Schwämme  sind  nicht 
minder  echte  d  Strahlthierea  als  die  meisten  Gorallen.  Offenbar  er- 
beben sich  aber  die  Schwämme ,  bei  denen  sich  so  deutlich  Antimeren 
differeniiren ,  in  tectologischer  Beziehung  nicht  weniger  als  die  hoher 
entwickelten  Gorallen  über  die  niederen  Schwämme ,  denen  noch  jede 
Antimerete-Bildung  fehlt. 

Somit  bleibt,  abgesehen  von  dem  höheren  Grade  der  histologischen 
Differenzirung  bei  den  meisten  Gorallen ,  nicht  ein  einziger  Character 
ttbrig,  welcher  die  Schwämme  durchgreifend  von  den  Gorallen  trennt. 
Selbst  die  den  Mund  umgebenden  Tentakeln,  welche  bisher  ausschliess- 
liches Eigenthum  der  Gorallen  zu  sein  schienen,  beginnen  bei  einzelnen 
Schwämmen  bereits  sich  zu  entwickeln.  Wenigstens  mochte  ich  die 
bOchst  merkwürdigen,  krausen  und  gefranzten  »Papillem,  welche  in 
einem  Kranze  die  MundOffnung  von  Osculinapolystomella,  einem 
der  merkwürdigsten  Schwämme,  umgeben,  als  beginnende  Ten- 
takeln deuten.  Uebrigens  dürfte  auf  die  Tentakeln  der  Gorallen,  als 
secundär  entwickelte  Anhänge,  um  so  weniger  Gewicht  zu  legen  sein, 
als  auch  Gorallen  vorkommen,  bei  denen  dieselben  fast  fehlen,  oder  nur 
in  Form  rudimentärer  KnOpfe  entwidLelt  sind  (z.  B.  Antipathes). 

Dass  die  Verhältnisse  der  Stockbildung  oder  der  Gormoge- 
nie  bei  den  Gorallen  und  bei  den  Spongien  ganz  dieselben  sind,  be- 
darf kaum  noch  besonderer  Erwähnung.  Die  Uebereinstimmung  zwi- 
schen beiden  Thierclassen  ist  gerade  in  dieser  Beziehung  so  auffallend, 
dass  sie  vorzugsweise  es  war ,  welche  schon  die  älteren  Naturforscher 
veranlasste ,  Schwämme  und  Gorallen  im  System  zu  vereinigen.  Wir 
finden  bei  den  Schwämmen  keine  geringere  Mannichfaltigkeit  in  der 
Zusammensetzung  der  Personen  zu  Stücken,  als  bei  den  Gorallen, 
und  auch  die  speciellen  Modificationen  in  der  Stockbildung,  welche 
durch  die  mannichfaltigen  Formen  der  unvollständigen  Theilung  und 
Knospenbildung  bei  den  Gorallen  entstehen,  finden  sich  bei  den 
Schwämmen  wieder.  Nur  ein  hierher  gehöriges  Verhältniss  mag 
noch  speeiell  hervorgehoben  werden ,  weil  dasselbe  vielfach  zu  selt- 
samen Missdeutungen  geführt  hat.  Dies  ist  die  Bildung  eigenthüm- 
lich  redueirter  Stocke  durch  Verwachsung  oder  Goncrescenz 
der  Aeste,  resp.  Personen.  Wie  bei  den  bekannten  Fächer- 
corallen  (z.  B.  Rhipidogorgia  f  labeil  um)  die  eigenthümlichen 
Formen  der  {flach  ausgebreiteten  netzförmigen  StOdie  durcb  vielfache 
Goncrescenz  von  Aesten  und  Anastomose  ihrer  Hohli^ume  entstohen, 
so  bilden  sich  bei  den  Schwämmen  nicht  allein  netzförmig  ausgebrei- 
tote,  sondern  auch  knäuelartig  verwickelte  Stocke,  indem  ebenfalls  ihre 
Stockäste,   resp.  Personen,  untereinander  an    den  BerUhrungsstellen 

46* 


232  Krnsl  HAwkel, 

verwachsen  und  nnaalomosiren.  llnt«r  den  Kallcschwifmmeii  werden 
diese  labynnlliischeD  Knliufl  besonders  bei  den  Nnrdopsiden  und  den 
Tarromiden  so  diehl,  dass  man  vielfach  die  Lücken  zwischen  den  er- 
wachsenen Personen  für  innere  Hohlniunie  ihres  communicirenden  Ca- 
nalsysl^ms  gehallen  hnl.  So  beschreibt  7..  B.  Köllisbb  bei  seiner  Nnr- 
doa  spongiosa  [unserem  Ta  rrus  spongiosus}  diu  LU(5ken  umi 
Spalten  zwischen  den  dicht  verwachsenen  Aeslen  des  Stockes  als  »Aus- 
fuhrungS'Canüleu  und  das  innere,  flimmernde  Canalsystem  (die  Holil- 
räume  der  Aeste),  welches  diesen ,  wie  vielen  andern  Schwämmen  zu- 
kommt, als  nein  Netz  von  Wimper-Canitlen ,  wie  es  noch  hei  kfim-f 
Spongie  gesehen  istu. 

Die  merkwürdigsten  Resultate  entstehen  durch  fortgnsetzle  Con- 
crescenz  der  Personen  in  den  Gattungen  Naidoa,  Nardopsis  und 
Coenostoma,  welche  ich  desslialb  in  der  besonderen  Ordnung  ilii' 
Coenosyken  zusammengofasst  habe.  Hier  münden  nilmlich  nach  t- 
langter  Reife  die  Magenhöhlen  oder  n Schornsteine«  der  verschiedpnpn 
Personen,  welche  einen  Stock  zusammensetzen  und  welche  durch  W'- 
rale  Knospenbildung  aus  einer  Person  entstanden  sind,  schliesslich  in 
einen  einzigen  Hohlraum  [eine  gemeinsame  nAusslrümungsröbreuj  zu- 
sammen, welcher  sich  durch  eine  einzige  Mündung  (einen  gern  ein  saun" 
Mund]  nach  aussen  öGTnet.  Da  der  reife  Schwamm  liier  nur  eine  ein^ii;'' 
Mundöffnung  besitzt,  isler  scheinbar  nur  eine  Person,  in  Wirk- 
lichkeit aber  ein  echter  Stock,  d.  h.  ein  aus  mehreren  Persoin'n 
zusammengesetzter  Cormus.  In  der  Jugend  besitzt  jede  Person  ilir'' 
eigene  Mundtißhung,  bis  sie  später  mit  ihren  Nachbarn  verwächst  und 
mit  diesen  zusammen  sich  eine  gemeinsame  MundJItTnung  bildet. 

Wenn  man  diese  wunderbaren  Thierstöcke,  deren  Personen  durcii 
ilbermüssige  Centralisation  den  wesentlichsten  Theil  ihrer  Individuali- 
tät, den  Mund,  aufgegeben  und  sich  dafür  einen  gemeinsamen  Stock- 
mund [Corniostoma]  angeschaRl  haben,  durch  eine  besondere  tie- 
Zeichnung  von  den  ursprünglichen,  vielmündigcn  Cormen  unterschei- 
den will,  so  dürften  sie  vielleicht  passend  Coenobien  genannt  wer- 
den. Als  ein  solches  Coenobiuni  wäre  nach  meiner,  in  der  genereile" 
Morphologie  entwickelten  Hypothese  auch  die  ursprüngliche  Stammform 
der  Echinodermcn ,  die  älteste  Astenden  -  Form  (Tocastra)  aufzufassen. 
Wenn,  dieser  phylogenetischen  Hypothese  entsprechend,  die  ursprün?' 
liehe  Seestern-Form  w'rklich  einen  Stock  von  gegliederten  Würnif" 
(Personen)  darstellte,  die  sich  eine  gemeinsame  Mundüffnung  gebild''' 
hatten,  so  wUi-de  dieser  anscheinend  so  wunderbare  Vorgang  in  ('it 
Thal  nicht  « undeibarer  sein ,  als  die  tbnlsüchliche,  jederzeit  oatogene- 
tisch  zu  verfolgende  Entstehung  des  Coenobiums  einer  Nardoa  odef 


1 


Ueber  den  Oi^nismus  der  Schwämme  etc.  233 

Nardopsis  aus  einem  Stock  von  Leucosolenia.  Die  niederen  Coe- 
nobien  der  Coenosyken  erscheinen  so  wirklich  sehr  geeignet ,  die  Ent- 
stehung der  höheren  Coenobien  bei  den  viel  vollkommeneren  Echino- 
dermen  zu  erläutern. 

So  eigenthttmlich  die  Nardopsiden  und  Coenostomiden  mit  ihrem 
einzigen  Gormostom  auch  dastehen,  so  werden  sie  (wenigstens  die  er- 
sieren)  doch  auch  durch  vermittelnde  Zwischenformen  mit  den  Leuco- 
solenien  verbunden,  aus  denen  sie  hervorgegangen  sind.  Solehe  Ueber- 
gangsformen^sind  die  Tarromiden,  bei  denen  der  Schwammstock  nicht 
ein  einziges,  sondern  mehrere  Cormostomen  besitzt,  bei  denen  die 
Mundöfihungen  der  Personen  also  nicht  alle  in  eine  einzige ,  sondern 
gruppenweise  in  mehrere  getrennte  Stockmündungen  verschmolzen 
sind.  Anderseits  aber  kann  die  weitergehende  Verwachsung  der  ur- 
sprünglich vorhandenen  Mundöffnungen  aber  auch  zu  ihrem  vollstän- 
digen Verschwinden  ftlhren ,  wie  bei  den  oben  angeführten  mundlosen 
Schwämmen.  Sowohl  die  einzelnen  Personen  (C 1  i  s  t  o  1  y  n  t  h  u  s}  als  der 
aus  mehreren  Personen  zusammengesetzte  Stock  (Auloplegma)  kann 
durch  secundäre  Verwachsung  seine  ursprünglichen  Mundöffnungen  ein- 
büssen.  Es  giebt  also  unter  den  Kalkschwämmen  sowohl  einzelne  For- 
men mit  Hautporen,  aber  ohne  Mund  (Clistolynthus,  Auloplegma) 
als  auch  entgegengesetzte  Formen  mit  Mund,  aber  ohne  Hautporen 
(Prosycum). 

Die  hier  berührte  Erscheinung,  dassdie  scheinbar  entgegengesetzten 
.und  extremen  Bildungen  durch  eine  vermittelnde  Kette  von  allmähligen 
Uebergangsformen  verbunden  werden  und  somit  die  Einheit  des  Orga- 
nisations-Typus,  d.  h.  die  Einheit  der  Abstammung,  überall  trotz  der 
grössten  Mannichfaltigkeit  im  Einzelnen  hervorleuchtet,  tritt  dem  kriti- 
schen und  unbefangenen  Naturforscher  bei  den  Kalkschwämmen ,  wie 
hei  den  Schwämmen  überhaupt,  allenthalben  entgegen  und  lässt  deren 
Studium  so  äusserst  lehrreich,  so  ungemein  fruchtbar,  namentlich  für 
das  Verständniss  der  Descendenz-Theorie  erscheinen.  Die 
ga nze  Naturgeschichte  der  Spongien  ist  eine  zusammen- 
hängende und  schlagende  Beweisführung  nfür  Darwin«. 
Schon  Fritz  Müller  und  Oskar  Schmidt  haben  an  vielen  einzelnen  Bei- 
spielen diese  unläugbarc  Thatsache  hervorgehoben  und  ich  selbst  habe 
dieselbe  allenthalben  durchaus  bestätigt  gefunden.  Der  Organismus  der 
Spongien  hat  sich  offenbar  noch  bis  in  unsere  Zeit  so  flüssig,  so  beweg- 
lich, so  biegsam  erhalten,  dass  wir  den  Ursprung  der  verschie- 
denen Species  aus  einer  gemeinsamen  Stammform  hier 
noch  Schritt  für  Schritt  auf  das  Klarste  verfolgen  können. 

Nur  zwei  Schwammformen  mögen  schliesslich  in  dieser  Beziehung 


234  t^rnsl  HiiKk'l, 

noch  als  ganz  besonders  lohrrpich  und  inlcressnnl  hervorpchobrn  wer- 
den. Das  isl  dieGuancha  blanca  vonHiKLUcno  und  meine  Sy  co- 
tnclra  comprossii.  Diese  beiden  Kalkschwammo  Irelcn  in  so  ver- 
schiedenen Formen  auf,  dass  sie  bald  dieser,  bald  jenerGruppe  im  Sj- 
sl«m  anzugehären  scheinen ,  und  dass  sie  den  Syslomatiker  in  die  äus- 
scrstc  Verlegenheit  setzen.  leh  selbst  habe  mir  in  dem  nachstehenden 
Prodromus  eines  Systems  der  Caicispongien  nicht  anders  über  diese 
Schwierigkeit  hinweghelfen  können,  als  dadurch,  dass  ich  eine  besoo— 
dere  Ordnung,  die  Melrosyken,  fUr  sie  gründete. 

Guancba  blanca  von  den  canarischcn  Inseln  erscheinl  in 
ibriTam  meisten  ausgebildeten  Form  als  ein  Schwa  in  ni  stock,  wel- 
cher an  einem  und  demselben  Cormus  die  reifen  Formen 
von  nicht  weniger  als  vier  gani;  verschiedenen  Genera 
tragt,  nüDilich  Olynthus  von  den  Monosyken  (Form  A  von  Mi- 
KLL'CBOJ,  Lcucosolenia  (Form  B)  und  Tarrus  (l'orni  D}  von  de u 
Polysykcn  und  Nardoa  von  den  Coenosykon  (Form  C.  von  MiklucboJ. 
In  ähnlicher  Weise  erscheint  die  am  meisten  ausgebildete  Form  der 
Sycomclra  comprcssa  aus  Norwegen  als  ein  Schwnmmstock, 
welcher  an  einem  u  nd  demselben  Gormus  die  reifen  For- 
men sogar  von  acht  verschiedenen  Genera  trügt,  uümlirh 
Sycarium  und  Arlynas  aus  der  Familie  der  Syeariden,  Syci- 
dium  und  Arty  nium  aus  der  Familie  der  Sycodendridon,  Sy  cocy- 
stis  und  Arlynclla  aus  der  Ordnung  der  Clislosyken,  Syeophyl- 
lum  und  Arty  nophyllum  aus  der  Ordnung  der  Gophosykcn.  Ab 
goncrisch  verschieden  und  nicht  als  blosse  EnlwicklungszusUindc  einer 
Spccies  rauss  man  aber  alle  diese  auf  einem  Stock  vereinigten  Formen 
desshalb  betrachten,  weil  jede  derselben  fortpflanzungsfähig  isl  und  in 
ihren  ausgebilBeten  Sporen  das  beweisende  Zeugniss  der 
vollen  Reife  bei  sich  führt.  Bei  diesen  hdchsl  merkwürdi- 
gen und  wichtigen  Schwämmen  isl  die  organische  Spe- 
cies  gleichsam  »in  statu  nascentio  zu  beobachten. 

Wahrscheinlich  gilt  dasselbe  auch  von  dem  Sycarium  rhopa  In- 
des aus  Norwegen  und  von  der  Ute  utriculus  aus  Grünland,  welche 
letztere  O.sKAiiScHiimT  beschrieben  hat,  vorausgesetzt,  dass  die  verschie- 
denen Formen  derselben,  welche  ich  unter  dieOencra Sycarium,  Ar- 
tynas,  Syeocystis  undAntyneila  gestellt  habe,  auch  wirklich 
ihre  specifische  Heifo  durch  den  Besitz  ausgebildeter  Sporen  bezeugen. 

Wenn  wir  schliesslich  nochmals  auf  die  Verwandtschaft  der 
Schwünome  und  Corallen  lurUckkoDimen  und  die  Grenze  zwischen  die- 
sen beiden  Thierclassen  kunstlich  festzustellen  versuchen,  so  bleibt 
uns  eigentlich  weiter  nichls  übrig,  als  der  höhere  Grad  der  hisWlogi- 


Ueber  den  Organismas  der  SchwSmme  etc.  235 

sehen  Differenzirung  bei  den  Corallen,  insbesondere  aber  der  Besitz 
der  Nesselzelien.  Kein  Schwamm  bildet  Nesselorgane  in 
seinen  Ectoderm-Zellen,  während  diese  bei  allen  Aca- 
lephen  (bei  allen  Corallen,  Hydromedusen  und  Ctenophoren 
ohne  Ausnahme)  in  grösserer  oder  geringerer  Ausdehnung  vorhan- 
den sind.  Freilich  wird  man  zugeben  müssen,  dass  dieser  histologische 
Character  an  sich  sehr  geringfügig ,  und  sowohl  in  Beziehung  auf  seine 
physiologische,  wie  seine  morphologische  Bedeutung  wenig  geeignet  ist, 
eine  scharfe  Grenze  zwischen  den  Spongien  und  den  übrigen  Coelente- 
raten  herzustellen.  Diese  Grenze  erscheint  sehr  künstlich ,  wenn  man 
bedenkt,  dass  es  sowohl  unter  den  Würmern,  als  unter  den  Mollusken 
auch  einzelne  Formen  mit  Nesselorganen  giebt.  Sie  wird  aber  noch 
mehr  verwischt ,  wenn  man  die  gesammten  Verhältnisse  der  histolo- 
gischen Differenzirung  bei  den  Spongien  Gorallen  in's  Auge  fasst  und 
sich  überzeugt,  dass  in  beiden  Classen  ein  weiter  Spielraum  für  den 
Differenzirungs-Grad  gegeben  ist.  Nicht  wenige  unter  den  höher  ent- 
wickelten Schwämmen  nehmen  in  Bezug  auf  histologische  Differenzi- 
rung vielleicht  eine  höhere  Stufe ,  als  manche  Gorallen  oder  wenigstens 
als  die  Hydren  unter  den  Acalephen  ein.  Dagegen  würde  sich  ein  sehr 
wichtiger  und  durchgreifender  Unterschied  zwischen  den  Acalephen  und 
den  Spongien  ergeben,  wenn  sich  meine  oben  ausgesprochene  Ver- 
muthung  bestätigen  sollte,  dass  Zoospermien  und  somit  sexuelle  Dif- 
ferenzirung bei  den  Spongien  noch  nicht  vorkommen,  und  dass  die 
angeblichen  »Eier«  der  Schwämme  geschlechtslose  Sporen  sind. 

Die  nähere  Erörterung  und  Begründung  aller  hier  angeführten  Ver- 
hältnisse behalte  ich  meiner  ausAlhrlicbeB  Monographie  der  Kalk- 
schwämme vor ,  und  richte  schliesslich ,  um  den  systematischen  Theil 
dieser  Arbeit  möglichst  vollständig  zu  gestalten,  an  alle  Leser  dieser 
vorläufigen  Mittheilung,  welche  im  Besitz  von  getrockneten  oder  in 
Weingeist  befindlichen  Kalkschwämmen  sind,  die  Bitte,  mir  dieselben 
zur  Durchsicht  und  Vergleichung  übersenden  zu  wollen.  Die  Kalk- 
schwämme sind  bisher  in  den  zoologischen  Sammlungen  fast  überall  so 
spärlich  vertreten  und  ihre  Systematik  liegt  so  im  Argen,  dass  der  nach- 
stehende Prodromus  eines  Systems  der  Kalkschwämme  ganz  von  vorn 
anfangen  muss.  Ausserdem  sind  viele  Calcispongien  im  inneren  Bau 
so  sehr  verschieden ,  während  ihr  unscheinbares  Aeussere  fast  gleich 
erscheint,  dass  die  genaueste  mikroskopische  Untersuchung  aller  bisher 
gefundenen  Formen  zur  Begrtlndung  ihrer  Systematik  ganz  unerläss- 
lich  ist. 


Pndronos  eines  Systems  der  Halkschnämme. 


Ernst  Haeckel. 


nlfl:    J.=JniirisToii.    Bb.  =  Bowerbaki.   O.  S.  =05rar  Scumidt.    M.  M.  =Ui 

itniCH(i-M*CL*v,     H.  =HiECKtL.     (Ein  '  vor  den  Namen  der  Genera  oder 

Species  bedeuleL ,  dass  dicso  nou  sind.) 


Legio;  Calcisponglae,  Blainville. 

(Synonym:  Granliae,  Fleking.  Spongiao  calcareae,  Bo- 
wkrbank}.  Scliwiinimc  mil  einem  Skelel  aus  kohlensaurer 
Kalkerde. 

I.  Ordo :   MoDOSyca,  H. 

Ordnungs-Characler;  Der  reife  Kalkseh wamiii  bildet 
einePersonmitciiierMundtirrnuiig.    (Körper  meist  cylindrisch, 

spindclDlrmig  oder  eiförmig,  unverästcll.  Magenfaühle  [innere  Uöhlunp 
des  Körpers)  einfach  oder  fücherig,  stets  mit  einer  einfachen,  der  An- 
salzsltille  entgegengesetzten  JtfundölTnung) . 

1.  Familia:  Frosyoida,II. 

Familien-Character:  Der  reife  Kalkschwamm  bildet  eine  ein- 
fache, schlauchförmige,  mit  einer  Mundöffnung  versehene  Person,  deren 
Körperwand  [Magenwand]  ganz  solid  und  nicht  durchbohrt  ist. 

*1.  Genus:  Proflycum,  nov.  gen. 

Gattungs-Character:  Hundöffnung  einfach ,  ohne  Perislom- 
Krone  [ohne  Kranz  von  frei  vorragenden  Nadeln). 


Prodromos  eines  Systems  der  KAlkschwümme.  237 

Species  von  Prosycum  (9): 

*\.  Prosycum  simplicissimum,  H.     Neapel,  H. 

*  2.  Prosycum  primordiale,  H.   Neapel,  H. 

IL  Familiär  Olynthids,  H. 

Familien-Character :  Der  reife Ealkschwamm  bildet  eine  ein- 
fache,  schlauchförmige,  mit  einer  Mundöffnung  versehene  Person,  deren 
Körperwand  (Magenwand)  nur  von  einfachen  Hautporen  durchbrochen 
ist  (die  Hautporen  sind  einfache  Parenchym-Lttcken,  ohne  besondere 
Auskleidung) . 

*2.  Genus:  OlynthuB,  nov.  gen. 

Gattungs-Character:  Mundöffnung  einfach,- ohne  Peristom- 
Krone  (ohne  Kranz  von  frei  vorragenden  Nadeln). 

species  von  Olynthus  (5): 

*3.  O.  Simplex,  H.  Neapel,  H. 

4.  0.  guancha,  H.  (Guancha  blanca,  M.  M.,  Var.  A).   Lanzerote, 
M.   M. 

*5.  0.  cyathus,  H.  Gibraltar,  H. 

6.  0.  pocillum,  H.  (Spongia  pocillum,  Fabricius).  Grönland,  Fa- 
BRiGius.    Norwegen. 

"^7.  0.  hispidus,  H.  Helgoland.  H. 

"^3.  Genus:  Olynthium,  nov.  gen. 

Gattungs-Charakter:  Mundöfihung  mit  Peristom-Krone  (von 
einem  besonderen  Kranz  von  frer  vorragenden  Nadeln  umgeben). 

Species  von  Olynthium  (2). 

*8.  0.  nitidum,  H.     Algoa-Bay. 

*  9.  0.  splendidum,  IL    Algoa-Bay. 

IIL  Familia:  Syoarida,  H. 

Familien-Character:  Der  reife  Kalkschwamm  bildet  eine 
einfache,  schlauchförmige,  mit  einer  Mundöffnung  versehene  Person, 
deren  Magenwand  von  regulären,  radialen  Canälen  (Radial-Tuben) 
durchsetzt  ist.  (Die  Radial-Tuben  sind  von  dem  flimmernden  Entoderm 
ausgekleidet,  münden  am  distalen  Ende  durch  Hautporen  nach  aussen, 
am  proximalen  Ende  durch  Magenporen  in  die  Magenhöhle ,  und  com- 
municiren  mit  einander  allenthalben  durch  Conjunctiv-Poren). 


'4.  Genus;  Amphoridium,  nov.  gen. 

Gatlungs-Gharnclcr  :  Skeißl  besteht  bloss  aus  einfacheo  (li- 
nearen) Nadeln. 

Spocies  von  Amphnri'diuin  (1)  : 

)0.  Ampboridium  viride,  H.    (Ute  viridis,  0.  S.)    Cell«,  O.  S. 

*5.  Genus:  AmphoriBous,  nov.  gen. 

GallUBgs-Characler;  Skelet  besteht  bloss  aus  vierstrahl  igen 
Nadeln. 

Species  von  AmphorlscuB  (3)  : 

H.A.  chrysalis,  H.    (Ute  chrysalis,  0.  S.)   Lesina,  0.  S. 
*12.  A.  urna,  11.    Caracas.   Gollher. 
*13.  A,  cyathisGus,  !1.    Auslralien. 

•6.  Genus;  Sjoarium,  nov.  gen. 

Galtungs-Gharaeler;  Skclet  besteht  aus  dreistrahligen  Na- 
deln in  den  Wanden  der  Radial  -  Canillc ,  aus  vierslrahligen  Nadeln  in 
der  Magenwand ,  deren  vierler  Strahl  frei  in  die  Ufagenhöhle  vorspriniit 
und  aus  einfachen,  frei  vorragenden,  linearen  Nadeln  am  distalen  Endf 
der  Radialcanäle.  HundOHhung  einfach,  ohne  dtlnnhcluligen  RUssoI  und 
ohne  Peristom-Krone. 

Species  von  Sycarium  (6): 

*  M.  S.  ampulla,  11.  Norwegen. 
*15.  S.  rhopalodes,  H.  Norwegen. 

16.  S.  compressum,  H.     (Grsnlia  compressa,  J.  Var.  A.)     Eng- 
land. Norwegen. 

17.  S.  utriculus,  H.   (Ute  utriculus,  0.  Schmidt,  var.  A.)   Grön- 
land. 

•18.  S.  villosum,  H.  Antillen. 
*19.  S.  vcsica,  11.  Messina,  H. 

7.  Genus;  Syconella,  O.  Schmidt. 

Gattungs-Charaelcr:  Skelet  von  Sycarium.  Mundöffnung  in 
einen  dilnnhüuligen  RUssel  (einen  nidil  von  Radial-Canalen  durcbbohr- 
len  Canal)  voriüngerl,  ohne  Perislom-Kronc. 

Spocies  von  Syconella   (3]: 

20.   8.  quadrangulata,  0.  S.   Adrialisches  Meer,  0.  S. 


Prodromus  eines  Systems  der  Kaikschwlimine.  239 

*2\.  S.  proboscidea,  H.   Rothes  Meer,  Siemkns. 
*a.  S.  lubulosa,  H.   Australien. 

8.  Genus :  Syoum^  Risso. 

Gattungs-Character:  Skelet  von  Sycarium.  MundöShung 
mit  einer  einfachen  Peristom  -  Krone  (von  einem  einfachen  Kranz  von 
frei  vorragenden  Nadeln  umgeben) . 

Species  von  Sycum  (48): 

23.  S.  ciliatum,  H.  (Spongia  ciliata,  Fabrigius).  Grönland.  Bri- 
tische Kttste. 

S4.  S.  arcticum,  H.  (Sycum  raphanus^  vor.  0.  Schmidt).  Grön- 
land. 

95.  S.  coronatum,  H.  (Spongia  coronata,  Ellis)  .  England  (Wey- 
mouth) ,  Max  Schultzb. 

26.  S.  giganteum,  H.  (Grantiaciliata,  var.  JoHNSTon).  Isleof  Man. 
Britannien. 

27.  S.  alopecurus,  H.   (Grantia  ciliata,  var.  Bowbrbank.) 

28.  S.  tessellatum,  H.  (Grantia  tessellata,  Bowbrbahk.)  Nor- 
mannische Inseln,  Bucklaicd. 

29.  S.  ananas,  H.  (Spongia  ananas,  Montagu.)   Britannien. 

30.  S.  ovatum,  H.   (Sycum  ciliatum,  Libbbrcühn).  Helgoland» 
*3\,  S.  clavatum,  H.   Norwegen.  Schilliug. 

*32.  S.  lanceolatum,  H.  Norwegen.  Schilling. 
"^33.  S.  lingua,  H.  Norwegen.  Schilling. 

34.  S.  tergestinum  (Sycum  ciliatum,  0.  Schmidt).  Triest. 

35.  S.  raphanus,  0.  S.  Dalmatien,  0.  S. 

36.  S.  capiliosum,  0.  S.   Sebenico,  0.  S. 

37.  S.  setosum,  0.  S.  Corfu,  0.  S. 

38.  S.  Humboldti,  Risso.  Nizza.  Venedig. 

39.  S.  inflatum  (Spongia  inflata,  Dbllb  Chiajb).  Neapel.   D.  C. 

40.  S.  petiolatum,  0.  S.  Deslerro.  Frite  Müller. 

9.  Genus:  Bunstervillia,  Bowbrbank. 

Gattungs-Char acter:  Skelet  von  Sycarium.  Mundöflhung 
mit  einer  doppelten  Peristom-Krone  (von  einem  doppelten  Kranz  von 
frei  vorragenden  Nadeln  umgeben,  einem  inneren  verticalen  und  einem 
äusseren  horizontalen  Kranz) . 

Species  von  Dunstervillia  (5): 
44.  D.  elegans,  Bb.   Algoa-Bay,  Bb. 


240  Krnsl  BnPrkfl. 

42.  D.  corcyronsis,  0.  S,    Corfu,  0.  S. 

•  43.  D.  Schmidlii,  H.    Lagosla,  0.  S. 

'44.  D.  Lanzerotafl,  U.    Lanzerote,  M.  M. 

*i3.  D.  formosa,  H.    Barbados. 

10.  Conus:    Artynaa,  Gray. 

Galtungs-Characler;    Skolel  wie  bei  Syoariuni.     Mundöff- 
nitng  einfach,  ohne  Rüssel   und  ohne  Pürislom- Krone.     Magenhöhie 
[iicherig,  von  unrogclmilssigen  ScheidewUndon  durchzogen. 
Speciea  von  Arlynaa  {41: 

46.  A.  Gompressua,  H.     (Grantia  compressa,  Johnstob,  Var.  B.) 

Norwegen. 

47.  A.  ulrirulus,  U.    (ULc  ulricuius,  0.  S.,  Var.)  Grönland. 
'48.  A.  rhopalodcs,  H.    Norwegon. 

'49.  A.  villosus,  II.    Anlillcn. 

H.  Genus;  Uta,  0.  Shumidt  (p.  p.) 

Gallungs-C  haracler :  Skoiet  besieht  aus  drciütrahligcn  Nn- 
dein  in  der  Wand  der  Radial-Caniüe,  aus  vicrslrtihligün  Nadeln  in  der 
Magenwand,  deren  vierler  Strahl  frei  in  die  HagenhOhle  vorspringt,  uiiJ 
aus  einfachen  linearen  Nadeln,  welche  der  Lilngsaxe  des  Körpers  paral- 
lel  laufen  und  dicht  aneinander  gelagert  einen  festen,  ilussoren  Panzer 
um  das  innere  System  der  Radial-Canillc  bilden.  Hiuidöffnung  einfach, 
ohne  Rüssel  und  ohne  Peristom— Krone. 

Species  von  Ulc  |i): 

üO.  U.  glabra,  0.  S.    Lagosta,  0.  S. 

51.  U.  cnsitta,  Gray  (Grantia  ensata,  Bb.).  Guernsey.   Blcklanp. 

12.  Genus:  CyathisouB,  nov.  gen. 

Gatlungä-Characicr:  Skel et  besieht  aus  dreistrahligpn  Na- 
deln in  den  radialen  Schcidewünden  der  peri gastrischen  Füchcr,  aus 
vierslrahligen  Nadeln  in  der  Magenwand,  deron  vieilcr  Strahl  frei  in 
die  Magenhtihle  vorspringt,  und  aus  einfachen,  linearen  Nadeln,  welche 
der  L<lDgsa)(c  des  Körpers  parallel  laufen  und  dicht  aneinander  gelagert 
einen  festen,  üusscrcn  Panzer  um  das  innere  System  der  Radial-Pücher 
bilden.  (Dieperigastrisehen,  radialen  Fächer,  welche  in  ühnlicher  Weise 
wie  bei  den  Corallen  den  Magen  umgeben,  sind  wahrscheinlich  ent- 
standen durch  Ausfall  der  horizunUden  Scheidewünde ,  welche  bei  Sy- 
carium,  Sycum  etc.  die  übereinander  liegenden  Radial-Canille  trennen. 


ProdronoB  einta  Sjslems  der  Kalksehwlromc.  241 

Jedes  perigastrische  Fach  mtlndet  durch  eine  Längsreihe  von  Magenpo- 
ren in  die  Hagenhohle  und  durch  mehrere  Längsreihen  von  llfiulpnivn 
nach  aussen).  HundOflnung  einfach,  ohne  Busse)  und  ohne  l'i'iisiDrn' 
Krone. 

Species  von  Cyathiscus  (1): 
*5S.  C.  actinia,  H.    Honolulu,  Haltbrkahn. 

IV.  Pa miliar  DyBsyoida,  H. 

Familien-Character;  Der  reife  Kalkschwamm  lijliltn  eine 
einfache,  schlauchförmige,  mit  einer  HundfiDhung  verschmi'  Persnn. 
deren  Hagenwand  von  unregelmSssigen ,  verästeilen  Cantilc]!  li'iniekil- 
Canälen)  durchsetzt  ist.  (Die  Panetal-Canale  communiciren  viflfut.!!  un- 
ter einander  und  münden  am  proximalen  Ende  durch  wcnii^e  i^rossc 
Magenporen  in  die  Magenhöhle,  am  distalen  Ende  durch  sehr  ziihlrejche 
kleine  Hautporen  nach  aussen). 

•)3.  Genus:  DyBsjraam,  nov.  gen. 

Gattungs-Character:  Skelet  besteht  aus  dreislriililiGcn  Nn- 
deln  in  der  Körperwand,  aus  vierstrahligen  Nadeln  in  der  Mnufn^xniiJ. 
deren  vierter  Strahl  frei  in  die  Hagenhdhie  vorspringt  uml  iius  i'iii- 
fachen,  frei  vorragenden  Nadeln  an  der  Oberfläche  desKörpiis.  Miiiitl- 
öffnung  einfach,  ohne  Rflssel  und  ohne  Perislom-Krone. 

Species  von  Dyssycum  (8); 

53.  D.  fistulosum,  H.  (Grantia  ßstulosa,  Johnbton.j  HjitJsclip 
Küste. 

54.  D.  penicillatum ,  H.  {Sycinula  penicillala,  0.  S,)  (irtin- 
land. 

55.  D.  clavigerum,  H.  (Sycinula  clavigera,  O.  S.]  (IrJinland, 
O.  S. 

56.  D.  solidum,  H.  (Grantia  solida,  var.  solitaria,  0.  S.)  Dal- 
matien,  O.  S. 

*57.  D.  periminum,  H.    Perim  (Rothes  Meer),  Siemens. 

*(i.  Genus:  DyasyoondUa,  nov.  gen. 

Gattungs-Character:  Skelet  wie  bei  Dyssycum.  Miitullifl- 
nung  in  einen  Bussel  (eine  dünnhäutige,  nicht  von  Panet.il-Ciniillt'ii 
durchsetzte  Röhre)  verlängert,  ohne  Peristom-Krone. 


5S.  D,  pumila,   H.     (Leuoonia  pumüa,  Bb.)     Guernsey  [Nor- 
mannische Insel).    NoRMAK. 

'59.  D.  camiDus,  H.    Anlillen. 

1ä.  Genus:  Sycinula,  O.  Scbiidt. 

Gallungs-Character:    Skelet  wie  b^i  Dyssycum.     HuDdöfT— 
nung  von  einer  Peristom -Krone  (tiinoni  einfachen  Kranz  von  frei  vor— 

rügenden  Nadeln)  umgehen. 


60.  S.  aspera,  0.  S.    Corfu,  Dalmntien,  0.  Sciihidt. 
6).  S.  Egedii,  O.  S.    Grönland. 
"62.  S.  eohinata,  H.   Algoa-Bay. 

II.  Ordo:  Polysyca,  II. 

Ordnungs-Character:  Der  reife  Kaikschwamm  bil- 
det einen  Slock  mil  mehreren  Mundöffnungcn.  (Ksrper 
mehr  oder  weniger  verSsloll,  mil  freien  oder  mil  vielfach  verwachsenen 
und  anastomosirenden  Aesten,  bald  kleine  Bäumchen  oder  BUsche,  bald 
ein  dicht  verflochtenes  Wunolwerk  oder  einen  schwammigen  Klumpen 
bildend.  Uagenh&hlen  der  den  Stock  zusammen  seilenden  Personen 
mil  einander  direct  oder  indirect  oommunicirend,  mit  einer  besonderen 
MundöiTnung  am  freien  Ende  aller  oder  doch  mehrerer  Aeste  (Personen) . 

V.    Familia:  Soleolsoida,  H. 

Familien-Character:  Der  reife  Kalkschwamm  bildeleinen 
Stock  mit  entwickelten  Personen ,  deren  jede  eine  Mundöifnung  besitzt, 
und  deren  Hagenwünde  von  einfachen  ilaulporen  durchsetzt  sind ,  wie 
bei  den  Olynthiden. 

46.  Genus:  LeoooBoleiil&,  Bowebsahs. 

Gatlungs-Char acter:  Magenhühlen  und  deren  Verbindungs- 
rohren einfach,  nicht  fücherig.  Mundäffnungen  der  Personen  einfach, 
ohne  Rüssel  und  ohne  Peristom-Krone. 


1.  Subgenus:  l.eucalia.    Nadeln  sümmtlich  einfach  (lineaij.   (Der 
üussere  Theil  der  PJaJeln  ragt  über  die  äussere  Obertläche  vor.) 


Prodromns  eines  Systems  dtr  Kalksehw&mme.  243 


"^63.  L.  coralloides,  H.    Neapel,  H. 
"^64.  L.  troglodytes,  H.   Neapel,  H. 


n.  Subgenus:  Leucelia.  Nadeln  sSiininUich  dreistrahlig.   (Innere 
und  äussere  Oberfläche  der  Röhren  glatt. 
"^65.  L.  dictyoides,  H.   Australien. 

66.  L.  himantia,  H.    (Grantia  brotyoides,  var.  himantia,  John- 
ston.)   Britische  Rüste,  Johnston. 

67.  L.  complicata,  H.    (Spongia  complicata,  Montagu).    Britische 
Küste.    Hontagd. 

68.  L.  guancha,  H.     (Guancha  blanca,  var.  B,  Miklugho).    Lan- 
zerote, HlKLUGHO. 

69.  L.  pulchra,  O.  S.    Dalmatien,  O.  S. 

III.  Subgenus:  Leucaria.  Nadeln  theils  einfach  (linear),  theiis 
dreistrahlig.  (Der  äussere  Theil  der  einfachen  Nadeln  ragt  über  die 
äussere  Oberfläche  vor. 

*T0.  L.  thamnoides,  H.   Norwegen* 
*71.  L.  robusta,  H.   Neapel,  H. 

72.  L.  Lieberkühnii,  0.  S.   Triest,  O.  S. 

73.  L.  Fabricii,  0.  S.    Grönland,  0.  S. 

IV.  Subgenus:  Leuceria.  Nadeln  theils  dreistrahlig,  theils  vier- 
strahlig.  (Der  freie  Strahl  der  vierstrahligen  ragt  in  die  Magenhöhle 
hinein.) 

74.  L.  botryoides,  Bb.     (Spongia  botryoides,  Ellis).    Britische 
Küste,  Bb. 

*  75.  L.  Grantii,  H.    Britische  Küste. 

*  76.  L.  Darwinii,  H.   Britische  Küste. 
"^77.  L.  Goethei,  H.   Neapel,  H. 

"^78.  L.  Lamarckii,  H.   Gibraltar,  H. 
*79.  L.  Gegenbauri,  H.   Hessina,  H. 

V.  Subgenus:  Leuciria.  Nadeln  theils  einfach  (linear),  theils 
dreistahlig,  theils  vierstrahlig.  (Der  freie  Strahl  der  vierstrahligen  ragt 
in  die  Magenhöhle ,  der  äussere  Theil  der  einfachen  Nadeln  über  die 
äussere  Oberfläche  vor.) 

80.  amoeboides,  H.  Helgoland.   (Grantia  botryoides,  LiKBBRKtHN.) 
"^84.  variabilis,  H.    Norwegen. 
82.  contorta,  Bb.    Britische  Küste,  Bb. 

VI.  Subgenus:  Leucoria.  Nadeln  theils  einfach  (linear),  theils 
zweischenkelig  (hakenfbrmig) ,   theils  dreistrahlig ,  theils   vierstrahlig. 


244  Etnit^llMekfl, 

[Der  freie  StrabI  der  vi  erstrahl  igen  Nadeln  ragt  in  die  Hagenhöhle,  der 
üussere  Theil  der  einfachen  und  der  Süssere  Schenkel  der  hakenför- 
inigi?n  Nadeln  Ober  die  Süssere  Obcrflifche  vor.) 
■83.  L.  echinoides,  H.    Gibraltar,  H. 

"17.  Genus:  Soleniscua,  no¥.  gen, 

Gatlungs-Character  :  Magenhöhlen  und  deren  Verbindungs- 
röhren  ^cberig,  von  unregelmUssigen  Scheide  wunden  durchzogen  und 
dadurch  in  zahlreiche,  communicirende  Fücher  zerfallend,  in  denen 
sich  die  Embryonen  entwickeln  (wie  bei  Clalhrina) , 

SpeciesvonSoleniscus  (1): 

•S4.  S.  loculosus,  H.    Australien. 

VI.  Familin:  T&rromida,  H. 

Farn  ilien-Characler :  Der  reife  Knlkschwamm  bildet  einen 
Stock  mit  vielfach  verflochtenen  anaslomosirenden  Aeslen  und  mit  ru- 
dimenUlren,  ruckgebildeten  Personen,  deren  rudimenUlre  Mngenhithlen 
sich  gruppenweise  durch  gemeinsame  Mundöffnungen  öffnen. 

"  1 8.  Genus :  TarruB,  nov.  gen. 

Ga ttungs-Character  1  Canille  inwendig  einfach,  glatt,  mit 
ebenem  Enloderm,  ohne  Papillen  und  ohne  innere  Scheidewände. 

*8b,  T.  densus,  H.    Australien. 

86.  T.  guancha  ,  H.  [Guancha  blanca  ,  var.  D. ,  M.  M.)  Lanze- 
rote, M.  M. 

87.  T,  reticulalus,  H.  (Nardoa  reticulum,  var.  O.  S.)  Ualma- 
lien,  0.  S. 

B8.  T.  labyrinlhus,  H.    (Nardoa  labyrinthus,  0.  S.]   Lesiaa,  0.  S, 
89.  T.  spongiosus,   H.     (Nardoa  spongiosa,   KUllieer.  )    Nizza, 
Ebebtb. 

*  1 9.  Genus :  Toiroma,  nov.  gen. 

Gattungs-Oiarakler:  Canalwande  inwendig  zottig,  dicht 
mit  hervorragenden  Papillen  [Wucherungen  des  Entoderm)  besetzt. 

öpccies  vooTarrotna   fi): 

90.    T.  canariensp.n.  (Nardoa  (Mnariensis.  H.  H.)    Liinzerole,  M.  M. 


Prodronns  t'mrs  Systras  in  KAwhrl— f.  245 

yi.  T.  rubniiD,  U.    (Nardoa  rubra,  H.  Jl.     Lant^rcMtf,  M-  M. 

9S.  T.  sulphureum,  H.  (Nardoa  sulpfaurea,  H.  II.   Lain«n>le.  M.  M. 

20.  Genus:  Clathrina,  Gut. 

Galtungs-Character:  CanäJe  inwendie:  £icbefii:,  nämlidi 
durch  unregel massige  Scbeidewünde  t  lamelläse  WucfaerungeD  des  En- 
todermV  in  zahlreiche,  mit  einander  coramunicirende  Fächer  ierf;illcnd. 
in  denen  sich  die  Erabryoneo  befinden. 


9.1.  C.  sulphurea,  Gmat  fGrantia  clathrus.  O.  S-  .  Sebeoko,  0.  S. 
*9t.  C.  loculosa,  H.    Anstralieo. 

VII.  Pamilia:  Syoodendrida,  H. 

Fami  lien-Cbaracter:  Der  reife  Kalkschwamm  bildet  einen 
Stock  mit  entwickelten  Personen,  deren  jede  eine  Mondö^nn^  besitzt. 
und  deren  Hagenwande  von  r^elmässigen  radialen  Canälen  Badial-To- 
ben)  durchsetzt  sind  (wie  bei  den  Sycariden  . 

*SI.  Genus:  Sydditun.  nov.  gen. 

Gattungs-Gharacter:  MondfiffnongeD  einfach,  «bne  Hassel 
und  ohne  Pernstom- Krone.  Magenhöble  der  Personen  einbch.  iticbi 
fiicherig.    Skelel  wie  bei  Sycarium. 

Species  von  SycidiDan  ri- 
95.  S.  gelatinosum,  H.  (Alcyoncellum  gelatinofnim ,  BuiKntLi,, 
Fundort?  Quoy  et  Gaimard. 

*96.  S.  compressum,  H.  (Grantia  compres»,  tom^sroy,  Vaf.  C. 
Britische  KUsle.    Norwegen. 

'ii.  Genus:  Syoodeodram,  nov.  gen. 

Gattungs-Characler:  HondtffTnungen  ohne  BUüsel,  mit  Pf- 
rislom-Krone  (von  einem  Kranz  von  frei  vorragenden  Nadeln  umgel>en  . 
Magenhöhle  der  Personen  einfach,  nicht  fächerig. 


'97.  S.  ramosum,  H.    Helgoland,  H. 
*98.  S.  procumber 


I 


f^ 


"23.  Genus:  Artynimn,  nov.  gen. 

Gatlungs-Characier:   MuDilülTnungen  einfucli,    ohne  Rüssel 
und  ohne  Perislom -Krone.    MagenhShlc  der  Personen  fiicherig,  von  un- 
regelrnüssigeii  Scheidow;inden  durchzogen.    Skelet  wie  bei  Sycarium. 
Species  von  Arlynium  H): 

99,  A.  compressum,  Gray.  (Grantia  comprcssa  ,  Joh<iüton,  Var. 
D. )    Norwegen. 

S4.   Genus:   Aphrooeraa,  Ghav. 

Galtungs-Character:  Muiidoffnungen einfach,  ohne  Russe! und 
ohne  Perisloni-Krone.  Magenhöhle  der  Personen  fiicberig,  von  unreget- 
mlissigen  Scheidewänden  durchzogen.  Skelel  besteht  aus  einfachen, 
spindelförmigen  Nadeln,  welche  der  l.Ungsaxe  der  Personen  und  des 
verzweigten  Stammes  parallel  laufen  und  dicht  aneinader  gebgert  einen 
festen,  äusseren  Panzer  um  das  innere  System  der  Radial -Caoiile 
bilden  [i]. 

Spt-CLts  von  ApLroceras  (1): 
100.   A.  aicicornis,  Gray.    Elong-Rong.    Uahland. 
Vni.  Familia:   Bycothamnida,  H. 

Familien-Character:  Der  reife  Kalkschwamm  bildet  einen 
Stock  mit  entwickelten  Personen,  deren  jede  eine  Mundöffnung  besitzt 
und  deren  Magenwande  von  unregelm^ssigen ,  verästelten  Parietal-Ca- 
nMlen  durchsetzt  sind  {wie  bei  den  Dyssyciden). 

"95.  Genus:  SyoothamiiaB,  nov.  gen. 

Gattungs-Characler;  Personen  des  Stocks  getrennt,  nur 
durch  ihre  Stiele  zusammenhüngend.  MundölTnungen  einfach,  ohne 
Rltssel  und  ohne  Peristoni-Krone. 

Specics  vor  Sycothamau»  (<)  : 

*I01.   S.  fmticosus,  11.    ßothes  Meer,  Sibheks. 

26.  Genus:  Leuconia,  Gkant. 

Gallungs-Character:  Personen  des  Stocks  mit  dem  gri]ssl«n 
Theile  ihrer  Körperwand  verwachsen  ;  nur  ihre  Magenhtihlen  und  Hund- 
fiSnungen  getrennt.  Mundöffnungeri  einfach,  ohne  KUssel  und  ohne  Pe- 
ristom -Krone. 


ProJroioiis  miim  Syatpins  der  KnlkscWSmnie.  247 

Species  von  Leucoiiiti   i3j: 

102.  L.  nivea,  Bb.    (Spongia  nivea,  Grahi).    Britische  Küste, 

103.  L.  Gossei,  0.  S.    (Leucogypsia  Gossei,  Bb.)    Normannische 
Inseln. 

101.    L.  slilifera,  0.  S.    Grönland. 

103.  L.  algoensis,  H.    (Luucogypsia  algoensis,  Bb.)   Algoa-Bay. 
IOC.  L.  solida,  0.  S.    (Grantia  solida,  var.  socialis,  0.  S.j  Dal- 
matien,  0.  S. 

III.  Ordo:  Coenosyca,  H. 

Ordnungs-Characler:  Der  reife  Kalkschwamm  bil- 
detein  Coenobium  (einen  aus  mehreren  Personen  zusammengesetz- 
ten Slock  mit  einer  einzigen  gemeinsamen  MundöfTnung].  Körper  ver- 
ästelt, mit  (iberall  verwachsenen  und  anaslomostrenden  Aeslen ,  die 
scliliesslicb  in  eine  einzige  MundäüTnung  zusammenOicssen.  [Seltener 
verwachsen  die  Personen  auch  äusserlich  zu  einem  massigen  Klumpen, 
wie  bei  CoenosloaicIIn) . 

IX.  Familia:  Hardopsida,  H. 

Familien-Character:  Der  reife  Kalkschwamm  bildet  einen 
Stock  mit  einer  einzigen  Mundöffnung,  dessen  Canalwünde  nur  von 
einfachen  Hautporen  durchsetzt  sind  [wie  bei"  den  Olynthiden  und 
Soleniscidenj . 

27.  Genus:  NardoB,  O.  S, 

Ga  ttungs-Characler:  HundOEfnung  einfach ,  nicht  in  einen 
dUnnbüutigen  Rüssel  verringert. 

Speoies   von  Nnriloa   (i): 

107.  N.  guancha,  H.    [Guancha  blanca,  var,  C,  M.  M.)    Lame- 
rote,  M.  M. 

108.  N.  lacunosa,  0.  S.    (Grantia  lacunosn,  JohssionI.    Britische 
KUste. 

*38.  Genus:  N^ardopslB,  nov.  gen. 

Gatlungs-Character:  Mundöffnung  in  einen  langen ,  dUun- 
hüutigen  RUssel  verlüngert. 

Species  von  Nardapsis  (1} : 
"109.  N.  gracilis,  H.    Australien. 
1lO.  N.  reticulum,  O.S.     (Nardoa  reticulum,  0.  S.)   Dalmalien, 
0.  S. 


X.  F  a  m  i  I  i  a  :  Coenostomida,  H. 

Familien-Characler:  Der  reife  Kalkschw.nnim  bildet  einen 
Slock  mil  einer  dnzigen  Mundöffnung,  dessen  Magenwände  von  un- 
regelmllssig  verüslellen  Canülen  durchzogen  sind. 

'29.  Genus:  CoenostomeUa,  nov.  gen. 

Gattungs-Gbai-acler:  Die  Personen  des  Slockes  sind  zn 
einer  einzigen  Masse  verwachsen,  deren  gemeinsame  Mundiiffnunp;  in 
einen  dUnnhüuligen  Hussel  verlängert  ist,  «ührend  die  Magenhöblen 
der  Personen  getrennt  geblieben  sind. 

*m.  G.  caminus,  H.    Antillen. 

rV.  Ordo;   Clistosyca,  H. 

OrdnuDgs-Character  1  Der  reife  Kalkschwamm  bil- 
det eine  Person  ohne  Mundöffnung.  [Der  Körper  ersehet nl 
meistens  als  eine  eiförmige,  sphilroide  oder  zusammengedruckte  Blase, 
deren  innerer  Hohlraum  nur  durch  Haulporen  oder  Parietal -Canäle, 
aber  durch  keine  grössere  Oellhung  (Mund)  mit  der  Um^iebung  com- 
rounicirt;  der  Hund  ist  zugewachsen). 

XI.  Familia:    Cliatolynthida,  li. 

Familien-Character:  Der  reife  Kalkschwamm  biidel  eine 
Person  ohne  MundOffnung,  deren  Körperwand  von  einfachen  Hautpo- 
ren durchsetzt  ist  (wie  bei  den  Olynthidenj. 

•30.  Genus:  Clistolynthus,  nov.  gen. 
Galtun g's -Charakter:  Magenhöhle  ganz  einfach,  ohne  Piicher. 

Species  von  ClislolynthuB  (11  : 
*H3.    C.  vesicula,  H.    Honolulu.    Hallermann. 
XII.  Familia;  Sycocystida. 

Fa  milien-Characler:  Der  reife  Kalkschwamm  bildet  eine 
Person  ohne  Mundöffnung,  deren  körperwand  von  regulären  radialen 
Canälen  (Badial-Tubenj  durrhsctzl  ist  (wie  bei  den  Sycariden). 

*  31 .  Genus  :  Syooojrstia,  nov.  gen. 
Galtungs-Characler:  Magenhöhle  ganz  einfach,  ohne  FfScber. 


'3  Sysieins  iler  k'iilkscIiHäii 


•H3.  S.  oviformis,  II.    Helgoland,  H. 
*H4.  S.  compressa,  H.    Norwegen. 
Hb.  S.  ulriculus,  H.    (Ute  ulriculus,  Var.,  0.  S.)    Grönland. 

'33.  Genus:  Artynella,  nov.  gen. 
Gallungs-Characler:     Magenhtthle    fiicbcrig,    von    unregol- 
niässigen  Scbeidewünden  durchsetzt. 

Species  von  Artynella  (3): 
*  H6.  A.  conipressH,  H.    Norwegen. 
'117.  A.  rhopalodcs,  H.    Norwegen. 
118.  A.  ulriculus,  II  [Ute  ulriculus,  Var.,  0.  S.).    Grönland. 

XIII.  Familie:  Lipostomida,  H. 
Pamilieu-Character:    Der   reife   Kalkschwaniui    bildet  eine 

Person   ohne  MundötTnung,   deren  Körperwand  von   unrej^e! massigen 
voräsl«lteu  Canülen  durchsetzt  ist  (wie  bei  den  Dyssyciden). 

'33.  Genus:  ZiipostomaUa,  nov.  gen. 
Galtungs-Character;  Magenhöhle  ganz  einfach,  ohne  Fächer. 
' H'i.  L.  clausa,  II.    Mogador,  11. 
'ISO.  L.  Capsula,  H.    Algoa-Bay.    Pdeul. 

V.  Ordo:  Cophosyca,  H. 

Ordnungs-Character:  Der  reife  KalkRchwamm  bil- 
del  einen  Stock  ohne  Miindöffnung.  (Der  Körper  erscheinl 
entweder  als  ein  ver.lsleltes  iStrauchwerk  oder  als  ein  wurzelarliges 
Ftechtwerk,  aus  der  theilwei.<>en  Verwachsung,  oder  endlich  als  ein  un- 
förmlicher Klumpen,  aus  der  totalen  Verwachsung  mehrerer  Personen 
gebildet.  Stets  sind  die  Magenhöhlen  der  Personen  mehr  oder  weniger 
getrennt,  Withrend  ihre  MundötTnungen  obtiterirt  sind. 

XIV.  Fani  i  lin  :  SyoorrhiEida,  H. 
Familicn-Gbaractcr:    Der   reife  Kalkschvvanim    bildet  einen 

Slock  ohne  MundOffnung,  dessen  Canalwände  von  einfachen  Uaulporen 
durchsctit  sind. 

'  31.  Genus  ;  Sycorrhiaa,  nov.  gen. 
Gatluu  ■;  Der  mundlose  Slock  bildet  ein  vnir- 

lelaniges  Fl<'  'ngesetzt  aus  communicirenden  Böhreo, 


deren  Innenwand  glatl  (nicht  louig)  und  deren  Hühlung  einfach  (nicht 
fächerig)  ist. 

Species  voa  Sycorrhiia   (S) : 
läl.  S.  coriacea,   H.     (Leucosolenia   coriacea,    Bb.)     Britische 
Küste. 

*122.  S.  corattorrhiza,  H.    Norwegen. 

■':t5.  Genus:  Aulorrhiza,  nov.  gen. 

fiallungs-Cliaracter;   Der  mundlose  Stock  bildet  ein  wur- 

lelartiges  Flechtwerk,  nusammengeselzt  aus  communicirendcn  Röhren, 
deren  Innenwand  zottig  (mit  Papillen  besetzt)  und  deren  Höhlung  ein- 
fach (nicht  filcherig)  ist. 

.Species  von  Aulorrhiia  (I): 
'Uli.  A.  intestinalis,  H.    Mogador.    H. 

*:16.  Genus:  Auloplegma,  nov.  gen. 

Gatlungs-Characler:  Der  mundloso  Stock  bildet  ein  wur- 
zelartiges Flechtwerk,  dessen  Aeste  eommunicirende  Röhren  mit  fäche- 
riger, von  uoregplmassigen  Scheidewänden  (Entoderm-Wucherungen) 
durchsetzter  Höhlung  sind. 

Species  von  Auloplegma  [)) : 
■I2i.  A.  loculosum.    Australien, 

XV.  Familia:  Sroophyllida,  H. 

Familien-Character :  Der  reife  Kalkschwamm  bildet  einen 
Stock  ohne  MundöfTnung ,  dessen  Hagenwando  von  regulären  Radial - 
Canälen  (Radial-Tuhen)  durchsetzt  sind  (wie  bei  den  Sycodendriden). 

*37,  Genus  :  Sycophyllum,  nov,  gen, 
Gatlungs-Characler:  MagenhBhlen  einfach,  nicht  fächerig. 

Species  von  Sycophyllum  (a) : 
'125.  S.  lobatum,  H.    Norwegen. 
"126.S.  compressum,  H,    Norwegen, 

*38,  Genus:  Artynophyllnmi  nov.  gen. 

GatlungS'Character:    Magenhöhlen   fache 
massigen  Scheidewänden  durchsetzt. 


J 


Prodronms  ejiies  Sjsleni!  dtr  KiilksrliH;inini<>,  2M 

Species  von  Arlynophyllum: 
•1?7,  A.  compressum,  H,    Norwegen,  H. 

XVI.  Familie:  Syoolepida,  H. 

Familien-Cbaracter:  Der  reife  Ealkschwainm  bildet  einen 
Stock  ohne  Hunddffnung,  dessen  Hagenwande  von  unregelmassigen 
verästelten  Parielal-Canälen  durchzogen  sind  (wie  bei  den  Dyssyciden). 

"39.  Genus:  S^oolepis,  nov.  gen. 

Gattungs-Character:  Der  Stock  bildet  eine  Qacb  ausgebrei- 
tete Rinde  oder  einen  unförnilicben  Kli^mpen,  in  dessen  Parenchym  die 
einfachen  (nicht  fächerigen)  HagenbOhlen  der  Personen  zerstreut  lie- 
gen, welche  nur  durch  die  veraslelteu  Parietal-Canäle  zusammenhan- 
gen und  nur  durch  die  Uautporen  nach  aussen  münden. 

Species  von  Sycolepi»  («) : 

"128,  S.  incrustans,  H.    Norwegen.    Schilling. 
*4S9.  S.  pulvinar,  H.    Indischer  Ocean.    ScBKRRBiGEn. 

Tl.  Ordo :  lltetrosrca,  H. 

Ordnungs-Characler:  Der  reife  Kalkschwamm  bil- 
det einen  Stock,  dessen  constiluirende  (reife)  Perso- 
nen oder  Personen-Gruppen  die  Formen  verschiedener 
Genera  und  selbst  verschiedener  Familien  der  Relk- 
schwämme  zeigen.  (Trotzdem  die  auf  einem  Cormus  vereinigten 
Personen  reif  sind,  d.  h.  Sporen  oder  Embryonen  enthalten,  und  also 
sich  fortpflanzen ,  zeigen  dieselben  so  verschiedene  Formen ,  dass  man 
sie  isolirt  als  Angehörige  nicht  »Hein  verschiedener  Species,  sondern 
s<^r  verschiedener  Genera  und  Familien  betrachten  wurde.) 

XVII.  Familia:  Theoometrida,  R. 

Familien-Cbaracter;  Der  reife  Kalkschwamm  bildet  einen 
Slock  ,  dessen  conslituirende  Personen  die  Formen  verschiedener  Ge- 
nera reprasentiren ,  und  dessen  Canalwande  von  einfachen  Hautporen 
durchsetzt  sind  [wie  bei  den  Soleniseiden). 

40.  Genus :  Guaooha,  H.  H. 
Gattungs-Character:  Ganale  des  Stockes  einfach,  inwendig 
weder  zottig,  noch  fächerig. 


/ 


[.    Sjmoptische  Tabelle  über  die  Familien   der  Ealkschwamme  mit 
vorwiegender  Bertcksichtignng  der  Individnalitäta-Terhältniasfl. 


MHgenwand  solid,   ohne  llaulporon 

und  ohne  Parielal-Canäle.              1 

Prosycida. 

1.  Monosyce. 
Kalkschwamm    eine  Per- 

M. W.  mil  einfachen  llaulporen.           * 
M.  W.  mit  regulären  radialen  Pnrie- 

Olynlhida. 

son  mil  einer  Hundöff- 

nurg. 

lal-Canülen.                                  3 
M-  W.   mit   irregulären   verästelten 

Sycarida. 

Parielal-'Canälen.                              4 

Dyssycida. 

Stock  mit  entwickelten  Personen. 

!l.  Polysyca. 

M.  W.  mit  einfachen  Hautporen.          6 
Slock    mil   rudimentären    Per- 

Tarromida . 

Kalkschwamm  ein  Stock 

mil  vielen  Mundöffnun- 

M.  W.  mil  regulären  radialen  Parie- 

Rcn, 

tal-CBuälen.                                      7 
M.  W.   mit  irregulären  verästelten 

Syuödendrida. 

Parielal-Cantilen.                             8 

Sycothamnida 

III.  Coenosyca. 

M.  W,  mit  einfachon  Hautporen.          S 

Nardopsida. 

Kalkschwamm  ein   Slock 

M.  W.  mit  irregulären  veröslcllon 

Parle  tol-Canälen.                            10 

M.  W.  mit  einfachen  Haulporeri.         H 

Clislolynlhida 

IV.  Clistosyca. 

M.  W.  mit  regulären  radialen  Parie- 

Kaikschwamm  eine  Pei'~ 

lBl-Canä!en.                                     1! 

.  Sycöcyslida. 

M.  W.   mit   irregulUren   verasLeltcn 

Parietal-Canälen.                         1 

M.  W.  mil  einfachen  llaulporen.         U 

.  Auloplugmidu 

V.  Cophosyca. 

M.  W.  mit  regulären  radialen  Parip- 

Kalkschwamm    ein  Stock 

tal-Canälen.                                    15 

Sycopliyllida. 

ohne  MundtiRnune. 

M,  W.  mit   irregulären    veräsleltcn 

Parielsl-Canäten.                            16 

Sycolepida. 

VI.  Melrosyoa. 

Kalkschwamm  ein  Stock, 

welcher  aus  Pereonen 

M.  W.  mit  einfachen  Hautporen.       17 

Thccomelrida. 

und  Slöclten  verschie- 

M. W.  mit  regulären  radialen  Parie- 

dener Arten  und  Gat- 

tal-Canälen.                                    18 

SycoraelrJda. 

TrodramuB  eiiirs  Systtms  der  Kalksiliwinune. 


n.    Synoptiiche  Tabelle  Übar  die  Familieo  der  Kalkichwämme  mit 
vorwiegender  Beräcksichtigang  der  Canaliaations-VerhaltniiHS, 


I-  Aporcula 

Uagcnwanrl   solid , 

Hautporen    und 

Parielal-Canalo. 


Eine    Pcirson 

mit  Hiner  MundöfT- 

niing. 

Personen     entwik- 

Olynltiida. 

EinSlock  mit 

kell,  alle  mit  Mund- 

II.  Microporeula. 

vkleti  Mund- 

dffnunj;.                        S 

Soleniscida. 

Persuucn  rudimen- 

luckenj ,  ohne  Parielal- 

tär,      vieic     ohne 
HundÖfTnuDK'              6 

Tarromidn. 

Canäle. 

Ein  Slock  mil 

L-iuer  MuodöffnuiiB.      9 

Ein  Stock  ohn 

e  MundöHonn}!.            (( 

III.  OrlhoporPUta. 
Mngenwund  mit  geraden, 
rege  I  IQ  U  SS  igen,  radiulcn 
Parictal-C  analen. 


IV.  CIsdoporeutci, 
Vagen  wand  mil  angere- 
den,   unrcgclmdssigen, 
veräslellen  Parictal-Ca~ 
nllen. 


Ein  Slock,  welcher  aus  Personen 
uud  Stüoken  verschied.  Gal- 
lungen  zusammengesetzt  ist. 

Eine  Person  mil  einer  Muiidün- 
nung. 

Ein  Stock  mit  vielen  MundolTnunp. 

Eine  Person  ohne  MundtifTnung, 

Ein  Stock  ülinc  MutidOfTnung, 

Ein  Stock,  welcher  aus  Personen 
und  Stücken  verschied.  Gat- 
tungen zusammen  gesetzt  ist.     IB.  Sycoraetrida, 

Eine   Person    mil    einer  MundtilT- 


T.  Tbecometrida. 

a.   Sycnrida. 
7.  Sycodondrida. 
I.  Sycocystida, 
5.  Sycophyllida. 


Ein  Stock  mil  vielen  MundölTnung. 
Ein  Stock  mit  einer  MundölTnung. 
Eine  Person  ohne  UundölTnung. 
Eine  Stock  oline  Uundöffnung, 


I.  Dy.isycida. 
:.  Sycothamnida. 
.  Coenostoioida. 
.   Lipostomida. 
i.  Sycolepida. 


25-1  F-rns!  BieeUI,  PrndrontDS  einiis  SjHiPiut  rli'f  Knibsrhwitini 

Spetics  von  Guanchn   (1): 

130.  G.  blanca,  M.  M.  Lanzorote.  M.  M.  (Der  Stock  trägt  in 
seinfir  fajjchslen  Entwickelungs-Form  auf  sich  vereinigt  Formen  Ton 
vier  GatlungeQ ,  nämlich:  1,  Olynlhus,  2.  Leucosolenia ,  3.  Tarms, 
4.  Nardoa.) 

'i1.  Genus:  Theoometra,  nov.  gen. 

Gattungs-Characler:  Canüle  des  Slockes  fächerig ,  inwendig 
von  unregelmiissigen  Scheidewänden  durchsetzt. 

Species  von  Thccometra   H): 

'13i,  T.  locuiosn,  H.  Australien.  [Der  Stock  tragt  in  seiner 
hiichsten  Enlwickelungsforni  auf  sich  vereinigt  Formen  vod  drei  Gal- 
tungen, nämlich:  i.  Soleniscus,  9.  Glalhrina,  3.  Auioplegma). 

XVIll.  Familia:  Byoometrida,  II. 

Familien-Character:  Der  reife  Kalkschwamm  bildet  einen 
Stock,  dessen  constiluirende  Personen  die  Formen  verschiedener  Ge- 
nera repräscntiren ,  und  dessen  Caualwilnde  von  regulüren  radialen 
Ganülen  (Radinl-Tuben)  durchset^zl  sind  [wie  bei  den  Sycodcndriden). 

' i'i.  Genus:  Sycometra,  nov.  gen. 

Gatlungs-Character :  MundtifTnungen  der  Personen  einfach, 
ohne  Rüssel  und  ohne  Peristom-Krone.    Skelct  wie  bei  Sycarium. 

SpeciE.s  vtin  Sycometra  W  : 

'132.  S.  compressa,  U.    Norwegen.     [Der  Stock  tragt  In  seiner 
höchsten  Enlwicketungsforni  auf  sich  vereinigt  Formen  von  acht  Gat- 
tungen, nämlich:  1.  Sycarium,  2.  Artynas,  3.  Sycidiuni,  4.  Aslyniuni, 
.  5.  Sycocyslis,  6.  Arlynella,  7.  Sycophyllum,  8.  Artynopfayllum.] 


(' 


BenerknngCB  über  Cjpridina. 


Frito  MüUer. 


Mil  Tafel  VIII  u.  IX. 


Die  folgenden  Bemerkungen  Über  Cypridina  stUlzeo  sieb  auf  die 
Untersuchung  von  drei  Arien ,  die  bei  Deslerro  in  der  NaLe  des  Stran- 
des gefangen  wurden.  Zwei  derselben,  Cypridina  Agassizii 
(Fig.  i3— 26)  und  G.  nitidula  (Fig.  9—12),  tragen  Kiemen  und 
schliessen  sieb  im  Bau  der  Gliedmaassen  an  Grube's  C.  oblonga  an. 
Die  drille,  C.  Grubii  (Fig.  1 — 8),  ist  kiemcnlos  und  erinnertdurch 
xwei  auffallend  lange  Endborslen  der  Ftlhler  an  Philomedes  lon- 
gicornis  Lilj.  —  Ich  behalte  für  alle  drei,  wie  Überhaupt  für  alle 
Muschel  krebse,  die  seitliche  Augen  und  die  bekannten  »geringelten  An- 
hange« besitzen,  den  Namen  Cypridina  hei;  denn  so  lange  nicht  der 
Büu  der  Gliedmaassen  bei  der  Hehrzahl  der  bekannten  Arten  so  weit  er- 
forscht ist,  dass  man  d'tn  systcmalischcn  Werth  der  einzelnen  Merkmale 
und  die  verwandtschaftlichen  Beziehungen  der  einzelnen  Arten  mit 
einiger  Sicherheil  übersehen  kann,  erscheint  mir  die  Spaltung  der  Gat- 
tung verfrüht. 

1.  Der  griffeiförmige  Stirnanhang. 

Gbi'SB  sah  bei  Cypridina  oblonga  einen  d*^ien,  grifTelförmi- 
Ren,  zweigliedrigen  Anhang,  der  ihm  innen  '  unde  der  Fühler  zu 

sitzen  schien,  jedoch  nur  einmal,  und^  jor  rechten  Seile  be- 

merkt wurde '.     Ueber  dessen  ßcAy^  .  er  im  Ungewissen.  — 

Einen  Mhnlichen  Anhang  besitze^  beobachteten  Cypridinen. 

I)  Archiv  Tür  Naturgesch.  XXV,  Bi-  .as,  —  Tat.  XU,  Kig.  5,o;  Kig.  A,a. 


256  Friti  IfilK 

Er  ist  in  der  Thal  nur  einmal  vorhanden,  enlsprln^i*  jber  nichl  vom 
Grimdgliedc  der  Fühler,  sondern  in  der  Mittellinie,  flicht  unter  dem 
grossen  un paaren  Auge. 

Von  besonderer  Lange,  fast  so  lang  wie  der  Endschenkel  der  knie- 
fürmigen  Fuhier,  ist  der  gri  Hei  förmige  Anhang  bei  Cypridina  Gru- 
bii  (Fig.  2,a  Fig.  3.)  Wie  bei  C.  oblonga  besteht  derselbe,  aus  iwei 
Abiheilungen  oder  Gliedern.  Das  Grundglied  ist  etwas  kürzer  und 
dicker  als  das  Endglied  und  seine  Haut  derber;  gegen  das  Ende  ist  es 
schwach  kolbig  angeschwollen.  Man  erkennt  in  seinem  Innern  Längs- 
sLreifung,  die  wohl  von  zarten  Fasern  herrührt  und  zwischen  den  Fa- 
sern sind  in  dem  koibig  verdickten  Theüe  feine  Körnchen  eingelagert 
(Fig.  3  a].  Das  zarthaulige  Endglied,  das  sich  gegen  die  Spitze  schwach 
verjüngt  und  abgerundet  endet,  hat  einen  ganz  wasserhellen  Inhalt, 

Bei  Cypridi  na  Agassi  zii  hat  der  grilTelförmige Anhang  (Fig.  20 u 
Fig.  21)  etwa  die  halbe  Lilnge  des  Endschenkels  der  Fühler.  Er  sit;t( 
auf  einem  besonderen  Vorsprunge  dicht  unlerhalb  des  mittleren  Auges ; 
seine  beiden  Glieder  sind  von  etvv;»  gleicher  Lunge,  das  Grundglied  aber 
ist  nur  halb  so  dick  als  das  Endglied  ,  gegen  das  Endo  halsarlig  einge- 
schnürt und  am  Grunde  mit  einem  doppelten  Kranze  zartester  Hürchcn 
umgeben.  Das  Endglied  ist  am  Grunde  bauchig  angeschwollen  und  nach 
dem  abgerundeten  Endo  zu  schwach  verjüngt. 

Bei  Cypridina  nitidula  erschien,  an  einem  in  Holzessig  ge- 
tödtet«n  Thierc ,  der  Anhang  als  einfacher  ungegliederter,  am  Grunde 
etwas  verdickter  Stab  mit  abgerundeter  Spitze. 

Han  wird  diesen  Slirnanhang  der  Cypridinen  als  Sinnes  Werkzeug 
betrachten  dürfen;  welcherlei  Empfindungen  es  vermittle,  darüber 
wage  ich  keine  Vermulhung.  Ein  »frontales  Sinnesorgan«,  das  freilich 
nur  in  seiner  Lage  mit  dem  der  Cypridinen  Übereinstimmt,  wurde  be- 
kanntlich von  Cikvs  bei  verschiedenen  Copepoden  nachgewiesen  '. 

2.    Die  PulzfUsse. 

Die  Cypridinen  besitzen  jederseits  etwa  in  der  Mitl«  der  Körper- 
länge einen  langen,  dünnen,  »geiingeilen  Anhang,»  (Fig.  ibh,  Fig.  19), 
der  nach  dem  Rücken  in  die  Hübe  steigt  und  gegen  die  Spitze  hin  mehr 
oder  minder  zahlreiche,  steife,  spitze  Borsten  tragt,  welche  ihrerseits 
wieder  mit  kurzen,  spitzen  Dömchen  besetzt  sind.  Milse  Edwa&ds 
deutete  diese  AnhUnge  als  upalles  ovif^resn^  und  alle  späteren  Beobach- 


.   S.  55.  Taf.  XXXL  Vig.  *7. 

üices.   Explication  desPlanches,  pag.  SB. 


BemfrkuniKD  dber  Cypridina.  257 

ler,  dip  sich  üborhaupt  über  deren  Verrichlung  ausgesprochen  huben, 
sind  ihm  in  dieser  Deutung  gefolgt;  so  Baibd,  Grube  und  Clau.s.  Grube 
erinnert  dabei  »an  das  ganz  ähnlich  gebildete  Oi^an,  welches  beim 
Weibchen  von  Linineiis  brnchjurus  als  BUckenast  des  9,  und 
10.  Fusspaars  auftritt  und  hier  nicht  zum  Halten,  sondern  zum  Tra- 
gen der  Eier  dient,  indem  sie  sich  um  dasselbe  zu  einem  Klumpen  'I 
backen«,  —  Eier  hat  freilich  Niemand  weder  an  diesen  ueierlragenden 
Füssen«,  noch  Überhaupt  innerhalb  der  Schale  von  Cypridina  gesehen,  I, 
und  so  hlttt^  man  sich  wenigstens  wie  Gbibe  auf  eine  blosse  Vermu-  I 
thung  beschrünken  und  nicht  wie  Andere  jene  Deutung  als  ausgemachte  | 
Thatsache  hinsl£llen  sollen. 

Bekanntlich  wurde  bei  Cypris  dem  letzten  Fusspaare  ebenso  all- 
gemein und  ebenso  ohne  jede  thats3chlicbe  Begründung  dieselbe  Lei- 
stung zugeschrieben,  bis  W,  Zenker  die  jedenfalls  richtigere  Ansicht 
aussprach,  dass  diese  ebenfalls  aufwärts  gebogenen,  sehr  beweglichen 
FUsse  dazu  dienen,  »die  grosse  Kienicuplatte  mit  ihren  gefiederten  flaa- 
ren  zu  reinigen».  '   Das  hatte  auch  für  die  geringelten  Anhiinge  der  Cy-  " 

piidinen  auf  den  rechten  Weg  leiten  künnen.     Dieselben  sind  in  der  |l 

Thal  nichts  Anderes  als  PutzfUsse.     Beobachtet  man  eine  lebende  .1, 

Cypridina  nitidula  oder  cincC.  Agassizii  mit  nicht  zu  undurch- 
sichtiger Schale,  so  sieht  man  die  geringelten  Anhiinge,  die  mit  ibi'eni 
meist  rechtwinklig  abstehenden  Borstenbesatz  fast  wie  die  Bürsten  aus- 
sehen, deren  man  sich  zum  Reinigen  von  Glascylindem  bedient,  in  fast 
ununterbrochener,  lebhafter  Bewegung.    Einem  Ringelwurm  vergleich-  v 

bar,  der  aus  seiner  Bohre  weit  vorgestreckt  nach  allen  Seiten  umher-  i 

tastet,  kriechen  sie  und  biegen  sie  sich  nach  allen  Richtungen ;  naraent-  ^ .. 

lieh  an  den  Kiemen  und  in  deren  Umgebung  fegen  sie  und  putzen  sie 
fleissig  hin  und  her.  Mit  den  Eiern,  die  allerdings  wenigstens  bei  C. 
Agassizii  innerhalb  der  Schale  der  Mutter  sich  entwickeln,  haben  sie 
nichts  zu  schaffen.  Sie  sind  bei  beiden  Geschlechtern  in  völlig  gleichsft^ 
Weise  ausgebildet.  'ildete 

Ich  habe  die  "geringelten  Anhänge«  Pulzfüsse  genannt  und  »ben, 
mit  schon  ausgesprochen,  dass  ich  sie  als  ein  Gliedmaassenpaar  be^^r 
trachte ;  auch  von  Milne  Edwabus,  Büro  und  Dtn*  werden  sie  als  FUsse 
bezeichnet  (pattes  ovif^res,  oviferousfeet,  pesad  ovapertinens),   Gri'be,  r 

der  sie,  wie  erwähnt,  dem  Rückenast  des  9.  und  10.  Fusspaares  der  ' 

weiblichen  Limnetis  veiT;leicht,  sagt  von  ihnen;  »Bei  Cypridina 
scheint  es  gar  nicht  mehr  zur  Bildung  einer  freien  Fussplalte  zu  kom- 
men und  blos  dieser  Anhang  ausgebildet  zu  sein.«     Gegen  diese  Auf- 

r  W.  Zgrkeh,  .Sluilidi  über  die  Krebsthiere.    S.  M. 


SSS  Friti  HUI«, 

fassung  ist  eiDzuwenden ,  dass  die  hinteren  FUsse  der  Muschelkrebsv 
{Cypris,  Cythere)  gar  keinen  Rtlckenast,  sondern  überhaupt  nur  eint 
einzige  Güederreihe  besitzen,  also  ihr  gar  nicht  vorhandener  Rüokenast 
sich  nicht  wohl  in  den  geringelten  Anhang  umwandeln  konnte.  Zu- 
dem ist  auf  den  Vei^^leich  mit  den  Eierlrügern  der  Phyllopoden  kaum 
Gewicht  zu  legen ,  da  die  Aebnlichkeit  der  letzteren  mit  den  Pulzfüssen 
der  Cypridinen  sieb  darauf  beschrankt,  dass  beide  nach  oben  gerichtel 
sind;  im  Uebrigen  ist  ihr  Bau  so  verschieden,  als  ihre  Verrichtung ; 
jene  sind  ungegliederte,  nackte  Fäden,  diese  in  zahlreiche  Hinge  geglie- 
dert und  mit  ansehnlichen  Borsten  bewahrt.  Nach  Claiis'  »erschernl 
das  letzte  Extrcmitülenpaar  der  Uuschelkrebse  nach  dem  Rücken  lu 
emporgerichtet,  verkümmert  zuweilen  and  wird  in  seiner  Leistung  durch 
einen  gekrümmten,  geringelten  Faden  ersetzt,  welcher  zum  Tragen  der 
Eier  unterhalb  der  Schale  dient  (Cypridina).a  Danach  scheint  Gui-'s, 
wenn  ich  ihn  recht  verstehe ,  die  i^eringellen  Faden«  nicht  als  das  um- 
gewandelte Fusspaar,  sondern  als  ein  selbständig  entstandenes  Gebilde 
zu  betrachten,  das  die  Arbeit  des  verloren  gegangenen  Fusspaare.« 
übernommen  hat.  Man  würde  bei  dieser  Ansicht  sich  die  Verkümme- 
rung des  Fusspaares  als  Folge  der  Ausbildung  der  geringelten  Fitden 
denken  können ,  die  seine  Arbeit  besser  verrichteten  und  es  dadureli 
entbehrlich  machten,  etwa  wie  bei  einigen  Acanthaceen  (Hendozi^i 
der  Kelch  verkümmert,  weil  er  durch  die  Deckblatter  entbehrlich  ge- 
macht worden  ist. 

Einfacher  jedoch  und  natürlicher  scheint  mir  die  Annahme,  das« 
die  geringelten  Anbünge  der  Cypridinen  nichts  Anderes  sind,  als  eben 
das  umgewandelte  letzte  Fusspaar  der  Husc  hol  krebse.  Bei  Cytbere 
sehen  wir  dieses  Fusspaar  in  seiner  ursprünglichen  Form  und  Verrich- 
tung, dem  vorhergehenden  gleichend,  abwärts  gerichtet,  der  Ortsbewe- 
gung dienend.  Bei  Cypris  ist  dasselbe  Fusspaar  schon  nach  hinten 
■nd  oben  gebogen  und  zu  einer  neuen  Leistung  verwendet,  doch  im 
/ch  sehr  wenig  veründerl ;  nur  sind  seine  Glieder  länger,  schmach- 
^.«r  geworden  und  haben,  wie  mir  scheint,  eine  bedeutend  grössere 
Beweglichkeit  erlangt ;  auch  die  Endklaue  ist  sehr  beweglich  und  bis- 
weilen [nach  ZBifKEii)  kammarlig  gezähnt.  Bei  Cypridina  sind  die 
Putzfüsse  in  hohem  Grade  für  ihre  neue  Verrichtung  vervollkonimnel 
worden;  ihre  Beweglichkeit  ist  aufs  Höchste  gesteigert,  indem  ihre 
Glieder  in  zahlreiche  Ringel  zerfallen  sind,  wie  es  ja  auch  mit  einieluen 
Gliedern  an  verschiedenen  Fusspaaren  mancher  Garneeien  [Lysmaia, 
Stenopus)   der  Fall  ist,  und  sl^tt  der  sp<1rlichen  Borsten  von  gewOfan- 

4)   Cladi,  UruDdzuge  der  Zoolagie,  «BBS.   S.  aos. 


Bemerkongf  n  über  ryprldinit.  359 

liehem  Bau,  die  sich  bei  Cypris  findeD,  sind  sie  mit  einer  vortreff— 
lieben  Bürste  ausgerüstet. 

Bei  dieser  Gelegenheit  darf  ich  wohl  darnuf  hinweisen,  dass  treff- 
lich ausgerüstete  PutzfUsse  auch  unler  den  höheren  Rrustern,  bei  Po r- 
cellana,  Hippa  und  Pagurus  vorkommen.  Es  sind  dieses  die  eben- 
falls nach  dem  Rücken  in  die  Höhe  gesciilagenen ,  aus  dünnen,  sehr 
beweglich  mit  einander  verbundenpn  Gliedern  gebildeten  Füsse  des 
letzten  Bruslringes,  die  man  bisher  allgemein  als  »verkümmerte  (Milk» 
Edwards,  Thoscbel,  Voct,  Gkrstaeckek,  Claus  etc.),  »scheinbar  über- 
flüssiges (Vogt)  Anhünge  betrachtet  hat.  Ich  wurde  auf  ihre  Bedeutung 
zuerst  aufmerksam  bei  einer  Porcellana  (Polyonyx  Creplinii  F.M.), 
die  sich  in  der  Röhre  von  Ghaetopterus  aufhält  und  welcher  wegen 
des  reichlichen  Schleimes,  den  ihr  Wirih  absondert,  Reinlichkeit  be- 
sonders Noth  thut.  Ich  hielt  ein  eiertragendes  Weibchen  dieser  Art 
einige  Zeit  lebendig  und  dieses  liess  die  durch  Lange  und  Beweglich- 
keit ausgezeichneten  Pulifüsse  fast  nie  ruhen ;  bald  senkte  es  sie  tief  in 
die  KiemenhOhlc,  bald  kehrte  es  seinen  Rücken  ab,  und  bald  fuhr  es 
damit  zwischen  den  Eiern  herum  wie  ein  Bäcker,  der  Teig  knel«t.  Spa- 
ter habe  ich  auch  bei  anderen  Porcellanen,  bei  Hippa  und  bei  Pagurus 
die  Putzfüsse  in  ThJiligkell  gesehen;  sie  dienen  bei  diesen  Thicren 
hauptsächhch  zum  Reinigen  der  Kiemenhöhle.  Ihre  letzten  Glieder  sind 
sehr  reichlich  mit  mannichfach  gestalteten  Borsten  besetzt,  die  Bürsten, 
Kümme  etc.  darstellen;  bei  Hippa  sind  ausserdem  an  diesen  Putzfüs- 
sen  die  Innenründer  der  Scheere  sehr  zierlich  gezahnelt.  Ware  man 
nicht  gewöhnt  gewesen,  die  Bezeichnung  »rudimentär«  und  andere,  die 
früher  eine  nur  bildliche  Bedeutung  hatten,  eben  deshalb  ^5^'^h 
leichlferlig  und  gedankenlos  anzuwenden ,  so  hatte  der  erste  fii\  i" 
ihre  priichtige  Beborslung  überzeugen  müssen,  dass  man  in  ii>^ 
PutzfUssen  der  Anomuren  nicht  verkümmerte  FUsso  vor  sich  habe, 
sondern  ira  Gegenlheil  für  eine  besondere ,  sehr  wichtige  Verrichtung 
umgestaltete  und  zu  grosser  Vollkommenheit  ausgebildete 
Gliedmassen.  Bei  den  Krabben,  die  keine  besonderen  PutzfUsse  haben, 
wird,  beiläufig  bemerkt,  die  Reinigung  der  Kiemen  durch  die  in  der 
Kiemenhöhle  spielenden  Anhänge  der  KieferfUsse  besorgt ,  deren  Bor- 
stenbesatz eine  reiche  Husterkarte  verschiedener  Kammformen  bietet. 

3.  Die  Riechfilden   und  Spürborslen  der  Fühler. 

Die  Fühler  (antennes  sup6rieures  pediformes  M.  G&w.)  sind  hei 
verschiedenen  Arten  von  Cypridina  in  verschiedener  Weise  geglie- 
dert und  roil  Borsten  ausgerüstet;  selbst  die  beiden  Geschlechter  der- 


1 


260  FrilzIMailct, 

selben  Art  «eigen  Verschiedenheiten  in  dieser  Beziehung  und  mehr  noch 
in  der  Ausbildung  der  RiediCäden. 

Von  Cypridina  Grubii  hahe  ich  nur  Mönnchen  gesehen,  üi.' 
Fühler  (Fig.  2,6.  Fig.  4)  zeigen  sechs  deutliche  Glieder;  das  erst«  isi 
wie  gewöhnlich  borstenlos  und  bildet  mil  dem  folgenden  ein  Knie;  dns 
zweite  und  dritte  tragen  nur  wenige  kurze  Borsten ;  am  Ende  des  \'ier- 
len  stehen,  und  zwar  an  der  Unterseite,  drei  lungere,  gerade,  einfachf 
Borsten  und  über  ihnen  die  Riechf üdenborsle  {Fig.  4,a).  Die.*)' 
ist  mehr  als  doppelt  so  lang  als  die  beiden  Endglieder  des  Fühlers  zu- 
sammen und  lilufl  wie  eine  gewühnliche  Borste  in  eine  feine  dunkelge- 
randete  Spitze  aus;  ihr  unteres  Drittel  ist  spindelförmig  verdickt  und 
das  zweite  Sechstel  ihrer  Lilnge  an  der  Unterseite  mit  einem  dichten 
Büschel  zahlreicher  RiechfJden  besetzt,  deren  Lange  etwa  der  halben 
Länge  der  Borste  gleichkommt.  Am  Ende  des  letzten  Fühlergliedes 
stehen  5  (oder  6?)  grössere  Borsten ,  von  denen  i  eine  besondere  Er- 
wähnung verdienen.  Zwei  derselben  (Fig.  i,y]  laufen  nämlich  nicht  in 
eine  scharfe,  dunkclrandige  Spitze  aus,  sondern  in  einen  walzenför- 
migen, am  Ende  abgerundel«n ,  sehr  zarthüutigen  Faden,  der  ganz  li"^ 
Aussehen  eines  Hiechfadens  hat.  Die  beiden  anderen  Borsten  (Fig.  i,<^ 
zeichnen  sich  durch  ihre  grosse  I.Hnge  aus,  welche  die  des  ganzen  Füh- 
lers überlriffl;  in  der  ersten  Bfjlfte  ihrer  Länge  tragt  jede  derselben 
eine  Reihe  von  sieben  kurzen  Haaren;  die  beiden  ersten  sind  gewöhn- 
hche  Haare,  die  fUnf  folgenden  zarlwandig,  Riechfäden  ähnlich. 

BeimMünnchen  vonCypridinaAgassizii  (Fig.  SO, ö]  ist  die  Glie- 
derung der  Fühler  ziemlich  dieselbe,  wie  bei  C.  Grubii,  nur  sind  das 
ü.  und  6.  Glied  auf  der  Unterseile  mit  einander  verschmolzen ;  oberhalh 
sind  sie  deutlich  geschieden ;  an  den  Seilen  verlüuft  die  Grenzlinie,  all- 
mählich undeutlicher  werdend,  schief  nach  unten  und  hinten.  Die  Bor- 
sten am  Ende  des  Fühlers  scheinen  von  einem  besonderen,  ganz  kur- 
zen siebenten  Glied  e  getragen  zu  worden.  —  Der  Riechfadenbtl- 
schel  (Fig,  20, d.  Fig.  23)  steht  an  derselben  Stelle  wie  bei C.  Grubii 
und  ist  so  mächtig  und  eigenthümlich  entwickelt,  dass  man  ihn  auf  den 
ersten  Blick  eher  fUr  einen  besonderen  Ast  des  Fühlers,  als  für  eine  um- 
gewandelte Borste  nehmen  möchte.  Es  fehlt  nümlich  das  nackte  Ende 
der  Borsle,  welches  dieselbe  bei  C.  Grubii  sofort  als  solche  erkennen 
lassl;  der  spindelförmig  geschwollene  Theil,  hier  allein  vorhanden, 
reicht  etwa  bis  zum  Ende  des  Fühlers ;  seine  grösste.  Dicke  kommt  elwii 
einem  Viertel  seiner  Lilnge  gleich.  Seine  Wand  ist  dick,  stark  und 
unregelmilssig  quer  gerunzelt.  Die  Riechrdden  stehen  in  etwa  sechs 
Gruppen  am  oberen,  in  etwa  fünf  am  unteren  Rande;  auch  die  Spitze 
gabelt  sich  in  meLrere  Rieihfadea.    Nach  aussen  und  hinten  vom  Riech- 


RrDierktineeLi  ilhpr  CypridiiiH.  26t 

EüdenbUschel  steht  eine  gewöbniiche  Borste.  Am  [Lniie  des  suclislen 
Gliedes  und  zwar  an  der  Unterseite  steht  eine  starke  Borste ,  die  am 
Ende  in  zwei  kurze,  dünnwandige  Fäden  mit  abgerundeter  Spitze  aus- 
lauft. —  Unler  den  Endborsten  des  Fühlers  sind  hei-vorzuheben  :  eine 
stiirke,  klnueudstige  Borst«  {Fig-  i~^s]  mit  leicht  aiifwüits  gebogener 
Spitze , '  etwa  so  lang  wie  das  5.  und  8.  Glied  zusammen ,  und  eine 
Borste  {Fig.  iT,y),  diedünner  als  die  übrigen  ist  und  in  einen  zarlhüu- 
tigen  Faden  mit  abgerundeter  Spitze  ausläuft. 

Beim  Weibchen  von  Cypridina  Agassizii  (Fig.  17}  steht  an 
der  Stelle  des  RiechfüdeDbüschels  eine  gewöhnliche  Borste  (Fijj.  17,»); 
am  Ende  des  folgenden  Gliedes  (wahrscheinlich  dem  5.  und  6.  des 
Hünnchens  entsprechend)  findet  sich  an  gleicher  Stelle,  wie  am  G.  GHede 
des  Mannchens ,  eine  ühnliche  Borste  wie  bei  jenen,  die  aber  am  Ende 
in  drei  (bisweilen  vier"?)  Fäden  sich  spaltet.  (Fig.  17,;?).  Die  Endbor- 
sten  gleichen  denen  des  Männchens ;  doch  sah  ich  nur  an  einer  dersel- 
ben, die  durch  Sfürmige  Krümmung  sich  auszeichnet  (Fig.  17, if),  drei 
kurze,  blasse,  seitliche  Fäden,  während  solche  beim  Männchen  zahl- 
reicher vorkommen. 

Bei  dem  Weibchen  von  Cypridina  nitidula  ist  die  Beborstung 
der  Fühler  (Fig.  11)  fast  ganz  wie  bei  C.  oblonga  Gr.  —  Bei  letzterer 
sind  das  dritte  und  vierte  Glied  der  Fühler  von  C.  Grubii  und  C. 
Agassizii  in  eins  verschmolzen;  bei  C.  nitidula  verschmelzen 
damit  auch  noch  die'beiden  folgenden  Glieder.  Dagegen  ist  das  End- 
glied (beim  Milnncben  von  C.  Agassizü  das  7.)  sehr  deutlich  abgesel/t. 
Die  Riech^den börste  ist  dicker  und  kurzer,  die  sechs  Biechfiiden  an 
derenEnde  dagegen  viel  langer,  als  beiC.  oblonga.  Unter  den  End- 
borsten  läuft,  wie  bei  C.  Agassizii,  eine  (Fig.  11,^)  in  eine  riechta- 
denähnliche  Spitze  aus. 

Bei  einem  Männchen  (Fig.  9),  das  vermuthlich  zu  derselben  Art 
gehört,  bildeten  die  Riechfäden  ein  dichtes  Büschel  wie  bei  C.  Agas- 
sizii, wahrend  zwei  der  Endborsleo  ungemein  verlängert  sind ,  wie 
hei  C.  Grubii. 

Ich  kann  mich  nicht  entsinnen ,  bei  anderen  Rruslem  Fächer  oder 
BUscfael  von  Riechfäden  am  Ende  oder  an  der  Seite  gewöhnlicher  Bor- 
sten gesehen  zu  haben.  Die  Endborsten  mit  zarthautigem  Endfaden, 
dessen  abgerundete  Spitze  bisweilen  das  Licht  etwas  starker  bricht, 
sind  gewöhnlichen  Hiechr<iden  schon  ähnlicher.  Was  schon  Claus  als 
wahrscheinlich  aussprach ,.  dass  die  Riechfaden  »morphologisch  den 
dunkel  contourirten  Haaren  und  Borsten  entsprechen  mochten  ',ii  wird 

l|  Clans,  die  (reiletfenden  Copepodcn.    1SS1,    S.  S5. 

Bd.  V.  J.  18 


262  Frili  Miillfr. 

durch  ihr  Verhalten  bei  C  ypridinn  /ur  Gewissheit,  —  Ebenso  eiücn- 
Ihllmtich  sind  die  zarlen,  seitlichen  Fadchen  an  einiclnpn  Endborsl^ri 
nameDlIicb  un  den  beiden  lan^^eii  Borsten  derC  Grubii.  Diese  lan^i^n 
Kndborsl«n,  die  Liubborg  als  Gattungsmerkmal  ven^erlhet,  dürfU'ii 
eine  EigenlhUmiicbkeit  des  mänDÜchen  Geschlechtes  sein  und  als  Spür- 
barsten beim  Aufsuchen  der  Weibchen  dienen  ;  ich  habe  sie  wenig- 
stens nur  bei  männlichen  Thieren  gefunden  >. 

4.  Die  Seh  wimmfusse  (npatles  natatoiresu  M.  Env.  »AeuB- 
sere  Anlennem  Grubb). 

Zunächst  ein  Wort  Über  die  Benennung  diesesGliedmaassenpaares, 
für  welches  ich  die  allere  Bezeicbnung  von  Milne  Edwards  beibehalle, 
trotzdem  kein  Zweifel  darüber  obwalten  kann ,  dass  es  dem  zweileu 
Fuhlerpaare  der  höheren  Kruster  entspricht.  —  Es  mag  zweckmässijj 
scheinen ,  einander  entsprechende  (homologe)  Theile  überall  mit  glei- 
chem Namen  zu  belegen  ,  obwohl  ich  nichts  Uebles  darin  finden  kann, 
dass  wir  beim  Fisch  von  Brustflossen ,  beim  Vogel  von  FlUgeln ,  beim 
Hunde  von  Vorderbeinen,  beim  Menschen  von  Armen  reden.  Will  man 
aber  gemeinsame  Bezeichnungen  für  Bcihen  enlsprecb ender  Theile 
einfuhren,  so  sollten  dieselben  so  gewühlt  sein,  dass  sie  entweder  über- 
haupt nichts  über  deren  Verrichtung  aussagen ,  oder  wenigstens  von 
der  ursprunglichen  Verrichtung  derselben  ausgehen.  Es  Hesse  sich 
etwa  rechtfertigen,  die  FlUgcl  der  Vt^el  als  Vorderbeine  zu  bezeichnen ; 
es  wäre  geradezu  lacherlich,  die  Vorderbeine  des  Hundes  Fltlgel  zu 
nennen.  Und  ganz  ebenso  wie  die  FlUgcl  umgewandelte  Beine,  nicht 
aber  die  Beine  umgewandelte  FlUgcl  sind,  so  sind  auch  die  Fühler 
derKruster  umgewandelte  SchwinimfUsse,  nicht  aber  die  SchwimmfUssc 
voDCypridina,Daphniaetc.  umgewandelte  FUhler.  Es  scheint  mirdaber 


A]  Man  erinnert  sich,  dass  b«i  den  ktönncbeD  einiger  anderen  Krusler  die  bin' 
leren  Fühler  ausserordentlicb  veriSogert  sind;  so  bei  den  Cumaceen  und  elaifHti 
Hyperinen  [den  Hypäriens  anormales  M.  Eav.)  Dabei  sind  diese  Kubier  so 
dünn  und  muskeischwacti ,  dass  sie  nicht  zum  Halten ,  sondern  offenbar  nur  zum 
Aurspüren  der  Weibclien  dienen  können.  Beachlenawerth  ist,  dass  dieselben  FUli- 
ler,  die  bei  den  Mlinnchen  so  ungewöhnlich  verlängert  sind,  bei  den  Weibchen  so- 
wohl der  Cumaceen,  als  der  Hypäriens  anormales  vorkUramern ,  oder  so- 
gar (in  der  Gattung  Brachyscelus  Sp.  Bäte]  ganz  fehlen.  Ohne  dies  Verhalleu 
damit  vollständig  erklären  zu  wollen,  will  icL  darauf  hinweisen,  dass  die  Männchen 
diese  Fühler  nuDdann  in  den  ausschliesslichen  Dienst  des  Geschlechtslebens  zieheu 
konnten,  wenn  ihnen  keine  anderweitige  wichtige  Leistung  oblag.  IQ  diesem  b'a}W 
aber,  wenn  sie  anderweitig  entbebriicb  waren,  konnten  sie  bei  den  Weibeben  leicht 
verkümmern. 


ßeinerknn^n  nbrr  Cypridlii*.  263 

verkehrt,  sie  Fühler  (Anlennen)  zu  nennen,  blos  weil  sie  bei  andern 
Krustern  zu  Fühlern  geworden  sind  ^. 

Das  dicke ,  muskelreiche  Grundglied  und  die  langborstige  Geissei 
der  SchwiramfUsse  (Fig.  2,  Fig.  15,  Fig.  20,c)  wiederholen  sich  in 
sehr  gleichförmiger  Weise  bei  allen  Cypridinen ;  um  so  mannichfacber 
gestaltet  sich  nach  Art  und  Geschlecht  der  innere  oder  Nebenast  dieser 
FOsse.  Er  wurde  von Baihd  vermisst beiCypridina  Brendae';  win- 
zig und  ungegliedert  fand  ihn  Gkube  bei  C.  oblong»;  zweigliedrig, 
mit  zwei  kurzen,  gekrUmmten  Endklauen  ist  er  nach  Baird  bei  C.  Mn: 
AifDKKi^.  Die  vodBaibd  undGiiitBE  untersuchten Thiere  waren  vermulh- 
lich  Weibchen.  Zweigliedrig  ist  der  Nebenast  auch  bei  dem  Weibchen 
vonC ypridina  Agassizii  [Fig.  20,;') ;  das  erste  Glied  ist  kurz,  das 
zweite  reichlich  dreimal  so  lang,  fast  so  lang,  wie  das  dicke  Grundglied 
des  Fusses,  es  ist  mit  zarten  Härchen  besetzt,  gegen  das  Ende  verjungt 
und  tragt  eine  einzige,  ihm  an  Lunge  etwa  gleichkommende  Endboi-ste. 

Bei  den  Mannchen  voD  Gypridina  Agassizii  (Fig.  83,^),  und 
C.  Grubii  (Fig.  li;,  sowie  bei  dem  vermulblich  zu  C.  uilidula  ge- 
hUrigen  Männchen  ist  dieser  Nebenast  der  Schwimmrusse  dagegen  drei- 
gliedrig und  bildet  ein  Greifwei^zeug,  indem  das  Endglied  sich  klauen- 
artig gegen  das  zweite  Glied  einschlägt.  BeiC.  Agissizii  und  niti- 
da la  ist  das  Bndglied  um  etwa  ein  Drittel  kurzer,  bei  C.  Grubii  fast 
eben  so  lang,  als  das  zweite  Glied;  bei  den  beiden  ersten  Arten  ist  das 
Endglied  nach  der  scharfen  Spitze  zu  verjüngt  und  hat  einen  glatten 
Gretfrand;  bei  C.  Grubii  ist  es  in  ganzer  Länge  gleich  breit,  gegen 
das  Ende  stark  gekrümmt,  am  Ende  abgerundet  und  sein  Greifrand  ist 
mit  einigen  HtSckerchen  besetzt.  In  der  Nahe  des  Gelenkes  trägt  das 
Endglied  auf  der  Aussenseite  eine  Borste,  die  bei  C  ypridina  Gru- 
bii nur  kurz,  bei  C.  Agassizii  langer  als  das  End{!lied  selbst  und 
noch  langer  bei  C.  nitidula  ist. 

3.  Die  KinnbackenfUsse.    (nPedes  maudibulares«  Dak*. 

■MandibelpalpemGBUBB.   (Fig.  <!.  Fig.  19.  Fig.  I-I,«/.  Fig.  SO,rf, 

Fig.  24  und  23.) 

Für  FUsse,   die  an  ihrem  Grundgliede  einen  dem  Kinnbacken  der 

4)  Wenn  MiLHE  Edwards  (Hist.  nal.  des  Crust.  III.  pag.  tili  von  diMi  Copepo- 
■leD  tagt:  ■tes  antennps, .  .  de  la  seconde  paire  manquenl  quelquerois  el  sont  <l'au- 
tros  (ois  Iransrormries  en  rames,*  ao  Ist  Letzteres,  wie  wir  Jelzl  durch  Clai'« 
wissen,  geradezu  falscli ;  sie  siuil  gerade  in  diesem  Falle  nicht  umgewand  fl  i, 
sondern  haben  ibre  ursprüngliche  Form  und  Verrichlung  beibehalten. 

1)  Baird,  Nat.  Hist,  of  the  BHtish  Enlomostraca,  8. 1  Rt.  Tab.  \XIII.  Flg.  6 

»)  Baiu>,  a,  a.  0.  S.  180.  Tat.  XXIl,  Fig.  B. 


r 


264  Frili  Mfilln. 

höheren  Kruster  entsprechf^ndcn  Kaiiforlsalz  trügen,  ist  wohl  kein  tref- 
fenderer Name  zu  finden,  als  der  Ihnen  von  Dan*  beigelegte  der  Kinii- 
backenftlsse  (pedes  mandibulares). 

Grube  hat  das,  was  ich  mit  Da\a  und  Claus  Kinnbacken fiissc 
nenne,  Kinnbackentaster  (oder  vielmehr  in  wissenscharHichereui 
Deutsch:  »Mandibelpalpen«)  Renannlund  noch  andere  wahrschein- 
lich den  beiden  folgenden  Gliedmaasscnpaaren  zugehörige  Theile  ah 
»sichelftirmigen  Anbang«  [Fig.  \ö,e)  und  uMandi beilade«  (Fig.  I5,e]  dem- 
selben Fusspaare  zugerechnet.  Letzteres  ist  schon  aus  dem  Grunde 
nicht  gerechtfertigt,  weil  dio  Kinn  backen  füsse  alle  Theile  wirklich  be- 
sitzen ■  auf  die  sie  irgend  rechlmiissiger  Weise  Anspruch  machen  kön- 
nen. Aber  auch  abgesehen  davon  ist  die  Bezeichnung  Kinnbacken tasU;r 
nicht  passend.  Beiden  Nauplius  der  Copepoden  wie  der  höheren 
Krusler  (Peneus)  sind  die  Gliedmassen  des  dritten  Paares  zweiüsti^o 
SchwimmfUsse ;  im  Grundgbede  derselben  entsieht  spater  ein  Kaufort- 
satz, der  Kinnbacken  (Handibel).  In  dieseui  Zustande  verharren  sie  bei 
den  Muschelkrebsen  und  vielen  Copepoden,  Bei  diesen  Tbieren  ist 
also,  wie  Claus  '  richtig  henorhebt,  der  sogenannte  Taster  oder  pri- 
märe Theil  und  nichts  Anderes,  als  der  Larvenfuss  selbst,  withrcnd 
wir  den  Kaulheil  als  ein  secundüres  Product  des  basalen  Gliedes 
anzusehen  habenu.  —  Die  Nauplius  von  Peneus  verlieren  nun  beim 
Uebergang  in  die  ZoSa-Form  diesen  "Tastern  vollständig;  es  bleibt 
ihnen  nur  der  anbanglose  Kautheil.  Ebenso  sind  die  Kinnbacken  aller 
unmittelbar  dem  Ei  enlschlUplenden  Zo^a  stets  laslcrlos.  Erst  in  Tseil 
späterer  Zeit  sprosst  bei  vielen  höheren  Krustem  aus  dem  anhanglosen 
Kinnbacken  wieder  ein  Taster  hervor.  Hier  ist  also  der  Kaulheil  das 
Frühere,  der  Taster  das  sp>iler  Entstehende,  gerade  umgekehrt 
wie  bei  den  Muschelkrebsen  und  Copepoden.  Möglich  wäre 
es  nun  allerdings,  dass  dieser  Taster  uichts  Anderes  isl,  als  der  witv- 
der  erschienene  und  zu  einem  neuen  Dienste  verwandle  Scfawimmfuss 
des  Nauplius,  dass  also  die  »Mandibelpalpen«  der  höheren  und  niede- 
ren Kruster  wirklich  homolog  sind.  Es  isl  ja  nichts  Seltenes,  nament- 
lich bei  Pflanzen,  dass  längst  verlorene  Theile  gelogen  Llich  wiederer- 
scheinen und  auch  dafür,  dass  solche  wiedererschienene  Theile  aufs 
Neue  durch  natürliche  Züchlung  befestigt  und  zu  einer  bleibenden 
EigenthUmlicbkeit  der  An  werden,  könnte  ich  wenigstens  ein  schlagen- 
des Beispiel  geben.  —  Ebenso  möglich  ist  es  aber,  dass  der  gegliederte 
Anhang  am  Kinnbacken  der  höheren  Kruster  eine  Neubildung  ist,  die 
mit  dem  Schwimmfusse  des  Nauplius    in  keinem  Zusammenband: 


1)  Claus,  die  Trc liebenden  Copepoden,  S.  56, 


BemerkuDgen  über  CypridLiix.  265 

Steht.  Neue  GliedeireibeQ  haben  sich  ja  ao  deD  ursprünglich  cinf.icheii 
vorderen  Ftlblern  vieler  höheren  Kruster  entwickelt.  —  Die  Bfzeich- 
nung  des  dritten  Gliedmaassenpaares  der  Gypndinen  als  Kinnhiickün- 
Ulster  (Handibelpalpe)  ist  daher  voreilig,  wenn  dadurch  ausgi-drUi-kl 
werden  soll,  dass  es  dem  Kinnbackentaster  der  höheren  Kruslcr  ent- 
spricht; denn  diese  Annahme  ist  unerwiesen  und  wie  mir  scheinl  un- 
erweisbar.  Ware  sie  erwiesen,  so  wurde  die  Bezeichnung  dcniiocli 
verkehrt  sein ,  weil  nicht  die  Taster  der  höheren  Kruster ,  sondern  die 
ScbwimmfUsse  des  Naupltus  und  die  ihnen  noch  so  ähnlichen  Kinn- 
backenfUsse  der  Gypndinen  die  ursprungliche  Form  darstellen.  Un- 
passend wflre  endlich  der  Name  »Taslera  auch,  wenn  er  die  Ldi^lung 
dieser  Gliedniaassen  bezeichnen  sollte,  die  offenbar  mehr  milder  Orts- 
bewegung des  Tbieres  und  dem  Herbeischaffen  der  Nahrung,  ah  mit 
dem  Belasten  zu  thun  haben.  Nach  alledem  darf  wohl  die  Beieichnuni; 
»Handibelpalpenu  als  ungeeignet  zurückgewiesen  werden. 

Wie  Zenker  bei  Gypris  und  Cytbere,  Baird  bei  Cypridina 
Brcndae  und  Grube  bei  C.  ob  longa,  zähle  auch  ich  an  den  Kion- 
backenfUssen  fünf  Glieder. 

Das  kurze  erste  Glied  ti^gt  bei  Cypridina  Agassiiii  und  ni- 
tidula  einen  silbeiförmigen,  nach  innen  und  oben  gerichteten  Fortsatz, 
den  Kinnbacken.  (Fig.  i2,a.  Fig.  23).  —  Bei  C.  Grubii  haln'  ich 
denselben  nicht  gesehen.  Der  gewölbte  Rsnd  des  säbelförmigen  Rinn- 
backens ist  bei  C.  Agassizii  [Fig.  95)  in  seiner  unteren  HalfLe  mit 
mehreren  [vier)  Gruppen  kurzer,  steifer  Haare  besetzt,  in  seiner  obci'on 
Uglfte  mit  sechs  zahnarligen  Vorsprüngen  versehen,  von  denen  d(^r  un- 
terste ziemlich  lang  und  scharf,  die  beiden  obersten  ganz  flach  und 
stumpf  sind.  Die  Spitze  des  Kinnbackens  ist  abgerundet  und  trii^l 
zwei  Borsten,  die  eine  kürzer ,  dicker,  gerade,  blass,  die  andere  oim' 
gewöhnliche  Borste,  länger,  dUnner,  gebogen.  Unter  der  Spitze  limhi 
sich  am  gewölbten  Bande  des  Kinnbackens  ein  Qacher  Ausscbnill ,  der 
mit  feinen  Härchen  besetzt  ist  und  an  seinem  oberen  Ende  eine  blasse, 
abwärts  gerichtete  Borste  trügt.  Man  fühlt  sich  versucht,  riie  zarten 
HUrchen  als  Schmeckhiirchen  zu  deuten.  —  Die  Haare  und  die  zuhnnr- 
ligen  VorsprUnge  des  gewölbten  Randes  finden  sich  auch  bei  C  ypri- 
diJia  nitidula;  der  Kinnbacken  endet  bei  dieser  Art  in  eine  scharfe 
Spitze. 

Das  zweite  Glied  des  Kinnbackenfusses  hat  bei  C.  Agassizii  und 
nitidula  an  seiner  hinteren,  unteren  Ecke  einen  rückwärts  (gerich- 
teten Vorsprung  [Fig.  ii,(i.  b"i%.'ii,ßi,  der  am  Ende  vier  steife  Borsten 
trügt.    Bei  C.  Grubii  fehlt  dei-selbe. 

Am  Ende  des  zweiten  Gliedes  steht  bei  C.  Agassizii  ein  kUln'n- 


i 


.  V 


iu    iau;»*ac4tf  ^««ichlaufender  Nebenast  (Fig.  24,y), 

t  tua  i\  Grubii  nicht  gesehen  habe. 

XI  Ä  i    ••  «<ÄeItteü  Arten  ziemlich  verschiedenen  Bo- 

..^u^x.  •  UNS?  \trrweise  ich  auf  die  Abbildungen  (Fig.  6, 

*Vit   «Sk«.*««!  sofort  die  wesentliche  Uebereinstiin— 

^j^v.  -^  '»tu^-sMJs  mit  dem  dritten  Gliedmaassenpaare 

^  x^    .  .»vicivrseits  mit  dem  Kinnbacken  (dem  ersten 

-  ««ra  •.'iii^there  undCypris,  zwischen  denen  es 

^.  »*   j  .U4  Muu^  steht.    Wie  bei  Nauplius  überwiegt 

..  >^  u»  >lii>?!U*  b^eutend  den  Kaufortsatz  und  der  Ne- 

..X    i.suuii^  uut  dem  Uauptaste.     Bei  Cythere  und 

^  .^     •   A«  h  i>?i^  uur  noch  als  Anhang  des  Kinnbackens,  der 

>^^..  ^^'»«^  *viU  luiu  Haupt^^isle  gestellt  und  ausserdem  bei 

s.»\t>.    viivixv^:^*:?  uut  breiten  gefiederten  Haaren  be- 

V 

.  ji  x^vU    utv«\  ^vv^**  H.ubUv^k  auf  Nauplius  und  Cy- 

i»i,  av»c<s  iMit  t  V  >v   vv h  jKvh  audei*en  etwa  diesem  Fuss- 

.liuuvicu  tK*a%t  ;^  v,^,S\;\  hat»  und  dass  die  von  Grube 

..  i  VniK«i»rt>  *"^N  v>^*^;  KnijiiUv  bezeichneten  Theile  ihm 

>^.j>\.j'<ii-^ivv,^    V  ^  Kts^outUi^»  und  Putzfüsse  sind  bei 

.  .   .4.  *    i*    ..KAti -o^  v;tvniiv<uuuuender  Weise  gebildet; 

^^.  V  .-xV.y*.x*«.uxv.»t  vkxui  l\Uili4s80U  liegt,  bietet  dagegen 

,  ,,.»nu  V  M«  ys\*v"  ^«  etiHnw  Kreise  so  engverwandter 

,  ^^  XV  »^.,  'v%v  \ v* vv \^\k  uhrnl  dar    Diese  Theile,  die  in 

v-^   %     \  ui^i  ih   C%(u\)maassenpaare  von  Cypris 

\^vNx\v^^     N:)»vi  %*<viv5^>  schwierig  zu  untersuchen  als 

s,^.  H-.N^  ^>\\\)i(V^<^   LiufiiORG  und  Grubb  gegebenen 

,\s   V  ,  j^  u  Uv<  luft;    den  Aufsatz  von  Claus  Ȇber 

^v  ^^  ^»^.^us.v  ko^iH>  ich  leider  nicht.     Ich  selbst 

^  V  V  « VN  -  j  u  eine  einigermassen  befriedigende 

.  .      '..^»'»•-♦iNi'Nvti^^  dit'^sw  Gliedmaassen  gewonnen, 

.,     ,v.vk    V  ^  uN.^^  dtMX>n  Deutung  im  Einzelnen  nur 

v^     Ns  >  sc  XvMitHUhungen  aussprechen  können,  was 

«V       .\>  xUH  nur  mulhmasslichen  Deutungen  nicht 


N       • 


»    >^*  V  si 


.    \    >    '.  StNN  erschiedenheiten. 

. .  S^  v»o  vWr  Kühler ,  die  vermuthlich  nur 
Ns     v.^.vn  ftuH^hfödenbttschel,   sowie  der 


•V 


Benierkuiigeii  ober  Cypridina.  267 

Greifanhänge  an  den  SchwiinmfUsscn ,  die  dasselbe  Geschlecht  aus- 
zeichnen, ist  bereits  gedacht  worden.  —  BeiCypridinaAgassizii 
sind  die  Männchen  ausserdem  viel  kleiner  (etwa  4,5  Mm.  lang)  als  die 
Weibchen ,  (etwa  2  Mm.  lang)  und  daran  auf  den  ersten  Blick  zu  er- 
kennen. MerkwUrdiij;  ist  es ,  dass  ich  von  dieser  Art  stets  bei  weitem 
mehr  Männchen  als  Weibchen  gefunden  habe;  eines  Tages  (12.  Novbr. 
i  865),  an  dem  ich  besonders  glücklich  im  Fange  dieser  Thiere  war,  er- 
beutete ich  57  Männchen  und  nur  6  Weibchen.  —  Von  G.  Grubii  habe 
ich  überhaupt  nur  sehr  wenige  Thiere  gefangen ,  unter  denen  sich  kein 
einziges  Weibchen  befand.  —  Umgekehrt  habe  ich  von  G.  nitidula 
nur  Weibchen  gesehen,  wenn  nicht,  wie  ich  vermuthe,  ein  einzelnes 
dieser  Weihchen  in  der  weisslichen  Färbung  und  dem  Glänze  der  Schale 
gleichendes  Männchen  (Fig.  9)  derselben  Art  angehört.  In  diesem  Falle 
würden  die  Geschlechter  bei  dieser  Art  sich  auffallend  durch  die  Ge- 
stalt der  Schalen  und  die  Grösse  der  paarigen  Augen  unterscheiden. 
Dass  die  Eier  im  hinteren  Theile  der  Schale  ausgebrütet  werden ,  wie 
ich  bei  Cypridina  Agassizii  fand,  würde  deren  stärkere  Wölbung 
beim  Weibchen,  —  die  langen  Spürborsten  des  Männchens  würden  das 
stärkere  Vorspringen  des  vorderen  Schalentheiles  bei  diesem  Geschlechte 
erklärlich  machen ;  die  grösseren  Augen  des  Männchens  würden  eben- 
falls nichts  Auffallendes  haben. 

Ein  letztes  unterscheidendes  äusseres  Merkmal  der  Männchen  bie- 
tet ihr  sehr  ansehnliches  Begattungsglied.  Um  dasselbe  zu  schwel- 
len und  so  hervortreten  zu  lassen ,  tödtete  ich  die  Thiere ,  wie  Zenker 
mit  Cypris  Ihal,  in  heissem  Wasser.  — Das  Begattungsglied  (Fig.  26,p) 
besteht  aus  einem  dicken,  unpaaren  Stamme ,  der  sich  in  einen  rechten 
und  einen  linken  Schenkel  gabelt,  von  denen  jeder  wieder  in  einen 
äussern  und  einen  innern  Ast  sich  spaltet.  Bei  C.  Agassizii  sind  alle 
diese  Theile  ziemlich  schlank,  der  innere  Ast  erscheint  als  unmittelbare 
Portsetzung  des  Schenkels,  der  äussere  ist  dünner;  beide  sind  nach 
dem  Ende  zu  verjüngt  und  haben  eine  kable,  abgerundete  Spitze.  Bei 
C.  Grubii  (Fig.  7)  sind  die  Schenkel  kurz  und  dick,  fast  kuglig  und 
springen  über  die  Ansatzstelle  der  Aeste  vor ;  auf  dem  Gipfel  des  Vor- 
sprungs liegt  dieGeschlechtsöffnung.  Die  Aeste  sind  ebenfalls  kurz  und 
dick;  ihr  Durchmesser  beträgt  kaum  ein  Drittel  von  dem  des  Schenkels; 
am  Ende  trägt  jeder  zwei  blosse  Borsten.  Man  fühlt  sich  versucht,  das 
Begattungsglicd  für  ein  umgewandeltes,  zweiästiges Fusspaar  zu  halten. 

7.  Die  Kit^men. 

Die  Kiemen  der  Cypridinen  sind  bereits  vor  30  Jahren  von  Philippi 
gesehen  und  abgebildet,  aber  nicht  als  solche  erkannt  worden.    Spätere 


268  Fritz  Müller. 

Beobachter  scheinen  nur  kiomenlose  Arien  untcrsueht  m  hahen.  Ci-*rs 
spricht  noch  1866  allen  Uuschelkrebsea  Rcspirationsori;ane  ah  '.  Mei- 
nerAngabe,  dass  bei  Cypridina  ansehnliche  Kiemen  vorkommen  3, 
scheint  derselbe  keinen  Glauben  geschenkt  zu  haben. 

PuiLippi  sah  bei  Asterope  clliplica  hinler  den  Pulzfiisscn  vier 
wurslförmige  KCrper  am  Rücken  emporslehen.  Das  sind  die  Kiemen. 
An  gleicher  Stelle,  und  bei  todlen  Thieren  in  gleicher  Geslsll,  jedoch  in 
grösserer  Zahl,  finden  sie  sich  bei  Cypridina  AgassizÜ  [Fig.  15, ör. 
Fig.  36,  ör.)  und  nitidula. 

BeiCypridina  Agassizii  entspringt  joderseils  dicht  neben  der 
Mitlellinie  des  Rückens  eine  Reihe  von  sieben  (bisweilen  nur  sechs) 
schmalen,  nach  oben  kaum  merklich  breiteren  Bltlttem.  Sie  sind  etwas 
schief  eingefügt,  so  dass  der  Hinterrand  jedes  ßlalles  den  Vorderrand 
des  folgenden  von  aussen  deckt.  Nahe  dem  oberen  Ende  trügt  jedes 
Blatl  einen  kleinen,  warzenförmigen  Vorsprung,  durch  den  wohl  eint; 
zu  enge  Berührung  derselben  verhütet  wird.  Dem  Rande  des  Blattes 
entlang  vei'lüuCt  ein  einfacher,  ziemlich  weiter  Hohlraum. 

Bei  C.  n  i  l  i  d  u  I  a  sind ,  wenn  ich  mich  rechl  entsinne,  die  Kiemen 
zahlreicher.  Dagegen  ist  ihre  Zahl  geringer  bei  ganz  jungen  Thieren. 
Junge  von  C.  Agassizii,  die  die  Schale  der  Mutler  noch  nicht  verlas- 
sen hatten  (Fig.  14],  besassen  nur  drei  Kionienpaare,  die  von  vom  nach 
hinten  an  Grösse  zunahmen  Die  hintersten  Kiemen  sind  also  wahr- 
scheinlich die  •lltusten. 

Der  Athemstrom  wird  unterhalten  durch  die  ununterbrochenen 
Bewegungen  des  mit  langen  Fiederborsten  besetzten  Blattes  (Fig.  15,3), 
welches  Grubk  den  ngro.ssen,  blallförmigen  Anhang  des  ersten  Haxillcn— 
paares«  nennt''.  Ich  habe  vei'silumt,  durch  Zusatz  feiner  Farbthcilchen 
zum  Wasser  festzustellen,  in  welcher  Richtung  der  Athemstrom  an  den 
Kiemen  voillberlliesst.  —  Hinter  dem  letzten  Riemenpaare  tragt  der 
Rucken  einen  kurzen,  walzenförmigen,  unpaaren  Fortsalz,  der  schief 
nach  vorn  und  oben  gerichliit  und  mit  einigen  kurzen  Härchen  besetzt 
ist.  Bei  C.  Grubii  fehlt  mit  den  Kiemen  auch  dieser  Fortsatz  voll- 
ständig. 

Höchst  auffallend  ist  es,  dass  die  Kiemen  auch  bei  Cypridina 
oblonga  zu  fehlen  scheinen,  die  sich  im  Bau  der  Giiedniaassen  aufs 
Engste  an  C.  Agassizii  und  nilidula  anschliesst.     Grubb's  Zerglie- 

I)  Claus,  Grundzüge  der  Zoologie,  S.  lOS. 

3)  FuTZ  HuLLEn,  Kür  Darwi»,  1H64,  S.  IS. 

3)  In  Gbdbe's  Zeiclinung  (Arch.  für  Nnlurgoscli.  XXV,  ß,t.  I,  Tar  XII,  Fig.  t; 
isl  dies  Blatl  in  vurkeiirlcr  Lage  ilargoslcllti  der  gi;*ü]btu  ÜiihcI  mit  dem  Kii>dcr- 
bursleii  ist  niulit  dur  vordere,  sondeni  der  hintere. 


Benierkangen  aber  Cypridlna.  269 

deruDg  der  C.  ob  longa  ist  eine  so  sorgfältige  gewesen,  dass  er  die 
Riemen ,  wären  sie  in  ähnlicher  Weise  wie  bei  den  letzteren  beiden 
Arten  entwickelt,  kaum  hätte  übersehen  können. 

8.   Herz  und  Blutlauf. 

Ein  Herz  habe  ich  bei  Gypridina  Agassizii  und  nitidula 
gesehen;  die  wenigen  Thiere  von  C.  Grubii,  die  ich  gefangen,  hatten 
ganz  undurchsichtige  Schalen  und  ich  kann  nicht  sagen,  ob  dieser 
Art  mit  den  Kiemen  nicht  etwa  auch  das  Herz  fehlt. 

Die  Schale  der  Gypridinen  hängt  nur  auf  eine  ganz  kurze  Stelle 
mit  dem  Rücken  des  Thieres  zusammen ;  an  dieser  von  oben  durch  die 
Schale  gedeckten  Stelle,  nach  hinten  und  oben  von  dem  mittleren 
Auge,  liegt  das  Herz.  Es  bildet  bei  Gypridina  Agassizii  (Fig.  46] 
einen  kurzen  Sack,  der  höher  als  lang  und. unten  weiter  als  oben  ist. 

Vom  Laufe  des  Blutes ,  das  arm  an  Blutkörperchen  ist ,  habe  ich 
nur  wenig  gesehen.  Die  meisten  Thiere  sind  zu  undurchsichtig ,  um 
mehr  als  die  Bewegungen  des  Herzens  erkennen  zu  lassen.  Nur  von 
C.  Agassizii  habe  ich  ein  paar  fast  farblose  Thiere  gefangen,  die 
durchsichtig  genug  waren,  um  die  Blutkörperchen  in  ihrem  Laufe 
durch  Herz  und  Riemen. verfolgen  zu  können.  In  das  Herz  tritt  das 
Blut  von  hinten  und  unten  und  strömt  nach  vorn  und  oben ,  wo  eine 
grosse  Oeffhung  zum  Austritt  des  Blutes  zu  sein  scheint.  Von  da  sah 
ich  den  Blutstrom  sofort  nach  unten  umbiegen,  an  der  Yorderwand  des 
Herzens  hinabsteigen  und  hinter  das  mittlere  Auge  treten.  In  den  Rie- 
men steigt  das  Blut  an  deren  vorderem  Rande  in  die  Höhe ,  am  hinte- 
ren Rande  wieder  hinab.  —  In  den  Fühlern  sah  ich  die  Blutkörperchen 
an  der  Beugeseite  des  Rnies  der  Spitze  zu,  an  der  Streckseite  nach 
dem  Rörper  zurücklaufen. 

9.    Allgemeine  Bemerkungen. 

Seit  W.  Zenkbr's  vortrefflicher  Arbeit  über  Gypris  und  Gythere 
werden  die  Huschelkrebse  fast  allgemein  als  besondere  Ordnung  der 
Rruster  betrachtet.  Das  will  sagen,  dass  sie  sich  selbstständig  vom 
Urstamme  der  Rlasse,  und  nicht  von  einem  der  anderen  Hauptäste  des- 
selben abgezweigt  haben.  Nur  Gbrstaecker  *  ordnet  sie  noch  neuer- 
dings den  Branchiopoden  unter.  »Die  Ostracodena,  sagt  derselbe, 
»schliessen  sich  den  Gladoceren ,  von  denen  sie  gewöhnlich  als  eigene 


1  Peters,  Carüs  und  Gerstaeckbr,  Handbuch  der  Zoolugic.   11,  1863,  S.  399. 


270  l-'ri'i  M'lller, 

Ordnung  abgi'trennt  werden,  ehi'n  so  eng  an,  wie  diese  den  Phyllo- 
poden  .  .  .  Diu  beiden  ersten  Beinpaaro  derselben  werden  zwar  gp- 
wiihnlich  als  Mnxillen  besehrieben,  geben  sich  aber  nicht  nur  durch 
ihren  in  mehrere  Lappen  geschlitzten  Stanjm,  sondern  auch  durch  die 
besonders  am  ersten  Paare  slark  entwickelte  Kieme'  als  Analoga  der 
Cladoceren-  und  Phyltopoden-Beine  zu  erkennen. >'  Gegen  diesen  Ver- 
gleich der  Riefer  der  Miischelkrebse  mit  den  Beinen  der  Cladoceren 
und  Phyllopoden  ist  sicher  nichts  einzuwenden;  nur  passt  derselbe 
eben  so  gut  auf  die  Kiefer  der  Copepoden  und  der  höheren  Kruster 
(Malacoslraca) ;  Damentlich  bei  den  JugendzusUinden  der  letzteren  ist 
die  Aehnlichkeit  bisweilen  eine  Überraschende,  so  dass  auch  Claus  den 
Kiefer  der  Krebslarven  »eine  Art  Phyllopodenfuss"  genannt  hat.  Diesi» 
Uebereinstimmung  beweist  also  nirhts  fUr  eine  nähere  Verwandtscbafl 
der  Muschelkrebse  und  Branchiopoden ;  was  sie  beweist,  ist,  dass 
die  Branchiopoden,  Copepoden,  Ostracoden  und  Malacoslraca  erst  lange 
nach  der  Naupliuszeil,  dass  sie  erst  dann  von  dem  gemeinsamen 
Stamme  sich  trennten,  als  auch  diese  den  KinnbackenfUssen  zunächst 
folgenden,  bei  allen  diesen  Ordnungen  in  ähnlicher  Weise  gebildeten 
Gliedmaassen  bereits  entwickelt  waren.  Die  Starameltern  mögen  zu 
dieser  Zeit  dieselbe  Gliedmuassenzahl  besessen  haben,  wie  jetzt  Cy- 
pris  und  Cythere;  wie  bei  diesen  hinkT  den  Kinnbacken  noch  vier 
Gliedmaassen  paare  sich  finden,  so  sprosst  auch  bei  dem  Nauplius 
vonPeueus  die  gleiche  Zahl  von  Fussstumnieln  hinler  den  Kinnbacken- 
fUssen gleichzeilig  hervor.  Die  einzige  Ordnung,  deren  Kiefer  in  ganz 
abweichender  Weise  gebildet  sind,  bei  der  Überhaupt  ahnliche  Glied- 
maassen fehlen,  sind  die  Pectostraca  Uaeckel's,  die  RankenfUsser 
und  Wurzelkrehse;  diese  mögen  schon  früher  von  dem  Crslamnie  der 
Classe  sich  gelrennt  haben;  in  diesem  Falle  wäre  die  AulTassung  von 
Alph.  Muse  Edwarrs  die  richtige,  der  sie  als  ßasinotes  allen  übri- 
gen Knistern  (Eleulheronotes)  gegenüberstellt. 

Wenn  somit  Gerstaücker's  Bedenken  gegen  die  von  Zexkeh,   wie 


1  Die  boi  de»  Krustern  so  htiutig  vorkotDroeodcn  .schwingenden  Planen,  dif 
mil  langi^n  Fiederhaaron  bpsalit  zu  sein  pflegen  .  werden ,  ho  man  keine  besseren 
Kiemen  hal  fimlen  können,  immer  noch  haulig.  wie  hiervon  Gwbiakme«,  als  Kie- 
men beieichnel,  —  aber  obne  allen  Grund.  In  alleu  Fällen,  wo  ich  diese  so^e- 
uannlan  Kiemen  an  teilenden  Thieren  uotcrsDcbte,  Jtittd  ich,  dass  sie  zu  den  blul- 
nrmslen  Thcilcn  des  Körpers  (leliorea.  Allerdings  dienen  sie  meist  der  Athmung. 
aber  nur  dadurch ,  dass  sie  einen  Strom  rrischen  sUtembaren  Wassers  xufQbreD. 
Noch  bei  den  bficbsstphenden  Kruslcrn ,  den  Krabben ,  wird  der  Alhemstrom  bv- 
kannttich  darcb  eine  solche  schwingende  Plane  geregell .  die  das  gleiche  Rechl  auf 
denNsmcu  Kieme  tiRt.  wie  die  enteprerbenden  Plalloti  an  den  Kiefern  vonC)  pris. 


•s. 


4  Für  Darwin,  S.  59,  Anm. 


i 


.r 


Beroerkangeii  Aber  Cypridina.  271 

mir  scheint,  genügend  begründete  Abtrennung  der  Muschelkrebse  als 
eigener  Ordnung  nicht  stichhaltig  erscheinen,  so  können  andererseits 
die  eigenthümlich  entwickelten  Riechföden,  der  Stirnanhang,  die  son- 
derbaren Putzfüsse,  die  rückenständigen  Kiemen  der  Cypridinen  , 
nur  als  neue  Stützen  für  die  Auffassung  Zenkeh's  betrachtet  werden, 
welcher  namentlich  auch  Claus,  der  eben  so  glückliche  wie  umsichtige 
Forscher  auf  dem  Gebiete  der  niederen  Kruster,  und  E.  Habckel  in 
seinem  bewundernswerthen  Versuche  feiner  »genealogischen  Ueber- 
sicht  des  natürlichen  Systems  der  Organismen«  sich  angeschlossen  « 
haben.                                                                                                               ^  *    . 

Für  die  ziemlich  allgemein  angenommene  nähere  Verwandtschaft 
der  Muschelkrebse  mit  den  Bankenfüssern  liefert  die  Betrachtung  der 
Cypridinen  keinen  neuen  Anhalt,  man  müsste  denn  den  unpaaren 
Stimanhang  den  beiden  Fäden  vergleichen,  welche  an  ähnlicher  Stelle 
bei  den  Larven  der  Bankenfüsser  und  Wurzelkrebse  sich  finden.  Ich 
habe  früher  ^  gegen  die  Annahme  einer  solchen  Verwandtschaft  mich 
ausgesprochen  und  bis  jetzt  keinen  Grund  zur  Aenderung  meiner  An- 
sicht gefunden.  Die  Annahme  beruht  einzig  auf  der  zweiklappigen 
Schale  der  Bankenfüsserpuppen ;  wenn  man  aber  gesehen  hat,  wie 
diese  Schale  durch  das  Zusammenklappen  eines  flachen  Bückenschildes  *;; 

sich  bildet,  und  wenn  man  unter  den  Phyllopoden  als  nah  verwandte 
Familien  die  nackten  Ar  temien ,  die  von  einem  einfachen  Bücken- 
schilde bedeckten  A  p  u  s  und  die  von  einer  zweiklappigen  Schale  um- 
schlossenen Li  mn  adle  n  findet,  kann  man  kaum  auf  diese  Bildung 
der  Schale  irgend  ein  Gewicht  legen ,  wenn  es  sich  um  die  Verwandt- 
schaft ganzer  Ordnungen  handelt. 

Unter  den  drei  Familien  der  Muschelkrebse  stehen  offenbar  die  C  y- 
pridinenam  höchsten;  die  hohe  Ent Wickelung  der  Sinneswerkzeuge, 
der  Augen ,  der  Biechfäden ,  zu  denen  sich  noch  der  Stirnanhang  und 
die  Schmeckhärchen  (?)  am  Kinnbacken  gesellen ,  sowie  der  Besitz  von 
Herz  und  Kiemen ,  weisen  ihnen  diese  Stelle  an.  Trotzdem  aber  ste- 
hen die  Cypridinen  in  mehrfacher  Beziehung  der  Urform  der  Gruppe 
unverkennbar  näher,  als  Cypris  und  Gythere;  so  darin,  dass  das 
zweite  Gliedmaassenpaar  meist  noch  einen  Nebenast  besitzt,  und  dass 
das  dritte  noch  einen  kräftigen  umfangreichen  Fuss  bildet ;  beides  sind 
Eigenthümlichkeiten ,  die  an  die  Gliedmaassenbildung  von  Nauplius  /^ 

erinnern.    Wahrscheinlich  gilt  dasselbe  von  dem  Begattungsgliede,  das  l'^l 

viel  einfacher  gebaut  ist,  als  bei  Gythere  und  Cypris.    Keinenfalls  ^^| 

haben  sich  die  höherstehenden  Cypridinen  aus  der  niedriger  ste- 


.* 

')|) 


ii 


272  F^i'»  "fi'li'ti 

henden  Form  der  C  y  p  r  i  s  oder  C  j  l  li  c  r  c ,  sondern  als  solbststitndiger 
Zweig  aus  der  Stammform  der  Musphelkrebae  entwickell. 

Auf  dasselbe  VerhalLniss  stossen  wir  übrigens  auch  bei  den  frei- 
lebenden Copepoden,  unter  welchen  sunstreilig  die  Calaniden  zugleich 
mit  den  Pontelliden  die  höchste  Stufe  einnehmend  (Clals).  Auch  hier 
sind  gerade  diese  höchst  stehenden  Familien  in  dem  umfangreichen 
Nebenasl  der  »hinleren  Antennenu,  sowie  in  dem  zwoiilstigen,  den  hin- 
teren Antennen  ähnlichen  iMandibuIarpalpus«  der  Urform  des  Nauplius 
weil  ähnlicher  geblieben,  als  alle  übrigen  Copepoden,  —  vielleicht 
weil  sie  der  ursprUn glichen  Lebensweise ,  dem  freien  Umherschwim- 
men im  offenen  Meere,  treu  blieben. 

Calaniden  und  Pontelliden  einerseits,  Cypridinen  an- 
dererseits, stimmen  auch  darin  Uberein,  dass  sie  die  einzigen  Familien 
ihrer  Ordnung  sind,  die  ein  Herz  besitzen  und  dieses  Herz  hat  bei  bei- 
den etwa  dieselbe  Lage;  ob  genau  dieselbe,  ist  wegen  der  bei  Cypri- 
dina  mangelnden  Gliederung  des  Leibes  nicht  zu  sagen.  Dabei  drUngt 
sich  denn  natürlich  die  Krage  <iuf,  wie  diese  übereinstimmende  L.ige 
des  Herzens  zu  erklären  sei.  —  Ehe  ich  die  Beantwortung  dieser  Frage 
versuche,  kann  ich  mir  nicht  versagen,  darauf  hinzuweisen,  wie  scharf 
und  schlagend  in  diesem  Falle  der  Gegensatz  hervortritt,  der  in  der 
Auffassung  der  moipho  legi  sehen  Fragen  zwischen  den  Anhängern  Dah- 
win's  und  den  Bekeunem  des  SchOpfungsdogma's '  obwaltet.    Wahrend 

4  Durch  Professor  Kf.fbii8TE1i<  erhalten  wir  neuerdings  (Bericht  über  die  Fort- 
schritte der  GeneroUon sichre  im  Jahre  1867  )  die  unerftfirlelo  Belehrung,  dass  wir 
die  Gegner  Darwin's  nicht  richtig  versieben,  wenn  wir  glauben,  dass  sie  mll 
dem  Ausdruck  Schöpfung  wirklich  Schöpfung  meinen ;  Schöpfung  soll  ■  nichts  wei- 
ter als  eine  uns  unbekunnle ,  uDfassbare  Weise  der  Entstehung«  boissen.  Es  soll 
dadurch  nur  in  verblümter  Weise  das  verschämte  GeElSodniss  ausgesprochen  wer- 
den, dass  man  über  die  Entstehung  der  Arten  »gar  keine  Meinung  tiabc«  unil 
haben  wolle.  Nach  dieser  Erklärung  des  Wortes  würde  man  ebensowohl  von  der 
ScliSprung  der  Cholern  und  der  Syphilis ,  von  der  Schöpfung  einer  Fcuersbrunsl 
und  eines  Eisenbahnunglücks,  wie  von  der  Schüpfung  des  Menschen  reden  ktinnei). 
Natürlich  bedeuten  dann  auch  die  beliebten  Ausdrücke  Scböpfuagsplan  oder  Bnu- 
ptao  nicht  den  Plan  des  Schüpfers,  sondern  »nicbts  weiter  als  eine  uns  unbekannte, 
unfassbareo  Ursache  der  Aehnlichkelt  verwandter  Formen.  Verwandtschaft  aber 
bedeutet  bekanntlich  bei  unseren  Gegnern  nicht  wirkliche  VcrwandtschaFl,  sondern 
nichts  weiter  als  Aehnlichkelt.  Wenn  dieselben  von  verkümmerten  Theilen  reden, 
meinen  sie  nicht,  dass  diese  Theile  wirklich  verkümmert  sind ,  d.  h.  dass  sie  vor- 
dem wohl  entwickelt  waren,  sondern  nichts  weiter,  als  dess  sie  klein  und  nutzlos 
sind.  Wenn  sie  aber  sagen  nutzlos ,  meinen  sie  nicht  wirklich  nutzlos,  —  NulZ' 
loses  konnte  ja  die  unendliche  Wciüheit  nicht  schaffen,  —  sondern  nichts  weiter 
als  von  uuobekanntem,  unrnssbaremi  Nulzen,  etc.  etc. 

Aber  wie  kann  erwarten,  richtig  vers  landen  zu  werde»,  wor  immer  clwas 
Anderes  sagt,  als  was  er  meint?  — 


Bemerkunisreii  über  GypridiiiA.  273 


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uns  die  eben  aufgeworfene  Frage  Schwierigkeiten  bietet,  die  wohl 
kaum  befriedigend  zu  lösen  sind,  wird  sie  unseren  Gegnern  über- 
flüssig^ vielleicht  lächerlich  erscheinen ,  sie  werden  es  selbstverständ- 
lich finden,  dass  )>dem  Bauplan  der  Classe  gemäss a  das  Herz  bei 
Cypridina  an  gleicher  Stelle  liegt,  wie  z.  B.  bei  Calanus  oder 
Daphnia.  Umgekehrt  wird  es  die  Anhänger  der  »alten  Schdpfungs- 
hypolhesea,  wie  sie  Weismann  nennt,  befremden  müssen,  dass  die 
Kiemen  der  Cypridinenam  Rücken  stehen,  der  bei  keinem  anderen 
Kruster  Kiemen  trägt.  Wir  dagegen  hätten  als  wahrscheinlich  voraus- 
sagen können,  dass  wenn  bei  Muschelkrebsen  Kiemen  vorkämen,  dass 
sie  dann  in  ihrer  Lage  nicht  mit  denen  anderer  Kruster  übereinstim- 
men würden.  Denn  Kiemen  haben  sich  bei  den  Krustern  überhaupt 
erst  spät  entwickelt;  selbst  unter  den  Podophthalmen  und 
Edriophthalmen  sind  bis  heute  die  der  Urform  zunächst  stehenden 
Gattungen  (Mysis,  Tan ais)  kiemenlos  geblieben.  Die  Stammeltern 
der  Muschelkrebse  besassen  sicherlich  keine  Kiemen.     Die  Kiemen  von  \ 

Cypridina  also  und  die  irgend  eines  anderen  kiemenlragenden 
Krusters  sind  keinenfalls  das  Erbtheil  eines  gemeinsamen  Ahnen,  viel- 
mehr haben  sich  die  der  ersteren  unabhängig  entwickelt  und  es  dürfte 
desshalb  eine  abweichende  Lage  derselben  mit  grösserer  Wahrschein- 
lichkeit  erwartet  werden,  als  eine  übereinstimmende.  — 

Die  gleiche  Lage  des  Herzens  bei  Calaniden,  Pontelliden 
und  Cypridinen  würde  sich,  um  auf  die  oben  angeregte  Frage  zu- 
rückzukommen, am  einfachsten  erklären,  wenn  wir  annehmen  dürften, 
dass  schon  die  gemeinsamen  Stammeltern  der  Gopepoden  und  Mu- 
schelkrebse ein  Herz  an  gleicher  Stelle  besassen  und  auf  die  ge- 
nannten Familien  vererbten ,  während  dasselbe  bei  der  Mehrzahl  der 
Gopepoden  sowie  beiGypris  und  Gylhere  im  Laufe  der  Zeiten 
verloren  ging. 

Zu  Gunsten  der  Annahme ,  dass  schon  die  gemeinsamen  Stamm- 
eltern von  Gopepoden  und  Muschelkrebsen  ein  Herz  besassen,  lässt  sich 
geltend  machen,  dass  schon  die  Nauplius  von  Peneus  ein  Herz 
haben ,  wodurch  das  sehr  fiilhe  Auftreten  desselben  bei  den  Krustern  ' 
wahrscheinlich  wird ;  ferner,  dass,  wie  erwähnt,  gerade  die  mit  einem 
Herzen  versehenen  und  auch  sonst  höher  stehenden  Familien  beider 
Ordnungen  der  Urform  unverkennbar  ähnlicher  sind ,  als  die  übrigen 
niedriger  stehenden,  des  Herzens  entbehrenden  Familien,  dass  keinen-  .  \U 

falls  erstere  aus  letzteren ,  dass  weit  eher  letztere  aus  ersteren  hervor- 
gegangen  sein  können.  Dafür,  dass  das  Herz  verloren  gehen  könne, 
liefern  unter  den  Gliederthieren  die  Milben  den  Beweis.  Der  Mangel 
des  Herzens   scheint  bei  diesen  in   ursächlichem  Zusammenhange  zu 


i 


274  fntt  MrillBr, 

stehen  mit  der  geringen  Grösse;  iialUiIich  ist  das  Herz  um  so  enl- 
behrlicher,  zu  je  winzigerem  Umfange  der  Körper  herabsinkt.  Von  den 
Muschelkrebsen  wissen  wir  nun,  dass  sie  früher  eine  weit  ansehn- 
lichere Grösse  erreichten ;  auch  ohne  die  handgreiflichen  Beweise,  dii- 
uns  ihre  versteinerten  Schalen  liefern,  würde  die  geringe  Zahl  an  GiU- 
lungen  armer,  scharf  geschiedener  Familien  schliessen  lassen,  dass  wii 
in  den  heutigen  Muschelkrebsen  nur  kümmerliche  Reste  eines  früher 
weit  reicher  entfalteten  Formen  kreise  s  vor  uns  haben.  Möglich,  das.s 
in  gleicherweise,  wie  bei  den  Milben,  auch  bei  ihnen  das  Herz  mil 
Abnahme  der  Grösse  geschwunden  ist.  -—  Es  darf  dabei  auch  der 
Pycnogoniden  gedacht  werden.  Zenker  und  Khohs  haben  bei  die- 
sen Thieren  ein  Herz  nachgewiesen;  bei  den  Arien,  die  ich  unter- 
suchte, habe  ich  es  nicht  gefunden,  ohne  jedoch  dessen  Nichtvorhan- 
densein behaupten  zu  können ;  jedenfalls  aber  war  es  bei  ihnen,  ^venn 
vorhanden,  ziemlich  überflüssig;  denn  es  war  keine  Bewegung  des 
Blutes  wahrzunehmen,  die  nicht  aus  den  Zusammenziehungen  der  in 
die  langen  Beine  eintretenden  Blindschlflucbe  des  Darms  zu  erklären 
gewesen  wäre. 

Immerhin,  wenn  auch  wahrscheinlich,  kann  die  Annahme  eines 
Herzens  für  die  gemeinsamen  Stammeltern  von  Copepoden  und  Hu- 
schelkrebsen nicht  als  erwiesen  gelten. 

Die  zahlreichen  Copepoden  ohne  Herz  (Cyclopiden,  Harpac- 
lidun,  Pellidien  undCorycaeiden)  und  auch  Cypris  und  Cy- 
there  haben  im  Uebrigen  nicht  das  Aussehen  verkümmerter  T hie re. 
Und  auch  ohne  jene  Annahme  lUsst  sich  die  gleiche  Lage  des  Hei'zens 
bei  Calaniden  und  Cypiidinen  erklaren,  wenn  man  die  Weise  ins 
Auge  fasst,  in  der  bei  den  Arten  ohne  Herz  das  Blut  bewegt  wird. 
■  Bei  den  Cyclopiden,  Harpacliden  und  Pellidien  Übernehmen 
die  fast  rylhmischen  Bewegungen  des  Magens,  in  welchem  derselbe 
zum  Theil  durch  üussere  UuskeUüge  aufwärts  gezogen  und  dann  wie- 
der in  entgegengesetzter  Richtung  herabgedrängt  wird,  die  Function 
des  fehlenden  Circulationsorgans,  und  bringen  die  im  Leibesraume  be- 
Hndliche  Blulmenge  in  eine  gewisse  Strömung. u'  —  Ganz  dasselbe  sah 
ich  bei  einer  grossen,  ziemlich  durchsichtigen  Cypris,  bei  welcher 
gleichzeitig  auch  die  Leberschlauche  sich  regelmässig  zusammenzogen. 
Die  Bewegungen  der  oberen  Magenwaiid ,  sowie  der  von  ihr  nach  oben 
gebenden  Muskeln  geben  ein  so  tauschendes  Bild  eines  über  dem  Ha- 
gen liegenden  Herzens,   dass  ich   immer  nieder  ein   Herz  zu  sehen 


I.  die  trvilebeuiti;!!  Cupepoii^Q.  S  «t. 


Bemerkungen  Ober  Cypridina.  275 

glaubte,  nachdem  ich  mich  längst  auf's  Bestimmteste  von  dessen  Ab- 
wesenheit überzeugt  hatte*. 

Das  Blut  wird  also  von  derselben  Stelle  aus  in  Bewegung  gesetzt 
bei  den  Arten  mit  und  bei  denen  ohne  Herz ,  und  an  dieser  Stelle 
würde  bei  letzteren  am  leichtesten  ein  Herz  sich  bilden  können ,  etwa 
indem  die  schmalen  Muskelzüge,  die  jetzt  hier  sich  finden,  breiter 
^Tvürden ,  zu  einem  Schlauche  zusammenträten  und  selbststttndig  sich 
zusammenzögen.  Die  gleiche  Lage  des  Herzens  bei  Cypridinen  und 
Galaniden  würde  sich  also  daraus  erklären,  dass  schon  in  frühester 
Zeit,  schon  bei  deren  gemeinsamen  Stammeltern,  wenn  denselben  auch 
ein  Herz  fehlte ,  doch  schon  von  derselben  Stelle  aus ,  wo  bei  ihren 
Nachkommen  das  Herz  liegt ,  die  Bewegung  des  Blutes  ausging.  —  Ich 
will  bei  dieser  Gelegenheit  auf  ein  ähnliches  Verhalten  bei  Echinoder- 
men- Larven  hinweisen.  Bei  Tomaria,  in  welcher  Alex.  Agassiz  eine 
Seestern -Larve  vermuthet,  liegt  bekanntlich  über  der  Grenze  von 
Speiseröhre  und  Magen  eine  grosse  zum  Wassergefässsystem  gehörige 
Blase,  von  deren  vorderem,  kegelförmig  ausgezogenen  Ende  ein  Muskel 
zum  Vorderende  der  Larve  geht.  Muskel  wie  Blase  ziehen  sich  von 
Zeit  zu  Zeit  kräftig  zusammen.  Dicht  über  der  Blase  aber  fand  ich  ein 
Herz.  Ich  habe  die  Entwickelung  der  Tornaria  nicht  verfolgt;  aber 
nach  dem ,  was  wir  durch  Alex.  Agassiz  über  die  Entwickelung  des 
Wassergefässsystems  der  Seestemlarven  wissen,  ist  jedenfalls  jene 
Blase  früher  vorhanden  gewesen  als  das  Herz ;  vor  dem  Auftreten  des 
letzteren  wurde  das  Blut  durch  die  Bewegungen  der  Blase  und  ihres 
Muskels  in  eine  gewisse  Strömung  versetzt  und  das  Herz  bildete  sich 
an  derselben  Stelle ,  von  der  aus  schon  früher  das  Blut  in  Bewegung 
gesetzt  wurde. 

Unter  den  bis  jetzt  bekannt  gewordenen  Copepoden  ohne  Herz 
stehen  einige  (z.  B.  Oithona)  den  Galaniden  so  nahe,  dass  möglicher 
Weise  sich  noch  Uebergangsformen  finden  werden ,  die  auch  in  Bezug 
auf  das  Herz  die  Mitte  halten  zwischen  Galaniden  und  Gyclopiden  oder 
Gorycaeiden ,  Arten ,  die  ein  im  Vergleich  mit  dem  der  Galaniden  un- 
vollkommenes Herz  besitzen,  und  solche  Arten  dürften  dann  vielleicht, 
namentlich  durch  ihre  Entwickelungsgeschichte,  Aufschluss  darüber 
geben ,  ob  ihr  Herz  als  ein  werdendes  oder  ein  verkümmerndes  zu  be- 
trachten sei,  und  damit  die  Frage  entscheiden,  ob  die  Stammeltern  der 
Gopepoden  und  Muschelkrebse  des  Herzens  entbehrten  oder  mit  einem 
solchen  versehen  waren. 


4  In  ähnlicher  Weise  ist  vielleicht  auch  Gegenbadr  getfioschl  worden ,  der  bei 
Sapphirina  ein  Herz  beschreibt,  dessen  Vorhandensein  von  Clads  auf's  Ent> 
schiedenste  in  Abrede  gestellt  wird.  —  Oder  haben  etwa  die  beiden  Forscher  zwei 
verschiedene  Arten  vor  sich  gehabt,  die  eine  mit,  die  andere  ohne  Herz? 


Friti  Miillpr,  BeniprkiiHiifn  (Iber  rypridinn. 

Eiklämog  der  Abbildimgen. 

Taiei  YUL 
—S.  Cypridina  Grnbii,  Mänacbcn. 

Vorderer  Theil  de*  Leibes,    a  SU  man  ha  (ig.   b  Füliler.   c  Schwimmfuss. 

Sliniaiihong.    a  u  der  keulenförmige  Theil  des  GrundKÜedes,  stärker  v»r- 

grifssert. 

Uie  t  letzten  Glieder  des  Fühlers,    n  Riech  Hl  (tenborsEc.   y  Diecbnidun  am 

Ende  des  Fühlers.    J  Spürborsten. 

Greitaiihang  des  SehwimmCusses. 

Kinnbacken  fuss. 

Einer  der  beiden  Schenkel  des  Begattungsgliedes.    a  äusserer,  ß  inne- 
rer Ast. 

Eine  der  beiden  Sciiwaniplallen. 

Männliche  Cypridina,  vermuthlich  das  Männciien  vnn  C.  nilidul  a. 
-la.    Cypridina  nitidula,  Weibchen. 

Fühler,     ß   Riechmdenborste.      r   Rlecbfaden   am   Ende   des   Fühlers. 

(  klauen  artige  Borste. 

KInnbackenruss.     a  Kinnbacken,     ß  ForUatz  am  Grunde  des  iweit«n 


Tafel  DL 
Fig.   la— 19.   Cypridina  Agassizli,  Weibchen. 
Flg.  13.    Erwachsenes  Weibchen. 

Fig.   t(.     Junges,  aas  der  Schale  dieses  Weibchens  genommen. 
Fig.   15.     Weibuhen,  nach  Entfernung  der  Schale. 

b  Fühler,     c  Schwimmfuss.     d  Kinnbackenfuss,    e  fg  viertes  bis  sechstes 

Gliedmaassenpaar.     h  Putzfuss.    q  Unpaarer  Fortsatz  des  Rückens,    hr 

Kiemen. 
Fig.   16.     Herz.    A  Putzfuss. 
Ki^.  17.     Fühler,     u  Borste,  die  an  der  Stelle  des  Riech fädenbUsc he Is  des  Hau n- 

chens  steht,     ß  Hiechtiidenborsle.     y  Riochfadcn  am  Ende  des  Fühlers. 

d  Sfärrnige  Borale  mit  seitlichen  Fädchen.    (  klauen  förmige  Borste. 
Fig.   18.     Schwimmfuss,  von  innen.    «  Grundglied,   ß  ersle.s  Glied  des  HaupUisles. 

y  Nrbenasl. 
Fig.   19.     Putituss. 

Fig.  äO-16.    Cypridina  Agassizii,  Mannchen. 

Fig.  30.     Vorderer  Theil  des  Leibes,    a  Stirnanhang.    Ji  c  tjr  wie  in  Fig.  IS. 
Fig.  81.     Stirnanhang  nnlerhnlb  des  initiieren  Augea. 
Fig.  S3.     RicchlSdenbüschcl. 
Fig.  33.     Schwimmfuss.    a.  ß  y  wie  in  Fig.  18. 
Fig.  i4.     Kinnbackontuss  I«.   Fortsatz  des  ä.  Gliedes,  y  Nebe  na  st. 
Fig.  SS.     Kinnbacken, 
Fig.  iS.      (Auf  Tafel  L)    Der  hintere  Theil  des  Leibes,    p  ßegatlungsglied.    q  nii- 

paarer  Fortsatz  des  Rückens,   hr  Kiemen. 
Itajahy.  Februar  18G9. 


UntersnebuBgen  über  Bau  und  Entnicklaig  der  ArthraiMdeB. 


Dr.  Ant.  Dobm. 


3,    Die  Schalen driiae  nad  die  embryonale  Entwicklang  der  Daplmien. 

Bei  rneinen  auf  Elarst«liung  der  Morphologie  und  Genealogie  der 
Krebse  gerichteten  Untersuchungen  war  es  wesentlich,  neben  den  fast 
tlherall  noch  im  fi^u  und  enden  rudimenlären  Bildungen  der  Embryonen, 
über  ein  Oi-gan  klar  zu  werden ,  das  seit  langen  Zeiten  bekannt,  den- 
noch fast  allen  Versuchen,  es  zu  verstehen,  Widerstand  geleistet  hatte. 
Ja,  um  so  wichtiger  mussle  die  Erledigung  der  Frage  nach  der  Natur 
dieses  Organs  werden ,  als  durch  zwei  der  ausgezeichnetsten  Forscher, 
durch  Leydig  und  G.  0.  S*hs  der  Versuch  gemacht  wurde,  in  diesem 
Organ  die  Wiederholung  einer  Bildung  zu  finden,  die  bisher  dem  Ar- 
thropoden kreise  fremd,  dagegen  bei  den  Würmern  in  ganz  besonderer 
Ausbildung  anzutreffen  war.  Es  konnte  möglicherweise  von  da  aus 
unternommen  ^serden,  die  Arthropoden  odci-  wenigstens  die  Cruslaceen 
aus  den  WUrmern  herzuleiten  und  damit  einen  grossen  Schritt  vorwärts 
zu  thun  auf  der  Bahn  der  reformirten  Zoologie. 

Dan  Ofgan,  d<is  diese  wichtige  Bedeutung  zu  gewinnen  schien,  ist 
die  SchalendrUse.  Levdig  giebt  in  seiaer  » Natui^eschichle  der 
Daphnidenu  pag.  23 — 34  ausführliche  Mitlheilungen  über  die  Entwick- 
lung unserer  Kenntnisse  dieses  Organs.  Es  hatten  sich  ZAonACB,  Lie- 
viN,  JoLV,  Grube  und  Zgnkfr  mit  demselben  beschüftigt,  aber  erst  Lsv- 
uiG  selber  versuchte  das  Organ  auf  seine  eigentliche  morphologische 
Bedeutung  zu  bringen  und  seine  lloniologa  bei  anderen  Krebsen  festzu- 
stellen. Er  behauptet,  die  Schalendr-Use  habe  keine  Oeffnung,  weder 
Bd.  V.  2.  19 


278  Dr,  Ant.  Dohni, 

■  nach  innen  in  den  Körper  dos  Thieres  noch  nach  aussen  an  der  Ober- 
ÜJiche  der  Schale.  Er  vergleicht  in  Folge  davon  die  Schalendrüse  der 
grllncn  Drilse  des  Flusskrebses,  der  er  auch  jede  Mündung  nach  aussen 
abspricht.  Die  Schwierigkeit  der  Untersuchung  dieser  Verhilllnisst' 
lasst  es  begreiflich  erscheinen,  dass  über  diesen  Punkt  bald  so,  bald  su 
geurthtnlt  wurde,  und  so  treten  bald  enlgegengesetztc  Angaben  auf, 
welche  der  grünen  Drüse  eine  OcITnung  im  Basalgliede  derunlern  An- 
tennen zuschrieben.  Levdig  selber  schwankt  in  seinem  Widerspruch 
gegen  das  Sich  Oeßnen  der  grünen  DrUse  und  gewinnt  die  Verrnuthung, 
dieselbe  künne  möglicherweise  eine  Art  Wassergefäss  sein.  »Sollte  nicht 
am  Ende, II  heissl  es  a.  a.  0.  pag.  28,  nwenn  es  sich  doch  bcsLütigen 
liesse,  dass  das  Oi-gan  nach  aussen  mündet,  der  gewundene  Canal  den 
Kiiüueln  der  »WassergeCisseu,  wie  wir  sie  %.  B.  bei  den  Hirudineen  und 
Lumbricinen  sehen,  entsprechen?  Der  Inhalt  des  Canals  ist  wenigstens 
nilgemein  ein  helles,  keine  g^eformten  Theile  enthallendes  Fluiduni; 
könnte  es  nicht  von  aussen  auCgenominenes  Wasser  sein  und  könnte 
man  damit  nicht  in  Zusammenhang  bringen,  dass  grade  um  das  Organ 
herum  die  Blutströmung  in  der  Schale  sich  concentrirt,  etc.  ?«  In  der 
Thal  hat  man  aufs  Bündigste  bewiesen,  dass  die  grüne  Drüse  und  ihre 
zahlreichen  Homologa  bei  l.eucifer,  Phyllosoma,  Gammarus, 
Asellus,  Pranixa  etc.  nach  aussen  münden;  aber  erstens  ist  da- 
durch noch  nichts  Über  die  Natur  der  Drüse  ausgesagt,  und  zweitens 
bleibt  es  noch  sehr  fVagiich ,  ob  die  grüne  Drüse  mit  der  Schalendrtise 
der  Daphnien  hoflaolog  sei.  Durch  eine  Aeusserung  des  ausgezeichne- 
ten norwegischen  C ms la ceologen  G.  O.  Sars  ward  aber  die  Änschauuni; 
über  die  Bedeutung  der  Schalendrilse  noch  complicirler.  In  oNorges 
Feiskvandskrebsdyr.  Ferste  ATsnit.  Branchiopoda.  Cladocera  Cteno- 
poda.  Faniil.  Sididae  et  Holopedidaeu  sagt  derselbe  in  dem ,  gefälliger 
Weise  vorangeschicklen,  französischen  Auszüge  pag.  VI:  »Le  canat 
caracteristique  du  lest  en  forme  de  fronde,  la  soi-disant  glande  du  tesl, 
parait  en  rapport  intime  avec  la  respiration,  cc  que  Mr.  Letdig  a  egale- 
ment  admis.  Son  conlenu  loujours  parfaitement  limpide,  complätement, 
depourvu  de  cellules,  fait  claircment  voir  quo  ce  nc  saurail  etre  une 
glande.  Mais  il  y  a  beaucoup  de  raisons  pour  croire  avec  ce  savant  qui' 
c'est  une  esp^ce  d'analt^ue  des  vsisseaux  aquif^res  des  Hirudinees 
el  des  Lombri eines.  Gelte  supposition  semble  encore  gagncr  du  ter- 
rain  (>ar  suite  des  i'echerches  faites  dans  cel  ouvrage,  qui  fonl  suppo- 
ser  que  ce  oanal,  au  lieu  de  former,  ainsi  qu'on  la  cm  jusqu'a  present, 
une  fronde  partout  fermee,  rentrant  en  eile  m^me,  se  Irouve  au  moins 
dans  les  formes  en  question ,  en  rapporl  avec  une  partie  tres  n^oeusi' 
et  en  apt)arencti  poreuse  du  lest.n     Und  weiterhin  nach  Seit«  17  ver- 


Cniersaohnugen  Ober  Biui  nnd  Entwieklang  der  Arthropoden.  279 

gleicht  der  Verfafiser  die  dort  erwähnte  i>meget  rug0St  mdseende  Parti 
af  Skallen«  mit  der  Madreporenplatte  der  Echinodermen.  Zugleich  mit 
einer  Vergrösserung  unseres  Wissens  vom  Bau  der  Schalendrüse, 
erfolgt  also  auch  eine  Erweiterung  der  Gesiditspuncte,*' unter  denen 
wir  ihre  Betrachtung  vornehmen  könnten. 

Ich  habe  mich  lange  und  eingehend  mit  der  Untersuchung  der 
Schalendrttse  vonDaphnia  longispina  beschäftigt,  ohne  von  der 
Stelle  zu  kommen.     Endlich  gelang  es  mir  an  einem  recht  durchsich- 
tigen Exemplar  einen  Schritt  vorwärts  zu  thun.     Ich  fand  an  der 
SteHe ,  weldie  fast  in  der  Mitte  zwischen  oberem  und  unterem  Theile 
des  Canals  nach  Sars  in  Verbindung  mit  einer  rugosen  Stelle  der 
Schale  stehen  sollte,  eine  s^r  feine  Membran,  die  sich  sadLCSrmig  aus- 
stCdpte,  dann  aber  wieder  zurücktrat  und  etwas  zusammengezogen  lie- 
gen bli^b.    Diese  Aussackung  konnte  nur  von  einer  Flüssigkeit  hervor- 
gebracht sein ,  da  aber  Wasser  das  Thier  umgab  und  keinerlei  Verän- 
derung darin  vorging ,  so  schloss  ich ,  es  m^e  eine  fettige  Flüssigkeit 
gewesen  sein.  Ich  war  aber  nicht  im  Klaren,  woher  sie  gekommen  sei, 
meinte  aber  dieselbe  Flüssigkeit  an  einer  grossen  Kugel  zu  bemerken, 
welche  in  einem  der  Canäle  durch  Druck  hin  und  her  zu  schieben  war. 
Darauf  entfernte  ich  durch  Präparation  ein  Paar  Beine;   dadurch  kam 
ein  neuer  Druck  auf  den  Körper  zu  Stande ;  als  ich  gleich  darauf  wie- 
der die  Schalendrttse  untersuchte ,   sah  ich  drei  grosse  Fettkugeln  in 
jenem  bereits  erwähnten  mittleren  Theile  der  Canäle.     Ich  ging  weiter 
und  untersuchte  alle  Stadien  der  Daphnia  longispina.     Da  begegnete 
mir  einmal  ein  Exemii^ar,   dessen   Schalendrüsen -Canäle  ganz  mit 
einer  grünlich -gelben  Flttssi^eit  angefüllt  war.    Woher  dies  Secret, 
wenn  wir  es  mit  einem  venneintlidien  Wassergefäss  zu  thun  haben 
sollten?  Nicht  lange  darauf  löste  sich  mir  das  Räthsel.   Das  wasvon 
G.  0.  Sars  als  rugose  SteiU  der  Schale  beschrieben  war, 
ist    ein    den    Canälen    der    Schalendrüse    anhängender 
drüsiger  Sack  (Taf.   X,  Fig.  4a).     Derselbe  mündet  durch  einen 
sehr  engen  Canal  in  die  untere  Wandung  der  eigentlichen  Canäle; 
seine  Gestalt  einfach  blasenförmi^ ,  der  Durchmesser  von  dem  Ausfüh- 
rimgsgange  bis  an  die  gegenüberliegende  Wand  halb  so  gross  als  der 
Längendurcfamesser.     Die  Hinterwand  liegt  über  dem  Hinterrande  der 
Mandibel ,  zwischen  ihr  «nd  den  Canälen  kann  man  ganz  sicher  das 
Organ  finden.    Während  die  Wandung  der  Canäle  starr  ist ,  scheint  die 
der  Blase  nachgiebig  zu  sein;   ihr  histologisohes  Gefüge  besteht  aus 
dieser  eimfaGhen  Wandung ,   in  welcher  zahlreiche  Zellen  halbkugelig 
nach  innen  vorragen.   Die  Zellen  messen  0,009 — 0,01  C  Mm.  im  Durch- 
messer, ihr  Kern  ist  Ueio,  misst  ntir  ungefiikr  0,002  Mm.     Ihre  Fär- 

49* 


280  Dr.  Ant.  Dohrn, 

buDg  ist  grünlich -gelb,  und  so  erklärt  sich  das  Vorhandensein  der 
Fettkugeln  dieser  Farbe ,  die  ich  oben  erwähnte ,  und  das  Angefttlltsein 
der  ganzen  Canäle  mit  einer  ähnlichen  Flüssigkeit. 

Nachdem  ich  einmal  die  Blase  völlig  deutlich  wahrgenommen 
hatte,  gelang  es  mir,  sie  in  allen  Exemplaren  wiederzufinden.  Es  kam 
mir  nun  noch  darauf  an,  ihr  Verhältniss  zu  den  Canälen  näher  ins 
Klare  zu  setzen.  Die  Canäle  konnten  neben  der  Blase  seibstständige 
Secretionsorgane  sein,  konnten  auch  bloss  ein  Beservoir  vorstellen.  Ich 
musste  mich  bald  für  erstere  Ansicht  entscheiden ,  denn  ich  fand ,  dass 
die  Zellen ,  welche  an  den  zackigen  Wandungen  der  Canäle  liegen ,  ge- 
nau dieselbe  Structur,  Grösse  und  denselben  grünlich -gelben  Inhalt 
hatten.  Freilich  scheinen  sie  nicht  immer  in  gleicher  Thätigkeit  zu 
sein ,  da  sie  oft  farblos  und  ohne  die  kleinen  Körnchen  sich  zeigten, 
welche  in  den  Zellen  der  Blase  fast  immer  zu  beobachten  waren.  Dass 
sie  aber  eine  secretorische  Thätigkeit  haben ,  glaube  ich  auch  noch  be- 
sonders daraus  entnehmen  zu  können,  dass  ihre  Zahl  sehr  schwankend 
ist.  Ich  fand  mitunter  Canäle ,  deren  Lumen  fast  ganz  verengt  war 
durch  die  zahlreichen  und  weit  vorspringenden  Zellen  der  Wandung. 

Nun  findet  man  häufig ,  dass  innerhalb  des  Körpers  der  Daphnien, 
also  auch  besonders  der  von  mir  untersuchten  Daphnia  longispina,  eine 
Menge  grünlich-gelber  Fetttropfen  auftritt;  dieselben  finden  sich  in  der 
Schale,  in  den  Beinen,  am  Bauch,  kurz  durch  den  ganzen  Körper  im 
Bindegewebe  verstreut.  Sie  sind  wahrscheinlich  von  Bedeutung  für 
den  Neubildungsprocess  der  Schale  und  die  Entwickelung  der  Eier, 
deuten  also  überhaupt  wohl  einen  besonders  ausgiebigen  Emährungs- 
stand  des  Organismus  an.  Es  war  nun  noch  von  Interesse,  festzu- 
stellen, ob  die  grünliche  Färbung  und  die  Häufigkeit  der  zelligen  Ele- 
mente in  der  Schalendrüse  mit  der  Vermehrung  dieser  im  Bindegewebe 
sich  findenden  grünen  Elemente  in  Zusammenhang  oder  wohl  gar  in 
Abhängigkeit  davon  stände.  Da  ist  mir  denn  gelungen,  Stücke  zu 
finden,  in  denen  keine  Spur  von  grünen  Gewebs-  und  Zellmassen  im 
Körper  zu  bemerken  war,  dennoch  aber  der  Inhalt  der  Schalendrüse 
in  grünen  Zellen  bestand,  die  vollkommen  constant  in  der  anhängen- 
den  Blase  sich  fanden.  Daraus  folgt  also,  dass  die  Thätigkeit  der 
Drüse  nicht  von  jenem  allgemein  gesteigerten  Nahrungszustand  abhän- 
gig ist;  es  erklärt  sich  aber  auch  der  stärkere  Blutlauf  in  der  Nachbar- 
schaft der  Drüse,  da  sie  dessen  zur  Secretion  benöthigt  ist;  man 
braucht  denselben  dann  nicht  auf  eine  Respiration  zu  schieben ,  die 
durch  die  Wandung  der  vermeintlich  mit  voii  aussen  eingedrungenem 
Wasser  gefüllten  Canäle  statthaben  sollte. 

Was  nun  die  Homologisirung  der  Schalendrüse   mit  der  grünen 


Uotersuchangen  über  Bau  und  Entwicklung  der  Arthropoden.  281 

Drüse  der  Decapoden  und  der  Drüse  der  unteren  Antennen  der  Edrioph- 
thalmen  angeht,  so  hat  darüber  nur  die  Embryologie  eine  entscheidende 
Stimme.  Nur  das  will  ich  noch,  ehe  ich  zu  einer  Darstellung  derselben 
gehe,  hinzufügen,  dass  der  Yergleich^der  Schalendrüse  und  der  grünen 
Drüse  mit  den  blattförmigen  Anhängen  der  Asellus-Erobryonen 
schon  allein  aus  dem  Grunde  nicht  zulässig  erscheint,  da  ein  Homo- 
logon  der  grünen  Drüse  nicht  wie  Lbtdig  (1.  c.  p.  24)  meint,  dem 
Asellus  abgeht,  sondern  deutlich  an  der  Basis  der  unteren  Antennen 
zu  erkennen  ist  und  auch  von  mir  in  meiner  Darstellung  der  embryo- 
nalen Entwicklung  des  Asellus  (Zeitschr.  f.  wissensch.  Zoologie,  XII, 
p.  257)  erwähnt,  und  sogar,  wie  ich  jetzt  fürchte,  fälschlich  als  Homo- 
logen der  Schalendrüse  angesehen  wurde.  Ueber  di^  wirkliche  Bedeu- 
tung der  blattförmigen  Anhänge  der  Asellus- Embryonen  habe  ich 
schon  früher  eine  Ansicht  ausgesprochen  (On  the  Morphology  of  the 
Arthropoda.  Journal  of  Anatomy  and  Physiology,  II,  p.  84) ;  in  einer 
späteren  Darstellung  der  Embryologie  von  Tanais  werde  ich  die  Be- 
weise für  die  Richtigkeit  der  damals  geäusserten  Ansicht  beibringen. 
Jetzt  gehe  ich  zur  Darstellung  der  Entwicklungsgeschichte 
derDaphnia  longispina  über,  nachdem  ich  ein  paar  Worte  über 
die  bisherigen  Arbeiten  gesagt  habe ,  die  sich  um  die  Aufhellung  der- 
selben Verdienste  erworben  haben. 

Da  sind  es  wesentlich  zwei  Arbeiten,  die  zu  nennen  sind.  Die 
frühere  ist  Zaddagb's  bekannte  Schrift:  »Untersuchungen  über  die  Ent- 
wicklung und  den  Bau  der  Gliederthiere.  I.  Heft.  Die  Entwicklung 
des  Phryganiden-Eies.  1854«.  Zaddagh  schildert  in  dieser  Schrift  auf 
Seite  96  und  97  die  embryonale  Entwicklung  der  Daphnia  sima 
hauptsächlich  in  Rücksicht  auf  die  Entstehung  und  zeitliche  Aufeinan- 
derfolge der  Gliedmaassen.  Von  seiner  Darstellung  wird  die  meinige 
in  einigen  Puncten  abweichen ,  —  das  ist  aber  vielleicht  nur  Schuld 
eines  anderen  Beobachtungsobjectes.  Von  besonderer  Wichtigkeit  war 
seine  Angabe  über  das  ursprüngliche  Auftreten  zweier  Maxillenpaare, 
deren  eines  aber  noch  während  des  embryonalen  Lebens  wieder  ver- 
schwindet. Viel  vollständiger  ist  die  zweite,  ausgezeichnete  Arbeit 
eines  dänischen  Zoologen,  die  erst  kürzlich  von  Cand.  P.  F.  Müllfr 
zugleich  mit  einer  vortrefflichen  Monographie  »Danmarks  Cladocera« 
unter  dem  Titel  »Bidrag  til  Cladocerernes  Forplantningshistoriea  in  »Na- 
turhistorisk  Tidsskrift,  udgivet  af  Prof.  J.  G.  Sghi0bte.  Tredie  Raekke. 
Femte  Binds  ferste  og  andet  Hefte.  Kbabenhavn  1 868.«  erschienen  ist. 
Der  Verfasser  giebt  eine  ausführliche ,  sehr  klare  und  umsichtige  Dar- 
stellung der  Eibildung  in  den  Ovarien  verschiedener  Cladoceren  (Lep- 
todora  hyalina,  Holopedium  gibberum,  Sida  crystallina. 


2S2  »r.  Aal.  Dohrn, 

Dapbnia  galeata  und  Polyphemus)  und  fügt  daran  eine  genaue 
GntwickluQgsgeschichte  der  Leptodora  byalina.  Obschon  diese 
Arbeil  in  vielen  Punclen  ausführlicher  isl  als  die  meinige ,  möchla  ich 
docli  nicht  darauf  verzichWn,  die  letztere  jetzt  zu  publiciren,  da  ich  sie 
unter  wesentlich  andereo  Gesichtspuncten  gearbeitet  bobe,  als  Herr 
P.  F.  MüLLBK,  und  an  einem  von  Leptodora  sehr  verschiedenen  Be- 
prüsentanten  der  Cladoceren. 

Ich  veröffentliche  sie  so,  wie  ich  sie  in  meinen  Notizen  finde. 

1.  Stadium.  Das  Ei  ist  ein  Sommerei.  Es  misst  0,25  Hra.  im 
Durchmesser.  Es  enlhgll  einen  grUnlich-gelben  Dotter,  eine  peripbe- 
nsche  Keimschicht  und  ist  verschlossen  von  einer  einfachen  Uembran, 
dem  Chorion.  Ich  erlaube  mir,  dabei  auf  eine  Angabe  von  Lbydiq  zu- 
rückzukommen, die  dieser  ausgezeichnete  Forscher  bezUglidi  des  Gho- 
rion  in  seiner  » Nalurgeschicble  der  Daphnidcn,  pag.  dU  macht.  Es 
heisst  dort:  »Es  mag  zu  den  gewShnlichen  Erscheinungen  gefattren, 
dass  ein  oder  das  andere  Ei  im  Brutraume  sieb  wieder  auflöst  und 
dann  nur  davon  die  Schale  übrig  bleibt,  anders  wUsstc  ich  wenigslens 
die  zusammengerollton  Hdutc  nicht  zu  deuten,  welchen  man  so  häufig 
bei  den  verschiedcnslon  Arten  in  der  Brutbühie  begegnet.u  Dies  ist  in- 
sofern nicht  richtig,  als  es  nicht  nütbig  ist,  dass  ein  Ei  zu  Grunde  geht, 
um  sein  Chorion  im  Brutrauui  zu  hinlcriassen.  Da  stdi  später  eine 
Larvenhaut  um  den  Embryo  bildet,  wird  das  Chorion  zu  oiuer  ge- 
wissen Periode  UberOUssig  und  zu  eng  für  den  Embryo ;  os  platit  und 
rollt  sich  dann  in  der  eigenlhilmlichen  Weise  zusammen,  welche  Letdiu 
a.  a.  0.  beschreibt,  während  der  Embryo,  umschlossen  und  geschützt 
von  der  Larvenhaut,  sich  rubig  im  Brutraum  weiter  entwickelt.  Eine 
Thatsacfae ,  welche  weder  Leydig  noch  auch  P.  F.  Hüllkr  erwähnen, 
habe  ich  noch  bezüglich  des  Cborions  der  Sommereier  nachzutragen. 
Dasselbe  zeigt  nämlich  eine  deutliche,  anscheinend  zelligc  Struotur; 
die  einzelnen  Felder  derselben  sind  sechseckig  und  aufs  Sohdrfste  eines 
vom  anderen  geschieden  (Taf.  X,  Fig.  43).  Entweder  ist  diese 
Structur  ein  Abdruck  der  cellulüren  Structur  der  Schale  des  Brutrau- 
mes,  die  also  einen  Beweis  dafür  bildet,  dass  die  Erhärtung  der  äusse- 
ren Plasmaschicht  erst  erfolgt,  wenn  der.  Eänhalt,  also  die  Plasma- 
Masse  mit  den  Dotter-Elementen,  bereits  au&  dem  Ov;iriutii  in  den 
Brutraum  entleert  ist,  oder  sie  ist  ein  Product  der  W.indunijszellen  des 
Ovariums,  wie  ja  auch  die  übrigen  Chorien. 

Der  Dotter  des  Eies  besteht  aus  drei  grosseren  Fettblascn,   die 
ganz  klar  sind,  und  aus  vielen  anderen,  verschieilen  grossen  (0,OI( 
(1,004,    0,026  und  0,03  Hm.  j,   die  innen  noch   uitu-  suirke,   lieft 
brechende  Blase  enthalten,    in  der  Ktimchen  sn'^""' 


1 


üntersuchungeu  über  Bau  uod  Eutwickluug  der  Arthropoden.  283 

Keimschicht,  welche  die  ganze  Peripherie  umgab ,  bestand  aus  Zellen 
von  0,008  Hrn.;  welche  alle  halbkugelig  nach  aussen  vorragten  und 
keinerlei  Guticula  oder  sonstige  Membran  um  sich  gebildet  hatten. 
Beim  Zerdrücken  des  Eies  platzte  nun  das  Chorion,  der  Dotter  floss 
aber  nicht  regellos  aus,  sondern  die  ganze  Masse  ward  durch  die 
Keimhaut  zusammengehalten,  deren  einzelne  Zellen  vielleicht  schon 
durch  Ausscheidung  irgend  einer  Intcrcellular- Substanz  inniger  ver- 
bunden waren ,  da  sie  selbst  bei  stärkerem  Druck  des  Deckgläschens 
nicht  platzten. 

Die  Entstehung  dieser  Keimhaut  habe  ich  nicht  beobachtet,  glaube 
aber,  dass  die  Körnchenkugeln,  die  im  Dotter  suspendirt  sind,  daran 
wesentlich  betbeiligt  sind.  Ein  Keimbläschen  fand  ich  nicht.  (Nach 
P.  F.  MüLLER^s  Auseinandersetzungen  ist  dasselbe  aber  vorhanden  und 
zu  beobachten.)  In  manchen  Eiern  fand  ich,  dass  die  Keimhautzellen 
3 — 4  grössere  helle  Bläschen  im  Innern  enthalten ,  die  noch  ausserdem 
von  Kömchen  umgeben  sind.  Allmälig  platten  sich  die  Zellen  der 
Keimhaut  mehr  ab,  so  dass  dieselbe  auf  dem  optischen  Querschnitt 
eine  helle  klare  Schicht  von  0,008  Mm.  bildet,  die  indess  auf  dem 
Rücken  sich  noch  mehr  verdünnt.  Auf  der  Bauchseite  dagegen  sieht 
man  zwischen  Keimhaut  und  Dotter  noch  eine  0,02  Mm.  breite  grün- 
lich-gelbe Plasmaschicht,  welohe  dazu  bestimmt  zu  sein  scheint,  von 
den  Zellen  der  Keimhaut  aufgenommen  zu  werden ,  und  so  zu  deren 
äusserst  raschem  Wachsthum  zu  dienen. 

Die  erste  Spur  des  sich  bildenden  Embryos  ist  eine  Einstülpung 
der  Keimhaut  an  der  verdickten  Seite  (Taf.  X,  Fig.  Sab).*  Diese  Ein- 
stülpung ist  halbkreisförmig  von  einem  kleinen  Wall  von  unten  her, 
d.  b.  von  der  späteren  Bauchfläche  umgeben.  Oberhalb  der  halbkreis- 
förmigen Höhlung  liegt  eine  kleine  Verdickung  der  Keimhaut.  Die  Ein- 
stülpung ist  die  Mundöffnung,  die  Verdickung  die  Oberlippe. 
Nimmt  man  diese  Einstülpung  als  topographischen  Ausgangspunct ,  so 
liegen  hinter  ihr  und  etwas  mehr  zum  Bauche  hin  die  beiden  grossen, 
runden  Mandi beiplatten  (Fig.  8,  III),  welche  0,06  Mm.  im  Durch- 
messer halten.  Etwas  oberhalb  der  Mundeinstülpung  liegen  die 
grossen  Ruderantennen  (Fig.  8,  II),  die  als  gleich  staik-e  Aeste 
an  gemeinsamem  Stiel  angelegt  werden.  Sie  reichen  beinahe  um  die 
halbe  Peripherie  des  Eies  herum,  ihre  Aeste  sind  auch  gleich  lang. 
Mit  der  Spaltungsstelle  auf  gleicher  Höhe  buchtet  sich  auch  der  Vor- 
derrand der  Antennen  etwas  ein,   so  dass  auch  dadurch  eine  deut- 

ng  von  Stiel  und  Aesten  zu  Stande  kommt.     Darüber, 

nseite  zu,  Über  das  Stielende  der  Ruderantennen  wenig 

>gt  die  obere  Antenne  (Fig.  8,   I),   welche  beide 


284  Dr-  Aul.  Dobra, 

zus^mmcD  nur  ein  Driltel  der  Eiperipherie  umspannen.  Der  Muml- 
Einsiülpung  gerade  entgegen gesetzl  buchlel  sich  die  dorl  gleichfalls 
schon  slark  verdickte  KeirahauL  scharf  ein,  rundel  sich  nach  aussen 
jfdersi'its  von  dieser  Einbuchtung  ab  und  bildet  die  crsle  Anlage  der 
Aficröffnung  (Fig.  H,  I],  die  auch  die  dunklere,  grünlich  -  gelbe 
Schicht  durchsetzt  und  bis  an  den  eigentlichen  Dotter  gehl.  Beim  Zer- 
sprengen des  Chorions  zeigt  sich,  dass  bereits  eine  zweite  Hullc  den 
Embryo  umgiebl:  diese  HUlle  ist  die  Larvenhaul,  und  das  bis- 
her geschilderte  Stadium  der  Embryonal- Entwicklung  das  Nau  — 
pliu.s-Stadium,  da  es  nur  die  drei  typischen  Gliedraaassen  des 
Naiiplius  hervorgebracht  hat.  Am  Schluss  dieses  Stadiums  findet  man 
im  Centrum  des  Dotters  eine  einzige  röthliche  Oelkugel  von  0,068  Mm. 
Durchmesser.    Die  Embryonaizellen  messen  0,012  Mm. 

■i.  Stadium.  Nach  17  Stunden  (Taf.  X,  Fig.  9  —  10).  Das 
tlliorion  umgiebt  in  tbeilweise  weitem  Abstand  den  in  die  Lange  ge- 
wachsenen Embryo.  Die  Larvenhaul  liegt  eng  an.  Der  Vorder- 
knpf  ragt  jetzt  helmartig  vor.  Auf  seiner  Unterseite  sitzen  zuerst  die 
kleinen  Antennen,  welche  eiförmig  nach  unten  gerichtet  sind.  Zwischen 
ihnen  befindet  sich  die  grosse  Oberlippe,  die  beinahe  eine  kugel- 
fiintjige  Gestall  besitzt.  Auf  gleicher  Hübe  mit  ihr,  aber  ganz  zu  den 
Stilen,  liegen  die  grossen  Antennen  ,  mit  breitem,  zweigliedrigem 
Stiel  und  gleich  langen  cylindrisehen  Acsten ,  auf  deren  Spitzen  man 
bereits  drei  anwachsende  Borsten  benierkl.  Auf  halber  Höhe  der  nun 
schon  stark  verlängerten  Oberlippe  ragen  die  Mandibeln  hervor.  Sic 
sind  abgerundet  und  durch  Oberlippe,  MaxiUen  und  vordere  Antennen 
etwas  von  den  Seilen  her  z u sa m m enge dr tick  1.  Die  ersten  Mamillen 
liegen  dicht  unter  ihnen,  eher  etwas  nach  innen  convergirend.  Sie 
sind  wesentlich  kleiner  als  die  Mandibeln,  abgerundet,  zugleich  aber 
auch  von  Mandibeln  und  zweiten  Maxillen  etwas  gcpresst.  Die  zwei- 
ten Mamillen  sind  noch  kleiner  als  die  ersten,  liegen  aber  etwas 
nach  aussen  von  jenen.  Vordere  Antennen,  Mandibeln  und  beide 
Maxillenpaare  werden  als  einfache,  mehr  oder  weniger  halbkugelige 
Erhöhungen  angelegt.  Die  nun  folgenden  EstremilJItcn  jedoch  legen 
sich  als  breilo,  von  der  Mitte  bis  an  und  über  die  Seitenwand  hinweg- 
gehende Wulste  an.  Das  ersle  Beinpfiar  ist  nach  hinten  und  aussen 
geiSchtet,  es  geht  spitz  zu;  an  der  Basis  findet  sich  auf  der  Unterseite 
ein  sehr  kleiner  Spalt,  der  ein  geringes  StUckcben  der  Glied maassen 
als  homolog  den  folgenden  Aesten  abscheidet.  An  der  Spitze  der  Ex- 
tremität siebt  man  gleichfalls  eine  Spaltung,  die  aber  wie  die  eben  er- 
wähnte durchaus  nicht  lief  geht.  Das  zweite  Beinpaar  hat  dieselbe 
Bichtung  und  im  Ganzen  auch  dieselbe  Gestalt,   wie  die  vorbeigehende 


Untersuchungen  Ober  Bau  und  Entwicklung  der  Arthropoden.  285 

Extremität;  nur  ist  ein  wesentlicher  Unterschied  darin,  dass  die  Basal- 
platte bedeutend  breiter  und  gerundeter  ist,  auch  ist  der  Spalt  an  der 
Spitze  etwas  tiefer.  In  der  folgenden  Extremität,  dem  dritten 
Beinpaar,  ist  der  innere  Basallappen  bereits  grösser  als  die  andere 
Partie  des  Beines,  der  Spalt  an  der  Spitze  trennt  auch  ein  etwas 
grösseres  Stück  ab,  als  an  dem  vorhergehenden  Bein.  Das  vierte 
Beinpaar  gleicht  in  der  Anlage  völlig  dem  dritten.  Das  fünfte  end- 
lich ist  erst  angelegt  mit  horizontaler  Linie,  die  kaum  einen  Spalt  zur 
Abgrenzung  des  Basalstückes  besitzt.  . 

Die  Afterspalte  geht  tief  in  die  Keimhaut  bis  an  den  Dotter; 
eine  Wandung  für  den  Hinterdarm  ist  noch  nicht  von  den  Zellen  der 
Leibeswandung  abgespalten,  doch  erkennt  man  schon  die  Linie,  wo 
die  Spalte  sich  bilden  wird.  Zwischen  der  Afterspalte  und  dem  gleich 
zu  beschreibenden  Schalenrande  bemerkt  man  noch  auf  der  Rücken- 
seite eine  kleine ,  nach  hinten  oflfene  halbmondförmige  Einstülpung  der 
Rückenwand  und  darin  zwei  kleine  Fortsätze.  Dieselben  bilden  die 
erste  Andeutung  der  beiden  auf  dem  Endhöcker  des  Rückens  stehen- 
den Schwanzborsten ,  welche  Letbig  (1.  c.  p.  47}  für  homolog  mit  den 
gabelförmigen  Anhängen  der  Edriophthalmen  hält,  —  eine  Annahme, 
die  ich  vorläufig  wenigstens  nicht  zu  theilen  im  Stande  bin. 

An  der  vordersten  Spitze  des  Kopfes  bemerkt  man  eine  zarte  halb- 
kreisartige Gontour,  die  sehr  scharf  ist.  Darunter  zeigt  sich  die  Zel- 
lenwandung leicht  verdickt.  Diese  Gontour  ist  die  erste  Andeutung  des 
Augenraumes.  Unter  und  hinter  demselben  liegen  zwei  von  der 
Hypodermis  abgelöste  Zellwülste,  die  w^ohl  den  Beginn  der  Hirn- 
masse  andeuten.  Ueber  ihnen  liegt  etwas  Dotter,  unter  ihnen  die 
vorderen  Antennen. 

Auf  gleicher  Höhe  mit  den  Handibeln  verbreitert  sich  dann  der 
Umfang  des  Körpers  wesentlich,  da  hier  die  Schale  sich  zu  formen 
beginnt.  Dieselbe  bildet  sich  oflfenbar  durch  Einschnürung  vom 
Rücken  her ,  während  von  unten  die  Leibeswand  herumwächst  und  so 
die  Faltenbildung  und  die  doppelte  Wandung  der  späteren  Schale  her- 
stellt. Die  Seitentheile  der  Schale  bilden  in  diesem  Stadium  eine  sack- 
förmige Ausstülpung,  welche  mit  röthlicher,  aus  dem  Dotter  stammen- 
der Flüssigkeit  angefüllt  ist.  Die  Gontour  dieser  seitlichen  Schalendu- 
plicatur  sieht  man  auf  dem  Rücken  zusammenlaufen,  aber  so  zart,  dass 
sie  kaum  von  der  Rückenwandung  abgesetzt  erscheint.  An  der  Basis 
der  Schalen-Anlage,  an  der  Innenwandung  derselben,  findet  sich  eine 
dicht  hinter  der  Hündung  des  Schalenlumens  in  den  Dotterraum  des 
Embryo  gelegene  Verdickung.  Ihre  Bedeutung  ist  mir  nicht  klar  ge- 
worden. 


^ 


286  Dr.  Aut.  Dohrn, 

3.  Stadium.     Die  Bildung  innerer  Organe  schreitet  fort.     Von 
oben  bemerkt  man  die  Spitzen  der  Lebersäcke;  sie  liegen  zwischen 
Dotter  und  Hypodermis  und  sind  ziemlich  schwer  zu  erkennen.     Im 
Profil  gesehen  ragt  jeder  der  beiden  Schläuche  bis  an  das  jetzt  schon 
mit  Pigment  versehene  zusammengesetzte  Auge  heran.     Aussen  sieht 
man  bereits  eine  deutliche  Zellschicht  für  die  Bildung  der  Muskeln  be- 
stimmt.    Im  Innern  ist  ein  I^umen,  das  am  Grunde  sehr  eng,  an  der 
Spitze  etwas  weiter  ist  und  zugerundet  endigt.     Der  gan^e  Schlauch 
wächst  offenbar  als  Ausstülpung  der  Darmwand   nach  oben.     Die 
Schale  hat  sich  weiter  über  den  Körper  nach  hinten  gestreckt;  an 
ihrem  Hinterrande  entwickelt  sich  mit  ziemlich  breiter  Basis  ein  nach 
hinten  auswachsender  Kegel,  der  alsbald  rascher  wächst,  als  die  bei- 
den Seitenstücke  der  Schale  und  schon  etwas  gekrUmnit  ist,  ehe  er 
noch  so  weit  gewachsen  ist,  um  über  den  borstentragenden  Wulst  des 
Abdomen  hinüber  zu  reichen.  Auch  wächst  dieser  Stachel,  —  denn  ein 
solcher  wird  aus  dem  Kegel  —  nicht  in  Abhängigkeit  von  den  Schalen- 
hälften ,  sondern  ganz  für  sich  allein ,  so  dass  die  Seitenschalen  sich 
allmälig  an  ihn  anlegen,  während  seine  Wurzel  unverändert  stehen 
bleibt,  wo  sie  ursprünglich  lag,  und  nicht  mit  dem  Weiterwachsen  der 
Schale  nach  hinten  geschoben  wird.    In  diesem  Stadium  erkannte  ich 
auch  die  ersten  Anlagen  der  Schalendrüse  (Taf.  X,  Fig.  3).     Bei 
gewisser  Tubussteilung  erkennt  man,   dass  jede  Schalenhälfte,   von 
deren  mit  röthlicher  Flüssigkeit  erfülltem  Lumen  schon  oben  die  Rede 
war,  mit  trichterförmiger  Mündung  in  den  Leibesraum  mündet.    Vor 
dieser  Mündungsstelle  kann  man  eine  zarte,  beinahe  kreisförmige  Con- 
tour  erkennen,   innerhalb  welcher  dicht  an  einander  liegende  Zellen 
von  ungefähr  0,008 — 0,009  Mm.  Durchmesser  zu  erkennen  sind.'  Diese 
Zellen  werden  deutlich  wahrnehmbar ,  da  sich  bereits  die  Wände  der 
Schale  so  weit  getrennt'  und  durch  gitterförmige  Balken  verbunden 
haben,  dass  die  Blase  in  dem  freien  Raum  zu  erkennen  ist.     Neben 
derselben  nach  hinten  zu  verläuft  ein  Canal  mit  gleich  zarter  Contour, 
dessen  eines  Ende  deutlich  innerhalb  der  trichterförmigen  Einmündung 
der  Schale  in  den  Leibesraum  liegt. 

Man  bemerkt  jetzt  auch  auf  dem  Rücken  in  gleicher  Höhe  mit  der 
Insertion  der  Ruderantennen  eine  zarte  kreisförmige  Contour  von  ziem- 
lich bedeutendem  Durchmesser.  Im  Profil  erblickt  man  an  derselben 
Stelle -eine  buckeiförmige  Erhöhung  der  Hypodermis,  —  die  Anlage 
des  Haftorgans  (Fig.  40c).  Der  Hinterdarm  ist  in  den  Dotter 
hineingewachsen ,  seine  Wandungen  haben  sich  von  der  Körperwan- 
dung abgespalten.  Die  beiden  Schwanz  borsten  auf  dem  Hinter- 
leibshöcker sind  weiter  in   die  Höhe  gewachsen,    werden  aber  von 


Untersuchungen  Ober  Bau  und  Entwicklung  der' Arthropoden.  287 

scharfer  halbkreisförmiger  Furche  nach  vorn  hin  begrenzt.    Ghorion 
und  Larvenhaut  bestehen  beide  noch. 

4.  Stadium.  In  diesem  Stadium  sind  sowohl  Ghorion  wie  Lar- 
venhaut bereits  gesprengt,  und  der  aus  dem  Brutraum  herausgenom- 
mene Embryo  schwimmt  frei  herum.  Das  Gehirn  ist  zu  einer  ein- 
zigen Masse  verschmolzen,  zeigt  aber  noch  die  Zusammensetzung  aus 
zwei  gleichen  Hälften.  Von  den  oberen  Theilen  wendet  sich  jederseits 
nach  aussen  der  dicke  Nervus  opticus ,  biegt  aber  sogleich  nach  oben 
hin  um  und  begiebt  sich  an  das  verschmolzene  zusammengesetzte 
Auge ,  das  durch  seine  hufeisenförmige  Gestalt  noch  die  ursprüngliche 
Zweiheit  andeutet.  Gehirn  und  Nervi  optici  bestehen  noch  aus  unver- 
schmolzenen  Embryonalzellen.  Die  beiden  Pigmenthaufen  des  Auges 
liegen  noch  getrennt,  die  dichteren  Stellen  näher  an  einander;  von 
ihnen  aus  breitet  sich  das  braune  Pigment  strahlenförmig  zwischen 
die  zahlreichen  Krystallkegcl  aus ,  deren  Bildung  mir  völlig  identisch 
erschien  mit  derjenigen  der  Decapoden,  über  welche  ich  später  einige 
Notizen  zu  veröffentlichen  habe.  Vor  Allem  scheinen  sie  viel  zahl- 
reicher zu  sein  als  beim  erwachsenen  Thier.  Auch  erkennt  man  ein- 
zelne Nervenstränge,  die  sich  vom  Bulbus  an  den  dioptrischen  Appa- 
rat begeben ;  die  Kapsel ;  welche  später  das  völlig  verschmolzene  Auge 
umgiebt,  ist  auch  bereits  gebildet.  Vor  dem  Gehirn  liegt  eine  spatei- 
förmige  Platte  senkrecht  von  der  Mittellinie  des  Hirns  und  der  Kopf- 
wandung ausgespannt.  Sie  besteht  wie  das  Hirn  aus  einzelnen  kleinen 
Embryonalzellen,  scheint  also  ebenfalls  nervöser  Natur  zu  sein.  Sie  ist 
nach  vom  spitz  ausgezogen ,  ebenso  nach  unten  unter  das  Gehirn  und 
oben  nach  beiden  Seiten,  so  dass  die  Platte  sich  mit  vier  Zipfeln  an  die 
Umgebung  anschliesst.  In  ihrem  Centrum  liegt  der  Pigmentfleck  des 
Entomostraken- Auges. 

Vor  dem  Gehirn  beugt  sich  die  Kopfkappe  nach  unten  herum.  An 
der  Spitze  stehen  jederseits  die  beiden  Vorsprttnge  der  oberen  An- 
tennen, welche  die  späteren  Nervenstäbchen  als  8  kleine  glänzende 
Kegelchen  nach  aussen  haben  hervorwachsen  lassen.  Im  Innern,  der 
Antennen  ist  die  Scheidung  der  Hypodermis  von  den  inneren  Zell- 
massen schon  vor  sich  gegangen,  letztere  bilden  einen  länglichen  Hau- 
fen ,  der  durch  einen  langen ,  sich  verschmälemden  Ausläufer  mit  der 
Unterseite  des  Gehirns  in  Zusammenhang  tritt.  Ueber  dem  zusammen- 
gesetzten Auge  und  unter  dem  einfachen  setzen  sich  Ausläufer  der  Hy- 
podermiszellen  an  die  darunter  liegenden  Theile  an. 

Die  grossen  Ruderantennen  haben  ihre  definitive  Gestalt 
erreicht.  Die  Aeste  sind  in  drei  Glieder  getheilt  (das  4.  Glied  des  einen 
Astes  scheint  erst  später  gebildet  zu  werden),  die  Schwiinmhaare  sind 


288  Dr.  Ant.  Dohrn, 

ausgewachsen  und  lassen  eine  hellere  Cuticula  und  einen  matteren 
Innenraum  unterscheiden ,  haben  aber  noch  keine  Schwimmborsten  an 
sich  entwickelt.  Der  Antennenstiel  zeigt  ein  langes  Endglied^  während 
das  Basalglied  in  unregelmässige  und  weiche  Faltungen  zerfallen,  sich 
nicht  mit  Deutlichkeit  von  dem  anderen  Gliede  mehr  absetzt.  Im 
Innenraum  der  Gliedmaassen  bemerkt  man  die  Muskelstränge  und 
Nervenbündel,  die  indess  noch  nicht  weiter  histologisch  entwickelt 
sind,  als  dass  sie  eine  äussere  Haut  abgeschieden  haben.  Die  Ober- 
lippe hat  die  bekannte  helmförmige  Gestalt  angenommen,  welche  der 
des  Nauplius  am  Aehnlichsten  ist.  Die  Elypodermisschicht  ist  an  der 
Spitze  am  dicksten,  im  Innenraum  sind  allerhand  Zellhäufchen.  Sie 
bewegt  sich  lebhaft  auf  und  ab.  Die  Mandibeln  sind  hoch  hinauf  ge- 
wachsen, keilförmig  nach  oben  verschmälert.  Die  erstenHaxillen 
konnte  ich  nicht  präpariren  und  ohne  Präparation  waren  sie  nicht  zu 
erkennen.  Die  zweiten  Maxillen  waren  verschwunden.  An  den 
Beinen  ist  als  Neubildung  der  äussere  Kiemensack  (Appendix 
vesiculiformis  Sars)  aufgetreten,  während  der  innere  Basalabschnitt 
sich  zu  dem  Maxiila rfortsatz  entwickelt  hat  (Processus  maxillaris 
Sars),  welcher  bereits  seine  4  langen,  handschuhfingerartigen  Fortsätze 
am  Rande  trägt,  während  die  beiden  Aeste  an  der  Spitze  ziemlich 
gleiche  Ausbildung  erlangt  haben  und  einzelne  lange  Schwimmhaare 
tragen.  Das  zweite  Beinpaar  entwickelt  gleichfalls  die  beiden 
Aeste  an  der  Spitze  zu  ähnlichen ,  schwimmhaartragenden ,  mehrfach 
eingeschnürten  Theilen,  während  die  breitere  Basalplatte  zu  einer  dicht 
und  lang  behaarten  Platte  wird,  die  nur  noch  an  der  Spitze  zwei  hand- 
schuhfingerartige  Fortsätze  trägt.  Das  dritte  und  vierte  Beinpaar  haben 
den  äusseren  Ast  zu  einer  breiten  Platte  entwickelt,  an  deren  Rande 
grosse,  handschuhfingerförmige  Fortsätze  stehen ;  die  innere  Basalplattc 
ist  kammartig  mit  langen  Schwimmhaaren  besetzt,  zwischen  beiden 
besteht  der  innere  Ast  als  unscheinbarer,  borstentragender  Fortsatz. 
Das  letzte  Beinpaar  endlich  entwickelt  keine  Basalplatte,  die  beiden 
Aeste  sind  fast  gleich  unbedeutend ,  auch  der  äussere  Kiemensack  ist 
geringfügiger  als  bei  den  übrigen  Beinpaaren. 

Der  Hinterleib  beugt  sich  nach  der  Bauchseite  ziemlich  weit 
nach  vorn  um.  Seine  obere  Wandung  ist  einfach  bis  zu  der  Stelle,  wo 
die  beiden  Borsten  eingelenkt  sind.  Hier  bildet  die  Wandung  einen 
deutlichen  Wulst,  der  sich  eine  Strecke  weit  am  Hinterrande  hinunter- 
zieht. Auf  der  Spitze  dieses  Wulstes  stehen  die  beiden  Schwanz- 
borsten, die  ziemlich  lang  und  gerade  in  die  Höhe  gerichtet  sind.  Sie 
haben  noch  keine  Schwimmborsten.  Die  beiden  grossen  gekrümmten 
Domen  an  der  Spit^-^  '     "*  '^rleibes  sind  schon  gebildet,  liegen  aber 


UntersQchnngen  ober  Bau  und  Entwicklung  der  Artliropoden.  289 

aufwärts  gerichtet  der  Wandung  dicht  an  und  werden  von  der  Cuticula 
dieser  Wandung  eingeschlossen. 

Das  Haftorgan  besteht  jetzt  aus  einem  Haufen  grösserer  und 
kleinerer  Zellen;  die  letzteren  liegen  mehr  nach  oben  und  in  der 
Mitte.  Die  äusseren  Zellen  wachsen  nach  oben  in  die  Länge ;  sie  haben 
alle  einen  körnigen  Inhalt.  Auf  halber  Höhe  des  ganzen ,  wulstartig 
vorragenden  Organs  findet  sich  ein  scharfer  kreisförmiger  Chitinring, 
dessen  Bedeutung  mir  unklar  ist.  Eine  Oeffnung  ist  an  dem  ganzen 
Organ  nirgends  vorhanden.  Dicht  hinter  dem  Organ  inserirt  sich  mit 
abgerundeter  Fläche  jederseits  der  lange  und  starke  Muskel  der  Man- 
dibeln.  Ueber  die  morphologische  Bedeutung  des  Organs  gedenke  ich 
an  anderer  Stelle  zu  sprechen. 

Die  Schale  umgiebt  bereits  den  ganzen  Körper  und  könnte  auch  auf 
der  Bauchseite  einen  völligen  Verschluss  herstellen,  wenn  die  beiden  seit- 
lichen Falten  mit  einander  verschmölzen.  Es  bleibt  indessen  nur  bei 
einer  Berührung.  Wenn  das  Thier  auf  dem  Rttcken  liegt,  erkennt  man 
die  zellige  Structur  der  Schale  schwer,  wohl  aber,  wenn  es  auf 
dem  Bauche  liegt ;  dann  kann  man  die  einzelnen  Zellen  in  der  oberen 
Wand  erkennen ,  da  ihr  dunkler  Inhalt  sich  von  der  helleren  Begren- 
zung scharf  absetzt.  Zwischen  den  beiden  Schalenblättern  sind  bereits 
deutliche  Fortsätze  gebildet.  Der  Rand  der  Schale  wird  von  einer 
Reihe  deutlicher,  dicht  an  einander  liegender  Zellen  gebildet,  aus  die- 
sen Zellen  wachsen  wahrscheinlich  nachher  die  Domen  aus.  Auch  er- 
kennt pian  besonders  deutlich  am  Rande  die  Cuticula,  welche  die 
Schalenmatrix  bereits  ausgeschieden  hat.  Der  vorher  beschriebene, 
kegelförmig  angelegte  Stachel  des  Hinterrandes  der  Schale  liegt  weit 
herumgekrttmmt  um  den  Hinterleib  und  reicht  mit  seiner  Spitze  bis 
auf  die  Mitte  der  Bauchseite.  Er  besteht  jetzt  aus  einem  hohlen  Gylin- 
der ,  dessen  Wandung  einzelne  dicht  an  einander  liegende  Zellen  bil- 
den. In  diesem  Stadium  ist  der  Stachel  noch  bis  an  seine  Wurzel  frei 
und  un verwachsen.  Bald  aber  verbindet  sich  seine  obere  Wandung 
mit  der  oberen  Wandung  der  Schalen ,  ebenso  die  untere  mit  der  un- 
teren Schalenwand  und  eine  spätere  völlige  Verwachsung  nimmt  dem 
Stachel  die  Selbstständigkeit. 

Die  SchalendrUse  ist  bereits  vollständig  ausgebildet.  Die 
Wandungen  der  Canäle  sind  etwas  dicker  als  später,  auf  dem  optischen 
Querschnitt  ist  das  Lumen  und  der  es  umgebende  Wandungsring  sehr 
deutlich.  Der  Darmcanal  ist  vollständig  fertig;  eine  Einstülpung  des 
Oesophagus  deutet  den  Magenabschnitt  desselben  an ,  in  ihn  münden 
die  über  dem  Auge  endenden  Lebersäcke.  Eine  Querspalte  vor  dem 
Ende  des  Canals  deutet  den  Beginn  des  Mastdarms  an,  zwischen  diesen 


290  Dr-  AdL  Dohro, 

beiden  Punclen  ist  die  Darmwanduog  gaoz  homogen.  Das  Heri  isl 
etwas  dickwandiger  als  später,  sonst  ohne  Unterschied  von  dem  der 
ausgewachsenen  Daphnia  longispina. 

Auf  dieses  vierte  Stadium  folgt  nun  die  Entlassung  der  jtuigen 
Daphnie  aus  dem  Brutraum.  Die  Vei^nderungen ,  welche  eingetreten 
sind,  bestehen  wesentlich  in  dner  Veränderung  der  Bichtung  des 
Schalenstachels,  der  jetzt,  statt  nach  unten  und  auf  die  Baucbseile  ge- 
krümmt zu  sein,  mit  seiner  grosseren  und  basalen  Hälfte  mit  den 
Schalen  verwachsen  ist,  und  die  freie  Endhälfte  nach  hinten  und  oben 
gerichtet  emporstreckt.  Die  Schale  zeigt  sehr  regelmässige  Hhoroben, 
mehr  dem  Hinterrsnde  zu  Rechtecke.  Die  GiUerbalkeu,  welche  die 
beiden  Wandungen  verbinden,  geben  unregelmässig  von  den  einzelnen 
Feldern  ab;  so  findet  man  manchmal  3  —  4  Verbindungen  von  einem 
Felde  ausgehend.  Die  Rander  der  Schalen  sind  an  der  hinteren  Utllfte 
staric  gezahnt;  der  Schalenslacbel  hat,  so  weit  er  frei  ist,  i  Beihen  von 
Zähnen ,  nach  dem  Blicken  jedoch ,  wo  er  mit  der  Sdiale  verwachsen 
ist,  nur  %  Reihen.  Die  Schalenfelder  des  Kopfechildes  sind  viel  un- 
regelmassiger  als  die  seitlichen. 

Die  SchaleedrUse  schliesslich  ist  jetzt  ganz  deuUidi'in  ihren 
Beziehungen  zu  dem  jungen  Thier  zu  erkennen.  Die  Blase  best^t  aus 
dicht  an  einander  liegenden,  einem  Pflasterepithel  gleichenden  ZeUeo, 
und  mundet  an  ihrem  hinterm  unteren  Ende  mit  sehr  deulUdiem 
AusfabniagsgaQge  in  den  Miltelpunct  des  Labyrinths  der  Canale.  Das 
Lumen  dieses  Ausführungsganges  ist  halb  so  gross  wie  das  der  Canüle. 
Diese  selbst  lassen  noch  deutlich  ihre  EnlstehuDgsweise  erkennen.  Es 
gehen  nämlich  von  den  Wandungen  der  einzelnen  Canäle  Ausläufer 
aus,  welche  das  Lumen  gitterartig  durchzieb«i.  Ebenso  gehen  auch 
von  den  Wandungen  «issen  an  die  benachbarten  Canäle  kürzere  Ver- 
bindungsföden.  Derselbe  Canal ,  in  welchen  die  Blase  mündet,  öffnet 
sich  in  einen  kurzen  trichtetft)rmig«i  Ausführungsgang ,  der  sich  uiiler 
dem  nach  oben  ziehenden  Abschnitt  der  GanSle  verliert,  —  nach  mei- 
ner Ueberzeugung  sich  in  den  Körper  ttfi'net.  Die  obere  Sdileife  der 
Ganale  geht  bis  in  die  Höhe  des  Herzens. 

lieber  das  ausgewachsene  Thier  weitere  Mittheilungen  zu  machen 
ist  um  so  tlberfltlss^r,  ale  in  den  A]:i)eiten  Lsntic's,  KLtnzniGEi's  und 
P.  F.  Müllkb's,  Anderer  zu  geschweigen,  die  Organisation  ausführlich 
be^rochen  ist.  Allgemeinere  Auseinandersetzungen  über  die  Morpho- 
logie der  Daphnien  behalte  ich  mir  für  einen  Au&atz  vor ,  in  dem  ich 
meine  embry «logischen  Unlersucbungen  über  die  Gruslaceen  abza- 
schliessen  gedenke.    Hier  will  ich  nur  noch  in  Kürze  auf  die  Oi^nisa- 


üiitersnchfingeii  über  8an  nnd  Entwicklung:  der  Arthrof»odeii.  291 

tion  der  Scfaalendrttse  und  einige  Puncte  der  Entwidclung  eines  Lyn- 
ceus  und  der  Daphnia  sima  eingehen. 

Die  Blase  der  Schalendrttse  von  Daphni«  sima  (Taf.  X,  Fig.  2) 
liegt  topographisch  genau  an  derselben  Stelle,  wie  beiD.  longispina, 
d.  h.  da,  wo  ein  unpaarer  Weg  des  Ganais  sich  in  den  Körper  zu 
öfifaen  scheint.  Ueber  diesem  Sitick  des  Ganais  verbindet  sich  der 
Sack  mit  dem  Ganalsystem  durch  eine  schmale  Mündung.  Während 
bei  D.  longispina  d«r  Sack  quer  liegt  und  auf  der  langen  Seite  aus- 
mündet, findet  man  ihn  dagegen  bei  D.  sima  der  Länge  nach  gelegen, 
die  Mündung  an  seinem  engen  unteren  Ende. 

Die  Schalendrüse  des  Lynceus  unterscheidet  sich  wesentlich  von 
der  der  Daphnien  dadurch,  dass  nur  ein  Ganal  vorhanden  ist  und 
dass  die  anhängende  Blase  nicht  vor,  d.  h.  nach  dtem  Kopf  tu,  son- 
dern hinter  dem  Ganal  liegt  und  dort  von  unten  in  ihn  einmündet. 
Der  Ganal  hat  aber  noch  die  Eigenthümlichkeit,  dass  an  seinem  unteren 
Ende  sich  zwei  Reihen  von  maschenartigen  Hohlräumen  befinden,  wäh- 
rend dieGanäle  der  Daphnien  nur  eine  Reihe  solcher  Hohlräume  aufweisen. 

An  dem  Embryo  von  Daphnia  sima  ist  besonders  das  Haft- 
organ (Taf.  X,  Fig.  5  u.  6)  der  Beachtung  werth.  Dasselbe  besteht 
aus  einem  umschliessenden  Wall  und  einem  innren  Kegel.  Der  lets- 
tere  wurzelt  rückwärts  näher  nach  dem  Herzen  zu,  von  dort  gehen  Fa- 
sern, —  wahrscheinlich  Muskelfasenii  doch  vermochte  ich  darüber 
nicht  Sicherheit  zu  gewinnen  —  nach  oben  und  haben  an  ihrer  Spitze 
eine  kleine  gerundete  Guticula- Klappe;  diese  senkt  steh  nach  allen 
Seiten ,  steigt  dann  aber  wieder  an  den  verdickten  Hypodermiswan- 
dungen  in  die  Höhe  und  bildet  einen  deutlichen  runden  Wall  um  jene 
Kappe.  Sieht  man  das  Haftorgan  von  oben  an,  so  erkennt  man  zwei  boh- 
nenförmige  Zellenhaufen  im  Innern,  deren  Länge  0,034  Mm.  beträgt, 
deren  Breite  (d.  h.  beide  zusammen)  0,048  Mm.  ausmacht,  deren  ein- 
zelne aus  Kern  und  umgebende  K<$mchenraasse  bestehenden  Zellen 
0,004  Mm.  messen.  Diese  Körper  liegen  dicht  über  den  hinteren  Mus- 
keln der  Ruderantennen.  Vielleicht  stehen  die  Fasern ,  die  ich  vorher 
erwähnte,  im  genetischen  Zusammenhange  mit  diesen  Zellhaufen. 
Auch  die  Gestalt  der  Kappe  des  inneren  Faseriiegels  erkennt  man  vom 
Rücken  her  besser;  sie  ist  kein  runder  Knopf,  sondern  ein  breiter, 
querer,  ovaler  Wulst.  Ich  habe  nun  zwar  nie  gesehen,  dass  die  jungen 
Daphnien  sich  mittelst  dieses  Apparates  an  Glaswänden  festhalten 
können,  aber  das  Factum  ist  von  sicheren  Beobachtern  constatirt,  also 
nicht  zu  bezweifeln.  Da  Hesse  sich  nun  vermuthen,  dass  der  dazu  an- 
gewandte Mechanismus  eine  einfache  fiananunine  ist,  dass  der  Kegel 
sich  in  der  Mitte  mittelst  der  lanp  Vt,   dadurch  den 


292     Dr.  AnU  Dobro,  DatersnchongeD  ftber  Bau  uud  EqtwkUiiiig  der  Aifkopodm. 

umgebenden  Wall  an  die  Glaswand  —  resp.  Stein  —  drückt  und  nun 
in  diesem  so  geschlossenen  Raum  die  Luft  verdünnt. 

Dicht  hinter  diesem  Apparat  beginnt  wie  beiD.  longispina  der 
Schalenstachel  (Taf.  X,  Fig.  7),  in  dessen  Basis  das  Hen  liegt. 
Man  kann  die  cylindrische  Wandung  desselben  sehr  deutlich  bis  an  die 
stumpfe  Spitze  verfolgen ,  welche  ein  bischen  nach  unten  vorragt. 
Diese  stumpfe  Spitze  entspricht  dem  langen  aufwärts  gerichteten 
Stachel  von  D.  longispina;  sie  verschwindet  bei  erwachsenen 
Thieren  völlig.  Dass  dieser  Stachel,  obwohl  er  unaufhörlich  mit  den 
Schalenhälften  verwachsen  ist ,  dennoch  sein  eigenes ,  rundum  abge- 
schlossenes Lumen  besitzt ,  geht  daraus  hervor,  dass  bei  stärkerem 
Druck  des  Deckgläschens  an  der  Basis  grüne  Dotterflüssigkeit  in  ihn 
hineintrat  und  bis  an  die  Spitze  vordrang.  Dadurch  ward  ganz  klar, 
dass  die  Höhlung  des  Stachels  von  dem  Innenraum  der  Schalen  durch 
eine  eigene  Wandung  getrennt  sei. 

Vom  Embryo  des  Lynceus  habe  ich  nur  zu  sagen,  dass  er  weder 
ein  Haflorgan  noch  eine  Spur  eines  Schalenstachels  besitzt.  Die  Schale 
ist  an  ihrem  Hinterrande  scharf  kartenherzförmig  ausgeschnitten  und 
umgiebt  den  ganzen  Embryo,  die  Schalendrüse  legt  sich  als  ein  Strang 
neben  einander  liegender  einfacher  Zellen  an. 


EiUiiug  der  ibbildimg. 

1^.  I.  Schalendrüse  einer  erwachsenen  Daphnia  longispina.  a  Blase, 
i  Can^le.   r  MandibeK 

Ki^«    t«    Schaiendrüse  einer  erwachsenen  Daphniasima.  Bezeichnung  wie  obe  n . 

Ki^.  S,  Schalendrüsen -Anlage  in  einem  Embryo  von  Daphnia  longispina. 
«  iimi  i  wie  oben.  6i  Eintritt  der  Cantile  in  die  Körperhöble.  d  Balken- 
biUiung  innerhalb  der  Schale,   e  Spalt  rwischen  Schale  und  Körper. 

Kii^x     4«     H;»ftor|tan  eines  Kmbr>'0  von  Daphnia  longispina. 

l^tjSv    S.     Haftorgau  eines  Embr>o  von  Daphnia  sima.    c  oberer  Wal],    h  Herz. 

KV     «V     llaftoi^n      »  »  »  »  »       c  Faserzüge.      h  Herz. 

jt\*A  SchalendrUsencanfile.  i  Darmwand. 

Kii;;,  « .  Rücken  eines  Embryo  von  Daphnia  sima.  c  Haftorgan,  h  Herz,  seh  Scha- 
lendrüsencanäle.  si  Schalenstachel. 

I-V*    $—13.   Daphnia  longispina. 

Kig  8.  Naupliusstadium  des  Embr)'0.  a  Oberlippe.  6  unterer  Wall  der  Mund- 
oinslülpung.   I,  11.  IH  Antennen  und  Mandibeln. 

Ki^.  9.  Vorgi'schrttteneres  Stadium  vom  Rücken  gesehen,  c  Haflorgan.  st  Scha- 
lenstachel, j?  Coramunication  des  Schaleninnenraums  mit  dem  Körper. 
Die  )^^lben  Umrisse  bedeuten  die  Schalanlage. 

ri|S.  10.  Derselbe  Embryo  von  der  Seite.  Die  römischen  Zahlen  bedeuten  die  Ex- 
tremitäten w^ie  bei  den  Abbildungen  zur  Embryologie  der  Cumacecii. 
$  Schalenrand,  hek  Schwanz höcker. 

Kij!.  H.     Derselbe  Embr>'o  vom  Bauche  gesehen.  2  Die  Afterspalte. 

Kig.  It  Ein  noch  weiter  entwickelter  Embryo,  t  Darm.  &  Auge,  st  Schalen- 
Stachel,  hck  Schwanz höcker.  d  Lebersack,  gli  oberes,  gl^  unteres 
Si'hlundgaugiiou.  (Die  übrigen  Ttieile  des  Nervensystems  waren  nicbl 
tu  erkennen.) 

Kig.  48.     Chorion  eines  Sommer-Eies. 


;3 


L~3 


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^     (IK' 


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Jenaische  Zatschn^  Bä.  V. 


Jemine  Z&tsdiriA,  Bd-  V. 


Jvtdisdie  l&tschr^  Bd  V 


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l 


Ilntersvrhvngen  Aber  Bav  vnd  Entwirklmig  der  Arthropoden. 

Von 

Dr.  Ant.  Dohm. 


(Mit  Taf.  XI  u.  Xn.) 


7.  Zur  Kenntniss  Yom  Baa  nnd  der  Entwicklung  von  Tanais^ 

Fritz  Müllbr  berichtet  uns,  dass  es  wesentlich  eine  Eigen thüm- 
lichkeit  der  Scheerenasseln  gewesen  sei ,  welche  ihm ,  neben  dem 
aufgefundenen  N  a  u p  1  i u s  des  P  e  n  e  u  s ,  den  Gedanken  für  die  Grund- 
legung der  Crustaceen- Genealogie  eingegeben  habe.  Es  heisst  auf 
Seite  1 0  seiner  Schrift  »Für  Darwin« :  —  Deine  nähere  Untersuchung  er- 
gab, dass  diese  Asseln  treuer  als  ii^end  ein  anderer  der  erwachsenen 
Kruster  manche  der  wesentlichsten  Zo^aeigenthttmlichkeiten,  namentlich 
deren  Athmungsweise  bewahrt  haben.  Während  bei  allen  anderen 
Asseln  die  Hinterleibsftlsse  der  Athmung  dienen,  sind  diese  bei  unserer 
Scheerenassel  reine  Bewegungswerkzeuge ,  in  die  nie  ein  Blutkörper- 
chen eintritt  und  der  Hauptsitz  der  Athmung  ist  wie  bei  den  Zo^a  in 
den  von  reichlichen  Blutströmen  durchrieselten  Seitentheilen  des  Pan- 
zers, unter  weichem  ein  beständiger  Wasserstrom  hinzieht,  unterhalten, 
wie  bei  Zo6a  und  den  erwachsenen  Decapoden,  durch  einen  Anhang  des 
zweiten  Kieferpaares,  der  allen  anderen  Edriophthalmen  abgeht.« 

Im  Bestreben ,  auf  der  von  Fritz  Müller  betretenen  Bahn  fortzu- 
schreiten, griff  ich  natürlich  nach  der  ersten  Gelegenheit,  einer  Ta- 
naisart  habhaft  zu  werden.  Ich  fand  in  Millport  ziemlich  häufig 
Tanaisvittatus;  leider  aber  war  die  Jahreszeit  schon  so  vorgerückt 
und  meine  Zeit  durch  die  Untersuchung  der  Gumaceen  so  in  Anspruch 
genommen ,  dass  ich  keine  Eier  mehr  fand  und  von  der  Anatomie  nur 
unvollkommene  Bruchstücke  erarbeiten  konnte.    So  machte  mir  beson- 


1)  Die  zu  diesen  üUnterauchungen«  gehörenden  Aufsätze  4.  Entwicklung  und 
Organisation  von  Praniza  maxillaris,  5.  Zur  Kenntniss  des  Baues  von  Paranthura 
Costana ,  6.  Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Panzerkrebse ,  befinden  sich  in  dem 
XX.  Bande  der  Zeitschrift  für  wissenschaftliche  Zoologie. 

Bd.  V.  8.  SO 


294  Dr.  Anl.  Doht», 

ders  die  Natur  und  Beschaffenheit  der  Hundtheile  viel  zu  schaffen ,  und 
ich  kam  zu  keiner  Klarheit  darüber.  Als  ich  spater  in  daa  zahlreichen 
und  ausführlichen  Beschreibungen  Khover's  mich  zu  belehren  sucht«, 
sah  ich,  dass  es  diesem  sorgßiltigen  Zergliederer  von  Crustaceen  ebenso 
wenig  gpluiii;en  war,  und  auch  die  Notizen,  welche  in  Spence  Bate's 
Sossileeyed  CrustaceaVol.  Hpag.  I^ond  12*  zu  finden  sind,  beruhen 
weder  auf  Orij^iaaluntersuchungen ,  noch  sind  sie,  wie  ich  jetzt  sagen 
kiinn,  richlip.  Kürzlich  dagegen  bat  derselbe  englische  Zoolog  (Car- 
cinologic^l  ^lianings  No.  IV.  in  Anoals  and  Magazin  of  Natural  History 
for  August  ISIiS)  auf  einen  Punkt  der  Anatomie  von  Tanais  aufmerk- 
sam gemacht,  der  gleichfalls  mit  der  Atbmungsweise  zusammenhüngt. 
Spence  Bäte  beschreibt  und  zeichnet  einen  nbranchial  appendage  atla- 
ched  to  ibe  lirst  pair  of  Gnathopodav.  Dieses  Organ,  das  ich  anfänglich 
missvcrsland ,  (Jessen.  Befestigung  an  der  Aussensvand  des  vorderen 
Leibesabschnittes  mir  indess  von  Spencc  Bäte  persitnlicb  gezeigt  wurde, 
veranlasste  iiiich,  die  Eier  einer  Tanais  zu  untersuchen  und  deren 
Entwicklun{^si:;eschidite  zu  bearbeiten. 

Ehe  ich  aber  zur  Darstellung  derselben  scbrcite,  liabe  ich  den  ana- 
tomischen B'^fund  des  erwachsenen  Tbieres  auBeiaanderzusetzon ;  es 
werden  dalxi  die  Probleme  zur  Ansdiauung  kommen,  welche  die  Em- 
bryologie zu  li>sen  katle. 

Der  eilten  lliUmlicbste  Charakter  der  Tanaiden  ist  fttr  den  ersten 
Blick  d^sPnnzorEcbild(Taf.  XII.  Fig.  6,  7),  welches  noch  das  erste  Segment 
des  Percion  mit  UberwOlbt.    Dasselbe  zeigt  an  den  Seiten  eine  blasen- 
artige Wülhiing:   unter  dieser  Wölbung  sieht  man  ttie  schnellen,   in 
unregelmilssiL^ei)  Perioden  erfolgenden  Bewegungen    des   von   Sprhcb 
Batb  bescbrioiicnen  nbranchial  appendage«.   Unter  dem  Panier  and  die 
Seitenwando  des  Kttrpers  sehr  geschweift,   so  dass  ein  ansehnlicher 
Hohlraum  gi'liildet  wird,    dessen   ttussere  Wandung  Panzer,   dessen 
innere  die  Ktirpcrwand  ist.    In  der  Ruhe  siebt  man  jenen  »Kiemenan- 
bung  [1'ig.  t>,  ~  /}  mitunter  der  Panzerwandung  anliegen ,  ebeitso  oft 
abc^  sieht  iDim  ihn  Über  der  Kttrperwand  und  da  liegt  dann  sein  hin- 
teres Ende  £:cinz  oben  im  höchsten  Winkel  des  Hühlreums.     Ausser 
diesem  Ktpni'^nanbang  sieht  man  noch  einen  Anhang  des  Maxillenpaares 
(Fitf.  7.  IV: ,  ;in  dessen  Ende  zwei  lange  Haare  sich  befinden,  innerhalb 
des  Hohlraums  sich  anf  und  ab  bewegen.    Bei  der  Prttparation  gelingt 
es  milunlcr,  den  Kiemenanhang  mit  der  Seilenwand  abeolosen ;  beide 
'ann  i;ewöhnlich  an  dem  grossen  Scbeeren  tragenden  Beinpaar 
Fii;.  15]  fest,  so  dass  Spence  Bäte  beides  als  zusammenge- 
dung  beschrieben  hat.    In  der  Darstellung  der  EntwickJunga- 
t  wird  sich  zeigen,  dass  dies  mit  Unrecht  geschehen  ist.   Die 


Dntersncbnngen  Ober  Baa  ond  Entwieklnng  der  Arthropoden.  295 

Riemenplatte  ist  an  ihrem  hinteren  und  spitzeren  Ende  behaart,  ist  — 
von  oben  gesehen  —  nach  aussen  convex  (Taf.  XII.  Fig.  i)  und  nach 
innen  concav,  ihre  Insertion  ist  näher  dem  Vorderende ,  welches  ge- 
rundet ist,  und  geht  nach  untei\  an  die  Wandung  der  Leibeshohle.  Ob 
hier  ein  Eintritt  von  Blut  stattfindet,  weiss  ich  nicht  festzustellen,  — 
jedenfalls  ist  aber  der  befestigende  Stiel  hohl,  sei  es  nun  zur  Aufnahme 
der  ihn-  bewegenden  Musculatur  oder  um  die  Communication  der  Leibes- 
höhle  mit  der. Platte  herzustellen.  Am  Brustskelet  folgt  nach  dem  Kopf 
zu  auf  die  Einlenkung  dieser  Platten  eine  Chitinleiste,  an  welcher  offen- 
bar viele  Muskeln  der  Mundtheile  ihre  Insertion  finden.  Von  ihr  aus 
lagern  sieh  die  Mundtheile  über,  resp.  unter  einander.  Zu  unterst,  — 
also  nach  aussen  —  das  am  Grunde  verwachsene  Maxillarfuss- 
paar  (Taf.  XII.  Fig.  3  uird  8) ,  das  die  ttbrigen  Mundtheile  verdeckt, 
darüber  und  zwar  dicht  an  seiner  Basis  das  erste  Maxillenpaar 
(Taf.  XII.  Fig.  4  und  10),  dessen  Insertion  mittelst  eines  nach  den  Sei- 
ten wagerecht  abstehenden  Stieles  erfolgt,  der  sich  dann  erweitert  und 
nach  vom  den  Kauast,  nach  hinten  aber  den  haartragenden  beweg- 
lichen Ast  trägt,  welcher  mit  seinen  beiden  langen  Haaren  die  Kiemen- 
platte und  die  ganze  Kiemenhöhle  rein  zu  halten  hat.  Die  beiden  Haare 
sind  ungleich  lang,  der  längere  fast  so  lang  wie  der  Kauast  und  der 
nach  hinten  gerichtete  Ast  zusammengenommen.  Ueber  der  Einlenkung 
des  Stiels  der  erste nMaxille,  also  zwischen  ihm  und  derBasalpfatte 
des  Maxillarfusspaares  sitzt  ein  kleiner  blasen  förmiger  Anhang 
(Taf.  XII.  Fig.  10.  V],  dessen  eigentliche  Natur  ich  erst  aus  der  Ent- 
wicklungsgeschichte verstehen  lernte.  Er  ragt  mit  seinetn  vorderen 
Theile  nach  von^  vor,  und  erinnert  im  Ganzen  an  ein  Kiemengebilde. 
Die  Mandibeln  (Taf.  XII.  Fig.  5  und  18)  sind  nicht  lang,  haben  aber 
einen  langen  Kaufortsatz ,  der  wagerecht  nach  innen  gerichtet  ist,  des- 
sen Ende  schräg  nach  oben  zu  abgeplattet  und  mit  Zähnen  besetzt  ist. 
Das  vordere  Stück  der  Mandibel  ist  gleichfalls  fast  rechtwinklig  um- 
gebogen ,  an  der  Spitze  gespalten  und  der  obere  Rand  sägeförmig  ge- 
zähnt. Die  Unterlippe  ist  einfach  und  besteht  aus  2  gleichmässig 
abgerundeten  Platten ,  die  mit  Dornen  besetzt  sind.  Sehr  merkwürdig 
ist  dagegen  die  Gestalt  der  Oberlippe.  Dieselbe  besteht  aus  zwei 
Theilen:  einem  oberen  und  vorderen,  der  kleiner  ist  und  dicht  behaart; 
er  ist  deutlich  von  dem  folgenden  grösseren  getrennt  (Taf.  XII.  Fig. 
9  a,  b).  Der  grössere  ist  nach  vom  zu  völlig  abgerundet,  von  den  Seiten 
her  begegnen  sich  zwei  gewulstete  Fortsätze  wie  eine  Art  Zahnhöcker 
mit  zwei  scharfen  Dornen  besetzt  (Fig.  9  c) ,  und  schliessen  zwischen 
und  unter  sich  einen  längeren  mittleren  Fortsatz  ein,  dessen  Spitze  mit 
Haaren  besetzt  ist. 

ao* 


296  1^-  ibt  Dtkn, 

Die  Fttbler  und  die  Beioe  sind  ganz  nomial  geslaltel:  ieii  Qbergelie 
ihre  Beschreibung.  Nur  so  vid  mnss  ich  erwähnen,  dass  ich  midi  oacfa 
meinen  Erfahrungen  unzweifelhaft  zu  Gunsten  von  Fkitz  Möjlbe's  An- 
nahme zweieriei  männlicher  Formen  bei  Tanais  entscheiden  moss: 
auch  bei  der  von  mir  in  Messina  sehr  häufig  beobadltelen  Art  kamen 
dieselben  Formen  neben  einander  vor:  die  eine  mit  langen  Scheeren.  — 
die  Packer,  —  die  andere  mit  kürzeren  Scheer^i,  aber  zahlreicheren 
•Riechfäden«,  mit  ihnen  zusammen  aber  nur  eine  weibliche  Form. 

Ich  gehe  nun  zur  Darstellung  der  Entwidüungsgeschichte  fkber. 

Die  Eier  von  Tanais  furchen  sich,  aber  nicht  regelmässig. 
Während  der  Furdiung  ist  das  Ei  aber  sdion  von  2  Häuten  umgeben, 
deren  eine  somit  das  Chorion,  die  andere  die  Dotterhaut  oder  in- 
nere Eihaut  vorstellt  ^  Von  einer  Larvenhaut  kann  noch  nicht  die  Rede 
sein,  da  die  Eier  nicht  über  den  Anfang  der  Furchung  hinweg  waren« 
als  ich  die  beiden  Häute  beobachtete.  Die  äussere  Haut,  des  Cborion, 
ist  viel  weiter  und  geräumiger  als  der  Ei-Inhalt  und  bildet  sehr  viele 
unregelmässige  Falten ;  die  innere  schliesst  die  Dotterballen  ein  und  ist 
ganz  rund  ohne  Falten.  Spbiccb  Batb  sagt  (1.  c.  II  pag.  H6)  i»in  tfae 
eipbryonic  condition  tbe  development  is  after  the  manner  of  the  Arophi— 
poda  rather  than  that  of  the  Isopoda.«  Das  ist  indess  keineswegs  der 
Fall.  Meine  Darstellung  wird  zeigen,  dass  eine  Aehnlichkeit  der  Ent^ 
Wicklung  besteht  mit  A  seil  US,  mitOniscusundmitCuma;  —frei- 
lich weicht  Tanais  in  mehreren  wichtigen  Punkten  von  allen  übrigen 
Entwicklungstypen  ab  und  steht  ganz  für  sich  allein. 

Das  früheste  Stadium,  das  id\  beobachtete,  zeigt  den  Embryo 
bereits  im  Besitz  aller  typischen  Gliedmaassen  mit  Ausnahme  der  Pleo- 
poden.  Der  Keimstreif  umgiebt  in  ziemlich  gleicher  Dicke  den  Dotter, 
nur  an  einer  Seite  ist  die  Masse  der  Embryonalzellen  zahlreicher  und 
ragt  in  den  Dotter  weiter  hinein.  Gerade  an  dieser  Stelle  findet  sich 
zugleich  die  tiefe  Einbuchtung ,  welche  Kopf-  und  Afterende  des  Em- 
bryo trennt.  Die  Kop^latten  ragen  tiefer  in  den  Dotter  vor,  als  die  An- 
lage des  Pleon  und  man  kann  bereits  deutlich  die  Umbiegnng  der  Falte 
sehen ,  welche  den  Hinterrand  der  seitlichen  Kopfplatten  zu  bilden  be- 
stimmt ist.  Sämmtliche  Gliedmaassen  sind  noch  in  dem  Zustande  auf- 
gewulsteter  Platten.  Nur  die  beiden  Kieferpaare  wachsen  nach  vom, 
d.  h.  nach  der  Mittellinie  des  Keimstreifs  zu ,  -^  alle  übrigen  Extremi- 
täten ,  auch  die  Beine  richten  sich  im  Wachsthum  nach  oben  gegen  den 
Rücken  zu.   Die  beiden  ersten  Beinpaare,  d.  h.  diejenigen,  welche  auf 


<)  Falls  wir  es  hier  nicht  wiederum  mit  der  Blastodermhaut  vav  Benkdkit's  zu 
tlmn  haben,  worüber  ich  nachträglich  keine  Gewissheit  mehr  gewinnen  kann. 


üntersnchaiigen  über  ßan  und  Giitwi«kiuiig  der  Arthropoden.  297 

die  beiden  Kieferpaare  folgen ,  aJso  das  Maxillarfusspaar  und  das  Gna- 
ihopodenpaar  sind  bedeutend  breiter  und  stärker  als  die  nachfolgenden 
Beinpaare.  Mund-  und  Afterspalte  sind  in  diesem  Stadium  noch  nicht 
zu  sehen,  natürlich  auch  keine  Ober-  und  Unterlippe.  Rollt  man  den 
Embryo  so,  dass  die  Rückenseite  dem  Beschauer  zugekehrt  wird ,  so 
gewahrt  man  an  den  Seiten  einen  scheibenförmigen  Wulst  (Taf.  XL 
Fig.  2  tz) ,  welcher  mit  seiner  äusseren  Fläche  die  den  Embryo  jetzt 
umgebende  Larvenhaut,  —  welche  wie  bei  den  übrigen  Crustaceen 
sich  auch  hier  nach  der  Anlage  der  Keimhaut  gebildet  hat,  —  dicht  be- 
rührt und  wie  es  scheint  sogar  in  unauflösliche  Verbindung  mit  der- 
selben getreten  ist.  Ich  habe  leider  keine  Beobachtungen  darüber,  ob 
von  Hause  aus  diese  Berührungsfläche  bestanden  hat,  also  eigentlich 
hier  die  Zellen  der  Scheibe  nur  mit  der  von  ihnen  abgeschiedenen  Cu- 
ticula  in  Verbindung  geblieben  sind ,  während  an  den  übrigen  Theilen 
die  Guticula  von  der  Matrix  getrennt  ist,  oder  ob  dieser  Wulst  erst 
später  entstanden  und  an  die  Larvenhaut  herangewachsen  ist. 

Vergleicht  man  die  Gliedmaassenanlagc  des  T a na is- Embryo  mit 
derjenigen  des  Asellus  oderCuma,  so  ergeben  sich  zwei  wesentliche 
Unterschiede.  Bei  Asellus  und  Cuma  ist  das  Maxillarfusspaar  und 
die  sämmtlichen  Pereiopoden  so  angelegt,  dass  sie  mit  ihrem  Ende  nach 
dem  Bauche  zu  wachsen  und  so  sich  schliesslich  über  einander  schieben ; 
bei  Tanais  dagegen  wachsen  sie  gerade  entgegengesetzt  nach  dem 
Rücken  zu  und  liegen  zum  Theil  sehr  unregelmässig;  beim  Asellus 
findet  sich  noch  im  Embryo  die  Anlage  und  vorschreitende  Entwicklung 
der  Pleopoden  statt,  bei  Tanais  dagegen  nicht.  In  letzterer  Beziehung 
gleicht  Tanais  mehr  Cuma,  wo  auch  erst  spät  bei  den  Männchen  die 
Pleopoden  angelegt  werden ,  bei  den  Weibchen  aber  gar  nicht. 

Die  nädiste  Entwicklungsstufe  (Taf.  XI.  Fig.  3),  die  ich  untersuchen 
konnte,  war  schon  wesentlich  vorgeschritten,  doch  lassen  sich  die  Um- 
bildungen und  Neubildungen  aus  der  eben  geschilderten  unschwer  her- 
leiten. Die  Kopfplatten  sind  weiter  nach  rückwärts  In  den  Dotter 
hineingewachsen,  die  Anlage  einer  Oberlippe  ist  zuerkennen,  di^ 
Mundo  f  f n  u n  g  ist  vorhanden ,  unter  derselben  die  U n  t e  rl i p p e  als 
geringe  Wulstung  des  Keimstreifs.  Darauf  folgen  Segmentanlagen 
bis  an  die  Grenze  des  späteren  Postabdomens,  welches  noch  keine  Spur 
derselben  zeigt.  Die  Ausbildung  der  Gliedmaassen  ist  auch  entsprechend 
vorgeschritten,  die  Fühler  wachsen  in  die  Länge,  der  obere  weiter  als 
der  untere;  an  dem  Aussenrande  der  Mandibel  ist  ein  Spalt  aufge- 
treten, welcher  sie  in  zwei  Abschnitte  theilt,  deren  obere  die  eigentliche 
Mandibel,  der  untere  der  Kaufortsatz  wird;  da  Tanais  an  den 
Mandibeln  keine  Taster  besitzt,  erfolgt  auch  kein  Auswachsen  der  Man- 


298  Dr.  Ant.  Dohrn, 

dibelanlage  nach  oben  und  in  gleicher  Richtung  mit  den  Antennen,  wie 
ich  es  von  Asellus  beschrieben  habe.  Die  erste  Maxille  hat  am 
Hinterrande  eine  Einbuchtung  erlitten,  welche  einen  alltnillig  nach 
hinten  auswachsenden  Ast  von  derselben  abtrennt.  Die  zweite 
Maxille  ist  unverändert  und  nimmt  auch  im  Wachsthum  nicht  zu. 
Oberhalb  ihres  Hinterrandes  dicht  an  dem  folgenden  Maxiila rfusspaar 
findet  sich  ein  abgerundetelä,  einer  Giiedmaasse  ähnliches 
Stück  (Taf.  XI.  Fig.  3  /*),  das  mit  zugespitztem  Ende  unter  die  Anlage 
des  Maxillarfusses  reicht:  über  die  morphologische  Bedeutung  dieses 
Stückes  will  ich  am  Schlüsse  sprechen.  Das  Maxillarfusspaar  isU 
in  die  Höhe  gewachsen  als  ein  gerader  Stiel ;  nach  hinten  hat  sich  an 
der  Basis  ein  abgerundeter  Fortsatz  entwickelt.  Das  erste  Perejo- 
podenpaar  oder  die  Gnathopoden  sind  noch  weiter  hinauf  ge- 
wachsen, und  lassen  durch  ihre  jetzt  schon  bedeutende  Dicke' erkennen, 
dass  sie  zu  den  mächtigen  Scheerenfttssen  geformt  werden,  welche 
Tanais  charakteristisch  sind.  An  der  Spitze  macht  sich  auch  schon 
die  Scheerenbildung  bemerkbar  durch  eine  Einbuchtung  des  oberen 
Hijiterrandes.  Die  fünf  darauf  folgenden  Pereioppden  liegen  alle  platt 
der  Seite  des  Embryo  an  und  sind  ziemlich  scharf  zugespitzt.  Am  Ende 
des  Pieon  ist  ferner  eine  Neubildung  zu  bemerken.  Es  entstehen  dort 
nämlich  jetzt  schon  die  letzten  Pleopoden,  —  die  gabelförmigen 
Anhänge  des  Asellus  —  als  eine  gespaltene  rückwärts  gerichtete  Ex- 
tremität. In  dem  frtäicm  und  isolirten  Auftreten  dieser  Extremität  ist 
wieder  eine  grosse  Aehnlichkeit  mit  der  Entwicklung  von  C  u  m  a  zu 
bemerken.  Die  Afterbildung  entzieht  sich  der  Beobachtung,  da  dieser 
hinterste  Theil  des  Pleon  von  den  Anhängen  und  von  den  Kopfplatten 
verdeckt  wird.  Liegt  das  Ei  auf  der  Seite,  so  dass  man  don  Keimstreif 
im  Profil  sieht ,  so  bemerkt  man  im  Gentrum  der  Dotteroberfläcbe  einen 
grossen  breiten  Ring  (Taf.  XL  Fig.  3  tz).  Die  innere  Begrenzung  des- 
selben liegt  aber  höher  als  die  äussere,  woraus  folgt,  dass  wir  einen 
sich  nach  oben  verscbmälernden  und  oben  abgeplatteten  Kegel  vor  uns 
haben.  Dieser  Kegel  ist  der  weiter  entwickelte  scheibenförmige  Wulst, 
welchen  ich  vom  ersten  Stadium  beschrieb.  Unter  ihm  etw^as  nach  vorn 
zu  befindet  sich  ein  anderer  Ring,  der  gleichfalls  dem  Dotter  aufliegt;, 
dieser  zweite  Ring  ist  die  Leberanlage,  die  hier  wie  beiAsellu'f. 
und  Guma  angelegt  wird.  Schliesslich  findet  sich  noch  eine  gebogene 
Gontour  (Taf.  XI.  Fig.  3  ß),  welche  zwischen  der  Leberanlage  und  den 
Maxillen  von  dem  Grunde  der  Mandibel  bis  an  das  Maxillarfusspaar 
geht:  diese  Gontour  haben  wir  in  gleicher  Woise  schon  bei  Guma 
kennen  gelernt:  es  ist  die.  er^i^  Andeutung  des  Panzers.-  Alle  drei 
Hüllen  umgeben  den  Embryo  auch  noch  in  diesem  Stadium. 


(Iii(ersiichiiii)ren  Aber  ßait  und  Kiitwicklnti^  der  Arthropoden.  299 

Das  nächste  Stadium  (Taf.  XI.  Fig.  4-~6)  ist  gleichfalls  sehr  lehr- 
reich.  Kopfpiatten,  Oberlippe,  Unterlippe  sind  wesentlich 
fortgeschritten  in  ihrer  normalen  Entwicklung.  Auch  Fühler  und 
Mandiheln  lassen  keine  wesentlich  neuen  Eigenthümlichkeiten  be- 
merken. An  den  ersten  Maxillen  ist  aber  in  soweit  eine  wesent- 
liche Veränderung  aufgetreten^  als  der  hintere  Ast  sich  mehr  in  die  Höhe 
gerichtet  hat  und  einfach  als  eine  Fortsetzung  des  vorderen  mehr  ab- 
gerundeten Abschnittes  erscheint.  Legt  man  den  Embryo  auf  den 
RttdLen,  so  gewäb  rt  das  ersteMaxillenpaar  einen  sehr  eigenthüm- 
Hchen  Anblick ;  die  Gestalt  ist  aber  schwierig  tu  beschreiben ,  —  ein 
Blick  auf  die  Abbildung  (Taf.  XI.  Fig.  h.  IV)  leistet  bessere  Dienste. 
Die  zweite  Maxille  hat  sich  in  nichts  verändert;  sie  steUt  nach  wie 
vor  eine  kleine  gerundete  Platte  vor.  Unter  derselben  uad  ganz  deut- 
lich von  ihr  getrennt  liegt  jener  merkwürdige  Anhang.  Er  hat  sich 
jetzt  weiter  losgelöst  und  mit  seinem  freien  Ende  gleichfalls  nach  dem 
Rücken  zu  gerichtet;  seine  Bdsis  wird  von  dem  allmälig  weiter  herab- 
wachsenden Rande  des  Panzerschildes  bedeckt.  An  den  Maxil- 
le rfüssen  sind  keine  wesentlichen  Neuerungen  zu  bemerken;  auch 
das  grosse  Gnathop öden  paar  ist  nur  in  soweit  vorgeschritten ,  als 
die  Anlage  der  Scheere  sehr  klar  geworden  ist.  Die  Pereiopodön 
sind  stark  in  die  LHnge  gewachsen ,  dabei  aber  zugleich  stärker  ge- 
krümmt als  bisher.  DasPleon  scheint  etwas  verkürzt  zu  sein,  hat 
deutliche Segmentabschnitte bekommen,  aber nodi  keine Pleopoden, 
mit  Ausnahme  des  letzten  Paares,  das  seine  Lage  vdUig  verändert  hat 
und  statt  nach  rückwärts  jetzt  nach  vorwärts  gerichtet  ist,  d.  h.  seine 
normale  Richtung  vom  Pleoo  noch  hinten  angenommen.  Es  ist  etwas 
grösser  geworden ,  besonders  beginnt  der  innere  Ast  den  äusseren  im 
Wachsthum  zu  überflügeln.  Die  Aftcrspalte  ist  jetzt  sehr  deutlich 
zu  erkennen,  auch  die  Segmenteinschnitte  des  ganzen  Körpers  sieht 
man  viel  deutlicher  von  oben  und  im  Profil.  Die  Lebern  haben  die 
normale  Entwicklung  erreicht  und  wachsen  als  einfache  Säcke  nach 
hinten  aus  und  die  beiden  über  ihnen  befindlichen  seitlichen 
kegelförmigen  Fortsätze  sind  stark  verlängert,  aber  in  noch  un- 
geschwächter Verbindung  mit  der  Larvenhaut. 

Im  folgenden  Stadium  (Taf.  XI.  Fig.  7)  begegnen  wir  grossen  und 
wichtigen  Veränderungen.  Erstlich  hat  sich  die  Oberlippe  helmartig 
über  die  Mundöffnung  hinüber  gelegt ;  ihr  Unterrand  zeigt  zwei  Ein- 
buchtungen ,  welche  drei  Lappen  aus  demselben  bilden ,  einen  mitt- 
leren und  zwei  seitliche.  Nach  vorn  zu  zeigt  sich  indess  noch  keinerlei 
Trennung  der  Oberlippe  in  zwei  Abschnitte.  Die  Unterlippe  ist 
unverändert  und  besteht  aus  zwei  abgerundeten,  breiten  Platten,  die 


302  .  Dr.  Ant.  Dobro, 

• 

in  den  Winkel  hinein  ragt^  welchen  der  vordere  Lappen  der  ßasalplatte 
mit  dem  Tasiertheil  bildet.  Der  hintere  Ast  dagegen  liegt  unter  dem 
Taster  und  ragt  darunter  hinweg,  so  dass  seine  SpiUe  den  gleich  zu 
besprechenden  »Kiemenanhang«  berührt.  Die  zweite  Maxille  ist 
jetzt  ganz  in  d&ti  Hintergrund  getreten  und  sitzt  als  kleine ,  gerundete 
Platte  in  dem  stumpfen  Winkel ,  welcher  den  Tastertheil  des  Maxillar- 
fusspaares  mit  dem  neuen  kreisförmigen  Abschnitt  bildet,  der  jetzt  die 
eigentliche  ^sis  des  ganzen  complicirten. Apparates  bildet.  Der  «Kie  — 
menanhang«  hat  sich  derweil  immer  mehr  gekrümmt  und  ist  mit 
seiner  Insertion  immer  mehr  hinaufgerückt  durch  das  allgemeine 
Wachsthum  des  Yorderkörpers,  so  dass  der  ganze  Apparat  jetzt  vor  und 
oberhalb  des  gleichfalls  nach  vorn  herumgewendeten  Gnathopoden- 
paares  sitzt  und  von  der  Seite  her  völlig  durch  den  immer  tiefer  her- 
abgewachsenen Seitenpanzer  in  die  Kiemenhöhle  eingeschlossen  wird. 

Dass  die  B^ine  sich  fertig  entwickelt  haben ,  dass  ferner  nach  dem 
Auskriechen  bei  der  nächsten  Häutung  die  Pleopoden  erscheinen ,  dass 
die  gabelförmigen  Anhänge  sich  gliedern  etc.,  das  versteht  sich  von 
selber  und  bietet  im  Vergleich  zu  den  sehr  wichtigen  und  vielen  Auf- 
schluss  gebenden  Entwicklungsvorgttngen  des  vorderen  Körperah- 
Schnittes  der  Tanaiden  wenig  Bemerkenswerthes  dar. 

Es  mag  mir  nun  gestattet  sein,  an  diese  thatsächlichen  Mittheilun- 
gen einige  Ausführungen  und  Erwägungen  anzuknüpfen.  Die  Unklar- 
heit und  Unsicherheit,  welche  bezüglich  der  Deutung  der  Mundtlieifo 
von  Tanais  bisher  bestand,  rührt  offenbar  von  der  aussergewöhn- 
liehen  Entwicklung  des  Maxillarfusspaares  und  von  dem  völligen  Ent^ 
wickiungsstillstand  der  zweiten  Maxillen  her.  Ich  habe  leider  die 
Monographie  der  Gattung  von  LaijBBORG  nicht  einsehen  können  und 
weiss  nicht,  wie  derselbe  die  Schwierigkeiten  gelöst  hat,  über  die 
KReYER  und  nach  ihm  Swcgb  Bäte  nicht  haben  Herr  werden  können. 
KR0TEII  sagt  bei  der  Beschreibung  von  Tanais  gracilis  (Naturhisto- 
rtsk  Tidsskrift.  Anden  Raekkes  andet  Bind  4846—4849),  »über  die 
Mundiheile  könne  er  nichts  Näheres  berichten ;  nur  von  den  Kieferfüs- 
sen  könne  er  mittheilen ,  dass  die  eigentlichen  Kieferplatten  klein  und 
etwas  vierkantig  seien,  mit  einer  Borste  an  dem  vorderen  Innenwinkel 
versehen  wären,  die  Palpen  seien  plump  und  fUnfgliedrig  und  es  fllnde 
sich  eine  kleine,  langgestreckt-ovale  Geissei  oder  Anhang  an  der  äusse- 
ren Seite  der  Kieferfüsse  am  Grunde  (»og  at  en  lille,  langstrakt-oval 
Svebe  eller  et  Vedhaeng  findes  paa  Kjaebefieddernes  ydre  Side  ved 
Roden«  1.  c.  pg.  409).  Und  von  Tanais  tomentosus  heisst  es:  »das 
;rweite  Kieferpaar  scheint  nur  aus  einer  einzigen,  einwärts  gekrümmten, 
am  Ende  leicht  zugespitzten  Platte  zu  bestehen,   wenigstens  bin  ich 


Uiitersuchnngeii  über  Bau  uud  Eutwiokliiug  der  Arthropoden.  SOS 

nicht  im  Stande  gewesen  von  irgend  einem  andern  Theil  zu  berichten, 
den  man  für  dies  Kieferpaar  hätte  halten  können.  Die  Platte  scheint 
zweigliedrig  zu  sein ,  wenn  schon  undeutlich ,  am  Ende  trägt  sie  eine 
Borste  »som  ved  Roden  er  Ijerdanned ,  paa  Siderne  nogle  lange  Haar« 
(1.  c.  pg.  415).  Ich  kann  nicht  mit  Sicherheit  erkennen,  welches  Organ 
mit  diesen  beiden  Beschreibungen  gemeint  ist,  ob  der  »Kiemenanhang« 
oder  das  wirkliche  zweite  Kieferpaar,  welches  als  Platte  an  dem  Kiefer- 
fusspaar  festsitzt.  Dass  Fbitz  Müller  mit  seinem  »Anhang  des  zweiten 
Kieferpaares«  den  Kiemenanhang  gemeint  hat,  geht  aus  seiner  Beschrei- 
bung desselben  Organs  in  dem  Aufsatze  »Ueber  den  Bau  der  Scheeren- 
asseln«  (Arcfa.  f.  Naturg.  1864  pg.  1)  hervor.  Dort  giebt  er  an,  dass 
»ein  lang  säbelförmiger  Anhang  des  zweiten  Maxillenpaares«  die  Ath- 
mung  unter  dem  Gephalotboraischilde  unterhalte. 

Da  tritt  nun  vor  allen  eine  Frage  in  den  Vordergrund,  ob  der  »Kie- 
menanhang« in  irgend  welcher  Verbindung  mit  dem  zweiten  Maxillen- 
paare  steht ,  ob  nicht.  Seine  erste  Anlage  ist  freilich  schon  ziemlich 
weit  ab  von  der  Platte  der  Kiefer,  aber  es  wäre  doch  denkbar,  dass  ein 
Anhang  so  weit  nach  oben  entspränge ,  da  ja  auch  das  Wachsthum  der 
andern  Extremitäten  nach  oben  hinauf  stattfindet.  Auch  die  erste  Ma* 
xille  bekommt  ihren  zweiten  Ast  an  der  oberen  und  hinteren  Seite, 
wennschon  er  immer  in  unmittelbarem  Zusammenhange  mit  dem  Grund- 
gliede  bleibt.  Das  wären  Grttnde ,  weldre  für  diese  Meinung  geltend 
gemacht  werden  ktfonen ,  während  andere  dagegen  einstehen.  So  vor 
Allem  die  völlige  Trennung  des  Anhangs  vom  Grundgliede,  seine  selb- 
ständigen Bewegungen ,  seine  (iestalt  und  Einlenkung  und  —  die  Mög- 
lichkeit in  der  Kieme  der  Cumaceen ,  oder  vielmehr  dem  kiemenartigen 
Organ  dieser  Thiere ,  dessen  embryonale  Anlage  ich  besdirieben  habe 
(Jenaische  Zeitsohr.  V,  pg.  69)  ein  Homologen  zu  sehen.  Wie  bei  den 
Cumaceen  mit  dem  Auftreten  des  Cephalothoraxschildes  der  kleine  An- 
hang erscheint,  weicher  nachher  als  das  lange  kahnförmige  Organ  un- 
ter dem  Schilde  verborgen  liegt,  so  erscheint  auch  bei  Tanais  dieser 
Anhang  zugleich  mit  dem  Panaersohilde.  Bei  Cuma  liegt  aber  der  An- 
hang auf  gleicher  Höhe  mit  dem  ersten  Maxillenpaar,  während  das 
zweite  seine  drei  Aeste  normal  entwickelt,  deren  einer  naob  hinten  sich 
richtet  und  wie  bei  Tanais  der  zweite  Ast  des  ersten  Maxillenpaares  die 
Reinhaltung  der  Kiemenhöhle  besorgt.  Wenn  also  diese  beiden  Theile 
homolog  sind,  so  könnte  gar  nicht  die  Rede  davon  sein,  in  der  Tanais- 
Kiemenplatte  einen  Anhang  deb  zweiten  Maxillenpaares  erblicken  zu 
wollen ,  es  wäre  denn ,  dass  sich  nachweisen  Hesse ,  wie  jener  kleine 
Anhang  nur  die  Spitze  der  weiter  nach  hinten  wurzelnden  und  noch 
nicht  in  die  Erscheinung  getretenen  grossen  Platte  wäre ,  welche  aller- 


304  Hr.  Aiit.  Dnlirii, 

dings  llbpr  dpm  nrstfln  MüxillcnrusspHare  mit  der  Körpprwand  lusam- 
nienh<ingl.  Nun  kommt  dazu ,  dass  der  Kieinenappni'al  bei  Cuma  in 
Verbindung  .mil  dein  M^xillcnfusspaar  sUBht,  wie  ich  1.  c.  pg.  71  hc~ 
sohriehi'n  h.ibe.  Wir  ich  mich  aber  an  einer  bei  Messina  juefangenen 
und  spiiler  von  mir  zu  beschreibenden  Cuma  überzeugt  habt",  isl  diese 
Befestigung  durchaus  secundtlr;  die  Hauptsache  isl,  dass  die  Kieme 
direcl  mit  der  Leibesw.ind  duiwli  einen  runden  Stiel,  den  ich  auch  I.  o. 
pg.  71  beschrieb,  verbunden  wird,  und  dass  nicht  durch  die  Be- 
wegungen desK-iererfusspaare.s,  sondern  durch  eine  eigne 
im  Kärper  gelegene  Husculatur  die  Kieme  auf-  und  abbe- 
wegt «  ird.  Dadurch  wird  die  Aehnlichkcit  der  beiden  in  Fragt- 
stehenden  Bildungen  sehr  erhöht,  denn  auch  der  Anhang  in  der  Kie- 
menhühle  von  Tanais  wird  durch  eigne  Muskeln  bewegt.  Und  da  beide 
auch  physiologisch  dieselben  Leistungen  votlbringen,  —  nümlich  die 
Erneuerung  und  Bewegung  des  Wassers  in  der  Kiemenhöhle  —  so  konnte 
man  vielloicht  glnubcn,  die  KiemenanhUuge  der  Cumaccon  und  Ta- 
naiden  seien  homolog.  Wie  nun  in  Rücksicht  auf  die  allgemeini- 
Horphologie  der  Crustaceen  diese  Frage  zu  entscheiden  ist,  darüber 
werde  ich  meine  Meinung  in  dem  allgemeinen  Aufsatz  am  Schluss 
dieser  speeiellen  Untersuchungen  sagen. 

Aber  noch  auf  einen  zweiten  Punkt  der  Aehnlichkoil  zwischen 
Cuma  und  Tanais  habe  ich  aufmerksam  zu  machen.  Er  betrifft  die 
Zwciiistigkeit  der  (jiiedmaassen  hinter  den  beiden  Haullenpaaren  ,  dii- 
bei  Cuma  ja  so  evident  isl.  Auch  bei  Tanais  existirl  dnvon  noch 
eine  Spur  grade  am  Haiillarfusspaar.  In  dem  zweiten  von  mir  beschrie- 
benen Stadium  wachst  an  der  Basis  dieser  EstremiUlt  die  erste  Anlage 
des  Basallappens  aus:  diesen  Auswuchs,  glaubeich,  darf  man  fUr 
homolog  dem  inneren  Aste  der  gleichen  ExlremitJlt  der  Cumaeeen  hal- 
ten, über  dessen  Entwicklung  1.  c.  p.  6.')  das  Nähere  gesagt  ist. 

Was  nun  die  Anlage  und  Überhaupt  das  Vorhandensein  eines  Pan- 
zerscliildes  anlangt,  so  brauche  ich  nicht  erst  darauf  hinzuweisen,  nach 
welcher  Seite  dasselbe  für  die  Bestimmung  der  Genealogie  zu  verwer- 
Ihen  ist.  Darüber  werde  ich  gleichfalls  in  dem  zusammenfassenden 
Aufsatz  am  Schluss  dieser  Untersuchungen  mich  aussprechen. 

Und  so  will  ich  hier  auch  nur  kurz  daraufhinweisen,  dass  die 
Embryologie  von  Tanais  mir  endlich  geboten  hat,  wonach  ich  lange 
und  emsig  gesucht  habe :  nilmlich  ein  Homologen  der  blattförmigen 
Anhünge  der  Asellus-Embryonen.  Denn  dafür  muss  ich  die 
kegelförm  igen  FortsUlze  erkennen,  welche  die  Seiten  des  Embryo 
mit  der  Larvenhaut  in  Verbindung  setzen.  Ihr  Entstehen  und  ihr  Ver- 
gehen gleicht  bis  auf  geringe  Abweichungen  dem  jener  merkwürdigen 


Untersiichungeo  über  Bau  and  Entwiekloog  der  Arthropoden,  305 

und  hinsichtlich  ihrer  morphologischen  Bedeutung  so  vielfach  missver- 
standenen  Organe,  beide  treten  nun  zusammen  als  alte  Urkunden  längst 
verflossener  Zeiten  ein  und  liefern  dem  Historiker  des  Krebsstarames 
untrügliche  Beweise  in  die  Hand,  wo  er  die  Ausgangspunkte  des 
Edriophthalmen-Zweiges  in  dem  Stamme  zu  suchen  hat. 


Fig. 

1 

Fig. 

1 

Fig. 

2 

Fig. 

3 

Fig. 

4 

Fig. 

5 

Fig. 

6 

Fig. 

7 

ErUirang  der  AbbildnngeD. 

Tafel  XI. 

-8.    Entwicklung  von  Tanais  Sa.vignyi  (?). 
Frühestes  Stadium.     Die  römischen  Ziffern  bedeuten  dasselbe,  wie  auf 
den  Tafeln  der  Cuma-Embryologie. 
Dasselbe  Stadium  vom  Rücken. 

Ein  etwas  späteres  Stadium.  Extremit&t  XIX  ist  hinzugetreten,  a  und  6 
Ober-  uud  Unterlippe,  d  Leboranlage.  e  Andeutung  des  Panzerschildes. 
/"  Kiemenanhang.  U  kegelförmiger  Fortsatz. 

Späteres  Stadium.  Bezeichnung  wie  oben. i  Noch  von  Chorion,  Dot- 
Dasselbe  Stadium  von  der  Seite.  >  terhaut,    Larvenhaut  um- 

,,  ,,       vom  Rücken.  J  schlössen. 

Späteres  Stadium.  Chorion  und  Dotterhaut  sind  abgestreift,  k  die  Augen. 
Die  kegelförmigen  Portsätze  sind  verschwunden. 
Fig.    8.    Vorderkörper  eines  zum  Ausschlüpfen  reifen  Embryos.    Larvenhaut  ist 
gesprengt,    a  das  untere  a,  das  obere  Stück  der  Oberlippe. 

TaMXIL 

•6.    Tanais  vittatus. 
Kiemenanhang,  a  Stiel,  welcher  denselben  an  den  Leib  befestigt. 
Gnathopode  und  erste  Paar  der  Pereiopoden. 

Blaxillarfusspaar.   a  Basalplatte,   b  vorderer  Lappen  derselben,   c  Taster. 
Erste  Maxille.  a  Kauast.   b  Kiemenast. 
Mandibel. 
49.    Tanais  Savignyi. 

Fig.  6.  Vorderkörper,  l.  Obere  Antennen.  VII.  Gnathopoden.  k  Augen,  f  Kie- 
menanhang in  der  Kiemenhöhle,  in  die  man  von  oben  hineinsieht. 

Fig.  7.  Derselbe  im  Profil.  Dieselben  Bezeichnungen.  IV  ist  der  hintere  Kiemen- 
ast des  ersten  Maxillenpaares  (»Packer«  nach  FaiTz  Müller). 

Fig.    8.    Maxillarfuss. 

Fig.  9.  Oberlippe,  a  vorderer,  oberer  Theil.  b  unterer  Haupttheil.  c  seitliche, 
mit  Stacheln  versehene  Wülste. 

Fig.  40.  Mundtheile.  IV  erste  Maxille,  IVi  Kiemenast  derselben.  V  zweite  Maxille 
als  einfache  Platte  an  der  Basalplatte  von  VI  dem  Maxillarfusspaar  befe- 
stigt. /"  Kiemenplatte. 

Fig.  4  4 .    Obere  Fühler. 


►ig- 

4- 

Fig. 

i. 

Fig. 

%. 

Fig. 

S. 

Fig. 

4. 

Fig. 

5. 

Fig. 

6- 

306  0^«  Ant  Mavii  Unt^nebHugm  ete. 

Fig.  H.  Untere  Fnhier. 

Pig.  48.  Letztes  Pleopodenpaar  (gabelförmige  Anhänge). 

Fig.  14.  Ein  hinterer  Pereiopode. 

Fig.  15.  Gnathopoden-Einlenkung.    a  Kiemenanhang.   6  Körperwan^ung.   c  Gna- 

thopode. 

Fig.  46.  Der  auf  das  Gnathopodenpaar  folgende  Pereiopode. 

Fig.  47.  Scheere  des  Gnathopodenpaares  (»Riecher«  nach  ^ritz  Müller). 

Fig.  18.  Obere  Hälfte  der  Mandibel. 

Fig.  19.  Ein  Pleopode. 


A. 


si^i. 


Mittheilungen  aus  dem  chemischen  Laboratorium  yon 

E.  Reichardt. 


Heber  die  Zersetziugs^odMte  des  TraabeMMckefs  bei 

BiftwirkBig  starker  BaseM^ 


von 

Dr.  H.  Reichardt. 


Schon  im  Torigen  Jahrhundert  beobachtete  L0WIT7J:  dass  Aetz- 
kalk ,  die  Alkalien  und  bei  erhöhter  Temperatur  auch  das  Ammoniak 
den  Traubenzucker  brdnne  und  erkannte  dies  alsEigentbümlichkeit  des 
Honigzuckers  gegenüber  dem  Rohrzucker,  welcher  diese  Reaction  nicht 
giebt.  Nach  der  Trennung  der  beiden  Zuckerarten  des  Honigs ,  deren 
Verschiedenheit  Lowitz  zuerst  nachwies ,  versuchte  derselbe  auch  die 
durch  Einwirkung  des  Aetzkalks  auf  den  festen  Honigzucker  erhaltene 
Saure  zu  isoliren,  indem  er,  nach  Entfernung  der  gefärbten  Theile 
mittelst  Kohlenpulvers ,  aus  der  Lösung  des  Kalks  und  der  gebildeten 
Säure  letztere  mitBleiesstg  ausfiiUte  und  den  Niederschlag  durch  Schwe- 
felsäure zersetzte. 

I^ter,  in  den  Jahren  4837  und  folg.,  waren  es  besonders  einige 
französische  Chemiker ,  die  sieb  mit  der  Erforschung  der  Zuckerarten 
und  so  auch  mit  der  Einwirkung  der  Basen  auf  dieselben  beschäftigten. 
Malagdti^  fand,  dass  beim' Auflösen  von  Zucker  in  schmelzendem,  kau- 
stischem Kali  und  Kochen  dieser  Lösung  Ulminsöure  (adde  ulmique) 
und  Ameisensäure  gebildet  werde.  Pi^liqot  ^  fand  zuerst  die  Glucin- 


1)  Crel's  Annalen  179t,  Bd.  I,  %9%  u.  folgd.,  845  u.  folgd. 
9)  Berzblivs,  Jahresbericht,  1887|  S.  918. 

8)  AAiiaton  der  Pharmacie  4889,  Bd.  XXX,  S.  78.    Bbrzblivb  Jahresbericht, 
1889,  S.  978,  1840,  S.  457. 


308  H-  fUichwIt, 

säure  —  so  von  Dumas,  von  PfiLiQOT  Ealizuckersaure  genannt  —  als 
Producl  der  Zersetzung  einer  Zuckerkalklösung  bei  längerem  Stehen- 
lassen. Er  untersuchte  das  Bleisalz  derselben  und  gab  ihm  die  Formel 
CI4HIS0IS,  6PbO,  niil  welcher  seine  Analyse,  wie  schon  Berzblics  be- 
merkt, nicht  ganz  stimmt. 

[)(>i  höherer  Temperatur  fand  Psligot  andere  Zei'setzungsproducte. 
Krystnllisirtes  Barylhydrat  und  Traubenzucker,  bei  100<*C.  zusammen- 
geschmolzen, lieferten  unter  heftigem  Ausstossen  von  Wass^dämpfen 
eine  braune  Hasse,  die  mit  Salzsäure  im  Ueberschuss  versetzt,  einen 
suhwatv-en,  flockigen  Niederschlag  abschied.  Dieser  verhalt  sich  der 
.lapnnsiiure  ähnlich  und  wurde  von  Dumas  Melasinsäure  genannt.  PfiLi— 
QOT  bemerkte  ausserdem  noch  einen  nicht  Qüchtigen ,  Silbersalze  leicht 
reducirenden  Korper,  der  nicht  naher  von  ihm  untersucht  wurde. 

In  neuerer  Zeit  hat  Kawalibb  diese  Untersuchungen  erweitert. 
Rdchledbh'  berichtet  darüber  in  den  Abhandlungen  der  Wiener  Aka- 
demie i  dass  von  Kavalier  die  GlucinsSure  als  Zersetzungsproduct  des 
Tannins  gefunden  und  sie  dann,  um  ihre  Eigenschaften  kennen  zu  ler- 
nen, durch  Einwirkung  von  Baryt  auf  Traubenzucker  dargestellt  wurde. 
Rawaliek  erhielt  aber  die  Glucinsflure  nicht,  wie  PSligot  und  Huldrr 
[s,  sp'iter],  in  tnx^ener  Form ,  sondern  in  ztihflUssiger.  Naoh  der  an- 
gesielUen  Elemeniaranalyse  bestand  sie  aus  C'^Hi^O'^.  Einem  Baryt* 
salze  gab  Kawalier  nach  der  Barytbestimmung  die  Formel  S  BaO. 
C'"H"Oi'..  Die  Zersetzung  des  Traubeniuckers  wurde  nun  weiter  von 
ihm  verfo^t  und  gefunden,  dass  auch  in  etaer  WassersloOgasatmo- 
sphiire  bei  höherer  Temporatur  Bräunung  eintrete,  und  dass  das  beim 
Kochen  Übergegangene  Destillat  wenige  Tropfen  einer  FlUssi^eit,  die 
derselbe  ^t  Aceton  halt,  sufgeKist  enthielt.  Der  Rückstand  lieferte 
nach  dem  Behandeln  mit  Kohlensäure  gefärbten  kohlensauren  Baryt, 
der,  zersem  mit  seh wefelsaurehal tigern  Wasser,  eine  dunkelbraune 
Lösung  gab,  welche  nach  einigem  Stehen  braune  Substanzen  ausschied. 
Das  vom  kohlensauren  Baryt  befreite  Filtrat  gab,  nach  Entfernung  des 
noch  geluvten  Baryts  durch  Schwefelssure,  beim  Kochen  ein  farbloses 
Destillat  in  dem  eine  Doppelsäure ,  von  Rochlrbkr  —  Ameisenessig- 
säure  —  genannt,  gefunden  wurde.  Die  Analyse  des  Barytsalzes  dieser 
Süure  stimmt  ni<^t  mit  der  theoretischen  Formel. 

Soweit  reicban  die  Kenntnisse  Über  die  hier  auftretenden  Zersetz- 
ungen. Allerdings  hat  Hdloer  noch  die  GlucinsSure  und  deren  Zer- 
setz uniisproduct  —  die  Apoglucinsäure —  dai^estellt  und  naher  kennen 


4j  Matbemat.  D&turwissenschBftl.  6ltiungsb«richt  der  Wiener  Akademie  1858. 
Uli.  XXX,  3.  tu. 


Ueber  die  Zersetzongsprodacte  des  Traabenzuekers  etc.  309 

gelehrt  1.  Derselbe  erhielt  sie  aber  nicht  bei  Einwirkung  von  Basen  auf 
Traubenzucker,  sondern  aus  dem  Rohrzucker  durch  Einwirkung  der 
Schwefelsäure  und  sagt  selbst,  dass  eine  nähere  Untersuchung  der 
Glucinsäure  wünschenswerth  sei. 


Einwirkung  des  Baryts  auf  Traubenzucker. 

Als  Alkali  wählte  ich  wegen  der  so  leichten  Abscheidbarkeit  und 
dennoch  starken ,  chemischen  Einwirkung  den  Baryt  in  der  Form  des 
krystallisirten  Barythydrates.  Der  Zucker  war  mit  Ausnahme  einiger, 
besonders  angeführter  Fälle  der  aus  Stärke  dargestellte,  rechtsdrehende 
Traubenzucker ,  welcher  durch  Auflösen  in  kochendem,  starkem  Alko- 
hol, aus  dem  er  beim  Erkalten  herauskrystallisirt,  völlig  gereinigt  wor- 
den war,  so  dass  verschiedene  Elementaranalysen  genau  die  Formel 
012 H140H  erwiesen. 

Mehrfache,  vorhergehende  Versuche  ergaben,  dass  4^2  ^^4-  Baryt 
auf  ein  Aeq.  Traubenzucker  (C^^H^^O^^j  die  geeignetsten  Verhältnisse 
bieten ,  um  sowohl  die  vollständige  Zersetzung  des  Zuckers  zu  bewir- 
ken, als  auch  die  weitere  Abscheidung  einer  Barytverbindung  mit  einer 
bisher  übersehenen  Säure  zu  ermöglichen.  Baryt  in  der  Form  eines 
möglichst  concentrirten  Barytwassers  wurde ,  dem  angegebenen  Ver- 
hältnisse entsprechend ,  mit  Traubenzucker ,  welcher  in  wenig  Wasser 
gelöst  war,  versetzt.  Bei  gewöhnlicher  Temperatur  färben  sich  diese 
beiden  Lösungen  während  des  Mischens  nur  wenig  gelber,  und  erst 
nach  längerem,  tagelangem  Stehen  wird  das  Gemisch  gelb  bis  braun. 
Mit  der  stärkeren  Färbung  tritt  auch  die  Bildung  eines  gefärbten  Nie- 
derschlags auf.  Wird  die  Temperatur  erhöht,  so  färbt  sich  die  Mischung 
sehr  schnell  intensiv  braun  und  bei  circa  SO^  C.  trübt  sich  die  vorher 
klar  gewesene  Flüssigkeit  in  ihrer  ganzen  Masse  und  scheidet  sehr  bald 
einen  gelbbraunen  Niederschlag  ab.  Bei  dieser  Veränderung  wird  die 
Temperatur  im  Innern  nur  wenig  erhöht ,  doch  bleibt  sie  auch  nach 
Entfernung  der  Flamme  bei  84 — 80^  C.  einige  Zeit  constant. 

In  geschlossenen  Gewissen  zeigt  sich  bei  der  sehr  rasch  eintreten- 
den Zersetzung  keine  Volum  Veränderung,  so  dass  eine  chemische  Ein- 
wirkung der  Luft,  resp.  des  Sauerstoffs,  nicht  stattzufinden  scheint. 

Flüssigkeit  wie  Niederschlag  reagiren  stark  alkalisch  und  ziehen 
beide  leicht  Kohlensäure  an.  Diese  kann  aber  unmittelbar  nach  Been- 
digung der  Reaction  nicht  nachgewiesen  werden. 

Die  Zersetzung  des  Zuckers  verläuft  völlig  gleich ,  wenn  krystalli- 


4)  lournal  für  prakt.  Chemie.  Bd.  XXI»  S.  SSO. 
Bd.  V.  8. 


310  A.  Retehftrdt, 

sirtes  ßarythydrat  und  ge^toolzfeher  TVaab^ntucker  iti  d«m  oben  äh- 
gegebelien  Verhältnisse  gemischt  und  Buf  dem  Wasserbad^  zusammen 
erhitzt  Werden.  Man  muss  jedoch  die  Vorsicht  gebrauchen-,  die  gebil- 
dete braune  Masse  sofort  nach  der  unter  hieftigem  Ausstossen  von  Was- 
serdämpfen stattfindenden  Zersetzung  jeder  weiteren  Einwirkung  der 
Wärme  zu  entziehen ,  um  die  Bildung  der  von  PfiLiGOT  au^efundenen 
Melasinsäure  zu  vermeiden.  Diese  Säure  scheint  erst  bei  längerem  Er- 
hitzen bis  zur  Trockne  g^ildet  zu  werden  und  ist  wahrsoheiniich  ein 
weiteres  Zersetzungsproduct. 

Da  die  beschriebene  Einwirkung  des  Barytwassers  auf  Trauben- 
zucker eine  so  deutlich  be^ren^te  und  charakteristische  ist ,  so  wurde 
der  Versuch  mit  anderen  Zuokerarten  wiederholt.  Rehrzuc&er,  welcher 
überhatiipt  nicht  so  leicht  Von  Alkalien  zersetzt  wird ,  giebt  auch  diese 
Reaction  nicht.  Gut  kr^stalHsirter,  nur  schwach  gelblich  gefärbter  In- 
vertzucker, aus  Rohrzucker  durch  Inversion  mittelst  sehr  verdünnter 
Schwefelsäure  dargesteift,  gab  aber  ganz  dieselbe  Erscheinung,  welche 
allerdings  Auch  blos  durch  die  in  demselben  enthaltenen  rechts  drehen- 
den Fruchtzucker  eingetreten  sein  konnte.  Um  darüber  Gewissheit  zu 
erhalten ,  wurde ,  eigens  für  diese  Prüfung ,  der  iftoch  so  wenig  unter- 
suchte, nicht  krystafllisirbare,  links  drehende  Fmchtzucker  aus  Inveri^ 
Zucker  dargestellt. 

Nach  Dvbrunfaut's  Vorsdhrift  werden  <0  Tbeile  Invertzucker  und 
6  Theile  frisch  bereitetes  Kalkhydrat  mit  1 00  Theilen  Wasser  gemengt. 
Das  Gemisch  erstarrte  bald  und  wurde  nach  einigem  Auswaschen  mh 
kaltem  Wasser  erst  mit  der  Hand,  hierauf  mittelst  einer  hydraulischen 
Presse  zwischen  leinenen  Tüchern  bis  zur  festet ,  bröckiichen  Masse 
gepresst.  Es  nmss  bei  diesen  Operationen  jede  Erwärmung  soi^fältig 
vermieden  werden.  War  das  Kalkhydrat  oder  die  Zuckerlösung  noch 
warm ,  so  bilden  sidi  sofort  braune  Zersetzüngs(>roducte ,  die  eine  un- 
gemein lösende  Wirkung  auf  den  Zackerkalk  ausüben  und  'die  ganze 
Abscheidung  desselben  verhindern  können,  oder  doch  wenigstens 
ein  sehr  braunes  Product  schliesslich  liefern.  Nach  dem  Pressen 
wurde  die  erhaltene  Masse  festen  Zuckerkalkes,  der  auch  in  die- 
sem Zustande  sich  bald  brsmnt,  sofort  zerkleineirt  und  in  klei- 
nen Portionen,  um  jede  stärkere  Erwärmung  bei  der  Zerseizuug  2u 
vermeidefn ,  mit  sehr  verdünnter  Schwefelsäure  behanddlt.  Der  ge- 
bildete Gyps  wurde  von  der  schwach  sauer  reagirenden  Lösung  abfil- 
trirt  und  diese  bei  gelinder  Wärme  zuletzt  unter  Zusatz  von  etwas 
Kreide  eingedampft.  Der  so  Erhaltene  Zi!tcker  wurde  noch  in  Wein- 
geist gelöst  und  stellte ,  nach  Verdunsten  desselben ,  eine  nur  wenig 
gefärbte ,  auch  nach  monatelange^  Stehen  nidht  krystaltisirende ,  zäh- 


Ueber  die  Zersetznngsproducte  des  Traobeniiiekers  etc.  311 

flüssige  Masse  dar.  Eine  wässerige  Lösung  derselben  zeigte  die  für 
diese  Zuckerart  so  charakteristische  Eigenschaft,  den  polarisirtcfn  Licht- 
strahl links  zu  drehen.  Dieses  Verhalten  stimmt  mit  dem  von  Dubrun- 
PAUT  für  diesen  Zucker  angegebenen  völlig  überein. 

Mit  Barytlösung  zeigte  auch  dieser  iinksdrehende  Zucker  g»nz  die- 
selben Erscheinungen  wie  der  andere  Fruchtzucker,  tkver  scheint  Bräu- 
nung wie  Abscheidung  etwas  früher  zu  ei^folgen. 

Milchzucker  kann  in  ßarytwasser,  ohne  die  geringste  Färbung  der 
Flüssigkeit  zu  verursachen ,  bei  gewöhnlicher  Temperatur  gelöst  wer- 
den. Beim  Erhitzen  färbt  sich  diese  Lösung  nur  sehr  allmählig ,  bei 
80<)  C.  aber  wird  sie  intensiv  braun,  jedoch  ohne  dass  eineÄbscheidung 
stattfindet.  Diese  erscheint  erst  bei  c.  M*  C.  und  zwar  in  viel  gerin- 
gerem Massstabe  als  bei  der  Zersetzung  des  Traubenzuckers.  Werden 
Milchzucker  und  Barythydratkrystalle  trocken  erhitzt,  so  tritt  die  fleac- 
tion  unter  Ausstossen  von  Wasserdämpfen  und  Erhöhung  der  Tempe- 
raitur  ein. 

Saccharumsäure. 

Die  Baryt  Verbindung ,  welche  beim  Erhitzen  eines  Gemisches  von 
Barytwasser  und  Traubenzuckerlösung  sich  ausscheidet  und  welche 
auch  erhalten  wird,  wenn  die  braune ,  durch  Zusaromenschmelzeji  von 
Barythydrat  und  Traubenzucker  erhaltene  Hasse  so  lange  mit  Wasser 
verdünnt  wird,  als  sich  noch  ein  Niederschlag  bildet,  enthält  immer 
etwas  glucinsauren  Baryt.  Man  muss ,  um  die  in  dem  Niederschlage 
enthaltene  Säure  rein  zu  erhalten,  diesen  in  Wasser  zertheilen  und  von 
verdünnter  Schwefelsäure  so  viel  zusetzen,  dass  die  Flüssigkeit  schwach 
sauer  reagirt.  Es  bildet  sich  hierbei  ein  in  Wasser  lösliches  saures 
Salz,  während  schwefelsaurer  Baryt  sich  abscheidet.  Nach  Entfernung 
des  letzteren  wird  die  filtrirte  Lösung  mit  Bleizucker  versetzt  und  der 
erhaltene  Bleiniederschlag  schnell  ausgewaschen,  da  er  sich  an  der  Luft 
leicht  bräunt.  Aus  diesem  erhält  man  durch  Zersetzen  mit  Schwefel- 
wasserstoflf  die  reine,  entschieden  sauer  reagirende  Säure.  Ihre  Lö- 
sung bei  gelinder  Wärme  verdunstet,  gie^bt  eine  braune,  pulverisir- 
bare  Masse,  welche  sich  leicht  bei  erhöhter  Temperatur  zersetzt,  wie  es 
scheint  unter  Bildung  eines  kohlenstoffreicheren  Körpers  (Melasin- 
säure?). 

Die  Säure  wurde  bei  80^  C.  getrocknet  und  dann  der  Elementar- 
analyse unterworfen. 

0,8227  grm.  gaben  0,5449  grm.  GO^  und 

0,1496  grm.  HO 


H.  Rcicbnrdl, 

ber. 

gef. 

46,46 

4  6,  OS 

4,»)0 

5,15 

48,64 

48,80 

r 


m 


Die  Aoalyse  entspricht  der  Formel  C'^H^O'',   oder,    worauf  die 
Zusammensetzung  der  Salze  hindeutet,  der  theoretischen  Formel 
CUH«08  +  3HO. 

üie  Säure  ist  ein  gelbbraunes  Pulver  von  zusammenziehendem 
Geschraacke,  Ittst  sich  leicht  in  Wasser  und  Alkohol,  schwierig  und  nur 
wenig  in  Aether. 

Die  wässrige  Losung  fdrbt  sich  an  der  Luft  dunkler  und  scheidet 
hf:im  lungeren  Stehen  braune  Substanzen  ab. 

Auf  dem  Platinbleche  erhitzt  blüht  sich  die  trockne  Säure  nur  we- 
nig auf.  unter  Ausstossen  von  sauren  Dämpfen. 

Alkalien  rdrben  die  Saure  dunkler;  neutraiisirt  geben  sie  beim 
EiiidampfeD  braune  Hassen.  Kohlensaurer  Kalk  oder  Baryt  werden 
unter  Entweichen  der  Kohlensäure  von  der  Säure  zersetzt,  es  bilden 
sich  saure  Salze.  Kalkwasser  giebt  einen  geringen,  Barytwasser  einen 
stilrkeren  Niederschlag  von  entsprechenden  basischeren  Verbin- 
dungen. 

EisenoxyduIlüsuDg  wird  von  einer  Lösung  der  Süure  nicht  gefällt, 
aber  beim  Stehen  an  der  Luft  durch  sie  schwarz  gefSrbt.  Eisenchlorid 
erzeugt  mit  ihr  einen  dintenartigen  Niederschlag,  in  verdünnten  oder 
etwiis  saueren  Lösungen  aber  nur  eine  intensiv  schwarze  Färbung,  die 
ani  Zusatz  von  Alkali  braunroth  wird. 

Kupfersalze  geben  in  neutraten  Lösungen  einen  graubraunen  Nie- 
derschlag, löslich  in  vielem  Wasser,  leichter  bei  Gegenwart  von  freier 
Saure  oder  freiem  Alkali;  letzteres  tost  ihn  zu  einer,  im  durchschei- 
nenden Licht  betrachtet,  braunen,  von  oben  gesehen  aber  grün  opali- 
sirenden  Flüssigkeit.  Aus  dieser  scheidet  sich  bei  gewöhnlicher  Tem- 
peratur langsam,  beim  Erhitzen  sofort  Kupferoxydul  ab. 

Salpetersaures  Quecksilberoxydul  giebt  graue,  Quecksilberoxyd 
gniubraune  Niederschläge;  diese  lösen  sich  ebenso  wie  die  schon  er- 
wähnte Bleiverbindung  wenig  in  Wasser,  etwas  mehr  beim  Zufügen 
von  Essigsäure.  Salpetersaures  Silberoxyd  wird  graubraun  gefällt,  es 
tritt  jedoch  rasch  weitere  jedenfalls  mit  Beduction  begleitete  Verän- 
derung auf. 

B  rech  Weinstein  giebt  nur  schwache  Fällung;  Leimlösung  wird  gar 
niclit  geeilt. 


üebpr  die  Zersetzfingsprodiicte  des  Traiibeuziickcrs.  313 

Baryt  verbin  dun  gen. 

Mit  1  Atom  Basis  erhält  man  ein  Salz ,  wenn  kohlensaurer  Baryt  so 
lange  mit  einer  Lösung  der  Säure  digerirt  wird ,  als  noch  Kohlensäure 
entweicht.  Die  schwachsaure  Lösung  giebt  nach  dem  Eindampfen  eine 
graubraune  Masse,  welche  in  Alkohol  ziemlich  unlöslich  ist  und  beim 
Erhitzen  nur  sehr  schwierig  verbrennt.  Der  Baryt  wurde  daher 
schliesslich  als  schwefelsaurer  bestimmt. 

0,4166  grm.  der  bei  100^  C.  getrockneten  Substanz  gaben  0,055 
grm.  BaO,SO»=s30,97o/oBaO. 

BaO,  C14H608  +  2  HO  erfordert  30,79%  BaO. 

Eine  andere  Barytverbindung  enthielt  2  At.  Basis.  Aus  ihr  besteht 
zum  grossen  Theil  der  anfangs  bei  Einwirkung  des  Baryts  auf  Trau- 
benzucker beschriebene  Niederschlag.  Man  kann  aus  demselben  die 
Verbindung  rein  erhalten,  wenn  der  Niederschlag  mit  Kohlensäure  oder 
Schwefelsäure  zersetzt  und  die  dadurch  in  Lösung  gebrachte  Säure 
durch  Barytwasser  abermals  gefällt  wird.  Der  Niederschlag  löst  sich 
etwas  in  Wasser,  zieht  sehr  leicht  die  Kohlensäure  der  Luft  an  und 
wird ,  noch  feucht  erwärmt ,  zu  einer  schwarzen ,  glänzenden  Masse, 
welche  dann  schon  eine  weitere  Zersetzung  erlitten  hat.  Er  wurde  aus 
diesen  Gründen  vorsichtig  nur  über  AetznatronstUcken  in  einer  Glocke 
getrocknet.  So  erhält  man  diese  Verbindung  als  eine  gelbbräunliche 
Masse,  welche  leicht  zerreibbar  ist. 

0,3863  grm.  dieser  Masse  gaben  0,2482  grm.  BaO,  S03  =  42,4  8%BaO. 
2  BaO,  C^^HöOS-i-O  HO  erfordern  42,38%. 

Kupferverbindung. 

In  neutraler,  concentirter  Lösung  der  Säure  giebt  essigsaures 
Kupferoxyd  einen  Niederschlag.  Dieser  ist  in  freiem  Alkali  und  freier 
Säure  leicht  löslich  und  zersetzt  sich  leicht  bei  höherer  Temperatur. 
Die  über  Chlorcalcium  getrocknete  Verbindung  wurde  in  Form  eines 
grauen  Pulvers  der  Elementaranalyse  unterworfen. 

0,265  grm.  gaben  0,078  grm.  CuO. 
0,245  grm.  gaben  0,276  grm.  CO^  u.  0,088  grm.  HO. 

her.  gef. 

2  CuO.  29,47  29,43 

C**  31,47  30,72| 

H»o  3,71  3,99 

0»2  35,64  35,86 

Die  Analyse  entspricht  der  Zusammensetzung : 

2  CuO,  C**H«08-|-4H0. 


v^^ 


314  '  H.  Reichardt, 

Blei  Verbindungen. 

Die  Bleiverbindung ,  welche  durch  essigsaures  Bleioxyd  aus  einer 
neutralen  Lösung  der  Säure  gefällt  wird,  ist  nur  wenig  in  Wasser, 
schwierig  in  Essigsaure,  leicht  in  Salpetersäure  löslich.  Sie  wird  ebenso 
wie  es  für  die  zweibasische  Barytverbindung  angegeben  war,  an  der  Luft 
besonders  beim  Er\Värmen  schwarz.  Man  trocknet  sie  daher  anfangs 
bei  gelinder  Wärme,  am  besten  auf  porösem  Thone.  So  erhält  man  die 
Verbindung  in  Form  einer  grauen ,  leicht  zerreiblichen  Masse.  Nach 
dem  Austrocknen  bei  i  00^  C.  wurde  sie  mittelst  Elementaranalyse  un~ 
tersucht. 

0,4603  grm.  gaben  0,0985  grm.  PbO. 

0,3663  grm.  gaben  0,8925  grm.  CO^u.  0,0669  grm.  HO. 

her.  gef. 

2  PbO                57,77  57,70 

Gl*                     24,76  21,77 

W                       4,82  2,02 

0»                      48,65  48,54 

Demnach  wäre  die  Zusammensetzung  dieser  Verbindung  2PbO, 
Ci4H«08-i-HO.  Bis  zu  4200C.  erhitzt,  verliert  sie  aber  noch  ohne 
sichtbare  Zersetzung  1  At.  Wasser.  0,4  748  grm.  verloren  0,0046  grm. 
=  2,63%.    Die  Rechnung  verlangt  für  4  HO,  2,33%  Verlust. 

Ein  noch  basischeres  Bleisälz  von  fast  ganz  ähnlichem  Aussehen 
und  Verhalten  kabn  man  erziden ,  wenn  mit  einem  guten  Bleiessig  die 
vollständig  neutrale  Lösung  der  Säure  gefällt  wird.  Der  hierdurch  er- 
haltene Niederschlag  wurde  schliesslich  bei  4  4  0^  C.  ausgetrocknet. 

Von  ihm  gaben  0,4  346  grm.  bei  der  Bleibestimmung  0,0902  grm. 
PbO  =  68,54%. 

3  PbO,  C^^HöO»  erfordern  68,47%  PbO. 

Gemäss  dieser  Bestimmungen  ist  vorläufig  die  Formel  der  wasser- 
freien Säure  als  C^^H^O^  zu  betrachten  und  wähle  ich  einstweilen  die 
Namen  Saccha rumsäure  dafür. 

Gluöinsäure  und  deren  Salze. 

Ausser  P^ligot  und  Rawaliee  hei  besonders  Muldbr  ^  die  Glucin- 
säure  näher  untersucht,  als  er  sie  bei  der  Zersetzung  von  Rohrzucker 
durch  Schwefelsäure  unter  den  vielfachen  Zersetzungsproduct^n  des- 
selben auffand.  Sie  tritt  hier  auf  neben  Ulmin-  und  Huminsubstanzen, 


1)    Journal  für  prakt.  Chemie  (1840)  XX\,  930. 


Ueber  die  ZersotziinfifspuoduMe  des  Traiibensuckers  etc.  315 

Apogluoinsäure,  Ameisensäure  und  unkryslaUisirbarem  Zucker.  Huldbr 
gewann  sie  aus  diesem  Gemische,  indem  er  die  unlöslichen  Ulmin-  uiid 
Huminsubsianzen  abfiltrirte,  das  FiHrat  mit  Kreide  sättigte,  dann  bis 
zur  Syrupsconsistenz  eindickte  und  durch  Zusatz  yon  Alkohol ,  der 
nur  sauren,  glucinsauren  Kalk  und  unzersielzten  Zucker  löst,  diese  letz- 
teren von  den  ander^A  gebildeten  Kalkverbindungen  trennte.  Die  Lö- 
sung wurde  mit  thierischer  Kohle  entfärbt  und  abermals  zur  Syrup- 
consistenz  eingedampft.  Beim  Eindampfen  wurde  das  Gemisch  wieder 
sauer,  was  nach  Muldbr  durch  die  Bildung  von  Glucinsäure  aus  dem 
noch  vorhandenen  Zucker  zu  erklären  ist.  Der  Syrvp  wurde  dann  mit 
so  viel  Kalkbrei  versetzt,  als  er,  ohne  undurchsichtig  zu  werden,  auf- 
lösen konnte ;  die  sauere  Reaction  war  dann  fast  ganz  verschwunden 
und  Zusatz  von  Alkehot  fällte  nun  neutrales,  glucinsaures  Kalksalz. 

Diese  Angaben  scheinen  mir  nieht  ganz  genau  zu  sein.  Erstens 
wirken  schwache  Säuren  nur  sehr  gering  auf  die  Umbildung  des  ^uokers 
in  Glucinsäure ;  das  Sauerwerden  beim  Eindampfen  wird  daher  nicht 
von  der  Bildung  der  Glucinsäure,  sondern  von  anderweitigen  Zer- 
setzungen dieser  Säure  herrühren.  Zweitens  wird  ein  Gemisch  von 
Glucinsäure  und  Invertzucker  mit  Kalkbrei  gesättigt,  so  löst  sich  ohne 
Trübung  in  der  Lösung  des  gebildeten  glucinsauern  Kalks  ziemlich  viel 
Zuckerkalk ;  die  Reaction  wird  alkalisch  und  Zusatz  von  Alkohol  fällt 
neben  gluoinsaurem  Kalke  auch  noch  Zuckerkalk. 

MuLnii  stellte  aus  dem  Kalkaalze,  welches  allein  von  ihm  unter- 
sucht ist,  die  Bleiverbindung  dar  und  aus  dieser  die  Glucinsäure.  Yon 
letzterer  giebt  er  an ,  dass  aie  schon  beim  Eindampfen  bis  zur  Syrup- 
consistenz,  an  die  Luft  gebracht ,  zur  festen  Masse  erstarre  und  dann 
keine  Feuchtigkeit  anziehe.  Angabeq,  die,  wie  Sipäter  gezeigt  wird,  dem 
Verhalten  der  von  mir  dargestellten  Säure  vollständig  widersprechen. 

P^LiGOT ,  welcher  die  Säure  aus  einer  bei  Monate  langepi  Stehen 
zersetzten  Zuckerkalklösung  gewann,  erhielt  sie  auch  beim  Eindampfen 
im  luftleeren  Räume  als  eine  feste,  unkrystallisirbare  Masse ,  die  bis  ;eu 
400<>C.  nicht  ohne  Zersetzung  erhitzt  werden  konnte.  Näph  dem  Be- 
richte von  Bbrzblius  ^  zerfliesst  die  trockne  Säure  nicht  an  der  Luft, 
während  sie  nach  dem  der  Annalen  ^  begierig  Feuchtigkeit  anzieht. 
Welche  Ansicht  die  richtige  ist,  kann  ich,  da  mir  leider  die  Originalar- 
beit nicht  zu  Gebote  stand,  nicht  entscheiden.  Kawajlii«  konnte  die 
Säure  nicht  in  fester  Form  erhalten. 

Zur  Beurtheilung  des  Nachfolgenden  dürften  diese  vorausgeschick- 
ten Bemerkungen  nicht  unwes^tlidi  sein. 

1)  Bbrzeliüs,  Jahresbericht  1840.  S.  458. 

2)  Annalen  der  Phar-    "\. 


316  il.  RfkIlivIi. 

Die  bei  der  oben  beschriebenen  Einwirkung  des  Baryts  auf  Trau- 
benzucker nach  Abscheidung  der  Füllung  erhaltene  Flüssigkeit  enthalt 
hauptsachlich  filucinsnuren  Baryt.  Um  die  GlucinsHure  aus  dieser  zu 
erhatten,  wird  die  Flüssigkeit  mit  Essigsäure  annilhemd  neutralisir' 
und  mit  Bleiessig  so  lange  versetzt,  als  der  Niederschlag  noch  gefürbl 
erscheint.  Hierdurch  wird  die  in  Lösung  gebliebene  erst  besprochene 
Süure  vollständig  entfernt.  Nach  Trennung  des  gefärbten  Nieder- 
schlages versetzt  man  das  Fillrat  so  lange  mit  Bleizuckerlösung  und 
Ammoniak,  als  noch  eine  Fallung  entsteht.  So  wird  die  Glucinsäure 
fast  vollslündig  als  glucinsaures  Bleioxyd  niedergeschlagen  ,  die  Säure 
wird  dann  wie  gewöhnlich  durch  Schwefelwasserstoff  vom  Blei  ge- 
trennt. 

Verschiedene  Versuche  zeigten ,  dass  die  Säure  beim  Eindampfen 
ihrer  Lösung  an  der  Luft  sich  ungemein  leicht  zersetzt,  besonders 
wenn  die  Temperatur  eine  etwas  hohe  ist.  Auf  dem  Dampfbads  er- 
hitzt gab  sie  brenzlich  sauren  Geruch ,  wurde  schwarz  und  euch  nach 
dem  Erkalten  nicht  fest.  Im  lufl verdünnten  Räume  aber  konnten  nur 
sehr  langwierig  grössere  Mengen  der  Lösung  verdunstet  werden.  Aus 
diesem  Grunde  bemüht«  ich  mich  schon  bei  der  Zersetzung  der  Bler- 
verbindung,  die  Saure  so  concenlrirt  als  möglich  zu  erhallen,  liess  sie 
dann  bei  einer  Temperatur  von  10 — SO*  C.  in  Qachen  Schalen  eindun- 
slen  und  stellte  sie,  sobald  sie  anfing  consisleuter  zu  werden,  über 
Schwefelsaure.  So  erhielt  ich  die  Glucinsäure,  nach  langem  Stehen, 
von  der  Farbe  und  Consistenz  eines  hellen,  frisch  ausgelassenen  Ho- 
nigs. Selbst  in  dieser  Form  zieht  die  Stiure  ungemein  leicht  Feuch- 
tigkeit aus  der  Luft  an  und  wird  dünnflüssiger. 

Alkohol  löst  die  Glucinsüure  in  dieser  Form  nur  wenig ,  Aether  in 
noch  geringerem  Massstabe.  Auf  Plalinblech  erhitzt  schmilzt  sie  unter 
Ausslossen  von  nicht  unangenehmen,  etwa  nach  gerösteter  Brotrinde 
riechenden  Dämpfen,  spülcr  aber  bläht  sie  sich  auf  und  giebt  den  eigen- 
tbUmlichen  Geruch  verbrennender  Kohlenhydrate. 

Alkalien  geben  mit  der  Glucinsaure  neutralisirt  schwierig  trocken 
tu  erhaltende  Salze.  Ammoniak  zersetzt  die  Glucinsüure  beim  Ein- 
dunslen  ihrer  Lösungen  sehr  schnell,  selbst  wenn  Ammoniak  im  Ueber— 
schuss  war  wird  die  Flüssigkeit  bald  wieder  sauer  und  nimmt  eine 
braune  bis  schwarze  Farbe  an. 

Die  kohlensauren  alkalischen  Erden  werden  von  der  Glucinsüure 
unter  Bildung  von  löslichen  Salzen  zersetzt.  Thonerde,  sowie  die  mei- 
sten Metalloxyde  scheinen  von  der  Glucinsiiure  gelöst  zu  werden.  Nie- 
derschltige  erhielt  ich  in  einer  durch  Alkali  neulralisirten  Lösung  der 
Glucinsiiure  nur  durch  salpetersaures  Quecksilberoxydul,  sai  petersau  res 


Ueber  die  Zersetsnngsprodocte  des  Traubenzuckers  etc.  317 

Qüecksilberoxyd  und  basisch-essigsaures  Bleioxyd ;  alle  diese  Nieder- 
schläge sind  in  mehr  Wasser,  besonders  auf  Zusatz  von  Essigsäure  lös- 
lich. Salpetersaures  Silberoxyd  giebt  einen  Niederschlag,  welcher 
durch  eintretende  Reduction  bald  schwarz  wird.  Eupfersalze  färben 
die  Lösung  der  Glucinsäure  grttn,  auf  Zusatz  von  Alkali  dunkelgrün; 
erwärmt  man  dann  die  Lösung  vorsichtig ,  so  scheidet  sich  ein  blau- 
grUner  Niederschlag  ab ,  der  sehr  bald  durch  gebildetes  Eupferoxydul 
gelb  bis  roth  wird. 

Der  Elementaranalyse  wurde  die  Glucinsäure  nach  dem  Trocknen 
über  Schwefelsäure  unterworfen 

0,4777  grm.  gaben  0,00675  grm.  CO^  und  0,8867  grm.  HO. 

her.  gef. 

C24  38,29  38,17 

H24  6,38  6,66 

02«  55,32  55,  n 

Dieser  Analyse  entspricht  die  empirische  Formel  C^^H^^O^«. 
Nach  der  später  folgenden  Untersuchung  der  Bleiverbindung  be- 
steht diese  wasserfrei  aus  6PbO,  C^^H^^O^s.     Dje  Säure  scheint  dem- 
nach 6  Ät.  Basis  binden  zu  können  und  wasserfrei  nach  der  Formel 
G^^H^^O^^  zusammengesetzt  zu  sein. 

Für  die  vorliegende  wasserhaltige  Säure  wurde  die  Formel 

C24H1601»,  6HO  +  2aq. 

Natronsalz. 

Durch  genaue  Neutralisation  der  Säure  mit  verdünnter  Natronlauge 
wird  ein  Natronsalz  erhalten,  das  bei  4  00^  C.  schmilzt,  aber  beim  Er- 
kalten erstarrt  und  sich  dann  pulvern  lässt;  dabei  zieht  es  wieder  mit 
Begier  Feuchtigkeit  an.  In  der  bei  100^^  C.  getrockneten,  gelben  Masse 
wurde  das  Natron  als  schwefelsaures  Natron  bestimmt. 

0,2269  grm.  gaben  0,0619  grm.  NaO,  SO»  =  11,93%  NaO. 
3  NaO,  2(G2*Hi«0*8)  +9  HO  erfordern  11,890/o  NaO. 

Barytsalze. 

Glucinsäure  löst  kohlensauren  Bai^t  unter  Aufbrausen ;  es  bildet 
sich  ein  in  Weingeist  lösliches,  saures,  glucinsaures  Barytsalz,  welches 
nach  vorsichtigem  Eindampfen  eine  pulverisirbare ,  stark  hygrosko- 
pische, gelbliche  Masse  darstellt.  Bei  100®  G.  getrocknet  gaben 
0,2504  grm.  derselben  0,0666  grm.  BaO,S03  oder  17,46%  BaO. 

BaO,  G24HiöO»8-i-6HO  erfordert  17,60%  Bau. 

Aus  neutralen  oder  schwach  alkalischen  Lösungen  von  glucinsau- 


3t  8  BL  Rei^kaidt, 

rem  Baryt  sehldgt  Alkohol  eiai  dreibasisches  Sala  rieder.  Der  Nieder- 
schlag ist  nicht  immer  ganz  gleicbmässig  zusammengesetzt;  aus  alka- 
lischer Lösung  gefällt  enthält  er  oft  etwas  mehr  69ryt,  als  die  Formel 
verlangt,  und  aus  schwach  sauren  Lösungen  föUt  starker  Alkohol  auch 
Verbindungen  von  geringerem  Barytgehalte,  Die  aur  nachstehenden 
Elementaranalyse  benutzte  Verbindung  wurde  durch  Alkohol  aus  einer 
bis  zur  schwach  alkalischen  Reaclion  mit  Barytwasser  versetzten  Lösung 
von  reiner  Glucinsäure  ausgerällt.  Der  Niederschlag  zieht  leicht  Koh- 
lensäure an  und  wurde  daher  schnell  mit  Alkohol  auf  dem  Filter  aus- 
gewaschen und  dann  im  luftverdttnnten  Räume  über  Ghlorcalcium 
getrocknet.  So  wurde  dieses  Salz  in  Form  einer  nicht  hygroskopischen, 
gelblich  gefärbten,  leicht  zerreiblichen  Masse  erhalten. 

Die  Verbrennung  desselben  im  Platin-Schiffchen  zwischen  Eupfer— 
oxyd  ist  auch  beim  Ueberleiten  von  Sauerstoffgas  schwierig,  da  der 
sich  bildende  kohlensaure  Baryt  hartnäckig  etwas  Kohle  zurückhält; 
diese  wurde  erst  durch  anhaltendes  Glühen  an  der  Luft  vollständig 
verbrannt  und  besonders  in  Anrechnung  gebracht. 

0,175  grm.  gaben  0,130  grm.  CO*  und  0,062  grm.  HO;  im  Schiff- 
chen hinterblieben  0,0885  BaO,  CO^  und  0,0015  G. 


ber. 

gef. 

3BaO 

39,08 

39,85 

CJ4 

24,51 

'       24,20 

HM 

3,74 

3,93 

024 

32,67 

32,62 

Hieraus  berechnet  sich  die  Formel 

3  BaO,  C24Hi»0>8+6HO. 

6  Atome  Wasser  entweichen  bei  einer  Temperatur  von  120®  C. 
0,237  grm.  verloren  bei  dieser  Temperatur  0,022  grm.  HO  =  9,29%. 
Die  Formel  verlangt  9,19%. 

In  der  ursprünglichen  Lösung ,  wie  sie  bei  Einwirkung  des  Baryts 
auf  Traubenzucker  erhalten  wird ,  ist  nach  Entfernung  der  basischen 
Verbindung  der  Säure  C^^H^O^  grösstentheils  glucinsaurer  Baryt  ent^ 
halten. 

Es  lag  die  Vermuthung  nahe ,  dass  dieser  durch  Alkohol  ausgefällt 
werden  könnte.  Die  erste  Fällung  durch  AlkcAol  war  aber  nicht  rein, 
nochmaliger  Zusatz«  von  starkem  Alkohol  schlägt  aber  eine  bedeutend 
reinere  Verbindung  nieder.  Beide  Niederschläge  wurden  untersucht, 
um  zu  prüfen,  in  welcher  Reinheit  auf  diese  Weise  die  Verbindung  er- 
halten werden  könnte  und  ob  es  nicht  zweckmässiger  sei ,  aus  ihr  die 
Glucinsäure  darzustellen.  Doch  ist  es  besser,  hierzu  die  Bleiverbindung, 


lieber  die  Zersetiüngsprodncie  des  Traobenzackera  etc.  319 

wie  oben  angegeben,  zu  waUen,  da  durch  sie  ein  reineres  Producl  er- 
zielt wird« 

Die  Analysen  der  so  erhaltenen  bei  lOO^C.  getrockneten  Nieder- 
schlage ergaben : 

Von  der  ersten  Fallung : 

0,566  grm.  gaben  0,457  grm.  CO»  u.  0,176  grm.  HO;  es  blieben 
im  Schiffchen  0,302  grm.  BaO,  CO»  u.  0,006  grm.  C. 

Von  der  zweiten  Fällung : 

0,477  grm.  gaben  0,380  grm.  CO»  u.  0,151  grm.  HO;  im  Schiff- 
chen blieben  0,243  grm.  BaO,  CO»  u.  0,005  grm.  C. 

Die  Berechnung  giebt  für 


w 

I. 

n. 

ber. 

gef. 

gef. 

3  BaO 

40,94 

41,44 

39,56 

C24 

25,69 

26,33 

25,80 

H19 

3,38 

3,45 

3,51 

021 

29,98 

28,78 

31,13. 

% 

Kalksa] 

ze. 

Die  Kalkverbindungen  entstehen  analog  den  Barytverbindungen ; 
ich  habe  nur  die  saure  untersucht,  die  in  nicht  zu  starkem  Alcohol 
leicht  löslich  ist.  Mulbbi  giebt  von  dieser  an ,  dass  sie  in  Nadeln  kry- 
stallisire,  sagt  aber  nichts  Über  die  Zusammensetzung  derselben.  Mir  ist 
es  nicht  gelungen ,  weder  dieses  noch  ein  anderes  Salz  der  Glucinsäure 
krystallisirt  zu  erhalten.  Das  eingetrocknete  Kalksalz  zieht  nicht  so 
leicht  wie  das  entsprechende  Barytsalz  Feuchtigkeit  an.  Bei  1 00<>  C. 
getrocknet  und  dann  zerrieben  ist  es  ein  gelbliches  Pulver. 

0,3691  grm.  desselben  gaben  beim  Glühen  0,0368  grm.  CaO,CO» 
=  7,677oCaO. 

Die  Verbindung  CaO,  C»*Hi«0»8  +  5H0  erfordert  7,43% CaO. 

Magnesiasalz. 

Kohlensaure  Magnesia  wird  leicht  von  der  Glucinsäure  au^elüst, 
aber  es  wird  nicht  im  Einklänge  mit  dem  Verhalten  dieser  Säure  zu 
kohlensaurem  Baryt  oder  Kalk,  eine  relativ  grössere  Menge  Aagnesia  in 
Lösung  gebracht.  Ihre  Lösung  lässt  sich  leichter  als  die  der  vorher- 
gehenden Salze  unzersetzt  eindampfen  und  giebt  dann  eine  weissgelbe, 
leicht  zerreibbare  Masse.  Die  untersuchten  Proben  waren  bei  lOO^G. 
getrocknet. 

i.  0,2997  grm.  gaben  0,053    grm.  MgO  s  17,68%. 

11.  0,3432  gnn.  gaben  0,06«7  grm.  MgO  »  47,68%. 


320  •    H.  Reichardt, 

1.  0,4048  grra.  gaben  0,486  grm.  CO^  u.  0,4896  grm.  HO. 
II.  0,455    grm.  gaben  0,545  grm.  CO^  u.  0,2i07  grm.  HO. 

.  her.  gef. 

I.  II. 

4MgO  48,26  17,68  47,68 

C24  32,88  32,74  32,69 

H22  5,02  5,20  5,45 

024  43,83  44,38  44,48 

Demnach  würde  hier  ein  4  basisches  Salz  von  der  Formel  4  MgO, 
C24Ht6  0i^  +  6 HO  vorliegen;  dasselbe  verliert  bei  stärkerem  Trocknen, 
wenn  auch  nur  langsam,  noch  Wasser. 

0,2997  grm.  verloren  bei  1300C.  0,0422  grm.  HO  =  4,07% 

—  4350  C.  0,04  73  grm.  HO  =  5,770/^ 

—  loOOC.  0,04  82  grm.  HO  =  6,07o/o 

—  470OC.  0,0254  grm.  HO  =  8,477o 
Die  Formel  erfordert  für  2  HO  =  4,4  4  7o 

3H0  =  6,46o/o 

4  HO  =  8,22o/o 
Bis  zu  einer  Temperatur  von  470^0.,  bei  welcher  das  Salz  4  Al. 
Wasser  abgegeben  hat,  kann  man  es  unzersetzt  erhitzen ;  darüber  aber 
beginnt  Bräunung  und  bei  4  800C.  vollständige  Zersetzung,  so  dass  die 
letzten  2  HO  für  sich  nicht  ausgetrieben  werden  können. 

Thonerdesalz. 

Frischgeftilltes ,  noch  feuchtes  Thonerdehydrat  löst  sich  in  Glucin- 
säure  auf;  das  überschüssig  zugesetzte  Thonerdehydrat  hält  aber  viel 
Giucinsäure  zurück.  Aus  löslichen  Thonerdesalzen  vermochte  ich  durch 
ein  glucinsaures  Salz  keine  lösliche  Thonerdeverbindung  zu  fällen. 

Die  Lösung  der  glucinsauren  Thonerde  reagirt  sauer ;  sie  lässt  sich 
wie  die  des  Magnesiasalzes  leicht  ohne  Zersetzung  eindampfen  und  giebt 
nach  dem  Trocknen  bei  4  00^0.  eine  gelblich  weisse,  wenig  hygrosko- 
pische Masse.  Die  bei  dieser  Temperatur  getrocknete  Substanz  wurde 
untersucht. 

0,4794  grm.  gaben  0,657  grm.  C02  u.  0,2228  grm.  HO. 

0,2089  grm.  gaben  0,0287  grm.  APO^. 

ber.  gef. 

A1203                    43,44  43,77 

C24                        37,66  37,40 

H19                          4,97  5,16 

02i                         43,93  43,67 

Die  Zusammensetzung  ist  demnach  APO»,  C24H*eO*8  +  3HO. 


lieber  die  ZerseUnngsproduete  des  TrAubenznckers  ete.  321 

Bei  H5^G.  getrocknet  verlor  das  Salz  ohne  sichtbare  Zersetzung 
6,99%  Wasser  (0,9009  grm.  verloren  0,0U5  grm.  HOJ ;  fttr  3 HO  er- 
fordert die  angegebene  Formel  7,05%.  Das  Thonerdesalz  kann  dem- 
nach bei  H50C.  wasserfrei  erhalten  werden. 

Das  ungelöst  gebliebene  Thonerdehydrat  hielt,  wie  erwähnt ,  noch 
eine  ziemliche  Menge  Glucinsäure  zurück ,  welche  auch  durch  längeres 
Auswaschen  nicht  zu  entfernen  war.  Um  die  Menge  derselben  kennen 
zu  lernen,  wurde  dieses  Glucinsäure  haltige  Thonerdehydrat  bei  lOO^G. 
getrocknet  und  der  Elementaranalyse  unterworfen. 
0,S243  grm.  gaben  0,4  09  Al^O^) 
0,5802  grm.  gaben  0,2686  grm,  C02  u.  0,2H7  grm.  HO. 

ber.  gef. 

HA1203  49,60  48,59 

G24  12,63  42,62 

H4«.  4,04  4,05 

0*8*  33,72  34,74 

Es  würden  demnach  circa  1  \  Aeq.  Thonerdehydrat  4  Aeq.  Glu* 

cinsäure  zurückgehalten  haben:  — jedenfalls  keine  einfache  chemische 

Verbindung.  — 

Eisenoxydulsalz. 

Mit  schwefelsaurem  Ißlisenoxydul  zersetzt  sich  die  3  basische  Baryt- 
verbindung in  schwefelsauren  Baryt  und  glucinsaures  Eisenoxydul. 
Letzteres  ist  löslich  und  ertheilt  der  Lösung  eine  grüne  Farbe ;  bei 
lOO^G.  getrocknet  ist  es  ein  grünlich  graues,  hygroskopisches  Pulver. 
0,1475  grm.  gaben  0,0375  grm.  Fe^O»,  entsprechend  23,327FeO; 
3FeO,  G24Hi«0*8  +  6HO  erfordern  23,18o/oFeO. 

Bleisalze. 

Kohlensaures  Bleioxyd  und  auch  Bleiglätte  werden  in  geringem 
Massstabe  von  der  Glucinsäure  gelöst.  Aus  den  neutralen  Lösungen 
eines  gluciiisauren  Salzes  ßiUt  Bleiessig  eine  6  basische  Verbindung. 
Dabei  wird  die  Glucinsäure  nicht  vollständig  ausgefällt,  und  Zusatz  von 
Ammoniak  giebt,  wenn  noch  Bleisalz  in  der  Flüssigkeit  vorhanden  war, 
weitere  nicht  constant  zusammengesetzte  Niederschläge ,  welche  aber 
stets  mehr  als  6PbO  auf  ein  At.  Glucinsäure  enthalten.  Untersucht 
wurde  der  aus  neutraler  Lösung  erhaltene  Niederschlag,  welcher  nach 
dem  Trocknen  über  Ghlorcalcium  eine  leicht  zerreibliche  weisse,  nicht 
hygroskopische  Hasse  bildet. 

L  0,540  grm.  gaben  0,354  grm.  PbO. 

0,388  grm.  gaben  0,197  grm.  GO^  u.  0,084  grm.  HO. 


S23  H.  Rcicliardt, 

II.  0,360  gpiii.  gaben  0,^90  grm.  CO^ii.  0,075  grm.  HO. 

ber.  gef. 


t. 

II. 

6PbO 

65,  U 

65,55 

C24 

4  4,01 

43,85 

4  4,38 

H22 

2,14 

«,40 

«,31 

024 

18,70 

48,«0 

Nach  diesen  Analysen  ist  die  Zusammensetzung  dieser  Verbindung 
6PbO,  C24  Hie  018 +6  HO. 

Beim  Trocknen  verliert  sie  leicht  den  Wassergehalt. 
0,*64  grm.  verloren  bei  SO^C.  0,000  grm.  ==  3,407o  HO. 

bei  lOOöC.  0,011  grm.  =  4,i60/o  HO. 
bei  150«C.  0,015  grm.  =.  5,647o  HO. 
Die  Formel  verlangt  fttr 

4 HO:  3,öo/o 

5  HO  :  4,4% 

6  HO  :  5,3% 

Bei  dieser  Temperatur  begann  schon  BrSlunung  und  Zersetzung. 

Es  entspricht  demnach  das  bei  150^G.  getrocknete  Bieisalz  einer 
wasserfreien  Verbindung  der  Glucinsäure  mit  6  Aeq.  Bleioxyd. 

Die  zuletzt  durch  Zusatz  von  Ammoniak  erhaltenen  NiederscblSlge 
sind,  wie  erwähnt,  basischer  als  die  vorstehende  Verbindung.  Einmal 
erhielt  ich  bei  Untersuchung  eines  solchen  bei  100^  C.  getrockneten 
Niederschlags  76,84%  PbO,  ein  anderes  Mal  unter  gleichen  Umständen 
77,Ol7o  PbO.    Ein  9 basisches  Salz  würde  76,70%  PbO  erfordern. 

Diese  Analysen ,  sowohl  der  Säure  wie  der  gleichfalls  durch  die 
Elementaranalyse  untersuchten  Baryt-,  Magnesia-,  Thonerde-  und  Blei- 
verbindungen, stimmen  darin  ttberein,  dass  sie  nicht  so  viel  H  ergeben, 
als  nothwendig  wäre ,  um  die  Glucinsäure  als  Kohlenhydrat  auffassen 
zu  können.  Dies  widerspridit  den  vorhergehenden  Untersuchungen 
über  Ghicinsäure.  PfiLiGOT  gab  den  von  ihm  untersuchten  Bieisalz  die 
Formel:  6 PbO,  C^H»*  0*»;  Muldbr  fand  das  Kalksalz  aus  i  (CaO, 
C^H^O»)  Hh  HO  und  Xawalikr  die  im  luftleeren  Baume  bei  1 00«  C. 
getrocknete  Säure  «us  C^^H^^o^Ja  bestAend.  Diese  Chemiker  haben 
sämmtlitih  nur  je  eine  Verbindung  untersucht.  Bedenkt  man ,  dass 
sie  nach  der  allgemeinen  Annahme  glaubten,  dass  Zucker  sich  nur 
unter  Wass^abgabe  in  Glucinsäure  umsetze,  dass  nach  dieser  Annahme 
die  Ghicinsäure  ein  Kohlenhydrat  sein  müsse,  so  erklärt  es  sich  leicht, 
dass  sie  eine  Formel  wählten ,  die  dieser  Anschauung  Ausdruck  gab. 
Es  kann  auch  der  von  diesen  Chemikern  zu  bech  gefundene  Wasser- 
stoff kaum  befremden ,  da  die  gewöhnliche  Methode  der  Elementarana- 


üeber  die  Zersetzun^rtMlMte  des  Traubenzuckers  etc.  323 

lyse  zumefisi  einen  in  hohen  Gehalt  an  H  liefert.  Die  Differenz  aber  von 
2  H  bei  $4  G  ist  bei  der  Berechnung  eine  so  {geringe,  dass  sie  innerhalb 
der  mög^hen  Fehlergrenze  liegen  kann. 

Die  Höhe  der  Formel  »G^^H^^O^^«  ist  aber  durch  die  Reihe  von 
vtßTSchieden  basischen  Salzen  gerechtfertigt,  weiche  nicht  leicht  einer 
'einfacheren  Formel  angepasst  werden  können.  Auch  PfiLTtsor  gab  dem 
6 basischen  Bleisalze  eine  Formel  mit  24  C  ;  die  späteren  Untersuchungen 
scheinen  ohne  besonderen  Grund  dieselbe  geändert  zu  haben. 

Nach  dem  bisher  Angefahrten  kann  Wohl  die  Ansicht,  dass  Trau- 
benzucker bei  der  Einwirkung  von  Alkalien  nur  Glucinsäure  bilde, 
nicht  festgehalten  werden.  Das  Auftreten  der  Säure  C^^H^O^  ist  so 
bestimmt  mrd  gleich  anfänglich  bei  der  Einwirkung  des  Alkali  zu  be- 
merken, dass  sie  micht  als  secundäres  Zersetz  ungsprododt  aufgefasst 
werden  kann.  Zu  verwundern  ist  es,  dass  diese  Saocharumsäure  bisher 
übersehen  ist ,  aber  erklärlich  durch  die  Angabe  PfiLiGOt's^,  dass  er  die 
durch  Zusatz  von  Bleiessig  erhaltenen  gefärbten  Niederschläge  entfernt 
habe.  In  diesen  musste  t>atUrlich  die  schon  in  schwach  saiurer  Lösung 
durch  essigsaures  Bleioxyd  fällbare  Saccharumsäure  sein.  Aehnlich  ist  es 
mit  der  Untersuchung  Kawalibr's,  welcher  durch  Einleiten  von  Kohlen- 
säure in  die  durch  Baryt  zersetzte  Traobenzuckerlösung  einen  gefärbten 
Niederschlag  erhielt.  Ein  soldher  muss ,  wenn  Kawaiibr  nicht  mit  sehr 
verdünnten  Lösungen  gearbeitet  hat,  schon  vor  dem  Einleiten  von  Kohlen- 
säure dagewesen  sein  und  ist  jedenfalls  von  ihm  nicht  weiter  beachtet 
worden.  Die  starke  Färbung  jedoch  ist  Kawalibr  schon  so  aufgefallen, 
dass  er  den  Niederschlag  mit  Schwefelsäure  zersetzte  und  dadurch  eine 
Lösung  erhielt ,  welche  nach  einiger  Zeit  braune  Substanzen  abschied. 
Dies  stimmt  vollständig  mit  dem  hier  beobachteten  Verhalten  dieser  Säure 
überein.  Kawaljer  hatte  also  die  Saccharumsäure  in  unreinem  Zu- 
stande dargestellt,  aber  nicht  untersucht.  Was  Mclder  betrifft,  so  unter- 
suchte dieser  überhaupt  die  Einwirkung  starker  Säuren  auf  Zucker. 
Wie  nach  dessen  Untersuchung  nicht  zu  bezweifeln  ist,  dass  bei  dieser 
Einwirkung  sich  Glucinsäure  bilde,  so  ist  es  doch  fraglich,  ob  die 
Saccharumsäure  hierbei  auch  entstehe.  Heiner  Ansicht  nach  ist  dies 
sogar  sehr  unwahrscheinlich ,  da  freie  Säuren  sehr  leicht  eine  weiter- 
gehende Zersetzung  der  Saccharumsäure  unter  Bildung  von  in  Wasser 
unlöslichen  Substanzen  bewirken.  Die  Bildung  der  Glucinsäure  in  durch 
Säuren  zersetzten  Zuckerlösungen  ist  nach  Mulder  stets  mit  den  braunen 
ulmin-  oder  huminartigen  Substanzen  und  Ameisensäure  verbunden 
gewesen.  Nichts  beweist  daher  die  Hypothese  dieses  Chemikers^,  dass 

^)  Berzelius,  Jahresbericht  1840,  S.  457. 

2j  Jahrbuch  für  prakt.  Chem.  f  840  XXI,  S83  a.  287. 


324  B-  ReUliwdr,  TV^ 

Zucker  sich  zuerst  nur  in  Glucinsäure  zersetze.  Völckbl'  weist  in  der 
That  nach,  dass  Zucker  bei  Einwirkung  von  Säuren  tweieriei  Zer- 
setzungen erleidet.  Das  Hauptprodncl  ist  GluciDsSure,  nebenbei  bilde) 
sich  aber  Ameisensäure  und  ein  brauner  in  Alkohol  Ifislicher  Körper. 
Dieses  Verhalten  ist  analog  der  Zersetzung  durch  Alkali.  Sicher  triu 
auch  hier  die  Glucinsäure  in  grösster  Menge  gegenüber  den  anderen 
Zersetzungsproduclen  auf,  ebenso  bestimmt  bildet  sich  aber  auch  gleich 
anfänglich  die  Saccharum saure  =  C'*H«0*.  Die  Bildung  zweier  sauer- 
ste ffreii-herer  Körper  aus  einem  Kohlenhydrate  verlangt  noch  wasser- 
stoffreichere  Producle,  da  namentlich  keine  Sa uerstoSauf nähme  aus 
der  Luft  efwiesea  werden  konnte. 

Es  wurde  in  der  Einleitung  schon  angegeben,  dass  Kiwalier  einige 
Tropfen  Aceton  unter  den  Producten  dieser  Zersetzung  gefunden  haben 
will.  Sicher  wird  ein  flüchtiger,  indifferenter  Körper  gebildet,  welcher 
ausgezeichnet  ist  durch  einen  eigentliUmlichen ,  penetranten  Geruch, 
der  jedem  Destillate  anhaftet,  welches  heim  Kochen  einer  Lösung  von 
durch  Baryt  zersetztem  Traubenzucker  erhalten  wird.  Aus  solchem 
Destillate  kann  durch  Schütteln  mit  Aether  der  flüchtige  Körper  getrennt 
werden.  Nach  dem  Verdunsten  des  Aethers  bleibt  eine  ölige  Flüssig- 
keit, welche  leicht  an  der  Luft  verharzt.  Die  Menge  derselben  war  so 
gering,  dass  von  einer  näheren  Untersuchung  abgesehen  werden  mussle. 
Zersetzung  der  Glucinsüure. 

Nach  HuLDKR  zersetzt  sich  die  Glucinsüure  beim  Sieden  ihrer  Lo- 
sung, so  wie  auch  beim  Behandeln  derselben  mit  Sauren  in  der  Wurme 
und  beim  Luftzutritt;  sie  zerßlllt  nach  ihm  in  Apoglucinsaure  unter 
Abgabe  von  H  und  0  und  Steigerung  des  Cgehaltes,  analog  dem  Ver- 
halten der  Gerbsäure,  der  Extractivstofie  etc.  HnLUBR's  Erklärung  dieser 
Zersetzung  ist  hier  unklar  und  wohl  nicht  ganz  richtig.  Denn  wie  kann 
dann  die  ApoglucinsSure  nach  ihm  C'^H^O^  wasserstofTreicher  sein  als 
die  Glucinsaure  —  nach  ihm  —  ein  Kohlenhydrat?  Das  auch  von 
Hulder  beobachtete  Auftreten  von  Ameisensaure  soll  nach  ihm  im  Zu- 
sammenhang mit  der  Bildung  von  Ulminsüure  stehen. 

Kawalier  giebt  nichts  über  die  Bildung  der  Apoglucinsäure  an,  ob- 
gleich er  ein  Zersetz ungsproduct  der  Glucinsüure  erhielt,  das  stets  an 
die  Bildung  der  ApoglucinsJlure  gebunden  ist.  Wie  schon  oben  erwähnt 
wurde,  unterwarf  Kawalier  die  Losung  des  durch  Baryt  zersetzten 
Traubenzuckers,  nach  vollständiger  Entfernung  des  Baryts  durch  einen 
im  kleinen  Ueberschuss  zugefügten  Zusatz  von  Schwefelsaure,  einer 
Destillation.  Im  Destillale  befindet  sich  eine  flüchtige  Säure  —  Ameisen- 


■)  AodbIbo  der  Cbem.  u.  Pharmac.  IX  (<8B3j,  Bl  u.  8fl. 


Ueber  die  Zersetzuogsproducte  des  Traubenznekera  etc.  325 

essigsaure.  —  Aus  der  zurückbleibenden  Flüssigkeit  stellte  Kawilibr 
die  Glucinsdure  dar.  Es  ist  dies  möglich ,  wenn  die  Destillation  nicht 
zu  lange  gewährt  hat  und  besonders  nicht  bis  zur  Trockne  getrieben 
war;  doch  nicht  auf  die  Weise ,  wie  Rochlbpbr  anführt,  dass  nämlich 
die  Flüssigkeit,  nach  Entfernung  der  überschüssigen  Schwefelsäure 
durch  Baryt,  mit  Bleiessig  gefällt  und  der  Niederschlag  durch  Schwefel- 
wasserstoff zersetzt  worden  sei.  In  diesem  Falle  würde  viel  Apoglucin- 
säure  resp.  eine  mit  ihr  stark  verunreinigte  Glucinsäure  erhalten  worden 
sein.  Es  ist  anzunehmen ,  dass  Kawalibr  auch  die  ersten  gefärbten 
Portionen  des  Bleiniederschlags  entfernt  hat  und  Rochlbdbr,  der  nur  in 
grossen  Zügen  über  diese  Untersuchung  berichtet,  diesen  Umstand  un- 
erwähnt liess. 

Die  Angabe  Muldbr^s,  dass  die  Glucinsäure  sich  leicht  in  Apoglucin- 
säure  zersetzt,  kann  ich  nur  bestätigen ;  jedoch  geschieht  dies  nicht  ohne 
Bildung  von  flüchtigen  Säuren,  wie  sie  Kawalibr  auffand,  so  dass  die 
Vereinigung  beider  Beobachtungen  erst  der  Wahrheit  entsprechen  wird. 

400  grm.  Traubenzucker  wurden  mit  der  entsprechenden  Menge 
Baryt  behandelt,  die  erst  auftretende  Abscheidung  entfernt  und  aus 
dem  Filtrate  der  Baryt  durch  SO^  genau  ausgeföUt.  Die  vom  schwefel- 
sauren Baryt  befreite  Lösung  wurde  in  der  Retorte  gekocht.  Im  Anfang 
destiUiren  nur  Spuren  der  Säure  über,  später  aber  grössere  Mengen.  Da 
zuletzt  die  dicklich  werdende  Flüssigkeit  in  der  Retorte^  über  der  freien 
Flamme  erhitzt,  leicht  spritzt,  so  setzt  man  diese  am  geeignetsten  in  ein 
Paraffinbad  und  destillirt  so  bei  ca.  1  iO^C,  so  lange  noch  Säure  übergeht. 

In  der  Retorte  hinterbleibt  dann  eine  schwarzbraune  zähflüssige 
Masse ,  die  sich  nur  allmälig  bei  Zusatz  von  Wasser  wieder  auflöst. 
(War  freie  Schwefelsäure  zugegen ,  so  scheiden  sich  bald  in  der  Lö- 
sung dunkle  Massen  von  unlöslichen  Huminkörpern  ab^;  dabei  scheint 
die  Ausbeute  der  überdestiUirten  Säure  grösser  zu  werden,  vielleicht 
blos  von  mehr  gebildeter  Ameisensäure.) 

Das  Destillat  ist  farblos  und  zeigt  noch  den  penetranten  Geruch 
des  flüchtigen  Oels ;  dieser  rührt  nicht  von  der  Säure  her ,  welche  rein 
nur  angenehm  sauer  riecht.  Bei  Sättigung  mit  einer  freien  Basis  färbt 
sich  das  Destillat  gelb.  Diese  Färbung  wird  beim  Eindampfen  stärker 
und  es  scheiden  sich  dabei  schwarze,  theerartige  Substanzen  ab,  die 
wahrscheinlich  auch  nur  Zersetzungen  des  beigemischten  riechenden 
Körpers  sind.  Die  mit  Kali  neutralisirte  Säure  giebt  nach  dem  Ein- 
dampfen sehr  hygroskopische  Krystalle,  die  sich  schwer  reinigen  lassen 
von  den  anhängenden  gefärbten  Bestandtheilen.   Mit  Baryt  neutralisirt 


^)  8.  auch  VöLCUL,  Annal.  d.  Chem.  u.  Pharm.  Bd.  85,  89. 

Bd.  Y.  8.  %% 


326  H.  Reinhardt, 

erhilit  man  ziemlich  fesle,  leichter  zu  reinigende  RrysLallis 
sind  in  Wasser  löslich,  ziemlich  unlöslich  in  starkem  Alkohol,  weldier 
sie  aus  der  wiusrigen  Lüsung  kryst^llinisch  ausfällt.  Auch  nach  mehr- 
maligem Umkryststlisiren  blieben  die  Krystalle  noch  etwas  gefärbt;  ihre 
wüssrige  Lösung  reducirte  leicht  Silbetsalze. 

0,2i09  grm,  der  über  Schwefelsäure  getrockneten  Krystalle  gaben 
0,2449  grm.BaO,  SO' 

0,S337  grm.  gaben  0,0478  grm.  CO^  u.  0,0848  grm.  UO 

her.  gaf. 

BaO  67,40  66,74 

C^  10,57  10,78 

H  0,88  t,16 

03  s^,^4  «1,32 

Die  Analyse  sowie  auch  das  anderweitige  Verhalten  zeigt,  dass  die 
Krystalle  vorwiegend  aus  ameisensaurom  Baryt  bestanden. 

Kawalieh  fand  mehr  KohlensUiß'  und  weniger  Baryt  und  bereohnete 
seine  Analyse  auf  üBrO,  C^H^O^  und  RocaLEDBR  glaubt,  dass  es  eine 
Verbindung  einer  gepaarten  Säure  —  Ameisen  essigsaure  —  sei.  Doch 
die  von  ihnen  angeführte  Analyse  stimmt  mit  der  tbeoretisoben  Formel 
nicht  und  so  vermullicte  icli,  dass  hier  zwei  Silureu  vorliegen,  die  an 
Baryt  gebunden  in  verschiedenen  Verbältnissen  unter  einander  krystalli- 
siren.  Die  eine  war  unbedingt  Ameisensäure.  Ich  suchte  sie  zu  ent- 
fernen durch  Kochen  des  ursprünglichen  Destillats  mit  Quecksilberoiyd. 
Dies  geleng  auch;  unter  Entweichen  von  Kohlensäure  wurde  das  Queck- 
siiberoxyd  leicht  zu  metallischem  QuedLsilber  reducirt.  Die  Lösung 
blieb  noch  stark  sauer  und  enthielt  etwas  Quecksilbcroxydul.  Bei  dem 
langsamen  Verdunsten  der  Flüssigkeit  scheiden  sich  aber  nicht  Krystalle 
in  Füttern  aus,  wie  es  bei  Gegenwart  von  essigsaurem  Quecksiiber- 
oxydul  geschehen  musste.  Durch  Barylwasser  wurde  das  Quecksilber- 
oxydul ausgefillll.  Die  eingedampfte  Lösung  zeigte  über  Schwefelsaure 
getrocknet  nur  wenig  Neigung  zur  Krysteltisation;  es  trocknete  der 
grösste  Theil  zu  einer  gummiäbnlichen,  wenig  gefärbten  Masse  ein. 
Wurde  diese  mit  concentrirler  Schwefelsäure  befeuchtet,  so  entwickelte 
sich  zwar  der  saure  Geruch  einer  Uüchtigen  Säure,  aber  nicht  der 
eigenthUmliche  der  Essigsäure  Beim  Zusatz  von  Alkohol  und  Erwärmen 
dieses  Gemisches  entwickeile  sich  ein  sehr  angenehmer  ätherischer  Ge- 
ruch, der  aber  nicht  dem  der  Essigsäure  ähnelte.  Eine  concentrirle 
Losung  dieses  Barytselzes  gab  mit  salpelersaurcm  Silberoxyd  keinen 
Niedcrschiag ,  aber  mit  verdünnter  Eisen ohloridiäsuag  eatäljuid  eine 
ganz  ahnliche  Färbung,  wie  sie  ein  essigsaures  Salz  hervorruft. 

Die  bei  lOO"  C.  getrocknete  BarytverbindUDg  wurde  untersucht. 


Ueber  die  Zersetznngaprodncte  des  Tranbensaekers  etc.  327 

0,980  grm.  gaben  0,1995  grm.  BaO,  SO^ 
0,930  gnn.  gaben  0,145  grm.  CO?  n,  0,0666  grn^.  BO. 

ber.  gef. 

8BaO  57,05  57,45 

C«  18,18  18,12 

W  ?,65  8,67 

0^  «1,91  94,76 

Dies  wäre  die  Zu^ammensetnung  d^s  essigsauren  Barytes  mit  y^  QO 
:»=»  BaO,  C^H^O^^VaHO.  Dieses  Wasser  entweicht  b^i  starrerem 
Trocknen ;  eine  andere  Probe,  neu  dargestellt,  gab  nach  dem  Trocknen 
bei  420«  C.  60, 06%  BaO  (0,149  grm.  gabeii  0,1  OW  gW-  BaO,C02). 
BaO,  C^H^O»  erfordert  60,03% BaO. 

Eine  dritte  Zersetzung  ergab  ein  BarytiSalz  von  folgender  Zu- 
sammensetzung : 

0,1865  grm.  gaben  0,1335  grm.  BaO,  CO^,  0,0906  grm,  CO^  u. 
0,050  grm,  HO  ^  55,60  7o  BaO,  4 7,57 G  u.  9,95  H, 

BaO  5$,e0  ßaO  56,0 

C  17,57  C*  17,6 

H  9,95  H*  9,9 

O  93,88  04  f53,5 

Diese  letzte  Analyse  stimmt  vollstfiindig  zu  der  Formel  von  BaO, 
C4H3  03  +  HO,  jedaob  entweicht  da3  eine  Atom  Wasser  nicht  bei  i  OO^C. 
und  stimmen  auch  sonst  die  mehrfach  wiederholten  Reactionen  nicht 
mit  denen  der  Essigsäure  ttberein,  namentlich  nicht  bei  der  Bildung  des 
Aethers  auf  bekannte  Weise. 

Die  von  Muinya  werst  untersuchte  Apoglucinsäure  findet  sich,  wie 
erwähnt,  in  dem  Destillationsrttokstande.  Dieselbe  Sänr^  bildet  sich 
fast  stets  auch  beim  Eindampfen  der  Qlujcinsä^re  oder  ihrer  Salze  bei 
etwas  erhöhter  Temperatur. 

Am  besten  erhält  man  die  ApoglucinsäuJH3  nach  der  Vorschrift  von 
MoLDBft,  wenn  zersetzte  Glucinsäure  mit  Kreide  neutralisirt,  dann  bis 
zur  Syrupoonaistenz  eingedickt  uud  mit  All^ohol  versetzt  wird.  Es  fällt 
dann  ein  flockiger  brauner  Niederschlag,  der  nach  einigem  Stehen  sich 
als  zusammenhängende,  klebrige  Mßsse  am  Boden  fes^tsetzt  und  ^  leicht 
durch  Abgiessen  der  glucinsauren  Kalk  enthaltenden  Spirituosen  Lö- 
sung fttf  sich  erhalten  werden  kann.  Diese  abgeschiedene  Masse  löst 
man  in  Wasser ,  fällt  mit  Bleizuckerlösung  und  zersetzt  den  erhaltenen 
braunen  Bleiniederschlag  mit  Schwefelwasserstoff« 

Die  so  erhaltene  Apoglucinsäure  hatte  im  Wesentlichen  die  Eigen- 
schaften ,  welche  Muldbi  für  sie  angiebt.    Ich  ftthre  deshalb  ««-  •*'*'*** 


'$2ä  H.  Keirliftrdi,  ^^^r 

einige  wesentliche  Reactionen  an.  Baryt-  und  Kalkwasser  ^eben  mit  ihr 
graubraune  Niederschläge.  Eisenchlorid  giebl  eine  SchwarzbiaueFalluitg, 
welche  auch  bei  Zusatz  von  etwas  Essigsüure  bleibt.  Alaunlttsung  giehi 
in  coucentrirten  Losungen  einen  leicht  löslichen  Niederschlag  von  apo- 
glucinsaurer  Tbonerde.  Essigsaures  Kupfeioxyd  giebt  nur  einen  ge- 
ringen braunen  Niederschlag,  welchen  wenig  Natronlauge  wieder  auf- 
löst; diese  Lösung  giebt  auch  beim  Erhitzen  keine  Reduclion.  Silbersalze 
geben  einen  graubraunen  Niederschlag,  welcher  beim  Trocknen  eine 
grünliche,  metallisch  gitinzende  Farbe  zeigt  und  dann  wohl  zum  Tfaeil 
reducirt  ist. 

Die  Lösung  der  Apog  lucin  saure  reagirl  sauer  und  ist  braun,  Alka- 
lien färben  sie  dunkler.  Die  getrocknete  Saure  ist  in  Alkohol,  wenig  in 
Aether  lüslich  und  stellt  ein  braunes,  wenig  hygroskopisches  Pulver  dar, 
welches  beim  Erhitzen  auf  dem  Platinblecb  sich  wenig  auflilüht  und 
schwierig  verbrennt. 

Die  bei  IO0"C.  getrocknete  Süure  wurde  untersucht.  0,3i86  grm, 
gaben  ö,599ö  grm.  CO*  und  0,1519  grm,  HO. 

0,0032  grm,  unverbrannter  C  hinterblieben  auf  dem  ScbifTchen. 

C'8  52,17  58,01 

H'i  5,31  5,30 

0"  t2,51  42,69 

Diese  Analyse  entspricht  der  Zusammensetzung 

C'aH'iO'i. 
Bei  höherer  Temperatur  entweicht  noch  Wasser. 
0,1788  grm.  verloren  bei  125"  C.  0,0073  grm.  HO  =  *,08% 
bei  tiOoC.  0,0165  grm.  HO  =  ^,20%. 
Die  Formel  G'SH'iOi'  erfordert  für 

1  Aeq.  HO  :  i,3i% 

2  Aeq.  HO:  8,70%  Verlust. 

Demnach  würde  die  Zusammensetzung  dieser  Saure  bei  1 40  C.  sein 
C'^H^O*.  HuLDER,  welcher  die  bei  ISO^C.  getrocknete  Säure  unter- 
suchte, fand  C'8H"0i<';  er  spricht  aber  schon  die  Vermuthung  aus, 
dass  sie  bei  höherer  Temperatur  wohl  noch  1  At.  Wasser  verlieren 
würde.  Diese  Vermuthung  ist  durch  vorliegende  Wasserbestimmung 
bestätigt  worden. 

Merkwürdigerweise  giebt  MutoEi  aber  der  SSure  die  wasserstofT- 
reichere  Formel  C^*H"0">.  Völckel' weist  schon  darauf  hin,  dass  seine 
Analyse  besser  auf  C"BH"0"  slimml. 


1)  AüdbI.  der  Cbem.  u.  Pliarm.  [ISSSj  SB,  Bi 


Deber  die  Zersetsungsprodncte  des  Tranbenxnckers  ete.  329 

Das  von  Muldbr  erhaltene  wasserfreie  Bleisalz  hatte  die  Zusammen- 
setzung PbO,  C*8H8  08.  Demnach  würde  die  von  mir  untersuchte  Säure 
wohl  die  theoretische  Formel  C^shsosh-  3H0  haben. 

Die  Reactionen  der  Apoglucinsäure  ähneln  sehr  der  zuerst  be- 
schriebenen Saccharumsäure.  Von  dieser  ist  aber  die  Apoglucinsäure 
durch  die  Art  der  Entstehung ,  dadurch  dass  sie  Eupfersalze  nicht  re- 
ducirt  und  besonders  durch  ihre  Zusammensetzung  unterschieden. 

Da  die  Untersuchung  der  Apoglucinsäure  ausserdem  nur  wesent- 
lich das  bestätigt ,  was  schon  Mulder  von  ihr  angiebt,  so  wurde  sie  bis 
auf  das  Angeführte  beschränkt. 

Die  Bildung  der  Apoglucinsäure  aus  der  Glucinsäure  bei  gleich- 
zeitigem Auftreten  der  Ameisensäure  und  einer  der  Essigsäure  isomeren 
flüchtigen  Säure  lässt  nun  eine  einfache  Erklärung  zu. 
1  Aeq.  Glucinsäure  =s  C^^H^ßOi»  zerfällt  in 

Apoglucinsäure   C^^h»  0^ 
Ameisensäure  C^  H    0^ 

Essigsäure  C^  H^  0^  und 
4  Aeq.  Wasser        H^  0* 

C24H16  0« 


Die  Resultate  meiner  Arbeit  dürften  demnach  folgende  Ergebnisse 
erweisen  : 

Traubenzucker,  sowohl  der  rechts  drehende  krystallisirbare  wie 
der  links  drehende  unkrystallisirbare,  erleiden  in  wässriger  Lösung 
durch  Alkalien  bei  gewöhnlicher  Temperatur  langsam,  bei  bis  zu  SO^G. 
erhöhter  sofort  eine  Zersetzung.  Milchzucker  wird  unter  gleichen  Um- 
ständen schwieriger  und  erst  bei  ca.  90<^G.  zersetzt. 

Die  Zersetzungsproducte ,  wenigstens  des  Traubenzuckers,  sind 
hierbei:  Saccharumsäure  von  der  Zusammensetzung  C^^H^O^,  die  schon 
bekannte  Glucinsäure,  welcher  die  Formel  G^^H^^O^^  zukommt  und  ein 
nicht  näher  bestimmter  flüchtiger  Körper  (Aceton?). 

Von  den  Verbindungen  der  Saccharumsäure  wurden  folgende  dar- 
gestellt: 

Wasserhaltige  Säure  »  C^^H«0»+3H0 

2BaO,  Gi4H«08  +  2HO 
2BaO,  C"H«0«  +  6H0 
2CuO,  C^*H«08  +  4HO 
2PbO,  Ci4H«08  +  HOund 
3PbO,  Ci4H«08. 


330  H.  ReidiArdt, 

Yon  der  Glucitisäüre  Würdetk  dargestellt :  die  wads^h&ltige  Säure 
CMBi60i«uf.6H0  4^«äq. 

fertoet  3BöO,  8  (C^B^^O«)  -».9H0 
BaO,  C24HWOW-f.6HO 
3BäÖ,  C84Hi«0*8 

CaP,  G24HWOi8-h5HO 
4MgO,  CSWHi«0*8^2HO 
A120»,  CWH>«0^8 
3FeO,  C«Hi«0W-h6H0und 
6PbO,  C24H1Ö018. 
Die  Gluoittötttire  eerseUt  sich  leicht  beifti  Erhitsen  ihrer  wassrigen 
Losung  in  Äfyoglucitiseiure,  Ameisensaure  und  «iner  der  Essigsaure  iso- 
meren flüchtigen  Saur^.   Das  barytsale  der  leteteren  wurde  untersucht 
und  entsprach  bei  1^^  G.   getrocfknet  der  Zusammensetaung   BaO, 
C4H3  03. 

Von  der  Apoglucin^ure  ^ürde  die  Säure  dargestellt;  bei  lOOoC. 
getrocknet  entspri^t  !sie  der  tfaeoretilsdieu  Pormel  C^^H^Os+  3  HO. 

Nachschrift  von  E.  Reichardt. 

Die  Untersuchungen  der  ZersetzUngsproducte  des  Zuckers  durch 
Sauren  oder  Alkalien  sind  deshalb  so  schwierig  und  gewiss  auch  un- 
voUistandig  erkannt,  weil  tfie^iben  &o  äusserst  l^cht  veränderlicher 
Natur  sind,  so  rasch  in  die  Form  der  sog.  Humusmaterien  übergeben. 

Die  von  tnisinem  Bruder  hier  gebotenen  Resultate  «seiner  Forschun- 
gen «rwevsen  «nerst  eine  Saure,  wel<chfe  in  Zusammensetaung  und  che- 
mischem Vetlialten  mit  den  als  Spa!ltungst)roduct  auftretenden  Säuren 
der  Gerbsaure  sehr  viel  gemeinsameB  zeigt,  ich  habe  sie ,  da  der  Name 
Zucker  in  vielfacher  Gombination  sction  zu  Sauren  u.  dergl.  verwendet 
wurde,  einstweilen  Sacchdrumsaure  benannt,  um  den  Ursprung  in  der 
Bezeichnung  fbst  zti  haltet. 

Wie  viel  ven  Saccharutaisäure  und  Glucinsaure  bei  dieser  Zer- 
setzung des  Traubenzuckers  entstehen,  ist  nldit  gut  zn  entscheiden,  da 
die  Trennuvg  beider ,  wie  gewt$hnlieh ,  nur  sehr  unvollständig  ausge- 
führt werden  kann ;  scheinbar  entsteht  weit  mehr  Glucinsaure. 

Beide  Sauren,  Saccharumsüure  »  G^^H^O^  und  Glueinsaure, 
C24gi60iB^  sind  sauerstoffreicher  als  das  Kohlehydrat  Zucker;  da  kein 
Sauerstoff  bei  der  Zersetzung  aufgenommen  wird ,  so  müssen  sauer- 
stoffarme Producte  noch  entstehen.  Vielfedbe  Versuche  führten  aber  zu 
nichts  Anderem ,  als  zu  dem  schon  erwiesenen  Vorkommen  von  Aceton 
oder  dem  ahnlichen  flüchtigen  Kdrpem. 


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Deber  die  Zetsetznni^sprodiiete  des  Tranbenznckers  etc.  331 

Ohne  damit  die  Zersetzung  selbst  genauer  ausdrücken  zu  wollen, 
kann  man  schon  durch  diese  Combination  zur  Formel  der  Kohlenhydrate 
gelangen,  z.  B. : 

i  Aeq.  Saccbarumsäure  «  C**H«  O® 
—      Glucinsäure         =  C^^HiöO^» 
2  Aeq.  Aceton  =  C«  H«  O^ 

C44H28028 

wofür  noch  die  leichte  Verflüchtigung  des  Acetons  sprechen  könnte ,  so 
dass  die  grö$ste  H«pg6  dess^lb^n  «ebr  leicbt  dar  Untersuchung  entgehen 
dürfte;  jedenfalls  soll  diese  Zusammenstellung  nur  als  Andeutung  die- 
nen ,  um  bei  weitergehenden  Prüfungen  beachtet  zu  werden. 


Heber  das  filiedmiuseiskelet  der  EMli«8iiirier. 

Von 

C.  Oegenbanr. 


Hierzu  Taf.  XII!. 

Das  Skelet  der  EDaliosaurier  gebärt  zu  den  nicht  allzu  zahlreichen 
fossilen  WirbeJthier-Resten,  welche  sowohl  in  grösserer  Vollständig- 
keit sich  erhallen  haben,  als  auch  in  verhSiltnissmassig  reicher  An- 
zahl zur  Untersuchung  gekommen  sind.  Dem  entspricht  die  ausgedehnte, 
jene  Organiamenreste  betreffende  Literatur ,  in  welcher  nicht  blos  viele 
und  genaue  Beschreibungen,  sondern  auch  manche  vergleichende  ür- 
thcile  niedergelegt  sind.  Am  wenigsten  kann  letzteres  bezüglich  der 
Skelete  der  Gliedmaassen  gelten,  die  einerseits  durch  ihre  oft  vortreff- 
liche Erhaltung,  durch  die  sie  vor  den  fossilen  Gliedmaassen resten 
anderer  Reptilien  ausgezeichnet  sind,  andererseits  durch  vieles  in  Zahl, 
Form  und  Lagerung  ihrer  einzelnen  Theile  ausgesprochene  EigentbUm- 
liche  dio  vergleichende  Prüfung  herausfordern. 

Eine  solche  Prüfung  ist  von  mir  bezilglich  der  Vordergliedmaassen 
versucht  worden ,  wobei  mehrfache  Beschreibungen  und  bildliche  Dar- 
stellungen der  HauptreprSsentanten  als  Unterlage  gedient  haben.  Die 
Ergebnisse  dieser  Untersuchung  mögen  in  Folgendem  vorgelegt  werden. 
Sie  dürfen  in  gleicher  Weise  auch  auf  die  hintere  Extremität  Anwen- 
dung finden,  da  diese  die  ursprüngliche  Uebereinstimmung  mit  den 
Vordergliedmaassen  nur  in  wenigen  ganz  untergeonlneten  Punkten,  wie 
z.  B.  in  der  GrBsse,  modiScirt  besitzt. 

Ichthyosaurier. 
Die  Gliedmaassen   der  Ichthyosaurier  werden   bekanntlich  durch 
eine  sehr  grosse  Anzahl  einzelner  Knochenstücke  gebildet,   die  nicht 
seilen   noch    in    ihren    gegenseitigen    Lager ungsbezi eh un gen   so  voD- 


Ueber  das  Giiedmiuissenskelet  der  Enaliosaurier.  333 

ständig  erbalten  sind,  dass  der  einem  Deutungsversuche  der  ein- 
zelnen Theile  etwa  gemachte  Einwand  der  Unvollständigkeit  nicht  als 
stichhaltig  gelten  kann.  Dieses  gilt  wenigstens  für  den  bei  weitem 
grössten  Theil  des  Skeletcomplexes ,  und  wenn  auch  am  distalen  Ab- 
schnitte Lösungen  in  der  Verbindung  bestehen,  oder  die  einzelnen 
Stücke  aus  ihrer  Form  eine  unvollständige  Verknöcherung  und  damit 
auch  eine  nicht  vollkommene  Erhaltung  erschiiessen  lassen ,  so  spielt 
gerade  dieser  Abschnitt  für  die  vergleichende  Untersuchung  eine  ganz 
untergeordnete  Bolle. 

Das  allgemeine  Verhalten  der  gesammten  zu  einer  Flosse  geformten 
Gliedmaasse  spricht  sich  in  einer  geringen  Differenzirung  in  einzelne 
grössere  Abschnitte  aus ,  so  dass  die  einzelnen  Skeletstttcke  bei  einem 
Vorkommen  in  grösserer  Anzahl  nur  wenig  von  einander  sich  unter- 
scheiden. Nur  Ein  Knochen  macht  davon  eine  Ausnahme,  jener,  der  die 
Gliedmaasse  dem  bezüglichen  Gürtel  anfügt  und  zweifellos  als  Humerus 
für  die  Vordergliedmaasse ,  als  Femur  für  die  hintere  Gliedmaasse  ge- 
deutet worden  ist. 

Verfolgen  wir  das  Verhalten  an  den  Vordergliedmassen  weiter,  so 
finden  wir  nach  jenem  ersten  grösseren ,  durch  eine  Einschnürung  am 
Mittelstucke  ausgezeichneten  Knochen,  stets  zwei  kleinere,  die  ganz  den 
Charakter  der  übrigen  tragen ,  wenn  nicht  einer  von  ihnen  durch  eine 
laterale  Einkerbung  ausgezeichnet  ist.  Cuvier^  hat  sie  gewiss  mit 
vollem  Rechte  als  Radius  und  Ulna  bezeichnet  und  ist  damit  jenen  Ana- 
tomen entgegengetreten,  welche  glaubten,  dass  der  Vorderarm  den 
Ichthyosauren  fehlte.  Da  nun  die  nachfolgenden  Knochenstücke ,  wenn 
auch  kleiner,  doch  jenen  beiden  Knochen  ähnlich  sind,  bemerkt  er, 
dass  der  Vorderarm  thatsächlich  die  erste  Reihe  eines  Carpus  zu  bilden 
scheine.  Die  Bestimmung  je  eines  dieser  beiden  Knochen  als  Radius 
oder  Ulna  ergiebt  einige  Schwierigkeiten,  da  beide  Seiten  des  Armske- 
lets  sich  häufig  ziemlich  gleichartig  verhalten ,  und  aus  dem  Verhalten 
der  Knochen  selbst  keineswegs  häufig  ein  fester  Anhaltepunkt  gewonnen 
werden  kann.  Es  ist  somit  erklärlich,  dass  nicht  immer  der  gleiche 
Knochen  als  Radius  oder  Ulna  gedeutet  ward.  Als  Kriterium  möchte  ich 
das  Verhalten  des  Handskeletes  gelten  und  aus  diesem  zuerst  Radial- 
und  Ulnarseite  bestimmen  lassen,  besonders  in  jenen  Fällen,  wo  die 
Vorderarmknochen  einander  gleich  sind.  Den  durch  eine  Reihe  kleiner 
Knochenstückchen  ausgezeichneten  Rand  sehe  ich  als  den  ulnaren  an. 
Diese  Knochen  finden  sich  in  verschiedener  Ausdehnung  aufgereiht, 
meist  ausserhalb  der  am  Vorderarm  beginnenden  Reihe  gelagert.   Die 


ij  Ossomens  fossiles,  4  Edit.  Tome  X.  $.487. 


334  C.  Gegeobiuir, 

Gründe  für  diese  Deutung  liegen  in  der  Thatsache,  dass  das  F?(tremi— 
IHtenskelet  niederer  Wirbelthiere  radial  einen  bestimmten  Abscbluss, 
ulnar  dagegen  eine  sehr  veränderliobe  Zahl  von  es  zusammensetzenden 
TbeiIeD  besitzt.  Im  Verlaufe  dieses  Aufsatzes  wird  mebrfacb  nSher 
bierauf  eingegangen  werden  müssen. 

Wenn  bis  hierher  die  vergleichenden  Beziehungen  nicht  gut  ver- 
kannt werden  kSnnen ,  so  ist  der  folgende  Theil ,  und  damit  die  ganze 
übrige  Gliedmaasse  st^wieriger  zu  verstehen ,  zumal  auch  hier  nach 
den  einzelnen  Arten  manche  und  bedeutende  Verschiedenheiten  statt- 
finden. Bei  der  von  Cdvibb  beschriebenen  Form  folgen  auf  drei  als  erste 
Reibe  des  wahren  Carpus  angesprochene  Knochen  zwei  Reihen  von  jr 
vier  StOoken,  welche  CuTin  als  zweite  Reihe  des'^^arpus  und  als  Afeta- 
carpusreihe  aufzufassen  schein^,  da  er  di«  Knochen  platten  reihen  des 
Übrigen  Abschnittes  als  den  Phalangen  einer  Delphinäosse  vergleichbar 
bezeichnet. 

Während  Gvtibh,  die  Vei^leichung  ganz  im  Allgemeinen  haltend, 
Beziehungen  zu  höheren  Wirbeltbieren  anzudeuten  scheint,  wird  von 
OwiK  <  vielmehr  eine  Pischähnlichkeit  nachzuweisen  versucht.  Die 
Wflsentliobsle  Verschiedenheit  von  der  Flosse  eines  Fisches  findet  Owbh 
—  abgesehen  von  dem  Schult«rgttrtel  —  in  dem  wohlentwickelten 
Humerus.  Dagegen  haben  nach  demselben  Forseber  die  Vorderarm- 
knochen in  Kurze  und  Breite  die  Fischähnlichkeit  bewahrt,  und  ebenso 
sind  Tacb  demselben  die  uiehrfacben  —  sieben,  acht  oder  neun  — 
Finger  durch  ihre  zahlreichen  kurzen  GliedstUcke  ein  bezeichnendes 
Merkmal  der  Verwandtschaft  mit  den  Fischen.  F.s  wird  genügen,  diese 
beiden  Autoren  aufgeführt  zu  haben ,  um  zu  zeigen ,  dass  die  Ver- 
gleicbung  sich  nur  ganz  im  Atigemeinen  bewjgt.  Andere  haben ,  so- 
weit mir  bekennt,  nichts  wesentlich  Neues  kundgegeben.  Jene  Art  der 
Vergleit^ung  muss  aber  den  heutigen  Anforderungen  ungenügend  er- 
scheinen ,  so  sehr  CvmER's  Urtheil  für  seine  Zeit  werthvoll  gewesen  ist. 
Wir  beben  uns  zu  erinnern,  dass  wir  es  im  Carpus  nicht  mit  einer  be- 
liebigen Zahl  von  Skelettheilen ,  sondern  mit  ganz  bestimmten  Theilen 
zu  thun  haben,  die  zwar  vielfadi  verändert,  ruckgebildet,  verschmolzen, 
ja  seger  theilweise  versdiwunden  sein  können ,  die  aber  für  all'  Dieses 
bestimmte  Nachweise  verlangen. 

Der  Versuch  jener  Beurtheilung  der  einzelnen  Stücke  könnte  mit 
der  Bestimmung  des  Carpus  beginnen,  oder  der  Frage,  welcher  Theil 
des  reichen,  auf  die  beiden  Vorderarmknodien  folgenden  Gomplex«£ 


lieber  das  GliedmaasseiiBkelet  der  Enaliosanrier.  335 

von  mosaikartig  aneinander  gefügten  Enochenplatten  als  Carpus  anzu- 
sehen sd.  Die  Anwendung  des  üblichen  anatomisohen  Begriffes  des 
Carpus  als  eines  zwischen  Mittelhand  und  Vorderenn  eingefügten ,  aus 
meist  kleinen  Knochen  zusammengesetzten  Abschnittes,  ist  unausführ- 
bar ,  eben  weil  auch  ein  Metacarpus  nicht  an  sich  unterscheidbar  ist, 
sondern  wiederum  die  Kenntniss  des  carpalen  Abschnittes  voraussetzt. 
Da  also  weder  Carpus  noch  Metacarpus  von  einander  morphologisch  ge- 
sondert sind,  sowie  auch  der  den  Phalangen  entsprechende  Endabschnitt 
nicht  von  einem  Metacarpus  differensirt  erscheint ,  so  liegt  die  Berech- 
tigung vor,  diese  sämmtlichen  Theile  als  noch  im  Zustande  der  Indif- 
ferenz befindliche  anzusehen.  So  richtig  diese  Auffassung  an  sich  ist, 
so  wenig  kann  sie  befriedigen ,  und  auf  keinen  Fall  führt  sie  die  Er- 
kenotniss  aber  die  bereits  von  Cutier  gesteckte  Grenzmarke  der  Ver- 
gleichungv  Wir  werden  uns  also  einen  anderen  Weg  suchen  müssen, 
um  jene  Grenze  glücklich  &u  überschreiten. 

Die  Beachtung  des  hervorgehobenen  Zustandes  der  Indifferenz,  in 
wekhem  selbst  noch  die  deutlichen ,  in  ihrem  morphologischen  Werthe 
erk^inbareD  Theile^  wie  z.  B.  die  YorderarmstüdLe,  stehen,  weist  uns 
auf  dnen  niederen  Zustand.  Dahin  weist  auch  das  Schwankende  in 
der  Zahl  der  sogenannten  Phalangenreihen  bei  den  einzelnen  Arten, 
sowie  die  Verbindung  der  einzelnen  Stücke,  welche  das  gesammte 
Annskelet  zu  ein«m  einzigen ,  nur  als  Ruder  wirkenden  Organe ,  zu  « 
einer  Flosse,  zusammenfügte,  keinem  Abschnitie  eigenartige  Leistungen 
gestattende.  Von  den  Amphibien  aufwärts  treffen  wir  dagegen  jene 
Sonderlingen  ausgeprägt;  auch  da,  wo  der  Arm  zur  Flosse  geworden 
functfonell  auf  eine  niedere  Stufe  tritt^  fehlen  sie  nicht;  das  Armskelet 
der  Cetaoeen ,  wohl  die  niederste  Skeletbildung  unter  den  höheren 
Wirbeltfaieren ,  da  sie  sogar  der  Gielenke  entbehrt,  trägt  unverkennbar 
jeneScbeiduQg  in  die  einzelnen  bei  Ichthyosaurus  vermissten  Abschnitte, 
und  erweist  sich  dadurdi  als  Rückbildung  aus  einem  höher  differen-* 
zirten  Zustande,  die  mit  der  Ichthyoeaurenflosse  zu  vergleichen  heutzu- 
tage isin.  grosser  irrthum  wäre. 

Ausser  diesen  allgemeinen  Verhältnissen  verbieten  audi  die  spe- 
dellea  Beziehungen  eine  Vergleichung  mit  den  höheren  Abtheilungen 
der  Vertebraten.  In  der  ersten,  den  beiden  Vorderarmknochen  folgenden 
Reihe  sind  drei,  in  der  darauf  fügenden  fast  immer  vier  Knochenstücke 
g^agerL  £in  ähnlidles  Verhalten  bielet  sich  nur  bei  manchen  Säuge- 
thienendar,  «ad  ist  de  «Is  ein  erworbenes  anzuseilen,  theib  durch  Ver- 
schmelsitoig  zweier  Slücke  der  aweiten  Reihe,  theils  durch  Ausfall  eines 
zwischen  beiden  Reihen  igelagerten ,  von  mir  als  Centrale  bezeichneten 
Knochens.  ^ "^  '        ^  ^-^  Säugetiuerefn  in  wenigen  Abtheifaingen 


verbreitet  vorkommt.  Man  sehe  hierüber  das  zweite  Heft  meiner  Unler- 
suchungen  zur  vergleichenden  Anatomie.  Leipzig  1 860.  Da  ein  solches 
Centrale  die  Verknüpfung  des  Säugethiercarpus  mit  jenem  von  Reptilien 
und  Amphibien  vermittelt,  und  sein  Mangel  bei  einzelnen  SSugetbierord- 
nungen  nur  als  ein  secundSrer  zu  gelten  bat,  wird  sein  anscheinendes 
Fehlen  bei  Icfathyosauren  nicht  zu  einer  Vergleichung  mit  jenen  Sfiuge— 
thieren  induciren  dürfen,  es  wird  vielmehr  die  Frage  entstehen,  ob 
denn  dieAuffassungjener  beiden  aus  drei  und  vier  Knochen  besiehenden 
Reihen  als  Garpus  Überhaupt  richtig  ist.  Der  Zustand  der  Indifferenz, 
in  welchem  sich  fast  das  ganze  Armskelet  findet,  gestattet  die  vorläufige 
Annahme  der  HSglichkeit,  dass  auch  mehr  als  zwei  Reihen  zum  Carpus 
gehören  kannen.  Bei  Amphibien  (Urodelenj  und  Reptilien  (Schild- 
kröten) ist  von  mir  gezeigt  worden ,  dass  die  Anordnung  der  Carpus— 
stücke  in  Querreihen  nicht  dem  ursprünglichen  Zustande  entspricht,  so 
dass  bei  jeder  Vergleichung  von  der  Querreihenbildung  gänzlich  abge- 
sehen werden  kann. 

Nachdem  somit  alle  nach  oben  führenden  Wege  der  Vergleichung 
abgesperrt  sind ,  müssen  wir  uns  nach  unten  wenden ,  um  dort  nach 
neuen  Vergleichungsobjeclen  zu  suchen.  Oven  bat  bereits  diese  Bahn 
zu  betreten  versucht,  ohne  jedoch,  wie  oben  bemerkt,  zu  positiven  Er- 
gebnissen gekommen  zu  sein ,  denn  der  Nachweis  der  Fischähnlichkeit 
.  im  Baue  des  Armskelels  der  Ichtbyosauren  stützt  sich  fast  ausschliesslich 
auf  Zustande,  die  aus  Anpassungen  hervorgingen,  und  nur  auf  die 
functionellen  Verhältnisse  des  Armes  Bezug  haben.  Es  wird  sogar 
nachzuweisen  sein,  dass  die  meisten  jener  EigenÜiümlichkeiten  gar 
nicht  dem  DFischtypus«  als  solchem,  sondern  nur  einer,  hinsichtlich  der 
Gliedmaassen  sehr  einförmigen  Abtheilung  (Teleostier)  angehorig  sind. 
Die  Sonderung  des  secundären  Flosse nskelets  vom  primären,  um  welches 
es  sich  hier  allein  handeln  kann,  lehrt  in  den  Gliedmaassen  der  Teleostier 
wiederum  durch  Rückbildung  modificirte  Zustande  kennen,  die  durch 
die  Ganoiden  zu  den  Selachiern  verfoigbar  sind.  Bei  letzteren  ist  der 
vollständige  Zustand  des  Skeleles  der  Gliedmaasse  vorbanden,  der  in 
jenen  anderen  Abtheilungen  stufenweise  Rückbildungen  erfährt,  wie  ich 
früher  (Untersuchungen  %.  vergt.  Anatomie  Heft  II.)  ausführlich  nach- 
gewiesen habe.    Somit  blieben  uns  nur  die  Selachier. 

Im  Baue  der  Selachierflosse  gab  sich  als  durchgreifende  Einrich- 
tung das  Vorkommen  einer  —  oder,  wie  bei  den  Rochen,  mehrerer  — 
Reihen  von  Enorpelstücken  zu  erkennen,  welche  andere  EnorpelstOcke, 
Radien,  an  sich  aufgereiht  tragen.  Nach  der  Lagerung  der  drei  typi- 
schen BasalstUcke  habe  ich  das  gesammte  Flossenskelet  in  drei  Ab- 
schnitte, Pro-,  Heso- und  Helapterygium ,  unterschieden;  das  letztere 


Deber  das  Gliedauuissenskelet  der  Enaliosaarier.  337 

ist  der  allen  Selachiern  zukomoiende,  bei  den  Haien  der  überwie- 
gende Theil  des  Skelets.  Man^kann  an  ihm  eine  von  dem  die  Verbin- 
dung mit  dem  Scbultergürtel  vermittelnden  Basalstücke  ausgehende 
Stamm-  oder  Basalreihe  unterscheiden,  an  deren  einer  Seite  die  Radien 
sitzen.  Diese  Radien  erscheinen  am  einfachsten  als  Knorpelstäbe ,  die 
bei  grösserer  Länge  gegliedert  sind  und  dann  aus  einer  Folge  von 
Knorpelstücken  bestehen.  Jedes  einzelne  der  letzteren  kann  wieder  in 
andere  Gestaltungen  übergehen ,  und  eine  sehr  häufige  Erscheinung  ist 
die  Umwandlung  der  vierseitigen  Gliedstücke  in  sechsseitige  Plättchen, 
die  mit  den  benachbarten  zu  einer  Art  Mosaik  verbunden  sind.  Gar 
nicht  selten  ist  alsdann  die  Angehörigkeit  dieser  Plättchen  zu  einem 
Strahl  deutlich  erkennbar,  und  es  ist  derUebergang  eines  ungegliederten 
Knorpelstrahls  in  eine  gegliederte  Fortsetzung ,  femer  der  Uebergang 
der  einfach  vierseitigen  Gliedstücke  in  polygonale  Platten  continuir- 
lich  verfolgbar.  In  einem  anderen  Falle  ist  solches  nur  über  eine 
Strecke  der  Flosse  deutlich ,  während  gegen  die  Peripherie  eine  Auf-- 
lösung  der  Plättchenreihen,  und  eine  gewisse  Art  von  Umordnung  der- 
selben erfolgt,  aus  der  eine  Anordnung  in  die  Längsaxe  der  Radien 
kreuzende  Querreihen  hervorgeht.  Auch  da  vermag  man  fast  beständig 
die  je  einem  Radius  angehörigen  Plättchen  zu  unterscheiden.  Verfolgt 
man  die  Längsaxe  eines  Knorpelradius  in  die  sich  aus  ihm  fortsetzende 
Plättchenreihe ,  so  geht  die  Linie  häufig  aus  der  Geraden  in  eine  ge- 
krümmte Form  über.  Da  die  Radien  ursprünglich  fast  immer  gerade 
sind,  so  müssen  mit  der  Sonderung  des  distalen  Abschnittes  in  Plätt- 
chen  zugleich  Verschiebungen  stattfinden.  Ungleicher  Wachsthum  der 
Plättchen  dürfte  dazu  den  ersten  Anlass  geben. 

Wir  sehen  also ,  wie  in  der  Selachierflosse  eine  Einrichtung  vor- 
kommt, die  mit  der  Zusammensetzung  der  Ichthyosaurenflosse  einige 
Aehnlichkeit  besitzt:  in  Querreihen  geordnete  Skeletstücke,  die  mehr 
oder  minder  deutlich  auf  Längsreihen,  resp.  auf  gegliederte,  längs  ver- 
laufende Stücke  (Radien)  bezogen  werden  können. 

Die  aus  der  Untersuchung  der  Selachierflosse  gewonnenen  Resul- 
late  verwerthend,  können  wir  uns  nun  die  Frage  vorlegen,  ob  nicht 
auch  im  Armskelet  der  Ichthyosauren  derselbe  Typus  zu  erkennen  sei, 
wie  im  Skelet  der  Selachierflosse.  Wenn  die  Frage  bejahend  beant- 
wortet werden  darf,  so  muss  sich  vor  allem  nachweisen  lassen ,  dass 
eine  Stammreihe  von  Knochenstücken  besteht,  an  der  seitliche  Strahlen 
angebracht  sind,  die  auch  durch  Reihen  von  Skeletstücken  repräsentirt 
sein  können.  Es  ist  früher  von  mir  gezeigt  worden,  dass  die  Basalreihe 
des  Metapterygiums  der  Selachier  mit  einem  dem  Humerus  homologen 
Stücke  befli««»  ""'^  dnrrh  Skelettheile  sich  fortsetzt,  die  der  radialen 


338 

Seite  des  Anndielet«  holMrer  Wirfaelthiere  enleprMfaen.  Sueben  ^r 
ao  der  icbthyosaureDflosae  diese  Beibe  qjif,  so  wird  sie  also  voni  Bu^ 
■Denis  und  Radius  und  den  darauf  folgenden ,  d«m  radialen  Rande  der 
Flosse  angfhDrigen  Koochenplattan  gebildet  werden.  Tergl.  Fig.  I . ' 
Die  in  der  Abbikhing  dargeslellle  stärkere  rotbe  Linie  bezeicbnet  diese 
Beibe.  Ihr  mllssen  den  StrsUen  der  Selachierflosse  äbnliche  Plauen— 
reihen  angefügt  sein.  Audi  diese  sind  nachweisbar,  wie  durch  die 
feineren  reihen  Linien  in  Fig.  1  dargestellt  wurde.  Jede  einer  solcben 
Linie  zugehörige  Fcdge  von  Knochen sUlcken  kann  aus  eineoi  geglie- 
derten SkeletatUoke  gelrildel  gedacht  werden ,  dessen  Theile  aus  einem 
ungegliederten  Zustande  hervorgingen  [v»^eiche  damit  Fig.  i) ,  wie 
solcher  fUr  die  Selacbierflosse  ersichtlich  ist. 

Es  ist  also  die  fundamentale  Anordnung  dcrSkelet- 
theile  bei  derlchlhyosauren-Gliedniiiaase  aus  demselben 
Verhalten  ableitbar,  welches  der  Zusammensetzung  der 
Selaobierfloase  zu  Grunde  liegt.  Wir  künnen  in  dem  zum  Bei- 
spiele gewählten  Falle  vier  Knochenptatten reihen  der  Uaupt-  oder  Basal— 
reibe  angefügt  uaehweisen;  die  erste  Beibe  beginnt  mit  der  UIna  und 
wird  vom  Humerus  gelragen,  die  tweile  ist  dem  Radius  angefügt,  die 
dritle  und  vierte  sitzen  an  den  beiden  auf  ded  Radius  folgendeu  Knochen 
der  Basalreihe.  Die  erste  Reihe  scheint  (in  dem  von  uns  gewählten 
Falle)  nach  ihrem  ndienten  Gliedatüoke  in  zwei  Reihen  ubenugelien, 
d.  h.  sie  ist  terminal  gabalig  getfaeilt.  Anderen  Arten  fehlt  dieses  Ver- 
hallen ,  oder  es  kommt  der  Uebergaog  einer  Reihe  in  zwei  an  einem 
anderen  Abschnitte  vor,  wie  denn  nicht  blos  in  dieser  Hinsicht,  son- 
dern auch  in  der  Anordnung  der  secundOren  Reihen  (die  aus  Strahlen- 
studten  hervorgingen]  auf  dtr  Basal-  oder  Slemmreihe  eine  nicht  ge- 
ringe Mannigfaltigkeit  besteht.  Da  ich  die  Aufzählung  dieser  Veriationen 
Di(At  zu  meiner  Au^abe  reebne,  mag  es  genügen,  auf  sie  hingewiesen 
zu  haben,  Jenen  die  nähere  Untersuofauog  dieses  Verhallens  überlas- 
send, denen  das  bezügliofae  Material  direoter  zugänglich  ist'. 

In  der  Auflösung  einer  Reihe  in  zwei  ist  ein  ebenfalls  im  Flossen- 
skelet  der  Selaohier  v(M-kommendes  Verbaltniss  ausgedrückt,  das  als 


^J  Bei  lefathyosaunis  Integer  scbelnt  die  Dichotomie  der  Strahlen  ta  fplilen. 
Sehr  deutlich  ist  sie  bei  tchthyosenrus  commaniB.  In  dem  von  Ctiviin  Flg.  3  PI.  ii« 
der  Ow.  Fou.  QdhIj-.  Mit.  abgebildeten,  tclieinl  «im«  DiclioUiinie  diu  rBdialen  Hand? 
vorzuliommen,  weno  Bodera  die  Bezeicbnung  von  Chvieb  die  neblige  Ist.  Die  la- 
terale Reibe  besteht  aus  kleioen  Knochen ,  ahnlich  wie  in  der  euC  dorsclbeii  Tafel 
gegebenen  Fig.  4  am  ulnaren  Rande,  welche  Figur  Übrigens  die  innere  Ansii^ht  der 
In  Flg.  a  dergeatetlien  Flosse  sein  soll.  Beide  Figuren  stimmen  jedoch  sonst  nichl 
gnn  Uberein. 


•1 


Deber  das  Gliedmaassenskelet  der  ED&lios&urier.  389 

Dichotomie  der  StrahIeD,  am  distalen  Ende  bei  Rochen  allgemeiD,  nicht 
selten  auch  bei  Haien  besteht.  Ob  übrigens  in  dem  gewählten  Para- 
digma das  Vorkommen  von  sechs  Längsreihen  gegen  das  Ende  der 
vorher  nur  fünf  Reihen  aufweisenden  Flosse  nur  von  jener  Dicho- 
tomie ableitbar  ist,  muss  ich  zweifelhaft  lassen.  Es  besteht  noch  eine 
andere  Möglichkeit,  die  nicht  einfach  beseitigt  werden  kann.  Die  frag- 
liche Doppelreihe  besteht  nämlich  aus  einem  aus  grösseren  und  einem 
aus  kleinen  Tafeln  gebildeten  Theile,  davon  der  letztere  den  ulnaren 
Rand  der  Flosse  einnimmt  (siebe  Fig.  1).  An  diesem  Rande  finden  sich 
nun  bei  verschied^en  Ichthyosaurusarten  kleinere  Knochentäfelchen 
in  einer  verschieden  langen  Reihe ,  die  klärlich  nicht  von  einem  Strahl 
abgeleitet  werden  können ,  der  unterhalb  des  ersten  mit  der  Ulna  be- 
ginnenden Strahls  an  die  Rasalreihe  sich  anfügte ,  sondern  der  viel- 
mehr, jene  Auffassung  festgehalten,  über  dem  ersten  ulnaren  Strahl  an 
der  Rasalreihe,  also  am  ersten  Stücke  derselben,  d.  i/jj^m  Humerus 
angefügt  gewesen  sein  muss*  Cutier  hat  in  dem  als  Fig.  2  auf  PI.  258 
(Ossemens  fossiles  Quatr.  Edit.)  dargestellten  Ichthyosaurusfragmente 
den  grösseren  Theil  einer  solchen  Flosse  abgebildet,  wo  eine  ulnare 
Reihe  von  Knochentäfelchen  schon  am  »weiten  Gliede  des  Ulnarstrahls 
beginnt.  Man  kann  zwar  sagen ,  dass  hier  eine  dem  Ulnarstrahl  ange- 
hörige  Dichotomie  vorliege,  allein  das  ist  ebensowenig  sicher  als  die 
andere  Ansicht,  und  gerade  die  Besiehung  Kum  einem  Rande  der  Glied- 
maaase  lässt  Bedenken  entstehen.  Dieser  Rand  depGliedmaasae  markirt 
sich  nämlich  dadurch  als  Ulnarrand,  und  verlangt  besondere  Vorsicht 
in  der  Beurtheilung  der  ihm  angeschlossenen  Theile,  da  gegen  ihn  die 
Reduction  erfolgt  sein  muss,  so  dass  sich  hier,  je  nach  dem  verschie- 
denen Grade  der  letzteren,  Strahlenglieder  in  verschiedener  Anzahl  er- 
halten haben  können,  indess  andere  auf  Strecken  hiiif  verloren  gegangen 
sind.  Bei  der  Vergleichung  des  Armskeletes  von  Pksiosaurus  werde  ich 
auf  diesen  Umstand  zurückkommen* 

Durch  den  Nachweis  der  Uebereinstimmung  des  Typus  des  Flossen- 
skelets  von  Ichthyosaurus  mit  jenem  der  Selachierflosse  könnte  man  zu 
der  Vorstellung  einer  darauf  sich  gründenden  näheren  Verwandtschaft 
beider  geführt  werden,  welche  in  demselben  Grade  die  Beziehungen  zu 
höheren  Wirbelüuerorganismen  in  die  Feme  rückte.  Diese  Vorstellung 
wird  durch  die  Beachtung  der  Thatsacbe  modificirt,  dass  auch  für  die 
höheren  Wirbelthiere  durch  die  am  Carpus  und  Tarsus  der  Amphibien 
(und  mancher  Reptilien)  wahrnehmbaren  Einrichtungen  eine  Ableitung 
des  Gliedmaassenskelets  von  gleichen  primitiven  Zuständen  ausführbar 
ist.  In  meinen  Untersuchungen  zur  vergleichenden  Anatomie  (Heft  II. 
S.  1 64)  habe  ich  das  Schema  angegeben,  nach  welchem  die  Anordnung 


340  ^-  Cwnbniir, 

der  bezüglicfaeD  Skeleltbeile  aufzufassen  ist:  eine  Basal-  oder  Slanini- 
reihe,  welche  für  die  Vorderes ireraiiai  vom  Humerus  durch  den  Radius 
zum  Daumen  verlüufl,  und  vier  Radien,  welche  der  Stammreihe  lateral 
angefU);!,  in  den  vier  Fingern  enden.  In  Fig.  3  stelle  ich  eine  Abbil- 
dung dieses  Schema  dar,  in  der  zugleich  die  Difierenzirung  der  Haupt- 
übschniKe  des  Armskelets  ausgedrUdtt  ward. 

Bei  Zugrundelegung  dieses  Schema  für  die  speciellere  Vei^leichung 
der  IchtbyossurusOosse  mit  dem  Armskelete  der  höheren  Verlebralen 
stellt  sich  Folgendes  heraus:  Auf  die  beiden  Vorderarmstücke  folgen 
drei,  die  erste  Reihe  des  Carpus  zusammensetzende  Stücke,  davon  eines 
das  Radiale  der  Stammreihe  ist,  das  zweite  als  Inlermedium ,  dem 
zweiten  Strahl,  das  dritt«  Ulnare,  dem  ersten,  ulnaren  Strahl  angehört, 
wie  aus  der  bezuglichen  Abbildung  leicht  zu  ersehen  ist.  Dieselben 
Stücke  finden  sich  in  derselben  Lagerung  bei  Ichthyosaurus.  Das  Inler- 
medium lasst  sehr  oft  durch  Einfllgung  zwischen  Radius  und  Ulna 
ein  Verhalten  erkennen,  welches  an  den  Carpus  von  Salamaudrinen 
erinnert. 

Dem  Inlermedium  sind  femer  bei  unserem  Schema  in  distaler 
Richtung  zwei  Stücke  angefügt,  welche  ich  als  Ceniralia  bezeichnete 
und  welche  beide  dem  einfachen  Centrale  entsprechen ,  das  von  den 
Amphibien  an  bis  zu  Saugelhieren  sehr  verbreitet  vorkommt,  im  Tarsus 
von  Gryptobranchus  sich  sogar  in  der  für  den  Carpus  nur  hypothetischen 
Dupliciiat  erhalten  hat.  Dieselben  Stücke  ßnden  sich  allgemein  bei 
Ichthyosaurus  (Fig.  {.  c.  c.j  und  dies  ist  um  so  wichtiger,  als  dadurch 
die  bisher  nur  durch  den  Tarsus  von  Crjptobranchus  gestützt«,  sonst 
rein  theoretische  Voraussetzung  am  Carpus,  oder  vielmehr  an  dem  einem 
solchen  homologen  Abschnitte,  eine  feste  Begründung  empfingt. 

Zur  Seile  der  beiden  Centralia ,  mit  ihnen  fast  eine  Querreihe  bil- 
dend, finden  sich  ulnar  und  radial  gelagert  noch  zwei  StU(^e ,  welche 
mit  drei  distal  von  den  Centralien  liegenden  von  mir  als  Carpaie  1 — 5 
bezeichnet  wurden.  (Fig.  3  c.  1 — S}.  Die  beiden  erstgenannten  sind 
bei  Ichthyosaurus,  soweit  ich  die  Darstellungen  vergleichen  kann,  con- 
stant  vorhanden  (Fig.  1 .  c',  c  ^) ,  die  drei  anderen  dagegen  [Fig.  3  c^,  c',  c*] 
sind  zuweilen  nur  durch  zwei  vertreten,  so  z.  fi.  bei  Ichthyosaurus 
integer  (A.  Wagnbr,  Abhandl.  der  math.  physik.  Classe  der  k.  Acad. 
der  Wiss.  zu  München,  Bd.  VI,  Abth.  9.  Taf.  XVI,  Fig.  ))  auch  in  einer 
von  CuviEK  gegebenen  Darstellung  (Oss.  foss.  PI.  258,  Fig.  3.  4),  wäh- 
rend sie  in  einer  andern  Form  (I.  c.  Fig.  2]  vollzählig  sind-  Was  die 
ersterwähnte  Hinderung  bedingt,  ist  für  jetzt  noch  nicht  sicher  zu 
ermitteln ;  mOglich  ist,  dass  sie  durch  die  Dichotomie  eines  Strahls  be- 
dingt ist,   oder  durch  eine  Vereinigung  einer  Anzahl  der  Strahlen. 


lieber  das  Gliedmaassenskelet  der  Enalios&urier.  341 

Wahrscheiolicb  sind  die  bedingenden  Momente  für  die  einzelnen  Fälle 
sogar  sehr  verschiedene,  was  zugleich  der  Verschiedenartigkeit  des 
speciellen  Baues  des  Flossenskelets  von  Ichthyosaurus  entspricht. 

Mit  dem  Nachweise  dieser  zehn  Knochenstttcke ,  die  zu  zweien 
(Radiale  und  Carpale^j  der  Stammreihe,  im  Uebrigen  dem  proximalen 
Abschnitte  von  lateralen  Strahlen  angehören ,  ist  die  Erkenntniss  eines 
dem  Garpus  der  höhern  Vertebraten  entsprechenden  Abschnittes  ge- 
wonnen ,  und  es  lassen  sich  die  folgenden  fünf  Stücke  als  Homologa 
eines  Metacarpus,  die  übrigen  aber  als  Phalangen  deuten,  wenn  sie 
auch  sämmtlich  unter  sich ,  ja  sogar  von  den  Vorderarmknochen  for- 
mell nicht  differenzirt  sind.  Eine  Vermehrung  der  Strahlen  bewirkt  in 
jenem  Verhalten  entsprechende  Modificationen ,  ohne  jedoch  das  als  ty- 
pisch Bezeichnete  aufzulösen. ^  Das  Armskelet  von  Ichthyosaurus  bietet 
somit  in  Zahl  und  Anordnimg  seiner  Elemente  nahe  verwandtschaft- 
liche Verhältnisse  zu  jenem  der  höheren  Wirbelthiere ,  und  nur  das 
Schwankende  in  der  Zahl  der  in  es  eingehenden  Radien ,  sowie  die 
beträchtliche  Vermehrung  der  Gliedstücke  der  letzteren  ergiebt  sich  als 
eine  niedere,  an  die  Zustände  des  Armskelets  der  Selachier  erinnernde 
Bildung. 

Würden  die  beiden  Vorderarmknochen  länger  gestaltet  erscheinen, 
und  ebenso  Metacarpus  und  Phalangenstücke  aus  der  platten ,  oft  sogar 
breiten  Gestalt  in  die  cylindrische  übergegangen  sein ,  und  die  Phalan- 
gen mit  ihrer  Verlängerung  eine  Beduction  in  der  Zahl  erlitten  haben, 
so  schlösse  sich  das  Armskelet  von  Ichthyosaurus  enge  an  jenes  der 
Amphibien  an.  Bei  diesen  besteht  nur  noch  im  Verhalten  des  Carpus 
der  bei  Ichthyosaurus  für  den  ganzen  Skelet-Complex  vorhandene 
niedere  Zustand  fort,  die  übrigen  Theile  erscheinen  dagegen  weiter  ent- 
wickelt, entsprechend  der  geänderten  Verrichtung,  in  welche  die  Glied- 

1)  Daraus  geht  zugleich  hervor,  dass  das  Handskelet  der  höheren  Wirbelthiere 
auf  die  Pentadactylia  beschränlct  ist ,  die  schon  bei  Ichthyosauren  ihre  Repräsen- 
tanteo  besitzt.  Wenn  die  vier  Finger  die  Enden  von  selbst  im  Carpus  noch  ganz 
deutlich  nachweisbaren  Strahlen  sind»  so  muss  eine  Mehrzahl  von  Fingern  durch 
das  Verhalten  des  Carpus  erkennbar  sein.  Von  den  Amphibien  an  aufwärts  ist  aber 
nirgends  eine  Andeutung  davon  vorhanden.  Es  ist  daher  auch  von  dieser  Seite  her 
nachweisbar,  wie  sehr  die  Annahme  gewisser  Skeletstücke  bei  Amphibien  als  Rudi- 
mente eines  sechsten  Fingers  unzulässig  ist. 

Dass  die  als  Monstrosität  nicht  seltene  Polydactylie  höherer  Wirbelthiere  nicht 
bieher  gehört,  bedarf  kaum  einer  besonderen  Erwähnung.  Sie  könnte  als  ein 
Rückschlag  nur  auf  Formen  bezogen  werden ,  die  unendlich  weit  abstehen ,  wie 
eben  Ichthyosaurus  und  die  Selachier,  und  darin  mtlssten  nicht  blos  in  der  Zahl  der 
Finger,  sondern  auch  in  den  specielleren  Formverhältnissen  der  Phalangen,  wie  aller 
Skelettheile  der  Hand  Jenen  niederen  Zuständen  entsprechende  Verhältnisse  sich 
nachweisen  lassen,  von  welchen  thatsächlich  auch  die  geringste  Spur  vermisst  wird. 

Bd.  V.  8.  iS 


342  C.  Gegenbiar, 

maaGse  eiotral.  Dieselbe  Weiterentwicklung,  n'elche  den  eroz^loen 
Abscbnilten.  besondere  Function  überträgt,  äussert  sieb  auch  in  der 
zwischen  den  einzelnen  Abschnitten  durch  aufgetrelene  Gelenkfoildung 
gestatteten  Beweglichkeit.  Fassen  wir  Alles  zusammen ,  so  begegnen 
wir  in  den  Gliedmaassen  der  Ichlhyosauren  einer  Form ,  die  zwar  noch 
Manches  aus  einem  niedem  Zustande  bewahrt  hat,  aber  dennttch  be- 
reits alle  Elemente  höherer  Gliedmaassenformen  in  sich  trSgt.  Das  letz- 
lere überwiegt  das  erstere,  denn  das  bis  auf  kleinere  Verhältnisse  sich 
erstreckende  üebereinstimmende  der  Anordnung  ist  wichtiger  als  die 
Vergeh i ed enheit ,  die  sich  in  der  speciellen  Form  und  in  der  Zahl  der 
Skeletstücke  ausspricht. 

Plesiosaurus. 

Dem  indifferenteren  Zustande  der  Glied maassenske leite  von  Ichthyo- 
saurus stellt  sich  das  in  seinen  einzelnen  Abschnitten  scharf  gesonderte 
Skelet  der  Extremitäten  von  Plesiosaurus  gegenüber.  Beiden  Gattun- 
gen ist  nur  die  ziemlich  vollkommene  Uebereinstimmung  von  Vorder— 
und  Bintergliedmaassen  und  die  Umformung  derselben  zu  einer  Flosse 
gemeinsam.  Die  Vollständigkeit  der  Erhallung  in  sehr  vielen  Falleo 
bietet  der  vergleichenden  Betrachtung  euch  hier  eine  ziemlich  sichere 
Unterlage,  und  wenn  bei  einzelnen  Arien  auch  eine  Verschiebung  gan- 
zer Abschnitte,  vorzüglich  des  Carpus  stattfand,  oder  die  Kleinheit  und 
mangelnde  Ausprägung  der  untereinander  verbundenen  Flächen  auf 
eine  nicht  immer  vollständige  Verknficherung  schliessen  lasst,  so  treten 
wieder  andere  Formen  dafür  ergänzend  ein ,  dnd  es  ist  ein  Gesamui- 
bild  leicht  zu  gewinnen.  Ein  solches  bietet  die  Darstellung,  welche 
Owen'  gegeben  hat. 

An  der  vordem  Extremität  ist  der  sehr  ansehnliche  Humerus  an 
seinen  beiden  Enden  charakteristisch  gestaltet.  Die  Form  des  distalen 
Endes  weist  auf  eine  Gelenkbildung  hin.  An  Länge  kommt  er  etwa 
einem  Drittheil  des  gesammten  Armskelets  gleich.  Die  zwei  Knochen 
des  Vorderarmes  sind  gleichfalls  gesonderter.  lEiner  davon,  in  der 
Kitte  meist  etwas  eingeschnürt,  ist  der  Radius,  der  andere  ist  die  Ulna, 
die  eine  conoave  AadiaLQäcbe  besitzt ,  indess  die  entgegengesetzte  stark 
convex  erscheint.  Die  ziemlich  platte  Gestalt  beider  Knoobon  kann 
als  eine  Annäherung  an  die  bei  Ichthyosaurus  vorhandene  Form  gelten, 
wenn  man  nicht,  vielleicht  richtiger,  darin  bios  eine  Anpassung  an  die 
Flossennatur  der  ganzen  Gliedmaasse  erkennen  will.  Diese  äussert 
sich  auch  in  der  Form  der  nun  folgenden  sechs  CarpusstUcke ,  die  in 

i|  Monograph  ot  the  Tossil  Reptili»  of  the  Liassic  forinetioDS.  Part  flrst.  Sao- 
ropterygia.  Lgiidon  1BSS. 


Deber  das  Gliedmaassenskelet  der  Enaliosauher.  343 

zwei  Reihen  angeordnet  sind ,  und  am  ulnaren  Rande  häufig  noch  ein 
siebentes  Stück  angelagert  haben.  Auf  den  Carpus  folgen  fünf  Mittel- 
handknochen ,  welche  die  aus  ähnlich  gestalteten  Stücken  bestehenden 
Phalangenreihen  tragen.  Die  Zahl  der  Glieder  ist  zwar  viel  geringer  als 
bei  Ichthyosaurus ,  erhebt  sich  aber  noch  über  die  bei  den  lebenden 
Reptilien  getroffene  Zahl. 

Bei  der  Beurtheilung  dieser  Skeletverhältnisse  kann  man  zwei  ver- 
schiedene Wege  einschlagen.   Man  kann  einmal  die  vorhandene  Diffe- 
renzirung  als  etwas  Gegebenes  ansehen,  und  innerhalb  jedes  Abschnittes 
die  Homologie  mit  dem  nämlichen  Abschnitte  anderer  Wirbelthiere  zu 
bestimmen  versuchen.  Dieser  Weg  setzt  bereits  den  Nachweis  der  Ho- 
mologie der  bezüglichen  Abschnitte  voraus ,  und  da  dieselbe  für  ein- 
zelne Stücke  evident  ist,  erscheint  vielleicht  dieses  Verfahren  als  ein 
ziemlich  gesichertes.     Da  kein  Zweifel  sein  kann ,   dass  der  Humerus 
von  Plesiosaurus  jenem  der  übrigen  Wirbelthiere  homolog  ist,  da  eben- 
sowenig ein  Bedenken  an  der  Homologie  der  beiden  Yorderarmstücke 
mit  jenen  anderer  Wirbelthiere  sich  begründen  lässt,  warum  sollte  der 
Carpus  nicht  homolog  dem  Carpus  anderer  Vertebraten  sein,  da  er  doch 
ebenso  charakteristisch   gestaltet   und  deutlich  vom  Vorderarm   und 
den  unzweifelhaften  Mittelbandknochen  abgegrenzt  wird?  Da  es  hier 
nicht  erst  des  Bestimmens  der  einzelnen  Abschnitte  bedarf,   erscheint 
die  Sachlage  viel  einfacher  als  bei  Ichthyosaurus.   Die  Aufgabe  der  Ver- 
gleichung  würde  sich  also  auf  die  Bestimmung  der  einzelnen  Carpus- 
theile  concentriren  müssen,  da  nur  noch  hier  ein  Problem  besteht.  Für 
die  ersten  drei  Knochen,  von  denen  der  mittlere  in  der  Regel  der  grösste 
ist,  erhebt  sich  keine  Schwierigkeit ,  Radiale ,  Intermedium  und  Ulnare 
sind  durch  ihre  Beziehungen  zu  den  Vorderarmknocben  sofort  bestimm- 
bar.   So  sind  sie  auch  von  Owsn  so  bestimmt  worden ,  der  sie  mit  den 
die  Anthropotomie  entnommenen  Namen :    Scaphoides ,  Lunatum  und 
Guneiforme  (Triquetnim  deutscher  Autoren)  belegt  hat.     Die  geringe 
Schwierigkeit,  die  sich  hier  ergiebt,  scheint  fördernd  für  die  Bestimmung 
der  Knochen  der  zweiten  Reihe  des  Carpus  gewirkt  zu  haben,  denn 
wir  finden  diese  einfach  als  Trapezium,   Trapezoides  und  Hagnum 
(Capitatum)  gedeutet,   wenn  auch  die  Lagerungsbeziehungen  zu  der 
Mittelhand  ganz  andere  sind,  als  bei  jenen  Wirbelthieren ,  wo  die  ge- 
nannten Namen  grösseres  Recht  besitzen.   Prüfen  wir  Dieses  näher. 

Gegen  das  Trapezium  und  Trapezoid  scheint  kein  Bedenken 
geltend  gemacht  werden  zu  können;  sie  tragen  hier  wie  sonst  das 
erste  und  zweite  Metacarpale.  Auffallend  muss  aber  sein,  dass  das 
Omsir'sche  Trapezoid  auch  Beziehungen  zum  dritten  Metacarpus-Kno- 
eben  besitzt,  wi'^  -^  Formen ,  z.  B.  bei  Plesiosaurus 


344  f-  Gegcabaur, 

rugosus  (OwEs,  op.  cit.  Taf,  XIV,  Fig.  S)  deutlich  ist.    Bedenklicher 
wird  das  Verhallen  des  Magauni.     Es  tragt  in  allen  von  Owi^  darge- 
slellteo  FülIeD  den  vierten  Miltelhandknocben,  bei  PI.  rostratus,  ausser 
jenem  auch  noch  den  dritten,  und  bei  Pi.  bomalospondylus  ist  der  vieitf 
und  fünfte  mit  ihm  verbunden.   Die  Beziehungen,  die  es  bei  S^ugethie- 
ren  in  grösser  BesUmdigkeil  zum  drillen  Metacarpale  hat,   und  ebenso 
in  seinem  homologen  Stücke  bei  Amphibien  und  Reptilien,  sind  in  kei- 
ner Weise  vorhanden,  daher  der  Zweifel  an  der  Richtigkeit  der  Deutung 
berechligt  wird.     Dieser  Zweifel  «ächst  durch  die  Erwägung,    dass 
das  fragliche  Os  magnum  der  letzte,  ulnare  Knochen  der  zweiten  Carpus- 
reihe  ist,  indem  das  fUnfle  Metacarpale  vom  Radiale  iCuneifonne  Owen} 
gelragen  wird.    Wenn  man  von  den  Knochen  des  menschlichen  Carpus 
sechs  in  der  PlesiosaurusQosae  beschrieben  fmdel,   hal  man  ein  Recht, 
auch  nach  dem  siebenten  /.u  fragen,  dem  Uncinatum.    Im  Carpus  selbst, 
Wü  es  ja  doch  liegen  sollte,  ist  es  allerdings  nicht  nachweisbar,  dessbalb 
bat  es  Owen  in  einem  ausserhalb  desselben  gelegenen  Knochen    ge- 
sucht.    Owen's  Uncinatum  liegt  an  der  Ulnarseite  des  Ulnare  (Cunei- 
forme).    So  bei  PI.  rugosus  und  macrocephalus.    Anderen  scheint  es  zu 
fehlen.    Von  allen  charakteristischen  Eigenschaften  des  Uncinatum  der 
Übrigen  Wirbellhiere  hat  es  nur  die  eine,  dass  es  dem  Ulnare  (Cunei— 
forme)  angefügt  ist,  und  diese  Eigenschaft  verhüll  sich  derart,  dass  sie 
aufbüri,  eine  Uebereinslimmung  mit  dem  Uncinatum  der  übrigen  Ver- 
lebralen  zu  bilden,  denn  jene  Verbindung  mil  dem  Ulnare  geschieht 
nichl  am  distalen  Ende  des  letzteren,  sondern  am  lateralen.     Da  also 
die  einzige  scheinbare  Begründung  einer  Homologie  sich  aullöst,  und 
auch  niemals  eine  Verbindung  mit  Melacarpus-Knocben  besteht,  wird 
es  mehr  als  wahrscheinlich,    dass   das  Uncinatum  Owh>'s   nichts  mit 
dem  gleichnamigen  Skelellheile  des  Cai'pus  anderer  Wirbellhiere  zu 
Ihun  hat,    vielleicht  gar  nicht  dem  eigentlichen  Carpus  angebtirt.     Zu 
den  Zweifeln  bezüglich  des  Os  magnum  kommt  also  noch  die  Constali- 
rung  des  Fehlens  eines  Uncinatum  im  Carpus.    Die  ganze  VergJeichuug 
wird  dadurch  erschüttert,  denn  die  vorgetragenen  Bedenken  wirken 
nothwendig  auch  auf  das  Trapezoid. 

Auch  von  anderer  Seite  entstehen  Bedenken  an  der  Richtigkeil 
jener  Vergleiohung,  die  sich  sofort  auf  die  SSugelhiere,  ja  eigenllich 
sogar  nur  auf  den  Menschen  bezieht,  da  das  unter  den  Säugethieren 
zwar  nichl  allgemein  vorhandene ,  aber  doch  ziemlich  weil  verbreilele 
Centrale  nicht  mit  in  Rechnung  gezogen  ist.  Bei  der  vergleichenden 
Untersuchung  eines  Reptils  oder  doch  reptilienartigen  Wirbelthiers  wird 
vor  allem  bei  den  sonst  verwandten  Formen  Umschau  gehallen  werden 
müssen.    Auch  von  dieser  Seile  ist  das  Ergebniss  der  fraglichen  Deu- 


S 


Ueber  das  Gliedmaassenskelet  der  Enaliosanrier.  345 

tung  nicht  günstig,  und  weder  bei  Amphibien  noch  bei  Reptilien  besteht 
eine  Carpusform ,  welche  mit  jenem  von  Plesiosaurus  einige  Ueberein- 
stimmung  wahrnehmen  Hesse.  Wenn  Owen  sagt,  dass  bei  Plesiosaurus 
die  Gliedmaassen  eine  Entwicklung  nehmen,  die  jener  von  Ghelonia 
sehr  nahe  kommt  ^,  so  besteht  nach  meiner  Meinung  kein  einziges  Factum 
für  die  specieüe  Begründung.  Eine  Verwandtschaft  mit  einer  Ceta- 
ceenflosse  zu  erkennen  ist  nicht  unrichtiger. 

Die  Voraussetzung,  unter  der  die  bisher  geprüften  Vergleichungen 
vorgenommen  waren,  bestand  in  der  Annahme^ der  zwei  Reihen  von 
kurzen,  platten  Knochenstücken  als  Carpus,  und  der  darauf  folgenden, 
aus  fünf  schlanken  Knochen  gebildeten  Reihe  als  Metacarpus.  Die  Un- 
terscheidung gründete  sich  nur  auf  die  Form  der  betreffenden  Theile. 
Die  Untersuchung  von  Ichthyosaurus  hat  gezeigt,  dass  dort  ein  Carpus 
in  allen  seinen  einzelnen  Stücken  und  ebenso  ein  Metacarpus  vorhan- 
den ist,  beide  in  den  sonst  diesen  Theilen  zukommenden  Lagebeziehun- 
gen, aber  in  der  Form  der  einzelnen  Stücke  nicht  von  einander  ver- 
schieden. Die  Metacarpusstücke  tragen  wie  die  Phalangen  den  Charak- 
ter der  Carpusstücke.  Man  konnte  aus  der  dort  weiter  geführten  Ver- 
gleichung  ersehen,  dass  neben  der  Form  noch  andere  Dinge  in  Betracht 
gezogen  werden  müssen.  Bei  solcher  Unterordnung  des  Formellen  wird 
man  zu  der  Frage  geführt ,  ob  das  unzulängliche  Verhalten  des  Carpus 
bei  Plesiosaurus  nicht  durch  eine  Entfremdung  eines  Theiles  des  sonst 
den  Carpus  bildenden  Abschnittes  entstanden  sei.  Wie  bei  Ichthyo- 
saurus Metacarpusknochen  und  Phalangen  formell  den  Carpuscharak- 
ter  tragen,  so  kann  auch  einmal  der  Carpus  oder  doch  ein  Theil  davon 
den  Charakter  von  Metacarpusknochen  besitzen.  Einfacher  ausge- 
drückt würde  das  heissen:  kurze  Knochen  können  in  längere  über- 
gehen, also  kann  ein  Garpusknochen  formell  zu  einem  Metacarpuskno- 
chen werden.  Da  dieses  nicht  bezweifelt  werden  kann,  und  man  für 
die  anatomischen  Begriffe  Carpus  und  Metacarpus,  wie  sie  einmal  üblich, 
keine  anderen  Kriterien  als  die  Form  der  Knochen  selbst  besitzt,  wird 
die  aufgeworfene  Frage  in  ihrer  Anwendung  für  das  Armskelet  von 
Plesiosaurus  eine  Berechtigung  erhalten. 

Die  bestimmte  Beantwortung  der  aufgeworfenen  Frage  wird  bei 
dem  Mangel  aller  in  den  einzelnen  Stücken  selbst  liegenden  Kriterien, 
nur  aus  dem  Verhalten  der  bezüglichen  Skelettheile  zu  einander  zu 
erzielen  sein.  Dieses  Verhalten  wird  dann  durch  die  Beziehung  auf 
das  von  mir  auch  bei  Ichthyosaurus  angewandte  Grundschema  der 
Gliedmaassen  geprüft  werden  können.    Suchen  wir  die  durch  den  Ra- 


<)  Anatomy  and  Physiology  of  Vertebrates.  Vol.  I.  London  1866.  S.  471. 


346  C  Gegonbanr, 

dius  verlaufende  Stsmmreihe  auf,  so  finden  wir  sie  durch  die  zwei 
radialen  Knochen  der  beiden  Carpusreihen  in  den  ersten  Finger  über- 
gehend, ganz  in  L'e berein slimmung  mit  dem  Verhalten  bei  anderen 
WirbeJlhieren  (Vergl.  Fig.  2  u.  3).  Der  erste  Strahl  wird  von  Ulna, 
dem  bezüglichen  Carpusknochen,  Ulnare  [Fig.  S  u)  und  dem  darange- 
fUgten  Metacarpus  mit  dem  fünften  Finger  gebildet.  Den  zweiten  StrabI 
setzt  das  Inlermedium  [Lunatum),  der  dritte  Knochen  der  zweiten  Car- 
pusreihe  [Maguum,  nach  Owen),  der  vierte  Meta carpusknochen  mit  dem 
vierten  Finger  zusammen.  Den  vierten  Strahl  bildet  der  zweite  Knochen 
der  zweiten  Carpus-Reihe  [Trapezoid  nach  Owes]  und  der  dritte  Meta- 
carpus k  noch  en  mit  dem  dritten  Finger.  Endlich  ßnden  wir  den  vierten 
ätrahl  durcb  das  zweite  Uetacarpale  mit  dem  zweiten  Finger  gebildet. 
Es  erweist  sieb  also  auch  hier  bei  Plesiosaurus  die  Zusammenselzung 
des  Armskelets  nach  demselben  Typus,  wie  er  im  Allgemeinen  bereits 
bei  der  Selacluerflosse  besteht,  and  ebenso  bei  den  höheren  Wirbel- 
thieran  erkennbar  ist. 

Die  Uebereinstimmung  im  Typischen  ist  von  manchen  nicht  unbe- 
deutenden Modificationen  begleitet.  Das  dritte  Sttlck  des  ersten  Strahls 
gehört  sonst  dem  Carpus  an  (Fig.  3  c^).  Bei  Plesiosaurus  ist  es  ein 
Metacarpusknochen  (Fig.  i  c^).  Auch  das  dritte  Stück  des  zweiten 
Strahles  (Fig.  3  c*)  ist  immer  ein  Carpusknochen ,  mit  Ausnahme  von 
Plesiosaurus  (Fig.  i  c*],  wo  es  den  vierten  Metacarpusknochen  vorstellt. 
Ebenso  ist  das  zweite  Stück  des  dritten  Strahls  ein  Carpale  (Pig.  3  c^}, 
bei  Plesiosaurus  das  dritte  Hetacarpalstück  (Fig.  t  c^),  und  am  ersten 
Stück  des  vierten  Strahls  ist  eine  ahnliche  Veränderung  vorhanden, 
indem  es  sonst  ein  Carpalknochen  (Fig.  3  c^) ,  bei  Plesiosaurus  der 
zweite  Metacarpusknochen  ist  (Fig. 2  c*).  Die  Metacarpusknochen 
der  vier  Finger  von  Plesiosaurus  sind  demnach  bei  den 
höheren  Wirbelthieren  als  Garpalstücke  gebildet;  es  sind 
dieselben  Elemente ,  die  ich  als  Carpale  t — 5  bezeichne ,  und  die  dem 
Trapezoides  [c^],  dem  Maguum  oder  Capitatum  (c*)  und  endlich  dem  Un- 
cinatum  {c*  +  c^]  homolog  sind.  Die  beiden,  von  Owen  als  Trapezoid  und 
Hagnum  bezeichneten  Knochen  des  Carpus  (Fig.  2  ec)  können  dagegen 
nichts  anderes  sein,  als  zwei  Cenlralia,  jenen  homolog,  wie  wir  sie  oben 
bei  Ichthyosaurus  kennen  gelernt  haben.  Wenn  wir  uns  einen  indifferen- 
ten Zustand  des  Armskeletes  vorstellen ,  ahnlich  wie  er  bei  Ichtfayosau- 
ren  besteht,  so  können  wir  davon  die  beiden  anderen  Foraizastände 
ableiten.  Bei  der  einen  Form  [Amphibien  etc.)  gehen  mehr  Stücke  in  den 
Carpus  über,  weniger  bei  der  anderen  Form  (Plesiosaurus],  indem  bei 
dieser  vier,  bei  der  ersten  zum  Carpus  verwendete  Knochen  in  den  Meta- 
carpus Obergegangen  sind.   Dass  die  in  der  ersten  Form  als  Gmndpha- 


lieber  das  GliedmaAfis^nskelet  der  Enaliosaarier.  347 

langen  der  vier  Finger  erscheinenden  Knochen  bei  Plesiosaurus  die  zweite 
Phalangenreihe  der  vier  Finger  bilden  nittssen,  ist  selbstverständlich. 

Es  bleibt  ntin  noch  das  von  Owsn  als  Uncinatum  bezeichnete  Enq- 
cbenstttck  zu  benrtheildn,  welches  ausserhalb  des  Gärptts  liegt.  Solche 
Stücke  scheinen  bei  Plesiosaureü  allgemein  verbfeitet  zü  s6in.  Ausser 
dem  eben  erwähnten  findet  sich  noch  ein  zweites  am  Ulnarrande  der 
Gliedmaassen  zwischen  Ulna  und  Ulnare  eingefügt.  Bei  PI.  dolichodei- 
rus  und  macrocephalus  ist  es  scheibenförmig ,  mit  seiden  ftönderh  den 
benachbartet)  Knochen  Wenig  angepasst ;  bei  P\.  rügosus  dagegen  keil^ 
förmig  zwischen  Ulnd  und  Ulnare  eingeschoben.  Owek  hat  es  als  Pisi- 
forme  bezeichnet.  Endlich  kotnmt  ein  dritter  Knochen  bei  PI.  rugosus^ 
nahe  am  proximalen  Ende  der  Ulna  vor.  Da  all'  diese  Knochen  (vergl. 
¥ig,2 p^p^p^)  ausserhalb  der  bereits  beurtheilten  liegen,  und  diese 
sämmtlich  bekannte  Knochen  des  typischen  Armäkeletes  in  sich  be- 
greifen ,  wird  ihre  Herkunft  nicht  durch  Vergleichung  der  nur  jenes 
Armskelet  besitzenden  Wirbelthiefe  aufgedeckt  werden  können.  Wo  sie 
in  grösserer  Anzahl  vorkommen  —  zu  dreien  bei  PL  rugosus  —  bilden 
sie  keine  unansehnliche  VergrösserUng  deS  Armskelets  nach  der  Ulnar- 
Seite  hin.  Sie  finden  sich  an  jener  Seite ,  an  welcher  wir  gegliederte 
Strahlen,  einer  Stammreihe  von  Skeletstäcken  angefügt,  uns  vorstellten, 
und  welche  zugleich  diei^lbe  Seite  ist,  ati  der  bei  den  Selachiem  eine 
viel  grössere  Anzahl  von  Strahlen  vod  der  Basal-  oder  Stammreihe 
her  vonritt.  Bei  der  Frage  nach  den  genetischen  Verhältnissen  eines  Ske- 
lettheiles ist  es  viel  richtiger  an  die  Abstammung  desselben  von  einem 
niederen,  vielleicht  noch  ganz  fremde  Beziehungen  bietenden  Zustande 
zu  denken  und  derselben  nachzugehen,  als  sich  statt  weiterer  Bemühung 
der  Vorstellung  einer  Neubildung  hinzugeben.  Wir  betrachten  daher 
diese  Stücke  nicht  alä  Neubildungen ,  Knocben  eigner  Art.  In  detn  uns 
beschäftigenden  Falle  wird  die  Forschung  bedeutend  erleichtert  durch 
die  Erkenntniss  der  Zusammensetzung  des  Armskelets  aus  einzelnen 
Strahlen  und  der  damit  gegebenen  Uebereinstimmung  mit  der  Selachier- 
flosse,  bei  der  die  Strahlen  zudem  utn  vieles  zahlreicher  sind. 

Wenn  wir  annehmen  dürfen,  das^  das  eine  geringere  Anzahl  von 
Strahlen  aufweisende  Armskelet  höherer  Wirbelthiere  aus  einer  reichere 
Strahlen  besitzenden  Form  hervorging,  die  niederen  Wirbelthieren  an- 
gehört, so  werden  wir  im  Hinblick  auf  diesen  Zusammen- 
hang, die  am  ulnaren  Rande  des  Skelets  von  Plesiosaurus 
rugosus  gelagerten  Knochenstücke  als  Gliedstücke  eines 
Strahles  betrachten  dürfen. 

Verschieden  von  den  übrigen ,  das  typische  Armskelet  zusammen- 
setzenden ,  haben  diese  Gliedstücke  die  Verbindung  unter  sich  verlored 


348  C-  Gegenbaui, 

und  reicheo  weder  zur  Slammreihe  empor,  nocb  bis  zur  Hand  biu.jb. 
Bei  anderen  erfahren  sie  weitere  Reductionen.  Zwei  sind  bei  PI.  ma— 
crocepba)us  vorhanden,  und  nur  eines,  das  milUere  von  den  dreien  bei 
PI.  rugosus,  fast  zwischen  UIna  und  Ulnare  gelagert,  kommt  PI  doticbo- 
deirus  zu.  Andern  Arten  fehlt  auch  dieses,  so  dass,  wenn  nicht  völliger 
Hangel,  doch  eine  fehlende  Ossi6cation  angenommen  werden  darf,  also 
ftlr  jeden  Fall  eine  BUckbildung. 

Jenes  eine  bei  drei  Arten  von  Plesiosaurus  erhaltene  KnochenstUck 
ist  von  CuTiBi^  schon  als  Pisiforme  bezeichnet  worden.  Oven  ist  ihm 
darin  gefolgt.  In  der  That  entspricht  es  in  seiner  Lagerung  jenem  Kno- 
chen, wie  er  bei  Reptilien  (Sauriern,  Krokodilen)  und  Säugethieren 
vorkommt^.  Durch  die  ausserhalb  des  typischen  Carpus  befindliche 
Lage,  sowie  durch  die  Beziehungen  zur  Sehne  eines  Muskels  ward  ich 
früher  (Untersuchungen  zur  vergleichenden  Anatomie ,  Heft  I,  1864) 
bestimmt,  dem  Pisiforme  eine  andere  Deutung  zu  geben  und  es 
nach  dem  Vorgange  Anderer  ffir  ein  Sesambein  zu  erklären.  Bei  aus- 
schliesslich isolirtem  Vorkommen  am  Ulnarrande  des  Carpus  w3re  auch 
kaum  eine  andere  Anschauung  zu  begründen.  Das  ändert  sieb  durch 
die  Beachtung  anderer  am  Ulnarrande  befindlicher  Knochen ,  zu  denen 
auch  die  bei  Ichthyosaurus  vorkommenden  Reiben  gehören. 

Wie  bei  Plesiosaurus  nur  vom  proximalen  Abschnitte  des  pri- 
mitiven Strahles  Stücke  erbalten  sind,  so  finden  sich  bei  Ichthyo- 
saurus die  Stücke  mehr  dem  distalen  Theile  des  Strahls  entsprechend. 
Jene  lagern  an  der  Seite  der  Vorderarm knocben  und  des  Carpus,  diese 
mehr  in  dem  Verlaufe  der  Pbalangenreihen.  Beiderlei  Befunde  stehen 
also  in  einem  sieb  gegenseitig  ergänzenden  Verhältnisse  zu  einander, 
und  aus  dem  Zusammenbalte  beider  ergiebt  sich  aufs  überraschendste 
dieVorstellungeinesJeuseits  des  Ulnarstrahls  liegenden  anderen  Strahls, 
dessen  StUcke  zum  grOssten  Theile  sich  nicht  mehr  vollständig  ent- 
wickeln'.  (Vergl.  Fig.  ipipSp3p*.) 


>)  Osgemens  fossiles.  Tome  X.  p.  460. 

>]  Bei  ScIiüdkraieD  hat  der  als  Pisiforme  beieicbn«le  Koocheo  eine  verschie- 
dene Lagerung.  Am  Carpus  von  Chelonia  findet  er  sich  von  wsseDtiicher  GrMse 
dem  Carpale  S  aDgesch lassen.  Es  enlslebt  daraus  die  Frage,  ob  liier  wirklich  eine 
Homologie  vorliegt.  So  lange  es  sich  nur  um  das  Vorkommen  Eines  ulnaren  Rand- 
knocbens  handelte,  war  es  motivirL,  die  verschiedene  Lage  auf  Lage  verfind  erung 
desselben  Knochens  lu  deuten.  Das  Vorkommen  mehrerer  Knochen  giebt  der  Mög- 
lichkeit Raum ,  dass  die  in  den  einzelnen  Abtheilungen  höherer  Wirbeltbiere  vor- 
handenen Pisifonnia  nicht  immer  homologe  Theile  sind. 

>]  Bei  Ichthyosaurus  reicht  diese  accessorische  ulnare  Knocbenreihe  luveilen 
Über  den  Carpus  bis  nah«  an  den  Vorderarm.  (Vei^l.  Cim»  Ose.  foss.  PI.  MS, 
Fig,  1.) 


Deber  das  Gliedmaassenskelet  der  Cniiliosaurier.  349 

Jene  einzelnen,  an  der  Ulnarseite  gelagerten  Kno- 
chenstttcke  erscheinen  als  die  unansehnlichen  Reste 
einer  reicheren  Bildung,  von  der  schliesslich  nur  das  Pi- 
siforme  als  letzte  Spur  sich  forterhält. 

Das  Skelet  der  Gliedmaassen  von  Plesiosaurus  ist  uns  somit  nach 
verschiedenen  Seiten  von  grosser  Wichtigkeit.  Erstlich  zeigt  es  sich 
uns  bezüglich  der  allgemeinen  Verhältnisse  seiner  Constitution  in  völ- 
liger Uebereinslimmung  mit  den  Gliedmaassen  der  übrigen  Wirbel- 
thiere,  und  hilft  damit  die  verwandtschaftlichen  Beziehungen  derselben 
fester  begründen.  Zweitens  bietet  es  innerhalb  dieser  Uebereinstim- 
mung  Differenzirungen  eigenthUmlicher  Art,  die  ihm  eine  besondere 
Stelle  anweisen,  jede  Fortsetzung  in  höhere  Formen,  soweit  sie  unter 
den  Lebenden  bekannt  sind,  ausschliessend.  In  dem  Verhalten  des  Gar- 
pus  und  Metacarpus  wird  uns  ein  neuer  Weg  gezeigt,  den  die  Differen- 
zirung  dieser  Theile  eingeschlagen.  Er  führt  uns  zur  Annahme,  dass 
Plesiosaurus  früher  als  die  lebenden  Amphibien  vom 
Vertebratenstamme  sich  abzweigte,  und  dass,  wenn  zwar  das 
Gleiche  auch  von  Ichthyosaurus  gilt,  beide  Gattungen  als  Repräsen- 
tanten sehr  weit  von  einander,  wie  von  allen  lebenden  Amphibien  und 
Reptilien  entfernt  stehender  Abtheilungen,  angesehen  werden  müssen. 


ErkUnuig  der  Abbildongeii. 

Sämmtliche  Figuren  sind  mehr  oder  minder  schematische  Darstellungen  der 
vorderen  Extremität,  und  zur  Erläuterung  der  Homologieen  der  Gliedmaassen  nie- 
derer und  höherer  Wirbelthiere  bestimmt. 
Fig.  1.     Von  Ichthyosaurus,  zum  Theile  nach  der  von  Cuvier  in  den  Oss.  foss. 

4.  Ed.  Taf.  358,  Fig.  4  gegebenen  Abbildung. 
Fig.  S.    Von  Plesiosaurus,  der  grösste  Theil  nach  Owen's  Abbildung  von  Plesio- 
saurus rugosus  (1.  8.  c.) 
Fig.  6.    Schema  des  Skeletes  der  vollständigen  Vorderextremität  eines  Amphibium. 
Fig.  4.    Schema  der  Bildung  der  vorigen  aus  einer  Flosse. 

Bezeichnungen  der  Skelet-Theile: 
H.  Humerus. 

A.  Radius. 

ü.  Ulna. 

r  Radiale  (Scaphoides). 

t  Intermedium  (Lunatum). 

u  Ulnare  (Triquetrum,  Cuneiforme). 

c^  Carpale  >  (Trapezium,  Multangulum  majns) . 

c^  Carpale 3   (Trapezoides,  Multangulum  minus). 

<ß  Carpale >  (Magnum,  Capitatum). 

d  Carpale  4) 

c«  CarpaleM  (üncinatum.  Hamatum). 

ml — B  Metacarpus. 


Eiie  Oebämatter  mit  mindeBteiß  fnnfzig  Fibroides. 


B.  S.  Schnitze. 


Dazu  Tat.  XIV. 

Es  ist  bekanntlich  gar  nicht  selten ,  doss  neben  einander  in  der- 
selben Gebarmutter  eine  Anzahl  Fibroide  vorkommen.  Scanzom'  führt 
an,  dass  er  sich  erinnere ,  ein  Präparat  gesehen  zu  haben ,  an  welchem 
die  Gebärmutter  Wandung  27  derartige  Tumoren  enthielt.  Veit^  sagt, 
die  Anzahl  der  Fibroide  in  einer  Gebärmutter  sei  selten  bedeutend, 
ausnahmsweise  habe  Hbckel  16,  Lisprakc  20,  Kiwtscn  40  in  einer  Ge- 
bärmutter angetroffen.  Die  letztgenannte  Beobachtung  Kiwiscn's  führt 
auch  Elob^  als  die  höchste  ihm  bekannte  Zahl  von  Fibroiden  in  einer 
Gebärmutter  an. 

Hiernach  scheint  mir,  dass  ein  Fall,  in  welchem  die  Zahl  der 
Fibroide  grosser  ist,  der  Veröffentiichung  weith  sei. 

Das  auf  Taf.  XIV.  abgebildete  Präparat  stammt  von  einer  in  bobem 
Alter  verstorbenen,  nicht  verheiratbet  gewesenen  Dame.  Dieselbe  wusste 
seit  mehreren  Decennien,  dass  sie  eine  Geschwulst  im  Unlerleibe  hatte, 
welche  stets  mehr  auf  der  rechten  Seile  gelegen  haben  soll  und  mit 
Wahrscheinlichkeit  für  einen  Eierstockstumor  angesprochen  wUrde.  Be- 
schwerden sind  von  der  Geschwulst  nie  in  dem  Grade  ausgegangen, 
dass  die  Patientin  zu  einer  genauen  Untersuchung  sich  hätte  bestimmen 
lassen.    Im  80.  Lebensjahre  erblindete  sie,  im  83.  erlitt  sie  eine  Apo- 

<]  TON  ScAHiOHi  Lehrbuob  der  Krankheiten  der  weiblichen  Sexuslorgtoe.  Vierte 
Aufl.   1.  Bd.  Wien  48GT.    Seileite. 

'l  Vbit.  Kranlibeiten  der  weiblichen  Gegcblechlsoi^aDe  im  Handbuch  der  spe- 
ciellen  Pathologie  and  Therapie  von  Rini.ViRCBOW.  VI.  Bd.  I[.  Abth.  I),  Heft.  U.  Aull. 
Erlangen  iSflT.  Seile  378. 

3)  Klob.  Psthologis«^  Anatomie  der  weiblichen  Sexualorgane.  Wien  t8B4. 
Seile  1«t, 


Eine  Gebinnutter  mit  mindestens  fünfzig  Fibroiden.  351 

plexia  cerebri,  an  der  sie  nach  achttägigem  Krankenlager  starb.  Mein 
alter  Freund,  Herr  Medicinalrath  Nicolai  in  A.,  sendete  mir  den  frisch 
aus  der  Leiche  genommenen  Unterleibstumor. 

Das  Präparat  besteht  aus  Blase,  Vagina,  Rectum  und  dem  ganz  un- 
regelmässig durch  knollige  Tumoren  vergrösserten ,  stark  gegen  die 
linke  Seite  gedrehten  Uterus ,  dessen  Fundus  durch  die  Insertion  der 
normalen  Tuben  und  normalen  Eierstöcke  leicht  kenntlich  ist.  Am 
Fundus  uteri  prominirt  eine  Anzahl  unregelmässig  gestalteter,  vom  Peri- 
tonaeum  Überzogener,  zum  Theil  steinharter  Tumoren  von  stellenweis 
ebener,  stellenweis  höckeriger  Oberfläche ,  deren  grösster,  pilzförmig 
gestaltet,  Über  die  zahlreichen  Unebenheiten  seines  Randes  hinweg- 
gemessen ,  70  Ctm.  Umfang  zeigt  und  das  Hauptvolum  und  Jlauptr- 
gewicht  des  ganzen  Präparates  (13  Zollpfund j  ausmacht. 

Nachdem  die  Vagina  von  der  linken  Seite  her  gespalten  worden, 
wobei  sie  sich  mit  frisch  ergossenem  Blute  gefüllt  zeigte,  wurde  eine 
Sonde  durch  den  Muttermund  eingeführt  und  an  einer  Stelle ,  wo  die 
Uterus  wand  dünn  war,  dieselbe  gegen  die  Sonde  hin  eingeschnitten. 
Von  dieser  Oeffnung  aus  wurde  die  Höhle  der  Gebärmutter,  deren  ganz 
unrcgelmässig  begrenzter  Verlauf  von  links  unt^n  nach  rechts  oben  sich 
erstreckt,  theils  mit  der  Scheere,  theils  mit  der  Säge  offen  gefegt.  Auch 
die  Gebärmulterhöhle  war  mit  frischem,  meist  geronnenem  Blut  in  an- 
sehnlicher Quantität  angefüllt.  Die  Innenfläche  ist  durch  hineinragende 
feste  Tumoren  und  einige  Schleimpolypen  uneben. 

Die  festen  Tumoren,  welche  theils  unter  der  Peiitonäal-,  theils 
unter  der  Schleimhautfläche  des  Uterus  prominiren ,  theils  in  das  Ge- 
webe seiner  Wand  eingebettet  sind ,  charakterisiren  sich  durch  Form, 
Consistenz  und  Einbettung,  sowie  durch  ihre  Textur  als  Fibroide  (Myome] , 
von  denen  ein  grosser  Theil ,  vor  Allem  der  den  Fundus  rings  über- 
ragende Tumor,  verkalkt  ist. 

Vier  Fibroide  sind  vom  Schnitt  getroffen  worden ,  sechs  andere 
sind  vom  oberen ,  fünf  andere  vom  unteren  Schnittrand  aus  theils  zu 
sehen,  theils  zu  tasten.  8  andere  sind  von  der  Schleimhautfläche  aus, 
27  andere  von  der  Peritonäalfläche  aus  deutlich  als  isolirte  Tumoren  zu 
erkennen.  Somit  sind  50  Fibroide  am  Präparat  zu  zählen  und  höchst 
wahrscheinHch  noch  zahlreiche  andere  im  Gewebe  der  Wand  eingebettet. 

In  Bezug  auf  die  Textur  der  Tumoren  ist  nur  zu  bemerken ,  dass 
sie  vom  gewöhnlichen  Befund  der  Fibroide  oder  Myome  des  Uterus 
durchaus  nicht  abweicht.  Auch  die  Verkalkung  ist  nur  durch  ihre  un- 
gewöhnliche Massenhaftigkeit  ausgezeichnet.  Unter  dem  Peritonäal- 
überzug  ist  die  Verkalkung  an  vielen  Stellen  eine  in  Platten  ausgebrei- 
tete, im  Innern  fast  überall  eine  körnige.   Die  Ralkablage- 


352  B.  S.  Schnltie,  Eine  nebirmulier  «Ic. 

den  meislen  Stellen  eine  amorphe :  einzelne,  aber  zahlreich  versti-eule 
Stellen  zeigen  KnochenteiLtur.  Ueberall  zwischen  den  Kalkabl^igeningen 
zeigl  der  Durchschnitt  unter  dem  Mikroskop  noch  wohl  erhaltene  Mus— 
keibundel. 

Die  Figur  zeigl  die  Gebärmutter  nebsl  ihren  Anhängen  von  vorn, 
Blase,  Scheide  und  Hastdarm  von  vorn  und  links  in  nicht  ganz  '/j  der 
natürlichen  GrOsse.  Das  Präparat  ist,  behufs  der  photographischen  Auf- 
nahme, oberhalb  des  Geblirmuttergrundes  am  Halse  des  grössten  ihm 
aufsitzenden  Fibroides  iixirt  worden,  so  dass  der  schräg  durch  die  vor- 
dere Wand  des  Uterus  geführte  Schnitt  durch  die  eigene  Schwere  der 
Weichtheile  klafft.  Der  Stab  a  liegt  in  der  von  der  linken  Seil«  her 
aufgeschnittenen  Vagina.  Er  ist  durch  den  in  der  Figur  nicht  sichtbaren 
Mutlermund  geführt  und  tritt  mit  seinem  oberen  Ende  b  aus  dem  die 
vordere  Wand  der  Gebärmutter  trennenden  Schnitt  wieder  zu  Tage. 
Der  Stab  c  ist  in  die  äussere  HarnröhrenmUndung  derartig  eingeführt, 
dass  er  bei  d  den  Scheitel  der  Harnblase  berührt,  e  ist  das  Rectum, 
welches  bei  /"hinler  der  linken  DouuLAs'schen  Falte  verschwindet,  g  ist, 
das  Franzenende  der  rechten,  /'  das  der  linken  Tuba,  i  der  linke  Eier— 
stock,  k  das  linke  Ligamentum  rotundum.  Von  l  nach  ni  erstreckt  sich 
mithin  der  Fundus  uteri.  Unter  dem  PeritonäalUberzug  desselben  pro- 
minirt  eine  Reihe  kleinerer  Fibroide,  von  denen  die  beiden  links  (in 
der  Figur  rechts]  gelegenen  stark  verkalkt  sind.  Den  Gipfel  des  Gebür- 
muttergrundes  nimmt  das  grSsste,  sehr  stark  verkalkte,  pilzförmig  auf- 
sitzende Fibroid  tt  ein.  Der  Schnitt,  welcher  die  vordere  Wand  der 
Gebärmutter  crofTnet  hat,  ist  schräg  von  b  nach  m  von  links  unten 
nach  rechts  oben  geführt  worden.  Derselbe  hat  mehrere  interstitielle 
Fibroide  getroffen,  von  welchen  das  eine,  dessen  Schnittflüchen  bei 
0  und  /)  sichtbar  sind,  wegen  starker  Verkalkung  mit  der  Säge  getrennt 
wurde.  Das  Segment  o  dieses  Fibroids  hat  sich  in  seiner  lockeren 
Bindegewebshülle  verschoben,  so  dass  die  Schnittrander  der  Peri- 
lonaalflache  und  des  Fibroids  nicht  mehr  correspondiren.  Die  weile, 
nach  allen  S  eiten  buchtig  begrenzte  Höhle  der  Gebärmutter  ist  von  dem 
reichlichen,  dieselbe  füllenden  Blute  gereinigt.  Einige  der  in  dieselbe 
prominirenden  Fibroide  sind  in  der  Figur  wiedergegeben  worden, 
ebenso  bei  q  der  grössLe  der  Schleimpolypen,  weicher,  etwa  4  Clni. 
lang,  mit  seinem  freien  Ende  gegen  den  Muttermund  hin  sich  erstreckt. 


lieber  Entwickeloogsgang  und  Aufgabe  der  Zoologie. 

Rede 

gehalten  beim  Eintritt  in  die  philosophische  Facult&tzu  Jena 

am  12.  Januar  1869. 

Ton 

Ernst  HaeckeL 

Dem  akademischen  Lehrer,  welcher  seinen  Eintritt  in  eine  Facultät 
der  herkömmlichen  Sitte  gemäss  durch  eine  öffentliche  Rede  einzuleiten 
hat,  bietet  sich  als  das  nächstliegende  und  natürlichste  Thema  eine  Be- 
trachtung der  wissenschaftlichen  Aufgaben,  welche  er  in  seinem  Berufs- 
fache findet,  und  der  Art  und  Weise ,  in  welcher  er  dieselben  zu  lösen 
gedenkt.  Eine  derartige  Erörterung  kann  trivial  und  überflüssig  er- 
scheinen in  jenen  zahlreichen  Zweigen  der  Wissenschaft,  welche  schon 
seit  längerer  Zeit  eine  fest  bestimmte  Richtung  und  ein  klares  Ziel  ge- 
funden haben ,  und  über  deren  Inhalt,  Umfang  und  Behandlung  unter 
ihren  Lehrern  mehr  oder  minder  Uebereinstimmung  herrscht.  Sie  er- 
scheint dagegen  keineswegs  bedeutungslos  in  denjenigen  Disciplinen, 
welche  noch  nicht  dieses  Stadium  der  Reife  erreicht  haben ,  und  dem- 
gemäss  in  sehr  verschiedener  Weise  aufgefasst  und  behandelt  werden. 
Unter  den  Naturwissenschaften  gilt  dies  letztere  von  keiner  in  höherem 
Maasse,  als  von  der  Zoologie.  Ich  glaube  daher,  keineswegs  etwas 
Ueberflüssiges  zu  thun,  wenn  ich  heute  bei  meinem  Eintritte  in  die 
philosophische  Facultät  meine  eigene  Auffassung  von  den  Aufgaben  der 
heutigen  Zoologie  darlege ,  und  den  Sinn  erörtere ,  in  welchem  ich  den 
in  Jena  neu  errichteten  ordentlichen  Lehrstuhl  für  dieses  Fach  zu  ver- 
treten bestrebt  bin. 

Zum  wa^Kren  Verständniss  einer  jeden  Erscheinung  gelangen  wir 
nur  dadurc)! ,  dass  wir  den  geschichtlichen  Gang  ihrer  Entstehung  und 
ihres  WacKsthums  Schritt  für  Schritt  verfolgen.  Jedes  Verhältniss  wird, 
mit  einen;!  Worte,  nur  durch  seine  Entwickelungsgeschichte  er- 
kannt,   bieser  Grundsatz  gilt  ebenso  von  der  menschlichen  Wissen- 

I 


354  Brnsl  Hueckel, 

Schaft,  wie  von  allen  übrigen  organischen  Funclionen.  Es  wird  daher 
zunächst  nothwendig  sein,  einen  übe rsichlii eben  Blick  auf  den  Eal- 
wickelungsgang  zu  werfen ,  welchen  die  Zoologie  im  Verlaufe  des 
menschlichen  Culturlebens  genommen  hat. 

Dieser  Eniwickelungsgang  ist  fürwahr  seltsam  genug,  und  sieht 
in  mancher  Beziehung  einzig  da.  Denn  wenn  wir  unlei  dem  Begriffe 
der  Zoologie  naturgemHss  die  vollständige  Gesammtwissenschaft  von 
dem  Thierleben  in  allen  seinen  verschiedenen  Ersclieinungsformen  und 
Aeusserungen  verstehen,  die  gesammte  Morphologie  und  Physiologie  der 
Thiere,  so  tritt  uns  zunächst  die  befremdende  Thalsache  entgegen,  dass 
die  verschiedenen  Zweige  der  Thierkunde  sich  in  auffallender  Isolirung 
und  Unabhängigkeit  von  einander  entwickelt  haben;  dagegen  zum 
Tbeil  in  engstem  Zusammenhang  mit  verschiedenen  anderen  Wissen- 
schaften. So  ist  der  grössle  Theil  der  Anatomie  und  Physiologie  der 
Thiere  hervorgegangen  aus  dem  BedUrfniss  der  menschlichen  Anatomie 
und  Physiologie,  welche  ihrerseits  wieder  im  Dienste  der  Medicin  gross 
gezogen  wurde.  Dasselbe  gilt  von  einem  Theile  der  thiertscheu  Ent~ 
wi ekel ungsgesch ich te,  nümlich  derjenigen  der  Individuen,  der  Embryo- 
logie, während  der  andere  Haupttheü  derselben,  die  paläontologiscbe 
Entwickelungsgeschichte  der  Thierarten  und  Thierstiimme,  völlig  von 
jenem  ersten  geschieden,  im  Dienste  der  Geologie  entstand.  Die  Psycho- 
logie, ein  integrirender  Bestandlheil  der  Physiologie,  wurde  gänzlich 
von  dieser  gelrennt,  und  unter  die  Vormundschaft  einer  rein  specula- 
tiven  Philosophie  gestellt,  welche  von  der  unentbehrlichen  zoologischen 
Basis  Nichts  wissen  wollte.  Endlich  entwickelte  sich,  ganz  unabhängig 
von  allen  jenen  Discipiinen,  eine  Systematik  des  Thierreicbs,  welche 
sich  lediglich  mit  tiv\-  Beschreibung  und  Classification  der  verscbiedeoen 
Thierarten  beschäftigte.  Obwohl  diese  systematische  Zoologie  den 
grössten  Theil  der  vorher  genannten  Discipiinen  ignorirte,  und  höch- 
stens von  der  Anatomie  eine  Anzahl  von  Daten  entlehnte,  erhob  sie 
dennoch  vor  allen  den  Anspruch,  die  neiganlücbeu  Zoologie  zu  sein, 
und  dieser  Anspruch  kann  gerechtfertigt  erscheinen,  wenn  man  als 
Maassslab  das  Volum  der  zoologischen  Literatur  und  den  Inhalt  ihrer 
Handbücher  belrachtel,  welche  in  der  That  zuni,  bei  weitem  grösslen 
Theile  der  systematischen  Zoologie  gewidmet  sind.  Fngilich  hat  in  neuerer 
Zeit  einestheils  die  Physiologie,  andernlbeils  die  Anatomie  der  Sysi*^- 
malik  ihr  Privilegium  streitig  gemacht,  und  jede  für  sic^  will  jetzt  als 
die  neigenliiche«  Zoologie  betrachtet  werden,  Indess  ist  die.ser  Streit  so 
wenig  erledigt,  dass  bis  auf  den  heutigen  Tag  selbst  unter  den  nam- 
haften Vertretern  unserer  Wissenschaft  die  Ansichten  über  de^ren  Inhalt 
und  Umfang  weit  auseinander  gehen,   und  bald   dieser,   bald  jener 


Geber  Eutwickelungsgang  und  Aafgabe  der  Zoologie.  355 

Theil  als  die  eigentliche  Zoologie  bevorzugt  und  den  anderen  entgegen-^ 
gesetzt  wird. 

Den  unbefangenen,  ausserhalb  der  Fachgrenzen  stehenden  Be- 
obachter muss  diese  Erscheinung  um  so  mehr  befremden ,  als  bereits 
derjenige  grosse  Naturforscher  des  Alterthums ,  welchen  die  dankbare 
Nachwelt  als  «Vater  der  Naturgeschichte«  verehrt,  Aristoteles,  die 
Thierkunde  als  das  auffasste ,  was  sie  naturgemäss  sein  soll ,  als  die 
umfassende  Gesammtwissenschaft  von  den  Thieren.  Seine  klassische 
»Geschichte  der  Thiere«,  in  Verbindung  mit  den  specieller  ausgeführten 
kleineren  Schriften,  der  vergleichend  anatomischen  Schrift  von  den 
Theilen  der  Thiere ,  und  der  ontogenetischen  Schrift  von  der  Zeugung 
und  Entwickelung  der  Thiere ,  offenbaren  uns  eine  so  universelle  und 
grossartige  Auffassung  der  Thierwelt ,  dass  wir  es  begreiflich  finden, 
wie  dieselben  mehr  als  anderthalb  Jahrtausende  hindurch  als  zoo- 
logisches Fundamental  werk  eine  Autorität  ohne  Gleichen  geniessen 
konnten. 

Bis  zum  sechzehnten  Jahrhundert  fand  sich  kein  Forscher,  der  es 
unternommen  hatte,  das  von  Aristotblbs  begonnene  grossartige  Unter- 
nehmen selbstständig  fortzusetzen,  oder  auch  nur  bestimmte  TheUe  des 
von  ihm  entworfenen  Wissen schaftsgebäudes  im  Einzelnen  auszuführen. 
Vielmehr  begnügte  man  sich  damit ,  die  Schriften  des  Aristoteles  ab- 
zuschreiben, zu  übersetzen  und  zu  commentiren. 

Erst  als  durch  die  Entdeckung  der  neuen  Welt,  durch  die  Auf- 
findung des  Seewegs  nach  Ostindien  und  die  zahlreichen  anderen  Ent- 
deckunuisreisen  des  fünfzehnten  und  sechzehnten  Jahrhunderts  eine 
Fülle  von  neuen ,  bis  dahin  unbekannten  Thieren  und  Pflanzen  nach 
Europa  gebracht  wurde ,  begann  die  Naturgeschichte  aus  ihrem  langen 
Schlafe  zu  erwachen.  Zunächst  anregend  wirkte  das  Bedürfniss ,  die 
neuen  Formen  zu  unterscheiden,  zu  ordnen  und  zu  benennen,  und  dies 
Bedttrfniss  wurde  um  so  dringender,  je  mehr  verschiedene  Pflanzen- 
arten in  den  Herbarien ,  je  mehr  verschiedene  Thierarten  in  den  zoo- 
logischen Sammlungen  sich  anhäuften.  Aber  erst  im  Beginn  des  acht- 
zehnten Jahrhunderts  kam  der  grosse  Reformator  der  Naturgeschichte, 
der  mit  kühnem  Geiste  und  mit  gewaltiger  Hand  das  riesenhaft  ange- 
wachsene Material  ergriff,  durchgreifend  ordnete ,  und  zum  ersten  Male 
in  dem  künstlichen  Gebäude  eines  streng  logischen  Systemes  zusam- 
menstellte. 4735  erschien  das  epoohemaohende  »Systema  naturae«  von 
Carl  LiJint ,  und  damit  war  der  feste  Grundstein  für  alle  nachfolgende 
Systematik  des  Thier-  und  Pflanzenreichs  gegeben.  Die  von  Lmffift 
darin  durchgeführte  binäre  Nomenclatur,  die  zwiespältige  Benen- 
nungsweise  der  organischen  Formen,  %\< '    -  ^ch  auf  die  Untersdieidung 


356  Ernst  Haeekel, 

der  Art  (Species)  und  der  Gattung  (Genus)  gründete,  erwies  sich  so 
praktisch,  dass  sie  noch  heutigen  Tages  in  allgemeiner  Geltung  steht. 

Nun  war  es  mit  einem  Male  möglich  geworden ,  die  ganze  unend- 
liche Fülle  der  Thier-  und  Pflanzenformen  übersichtlich  zu  ordnen  und 
unter  den  bestimmten  bleibenden  Namen  von  Gattungen  und  Arten 
in  das.  künstliche  Fachwerk  des  Systems  einzureihen.  Bald  wandten 
sich  daher  ganze  Schaaren  von  Naturforschem  dem  neu  eröffneten  Ge- 
biete der  organischen  Systematik  zu.  Einerseits  die  Unterscheidung 
und  Classification  der  zahllosen  verschiedenen  Thier-.und  Pflanzen- 
arten, andernseits  der  ästhetische  Genuss  an  der  Schönheit,  oder  selbst 
nur  das  neugierige  Interesse  an  der  Curiosität  der  äusseren  Formen, 
übten  eine  solche  Anziehungskraft  aus ,  dass  die  grosse  Mehrzahl  der 
Naturforscher  nach  Linn£  hierin  allein  schon  vollständige  Befriedigung 
fand.  Selbst  heute  noch ,  nachdem  schon  längst  im  Gegensatz  zu  der 
reinen  Systematik  die  anatomisch-physiologische  Richtung  sich  kräftig 
entwickelt  hat,  ist  die  literarische  Thätigkeit  und  wenigstens  das  nu- 
merische Gewicht  ihrer  Vertreter  so  stark,  dass  sie  noch  in  weiten 
Kreisen  als  die  »eigentlichen«  Zoologen  angesehen  werden.  Noch  beute 
beschäftigen  sich  weit  mehr  Naturforscher  mit  dem  Sammeln ,  Aufbe- 
wahren, Ordnen  und  Benennen  der  Thier-  und  Pflanzenformen,  als  mit 
ihrer  anatomischen  und  physiologischen  Untersuchung  oder  mit  ihrer 
Entwickelungsgeschichte.  Noch  heute  füllen  dieselben  die  bei  weitem 
grössere  Hälfte  der  zoologischen  und  botanischen  Literatur. 

Schon  diese  imposante  Vergangenheit  und  die  mächtige  äussere 
Stellung  der  Systematik  nöthigt  uns  hier,  unsere  eigene  Meinung  von 
derselben  darzulegen,  zumal  die  Ansichten  über  Werth  und  Bedeutung 
derselben  gerade  jetzt  sehr  weit  auseinandergehen.  Denn  während  die 
Einen  mit  LiNNfi  im  System  der  Naturkörper  noch  heute  das  eigentliche 
Ziel  der  Naturgeschichte  erblicken,  während  Andere  darin  nur  einen 
übersichtlich  geordneten  Ausdruck  unserer  gesammten  biologischen 
Kenntnisse  im  Lapidarstyl  finden  wollen ,  sprechen  noch  Andere  der 
Systematik  überhaupt  allen  wissenschaftlichen  Werth  ab. 

Um  in  diesem  Widerstreit  der  Meinungen  zu  einem  gerechten  Ur- 
theil  zu  gelangen,  müssen  wir  unterscheiden  zwischen  jener  rein  äusser- 
lichen  Systematik  der  grossen  Menge ,  deren  Ideal  ein  möglichst  voll- 
ständiges zoologisches  Museum  und  Herbarium  ist,  und  zwischen 
derjenigen  Systematik ,  welche  in  dem  natürlichen  System  der  Orga- 
nismen den  hypothetischen  Ausdruck  ihres  wirklichen  Stammbaums 
erblickt,  und  in  dessen  annähernder  Feststellung  ein  eben  so  hohes  als 
schwieriges  wissenschaftliches  Ziel  verfolgt. 


\ 


-^ 


Ueber  CDlwiekeluiigsgang  nnd  Anff^be  der  Zoologie.  357 

Die  Systematik  der  ersten  Art,  die  Museums  Zoologie  und  die 
Herbariums -Botanik,  wie  sie  bisher  ganz  vorwiegend  getrieben  wur- 
den, verdient  allerdings  nicht  den  Namen  einer  Wissenschaft.  Denn 
jede  Wissenschaft  muss  als  solche  einen  gewissen  Schatz  von  allge- 
meinen Resultaten  und  Gesetzen  aufweisen  können ;  sie  muss  nach  dem 
Verständniss  der  Erscheinungen ,  und  nach  der  Erkenntniss  ihrer  Ur- 
sachen streben ;  sie  darf  sich  niemals  mit  der  blossen  Kenntniss  ein- 
zelner Thatsachen  begnügen.  Das  letztere  ist  aber  bei  der  reinen 
Systematik  ganz  gewiss  der  Fall.  Diese  will  weiter  Nichts,  als  alle  ein- 
zelnen Thier-  und  Pflanzenformen  kennen,  beschreiben,  und  mit  Namen 
unterscheiden.  Eine  solche  rein  beschreibende  Naturgeschichte  kann 
aber  nie  eine  Wissenschaft  sein.  Denn  der  Begriff  einer  rein  descrip- 
tiven  Wissenschaft  ist  ein  innerer  Widerspruch,  eine  Contradictio  in 
adjecto.  Wir  sind  gewiss  weit  entfernt  davon ,  den  hohen  praktischen 
Werth  der  descriptiven  Systematik  zu  unterschätzen.  Sie  ist  sowohl 
für  die  zoologischen  und  botanischen  Sammlungen,  als  auch  für  die 
eigentlich  wissenschaftlichen  Untersuchungen  der  Thiere  und  Pflanzen 
ganz  unentbehrlich.  Sie  ist  ebenso  unentbehrlich  als  diese  Sammlungen 
selbst ,  und  die  ganze  Verwerthung  der  zoologischen  und  botanischen 
Kenntnisse  für  das  praktische  Leben  ist  von  ihr  abhängig.  Allein  eine 
praktische  und  angewandte  Wissenschaft  ist  eben  keine  reine  Wissen- 
schaft mehr,  sondern  eine  Kunst,  und  wir  werden  daher  die  rein 
descriptive  Systematik  der  Thier-  und  Pflanzenformen  ebenso  als  eine 
Kunst  zu  betrachten  haben ,  wie  die  praktische  Medicin ,  die  Pharmacie 
und  die  Landwirlhsdiaft ,  denen  sie  ja  auch  in  besonderem  Maasse 
dienstbar  ist. 

Gänzlich  verschieden  von  dieser  künstlichen  descriptiven  Syste- 
matik ist  diejenige  wahrhaft  wissenschaftliche  Systematik,  welche  in 
dem  natürlichen  Systeme  der  Thier-  und  Pflanzenarten  den  wahren 
Stammbaum  derselben  erblickt  und  aufsucht.  Diese  genealogische  Be- 
handlung und  Auffassung  des  natürlichen  Systems  ist  freilich  erst  in 
der  jüngsten  Zeit  mOglicb  geworden,  seitdem  Charles  Darwin  durch 
seine  Reform  der  Descendenz -Theorie  uns  zu  einem  wahren  ursäch- 
lichen Verständniss  der  organischen  Erscheinungswelt  geführt  hat. 
Freilich  wird  es  noch  lange  dauern ,  ehe  auch  nur  die  Hauptzweige  des 
systematischen  Stammbaums  vollkommen  festgestellt  sein  werden ,  und 
die  Aufgabe  unserer  genealogischen  Systematik  ist  höchst  verwickelt. 
Aber  dennoch  gehört  ihr  die  Zukunft!  Nur  durch  die  genealogische 
Auffassung  des  natürlichen  Systems,  welche  in  den  Kategorien  oder 
Gruppenstufen  desselben,  in  den  Classen,  Ordnungen,  Gattungen  und 
Arten  lediglich  divergente  Zweige  des  wahren  Stammbaums  erblickt, 

Bd.  V.  S.  34 


ZA^.f.t^  inv/<;m  vjtxjri  uittir  und  c>-U'd<raiiiaLriuft  lutüii:^;«  S^fiSec 

Mpjr'lie,  irrj(/M^  uitrbr  du'  ^euiriui!«'!)  fhiduni:»-  ond  EntvidHmusTcT— 
tuiun-v-  li^r  iit'fittiusiitfra  Vitniitm  zur  br<^tWD  BaMS  iLner  5^  st^natiscWc. 
l.'fil*fv-t>^'Jiiiig  zu  itutctren.  I>ie  frtiiy-re,  \on  Lrirt  au5£<^b«ttiir  Syst*— 
riwtjk  Mar  mv>f*Yn  rem  ktlnMli'-b .  aU  sie  meisU^s  dut  etostlDr .  vx^i 
V'jn:M(t»v*ei*e  äussere,  If-kbl  kennllic^  Herimale  lur  UnUi Mbriduu^ 
ifcrr  Arte«  uiwj  GaUuiij^en  und  s*-lbsl  der  srösserefi  Gruppen ,  der  Onl- 
nutiff^i  uwlClassen,  ItenuUle,  und  bei  deren  Verwerthong  rein  lo^isrt: 
terfitbr  mU^r  uetii^^tens  verfahren  sollte.  Die  spdlere  Sjslematit.  a>«— 
lievinderc  vil  Beginn  unsere«  Jahrbunilerts ,  fassle  aber  slalt  ilessen 
rwrlir  den  (firnammlen  Cliarakl«r  des  Baues  und  namenllicfa  die  wicb— 
lt)ftT<n  iniHüren  VVrlüllnbse  ins  Auge ,  und  slflUle  sich  in  den  leuten 
lfei»]rnnien  audi  sclion  wesenüich  auf  die  Rmbrjolotiie.  Indem  bqd 
iuinter  nwlir  dieHe  lelzlere,  und  überhaupt  die  gesammle  Entwickeluncs- 
(teM^hictile  in  ihrem  fundamentalen  Werthe  erkannt  und  auch  in  der 
d'tMTipliven  S)Nteniatik  verwerthet  wurde,  nahm  die  Classi6catioa  un- 
willkuriidt  initiier  entnchiedener  ihre  Richtung  auf  das  genealo^'scfae. 
wahrhaft  natürliche  Systtem,  gab  aber  dabei  nothneodig  haufi::  ihren 
loitiHcrfien  Charakter  auf.  Denn  die  .streng  logische  Classification  muss 
nolhwendri;  oft  künstlich  sein  und  kann  sehr  oft  aus  vielen  GrOnden 
nicht  mit  dttr  genealogischen  natürlichen  Classification  zusammen- 
fallen. 

Die  synthetisclie,  genealogische  Systematik  der  Zukunft  wird  mehr 
aU  »lies  Andere  dazu  beitragen,  die  verschiedenen  isolirten  Zweige  der 
Zoologie  in  einem  natürlichen  Mittelpunkte,  in  der  wahren  Natur- 
goMchichle  zu  sammeln,  und  zu  einer  umfassenden  geschichtlichen 
Gesammtwissenschaft  von  Thierleben  zu  vereinigen.  Die  analytische, 
deHcriptive  Systematik  der  Vergangenheit  that  gerade  das  Gegentheil, 
Indem  Hio  inmier  bestrebt  war,  sich  als  »eigentlicheu  Zoologie  in  den 
Vordergrund  /.u  drängen,  und  diejenigen  WissunschKrtszweige,  die  ihr 
eigentlich  erst  ihren  inneren  Gehalt  geben ,  vor  allen  die  Anatomie  und 
KntwickelungHgeschicIite ,  aus  dem  Gebiete  der  sogenannten  eigenl- 
lirlieri  Zoologie  nuszuscliliessen.  Dieses  sonderbare  Verhaltniss  lässt 
Mich  grossentheils  aus  der  schon  vorher  berührten  Isolirung  erklären, 
in  der  sich  die  Anatomie  und  die  Übrigen  Zweige  der  Zoologie,  grossen- 


Ueber  Gntwickeliinjo^sgang  und  Aufgabe  der  Zoologie.  359 

iheils  in  Zusamuienbang  mit  anderen,  fremden  Wissenschaften,  ent- 
wickelten. 

Derjenige  Theil  der  wissenschaftlichen  Zoologie ,  welcher  vor  allen 
zunächst  von  der  Systematik  hätte  gepflegt  werden  sollen  ,  die  Morpho- 
logie, d.  h.  die  Anatomie  und  Entwickelungsgeschichte ,  hat  sich 
eigentlich  bis  zum  Beginn  unseres  Jahrhunderts  vollkommen  unab- 
hängig von  der  herrschenden  systematischen  Zoologie  erhalten.  Ja  selbst 
jetzt  noch  flnden  wir  von  anerkannten  Naturforschern  und  weitver- 
breiteten Handbüchern  die  Frage  eröi*tert,  ob  denn  eigentlich  die  ver- 
gleichen deAnatomie  der  Thiere  zur  Zoologie  gehöre  oder  nicht? 

Allerdings  hatte  bereits  Aristoteles  erkannt,  dass  die  Naturge- 
schichte der  Thiere  auch  die  Kenntniss  ihres  inneren  Baues  umfasse 
und  hatte  selbst  schon  vielfach  Thiere  zergliedert.  Ja,  schon  sein  grosser 
Vorgänger,  Democritus  von  Abdera,  der  Begründer  der  Atomenlehre, 
hatte  seinen  Eifer  für  Thier-Anatomie  so  weit  getrieben,  dass  ihn  seine 
Mitbürger  für  wahnsinnig  hielten,  und  ihm  den  Aufenthalt  in  ihrer 
Mitte  untersagten.  Allein  in  der  Folgezeit  wurde  die  Kenntniss  vom 
inneren  Bau  des  Thierkörpers  vorzugsweise  durch  die  Modicin  gefördert, 
welche  schon  frühzeitig  das  dringende  Bedürfniss  empfand,  den  inneren 
Bau  des  menschlichen  Körpers  genau  kennen  zu  lernen.  Da  aber  Vor- 
urtheil  und  Aberglauben  während  des  ganzen  Alterthums  und  Mittel- 
alters der  Zergliederung  menschlicher  Leichen  die  grössten  Hindernisse 
in  den  Weg  legten,  so  nahm  man  seine  Zuflucht  zur  Anatomie  der  dem 
Menschen  nächstverwandten  Säugethiere,  und  zog  aus  deren  innerem 
Bau  Schlüsse  auf  die  entsprechenden  Verhältnisse  beim  Menschen.  Der 
römische  Arzt  Claudius  Galenus,  welcher  im  zweiten  Jahrhundert  nach 
Christus  lebte ,  und  dessen  Schriften  über  menschliche  Anatomie  und 
Pathologie  bis  zum  fünfzehnten  Jahrhundert  sich  einer  unumschränkten 
Autorität  erfreuten,  schöpfte  seine  Kenntniss  des  menschlichen  Baues 
vorzugsweise  aus  der  Zergliederung  von  Affen.  Selbst  noch  im  vier- 
zehnten und  fünfzehnten  Jahrhundert  wagte  man  menschliche  Anatomie 
nur  in  verborgenen  Schlupfwinkeln  zu  treiben,  besonders  seitdem 
Papst  BoifiPAZ  VIH.  den  grossen  Kirchenbann  über  Alle  ausgesprochen 
hatte,  welche  menschliche  Leichen  zu  zergliedern  wagten.  So  be- 
schränkten sich  denn  die  wissbegierigen  Aerzte  meistens  auf  die  Ana- 
tomie der  Hunde ,  Pferde  und  anderer  leicht  zugänglichen  Hausthiere. 

Auf  diese  Weise  wurden  schon  mancherlei  Kenntnisse  über  den 
inneren  Bau  des  Körpers  der  höheren  Thiere  gesammelt.  Aber  erst  im 
achtzehnten  Jahrhundert  fing  man  wieder  an ,  auch  die  Anatomie  der 
niederen  Thiere  in  ausgedehnterem  Maasse  zu  untersuchen  und  zu  ver- 
gleichen, und  gegen  Ende  desselben  bereiteten  namentlich  Pallas,  Poli 


* 


360  Fernst  Haeckel, 

und  Cahpbr  den  Boden  vor,  auf  welchem  endlich  im  Anfange  unseres 
Jahrhunderts  Gutier  zum  ersten  Male  ein  selbst  ständiges  Lehrgebäude 
der  vergleichenden  Anatomie  errichten  konnte. 

Unter  den  zahlreichen  und  grossen  Verdiensten,  welche  sich  Cijtisb 
um  die  Förderung  der  Zoologie  erwarb ,  steht  oben  an  die  Unterscheid 
düng  der  grossen  natürlichen  Uauptgruppen ,  welche  er  Zweige  oder 
Typen  des  Thierreichs  nannte  und  welche  er  durch  die  wesentlichen, 
Constanten  Grundzüge  ihres  inneren  anatomischen  Baues  cbarakterisirte. 
Die  wichtigsten  allgemeinen  Resultate  der  vergleichenden  Anatomie 
wurden  dadurch  zugleich  zum  ersten  Male  für  die  systematische  Thier— 
künde  verwerthet,  und  damit  der  Anfang  eines  natürlichen  Systems 
gemacht.  Da  nun  Cuyier  gleichzeitig  ebenso  umfassende  Kenntnisse  in 
der  thierischen  Systematik,  als  gründliches  Verständniss  der  ver- 
gleichenden Anatomie  besass ,  musste  ihm  der  innere  Zusammenhang 
dieser  beiden  Disciplinen  völlig  klar  werden ,  so  dass  er  sogar  die  ver- 
gleichende Anatomie  gleichzeitig  als  die  Voraussetzung  und  als  das  Ziel 
der  Zoologie  bezeichnen  konnte. 

Indessen  war  diese  Verschmelzung  weit  davon  entfernt,  allgemein 
anerkannt  zu  werden.  Vielmehr  trat  in  der  Folge  eher  wieder  eine 
Verschärfung  des  Gegensatzes  zwischen  beiden  ein ,  indem  man  einer- 
seits die  Erforschung  des  inneren  Baues,  welche  bei  den  höheren 
Thieren  nur  durch  Zergliederung  möglich  ist ,  der  vergleichenden  Ana- 
tomie, andererseits  die  Beschreibung  der  äusse  ren  Formen  der  eigent- 
lichen, d.  h.  der  systematischen  Zoologie  zuwies.    Hierin  lag  aber  eben 

* 

ein  doppelter  Fehler.  Denn  erstens  ist  die  blosse  anatomische  Zerglie- 
derung der  Thiere  und  die.  Beschreibung  ihres  inneren  Baues  noch 
lange  nicht  vergleichende  Anatomie,  sondern  vielmehr  blosse 
Zootom ie;  die  Zootomie  aber  verfährt  bloss  analytisch  und  beschrei- 
bend; die  vergleichende  Anatomie  dagegen,  wie  ihr  Name  sagt,  syn- 
thetisch und  vergleichend  —  diese  behauptet  den  Rang  einer  wahrhaft 
philosophischen  Wissenschaft,  worauf  jene  niemals  Anspruch  erbeben 
kann ;  die  Zootomie  bleibt  eine  reine  Kunst,  so  gut  wie  die  menschliche 
Anatomie,  so  lange  diese  letztere  nicht  vergleichend  und  synthetisch  zu 
Werke  geht. 

Zweitens  aber  ist  es  auch  falsch ,  unter  Anatomie  bloss  die  Kennte 
niss  des  inneren  Baues  und  nicht  der  äusseren  Körperformen  zu 
verstehen.  Vielmehr  ist  Anatomie  die  gesammte  Kenntniss  von  den 
entwickelten  oder  voUendeten  Formen  der  Organismen ,  gleichviel  ob 
dieselben  äusserlich  an  der  Oberfläche  des  Körpers  zu  Tage  treten  oder 
nicht.  Wenn  z.  B.  Satigny  in  den  unendlich  mannigfaltig  gebildeten 
Mundtheilen  der  Insecten  eine  und  dieselbe  gemeinsame  Grundform, 


Ueber  Entwickeln ngsgaug  und  Anfgabe  der  Zoologie.  361 

einen  einheitlichen  sogenannten  Bauplan  nachw  ies ,  so  war  dies  reine 
»vergleichende  Anatomiea,  obwohl  die  Mundtheile  der  Inseot^n  ganz 
äusserlich  liegen  und  auch  von  der  systematischen  Zoologie  beständig 
verwerthet  werden ,  aber  freilich  nur  in  entgegengesetztem ,  in  analy- 
tischem oder  zootomischem  Sinne. 

In  gleicher  Welse ,  wie  die  Lehre  von  den  Organen ,  welche  den 
Hauptbestandtheil  der  vergleichenden  Anatomie  bildet ,  so  hat  auch  die 
Lehre  von  den  Elementartheilen  derselben,  die  Gewebelehre,  Histo- 
logie oder  Zellenlehre,  durch  die  Medicin  angeregt,  von  der  mensch- 
lichen Anatomie  ihren  Ausgangspunkt  genommen.  Allerdings  begann 
der  grosse  Italiener  Margjsllo  Malpighi  schon  vor  mehr  als  zwei  Jahr- 
hunderten mit  Hülfe  des  so  eben  entdeckten  Mikroskopes  den  feineren 
Bau  sowohl  des  thierischen,  als  des  pflanzlichen  Körpers  und  seine  Zu- 
sammensetzung aus  verschiedenen  Geweben  zu  erforschen.  Allein  so- 
wohl Malpighi  und  LBEUWiifHOECK,  als  auch  die  Mikroskopiker  des  acht- 
zehnten Jahrhunderts  vermochten  nicht  ttber  eine  bunte  Sammlung  von 
zusammenhangslosen  Thatsachen  hinauszukommen,  und  selbst  nachdem 
Xaver  BicHAT  4  801  durch  seine  »Anatomie  generale«  die  erste  zusam- 
menhängende Gewebelehre  des  Menschen  gegeben  hatte,  verflossen 
beinahe  noch  vierzig  Jahre,  bis  Thiodor  ScHWAifpr,  angeregt  durch 
Sgblbideii's  kurz  zuvor  aufgestellte  pflanzliche  Zellen theorie,  seine 
epochemachenden  »Untersuchungen  ttber  die  Uebereinstimmung  im  Bau 
und  Wachsthum  der  Thiere  und  Pflanzen«  veröffentlichte.  Damit  war 
der  Nachweis  geliefert ,  dass  auch  der  Leib  der  Thiere  ebenso  wie  der 
der  Pflanzen  aus  selbststündtg  lebenden  elementaren  Organismen  oder 
Individuen  erster  Ordnung,  aus  Zellen,  zusammengesetzt  sei ,  und  dass 
jeder  vielzellige  Organismus  aus  einer  einfachen  Zelle  entstehe.  In- 
dessen wirkte  merkwürdiger  Weise  diese  Zellentheorie  in  der  Zoologie 
bei  weitem  nicht  so  mächtig  und  allgemein  fördernd,  als  in  der  Botanik, 
wo  die  Zellenlehre  bald  so  sehr  den  Hauptbestandtheil  der  Anatomie 
bildete,  dass  man  beide  Begriffe  oft  geradezu  fttr  identisch  annahm. 
Nur  die  menschliche  Zellenlehre  und  die  damit  zusammenhängende 
Gewebelehre  des  Wirbeithierkörpers  nahm  bald  einen  äusserst  kräf- 
tigen Aufschwung,  da  die  wissenschaftliche  Medicin  ihre  fundamentale 
Bedeutung  richtig  begriff.  Namentlich  vermochte  der  scharfsinnige 
ViRGHOw  durch  seine  Ceilularpathologie  das  innere  Wesen  des 
Zellenlebens  tiefer  zu  ergreifen  und  darzustellen ,  als  die  grosse  Scbaar 
der  bloss  an  den  äusseren  Zellenformen  haftenden  Histologen.  Dagegen 
blieb  die  Gewebelehre  der  wirbellosen  Thiere  ausserordentlich  zurttck, 
und  erst  das  letzte  Jahrzehnt  hat  in  umfassenderer  Weise  die  Ausbeu- 
tung der  unermesslichen  hier  verborgen  liegenden  Schätze  begonnen. 


362  ^'Oii  HHCfkel, 

Mehr  zu  heklagin  bleibt  aber  jedenfalls,  dass  auch  heute  noch  das 
i^igeniliche  Verständniss  des  Zellenlebeiis  den  meisten  sogenannten  Zoo- 
logen gänzlich  abgeht,  und  dass  die  Gewebelehre  noch  in  weil  hithereni 
Maassc  als  die  Organlehre,  als  eine  Disciplin  betrachtet  wird,  um  die  sich 
die  eigentliche  Zoologie  nicht  sehr  zu  kümmern  brauche. 

In  noch  weiterem  Abslande  von  der  systematischen  Zoologie,  als 
ilic  vorgleichende  Anatomie  und  Gewebelehre,  bildete  sich  dieEnt- 
wickelungsgeschichte  der  Thicre  aus.  Dies  gilt  von  beiden 
Zweigen  derselben,  sowohl  von  der  Entwickeln  ngsgeschichte  der  thieri- 
schen  Individuen,  welche  gewöhnlich  Embryologie,  richtiger  Onto- 
genie  genannt  wird,  als  von  derjenigen  der  Ibicriscben  Arten  und 
SlUiiime,  der  paläontologischen  Enlwickclungsgeschichle  odcrPhy- 
logonie. 

Für  die  crstere  bildete  wieder  die  Naturgeschichte  des  Henschon, 
und  das  Interesse,  welches  die  wissenschaftliche  Mcdicin  an  der5etl>en 
haUe,  ilen  Ausgangspunkt.  Die  menschlichen  Anatomen  musslen  na- 
Uii'lich  auch  den  Bau  und  die  Entwickelung  des  menschlichen  Embryo 
in  ItcLrfichl  ziehen.  Da  aber  die  frilhasten  Stadien  der  embryonalen 
Entwickelung  beim  Menschen  sowohl  als  bei  den  übrigen  Säugcthieren 
nur  schwer  zugänglich  sind,  so  wandte  man  sich  schon  frühzeitig  an 
dicjiiiigen  nächst  verwandten  Wirbellbiere ,  die  Vögel,  bei  denen  sich 
die  lu)iwickelung  des  Eies  bequem  von  Anfang  an  verfolgen  lässl.  Aber 
(ib^iilil  schon  im  17.  Jahrhundert  eine  Anzahl  Darslclhingen  von  Wirbel— 
lhii'r-p;:inbryoneo  aus  früheren  und  spateren  Stadien  gegeben  wurden, 
.so  vermachte  doch  erst  Caspar  Friedrich  VVolpf  in  seiner  HS!)  erschie- 
nenen nTheoria  generationis«  das  eigentliche  Wüsen  der  thierischen 
Entwickelung,  als  einer  wahren  Epigenesis,  darzulegen,  und  selbst 
dann  verfloss  noch  ein  halbes  Jahrhundert,  ehe  dieselbe  die  verdiente 
Anerkennung  gewann. 

Als  nun  im  Beginn  unseres  Jahrhunderts  die  Embryologie  nament^ 
lieh  rliirch  Pakdeb  und  Baer  einen  neuen,  mächtigen  Aufschwung  nahm, 
uiMV'ii  CS  wieder  vor  allen  die  Wirbelthicre,  und  in  erster  Linie  die 
.S.iijL;rihiero  und  Vögel,  um  deren  Entwickelungsgcschichte  man  sich, 
im  lliidjlick  auf  diejenige  des  Menschen,  am  meisten  bemühte  1  Aller- 
ilinj^s  zeichnete  der  weitblickende  Bahr  schon  in  seiner  Eulwickelungs- 
ge.suliichte  der  Thiere,  welche  vorzugsweise  die  Wirbellliiere  behandelt«, 
in  grossen  Umrissen  auch  die  CharakterzUgc,  durch  welche  sich  die 
vurscbicdenen  Ilaupigruppen  der  wirbellosen  Thiere  in  ihrer  Onlogenic 
unterscheiden.  Indessen  begannen  eingehendere  und  umfassendere 
Studien  Über  die  Entwickelungsgcschichte  der  verschiedenen  Wirbel- 
losti)  erst  einige  Decennien  später  angestellt  in  werden,    und   auch 


Ueber  Entwickeluugsgang  und  Aufgabe  der  Zoologie.  363 

heute  ist,  trotz  der  zahlreichen  und  glänzenden  Entdeckungen  der  ver- 
flossenen Jahrzehnte ,  unsere  zusammenhängende  Erkenntniss  von  der 
Entwickelungsgeschichte  der  Wirbellosen  viel  weiter  zurück ,  als  die- 
jenige der  Wirbellhiere.  Jedenfalls  ist  aber  so  viel  gewonnen ,  dass 
heutzutage  in  der  Zoologie  ebenso  wie  in  der  Botanik ,  die  wahrhaft 
wissenschaftlichen  Vertreter  derselben  die  Entwickelungsgeschichte  als 
das  unentbehrliche  Fundament  anerkennen,  durch  welches  ein  wahres 
anatomisches  Verständniss  der  entwickelten  Formen  erst  gewonnen 
werden  kann. 

Freilich  beschränkte  sich  diese  Anerkennung  bisher  nur  auf  den 
einen,  eben  genannten  Zweig  der  Entwickelungsgeschichte,  auf  die- 
jenige der  thierischen  Individuen.  Dagegen  ist  der  andere,  nicht 
mindere  bedeutungsvolle  Zweig  derselben  bis  in  die  neueste  Zeit  im 
auffallendsten  Maasse  vernachlässigt  worden.  Das  ist  die  paläontolo- 
gische Entwickelungsgeschichte  der  T  h  i  e  ra  r t e  n ,  die  Phylogenie.  Sie 
hat  die  Formenwandlungen  zu  erforschen,  welche  die  wenigen  grossen 
Hauptclassen  des  Thierreichs,  die  Phylen  oder  Stämme,  während 
der  langen  Perioden  der  Erdgeschichte  unter  beständigem  Wechsel 
ihrer  Arten  durchlaufen  haben. 

Erst  seitdem  Charles  Darwin  1859  seine  epochemachende  Se- 
lectionstheorie  aufgestellt,  und  dadurch  der  von  Laharck  50  Jahre  früher 
begründeten  Descendenztheorie  ihr  unerschütterliches  causales  Funda- 
ment gegeben  hatte ,  erst  seitdem  ist  es  möglich  geworden ,  an  diesen 
wichtigen  und  interessanten,  bisher  aber  nicht  einmal  dem  Namen  nach 
existirenden  Zweig  der  Zoologie,  ernstlich  Hand  anzulegen.  Es  erklärt 
sich  das  daraus,  dass  das  empirische  Material  dieser  Stam'mesgeschichte 
sich  auf  einem  weit  entfernten  Gebiete  der  Naturwissenschaft,  ohne 
jeden  inneren  Zusammenhang  mit  der  Zoologie ,  angehäuft  hat.  Denn 
die  versteinerten  Thierreste,  welche  im  Schoosse  der  Erde  begraben 
liegen,  und  welche  als  »Denkmünzen  der  Schöpfung«  uns  die  Geschichte 
der  ausgestorbenen  Thiergeschlechter  von  Jahrtausenden  her  erzählen, 
sind  zuerst  und  vorzüglich  wegen  ihrer  Bedeutung  für  die  Entwickelungs- 
geschichte des  Erdkörpers  studirt  worden.  Die  Geologen  waren  es,  welche 
den  Petrefacten  zuerst  eingehende  Aufmerksamkeit  schenkten,  und  daher 
hat  sich  die  Paläontologie  gänzlich  im  Dienste  der  Geologie  entwickelt. 

Nun  liegt  der  Werth  d<T  Versteinerungen  für  den  Geologen  vor 
allem  darin,  dass  sie  ihm  das  relative  Alter  der  über  einander  liegenden, 
aus  dem  Wasser  abgesetzten  Erdschichten  anzeigen.  Der  Zoolog  da- 
gegen erkennt  in  den  Petrefacten  die  Reste  von  ausgestorbenen  Vor- 
fahren und  Blutsverwandten  der  jetzt  lebenden  Thierarten,  und  er 
muss  aus  der  gesetzmässigen  historischen  Aufeinanderfolge  derselben 


364  Ernst  Haeckel, 

eine  wahre  Slammesgeschichte  derselben,  die  conti nuirticbe  Um- 
bildung s  geschieh  le  der  Speciesformen ,  zu  construiren  suchen.  Daher 
haben  i.  B.  die  verschiedenen  Saugetbieireste  fUr  den  Zoologen  das 
höchste,  fUr  den  Geologen  nur  ein  sehr  geringes  Interesse.  Anderer- 
seits sind  die  zahlreichen  versteinerten  Schnecken-  und  Muschelarten, 
welche  für  die  Geologie  als  nLeitmu schein«  zur  Bestimmung  der  Ge- 
birgs-Pormationen  die  höchste  Bedeutung  besitzen,  für  die  Slammes- 
geschichte der  Thiere  nur  von  untergeordnetem  Werthe. 

Kein  Fehler  hat  in  der  bisherigen  Behandlung  der  Zoologie  lu  so 
grossen  Missgriffen  geführt,  als  jene  unnatürliche  Trennung  der  beiden 
Zweige  der  E n twi ekel ungsge schichte.  Unmöglich  könnt«  man  das 
eigentliche  Wesen  der  organischen  Entwickelungsgeschichte  verstehen, 
solange  sich  die  Ontogcnie  und  die  i'hylogenie,  die  Entwicke- 
lungsgeschichte der  Individuen  und  diejenige  der  Arten,  nicht  um 
einander  kümmerten.  Denn  thatsächlich  stehen  Ja  diese  beiden  üüirten 
der  Entwickelungsgeschichte  im  allerinn igsten  ursächlichen  Zusammen- 
hang. Die  Pormenreihe ,  welche  das  organische  Individuum  bei  seiner 
kurzen  und  schnellen  Entwickelung  vom  Ei  an  durchläuft,  wiederholt 
uns  in  grossen  und  allgemeinen  Zügen  die  Formenreihe,  welche  seine 
Vorfahren  seit  Beginn  der  organischen  Schöpfung  in  dem  langen  und 
langsamen  Gange  ihrer  Stammesgeschichte  oder  ihres  Ärtenwechsels 
durchlaufen  haben.  Oder  mit  anderen  Worten :  die  individuenge- 
schichte,  die  Ontogenie,  ist  eine  kurze  und  schnelle,  durch  die  Gesetze 
der  Vererbung  und  Anpassung  bedingte  Wiederholung  der  Slammes- 
geschichte, der  Phylogenie. 

Die  klare  Erkenntniss  dieses  hitchst  wichtigen  Verhältnisses  ist  von 
der  grössten  Bedeutung,  nicht  allein  für  die  Würdigung  der  Entwicke- 
lungsgeschichte, sondern  auch  der  ganzen  Zoologie.  Aus  dem  Umstände 
aber,  dass  dasselbe  erst  in  der  jüngsten  Zeit  klar  erkannt  wurde,  kann 
man  schliessen ,  wie  weit  unsere  Wissenschaft  noch  zurUck  ist.  Die 
natürliche,  genealogische  Systematik,  welche  das  System  der  Thier- 
und  Pllanaenarten  als  ihren  Stammbaum  aufzufassen  hat,  wird  erst  in 
Folge  jener  Erkenntniss ,  wie  wir  schon  vorher  sahen ,  sich  frei  ent- 
wickeln können. 

Die  bisher  erwähnten  Zweige  der  Zoologie,  die  Anatomie  und 
Systematik,  die  Entwickelungsgeschichte  der  Individuen  und  der 
Stamme,  gehören  sämmtlich  Jenem  ausgedehnten  Gebiete  unserer 
Wissenschaft  an,  welches  man  unter  dem  Namen  der  Formenlehre 
oder  Morphologie  der  Thiere  begreift.  Dieser  gegenüber  steht  als 
andere  Hälfte  der  Zoologie  die  Physiologie,  die  Lehre  von  den 
Lehenserscheinungen  der  Thiere.    Wie  die  Morphologie  in  die  beiden 


Oeber  Eutwickelungsgaug  und  Aufgabe  der  Zoologie.  365 

Haupizweige  der  Anatomie  und  £ntwickeiungsgescbichie,  so  zerfallt  die 
Physiologie  in  die  beiden  Hauptzweige  der  inneren  und  äusseren ,  der 
Conservations-  und  der  Relations- Physiologie.  Die  erstere  untersucht 
die  Functionen  des  Organismus  an  sich ,  die  letztere  seine  Lebensbe- 
ziehungen zur  Aussenwelt.  Auch  diese  beiden  Disciplinen  haben  wieder 
von  ganz  verschiedenen  und  weit  entfernten  Gebieten  der  Naturwissen- 
schaft ihren  Ausgangspunkt  genommen. 

Was  zunächst  die  Siussere  oder  die  Relations-Physiologie  betriSl, 
d.  h.  die  Lehre  von  den  Beziehungen  des  thierischen  Organismus  zur 
Aussenwelt,  so  zerfällt  diese  wieder  in  zwei  Theile,  die  Oecologie  und 
die  Chorologie.  der  Thiere.  Unter  Oecologie  verstehen  wir  die  Lehre 
von  der  Oeconomie,  von  dem  Haushalt  der  thierischen  Organismen. 
Diese  hat  die  gesammtcn  Beziehungen  des  Thieres  sowohl  zu  seiner 
anorganischen,  als  zu  seiner  organischen  Umgebung  zu  untersuchen, 
vor  allen  die  freundlichen  und  feindlichen  Beziehungen  zu  denjenigen 
Thieren  und  Pflanzen,  mit  denen  es  in  directe  oder  indirecte  Berührung 
kommt;  oder  mit  einem  Worte  alle  diejenigen  verwickelten  Wechsel- 
beziehungen, welche  Darwin  als  die  Bedingungen  des  Kampfes  um's 
Dasein  bezeichnet.  Diese  Oecologie  (oft  auch  unpassend  als  Biologie  im 
engsten  Sinne  bezeichnet]  bildete  bisher  den  Hauptbestandtheii  der 
sogenannten  »Naturgeschichte«  in  dem  gewöhnlichen  Sinne  des  Wortes. 
Sie  entwickelte  sich ,  wie  die  zahlreichen  populären  Naturgeschichten 
älterer  und  neuerer  Zeit  zeigen ,  im  engsten  Zusammenhang  mit  der 
gewöhnlichen  Systematik.  So  unkritisch  nun  auch  meistens  hierbei 
diese  Oeconomie  der  Thiere  behandelt  wurde,  so  erwarb  sie  sich  jeden- 
falls das  Verdienst,  das  Interesse  fUr  Zoologie  in  weiteren  Kreisen  le- 
bendig zu  erhalten. 

Viel  geringere  Theiinahme  fand  bis  vor  Kurzem  der  andere  Zweig 
der  Relations-Physiologie,  die  Chorologie,  d.  h.  die  Lehre  von  der 
geographischen  und  topographischen  Verbreitung,  von  den  horizontalen 
und  vertikalen  Grenzen  der  Thierarten,  oder  die  Geographie  der  Thiere 
im  weitesten  Sinne  des  Wortes.  Bisher  bestand  dieselbe  aus  einem 
wüsten  Chaos  von  bunt  zusammengehäuflen  und  unverstandenen  That- 
Sachen ,  welchem  selbst  ein  Albxaiidbr  Humboldt  und  ein  Carl  Rittbr 
nur  hier  und  da  ein  tieferes  Interesse  abzugewinnen  vermochte.  Erst 
durch  Dabwin's  Noubegründung  der  Descendenz- Theorie  ist  es  möglich 
geworden,  die  geographische  und  topographische  Verbreitung  der  Thier- 
und  Pflanzenarten  in  ihren  mechanischen  Ursachen  zu  erkennen,  und 
in  ihrem  eigentlichen  Wesen  als  einem  lebendigen  Naturprocess  zu  er- 
klären, der  wesentlich  durch  die  Wanderungen  der  Spielarten  und  ihre 
Umbildung  im  Kampfe  uro  das  Dasein  bedingt  ist.  Obschon  daher  noch 


366  Erosl  Uiicckel, 

in  den  erslL'n  Anfängen  begriffen,  lässt  uns  doch  die  Chorologic,  ebenso 
wie  die  Oecologie  der  Thiero,  sclion  jetzt  eine  Fülle  der  interessantesten 
Resultate  aus  der  Ferne  erblicken. 

Als  anderen  Hauptzwoig  der  Physiologie  stellUso  wir  vorher  der 
üusseren  oder  der  ßelatioos-Physiologie  dio  innere  oder  Conserva- 
lions-Physiologie  gegenüber,  welche  die  Lebensthätigkeit  des 
Organismus  in  Beziehung  auf  ihn  selbst  untersucht,  die  Functionen 
seiner  Organe,  und  vor  allen  die  wichtigsten  und  allgemeinsten  Lebcns- 
erscheinungen ,  die  Functionen  der  Selbsterhaltung ,  des  Wachslhums, 
der  ErnNhrung  und  FortpDanzung.  Dieser  zweite  Ilauptlheil  der  Phy- 
siologie hat,  gitazlich  von  dem  ersten  getrennt,  seinen  Ausgangspunkt 
(ebenso  wie  die  Anatomie)  von  der  Hcdicin  genommen.  Sobald  dio 
wisseaschaftliche  Hedicin  erkannt  hatte,  dass  ftlr  eine  richtige  Erkennte 
niss  des  kranken  menschlichen  Körpers  nicht  nur  die  Kenntniss  seiner 
Organisation,  sondern  auch  seiner  gesammten  Lebenserscheinungen  im 
gesunden  Zustande  die  unerkssliche  Vorbedingung  sei,  niusste  sie  dio 
Physiologie  des  Menschen  zur  Voraussetzung  seiner  Pathologie  machen. 
Da  aber  für  viele  physiologische  Untersuchungen ,  namentlich  ftlr  die 
mit  Viviseclion  verbundenen  Beobachtungen  und  Experimente  der 
menschliche  Organismus  nicht  lauglich  ist,  so  wandten  sich  die  mensch- 
lichen Physiologen  schon  frühzeitig  an  die  dem  Menschen  nüchstver- 
wandten  Wirbelthiere ,  unter  denen  insbesondere  der  treue  Hund  und 
der  unglückliche  Frosch  das  bcdaucrnswerthe  Massenmaterial  für  die 
Experimenta! -Physiologie  liefern  mussten.  Freilich  war  diese  aus  dem 
praktischen  Bedürfniss  hervorgehende  Untersuchung  gewisser  Lebens- 
erscheinungen an  einzelnen  Wirbelthieren  weit  davon  entfernt,  zu  einer 
wirklichen  »vergleichenden  Physiologien  zu  fuhren.  Eine  solche 
esistirt  auch  heule  noch  nur  dem  Begriff  und  der  Aufgabe  nach,  und 
die  Einseitigkeit  der  menschlichen  Wirbelthier-Pbysiologen  trügt  daran 
vielleicht  nicht  geringere  Schuld ,  als  die  Gleichgültigkeit  der  syslema- 
tischcn  Zoologen.  Soviel  ist  aber  jedenfalls  dadurch  schon  jetzt  ge- 
wonnen, dass  das  metaphysische  Gespenst  der  sogenannten  »Lebens- 
kraft« nicht  bloss  von  dem  Gebiete  der  menschlichen,  sondern  auch 
der  gesamiulen  ihierjschen  Physiologie  völlig  und  fUr  immer  verbannt 
ist.  Von  diesem  mystischen  Producl«  dualistischer  Confusion,  welches 
bald  als  zweckthatiges  Lebensprincip,  bald  als  zweckm<tssig  wirkende 
Endursache,  bald  als  organische  Schöpfungskraft  so  viel  Unheil  und 
Verwirrung  angerichtet  hat,  kann  jetzt  bei  einer  wahrhaft  wissen- 
schafthchen  Untersuchung  und  Grklürung  der  Lehen  sc  rsch  ei  nun  gen 
nicht  mehr  die  Rede  sein.  Wir  wissen  jetzt,  dass  alle  Leben sersch ei- 
nungen der  Thiere,  ebenso  wie  des  Menschen,    mit  absoluter  Nolh- 


Ueber  Entwickelungsgang  und  Aufgabe  der  Zoologie.  367 

wendigkeit  nach  grossen  mechanischen  Naturgesetzen  erfolgen,  dass 
sie  nicht  durch  Endzwecke  (Causae  finales) ,  sondern  durch  mechanische 
Ursachen  (Causae  efficientes]  bewirkt  werden ,  und  dass  sie  im  letzten 
Grunde  auf  physikalisch-chemischen  Processen  beruhen,  auf  unendlich 
feinen  und  verwickelten  Bewegungserscheinungen  der  kleinsten  Theil- 
chen,  welche  den  Körper  zusammensetzen.  Aber  auch  hier  in  der 
Physiologie,  wie  in  der  Morphologie,  wird  uns  das  volle  Licht  über  den 
natürlichen  und  mechanischen  Zusammenhang  aller  Erscheinungen  erst 
durch  Lamarck's  und  Darwin's  Descendenz-Theorie  gegeben  werden.  Sie 
wird  uns  zeigen,  wie  gleich  den  Formen  der  Zellen  und  Organe  auch 
ihre  cigenthümlichen  Lebensbewegungen,  ihre  specifischen  Functionen, 
sich  auf  dem  langen  und  langsamen  Wege  fortschreitender  Entwickelung 
und  Ärbeitstheilung  stufenweise  und  allmählich  entwickelt  haben. 

Auf  keinem  Gebiete  der  Zoologie  wird  diese  Erkenntniss  grössere 
Umwälzungen  hervorbringen,  als  auf  demjenigen  der  thierischen  Psy- 
chologie, aufweiche  wir  nothwendig  jetzt  noch  zuletzt  einen  be- 
sonderen Blick  werfen  müssen.  Denn  gerade  die  Seelenlehre  der  Thiere 
hat  sich  in  grösserer  IsoUrung  entwickelt,  und  ist  daher  auch  in  stär- 
kerem Rückstande  geblieben,  als  alle  übrigen  Zweige  der  Zoologie.  Hat 
ja  selbst  die  menschliche  Psychologie,  von  welcher  doch  alle  ver- 
gleichende Psychologie  der  Thiere  immer  erst  ausgegangen  ist,  sich 
bisher  fast  ganz  im  Dienste  einer  speculativen  Phüosophie  entwickelt, 
welche  die  unentbehrlichen  Fundamente  der  empirischen  Physiologie 
von  vornherein  verschmähte. 

Was  würden  wir  heutzutage  von  einem  Botaniker  sagen ,  der  das 
Seelenleben  der  Pflanzen  von  ihren  übrigen  Lebenserscheinungen 
trennen  und  das  Studium  der  letzteren  der  empirischen  Physiologie, 
dasjenige  der  ersteren  aber  der  speculativen  Philosophie  zuweisen 
wollte  ?  Und  doch  zeigen  uns  die  Seelenorscheinungen  mancher  Pflanze 
(wie  z.  B.  der  schamhaften  Mimose,  der  empfindlichen  Fliegenfalle,  und 
selbst  unserer  einheimischen  Berberitzenblüthe)  einen  höheren  Grad 
der  Vollkommenheit,  als  diejenigen  vieler  niederen  Thiere,  wie  z.  B.  der 
Schwämme,  vieler  Corallen,  und  der  Seescheiden  oder  Ascidienl  Diese 
letzteren  aber,  dieAscidien,  besitzen  unter  allen  wirbellosen  Thieren 
die  nächste  Blutsverwandtschaft  mit  den  Wirbelthieren ;  und  unter 
diesen  finden  wir  eine  solche  ununterbrochene  Continuität  in  der  stu- 
fenweisen  Entwickelung  des  Seelenlebens ,  dass  wir  eine  zusammen- 
hängende Fortschrittsreihe  aufstellen  können  von  manchen  Amphibien, 
deren  geistige  Entwickelung  weit  hinter  derjenigen  der  höheren  Wirbel- 
losen zurückbleibt,  bis  zu  manchen  Säugethieren,  die  sich  vieUeicht 
über  die  niedersten  Menschenstufen  erheben. 


368  Ernst  Hjieckel, 

Sobald  man  auf  diesem  dunkeln  und  durch  mystische  Specu— 
laiionen  noch  mehr  verdunkelten  Gebiete  diejenigen  Untersuchung»— 
Methoden  befolgt,  die  uns  überall  in  der  Biologie  zum  Ziele  führen,  die 
beiden  Methoden  der  Vergleichung  und  der  Entwickelungs  — 
geschichte,  so  muss  man  nothwendig  zu  dem  Resultate  gelangen, 
dass  auch  das  menschliche  Seelenleben ,  gleich  den  übrigen  Lebens— 
functionen,  sich  im  Kampf  um^s  Dasein  langsam,  und  in  gleichem 
Schritt  mit  der  fortschreitenden  Vervollkommnung  des  Nervensystems, 
historisch  entwickelt  hat.  Die  Untersuchung  desselben  kann  mithin 
keiner  anderen  Wissenschaft  anheimfallen,  als  der  vergleichenden 
Physiologie,  also  einem  Zweige  der  Zoologie. 

Hier  ist  nun  vor  Allem  der  Punkt,  wo  die  Zoologie  in  die  engste 
Berührung  mit  der  speculativen  Philosophie  tritt.  Unsere  Sorge  aber 
wird  es  sein  müssen ,  dahin  zu  wirken ,  dass  diese  Berührung  nicht  zu 
einer  feindlichen  Abstossung,  sondern  zu  einer  fördernden  Annäherung 
führe.  Denn  die  Zoologie  kann  nach  unserer  Ueberzeugung  so  wenig 
als  irgend  eine  andere  Naturwissenschaft,  der  philosophischen  Specu- 
lation  entbehren.  Sie  kann  eben  so  wenig  ohne  dieselbe  zu  dauernden 
Erfolgen  gelangen ,  als  die  speculative  Philosophie  ohne  die  empirische 
Basis  der  Naturwissenschaft.  Die  höchsten  Ziele  und  Probleme  jeder  ge- 
sunden Naturwissenschaft  sind  allgemeine  Erkenntnisse  philosophischer 
Natur.  Die  tiefsten  Fundamente  und  Stützpunkte  jeder  gesunden  Philo- 
sophie sind  physiologische  Gesetze  empirischen  Ursprungs.  Nur  in  der 
innigsten  gegenseitigen  Durchdringung  und  Förderung  können  die  em- 
pirische Naturwissenschaft  und  die  speculative  Philosophie  ihr  gemein- 
sames Ziel  erreichen :  Erkenntniss  der  natürlichen  Wahrheit. 

Die  Naturforscher ,  welche  stolz  auf  ihre  absolute  Empirie ,  ohne 
philosophische  Gedanken -Operationen  die  Naturwissenschaft  fördern 
zu  können  meinen ,  sind  schuld  an  der  entsetzlichen  Verwirrung  der 
Begriffe  und  Urtheile,  und  an  den  erstaunlichen  Verstössen  gegen  die 
natürliche  Logik,  denen  man  überall  in  der  zoologischen  und  bota- 
nischen Literatur  begegnet,  und  die  jedem  Philosophen  ein  mitleidiges 
Achselzucken  entlocken  müssen.  Die  Philosophen  andererseits,  welche 
bloss  durch  reine  Speculationen ,  ohne  die  empirisch  -  naturwissen- 
schaftliche Basis,  zur  Erkenntniss  allgemeiner  Gesetze  gelangen  zu 
können  glauben,  bauen  Luftschlösser,  die  der  erste  beste  Empiriker 
mit  Hülfe  sinnlicher  Erfahrungen  umblasen  kann. 

Wie  nothwendig  für  den  wahren  Fortschritt  der  Wissenschaft,  und 
vor  allem  der  Zoologie,  die  innigste  gegenseitige  Wechselwirkung  zwi- 
schen der  analytischen  Empirie  und  der  synthetischen  Philosophie  ist, 
zeigt  Nichts   mehr,    als   die   grosse  Frage,   welche   gegenwärtig   die 


Ueber  Ctitwiekeliinp;8gang  und  Aufgnbe  der  Zoologie.  369 

denkenden  Köpfe  in  allen  Erdtheilen  bewegt,  die  Frage  von  der  »Stel- 
lung des  Menschen  in  der  Natur«.  Indem  wir  selbst  diese  Frage  schon 
jetzt  im  Sinne  der  Descendenz- Theorie  für  entschieden  halten,  und 
deragemäss  eine  stufenweise  Entwickelung  des  Menschengeschlechts 
aus  einer  Reihe  von  niederen  Wirbel thierformen  annehmen,  stützen 
wir  uns  auf  das  zustimmende  Urtheil  der  grössten  jetzt  lebenden  Natur- 
forscher, von  denen  wir  nur  die  berühmten  Engländer :  Darwin,  Lyell, 
HuxLBY,  HooKSR,  Spbngbr,  Lbwes  nennen  wollen,  um  von  den  uns  näher- 
stehenden deutschen  Naturforschern  ganz  zu  schweigen. 

Gegenüber  den  einsichtigen  und  denkenden  Männern,  welche  unter 
den  zahlreichen  Gegnern  dieser  Lehre  noch  entgegengesetzter  Ansicht 
sind,  können  wir  aber  nicht  umhin  ,  hier  ausdrücklich  hervorzuheben, 
dass  jedenfalls  diese  »Frage  aller  Fragen«  im  eigentlichsten  Sinne  des 
Wortes  eine  rein  zoologische  ist,  und  dass  der  Kampfplatz  für  ihre 
definitive  Entscheidung  einzig  und  allein  das  Gebiet  der  wissenschaft- 
lichen Zoologie,  d.  h.  der  empirisch-philosophischen  Thierkunde  ist. 
Denn  nur  der  Zoolog,  welcher  im  sicheren  Besitze  gründlicher  morpho- 
logischer und  physiologischer  Kenntnisse  ist ,  und  welcher  dieselben  in 
umfassendem  Sinne  denkend  zu  verwerthen  weiss,  kann  das  ungeheure 
Gewicht  der  Beweisgründe  richtig  würdigen ,  welche  die  Descendenz- 
Theorie  auch  in  ihrer  Anwendung  auf  den  Menschen  schon  jetzt  unum- 
stösslich  begründen.  Wenn  daher  speculative  Philosophen  ohne  die 
unerlässlichen  Kenntnisse  in  der  vergleichenden  Anatomie ,  Entwicke- 
lungsgeschichte  und  Physiologie  diese  Frage  behandeln  wollen,  so  blei- 
ben ihre  Beiträge  zu  deren  Lösung  ebenso  werthlos,  wie  die  Producte 
der  rohen  Empiriker,  welche  aus  Mangel  an  philosophischem  Verständ- 
niss  der  Thatsachen-Reihen  nicht  zu  deren  Combination  und  specula- 
tiven  Verwerthung  befähigt  sind.  Obgleich  nun  leider  die  allermeisten 
von  den  zahllosen  Abhandlungen ,  welche  jetzt  die  Stellung  des  Men- 
schen in  der  Natur  entscheiden  wollen ,  einer  von  den  beiden  letzten 
Kategorien  angehört ,  so  wird  doch  andererseits  ihre  definitive  Bestim- 
mung durch  die  Bemühungen  der  wahren  empirisch -philosophischen 
Zoologie  dergestalt  gefördert,  dass  sich  binnen  Kurzem  schon  Lybll^s 
Prophezeiung  bewahrheiten  dürfte :  »Es  wird  hiermit  gehen,  wie  immer, 
wenn  eine  neue  und  überraschende  wissenschaftliche  Wahrheit  entdeckt 
wird:  die  Menschen  sagen  zuerst:  »Es  ist  nicht  wahrl«  alsdann:  »Es 
streitet  gegen  die  Religion«,  und  zuletzt:  »Das  hat  man  schon  lange 
gewusst.« 

Indem  ich  jetzt  mit  dem  Hinweis  auf  dieses  höchste  Problem  der 
wissenschaftlichen  Zoologie  meine  Darlegung  von  ihren  Aufgaben  und 
ihrer  Bedeutung  schliesse,  so  hoffe  ich,  dadurch  wenigstens  eine  an- 


370  Firnst  Hfteckel,  lieber  Kiilwklielijii|tss<iiig  vwi  Antt^lif  der  Zuoloeie. 

nähernde  Vorstellung  von  der  ungemeinen  EnlwickeluDgsfühigkeil  und 
der  bedeutenden  Zukunft  unserer  jugendlichen  Wissenschaft  gegeben 
zu  haben.  Nachdem  die  Thierknnde  kaum  anderthalb  Jahrhundei-te  als 
selb ststiind ige  Wissenschaft  überhaupt  existirt,  und  nachdem  sie  den 
grdssten  Theil  dieser  Zeit  in  uincr  kindlichen  Anspruchslosigkeit  verlebt 
hat,  unbewusst  der  in  ihr  schlummernden  Kräfte,  und  ohne  Ahnung 
von  ihren  hohen  Zielen ,  hat  sie  seit  Beginn  unseres  Jahrhunderts  sieh 
auf  eine  höhere  Entwickelungsstufe  dadui'ch  vorzubereiten  begonnen, 
dass  sie  ihre  einzelnen  inte^irenden  Bestandtheile ,  die  sich  zusammen- 
hangslos im  Dienste  anderer,  fi'emder  Wissenschaften  entwickelt  hatten, 
um  sich  zu  sammeln  begann.  Seitdem  aber  vor  zehn  Jahren  Chables 
Dabwin  das  einheitliche  Band  knüpfte,  welches  alle  diese  weit  getrennten 
Disciplinen  zu  einem  niSchtigen  Gesammtkörper  vereinigt,  und  seitdem 
er  damit  dem  jugendlichen  Riesenleibe  der  wiedergeborenen  Zoologie 
neues  kraftvolles  Leben  einhaucht«,  hat  sich  der  Gesichtskreis  und  das 
Ziel  unserer  Wissenschaft  unermesslich  erweitert.  Von  allen  Seiten 
lockt  sie  strebsame  und  wissensdurstige  Arbeiter  heran ,  und  verspricht 
überall  die  reichste  Ernte.  Und  selbst  wenn  wir  alle  übrigen  Errungen- 
schaften der  Zoologie  gering  anschlagen  wollten,  so  wtlrdc  allein  schon 
ihre  unauftCsliche  Verbindung  mit  der  empirisch -philosophischen  An- 
thropologie ihr  die  htJchste  Bedeutung  verleihen.  Die  monistische  Philo- 
sophie der  Zukunft  wird  die  vergleichende  Thierkunde  aus  diesem 
einzigen  Grunde  gar  nicht  mehr  entbehren  können;  und  so  wird  sich 
aus  dem  kleinen  und  verachteten  Samenkome  der  Zoologie  ein  Wissen- 
Schaftsbaum  entwickeln,  der  in  Zukunft  alle  Übrigen  Wissenschaften  in 
seinen  Schatten  aufnehmen  wird,  und  aus  dessen  Wurzeln  sie  alle 
mehr  oder  minder  ihre  Nahrung  werden  beziehen  müssen. 


lieber  Iliaethglyoxylsänre-Aether. 

Von 

Dr.  A.  Schreiber. 

Bekanntlich  betrachtet  Debus  >  die  Glyoxylsiiure  nach  der  Formel 
C^H^O^*  zusammengesetzt.  Perkin  undDuppA^,  welche  dieselbe  Säure 
durch  Erhitzen  des  dibromessigsauren  Silbers  mit  überschüssigem 
Silberoxyd,  sowie  Fischer  und  Gbuthbr^,  welche  sie  durch  blosses 
Erhitzen  des  Dichloressigsäure-Aethers  mit  Wasser  und  femer  durch 
Kochen  des  Natriumsalzes  der  »Aetherglyoxylsäure«  mit  Salzsäure  er- 
hielten ,  gaben  ihr  auf  Grund  dieser  neuen  Bildungsweisen  die  Formel 
C^H^O^,  da  überdiess  die  von  Dbbus  als  glyoxylsaures  Ammonium  ange-r 
sprochene  Verbindung  nicht  als  solches  gelten  könne  und  die  DBBus^sche 
Formel  mit  der  Zusammensetzung  der  übrigen  Salze  nicht  in  Einklang 
stehe.  Später  führten  Perkin  und  Duppa^  zu  Gunsten  ihrer  Ansicht  den 
Nachweis,  dass  der  Körper  C^H^O-*  —  Clyoxylid,  gebildet  durch  Er- 
hitzen von  trocknem  bromglycolsauren  Silber  mit  wasserfreiem  Aether 
—  ein  Anhydrid  und  nicht  eine  Säure  ist  und  dass  die  Zersetzung  der 
Glyoxylsäure  mit  Phospborbromid  nach  der  Gleichung 

C"  CH 

C  ^(0H)2  ^  3PBr5  =  C  ^ß«"*  +  3POBr3  +  iBrH 

OH  Er 

verläuft.  —  Einen  entscheidenden  Beweis  für  die  Richtigkeit  der  letzteren 
Formel  liefert  die  Zusammensetzung  des  Aethers  und  Amids  der  Diaeth- 
glyoxylsäure  aus  der  Dichloressigsäure,  deren  Darstellung  und  Beschrei- 
bung im  Folgenden  gegeben  werden  soll. 


<}  Annal.  d.  Cbem.  u.  Pharm.  Bd.  CX.  S.  S29. 

'^)  Keidl6,  Lehrb.  Bd.  I.  S.  680. 

3)  Jen.  Zeitschr.  für  Med.  u.  Naturw.  Bd.  I.  S.  51  u.  55. 

*)  Zeitscbr.  für  Chemie.   4868.  S.  424. 


Diaelhglyoxylsäure-Aether. 

In  einer  geräumigen  Retorte,  deren  Hals  mit  Kühlvorrichtung  ver- 
bunden ist  und  durch  deren  Tubulus  fortwährend  ein  Strom  Wasser— 
stoffgas  zugeteilet  wird ,  bereitet  man  Aethernatron ,  indem  man  auf 
90  GwLh.  absoluten  Alkohol  10  Gwth.  Natrium  nach  und  nach  in  klei- 
nen Stücken  eintragt.  Noch  ehe  das  Natriumalkoholat  vollständig  er- 
starrt ist,  setEt  man  in  den  Tubulus  eineg  Scheidetrichter  mit  1 8  Gwth . 
DichloressigSclure  und  ISsst  dii;  letztere  anfangs  iangsam,  später —  wenn 
die  Heaclion  in  Folge  der  Alkoholbilduog  an  Heftigkeit  nachlässt  — 
schneller  auf  die  Krystallmasse  tröpfeln.  Es  scheiden  sich  weisse  Salz- 
krusten von  Chlornatrium  ab,  wahrend  die  alkoholische  Lüsung  eine 
braune  Farbe  annimmt.  Die  hierbei  erfolgende  Beaction  kann  durch 
folgende  Gleichung  ausgedrückt  werden: 

Cj^"  +  3C'H'(0Na)  =C    IIciHs  +  8NaCI  +  C'H>  (OH). 
°"  Sn. 

Nach  einstUndigem  Kochen  des  Retorten  Inhalts  wird  unter  fortge- 
setzter Wassers  toffzul  eilung  der  Alkohol  abdestillirt ,  der  Rückstand  in 
Wasser  gelöst  und  ein  wenig  angesäuert  —  um  den  sich  dabei  abschei- 
denden braunen  FarbestoB*  zu  entfernen,  —  die  Ltisung  nach  dem 
Filtriren  wieder  mit  NatriumcArbonat  neutralisirt  und  zur  Trockne  ge- 
brachl.  Die  Salzmasse  wird  mit  kochendem  absolutem  Alkohol  er- 
schöpft, der  Auszug  eingedampft  und  die  braune  zShe  Hasse  mit  dem 
gleichen  Volumen  absoluten  Alkohol  und  dem  gleichen  Gewichte 
Jodaethyl  in  Glasröhren  auf  100°,  schliesslich  auf  130o  erhitzt.  In  sechs 
bis  at^t  Stunden  ist  die  Umaeteung  vollendet.  Nach  dem  Erkalten 
werden  die  Rohren,  bei  deren  OefToen  sich  ziemlich  starker  DnuA  zeigt, 
in  einen  Kolben  entleert  und  mit  gewöhnlichem  Aetber  ausgespült;  die 
braune  ätherische  Ldsung  wird  von  dem  gebildeten  JwinBtrium  abfil- 
trirt,  nach  dem  Abdestilliren  des  Aethers  der  bleibende  dunkel  gefarblf 
Rückstand  mit  granulirtem  Zink  gelinde  difirrin  und  dadurch  vom  Jod 
befreit  und  schliesslich  aus  einem  Oelbaddesiillirt.  Das  Destillat,  schwach 
sauer  uud  noch  etwas  durch  Jod  geftirbt,  Mird  mit  Wasser  unter  Zu- 
fügen einiger  Tropfen  Natronlauge  gewaschen  und  mit  Chlorcalcium  ent- 
wässert: durch  wiederholte  Destillation  wird  ausser  einer  nicht  unbe- 
deutenden Menge  des  von  Heintz  dargestellten  Aelherglycol  säure- Aethers 
—  da  die  Dichloressigsaure  nur  sehr  schwer  frei  \an  Hunocbloi-essig- 
säure  zu  erhallen  ist  —  ein  neuer  bei  t9'J^\i  icorr.]  siedender  AetUer, 
der  Diaethglyoxylsäure-Aether  erhatten. 


üeber  Diaethglyoxyls&nre-Aether.  373 

I.  Analyse  des  erhaltenen  Aetherglycolsäure-Aethers. 

0,?567  grm.  des  bei  155—1600  siedenden'  illals  gaben  0,5115 

grm.  Kohlensäure,  entspr.  0,1395  grm.  =  Xy  oc.  Kohlenstoff  und 

0,2100  grm.  Wasser,  entspr.  0,023333  grg»     *  ,1  Proc.  Wasserstoff. 

ber.  gef. 

C«   =  72                    54,5  54,3 

H«=  12                       9,1  9,1 

03   =   48                     36,4  — 
132.                  100,0. 

II.  Analyse  des  erhaltenen  Diaethglyoxylsäure-Aethers. 

0,2595  grm.  des  bei  195— 196^  siedenden  Destillats  gaben  0,5160 
grm.  Kohlensäure,  entspr.  0,140727  grm.  =  54,2  Proc.  Kohlenstoff 
und  0,2135  grm.  Wasser,  entspr.  0,023722  grm.  =:  9,2  Proc.  Wasser- 
stoff. 

ber.  gef. 

C»   =  96  54,5  54,2 

H16  =s   16  9,1  9,2 

0*    =   64  36,4  — 

T767  100,0. 

Der  Diaethglyoxylsaure-Aether,  welcher  dieselbe  procentische  Zu- 
sammensetzung wie  der  Aetherglycolsäure-Aether  besitzt,  ist  eine 
wasserhelle,  das  Light  ziemlich  stark  brechende  Flüssigkeit  von  bren- 
nendem Geschmack  und  angenehm  obstartigem  Geruch.  Sein  spec. 
Gew.  ist  0,994  bei  18®,  während  das  des  Aetherglycolsäure-Aethers 
0,978  ist.  Mit  Alkohol  und  Aether  ist  er  in  jedem  Verhältniss  mischbar, 
in  Wasser  nur  etwas  löslich. 

Diaethglyoxylsäure-Amid. 

Lässt  man  den  Aether  mit  conc.  Ammoniak  und  absol.  Alkohol  ge- 
mischt einige  Tage  stehen  und  dann  die  Lösung  über  Schwefelsäure 
cindunsten,  so  krystallisirt  Diaethglyoxyl-Amid  aus  in  grossen 
farblosen ,  durchsichtigen  Tafeln ,  die  dem  rhombischen  System  anzu- 
gehören scheinen.  Die  Krystalle  besitzen  auf  den  Tafelflächen  Perl- 
mutterglanz, lassen  sich  biegen  und  fühlen  sich  fettig  an.  Sie  schmelzen 
bei  760,5  und  sub''  '^ber  1 00^  unzersetzt  in  Nadeln,  all- 

mählich schon  b<  iperatur.    Sie  sind  geruchlos  und 

von  bitterem,  sal  Wasser  und  Alkohol  leicht  löslich. 

25 


374  A.  Sthreiber, 

■  Hit  starker  Süure  Übergössen,  zersetzt  sich  das  Aniid  in  das  betr.  Äm- 
nioniumsalz  und  DiaelhglyoxilsSure.  Mit  Wasser  eingeschlossen  und 
bis  auf  1 00"  erhitzt,  bleibt  es  aber  unverändert, 

0,21-SO  grm.  der  über  Schwefelsaure  getrockneten  Kryslalle  gaben 
(),iiä3  grm.  Kohlensäure,  entspr.  Ü,l21418grm.  =  49,0  Proc.  Kohlen- 
stoff und  0,2074  grm.  Wasser,  entspr.  0,0230ii  grm.  =  9,:t  Proc. 
Wasserstoff. 

ber.  gef. 

C«    =   72  49,0  49,3 

H'»=    \3  8,9  9,3 

N     =   14  9,4  — 

0=    =   48  32,7  — 


In  der  Hoffnung,  durch  Einwirkung  von  Dichloressigsäure-Aether 
auf  Natriumalkoholal  direcl  den  Diaelhglyoxylsilure-Aelher  zu  erhallen, 
Stellte  ich  ganz  in  der  von  Gelther'  beschriebenen  W^eise  alkoholfreies 
Aethernalron  dar  und  goss  zu  ä  Mgt.  allmählich  1  Mgl.  Dichloressig— 
säure-Aeiher,  die  sehr  heftige  Reaction  durch  Abkühlen  raässigend  und 
die  Luft  durch  einen  raschen  WasserstofTslrom  ausschliessend.  Der 
Versuch  ergab  nicht  das  erwartete  Resultat:  die  Producta  waren  Alkohol, 
Chlornalrium ,  wenig  oxalsaurcs,  aber  namentlich  dich  loressigsaures 
Natrium  und  ein  in  ziemlicher  Menge  sich  bildender,  amorpher,  brauner 
Körper,  der  nichl  naher  untersucht  worden  ist.  Der  in  absolutem  Al- 
kohol lösliche  Theil  des  Sal/gemenges  wurde  zur  Trockne  gebracht,  die 
braune,  sehr  hygroscopische  glasige  Masse  in  wässriger  Lösung  mit 
Schwefelsaure  zersetzt  und  mit  alkoholfreiem  Aether  ausgezogen.  Nach 
Entwässerung  der  ätherischen  Lösung  mit  Chlorcalcium  wurde  der 
Aether  abdestillirt :  der  saure  Rückstand  besass  den  constanten  Siede- 
punkt von  195'*,  erzeugte,  auf  die  Haut  gebracht,  sofort  Blasen  und 
verhielt  sich  auch  im  Uebrigen  wie  Dichloressigsaure ,  was  durch  eine 
überdies  damit  angestellte  Analyse  bestätigt  wurde. 

Da  die  bei  dem  Versuch  erhaltene  Menge  Dichloressigsüure  etwa 
der  llSifle  des  angewandtenDichloressigsäure-Aelhers  entsprach,  so  ist 
anzunehmen,  dass  die  andere  Halft*'  des  letzteren  hauptsächlich  nur 


')  Jen.  ZeilscLr.  für  Med.  u.  Naturw.  Bil.  IV. 


lieber  Diaethglyoxyls&ure-Aetber.  375 

Bildung  des  braunen  amorphen  Körpers  und  des  Chlornatriums  und  in 
geringer  Menge  zu  der  des  Natriumoxalats  verwandt  wurde,  unter 
gleichzeitiger  Abscheidung  von  Wasser,  welches  die  Entstehung  des 
Alkohols  und  die  Bildung  des  dichloressigsauren  Natriums  bedingte. 

Als  bei  einem  Versuch  gleiche  Mischungsgewichte  von  Aether- 
natron  und  Dichloressigsdure-Aether  genommen  wurden,  konnte  nach 
beendeter  Reaction  die  Hälfte  des  angewandten  Aethers  unverändert 
abdestillirt  %'erden. 


ti 


Die  Verwandtschaft  der  Töie  and  Farben. 


W.  Preyer. 

Ein  unbefangenes  Auge  unterscheidet  im  vollkommen  reinen 
Speclrum  der  Sonne  mittlerer  IntensiUll  nicht  mehr  und  nicht  weniger 
als  acht  von  einnnder  wesentlich  verschiedene  Farben  —  Braun,  Botb, 
Orange,  Gelb,  Grün,  Blau,  Violett,  Lavendelgrau  —  welche  durch  sprach- 
lich zwar  UDgcnUgcnd  bezeichnete,  aber  deutlich  empfindbare  L'eber— 
giinge  miteinander  zu  einem  continuirlichcn  hellen  Streifen  verbunden 
sind.  Die  Zahl  dieser  L'ebei^angsfarben  ist  eine  endliche,  denn  es  ent- 
spricht nicht  jede  beliebige  noch  so  kleine  Aenderung  der  Schwingungs- 
nahl  eines  farbigen  Lichtstrahls  einer  Aenderung  der  Farben emphndung. 
Vielmehr  bcnötliigt  die  gcringsle  Aenderung  dieser  eine  sehr  erhebliche 
Aenderung  jener.  Eine  wie  grosse  Veränderung  —  Vermehrung  oder 
Verminderung  —  der  Schwingungszahlen  in  der  Zeiteinheit  erforderlich 
ist,  um  eine  eben  merkbare  Veränderung  der  Farbe n quäl itütsempfin düng 
zu  bewirken,  dieser  Grenzwerlh  ist  nicht  ohne  Einschränkungen  be- 
slimmbar,  schon  weil  er  für  verschiedene  Stellen  des  Spectrum  ver- 
schieden ausfüllt.  Ein  anderes  ist  die  Bestimmung  der  sieben  Intervalle 
des  spectralen  Farbenfeldes  oder  die  Ermittelung,  um  wieviel  die  OsciUa- 
lionszahlen  verändert  werden  mtlssen,  damit  an  die  Stelle  einer  Haupt— 
farbenempfjndung  eine  andere  Hauptfarbenemphndung  ohne  jedweden 
Leberjjang  triit.  Diese  Intervalle  können  entweder  sämmtlich  gleich 
oder  silmmtlich  verschieden  oder  für  einige  der  acht  Farben  gleich ,  für 
andere  ungleich  sein. 

Ich  liabc  gefunden,  dass  letzleres  der  F<dl  ist. 

Um  die  Farbenintervallc  zu  bestinmien,  versuchte  ich  zunächst 
durch  Schiltzungen  diejenigen  Stellen  eines  conti nuirliehen  Spectrum 
/u  finden,  welche  dem  reinsien  Bolh,  dem  reinsten  Gelb,  Grün  u.  s,  w. 
entsprechen.  Es  dienten  dazu  zwei  Kirciihoff - Bunsk Vscho  Spcrtral- 
iipparale,  ein  kleiner  mit  einem  Prisma  und  ein  grosser  mit  zwei  Prismen 


Die  Verwandlschal't  der  Töne  iiud  Farben.  377 

aus  der  Werkstatt  von  Stki:vhkil.     Lichtquellen  warm  luir  die  Sonne,    * 
verbrennendes  Magnesium,  elektrisches  Kohlenlicht  (mit  eleklronuigne- 
tischeni  Regulator  von  Browning)   und  Pctrolcumnammen.     Kino  ver- 
stellbare photographirtc  Scala  und  die  FRA.üNHOFER'schen  Linien  gaben 
das  Maass  ab  beim  Einstellen  des  Fadenkreuzes. 

Dieses  Verfahren  lieferte  jedoch  keine  befriedigenden  Resultate, 
weil  die  Schätzungsfehler  zu  gross  ausfielen.  Brauchbar  wird  die  Me- 
thode erst,  wenn  man  die  der  abzuschätzenden  Farbe  benachbarten 
Tbeile  des  Spectruna  abblendet.  Man  bewerkstelligt  dies  am  einfachsten 
durch  Einfügung  von  zwei  verlicaien  schwarzen,  als  Diaphragma  wir- 
kenden Schiebern  in  das  Lumen  des  Fernrohrs.  Durch  Annäherung 
oder  Entfernung  derselben  kann  man  beliebige  Theile  des  Spectrum 
abblenden  und  so  die  einzelnen  Hauplfarben  isoliren.  Eine  solche  Vor-  * 
richtung  ersann  schon  vor  längerer  Zeit  Max  Sghultze,  an  dessen 
Spectroskop  ich  sie  kennen  lernte.  So  sehr  auf  diese  V^^eisc  die  Farben- 
bestimmung erleichtert  wird ,  so  bleibt  doch  die  Ermittelung  der  Breite 
des  isolirtcn  Farbenslreifens,  d.  h.  seiner  Ränder,  in  Wellenlängen  bei 
continuirlichen  Spectren  immer  dann  umständlich  oder  ungenau,  wenn 
anderes  als  Sonnenlicht,  welches  mitunter  tagelang  nicht  zur  Verfügung 
steht,  verwendet  wird;  denn  im  Sonnenspectrum  ist  sowohl  die 
Sehätzung  durch  die  FRArNHOPBR'schen  Linien  sicherer,  als  auch  die 
Aufündung  der  gesuchten  Wellenlängen  sehr  bequem  durch  Angström's 
grosse  Tafeln  (Spectre  normal  du  soleil.  Atlas.  Upsal  I8()S)  gegeben. 
In  anderen  continuirlichen  Spectra  aber  ist  weder  das  eine  noch  das 
andere  genau  zu  erreichen ,  weil  es  an  Anhaltspunkten  beim  Sehätzen 
fehlt  und  man  sich  ausschliesslich  auf  die  Theilstriche  der  Scala  ver- 
lassen nmss,  eine  directe  Bestimmung  der  Wellenlängen  also  hier,  wo 
es  sich  überdies  um  hundertfältig  zu  wiederholende  Beobachtungen 
handelt,  die  Muhe  nicht  lohnen  würde. 

Um  genau  die  Orte  der  einzelnen  Hauptfarben  und  ihre  Begrenzung 
—  ausgedrückt  in  Wellenlängen  —  zu  finden,  verwendete  ich  daher  ein 
anderes  Mittel.  Discontinuirliehe  Spectra  in  grosser  Anzahl  wurden 
theils  für  sich  untersucht,  theils  untereinander  und  mit  den  genannten 
continuirlichen  Spectren  verglichen  und  diejenigen  hellen  Linien  oder 
von  dunkelen  Linien  begrenzten  farbigen  Stellen ,  welche  das  durch 
den  Aufenthalt  im  Dunkeln  geschärfte  Auge  als  am  reinsten  roth ,  am 
reinsten  gelb,  grün,  blau  u.  s.  w.  erkannte,  oder  welche  die  ent- 
sprechenden Stellen  des  ex)ntinuirlichen  Spectrum  begrenzten ,  gaben 
die  gesuchten  Werthe.  Dieses  Verfahren  ist  deshalb  sehr  viel  genauer 
als  das  ersterwähnte,  weil  die  allmählichen  Uebergänge  der  einen  Farbe 
in  die  andere  nicht  störend  einwirken ,   sondern  schwarze  Zwischen- 


378  W.  Preyer, 

*  räume  oder  Linien  mannichfaltige  Abstufungen  gewähren,  an  denen  das 
gleichsam  tastende  Auge  sich  ausruhen  und  halten  kann. 

Den  Absorptionspectra  farbiger  Flüssigkeiten  und  Gläser  kommt 
hierbei  wegen  der  Breite  und  meist  schlechten  Begrenzung  der  hellen 
Räume  nur  eine  untergeordnete  Bedeutung  zu;  ich  habe  sie  in  sehr 
grosser  Auswahl  verglichen  und  nur  zur  anfänglichen  Orientirung  nütz- 
lich gefunden.  Anders  die  Absorptionspectra  farbiger  Dämpfe.  Hier 
bieten  die  zahlreichen  oft  in  gleichen  Absländen  nebeneinander  liegen- 
den dunkelen  Linien  ein  treffliches  Hülfsmittel,  besonders  Joddampf 
und  Untersalpetersäure  sind  in  dieser  Hinsicht  ausgezeichnet.  Das 
Hauptmaterial  lieferten  aber  die  aus  hellen  Linien  bestehenden  Spectra 
der  in  der  BuNSEN'schen  Flamme  sich  verflüchtigenden  Metalle  und  der 

*  in  GBissLER^schen  Röhren  durch  den  Inductionsfunken  erglühenden  1 
Gase.  Ich  verwendete  namentlich  die  Spectra  vom  Kalium ,  Natrium, 
Lithium,  Rubidium,  Caesium,  Thallium,  Indium,  Calcium,  Magnesium, 
Baryum,  Strontium,  Kupfer,  Quecksilber,  Wasserstoff,  Stickstoff,  Schwe- 
fel, Selen,  Jod,  Brom,  Chlor,  Fluorkiesel  und  Fluorbor,  welche  zusam- 
men eine  genügende  Anzahl  von  reinen  gesättigten  und  intensiven 
Farben  liefern.  Man  muss  nur  für  einen  so  vollständigen  Ausschluss 
fremden  Lichtes  Sorge  tragen,  dass  der  Rand  des  Gesichtsfeldes,  wo  es 
schwarz  ist,  sich  nicht  mehr  erkennen  lässt,  was  bei  dem  Spectralap- 
parat  in  seiner  jetzigen  Gestalt  nicht  allzuschwer  erreicht  werden  kann. 

Schwieriger  und  ebenso  wichtig  ist  es ,  die  Intensität  der  Farben 
weder  zu  tief  sinken  noch  zu  hoch  steigen  zu  lassen ,  da  nur  bei  einer 
mittleren  Lichtstärke  die  Farbenunterscheidung  genau  ist.  Ich  habe 
diese  Fehlerquelle  nicht  ganz  beseitigen  können,  glaube  aber  nicht,  dass 
sie  auch  nur  eine  Bestimmung  illusorisch  macht ,  da  meine  Beobach- 
tungen äusserst  zahlreich  sind  und  sehr  gut  untereinander  übereinstim- 
men ,  ausserdem  bei  der  BuNSEN^schen  Flamme  und  den  GsissLER^schen 
Röhr^  zu  grosse  Intensitäten  nicht  leicht  vorkommen ,  zu  geringe  an 
sich  schon  unbrauchbar  sind. 

*lch  fand  es  zweckmässig  bei  Metall- und  Gasspectren  die  Licht- 
quelle —  BuNSEN'sche  Flamme  oder  GEissLER^sche  Röhre  —  zwischen  die 
beiden  Spalte  meiner  zwei  Spectroskope  zu  stellen ,  um  einen  Ueber- 
blick  des  ganzen  Spectrum  durch  den  kleineren,  eine  genauere  Analyse 
durch  den  grösseren  fast  gleichzeitig  zu  ermöglichen.  Es  würde  wenig 
Interesse  bieten,  alle  meine  Bestimmungen  einzeln  anzuführen,  zumal 
sie  leicht  wiederholt  werden  können,  wenn  man  möglichst  viele  Spectren 
combinirt  —  übereinander  und  aufeinander  entwirft.  Ich  theile  da- 
her nur  die  Ergebnisse  der  Einzelbestimmungen  nebst  einigen  Bei- 
spielen zur  Controle  mit,  indem  ich  die  Wellenlängenbestimmungen  von 


Die  Verwandtschaft  der  Töne  und  Farben.  379 

AivGSTRÖu,  Mascart,  Thalen,  Ditscheiner,  wie  sie  Angström  (Recherches 
sur  le  spectre  solaire.  Upsal  1 868.  i^)  zusammengestellt  hat,  zu  Grunde 
lege  und  wo  diese  nicht  ausreichen,  Kirchhoff^s  Tafeln  zu  Hülfe  nehme 
(Untersuchungen  über  das  Sonnenspectrum  und  die  Spectren  der  ehem. 
Elemente.  2  Thle.  1862  und  1863.   k^).    Es  sind  in  letzteren  mehrere 

o 

Elemente  aufgenommen ,  welche  bei  Angström  fehlen ,  aber  man  kann 
deren  Linien  leicht  eintragen  und  so  ihre  Wellenlänge  finden. 

Meine  Beobachtungen  haben  nun  zu  folgenden  Ergebnissen  geführt. 
l  bedeutet  Wellenlänge  in  Milliontel  Millimeter. 

Das  reinste  Brann  liegt  in  der  Nähe  der  braunen  R^Humlinie  Kaa^ 
deren  Wellenlänge  nach  Lecoq  (Comptes  rendus  6.  Sept.  1 869)  768  be- 
trägt. Die  beiden  erheblich  weniger  brechbaren,  übrigens  sehr  ungleich 
intensiven  Rubidiumlinien  sind  gleichfalls  braun.  Beim  Abblenden  des 
ganzen  Spectrum  der  Mittagssonne  von  A  an  aber  sah  ich  eine  mit  der 
Wellenlängenzunahme  schnell  dunkeler  werdende  braune  Stelle ,  etwa 
so  breit' wie  A  bis  a,  welche  da,  wo  die  Rubidiumlinien  auftreten,  schon 
schwarzbraun  istr;  innerhalb  dieser  ultrarothen  Strecke  und  zwar  zwi- 
schen X  =  760  und  770  liegt  die  Stelle  des  von  Roth  ebenso  wie  von 
Schwarz  —  dem  Dunkel  am  Spectrumende  —  gänzlich  freien  Braun. 
Diese  Bestimmung  ist  mir,  wegen  der  Lichtschwäche  des  Spectruni- 
endes,  wegen  der  Veränderlichkeit  seiner  Farbe  je  nach  der  Intensität, 
und  weil  es  mir  ausser  den  Rubidium-  und  Kaliumlinien  an  braunen 
Linien  fehlte,  die  schwierigste  von  allen  gewesen. 

Das  reinste  Roth  liegt  zwischen  der  Lithiumlinie  Lia  und  B^  aber 
näher  bei  letzterer  als  ersterer,  wie  man  beim  gleichzeitigen  Entwerfen 
des  Lithium-  und  eines  hellen  continuirlichen  Spectrums  erkennt. 
Gross  ist  der  Unterschied  allerdings  nicht.  Aber  ebenso  deutlich  wie 
die  mit  C  zusammenfallende  Wasserstoff  linie  Ha  neben  Lia  orangcroth 
erscheint,  wird  das  Roth  über  B  hinaus  schon  bräunlich  und  die  Stelle 
des  von  Braun  und  von  Orange  gänzlich  freien  Roth  liegt  nach  allen 
meinen  Schätzungen  zwischea  X  s  678  und  686.  Linie  B  hat  686,7 
und  678  bezeichnet  die  Mitte  zwischen  B  und  Lia. 

Das  reinste  Orange  liegt  im  prismatischen  Spectrum  nahe  der  Mitte 
von  C  und  Z>,  näher  bei  D  als  C.  Die  Calciumlinie  Caa  liefert  sehr 
reines  Orange.  Die  wenig  intensive  Lithiumlinie  Liß  ist  hingegen  gelb- 
lich orange.  Ihre  Wellenlänge  beträgt  610,15  (Mascart).  Die  schon 
dem  Roth  zuneigende  Mitte  des  Raumes  zwischen  Cund  D  hat  A  =  6SS,7. 
Das  von  Roth  und  von  Gelb  möglichst  freie  Orange  liegt  zweifellos  zwi- 
schen A=r  610  und  620. 

Das  reinste  Gelb  ist  leicht  zu  finden,  weil  es  nur  einen  sehr  schma- 
len Streifen  zwischen  der  doppelten  goldgelben  Natriumlinie  Naa  und 


380  W.  Prcyer, 

den  lichtschvvachen  grünlich  gelben  Baryumlinien  einoiramt,  weJche  auf 
der  Z)-Seite  von  Bay  Hegen.  Eine  in  diesen  Raum  fallende  intensive 
zweifache  Quecksilberlinie  (No.  1 076  Kirghhopp)  ist  vollkommen  rein  gelb. 
Ihre  Wellenlänge  ergiebt  sich  durch  Eintragen  in  die  Tafel  von  Angströh 
zu  576,8.  Ueber  X  «s  572  hinaus  wird  das  Gelb  schon  merklich  grün- 
lich, über  578  hinaus  goldgelb  (orangegelb).  Das  von  Grün  und  von 
Orange  vollkommen  freie  Gelb  liegt  demnach  zwischen  l  =  572  und  578. 

Das  reinste  OrfliI  fällt  in  die  Nähe  der  höchst  intensiven  Magne- 
siumlinie, welche  mit  64  von  Fraunhoper'.s  Gruppe  6  coincidirt,  und 
zwar  liegt  es  auf  der  F-Seite  von  64.  Die  Baryumlinie  Ba  a  ist  für  mein 
Auge  schon  deutlich  gelblichgrün,  ^a/?  neigt  zum  Blüul ichgrün.  Also 
muss  das  reinste  Grün  zwischen  beide,  d.  h.  in  die  Nähe  von  h  fallen. 
Es  liegt  in  dem  Raum  zwischen  il  s=  510  und  516.  Dieses  ist  die  ge- 
naueste von  allen  Bestimmungen,  w^eil  ich  hierbei  über  die  grössle  An- 
zahl von  hellen  und  dunkeln  Linien  verfügen  konnte.  Schon  früher 
fand  ich  ausserdem  durch  die  Untersuchung  von  zwei  Grünblinden  *  für 
das  reinste  Grün  A  =  510  als  Minimum.    Linie  64  hat  k  =  516,688. 

Das  reinste  Blan  ist  im  prismatischen  Spectrum  wegen  der  grossen 
Breite  des  blauen  Feldes  schwerer  zu  bestimmen.  Doch  bin  ich  zu 
dem  sicheren  Ergebniss  gelangt,  dass  die  gesuchte  Stelle  sehr  nahe 
der  in  dem  continuirlichen  Spectrum  brennenden  Magnesiumdrahles 
scharf  abgegrenzten  blauen  Linie  liegen  muss,  deren  Wellenlänge 
=  458,6.  Genauere  wiederholte  Betrachtung  lehrt  ferner,  dass  das 
reinste  Blau  nur  sehr  wenig  nach  der  F-Seite  dieser  Linie  liegt ,  weil 
weilerhin  eine  Hinneigung  zum  Grünlichblau  ebenso  wie  unmittelbar 
auf  der  G-Seite  eine  solche  nach  dem  Violettblau  merkbar  wird.  Die 
indigoblaue  Indiumlinie  hat  l  =  455  (Job.  Müller  in  Freiburg).  Die 
hellen  grünblauen  Magnesiumlinien,  deren  ich  9  zähle,  unterstützen  als 
feste  Ausgangspunkte  wesentlich  das  Schätzen.  Vollkommen  rein  blau 
ist  ferner  die  Strontiumlinie  Srd^  bei  der  l  =  460,7  (Mascart),  ebenso 
die  doppelte  Caesiumlinie  Csa  und  Csß.  Diese  ist,  wie  man  sich  leicht 
durch  gleichzeitiges  Entwerfen  des  Strontium-  und  Gaesium-Spectrums 
überzeugen  kann,  nur  wenig  (weniger  als  ihr  eigenes  Intervall  in  mei- 
nem Apparat)  stärker  gebrochen  als  Srd,  Im  Sonnenspectrum  verlegte 
icli  'I.  c.  S.  327)  im  Blau  von  F\  G  bis  F|  G  die  Stelle,  welche  sowohl 
von  grüner  wie  von  violetter  Beimischung  gänzlich  frei  ist  und  zugleich 
die  grösste  Lichtstärke  hat,  auf  ungefähr  F^  (7,  was  A  ==  467  entspricht. 
Aus  diesen  Bestimmungen  geht  hervor ,  dass  das  reinste  Blau  zwischen 
X  =  458  und  468  liegt.    Es  ist  sehr  bemerkenswerth ,  dass  Maxwell 


^)  In  Pplüoer's  Archiv  f.  d.  ges.  Physiologie  4868,  S.  346. 


Die  VerwHiidtschrtft  der  Töne  iiad  Farben.  381 

(Philos.  Transacl.  \'M'A))  ein  Blau  \on  403,8  ^uncorrigirl)  als  Grundfarbe 
auf  ganz  anderem  Wege  fand. 

Das  reinsle  Violett  liegt  in  dem  stark  dispcrgirten  Spectrum  meines 
Apparates  ungefähr  in  der  Mitte  zwischen  (*'  und  //„.  Betrachtet  man 
möglichst  gleichzeitig  die  Linien  des  Rubidium  Rbß  {X  =  4 £1,7  Lrcoq; 
und  Rba  (l  =  420,3  id.),  die  des  Kalium  Kuß  [l  =  >0ö,()  id.;,  des 
Calcium  und  des  Wasserstoffs  lly  {l  =  41 0, 1  Angström),  welche  summl- 
lich  zwischen  G  und  if,  liegen,  so  findet  man  von  allen  stets  die  Wasser- 
stofflinie am  reinsten  violett,  sowohl  die  Rubidium-  wie  die  Calcium- 
linie  erscheinen  daneben  merklich  bläulich  violett  und  Kaß  wie  etwas 
verschleiert,  mit  Grau  gemischt.  Im  Sonnenspcclrum  ist  die  Aufsuchunj^ 
des  reinen  Violett  unthunlich  wegen  der  grossen  Abhängigkeit  dieser 
Farbe  von  der  Licbtintensität,  in  Kupferspectrum  leichler.  Im  Magne- 
siumlicht und  elektrischen  Kohlenlicht  hingegen  fehlt  es  in  dem  breiten 
gleichmässfg  violetten  Felde  an  Anhaltspunkten  zum  Schätzen.  Ich 
kann  daher  nur  die  Gegend  zwischen  X  =  405  [Ktiß)  und  415  oder  die 
Umgebung  der  FRAu.NHOFKR'schen  Linie  h  (A  =  410/  als  die  Stelle  des 
reinsten  Violetts  angeben. 

Versuchen  wir  nun,  die  Intervalle  aus  den  erhaltenen  Zahlen  zu 
ermitteln,  so  zeigt  >ich,  dass  die  sieben  Farben  nicht  durch  gleiche 
Intervalle  von  einander  getrennt  sind.  Setzt  man  für  die  sieben  er- 
haltenen Werlhe  der  Schwingungszahlen  n 

A  n 

Millioniel  Miiiim.  Billiunen  in  1" 

Braun  760  —  770  ;]t)2  —  ;J87 

Roth  678  —  686  4  40    -  4.^5 

Orange  610  —  620  489  -  481 

Gelb  572  —  578  521—516 

Grün  510  —  516  585  —  578 

Blau  4.58  —  468  651  —  iVM  . 

Violett  405  —  415  7:J6  —  719 

die  abgerundeten  Mittel  und  vergleicht  diese  miteinander,  so  findet 
man,  dass  zwar  Braun,  Roth,  Orange,  Grün  und  Violett  ziemlich  be- 
friedigend in  eine  arithmetische  Reihe  mit  dem  Intervall  von  etwa 
48  10 13  Schwingungen  in  4"  passen,  nicht  aber  Gelb  und  Blau,  und 
zwar  weichen  diese  (>6iden  Farben  so  stark  ab,  dass  Beobachtungs- 
fehler mit  Sicherheit  auszuschliessen  sind.  Setzt  man  die  Schwingungs- 
zahl von  Braun  ae  I,  so  ist  die  der  anderen  Farben  aus  den  runden 

Mitteln  berechnet: 

Braun        Roth        Orange        Gelh        Grün        Blau        Violett 
\  1,123       4,246       1,331      1,493     1,655      1,868 


382 


W.  fwftr. 


Diese  SchwiuyuiigsvLTbalinisse  kouiiiien  denen  der  Töne  der  diatotiM 
sehen  Durtonleiter  von  c- ausserordentlich  nahe.    In  der  Thnl  kann  man,  ' 
ohne  den  Spielraum  der  direcl  gegebenen  Werlhc  in  einem  Hniigen  Falle 
lu  überschreiten,  die  Tonintervallc 

1  l,IS5         1,25         1,333         t,S         1,666         1,875 

den  Farbeninter Valien  substituiren  und  die  7  ganzen  TBne  der  c-Dur— 1 
lonleil#r  volikomnien  den  7  Hauplfaibea  der  speclralen  FarbenoctaveJ 
parallelisir'n,  wie  folgende  Tabelle  zeigl: 


Töne 

Schwinguniieii 

Farben 

Wellenlange  in 

F»Am.flo»£HS  Linien, 

lnl«.t^.   '  Billion  i»  1- 

Milliuul.  Mlllitn. 

<■      1 

1                 388,1 

hraun 

763.8 

A  760.4 

rf 

!                436,7 

ralh 

eas.3 

B  686,7 

r 

'>rBn6e 

flH,U 

C  6S6.1 

1 

^                517,6 

gelb 

S76,* 

OSSfl.i 

=                 S8».a 

«rün 

Sli.t 

E  5S6.9 

\                847,1) 

hlBll 

4SI,) 

F  (88,0 

h 

V               7i7,9 

violett 

409,11 

G(S0,7 

"'      1 

S                77fl,* 

grau 

384,3 

H2  39B,3 

Diese  Zusammenstellun{;  verdient  eitj  besonderes  Veilraiien  durch  J 
den  Umstand,  ilaMs  nicht  weniger  als  sechs  von  <len  acht  BeslimmuDgeQL  1 
der  iwdlen  beziehlich  der  vierten  Columne,  ganz  abgesehen  von  ihrenitJ 
vollkouinienen  Einklang  mit  meinen  süuimtlidien  bis  zur  Erschöprung'l 
des  Auges  immer  wieder  und  wieder  angestellten   spectroskopischeD  J 
Beobachlungun  ,  einer  Arbeil  entnommen  sind,  welche  die  unleugbftrg  J 
Verwiindlsnhafl  der.  Töne  und  Farben  zwar  im  Allgemeinen  nicht  bfr-j 
»Ireitel,  aber  die  Identität  der  Ton-  und  Farbeninlervalle  geradoKU  fttt 
nicht  vorhanden  erklärt.     Diese  Arbeit  ist  die  von  LiSTij^ii  über  die 
(jrenzen  der  Farben  im  Speclrum  im  1  Jt .  Bande  von  Poggbxdobit's  An- 
nslen  der  Physik  und  Chemie  verößentHchte.     Listing  kommt  zu  dem 
Ergcbniss,    dass  die  Farben   des  Spectruni  eine  arithmetische  Reihe 
bilden   mit  der  Differenz  von   48024.10"  (vorbehaltlich   spaterer  ge- 
nauerer Bestimmung)  oder  dem   halben  Farheninlervall  c  =  i*,ä63 
Billionen,   wobei   die  einzelnen  Farben  in  'iÖ'i,^  bis  K0U,9  Billionen 
Schwingungen  per  Zeitsecunde  ausgedruckt  werden.     Es  würe   nach 
dieser  Beihe  das  braune  Spcclrumondc  =  15c,   die  Mille  des  Braun 
^  16  t,  die  Braun-Hoth  Grenze  =  17  c,  die  Mitte  des  Roth  =  18  c,  die 
Orange-Bolh  Grenze  =  19c,  die  Mitte  des  Orange  =  äOc  u.  s,  f.  bis 
Mitte  des  Lavendel  =  33c  und  die  Lavendelgrenze  des  Specirum  =  33c, 
zusammen  l!)  Glieder.    Gelingt  es  nun  nachzuweisen,  dass  nur  eines 
von  diesen  Gliedern  erheblieh  von  dem  verlangten  Werlhe  abweicht. 


Die  Verwandtschaft  der  Töne  und  Farben.  383 

« 

so  ist  das  ganze  GeseU  falsch.  Ich  bin  im  Stande,  die  Unrichtigkeit  von 
mehr  als  einem  der  1*9  Glieder  zu  beweisen. 

Die  Mitte  des  Gelb  fällt  nach  LisrncG  auf  92  c  oder  A  »  559,0.  Ks 
mUsste  also  Licht  von  dieser  Brechbarkeit  für  sich  im  Dunkeln  betrachtet 
vollkommen  rein  gelb,  weder  goldgelb  noch  grünlichgelb  erscheinen. 
Nun  zeigt  es  sich,  dass  die  bekannte  helle  Galciumlinie  Ca/?  genau  die 
gewünschte  Brechbar'veit  (Mitte  559,3)  besitzt.  Sie  erscheint  aber  jedem 
gesunden  Auge  grüngelb,  ebenso  die  helle  Baryumlinie  Bay,  welche 
in  dieselbe  Gegend  des  Spectrum  zu  liegen  kommt.  Es  muss  also  das 
reine,  das  von  Grün  freie  Gelb  bedeutend  weiter  nach  D  zu  liegen ,  als 
LiSTiNG^s  berechneter  Werth  verlangt.  Statt  auf  l  ss  .i59,0  zu  fallen, 
fällt  es  in  Wirklichkeit,  wie  ich  gefunden  habe,  auf  572  —  578.  Der 
Fehler  beruht  darauf,  dass  Listing  die  hellste  Stelle  im  Gelb  für  die 
Stelle  des  reinsten  Gelb  hielt,  während  sie  grünlichgelb  ist.  Ferner 
soll  die  Grenze  von  Gelb  und  Grün  =  33  c  oder  l  =  534,7  sein. 
Glücklicherweise  hat  nach  Mascart's  Bestimmungen  die  helle  Thallium- 
linie Tlla  eben  diese  Wellenlänge,  nämlich  534,88.  Jedermann  nennt 
die  Farbe  derselben  grün  oder  gelbgrün,  hat  das  Element  doch  von 
dieser  grünen  Farbe  seinen  Namen  erhalten.  Wenigstens  wird  Nie- 
mand sie  für  einen  beiden  Farben  gerecht  werdenden  Uebergang  halten, 
sondern  jeder  normale  Beobachter  das  erhebliche  Ueberwiegen  des  Grün 
über  das  Gelb  constatiren.  Es  muss  also  auch  die  wahre  Grenze  von 
Gelb  und  Grün  bedeutend  näher  bei  D  liegen ,  als  Listing^s  berechnetem 
Farbenscala  verlangt.  In  Bezug  auf  das  Blau  lässt  sich  in  ähnlicher 
Weise  zeigen,  dass  die  Berechnungen  nicht  genau  mit  der  Beobachtung 
stimmen.  Vor  allem  kann  nach  meinem  Dafürhalten  neben  Cyanblau 
nicht  Indigoblau  als  gleich  berechtigte  Hauptfarbc  des  Spectrum  mit  den 
anderen  figuriren.  Indigoblau  ist  nicht  so  verschieden  von  Cyanblau 
wie  Grün  von  Gelb,  wie  Orange  von  Gelb,  wie  Roth  von  Braun  oder 
wie  irgend  zwei  andere  Hauptfarben  des  Spectrum.  Man  kann  nur  ein 
Blau  gleichwerthig  neben  diese  setzen ,  welches  weder  cyanblau  noch 
indigoblau,  sondern  rein  blau  ist,  und  durch  cyanblau,  grünlichblau, 
grünblau,  blaugrün  in  grün  einerseits,  durch  indigoblau,  violettlich- 
blau,  violettblau,  blauviolett,  andererseits  in  violett  übergeht.  Aber 
allein  durch  den  Nachweis ,  dass  tiSTiNc's  Mitte  des  Gelb  in  Wirklich- 
keit grüngelb  ist,  fällt  sein  Gesetz.  Die  Farben  des  Spectrum  bilden 
keine  arithmetische  Reihe. 

Es  folgt  natürlich  aus  der  Unrichtigkeit  zweier  Hauptfarbenbestim- 
niungen,  des  Gelb  und  des  Blau,  nichts  gegen  die  Richtigkeit  der 
übrigen  sechs.  Ich  finde  sie  im  Gegentheil  so  vollkommen  mit  meinen 
eigenen  Beobachtungen  im  Einklang  (nur  Lavendel  getraute  ich  mich 


384 


W,  Prcyar 


der  Lichtsdiwaihf  negt^ii  nicbt  zu  bustiiiiiinn},  dass  ich  sie  ohne  Aen- 
deruiig  iils  Ausdruck  moinor  Versuche  iiinstellen  konnte,  und  ich  Liii 
überzeugt,  dass  jeder,  welcher  sor^nilUg  und  uubcfangeo  prüft,  hierin 
zu  denscIbcD  Resultaten  komnien  wird.  Uebrigcns  bat  Listinu  von  den 
lU  Gliedern  seiner  Reihe  nur  ü  diroct  geschätzt  und  die  Übrigen  daraus 
berechnet,  annehmend,  es  komme  (in  dem  idealen  Speclrum)  j«der 
Farbe  dieselbe  Breite  in  Schwingungszablen  ausgedruckt  zu,  was  iiii- 
zulcissig,  weil  willkürlich,  ist. 

Eine  weitere  mächtige  Stütze  erhitll  die  milgolheillo  Zusammon- 
sleMung  der  Hauptfarben  und  ganzen  Töne  durch  Fortsetzung  derselben 
auf  die  Uebergangs färben  und  halben  Töne.  Ohne  den  geringsLen 
Zwang  fügen  sich  diese  wie  jene  dem  Gesetz. 


Töue 

Scliwingunfjeii 

Wmlu    j  in  1*  BirnoB«» 

Farben 

Wellenlänge  in 
Milliont.  Miliin). 

Buispiole  zurCoiilr.il. 

c 

1 

388.S 

brauB 

7ttS,8 

A-aß768.    Linie  J  760,; 

r.is 

Vi 

iOt.i 

roUibraun 

737,7 

dm 

ii 

ti9,i 

braunroth 

711,7 

d 

ü 

436,7 

roth 

6«3,a 

Linio  B  686,7. 

dis 

H 

(S4,» 

ornn[;erolb 

655,9 

Linie  C  6S6,i  Hu. 

es 

! 

(65,8 

ii>l|joraii(;o 

64(1,5 

Fe  639,9  stark. 

e 

J 

(85,S 

orange 

6t4,9 

fm 

II 

4Ü6,9 

irellioranpp 

600,( 

eis 

vv 

505,1 

orarücgclb 

590,3 

Ltiiio  Dim.tNaa. 

f 

ä 

517.6 

,.ib 

576,4 

Hg  576,8.    Fe  576,3. 

f" 

i\ 

545.9 

grüngelb 

546,5 

f'V  545,4  siark. 

ges 

%% 

55S,0 

533,7 

Tob  534,8. 

9 

l 

SMS, 3 

grBn 

51*. 4 

Linie  6,  516,6%. 

gis 

606,6 
611,1 

Itluiigriiii 

grünblau 

491,9 
4NN.i 

f'c  491,9. 

Linie  f  (66,0  Hß. 

a 

l 

647,0 

blau 

461,1 

Srcf  460.6  Cj. 

iUs 

W 

673,9 

violotlbluu 

448,7 

b 

1 

69M,7 

blauvioIeU 

4ä7,a 

(•■fl  487,1  stark. 

A 

¥ 

787,9 

Violett 

4  OB.  9 

Ity  410,1. 

ce« 

il 

7(5,3 

grauviülcll 

400,3 

n  400,4. 

his 

W 

75j*,a 

violellgrati 

393,5 

Linie  Bi  393,3  Ca. 

<■; 

' 

776,4 

lavendelgrau 

384,8 

- 

Von  den  Folgerungen,  welche  aus  dieser  Parallele  der  Sinnes- 
Physioli^ie  erwachsen,  will  ich  hier  nur  eine  andeuten:  die  Gültigkeit 
des  FECBNER'schen  Gesetzes  fUr  Farben  in  ihrer  Abh<lngigkeit  von  den 
Schwingungszahlen.  Bisher  hat  man  allgemein  behauptet,  das  psycho- 
physische  Gesetz  gelte  für  Farben  nur  bezüglich  der  Amplitude  der 
erregenden  Schwingungen  ,  resp.  der  Intensität  der  davon  abhUngigcn 
Empfindung,    nicht  aber   bezüglich  der  von  der  Oscillationszahl  ab- 


Die  Verwandtscliatt  der  Töue  nnd  Farben.  385 

hängigen  Farbenqualität.  Man  konnte  sich  nicht  einmal  darüber  Rechen- 
schaft geben ,  inwiefern  das  ganze  Gesetz  durch  eine  solche  Ausnahme 
in  Frage  gestellt  würde,  zumal  es  für  Tonhöhen  bedingungslos  gilt. 
Durch  die  vorliegende  Untersuchung  fällt  die  Ausnahme  fort,  das 
WEBER-FECHNKR'sche  Gcsctz  hat  eine  neue  Anwendung  gefunden. 

Von  den  in  ästhetischer  Hinsicht  wichtigen  Consequenzen  der  Ta- 
belle sei  gleichfalls  nur  eine  hier  angeführt.  Wenn  auch  nicht  alle  musi- 
kalischen Consonanzen  angenehme  Farbcnzusamnionstellungen  geben  — 
dies  war  nicht  zu  (m* warten  —  und  sell)st  umgekehrt  nicht  alle  ange- 
nehmen Farbenzusammenstellungen  musikalische  Consonanzen  liefern, 
so  ist  doch  im  Allgemeinen ,  wenn  es  sich  um  nur  zwei  Farben  han- 
delt, Schönheit  und  Hässlichkeit  an  dieselben  Zahlen  gebunden  wie 
Wohlklang  und  Missklang  zweier  Töne.  Die  consonirenden  Intervalle 
innerhalb    einer   Octave    sind    (IIelmiioltz,    Tonempßndungen   4863, 

s.  29i,  :m]. 

die  Quinte  72 

die  Quarte  Y-, 

die  grosse  Sexte  Y:j 

die  grosse  Terz  ^4 

die  kleine  Terz  % 

(die  kleine  Sexte  ^5) 

(die  natürliche  Septime  Y4) 

Alle  anderen  Intervalle  innerhalb  einer  Octave  sind  dissonirende 
und  schon  die  beiden  letzten  (cingeklammertenj  sehr  unvollkommen. 
Ebenso  sind  nun  alle  Farbenintervnlle  Va»  Vj»  *V:»  V4»  Vs»  (Vs)?  (V4) 
angenehm  oder  zum  Wenigsten  in  malerischem  Sinne  erträglich,  es 
sind  aber  nicht  alle  anderen  unschön,  z.  B.  blaugrün  und  braun. 
Sehr  schöne  Quinten  sind  Roth  und  Grün  (^'/g),  Violett  und  Orange  1}/^)^ 
Grün  und  Braun  (^/(.),  Orange  und  Blau  ('/a) ;  Quarten:  Grün  und 
Roth  (fl'/^),  Blau  und  Orange  (7^),  Braun  und  Grün  (^/^j,  Violett  und 
Grüngelb  (V/iJ?  Orange  und  Violett  (*•/*)•  Grosse  Sexten  sind  nament- 
lich :  Blau  und  Braun  (^/\!} ,  Orange  und  Grün  (»/J .  Grosse  Terzen :  Grün 
und  Rothorange  (^^J)  Violett  und  Grün  (^/J;  kleine  Terzen :  Grün  und 
Orange  (ö'/^),  Grünblau  und  Gelb  C^Y/)  u-  s.  f.  So  geben  alle  Quinten, 
Quarten,  Sexten  und  Terzen  angenehme  oder  erträgliche  Farbenpaare. 
Aber  es  ist  diese  Uebereinstimmung  wahrscheinlich  nur  zufällig,  da 
auch  andere  Intervalle  nicht  immer  das  Auge  beleidigen  und  im  Allge- 
meinen zwei  Farben  um  so  besser  zusammenpassen ,  je  weniger  ihr 
Schwingungsverhältniss  von  dem  Schwingungsverhältniss  zweier  com- 
plementärer  Farben  abweicht.  Nun  liegen  die  Schwingungsverhältnisse 
.'liier  einfachen  complementären  Farben  innerhalb  der  Octave  zwischen 


386  .  W.  Preyer, 

1,2  und  1,6^  umfasseD  also  die  Quinte,  die  Quarte,  die  grosse  und  die 
kleine  Terz,  die  kleine  Sexte.  'Die  natttrlichste  Erklärung  des  Wohl- 
gefallens an  Farbenpaaren  dieser  Intervalle  scheint  mir  die  Annahme 
zu  sein,  dass  durch  je  zwei  Farben,  welche  zusammen  Weiss  geben,  die 
nach  YouNG  und  Helmholtz  vorausgesetzten  dreierlei  farbenempfinden- 
den Nervenfasern  in  Summa  nahezu  oder  ganz  gleich  stark  erregt 
werden,  während  beim  Anblick  schreiender  Farbencombinationen  eine 
Nervenart,  sei  es  nun  die  rothempfindende,  die  grUnempfindende  oder 
die  blauempfindende,  weit  stärker  als  die  beiden  anderen  erregt  würde. 
Wie  es  sich  mit  den'Farbenaccorden  verhält,  ist  gleichfalls  noch  zu 
ermitteln.  Ich  habe  diese  Untersuchung  in  Gemeinschaft  mit  meinem  Bru- 
der Ernbst  Prbter  in  Rom  erst  angefangen.  Eine  Thatsache  aber  glauben 
wir  bereits  feststellen  zu  können.  Sie  betrifft  die  dreistimmigen  Accorde. 
Wir  fanden,  dass  nicht  jeder  Stammaccord  ohne  weiteres  in  Farben 
übersetzt  werden  kann,  sondern  meistens  einer  Umlagerung  bedarf, 
wenn  die  den  drei  Tönen  entsprechenden  Farben  nicht  verletzen  sollen, 
und  zwar  ergab  sich,  dass  es  für  die  Duraccorde  vorwiegend  der  Quart- 
sextenaccord  ist,  welcher  malerisch  am  meisten  befriedigt  oder  die 
malerisch  einzig  zulässige ,  beziehlich  erträgliche  Reihenfolge  der  drei 
Farben  liefert.  Die  Mollaccorde  bedürfen  hingegen  weniger  der  Um- 
lagerung. Uebrigens  ist  es  beachtenswerth^  dass  gerade  die  schönsten 
Farbenaccorde  auch  den  wohlklingendsten  musikalischen  Dreiklängen 
entsprechen  f  z.  B.  die  berühmte  Zusammenstellung  der  italienischen 
Maler: 

Roth  Grün  Violett    entspricht  d  g  h    (G-dur).    Ferner 
Orange  Grün  Braun       ,,  e  g  c,   (C-dur) 

Orange  Blaugrün  Rothbraun  entspricht  e  gü  eis,  [Cis-moW) 
Rothorange  Grünblau  Braun  ,,  es  as  c,  (As-änr). 

Ich  will  die  Parallele  hier  nicht  weiter  ziehen,  und  beschränke 
mich  auf  die  wenigen,  aus  einer  sehr  grossen  Anzahl  beliebig  aus- 
gewählten'Beispiele,  um  zunächst  die  Aufmerksamkeit  anderer  auf  den 
Gegenstand  zu  lenken.    Denn  es  kann  auf  diesem  Gebiete  nur  durch 


1)  Ich  habe  wiederholt  das  negative  Nachbild  des  Ultraroth,  besonders  des  Braun 
der  Robidiumdoppellinie  {Rb^hsiXss.  ca  790,9  und  Rby  =  779  Lecoq)  durch  längeres 
Fixiren  auf  schwarzem  Grunde  mir  entworfen  und  es  stets 'blaugrün  mit  etwas  über- 
wiegendem Grün  gefunden.  Also  selbst  an  dem  Spectrumende  würden  noch  alle 
drei  farbenpercipirenden  Nervenfasern  gleichzeitig  erregt  werden.  Die  Thatsache, 
dass  Blaugrün  das  negative  Nachbild- von  Braun  (auch  von  Käa)  ist,  macht  eine 
Schlussfolgerung  Brücke's  (Pogg.  Ann.  74,  S.  464,  462,  584)  sehr  zweifelhaft,  der 
zufolge  Lavendelgrau  das  Complement  von  Braun  wttre.  Bei  allen  anderen  Farben 
sind  die  Complementärfarben  und  negativen  Nachbilder  auf  Schwarz  identisch. 


Die  Verwandtscbart  der  Töne  and  Farben.  387 

Zusammenwirken  Vieler  und  zwar  durch  gemeinschafUiche  Tbätigkeit 
der  Physiologen,  der  Maler  und  der  Musiker  etwas  erreicht  werden. 

Zum  Schlüsse  dieser  Mittheilung,  welche  nur  als  eine  vorläufige 
anzusehen  ist,  sei  eine  andere  bisher  übersehene  ^  aber  physiologisch 
sehr  berücksichtigenswerthe  Analogie  der  Farben-  und  Tonperception 
einerseits,  der  Wahrnehmung  von  Licht  und  Geräuschen  andererseits 
erwähnt. 

Es  ist  eine  durch  Max  Schultzens  glänzende  Entdeckungen  sicher 
festgestellte  Thatsache,  dass  von  den  Endorganen  des  Sehnerven  in  der 
Netzhaut,  die  Zapfen  allein  die  Farbenperception  vermittein,  die  Stäb- 
chen nur  Hell  und  Dunkel  unterscheiden.  Es  geht  dies  schon  daraus 
hervor,  dass  in  der  Nacht  und  Dämmerung  thätigc,  bei  Tage  ruhende 
Thiere,  z.  B.  die  Fledermäuse,  Igel,  Mäuse,  Maulwürfe,  Eulen  nur  sehr 
wenige  oder  keine  Zapfen  haben,  hingegen  den  sonnige  Flächen  lieben- 
den Eidechsen  die  Stäbchen  gänzlich  fehlen  und  die  Retina  der  Tag- 
vOgel  äusserst  zapfenreich  ist.  Ferner  besitzen  in  der  Yogelretina  nur 
die  Zapfen  farbige  Kugeln,  welche  das  Licht,  ehe  vs  in  Empfindung  um- 
gesetzt worden  ,  passiren  muss.  Die  Stäbchen  sind  sämmllich  farblos. 
Endlich  enthält  unsere  Macula  lutea,  die  Stelle,  mit  welcher  wir  Farben 
am  besten  wahrnehmen ,  nur  Zapfen.  Die  Sonderung  der  Zapfen  und 
Stäbchen  nach  ihrer  physiologischen  Function,  wie  sie  Miix  Schultzb 
aufgestellt  hat,  ist  in  der  That  vollkommen  begründet.  (Ärch.  f.  mikr. 
Anat.  II,  S.  2e^3.   1866.) 

Im  Ohre  ist  eine  Sonderung  der  peripherischen  Endorgane  des 
Hörnerven  in  zwei  Formen  gleichfalls  nachgewiesen.  Während  der 
Schneckennerv  im  Connex  mit  den  GoRTi^schen  Bögen  und  der  Mem~ 
brana  basilaris  die  Empfindung  der  reinen  Töne  vermittelt,  kann  der 
Vorhofsast  mit  den  von  Max  Schultzb  entdeckten  Hörhärchen  und  den 
Otolithen  nicht  dazu  dienen ,  Musik  als  solche  empfinden  zu  lassen ,  er 
vermittelt  höchstwahrscheinlich  nur  die  Empfindung  von  Geräuschen 
(Helmholtz,  Tonempfindungen  4  863.  S.  S18.  919.) 

Wie  nun  reine  Töne  auf  gleichmässigen  periodischen  Schwingungen, 
Geräusche  auf  einem  Wechsel  solcher  einfachen  periodischen  Schwingun- 
gen beruhen,  so  kann  man  auch  von  reinen  Farben  sagen,  sie  beruhen 
auf  gleichmässigen  periodischen  Schwingungen ,  weisses  Licht  aber  auf 
einem  fortwährenden  Wechsel  solcher  einfachen,  es  zusammensetzenden 
regelmässigen  Schwingungen.  Man  erkennt  auch  die  Zusammensetzung 
in  beiden  Fällen,  das  Ohr  mit  dem  Resonator,  das  Auge  mit  dem  Prisma. 
Jenes  zerlegt  die  Geräusche  in  Töne,  dieses  das  Licht  in  Farben. 

Ebenso  wie  wir  durch  Töne  künstlich  Geräusche  zusammensetzen 
können,  sind  wir  im  Stande,  durch  Mischen  der  Farben  farbloses  Licht 


38S  W.  Pnm,  Die  WrwiiTiiltBcbRft  in  TOnc  nnd  FitrHen. 

zu  erzpiigtm  und  ebenso  wie  bfti  der  Perceplion  dieses  Lichles  die 
färbe II percipiren den  Eiemenic  (die  Zapfen;  mitwirki;n  müssen,  weil  sie 
die  einfachen  Besl^ndtbeile  desselben  percipiren,  so  muss  auch  bei 
jedem  GiTfluschi:'  die  nbgestimml^*  Membrana  basilnris'  mitschwingen, 
weil  die  Gerüusche  aus  Tünen  KusammengeseUt  sind.  Aber  das  um- 
gekehrte findet  nach  dieser  Anschauung  sowohl  im  Auge,  wie  im  Ohre 
in  viel  geringerem  Grade  oder  gar  nicht  statt.  Wird  eine  isolirte  reine 
Farbe  empfunden,  so  sind  nur  die  Zapfen  thMlig,  die  Stäbchen  ruben; 
wird  ein  einzelner  reiner  Ton  gehört ,  so  werden  nur  die  Endigungeii 
des  Schneclienastes  unseres  Hörnerven  erregt,  die  des  Vorhofsastes 
ruhen. 

Der  Vergleich  ist  so  wahrsüheinlieh,  dass  ich  ihn  trotz  mangelnder 
experimenteller  Begründung  —  wclihe  vurlüuflg  unausführbar  ist  — 
wenigstens  andeuten  durfte. 

')  Neuerdiu)^  hnt  Hrlkiidlti  iluri  wiiliUpPii  Ne(lln(>l^(^cllcfl  rt  das«  die  primdr 
riiilsdhwingoiidBn  Theiio  im  Ohre  imht  wip  er  Tiuher  fui  moglii  li  hielt  die  Coh- 
Ti'schun  Böigen  sein  kOnnen,  da  diese  nach  C  Haese  den  bügeln  fehlen  viclmcbr 
die  sehr  verschieden  dicke  und  2um  Mitschwingen  trefflich  fteeittoete  MembrnnH 
hsfjilarts  der  Schnecke  jene  Holle  tlhrrnehmeii  kann  (Heidelberger  nalurhislor 
Verein  23.  Juni  IBfiBl    wie  es  IIehsen  Tupriil  nufspracli 


Kleinere  Mittheilungen. 


ZMchemische  MittheiloHgeH. 

Von 

E.  Reichardt. 


Blut  und  Harn  bei  L^nkaemie. 

Die  Uotersuchun;;  beider  Flüssigkeiten  von  nn  Leukaemie  Erkrankten  ist  sclion 
wiederholt  vorgenommen  worden ,  jedoch  sind  die  mir  zu  Gebote  stehenden  Ver- 
öffentlichungen nur  gering  an  Zahl  und  mehrfache  Angaben  noch  zu  bestätigen ,  so 
dass  ein  .weiterer  Beitrag  nicht  unerwünscht  sein  dürfte.  Das  Material  verdanke  ich 
der  freundlichen  Uebermittelung  durch  Prof.  Gerhardt. 

Scherer  1  fand  im  Blute  Leukaemischer  4)  einen  dem  Leim  ähnlichen  Körper, 
2)  einen  ei  weiss-  und  leim  ähnlichen,  3)Hypoxanthin,  welches  er  scho/i 
früher  in  der  Milz  erwiesen  hatte  und  von  Gerhardt  ^  im  Ochsenblute  nachgewiesen 
worden  war,  4)  Ameisensäure,  Essigsäure  und  Milchsäure,  gleichfalls 
von  ihm  früher  in  der  Milz  erkannt.  Eine  spätere  Untersuchung  gleichen  Blutes 
ergab  Scherer  Hypoxanthin ,  Harnsäure,  Milchsäure,  Leucin  und  Ameisensäure 3. 
PoLWARCZifY^  fand  nach  Scherer's  Methode  in  gleichem  Blute  nur  Milch-  und  Amei-' 
sensäure ,  auf  Essigsäure  konnte  nicht  geprüft  werden ,  aber  weder  Leim ,  noch 
Leucin,  oder  H^-poxanthin.  Mosler  und  Körner^  untersuchten  Blut,  durch  Aderlass 
einer  leukaemischen  Person  entzogen,  und  fanden  darin  Eiweiss,  Glutin,  Harn- 
säure, Hypoxanthin^  Ameisensäure  und  Milchsäure,  Essigsäure 
konnte  nicht  nachgewiesen  werden.  Dieselben  Forscher  unterwarfen  jedoch  auch 
gleichzeitig  den  Harn  der  Untersuchung,  fanden  jedoch  »keine  sehr  wesentlichen 
Abweichungen  in  den  Mengenverhältnissen  der  normalen  Harnbestandtheile ,  der 
Art,  dass  daraus  auf  ein  der  Leukaemie  zukommendes,  besonderes  Verhalten  ge- 
schlossen werden  dürfte«.  Mosler  veröffentlicht  endlich  4866®  verschiedene  Prü- 
fungen des  Harn's  an  linealer  Leukaemie  leidender  Personen  und  es  gelang ,  darin 


I)  Yerliandl.  dar  physic.  med.  GesellHchftft  zu  WOnbnrg  1852,  Bd.  II,  S.  :ril. 

<)  AbendM.  a.  290. 

*)  pbendM.  1857,  Bd.  TU,  125;  Archiv  ffir  pttbol.  Anatomie  v.  ViK<riiuw  Bd.  XXV,  lH(i2,  B.  142. 

«)  Wien,  medic.  Zeitschrift  1H58.  Nro.  29-31. 

»)  ViRüUow^  Archiv  lgf>2,  Bd.  XXY,  S.  142. 

•)  ViBCHow'8  Archiv  Bd.  »7,  S.  4:{. 

'Bd.  V.  8.  26 


390  ^t  Relchardt, 

stets  auch  Hypoxanthin  nachzuweisen.    Die  Bestimmungen  anderer  Bestandtheile, 
wie  Harnsäure,  Harnstoff  u.  s.  w.,  ergaben  keine  besonders  abnormen  Verhältnisse. 
In  dem  vorliegenden  Falle  wurden  Harrt  und  Blut  auf  die  hier  in  Frage  ge- 
stellten wichtigen  Bestandtheile  geprüft  und  folgende  Resultate  erhalten : 

Hamnntersuchiiiig. 

48.  Dec,  Tagesquantität  4300  C.  C. 
Harnstoff  =  Ä,5  Proc.  =  pro  Tag  32,  5  grm. 
Harnsäure  =  0,08  Proc.  =  pro  Tag  4,04  grm. 
4  9.  Dec,  Tagesquantum  950  C.  C. 
Harnstoff  =  2,85  Proc,  pro  Tag  27  grm. 
Harnsäure  =  0,4  4  Proc,  pro  Tag  4,04  grm. 
24.  Dec,  Tagesquantum  4  050  CO. 
Harnstoff  =  2,64 ,  pro  Tag  27;4  grm. 
Harnsäure  =  0,062,  pro  Tag  0,65  grm. 
Schon  vor  diesen  Bestimmungen  waren  ein  Paar  Untersuchungen  desselben  Harns 
auf  Hypoxanthin  ausgeführt  worden  und  zwar  sowohl  nach  der  von  Scherer  an- 
gegebenen Methode  mittelst  Baryt  u.  s.  w.,  wie  nach  der  von  Körner  befolgten 
(ViRCHow's  Archiv  Bd.  25,  S.  448)  durch  Auskochen  des  eingedunsteten  Urins  mit 
Alkohol  u.  s.  w.   Auf  keine  dieser  Weisen  konnte  bei  den  wiederholten  Prüfungen, 
von  400  C.  C.  Harn  und  mehr,  Hypoxanthin  nachgewiesen  werden. 

Harnstoff  und  Harnsäure  finden  sich  nach  den  erhaltenen  Resultaten  in 
reichlichem,  jedoch  normalem  Verhältnisse  vor ;  die  Menge  der  Harnsäure  ist  gegen- 
über dem  Harnstoff  etwas  gesteigert,  eine  bei  Leukaemie  oft  beobachtete  Erschei- 
nung.  Die  Reaction  der  Urinproben  war  saqer,  Eiweiss  nicht  vorhanden. 

Blut. 

Von  frisch  entnommenem  Blute  wurden  mir  2  Proben  ^^ur  Verfügung  gestellt, 
davon  eine  leider  nicht  auf  Hypoxanthin  geprüft  werden  konnte,  die  zweite  war  so- 
fort nach  Entnahme  mit  Alkohol  versetzt  worden. 

Die  erste  Probe  wurde  nach  Verdünnen  mit  Wasser  durch  Kochen  von  den  Ei- 
weisskörpern  befreit,  die  nunmehr  sich  sehr  leicht  scheidende  Flüssigkeit  ergab  mit 
Salpetersäure  keinen  Niederschlag,  dagegen  mit  Gerbsäure  reichlich  die  Fällung  des 
Leims,  dessen  Gegenwart  überhaupt  durch  die  verschiedenen  Reactionen  er- 
wiesen wurde. 

Bei  dem  Verdunsten  der  wässrigen  Flüssigkeit  verhielt  sich  dieselbe  analog 
dem  Leim ,  eine  weitere  Abscheidung  eines  Eiweiss  ähnlichen  Körpers  (Scberer) 
konnte  nicht  beobachtet  werden. 

Mit  Schwefelsäure  destillirt,  wurden  in  dem  Destillate  deutlich  die  Reactionen 
der  Essigsäure  erhalten ,  nicht  diejenigen  der  Ameisensäure ;  zweifelhaft  waren 
die  Prüfungen  auf  Milchsäure. 

Die  zweite ,  direct  mit  etwa  der  doppelten  Menge  absoluten  Alkohols  versetzte 
Blutprobe  mochte  etwa  30  grm.  Blut  betragen  haben;  die  alkoholische  Flüssigkeit 
war  klar,  ziemlich  farblos,  die  abgeschiedenen  Theile  sahen  wie  durch  Kochen  ge- 
ronnenes Blut  aus.  Es  wurde  filtrirt  und  das  Filtrat  im  Wasserbade  zur  Trockne 
verdunstet,  die  geronnene  Blutmasse  aber  nach  Scherer  in  kochendes  Wasser  einge- 
tragen und  die  niin^coagulirten  Theile  gleichfalls  durch  Fiitriren  getrennt.  Die  zuerst 
erhaltene  alkoholische  Lösung  ergab  sehr  .wenig  Rückstand ,  mit  demselben  wurde 
nunmehr  das  wässrige  Filtrat  der  Blutmasse  vereint  und  abermals  zur  Trockne  im 


Zoocheinische  Mittbeilnn^ou.  391 

Wasserbade  gebracht;  eine  Bildung  von  Häuichen  wurde  nicht  beobachtet.  Der 
Rückstand  wurde  mit  starkem  Alkohol  behandelt ,  wodurch  eine  weisse ,  flockige 
Abscheidung  eintrat,  abfiltrirt  löste  sich  letztere  bis  auf  wenige  Flocken  E  i  w  e  i  s  s 
völlig  in  Wasser  auf  und  ergab  eingetrocknet 

0,423  grm.  Leim, 

wenigstens  stimmten  die  bekannten  Reactionen  völlig  damit  überein. 

Das  alkoholische  Filtrat  wurde  zur  Entfernung  des  Weingeistes  verdunstet  und 
der  Rückstand  mit  Schwefelsäure  versetzt,  wodurch  ein  gelbes  Pulver  sich  ab- 
schied, welches  auf  gewogenem  Filter  gesammelt  und  nach  dem  Trocknen  bei  4  OO^C. 
gewogen  0,055  grm.  Substanz  ergab.  Die  Prüfung  mit  Salpetersäure  und  Kali  er- 
gaben unzweifelhaft  die  Reactionen  auf  Hypoxanthin. 

Das  Schwefelsäure  haltende  Filtrat  wurde  der  Destillation  unterworfen,  das 
Destillat  reagirte  sauer,  reducirte  Silberlösung  und  färbte  Eisenchlorid  =Ameisen- 
säure;  die  Prüfungen  auf  Essigsäure  waren  sehr  zweifelhaft. 

Der  Destillationsrückstand  wurde  mit  reinem  kohlensauren  Kalk  neutralisirt 
und  das  wässrige  Filtrat  zur  Trockne  verdunstet ,  in  dem  Rückstande  Hessen  sich 
mikroskopisch  keine  Kristalle  von  milchsaurem  Kalke  erkennen ,  auch  traten  sonst 
keine  Reactioneu  auf  Milchsäure  ein ,  dagegen  hinterblieb  in  reichlicher  Menge  ein 
anderer  stickstofThaltender  Körper,  dessen  Eigenschaften  genau  mit  einem  Zcr- 
setzungsproducte  des  Albumins  übereinstimmten,  welches  Theile^  bei  der  Ein- 
wirkung von  Kali  erhielt  und  das  ich  vorläufig,  der  Abstammung  wegen  mit  dem 
Namen  A 1  b  u  k  a  1  i  n ,  bezeichnen  will. 

Theile',  damals  Assistent  bei  mir,  untersuchte  auf  meine  Veranlassung  die  Ein- 
wirkung von  Kali  auf  Albumin  und  Vitellin ,  namentlich  um  die  Menge  des  dabei 
auftretenden  Ammoniaks  zu  ermitteln  u.  s.  w.  Unter  den  Zcrsetzungsproducten 
fand  er  einen  Körper,  welcher  in  absolutem  Alkohol  schwer  löslich,  in  starkem  Al- 
kohol {900/q)  vollständig  löslich  war;  die  Menge  desselben  mochte  wohl  gegen 
42-^45  Proc.  des  genommenen  Vitellins  betragen.  Dieser  Körper  stellt  getrocknet 
eine  bröckliche,  braune  Masse  dar,  verbrennt  mit  dem  Geruch  der  Eiweisskörper 
und  zeigt  sich,  in  dünnen  Schichten  eingetrocknet,  unter  dem  Mikroskope  sehr 
krystallinisch ,  den  bekannten  Efflorescenzen  von  Salmiak  sehr  ähnlich,  jedenfalls 
regulär ,  so  dass  man  zuerst  an  die  Gegenwart  von  diesem  Ammoniaksalz  glaubte, 
bis  die  vollständige  Abwesenheit  von  Ammoniak  überhaupt  erwiesen  wurde. 

» 

Theile  fand  den  Körper  frei  von  Schwefel  und  erhielt  die  Formel  C^HSNO^+HO, 
welche  derjenigen  des  Glycocolls  nahe  zu  stehen  scheint : 

Albukalin  =  CSHSNO«  +  HO. 
Glycocoll  =C*H*N03  +  H0. 

Vielleicht  spielt  das  Albukalin  eine  ähnliche  Rolle  bei  der  Einwirkung  von  Kali 
auf  Albumin ,  wie  das  Glycocoll  als  Zersetzungsproduct  der  leimgebenden  Materie 
auftritt. 

Die  von  Theile  erhaltenen  Reactionen,  abgesehen  von  der  Krystallisation,  sind  : 
Die  wässrige  Lösung  reagirt  schwach  sauer  und  giebt  mit 

4)  schwefelsaurem  Kupferoxyd  eine  intensiv  smaragdgrüne  Färbung, 

aber  selbst  nach  längerem  Stehen  keine  Fällung ; 
2}  salpetersauremSilberoxyd  eine  weisse,  flockige,  bald  braun-Violett 
werdende  Fällung; 


1)  Dies.  Zeitschrift  1867.  Bd.  3,  8. 173. 

26* 


392  ^"  Hnchiircil.  /nwlipinisciic  MiKlipiliiiiKfii. 

3)  Platinchlnrid  einen  flockigen,  Reiben  Niederschlag; 
4)SHtpetersaureDiQuccksilliproxyd  einen  sehr  voluminösen,  flockj- 
gen,  weissen  Niedersclilag. 

Aetznalron  bewiriil  nacii  einigem  Sieben  einen  weissen  Niederschlag, 

Sämmtliche  Reactionen  traten  bei  dem  obigen  Kürper,  aus  dem  Blute  Leukae- 
misclicr  erhalten,  deutlich  auf  und  eine  Prüfung  auf  Ammoniak  ergab  die  Abwesen- 
heit desselben. 

Zu  der  Destillation,  um  EüsigsHure  und  Ameisensäure  zu  erhalten,  war  nur  ein 
Thcil  der  SchweretsSurc  haltenden  Flüssigkeit  verwendet  worden ,  die  zweite  Por- 
tion wurde  nacbtrSglich  ebenso  behandelt  und  gleichfalls  die  Gegenwart  von  Amei- 
sensäure erwiesen.  Der  Destittationsrtickstand ,  wie  oben  mit  reinem  kohlensauren 
Kalk  neutrslisirl,  Hess  abermals  nach  dem  Eindunslen  die  charakterlsliscfaen  For- 
men des  milcbSBUren  Kalkes  nicht  erkennen,  dagegen  zeigten  sich  würfelige 
Formen,  welche  bei  wiederholter  LOsung  und  Kryslallisation  in  dieselben  salmiak- 
ahnlichen  Kryslalle  übergingen  und  alle  Reactionen  der  LOsung  wieder  gaben ,  wie 
sie  von  dem  Albnkalin  bemerkt  worden  sind. 

Da  das  Albukelln  in  bedeutender  Menge  als  Zersclzungsproduct  des  Albumins 
oder  Vilellins  durch  Kali  erhalten  wurde ,  liegt  die  Folgerung  nahe ,  dass  es  Öfters 
in  den  Flüssigkeiten  des  tblcrlschen  Organismus  vorkommen  mäge ,  analog  den  an- 
deren schon  bekannten  Körpern ,  Leucin ,  Tyrosin  etc. ,  und  fordert  diese  Nachwei- 
sung zu  weiteren  Prüfungen  auf. 

Die  Blut-  und  Harnuntersuchungen  führte  mein  Assistent,   Herr  Scbeerhesser, 

Zusatz. 

Blut  und  Harn,  deren  Untersuchung  l;lerr  College  REicnAHDT  vornahm,  stammen 
von  einem  (Bjahrigen  Manne,  der  früher  dem  Branntweingenusse  ergeben,  als  Oe- 
konom  öfteren  Erkaltungen  ausgesetzt,  ohne  weitere  bekannte  Ursache  seit  drei 
Jahren  Athemnoth  bekam  ,  die  im  Winter  sich  steigerte.  Juni  1S68  bcmerkt^man 
zuerst  bei  einer  ärztlichen  Onlersucbung  Anschwellung  des  Unterleibes.  Seither 
Zunahme  dieser  Erscheinung,  Entkreflung,  Oedem  der  F'Usse,  Neigung  zu  Diarrhoe. 

Bei  det  Aufnahme  am  45.  Dec.  186S  fand  man  die  Milz  der  MiLlellinie  als  grosse 
Geschwulst  um  1),8Ctm.  nach  rechts  überragend,  an  verschiedenen  Stellen  tS — 24 
Ctm.  breit,  keine  LymphdrUsenansch wellung.  Das  VerbSItnlss  der  weissen  zu  den 
ratbcn  Blutkörperelien  ergab  sich  wie  i  :  S,S1  —  i  :  2,66,  Die  Behandlung  bestand 
in  Eisen  innerlich  und  kalten  Douchen  in  der  Uilzgegend.  Letztere  verkleinerten 
den  Umfang  der  Milz  messbar.  Der  Kranke  verlicss  nach  wenigen  Tagen  die  Klinik 
wieder.  — 


Rleetrol?tiselie  Versnclie. 

4 

Von 

Dr.  Paul  BurckharcL 

Die  Electrolyse  wurde  meistens  in  kleinen  Porzeliantlegeln  ausgeführt ;  für  die 
Scfiwefelverbindungen  wurden  gebogene  Glasröhren  benutzt,  welche  unien  für  die 
Pole  kleine  Aussackungen  hatten.  Als  Erzeuger  des  Stroms  dienten  sechs ,  nur  in 
einigen  Fällen  zwölf  BrifSEN'sche  Elemente;  als  Leitungsanzeiger  das  einfache 
Schwefelsäure-Voltameter.  Als  Pole  wurden  meist  Platin-  oder  Kupferdrähte ,  bei 
den  Schwefelverbindungen  aber  Stifte  aus  dichter  Gaskohle  angewandt.  Die  Electo- 
lyse  der  schwer  schmelzbaren  Verbindungen  wurde  über  der  Flamme  eines  Glas- 
bläsertisches ausgeführt. 

Wismuthoxyd:  Bi^O^,  leitet  nur,  wenn  es  geschmolzen  ist,  nicht  im  unge- 
schmolzenen Zustande.  Wendet  man  als  Pole  Kupferdrähte  an ,  so  ist  nach  kurzer 
Einwirkung,  während  welcher  an  der  Anode  SauerstofTentwickelung  stattfindet,  die 
Kathode  mit  metallischem  Wismuth  überzogen.  Bei  Anwendung  von  Platindrähtcn 
schmilzt  das  an  der  Kathode  gebildete  Wismuthplatin  ab. 

Borax:  B*0''Na2.  —Nach  den  Versuchen  von  Capschiit  und  Tichanowitsch * 
leitet  wasserfreie  Borsäure  selbst  den  Strom  von  950  Elementen  nicht;  gewöhnliche 
käufliche  Borsäure,  welche  natronhaltig  ist,  leitet  dagegen  den  Strom  schon  bei 
Anwendung  von  4  0  Elementen.  Geschmolzener  Borax  leitet  auch  einen  noch 
schwächeren  Strom  ziemlich  pul,  nn  beiden  Electroden  entwickelt  sich  dabei  Gas, 
wie  schon  Faradat  angiebt.  Das  an  der  Anode  entwickelte  Gas  ist  Sauerstoff,  das 
an  der  Kathode  dagegen  ein  solches ,  welches  an  die  Oberfläche  des  geschmolzenen 
Borax  angekommen ,  mit  gelber  Flamme  verbrennt.  Gleichzeitig  überzieht  sich  die 
Platinkathode  mit  einem  schwarzen ,  losen  Ueberzug.  Kocht  man  mit  Wasser  aus, 
so  hinterbleibl  eine  schwarze  Masse  vom  Au.ssehen  des  amorphen  Bors ,  welche  er- 
hitzt wie  dasselbe  verglimmt  und  zu  Borsäure  verbrennt.  Ausserdem  bildet  sich 
Borplatin  von  so  grosser  Härte ,  dass  es  Glas  ritzt.  Das  an  der  Kathode  zugleich 
mitauftretende  und  mit  gelber  Flamme  brennende  Gas  konnte  nichts  weiter  als  Na- 
triumgas  sein ;  es  fragte  sich  nur ,  ob  die  Ausscheidung  des  Natriums  unter  diesen 
Umständen  vom  Strom  bewirkt  sei  oder  aber  ob  vielleicht  das  Natrium  ein  durch 
die  Einwirkung  von  Bor,  resp.  Borplatin  auf  geschmolzenen  Borax  erzeugtes  Neben- 
product  .sei.  Der  Versuch  hat  die  letztere  Annahme  als  die  richtige  ergeben :  denn 
es  tritt  genau  das  nämliche  Gas  und  die  nämliche  mit  etwas  Geräusch  verlaufende 
Verbrennungserscheinung  auch  ohne  Mitwirkung  des  Stroms  ein,  wenn  Borplatin  in 
geschmolzenen  Borax  getaucht  wird.  Die  Electrolyse  des  Boraxes  verläuft  demnach 


M  Jakresb«r.  f.  1861.  S.  4». 


394  P«iil  Biirckhiird, 

Bo,  dnas  derieihe  durch  den  Slrom  von  Tünf  Elementen  in  Nntriumosyd ,  Sauerstoff 
nnd  Bor  zorfüllt.  Das  Natriumoxyd  dient ,  kann  man  sagen,  nur  dazu,  die  Borstiare 
zum  Eiectrolylen  zu  macKen,  erloidet  seibsl  aber  lieine  ZorsülEung, 

Aehnlich  dem  Borai  verhalten  sich  die  Natriumphosphate ,  nHmlich  das  Pyro- 
pbospliat  und  Mutaphosphal.  Das  gewöhnliche  Nalriumphosphat  ist  unschmelzbar 
und  leitet  selbst  glühend  den  SlroDi  nicht. 

Nalrium-Pyrophosphal,  PSQ'Na*.  —  An  der  Anode  findet  starke  Sauer- 
slofTentwickelunR  statt,  an  der  Kathode  ist  ebenfalls  Gasenlwickelung  bemerkbar. 
Die  Blasan  des  Gases  enlzundcn  sich  an  die  Luft  tretend  und  verbrennen  mit  gelber 
Flamme,  ganz  wie  es  bei  der  Elcotrolyse  von  Borax  der  Fall  ist.  fileichieiti|i  ent- 
steht Phospborplalin ,  welches  nacb  einiger  Zeit  als  Kugel  vom  Draht  abschmilzt. 
Eine  solche  isolirle  Kugel  enthielt  9i  Proc.  Platin  und  6  Proc.  Phosphor.  Die 
Eiectrolyse  verläuft  hier  also  der  vom  Borax  analog :  der  Strom  zerlegt  das  Salz  in 
Sauerstoff,  Phosphor  und  Nalriumonyri,  von  welchem  ein  Thcil  durch  Phosphor  re- 
ducirt  wird. '  • 

Nairium-Metaphosphal,  POSNa,  verhall  sich  genau  so  wie  das  Pyro- 
phosphat.  Bei  Anwendung  einer  Kupferkathode  wird  dieselbe  stark  anKCgrilTen  und 
Bufgelüst;  gleichzeitig  bildet  sich  glänzendes,  hetlkupferfarbenes  hts  silberweisses, 
sprödes,  hrystallinisch  erseheinendes  Phosphorkupfer. 

Natrium-Wolframiat,  WoO'Na^,  leitet  geschmolzen  den  Strom.  Am  po- 
sitiven Pol  tritt  SauerstotTgasentwickelung  ein ,  wahrend  sieh  am  negativen  Pol  eine 
feste  kryatallinische  Masse  abscheidet,  durch  die  das  vorher  leichtflüssige  Salz  dick- 
tllissig  wird.  Dabei  wird  der  Platindrbht  nicht  angegriffen.  Nach  dem  Lösen  des 
unzersetzlen  .Salzes  in  warmem  Wasser,  dem  etwas  Ammoniak  zugeselzl  worden 
war,  blieb  ein  blaues,  schweres,  krystallinisuhes  Pulver,  das  sich  durch  die  Anaty.se 
Bis  blaues  Wolframoiyd :  WO^  erwies,  0,1673  grm.  desselben  veiwendeltcn  sich 
beim  Glühen  in  D,3660  grm.  Wolfram.süure  [her.  Q.S66B  grm.].  —  Demnach  verhall 
sich  dasNatrium-Wolfraraiat  analog  der  von  Buff  .eleclrolysirlen  Molybdän-  und 
Vanadin  saure '. 

Natrium-Carbonat,  CIPNa«,  leitet  den  Strom  sehr  gut  und  wird  henpt- 
söchlich  in  Kohlensaure  und  Nalriumoiyd  unter  geringer  Abscheidung  von  Kohle 
zerlegt.  Dabei  ist  die  Gasentwickelung  an  der  Anode  so  heftig,  dass  Theile  des  ge- 
schmolzenen Salzes  aus  dem  Tiegel  geschleudert  werden. 

llalbschwcfct  kup  fer,  Cu~S,  durch  Erhitzen  etwas  zusammengesintert, 
leitet  den  Strom ,  ohne  zersetzt  zu  worden  ,  in  gleicher  Weise .  wie  wenn  es  kalt 
angewandt  wird. 

Biantimon-Trisulfid,  Sb^S^,  leitet  den  Strom  und  wird  dabei  zerlegt  in 
Schwefel  und  Antimon ,  welches  letztere  beim  LOsen  des  unzersetzlen  Schwefel- 
antimons in  Kalilauge  zurückbleibt. 


n.  d.  Chem,  n,  Phinn.  Dil.  CX.  S.  ZiO  IT. 


.  Electrolytiscbe  Versuche.  395 


Analyse  eines  Bronee- Ringes  ans  einem  heidnisehen  Grabe  bei 

Tirsehneck,  nahe  Cambnrg. 

Von 

Demselben. 

Der  ovale  Ring  war  mit  einer  dicken  Rinde  Biatachit  bedeckt ,  deren  qualitative 
Untersuchung  neben  Kupfer  nur  Spuren  von  Zinn  ergab.  Er  wurde  zuerst  mecha- 
nisch alsdann  mit  Hülfe  von  Essigsäure  und  verdünnter  Salz-  und  Salpetersäure 
vollständig  davon  gereinigt.   Die  Farbe  des  Metalls  war  die  einer  hellen  Bronce. 

Die  Analyse  ergab  neben  Kupfer  und  Zinn  nur  eine  geringe  Menge  von  Eisen. 
Angewandt  wurden  0,4694  grm.  Substanz,  welche  mit  einer  Feile  aus  der  innem 
Seite  des  Rings  herausgefeilt  worden  waren.  Erhalten  wurden  0,4490  grm.  Zinn- 
oxyd,  entspr.  0,4474  grm.  =  25,03  Proc.  Zinn,  ferner  0,0035  grm.  Eisenoxyd, 
entspr.  0,00463  grm.  =  0,85  Pro^;.  Eisen  und  0,4884  grm.  Kupferoxyd,  entspr. 
0,8498  grm.  =  74,58  Proc.  Kupfer.  —  Die  Bronce  enthält  demnach: 

Sn  =  35,08 

Fe  =    0,35 

Cu  =  74,58 
99,96, 
sie  besteht  also  fast  genau  aus  4  Th.  Zinn  und  3  Tb.  Kupfer. 


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Je„,i,J,>2e»schrilt.BJ.V. 


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Taf.XII. 


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i  Jaiaht  Ztilschnrt  BJ.  V.  [ 


Ay.  4. 


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Jensischt  Zeilschnn  Bd.  K  \ 

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V 


Heber  das  Skelet  der  GliednaasseH  der  Wirbelthiere  in  Allge- 
neiHei  ud  der  HiBtergliedfliaasseH  der  Selachier  iHsbesoadere. 

Von 

C.  Oegenbaur. 


(Mit  Tafel  XV  u.  XVI   und  7  Holzschnitt-Figuren.) 

In  vorliegender  Arbeit  soll  eine  Reihe  von  mir  bezüglich  der 
Gliedmaassen-Skelete  der  Wirbelthiere  unternommener  vergleichend- 
anatomischer  Untersuchungen  eine  Ergänzung ,  und  auch ,  soweit  dies 
für  jetzt  möglich,  einen  gewissen  Abschluss  finden.  Durch  die  von 
einer  kleineren  Abtheilung  aus  begonnene ,  im  Laufe  der  Jahre  über 
grössere  Kreise  ausgedehnte  Untersuchung  der  bezüglichen  Theile, 
ward  ich  in  einer  dem  Umfange  des  Forschungsgebietes  stets  adaequa- 
ten  Weise  zurErkenntniss  des  Zusammenhanges  der,  für  sich  betrachtet, 
oft  sehr  complicirt  erscheinenden  Bildungen  geführt,  und  diese  Er- 
kenntniss  hat  sich  nach  Beendigung  der  hier  mitzutheilenden  Arbeit 
mir  noch  vollständiger  erschlossen.  Je  mehr  die  Gliedmaassen  Oi^ane 
sind,  an  denen  die  Anpassung  an  äussere,  die  Lebensweise  df  s  Orga- 
nismus bedingende  Verhältnisse  tiefgreifende  Modificationen  hervorruft, 
desto  wichtiger  muss  es  sein,  aas  der  Menge  dieser  Umwandlungen  das 
Gemeinsame  herauszufinden. 

Die  Untersuchung  des  Skelets  der  hinteren  Extremitäten  von 
Reptilien  liess  mich  zuerst  die  schwierigen  Verhältnisse  des  Fuss- 
skelets  der  Vögel  vergleichend  beurtheilon  und  durch  die  Entwicke- 
lungsgeschichte  desselben  gab  sich  zwischen  beiderlei  Abtheilungen  eine 
bedeutungsvolle  Verbindung  zu  erkennen.  In  den  Hinterglicdroaassen 
einer  den  Reptilien  beigezählten  fossilen  Form  —  Compsognathus 
longipes  —  konnte  eine  Mittelstufe  zwischen  Reptilien-  und  Vogel- 
fuss  gezeigt  werden^).    Da  die  wichtigsten  Eigenthümlichkeiten  jener 


4)  Vergleichend  anatomische  Bemerkungen  über  das  Fussskelet' der  Vögel. 
Archiv  f.  Anat.  u.  Physiol.  «868.  S.  450— 47 J. 

Bd.  V.    4.  27 


GUedmaassen  im  Verhalten  des  tarsalen  Abschnittes  sich  ergeben  hatten, 
ward  eine  Ausdehnung  der  Untersuchung  auf  den  Tarsus  anderer 
Reptilien  nicht  nur,  sondern  auch  der  Amphibien  und  Säuge— 
thiere  veranlasst,  welcher  Untersuchung  eine  gleiche  bezüglich  des 
bis  dahin  ebenfalls  wenig  beachteten  Carpus  sich  anschioss^).  —  Es 
hatte  sich  darin  eine  gewisse  Gleichartigkeit  der  ersten  Bildung  des 
Fuss-  und  Armskelets  herausgestellt,  welche  Gleichartigkeit  durch 
divergente  Difierenzirung  von  beiderlei  GiiedmaasBen  sieh  auflöste.  Die 
urodelen  Amphibien,  dann  unter  den  Reptilien  die  Schildkröten,  liessen 
die  Uebereinstimmung  der  Skeletbildung  von  beiderlei  Gliedmaassen 
am  vollständigsten  erkennen.  So  konnte  eine  Grundform  des  Glied- 
maassen-Skelets  aufgestellt  werden ,.  def en  Modificationen  in  Vorder- 
und  Hintergliedmaasse  von  den  Amphibien  bis  zu  den  Säugethieren 
nachweisbar  war. 

Mit  jener  Grundform  waren  die  Gliedmaassen  der  Fische  nicht 
zu  vereinigen.  Es  fand  sich  eine  bedeutende  Kluft,  deren  Ueber- 
brückung  um  so  schwieriger  schien,  als  selbst  die  Verhältnisse  der  die 
Gliedmaassen  tragenden  Skelettheile  der  Fische  unverständlich  waren, 
und  sogar  Theile  des  Brustgürteis  als  Abschnitte  des  Armskelets  be^ 
trachtet  wurden.  Daraus  ergab  sich  die  Nothwendi^eit  einer  Unter- 
suchung des  Schultergttrtels  der  Fische.  Erst  nachdem  sich  die  letzteren 
Theile  als  Bestandtheilen  des  Schultergürtels  der  höheren  Wirbelthiere 
«i    ^  vergleichbar  herausstellten,  war  die  Vergleichung  der  freien  Gliedmaasse 

möglich.  Die  dem  Gliedmaassengürtel  angefügten,  die  Gliedmaasse 
selbst  stützenden  Skelettheile  in  strahlenartiger  Anordnung  wurden  als 
Multipla  des  gesammten  l^elets  der  bezüglichen  Gliedmaassen  der 
höheren  Wirbelthiere  aufgefasst.  Arm-  und  Fussskelet  erschienen'  so 
als  einfache  Gebilde,  die  unter  den  Fischen  bei  den  Selachiem  je  durch 
zahlreiche  bomodyname  Theile  vertreten  sind,  und  bei  Ganoiden  und 
Teleostiern  eine  Rückbildung  von  der  Peripherie  her  erlitten.  Die  Be- 
ziehung des  Brustflossenskeiets  zum^Armskelete  der  höheren  Wirbel- 
thiere konnte  demnach  nur  durch  Annahme  einer  bei  letzteren  au^e- 
tretenen  Reduction  verstanden  werden  ^) . 

Durch  die  Kenntniss  einer  grösseren  Anzahl  von  Brustflossen- 
skeleten  aus  allen  Hauptabtheilungen  der  Fische,  gestaltete  sich  jene 
noch  sehr  unbestimmte  Vorstellung  vom  typischen  Baue  der  Brustflosse 


4)  Untersuchungen  zur  vergleich.  Anat.  d.  Wirbelthiere.  I.  Carpus  und  Tarsus. 
Leipzig  4864. 

9)  Ueber  den  Brustgürtel  und  die  Brustflosse  der  Fische.    Jeoaische  Zei* 
Schrift.   Bd.  II,  S.  424—425. 


-M 


lieber  das  Skelet  der  Gliedinaassen  der  Wirbelthiere  im  Allgemeinen  etc.         399 

zu  einer  mehr  concreten  Form  *).  Bei  den  Selachiern  (Und  bei  Chimären) 
wurde  gefanden,  dass  eine  bestimmte  Anzahl  von  Skeletstttcken  die 
Verbindung  mit  dem  SchultergOrtel  vermittelt,  drei  Basdliä,  die  je 
eine  Anzahl  der  knorpeligen  Flossenstrahlen  tragen.  Danach  wurden 
drei  Abschnitte  am  gesammten  Plossenskelete  unterscheidbar :  Pro-, 
Meso-  und  Metapterygium.  Der  letztere  Abschnitt  ergab  sich  als  d^r 
constantere.  Aus  leicht  verstandlichen  Modißcationen  dieser  Einrich- 
tungen konnte  das  Flossenskelet  der  Ganoiden,  und  von  diesen  wieder 
jenes  der  Teleostier  sammt  seinen  zahlreichen  Umformungen  abgeleitet 
werden.  Es  eröflhete  sich  aber  auch  ein  besseres  Verständtiiss  der 
verwandtschaftlichen  Beziehungen  zum  Gliedmaassenskelele  der  höheren 
Wrrbcdthiere.  Durch  die  Erkenntniss  von  zwei  sich  verschiedeh  ver- 
haltenden Elementen  im  Flossenskelcte  der  Selachier,  nämliöh  der  Ra- 
dien und  der  BasalstUcke,  die  als  Radienträger  fungiren,  war  der  erstö 
Schritt  zu  jenem  Yerständniss  geschehen.  Wenn  das  Metapterygium, 
welches  in  der  Selachierflosse  aus  einer  an  das  Basale  sich  anschlies- 
senden Reihe  von  Knorpelstüoken  (der  Stammreihe]  und  lateral  daran- 
gelügten  Radien  besteht,  der  constanteste  Abschnitt  ist,  somusste.ihm 
eine  grossere  Bedeutung  zukommen  als  den  beiden  anderen  Abschnit-^ 
ten.  Es  stand  zu  erwarten,  demselben  Theile  wieder  im  Gliedmäassen- 
skelete  der  höheren  Wirbelthiere  zu  begegnen.  Die  Homologie  des 
letzteren  mit  einem  Theile  des  Brustflossenskelets  der  Selachier  konnte 
begründet  werden,  wenn  im  Gliedmaassenskelet  der  höheren  Wirbel- 
thiere eine  mit  einem  Basale  beginnende  Stammreihe  und  dieser  late- 
ral angefügte  Radien  gleichfalls  nachgewiesen  werden  konnten.  Der 
Nachweis  dieser  Einrichtung  vnirde  geliefert.  Damit  war  die  Continuität 
der  gesammten  Gliedmaassenbildungen  der  Wirbelthiere  dargelegt,  und 
es  war  namentlich  die  lange  vermisste  Verknüpfung  der  niederen  Form- 
zusUlnde  mit  den  höheren  aufgefunden.  Meiner  damaligen  Auffassung 
zufolge  war  die  Grundform  des  Gliedmaassenskeletd  der  höheren  Wirbel- 
thiere im  Verhältnisse  zur  Selachierflosse  etwas  Rückgebildetes ;  sie  war 
nur  aus  dem  Metapterygium  hervorgegangen,  indess  Pro-  und  Mesopte- 
rygium  der  Selachier  gänzlich  verschwunden  waren*).     Der  Ausbil- 


1)  Untersuchungen  zur  vergleich.  Anat.  d.  Wirbelthiere.  IL  4.  Schultergürtel 
d«r  Wiri)eUhiere.  3.  Brustflosse  der  Fische.  Leipzig  1865. 

i)  In  dieser  Weise  habe  ich  mich  auch  noch  in  meinen  Grundzügen  der  vergl. 
Anat.  Zweite  Auflage.  S.  687  geäussert.  Indem  ich  ausführte,  dass  das  Glied- 
maassenskelet d^r  höheren  Wirbelthiere  aus  dem  Metapterygium  der  Sela6hier  ab- 
geleitet werden  könne,  habe  ich  nichts  von  meiner  gegenwärtigen  Auffassung 
*^eciell  Abweichendes  ausgesprochen.  Die,  wie  weiter  unten  dargelegt  werden 
einzige  Differenz  liegt  darin,  dass  ich  die  Gliedmaassen  der  höheren  Wirbel- 

i7* 


400  C.  Gegenbaur, 

dungsgrad  des  gesammten  Flossenskelets  hatte  sich  aber  schon  inner- 
halb  der  Abtheilung  der  Selachier  sehr  verschieden  ergeben.  Durch 
die  ansehnliche  Entwickelung  des  Propterygiums  bei  den  Rochen  er- 
schien das  Flossenskelet  bei  diesen  vollständiger  als  bei  den  Haien, 
und  demnach  mussten,  in  der  Voraussetzung,  dass  eben  jene  drei  Ab- 
schnitte primitive  seien,  im  Flossenskelete  der  Haie  Rückbildungen  an- 
genommen werden.  Das  war  in  Anbetracht  der  aus  dem  übrigen 
Verhalten  beider  Selachierabtheilungen  hervorgehenden  gegenseitigen 
Beziehungen  etwas  Befremdendes,  und  ich  gestehe,  dass  mich  das  Un- 
natürliche der  Ableitung  der  Haie  aus  Rochenformen  als  Consequenz 
jener  Auffassung  oftmals  gestört  hat. 

Eine  anderweite  Lösung  war  aus  dem  im  Brustflossenskelete  der 
Selachier  vorhandenen  Befunde  nicht  leicht  zu  finden.  Ais  aber  auch 
in  dem  einer  specielleren  Vergleichung  unterzogenen  Gliedmaassen- 
skelete  von  Plesiosaunis  und  Ichthyosaurus  wiederum  nur  auf  das 
Metapterygium  beziehbare  Einrichtungen  gefunden  waren  i)  und  be- 
sonders bei  letzterem  manche  auf  niedere  Zustände  verweisende  Ein- 
richtungen sich  ergaben,  schien  mir  nothwendig,  die  Untersuchung  der 
Selachiergliedmaassen  durch  sorgfältige  Prüfung  der  hinteren  Extremität 
zu  vervollständigen.  Diese  zum  Theil  schon  früher  vorbereitete  Arbeit 
war  nun  im  Stande,  die  oben  angeführte  Schwierigkeit  zu  lösen,  und 
hatte,  im  Zusammenhalte  mit  meinen  älteren  Untersuchungen  über  das 
Gliedmaassenskelet,  das  Ergebniss  der  Aufdeckung  einer  für  sämmt- 
liche  Wirbelthiere  geltenden  Grundform  dieses  Skeletcomplexes. 

Ich  habe  meine  Arbeit  in  folgende  Abschnitte  getheilt : 
4)  Das  Skelet  der  Hintergliedmaasse  der  Selachier. 

2)  Vergleichung  der  Skelete  der  Gliedmaassen  der 
Selachier.     Nachweis  der  Grundform   für  beide. 

3)  Differenzirungserscheinungen  im  Gliedmaassen- 
skelete  der  Selachier. 

3)  Das  Archipterygium   als  Grundform   des  Glied- 
maassenskelets  der  Wirbelthiere. 


thiere  in  Beziehung  auf  die  Selachier  nicht  als  durch  Reduction  entstanden  ansehe, 
vielmehr  in  beiden  eine  in  divergenter  Weise  vollzogene  Weiterentwickelung  aus 
einer  gemeinsamen  Grundform  erkennen  muss. 

4)  Heber  das  Gliedmaassenskelet  der  Enaliosaurier.  Jenaische  Zeitschrift 
Bd.  V,  S.  332—349.  (Auf  der  beigegebenen  Tafel  (XIII)  ist  Fig.  4  als  Fig.  3,  Fig.  % 
als  Fig.  1  und  Fig.  3  als  Fig.  S  zu  bezeichnen ,  in  Uebereinstimmung  mit  der  Auf- 
führung im  Texte.) 


Deber  das  Skelet  der  Gliedmaassen  der  Wirbelthiere  im  Allgemeinen  etc.        401 

1)  Das  Skelet  der  HintergliedmaaMen  der  Selaehier. 

Die  Untersuchung  des  Skelets  der  hinteren  Gliedmaassen  der  Se- 
laehier beginne  ich  mit  jenem  der  Haie.  Die  Verbindung  mit  dem 
Beckengttrtel  vermitteln  zwei  Knorpelstttcke,  von  denen  das  eine,  län- 
gere, sich  zum  grOssten  Theile  im  Rumpfe  nach  hinten  erstreckt,  und 
nur  mit  seinem  Ende  in  die  freie  Flosse  übergeht.  Ich  bezeichne  es  in 
Uebereinstimmung  mit  dem  ähnlichen  Stücke  der  Brustflosse  als  Basal- 
stück  des  Metapterygiums,  als  letzteres  die  jenem  angefügten 
Theile  des  gesammten  Flossenskelets  betrachtend.  (Vergl.  Fig.  4 — 40. 
45.  48.  B.) 

Bei  Manchen  ist  dieses  Basale  gerade  gestreckt  (Acanthias) ,  bei 
Anderen  (Mustelus,  Scyllium  etc.)  wenig,  endlich  bei  noch  Anderen 
(Squatina)  mehr  gebogen,  und  dabei  an  seinem  vorderen  Theile  um 
ziemliches  breiter  als  gegen  das  Ende  hin.  Auf  dieses  Basalstück  folgen 
noch  zwei  Stücke  (6,  b')  bei  Heptanchus  (Fig.  3),  welche  beide  zusam- 
men sich  wie  ein  Radius  verhalten,  jenen  ähnlich,  die  lateral  dem 
Basalstücke  ansitzen.  Es  ist  von  vorne  herein  nicht  bestimmt  zu  sagen, 
ob  diese  beiden  Stücke  wirklich  einen  Radius  vorstellen,  oder  ob  sie 
die  Fortsetzung  des  Basale  bilden,  somit  der  Stammreihe  angehörig  sind. 
Sowohl  die  formale  Uebereinstimmung  mit  einem  Radius,  als  auch  der 
Mangel  an  diesen  Stücken  befestigter  Radien,  lässt  sie  als  einen 
Strahl  deuten.  Bei  anderen  Haien  (Acanthias,  Scyllium,  Galeus,  Muste- 
lus)  ist  an  der  Stelle  der  beiden  sogar  nur  ein  einziges  Stück  vorhanden, 
das  wieder  dem  nächst  angeschlossenen  noch  am  Basale  sitzenden 
Strahl  überaus  ähnlich  ist.  Bei  Squatina  (Fig.  4)  und  manchen  Gar- 
charias  (Fig.  4  0)  sind  dem  Basale  gleichfalls  noch  zwei  Stücke  (oder  mit 
einem  Schaltstücke  {ß)  deren  drei),  angefügt,  die,  bis  auf  das  letzte, 
Radien  tragen.  Daraus  geht  hervor,  dass  sie  der  Stammreihe  ange- 
hören. 

Das  zweite,  oder  vordere  Basalstück  (Fig.  4— 40  A)  trägt  nur  eine 
geringe  Anzahl  von  Radien.  Es  kann  dem  Basale  des  Mesopterygiums 
der  Brustflosse  verglichen  werden,  wenn  wir  annehmen,  dass  ein  Pro- 
pterygium  fehlt.  Ob  solches  gerechtfertigt  ist,  wird  aus  dem  Verlaufe 
der  Untersuchung  hervorgehen.  Vorläufig  mag  jene  Bezeichnung  für 
den  fraglichen  Skelettheil  als  provisorisch  gelten.  Am  ansehnlichsten 
ist  dieses  Stück  beiHeterodontus  (vergl.  Fig.  48),  wo  es  sich  noch 
eine  Strecke  weit  an  die  Seite  des  Basale  des  Metapterygiums  (B)  an- 
legt, und  damit  ganz  in  die  Reihe  von  Radien  des  letzteren  einzutreten 
scheint.  Beachtet  man ,  dass  auch  die  Verbindungsart  mit  dem  Meta- 
pterygium  auf  dieselbe  Weise  wie  jene  der  ächten  Radien  stattfindet 


402  C.  CpHCiibaiiT, 

(vei^l,  die  Abhildunp) ,  so  wird  man  keinen  Zweifel  darüber  hegen, 
dass  hier  einige  Strahlen,  oder  inindcslcns  einer,  mit  dem  als  Basale 
bezeichneten  Stücke  verbunden  sind.  Wir  wollen  dieses  besondere 
VerhSitniss  der  Verbindung  von  Badten  mit  einem  Bosab  einstweilen 
belonen,  da  es  geeignet  sein  wird,  auf  die  Natur  dieses  BasalstUckes 
ein  Licht  lu  werfen. 

Was  die  Strahlen  betrifll,  welche  den  BasaJstUcken  angefügt  sind, 
so  bieten  sie  im  Allgemeinen  viel  einfachere  Befunde  als  jene  in  der 
Brustllossc.  Ganz  einfach  sind  sie  bei  Cenlrophorus,  wo  sie  auch 
durch  Kurze  sich  auszeichnen.  In  ahnlichem  Verhalten  stellen  sie  sich 
bei  Acanlhias  dar.  Bei  allen  sind  Endstücke  der  Strahlen  abgegliedert. 
Immer  trilft  sich  dies  für  die  vorderen  Strahlen,  indoss  die  hinteren 
Radien  einfache  Knorpelstähe  sind.  Die  Länge  der  terminalen  Glieder 
ist  zwar  sehr  verschieden,  kommt  aber  nie  dem  Basalgliede  gleich. 
Etwas  complicirter  verhallt  sich  Hcptanchus.  Die  letzten  sieben 
Strahlen  sind  alle  einfach.  An  den  nach  vorne  zu  folgenden  Strahlen 
dos  MelJipterygiums  ist  wie  bei  Acanthias  das  Endstück  als  besonderes 
Glied  abgesetzt,  und  an  den  Strahlen  des  Hesoplerygiums  sind  Je  zwei 
Stucke  vom  Ende  abgegliedeil  und  stellen  anscheinend  unregelniiissige 
polygonale  Plaitchen  vor.  Wenn  man  von  den  hintersten,  AbgliederuD- 
gen  besitzenden  Radien  nach  vorne  zu  die  einzelnen  benachbarten 
Strahlen  vergleichend  prüft,  so  wird  es  nicht  schwer,  die  unregel- 
milssigen  Stücke  als  GliedstUcke  von  Strahlen,  und  auch  in  bestimmter 
Beziehung  zu  letzteren,  zu  erkennen.  Diese  Einrichtung  scheint  im 
speziellen  Verhalten  einigem  Wechsel  zu  unterliegen,  da  an  der  ander- 
seitigen  Flosse  desselben  Exemplars  eine  andere  Anordnung  der  Plait- 
chen bei  einer  anderen  Form  des  bezüglichen  Basalstückes  sich  vor- 
fand. Eine  Vergleichung  der  diesen  Befund  dursU^llenden  Abbildung 
[Fig.  3  A]  mit  Fig.  3  B  wird  dies  ersichtlich  machen. 

Eine  iJhnliche  Abgliedcrung  von  Stücken  von  den  Radien  ist  bei 
Heterodontus  [Fig.  18]  wahrzunehuien.  Die  hintersten  Radien  sind 
gleichfalls  einfach.  Dann  folgen  Radien  an  denen  ein  Glied  abgesetzt  ist, 
darauf  solche  mit  zwei  Endgliedern,  endlich  Radien  mit  drei  Endglie- 
dern, die  polygonal  (meist  hexagonal)  gestallet  sind,  und  damit  zugleich 
eine  Anordnung  eingehen,  die  bei  den  Notidaniden  auch  in  der  Brust- 
Qosse  ihre  Verbreitung  findet  (Untersuch,  z.  vergL  Anat.  H.  Tnf.  IX. 
Fig.  \.  %].  Am  vorderen  BasalslUck  sind  diese  l'lüttchen  unmittelbar 
dem  Rande  angefügt,  ohne  Dazwischentreten  liingerer  ungegliederter 
Strahlstücke. 

Eine  andere  Form  des  Verhallens  der  Radien  ist  bei  Squatina 
(vergl,  Fig.  1)  vertreten.    Die  hinlcrsUm  sind  einfach.    Darauf  folgen 


Deber  das  Skelet  der  Gliedmaaasen  der  Wirbeltbiere  im  Allgemeinen  etc.        403 

solche,  die  in  drei  Stücke  gegliedert  sind.  Das  längste  Stück  ist  das  an 
das  Basaie  stossende.  Darauf  folgt  ein  kürzeres,  dem  ein  kleines  End- 
stück ansitzt.  An  den  vorderen  Radien  tiitt  eine  Verbreiterung  ein,  so 
dass  die  terminalen  Stücke  sich  berühren ,  und  von  diesen  sind  noch 
kleine  Stücke  abgegliedert,  welche  auf  einer  Strecke  den  lateralen  Rand 
des  Flossenskelets  umsäumt  halten.  Diese  weiter  gehende  Gliederung 
ist  an  den  vordersten  Radien  mit  einer  Dichotomie  v^bunden.  Am 
sechsten  und  fünften  Radius  tritt  diese  am  Endgliede  auf,  und  am  drit- 
ten und  ersten  ist  schon  das  zweite  Glied  durch  kurze  Knorpelpaare 
vorgestellt,  während  der  erste  sehr  vericürzte  Radius  in  vier  Gliedstücke 
übergeht  >) . 

In  den  bisher  besduiebenen  Fällen  war  das  Verhalten  derart,  dass 
neben  dem  Basale  desMetapterygiums  noch  ein  Basalstück  dem  Schulter- 
gürtel ansass,  welches  man  dem  Basale  des  Mesopterygiums  der  Brust- 
flosse vergleichen  durfte.  Bei  einer  anderen  Abtheilung  der  Haie  werden 
manche  der  bisher  sicher  scheinenden  Punkte  in  Zweifel  gesetzt.  Es  sind 
die  Scyllien,  welche  hieher  gehören,  dann  Mustelus,  Galeus,  Car- 
charias.  Bei  Scyllium  canicula  erscheint  das  Flossenskelet  des  Weib- 
chens aus  einem  langen,  schwach  gekrümmten  Basale  desMetapterygiums 
gebildet,  dem  die  grüsste  Zahl  der  Radien  (13)  ansitzt,  indess  ein 
zweites  mit  dem  Reckengürtel  articulirendes  Stück  drei  rudimentäre 
Radien  trägt.  Diese  sind  nur  durch  je  ein  unansehnliches  Knorpelstück 
dargestellt  (vergl.  Fig.  ^}*  Es  ist  auffallend,  dass  dieses  genau  in  der- 
selben Reihe  liegt,  wie  die  abgegliederten  Endstücke  der  folgenden 
Radien.  Aehnlich  verhält  sich  auch  Scyllium  catulus,  das  in  einem 
männlichen  Exemplare  untersucht  ward  (Fig.  6).  Die  Untersuchung 
eines  männlichen  Individuums  von  Scyllium  canicula  (Fig.  5)  giebt  für 
die  letzterwähnte  Eigen thümiichkeit  Aufschluss.  An  der  Stelle  des 
bereits  als  Rasale  eines  Mesopterygiums  gedeuteten  Knorpelstückes  sitzt 
nämlich  nur  ein  einfacher  Radius  direct  am  Schultergürtel.  Dieser  ist^ 
abgesehen  von  etwas  grösserer  Breite,  in  gar  nichts  von  der  Mehrzahl 
der  übrigen  Radien  verschieden,  und  besteht  wie  diese  aus  einem  län- 
geren Rasalstücke  und  einem  kurzen  Endgliede,  welches  dem  folgenden 
Radius  dicht  angeschmiegt  ist.    Letzterer  reicht  nicht  bis  an  das  Basale 


4}  Die  von  llolin  (in  der  anatomischen  Abhandlung:  Sullo  scheletro  degli 
Squali.  Vol.  VIII  delle  Momorie  deir  Istituto  veneto  di  Scienze  etc.  4860)  dargestell- 
ten Flossenskeleto  sind  auch  für  die  genaueren  Verhältnisse  der  Hintergliedmanssen 
unvollkommen  und  sehr  ungenau.  Von  den  daselbst  aufgeführten,  auch  von  mir 
untersuchten:  Acanthias  vulgaris,  Mustelus  vulgaris,  Squatina  vulgaris  ist  keine 
einzige  Darstellung  den  Anforderungen  entsprechend,  die  man  an  descriptive  Vor- 
arbeiten stellen  muss  und  wodurch  sie  allein  Werth  besitzen. 


404  ^'  Gegenbaur, 

des  Metapterygiums ;  man  kann  ihn  so  als  dem  ersten  Radius  ansitzend 
betrachten,  wenn  man  ihn  nicht  als  ein  eingeschaltetes  Stück  beurthei- 
len  will.    Wir  haben  also  bei  einem  männlichen  Scyllinm  den  Vorder- 
rand der  abdominalen  Flosse  von  einem   den  übrigen  Radien  gleich 
erscheinenden  Skeletstücke  gebildet,    indess  bei   dem  Weibchen   ein 
grösseres  plattes  Knorpelstück  besteht,  dem  drei  Knorpelplättchen,  wie 
sie  sonst  als  Enden  von  Radien  erscheinen,  terminal  angefügt  sind. 
Dieser  Refund  beim  Weibchen  mit  jenem  des  Männchens  zusammen- 
gehalten, führt  zu  dem  Gedanken,  dass  in  dem  plattenfOrmigen  Stücke  des 
Weibchens  drei  verschmolzene  Radienstücke  bestehen  mögen.  Die  drei 
Endplättchen  erscheinen  dabei  als  unverschmolzene  terminale  Radien— 
glieder.    Diese  Auffassung  wird  bestärkt  durch  die  Verbindungsweise 
der  Knorpelplatte  (Fig.  4)  mit  dem  Schultergürtel  und  dem  Rasale  des 
Metapterygiums,  dem  sie  etwas  mehr,  als  sonst  die  Verbindungsfläcbe 
eines  Radius  einnimmt,  angelagert  ist.  Endlich  kann  auch  noch  die  bei 
jener  Auffassung  sich  ergebende  nahezu  völlige  Uebereinstimmung  der 
Radienzahl  in  beiden  Geschlechtem  angeführt  werden.    Fünfzehn  zähle 
ich  beim  Männchen  und  dreizehn  beim  Weibchen,  mit  jenen  drei  als 
verschmolzen  angenommenen  aber  sechzehn. 

Das  Flossenskelet  von  Mustelus  (Fig.  7)  giebt  für  das  bei  Scyl- 
lium  Erläuterte  neue  Relege  ab.  Wie  die  Rrustflosse,  zeichnet  sich  auch 
die  Rauchflosse  (bei  Mustelus  vulgaris)  durch  ziemliche  Rreite  aus.  Diese 
erscheint  schon  am  Rasale  des  Metapterygiums,  dessen  Ende  ein  kurzes, 
einfaches  Endstück  trägt.  Diesem  schliessen  sich  nach  aussen  und 
vorne  zu  sechzehn  Radien  an.  Zwischen  dem  Endstück  und  dem  un- 
tersten Radius,  dann  zwischen  dem  fünften  und  sechsten  Radius  (von 
unten  aufwärts  gezählt),  liegt  je  ein  Schaltstrahl,  der,  schmaler  als  die 
übrigen,  das  Rasale  nicht  erreicht.  Diese  sämmtlichen  Radien  sind  ein- 
fach, gegen  das  Ende  etwas  verbreitert.  Von  den  übrigen  Radien  ist 
ein  ansehnliches  Endstück  abgegliedert,  welches  sich  nach  hinten  zu 
krümmt. 

Den  Vorderrand  bildet  wieder  eine  grössere,  vorne  und  median 
ausgebuchtete  Knorpelplatte,  einem  Rasale  des  Mesopterygiums  ähnlich. 
Terminal  trägt  sie  vier  Knorpelstücke,  zwei  vordere  kleinere  und  zwei 
hintere  grösere,  beide  letzteren  in  Gestalt  und  Lagerung  genau  mit  den 
Endstücken  von  Radien  übereinstimmend.    Die  Knorpelplatte  fügt  sich 
mit  einem  dünneren  Theile  einem  Ausschnitte  des  Rasale  ein 
also  von  diesem  getragen  zu  werden.    Rei  genauerer  Unters* 
giebt  sich  jedoch  auch  eine  Verbindung  mit  dem  Reck^nfirüi 
sind  letzterem  wieder,  wie  bei  anderen  Haien,  ^ 
Flosse  angelenkt.    Von   diesen   finden  wir  jec'" 


Ueber  das  Skelet  der  Gliedmaassen  der  Wirbelthiere  im  Allgemeinen  etc.         405 

vorderste  Eigenthttmlichkeiten,  die  in  ihrer  Summe  für  die  Entstehung 
dieses  Stückes  aus  mehreren  mit  einander  verschmolzenen  Radien 
sprechen. 

Galeus  (G.  canis)  zeigt  die  Verhältnisse  des  in  Rede  stehenden 
Abschnittes  ähnh'ch  wie  bei  Scyllium  gestaltet  (Fig.  8) .  Das  fragliche 
Yorderstück  (/?)  Hegt  ganz  in  der  Richtung  der  folgenden  Radien  und  ist 
von  diesen  nur  durch  grössere  Rreite  verschieden,  sowie  dadurch,  dass 
es  mit  dem  Beckengürtel  articulirt.  Gemeinsam  mit  den  Radien  ist  ihm 
der  Besitz  eines  terminalen  Endstückes,  vor  welchen  noch  ein  zweites 
Endstück  lagert,  so  dass  auch  hier  die  Vorstellung  von  zwei  unter  ein- 
ander verschmolzenen  Radiengliedem  Berechtigung  empfängt.  Nehmen 
wir  hinzu,  dass  jenes  Basalstück  auch  noch  mit  einer  wenn  auch  klei- 
nen Stelle  der  Basale  der  Stammreihe  verbunden  ist,  so  entfernt  sich 
das  Verhalten  jenes  Stückes  nur  wenig  von  jenem  anderer  Radien. 

Endlich  sei  hier  noch  des  hinteren  Gliedmaassenskelets  von  Gar- 
charias  gedacht,  wo  ich  (bei  G.  glaucus)  in  dem  Verhalten  des  vor- 
dersten Randstückes  im  Wesentlichen  dasselbe  finde  wie  bei  Galeus. 
Das  fragliche  Stück  ist  nur  etwas  breiter ,  legt  sich  aber  mehr  ^dem 
Basale  der  Stammreihe  an,  und  tragt  ebenfalls  zwei  Endglieder.  Diese 
sind  eine  Verschiebung  eingegangen,  so  dass  das  zweite  mehr  dem 
ersten  ächten  Radius  anzugehören  scheint.  Vergleicht  man  jedoch  Ra- 
dien und  Endglieder  von  unten  her ,  so  wird  man  die  Zugehörigkeit 
zweier  Endglieder  zum  vorderen  Randstücke  als  unzweifelhaft  erkennen 
(vergl.  Fig.  9).  Verschieden  hievon  und  mehr  mit  Mustelus  in  Ueber- 
einstimmung  verhielt  sich  ein  anderer  Garcharias  (spec.  ?) ,  dessen 
Bauchflosse  in  Fig.  4  0  dargestellt  ist. 

Wir  sehen  also,  wie  sich  bei  einer  nicht  geringen  Anzahl  von  Haien 
Einrichtungen  des  Flossenskelets  nachweisen  lassen ,  welche  die  An- 
nahme eines  Mesopterygiums  dadurch  zweifelhaft  machen,  dass  sie  den 
hieher  beziehbaren  Abschnitt  des  Skelets  als  aus  Radien  hervorgegangen 
darstellen.  Vor  dem  Versuche,  hieraus  Folgerungen  zu  ziehen,  wird 
eine  Prüfung  des  Flossenskelets  der  Rochen  zur  Herstellung  einer 
breiteren  Grundlage  zweckmässig  sein. 

Das  bei  den  Haien  als  Basale  des  Metapterygiums  beschriebene 
Stück  hat  auch  bei  den  Rochen  (Fig.  41 — U.  24.  B)  den  Hauptantheil 
an  der  Gonstituirung  des  Skelets  der  Bauchflosso.  Es  bildet  nicht  nur 
den  grössten  Theil  der  Stammreihe ,  sondern  es  trägt  auch  die  über- 
wiegende Zahl  von  Radien,  die  bei  den  Rochen  fast  ausschliesslich  dem 
Metapterygium  angehören. 

BeiRbinobatus  (Fig.  12)  ist  diese  Stammreihe  des  Metaptery- 
giums am  längsten.    Auf  das  ausnehmend  lange,  gegen  dreissig  Radien 


406  C.  G^enbftnr, 

sMltzende  Basale  folgen  noch  drei  kürzere  Stücke  {by  b\  b"),  die  mit 
einem  stark  verjüngten  abschlies&en.  Dasselbe  ähnelt  einem  einüachen 
Radius.  Kürzer  ist  das  Basalstück  bei  Raja,  wo  es  (bei  R.  Sduilzii 
Fig.  11)  nur  noch  ein  Stück  in  der  Stammreihe  trägt. 

Ausser  dem  Basale  des  Metapterygiums  ist  noch  ein  anderes  Stück 
an  der  Verbindung  mit  dem  Beckengürtfil  betheiligt.  Dieses  Stück 
stellt  beiRaja  einen  starken,  den  vorderen  Rand  derBauchflosse  stützen- 
den Knorpel  vor,  der  an  beiden  Enden,  besonders  am  proximalen,  ver— 
dickt  ist.  Am  distalen  Ende  sitzt  ihm  ein  um  zwei  Dritttheile  kürzeres 
Stück  an ,  worauf  noch  kleinere  folgen  (vergl.  Fig.  H  Ä) .  Wenn  wir 
die  in  derselben  Richtung  gelagerten  nächstfolgenden  ersten  Strahlen 
des  Metapterygiums  ins  Auge  fassen ,  so  wird  eine  Vergleichung  der- 
selben mit  der  ebenerwähnten  Reihe  von  Knorpelstücken  zu  dem  Re- 
sultate führen,  in  letzteren  homologe  Theile  zu  erkennen.  Jeder  der 
ächten  Radien  besteht  aus  einem  dem  Basale  ansitzenden  längeren 
Stücke;  darauf  folgt  ein  kürzeres,  schwächeres,  und  diesem  sind  immer 
kleiner  werdende  Stücke  angefügt.  Der  erste  Radius  entspricht  nicht 
nur  in  der  Gesammtlänge,  sondern  auch  in  der  Länge  seiner  einzelnen 
Theile  dem  Verhalten  der  fraglichen  Gliederreihe.  Die  Art  der  Gliede- 
rung ist  in  beiderlei  Tbeilen  dieselbe.  Es  sind  also  nur  zwei  Umstände, 
welche  uns  die  Deutung  jener  ersten  Gliedreihe  noch  zweifelhaft  er- 
scheinen lassen  können.  Der  erste  beruht  in  der  bedeutenden  Stärke 
des  bezüglichen  Theils,  der  andere  in  der  directen  Verbindung  jener 
Giiedreihe  mit  dem  Beckengürtel.  Das  erste  Bedenken  wird  man  wohl 
nicht  lange  ernstlich  aufrecht  erhalten  können ,  da  es  nur  auf  relative 
Volumsverhältnisse  sich  stützt,  die  untar  allen  Eigenschaften  am  wenig- 
sten ins  Gewicht  fallen  dürfen.  Um  so  belangreicher  wird  dann  das 
zweite  Bedenken  :  die  Articuiation  mit  dem  Beckengürtel. 

Wenn  wir  für  die  Radien  der  Flosse  die  Verbindung  mit  einem 
Basalstücke  postuliren,  so  ist  der  fragliche  Theil  allerdings  kein  Radius, 
und  es  wäre  dann  die  Frage  zu  stellen,  ob  er  nicht  eben  das  Stück  re- 
präsentire,  welches  wir  in  der  Bauchflosse  der  Haie,  wie  in  der  Brust- 
flosse der  Rochen  und  Haie  als  Basale  des  Mesopterygiums  angesprochen 
haben.  Ich  glaube  nicht,  dass  ein  dringender  Grund  vorliegt,  die  Ver- 
gleichung auf  diese  Bahn  zu  leiten,  denn  erstlich  ist  das  fragliche  Basal- 
stück ohne  Besatz  mit  Radien,  da  es  sich  eben  nur  in  eine  einfache 
Knorpelstückreihe  fortsetzt;  es  entbehrt  somit  den  Charakter  eines 
BasalstUckes ,  zweitens  ist  der  oben  aufgeführte  Charakter  der  Radien 
durchaus  nicht  durchgreifend,  denn  wir  kennen  ganz  unzweifelhafte 
wirklich  bis  zum  Schultergürtel  reichende  Radien  in  dem  Brustflossen- 
skelete  von  Raja  und  Myliobatus.   Demzufolge  wird  auch  jene  vorderste 


Ueber  das  Skelet  der  Gliedmaasseo  der  Wirbeltbiere  im  Allgemeinen  etc.         407 

Gliedreihe,  die  bei  Raja  ausser  dem  Basale  des  Metapterygjums  mit  dem 
Beckengttrtel  articulirt,  als  ein  nur  beträchtlich  verdickter  Radius  anzu- 
sehen sein,  und  das  erste  starke  Stück  dieser  Reihe  ist  das  Basalstück 
eines  Radius. 

Bei  einer  anderen,  mir  nicht  sicher  bestimmbaren  Art  von  Raja 
fand  ich  ein  ähnliches  Verhalten  (vergl.  Fig.  24),  aber  in  Verbindung 
mit  einem  anderen  wichtigen  Umstände.  Zwischen  dem  Basale  des 
Metapterygiums  und  dem  Basale  des  vordersten  mit  dem  Beckengtlrtel 
articulirenden  Radius  war  eine  Lücke  bemerkbar,  die  durch  Binde- 
jgewebe  ausgefüllt  ward.  Gegen  diese  Lücke  ragten  zwei  Radien  (der 
dritte  r^  und  vierte  r^)  vor,  die  also  das  Basale  des  Metapterygiums 
nicht  erreichten.  Auch  der  zweite  Radius  (r)  ergab  sich  in  diesem 
Verbalten,  trat  aber  weiter  in  die  Flosse  zurück.  Für  diese  drei 
mit  dem  Basale  des  Metapterygiums  ausser  Zusammenhang  befind- 
lichen Strahlen  würde  es  also  nur  einer  geringen  Verlängerung  be- 
dürfen, um  sich  selbständig  mit  dem  Schultergürtel  in  Articulation 
zu  bringen,  wozu  alle  übrigen  Bedingungen  bereits  gegeben  sind.  Für 
die  oben  mehrmals  versuchte  Deutung  der  vordersten  Gliedreihe  als 
Radius  ergiebt  sich  hieraus  ein  neuer  triftiger  Grund. 

Einen  von  dem  bisher  aufgeführten  verschiedenen  Zustand  findet 
man  beiRhinobatus  (Fig.  42).  Mit  dem  Schultergürtel  articulirt  vor 
dem  Basale  des  Metapterygiums  noch  ein  anderes  Stück,  welches  nicht 
so  leicht  als  einfaches  Basale  eines  Radius  zu  bestimmen  ist.  Es 
trägt  nämlich  an  seinem  terminalen  Ende  zwei  Radien,  oder  genauer 
die  Endglieder  zweier  Radien,  und  hat  vor  sich  noch  zwei  Knorpel- 
stücke liegen,  die  den  Vorderrand  der  Flosse  vorstellen.  Nach  hinten 
schliesst  sich  ihm  ein  Radius  der  Länge  nach  an,  der  das  Basale  des 
Metapterygiums  nicht  erreicht,  während  dies  beim  nächstfolgenden  der 
Fall  ist.  Es  hat  so  den  Anschein ,  als  ob  hier  ein  Mesopterygium  vor- 
läge, welches  drei  Reihen  trüge;  die  Vei^eichung  des  fraglichen  Stückes 
mit  den  Basalstücken  der  übrigen  Radien  giebt  eine  Aufklärung  in  an- 
derem Sinne,  und  nachdem  einmal  die  directe  Articulation  mit  dem 
Schultergürtel  für  die  Radiennatur  keine  Schwierigkeit  abgiebt,  und 
zweitens  das  Verschmolzensein  von  Radiengliedem  zu  breiteren  Stücken 
eine  häufige  Thatsache  ist,  so  werden  wir  das  grössere  Articulations- 
stück  naturgemässer  gleichfalls  aus  parallelen  Basalgliedem  von  zwei 
Radien  entstanden  uns  denken.  Die  terminal  darangefügten  Endstücke 
sind  dann  die  getrennt  gebliebenen  Reste  jener  beiden  Radien,  so  dass 
also  im  Wesentlichen  ein  Verhalten  besteht,  welches  jenem  von  manchen 
Haien,  z.  B.  Scyllium,  Mustelus,  Galeus  etc.  ähnlich  ist.  Dass  dem 
grösseren  Stücke  noch  ein  dritter  Strahl  wie  angefügt  erscheint,  hat 


408  '  C.  Gegenbaur, 

• 
seine  Erläuterung  in  dem  vorbin  für  Raja  beschriebenen  Verhalten  zu 

finden,  wo  gleichfalls  ein  verkürzter  Radius  vorkam. 

Dieser  Zustand  ist  bei  Torpedo  noch  vi'eiter  ausgeprägt  (Fig.  1 3) . 
Das  Basale  des  Metapterygiums  verhält  sich  ähnlich  wie  bei  Raja,  und 
trägt  eine  grosse  Anzahl  ziemlich  weit  von  einander  abstehender 
Radien,  die  ein  langes  und  schlankes  Basalglied  besitzen ,  auf  welches 
noch  zwei  kürzere  Glieder  folgen.  Dem  letzten  derselben  sitzen  am 
grössten  Theii  der  Flosse  je  zwei  kleine  Endglieder  an.  Diese  Radien 
enden  also  dichotomisch.  Am  dritten  Radius  (H),  von  vorne  her  ge- 
zählt, ist  eines  der  beiden  feinen  Endglieder  viel  kleiner  als  das  andere, 
und  am  ersten  und  zweiten  ist  an  der  Stelle  des  Gabelgliedes  ein  ein- 
faches zugespitztes  Knorpelchen  vorhanden.  Der  erste  Radius  ist  nur 
dreigliedrig.  Das  letzte  Glied  des  folgenden  Radius  ist  hier  nicht  entr- 
wickelt,  dagegen  hat  das  dem  vorletzten  Gliede  des  folgenden  Radius 
entsprechende  Endglied  die  Gestalt  eines  Terminalgliedes.  Die  Gabe- 
lung geht  also  allmählich  in  die  einfachere  Endigungsweise  über.  Den 
vorderen  Rand  des  Flossenskelets  bildet,  ähnlich  wie  bei  Raja,  ein 
starkes  Knorpelstück,  dem  aber  der  erste  Radius  ansitzt,  den  wir  vor- 
hin bei  einer  Raja  an  entsprechender  Stelle  beginnen  sahen.  Was  dort 
aus  diesem  Lagerungsverhältniss  als  möglich  gefolgert  ward,  [ist  hier  in 
klarer  Weise  ausgesprochen. 

Auch  das  terminale  Ende  des  vorderen  Randknorpels  (jR)  ist  von 
Bedeutung.  Wir  finden  da  zwei  Knorpelstücke,  einen  vorderen  brei- 
teren platten  (?*)  und  einen  dicht  dahinter  liegenden  schlanken  (r'), 
der  zwei  Endglieder  trägt.  Die  Vergleichung  dieser  drei  dem  Rand- 
knorpel angeschlossenen  Glieder  mit  dem  folgenden  dreigliedrigen  Ra- 
dius (r2)  lehrt,  dass  erstere  (/)  einen  dreigliedrigen  Radius  vofstellen, 
dessen  erstes  in  den  folgenden  Radien  sehr  langes  Glied  bedeutend 
verkürzt  ist.  Dieser  Radius  wäre  demnach  der  erste  auf  das  Randstück 
folgende.  Seine  Verkürzung  beträgt  ebensoviel,  als  er  mit  seiner  An- 
fügestelle  am  Randknorpel  nach  der  Flossenperipherie  gerückt  ist. 
Wenn  man  beachtet,  dass  er  im  Vergleiche  mit  dem  folgenden  Radius 
um  ebensoviel  kürzer  ist ,  als  dieser  im  Vergleiche  mit  dem  nächsten, 
dritten  Radius,  dem  ersten  der  das  Basale  des  Metapterygiums  erreicht, 
so  wird  die  gegebene  Deutung  der  fraglichen  Gliedreihe,  deren  Radius- 
natur man  nur  wegen  ihrer  Kürze  anzweifeln  könnte,  völlig  unbedenk- 
lich sein.  Wir  haben  also  zwei  am  Randknorpel  sitzende  Radien.  Was 
endlich  das  Randknorpelstück  selbst  betrifit,  so  giebt  es  sich  aus  der 
Vergleichung  mit  Raja  als  das  erste  Gliedstück  eines  Radius  kund,  der 
in  seiner  ferneren  Gliederung  rückgebildet  ist  und  von  der  ganzen  Glied- 
reihe nur  noch  ein  kurzes  Stück  (r)  trägt,  jenes,  welches  vorhin  bereits 


Deber  das  Skelet  der  Güedmaassen  der  Wtrbelthiere  im  Allgemeinen  etc.         409 

erwähnt  wurde.  Die  Annahme  einer  Verschmelzung  aus  zwei  in  ihren 
Endgliedern  am  terminalen  Abschnitte  noch  erhaltenen  Radien  widerlegt 
sich  sowohl  durch  die  Cylinderform  der  ersten  Knorpelstücke,  als  auch 
durch  die  Uebereinstimmung  der  zweiten  terminalen  Gliedreihe  in  der 
Folge  der  Glieder  mit  einem  ganzen  Radius.  Letzteres  sehe  ich  als  den 
Hauptgrund  an,  da  durch  jene  Thatsache  die  Existenz  noch  eines  dem 
genannten  Radius  angehörigen  Stückes ,  welches  in  das  grosse  Stück 
aufgegangen  sein  könnte,  wenn  auch  nicht  unmöglich,  doch  äusserst 
unwahrscheinlich  gemacht  wird. 

An  Torpedo  reiht  sich  bezüglich  des  Bauchflossenskelets  Try- 
gon  an,  doch  bestehen  hier  wiederum  einzelne  Eigenthümlichkeiten. 
In  der  Stammreihe  folgen  dem  ansehnlichen  Basale  (Fig.  \  4  B)  noch 
drei  allmählich  sich  verjüngende  Gliedstücke,  die  bis  auf  das  letzte 
Radien  tragen.  Bis  auf  den  letzten  sind  sie  sämmtlich  gegliedert,  und 
zwar  von  hinten  nach  vorne  bis  zum  ersten  am  Basale  sitzenden  Radius 
zunehmend.  Die  Zahl  der  einfachen  Gliedstücke  erhebt  sich  bis  auf 
sechs.  Jeder  dieser  Radien  endigt  dichotomisch.  Die  Gabeläste  wer- 
den wieder  aus  mehrfachen  Gliedern  zusammengesetzt.  Der  uns  am 
belangreichsten  erscheinende  Vorderrand  des  Flossenskelets  wird, 
ähnlich  wie  bei  Torpedo,  von  einem  ansehnlichen  zum  Becken- 
gürtel gelangenden  Knorpelstücke  (R)  gebildet,  welches  beim  ersten 
Anblicke  in  ein  gegabeltes  Ende  auszulaufen  scheint.  Die  genauere 
Prüfung  lässt  aber  als  Fortsetzung  dieses  Knorpels  nur  eine  einfach 
peripherisch  verjüngte  Gliedreihe  erkennen,  vor  welcher  eine  zweite 
Reihe  (R')  liegt.  Diese  gelangt  nicht  zum  Beckengürtel,  ihr  Basalstück 
ist  vielmehr  nur  durch  ein  ganz  dünnes  Knorpelchen  dargestellt, 
welches  eine  Strecke  weit  dem  grossen  Knoipel  (R)  sich  anschmiegt,  um 
sich  dann  zu  verlieren.  Vor  dem  sonst  (bei  Raja  und  Torpedo)  als 
erster  Radius  erscheinenden  starken  Strahl  liegt  also  hier  noch  ein 
rudimentärer,  der  nicht  in  seinem  Basale  rückgebildet  ist.  Darin  giebt 
sich  eine  Uebereinstimmung  mit  Rhinobatus  (Fig.  12)  zu  erkennen,  bis 
dann  der  vordere  Rand  gleichfalls  einen  rudimentären,  aber  am  Basale 
verdickten  Strahl  besitzt.  Die  auf  den  starken  Randstrahl  folgenden 
Radien  sind  gleichfalls  bemerkenswerth.  Der  erste  davon  (r)  schiebt 
sich  zwischen  den  Randstrahl  und  den  nächstfolgenden  ein,  ohne  die 
Articulationsstelle  mit  dem  Beckengürtel  zu  erreichen,  indess  der  andere 
Strahl  dorthin  gelangt ,  wo  er  dicht  vor  dem  Basale  der  Stammreihe, 
theilweise  noch  letzterem  angefügt,  hervortritt. 

Als  Ergebniss  der  in  vorstehender  Untersuchung  mitgetheilten 
anatomischen  Befunde  haben  wir  einen  hohen  Grad  der  Uebereinstim^ 


410  C.  Gegenbftttr, 

mung  zu  oonstatiren ,   welche  bei  aller  Verschiedenheit  im  Einzelnen 
obwaltet. 

Den  Haaptbestandtheil  des  Skeleis  bildet  das  als  Basale  des 
Metapterygiums  unterschiedene  Knorpelstüek  mit  den  darangeffigteil 
Radien.  Dieser  Theil  ist  der  bestandigste.  Dem  Basale  folgt  mindestens 
noch  Ein  Knorpelstück.  Bei  den  Haien  stellt  dieses  nur  einen  Anhatig 
des  Basale  vor,  den  man  leicht  für  einen  letzten  Strahl,  somit  für  ein 
vom  Basale  verschiedenes  Gebilde  nehmen  könnte.  So  bei  Carcharias, 
Mustelus,  Galeus,  Scyllium,  Acanthias.  Bei  Heptanchus  (Fig.  3)  ist  dieses 
letzte  Stück  durch  zwei  repräsentirt,  es  ist  gegliedert,  aber  dieGKederung 
spricht  in  der  Art  wie  sie  auftritt,  nicht  für  die  Radiennatur.  Die  nächst^ 
folgenden  Radien  sind  ungegliedert,  und  wo  Gliederung  auftiitt,  wie  an 
den  noch  weiter  nach  vorne  zu  folgenden ,  ist  das  terminale  Stflc^  das 
kürzere ,  während  im  fraglichen  Falle  gerade  das  terminale  das  längere 
ist,  vdr  werden  also  jene  beiden  Stücke  (bV)  nicht  als  einem  Raditis 
angehörig  deuten,  sondern  sie  als  eine  Fortsetzung  des  Baisale  betrdchteni, 
die  mit  demselben  den  Flossenstamm  oder  die  Stammreifae 
bildet. 

Was  für  Heptanchus  etwa  noch  zweifelhaft  sein  könnte,  ist  fttf 
Squatina  (Fig.  i)  völlig  klar.  Das  Basale  (B)  läuft  hier  vmder  mit  zwei 
Stücken  aus.  Das  erste  (6)  davon  ist  wie  bei  Heptanchus  kürzer  aber 
so  breit  wie  das  Ende  der  Basale,  so  dass  von  einer  Deutung  als  Radius 
keine  Rede  sein  kann.  Völlig  wird  diese  Meinung  widerlegt  durch 
die  Verbindung  dieses  Abschnittes  mit  Radien.  Er  stellt  sich  dadurch 
ganz  in  dieselben  Verhältnisse ,  die  den  Charakter  des  Basale  bilden, 
und  indem  auch  noch  dem  letzten  Stücke  (6')  ein  Radius  angefügt  ist, 
wird  für  den  ganzen  Abschnitt  die  Zugehörigkeit  zum  grossen  Basale 
erwiesen.  Wir  erhalten  also  die  Stammreihe  bei  den  Haien  aus  min- 
destens zwei  Stücken  gebildet.  Auf  das  grosse  Basale  folgt  bald  nur 
ein  Stück ,  bald  folgen  deren  zwei.  Dieser  terminale  Abschnitt  der 
Stammreihe  geht  im  männlichen  Geschlecbte  verschiedengradige  Modi- 
ßcationen  ein,  die  unten  beschrieben  werden  sollen,  und  deshalb 
hier  ausser  Berücksichtigung  bleiben  mögen. 

Bei  den  Rochen  erscheint  das  Basale  in  ähnlichem  Verhalten.  Das 
zweite  Stück  der  Stammreihe  trägt  stets  eine  Anzahl  von  Radien ,  und 
bei  Rhinobatus  (Fig.  1£)  ist  auch  noch  ein  drittes  Stück  (b')  in  Ver- 
bindung mit  einem  Strahl.  Zugleich  bieten  einzelne  Theile  der  Stamm- 
reihe hier  einen  mehr  unmittelbaren  Uebergang,  so  dass  ihre  Zusammen- 
gehörigkeit zu  Einer  Kategorie  von  Skelettheilen  deutlich  hervorgeht. 

Wir  fassen  also  die  genannte  Stammreihe  a'ls  eine  Folge  von  Knorpel-' 
stücken,  die  sämmtlich  Radien  tragen  können,  und  von  denen  das  vor- 


Ueber  das  Skelet  der  GUedmaASseii  der  Wirbeltbierc  im  Allgemeinen  etc.         411 

dersie^  mit  dem  Beckengttrtel  articnlirende  als  Basale  sich  besonders 
ansehnlich  entwickelt.  Bei  den  Rochen  mid  bei  Squatina  tragen 
mehrere  Stücke  dieser  Stammreihe  Strahlen,  bei  den  Haien  sind  letztere 
auf  das  Basale  beschränkt,  und  das  einzige  Terminalstück  erscheint  (bei 
den»  Weibchen)  in  der  Gestalt  eines  Radius  (Flg.  4  u.  8  6). 

Die  von  dem  Flosseftstamme  geiragetien  Skeiettheile  bieten  unter 
sveh  zwar  mannichfache  Besonderheiten,  sind  aber  i^mmtlich  als  Radien 
deutbar.  Wo  auffeilende  Eigenthümlichkeiten  bestehen,  sind  diese 
aus  der  Vergieichung  mit  den  benachbarten  Theiien  verständlich  zu 
machen,  so  dass  an  der  Gleichartigkeit  dieser  sämmtlicben  Gebilde  kein 
Zweifel  haften  kann.  Sie  shid  nicht  bloss  zahlreicher  sondern  auch 
reicher  gegUedert  bei  den  Rochen ,  wo  sie  zugleich  schlankere  Formen 
aufweisen,  wahrend  sie  bei  den  Haien  kürzer  und  nur  mit  Einem  End- 
gliede  versehen  sind.  Die  grössere  Breite  der  einzelnen  Radien  corn^ 
pensirt  die  geringere  Anzahl,  und  die  fast  regelmässig  erscheinende 
inmge  Zusammenfügung  der  gekrümm^ten  Terminaiglieder  lässt  das  ge- 
sammte  Flossenskelet  der  Haie  als  ein  oompacteres  Gebilde  erscheinen. 
Es  liegt  dem  entsprechend  eigentlich  nur  dem  medialen  Abschnitt  der 
Flosse  zu  Grunde ,  während  der  laterale  freie ,  von  den  sogenannten 
Hornfäden  eine  Stütze  empfängt.  Letzlere  bilden  damit  eine  Compen- 
sation  für  die  geringere  Ausdehnung  des  knorpeligen  Skelets ,  dessen 
Radien  bei  den  Rochen  bis  zum  freien  Flossenrande  vortreten  ^). 

Den  im  Ganzen  wenig  eomplicirtenVerhällnissen  des  grössten  Ab- 
schnittes des  Gliedmaassenskelets  gegenüber  erscheinen  die  den  vor- 
deren Flossenrand  darstellenden  Theile  schwieriger  verständlich,  da 
die  verschiedenen  Formzustände  nicht  sofort  von  einander  ableitbar 
sind.  Wir  haben  diesen  Randabschnitt  bald  durch  eigenthümliche 
Plattenstücke  gebildet  getroffen ,  bald  aus  Gebilden ,  welche  sich  als 
Radien  zu  erkennen  gaben,  und  im  Wesentlichen  nur  durch  die  be- 


ll Eine  bei  der  Brustflosse  eines  Haies  fCentrophorus)  bezüglich  des  compen- 
satorischen  Verhaltens  der  Hornftlden  gemachte  Beobachtung  mag  hier  erwähnt 
werden.  Die  Untersuchung  beider  Brustflossen  eines  Exemplares  ergab  bei  gleicher 
äusserer  Form  eine  bedeutende  Verschiedenheit  der  Stützorgane.  Dem  Knorpel- 
slielete  der  einen  Flosse  fehlte  ein  grosser  Theil  des  Endes,  so  dass  das  übrige,  mit 
der  andern  Flosse  verglichen,  einen  durch  zwei  tiefe  bogenförmige  Einschnitte 
»aricirten  Rand  besass.  Die  starken  Hornfäden  bedeckten  nicht  ganz  die  Hälfte 
der  Fläche,  die  an  der  andern  Flosse  von  ihnen  gebildet  ward.  Dagegen  fand  sich 
an  ihrer  Stelle  eine  genau  von  dem  eingeschnittenen  Rande  des  Knorpelskelets  be- 
ginnende Masse  nicht  parallel  gerichteter,  sondern  sich  durcli kreuzender  feinerer 
Fäden  vor,  welche  die  fohlenden  Theile  des  Knorpelskelets  sowie  die  starken  Fäden 
ei|;änzten.  Dieser  ganze  Abschnitt  hatte  den  Anschein  einer  Neubildung,  die  nach 
'  "'«hr  frühKeitig  entstandenen  Defede  der  Flosse  aufgetreten  war. 


412  C.  fieBe-iibiiBf, 

stellende  Ablösuag  von  der  Stamm  reihe  [dem  Basule  dc^  Melaptcr^'gLutn) 
sich  von  den  übrigen  Badien  unterscheiden. 

Dieser  in  seiner  BeziehuDg  zum  Hetapt«ryginm  einem  Hesopterygium 
ähnliuho  Theil  des  Flossenskelets  muss  eingehender  geprüft  werden. 

Entweder  ist  der  vorderste  Strahl  vom  Basale  abgeltist  und  articu- 
brt  selbständig  mit  dem  Beckenknorpel  (Raja) ,  oder  es  sind  Theile 
anderer  Radien  mit  einander  verschmolzen  imd  das  daraus  entstandene 
Stück  ist  bei  eingetretener  Becken  Verbindung  noch  eine  Strecke  weil 
mit  dem  Basale  verbunden  (z.  B.  Hustelus,  Carcharias,  Weibchen  von 
Scyllium].  Endlich  ist  die  Verbindung  jenes  Knorpelstückes  mit  dem 
Basale  nur  auf  eine  kleine  Stelle  beschrankt  bei  Zunahme  der  Becken- 
verbindungsßäche  (Ileplancbus,  Acanthias) ,  und  das  beztlglicbe  Knorpel- 
stück ist  fast  frei,  und  bildet  damit  jene  Form  bei  der  man  ein 
Mesopterygium  zu  unterscheiden)  am  leichtesten  versucht  sein  möchte. 

Die  Lange  der  Verbindungsstrecke  mit  dem  Basale  richtet  sich 
nach  der  Anzahl  der  mit  einander  verschmolzenen  Radien.  Wo  gar 
keine  Radien  verschmolzen  sind,  wie  beim  Männchen  von  Scyllium  und 
bei  Raja ,  besteht  jene  Verbindung  gar  nicht,  oder  sie  ist  nur  eine  tan- 
gentiale. Grösser  ist  die  Verbindungsstrecke  wo  zwei  Radien  ver- 
schmolzen sind  (Carcharias,  Galeus]  oderdrei  (Weibchen  von  Scyllium], 
oder  eine  noch  grössere  Zahl  (Heterodontus) .  Aus  dieser  Vergrösserung 
des  Knorpelstucks  unter  Ausdehnung  seiner  Verbindungsstrecke  mit 
dem  Basale  der  Stammreihe  geht  hervor,  dass  die  vordere  Rand- 
begrenzung des  Flossenskelets  ein  relativ  festes  Verhältniss  bildet,  und 
dass  das  Schwankende  in  der  Flächenausdehnung  Jenes  vorderen 
Stückes  durch  eine  verschieden^sse  Anzahl  der  in  es  eingegangenen 
Radien,  die  dem  Basale  angefügt  waren,  bedingt  ist.  Letztere  sind  es, 
welche  eben  die  Verbindung  mit  dem  Basale  vermitteln  und  bedingen. 
Man  kann  somit  sagen ,  dass  jenes  vordere  HandstUck  durch  die  Auf- 
nahme hinter  ihm  gelegener  Radienabschnitte  wächst. 

Dieses  Verbal  tni SS  ist  jedoch  keineswegs  streng  durchgeführt,  denn 
wie  einerseits  die  Verbreiterung  eines  einzigen  Radius  besteht,  so  findet 
sich  andererseits  auch  eine  Verschmälerung  des  aus  einer  Mehrzahl  von 
Radien  entstandenen  Stückes.  Dies  trifil  besonders  den  proximalen 
Tbeil  des  SlUckes ,  welches  distal  noch  verbreitert  die  Endglieder  der 
Radien  trägt,  aus  deren  Verschmelzung  es  hervorgegangen  sein  muss. 
Scyllium  catulus  und  Hustelus,  auch  Carcharias  (Fig.  10),  geben  hieftlr 
Beispiele. 

Die  auf  diese  Weise  ermittelte  Genese  jenes  Rnorpelstückes  bat 
nur  für  jene  Falle  ihre  Gellung  wo  lateral,  und  damit,  in  Beziehung  zu 
Radien ,  terminal  angefügte  Enorpelplätlchen  als  Beste  von  Strahlen- 


lieber  das  Skelet  der  Gliedmaassen  der  Wirbeltbiere  im  Allgemeineii  etc.         4 1 3 

enden  sich  erkennen  lassen  und  von  der  Entstehung  des  sie  tragenden 
Knorpelstuckes  sprechendes  Zeugniss  ablegen.  Unter  den  oben  bereits 
angeführten  Flossenskeleten  giebt  es  noch  zwei  Kategorien ,  die  anders 
zu  beurtheilen  sind.  Die  erste  wird  von  jenen  Formen  gebildet  wo  nur 
Ein  terminales  Knorpelplättchen  vorkommt,  ohne  dass  ein  Grund  für 
die  Annahme  einer  Bückbildung  anderer  besteht.  Das  Männchen  von 
Scyllium  canicula  ist  ein  Beispiel.  Da  aus  dem  ganzen  Verhalten  her- 
vorgeht, dass  wir  es  hier  mit  einem  einzigen,  nur  vom  Basale  abge- 
trennten ,  und  etwas  verbreiterten  ersten  Badius  zu  thuh  haben ,  er- 
ledigt sich  dieser  Fall  auf  einfache  Weise,  und  ist  oben  bereits  so 
aufgefasst  worden. 

Schwieriger  ist  die  Beurtheilung  von  Acanthias ,  Heptanchus  und 
Squatina.  Bei  Heptanchus  (Fig.  3)  trägt  das  vordere  Bandstück  (das 
wir  oben  als  Basale  des  Mcsopterygiums  bezeichneten)  ausser  eini- 
gen terminalen  Knorpelplüttchen  noch  drei  entschiedene  Badien  an 
seinem  hinteren,  der  Flosse  zugewendeten  Bande,  und  bei  Acanthias 
sind  nur  (|ie  letzteren  Stücke  vorhanden.  Fünf  Badien  sind  endlich 
bei  Squatina  (Fig.  1)  jenem  Knorpel  angefügt.  Diese  Badien  sind  also 
mit  dem  fraglichen  Bandstücke  auf  dieselbe  Weise  in  Verbindung  wie 
die  dem  anderen  Basale  angefügten  Badien.  Sie  treten  in  beiden  Fällen 
schräg  zu  dem  sie  tragenden  Skelettheile.  Man  kann  nicht  einfach  an- 
nehmen, dass  das  bezügliche  Knorpelstück  aus  der  Verschmelzung  von 
Theilen  der  ihm  ansitzenden  Badien  entstand.  Die  schräge  Bichtung 
der  Badien  zu  diesem  Stücke  würde  dieser  Annahme  entgegenstehen, 
denn  wo  immer  im  Flossenskelet  der  Selachier  verschmolzene  Theile 
von  Badien  nachweisbar  sind ,  steht  die  Längsaxe  des  frei  gebliebenen 
Theiles  des  bezüglichen  Badius  senkrecht  auf  die  Queraxe  des  ver- 
schmolzenen Stückes.  Dass  wir  aber  etwas  auf  Badien  Beziehbares, 
weil  davon  Ableitbares ,  vor  uns  haben ,  dürfte  aus  dem  Verhalten  bei 
anderen  Selachiern  hervorgegangen  sein.  Der  Befund  bei  Squatina 
(Fig.  I)  und  bei  Heptanchus  (vergl.  Fig.  3fij,  wo  das  Bandstück  mit 
einem  terminalen  Knorpelplättchen  abschliesst,  muss  hiebei  besonders  in 
Betracht  gezogen  werden,  insofern  daraus  abgeleitet  werden  kann,  dass 
das  fragliche  Bandstück  -ein  Theil  einer  Folge  von  Knorpelstücken  ist, 
die  zusammen  einen  Badius  vorstellen,  dass  es  also  aus  einem  einzigen 
Badius  entstand.  Ist  diese  Annahme  richtig,  so  kommt  diesem  Badius, 
der  dann  der  vorderste  ist ,  eine  von  den  [übrigen ,  sämmtlich  mehr 
oder  minder  parallel  liegenden  Badien  bedeutend  divergente  Bichtung 
zu.  Für  das  Vorkommen  einer  solchen  Divergenz  des  ersten 
unzweifelhaften  Badius  kann  das  Verhalten  von  Scyllium 
canicula    angeführt    werden.      Beim    Männchen    schiebt    sich    hier 

Bd.  v.  I.  28 


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414  C.  Gegenbanr, 

zwischen  den  ersten  und  zweiten  vollkommenen  Strahl  ein  das  Basale 
nicht  erreichender  Strahl  ein,  der  damit  diese  beiden  Radien  aus— 
einander  drängt,  und  dem  ersten  Radius  eine  von  den  übrigen  ver— 
.  schiedene  Richtung  giebt.  Noch  mehr  ausgeprägt  ist  dies  Verhalten  bei 
den  Rochen,  besonders  bei  Torpedo  (Fig.  i  3) . 

Damit  haben  wir  für  die  Erklärung  des  anatomischen  Verhaltens 
bei  Acanthias,  Heptanchus  und  Squatina  die  Basis  gewonnen.  Nehmen 
wir  an,  dass  der  vorderste  Radius  eines  aus  parallel  angeordneten 
Radien  zusammengesetzten  Flossenskelets,  anstatt  durch  Einen  Radius, 
durch  drei  hinter  ihm  eingeschobene  aber  nicht  zum  Basale  reichende 
Radien  nach  vorne  gerichtet  würde ,  und  dass  jene  drei  Radien  von 
verschiedener  Länge  wären ,  der  kürzeste  am  weitesten  nach  vorne, 
der  längste  nach  hinten  gelagert,  so  erhalten  wir  genau  denselben  Zu- 
stand ,  der  bei  Acanthias  und  Heptanchus  vorliegt.  Bei  Torpedo  sind 
zwei  Radien  (Fig.  13  r^  r^)  in  jener  Beziehung  zu  finden.  Der  nach 
vorne  gerichtete  vorderste  Radius  trägt  dann  die  hinter  ihm  einge- 
schobenen ,  die  in  ähnlicher  Weise  mit  ihm  verbunden  sein  können, 
wie  die  typischen  Radien  des  Basalstückes  der  Stammreihe.  Wir  sehen 
also  in  dem  Verhalten  des  Flossenskelets  der  Rochen ,  dann  unter  den 
Haien  bei  Scyllium  die  erste  Stufe  zu  der  bei  Acanthias  und  Heptanchus 
weiter  entwickelten  Einrichtung.  Der  bei  letzteren  modificirte  vorderste 
Radius  ist  den  neuen  Beziehungen ,  die  er  durch  die  Anfügung  hinter 
ihm  liegender  Radien  gewann,  entsprechend  angepasst,  und  die  volu- 
minösere Entwickelung  seines  Basalstückes,  das  bei  Acanthias  ihn  allein 
repräsentirt ,  ist  im  Einklänge  mit  den  an  es  sich  inserirenden  Muskel- 
massen. Am  weitesten  fortgebildet  ist  dieses  Verhalten  bei  Squatina, 
wo  das  verlängerte  vordere  Randstück  der  grossem  Anzahl  der  an  es 
angefügten  Radien  entspricht.  Was  bei  anderen  Selachiem  durch  Ver- 
schmelzung von  Basalstücken  vorderer  Radien  erreicht  wird  (Helero- 
dontus ,  Mustelus ,  Rhinobatus)  kommt  hier  durch  Verbreiterung  eines 
einzigen  Strahlenstückes  zu  Stande,  und  darin  treffen  Acanthias, 
Heptanchus  und  Squatina  mit  den  Rajae  überein ,  wie  sehr  auch  sonst 
Verschiedenheiten  im  Flossenskelet^e  sich  darbieten. 

Es  ist  gezeigt  worden ,  dass  das  am  Vorderrahde  des  Skelets  der 
Hintergliedmaassen  befindliche,  bei  erster  Betrachtung  dem  Basale  eines 
Mesopterygiums  ähnliche  Stück,  aus  Radien  hervorgeht,  dassesent- 
weder  durch  einen  modificirten,  voluminöser  entfalteten 
Radius  vorgestellt  wird,  oder  durch  Verschmelzung 
mehrer  Radienstücke  entstanden  ist.  Es  ist  ferner  gezeigt 
worden ,  dass  die  Verbindung  dieses  Stückes  mit  dem  Beckengürtel 
keine  exclusive  ist,   indem  dasselbe  auch  noch  mit  dem  Basale  der 


Ueber  das  Skelet  der  Güedroanssen  der  Wirbelthiere  im  Allgemeinen  etc.        415 

Stammreihe  articuliren  kann,  Uhnlicb  wie  die  übrigen  Radien.  Wenn 
wir  2u  dem  Wesen  eines  derartigen  a)s  Radius  bezeichneten  Skelei- 
theiles  die  Verbindung  mit  der  Stammreihe  rechnen,  so  sind  jene  Radien 
durch  ihre  mehr  oder  minder  ausgesprochene  Entfremdung  von  dieser 
Beziehung  auch  des  Charakters  der  Radien  entkleidet.  Hierbei  wird 
die  Frage  entstehen,  ob  das  neue  Yerhältniss  jener  Radien  als  ein 
primäres,  oder  als  ein  secundäres  zu  betrachten  sei,  ob  jene  Be- 
ziehung zum  Giiedmaassengürtel  eine  erst  erworbene  sei  oder  nicht. 
Die  Vergleichnng  mit  den  übrigen  Radien ,  vor  Allem  aber  die  That- 
Sache ,  dass  nicht  bloss  jener  eine  Radius ,  oder  jene  zu  einem  Stücke 
zusammentretenden  Radien,  zum  Beckengürtel  vortreten,  sondern  dass 
hinter  diesen  Theilen  noch  manche  andere  Radien  jenes  Verhalten  dar- 
bieten, rechtfertigt  die  Annahme,  dass  jene  Verbindung  des  vordersten 
Skeletstückes  mit  dem  Bcckengürtel  gleichfalls  ein  secundHrer  Zustand 
sein  wird^).  ErwSgen  wir  noch  das  Schwankende  der  Zahl  jener  in 
Rede  stehenden  Radien,  sowie  die  in  manchen  Füllen  theilweise 
noch  bestehende  Verbindung  mit,  dem  Basale  der  Stammreihe  (des 
Metapterygium )  so  wird  unsere  Annahme  noch  gesicherter  sich  dar- 
stellen. Wir  werden  demnach  das  ursprüngliche  Verhalten  in  der 
gleichartigen  Verbindung  aller  Radien  mit  der  Stammreihe  erkennen, 
und  in  dem  AusiIrKte  eines  oder  mehrerer  Radien  von  jener  Verbindung 
eine  secundare,  aus  einer  Differenzirung  des  gesammten  Gliedmaassen- 
skelets  entspringende  Erscheinung  sehen.  Welche  Ursache  jene  Ab- 
lösung von  Radien  bewirkt  hat,  bleibt  unbekannt;  möglich  ist,  dass  der 
am  Vorderrande  des  Flossenskelets  inserirten,  die  Flossen  nach  vorne 
zu  anziehenden ,  und  besonders  bei  den  Rochen  auf  die  Ausbreitung 
der  Flosse  wirkenden  Muscülatur  biebei  eine  Rolle  zukam.  Aber  auch 
eine  Vermehrung  der  Radienzahl ,  sowie  eine  Verkürzung  der  Basale 
dos  Flossenstamms  kann  dabei  wirksam  gewesen  sein. 

Durch  die  aus  meiner  Vergleichnng  entstandene  Auffassung  der 
am  Vorderrande  des  Flossenskeletes  gelegenen  Radien  als  aus  dem  ur- 
sprünglichen Verbände  getretener  und  auch  sonst  dvfferenzirler  Ge- 
bilde, gelangen  wir  nicht  schwer  zur  Conslruction  einer  Grundform 
dieses  Skeletes.    (Holzschnitt  Fig.  I.) 


4)  Die  Zosammensetzang  des  Bauchflossenskelcts  der  Selachicr  aus  zwei  von 
einander  verMhiedenen  Tbeüen  hat  bereits  Meciel  (System  d.  vergl.  Anal  I.  S.  a04) 
für  Rajft  angegeben,  indem  er  die  Radien  von  der  Stammreihe  unterschied  und  zu 
ersteren  auch  den  direct  mit  dem  Becicengürtel  articulirenden  Strahl  zuzählt. 
Meckel  war  darin  also  gegen  Cuvibr  voraus,  der  in  dem  Basale  eines  ersten  Strahls 
Aehnlichkeiten  mit  einem  Femur,  und  in  dem  Basale  der  Stammreihe  Aehnlich- 
keiten  mit  einer  Tibia  finden  wollte,  und  demnach  die  Bezeichnung  wfihlte. 

18* 


416 


C.  Gegen banr, 


Wir  finden  diese  Grundform  durch  eine  Anzahl  an 
einander  gefugter  Knorpelstucke  gebildet,  den  Stamm 
des  Flossensketets,  an  welchem  lateral  eine  grössere 
Zahl  von  schwächeren  Knorpels tücken  als  Strahlen  auf- 
gereiht ist, 

I  Wenn  wir  die  Gliederung  als  das  Resultat 

einer  DitTerenzirung  ansehen,   so   wird   der 

1^  rt  t*sJl  niederste  indifferenteste  Zustand  sowohl  den 
J^^^  S?0  Stamm  der  Flosse  als  auch  die  Radien  aus  un- 
^s>-.^  s^^  gegliederten  Knorpelsläben  erscheinen  lassen 
(Fig.  I.  1),  aus  welcher  Form  die  andere,  ge- 
gliederte (Fig.  I.  2)  unmittelbar  abzuleiten  ist. 
Je  Dach  der  Zahl  der  Stucke  der  Stammreihe, 
nach  der  Zahl  und  Gestaltung  der  Radien,  der 
Art  ihrer  Gliederung  und  der  Gestalt  ihrer 
Gliedstücke ,  femer  je  nach  der  Verbindung 
einzelner  Badienglieder  unter  einander,  und 
der  Ablösung  der  vordersten  vom  BasalstUcke 
der  Stammreihe:  entstehen  jene  oben  ge- 
schilderten mannichfachen  Formzustände ,  welche  die  Vergleichung  als 
Modificationen,  oder  besser  als  DifTerenzirungen  der  Grundform  kennen 


Flg.  I. 


2)  Vergleichung  des  Skeleta  der  vordem  nnd  hintem  Oliedmaauea. 
der  Selacbier.    Nachweia  der  Grundform  fnr  beide. 

Der  Nachweis  einer  aus  der  Stammreihe  und  seitlich  angefügten 
Radien  bestehenden  Grundform  des  Skelets  der  hinteren  Gliedmaassen 
scheint  die  Vergleichung  mit  dem  Skelete  der  vorderen  zu  erschweren. 
Von  den  von  mir  frUher  an  der  Brustflosse  unterschiedenen  drei  Ab- 
schnitten des  Glicdmaassenskelets  ist  nur  das  Hetepterygium  an  den 
hinleren  Gliedmaassen  vertreten,  nachdem  das  was  auf  ein  Hesoptery- 
gium  bezogen  werden  konnte ,  und  vordem  auch  so  von  mir  aufigefasst 
wurde,  einer  andern  Deutung  weichen  muss. 

Es  fragt  sich  nun,  wie  man  auf  diesen  neuen  Grundlagen  die  Ver- 
hältnisse der  vorderen  Gliedmaassen  mit  den  hinteren  in  Verbindung 
bringen  kann.  Da  das  Hctapterygiuro  bereits  die  für  die  hypothetische 
Grundform  erforderten  Einrichtungen  »n  sich  trügt,  werden  vorzüglich 
Pro-  und  Mesopterygium  in  Frage  kommen.  Genauer  formulirt  wird 
die  Frage  sich  so  gliedern:  Ist  das  Pro-  und  Mesopterygium,  wie  wir 
es  an  den  vorderen  Gliedmaassen  kennen,  ein  neuer,  in  den  Elementen 


Ueber  das  Skelet  der  Gliedroaassen  der  Wirbelthiere  im  Allgemeinen  etc.         417 

der  hinteren  gar  nicht  existirender  Thcil ,  und  ist  der  Mangel  dieser 
Abschnitte  ein  einfacher  Wegfall ,  etwa  durch  allmähliche  Rückbildung 
zu  Stande  gekommen ,  oder  ist  im  Skelet  der  Vordergliedmaasse  eine 
Weiterentwickelung  des  in  den  hinteren  Gliedmaassen  Bestehenden 
vorhanden. 

Die  erste  Alternative  hat  wenig  Aussicht  auf  affirmirende  Begrün- 
dung, da  alle  oben  gegebenen  Darlegungen  nur  dahin  führten ,  die  an- 
scheinenden Basalstücke  eines  Mesopterygiums  von-einfachen  oder  ver- 
schmolzenen Radien  abzuleiten.  Da  kraft  dieses  Nachweises  kein 
triftiger  Grund  zur  Annahme  eines  ehemaligen  Vorhandenseins  eines 
Pro-  oder  Mesopterygiums  in  den  Hintergliedmaassen  besteht,  rauss 
auch  die  Annahme  einer  Rückbildung  als  ungerechtfertigt  gelten.  Da- 
mit gewinnt  die  zweite  Alternative,  zu  der  wir  uns  wenden  wollen. 

Betrachten  wir  zuerst  in  wiefern  die  Wahrscheinlichkeit  für  diese 
Alternative  spricht,  um  daraus  eine  weitere  Untersuchung  zumotiviren. 
Es  erscheint  als  eine  allgemeine  Regel,  dass  homodyname,  ungleichartig 
entwickelte  Körpertheile  an  den  hinteren  Abschnitten  indifferenter  er- 
scheinen als  an  den  vorderen ,  dass  besonders  die  Gliedmaassen  des 
Schultergürtels  viel  reichere  Umgestaltungen  eingehen  als  jene  des 
Beckengürtels ,  an  denen  sich  das  ursprüngliche  Verhalten  länger  und 
vollständiger  bewahrt.  Ein  Blick  auf  die  Vordergliedmaassen  der 
Wirbelthiere  lässt  die  Vielgestaltigkeit  derselben  gegen  die  Monotonie 
der  hinteren  lebhaft  contrastiren.  Die  durch  die  Lagerung  bedingte  Be- 
ziehung zum  Gesammtkörper  setzt  die  Vordergliedmaassen  häufiger 
und  intensiver  der  Umgestaltung  durch  Anpassung  aus,  als  die  Hinter- 
gliedmaassen, denen  im  Falle  allgemeiner  Gleichartigkeit  der  Leistung 
stets  eine  verhältnissmassig  untergeordnete  Rolle  zukommt.  Die  grössere 
Divergenz  in  der  Entwickelung  des  Skelets  der  Vordergliedmaassen 
spricht  sich  nicht  minder  auch  innerhalb  engerer  Abtheilungen ,  so 
schon  bei  den  Selachiem  aus,  und  ebenso  sehen  wir  in  den  hinteren 
ziemlich  übereinstimmende  Verhältnisse,  selbst  in  jenen  Gruppen  die, 
wie  die  Rochen  und  Haie,  einen  so  verschiedenen  Bau  des  Skelets  der 
Brustflossen  aufweisen.  Man  vergleiche  die  Abbildungen ,  die  ich  von 
letzteren  früher  gegeben  habe ,  und  ebenso  jene ,  die  ich  gegenwärtig 
von  den  Hintergliedmaassen  mittheiie.  Das  Gemeinsame  besteht  bei 
den  letzteren  viel  mehr  als  in  der  Vorderextremität,  bei  der  ganze  Ab- 
schnitte ,  die  bei  der  einen  Abtheilung  vorkommen ,  in  einer  anderen 
fehlten  oder  verkümmert  waren.  So  sprechen  also  sowohl  die  allge- 
meinen Verhältnisse  von  beiderlei  Gliedmaassen  zu  einander,  als  auch 
die  speciellen  Befunde  an  jenen  der  Selachier  für  die  Wahrscheinlich- 
keit,  dass  in  den  Hintergliedmaassen  der  letzteren  ein  niederer,  weil 


418 


C.  lieKenhÄiif, 


minder  differonzirler  ZusUind  der  GUcdniansscnbildiing  im  Allgcmt^ioen 
vorliegt. 

Schreitot  man  nun  zum  Versuche  der  Verf^leichung  des  Skelels 
von  beiderlei  GUedmaassen,  so  werden  hiezu  verschiedene  Wege  ge- 
wählt werden  können.  Man  kann  einmal  aus  dem  allen  Gliedmaassen  von 
Einer  Arl  Gemeinsamen  den  Typus  der  Gliedmaassen  aufsuchen,  und 
so  die  fUr  beiderlei  Arten  von  Gliedmaassen  gewonnenen  Typen  in  Ver— 
gleichung  bringen.  Da  aber  hiebei  die  innerhalb  einzelner  Abtheilungen 
auflrclfinden  Vei-schieden heilen  immer  noch  zu  bedeutend  mit  in  die 
Wagschale  fallen  können,  ziehe  ich  einen  andern  Weg  vor,  der  zugleich 
der  nächste  ist.  Wenn  n<imlich  die  oben  gegebene  Voraussetzung 
richtig  ist,  dass  beiderlei  Gliedmaassen  ursprünglich  gleicbmiissig  ge- 
baute Organe  waren,  bei  denen  die  Sonderung  der  Vordergliedmaasse 
durch  Wcilerenlwickelung  der  in  der  Hinlcrgliedmaasse  sieben  geblie- 
benen, oder  in  anderer  Richtung  entwickelten  Einrichtungen  vor  sieh 
ging,  so  ist  die  Möglichkeit  vorhanden,  dieses  selbst  bei  derselben  Gat- 
tung, Ja  sogar  im  Individuum  nachweisen  zu  können.  Jene  Form  wird 
hiezu  am  geeignetsten  sein,  welche  die  bei  anderen  offenbar  mehr  um- 
gewandelten Einrichtungen  weniger  verändert  hat.  Als  solche  For- 
men betrachte  ich  die  Bocheu,  deren  hinlere  Gliedmaasse  minder 
complicirte  Verhallnisse  des  Skelets  aufweist,  indess  auch  in  der  Vor- 
dergliedmaasse bei  aller  Verschiedenheit  in  der  voluminösen  Entfal- 
tung viele  einfachere  Einrichtungen  vodiegen. 

In  der  hinteren  Gbedmaasse  von  ftaja  findet 
H  sich  ausser  dem  fast  sämnillichc  Radien  tragen- 

den RasalstUcke  noch  ein  als  Radius  nachweis- 
barer Theil  in  directcr  Gelenkverbindung  mit 
.     dem   Beckengtirt«!.      Wir   konnten   diesen   als 
einen  freigewordenen  Radius  erklären  (Fig.  \\R], 
da  die  Vergleichung  mit  dem  homologen  Stücke 
hei   manchen  Haien    (Scyilium  etc.)  denselben 
Radius  noch  in  llieilweiserVerbindung  mit  dem 
Basale  des  Stammes  nachwies,  in  dieser  Bezie- 
hung also  daselbst  einen  niederen  Zusland  auf- 
deckt.    Bei  einer  anderen  Raja  (Fig.  3t)  war 
jener   vordere   Bandradius    nicht    der   einzige 
ausser  Verbindung  mit  dem  Basale  gcralhene. 
Wir  fanden  die  drei  nücbstcn  Radien  gleichfalls 
ausser  jenem  Zusammenhange,  und  zwar  den  zweiten  und  dritten  der- 
selben mit  ihrem  proximalen  Ende  gegen  den  z\^ischcn  dem  Basale  des 
f^iamnies  und  dem  maehUgen  Bandradius   liegenden  Baum  gerichtet. 


lieber  das  Skdet  der  GliedinaaMeii  dtr  Wirbelllilera  im  MlptmeiiieD  de.         419 

Der  erste  hinter  dorn  Randradius  gelegene  Slrabl  ergab  sieb  dagegen 
fluffallend  verkürzt  (siehe  die  Abbildung).  Wenn  man  ihn  nicht 
vüIJig  freiliegend,  sondern  in  Zusammenhang  mit  irgend  einem  an- 
deren Skelettbeil  der  Flosse  sich  vorstellen  wollte,  so  konnte  man 
ihn  in  keinem  Falle  mehr  dem  Stamme  anreiben  (mit  dem  er  wohl 
ursprunglich  verbunden  war) ,  und  dem  BeckengUrtel  liesse  er  sich 
ebenfalls  nioht  anfügen,  da  er  vpn  ihm  zu  weit  entfernt  liegt.  Es  bliebe 
somit  nichts  Übrig,  als  ihn  dorn  Basalgliede  des  Bandradius  verbunden 
sich  vorzustellen.  Dass  ein  Badius  nicht  mehr  die  Basalreihe  erreicht, 
sondern  sich  an  den  vorbeigehenden  Radius  anschliesst,  ist  auch 
bei  Rhinobatus  u.  a.  beobachtet,  nur  ist  der  Bandradius  hier  nicht 
in  so  einfachem  Zustande  vorbanden.  Dagegen  ist  dies  bei  Tor- 
pedo (Fig.  12)  der  Fall,  wo  zugleich  der  bei  Raja  in  seiner  Verbin- 
dung schwankende  Strahl  (ri)  dem  starken  ersten  oder  Randradius  (H) 
ansitzt,  der  ausserdem  weiter  nach  der  Peripherie  noch  einen  zweiten 
Strahl  (r^)  tr9gt.  In  jenem  an  sich  unscheinbaren  Verhalten  erkenne 
ich  einen  sehr  nichtigen  Umstand,  der  zur  Aufklä- 
rung der  Homodynamie  von  beiderlei  Gliedraaassen  ^ 
fuhren  kann.  Denkt  man  sich  nSmlich  an  der  Stelle 
der  beiden  bei  Torpedo  (Fig.  III)  vorhandenen  ver- 
kürzten Radien  deren  eine  noch  grössere  Anzahl, 
so  werden  dieselben  von  hinten  nach  vorne  zu  in 
allmählich  abnehmender  Lange  sein  mUssen,  da  ihr 
proximales  Ende  immer  weiter  gegen  das  distale  Ende 
des  Raodradius  [H]  vorgerückt,  immer  weiter  von 
der  Basis  desselben  entfernt  sein  wird.  Diese  Radien 
werden  sich  so  am  Randradius  in  ähnlicher  Weise  aufreihen,  wie  die 
anderen  an  der  Stammreihe  des  Flossenskelets  sich  finden. 

Eine  derartige  Vermehrung  der  au  den  Randradius  sieb  inseriren- 
den  Radien  wird  zweierlei  Verhältnisse  des  ersteren  umändern.  Erst- 
lich wird  dieser  Vorgang  eine  Verlängerung  des  Flossenskelets  bedingen 
und  damit,  bei  nicht  in  entsprechendem  Maassstabe  sich  vergrössemder 
Basis,  dem  vorderen  oder  Randradius  eine  andere  Richtung  geben.  Bei 
geringerer  Badienzahl  wird  der  aus  dem  mit  dem  Basale  der  Slamm- 
reihe  gebildete  spitxe  Winkel  in  einen  rechten  Winkel  übergehen.  Bei 
bedeutender  Zunahme  der  Radien  wird  jener  Winkel  einen  rechten 
Überschreiten  und  immer  mehr  sich  öffnen,  bis  die  Längsaxc  des  Rasale 
der  Stammreihe  in  jene  des  nach  vorne  und  dann  median  gelagerten 
Randradius  sich  fortsetzen  wird.  Die  zweite  Veränderung  des  Rand- 
radius belrifH  dessen  Beziehung  zu  anderen  Radien.  Während  in  dem 
bei  Raja  gegebeneu  Falle,   wo  nur  Ein  Strahl  gegen  den  ersten  oder 


420  C.  Gcgenbfinr, 

Itnndratiius  gcricluet  ist,  die  Natur  der  lelzterea  dadurch  Dicht  oder 
(lo'li  kniiiJi   i;i'iiinlcrt  wird,   bringt  die  auf  gleiche  Weise  zu  Staude 
kommende  Vennehning  der  ihm  aDsiUenden  Ra- 
dien ihn  aus  den  ursprünglichen  Beziehungen  und 
macht  ihn  zu  einer  Stutze  von  Radien,  womit  der 
geänderten  functionellen  Bedeutung  entsprechend 
sein  Volum  wachst.  Ein  Radius  wird  zumStrahten- 
trüger  [Fig.  IV.  R)  und  tritt  damit  in  die  gleichen 
Verhältnisse,  welche  nur  der  Stammreihe  {B)  der 
Flosse  anfänglich  zukamen.  Aus  dem  Randradius  ist 
ein  derStammreihe  gleichartiges  StUck  geworden, 
dessen  mit  dem  GtiedmaassengUrtel  articulirendes 
BasalslUck  dem  Basale   der  Stammreihe  ähnlich 
ist ,   sowie  die  folgenden  GliedstUcke  (das  Ende 
des  ursprünglichen  Radius)  mit  jenen  der  Stamm— 
reihe  verglichen  werden  können.  Dieses  aus  einer 
angenommenen  Weiterentwickelung  der  bei  Itaja 
um)  Torjx'ilci  Lii'i^ilicnen  Anfänge  abgeleitete  Verhalten  findet  hei  Squa- 
liii;i  .si'iiw'iL  riMli'ti  Ausdruck.    Der  ganze  vordere  Abscbnilt  des  Skelets 
(ii^r  lliiii<>r^liril]iiii,iiise  ist  in  jene  Umformung  eingetreten.     Dasselbe 
Slilck  {II; ,  il;is  v\  ir  hei  Raja  und  anderen  deutlich  als  Glied  eines  Radius 
sahen,  ist  zu  einem  eine  Mehrzahl  von  Radien 
tragenden  Basale  geworden,  das  selbst  in  seiner 
gekrümmten  Gestalt  dem  fainleron  Basale  Uhn- 
\^  jT  lieh  ist. 

"  Y^^^"^  ^  Vom  Gliedmaasseogunel  gehen  in  Folge  der 

J,,,*-^. geschehenen  Veränderungen  zwei  Stamm- 

J[_ reihen  aus,  die  hintere,  primitive,  und  die  vor- 

^"~'  dere,  durch  Umwandlung  der  Beziehungen  eines 

^^  Radius  hervoi^egangene.  Jede  dieser  beiden 
-^  Stammreihen  beginnt  mit  einem  stärkeren  Basal- 
*"--  stücke  und  trägt  eine  Anzahl  lateral  gerichteter, 
^  in  den  PlossenkOrper  verlaufender  Hmiien. 

Die   so   zu  Stande   gekommeni;    l-'arni   des 
Flossenskelets  (Fig.  V)  entsprit^l  in  ilcn  Haupt- 
punkten dem  Skelete  der Bnistflosso  der  Iloehcn. 
Das  hier  vorhandene  Proptcryj^ium  (ß) 
I    den    umgebildeten   Raudradiiis    und    die 
Mahlen  repräsen tirte  Abschnitt.     Diis  Msta- 
iit  dem  schon  vorher  unter  diesem  Namen  ^lufgpflihrten 
1  homodynamen  Theil.    Es  handelt  sich  dIso  nur  nwti 


Ueber  diu  Skelet  der  riiedmussen  der  Wirbfllhiere  im  Mlgeneine d  ett. 


421 


um  das  Hesoplerygium.  Wenn  dieser  Abscbattt  durch  das  Pro-  und 
He(apl«rygium  bestimmt  wird,  indem  er  alles  dazwiacbeo  liegende  in 
sich  begreift,  so  werden  wir  die  zwischen  den  beiden  BasalstUcken  zur 
Articulation  mit  dem  GliedmaassengUrte)  gelangenden,  oder  doch  die 
hier  beginnenden,  mit  keinem  der  beiden  Basalien  (des Pro-  und  Heta- 
pterygiums)  verbundenen  Radien  als  HeprSsentanteu  eines  Mesoptery- 
giums  ansehen  müssen.  Die  Zahl  der  in  diesem  Falle  befindlichen 
Radien  wird  eine  verschiedene  sein  können.  Wir  wissen  nun  aus  dem 
Verbalten  der  Brustflosse  von  Hyliobatus  und  der  Vergleichung  der- 
selben mit  jener  anderer  Rochen,  dass  solche  zum  GliedmaassengUrtel 
vortretende  Radien  mit  ihren  proximalen  Gliedern  unter  einander  sich 
verbinden  und  dadurch  platte  KnorpdstUcke  herstellen  kVnnen  (vei^l. 
meine  Untersuchungen  z.  vergl.  Anat.  II,  S.  lii).  Wenn  wir  nun 
schob  an  der  abdominalen  Gliedmaasse  erfahren,  dass  einfache  Radien 
direct  zum  BeckengUriel  treten,  wenn  wir  femer  die  Thatsache  in  Be- 
tracht nehmen ,  dass  Gliedstilcke  von  Radien  zu  Enorpelplatten  ver- 
schmelzen kennen,  so  werden  wir  ein  zwi- 
schen dem  Basale  des  bereits  oben  statuirten 
Propterygiums  und  jenem  des  Metapterygiums 
liegendes,  lateral  in  Radien  Übergehendes, 
d.h.  Radien  tragendes KnorpelslUck  (Fig.  VI. 
m]  ebenfalls  als  aus  mit  einander  veii)unde- 
nen  GliedslUcken  von  Radien  hervorgegangen, 
ohne Wagniss  deuten  können.  Ein  solches 
durch  Concrescenz  von  Basalglie- 
dorn  von  Radien  entstandenes 
SkeletstUck  ist  das  Basale  des 
Hesopterygiums. 

Wir  sehen  so  die  Ausführbarkeit  der 
Ableitung  des  vorderen  Gliedmaassenskelels 
von  den  an  der  Hinlerglied maasse  bestehen- 
den Einrichtungen.   Wenn  wir  zunächst  no<^ 

bei  den  Rochen  verweilen,  so  würde  der  Vorgang  in  der  Kürze  in  Fol- 
gendem sich  darstellen  lassen.  Der  vorderste  Radius  richtet  sich  nach 
vorne  zu,  indem  die  hinler  ihm  gelegene  Anzahl  von  Radien,  die  nicht 
mit  dem  Basale  der  Stammreibe  verbunden  ist,  sich  vermehrt  und  all- 
mählich sieb  ihm  anfügt.    Dieser  Abschnitt  bildet  das  Propterygium  <). 

<j  Bb  ist  bemerkenawerlb ,  daM  d«r  das  Propl«ryglum  bvgend«  Radius  bei 
Torpedo  noch  aus  derselben  Anubl  von  GliedslUcken  beslehl,  welche  die  meisten 
der  Radien  des  Brustflossenskelcls  aufw*' —  — "'-'1  iene,  die  en  das  Basale  jener 
Radien  und  ins  Basale  des  Heso-  u-  '  sind. 


I 

422  €.  Gegeubanr, 

Eine  Anzahl  direct  zum  Schultergürtel  tretender  Radien  stellt  das  Heso- 
pterygium  dar,  welches  sein  Basale  durch  Verschmelzung  von  Radien-  . 
Stücken  entstehen  lässt.  Als  Metapterygium  erscheint  dann  der  übrige 
Theil  des  Flossenskelets,  welcher  durch  den  mindest  veränderten 
Abschnitt  des  ursprünglichen  Skelets  der  Gesammtflosse  vorgestellt 
wird. 

Ich  glaube  hervorheben  zu  müssen,  dass  bei  dieser  Ableitung  keine 
Erscheinung  in  Anspruch  genommen  wird,  die  nicht  ihre  thatsächliche 
Begründung  hat.  Wir  haben  alle  Theile  bereits  als  gegeben  vor  uns, 
zum  Theil  sogar  in  demselben  Verhalten.  Was  wir  zur  Construction 
jener  Vergleichung  als  scheinbar  neu  in  Anwendung  brachten^  war  nur 
einß  Vermehrung  von  Radien,  die  wir  annahmen.  Indem  sie  aber  für 
die  Brustflosse  (im  Vergleiche  zur  Bauchflosse}  zutrifft,  ist  diese  Auf- 
nahme nicht  blos  eine  erlaubte,  sie  ist  eine  nothwendige. 

Nachdem  wir  das  Skelet  der  Vordergliedmaasse  aus  einer  der  der 
hinteren  entsprechenden  Einrichtung  aßgeleitet  haben,  können  wir 
umgekehrt  in  dem  Skelete  der  Hintergliedmaasse  jene  Theile  nach- 
weisen, welche  denen  der  vorderen  entsprechen.  Ueber  das  Metaf)ie- 
rygium  der  Hintergliedmaasse  kann  nicht  der  geringste  Zweifel  ent- 
stehen. Es  war  bereits  anfänglich  erkannt.  Als  Propterygium  wird 
bei  Raja,  Trygon  und  Torpedo  (vergl.  Fig.  49)  der  Randstrahl  [Rj  zu 
gelten  haben ,  und  als  Mesopterygium  die  beiden  Radien ,  welche  zwi- 
schen beiden  Basalstücken  gegen  den  Beckengürtel  gerichtet  sind.  Bei 
Rhinobatus  fehlt  das  Mesopterygium  wie  bei  Raja  Schul tzii,  bei  Trygon 
und  Torpedo.  Das  Propterygium  wird  dagegen  von  vier  Radien  ge- 
bildet, von  denen  die  beiden  mittleren  ihr  erstes  Glfedstück  zu  einem 
Basale  verschmolzen  haben. 

Die  Haie  liefern  Bestätigungen  «ier  für  die  Rochen  gewonnenen 
Auffassungen.  Hinsichtlich  des  Verhaltens  des  vordersten  Abschnittes 
des  Bauchflossenskelets  können  wir  zwei  Gruppen  unterscheiden, 
die  eine  umfasst  die  Scyllien,  Carcharias,  Galeus,  Mustelus  und  Hetero- 
dontus.  Hier  ist  der  vordere  Flossenrand  von  einem  oder  mehreren 
mit  einander  verschmolzenen  Radien  gebildet.  Dieses  Stück  articulirt 
stets  mit  dem  Beckengürtel.  Nach  dem  für  die  Rochen  Dargelegten, 
werden  wir  dasselbe,  sowie  die  ihm  distal  verbundenen  Theile,  als 
Propterygium  deuten  müssen.  Das  Mesopterygium  fehlt,  wie  auch  in  der 
anderen  Gruppe,  die  aus  Squatina,  Heptanchus  und  Acanthi^is  besteht. 
Hier  finden  wir  aber  in  der  zu  der  Längsaxe  der  Radien  bestehenden 
Winkelstellung  der  Basale  des  Propterygiums  eine  wichtige  Thatsache, 
die  an  das  Verhalten  des  Brustflosse  bei  den  Rochen  anknüpfen 
lässt. 


Urber  ins  Skelet  der  Gliednutscu  der  Wirbrll liiere  in  Allgemeinen  ele.  423 

Das  vordere  Basalstück,  welches  von  einem  «infacben  Radius  ab- 
geleitet wurde,  ist  bei  den  genannteD  Haien  vorwärts  gerichtet,  und 
hat  genau  jene  Stellung,  die  wir  bei  dem  Versuche,  das  Brustflossen- 
skelet  der  Rochen  als  eine  Umwandlung  der  in  der  hinteren  Gliedmaasse 
besiehenden  einfacheren  Form  zu  deuten,  postuliren  mussten.  Am 
wenigsten  ist  jenes  Verhultniss  bei  Acanthias  vorgeschritten ,  wo  der 
Winkel  gegen  das  Basale  des  Hetapterygiums  ein  rechter  ist.  Den 
rechten  überschreitet  er  bei  Heptanchus  und  auch  bei  Squatina  uro 
Bedeutendes  (vergl.  Figg.  1,9,  3)  und  besonders  bei  letzlerer  bietet 
sich  eine  ziemliche  liebere  in  Stimmung  mit  dem  Skelete  der  Brustflosse. 
Wir  können  also,  alles  zusammeDgefasst,  kein  Bedenken  tragen,  jenes 
vordere  Basalsttick  der  Bauchflosse  als  homodynam  mit  dem  Basale  des 
Propterygiums  der  Brustflosse  anzusehen. 

Indem  wir  einen  Abschnitt  des  Bauchflossenskelels  der  Selachier 
mit  dem  Propterygium  des  Skelets  der  Brustflosse  vergleichen 
konnten,  und  der  ganze  übrige  Theil  des  erstgenannten  Skelets 
aus  dem  in  der  Brustflosse  als  Hetapterygium  unterschiedenen 
Abschnitte  besteht,  ist  fUr  die  Bauchflosse  der  Selachier 
das  Fehlen  eines  ausgebildeten  Hesopterygiums  tu 
constatiren.  Wenn  auch,  wie  oben  bemerkt,  bei  Baja  durch 
einige  Strahlen  gebildete  Andeutungen  besteben,  so  fehlt  doch 
ein  differensirtes  Basale.  Darin  liegt  der 
wesentlichste  Unterschied  gegen  das  Skelet 
der  Brustflosse.  Da  wir  das  Hesopterygium 
mit  einer  Vermehrung  der  Badien  und 
Verbreiterung  der  Flossenbasis  in  Zu- 
sammenhang stehen  sehen,  so  kQnnen  wir 
das  Auftreten  jenes  Theilea  mit  einer 
FlächenvergrOsserung  des  bezüglichen 
Gliedmaassen  skelets  in  Verbin  düng  bringen, 
eine  Erscheinung,  die  aber  in  derDivergenz 

der  Ausbildung  von  beideriei  Gliedmaassen  begründet  ist.  Der  Hange) 
eines  Hesopterygiums  im  Skelete  der  Bauchfiosse  ist  ebensowenig  ein 
Ausfall ,  als  das  Vorkommen  eines  solchen  Theiles  in  der  Brustflosse 
eine  absolute  Neubildung  ist.  Wahrend  in  der  BauchflosBe  eine  geringe 
Anzahl  von  Radien  die  Verbindung  mit  dem  Basale  des  Hetapterygiums 
aufgiebt,  mit  dem  Schultergtlrtel  in  Verbindung  tretend,  gebt  in  der 
Brustflosse  (Fig.  Vllj  eine  grössere  Anzahl  in  dieses  Verhalten  über, 
und  lässt  ihre  BasalstUcke  in  zwei  Knorpelplatten  [R.  m]  verschmelzen, 
welche  als  Basale  des  Pro-  und  Hesopterygiums  von  mir  aufge- 
führt worden  sind.    Das  Hesopterygium  ist  also  wie  das  Propterygium 


eine  Differenzirang  aus  pinem  einfacheren  ZusUrade,  der  in  der  llinler- 
gliedaiaassc  ersichtlich  ist. 


Durch  die  erwiesene  Möglichkeit  der  Ableitung  des  Skeletes  der 
Brustflosse  der  Selnchier  von  einer  Form,  die  im  Skelele  der  Bauch- 
tlosse  erhalten  ist,  gelangen  wir  zu  der  Frage  nach  einer  Grundform 
des  Gliedmaassenskelets.  Für  die  hinteren  Gliedmaassen  der 
Selachier  ist  eine  solche  oben  bereils  aufgestellt  worden.  Ob  dieselbe 
auch  fUr  die  Vordergliodmaassc  gellen  darf,  ist  Gegenstand  einer  neuen 
Erörterung.  Die  wichtigsten  Anhaltspunkte  dafür  finden  wir  zwar 
schon  bei  den  Selachiern  gegeben ,  allein  unsere  Schlüsse  werden 
sicherer  sein ,  wenn  wir  ihrer  Begründung  eine  grössere  Ausdehnung 
geben.  Ich  ziehe  daher  andere  Abtheilungen  der  Fische  in  den  Kreis 
der  Betrachtung.  Da  wir  ausscbb esslich  Rückbildungen  im  Bnistflossen- 
skelet  der  Ganoiden  und  Teleosticrn  im  Vergleiche  zu  den  Selachiern 
antreffen  und  da  auch  im  Skelete  der  Bauchflossc  ähnliche  Verhältnisse 
walten,  müssen  diese  Äblheilungen  hier  ohne  Berücksichtigung  bleiben. 
Es  sind  also  nur  die  Chimären  undDipnoi  übrig.  Für  beide  habe 
ich  bezüglich  des  Skelets  der  Brustflosse  bereils  früher  Mittheilung  ge- 
macht. Hinsichllich  des  Skeleta  der  hinleren  Gliedmaasse  ist  für  Lepi- 
dosiren  [Rhinocryptis)  dieUebereinstinimung  milden  vorderen  in  allent 
Wesentlichen  nachgewiesen,  Peters  ')  zeigte,  dass  beiden  ein  geglie- 
derter Knorpelstrahl  zu  Grunde  liege.  An  diesem  finden  sich  zahlreiche 
secundüre  Knorpelstrahlen,  die  an  der  Brustflosse  in  der  ganzen  Länge, 
an  der  Bauchflosse  nur  vom  Kweiten  Drittheile  an  aufgereiht  sind. 

Was  Chiniiira  betrifll,  so  findet  sich  das  Bauchflossenskelet,  wie 
jenes  der  Brustflosse,  dem  der  Selachier  ähnlich.  Mit  dem  Beckcn- 
knorpel  articulirt  aber  nur  ein  einziges  Basalslück  (Fig.  SO  B).  Dieses 
trägt  die  knorpeligen  Strahlen,  und  lauft  gegen  den  vorderen  Fiossen- 
rand  in  eine  Knorpelplatle  (fl)  aus,  die  ein  eigen thümliches  Verhalten 
bietet.  Beim  Mannchen  ist  dem  Basale  ein  den  sogenannten  Copulations- 
apparal  tragendes  Stück  angefügt,  welches,  wie  der  letztere,  dem  Weib- 
chen fehlt.  In  allen  Übrigen  Punkten  kommt  das  Flossenskelet  des 
MUnnchens  mit  jenem  des  Weibchens  ilbcrein.  An  dem  Basalstück  der 
Flosse  Zclhle  ich  elf  Radien,  die  beiden  hintersten,  kleinsten,  sind  dem 
vorhergehenden  ebenfalls  unansehnlichen  Bitdius  angeheftet.  Alle  tra- 
gen ein  vom  breiteren  Ende  abgegliedertes  Stück.  Zwischen  dem  End- 
gliede  des  4.  und  5.,  sowie  des  5.  u.  6.  und  des  6.  u.  7.  Radius  ist  je 

i)  Arcliiv  f.  Anal.  u.  Phys-  tS45,  S,  s. 


Ueber  das  Skelet  der  Gtiedmaassen  der  Wirbeltbiere  im  All^meinen  etc.         425 

ein  dreieckiges  KnorpelsiUckchen  eingeschaltet,  welche  ich  als  die 
eigeDtlichen  Enden  der  je  vorhergehenden  Radien  betrachte.  In  der 
punktirten  Linie  ist  das  angedeutet  worden.  Längs  des  ersten  freien 
Radius  lagert  die  mit  dem  Basale  verbundene  Knorpelplatte  des  vor- 
deren Flossenrandes.  Sie  trägt  lateral  drei  in  der  Reihe  der  terminalen 
Glieder  der  Radien  liegende  Rnorpelplättchen,  davon  das  letzte  einem 
durch  einen  Einschnitt  von  der  Platte  theilweise  getrennten  Theile  an- 
sitzt. Dieser  ist  nach  seinem  ganzen  Verhalten  (vergl.  Fig.  20)  ein 
unvollständig  mit  der  Platte  verwachsener  Strahl,  und  dient  dazu,  im 
Zusammenhalte  mit  den  terminalen  Plättchen  das  ganze  von  dem  Basale 
ausgehende  KnorpelstUck  {R)  als  aus  verschmolzenen  Strahlen  entstan- 
den zu  erläutern.  Ein  mit  lateralen  Strahlen  besetztes  Knorpelstttck 
bildet  also  auch  hier  die  Grundlage  des  Flossenskelets  und  lässt  die 
Chimären  auch  bezüglich  der  Hintergliedmaasse  in  der  Hauptsache  mit 
den  Selachiem  übereinstimmen. 

Das  Skelet  der  Bauchflosse  einander  sonst  ziemlich  ferne  stehender 
Abtheilungen,  wie  Selachier,  Chimären  und  Dipnoi,  bietet  demnach  mit 
Beziehung  auf  seine  Grundform  übereinstimmende  Verhältnisse  dar. 
Da  wir  aber  das  Skelet  der  Brustflosse  der  Selachier  von 
jenem  der  Bauchflosse  ableiten  konnten,  so  ist  anzu- 
nehmen, dass  auch  in  ihm  die  nämliche  Grundform  zur 
Differenzirung  gekommen  sei,  so  dass  also  beiderlei 
Gliedmaassenskelete  aus  völlig  homodynamen  Bildungen 
hervorgingen.  Diese  hypothetische  Skeletform,  die  oben  bereits  für 
die Hintergliedmaassen  dargelegt  ward,  will  ich  als  Archipterygium 
bezeichnen  (vergl.  Holzschnitt  Fig.  1). 

Sie  ist  uns  nicht  blos  wichtig ,  weil  aus  ihr  die  übrigen  Flossen- 
skelete,  sowohl  jene  der  vorderen  als  jene  der  Hintergliedmaasse  in  den 
genannten  Abtheilungen  der  Fische  abgeleitet  werden  können,  sondern 
weil  auch  die  Gliedmaassen  der  höheren  Wirbelthiere  aus  ihr  hervor- 
gehen. In  letzterer  Beziehung  ist  bereits  früher  aus  der  Vergleichung 
der  Gliedmaassen  der  Amphibien  die  nOthige  thatsächliche  Basis  ge- 
wonnen worden.  Da  aber  von  den  Selachiem  her  auch  die  Gliedmaassen-* 
skelete  der  Ganoiden  und  von  diesen  jene  der  Teleostier  ihre  morpho- 
logische Deutung  empfangen,  so  bildet  jenes  Archipterygium  den  Aus- 
gangspunkt für  die  Gliedmaassenbildung  in  dem  gesammten  Stamme 
der  gnathostomen  Wirbelthiere. 

Durchgeht  man  mit  Bezugnahme  auf  das  Archipterygium  die  vor- 
züglichsten Formzustände,  so  müssen  wir  den  Dipnoi  die  niederste 
Stufe  einräumen.  Die  Stammreihe  ist  in  beiderlei  Gliedmaassen  gleich- 
artig.   Die  Strahlen  stimmen  gleichfalls  überein,  und  nur  der  Mangel 


426  G.  GegeDbanr, 

der  letzteren  am  vorderen  Abschnitte  der  Hintergliedmaassen  ergiebt 
eine  Verschiedenheit.  Bei  Chimiira  besteht  an  der  HintergUedmaaase 
eine  Verschmelzung  von  vorderen  Radien  mit  dem  Basale  des  Stammes, 
welchem  nnr  noch  eine  geringe  Anzahl  terminal  gegliederter  Radien 
ansitzt.  In  der  Vorder^liedmaasse  ist  ausser  dem  Basalstück  des  Stam- 
mes noch  ein  zweites  Stück  zum  Schultergelenk  gelangt,  welches  ich 
als  den  vordersten  Radius  betrachte,  der  als  Endglied  eine  Knorpelplatte 
trägt.  Diese  wird  entweder  aus  einem  verbreiterten  Gliedstücke  des 
ersten  Radius,  oder  aus  mehrfachen  mit  einander  verschmolzenen  Ra* 
dien  entstanden  sein  müssen.  Sie  bildet  mit  dem  sie  tragenden  Basale 
und  einigen  an  ihrem  Hinterende  sitzenden  Radien  das  Propterygium, 
indess  der  übrige  Theil  des  Flossenskelets  das  Metapteryginm  vorstellt. 
In  diese  beiden  Abschnitte  ist  also  hier  das  Archipterygitmi  gesondert 
worden  ^) , 

Für  die  Selachier  ist  das  Archipterygium  an  der  Hintergliedmaasse 
gleichfalls  am  wenigsten  verändert.  Der  vorderste  Radius  tritt  vor  der 
Verbindung  mit  dem  Basale  heraus  an  den  Beckengttrtel.  Er  bleibt 
entweder  einfach,  wenn  auch  das  Volum  seiner  Glieder  wächst  (Raja), 
oder  er  verschmilzt  wenigstens  mit  seinem  ersten  Gliede  mit  den  ent- 
sprechenden Gliedern  nachfolgender  Radien.  In  der  Lagerung  behält 
er  entweder  mit  den  folgenden  Radien  parallelen  Verlauf,  oder  er  richtet 
sich  nach  vorne,  mit  den  folgenden  divergirend.  Ersteres  ist  der  FaH 
bei  Mustelus,  Scyllium,  Galeus,  Carcharias,  wo  GKedstücke  von  zwei 
oder  drei  Radien  zu  einem  Stücke  verbunden  sind.  Eine  Mehrzahl  ist 
bei  HeterodoDtus  verschmolzen.  Sie  stellt  das  Basale  des  Propterygtnms 
dar.  Der  andere  Fall  ist  bei  Torpedo,  Acanthias,  Heptanchus  nnd 
Squatina  gegeben.    Der  erste,  terminal  meist  rudimentäre  Radius  trägt 


4 )  In  der  vorgetragenen  Auffassung  weiche  ich  von  meiner  vor  vier  Jahren 
(Untersuchungen  z.  vcrgl.  Anat.  II,  S.  U5)  gegebenen  Deutung  der  Theile  des  Brust- 
flossenskelets  der  Cliimära  ab.  Was  ich  damals  als  Basale  des  Mesopterygiums 
bezeichnete,  muss  ich,  den  oben  für  die  Hintergifedmaasse  der  Selachier  gewönne^ 
nen  Resultaten  gemäss,  als  Theil  eines  Radius  oder  mehrerer  Radien  ansehen. 
Durch  die  Bildung  eines  Propterygiums  bei  mangelndem  Mesopterygium  kommt  das 
Brustflossenskelet  der  Chimären  viel  mehr  mit  dem  Skelete  der  Bauchflosse  der 
Selachier,  als  mit  dem  der  Brustflosse  derselben  überein,  und  zeigt  damit  einen 
relativ  niederen  Zustand.  Denkt  man  sich  die  ersten  Radien  des  Arcbipterygiums 
an  den  Schultergürtel  gelangt  und  unter  bedeutender  Verbreiterung  hi  zwei  kurze 
Stücke  gegliedert,  so  erhält  ro&n  die  bei  Cbimära  bestehende  Form.  Da  aber  auch 
möglich  ist,  dass  nur  das  Basale  des  Propterygiums  jenem  ersten  Radius  angehört, 
und  das  zweite  Stück  aus  verschmolzenen,  jenem  anfänglich  getrennt  ansitzenden 
Radien  entstand,  ist  die  versuchte  neue  Deutung  keineswegs  ganz  sicher.  Durch 
jede  der  beiden  Deutungen  ist  jedoch  an's  Archipterygium  anzuknüpfen. 


Ueber  das  Skelei  der  Güedinaassen  der  Wirbelthiere  im  AHgeineinen  etc.         427 

als  Basale  des  Propterygiums  mehrere  (2 — 5)  Radien,  das  Proplerygium 
ist  daher  vergrössert.  Durch  die  wechselnde  Zahl  der  das  Propterygium 
zusammensetzenden  Radien  sind  diese  Abschnitte  des  Flossenskelets 
nicht  völlig  homolog.  Wenn  wir  auch  den  vordersten  Radius  des 
Archipterygiums  als  homolog  annehmen  wollten  —  was  sich  kaum  fUr 
alle  Selachier  sicher  begründen  lassen  dürfte  —  so  sind  in  einem  Falle 
mehr,  im  andern  weniger  Radien  mit  ihm  verbunden  und  bedingen 
damit  die  Unvollständigkeit  der  speciellen  Homologie.  Der  nicht  zum 
Propterygium  verwendete  Theil  des  Archipterygiums  bildet  als  Meta- 
pterygium  den  grössten  Theil  des  Flossenskelets. 

Im  Skelet  der  Brustflosse  ist  bei  den  Rochen  der  erste  Radius  des 
Archipterygiums  als  Träger  einer  grösseren  Radienzahl  bedeutend  ent- 
faltet. Er  ist  vom  Stamme  des  Archipterygiums  weiter  abgerückt  und 
ISsst  dadurch  eine  grössere  Anzahl  anderer  Radien  zum  Brustgürtel  ge- 
langen. Bei  Trygon  hat  sich  aus  verschmolzenen  Gliedstücken  solcher 
Radien  ein  besonderes  basales  Knorpelstück  geformt,  welches  die  zwi- 
schen Pro-  undMetapterygium  befindlichen  Radien  trägt,  und  mit  ihnen 
einen  neuen  Flossenabschnitt,  das  Mesopterygium  bildet.  Hinter  dem 
Basale  des  Mesopterygium  tritt  bei  Pristis^)  ein  einziger  Radius  (vorgl. 


4)  Bezüglich  des  Brustflossenskclets  von  Pristis  sei  Folgendes  bemerkt:  Die 
Brustflosse  ist  hier  durch  ihre  verhältnissmässig  geringe  Ausdehnung  scheinbar 
mehr  im  Anschlüsse  an  die  Einrichtungen  bei  Haien ,  doch  ergiebt  schon  die  ge- 
nauere Vergleichung  des  äusserlichen  Verhaltens,  besonders  des  vorderen  Flossen- 
randes die  Beziehungen  zu  den  näheren  Verwandten,  den  RocheUi  zu  erkennen. 
Das  Flossenskelet  selbst  ist  damit  in  vollster  Uebereinstimmung.  Drei  Basalslücke 
stellen  die  Verbindung  mit  dem  Schultergürtel  her.  Das  Basale  des  Propterygiums 
erscheint  als  ein  ähnlich  wie  beiRaja  gekrümmtes,  aber  viel  kürzeres  Knorpelstück, 
welches  keine  Gliederung  besitzt  (vergl.  Fig.  28  B),  Das  zweite  Basalstück  (m)  ist 
ihm  unmittelbar  angeschlossen  und  stellt  eine  ungleicliscitig  dreieckige,  mit  dem 
spitzen  Winkel  gegen  das  dritte  Basalstück  gerichtete,  aber  dasselbe  nicht  erreichende 
Knorpelplatte  von  unansehnlichem  Umfange  vor.  Zwischen  diesem  und  dem  Basale 
des  Metapterygiums  liegt  Bindegewebe.  Das  dritte  Basalstück  (B)  ist  länger,  nur 
etwas  schlanker  als  das  erste,  dabei  weniger  gekrümmt.  Es  läuft  in  ein  dünneres 
Endstück  aus. 

Die  Radien  der  Flosse  sitzen  sflmmtlich  an  der  Seite  der  Basalia  und  verlaufen 
am  Pro-  und  Mesopterygium  ziemlich  gerade  nach  dem  freien  Rande  der  Flosse» 
dem  bezüglichen  Basalstücke  fast  rechtwinkelig  angefügt.  Die  des  Mesopterygium 
bilden  den  lateralen  Winkel  der  Flosse,  sind  somit  die  längsten.  Jene  des  Meta- 
pterygiums nehmen  allmählich  eine  schräge  Verlaufsrichtung  an ,  richten  sich  all- 
mählich in  spitzem  Winkel  zum  Basale,  so  dass  die  letzten  endlich  fast  in  der  Fort- 
setzung des  Basalstücks  zu  liegen  scheinen.  Sie  erscheinen  alle  als  einfache,  cylin- 
drische  Knorpelstücke,  die  auf  ihrem  Verlaufe  Je  nach  der  Länge  verschiedenemale 
gegliedert  erscheinen,  bis  sie  am  Ende  in  mehrere  feinere  Gliedstücke  übergehen. 
Von  der  zweiten  Hälfte  des  Propterygiums  an  halten  sich  die  Radien  in  ziemlich 


428  G.  Gegenbaiir, 

Fig.  28),  bei  Raja  mehrere  Radien  für  sich  zum  Schultergttrtel,  und  bei 
Myliobatus  sind  aus  solchen  Radien  einige  neue  Stücke  durch  Ver— 
Schmelzung  entstanden,  so  dass  also  das  Mesopterygium  mehrere  Basalia 
besitzt.  Während  ich  früher  diese  Stücke  für  einander  ungleichwerthig 
hielt,  bin  ich  jetzt  durch  die  bessere  Erkenntniss  des  Verhallens  des 
Mesopterygiums  anderer  Ansicht,  und  sehe  sie  als  auf  die  gleiche  Weise 
aus  gleichartigen  Stücken  entstandene  Theile  an.  Durch  die  Entwicke— 
lung  eines  Mesopterygiums  und  eines  ansehnlichen  Propterygiums  tritt 
der  übrige  Abschnitt  des  Archipterygiums  als  Metapterygium  im  Flossen— 
skelete  derRajiden  zurück  und  bildet  bei  Torpedo  sogar  den  bei  weiten 
kleineren  Theil  des  gesammten  Skelets  der  GKedmaasse  ^j . 


gleicher  Richtung  von  einander,  die  an  der  Insertionsstelle  sehr  gering  Ist,  so  dass 
sie  sich  dort  fast  unmittelbar  berühren.  Verschieden  hiervon  verhält  sich  die  vor- 
dere Hälfte  des  Propterygiums,  die  nur  von  acht  Radien  eingenommen  wird  (vergl. 
Fig.  28),  weiche  fast  um  die  Hälfte  ihres  ^Dickedurchmessers  auseinander  gerückt 
sind.  Es  sind  dies  zugleich  die  kürzesten  Radien  des  gesammten  Flossenskelets, 
die  ebenso  der  Gliederung,  wie  der  peripherischen  Verjüngung  entbehren.  Dieser 
Abschnitt  des  Flossenskelets  ist  äusserlich  nicht  bemerkbar,  und  trägt  also  nichts 
zur  VergrOsserung  der  Flosse  bei.  Den  kurzen  spärlichen  Strahlen  dieses  Ab- 
schnittes kommt  somit  ein  anderer  Werth  zu  als  den  übrigen,  und  wenn  wir  diesen 
Abschnitt  mit  dem  homologen  anderer  Rochen,  z.  6.  den  Rajae,  vergleichen,  so 
werden  wir  nicht  anstehen  können ,  darin  eine  Rückbitdung  zu  sehen.  Das  ganze 
Verhalten  dieses  Abschnitts  bewahrt  also  noch  vollkommen  das  Typische  der 
Rochenflosse  und  bedingt  durch  seine  Lage  die  ventrale  Stellung  der  Kiemen- 
spalten. 

Der  Rochentypus  spricht  sich  auch  in  dem  Befunde  der  Basalstücke,  vorzüg- 
lich jenes  des  Mesopterygiums  aus.  Sie  halten  die  Mitte  zwischen  den  bei  Trygon 
und  bei  Raja  von  mir  beschriebenen  Einrichtungen  (Untersuchungen  z.  vergl.  Anat. 
d.  Wirbelthiere.  H,  S.  U3).  Während  bei  Trygon  das  Basale  des  Mesopterygiums 
an  jenes  des  Pro-  und  des  Metapterygiums  stösst,  ist  dasselbe  Basale  bei  Pristis  von 
Jenem  des  Metapterygiums  durch  eine  ziemliche  Schichte  Bindegewebes  geschieden. 
Dieses  Bindegewebe  hindert  den  directen  Eintritt  mindestens  Eines  Knorpelradius 
zur  Verbindung  mit  dem  Schultergürtel.  Wir  werden  uns  vorstellen  dürfen^ 
dass  bei  etwas  weiterer  Entfernung  des  Metapterygiums  ausser  jenem  einen  Radius 
noch  andere  näher  an  den  Schultergürtel  rücken,  und  dann  erhalten  wir  die  Ein- 
richtung die  bei  Raja  besteht,  wo  fünf  Radien  jene  Verbindung  erlangt  haben.  So 
füllt  also  die  Flosse  von  Pristis  in  jener  Beziehung  eine  Lücke  aus,  und  wir  können 
für  das  Verhältniss  der  allmählichen  Vermehrung  der  in  das  Flossengelenk  eintre- 
tenden Stücke  eine  Reihe  formircn,  die  von  Torpedo  und  Trygon,  wo  nur  die  drei 
Basalia  als  Verbindungsstücke  bestehen,  durch  Pristis  zu  Raja,  und  von  da  zu 
Myliobatus  verläuft,  bei  welchem  ausser  den  drei  Basallen  noch  zwei  aus  je  einer 
grösseren  Anzahl  verschmolzener  Radienglieder  gebildete  Verbindungsstücke  vor- 
kommen. 

4)  Bei  Torpedo  ist  das  Metapterygium  bezüglich  des  Basale  wie  bei  Trygon, 
aber  die  Gestaltung  dieses  Theiles,  der  sonst  bei  Raja,  Myliobatus  und  Trygon 


lieber  das  Skelet  der  GlIedmaKsseu  der  Wirbelthiere  im  Allgemeinen  etc.         429 

Unter  den  Haien  isl  die  Ausbildung  der  drei  Abschnitte  bei  Squa- 
tina  am  vollständigsten ,  wobei  eben  der  überwiegende  Antheil  des 
MetapterygiucDs  am  Flossenskelet  diese  Form  den  übrigen  Haien  näher 
bringt  als  den  Rochen.  Das  Arcbipterygium  ist  bei  dem  Ueberwiegen 
des  Metapterygiuois  in  der  Brustflosse  aller  Haie  weniger  als  bei  den 
Rochen  modißcirt.  Am  geringsten  ist  die  Modification  bei  Scym^us,  wo 
sie  nur  in  einer  Verbreiterung  des  Basale  sich  ausspriobt ,  indem  Pro- 
und  Mesopterygium  gänzlich  fehlen.  Von  den  üebrigen,  soweit  sie  mir 
bekannt  wurden ,  fehlt  nur  bei  Gentrophorus  (Fig.  25)  und  Heterodontus 
das  Propterygium ,  welches  die  Andern,  wenn  auch  nur  in  einem  oft 
unansehnlichen  BasalMÜcke,  besitzen.  Die  an  dem  Skelete  der  Hin- 
tergliedmaassen  wahrgenommenen  Verhältnisse  lehren ,  dass  die  Ent- 
stehung des  Propterygiums  keineswegs  an  einen  dem  der  Rochen  gleich- 
kommenden Zustand  des  bezüglichen  Skelets  geknüpft  ist,  dass  viel- 
mehr nur  die  Modification  eines  oder  einiger  Radien  jene  Bildung  her- 
vorruft. Wenden  wir  diese  Thalsache  auf  die  Vordergliedmaassen  der 
Haie  an ,  so  finden  wir  bei  Vergieichung  der  bezüglichen  Skeletab- 
schnitte ,  dass  nichts  jener  Deutung  entgegensteht ,  ebenso  wie  für  das 
Basale  des  Mesopterygiums  die  Annahme  einer  mit  dem  der  Rochen 
gleichen  oder  mindestens  ähnlichen  Bildung  gewiss  vorausgesetzt  wer- 
den darf. 

Prüfen  wir  diese  Verhältnisse  näher.  (Vergl.  dazu  die  Abbildungen 
aufTaf.  IX  des  zweiten  Heftes  meiner  Untersuchungen.}  In  allen  Fällen, 
wo  das  Propterygium  aus  mehr  Stücken  als  aus  dem  blossen  Basale  be- 
steht, giebt  sich  die  Radiennatur  ziemlich  deutlich  zu  erkennen.  So 
bei  Acanthias ,  Galeus,  Carcharias,  (Fig.  26)  Pristiurus,  Scyllium. 
Hemiscyliium  (Fig.  27).  Die  dem  Basale  folgenden  Stücke  lassen  bei 
Acanthias  und  Pristiurus  nur  einen  einzigen  Radius  annehmen.    Bei 


übereinstimmt,  ist  eigenthümlich  verschieden  und  besitzt  keine  sicheren  Spuren 
einer  Entstehung  durch  Verschmelzang  von  Strahlengltedern,  vvic  sie  an  den  andern 
wahrnehmbar  sind.  Das  Stück  stimmt  in  der  Form  mit  dem  Basalstück 
eines  einzigen  vcrgrösscrtcn  Radius,  und  als  solches  möchte  ich  es  jetzt 
ansehen.  Eswürde  also  beiTorpedo  ausser  dem  ersten  Radius  desArchipterygiums 
noch  ein  zweiter  zu  einem  Träger  von  Strahlen  geworden  sein.  Diese  Deutung  be- 
stärkt sich  durch  die  Thatsache,  dass  an  dem  nach  vorn  gerichteten  Ende  der 
fraglichen  Basale  noch  ein  kleines  Knorpelstück  liegt,  das  nur  als  Gliedstück  eines 
Radius  angesehen  werden  kann,  und  dann  muss  es  dem  Basale  des  Mesopterygiums 
zugetheilt  werden.  Im  spcciellen  Verhalten  ist  also  die  Brustflosse  der  Zitterrochen 
von  jener  der  übrigen  Rajiden  sehr  verschieden,  und  führt  uns  auf  einen  anderen 
Entwicklungsgang.  —  Den  andern  Rajiden  schliesst  sich  auch  Prtstis  an ,  bei  dem 
hinler  dem  Basale  des  Mesopterygiums  ein  freier  Radius  sich  einschiebt ,  der  so- 
mit das  Verhalten  von  Trygon  und  Raja  verknüpft. 

Bd.  V.   4.  29 


430  C.  Cei^euljHur, 

Prisliurus  isl  allerdini;s  das  zweite  Glieilslück  dieses  ersten  Radius  be— 
deuleod  verbreiten,  das  lerminale  GliedslUck  isl  dagegen  unverändert. 
Dem  nüherl  sich  Scyilium,  an  dessen  Propterygium-Strahle  ausser  dem 
Basale  drei  Glieder  bestehen,  davon  das  miUlere  ins  Gebiet  des  Meso- 
pterygiums  Übergreift.  Zwei  Glieder  folgen  auf  das  Basalglied  bei  He- 
miscyll^m  (b'ig.  97,  B).  Bei  Galeus  erscheint  das  zweite  Glied  des  in 
Frage  siebenden  lladius  mit  dem  Mesoplerygium  aogehürigeD  Radien— 
stucken  zusam menge Qossen  und  nur  das  Endsltlck  isl  rudimentär  er- 
halten. Carcliarias  scheint  im  Propterygium  zwei  Radien  zu  besitzen, 
von  denen  einer  mil  seinen  Endgliedern  am  vorderen  Flossenrand  liegt, 
indess  ein  Glied  des  folgenden  mit  einem  Gliede  eines  Radius  des 
Mesopterygiums  zu  einer  Knorpelplatte  verbunden  ist. 

Was  das  Mesoplerygium  bctrilTt,  so  ist  für  die  ZusammenseliUHg 
von  dessen  Basale  aus  Radien  gliedern  nur  bei  wenigen  der  mir  be- 
kannten Haie  ein  sicherer  Nachweis  zu  führen ,  doch  fehlen  bei  den 
Meisten  Andeutungen  nicbl  ganz.  Bei  Prisliurus  ist  das  auf  das  kleine 
Basale  folgende  Sltlck  dem  entsprechenden  Abschnitte  des  Pi-oplerygiinns 
Uhnlich,  und  ist  wie  dieses  mit  einem  einzigen  Endgüede  versehen. 
Wenn  wir  das  Propterygium  von  einem  Radius  ableiten  durften,  ergiebl 
sich  die  gleiche  Berechtigung  auch  für  das  Mesoplerygium.  Aehnlich 
verhalt  sich  llemiscyllium.  Zwischen  dem  Basale  des  einem  Radius  ent- 
sprechenden Pi-opterygium  und  dem  Metaptorygium  lagert  ein  Plallen- 
sttlck,  dem  zwei  nur  theilweise  verschmolzene  Radienglieder  folgen, 
die  mil  plaltenfbrmigen  Endstücken  versehen  sind.  Es  kann  kein  Be- 
denken bestehen,  dass  das  ersterwähnte  Plattenstuck  aus  den  völlig 
verschmolzenen  Basalgliedern  jener  zwei,  terminal  noch  freien  Radien 
entstand,  dass  also  dem  Mesopterygium ,  wie  wir  diesen  Abschnitt  be- 
zeichnen dürfen,  wenn  der  noch  in  PlallenstUcke  modiücirte  Radius  (R) 
das  Propterygium  bildet,  im  Ganzen  zwei  Radien  zu  Grunde  liegen. 
Dazu  kommt  endlich  das  Verhalten  der  Rochen,  das  gewiss  bei  der 
Beurlheilung  derllaie  nicht  ausser BorÜcksichUgung  bleiben  darf.  Wenn 
wir  sehen  ,  dass  der  bei  den  Rochen  schwankende  Befund  des  Basale 
des  Mesopterygiums  bei  den  Haien  in  constanten  Zustand  übergegangen 
ist,  so  ergiebl  sich  aus  dieser  Vcrgleichung ,  bei  einmal  festgehaltener 
Homologie ,  dass  die  für  die  Enlätuhungsge schichte  jenes  Basale  bei  den 
Rochen  sich  ergebenden  Verhältnisse  auch  für  die  Haie  mil  in  die 
Waagschale  fallen.  Das  in  Rede  stehende  Basale  isl  aber  auch  für  die 
Haie  kein  Skelellheil  sui  generis,  sondern  durch  Umwandlung  von  Ra- 
diengliedern entstanden  aufzufassen.  —Die  Ableitung  desBrust- 
flossenskeletsder  Haie  aus  dem  Archipterygium  wird  also 
folgendermaassen  darzustellen  sein:    der  erste  Radius  des  Archiptery- 


lieber  das  Skelet  der  Gliedmaassen  der  Wirbelthiere  im  AltgemeineD  etc.        431 

giura  ist  an  den  Sdhnltergttrtel  getreten  und  bildet  mit  seinem  vcftdem 
Glied  das  Basale  des  Propterygiums.  Bei  Sqoatrna  richtet  sieh  der  erste 
Radius  nach  vorne,  an  seinem  ursprünglich  hinteren,  nunmehr  lateralen 
Rande  ßnden  nur  Radien  ihre  Insertion.  Bei  den  übrigen  Haien  behält 
derselbe  Radius  die  gleiche  Richtung  mit  den  übrigen.  Seine  Endglie- 
der bleiben  entweder  auf  derselben  Stufe  wie  die  der  übrigen  Radien, 
(Scyllium ,  Hemiscynium ,  Pristiurus)  oder  sie  erleiden  Rückbildungen 
(Galeus,  Carcharias,  Äcanthias).  Wo  das  Propterygium  nur  aus  dem 
Basale  besteht  (Heptanchus) ,  sind  die  übrigen  Glieder  entweder  rück- 
gebildet oder  verschwunden,  oder  es  ist  ein  Stück  davon  ins  Basale  des 
Mesopterygiums  mit  aufgenommen,  und  die  Endgliedersitzen  dann  dem 
Basale  des  Mesopterygiums  an.  Welcher  von  beiden  Fallen  wirklich  be- 
steht, kann  vorläufig  nicht  entschieden  werden.  Ebenso  zweifelhaft 
ist  HeterodoDtus.  Aus  dem  Auftreten  grosser  Knorpelplatten ,  die  in 
ihren  Begrenzungslinien  die  Spuren  der  Zusammensetzung  aus  einer 
Mehrzahl  von  Radtenglfedem  zeigen ,  ist  zu  ersehen ,  dass  am  vorderen 
Flossenrand  ein  ergiebiger  Terschmelznngsprozess  stattfand.  Es  ist 
nicht  unwahrscheinlich,  dass  dieser  zu  einem  Aufhören  der  Selbststän- 
digkeit des  gesammten  Propterygiums  führte ,  dessen  Basale  dann  mit 
jenem  des  Mesopterygiums  zu  einem  Stücke  zusammengetreten  ist. 

Da  wir  die  Basalstücke  des  Pro-  und  Mesopterygiufms  von  Radien 
herleiteten,  also  von  Theilen,  die  eine  vielfach  nachweisbare  Concres- 
cenz  eingehen ,  so  fällt  auf  die  Vereinigung  dieser  Theile  im  Ganzen 
wenig  Gewicht.  Es  kann  aber  auch  daran  gedacht  werden ,  dass  jene, 
nur  zwei  Basalia  erkennen  lassende  Form  des  BruslUossenskelets  gleich 
m  dieser  Weise  entstand,  dass  nämlich  in  ähnlicher  Weise,  wie  es  im 
Skelet  der  Hintergliedmaassen  sich  findet,  nur  einer  oder  weniger  Radien 
zur  Articulation  mit  dem  Gliedmaasengürtel  gelangen.  In  diesem  Falle 
wird  ausser  dem  Metapterygium  nur  noch  ein  Propterygium  bestehen. 
Durch  die  Prüfung  derBnrstflosse  von  Centrophorus  wurde  ich  zu  dieser 
Meinung  geführt,  indem  hier  (Fig.  25)  vor  dem  sehr  breiten  Basale  des 
Hetapterygiums  (B)  nur  ein  relativ  kleines  dreieckiges  Knorpelstück  (R) 
lagert,  welches  angefügter  Radien  gänzlich  entbehrt.  Dieses  Verhalten 
würde  grossartige  Reductionen  voraussetzen,  wenn  wir  das  vordere 
Randstück  auf  ein  Mesopterygium  deuteten ,  denn  dann  müsste  nicht 
nur  ein  grosser  Thcil  des  Mesopterygiums  (alle  Radienenden),  sondern 
auch  das  Propterygium  weggefallen  sein.  Ein  einfacheres  Deutungs- 
verfahren lusst  uns  dagegen  in  dem  fraglichen  Randknorpel  nur 
das  modificirtc  Basalstück  eines  Strahls  erkennen,  dessen  Verän- 
derung jener  anderer,  am  vorderen  Flossenrand  befindlichen  Ra- 
dien  ganz  entspricht.     Der  Bau  des  Bruslflossenskelets  von  Genlro- 


/^ 


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432  ^*  Gegenbaur, 


phorus  ^)  bietet  zugleich  eine  Vermittelung  der  meisten  übrigen  GaU- 
tungen  mit  Scylliuoi,  wo  das  Archipterygium  sich  in  der  Brustflosse  un— 


4)  Das  Brustflossen skelet  von  Centrophonis  ist  noch  in  anderer  Beziehung 
sehr  wichtig.  Dem  Basale  des  Metapterygiums  (B  in  Fig.  25)  sitzt  ein  längliches 
strahlentragendes  Knorpelstück  [b)  an ,  an  dessen  medialem  Rand  ein  zweites  «ihn- 
liches  {h')  angefügt  ist.  An  diesem  finden  wir  wieder,  wenn  auch  nur  sehr  kurze, 
Radien  und  zwar  mit  denen  des  ersterwähnten  Stückes  divergirend.  An  der  Seite 
dieses  zweiten  länglichen  Knorpels  ist  ein  drittes ,  viel  kürzeres  Knorpelstück  (6'0 
gelagert,  dem  ein  viertes  noch  kleineres  folgt.  Beide  tragen  gleichfalls  einige  kurze 
Radien.  Durch  diese  radientragenden  Stücke  und  die  fast  rechtwinkelig  abbiegende 
mediane  Richtung  von  b*  und  6''  empfängt  das  Gesammtskelet  der  Gliedmaassen 
eine  eigenthümliche  ConGguration,  die  in  manchem  mit  der  von  Acanthias,  bezüg- 
lich der  medianen  Endkrümmung  auch  mit  dem  Brustflossenskelete  der  Carcharias 
(Vergl.  Fig.  26)  und  der  Chimären  Achnlichkeit  besitzt.  Die  Frage  nach  der  Ent- 
stehung dieser  Krümmung  hängt  mit  der  Deutung  der  beiden  längeren  radientra- 
genden  Knorpelstüoke  (6,  V)  zusammen.  Ihre  Anreih ung  an  das  Basale  (B),  sowie 
ihre  Beziehung  zu  Radien ,  lässt  gegen  ihre  Deutung  als  Gliedstücke  der  Basalreihe 
schwerlich  ein  Bedenken  zu.  Die  bestehende  einseitige  Ausdehnung,  durch  welche 
eine  Verbindung  mit  einer  grösseren  Radienzahl  möglich  wird  (beide  Stücke  zu- 
sammen tragen  43  Radien),  muss  eine  Aenderung  der  Längsaxenrichtung  des  End- 
abschnittes der  Basalreihe  zur  Folge  haben.  Da^  ganze  Verhalten  ist  somit  ein  An- 
passungszustand der  Basalreihe  an  eine  grössere  Radienzahl. 

Indem  die  Structur  des  Brustflossenskelets  von  Centrophorus  sich  durch  die 
gegebene  Deutung  der  einzelnen  Theile  erklären  lässt,  wird  uns  damit  zqgleich  die 
Aussicht  eröffnet  zum  Verständnisse  eines  in  dem  Brustflossenskelete  der  Notida- 
niden  vorkommenden  eigenthümlichen  Verhaltens.  An  dem  medialen  Rande  des 
Endes  des  Brustflossenskelets  findet  sich  sowohl  bei  Hexanchus  als  bei  Heptancbus 
ein  längliches  aber  schmales Knorpelstück,  dem  auf  das  Basale  des  Metapterygiums 
folgenden ,  anscheinend  der  Stammreihe  angehörigen  Stücke  angefügt.  Bei  Hexan- 
chus schiebt  sich  zwischen  dieses  Stück  und  die  Stammreihe  sogar  noch  ein  anderes 
kleines  Knorpelstück  ein.  Ich  habe  diese  Verhältnisse  in  meiner  Arbeit  über  die 
Brustflosse  der  Fische  (Abhandlung  z.  vergl.  Anat.  der  Wirbelthiere  II.)  abgebildet, 
(Taf.  IX,  Fig.  4  u.  2)  mit  Enthaltung  von  jeder  beurthellendon  Aeusserung,  da  der 
ganze  Befund  mir  damals  noch  unvei^tändlich  war.  Wenn  wir  die  vorerwähnten, 
die  fraglichen  Knorpel  an  der  medialen  Seite  tragenden  Stücke  zur  Stammreihe 
rechnen,  die  medialen  Knorpel  aber  als  Radien  betrachten  —  wie  es  bei  der  gege- 
benen Voraussetzung  nicht  anders  geschehen  kann  —  so  wird,  bei  dem  ohnehin  nor- 
malen lateralen  Radienbesatz ,  der  Stammreihe  eine  Art  von  doppelter  Fiederung 
zukommen.  Sie  würde  nach  beiden  Seiten,  medial  und  lateral,  radientragend  ange- 
sehen werden  müssen.  Daraus  würde  aber  eine  wesentlich  andere  Grundform  des 
Archipterygiums  resultiren,  dem  ebenfalls  eine  doppelte  Fiederung  zukommen 
müsste. 

Die  Vergleichung  mit  dem  Brustflossenskelete  von  Centrophorus  macht  nun 
eine  andere  Deutung  möglich  und  rettet  zugleich  die  Aufstellung  des  Archiptery- 
giums vor  einem  sonst  schwer  zu  beseitigenden  Einwurfe.  Wir  erfahren  nämlich 
bei  Centrophorus ,  dass  auch  Stücke  der  Stamm  reihe  durch  einseiUge  Entwick- 
lung der  Länge  nach  neben  einander  sich  lagern  können  (6,  b').    Daraus  wird  mög- 


Deber  du  Skelel  der  Rlicdnussen  der  Wirbetthiere  im  Allt^neinen  elc.  433 

verändert  fortorha'i^n  zu  haben  schcini ,  da  nur  ein  einziges  Basale 
vorkomiDl. 

Versuchen  wir  die  BrustHossenskclele  der  Haie  nach  dem  Verhalten 
der  BaRalstUcke  zu  ordnen ,  so  ist  der  einfache  Zustand  von  Srymnus 
voran  zu  stellen.  Das  durch  verbreitertes  Basale  ausgezeichnete  Arcbi- 
pterygium  bildet  das  gesammte  Gliedmaassenskelet,  Bei  Centrophorus 
ist  ein  Radius  noch  zum  SchultergUrtel  getreten.  Er  ist  aber  nur  im 
Basale  vorhanden.  In  Heterodontus  ist  vor  dem  Basale  des  Metaptery- 
giums  eine  grossere  Anzahl  von  Badien  in  der  Schullcrgelenk Verbin- 
dung ;  diese  Verbindung  vermittelt  ein  einziges  Knorpelstuck ,  welches 
wir  aus  der  Concrescenz  von  Basalgliedem  jener  Radien  entstanden 
betrachten.  Bei  den  Notidaniden'  büdet  ein  vorderer  Radius  ein 
Basalglied  (Propterygium) ,  hinler  welchem  ein  zweites  Basale  eine 
grltssere  Anzahl  von  Badien  trügt  (Mesopterygium) .  Es  bildet  den 
grossem  Abschnitt  des  Fiossen^kelcts.  Das  Metaplerygium  ist  da- 
gegen elwas  zurückgetreten ,  und  ist  auch  in  seinem  BasalstUckc 
verhältnissmtissig  unansehnlich.  Hieran  reiht  sich  Acanthias,  bei 
welchem  aher  das  Propterygium  durch  seine  Endglieder  sieb  deut- 
licher in  seiner  genetischen  Beziehung  zu  einem  Radius  darstellt,  in- 
dess  das  grosse  Basale  des  Mesopteryglums  wieder  emcr  Hehrzahl  von 
Radien  entspricht. 

Ist  in  diesen  Fällen  eine  grossere  Anzahl  von  Radien  ausserhalb 
direcler  Verbindung  mit  dem  Reste  des  Archipterygiums ,  indem  ihre 
Basalglieder  grflsstenlheils  zum  Basale  des  Hetapterygiums  zusammen- 
getreten sind,  so  linden  wir  in  einer  anderen  Reihe  mit  dem  Bestehen 
dreier  Basalta  dennoch  ein  bedeutendes  Ueberwiegen  des  Hetaptery- 
giums. Bei  Galeus  und  Carcharias  entspricht  das  Propterygium  nur 
einer  ganz  geringen  Badienzahl.  Bei  Carcharias  glaucus  wird  es  von 
nur  einem  Badius  voi^estt^ltt ,  bei  C.  melanopterus  (Fig.  är<J  besteht  es 
scheinbar  aus  zweien,  indem  noch  ein  Gtied.'ittlck  eines  im  Mesoptery- 
gium liegenden  Radius  mit  ihm  (r)  verwachsen  ist.     Auch    bei   den 


lieh,  Jone  median  der  Stammrethc  angelagerten  Knorpel  der  Notidaniden  zu  ver- 
stehen ,  indem  man  sie  Rlr  den  Rest  eines  Sliickcs  ilcr  Slammrcihe  deutet.  Denkt 
man  sich  bei  Ccnlrophorus  das  Stück  C  der  Stsmmroihc  auf  einen  sclimiileren 
Knorpelstrcif  redacirl ,  und  dabei  die  weiter  mediannarLs  ihnen  nngcfligtcn  Theile 
(6")  tiammt  den  hier  ohnehin  sehon  rudimcnlHren  Radien  gttnxlicb  verschwunden, 
so  gehl  daraus  das  bei  Heptancbus  heslehendo  Verhalten  hervor. 

Damit  kann  aus  dem  Vorkommen  jener  medialen  Knorpel  l>ci  den  Notidaniden 
kein  Grund  für  die  Annahme  einer  doppelze iligcn  Aufrcihung  der  Radien  im  Ar- 
cliipterygium  geschtipfl  werden ,  es  ernieht  sich  vielmehr  nur ,  dass  das  Verhalten 
von  Cenirophonis  auch  in  Rückbildungsxuaianden  repräsenlirt  int. 


434  ^-  ^<*efnbMir, 

ScyllicD  und  hei  I'risUurus  mindern  die  beiden  vor  dem  Hotaplerygiuni 
liegenden  ßasalia  nur  wonig  den  Werlh  dor  letzlorn ,  da  sie  nur  ganz 
wenigpji  Radien  eulsprechen,  dreien  ])oi  Hemisc.ylliuni,  zweien  beiPris- 
tiurus.  Ausser  bei  Scyllium,  von  dem  wir  ausgingen,  ist  bei  den  letet- 
erwabnlcn  Gattungen  das  Archiplerygium  am  geringsten  niodificirt. 

Im  Brustflossenskelet  der  Haie  ist  daher  eine  weitere  Differenziruny 
der  bereits  im  Skeiel  der  HinUirgliadmaassen  wahrnehmbaren  Biohlung 
zuerkennen,  und  damit  eine  weitere  Entfernung  von  dem  Zustande, 
den  wir  im  Archipterygium  annehmen.  Die  grüsste  Verschieden  heil 
bietet  der  vordere  Itandabschnitt ,  sowohl  in  Beziehung  zum  Archiple- 
rygium ,  als  auch  im  Vergleich  der  einzelnen  Formen  unter  sich,  wäh- 
rend im  hinteren  Abschnitte,  dem  Bfetapli'rygium,  der  Zustand  des 
Archiptfirygiums  am  vollständigsUm  erbalten  ist.  Dem  Verhalten  dieses 
Vorderrandes  bei  der  Action  der  Gliedmaassen,  die  mit  diesem  Ab- 
schnitte dem  Widerstände  des  nassen  Elementes  zuerst  zu  bogt^non 
hat,  sowie  den  Beziehungen  zu  der  an  diesen T heilen  sich  inserirenden 
mächtigen  Musculatur  entsprechen  die  genannten  Umwandlungen  voll- 
kommen, wie  auch  die  Auflösung  des  Archiptcrygiums  in  die  drei  Ab- 
schnitte des  Pro-,  Meso-  und  Metapterygiunis  mit  der  Verbreiterung  des 
Flosscnskelcts  und  diese  wieder  mit  einer  Steigerung  von  tfcsson  Lei- 
stung im  Einklänge  steht. 

Die  Ergebnisse  unserer  Untersuchung  fllhrten  uns  somit  zu  einer 
Bestätigung  der  oben  angenonmienen  Urform  des  Gliedmaasenskelets, 
indem  die  Vergleichung  der  einzelnen  Formzusti^nde  die  Abweichungeu 
von  dieser  Urform  als  Differenzirung  nachweisen  konnte.  Vorderen 
wie  hinteren  Gliedmaassen  liegt  also  gleichmässig  die- 
selbe Skcietform  im  Archipterygium  zu  Grunde. 


3)    DifferensiningBerscheinungeii  im  Glied  msaBBenskoIete  der 
Selachier. 

Die  bei  der  Vergleichung  der  verschiedenen  Formen  des  Glied- 
maasscnskelels  der  Selachier  sich  ergebenden,  die  Hannichfaltigkeit 
der  Einzelbcfundc  bedingenden  Erscheinungen  verdienen  eine  ni4here 
Betrachtung.  Wenn  sie  auch  dieselben  sind,  die  an  andern  Skeictthcilen, 
ja  noch  an  den  Gliedmaassen  höherer  Wirbelthiere  eine  wichtige  Rolle 
spielen ,  so  ist  doch  hier  bei  den  Selachiem  der  Grad  der  Excursinn, 
innerhalb  dessen  sieb  die  Erscheinung  bewegt,    um    vieles  bedeu- 


üeber  das  Skelei  der  GHedmaassen  der  WirbeKhiere  im  Allgemeinen  etc.        435 

tender.  Viele  der  Eracheinungen  sind  zugleich  einfacher,  in  ihrer  Be- 
deutung fUr  das  Gesammtorgan,  in  dem  sie  auftreten,  leichter  verständ- 
lich. Dies  steht  in  Zusammenhang  mit  dem  niedern  Zustande  der  Ver- 
bindung der  Skelettheile  unter  sich,  die  niemals  complicirte  Gelenke 
bilden. 

Nehmen  wir  den  Ausgang  von  dem  Archiptergyium ,  das  wir  uns 
aus  einem  den  Stamm  bildenden  und  zugleich  die  Verbindung  mit  dem 
Gliedmaassengürlel  vermittelnden  Knorpelstttcke  und  diesem  seitlidi 
angefügten  Radien  vorzustellen  haben,  so  werden  die  Modificationen 
theils  den  Stamm,  theils  die  Radien  betreffen.  An  ersterem,  welcher 
als  Stamm  des  Hetapterygiums  fortbesteht ,  finden  wir  neben  Volums- 
und Gestaltveranderungen  als  wichtigste  Hodification  die  Gliederung, 
die  entweder  aus  einer  Sondemng  des  ursprünglich  einfachen  Knorpel- 
stttckes,  oder  aus  einer  Neubildung  hinter  dem  primitiven  Knorpel  ge- 
legener Stücke ,  somit  aus  einer  Art  von  Sprossung  hervoi^eht. 

Belangreicfaer  sind  die  Modificationen  des  lateralen,  aus  den  Strah- 
len bestehenden  Abschnitts.  Sie  lassen  sich  in  folgender  Weise  dar- 
stellen. 

a)  Anzahl.  Der  grosse  Breitegrad  der  Variation  tritt  sdion  in  der 
im  Flossenskelet  vorhandenen  Anzahl  von  Radien  hervor.  Sie  ist  am 
bedeutendsten  bei  den  durch  bedeutende  Entfaltung  des  Proptergyiums 
der  Brustflosse  angezeichneten  Rochen  ,  bei  Myliobatus  weit  über  4  00 
steigend.  Auch  bei  Trygon  und  Raja  noch  gross,  ist  sie  am  geringsten 
bei  Torpedo,  auf  50 — 60  beschränkt,  weiche  Zahl  unter  den  Haien 
nur  von  Squatina  überschritten  wird.  In  der  Bauchflosse  sind  wieder 
die  Rajae  mit  der  grtfssten  Radienzahl  ausgestattet;  man  zählt  bei  Rhi- 
nobatus  32,  bei  Raja  26  Strahlen.  Sie  überirefien  darin  die  Brustflosse 
der  Haie,  bei  denen  Ueptanchus  mit  86  Strahlen  am  höchsten  geht.  25 
finde  ich  bei  Hexanchus  und  Acanthias,  21  bei  Heterodontus ;  bei  Ga- 
leus  20,  Scymnus  17,  und  die  geringste  bei  Scyllium  (44).  In  der 
Radienzahl  der  Bauchflosse  der  Haie  steht  wieder  Squatina  mit  34  Radien 
obenan.  Heptanchus  hat  23,  Acanthias  48,  Scyllium  45.  Das 
Schwankende  der  Zahl  betrifft  nicht  blosdieGattungen, 
sondern  findet  sich,  wenn  auch  in  geringerem  Maasse, 
innerhalb  der  Art.  Ich  habe  in  dem  Brustflossenskelet  von  Acan- 
thias vulgaris  zweimal  26,  einmal  30 ,  und  dreimal  nur  24  Radien  ge- 
funden, auch  bei  niehreren  Exemplaren  von  Scyllium  canicula  ähnliche 
Schwankungen  notirt.  Diese  Thatsache  halte  ich  für  bedeutsam  im 
Vergleiche  zu  der  Beständigkeit  des  Zahlen  Verhältnisses ,  die  uns  im 
Skelet  höherer  Wirbelthiere  entgegentritt.  Der  die  Schwankungen  in 
der    Zahl   der   Skelettheile  auf  '      ^     — «'""vus    muss  als  der 


r 


436  C.  Gegnnbiinr, 

im  höheraii   Maassstsbe  veränderbure  und  damit  anpassungsfähigere 
gelUin. 

b)  Gliederung.  Das  Vorkommen  von  einfachen  Knorjwlstäben 
in  gewissen  Regionen  des  Flossenskeieis,  sowie  die  Einfachheit  dieses 
Ziistandes  lüsst annehmen,  dass  solcheKnorpelstabedem  Archipleryginm 
ollgciiiein  zukommen,  wie  denn  derartige  Gebilde  auiA  bei  den  Dipnoi 
als  einzige  Badienform  fortbestehen.  Die  Gliederung  der  Knorpelstabe 
in  FolgGStttcke  ist  somit  der  Ausdruck  einer  Sonderung,  die  in  der  Begel 
mit  einer  gewissen  Langenentfaltung  verbunden  ist. 

Die  Zahl  der  einem  Radius  zukommenden  Gliedstucke  ist  sehr  ver- 
schieden. Am  reichsten  ist  sie  bei  bedeutender  Breite  des  Flossenskelels, 
wie  bei  den  Kochen.  Doch  leigt  die  geringe  Ausbildung  der  Gliedenmg 
an  der  langstrahligen  Brustflosse  von  Carcharias,  dasg  sie  noch  tod 
andern  Verhältnissen  abhängig  sein  muas.  Sie  läuft  bald  gleichmässig 
durch  Reihen  von  Radien,  bald  bildet  sie  unterbrochene  Beihen,  oder 
beschrrinkt  diese  auf  Abschnitte  des  Skelets.  Am  einfachsten  verhält 
sie  sicli  an  den  Radien  der  Bauchflosse  der  Haie,  die  meist  nur  in  swei, 
höchstens  in  drei  Stücke  getheilt  sind. 

c)  Dichotomie.  Theilung  eines  Radius  in  zwei  getrennt  endende 
Strahlen  scheint  in  ziemlicher  Verbreitung  vorzukommen.  Es  wird  je- 
doch wahre  und  falsche  Dichotomie  zu  unterscheiden  sein.  Die 
letztere  findet  sich  besonders  in  der  Brustüosse  der  Haie.  Sie  entsiebt 
durch  Verschmelzung  zweier  benachbarter  BasalstUcke  von  Badien, 
deren  Enden  dann  getrennt  auslaufen .  Die  Verschmeltung  der  betreJfen- 
jjen  Glieder  ist  häufig  unvollständig ,  und  auch  bei  voll  ständiger  Ver- 
schmelzung bleiben  nicht  selten  Spuren  der  Trennung  fortbestehen. 
Die  wahre  Dichotomie  ist  nur  bei  Bocben  und  Squatina  vorhanden,  und 
zwar  nur  in  der  Peripherie  des  Fl ossen skelets ,  indess  die  falsche  näher 
an  der  Basis  besieht. 

d)  Gestaltveränderung  der  Radien  ist  bei  den  Haien  hau- 
fic-er  als  bei  den  Rochen  vorbanden.  Als  einfachste  Form  betrachte  ich 
die  cylindrische,  die  sowohl  bei  den  Bochen  in  grosser  Verbreitung  ge- 
troETcn  wird ,  als  auch  bei  Haien  an  solchen  Badien  vorkommt ,  welche 
noch  durch  den  Hangel  von  Gliederung  einem  niedern  Zustand  ent- 
sprecbon.  Letztere  Radien  finden  sich  am  Ende  der  Hintergliedmaassen 
z.  B,  hei  Scyllium  (Fig.  5,  6)  Carcharias  (Fig.  8),  Galeus  (Fig.  9).  Ais 
Modilicütion  dieser  Form  ist  die  Verbreiterung  anzuführen ,  welche  mit 
einer  Minderung  der  Badienzabl  verbunden  zu  sein  scheint.  Sie  tritll 
den  Rfidius  entweder  gleichmässig  in  seiner  ganzen  Länge,  oder  nur 
dnsEnde  desselben.  Eine  gleichmässige  Verbreiterung  besteht  z.  B.  an 
den  vordem  Radien  der  Brustflosse  von  Heianchus,  an  den  meisten 


i^ 


Üeber  das  Skelei  der  Gliedmaassen  derWirbelthiere  im  Allgemeinen  etc.         437 

Radien  der  Bauchflosse  von  Mustelus  (Fig.  7)  und  manchen  andern. 
Die  terminale  Verbreiterung  ist  die  häufigste,  in  beiderlei  Gliedroaassen 
vorkommend.  Sie  geht  bei  gegliederten  Radien  atif  die  Gliedstücke 
über  und  lässt  die  distalen  Glieder  sich  aneinander  schliessen,  v^^ährend 
die  proximalen  Radienstttcke  (BasalstUcke)  bei  schlanker  Gestaltung 
durch  Interradialrilume  von  einander  getrennt  sind.  Beispiele  dieser 
terminalen  Verbreiterung  an  ungegliederten  Radien  bietet  die  Bauchflosse 
von  Mustelus  (Fig.  7).  An  gegliederten  Radien  ist  sie  sehr  ausgeprägt 
in  der  Brustflosse  von  Heterodontus ,  Galeus  und  Scyllium.  Bei  be- 
deutender Verbreiterung  der  Gliedstücke  von  Radien  kommt  es  zur  Plat- 
tenbildung. Die  Glieder  geben  dabei  allmählich  ihre  Beziehungen  zu 
Radien  auf  und  bilden  fünf-  oder  sechsseitige  Tafeln.  In  der  Brustflösse 
von  Heterodontus  und  der  Notidaniden  ist  dieser  Vorgang  vom  Meta- 
pterygium  auf  das  Mesopterygium  in  allen  Uebergängen  verfolgbar.  Im 
Skelete  der  Bauchflosse  findet  er  sich  seltener  vor,  z.  B.  am  Proptery- 
gium  von  Heptanchus  und  Squatina. 

e)  Veränderung  der  Richtung.  Der  einfache  Formzustand 
der  Radien  äussert  sich  auch  in  der  Anordnung  am  Stamm  des  Flossen- 
skelets.  Die  einfachen  Radien  in  der  Bauchflosse  der  Rochen  sind 
grösstentheils  parallel  aufgereiht,  ähnlich  den  Rnorpelfäden  in  den 
Gliedmaassen  von  Lepidosiren.  Eine  Divergenz  macht  sich  erst  am 
hinteren  Flossenabschnitte  geltend ,  wo  die  letzten  Radien  sich  gegen 
die  verlängerte  Längsaxe  des  Stammes  zu  richten  beginnen ,  und  das 
Flossenskelet  entweder  noch  über  den  Stamm  hinaus  nach  hinten  zu 
fortsetzen ,  oder  mit  dem  Ende  des  Stammes  parallel  sich  lagern.  Die 
Interradialräume  sind  in  diesen  Fällen  bei  der  terminalen  Verjüngung 
der  Radien  immer  an  der  Peripherie  des  hinteren  Flossen  theiles  in  ziem- 
licher Ausdehnung  zu  finden,  während  sie  am  vorderen  Abschnitte  der 
Flosse  von  gleicher  Breite  sind.  Von  dieser  Art  der  Vorsdiiedenheit  in 
der  Richtung  der  Radien  sind  zwei  andere  Fälle  zu  trennen  ,  die  eine 
Divergenz  von  Radien  herbeiführen ,  und  unserer  Betrachtung  näher 
liegen,  da  sie  aus  der  Beschaffenheit  der  Skelettheile  selbst  hervorgehen. 
Der  eine  Fall  von  Divergenz  der  Radien  wird  durch  terminale  Verbrei- 
terung der  Radien  bedingt.  Mit  dünnen  Basalstücken  dicht  aneinander 
gereihte  Radien  müssen  aus  der  parallelen  Lagerung  in  die  divergirende 
übergehen,  wenn  sie  gegen  das  distale  Ende  zu  breiter  werden.  In 
sehr  vielen  Flossenskeleten  ist  dies  der  Fall.  In  der  Brustflosse  von 
Ilexanchus,  von  Scyllium  und  von  Squatina  ist  diese  Divergenz  sehr  auf- 
fallend. Dasselbe  Resultat  wird  bei  Rochen  (Torpedo)  durch  die  ter- 
minale Dichotomie  erreicht. 

Der  weitere  Fall  von  Veränderung  der  Richtung  erscheint  durch 


«8  f- 

Aofl/elea  neuer,  kflnerer  Badiea  x«  tscben  aadeno  bedingt.  Ob  dicj^ 
den  Slaam  nidit  ermdKnden  Bedien  wirUicbe  Nmgebilde  süd,  o«^- 
Badien,  die  die  Verbinduo^  mit  dem  Stamme  vrriomi  and  i 
nur  iwiscbeo  andere  Badien  eing^scbobra  sind,  miss  noch  < 
fntae  bletht-n.  Am  Ende  der  Bauchflosse  von  Maslelas  Tt^  7;  findet 
sicfo  eiD  bkrfaer  gebdrigos  Beispiel ,  (eroer  am  Vordertlieile  dersettmi 
Fhttum  vaoScyUiutaTifLö,,  wo  der  Torderele  Badios  gc^eo  den  zweüea 
voHständigen  dunb  ein  keiKöriDiges  Einscfaiebäel  divergirl.  Dieselbe 
Divergenz  ergiebl  sidb  aucb  ffir  den  fTsteo  Badius  \oo  Torpedo  iFic. 
1 2,  ß; .  Die  Di  vef^cnx  diese«  ersten  Badias  (A;  mit  den  Obri^eo  Radkv 
muw  zooehmen  mit  der  Vermebmiig  der  aof  äbnlicfae  Art  hinler  ihm 
auftretetiden ,  aber  oidil  zum  Flosseoslamm  gtiai^eodeu  Radien.  Diese 
werden  dann  an  dem  crwäbotra  ersten  Radios  (Aj  sidi  anfreibea 
mUssen  und  damit  den  genannten  Radius  in  andere  Beziehoi^eB 
briiiK6D.  (Vergl.  oben  S.  (19)  Somit  geht  ans  der  allmähbdien  AUen— 
kung  aus  einer  rrUbereo  Richtung  ein  ganz  neues  Veihalloiss  berver, 
das  zu  einer  Sonderung  des  Pro-  und  Mesopteryginms  aus  dem  Arcfai- 
pterygiam  binfubrt.  Die  ersten  Anfänge  dieses  Verhallens  ergiebt  das 
BauchAosscnskelct;  am  weitesten  ist  es  da  bei  Sqoalina  vM^esdiritten 
und  im  Bnisinosseoskelcl  der  Bocben  erlangt  es  die  höcbsle  Stufe. 

f)  Veränderungen  inderADfUgungderRadien. Siemacben 
sich  dadurch  geltend ,  dass  der  vorderste  Badius  vom  Stamm  abgelöst 
ist  und  direct  mit  dem  GliedmaasseDgUrleJ  sieb  veiitindet.  Im  Skelete 
der  hinteren  Gltedmaassen  ist  diese  Ablösung  in  versduedenui  Stadien 
anzotreffeD.  Rei  Haien  (ScylliuDi,  Fig.  5,  Huslelns,  Fig.  7;  ist  der 
erste  Radius  (Rj  noch  in  Iheilweiser,  aber  sehr  deutlicher  Verbindung 
mit  dem  Flossenslamm ,  oder  die  Verbindung  be-s<'JiräDkl  sich  nqr  auf 
eine  kleine  Stelle  (Galeus,  1  iy.  <t  .  Im.i  di-i,  Ho. 
(Fig.  10)  ganz  geschwundi-n ,  der  itsU'  Küdius  (/fj 
dem  ReckengUrtel.  Diesen  Wi-g  rinden  wir  auch  i 
betreten.  Er  wird  angi'hahnl  durch  die  EntriTniu 
von  der  Andlgestelie  des  Flossen  Stammes,  so  dal 
sehen  beiden  Skeletstticken  zuiu  Scbullergilrlel  J 
der  Brustflosse  der  Rochen  LrelTen  wir  Beispiele^ 
rung  dieser  Radien  bildet  sich  die  sub  e  : 
dos  ersten  Radius  aus,  wobcii  eine  An?-il>l 
dius  sich  anrilgt,  damit  also  wieder  in  n 
AnfUgoslcllcn  der  Radien  sind  also  dioiti l< 
dem  Stamme  des  Archlplerygiums ,  nw  !< 
das  Mclaplerygium  bildet.     Zweitens  Ireilci 


hörige  Bildimg  bescbri.l»m  Ml.    >o  Mr  MrsKuu.. 
gescMohw  wird  sich  .eigeo,  d«8  dies  mil  Unre.-I 


438  G.  6eg«nbaur, 

Auftreten  oeuer,  kürzerer  Radien  zwischen  anderen  bedingt.    Ob  diese 
den  Stamm  nicht  erreichenden  Radien  wirkliohe  Neugebilde  sind,  oder 
Radien,  die  die  Verbindung  mit  dem  Stamme  verloren  und  demnach 
nur  zwischen  andere  Radien   eingeschoben  sind,    muss  noch  offene 
Frage  bleiben.   Am  Ende  der  Rauchflosse  von  Mustelus  (Fig.  7}  findet 
sich  ein  hierher  gehöriges  Reispiel ,  ferner  am  VorderÜieile  derselben 
Flosse  vonScyllium  (Fig.  5),  wo  der  vorderste  Radius  gegen  den  zweiten 
vollständigen  durch  ein  keilförmiges  Einschiebsel  divergirt.     Dieselbe 
Divergenz  ergiebt  sich  auch   für  den  ersten  Radius  von  Torpedo  (Fig. 
\%jR).    Die  Divergenz  dieses  ersten  Radius  (R)  mit  den  übrigen  Radien 
muss  zunehmen  mit  der  Vermehrung  der  auf  ähnliche  Art  hinter  ihm 
auftretenden ,  aber  nicht  zum  Flossenstamm  gelangenden  Radien.  Diese 
werden   dann  an   dem   erwähnten   ersten  Radius  (R)  sich   aufreihen 
müssen  und  damit  den  genannten  Radius  in  andere  Reziehuogen 
bringen.   (Vergl.  oben  S.  419)    Somit  geht  aus  der  allmäblichen  Ablen- 
kung aus  einer  früheren  Richtung  ein  ganis   neues  Verbältmss  hervor, 
das  zu  einer  Sonderung  des  Pro-  und  Mesopterygiums  aus  dem  Archi- 
pterygium  hinführt.    Die  ersten  Anfänge  dieses  Verhaltens  ergiebt  das 
Rauchflossenskelet ;  am  weitesten  ist  es  da  bei  Squatina  vorgeschritten 
und  im  Rnistflossenskelet  der  Rochen  erlangt  es  die  höchste  Stufe. 

f)  Veränderungen  in  der  Anfügung  der  Radien.  Sie  machen 
sich  dadurch  geltend ,  dass  der  vorderste  Radius  vom  Stamm  abgelöst 
ist  und  direct  mit  dem  Gliedmaassengürtel  sich  verbindet.  Im  Skelete 
der  hinteren  Gliedmaassen  ist  diese  Ablösung  in  versdiiedenen  Stadien 
anzutreffen.  Rei  Haien  (Scyllium,  Fig.  5,  Mustelus,  Fig.  7)  ist  der 
erste  Radius  (/?)  noch  in  theilweiser,  aber  sehr  deutlicher  Verbindung 
mit  dem  Flossenstamm ,  oder  die  Verbindung  beschränkt  sich  nur  auf 
eine  kleine  Stelle  (Galeus ,  Fig.  9) .  Unter  den  Rochen  ist  sie  bei  Raja 
(Fig.  4  0)  ganz  geschwunden ,  der  erste  Radius  (R)  articulirt  nur  mit 
dem  Beckengürtel.  Diesen  Weg  finden  wir  auch  von  andern  Radien 
betreten.  Er  wird  angebahnt  durch  die  Entfernung  des  ersten  Radius 
von  der  Anfügesteile  des  Flossenstammes,  so  dass  mehrereRadien  zwi- 
schen beiden  Skeletstücken  zum  Schultergürtel  gelangen  können.  In 
der  Brustflosse  der  Rochen  treffen  wir  Beispiele  hierfür.  Bei  Vermeh- 
rung dieser  Radien  bildet  sich  die  sub  e  aufgeführte  Lageveränderung 
des  ersten  Radius  aus,  wobei  eine  Anzahl  von  Radien  jenem  ersten  Ra- 
dius sich  anfügt,  damit  also  wieder  in  andere  Beziehungen  tritt.  Die 
Anfügesteilen  der  Radien  sind  also  dreierlei.  Endlich  finden  sie  sich  an 
dem  Stamme  des  Archiplerygiums ,  an  jenem  Abschnitte,  der  später 
das  Metapterygium  bildet.    Zweitens  treffen  wir  sie  direct  am  Glied- 


^ 


lieber  das  Skelet  der  Gliedroanssen  der  Wirbeltbiere  im  Allgemeinen  etc.        439 

maassengUrtel ,   das  Mesopierygium  bildend ,    und  endlicb  drittens   an 
einem  zum  Radientrüger  gewordenen  Radius  als  Propterygiuin. 

g)  Verschmelzung  (Concrescenz)  von  Radien  trifiPt  nur  die 
Gliedstttcke  derselben.  Zwei  oder  mehr  parallel  gelagerte  Glieder  ver- 
binden sich  unter  einander  zu  einem  Plattenstück.  Am  häufigsten  sind 
basale  Glieder  in  diesem  Zustande  anzutreffen  und  bilden  dann  nicht 
selten  die  Calsche  Dichotomie  (siehe  sub  c) ,  selten  sind  es  terminale, 
mit  denen  immer  eine  Verschmelzung  der  betreffenden  Basalabschnitte 
vorkommt.  Die  Verwachsung  lässt  häufig  deutliche  Spuren  zurück. 
Wir  erkennen  diese  entweder  in  dem  Verhalten  der  Plattenränder,  oder 
an  der  Oberfläche  der  Platte ,  durch  das  Fortbestehen  des  den  ur- 
sprünglichen Gliedern  zukommenden  Relief  ausgedrückt.  Auch  eine  nur 
theilweise  Concrescenz  ist  zu  beobachten,  z.  R.  am  Mesopterygium  der 
Rnistflosse  von  Scyllium.  Am  häufigsten  findet  sich  die  Concrescenz 
am  Propterygium  der  Rnistflosse  der  Haie. 

Der  wichtigste  Fall  von  Concrescenz  findet  sich  am  Mesopterygium 
der  Rnistflosse.  Rei  den  Rochen  bildet  sich  aus  den  Rasalgliedern  eine 
Anzahl  am  Rrustgürtel  articulirender  Strahlen,  ein  Plattenstück,  (meh- 
rere bei  Myliobatus) ,  welches  auch  bei  Haien ,  aber  mit  Verlust  der 
Verschmeizungsspuren  vorkommt.  Es  wird  zum  Rasale  des  Mesoptery- 
giums  und  erscheint  dem  Rasale  des  Pro-  und  dos  Metapterygiums 
Bssimilirt.  Die  Rildung  sowohl  dieses  meistsehr  ansehnlichen  Rasale,  als 
auch  die  anderer  Plattenstücke ,  kann  mit  den  functionellen  Verhält^ 
nissen  der  Flossen  in  Verbindung  gebracht  werden,  welche  zwei  ander 
Flossenbasis  massivere  Skelettheile  erheischen .  AuchdieConcres- 
cenz  zeigt  sich  innerhalb  der  Art  in  grosser  Variation,  wie 
ich  besonders  bei  Scymnus  fand.  An  den  von  drei  Exemplaren  unter- 
suchten Rrustflossenskeleten  besass  jedes  einige  Abweichungen,  die  in 
einer  Verschmelzung  der  Rasalia  von  Radien  begründet  waren. 

h)  Veränderungen  des  Volums  der  Radien  sind  in  einem 
und  demselben  Flossenskelet ,  vorzüglich  am  vorderen  und  hinteren 
Ende  wahrnehmbar.  Wie  am  vorderen  Flossenrande  meist  eine  Volums- 
zunahme besteht ,  ist  am  hinteren  häufig  eine  Abnahme  wahrnehmbar, 
die  selbst  in  bedeutendere  Rückbildungen  übergeht.  Die  erwähnte  Zu- 
nahme des  Volums  erstreckt  sich  in  der  Rauchflosse  bald  über  alle  Glie- 
der eines  Radius  (z.  R.  bei  Raja) ,  bald  beschränkt  sie  sich  auf  das  Ra- 
salglied (z.  R.  Heptanchus ,  Acanthiasj  ,  wobei  die  folgenden  Glieder 
auch  gänzlich  rückgebildet  sein  können.  Die  bedeutendste  Volumsver- 
grOsserung  wird  dem  vordersten  Radius  mit  seiner  Umwandlung  zu 
einem  Träger  des  Propterygiums  in  der  Rauch-  und  Rrustflosse  von 
Squatina  und  in  der  Rrustflosse  der  Rochen  zu  Theil. 


442  Cl.  Gegenbanr, 

selben  Glieder  mehrerer  Radien  entstanden.  Die  Gleichartigkeit  der 
functionellen  Beziehungen  verwischt  die  Spuren  des  heterogenen  Ur- 
sprungs und  sehr  häufig  ist  bei  Haien  die  Gesammterscheinung  der  drei 
Basalstücke  eine  übereinstimmende. 

Aus  Rüdibildung  des  peripherischen  Theils  des  Flossen^ielets  der 
Sekickier  geht  jenes  derGanoiden  hervor.    Der  im  Metapterygium 
unverändert  bestehende  Rest  des  Arcbipterygiums  ist  noch  cteutlich  er- 
kennbar ^  dabei  sind  einzelne,  dem  Pro-  und  Mesopterygium  bomologe 
Radien  gleichfalls  in  Verbindung  mit  dem  GliedmaassengürteK     Zu- 
weilen ist  die  primitive  Verschiedenheit  des  Archipterygium- Stammes 
und  seiner  Radien  dadurch  ausgedrückt,  dass  ersterer  knorpelig  bleibt, 
indess  letztere  mit  einem  Knochenbelege  sich  bekleiden  (Amia).    Wäh- 
rend bei  den  Gsnoiden  in  der  Aufreihong  von  Radi^  oder  den  Rudi- 
menten derselben  am  Stamm,  der  Zustand  der  Grundform  noch  kenni- 
lieh  war ,  ist  bei  den  Teleostiem  eine  weitere  Rückbildung  eingetreten. 
Bei  Manchen  erhält  sich  noch  die  Verbindung  des  primitiven  Flossen- 
stammes mit  Strahlen  (Siluroiden) ,   aber  auch  da  sind  ursprüngliche 
Strahlen  dem  Basale  jenes  rückgebildeten  Stammes  assimiUrt,  und  nur 
die  Vergleichung  mit  dem  bezüglichen  Skelete  der  Ganoiden  lässt  die 
Beziehung  erkennen ,   welche  bis  zu  den  Selackiem  hinabreiciifl.    Bei 
den  meisten  Teleostiem  ist  die  Assimilirung  desFlossenstammresles  mU 
rudimentären  nur  durch  ein  Gliedstück  repräsentirten  Radien  eine  voll- 
ständige  geworden,  und  das  reiche  Gliedmaassenskelet  der  Selachier  ist 
bis  auf  einige  (4—5)  unansehnliche,  dem  Gliedmaassengttrtel  verbun- 
dene Rnochenstücke  verschwunden. 

Das  aus  dem  Integumente  hervorgegangene  secundäre  Flossenskelet 
compensirt  das  rückgebildete  des  ausdem  Archipterygium  entstandenen 
primären  ,  und  lässt  die  modificirten  Reste  des  letztern  nur  als  Stiltzen 
erscheinen,  die  es  zugleich  dem  Gliedmaassengttrtel  verbinden. 

In  der  vorgeführten  Abtheilung  der  Wirbelthiere  erschien  das 
Archipterygium  durch  zahlreiche  Radien  ausgezeichnet.  Bei  Lepi- 
dosiren  sind  sie  zahlreicher  als  bei  den  meisten  Selachiem ,  wo  wieder 
die  Haie  gegen  die  Rochen  zurückstehen.  Im  Allgemeinen  ist  das  Skelet 
der  Vordergliedmaassen  reicher  an  Radien ,  als  jenes  der  hinteren  Ex- 
tremität ,  auch  bei  Chimären ,  bei  welchen  gegen  dreizehn  Radien  die 
niederste  Zahl  bilden. 

Ausser  dieser  Vielzahl  von  Radien  und  der  bei  Selachiern  und  Chi- 
mären ausgeprägten  Erscheinung  der  Ablösung  von  Radien  vom  Stamm* 
des  Archipterygiums  ist  das  Variable  der  Radienzahl  eine  Eigentbüm- 
Hchkeit  jener  Abtheilung.  Darin  drückt  sich  der  niedere  Zustand 
der  gesammten  Skeletbildung   der  Gliodmaassen  aus.    Es  ist  eine  In- 


Deber  das  Skelet  der  Gliedmiiasseii  der  Wirbeltbiere  im  Allgemeinen  etc.        443 

differenz  in  der  Zahl,  welche  auch  noch  innerhalb  der  Species  ihre 
Geltung  hat. 

Diesem  aus  dem  vielstrahligen  Ardiipterygium  gebildeten  Verhalten 
stellt  sich  das  Güedmaassenskelet  der  höheren  Wirbeltbiere  gegenüber. 
Die  in  der  Zahl  beschränkten  Radien  treten  niemals  zum  Gliedmaassen- 
gtlrtel ,  so  dass  der  Stamm  des  Archipterygiums  jene  Verbindung  aus- 
schliesslich vermittelt,  er  wird  mit  seinem  Basalsttlcke  an  den  Vorder- 
gliedmaassen  zum  Humerus ,  an  den  hinteren  zum  Femur. 

Der  folgende  Theil  des  Stammes  gliedert  sich  in  eine  Anzahl  von 
Knochensttlcken ,  von  denen  die  dem  Basalsttlck  (Humerus ,  Femur) 
folgenden  Radien  tragen,  indess  der  erste  schon  an  dem  Basalstück 
sitzt.  Die  Art  der  Gliederung  der  Radien  und  des  Stammes  des  Archi- 
pterygiums ist  eine  mannichfach  verschiedene.  Bei  Ichthyosaurus  sind 
die  Gliedst&cke  beider  Theile  gleichartig  und  dabei  in  grosser  Zahl  vor- 
handen. Die  Anzahl  der  Radien  seh  wankt  noch,  scheint  aber  sechs  oder 
sieben  nicht  zu  übersteigen. 

Die  übrigen  Wirbelthiere  lassen  neben  der  Stammreihe  nur  noch 
vier  Strahlen  unterscheiden,  mit  meist  unansehnlichen  Resten  efnes 
fünften.  Die  Stücke  der  Stammreihe  wie  der  einzelnen  Radien  sondern 
sich  nach  mehreren  aufeinander  folgenden  Abschnitten,  in  denen  die 
einzelnen  Gliedstücke  eine  mehr  oder  minder  gleichartige  Differenzimng 
nehmen.  Diese  transversalen  Abschnitte  sind  dem  Basale  des  Archipte- 
rygiums angefügt,  und  die  Bedeutung  der  aus  dem  Stamme  des  letztern 
hervorgegangenen  Skeletstücke  der  Gliedmaassen  bewahren  nur  in  we- 
nigen, namentlich  dem  terminalen  Ende  angehörigen  Eigenthttmlich- 
keiten  die  Spuren  der  ursprünglichen  Verschiedenheit.  Die  auf  den 
Humerus  folgenden  Abschnitte  sind :  Vorderarm  mit  Radius  und  Ulna, 
dann  Carpus  und  darauf  Metacarpus  mit  den  Gliedstücken,  welche  den 
Fingern  zu  Grunde  liegen.  Der  erste  Finger  (Daumen)  ist  das  Stamm- 
ende des  Archipterygiums ,  durch  die  Radiaiseite  des  Armskelets  er- 
streckt sich  diese  Stammreihe  zum  Basale ,  dem  Humerus. 

In  den  Hintergliedmaassen  ist  die  transversale  Differenzirung  eine 
^  homodyname.  Auf  das  Femur  folgt  das  Skelet  des  Unterschenkels, 
Tibia  und  Fibula;  diesem  folgt  der  Tai*sus,  welchem  wieder  mittelst 
des  Metatarsus  die  Enden  der  Radien  und  des  Stammes  des  Archiptery- 
giums ansitzen.  Das  Skelet  der  grossen  Zehe  ist  das  Ende  der  Stamm- 
reihe ,  welche  durch  die  tibiale  Reihe  der  Knochen  des  Fussskelets  zum 
Femur  lüuft. 

Die  Skelelthoile  der  einzelnen  Abschnitte  bieten  in  ihren  Formen 
bestimmtere  Verhältnisse.  Die  beiden  proximalen  Abschnitte  jeder  Glied- 
maasse  (Humerus,    Femur,   Radius,   UIna,    Tibia,  Fibula)   bestehen 


*       <F 


444  ,  C.  Gegeubaiir, 


aujs  längeren  Stücken.  Im  Carpus  und  Tarsus  bleiben  die  Gliedstücke 
in  den  niederen  Abtheilungen  in  mehr  indifferentem  Zustande  und 
stellen  kurze  Knorpel-  oder  Knochenplatten  vor.  Dagegen  ist  Mittel- 
hand undMittelfuss  wieder  durch  längere  Knochen  repräsentirt,  welche 
Formen  in  ähnlicher  Weise  in  den  Phalangen  der  Finger  und  Zehen  wie^ 
derkehren. 

Diese  Erscheinung  der  Bildung  transversaler  Gliedmaassenalx- 
schnitte  kann  als  }>Umgliederungtt  bezeichnet  werden.  Aus  dem 
Zustande  der  primitiven  Indifferenz  gehen  neue  Abschnitte  hervor ,  in 
welchen  ungleichartige  Theile  (Radien  und  Theile  des  Stammes)  in  an- 
scheinend gleichartige  Theile  umgewandelt  sind.  Die  Umgliederung  ist 
zugleich  eine  Differenzirung  in  neuer  Richtung.  Den  differenten  Ab- 
schnitten kommen  neue  Verrichtungen  zu.  Das  Wesentlichste  spricht 
sich  in  der  Auflösung  des  in  der  Flosse  repräsentirten  Hebelarmes  aus, 
der  zu  einem  Systeme  von  Hebeln  sich  umgestaltet,  in  demselben 
Maasse,  als  zwischen  jenen  einzelnen  Abschnitten  Gelenkbildungen 
stattfinden.  Aus  der  einfachem  Leistung  geht  somit  eine  Summe  ver- 
schiedener Leistungen  hervor. 

Während  die  Skelettheile  des  Oberarms  und  Oberschenkels ,  des 
Vorderarms  und  Unterschenkels  im  Allgemeinen  übereinstimmende  Ver- 
hältnisse darbieten ,  findet  eine  bedeutendere  Divergenz  bezüglich  des 
Carpus  und  Tarsus  statt.  Eine  geringe  Anzahl  (0)  von  Skelettheilen  er- 
scheint in  der  einfachen  Plattenform  als  Carpus  und  Tarsus  von  Ple- 
siosaurus,  alle  übrigen  Wirbelthiere  besitzen  die  Grundform  dieses 
Skelütabschnittes  aus  zehn  Carpus-  und  Tarsusknochen  zusammenge- 
setzt. (Bezüglich  der  Plesiosauren  siehe  diesen  Band,  S.  332.)  Dazu 
kommt  noch  als  elftos  Stück  das  dem  ulnaren  Carpusrande  angehörige 
Pisiforme,  als  Rest  eines  bei  Plesiosaurus  noch  durch  mehrere  Stücke 
repräsentirten  Strahls. 

Die  Grundform  des  aus  zehn  Stücken  bestehenden  Mittelabschnittes 
der  Gliedmaassen  (decamerer  Carpus  und  Tarsus)  bleibt  nur  ganz  sel- 
ten unverändert  bestehen.  Die  für  die  einzelnen  Abtheilungen  meisl 
charakteristischen  Veränderungen  sind  immer  Reductionen  jener  Zahl. 
Diese  gehen  theils  durch  Concrescenz  von  zwei  und  mehr  Stücken, 
theils  durch  Rückbildung  einzelner  oder  mehrerer  Stücke  hervor.  Das 
letztere  Verhältniss  sondert  sich  wieder  nach  mehreren  Richtungen ,  je 
nachdem  die  Rückbildung  von  einem  Schwinden  des  Strahlenendes 
(Fingers  oder  Zehe)  begleitet  ist  oder  nicht.  Der  erstere  Fall  ist  aber 
als  Rückbildung  und  Schwinden  eines  grösseren  Strahlabschnittes  auf- 
zufassen. Der  letztere  Fall  dagegen  kommt  vielmehr  auf  Rechnung  einer 
localen,  meist  in  den  Gelenkverhältnissen  sich  äussernden  Verände- 


lieber  das  Skelet  der  Gliedmaassen  der  Wirbeltbiere  im  allgemeinen  etc.         445 

rung.  Die  einzelnen,  Amphibien,  Reptilien,  Vögel  und  Säugethiere  be- 
treffenden  Einrichtungen  und  Modificationen  von  Carpus  und  Tarsus 
habe  ich  schon  vor  längerer  Zeit  in  ihrem  Zusammenhange  verständlich 
zu  machen  gesucht.  (Untersuchungen  zur  vergleich.  Anatomie  derWir- 
belthiere  1.),  womit  die  Anknüpfung  aüt^'iler  different^sten  Formen  an 
das  Archipterygium ,  oder  vielmehr  die  Ableitung  von  demselben  sich 
leicht  ergiebt. 

Bei  den  Amphibien  zeigt  sich  das  Skelet  der  Vorderglied maassen 
unter  den  Urodelen  am  wenigsten  umgestaltet.  Nur  das  Ende  der 
Stammreihe  ist  verkümmert  oder  fehlt ,  so  dass  die  vier  vorhandenen 
Finger  nur  den  vier  Radien  entsprechen.  Die  beiden  Gentralia  sind  nur 
durch  ein  Knorpelstück  vertreten.  Concrescenz  einzelner  Stücke  des 
Carpus  ist  sowohl  bei  Urodelen ,  als  auch  bei  Anuret) ,  und  zwar  bei 
diesen  in  höherem  Maasse  vorhanden.  Ob  ^solche  Verwachsungen  auch 
in  dem  schwer  verständlichen  Carpus  von  Proteus  und  Siren  vorliegen, 
ist  zweifelhaft,  und  es  darf  für  diese  die  Möglichkeit  der  Abstammung 
von  anderen  Formen  als  jene  mit  decamerem  Carpus  nicht  ganz  aus- 
geschlossen werden.  Bezüglich  der  Hintergliedmaassen  sind  die  Uro- 
delen wiederum  die  niederst  stehenden.  Bei  Cryptobranchus  ist  jene 
Tarsusform  ganz  unverändert;  bei  anderen  ist  in  dem  Vorkommen  eines 
einzigen  Centrale  die  bedeutendste  Modification  gegeben.  Das  meist 
fünffingrige  Gliedmaassenende  stimmt  darin  mit  jenem  der  Anuren 
überein  ]  bei  d^nen  der  Tarsus  wieder  bedeutend  umgewandelt  ist. 
Da  der  Befund  dieses  Tarsus  nicht  sogleich  aus  der  decameren  Form 
sich  ableiten  ISIsst,  könnte  man  hier  wieder  die  Beziehung  auf  diese 
Form  in  Frage  stellen,  und  dies  um  so  mehr  als  am  tiblalen  Tarsus- 
rande  noch  Skelettheile  vorkommen,  welche  eine  Hexadactylie  anzu- 
deuten scheinen ,  utid  auch  In  der  That  so  aufgefasst  worden  sind. 
Wenn  man  hier  nicht  auf  das  klarere  Verhalten  der  Urodelen  Gewicht 
legen  will,  so  wird  man  doch  die  Vordergliedmaassen  der  Anuren  in 
Betracht  ziehen  dürfen,  in  weichet)  die  Verhältnisse  der  Grundform  noch 
deutlich  zu  erkennen  sind.  Da  nun  dieBildung  desSkölets  an  beiderlei 
Gliedmaassen  bezüglich  der  fundamentalen  Einrichtungen  eine  allge- 
mein tibereinstimmende  ist  (wie  aus  zahlreichen  Thatsachen  zu  er- 
sehen) ,  so  ergiebt  sich  daraus  die  Folgerung,  dass  auch  der  Hinter- 
gliedmaasse  der  Anuren  kein  Von  der  vorderen  wesentlich  verschiedener 
Zustand  %n  Grunde  liegen  wird.  Jene  fraglichen  Skelettbeile  können 
daher  für  jetzt  nur  als  accessorische  Bildungen  gellen. 

Für  die  Reptilien  ist  die  Abstammung  des  Gliedmaassenskelets 
von  der  bei  den  Amphibien  wallenden  Grundfonii  in  hohem  Grade  evi- 
dent.   Die  Vordergliedmaassen  det*  Schildkröten  bieten  den  Amphibien- 

Bd.  V.  4.  80 


446  .  f'-  GeK^nbuiir, 

Carpus  unveiündcrt,  und  nilluTn  sirh  sop.ir  nodi  nifhrder  Grundform, 
da  in  der  Zahl  ili^r  Fint;er  keine  Reiluclion  Pinl/.  ^lifl".  Giilssi'iv  Veriin- 
dei-ungen  sind  dagegen  bei  den  Eidech.sen  aufgetrefen.  Ein  bei  den 
Sf^hildk ritten  vorhandenes  CarpusstUck  (Inlermediuiii)  ist  nicht  mehr 
discrel  vorhanden.  Noch  bedeutender  ist  dieModißcation  beidenCroco- 
dilen,  von  denen  aus  VerknUpfun^jen  mit  dem  Ärmskelet  der  Vögel 
nachzuvkoisen  sind.  Auch  beittlglich  der  Hinlergliedmaasse  ei^iebt  sich 
die  Dißeii'naimng  in  derselben  Folge,  wenn  auch  die  Bicbtung  dieser 
Erscheinung  von  jener  an  der  Vordei^liedmaasse  eine  ganz  verschie- 
dene, eine  divergente  ist.  Die  Schildkröten  lassen  die  Verknüpfung  mit 
der  Grundform  am  deutlichsten  erkennen.  Bei  ihnen  sind  aber  im  Tar- 
sus bereits  Einrichtungen  angedeutet,  die  bei  Eidechsen  weiter  enl- 
wickell  und  bei  VOgeln  noch  einseitiger  ausgeprägt  sind,  indess  die 
Crocodile  im  Tarsusbau  zwar  eine  nahe  Verwandtschaft  mit  den 
Eidechsen  offenbaren  ,  aber  durch  Manches  ausserhalb  der  zu  den 
VHgeln  führenden  Reihe  sich  stellen. 

Da  es  nicht  schwer  ist,  auch  für  die  Säugelhiere  die  Ableitung 
des  Gliedmaassenskelets  von  der  erwühnlf^n,  mit  decamerem  Carpus 
oder  Tarsus  versehenen  Grundform  vorzunehmen,  so  sind  die  liier  vor- 
handenen Einrichtungen  gleichfalls  als  Differenz irungen  des  Archiptery- 
giums  anzusehen.  An  beiden  Gliedmaassen  sind  die  als  Carpus  und 
Tarsus  erscheinenden  Abschnitte,  wenn  auch  in  mancher  BeziehuD|i 
reptilienartig  differenzirt ,  doch  vollständiger  als  bei  den  Beptillen  (den 
Carpns  der  Schildkröttm  ausgenommen),  so  dass  die  Anknüpfungs- 
punkte erst  unterhalb  dieser  Abtheilung  zu  suchen  sind.  Das  selbsl- 
sljindige  Fortbestehen  eines  Centrale,  welches  im  Tarsus  der  Säugi-- 
ihiere  als  Naviculare  allgemein,  im  Carpus  dagegen  nur  in  einzelnen 
Ahtheiiungen,  und  auch  da  nur  bei  kleineren  Gruppen  vorkommt, 
bielel  eine  wichtige  Verschiedenheit  vom  Gliedmaassenbaue  der 
Reptilien. 

Innerhalb  der  bedeutenderen,  für  jede  grössere  Abtheilung  der 
höheren  Wirhelthiere  geltenden  Modificalionen  besteben  dann  noch  zahl- 
reiche, hier  nicht  näher  zu  würdigende  llmllnderungen ,  theils  Ausbil- 
dungen einzelner  Theile  nach  bestimmten,  den  verschieden  artigsten 
Anpassungen  entsprechenden  Richtungen,  theils  Iteductionen  kleinerer 
oder  grösserer  Abschnitte,  die  zum  gänzlichen  Schwinden'  der  Glied- 
maassen selbst  führen  können.  Sie  sind  uns  hier  nur  untergeordnete 
Verhältnisse,  weil  sie  selbst  in  ihrem  ausgesprochenen  Befunde  nur  ge- 
ringe Abweichungen  des  im  Gliedmaassenbau  der  betreffenden  grösseren 
Ahlheilung  ersichtlichen  Typus  darbieten. 

Daher  betrachte  ich  die  mannichfachen  Gelenkcoostructionen,  die 


lieber  das  Skelet  der  Gliedmaassen  der  Wirbeltbiere  im  Allgemeinen  ete.        447 

zahllosen  Reductionen  der  Finger  und  Zehen ,  wie  ihrer  einzelnen 
Gliedstttcke,  Verschmelzungen  und  Yolumsmodificationen  u.  s.  w.  als 
abseits  von  der  Aufgabe  liegend ,  die  ich  mir  stellte  und  die  wesentlich 
auf  den  Nachweis  der  in  den  grossen  Abtheilungen  der  Wirbelthiere 
hen*schenden  typischen  Organisation  des  Gliedmaassenskelets  und  auf 
die  Ableitung  dieser  mannichfaltigen  Zustände  von  einer  gemeinsamen 
Stammform  gerichtet  war. 

Die  bedeutendsten  Modificationen  dieser  im  Archipterygium  ge- 
fundenen Stammform  stelle  ich  schliesslich  in  folgender  Uebersicht  zu- 
sammen : 

I.  Archipterygium  mit  inconstanter  Badlenzahl 

(Polyactlnote  Form). 

4.  Stamm- und  Radienglieder  ungleichartig  differenzirt 
a)  unverändert  b)  verändert 

DlPNOI 

durch  Concre sc enz        und  aufgelöst  durch  Ab- 
vonRadien  lösung  und  Verbindung 

Chihära  (h.  Extr.j  von  Radien  mit  dem 

Gliedmaassengürtel 

Ghihära  (vord.  Extr.) 

Selaghier 

mit  peripherischer   Re- 

duction 

GaN  OIDBN 

Teleostibr 
^.  Stamm-  und  Radienglieder  gleichartig  differenzirt 

Ichthyosaurus 

IL  Archipterygium  mit  constanter  Badienzahl 

(Tetractinote  Form). 

Transversale  Differenzirung  in  einzelne  constante  Abschnitte 

/        \ 

4.  Hexamere  Grundform  des     2.  Decamere  Grundform  des 
Carpus  und  Tarsus  Ca rpus  und  Tarsus 

Plbsiosaurus  Amphibien 

•    Reptilieii,  Vögel 
Säugsthiere 
Jena,  November  4  869. 

80* 


lieber  <iie  NodiicatioMCN  des  Skelets  der  Hinte^icdMaasseH 
bei  itm  NäBBchea  der  Selachier  nad  ChinäreB. 

Von 

C.  Oegenbaur. 


HiezuFig.  1S-S4  auTTarel  XVI, 

In  der  vorhergehenden  Darstellung  habe  ich  einen  Theil  des  Ske- 
lets  der  Hinterglied  maasse,  def  ein  eigen  thUinliches  Anpassungsverbält- 
niss  eingeht,  nur  ganz  in  der  Kürze  beillhrt,  es  ist  dies  der  letzte  Ab- 
schnitt des  Flossensljtmmes,  der  bei  den  Männchen  der  Selachier 
wie  der  Chimären  zu  einer  Art  von  Begattungsorgan  verwendet  wird. 
Obgleich  diese  Organe  langst  bekannt  und  Ihr  Skeiet  schon  von  Cutieb 
als  eine  Modificatlon  des  Flossenskelets  gedeutet  ist,  bleibt  doch  noch 
vieles  zu  ermitteln.  Von  dem  ganzen  in  einKelnen  Abtheilungen  sehr 
complicirten  Apparat,  der  auch  in  seiner  Function  viel  Räthsethaftes 
darbietet,  sollen  hier  die  Skeietverhültnisse  bei  einigen  Gattungen  dar- 
gelegt  werden.  Die  einfachsten  Verhilltnisse  bietet  Scyllium.  Das 
zweite  und  letzte  Glied  der  Stamoireihe  ist  hier  bei  den  Männchen  um 
bedeutendes  grösser  als  hei  den  Weibchen  und  wird  von  einem  cylin— 
drischen ,  an  beiden  Enden  etwas  verjüngten  Knorpel  vorgestellt ,  der 
zugleich  durch  etwas  weichere  Beschaffenheit  sich  auszeichnet.  Bei 
Scyllium  canicula  ist  der  Knorpel  (Fig.  5,  b)  fast  ums  Doppelte  grösser, 
als  bei  Scyllium  catulus  (Fig.  6,  b] ,  womit  auch  die  Ausdehnung  des 
Organs,  dem  er  eine  Stütze  abgiebt,  in  Einklang  steht.  An  der  media- 
len Fläche  des  von  diesem  Knorpel  durchzogenen  Anhangs  findet  sich 
ein  Langsschlilz  oder  eine  Furche,  welche  in  einen  hinter  dem  Anhang 
beginnenden ,    schon  von  J.  Davv  ')  bei  Sc.  Edwardsii  beschriebenen, 


1{  Researcbea,  Physiological  and  Analomical.  London  f839.  vol.  II.  S.  1S9. 
—  Von  Haja  sind  gleichfalls  nur  die  Weichtheile  der  rraglichen  Organe  genauer 
beschrieben. 


lieber  die  Modifieationen  des  Skelets  der  HiutergUcdmaassen  etc.  449 

blind  geschlosseneD  Sack  führt.  Derselbe  tritt  zwischen  dem  Anhang 
und  dem  letzten  Radius  der  Flosse  auf  die  Ventraliläche  der  letzteren, 
auf  der  er  sich  nach  vorne  zu  erstreckt. 

Carch'arias  (C.  glaucus)  schliesst  sich  bezüglich  des  Skelets  enge 
an  die  Scyllien  an.  Der  erwähnte  Knorpel  trißl  an  Gestalt  und  Umfang 
mit  jenem  von  Sc.  catulus  überein  (Fig.  9,  b) . 

An  diese  einfacheren  Zustände,  in  denen  der  bezüfi;liche  Skelettheii 
der  Männchen  nur  durch  sein  Volum  von  dem  homologen  der  Weibchen 
(Vergl.Fig.  4,5,6)  sich  unterscheidet,  reiht  sich  ein  anderer,  bei* welchen 
die  sexuelle  Differenzirung  weiter  gediehen  ist.  Ich  finde  diesen  bei 
Raja  repräsentirl,  und  zwar  in  einer  Weise,  welche  mit  den  mir  be- 
kannten bisherigen  Darstellungen  dieser  Theile  in  Widerspruch  steht. 
Nach  CcvMR^j  wird  der  Genitalanhang  der  Bauchflosse  mit  demFlossen- 
skelet  durch  einen  Knorpel  verbunden,  der  wie  eine  Art  von  Astragalus 
erscheint ,  und  an  seiner  Seite  einen  ovalen ,  am  unteren  Rande  zuge- 
schärften Knorpel  trägt.  Cuvibr  hat  diesen  als  Calcaneum  bezeichnet. 
Dieses  Calcaneum  articulirt  nach  hinten  mit  einem  anderen  Hauptstücke 
des  Skelets,  welches  Metatarsus  benannt  wird,  und  aus  der  Verschmel- 
zung anderer  hervorgegangen  sein  soll.  Dann  kommen  noch  sieben  ver- 
schieden gestaltete  Stücke,  die  alle  zur  Zusammensetzung  des  Anhangs- 
skelets  beitragen.  Die  CuviER'sche  Darstellung  scheint  für  die  meisten 
späteren  Beschreibungen  die  Grundlage  abgegeben  zu  haben.  Stannius  ^) 
sagt  im  Allgemeinen ,  dass  die  Stütze  des  Organs  durch  zahlreiche 
Knochen-  und  Knorpelstücke  gebildet  werde,  welche  zum  Theil  blattartig 
eingerollt,  auch  eine  kurze  Strecke  weit  durch  laxe  Hautbrücken  ver- 
bunden seien.  Die  Zahl  der  einzelnen  Stücke  wird  bei  Raja  auf  i  3  an- 
gegeben. Von  dieser  ganzen  Complication  (man  vergleiche  die  bezüg- 
lichen Originalstellen)  kann  ich  gar  nichts  finden,  sodass  ich  vermuthen 
inuss,  dass  die  Beschreibung  von  trockenen  und  damit  sehr  veränder- 
ten Skeleten  entnommen  ward. 

DiMn  Basale  des  Flossenstammes  folgt  ein  kürzeres,  eigenthümlich 


r  Legons  d'anatomie  compar^e.   S^c.  Edit.  I,  p.  573  und  VIII,  p.  805. 

2)  Handbuch  der  Anat.  der  Wirbolthiere,  zweite  Aufl.  Fische.  S.  94  und  S.  278. 
Die  Angabo  von  13  Knorpelstücken  bei  Raja  scheint  Mater  (Fror.  N.  Not.  Nr.  876) 
entnommen  zu  sein  ,  dessen  Aufsatz  von  Stannius  als  Beschreibungen  der  fraglichen 
Anhänge  enthaltend  citirt  ist.  Diese  Beschreibung  ist  aber  nur  eine  Reproduction 
der  CuvicR'schen.  Dabei  scheint  ein  eigenthümliches  Missverständntss  sich  einge- 
schlichen zu  haben.  Cuvier  giebt  nttmlicb  beim  Geschlechtsapparat  noch  einmal 
den  Bau  des  FlossenskeleU  (VIÜ,  p.  806),  von  welchem  er  die  als  Femur  und  Ttbia 
benannten  Stücke  namentlich  aufführt.  Ztthlt  man  diese  zu  den  von  Cüvier  einzeln 
beschriebenen  Skelettheilen  des  fraglichen  Apparates ,  so  erhält  man  4  3  Stücke. 


450  (^-  (>eKeiil)aiir, 

gekrümmtes  SlUck  [Fig.  21,  b] ,  welches  noch  Radien  Irügl,  ausserdem 
aber  einen  langfin,  selbst  die  lilngslcn  Radien  weil  tihertreflenden  cy— 
lindrischen  Knorpcislab,  den  ich  in  dioi  Abtheilungen  (ft'  6"  6"')  ge- 
gliedert finde.  Dieser  Abschnitt  bildet  die  Stutze  ansehnlicher  Weich- 
iheile.  Er  ist  nicht  schwer  von  einer  Verlängerung  des  Flossenslam  nies 
iiblcitbar,  und  ist  gegen  die  vorerwähnte  einfachere  Form  wesenüieh 
nur  durch  die  aufgetretene  Gliederung  bifher  difierenzirt. 

Diese  Verlängerung  der  Slammreihe  ist  die  ganze  ModilicalioD  des 
BauchUossenskelels  der  Männchen.  An  den  Radien  habe  ich  keine  hf- 
sonderen  Abweichungen  getrofTen.  Sic  haben  auch  gar  keine  direclin 
Beziehungen  zu  dem  Fraglichen  Anhange,  mit  dem  sie  nur  dadurch  in 
Verbindung  stehen,  dass  die,  die  bekannte  DrUso  borgende  Tasche  der 
untern  [ventralen)  Flüche  der  letzten  Radien  auflagert.  Dieselbe  tritt, 
wie  oben  bei  Scyiliuni  ci-wühnl,  mit  einer  medialen  schlitzförmigen 
Oeffnung  beginnend,  zwischen  dem  letzten  Radius  und  dem  langen 
Knorpelstabü  des  Stammes  auf  die  ventrale  Flüche  tlher. 

So  ist  also  an  dem  Skelet  dieses  Apparates  bei  Raja  wederein  rin- 
nenförmiger  Knorpel  vorhanden,  noch  bestehen  eiugerolKe  Lamellen, 
und  das  ganze  Organ  enthält  nichts,  was  es  als  azan  gen  artiges»  bezeich- 
nen lassen  könnte.  •) 

Eine  dritte  Form  finde  ieli  bei  Acanthias  und  Helerodontus. 
Sie  ist  die  complicirlesl«,  wie  auch  die  Flossenanhünge  selbst  eine  be- 
deutendere Ausdehnung  besitzen.  Das  Basale  des  Flossen  stamm  es  ist 
ebenfalls  hier  der  Trager  des  Stützapparates.  Bei  Heterodontus  nimnil 
übrigens  auch  der  letzte  Radius  [Fig.  IS,  19,  r)  desFlossenskeletsTheil 
an  dem  Apparate.  Kr  ist  durch  ein  KnorpcIslUck  vorgestellt,  welches 
zwar,  wie  die  vorhergehenden,  ungegliedert  ist,  aber  durch  seine  be- 
deutende Grösse  und  divei^irende  Richtung  sich  von  ihnen  unterschei- 
det. Bei  Acanthias  dagegen  ist  der  letzte,  theilweise  dem  Basale  des 
Stammes  ansitzende  Strahl  der  kleinste  von  allen.  Auf  das  Basale  folgen 
bei  Heterodontus  zwei,  von  vorn  gesehen  gleichgrosse  Stücke  (Fig.  18, 
ß,  ß') ,  von  denen  das  vordere  lateral  (Fig.  1!))  verschmälert,  das  hin- 
tere dagegen  in  demselben  Maasse  höher  ist.  Ich  will  sie  als  Zwischen- 
glieder bezeichnen.  Sie  tragen  hinten  [dorsal]  einen  gleichfalls  dem 
Basale  verbundenen  Knorpel  {b) ,  der,  mildern  zweiten  Zwischenglied 

1)  Die  Angaben  Ciivied'ii,  welche  Raja  rulius  C.  bttrelTcn,  forderten  mich  auf. 
eine  i^rässera  AdzhIiI  niännliclier  Rajae  in  Unlersucliung  zu  nehmen,  Es  waren 
fleren  seuhs  Exemplare,  sanimllich  in  Weingeist  nufbewahrt.  Kiinf  dBVon  pehorli-rt 
den  Arieu  H.  clavala,  R.  hatis  und  R.  Schulzii  an.  In  ülJeinWesenÜichen  slimmleii 
r^ic  übercin ,  dti  tlie  Dinureiizc.>ri  nur  dii;  Lä\tpy  und  [Jicko  der  einzelnen  KnorpeJ- 
sliii:liu  he  Im  feil. 


lieber  die  Modilicationeii  des  Skelets  der  HiutergliedmaHSseii  etc.  451 

gemeinsam  das  HauptstUck  (b^^)  des  gesammten  Skeletcomplexes  an 
sich  angefügt  hat.  Ein  ähnliches  Verhalten  ist  auch  bei  Acanthias  zu 
erkennen,  nur  werden  die  beiden  ZwischcngliedstUcke  durch  ein  ein- 
ziges (Fig.  15,  16,  ß)  repräsentirt.  Wenn  wir  diese  Theile  von  einer 
Gliederung  des  Flossenstammes  ableiten  wollen,  so  gerathen  wir  durch 
das  Schaltstück  (6)  in  einige  Verlegenheit,  da  es  etwas  der  gewöhn- 
lichen transversalen  Gliederung  dieser  Theile  fremdes  ist.  Dass  es  aber 
dennoch  dem  Stamme  angehört,  halte  ich  für  sehr  wahrscheinlich.  Ich 
glaube  sogar,  dass  dieses  Verhalten  auf  ein  bei  Squalina  (Fig.  I,  ß) 
vorhandenes,  auch  bei  Carcharias  (Fig.  10,  ß)  noch  erkennbares  Knor- 
pelstückchen bezogen  werden  kann,  welches  bei  diesen  zwischen  dem 
Ende  des  Basale  und  dem  ersten  Gliede  derSlammreihe  von  der  radien- 
Iragenden  Seite  her  eingeschaltet  ist.  Da  nun  bei  Acanthias  das  Zwi- 
schenstück (6)  noch  einen  Radius  trägt ,  der  sogar  stärker  ist  als  der 
vorhergehende,  so  wird  das  Zwischenstück  als  der  Radialseite  des 
Flossenstammes  zugehörig  gelten  müssen ,  und  wird  dem  von  Squatina 
und  Carcharias  oben  erwähnten  homolog  sein ,  oder  den  beiden  Zwi- 
schenstücken (fe,  b]  von  Ileterodontus.  Das  Schaltstück  sehe  ich  dem- 
gemäss  als  die  eigentliche  Fortsetzung  des  Flossenslammes  an,  an  dem 
sich  an  der  radientragenden  Seite  ein  oder  zwei  Knorpelslücke,  die  im 
Gliedmaassenskelete  anderer  Selachier  (Weibchen  von  Carcharias  und 
Squatina}  angedeutet  sind,  dißcrenzirt  haben. 

Der  ansehnlichste  Theil  des  Apparates  wird  von  einem  Knorpel- 
slabe repräsentirt,  (Fig.  15,  16,  18,  19  6*)  welcher  an  Länge  dem  Ba- 
sale gleichkommt,  oder  es  sogar  (bei  Heterodontus)  übertrifft.  Bei  Ile- 
terodontus kommt  diesem  Stücke  durch  eine  dicke,  verkalkte  Rinden- 
schichte  eine  grosse  Festigkeil  zu.  Es  ist  von  beiden  Seitenflächen  her 
etwas  comprimirt  und  bietet  auf  der  lateralen  Fläche  eine  Längsrinne 
dar,  die  bis  in  eine  von  den  vorhin  beschriebenen  kleineren  Knorpel- 
stUcken  gebildete  Vertiefung  verfolgt  werden  kann.  (Vergl.  Fig.  19). 
Am  oberen  Theile  des  HauptstUckes  ist  die  Rinne  fast  verstrichen,  unten 
dagegen  ist  sie  beträchtlich  tief  und  wird  von  einem  Fortsatze  (a)  über- 
ragt, der  vom  vorderen ,  resp.  untern  Rande  des  Hauptknorpels  aus- 
geht und  lateral  und  aufwärts  (die  Flosse  in  natürlicher  Lage  gedacht) 
gerichtet  ist.  Bei  Acanthias  ist  dieselbe  Rinne  vorhanden,  beginnt  aber 
erst  an  der  untern  Hälfte  des  Hauptstückes.  Der  sie  unten  bedeckende 
Fortsatz  (Fig.  15,  16  a)  ist  bedeutender  aufwärts  gebogen,  so  dass 
zwischen  ihm  und  dem  entgegengesetzten  Rande  der  Rinne  nur  eine 
schmale  Spalte  bleibt.  Diesem  Forlsatze  sitzt  ein  beweglicher  Stachel 
an,  der  bei  Heterodontus  (Fig.  18  «*)  kurz,  länger  dagegen  bei  Acan- 
thias ist,    wo  er  eine  säbelförmige  Krümmung   zeigt.     Neben  diesem 


452  C.  Gej^Biibnur,  ^^^ 

Stachel  findet  sich   noch  eine  Anzahl  anderer  Fortsätze,  welche  vooi 
Ende  dos  Haiiplstückes  ausgeben  und  ciue  in   beiden  Geltungen  ver- 
schiedene DifTeieiizirung  besiUL'n.     Bei  Helerodonlus  folgt  uniniUelbar 
auf  den  Stachel  ein  beweglicher  Fortsatz  (e) ,   der  bei  Acanlbias   einen 
KnocbeobeleE;  besitzt  und  eine  etwas  gekrümmte  Kinne  bildet,    die  in 
eine  löffeiförmige  Platte  ausläuft  (Fig.  17  e).    Das  nHchsle  StUek   (ij   isi 
die  unmittelbare  Fortsetzung  des  UauptstUckes.     Es  entbehrt  aber  der 
Kalkki'tiste  und  schmiegt  sich  bei  Acanthias  [Fig.  17)  enge  an  den   Sei— 
tenrand  des  löffel  form  igen  Fortsatzes  an.    Auch  bei  Helerodonlus   passt 
es  genau  in  die  Lücke  seiner  NacbbarstUcke ,  nenn  die  Spitzen  derseJ— 
ben  einander  parnllfl  gerichtet  sind.    Das  daran  angeschlossene  Stück 
bietet  in  beiden  Galtungen  ein  sehr  veischiedenes  Verhalten.    Ein  arti- 
culii-endes  KnorpolslUck    [b]  ist  es  bei  Heterodontus  (Fig.  18,  I  !l,  SiM. 
bei  Acanthias  dagegen  ein  knöchernes,   mit  einem   Widerbakeu  en- 
digendes Gebilde   (Fig.  16,  17  c).    Der  Haken  legt  sich  in  die  Gruhe 
des    Löffels,    der   ihm   angepasst    erscheint.     Das    Vexhallcn    beider 
Stucke  ühnelt  den   verdeckten   Haken,  wie  sie  als  chirurgische  In- 
strumente gebraucht  werden.     Der  deckende  LöfTel  articulirt  zugleirh 
derart  inil  der  Basis  des  zuerst  erwähnten  Stachels,  dass  eine  den  letz- 
teren aufrichtende  Action  zugleich  die  Schutzrinne  vom  Haken  entfern, 
so  dass  die  drei  knöchernen  ölUckc,  von  einander  divergireud,  in  eine 
rechtwinkelig  zum  Hauptstucke  gelagerte  Ebene  sich  legen  können.  Bei 
Heterodontus  konmit  zu  diesen  Theilen  noch  ein  dem  KnorpelslUcke  nur 
lose  angefügtes  schlankes  Knorpelstuck  [Fig.  19  u). 

Wenn  der  j^anze  Apparat  aus  Theilen  des  Flossenskelets  entstand, 
so  werden  die  ihn  zusammensetzenden  Gebilde  auch  auf  jene  bezogen 
werden  dürfen.  In  dieser  Hinsicht  ist  das  die  beweglichen  Enden  tra- 
gende Hauptstuck  als  ein  ansehnlich  vergrössertes  Glied  der  SUimuiroihe 
anzusehen ,  dem  eine  Anzahl  modiÜcirtcr  Radien  angcfUgt  ist.  Bei  lic- 
lerodonlus  ist  nur  einer  dieser  Radien  mit  einem  Knochenbelege  ver- 
sehen, in  einen  Stachel  umgewandelt,  indess  die  Übrigen  SlUcke,  wenn 
auch  formal  differenzirt ,  doch  noch  knorpelig  sich  forlerhalten .  Bei 
Acanthias  ist  diese  Differenzirung  weiter  gediehen ,  da  drei  der  End- 
stücke sehr  verschieden  gestaltete  Werkzeuge  vorstellen,  die  stimnillich 
knöcherne  Textur  besitzen. 

Ueber  die  functionellen  Beziehungen  dieser  OcgaffC^n^iaus  dem 
Baue  des  Skelets  derselben  keine  ganz  bestimmten  Urtheile  zug^M^^ 
nen.  Doch  kann  die  Ausrüstung  mancher  Organe  mit  Stacheln  und 
Haken  für  die  Meinung,  dass  sie  als  Halteapparate  fungiren,  an^^cfulirt 
werden.  Die  grosse  Verschiedenheit,  welche  im  Skelet  dieses  Theiles 
der  Hinlergliedmaassen  sich  vorfindet,   wird  jedoch  ohne  Zweifel  audt 


Ueber  die  ModificatioDeu  des  Skelets  der  Hintergliedmsiassen  ele. 


453 


für  die  YerrichtUDgen  bedeutungsvoll  sein ,  so  dass  wenigstens  das 
Eine  sicher  erscheint :  dass  das  functiouelle  Verhalten  keineswegs  als 
gleichartiges  sich  herausstellen  wird.  Die  Untersuchung  einer  grösseren 
Anzahl  wird  den  von  mir  aufgeführten  Formen  wohl  qoch  manche  neue 
hinzufügen ,  oder  solche ,  die  vom  einfacheren  Verhalten  zum  compli- 
cirtern,  wie  es  hei  Acanthias  besteht,  Uebergänge  darbieten.  Schon 
aus  älteren  Beschreibungen,  z.  B.  jener,  die  Blainville  von  Selache 
maxima  gegeben  hat  ^j ,  'geht  das  Bestehen  einer  grösseren  Mannichfal- 
tigkeit  hervor. 

Die  den  mannlichen  Selacbiem  zukommenden  Anhänge  der  Bauch- 
flosse finden  sich  auch  bei  Chimära,  aber  in  vielen  Stücken  so  sehr 
verschieden,  dass  sie  vielmehr  als  eine  selbstsUindig  erworbene  An- 
passung, dann  als  eine  von  gemeinsamer  Stammform  ererbte  Einrich- 
tung angesehen  werden  dürfen.  Da  die  fraglichen  Organe ,  soweit  mir 
bekannt,  nur  wenig  untersucht  sind  ,  möge  mir  gestattet  sein,  sie  hier 
naher  vorzuführen.  Wie  Leydig'^)  angiebt,  kommen  den  männlichen 
Chimären,  ausserdem  hakenförmigen,  an  derStirne  befestigten  Organe, 
«vor  und  hinler  dem  After  zwei  Paar  eigenthümliche  Halte- (?)  Apparate» 
zu,  «das  vor  dem  After  gelegene  stellt  eine  rundliche,  feste  Scheibe 
dar,  mit  verschmälerter  Basis  und  innerem  sägezähnig  gekerbtem  Rande». 
Diese  aSägeplatte»,  wie  ich  sie  nennen  will ,  wird  von  einem  Knorpel- 
stück gebildet ,  welches  von  seinem  medianen  Rande  her  von  einer 
festen  Knochenschichle  bedeckt  wird ,  von  welcher  sechs  hakenförmig 
gegen  die  Basis  der  Sügeplatte  gekrümmte  Zähnchen  ausgehen.  Diese 
nehmen  gegen  die  Basis  an  Grösse  zu.  Der  laterale  Theil  der  Knorpel- 
platte ist  verdünnt,  und  entbehrt  des  Knochenbelet:es.  Dieses  Organ 
sitzt  am  vordem  Rande  des  Beckenknoipels ,  der  Medianlinie  genähert. 
Seine  Form  ist  aus  Fig.  22  A  und  Fig.  24  A  zu  ersehen.  Es  liegt  jeder- 
seits  in  einer,  zum  grössten  Theile  vom  äussern  Integument  gebildeten 
Tasche,  aus  der  es  hervorgestreckt  werden  kann.  Es  sind  nämlich 
Muskeln  an  die  Basis  der  Sägeplatte  befestigt,  welche  ihr  verschiedene 
Stellungen  geben  können.  Beim  Weibchen  ist  nichts  auf  dieses  Organ 
Beziehbares  bekannt. 

Die  hinter  dem  After  gelegenen  mäimlichen  Organe  (Vergl.  Fig.  2i) 
stellen  zwei  ansehnliche,  mit  der  Basis  der  BauchQossen  am  hintern 
medialen  Rande  zusammenhängende  Gebilde  vor.  An  ihrer  Wurzel  fassen 
sie  die  äussere  Oeflhung  {g)  des  inneren  Geschlechtsapparates  zwischen 


1)  Annalei»  du  Mus" 
2}  Zur  Anatomie 
rbyhiol.  1851,  8.  264. 


^    125. 

^r  Chimaera  monslrosa ,  Archiv  f.  Anat.  und 


1 


•.* 


,'   4 


454  C'.  Gegeiibaur, 

sich  und  unmittelbar  vor  ihnen  liegen  die  Mtlndungen  (h)  der  Perito- 
nealcanäle.   Jedes  Anhangsorgan  beginnt  mit  einem  musculösen,  von 
glatter  Haut  überzogenen  Abschnitt^),  der  etwa  ^5  der  Länge  des  gan- 
zen Anhanges  beträgt.     Von   diesem  Abschnitte ,    dem   WurzelstUcke 
(Fig.  24  m)  laufen  drei  dicht  aneinander  geschlossene  Fortsätze  aus,  von 
denen  jeder  eine  solide,  aber  unbewegliche  Stütze  empfängt.  Zwei  die- 
ser Fortsätze  sind  ihrer  ganzen  Länge  nach,  aber  nicht  an  der  ganzen 
Oberfläche,    von  weichem  Gewebe  bekleidet,    welches  eine  spongiöse 
Beschaffenheit  besitzt  und  wahrscheinlich  ein  Schwellgewebe  vorstellt. 
Das  dieses  Gewebe  überziehende  Integument  ist  mit  sehr  feinen ,  nach 
vorne  gerichteten  Häkchen  dicht  besetzt  und  bildet  an  einem  der  beiden 
Forlsätze  (q)  nahe   am    Ende   einen    lateral   gerichteten  polsterartigen 
Vorspiaing. 

Der  dritte  der  Fortsätze  entbehrt  des  Besatzes  mit  spongiöseni  Ge- 
webe ,  und  wird  nur  durch  ein  cylindrisches,  leicht  gekrümmtes  Stück 
des  Skelets  gebildet,  wi^lches  median  und  zugleich  oberflächlich  ver- 
läuft (Fig.  2i  /).    Er  i^st  ilem  einen  der  beiden  mit  Schwellgewebe  ver- 
sehenen Fortsätze  (s)  enge  angelagert  und  drückt  sich  in  den  Ueberzug 
derselben  so  fest  an ,    dass  man  glauben  könnte .    jener  Ueberzug  sei 
theilweise  auch  mit  diesem,  nur  mit  einer  dünnen  Inlegumentalschichle 
überzogenen  Forlsatze  verwachsen.    Wenn  njan  jedoch  das  etwas  vor- 
ragende freie  Ende  des  letzten  (.s)  vom  unterliegenden  Polster  abzuhe- 
ben versucht,  vermag  man  sich  zu  überzeugen,  dass  jene  Verbindung 
nur  an  der  Basis  besieht,  und  dass  zwischen  beiderlei  Theilen  nur  eine 
innige  Auslagerung  staltfindet.    An  dem  medialen  Rande  des  nackten 
Fortsatzes  wird  bei  jener  Manipulation  eine  gegen  den  bekleideten  Fort- 
satz (ä)  gebildete  Rinne  bemerklich,   welche  sich  an  der  Wurzel  jener 
Fortsätze  in  einer  leichten  Spiraltour  aufwärts  und  nach  vorne  zu  wen- 
det.    Sie  geht  in  einen  am   hintern  obern  (dorsalen)  Theile  des  Wur- 
zelstückes gelegenen   liefen    Halb  -  Canal  über,    der   nur    mit   einer 
schmalen  Längsspalle  nach  aussen   communicirt.     Diese    Längsspalle 
erweitert  sich  dicht  am  Ursprünge  des  gesammten  Anhangs  zu  einer 
rundlichen  Oefl'nung,  welche  der  Mündung  (Fig.  ii  y)  der  innern  Ge- 
schlechtsorgane benachbart  liegt.    Die  ganze  am  Wurzelstücke  des  An- 
hangs gelegene  Strecke  dieses  Canals   ist  von  weichem ,   längsgefal- 
tetem Integumente  ausgekleidet. 

Wie  der  nackte  Forlsatz  dem  einen  mit  spongiösem  Gewel 
deckten  anliegt,  so  sind  auch  die  beiden  letzteren,  zwar  nicht  diretl" 
aber  eben  durch  ihren  Uel>erzug,  dicht  aneinandergelagerl,  und  lassen 
eine  bis  nahe  an  den  Ursprung  der  Fortsätze  reichende  Spalte 
zwischen   sich.     Diese  Spalte  hat  aber  nichts  mit  der   vorerwähnten 


L 


Ueber  die  Modificationeii  des  Skelets  der  HiiitergliedmiiASseH  etr.  455 

Spalte  zu  thun,  welche  in  die  an  der  Gcnilalöffnung  beginnende  Rinne 
führt. 

DasSkelet  dieser  Anhänge  wird  vom  Basale  (Fig.  22  B)  des 
Flossenstanimes  getragen  und  besieht  aus  nur  drei  discreten  Theilen. 
Das  erste  Stück  ist  eine  breite ,  aber  senkrecht  gestaltete  Knorpelplatte, 
(h)  welche  lateral  rinnenförmig  vertieft  ist,  und  nach  vorne  einen 
schwach  gekrümmten  Fortsatz  [x]  aussendet,  an  welchem  starke  Mus- 
keln sich  befestigen.  Man  wird  dieses  Stück  als  ein  Glied  der  Stamm- 
reihe  ansehen  dürfen.    An  ihm  sitzt  ein  zweites,    welches  eine  mit 

•  * 

schmalem  Fortsatz  entspringende,  stark  gekrümmte  Knorpellamelle  vor- 
stellt, welche  die  auf  dem  Stücke  b  befindliche  Rinne  überwölbt  und 
mit  ihrem  vordem  Rande  den  Eingang  des  oben  erwähnten  Canals  be- 
grenzen hilft.  Dieses  Stück  entspricht  einem  Radius,  wie  es  denn  auch 
nahe  am  radien tragenden  Rande  des  Flossenstammes  befestigt  ist.  Das 
dritte  Stück  endlich  ist  das  complicirteste.  Es  fügt  sich  mit  breitem 
Rande  an  das  hintere  Ende  des  vorhergehenden  an  und  kann  in  einen 
Körper  und  drei  FortsHtze  unterschieden  werden ,  welch'  letzlere  die 
Stützen  der  schon  oben  erwcihnten ,  zum  Theil  mit  spongiösem  Gewebe 
umkleideten  Gebilde  sind.  Der  Körper  (6*)  ist  lateral  rinnenförmig  vor- 
tieft und  bildet  damit  die  Fortsetzung  der  schon  am  vorhergehenden 
Knorpel  gelagerten  Rinne.  Diese  Rinne  am  Körper  wird  gegen  das  Ende 
zu  überbrückt  durch  eine  schräge ,  etwas  spiralig  verlaufende  Kante, 
welche  in  den  Forlsalz  c  ausläuft,  während  die  Rinne  in  eine  zwischen 
s  und  /  befmdliche  Spalte  sich  verlängert.  Die  beiden  letzterwähnten 
Fortsätze  liegen  dicht  aneinander,  in  Fig.  22  und  ^3  sind  sie  gegen  d.is 
Ende  etwas  von  einander  entfernt  dargeslellt.  Neben  dem  ihnen  zu 
Grunde  liegenden  Knorpel  besitzen  alle  drei  Fortsätze  einen  festeren 
Ueberzug,  der  von  einer  verkalkten  Schichte  gebildet  wird.  Eine  Glie- 
derung ist  weder  am  Körper,  noch  an  den  Fortsätzen  wahrzunehmen, 
sie  sind  aneinander  unbeweglich  und  bieten  nur  elastische  Eigenschaf- 
ten dar.  Der  Spiralverlauf  des  Anfanges  eines  der  drei  Forlsätze,  sowie 
die  dadurch  entstandene  Rinne  auf  der  lateralen  Seite  des  Körpers  wird 
von  einer  Drehung  des  Körpers  dieses  SkelelslUckes  abzuleiten  sein. 
Denken  wir  uns  den  Körper  abgeplattet,  so  werden  sich  die  Fortsätze 
so  ordnen,  dass  s  der  medial  gelegene  ist  und  q  lateral  sich  anschliesst. 
Es  ist  bemerkenswerth ,  dass  an  dem  Stücke  b''  bei  Chimära  die- 
selbe auswärts  gerichtete  Spiraldrehung  besieht,  wie  sie  am  Ende  des 
bei  Acanthias  und  Heterodonlus  beschriebenen  llaupUslückes  (b^)  eines 
ähnlichen  Apparates  in  einer  lateral  gerichteten  Lamelle  {a)  vorkommt. 
Dadurch  wird  die  Vergleichung  mit  jenen  Gebilden  erleichtert,  indem 
^^ir  auch  die  Zwischenstücke  der  Organe  der  genannten  Selachier  in 


456  (^-  Gegenbuir, 

dem  KDorpel  6  der  Cbimara  wiederflnden.  Aber  die  Endtheile  bleiben 
dabei  bctiächtlich  verschieden,  da  sie  bei  Chinieira  conti nuirliche  Fi>rt— 
Sätze  des  HauptslUckes  sind ,  ber  jenen  Haien  dagegen  bewegliche  und 
sehr  verschiedenartig  differeniirte  Gebildet  Ob  diese  auf  die  Portfiätte 
der  Chiinära  bezogen  werden  können ,  muss  für  jetzt  noch  oQene  Präge 
sein.  Wenn  das  dreifach  gelheille  Endstück  der  Chimära,  wie  kaum 
zu  bezweifeln ,  dem  Flossen  stamme  angehörl ,  von  dem  es  die  directe 
Fortsetzung  vorstellt,  so  können  seine  Fortsätze  nicht  Bedien  sein,  als 
welche  die  Endanhange  bei  Acanthias  und  Heterodontus  wegen  ihrer 
Beweglichkeit  gedeutet  werden  konnten.  Doch  ist  immer  noch  die  Hög- 
.  lichkoit  vorhanden,  dass  diese  Annahme  nicht  richtig  ist  und  dass 
doch  nur  Sonderun^cn  von  Theilen  des  Slam mskel eis  derGliedmaassen 
vorliegen,  die  bei  Chimära  in  einem  indifferenten  und  damit  niedeni 
Zustande  geblieben  sind. 
.iena,  November  1869. 


Ueber  dfts  Skelet  der  GliedniAXBseii  der  Wirbelthiere  im  Alfgemeiueii  ete.         457 


ErUlroBg  der  AbbAdtugen. 


Taf.  XV. 


Fig.  4 — 40  stellt  die  Skelete  der  Hintergtiedmaassen  von  Haien  dar,  Fig.  U 
bis  44  solche  von  Rochen.  Sttmmtliche  Figuren  sind  in  natürlicher  Grösse  dar- 
gestellt. 

Fig.  4.  Squatina  vulgaris  f. 
Fig.  3.  Acanth  ias  vulgaris  f. 
Fig.  3.  A.    Heptanchus  cinereus  f.     B.  Vordertheil  des  Flossenskelets  der 

andern  Seite. 
Fig.  4.  Scyllium  canicuta  fem. 
Fig.  5.  Scyllium  canicnla  mas. 
Fig.  6.  Scyllium  catulus  mas. 
Fig.  7.  M  ustelus  vulgaris  f. 
Fig.  8.  Galeus  canisf. 
Fig.  9.  Carcharias  glaucus  m. 
Fig.  49.  Carcharias  spec? 
Fig.  44.  Raja  Schulzii. 
Fig.  43.  Rhinobatus  laevis. 

Fig.  43.  Torpedo  oculata  (Vordertheil  des  Flossenskelets). 
Fig.  44.  Trygon  pasti  naca. 

Figuren-Bezeichnung.     Bei  Allen : 

B  Basale 

ö,  61  5^  folgende  Glieder 

R  Randradius  (Propterygium) 

r,  r*  r2  Radien. 


I   des  Flossenstammes. 


Taf.  XVL 

Fig.  45.  Skelet  der  Hintergliedmaasse  eines  männlichen  Acanthias  vulgaris. 
Fig.  46.  Endstück  derselben  Gliedmaasse  in  der  lateralen  Ansicht. 
Fig.  47.  Die  Anhänge  des  Endstückes  von  der  medialen  Seite. 
Fig.  48.  Skelet  der  Hintergliedmaasse  von  Heterodontus  Philip i. 
Fig.  49.  Das  Endstück  von  der  lateralen  Seit«. 
Fig.  20.  Die  Anhönge  desselben  von  der  medialen  Seite. 

Fig.  S4.  Skelet  des  Stammes  der  Hintergliedmaasse  von  Raja  (spec.  ?)  m.  Von  den 
Radien  sind  nur  die  Basaltheile  dargestellt. 


45S    C.  Geg«nbiiiir,  Ueber  die  ModIflcnllDiifii  des  Ükelris  iler  HiiilergliedniiiiissFu  flc 

Fig.  ÜS.   Rechk!  Mine  des  Beckcngürtels  mit  der   IliDlcrglicilinanssp  eiuer  intinn- 
liehen  C  h  i  m  ii  rn ,  von  vorne  (ventral)  gesellen. 
A  Bewegliche,  am  BcckengUrtel  sitzende  Knnrpelplallc. 
C  BecWoiigUnol.   «  raj*;j  AbsohDlU  J...cll»n. 
Fig.  13.   Endstück  der  Hintei^liedmaiiiise  von  CtilnnärB  von  der  tateralni   Spil«' 

gesehen. 
Fip.  H.   KinTheil  der  BBunliflHche  einer  männlichen  Cliimai-a  mit  den  Hiiitert!lied- 
mBDSSen  und  den  Anhängen  derselben. 

A  Anhangsslbck  des  Beckens,  hervorgesl reckt,  auf  der  andern  Seite  in 

die  Tasche  des  Inlegumenles  zurückgezogen  darf^eslellt. 
C  Cloake. 

p  Mündungen  der  PeriloneaicanHIe. 
g  Miindung  der  Innern  Geschlechtsorgane. 
in  Anhange  der  BaucMlosse, 
I  I  q  ForlsBtze  derselben. 
Fig.  an.  Skelet  der  Vorderglicdniansse  von  Ccnli'ophorusorepidalbus. 
Fig.  !6    Skelet  der  Vordergliedmaasse  von  Carchariss  raelanopturus. 
Fig.  97.  Skelet  der  Vordergiiedmaa>ise  von  Hemiscylliumplagiosum. 
Fig.  IB.  Skelet  der  Vordergliedmaasse  von  Prislis  (spec.?).    Die  Radien  sind   mit 
Ausnahme  der  vordersten  aehl  nicht  in  ihrer  genxen  LUnge  dargestellt. 
Figuren-Bezeichnung  i 

i    UM  Int     „  1    r-i-    1      I  des  Gliedmaassen  Stammes. 
o,  0'  0'  folgende  (ilieder  I 

B  Randradius   (Propleiygium) , 

r,  r'  r^  etc.  Tolgende  Radien. 


-^ 


Heber  einen  Spectralapparat  am  Nikraskap. 

Von 

E,  Abbe. 


Es  gilt  in  der  Beobacblungskunst  itn  Allgemeinen  als  Gi  undsaiz, 
die  lechnischen  Hilfsmiltel  zum  Studium  der  Naturerscheinungen ,  In- 
strumente und  Apparate,  je  für  eine  recht  eng  begrenzte  Verwendung 
einzurichten,  damit  nicht  durch  die  Rücksichtnahme  auf  mehrerlei  wenn 
auch  einander  nahe  liegende  Zwecke  die  möglichst  vollkommene  An- 
passung an  einen  Hauptzweck  verhindert  werde.  Diese  Regel  ist  un- 
zweifelhaft wohl  begründet  und  namentlich  niemals  ohne  Schaden  ausser 
Acht  zu  lassen,  wenn  es  sich  in  irgend  einer  Richtung  um  die  äussersten 
Leistungen  der  experimentellen  Kunst  handelt,  die  nach  dem  jeweiligen 
Stande  der  Technik  als  möglich  erscheinen.  Indessen  schliesst  dies 
keineswegs  aus ,  dass  es  in  besondem  Fällen  auch  wieder  gerechtfer- 
tigt und  angemessen  sein  könne,  auf  die  möglichste  Erweiterung  des 
Wirkungskreises  von  Werkzeugen  des  wissenschaftlichen  Gebrauchs 
Bedacht  zu  nehmen ;  zumal  wenn  es  solche  sind,  die  vermöge  ihrer  all- 
gemeinen Verbreitung  ein  Beobachtungsfeld,  auf  welchem  sie  Anwen- 
dung finden  können ,  Vielen  zuganglich  machen ,  die  ihm  sonst  wegen 
Mangels  der  erforderlichen  Hilfsmittel  fern  bleiben  würden.  —  Von 
diesem  Gesichtspunkte  aus  mag  man  die  Vorrichtung  beurtheilen,  die 
im  Folgenden  beschrieben  werden  soll.  Sie  bezweckt,  den  Bereich  der 
Anwendung  eines  so  weit  verbreiteten  Instruments,  wie  das  Mikroskop 
ist,  auf  ein  Gebiet  auszudehnen,  das  bisher  nur  durch  besondere, 
einestheils  ziemlich  kostspielige,  anderntheils  auch  schwieriger  zu  hand- 
habende Apparate  zugänglich  gewesen  ist,  nämlich  auf  das  Gebiet  der 
Beugungs-  und  Spectralphänomene ;  und  sie  erreicht  —  wie  der  Ver- 
fasser nach  den  gemachten  Erfahrungen  glaubt  sagen  zu  dürfen  —  die- 
sen Zweck  mindestens  in  so  weit,  dass  sie  nicht  nur  den  Bedürfnissen 
des  physikalischen  Unterrichts ,  sondern  auch  den  gewöhnlichen  An- 


460  E.  Ahbf, 

Sprüchen  beim  wissenschaftlichen  Gebrauche  des  Physikers  und  Che- 
niikers  GenU^e  leisten  kann. 

Das  Wesenlliche  der  Sache  ist  leicht  darzulegen.  Handelt  es  sich 
etwa  um  die  Beobachtung  des  Farbenspectrums ,  welches  ein  Prisma 
von  einer  hellen  Linie  entwirrt,  und  zwar  unler  der  Anforderun.^,  dass 
das  Spectralbild  dem  Auge  UDler  grösserem  Gesichtswinkel  als  beini  di- 
reclen  Sehen  erscheine,  so  kommt  es  bekanntlich  darauf  an,  durch 
eine  geeignet«  Sammellinse  ein  objecttves  Bild  des  Spectrums  zu  ent- 
werfen und  dieses  sodann  durch  eine  vergrUssernde  Linsencombination 
dem  Auge  zur  Wahrnehmung  zu  bringen.  Bei  den  üblichen  Spec'ro- 
skopen  wird  Beides  durch  ein  h'emiohr  erreicht ;  sein  Objectiv  erzeugt 
das  verlangte  Bild  des  Speclrums  genau  so  wie  das  eines  beltebiiieo 
andern  entfernten  Objecles ,  wofern  der  licbtgebende  Spalt  entweder 
wirklich  in  grosser  Entfernung  sich  beÜndet  oder  (was  gewöhnlich  ge- 
schieht) durch  eine  Hilfslinse  künstlich  in  solche  versetzt  wird;  sein 
Ocular  lässt  sodann ,  als  Lupe  wirkend,  jenes  Bild  unler  dem  ver- 
grösserten  Gesichtswinkel  beobachten.  Dabei  ist  die  Brennweite  des 
Objectivs  nur  insoweit  von  Bedeutung,  als  dieOrOsse  des  reellen  Bildes 
von  ihr  abhangt  und  daher,  je  kürzer  sie  ist,  ein  um  so  schürferes 
Ocular  erfordert  wird,  damit  eine  vorgeschriebene  Vergrässerung  er- 
reicht werde.  Wenn  es  aber  mttglich  ist,  ohne  mit  den  sonstigen  An- 
forderungen an  die  Vollkommenheit  der  Wirkung  in  Coilision  zu  kom- 
men, die  Ocularvergrßsseriuig  beliebig  zu  steigern,  so  hindert  nichts, 
die  Brennweite  des  Objectivs  beliebig  zu  reduciren.  Eine  solche  Stei- 
gerung um  ein  Wesentliches  über  das  übliche  Maas  hinaus  kann  aller- 
dings mittelst  eines  gewöhnlichen  Oculars  nicht  oder  nur  in  sehr  man- 
gelhafler  Weise  bewirkt  werden ,  recht  gut  aber,  und  zwar  in  sehr 
weitem  Spielräume,  mit  Hilfe  des  zusammengesetzten  Mikroskops.  Die 
Anwendung  eines  solchen  zugelassen,  darf  demnach  die  Sammellinse 
zur  Erzeugung  des  Objectivbildes  auf  so  kurze  Brennweite  gebracht 
werden ,  dass  sie  selbst  sowohl  wie  das  erforderliche  Prisma  mit  dem 
Mikroskop  an  dessen  eigenem  Stativ  verbunden  werden  kann,  zugleich 
aber  auch  eine  ziemiicb  nahe  Lichtquelle  ihr  gegenüber  dieselben  Ver- 
hallnisse bietet ,  wie  für  ein  Fernrohr  von  gewUhnlicben  Dimensionen 
eine  sehr  entfernt  gelegene. 

Dem  entsprechend  besteht  der  fragliche  Apparat  der  Hauptsache 
nach  aus  einem  geeigneten  Linsensystem  von  ca.  SS  Mm.  Aequivalenl- 
brennweile  und  12—20  Mm.  Oeffnong,  welches,  in  eine  cylindrisrhe 
Hülse  gefasst,  durch  Einstecken  in  die  TischOffnung  eines  Mikroskops 
unterhalb  des  Tisches  so  befestigt  wird,  dass  seine  optische  Axe  mit 
der  des  Mikroskops  zusammenfällt  und  sein  oberer  Brennpunkt  naiu'zu 


Ueber  einen  Spectralapparat  am  Mikroskop.  461 

in  die  Tischebene  zu  liegen  kommt.  Dieses  Linsensystem  trägt  vor  sei- 
ner untersten  Linse,  durch  einen  angeschraubten  Ring  mit  seiner  Fas- 
sung verbunden ,  ein  Prisma  von  entsprechenden  Dimensionen,  dessen 
brechende  Kante  horizontal  und  zur  optischen  Axe  des  Ganzen  senk- 
recht hegt  und  welches  mittelst  eines  vorstehenden  Knopfes  um  einen 
gleichfalls  horizontalen  Zapfen  beliebig  gedreht  werden  kann. 

In  einem  Abstände  von  400 — 500  Mm.  vom  Mikroskop  ist  ein  klei- 
nes Stativ  aufgestellt,  welches  den  lichtgebenden  Spalt  trägt.  Er  ist 
natürlich  der  Prismenkante  parallel,  also  gleichfalls  horizontal  gerichtet 
und  befindet  sich  in  derselben  oder  etwas  grösserer  Höhe  tlber  der  ge- 
meinsamen Grundfläche  (der  Tischplatte)  als  das  Prisma.  Die  Strah- 
len, die  von  ihm  ausi;ehen,  wenn  ihm  durch  einen  Spiegel  Son- 
nen- oder  Wolken  licht  zugeführt  wird,  oder  wenn  man  eine  leuchtende 
Flamme  hinter  ihm  aufstellt ,  gelangen  daher  in  horizontaler  oder  in 
wenig  geneigter  Richtung  zum  Prisma ,  durchdringen  dieses  bei  geeig- 
neter Orientirung  unter  den  Redingungen  der  kleinsten  Ablenkung  und 
treten ,  durch  die  Dispersion  in  die  verschieden  gerichteten  farbigen 
Strahlenbündel  zerlegt,  in  der  Richtung  der  optischen  Axe  des  Instru- 
ments aus ;  daher  denn  das  Linsensystem  im  Tische  desselben  ein  Ob- 
jectivbild  des  Spectrums  in  der  gewöhnlichen  Einstellungsebene  des 
Mikroskops  hervorbringt,  welches  nun  genau  so  wie  jedes  andere  mi- 
kroskopische Object  unter  beliebiger  Vergrösserung  zu  betrachten  ist. 

Zur  Verwirklichung  der  hier  bezeichneten  Forderungen  gehört 
erstens,  dass  das  Prisma  gegen  die  vom  Spalte  her  einfallenden  Strah- 
len so  gerichtet  werde,  dass  diese  innerhalb  des  Normalschnittes  und 
zugleich  unter  dem  Minimum  der  Ablenkung  hindurchtreten;  zweitens, 
dass  die  Axe  des  Mikroskops  in  die  Richtung  der  austretenden  Strahlen 
gebracht  werde.  —  Das  Erste  wird  dadurch  erreicht,  dass  man  Prisma 
sammt  Linsensystem  um  die  Axe  des  letztern  und  zugleich  das  Prisma 
um  den  zu  dieser  senkrechten  Zapfen ,  mittelst  dessen  es  von  der 
Fassung  getragen  wird,  so  weit  dreht,  bis  der  Normalschnitt  durch  die 
Mitte  des  Spaltes  geht  und  die  vorderste  brechende  Fläche  von  den  ein- 
fallenden Strahlen  unter  dem  Einfallswinkel  der  Minimalablenkung  ge- 
troffen wird.  Das  zweite  setzt  voraus ,  sofern  ein  gewöhnliches  ein- 
faches Prisma  Verwendung  finden  soll,  dass  man  die  gemeinsame  op- 
tische Axe  des  Spectralsystems  und  des  Mikroskops  in  verticaler  Ebene 
bewegen  und  in  einer  bestimmten  Richtung  feststellen  könne.  Welches 
diese  sei,  ist  leicht  zu  berechnen,  wenn  man  den  brechenden  Winkel 
des  Prismas  und  seinen  mittleren  Ri-echungsindex ,  sowie  die  Neigung 
der  vom  Spalte  her  einfallenden  Strahlen  gegen  die  Horizontale 
kennt.  Rezeichnet  9)  den  brechenden  Winkel,  n  den  Rrechungsex- 
Bd.  V.  4.  84 


ponenU'n 
knnnllich 


ind  II  Hi(>  Minim.nl.iblenkunq  des 


Denki  man  liiiTaus  u  brreclind,  so  findcl  sidi  ci.T  Winkel  /?,  welchen 
dii.>  in  dt<rMiniiiinlabli>nkung  nustn>li)n<it>ii  Slrahlini  mit  der  Morizonliilen 
bilden ,  also  die  d<^r  Mikrnskopaxe  zu  erthnilendo  Lage, 

wonn  unliT  x  der  entsprcchcndi' Winkel  der  einfnlleiidcnSlrahlpii  vei- 
slandoii  wird. 

Bei  Mikroskopen,  welclie,  wie  die  nach  enjilischem  MusUr  ftehnu- 
len  ,  zum  Umlegen  «^ingericlilel  sind,  kann  die  erforderliehc  EinsU-tlun^ 
nalUrlich  ohne  Weilen«  bewirkt  werden;  bei  Staliven  der  gewöhn- 
lichen Einriehlung  dagegen  milssle  man  den  Fuss  des  Instrumenlt-s  auT 
einer  keilförmigen  Unterlage  (deren  Winkel  im  einzelnen  Falte  nach 
vorstehender  Regel  gefunden  werden  kann)  ^efesltgen.  Die  bioraus  ent- 
springende Unbequemlichkeit  lasst  sich  jeiloch  vermeiden ,  wenn  ni.-in 
ein  Prisma  verwendet,  wel- 
ches ausser  durch  die  zwei- 
malige Breahung  noch  durch 
Totalreflexion  an  einerdrillen 
Flüche  ablenkend  wiriit.  — 
Um  dies  zu  übersehen,  denke 
man  sieb  ein  Prisma,  desst-ii 
NormalscIiniU  dieGestall  des 
Dreiecks^fiC  besitzt,  in  sol- 
cher Stellung,  dass  irgend 
ein  in  der  Richtung  0/*  ein- 
fallender Strahl  die  Flüche 
"  AC  unter  einem  EiAfallswin- 
kel  toi  trifft,  an  der  Flache  Aß  total  refleclirt  wird  und  nach  einer  zwei- 
ten Brechung  an  BC  unter  einem  Winkel  m^  austritt.  Der  Verlauf 
dieses  Strahls  ist  nun  offenbar  vom  Punkte  Q  ab  derselbe,  wie  wenn 
er  in  einer  Richtung  0' P"  angelangt  würe,  die  das  Spiegelbild  von  OP 
ist,  und  die  nämliche  Brechung ,  die  vorher  an  AC  stattfand ,  an  einer 
Flüche  AC'  erfahren  hatte,  die  das  Spiegelbild  von  AC  ist;  und  da  ein 
Gleiches  für  alle  Strahlen,  welches  ihr  Einfalls\^inkel  und  welches  ihi- 
Brechungsindex  sein  mag,  Geltung  behitit,  so  folgt,  dass obiges  Prisma 
hinsichtlich  der  durch  Brechung  vermittelten ,  also  vom  Brecbungsindex 
abhängigen  Wirkung,  namentlich  also  in  Hinsicht  auf  die  eintretende 
Farben  Zerstreuung,  durchauseinem  einfachen  Prisma  mit  dem  brechen- 


Ueber  einen  Spectralapparat  am  Mikroskop.  463 

den  Winkel  ß — a  äquivalent  ist.  Hingegen  ist  die  Gesanimtablenkung 
jedes  Strahls,  wie  man  leicht  erkennt,  um  den  constanten  Winkel  2a 
grösser  als  diejenige,  die  ein  unter  dem  gleichen  Einfallswinkel  durch 
das  einfache  Prisma  geleiteter  Strahl  von  derself>en  Farbe  erfahren  ha- 
ben würde.  —  Demnach  hat  man  durch  ein  Prisma  von  obiger  Form  in 
seiner  Gewalt,  die  Richtungsverschiedenheit  zwischen  eintretenden  und 
austretenden  Strahlen  auf  ein  vorgeschriebenes  Maass  v  zu  bringen  und 
gleichzeitig  die  Dispersionswirkung  eines  gewöhnlichen  Prismas  von  ge- 
gebenem Brechungswinkel  y  zu  erzielen ,  dabei  für  eine  Farbe  —  etwa 
die  Mitte  des  Spectrums  —  den  Bedingungen  der  Minimalablenkung 
Genüge  leistend.  Man  hat,  wie  leicht  zu  sehen,  die  beiden  Winkel  a 
und  ß  nur  so  zu  bestimmen ,  dass  die  beiden  Gleichungen 

ß-^a^  q> 

t^  «1-  2a  =r  i; 
erfüllt  sind ,  also 

«  =  — ^ —  ;  ^  =  y  H j-  — 

zu  wHhlen ,  hierbei  unter  f«,  wie  oben  ,  den  aus  n  und  q>  abzuleitenden 
Werth  der  Minimalablenkung  für  das  zu  ersetzende  einfache  Prisma 
verstanden.    Soll  der  Forderung  einer  totalen  Reflexion  genügt  sein,  so 

muss  der  Einfallswinkel  der  Strahlen  an  der  Fläche  AC.  welcher  -^ 

'  a 

betrügt,  natürlich  kleiner  als  der  Grenzwinkel  der  Totalreflexioi> 
bleiben. 

Soll  z.  B.  die  Richtung  der  eintretenden  Strahlen  um  10®  gegen 
die  Horizontale  geneigt  sein ,  der  AustriU  aber  in  verticaler  Richtung 
erfolgen ,.  so  ist  der  geforderte  Werth  der  Gesammtablenkung  v  =  1 00<^. 

Hat  das  betreflfende  Material  —  wie  es  bei  dem  vom  Verfasser  ver- 
wandten stark  zerstreuenden  Flintglase  der  Fall  ist  —  einen  Brechungs- 
index 71=  1,73  und  soll  damit  die  Wirkung  eines  Prismas  von  (iO®  er- 
zielt worden,  so  wird,  wie  die  Rechnung  zeigt,  ii  gleichfalls  60®  (auf 
die  Minute  genau)  ;  daher  muss  a  =  20®,  ß  «=  80®  gesetzt  werden ,  wo- 
bei dann ,  da  a  4-  ^'    =  500    der   Bedingung    vollsUlndiger    Reflexion 

sclbstversUindlich  gentigt  ist. 

So  weit  die  Einrichtungen,  welche  für  die  Verwendung  des  Appa- 
rats zur  Beobachtung  des  prismatischen  S[)ectrums  erforderlich  sind. 
Es  ist  höchstens  noch  hinzuzufügen,  dass  die  bei  Spcctroskopon  übliche 
Scale,  welche  eine  Lagenbestimmung  der  einzelnen  S|)ectrallinien  mög- 
lich ma(ihen  soll ,  leicht  ersetzt  werden  kann  durch  ein  in  das  Ocular 
eingelegtes  Glasmikrometer  mit  etwas  starken  Suichen  und  nicht  zu 
engen  Intervallen.    Projicirt  sich  ein  continuirliches  Spectrum  auf  eine 

8^* 


464  E.  Abbe, 

solche  Mikromelerscale ,  so  treten  die  Thellstriche  auf  dem  farbigen 
Hinlergrunde  hinreichend  kenntlich  hervor.  Bei  Beobachtung  discon- 
linuirlicher  Spectren  dagegen  kann  man  das  an  sich  dunkle  Gesichts- 
feld vorübergehend  so  weit  als  erforderlich  erhellen,  indem  man  etwas 
diffuses  Licht  in  das  Mikroskop  gelangen  Uisst,  sei  es  mittelst  der  Spie- 
gelung einer  Prismenfläche,  sei  es  durch  ein  Stück  weissen  Papiers, 
welches  man  in  der  Richtung  der  Axedes  Instruments  unter  dem  Prisma 
hinlegt. 

Um  den  Apparat  für  das  Studium  der  BeugungsphSnomene  geschickt 
zu  machen  ,  ist  nichts  weiter  erforderlieh ,  als  dass  man  das  Prisma  von 
der  Fassung  des  Spectralsyslems  entferne  und  an  seiner  Statt  einen  Ring 
anschraube  oder  anstecke ,  mittelst  dessen  sich  die  nöthigen  Objecle, 
feine  Oefl'nungen  verschiedener  Form,  Glasgitter  etc.,  vor  der  untersten 
Linse  befestigen  lassen.    Um  die  Lichtstrahlen,  welche  vom  Spalte  oder 
von  einer  anders  gestalteten  Oefl'nung  an  seiner  Stelle  ausgehen,   in  die 
Axe  des  optischen  Systems  zu  leiten  —  die  jetzt  natürlich  eine  beliebige 
Lage  haben  darf  —  kann  für  die  gewöhnlichen  Versuche  der  an  jedem 
Mikroskop  befindliche  Planspiegel  vei'wandt  werden.     Handelt  es  sich 
jedoch  um  vollkommenere  Bilder,  wie  sie  gefordert  werden,  um  z.  B, 
die  Fraunhofer'schen  Linien  in  einem  Gitterspectrum  sichlbar  zu  machen, 
so  benutzt   man   ein  kleines  Reflexionsprisma,  welches  mittelst  eines 
auf  den  Spiegel  aufgeschobenen  Ringes  vorübergehend  an  diesem  be- 
festigt wird. 

Was  nun  die  theoretische  Beurtheilung  der  Leistungsfähigkeit  der 
hier  beschriebenen  Einrichtung  anlangt,  so  werden  hierbei  wesentlich 
drei  Dinge  in  Frage  kommen:  die  zu  erreichende  Vergrösserung ,  die 
Vollkommenheit  der  Bilder  und  die  Helligkeit,  welche  bei  einer  bestimm- 
ten Vergrösserung  erwartet  werden  darf.  —  Nach  dem,  was  oben  übi?r 
die  Functionen  der  einzelnen  Theile  gesagt  wurde ,  w  onach  das  Spec- 
tralsystem  das  Objectiv ,  Alles  zum  Mikroskop  gehörige  dagegen  das 
Ocular  eines  gewöhnlichen  Fernrohrs  vertritt,  können  die  für  das  letz- 
tere giltigen  Regeln  auch  hier  zu  Grunde  gelegt  werden.  Es  darf  also 
erstens  die  Vergrösserung,  da  der  Abstand  der  Lichtquelle  (des  Spaltes) 

—  ca.  400  Mm.  —  gegenüber  der  Brennweite  F  des  Spectralsystems 

—  25  Mm.  —  schon  als  sehr  beträchtlich  erscheint,  ohne  merklichen 
Fehler  dem  Verhältniss  zwischen  dieser  und  der  Aequivalentbrenn- 
weite  des  Mikroskops  gleichgesetzt  werden.  Gewährt  nun  das  Mikro- 
skop, d.  h.  irgend  eine  bestimmte  Combination  von  Objectiv  und  Ocu- 
lar an  demselben,  für  sich  betrachtet  eine  Vergrösserung  =  iV,  diese 
für  die  gewöhnlich  angenommene  Sehweite  von  250  Mm.  berechnet,  so 
ist  seine  Aequivalentbrennweite  /^bekannthch 


\ 


Ueber  einen  Spectralappurat  am  Mikroskop.  465 

demnach  die  gesuchte  Vergrösserungsziffer 

n  =  —  =  — —^ —  ,  abgerundet  =  -^  N. 

Also  wird  schon  durch  eine  hundertfache  Mikroskopvergrösserung, 
die  mit  einem  ziemlich  schwachen  System  bequem  herzustellen  ist,  die 
Wirkung  eines  zehnfach  vergrössernden  Fernrohrs  erzielt,  also  dieselbe, 
welche  ein  gewöhnliches  Spectroskop  auf  Dreifuss  mit  Fernrohren  von 
etwa  zehn  Linien  Oeffnung  meistens  gewährt;  und  man  sieht,  dassauch 
eine  Steigerung  der  Vergrösserung  betrifchtlich  über  das  obige  Maass 
hinaus  immer  noch  durch  Mikroskopsysteme  möglich  bleibt,  welche 
kaum  zu  den  mittleren  an  den  heutigen  Instrumenten  gerechnet  werden. 

In  Hinsicht  auf  das  zweite,  die  Reinheit  und  Schärfe  der  Bilder, 
kann  nicht  zweifelhaft  sein ,  dass  die  Anforderungen ,  welche  bei  der 
in  Rede  stehenden  Einrichtung  gestellt  werden  müssen,  verhältniss- 
mässig  höher  und  also  schwieriger  zu  erfüllen  sind  wie  bei  den  Gon- 
structionen  der  gebräuchlichen  Art. 

Die  Ansprüche  an  die  Vollkommenheit  eines  Fernrohrobjectivs, 
durch  dessen  Vermittelung  Bilder  von  vorgeschriebener  Gesammtver- 
grösserung  erzielt  werden  sollen,  steigern  sich  zwar  an  sich  nicht noth- 
wendig  mit  abnehmender  Brennweite  und  proportional  wachsender 
Ocularvergrösserung ;  sie  bleiben  jedoch  nur  dann  relativ  dieselben, 
wenn  die  lineare  OelTnung  der  Linsen  in  gleichem  Verhältniss  mit  der 
Brennweite  abnehmen  darf.  Da  dies  nun  aber,  wegen  der  Rücksichten 
auf  die  Lichtstärke  im  vorliegenden  Falle  unbedingt  ausgeschlossen  ist, 
die  lineare  Oeffnung  vielmehr  trotz  der  verminderten  Brennweile  ein 
bestimmtes  Maass  einhalten  muss,  so  wird  der  Oeffnungswinkel  der  das 
Objectivbild  formirenden  Strahlenkegel  mit  abnehmender  Focaldistanz 
rasch  grösser  und  es  müssen  deshalb  die  Schwierigkeiten,  das  Objectiv 
in  dem  erforderlichen  Grade  aberrationsfrei  zu  machen,  beträchtlich 
zunehmen.  Indess  darf  hieraus  keineswegs  geschlossen  werden  ,  dass 
es  bei  der  hier  angenommenen  Einrichtung  unmöglich  sei ,  den  Grad 
der  Vollkommenheit  zu  erreichen ,  den  ein  gutes  Fernrohr  unter  sonst 
gleichen  Umständen  gewährt;  es  folgt  vielmehr  daraus  nur,  dass  solches 
mit  denselben  einfachen  Mitteln  nicht  möglich  sei.  Bei  den  Grössenver- 
hältnissen  der  nach  der  früher  gegebenen  Beschreibung  ausgeführten 
Apparate,  bei  welchen  der  Brennweile  il'y  Mm.  eine  freie  Oeffnung  von 
20,  resp.  42  Mm.  entspricht,  der  Oeffnungswinkel  also  nahe  60<>  resp. 
30^  erreicht,  konnte  also  nicht  daran  gedacht  werden,  bei  einer  ge- 
wöhnlichen achromatischen  Linse  als  Objectiv  stehen  zu  bleiben ;  wohl 


466  E.  Abbe, 

aber  war  zu  erwarleo,  dass  diii'di  eine  angemessene  CoiubinatJon  mos. 
mehreren  Linsen  die  Aberralionen  auch  für  diese  grossen  OeM'iiuiigcD 
sich  so  weit  würden  beseitigen  lassen,  als  es  zurErzielung  hinivicfacDd 
scliarfer  Bilder  von  namhiifletVergrüsserungnöLhig  ist.  Dies  bähen  deou 
iiucL  die  in  der  optischen  Werkstatl  des  [Icirn  Carl  Zeiss  in  Jena  aus- 
gcfuhticu  Instrumente  vollkommen  besläligl.  DasSonncnspectruni  z.  B. 
erscheint  bei  rrclit  sorgfülliger  Rcgitliniiig  von  Spalt  und  Prisma  in 
allen  seinen  Theilen  so  rein  und  scharf,  dass  —  nach  einer  boiliiuB^en 
Schülzung  —  etwa  die  Hillfte  der  in  der  bcVinnton  KirchholTscbcn 
Zeichnung  aurgifuhrk-n  Linien  wahrgcnojiinieu  werden  können  ;  scbou 
bei  etwa  acliLzig-  bis  liunderiracher  Mikroskopvergrüsscrung  isL  das 
l-'raunhorer'sclie  D  deutlich  als  Uuppi-Ilinie  und  sind  die  dunkeln  Strei- 
fen in  der  Niihe  von  G  als  Gruppen  aus  sehr  vielen  feinen  Linien  zu  er- 
kennen. —  ScIbslviTsUindlieh  ist  dabei  vonmsgeselKt,  dass  das  Mikro- 
skopsystem, welcbes  man  zur  Beobachtung  des  Speelral  -  oder  Beu- 
gungsbildes verwendet,  für  den  in  Betracht  kommenden  Oeffnungswinkel 
(60*  resp.  .10"]  in  gleiehem  Maasse  vollkommen  „  d.  h.  hinreichend 
aberralionsfrei  sei,  was  bei  den  sebwaeheren  und  mittleren  Systenten 
aus  den  bessern  Werkslällen  heut  zu  Tage  wohl  immer  zulreü'en  wird. 
Was  endlich  drittens  die  LiehlsL<irke  des  besehrieltenen  Spectro- 
skops  anlangt,  so  ist  leiclil  zu  sehen,  dass  diese,  wie  bei  jedem  Fern- 
rohr, in  der  Hauptsache  nur  vom  Durchmesser  des  Objectivsystems 
abhängt,  vorausgesetzt,  dass  der  OelTnungswinkel  des  zur  Beobaehtun); 
dienenden  Hikruskupsystems  mindestens  dem  Oellnungswinkel  der  von 
jenem  ge liefer L<.'n  Sirahlenkegel  gleichkoumil ;  und  zwar  wird,  wenn 
man  von  der  Verschiedenheit  der  zufälligen  LichtverlusLe  absieht,  die 
gesuchte  Licblslürke  im  Wesentlichen  Übereinstimmen  mit  der  eines 
gewöhnlichen  Femrohrs  von  gleicher  Gesammtvergrttsserung,  dessen 
Objectiv  gleiehcn  Durchmesser  mit  der  untersten  Linse  des  Spectral- 
systems  besitzt.  In  den  beiden  Formen,  in  denen  das  Instrument  aus- 
geführt wurde,  betrügt  dieser  Durchmesser,  wicschon  bemerkt,  in  dem 
einen  Falle  ^0  Mm. ,  im  andern  nur  \'i  Mm, ;  und  man  wird  auch  über 
das  erslcreMaass  nicht  erheblich  hinausgehen  dürfen,  wenn  nicht  einer- 
seits die  Bequemlichkeit  der  Handhabung,  die  wesentlich  durch  die 
compendiöse  Form  bedingt  ist,  leiden,  andererseits  nicht  die  Ucrstel- 
lung  bedeutend  kostspieliger  worden  soll.  Ks  kann  daher  die  neue 
l'iinriehtung  in  Hinsicht  auf  die  Lichlslürke  nur  mit  Fernrohren  von 
htiehstens  niiUlcren  Dimensionen  concurriren ;  in  der  grossem  Form 
ausgeführt,  wird  sie  etwa  denen  von  zehn  Linien  Duiehmesscr ,  die 
man  an  SpecLioskopen  gewöhnlich  findet,  gleichsli.'ben.  —  Indessen 
hindert  diese  Besclirünkung  keineswegs,    die    Vorlheile   auszunutzen, 


Heber  einen  SpectrAlappariit  «im  Mikroskoj».  467 

welche  der  Gebrauch  slürkerer  Vert»  rosse  runden  imler  geeigneten  Uni- 
sländen bieten  kann,  indem  ausser  in  ganz  exceptionellen  Fallen  grade 
die  Lichtstarke  —  wie  dem  Verfasser  scheint  —  das  am  wenigsten 
entscheidende  Moment  bei  den  in  Hede  stellenden  Anwendungen  ist. 
Denn  benutzt  man  directes  Sonnenlicht,  so  hat  man  fast  ohne  Ausnahme 
mehr  umMässigung,  als  um  Steigerung  der  Helligkeit  sich  zu  bemühen; 
und  wie  wenig  ausserdem  bei  grossen  Instrumenten  auf  Ausnutzung 
ihrer  Lichtstärke  Bedacht  genommen  wird,  ist  schon  daraus  ersichtlich, 
dass  man  die  Beleuchtung  des  SpaUes  durchweg  nur  mit  einem  ebenen 
lleliostatspiegel  bewirkt  findet ,  wobei ,  wie  sich  leic(^t  beweisen  lässl, 
wegen  des  geringen  Winkeldurchmessers  der  Sonnenscheibe  immer 
nur  ungefähr  der  hundertste  Theil  von  der  Fläche  desFernrohrobjectivs 
wirklich  nutzbar  geniacht  wird.  Bei  Beobachtung  von  Flammenspectren 
andrerseits  ist  das  llinderniss  für  dieWahrnehnmng  der  lichtschwachen 
Theile  meistentheils  weniger  ihre  geringe  Helligkeit  an  sich ,  als  viel- 
mehr das  gleichzeitige  Auftreten  intensiverer  Stellen  innerhalb  dessel- 
ben Sehfeldes ;  und  dieses  llinderniss  wird  offenbar  durch  blosse  Stei- 
gerung der  Lichtstärke,  so  wünschenswerth  diese  natürlich  ist,  nicht 
beseitigt ,  wohl  aber  dadurch ,  dass  man  die  intensiv  leuchtenden 
Theile  thunlichst  aus  dem  Gesichtsfelde  entfernt  und  auch  ausserdem 
vom  Auge  alle  Einwirkungen  abhält,  welche  die  Empfindlichkeit  für 
schwache  Lichtreize  abstumpfen.  Ersteres  geschieht  bei  dem  hier  in 
Rede  stehenden  Spectroskop  leicht  durch  eine  kleine  Drehung  des 
Trismas,  resp.  der  Mikroskopaxe ,  wenn  nothig  unter  Beihilfe  einer  das 
Gesichtsfeld  verengenden  Blendung ,  die  man  vorübergehend  in  das 
Ocular  einlegt.  Für  das  andere  ist  es  wesentlich  ~  natürlich  nur,  wenn 
es  sich  um  schwierige  Objecto  handelt  —  dass  man  nicht  allein  das 
Auge  gegen  blendendes  Seitenlicht  schütze ,  sondern  auch  die  nächste 
Umgebung  des  Spaltes  und  des  Mikroskops,  soweit  von  ihr  direct  oder 
durch  Spiegelung  an  den  Prismenflächen  Licht  in  das  Gesichtsfeld  ge- 
langen kann,  möglichst  verdunkle;  weshalb  u.  A.  der  Fuss  des  In- 
^lruments  am  besten  mit  einem  Stück  schwarzen  Tuchs  oder  Papiers 
bedeckt  gehalten  wird. 

Ents|)rechend  dem  hier  Gesagten  macht  sich  denn  auch  bei  dem 
beschriebenen  Apparat  ein  Bedürfniss  nach  grösserer  Lichtstärke  in 
keiner  Weise  bemerklich.  Schon  die  kleinere  Form,  bei  welcher  Lin- 
sensystem und  Prisma  nur  1^  Mm.  Durchmesser  haben,  lässt  bei 
Flammenspectren  augenscheinlich  das  Nämliche  und  dieses  auch  mit 
derselben  Leichtigkeit  erkennen,  wie  ein  Spectralapparat  der  bekann- 
ton Einrichtung  in  den  gewöhnlichen  Dimensionen,   und  erlaubt  u.  A. 


468  E.  Abbe, 

das  prisiTiritiscbe  Sonnenspectrum  schon  ciil  Bcnulzuog  des  Lieble«  einer 
hellen  Wolke  unter  schwacher  Verdrösse riing  zu  beobachten. 

InBclreffderAiifstellLinsdeslnstriiriii'nlsunddicOrientiruiigseinOT 
Theile  reichen  wenige  Bemerkungen  aus.  —  Dass  der  Spalt  parallel  sei 
der  Grundfläche  desSttitivs,  welches  ihn  Irtigt,  die  brechende  Kante  dt-s 
Prismas  parallel  dem  Ziipfen,  um  den  es  sieh  drehen  lüsslund  mit  dieser 
senkrecht  zur  optischen  Axe  des  Spectralsystems  —  diese  drei  Bedin- 
gungen können  bei  der  Anfertigung  ein  für  allemal  erfüllt  werden,  we- 
nigstens in  soweit,  als  es  irgend  erforderlieh  ist  bei  einem  Gebrauch, 
bei  dem  es  sich  nirgends  um  esncle  Messungen  handelt.  Dies  voraus- 
gesetzt, besieht  die  Aufstellung  in  folgenden  Manipulationen  : 

1.  Man  stellt  Spalttriiger  und  Mikroskop  auf  einer  ebenen  Tisch- 
platte  ca.  iOO  Mm.  von  einander  entfernt  auf  und  richtet  den  Spall 
nach  Augenmaass  (vielleicht  unter  Beihulfe  eines  kleinen  Lineals)  senl.- 
recht  zur  Verbindungslinie. 

2.  Man  befestigt  das  gpeclralsystem  in  der  Tischöfthung  des  Mi- 
kroskops, so  dass  die  Kanlim  des  Prismas  gleichfalls  senkrecht  zu  jener 
Verbindungslinie  zu  liegen  kommen. 

3.  Bei  Verwendung  eines  Prismas  mit  total  refleclirendcr  Flachi- 
bleibt  das  Mikroskop  vertikal  stehen;  l)ei  einem  Prisma  der  gewöhnlichen 
Form  dagegen  bringt  man  die  Mikroskopaxe  in  der  durch  den  Spall 
gehenden  Vcrticfliebene  annlihernd  in  diejenige  geneigte  Lage,  welche 
der  Minimalahlenkung  der  mittleren  Strahlen  entspricht;  wobei  es  zur 
Vermeidung  mehrmaligen  Probirons  wilnschcnswcrth  ist,  dass  man  den 
Betrag  dieser  Minimalablenkung  fUr  das  betreffende  Prisma  vorher  be- 
stimmt oder  vom  Verfertiger  die  betreffenden  Notizen  erhallen  habe. 

Nach  diesen  Vorbereitungen  wird  der  Apparat  stets  so  weit  orien- 
trrt  sein  ,  dass,  wenn  man  den  Spalt  etwas  weil  öD'net,  auf  ii^end  eine 
Art  beleuchtet  und  sodann  mit  einer  schwachen  Vcrgrösserung  (der 
schwUcbslen  ,  welche  das  Mikroskop  erlaubt)  auf  den  Kocus  des  Objec- 
livsyslems  nahe  in  der  Ebene  des  Tisches  einstellt,  hei  einer  Drehung 
des  Prismas  um  seine  horizontale  A\e  sowohl  die  Spiegelbildcrdes  Spal- 
tes, welche  durch  Bcflexion  an  den  Prismenflitchcn  entstehen,  wie  auch 
das  Spectralbild  desselben  nacheinander  durch  das  Gesichtsfeld  des  Mi- 
kroskops hindurch  passiren.  Die  lelzte  Regulirung  von  hieraus  bat 
nun  nichts  weiter  zu  bewirken,  als  dass  jene  drei  Bilder  ungefähr  durch 
die  Mitte  des  Gesichtsfeldes  hindurchgehen.  Man  erreicht  dies  durch 
kleine  Drehungen  des  Prismas  um  die  optische  A.\e  des  mit  ihm  ver- 
bundenen Spcctralsjslems,  welche  man,  wenn  das  Mikroskop  die  Ein- 
richtung eines  drehbaren  Tisches  hesilzt ,  natürlich  durch  diese ,  sonst 
aber  durch  Drehen  der  Hülse  des  Systems  in  der  Tischöffnung  oder 


Ceber  einen  Sp6ctnilii|)para(  am  Mikroskop.  469 

durch  vorsichtiges  Verschieben  des  ganzen  Stativs  auf  seiner  Standfläche 
ausführt.  —  Ist  das  Genannte  annähernd  erreicht ,  so  richtet  man 
schliesslich  das  Prisma  so ,  dass  das  Spectrum  grade  in  der  Mitte  des 
Gesichtsfeldes  erscheint  und  kann  nun,  nach  Regulirung  der  Spalt- 
breite, zur  Betrachtung  desselben  mit  stärkerer  Vergrösserung  übergehen . 

Für  die  Beugungserscheinungen  sind  der  Vorbereitungen  noch  we- 
niger. Hat  man  an  Stelle  des  Prismas  an  die  Fassung  des  Linsensystems 
die  Blendung  befestigt,  welche  das  zu  beobachtende  Object,  eine  enge 
Oeffnung,  ein  Glasgitter  oder  dergl.  trägt,  so  wird  der  Planspiegel  des 
Mikroskops  oder  das  auf  ihm  befestigte  Reflexionsprisma  mit  der  Hand 
so  gerichtet,  dass  das  betreffende  Spectrum  oder  irgend  ein  Theil  des- 
selben in  der  Mitte  des  Gesichtsfeldes  erscheint.  Beobachtet  man  mit 
einer  punktförmigen  Lichtquelle,  so  ist  natürlich  ihre  Stellung  gegen 
das  Mikroskop  völlig  gleichgiltig ;  sind  aber  gitterartige  Objecte  durch 
eine  lineare  Lichtquelle  zu  beleuchten,  so  müssen  die  Linien  des  Gitters 
dem  Spalte  parallel  gerichtet  werden ,  wozu  die  Betrachtung  des  Bildes 
selbst  die  nöthigen  Anhaltspunkte  bietet. 

Es  mag  noch  bemerkt  werden ,  dass  bei  allen  Beobachtungen  mit 
Sonnenlicht  ein  Heliostat  keineswegs  ein  wesentliches  £rforderniss  ist. 
Ein  kleiner  planer  oder  flach  eoncaver  Glasspiegel,  an  einem  hinter  dem 
Spalte  stehenden  Stativchen  so  angebracht,  dass  man  ihn  mit  der  Hand 
beliebig  rücken  kann,  reicht  vollkommen  aus,  das  Licht  der  Sonne 
(eventuell  auch  das  einer  weissen  Wolke}  so  auf  den  Spalt  zu  leiten, 
dass  es  zum  Prisma  oder  zum  Mikroskopspiegel  gelangt,  nur  dass  man 
alsdann  wegen  der  Bewegung  der  Sonne  öfters  nachzuhelfen  genö- 
thigt  ist. 

Nach  der  eben  gegebenen  Anweisung  ist  der  in  Rede  stehende  Ap- 
parat ohne  Umstände  und  Zeilverlust  für  den  Gebrauch  in  Stand  zu 
setzen.  Seine  Handhabung  während  der  Beobachtung  ist  jedenfalls 
nicht  unbequemer,  als  die  jedes  andern  Spectroskops ,  hat  vielmehr, 
wegen  der  compendiöseren  Gestalt  des  Ganzen  und  wegen  der  senk- 
rechten oder  wenig  geneigten  Richtung  des  Sehens  eher  einen  kleinen 
Vortheil  gegenüber  den  anderen  Einrichtungen.  Namentlich  scheint 
dieses  der  Fall  für  die  Beobachtung  der  Beugungserscheinungen,  die 
man  mit  dem  kleinen  Instrument  ganz  in  demselben  Umfang ,  aber  mit 
einfacheren  Mitteln  und  weniger  UmsUinden  wie  mit  einem  Fernrohr 
zur  Anschauung  bringen  kann.  Alle  von  Schwerd  und  Fraunhofer  stu- 
dirten  Erscheinungen  dieser  Glasse,  besonders  die  mannigfaltigen  Far- 
benspectra,  welche  enge  Gitter,  einfach  oder  paarweise  gekreuzt,  zei- 
gen, lassen  sich  theils  mit  Lampenlicht,  (heils  mit  Sonnenlicht  auf  das 
Schönste  vorführen.    Bei  diesen  Versuchen  sc    "      *    Vi  denjenigen 


(I>>ni  pmmatisclx'n  S|>t'Clr'itni,   koinnil  ilii-  l.eidiLi[;kril  xii  Slatimfl 
iiiil  welcher  man  Mos  durdi  Wrcharln  des  SjaU-iiiü  udw  des  C 
am  Mikroskop  <)io  Vm-grOsserung  des  Bildes  zwiscbcn  wulUrn  Gra 
veründem   kuDii,     Eioi'  si'hwaclio  Vorj^rilssoruiiB  erlaubt,    das  \ 
Spoiilral-  üdor  lk<ugungshild  in  oiner  di'i-  des  natürlichen  Sehoe 
glcidi kommende II  llellij^kcrt  triit  cjni'ni  Bliukc  zurAnsdiauung  tu  brin- 
gcfi;  der  Ltelicigniii;  /.n  einer  betriielillidi  sUirkert'u  |!esUilk-t, 
(tincr  kli^inpn  Di'<-hiini^  des  fiiRiniis  oder  des  Bcli'iiciiUingssiiiegels  C 
einzelni-u  Tlieik'  snwe.ssiv  /u  iliinlirimsli  rii  un(!  <iiir  feinere  Details  Sd] 
unlersiiehen. 

Die  lieschi'ieln-no  Vurrii'.litunf;,  die  niieli  den  Angidw^n  des  Verb» 
sers  in  der  nptisihon  Werkstatt  des  Herrn  Carl  Zeiss  in  Jena  anj^ürurtj« 
wurde,  kann  auH  dieser  in  lx'kanntervor7.lli!liclii>i'Ausr(lhnin^utiiFnasst-l 
gon  l'ieis  lieKo^eil  werden,  und /.%var  iu  den  beiden  l'ori 
oben  Erwiilinun);  yeseliehen  isi. 


X 


Untersuchungen  aber  Bau  und  Entwicklung  der  Arthropoden. 

Von 

Dr.  Anton  Dohm. 


8.  Die  Utfberreste  des  Zoea- Stadiums  in  der  ontog^enetischen  £nt> 
wicklang  der  verschiedenen  Cr nstaceen -Familien. 

Das  Zoea -Stadium  in  der  onlogonetischen  KiUwic*klunt|;  der  De- 
capoden  ist  so  ausgeprä^^t  und  so  weil  verhreitel,  dass,  was  einsl 
bei  Begründung  der  Krebs -Embryologie  durch  Hathkb^s  Entwicklung 
des  Flusskrebses  als  Flegel  erschien,  nämlich  die  Entwicklung  des 
Krebses  ohne  Z  oea-Sla^lium,  überhaupt  ohne  Verwandlung,  —  heute 
das  grade  Gogentheil ,  die  Ausnahme  geworden  ist.  Man  kennt  bereits 
eine  bedeulc»nde  Zahl  von  Zoiia- Formen  der  Brachyuren,  Ma- 
cruren  und  Anomuren  und  Fritz  Müllkr  hat  uns  auch  mit  der 
Z  0  0  a  -  Form  zweier  S  l  o  m  a  t  o  p  o  d  e  n  bekannt  gemacht.  *)  Durch  des- 
selben Forschers  mehrfach  angedeut<*le  Meinung*-^  ,  in  der  Zoöa  den  Ur- 
sprung der  Insecten  suchen  zu  wollen,  hat  diese  l.ai  vi ngestalt  ein  ganz 
aussergewöhnliches  Interesse  ttekonmien.  Dieselbe  Anschauung  Über 
die  genealogische  Verbindung  der  Insecten  mit  der  Zo(»a  hat  sich  wei- 
ter ausgebreitet.  Zuerst  und  am  ausdrücklichsten  folgte  ihr  IIaeckkl'^j, 
welcher  zugleich  die  Spinnen  undMyriapoden  aus  derselben  Quelle  her- 
zuleiten versuchte.  Denselben  Weg  versuchte  ich  selbst  geraume  Zeit 
l«mg;  einen  Ausdruck  fand  dies  Bestreben  in  zwei  Aufsätzen  *).    Dann 


4)  Bruchstuck  zur  Eiit>vicklungs{;cscli.  der  MaulTussor.     Arch.  T.  Nalurg.  4862, 
|>.  354—364. 

2)  Verpl.  dio  Vcrwaiuüung  der  Gonioelen.    Arcli.  f.  Nalurg.  4  863,  p.  4  3.    Fit- 
iier:  Für  Darwin  p.  33  u.  94. 

3)  (ieiierellc  Morphologie  der  Organismen,  II,  p.  XCI.  .  .  Derselbe:  Natürliche 
Schöprungs^eschiclito. 

K)  On  Ihe  Morplioiogy  uf  tlie  Artbropoda.    Journal  of  Anatomy  a.  Physiol.  IL, 
|)  80  und:  Zur  Embryologie  der  Arthropoden.   HabUilalioobschrifl  4  868. 


472  Dr.  ^u^.  Dofarn. 

nahm  Bessels  dieselben  Gedanken  auf) ,  indem  er  mit  dem  kugelför- 
migen Oriian  der  Amphjpoden  den  iirsjirllnglidit'n  KeiniliautliUgel  im 
Spinnen-Eie  verglich.  Dann  erwShnl  dieselben  Meinungen,  —  ohne 
aie  zu  llieilcn  —  Braubk''),  und  neuerdings  haben  sich  ihr  in  bedingter 
Weise  angeschlossen  GjiNtN*)  und  Van  Bhnkdhn  jun.  *). 

Witr  die  von  den  genannten  Forschern  erstrebte  Genealogisiruni; 
zu  Recht  bestehend,  so  t^cwann  in  der  Thal  Zo^a  eine  Bedeutung ,  die 
weil  über  die  ihr  bisher  i^egebene  hinausging.  Meine  eignen  Untersu- 
chungen, die  sieh  ininicr  weitiTausbreilelen,  hatten  recht  eigentlich  di<- 
Feststellung  dieser  Fragen  zum  Vorwurf;  wenn  ich  mich  auch  vorlau% 
Aber  das  Endresultat  nur  kurz  aussprechen  will,  so  habe  ich  doch  niil- 
zutheilcn,  was  ich  über  die  Stellung  der  Zoi>a  innerhalb  der  ganzen 
Crustaceen-Classc  herausgebracht  xu  haben  (glaube. 

Daeckel,  und  mit  ihm  wahrscheinlich  die  meisten  Zoologen,  sehen 
in  der  Zoüa  eine  l.aivenform,  weiche  ausschliesslich  in  der  Vorfahrcn- 
reilic  derMalacostraka  heslanden  hat.  Daraus  folgte,  dass  die  gesanini- 
len  Enlomostraken,  die  Phyllopoden,  Cirripeden,  Daphnien  und  wir 
alle  die  merkwürdigen  Formen  heissen, — sich  von  dem  gemeioKani 
seit  Nauplius  durchirblen  Sljimm  bereits  abgetrennt  hätten,  ehe  es  noch 
zur  Bildung  einer Zoea  gekommen  war.  So  weitwirnun  dieOntogenes*' 
der  Criislai'eeii  keimen,  lindet  sich  nur  bei  Decapoden  und  Stomatopo- 
den  ein  Zoi'a-Sbidium,  und  nach  Fsitz  Müllers  Meinung  liissl  dicRe- 
spirationsweibc  von  Tanais  darauf  schliessen,  dassotnslmalsaucb  die 
IsopodencineZo^a-Gcslait  bcsassen.  In  meinen  bereits  citirlen  Aufsätzen 
vermehrte  ich  dann  die  Beweise  für  ein  Zot'a-Sladium  innerhalb  der 
Edriophlhalmen,  das  freilich  längst  als  selbständiges  Larvenstadium 
untoiTlrUckl  ist,  indi'iii  ich  den  sog.  Micropylapparat  im  Rticken  der 
Ämphjpoden-  und  Isopoilen-Embryonen  für  den  letzten  Ucberresl  i\f» 
Bllckenslachels  der  Zoi'a  erklii^t4^  Darin  ist  mir  ftlr  dicAmphipodendie 
Beislimmung  Bessels  geworden,  der  auf  solbsiandigeni  Wege  zum  glet- 


I)  Einlt;<:  Worte  über  {litt  GtilwicklunK-sgescIiicIile  und  den  niorphologiäclieii 
Werlh  des  kii|jel  form  igen  Orgnns  dyr  Aniphipoden.  Jensisclie  üeilKclii'.  f.  Med.  u. 
Naiurw.  V.,  p.  gl, 

3)  Betmchlungcii  über  die  Verwandlung  der  Inseclen  im  .Sinne  der  Desci^n- 
denzlheoric.  In:  Verliandl.  d.  k.  k.  zoolng.-liotnn.  GcsellS(;haU  in  Wien  ISfi9.,  |i. 
S99  ff. 

3)  Beilrage  zur  Krkennlnjss  der  Enlnicklungsgesi'.hichte  tiei  den  Inseclen. 
Zellsulir.  r.  wiss.  Zuolog.  MX.,  p.  39(  u.  Hl. 

i)  Ri^(-Iici't;lies  sur  l'KmbryoKi'nle  des  C.rustac^s.  Develnppemenl  des  Mjsis. 
Bull.  a.  1  AcBil.  roy.  d.  Belgique  XXVIII.,  p.  139  u.  t(7. 


Diitersiichiiniseii  Ober  Bau  und  Kutwickluiig  der  Arthropoden.  473 

rhen  Resultat  kam ,  wio  in  dem  oben  cilirten  Aufsätze  näher  ausgeführt 
worden  ist. 

Ich  vermag  aber  nicht,  in  den  bisher  gebrauchten  Kriterien  zur 
Definition  der  Zo^a  mehr  als  nur  einen  Theil  der  Eigenthümlichkeiten 
betont  zu  sehen.  Fritz  Müller  bestimmt  dieselben  folgendei'maassen  *  : 
,,Ich  möchte  den  Namen  Zol*a  auf  alle  Krebslarven  ausdehnen,  die  zwei 
Paar  Fühler,  drei  Paar  Mundtheile  und  zwei  bis  drei  Paar  Füsse  an  der 
Brust  besitzen,  aber  noch  der  fünf  bis  sechs  letzten  Paare  der  BrustfUsse 
entbehren.^'  Diese  Definition  passt  unzweifelhaft  auf  die  Zot^a-Gesl^lten, 
die  uns  jetzt  als  Larven  erhalten  sind,  aber  sollte  eine  Definition  der- 
jenigen Zoöa  gegeben  werden,  welche  als  phyletische  Entwicklungsstufe 
des  Krebsstammes  bestanden,  so  v^ürden  Geschöpfe  einbegriffen  wer- 
den müssen,  die  der  Zot^a,  soweit  sie  Larvenform  und  uns  bekannt  ist, 
nicht  gleichen  möchten  ,  da  doch  in  jeder  Abtheilung  der  Krebsr ,  also 
auch  bei  den  Entomostraken  einmal  ein  Stadium  bestanden  haben 
inuss,  wo  sie  jener  fünf  bis  sechs  letzten  Paare  der  BrustfUsse  entbehr- 
ten. Ob  dies  Stadium  aber  so  ausgesehen  hat,  dass  wir  es  gleichfalls 
mit  dem  Namen Zoija  belegen  würden,  wenn  wir  es  heute  fänden,  dar- 
über vermag  uns  jenes  Kriterium  der  Zahl  der  Gliedmaassen  allein 
eben  nicht  aufzuk.lären ,  —  wir  müssen  nach  andern  Kennzeichen  su 
eben.  Die  charakteristischen  EigenthUndichkeiten  der  Zoi^a  erblicke  ich 
aber  in  ihren  verschiedenen  Stacheln,  die  wir  als  Rücken-,  Stirn-  und- 
Seitenstacheln  kennen.  Fritz  Müller  scheint  der  Meinung  zu  sein,  diese 
Stacheln  seien  keine  Eigenthümlichkeit  der  phyletischen  Entwicklungs- 
stufe Zo^a  gewesen,  sondern  erst  von  den  Larven  der  Malacostraka  selbst 
erworben.  Anders  wenigstens  vermag  ich  die  folgenden  Worte  nicht  zu 
verstehen  2)  :  ,,Wie  die  Stachelfortsätze  der  Zoöa,  so  sind  die  ScheeVen 
am  vorletzten  Fusspaare  des  jungen  Brachyscelus  als  von  der  Larve 
selbst  erworben  anzusehen.**  Sollte  ich  diese  Stelle  aber  auch 
inissverstehen ,  jedenfalls  scheint  mir,  dass  wir  mit  Sicherheit  auf 
die  Stachelausrüstung  der  Ur-Zoi*a  schliessen  können,  aus  den 
überall  verbreiteten  Rudimenten  dieser  verschiedenen 
Stachel. 

Dass  jener  «Micropylapparat»  am  RückenderAmphipoden-Embryo- 
nen  als  Ueberbleibsel  des  Stachels  gedeutet  werden  müsste,  erschien  mir 
so  wahrscheinlich,  dass  ich  an  eine  ins  Einzelne  gehende  Beweisführung 
ursprünglich  nicht  dachte.     Erst   als  mir   von    mehreren  Seiten  darin 


4)  Bruchstück  zur  Entwicklungsgeschichte  derMaulfüsser,  p.  364,  Anmerkg. 

5)  Für  Darwin,  p.  85. 


474  Dr.  hat.  Dohru, 

widersprochen  wurde,  sah  ich  mich  genölhigl,  weilpre  Aufst-hlUssr  /u 
suchen  und  einen  voHsUindiReren  Beweis  zu  versuchen.  Derselbe  w.m 
nur  so  zu  führen,  dass  hei  Docapoden,  deren  Zoi'i»  keinen  Sl>ichel  mehr 
entwickelte,  an  derselben  Skulle,  wo  dieser  Slachel  hatte  sitzen  soll<-n. 
eine  Zellenanhäufung  nachgewiesen  wui-de,  welche  mit  derjenitji'o  von 
Edriophlhalmen-Embryonen  mehr  oder  weniger  identisch  wiJre. 

Dieser  Beweis  gelang  mir,  als  ich  in  Hessina  die  Embryonen  von 
P.indalus  Narval  untersuchte.  Die  Z  oS  a  dieses  Krebses  besitzt  nur 
einen  Stirnstachel,  der  BUckenstächel  und  die  Scitenstacheln  sind  ver- 
schwunden. Untersucht  man  aber  den  l-'mbryo  in  den  Eihfiuten  ,  so 
gewahrt  man  dicht  an  der  hinteren  Gi'enze  des  Panzers  auf  dem  RUckcu 
über  dem  Herzen  gelegen  einen  Zellhaufen ,  der  bei  leichtem  Druck  dfs 
DeckglHscliens  sich  als  eine  Vorragung  ergicbt,  die  aussen  an  die 
Blnstodcmihaut  stösst,  weiche  hier  sowohl,  wie  bei  allen  andern  De- 
capoden  -  Embryonen  von  mir  aufgefunden  wurde.  Dieser  Zellhaufen 
wies  in  der  Hitte  eine  Vertiefung  auf,  in  die  anfilnglich  die  Blastoderin- 
haut  iricbtei'förmig  hineingezogen  war.  Die  vorragende  Partie  des  Hau- 
fens best^md  aus  kleineren  Zellen  von  fl,OüäMni.  Durchmesser;  umge- 
ben war  dieser  Haufen  von  grosseren  Zellen  der  Bückenwand,  weldie 
weniger  dicht  waren  und  0,018  Mm.  maassen.  Die  Breite  des  Haufens 
betrug  0,08  Mm.  Die  Dicke  oder,  wenn  man  will,  die  Höhe  0,03 lim., 
.während  die  BUckenwand  nur  0,00i  Hm.  maass.  Diese  Angaben  zu- 
sammingehallen  milderThalsaclie,  dass  diefertigeZoÜa  keinenBUcken- 
Stachel  besitzt,  machen  es  höchst  wahrscheinlich,  dass  der  eben  be- 
schriebene Zellhaufe  das  letzte  Budiment  dieses  Stachels  bildet. 

Diese  Angaben  können  indess  noch  vervoltsl;indigt  werden,  wenn 
ma'n  einen  Blick  auf  die  Art  der  Anlage  des  Stachels  wirft,  wie  .sie  bei 
der  Zoöa  des  Portunus  puber  sich  finden.  Der  Stachel  legi  sieb 
dort  als  solider  Zellkegel  an,  dessenSpitze  nach  vorn  zu  liegt,  während 
die  Basis  halbkn^sförmig  in  die  BUckenwand  sich  hineinwölbt.  Rund 
herum  liegen  die  Zeilen  der  seitlichen  Wulste ,  welche  die  Wurzeln  des 
Stachels  in  der  BUckenwand  bilden  und  allmülig  in  die  letztere  über- 
gehen. Duchten  wir  nun,  eine  Rückbildung  trijtc  ein,  so  würde  zuerst 
die  Spitze  sich  nicht  mehr  so  weit  Über  die  BUckenvtand  nach  vorn 
legen,  das  ganze  Gebilde  wUrde  sich  im  Gcgcntbeil  nltmälig  nur  aai 
seinen  Grundtheil  beschrilnkcn  und  seine  H&htung  wUrde  als  jene  Ver- 
tiefung y.urUckbleiben,  wir  würden  somit  das  Gebilde  erhalti-n,  wel- 
ches wir  von  Pandalus  Narval  beschrieben  haben. 

Ich  habe  noch  weitere  Bezüge  ausder  Entwicklungsgeschichte  des 
Palinurus  anzuziehen.  Wir  treffen  in  der  Entwicklung  dieses  merk- 
würdigen Krebses  kein  Zoüa-Stadium  mehr  als  freie  Larveoform     Die 


Uiitersuchunjyreii  übfr  Bau  und  Fiiitwiekluiig  der  Arthropoden.  475 

Larve,  welche  das  Ei  verlässt,  ist  ein  Phy  llosoma*).  Man  hat  sich 
in  vielfachen  Bedenken  bewegt,  wie  dies  Stadium  sich  zu  dem  Knl- 
wicklungsgange  der  andern  Decapoden  verhielte,  ob  nicht  aus  ihm  eine 
Schwierigkeit  für  die  Genealogisirung  erwüchse.  Ganz  und  gar  nicht! 
Die  Loriralen  P  a  I  i  n  u r  u  s  und  S  c )  1 1  a  r  u  s  —  wahrscheinlich  auch 
Ibacus,  Pseudibacus  etc.  —  überschlagen  das  Zoi^a-Stadium,  das 
zu  einer  gewissen  Periode  im  Ei  zu  erkennen  ist,  und  verlassen  die 
Eihülleu  als  eine  merkwürdig  abgeflachte,  fast  vollständig  entwickelte 
Krebslarve,  die  etwa  dieEntwicklungsböhe  einer  Krabbenlarve  zwischen 
Zoea  und  Mega  lops- Stadium  besitzt.  Die  charakteristische  Abge- 
flachtheit  der  Phyllosomengestalt  erschwert  nur  für  den  obeHliichlichen 
Blick  die  Homologisirung ,  denn  der  breiteste  vordere  Abschnitt  ist 
nichts  als  der  Zoi^a- Panzer,  in  dessen  Höhlung  die  in  vielfache  SchUluche 
getheilten  Lebern  liegen.  Dächte  man  die  Lebern  wieg,  oder  zu  ein- 
fachem Organen  gebildet  und  näher  der  Mittellinie  liegend,  so  würden 
die  Seitenräume  des  flachen  Panzerschildes  sich  nach  unten  biegen 
lassen  und  man  hätte  eine  Zo^a  vor  sich,  die  freilich  keinerlei  Stacheln 
mehr  trüge  und  bereits  den  Weg  zur  Megalops-Form  halb  zurückge- 
legt hätte. 

Dass  dem  in  derThatso  ist,  geht  aus  dem  Rudiment  des  Rücken- 
stachels hervor,  das  man  an  den  Embryonen  des  Palinurus  ßndet. 
Dasselbe  sitzt  grade  am  Hinterrande  des  vorderen  breiten  Schildes, 
dessen  Homologie  mit  dem  Zo^a -Panzer  ich  eben  betonte,  und  bildet 
einen  Wulst  der  Rückenwand.  Die  Breite  der  Wandung  belrägt  0,02 
Mm.  und  ist  dreimal  so  stark  als  die  Rückenwandung;  die  Breite  des 
ganzen  Wulstes  ist  0,070  Mm.  An  einem  Embryo  gewahrte  ich,  dass 
bei  leisem  Druck  das  Rudiment,  als  ein  napfförmiger  Wulst  sich  nach 
innen  senkte,  die  Wandungen  derselben  waren  viel  dunkler  als  die 
Rücken wandiing,  das  Ganze  erinnerte  mich  sehr  an  die  Ge/>talt  des 
Haftorgans  der  Daphniden- Embryonen  und  der  E v a d n e.  An  zwei 
andern  Embryonen  löste  sich  bei  Druck  die  Cuticula  des  Rückens  ab, 
und  die  Zellen  der  Rückenwand  wölbten  sich  jede  einzeln  nach  aussen 
vor;  dagegen  bildete  der  Wulst  keine  Vorwölbung  und  keine  einzelne 
Zelle  ward  discret  sichtbar,  das  ganze  Gebilde  grenzte  sich  mit  flacher 
Linie  nach  aussen  ab. 

Wie  l)egreiflich ,  ist  die  Strudur  des  Rudiments  hier  noch  ver- 
wischter und  rückgebildeter y  als  bei  den  Zoäa  selber,  denn  wir  haben 
CS  schon  mit  einem  Stadium  zu  thun,  welches  das  Zo^a-Stadium  be- 
deutend Überschritten  hat. 


4)  Vergl.  Dohrn,  zur  Entwicktungsgescbicfate  der  Fanzerkrebse.    Zeitschr.  f. 
w.  Zool.,  XX. 


476  Dt.  Aut.  Dohrn, 

Bei  den  Embryonen  voD  Homaru&  liab»  icli  acLliusslicb  gar  Lrini- 
Andeutung  des  BUckenslaehel- Rudiments  mehr  {jefunden  :  die  Ent- 
wicklung [;ebl  dorl  raschoi-  und  nhgekUrzter,  und  obwohl  ein  Stirn- 
slscbel  sieb  noch  bei  den  ausgekrochenen  Larven  ßndet,  sind  ducb  schon 
frühzeitig  vom  RUckenstachel  keine  Spuren  mehr  zu  sehen. 

Von  der  Embryologie  der  Stoma  topoden  wissen  wir  nicbts: 
weder  Fritz  Müller  noch  mir  rsl  es  gelungen,  Eier  und  Embryonen  zu 
nnlersuchen,  Dass  wir  aber  an  den  jüngsten  Larven  dei'seiben,  «Ifn 
Alimo's  und  Erich thus  sowohl  Stirn-,  wie  Rücken-  und  Seilen- 
stacheln Qnden  ,  ist  bei'eits  durch  Fritz  Hüllgh's  oben  cilirte  Untersu- 
chungen bekannt  und  wird  durch  eine  ausfuhrlichere  üarlegun^  di-r 
._  Larvenstadien  von  SquiUa  und  Gonodactylus,  welche  ich  in  dif 
Reihe  dieser  AuTsiilze  einfügen  werde,  bestUligt  werden. 

Zahlreicher  dagegen  sind  unsre Erfahrungen  überdasAurtreleii  des 
Stachelrudimenls  innerhalb  der  Amphipoden  und  Isopoden.  In 
ersterer  Abtheilung  ist  dasselbe,  wie  oben  bereits  erwähnt,  zuerst  auf- 
gefunden und  fälschlich  als  Hicropylappnrat  gedeutet  worden.  Dass  wir 
diesen  Zellhaufen  der  Edriophthalmen-Emhryonen  nun  aber  in  der  Thal 
für  das  Rudiment  des  BUckenstachels  und  somit  für  ein  Honumenl  de» 
Zotja- Stadiums  zu  hallen  berechtigt  sind,  —  das  glaube  ich  durch  die 
vorstehenden  Hittheilungen  bewiesen  zu  haben. 

Fritz  Müller  weist  auf  dieses  Rudiment  hin,  als  allen  Amphipoden 
zukommend ;  ich  habe  es  auch  bei  Idolhea-  Embryonen  gefunden  und 
auf  derTafel  zu  meiner  Habilitationsschrift  abgebildet.  Es  ist  dort  ilhn- 
lich  wie  bei  Palinurus-Embryonen  nur  noch  ein  dicker  Zellhaufen  ohne 
sonderliche  Umbildungen.  Bei  Asellus  und  andern  Isopoden  habe  ich 
keine  Spur  von  demselben  mehr  entdeckt.  Dagej^en  beschrieb  ich  eine 
vollkommen  identische  Bildung  bei  denCumaceen-Embryonen'}  und 
den  F^mbryonen  von  Pranizamaxillaris^).  Bei  beiden  erlangt  der 
Apparat  keine  wesentliche  Umbildung,  erscheint  vielmehr  als  ein  ein- 
faches Rudiment. 

Bei  den  Amphipoden  dagegen  finden  wir  allerhand  merkwürdige 
Umbildungen.  Ich  habe  in  der  citirEen  Habilitationsschrift  die  erste  An- 
lage des  Apparates  beschrieben.  Dieselbe  erfolgt ,  wenn  die  Reindiaul 
bereits  den  ganzen  Dotter  Überzieht ,  und  wird  dargestellt  durch  einen 
Haufen  grosser  kugliger  Zellen^).  Aus  diesem  Haufen  gehen  nun  aller- 
hand sonderbare  Umbildungen  hervor.    Man  findet  die  Larveohaut  stels 


i)  Jenaische  ZeiLichrin  V.,  p.  B6, 

i]  ZciUchrirt  f.  Wissenschaft].  Zoologie  XX. 

B|  Vergl.  die  Darstellung  Bessei'sa.  a,  O,,  p.  96. 


ÜntersuehnngeD  Aber  ßan  und  Entwicklung  der  Arthropoden.  477 

in  Verbindung  mit  demselben ;  mitunter  wird  sie  durch  einen  Aufsatz, 
der  wie  eine  Krone  aussieht,  gehalten ,  manchmal  durch  eine  gruben- 
odercanalartige  Vertiefung,  dann  fand  ich  bei  einerLysianassa  aus  der 
Scylla  bei  Messina  ein  gewölbtes  Gitter  —  kurz  die  verschiedenartigsten 
Bildungen ,  die  recht  deutlich  beweisen,  dass  dies  Organ  keine  wesent- 
liche Function  mehr  erfüllt  und  darum  nicht  an  eine  bestimmte  Gestalt 
gebunden  ist.  (Vielleicht  bieten  diese  Verschiedenartigkeiten  einen 
brauchbaren  Wegweiser  für  die  genealogische  Verknüpfung  der  Amphi- 
poden  unter  sich.)  Die  krönen-  oder  gitterartigen  Aufsätze  danken,  wie 
ich  direct  beobachten  konnte,  einzelnen  umgebildeten  Zellen,  die  ihren 
Inhalt  und  Kern  verlieren  und  ganz  in  die  Bildung  einer  äussern  und 
innem  Cuticula  aufgehen,  ihren  Ursprung. 

Somit  finden  wir  also  diesen  Rttckenstachel  entweder  vollständig 
ausgebildet  bei  vieleii  Zo^a  der  Brachyuren  oder  als  Rudiment  bei 
Macruren;  wir  sehen  ihn  bei  Larven  der  Stom  atopoden  und  als 
Rudiment  bei  Cumaceen,  Isopoden  und  Amphipoden.  Und  da- 
mit stände  denn  iir  Einklang,  dass  man  die  Malacostraken  als  von 
der  Z  o  6  a  gemeinsam  ausgehend  darstellt.  Denn  ebenso  wie  H  o  m  a  r  u s 
undAstacus,  wiePalinurus  und  Scyllarus  das  freie Zo^astadium 
unterdrückt  haben ,  so  ist  dasselbe  geschehen  von  den  Cumaceen, 
von  Mysis  und  den  Edriophthalmen. 

Die  Entomostraken,  die  Branchiopoden,  Girripeden, 
kurz  alle  andern  Crustaceen  sollen  dagegen  ihre  definitive  Ausbildung 
erlangt  haben ,  ohne  durch  ein  Zo^astadium  gegangen  zu  sein.  Diese 
Ansicht  hat  vor  allen  Dingen  die  Thatsache  für  sich ,  dass  wir  keiner 
Zoea  als  freier  Larve  in  dem  Entwicklungsgange  irgend  einer  der  an- 
geführten Familien  begegnen.  Aber  sie  hat  gegen  sich ,  dass  wir  Ge- 
stalten wie  Nebalia  finden,  die  sichtbar  zu  den  Malacostraken  hin- 
überweisen,  dass  wir  ferner  zwischen  Phyllopoden  und  Mala- 
costraken Homologieen  in  der  Weise  aufstellen  können,  dass  erstere 
die  einfacheren,  ursprünglichem,  letztere  die  daraus  hervorgehenden, 
verwickeiteren  Gestalten  bilden,  — wir  haben  schliesslich  als  ausschlag- 
gebendes Argument  anzuführen ,  dass  sich  das  Zo^a-Stachel-Rudiment 
bei  fast  allen  Familien  der  Entomostraken  nachweisen  lässt. 

Leider  habe  ich  trotz  aller  Bemühungen  noch  keine  Phyl lo p o- 
den-Eier bekommen  können;  ich  muss  also  mich  begnügen,  fremde 
Forschungen  zu  benutzen.  So  sagt  Sibbold  >) :  »Mit  dem  nidiuicntären 
einfachen  Auge  darf  jenes  problematische  blasenförmige  Organ  nicht 
verwechselt  werden ,   welches  hinter  den  zusammengesetzten  Augen 

4)   Vergleichende  Anatomie  der  wirbellosen  Thiere,  p.  445,  Anmerk.  8. 
Bd.  Y.  4.  83 


478  Dr.  Ant.  Dohrn, 

gewisser  Phyllopoden  und  Lophyropoden  angebracht  ist.    Bei  Apus  ent- 
hält dies  Organ  einen  viertheiligen  Kern    (s.  Schäfer  ,   der  krebsartige 
Kieferfuss,   Tab.  IL,  Fig.  i  6,    oder  Zaddacb   De  Apodis  cancriformis 
anatonoie  et  historia  evolutionis  p.  48,  Tab.  II,  Fig.  10  P  und  Fig.  25) ; 
der  blasenförmige Körper,  welcher  sich  beiLimnadia  hinter  dem  Auge 
aus  dem  Innern  des  Kopfes  gegen  die  Slime  hin  erhebt  (s.  Broghiart, 
Memoire  sur  le  Limnadia ,  in  M^moires  du  Mus6e  d^histoire  naturelle 
tom.  VI,  p.  88,  pl.  13,  Fig.  6)^  soll  nach  Strauss   zur  Anheftung  des 
Thieres  dienen  können  (vergl.  Museum  Senckenberg.  Bd.  II,  p.  126,  oder 
F6russac  Bulletin  des  sciences  naturelles.    Tom.  22,    1830,  p.  333j.u 
Aus  diesen  Citaten  wähle  ich  die  folgenden  aus.   Die  Angaben  Zad- 
DACHES  lauten:  »Praeter oculos compositos,  adultis  in animalibus  organon 
quoddam  reperitur,    quod  oculum  simplicem  esse  putavit  SchaefTer. 
Inter  margines   enim   oculorum   compositorum   posteriores  emineotia 
quaedam  parva  invenitur  forma  rotunda,  margine  acute.    Superficies 
hujus  eminentiae  albida  et  nitens  est,  media  autem  in  ea  macula  quae- 
dam conspicitur,   quae  quasi  quatuor   lobulis  composita,   stdlae  sive 
crucis  formam  refert  et  viventibus  animalibus  colore  sanguineo,  mortuis 
obscuriore  et  nigro  est.    NQn  semper  autem  tarn  distincte  inter  se  dis- 
juncti  sunt  lobüli,  ut  figura  nostra  eos  ostendit,  sed  interdum  mihi  qui- 
dem  in  unam  maculam  rotundam  confluere  videbantur.  —   Haec  est 
hujus  partis  species  externa,  quaestione  anatomica  id  reperi.    Si  testa 
cephalothoracis  externa  abstrahitur ,  ille  ejus  locus ,  qui  eminentiae  su- 
perficiei  insitus  erat,  pelluciduset  illis  testae  partibus  simillimus  repe- 
ritur ,  quae  oculos  compositos  obtegunt.    Tum  si  eminentiae  illius  su- 
perficiem  contemplaris ,  maculae  illae  rubrae  integerrimae  adhuc  con~ 
spiciuntur.    Apparet  autem  superßciem  obtegens  membrana  quaedam 
tenerrima  et   moUissima,  hoc  modo  constructa.    Media  ejus  pars  om- 
nino  est  pellucida ,  margo  autem  latus  colore  albido  et  nitente  stru- 
cturam,  ut  ita  dicam,  imperfecte  radiatam  praebet,  quum  innumerabiies 
lineae  tenerae  ac  multis  modis  inter  se  conjunctae  connexaeque  a  mar- 
gine ad  mediam  partem  decurrere  videantur.    Si  haec  membrana,  quae 
solute  tantum  eminentiae  insita  est  et  saepe  ad  testam  conternaro  ad- 
haerescit,  removetur,  subito  omnes  diversi  colores  auferuntur  et  tota 
superficies  unum  modo  colorem  subrubrum  praebet.    Ipsa  autem  emi- 
nentia,  parieti  posteriori  illius  cavitatis  insita,  quae  ventriculi  cordis 
arteriosi  pars  anterior  est  ac  supra  diligentius  descripta,  multis  filamen- 
tis  solidis  componi  videtur,   quae  a  margine  ejus  radiatim  ad  partes 
adjacentes  se  conferunt,  a  parte  media  autem  per  cavitatem  illam  libere 
pervadunt  et  hujus  parieli  inferior!  afiFixa  sunt.    Nequaquam  autem  haec 
filamenta  nervosa,    sed   magis  tendinosa  esse   videntur  et  tanta   sunt 


rJ 


(JntersQchniigen  Ober  Baq  und  Entwicklung  der  Arthropoden.  479 

soliditate ,  ut  difiTicile  discerpi  et  dissecari  possint.  lilam  quidem  cavi- 
tatem  nervus,  cujus  jam  supra  mentio  facta  est,  e  nervo  oculi  juvenili 
animali  proprii  ortus  intrat  et  duos  in  ramos  finditur,  sed  porro  hos 
persequi  non  potuit.  —  Et  baec  habeo ,  quae  de  his  pariibus  dicere 
possim;  ut  accuratius  perquiram^  apta  exemplaria  mihi  deerant.  Itaque 
quamquam  de  vera  hujus  organi  natura  et  functione  dijudicare  non 
possum  y  id  minime  intelltgi  polest ,  quomodo  hae  partes  oculi  vice  fun- 
gantur,  quum  nee  lentis  nec-corporis  vitrei  vestigium  reperiatur.  Contra 
maculae  illae  rubrae ,  quae  in  superficie  eminentiae  conspiciuntur ,  eo 
tantum  effici  videntur,  quod  per  partem  illius  membranae  supra  de- 
scriptae  mediam  ac  pellucidam  iilae  partes ,  quas  sanguis  corde  pro- 
pulsus  ioterfluat,  conspiciuntur.  —  Hoc  totum  organon  in  juvenilibus 
animalibus  omnino  desiderari  et  tum  demum,  quum  jam  omnes  fere 
ceterae  corporis  partes  perfectionem  adeptae  sint,  existere,  infra  vide- 
bimU8.(( 

Soweit  Zad»ach's  Angaben  über  Apus.  Derselbe  Forscher  erwähnt 
auch  ein  Giiataus  Jurüvs^s  Mittheilungen  über  Arguius,  wo  dasselbe 
Org^n  als  Gehirn  beschrieben  wird. 

BaoaifiART  sagt  über  Limnadia  dagegen  Folgendes:  »La  töte  offre 
ä  sa  partie  sup^rieure  un  peiit  appendice  v^siculaire ,  droit ,  incolore, 
dont  j^ignore  Tusage.«  In  einer  Besprechung  der  Mittheilungen  TnoHsoif's 
über  die  Larven  der  Cirripeden  sagt  dann  Stravss  DüRCKasia  in  F^ 
russac^s  Bulletin :  »et,  ce  qui  les  (Limnadia  et  Pentalasma)  rapproohe 
encore  davantage,  c^est  que,  dans  les  Limnadia  il  existe  au  devant  du 
Corps  un  pödoncule  court ,  renfl6  en  haut ,  par  le  moyen  du  quel  ces 
aniraaux  se  fixent  momentanöment  aux  oorps,  absolument  comme  les 
Pentalasma  le  fönt  d'une  manidre  permanente.«  Und  in  Uebereinstim* 
mung  mit  den  Angaben Zaddacb^s  bei  Apus  sagtLsaiBOULLET  in  seinem 
»Döveloppement  de  la  Limnadie  de  Herrmann«  (Annal.  d.  scienc.  natur. 
5.  Serie  Y.  p.  308) :  ]>L^«f>pendice  pyriforme  qui  surmonte  le  front  chez 
l^adulte  n'existe  pas  encore  dans  la  Limnadie ,  dont  la  carapace  n'est 
pas  achev^.  II  se  forme  peu  ^  peu  par  un  redressement  de  la  partie  du 
front  silu^  derni^re  les  veux.« 

Von  Limnetis  sagt  Giubb  ^) :  »Ebensowenig  scheint  ein  andrer, 
vor  dem  einfachen  Auge  gelegener  Körper  (vielleicht  eine  blos  anders 
beschaffene  Stelle  der  Kopfbck leidung)  eine  solche  Bedeutung  su  haben. 
Es  ist  dies  ein  länglichrundes,  mit  einet  Reibe  von  Hürcben  besetztes 
Mal  (arca  oblonga  Loven) ,  welches  wie  eine  fensterartige  Verliefung 
aussieht  und  von  dem  sich  ein  dicker  herabgekiilmmter  Strang  zum 

4)  Bemerkungen  über  die  PhylloptHjUen  p.  82. 

81* 


480  Dr.  Anl.  Dolirii, 

Unterrande  des  Auges  begiebt,  er  hat  nichl  das  Ansehen  eines  Muskels, 
ist  tjflers  gelblich  geförbt  und  zeigt  mitunter  einen  gewissenScIi  immer,  u 
Es  scheint  mir,  als  wenn  die  hier  besclii-iebene  Uildung  mit  dem  in 
Rede  stehenden  Rudiment  zusammen  gehöre. 

Bine  andere  wichtige  Aeussening  habe  ich  aus  Levdig's  Aufsalx 
Über  Branchipus  anzuführen').  Es  heissl  dort:  »Bei  Brancbi- 
p  US  liegt  in  der  Hillellinie  hinler  dem  StimQeck  ein  Gebilde,  über 
dessen  Bedeutung  ich  gar  nichts  auszusagen  weiss.  Es  besteht  aus 
einem  Ring,  der  von  der  Cuticula  gebildet  wird  —  der  umschlossene 
Raum  betragt  0,0t05"'  —  und  nach  innen  sitzen  unter  der  vom  Binpie 
begrenzten  Stelle  kleine  Sückchen,  die  hell  sind  und  0,OOIJ7£>"'  messen. 
Bei  Larven  ist  dies  Gebilde  grösser  als  beim  entwickelten  Thier.  An 
Ariümia  habe  ich  es  vermisst.«  Lbvdig  nennt  dies  Organ  »rilthsel- 
haflesOrgaou.  Aber  sowohl  die  lop(^raphischen  Bestimmungen,  als  dite 
Erwähnung  der  kleinen  Sitckcheu  deuU^n  zur  Genüge  an,  dass  wir  es 
mit  einem  Gebilde  zu  thuD  haben ,  welches  die  nächsten  Beziehungen 
zu  dem  Stachelrudiment  der  Malacostraken-Embryonen  hat  und  somit 
nicht  anders  gedeutet  wei'den  kann  als  jenes.  Ist  aber  das  RudintPiii 
da,  so  muss  auch  einmal  das  volle  Gebilde  bestanden  haben,  mithin 
müsse»  die  Phyllopoden  ein  ZoCastadium  gehabt  haben.  Damil 
stimmt  denn  auch  ihre  Berührung  mit  den  Mala  costraken  durch 
Nebalia  und  die  Abteitbarkeit  der  Ualacostraken-OrganisRtion 
aus  dem  Phyllopodcnkfirper. 

Strauss'  Nachricht,  dass  jenes  nr-lilbselhafte  Organu  im  Nucken  der 
Limnadien  zur  Anheftung  diene,  affnet  uns  nur  den  Weg  zur  Heran- 
ziehung der  Cladoceren.  In  meinem  Aufsatz  über  die  Entwicklung 
der  Daphnien^]  habe  ich  auch  der  Entwicklung  dieses  uHaftorgansu  ge- 
dacht. Die  Lage,  in  der  wir  es  finden ,  entspricht  vollkommen  derjeni- 
gen, in  welcher  es  bei  den  Halacostraken-Embr\onen  sich  zeigt,  und 
seine  Structur  weicht  nur  insofeme  ab ,  als  hier  das  Organ  nichl  func- 
tionslos  ist.  Rudimentär  mtlssen  wir  es  immerhin  nennen,  insofern  es 
das  Rudiment  des  ursprunglichen  Stachels  ist;  aber  als  Rudiment  hat 
es  eine  neue  Function  gewonnen  und  infolge  dessen  auch  eine  etwas 
verschiedene  Structur.  Aufsätze  od»'  gruben  artige  Vertiefungen  linden 
wir  nun  nicht  mehr,  aber  wirerkennen einecirculUreWulstung,  welche 
als  Saugnapf  dienen  kann.  Besonders  ausgebildet  ist  dieselbe  bei 
Evadne;  leider  habe  ich  zur  Zeit,  als  ich  Evudne  zu  Tausenden  ge- 

t)  Debet  Arlcmia  saltna  und  Branchipus  ^ln^nalis.  in  Zeltsi:ljritl  [,  wiss.  Zon~ 
logtc  m.,  p.  304. 

3}  Jenaiscbe  Zeitschrift  t.  Ued.  u.  Nalurw.  V.  p. 


riitersiichuugen  über  Bau  und  Eutwickliiiig  d«r  Arthropoden.  4g] 

fangen  halte,  noch  keine  Boachlung  für  dieses  Gebilde  bezeigt,  inu^s 
also  auf  eine  nur  oberflächliche  Zeichnung,  die  ich  vor  Jahren  nahm, 
und  die  Nachrichten  Loybn's  und  Leugkabt^s  mich  stützen.  Wie  be- 
kannt,  beschreibt  Ersterer  jenes  Gebilde  als  kreisrunden  Muskel,  wäh- 
rend Lbuckabt  ausführlicher  darüber  spricht  ^) .  Ich  setze  aus  Leuckabt^s 
Aufsatz  nichts  Einzelnes  her,  weil  er  für  die  Frage  nach  der  Natur  des 
Rückensaugnapfes  der  Gladoceren  ganz  und  gar  von  Wichtigkeit  ist, 
und  wohl  nachgelesen  zu  werden  verdient.  Genug ,  wenn  aus  all  Die- 
sem hervorgeht,  dass  wir  in  dem  Saugnapf  das  ursprüngliche  Stachel- 
rudiroent  zu  erkennen  haben  und  damit  zugleich  das  Ergebniss  ge- 
winnen,  dass  auch  die  Daphnien  einstmals  als  Zo6a  bestanden 
haben. 

Sollte  aber  irgend  Jemand  Ansloss  daran  nehmen,  dass  ein  Rudi- 
ment eines  Stachels  sich  zu  einem  Saugnapf  ausbilde ,  so  ist  dagegen 
zu  sagen ,  dass  dies  nicht  merkwürdiger  ist  ^  als  wenn  ohne  ein  solches 
Rudiment  ein  Saugnapf  irgendwo  am  Körper  auftritt.  Im  Gogcntheil ; 
grade  da  ,  wo  das  Rudiment  besteht ,  ist  die  Vorbedingung  zur  Ent- 
stehung eines  Saugnapfes  bereits  gegeben :  die  kreisförmige  Verdickung 
der  Haut.  Und  der  Rückenstachel  der  Zo^  ist  ohnehin  nicht  etwa  als 
eine  Guticular-Bildung  anzusehen ,  die  durch  Auswachsen  einer  Hypo- 
dermiszelle  zu  Stande  gekommen  sei;  der  Stachel  ist  imGegcntheil  ur- 
sprünglich eine  Verlängerung  des  Schildes ,  wie  uns  anderweit  anzu- 
stellende Betrachtungen  lehren ,  und  in  seine  Bildung  geht  eine  höchst 
bedeutende  Zahl  von  Hypodermiszellen  ein.  Darüber  haben  wir  freilich 
weder  Nachrichten  noch  Vcrmuthungen  ^  was  die  erste  Ausbildung  des 
Saugnapfes  bewirkt  hat.  Indess  auch  diese  Frage  wird  sich  noch  eher 
beantworten  lassen ,  wenn  wir  das  Stachelrudiment  als  vorhanden  an- 
sehen ,  als  wenn  wir  glauben  müssten ,  der  Saugnapf  habe  sich  aus 
heiler  Haut  plötzlich  eingestellt. 

Bei  den  Ostracoden  lässt  sich  bis  jetzt  keine  Spur  des  Organs 
auffinden ;  weder  hat  C  la  us  in  seiner  neuesten  Darstellung  der  Ent- 
wicklung von  Cypris  ovum^  eine  Angabe  darüber  gemacht,  noch  ist 
es  mir  gelungen,  irgend  etwas  auf  das  Rudiment  Bezügliches  mit 
Sicherheit  zu  erkennen.  Es  ist  sehr  wohl  denkbar ,  dass  alle  Spuren 
desselben  völlig  erloschen  sind,  wie  ja  auch  dasNaupliusstadium  sofort 
den  Charakter  des  Erwachsenen  annimmt  durch  die  Schalenbildung. 

Dagegen  finden  wir  die  mächtigste  Entwicklung  des  Stachelrudi- 


4)  Carcinologisches.  Archiv  f.  Naturg.  XXV.,  p.  968. 

5)  Beitrüge  zur  Kenotoiss  der  Ostracoden.    Würzburger  naturw.  Zeitschrift 
1868,  p.  454. 


482  I^r.  Ant.  Dobrn, 

ments  bei  den  Cirripeden.    Die  wichtigste  Nachricht  darüber  ver- 
danken wir  PageiNsteghbr^).    Derselbe  berichtet:  »Was  die  Art  der  An- 
heftung von  Lepas  betrifft,  so  war  ich  früher  nach  den  mit  Henrn  Pro- 
fessor Leogkart  in  Helgoland  gemachten  Beobachtungen  der  Ansicht, 
das  wesentlichste  Element  für  dieselbe  sei  in  einem  Napfe  nach  Art  des 
bei  Evadne  vorkommenden  gegeben,  weicher  provisorisch  wirke,  bis 
eine  Ankittung  an  die  Unterlage  durch  Secret^chichten  denselben  ent- 
behrlich mache.    Es  besteht  allerdings  bei  diesen  Larven  ein  Höcker  in 
der  Medianlinie  zwischen  den  beiden  Antennen,  dessen  Spitze  eine  von 
einem  muskulösen  Wulste  umgebene  Grube  darstellt,  und  derselbe  ist 
für  die  Stielbildung  von  Wichtigkeit.  Aber  hauptsächlich  fungiren  jeden- 
falls die  Antennen  als  Haftorgane,  —  etc.«  Und  weiterhin :  »Von  jener 
napfShnlichen  Hervorragung  am  Scheitel  ausgehend,    entwickelt  sich 
als  eine  breitere ,   durch  die  Muskelthätigkeit  angedrückte  FlSk^be  mit 
verdickter  Haut  die  Basis  des  sich  allmHlig  ausziehenden  Stiels*.  .  etc.« 
Diese  napfähnliche  Hervorragung  ist  nun  wieder  nichts  Anderes  als  das 
Rudiment  des  Zo^astachels ,  das  hier  eine  colossale  Weiterentwicklung 
erlangt  und  zu  dem  Stiel  der  Lepaden  wird.    Auf  diese  Meinung  ver- 
fiel ich,  ehe  ich  Kenntniss  von  der  ursprünglichen  Entstehung  des  Stiels 
hatte ,  weil  die  topographischen  Beziehungen  des  Stiels  und  des  Saug- 
napfes der  Cladoceren  identisch  sind  und  die  Function  des  Lepaden- 
Stiels  sich  aus  der  ursprünglicheren  jenes  Saugnapfes  ableiten   Idsst. 
Aber  viel  früher  hatte  schon  Leuckart^)  aus  denselben  Gillnden  diese 
Homologisirung  angedeutet,  die  er  noch  besonders  durch  den  Hinweis 
auf  eine  Beobachtung  Thohson\s  zu  unterstützen  weiss.    Letzterer  sage 
nämlich,  »dass  sich  die  zweischaligen  Larven  dieser  Thiere   mit  dem 
Rücken  anheften ,  und  dass  man  hier ,  in  der  Nath  zwischen  den  Scha- 
len  bei  den  noch  umherschwirrenden  Individuen  bereits  die  spätere 
Befestigungsstelle  unterscheiden  könne«. 

Wir  sehen  somit,  dass  auch  diese ,  früher  so  heterogen  erschei- 
nende Krebsgruppe  sich  leicht  in  den  Stammbaum  der  Krebse  einfügt, 
und  in  allernächster  Beziehung  mit  den  übrigen  steht.  Sie  hat  eben- 
falls ihr  Zo<$astadium  gehabt  und  ist  somit  auch  den  Malacostraken 
aufs  Nächste  verwandt*). 


4)  Untersuchungen  über  niedere  Seelhiere  aus  C6tte  II.  Zeitschr.  f.  wiss.  Zoo- 
logie XUI.,  p.  94. 

2)  A.  a.  0.  p.  S64. 

3)  Dieser  Aufsatz  war  bereits  in  den  Druck  gegeben,  als  mir  durch  die  Freund- 
lichkeit des  Herrn  Professor  Claus  desselben  neueste  Schrift  »Die  Cypris>ähnliche 
Larve  (Puppe)  der  Cirripeden  und  ihre  Verwandlung  in  das  festsitzende  Thier.  Ein 
Beitrag  zur  Morphologie  der  Rankcnfüssler.   Marburg  und  Leipzig.    4869«,  zuging. 


Untersuchungen  aber  Bau  niid  Entwicklung  der  Arthropoden.  483 

So  bleibt  uns  nur  noch  eine  Familie  zur  Untersuchung  übrig :  die 
Gopepoden.  Es  scheint  keine  Spur  eines  Rttckenstachel-Rudiments 
bei  den  frei  lebenden  Gopepoden  mehr  vorzukommen.    Der  Monograph 


Diese  Schrift  scheint  den  hier  vorgetragenen  und  später  auf  das  Ausföhrlichste  aus- 
einanderzusetzenden Ansichten  jeden  Boden  zu  entziehen ,  —  ich  gebe  daher  ihre 
wesenUichen  Resultate  hier  im  Auszuge  und  setze  meine  abweichenden  Meinungen 
in  Kürze  dagegen. 

Herr  Professor  Claus  hat  die  Cypris- ähnlichen  Larven  von  Lepasfasci- 
cularis  und  pectinata,  sowie  von  Conchoderma  virgata  untersucht; 
ausser  diesen  benannten  jedoch  noch  mehrere  grosse  und  kleine ,  welche  nicht  zu 
bestimmen  waren.     Die  Ergebnisse  seiner  Untersuchungen  sind  die  folgenden : 

4)  Der  von  Pagbnstbchbii  beschriebene  geöffnete  Vorsprang  an  den  vorderen 
Seitentheilen  der  Schale ,  welchen  Darwik  als  Oeffoung  eines  GehOrganges  in  An- 
spruch nahm ,  soll  auch  nach  Claus  das  Residuum  der  seiUichen  Stirnhörner  der 
zugehörigen  Naupl  iusform  sein.  »Wenn  aber  derselbe  Autor  (Pagenstecher}  be- 
merkt, dass  dieser  conische  Höcker  keinerlei  weitere  Organe  anzudeuten  scheine, 
so  kann  ich  dem  um  so  weniger  beistimmen ,  als  das  Seitenhora  der  N  aupl  i  us- 
larve  an  seiner  Spitze  einentschiedenesSinnesorgan  trägt ,  dessen  Spuren 
auch  im  späteren  Larvenstadium  nachweisbar  bleiben.« 

2)  Die  Haftantonnen  der  Autoren  hält  Claus  mit  Krobn  ,  Fritz  Müller  ,  Pagen- 
8TECBBR  undMsczNiKOW  für  die  umgewandelten  ersten  Extremitäten  der  zugehörigen 
Naupl i US larve.  Er  hält  dies  Resultat  für  um  so  sicherer,  als  er  in  dem  »Vor- 
kommen eines  sehr  mächtigen  blassen  Cuticularanhanges  an  den  Endgliedern  der 
angehefteten  Antennen«  das  Homologon  der  zarten  blassen  Riechfäden  erkennt,  die 
an  den  ersten  Antennen  bei  Entomostraken  sowohl  wie  bei  Malacostraken  vor- 
kommen. 

8)  Für  die  Haftantennen  nimmt  Claus  vier  Glieder  in  Anspruch,  deren  erstes 
und  zweites  mächtige  Muskulatur  enthalten  und  gegen  einander  knieförmig  ge- 
bogen sind.  Das  dritte  Glied  bildet  die  Haftscbeibe,  das  vierte  sitzt  frei  an  dieser 
und  trägt  Borsten  und  jenen  Cuticuta  ran  hang ,  der  als  Sinnesorgan  gedeutet  ist. 

4)  An  den  Cementdrüsen  unterscheidet  man  einen  verengerten  röhrenförmi- 
gen Ausführungsgang,  der  grossentheils  in  der  Antenne  verläuft,  während  der  stab- 
förmige  (?),  am  Ende  zuweilen  mehi*fach  ausg^buchtete  Drüsenschlauch  mitunter 
im  Grandglied  der  Antenne,  mitunter  aber  auch  weit  hinein  in  die  Mantelduplica- 
tur  der  Schale  sich  erstreckt. 

5)  Die  Mundextremitäten  deutet  Claus  fblgendermaassen :  die  sog.  Mandibeln 
mit  dem  sog.  Taster  der  Oberlippe  seien  die  eigentlichen  Maxillen,  —  homolog  den 
gleichen  Theilen  der  Gopepoden  —  die  Aussenmaxillen  und  Innenmaxillen  Dar- 
wiv's  aber  als  äusseren  und  inneren  Kieferfüsse  der  Gopepoden ;  —  diese  Deutung 
gilt  aber  nur,  falls  es  sich  bestätigt,  dass  das  dritte  Extremitätenpaar  der  Nau- 
pl i  u  s  larve  abgeworfen  wird. 

6)  Claus  hält  seine  frühere  Homologisirung  des  Cirripedienleibes  mit  dem 
der  Gopepoden  aufrecht ,  weist  dagegen  den  Vergleich  mit  den  Ostracoden 
zurück.  Er  glaubt  die  Homologisirang  der  Gopepoden -Schwimmbeine  und  der 
Rankenfüsse  als  zweifellos  ansehen  zu  dürfen ,  und  nimmt  an,  dass  das  letzte  Ran- 
kenfusspaar  dem  Paare  von  Höckera  entspräche,  welche  sich  bei  den  Gope- 
poden am  Genilalsegmente  oberhalb    der   Geschlechtsöffnung   erheben.     Der 


484  Dr.  Ant.  Dolirii, 

der  letzteren,  Claus,  erwähnt  nichts  derart  und  ich  kann  trotz  des  aus- 
drücklichsten Suchens  während  eines  Winters  in  Messina  nichts  zur 
Ergänzung  seiner  Forschungen  in  dieser  Beziehung  beibringen.    Man 


Schwanzanhang  des  Cirripedienleibes  würde  dann  dem  Cyclops schwänze  ent- 
sprechen. 

7)  Claus  leugnet  vollständig  die  Anwesenheit  eines  Saugnapfes,  mittelst  dessen 
sich  die  jungen  Larven  zuerst  festsetzen  sollen ,  dessen  weitere  Entwicklung  dann 
den  Cirripedenstiel  hervorbrächte. 

»Man  überzeugt  sich  alsbald ,  dass  der  Stiel  nichts  weiter  als  den  sich  ver- 
längernden Kopftheil  des  Krebses  in  Verbindung  mit  den  verschmolzenen  Basal- 
stücken der  Haflantennen  darstellt  und  keineswegs  etwa  der  Auswuchs  eines  am 
Scheitel  zwischen  den  Antennen  gelegenen  Höckers  mit  napfTörmiger  Grube  ist,  wie 
von  Pagenstecher  behauptet  wird.«  Freilich  giebt  auch  Claus  die  Anwesenheit  eines 
»kurzen ,  conischen  Vorsprungs  zu,  in  welchen  die  Vförmigen  Chitinsehnen  hinein- 
ragen ,  welcher  gewissermaassen  den  Verbindungsabschnitt  für  die  Basalglieder  der 
Antennen  bilde  und  mft  denselben  während  der  nachfolgenden  Häutung  eine  völlige 
Verschmelzung  zur  Bildung  des  Stieles  eingehe«. 

Hieraus  folge,  dass  in  gewissem  Sinne  der  Vergleich  des  Lepadidenstieles 
mit  dem  langausgezogenen  Kopfe  des  Leucifer,  den  Darwin  anführt»  zu- 
treffend sei. 

Es  folgen  dann  noch  Angaben  über  die  Bildung  der  typischen  fünf  Schalstücke 
der  Cirripeden ,  die  uns  hier  nicht  weiter  interessiren. 

Diesen  Angaben  setze  ich  folgende  Meinungen  entgegen ,  deren  Begründung 
demnächst  in  einem  Aufsatz :  »Eine  neue  Naupliusform  (Archizoäa  gigas)«  und  in 
der  grösseren  Schrift:  »Geschichte  des  Krebsstammes,  nach  embryologischen, 
anatomischen  und  palaeontologischen  Quellen  entworfen.  Ein  Versuch«,  geliefert 
werden  soll : 

4)  Der  offene  Vorsprung  an  den  Seitentheilen  der  Schale  ist  allerdings  der 
Ueberrest  des Seitenhorns  der  Nau  pl  iuslarve,  trägt  aber  ebensowenig  wie  dieses 
ein  Sinnesorgan. 

%)  Die  Haftantennen  sind  die  Seitenhörner  der  Naupliusform,  welche  Cuti- 
cularanhänge  tragen  und  in  ihrem  Innern  eine  Drü^e  mit  röhrenförmigem  Ausfiib- 
rungsgange  besitzen. 

3)  Diese  Drüse  ist  die  Gementdrüse. 

4)  Die  Homologisirung  des  Cirripeden leibes  mit  den  Copepoden  ist  un- 
statthaft. Vielmehr  sind  die  Cirripeden  auf  Limnadia-ähnliche  Krebse  zu- 
rückzuführen. Die  Copepoden  sind  durch  Vermittlung  der  Siphon ostomen 
auf  die  Cirripeden  zu  reduciren. 

5)  Zwischen  Kopf  und  erstem  Rankenfusspaar  der  Cirripeden  sind  ungeführ 
zehn  Extremitätenpaare  und  Segmente  ausgefallen. 

6)  Der  Stiel  ist  hervorgegangen  aus  einem  Homologen  des  Saugnapfes  der 
Daphnien  und  der  P h y  1 1  o  p o de  n ,  welche  in  dieser  Schrift  als  Rudimente  des 
Zoc^astachels  gedeutet  werden.  Die  Befestigung  mittelst  der  Seitenhörner  und  der 
Cementdrüsen  ist  der  Folge  nach  secundär ,  aber  die  hauptsächlichste.  Der  Ver> 
gleich  des  Lepadidenstieles  mit  dem  langausgezogenen  Kopfe  des  Leu  elf  er 
lässt  sich  in  morphologischer  Beziehung  nicht  festhalten. 

Zu  %]  bemerke  ich  noch ,  wie  allerdings  eine  Möglichkeit ,  aber ,  so  viel  ich 


J 


Uiitersucbuiigeii  über  Bau  und  Entwicklung  der  Arthropoden.  4S5 

könnte  darauf  hin  behaupten,  die  Copepoden  hätten  den  Weg  ihrer 
Entwicklung  gemacht,  ohne  durch  dieZo^a  zu  schreiten.  Wäre  es, 
aber  nicht  nahliegender,  zu  verrouthen,  dass  die  Copepoden  die 
Zo 6a Stadien  unterdrückt  haben,  als  zu  glauben,  dass  diese  einzige 
Familie  der  Grustaceen  vom  Nauplius  an  einen  anderen  Weg  einge- 
schlagen hat,  als  alle  übrigen  und  dennoch  in  so  naher  Berührung  mit 
den  übrigen  geblieben  wäre,  dass  wir  die  Homologieen  ohne  Schwie- 
rigkeit auffinden  können? 

Wenden  wir  uns  aber  zu  den  parasitischen  Copepoden,  so  wird 
es  uns  möglich,  diese  Vermuthung  zur  Wahrscheinlichkeit  oder  zur  Ge- 
wissheit zu  erheben ,  so  weit  in  Fragen  dieser  Art  von  Gewissheit  2U 
reden  ist.  Schon  Leugkart  deutet  in  dem  erwähnten  Aufsatze  darauf 
hin.  In  einer  Anmerkung  sagt  derselbe:  »Möglicherweise  dürfte  auch 
der  fadenförmige  Haftapparat  an  der  Stirn  von  Chalimus  und  ge- 
wissen Arten  von  Caligus  als  Analogen  des  Rückensaugnapfes  bei  den 
Daphniden  betrachtet  werden  können.«  Und  es  liegt  gewiss  sehr  nahe, 
diese  sonderbaren  Haftapparate  so  zu  deuten ,  nachdem  einmal  die  £r- 
kenntniss  gewonnen  ist,  dass  der  Stiel  der  Lepadiden  nur  ein  stark 
entwickelter  und  etwas  veränderter  Saugnapf  ist.  Indem  wir  aber  auch 
hier  die  Entwicklungsgeschichte  befragen  und  das  früheste  Stadium, 
das  wir  von  der  Bildung  des  Haftstranges  kennen ,  zu  Rathe  ziehen, 
gewinnen  wir  mehr  als  eine  blosse  Vermuthung  über  die  Ableitbarkcit 
des  Haftapparats  aus  dem  Stachelrudiment,  denn  wir  ßnden,  dass  in 
der  That  die  erste  Anlage  des  Stranges  in  einem  Zellhaufen  zu  suchen 
ist,  der  genau  den  Stachelrudimenten  gleicht,  welche  wir  bei  den  Ma- 
lacostraken  kennen  gelernt  haben. 

Schon  V.  NoRDMANif  berichtet  in  seiner  Beschreibung  des  Embryo 
von  Achth eres  percarum^)  von  diesem  Haftstrange  Folgendes: 
»Eins  der  ersten  Organe,  die  sich  bei  der  Bildung  des  Embryo  erkennen 
lassen ,  ist  das  Auge.  Es  zeigt  sich  gross,  rund  und  macht  sich  zwar 
nicht  durch  ein  gefärbtes  Pigment,  aber  durch  eine  dunkle  Begrenzung 
leicht  bemerkbar.«  Darauf  beschreibt  er  einen  spiraligen  Strang,  der 
sich  an  dies  »Auge«  begiebt.  Hören  wir  aber ,  was  der  spätere  Unter- 
socher  Claus  darüber  sagt 3]  :  »An  dem  vorderen  Ende  des  Leibes,  da 
wo  der  Stimrand  der  späteren  Larve  liegt ,  bildet  sich  ein  eigenthüm- 


sehen  kann ,  keine  Wahrscheinlichkeit  besteht,  dass  der  kleine  Anhang  an  den 
Haflplatten  das  rudimentäre  erste  Extremitäten  paar  der  Nauplinslarve  sei. 

1 )  Mikrographische  Beiträge  zur  Naturgeschichte  der  wirbellosen  Thiere,  zweites 
Heft.  p.  80. 

%)  Zeitsohr.  f.  wiss.  Zoologie  XI,  p.  S89. 


486  Dr.  Aul.  Dobni, 

liches  OrgHn,  welches  schon  v.  Nob&hahk  »tekannl,  aber  fttlschlichor- 
weise  für  das  Auge  gehallen  bat.  Dieses  Gebilde,  dessen  EnlstehuiiG 
wir  etwas  nüher  verfolgen  wollen,  ist  nichts  als  ein  spMicrcs  Haflorgan, 
mit  welchem  sich  die  Larve  nach  der  zweiten  Häutung  befestigt.  Das- 
selbe wird  angelegt  in  Gestalt  eine?  ovalen,  mit  Kernen  durchsetzten 
Körncbenhsufens,  der  sich  zuweilen  in  eine  rechte  und  linke  Hälfte  ge- 
tbeilt  zeigt.  Später  hebt  sich  aus  demselben  nnd  7,war  in  der  Mittel- 
linie, ein  glänzender  homogener  Körper  hervor,  uekfaer  dem  Stein- 
rand  der  Larve  dicht  anliegt.  Hit  diesem  Stimzapfeii  im  Zusammen- 
hange tritt  ein  ebenfalls  fettig  glänzender  medianer  Strang  in  dem 
feinkörnigen  Gewebe  auf,  der  sich  auf  Kosten  des  letzteren  vergrösserl 
und  in  spiraligen  Windungen  zusammengelegt  wieder  nach  vorn  zu- 
rtlckbiegt.  .  .a  Die  ganze  Entwicklung  des  Achlhcics  zeugt  von  he- 
deutenderVeiiiilrzung;  die  äusserst  frühzeitige  Ausbildung  des  »ovalen, 
mit  Kernen  durchsetzlen  Kürnchenhaufens <>  legt  deutliches  Zeugniss 
davon  ab,  dass  dasselbe  einem  der  frühsten  Stadien  in  der  ph  jletischen 
Entwicklung  des  Acbtheres  angehört  hat.  Die  Ausbildung  und  Ver- 
bindung desselben  mit  andern  Gebilden  gehört  späterer  Zeit  an,  ebenso 
wie  die  Stielbildung  der  Cirripeden.  Wir  haben  tiberall,  bcsonderss 
aber  bei  den  Malacostraken  das  frühzeitige  Auftreten  des  Zellhau- 
fens kennen  gelernt,  —  es  wird  also  nichts  dagegen  einzuwenden  sein, 
wenn  wir  beide  Zellhaufen  mit  einander  homologisiren  und  daraus  fol- 
gern ,  dass  auch  unter  den  Vorfahren  des  Achtheres  sich  eine  Zoea 
befunden  hat.  Da  aber  erst  nach  erfolgter  Anlage  und  Ausbildung  des 
Haftapparats  die  Cyclopsgestalt  auftritt,  so  können  wir  schliessen,  dass 
da,  wo  überhaupt  ein  Cyclops  erscheint,  das  Zoeastadiuni  zwar 
vorhergegangen,  aber  unterdrückt  sei,  dass  also  auch  für  die  freiloben- 
den Gopepoden  durch  Vermittlung  der  Entwicklungsgeschichte  auf  ein 
Zoeastadium  geschlossen  werden  kann. 

So  finden  wir  also  die  phyletische  Entwicklung  des  Krcbsslammea 
bedeutend  langer ,  als  bisher  angenommen  wurde,  in  einer  einzigen 
Entwicklungsreibe  enthalten,  aus  der  erst  später  die  verschiedenen 
Ordnungen  sich  differenzirten.  Ich  behalte  mir  die  Darslcllung  dieser 
Scheidung  derOrdnungen  lUr  einen  späteren  Aufsatz  vor :  hier  will  ich 
noch  kurz  erwähnen,  dass  auch  von  den  Seitenslachcln  der  Zo^a  sich 
Rudimente  vorfinden ,  und  dass  sich  allein  hierauf  die  blattförmigen 
Anhänge  der  Asellus-Embryonen  zurückftihrcn  lassen,  wh  aus  der 
bereits  mitgelheillen  Entwicklungsgeschichte  einer  T a  n  a  i  s  her- 
vorgeht. 

Diese  Anhünge  sind  freilich  von  andern  Forschern  anders  aufge- 
fassl  worden.    In  seiner  ausgezcicbneten  Histoire  naturelle  des  Crusta- 


Untersuchungen  Aber  Bau  und  Gntwiekinng  der  Arthropoden.  487 

ces  d'eau  douce  de  Norv^ge  4.  livraison  p.  191  saf^t  G.  0.  Saks,  er 
fy;1aube,  diese  Anhänge  seien  dazu  bestimmt,  die  eiweissartige  Flüssig- 
keit der  Bruttasche  aufzusaugen  und  den  Embryo  so  zu  ernähren.  In 
derselben  Weise  erklärt  sich  dieser  Forscher  auch  das  Rttckenstachel* 
rudiment  der  Amphipoden- Embryonen.  Aber  zu  einer  solchen  An- 
nahme berechtigt  uns  nichts ;  ich  muss  mich  Van  Benkdbn  jun.  an- 
schliessend welcher  in  seiner  Bearbeitung  der  Asellus- Embryologie^) 
dieser  Hypothese  jede  Grundlage  abspricht.  VanBbnedbn  sagt  an  dieser 
Stelle:  t> —  aussi  je  pr6före  les  oonsid^rer  avec  Mr.  Dohm  oomme  ne 
remplissant  chez  ces  animaux  aucune  fonction  sp^iale,  et  peut-Mre 
repr^sentent-ils  ä  l'^tat  rudimentaire  un  organe  qui,  chez  d^autres 
crustac6s ,  ont  jou^  un  r^le  important  dans  le  developpement  de  Tem* 
bryon.  Nous  dirons,  en  passant,  que  nous  avons  d6couvert,  chez  les 
embryons  de  Mysis  un  organe  qui,  par  sa  Situation,  son  developpement 
et  sa  structure ,  parait  Mre  la  repr6sentant  morphologique  des  appen- 
dices  foliac^s  des  Asellus ,  mais  qui  est  plus  rudimentaire  encore  que 
chez  cet  Isopode.«  In  einer  zweiten  Arbeit  ttber  Hysis^)  sagt  derselbe 
Verfasser  dann:  r> —  Get  organe  apparatt  sous  forme  d'un  mamelon  cel- 
lulaire  dans  la  concavitd  de  la  courbe  dtorite  par  lesantennes  sup6rieu- 
res,  par  cons^quent,  sur  les  flancs  de  Tanimal.  Quand  Tembryon  s'est 
entour6  de  la  cuticule  nauplienne  et  quil  est  sur  le  point  de  quitter  les 
enveloppes  de  Toeuf.,  le  tubercule  cellulaire  a  pris  une  forme  ovale  al- 
longee,  et  on  y  reoonnatt  une  couche  externe  de  cellules  cylindrotdes, 
serr^es  les  unes  contre  les  autres,  circonscrivant  une  petite  cavit^  rem- 
plie  d'un  liquide  r^fringent ,  qui  parait  communiquer  avec  la  masse 
deutoplasmatiquc.  Quelle  est  la  signification  de  cet  organe ,  et  quelles 
sont  ses  fonctions?«  Hiernach  weist  Van  Bbnbdbn  darauf  hin ,  dass  die 
beschriebenen  Bildungen  mit  den  blattförmigen  Anhängen  des  Asellus 
homolog  seien,  und  schliesst  mit  dem  Satze:  »Quant  ä  la  question  de 
savoir  quelle  est  la  signification  et  la  r61e  de  ces  organes ,  je  la  crois 
insoluble  dans  F^t^t  actuel  de  nos  connaissances.«  Ich  hatte  brieflich 
Herrn  Van  Bbnbdbn  meine  Meinung  mitgetheilt;  derselbe  antwortet  mir 
aber,  er  könne  sie  nicht  theilen:  »si  on  considöre  que  ces  organes 
apparaissent  et  quMls  atteignent  tout  leur  developpement,  avant  que 
l'embryon  ait  atteint  la  forme  zo6enne ,  et  alors  qu^il  est  pourvu  seule- 
ment  des  appendices  caract^ristiques  du  NaUplius,  il  me  semble  que 
on   doit  cherchcr  Tbomologue  de  cet  organe,   non  chez  la  Zoöa  mais 


1 }  Recherebes  sur  TEmbryog^nie   des  Crustac^s.  Observations  sur  le  Deve- 
loppement de  TAsellus  aquaticus.    Bull.  d.  TAcad.  roy.  d.  Relgique  XXVIII,  p.  27. 
i)  ReclMrches  c(c.  D^veloppoment  des  Mysis.  Bull.  d.  l'Acad.  XXVIII,  p.  944. 


488  Dr.  Ant.  Dohrii, 

chez  les  formes  naupliennes.«  Dieser  Grund  wäre  sicherlich  ausschlag- 
gebend, wenn  nicht  bei  der  grossen  Verkürzung  der  Entwicklung,  die 
wir  hier  finden ,  das  Ineinanderschieben  der  Stadien  so  gross  wäre, 
dass  wir  nicht  ohne  Weiteres  den  Gmndsatz  befolgen  können ,  unter 
allen  Umständen  das  ontogenetisch  früher  entstehende  auch  phylogene- 
tisch früher  entstanden  zu  glauben.  Sicherlich  bestand  das  Herz  der 
Zo^a  zusammen  mit  nur  wenigen  Extremitätenpaaren,  und  alle  übrigen 
Paare  der  Malacostraken  werden  erst  später  erworben :  nichls  'desto 
weniger  werden  in  sämmtlichen  Embryonen  fast  alle  Extremitätenpaare 
angelegt  und  ziemlich  weit  ausgebildet ,  ehe  das  Herz  gebildet  wird. 
Ebenso  ist  es  unzweifelhaft,  dass  die  gabelförmigen  Anhänge  des  Pleon 
bei  Asellus  den  Buderorganen  entsprechen,  welche  neben  dem  Telson 
an  der  Zoea  und  allen  Malacostraken  als  letztes  Pleopodenpaar  bestehen 
und  viel  eber  in  der  Siammesentwicklung  auftreten ,  als  die  übrigen 
Pleopoden  undPereiopoden.  Dennoch  legen  sich  im  Embryo  des  Asellus 
die  Pcreiopoden  eher  an ,  als  die  sämmtlichen  Pleopoden ,  das  letzte 
Paar,  die  gabelförmigen  Anhänge,  mit  eingeschlossen.  Bei  den  Embryo- 
nen von  Tanais  dagegen  entstehen  die  Pereiopoden  zuerst,  dann  die 
gabeiförmigen  Anhänge,  und  erst  spät  die  übrigen  Pleopoden.  Ebenso 
ist  es  bei  Cuma.  Dies  ist  ein  gutes  Beispiel  von  der  Schwierigkeit  ge- 
nealogischer Untersuchungen.  Ehe  man  nicht  einen  Ueberblick  über 
die  gesammten  Formen  eines  Thierkreises  gewonnen  hat,  wii*d  man 
grosse  Schwierigkeiten  finden  in  der  richtigen  Deutung  der  rudimen- 
tären Organe ;  und  was  die  anzuwendenden  Principien  genealogischer 
Forschung  anlangt,  so  haben  sie  noch  erst  ihre  Dauerhaftigkeit  zu  er- 
proben ,  haben  zu  erweisen ,  ob  sie  als  Gesetze  oder  als  Begeln  auf- 
treten ,  ob  sie  als  letztere  ihre  Ausnahmen  haben ,  oder  als  erstere  aus- 
nahmslos gelten.  Bis  jetzt  ist  noch  keine  einzige  Arbeit  geliefert,  aus 
der  man  ersehen  könnte ,  welchen  Werth  die  deducirten  Sätze  und 
Principien  haben,  wie  weit  die  Anwendung  sie  umgestalten  wird.  Wir 
werden  darum  auch  um  so  weniger  erstaunt  sein  dürfen,  wenn  wir  auf 
viele  Widersprüche  stossen ,  —  allein  nur  auf  diesem  Wege  können 
wir  endlich  zu  einem  wirklichen  Besitz  genealogischer  Methodik 
kommen. 

Ebenso  wie  die  blattförmigen  Anhänge  gleichzeitig,  ja  sogar  noch 
vor  der  Anlage  der  ersten  Extremitäten  entstehen ,  legt  sich  auch  das 
Rückenstachelrudiment  der  Amphipoden  vorher  an.  Dennoch  bezweifle 
ich  nicht  seine  Natur  als  Stachelrudiment.  Dächten  wir  uns  andrerseits, 
bei  den  Cumaceen- Embryonen  kämen  dieselben  blattförmigen  An- 
hänge vor,  wie  bei  dem  Asellus,  so  würden  sie  gleichfalls  grade  über 
der  Leberanlage  ihre  Insertion  haben.    Diese  Stelle  der  äusseren  Kör- 


Outersnehnngeii  Aber  finn  niid  Gntwieklnng  der  Arthropoden.  489 

perwandung  gehört  aber  den  Seiienstücken  des  Cephalothorax  an ,  der 
bei  den  Cumaceen  im  Gegensatz  zu  den  Isopoden  noch  besteht.  Der 
Cephalothorax  würde  also  seitliche  Fortsätze  tragen.  Morphologisch- 
genealogisch betrachtet  ist  aber  das  Gephalothoraxschild  nichts  andres, 
als  das  ausgestaltete  ZoSaschild ,  wir  hätten  also  dann  seitliche  Fort- 
sätze auf  dem  ZoSaschilde  anzunehmen,  und  diese  Fortsätze  wären 
identisch  mit  den  Seitenstacheln.  (Van  Beheben  irrt  ausserdem  in  der 
Behauptung ,  die  blattförmigen  Anhänge  entständen  aus  dem  hinleren 
Theile  der  Kopfplatten ;  sie  entstehen  vielmehr  hinter  den  Kopfplatten 
in  derselben  Queraxe ,  in  welcher  die  Leberanlagen  liegen.  Die  Kopf- 
platten gehören  nur  dem  späteren  Kopf  und  seinen  Theilen  an ,  und 
dieser  trägt  keine  Seitenhörner  bei  Zoöa.) 

Ferner  habe  ich  anzuführen ,  dass  ich  eine  Zeit  lang  zweifelte ,  ob 
nicht  die  Saugnäpfe  der  Daphnien  auf  ein  Rudiment  des  Stim- 
stacbels  zurückzuführen  wären ,  weil  sich  am  Hinterrande  der  Schale 
ein  langer  Stachel  entwickelt,  der  erst  allmälig  mit  den  Schalenhälften 
verschmilzt,  anfänglich  aber  frei  liegt.  Ich  bin  indessen  von  dieser 
Meinung  zurückgekommen  und  halte  das  von  mir  als  uScbalenstachel« 
beschriebene  ^)  Gebilde  für  einen  neuen  Erwerb  der  Daphnien. 

Nun  bleibt  mir  aber  noch  ein  wichtiges  Capitel  zur  Besprechung 
übrig.  Schon  Eingangs  bemerkte  ich,  welche  Bedeutung  der  Unter- 
suchung über  die  Verbreitung  des  Zo^stadiums  unter  den  Crusta- 
ceen  zukäme.  Fast  sämmtliche  Foracher,  welche  die  phyletischen 
Verhältnisse  der  Arthropoden  erörtert  haben,  sind  eben  von  der 
Meinung  ausgegangen,  dass  die  Zoöa  ausser  den  Malacostraken  auch 
sämmtlichen  Insecten,  Spinnen  und  Myriapoden  Stammvater  gewesen 
sei.    Wie  schon  oben  bemerkt,  theilte  ich  diese  Ansichten. 

Nach  mehrjähriger  vergleichender  Untersuchung  der  Arthropoden- 
Embryologie  bin  ich  aber  davon  zurückgekommen.  Je  schärfer  sieb 
nachweisen  lässt,  dass  der  Nauplius  der  Stammvater,  die  Zoüa 
der  Durchgangspunkt  aller  Crustaceen  gewesen  ist,  um  so  hinfälliger 
werden  alle  Kriterien,  auf  welche  die  Homologisung  der  Crustaceen 
mit  den  übrigen  Arthropoden  gegründet  wurden.  Ist  es  nicht  ein 
merkwürdiges  Factum ,  dass  an  der  Lösung  einer  seit  Okbn's  Zeit  auf- 
geworfenen Frage  alle  Zoologen,  und  darunter  die  bedeutendsten  und 
scharfsinnigsten,  vergeblich  gearbeitet  haben?  Oder  wäre  die  soge- 
nannte Gliedmaassentlieorie  heute  auf  gesicherterem  Boden  als  ehedem? 
Man  vergleiche  nur  einmal  die  Homologisirung  innerhalb  der  verschie- 
denen Wirbelthier-Abtheiiungen   mit  derjenigen,    welche  die   Lehr- 


1)  Vergl.  Jenaiscbe  Zeitfichrift  V. 


490  ni.  .\rjt.  Dobni. 

bUcher  über  die  Artbröpoden  milzulheilen  wissen .  —  und  man  wrd 
einen  Gegensatz  finden,  wie  zwischen  einem  massiven  Gebdude  und 
einer  StrobbüUe.  Und  können  wir  nach  so  vielen,  besonders  in  der 
lelzlen  Zeil  gewonnenen  Kenntnissen  etwa  uns  rühmen,  einer  wahren 
Gliedmaassen-Theorie  näher  gekommen  zu  sein?  Wahrlich  nichl.  Der 
Fehler  liegt  aber  nicht  in  unserer  zu  geringen  Kenntniss  der  An;itonii<- 
oder  Entwicklung  der  Atthropoden ,  sondern  darin,  dass  wir  glnu- 
hen,  die  Frage,  welche  einer  vergangenen  Periode  der  Zoologie  ange- 
höil,  müsse  nolhwendig  positiv  beantwortet  werden.  Eine  wirkliche 
Homologie  der  Gliedmaasscn  zwischen  Krebsen,  Inseclen ,  Spinnen 
und  TausendfUssen  kann  aber  nur  versucht  werden,  nachdem  vnr- 
gängig  festgestellt  worden,  dass  diese  Thierclassen  aucb  auseinander 
hervorgegangen  sind.  Dass  dies  der  Fall  sei .  ist  aber  bis  jel^i  nur  An- 
nahme, freilich  eine  sehr  alte,  sie  lässt  sich  aber  nach  meiner  Meinung 
nach  den  Fortschritten ,  welche  die  vergleichende  Embryologie  gemacht 
hat,  nicht  mehr  festhalten,  — im  Gegenlheil,  sie  Ittssl  sich  mit  Erfoli; 
bekiSmpfen.  Es  wird  gewiss  Niemand  eingefallen  sein,  die  Crusln- 
ceen  aus  den  Inseclen,  Myriapoden  oder  Spinnen  genealogisch  her- 
leiten zu  wollen;  die  Annahme  war  immer,  dass  die  Cruslaceen,  dass 
der  Nauplius  das  Ursprüngliche  und  alle  Arthropoden -Ablheilungeii 
aus  ihm  ableitbar  waren.  Allein  je  sicherer  wir  in  den  verschiedenen 
Abiheilungen  der  Krebse  das  Naupliusstadium  aufßnden  können,  selbst 
wenn  es  nur  noch  als  eine  blosse  Haut  persistirt,  um  so  unniüglicher 
wird  es,  etwas  Äehnliches  für  die  Inseclen  z.  B.  nachzuweisen  und 
auch  die  scheinbaren  Annäherungen  der  Ichneumoniden-Larven,  die 
wir  durch  Ginin  kennen  gelernt  haben,  beweisen  nach  meiner  Ueber- 
zeugung  hiefUr  nichts.  Bessels  sowohl  wie  ich  selbst  haben  versuchl, 
die  Embryonalhäute  der  Inseclen  mit  der  Larvenhaut  der  Crustaceen 
zu  idenlifioiren ,  —  allein  diesen  Versuch  muss  ich  als  gänzlich  miss- 
lungen  betracblen.  Freilich  wissen  wir  nach  den  bisher  beobachtelen 
Erscheinungen  absolut  nichts  mit  diesen  Hauten  anzufangen;  ihre  Auf- 
fassung als  Hüllen  kann  nur  provisorische  Gellung  haben  und  kann 
ebensowenig  ihre  funclionelle  als  morphologische  Bedeutung  erschöpfen. 
Aber  die  neueren  Untersuchungen  fremder  Forscher  und  meine  eignen, 
die  ich  zur  Aufklärung  dieser  schwierigen  Verhältnisse  geführt  habe, 
lassen  auch  liefer  in  die  hier  verheißenen  Geheimnisse  blicken,  unil 
sobald  ich  diese  Untersuchungen  zu  einem  l>estimmlen  Abschlüsse  ge- 
führt habe,  werde  ich  sie  veroßeutlichen,  und  nachweisen,  dass  diesen 
oHuUenu  die  weitgreifendste  Bedeutung  fUr  den  Aufbau  des  lnstu:len~ 
körpers  zukommt  und  jede  Homologisirun^  derselben  mit  llUllenniem- 
branen  oder  l.arvt'nhüuten  giluziiclj  unstalthafl  ist. 


Untersuchungen  Qber  Bau  und  Entwicklung  der  Arthropoden.  491 

Mit  diesen  Andeutungen  muss  ich  mich  hier  begnügen.  LSsst  sich 
aber  der  genealogische  Zusammenhang  der  Insecten  und  Crustaceen 
nicht  anders  feststellen ,  als  dass  man  zugiebt ,  sie  stammen  beide  aus 
den  Wtirmem  ab ,  so  fallen  damit  auch  die  Homologisirungen  ihrer 
Gliedmaassen  weg.  Dann  haben  wir  erst  zu  suchen ,  ob  sie  beide  aus 
einem  Punkte  des  Würmerkreises  entspringen  ,  oder  ob  sie  nicht,  weit 
von  einander  getrennt,  aus  jenem  gemeinsamen  Mutterschooss  aller 
höheren  Thierabtheilungen  entstanden  sind.  Es  ist  sehr  schwer ,  dar- 
auf auch  nur  vermuthungsweise  heute  zu  antworten,  ich  enthalte  mich 
auch  jeder  Meinungsäusserung ,  d4e  vielleicht  doch  nach  neuen  Unter- 
suchungen modificirt  werden  müsste.  Es  ist  auch  genug,  auszusprechen, 
dass  und  warum  hier  noch  Alles  in  der  Schwebe  ist 


BeitrSf  e  zar  PlastideadieArie. 


Ernst  Haeckel. 


Hiuiiu  Tar.  XVn  und  XVIII. 


1)  Die  PiMtidontbMrie  und  die  Zsllentheorie. 

Die  biologische  Theorie,  welche  ich  als  Piastidentheorie  im 
dritten  Buche  meiner  generellen  Morphologie,  und  vorzüglich  im  neun- 
ten Capil«l  begillndet  habe ,  ist  entsprungen  aus  dein  BedUrfniss,  die 
Zellentheorie  auf  dem  gegenwärtigen  Standpunkte  ihrer  Entvvickelung 
mit  der  Descendenztheorie  in  Verbindung  und  Einklang  zu  setzen']. 

Fast  alle  Naturforscher,  die  nach  dem  Erscheinen  von  Daiwin's 
Werk  über  die  Entstehung  der  Arten  sich  zu  Gunsten  desselben  aus- 
sprachen und  in  der  Descendenztheorie  dieeinzig  mögliche  Lüsung  aller 
morpholi^ischen  Fragen  erblickten,  gingen  zunächst  auf  die  organische 
Zelle,  als  auf  das  gemeinsame  Formelemenl /utUck,  :111s  welchem 
durch  unendlich  mannichfaltige  Anpassung  und  Uuiliildung  der  ganze 
unermessliche  Formenreichthum  des  Thier-  und  PIlanKenreichs  ent- 
sprungen sei.  Die  Thatsache ,  dass  fast  alle  Thiere  und  Pflanzen  ihren 
individuellen  Ursprung  einer  einfachen  Zelle  verdanken ,  dnss  fast  alle 
Sporen  und  Eier  von  Thieren  und  Pflanzen^)  wirklich  einfache  Zellen 
sind,  rechtfertigte  unmittelbar  den  hOchst  wichtigen  Schluss,  dass  auch 
die  Arten  und  Stämme,  alle  grlisseren  und  kieincrt^n  FDrriiengru|^M>n 

<)  Habcul,  Generelle  Horpbologie  der  Organlsnun  1966,  Vul.  I,  Csp.  IX 
Morphologische  Individuen  erster  Ordaung :  Plaslideii  adcv  l'lasmuslltckt).-  p>  KSt, 
bis  389. 

1)  Unter  Pflanzen-Ei  versiebe  ich  hier  natürlich  nicJil  dns,  ves 
bisher  meiste  ns  o  n  passe  ade  rwoise  so  nannten,  sondi.T»  vielmehr  die  eqttl 
zelle,  welche  bei  den  Pbaaerogaoien  "KelmblHscben  "  u<ti'r  Kiiiln^ntiliKU'äitfn  B 
nanal  wurde. 


Beitr&ge  mt  PlastideDtheorie.  493 

• 

von  Organismen,  ihren  gemeinsamen  historischen  oder  phyletischen 
Ursprung  einer  einzigen  einfachen  Zelle  verdanken.  Dieser  höchst  be- 
deutende Rttckschluss  von  dem  einzelligen  Ursprung  der  Individuen 
auf  den  einzelligen  Ursprung  der  Phylen  oder  Stämme  ist  unmittelbar 
gerechtfertigt  durch  das  biogenetische  Grundgesetz,  welches  ich 
im  XX.  Capitel  der  generellen  Morphologie  (im  fünften  Buche}  mit  den 
folgenden  Thesen  ausgesprochen  habe  -  »40.  DieOntogenesis  oder  die 
Entwickelung  der  organischen  Individuen,  ist  unmittelbar  bedingt 
durch  die  Phylogenesis,  oder  die  Entwickelung  des  organischen 
Stammes  (Phylum) ,  zu  welchem  dieselben  gehören.  44.  Dio  Onto- 
ge n es is  ist  die  kurze  und  schnelle  Recapitulation  der  Phylogenesis, 
bedingt  durch  die  physiologischen  Functionen  der  Vererbung  (Fort- 
Pflanzung)  und  der  Anpassung  (Ernährung).  42.  Das  organische  In- 
dividuum wiederholt  während  des  raschen  und  kurzen  Laufes  seiner 
individuellen  Entwickelung  die  wichtigsten  von  denjenigen  Formverän- 
derungen ,  welche  seine  Voreltern  während  des  langen  und  langsamen 
Laufes  ihrer  paläontologischen  Entwickelung  nach  den  Gesetzen  der 
Vererbung  und  Anpassung  durchlaufen  haben.  43.  Die  vollständige  und 
getreue  Wiederholung  der  phyletischen  (paläontologischen)  durch  die 
ontetische  (individuelle)  Entwickelung  wird  verwischt  und  abgekürzt 
durch  secundäre  Zusammenziehung,  indem  die  Ontogenese  einen  immer 
geraderen  Weg  einschlägt ;  daher  ist  die  Wiederholung  um  so  vollstän- 
diger, je  länger  die  Reihe  der  successiv  durchlaufenen  Jugendzustände 
ist.  44.  Die  vollständige  und  getreue  Wiederholung  der  phyletischen 
durch  die  ontetische  Entwickelung  wird  getischt  und  abgeändert  durch 
secundäre  Anpassung ,  indem  sich  das  Bion  während  seiner  indivi- 
duellen Entwickelung  neuen  Verhältnissen  anpasst;  daher  ist  die  Wie- 
derholung um  so  getreuer,  je  gleichartiger  die  Existenzbedingungen 
sind,  unter  denen  sich  das  Individuum  und  seine  Vorfahren  entwickelt 
haben. a  (Vergl.  auch  Fritz  Müllbr,  »Für  Darwina). 

Ich  habe  mir  erlaubt ,  dieses  biogenetische  Grundgesetz  von  dem 
wirklichen  Causalnexus  der  Ontogenie  und  Phylogenie, 
der  individuellen  und  paläontologischen  Entwickelungsgeschichte  hier 
wörtlich  zu  wiederholen,  weil  ich  dasselbe  für  höchst  wichtig  halte  und 
auch  für  die  nachfolgenden  Erörterungen  stets  im  Gedäcbtniss  zu  be- 
halten bitte.  Denn  die  physiologischen  Gesetze  der  Vererbung  und  An- 
passung und  ihre  Wechselwirkung  im  Kampfe  ums  Dasein  gestatten 
uns ,  mit  Hülfe  jenes  Grundgesetzes  die  Vorgänge  der  organischen  Ent- 
wickelung wirklich  zu  verstehen  und  als  die  nothwendigen  Folgen  von 
mechanisch  wirkenden  Ursachen  (Gausae  eSicientes)  zu  erklären.   Ohne 

Bd.  T.  4.  88 


jenes  Grundgesetz  dagegen  ist  ein  wirkliches  VerstSndniss  der  Er- 
scheinungen in  der  Entwickelungsgeschichte  überhaupt  nicht  mdglich. 

Wenn  es  nun  also  durch  die  Anwendung  jenes  Gesetzes  unmiUel- 
bar  müglich  wurde ,  auf  eine  einfache  organische  Zelle ,  als  auf  die  ur- 
sprüngliche gemeinsame  Wurzelform  aller  Organismen  zurückzugeben, 
und  wenn  demgemSss  die  einfache  Zelle  nicht  blos  das  anaiomiscbi:- 
Fomielement,  der  gemeinsame  Baustein  aller  Thiere  und  Pflanzen  blieb, 
sondern  auch  ihre  historische  Urform,  ihre  gemeinsame  Stammwürze! 
wurde,  so  musslen  sich  doch  alsbald  neue  Schwierigkeiten  für  diese 
Theorie  aus  den  beiden  Fragen  ergeben :  Wo  kam  die  erste  Zelle  her, 
welche  die  Stammform  aller  folgenden  wurde?  Und  wie  verhallen  sieb 
jene  zahlreichen  niederen  Organismen,  die  weder  selbst  denPormwerlti 
einer  Zelle  besitzen ,  noch  aus  echten  Zellen  zusammengesetzt  sind  ? 
Indem  wir  die  Beantwortung  der  ersten  Frage  einer  nachfolgenden  Be- 
trachtung Ufoer  Honeren  und  Urzeugung  vorbehalten ,  wollen  wir  hier 
zunitchst  die  Erörterung  der  zweiten  Frage  in  Angriff  nehmen. 

Als  Ausgangspunkt  für  diese  Erörterung  muss  immer  dieThatsacfae 
festgehalten  werden,  dass  noch  gegenwärtig  eine  grosse  Anzahl  von 
niederen  Organismen  existirt,  auf  welche  wirklich  derBegriff  der  Zelle 
in  dem  üblichen  Sinne  durchaus  nicht  angewendet  werden  kann.  Den 
Begriff  der  Zelle  halten  wir  dabei  in  derselben  Um^nzung  fest, 
in  weicherer  nach  dem  Vorgange  von  Max  Scbultzs  gegenwürtig  von 
der  grossen  Hehrzahl  der  Ilistologcn  angenommen  und  beibehalten  wor- 
den ist.  Diese  Feststellung  des  heutigen  Zellen- BegritTs,  die  bedeu- 
tendste und  folgenreichste  Beform  der  Zellenlehre  seit  Schlriden  und 
ScBWANN,  war  zwar  schon  durch  Rekiks  wichtige  Untersuchungen  über 
die  hüllenlosen  Furch ungskugeln  und  Embryonalzellen  [1850 — )H55j 
angebahnt,  bestimmt  und  mit  dem  vollen  Bewusstsein  ihrer  weitrei- 
chenden Tragkraft  jedoch  erst  von  Max  Scdultie  1 860  in  seinem  Aufsatze 
über:  »Die  Gattung  Cornuspira  unter  den  Honothalamien  etc.o  mit 
den  Worten  ausgesprochen  :  »Die  Zelle  auf  dem  ursprünglichen 
membranlosen  Zustande  stellt  nur  ein  nacktes  Proto- 
plasma-KlUmpchen  mit  Kern  dar.«  (I.  c.  p.  399).  Die  aus- 
führlichere Begründung  dieses  Satzes  gab  derselbe  dann  1861  in  dem 
Aufsatze:  »Ueber  Huskclktiiperchen  und  das,  was  man  eine  Zelle  zu 
nennen  habe.«  Der  Hauptsatz  desselben  :  »Eine  Zelle  ist  ein  KlUmp- 
chen  Protoplasma,  in  dessen  Innerem  ein  Kern  liegt«  (I.  c.  p.  11]  ist 
daselbst  ausführlich  begründet  und  durch  Beispiele  erläutert. 

Ich  selbst  hatle  mich  schon,  gelegentlich  meiner  in  Neapel  (im  Som- 
mer 1 859)  und  in  Hessina  (im  Winter  1 859/60)  angestellten  histologi- 
schen Untersuchungen,  bei  vielen  niederen  Thieren  davon  Ubfiiieugt, 


Beiträge  lur  PUstideiitheorie.  .  495 

dass  wirklich  vollkommen  merobranlose  Zellen  existiren ,  die  geformte 
fremde  Körper  mittelst  amoeboider  Bewegungen  in  ihren  nackten,  wei- 
chen Protoplasmaleib  aiifnehmen  können.  An  einer  Thetis  fimbria, 
welche  ich  behufs  Untersuchung  des  Gef^sssystemes  mit  in  Wasser  fein 
zertheiltem  Indigo  injicirt  hatte,  machte  ich  am  iO.  Mai  1859  in  Neapel 
die  Beobachtung,  dass  die  Indigokömehen  in  das  Innere  der  Blutzellen 
massenhaft  aufgenommen  wurden ,  und  lieferte  damit  zum  ersten  Male 
den  thatsachlichen  Nachweis,  dass  feste  Körper  von  nackten  Zellen 
nach  Art  freier  Amoeben  »gefressen«,  in  das  Innere  ihres  hüllenlosen 
Protoplasma  -  Leibes  aufgenommen  werden  können*). 

Den  Fortschritt,  welchen  die  Zellentheorie  durch  den  wirklichen 
Nachweis  vollkommen  membranloser  Zellen  und  durch  die  von  Max 
ScHULTZB  darauf  begründete  Reform  des  Zellenbegriffes  machte ,  war 
höchst  bedeutend,  und  viel  folgenreicher,  als  damals  von  den  meisten 
Histologen  geahnt  wurde.  Unter  allen  Fortschritten,  welche  sowohl  die 
Morphologie ,  als  die  Physiologie  der  Zelle  in  dem  letzten  Decennium 
gemacht  haben ,  kann  sich  keiner  an  folgenschwerer  Wichtigkeit  mit 
jener  Reform  messen.  Mit  der  Hülle,  welche  nach  der  herrschenden, 
von  ScHLBiOBN  uud  Schwann  überkommenen  Anschauung  jede  Zelle 
umschliessen  sollte ,  mit  diesem  Dogma  von  der  Bläschen -Natur  der 
Zelle  fielen  die  wichtigsten  Schranken ,  welche  bis  dahin  den  freien 
Fortschritt  und  die  weitere  Entwicklung  der  Zellentheorie  gehemmt 
hatten. 

Allerdings  entstanden  schon  gleich  im  Beginn  dieser  weiteren  Ent- 
Wickelung  neue  Schwierigkeiten.  Die  umfassenden  Studien,  welche 
grade  in  jenen  Jahren  über  viele  bis  dahin  wenig  oder  gar  nicht  be- 
kannte niedere  Organismen  angestellt  worden  waren,  die  Untersuchungen 
von  Max  Sghultze  über  verschiedene  Rhizopoden,  von  De  Bary  über  die 
Myxomyceten,  von  Clapar^dk  und  Laghmann  über  die  Infusorien,  meine 
eigenen  Arbeiten  über  die  Radiolarien,  lehrten  eine  Menge  von  Organis- 
men kennen,  bei  denen  der  kaum  gewonnene  neue  Zellenbegriff  aufs 
Neue  durch  die  Thatsachen  gefdhrdet  oder  überhaupt  nicht  anwendbar 
erschien.  Indessen  war  Max  Sguultzk,  der  diese  neuen  Schwierigkeiten 
wohl  erkannte,  auch  sogleich  bemüht,  sie  aus  dem  Wege  zu  räumen. 
Er  führte  schon  in  der  Arbeit  über  Cornuspira  den  Nachweis,  dass 
die  contractile,  festfiüssige ,  eiweissartige  Substanz,  welche  den  wich- 
tigsten Leibesbestandtheil  der  genannten  Organismen  und  insbesondere 
aller  Rhizopoden  bildet,  und  welche  seit  Dijardin  unter  dem  Namen 
Sarcode  bekannt   war,    mit  dem  Zellen -Protoplasma   der  höheren 


4)  Habckel,  Mo no^raphie  der  Radiolarien  (4862),  p.  104. 

33 


496  Brost  Haeckel, 

Thiere  und  Pflanzen  identisch  sei.  Scevltzb  nahm  an,  dass  dieses  Pkk 
toplasma  oder  die  Sarcode  der  Rhizopoden,  welche,  nackt  in  das  um- 
gebende Wasser  hineinragend,  die  bekannl«n  formwechselnden  Pseu- 
dopodien bildet,  aus  Zellen  entstanden  sei,  und  glaubte  damit 
den  »Triumph  der  Zellentheorie  auch  tlber  diese  niedersten  organischen 
Gebilde  ausgedruckt  zu  haben«.  In  seiner  ta^fllicben  Schrift  Ober  »das 
Protoplasma  der  ßhizopoden  und  der  Pflanzenzetlen«  (1 863]  ist  diese 
Anschauung  ausführlich  begründet.  Ich  werde  darauf  nachher  in  dem 
Abschniu  tlber  adie  Pisstiden  und  das  Protoplasma  der  RhizopodeDi  Doch 
n^er  zurückkommen. 

Die  Theorie,  dass  die  früher  st^enannle  Sarcode  der  Bhizopoden 
und  anderer  Protisten  wirklich  als  freies,  nacktes,  hüllenloses  Proto- 
plasma, gleich  demjenigen  der  Tbier-  und  Pflanzenzellen  zu  betrachten 
sei ,  und  dass  also  in  allen  Oi^anismen  ohne  Ausnahme  Überall  eine 
ei w eissartige,  festflussige ,  contractile  Substanz,  das  Plasma  oder  Proto- 
plasma ,  der  wichtigste  Körperbestandtheil  und  der  eigentliche  TrSger 
der  Leben  serschei  nun  gen  sei,  diese  nProtoplasma-Tbeorie«  kann 
jetzt  als  fast  allgemein  anerkannt  gellen.  Denn  in  der  That  bat  sich  bei 
allen  Organismen ,  ohne  eine  einzige  Ausnahme ,  dieses  Protoplasma  im 
ersten  Beginne  der  individuellen  Existenz  des  Organismus ,  im  Etxu- 
standeoder  im  Sporenzuslande,  als  der  wesentlichste,  wenn  nicht  ein- 
zige EOrperbestandtheil  herausgestellt.  Anders  aber  verhalt  es  sich  mit 
dem  zweiten  Theile  von  Sgbultzb's  Theorie,  dass  das  nackte  Protoplasma 
oder  die  Sarcode  vieler  niederen  Organismen  in  allen  Fällen  »aus  Zellen 
entstanden«  sei.  Für  viele  der  niedersten  Organismen  ist  dieser  Satz 
nicht  hallbar  und  grade  dieser  Umstand  hat  mich  zu  meiner  Piastiden- 
Theorie  geführt. 

Efi  sind  nämlich  inzwischen ,  zum  grossen  Theile  durch  meine 
eigenen  Untersuchungen,  eine  grosse  Anzahl  von  niedersten  Organismen 
bekannt  geworden,  deren  Sarcodekörper  oder  Plasmaleib  zu  keiner  Zeit 
dea^ Lebens  eine  Spur  von  Kernen  zeigt,  und  bei  denen  demgemSss 
nach  Schultzr's  eigener  Zellendelinition  von  einem  Zusammenhange  mit 
einer  Zelle  überhaupt  nicht  die  Rede  sein  kann.  Vergeblich  suchen  wir 
nach  Kernen  in  dem  stnicturlosen  Kfirper  der  Moneren ,  der  zeitlebens 
einzig  und  allein  aus  homogenem  Protoplasma  besteht.  Vergeblich  su- 
chen wir  nadi  Kernen  in  dem  Sarcode -Kbrper  der  meisten  Polytha- 
lamien  und  vieleranderenAcytlarienoder  niederen  Rhizopoden.  Ebenso 
assen  sich  keine  Kerne  auffinden  in  dem  Proto[rfasma  von  vielen  ande- 
ren Organismen  aus  jener  zweifelhaften,  zwischen  Tbierreich  und 
Pflanzenreich  mitten  inne  stehenden  Gruppe  von  niederen  Oi^nismen, 
die  weder  echte  Thiere,   noch  echte  Pflanzen  sind,   and  die  ich  als 


Beitrüge  zur  Piastidentheorie.  497 

DReich  der  Protisten «  im  siebenten  Gapitel  der  generellen  Morphologie 
aufgestellt  und  in  meiner  Monographie  der  Moneren  näher  erörtert 
habe. 

Dass  dieser  absolute  Mangel  von  Zellenkemen  in  dem  Protoplasma 
zahlreicher  Protisten  eine  Thatsache  von  schwerem  Gewichte  ist  und 
nothwendig  eine  Modification  der  Zellentheorie  bedingen  muss,  habe 
ich  schon  an  jenen  Orten  ausgeführt  und  in  meiner  Piastidentheorie  aus* 
gedrückt.  Denn  ich  bin  mit  Schultzb,  Gegbubauh  und  anderen  Histologen 
der  Ansicht,  dass  der  Zellenkern  ein  histologisches  Element  von 
grOssterBedeutung  bleibt,  wenn  uns  auch  seine  specielle  Function 
noch  heute  fast  eben  so  dunkel  ist,  wie  zu  Schlbidbns  und  Schwanns 
Zeiten.  Vielleicht  vertheilen  sich  in  der  kernhaltigen  Zelle  die  beiden 
formbildenden  Functionen  des  elementaren  Organismus  in  der  Weise 
auf  ihre  beiden  activen  Hauptbestandtheile ,  dass  der  innere  Kern  die 
Fortpflanzung  und  Vererbung,  das  äussere  Protoplasma  die  Ernäh- 
rung und  Anpassung  vorzugsweise  und  oft  vielleicht  ausschliesslich 
vermittelt  (Gen.  Morph.  I,  p.  287) .  Vielleicht  ist  die  Arbeitstheilung  zwi- 
schen Nucleus  und  Plasma  von  anderer  Bedeutung.  Wenn  wir  aber 
bedenken,  dass  der  Kern  in  den  wichtigsten  organischen  Zellen,  in 
denjenigen ,  welche  ursprünglich  den  ganzen  individuellen  Organismus 
für  sich  repräsentiren ,  in  den  Eiern  und  Sporen  aller  höheren  Thiere 
und  Pflanzen  niemals  fehlt ,  und  wenn  wir  femer  erwägen ,  dass  in 
allen  echten  Zellen  der  Kern  und  das  Plasma  ursprünglich  die  beiden 
einzigen  Formbestandtheile  sind ,  und  oft  zeitlebens  die  einzigen  blei- 
ben, so  geht  schon  hieraus  die  fundamentale  Bedeutung  des  Kernes  un- 
zweifelhaft hervor.  Dieselbe  hier  besonders  zu  betonen  erscheint  dess- 
halb  passend ,  weil  in  neuerer  Zeit  von  mehreren  Seiten  Versuche  ge- 
macht worden  sind ,  den  Nucleus  als  einen  ganz  unbedeutenden  und 
untergeordneten  Bestandtheil  der  Zelle  in  seinem  morphologischen  und 
physiologischen  Werthe  herabzudrücken  und  etwa  den  Fettkömem, 
Stärkekörnem  und  anderen  secundären  »Zelleninhaltstheileno  oder 
»Plasma -Producten«  an  die  Seite  zu  stellen.  Wenn  in  neuester  Zeit 
sogar  einzelne  Beobachter  so  weit  gegangen  sind,  |den  Kern  als  ein 
»Kunstproduct« ,  als  einen  in  natura  nicht  präexistirenden  Bestandtheil 
hinzustellen,  so  lässt  sich  dagegen  nur  erwidern,  dass  diese  Histologen 
niemals  durchsichtige  Theile  von  lebenden  Thieren  untersucht  haben 
müssen ,  in  denen  man ,  vorzüglich  in  den  ganz  durchsichtigen  pela- 
gischen  Seethieren,  den  Kern  innerhalb  derZellen,  in  den  unverletzten 
lebenden  Thieren  jederzeit  mit  Leichtigkeit  nachweisen  kann. 

Wenn  man  nun  einerseits  diese  hohe  Bedeutung  des  Zellenkemes 
und  seine  allgemeine  Verbreitung  in  den  Zellen  der  höheren  Organis- 


498  ErusI  nmM, 

mcn,  Jiiidorerseits  aber  dipThalHacho  crwiijjl,  dass  in  deniProloplasma- 
LeibLi  vieler  niedpi'cr  Organismen  wirklich  jeder  Nucleus  zcillebnns 
fehll,  so  lässl  sich  nieJner  Ansicht  nach  dieses  Verhültniss  nur  dadurch 
üinfacb  und  klar  in  die  Zellontheorie  einfügen ,  dass  man  die  ochU>n, 
d.  h.  kern  balligen  Zellen  als  höher  entwickelte  E  lernen  tu  r-Orpa- 
nismen  belrachtel  und  scharf  unlerscheidel  von  den  niederen  ,  kern- 
losen PlasniastUcken ,  ftlr  welche  ich  in  nneiDerlndividualilütslebre  d'iv. 
Bezeichnung  Cytoden  oder  Cell  inen  voi^eschlagcn  habe. 

Beide  verschiedenen  Formen  von  Elementar-Organismen  betrachte 
ich  als  selbslündise  »Individuen  erster  Ordnung«  und  fasse  sie  als  solche 
unter  dem  Namen  der  Bildnerinnen  oder  Plastidon  zusammen. 
Für  die  phyletische  Entwickelungsgeschichte  der  Organismen  ist  bIkt 
diese  Unterscheidung  der  kernlosen  von  den  kernhaltigen  Plasliden  von 
der  grösslen  Bedeutung.  Denn  die  ersteren,  dieCytoden  oder  Cellinen, 
stellen  den  ursprünglichen  und  niederen  Zustand  der  Plastide  dar,  die 
lotzieren,  die  Zellen,  den  spütercn  und  höher  entwickelten  Zustand. 
Durch  Urzeugung  können  ursprünglich  nur  ganz  einfache  Cytoden, 
wie  die  Moneren  sind,  entstanden  sein.  Erst  spüter  liaben  sieb  imLaufe 
de'r  phyletischen  Entwickelung  aus  den  kernlosen  Cytoden  durch  Diffc- 
renzirung  des  inneren  Kernes  und  des  liusseren  Cytoplasnia  die  Zellen 
entwickelt.  Diesen  phyletischen  Enlwickelungsprocess  würden  uns 
noch  gegenwllrtig  im  Laufe  ihrer  individuellen  Entwickelung  jene  Pla- 
sliden wiederholen,  und  dem  oben  angeführten  ontogcnelischen  Grund- 
gesetz ontsprochcnd  recapituliren ,  welche  aus  dem  ursprünglichen 
kernlosen  Cytoden -Zustande  i^ptller  in  den  kernhaltigen  Zelleni'.ustiinif 
übergehen.  Durch  diese  Pias  tiden-Theorie  wird  die  Zellon- 
Theorie  in  einer  Weise  modificirt,  welche  es  gestattet,  dieselbe  mit 
dem  Beginne  der  Phylogenic,  mit  der  Urzeugungshypothese  und  mil 
der  ganzen  natüHichen  Geschichte  der  Erde  in  Zusammenhang  zu 
bringen,  und  ein  wirkliches  bistorisohes  VerslUndniss  von 
derpalHontologiseben  EnlwickelungilesZellcnlebens  zu 
gewinnen. 

Bei  allen  denjenigen  Organismen  [und  das  istdie  grosse  Mehrzahl), 
welche  ihren  individuellen  Ursprung  aus  einer  kernhaltigen  Zelle  neh- 
men, sei  dieselbe  nun  Ei  oder  Spore,  können  echte  und  ursprüngliche 
Cytoden  natürlich  nicht  mehr  vorkommen,  Denn  alle  spater  den  Körper 
zusammensetzenden  Piastiden  müssen  von  jener  ersten  echten  Zelle  ab- 
stammen und  gleich  dieser  ursprünglich  komhallige  Zellen  sein.  Wenn 
idso  auch  hier  spüler  oft  kernlose  Piastiden  sich  vorfinden,  .so  müssen 
dieselben  durch  Bückbildung,  durch  Verlust  des  Kernes,  aus  echten 
ki'rnliiilligen  Zellen  hervorgegangen  sein.    Solche  Schein- Cytoden  sind 


Beiträge  znr  Plastideiitbeorie.  499 

z.  B.  die  rothen  Blatzellen  und  die  verhornten  Epidermisplatten  der 
Säugethiere.  Um  diese  rückgebildeten  kernlosen  Zellen  von  den  ur- 
sprünglich kernlosen  Gytoden  zu  unterscheiden,  ist  es  vielleicht  passend, 
die  ersteren  mit  dem  Namen  Dyscytoden  zu  belegen. 

Die  grOsste  Bedeutung  messen  wir  natürlich  unserer  Piastiden- 
theorie für  das  Yerstjindniss  der  Entwickelungsgeschichte  oder  Bio- 
genie der  Pias  ti  den  bei,  und  auch  hier  muss  noth wendig  wieder 
das  biogenetische  Grundgesetz  von  dem  Causalnexus  der  phyletischen 
und  on tetischen  Entwickelung  zur  Geltung  kommen.  Vielleicht  werden 
uns  hier  die  ersten  Vorgänge  bei  der  Entwickelung  des  individuellen 
Organismus  mit  Hülfe  jener  Theorie  noch  zu  sehr  wichtigen  Erkennt- 
nissen verhelfen.  Wie  bekannt,  sind  noch  gegenwärtig  die  Ansichten 
über  das  Verbalten  der  Eizelle  und  ihres  Kerns  bei  dem  Beginne  der 
Furchung  getheilt.  Die  Einen  behaupten ,  dass  die  Kerne  der  Fur- 
chungszellen  directe  Abkömmlinge  des  Eikernes  sind  und  aus  dessen 
Tbeilung  hervorgehen.  Dies  Ver&allen  ist  von  Bär  bei  Echinus ,  von 
JoHANNKs  MÜLLBR  bei  Eutoconcha ,  von  Gegenbaur  bei  Sagitta  und  ver- 
schiedenen Siphonophoren ,  von  Letdig  bei  verschiedenen  Wirbellosen 
und  neuerdings  von  mir  selbst  wieder  bei  mehreren  Siphonophoren 
positiv  beobachtet  worden.  Die  Anderen  behaupten  dagegen ,  dass  in 
vielen  (keineswegs  in  allen)  Fällen  das  Keimbläschen  verschwinde  und 
dann  nachher  ein  neuer  Kern  entstehe,  aus  dessen  wiederholter  Thei- 
lung  die  Kerne  der  Furchungszellen  hervorgehen.  Wenn  diese  letztere, 
negative  Beobachtung  richtig  ist ,  so  wäre  dieser  Vorgang  vielleicht  als 
ein  Rücksch  lag  der  Zellenform  in  die  ursprüngliche  Gy- 
todenform  aufzufassen.  Der  individuelle  Entwickelungscydus  würde 
dann  mit  einem  ontetischen  Zurückgehen  auf  jenes  primitive  Gytoden- 
Stadium  des  einfachen  Moncres  beginnen ,  welches  wir  rückbeziehen 
müssen  auf  den  phyletischen  Anfangszustand  des  ganzen  Stammes,  aus 
dem  sich  der  betreffende  Organismus  entwickelt  hat. 


2)  BathybioB  nnd  das  freie  Protoplaima  der  Meerestiefen. 

Hierzu  Taf.  XVll. 

1.  Hu  XL  BY^  8  Untersuchung  des  Bathybius. 

Unter  allen  bisher  beobachteten  Moneren -Formen   vielleicht  die 
wicbiif'cin  unA  mnr|^wtirdigste  ist  der  von  IIuxley  entdeckte  und  als 


500  Ernst  Hneckel, 

fiathybtus  Baeckelü  beschriebene  Organismus'].  Dieses  hftchst 
interessant«  Honar  scheint  in  ungeheuren  Hassen  die  tiefst«ii  Äbgiitnde 
des  Meeres,  gewöhnlich  von  5000  Fuss  an  bis  über  95,000  Fuss  hin- 
unter zu  bedecken,  bald  in  Form  von  amoeboiden  Cytoden,  gleich  der 
Protamoeba,  bald  in  Form  von  ne Ufa rm igen  Plasmodien,  gleich  einem 
ausgebreiteten  Protogenes  oder  Myxodictyum ,  und  gewöhnlich  in  Ver- 
bindung mit  den  eigen thüm liehen  RCrpercben ,  welche  Htnu-Ev  als  Dis- 
colithen,  CyatbolitJien  und  Coccosphaeren  beschrieben  hat. 

Die  wichtigste  Thatsache,  die  ausHuxLsv's  sehr  sorgfditigen  Unter- 
suchungen des  Bathybius  hervorgeht,  ist,  dass  der  Heeresgrund 
des  offenen  Oceans  in  den  bedeutenderen  Tiefen  [unter- 
halb 5000  Fuss]  bedeckt  ist  mit  ungeheuren  Massen  von 
freiem  lebenden  Protoplasma,  und  dieses  Protoplasnia  verharrt 
hier  in  der  einfachsten  und  ursprünglichsten  Form,  d.  h.  es  hat  über- 
haupt noch  gar  keine  bestimmte  Form,  es  ist  noch  kaum  individualisirt. 
Man  kann  diese  höchst  merkwürdige  Tbaisache  nicht  ohne  das  tiefste 
Staunen  in  nähere  Erwügung  ziehen ,  und  niuss  dabei  unwiilkührlicb 
an  den  sUrschleimB  Okens  denken.  Dieser  universale  Urschleim  der 
alteren  Naturphilosophie,  der  im  Heere  entstanden  sein  und  der  Urquell 
alles  Lebens,  das  productive  Material  aller  Organismen  sein  sollte,  die- 
ser berühmte  und  berüchtigte  Urschleim ,  dessen  umfassende  Bedeu- 
tung eigentlich  schon  implicito  durch  Hax  Scdultzb's  Protoplasma- 
Theorie  begründet  war,  —  er  scheint  durch  Hi:xley'.s  Entdeckung  des 
Bathybius  zur  vollen  Wahrheil  geworden  zu  sein! 

Die  äussere  Veranlassung  zur  Entdeckung  dieser  submarinen  Ur- 
schleim-Lager gaben  die  grossartigen  Untersuchungen  des  Tiefseegrun- 
des, welche  seit  dem  Jahre  1857  in  dem  N o rd -Atlanti sehen  Ocean  be- 
hufs Legung  des  transatlantischen  Telegraphen-Kabels  angestellt  wur- 
den. Zuerst  stiess  man  darauf  bei  der  Untersuchung  des  atlantischen 
»Telegraphen -Plaleauu,  jener  müchtigen  Tiefsee -Ebene,  welche  mit 
einer  durchschnittlichen  Tiefe  von  12,000  Fuss  sich  von  Irland  bis  Neu- 
fundland erstreckt  und  nach  Süden  gegen  die  Azoren  hin  in  noch  be- 
trächtlichere Tiefen  abfällt.  CapitSn  Daybah  ,  der  Commandant  des 
englischen  Kriegsschilfes  »Cyclopsa,  welcher  1857  zuerst  dieses  Tele- 
graphen-Plateau genauer  untersuchte,  fand  seinen  Boden  überall  mit 
einem  äusserst  feinpulverigen,  zähen  und  klebrigen  Schlamme  bedeckt. 
HtiiLEv,  der  einen  Theil  dieses  Schlammes  zur  Untersuchung  erhielt, 
fand  darin  grosse  Mengen  von  eigenthümlichen  nindenKörperchen,  die 

I)  HciLKT,  On  some  or^oniBins  livtng  st  grent  deplbs  in  the  north-allaatic 
ocean.   Journal  of  microscopical  science,  Vol.  Vltl,  N.  S.  IBflS;  p.  1 ,  PI.  IV. 


BeitrUge  mr  Plastidentheorie.  501 

er  Goccolithen  nannte.  Dieselben  waren  meist  elliptische  Scheiben 
und  bestanden  ausconcentrisch  geschichteten  Lagern  von  kohlensaurem 
Kalk,  die  ein  heileres  Centrum  einschlössen;  sie  zeigten  eine  gewisse 
Aehnlichkeit  mit  Protocoecus- Zellen  oder  mit  gewissen  Formen  von 
Amylum-Kömem. 

Dieselben  Goccolithen  wurden  sodann  von  Dr.  Walligh  wieder  ge- 
funden ,  welcher  die  Expedition  des  englischen  Kriegsschiffes  »Bulldoga 
begleitete ,  die  unter  Führung  von  CapitSln  Mc.  Clintock  i  860  den  at- 
lantischen Tiefgrund  zwischen  den  Far-Oer,  Grönland  und  Labrador 
zu  untersuchen  hatte.  Auch  hier  enthielt  der  feinkörnige  klebrige  Mee- 
resschlamm Massen  von  Goccolithen ,  und  ausserdem  grössere  kugelige 
Körperchen ,  die  fast  aussahen ,  als  ob  sie  aus  vielen  Goccolithen  zu- 
sammengesetzt seien .  Dr.  Wallich  nennt  diese  Kugeln  Goccosphae- 
ren  und  vermuthet,  dass  die  Goccolithen  aus  Gocoosphaeren  hervorge- 
gangen, und  dass  sie  identisch  seien  mit  ähnlichen  Körperchen,  welche 
schon  früher  Sokbt  in  der  Kreide  beobachtet  hatte. 

In  der  That  enthalt  die  Kreide  Mengen  von  Goccolithen  und  Gocoo- 
sphaeren, welche  nach  den  übereinstimmenden  Untersuchungen  von 
SoEBT  und  HuxLBY  ganz  denjenigen  gleichen ,  die  noch  jetzt  so  massen- 
haft in  dem  klebrigen  Schlamme  der  grössten  Meerestiefen  vorkommen. 
Schon  SoaBT  hatte  behauptet,  dass  dieselben  nicht  etwa  krystallinischer, 
sondern  organischer  Natur  seien. 

Im  Jahre  4  868  nun  nahm  Huxlbt  eine  erneute  Untersuchung  jenes 
Tiefseeschlammes  mit  Hülfe  eines  ausgezeichneten  Mikroskops  von  Ross 
vor,  und  die  höchst  bedeutsamen  Resultate  dieser  Untersuchung  sind 
in  dem  vorher  erwähnten  Aufsatze  mitgetheilt  und  durch  eine  Tafel  Ab- 
bildungen illustirt. 

Das  Wichtigste ,  was  Huxlbt  bei  der  erneuten ,  gründlichen  und 
durch  sorgfältige  mikrochemische  Analyse  erweiterten  Untersuchung 
des  atlantischen  Tiefseeschlammes  entdeckte,  war  der  Nachweis ,  dass 
dieser  Schlamm  zu  einem  sehr  grossen  Theile  aus  nackten ,  freien  Pro- 
toplasma-Klumpen besteht.  »Diese  Klumpen  sind  von  allen  Grössen, 
von  Stücken ,  die  mit  blossem  Auge  sichtbar  sind,  bis  zu  äusserst  klei- 
nen Partikelchen.  Wenn  man  sie  der  mikroskopischen  Analyse  unter- 
wirft, zeigen  sie  —  eingebettet  in  eine  durchsichtige,  farblose  und 
structurlose  Matrix  —  Kömchen ,  Goccolithen  und  zufällig  hineingera- 
thene  fremde  Körper.«  Die  Kömchen  variiren  in  Grösse  vom  vierzig- 
tausendsten bis  zum  achttausendsten  Theile  eines  Zolles  und  sind  in 
Haufen  von  verschiedener  Grösse  und  Reschaffenheit  versammelt.  Die 
einen  Haufen  sind  ganz  unregelmässige  Streifen ,  während  die  anderen 
eine  bestimmt  umgrenzte,  ovale  oder  rundliche  Form  besitzen.    Einige 


502  Bmat  H^fckel, 

llaiifon  erreichen  einen  Durchmesser  von  ein  TausendsM  Zoll  und  mohr, 
wMhreud  Hudere  nicht  mehr  als  den  dritten  oder  vierten  TheÜ  so  gross 
sind.  Die  kleinsten  Körner  sind  rund.  Von  den  grösseren  sind  n)3nche 
biconcave  ovale  Scheiben ,  andere  rullienförmig,  die  grössten  unregel- 
mtissig.  Jod  färbt  die  Körner  gelb ,  wührend  sie  die  Matrix  nicht  uff!- 
cirt.  Verdünnte K SS igsifure  löst  lasch  alteKörnchen  bis  auf  die  feinsten, 
scheint  aber  die  Matrix  nicht  zu  verändern.  In  massig  starken  kausti- 
schen Alkalien  schwillt  die  Matrix  auf  Die  Körnchen  werden  durch 
schwache  Alkalien  wenig  aflicirt,  aber  durch  starke  gelöst.  Hdzlbt 
konnte  an  den  Kömerhaufen  weder  eine  Spur  von  eiuem  eingeschlosse- 
nen Kern ,  noch  von  einer  umhüllenden  Membran  entdecken.  In  der 
Hehrzahl  der  Kömerhaufen  fand  er  einzelne  oder  mehrere  Coccolithcn 
liegen,  bald  mehr  oberflächlich,  bald  mehr  in  der  Hitle  derROmerhau- 
fcn ;  im  letzteren  Falle  sind  sie  fast  immer  klein  und  unvollkommen 
entwickelt. 

HuxLEv  unterscheidet  zwei  verschiedene  Formen  von  Coccolithen, 
welche  er  Discolilhen  und  Cyatholithen  nennt.  Die  Discolitben  sind 
ovale,  concentrisch  geschichtete  Scheiben,  plan-  oder  etwas  concav- 
convex ,  mit  einem  schmalen  vorspringenden  Rande  auf  der  convexen 
Seite ,  so  dass  sie  die  Form  eines  Spucknapfes  oder  einer  Blumentopf- 
Unterschale  annehmen.  DieC  yatbolithen  haben  eine  noch  auffallen- 
dere Gestalu  Sie  gleichen  nämlich  ganz  den  gewöhnlichen  Hemde- 
knöpfchen  oder Hanchetlenknöpfchen und  bestehen  aus  zwei  parallelen, 
ovalen  oder  kreisrunden  Scheiben,  welche  durch  einen  sehr  kurzen, 
cy  li  ndrischen  Mittel  th  eil  fest  miteinanderverbundensind.  Wie  gewöhn- 
lich bei  den  Manch  elten  knöpfchen,  ist  dieeinevonden  beiden  parallelen 
Scheiben  plan  ,  die  andere  concav  -  convex. 

Die  Coccolithen  bestehen  keineswegs  bloss  aus  kohlensaurem 
Kalk,  sondern  zugleich  immer  aus  einer  gewissen  Menge  organischer 
Substanz ,  die  auf  das  Innigste  mit  ersterem  verbunden  ist;  wie  die 
chemische  Reaction  ersieht,  ist  diese  oi^anische  Substanz  als  mehr 
oder  weniger  verändertes  Protoplasma  aufzufassen.  Durch  starke  Säu- 
ren werden  die  Coccolithen  rasch  und  vollständig  aufgelöst.  Wenn  man 
aber  langsam  schwache  Essigsäure  einwirken  lässt,  so  wird  der  koh- 
lensaure Kalk  allmählich  ausgezogen  und  es  bleibt  ein  äusserst  zarter, 
fein  granulirter  Best  von  organischer  Substanz  zurück,  der  inForm  und 
Grösse  ganz  dem  ursprünglichen  Coccolithen  gleicht.  Durch  starke  Lö- 
sungen von  kaustischen  Alkalien  werden  die  Cyatholithen  ebenso  wie 
die  Discolithen  vollständig  zerstört. 

Die  Coccosphaeren  fand  HiixLBy  immer  sehr  spärlich  im  Verhäll- 
niss  zu  den  Coccolithen.    Er  unterscheidet  von  crslcren  zwei  verschic 


Beitrüge  snr  PlMtideiitheorie.  503 

dene  Formen ,  einen  lockeren  und  einen  compacten  Typus.  Die  com- 
pacten Coccosphaeren  scheinen  aus  dicht  zusammengedrängten,  die 
lockeren  Coccosphaeren  dagegen  aus  lose  zusamroengehäuften  Cyatho-' 
lithen  zusammengesetzt  zu  sein.  Während  Sorby  glaubt,  dass  die 
Gyatholithen  durch  Zertrümmerung  der  Coccosphaeren  entstehen ,  hält 
HuxLE¥  es  umgekehrt  für  mehr  wahrscheinlich ,  dass  die  Coccosphaeren 
durch  Aggregation  von  Cyatholithen  zu  Stande  kommen.  Vielleicht  ha- 
ben aber  auch  beide  Formen  nichts  mit  einander  zu  thun.  Jedenfalls 
würde  nicht  eine  von  beiden  Formen  als  nothwendigesEntwickelungs- 
Stadium  der  anderen  anzusehen  sein ,  da  man  sowohl  von  den  Cocco- 
sphaeren als  von  den  Cyatholithen  Formen  von  allen  verschiedenen 
Grössen  findet. 

Was  nun  endlich  die  Deutung  dieses  höchst  merkwürdigen  Befun- 
des betrifft,  so  glaubt  Huxley,  dass  alle  diese  verschiedenen  Formen 
von  Ralk-Rörperchen,  und  zwar  die  Coccosphaeren  sowohl  als  die 
Coccolithen  (Discolithen  und  Cyatholithen)  als  verkalkte  Protoplasma- 
stücke zu  betrachten  sind,  und  morphologisch  vergleichbar  den  Spi- 
cula  der  Radiolarien  und  Spongien.  Die  massenhaft  im  Tiefseeschlamme 
zerstreuten  Protoplasmak lumpen ,  welche  Hüxley  unter  dem  Namen 
Bathybius  als  eine  besondere  Monerenform  beschreibt,  würden  sich 
demnach  zu  den  darin  enthaltenen  Coccolithen  und  Coccosphaeren  ähn- 
lich verhalten,  wie  die  Weichtheile  von  Sphaerozoen  oder  von  Spongien 
zu  den  von  ihnen  producirten  Spicula. 

Dem  Exemplare  der  genannten  Abhandhing  über  den  Bathybius, 
welche  mir  Huxley  freundlichst  übersendete ,  hat  der  Verfasser  noch 
eigenhändig  am  4  6.  October  1868  die  sehr  wichtige  Bemerkung  beige- 
fügt: »In  einer  der  Tiefsee  -  Grundproben ,  welche  ich  soeben  durch 
Carpentbr  und  Wyvillb  TnoMsoN  aus  der  Nordsee  erhalten  habe ,  finde 
ich  den  Bathybius  Haeckelii  in  Form  eines  Netzwerks  von 
Protoplasma.« 

Bei  der  ausserordentlichen  Bedeutung ,  welche  der  merkwürdige 
Bathybius  für  die  Piastiden- Theorie  und  die  Urzeugungsfrage  be- 
sitzt, musste  es  mir  natürlich  äusserst  erwünscht  sein ,  'diese  wichtige 
Monerenform  selbst  untersuchen  zu  können,  im  letzten  Herbste  wurde 
mir  dazu  unverhofite  Gelegenheit.  Mein  verehrter  College,  Herr  Pro- 
fessor Prbybr  ,  hatte  die  Güte ,  mir  ein  Gläschen  mit  Tiefseeschlamm  zu 
überlassen ,  welches  er  durch  Herrn  Randropp  in  Thorshavn  auf  den 
Faroer  erhalten  hatte.  Dieses  Gläschen  trägt  die  Aufschrift:  »Dredged 
of  Professor  Thomson  and  Dr.  Carpbnter  witb  the  Steamer  Porcupine 
on  n'A^  r«iK«„,„     oo    i»i:  4j^69^    Lgt.  47»  38".    Long.  42«  4".« 

iescs  Gläschen  in  Weingeist  wohl  conser- 


504  Brost  timM, 

virt  erfüllte,  zeigte  die  bereits  bekannlen  Charaktere  und  zeicfanetesictj 
nameotlich  durch  seine  enorm  klebrige  BescbaSenheit  aus.  Selbst  in 
dem  Weingeist  war  diese  zähe  Adhasionskraft,  die  offenbar  vorzugs- 
weise, wenn  nicht  ausschliesslich,  den  darin  enthaltenen  Protopiasma- 
massen  zuzuschreiben  ist,  noch  so  auffallend,  dass  der  Schlamm  an 
eingestochenen  Nadeln  beim  Herausziehen  eben  so  fest  haßete,  wie  etwa 
eine  dickflüssige  Lösung  von  Canada- Balsam  oder  Honig.  In  Weingeist 
zeigte  der  äusserst  feinkörnige  Schlamm  eine  blass  bi^unlich  graue 
Farbe  und  eine  scheinbar  ganz  homogene  Beschaffeuheit.  Getrockoet 
bildete  er  ein  äusserst  feines ,  grauweisses  Pulver ,  sehr  ähnlich  feiner 
Schlemmkreide. 

lieber  dieResultalemeinerUntersuchungdiesesSchlammes,  welche 
ich  mit  möglichster  Sorgfalt  und  Vorsicht  auszulühren  bestrebt  war, 
kann  ich  mich  im  Ganzen  ziemlich  kurz  fassen.  Im  Wesentlichen  kann  itdi 
alle  Angaben  von  HtixLBi  bestätigen,  doch  auch  nacheinigen  Richtungen 
hin  dieselben  vervollständigen  und  erweitem.  In  Betreff  des  wichtig- 
sten Verhältnisses ,  nämlich  des  freien  Protoplasma ,  habe  ich  nament- 
lich durch  die  Anwendung  der  Carmin-Tinction ,  die  von  Huubt  nicht 
versucht  worden  zu  sein  scheint ,  einige  wichtige  ei^anzende  Resul- 
tate erhalten. 

S.  Zusammensetzung  desBathyhius-Schlammes. 

Heine  ersten  Versuche  mit  dem  Bathybius  -  Schlamme  waren  dar- 
auf gerichtet,  die  Qualität  undQuantitat  des  freien  Protoplasma  in  dem- 
selben näher  zu  bestimmen.  Die  Rehandlung  desselben  mit  ammo- 
n iakali scher  Carminlösung  gab  in  dieser  Beziehung  die  Überraschendsten 
Resultate.  Es  zeigte  steh  sofort,  dass  die  Quantität  der  durch  Carmin 
roth  gefärbten  Substanz,  die  ich  auch  auf  Grund  anderer  ergänzender 
Reactionen  entweder  als  eigentliche  ProtoplasmakSrper,  oder  doch  als 
diesen  nächstverwandte,  stickstoffhaltige  und  sicher  zum  grtlsslen  Theile 
eiweissartige  Verbindungen  ansehen  mussle,  hflchst  beträchtlich  war. 
In  der  mir  übersendeten  Grundprobe  scheinen  diese  durch  Carmin  sich 
roth  färbenden  Substanzen  sehr  gleichmässig  durch  die  ganze  Schlamm- 
masse verbreitet  zu  sein,  in  den  versdiiedenen  Formen,  die  ich  so- 
gleich beschreiben  werde.  Soweit  eine  annähernd  sichere  Schätzung 
in  diesem  Falle  möglich  ist,  scheint  mir  in  den  meisten  von  mir  unter- 
suchten Theilen  der  Grund  probe  die  gesammte  Quantität  der  durch  Car- 
min sich  roth  färbenden  Substanz  mindestens  ein  Zehntel  bis  einPUnflel 
des  Gesammtvolums  zu  betragen.  An  manchen  Präparaten  betrug  sie 
selbst  die  grössere  Hälfte.  Daher  erscheint  der  mit  Carmin  gefärbte 
Schlamm  auch  fUr  das  blosse  Auge  grau-r&tblich  oder  blass-bräunlicb- 


Beiträge  snr  Piastidentheorie.  505 

roth  (selbstverständlich  nach  sorgfältigem  Auswaschen  der  gef<lrbten 
Masse).  Noch  viel  intensiver  tritt  die  röthliche Farbe  hervor,  wenn  man 
durch  verdünnte  Salzsäure  allen  kohlensauren  Kalk  entfernt  hat.  Die 
Menge  der  geformten ,  in  dem  Protoplasma  zerstreuten  Kalkkörperchen, 
der  Coccolithen  und  Goccosphaeren ,  war  in  meiner  Grundprobe  höchst 
beträchtlich.  Nach  ganz  ungefähren  Schätzungen  mag  sie  bald 
etwa  ein  Drittel  oder  ein  Viertel ,  bald  nur  ein  Zehntel  bis  ein  Zwan- 
zigstel von  der  Quantität  des  Protoplasma  betragen.  Bevor  ich 
nun  die  verschiedenen  Formen  beschreibe ,  welche  die  durch  Carmin 
sich  roth  färbenden  nackten  Köiperchen  des  Sdilammes  darbieten,  will 
ich  erst  noch  die  Übrigen  geformten  Bestandtheile  anführen,  die 
ausserdem  den  Schlamm  constituiren.  Es  sind  folgende : 

1.  Globige rinen  in  sehr  grosser  Menge,  und  in  allen  Grössen 
und  Stadien  der  Entwickelung ,  zum  grössten  Theile  noch  vollständig 
mit  Protoplasma  erfüllt.  Auch  Hdxley  fand  in  seinen  Grundproben, 
dass  die  Globigerinen  einen  sehr  ansehnlichen  Theil  des  Schlammes 
ausmachen,  und  wirft  dabei  die  Frage  auf:  »In  Erwägung,  dass  alle 
Spuren  von  Reproductionsvorgängen  bei  den  Globigerinen  zu  fehlen 
scheinen ,  ist  es  vielleicht  möglich ,  dass  diese  einfach  mit  Schalen  ver- 
sehene Abkömmlinge  von  so  einfachen  Lebensformen  wie  Bathybius 
sind ,  der  sich  gewöhnlich  nur  in  seiner  nackten ,  einfachsten  Form 
fortpflanzt?« 

S)  Acyttarien  (Monothalamien  und  Polythalamien) 
aus  verschiedenen  Familien ,  in  sehr  geringer  Menge ,  insbesondere 
einzelne  Rotalien ,  Textilarien  und  Polystomellen ;  ferner  einzelne  sehr 
grosse  Monothalamien.  Unter  diesen  sind  bemerkenswerth  mehrere 
Formen  von  Comuspiren ,  Ovulinen  und  Verwandten. 

3)  Radiolarien  in  ziemlich  grosser  Menge,  obwohl  viel  spär- 
licher als  die  Globigerinen ,  meistens  leere  Kieselschalen ,  selten  mit 
wohl  erhaltener  Centralkapsel  und  übrigen  Weichtheilen.  Die  meisten 
Radiolarienformen  gehören  den  Familien  derCyrtiden,  Ommatidenund 
Disciden  an.  Selten  sind  dazwischen  einzelne  Schalen  von  anderen  Fa- 
milien und  zerstreute  Spicula  von  Sphaerozoen. 

4)  Diatomeen  in  ziemlich  grosser  Menge,  jedoch  zum  grössten 
Theile  nur  Coscinodisken,  sehr  wenige  andere  Formen,  Navi- 
cula,  Surirella  etc. 

5)  Spicula  von  Spongien,  und  zwar  nur  Kieselnadeln,  in 
sehr  geringer  Menge  und  meist  zertrümmert. 

6)  Anorganische  Fragmente,  theils  krystallinischer,  theils 
nicht  krystallinischer  Natur ,  in  ansehnlicher ,  jedoch  verhältniss- 
massig  nicht  bedeutender  Mense.  Einerseits  sind  dieselben  meistens 


506  l^iusl  Uiveckel, 

nur  sehr  klein ,  und  andererseits  treten  sie  auch  im  Ganzen  gegen  die 
überwiegende  Masse  der  genannten  organisirten  Bestondtheile  nuf- 
fallend  zurück. 

Bei  dieser  ganz  eigenthümlicben  und  wie  es  scheint  sehr  constan- 
ten  Zusammensetzung  des  von  mir  untersuchten  Tiefsee-Grundschlan)- 
mes  ist  es  vielleicht  nicht  ohne  Interesse,  alle  diejenigen  harten  Skelet- 
llieile  von  Seelhieren  nambaß  zu  machen,  die  man  mit  mehr  oder 
mindfir  grosser  Wahrscheinlichkeit  noch  in  demselben  erwarten  sollte, 
die  sich  aber  merkwürdigerweise  entweder  gar  nicht  oder  nur  in  s«br 
geringen  Spuren ,  in  ganz  vereinzelten  Fragmenten  vorßnden.  Diest- 
verinissten  Bestandtheile  sind : 

]]  Knttcberne  Skelettheile  von  Pisch&n. 

3j  Chitin-Skelettbeile  von  Crustaceen. 

3)  Kalkscbalen  von  Mollusken. 

4)  Kalkskelele  von  Echinodermen . 
'oj  Kalkskelete  von  Korallen. 

Was  nun  den  Ursprung  der  verschiedenen  vorher  aufgeführten  Be- 
standtheile des  Bathybius  schlämm  es  anbetrißl,  so  darf  nicht  Uberseh«-n 
werden,  dass  ein  grosser  Theil  derselben  wahrscheinlich  die  Skelel- 
theile  oder  Skelete  von  pelagiscben  Organismen  sind,  die  an  der  Ober- 
fläche des  offenen  Meeres  lebten ,  die  aber  nach  dem  Tode  auf  den  Bo- 
den sanken.  Dies  gilt  namentlich,  wie  schon  Huxlbv  hervorhebt,  wahr— 
scheinlich  von  allen  Radiolarien  und  Diatomeen  (mit  Ausnahme  <ler 
Coscinodisken  ?) ,  vielleicht  auch  von  einem  Tbeile  der  Globigerinen .  (i) 

Ich  komme  nunmehr  zur  Beschreibung  der  verschiedenen  Formen 
von  Pi  otoplasmakßrpern  in  diesem  Schlamme,  welche  ich  als  solche  mit 
Recht  in  Anspruch  nehmen  zu  dürfen  glaube.  Alle  diese  Formen  zer)^n 
die  chemischen  BcHCtionen,  welche  allgemein  als  charakteristisch  für 
das  Protoplasma  angesehen  werden. 

'■i.  Struclur  und  Form  des  Bathybius-Proloplasmn. 
Obgleich  das  Protoplasma  von  Bathybius  wie,  von  den  übrigen  Mo- 
neren, in  gewissem  Sinne  als  uformlos  und  structurlos«  zu  bezeichnen 
ist,  so  zeigen  sich  dennoch  einerseits  in  den  äusseren  Umrissen  der 
PlasniastUcke ,  andererseits  in  der  histologischen  Beschaßenbeit  dersel- 
ben mehrfache  Verhaltnisse,  die  eine  besondere  Erörterung  nothif 
machen.  DieStruclur-  undFormverhilltnissedes  Protoplasma  von  Ba- 
thybius zeigten  sich  in  der  von  mir  untersuchten  (irundprobe  man- 
nichfalliger  und  zum  Theil  auch  anders,  als  es  nach  Hixlbv's  Angaben 
in  dein  von  ihm  unlersuchlen  Grundschlamme  der  Fall  war.  Ich  werde 
dieselben  daher  hier  so  genau  als  möglich  schildern.  ^ 


Beitrüge  zur  PUslidentlieorie.  507 

HuxLKT  unterscheidet  in  dem  Protoplasma  seines  Bathybius  zweierlei 
Substanzen ,  nämlich  erstens  eine  farblose ,  formlose  und  structurlose 
durchsichtige  Matrix,  und  zweitens  verschieden  geformte  Haufen 
von  Körnern,  welche  in  diese  eingebettet  sind.  Obwohl  er  beide 
zusammen  für  Protoplasma  erklärt,  so  giebt  er  doch  selbst  bemerkens- 
werthe  Unterschiede  in  dem  chemischen  Verhalten  derselben  an.  Die 
»Kömerhaufena  färbten  sich  durch  Jod  gelb  und  wurden  durch  ver- 
dünnte Essigsäure  rasch  gelöst,  wahrend  die  gallertartige  »Matrix«  durch 
beide  Reagentien  nicht  afificirt  wurde.  Dagegen  bewirkte  eine  massig 
starke  Lösung  von  kaustischem  Alkali  eine  Anschwellung  der  Matrix, 
während  sie  die  Kömchenhaufen  wenig  veränderte.  Huxlby  vergleicht 
fernerhin  diese  gallertartigen  Protoplasmamassen  einem  »Meerqualster« 
von  Sphaerozoen,  aus  dem  man  die  »Centralkapselna  entfernt  hat.  Die- 
ser Vergleich  ist  in  der  That  ziemlich  zutreffend. 

In  dem  von  mir  untersuchten  Grundschlamme  ist  das  Protoplasma 
zum  grössten  Theil  in  anderer  Form  enthalten,  nämlich  ohne  die  »gal- 
lertige Matrix«  von  Huxlby.  Allerdings  kommen  daneben  auch  vielfach 
structurlose  Gallertstücke  vor,  welche  Protoplasmahaufen  einschliessen 
und  das  von  demselben  beschriebene  Verhalten  zeigen  (Fig.  5] .  Allein 
die  grössere  Hälfte  der  von  mir  untersuchten  Plasmastücke  ( —  ich  glaube 
annehmen  zu  dürfen ,  mehr  als  zwei  Drittel  derselben  — )  zeigt  keine 
Spur  von  jener  Matrix.  Keineswegs  ist  dieselbe  ein  constanter  Beglei- 
ter der  »Kömerhaufen« ,  vergleichbar  einer  »Grundsubstanz«,  in  welche 
die  letzteren  eingebettet  sind. 

Was  nun  zunächst  die  eigentliche  Beschaffenheit  dieser  »gallertigen 
structurlosen  Matrix«  betrifft,  so  kann  dieselbe  nach  Hiilby^s  eigenen 
Angaben  nicht  als  wirkliches  Protoplasma  betrachtet  werden.  Schon 
allein  der  Umstand ,  dass  dieselbe  durch  Jod  nicht  gelb  gefärbt  wird, 
scheint  mir  dies  hinreichend  zu  beweisen.  Denn  wie  verschiedenartige 
Modificationen  auch  das  Protoplasma  zeigt,  so  verliert  es  doch  als  sol- 
ches niemals  die  Eigenschaft,  durch  Jod  mehr  oder  minder  intensiv  gelb 
oder  gelbbraun  gefärbt  zu  werden.  Dazu  kommt  nun  aber  noch,  dass, 
wie  meine  oft  wiederholten  Versuche  zeigen ,  jene  Matrix  auch  durch 
Carmin  nicht  roth,  durch  Salpetersäure  nicht  gelb  gefärbt  wird.  Auch 
Salzsäure  und  verdünnte  Schwefelsäure  bringen  keinen  besonderen 
Effect  hervor ,  ausser  einer  massigen,  offenbar  durch  Wasserentziehung 
bedingten  Schrumpfung.  In  Alkalien  dagegen  quillt  sie  auf.  Alle  diese 
Reactionen  beweisen,  dass  dieMatrix  jenen  wasserreichen,  indiffei*enten 
Gallertformen  ziemlich  nahe  steht,  wie  sie  die  Hauptmasse  des  Medu- 
senkörpers bilden.  Hl'xlbt  selbst  vergleicht  sie  auch  ganz  passend  der 
structurlosen ,  in  ihren  Reactionen  sich  ähnlich  verhaltenden  Gallert- 


608  Ernst  Hneckel, 

masse,  welche  von  den  sterbenden  fladiolarien  aüS|;i.'Sfliuit7,l  wirit. 
Ich  möchte  daher  auch  annehmen,  dass  diese  Gallertmatrix  beim  leben- 
den Bathybius  gar  nicht  existirt,  und  vielmehr  ein  «Leichenphanoment 
ist,  ein  Plasmaproduct,  welches  beim  Absterben  desselben  entsteht. 
In  dieser  Vermuthung  bestärkt  mich  der  Umstand ,  dass  die  meisten 
Plasmastucke,  welche  von  einer  solchen  Gallertscbicht  umgeben  sind, 
nicht  dieForm  von  amoeboiden  Stttckea,  netzftirmigen  Strängen  n.  s.  w. 
zeigen,  sondern  von  abgerundeten  Rlumpeu,  welche  mehr  oder  minder 
zusammengezogen  oder  bröckelig  erscheinen  (Fig.  5). 

Als  echtes  Protoplasma  des  Bathybius  betrachte  ich  nur  die- 
jenigen Stücke,  welche  folgende ,  für  diese  Substanz  charakteristische 
Reaotionen  zeigen :  i )  Bothe  Färbung  durch  ammoniakalisdie  Cannia- 
lösung ;  3)  gelbe  Färbung  durch  Jod  (Jod  in  Jodkalium  gelost] ;  3)  gelbe 
Färbung  durch  Salpetersäure.  Diese  drei  Eeactionen ,  die  zuverlässig- 
sten und  unfehlbarsten  unter  allen  für  Protoplasma  angegebenen,  fand 
ich  bei  allen  den  Protoplasmastücken ,  welche  ich  in  den  folgenden 
Zeilen  als  solche  beschreiben  werde.  Die  in  der  mikrochemischen  Praxis 
wichtigste  Reaction,  die  rothe  Carminförbung,  trat  bei  Bathybius 
bald  mehr,  bald  minder  intensiv  ein,  besonders  scbUn,  nachdem  das 
Präparat  vorher  mit  verdünnter  Essigsäure  oder  Salzsäure  behan- 
delt war. 

Gegen  saure  und  alkalische  Lösungsmittel  verhalten  sich  be- 
kannüich  die  verschiedenen  Modificationen  des  Protoplasma  ziemlich 
verschieden.  Dasjenige  des  Bathybius  wurde  durch  verdünnte  Essig- 
säure stark  afficirt.  Hcxlet  giebt  an ,  dass  'zu  seinen  Präparaten  die 
Protoplasmakömer,  mit  Ausnahme  der  kleinsten ,  dadurch  rasch  gelöst 
wurden.  Eine  Lösung  derselben  habe  ich  an  meinen  Präparaten  nie- 
mals beobachtet,  wohl  aber  eine  sehr  starke  Quellung.  Unmittelbar 
nach  der  Einwirkung  der  Essigsäure  werden  die  PlasmastUcke  oder 
Cytoden  sehr  biass,  wasserhell  und  sehr  schwach  lichtbrechend,  so  dass 
man  die  zarten  Contouren  oft  kaum  mehr  wahrnimmt.  Wenn  man  dann 
aber  das  Präparat  wieder  mit  Wasser  auswäscht,  so  ziehen  sich  die 
aufgequollenen  Piastiden  wieder  zusammen  und  gewinnen  nahezu  ibre 
frühere  Form  und  Grösse.  Ebenso  wie  verdünnte  Essigsäure  wirktauch 
verdünnte  Salzsaure.  Aehnlich  wirken  auch  verdünnte  kaustische  Al- 
kalien und  kohlensaure  Alkalien  ein.  Die  Cytoden  quellen  und  werden 
durchsichtiger,  blasser  contourirt.  Durch  concentrirte  kaustische  Alkalien 
quellen  sie  noch  stärker  und  werden  bei  nachfolgendem  Wasserzusatz 
völlig  aufgelöst.  Durch  concentrirte  Schwefelsäure  werden  die  Plasma- 
stUcke unter  blass  rosenrother  Färbung  gelöst. 

Wenn  man  die  Protoplasmastfloke  oder  Cytoden  des  BaÜiybius, 


BeitrXge  mr  Plastidentbeorie.  509 

welche  durch  die  angegebenen Reacitonen  sich  als  solche  documentiren, 
mit  Hülfe  der  strirksien  Vergrösserungen  genau  untersucht,  so  gewinnt 
man  in  einigen  Filllen  ein  BiJd ,  als  ob  die  scheinbar  structuriose  Masse 
aus  einer  Menge  sehr  kleiner  runder  Kömchen  (jedenfalls  von  weniger 
als  0,001  Mm.  Durchmesser)  zusammengesetzt  sei ,  welche  durch  eine 
minimale  Quantität  heterogener  Substanz  verbunden  seien.  In  vielen 
anderen  Fällen  dagegen  ist  man  nicht  im  Stande ,  von  einer  derartigen 
Zusammensetzung  ii^end  eine  Spur  wahrzunehmen ,  und  es  ist  daher 
wohl  leicht  möglich,  dass  jenes  Bild  durch  leichte  Unebenheiten  auf  der 
Oberflache  der  Cytoden  veranlasst  wird. 

Die  Grösse  der  Bathybius-Gytoden  unterliegt  sehr  beträchtlichen 
Schwankungen.  Doch  habe  ich  in  der  von  mir  untersuchten  Probe  keine 
Protoplasmastücke  isoliren  können,  welche  mehr  als  0,3  Mm.,  oder 
höchstens  0,5  Mm.  Durchmesser  erreicht  hätten.  Die  grösseren  Stücke, 
insbesondere  die  vouHuxlby  schon  erwähnten  Klumpen,  die  mit  blossem 
Auge  sichtbar  sind,  ergeben  sich  bei  genauerer  Untersuchung  als 
lockere  Aggregate  von  mehreren  zusammengeklebten,  aber  nicht  wirk- 
lich verschmolzenen  Massen.  Die  Mehrzahl  der  grösseren  Cytoden  hat 
einen  Durchmesser  von  0,05 — 0,08  Mm.  Doch  gehen  sehr  viele  bis  zu 
0, 1  Mm.  Die  kleineren  Cytoden  haben  die  verschiedensten  Dimensio- 
nen, bis  unter  0,005  Mm.  hinab. 

Was  nun  die  Gestalt  der  Protoplasmastücke  des  Bathybius  be- 
iriflt,  so  ist  dieselbe  durchaus  unregelmässig,  wie  schon  ein  Blick  auf 
die  Figuren  i  — 10  ergiebt.  Ifti  Allgemeinen  kann  man  compacte  Klum- 
pen und  netzförmig  verbundene  Stränge  unterscheiden.  Die  compacten 
Klumpen  (Fig.  5 — 1 0)  haben  sehr  häufig  ganz  dieselben  Umrisse ,  wie 
gewöhnliche  Amoeben.  Die  Protoplasmanetze  dagegen  haben  dieselben 
Conturen,  wie  viele  Myxomycetenformen.  Meistens  sind  die  Stränge 
des  Saroodenetzes  breit  (Fig.  1,2),  seltener  schmal  (Fig.  3j,  und  sehr 
selten  so  fein  fadenförmig ,  wie  es  bei  den  Rhizopoden  gewöhnlich 
der  Fall  ist.  Die  Pseudopodien,  die  unregelmässigen  Fortsätze  des 
Protoplasma,  die  an  der  Peripherie  der  Klumpen  und  Netze  her- 
vortreten, sind  gewöhnlich  stumpf  abgerundet  und  sehr  unregelmässig, 
sehr  selten  spitz. 

Ausser  den  unregelmässigen  Stücken  und  Netzen  des  Protoplasma, 
welche  man  als  eigentlichen  Bathybius  betrachten  muss ,  finden  sich  in 
dem  Schlamme  dazwischen  auch  spärlich  Kugeln  von  Protoplasma  zer- 
streut, von  0,005  bis  zu  0,03  Mm.  Durchmesser.  Bald  sind  diese  nackt 
(Fig.  1 1 ),  bald  von  einer  ziemlich  dicken  (bisO,002Mm.  Dicke  erreichen- 
den) hellen,  structurlosen  Cyste  umschlossen  (Fig.  12).  Niemals  habe 
ich  in  diesen  Protonlasmakuseln   Discolithen  oder  Cyatholithen  ange- 

Bd.  V.  4.  84 


.    510  Ivrasl  Hncrkel, 

trollen.  Ob  dieselben  zu  den  Cytoden  des  Balhybius  in  genetischer  Be- 
ziehung stehen,  bleibt  dahin  gestellt. 

Das  MengenverhüiLniss,  in  welchem  die  Discolilhen  und  Cyatho- 
litben  in  die  ProtoplRsmEikürper  des  Bathybius  eiogebellct  sind,  ist 
sehr  wechselnd.  Das  gewöhnliche  Durchschnittsverhüllniss  stellt  Fig.  1 
dar.  F.s  gieht  aber  auch  Cylodrn  ,  welche  von  Coccolithen  so  vollge- 
pfropft  sind,  dass  dtis  Volum  derselben  sieb  zu  dem  des  Protoplasma 
wie  )  :3,  oder  selbst  wie  2;  3  viihalten  mag.  Andererseits  ist  jedoeti 
hervorzuheben,  das.s  auch  viele  yrö.ssereund  kleinere  Cytoden  zu  finden 
sind,  welche  gar  keine  Cocculithen  enthalten.  Solche  sind  in  Fig.  Sund 
'.t  dar^esleli).  Aus.ser  den  Coccolithen  und  ausser  den  zußlllit^en  frem- 
den Einschlüssen  enthalten  die  meisten  ProtöplasmaslUcke  noch  eine 
gewisse  Quantität  von  sehr  kleinen,  ganz  un rege Imi issig  g<>fnnnlen 
Kürnchen  ,  welche  zum  Theil  weder  in  Sifuren,  noch  in  Alkalien  löslich 
sind  (Fig.  6). 

Sehr  zahlreiche  Coccolithen,  sowohl  Discolitben  als  Cyatbolitbfii, 
sind  in  dem  Bathybiusscblamme  stets  frei,  nicht  in  ProtöplasmaslUcke 
eingeschlossen,  zu  linden.  Da.tselbe  i{iltvcn  allen  Cnccosphaecen,  welche 
ich  beobachtet  habe. 

4.    Die  Coccolithen  und  Coccosphaeren. 

Die  kleinen  geformten  Kalkkttrperchen  ,  Coccolithen  und' Cocco- 
sphaeren ,  welche  man  in  so  ungeheuren  Menj-en   in  den  Grundproben 

'  der  grösst«Ei  Meereslieren  antriflt ,  sind  üusserst  merkwürdige  Körper. 
Die  Coccolilben  sind,  wie  schon  bemerkt,  zuerst  1Ki)8  von  Huxlbt,  die 

■  Coccospliaereo  dagegen  18fiO  von  W*lligh  entdeckt  und  benannt  wor- 
den. Beide  Kßrperchen  sind  dadurch  noch  von  besonderem  Interesse, 
dass  sie  ebenso  massenhaft,  wie  in  dem  heutigen  Tiefseegrund,  auch 
fossil  in  der  Kreide  vorkommen  ,  wie  zuerst  von  Sohbv  nachgewiesen 
worden  ist.  Uebrigens  sind  die  Coccosphaeren  immer  viel  seltener  als 
die  Coccolithen,  und  IrelPD  ganz  gegen  letztere  zurück.  In  lien  von 
mir  untersuchten  Tiefseegrund  proben  sind  die  Coccosphaeren  äusserst 
selten;  es  kommen  hier  vielleicht  auf  hunderttausend  oder  selbst  auf 
eine  Million  Coccolithen  höchstens  eine  oder  einige  wenig«  Coccosphae- 
ren. Den  von  Huxj-Bv  ,  Wai.liuh  und  Sobh*  gegebenen  Beschreibungen 
der  Coccosphaeren  vermag  ich  nichts  wesentlich  Neues  hinzuzufügen: 
dagegen  bin  ich  durch  sehr  ausführliche  L'ntersuchungen,  welche  ich 
mit  Htllfe  einer  Vergrösserung  von  700  —  4200  über  die  Coccobthen 
ausgeführt  habe,  in  den  Stand  gesetzt,  die  Kenntniss  dieser  sonder- 
baren Gebilde  mehrfach  zu  e^v^  eitern.    Ich  werde  jetzt  zunächst  Uoss: 


Beiträge  xur  Rlastidentheorie.  511 

die  Beschreibung  der  Coceoliihen  geben  und  erst  nachher  ihre  Bedeutung 
für  den  Bathybius  ertöutern. 

HuxLEY  unterscheidet  von  den  Goccolithen  zwei  verschiedene  For- 
men» welche  er  Discolithen>undGyatholithen  nennt.  Die  Discolithen 
(Fig.  43—49)  sind  einfache  Scheiben  (Monodisci).  Die  Cya-. 
tholithen  (Fig;  54—80}  dagegen  sind  Doppelscheiben*  (Amphi- 
disci),  zusammengesetzt  aus  zwei  einfachen  Scheiben,  welche  sehr 
nahe  bei  einantfer  und  mit  ihren  Flächen  parallel  liegen ,  und-  im  Gen- 
trum  durch  eine  kleinere  HitteJscheibe  oder  erne  dicke  centrale  Axe 
fest  miteinander  verbunden  sind.  Sehr  trefifend'  vei*glbicht  sie  Huxley 
mit  einem  Hemdeknöpfchen  oder  Manchettenknöpichen.  Im  Bau  glei- 
chen sich  beide  Formen  von  Goccolithen  Übrigens  ganz ,  wie  sich  so- 
gleich aus  der  näheren  Beschreibung  ergeben  wird.  Man  kann  jeden- 
falls anatomisch  (und  wahrscheinlich  auch  genetisch)  die  Gjalho- 
lithen  als  paarweise  verbundene  Discolithen  betrachten ,  in  gleicher 
Weise  wie  die  Goccosphaeren  kugelige  Haufen  von  verwachsenen  Goc- 
colithen darstellen. 

hn  Allgemeinen  lassen  steh  an  den  Goccolithen  (sowohl  Discolithen 
als  Gyatholithen)  bei  sehr  genauer  Untersuchung  von  innen  nach  aussen 
folgende  fünf  verschiedene  Theile  unterscheiden ,  die  wegen  ihrer  ver- 
schiedenen Lichtbrechung  sich  scharf  von  einander  abheben :  f )  Ein 
einfaches  oder  doppeltes  Gen tral körn  (a) ,  stark  lichtbrechend. 
2)  Ein  heller,  dünner,  das  Centralkorn  umgebender  Ring,  das  Mark- 
feld (b) ,  schwach  lichtbrechend.  3)  Ein  dunkler,  dicker,  das  Mark- 
feld umschliessender  Bing,  der  Mark  ring  (c),  stark  lichlbrechendl  ^) 
Einoialter,  granulirler,  breiter,  den  Markring  umgebender  Riiig ,  der 
Granularing  oder  Körnerting  (<tj ,  schwach  lichlbpechendi  5)  End- 
lieh zu  änseerst  ein  dunkler,  structurloser ,  schmaler  Ring,  der  Aus- 
senrii^g  («).  Wir  werden  diese  fünf  Zonen  sogleich  bei  den  einzelnen 
Formen  der  Goccolithen  noch  näher  betrachten,  wollen  jedoch  schon 
hier  die  Bemerkung  verausschieken ,  dass  nicht  immer  alle  ftlnf  Zonen 
entwickelt  sind.  Am  stärksten  lichtbiv^chend  isi  der  Markring  (c), 
näohsldem  das  Centralkorn  (a) ;  dann*  folgt  der  Aussenriog  (e) ;  noch 
schwächer  Hohtbreohend  ist  det*  Kornerring  (d)  und  am  schwächsten* 
das  Markfeld  (6). 

In  chemischer  Beaiebung  verhalten  sich  alle  drei  Formen  von  Gon^ 
cretionen  wesentlich  gleich.  Sowohl  die  Discoiilhen,  als  die 
Gyatholithen  und  Goccosphaeren  bestehen*  aus  kohlen- 
saurem Kalk,  verb'Unden  mit  organischer  SuVstanz.  T)'\v 
Verbindung  der  beiderlei  Substanzen  ist  so* innig,-  dass  die- Perm  d^r 
Gonoretion  ziemlieh  unverändert  bleibt,   wenn  man    sehr  vorsichtig 

84* 


512  Ernst  Hueckel, 

durch  allmähliche  Einwirkung  sehr  verdünnter  Säuren  den  Kalk  aus- 
zieht. Durch  plötzlichen  Zusatz  starker  Süuren  werden  sie  dagegen 
völlig  zerstört.  Ebenso  werden  sie  durch  caustisch«  Alkalien ,  welche 
sie  in  der  Kälte  wenig  oder  gar  nicht  angreifen,  beim  Erhitzen  zerstört. 
Die  organische  Grundlage  der  Concretion ,  welche  bei  vorsichtiger  Ex- 
traction  des  Kalks  zurückbleibt,  als  ein  sehr  zartes,  biegsames  Hüut- 
chen ,  wird  durch  Jod  blass  gelb ,  durch  Carmin  blass  roth  gefilrbt, 
durch  Alkalien  gelöst.  Am  stärksten  färbt  sich  diejenige  Schicht  der 
Concretion,  welche  wir  sogleich  als  Granularzone  beschreiben  werden. 

Die  Discolithe.n  (Scheibensteinchen)  oder  die  monodisken 
Goccolithen  sind  entweder  kreisrunde  oder  elliptische,  einfache 
Scheiben  (Fig.  13 — 49).  Die  kleinsten  erkennbaren  Anfänge  derselben 
messen  kaum  0,001,  die  grössten  ausgebildeten  Formen  0,0S  Mm.  Die 
Mehrzahl  der  grösseren  Discolithen  hat  einen  Durchmesser  von  ungefähr 
0,01-0,015  Mm.  Fig.  13—25  zeigt  die  kreisrunden,  Fig.  26—40  die 
elliptischen  Scheiben  in  der  Flächenansicht.  Fig.  41 — 4  9  giebt  die  ver- 
schiedenen Profilansichten. 

HuxLBY  giebt  von  den  Discolithen  folgende  Beschreibung :  Die  Dis- 
colithen sind  ovale  scheibenförmige  Körper  mit  einem  dicken ,  stark 
lichtbrechenden  Rand  und  einem  dünneren Centralstück,  das  zum  gröss- 
ten Theil  von  einem  matten,  wolkenäh nlicben  Fleck  eingenommen  wird. 
Der  Contur  dieses  Fleckes  entspricht  dem  der  inneren  Kante  des  Ran- 
des^ von  dem  er  durch  eine  helle  durchsichtige  Zone  getrennt  ist.  Ge- 
wöhnlich sind  die  Discolithen  leicht  convex  auf  der  einen,  leicht  concav 
auf  der  anderen  Seite,  und  der  Rand  springt  auf  der  convexen  Seite  in 
Form  und  Gestalt  eines  dünnen  Riffes  vor  (ganz  ähnlich  wie  bei  einem 
gewöhnlichen  Untersatz  von  einem  Blumentopf). 

Diese  Beschreibung  passt  nicht  auf  alle  Discolithen ,  sondern  bloss 
auf  einen  Theil  der  Körperchen  ,  die  ich  als  so^phe  hier  zusammenfasse. 
Ich  glaube  mich  ttberzeugt  zu  haben,  dass  auch  ein  grosser  Theil  der 
kreisrunden  Scheiben  einfache  Discolithen,  und  nicht  amphidiske  Gya- 
tholithen  sind,  wieHuxLEY  anzunehmen  scheint.  Die  kreisrunden  Schei- 
ben sind  jedoch  von  etwas  anderer  Structur  als  die  ovalen  oder  ellip- 
tischen ,  wesshalb  sie  eine  besondere  Betrachtung  verdienen.  Indessen 
ist  zu  bemerken ,  dass  beide  Formen  nicht  scharf  zu  trennen ,  vielmehr 
durch  allmähliche  Uebergänge  miteinander  verbunden  sind. 

Die  kreisrunden  Discolithen  (Fig.  13 — 25)  lassen  in  ihrer 
am  meisten  entwickelten  Form  (Fig.  24,  25)  von  innen  nach  aussen  die 
vorher  schon  angeführten  fünf  Theile  unterscheiden.  1 )  Ein  centrales 
Stück,  das  Centralkorn  (a)  von  kugeliger  oder  unregelmässig  rund- 
licher, bisweilen  etwas  eckiger  Form,  von  ungefähr  0,001  Mm. Durch- 


Beiträge  zur  Plast identheorie.  5 1 3 

messer,  stark  liehthrechend.  2)  Ein  heller,  schwach  lichtbrechender 
Ring,  das  Markfeld  (6) ,  slructurlos,  blass,  anscheinend  dünner,  als 
der  übrige  Theil  der. Scheibe,  ungefähr,  0,001  Mm.  breit,  oder  noch 
etwas  breiter.  3)  Ein  dunkler,  stark  lichtbrecfaenderRing,  der  Mark - 
ring  (c),  anscheinend  der  dickste  Theil  der  Scheibe,  jedoch  oft  nur 
ungefähr  0,0005  Mm.  dick,  anderemal  mehrals  doppelt  so  dick.  4)  Ein 
körniger,  schwach  lichtbrechender  Ring,  der  Körnerring  (d),  durch 
seine  granulirtc  Beschaffenheit  von  der  übrigen  Scheibe  auffallend  ver- 
schieden, ebenso  durch  den  un regelmässigen,  oft  fast  wellenförmigen 
Contur,  durch  welchen  er  sich  von  dem  fünften  Ringe  absetzt,  ge- 
wöhnlich 0,003—0,004  Mm.  breit.  5]  Zu  äusserst  ein  schmaler  heller, 
structurloser  Äussenring  (e)  von  0,001—0,002  Mm.  Breite ^ »biswei- 
len deutlich  radial  gestreift. 

Die  grosse  Mehrzahl  der  kreisrunden  Discolithen  zeichnet  sich  vor 
der  Mehrzahl  der  elliptischen  dadurch  aus ,  dass  das  Gentralkom  (a) 
fehlt  (Fig.  20—22).  Das  Gentrum  der  Scheibe  wird  also  von  dem  Mark- 
feld (6)  gebildet,  welches  von  dem  Markring  (c)  umschlossen  ist.  Die 
stufenweise  Entwicklung  dieser  Discolithen  lässt  sich  leicht  verfolgen 
[Fig.  13 — 19).  Zuerst  entsteht  bloss  das  Markfeld  (Fig.  13).  Um  dieses 
lagert  sich  der  Markring  ab  (Fig.  14).  Um  den  Markring  herum  bildet 
sich  der  Kömerring  (Fig.  15,  16,  21,  22).  Endlich  zuletzt  entsteht  der 
Äussenring  (Fig.  19,  20). 

Die  elliptischen  oder  ovalen  Discolithen  (Fig.  26 — 40) 
haben  selten  .einen  ganz  regelmässig  elliptischen ,  meist  einen  etwas 
unregelmdssigen ,  liinglich  runden  Umriss.  Die  Rilnder  sind  gewöhn- 
lich etwas  verbogen.  Der  längere  Durchmesser  ist  in  der  Mehrzahl 
nahezu  doppelt  so  gross,  als  der  kürzere,  selten  noch  grösser.  Oft  ver- 
hält sich  aber  der  längere  zum  kürzeren  auch  nur  «  3:2,  oder  selbst 
^  4:3.  Die  länglich-runde  Gestalt  dieser  Scheiben  wird  offenbar  schon 
durch  die  längliche,  stäbchenförmige  Gestalt  des  Centralkoms  (a)  be- 
dingt, um  welches  sich  dann  die  vier  anderen  Zonen  in  entsprechend 
gestreckter  Gestalt  anlagern.  Auch  hier  bei  den  elliptischen  (ebenso 
Vi\e  bei  den  kreisrunden)  Discolithen  lässt  sich  die  Entstehung  derGon- 
crelion  leicht  von  Anfang  an  verfolgen.  Man  begegnet  vielen  in  dem 
Protoplasma  vertheilton  kleinen  stäbchenförmigen  Kalkkörperchen ,  die 
0,002—0,004  Mm.  lang  und  etwa  ein  Viertel  so  dick  sind.  Das  sind 
dieGentralkörner  (Fig.  26).  Viele  von  diesen  zeigen  bereits  einen 
hellen,  schmalen  Band ,  das  Markfeld  (Fig.  27).  Um  dieses  letztere 
bildet  sich  dann  ein  dunkler  dickerer  Ring,  der  Mark  ring  (Fig.  28, 
^9).  Diese  letzteren  Formen  sind  die  von  Hcxley  als  Discolithen  be- 
schriebenen Formen.   Nun  kommen  aber  auch  noch  grössere  Scheiben 


51 4  Fernst  VmVti, 

vor,  welche  tniin  liei  Belrachlung  von  der  Flache  mil  HUsgehildrt''ti 
Cyiilholilhen  vpiwaphseln  könnte  (Fig.  ;)0  — 3?).  Wenn  man  sie  aber 
fluf  den  Rand  sl^Ul  (Fig.  15— 19) ,  zeigt  sich,  dass  sie  keine  Doppel- 
scheiben ,  sondern  einfache  Scheiben  sind.  Der  Markring  (c)  ist  hier 
noch  von  einem  breiten ,  granulirten  Körnerring  (rf)  umgeben,  der 
sich  ganz  wie  bei  den  Cyatholithen  verhsll,  und  einen  un regelmässig 
höekeriiien  oder  w elieirftirmigen  äusseren  Contur  zeigt.  L'm  diesen 
IwtEleren  legt  sich  endlich  bei  den  grösslen  Formen  (Fig.  31,  32)  noch 
ein  dunkler  schmaler  Aussanring  {e). 

Die  eitiplischen  DiscoliUien  zeichnen  sich  sehr  hitufig  dadurch  aus, 
dass  das  Centralkorn  doppellisl  (Fig.  33—40).  Das  Marlcfeld, 
welches  die  beiden  Cenlralkömer  umscbliesst,  zeigt  dann  häufig  in  der 
Mitte  zwischen  beiden  eine  Einschnürung  (Fig.  34) ,  die  oft  als  eine 
scharfe  Querlinie  auftritt  (Fig.  37,  38)  und  dann  wohl  als  Verwnchs- 
ungsnalh  der  beiden  Dülflen  eu  deuten  ist.  In  diesem  letzteren  Falle 
scheinen  also  die  beiden Cenlralkömerersl  miteinander  zu  verwachsen, 
nachdem  schon  das  Markfeld  um  beide  sich  gebildet  hat.  Andcremab 
dagegen  bildet  sich  letzleres  vielleicht  gleidizcitig  um  zwei  nahe  bei- 
sammenliegende Cenlralkörticr  [Fig.  33,  3i).  Die  weiUTe  Enlwicke- 
lung  der  concentriischen  Ringe  litsst  sich  audi  hier  ebenso  wie  iwi  den 
kreisrunden  Discolilhen  leicht  verfolgen  (Fig.  36^—40). 

Die  Cyatholithen  (NapFsteinchen)  oder  die  amphidisken 
Coccolithen  haben  eine  höchst  sonderbare  Gestalt  (Fig.  54 — 80i. 
Dieselbe  ist  bereits  vonHixi.EV  richtig  erkannt  undvortreHlich  beschrie- 
ben worden.  Doch  bleibt  immerhin  noch  manches  hinzniuftigen ,  und 
wie  ich  glaube ,  auch  anders  lU  deuten.  Wie  schon  bemerkt,  besteht 
jeder  Cyatholith  aus  zwei  Scheiben ,  welche  mit  ihren  Flächen  parallel 
und  sehr  nahe  aneinander  liegen,  und  in  der  Mitte  durch  eine  kurze 
und  dicke,  im  Centrum  beider  angebrachte  Axe  fest  verbundeji  sind. 
Wenn  man  die  Profilansichl  (Fig.  61—69)  mit  der  Flächenansidil  (Fig. 
70—80}  vergleicht,  wird  dies  vollkomnoen  klar  werden.  Gewöhnlich 
ist  die  eine  Scheibe  kleiner,  flach  und  kreisrund  ,  die  andere  Scheibe 
grösser,  convex  vorgewölbt  und  elliptisch.  Somit  haben  die  gewöhn- 
lichen CyatWithcn  ganz  die  Form  eines  ordinären  Hemdeknapfchens 
oder  Manchett^nknöpfchens. 

Wenn  man  die  Cyatholithen  von  derFlache  betrachlcl  (Fig.  7fl — 80), 
so  scheinen  sie  genau  die  Structur  der  eben  be schriebe tion  DiscnlHhen 
zu  haben.  Auch  hier  liegt  im  Centrum  der  Concretion  ein  stark  lichte 
brechendes  Centralkorn  (n) ,  entweder  einfach  (Fig.  78,  78}  oder  dnp- 
peU  (Fig.  73,  78,  SO).  Das  helleMarkfeld  [b],  welches  das  Centralkorn 
umscbliesst,  wird  nach  aussen  von  dem  dunkeln  Markring  (c)  umgeben. 


E-=T=— 1 


Beiträge  zar.riaatidentheorie.  515 

Dann  folgt  die  breite  Körnerzone  [d]  utid  endlich  der  dunklere  schmale 
Aossenring  (e),  letztere  beide  oft  deutlich  radial  gestreift.  Von  der 
Fläche  betrachtet,  sind  also  die  monodisken  und  amphidisken  Cocco- 
lithen  nicht  zu  unterscheiden.  Sobald  man  sie  jedoch  auf  den  schmalen 
Rand  stellt  und  nun  im  Profil  betrachtet,  gewahrt  man,  dassdieersteren 
einfache,  die  letzteren  paarweise* verbundene  Scheiben  sind. 

Die  Randansicht  der  Cyatholithen  gewährt  übrigens  keineswegs 
immer  dasselbe  Bild ,  sondern  varürtmanaichfach  (Fig.  61 — 69).  Ge- 
wöhnlich allerdings  ist  die  kleinei^  Scheibe  eben,  oder  nur  wenig  con- 
vex  gegen  die  grossere  gewölbt;  die  grössere  dagegen  ist  stärker  nach 
aussen  .vorgewölbt,  coocav-convex  (Fig.  62,  65,-  66).  Seltener  sind 
beide  Scheiben  eben  (Fig.  61,6^).  Es  kommt  aber  auch  vor,  dass 
beide  Scheiben  nach  aussen  convex  vorgewölbt  sind,  und  somit  ihre 
GoBcavitäten  gegen  einander  kehren  (Fig.  69) .  Der  seltenste  Fall  scheint 
zu  aein ,  dass  beide  Scheiben  nach  aussen  ooncav ,  dagegen  mit  den 
coavexen  Flächen  gegen  einander  gewölbt  sind  (Fig.  63). 

Am  schwierigsten  zu  beurtheilen  ist  die  Natur  der  Zwiscfaensub- 
stanz  und  der  centralen  Axe,  welche  die  beiden  Scheiben  miteinander 
verbindet.  Huxlet  spricht  sich  darüber  nicht  näher  aus.  Er  unter- 
scheidet ein  centrales ,  ovales ,  dickwandiges  Körperchen  in  der  Axe 
zwischen  beiden  Scheiben ,  und  rings  um  dieses  herum  eine  körnige 
«inlermediale  substance« ,  von  der  Ausdehnung  der  kleineren  Scheibe, 
wahrscheinlich  Protoplasma.  Auch  meine  sehr  sorgfältige  und  gedul- 
dige Untersuchung  von  Tausenden  von  Cyatholithen  hat  mir  darüber 
keinen  sicheren  Aufschluss  gegeben.  Doch  glaube  ich ,  die  körnige 
«intermediate  Substanz«,  welche  der  breiten  i>Kömerzonea  (d)  beider 
Scheiben  entspricht,  und  mit  derselben  wirklich  zusammenhängt,  als 
eine  Lage  von  modificirteni  Protoplasma  mit  ziemlicher  Sicherheit  deu- 
ten zu  düifen.  Das  oenirale  Körperchen  dagegen  isl  ein  Kalkzapfen, 
welcher  die  Contra  beider  Sdieiben  fest  verbindet. 

Bei  der  ganz  ausserordentlichen  Schwierigkeit,  Welche  die  Deutung 
des  mikroskopischen  Bildes  bei  so  kleinen  und  schwer  zu  untersuchen- 
den Kör[>erchen  darbietet,  ist  es  gerathen,  selbst  die  subjective  Auf- 
fassung der  einfacheren  Verhältnisse  nur  mit  grosser  Vorsicht  proviso- 
risch hinzustellen.  Das  gilt  auch  von  der  folgenden  Ansicht  über  die 
Entstehung  der  Cyatholithen,  welche  von  Huxley's  Deutung  abweicht, 
welche  aber  noch  sehr  der  weiteren  Prüfung  bedarf.  Es  scheint  mir 
nämlich  bei  der  Mehrzahl  der  Cyatholithen  die  kleinere  flachere  Scheibe 
aus  einem  kreisrunden  Discolithen  ohne  Centralkom,  die  grössere  con- 
vexe  Scheibe  dagegen  aus  einem  elliptischon  Discolithen  mit  Central- 
kom gebildet  zu  sein.  Das  zapfenförmig  verlängerte  und  konisch  vor- 


516  ErnBi  Huckel, 

springende  Centralkorn  der  1  eitleren  ist  eingesenkt  in  das  centrale  Hark- 
feld derersl^re".  welches  ent^-ede^  uineverdünnlp  Sphnibpnmitle,  oder 
selbst  ein  centrales  Loch  entbütl.  Wahrscheinlich  pnUtehen  dicCyalHo- 
lithen  von  Anfang  an,  wenigstens  zum  grössten  Tht?il,  als  Doppel- 
scheiben. Vielleicht  aber  verbinden  sich  in  vielen  Fallen  auch  spä- 
ter ei-st  Ewei  schon  ausgebildet« Discolilhen  durehcentrüle  Verwachsung 
miteinander. 

Neben  den  gewöhnlichen  Cyatbolitben,  welche  aus  einem  kleineren 
kreisrunden  und  einem  grltsseren  elliptischen  Discolithen  zusammenge- 
setzt sind,  kommen  übrigens  iiuch  vielfach  Cyalbolithen  vor,  welche 
aus  zwei  ovalen  oder  elliplisRben ,  und  noch  zahlreicher  kleinere  Cya- 
Iholithen,  welche  aus  zwei  kreisrunden  Discolithen  i^usammengesetzl 
zu  sein  scheinen.  Bei  der  grossen  Schwierigkeit  aber,  welche  die 
Isolation  der  winzig  kleinenCyatholithen  und  ihre  Beti-acbtung  auf  dem 
schmalen  Hände  darbietet,  isl  es  zur  Zeit  sehr  niisslich,  etwas  Bo- 
gtimml«s  über  das  Vcrbtiltniss  dieser  verschiedenen  Formen  zu  einan- 
der zu  sagen. 

Aus  demselben  Grunde  ist  auch  ihre  Genese  so  schwer  zu  beur- 
theilen.  Man  findet  in  jeder  Probe  von  Bathybinsschlamm  massenhaft 
Coccolitben  von  allen  Entwickelungsstadien  durcheinander,  kreisrunde 
und  elliplische ,  einfache  und  Doppelscheiben.  Man  kann  den  Ansatz 
der  vier  äusseren  concen Irischen  Binge  um  das  CentralsLück  sehr  leicht 
verfolgen.  Wie  sich  aber  die  monodiskeu  zu  den  .imphidisken  Cocco- 
lilhen  bezüglich  ihrer  Entstehung  verhallen,  isl  sehr  schwer  zu 
sagen. 

Ueber  die  Coccosphaeren'oder  Kemkugeln  kann  ich  mich  sehr 
kurz  fassen.  In  der  von  mir  untersuchten  utlantischen  Gmndprohe  von 
14,600  Fuss  Tiefe,  welche  die  Batbybius - Cyloden  mit  ihren  Cocco- 
lithen  in  so  ungeheuren  Mengen  enthalt,  sind  die  Coccosphiieren  da- 
gegen nur  äusserst  spärlich  vorhanden.  Einige  derselben  habe  ich  in 
Fig.  30 — 53  abgebildet.  Vielleicht  kommt  hier<nuf  eine  Million  Coceo- 
lithcQ  kaum  «ine  Coccospbaere.  Der  Bau  dieser  Kugeln  ist  sehr  schwie- 
rig zu  untersuchen.  Sie  erscheinen  ziemlich  undurchsichtig  und  stark 
lichtbrechend;  und  da  sie  so  selten  und  schwer  zu  isoliren  sind,  so 
kanu  man  nicht  viel  Versuche  mit  ihnen  anstellen.  Ich  glaube  jedoch, 
dass  die  Coccosphaeren  weiter  nichts,  als  Aggregate  von  Discolithen 
(vielleicht  auch  von  Gyatholithen]  sind,  die  orsl  secundar  durch  Ver- 
klebung und  Verkittung  von  mehreren  vorher  getrennten  Coccolilhen 
entstanden  sind.  Die  entgegengesetzte  Ansicht  vonSoRRv  und  Wallicii, 
dass  die  Coccolilhen  durch  Zerbrechen  von  Coccosphaeren  entstunden, 
halte  ich  mit  Hcxi-rt  für  unwahrscheinlich. 


Beitrüge  zur  PUstideDtheorie.  51 7 

Die  einzelnen  Kalkscheiben ,  welche  in  tangentialer  Lagerung  die 
Coccosphaeren  zusammensetzen  (Fig.  50 — 53) ,  sind  in  ihrer  Struetur 
nieht  von  Disoolitben  zu  unterscheiden.  Ich  glaube  an  solchen  Stücken, 
weiche  ich  durch  Zcrdrtlcken  der  Kugeln  isolirie ,  alle  fünf  Theile  der 
Coccolithen  wahrgenommen  zu  haben,  auch  die  Granularzone,  welche 
HuxLSY  vermisste.  Für  die  Identität  der  einzelnen  Coccosphaeren  theile 
mit  den  Coccolithen  scheint  mir  auch  der  Umstand  zu  sprechen ,  dass 
man  alle  verschiedenen  Formen  derDiscolithen  in  den  ersteren  wieder- 
findet. Manche  Coccosphären  sind  aus  kreisrunden  Discolithen  zusam- 
mengesetzt (Fig.  53] ,  andere  aus  ovalen  oder  elliptischen;  und  bei  die- 
sen letzteren  sind  die  Discolithen  bald  mit  einem  einfachen  Centralkorn 
versehen  (Fig.  50,  51) ,  bald  mit  einem  doppelten  (Fig.  53).  Sehr  be- 
merkenswerth  erscheint  jedoch  der  Umstand,  dass  die  Scheiben  einer 
und  derselben  Coccosphaere  meistens  (nicht  immer!)  von  einerlei  Art 
sind.  Wichtig  für  die  Identität  der  Coccolithen  und  derCoocosphaeren- 
stücke  erscheint  mir  endlich  die  Thatsache,  dass  die  ähnlichen  (oder 
identischen?)  Concretionen  der  Myxobrachia  ebenfalls  zum  Theil 
Coccolithen ,  zum  Theil  Coccosphaeren  sind. 

5.  Ursprung  und  Natur  des  Bathybius. 

Die  Thatsache,  dass  ungeheure  Massen  von  nacktem  lebendem  Pro- 
toplasma die  grösseren  Meerestiefen  in  ganz  überwiegender  Quantität 
und  unter  ganz  eigenthttmlichen  Verhältnissen  bedecken,  regt  zu  so 
zahlreichen  Reflexionen  an ,  dass  man  darüber  ein  Buch  schreiben 
könnte.  Was  ist  dieser  Bathybius  für  ein  Organismus?  Wovon  lebt  er? 
Wie  entstand  er?  Was  wird  aus  ihm?  Welche  Bedeutung  hat  er  für  die 
Oekonomie  der  Natur  in  diesen  ungeheuren  Abgründen ,  die  ausserdem 
nur  von  wenigen  Protisten  bewohnt  werden? 

Dass  die  Cytoden  des  Bathybius,  weiche  gcwissermaassen  eine  le- 
bendige Schleimdecke  auf  dem  Boden  der  Meeresabgründe  bilden, 
hier  wirklich  leben ,  geht  aus  allen  eben  beschriebenen  Verhältnissen 
mit  Sicherheil  hervor,  und  ist  ausserdem  im  letzten  Sommer  von  Car- 
PBNTBR  und  Wtvillb  Tbomso?!  direct  beobachtet  worden.  Dieselben 
nahmen  die  charakteristischen  Protoplasma  ^Bewegungen  an  dem  eben 
heraufgeholten  Bathybius  wahr.  »This  mud  was  actually  alive ;  it  stuck 
togelher  in  lumps,  as  if  there  were  white  of  eggmixed  with  it;  and  the 
glairy  mass  proved,  under  the  mieroscope,  to  be  living  sarcode>).a 
Auch  sind  die  wohl  erhaltenen  Formen  der  todten,  in  Weingeist  aufbe- 


1)  Wyville  Thomsov,  On  the  depths  of  Ihe  Sea:  Ann.  and  Mag.  of  nat.  hist.i 
1869.  Vol.  IV,  p.  4J4. 


Sl  8  KrM)  HiKcksl, 

wahrten  Protoplasnuistttclte  ganz  dieselben ,  wie  die  boknnnteii  anioc- 
boiden  Forineo  der  HyKomycelen,  Prolamoeben  u.  s.  w. 

Die  vielleichl  sidi  zunächst  aufdrängende  Vermuthunf,  dass  die 
fretOD  Protoplasmaktjrper  des  Bathybius  von  irgend  einem  andern  Oi^a- 
Btsmiis  hemüiren,  wird  bei  eingehender  Betracblung  durch  Nichts  be- 
stätigt. Wovon  sollen  sie  beriiomnien?  Der  elnKigc  Mitbewohner  der 
Meeresgründe ,  der  hierbei  noch  in  Frage  kHme,  würde  die  Globigerina 
sei«.  Docb  ]ässl  sich  leineriei  genetischer  Zusaninienbang  zirriscfaen 
«tieserund  dem  Bathybivs  nachweisen.  WivaLG  Thoxson  nieinl,  dass 
die  freien  Proloplasmelager  des  Bathybius  «eine  An  von  diffusem  My- 
celinm  der  verschiedenen  Spongien  seienv,  d^esich  bisweilen  in  grösse- 
ren MeeresLiefen  vorfiiid«n.  Aber  diese  letzteren  sind  vid  zu  seilen, 
um  jene  H()s»en  in  erklüi'en ,  abgesdiea  davon  ,  dass  jene  Vermuthunt: 
an  sich  sehr  kllnslli<.-h  und  gezwungen  erscheint.  Wie  wäre  dann  der 
ZusammeDbang  der  Coccolit^n  und  Coccosphaeren  mit  den  Bathybius- 
Cytoden  zu  erklären?  Auch  enthalten  ansehnliche  Mengen  des  Tief- 
grundscblamtnes  oft  keine  Spur  von  Schwatainnadeln ,  die  man  doch 
sonst  in  betrachtlicher  Quantität  finden  mUsste, 

Es  bleibt  demnach  nichts  übrig ,  als  die  von  Buxlev  ausgespro- 
chene Ansicht,  dass  die  Proloplasmakörper  des  Bathybius 
selbststand  ige  lebende  Organismen  von  denkbar  einfnch- 
sterArt  seien,  mtfgen  nun  die  Coccolilhen  und  Cocco- 
sphaeren daiu  gehören  oder  nicbt.  Jedenfalls  wird  dann  Ba- 
thybius nach  Huklet's  Vorgang  zu  meinen  Honeren  zu  stellen  sein, 
und  diese  niederste  Protisten k lasse  mit  einer  höchst  interessanten  und 
Wichligen  neuen  Gattung  vermehre. 

Dass  die  Coccolilben  und  Coccosphaeren  als  Ausscheidungen  des 
Bathybius  -  Protoplasma  zu  betrachten  und  also  den  Spicula  der 
Schwämme  und  Badiolarien  zu  vei^leiclien  sind,  wie  HuxLti  meint, 
halte  ich  zwar  für  sehr  wahrscheinlich,  aber  doch  nicht  für  ganz  sieber 
ausgemacht.  Ich  habe  nämlich  in  dem  atlantischen  Ocean  bei  den  c;i- 
narischen  Inseln  eine  höchst  sonderbare  Radit^arienfonn,  den  Thalassi- 
oollen  nflchstverwandt,  beobachtet,  die  sich  durch  den  Besitz  von  Kalkspi- 
cula  Husieichnet,  welche  den  Coccolilhen  und  Coccosphaeren  jedenfalls 
höchst  ähnlich,  wenn  nicht  mit  diesen  identisch  sind,  leb  werde  diese 
otcrkwürdige  Protistenform  in  dem  folgenden  Abschnitt  als  Myxo- 
brachia  nähf»-  beschreiben  (Vergl.  Taf.  XVIII). 

Die  schwierigste!)  Rathsel  bieten  die  Verhallnisse  dei'  Ernährung 
und  PorlpOanzung  des  Bathybius  und  der  mit  ihm  gesellig  lebenden 
<>lobigerinen  dar.  Wo  kommen  alle  diese Protoplasmaniengen  her?  Wie 
erhallen  sie  sieb  am  Leben?  Was  wiixi  aus  ihnen?  Den  herkömmliehen 


Beiträge  itir  Phistidmitbeone.  519 

Anschauungen  folgend,  wcrdcB  die  Meisien  sowohl  den  Baifaybius  al^  - 
die  Giobigerincn  für  Tfaiore  halten.  Wenn  dieselben  aber  als  Thiere 
leben  und  sich  erndbren  seilen ,  wo  «lehmen  sie  das  Protoplasjoia  her, 
das  sie  zu  ihrer  ErnArung  braudien?  Das  Pflanzenreich,  aus  welchem 
das  Thierreiofa  dircct  oder  indirect  seine  Proioplasma-NahruBg  bezieht, 
kommt  hierbei  gar  nicht  in  Betradit;  dcDB  obgleidi  die  neueren  Tief- 
grund-Uniersuchungen  dargethan  haben ,  dass  das  ThiciM^eo  tiefet* 
hinabgeht,  als  man  bisher  glaubte,  dass  viele  Thiere  bis  3000  Fuas  und 
einzelne  bis  unter  5000  Fuss  hinabgehen,  so  stinnnen  doch  alleBeobach* 
ter  darin  tlberetn ,  dass  das  Pflanzenleben  schon  bei  4  000  Fuss  höchst 
spttrlicfa  und  bei  2000  Fuss  Tiefe  gHnzlich  erloschen  ist.  Wenn  nun  a«ch 
für  jene  Thiere  die  erforderliche  Nahrungszufuhr  aus  den  zahlreichen 
aufgelösten  organischen  Stoffen  angenommen  werden  kann ,  die  bis  in 
jene  Tiefe  hinab  im  Meerwasser  vertheilt  vorkommen,  so  erscheint  diese 
Annahme  doch  kaum  mehr  möglich  filr  die  ausgedehnten  Abgründe  des 
offißnen Ooeans, die zwischen30,000und 30,000 Fass Tiefeerreichen.  Und 
was  wird  dann  weiter  aus  dem  BathytNus ,  selbst  wenn  seine  Ernäh- 
rung sidi  so  erklären  .fiesse?  Entsteht  nicht  kkr  vieUeteht  fortwährend 
das  Protoplasma  durch  Urzeugung?  Hier  stehen  wir  vor  einer  Reihe 
von  dunkeln  Fragen,  auf  welche  erst  von  späteren  Untersuchungen  Ant- 
wort zu  hoflbn  ist. 


S.  Myzebraehia  von  Lanierola. 

Hierzu  Taf.  XVlIl. 

• 

Die  Coccoltthen  und  Coccosphaeren,  welche  in  so  ungeheuren  Massen 
den  Boden  der  Meeresabgrttnde  bedecken  und  so  wesentlichen  Antheil 
an  der  Kreidebildung  nehmen ,  sind  bisher  nodh  nirgend  anderswo  an- 
getroffen worden.  Ein  Zusammenhang  derselben  mit  irgend  einem  an- 
deren Organismus,  als  denCytoden  des  Bathybhis,  war  bisher  völlig 
unbekannt.  Um  so  mehr  scheint  es  gestattet,  hierein  zwar  noch  dunkles 
aber  jedenfalls  sehr  merkwürdiges  Verhältoiss  zu  beschreiben,  welches 
ich  im  Februar  1867  auf  der  canarisohen  Insel  Lanserote  beobachtete. 
Ich  fand  dort  nttmlieh  Kalkkörperchen ,  welche  den  Goccolithen  und 
Coccosphaeren  höchst  ähnlich  —  wenn  nicht  identisch  I  —  sind,  einge- 
bettet in  den  extracapsularen  Sarcodekörper  eines  Radiolars,  welche 
den  Tbalassicollen  nächstverwandt  ist. 

Wenn  man  bei  Windstille  und  glaUer  See  aus  dem  Hafen  der  Insel 
Lanzerote  (Puerto  del  Ar     "      '      '^'-«ecke  weit  binausrudert ,  so  bo- 


520  £rnst  Haeckel, 

merkt  man  bisweilen  schon  vom  Boote  aus  an  der  Oberflciche  schwim- 
mend sonderbare  farblose  Gallertkörperchen  von  ungefähr  einem  hal- 
ben Zoll  Länge,  welche  bald  die  Form  einer  langgestreckten  Keule  haben 
(Fig.  1,2),  bald  gewissen  Echinodermenlarven  ähnlich  sehen  (Fig.  3, 
4).  Die  letzteren  zeigen  einen  länglich -runden  Körper,  von  welchem 
eine  Anzahl  kegelförmiger  schlanker  Arme  herabhängen.  Jeder  Arm 
ist  von  einem  gelben  Axenstreifen  durchzogen.  Diese  Streifen  vereinigen 
sich  in  einem  gelben  Flecke,  welcher  die  Mitte  der  ovalen  Gallertmassen 
einnimmt.  Durch  die  Axe  der  einfachen  keulenförmigen  Gallerimassen 
geht  nur  ein  gelber  Streifen  der  Länge  nach  hindurch.  Das  untere 
dtlnne  Ende  dieser  letzteren  und  ebenso  die  Armspitzen  der  ersleren 
Form  sind  trüb  weisslich,  undurchsichtig,  mit  einem  Knopf  besetzt. 

Beim  ersten  Anblick  weiss  man  nicht,  was  man  aus  diesen  son- 
derbaren Körpern  machen  soll.  Bringt  man  dieselben  jedoch  unter  das 
Mikroskop,  so  erkennt  man  sofort,  dass  die  gelben  Streifen  aus  Massen 
von  gelben  Zellen  der  Radiolarien  zusammengesetzt  sind ,  dass  in  der 
Mitte  eine  Gentralkapsel  liegt  und  dass  von  der  Oberfläche  der  Gallert- 
masse dichte  Pseudopodienbündel  ausstrahlen.  Man  weiss  jetzt,  dass 
man  ein  Radiolar  aus  der  Gruppe  der  ThalassicoUen  vor  sich  hat,  aber 
durch  seine  sonderbaren  Fortsätze  ganz  von  der  gewöhnlichen  Form 
abweichend.  Wir  wollen  vorläufig  dasselbe  als  Repräsentanten  einer 
besonderen  Gattung,  Myxobrachia  (Schleimarm)  betrachten,  und 
die  vielarmige Form M.pluteus,  die  einarmige M.  rhopalum  nennen. 
Um  jeden  Verdacht,  dass  die  sonderbaren  Formen  Kunstproducte  seien, 
zu  vermeiden,  bemerke  ich,  dass  sie  mit  der  grössten  Vorsicht,  ohne 
sie  irgend  zu  berühren ,  mittelst  eines  geräumigen  Glashafens  von  der 
Oberfläche  des  Meeres  geschöpft  wurden ,  und  sich  darin  mehrere  Tage 
lebendig  erhielten.  Sie  schwammen  beständig  an  der  Oberfläche,  in- 
dem die  abgerundete  obere  Seite  des  Körpers  den  Wasserspiegel  (M. 
bis  N.  Taf.  XVIII.)  berührte,  während  die  Arme  frei  herabhingen. 

Myxobrachia  rhopalum  (Fig.  4,  S)  ist  eine  keulenförmige  Gal- 
lertmasse, welche  bald  mehr  birnförmig  (Fig.  1),  bald  mehr  langge- 
streckt keulenförmig  erscheint  (Fig  S).  Das  dicke  Ende  der  Keule  be- 
rührt mit  seiner  Wölbung  die  Oberfläche  des  Wasserspiegels,  während 
das  dünne  Ende  senkrecht  herabhängt.  Die  beiden  abgebildeten  For- 
men stellen  zwei  Extreme  der  Keulengestalt  dar.  Die  gedrungene  Form 
(Fig.  1)  war  8  Mm.  lang,  bei  6  Mm.  grösster  Breite.  Die  gestreckte 
Form  (Fig.  2)  besass  1 4  Mm.  Länge  bei  5  Mm.  grösster  Breite. 

Myxobrachia  pluteus  (Fig.  3—10)  stimmt  in  den  meisten  we- 
sentlichen Verhältnissen,  namentlich  im  Bau  der  Gentralkapsel  und  der 
diese umschliesende AI veolenhüUe  ganz  mltM.  rhopalum  ttbereinund 


Beitrüge  xnr  PlABtidentheorie.  521 

unterscheidet  sich  wesentlich  nur  dadurch,  dass  die  Sarcode -Gallerte 
sich  nicht  in  einen  herabhängenden  Forlsatz  oder  Arm  verlängert, 
sondern  in  sechzehn  Anne ,  welche  ihr  ein  höchst  sonderbares  Aus- 
sehen geben.  Die  langer  gestreckte  Form  von  M.  pluteus  (Fig.  3)  ist 
\2  Mm.  lang  und  6  Mm.  breit;  die  flacher  ausgebreitete  Form  (Fig.  4) 
i.st  ungefähr  8  Mm.  breit  und  6  Mm.  lang. 

Die  kugeligeCentralkapsel  (Fig.1 — 4c,  Fig. 6]  ist  in  beiden 
Myxobrachiaformen  von  derselben  Grösse  und  Zusammensetzung.  Sie 
hat  einen  Millimeter  Durchmesser,  ist  ziemlich  fest,  ganz  undurchsich- 
tig und  bei  auffallendem  Liebte  schneeweiss  gefiirbt.  Bei  schwacher 
'  Vergrösserung  erscheint  ihre  Oberfläche  sehr  regelmässig  von  blutrot  hen 
Punkten  besetzt.  Die  Membran  der  Centralkapsel  ist  sehr  fest 
und  derb,  0,004  Mm.  dick,  structurlos,  und  dicht  von  sehr  feinen  ra- 
dialen Porenkanälen  durchsetzt. 

ImCentrum  der  Centralkapsel  liegt  die  ansehnliche  Binnen  blase 
[Yesicula  intim aj,  deren  Durchmesser  ein  Drittel  von  dem  der  er- 
stei*en  beträgt  (Fig.  öj.  Diese  Binnenblase  zeigt  ganz  dieselbe  eigen- 
thttmliche  Beschaffenheit,  welche  bis  jetzt  nur  bei  meiner  Thalassi- 
colla  pelagica  bekannt  war  (Radiolarien,  p.  248,  Taf.  I,  Fig.  5). 
Der  kugelige  Mittelkörper  der  Binnenblase  ist  nämlich  mit  sehr  zahlrei- 
chen fingerförmigen  Aussttilpungen  besetzt,  welche  in  radialer  Richtung 
von  dem  ersteren  abstehen.  Die  Zahl  dieser  radialen  Blindsäcke  ist  auf 
ungefähr  100  (bei  verschiedenen  Individuen  80—120)  zu  schätzen,  also 
viel  bedeutender,  als  bei  Thalassi colla  pelagica  (30—40).  Auch 
sind  die  Blindsäcke  viel  länger,  als  bei  letzterer,  indem  ihre  Länge  dem 
Durchmesser  des  kugeligen  Mittelkörpers  gleichkommt,  oder  ihn  sogar 
noch  Übertrifft.  Die  ganze  Binnenblase  sammt  ihren  fingerförmigen  Aus- 
stülpungen ist  von  einer  eiweissartigen  (?)  Substanz  erfüllt,  welche 
structurlos ,  zähflüssig ,  wachsähnlich ,  schwach  lichtbrechend  und  von 
gelblicher  Farbe  ist.  Die  Membran  der  Binnenblase  ist  sehr  zart  und 
dünn ,  aber  doch  ziemlich  fest. 

Die  Zwischenräume  zwischen  den  Blindsäcken  der  Binnenblase  sind 
von  zähflüssigem ,  trübkömigem  Protoplasma  erfüllt,  das  sich  auch  in 
geringer  Quantitjlt  zwischen  den  kugeligen  Zellen  findet,  die  den  haupt- 
sächlichsten Inhaltsbestandlheil  der  Centralkapsel  bilden.  Diese  Zellen 
sind  hier  von  zweierlei  Art.  Der  äussere,  peripherische  Theil  des  Kap- 
selrauras  wird  von  sehr  kleinen ,  hellen  kugeligen  Zellen  einge- 
nommen (Fig.  6 1,  Fig.  12),  welche  mit  den  bei  allen  Radiolarien  in 
der  Centralkapsel  constant  vorkommenden  »wasserhellen,  kugeligen 
Bläschen«  identisch  sind  (Radiolarien ,  S.  71).  Dieselben  sind  echte, 
kernhaltige  ^.008  Mm.  Durchmesser,  mit  klarem  Inhalt^  von 


S32  lernst  ihlMkd, 

ehier  zarUa  Membran  umschlossen  (Fig.  1%).  Wahrscheinliob  bfib«o 
sie  die  forieulung  von  Sporen  oder  KeimkOniern.  Weiter  nach  innen, 
in  der  anmittelbaren  Um^bimg  der  Binnenbtase,  liegen  stritt  deren 
drei  bis  viermal  grössere ,  dunklere,  stark  tichlhrechende  ku- 
gelige ZelleD',  welche  einen  grossen  Nucleus  und  Nucleolus  ein- 
schliessen  (Fig.  7).  Oft  sieht  man  sie  in  denTheilung  begriflpn,  paar- 
weise oder  zu  vieren  verbunden  (Fig.  1  B^C).  Endlich  belindeVsiitb  nocb 
unmittelbar  an  der  inneren  Fkiche  der  Centralkapsel,  ibrer  Membran 
fest  anliegend  und  durch  diesolbe  hindurch  schimmernd ,  eine  grosse 
Anzahl  ven  kleinen  blutrothenOelkugeln  (Fig.  6  Q.  Diese  haben 
nur  O,00fi  Hm.  Durchmesser  und  sind  in  ZwiscbenWume»  von  ß,l>49 
Mm.  sehr  regelmässig  vertheill,  wodurch  die  zierliche  rolhc  t'unklirung 
der  Kapseloberfläcbe  entsteht 

Die  Hauptmasse  des  Körpers  wird  bei  beiden  Myxobrachiaarton 
von  einer  slnidurloBen  Sarcode-Gallert  (d)  gebildet,  deren  ganze 
glatte  OberflUch«  dicht  mit  sehr  zahlreichen ,  feinen  und  kurzen  Pseu- 
dopodien bedeckt  ist  (e).  Das  Volum  dieser  gallertig  aufgequollenen 
Protoplasniamasse  ist  so  bedeutend,  wie  man  es  bisher  nur  bei  den  Po- 
lycyltarien  (den  Radiolacien  mit  zahlreichen  Central  kapseln)  kannte. 
Bei  einem  lebenden  Honocyttarium  (einem  ßadiolar  mit  einfacher 
Gentralkapsel)  war  eine  so  ansebnllche  QuentitAt  von  Sarcodegallert  bis 
^tat  noch  nicht  beobachtet.  ExcenUlseli>  in  äem  oberen  Theile  dieses 
ziemlich  festen  und  conBisteel«n  SatlertkOrpers  liegt  die  Gentralkapsel 
[c).  Sie  ist  rings  umschlossen  von  einer  voluminösen  Hülle,  gebildet 
aus  jenen  sonderbaren  heilen  Blasen,  die  ich  (1fi6S)  in  meiner  Mono- 
graphie der  Badiolarien  als  extraoapsulare  Alveolen  beschrieben 
habe  (Fig.  1 — ia,  Fig.  &a).  Dieselften  erscheinen  hier  als  kugelige 
oder  ellipsoide,  oft  auch' eifilrnrige  Blasen ,  die  kleineren  von  0,1  Um., 
die  grOssten  von  1 — l'/jHm,  Durohmesser.  Sie  scheinen  aus  einer 
dünnen  I^toplasmabttlle,  dib  einen  Kern  enthält  und  eine  wassciij^e 
Flüssigkeit  umscbliesst,  zu  bestehen  und  demnach  <len  Foi-mweilh  von 
eehlen,  kernhaltigen  Zellen  zu.  haben.  Vielleii^t  ist  der  Vergleich  die- 
ses Alveolengewebes  mit  derjenigen  grosszeUigenHodiricnlion  des  Binde- 
gewebes, welche  bei  niederen  Thieren  (Würmern,  Mollusken,  Crusta- 
«een)  ala  vBlasengewebea  so  verbreitet  ist,  nicht nnpassend.  ÜieAlveo- 
len  bilden  bei  beiden  Arten  von  Mysobrachia  dicht  zusanimengedrüngl 
^ne  bimförmige  Masse,  welche  in  ihrem  dtinner,  nach  unten  gekehrten 
Ende  die  excentrische  Cenlralkapsel  umschliessl.  Die  OberQäcbe  der 
birnftfrmtgen  Alveolenmasse,  welche  4  Mm.  laog ,  3  Mm.  breit  ist,  er- 
schftint  ganz  scharf  von  der  Sarcodegallert  abgegrenzt,  von  welcher  sie 
rings  umschlossen  ist.    Die  Cenlralkapsel  ist  unten,   io   dem  dUnnt-i> 


AeitrUge  Mr  ^feaü^irtheorie.  523^ 

Eku1<0  der  bimfOrmigen  Alveolenhttlle ,  nur  Yon  einer  dünnen  Schicht 
sehr  kleiner  Alveolen  bedeckt^  während  sich  oberhalb  derselben  die 
grossen  Alyeolen  zu  einem  dicken  Haufen  aufthctrmen  (Fig.  4— 4d). 

Rings  um  dieCentralkapsel,  innerhalb  der  AlveolenhUlle  und  zwi- 
schen deren  Blasen  zerstreut ,  liegt  eine  sehr  grosse  Menge  von  geH)en 
Zellen  und  von  Oelkugeln.  Die  extracapsularen  Oelkugeln  oder 
Fetikugeln  (/)  sind  im  Ganzen  bei  den  Radiolarien  sehr  selten  zu  finden. 
Ich  habe  sie  zuerst  bei  Collozoum  pelagicum  beschrieben  (R^fNo- 
hirien,  p.  5^5;  T»f.  XXXII,  Fig.  4j.  Beide  Formen  von  Myxobrachio 
beailzen  sie  in  grosser  Menge,  mindestens  einige  hundert.  Es  sind  stark 
laiQhtbrechende ,  farblose  und  structurlose  Fettkugeln ,  alle  von  nahezu 
gleicher  6r5sse  (0,H8 — 0,024  Mm.  Durchmesser}.  Von  den  kleinsten 
Alveolen,  die  diesett)e  Grösse  haben,  unterscheiden  sie  sich  auffallend 
durch  ihre  viel  stSf'kere  Lichtbrechung.  Sie  sind  so  angeordnet,  dass 
sie  von  der  oberen  Pbtehe  der  Centralkapsel  in  radialen  Reihen  nach 
oben  hin  ausstrahlen.  Je  näher  der  Centralkapsel ,  desto  dichter  ge^ 
drängt  liegen  dieOelko^ln  in  den  radiafen^ Reihen,  deren  man  zwischen 
30  und  50  zählen  kann;  auf  jede  Reihe  kommen  5— 10 Oelkugeln.  Die 
obere  (von  der  Centralkapsel  entfernte)  Hälfle  der  Alveolen4)ütle  ist  frei 
vo»  Oelkugeln.  Auch  in  der  Saroodegallert  sind  die  letzteren  nicht  zu 
findenc 

die  extracfrp«ularen  gelben  Zellen  (9) welche Amylumkör- 
ner  enthalten  und  welobe  ungefähr  halb  se  gross  wie  die  Oelkugeln 
sind  (von  0^019 — 0^,015  Mm.  Durchmesser)  Hegen  in  dichten  Haufen  um 
die  Centralkapsel  herum  und  strahlen  von  da  reihenweise  in  dve  Alveo- 
lenhttille  au&.  Jedes  Individuum  von  Myxobrachia  enthalt  mindestens 
tausend,  oft  wohl  mehr  als  zehntausend  gelbe  Zellen.  Die  gelben  Zel- 
len ,  welche  mit  den  Protoplasmastrtfmen  durch  den  Körper  wandern, 
beschränken  sich  zu  Zeiten  auf  die  AlveolenhUlle,  in  dev  sie  radiale 
Streifen  b«4den^(Fig.  f) ;  zu  anderen  Zeiten  dagegen,  und  zwar  gewöhn- 
lich, erstreckt  sieb  beiM.  rhopalum  ein  dicker  Axenstreifen,  weMier 
aus  hunderten  von* gelben  Zellen  ztisammengesetzt  Ist,  aus  der  Alveo-^ 
lenhttlle  in  den  Keulenstiel ,  in  den  langen  Fortsatz  der  Saroedegallert 
hinein,  welcher  nach  unten  frei  hinabbängt  (Fig.  %).  Ebenso  läuft  hei 
M.  pluteus  ein* dicker,  aus  zahlneichen  gelben  Zellen  zusammenge- 
setzter Strang  in  der  Axe  jedes  der  sechzehn  Arme  bis  zur  Spitze 
(Fig.  3,'  4).   Die  Vermehrung  der  gelben  Zellen  zeigt  Fig.  4>1. 

Der  Safüodektfrper  oder  Aas  e'xtpaeapsulare  Protoplasma 
bildet,  wie  bei  athm  Radiolarien,  eine  dicke  Schleimschicht  (Matrix), 
welche  unraittelfaar  cüeCentfalkapsel  umschliesst  und  von  weicher  zahl- 
reiche Str«»n-  *"*"  co..««-^«  oj^r  Protoplasma  ausstrahlen.    Diese  ver- 


524  Erast  Haeokel, 

zweigen  sich  zwischen  den  Alveolen  und  treten  schliesslich  ander  Aus- 
senflache derAlveolenhülIe  in  die  mächtige  Sarcodegallert  über,  welche 
die  letztere  umschliesst  {d).  Niemals  bilden  die  Protoplasmafäden 
zwischen  den  Alveolen  die  sonderbaren  grossen  Sarcodeplalten^  welche 
die  nahe  verwandte  Thalassicolla  pelagica  auszeichnen  (Radio- 
larien,  S.  247,  Taf.  l,  Fig.  l).  Die  dicke  Masse  der  Sa rcodegnllerl 
{(l)  j  welche  ungefähr  die  Consistenz  eines  massig  derben  Medusen- 
schirms besitzt ,  erscheint  structurlos ,  jedoch  fein  und  dicht  radial  ge- 
streift. Bei  starker  Yergrösserung  erscheinen  die  strahlenden  Streifen 
BUS  sehr  kleinen  SarcodeköiTichen  zusammengesetzt.  Die  Sarcodegallert 
besitzt  äusserlich  eine  glatte  Oberfläche,  von  welcher  tausende  von 
sehr  feinen  und  kurzen  Pseudopodien  (e)  dichtgedrängt  ausstrahlen. 
Diese  zeigten  an  den  lebend  im  Glase  gehaltenen  Myxobrachien  tage- 
lang das  Phänomen  der  Protoplasmabewegung,  das  Verästeln  und 
Verschmelzen  der  Fäden ,  die  Kömchenbewegung  etc.  in  sehr  klarer 
Weise. 

Der  sonderbarste  und  eigenthümlichste  Körperlheil  derMyxobrachia 
sind  die  langen  Arme,  die  Fortsätze  der  Sarcodegallert,  von  denen 
einer  beiM.  rhopalum,  sechzehn  beiM.  pluteus  in  das  Wasser  bin- 
abhängen.  Wie  schon  bemerkt,  ist  die  Axe  derselben  von  einem  Strange 
von  dicht  gedrängten  gelben  Zellen  durchzogen,  welche  von  derAlveo- 
lenhülIe aus  bis  in  die  Spitze  der  Arme  hineingehen.  Am  Ende  der 
letzteren  befindet  sich  eine'knoptfürmige  kugelige  Anschwellung,  welche 
undurchsichtig  und  bei  auffallendem  Lichte  weiss  ist.  Bei  starker  Ver- 
grösserung  ergiebt  sich,  dass  dieser  weisse  Knopf  aus  sehr 
zahlreichen  (mindestens mehreren  hundert)  Kalkconcrementen 
besteht,  welche  den  Coccolithen  und  Coccosphaeren  des 
Bathybius  höchst  äh  nlich,  und  vielleicht  mit  ihnen  identisch 
sind  (Fig.  9,  10). 

Bei  Myxobrachia  pluteus  erhält  der  Körper  durch  die  kuppei- 
förmige Wölbung  des  oberen  Theils ,  welcher  den  Wasserspiegel  des 
Meeres  berührt  und  durch  die  regelmässige  Vertheilung  der  sechzehn 
herabhängenden  Arme  ein  höchst  sonderbares  Ausseben,  das  sehr  an 
gewisse  Echinodermenammen  (Pluteus,  Brachiolaria)  erinnert  (Fig. 
3,  4).  Die  Form  wechselte  übrigens  bei  einem  und  demselben  Indivi-. 
duum  im  Laufe  eines  Tages  mehrmals ,  indem  der  Körper  vermöge  sei- 
ner Contractilität  bald  länger  und  schmäler  (Fig.  3) ,  bald  kürzer  und 
breiter  wurde  (Fig.  4).  Dabei  blieb  jedoch  während  der  beiden  Tage, 
an  denen  ich  das  Radlolar  in.  meinem  Glase  lebendig  hielt,  die  Zahl, 
Grösse  und  Beschaffenheit  der  sechzehn  Arme  unverändert.  Diese  letz- 
teren waren  dergestalt  vertheilt ,  dass  man  durch   den  ganzen  Körper 


Beiträge  znr  Piastidentheorie.  525 

zwei  auf  einander  senkrechte  Ebenen  legen  konnte,  von  denen  jede  den 
Körper  in  zwei  congruente  Gegenstücke  oder  Äntimeren  zerlegte.  My- 
xobrachia  pluteus  hat  demnach  die  stereometrische  Grundform  der 
Orthostauren  oder  der  Rhombenpyramide  (Generelle  Morpho- 
logie,  I,  S.  488).  Die  sechzehn  Arme  sind  in  der  Weise  vertheilt,  dass 
zwei  bedeutend  längere  Arme  in  der  Mitte  parallel  nebeneinander  her- 
abhängen. Die  übrigen  vierzehn  Arme  bilden  zwei  übereinander  lie- 
gende Gürtel,  von  denen  der  obere  acht,  der  untere  sechs  Arme  trägt. 
Jeder  Arm  ist  kegelförmig  und  am  Ende  mit  einem  Knopfe  versehen. 
Die  zahlreichen  gelben  Zellen,  welche  von  der  Alveolenhulle ausgehend, 
in  Form  eines  centralen  Axenstranges  jeden  Arm  durchziehen,  erschei- 
nen gegen  die  Spitze  bin  dichter  zusammengehäuft. 

Die  Concretionen  von  kohlensaure  m  Kalk,  welche  dicht 
zusammengedrängt  die  knopffßrmige  Anschwellung  am  Ende  jedes  Armes 
von  Myxobrachia  pluteus,  und  ebenso  die  einfache  untere  An- 
schwellung von  M.  rhopal  um  erfüllen,  verdienen  jedenfalls  besondere 
Aufmerksamkeit,  mögen  dieselben  nun  mit  den  Coccolithen  und  Gocco- 
sphaeren  des  Bathybius  identisch  sein  oder  nicht.  Zu  meinem  grossen 
Bedauern  kann  ich  diese  wichtige  Frage  nichtentscheiden,  da  ich  leider 
keine  Präparate  von  Myxobrachia  mehr  besitze  und  auf  Lanzerote  ver- 
säumt habe  dieselben  zu  messen  und  möglichst  genau  auf  ihre  Structur 
zu  untersuchen.  Nach  den  mitgebrachten  Zeichnungen  (Fig.  8,  9,  1 0) 
wird  bei  beiden  Formen  von  Myxobrachia  die  grössere  Hälfte  der 
Kalkkörperchen  von  Scheiben  gebildet ,  welche  den  Coccolithen  ganz 
ähnlich  sind  (Fig.  9A—C) ,  die  kleinere  Hälfte  dagegen  von  kugeligen 
Conglomeraten  solcher  Scheiben ,  die  die  grösste  Aehnlichkeit  mit  Coc- 
cosphaeren  zeigen  (Fig.  40  fi— C).  Unter  den  ersteren  sind  sowohl 
kreisrunde  (9  A) ,  als  ovale  Scheiben ,  und  die  letzteren  theils  mit  ein- 
fachem (9^) ,  theils  mit  doppeltem  Cenlralkom  (9  C).  ImUebrigen  lau- 
fen die  concentrischen  Ringe  ganz  ähnlich  wie  bei  den  Coccolithen  um 
das  Centralkom  herum.  Ob  die  Scheiben  alle  Monodisken  waren 
(wie  die  Discolithen  des  Bathybius) ,  oder  ob  auch  Amphidis- 
ken  (wie  dieCyatholithen)  darunter  vorkamen,  habe  ich  leider  fest- 
zustellen versäumt.  Die  kugeligen  Concretionen  (Fig.  4  0) ,  welche  den 
Coccosphaeren  höchst  ähnlich  waren,  zeigten  sich  gleich  diesen  bald 
aus  wenigen  (6 — 8) ,  bald  aus  zabhreichen  (20—40)  scheibenförmigen 
Concretionen  zusammengesetzt.  Wenn  man  die  beiderlei  Bildungen 
mit  verdünnter  Essigsäure  oder  Mineralsäuren  behandelt,  so  bleibt 
(ganz  ebenso  wie  bei  den  Coccolithen  und  Coccosphaeren  des  Bathy- 
bius) ein  organischer  Rückstand  von  derselben  Form  und  Grösse  zu- 
rück ,  jedoch  geschrumpft  und  unregelmässig. 
Bd.  V.  4. 


526  Ernst  Haeekel, 

Was  sind  und  was  bedeuten  nun  diese  r^thselhaften  Kalkkörper- 
chen  in  den  canarischen  Myxobrachien?  Als  ich  dieselben  auf  Lanze- 
rote  untersuchte,  glaubte  ich  sie  als  eine  eigenthümliche  Form  von  Spi- 
cula  deuten  zu  müssen ,  wie  dergleichen  bei  so  vielen  anderen  Badio- 
larien  (Thalassosphaeren  und  Sphaerozoen)  voii^ommen.  Allerdings 
waren  Kalkausscheidungen  bei  den  Radiolarien  bisher  nicht  nüt 
Sicherheit  bekannt.  (Das  angebliche  kalkschalige  Radiolar ,  wel<Aes 
Alexander  Stuart  als  Coscinosphaera  ciiiosa  beschrieben  hai,  ist 
die  lüngstbekannte  Polythalamienform  Globigerina).  Indessen  be- 
steben auch  nicht  alle  Radiolarien-Skelete  aus  Kieselerde.  Femer  finden 
sich  ähnliche  Concretionen  als  Spicula  beiThalassosphaera  morum 
(Radiolarien,  S.  S60).  Freilich  muss  ich  gestehen,  dass  ich  jetzt  etwas 
zweifelhaft  bin ,  ob  jene  Kalkspicula  w  irklich  der  Myxobradiia  ange- 
hören, und  nicht  vielmehr  aus  einem  anderen  Organismus  aufgenommen 
sind.  Wnre  das  Letztere  der  Fall ,  so  würde  die  regelmässige  und  auf- 
fallende Gestalt  derMyxobrachia  pluteus  schwer  zu  erkkirenseir.. 

Dafür ,  dass  die  Kalkconcremente  mit  der  Nahrung  aus  einem  an- 
deren Organismus  aufgenommen  sind  und  möglicherweise  erst  in  Folge 
ihrer  Ansammlung  an  bestimmten  Körpersiellen  die  sonderbare  Form 
des  Ganzen  hervorgebracht  haben,  spricht  vielleicht  noch  der  Umstand, 
dass  bei  Lanzerote  ziemlich  hHufig  eine  echte Thalassicolla  (Radiolarien, 
S.  246)  vorkommt,  welche  in  der  Bildung  der  Ceniralkapsel  und  der 
Alveolenhülle  vollständige  speciiisi'he  Uebereinstimmung  mit  der  Myxo- 
brachia  zeigt.  Ich  will  dieselbe  wegen  der  rotbpunktirten  Gentralka|>- 
sei  Thalassicolla  sanguinolenta  nennen.  Insbesondere  ist  die 
Form  der  Bi^nenblase ,  der  Inhalt  der  rothpunkiirien ,  milcbweiSBen 
Centralkapsel ,  ferner  der  Mangel  des  extracapsularen  Pigments,  an 
dessen  Stelle  in  der  Alveolenhülle  die  sonst  so  seltenen  extracapsu  - 
laren  Oelkugeln  liegen ,  bei  beiden  Radiolarien  ganz  übereinstimmend. 
Die  sonderbaren  Arme  aber  und  die  an  ihren  Enden  befindliehen  Knöpfe 
mit  Kalkconcretionen ,  welche  den  eigentlichen  Charakter  der  Myxo- 
brachia  bilden,  fehlen derThalassicolla  sanguinolenta  gänzlich. 
Vielmehr  ist  hier  der  ganze  Körper,  vne  bei  den  andei^en  echten  Tha- 
lassicollen ,  eine  regelmässige  Kugel  ohne  alle  Fortsätze  und  ohne  Spi- 
cula. Die  Alveolenhülle  umgiebt  die  Centralkapsel  in  Form  einer  con- 
centrischen  Kugel  und  die  Pseudopodien,  sowie  die  begleitenden  radia- 
len Streifen  von  gelben  Zellen ,  ebenso  die  radialen  Reihen  von  exlra- 
capsularen  Oelkugeln  an  der  OberflXdie  der  Centralkapsel,  strahlen 
nach  allen  Richtungen  hin  gleichmässig  aus.  Da  jedoch  alle  beobach- 
teten Exemplare  der  Thalassicolla  sanguinolenta  kleiner  als  die  aus- 
nehmend grossen  Myxobrachien  waren ,  so  wäre  es  immerhin  möglich, 


Beitrilge  lus  PiMtidentheorie.  527 

ilass  die  ersteren  die  Jugendform  der  letzteren  bilden ,  und  dass  die 
Myxobrachia  erst  secundär,  durcrf  Entwickelung  der  Arrae  und  Bildung 
der  Spicula  aus  der  TlialassicoHa  entsteht. 

Wenn  die  Kalkkörperchen  derMyxobrachien  wirklich  mit  denCoc- 
colitben  und  Goccosphaeren  identisch  sein  sollten  (was  jedenfalls  noch  des 
Beweises  bedarf) ,  so  wird  die  räthselhafte  Natur  der  letzteren  dadurch 
Dicht  aufgeklart.  Wie  kommen  sie  an  die  Oberfläche  des  Meeres?  Und 
in  welcher  Beziehung  stehen  sie  einerseits  zu  dem  nur  die  Abgründe 
bewohnenden  Bathybius,  andererseits  zu  den  reia  pelagischen  Myxo- 
bracbien?  Dass  die  ungeheuren  Massen  der  alle  Abgründe  bedeckenden 
Cocooltthen-  und  Goccosphaeren-Myriaden  weiter  nichts  seien ,  als  die 
Spicula  von  pelagischen  Myxobrachien,  welche  nach  deren  Tode  auf  den 
Meeresboden  gesunken  sind ,  ist  wohl  höchst  unwahrscheinlich.  Jede 
weitere  Speculation  aber  über  den  Zusammenhang  und  die  Bedeutung 
dieser  sonderbaren  Formen  erscheint  gegenwärtig  verfrüht.  Licht  ist 
erst  von  ferneren  Beobachtungsreihen  zu  hoffen. 

Wenn  die  Myxobrachia  mit  ihren  sonderbaren  Armen  und  Spicula- 
knOpfen  eine  constante  Badiolarienforro  und  nicht  bloss  eine  zufällige 
Bildung  sein  sollte ,  so  würde  sie  eine  besondere  neue  Gattung  in  der 
Familie  der  GoUiden  und  in  der  Subfamilie  derThalassosphaeriden  bil- 
den, mit  folgendem  Gattungscharakter :  Myxobrachia:  Gentralkapsel 
kugelig  ,  mit  Binnenblase  (Vesicula  intima) .  Der  extracapsulare  Sar- 
codekörper in  einen  oder  mehrere  herabhängende  armartige  Portsätze 
verlängert ,  deren  kni^ffOrmige  Enden  Haufen  von  Kalkconcretionen 
(Spicula)  umschliessen.  Die  Gentralkapsel  liegt  excentrisch  in  der  bim- 
förmigen  Alveolenhülle,  welche  nach  dem  oberen  (den  Armen  entgegen- 
gesetzten und  kuppeiförmig  gewölbten)  Theiie  des  Saroodekörpers  hin 
kolbenförmig  angeschwollen  ist. 


4>  Ua  Plaitiden  und  das  Protoplasma  der  Blucopodon. 

Eine  d^r  wesentlichsten  Stützen  für  meine  Piastidentheorie  liefert 
die  höchst  interessante  und  formenreiche  Glasse  der  Wurzelfüsser  oder 
Rhizopoden.  Ich  verstehe  hier  diese  Protistenelasse  in  demselben  Um- 
fange ,  in  welchem  ich  sie  4  866  in  der  generellen  Morphologie  begrenzt 
habe.  Ich  scheide  also  aus  der  Rhizopodenclasse  aus  die  Moneren ,  die 
Protoplasten  oder  Amoeboiden  (Amoeben,  Arcellen,  Gregarinen  etc.) 
und  die  Myxomyceten.    Dem»^**''**  Ki^;Kpn  als  echte  Rhizopoden  übrig 

35* 


528  Brust  Haeckel, 

die  beiden  grossen  Subclassen  der  Acyttarien.  (Monothaianiien  und 
Polylhalamien)  und  der  Radiolafien  (Monocytlarien  und  Polycyt- 
tarien),  sowie  auch  die  kleine,  zwischen  beiden  Subclassen  in  derMiile 
slehendeGruppeder  Hello zoen  (Actin osphaerium  Eichhornii, 
von  Stein,  C  ystophrys  Haeckeliana  und  C.  oculea  von  Archer) 
und  deren  Verwandte. 

Die  Veranlassung ,  das  Verhältniss  dieser  echten  Bhizopoden  zur 
Piastidentheorie  hier  noch  besonders  hervorzuheben ,  liegt  für  mich 
einerseits  darin,  dass  diese  Protisten  mir  ganz  besonders  für  das  Vei- 
ständniss  meiner  Theorie  wichtig  und  lehrreich  zu  sein  scheinen  und 
andererseits  darin,  dass  ich  gegenwärtig,  der  letzteren  entspi'echend, 
meine  früher  ausgesprochenen  Ansichten  über  die  Sarcode  oder  das 
freie  Protoplasma  der  Rhizopoden  etwas  modificiren  muss. 

Was  zunächst  diesen  letzteren  Punkt  beirifR,  so  habe  ich  1862  in 
meiner  Monographie  der  Radiolarien  den  Beweis  zu  führen  gesucht, 
dass  das  Protoplasma  sämmtlicher  Rhizopoden  (sowohl  der  Radiolarien, 
als  derlieliozoen  und  Acyttarien)  entstanden  sei  aus  der  Verachmelzung 
von  mehreren  Zellen  (1.  c.  p.  107,  165  etc.).  Diese  Auffassung  befand 
sich  in  voller  Uebereinstimmung  mit  Max  Schi ltze^s  Protoplasmatheorie, 
in  welcher  sich  derselbe  mit  folgenden  Worten  über  dieses  Verhältniss 
ausspricht :  »Als  nacktes ,  freies ,  contractiles  Protoplasma  deute  ich  die 
contractile  Substanz  aller  grösseren  Rhizopoden.  Ob  sie  aus  einer  Zeile 
oder  aus  mehreren  Zellen  entstanden  ist,  bleibt  zunächst  gleichgültig. 
Sie  ist  Protoplasma  und  damit  ist  ihr  Wesen  und  ihr  Ursprung 
bezeichnet.  —  Man  hat  sie  bisher  Sarcode  genannt.  Wenn  ich  jedoch 
vorschlage ,  sie  von  jetzt  ab  Protoplasma  zu  nennen ,  so  liegt  darin  der 
Triumph  derZellen  theo  rie  auch  über  diese  niederstenorganischen 
Gebilde  ausgedrückt. . —  Bei  allen  Protozoen ,  und  das  möchte  ich  für 
charakteristisch  halten ,  waltet  wenigstens  in  gewissen  Bezirken  des 
Körpers  und  behufs  Erfüllung  gewisser  Functionen  die  Neigung  der 
Zellen  vor,  zu  einer  grösseren  Protoplasma  masse  zu- 
sammenzuschmelzen, in  welcher  dann  nur  die  Zahl  der  persisti- 
renden  Kerne  etwa  noch  den  Ursprung  der  Masse  aus  Zellen  an- 
deutet.«   (Max  Schultzb,  die  Gattung  Comuspira  etc.,  p.  300). 

Diese  Auffassung  der  Rhizopoden -Sarcode  ist  zum  Theil  gewiss 
richtig  und  gilt  wahrscheinlich  für  alle  jene  Rhizopoden,  deren  Körper 
wirklich  aus  echten  Zellen,  d.  h.  aus  kernhaltigen  Protoplasma- 
klümpchen  ganz  oder  theilweise  besteht  und  also  wahrscheinlich  auch 
aus  einer  echten  Zelle  hervorgeht.  Solche  Zellen  finden  sich  in  der  cen- 
tralen Körpermasse  von  Actinosphaerium.  Solche  echte  Zellen 
kommen  aber  auch  im  Körper  aller  ausgebildeten  Radiolarien  vor. 


Beilrüge  xur  PUstidentbeorie,  529 

AlsunzweifelhafteZellen  desRadiolarienkörpers  habe 
ich  schon  in  meiner  Monographie  (1863)  eine  Anzahl  von  verschiedenen 
Formeleoienten  nachgewiesen.  Dahin  gehören  vor  allen  die  merkwür- 
digen ,  ausserhalb  der  .Centralkapsel  befindlichen  und  an  den  Fäden 
der  extracapsularen  Saroode  fortbewegten  gelben  Zellen  (I.e.  p. 84), 
über  deren  kürzlich  von  mir  entdeckten  Amylumgehalt  der  nächstfol- 
gende Abschnitt  nähere  Angaben  bringen  wird.  Dahin  gehören  ferner 
die  intracapsularen  Pigmentzellen  und  Alveolenzellen  (1.  c.  p.  77],  die 
centripetalen  Zollgruppen  von  Physematiumu.  s.  w.  Dagegen  habe 
ich  mich  damals  über  die  Zellennatur  der  »kugeligen,  wasser- 
hellen Bläschen«,  welche  den  wichtigsten  und  allein  constanten 
Inhaltsbestandtheil  der  Centralkapsel  bilden ,  sehr  vorsichtig  und  zu- 
rückhaltend ausgesprochen  (1.  c.  p.  71).  Ich  erklärte  es  zwar  für  »sehr 
wahrscheinlich,  dass  sie  in  der  That  als  Zellen,  und  zwar  als  zur 
Fortpflanzung  dienende  Keime  (Eier-  oder  Keimzellen)  anzusehen  sind« 
und  führte  als  Argument  für  ihre  Zellennatur  besonders  ihre  regel- 
mässige Grösse  und  Vermehrung  durch  Theilung  an.  Indessen  ver- 
mochte ich  doch  den  wichtigsten  Beweis,  die  Erkenntniss  des  Zellcn- 
kerns,  damals  nicht  mit  Sicherheit  zu  führen.  Neuere  Untersuchungen, 
die  ich  mit  Hülfe  stärkerer  Yergrösserungen  und  vielfacher  mikroche- 
mischer Versuche  an  lebenden  Radiolarien  auf  der  canarischen  Insel 
Lanzerote  ausführte,  haben  jenen  Beweis  vollständig  geführt.  Insbe- 
sondere eingehende  Untersuchungen  an  verschiedenen  Thalassicollen, 
an  der  vorher  beschriebenen  Myxobrachia  und  an  mehreren  Arten 
von  Collozoum  und  Sphaerozoum  haben  mich  vollständig  von  der 
Anwesenheit  eines  genuinen  Zellenkerns  in  jenen  »Bläschen«  überzeugt  ^j . 
Sowohl  dieser  Nucleus ,  als  das  umgebende  wasserhelle ,  hyaline  Pro- 
toplasma des  ganzen  kugeligen  Bläschenkörpers  forben  sich  durch  Car- 
min  intensiv  roth ,  durch  Jod  dunkelgelb.  Der  Kern  wird  dunkler  als 
ilas  Plasma  gefärbt.  Die  in  der  Centralkapsel  aller  Radiolarien  vorkom- 
menden »kugeligen  wasserhellen  Bläschen«  sind  also  in 
derThatechteZellen.  Meine  schon  1 862  ausgesprochene  Vermu- 
thung,  dass  diese  Zellen  Fortpflanzungszellen  seien,  ist  mir 
zwar  durch  meine  neueren  canarischen  Untersuchungen  bis  zur  vollen 
persönlichen  Ueberzeugung  wahrscheinlich  geworden ;  jedoch  habe  ich 
leider  den  objectiven  Beweis  für  diese  subjective  Ueberzeugung  noch 
nicht  führen  können ,  da  auch  meine  neueren  Bemühungen ,  die  fast 
ganz  unbekannte  Ontogenic   der  Radiolarien  aufzuklären,   resultatlos 


4)  Taf.  XVllI,  Flg.  4SI  zeigt  drei  von  '•— *  »'»-*—«  intracapsularen  kugeligen 
Zellen  der  Myxobrachia ;  die  grösseren  s* 


530  l'^riisi  Haeckel, 

geblieben  sind.  Das  Wahrscheinlichste  ist,  dass  jene  in  der  Central- 
kapsei  enthaltenen  Zellen  Sporen  sind,  welche  entweder  innerhalb 
derselben ,  oder  nachdem  sie  durch  Bersten-  der  Kapsel  frei  geworden 
sind,  sich  durch  wiederholte  Theilung  zu  eiaetn  vielzelligen  Körper 
entwickeln.  Von  den  Zellen  dieses  letzteren  und  ihren  Abkömmlingen 
werden  sich  einige  zu  gelben  Zellen,  andere  zu  Pigmentzellen,  andere 
zu  Sporen  ausbilden ,  während  noch  andere  wahrscheinlich  durch  völ- 
lige Verschmelzung  den  Sarcodekörper  oder  das  freie  Protoplasma  der 
Radiolarien  bilden  werden.  Bei  Jugendformen  von  Radiolarien  aus  ver- 
schiedenen Familien ,  insbesondere  verschiedenen  Acanthometren, 
Acanthodesmiden  und  Sponguriden,  welohe  ich  1866  auf  Lanzeroie 
beobachtete,  habe  ich  mich  überzeugt,  dass  eine  Centralkapsel  noch 
nicht  existirt,  dass  der  centrale  Theil  des  Protoplasmakörpers  aber  den- 
noch eine  Anzahl  von  Zellen  umschliesst.  Die  jugendlichen  Ra- 
diolarien, denen  die  Centralkapsel  noch  fehlt,  sind  also 
morphologisch  den  Heliozoen  (Actinosphaerium,  Cysto- 
ph.rysetc.)  äquivalent. 

Während  es  nun  einerseits  nicht  zweifelhaft  sein  kann ,  dass  im 
Körper  aller  Radiolarien  ,  sowohl  innerhalb  als  ausserhalb  der  Central- 
kapsel echle,  kernhaltige  Zellen  vorkommen,  so  steht  es  andererseits 
eben  so  fest,  dass  mindestens  einem  Theile  der  Acyttarien  (Monothala- 
mien  und  Polythalamien) ,  ja  vielleicht  allen  Acyttarien  echte 
Zellen  völlig  fehlen.  Wenn  wir  die  Anwesenheit  eines  Kernes  für 
den  Begriff  der  Zelle  als  unentbehrlich  ansehen ,  so  suchen  wir  bei  den 
meisten  Acyttarien  ganz  vergeblich  nach  solchen.  Allerdings  finden  sieh 
in  der  Sarcode  oder  dem  freien  Protoplasma  bei  einigen  Formen  von 
Gromia  und  Gl  obige  rina,  sowie  bei  einigen  anderen  Acyttarien 
rundliche  granulirte  Körperchen ,  welche  gewöhnlichen  Zellenkemen 
sehr  ähnlich  sehen.  Allein  abgesehen  davon ,  dass  die  wahre  Nucleus- 
natur  dieser  »Kerne«  noch  nicht  näher  untersucht  und  sicher  bewiesen 
ist ,  müssen  wir  auf  der  anderen  Seite  die  Thatsaohe  hervorheben,  dass 
bei  der  grossen  Mehrzahl  der  Acyttarien  keine  Spur  von  solchen  »Ker- 
nena  im  Protoplasma  zu  finden  ist.  Dasselbe  erscheint  entweder  voll- 
kommen homogen  und  structurlos ,  wie  bei  Protogenes ,  oder  es  be- 
ginnt sich  in  eine  differente  Rinden-  und  Markschicht  zu  sondern. 
Echte  Zellenkerne  oder  Nuclci  kon^men  dabei  nirgends  zum  Vorschein. 
Auch  in  derOntogenie  der  Acyttarien,  soweit  man  diese  bis  jetzt  kennt, 
ist  von  Kernen,  und  mithin  von  Zellen,  nirgends  die  Rede.  Die  Poly- 
thalamien, welche  die  Hauptmasse,  der  Acyttarien  bilden,  scheinen  sich 
in  der  einfachsten  Weise  durch  Sporenbildung  fortzupflanzen,  indem 
einzelne  kleine  Stückchen  ihres  homogenen  Plasmaleibes  sich  von  dem 


Beiträge  lur  FlastidcDtheorie.  53 1 

umgebenden  Protoplasma  sondern  und  (oft  noch  innQrhalh  des  Muller- 
leibes] zu  neuen  Individuen  entwickeln.  Diese  Koimkörncr  oder  Sporen 
sind  aber  auch  kernlose  Cytoden,  keine  kernhaltigen  Zellen. 

Da  nun  der  Protoplasmakörper  aller  oder  doch  der  meisten  Acyt- 
tarien  (sowohl  Monolhalamien  als  Polythalamien)  zu  keiner  Zeit  ihres 
Lebens  Kerne  enthält,  so  kann  weder  von  einer  »Zusammensetzunga 
desselben  aus  Zellen  die  Rede  sein ,  noch  dürfen  wir  sagen ,  derselbe 
sei  »durch  Verschmelzung  von  Zellen  entstanden«.  Dieser  Satz  gilt  so- 
wohl in  ontogenetischer,  als  in  phylogenetischer  Beziehung.  Sowie  der 
individuelle  Sarcodekörper  der  Äcyllarien  nicht  »durch  Verschmelzung 
von  Zellen  entstandena  ist,  so  ist  auch  diese  ganze  Abtheilung  von  Rhi- 
zopoden  nicht  aus  einer  oder  mehreren  Zellen  hervorgegangen.  Viel- 
mehr haben  wir  es  hier  überall  nur  mit  Cytoden,  mit  kernlosen  Plasti- 
den  zu  thun.  Phylogenetisch  betrachtet  sind  demnach  die 
Acyttarien  auf  der  primitiven  Stufe  einfacher  Cytoden 
oder  Cellinen  stehen  geblieben  und  repräsentiren  somit  den  ur- 
sprünglichen Stamm  der  Rhizopodenclasse.  Erst  später  können  aus 
ihnen  durch  Differenzirung  von  Kernen  im  Protoplasma ,  also  durch 
wirkliche  Zellenbildung,  die  höheren  Rhizopoden  entstanden  sein.  Unter 
diesen  bilden  aber  noch  heute  die  Heliozoen  (Actinosphaerium, 
C  ystophry  s  etc.)  eine  vortrefflich  vermittelnde  Uebergangsstufe  zu  den 
echten  Radiolarien,  die  sich  durch  den  Besitz  der  Centralkapsel  so  we- 
sentlich auszeichnen. 

Für  die  Systematik  der  Rhizopoden  ergeben  sich  hieraus  folgende 
Reflexionen:  DaskünstlicheSystem,  welches  eine  streng  logische 
Classification  erstrebt,  muss  die  Acyttarien  (wenigstens  die  grosse  Mehr- 
zahl der  Monolhalamien  und  Polythalamien)  von  den  übrigen  Rhizopoden 
trennen  und  mit  den  Moneren  vereinigen ,  weil  ihr  Protoplasma  keine 
Kerne  enthält,  also  auch  nicht  aus  »  Zellen  a  zusammengesetzt  ist ;  da- 
gegen würden  hiemach  die  Heliozoen  und  Radiolarien ,  als  wirklich 
zeili[;e  Organismen,  mit  den  ebenfalls  zelligen  Myxomyceten  verbunden 
werden  können.  Jedoch  entsteht  hierbei  die  Schwierigkeit,  dass  das 
freie  Plasmodium  der  Myxomyceten  späterhin  kernlos  ist,  obwohl  die 
Sporen  echte ,  kernhaltige  Zellen  darstellen.  Der  kernhaltige  Proto- 
plasmakörper, welcher  hier  wirklich  durch  Verschmelzung  echter  Zellen 
entstanden  ist,  geht  später,  durch  Verlust  der  Kerne  in  einen  homo- 
genen Sarcodeleib  über,  welcher,  streng  morphologisch  betrachtet, 
keinen  Zellencomplex  mehr  darstellt,  sondern  einen  Cytodcncomplex, 
oder  genauer :  einen  »Dyscylodencomplex«  (s.  oben  S.  499; . 

Das  natürliche  System  der  Rhizq)odon  dagegen,  welches  eine 
wahre  genealogischeClassificationerstrebt  f  "^^^^incs- 


532  ^">^^  IJuckel, 

wegs  logisch  die  Charaktere  der  Gruppen  feststellen  irniss!)  «ird  im- 
merhin, auf  Grund  der  sonstigen  nahen  VerwandtschatubeKiehungen, 
diu  cylodigen  Acyttarien  mit  den  xelligen  Heliozoen  und  Radiotsrii-n  in 
derselben  Classe  vereinigt  lassen  können  und  die  ersloren  einfach  als 
die  früheren  phyletischenEntwickelungsKuslände  der  letzteren  betrach- 
ten. Die  Stufenleiter,  welche  von  den  Acyttarien  aufwärt«  durch  die 
Heliozoen  zu  den  Radiolarien  empor  steigt,  stellt  eine  phylogenetische 
Forlschrittsreihe  dar. 


5)  Amylnm  in  dsn  gelben  Zellen  der  Kadloliuien. 

Als  ich  im  Laufe  des  letzten  Herbstes  meine  Badiolariensammlung 
durchmusterte,  um  womüglich  noch  einiges  Genauere  über  die  Be- 
schaffenheit der  Zellen  im  Körper  dieser  Prolisten  feslzustellen,  wurde 
ich  nicht  wenig  durch  die  ganz  unerwartete  Entdeckung  überrascht, 
dass  die  sonderbaren  extracapsularcn  »gelben  Zcllena  derselben 
Stärkemehlkitrner  enthalten.  Als  ich  namlicb Radiolarien  aus  ver- 
schiedenen Familien  mit  Jodlösung  behandelte,  um  das  ProtnpiRsma 
der  Zellen  in  den  Centralkapseln  gelb  zu  färben,  wurden  zu  meinen) 
Erstaunen  die  gelben  Zellen  ausserhalb  derCentralkapael  dunkel  violett- 
blau  gefärbt  und  die  nun  vorgenommenen  Versuche  mit  anderen  Hea- 
gentien  ergaben,  dass  der  Inhalt  dieserZellen  sich  auch  in  jeder  anderen 
Beziehung  wie  echtes  Stärkemehl  verhall. 

Die  exlracapsularen  »gelben  ZelEene  der  Badiolarien  habe  ich  in 
meiner  Monographie  derselben  ausführlich  beschrieben  und  durch  Ab- 
bildungen erläutert'].  Sie  linden  sich  conslanl  bei  allen  ausgebildeten 
Badiolarien,  mit  Ausnahme  der  Acanthomelriden,  und  liegen  stets 
ausserhalb  der  Centralkapsel.  Hier  ßndet  man  sie  bald  unmilletbar  an 
deräusserenOberflachederCentralkapsel,  eingeschlossen  in  die  Schleini- 
schicht  der  »Malrixa,  welche  die  letztere  umhüllt,  bald  weiter  ausser- 
halb an  den  Pseudopodien ,  die  von  diesem  Sarcodemutlerboden  aus- 
strahlen. Durch  die  strOmenden  Bewegungen,  welche  in  der  Sarcode 
oder  dem  Protoplasma  der  lebenden  Radiolarien  bestandig  staltlinden, 
werden  die  gelben  Zellen  passiv  mit  fortgerissen,  und  linden  sich  daher 

()  Haecml,  BadioIarieD  p.  8*  — 87.  Vergl.  die  Abbildungen  der  Eelben  Zellen 
von  ThalBSsicoIlB  {Tal.  I.  Fig  3,  Taf.  11.  Fig.  3) ,  von  ThalBSSOSphaera  (Tat.  XU, 
Fig.  11,  vonRhizospbaera  (Taf.  XXV,  Fig.  (,  8),  von  Sphaeroioum  (Taf.  XXXIll, 
Fig.«.  4|,  voDCollospbaera  [Tar  XXXIV,  Fig.  3,  S)  und  von Collozoum  (Inf.  XXXV, 
Fig,  8,  <4-U). 


Beiträge  xur  Piastidentheorie.  533 

in  der  mannichfaltifiisten  Weise  ionerhalb  der  Strahlenzone,  die  durch 
die  Pseudopodien  gebildet  wird,  zerstreut. 

Die  Zahl  und  Grösse  der  gelben  Zellen  ist  bei  den  verschiedenen 
Radiolarien  sehr  wechselnd ,  und  auch  bei  einem  und  demselben  Indi- 
viduum zu  verschiedenen  Zeiten  verschie^den.  Bisweilen  ist  jede  einzelne 
Centralkapsel  von  mehr  als  hundert  gelben  Zellen  umgeben ,  während 
andermale  nur  zwei  bis  fünf,  oder  selbst  nur  eine  einzige  sich  findet.  Die 
grössten  haben  0,085,  die  kleinsten  0,005  Mm.  Durchmesser.  Der  ge- 
wöhnliche Durchmesser  beträgt  zwischen  0,008  und  0,018  Mm.  Die 
Form  der  gelben  Zellen  ist  meistens  rein  kugelig ,  seltener  abgeplattet 
oder  ellipsoid  verlängert  (Taf.  XVIII.  Fig.  44).  Die  derbe  Membran  der 
kugeligen  Zellen  umschliesst  einen  festflüssigen  Protoplasmakörper  von 
ziemlicher  Consistenz,  der  sich  durch  constant  gelbe  Färbung  auszeichnet. 
Das  Gelb  variirt  von  blassem  Schwefelgelb  bis  zu  dunkelm  Braungelb, 
ist  aber  meistens  lebhaft  citrongelb  oder  goldgelb  Das'  gelbe  Proto- 
plasma umschliesst  einen  Zellenken},  dessen  Durchmesser  gewöhnlich 
die  Hälfte  oder  ein  Drittel  des  Zellendurchmessers  beträgt.  Der  Kern 
ist  ein  scharf  contourirtes ,  helles,  gewöhnlich  kugeliges  Körperchen, 
welches  oft  noch  einen  deutlichen  Nucleolus  enthält.  Neben  dem  Kern 
findet  sich  in  dem  Protoplasma  der  gelben  Zellen  eine  gewisse  Anzahl 
von  Kömern,  meistens  3  —  6  grössere  und  80 — 30  kleinere  Gra- 
nula. Die  grössten  Kömer  übertreffen  bisweilen  den  Kem  an  Durch- 
messer und  erreichen  ungefähr  die  Hälfte  des  Zellendurchmessers.  Die 
Form  dieser  Granula  ist  verschieden,  bald  kugelig,  bald  scheibenförmig, 
bald  unregelmässig  rundlich  oder  vieleckig.  J.  MCllbr  beschrieb  schon 
\  855  diese  »äusserst  kleinen  Kömchen«  und  erklärte  dieselben  für  die 
Ursache  der  gelben  Farbe.  In  meiner  Monographie  bin  ich  dieser  An- 
nahme gefolgt  (p.  85),  fügte  jedoch  hinzu :  »dass  ausser  den  gelben  Pig- 
mentkömchen  auch  der  übrige  flüssige  Zelleninhalt  (das  Protoplasma) 
noch  (gelb)  geftirbt  sei,  habe  ich  bisweilen  mit  Bestimmtheit  ermitteln 
können.«  (p.  86).  Durch  meine  neueren  Untersuchungen  bin  ich  zu  der 
Ansicht  gelangt,  dass  die  gelbe  Färbung  nicht  von  den  Kömern  her- 
rührt, sondem  auf  Rechnung  einer  gelben  Pigmentlösung  zu  setzen  ist, 
welche  das  ganze  Protoplasma  der  Zellen  durchtränkt. 

Dass  die  gelben  Zellen  der  Radiolarien  echte  Zellen  im  strengsten 
histologischen  Wortsinne  sind ,  und  zwar  von  einer  Haut  umschlossene 
kernhaltige  Zellen ,  darüber  kann  nicht  der  geringste  Zweifel  obwalten. 
Auch  sind  dieselben  von  allen  Beobachtern  der  Radiolarien  als  solche 
anerkannt,  mit  einziger  Ausnahme  von  Albxandei  Stuait,  welcher  die- 
selben »eher  als  Kerne  zu  betrachten  aeneif^t  ist«.  Diese  Differenz  erklärt 
sich  sehr  einfach  darar  >ine  gelben  Zellen  gesehen 


534  •  Ernst  llAeckel, 

hat.     Denn  das  Radiolar  (Coscinosphaera  ciliosa],  vod  welchem  er  die- 
selben beschreibt,  ist  kein  Radiolar,  sondern  ein  Polythalamiiun  ^). 

Nichts  beweist  sicherer  die  unzweifelhafte  Zellennatur  der  gelben 
Zellen,  als  ihre  jederzeit  leicht  zu  beobachtende  Fortpflanzung, 
welche  schon  von  Johannes  Müller  und  später  von  mir  ausführlich  be- 
schrieben worden  ist  (1.  c.  p.  86).  Man  kann  fast  an  jedem  Radiolar 
neben  den  einfachen  gelben  Zellen  solche  antreffen,  die  in  Theilung  be- 
griffen sind.  Zuerst  zerfällt  der  Kern  in  zwei  Stücke ,  dann  das  Proto- 
plasma. Noch  innerhalb  der  Mutterzellen  umgiebt  sich  jede  der  beiden 
kugeligen  Tocbterzellen  mit  einer  Membran  und  wird  dann  frei,  ind^ni 
die  Haut  der  Mutterzelle  gesprengt  wird.  Nicht  selten  sah  ich  a«ch  vier 
Tochterzellen  in  einer  Mutterzelle  (vergl.  Taf.  XVIII,  Fig.  IIA — C,  ferner 
meine  Monographie,  Taf.  XXXIII,  Fig.  8;  Taf.  XXXV,  Fig.  44—13). 

Wenn  man  die  gelben  Zellen  der  Radiolarien  mit  carminsaurem 
Ammoniak  behandelt ,  so  förbt  sich  der  ganze  Inhalt  der  kugeligen  Zei- 
len lebhaft  roth ,  jedoch  der  Kern  viel  intensiver  als  das  Protoplasma. 
Wenn  man  aber  dann  die  gefärbten  Zellen  in  Wasser  zerdrückt,  so  sieht 
man,  dass  die  den  Kern  umgebenden  Körner,  die  angeblichen  »Pig- 
mentkörner« sich  nicht  durch  das  Carmin  gefärbt  haben.  Der  Nucleus 
tritt  auch  durch  Essigsäure  deutlich  hervor.  Auch  in  allen  übrigen 
Reactionen  verhält  sich  Kern  und  Protoplasma  der  gelben  Zellen ,  wie 
bei  jeder  gewöhnlichen  Zelle.  Nur  der  gelbe  Farbstoff,  welcher  an  dem 
Protoplasma  zu  haften  scheint ,  bedingt  gewisse  Eigenthümlichkeiten. 
Durch  concentrirte  Minaralsäuren  wird  derselbe  blass  grünlich  gelb. 

Ganz  eigeuthümlich  ist  das  Verhalten  der  gelben  Zellen  gegen  Jod. 
Schon  1 855  gab  Johannbs  Müller  an ,  dass  die  gelben  Zellen  durch  Jod 
intensiv  gelbbraun  oder  dunkelbraun  gefärbt  werden ,  im  Gegensatz  zu 
den  »Nestern«  (Centralkapseln) ,  deren  Inhalt  durch  Jod  heller  oder 
dunkler  gelb  wird.  Er  fand  ferner ,  dass  Jod  und  Schwefelsäure,  oder 
Jod  und  Salzsäure  die  Färbung  der  gelben  Zellen  in  ein  intensives 
Schwarzbraun  verwandelt,  während  die  Centralkapseln  dadurch  nicht 
dunkler  werden.  Setzet  man  dann  aber  kaustisches  Kali  oder  Natron 
hinzu,  so  werden  die  gelben  Zellen  ganz  hell,  farblos  und  durchsichtig. 
Wird  nun  wieder  das  Alkali  durch  Schwefelsäure  oder  Salzsäure  neu- 
tralisirt,  und  nochmals  Jod  zugesetzt,   so  tritt  wiederum  die  intensiv 


4)  Die  von  Stuart  (Zeitechr.  f.  w.  Z.  4S66.  XVi,  p.  828;  Taf.  XVIII)  in  F^.  3 
und  8  abgebildote  Form  von  Coscinosphaera  ist  die  längst  bekannte,  mit  feinen 
Kalkstacbeln  besetzte  Globigerina  echinoides,  welche  in  grossen  Mengen  an 
der  Oberfläche  des  Mittelmeers  schwimmt;  die  in  Fig.  4  abgebildete  Form  ist  die 
abgelöste  letzte  Kammer  derselben  (Orbnlinaechinoides).  Natürlich  hat  sie 
keine  Centralkapsel.    Die  aDgpbtichen  »gelben  Kerne«  sindfHgmentkönier. 


Beitrage  %nr  Plastideiiibeorie.  535 

dunkelbraune  oder  schwarzbraune  Färbung  ein.  Wie  schon  Müller 
fand,  kann  man  diese  abwechselnde  Behandlung  der  gelben  Zollen 
mit  Alkalien ,  welche  sie  entfärben ,  und  mit  Jod  und  Schwefelsäure, 
welche  sie  schwärzlich  rdrben,  mehrmals  wiederholen. 

Ich  habe  die  Versuche  Müllbr's  an  den  lebenden  Radiolarien,  welche 
ich  in  den  Jahren  1856 — 1867  in  Nizza,  Neapel,  Messina  und  auf  der 
canariscben  Insel  Lanzerote  untersuchte ,  vielfach  wiederiiolt  und  be- 
stätigt gefunden.  Jedoch  fiel  mir  schon  damals  auf,  dass  die  Färbung 
der  gelben  Zellen  durch  Jod  und  Schwefelsäure  häufig  nicht  »intensiv 
dunkelbraun  oder  schwarzbraun  « ,  sondern  vielmehr  violettbraun,  rein 
violett,  oder  selbst  violeltblau  erschien.  Aber  im  HinblidL  auf  die  sehr 
geringe  Grösse  des  Objectes  wagte  ich  nicht,  daraus  auf  einen  Gehalt 
an  Amylum  oder  Gellulose  zu  schliessen. 

Als  ich  nun  im  letzten  Herbste  mit  stärkeren  Yergrässerungen,  als 
mir  früher  zu  Gebote  standen,  (mit  Objectivsystemen  vonZsiss  und  von 
Hartnagk,  die  ein  klares  Bild  noch  bei  einer  Yergrösserung  von  700  bis 
1 000  geben)  wiederum  die  gelben  Zellen  der  Radiolarien  untersuchte, 
kam  ich  zu  der  sicheren  Ueberzeugung,  dass  die  gelben  Zellen 
wirklich  echtes  Amylum  enthalten,  oderdoch  eine  diesem  ganz 
nahe  siehende ,  geformte ,  stickstofffreie  KohlenstofiVerbindung. 

Die  Radiolarien,  an  denen  ich  diese  histologischen  Untersuchungen 
anstellte,  waren  von  mir  theils  in  Messina,  theils  in  Arrecife  (auf  der 
canariscben  Insel  Lanzerote)  gesammelt  und  gehörten  folgenden  Species 
an :  ThalassicoUa  pelagica  (Monographie  der  Radiolarien,  Taf.  I)  T.  nu- 
cleata  (Taf.  III,  Fig.  1  —5) ,  Coilozoum  inerme  (Taf.  XXXV) ,  Sphaero- 
zoumitalicum,  S.  spinulosum,  S.  ovodimare,  S.  punctatum  (Taf.  XXXIII), 
RhaphidoBOum  acuferum  (Taf.  XXXH,  Fig.  9,  10)  und  Collosphaera 
Huxleyi  (Taf.  XXXIV).  Alle  diese  Radiolarien  gehären  zu  jenen  Grup- 
pen ,  die  sich  wegeii  der  besonderen  Grösse  ihrer  gelben  Zellen  vor- 
züglich für  diese  Untersuchung  eignen,  und  da  das  Resultat  der  Unter- 
suchung bei  allen  Arten  dasselbe  war,  kann  ich  dasselbe,  ohne  auf  die 
einzelnen  Specios  einzugehen ,  kurz  in  Folgendem  zusammenfassen. 

Voraussohicken  muss  ich ,  dass  alle  untersuchten  Radiolarien  in 
Liquor  conservativus  aufbewahrt  waren ,  und  ihre  feineren  histologi- 
schen Eigenthümlichkeiten  darin  trefiFlich  erhalten  hatten.  Dieser  Liquor, 
aus  zwei  Theilen  Kochsalz,  einem  Theil  Alaun  und  einer  geringen  Spur 
Sublimat  zusammengesetzt,  hatte  vielleicht  insofern  chemisch  ändernd 
auf  die  Präparate  eingewirkt,  als  darin  der  Sublimat,  wie  gewöhnlich, 
sich  zersetzt  hatte,  und  somit  wahrscheinlich  eine  sehr  geringe  Quan- 
lität  Salzsäure  frei  geworden  war.  Auch  war  möglicherweise  etwas 
Alaun  z^"  h  eine  Spur  Schwefelsäure  frei  geworden. 


5^6  Ernst  HHerkel. 

Sobald  ich  nun  ein  in  dieser  Flüssigkeit  conservirles  Baiiolar  mit 
einem  Tropfen  Joditisung  (Jod  in  Jodkalium  gelöst)  bohandell  bri  einer 
Vergrtissening  von  mindestens  700  unter  dasHtkroskop  brachte,  \^'urde 
ich  stets  von  einer  intensiv  blauen  Färbung  der  gelben  Zellen  tiber- 
zeugt. Das  Blau  war  ganz  reines  Dunkelblau,  und  wie  beiden  ver- 
schiedenen Modifiea Honen  des  Amyluni  bald  mehr  indigo-,  bald  mehr 
violettblau,  rOihlich  blau  oder  schwarzblau.  Die  Fiirbung  haftete 
ganz  deutlich  nur  an  den  im  Protoplasma  liegenden  ge- 
formten Ebrnern,  welcheJonANNEsHüLLER  und  ich  selbsl  früher  für 
gelbe  Pigmentkffrner  gehalten  halten.  Das  Protoplasma  selbsl,  souie 
der  Zellenkern  waren  durch  das  Jod  intensiv  gelb  gefcirbl,  wie  sich  be- 
sonders deutlich  beim  ZenlrUckcn  der  Zellen  zeigte.  Innerhalb  der 
Zelle  wurde  der  gelbe  Kern  meist  ganz  durch  die  blauen  Kftmer 
verdeckt.  Je  zahlreicher  und  grösser  die  im  Protoplasma  liegenden 
Kömer  waren ,  je  mehr  sie  den  Zellenraum  erfülllen,  desto  intensiver 
schwarzblau  war  die  ganzeZelle.  An  jungen  Zellen,  welche  blo&seines 
oder  ein  paar  kleine  K&mer  enthielten ,  wurden  bloss  diese  blau  ge- 
färbt, und  die  tlbrige  Zelle  gelb. 

Die  blaue  Färbung  der  gelben  Zellen  trat  unmittelbar  nach  dem 
Zusatz  der  Joditfsung  ein,  und  zwar  ganz  ebenso,  wenn  vorher  Säuren 
eingewirkt  hatten,  als  wenn  dies  nicht  der  Fall  gewesen  war.  Auch 
der  nacbherige  Zusatz  von  Schwefelsaure,  Saizsciuro,  Essigsüuro,  ver- 
änderte die  blaue,  durch  Jod  allein  hervorgerufene  Färbung  nicht. 
Dii>  Central  kapseln  wurden  bei  derselben  Behandlung  intensiv  goldgelb 
gefärbt.  Beim  Zerdrücken  derselben  zeigte  es  sich,  dass  die  grossecen- 
trale  »Oelkugeiu ,  welche  bei  den  Collozoen ,  Sphaerozoen,  Collosphae- 
ren  u.  s.  w.  in  der  Mitte  derCenlralkapsel  liegt,  farblos  geblieben  war, 
und  dass  die.  intensiv  gelbe  Färbung  bloss  von  den  kugeligen  oder  po- 
lycdrischen  Zellen  herrührte,  die  rings  um  die  centrale  Oelkugcl  den 
Kapselraum  erfüllen,  und  die  ich  vorher  als  die  wahrscheinlichen  Spo- 
ren der  Badiolarien  in  Anspruch  genommen  habe. 

Die  dunkelblaue  Färbung  der  gelben  Zellen  durchJod  verschwand 
sofort  nach  Zusatz  kaustischer  Alkalien.  Sobald  das  Kali  oder  Natron 
eingewirkt  hatte,  quoll  die  gelbe  Zelle  beträchtlich  auf,  und  woirde 
ganz  hell,  farblos  und  durchsichtig.  Die  Umrisse  der  deutlich  aufge- 
quollenen Kürner  waren  dann  als  feine  Linien  noch  sichtbar.  Wenn 
ich  das  Alkali  durch  eine  Säure  (Schwefelsäure,  Salzsäure  oder  Essig- 
saure] neutralisirle ,  und  dann  wieder  einen  Tropfen  Jod  zusetzte,  so 
trat  sofort  wieder  die  intensiv  blaue  Färbung  der  gelben  Zellen  ein. 
Dieselbe  erfolgte  aber  ebenso,  wenn  ich  das  Alkali  durch  reichliche.'' 
Abspülen  mit  Wasser  von  dem   Präparate  entfernt  halte,   und  rfni'« 


Beitrüge  xor  PUstideiitheorie.  537 

einen  Tropfen  Jodldsung  hinzusetzte.  Die  blaue  Färbung  trat  ebenso 
wieder  ein ,  wenn  ich  Jodldsung  in  grossem  Ueberschuss  zu  dem  Al- 
kalipraparate  gesetzt  hatte.  Die  abwechselnde  Färbung  durch  Jodldsung 
und  Entfärbung  durch  Alkali  konnte  ich  drei  bis  vier  Mal  wiederholen, 
ehe  die  gelben  Zellen  mit  ihrem  Inhalte  zerstört  wurden. 

In  allen  diesen  Beziehungen  verhielten  sich  die  Kdrner  in  den  gel- 
ben Zellen  der  Radiolarien  genau  wie  echteAmylumkörner.  Auch 
in  allen  übrigen  chemischen  Beziehungen  konnte  ich  nicht  den  gering- 
sten Unterschied  auffinden.  ZurControlle  stellte  ich  bei  jedem  Versuche 
mit  den  gelben  Zellen  einen  parallelen  Versuch  mit  verschiedenen  Sor- 
ten von  Stärkemehlktfrnem  an  und  erhielt  in  allen  Fällen  genau  dasselbe 
Resultat.  Auch  die  wiederholte  Entfärbung  durch  Alkali  und  Blaufär- 
bung durch  Jod  erfolgte  bei  den  gelben  Zellen  und  bei  den  vegetabili- 
schen Amylumproben  genau  in  derselben  Zeit  und  in  derselben  Weise. 
Ich  kann  demnach  nicht  den  geringsten  Zweifel  mehr  darüber  hegen, 
dass  die  geformten  Körner  in  den  gelben  Zellen  derRadio- 
larien  aus  einer  Substanz  bestehen,  die  nicht  von  dem 
Amylum  der  Pflanzen  unterscheidbar  ist. 

Die  abweichenden  Angaben ,  die  Johannes  Müller  und  ich  selbst 
früher  über  die  Jodreaction  der  gelben  Zellen  gemacht  haben ,  erklären 
sich ,  wie  ich  jetzt  glaube,  einfach  daraus,  dass  wir  bei  unseren  frühe- 
i*en  Untersuchungen  zu  schwache  Vergrösserungeu  anwendeten.  An 
den  lebenden  Radiolarien  verdeckte  bei  nicht  hinreichend  starker  Ver- 
grOsserung  die  intensiv  gelbe  Färbung  des  Protoplasma  die  durch  Jod 
erfolgte  blaue  Färbung  der  darin  versteckten  Kömer.  Das  dunkelgelbe 
Protoplasma  zusammen  mit  dem  violetten  Blau  der  Körner  gab  eine  dun- 
kelbraune oder  schwärzlichbraune  Färbung.  Auch  bei  den  kürzlich  von 
mir  untersuchten  Präparaten  aus  Liquor  conservativus  tritt  die  blaue 
Farbe  erst  bei.  400  maliger  Vergrösserung  deutlich  hervor,  und  wird  um 
so  klarer  und  reiner,  je  stärker  die  Vergrösserung  wird,  und  je  mehr  sich 
die  rein  blauen  Kömer  von  dem  umhüllenden  gelben  Protoplasma  ab- 
heben. Bei  so  kleinen  Körpern ,  wie  es  die  Amylumkörner  der  gelben 
Zellen  sind,  ist  dieser  Umstand  von  grosser  Wichtigkeit.  Bei  einer  Ver- 
grösserung von  nui*  300  und  darunter  erscheinen  die  gelben  Zellen  nach 
Jodfärbung  gewöhnlich  schwärzlich,  weil  das  Violettblau  der  Kömer 
mit  dem  Dunkelgelb  des  Protoplasma  und  desNucleus  zusammenwirkt. 
Vielleicht  tritt  aber  die  blaue  Farbe  an  den  in  Liquor  aufbewahrten 
Präparaten  auch  desshalb  deutlicher  hervor,  weil  durch  den  Liquor  die 
natürliche  gelbe  Pigmentirung  des  Protoplasma  vernichtet  wird.  An 
allen  Liquorpräparaten  erscheinen  die  gelben  Zellen  entweder  ganz 
farblos,  oder  nur  ganz  schwach  gelblich  gefärbt.     Wahrscheinlich  ist 


538  EtQBt  Bneckrl, 

diese  Entfärbung  der  Wirkung  des  Alnun ,  vjelleidit  auch  einer  Spur 
von  freier  Snlisäui-e  zuzuschreiben.  Jedenfalls  erleichtert  sie  das  Her- 
vortreten der  blauen  Jodreaclion. 

In  dieser  Weise  erklärt  sich,  wie  ich  glaube,  die  abweichende  Ad- 
giibe,  welche  JoHiKNiis  Mullbh  zuerst  von  der  Jodreaction  der  gcllieD 
Zellen  machte,  und  welcher  ich  in  meiner  Monographie  nicht  zu  wider- 
sprechen wagte,  trotzdem  mir  schon  damals  hiluGg  der  Farbenton  der 
durch  Jod  sehr  dunkel  oder  fast  schwürzlich  gefürbten  gelben  Zellen 
eher  blau  statt  braun  zu  sein  schien.  Will  man  diese  Erklttruui:  nicht 
gel.ten  lassen ,  so  mllsste  man  annehmen ,  dass  die  Substanz  der  Gra- 
nula in  den  gelben  Zellen  durch  die  mehrjülirigo  Aufbewahrung  in  Li- 
quor conservativus  erst  in  Amyluni  umgewandelt  worden  sei.  Diese 
Annahme  scheint  mh- aber  wenig  Vertrauen  zu  verdienen,  und  man 
würde  auch  dann  noch  annehmen  müssen,  dass  jene  KörnersubsinnK 
BUB  einer  dem  Stärkemehl  sehr  nahe  stehenden  Verbindung  lieslebe, 
die  sich  durch  Jod  allein  braun  oder  gelb  filrbe ,  ähnlich  dem  Inulin  der 
Pflanzen.  Die  Spur  von  freier  Salzsaure  (aus  zersetztem  Sublimat  ent- 
standen), oder  von  fi-eier  Schwefelsäure  (aus  zci'HetzU>ui  Alaun  i^ntslan- 
den],  die  mi^icherweise  in  dem  Liquor  conservativus  vorhanden  c,e- 
wesen  wäre,  mUasle  dann  genügt  hüben,  jene  amyloidcRlsmersubstanz 
in  wirkliches  Amylum  überzuführen. 

Es  entsteht  nun  die  Frage,  wie  dieser  sonderbare  Fund  von  Amy- 
lum in  Radiolarienzelkn  physiologisch  und  s\stematisch  zu  verweithen 
ist.  Dass  die  gelben  Zellen  zu  dem  Organismus  der  ßadiolarien  gehfi- 
i-en ,  und  dass  die  Starkekörner  sich  in  den  golben  Zellen  erat  gebildet 
haben,  kaDu  nicht  zweifelhaft  sein.  Von  aussen  können  sie  in  die  von 
einer  derben  Membran  fest  umschlossenen  Zellen  nicht  hinein  gelantü 
sein.  Sie  müssen  also  Produote  des  SlolTwetJisels  eben  dieser  Zellen 
selbst  sein.  Und  dass  dieselben  jedenfalls  irgend  eine  bedeutende  ptn- 
siologisohe  Halle  im  Organismus  dieser  Pmtisien  spielen  müssen,  scheiol 
ebensowohl  aus  ihrer  allgemeinen  Verbreitung  bei  allen  Itadiolarien, 
wie  aus  ihrem  massenhaften  Entstehen  und  Vci'gehen  hervorzugehen. 

WeDU  man  erwfigt,  welche  hohe  physiologische  Bedeutung,  be- 
träditliche  Anhüufung  und  allgeoieino  Verbreitung  de^m  Amylum  im 
PDanzenorganismus  sukommt,  und  wenn  man  andrerseits  bedenkt,  wie 
selten,  spSriicb  und  bedeutungslos  sein  Vorkommen  im  Thierküiper  ist, 
so  konnte  man  wohl  geneigt  sein,  in  dem  massenhaften  Vorkommt'ii 
von  Stttrke  bei  den  Badiolarien  einen  Charakter  zu  finden ,  der  ihren 
systematischen  Platz  im  Protisten  reiche  von  der  aninialen  Grenzmaritc 
eutEemt  und  der  vegetabilen  Grenzmarke  nithert.  Obgleich  gewiss  an 
sich  die  blosse  fredudimi  grosser  Amylumnicngcn  nichts  fUr  die  vcge 


Beiträge  lar  PlMtidetttbeorie.  539 

tabilisehe  Natur  eines  Organismus  beweist  ( —  so  wenig  als  der  Gel- 
lulosemantel  der  Tunicaten  oder  das  Chlorophyll  der  Hydra  viiidis  — ) 
so  darf  man  doch  andrerseits  nicht  vergessen ,  dass  ein  solcher  chemi- 
scher Yegetabiliencharakter  bei  einer  zweifelhaften  Protistengruppe  ein 
ganK  anderes  Gewicht  besitzt,  wie  bei  einer  unzweifelhaften  Thier- 
gruppe.  Jedenfalls  wird  dadurch  bei  den  Radiolarien  die  Existenz  von 
wichtigen  Vorgängen  des  Stoffwechsels  und  der  Ernährung  dargethan, 
welche  im  Pflanzenreich  fast  allgemein  verbreitet  sind,  im  Thierreich 
sehr  selten  eder  fast  nie  vorkommen.  Und  dabei  ist  femer  noch  zu  be- 
denken, dass  dieQuantitüt  des  Amyluro,  das  in  den  gelben  Zel- 
len der  Radidarien  sich  bildet,  in  vielen  Fällen  höchst  beträcht- 
lich ist.  Bei  manchen  Tbalassicollen ,  Collozoen  und  Sphaerozoen,  wo 
auf  eine  einzelne  Gentralkapsel  mehr  als  hundert  gelbe  Zueilen  kommen, 
und  wo  die  Gentralkapsel  selbst  weniger  als  hundert,  und  viel  kleinere 
Zellen  einschliesst,  wird  das  gesatnmte  Volum  des  Amylum,  das  darin 
abgelagert  ist ,  grosser  sein ,  als  das  ganze  übrige  Volum  des  Körpers. 
Mehr  als  dieHälftedes  ganzen  Radiolarienorganismus 
wird  in  diesen  Fällen  aus  Stärkemehl  bestehenl 

Leider  sind  nun  zur  Zeit  die  Mittel  zur  Lösung  dieses  Räthsels  nur 
sehr  ungenügend.  Die  eigentliche  physiologische  Bedeutung  der  son- 
derbaren gelben  Zellen ,  die  unter  allen  ProiisAen  nur  den  Radiolarien 
zukommen ,  war  uns  bis  heute  noch  so  gut  wie  unbekannt.  Johanhbs 
MöLum  hatte  antenglicb  die  Vermuthung  geäussert,  dass  die  gelben 
Zellen  bei  der  Fortpflanzung  betheiligt,  und  entweder  Sporen  oder 
Keime  von  jungen  »Nestern«  (Centralkapseln)  seien.  Später  zeigte  er 
selbst ,  dass  diese  Annahme  unhaltbar  sei ,  wagte  jedoch  keine  andere 
Vermuthung  über  ihre  Bedeutung  auszusprechen.  Nur  der  Curiosität 
halber  mag  hier  beiläufig  ein  possierlicher  Einfall  von  Alexander  Stuart 
erwähnt  werden,  »dass  das  Aufsteigen  und  Niedersinken  der  Radiola- 
rien im  Meere  auf  plötzlichem  Ortswechsel  der  gelben  Körper  beruht, 
die  bald  nach  aussen  auf  die  Pseudopodien  treten ,  bald  in  das  Innere 
des  Weichkörpers  sich  zurückziehen«  1 1  Diese  physikalische  Theorie 
lässt  sich  nur  mit  derjenigenMünc hbausen's  vergleichen,  der siph  an 
seinem  eigenen  Zopfe  aus  dem  Sumpfe  ziehen  wollte ;  sie  schliesst  sich 
den  übrigen  Ideen  und  Angaben  Stuarts  würdig  an. 

In  meiner  Monographie  der  Radiolarien  hatte  ich  zu  zeigen  ver- 
sucht, dass  die*  einz%e  physiologische  Function  der  gelben  Zellen ,  von 
der  man  sich  eine  einigennaassen  klare  Vorstellung  bilden  könne,  auf 
dem  Gebiete  der  Ernährung  oder  des  Stoffwechsels  liegen  müsse.  Aus 
dem  massenhaften  Entstehen  •  Mer  gelben  Zellen,  aus  ihrer 

lebhaften  Fortpflanzung  un  '  ^n  Verhalten  glaubte  ich 


540  ^nst  HMekel) 

auf  eine  sehr  kurze  Lebensdauer  derselben  schliessen  zu  können ,  und 
knüpfte  daran  weiter  die  Vennutbung,  dass  die  gelben  Zellen  nsecer- 
nirende  Zellena  seien,  gewissermaassen  freie  Leberzellen  oder  einzellige 
Verdauungsdrusen ,  deren  durch  Bersten  der  Membran  frei  werdender 
Saft  zur  Auflösung  der  aufgenommenen  Nahrung  durch  die  Sarcode  mitr- 
wirkt  (1.  c.  p.  437j.  Auch  jetzt  noch  scheint  mir  diese  Hypothese,  in 
Ermangelung  einer  besseren ,  nicht  ganz  zu  verwerfen ,  wenn  sie  auch 
noch  wesentlich  zu  modificiren  sein  dürfte.  Jedenfalls  hat  die  Ent- 
deckung des  Amylum  meine  Behauptung,  dass  die  eigentliche  physio- 
logische Bedeutung  der  gelben  Zellen  im  Gebiete  der  Ernährung  zu  su- 
chen sei ,  nur  bestätigt.  Es  wird  dabei  nicht  unpassend  sein ,  an  die 
grosse  Rolle  zu  erinnern ,  welche  das  Stärkemehl  bei  der  Emährungs- 
thätigkeit  der  Pflanzen  spielt. 

Bekanntlich  wird  das  Amylum  im  Pflanzenorganismus  als  einer  der 
wichtigsten  Reserve  Stoffe  betrachtet,  als  ein  überschüssiges  Pro- 
duct  des  Stofiwechsels ,  welches  in  den  Pflanzenzellen  abgelagert  und 
aufgespeichert  wird,  um  später  bei  gelegener  Zeit  wieder  gelöst  und  als 
Baumaterial  für  die  Cellulosemembranen  etc.  verwendet  zu  werden.  Da 
jedoch  die  letzteren  im  Radiolarienorganismus  fehlen  und  auch  sonstige 
Theile  desselben  nicht  bekannt  sind,  für  deren  Aufbau  die  aufge- 
speicherten Amylumkömer  als  Reservematerial  unmittelbar  verwendet 
werden  könnten,  so  muss  die  specielle  Erforschung  der  Rolle,  welche 
das  Stärkemehl  in  den  gelben  Zellen  bei  der  Ernährung  derRadiolarien 
spielt ,  künftigen  Untersuchungen  überlassen  bleiben. 


6)  Die  Identität  der  Fümmerbewegung  and  der  amoeboidon  Proto- 

plaimabewegong. 

Gelegentlicli  der  Untersuchungen  über  lebende  Kalkscbwämnie, 
welche  ich  im  August  und  September  1869  bei  Bergen  an  der  norwe- 
gischen Küste  anstellte,  gelang  es  mir,  die  unmittelbare  Verwandlung 
von  flimmernden  Epithelialzellen  in  amoeboide  Zellen  nachzuweisen, 
und  somit  ein  histologisches  Desiderat  zu  erfüllen,  welches  durch  die 
Untersuchungen  der  letzten  Jahre  immer  mehr  in  den  Vordergiiind  ge- 
drängt worden  war.  Die  neueren  physiologischen  Untersuchungen  über 
die  Flimmerbewegung,  vor  allen  die  sehr  ausführliche  und  vortreffliche 
Arbeit  von  Dr.  Wilhelm  Engelhann  ')  ,  femer  namentlich  die  früheren 

4)  Th.  W.  EngslmanNi  über  die  FlimmerbeweguDg.     Vergl.   diese  Zeitschrift 
4868,  Vol.  IV,  p.  324,  und  namentlicb  p.  470—478. 


Beitrüge  rar  Plasiidentheorie.  541 

* 
ÜDtersuchuDgen  von  Dr.  M .  Roth  ^)  haben  die  nahen  Beziehungen  cter 

Flimmerbe^egung  zu  der  amoeboiden  Bewegung  immer  stärker  her- 
vorgehoben und  dargethan ,  dass  (entgegengesetzt  den  früheren  An- 
nahmen) in  physiologischer  Beziehung  die  Flimmerbewegung  der  amoe- 
boiden Bewegung  näher  steht,  als  der  Muskelbewegung. 

Die  frühere  Annahme ,  dass  die  Flimmerhaare  äusserlich  der  »Zel- 
lenmembrana  aufgesetzt ,  oder  als  Auswüchse  der  letzteren  zu  beteach- 
ten seien,  darf  jetzt  als  ganz  beseitigt  angesehen  werden.  Viele  (viel- 
leicht die  meisten)  Flimmerzellen  sind  nackte,  membranlose  Zellen. 
Die  flimmernden  Fortsätze  der  Zelle,  seien  dieselben  eine  einfache  Geissei 
oder  mehrfache  Gilien,  sind  stets  directe  Fortsetzungen  des  Protoplasma 
der  Zellen ,  und  man  sieht  daher  mit  Recht  die  Flimmerbewegung  als 
eine  Fdge  der  Contractilität  an ,  die  dem  Protoplasma  und  seinen  un- 
mittdbaren  Fortsetzungen  innewohnt,  ledoch  gilt  es  in  der  Histologie 
noch  nicht  als  empirisch  bewiesen,  dass  wirklidi  die  Flimmerzellen 
aus  contractilen  Zellen  sich  entwickeln.  Roth  sagt  in  seinen  Untersu- 
chungen :  »Es  wäre  nun  noch ,  was  mir  bisher  nicht  mit  Sicherheit  hat 
gelingen  wollen,  der  Nachweis  zu  liefern,  dass  die  Flimmerzellen  aus 
contractilen  Zellen  sich  entwickeln.«  Audi  Engblhaniv  sieht  die  Identi- 
tät der  Flimmerbewegung  und  derProloplasms^wegung  noch  nicht  als 
erwiesen  an ,  obwohl  er  die  nahe  Beziehung  zwischen  beiden  Bewe- 
gnngsfermen  ausdrücklich  hervorhebt. 

Beobachtungen  über  versdiiedene  niedere  Organismen ,  die  ich  im 
Laufe  der  letzten  Jahre  angestellt  habe',  führten  mich  schon  seit  län- 
gerer Zeit  zu  der  Annahme,  dass  die  Fiimmerplastiden  unmit- 
telbar durch  Yerwandlung  von  amoeboiden  Piastiden 
entstehen,  und  dass  mithin  die  Flimmerbewegung  nur 
eine  bestimmte  Modification  der  amoeboiden  Protoplas- 
mabewegungist.  Gegenwärtig  kann  ich  für  diese  Annahme  den 
directen  Beweis  liefern.  Bei  der  nachfolgenden  Darlegung  dieses  Ver- 
hältnisses erscheint  es  von  Wichtigkeit,  die  beiden  Modificationen 
der  Flimmerbewegung  zu  unterscheiden,  welche  ich  «n  meinem 
Aufsatze  über  den  Organismus  der  Schwämme  eto.  ^)  als  Geisseibe- 
wegung und  Flimmerbewegung  getrennt  habe.  Denn  es  ist  sicher 
nicht  ohne  tiefere  Bedeutung,  dass  in  einer  ganzen  grossen  Classe 
von  Thieren ,  wie  die  der  Schwämme  ist ,  alles  Flimmerepithel  aus- 


4)  Dr.  M.  Roth,  über  einige  Beiiebungen  desFlimmereiilthels  cnm  eonti^ctUen 
Protoplasma.  Vircbown  '  '^4. 

5)  lUicsel ,  tlber  Schwämme  etc.    (Diese  Zeitschrift  Bd. 

V,  p.  sis). 

Bd.V.4.  .16 


542  '  lernst  Haeckel, 

schliesslich  Geisseiepithel  (E.  flagellatum)  ist,  dessen  Piastiden 
nur  je  eine  Geissei,  ein  isolirtes  Flimmerhaar,  tragen,  während  bei  den 
meisten  höheren  Thieren  das  Wimperepithel  (E.  ciliatum)  vor- 
herrscht ,  dessen  Piastiden  mit  je  zwei  oder  mehreren  Flimmerhaaren, 
Cilien  oder  Wimpern  versehen  sind.  Wenn  auch  die  Flimmerbewegung 
bei  den  einhaarigen  Geisselplastiden  und  bei  den  vielhaarigen  Wimper- 
plastiden  wesentlich  identisch  ist,  so  sind  doch  beide  Formen  als  zwei 
mehr  oder  minder  bedeutende  Modificationen  eines  gemeinsamen  Grund- 
phänomens (Motus  vibratoriusj  aufzufassen. 

Die  Verwandlung  der  Geisseibewegung  (Motus  flagel- 
laris)  in  die  amoeboideProtoplasmabewegung  habe  ich  in 
der  einfachsten  Form  bei  Pr otom y xa  aura  ntia  ca  nachgewiesen  ^) ; 
sie  lässt  sich  ebenso  bei  der  norwegischen  P r o  to  monas  Huxleyi  ver- 
folgen. Die  nackten  Protoplasmakugeln,  welche  bei  diesen  Honeren  aus 
dem  Zerfall  des  encystirten  kugeligen  Sarcodekörpers  hervorgehen  und 
welche  nachher  als  »Schwärmsporen«  die  Fortpflanzung  vermitteln,  ver- 
wandeln sich  noch  innerhalb  der  Kapsel  in  eine  bimförmige  Cytode 
mit  einem  langen  haarfeinen  Fortsatze.  Nachdem  sie  die  Cyste  ver- 
lassen haben,  schwärmen  sie  eine  Zeit  lang,  wie  ein  Flagellat,  mittelst 
jener  Geissei  umher,  und  gehen  dann  unmittelbar  in  amoeboide  Gyto- 
den  tlber.  Die  Geissei  wird  nur  noch  als  amoeboider  Fortsatz  benutzt 
und  gleichzeitig  treten  andere  ähnliche  spitze  Fortsätze  an  verschiedenen 
Stellen  des  kleinen  Plasmastückes  hervor. 

Die  betreffenden  »Schwärmsporen«  der  Protomyxa  sind  kernlose 
Piastiden,  also  Cytoden.  Aber  auch  bei  Schwärmsporen,  welche  einen 
Kern  enthalten ,  also  echte  Zellen  sind ,  ist  derselbe  Uebergang  aus  der 
Geisselzelle  in  die  amoeboide  Zelle  schon  mehrfach  constatirt  worden. 
Die  erste  und  älteste,  hierher  gehörige  Beobachtung  dürfte  von  De  Bart 
herrühren,  welcher  in  seiner  Monographie  der  Myxomyceten^)  aus- 
führlich beschreibt,  wie  die  nackten  Fortpflanzungszellen  dieser  Pro- 
tisten aus  ihrer  Sporenhülle  in  Gestalt  einfacher  Amoeben  hervorschlü— 
pfen ,  dann  eine  Geissei  hervorstrecken  und  in  Form  von  Flagellaten 
umherschwimmen,  und  endlich  in  den  Amoebenzustand  zurückkehren, 
um  darin  zu  verharren.  In  gleicher  Weise  sah  Glark  einzelne  Flagel- 
laten ihre  Geissei  einziehen  und  sich  nach  Art  der  Amoeben  durch  Aus- 
strecken und  Einziehen  formveränderlicher  Fortsätze  umherbewegen  ^). 


4)  ÜAECKEL,  Monographie  der  Moneren.   S.  85. 

2)  De  Bart,    Die  Mycetozoen,  Zeitsclir.  für  wiss.  Zool.    4860,. Vol.  X,  S.  455. 

3)  James  Clark,  Spongiae  ciliatae  as  Infusoria  Fiagellata.     Memoirs  of  Boston 
Society  nat.  bist.  4867,  Taf.  IX,  X. 


BeilrAge  zur  PlHslideiitbeorie.  543 

Man  könnte  diesen  BeobaclUungcn  entgegenhalten ,  dass  es  sich 
hier  um  einzelne,  selbstständig  lebende  Piastiden  handle,  nicht  aber  um 
solche  Piastiden,  wie  sie  schichtenweis  aggregirt  in  den  Flimmerepithelien 
auftreten.  Um  so  wichtiger  war  es  mir,  durch  die  Eingangs  erwähnte 
Beobachtung  feststellen  zu  können ,  dass  auch  an  flimmernden  £pithe- 
lialzellen  dieselbe  Umwandlung  vorkommt.  Als  ich  nämlich  bei  Bergen 
an  lebenden  Kalkschwämmen  aus  der  Gattung  Leucosolenia,  Bowbr- 
BANK  (Grantia,  Libberkühn)  das  Flimmerepithel  untersuchte,  welches 
dort  in  Form  einer  einzigen  Lage  von  Geisseizellen  das  ernährende  Ca- 
nalsystem  auskleidet ,  bemerkte  ich  zu  meiner  grossen  Ueberraschung, 
dass  die  durch  Zerzupfen  isolirten  Geisselzellen  nach  einiger  Zeit  in 
amoeboide  Zellen  übergingen.  Die  lange  und  ziemlich  starke  Geissei, 
welche  jede  Epithelialzelle  desEntoderm  trägt,  und  welche  sich  wäh- 
rend des  Lebens  lebhaft  schlagend  bewegt,  fing  zuerst  an,  langsamer 
zu  schwingen.  Allmählich  wurden  die  Schwingungen  sehr  langsam  und 
ganz  unregelmässig.  Zugleich  wurde  der  geisseiförmige  Fortsatz  des 
Protoplasma  kürzer  und  dicker ,  und  endlich  ganz  in  den  nackten  Pro- 
toplasmaleib der  Zelle  zurückgezogen.  Gleichzeitig  aber  begann  der 
letztere,  eine  grössere  Zahl  (bis  gegen  20  und  30]  von  spitzen,  geissel- 
artigen  Fortsätzen  an  verschiedenen  Stellen  seiner  Oberfläche  hervor- 
zustrecken ,  diese  bewegten  sich  langsam  und  wurden  wieder  eingezo- 
gen ,  während  neue  spitze  Fortsätze  an  anderen  Stellen  der  Oberfläche 
vortraten.  Kurz,  die  einzelnen  Zellen  nahmen  die  Form  einer  kleinen 
Amoeba  radiosa  an  und  krochen  in  dieser  wechselnder  Form  lange  Zeit 
umher.  Aber  auch  bei  solchen  Epithelialzellen  der  Leucosolenia ,  die 
noch  reihenweis  oder  selbst  in  grösseren  Lappen  zusammenhingen,  war 
gleicherweise  der  Uebergang  der  Flimmerzellen  in  amoeboide  Zellen 
wahrzunehmen  ,  nur  mit  dem  Unterschiede ,  dass  hier  die  amoeboiden 
Fortsätze  nur  an  den  beiden  freien  Flächen  des  Lappens  oder  Streifens 
hervortraten,  der  durch  die  noch  fest  zusammenhängenden,  zahlreichen 
Geisseizellen  gebildet  wurde.  Ich  werde  diesen  Vorgang  in  meiner,  in 
der  Ausführung  begrifTenen  )>Monographie  derKalkschwämme<(  ausführ- 
lich beschreiben  und  durch  Abbildungen  erläutern. 

Die  Entstehung  der  Wim  per  beweg  ung  (Motus  ciliaris) 
aus  der  amoeboiden  Protoplasma  bcwegung  habe  ich  zuerst 
1866  auf  der  canarischen  Insel  Lanzerote  beobachtet,  und  zwar  an  den 
Furchungskugeln ,  welche  aus  der  Eifurchung  der  Siphonophoren  her- 
vorgehen ^j.    Diejenigen  Zellen,  welche  an  der  Oberfläche  des  kugeligen. 


4)  Haeckel,  Entiwickelungsgeschichte  der  Siphonophoren.    Utrecht,  1869.  Taf. 
VI,  Fig.  36;  Taf.  XIV,  Flg,  98. 

« 

86» 


544  GniBt  Hnecktl, 

aus  gleichartigen  nackl«n  Furchungszellen  zusaintnengGselzU?n  Zellen- 
haufens  sich  befinden ,  beginnen  nach  Art  der  Amoehcn  zahlreiche, 
formwechselnde  Fortsätze  hervorzustreclten.  Diese  langsam  sich  bewe- 
genden Fortsätze  der  nackten  amoeboiden  Zellen  gehen  naciiber  direcl 
in  schlagende  Wimpern  oder  Cilien  über.  So  Überzieht  sich  der  ganze 
kugelige  ZeUenbaufen  mit  einem  znsammeDhängenden  Flimmerepithel. 
Jede  Bpithelialzelle  tragt  mehrere  Flimmerhaare,  und  diese  gehen  un- 
mittelbar aus  den  stumpfen  fingerförmigen  Fortsätzen  der  amoeboiden 
Zellen  hervor. 

Die  gleiche  Beobachtung  habe  ich  im  letzten  Herbste  an  einer  sehr 
sonderbaren  neuen  Protistenform  gemacht,  die  ich  demnächst  unter  dem 
Namen  Magospbaera  planula  beschreiben  werde.  Dieselbe  reprS- 
sentirt  eine  neue  selbstslSndige  Gruppe  des  Protistenretchs.  Die  mit  vie- 
len Wimpern  bedeckten  birnfOrmigen  Zellen ,  welche  den  ki^eligen 
Körper  zusammensetzen ,  gehen  aus  amoeboiden  Zellen  hervor  und 
geben  nachher  selbst  wieder  in  amoeboide  Zellen  tiber. 


7)  Sie  Plaitidentheorie  und  di«  KohlaaitoflUlwuris. 

Die  lebhaften  Kämpfe ,  welche  gegenwärtig  noch  über  die  Enl^ 
wickelungstheorie  geführt  werden,  und  welche  frilher  oder  später  mit 
ihrem  vollständigen  Siege  endigen  müssen ,  bringen  schon  jetzt  den 
grossen  Vortheil,  dass  die  flach  gewordene  empirische  Naturforschung 
sich  wieder  zu  vertiefen  und  auf  die  philosophischen  Grundfragen  der 
Erkenntniss  zurückzugehen  beginnt.  Unter  diesen  Grundfragen  drängt 
sich  eine  immer  mehr  in  den  Vordergrund.  Giebt  es  nur  eine  Natur, 
in  iei  überall  und  jederzeit  dieselben  nothwendigen  Gesetze  gelten? 
Oder  giebt  es  zwei  grundverschiedene  Naturgebiete ,  eine  anorganische 
Natur,  in  welcher  nolhwendig  wirkende  Ursachen  (Causae  efficien- 
tes)  ausschliesslich  tbätig  sind,  und  eine  organische  Natur,  in  welcher 
daneben  noch  zweckmässig  scbaSende  Ursachen  [Causae  finales) 
wirksam  sind?  Die  Anhänger  der  Entwickelungstheorie  bejahen  die 
erslere,  die  Gegner  die  letztere  Frage.  Die  erstcren  stützen  sich  auf 
ihre  monistische  und  mechanische ,  die  letzteren  auf  ihre  dualistiscbe 
und  teleologische  Naluranschauung. 

Die  Gründe ,  welche  für  die  monistische  Ansicht  von  der  Einheit 
der  Natur  sprechen,  habe  ich  im  zweiten  Buche  meiner  generellen  Mor- 
phologie ,  und  namentlich  im  fünften  Kapitel  derselben  ausführlich  be- 
handelt.  Als  letzte  Gonsequenz  der  universalen  Entwit^elungsUieoTie, 


Beitrüge  sor  Plastidentbeorie.  545 

• 
durch  welche  zugleich  jene  monistische  Weltanschauung  auf  das  Festeste 

gestutzt  wird ,  habe  ich  daselbst  meine  Rohlenstofilheorie  begründet. 
Da  diese  KohlensloStheorie  eben  so  entschiedenen  Beifall  bei  den  An- 
hängern derEntwickelungslehre^],  als  lebhaften  Widerspruch  bei  ihren 
Gegnern^  hervorgerufen  hat,  sei  es  mir  hier  schliesslich  gestattet, 
nochmals  auf  den  innigen  Zusammenhang  hinzuweisen ,  welcher  zwi- 
schen der  Kohlenstoflftheorie  und  der  Piastidentheorie  besieht.  Es  ge- 
nügt dafür  die  denkende  Erwägung  der  nachstehenden  Sätze,  für  welche 
die  ausführlichen  Beweise  im  zweiten  und  dritten  Buche  der  generellen 
Morphologie  enthalten  sind. 

4.  Die  Formen  der  Organismen  und  ihrer  Organe  entstehen  sämmt- 
lich  durch  ihre  Lebensthätigkeit  und  zwar  allein  durch  die  Wechsiiel- 
Wirkung,  welche  zwischen  zwei  physiologischen  Functionen,  der  Ver- 
erbung und  Anpassung*  besteht. 

2.  Die  Vererbung  ist  eine  Theilerscheinung  der  Fortpflanzung ,  die 
Anpassung  dagegen  eine  Theilerscheinung  der  Ernährung  der  Organis- 
men. Diese  beiden  physiologischen  Functionen  beruhen  aber ,  wie  alle 
anderen  Lebensthätigkeiten ,  auf  der  Beschaffenheit  der  physiologischen 
Organe,  durch  welche  sie  bewirkt  werden. 

3.  Die  physiologischen  Organe  des  Organismus  sind  entweder  ein- 
fache Piastiden  (Cytoden  oder  Zellen) ;,  oder  sie  sind  Theile  von  Plasti- 
den  (z.  B.  Kerne  der  Zellen,  Flimmerhasre  des  Protoplasma) ;  oder  sie 
sind  aus  mehreren  Piastiden  zusammengesetzt  (die  grcAse  Mehrzahl  der 
Organe).  In  allen  diesen  Fällen  sind  die  Formen  und  Leistungen  der 
Organe  auf  die  Formen  und  Leistungen  der  Piastiden  zurückzuführen. 

i.  Die  Piastiden  sind  entweder  einfache  Cytoden  (structurlose  und 
kernlose  Protoplasmastücke)  oder  Zellen ;  da  aber  auch  diese  letzteren 
durch  Differenzirung  des  inneren  Kerns  und  des  äusseren  Protoplasma 
ursprünglich  erst  aus  Cytoden  entstanden  sind ,  so  lassen  sich  die  For- 
men und  Lebenseigenschaften  aller  Piastiden  auf  einfachste  Cytoden  als 
ihren  ersten  Ausgangspunkt  zurückführen. 

5.  Die  einfachsten  Cytoden ,  aus  denen  alle  übrigen  Piastiden  (Cy- 
toden und  Zellen)  erst  durch  Vererbung  und  Anpassung  entstanden 
sind,  bestehen  wesentlich  und  noth wendig  aus  weiter  nichts,  als 
aus  einem  Stückchen  von  structurloseft)  Protoplasma,  einer  eiweiss- 
artigen,  stickstofihaltigen  Kohlenstoffverbindung ;  alle  übrigen  Bestand- 


4)  GsoftG  Seidliti,  die  Bildangsgesetze  der  Vogeleier  in  histologischer  und  ge- 
netischer Beziehung,  und  das  Transmutationsgesetz  der  Organisnaen.  Leipzig 4869. 

1)  HEiifftiCH  BuFP  (Professor  der  Physik  in  Giessen) :  Ueber  den  Entwickelungs- 
gang  der  Naturwissenschaflen.  GiesseOi  4868. 


546  •     l^ri^st  Haeckel, 

theile  derPlastiden  sind  erst  secundär  aus  dem  Protoplasma  entslaDden 
(»Plasmaproducte«) . 

6.  Die  einfachsten  selbstständigen  Organismen,  welche  wir  kennen, 
und  welche  überhaupt  denkbar  sind,  die  Moneren,  bestehen  in  derThat 
zeitlebens  aus  weiter  nichts ,  als  aus  einer  einfachsten  Cytode ,  einem 
structurlosen  Sttlckchen  Protoplasma ;  und  da  sie  dennoch  alle  Lebens- 
thätigkeiten  (Ernährung ,  Fortpflanzung ,  Reizbarkeit,  Bewegung)  voll- 
ziehen, sind  diese  letzteren  hier  offenbar  an  das  structurlose  Protoplasma 
gebunden. 

7.  Das  Protoplasma  oder  der  Bildungsstoff  (auch  Zellstoff  oder  Ur- 
schleim genannt)  ist  daher  die  einzige  materielle  Grundlage,  an  welche 
ausnahmslos  und  nothwendig  alte  sogenannten  »Lebenserscheinungen« 
ursprünglich  geknüpft  sind ;  will  man  die  letzteren  als  Ausfluss  einer 
besonderen ,  von  dem  Protoplasma  unabhängigen  Lebenskraft  ansehen, 
so  muss  man  nothwendig  auch  die  physikalischen  und  chemischen 
Eigenschaften  jedes  anorganischen  Naturkörpers  als  Ausfluss  einer  be- 
sonderen, nicht  an  seinen  Stoff  gebundenen  Kraft  ansehen. 

8.  Das  Protoplasma  aller  Piastiden  ist,  gleich  allen  anderen  eiweiss- 
artigen  oder  Protelfnkörpern,  aus  vier  unzerlegbaren  Elementen,  Koh- 
lenstoff, Sauerstoff,  Wasserstoff  und  Stickstoff  zusammengesetzt,  zu 
denen  sich  häuflg,  jedoch  nicht  immer,  als  fünftes  Element  noch  Schwe- 
fel gesellt. 

9.  Die  Formen  und  Lebenseigenschaften  des  Protoplasma  sind  be- 
dingt durch  die  eigen thümliche  Art  und  Weise ,  in  welcher  sich  der 
Kohlenstoff  mit  den  drei  oder  vier  anderen  genannten  Elementen  zu  ver- 
wickelten Verbindungen  zusammengesetzt  hat ;  kohlenstofflose  Verbin- 
dungen zeigen  niemals  jene  eigenthümlichen  chemischen  und  physikali- 
schen Eigenschaften ,  welche  nur  einem  Theile  der  Köhlenstoffverbin- 
düngen  (den  sogenannten  )X)rganischen  Verbindungen«)  ausschliesslich 
zukommen ;  desshalb  hat  auch  die  neuere  Chemie  die  Bezeichnung  »or- 
ganische Verbindungen«  durch  die  tiefer  greifende  Bezeichnung:  »Koh- 
lenstoffsrerbindungen«  ersetzt. 

10.  Der  Kohlenstoff  ist  demnach  dasjenige  Element,  derjenige  un- 
zerlegbare Grundstoff,  welcher  vermöge  seiner  eigenthümlichen  physi- 
kalischen und  chemischen  Eigenschaften  den  verschiedenen  Kohlenstoflf- 
verbindungen  ihren  eigenthümlichen  »organischen«  Charakter  aufprägt 
und  insbesondere  das  Protoplasma,  den  »Lebensstoff« ,  zur  i;uateriellen 
Basis  aller  Lebenserscheinungen  gestaltet. 

1 1 .  Die  eigenthümlichen  Eigenschaften ,  welche  das  Protoplasma 
und  die  davon  secundär  abgeleiteten  übrigen  Gewebe  und  Körperbe— 
standtheile  der  Organismen  auszeichnen ,  insbesondere  ihr  festüüssiger 


Beiträge  iiir  Plast ideiitbeorie.  547 

Aggregatzustand,  ihr  beständiger  Stoffwechsel  (einerseits  die  leichte 
Zersetzbarkeit ,  andererseits  die  leichte  Assimilationsfähigkeit)  und  ihre 
übrigen  »Lebenseigenschaftena  sind  also  einzig  und  allein  durch  die 
eigenthUmlichen  und  verwickelten  Verhältnisse  bedingt,  in  denen  sich 
unter  gewissen  Umständen  der  Kohlenstoff  mit  den  übrigen  Elementen 
zu  verbinden  vermag. 

12.  Die  sämmtlichen  Eigenschaften  der  Organismen  sind  demnach 
in  letzter  Instanz  durch  die  physikalischen  und  chemischen  Eigenschaf- 
ten des  Kohlenstoffs  und  der  mit  ihm  verbundenen  übrigen  Elemente 
ebenso  mit  Noth wendigkeit  bedingt,  wie  die  sämmtlichen  Eigenschaften 
jedes  Salzes  und  jeder  anorganischen  Verbindung  durch  die  physika- 
lischen und  chemischen  Eigenschaften  der  sie  zusammensetzenden  Ele- 
mente bedingt  sind. 

Wenn  diese  zwölf,  in  der  generellen  Morphologie  ausführlich  be- 
gründeten Thesen  richtig  sind,  wenn  demnach  mit  Hülfe  meiner  Plasti- 
dentheorie  und  KohlenstoflFtheorie  die  »Einheit  der  Natur«  erwiesen 
ist,  so  dürfte  damit,  wie  Sbidlitz  ([1.  c.)  hervorgehoben  hat,  ein  Fort- 
schritt  zu  dem  hohen  Endziel  der  Biologie  gethan  sein ,  welches  Carl 
Ernst  Barr  in  seiner  klassischen  Entwickelungsgeschichte  der  Thiere 
mit  den  Worten  bezeichnet  hat :  »Die  Palme  aber  vnrd  der  Glückliche 
erringen ,  dem  es  vorbehalten  ist ,  die  bildenden  Kräfte  des  thierischen 
Körpers  auf  die  allgemeinen  Kräfte  oder  Lebensrichtungen  des  Weltr- 
ganzen  zurückzuführen.« 


Il 


EiUänuig  der  AbbUdongeii. 


BHtbybius  Haeckelii  (Huilet). 

Fig.  1—11.  Protoplasmakörper  vod  Bathybius. 

Fig.    4.  Eine  grossere  Cylode  von  Bathybius  mit  eiogebetlelen  Coccolithen.    Das 

Protoplasma,  welches  viele  Disco litheu  und  Cyalholithen  enthalt,  bildet  ein 

Netzwert  mit  breiten  SlrHngen.    Vergr.  700. 
Flg.    9.  Bine  grössere  Cytode  von  Bathybius,  ohne  eingelagerte  CeccoIiUien.     Das 

Protoplasma ,  welches  viele  sehr  kleine  unrcgelmflssige  EOrpercben  enl- 

ball,  bildet  ein  Netrwerk  mit  breiten  Strängen:   Vei^.  700. 
Fig.    3.  Eine  kleinere  Cytode  von  Bathybius  ohne  eingelagerte  Coccolithen.     Das 

I>rotoplBSn}a  bildet  ein  weitmaschiges  Netzwerk  mit  schmalen  StraDgcn. 

Vergr.  700. 
Fig.    4.  Eine  grossere  Cylode  von  Bathybius,  deren  eingelagerte  Coccolithen  durch 

SHure  gelost  sind.     In  dem  Protoplasma ,  das  ein  Netzwerk  mit  breiten 

Strängen  bildet,  sind  viele  unlösliche  kleine  Körperchen  zurUckgebliet>en. 

Vei^r.  700. 
Fig.    5.  Eine  kleinere  Cytode  von  Bathybius,  deren  Proloplasmaktirner  theilweise 

durch  ausgeschwitzte  Gallertmasse  (■Hatriia)  getrennt  sind.  Vergr.  700. 
Fig,    6.  Eine  kleinere  Cytode  mit  verzweigten  Fortsätzen  [Pseudopodien).  Vgr.  700. 
I'lp.    7.  Eine  ainoeben förmige   grosse  Cytode,  welche  zwei  Cyatholithco  unt- 

schliesst. 
Fig.    S.  Bine  amoebenfOrmige  kleine  Cytode,  welche  einen  kreisrunden Discolithon 

umscbliesst.  Vergr.  700. 
Fi^.  s.  Ein  Kaufen  von  grosseren  Protop lasmakOrnem.  Vergr.  tOOO. 
VHi.  to.  Ein  Haufen  von  kleineren  Protoplasma  körn  ern.  Vergr.  1000. 
Fip.  t1.  Eine  nackte  Protoplasmakugel  (Plasraosphaera).  Vergr,  10OO. 
Fi(;.  1  j.  Eine  encystirte  Protoplasma kugel  (Plasmocystis).  Vergr  4O0D. 
Fig.  13— IS.  Kraismnde  Discolithen'aul  verschiedenen  Entwickelungsstufen ,  von 

der  Flache  gesehen.    Vergr.  1000. 
Fig.  16— iO.  Elliptische  Discolithcn  auf  verschiedenen  Entwickelungsstufen,  von 

der  Fische  gesehen,  Vei^r.  1O0O, 
Fig.  1 1  — 19.  Kreisrunde  und  elliptische  Discolithen ,  von  dem  schmalen  Rande  ge- 
sehen. Vergr.  lOOO. 
Fig.  5v — St.  Coccosphaeren.  Vergr.  1000. 


Beiträge  wr  Piastidentheorie.  549 

Fig.  54—60.  Cyatholithen ,  halb  voa  der  Fläche  (der  kleineren  Scheibe),  halb  von 
dem  Rande  gesehen ,  auf  der  grösseren  Scheibe  schräg  aufliegend.  Vergr. 
1000. 
Fig.  64 — 69.  Cyatholiihen,  von  dem  schmalen  Rande  gesehen.   Vergr.  4000. . 
Fig.  70—74.  Cyatholithen ,  von  der  Fläche- der  unteren,  kreisrunden,  kleineren 
Scheibe  gesehen.  Vergr.  4000. 
I  Fig.  72—80.  Cyatholithen,   Ton  der  Fläche  der  oberen,  elliptischen,   grösseren 

Scheibe  gesehen.   Vergr.  4000. 

Die  Buchstaben  bedeuten  von  Fig.  48—80  dasselbe,  nämlich :  a)  Cen- 
tralkorn,  b)  Markfeld,  c)  Markring,  d)  Kömerring,  e)  Aussenring. 

Taf.  XVILL 

Myxobrachia. 

i  Fig.  4,  2.  Myxobrachia  rhopalum. 

I  Fig.  3— 40.  Myxobrachia  pluteus. 

Die  Buchstabei>  bedeuten  in  allen  Figuren  dasselbe,  nämlich : 

a)  Extracapsulare  Alveolen. 
I  b)  Binnenblase  (Vesicula  intima). 

I  c)  Centralkapsel. 

d)  Sarcodegallert  (extracapsulares  Protoplasma). 

e)  Pseudopodien  an  deren  Oberfläche. 

f)  Extracapsulare  farblose  Oelkugeln. 

g)  Gelbe  amylumhaltige  Zellen. 
h)  Concretionen  (Coccolithen  und  Coccosphaeren  ?) . 
t)  Intracapsulare  kleine  heile  Zellen  (Sporen?). 
k)  Intracapsulare  grosse  dunkle  Zellen. 
l)  Intracapsulare  rothe  Oelkugeln. 
M  N  Der  Wasserspiegel  des  Meeres. 

Fig.  4.  Myxobrachia  rhopalum,  die  zusammengezogene,  gedrungene  Form. 
Vergr.  40. 

Fig.  i.  Myxobrachia  rhopalum,  die  langgestreckte  schlanke  Form. 
Vergr.  40. 

Fig.  8.  Myxobrachia  pluteus,  langgestreckt,  mit  herabhängenden  Armen. 
Vergr.  40 

Fig.  4.  Myxobrachia  pluteuSi  abgeflacht,  mit  ausgebreiteten  Armen. 
Vergr.  40. 

Fig.    5.  Die  Binnenblase  (Vesicula  intimn).  Vergr.  480. 

Fig.  6.  Die  Centralkapsel ,  links  geöffnet,  so  dass  man  in  der  Mitte  die  Binnen- 
blase und  nach  aussen  davon  die  kleinen  Zellen  sieht.  Rechts  sieht  man 
die  Oberfläche  der  Centralkapsel ,  durch  welche  die  intracapsularen  Oel- 
kugeln (I)  als  rothe  Punkte  durchschimmern.  Oben  ist  noch  ein  Theil  der 
extracapsularen  Sarcode  erhalten ,  und  der  Alveolenhülle ,  zwischen  denen 
•    Alveolen  sie  sich  ausbreitet.   Vergr.  60.  -     * 

Fig.  7.  Grosse  Zellen  aus  der  inneren  Zone  des  Inhaltes  der  Centralkapsel,  welche 
zunächst  die  Binnei^biftse  umgeben.  A,  Eine  einzelne  Zelle.  B,  Zwei  zu- 
sammenhängende Zellen  (Theilung?).  C.  Vier  zusammenhängende  Zellen 
(Viertheilung?).  Vergr.  400. 


ttnal  Uiuxkfl,  Drilrä[!C  iiir  ClKStidenllieori«'. 

I.  Das  Ende  eines  annartigen  Fortsatzes  der  Sareode-Gallert,  mit  den  ler 
minalen  Knopfe  ,  doi'  mit  kalkipen  Concrelionen  (Cnocolithen  und  Cocco- 
sphaeren?)  ermilt  iät.    Vergr.  100. 

).  Scbeibenförmijje  Kalkkürper,  welche  den  Coccolitlien  sehr  abnlich  sind. 
A.  Kreisrunde  Scheibe.  B.  Ovale  Scheibe  mit  einfaühem  Centralkorn.  C. 
Ovale  Scheibe  mit  doppeltem  Centralkoni.   Vergr.  500 '? 

).  Kugelige  Concrelionen,  aus  scheibenförmigen  Kalkkorpern  zusammengi;- 
setit,  welche  den  Coccospham'en  sehr  ahnlich  sehen.  A.  Kleinere,  B.  rnilt- 
lerc,  C.  grüBsere Form  der  kugeligen,  CocccsphaerejishDlicbeDKalkkÖrpcr. 
Vergr.  SOO? 

t,  Exlracapsular? ,  amylnrnhallige  gelbe  Zellen.  Die  Kürner  rings  um  den 
Kern  der  Zellen  sind  Starkemehlkörner.  B.  Zwei  gelbe  Tochlerzellen  in 
einer  Multerzelle.     C.  Vier  TochterzeUen  in  einer  Mullerzelle.    Vergr.  400. 

l.  Drei  kleine  helle  Zellen  (Sporen  ?)  aus  dem  peripberlschsD  Theile  des  In- 
halts der  Centralkapsel.   Vergr.  *00. 


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